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Warren Mosler, Dirk Ehnts

Moderne Geldtheorie
Warren Mosler, Dirk Ehnts

Moderne
Geldtheorie

Essays zu Modern Monetary Theory


ISBN 978-3-11-119567-4
e-ISBN (PDF) 978-3-11-119575-9
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-119618-3

Library of Congress Control Number: 2023936388

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Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd.
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

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Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis IX

Vorwort 1

Kapitel 1
Soft Currency Economics 11
1.1 Absichtserklärung 12
1.2 Fiat-Geld 14
1.3 Die Inelastizität des Reservemarktes: Verzögerte versus zeitnahe
Buchhaltung 16
1.4 Der Mythos des Geldmultiplikators 20
1.5 Der Mythos der Monetarisierung von Schulden 21
1.6 Betriebsverfahren für die Federal Reserve Bank: Wie sich das Fed
Funds Targeting in die allgemeine Geldpolitik einbringt 22
1.7 Mechanik der Bundesausgaben 23
1.8 Ausgaben, Kreditaufnahme und Verschuldung der
Bundesregierung 24
1.9 Zusätzliche Ausführungen 29
1.10 Schlussfolgerung 36

Anhang: Das U.S.-Bankensystem 37


1.11 Das Goldsystem als Grundlage für Bankreserven 37
1.12 Mindestreserveanforderungen, Geschichte, Begründung, aktuelle
Praxis 39
1.13 Das Diskontfenster: Geschichte und Funktionsweise 41
1.14 Nichterfüllung der Mindestreservepflicht 43
1.15 Offenmarktgeschäfte: Wie die Fed dem Bankensystem Reserven
zur Verfügung stellt 43
1.16 Der Fed-Funds-Markt 44
1.17 Der Markt für Rückkaufsvereinbarungen (Repos) 45
1.18 Matched-Sale-Käufe 46
1.19 Die Fed auf dem Repo-Markt 46
1.20 Kontrolle der Fed Funds Rate 48
1.21 Weitere Diskussion der Inelastizität 51
1.22 Lead Accounting 52
1.23 Mehr zum Thema „Warum Lead Accounting nicht praktikabel ist“:
Inelastizität der Nachfrage nach Krediten 53
VI Inhaltsverzeichnis

Kapitel 2
Perspektive der Eurozone 55
2.1 Der Geldmultiplikator 57
2.2 Die „Monetarisierung“ von Schulden 58
2.3 Staatsanleihen/Staatsschulden zur Zinsstabilisierung 59
2.4 Fiskalpolitik und Staatsverschuldung 59
2.5 Wirtschaftliche Ziele statt fiskalische Ziele 60
2.6 Was, wenn niemand die Staatsanleihen kauft? 60
2.7 Staatsausgaben ohne Hyperinflation 60
2.8 Vollbeschäftigung und Preisstabilität 61
2.9 Besteuerung 62
2.10 Internationaler Handel 62

Kapitel 3
Ein Rahmen für die Analyse von Preisniveau und Inflation 63
3.1 Die MMT-Geldgeschichte 63
3.2 Die MMT-Mikrofundierung – Die Währung als öffentliches
Monopol 64
3.3 Die Quelle des Preisniveaus 65
3.4 Agenten des Staates 66
3.5 Die Bestimmung des Preisniveaus 67
3.6 Inflationsdynamik 67
3.7 Zinssätze und Löhne 69
3.8 Die Hierarchie der Nachfrage 69
3.9 Schlussfolgerung 69

Kapitel 4
Vorschläge für das Finanzministerium, die Federal Reserve Bank,
die FDIC und das Bankensystem 71
4.1 Vorschläge für das Bankensystem 71
4.2 Vorschläge für die Federal Reserve 76
4.3 Vorschläge für das Finanzministerium der USA 77
4.4 Schlussfolgerung 78
Inhaltsverzeichnis VII

Kapitel 5
White Paper zur Moderne Geldtheorie (MMT) 80
5.1 Was ist MMT? 80
5.2 Welche Bedeutung hat MMT heute? 80
5.3 Was ist anders an MMT? 80
Kausalität 80
5.4 Wie wollen die das bezahlen? 81
5.5 Wie wird die Staatsverschuldung zurückgezahlt? 81
5.6 Der Ursprung der Arbeitslosigkeit 82
5.7 Die MMT-’Geschichte des Geldes’ – Ein Staat, der sich selbst
versorgen will 82
5.8 Zinssätze 83
5.9 Inflation 83
5.10 Die Jobgarantie 84

Literaturverzeichnis 85
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Die zeitversetzte Reservenbuchhaltung, 1968–1984 (Quelle: Eigene
Darstellung) 17
Abbildung 2 Die zeitversetzte Reservenbuchhaltung, 1984 bis heute (Quelle: Eigene
Darstellung) 18
Abbildung 3 Die Regierung gibt $500 Millionen aus und erhebt Steuern in Höhe von $500
Millionen (Quelle: Eigene Darstellung) 25
Abbildung 4 Die Regierung gibt $500 Millionen aus und leiht sich $500 Millionen (Quelle:
Eigene Darstellung) 26
Abbildung 5 Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme von MSPs und RPs auf dem Repo-
Markt (Quelle: Eigene Darstellung) 48
Abbildung 6 Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme von MSPs und RPs auf dem Repo-
Markt (Quelle: Eigene Darstellung) 49
Abbildung 7 Angebots- und Nachfragekurve für Reserven (1/2) (Quelle: Eigene
Darstellung) 50
Abbildung 8 Angebots- und Nachfragekurve für Reserven (2/2) (Quelle: Eigene
Darstellung) 51

https://doi.org/10.1515/9783111195759-203
Vorwort

Warren Mosler ist ein Phänomen. Er ist bzw. war Banker, Investor, Konstrukteur
(Rennwagen und Fähren) und Ökonom, und das meiste davon gleichzeitig. Er ist in
der Lage, komplexe Phänomene zu vereinfachen und dann ohne falsche Scheu die
Dinge zu vereinfachen. Dies ist ein besonderes Talent. Es gibt viele Menschen, die
komplexe Phänomene verstanden haben. Es gibt einige, die sie auch erklären kön-
nen. Aber es gibt nur wenige, die sie anderen so erklären können, sodass diese wie-
derum anderen Leute die komplexen Phänomene erklären können. Das Geldsystem
ist so ein komplexes Phänomen.
Warren Mosler prägte eine Begegnung in Italien, wie er gleich zu Beginn die-
ses Buches erzählt. Als Banker hatte er um ein Gespräch mit Mitarbeitern der ita-
lienischen Zentralbank wie auch des italienischen Finanzministeriums gebeten.
Da er für eine große amerikanische Bank arbeitete, wurde ihm dieser Wunsch er-
füllt. Warren, den ich seit etwa zehn Jahren persönlich kenne, hatte einige Fragen.
Die Zentralbanker fragte er, ob sie ihm für zehn Prozent ein Jahr lang italienische
Lire leihen würden. Dies bejahten die Zentralbanker. Die Mitarbeiter aus dem
Finanzministerium fragte er, ob er mit dem geliehenen Geld italienische Staatsan-
leihen mit einer Verzinsung von 12 Prozent und einer Laufzeit von einem Jahr
kaufen könne. Danach fragte er beide Seiten, ob ihm dadurch 2 Prozent Gewinn
geschenkt werden würde. Nach einem kurzen Schweigen wurde ihm das bestätigt.

Warum „modernes“ Geld?

Warren zog sich zurück und schrieb ein kleines Büchlein, welches Sie jetzt in den
Händen halten. Es blieb aber nicht dabei. Er veröffentlichte weitere Ideen und
suchte im Januar 1996 über ein message board den Kontakt zu Akademiker:innen.
So traf er Randall Wray und Bill Mitchell, später andere Ökonom:innen und auch
mich. Nach und nach entstand Modern Money Theory, oder auch Modern Mone-
tary Theory (MMT). Eigentlich war beabsichtigt, Modern Money Theory zu nutzen,
was auf den englischen Ökonomen John Maynard Keynes zurückgeht. Dieser
schrieb im Jahr 1930 ein Buch mit dem Titel „Vom Gelde“, in welchem es auf S. 4
heißt (meine Hervorhebung):

Der Staat tritt demnach in erster Linie als die gesetzliche Gewalt auf, die die Zahlung des
Gegenstandes erzwingt, der dem Namen oder der Beschreibung in dem Kontrakt entspricht.
Er tritt aber mit einer doppelten Kompetenz auf, wenn er außerdem das Recht in Anspruch
nimmt, zu entscheiden und zu erklären, welcher Gegenstand dem Namen entspricht und
seine Erklärung von Zeit zu Zeit zu ändern, das heißt, wenn er das Recht in Anspruch

https://doi.org/10.1515/9783111195759-001
2 Vorwort

nimmt, den Sprachgebrauch zu ändern. Dieses Recht wird von allen modernen Staaten in
Anspruch genommen und ist zum mindesten während der letzten viertausend Jahre in An-
spruch genommen worden. In diesem Stadium der Entwicklungsgeschichte des Geldes ist
Knapps Chartalismus, die Lehre, dass das Geld vornehmlich eine Schöpfung des Staates
ist, völlig verwirklicht.

MMT basiert auf der Einsicht, dass der Staat als „gesetzliche Gewalt“ auftritt. Er „er-
zwingt“ die Zahlung, indem er seine eigene Währung für Steuerzahlungen und andere
Zahlungen an den Staat verlangt. Dabei hat er das Recht, „den Sprachgebrauch zu än-
dern“ – er darf also den Namen der Währung verändern. So darf die Bundesregie-
rung der Bundesrepublik Deutschland beschließen, die Deutsche Mark durch den
Euro zu ersetzen zu einem Zwangskurs. Sämtliche Steuerzahlungen werden dann von
DM auf € umgestellt. Keynes erkannte, dass dieses Recht von allen modernen Staaten
seit der letzten 4.000 Jahre in Anspruch genommen werden wurde. Er stellt fest, dass
der Chartalismus von Georg Friedrich Knapp „völlig verwirklicht“ ist.

Was ist Chartalismus?

Im Jahr 1905 veröffentlichte der deutsche Ökonom, der bereits eine Koryphäe
war, Georg Friedrich Knapp ein Buch mit dem Titel „Die staatliche Theorie des
Geldes“. Anlass war das österreichische Geldsystem aus dem späten 19. Jahrhun-
dert. Die K und K Monarchie hatte einen Krieg zu viel verloren und war nicht
mehr im Besitz von signifikanten Goldreserven. Nichtsdestotrotz funktionierte
die österreichische Papiergeldwährung wunderbar. Nach der damals herrschen-
den Theorie des Metallismus sollte das aber nicht sein – schließlich hatte Geld
einen „intrinsischen“ Wert. Nur die Golddeckung würde dazu führen, dass die
Knappheit im Hintergrund dem Geld eine „Wert“ verleihen würde. Mit Wert war
meistens die Kaufkraft gemeint, wobei diese nicht genauer spezifiziert wurde.
Ohne Gold, so der Metallismus, würde eine Geldzirkulation nicht zu bewerk-
stelligen sein. Papiergeld wäre „wertlos“. Knapp suchte nach einer Erklärung, um
das Funktionieren der österreichischen Währung zu beschreiben. Der erste Satz
seines Buches (Knapp 1905, S. 1) lautete dann:

Das Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung; es ist im Laufe der Geschichte in den verschie-
densten Formen aufgetreten: eine Theorie des Geldes kann daher nur rechtsgeschichtlich sein.

Dieser Satz ist ein Quantensprung. Jahrhundertelang wurde Geld aus wirtschafts-
wissenschaftlicher Sicht betrachtet. Knapp aber wählt eine rechtswissenschaftliche
Sicht! Damit erzeugt er eine ganz neue Perspektive. Die Wirtschaftswissenschaft
sieht Geld aus der Sicht der Nutzerinnen und Nutzer. Unternehmen benutzen Geld,
um ihre Ausgaben zu tätigen: sie bezahlen Lieferanten von Energie, Rohstoffen und
Der Schöpfer des Geldes 3

Vorprodukten, zahlen Löhne und Mieten sowie Zinsen und Dividenden. Das Geld
muss erwirtschaftet werden. Haushalte brauchen Geld, um Konsumgüter und Kapi-
talgüter (Immobilien, etc.) kaufen zu können. Auch sie benutzen Geld für ihre Ziele.
Das Geld zirkuliert in einem Wirtschaftskreislauf, an dem Unternehmen und Haus-
halte teilhaben. Allerdings werden zwei Fragen nicht befriedigend beantwortet:
1. Wo kommt das Geld her?
2. Warum wird es akzeptiert?

Der Chartalismus, den Warren Mosler mit seiner Theorie quasi neu erfunden hat,
liefert auf diese Fragen neue Antworten. Die alten Antworten des Metallismus stel-
len noch immer die herrschende Meinung dar. Das Geld käme letztlich durch die
Prägung von Goldmünzen in die Welt, und Papiergeld wäre immer ein Anspruch
auf diese Goldmünzen mit ihrem inhärenten „Wert“. Allerdings wurde die Goldbin-
dung des US-Dollars, an den die anderen Währungen gekoppelt waren, schon 1971
aufgelöst – das ist mehr als ein halbes Jahrhundert her. Warum sollten die Ökono-
mik-Lehrbücher heute von Theorien dominiert werden, die bestenfalls bis 1971 gül-
tig waren? Nüchtern betrachtet waren sie wohl überhaupt nie gültig, denn jeder
Goldstandard ist zuverlässig zusammengebrochen, sobald es zu Problemen kam.
Die Goldbindung einer Währung war eine nette Option für eine Papiergeldwäh-
rung – mehr aber auch nicht.
Die damalige – und heute von der MMT widerlegte – Idee war, dass sich Staa-
ten durch Steuern und Staatsanleihen finanzieren würden. Mit „finanzieren“ ist
gemeint, dass erst Einkommen erzielt werden müssen, bevor Ausgaben getätigt
werden können. Damit sind wir bei der Sicht auf das Geld aus der Perspektive
von Nutzerinnen und Nutzern. Knapp aber sagt, dass das Geld vom Schöpfer des
Geldes in Umlauf gebracht wird. Wenn das Geld aber ein „Geschöpf der Rechts-
ordnung“ ist, dann muss der Geldschöpfer der Staat sein!

Der Schöpfer des Geldes

Die Perspektive des Geldschöpfers auf das Geld ist eine völlig andere als die der Nut-
zerinnen und Nutzer. Haushalte brauchen Geld, weil sie konsumieren, Steuern zah-
len und sparen wollen. Unternehmen wollen Gewinne machen, die sie ausschütten,
zur Rückzahlung von Schulden oder Zahlung von Steuern nutzen oder in neue Inves-
titionen stecken können. Es geht in beiden Fällen darum, zu überleben, wobei bei
den Haushalten der Staat (im besten Fall) eingreift, wenn das Einkommen zu gering
ist. Geld muss bei Haushalten und Unternehmen erst erwirtschaftet werden, bevor
es ausgegeben werden kann. Beim Staat ist alles anders.
4 Vorwort

Der Staat ist Schöpfer des Geldes. Er braucht es also nicht zu erwirtschaften,
sondern kann es einfach erzeugen. Meist macht der Staat „seine“ Zentralbank zur
Schöpferin des Geldes. Sie tätigt in dessen Auftrag Zahlungen, indem sie die Gutha-
ben von Banken erhöht. Das geschieht mithilfe des Computers – mit „Gelddrucken“
hat das in etwa so viel zu tun wie mit Goldmünzen. Geld wird also digital von der
Zentralbank bzw. dem Eurosystem bereitgestellt, welches aus der Europäischen Zen-
tralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken besteht. Nur diese dürfen Euros
in Umlauf bringen. Geschäftsbanken hingegen erzeugen Zahlungsversprechen in
Euro. Sie erzeugen ebenfalls Guthaben, welche von Unternehmen und Haushalten
gehalten werden. Sie versprechen, dass sie in Höhe der Guthaben Zahlungen durch-
führen. Dazu sind sie allerdings auf die staatliche Infrastruktur angewiesen. (Details
zur Funktionsweise des Geldsystems finden sich im Anhang dieses Buches.)
Banken brauchen Zugang zum Bargeld und auch Zugang zum deutschen Teil
des Zahlungssystems TARGET2. Sie agieren also als staatliche Agenten, denn ohne
staatliche Unterstützung würden wir unser Geld nicht für Zahlungen einsetzen
können. Da Banken zudem stark reguliert sind und nicht jeder einfach eine Bank
aufmachen kann, sitzt der Staat sehr deutlich am längeren Hebel. In der globalen
Finanzkrise 2008/09 hat sein Geld die Banken vor der verdienten Insolvenz be-
wahrt. Der Staat finanziert also indirekt die Banken, die dann wiederum die Staats-
anleihen kaufen. Allerdings stellt die Zentralbank meist sicher, dass immer eine
ausreichende Nachfrage nach Staatsanleihen existiert. Die Ankaufprogramme der
EZB haben das seit mehr als zehn Jahren bewiesen.
Wenn der Staat kein Geld braucht, warum gibt es dann ein staatliches Geldsys-
tem? Der Staat braucht Ressourcen, um seine Aufgaben zu erfüllen. Er soll Infra-
struktur betreiben, Miete zahlen, Arbeitslosenhilfe zahlen, Lehrer:innen, Polizist:
innen und Richter:innen bezahlen, Energie für seine Gebäude kaufen und neue Ge-
bäude bauen und vieles mehr. Dazu braucht er Arbeitskräfte, Güter und Dienstleis-
tungen, Energie und Rohstoffe, usw. – die muss er sich kaufen. Das Geldsystem
dient also der Versorgung des Staates mit Ressourcen. Diese Einsicht ist überra-
schend, denn die meisten von uns dachten immer, dass der Staat unser Geld will.
Dies ist aber nur Mittel zum Zweck!
Der Staat möchte an unsere Ressourcen, und er nutzt dafür sein Geld. Die Ak-
zeptanz des Geldes sichert er durch die Steuerzahlungen, die in eigener Währung
getätigt werden müssen. So entsteht immer ein Bedarf an staatlichem Geld und
der Staat findet willige Verkäufer:innen. Mit seinen Ausgaben zieht er Ressourcen
aus dem nicht-staatlichen in den staatlichen Sektor. Das sind die „Kosten“ der
Staatsausgaben: es bleiben weniger Ressourcen für den nicht-staatlichen Sektor.
Die „Kosten“ in Euro sind irrelevant: anders als bei Unternehmen ist der Staat
Schöpfer des Geldes, und das Erzeugen von digitalen Einträgen im Kontensystem
der Bundesbank kostet mehr oder weniger nichts. Die Ressourcen jedoch sind be-
Der Schöpfer des Geldes 5

grenzt und damit bilden sie auch eine Grenze der Staatsausgaben. Wenn wir alle
beschäftigt sind und der Staat will noch eine Arbeitskraft einstellen, dann wird er
keine mehr finden.
Auch makroökonomisch folgen aus den Überlegungen von Warren Mosler
neue Perspektiven auf Vollbeschäftigung und Preisstabilität ebenso wie auch die
Idee des nachhaltigen Wirtschaftens. Wenn dem Staat das Geld nicht ausgehen
kann, warum erhöht er seine Ausgaben dann nicht einfach, bis Vollbeschäftigung
erreicht ist und keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit mehr existiert? Warum er-
höht der Staat die Löhne der Beschäftigten nicht einfach mit Blick auf das Inflati-
onsziel unter Beachtung der aktuellen Inflationsrate? Und könnte nicht eine
Jobgarantie in beiden Bereichen helfen?
Warren Mosler gebührt der Respekt, diese Gedanken wieder aus der ideenge-
schichtlichen Versenkung geholt zu haben. Seine Klarheit in den Aussagen und
sein Bestreben, die Dinge möglichst klar auszudrücken, sind einzigartig. Dabei
hat er erstaunlicherweise nicht auf den Schultern der „Giganten“ der Vergangen-
heit gestanden, wie John Maynard Keynes oder Georg Friedrich Knapp, sondern
hat sich autodidaktisch die Zusammenhänge selbst hergeleitet. Insofern ist die
Modern Money Theory keine Weiterentwicklung von alten Wirtschaftstheorien,
sondern eine Neuschöpfung, an der seit Januar 1996 auch Akademiker:innen mit-
arbeiten. Langsam, aber sicher setzt sich die MMT durch, da sie eine empirische
Theorie ist. Ihre Aussagen lassen sich falsifizieren!
Beispielsweise behauptete die MMT von Anfang an, dass die Kredite der Ban-
ken an die Nicht-Banken (Haushalte und Unternehmen) eine Bilanzverlängerung
wären. Durch den Kreditvertrag würden neue Guthaben geschaffen, welche den
Kreditnehmer:innen zur Verfügung stehen würden. Diese Aussagen lassen sich
falsifizieren. Banken könnten ihre eigenen Geschäftsprozesse prüfen und feststel-
len, dass sie eben kein neues Guthaben schaffen würden. Oder vielleicht: nicht
immer neue Guthaben schaffen würden. Allerdings gibt es keine Bank, die so
etwas geschrieben hat. Dies zeigt deutlich: die Sicht der MMT ist korrekt. Anders
als die meisten Lehrbücher der Makroökonomik verleihen Banken eben keine Er-
sparnisse weiter, sondern finanzieren Investitionen durch Kredite. Auch die Bun-
desbank stimmt dieser Sicht zu. In einer Publikation im Monatsbericht April 2017
bestätigt sie, dass Kredite zu neuen Sichteinlagen bei der Bank führen.1
Eigentlich sind empirische Theorien in der Wissenschaft der Normalfall. In
der Physik beispielsweise bestätigen oder falsifizieren Experimente die Theorien.
In der Volkswirtschaftslehre jedoch gibt es komplexe Interaktionen von Milliar-

 https://www.bundesbank.de/de/publikationen/suche/die-rolle-von-banken-nichtbanken-und-
zentralbank-im-geldschoepfungsprozess-614448
6 Vorwort

den von Menschen. Ähnlich wie bei der Geschichtswissenschaft haben die Öko-
nom:innen bisher darauf verzichtet, den Anspruch zu erheben, die Wahrheit und
nur die Wahrheit zu verkünden. An sich ist das eine gute Sache. Wer weiß denn
schon, was mit der Wirtschaft passiert, wenn etwa die Zentralbank den Leitzins
anhebt? Und wer garantiert uns, dass es nächstes Mal den gleichen Effekt gibt?
Allerdings gilt dies nicht für die Geldtheorie. Geldschöpfung und Geldvernich-
tung laufen jedes Mal auf die gleiche Art und Weise ab. Chinesische Banken heute
schöpfen genauso Geld wie deutsche Banken vor 200 Jahren oder britische vor
300 Jahren. Die Geldschöpfung ist menschengemacht – wir müssen daher in der
Lage sein, die Prozesse genau zu erklären! In meiner Zeit als Vertretungsprofes-
sor an der Freien Universität Berlin hatte ich einen Studenten, der in seiner Ba-
chelor-Arbeit die Frage untersuchte, ob eine Berliner Bank vor der Kreditvergabe
noch überprüfte, ob genug Spareinlagen oder genug Zentralbankgeld vorhanden
wäre. Nach Durchsicht der Geschäftsprozesse der Berliner Bank war die klare
Antwort: nein. Dies widerlegt deutlich die Auffassung der meisten Lehrbücher,
dass Zentralbanken Geld an Banken verleihen, die das Geld dann an Haushalte
und Unternehmen weiterverleihen. Da wir keine Konten bei der Bundesbank
haben, ist es ausgeschlossen, dass uns unsere Bank Geld von der Zentralbank
überweist. An Universitäten sollten daher Lehrbücher, die dies behaupten, aus
den Vorlesungen gestrichen werden, sofern sich diese nicht mit Ideengeschichte
beschäftigen. Warum sollte eine Theorie der Geldschöpfung gelehrt werden, die
nachweislich falsch ist?
Das gleiche gilt auch für die Idee, dass sich der Staat finanzieren muss; also
erst Einnahmen erzielen muss, bevor er Ausgaben tätigt. In einer Welt mit einem
Geldsystem, welches auf Goldmünzen besteht, wäre dies wohl der Fall. Steuern
und Staatsanleihenverkäufe finanzieren den Staat. Diese Welt, sofern sie über-
haupt jemals existiert haben, hat jedoch nicht viel mit unserer heutigen Welt ge-
mein. Der Goldstandard, der im Bretton Woods-System zur Geltung kam, wurde
1971 beendet, als Richard Nixon das Goldfenster schloss. Seitdem schwankt der
Preis von Gold in US-Dollar, weil Gold einfach nur ein Edelmetall ist, welche an
Märkten gehandelt wird. Ein Umtausch von D-Mark oder Euro in Gold ist daher
seit über einem halben Jahrhundert nicht mehr möglich. Seltsamerweise aber ist
diese Information in den meisten Lehrbüchern noch nicht angekommen. Es wird
der Steuerzahlermythos bedient, nachdem das Geld erst von den Steuerzahler:
innen erwirtschaftet werden müsse, bevor der Staat es über Steuern den Bürger:
innen wegnehmen könne. Margaret Thatcher hat mithilfe dieses Mythos die Pri-
vatisierung weiter Teile der britischen Wirtschaft durchgesetzt.
Eine wissenschaftliche Debatte über die MMT hat es meines Erachtens bisher
noch nicht gegeben. Wahrscheinlich wird es sie auch nicht mehr geben. Die Sicht
der MMT, die ich übrigens nach meiner Promotion kennenlernte, ist korrekt und
Der Schöpfer des Geldes 7

die Fakten sind nicht von der Hand zu weisen. Es wird an der MMT herumge-
mäkelt, dass dies oder das nicht richtig wäre. Allerdings werden dabei der MMT
meistens Aussagen untergeschoben, die so nicht richtig sind. So behauptet bei-
spielsweise Ernst Baltensperger, laut MMT würde „dem neuen Geld [durch Staats-
ausgaben] dann ja immer reale Güter oder Leistungen gegenüberstehen“ (meine
Hervorhebung).2 Die MMT-Texte sind jedoch voll von Hinweisen dass die Begren-
zung der Wirtschaft in den Ressourcen liegt und nicht im Geld. Baltensperger
baut hier einen Strohmann auf, auf den er dann genüsslich einschlägt. Eine
Quelle für die Behauptung zur MMT nennt er nicht. Eine Auseinandersetzung auf
diesem Niveau führt sicherlich nicht zu Erkenntnis, und klärt vor allem nicht die
Öffentlichkeit über die Funktionsweise des Geld- und Kreditsystems auf.
2015 hatte ich Warren Mosler zum Vortrag ans Bard College Berlin eingeladen.
Er beantwortete nach seinem Vortrag alle Fragen, auch die kritischen. Dies sollte in
der Wissenschaft der Standard sein. Wissenschaftliche Erkenntnis entsteht in der De-
batte. Niemand kann behaupten, dass er oder sie unfehlbar wäre – empirische Geld-
theorie hin oder her! Die kritische Auseinandersetzung mit Ideen, die den eigenen
Ideen widersprechen, ist das Fundament der modernen Wissenschaft. Die bisherige
Auseinandersetzung mit der Modern Monetary Theory halte ich für unbefriedigend.
Der Kern der Sache ist die staatliche Geldschöpfung mit der Frage, woher das
Geld kommt, welches die Bundesregierung ausgibt. Stichwort: Sondervermögen –
woher nimmt Christian Lindner als Bundesfinanzminister das Geld für die Bun-
deswehr (100 Mrd. €) und für den Gaspreisdeckel (200 Mrd. €)? In einer Welt, in
der unser Geld aus Goldmünzen besteht, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entwe-
der zieht der Staat 100 Mrd. € über Steuern ein oder er verkauft Staatsanlei-
hen – verzinste Versprechen auf Zahlungen von Goldmünzen in der Zukunft – in
dieser Höhe an Haushalte, Banken und Unternehmen. Da unser Geld nicht aus
Goldmünzen besteht, würden wir erwarten, dass nichts von beidem passiert. Und
so ist es auch gewesen. 2022 wurde keine Sondersteuer Bundeswehr eingeführt
und auch keine zusätzlichen Staatsanleihen in Milliardenhöhe verkauft. Aus em-
pirischer Sicht muss daher die Goldmünzen/Steuerzahler-Theorie des Geldes zu-
rückgewiesen werden.
Wir haben digitales Geld und wie die Buchungen aussehen, welche die Geld-
schöpfung in der Eurozone beschreiben, habe ich in meinen Büchern und Artikeln
klar beschrieben. Dabei wird klar, dass die Bundesregierung ihre Ausgaben in vol-
lem Umfang mithilfe der Geldschöpfung der Deutschen Bundesbank bezahlt, welche
im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen handelt und dessen Ausgaben
nicht „finanziert“. Was es hingegen nicht gibt, ist eine Beschreibung, wie die Bundes-

 https://www.fuw.ch/article/geldpolitik-vs-finanzpolitik
8 Vorwort

regierung „Steuerzahlergeld“ ausgibt oder das Geld, welches sie durch die Erlöse
von Staatsanleihen einnimmt. Dies ist wenig verwunderlich, denn modernes Geld ist
ein staatlicher Schuldschein. Die Bundesregierung kann also kein Geld besitzen,
ebenso wenig wie ich einen von mir ausgestellten Schuldschein besitzen kann. Das
Konto der Bundesregierung bei der Bundesbank ist nur ein „Verrechnungskonto“,
das Guthaben wird entsprechend auch nicht zur Geldmenge gezählt.
Eine Auseinandersetzung auf dieser Ebene würde uns voranbringen. Allerdings
sind Kritiker:innen der MMT anscheinend in der Lage, auch nur eine Alternative zu
unserer präzisen Beschreibung der Geldschöpfung vorzustellen. Sie behaupten, der
Staat würde sich über Steuereinnahmen und Erlöse von Staatsanleihenverkäufen
„finanzieren“, bleiben aber jeden Beweis schuldig. Insofern halte ich die MMT für
wissenschaftlich fundiert und momentan unbestritten. Akademiker:innen, das
Bundesministerium und die Bundesbank können jederzeit ihre Sicht der Dinge
veröffentlichen und so die Aussagen der MMT widerlegen. Dass sie das nicht tun,
sagt eigentlich schon alles. Stattdessen beginnen die meisten Kritiken der MMT
mit unwahren Aussagen, die der MMT unterstellt werden – ohne Quellenangabe
und ohne Zitat. Dann werden diese Aussagen genüsslich auseinandergenommen
und am Ende lehnen sich die Autor:innen zufrieden zurück im Glauben, die MMT
widerlegt zu haben. Eine Antwort auf die Frage, woher das Geld kommt, was der
Staat ausgibt, fehlt in all diesen Texten.
Warum das so ist? Das ist eine gute Frage! Vermutlich sind die Anhänger:
innen der Idee, dass sich der Staat in finanziellen Dingen wie eine Hausfrau ver-
hält, nicht besonders begeistert von dem Fakt, dass sie jahrzehntelang groben
Unfug erzählt haben. Die Idee des Steuerzahlergeldes kommt aus den 1980er Jah-
ren, wo sie im konservativen Spektrum in der Politik entstand. Das Steuerzahler-
geld ist also eine Reagan-Thatcher-Theorie des Geldes, nachdem der Staat klein
und unbedeutend ist. Mithilfe dieser Theorie wird der Staat davon befreit, durch
seine Ausgaben für Vollbeschäftigung zu sorgen. Die permanente Massenarbeits-
losigkeit der westlichen Gesellschaften ist die direkte Folge. In der BRD hatten
wir in den 1960er Jahren teilweise unter 100.000 Arbeitslose. Seit einem halben
Jahrhundert zählen wir diese nur noch in Millionen.
Im Hintergrund steht die konservative Idee, dass die Wirtschaft dann am bes-
ten läuft, wenn der Staat sich heraushält. So postulieren die sogenannten Neukeyne-
sianer, zu denen u. a. auch Larry Summers, Paul Krugman und Michael Woodford
gehören, dass Vollbeschäftigung erreicht werden kann, wenn nur der Zins der Zent-
ralbank richtig gesetzt wird. Diese Vorstellung ist empirisch widerlegt. Die griechische
Wirtschaft beispielsweise stürzte gnadenlos ab, als im Rahmen der Austeritätspolitik
Anfang der 2010er Jahre die Staatsausgaben massiv gekürzt wurden. Dabei hätte der
Nullzins der EZB ja laut den Modellen der Kolleg:innen expansiv wirken müssen. Das
Ergebnis zeigte deutlich, dass Staatsausgaben für die Beschäftigung sehr viel wichtiger
Der Schöpfer des Geldes 9

