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Wie Jürgen

diesen Worten begann Jürgen Dormann im Sep-


tember 2002 die Serie der Freitagsbriefe – jener
112 E-Mails, die er während seiner knapp zwei-
einhalbjährigen Amtszeit als CEO und Turn-

Dormann
around-Manager des Schweizer Technologiekon-
zerns ABB den mehr als 140 000 Mitarbeitern auf
der ganzen Welt schickte.
Der ehemals gefeierte Industrieriese ABB galt
Generationen von Managern und Forschern als

ABB rettete Vorbild eines gut geführten Großkonzerns; zwei


britische Buchautoren bezeichneten ihn sogar
als „Tanzenden Riesen“ (siehe Servicekasten Sei-
te 9). Doch vor Dormanns Amtsantritt war der
Konzern in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.
Während das Eigenkapital innerhalb von zwei
LEADERSHIP: Als Jürgen Dormann Chef Jahren von über fünf Milliarden auf nur noch
eine Milliarde US-Dollar geschrumpft war, waren
des Elektrotechnikkonzerns ABB wurde, die Verbindlichkeiten im selben Zeitraum auf
stolze 5,2 Milliarden Dollar angewachsen. Erst-
begrenzte er seine Amtszeit von vornherein mals in der Unternehmensgeschichte musste ABB
einen Verlust in Höhe von 691 Millionen Dollar
auf etwas mehr als zwei Jahre. Trotzdem ausweisen.
Der damals 61-jährige Jürgen Dormann wollte
schaffte er es, den Konzern vor dem es noch einmal wissen: Er übernahm zusätzlich
Zusammenbruch zu bewahren und den zu seiner Aufgabe als Verwaltungsratschef den
CEO-Posten und stürzte sich in die Krisenbe-
Menschen in der Organisation wieder wältigung. Allerdings unter einer Einschränkung:
Er begrenzte seine Amtszeit von Beginn an selbst
Selbstvertrauen zu geben. Von seinem auf zwei Jahre.
Heute, insgesamt fünf Jahre später, ist das
Führungsstil und seinen Methoden können Unternehmen zurück auf der Erfolgsspur. Unter
Jürgen Dormanns Führung wurde der Kon-
andere Manager viel lernen. zern wieder profitabel und senkte die Verschul-
dung massiv. Die über 100 000 Mitarbeiter
blicken mittlerweile wieder voller Zuversicht
Von Wolfgang Jenewein und in die Zukunft und sind stolz, für ABB zu ar-
beiten, was auch unsere Forschungsergebnisse
Felicitas Morhart belegen.
Wie war dieser bemerkenswerte Turnaround
möglich? Was waren die Erfolgsfaktoren und
Führungsprinzipien, mit denen Jürgen Dormann
den Absturz verhinderte? Nach Abschluss un-
serer Forschungsarbeiten sind wir der Über-
zeugung: Jürgen Dormanns bemerkenswertes
Verständnis von Management auf Zeit war es, das

I
ch schreibe Euch, nachdem ich Chef von den Erfolg brachte. Viele andere Interimsmanager
ABB geworden bin. Mein Ziel ist es, die hätten in ähnlicher Situation wohl intuitiv auf
Umsetzung der Konzernstrategie zu be- reine Aufgabenorientierung, harte Fakten und
schleunigen und mit Eurer Hilfe die ope- Rationalität gesetzt. Im Gegensatz dazu hatte
rative Performance zu verbessern. Ge- Dormann gleichzeitig immer auch die weichen
meinsam müssen wir aber auch unseren alten Faktoren im Blick, wie das Beispiel der Freitags-
ABB-Spirit wiederbeleben. Ich setze auf voll- briefe zeigt.
kommene Transparenz. Deshalb verspreche ich Trotz Überschuldung, Kosten- und Zeitdruck –
Euch, in den kommenden Wochen und Monaten und vor allem trotz seiner zeitlich eingeschränk-
regelmäßig mit Euch zu kommunizieren.“ Mit ten Verantwortung als CEO – war es ihm vom

