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Ludwig Siep
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xi
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
Vorwort
Seit meinem ersten Aufsatz zur Bioethik im Jahre 1985 (Siep 1985) gilt mein
Interesse der Frage nach den Zielen und Grenzen moderner Technologien.
Wenn philosophische Ethik nicht nur eine problematische »Wächterfunk-
tion« ausüben soll – für die das Recht eher geeignet ist –, sondern auch bei
der Beurteilung der Richtung sozialer und technologischer Entwicklungen
mitwirken soll, muss sie an Zielvorstellungen dafür arbeiten. Seit den immer
schnelleren Fortschritten der Biotechnologie wird die Frage auch zunehmend
öffentlich diskutiert: »In welcher Natur, in welchem Körper wollen wir
leben?«. Allzu oft wird diese Frage gleichsam selber technisch beantwortet,
wenn vom »enhancement« des Körpers und dem »improvement« der
Natur – etwa in der synthetischen Biologie – die Rede ist. Da beides aber
nicht einfach Mittel für unumstrittene Ziele sind – wie ein guter Rechner oder
ein gutes Verkehrsmittel – müssen an der Diskussion über »gut« und »besser«
die Öffentlichkeit und die »Normwissenschaften« mitwirken. Dazu gehört
die philosophische Ethik, die es seit ihren griechischen Anfängen mit den
Kriterien eines guten Lebens, ja sogar mit den bejahenswerten Ordnungen und
Zuständen der Welt (»Kosmos«) zu tun hat. Sie war, zusammen mit anderen
Wissenschaften, auch an den Beiräten und Kommissionen beteiligt, die seit
den 1980er Jahren für die öffentliche Beratung über neu entstehende oder
abzusehende technologische Entwicklungen eingerichtet wurden. An einigen
waren auch gesellschaftliche Gruppen oder staatlicher Einrichtungen betei-
ligt. In einigen dieser Beratungsgremien (klinische Forschung, Nanomedizin,
Stammzellforschung) durfte der Autor zwischen 1986 und 2011 mitarbeiten.
Schon früh erwuchs daraus die Überzeugung, dass traditionelle oder gegen-
wärtig dominierende Richtungen der philosophischen Ethik schlecht für
diese Aufgaben geeignet sind. In einer Welt, in der von der kosmischen und
biologischen Evolution über den kulturellen Wertewandel bis zur immer
schnelleren technischen und normsetzenden Entwicklung sozusagen alles
in Bewegung ist, können zeitlose Prinzipien und hoch abstrakte Regeln keine
Orientierung geben. Um bloße Subsumtion neuer Fälle unter alte Regeln
kann es in der »angewandten« Ethik, das war bald auch eine gemeinsame
Überzeugung fast aller Richtungen dieser neu entstehenden Disziplin, nicht
gehen. Indem die Urteilskraft zwischen allgemeinen Normen und konkreten
Problemen zu vermitteln sucht, ändern sich auch die Wertvorstellungen. Zu
der Überzeugung, dass es in der philosophischen Ethik auch um Zielvor-
stellungen für technische und soziale Entwicklungen gehen muss, trat die
viii Vorwort
zweite, dass moralische Kriterien und historische Erfahrungen sich in der an-
gewandten oder konkreten Ethik wechselseitig bestimmen.
Im Hinblick auf eine jahrzehntelange Beschäftigung mit der Philo-
sophie Hegels standen dabei in der Konzeption einer »konkreten Ethik«
zwei Hegelsche Begriffe – allerdings aus einiger Entfernung – Pate: Erstens,
»Konkret« muss vom Verfahren der Konkretion einer Vorstellung des Ganzen
der natürlichen und kulturellen Welt verstanden werden, das in umfassendem
Sinne »gut« genannt werden kann. Zweitens, »Erfahrung« ist im Sinne
eines Prozesses des kollektiven Bewusstseins zu verstehen. Im »normativen
Selbstbild« einer Epoche entstehen Konflikte und Umwälzungen, deren
institutionelle Lösungen die zukünftige Entwicklung bestimmen. Nur eine
Vernunft, die durch das Verständnis dieser Entwicklungen »belehrt« ist, kann
für Ziele und Grenzen der Technisierung Kriterien entwickeln.
»Historisch belehrt« heißt aber nicht, historisch relativ. Zwar kann die Philo-
sophie ihren Zeithorizont, wie auch Hegel konstatiert, nicht überspringen. In
diesem sind vergangene Erfahrungen institutionell »aufgehoben«, d.h. bewahrt
und verarbeitet. Für eine Philosophie, die öffentlich berät und nicht »vom
Lehnstuhl« deduziert, sind dabei diejenigen grundlegenden Erfahrungen die
wichtigsten, über deren Ergebnis ein möglichst stabiler und globaler Konsens
besteht. Jedenfalls dann, wenn sie sich zugleich mit guten allgemeinen Ein-
sichten in das rechtfertigen lassen, was Moral und Recht ausmachen und was
den menschlichen Fähigkeiten und Verletzlichkeiten spezifisch ist. Auch das
sind keine essentialistischen oder apriorischen Begriffe, sondern solche einer
Entfaltung von Dispositionen (Vernunft, humane Emotionalität und Bedürftig-
keit) und der Ausweitung und Universalisierung von Ansprüchen auf Rechte
und auf »unparteiisches Wohlwollen«. Im technischen Zeitalter ist dieser
Horizont für eine antizipierbare Zukunft der »Technikfolgen« offen.
In der Hegelschen Konzeption war diese Entwicklung die Realisierung
immanenter Zwecke der vernünftigen Natur des Menschen. Sie musste vom
»an sich« der vorhandenen Anlagen zum »für sich« einer reflektierten und
institutionalisierten vernünftigen Ordnung voranschreiten. Von einer solchen
Teleologie kann man heute nicht mehr ausgehen, sie entspricht unserer Sicht
der Evolution und der Geschichte nicht mehr. Aber zum einen ist eine Moral,
die nach jeder neuen Wende der technischen und kulturellen Entwicklung
gänzlich verwandelt sein kann, nicht zur Bestimmung von Richtungen und
Grenzen einer »guten« Entwicklung in der Lage. Zum anderen verfügt das
kulturelle und institutionelle Gedächtnis über Erfahrungen, die zu einem Ent-
setzen des »Nie wieder« geführt haben. Das ist nicht nur eine emotionale Re-
aktion, sondern hat zu weltweiten Rechtskonventionen und einer Fülle gut
Vorwort ix
durchdachter Theorien des Minimums geführt, dass der Würde des Menschen
geschuldet ist. An die Stelle einer Hegelschen Teleologie dessen, was die Ver-
nunft nicht nur erreichen kann, sondern aufgrund ihrer inneren Logik und ihrer
Macht über das Bewusstsein und Handeln zunehmend aufgeklärter Menschen
auch erreichen muss, tritt eine bescheidenere Erfahrungsgeschichte der Fort-
schritte und Rückfälle – mit einigen normativ unumkehrbaren Erfahrungen.
Der Verteidigung dieses Programmes habe ich in den fünfzehn Jahren seit
Erscheinen der »Konkreten Ethik« (2004) eine Reihe von Arbeiten gewidmet
(vgl. Siep 2013). Dabei hatte und habe ich mich mit einer Reihe gründlicher
und lehrreicher Kritiken auseinanderzusetzen, die vor allem in zwei Sammel-
bänden vorliegen (Vieth/Halbig/Kallhoff 2008, Hoesch/Laukötter 2017).
Während ich im ersteren bereits auf die Beiträge und Kritiken geantwortet
habe, steht das für den zweiten Band noch aus und erfolgt in diesem Buch.
Gliederung und Schwerpunkte sind daher teilweise der Antwort auf die
Kritiken geschuldet. Ich konnte aber nicht allen Beiträgen und Kritiken den
gebührenden Platz einräumen, weil das Buch zugleich eine selbständige Neu-
fassung und Fortentwicklung meines Projekts darstellt. Die Entwicklung der
eigenen Überlegungen war bis vor einigen Jahren auch durch Erfahrungen in
Kommissionen und Beiräten angeregt.
Zu danken habe ich außer den Beiträgern des Buches von 2017 vor allem den
mündlichen und schriftlichen Stellungnahmen des Münsteraner Forschungs-
kolloquiums von Michael Quante, neben ihm selber vor allem Mathias Hoesch,
Amir Mohseni, Nadine Mooren, Katja Stoppenbrink, Simon Derpmann und
Tim Rojek. Thomas Gutmann danke ich für kritische Lektüre des Textes. Bei
der Erstellung des Manuskripts und der Besorgung von Literatur halfen mir
Elisabeth Huckschlag, Pia Jauch und Lea Kipper. Ermutigung und sorgfältige
verlegerische Betreuung verdanke ich Michael Kienecker.
1 Vgl. Siep (²2016, urspr. 2004), Konkrete Ethik; Siep (2008), Erwiderungen; Vieth/Kalhoff/
Halbig (2008), Ethik und die Möglichkeit einer guten Welt; sowie Hoesch/Laukötter (2017),
Natur und Erfahrung.
xii Einleitung
2 Armin Grunwald sieht in den »disruptiven Innovation« durch hohe Rechnerkapazitäten und
»Schwarmintelligenzen« eine Bedrohung für Erfahrung und Deliberation in Ökonomie und
Technikethik (Grunwald (2019a), Digitalisierung als Prozess, Kap. 3.5, S. 135, 137).
3 Schon Aristoteles nennt »technikótatos« die Tätigkeiten, »bei denen am wenigsten dem Zu-
fall überlassen bleibt« (Politik 1258b 36-37, Aristoteles Werke (1991), S. 29). Für Birnbacher
(1991, Technik) ist die moderne Technik durch zwei »Wesenszüge« gekennzeichnet: Ihre
Objekte sind »instrumental zweckbezogen, um bestimmter Funktionen willen da« und sie
werden »ihrerseits mithilfe von Werkzeugen, Geräten und Maschinen hergestellt« (S. 609).
Zum Folgenden (auch zu Technik-Begriffen in der Philosophie der Technik des 20. Jahr-
hunderts) vgl. auch Siep (i. Erscheinen a, Autonomie, Natürlichkeit und Technik).
Einleitung xiii
4 Nach Birnbacher (1991, Technik) gilt schon seit Francis Bacon, dass die Technik »wie die
Religion das Ziel« hat, »die Vertreibung aus dem Paradies rückgängig zu machen« (S. 629).
5 Vgl. Bayertz (1987), GenEthik; Sturma (2001), Robotik; Grunwald (2019), Der unterlegene
Mensch; Koch (2019), Die Technik der Befriedung?.
xiv Einleitung
8 Vgl. Siep (i. E. a). Zur Autonomiegefährdung durch die Digitalisierung u.a. Grimm et al.
(2019), Digitale Ethik; Grunwald (2019a), Digitalisierung als Prozess.
9 Vgl. Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft. Vorgelegt von
der Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung (Berlin, 30. Mai 2011).
xvi Einleitung
erschüttert. Mit Nietzsche wird nicht nur das freie Spiel mit historischen
Verhaltensmustern, sondern auch die bewusste Umwertung traditioneller
Werte christlich jüdischer Moral philosophisch gerechtfertigt. Mit der Folge
allerdings, dass bis heute die Historisierung der Moral und die damit ver-
bundene »Relativierung« ehemals ewiger Sittengesetze oder naturrechtlicher
Begründungen als Gefahr für Ethik und Recht verstanden und manchmal be-
kämpft wird.
b) Der normative Begriff der Historisierung, von dem im Folgenden haupt-
sächlich die Rede ist, geht von der Notwendigkeit aus, für die Aufgaben der
modernen Ethik auf »historische« Erfahrungen zurückzugehen. Wenn das
überzeugt, können zumindest einige der Entwicklungen des beschriebenen
sozialen Wertewandels als Fortschritt im Sinne der Entwicklung zum Besseren
verstanden werden. Es kann auch bei der Begründung oder Rechtfertigung
sogar elementarer Rechte, wie der Menschenrechte, auf historische Er-
fahrungen zurückgegriffen werden.
Bei den gesellschaftlichen Großexperimenten,12 die bis zur Schaffung
eines »neuen Menschen« gingen, sind auch verheerende Rückfälle hinter
moralische und rechtliche Normen aufgetreten. Das droht auch bei zu-
künftigen technischen Entwicklungen, vor allem, wenn sie mit irreversiblen
Veränderungen der menschlichen und außermenschlichen Natur verbunden
sind. Da man diese Verluste nicht immer antizipieren kann, gelten inzwischen
reversible Techniken als wünschenswert oder gar geboten.
