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Medienmacht in Zahlen: Der Markt ist keine Glaubensfrage

von Mandy Tröger · Veröffentlicht 22.09.2019

Eine Randmeldung am „Friday for Future“: die Berliner Zeitung wird verkauft. Das einstige Filetstück
der DDR-Presse geht an ein Unternehmerpaar. Dabei lesen Silke und Holger Friedrich laut Spiegel
weder Zeitung, noch glauben sie an den Markt. „Wir können höchstens ein bisschen Zeit und Geld
verlieren“. Eine aktuelle Studie „Zur Politischen Ökonomie der Medien“ sagt: Das Paar kämpft gegen
Giganten.

Immer mal wieder gibt es in Deutschland Initiativen, sich kritisch mit Medienkonzentration zu
beschäftigen. Da strukturkritische Ansätze in der deutschen Kommunikationswissenschaft aber in
Vergessenheit geraten sind, überrascht es nicht, dass die Autoren der Studie „Zur Politischen
Ökonomie der Medien in Deutschland“ nicht aus Deutschland kommen. Im Auftrag des Instituts für
sozial-ökologische Wirtschaftsforschung fragen drei Österreicher (Benjamin Ferschli, Daniel Grabner
und Hendrik Theine) genau das, was eigentlich an deutschen Unis gefragt werden sollte: „Wem
gehören die deutschen Medien?“

Dabei merkt man schnell, die Autoren sind Wissenschaftler und noch dazu Marxisten. Das Heft ist
theorielastig und besticht durch eine Sprache, die erstmal gewöhnungsbedürftig ist. Davon sollte sich
aber niemand abschrecken lassen. Denn die Autoren bieten vor allem Fleißarbeit: Zahlen, Statistiken,
Tabellen. Sie zeigen nüchtern, in welchen Dimensionen Medienkonzentration gedacht werden muss,
und stellen klar, der Markt ist keine Glaubensfrage. Vielmehr ist das Problem, wie „die gegebenen
Eigentumsstrukturen und die daraus ableitbare Verfügungsgewalt der Medien“ (S.2) unser aller
Umwelt beeinflussen. Das geht jeden an, dafür muss man kein Marxist sein.

Horst Röper beispielsweise dokumentiert seit Jahren Konzentrationsprozesse im


Tageszeitungswesen. Sein Fazit 2018: Die „Pressekonzentration wächst rasant“, das sei „eine
Katastrophe für die Vielfalt“. Bereits 2012 hatte Röper einen „Höchstwert“ und 2014 einen
„erneuten Höchstwert“ gemessen (Röper 2018, 2014, 2012). Also Wachstum ohne Ende. Wer Röpers
Studien kennt, den überrascht auch das Ergebnis der Österreicher wenig. Ihr Fazit: „Es sind gerade
mal eine Handvoll Verleger, die den Medienmarkt in Deutschland kontrollieren“ (S. 2). Allerdings ist
ihr Analyserahmen größer. Aus der „Vogelperspektive“ (S. 9) widmen sie sich zunächst
Konzentrationsprozessen in drei Teilmärkten: Tageszeitungen, Fernsehen und Online-
Nachrichtenportale (S. 12-17). Sie zeigen deren Verflechtungen durch multimediale
Großunternehmen, interne Konzernstrukturen und externe Strategien gesellschaftspolitischen
Einflusses.

Horizontale Konzentration

Zunächst zur Konzentration: Laut Studie kontrollieren fünf Verlage (Axel Springer, die Gruppe um die
Stuttgarter Zeitung, Funke, DuMont und Madsack) 40 Prozent der Gesamtauflage der
Tageszeitungen, zählt man die größten zehn Verlage zusammen, kommt man auf 60 Prozent (S. 13).
Die Konzentrationswerte im Onlinebereich liegen sogar höher, auch wenn hier mehr kleine „player“
im Spiel sind. Die großen Onlineportale, beispielsweise Bild.de (21,39 Prozent) oder Spiegel Online
(11,47 Prozent), haben Verbindungen zu traditionellen Medien. Je nach Mess-Art besitzt
beispielsweise Axel Springer zwischen 25 und 30 Prozent Marktanteil im Onlinebereich und auch bei
den Tageszeitungen steht der Konzern (trotz Abstoßung mehrere Regionalzeitungen) mit 12,7
Prozent weiter an der Spitze der Auflagenanteile. Im Fernsehen führen die Öffentlich-Rechtlichen mit
48,2 Prozent. Danach kommt, mit 22 Prozent, die RTL-Group (RTL, RTL II, Vox etc.), wo Bertelsmann
eine Mehrheitsbeteiligung hat; erst danach die ProSiebenSat.1 Media AG (Sat 1, ProSieben, Kabel 1
etc.) mit 17,9 Prozent. Als Ausnahme unter den Mediengiganten befindet sie sich im Streubesitz.

Die „Unternehmen hinter den Medien“

Diese horizontale Konzentration ist aber „nur“ die Spitze des Eisbergs. Was zählt, sind die
„Unternehmen hinter den Medien“ (S. 18), also die Verflechtungen zwischen einzelnen Teilmärkten.
Hier stehen multimediale Großunternehmen wie Bertelsmann im Mittelpunkt. Das Kölner Institut für
Medien- und Kommunikationspolitik veröffentlich auf seiner Webseite jährlich eine Rangliste der
zehn größten Medienkonzerne Deutschlands. Danach ist Bertelsmann, beziehungsweise die
Bertelsmann SE & Co KGaA, nach Umsätzen gelistet, einsamer Spitzenreiter: 2018 belief sich der
Umsatz auf 17 670 Millionen Euro.