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ersten Tag seiner Amtsübernahme an wichtig, den
Mitarbeitern Stolz, Zuversicht und eine starke
Kultur zurückzugeben. Somit machte er den
KOMPAKT
Schritt vom reinen Interimsmanager zum Inte- 2002 stand der schwedisch-schweizeri-
rimsleader. In unseren Augen ist er damit Vorbild sche Elektrotechnikkonzern ABB vor
für einen neuen Typus von Führungskraft, den dem Konkurs. Häufige Wechsel auf dem
Unternehmen angesichts der stärker werdenden Chefsessel, abrupte Strategieänderungen
Fluktuation in den Spitzenpositionen künftig im- und misslungene Reorganisationen hat-
mer häufiger brauchen werden. ten das einstige Vorzeigeunternehmen in
Führungskräfte, die ein Mandat auf Zeit über- die Krise geraten lassen. Daraufhin über-
nehmen oder ein solches vergeben wollen, regen nahm Jürgen Dormann die Position des
wir dazu an, sich mit dem Typus des Interims- CEOs und schaffte es innerhalb von gut
leaders auseinanderzusetzen. Jürgen Dormann zwei Jahren, den Konzern zu sanieren.
in seiner Funktion als Turnaround-CEO bei ABB Management: Wie ein typischer Inte-
kann dabei als Beispiel dienen. Um zu ver- rimsmanager musste Dormann zuerst die
deutlichen, was sein Interimsmanagement zu Kosten senken und dabei auch Mitarbei-
Interimsleadership machte, werden wir seine ter entlassen. Er straffte die Führungs-
Maßnahmen im Hinblick auf die für das Turn- spitze und vereinfachte die Organisations-
around-Management zentralen Bereiche Stra- struktur, indem er das Unternehmen auf
tegie, Kosten, Personal und Kultur jeweils un- zwei Geschäftsbereiche konzentrierte.
terteilt in die zwei Kategorien Management und Leadership: Trotz dieser harten Ein-
Leadership darstellen. schnitte schaffte es Dormann, dass die
Mitarbeiter hinter ihm standen und
Trend zur Führung auf Zeit motiviert waren. Das gelang, weil er sich
Seit ungefähr drei Jahren lässt sich in Deutschland zu dem entwickelt hatte, was die Autoren
ein starker Trend zum Interimsmanagement be- einen Interims-Leader nennen – eine echte
obachten: Auch in der derzeitigen Wirtschaftslage Führungskraft, die auch die weichen
sind Restrukturierungen, strategische Neuaus- Faktoren im Blick behält, offen kommu-
richtungen sowie Fusionen und Übernahmen niziert, den Wandel selbst lebt und keine
praktisch an der Tagesordnung. Hinzu kommen Rücksichten auf alte Seilschaften nimmt.
der schnelle Wandel der Märkte und der damit
einhergehende Zwang zur Flexibilisierung von
Strategie und Personalstruktur. Um diese unter-
nehmerischen Herausforderungen zu meistern,
bedarf es hoch qualifizierter und erfahrener Tatsächlich beauftragte in den vergangenen drei
Führungskräfte, die auch heikle Projekte über- Jahren jedes zweite deutsche Unternehmen einen
nehmen und unpopuläre Maßnahmen in kurzer Interimsmanager, wie eine aktuelle Studie der
Zeit durchsetzen können. Interimsmanager er- Personalvermittlung Robert Half Management
weisen sich hierbei als attraktive Alternative zu Resources unter 2578 Finanzmanagern im August
teuren Unternehmensberatern, die es zudem den 2006 belegt (siehe Servicekasten Seite 9). Dabei
Firmen meist selbst überlassen, die unterbreiteten heuerten die Firmen in mehr als zwei Dritteln
Vorschläge umzusetzen. der Fälle diese Führungskräfte an, um ihnen unge-
liebte schmutzige Jobs zu übertragen, wie Kos-
tensenkungen, Personalentlassungen, Standort-
WOLFGANG JENEWEIN schließungen und -abwicklungen im Rahmen von
ist Studienleiter des Executive-MBA-Programms der Sanierungen. Die Nachfrage steigt. Stimmen die
Universität St. Gallen und Dozent für Führung und verschiedenen Prognosen zum Thema, wird die
Entrepreneurship. Er berät verschiedene internationale Zahl der Einsätze von Interimsmanagern in den
Konzerne im Bereich Führung und Marketing. kommenden Jahren um bis zu 30 Prozent zu-
nehmen.
FELICITAS MORHART Dennoch gibt es Kritiker des zeitlich befristeten
ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin Einsatzes von Topführungsleuten, und diverse Er-
an der Universität St. Gallen. Sie beschäftigt fahrungen zeigen, dass damit häufig nur lebens-
sich mit aktuellen Fragen und Trends im Bereich der verlängernde, aber nicht erneuernde Kräfte im
markenorientierten Führung. Unternehmen freigesetzt werden. Das Problem