sind als der Leitzins. Das BIP von Griechenland hat auch heute nicht das Vorkrisenni-
veau von 2007 erreicht. Die Austeritätspolitik war ein hoffentlich einmaliger wissen-
schaftlicher Rohrkrepierer.
Auch im Rest der Eurozone haben wir in den 2010er Jahren gesehen, dass
Nullzinsen nicht expansiv auf die Wirtschaft wirken. Es gab keinen tollen Auf-
schwung mit hohen Inflationsraten, sondern anämische Wachstumsraten mit
Deflationstendenzen, die Ende 2019 in eine Rezession mündeten. Niedrige Zinsen
lösen also keinen Investitionsboom aus. Können dann wenigstens steigende Zin-
sen dazu führen, dass die Investitionen einbrechen, um so durch steigende Ar-
beitslosigkeit die Nachfrage nach Arbeit und nach Gütern und Dienstleistungen
zu reduzieren? Seit Mitte 2022 erhöht die EZB den Leitzins. Die deutsche Wirt-
schaft allerdings läuft davon unbeeindruckt gut. Es kam eben nicht zu der vorher-
gesagten Rezession im Winter 2022/23. Die Geldpolitik scheint in der kurzen Frist
ein weitestgehend zahnloses Instrument zu sein. Ob es noch zu einem Zusammen-
bruch des Immobilienmarktes kommt, ist ungewiss, und selbst wenn das so wäre,
ist die Wirkung auf die Inflation unklar. Deren Treiber waren und sind aktuell
höhere Gewinnspannen in einigen Branchen sowie die Energiepreise, und diese
sind seit Monaten rückläufig.
Die MMT ist also heute von großer Relevanz, denn sie macht deutlich, dass
Geldpolitik gnadenlos überschätzt und Fiskalpolitik unterschätzt wird. Für die Eu-
rozone bedeutet dies, dass wir mehr Staatsausgaben zulassen müssen, wenn wir
die Arbeitslosenquote drücken wollen. Diese lag in der Eurozone noch nie unter
sechs Prozent, was unnötig hoch ist. Der Staat ist in der Verantwortung, wenn es
um Arbeitslosigkeit geht. Das Rezept der Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte
hat nicht funktioniert. Wir sollten nun etwas Neues ausprobieren und nicht mehr
das Unmögliche erwarten. Die EZB kann mit ihrem Zins weder Preisstabilität ge-
währleisten noch Vollbeschäftigung erzeugen. Wir müssen uns über Fiskalpolitik
unterhalten.
Warren Mosler hat mit seinem Buch „Soft Currency Economics“ der Öffent-
lichkeit die Tür zum Verständnis des Geldsystems geöffnet. Es ist nicht so schwie-
rig, dieses zu verstehen. Sein Buch hilft uns, die Intuition für das Geldsystem zu
schärfen und uns von wirtschaftspolitischen Mythen zu verabschieden. Seine kla-
ren und verständlichen Formulierungen geben Anlass zu der Hoffnung, dass die
Bürger:innen ein besseres Gefühl dafür entwickeln, wie Wirtschaftspolitik funk-
tioniert. Ähnlich wie der Covid-19-Virus und der Klimawandel besteht auch bei
Arbeitslosigkeit und Instabilität der Preise das Problem, dass wir dieses nicht di-
rekt wahrnehmen können. Hustende Menschen, starke Regenfälle, Arbeitssu-
chende und sinkende Kaufkraft sind Symptome. Die Ursachenforschung verlangt
nach Theorien. Ansonsten behandeln wir, wenn auch nicht ganz ohne Erfolg, die
Symptome, ohne je zu den Ursachen zu gelangen.
10 Vorwort

Die Modern Monetary Theory ist eine Beschreibung der Funktionsweise des
Geldsystems. Das bedeutet natürlich nicht, dass dieses optimal ist. Allerdings lässt
sich das menschengemachte Geldsystem beschreiben, denn die Regeln und Ge-
setze haben wir ja selbst gemacht. Dabei gibt es „richtig“ und „falsch“. Bei der
Frage, wie die Wirtschaftspolitik am besten die Instrumente Leitzins und Staats-
ausgaben einsetzt, gibt es hingegen kein „richtig“ und „falsch“. Basierend auf
einer Analyse der Wirtschaft auf Basis der MMT können wirtschaftspolitische
Empfehlungen gegeben werden, aber diese können und sollen variieren. Am
Ende steht dann ein politischer Kompromiss, der nicht mehr als ein paar Jahr-
zehnte halten wird.
Während meines Lebens habe ich mit D-Mark Westdeutschland, D-Mark Ge-
samtdeutschland und Euro schon drei Währungen erlebt (und mehrere Fixkurssys-
teme innerhalb der EU). Wir sollten als Gesellschaft uns mit den heutigen Problemen
beschäftigen und deren Lösung anstreben. Die daraus entstehenden Probleme wird
dann die nächste Generation lösen. Dabei lassen sich monetäre und finanzielle Pro-
bleme von jeder Generation relativ einfach lösen. Probleme mit der Ressourcenaus-
stattung oder der Belastung des Planeten hingegen lassen sich nicht so einfach lösen.
Daher sollten wir im Bereich der Nachhaltigkeit ausschließlich auf diesen Bereich
schauen, denn dieses Erbe können die zukünftigen Generationen nicht ablehnen.
Wer sich nach der Lektüre weiter mit dem Geldsystem beschäftigen möchte,
wird auf den Internet-Seiten der gemeinnützigen Samuel-Pufendorf-Gesellschaft
für politische Ökonomie e.V. aus Berlin fündig werden. Texte, Videos und Präsen-
tationen zu Themen rund um Geld und Finanzmärkte werden dort zur Verfügung
gestellt.
Berlin, den 2. Mai 2023
Dirk Ehnts
Kapitel 1
Soft Currency Economics

Inmitten des großen Überflusses werben führende politische Persönlichkeiten für


Privatisierung. Man sagt uns, dass die staatliche Gesundheitsversorgung unbe-
zahlbar ist, während Krankenhausbetten leer sind. Man sagt uns, dass wir es uns
nicht leisten können, mehr Lehrer einzustellen, während viele Lehrer arbeitslos
sind. Und man sagt uns, dass wir es uns nicht leisten können, kostenlose Mahlzei-
ten an Schulen auszuteilen, während überschüssige Lebensmittel in den Müll
wandern.
Wenn Menschen und Sachkapital produktiv eingesetzt werden, erzwingen
staatliche Ausgaben, die diese Ressourcen einer anderen Verwendung zuführen,
einen Kompromiss (trade-off). Würden beispielsweise tausende junger Männer
und Frauen zu den Streitkräften eingezogen werden, so hätte das Land den Vor-
teil einer stärkeren Streitmacht. Waren die neuen Soldaten jedoch vorher Bauar-
beiter:innen gewesen, würde das Land möglicherweise unter einem Mangel an
neuen Häusern leiden. Dieser Kompromiss könnte das allgemeine Wohlergehen
des Landes beeinträchtigen, wenn Amerikaner:innen neuen Häusern einen grö-
ßeren Wert beimessen als zusätzlichem militärischem Schutz. Wenn jedoch die
neuen militärischen Arbeitskräfte nicht als Bauarbeiter:innen, sondern als Ar-
beitslose zur Verfügung standen gibt es den Kompromiss nicht. Die realen Kosten
der Einberufung von Bauarbeiter:innen zum Militärdienst sind hoch; die realen
Kosten der Beschäftigung von Arbeitslosen sind vernachlässigbar.
Das Wesen des politischen Prozesses besteht darin, sich mit den inhärenten
Kompromissen zu arrangieren, die wir in einer Welt mit begrenzten Ressourcen und
unbegrenzten Bedürfnissen eingehen müssen. Die Vorstellung, dass die Menschen
ihr Leben verbessern können, indem sie sich selbst überschüssige Güter und Dienst-
leistungen vorenthalten, widerspricht sowohl dem gesunden Menschenverstand als
auch jeder seriösen Wirtschaftstheorie. Bei weit verbreiteter Arbeitslosigkeit, wie sie
heute in den Vereinigten Staaten herrscht, sind die Kosten für Kompromisse oft mini-
mal, werden aber fälschlicherweise als unbezahlbar angesehen.
Wenn ein Kongressabgeordneter eine Liste von Gesetzesvorschlägen prüft, be-
stimmt er derzeit die Bezahlbarkeit anhand der Höhe an Einnahmen, die die Bun-
desregierung entweder durch Steuern oder Ausgabenkürzungen erzielen möchte.
Geld wird als eine wirtschaftliche Ressource betrachtet. Staatliche Haushaltsdefizite

Anmerkung: Originaltext Januar 1994, Copyright 1995 von Warren B. Mosler


Der Autor dankt Arthur B. Laffer und Mark McNary für wertvolle literarische Unterstützung und
Recherchen zu diesem Werk. Die Verantwortung für den Inhalt trägt allein der Autor.

https://doi.org/10.1515/9783111195759-002
12 Kapitel 1 Soft Currency Economics

und die Staatsverschuldung stehen im Mittelpunkt der Finanzpolitik, nicht die rea-
len wirtschaftlichen Kosten und Vorteile. Die vorherrschende Ansicht, dass die Aus-
gaben des Bundes unvernünftig, katastrophal und unverantwortlich sind, nur weil
sie das Defizit erhöhen, dominiert.
Interessengruppen auf beiden Seiten des politischen Spektrums haben sich
um verschiedene Pläne zum Abbau des Defizits bemüht. Die herrschende Mei-
nung geht davon aus, dass ein ausgeglichener Haushalt einen wirtschaftlichen
Nettonutzen bringt, der nur durch die Tilgung der Schulden übertroffen werden
kann. Die Clinton-Regierung bezeichnet ein niedrigeres Defizit von 1994 als eine
ihrer größten Errungenschaften. Alle neuen Programme müssen entweder durch
Steuereinnahmen oder Ausgabenkürzungen finanziert werden. Aufkommens-
neutralität ist zum Synonym für finanzpolitische Verantwortung geworden.
Die Defizit-Tauben und Defizit-Falken, die über die Folgen der Finanzpolitik
diskutieren, akzeptieren beide die traditionelle Sichtweise der staatlichen Kredit-
aufnahme. Beide Seiten akzeptieren die Prämisse, dass die Bundesregierung Geld
leiht, um Ausgaben zu finanzieren. Sie unterscheiden sich nur in ihrer Analyse
der Auswirkungen des Defizits.
Tauben könnten zum Beispiel argumentieren, dass das Defizit zu hoch angesetzt
ist, da im Haushalt nicht zwischen Investitions- und Konsumausgaben unterschieden
wird. Oder dass die Staatsverschuldung überschätzt wird, da wir uns hauptsächlich
bei uns selbst verschulden. Aber selbst wenn die politischen Entscheidungsträger
davon überzeugt sind, dass das derzeitige Defizit eine relativ geringe Belastung für
den Staat darstellt, wird die Möglichkeit, dass eine bestimmte finanzpolitische Initia-
tive unbeabsichtigt zu einem hohen Defizit führt oder dass wir dem Ausland Geld
schulden als großes Risiko wahrgenommen. Man glaubt, dass fiskalische Defizite die
finanzielle Integrität der Nation untergraben.
Politische Entscheidungsträger:innen wurden durch ein veraltetes und nicht
anwendbares fiskalisches und monetäres Verständnis in die Irre geführt. Folglich
sind wir mit einer anhaltenden wirtschaftlichen Leistungsschwäche konfrontiert.

1.1 Absichtserklärung

Der Zweck dieser Arbeit ist es, durch die reine Kraft der Logik klar zu zeigen,
dass ein Großteil der öffentlichen Debatte über viele der heutigen wirtschaftli-
chen Themen falsch ist und oft so weit geht, dass Kosten mit Nutzen verwechselt
werden. Dies ist kein Versuch, das Finanzsystem zu ändern. Es ist ein Versuch,
einen Einblick in das Fiat-Geldsystem zu geben, ein sehr effektives System, das
derzeit in Kraft ist.
1.1 Absichtserklärung 13

Die Gültigkeit des derzeitigen Denkens über das staatliche Defizit und die
Staatsverschuldung wird auf eine Art und Weise in Frage gestellt werden, die so-
wohl die Falken als auch die Tauben ablösen wird. Sobald wir erkennen, dass das
Defizit kein finanzielles Risiko darstellen kann, wird es auf der Hand liegen, dass
Ausgaben nach ihrem realen wirtschaftlichen Nutzen bewertet und gegen ihre
realen wirtschaftlichen Kosten abgewogen werden sollten. In ähnlicher Weise
werden bei einer sinnvollen Analyse von Steueränderungen deren Auswirkungen
auf die Wirtschaft und nicht die Auswirkungen auf das Defizit bewertet. Es wird
auch gezeigt, dass steuerlich begünstigte Sparanreize einen Bedarf für Defizitaus-
gaben schaffen.
Die Diskussion wird mit einer Erklärung des Fiat-Geldes beginnen, worauf
die Schlüsselelemente der Funktionsweise des Bankensystems eingegangen wird.
Die folgenden Punkte werden dabei in den Mittelpunkt gestellt:
– Die Geldpolitik bestimmt den Preis des Geldes, welcher nur indirekt die
Menge beeinflusst. Es wird deutlich gemacht, dass der Tagesgeldzinssatz das
wichtigste Instrument der Geldpolitik ist. Die [US-amerikanische Zentral-
bank] Federal Reserve legt den Tagesgeldzinssatz, den Preis des Geldes, fest,
indem sie Reserven [Guthaben der Banken bei der Zentralbank] hinzufügt
und entfernt. Staatsausgaben, Steuern und Kreditaufnahme können dem
Bankensystem ebenfalls Reserven zuführen sowie entziehen und sind daher
Teil dieses Prozesses.
– Das Konzept des Geldmultiplikators ist verkehrt. Veränderungen in der Geld-
menge führen zu Veränderungen bei den Bankreserven und der Geldbasis,
nicht umgekehrt.
– Eine Monetarisierung der Schulden kann und wird es nicht geben.
– Der Grund für die Schuldenaufnahme durch die US-Bundesregierung ist der
Abzug überschüssiger Reserven aus das Bankensystem, um den Tagesgeld-
zinssatz zu stabilisieren. Er dient nicht der Finanzierung von unversteuerten
Ausgaben. Unversteuerte Staatsausgaben (Defizitausgaben) schaffen natür-
lich eine gleiche Menge an Überschussreserven im Bankensystem. Die Kredit-
aufnahme des Staates ist ein Abfluss von Reserven, der dazu dient, den vom
Gouverneursrat (Board of Governors) der Federal Reserve festgelegten Leit-
zins zu stützen.
– Die Staatsverschuldung ist eigentlich ein Zinsstabilisierungskonto (interest
rate maintenance account; IRMA).
– Die Fiskalpolitik bestimmt die Menge des neuen Geldes, das direkt von der
der Bundesregierung geschöpft wird. Kurz gesagt, sind Defizitausgaben die
direkte Schöpfung von neuem Geld. Wenn die Bundesregierung Geld ausgibt
und sich dann verschuldet, wird eine Einlage in Form einer Staatsanleihe ge-
14 Kapitel 1 Soft Currency Economics

schaffen. Die Staatsverschuldung entspricht im Wesentlichen dem gesamten


neuen Geld, das direkt durch die Fiskalpolitik geschaffen wurde.
– Die Optionen für Ausgaben, Steuern und Kreditaufnahme sind jedoch nicht
beschränkt durch den Prozess selbst, sondern durch die Erwünschtheit des
wirtschaftlichen Ergebnisses. Die Höhe und Art der Bundesausgaben sowie
die Struktur des Steuerrechts und der Zinsbindung (Verschuldung) haben er-
hebliche wirtschaftliche Auswirkungen. Die Entscheidung darüber, wie viel
Geld über Verschuldung beschafft und wie viel besteuert werden soll, kann
auf Grundlage der wirtschaftlichen Auswirkungen einer Änderung des Ver-
hältnisses getroffen werden und muss sich nicht nur auf das Verhältnis selbst
konzentrieren (z. B. den Ausgleich des Haushalts).

Der abschließende Abschnitt wird fünf zusätzliche Diskussionen aufgreifen:


– Was ist, wenn niemand die Staatsanleihen kauft?
– Wie es die Regierung schafft, Geld auszugeben, ohne dass es zu Hyperinfla-
tion kommt
– Vollbeschäftigung und Preisstabilität
– Besteuerung
– Eine Diskussion über den Außenhandel.

1.2 Fiat-Geld

Historisch gesehen gab es drei Kategorien von Geld: Warengeld, Kreditgeld, und
Fiatgeld. Warengeld besteht aus einem dauerhaften Material mit Eigenwert, in
der Regel Gold- oder Silbermünzen, die einen intrinsischen Wert abseits als den
eines Tauschmittels haben. Gold und Silber haben sowohl industrielle Verwen-
dungszwecke als auch einen ästhetischen Wert als Schmuck. Kreditgeld bezieht
sich auf die Verbindlichkeit einer Person oder eines Unternehmens, in der Regel
eine überprüfbare Bankeinlage. Fiatgeld ist ein Steuerguthaben, das nicht
durch einen materiellen Vermögenswert gedeckt ist.
1971 gab die Nixon-Regierung den Goldstandard auf und führte ein Fiat-
Währungssystem ein, was die Währung erheblich veränderte. In einem Fiat-
Währungssystem ist Geld nur deshalb ein akzeptiertes Tauschmittel, weil die Re-
gierung es für Steuerzahlungen verlangt.
Staatliches Fiatgeld bedeutet zwangsläufig, dass die Ausgaben des Bundes nicht
auf den Einnahmen beruhen müssen. Die Bundesregierung hat nicht mehr Geld zur
Verfügung, wenn der Bundeshaushalt einen Überschuss aufweist, als wenn der Haus-
halt ein Defizit aufweist. Die Gesamtausgaben des Bundes sind so hoch, wie sie von
der Bundesregierung festgelegt werden. Es gibt keine inhärente finanzielle Begren-
1.2 Fiat-Geld 15

zung. Die Höhe der Bundesausgaben, der Steuern und der Kreditaufnahme beeinflus-
sen die Inflation, die Zinssätze, die Kapitalbildung und andere realwirtschaftliche Phä-
nomene, aber die Menge des Geldes, die der Bundesregierung zur Verfügung steht, ist
unabhängig von den Steuereinnahmen und unabhängig von der Staatsverschuldung.
Folglich ist das Konzept eines Bundesspartopfes in einem Fiatgeldsystem ein Anachro-
nismus. Die Regierung ist nicht mehr in der Lage, Geld auszugeben, wenn es einen
Bundesspartopf gibt, als wenn es keine solchen Topf gibt. Die einzigen finanziellen
Beschränkungen in einem Fiatgeldsystem sind selbst auferlegt.
Das Konzept des Fiatgeldes lässt sich anhand eines einfachen Modells ver-
deutlichen: Stellen wir uns eine Welt mit einem Elternteil und mehreren Kindern
vor. Eines Tages kündigen die Eltern an, dass die Kinder durch die Erledigung
verschiedener Hausarbeiten Visitenkarten verdienen können. Zu diesem Zeit-
punkt ist es den Kindern völlig egal, wie sie die Visitenkarten ihrer Eltern sam-
meln, denn die Karten sind praktisch wertlos. Aber wenn die Eltern auch noch
ankündigen, dass jedes Kind, das im Haus essen und wohnen will, den Eltern
z. B. jeden Monat 200 Visitenkarten zahlen muss, bekommen die Karten sofort
einen Wert und die Aufgaben werden erledigt.
Den Visitenkarten wurde ein Wert verliehen, indem sie zur Erfüllung einer
Steuerpflicht verwendet werden müssen. Steuern dienen dazu, die Nachfrage
nach staatlichen Ausgaben von Fiatgeld zu schaffen, und nicht zur Erzielung von
Einnahmen. Eine erhobene Steuer schafft eine Nachfrage nach vom Staat ausge-
gebenen Geld, welches mindestens der Höhe der erlassenen Steuer entspricht.
Ein ausgeglichener Haushalt ist von Anfang an das Minimum, das ausgegeben
werden kann, ohne dass es zu einer fortlaufenden Deflation kommt. Die Kinder
werden wahrscheinlich den Wunsch haben, ein paar Karten mehr zu haben, als
sie für die unmittelbare Steuerrechnung benötigen. Dementsprechend können sie
natürlich mit einem Defizit an ausgeteilten Karten rechnen.
Um die Art der Staatsverschuldung in einem Fiat-Währungssystem zu veran-
schaulichen, kann das Modell der Familienwährung noch einen Schritt weitergeführt
werden. Angenommen, die Eltern bieten an, über Nacht Zinsen für die ausstehenden
Visitenkarten zahlen (zahlbar in weiteren Visitenkarten). Die Kinder möchten viel-
leicht einige Karten behalten, um sie der Einfachheit halber untereinander zu ver-
wenden. Zusätzliche Karten, die nicht über Nacht für Transaktionen zwischen den
Geschwistern benötigt werden, werden dann wahrscheinlich bei den Eltern hinter-
legt. Das heißt, dass die Eltern einige der Visitenkarten von den Geschwistern geliehen
haben. Die Einlagen der Visitenkarten sind die Staatsschulden, die die Eltern haben.
Der Grund für das Ausleihen ist den Mindesttagesgeldsatzes zu stützen, indem
sie den Inhaber:innen der Visitenkarten die Möglichkeit geben, Zinsen zu verdie-
nen. Die Eltern könnten beschließen, einen hohen Zinssatz zu zahlen bzw. zu un-
terstützen, um das Sparen zu fördern. Umgekehrt kann ein niedriger Zinssatz vom
16 Kapitel 1 Soft Currency Economics

Sparen abhalten. In jedem Fall entspricht die Höhe der Anzahl an Karten, die dem
Elternteil jede Nacht geliehen werden, im Allgemeinen der Anzahl an Karten, die
das Elternteil ausgegeben, aber nicht über Steuern zurückgenommen hat – das De-
fizit der Eltern. Beachten Sie, dass die Eltern sich nicht verschulden, um Ausgaben
zu finanzieren, und dass das Angebot, Zinsen zu zahlen (das Defizit zu finanzieren),
das Vermögen (gemessen an der Anzahl der Karten) der einzelnen Kinder nicht
verringert.
In den USA entscheiden die 12 Mitglieder des Bundesoffenmarktkommittees
(Federal Open Market Committee) über den Tagesgeldsatz. Zusammen mit den
vom Kongress beschlossenen Ausgaben, Steuern und Schulden (d. h. den Zinsen
für den Teil der Ausgaben, die nicht über Steuern zum Staat zurückgeflossen ist)
bestimmt dies den Wert des Geldes und reguliert im Allgemeinen die Wirtschaft.
Anleihenemission und Steuern waren einst Teil des Prozesses der Verwaltung
der Goldreserven des Finanzministeriums. Leider stützen sich Diskussionen über die
Geldwirtschaft und das US-Bankensystem immer noch auf viele der Beziehungen, die
in der Zeit beobachtet und verstanden wurden, als das US-Währungssystem unter
einem Goldstandard funktionierte, einem System, in dem die Regierung wohl ver-
pflichtet war, zur Finanzierung der Staatsausgaben ausreichende Einnahmen durch
Steuern oder der Aufnahme von Krediten zu erzielen. Einige der alten Modelle sind
immer noch nützlich, um die Mechanik des Bankensystems genau zu erklären. An-
dere haben ihre Nützlichkeit überlebt und zu irreführenden Konstruktionen geführt.
Zwei solche irreführenden Überbleibsel des Goldstandards sind die Rolle der Reser-
ven (einschließlich des Geldmultiplikators) und das Konzept der Monetarisierung.
Eine Untersuchung der Funktionsweise des Marktes für Reserven zeigt die wesentli-
chen Konzepte auf. (Eine zusätzliche Ausführung der Geschichte und Erläuterung
der Geldpolitik ist im Anhang enthalten.)

1.3 Die Inelastizität des Reservemarktes: Verzögerte


versus zeitnahe Buchhaltung

Die Federal Reserve Bank, auch Fed genannt, legt die Methode fest, welche die Ban-
ken bei der Berechnung der Einlagen und des Mindestreserve-Solls anwenden
müssen. Der Zeitraum, in dem die durchschnittlichen täglichen Reserven eines Ein-
lageninstituts die festgelegte Menge an Mindestreserven erfüllt oder übersteigen
müssen, wird als Mindestreserve-Erfüllungsperiode bezeichnet. Der Zeitraum, in
dem die Einlagen, auf denen die Reserven basieren, gemessen werden, ist die Min-
destreserve-Erfüllungsperiode. Die Methode zur Berechnung der Reserven wurde
1968 und 1984 geändert, aber beide Änderungen änderten nichts an der Rolle der
Fed auf dem Markt für Reserven.
1.3 Die Inelastizität des Reservemarktes: Verzögerte versus zeitnahe Buchhaltung 17

Vor 1968 mussten die Banken die Mindestreservemenge zeitgleich erfüllen: Re-
serven für eine Woche mussten dem erforderlichen Prozentsatz für diese Woche ent-
sprechen. Die Banken schätzten, wie hoch ihre durchschnittlichen Einlagen für die
Woche sein würden, und wendeten den entsprechenden erforderlichen Mindestre-
servesatz an, um ihr Mindestreserve-Soll zu ermitteln. Das Mindestreserve-Soll war
eine Obligation, zu deren Erfüllung jede Bank gesetzlich verpflichtet war. Bankreser-
ven und Einlagen ändern sich natürlich ständig, da Gelder eingezahlt und abgezogen
werden, was die Aufgabe des Bankmanagers, die Reserveguthaben zu verwalten, er-
schwerte. Da weder die durchschnittlichen Einlagen einer Woche noch die durch-
schnittliche Höhe der erforderlichen Reserven mit Sicherheit bekannt waren bis
zum Ende des letzten Tages, war es „wie der Versuch, ein bewegliches Ziel mit einem
wackeligen Gewehr zu treffen“. Aus diesem Grund wurde im September 1968 die
zeitversetzte Reservenbuchhaltung (lagged reserve accounting; LRA) an die Stelle der
zeitnahen Reservenbuchhaltung (contemporaneous reserve accounting; CRA) gesetzt.
Unter LRA betrug die Mindestreserve-Erfüllungsperiode sieben Tage, die jeweils am
Mittwoch endeten (siehe Abbildung 1a). Das Mindestreserve-Soll für eine Erfüllungs-
periode basierte auf den durchschnittlichen täglichen reserverelevanten Einlagen in
der Reserveberechnungsperiode, die an einem Mittwoch zwei Wochen zuvor endete.
Dementsprechend war die Gesamtsumme der erforderlichen Reserven für jede Bank
und für das gesamte Bankensystem im Voraus bekannt. Die tatsächlichen Reserven
konnten schwanken, aber zumindest war das Ziel stabil.

Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo

1 wöchiger 1 wöchiger
Berechnungszeitraum Erfüllungszeitraum.
für alle rückstellbare Die vorgeschriebenen
Verbindlichkeiten und Mindestreserven auf
Tresorgelder Einlagen in Woche 1
müssen mindestens
den tatsächlichen
Reserven entsprechen

Abbildung 1: Die zeitversetzte Reservenbuchhaltung, 1968–1984 (Quelle: Eigene Darstellung).

Im Jahr 1984 führte der Gouverneursrat (Board of Governors) des Federal Reserve
System die CRA wieder ein. Die Mindestreserve-Rechnungsperiode beträgt nun
zwei Wochen (siehe Abbildung 2). Die Reserven am letzten Tag des Abrechnungs-
zeitraums betragen ein Vierzehntel des zu mittelnden Gesamtbetrags. Nimmt eine
Bank beispielsweise 7 Mrd. $ für einen Tag auf, würde sie derzeit 1/14 von 7 Mrd. $,
also 500 Mio. $, zum Durchschnittswert von Reserven für die Erfüllungsperiode
hinzufügen. Obwohl dieses System als zeitgleich bezeichnet wird, handelt es sich in
der Praxis um ein verzögertes System, da es immer noch eine Verzögerung von
18

Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi

2 wöchige Berechnungsperiode für das 2 wöchige Berechnungsperiode für


Tresorgeld und nichttransaktionsbezogene transaktionsbezogene Passiva
Passiva

2 wöchige Erfüllungsperiode

Abbildung 2: Die zeitversetzte Reservenbuchhaltung, 1984 bis heute (Quelle: Eigene Darstellung).
Kapitel 1 Soft Currency Economics
1.3 Die Inelastizität des Reservemarktes: Verzögerte versus zeitnahe Buchhaltung 19

zwei Tagen gibt: Die Mindestreserve-Erfüllungsperioden enden am Mittwoch, die


Einlageperioden jedoch am vorangehenden Montag. Somit ist das Bankensystem
auch unter CRA mit einem festen Mindestreservesoll konfrontiert, wenn es sich
dem Ende einer jeden Rechnungsperiode nähert.
Die Verabschiedung der CRA im Jahr 1984 erfolgte, als Bundesbeamte, Wirt-
schaftswissenschaftler und Banker darüber debattierten, ob eine Verkürzung des
Zeitraums für die Reservenbuchhaltung der Fed die Kontrolle über die Reserve-
guthaben geben könnte. Die Änderung wurde bewusst vorgenommen, um der
Fed eine direkte Kontrolle über die Reserven und die Entwicklung der Einlagen
zu ermöglichen. Der Vorsitzende der Federal Reserve, Volcker, befürwortete die
Änderung der CRA in der falschen Annahme, dass eine kürzere Verzögerung bei
der Reservenbuchhaltung der Fed eine größere Kontrolle über die Reserven und
damit über die Geldmenge verschaffen würde. Der Vorsitzende Volcker irrte sich.
Die kürzere Buchungsverzögerung hat die Kontrolle der Fed über die Geldmenge
nicht erhöht (und konnte es auch nicht), weil die Mindestreserveanforderungen
der Einlageninstitute auf den gesamten Einlagen des vorangegangenen Buchungs-
zeitraums basieren. Die Banken können ihr aktuelles Mindestreserve-Soll in der
Praxis nicht ändern.
Sowohl bei CRA als auch bei LRA muss die Fed genügend Reserven zur Verfü-
gung stellen, um die bekannten Anforderungen zu erfüllen, entweder durch Of-
fenmarktgeschäfte oder über das Diskontfenster. Wären die Banken bei der
Beschaffung von Reserven auf sich allein gestellt, könnte kein Interbankenkredit
die erforderlichen Reserven schaffen.
Durch die Interbankenkreditvergabe ändert sich der Besitzer der Reserven,
aber die Höhe der Reserven im gesamten Bankensystem bleibt gleich. Nehmen
wir zum Beispiel an, das gesamte Mindestreserve-Soll des Bankensystems beträgt
60 Mrd. $ zum Zeitpunkt der bei Geschäftsschluss heute, aber das gesamte Ban-
kensystem verfügte nur über 55 Mrd. $ an Reserven. Wenn die Fed nicht die zu-
sätzlichen 5 Mrd. $ an Reserven zur Verfügung stellt, wird mindestens eine Bank
ihre Reserveanforderungen nicht erfüllen. Die Federal Reserve ist und kann bei
der Anpassung der Reserveguthaben im Bankensystem nur der Mitläufer und
nicht der Anführer sein.
Die Rolle der Rücklagen wird häufig missverstanden, weil sie mit den Eigenka-
pitalanforderungen verwechselt wird. Die Eigenkapitalanforderungen legen Stan-
dards für die Qualität und Quantität der Vermögenswerte fest, die die Banken
aufgrund der Qualität ihrer Kredite halten. Mit den Eigenkapitalanforderungen soll
ein Mindestmaß an finanzieller Integrität gewährleistet werden. Die Mindestreser-
veanforderungen hingegen sind ein Mittel, mit dem die Federal Reserve den Preis
der von den Banken verliehenen Mittel kontrolliert. Die Fed steuert die Quantität
20 Kapitel 1 Soft Currency Economics

und das Risiko von Krediten über die Eigenkapitalanforderungen, den Tagesgeld-
satz steuert sie durch die Festlegung des Preises für die Reserven.