Eine im normativen Sinne historisierte Ethik berücksichtigt »Erfahrung«
erstens im Sinne eines Testes der »Lebbarkeit« alter und neuer Normen und
Wertesysteme – zuletzt vor dem Hintergrund der erwähnten und noch aus-
zuarbeitenden Zielvorstellung einer guten Welt. Zweitens prüft sie Normen
im Lichte historischer Konsense über Unrechtserfahrungen. Dabei haben
sich, wie gezeigt werden soll, einige als so unerträglich erwiesen, dass die
Werte und Normen, die ihre Wiederholung verhindern sollen, als irrever-
sibel gültig gelten können. Die Historisierung der Moral durch die Öffnung
zu historischen Erfahrungen führt damit selber zu einer Grenze historischer
Relativierung. Was in tabuisierenden Forderungen des Zeitbewusstseins nach
1945, wie »Nie wieder Auschwitz«, zum Ausdruck kommt und zum Postulat
unverletzbarer Menschenwürde und Menschenrechten geführt hat, lässt sich
philosophisch rechtfertigen. Dabei kann die Irreversibilität auch mit einer
Reihe begrifflicher und theoretischer Überlegungen gestützt werden, die sich
auf zumindest relativ konstante Eigenschaften des Menschen und seiner
Lernprozesse beziehen. Ihre Bewusstwerdung und die Realisierung der ihnen
moralischen Grenzen gibt es für eine solche Technisierung? Sind diese selber
der Historisierung entzogen? Eine, wenn auch nicht die einzige Grenze soll im
Folgenden für beide Prozesse nachgewiesen werden: die Menschenwürde und
die mit ihr verbundenen Menschenrechte. Auch wenn sie historisch entdeckt,
politisch umstritten und faktisch umkehrbar sind, kann ihre normative Un-
umkehrbarkeit gezeigt werden. Dazu muss gegen die Grenzenlosigkeit der hier
geforderten Historisierung der Moral argumentiert werden. Es wird nicht ein
einziges, sondern eine Reihe von Argumenten dafür geben, sowohl begriffliche
wie historische (vor allem Kap. 4 und 5).
Zum Schluss dieser Einleitung ein Vorblick auf den Inhalt. In den ersten
beiden Kapiteln des Buches geht es um die Möglichkeit und Methode einer
Ethik, die für eine Bestimmung der Grenzen der Technisierung der Natur taug-
lich ist. Philosophische Ethik war lange darauf beschränkt, Normen, Tugenden
und Werte im Zusammenleben der Menschen zu ergründen und zu begründen.
Die Natur, die externe und die menschliche, diente dabei vor der Neuzeit als
Reservoir vorbildlicher Prozesse, denen menschliches Handeln nacheifern
sollte. Die Bestimmung der menschlichen Natur konnte seiner Definition als
vernunftfähiges Lebewesen entnommen werden, die außermenschliche Natur
war hinzunehmen, wie sie ist. Die neuzeitliche Naturbeherrschung dient da-
gegen der Autonomie und dem Wohlergehen ihres Beherrschers. Wenn sie
heute die natürliche Basis der Moral wie die Werte einer nicht vollständig
kontrollierten Natur gefährdet, bedarf es neuer Kriterien für die »Güte« der
Natur.
Dazu muss zunächst der Sinn unserer Rede von »der Natur« geklärt werden.
Das erste Kapitel unterscheidet sowohl engere – Natur als Kontrastbegriff zu
Technik und Kultur als bewusstes Herstellen und Kontrollieren – wie weitere
Begriffe der Natur als materielles, raumzeitliches und kausales Kontinuum.
Während es bei letzterem heute – vorläufig beschränkt auf die Erde und den
nahen Weltraum – um Fragen der Erhaltung menschlicher Lebensbedingungen
geht, stellt sich beim engeren Begriff die Frage nach der Erhaltung von Natür-
lichkeit überhaupt durch Begrenzung der Technik. Zu ihrer Beantwortung be-
darf es einer mehr als privaten Auffassung von den Werten der Natur. Dazu
muss die Ethik über Kriterien des Guten einer erstrebenswerten Natur ver-
fügen sowie über eine Methode des bewertenden Beschreibens. Das ist Gegen-
stand des zweiten Kapitels.
Selbst wenn der Mensch der Natur nicht als grenzenloser Herrscher gegen-
überstehen, sondern in eine erstrebenswerte Natur integriert werden soll,
kommen ihm andere Güter zu als anderen Lebewesen. Das sind vor allem
Rechte, deren Einhaltung er von Mitmenschen und Institutionen einklagen
und zu der er sich selber verpflichten kann. Sie sind auch die ersten Kriterien für
xx Einleitung
eine Verbesserung der Welt, die heute zweifellos noch nicht »menschenrechts-
freundlich« ist. Eine solche nicht-technische Kategorie der Verbesserung ist
auch ein Kriterium des technischen Umganges mit der Natur, wenn auch nicht
das einzige. Fragen der Begründung oder Rechtfertigung der Menschenrechte
werden im Mittelteil dieses Buches (Kap. 3-5) diskutiert. Dabei wird ein Weg
verfolgt, der zur Überwindung der beiden Hauptgegensätze der Menschen-
rechtsdebatte führen könnte: Nämlich zwischen Zeitlosigkeit und Historizi-
tät sowie zwischen Individualismus und der Gemeinsamkeit von Werten und
Zielen.
Zu einem für den Menschen guten Leben gehören aber auch andere Kate-
gorien als Rechte, zumindest Wohlergehen oder Glück, Sinnerfüllung und
moralisch richtiges Leben – das alles im Rahmen seiner Sterblichkeit. Auch diese
Ziele bzw. ihre Erfüllung sind an das Gedeihen von sozialen Gemeinschaften
gebunden – teils sind sie davon abhängig, teils tragen sie (»kontributiv«) dazu
bei. Um die Kriterien dafür und um das Verhältnis der menschlichen Güter zu
denen der nicht-menschlichen Natur geht es im 6. Kapitel.
Das siebte Kapitel widmet sich ontologischen Fragen einer »historisierten«
Ethik, die der Technisierung der Natur von der Vorstellung einer im um-
fassenden Sinne – d.h. auch für die nicht-menschliche Natur – erstrebens-
werten Welt aus Grenzen setzt. Es geht um den ontologischen und modalen
Status einer solchen handlungsleitenden Idee,14 die an eine Beschreibung der
materiellen, kontingenten und sich entwickelnden Welt, in der Menschen leben,
gebunden ist. Das Verhältnis dieser Idee zu den auch für eine historisierte Moral
irreversibel geltenden Normen – Menschenwürde und Menschenrechten –
ist Gegenstand des Schlusskapitels (8.). Es ist eine zentrale Aufgabe mensch-
lichen Handelns, die möglicherweise auftretenden Spannungen – wie sie am
Beispiel der Öko- oder Klimadiktatur schon öffentlich diskutiert werden – zu
vermeiden. Konkrete Ethik arbeitet dabei mit anderen Wissenschaften, der
Öffentlichkeit und der Politik zusammen. In diesem Buch geht es aber im
Wesentlichen um grundsätzliche ethische Voraussetzungen. Ihre Anwendung
für konkrete Probleme der Bio- oder Technikethik steht nicht im Zentrum.15
Der Mensch lebt in und von etwas, das er nicht »gemacht« bzw. hervorgebracht
hat. Das gilt auch noch, wenn er in Städten oder artifiziellen Gebilden (Fahr-
zeugen, Wohnungen) von temperierter Luft und bearbeitetem Wasser lebt. Er
hat seine Umgebung zwar vielfach verändert, aber die Erde und den Weltraum
hat er nicht hervorgebracht – auch wenn er die Oberfläche der Erde (nicht
sehr tief) »umgepflügt« hat und im Weltraum inzwischen auch technische
Produkte des Menschen anzutreffen sind. Es ist auch fraglich, ob irgendetwas
Menschenähnliches, mit annähernd analogem »Verstand« und/oder Willen
Ausgestattetes (Gott, intelligentes Wesen, Weltvernunft) dieses Umfassende
hervorgebracht hat. Einen Schöpfer anzunehmen ist für viele Menschen
plausibel. Es ist aber für die konsistentesten und am besten belegten Er-
klärungen des Entstehens und der Entwicklung der materiellen Welt nicht
mehr nötig. Diese scheint eher aus sich selbst entstanden und entwickelt, also
im Sinne ihres ersten philosophischen Begriffes »Natur« (physis), das »von
sich her Aufgehende« (Heidegger)16 zu sein.
Im Folgenden wird »Natur« aber nicht nur im intensionalen Sinne des
nicht vollständig vom Menschen hergestellten oder Kontrollierten verwandt.
Unter »Natur« wird auch das raum-zeitlich-kausale Kontinuum verstanden, in
dem alle an Materie gebundenen Ereignisse, natürliche und kulturelle, statt-
finden und das sie voraussetzen. In Bezug darauf verwenden wir die Begriffe
»Natur« und »Welt« koextensiv. Da auch dieses Ganze nicht vom Menschen
gemacht und kontrolliert wird, umfasst Natur im Sinne des Weltalls alles
»Natürliche« ebenso wie alles Künstliche. Die Frage nach Ziel und Grenzen
der Technisierung ist dann die, ob es in der Welt oder der umfassenden Natur
noch Natürliches geben soll. Dann müsste auf das Ziel der perfekten Kontrolle
verzichtet werden.
Setzt eine solche Perspektive nicht ein transzendentales oder sogar
transzendentes Subjekt voraus, von dem aus überhaupt erst die Einheit einer
Welt oder Natur konstituiert wird? In diesem Buch geht es nicht um naturphilo-
sophische oder ontologische Fragen, daher hier nur eine Andeutung meines
16 Das ist bekanntlich Martin Heideggers Übersetzung von griech. »physis« in: Die Frage
nach der Technik (Heidegger (1967), S. 11).
2 1 Technisierung der Natur und philosophische Ethik
Verständnisses und Begriffsgebrauchs: Die Einheitssicht auf die Welt ist von
einer doppelten innerweltlichen Perspektive aus möglich. »Innerweltlich«,
weil wir derzeit allen Grund zu der Annahme haben, dass diese Perspektiven
materielle Träger (wie Gehirne) voraussetzen. Beide Perspektiven sind in
der menschlichen Kommunikationsgemeinschaft verbunden – unterstützt
durch zahlreiche technische Instrumente. Die eine ist die Perspektive von
Subjekten oder Personen, die zu einer begrifflichen Sprache, zum Aufstellen
von Gesetzeshypothesen und zur Erarbeitung allgemeingültiger Theorien
(»Wissenschaft«) fähig und die sich selbst reflexiv zugänglich sind. Die andere
ist die eines »menschheitlichen« Bewusstseins oder Gedächtnisses,17 das sich
in Kommunikationsgemeinschaften von Personen herausbildet. Ihm ist das
gegenständliche Korrelat der Welt potentiell präsent ist. »Potentiell« bedeutet:
selber in Perspektiven und Ausschnitten, die aber zusammengefasst werden
können. In diesem veränderlichen »Menschheitsbewusstsein« sind alle Wahr-
nehmungen und Begriffe aufeinander beziehbar, aber sie müssen nicht alle
zugleich und in einer umfassenden Einheit präsent sein – wie noch in Hegels
absoluter Idee als einfacher Persönlichkeit.18 Ein solches Gedächtnis kann
auch durch maschinelle Speicher- und Rechnerkapazitäten gestützt und ver-
größert werden, bedarf aber der Instantiierungen mit unmittelbar reflexivem
Selbstbezug.19
Menschen als sozial Handelnde, miteinander Kooperierende und sich Ver-
ständigende müssen eine solche Natur oder Welt voraussetzen – erst recht in
Zeiten, in denen die Bewohnbarkeit dieser Welt selber von ihrem koordinierten
Handeln abhängt. Das gilt unabhängig von den Gesetzes- und Theoriebegrif-
fen der Naturwissenschaften, etwa der Frage nach der Einheit der physikali-
schen Grundtheorien. Es ist auch unabhängig davon, ob es in der Phantasie
oder in theoretischen Konstrukten Antinomien oder »Sprünge« (saltus) geben
kann. Sogar wenn religiöse Weltanschauungen Sprünge in der Natur durch
übernatürliche Einwirkungen für möglich halten, müssen sie sich lebenswelt-
lich auf eine solche kontinuierliche Welt einlassen. Sonst können Menschen,
die diese Welt gemeinsam »bewohnen«, keine Übereinkünfte mit nicht
wundergläubigen Menschen schließen und ihre Handlungen mit ihnen ko-
ordinieren. Das gilt auch für diejenigen Handlungen, die heute und in Zukunft
17 Vgl. dazu Jan Assmanns Arbeiten zum kulturellen Gedächtnis (Assmann (2007),
Das kulturelle Gedächtnis). Ich gehe hier aber von einem Bewusstsein nicht nur der
kulturellen Vergangenheit aus, sondern auch von Natur, Gegenwart und antizipierbarer
Zukunft.