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liegt zumeist in dem Verständnis, das Auftrag- mitbrachten. Industriefremde Geschäftsbereiche
geber – und häufig auch Auftragnehmer – von der wie das Banken- und Versicherungsgeschäft stieß
Funktion eines Interimsmanagers haben: Häufig Dormann ab, konzernübergreifende Service-Di-
sehen diejenigen, die die Führungskraft auf Zeit visions, die die Informationstechnik (IT) oder die
geholt haben, diese als externen Dienstleister an, Personalarbeit im Unternehmen vereinheitlichen
der keine Bindung an das Unternehmen hat und sollten, löste er auf. Schließlich spiegelte sich die
daher emotionslos agieren kann. Denn nach geta- Fokussierung des Konzerns auch in der Marke
ner Arbeit trennen sich beide Seiten ohnehin wie- wider. Hier konzentrierte sich der Konzern auf
der. Die Auftraggeber erwarten von einem Inte- die drei Buchstaben ABB und tilgte weltweit die
rimsmanager weniger Loyalität, Kulturnähe und unzähligen Zusätze der Einzelfirmen und Länder-
stabile Mitarbeiter- und Kundenbeziehungen, gesellschaften auf den Unternehmensschildern
was oft zulasten der Nachhaltigkeit seiner Initia- und Visitenkarten.
tiven geht. Ganz zu schweigen von den Akzep-
tanzproblemen, auf die der „Mietmanager“ als Leadership
Unternehmensfremder trifft. Längst gehört es zum guten Ton eines jeden neuen
Damit das moderne Führungswerkzeug des CEOs, sein Unternehmen erst einmal gemäß der
Managements auf Zeit aber nicht zum Fluch, son- gerade aktuellen Managementmode gründlich zu
dern zum Segen für Unternehmen wird, bedarf es restrukturieren. Unter Dormann stand bei ABB
eines Umdenkens weg vom Interimsmanagement nun der dritte grundlegende Umbau innerhalb von
hin zur Interimsleadership. Diese Erfolgsformel fünf Jahren an. Doch was unterschied Dormanns
für effektives Management auf Zeit ist eines der Maßnahmen von denen seiner drei Vorgänger?
Ergebnisse unserer Forschungsarbeit bei dem Göran Lindahl, ABB-CEO von 1997 bis 2001,
Schweizer Technologiekonzern ABB, im Zuge wollte im Rausch des New-Economy-Hypes das
derer wir das Turnaround-Management Jürgen Unternehmen zu einer wissensbasierten Organi-
Dormanns in den Bereichen Strategie, Kosten, sation umbauen. Kurzerhand versilberte er ABBs
Personal und Kultur genauer unter die Lupe nah- traditionelle Geschäftsfelder, was die Identität
men (siehe auch Kasten auf Seite 8). und das Selbstverständnis des gesamten Unter-
nehmens zutiefst erschütterte. Ein Mitarbeiter
dazu: „Der Verkauf der Bahntechnik und des
Strategie: Zurück zu den Wurzeln Kraftwerksegments innerhalb eines Jahres war
Management für weite Teile der Organisation ein Schock. Viele
„Als ich die Position des CEO übernahm, war Mitarbeiter konnten nicht glauben, dass die Lo-
ABB praktisch illiquide und fast bankrott; man komotiven und Kraftwerke, die über Jahrzehnte
hatte große Probleme, die Schlüsselkunden zu Marke und Identität geprägt hatten, nicht mehr
halten und neue Kredite zu bekommen. Es ging, länger Teil von ABB sein sollten.“
um es mit Shakespeare zu sagen, um Sein oder Dormann dagegen besann sich bei seiner Um-
Nichtsein“, erinnert sich Jürgen Dormann. Er strukturierung auf die Geschichte und Kern-
leitete daher verschiedene lebensrettende Sofort- kompetenzen des Unternehmens. Er wollte an die
maßnahmen ein, allen voran die Refokussierung Tradition von ABB anknüpfen und deren wahren
der Strategie und Struktur. Unter seinen Vorgän- Charakter wiederherstellen. Gemeinsam mit den
gern war ABB infolge willkürlicher Zukäufe und Gruppen- und Divisionleitern analysierte er, wel-
Beteiligungen zu einem Gemischtwarenladen an- che Bereiche den Konzern groß und erfolgreich
gewachsen. Es war offensichtlich, dass das Unter- gemacht hatten und welche identitätsfern waren.
nehmen inzwischen weder die finanziellen noch Dazu Dinesh Paliwal, Vorstandsmitglied und Be-
die personellen Ressourcen hatte, um die vielen reichsleiter Automation: „Es wurde sehr klar
Geschäftsfelder erfolgreich weiterführen zu kön- kommuniziert, was künftig zum Konzern ge-
nen. Folglich standen die Strategie- und Struk- hören und was mittelfristig abgestoßen werden
turänderungen klar im Zeichen der Vereinfa- sollte. Dies brachte den Fokus zurück, der im
chung und der Rückbesinnung auf die Wurzeln Rahmen der überbordenden und komplexen Pro-
des Unternehmens. zesse unter Dormanns Vorgängern verloren ge-
Dormann reduzierte die vorhandenen sieben gangen war. Durch die Summe der Maßnahmen,
Divisions drastisch auf zwei. An deren Spitze so radikal und schmerzhaft sie in Einzelfällen
standen Manager, die schon seit der Fusion von auch waren, bekam unsere Organisation wieder
Asea und Brown Boveri 1988 bei ABB arbeiteten den inneren Halt und die so lange vermisste Stabi-
und jahrzehntelange Unternehmenserfahrung lität zurück.“