1.4 Der Mythos des Geldmultiplikators

Jeder, der sich mit Geld und Bankwesen beschäftigt hat, ist mit dem Konzept des
Geldmultiplikators vertraut. Der Multiplikator ist ein Faktor, der eine Veränderung
der Geldbasis (Reserven + Bargeld) mit einer Veränderung der Geldmenge ver-
knüpft. Der Multiplikator gibt an, welches Vielfache der Geldbasis [monetary base;
MB] in die Geldmenge [money supply; M] umgewandelt wird (M = m x MB). Seit
George Washingtons Porträt zum ersten Mal die Ein-Dollar-Note zierte, haben Stu-
dent:innen die gleiche Erklärung des Verfahrens gehört. Unabhängig davon, wie
hoch der gesetzlich vorgeschriebene Mindestreservesatz war, wurde im Standard-
beispiel immer von 10 Prozent ausgegangen, so dass die Mathematik für College-
Professor:innen einfach genug war. Welche Freude muss sich in der gesamten Fi-
nanzwelt breit gemacht haben, als die Fed am 12. April 1992 den Mindestreservesatz
zum ersten Mal auf die magischen 10 Prozent festlegte. Angesichts der Einfachheit
und des weit verbreiteten Verständnisses des Geldmultiplikators ist es eine Schande,
dass der Mythos zu Grabe getragen werden muss.
Die Wahrheit ist das Gegenteil des Lehrbuchmodells. In der realen Welt ver-
geben die Banken Kredite unabhängig von den Reservepositionen und leihen
dann in der nächsten Rechnungsperiode die benötigten Reserven. Die Erforder-
nisse des Buchhaltungssystems, wie bereits erörtert, verlangen von der Fed, den
Banken zu leihen, was immer sie brauchen.
Bankmanager kennen die Gesamthöhe der Reserven im Bankensystem in der
Regel nicht und kümmern sich auch nicht darum. Die Kreditvergabeentscheidun-
gen der Banken werden beeinflusst durch den Preis der Reserven, nicht durch
Reservepositionen. Wenn die Spanne zwischen der Rendite eines Vermögens-
werts und dem Leitzins groß genug ist, wird selbst eine Bank, die über zu wenig
Reserven verfügt, den Vermögenswert kaufen und den Bargeldbedarf durch den
Kauf (die Aufnahme) von Geld auf dem Geldmarkt decken. Diese Tatsache wird
von vielen großen Banken deutlich demonstriert, wenn sie ständig mehr Geld auf
dem Fed-Funds-Markt kaufen [indem sie Wertpapiere wie Staatsanleihen oder
andere Finanzvermögenswerte verkaufen] als das Mindestreserveniveau vorgibt.
Ohne die Käufe von Zentralbankgeld, d. h. die Aufnahme von Geld, das als Reser-
ven gehalten werden soll, hätten diese Banken eigentlich negative Reserven.
Sollte die Fed die Geldmenge erhöhen wollen, würden die Anhänger des
Geldmultiplikatormodells (darunter zahlreiche Nobelpreisträger) die Fed Wertpa-
piere kaufen lassen. Wenn die Fed Wertpapiere kauft, werden dem System Reserven
1.5 Der Mythos der Monetarisierung von Schulden 21

hinzugefügt. Das Geldmultiplikatormodell verkennt jedoch, dass die zusätzlichen Re-


serven, die über das Mindestreserve-Soll hinausgehen, den Leitzins auf null treiben,
da sich das Mindestreserve-Soll erst in der folgenden Rechnungsperiode ändert. Dies
zwingt die Fed dazu, Wertpapiere zu verkaufen, d. h. die gerade hinzugefügten über-
schüssigen Reserven abzuschöpfen, um den Leitzins über Null zu halten.
Wenn die Fed hingegen die Geldmenge verringern will und Reserven aus
dem System abfließen, besteht für einige Banken die Gefahr, dass sie ihre Reser-
veanforderungen nicht erfüllen können, wenn keine überschüssigen Reserven
vorhanden sind. Die Fed hat keine andere Wahl, als dem Bankensystem wieder
Reserven zuzuführen, um zu verhindern, dass der Leitzins theoretisch ins Unend-
liche steigt.
In beiden Fällen bleibt die Geldmenge durch die Maßnahmen der Fed unver-
ändert. Der Multiplikator ist eigentlich nur das Verhältnis zwischen Geldmenge
und Geldbasis (m = M/MB). Veränderungen in der Geldmenge verursachen Ve-
ränderungen in der Geldbasis und nicht umgekehrt. Der Geldmultiplikator ist
eher als ein Divisor zu verstehen (MB = M/m).
Das Versäumnis, den inhärenten Fehler des Geldmultiplikatormodells zu er-
kennen, hat sogar dazu geführt, dass einige der angesehensten Experten in die
Irre geführt wurden. Die folgenden Punkte sollten offensichtlich sein, werden
aber selten verstanden:
1. Da die Nachfrage nach Bankreserven unelastisch ist, hat die Fed keine Kont-
rolle über die Geldmenge. Die Fed kontrolliert nur den Preis.
2. Zu den Marktteilnehmern, die einen direkten und unmittelbaren Einfluss auf
die Geldmenge haben, gehören alle außer der Fed.

1.5 Der Mythos der Monetarisierung von Schulden

Das Thema der Monetarisierung von Schulden wird häufig in Diskussionen über
die Geldpolitik angesprochen. Die Monetarisierung von Schulden wird in der Regel
als ein Prozess bezeichnet, bei dem die Fed Staatsanleihen direkt vom Finanzminis-
terium kauft. Mit anderen Worten: Die Bundesregierung leiht sich Geld von der
Zentralbank und nicht von der Öffentlichkeit. Die Monetarisierung von Schulden
ist der Prozess, der normalerweise gemeint ist, wenn von einer Regierung gesagt
wird, dass sie Geld drucken würde. Die Monetarisierung von Schulden würde
unter sonst gleichen Bedingungen zu einer Erhöhung der Geldmenge und zu einer
starken Inflation führen. Die Angst vor der Monetarisierung von Schulden ist je-
doch unbegründet, da die Federal Reserve nicht einmal die Möglichkeit hat, ausste-
hende oder neu ausgegebene Staatsschulden zu monetarisieren.
22 Kapitel 1 Soft Currency Economics

Solange die Fed das Mandat hat, einen Zielsatz für den Leitzins aufrechtzuer-
halten, liegt der Umfang ihrer Käufe und Verkäufe von Staatsanleihen nicht in
ihrem Ermessen. Sobald das Federal Reserve Board of Governors einen Leitzins
festlegt, ändert sich das Portfolio der Fed an Staatsanleihen nur noch aufgrund
der Transaktionen, die zur Stützung des Leitzinses erforderlich sind. Die fehlende
Kontrolle der Fed über die Menge der Reserven unterstreicht die Unmöglichkeit
der Monetarisierung von Schulden. Die Fed kann die Staatsschulden nicht mone-
tarisieren, indem sie nach Belieben Staatspapiere kauft, da dies zu einem Fallen
des Leitzinses auf null führen würde. Wenn die Fed Wertpapiere direkt vom
Finanzministerium kauft und das Finanzministerium das Geld dann ausgibt,
wären die Ausgaben Überschussreserven im Bankensystem. Die Fed wäre ge-
zwungen, eine gleiche Menge an Wertpapieren zu verkaufen, um den Fed Funds-
Zielzins zu stützen. Die Fed würde nur als Vermittler fungieren. Sie würde Wert-
papiere vom Schatzamt kaufen und sie an die Öffentlichkeit verkaufen. Es würde
keine Monetarisierung stattfinden.
Monetarisieren bedeutet, dass etwas in Geld umgewandelt wird. Gold wurde
früher monetarisiert, indem die Regierung neue Goldzertifikate ausgab, um Gold
zu kaufen. Im weitesten Sinne sind Staatsschulden Geld, und Defizitausgaben
sind der Prozess der Monetarisierung dessen, was die Regierung kauft. Monetari-
sierung findet tatsächlich statt, wenn die Fed ausländische Währungen kauft.
Durch den Kauf von Fremdwährungen wird diese Währung in Dollar umgewan-
delt oder monetarisiert. Die Fed bietet dann Wertpapiere der US-Regierung zum
Verkauf an, um den neuen Dollars, die dem Bankensystem gerade hinzugefügt
wurden, einen Platz zu bieten, um Zinsen zu verdienen. Dieser oft missverstan-
dene Prozess wird als Sterilisation bezeichnet.

1.6 Betriebsverfahren für die Federal Reserve Bank:


Wie sich das Fed Funds Targeting in die
allgemeine Geldpolitik einbringt

Von der Federal Reserve Bank wird angenommen, dass sie eine Geldpolitik be-
treibt, deren oberstes Ziel eine niedrige Inflation und ein geld- und finanzpoliti-
sches Umfeld ist, das dem realen Wirtschaftswachstum förderlich ist. Die Fed
versucht, Geld und Zinssätze zu steuern, um ihre Ziele zu erreichen. Dafür wählt
sie ein oder mehrere Zwischenziele aus, weil sie der Meinung ist, dass diese er-
hebliche Auswirkungen auf die Geldmenge und das Preisniveau haben.
Was auch immer die Zwischenziele der Geldpolitik sein mögen, das wich-
tigste Instrument der Fed zur Umsetzung der Politik ist die Federal Funds Rate
1.7 Mechanik der Bundesausgaben 23

[Übernachtzins auf dem Interbankenmarkt]. Die Fed Funds Rate wird durch Of-
fenmarktgeschäfte beeinflusst. Sie wird beibehalten oder angepasst, um die Zwi-
schenzielvariable zu steuern. Wenn die Fed eine Mengenregel anwendet (d. h.
versucht, die Geldmenge zu bestimmen), ist das Zwischenziel ein Geldmengenag-
gregat wie M1 oder M2. Wächst beispielsweise M2 schneller als die Zielrate, kann
die Fed den Leitzins anheben, um die Wachstumsrate von M2 zu verlangsamen.
Wenn M2 zu langsam wächst, kann die Fed den Leitzins senken. Entscheidet sich
die Fed dafür, den Geldwert als Zwischenziel zu verwenden, dann wird das Fed-
Funds-Ziel auf der Grundlage eines Preisniveauindikators wie dem Goldpreis
oder dem Spot Commodities Index festgelegt. Bei einer Preisregel wird der Preis,
zum Beispiel von Gold, innerhalb einer engen Bandbreite angepeilt. Die Fed hebt
die Fed-Fund-Rate, wenn der Preis die Obergrenze überschreitet und senkt die
den Leitzins, wenn die Untergrenze unterschritten wird. Dies wird in der Hoff-
nung gemacht, dass eine Änderung des Leitzinses den Goldpreis wieder in den
Zielbereich bringt.
Offenmarktgeschäfte gleichen Veränderungen der Reserven aus, die durch ver-
schiedene Faktoren verursacht werden, welche sich auf die Geldbasis auswirken,
wie z. B. Veränderungen der Einlagen des Finanzamtes bei der Fed, Veränderungen
der Währungsbestände oder Veränderungen der privaten Kreditaufnahme. Offen-
marktgeschäfte dienen als Puffer um den Leitzins. Der Zielsatz der Fed Funds Rate
kann monatelang unverändert bleiben. Im Jahr 1993 wurde der Zielsatz ohne eine
einzige Änderung bei 3 % gehalten. In anderen Jahren wurde der Satz mehrmals
geändert.

1.7 Mechanik der Bundesausgaben

Die Bundesregierung unterhält aus demselben Grund wie Privatpersonen und


Unternehmen einen Kassenbestand. Laufenden Einnahmen stimmen nämlich sel-
ten mit den Ausgaben in Zeitpunkt und Höhe überein. Das US-Finanzministerium
hält seine Verrechnungsguthaben bei den 12 Federal Reserve Banks und bezahlt
für Waren und Dienstleistungen, indem es diese Konten in Anspruch nimmt. Ein-
lagen werden auch bei Tausenden von Geschäftsbanken und Sparanstalten im
ganzen Land gehalten. Regierungskonten bei Geschäftsbanken werden als Steuer-
und Darlehenskonten bezeichnet, da die Gelder aus den Steuerzahlungen von Pri-
vatpersonen und Unternehmen sowie aus den Erlösen aus dem Verkauf von
Staatsanleihen stammen. Die Banken bezahlen ihre Käufe von Wertpapieren des
US-Schatzamtes oder Käufe im Namen ihrer Kunden häufig durch Gutschrift auf
deren Steuer- und Darlehenskonten.
24 Kapitel 1 Soft Currency Economics

Das Finanzministerium zieht alle seine Schecks von Konten bei der Fed. Die
Mittel werden von den Steuer- und Darlehenskonten an die Fed überwiesen und
dann von den Konten der Fed bezogen, um Waren und Dienstleistungen zu kau-
fen oder um Transferzahlungen zu tätigen. Nehmen wir mal an, das Finanzminis-
terium beabsichtigt, 500 Mio. $ für einen B-2 Tarnkappenbomber zu zahlen. Das
Finanzministerium überweist 500 Mio. $ von seinen Steuer- und Darlehenskonten
auf sein Konto bei der Fed. Die Geschäftsbanken haben nun 500 Mio. $ weniger
an Einlagen und somit 500 Mio. $ weniger an Reserven. Bei der Fed sinken die
Reserven um 500 Millionen Dollar, während die Einlagen des Schatzamtes um
500 Mio. $ gestiegen sind. Zu diesem Zeitpunkt verringert der Anstieg der Einla-
gen des US-Schatzamtes die Reserven und die Geldbasis, aber wenn das Finanzmi-
nisterium den Bomber bezahlt, kehrt sich der vorangegangene Prozess um. Die
Einlagen des US-Finanzministeriums bei der US-Notenbank sinken um 500 Mio. $,
und das Rüstungsunternehmen zahlt den vom Finanzministerium erhaltenen
Scheck bei seiner Bank ein, deren Reserven um 500 Mio. $ steigen. Die Staatsaus-
gaben verändern die Geldbasis nicht, wenn sich die Reserven gleichzeitig in glei-
cher Höhe und in entgegengesetzter Richtung bewegen.
In Abbildung 2 und 3 werden die T-Konten des Bankensystems, des Finanzminis-
teriums und der Federal Reserve für eine Ausgabe von 100 Mio. $ verglichen. Abbil-
dung 3 zeigt die Nettoveränderung bei einer durch Steuereinnahmen ausgeglichenen
Ausgabe. Abbildung 4 zeigt die Nettoveränderung, wenn die Ausgaben durch eine
Kreditaufnahme ausgeglichen werden. In beiden Fällen bleiben die Reservesalden
unverändert. Es gibt keine Nettoveränderung im Bankensystem, wenn der Bomber
mit Steuereinnahmen bezahlt wird. Wenn das Finanzministerium Wertpapiere aus-
gibt, um den Bomber zu bezahlen, erhöhen sich die Einlagen im Bankensystem um
100 Mio. $. Der Einsatz von gegenläufigen Offenmarktgeschäften durch die Federal
Reserve, um den Leitzins innerhalb der vorgeschriebenen Spanne zu halten, wird in
erster Linie bei Veränderungen in staatlichen Einlagen angewandt.

1.8 Ausgaben, Kreditaufnahme und Verschuldung


der Bundesregierung
Der Wunsch der Fed, den Leitzins aufrechtzuerhalten, verbindet die Staatsausga-
ben, die dem Bankensystem Reserven zuführen, mit der staatlichen Besteuerung
und Kreditaufnahme, die dem Bankensystem Reserven entziehen. In einem Fiat-
geldsystem gibt die Regierung Geld aus und leiht sich dann das, was sie nicht durch
Steuern einnimmt, denn ein Ausgabendefizit, das nicht durch Kreditaufnahme
ausgeglichen wird, würde zu einem Rückgang des Leitzinses führen.
Ausgeben Besteuern Veränderung

Banksystem Banksystem Banksystem

Forderungen Verbindlichkeiten Forderungen Verbindlichkeiten Forderungen Verbindlichkeiten

Reserven +500 Einlagen +500 Reserven -500 Einlagen +500 Reserven 0 Einlagen 0

(Quelle: Eigene Darstellung).


Finanzministerium Finanzministerium Finanzministerium

Forderungen Verbindlichkeiten Forderungen Verbindlichkeiten Forderungen Verbindlichkeiten

Zentralban Zentralban Wert- Zentralban Einlagen +500


-500 +500 +500 0
keinlagen keinlagen papiere keinlagen

fällige Gekauftes fällige


+500 -500 -500
Steuern Produkt Steuern

Bomber +500

Zentralbank Zentralbank Zentralbank

Forderungen Verbindlichkeiten Forderungen Verbindlichkeiten Forderungen Verbindlichkeiten

Reserven +500 Reserven -500 Reserven 0


1.8 Ausgaben, Kreditaufnahme und Verschuldung der Bundesregierung

Einlagen Einlagen Einlagen


vom vom vom
-500 +500 0
Finanzminis Finanzminis Finanzminis
terium terium terium

Abbildung 3: Die Regierung gibt $500 Millionen aus und erhebt Steuern in Höhe von $500 Millionen
25
26

Ausgeben Leihen Veränderung

Banksystem Banksystem Banksystem

Darstellung).
Forderungen Verbindlichkeiten Forderungen Verbindlichkeiten Forderungen Verbindlichkeiten

Reserven +500 Einlagen +500 Reserven -500 Reserven 0

Wert- +500
papiere

Finanzministerium Finanzministerium Finanzministerium

Forderungen Verbindlichkeiten Forderungen Verbindlichkeiten Forderungen Verbindlichkeiten


Kapitel 1 Soft Currency Economics

Zentralban Zentralban Wert- Wert-


+500 +500 +500 Bomber +500 +500
keinlagen keinlagen papiere papiere

Gekauftes
+500
Produkt

Zentralbank Zentralbank Zentralbank

Forderungen Verbindlichkeiten Forderungen Verbindlichkeiten Forderungen Verbindlichkeiten

Reserven +500 Reserven -500 Reserven 0

Einlagen Einlagen Einlagen


vom vom vom
-500 +500 0
Finanzminis Finanzminis Finanzminis
terium terium terium

Abbildung 4: Die Regierung gibt $500 Millionen aus und leiht sich $500 Millionen (Quelle: Eigene
1.8 Ausgaben, Kreditaufnahme und Verschuldung der Bundesregierung 27

Die Federal Reserve hat keine ausschließliche Kontrolle über die Reservesalden.
Die Reservesalden können auch vom Finanzministerium selbst beeinflusst werden.
Wenn das Finanzministerium beispielsweise Wertpapiere im Wert von 100 Dollar
verkauft und damit den Saldo seines Girokontos bei der Fed um 100 Dollar erhöht,
sinken die Reserven genauso, wie wenn die Fed die Wertpapiere verkauft hätte.
Wenn eine der beiden staatlichen Stellen Staatspapiere verkauft, sinken die Reser-
ven. Wenn eine der beiden Regierungsstellen Staatsanleihen kauft (in diesem Fall
würde das Finanzministerium seine Schulden senken) steigen die Reserven im Ban-
kensystem. Die monetären Zwänge eines Fed-Funds-Ziels schreiben vor, dass die Re-
gierung kein Geld ausgeben kann, ohne Schulden zu machen (oder Steuern zu
erheben), noch kann die Regierung sich verschulden (oder besteuern) ohne Ausga-
ben zu tätigen. Das finanzielle Gebot lautet, den Reservemarkt im Gleichgewicht zu
halten und nicht, Geld zum Ausgeben zu erwerben.

1.8.1 Das Zinsstabilisierungskonto (IRMA)

Die Gesamtzahl der Dollar, die im Laufe der Zeit aus dem Bankensystem abgezo-
gen wurden, um den Leitzins aufrechtzuerhalten, wird als Staatsverschuldung be-
zeichnet. Eine passendere Bezeichnung wäre Zinsstabilisierungskonto (Interest
Rate Maintenance Account; IRMA). Das IRMA ist einfach eine Buchführung über
den Gesamtbetrag der Wertpapiere, die ausgegeben wurden, um die Zinsen für
das von der Regierung ausgegebene unversteuerte Geld zu zahlen.
Erwägen Sie die Gründe für die Anpassung der Laufzeiten der staatlichen Wert-
papiere. Da der Zweck von Staatspapieren darin besteht, dem Bankensystem Reser-
ven zu entziehen und einen Zinssatz zu stützen, ist die Dauer bzw. die Laufzeit der
Wertpapiere für die Kreditvergabe und ein Überrollen von Krediten irrelevant. Tat-
sächlich könnte der IRMA vollständig aus Tagesgeldeinlagen von Mitgliedsbanken
der Fed bestehen, und die Fed könnte den Leitzins stützen, indem sie Zinsen auf alle
überschüssigen Reserven zahlt. Ein Grund für den Verkauf langfristiger Wertpapiere
könnte darin bestehen, die langfristigen Zinssätze zu stützen.

1.8.2 Finanzpolitische Optionen

Der Akt der Staatsausgaben und der gleichzeitigen Besteuerung erweckt die Illu-
sion, dass die beiden untrennbar miteinander verbunden sind. Diese Illusion
wird durch die Analogie zwischen dem Staat als Unternehmen und dem Staat als
Haushalt noch verstärkt. Unternehmen und Haushalte im privaten Sektor sind in
ihrer Kreditaufnahme durch die Bereitschaft des Marktes zur Kreditvergabe be-
28 Kapitel 1 Soft Currency Economics

grenzt. Sie müssen Kredite aufnehmen, um ihre Ausgaben zu finanzieren. Die


Bundesregierung hingegen kann zunächst einen praktisch unbegrenzten Be-
trag ausgeben, damit dem Bankensystem Reserven zuführen, und dann sich
Geld leihen, wenn sie einen Reserveabfluss durchführen möchte.
Jedes Jahr verabschiedet der Kongress einen Haushaltsplan, der die Ausgaben
des Bundes festlegt. Der Kongress entscheidet auch darüber, wie diese Ausgaben fi-
nanziert werden sollen. Im Haushaltsjahr 1993 beliefen sich die Staatsausgaben bei-
spielsweise auf 1,5 Billionen Dollar. Die Finanzierung setzte sich aus 1,3 Billionen
Dollar an Steuereinnahmen und 0,2 Billionen Dollar an Kreditaufnahmen zusam-
men. Die Gesamteinnahmen müssen den Gesamtausgaben entsprechen, um die Kon-
trolle über den Leitzins zu behalten. Die Zusammensetzung der Gesamteinnahmen
zwischen Steuern und Kreditaufnahme liegt im Ermessen des Kongresses. Die wirt-
schaftlichen Auswirkungen einer Änderung der Zusammensetzung der Staatsfinan-
zierung zwischen Steuern und Kreditaufnahme sind berechtigterweise intensiver
Forschung, Diskussionen und Debatten ausgesetzt. Leider wurde die nüchterne Dis-
kussion über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Defizits von apokalypti-
schen Predigten über den das vermeintliche inhärente Übel der Defizitausgaben
verdrängt.
Seit das Defizit des Bundeshaushalts in den frühen achtziger Jahren zum
Thema wurde, gibt es viele Warnungen über die schwerwiegenden Folgen der
vermeintlich unheilvollen Praxis, sich Geld vom Privatsektor zu leihen. Demokra-
ten, Republikaner und andere patriotische Amerikaner haben genug Warnungen
vor dem staatlichen Defizit ausgesprochen, um einen neuen Flügel im Smithso-
nian zu füllen. Die folgende Liste ist nur eine kleine Auswahl:

Das Staatsdefizit ist wie ein Krebsgeschwür. Je früher wir handeln, um es einzudämmen,
desto gesünder wird unser Fiskalkörper sein und desto vielversprechender unsere Zukunft.
-Senator Paul Simon (D-IL).

[...] aufgrund der Art und Weise, wie unsere Schulden finanziert wurden, sind wir einem
großen Risiko ausgesetzt, wenn die Zinssätze dramatisch oder auch nur moderat steigen.
Der Grund dafür ist, dass über 70 Prozent der öffentlichen Schulden für weniger als fünf
Jahre finanziert sind. Das ist Selbstmord in der Wirtschaft, das ist Selbstmord im Privatle-
ben, und das ist Selbstmord in der Regierung. – Ross Perot.

Der Reichtum unserer Nation wird Tropfen für Tropfen abgezogen, weil unsere Regierung
weiterhin Rekorddefizite anhäuft ... Die Sicherheit unseres Landes hängt von der fiskali-
schen Integrität unserer Regierung ab, und wir werfen sie weg. – Senator Warren
Rudman.

[...] ein Schlag für den Lebensstandard unserer Kinder. – New York Times.
1.9 Zusätzliche Ausführungen 29

[...] diese großartige Nation kann nicht länger ausufernde Defizite und exorbitante jährliche
Zinszahlungen dulden [...] – Senator Howell T. Heflin, (D-AL)

Das Bundesdefizit ... wird weiterhin unsere Fähigkeit untergraben, auf die wirtschaftlichen
und sozialen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts Antworten zu finden. [...] Wir sind
pleite, wenn wir Kredite aufnehmen müssen, um die Zinsen für die Schulden zu bezahlen. –
Senator Frank Murkowski, (R-AK).

[...] steuerlicher Kindesmissbrauch. – Senator William H. Cohen, (R-ME).

Dieses Problem [die Staatsverschuldung] wird einen wirtschaftlichen Albtraum auslösen,


der die Große Depression in den Schatten stellen wird. [...] Die drohende Finanzkrise des
Landes steht vor der Tür. Die Zeit für höfliche Debatten ist vorbei. Unsere Staatsschulden-
krise kann und wird die Vereinigten Staaten in die Knie zwingen [...] – Harry E. Figgie,
Konkurs 1995.

Und das alles wegen eines simplen Reserveabflusses! Die realen wirtschaftlichen
Folgen wie die Inflation werden im Allgemeinen nicht einmal erwähnt. Die Sor-
gen sind finanzieller Natur. Viele der dramatischen Kommentare über das Defizit
kommen von intelligenten, kompetenten, gut ausgebildeten Bürger:innen. Die Sorge
um das Wohlergehen Amerikas und um die Zukunft der Nation ist echt. In ihrer
Eile, Finanzierungsentscheidungen abzulehnen, die für ein privates Unternehmen
oder einen Haushalt in der Tat sehr schädlich, wenn nicht gar unmöglich wären,
übersehen sie jedoch die wichtigen Unterschiede zwischen privaten und öffentli-
chen Finanzen. Um auf die Eltern-Kind-Analogie zurückzukommen: Es ist der Unter-
schied, ob man seine eigenen Visitenkarten ausgibt oder die eines anderen.

1.9 Zusätzliche Ausführungen

1.9.1 Was ist, wenn niemand die Schulden kauft?

Es ist nicht möglich, auf alle Fragen, die von Schuldengegner:innen aufgeworfen
werden, angemessen einzugehen. Eines der häufigsten Anliegen illustriert jedoch
deutlich die unbegründete Angst, die aus der Verwechslung von privater Kredit-
aufnahme mit öffentlicher Kreditaufnahme erwächst. Die Frage basiert auf dem
Bild von Uncle Sam, der von den Kreditgebern abgewiesen wird und ohne Finan-
zierung dasteht.
Die Befürchtung, dass die Regierung keine Wertpapiere verkaufen kann, lässt
die Mechanismen des Prozesses selbst außer Acht. Das Gebot der Schuldenauf-
nahme ist die Stabilisierung des Zinssatzes. Durch die Ausgabe von Staatsanleihen
bietet der Staat den Banken die Möglichkeit, unverzinste Reserven gegen ver-
zinste Wertpapiere einzutauschen. Wenn alle Banken lieber keine Zinsen auf ihre
30 Kapitel 1 Soft Currency Economics

Guthaben erhalten, als Zinszahlungen vom Staat anzunehmen, wird die Weige-
rung, Zinsen anzunehmen, de facto zu einer Steuer für das Bankensystem. Aus
der Sicht des Finanzministeriums wäre die Unfähigkeit des Staates, Gläubiger an-
zuziehen, sogar ein Vorteil. Stellen Sie sich vor, der Staat gibt Geld aus, und das
Bankensystem verleiht das Geld gewissermaßen zum Nulltarif, indem es sich wei-
gert, Zinsen für die neuen Einlagen anzunehmen, die durch die Staatsausgaben
entstanden sind. Stattdessen begnügt sich das Bankensystem damit, das Geld auf
einem unverzinsten Konto bei der Fed zu belassen. Das Geld wird so oder so bei
der Fed gehalten – es hat keine andere Existenz. Wenn das Geld als Überschussre-
serven belassen wird, liegt es auf einem unverzinsten Konto bei der Fed. Wenn
das Geld durch den Kauf von Staatsanleihen an die Regierung verliehen wird,
wird es wiederum auf dem Konto der Regierung bei der Fed gehalten.