18 Vgl. dazu Siep, (2018a), Die Lehre vom Begriff, S. 753-766.
19 Vgl. Quante (2018), Pragmatistic Anthropology, S. 67-82; Gethmann (2016), fundamentum
inconcussum.
1.1 Nachmetaphysische Naturbegriffe 3
für die Erhaltung der Bewohnbarkeit zumindest der Erde nötig sind. Eine
solche ist aber auch nicht unabhängig von kosmischen Fernwirkungen. Die
notwendig gewordene menschheitliche Sorge um die Bewohnbarkeit der Welt
macht ihre zumindest lebensweltliche Einheit evident.
Was den engeren Naturbegriff angeht, so wird seine Unterscheidbarkeit vom
»Kultivierten«, von Menschen Beeinflussten, gerne in Frage gestellt. Vieles von
dem, was in der Umgangssprache oder den Wissenschaften »Natur« genannt
wird, ist zwar nicht völlig vom Menschen hergestellt, aber doch mehr oder
minder weitgehend von ihm verändert oder beeinflusst. Das gilt heute auch für
das Klima und in der Folge von denjenigen Landschaften, die der Mensch nicht
bewusst »kultiviert« bzw. auf seine Nutzung zugerichtet hat (schmelzende
Gletscher, »umgekippte« Salzseen etc.). Im Sinne eines Kontrastbegriffes zu
den von Menschen, teilweise unter Benutzung natürlicher Stoffe, hergestellten
Gebilden der Zivilisation, Technik, Kultur kann man diesen Bereich von
Objekten und Prozessen – darunter beeinflussten, aber nicht kontrollierten
Wachstumsprozessen – immer noch »Natur« nennen.
Naturbegriffe haben zweifellos eine eigene Geschichte, über die gerade in
den letzten Jahren viel geforscht wurde. Für meine Argumentation kommt
es vor allem auf die Wandlungen im modernen, nicht mehr durchgängig von
Metaphysik und Religion geprägten Verhältnis des »technischen« Menschen
zur Natur an. Der Mensch ist unter den Lebewesen offenbar das am wenigsten
an seine Umgebung angepasste, aber zugleich das zur aktiven Anpassung am
besten geeignete.20 Er hat sich »die Erde untertan«, bewohnbar, fruchtbar etc.
gemacht – bis in die letzten Winkel der Gebirge und der Meere (quantitativ
noch vergleichsweise geringfügig, aber tendenziell unbegrenzt). Zugleich hat
er gelernt, vielleicht bei zunehmender Entlastung von Selbstbehauptung,
dasjenige, in dem er lebt, »an sich« (d.h. ohne Verwendungsinteresse) an-
zuschauen, zu verstehen und zu genießen (er-leben) – in der Neuzeit durch
Kunst und Reise, heute auch im »Massentourismus«.
Die Natur gilt ihm nicht mehr als Ort feindlicher oder günstiger Dämonen,
aber für die meisten auch nicht als Lobpreis ihres Schöpfers, wie in der christ-
lichen Tradition. Sie erscheint nach den gegenwärtig besten Theorien ihrer Er-
klärung aus sich selbst entstanden und auf keinen externen Zweck bezogen.21
20 Es gibt aber Theorien, nach denen die Menschheit vor ihrer kulturellen Entfremdung
von der Natur eine stabile und für sein Wohlergehen förderliche evolutionäre Nische
einnahm. Sie schließen an die Rousseau-Kritik der menschlichen kulturellen Selbstent-
fremdung an – und über diese an (überzogene) Konzeptionen eines kulturellen Sünden-
falls, spätestens seit der Neuzeit. Vgl. Narvaez (2016), Baselines for Virtue.
21 Sie existiert aber nicht notwendig und entspricht daher nicht den klassischen Gottes-
begriffen (ens necessarium).
4 1 Technisierung der Natur und philosophische Ethik
22 Charles Taylor spricht von der »Bejahung des gewöhnlichen Lebens«, so der Titel des
dritten Teils von Taylor (1994), Quellen des Selbst. Vgl. dazu Halbig (2013), Der Begriff der
Tugend, S. 72.
23 Man kann darin den nächsten Schritt sehen nach der Nachahmung der Natur und dem
Stadium, in dem »der Natur etwas vorausgemacht wird«, wie Blumenberg (2015, Verhält-
nis von Natur und Technik, S. 27) formuliert.
1.1 Nachmetaphysische Naturbegriffe 5
24 In diesem Sinne vor allem Mainzer (2016) und Grunwald (2019a, Digitalisierung als
Prozess, S. 139 f.), der diesen Determinismus teilweise für eine Ideologie zur Vermeidung
ethischer Wertung hält.
6 1 Technisierung der Natur und philosophische Ethik
Zur Kulturgeschichte gehört auch eine Geschichte der Normen und Werte
sowie der dazugehörigen Begründungen. Dabei gibt es durchaus Konstanten,
wie der moralische Standpunkt des wohlwollend unparteiischen25 Be-
obachters oder Grundzüge einer universalen, allen »Beobachteten« gleiche
Ansprüche zugestehenden Moral. Einstellungen der Kooperativität und
des Vermeidens wechselseitiger Schädigungen mögen sogar biologisch-
stammesgeschichtliche Wurzeln haben.26 Auf der anderen Seite bedurfte es
langer kultureller Entwicklungen, bis der Gedanke gleicher (Grund)Rechte
aller Menschen zumindest als Norm etabliert war. Die meisten Sprachen und
Kulturen verwenden asymmetrische Begriffe zur Bezeichnung der anspruchs-
berechtigten Mitglieder der eigenen Gruppe und derjenigen der weniger Be-
rechtigten der übrigen Gruppen.27 Sollte die »Sakralisierung der Person«
(Hans Joas) bereits in der Achsenzeit beginnen, sind langlebige Normen inner-
halb einer Geschichte – zumeist parallel verlaufender Geschichten, eine ge-
meinsame Weltgeschichte der Kultur und der Normen steht heute allenfalls
am Anfang – offenbar möglich.28
25 Vgl. Baier (1974), Der Standpunkt der Moral. Unparteilichkeit heißt nicht unbedingt
Gleichgültigkeit gegen soziale Nähe oder angeborene Regungen, wie Tugendethiker das
befürchten (vgl. Annas (2005),Virtue Ethics). Mit der Anerkennung prinzipiell gleicher
Ansprüche von Menschen ist die Differenz zwischen Nah- und Fernpflichten vereinbar
(s.u. S. 128 f.).
26 Tomasello (2016), Naturgeschichte der menschlichen Moral. Im Bereich nahe ver-
wandter Tiere sind aber auch Aggressivität, Kindstötung und gewalttätige Eroberung von
Territorien verbreitet. Vgl. Sachser (2018), Der Mensch im Tier, vor allem Kapitel 7.
27 Koselleck (1979), Historisch politische Semantik, vor allem S. 213: infedeles, impii,
increduli, perfidi, inimici dei.
28 Joas (2011), Die Sakralität der Person sowie ders. (2017), Die Macht des Heiligen. Kritisch
zur Achsenzeit-Theorie: Assmann (2018), Achsenzeit, vor allem S. 290-293. Zu Joas Thesen
vgl. Kühnlein (Hg.) (2019), Der Westen und die Menschenrechte, (darin auch mein Bei-
trag: Siep (2019b), Sakralisierung und Genealogie).
1.2 Normquellen für die Naturveränderung 7
29 Brandom (2000, Making it Explicit) hat den Verpflichtungscharakter von Urteilen, die
als wahr behauptet werden, herausgearbeitet. Das gilt auch für diejenigen, die Urteile
anderer (ernsthaft) akzeptieren.
8 1 Technisierung der Natur und philosophische Ethik
30 Meine eigenen Überlegungen dazu gibt Christoph Halbig treffend wieder in: Halbig
(2017), Normative Ansprüche der menschlichen Natur, S. 84-94.
31 Vgl. Siep (2016), Konkrete Ethik, S. 126-135 sowie ders. (2008), Erwiderungen, S. 246 f.,
276 f., 344 f.
1.2 Normquellen für die Naturveränderung 9
32 Vgl. Siep (2016), Konkrete Ethik, vor allem Kap. 2 sowie Siep (2013), Moral und Gottesbild,
Kap. 8, S. 174-176 und 12 sowie Siep (2017), Braucht die moderne Ethik einen umfassenden
Begriff des Guten? S. 8-13 (vgl. auch u. S. 12 f. 157 f.).
33 Auch der kantische Begriff des unbedingt Guten als eines unabhängig von allen un-
kontrollierbaren Folgen erstrebenswerten gesetzlich-universalen Willens wird im Postulat
des höchsten Gutes wieder in den traditionell umfassenden Begriff eingeordnet (vgl. Siep
2017, Braucht die moderne Ethik, S. 11-13). Ein interessanter Beleg aus dem klassischen
Utilitarismus ist Sidgwick, der »gut« einerseits formal bestimmt als »dasjenige, was wir
pro tanto und soweit es in unserer Macht steht, herzustellen oder zu erhalten versuchen
sollen« und andererseits inhaltlich vom höchsten Gut als umfassend Erhaltens- oder
Herstellenswerten »für die Welt lebender Wesen oder für den Kosmos« her (Sidgwick
(2019), <Sein und Sollen> S. 81 f.).
10 1 Technisierung der Natur und philosophische Ethik
Was das menschliche Leben selber betrifft, so gehört zur Natürlichkeit auch
Altern, Vergänglichkeit und Tod. Sie bringen viel Leid mit sich und es ist nicht
einzusehen, warum man sich nicht mit technischen Mitteln dagegen wehren
darf. Wie der Anstieg der Lebenserwartung zeigt – wenn auch disproportional
zugunsten der wohlhabenden Länder – ist der Fortschritt auf diesem Gebiet
beträchtlich. Werden diese Grenzen aber immer weiter hinausgeschoben,
droht eine Überalterung der Menschheit und eine erhebliche Verlangsamung
der Generationenfolge. Das ist kein reiner Zugewinn an Wert. Zur Natürlichkeit
gehört daher auch Endlichkeit und Unvollkommenheit im Sinne der Verletz-
lichkeit und Vergänglichkeit der Individuen, ohne die es natürliche Mannig-
faltigkeit und eine gerechte Verteilung von Raum und Zeit zwischen Arten und
Generationen nicht gibt (s.u. Kap. 6.2).
Man kann Mannigfaltigkeit, Natürlichkeit, Gedeihen und Gerechtigkeit als
Grundzüge einer guten Welt bezeichnen, wie sie aus der Semantik des Be-
griffs des Guten und den Konsequenzen des moralischen Standpunktes unter
kontingenten Bedingungen »dieser« gegebenen Welt folgen. Sie nehmen
wesentliche Charakteristika traditioneller Bestimmungen von »Schöpfung«
oder »Kosmos« unter Bedingungen einer »Historisierung« von Natur und
Normativität auf, die sich auch in heutigen weltweiten Konventionen wieder-
finden. Sie kehren in gewissem Maße zu vor-neuzeitlichen Wertvorstellungen
der Natur zurück. Das unterscheidet sie von den weltweiten Konsensen über
Grundzüge der Gerechtigkeit unter den Menschen, von denen im Folgenden
(Kap. 3-5) ausführlich die Rede sein wird: Für die Menschenrechte sind
Modernisierungsprozesse und Rechtsfortschritte entscheidend. Auch dass
hier den weltweiten Übereinstimmungen über Werte der Natur ein so hoher
Stellenwert für die Ethik eingeräumt wird, gehört zur (modernen) Schätzung
von Autonomie und Zwanglosigkeit.
Sowohl zu den traditionellen wie den in der Moderne weitgehend kon-
sensuellen Vorstellungen gehört die der unterschiedlichen Gewichtung der An-
sprüche von Lebewesen nach ihrer »Organisationshöhe«. Die metaphysische
Konzeption der scala naturae bemaß sie allerdings vor allem nach der onto-
logischen Perfektion, d.h. der Annäherung an unzerstörbares (immaterielles),
ewiges und »geistiges« Sein. Ohne einen metaphysischen Dualismus oder
Geistmonismus ist davon nicht mehr auszugehen. Es entspricht aber sowohl
den Normkonsensen wie der evolutionären Erklärung der Natur, an einer ana-
logen Stufung festzuhalten. Es gibt dafür eine Reihe plausibler, wenn auch
keineswegs unkontroverser Argumente, wie der Streit über den Wert eines
Menschenlebens gegenüber dem »höherer« Tiere (Wölfe, Bären, Großkatzen,
Primaten) deutlich macht. Es ist aber plausibel, dass der Anspruch auf Leben
und Leidensfreiheit bei Wesen in steigendem Maße gewichtet wird, bei denen
1.2 Normquellen für die Naturveränderung 13
38 Sie muss allerdings nicht der zeitlichen Folge der Evolution entsprechen. Norbert Sachser
macht darauf aufmerksam, dass in puncto Intelligenz und Individualität die Rabenvögel
dem Menschen näherstehen als viele Säugetiere. Vgl. Sachser (2018), Der Mensch im Tier,
Kap. 5.