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Im Oktober 2002 kündigte Dormann deshalb
Profil ein radikales Kostensenkungsprogramm an.
Ursprünglich wollte er durch das 18-monatige
Manager: Jürgen Dormann (Jahrgang 1940) Programm insgesamt rund 800 Millionen US-
ging nach seinem Studium der Volkswirt- Dollar einsparen. Doch schon wenige Wochen
schaftslehre 1963 zum Chemie- und Pharma- nach dessen Start setzte er noch eins drauf und
konzern Hoechst in Frankfurt – und blieb erhöhte die einzusparende Summe auf 900 Mil-
dort fast 40 Jahre. Nach ersten Stationen im lionen. Dabei sollten die Einsparungen in etwa
Vertrieb kümmerte er sich um die Beteiligun- gleichmäßig von den beiden Kernbereichen sowie
gen des Unternehmens. 1986 wurde er Vor- der Verwaltung am Hauptsitz der Organisation
standsmitglied, ein Jahr später Finanzvor- getragen werden.
stand, 1994 schließlich Vorstandsvorsitzender. Als Hauptsparpotenziale identifizierten Dor-
mann und sein Team einen Stellenabbau von unge-
Stratege: Dormann konzentrierte Hoechst fähr 10 000 Mitarbeitern, was rund 7 Prozent der
Schritt für Schritt auf die Bereiche Pharma gesamten weltweiten Belegschaft entsprach, die
und Landwirtschaft, die Chemie stieß Verringerung von Doppelarbeit durch eine ver-
er ab. Diese Strategie gipfelte 1999 in der stärkte Zusammenarbeit über Geschäftseinheiten
Fusion mit dem französischen Wettbewerber und Ländergrenzen hinweg sowie eine allgemeine
Rhône-Poulenc. Als Chef des neuen Kürzung der operativen Kosten. Insgesamt be-
Konzerns namens Aventis musste Dormann schlossen sie 1400 verschiedene Maßnahmen, die
die beiden unterschiedlichen Kulturen jeweils ein durchschnittliches Einsparpotenzial
miteinander verbinden. Zudem fokussierte er von 500 000 bis eine Million Dollar hatten.
das Unternehmen weiter auf den Pharmabe- Parallel dazu konnte Dormanns Team durch ein
reich. 2002 wurde Dormann Aufsichtsrats- spezielles Instrument zum Project-Controlling
vorsitzender und musste 2004 mitansehen, die Fortschritte bei der Umsetzung jeder einzel-
wie der kleinere französische Konkurrent nen Maßnahme verfolgen. Absolute Transparenz
Sanofi-Synthélabo Aventis übernahm. gegenüber den Mitarbeitern war dabei oberstes
Prinzip: Alle Mitarbeiter konnten sich zu jeder
Interimschef: Bereits 2001 hatte Dormann Zeit und während des gesamten Prozesses via
den Vorsitz des ABB-Verwaltungsrats Intranet und durch Telefonkonferenzen mit dem
übernommen und war ein Jahr später auch Projektverantwortlichen persönlich über die
noch Chief Executive Officer des in Fortschritte und Probleme informieren und ihre
Bedrängnis geratenen Konzerns geworden – individuellen Fragen klären. Der Erfolg dieser
allerdings von vornherein zeitlich befristet. Vorgehensweise ließ nicht lange auf sich warten:
Wie zuvor bei Hoechst und Aventis Im Juni 2004 hatte das Programm insgesamt 917
strukturierte er ABB radikal um, baute Millionen US-Dollar an Einsparungen einge-
Personal ab und senkte die Kosten. spielt. Damit wurden sogar die zu Beginn von
Ende 2004 übergab er den CEO-Posten an Dormann gesetzten sehr ambitionierten Ziele
Fred Kindle, vormaliger Chef des Schweizer noch übertroffen.
Maschinenbauers Sulzer; im Mai 2007
legte Dormann auch den Posten Leadership
des ABB-Verwaltungsratspräsidenten nieder. Die Vernunft gebietet es jedem Manager, bei fi-
nanziellen Engpässen erst einmal die Kosten zu
senken, häufig verbunden mit Standortschließun-
gen und Stellenabbau. Auch Dormann griff zur
Ultima Ratio und reduzierte während seiner ge-
Kosten: Opfer in allen Bereichen samten Amtszeit die Mitarbeiterzahl von 146 000
Management auf 105 000. Der Verdacht liegt nahe: Wieder nur
Zu Dormanns Amtsantritt war die Finanzlage einer dieser Rambo-Manager? Ganz im Gegen-
desaströs. „An meinem ersten Arbeitstag stand teil, denn genauso wie bei der Refokussierung der
ich einem Himalaya an Schulden gegenüber“, Strategie ging er auch bei seinen Kostensenkungs-
erinnert sich Peter Voser, als er damals, beinahe maßnahmen mit der Besonnenheit und Sensi-
zeitgleich mit Dormanns Amtsantritt, den CFO- bilität einer wahren Führungskraft vor. Um die
Posten übernahm. „Es war, als ob wir einen Mitarbeiter für seine Sache zu gewinnen, legte er
Staubsauger im Tresor hatten.“ ihnen alle geplanten Schritte offen und be-