1.9.2 Sparen und Investieren: Wie die Regierung so viel Geld ausgibt und
Kredite aufnimmt, ohne eine Hyperinflation zu verursachen

Die meisten Menschen sind daran gewöhnt, das Sparen aus ihrer eigenen Perspek-
tive zu betrachten. Es kann schwierig sein, das Sparen auf nationaler Ebene zu den-
ken. Einen Teil seines Gehalts auf ein Sparkonto zu legen, bedeutet nur, dass der
Einzelne nicht sein gesamtes Einkommen ausgibt. Der Verzicht auf Ausgaben hat
zur Folge, dass die Konsumnachfrage unter den Wert sinkt, der sich ergeben hätte,
wenn das gesparte Einkommen ausgegeben worden wäre. Der Akt des Sparens
wird die effektive Nachfrage nach der laufenden Produktion verringern, ohne not-
wendigerweise einen kompensierenden Anstieg der Nachfrage nach Investitionen
zu bewirken. Tatsächlich führt ein Rückgang der effektiven Nachfrage höchstwahr-
scheinlich zu einem Rückgang von Beschäftigung und Einkommen. Der Versuch,
die individuelle Ersparnis zu erhöhen, kann tatsächlich zu einem Rückgang des
Volkseinkommens, einer Verringerung der Investitionen und einer Verringerung
der gesamten nationalen Ersparnis führen. Die Ersparnisse der einen Person kön-
nen zur Lohnkürzung der anderen werden. Sparen ist gleich Investitionen. Wenn
sich die Investitionen nicht ändern, werden die Ersparnisse der einen Person
zwangsläufig durch die Einsparungen der anderen ausgeglichen. Jedem Guthaben
steht eine entsprechende Verbindlichkeit gegenüber.
Da die Ausgaben eines Unternehmens das Einkommen einer anderen Person
sind, sind Ausgaben in Höhe der Kosten eines Unternehmens notwendig, um die
Produktion des Unternehmens zu erwerben. Ein Defizit an Konsum führt zu
einem Anstieg der unverkauften Vorräte. Wenn sich die Lagerbestände der Unter-
nehmen aufgrund schlechter Verkaufszahlen anhäufen, kann es sein, dass 1. die
Unternehmen ihre Produktion und Beschäftigung verringern und 2. die Unterneh-
1.9 Zusätzliche Ausführungen 31

men weniger in neues Kapital investieren. Unternehmen investieren häufig, um


ihre Produktionskapazität zu erhöhen und eine größere Nachfrage nach ihren
Waren zu befriedigen. Eine chronisch niedrige Nachfrage nach Konsumgütern
und Dienstleistungen kann die Investitionen drücken, so dass die Unternehmen
Überkapazitäten haben und ihre Investitionsausgaben verringern. Niedrige Aus-
gaben können die Wirtschaft in eine Flaute versetzen: niedriger Umsatz, niedri-
ges Einkommen, niedrige Investitionen und niedrige Ersparnisse.
Bei starker Nachfrage und hohen Umsätzen reagieren die Unternehmen in
der Regel mit einer Produktionssteigerung. Sie können auch in zusätzliche Kapi-
talgüter investieren. Investitionen in neue Kapazitäten bedeuten automatisch
einen Anstieg der Ersparnisse. Die Ersparnis steigt, weil die Arbeitnehmer:innen
dafür bezahlt werden, Kapitalgüter zu produzieren, die sie nicht kaufen und kon-
sumieren können. Die einzige andere Möglichkeit, die dem Einzelnen bleibt, ist,
entweder direkt oder über einen Vermittler, die „Investition“ in Kapitalgüter. Ein
Anstieg der Investitionen, aus welchem Grund auch immer, bedeutet einen An-
stieg der Ersparnisse; ein Rückgang der individuellen Ausgaben führt jedoch
nicht zu einem Anstieg der Gesamtinvestitionen. Ersparnis ist gleich Investi-
tion, aber der Akt der Investition muss stattfinden, um echte Ersparnis zu
haben.
Die Beziehung zwischen individuellen Ausgabenentscheidungen und dem
Volkseinkommen wird deutlich, wenn man annimmt, dass der Geldfluss über das
Bankensystem erfolgt. Das Geld, das die Unternehmen ihren Arbeitnehmer:innen
zahlen, kann entweder zum Kauf ihrer Produktion verwendet werden oder bei
einer Bank hinterlegt werden. Wenn das Geld bei einer Bank deponiert ist, hat
die Bank grundsätzlich zwei Möglichkeiten der Kreditvergabe. Das Geld kann aus-
geliehen werden an: 1) eine andere Person, die den Output kaufen möchte (ein-
schließlich der Regierung), oder 2) an Unternehmen, die die Personen in erster
Linie zur Finanzierung der unverkauften Produktion bezahlt haben. Wenn die
allgemeine Nachfrage nach Gütern sinkt, steigt die Nachfrage nach Krediten zur
Finanzierung von Lagerbeständen. Würden die Privatpersonen hingegen viel
Geld ausgeben, würde die Nachfrage nach Anschaffungskrediten steigen, die Vor-
räte würden sinken und der Umfang der Kredite zur Finanzierung der Unterneh-
mensvorräte würde zurückgehen.
Die strukturelle Situation in den USA ist eine, in der dem Einzelnen starke An-
reize gegeben werden, sein Geld nicht auszugeben. Dies hat es der Regierung gewis-
sermaßen ermöglicht, das Geld der Bürger für sie auszugeben. Der Grund dafür,
dass die Ausgaben, trotz eines Staatsdefizits, nicht zu mehr Inflation geführt haben,
liegt darin, dass die Ausgaben eine strukturell geringere Rate privater Ausgaben
ausgeglichen haben. Ein großer Teil des persönlichen Einkommens besteht aus IRA-
Beiträgen, sogenannten Keoghs, Lebensversicherungsrücklagen, Pensionsfondsein-
32 Kapitel 1 Soft Currency Economics

künften und anderen Geldern, die sich kontinuierlich vermehren und nicht ausgege-
ben werden. Auch ein erheblicher Teil des Unternehmenseinkommens hat eine
niedrige Umlaufgeschwindigkeit; es sammelt sich auf Sparkonten verschiedener Art
an. Auch die von ausländischen Zentralbanken erwirtschafteten Dollars werden
wahrscheinlich nicht ausgegeben.
Die Wurzel dieses Paradoxons ist die irrige Vorstellung, dass Ersparnisse not-
wendig sind, um Geld für Investitionen bereitzustellen. Dies ist nicht wahr. Im
Bankensystem schaffen Kredite, auch solche für Unternehmensinvestitionen,
gleichwertige Einlagen, so dass Ersparnisse als Geldquelle überflüssig sind. Inves-
titionen schaffen ihr eigenes Geld.
Aus der Erkenntnis, dass Sparen nicht zu Investitionen führt, folgt, dass die
Lösung für hohe Arbeitslosigkeit und niedrige Kapazitätsauslastung nicht unbe-
dingt darin besteht, mehr Sparen zu fördern. Tatsächlich hat die steuerlich be-
günstigte Ersparnis den privaten Sektor wahrscheinlich dazu veranlasst, den
Wunsch zu hegen, NETTO-Sparer zu sein. Unter diesen Bedingungen muss der öf-
fentliche Sektor ein Defizit ausweisen oder eine Deflation in Kauf nehmen.

1.9.3 Vollbeschäftigung und Preisstabilität

Es gibt eine sehr interessante finanzpolitische Option, die nicht in Betracht gezo-
gen wird, weil sie zu einem größeren Haushaltsdefizit führen könnte. Die Bundes-
regierung könnte jedem, der sich bewirbt, einen Arbeitsplatz zu einem festen
Lohn anbieten und das Defizit frei schwingen lassen. Dies würde per Definition
zu Vollbeschäftigung führen. Damit entfiele auch die Notwendigkeit von Gesetzen
wie Arbeitslosengeld und Mindestlohn.
Diese neue Klasse von Staatsbediensteten, die man als Zusatzbeschäftigte be-
zeichnen könnte, würde als automatischer Stabilisator fungieren, so wie es der-
zeit die Arbeitslosigkeit tut. Eine starke Wirtschaft mit steigenden Arbeitskosten
würde dazu führen, dass die Zusatzbeschäftigten ihren Arbeitsplatz bei der Regie-
rung verlassen, da der private Sektor sie mit höheren Löhnen lockt. (Der Staat
muss dies zulassen und darf die Löhne nicht erhöhen, um zu konkurrieren.)
Diese Reduzierung der Staatsausgaben ist eine systematische kontraktive fiskali-
sche Verzerrung. Wenn sich die Wirtschaft verlangsamt und Arbeitnehmer:innen
aus dem privaten Sektor entlassen werden, nehmen sie sofort eine zusätzliche Be-
schäftigung beim Staat an. Der daraus resultierende Anstieg der Staatsausgaben
ist eine expansive Tendenz. Solange die Regierung den Zusatzlohn nicht ändert,
wird er zum bestimmenden Faktor für die Währung – der Preis, um den sich die
Preise auf dem freien Markt im privaten Sektor entwickeln.
1.9 Zusätzliche Ausführungen 33

Eine Regierung, die Fiat-Geld verwendet, hat eine Preisgestaltungsmacht, die


sie vielleicht nicht versteht. Sobald die Regierung eine Steuer erhebt, benötigt
der private Sektor das Geld der Regierung, um die Steuer zu bezahlen. Das
herkömmliche Verständnis, dass der Staat Steuern erheben muss, um Geld zum
Ausgeben zu erhalten, gilt nicht für eine Fiat-Währung. Da der private Sektor das
Geld der Regierung braucht, um seinen steuerlichen Verpflichtungen nachzukom-
men, kann der Staat buchstäblich seinen Preis für das Geld, das er ausgibt, nen-
nen. In einer Marktwirtschaft ist es nur notwendig, einen Preis festzulegen und
den Rest dem Markt zu überlassen. Für dieses Beispiel schlage ich vor, den Preis
für die zusätzlichen Staatsbediensteten festzulegen.
Dies soll keine vollständige Analyse sein. Sie soll verdeutlichen, dass es fiskali-
sche Optionen gibt, die aus Angst vor Defiziten nicht in Betracht gezogen werden.

1.9.4 Besteuerung

Die Besteuerung ist Teil des Prozesses zur Beschaffung der von der Regierung
benötigten Mittel. Die Regierung hat eine unendliche Menge an Fiat-Währung, die
sie ausgeben kann. Steuern werden benötigt, um den privaten Sektor dazu zu
bringen, reale Waren und Dienstleistungen im Gegenzug für das Fiat-Geld zu tau-
schen, das er zur Zahlung der Steuern benötigt. Aus der Sicht des Staates gilt:
Preis mal Menge gleich Einnahmen.
Angesichts dessen können die sekundären Auswirkungen von Steuern nun
berücksichtigt werden, bevor eine Entscheidung über die Steuerstruktur gefallen
wird. Eine Umsatzsteuer hemmt Transaktionen, ebenso wie eine Einkommen-
steuer. Diese Tendenz, den Handel und die Transaktionen einzuschränken, wird
allgemein als nachteilig angesehen. Sie verringert die Tendenz, die Vorteile der
Spezialisierung der Arbeit und des komparativen Vorteils zu nutzen. Darüber hin-
aus bieten Transaktionssteuern hohe Belohnungen für eine erfolgreiche Umge-
hung und erfordern daher starke Vollzugsbehörden und schwere Strafen. Sie
führen auch zu massiven legalen Bemühungen, Geschäfte zu tätigen, ohne der
Steuer im Sinne des Gesetzes zu unterliegen. Hinzu kommen die Kosten für alle
Aufzeichnungen, die zur Einhaltung der Vorschriften erforderlich sind. Dies alles
sind reale wirtschaftliche Kosten von Transaktionssteuern.
Eine Immobiliensteuer ist eine interessante Alternative. Sie ist viel einfacher
durchzusetzen, sorgt für eine stabilere Nachfrage nach Staatsausgaben und schreckt
nicht vor Transaktionen ab. Sie kann progressiv gestaltet werden, wenn die Demo-
kratie dies wünscht.
Wie viel Geld man hat, ist vielleicht weniger wichtig als wie viel man ausgibt.
Dies ist keine übliche Überlegung. Aber Geld zu haben, verbraucht keine realen Res-
34 Kapitel 1 Soft Currency Economics

sourcen. Auch schließt die Anhäufung von nominalem Reichtum durch eine Person
die Anhäufung von nominalem Reichtum durch eine andere Person nicht aus, da
die verfügbare Geldmenge unendlich ist. Fiat-Geld ist nur eine Steuergutschrift.
Vielleicht sollten sich die Befürworter eines progressiven Steuersystems eher
Sorgen über den unverhältnismäßigen Verbrauch realer Ressourcen machen. An-
statt zu versuchen, das eigene Geld an der Quelle zu besteuern, könnten Luxus-
steuern erhoben werden, um übermäßigen Konsum zu verhindern (und nicht,
um Einnahmen zu erzielen). Der Erfolg der Luxussteuer sollte daran gemessen
werden, wie wenig Geld sie einbringt.

1.9.5 Außenhandel

Der Tenor der jüngsten Handelsgespräche macht deutlich, dass die moderne Welt
vergessen hat, dass die Exporte die Kosten der Importe sind. Unter einem Gold-
standard war jede Transaktion klarer definiert. Wenn man Autos importierte
und die mit Währung bezahlte, wurden die Autos in Gold umgetauscht. Autos
wurden importiert und Gold wurde exportiert. Mit dem Fiat-Geld wurde dies ge-
ändert. Wenn eine Nation Autos importiert und mit ihrer eigenen Fiat-Währung
bezahlt, werden zwar immer noch Autos importiert, aber es wird keine Ware ex-
portiert. Der Inhaber dieses Geldes hat eine sehr lose definierte Währung. In der
Tat kann der Inhaber einer Währung nur garantieren, dass er etwas von einem
willigen Verkäufer zu dessen Angebotspreis kaufen kann. Jedes Land, das einen
Handelsüberschuss erwirtschaftet, geht ein Risiko ein, das mit der Anhäufung
von Fiat-Devisen verbunden ist. Reale Waren und Dienstleistungen verlassen das
Land, das einen Überschuss erwirtschaftet, im Gegenzug für eine ungewisse Mög-
lichkeit in der Zukunft zu importieren. Das importierende Land erhält reale
Waren und Dienstleistungen und verpflichtet sich lediglich, später zu einem be-
liebigen Preis in andere Länder, die seine Währung halten, zu exportieren. Das
heißt, wenn die Vereinigten Staaten plötzlich eine Steuer auf Exporte erheben
würden, würde Japans Kaufkraft sinken.

1.9.6 Inflation vs. Preissteigerungen

Die Möglichkeit, dass es sich bei den höheren Preisen einfach um eine Ressour-
cenallokation durch den Markt und nicht um Inflation handelt, wurde kaum oder
gar nicht in Betracht gezogen.
Die Preise spiegeln die Indifferenzniveaus wider, wo sich Käufer:innen und
Verkäufer:innen treffen. Der Marktmechanismus ermöglicht es den Teilnehmer:
1.9 Zusätzliche Ausführungen 35

innen, ihre Käufe und Verkäufe zu jedem Preis zu tätigen, auf den sie sich einigen
können. Die Marktpreise ändern sich in der Regel ständig. Wenn zum Beispiel in
Brasilien eine Frostperiode herrscht, kann der Kaffeepreis steigen. Der höhere
Preis trägt der Übertragung des verbleibenden Kaffeeangebots von den Verkäu-
fer:innen auf die Käufer:innen Rechnung.
Steigende und fallende Preise müssen kein Inflationsproblem sein, sondern es
kann auch der Markt sein, der Ressourcen zuteilt. Inflation ist der Prozess, bei
dem die Regierung höhere Preise verursacht, indem sie mehr Geld schafft, entwe-
der direkt durch defizitäre Ausgaben oder indirekt, indem sie die Zinsen senkt
oder auf andere Weise die Kreditaufnahme fördert. Wenn zum Beispiel ein Man-
gel an Waren und Dienstleistungen zu höheren Preisen führt, kann eine Regierung
versuchen, ihren Wähler:innen zu helfen, mehr zu kaufen, indem sie ihnen mehr
Geld gibt. Natürlich bedeutet eine Knappheit, dass die gewünschten Produkte
nicht verfügbar sind. Mehr Geld erhöht nur den Preis. Wenn dies wiederum die
Regierung veranlasst, die verfügbare Geldmenge weiter zu erhöhen, ist eine Infla-
tionsspirale in Gang gesetzt worden. Die Institutionalisierung dieses Prozesses
wird als Indexierung bezeichnet.
Allein gelassen kann der Preis von Kaffee, Gold oder so ziemlich allem nach
oben, unten oder seitwärts gehen. Waren und Dienstleistungen durchlaufen Zyk-
len. In einem Jahr kann es eine Rekordernte geben, im nächsten eine Katastro-
phe. Öl kann in einem Jahrzehnt knapp sein, im nächsten aber im Überschuss
vorhanden. Es ist denkbar, dass es Jahre oder sogar Jahrzehnte gibt, in denen der
Verbraucherpreisindex um, sagen wir, 5 % wächst, ohne dass es eine echte Infla-
tion gibt. Es kann sein, dass es weniger Güter gibt und der Markt sie dem Meist-
bietenden zuteilt.
Wenn die Wirtschaft expandiert und die Bevölkerung zunimmt, werden ei-
nige Güter mit relativ festem Angebot im Vergleich zu Gütern mit allgemeinem
Angebot an Wert gewinnen. Insbesondere Gold, Immobilien am Wasser und die
Bezüge von Filmstars werden wahrscheinlich im Vergleich zu Computern, Uhren
und anderen elektronischen Geräten an Wert gewinnen.
Wenn die Fed beschließen sollte, die Wirtschaft über den Goldpreis zu steuern,
würde sie auf einen Anstieg des Goldpreises mit höheren Zinssätzen reagieren. Der
Zweck wäre, die Kreditvergabe zu erschweren und damit die Geldschöpfung zu
verringern. In der Tat würde die Fed versuchen, die Geldmenge, die wir alle haben,
zu reduzieren, um den Goldpreis niedrig zu halten. Dies könnte dann die Nachfrage
nach allen anderen Waren und Dienstleistungen dämpfen, auch wenn diese im
Überschuss vorhanden sind. Durch die Anhebung der Zinssätze sagt die Fed, dass
es zu viel Geld in der Wirtschaft gibt und das ein Problem ist.
Vermutlich ist es von Vorteil, sich an Gold, dem Verbraucherpreisindex oder
einem anderen Index zu orientieren, anstatt das Geld in Ruhe zu lassen und dem
36 Kapitel 1 Soft Currency Economics

Markt die Preisbildung zu überlassen. Die Zinssätze können zu niedrig sein und
zu einer übermäßigen Geldschöpfung im Verhältnis zu den zum Verkauf stehen-
den Waren und Dienstleistungen führen. Andererseits können höhere Rohstoff-
preise das normale Auf und Ab auf den Märkten für diese Güter darstellen.
Sollte es aufgrund der veränderten Angebotsdynamik tatsächlich zu einem
Preisanstieg kommen, so könnte die Politik der Fed, die Geldmenge zu beschrän-
ken, zu einer ernsthaften Verlangsamung führen, die nicht eingetreten wäre,
wenn sie die Zinssätze unverändert gelassen hätte.

1.10 Schlussfolgerung

Die vermeintlichen technischen und finanziellen Grenzen, die der Bundeshaus-


halt bezüglich des Defizits und der Staatsschulden setzt, sind ein Überbleibsel
des Warengeldes. In dem heutigen Fiatgeldwährungssystem gibt es keine sol-
chen Beschränkungen. Das Konzept einer finanziellen Begrenzung der Höhe der
unversteuerten Bundesausgaben (Geldschöpfung/Defizitausgaben) ist falsch. Die
früheren Beschränkungen, die durch den Goldstandard auferlegt wurden, gibt
es seit 1971 nicht mehr. Das soll nicht heißen, dass Defizitausgaben keine wirt-
schaftlichen Folgen haben. Es bedeutet vielmehr, dass die gesamte Bandbreite
der finanzpolitischen Optionen auf der Grundlage ihrer wirtschaftlichen Aus-
wirkungen und nicht auf der Grundlage imaginärer finanzieller Beschränkun-
gen geprüft und bewertet werden sollte. Die aktuelle makroökonomische Politik
kann sich darauf konzentrieren, wie die produktiven Ressourcen des Landes
besser genutzt werden können. Echte Überkapazitäten sind ein leicht zu lösen-
des Problem. Wir können es uns leisten, ungenutzte Ressourcen zu nutzen.
Überholte Wirtschaftsmodelle haben uns daran gehindert, uns mit den wirkli-
chen Problemen zu befassen. Unsere Aufmerksamkeit wurde von Fragen, die reale
wirtschaftliche Auswirkungen haben, auf bedeutungslose Fragen der Buchhaltung
gelenkt. Diskussionen über Einkommen, Inflation und Arbeitslosigkeit wurden von
der Staatsverschuldung und dem Defizit überschattet. Die Bandbreite möglicher po-
litischer Maßnahmen wurde unnötig eingeschränkt. Das falsche Denken über das
Staatsdefizit hat dazu geführt, dass die politischen Entscheidungsträger nicht bereit
sind, Maßnahmen zu erörtern, die zu einer Erhöhung der Staatsverschuldung füh-
ren könnten. Gleichzeitig erhöhen sie die Sparanreize, welche einen weiteren Be-
darf für diese unerwünschten Defizite schaffen.
Die großen wirtschaftlichen Probleme, vor denen die Vereinigten Staaten
heute stehen, sind nicht extrem. Nur ein falsches Verständnis von Geld und Buch-
haltung hält die Amerikaner davon ab, eine höhere Lebensqualität zu erreichen,
die ohne weiteres möglich ist.
1.11 Das Goldsystem als Grundlage für Bankreserven 37

Anhang: Das U.S.-Bankensystem

1.11 Das Goldsystem als Grundlage für Bankreserven

Der Goldstandard wurde in den USA im Jahr 1834 eingeführt. Bei einem Goldstan-
dard wird der Goldpreis in Form des Dollars festgelegt. Der Dollar wurde als 23,22
Feinkorn Gold definiert. Bei 480 Grains pro Feinunze entsprach dies einem Preis
von 20,67 Dollar pro Unze. Die Währungsbehörde war dann verpflichtet, den
Münzpreis des Goldes zu fixieren, indem sie bereit war, Gold in unbegrenzter
Menge zu kaufen oder zu verkaufen.
Der Goldstandard wurde von 1861 bis 1879 wegen des Bürgerkriegs ausge-
setzt. Die Variante, die in den USA von 1880 bis 1914 vorherrschte, war ein Gold-
münzstandard mit Mindestreserve. Bei diesem Standard zirkulierten sowohl von
der Regierung ausgegebene Banknoten als auch die von den Geschäftsbanken
ausgegebenen Banknoten (auch Einlagen) neben den Goldmünzen. Jede dieser
Währungsformen war auf Verlangen in Gold konvertierbar. Zur Aufrechterhal-
tung der Konvertibilität wurden von den Emittenten Goldreserven gehalten.
1934 wertete der Gold Reserve Act den Dollar ab, indem er den Goldpreis von
20,67 $ auf 35,00 $ pro Unze erhöhte. Das Gesetz setzte die USA auf einen begrenz-
ten Goldbarrenstandard, bei dem die Rückzahlung in Gold auf Werte, die von aus-
ländischen Zentralbanken und zugelassenen privaten Nutzern gehalten werden,
beschränkt.
Bei einem inländischen Währungsstandard regulierten die Goldreserven die in-
ländische Geldmenge. In einem Teil-Goldstandard wurde die Geldmenge durch den
monetären Goldbestand und das Verhältnis zwischen dem monetären Goldbestand
und der Gesamtgeldmenge bestimmt, die sich aus Goldmünzen, Treuhandnoten
und Bankeinlagen zusammensetzte. Dementsprechend wurde die Geldschöpfung
durch die Höhe der Goldreserven bestimmt. Die Höhe der Bankeinlagen hing ab
von 1. der Höhe der Goldreserven der Geschäftsbanken und der Zentralbank, 2. der
Präferenz der Öffentlichkeit für Goldmünzen gegenüber anderen Geldformen und
3. dem gesetzlichen Goldreservesatz.
Die Hauptattraktion von Gold als Grundlage für ein Geldsystem besteht darin,
dass sein Angebot begrenzt ist oder zumindest langsam zunimmt, während Fiatgeld
nur durch die Urteile vermutlich fehlbarer Menschen begrenzt ist. Während der
Goldstandard in Laufe eines Großteils seiner Zeit als vorherrschender Weltwäh-
rungsstandard einen stabilen monetären Rahmen bildete, ist der Goldstandard
selbst nicht immun gegen Probleme der Inflation und Deflation. So könnte bei-
spielsweise ein Anstieg des Goldangebots infolge eines größeren Goldfundes zu
Preissteigerungen und Störungen auf den Finanzmärkten führen.
38 Kapitel 1 Soft Currency Economics

Nach den Regeln und Vorschriften des Goldstandards bildete Gold die ultimative
Grenze für die Ausweitung der Bankreserven und der Versorgung mit Banknoten
der Federal Reserve. Gold bildete die Obergrenze für die Verbindlichkeiten der Fe-
deral Reserve Banken. Im Jahr 1963 beispielsweise durften die Banknoten- und
Einlagenverbindlichkeiten der Federal Reserve Banken das Vierfache ihrer Bestände
an Goldzertifikaten nicht überschreiten. Das ist eine besondere Form von Währung,
die zu 100 % durch Gold gedeckt ist, welches sich in den Tresoren des Finanzministe-
riums in Fort Knox in Kentucky befindet. Wenn die Gesamtverbindlichkeiten der Fe-
deral Reserve Bank 50 Milliarden Dollar betragen würden, müssten mindestens 12,5
Milliarden Dollar davon in Goldzertifikaten bestehen. Würde die Fed die Obergrenze
erreichen, könnte sie per Saldo keine Staatspapiere mehr ankaufen oder die Kredite
an die Mitgliedsbanken erhöhen. Dies würde bedeuten, dass die Bankreserven nicht
mehr steigen könnten und sogar schrumpfen, wenn die Öffentlichkeit mehr Geld hal-
ten wolle. In diesem Fall wäre die Obergrenze der Geldmenge erreicht worden.
Wenn eine weitere Erhöhung der Geldmenge wünschenswert erschien, hatte die Fed
zwei Möglichkeiten. Erstens konnte die Federal Reserve die Anforderungen an die
Banken senken, so dass die Banken bei gleichem Volumen an Reserven größere Sum-
men verleihen konnten. Zweitens konnte der Gouverneursrat des Federal Reserve
System die 25-prozentige Mindestreservepflicht für Goldzertifikate aussetzen.
Die tatsächliche Bewegung von Gold in das und aus dem Schatzamt war auf-
grund des Status von Gold als Währungsstandard ein einzigartiger Prozess. Eine
Beschreibung des Verfahrens zum Erwerb von Gold erklärt, wie Goldzertifikate
ihren Weg in die Federal Reserve Banks fanden. Der Begriff „monetarisieren“ be-
deutet, dass das Schatzamt einfach neues Geld schafft, wenn es Gold erwirbt.
Wenn das Finanzministerium einen Goldbarren aus einer Goldmine kaufen wollte,
druckte es ein Goldzertifikat.
Bei der eigentlichen Monetarisierung von Gold kauft das Finanzministerium
das Gold von einer Goldmine. Die Goldbarren werden dann nach Fort Knox gelie-
fert, wobei die Regierung durch die Ausstellung eines Schecks bezahlt. Die Gold-
mine hinterlegt den Scheck bei ihrer Geschäftsbank. Die Geschäftsbank wiederum
schickt den Scheck an die Federal Reserve Bank, um ihn dort auf ihr Reservekonto
einzuzahlen. Die Reserve Bank verringert dann den Saldo des Schatzamtes um den
Scheckbetrag. Die ursprüngliche Ausgabe der Regierung hat das Konto der Gold-
mine erhöht, ohne ein anderes privates Konto im Geschäftsbankensystem zu ver-
ringern, und die Geschäftsbank hat Reserven gewonnen, während keine andere
Bank Reserven verloren hat. In der Tat wurde das Guthaben des Schatzamtes bei
der Bundesbank auf eine Geschäftsbank verlagert. Sowohl die Geldmenge als auch
die Reserven der Geschäftsbanken wurden erhöht.
Beachten Sie, dass diese Art von Staatsausgaben, die die Reserven und die Geld-
menge erhöhen, nur beim Kauf von Gold im Rahmen eines Goldstandards möglich
1.12 Mindestreserveanforderungen, Geschichte, Begründung, aktuelle Praxis 39

ist. Wenn die Regierung etwas anderes als Gold kauft, muss sie sozusagen Geld auf
der Bank haben, um es zu bezahlen. Das Geld, das die Regierung für Raketen, Ze-
ment, Büroklammern oder das Gehalt des Präsidenten ausgibt, muss durch Besteue-
rung oder durch Kreditaufnahme aufgebracht werden. Der Regierung ist es, wie
allen anderen auch, untersagt, einfach Geld zu drucken, um die Dinge zu bezahlen,
die sie kauft. Wenn die Regierung anderen Gütern die Rolle zuweisen würde, die
Gold innehat, dann würde die Regierung nur Zement oder Büroklammern erwer-
ben, indem sie Zementzertifikate oder Büroklammerzertifikate druckt. Alles andere,
wofür der Staat Geld ausgibt, wird durch Steuern oder Kreditaufnahme gedeckt.
Daher werden die Ausgaben des Staates auf seinem Konto bei der Fed ständig
durch Steuereinnahmen oder Einnahmen aus der Emission von Wertpapieren
ausgeglichen.