39 Siep (2018), Arten normativer Erfahrung.
14 1 Technisierung der Natur und philosophische Ethik
a) die Konsequenzen der Befolgung von Normen für das mit ihnen Inten-
dierte, von der Regelung von Koordinations- und Kooperationsproblemen
bis zur Verwirklichung von Werten (Gerechtigkeit, Gleichheit etc.)
b) die Erfüllung der Bedürfnisse der unter den Normen lebenden Individuen
und Gruppen, aber auch der Bedingungen des Gedeihens natürlicher Ge-
bilde und Lebewesen. Bei Menschen reicht das von körperlichen Bedürf-
nissen wie Ernährung, Gesundheit oder körperlichen Genüssen bis zur
Anerkennung ihres Selbstverständnisses und der von ihnen verfolgten
individuellen und gemeinschaftlichen Ziele
c) die Rückwirkung von Normen auf die Inklusion oder die Diskriminierung
von Gruppen. Das betrifft insbesondere die Auswirkung rechtlicher
Normen, aber auch die anderer Formen geschuldeter oder wünschens-
werter Anerkennung (vgl. u. Kap. 3.5).
Auf allen diesen Ebenen kann es Gelingen, Gedeihen und Erfüllung von
Ansprüchen ebenso geben wie Scheitern, Verletzung, Frustration, Unter-
drückung, Leiden und Entwürdigung. Für die Errichtung normativer Grenzen,
wie es Menschenrechte sind, kommt solchen negativen Erfahrungen ent-
scheidende Bedeutung zu. Von »Erfahrung« im hier verwendeten Sinne kann
aber erst gesprochen werden, wenn es sich um dauerhafte Korrekturen der
Normen und Einstellungen handelt. Auch hier an Hegel angelehnt, kann man
von Umkehrungen im kollektiven »normativen Selbstbild« sprechen.40 Wegen
der institutionellen Stabilität haben dabei rechtliche Erfahrungen einen para-
digmatischen Charakter.41 Hier können die positiven Folgen durch Gesetze
und Institutionen gesichert werden bzw. – was wichtiger ist – der Wieder-
holung der negativen Folgen kann vorgebeugt werden. Sie müssen aber in
moralischen Überzeugungsänderungen verankert werden. In vielen Fällen
folgen Erfahrungen dem Geltendmachen von Ansprüchen und dem Kampf
um ihre Anerkennung, wie Axel Honneth und Thomas Gutmann heraus-
gearbeitet haben.42
Für die entscheidenden Erfahrungen, die sich in den Menschenrechten,
vor allem ihrem jüngeren Bezug auf die Menschenwürde, niedergeschlagen
haben, scheint mir das indessen keine vollständige Erklärung. Es handelt
sich nicht immer um Reaktion gegen Diskriminierung. Die meisten Fälle
der versuchten oder erfolgreichen Ausrottung von rassischen, ethnischen
40 Vgl. Siep (2018), Arten normativer Erfahrung, S. 253. Hegel untermauert diesen Erfah-
rungsbegriff mit seiner logischen Figur der Negation des Negativen.
41 So auch Gutmann (2018a), Claiming Respect, S. 297. Vgl. auch ders. (2012), Normen-
begründung als Lernprozess?.
42 Vgl. Gutmann, (2018a), Claiming Respect und Honneth (1992), Kampf um Anerkennung.
1.2 Normquellen für die Naturveränderung 15
43 Gutmann (2018a), Claiming Respect, S. 291. Auch für Gutmann (ebd. S. 288) sind Un-
rechtserfahrungen für diese Entwicklung unabdingbar.
44 »It is awful to be locked up or silenced, terrifying to be beaten and tortured, appalling
to be left to starve or vegetate when resources are available for food and education;
and one may think those ills so bad that their avoidance should be an overriding aim
for any decent society« (Waldron (1987), Nonsense upon Stilts, S. 187). Für eine nicht am
Holocaust, sondern am armenischen Genozid orientierte Beschreibung entsprechend
sadistischer Phantasien und Praktiken lese man Hilsenrath (2014), Das Märchen vom
letzten Gedanken.
45 Ob diese beiden Aspekte auf die europäische Perspektive begrenzt sind – auch dort
ständig von autoritären und restriktiven Rückfällen bedroht – muss den Experten über-
lassen werden. Eine entsprechende Tendenz außerhalb Europas scheint sich aber auch
bei der Lektüre der Historiker nahezulegen, die den Eurozentrismus kritisieren. Als Bei-
spiele: Osterhammel (2010), Die Verwandlung der Welt; Bauer (2018), Warum es kein
islamisches Mittelalter gab.
16 1 Technisierung der Natur und philosophische Ethik
46 Zur Kritik der ideologischen Funktion des »Natürlichen« bis in die gegenwärtige Ge-
setzgebung und Rechtsprechung vgl. auch Gutmann (2017), Natur und Selbstbe-
stimmung, S. 103-107. Es gibt auch in der neuzeitlichen Philosophie noch Versuche,
natürliche Unterschiede durch metaphysische Deutungen zu überhöhen – mit be-
deutenden rechtlichen Folgen z.B. für das Geschlechterverhältnis. Das gilt auch noch für
Kant und Hegel. Für den letzteren vgl. Siep (2011), Natur und Freiheit.
47 Dieses Problem hat vor allem Johannes Müller-Salo (2017), Historische Erfahrung und
wertende Interpretation, herausgearbeitet. Zum moralischen Lernen vgl. auch – mit
skeptischen Einwänden im Anschluss an Mackie – Ach/Pollmann (2017), Moralisch
Problematisch, S. 48 f.
48 Vgl. dazu Rawls (1992), The Idea of an Overlapping Consensus. Ein solcher Konsens
über die Prinzipien einer gemeinsamen Rechtsordnung in einer pluralistischen Gesell-
schaft kann auf miteinander unvereinbare Begründungen zurückgehen (religiös, säkular,
theistisch, atheistisch etc.).
1.2 Normquellen für die Naturveränderung 17
sich um ein umfassendes »Narrativ« der Ereignisse und die daraus gezogenen
Konsequenzen bemüht. Die Erfahrungen von Kolonialismus und Diktatur ist
allerdings weltumspannend. Die Verteidigung der Menschenrechte gegen den
Vorwurf der »Westlichkeit« wird uns noch beschäftigen, allerdings im Wesent-
lichen beschränkt auf das Problem des Individualismus (unten 3.3).49 Trotz-
dem zeigt die anhaltende politische Kontroverse um die Menschenrechte, dass
es keine unbestrittene weltweite Deutung der Erfahrungen in verschiedenen
Kulturen gibt. Wenn solche Erfahrungen aber neben den metaethischen und
anthropologischen »Ressourcen« der philosophischen Ethik eine unabding-
bare Erkenntnisquelle sind, dann ist die Arbeit an einer Konvergenz der
kulturspezifischen Erfahrungsgeschichten essentiell. Die philosophischen
Kompetenzen, vor allem was außereuropäische Kulturen angeht, sind aber
sehr begrenzt. Daher beschränke ich mich in diesem Buch im Wesentlichen
auf europäische Erfahrungen. Insofern sie den weltweiten Imperialismus und
Kolonialismus betreffen, haben sie allerdings auch globale Aspekte.
Was den erwähnten Vorzug der Erfahrungen technischer Befreiung von
natürlichen Zwängen angeht, so muss man ihn differenziert betrachten. Natur-
beherrschung und menschliche Autonomie fallen nicht zusammen.50 Be-
freiung setzt voraus, dass man sich nicht anschließend technischen Zwängen
unterwirft. Es gibt keinen Zwang, die Potentiale und Dispositionen der Natur
möglichst weitgehend zu ersetzen. Sie können für das menschliche Wohl-
ergehen angeeignet werden. Die Bindekraft erotischer Neigungen, die Lust
an verschiedenen Genüssen (Schauen, Bewegen, Verzehren) kann weiterhin
für ein gutes Leben in Anspruch genommen werden. Das Gleiche gilt für den
Reichtum der evolutionären Natur und ihrer »Überraschungen«. Die Krisen
der technischen Zivilisation haben gezeigt, dass sich menschliche Technik
besser in die umfassenden Abläufe integrieren sollte (»Nachhaltigkeit«) als sie
völlig zu ersetzen.
Was die Aneignung natürlicher Potentiale gegenüber ihrer technischen Er-
setzung auszeichnen könnte, soll im Folgenden am Beispiel von Tugenden und
Perfektion erörtert werden.51
49 Zu dieser Debatte vgl. Joas (2015), Sind die Menschenrechte westlich? sowie Kühnlein/
Wils (Hg.) (2019), Der Westen und die Menschenrechte.
50 Vgl. Siep, (i. E. a), Autonomie, Natürlichkeit und Technik.
51 Vgl. Siep, (i. E.), Virtue and Nature.
18 1 Technisierung der Natur und philosophische Ethik
einzugehen, wird doch deutlich, dass sowohl die natürliche wie die bewusst-
vernünftige Seite der bewundernswerten Haltungen bzw. Tugenden erheblich
gefährdet wären.
Das bedeutet nicht, dass jede technische Unterstützung autonomer Ent-
scheidungen und Handlungsmöglichkeiten gegenüber bisherigen »natür-
lichen« Grenzen suspekt wäre. Im Bereich der Reproduktion, der regenerativen
Therapien oder auch der Lebensbeendigung gibt es wenige natürliche
Grenzen, die nicht durch Entscheidungen der Normgemeinschaft unter Be-
rücksichtigung der Folgen für die Betroffenen geändert werden könnten. Das
Wohl der Kinder und ihre zukünftige Autonomie ist das primäre Kriterium
für die Normen bezüglich der Reproduktion, danach folgen die Autonomie
und die Freude der Eltern an ihren Kindern. Wie sich soziale Elternschaft
und biologische oder medizinisch assistierte dabei zueinander verhalten ist
Gegenstand gemeinsamer Normsetzung55 und jedenfalls keine Frage von
Natürlichkeitstabus. Auch die Akzeptanz eigener körperlicher Dispositionen,
seien es genetische oder hormonelle, kann niemandem aufgezwungen werden.
Das individuelle Recht auf »Unnatürlichkeit«, von der Ernährung oder Unter-
haltung bis zur Festlegung des Geschlechts, besteht in den Grenzen der
Gleichheit und Nicht-Schädigung. Das heißt aber nicht, dass die Kontrolle aller
natürlichen Prozesse selbstverständliches Ziel gesellschaftlichen Handelns
sein sollte.
55 Vgl. dazu Gutmann (2017), Natur und Selbstbestimmung sowie die Stellungnahme der
Nationalen Akademie Leopoldina »Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – Für eine
zeitgemäße Gesetzgebung« vom Juni 2019.
Kapitel 2
Zwischen der technischen Beherrschung einer Natur, die nur Mittel für die
Erfüllung menschlicher Wünsche ist, und dem »Weltbild« der modernen,
an den Naturwissenschaften orientierten Ethik besteht ein großes Maß
an Übereinstimmung. In der modernen Wissenschaftstheorie und vielen
Positionen der Ethik geht man von einer strikten Trennung zwischen wert-
freier Beschreibung und Erklärung einerseits und Bewertung andererseits
aus. Wertfreie Beschreibung ist vor allem Aufgabe der »objektiven« Wissen-
schaften von einer entzauberten Welt. Wertungen stammen »subjektiv«
aus individuellen Wünschen, (Geschmacks-)Wertungen und Präferenzen,
normative Beurteilungen aus der Vernunft, entweder einer quantifizierenden
und Nutzen aggregierenden oder einer praktischen Vernunft der erfahrungs-
freien Forderungen. Dass Werte und Normen nicht zur Realität einer durch
den »Zement« der Kausalität zusammengehaltenen Welt gehören,56 ist aber
nur evident, wenn man den Gegenstand der Naturwissenschaften, vor allem
Physik und Chemie, für »die Welt« hält.
Für diese Übereinstimmung sind viele Geistes- und Wissenschafts-
geschichtliche Erklärungen geliefert worden. Das Verhalten zu einer in sich
wert- und zweckfreien Natur wurde mit dem »Sündenbewusstsein« der
Reformation ebenso in Verbindung gebracht (Blumenberg) wie mit dem Geist
der Kolonisatoren und Kolonisten (Meier-Abich).57 Diese Gedanken sollen
hier ebenso wenig weiterverfolgt werden wie der Versuch, durch eine Theorie
der Erkenntnisinteressen die völlige Wertfreiheit der Naturwissenschaft in
61 Vgl. dazu Rawls (1975), Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 68-71 sowie Hahn (2000),
Überlegungsgleichgewicht. Zur Anwendung von Rawls’ Methode des Reflexionsgleich-
gewichtes in der Konkreten Ethik vgl. Siep (2016), Konkrete Ethik, S. 32, 118-120.