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gründete sie jeweils. Mithilfe dieser transparenten plante einen Personalabbau von rund 42 000 Mit-
und offenen Kommunikation konnten die allge- arbeitern, wovon er ungefähr 12 000 Stellen weg-
meine Verunsicherung und die Sorge vor dem rationalisieren wollte. Rund 30 000 Stellen sollten
Verlust des Arbeitsplatzes einem gemeinsamen im Zuge von Veräußerungen von Unternehmens-
Verständnis für die Notwendigkeit des Pro- teilen entfallen. Dormann machte dabei auch vor
gramms weichen. dem Topmanagement nicht halt. Der Vorstand
Darüber hinaus verstand Dormann es, die Kraft war unter seinem Vorgänger Jörgen Centerman
der symbolischen Führung zu nutzen, und baute auf elf Personen angewachsen, weshalb sich die
auf kleine Gesten mit großer Wirkung. Gleich zu ehemals schlanke Konzernzentrale zu einem re-
Beginn seiner Amtszeit setzte er deutliche Sig- gelrechten Wasserkopf entwickelt hatte.
nale, indem er viele Privilegien und Statussym- Konsequenterweise reduzierte Dormann die
bole des Topmanagements abschaffte. So ließ er Geschäftsleitung auf ein fünfköpfiges Team, in
beispielsweise die beiden gepanzerten Firmen- dem zwei Personen aus der alten ABB stammten.
limousinen und den Firmenjet verkaufen, die in Wichtig war ihm dabei ein Mix aus alten Hasen,
erster Linie ihm und den übrigen vier Vorstands- die mit einer Betriebszugehörigkeit von über 20
mitgliedern zur Verfügung gestanden hatten. Jahren das Geschäft von der Pike auf kannten,
Ebenso mussten die Topmanager bei Flugreisen und Neulingen von außen, die frische Energie und
auf teure First-Class-Tickets verzichten; Dor- neue Ansichten in die Organisation bringen soll-
mann selbst flog innerhalb Europas nur noch ten. Mit Gary Steel war auch erstmals in der
Economy und erwartete dies auch von seinen Geschichte der ABB der Personalchef in der
Vorstandskollegen. Geschäftsleitung vertreten.
Für sehr großes Aufsehen in der Belegschaft
sorgte schließlich die Abschaffung des sehr gedie- Leadership
genen und exquisiten Vorstandskasino. Der ge- Personalarbeit zählt zu den ureigensten Aufgaben
samte Vorstand, bei ABB Executive Committee einer Führungskraft – unsere Beobachtung ist al-
genannt, aß von da an wie alle anderen Mitarbeiter lerdings, dass viele Interimsmanager diese nicht
am Hauptsitz des Unternehmens in Zürich/Oer- wichtig genug nehmen und sie zum Teil sogar
likon in der Kantine. So wurde es normal, an ei- vernachlässigen. Häufig fehlt es an der nötigen
nem Tag mit dem Finanzvorstand und am anderen Portion Mut und Fingerspitzengefühl, um glei-
mit dem Personalvorstand beim gemeinsamen chermaßen couragierte wie auch kluge Personal-
Mittagessen über die Geschicke der ABB zu dis- entscheidungen zu treffen. Doch gerade hier kann
kutieren. ein Manager wahre Leadership-Qualitäten be-
Dormanns ehrlicher persönlicher Einsatz beim weisen. Bei seinem Amtsantritt sah sich Jürgen
Sparen und sein symbolträchtiger Verzicht auf Dormann einer eingeschworenen Riege alter
Privilegien setzten bei den Mitarbeitern eine Weggefährten an der Führungsspitze des Kon-
enorme Motivation frei, selbst Opfer für das zerns gegenüber. Von Beginn an stellte Dormann
Überleben der Firma zu bringen: „Es ging mir gegenüber diesem elfköpfigen Vorstand klar, dass
darum, die einfachen Leute zu gewinnen“, es in der Diskussion um das künftige Geschäfts-
erinnert sich Dormann, „ich musste sie davon modell der ABB allein und ausschließlich um
überzeugen, dass dieses Unternehmen kurz vor Sachthemen und Inhalte gehen werde und nicht
dem Ruin stand. Aber die Loyalität war sehr groß, um Personen und Positionen.
vor allem nachdem sie gemerkt hatten: Der tut, Mit dieser einfachen, aber gleichwohl effektiven
was er sagt, der drischt kein Stroh, fängt bei sich Maßgabe konnte er sicherstellen, dass sich das
an zu sparen und geht wie wir in die Kantine zum Team auf die bestmögliche Strategie für ABB und
Essen.“ nicht auf die Besitzstandswahrung altgedienter
Manager konzentrierte. Jürgen Dormann erin-
nert sich: „In den Gesprächen und Sitzungen mit
Personal: Abbau auf allen Ebenen dem Executive Committee bekam ich ein Gefühl
Management dafür, wer ein tiefes Verständnis von seinem
In seinem elften Brief an die Mitarbeiter schreibt Geschäft hatte, wer wusste, wovon er sprach, wer
Dormann: „Es gibt keinen Weg für uns, Kosten zu einen soliden Track Record hat und wer motiviert
sparen, ohne Jobs zu streichen ... Ist das drama- und couragiert die Herausforderungen der nächs-
tisch? Ja ... Aber es ist notwendig für das Über- ten Monate angehen würde. Es gab einige Perso-
leben der ABB.“ Schon bald konfrontierte Dor- nen, die einfach nur in ihrer Position überleben
mann seine Leute mit der harten Realität: Er wollten, sich querstellten und sich hinter ihren