1.12 Mindestreserveanforderungen, Geschichte,


Begründung, aktuelle Praxis
Gesetze, die Banken und andere Einlageninstitute dazu verpflichten, einen bestimm-
ten Teil ihrer Einlagen als Reserve in sehr sicheren Vermögenswerten zu halten,
sind seit 1863, also lange vor der Gründung des Federal Reserve System in 1913, Be-
standteil des amerikanischen Bankensystems. Bevor es die Fed gab, sollten die
Mindestreserveanforderungen die Liquidität von Banknoten und Einlagen sicher-
stellen. Doch als es immer wieder zu bank runs und Finanzpaniken kam, wurde
deutlich, dass die Mindestreserveanforderungen keine Liquidität garantierten. Mit
der Gründung des Federal Reserve System als Kreditgeber der letzten Instanz ver-
schwand die Vorstellung von Mindestreserveanforderungen als Liquiditätsquelle
vollständig.
Seit 1913 werden mit der Mindestreservepflicht vor allem zwei Aufgaben ver-
bunden: die Kontrolle der Geldmenge und eine Einnahmequelle für das Finanzmi-
nisterium. Die Federal Reserve hat die Mindestreserveanforderungen als einen
Mechanismus zur Stabilisierung der Geldmenge betrachtet. Die Fed hat versucht,
die Mindestreserveanforderungen als Teil des Prozesses zur Kontrolle der Geld-
menge festzulegen. Das Ziel der Fed ist das Angebot an Reserven zu kontrollieren.
Nach der auf dem Goldstandard basierenden Theorie sollte eine Erhöhung der dem
Bankensystem zur Verfügung gestellten Reserven mit einem Anstieg der reservenge-
deckten Einlagen in einer Höhe einhergehen, die ein Vielfaches der Erhöhung der
Reserven beträgt. (Heute jedoch vergeben die Banken Kredite unabhängig von ihrer
Reservenposition. Auf diese kritische Abweichung wird später noch eingegangen.)
Die Mindestreserveanforderungen führen auch zu einer impliziten Steuer für
die Banken, da die bei der Fed gehaltenen Reserven nicht verzinst werden. Daher
40 Kapitel 1 Soft Currency Economics

verringern die Mindestreserveanforderungen die Erträge der Mitgliedsbanken. Die


Belastung durch eine bestimmte Höhe der Mindestreservepflicht hängt stark von
der Höhe der nominalen Zinssätze ab: je höher die Zinssätze, desto größer die ent-
gangenen Erträge. Die Höhe der Mindestreservesteuer war in den letzten Jahren
sehr unterschiedlich. Als der Nominalzins Anfang der 80er Jahre auf über 10 % an-
stieg, beliefen sich die entgangenen Zinsen auf 4 Milliarden Dollar pro Jahr. Im vier-
ten Quartal 1992 lag die effektive Steuer bei 700 Millionen Dollar pro Jahr. Obwohl
der Betrag der Mindestreservesteuer in den letzten Jahren zurückgegangen ist, da
die nominalen Zinssätze gesunken sind, hängen die Auswirkungen der Mindestre-
serve-Steuer eher vom effektiven Steuersatz als vom Gesamtbetrag ab. Je höher der
effektive Steuersatz der Banken ist, desto geringer ist die Nettorendite der Kredite.
Die grundlegende Steuertheorie besagt, dass der Preis, den die Nachfrager:innen
eines Produkts zahlen, umso höher ist, je höher der Steuersatz auf die Produktion
dieses Produkts ist, und dass der Preis, den die Anbieter:innen dieses Produkts erhal-
ten, umso niedriger ist. Die Steuern treiben einen Keil zwischen den gezahlten und
den erhaltenen Preisen. Die Kreditnehmer:innen zahlen mehr und die Banken erhal-
ten weniger für Kredite. Ein einfacher Weg, auf dem die Fed die Reservesteuer für
Banken abschaffen könnte, wäre das Zahlen von Zinsen für Reserven. Wenn die Fed
einen marktbasierten Zinssatz auf die vorgeschriebenen Reserveguthaben zahlen
würde, würde die Reservesteuer im Wesentlichen beseitigt. Ebenso würde Verzer-
rung durch die Steuer auf die Ressourcenallokation verschwinden. In der Vergangen-
heit sind Vorschläge zur Verzinsung von Mindestreserveguthaben auf Widerstand
gestoßen, weil sie die von der Fed an das Finanzministerium überwiesenen Erträge
verringern würden.
Die Reservesteuer hat schon immer von einer Mitgliedschaft im Federal Re-
serve System abgehalten. Um die Belastung durch die Steuer zu verringern, wurde
ein Gesetz erlassen, das es Banken erlaubt, ihre Mindestreservepflicht mit Tresor-
geld zu erfüllen. Diese Änderung wurde ab Dezember 1959 schrittweise eingeführt.
Ende 1992 wurden 56 Prozent der erforderlichen Mindestreserveguthaben in Form
von Tresorgeld gehalten. Trotz der Bemühungen des Federal Reserve System ging
die Zahl der Mitglieder stetig zurück. Im Jahr 1959 entfielen etwa 85 Prozent aller
Transaktionseinlagen auf die Mitgliedsbanken. Bis 1980 war der Anteil der Transak-
tionseinlagen bei Mitgliedsbanken auf weniger als 65 Prozent gesunken.
Als Reaktion auf die sinkende Mitgliederzahl bemühte sich die Fed um andere
Änderungen als die Abschaffung der Mindestreservesteuer, um zu verhindern,
dass der Mitgliederschwund die Wirksamkeit der Geldpolitik weiter untergräbt. Im
Jahr 1980 verabschiedete der Kongress ein Gesetz zur Reform der Mindestreserve-
vorschriften. Mit dem Monetary Control Act von 1980 wurde die Festsetzung der
Mindestreserveanforderungen durch die Federal Reserve für alle Einlageninstitute,
1.13 Das Diskontfenster: Geschichte und Funktionsweise 41

unabhängig von ihrem Mitgliedsstatus eingeführt. Mit dem Gesetz wurde auch der
Zeitplan für die Mindestreservepflicht vereinfacht.

1.13 Das Diskontfenster: Geschichte und Funktionsweise

Die Rolle des Diskontfensters änderte sich zwischen der Gründung der Federal Re-
serve Bank im Jahr 1913 und den 1930er Jahren erheblich, als Offenmarktgeschäfte
allmählich die Anleihen des Diskontfensters als Hauptquelle für Kredite der Fe-
deral Reserve ersetzte. Zwischen 1934 und 1950 wurde das Diskontfenster dann
nicht mehr genutzt. Seit der Gründung der Fed legt die Verordnung A [Regulation
A] die Verfahren fest, die die Banken einhalten müssen, um Zugang zum Diskont-
fenster zu erhalten. Die Zentralbank kann Einlageninstituten entweder in Form
von Vorschüssen, die durch Wertpapiere der US-Regierung besichert sind, oder
durch die Diskontierung von Papieren akzeptabler Qualität wie Hypothekenpfand-
briefen, Wertpapieren von Gebietskörperschaften und unbesicherte Inhaberschuld-
verschreibungen Kredite gewähren. Der Zinssatz auf Kredite von Federal Reserve
Banken an Einlageninstitute wird von der Fed administrativ festgelegt. Das
Board of Governors initiiert einen Diskontsatz und die 12 regionalen Federal Re-
serve Banks setzen ihn innerhalb von zwei Wochen durch. Obwohl wir von
einem Diskontsatz sprechen, gibt es tatsächlich mehrere Sätze, die von den von
Kreditnehmer:innen angebotenen Sicherheiten abhängen. Der Vorstand jeder
Federal Reserve Bank legt seine Diskontsätze vorbehaltlich der Genehmigung
durch den Rat der Gouverneure fest. Seit den 1950er Jahren rät die Fed erklär-
termaßen davon ab, sich dauerhaft auf Kredite zu verlassen. Die Kreditauf-
nahme am Diskontfenster soll nur einen bescheidenen Anteil an den gesamten
Reserven ausmachen. Der tatsächliche Betrag der geliehenen Reserven ist der
Gesamtbetrag der von den Banken geforderten Reserven abzüglich des Betrags
der nicht ausgeliehenen Reserven, die von der Fed durch Offenmarktgeschäfte
bereitgestellt werden. Offiziell bezeichnet die Fed das Diskontfenster als ein Si-
cherheitsventil. Es dient als eine vorübergehende Quelle von Ressourcen, wenn
diese Ressourcen nicht ohne weiteres aus anderen Quellen verfügbar sind. Das
Diskontfenster ist einfach ein Mittel zur Deckung des Reservebedarfs des Ban-
kensystems. Es sind dieselben Reserven, die durch Offenmarktgeschäfte bereit-
gestellt werden, aber zu einem etwas anderen Preis und in einer etwas anderen
Verpackung. Sowohl in der 1980er als auch in der 1990er Fassung der Verord-
nung A heißt es als allgemeine Anforderung, dass „Kredite der Federal Reserve
nicht ein Ersatz für Kapital“ sind. Aber die ganze Zeit hat die Politik der Fed die
Höhe der Kreditaufnahme bestimmt. Soweit der unmittelbare Bedarf an Wäh-
rungsreserven nicht durch Käufe am offenen Markt gedeckt wird, muss er über
42 Kapitel 1 Soft Currency Economics

das Diskontfenster gedeckt werden. In diesem Zusammenhang besteht die Auf-


gabe des Diskontfensters in der Deckung des bekannten Reservebedarfs.
Im Laufe ihrer Geschichte hat die Fed das Diskontfenster für weit mehr als den
angegebenen Zweck genutzt. Um den Finanzierungsbedarf des Schatzamtes im Ers-
ten Weltkrieg zu decken, wurden die Zentralbanken ermächtigt, direkt besicherte
Kredite an Mitgliedsbanken zu vergeben. Eine kontinuierliche Kreditaufnahme über
Jahre hinweg war in den 1920er Jahren keine Seltenheit. Die Verfügbarkeit des Dis-
kontfensters wurde 1932 durch den Emergency Relief and Construction Act erweitert.
Das Gesetz öffnete das Diskontfenster den Akteuren, die keine Banken sind. Es er-
laubte den Zentralbanken, Kredite an Einzelpersonen, Personengesellschaften und
Unternehmen zu vergeben, die keine andere Quelle für Geldmittel oder Banknoten
zur Diskontierung bei Mitgliedsbanken hatten. Das Gesetz vom 19. Juni 1934 ermäch-
tigte die Zentralbanken, Vorschüsse an etablierte Handels- oder Industrieunterneh-
men zur Bereitstellung von Betriebskapital zu gewähren, wenn der Kreditnehmer
nicht in der Lage war, Unterstützung aus den üblichen Quellen zu erhalten. Es ist un-
klar, ob das Gesetz Auswirkungen auf die Nettokreditvergabe hatte. Im Wesentlichen
wurden die Federal Reserve Banks ermächtigt, Kredite im Namen der Steuerzahler:
innen zu vergeben. Wenn eine Federal Reserve Bank einen direkten Unternehmens-
kredit vergab, führte dies zu einer neuen Einlage im Bankensystem. Die neue Einlage
führte zu zusätzlichen Bankreserven, die zum Kauf von Staatsanleihen von der Fed
verwendet werden konnten. Die Nettoveränderung in der Bilanz des Bankensys-
tems bestand in einer Zunahme der Einlagen, die durch eine Zunahme der Staatsan-
leihen ausgeglichen wurde. Die Reserve Banks gewährten und kofinanzierten
weiterhin Betriebsmittelkredite für die Industrie, bis die Genehmigung dazu
durch den Small Business Investment Act von 1958 aufgehoben wurde.
Seit den 1980er Jahren stellt die Kreditvergabe der Federal Reserve an Insti-
tute mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einer kurzfristigen Insolvenz eine we-
sentliche Abweichung von ihrem historischen Auftrag dar, Kredite an illiquide,
aber nicht an insolvente Banken zu vergeben. Eine Studie, die auf Ersuchen des
Bankenausschusses des Repräsentantenhauses durchgeführt wurde, sammelte
Daten über alle Einlageninstitute, die vom 1. Januar 1985 bis zum 10. Mai 1991 Mit-
tel aus dem Diskontfenster aufgenommen haben. Die Aufsichtsbehörden stufen
die Banken nach ihrer Leistung auf einer Skala von 1 bis 5 ein. Die Noten basieren
auf fünf Kriterien, die unter dem Akronym CAMEL bekannt sind: adäquates Kapi-
tal, Qualität der Aktiva, Management, Erträge und Liquidität. Die Federal Reserve
berichtete, dass von 530 Kreditnehmern, die innerhalb von drei Jahren nach Be-
ginn ihrer Kreditaufnahme ausfielen, 437 mit einem CAMEL-Rating von 5, der
schlechtesten Bewertung, als besonders problematisch eingestuft wurden; 51 Kre-
ditnehmer hatten die nächstniedrigere Bewertung, CAMEL 4. Zum Zeitpunkt des
Konkurses hatten 60 Prozent der Kreditnehmer ausstehende Diskontfenster-
1.15 Offenmarktgeschäfte: Wie die Fed dem Bankensystem Reserven 43

Kredite. Diese Kredite wurden fast täglich an Institute mit hoher Insolvenzwahr-
scheinlichkeit vergeben.
Die Nutzung des Diskontfensters durch die Fed hat sich ausgeweitet und deckt
nun ein breites Spektrum des Reservebedarf ab. Die Häufigkeit der Inanspruch-
nahme des Diskontfensters unterliegt keinen ausdrücklichen Beschränkungen. Die
Banken, die das Diskontfenster in Anspruch nehmen, müssen keine Finanzkraft-
standards erfüllen. Das De-facto-Kriterium für die Inanspruchnahme des Diskont-
fensterdarlehens ist einfach der Bedarf. Die Erfahrung hat immer wieder gezeigt,
dass die Fed eine Bank nicht in Konkurs gehen lässt, wenn eine Bank einen Kredit
benötigt, um ihr Mindestreserve-Soll zu erfüllen. Die Kosten für die Aufnahme von
Diskontkrediten können erheblich schwanken, wenn sich der Diskontsatz ändert
und wenn sich die Verwaltungskosten und/oder Strafgebühren ändern. Dennoch
bleibt das Diskontfenster für den Reservebedarf jeder Bank zugänglich.
Der Anteil der Fremdwährungsreserven an den gesamten Reserven der Fed
beträgt seit 1986 weniger als 1 %. Seit 1950 schwankte der Anteil der geliehenen
Reserven an den gesamten Reserven von nahezu Null bis zu 6,5 Prozent. Die Ban-
kenzusammenbrüche Mitte der achtziger Jahre haben das Bewusstsein der Öf-
fentlichkeit für die Kreditaufnahme über das Diskontfenster geschärft. Es wurde
als Zeichen – ob zutreffend oder nicht – von finanzieller Schwäche gewertet.
Dementsprechend sind Banken zögerlicher geworden, das Fenster zu nutzen, um
ihrem Ruf nicht zu schaden.

1.14 Nichterfüllung der Mindestreservepflicht

Eine andere Form von geliehenen Reserven tritt auf, wenn eine Bank ein Reser-
vefehlbetrag hat. Wenn eine Bank ihr Mindestreserve-Soll nicht erfüllt, muss sie
eine Mindestreserve-Gebühr entrichten. Die regionalen Zentralbanken sind be-
fugt, Gebühren in Höhe von 2 % über dem Diskontsatz zu erheben. Auf diese
Weise bietet die Fed den Banken, die nicht in der Lage sind, die erforderlichen
Reserven über den Fed-Funds-Markt oder das Diskontfenster zu beschaffen, eine
dritte, kleinere Quelle für Reserven an.

1.15 Offenmarktgeschäfte: Wie die Fed dem Bankensystem


Reserven zur Verfügung stellt

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie die Fed dem Bankensystem zusätzliche Reserven
zur Verfügung stellen kann: 1. sie kann der Bank über das Diskontfenster Kredite
gewähren oder 2. sie kann Staatsanleihen kaufen.
44 Kapitel 1 Soft Currency Economics

Angenommen, die Fed gewährt der First National Bank einen Diskontkredit in
Höhe von 100 $. Sobald die Fed das Darlehen gewährt, schreibt sie den Erlös aus dem
Darlehen sofort dem Konto der First National Bank bei der Fed gut. Die Reserven der
Bank steigen um 100 Dollar, während ihre Kredite bei der Fed um 100 $ zunehmen.
Wenn die Fed Wertpapiere kauft, erhöht sie die Reserven. Angenommen, die Fed
kauft von der First National Bank Anleihen im Wert von 100 $ und bezahlt sie mit
einem auf die New Yorker Federal Reserve Bank ausgestellten Scheck. Die First Natio-
nal Bank reicht dann den Scheck bei der Fed ein, und er wird dem Reservekonto der
First National Bank gutgeschrieben. Das Nettoergebnis des Offenmarktgeschäfts in
der Bilanz der First National Bank besteht darin, dass sie ihren Wertpapierbestand
um 100 $ verringert und gleichzeitig 100 $ an Reserven gewonnen hat.
Wenn die Fed ihre Reserven verringert, d. h. überschüssige Reserven abbauen
möchte, verkauft sie Staatsanleihen. Wenn die Fed Anleihen im Wert von 100 Dollar
an eine Bank oder an das Nichtbankenpublikum verkauft, sinken die Reserven um
100 Dollar. Wenn die Fed beispielsweise eine Anleihe an eine Privatperson verkauft,
verringert der Scheck, den diese Person an die Fed ausstellt, seine Einlagen bei seiner
Bank um 100 $, wodurch sich die Reserven der jeweiligen Bank um 100 $ verringern.
Der Einzelne fügt seinem Vermögen 100 $ an Staatsanleihen hinzu und zieht 100 $
an Einlagen ab. Das Bankensystem verliert 100 $ an Reserven.

1.16 Der Fed-Funds-Markt

Über den Fed-Funds-Markt können sich Banken Geld von anderen Banken oder an-
deren Kreditgebern wie US-Regierungsstellen, Spar- und Darlehenskassen, Sparkas-
sen auf Gegenseitigkeit oder einer Agentur oder Zweigstelle einer ausländischen
Bank beschaffen. Sogenannte federal funds sind ungesicherte Bankkredite. Federal
funds gehören nicht der Bundesregierung, wie der Name vermuten lassen könnte.
Federal funds unterliegen nicht der Mindestreservepflicht, sondern sind Reserven,
die zwischen Finanzinstituten gehandelt werden.
Mitgliedsbanken verfügen über Reserven bei der Fed, die auch als sofort verfüg-
bare Mittel bezeichnet werden, da sie fast sofort über Fedwire übertragen werden
können. Fedwire ist das System der Federal Reserve, mit dem Geld und Wertpapiere
elektronisch über ihr Kommunikationsnetz übertragen werden. Geld und Wertpa-
piere sind nichts anderes als Buchhaltungsdaten. Eine Bank kann auf ihr Konto bei
ihrer Reserve Bank zugreifen, um Gelder oder Wertpapiere an jedes andere Einla-
geninstitut zu übertragen, das ein Konto bei der Zentralbank hat. Wenn Banken fe-
deral funds ausleihen, leihen sie sich eigentlich Einlagen von anderen Banken. Die
Übertragung von federal funds erhöht die Einlagen bei der kreditnehmenden Bank
und verringert die Einlagen bei der kreditgebenden Bank. Die meisten federal funds-
1.17 Der Markt für Rückkaufsvereinbarungen (Repos) 45

Kredite werden für einen Tag aufgenommen, d. h. es handelt sich im Wesentlichen


um unbesicherte Ein-Tages-Kredite.
Banken könnten sich Mittel durch den Verkauf von Staatsanleihen beschaffen,
entweder direkt oder als reverse repos, aber für einen Tag oder ein paar Tage sind
solche Verkäufe weniger bequem und etwas teurer als federal funds. Unabhängig
davon, auf welche Weise die Mittel beschafft werden, können die Bankreserven
einfach von einer Bank zur anderen übertragen werden. Interbankentransaktionen
verändern zwar die Verteilung der Reserven, nicht aber den Gesamtbetrag der im
Bankensystem gehaltenen Reserven.
Die Banken können sich auf dem federal funds-Markt Mittel beschaffen, um
ihr Mindestreserve-Soll zu erfüllen. Sie haben untereinander Kreditlinien, um di-
rekte Geldtransfers durchführen zu können. Es ist bekannt, dass Banken kontinu-
ierlich und über ihr Mindestreserve-Soll hinaus federal funds leihen, wenn dies
rentabel ist. Banken können sich nämlich über ihr Mindestreserve-Soll hinaus
Geld leihen und die geliehenen Mittel mit höheren Zinssätzen verleihen, als es
kostet zu leihen. Die Differenz zwischen den Kosten einer Bank Geld zu beschaf-
fen und die erwartete Rendite der Kredite bestimmen die Bereitschaft, Kredite zu
vergeben. Die Kosten für das Geld bestimmen die Kosten für Kredite und damit
die Nachfrage nach Krediten.

1.17 Der Markt für Rückkaufsvereinbarungen (Repos)

Der Transfer von Geldern wird auch durch den Markt für Pensionsgeschäfte er-
leichtert (der Repo-Markt). Banken nutzen Repo-Geschäfte, um sich kurzfristig
Geldmittel zu beschaffen oder als Mittel zur sehr kurzfristigen Anlage von Gel-
dern genutzt. Banken sind dann die vorübergehenden Empfänger der Mittel,
während andere Banken oder die Fed Mittel bereitstellen. Repo-Geschäfte sind
recht flexibel; sie können für einen Tag ausgestellt werden. Sie können aber auch
laufende Verträge sein. Bei einem Overnight-Repo-Geschäft wird ein Wertpapier,
z. B. ein US-Schatzwechsel, von einer Bank gekauft, die sich bereit erklärt das
Wertpapier am nächsten Tag zum gleichen Preis zuzüglich Zinsen zurückzukau-
fen. Sozusagen, gewährt die „Käuferin“ bzw. der „Käufer“ der Bank einen Kredit.
Rückkaufsvereinbarungen können auch von Unternehmen oder Privatperso-
nen abgeschlossen werden. Zum Beispiel kann ein großes Unternehmen wie Ge-
neral Motors über einige ungenutzte Guthaben auf seinem Bankkonto verfügen,
z. B. 1 Million Dollar, die es über Nacht verleihen möchte. GM verwendet diese
überschüssigen 1 Mio. $, um Schatzwechsel von einer Bank zu kaufen, die sich
bereit erklärt, diese am nächsten Morgen zu einem Preis zurückzukaufen, der ge-
ringfügig über dem Kaufpreis von GM liegt. Diese Vereinbarung hat zur Folge,
46 Kapitel 1 Soft Currency Economics

dass GM der Bank ein Darlehen in Höhe von 1 Mio. $ gewährt und 1 Mio. $ an
Schatzanweisungen der Bank hält, bis die Bank die Anweisungen zurückkauft,
um das Darlehen zu tilgen. Geschäftsbanken bieten Firmenkunden oft Sweep-
Konten an, die Einlagen automatisch in Pensionsgeschäfte investieren. Obwohl
das Girokonto gesetzlich keine Zinsen zahlt, erhält die Gesellschaft Zinsen auf die
Guthaben, die für die Ausstellung von Schecks zur Verfügung stehen.
Seit 1969 haben sich Pensionsgeschäfte zu einer wichtigen Finanzierungsquelle
für Banken entwickelt. Das Volumen der Repo-Geschäfte übersteigt 140 Milliarden
Dollar. Die Zinsen für Repo-Geschäfte richten sich nicht nach den Zinsen für die als
Sicherheit dienenden Schatzwechsel, sondern nach den Zinsen auf dem Markt für
Repo-Geschäfte, der eng mit dem Satz für federal funds verbunden ist. Da Repo-
Geschäfte mit Sicherheiten ausgestattet sind, Bundesanleihen aber nicht, ist der
Reposatz im Allgemeinen etwas niedriger als der Zinssatz für Bundesanleihen.
Während der Handel den Leitzins im Auge hat, werden die eigentlichen Of-
fenmarktgeschäfte auf dem Repo-Markt getätigt. Auf diese Weise kann die Fed
den Leitzins innerhalb einer relativ engen Bandbreite steuern.

1.18 Matched-Sale-Käufe

Matched-sale purchase transactions (MSPs) werden seit 1966 eingesetzt. MSPs, auch
als umgekehrte Repo-Geschäfte bekannt, ermöglichen es der Fed, Wertpapiere zu
verkaufen (sich Geld zu leihen) mit der Vereinbarung, sie innerhalb kurzer Zeit zu-
rückzukaufen (den Kredit zurückzuzahlen). Der Einsatz von MSPs wird wegen des
vorübergehenden Charakters des Marktes für Reserven gegenüber Direktverkäufen
und späteren Käufen bevorzugt. So kann es beispielsweise zu einem Anstieg des
Floats kommen, der die Reserven vorübergehend erhöht, wenn die Transportmög-
lichkeiten durch einen Schneesturm zum Erliegen kommen. Die überschüssigen Re-
serven können auch durch MSP vorübergehend abgebaut werden.

1.19 Die Fed auf dem Repo-Markt

Gelegentlich führt die Fed Offenmarktgeschäfte durch, indem sie direkte Käufe oder
Verkäufe von Wertpapieren durchführt. Diese direkten Transaktionen sind aber sel-
ten. Am Handelsschalter der New Yorker Fed, an dem die Offenmarktgeschäfte ab-
gewickelt werden, werden reine Wertpapiertransaktionen nur dann durchgeführt,
wenn eine dauerhafte Veränderung des Reservebedarfs festgestellt wird. Im Jahr
1992 wurde der Schalter nur sechsmal tätig, um Wertpapiere direkt zu kaufen.
1.19 Die Fed auf dem Repo-Markt 47

Normalerweise arrangiert der Trading Desk der New Yorker Fed selbst um-
kehrende Transaktionen zur Deckung des vorübergehenden Reservebedarfs. Der
größte Teil der Käufe erfolgt im Rahmen von Rückkaufsvereinbarungen auf dem
Repo-Markt. Während die meisten Wertpapierverkäufe der Fed über MSPs (auch
bekannt als Reverse Repos) abgewickelt werden, wobei sich die Fed verpflichtet,
diese Wertpapiere zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzukaufen. Wenn der
Leitzins über das gewünschte Niveau ansteigt, werden mehr Reserven für das
Bankensystem benötigt. Die Fed verwendet Repos, um Wertpapiere zu kaufen
und dem System so lange Reserven zuzuführen, bis der Leitzins wieder auf das
gewünschte Niveau sinkt. Wenn der Leitzins unter den vorgeschriebenen Satz
sinkt, verkauft die Fed Wertpapiere mit Reverse Repos, die Reserven, um die aus
dem Bankensystem abziehen, bis der Geldmarktsatz auf den Zielsatz steigt. Die
Fed nutzt den Repo-Markt, um die tägliche Höhe der Reserven im Bankensystem
zu steuern, da die Offenmarktgeschäfte darauf abzielen, die Reserven nur für
eine sehr kurze Zeit zu halten. Mit Repo-Geschäften kann die Fed die zahlreichen
Marktschwankungen ausgleichen, die die Höhe der Reserven verändern. Die Fed
muss die genaue Art einer monetären Störung nicht kennen. Indem sie den Leit-
zins beobachtet, weiß die Fed, wann sie einen Schock auf dem Geldmarkt mit Of-
fenmarktgeschäften ausgleichen muss.
Die Tätigkeit des Trading Desk ist in Abbildung 5 grafisch dargestellt. Der
Fed-Volkswirt Joshua Feinman verfolgte die täglichen Transaktionen der Offen-
marktabteilung von Juni 1988 bis Dezember 1990. Abbildung 5 zeigt die Wahr-
scheinlichkeit der Inanspruchnahme von MSPs und RPs auf dem Repo-Markt. Die
Grafik zeigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Trading Desk sich von der Teil-
nahme am Markt fernhält.
Abbildung 6 zeigt auch die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme von RPs
und MSPs durch den Trading Desk auf der Grundlage des durchschnittlichen Reser-
vebedarfs des Bankensystems. Man beachte die leichte Verzerrung der Linie „no
transactions“. Der Trading Desk ist eher bereit, ein Reservendefizit zuzulassen als
einen gleich hohen Reserveüberschuss. Das Vorhandensein des Diskontfensters als
Quelle für Reserven erklärt die etwas geringere Abneigung der Abteilung gegen-
über einem Reservenmangel im Vergleich zu einem Reservenüberschuss.
Unter Verwendung des Leitzinses als tägliche Richtschnur setzt die Fed konti-
nuierlich Offenmarktgeschäfte ein, um den Leitzins zu stabilisieren. In der Theorie
und in der Praxis hat die Handelsabteilung eine einfache Aufgabe. Sobald der ge-
wünschte Leitzins festgelegt ist, ist die Durchführung von gegenläufigen Offen-
marktgeschäften so einfach wie Autofahren innerhalb der Grenzen einer geraden,
deutlich gekennzeichneten Fahrspur. Wenn das Fahrzeug abzudriften beginnt,
wird eine geringfügige Korrektur vorgenommen, um den Kurs zu korrigieren;
48 Kapitel 1 Soft Currency Economics

Prozent
100 100

Keine Transaktion
80 Rückkauf- 80
vereinbarung
Matched-Sale-Käufe

60 60

40 40

20 20

0 0
-50 -40 -30 -20 -10 0 10 20 30 40 50
Fed Funds Zinssatz minus dem Zielzinssatz (Basispunkte)

Abbildung 5: Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme von MSPs und RPs auf dem Repo-Markt
(Quelle: Eigene Darstellung).

wenn das Fahrzeug in die entgegengesetzte Richtung driftet, wendet der Fahrer die
entgegengesetzte Korrektur an.

1.20 Kontrolle der Fed Funds Rate

Das Angebot an Reserven besteht aus drei Teilen: Tresorwährung, Reserven, die
durch Offenmarktgeschäfte der Fed und Kredite, die aus dem Diskontfenster der
Fed bereitgestellt werden (Abbildung 7). In dem Maße, in dem die Fed das Ban-
kensystem durch Offenmarktgeschäfte mit zu wenig Reserven versorgt, versu-
chen die Banken, die zu wenig Reserven haben, sich gegenseitig Geld zu leihen
und den Leitzins in die Höhe zu treiben. Da die Spanne zwischen dem Leitzins
und dem Diskontsatz größer wird, werden mehr Banken Kredite am Diskontfens-
ter aufnehmen. Die Inanspruchnahme des Diskontfensters ist mit einigen Verwal-
tungskosten und dem Stigma der Finanzschwäche verbunden. Da der Leitzins
jedoch immer weiter über den Diskontsatz ansteigt, werden immer mehr Banken
1.20 Kontrolle der Fed Funds Rate 49

Prozent
100 100

Matched-Sale-Käufe
Keine Transaktion
80 80

Rückkauf-
vereinbarung

60 60

40 40

20 20

0 0
-1000 -800 -600 -400 -200 0 200 400 600 800 1000
Prognostizierte Erfüllungsperiode – durchschnittlich
benötigte Reserven ($ Million)

Abbildung 6: Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme von MSPs und RPs auf dem Repo-Markt
(Quelle: Eigene Darstellung).

dieses Instrument nutzen. Banken sind schließlich gewinnorientierte Unterneh-


men. Die finanziellen Anreize zur Kreditaufnahme bei der Notenbank nehmen
nämlich zu, wenn sich der Abstand zwischen dem Leitzins und dem Diskontsatz
vergrößert. Abbildung 7 zeigt, dass die Einlageninstitute bei der Fed Kredite auf-
nehmen, wenn die Zinssätze für Fed Funds über den Diskontsatz steigen. Mit an-
deren Worten: Die Fed liefert die erforderlichen Mittel für das Bankensystem
durch den Kauf von Wertpapieren auf dem offenen Markt oder die Vergabe von
Krediten am Diskontfenster. Durch die Anpassung der Zusammensetzung der Re-
serven zwischen geliehenen und nicht geliehenen Reserven legt die Fed die
Spanne zwischen dem Leitzins und dem Diskontsatz fest. Die Fed setzt Offen-
marktgeschäfte ein, um die Reserveguthaben so anzupassen, dass das Bankensys-
tem im Gleichgewicht bleibt. Zur Verringerung der Differenz zwischen dem
Leitzins und dem Diskontsatz stellt sie über Offenmarktkäufe mehr freie Reser-
ven zur Verfügung. Um die Spanne zu vergrößern, stellt die Fed weniger freie Re-
50 Kapitel 1 Soft Currency Economics

D
S

Federal Funds Zielzins

Leitzins
Fed Funds Zielzins

Von der Fed Reserven


Tresorgeld bereitgestellt (Zentralbank) (Guthaben der Banken
durch Offenmarktgeschäfte geliehen bei der Zentralbank)

Abbildung 7: Angebots- und Nachfragekurve für Reserven (1/2) (Quelle: Eigene Darstellung).

serven zur Verfügung, was die Banken dazu zwingt, den Preis für Fed Funds in
die Höhe zu treiben und sich mehr Geld am Diskontfenster zu leihen.
Die Fed Funds Rate wird von der Handelsabteilung der Federal Reserve Bank
of New York als Indikator für die Reserveposition des Bankensystem genau beob-
achtet. Jedes Einlageninstitut mit einer Mindestreservepflicht beendet ihren Be-
richtszeitraum und muss seine erforderlichen Reserven (einen Durschnitt für den
betreffenden Zeitraum) bis zum Geschäftsschluss an jedem zweiten Mittwoch
melden. Ein wahrgenommener Überschuss lässt den Geldmarktsatz nach unten
sinken, ein erwartetes Defizit lässt den Satz nach oben schießen. Am Mittwoch-
nachmittag, dem letzten Tag der 14-tägigen Mindestreserve-Erfüllungsperiode, än-
dern sich die Wahrnehmungen manchmal rasch.
Abbildung 8 zeigt einen Fall, in dem das Angebot an Reserven die Nachfrage
nach Reserven übersteigt. Die Einlageninstitute verfügen über mehr nicht ausge-
liehene Reserven als sie brauchen, weswegen der Leitzins stark sinken würde. Im
April 1979 zum Beispiel fiel der Zinssatz innerhalb eines Tages von einem zwei-
stelligen Wert auf 2 %.
Offenmarktgeschäfte werden von der Federal Reserve Bank of New York
unter der Leitung des Federal Open Market Committee (FOMC) durchgeführt. Die
stimmberechtigten Mitglieder des FOMC sind die sieben Mitglieder des Board of
Governors des Federal Reserve System, der Präsident der Federal Reserve Bank of
New York und vier der Präsidenten der anderen elf Federal Reserve Banks, die
1.21 Weitere Diskussion der Inelastizität 51

D
S

Leitzins
Fed Funds Zielzins

Reserven
Tresorgeld bereitgestellt (Guthaben der Banken bei
durch Offenmarktgeschäfte der Zentralbank)

Abbildung 8: Angebots- und Nachfragekurve für Reserven (2/2) (Quelle: Eigene Darstellung).

turnusmäßig dem FOMC angehören. Der FOMC tritt etwa alle sechs Wochen in
Washington, D. C., zusammen, um die aktuellen Wirtschaftsaussichten zu beurtei-
len. Der FOMC stimmt über politische Zwischenziele ab und gibt eine Weisung an
den Leiter des Handelsbereichs für Offenmarktgeschäfte in der New Yorker Fe-
deral Reserve Bank. In der Anweisung wird der Zielsatz für die Fed Funds Rate
festgelegt.