62 Vgl. dazu Halbig (2017), Normative Ansprüche der menschlichen Natur, S. 94.
2.1 Beschreibung und Bewertung 25
Eine Ethik, die nicht nur strenge Gebote und Verbote in Bezug auf zwischen-
menschliches Verhalten zu begründen sucht, sondern auch für das Verhalten
zur nicht-menschlichen Welt sowie die Ziele und Grenzen ihrer Beherrschung
und Perfektionierung, ist pluralistisch in mehrfachem Sinne. Sie kann nicht
auf ein einziges Prinzip zurückgehen und sich nicht mit einem unbedingten
formalen Gebot begnügen. Außer mit Geboten hat sie es auch mit Gütern,
Werten und Tugenden zu tun.
Die allgemeinsten Kriterien für die Bewertung von Handlungszielen er-
geben sich aus den folgenden Quellen (s.o. S. 9-13): Erstens die Explikation
der Grundwörter der Moralsprache »gut« und »sollen«. Aus ihnen lassen sich
Grundbegriffe einer für alle erstrebenswerten Welt entwickeln. Dabei handelt
es sich zunächst um Rahmenvorstellungen, die durch eine Beschreibung von
Wertaspekten dieser Welt konkretisiert werden müssen.
Die zweite Quelle ist der moralische Standpunkt des wohlwollend un-
parteiischen Beobachters, der »moral point of view«. Wechselseitige Er-
wartungen, Regeln und Sanktionen, die sich im sozialen Leben der Menschen
herausgebildet haben, sind erst von diesem Gesichtspunkt aus nicht nur
funktional, sondern moralisch zu beurteilen. Auch dieser Gesichtspunkt ist
nicht außerhalb von Zeit und historischer Erfahrung: Wessen Ansprüche zu
den unparteiisch zu Betrachtenden gehören, ist von dem engen Kreis einer
durch Kooperation und hinreichend geteilte Weltbilder verbundenen Gruppe
ausgeweitet worden auf alle Menschen, alle empfindungsfähigen Wesen –
nach dem hier entwickelten Vorschlag schließt es alles ein, das gefördert oder
gehindert werden kann. Eine umfassende und unparteiische Perspektive, wird
die Mannigfaltigkeit und generelle Koexistenz der Formen des Lebens – trotz
der Konkurrenz um Ressourcen und reproduktive Fitness – als Bedingung
und Grenze des Gedeihens von Individuen und Gruppen (Populationen)
Mandela: »Ich zweifle nicht, dass jeder von uns so eng mit dem Boden dieses Landes
verwurzelt ist wie die berühmten Jacaranda-Bäume von Pretoria und die Mimosen des
Bushveld-Komplexes« (Antrittsrede als Präsident Südafrikas 1994).
2.2 Konkretisierung und Begründung 27
anerkennen bzw. fordern. Außerhalb der Menschen müssen aber nicht alle
Interessen und Bedürfnisse grundsätzlich gleich gewichtet werden.
Eine dritte Quelle, von der vor allem in den nächsten Kapiteln die Rede
sein wird, sind konkrete Rechte von Menschen und eine ihnen zugrunde-
liegende Vorstellung von Würde, die transkulturell in der Gegenwart und
in der Zukunft nicht mehr aufgegeben werden dürfen. In einer von Autori-
täten unabhängigen, nur auf Vernunft und Erfahrung beruhenden Philo-
sophie kann anders nicht mehr von Moral und Recht gesprochen werden. Der
argumentativen Verteidigung einer solchen Irreversibilität sind die folgenden
Kapitel (3-5) gewidmet.
In diesem Abschnitt (2.2) geht es vor allem um die Fragen der Konkre-
tisierung der Begriffe einer guten Welt durch genauere Beschreibung dessen,
was an »unserer« Welt gut und erhaltenswert ist – zunächst im Rahmen der
beiden erstgenannten Quellen. Es geht also darum, wie man in vernünftiger
Argumentation – im Sinne des erörterten Vernunftbegriffs – und möglichst
großer Übereinstimmung in den »Wertbeschreibungen« wertvolle Eigen-
schaften natürlicher Prozesse und Gegenstände feststellen kann. Die Erfassung
dieser Eigenschaften ist in der oben (2.1) erläuterten Weise mit genauen Be-
schreibungen verbunden.
Dafür ist vorausgesetzt, dass man die Bedingungen des Gedeihens
(flourishing) von Lebewesen kennt – nicht nur im botanischen Sinne, sondern
dem einer Verfassung, die nicht nur Bedürfnisse erfüllt, sondern auch die
spezifischen Potentiale von Lebewesen entfaltet. Das erfordert Wissen über
Physiologie und Pathologie. Bei empfindungsfähigen Lebewesen kommen die
Bedingungen eines auch subjektiven Wohlergehens hinzu. Diese, sowie noch
erhebliche zusätzliche Bedingungen, gelten auch für ein gelingendes, für sich
selber als wertvoll realisiertes menschliches Leben. Davon wir unten noch aus-
führlich die Rede sein (Kap. 6).
Wenn Normen für Förderung und Respekt vor einer erstrebenswerten Natur
nicht aus einer formalen oder erfahrungsfrei reinen Vernunft stammen und
auch nicht aus einer absichtsvoll eingerichteten Natur, dann ist eine dichte,
bewertende Beschreibung von natürlichen Eigenschaften und Prozessen not-
wendig.65 Das gilt nicht exklusiv für die hier vorgeschlagene »Konkrete Ethik«,
sondern auch etwa für den wertpluralistischen Konsequentialismus. Welche
Werte in einer Handlungssituation zu berücksichtigen sind, muss zunächst in
einer präzisen »wertidentifizierenden« Beschreibung erfasst werden.
65 Selbst für so scheinbar apriorische Begriffe wie den der Person muss man innerhalb
der angewandten Ethik solche dichten »Mischverwendungen« annehmen. Vgl. Quante
(2018), Pragmatistic Anthropology, S. 64 und (2019), Personale Autonomie, S. 249.
28 2 Beschreiben, Bewerten, Begründen
Gibt es über die Rechtfertigung von Normen aus der Verpflichtung zur Mit-
wirkung an einer »guten Welt« und der Achtung der wechselseitigen Rechts-
ansprüche hinaus noch eine weitergehende Begründung? Wenn Begründung
die zwingende Ableitung aus ersten, »unbedingten« Prinzipien ist, dann kann
sie in einer solchen Ethik nicht geleistet werden. Wenn Moral »metaphysisch«
im Sinne Kants, also aus einem unbedingten Sollens-Prinzip begründet
werden muss,68 dann kann die hier erörterte jedenfalls keine metaphysisch
begründete sein. Das teilt sie aber mit vielen modernen Ethiken. Das allen
Lebewesen unterstellte Verlangen nach Schmerzvermeidung oder das allen
Personen unterstellte Autonomiestreben ist auch kein unbedingtes, von natür-
lichen Verfassungen oder historischen Entwicklungen unabhängiges Prinzip.
»Begründen« kann in solchen Ethiken nur Rechtfertigen mit guten, möglichst
unabhängig von Interessen und kulturellen »Vorurteilen« einleuchtenden
Argumenten bedeuten.69 Deren Plausibilität gegenüber Einwänden und
Gegenargumenten muss möglichst vollständig erwiesen werden (u. Kap. 5).
Die Ethik einer endlichen Vernunft hat außerhalb von Offenbarungen keine
guten Gründe mehr für die Annahme einer allmächtigen Schöpfervernunft.
Auch das Postulat einer mit übersinnlichen Wesen geteilten praktischen
Vernunft – wie bei Kant – hat an Überzeugungskraft verloren. Entsprechend
muss sich die Ethik in ihren Begründungsansprüchen bescheiden. Wer in
dieser Welt ohne überzogene, von »jenseitigen« Idealvorstellungen geprägte
Hoffnungen lebt, kann nicht bestreiten, dass gedeihliches Leben in ihr möglich
ist, dass Bedürfnisse erfüllt werden und erstaunliche kulturelle Leistungen mög-
lich sind. Er kann ebenso wenig verleugnen, dass es in dieser Welt ein großes
Ausmaß an Leid und Ungerechtigkeit gibt – Vieles davon vermeidbar. Obwohl
ein erheblicher Teil davon auf Naturkatastrophen, auch vom Menschen mit-
bewirkte, zurückgeht, scheint sich immer mehr Leid auf die von Menschen
untereinander und anderen Lebewesen zugefügten Beeinträchtigungen zu
verschieben – klassisch gesprochen vom natürlichen malum physicum zum
malum morale und dem von ihm ausgelösten physischen Leiden.
Die wohlwollend unparteiliche, sich zur Verwirklichung des Guten –
individuell und gemeinsam – verpflichtende Vernunft fordert Anstrengungen,
die Potentiale dieser Welt zum Guten, d.h. für alle Förderlichen, zu entwickeln
und das Gegenteil zurückzudrängen. Man kann das im kantischen Sinne eine
Verpflichtung durch die moralische Vernunft nennen, aber nicht zu ihrer
70 Vgl. dazu die Überlegungen zum Anwendungsproblem bei Reinold Schmücker (2017),
Natur und Erfahrung, S. 21-38, in Bezug auf eine konkrete Ethik vor allem S. 34 f.
Schmücker vermisst einen Eintrag »konkret« im Sachregister der Konkreten Ethik (2004,
²2016). Der Grund war das häufige Vorkommen des Begriffs. Es gibt aber an etlichen
Stellen Bemerkungen zum Doppelsinn von »konkret« – als »Konkretisierung« in einem
an Hegel angelehnten Sinne und als Annäherung an besondere Handlungssituationen
(vgl. etwa S. 23 f., 37 f., 285-288)
71 Vgl. Vieth/Quante (2010), The Structure of Perception: »perceptions and principles
of correct actions are … two inseparable aspects« (S. 7); Schmücker (2017), Natur und
Erfahrung, S. 35.
72 Durchaus auch im Sinne des »capabilities approach« von Sen und Nussbaum. Vgl. Sen
(2001), Development as freedom; Nussbaum (2001), Women and human development.
73 Hier ist an Rahel Jaeggi zu denken (Jaeggi (2014), Kritik von Lebensformen). Nach meiner
Auffassung sollte dabei aber eine zu reaktive Sicht vermieden werden, vgl. Siep (2018c),
Immanentes Telos und Erfahrungsgeschichte.
2.3 Recht, Moral und Ethik 31
Wie ist das Verhältnis von Recht, Moral und Ethik in einer Ethik der historisch
belehrten konkreten Vernunft? In diesem Buch übernehme ich die üb-
liche Unterscheidung zwischen Moral und Ethik.76 Moral betrifft demnach
sowohl die inneren Überzeugungen wie die gelebten Sitten, Ethik dagegen
die grundsätzlichen theoretischen Überlegungen darüber – hier aber in einer
auf historische Erfahrungen angewiesenen Vernunft. Bei den gelebten Sitten
muss man die »äußerlichen« der Gebräuche und Traditionen vom Kern der
grundsätzlichen und universalen Gebote und Verbote unterscheiden.77 Dieser
Kern wird aber in modernen Gesellschaften auch durch Rechte gesichert, auf
74 Vgl. Nagel (1986), The View from Nowhere. Eine Vermittlung zwischen menschlichen
Interessen und dem »moral stance« versucht Jörg Hardy (2017), Understanding Ethical
Reasoning. S. 60 f.
75 Beauchamp/ Childress (2019), Principles of Biomedical Ethics. Zur Spezifizierung in der
Prinzipienethik vgl. Quante/ Vieth (2002), In defence of principlism.
76 Vgl. Ach/Siep (2016), Was ist Moral? Ich unterscheide hier nicht mehr, wie in Siep (2016,
Konkrete Ethik), zwischen Moral als dem engsten Kreis zwischenmenschlicher Pflichten
und Ethik als dem Bereich der Werte, Gebote und Tugenden in Bezug auf die gute Welt als
Ganze. Zur deontischen Differenz zwischen beiden Bereichen vgl. aber unten S. 174.
77 Vgl. zum Folgenden auch Pollmann (2012), Menschenrechte, S. 360. Pollmann erörtert zu
den »Dimensionen« der Moral und des Rechts noch die der Politik. Ihre Aufgaben der
Positivierung und Implementierung der Menschenrechte überschneiden sich mit dem
32 2 Beschreiben, Bewerten, Begründen
und Erkenntnis der Idee ist.78 Demgegenüber ist nur noch von einer Idee mit
Kern und offenen Rändern zu sprechen. Diese entwickeln sich in besonderen
Rechtsordnungen und -kulturen (Kommentare, Rechtsprechung etc.) fort –
mit eigenen sozusagen »regionalgeschichtlichen« Erfahrungen. Diese müssen
aber als Konkretisierung erkennbar bleiben und dürfen die Intention von Kern
und Idee nicht verkehren.