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Powerpoint-Präsentationen versteckten. In sol- in denen ABB-Managern aus aller Welt nicht nur
chen Situationen muss man auch einmal kristall- den Inhalt, sondern auch die Notwendigkeit eines
klare Härte zeigen und sich von Mitarbeitern solchen Kulturwandels vermittelt wurden. Zu-
trennen.“ gleich veränderte Dormann gezielt das Weisungs-
Unbeeindruckt von alten Machtansprüchen und Kompetenzgefüge. Verantwortung war das
und Eitelkeiten löste er die Seilschaften in der Stichwort: Auf allen Ebenen vergrößerte er Kom-
Führungsriege und die kleinen Königreiche im petenzbereiche, baute Handlungsspielräume aus,
Unternehmen rigoros auf. Eine Erlösung: Zum verkürzte Entscheidungswege und löste die Ver-
einen für die Mitarbeiter, die in den vorangegan- haltenskontrolle durch eine Ergebniskontrolle
genen Jahren immer wieder hatten mitansehen ab. So räumte er beispielsweise den Vorständen
müssen, wie sich einige Topmanager mit millio- das Recht ein, sich direkt mit dem Verwaltungsrat
nenschweren Pensionszahlungen den Lebens- abzustimmen, ohne – wie in der Vergangenheit
abend auf Kosten der Firma vergoldeten. Zum üblich – den CEO einzuschalten. Dormann:
anderen für den Verwaltungsrat, der ob der Kun- „Früher sind die Mitarbeiter wegen zu vieler Pro-
gelei und Informationsvertuschung seine liebe bleme zum CEO gelaufen. Das musste aufhören.
Not hatte, seine Aufsichtspflichten ordentlich zu Meine Rolle im Executive Committee war es, eine
erfüllen. Aufseher Hans-Ulrich Märki blickt eindeutige Richtung vorzugeben, eine Kultur des
zurück: „Jürgen Dormann war genau der CEO, Miteinander zu formen, klarzumachen, wer für
den wir in dieser schwierigen Situation brauchten. was verantwortlich war, und die Leute zum Han-
Als erster externer CEO in der Geschichte von deln zu ermächtigen.“
ABB konnte er die bestehenden Seilschaften
zerschlagen und damit den Grundstein für einen Leadership
radikalen Neuanfang legen.“ Inzwischen ist es ein Allgemeinplatz, dass zu
erfolgreichem Turnaround-Management auch
immer Kulturmanagement gehört. Diese Einsicht
Kultur: Veränderung leben ist aber nur die halbe Miete. Ein Kulturwandel
Management lässt sich in noch so vielen Schulungen und
Die langjährige Klüngelwirtschaft an der Kon- Trainings nicht oktroyieren, wenn er im Alltag
zernspitze zeigte starke Nebenwirkungen im nicht sichtbar gelebt wird – vor allem und zuerst
gesamten Unternehmen. An die Stelle von Infor- durch das Topmanagement. Leader wissen, dass
mationsaustausch und Kooperation waren eine sie die Leittiere sind, an denen sich die Herde
selbstzerstörerische Intransparenz und tief grei- orientieren will.
fende interne Rivalitäten getreten. Frank Duggan, So ging etwa Jürgen Dormann mit seinem Ge-
Landeschef von ABB in Irland, erinnert sich: schäftsleitungsteam von Anfang an als Vorbild
„Eines Tages sagte ein Kunde zu mir, unsere voran. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit reisten
Offerte sei zu teuer. Ich versuchte dann mit unse- alle fünf zu den Schlüsselkunden in der ganzen
rer hohen Qualität und den vergleichsweise nied- Welt, um sie über das tatsächliche Ausmaß der
rigen Kosten über den gesamten Lebenszyklus Probleme bei ABB zu informieren. Dabei spra-
des Produkts zu argumentieren. Daraufhin zeigte chen sie ganz offen über die Liquiditätsschwierig-
mir der Kunde wortlos elf verschiedene Visiten- keiten, Pensionsskandale und Asbestklagen und
karten von ABB-Managern, die allesamt in den erläuterten die vorgesehenen Auswege aus der
vergangenen drei Monaten bei ihm gewesen Misere. Nach all den negativen Presseberichten
waren, um ihm unabhängig voneinander jeweils der Vergangenheit brachte diese Präsenz und
ein Angebot in ein und derselben Angelegenheit glaubwürdige Information durch den Vorstand
zu unterbreiten. Anschließend sagte er zu mir: persönlich viel Vertrauen bei Kunden und Liefe-
‚Ihr Problem ist, dass sie zu viele Leute haben, von ranten zurück.
denen der eine nicht weiß, was der andere tut.‘ Brice Koch, ABB-Landeschef für China: „Es
Und er hatte recht.“ war für unsere Verkäufer auf der ganzen Welt eine
Dormanns Rettungsplan für ABB sah deshalb große Unterstützung, dass die Vorstände persön-
ein umfassendes Programm zum Wandel der Un- lich zu unseren Schlüsselkunden und anderen
ternehmenskultur vor. Ziel war es, im Konzern wichtigen Stakeholdern gingen, um sie aus erster
langfristig eine Mentalität des Zusammenhalts Hand über die Situation bei ABB zu informieren.
und der Kooperation, der Offenheit und Verant- Von diesem Zeitpunkt an mussten sie beim Kun-
wortung aufzubauen. Dormann ließ dazu Hun- den nicht mehr ständig über die derzeitigen Pro-
derte von firmeninternen Seminaren veranstalten, bleme sprechen, sondern konnten sich wieder auf