Quelle: www.mediadb.eu

Der Konzern, mit Sitz im westfälischen Gütersloh, ist das einzige deutsche Medienunternehmen, dem
die Österreicher „globale Bedeutung“ bescheinigen (S. 18). Bertelsmann hält Anteile an
Fernsehsendern, Radiokanälen, Zeitschriften, Zeitungen und Webseiten (S. 31-35), so auch die
Mehrheitsbeteiligung an der Verlagsgruppe Gruner+Jahr. Er besitzt das Dienstleistungsunternehmen
Avato mit mehr als 65.000 Angestellten weltweit und ist Mitbesitzer der größten Buchverlagsgruppe
der Welt, Penguin Random House – sie kontrolliert ein Viertel des weltweiten Buchhandels. Die Liste
der Geschäftsfelder ist lang, Einnahmequelle Nummer eins bleibt aber die RTL-Group. Mit rund 6,5
Milliarden Euro im Jahr (Stand 2018) erwirtschaftet sie 36 Prozent des Gesamtumsatzes des
Konzerns. Die Gesamtumsätze der ARD (rund 6,6 Milliarden), der ProSiebenSat.1 SE (rund 4
Milliarden) und der Axel Springer SE (rund 3,2 Milliarden) fallen dagegen ab.

Familienunternehmen an der Spitze

Familienunternehmen dominieren den deutschen Medienmarkt. Allerdings sind romantisierte


Vorstellungen eines traditionellen Familienbetriebs hier fehl am Platz – weder bäckt der Bäcker sein
eigenes Brot, noch wird die Kuh selbst gemolken. Die Eigentümer heutiger Multimedia-Unternehmen
sind Topmanager mit Topgehältern, deren Besitzansprüche schnell in die Milliarden gehen. Wieder
Beispiel Bertelsmann: Laut konzerneigener Finanzberichte verdoppelte sich der Schuldenstand der
Bertelsmann SE zwischen 2005 und 2006 auf 8 Milliarden Euro. Der Grund: familiäre
Besitzansprüche. Die Eigentümerfamilie Mohn kaufte für 4,5 Milliarden Euro Konzernanteilen zurück,
um so ihren Einfluss zu festigen (S. 19).

Auch privat geht es den Eigentümerfamilien, trotz vielbeschworener „Medienkrise“, finanziell


ausgesprochen gut. Das Vermögen Friede Springers (Axel Springer) beispielsweise belief sich im Juli
2019 auf 4,5 Milliarden US-Dollar. Hubert Burda und Familie (Burda-Media) können 4 Milliarden US-
Dollar ihr Eigen nennen und die Familie Mohn (Bertelsmann) kommt auf über 3 Milliarden US-Dollar
(S. 3).

Die Bertelsmann Stiftung

Die Studie macht auch klar: Konzernmacht liegt nicht im Markt allein, sondern im Einfluss auf
politische Entscheidungsprozesse (vgl. Buschow 2012). Jörg Becker (1992, 1985) beispielsweise
schreibt seit Jahren über die Verquickung politischer und wirtschaftlicher Interessen im Konzern
Bertelsmann. Auch laut aktueller Studie zeigt sich die politische Macht des Konzerns vor allem in
Form der 1977 gegründeten Bertelsmann Stiftung (S. 27-28). 1993 erhielt sie den Großteil der
Konzernaktien und ist heute laut Handelsblatt die „wahrscheinlich größte, auf jeden Fall aber
einflussreichste Stiftung Deutschlands“. Gern als politisch unabhängig bezeichnet, zieht sie ins Feld,
wenn politische und wirtschaftliche Eliten rufen.

Wie eng hier die Interessennetzwerke zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gestrickt sind,
lässt sich an Fallbeispielen festmachen. Martin Bennhold (2002) beispielsweise thematisiert den
Einfluss des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), ein Ableger der Bertelsmann Stiftung, auf die
Hochschulreform Ende der 1990er. Sein Fazit: Es sei eine „Politik der Unterwerfung“ (S. 1) gegenüber
wirtschaftlichen Interessen des Konzerns gewesen. Mit dabei: Werner Weidenfeld. Der
Politikwissenschaftler gehörte zu den engen Vertrauten von Bundeskanzler Helmut Kohl, war
Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung und saß im CHE-Beirat. Als wissenschaftliche Einrichtung
war auch das 1995 gegründet Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) der LMU München
dabei. Ziel der Gründung des Instituts war, laut CAP-Webseite, „to bring together the privately
funded practice-oriented research work attached to the professorship held by Prof. Werner
Weidenfeld“. Das hieß enge Zusammenarbeit mit Bertelsmann. So schloss sich der Kreis um die
Interessenvertretung des Konzerns. Im Rahmen der Hochschulreform, kritisiert Bennhold, käme
deren Zusammenarbeit einer „geradezu institutionalisierten Loslösung wichtiger Planungs- und
Entscheidungsprozesse von demokratischen Einflussmöglichkeiten“ (S. 5) gleich.

Warum ist all das wichtig? Weil Medienkonzentration mehr ist als standardisierte Vielfalt. Ein durch
Politik bedingter Markt erlaubt die Formulierung und Durchsetzung politischer Ziele nach
Marktinteressen. Hier ist die festgeschriebene Rolle privatwirtschaftlicher Medienkonzerne als
demokratische Institutionen zutiefst widersprüchlich. Denn wenn Demokratie und Profit
konkurrieren, bleibt die Demokratie auf der Strecke. Schon im Namen der Vielfalt wünscht man den
neuen Eigentümern der Berliner Zeitung daher, dass sie gegen die Giganten bestehen. Denn wir alle
haben mehr zu verlieren, als ein bisschen Zeit und Geld.

Quelle: https://medienblog.hypotheses.org/6435 entnommen am 08.12.2023 um 11:00 Uhr

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