Um Grenzen der Veränderung geht es hier aus der Sicht der Moral, nicht des
Rechts. Mit den Veränderungssperren einer Verfassung hat das nur indirekt zu
tun, sie sind allenfalls ein Indiz für die »überpositive Dignität und Verankerung
der Menschenrechte als Leitidee«.79 Wenn für die Moral die Menschenwürde
eine Art »Backstop« ihrer Historisierung ist, dann kommt es aber auch auf die
unumkehrbaren Konkretisierungen an – also z.B. auf die Frage, ob zumindest
die »Generationen« der Menschenrechte etwas treffen, das mit der Idee der
Menschenwürde untrennbar verbunden ist. Wenn die Menschenwürde und
die sie ebenso konkretisierenden wie sichernden Rechte einen Bereich der
Moral darstellen, der nicht aufgegeben werden kann, ohne dass diese Lebens-
form (das normativ-praktische »Sprachspiel«) verlassen wird,80 dann ist die
Frage nach einem Kern für die Ethik zentral (vgl. dazu u. S. 41). Das gilt auch
dann, wenn es verfassungs- oder völkerrechtlich einen klar umgrenzten Kern
nicht geben sollte.
Ohne die in Rechten konkretisierte Erfahrung lässt sich, das ist die These,
der moralische Kernbereich dessen, was Menschen einander schulden, nicht
bestimmen. Sie werden zwar auch vom kantischen Instrumentalisierungs-
verbot und von der moralischen Perspektive des »unparteiisch wohlwollenden
Beobachters« gefordert bzw. gerechtfertigt. Aber diese enthalten eben kein
Potential der Konkretisierung.
Gegenstand einer konkreten Ethik sind aber nicht nur die Rechte der
Menschen, sondern auch die Bedingungen des Gedeihens und Wohlergehens
nicht-menschlicher Lebewesen. Auch da gibt es konkrete rechtliche Gebote
gegenüber Tieren und Umwelt. Tierschutz und Umweltrecht werden bis auf
78 Zu Hegels Logik der Idee vgl. Siep (2018a), Die Lehre vom Begriff. Die Analogie zu Hegel
betrifft hier nur das Verhältnis zwischen der Idee und ihren Konkretionen.
79 Vgl. Dreier (2013), Kommentar zu Art. 1, II Rn 13. Einen ȟber den Schutz der Menschen-
würde hinausgehenden unabänderlichen menschenrechtlichen Kern der Grundrechte«
lehnt Dreier verfassungsrechtlich ausdrücklich ab (Rn 25). Ethisch kann man aber nach
einem Kern der Menschenrechte fragen, dessen Veränderung die Menschenwürde
tangieren würde - und auch moralische Grenzen der Verfassungsänderung diskutieren.
80 Auch die »Irreversibilitätsthese« nimmt ein Hegelsches Erbe auf – ohne die notwendige
Verwirklichung der Vernunft in der Geschichte. Christoph Bauer (2000, Erkennen heißt
Handeln, S. 93) etwa spricht mit Bezug auf Hegel vom »Einfrieren« eines Freiheitsbegriffs
gegen die »Subversion« durch die Geschichte.
34 2 Beschreiben, Bewerten, Begründen
Menschenrechte sind aus drei Gründen für das Thema dieses Buches von
zentraler Bedeutung:
Erstens sind Menschenwürde und Menschenrechte die ersten Kandidaten
für einen globalen normativen Konsens. Eine Philosophie, die nicht von
apriorischen Prinzipien ausgeht, muss an solche Konsense anschließen. Der
hier vorgeschlagene Rahmen für die Deutung globaler Konsense ist aber eine
Konzeption der »guten Welt«. In ihr wird das normative »Sollen« aus dem
»Sein-Sollen« des Guten abgeleitet.81 Das scheint sich mit dem unbedingten
Anspruch von Menschenwürde und Menschenrechten nicht zu vertragen.
Es soll aber gezeigt werden, dass Menschenrechte entscheidend für das »art-
gemäß Gute« des Menschen ist. Daher haben die deontologischen Elemente
unbedingt gültiger Rechte und Pflichten auch innerhalb einer Ethik der guten
Welt Platz.
Zweitens sind Menschenrechte ein Prüfstein für das Projekt einer Histo-
risierung der Vernunft. Wenn sie – oder ihre Grundlage, die Menschenwürde –
unantastbar und unveränderbar sein sollen, dann scheinen transzendentale
oder naturrechtliche Ansätze allein zu ihrer Begründung geeignet. Eine
historisierte Vernunft, deren Argumente auf historische Erfahrungen zurück-
greifen, scheint daran scheitern zu müssen. Dagegen soll gezeigt werden, dass
auch eine solche Vernunft begründen kann, dass einige Rechte und Gebote
nicht mehr aufgegeben werden können.
Drittens sind Menschenwürde und Menschenrechte ein wichtiges Kriterium
für die Grenzen der Technisierung der menschlichen Natur. Die bioethischen
Debatten über Transhumanismus oder Enhancement, Lebensverlängerung
und Zell- bzw. Organersatz haben es damit zu tun, ob Rechte und Würde von
Menschen verletzt werden. Bis auf die Probleme des Umfanges dessen, was
unter den Begriff »Mensch« der Menschenrechte fällt (3.1), werden aber in
diesem Buch im Wesentlichen Grundlagenfragen, nicht Anwendungsbereiche
und -fälle behandelt.82
81 Zur Unterscheidung des »Sein-sollens« vom »Tun-sollen« vgl. Sidgwick (2019) <Sein und
Sollen> S. 84f., Broad (1934), Five Types of Ethical Theory, S. 141.
82 Vgl. dazu aber die Aufsätze 15-20 von Siep (2013) Moral und Gottesbild. Für eine ent-
schieden von den Menschenrechten ausgehende Bioethik plädiert Ludger Honnefelder.
Vgl. dazu Fuchs (2019), Einleitung, S. 19 f.
36 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
83 Zu Begriff und Struktur der Menschenrechte vgl. auch Robert Alexy (1998), Menschen-
rechte im demokratischen Verfassungsstaat. Umfassend zu Theorie und Praxis der
Menschenrechte: Donnelly (2013), Universal Human Rights in Theory and Practice.
84 Vgl. dazu Pollmann (2012) Menschenrechte, S. 129-136; Dreier (2013), Kommentar zu
Art. 1, II Rn 13-21; Brugger (1997), Menschenwürde; Wasmaier-Sailer/ Hoesch (Hg.)
(2017), Begründung der Menschenrechte.
85 Nach Hofmann (1995, Langzeitrisiko und Verfassung) hindert schon der Begriff der Un-
veräußerlichkeit (Art. 1 GG, ähnlich in anderen Verfassungen) den Staat daran, »die
objektiv-menschenrechtlichen Schutzverpflichtungen in einer zeitlichen Beschränkung
zu denken« (S. 331). Das gelte vor allem gegenüber zukünftigen Generationen: »um
einen gewissen Bestand elementarer Rechte, deren Bewahrung Sinn und Zweck staat-
licher Vereinigung ist, darf eine Gesellschaft, auch wenn sie selbst darauf verzichten
wollte, ihre Nachkommen nicht bringen« (ebd. S. 332 f.). Nach Dreier (2013, Kommentar
zu Art. 1, II Rn 26, S. 279) muss aber verfassungsrechtlich zwischen dem Wesensgehalt
der Grundrechte, der nach Art. 19 GG vom einfachen Gesetzgeber nicht tangiert werden
darf, und der »Ewigkeitsgarantie« (Art. 79 III, Ausschluss der Verfassungsänderung) für
die Art. 1 (Menschenwürde und Menschenrechte) und 20 (Republik, Sozialstaat, Bundes-
staat) »stets streng unterschieden werden«.
3 Konkrete Ethik und Menschenrechte 37
es gibt Einwände gegen ihren Primat, vor allem in der internationalen Politik.
Was die Zugehörigkeit und den Umfang angeht, ist die Philosophie auch zu
kritischer Abschätzung aufgerufen. In welchem Sinne kann überhaupt von
einem unveränderlichen rechtlichen Konsens gesprochen werden?
Sowohl das Völkerrecht86 wie viele Verfassungen gegenwärtiger Staaten
enthalten eine Liste von basalen Rechten, als Menschenrechtsdeklarationen
oder Grundrechtsartikel von Verfassungen. Sie werden oft noch einmal auf
ein erstes Gebot, die Achtung der Menschenwürde zurückgeführt. Der ver-
fassungsrechtliche Schutz der Grundrechte ist stabiler und justiziabler als der
völkerrechtliche. Das zeigt die Geschichte der Menschenrechte im modernen
Völkerrecht. Die erste universale Erklärung der Menschenrechte von 1948 war
zwar umfassend, traf aber auf Vorbehalte der sozialistischen Staaten, die sich
bei der Abstimmung der Stimme enthielten. Erst nach der Verabschiedung
der beiden getrennten Pakte über »bürgerliche und politische Rechte« sowie
über »wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte« 1976 kann man davon
sprechen, dass alle drei Erklärungen zusammen eine »International Bill
of Rights« und eine »Magna Carta des völkerrechtlichen Menschenrechts-
schutzes« darstellen.87
Vergleicht man die Menschenrechtserklärungen von Kontinenten und
Staatengruppen, dann sind elementare Grundrechte wie die Freiheit zum
Verlassen einer Religionsgemeinschaft oder die Gleichheit der Geschlechter
in einigen nicht bekräftigt, sondern unter Vorbehalte gestellt worden.88 In
der jüngeren Zeit kann von einer »tiefen Krise der Menschenrechtspolitik«
86 Zum Folgenden vgl. die Übersicht in Nußberger (2009), Das Völkerrecht, vor allem S. 85-
96 – ausführlicher bei Eckel (2014), Ambivalenz des Guten.
87 Nußberger (2009), Das Völkerrecht, S. 93, Zur Geschichte und den Kontroversen über
die unterschiedlichen »Generationen« vgl. auch Maier (2019), Menschenrechte heute.
Maier konstatiert in Bezug auf die Stimmverhältnisse in den Vereinten Nationen ein
»Patt« in der Menschenrechtsdebatte zwischen Befürwortern und Gegnern, vor allem
der Individual- und Kollektivrechte (Maier (2019), Menschenrechte heute, S. 30). Zur
Rolle der Menschenrechte im Völkerrecht vgl. auch Walter (2012), Normenbegründung
als Lernprozess?.
88 Das gilt besonders für die islamischen Staatengruppen und den »Scharia«-Vorbehalt.
Vgl. dazu Maier (2019), Menschenrechte heute, S. 28; Eckel (2014), Ambivalenz des
Guten, S. 790. Im »Innenverhältnis« einiger christlicher Kirchen kann allerdings auch
nicht von einer vorbehaltlosen Entsprechung zum Sinn der Menschenrechte gesprochen
werden – etwa was den (theologisch unmöglichen) Kirchenaustritt oder die Persön-
lichkeitsentwicklung der Frau angeht. Im deutschen Verfassungsrecht ist nach Fabian
Wittreck »vergleichsweise einhellig anerkannt, daß sie (sc. »beide Kirchen«) weder an
staatliche Grundrechte noch an internationale Menschenrechtspakte gebunden sind«.
Wittreck (2013) Christentum und Menschenrechte, S. 36.
38 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
89 Vgl. Bielefeldt (2019), Die Evidenz der Menschenrechte, vor allem S. 60.
90 Vgl. Pollmann (2018), Lernen aus historischem Unrecht? Zur menschenrechtlichen Be-
deutung der Erfahrung von Krieg, Gewalt und Entwürdigung.
91 Zur Frage einer Pflicht zur Erinnerung, die aus der jüdischen Tradition stammt, vgl.
Bienenstock (2018), Was bedeutet »sich erinnern«?; Dies. (Hg.) (2002), Devoir de mémoire
sowie Assmann (2002), Das kulturelle Gedächtnis, S. 30.
92 Vgl. dazu Pollmann (2018), Lernen aus historischem Unrecht?, S. 43-66, besonders S.48-
52. Jürgen Habermas (2010, Konzept der Menschenwürde, S. 343-357) vertritt dagegen die
Auffassung, dass das Konzept der Menschenwürde den Menschenrechten von Anfang an
inhärent war.