1.21 Weitere Diskussion der Inelastizität

Der Leitzins kann sehr volatil sein, weil der Markt für Reserven kurzfristig sehr un-
elastisch ist. Das Bankensystem hat keine unmittelbare Möglichkeit, sich von über-
schüssigen Reserven zu befreien. Ein systemweiter Überschuss an Reserven würde
den Leitzins auf null drücken. Selbst wenn Banken in der Lage wären, ihr Kreditvo-
lumen zu erhöhen, würden die Überschussreserven bestehen bleiben. In der laufen-
den Rechnungsperiode schafft jeder neue Kredit irgendwo im Bankensystem eine
Einlage. Jeder neue Kredit absorbiert aber nur einen winzigen Bruchteil der Über-
schussreserven. Darüber hinaus sind Kreditentscheidungen im Allgemeinen unab-
hängig vom Reservebedarf.
Angesichts eines systemweiten Mangels an Reserven ist die Fed die einzige
Quelle für sofortige Mittel. Im Extremfall scheitern Banken, die ihr Mindestreserve-
Soll nicht erfüllen, wenn sie nicht in der Lage sind, die erforderlichen Reserven zu
52 Kapitel 1 Soft Currency Economics

erwerben. Im Angesicht eines drohenden Scheiterns würden die Banken den Leit-
zins in die Höhe treiben und versuchen, sich gegenseitig Geld zu leihen. Wenn der
Leitzins steigt, würden mehr Banken zum Diskontfenster gehen. Die Banken kön-
nten versuchen, ihr Mindestreserve-Soll zu senken, indem sie das Volumen ihrer
ausstehenden Kredite reduzieren. Die Rückzahlung von Krediten zu erzwingen, ist
jedoch eine unwirksame Methode zur Erfüllung der Mindestreserveanforderungen
im Bankensystem. Wenn eine Bank ein Defizit von z. B. 10.000 $ hat, kann ein Kre-
dit von 10.000 $ in Anspruch genommen werden, um die Reserven um 10.000 $ zu
erhöhen. Durch die Rückzahlung des Kredits verringern sich jedoch die Einlagen
bei einer anderen Bank. Das Defizit hat sich lediglich von einer Bank zur anderen
verlagert. Die Rückzahlung von Krediten verringert das Mindestreserveerfordernis
innerhalb des Bankensystems nur geringfügig. Eine massive Verringerung des aus-
stehenden Kreditvolumens führt nur zu einer geringen Verringerung des gesamten
Mindestreserveerfordernisses des Bankensystems. Die Reservepositionen müssen
sofort und nicht erst Monate später ausgeglichen werden. Das Bankensystem kann
sich tagtäglich nur aus einer Quelle mit Reserven versorgen, nämlich von der Fed.
Innerhalb eines bestimmten Abrechnungszeitraums hat das Bankensystem keine
anderen praktischen Mittel zur das Mindestreserve-Soll um einen erheblichen Be-
trag zu senken.

1.22 Lead Accounting

Aus dem verzweifelten Bemühen Kontrolle über die Gesamtreserven zu gewin-


nen, entstand das Konzept des Lead Accounting. Das Konzept ist eher ein akade-
misches Ideal als ein praktikabler Vorschlag. In einem Lead-Accounting-System
würde die Erfüllungsperiode vor der Berechnungsperiode liegen. Ein solches Sys-
tem würde zu einem sehr restriktiven und höchst instabilen Umfeld führen. Ein
Mindestreservedefizit im Rahmen eines Lead-Accounting-Systems könnte man
eher als Einlagenüberhang bezeichnen. In einem solchen Fall müsste das Banken-
system drastische Veränderungen in ihrem Kreditportfolio ergreifen.
Eine einzelne Bank kann einen geringen Spielraum haben, um ihr Kreditport-
folio anzupassen, damit sie ihr Mindestreserve-Soll erfüllen kann. Wenn Bank A
beispielsweise ein Defizit von 10 Mio. USD hat und die Rückzahlung von Krediten
in Höhe von 10 Mio. USD erzwingen könnte, würde sich das Reservesaldo von Bank
A um die benötigten 10 Mio. $ erhöhen. Durch die Kreditrückzahlung verringern
sich jedoch die Einlagen bei anderen Banken um 10 Mio. $. Durch die Inanspruch-
nahme von Krediten hat Bank A das Reservedefizit nicht beseitigt, sondern es ledig-
lich auf andere Banken übertragen. Wenn Banken Kredite einfordern, verringert
sich die Menge an Einlagen im Bankensystem, jedoch verringert die Höhe der er-
1.23 Mehr zum Thema „Warum Lead Accounting nicht praktikabel ist“ 53

forderlichen Reserven nur geringfügig. Das Mindestreserve-Soll beträgt ein Zehntel


der Gesamteinlagen; ein starker Rückgang der Gesamteinlagen würde nur zu einer
geringfügigen Verringerung des Mindestreserve-Solls führen. Die Worte „Kredite
einfordern“ lassen sich leicht aus dem Textverarbeitungsprogramm ablesen, aber
was bedeutet das? Erstens ist der Anteil der ausstehenden Kredite, die abrufbar
sind, gering. Daher hat das US-Bankensystem nicht die unmittelbare Möglichkeit,
Einlagen zu erhöhen oder zu verringern, um kurzfristige Reserveanforderungen zu
erfüllen. Zweitens würde die Erzwingung von Änderungen in den Kreditportfolios
durch eine Bilanzierung nach dem Lead-Accounting-Verfahren zu schwerwiegen-
den Störungen und unnötiger Volatilität führen. Einzelpersonen und Unternehmen
wären unabhängig von ihrem Eigenkapital oder ihrer Bonität gezwungen, Vermö-
genswerte zu veräußern, um ihre offenen Verbindlichkeiten innerhalb eines Tages
zu reduzieren.
Der Wunsch, eine Buchführung über die Leitreserven einzuführen, ist eine
überstürzte Reaktion auf die fehlende direkte Kontrolle der Zentralbank über die
gesamten Bankreserven. Es ist die Bankenversion des Bergs, der zum Propheten
kommt. Selbst wenn das Lead Reserve Accounting eingeführt würde, wäre seine
Wirkung viel zu störend, um genutzt zu werden. Der Einsatz von Lead-Accounting-
Methoden durch die Federal Reserve zur Kontrolle der Kreditvergabe der Banken
wäre vergleichbar mit dem Einsatz taktischer Nuklearwaffen durch die örtliche Po-
lizei zur Unterdrückung von Unruhen im Inland. In beiden Fällen steht die Macht
der Korrekturmaßnahmen in einem so krassen Missverhältnis zur Situation, dass
sie unbrauchbar sind.

1.23 Mehr zum Thema „Warum Lead Accounting


nicht praktikabel ist“: Inelastizität der
Nachfrage nach Krediten
Die Finanzintermediation hat sich zu einer hochentwickelten und wesentlichen In-
stitution in der modernen Wirtschaft entwickelt. Die Kreditvergabe ist eine prakti-
sche Realität des Wirtschaftswachstums, und die Nachfrage nach Krediten ist auf
kurze Sicht sehr unelastisch. Selbst wenn sich die Zinssätze ändern, passt sich das
Volumen der ausstehenden Kredite nur schrittweise an. Viele Kredite haben einen
festen Zinssatz und werden von Zinsänderungen nicht beeinflusst. Langfristig
wird die Kreditnachfrage und damit auch die Nachfrage nach Reserven etwas elas-
tischer, wenn Privatpersonen und Unternehmen auf Zinsänderungen reagieren.
Viele Waren weisen die Eigenschaft der kurzfristigen Inelastizität auf. Das heißt,
die Nachfrage nach diesen Gütern ändert sich nicht, wenn sich der Preis des Gutes än-
dert. Nehmen wir zum Beispiel die Nachfrage einer Gruppe von Sporttauchern nach
54 Kapitel 1 Soft Currency Economics

Luft. Wenn die Taucher nur noch wenige Atemzüge hatten und nicht mehr auftauchen
könnten, wären sie sicherlich bereit, jeden Preis für eine Luftflasche zu zahlen. Die
einzigen Optionen für die Taucher sind, mehr Luft zu kaufen oder unterzugehen.
Der imaginäre Verkäufer von Luft könnte jeden beliebigen Preis für seine Luft
festsetzen. Die Menge der Luft hängt jedoch ganz davon ab, was die Taucher
brauchen. Sobald die Taucher genug Luft haben, ist zusätzliche Luft wertlos. Die
Käufer bestimmen die Menge, und der Verkäufer setzt den Preis fest. Die Inelas-
tizität der Nachfrage des Bankensystems nach Reserven ist analog zur unelasti-
schen Nachfrage nach der Luft eines Sporttauchers. Die Federal Reserve kann
zwar den Preis der Reserven festlegen, aber die Menge hingegen wird von dem
Bankensystem bestimmt. Der Markt für Reserven ist nicht vollkommen unelas-
tisch, da die Fed einen gewissen Spillover bei der Verbuchung von Bankreserven
von einer Periode zur nächsten erlaubt. Diese Praxis ermöglicht es den Banken,
einen Teil der Volatilität ihrer Reservepositionen zu glätten, aber sie ändert
nichts an der unelastischen Natur des Marktes für Reserven. Versuche, den Markt
zu zwingen, weniger Kredite zu akzeptieren als nachgefragt werden, wären fast
so störend, als würde man die Taucher zwingen, ohne Luft auszukommen. Das
Bankensystem müsste seine ausstehenden Kredite reduzieren, indem es die Kun-
den zwingt, über das Bankensystem finanzierte Vermögenswerte sofort zu veräu-
ßern. Die sinnlose Verlagerung von Vermögenswerten, die durch eine erzwungene
Disintermediation verursacht wird, macht eine solche Maßnahme undenkbar. Zen-
tralbanker, die die unlösbare Problematik des Kreditportfolios des Bankensystems
verstehen, erkennen die Notwendigkeit einer verzögerten Reservenbilanzierung. Ein
vernünftiger Ansatz zur Veränderung der Geldmenge setzt eine Änderung des Leit-
zinses ein, um schrittweise das gewünschte Ergebnis zu erzielen.
Kapitel 2
Perspektive der Eurozone

Als ich zum ersten Mal das Buch „Soft Currency Economics“ von Warren Mosler
gelesen hatte, fragte ich mich sofort, wie denn die Geldschöpfung in Deutschland
und der Eurozone funktioniert und ob sich die Erkenntnisse aus den USA auch
auf uns übertragen lassen. In der Folge werde ich die wesentlichen Punkte, die
Warren Mosler in seinem Buch für die USA herausarbeitet, aus der Perspektive
der Eurozone diskutieren. Diese Punkte sind:
1. Der monetär-fiskalische Nexus: Staatsausgaben, Zinsen und Reserven
2. Der Geldmultiplikator
3. Die „Monetarisierung“ von Schulden
4. Staatsanleihen/Staatsschulden zur Zinsstabilisierung
5. Fiskalpolitik und Staatsverschuldung
6. Wirtschaftliche Ziele statt fiskalische Ziele
7. Was, wenn niemand die Staatsanleihen kauft?
8. Staatsausgaben ohne Hyperinflation
9. Vollbeschäftigung und Preisstabilität
10. Besteuerung
11. Internationaler Handel

Steigen wir gleich mit dem ersten Punkt ein. Auch in der Eurozone ist es so, dass
Staatsausgaben der nationalen Regierungen die Menge an Reserven (Guthaben
der Banken) bei der jeweiligen nationalen Zentralbank erhöhen. Wenn die deut-
sche Bundesregierung Geld ausgibt, dann erhöht die Bundesbank das Konto der
Bank des Zahlungsempfängers. Die Bank wiederum erhöht dann den Kontostand
des Zahlungsempfängers. Die Regeln der Eurozone verbieten allerdings eine „mo-
netäre Finanzierung“ von Staatsausgaben, was in etwa so praktisch und sinnvoll
ist wie ein Verbot von „liquider Flüssigkeitsaufnahme“. Wenn man keine Flüssig-
keiten trinken darf, wie soll denn dann getrunken werden? So ist es auch bei den
Staatsausgaben. Wie sollen denn diese „finanziert“ werden, wenn nicht monetär?
Die Verfasser der Europäischen Gesetzestexte haben so der Allgemeinheit
einen Bärendienst erwiesen. Der Staat muss also durch seltsame „Reifen“ springen,
welche die Gesetze der Eurozone ihm hinhalten. Unter anderem steht dort, dass
nationale Zentralbanken ihre jeweilige Regierung dann nicht finanzieren, wenn
das Konto der Bundesregierung am Ende des Geschäftstages wieder bei null ist.
Das Konto wird belastet bei Staatsausgaben und erhöht bei Steuereinnahmen und
Erlösen aus dem Verkauf von Staatsanleihen. Es ist übrigens ein Verrechnungs-
konto – da der Staat seine eigenen Schuldscheine nicht als Geld verbuchen kann

https://doi.org/10.1515/9783111195759-003
56 Kapitel 2 Perspektive der Eurozone

(und darf), gehört das Guthaben auf dem Zentralkonto des Bundes nicht zur Geld-
menge. (Es gibt mehrere Geldmengendefinitionen, die aber bei der MMT so gut wie
keine Rolle spielen.) Die Bundesregierung muss also sehen, dass sie die Ausgaben
des Tages durch Steuereinnahmen wieder „neutralisiert“ bzw. spätestens die Diffe-
renz zwischen den beiden durch Erlöse des Staatsanleihenverkaufs. Wir halten
fest: Staatsanleihenverkäufe dienen auch in der Eurozone nicht der Finanzierung
des Staates. Dieser gibt erst Geld aus, nimmt es dann über Steuern wieder zurück
und emittiert dann in Höhe der Differenz Staatsanleihen.
Dies sorgt dafür, dass der Staat mit seinen Ausgaben und Steuern nicht aus Ver-
sehen den Zins auf dem Interbankenmarkt durcheinanderbringt. So würde das Euro-
system, welches aus Europäischer Zentralbank (EZB) und nationalen Zentralbanken
(NZBs) besteht, bei hohen Staatsausgaben und niedrigen Steuerzahlungen – wie in
der Pandemie – kurzfristig die Kontrolle über den Interbankenmarktzins verlieren,
der aber doch die Zielgröße der Geldpolitik ist. Am Interbankenmarkt leihen sich
Banken untereinander Reserven, entweder direkt durch Transfer oder indirekt
durch Zahlungsausschub. Der Kredit ersetzt dann eine Zahlung, ähnlich wie bei
einer Kreditkarte. Banken brauchen Reserven, um Zahlungen mit anderen Banken
abzuwickeln und um Bargeld zu bekommen.
Beim Verkauf von Staatsanleihen ist zu beachten, dass die deutsche Bundes-
regierung diese über die Bundesfinanzagentur, eine Tochter des Bundesministeri-
ums der Finanzen, exklusiv an Banken verkauft. Die sogenannte Bietergruppe
Bundesemissionen besteht aktuell aus 32 Banken, die in der EU beheimatet sind.
Sie bezahlen die Staatsanleihen mit Reserven. Es handelt sich also beim Verkauf
von Staatsanleihen um einen Tausch von staatlichem Geld (Reserven) gegen ver-
zinste staatliche Schuldscheine (Staatsanleihen), die bei Fälligkeit wiederum zu
einer Zahlung in staatlichem Geld (Reserven) führen. Die gezahlten Reserven re-
duzieren die Guthaben der Banken bei der Deutschen Bundesbank und erhöhen
das Zentralkonto des Bundes. Dieses ist aber ja ein Verrechnungskonto, daher re-
duziert der Verkauf von Staatsanleihen die Menge an Reserven, was den Zins
nach oben treibt. Bei gleicher Nachfrage sorgt ein geringeres Angebot für einen
höheren Preis, und der Preis auf dem Geldmarkt ist der Zins.
Kann der Bundesregierung dann das Geld ausgehen? Die Frage der Zahlungsfä-
higkeit hängt davon ab, ob die Bundesregierung ihr Konto immer in den positiven
Bereich bringen kann. Steuereinnahmen und Erlöse der Staatsanleihenverkäufe er-
höhen das Konto. Steuereinnahmen lassen sich aber nicht erzwingen. Bei Staatsan-
leihen ist es anders – die EZB kann durch eine andauernde Nachfrage nach diesen
dafür sorgen, dass Banken quasi unbegrenzt Staatsanleihen ankaufen. Sie tun das
in der Erwartung, dass sie sich immer umdrehen können, um an die EZB zu einem
kleinen Gewinn zu verkaufen. Da Banken Profite maximieren wollen, müssen sie
2.1 Der Geldmultiplikator 57

das tun – sonst tun es die anderen und verdienen so mehr Geld. Woher nun nimmt
denn die EZB das Geld für die Ankäufe von Staatsanleihen?
Die EZB entscheidet über die Ankaufprogramme, führt diese aber gar nicht
oder nur einem geringen Teil selbst durch. Die Deutsche Bundesbank bezahlt
eine Bank für eine Staatsanleihe, indem sie deren Guthaben (Reserven) erhöht.
Mithilfe des Computers wird der Kontostand einfach um den Kaufpreis erhöht.
Zentralbanken sind Schöpfer des Geldes, in der Eurozone hat das Eurosystem das
Monopol auf die Herstellung von Euros. So sorgen die institutionellen Regelungen
in der Eurozone seit 2012 dafür, dass den nationalen Regierungen das Geld nicht
ausgehen kann. Der Kurswechsel geht auf Mario Draghi zurück, der als EZB-
Präsident gelobte, „whatever it takes“ zu unternehmen, um den Euro zu retten.
Gemeint waren Staatsanleihenkäufe. Seit Ausbruch der Pandemie von 2020 gilt
dies auch für Griechenland und damit für alle Länder der Eurozone. Das ist der
Grund, warum Griechenland trotz eines Schuldenstands von mehr als 210 Prozent
im Jahr 2020 nicht zahlungsunfähig wurde.
Die Frage der „Nachhaltigkeit“ der Staatsschulden in der Eurozone hängt
somit ausschließlich von der Frage ab, ob die EZB die Rolle als „dealer of last re-
sort“ wahrnimmt, also ob sie über Ankaufprogramme von Staatsanleihen dafür
sorgt, dass es immer eine ausreichende Nachfrage danach gibt. So können die na-
tionalen Regierungen durch den Verkauf von Staatsanleihen ihr jeweiliges Ver-
rechnungskonto bei der nationalen Zentralbank auf null bringen und so die
Ampel dort auf grün stellen. Die Zentralbanken dürfen dann die staatlichen Aus-
gaben bestreiten, indem sie Konten der Banken bei sich entsprechend erhöhen.
Nach den Gesetzen der EU ist das keine verbotene „Staatsfinanzierung“, denn das
Konto des Staates ist ja am Ende des Tages ausgeglichen.

2.1 Der Geldmultiplikator

Auch in der Eurozone ist es so, dass die Banken Kredite nicht mit Reserven oder
Ersparnissen finanzieren, sondern Guthaben neu schöpfen. Bei diesen Bankgut-
haben handelt es sich um Zahlungsversprechen in staatlicher Währung (Euro).
Kredite der Banken an Nichtbanken (Haushalte, Unternehmen, staatliche Stellen)
führen also zu einer Bilanzverlängerung. Auch die Bundesbank (2017) sieht das
so.3 Es ist also keineswegs so, dass Banken Reserven an Haushalte und Unterneh-
men verleihen, so wie es häufig dargestellt wird. Dies kann schon deswegen nicht

 Vgl. https://www.bundesbank.de/de/publikationen/suche/die-rolle-von-banken-nichtbanken-
und-zentralbank-im-geldschoepfungsprozess-614448
58 Kapitel 2 Perspektive der Eurozone

funktionieren, weil wir kein Konto bei der Bundesbank haben. Wie sollen wir
dann Guthaben bei der Bundesbank empfangen?
Die Anzahl der Reserven bestimmt also nicht die Menge der Kreditschöpfung,
sondern andersherum: die Menge der Kreditschöpfung bestimmt die Anzahl der
Reserven. Wenn Kund:innen Geld transferieren, dann müssen die jeweiligen Ban-
ken in den Zahlungsausgleich. Dafür brauchen sie Reserven, sofern sie nicht die
Zahlungen aufschieben und verrechnen (Kredite). Die Zentralbank muss diese Re-
serven zur Verfügung stellen, indem sie diese verleiht oder beispielsweise Staats-
anleihen ankauft. Tut sie das nicht, werden Überweisungen platzen, weil die
Banken den Zahlungsausgleich nicht hinbekommen. Die Wirtschaft würde unter
großen Problemen leiden, denn Geld kann dann nicht mehr verlässlich transfe-
riert werden. Die Zentralbank muss also ihre Hausaufgaben machen und die ge-
forderte Menge an Reserven bereitstellen. In der Eurozone tut sie das inzwischen
fast ausschließlich über Ankaufprogramme für Staatsanleihen. Nur sehr wenig
Geld wird über Zentralbankkredite geschöpft. In der Krise von 2008/09 musste
die EZB die Anforderungen an die Sicherheiten reduzieren, um eine ausreichende
Liquidität im Bankensystem sicherzustellen.
Es ist also ein Mythos, dass die Zentralbank die Geldmenge kontrolliert und
das die Geldmenge irgendeinen Einfluss auf die Kreditmenge hat. Die Banken ver-
geben Kredite, wenn die Kreditanalyse positiv ausfällt. Sie schöpfen dabei neue
Einlagen und verleihen keineswegs Reserven oder Ersparnisse weiter.

2.2 Die „Monetarisierung“ von Schulden

Auch in der Eurozone können wir nicht von einer „Monetarisierung“ von Schul-
den reden. Beim Ankauf von Staatsanleihen werden lediglich illiquide Finanztitel
gegen liquide Finanztitel (Reserven) getauscht. Da die Banken die Reserven nicht
an den privaten Sektor (Haushalte und Unternehmen) weiterverleihen können
und auch nicht ausgeben für Konsum, findet sich kein direkter Kanal in die Real-
wirtschaft und die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Es ist also nicht
anzunehmen, dass der Ankauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank – „Mone-
tarisierung“ – zu einer höheren Inflationsrate führt. Das haben die Programme
der „quantitativen Lockerung“ in den 2010er Jahren deutlich gezeigt.
2.4 Fiskalpolitik und Staatsverschuldung 59

2.3 Staatsanleihen/Staatsschulden zur Zinsstabilisierung

Die Ausgabe von Staatsanleihen dient also „nur“ der Stabilisierung des Zinses auf
dem Interbankenmarkt. So kann die Zentralbank beide Aufgaben gleichzeitig und
ohne Konflikte erfüllen. Sie ist Bank der Banken und bestimmt den Zinssatz für
Interbankenkredite für einen Tag, ist gleichzeitig Hausbank des Staates und führt
dessen Zahlungen (Reserven werden erzeugt) und die Steuerzahlungen (Reserven
werden vernichtet) durch. Es gibt also keinen Zielkonflikt zwischen der fiskali-
schen Funktion und der monetären Funktion, so wie es häufig angenommen
wird. Hohe Zinsen gefährden eben nicht die Zahlungsfähigkeit des Staates, weil
diese nur von der Zentralbank abhängt. Hohe Zinsen, vielleicht auch mit niedri-
gen Wachstumsraten, stellen kein fiskalisches Problem da. Ebenso wenig muss
bei einem hohen Schuldenstand, gemessen am BIP, der Zins nicht heruntergesetzt
werden, um die Zahlungsfähigkeit des Staates nicht zu gefährden.

2.4 Fiskalpolitik und Staatsverschuldung

Die Staatsverschuldung eines Landes ist eigentlich nichts anderes als die Diffe-
renz der Ausgaben, welche die Bundesregierung in Verfolgung des Gemeinwohls
getätigt hat, und den Rückflüssen über Steuern. Da es sich aus unserer Sicht bei
den Euros um Steuergutschriften handelt, mit denen wir unsere Steuerverbind-
lichkeiten reduzieren können, lässt sich das Wort „Staatsverschuldung“ auch er-
setzen mit dem Begriff der „ausstehenden Steuergutschriften im nicht-staatlichen
Sektor“, welche irgendwann für Steuerzahlungen verwendet werden. Da der
Staat eine besondere Rolle spielt, ist es unklug, ihn mit einer schwäbischen Haus-
frau zu vergleichen. Diese muss sich Geld besorgen, bevor sie Zahlungen tätigt
und kann auch nur so viele Ausgaben tätigen, wie sie sich an Geld besorgt hat.
Die Bundesregierung könnte das gar nicht, da sie ja gar kein Geld halten kann.
Immer, wenn ihr die eigenen Schuldscheine in den Schoss fallen, verpufft deren
rechtliche Wirkung als Steuergutschrift.
Wenn der Staat Zahlungen an die BesitzerInnen der Staatsanleihen leistet,
Zinsen oder Tilgung, dann entsteht das Geld auch dabei durch Geldschöpfung der
Zentralbank. Jeder Euro an Tilgung und Zinsen wird also durch die Zentralbank
bezahlt mit neuem Geld. Kein einziger Euro kommt vom Steuerzahler oder von
unseren Enkelkindern.
60 Kapitel 2 Perspektive der Eurozone

2.5 Wirtschaftliche Ziele statt fiskalische Ziele

Aus diesen Überlegungen folgt auch für die Eurozone, dass die nationalen Regierun-
gen nicht zahlungsunfähig werden können, solange die EZB mit ihren Ankaufpro-
grammen ihre schützende Hand über diese hält. Wenn aber eine „Nachhaltigkeit der
Staatsverschuldung“ zu jeder Zeit sichergestellt ist, warum dann noch die Staatsausga-
ben an den fiskalischen Zielen ausrichten? Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der
seit 2020 per Ausstiegsklausel deaktiviert ist, verlangt nach maximalen Defiziten von
drei Prozent. Würden die nationalen Regierungen mehr Geld ausgeben, könnten sie
die Arbeitslosigkeit weiter reduzieren. Dies wäre ein „free lunch“, ein kostenloses Mit-
tagessen. Solange noch Arbeitssuchende eingestellt werden, haben die zusätzlichen
Ausgaben keine Opportunitätskosten. Dieser Fachausdruck beschreibt die Kosten
durch entgangene Produktion, wenn ein Produktionsfaktor aus einer Verwendung ab-
gezogen wird. Wenn aber ein Arbeitssuchender eingestellt wird, sind die Opportu-
nitätskosten null – er oder sie hat ja vorher gar nichts produziert. (Wer zu Hause
Kinder betreut oder Angehörige pflegt, leistet übrigens gute Arbeit, wenn auch unbe-
zahlt – hier lägen die Opportunitätskosten natürlich nicht bei null!)
Die Arbeitslosenquote in der Eurozone lag seit Bestehen der Währungsunion
noch nie unter sechs Prozent. Das ist sehr hoch. Der wesentliche Grund dafür sind
die zu geringen Staatsausgaben. Die angedachte Reform der Fiskalregeln soll nun Ab-
hilfe schaffen und höhere Staatsausgaben erlauben. Es macht keinen Sinn, Millionen
Arbeitssuchende zu erzeugen, nur weil die Ausgaben zu gering sind. Die Wirtschaft
stabilisiert sich nicht selbst – Vollbeschäftigung und auch Preisstabilität müssen
durch wirtschaftspolitische Maßnahmen erzeugt werden.

2.6 Was, wenn niemand die Staatsanleihen kauft?

Auch in der Eurozone wollen die Banken Geld verdienen. Sind die Staatsanleihen
höher verzinst als der Einlagezins und die EZB garantiert Liquidität und Solvenz der
nationalen Regierungen, können sie mit dem Kauf von Staatsanleihen einen Gewinn
machen. Sie können es sich nicht leisten, auf dieses Geschäft zu verzichten, wenn die
anderen Banken mit höheren Gewinnen – bei stabilem Risiko – davonziehen.

2.7 Staatsausgaben ohne Hyperinflation

Auch in Deutschland haben einige Ökonom:innen Angst vor der Hyperinflation. Al-
lerdings spricht noch stärker als in den USA sehr viel in Deutschland dagegen.
Einen noch größeren Anteil als dort zahlen wir Lohnempfänger:innen in die Sozial-
2.8 Vollbeschäftigung und Preisstabilität 61

versicherungssysteme ein. Hier wird also sofort Kaufkraft vernichtet. Ebenso zah-
len wir 19 Prozent Mehrwertsteuer – bei jedem Konsum reduziert der Staat also
die Kaufkraft um fast ein Fünftel. Da die Einkommensteuersätze mit dem Einkom-
men steigen, wird überproportional viel Kaufkraft vernichtet bei steigenden Ein-
kommen. Diese automatischen Stabilisatoren sorgen dafür, dass eine Erhöhung der
Staatsausgaben nicht zu inflationär wirkt. (Steuern haben noch andere Zwecke,
wie z. B. Umverteilung, Anreize, etc.)