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die Produkte und deren Verkauf konzentrieren.“
Besser hätten die fünf Geschäftsführungsmit- Zur Untersuchungsmethode
glieder ihr echtes Engagement für offene und ehr-
liche Kommunikation und Kooperation nicht Befragungen. Wir haben den dokumentieren, sondern die
unter Beweis stellen zu können. Turnaround-Prozess bei ABB Ereignisse auch aus
Den bedeutendsten Beitrag zum internen Kul- zwischen September 2002 und mehreren Perspektiven
turwandel leisteten allerdings die bereits er- Dezember 2004 analysieren.
wähnten Freitagsbriefe. Jeden Freitag schrieb wissenschaftlich begleitet.
Jürgen Dormann an seine mehr als 100 000 Mit- Während dieser Phase haben Überprüfung. Darüber hin-
arbeiter einen ein- bis zweiseitigen Brief, der in wir die Schlüsselpersonen im aus nahmen wir an Sitzungen
15 Sprachen übersetzt und per E-Mail versandt Konzern mehrmals und internen Schulungen teil.
wurde. Darin informierte er unverblümt über die ausführlich interviewt. Dabei Schließlich werteten wir die
Situation von ABB, sprach Missstände und Ver- haben wir den gesamten 112 Briefe aus, die Konzern-
säumnisse direkt an, definierte die notwendigen Vorstand als treibende Kraft chef Jürgen Dormann
kurz- und mittelfristigen Aktivitäten, berichtete des Turnarounds befragt. während dieser Zeit an seine
über Fortschritte und brachte seine persönliche Gleichzeitig haben wir auch Mitarbeiter geschrieben
Zuversicht zum Ausdruck. Vor allem kommu- Teile des Verwaltungsrats hatte. Zur Verifizierung der
nizierte er mit den Briefen jedem der ABB-Mit- sowie der Belegschaft nach Erkenntnisse aus den
arbeiter klar und verständlich die neue Strategie ihrer Meinung zu den Interviews und den Beobach-
sowie deren Hintergründe. Die Orientierungs- zentralen Erfolgsfaktoren der tungen diskutierten wir
losigkeit und Unsicherheit über das Was, Warum Krisenbewältigung gefragt. mit allen Beteiligten (Execu-
und Wohin des Unternehmens wurde damit Dadurch konnten wir tive Committee, Verwaltungs-
durch ein eindeutiges Verständnis des Fokus, der nicht nur einen umfassenden rat und Mitarbeitern)
Prioritäten und der dringlichsten Aktivitäten von Pool an Erfahrungen unsere Schlussfolgerungen.
ABB ersetzt. „Das Unsozialste ist das Verschlei-
ern von Wahrheiten“, sagt Jürgen Dormann. „Es
führt zu falschen Vorstellungen und dazu, dass
Notwendiges nicht entschieden wird.“
Dormann nutzte seine Briefe aber auch als In-
strument, um die Einschätzung der Mitarbeiter in Unternehmen eingeschlagen wie eine Bombe.
Erfahrung zu bringen. So gab es einen Antwort- Schlagartig hat sich das Kommunikationsver-
knopf am Ende jeder E-Mail, über den die Mitar- halten verändert, und seither wird nur noch sehr
beiter dem CEO persönlich ihre Meinungen und reduziert und ausgewählt bei internen Meetings
Bedenken mitteilen konnten. 4500 solcher Rück- mit Folien oder Powerpoint-Präsentationen gear-
meldungen hat Dormann während seiner Amts- beitet“, erzählt Paul Lewis, als Group Senior Vice
zeit erhalten. Reagiert hat er auf alle, indem er ge- President verantwortlich für die Personalent-
bündelt nach Themengebieten in einem seiner wicklung.
nächsten Briefe Feedback gegeben hat. So kam es
zum wirklichen Dialog zwischen dem CEO und Fazit
den Mitarbeitern. Bereits 1977 schrieb Harvard-Professor Abraham
Die Wirkung auf ABB war bemerkenswert, und Zaleznik über den Unterschied zwischen Mana-
die gesamte Organisation reagierte sehr stark auf gern und Leadern. Manager sind Problemlöser,
diese Art der Kommunikation. Ein Beispiel: „In wahre Führungskräfte dagegen Visionäre; wäh-
seinem sechsten Freitagsbrief verurteilte Jürgen rend Manager sich auf das Alltagsgeschäft kon-
Dormann die Powerpoint-Kultur in unserem zentrieren, denken Leader langfristig; während
Unternehmen. Er schrieb unter anderem, dass er Manager in erster Linie die bestehenden Prozesse
immer wieder feststellte, dass sich die Leute auch optimieren, gehen wahre Führungskräfte unge-
intern gegenseitig Verkaufspräsentationen gäben wöhnliche Wege und schaffen Neues. Manager
und weniger auf den Inhalt als auf die Verpackung also, so die Beobachtung, „tun Dinge richtig“,
achteten. Oft fragte er sich bei solchen Vorträgen: während Führungskräfte eher nach dem Primat
,Where is the power and where is the point?‘ Man handeln „Tue die richtigen Dinge“. Um wirklich
solle sich doch besser gemeinsam an einen Tisch erfolgreich zu sein, müssen (Interims-) Manager
setzen und differenziert das Thema durch- aber beides beherrschen.
diskutieren, als sich in oberflächlichen Farb- Heute, 30 Jahre später, ist diese Einsicht wichti-
präsentationen zu verlieren. Dieser Brief hat im ger als je zuvor. In turbulenten Zeiten wie diesen,

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in denen viele Organisationen unter Zeitdruck den Worten des Personalchefs Gary Steel zu
ums Überleben kämpfen, konzentrieren sich die sprechen: „Leadership ist nicht so sehr eine
meisten europäischen Unternehmen auf sach- Frage der Rolle, des Status oder des Titels. Die
orientierte Soforthilfemaßnahmen wie Kosten- Frage ist: Werden dir die Leute folgen, wenn man
senkungen oder Prozessoptimierungen und dir Titel und Status wegnimmt?“ Überprüfen Sie
vernachlässigen dabei sträflich die Leadership- sich bei Ihrem nächsten Projekt doch einmal
Komponente. selbst! ■
Gerade das Modell des Interimsmanagements,
auf das Unternehmen in Krisen vermehrt zurück-
greifen, steht mit dem Leadership-Gedanken in
scheinbarem Widerspruch. Dieser Widerspruch
ist auf den ersten Blick auch systemisch bedingt:
Ein Manager leitet für eine von Beginn an be-
fristete Zeit die Geschicke eines krisengeschüttel-
ten Unternehmens und verabschiedet sich auf
Nimmerwiedersehen, sobald dieses vermeintlich
aus dem Gröbsten heraus ist. Warum sollte er sich
also Gedanken darüber machen, wie das Unter-
nehmen zehn Jahre später dastehen wird und wie
die Mitarbeiter mit den eingeleiteten Ad-hoc-
Maßnahmen künftig umgehen werden?
Aufgrund der überschaubaren Verweildauer im
SERVICE
Unternehmen halten es viele Interimsmanager
auch nicht für notwendig, die Belegschaft für LITERATUR
den Wandel und das Neue zu motivieren sowie BARHAM, K.; HEIMER, C.: ABB – Der tanzende
deren Verständnis für die eingeleiteten Maß- Riese: Von der Fusion zum erfolgreichen
nahmen zu gewinnen. Wieso sollten sie auch? Global Player, Gabler 1999.
Sie müssen ja schließlich schnell handeln, und BLOEMER, V.: Interim-Management: Top-Kräfte
langatmige Diskussionen mit offensichtlich auf Zeit. Aufgaben – Auswahl – Kosten,
änderungsresistenten Mitarbeitern würden sie da Metropolitan Verlag 2003.
doch nur aufhalten. BRUCH, H.; JENEWEIN, W.: ABB 2005 –
Der Fall Jürgen Dormann zeigt aber, dass es Rebuilding Focus, Identity, and Pride.
auch anders geht. In einer beispiellosen Art und Case Study der Universität St. Gallen, 2005.
Weise hat er ein Unternehmen, das faktisch kurz ZALEZNIK, A.: Managers and Leaders.
vor dem Konkurs stand, durch die konsequente Are They Different?, in: Harvard Business Review,
Kombination von fokussiertem Management mit Vol. 55, Nr. 3/1977, Seite 67.
empathischer Leadership aus der Krise geführt.
Er verband rationales, problemorientiertes Han- INTERNET
deln eines Managers mit der Weitsicht, dem Mut, Robert Half Management Resources, Internationale
dem persönlichen Einsatz und der Zielstrebigkeit Studie zum Interimsmanagement:
einer echten Führungskraft und machte so den www.roberthalf.de/Site/showpage.jsp?s=
Unterschied. Dieser Typ von Führungskraft, der RHM_GER&p=PRESS_DETAIL&prid=279
Interimsmanager mit Leader-Qualitäten, wird
zunehmend gebraucht. Längst werden Manager HBM ONLINE
auf Zeit nämlich nicht mehr nur in ihrer klassi- JENEWEIN, W.; MORHART, F.: Sieben Manöver
schen Rolle als Sanierer eingesetzt. Inzwischen zum Teamerfolg, in: Harvard Businessmanager,
überbrücken sie Vakanzen in Familienbetrieben, Juli 2006, Seite 48, Produktnummer 200607048.
integrieren Akquisitionen, entwickeln Produkte, (zu beziehen über:
führen weitreichende Umbauten der Informa- www.harvardbusinessmanager.de)
tionstechniksysteme durch oder helfen bei der
Umstellung auf internationale Bilanzierungs- KONTAKT
standards. wolfgang.jenewein@unisg.ch
Egal welche Aufgabe ein Interimsmanager im felicitas.morhart@unisg.ch
Unternehmen übernimmt: Er sollte zugleich auch
immer eine gute Führungskraft sein, denn um mit © 2007 Harvard Businessmanager