3 Konkrete Ethik und Menschenrechte 39
werden.93 Das ist sicher kein deduktives Verhältnis, aus dem Be-
griff der Menschenwürde folgen nicht die Menschenrechte in ihren
mehr oder minder langen Listen. Aber klar ist, dass man ohne die
Menschenrechte nicht wüsste, was man zu unterlassen habe, um
Würdeverletzungen zu vermeiden. Man kann das ein explikatives
Verhältnis nennen: Die Menschenrechte buchstabieren aus, was
Menschen an Verhalten anderer, Privatpersonen und Institutionen,
zusteht.
b) Der Begriff der Menschenwürde als ein Wert, aus dem ein um-
fassendes Gebot des Schutzes folgt, lässt zunächst offen, ob von
einzelnen Menschen, von Gruppen oder sogar von der Gattung
die Rede ist. Die enge Verbindung zwischen Menschenwürde und
Menschenrechten, die individuell einklagbar und vom Staat zu
schützen sind, macht aber klar, dass es sowohl um die gemeinsame
Eigenschaft des Menschseins wie um die Individualität geht. Bei
den Abwehrrechten sind die Individuen primär im Blick, es geht
aber auch um Gruppen wie Minoritäten und Glaubensgemein-
schaften (s.u. S. 59). Bei Rechten auf öffentliche Güter, die nicht
exklusiv genossen werden können – z.B. intakte Umwelt – sind
Individuen und Gruppen Anspruchsträger. Vor allem aber kommen
die Rechte den Individuen stets »als Menschen« in gleichem Maße
wie allen anderen Menschen zugute – unterschieden allenfalls
nach besonderen Grundrechten bestimmter Staaten und der Welt-
bevölkerung insgesamt.
c) Der Begriff »Würde« bedeutet im Unterschied zu »Recht«, dass
der Träger den Rechtsschutz verdient hat. Das muss nicht heißen,
das der biologischen Spezies ein besonderer normativer Rang zu-
kommt: Das Menschsein, das die Anspruchsträger qualifiziert,
ist kein biologischer Begriff, sondern ein normativer, der auf eine
kollektive Selbstzuschreibung zurückgeht – historisch vermut-
lich in gradueller Ausweitung der Inklusion (der Umfang der Zu-
gehörigkeit ist noch nicht in allen Fällen klar, vgl. 3.4). Es ist auch
nicht der Rangbegriff einer Ständegesellschaft gemeint, im Gegen-
teil wird dem Individuum das Recht zugeschrieben, seine Position
93 Das »Darum« in Art, 1 Abs. 2 GG drückt diese Folgebeziehung aus. Zum Menschen-
würdebegriff des Grundgesetzes und zur Geschichte des Begriffs vgl. Hofmann (2008),
Methodische Probleme, S. 47 ff. (54 ff.). Zum Verhältnis Menschenwürde-Menschen-
rechte vgl. auch den grundlegenden und rechtsvergleichenden Text von Peter Häberle
(2004), Menschenwürde als Grundlage, S. 317 ff.
40 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
ist, genügt die Kenntnis des objektiven Sachverhalts für das Urteil,
dass »man so etwas Menschen nicht antun darf«.
(2) Im folgenden Text wird unterschieden zwischen der Idee, dem Kern und
der Kultur der Menschenrechte. Hier eine vorläufige Klärung:
a) Dass Menschen überhaupt ein elementares Bündel an Rechten
zukommt, wenn ihre Würde geschützt werden soll, kann man als
die Idee der Menschenrechte bezeichnen. Damit ist noch nicht
festgelegt, welche Rechte das genau sind. Menschenrechtskon-
ventionen und Listen von Grundrechten in Verfassungen sollen zwar
konkretisieren, was unter dem Schutz der Menschenwürde zu ver-
stehen ist, aber das kann sich mit der kulturellen und technischen
Entwicklung ändern. Dies kann zu weiteren Würdeverletzungen
führen, die auch die Entwicklung neuer Grundrechte erforderlich
machen können – wie etwa das Recht auf informationelle Selbst-
bestimmung oder auf Menschen als Pfleger (statt Pflege allein
durch Automaten). Bei solchen Erweiterungen muss sowohl auf
normative Begriffe (Selbstkontrolle, Inklusion etc.) zurückgegriffen
werden wie auf den Nachvollzug oder die Antizipation emotionaler
Reaktionen. Über die natürliche Verletzlichkeit hinaus entstehen
neue, sozusagen technische Verletzlichkeiten – man denke an
Hassmails oder »shitstorms« – die einen grundrechtlichen Schutz-
bereich fordern. Die Idee des Menschenwürdeschutzes durch
Menschenrechte kann also unterschiedlich konkretisiert werden.
b) Nicht alle Menschenrechtsverletzungen sind gleich »nahe« an
einer Würdeverletzung – daher ist im Folgenden auch vom Kern
der Menschenrechte die Rede. Nicht jede Einschränkung etwa der
Vereinigungsfreiheit ist eine Würdeverletzung. Aber Menschen,
die keinerlei Vereinigungen mehr bilden können, leben in einer
isolierenden Tyrannei. Die Unterscheidung zwischen einem Kern
und weniger zentralen Rechtsverletzungen wird vor allem im
modernen Völkerrecht notwendig, wenn es um den Schutz einer
Bevölkerung gegen ihre eigene Regierung geht (vgl. u. Kap. 5. 2).
Hier wird der Umkreis besonders eng sein und sich im Wesent-
lichen auf die Abwehrrechte beschränken (s.u. S. 105). Schon im
Völkerrecht kann er aber, etwa in Handelsverträgen, auch auf einen
weiteren – etwa arbeits- und umweltrechtlichen – Bereich bezogen
sein. Gleichwohl wird es weder im Völkerrecht noch in Verfassungen
eine klare Unterscheidung zwischen Kern- und Randgrundrechten
geben und die weitere Entwicklung darf auch nicht ausgeschlossen
sein. Trotzdem kann man einen Bestand elementarer Rechte
42 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
99 Hans Maier (2019, Menschenrechte heute, S. 32) sieht eine Analogie zwischen dem
Wesensgehaltsbegriff des Grundgesetzes (Art. 19) und dem Menschenrechtsschutz
des Völkerrechts. Sie gilt allerdings nicht verfassungsrechtlich (vgl. Dreier (2013),
Kommenentar zu Art. 1, II Rn 26, S. 279).
44 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
Zu den Rechten der Menschen gehören die Bedingungen für das körperliche
Wohlergehen, also eine gesundheitsförderliche Umwelt. Das allein ist aber
kein Kriterium für Mannigfaltigkeit der Natur und das Wohlergehen anderer
Lebewesen. Ästhetische Maßstäbe besitzen kaum hinreichende Objektivi-
tät, um darauf ein Recht aller Menschen zu stützen. Menschenrechte reichen
also für die Ermittlung von Zielen und Grenzen des Umganges mit der Natur,
vor allem des technischen und ökonomischen, nicht aus. Daher wird hier
der umgekehrte Weg vorgeschlagen: Von der Konzeption einer guten, für alle
Lebewesen erstrebenswerten Welt aus die Menschenrechte als einen not-
wendigen Bestandteil auszuzeichnen. Die These aus dieser Perspektive wäre
also: Menschenrechte gehören zu dem für den Menschen, auf seiner spezi-
fischen Stufe der scala naturae, Guten als notwendiger, wenn auch nicht aus-
reichender Bestandteil. Nicht ausreichend, weil auch andere Bestandteile
eines guten Lebens des Menschen hinzukommen sollten, von denen später
(Kap. 6) noch die Rede sein wird.
Gerade im Lichte der Menschenrechte zeigt sich aber auch, wie ver-
besserungswürdig die Welt noch ist. Menschenrechte werden, wie es im
öffentlichen Diskurs heißt, immer wieder und überall »mit Füßen getreten«.
Wenn das so ist, dann stellt die Verbesserung der »Kultur« der Menschen-
rechte aber auch sowohl ein Ziel wie eine Grenze der Technisierung der
Natur dar. Das gilt vor allem, aber nicht nur, für die Technisierung der mensch-
lichen Natur. Es kann aber auch Konflikte zwischen der Verbesserung der
Menschenrechtsbedingungen und den Gütern der übrigen Lebewesen sowie
der Mannigfaltigkeit und Natürlichkeit der Natur geben. Davon wird im
Schlusskapitel (8.) die Rede sein.
Zunächst soll die Einbettung der Menschenrechte in die Konzeption der
guten Welt (1) und ihre Funktion für die Beurteilung von Zielen und Grenzen
der Technisierung (2) erläutert werden.
(1) »Gut« im umfassenden Sinne ist ein Zustand der Welt, der für alle förder-
lich und erstrebenswert ist. »Alle« ist dabei für einen wirklich unparteiischen
Beobachter weit über den Menschen hinaus prinzipiell auf alles auszudehnen,
für das etwas förderlich oder abträglich sein kann. Dabei gibt es natürlich
»Konkurrenzprobleme«: die Förderung des einen ist oft zum Schaden des
anderen. Das gehört in den Bereich der Priorisierungen und Abwägungen.
Aber nicht alles, was gefördert oder berücksichtigt werden kann, begründet ein
Recht. »Rechte« sind vor allem Ansprüche, die nicht verletzt werden dürfen
und für die es ein allgemein akzeptiertes Verfahren der Durchsetzung gibt. Sie
stellen Grenzen des Handelns gegenüber ihrem Träger dar. Vor allem bei den
3.1 Menschenrechte, Natur und Technisierung 45
Teil des Völkerrechts, das Kriegsvölkerrecht, spielen sie eine tragende Rolle
(vor allem im jus in bello). Zentrale Bestandteile wie der Schutz individueller
Autonomie vor den Ansprüchen von Kollektiven und Institutionen, selbst
solcher mit »letzten« Wahrheits- und Geltungsansprüchen (Kirchen, Staaten,
Nationen), sind aber erst Resultat der letzten Entwicklungsphase seit der
europäischen Aufklärung.103 Auf ihnen beruht das Gros der heutigen völker-
rechtlichen Konventionen.
Nicht nur der Ursprung, auch die Struktur ihrer Entwicklung ist um-
stritten. Einigkeit besteht nur darin, dass der Umfang der als Rechtsträger
verstandenen »Menschen« einem Prozess der Ausdehnung dessen unterlag,
was Menschen anfangs in kleinen Gruppen einander einräumten. Dabei sind
die früher überzeugenden Gründe, Menschen in Bezug auf ihre elementaren
Rechte unterschiedlich zu behandeln, zunehmend entfallen. Das hängt mit
Weltanschauungen und -erklärungen zusammen und mit Mythen, Visionen
(»Offenbarungen«) und Erfahrungen über bzw. mit den Menschen selber, vor
allem mit Unrechts- und Entwürdigungserfahrungen. »Es gibt gute Gründe
für die Annahme, dass die Vorstellung vom Recht überhaupt aus elementaren
Verletzungserlebnissen, aus dem Gefühl der Unerträglichkeit von Ein- und
Übergriffen resultiert«, schreibt der Verfassungsrechtler und Rechtsphilo-
soph Hasso Hofmann.104 Dass der Entzug bzw. die Verletzung selber zur Ent-
deckung dessen führt, was eine Sache ausmacht bzw. ihr zusteht, ist eine
auch bei Hegel – in der Figur der Negation des Negativen – antizipierte Er-
kenntnis. Die Menschenrechte, vor allem ihre neuere Entwicklung, stellen
den exemplarischen Fall des Bewusstwerdens durch Verletzungserfahrungen
dar.105 Es gab aber auch positive Erfahrungen der Freiheit, Gleichheit, wechsel-
seitigen Anteilnahme und ungezwungenen Unterstützung (»Brüderlichkeit«),
die in die Entwicklung und Konkretisierung der Menschenrechte eingegangen
sind.
Die Genese der Menschenrechte als moralischer und rechtlicher Forde-
rungen hängt mit der Entwicklung menschlicher Fähigkeiten zusammen,
Gemeinsamkeit aller Kulturen und Religionen« aus, auf der auch die modernen Men-
schenrechte beruhen. Ebd. S. 283 u. ö.
103 Seit der Französischen Revolution konkurrieren die Rechte der Individuen und die
Ansprüche der Nation miteinander. Ein Echo darauf sind die Konflikte zwischen den
Individualrechten und denen des Staates bzw. der Nation bei Fichte und Hegel. Vgl. Siep,
(2015), Der Staat als irdischer Gott, vor allem Kap. III. 5 u.6.
104 Vgl. Hofmann (1992), Vier Erfahrungen des Rechts, S. 87.
105 Vgl. dazu Gutmann (2018), Genesis und Geltung, S. 295: »Die Geschichte der Menschen-
rechte ist eine Geschichte der Erfahrung der Verletzung derjenigen Güter, die sie schützen
sollen«.
48 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
mit diesem Primat, die zu einer Überwindung der Philosophie des absoluten
Subjekts geführt haben. Der Philosophie der Endlichkeit in Phänomenologie,
Existenzphilosophie, Neo-Kantianismus oder analytischer Philosophie ist
aber in Deutschland erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine entsprechende
praktische Philosophie gefolgt. In ihr steht die endliche Vernunft im Zentrum
und die Rechte des Individuums stellen eine unbedingte Grenze für kollektives
Handeln dar. An einer solchen praktischen Philosophie soll auch dieses Buch
mitwirken.