2.8 Vollbeschäftigung und Preisstabilität

Der Vorschlag von Warren Mosler wird heute als Jobgarantie bezeichnet. Tcher-
neva et al. (2019) haben dazu einen Vorschlag unterbreitet, bei dem eine Jobga-
rantie von einem europäischen Finanzministerium bezahlt wird.4 Dies hilft, ein
europäisches Problem zu adressieren: In der Eurozone fehlt aktuell eine Stelle,
welche für Arbeitslosigkeit politisch verantwortlich gemacht werden kann. Nor-
malerweise können Arbeitssuchende auf der Bundesebene für eine Partei stim-
men, welche Vollbeschäftigung als Ziel ausruft. Allerdings sind den nationalen
Regierungen der Eurozone die Hände gebunden. Die Defizitziele von nicht mehr
als drei Prozent beschränken die Höhe der Staatsausgaben und damit die Macht
der Bundesregierungen, die Arbeitslosigkeit effektiv zu reduzieren. Auf europäi-
scher Ebene beträgt das Budget der EU-Kommission etwa ein Prozent des BIP –
viel zu wenig, um durch Ausgabenerhöhungen einen Einfluss auf die Arbeitslosig-
keitsrate auszuüben.
Dauerhaft macht es also Sinn, über eine neue institutionelle Regelung nach-
zudenken. Dabei tätigt ein Europäisches Finanzministerium („Euro Treasury“) die
Zahlungen mithilfe der EZB. Die EU-Kommission müsste zu einer richtigen Regie-
rung werden, das Europa-Parlament entsprechende Macht bekommen und gege-
benenfalls durch eine zweite Kammer ergänzt werden. Dieser Umbau zu den
Europäischen Staaten von Europa sollte aber nicht als Reaktion auf eine Krise
stattfinden, sondern durch politischen Willen getragen werden mit entsprechen-
den Volksabstimmungen. Die Frage ist in erster Linie eine politische und keine
ökonomische.

 Vgl. https://econpapers.repec.org/article/retecocri/rec27_5f09.htm
62 Kapitel 2 Perspektive der Eurozone

2.9 Besteuerung

Der Vorschlag von Warren Mosler, sich Steuern auf Grund und Immobilien ge-
nauer anzusehen, würde auch in Deutschland funktionieren. Gerade wenn die
Superreichen ihr Vermögen im Ausland verstecken vor dem Zugriff des Staates
sind doch ihre Immobilien erreichbar.

2.10 Internationaler Handel

Die Ausführung von Warren Mosler gelten natürlich insbesondere für Deutsch-
land. Die Akkumulation von Auslandsvermögen riskiert einen Kaufkraftverlust
bei Abwertungen und Finanzkrisen. Dazu ist Deutschland auf der „realen Seite“
der Wirtschaft ein Verlierer – wir könnten mehr konsumieren, da wir mehr ex-
portieren als importieren. Wir haben unseren Gürtel quasi zu eng geschnallt. Hö-
here Löhne könnten dieses Problem beseitigen, allerdings nur auf Kosten von
geringeren Gewinnen der Exportindustrie, deren Lobby das System „Exportwelt-
meister Deutschland“ fleißig verteidigt.
Kapitel 3
Ein Rahmen für die Analyse von Preisniveau und
Inflation

Ziel dieses Kapitels ist es, einen Rahmen für die Analyse des Preisniveaus und der
Inflation zu schaffen. Die MMT (Modern Money Theory) ist derzeit die einzige
ökonomische Denkschule, die im direkten Gegensatz zu anderen Denkschulen so-
wohl die Quelle des Preisniveaus als auch die Dynamik hinter den Veränderun-
gen des Preisniveaus spezifisch identifiziert und modelliert, wobei die MMT ein
einzigartiges Verständnis von Inflation im Sinne der akademischen Definition als
Teil ihres allgemeinen Analyserahmens bietet, der für alle Währungssysteme gilt.
Ich wurde gebeten, ein Kapitel über „Inflation“ nach der Lehrbuchdefinition
„kontinuierlicher Anstieg des Preisniveaus“ zu schreiben. Bei näherer Betrach-
tung erweist sich dies jedoch bestenfalls als schwer fassbar. Zu jedem Zeitpunkt
ist das Preisniveau vermutlich sowohl statisch als auch quantitativ undefinierbar.
Das bekannteste Beispiel ist der Verbraucherpreisindex (VPI), der sich aus ausge-
wählten Waren und Dienstleistungen zusammensetzt und die Lebenshaltungskos-
ten und nicht das „Preisniveau“ widerspiegeln soll. Zentralbanken können auch
keine kontinuierliche Änderungsrate dieser Abstraktion bestimmen. Sie können
nur sagen, wie sich der VPI in der Vergangenheit verändert hat, und sie können
versuchen, künftige Veränderungen vorherzusagen. Schlimmer noch, sie gehen
davon aus, dass die Quelle des Preisniveaus ausschließlich historisch ist, abgelei-
tet aus einer unendlichen Regression in die Vergangenheit, die theoretisch der
Geburt des Universums vorausgeht.

3.1 Die MMT-Geldgeschichte

Die MMT-Geldgeschichte geht von einem Staat aus, der sich über ein Geldsystem
mit folgendem Ablauf versorgen will:
– Auferlegung von Zwangssteuerverpflichtungen
– Staatliche Ausgaben
– Zahlung von Steuern und Kauf von Staatsanleihen

Etwas ausführlicher erzählt:


1. Der Staat erhebt Steuerschulden und verhängt Strafen bei deren Nichtbezah-
lung. Die für die Zahlung der Steuern erforderlichen Steuergutschriften sind
Währungseinheiten des Staates, die nur vom Staat ausgegeben werden.

https://doi.org/10.1515/9783111195759-004
64 Kapitel 3 Ein Rahmen für die Analyse von Preisniveau und Inflation

2. Die Steuerpflicht führt dazu, dass Verkäufer von Waren und Dienstleistungen
im Gegenzug entsprechende Steuergutschriften akzeptieren, wobei letztere
per definitionem arbeitslos sind.
3. Der Staat versorgt sich dann selbst, indem er seine Währung ausgibt, um die
von ihm gewünschten Waren und Dienstleistungen zu kaufen.
4. Dann können Steuern gezahlt und, sofern sie vom Staat zum Verkauf angebo-
ten werden, staatliche Wertpapiere gekauft werden.
5. Staatliche Ausgaben, die die Steuereinnahmen übersteigen, bleiben als Netto-
geldvermögen in der Wirtschaft, welches Sparwünsche erfüllt, bis es zur Zah-
lung von Steuern verwendet wird.

3.2 Die MMT-Mikrofundierung – Die Währung als öffentliches


Monopol

Die MMT-Geldgeschichte beginnt mit der Auferlegung von Steuerverpflichtungen,


um eine nominale Nachfrage nach dieser Währung zu schaffen. Diese Nachfrage
ist die Summe der Währungseinheiten, die benötigt werden, um Steuern zu zah-
len und verbleibende Sparwünsche zu finanzieren, was dadurch deutlich wird,
dass Akteure die Währung für den Verkauf von Waren und Dienstleistungen
nachfragen. Bei den heutigen staatlichen Währungen beispielsweise bieten die
nichtstaatlichen Sektoren so lange Waren und Dienstleistungen zum Verkauf an,
bis sie ihren Bedarf an Steuerzahlungen und ihren Wunsch nach Nettosparen be-
friedigt haben.
Das staatliche Geldsystem ist ein öffentliches Monopol, bei dem der Staat der
einzige Lieferant dessen ist, was er für die Zahlung von Steuern verlangt. Der
Staat diktiert daher notwendigerweise die Tauschbedingungen für den Kauf von
Waren und Dienstleistungen, wobei die Menge, die er kaufen kann, in umgekehr-
tem Verhältnis zu den Preisen steht, die er zahlt. Wenn beispielsweise die Steuer-
schulden 100 Dollar und die Sparwünsche 20 Dollar betragen und der Staat
anbietet, 1 Dollar pro Tag für Arbeit zu zahlen, kann der Staat 120 Tage Arbeit
erwerben. Zahlt der Staat stattdessen 2 Dollar pro Tag für Arbeit, so erhält er nur
60 Tage Arbeit. In beiden Beispielen verkaufen die nichtstaatlichen Sektoren die
Arbeitskraft zum Preis des Staates bis die Vertreter dieser Sektoren über ausrei-
chende Mittel verfügen, um ihren Steuerpflichten nachzukommen und die ge-
wünschten Nettoersparnisse zu erzielen.
Bei einer gegebenen nominalen Steuerschuld und einem gegebenen Spar-
wunsch definiert der Staat bei der Zahlung höherer Preise sowohl den Wert der
Währung nach unten und kauft real weniger. Daher kann der Staat, wenn er hö-
here Preise zahlt, rechnerisch nur dann mehr reale Güter und Dienstleistungen
3.3 Die Quelle des Preisniveaus 65

kaufen, wenn er die Steuerverbindlichkeiten erhöht oder die Sparwünsche stei-


gert. Das heißt, um auf das vorherige Beispiel zurückzukommen, bei dem die
Steuerverbindlichkeiten 100 Dollar, die Sparwünsche 20 Dollar betrugen und der
Arbeitslohn von 1 Dollar pro Tag auf 2 Dollar pro Tag erhöht wurde, würde eine
Steuererhöhung auf 200 Dollar (unter der Annahme, dass die Sparwünsche real
konstant bleiben) oder eine Erhöhung der Sparwünsche auf 140 Dollar dazu füh-
ren, dass der Staat die gleichen 120 Tage Arbeit erhält wie bei dem Lohn von 1
Dollar.
In den USA nimmt die staatliche Steuerschuld tendenziell zu, wenn die US-
Regierung aufgrund von preisbasierten Transaktionssteuern auf Bundes-, Landes-
und Kommunalebene höhere Preise zahlt. Dazu gehören Einkommenssteuern, bei
denen höhere Nominaleinkommen zu höheren Steuerverbindlichkeiten führen,
und Verkaufssteuern, bei denen höhere Preise ebenfalls zu höheren Steuerver-
bindlichkeiten führen.
Außerdem basieren die Sparwünsche auf realen und nicht auf nominalen
Überlegungen. Sparwünsche für den Ruhestand basieren zum Beispiel auf den
voraussichtlichen Lebenshaltungskosten der Ruhestandsjahre. Wenn die Preise
steigen, steigen diese nominalen Sparwünsche entsprechend. Auch der Liqui-
ditätsbedarf der Unternehmen und der Finanzierungsbedarf für Vorräte und For-
derungen steigen mit den Preisen.
Daher braucht eine Wirtschaft, in der die Preise kontinuierlich steigen, im
Allgemeinen einen kontinuierlichen nominalen Anstieg dessen, was man salopp
als „Geldmenge“ bezeichnet. Dies stellt die Nettoersparnis der Wirtschaft an Fi-
nanzvermögen dar. Ohne deren Anstieg können die realen Sparwünsche nicht er-
füllt werden, was sich dann in Arbeitslosigkeit und Überkapazitäten äußert. Dies
ist in der Tat meine Erklärung für die Rezession von 1979. Der Haushaltssaldo ver-
schärfte sich, da die Steuerverbindlichkeiten schneller stiegen als die Staatsausga-
ben. Das Wachstum der realen Staatsverschuldung verlangsamte sich aufgrund
des Anstiegs des Preisniveaus weiter, wodurch die Wirtschaft letztendlich in eine
schwere Rezession geriet.

3.3 Die Quelle des Preisniveaus

Da der Staat der einzige Erzeuger dessen ist, was er für die Zahlung von Steuern
verlangt, braucht die Wirtschaft die Währung des Staates. Daher bestimmen die
Staatsausgaben auch die Tauschbedingungen; das Preisniveau ist eine Funktion
der Preise, die der Staat zahlt, wenn er Geld ausgibt.
Bei der Bestimmung des Preisniveaus gibt es zwei wesentliche Dynamiken.
66 Kapitel 3 Ein Rahmen für die Analyse von Preisniveau und Inflation

Die erste ist die Einführung des absoluten Wertes des staatlichen Zahlungs-
mittels, die durch die Preise erfolgt, die der Staat zahlt, wenn er Geld ausgibt. Au-
ßerdem ist die einzige Information über den absoluten Wert, der in Einheiten der
staatlichen Währung gemessen wird, die Information, die durch die staatlichen
Ausgaben übermittelt wird. Daher lassen sich alle nominalen Preise notwendiger-
weise auf die Preise zurückführen, die der Staat zahlt, wenn er seine Währung
ausgibt.
Die zweite Dynamik ist die Weitergabe dieser Informationen durch die Märkte,
da sie im Kontext der institutionellen Struktur des Staates Preise bestimmen und
dadurch Indifferenzniveaus zwischen Käufern und Verkäufern ausdrücken.
Das Preisniveau besteht also aus den Preisen, die durch die staatliche „Ausga-
benpolitik“ diktiert werden, sowie aus allen anderen Preisen, die sich aus den
Marktkräften ergeben, welche innerhalb der institutionellen Struktur des Staates
wirken.

3.4 Agenten des Staates

Der US-Kongress hat Vertreter benannt, die in seinem Namen arbeiten. Dazu ge-
hören die Federal Reserve Bank, die das Geldsystem betreibt, die Geschäftsban-
ken, die dem Federal Reserve System angehören und von den Bundesbehörden
reguliert und beaufsichtigt werden, sowie das US-Finanzministerium, das die
Käufe und Verkäufe gemäß den gesetzlichen Bestimmungen durchführt, indem
es die Federal Reserve Bank anweist, die entsprechenden Konten zu belasten
oder zu kreditieren.
Geschäftsbanken, die Mitglieder der Fed sind, haben bei der Fed Sichtkonten,
so genannte Reservekonten. Steuerverbindlichkeiten auf Bundesebene werden
entweder durch die Zahlung von Federal Reserve Notes (Bargeld) oder durch die
Belastung eines Reservekontos einer Mitgliedsbank durch die Fed beglichen, und,
wenn es sich um einen Bankkunden handelt, der die Zahlung veranlasst, durch
die Mitgliedsbank, die gleichzeitig das Bankkonto des Kunden belastet, der die
Zahlung vornimmt. Nicht-Banken können Zahlungen an die Fed nur indirekt
über eine Mitgliedsbank der Fed als Korrespondent oder in bar leisten.
Banken als Vertreter des Staates beeinflussen ebenfalls das Preisniveau, da die
Kreditvergabe der Banken die Kreditaufnahme der Kunden für den Kauf von
Waren und Dienstleistungen unterstützt. Staatliche Regulierungs- und Aufsichts-
behörden kontrollieren die Preise, die mit den von den Geschäftsbanken geliehe-
nen Mitteln bezahlt werden. Und angesichts der unbegrenzten Liquidität, die eine
Politik der freien Wechselkurse mit sich bringt, könnten die Banken ohne Regulie-
rung unbegrenzt Kredite vergeben, ohne Sicherheiten zu verlangen oder andere
3.6 Inflationsdynamik 67

Mittel zur Kontrolle der von den Kreditnehmern gezahlten Preise einzusetzen, was
die Fähigkeit der Regierung, sich selbst zu versorgen, schnell beeinträchtigen und
die Währung katastrophal abwerten könnte.

3.5 Die Bestimmung des Preisniveaus

Der Staat legt die Tauschbedingungen für seine Währung mit den Preisen fest, die
er bezahlt, wenn er Geld ausgibt, und nicht per se durch die Menge des Geldes, die
er ausgibt. Wenn der Staat beispielsweise ein unbefristetes Angebot hat, Soldaten
zu 50.000 Dollar pro Jahr einzustellen, bleibt das so definierte Preisniveau konstant,
unabhängig davon, wie viele Soldaten eingestellt werden und unabhängig von den
Gesamtausgaben des Staates. Der Staat hat den Wert seines Numeraire exogen fest-
gelegt und damit die Information über den absoluten Wert bereitgestellt, die die
Marktkräfte dann nutzen, um den Preis mit den auf dem Markt ermittelten Tausch-
werten anderer Waren und Dienstleistungen zu verrechnen. Ohne die vom Staat
bereitgestellten Informationen gäbe es jedoch keinen Ausdruck des relativen Wer-
tes in dieser Währung.
Sollte der Staat beispielsweise beschließen, den Preis, den er für seine Soldaten
zahlt, auf 55.000 Dollar pro Jahr zu erhöhen, würde er den Wert seiner Währung
nach unten umdefinieren und das allgemeine Preisniveau um 10 Prozent anheben,
da die Marktkräfte diese Erhöhung im normalen Verlauf der Allokation nach dem
Preis und der Bestimmung des relativen Wertes widerspiegeln. Solange der Staat
den Soldaten 55.000 Dollar pro Jahr zahlt, bleibt das Preisniveau unter der Annahme
konstanter relativer Werte unverändert. Der Staat müsste dann beispielsweise den
Sold kontinuierlich um 10 Prozent pro Jahr erhöhen, um einen kontinuierlichen
jährlichen Anstieg des Preisniveaus von 10 Prozent zu unterstützen.

3.6 Inflationsdynamik

Ich beginne mit einer akademischen Definition der Inflationsrate:


„Der kontinuierliche Anstieg der Terminstruktur der Preise, mit denen die
Wirtschaftsakteure heute bei Käufen und Verkäufen für künftige Liefertermine
konfrontiert sind“.
Dies kann auch als geplante Preisfestsetzung [Forward Pricing] bezeichnet wer-
den und ist ein Ausdruck des von der Zentralbankpolitik festgelegten Leitzinses.
Die MMT unterscheidet zwischen zeitlichen Veränderungen des Preisniveaus
und der Inflationsrate, die durch die aktuelle Terminstruktur der Preise ausge-
drückt wird.
68 Kapitel 3 Ein Rahmen für die Analyse von Preisniveau und Inflation

Das Preisniveau ändert sich mit den Preisen, die der Staat zahlt, wenn er
Geld ausgibt (Fiskalpolitik), während Veränderungen in der Laufzeitstruktur der
geldpolitischen Zinssätze (Geldpolitik) die Laufzeitstruktur der Preise verändern.
Und obwohl die Laufzeitstruktur der Preise keine Vorhersage von Veränderungen
des Preisniveaus ist, bedeutet das nicht, dass sie nicht die zukünftige Richtung
des Preisniveaus beeinflusst.
Die Zinspolitik hat auch die Funktion eines fiskalischen Transfers, da der
Staat ein Nettozahler von Zinsen an die anderen Wirtschaftssektoren ist. Bei
einer Staatsverschuldung von über 100 Prozent des BIP führt beispielsweise eine
Zinserhöhung von 1 Prozent zu zusätzlichen Zinszahlungen von über 1 Prozent
des BIP an die Wirtschaft. Dieser Anstieg der Staatsausgaben erhöht direkt die
Nominaleinkommen, und in dem Maße, in dem die Empfänger der Zinszahlungen
ihre Ausgaben erhöhen, fördern die staatlichen Zinszahlungen den Absatz, die
Produktion und die Beschäftigung.
Die Zinsausgaben des Staates verringern auch den fiskalischen Spielraum, da
sie teilweise den Bedarf an Steuern und Nettosparen befriedigen, der durch staat-
liche Steuerverbindlichkeiten entsteht, was bedeutet, dass weniger Waren und
Dienstleistungen zum Verkauf angeboten werden, um die verbleibenden Steuer-
verbindlichkeiten zu erfüllen. Dies bedeutet, dass die realen Käufe von Waren
und Dienstleistungen durch staatliche Zinszahlungen reduziert werden, wie in
den vorangegangenen Beispielen beschrieben wird.
Daher komme ich, wie oben beschrieben, zu dem Schluss, dass die Zinszah-
lungen des Staates, die von diesem zur Verlangsamung des Wachstums und zur
Bekämpfung des Preisanstiegs eingesetzt werden, eher das Gegenteil bewirken.
Bemerkenswert ist auch, dass die Zinszahlungen notwendigerweise an diejeni-
gen gehen, die bereits Geld haben, und dass sie auch proportional zur Höhe des
Geldes gezahlt werden. In früheren Veröffentlichungen habe ich eine positive Zins-
politik als „Grundeinkommen für diejenigen, die bereits Geld haben“ bezeichnet,
die, wenn sie als solche erklärt wird, keinerlei politische Unterstützung findet.
Doch als Geldpolitik, die vermeintlich die Inflation bekämpft, finden Zinserhöhun-
gen der Zentralbanken breite Unterstützung.
Zusammenfassend kann man sagen, dass ich die Zinspolitik sowohl als
rückwärtsgewandt als auch als verworren betrachte. Erstens ist die akademisch
definierte Inflationsrate ein Ausdruck der Leitzinsen der Zentralbank, so dass
Zinserhöhungen dieses Maß an Inflation direkt erhöhen.
Zweitens stellen Zinserhöhungen zusätzliche Defizitausgaben des Staates dar,
die angesichts der institutionellen Struktur der Währung tendenziell ebenfalls
eine inflationäre Tendenz aufweisen.
3.9 Schlussfolgerung 69

Drittens: Die Auszahlung von Geldern nur an diejenigen, die bereits Geld
haben, als Mittel gegen die vermeintliche Inflation dient meiner Meinung nach
nicht dem Gemeinwohl.

3.7 Zinssätze und Löhne

Eine Erhöhung des Leitzinses der Zentralbank erhöht zunächst die staatlichen De-
fizitausgaben und das Gesamteinkommen in der Wirtschaft. Das bedeutet, dass
die Löhne dann einen geringeren Anteil am Gesamteinkommen ausmachen, was
bis zu einem gewissen Grad, abhängig von der Ausgabenneigung, bedeutet, dass
der relative Wert der Löhne gesunken ist.
Wenn die Löhne bei einem positiven Leitzins an das allgemeine Preisniveau
gekoppelt sind, führt eine Lohnerhöhung zu einem stärkeren Anstieg des allge-
meinen Preisniveaus, was wiederum eine Lohnerhöhung auslöst, und zwar in
einer sich beschleunigenden Spirale.
Bei einer Zinspolitik von 0 Prozent würde ein Lohnanstieg durch diesen Pro-
zess jedoch nicht verstärkt werden.
Was ich damit sagen will, ist, dass diese Kombination aus Lohnindexierung
und hohen geldpolitischen Zinssätzen, die selektiv in Ländern mit unerwünsch-
tem Anstieg des Preisniveaus zu beobachten ist, ironischerweise dazu beiträgt,
den Anstieg zu beschleunigen, den die Zinspolitik eigentlich eindämmen soll.

3.8 Die Hierarchie der Nachfrage

Die Nachfrage geht vom Staat aus. Ohne staatliche Ausgaben ist der Wert der
Währung unbestimmt und es gibt keine Gesamtnachfrage. Erst im Anschluss an
die Staatsausgaben kann die Währung einen absoluten Wert erhalten und nicht-
staatliche Ausgaben getätigt werden.

3.9 Schlussfolgerung

Dieses Kapitel bietet einen Rahmen für die Analyse des Preisniveaus und der In-
flation. Der Rahmen ist der einer Währung als öffentliches Monopol, wobei der
Staat die nominale Nachfrage mit seinen Steuerverpflichtungen festlegt und auch
70 Kapitel 3 Ein Rahmen für die Analyse von Preisniveau und Inflation

die Steuergutschriften bereitstellt, die die Erfüllung dieser Steuerverpflichtungen


ermöglichen.
Dieses Verständnis erklärt vollständig die Quelle des absoluten nominalen
Preisniveaus. Auch die Rolle der Zinssätze im Hinblick auf die akademische Defi-
nition der Inflation und der Einfluss der politischen Zinssätze auf die marktbe-
stimmten Ausdrücke des relativen Wertes sind impliziert.
Kapitel 4
Vorschläge für das Finanzministerium, die
Federal Reserve Bank, die FDIC und
das Bankensystem

Der Zweck dieses Kapitels ist es, Vorschläge für das US-amerikanische Finanzminis-
terium, die Federal Reserve Bank [Zentralbank der USA] und das Bankensystem zu
unterbreiten. Es wird angenommen, dass die Bundesregierung das Gemeinwohl
verfolgt, welches auch die Grundannahme meiner Vorschläge ist. Ich beginne hier-
bei mit meinen Vorschlägen für das Bankensystem, da die Bankgeschäfte sowohl
die Geschäfte der Fed als auch die des Finanzministeriums beeinflussen.

4.1 Vorschläge für das Bankensystem

Banken in den USA sind öffentlich-private Partnerschaften, die zu dem Zweck ge-
gründet wurden, Kredite auf der Grundlage von Kreditanalysen zu vergeben. Um
diese Art der Kreditvergabe auf einer kontinuierlichen, stabilen Basis zu unter-
stützen, bedarf es einer Finanzierungsquelle, die nicht vom Markt abhängig ist.
Daher verfügen die meisten Bankensysteme der Welt über eine Form der staatli-
chen Einlagensicherung sowie eine Zentralbank, die bereit ist, ihren Mitglieds-
banken Kredite zu gewähren.
Bei einem Goldstandard oder einem anderen System fester Wechselkurse
kann die Finanzierung der Banken nicht glaubwürdig garantiert werden. Feste
Wechselkurssysteme sind nämlich so konzipiert, dass die Angebotsseite der kon-
vertierbaren Währung ständig eingeschränkt ist. Banken sind verpflichtet, Reser-
ven in konvertierbarer Währung zu halten, um die Forderungen der Einleger nach
Abhebungen erfüllen zu können. Vertrauen ist für Banken, die mit einem Gold-
standard arbeiten, von entscheidender Bedeutung. Keine Bank kann mit 100 %
Reserven arbeiten. Sie sind darauf angewiesen, dass die Einleger nicht in Panik
geraten und versuchen, ihre Einlagen gegen konvertierbare Währung einzutau-
schen. Die USA erlebten im späten 19. Jahrhundert eine Reihe schwerer Depres-
sionen, wobei die „Panik“ von 1907 so beunruhigend war, dass sie 1913 zur
Gründung der Federal Reserve Bank führte. Die Fed sollte der Kreditgeber der
letzten Instanz sein (sog. lender of last resort), um sicherzustellen, dass die Na-
tion nie wieder ein zweites 1907 erleben würde.
Leider ist diese Strategie gescheitert. Die Depression von 1930 war noch schlim-
mer als die Panik von 1907. Aufgrund des Goldstandards war die Fed nicht in der

https://doi.org/10.1515/9783111195759-005
72 Kapitel 4 Vorschläge für das Finanzministerium

Lage, den Banken die konvertierbare Währung zu leihen, die sie brauchten, um die
Forderungen nach Bargeld zu erfüllen. Nach Tausenden von katastrophalen Bank-
zusammenbrüchen wurde ein Bankfeiertag ausgerufen, und die verbleibenden
Banken wurden von der Regierung geschlossen, während das Bankensystem reor-
ganisiert wurde. Als das Bankensystem 1934 wieder geöffnet wurde, war die Kon-
vertierbarkeit der Währung in Gold (im Inland) dauerhaft ausgesetzt, und die
Bankeinlagen waren durch die staatliche Einlagensicherung gedeckt. Die Federal
Reserve war nicht in der Lage, Depressionen zu verhindern. Erst die Abschaffung
des Goldstandards bewirkte dies.
Die große Depression ist nun schon 80 Jahre her. Es bedürfte schon außerge-
wöhnlich schlechter politischer Maßnahmen, um selbst die derzeitige schwere Re-
zession [von 2008/09] zu einer Depression werden zu lassen, auch wenn eine
fehlgeleitete und zu straffe Finanzpolitik die Wiederherstellung von Produktion
und Beschäftigung leider verzögert hat.
Die harte Lektion der Bankengeschichte ist, dass die Passivseite des Bankwe-
sens nicht der Ort für Marktdisziplin ist. Da Banken unbegrenzt durch staatlich
versicherte Einlagen und Kredite der Zentralbank finanziert werden, liegt die Dis-
ziplin ausschließlich auf der Aktivseite.
Dazu gehört eine Beschränkung von Vermögenswerten, die von den Auf-
sichtsbehörden als „legal“ eingestuft werden, und die Festlegung von Mindestka-
pitalanforderungen durch die Aufsichtsbehörden.
Da der öffentliche Zweck des Bankwesens darin besteht, ein Zahlungsver-
kehrssystem bereitzustellen und Kredite auf der Grundlage von Kreditanalysen
bereitzustellen, sind zusätzliche Vorschläge und Einschränkungen angebracht:

1. Banken sollten nur Kredite direkt an Kreditnehmer vergeben und diese dann
in ihren eigenen Bilanzen bedienen und halten dürfen. Der Verkauf von Krediten
oder anderen finanziellen Vermögenswerten an Dritte dient nicht dem Gemein-
wohl, sondern verursacht dem Staat erhebliche reale Kosten für die Regulierung
und Überwachung dieser Aktivitäten. Zusätzlich hat es schwerwiegende Folgen,
wenn diese Sekundärmarktaktivitäten nicht angemessen reguliert und beaufsich-
tigt werden. Aus diesem Grund sollte den Banken jegliche Tätigkeit auf dem Se-
kundärmarkt untersagt werden (es dient nicht dem Gemeinwohl und erfordert
exponentiell wachsende regulatorische Belastungen mit schwerwiegenden sozia-
len Kosten im Falle von Regulierungs- und Aufsichtsversäumnissen). Das Argu-
ment, dass diese Bereiche für die Banken profitabel sein könnten, ist kein Grund,
staatlich geförderte Unternehmen auf diese Bereiche auszudehnen.

2. US-Banken sollte es nicht erlaubt sein, Verträge über den LIBOR [London Inter-
bank Offered Rate; ein Interbankenmarktzins] abzuschließen. Der LIBOR ist ein im
Ausland (Großbritannien) festgelegter Zinssatz mit einer großen, subjektiven Kompo-
4.1 Vorschläge für das Bankensystem 73

nente, auf die die US-Regierung keinen Einfluss hat. Teil der aktuellen Krise war die
Unfähigkeit der Federal Reserve, die LIBOR-Sätze auf ihren Zielzinssatz zu senken,
während sie versuchte, Millionen von US-Eigenheimbesitzern und anderen Kredit-
nehmern zu helfen, die mit US-Banken Verträge über die Zahlung von Zinsen auf der
Grundlage von LIBOR-Sätzen abgeschlossen hatten. In ihrer Verzweiflung, die US-
Zinssätze für inländische Kreditnehmer zu senken, griff die Federal Reserve auf eine
sehr risikoreiche Politik zurück, indem sie mehreren ausländischen Zentralbanken
unbegrenzte, funktional ungesicherte US-Kreditlinien, so genannte „Swap-Lines“, ge-
währte. Diese Kredite wurden zum niedrigen Zielsatz der Fed vergeben, in der Hoff-
nung, dass die ausländischen Zentralbanken diese Mittel zu den niedrigen Sätzen an
ihre Mitgliedsbanken ausleihen und so die LIBOR-Sätze und die Kosten für die Kre-
ditaufnahme senken würden. Die Kredite an die ausländischen Zentralbanken er-
reichten ihren Höhepunkt bei etwa 600 Milliarden Dollar und hatten schließlich
dazu beigetragen, die LIBOR-Zinsen zu senken. Aber die Risiken waren erheblich.
Die Fed hat keine Möglichkeit, ein Darlehen von einer ausländischen Zentralbank
einzutreiben, die nicht zurückzahlt. Hätten die US-Banken ihre Kreditzinsen und Kre-
ditlinien an den US-Leitzins gekoppelt, anstatt sie auf der Grundlage des LIBOR abzu-
schließen, wäre dieses Problem vermieden worden. Die von US-Kreditnehmern,
einschließlich Hausbesitzern und Unternehmen, zu zahlenden Zinssätze wären, wie
von der Fed bei der Senkung des Leitzinses beabsichtigt, gesunken.