Harvard Business manager


September 2007 Seite 9
Wechselvolle Geschichte
Abrupte Strategiewechsel, radikale Reorganisationen des Unternehmens und sehr unterschiedliche Führungsstile der
CEOs brachten den Traditionskonzern ABB an den Rand der Insolvenz. Jürgen Dormann gelang die Wende.

1890
In Schweden entsteht die Asea. Sie spielt eine
Schlüsselrolle bei der Elektrifizierung Skandinaviens.
1891
Charles Brown und Walter Boveri gründen in Baden/
Schweiz die Brown, Boveri & Cie (BBC). Ihre Stärken
liegen in der Elektrizitätserzeugung und -übertragung.

Asea und BBC schließen sich zur 1988


Asea Brown Boveri Ltd. (ABB) zusam-
men, werden zu einem der größten
Elektrotechnikkonzerne der Welt. CEO
wird Percy Barnevik, der ehemalige
Chef der Asea. Er entwickelt für ABB
eine Matrixorganisation; der Konzern
1989 Barnevik kauft in großem Stil Firmen
gilt lange als Erfolgsbeispiel für eine ein, allein im ersten Jahr sind es 40,
gelungene Dezentralisierung. darunter die Combustion Engineering,
ein US-Hersteller von Druckbehältern
für Kraftwerke. Diese Firma verklagen
Die Matrix zeigt erste Schwächen. Die insgesamt 5000 1993 später Asbestopfer, ihre Schaden-
ersatzforderungen in Milliardenhöhe
Profitcenter des Unternehmens sind kaum noch zu treiben 2002 ABB fast in den Ruin.
steuern, es kommt zu Machtkämpfen und Doppelarbeit.

35
1996 Mit rund 34 Milliarden US-Dollar
erzielt ABB den höchsten Umsatz 30
der Unternehmensgeschichte.
25

20
Barnevik wird Verwaltungsratspräsident 1997
15
und erhält Pensionszahlungen in Höhe
von 95 Millionen US-Dollar, von denen 1988 2006
er später Teile zurückzahlen muss. Sein ABB-Umsatz in Milliarden US-Dollar
Nachfolger als CEO ist Göran Lindahl.
1999 Lindahl verkauft die Bahntechnik und ein Jahr später
auch die Kraftwerksparte. Beide Traditionsbereiche
haben jahrzehntelang die Identität von ABB und dessen
Vorläufern geprägt, viele Mitarbeiter reagierten mit
Unverständnis auf diese Entscheidung.
Umsatz und Aktienkurs bröckeln. Lindahls Vision, aus 2000
ABB einen Wissenskonzern zu machen, der vor allem auf
E-Commerce setzt, geht nicht auf. Sein wenig
kommunikativer Führungsstil wird zum Problem.

2001 Jörgen Centerman wird neuer CEO –


als dritter Schwede in Folge. Er trimmt
ABB auf Kundenorientierung und baut
den Konzern entsprechend um. Er
schafft neue Vorstandsposten und
Jürgen Dormann löst Centerman 2002 bläht so die Züricher Konzernzentrale
auf. Das Unternehmen schreibt erst-
als CEO ab. mals einen Verlust

2004 Ende 2004 tritt Dormann vom CEO-Posten zurück und be-
schränkt sich auf seine Rolle als ABB-Verwaltungsratspräsi-
dent. Ihm ist die Sanierung gelungen: ABB erzielt operativ
wieder einen Gewinn.

Harvard Business manager


Seite 10 September 2007

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