3. Banken sollten keine Tochtergesellschaften irgendwelcher Art haben dürfen. Es


dient nicht dem Gemeinwohl, wenn eine Bank irgendwelche Vermögenswerte
„außerhalb der Bilanz“ halten darf.

4. Den Banken sollte es nicht gestattet sein, Finanzanlagen als Sicherheiten für
Kredite zu akzeptieren. Die finanzielle Hebelwirkung [„leverage“] dient nicht
dem Gemeinwohl.

5. US-Banken sollte es nicht erlaubt sein, Kredite im Ausland zu vergeben. Es


dient nicht dem Gemeinwohl, US-Banken zu erlauben, Kredite für ausländische
Zwecke zu vergeben.

6. Banken sollte es nicht erlaubt sein, Kreditausfallversicherungen zu kaufen


(oder zu verkaufen). Der Gemeinwohlauftrag des Bankwesens als öffentlich-
private Partnerschaft besteht darin, dem privaten Sektor die Möglichkeit zu
geben, das Risiko zu bepreisen, anstatt dass der öffentliche Sektor das Risiko
durch Banken in öffentlichem Besitz bepreist. Wenn eine Bank stattdessen auf
eine Kreditausfallversicherung zurückgreift, überträgt sie die Risikopreisbildung
auf eine dritte Partei, was dem Gemeinwohlauftrag des derzeitigen öffentlich-
privaten Bankensystems zuwiderläuft.
74 Kapitel 4 Vorschläge für das Finanzministerium

7. Den Banken sollte es nicht gestattet sein, sich am Eigenhandel („proprietary tra-
ding“) oder an gewinnbringenden Unternehmungen zu beteiligen, die über die
reine Kreditvergabe hinausgehen. Wenn der öffentliche Sektor sich aus dem
Bankgeschäft herauswagt, um vermeintlich das Gemeinwohl zu fördern, kann er
dies über andere Kanäle tun.

8. Mein letzter Vorschlag für die Banken in diesem Entwurf ist die Verwendung
von FDIC-genehmigten Kreditmodellen für die Bewertung von Bankaktiva. Ich
würde keine Marktbewertung von Bankaktiva zulassen. Wenn es ein stichhaltiges
Argument für die Bewertung eines bestimmten Bankvermögenswertes zu Markt-
preisen gibt, bedeutet dies wahrscheinlich, dass dieser Vermögenswert gar nicht
erst als Bankaktivum zulässig sein sollte. Der Gemeinwohlauftrag des Bankwe-
sens besteht darin, die Kreditvergabe auf der Grundlage einer Kreditanalyse und
nicht einer Marktbewertung zu erleichtern. Und die damit einhergehende Bereit-
stellung staatlich versicherter Finanzmittel ermöglicht es, diese Kredite ohne Li-
quiditätsprobleme bis zur Fälligkeit zu halten, um eben das Gemeinwohl zu
unterstützen. Daher dient die Marktbewertung anstelle einer Bewertung auf der
Grundlage einer Kreditanalyse nicht dem Gemeinwohl und untergräbt den be-
stehenden Gemeinwohlauftrag der Bereitstellung einer stabilen Plattform für die
Kreditvergabe.

Vorschläge für die FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation)


Ich habe drei Vorschläge für die FDIC. Der erste ist die Aufhebung der Ober-
grenze von 250.000 Dollar für die Einlagensicherung. Der Gemeinwohlauftrag
hinter dieser Obergrenze besteht darin, kleinen Banken dabei zu helfen, Einlagen
anzuziehen, da die Theorie besagt, dass ohne eine Obergrenze große Einleger zu
den größeren Banken abwandern würden. Sobald die Fed jedoch angewiesen
wird, mit allen Mitgliedsbanken in unbegrenztem Umfang auf den Fed-Funds-
Märkten zu handeln, ist die Frage der verfügbaren Mittel hinfällig.
Zweitens sollten die Banken nicht besteuert werden, um die bei Bankzusam-
menbrüchen verlorenen Gelder wiederzuerlangen. Die FDIC sollte vollständig aus
dem US-Finanzministerium finanziert werden. Steuern auf solvente Banken soll-
ten nicht auf der Grundlage des Finanzierungsbedarfs der FDIC erhoben werden.
Steuern auf Banken haben Auswirkungen, die dem Gemeinwohl, dem eine staatli-
che Beteiligung am Bankensystem vermutlich dient, entweder unterstützen oder
entgegenstehen können. Dazu gehören die Aufrechterhaltung des Zahlungsver-
kehrssystems und die Kreditvergabe auf der Grundlage von Kreditanalysen. Jede
Steuer auf Banken sollte ausschließlich danach beurteilt werden, ob sie dem Ge-
meinwohl dient oder nicht.
Mein dritter Vorschlag für die FDIC besteht darin, dass sie ihre Aufgabe ohne
jegliche Unterstützung durch das Finanzministerium erfüllt (abgesehen von der
4.1 Vorschläge für das Bankensystem 75

Finanzierung der FDIC-Ausgaben). Die FDIC hat die Aufgabe, jede Bank zu über-
nehmen, die sie für zahlungsunfähig hält, und dann entweder die Bank zu ver-
kaufen, die Vermögenswerte der Bank zu veräußern, die Bank zu reorganisieren
oder jede andere ähnliche Maßnahme zu ergreifen, die dem Gemeinwohl einer
staatlichen Beteiligung am Bankensystem dient. Das TARP-Programm [Troubled
Asset Relief Program] wurde zumindest teilweise ins Leben gerufen, um es dem
US-Finanzministerium zu ermöglichen, Aktien bestimmter Banken zu kaufen, um
zu verhindern, dass diese von der FDIC für insolvent erklärt werden, und um es
ihnen zu ermöglichen, weiterhin über genügend Kapital zu verfügen, um weiter-
hin Kredite vergeben zu können. Das TARP-Programm hat jedoch gezeigt, dass so-
wohl die Bush- als auch die Obama-Regierung nicht verstanden haben, wie das
Bankensystem im Wesentlichen funktioniert. Sobald eine Bank Verluste erleidet,
die ihr privates Kapital übersteigen, werden weitere Verluste von der FDIC,
einem Arm der US-Regierung, gedeckt. Wenn das Finanzministerium einer Bank
„Kapital zuschießt“, geschieht nichts anderes, als dass, sobald die Verluste den
gleichen Betrag an privatem Kapital übersteigen, das US-Finanzministerium,
ebenfalls ein Arm der US-Regierung, als nächstes für alle Verluste bis zur Höhe
seines Kapitalbeitrags aufkommt, während die FDIC alle darüberhinausgehenden
Verluste deckt. Was ändert sich also durch den Kauf von Bankaktien durch das
Finanzministerium? Nachdem das private Kapital verloren gegangen ist, werden
die Verluste vom US-Finanzministerium und nicht von der FDIC übernommen,
die ebenfalls vom US-Finanzministerium finanziert wird. Für die US-Regierung
und die „Steuerzahler“ macht es keinen Unterschied, ob das Finanzministerium
die Verluste indirekt durch die Finanzierung der FDIC oder direkt durch eine „Ka-
pitalspritze“ an eine Bank deckt. Alles, was nötig war, um das gleiche Ziel wie das
TARP-Programm zu erreichen – den Banken zu ermöglichen, weiterhin deren
Funktionen zu erfüllen und FDIC-versicherte Einlagen zu erwerben – wäre, dass
die FDIC die privaten Kapitalanforderungen direkt reduziert. Stattdessen – und
als direkter Beweis für eine kostspielige Unkenntnis der Dynamik des Bankenmo-
dells – verbrannten sowohl die Obama- als auch die Bush-Regierung erhebliche
Mengen an politischem Kapital, um die gesetzgeberische Befugnis zu erhalten, die
es dem Finanzministerium erlaubt, Eigenkapitalpositionen in Dutzenden von Pri-
vatbanken zu kaufen. Und zu allem Überfluss wurde dies alles als zusätzliche De-
fizitausgaben des Bundes verbucht. Das wäre zwar egal, wenn der Kongress und
die Regierungen das Geldsystem verstehen würden, aber das tun sie nicht, und
deshalb hat das TARP ihr Willen eingeschränkt, weitere fiskalische Anpassungen
vorzunehmen, um Beschäftigung und Produktion wiederherzustellen. Ironischer-
weise trägt die übermäßig restriktive Fiskalpolitik weiterhin zu den steigenden
Ausfallquoten bei Bankkrediten bei, was das gewünschte Wachstum des Bankka-
pitals weiterhin behindert.
76 Kapitel 4 Vorschläge für das Finanzministerium

4.2 Vorschläge für die Federal Reserve

1. Die Fed sollte unbesicherte Kredite an die Mitgliedsbanken vergeben, und zwar in
unbegrenztem Umfang zu ihrem Zielsatz für Fed Funds, indem sie einfach auf dem
Fed Funds-Markt Handel treibt. Es gibt keinen Grund, etwas anderes zu tun. Derzeit
vergibt die Fed Kredite an ihre Banken nur auf vollständig besicherter Basis. Dies ist
jedoch sowohl überflüssig als auch störend. Die Forderung der Fed nach Sicherhei-
ten bei der Kreditvergabe ist überflüssig, da alle Bankaktiva bereits vollständig von
den Bundesaufsichtsbehörden reguliert werden. Es ist die Aufgabe der Regulie-
rungsbehörden, dafür zu sorgen, dass alle FDIC-versicherten Einlagen „sicher“ sind
und „Steuergelder“ nicht durch Verluste gefährdet werden, die das verfügbare Pri-
vatkapital übersteigen. Daher hat die FDIC bereits festgelegt, dass Gelder, die die
Fed einer Bank leiht, nur in „legale“ Vermögenswerte investiert werden dürfen und
dass die Bank, wie gesetzlich vorgeschrieben, ausreichend kapitalisiert ist. Es gibt
keinen Spielraum für eine „missbräuchliche“ Finanzierung durch die Fed, da die
Banken bereits eine praktisch unbegrenzte Finanzierung durch FDIC-versicherte
Einlagen erhalten können. Der einzige Unterschied zwischen Banken, die sich mit
FDIC-versicherten Einlagen finanzieren, und solchen, die direkt von der Fed finan-
ziert werden, könnte der Zinssatz sein, den die Bank zahlen muss. Die Fed neigt
auch dazu, bei der Kreditvergabe an ihre Mitgliedsbanken Mengenbeschränkungen
festzulegen, obwohl es durchaus Gründe dafür gibt, Kredite in unbegrenzter Höhe
zu vergeben. Die Kreditvergabe der Banken ist nicht an Mindestreserven gebunden,
so dass eine mengenmäßige Beschränkung der Kreditvergabe an die Banken die
Kreditvergabe nicht verändert. Was die Beschränkung der Reserven bewirkt, ist
eine Änderung des Leitzinses, d. h. des Satzes, den die Banken für Reserven zahlen,
sowie des Zielsatzes der Fed. Die einzige Möglichkeit für die Fed, den Leitzins voll-
ständig auf seinem Zielsatz zu stabilisieren, besteht also darin, einfach anzubieten,
unbegrenzt Mittel zu diesem Satz zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig anzubie-
ten, Leitzinseinlagen zu demselben Zielsatz anzunehmen. Und da es kein monetäres
Risiko oder nachteilige wirtschaftliche Folgen für die Vergabe unbegrenzter Mittel
zu ihrem Zielsatz gibt, gibt es keinen Grund, dies nicht zu tun. Ein weiterer Vorteil
dieser Politik wäre die vollständige Abschaffung des Interbankenmarktes für Fed
Funds [Guthaben bei der Fed]. Es dient nicht dem Gemeinwohl, wenn die Banken
untereinander mit Fed Funds handeln, wenn sie dies mit der Fed tun können, und
die Transaktionskosten werden ebenfalls reduziert. Um den Interbankenmarkt voll-
ständig zu eliminieren, hat die Fed außerdem die Möglichkeit, ihren Banken Finanz-
mittel mit einer vollständigen Laufzeitstruktur von Zinssätzen zur Verfügung zu
stellen, um sowohl diese Zinssätze anzustreben als auch die Notwendigkeit des In-
terbankenhandels zu eliminieren.
4.3 Vorschläge für das Finanzministerium der USA 77

2. Ich würde die Fed darauf beschränken, die Banken als Agenten der Geldpolitik
einzusetzen. Ich würde nicht versuchen, zusätzliche öffentlich-private Partner-
schaften für den Ankauf verschiedener Finanzaktiva zu gründen. Stattdessen
würde ich, wenn ich die Notwendigkeit des Ankaufs dieser Vermögenswerte beja-
hen würde, das Bankensystem in die Lage versetzen, dies auf die gleiche Weise
zu tun, wie es für die neuen öffentlich-privaten Partnerschaften vorgeschlagen
wird. Dies könnte in der Form geschehen, dass den Banken gestattet wird, diese
„qualifizierten Vermögenswerte“ auf ein gesondertes Konto zu legen, wobei die
Verluste für das Bankkapital auf z. B. 10 Prozent der Investitionen in diese Konten
begrenzt würden. Dies würde zum gleichen Ergebnis führen wie die kürzlich vor-
geschlagenen öffentlich-privaten Partnerschaften, allerdings im Rahmen des be-
stehenden stark regulierten und überwachten Bankensystems. Die Banken sind
das geeignete geldpolitische Instrument, um die risikobereinigte Laufzeitstruktur
der Zinssätze zu steuern. Warum sollte man den Aufwand und das Risiko auf sich
nehmen, neue öffentlich-private Partnerschaften zu gründen, wenn es bereits
rund 8.000 Mitgliedsbanken gibt, die für diesen Zweck eingerichtet wurden?

3. Ich würde die Nullzinspolitik dauerhaft machen. Dies minimiert den Kosten-
druck auf die Produktion, einschließlich der Investitionen, und trägt damit zur Sta-
bilisierung der Preise bei. Sie minimiert auch die Rentiereinkommen und fördert
so eine höhere Erwerbsbeteiligung und eine Steigerung der realen Produktion. Da
die nichtstaatlichen Sektoren Nettosparer von Finanzanlagen sind, schadet diese
Politik den Sparern mehr als sie den Kreditnehmern hilft, so dass eine fiskalische
Anpassung wie eine Steuersenkung oder eine Staatsausgabenerhöhung angemes-
sen wäre, um Produktion und Beschäftigung aufrechtzuerhalten.

4. Ich würde die Fed anweisen, über ihr Bankensystem jedem Käufer eine Kreditaus-
fallversicherung für alle Staatsanleihen anzubieten. Bei US-Staatsanleihen besteht
kein Ausfallrisiko, aber wenn Marktteilnehmer eine solche Kreditausfallversicherung
kaufen wollen, würde ich sie über die Fed zur Verfügung stellen. Dadurch würden
die Prämien und die Risikowahrnehmung auf einem von der Fed festgelegten Niveau
gehalten. Ich würde vorschlagen, dass sie diese Versicherung zu einem Preis von 5
Basispunkten [0,05 Prozent] für alle Laufzeiten anbieten.

4.3 Vorschläge für das Finanzministerium der USA

1. Ich würde den Verkauf von Staatsanleihen komplett einstellen. Stattdessen


würden sich alle Defizitausgaben als überschüssige Reserveguthaben bei der
Fed ansammeln. Die Ausgabe von Staatsanleihen mit einer nicht konvertier-
baren Währung und einer Politik der freien Wechselkurse dient nicht dem
78 Kapitel 4 Vorschläge für das Finanzministerium

Gemeinwohl. Die Ausgabe von Staatsanleihen dient nur dazu, die Zinsstruk-
tur auf einem höheren Niveau zu halten, als es sonst der Fall wäre. Da länger-
fristige Zinssätze dem Reich der Investitionen angehören, führen höhere
Zinssätze nur zu einer negativen Verzerrung der Preisstruktur aller Waren
und Dienstleistungen.
2. Ich würde dem Finanzministerium nicht erlauben, Finanzanlagen zu kaufen.
Dies sollte nur durch die Fed geschehen, wie es traditionell der Fall ist. Wenn
das Finanzministerium anstelle der Fed Vermögenswerte kauft, ändert sich
nur die Reaktion des Präsidenten, des Kongresses, der Ökonomen und der
Medien, die den Kauf von Finanzanlagen durch das Finanzministerium
fälschlicherweise als „Defizitausgaben“ des Bundes interpretieren, die andere
fiskalische Möglichkeiten einschränken.

4.4 Schlussfolgerung

Ich schließe mit meinen Vorschlägen zur Stützung der Gesamtnachfrage und zur
Wiederherstellung von Produktion und Beschäftigung dieses Kapital ab:
1. Eine vollständige Befreiung von der Lohnsteuer, bei der das Finanzministe-
rium alle Beiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber übernimmt. Dadurch
wird die Kaufkraft derjenigen, die noch arbeiten, sofort wiederhergestellt
und sie können ihre Hypothekenzahlungen leisten, was auch das Bankensys-
tem stabilisiert.
2. Ich würde 150 Milliarden Dollar an Einnahmenbeteiligung an die Regierun-
gen der Bundesstaaten auf einer Pro-Kopf-Basis verteilen. Dies würden jene
Regierungen der Bundesstaaten stabilisieren, die derzeit aufgrund der durch
die Rezession verursachten Einnahmeausfälle bei den öffentlichen Dienstleis-
tungen Kürzungen durchführen. Die Verteilung auf Pro-Kopf-Basis macht es
„fair“ und belohnt nicht „schlechtes Verhalten“.
3. Ich würde die Bundesregierung veranlassen, Vollzeitarbeitsplätze für 15 Dol-
lar pro Stunde [angepasst auf heutige Verhältnisse; im Original hieß es noch
8 Dollar] inklusive Gesundheitsversicherung für jeden zu finanzieren, der
willens und in der Lage ist zu arbeiten. Dadurch wird ein Pufferbestand an
beschäftigten Arbeitskräften geschaffen, der einen besseren Preisanker dar-
stellt als unser derzeitiger Arbeitslosenpuffer. Dies trägt dazu bei, die Be-
schäftigung im privaten Sektor zu erhöhen, wenn sich die Wirtschaft
verbessert. Es ist erwiesen, dass der private Sektor lieber diejenigen einstellt,
die bereits arbeiten, als diejenigen, die arbeitslos sind.
4.4 Schlussfolgerung 79

Diese drei Vorschläge, zusammen mit den oben genannten Vorschlägen für die
Fed, das Finanzministerium, die FDIC und das Bankensystem, würden die US-
Wirtschaft schnell wieder zu positivem Wachstum und Vollbeschäftigung verlei-
ten. Zudem wird ein Bankensystem geschaffen, welches das Gemeinwohl fördert
und weniger Regulierung benötigt, während das systemische Risiko, das unseren
derzeitigen institutionellen Regelungen innewohnt, erheblich reduziert wird.
Kapitel 5
White Paper zur Moderne Geldtheorie (MMT)

Der Zweck dieses Kapitels ist es, die Grundlagen der MMT öffentlich darzustellen.

5.1 Was ist MMT?

MMT begann mit einer Beschreibung der Geldgeschäfte und der Buchhaltung der
Federal Reserve Bank, die man sich am besten als Forderungen und Verbindlich-
keiten auf Konten von Banken, Unternehmen und Privatpersonen vorstellt.
1992 entwickelte Warren Mosler unabhängig das, was als MMT bekannt ge-
worden ist. Im Jahr 1996 stellte er es der akademischen Gemeinschaft über eine
Internet-Diskussionsgruppe vor. Obwohl spätere Nachforschungen Schriften von
Autoren zutage förderten, die ähnliche Gedanken zu einigen der monetären Er-
kenntnisse und Einsichten der MMT hatten, darunter Abba Lerner, George
Knapp, Mitchell Innes, Adam Smith und der ehemalige Chef der New Yorker
Fed, Beardsley Ruml, ist die MMT in ihrer Analyse monetärer Volkswirtschaften
einzigartig und daher am besten als eigene Denkschule zu betrachten.

5.2 Welche Bedeutung hat MMT heute?

Das MMT-Verständnis bringt politische Optionen auf den Tisch, die zuvor nicht
als realisierbar galten.

5.3 Was ist anders an MMT?

Kausalität

MMT allein erkennt an, dass, im Falle der USA, die Bundesregierung und ihre Agen-
ten der einzige Lieferant dessen sind, was sie für die Zahlung von Steuern verlangt.
Das heißt, die Währung selbst ist ein einfaches öffentliches Monopol.
Die US-Regierung erhebt Steuern, die in US-Dollar zu zahlen sind.
Die US-Dollars für die Zahlung dieser Steuern oder den Kauf von US-
Schatzpapierenkönnen nur von der US-Regierung und ihre Agenten stammen.
Die Wirtschaft muss Waren, Dienstleistungen oder Vermögenswerte an die
US-Regierung verkaufen (oder Kredite von der US-Regierung aufnehmen, was

https://doi.org/10.1515/9783111195759-006
5.5 Wie wird die Staatsverschuldung zurückgezahlt? 81

funktionell ein Verkauf von Vermögenswerten ist), sonst kann sie ihre Steuern
nicht zahlen oder keine US-Schatzpapiere kaufen.

Auswirkungen:
1. Die US-Regierung und ihre Vertreter geben von Anfang an zwangsläufig zu-
erst Geld aus (oder verleihen Geld), und erst danach können Steuern gezahlt
oder US-Staatsanleihen gekauft werden.
Dies steht in direktem Gegensatz zu den gängigen Wirtschaftsmodellen und
der Rhetorik, die besagt, dass die US-Regierung Steuern erheben muss, um US-
Dollars zum Ausgeben zu erhalten, und was sie nicht besteuert, muss sie sich
von Ländern wie China leihen und die Schulden unseren Enkeln hinterlassen.
Die MMT erkennt also an, dass nicht die US-Regierung Dollars braucht,
um sie auszugeben, sondern dass die treibende Kraft darin besteht, dass die
Steuerzahler die Dollars der US-Regierung brauchen, um Steuern zahlen und
US-Schatzpapiere kaufen zu können.
2. Die Verdrängung privater Ausgaben oder privater Kreditaufnahme, die Erhö-
hung der Zinssätze, der Finanzierungsbedarf der Bundesregierung und Sol-
venzprobleme gelten nicht für eine Regierung, die, wie die USA, von Anfang
an zuerst ausgibt und dann Kredite aufnimmt.

5.4 Wie wollen die das bezahlen?

Die US-Regierung gibt in der Praxis wie folgt Geld aus:


Nachdem der Kongress die Ausgaben genehmigt hat, weist das Finanzminis-
terium die Federal Reserve Bank an, das Bankkonto des Empfängers in den Bü-
chern der Fed zu erhöhen (die aktuelle Zahl in eine höhere Zahl zu ändern).5

5.5 Wie wird die Staatsverschuldung zurückgezahlt?

Wenn US-Staatsanleihen fällig werden, reduziert die Fed die Wertpapierkonten


und erhöht die entsprechenden Konten bei der Zentralbank. Die Zinsen auf die
Staatsschulden werden den Wertpapierkonten gutgeschrieben und die Fed schreibt
diese Zinsen den Reservekonten gut.
Wenn das passiert, sind weder Steuerzahler noch Enkelkinder involviert.

 Die Konten der Mitgliedsbanken der Fed werden als Reservekonten bezeichnet und die Gutha-
ben auf diesen Konten werden als Reserven bezeichnet.
82 Kapitel 5 White Paper zur Moderne Geldtheorie (MMT)

5.6 Der Ursprung der Arbeitslosigkeit

MMT erkennt, dass die Besteuerung die Ursache für Arbeitslosigkeit ist – definiert
als Menschen, die bezahlte Arbeit suchen – vermutlich zu dem weiteren Zweck,
dass die US-Regierung diejenigen einstellt, die durch ihre Steuerverbindlichkeiten
[der US-Regierung] arbeitslos geworden sind.

5.7 Die MMT-’Geschichte des Geldes’ – Ein Staat, der sich


selbst versorgen will

1. Die US-Regierung erhebt Steuerverpflichtungen, die in US-Dollar zu zahlen


sind.
2. Folglich werden Waren, Dienstleistungen und Vermögenswerte zum Verkauf
angeboten, um die erforderlichen US-Dollar zu erhalten um die Steuern be-
zahlen zu können.
3. Der Staat kann dann diese Waren und Dienstleistungen kaufen.
4. Danach können Steuern gezahlt werden.
5. Wenn die Menschen im Durchschnitt mehr verdienen wollen, als für die Be-
zahlung von Steuern erforderlich ist, werden Waren, Dienstleistungen und
Vermögenswerte in ausreichender Menge zum Verkauf angeboten, um diese
zusätzlichen Dollar zu erhalten.
6. Staatliche Ausgaben, die über die Steuern hinausgehen – Defizitausgaben –
liefern die Dollar, die gespart werden sollen.
7. Nachdem der Staat diese zusätzlichen Dollars ausgegeben hat, können
Schatzwechsel, Banknoten und Anleihen gekauft werden, wodurch die Kon-
ten mit den Dollars, die der Staat bereits ausgegeben hat, reduziert werden.6
8. Die Zahlungen der US-Regierung werden den Zentralbankkonten der Banken
gutgeschrieben.
9. Beim Kauf von Wertpapieren belastet die Fed die Reservekonten und erhöht
die Wertpapierkonten, die ebenfalls bei der Fed geführt werden.

 Die Staatsverschuldung entspricht der Menge an Dollar, die vom Staat ausgegebenen, aber
nicht zur Zahlung von Steuern verwendet wurden.
5.9 Inflation 83

5.8 Zinssätze

MMT erkennt, dass ein positiver Leitzins zu einer Zinszahlung führt, die als
„Grundeinkommen für diejenigen, die bereits Geld haben“, verstanden werden
kann.
Die MMT erkennt, dass höhere Zinssätze eine expansive, inflationäre (und re-
gressive) Tendenz über zwei Arten von Kanälen bewirken können: nämlich über
die Kanäle der Zinseinnahmen [interest income channels] und der Terminpreise
[forward pricing channels]. Das bedeutet, dass die so genannte „Straffung“ der
Fed durch eine Anhebung der Zinssätze die Gesamtausgaben erhöhen und Preis-
steigerungen begünstigen kann. Dies steht im Gegensatz zu den beworbenen be-
absichtigten Effekten der Verringerung der Nachfrage und der Senkung der
Inflation.
Ebenso entziehen Zinssenkungen der Wirtschaft Zinseinnahmen, was die
Nachfrage verringert, und die Inflation senkt. Das wiederum steht im Gegensatz
zu den beabsichtigten Auswirkungen.
Darüber hinaus sind die Terminpreise eine direkte Funktion des Leitzinses
der Fed, und bei einer Politik der positiven Zinsstruktur steigt das Terminpreisni-
veau kontinuierlich mit dem Leitzins an, was der akademischen Definition von
Inflation entspricht.
Die MMT geht davon aus, dass ein permanenter Leitzins von 0 Prozent der
Basisfall für die Analyse einer Politik des freien Wechselkurses ist.
MMT geht davon aus, dass bei einem dauerhaften Leitzins von 0 Prozent die
Preise von Vermögenswerten risikobereinigte Bewertungen widerspiegeln und
sich nicht „kontinuierlich beschleunigen“, wie der Begriff „Vermögenspreisinfla-
tion“ vermuten lässt.
Das MMT-Verständnis von Zinssätzen steht zuweilen in direktem Wider-
spruch zu den Auffassungen der Zentralbanken und der großen Mehrheit der
Akademiker. Wir sind der Ansicht, dass diese „Mainstream“-Ansichten bestenfalls
auf feste Wechselkurssysteme anwendbar sind, auf jeden Fall aber nicht auf die
heutigen flexiblen Wechselkurssysteme.

5.9 Inflation

Nur MMT erkennt den wirklichen Ursprung des Preisniveaus an: Die Währung
selbst ist ein öffentliches Monopol und Monopolisten sind notwendigerweise
„Preissetzer“.
84 Kapitel 5 White Paper zur Moderne Geldtheorie (MMT)

Marktkräfte bestimmen lediglich die relativen Preise. Ihre einzige Informa-


tion über den absoluten Wert der Währung kommt vom Staat, durch seine Politik
und seine institutionelle Struktur.

Deshalb gilt:
Das Preisniveau ist notwendigerweise eine Funktion der Preise, die von den
Vertretern des Staates gezahlt werden, wenn sie Ausgaben tätigen, oder der Si-
cherheiten, die verlangt werden, wenn sie Kredite vergeben.
In einer so genannten Marktwirtschaft braucht die Regierung nur einen Preis
festzulegen, da die Marktkräfte alle anderen Preise als Ausdruck des relativen
Wertes kontinuierlich bestimmen, was wiederum von der institutionellen Struk-
tur beeinflusst wird.

5.10 Die Jobgarantie

Unfreiwillige Arbeitslosigkeit wird dadurch verursacht, dass der Staat nicht alle
Menschen einstellt, die durch Steuerverpflichtungen arbeitslos geworden sind.
Das heißt, es handelt sich um einen Fall, in dem ein Monopolist – die Regierung –
das Angebot einschränkt, was sich in diesem Fall auf die Netto-Staatsausgaben
bezieht.
Die derzeitige Politik besteht darin, die Arbeitslosigkeit als antizyklisches Puf-
ferlager zu nutzen, um die Preisstabilität zu fördern. Eine weitere politische Op-
tion besteht darin, dass die Regierung zur Förderung der Preisstabilität einen
Pufferbestand an Beschäftigten und nicht an Arbeitslosen einsetzt.
Bei der Jobgarantie handelt es sich um einen Vorschlag, wonach die US-
Regierung eine Politik des Beschäftigungspuffers betreibt, indem sie jedem, der
willens und in der Lage ist zu arbeiten, einen Vollzeitarbeitsplatz zu einem festen
Lohnsatz finanziert. Derzeit wird ein Lohn von 15 Dollar pro Stunde vorgeschla-
gen. Dieser Lohn wird zum numeraire für die Währung – der vom Monopolisten
festgelegte Preis, der den Wert der Währung definiert, während andere Preise
den relativen Wert ausdrücken können, der durch die institutionelle Struktur
weiter beeinflusst wird.
Die Jobgarantie fördert die Preisstabilität wirksamer als die derzeitige Politik
der beabsichtigten Arbeitslosigkeit, indem sie den Übergang von der Arbeitslo-
sigkeit in den privaten Sektor erleichtert, da private Arbeitgeber nicht gerne
Arbeitslose einstellen.
Sie sorgt auch für eine Form der Vollbeschäftigung und ist gleichzeitig ein Mittel
zur Einführung von Mindestlöhnen und -leistungen „von unten nach oben“, da Ar-
beitgeber des privaten Sektors um die Arbeitnehmer der Jobgarantie konkurrieren.
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