In der Geschichte der Menschenrechte gibt es eine ungefähre Entspre-
chung, wenn man folgende Grobzeichnung für insgesamt plausibel hält: Zur
Sicherung der Rechte aller Individuen ist eine zentrale Instanz mit dem
Monopol der legitimen physischen Gewalt, aber auch einem zentralen
Rechtsprechungs- und Verwaltungssystem notwendig. Diese Ansprüche stei-
gen, wenn zum menschenwürdigen Leben auch allen zugängliche Systeme
der sozialen Sicherheit, der kulturellen Befähigung (Bildungseinrichtungen)
und der Bekämpfung der negativen Folgen der Industriegesellschaft ge-
hören. Die Macht des modernen Staates steigert sich notwendig auch mit
den Forderungen der Garantie, vor allem der späteren Generationen, der
Menschenrechte. Die Neutralität dieses Staates gegenüber den Religionen,
die für Gewissens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit notwendig ist,
fördert die Tendenz zu einer eigenen »nationalen« oder »wissenschaftlichen«
Weltanschauung. Diese kommt wiederum dem Bedürfnis nach Integration
in ein Ganzes entgegen, das nach der Auflösung ständischer Funktionen
und Reputationen (Anerkennung) gerade die schwächsten Mitglieder zur
Kompensation ihrer (gefühlten) Bedeutungslosigkeit benötigen. Zur neueren
Geschichte der Menschenrechte gehört mithin auch die der Stärkung ihres
gefährlichsten Gegners. Sie führt, nicht mit geschichtsphilosophischer Not-
wendigkeit, aber mit verständlicher Konsequenz, zu den Erfahrungen der
äußersten Erniedrigung der Individuen in den Katastrophen des 20. Jahr-
hunderts – und damit zum genannten »zweiten Schub« der Menschenrechte.
Dass zu diesen Entwicklungen noch ganz andere Tendenzen beitragen, vor
allem die schon erwähnten der technischen Industrie und Ökonomie, steht
außer Frage. Hier ging es nur um einen entscheidenden methodischen und
inhaltlichen Wandel in der Begründung der Menschenrechte: Methodisch von
einer a-historischen und überindividuellen Vernunft zu einer endlichen, auf
historische Erfahrungen angewiesene. Inhaltlich vom Primat des Kollektivs,
vor allem des institutionalisierten und mit einem Gewaltmonopol versehenen,
zu den Rechten der Individuen.
Das Letztere ist aber zugleich der Grund für die anhaltende Kritik und die
»Krise« der Menschenrechte heute: Wenn sie wirklich individualistisch sind,
3.3 Sind die Menschenrechte individualistisch ? 51
110 Zur Kritik an einem solchen Liberalismus als Grundlage der Bioethik vgl. Jennings (2019),
Kommunitarismus.
111 Vgl. Siep, (1979/2014), Anerkennung als Prinzip; Siep (1992), Verfassung, Grundrechte und
soziales Wohl; Siep (2010a), Aktualität und Grenzen.
112 Siep, (2016), Konkrete Ethik, S. 57-61.
52 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
113 Hier wird der Begriff Gruppe in einem weiten Sinne verwendet, die von gemeinsamen
Absichten, Verhaltensweisen oder auch der gleichen Behandlung durch externe Akteure
ausgeht (»Prüfgruppe«). Keineswegs ist impliziert, dass jedes Individuum nur einer
Gruppe angehören kann (vgl. dazu kritisch Sen, (2006) Identity and Violence). Zu unter-
schiedlichen Typen von Gruppen vgl. Boshammer (2003), Gruppen, Rechte, Gerechtig-
keit, S. 77-102.
3.3 Sind die Menschenrechte individualistisch ? 53
nicht möglich ist.114 Autonomie heißt bewusste Bindung an Regeln, die »sym-
metrische« Freiheit aller ermöglichen (Individualismus b). Dazu bedarf es
aber dauerhafter Rechtsbeziehungen und der sie sanktionierenden legitimen
Gewalt des allgemeinen gesetzgebenden Willens bzw. des Staates.
Die gegenwärtige Rechtsphilosophie, die sich überwiegend nicht mehr
auf das Naturrecht stützt, versteht Rechte als wechselseitige Zuschreibungen
durch Mitglieder einer Normgemeinschaft bzw. deren regelsetzenden und
-durchsetzenden Willen. Auch das Völkerrecht geht in seinen Menschen-
rechtserklärungen und -pakten davon aus, dass Staaten und deren selber
rechtsförmige Beziehungen die Voraussetzung für die Sicherung der Men-
schenrechte sind.115 Dass Menschenrechte im Notfall auch gegen den eigenen,
sie gefährdenden Staat zu verteidigen sind (s.u. S. 105-107), bedeutet nicht,
dass staatliche Beschränkung individueller Freiheit per se negativ wäre.
Freiheit ist nur rechtmäßig, wenn sie auf die Vereinbarkeit mit der gleichen
Freiheit anderer Mitglieder der Rechtsgemeinschaft eingeschränkt ist.
Träger der Menschenrechte sind aber primär Individuen als Menschen
oder Bürger (Individualismus c). Gegenüber der älteren Tradition kommen
ihnen primär Rechte und nicht Pflichten zu.116 Zu diesen gehören aber bereits
inhaltlich auch solche, die nur in Gemeinschaft realisierbar sind wie die Ver-
sammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit oder die aktive Religions- und
Weltanschauungsfreiheit. In Bezug auf die Sozial- und Umweltrechte sind
zunehmend auch Verbände berechtigt, Klagen zu erheben und sie vor Ge-
richt zu verteidigen. Das macht sie zumindest zu stellvertretenden Trägern
von Rechten, auch wenn sie ihren Mitgliedern zugutekommen sollen. Als
Repräsentanten von Rechten ihrer Bürger kommen natürlich auch Staaten
Rechte zu.
Die ersten beiden Bedeutungen von Individualismus (a, b) sind vor allem
für Kritik aus sozialistischer Richtung vorherrschend, die beiden letzteren für
kommunitaristische Kritik. Sie reagieren historisch auf Vereinseitigungen in
Theorie und Praxis der Menschenrechte. Deren neuere Geschichte ist zum
einen ein weiterer Beleg für das Lernen aus Krisen und Erfahrungen. Zum
anderen ist sie für die Reihenfolge der Rechte in modernen Menschen- oder
Grundrechtskatalogen von Bedeutung.
114 Vgl. dazu Quante (2011), Die Grammatik des Anerkennens; Siep (2014), Anerkennung als
Prinzip.
115 Vgl. etwa Allgemeine Erklärung der Menschenrechte AMR Art 15, 22.
116 Zum Verhältnis von Grundrechten und Grundpflichten vgl. Hofmann (1995), Langzeit-
risiko und Verfassung.
3.3 Sind die Menschenrechte individualistisch ? 55
117 Genauer handelt es sich um »Freiheits- Gleichheits- und justizielle Rechte« (Gutmann
(2018a), Claiming Respect, S. 287). Sie konkretisieren das seit Hannah Arendt betonte
»Recht, Rechte zu haben« (vgl. Pollmann (2012), Menschenrechte, S. 358).
118 Zur Zurückweisung der Kritik am Individualismus und »Egoismus« der Menschenrechte
vgl. Waldron (1987), Nonsense upon Stilts, S. 183-209. Speziell zur Kritik von Karl Marx
an den Menschenrechten vgl. Waldron (1987), Nonsense upon Stilts, S. 119-136; Lohmann
(2012), Marx; Pollmann (2012), Menschenrechte, S. 361. Waldron macht für die Kritik auch
den Wechsel im Theorietyp von der normativen politischen Philosophie zur erklärenden
Sozialwissenschaft im 19. Jh. verantwortlich (1987, Nonsense Upon Stilts, S. 151 f.).
119 Jedenfalls in »Zur Judenfrage« von 1844. Vgl. Waldron (1987), Nonsense upon Stilts, S. 129-
136. Lohmann (2012, Marx) betont Marx’ Verdienste für die sozialen Menschenrechte.
120 Zur Beschäftigung der »klassischen« liberalen Rechtsstaatstheoretiker mit der »sozialen
Frage« und ihren teils weitgehenden Lösungsvorschlägen (vor allem bei Robert von
Mohl) vgl. aber Siep (2019), Wer macht die Geschichte? und die dort erörterte Literatur.
121 Vgl. Kriele (1973), Geschichte der Grund- und Menschenrechte, vor allem 196 f.
56 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
schon bei Hegel, schlicht die Bedingungen, unter denen man Rechte stabil
geltend machen kann – etwa die materiellen Mittel zur Klage und zum Erfolg
in einem Prozess.122
Die Geschichte der Durchsetzung der Menschenrechte und ihrer Er-
weiterungen seit der Französischen Revolution kann auch als eine Geschichte
krisenhafter Erfahrungen gedeutet werden. Die sozialen Rechte sind demnach
in verschiedenen Schüben als Reaktion auf die Verelendung von Gruppen und
Klassen formuliert worden, die unter dem Primat der liberalen Freiheitsrechte
seit dem frühen 19. Jahrhundert auftraten. Nach den »Vergewaltigungen«
der Individuen in totalitären Systemen erfolgten dann nach 1948 und erneut
nach 1989 neue Schübe für die individuellen Abwehrrechte. Sie waren aber,
etwa im deutschen Grundgesetz, mit erheblichen Sozialbindungen verknüpft
(Art 14, 15). Danach ist auch – wohl als Reaktion auf die Verbindung von
Großindustrie und Nationalsozialismus – die Überführung von Produktions-
mitteln (»Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel«) gegen
gesetzliche Entschädigung in »Gemeineigentum oder in andere Formen der
Gemeinwirtschaft« möglich (Art 15).
Verfassungen nach dem Staatssozialismus, also nach 1989, gehen zwar in
der Regel davon aus, dass das Privateigentum an den Produktionsmitteln nicht
prinzipiell verantwortlich für die Rechtlosigkeit der abhängig Arbeitenden
ist. Zu den Grundrechten, die durch gesetzliche Einschränkung miteinander
verträglich gemacht werden müssen, gehört daher auch das Eigentumsrecht
sowie das Recht der freien Berufswahl und der Gewerbefreiheit. Im Eigentum
wird aber immer noch (wie seit dem 17. Jh.) ein Mittel der individuellen Un-
abhängigkeit und Selbstbestimmung gesehen. Dagegen wird die Konzentration
politischer, ökonomischer und ideologischer Macht in einer Hand – Staat oder
Partei – als schwer überwindbares Hindernis individueller Freiheit betrachtet.
Ob dies ein für alle Mal gilt, steht dahin. Nicht nur die Erfahrungen mit dem
modernen Kapitalismus, auch die Entwicklung der Grundrechte ist unabge-
schlossen und Verfassungen wie das deutsche Grundgesetz kann man als
»lernende Verfassung« interpretieren.123
Völkerrechtlich ist die zeitliche Reihenfolge der Institutionalisierung
allerdings eher umgekehrt verlaufen, jedenfalls im 20. Jahrhundert: »Während
auf nationaler Ebene die Freiheitsrechte zuerst normiert werden, wird auf der
122 Vgl. Siep (1992), Verfassung, Grundrechte und soziales Wohl. Vgl. zur philosophischen
Entwicklung und Begründung der staatlichen Sozialaufgaben ders. (2015), Der Staat als
irdischer Gott, S. 79-97.
123 Wittreck (2018), Verfassungsrechtliche Fragen, S. 56. Zur Weiterentwicklung der Grund-
rechte vgl. Dreier (2013), Kommentar zu Art. 1 II S. 278, RN 25 (»Offenheit für inter-
pretative Weiterentwicklungen«).
3.3 Sind die Menschenrechte individualistisch ? 57
124 Nußberger (2005), Sozialstandards im Völkerrecht, S. 52. Nußberger weist nicht nur auf
die Bedeutung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) hin, sondern auch auf die
Atlantikcharta von 1941, die sich gegen den Verlust der sozialen Sicherheit als Ursache für
den Aufstieg der aggressiven totalitären Systeme (National-»Sozialismus« etc.) richtete.
Auch diese kollektive Erfahrung geht in die Menschenrechtsdeklaration von 1948 ein.
125 Vgl. Nußberger (2009), Das Völkerrecht, S. 93. Die USA haben den »Internationalen Pakt
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte« von 1976 noch nicht unterschrieben
(»weltweit mittlerweile ziemlich alleine«, ebd. 94 f.). Ausführlich zum Menschen-
rechtsschutz im Völkerrecht Hailbronner (2004), Der Staat und der Einzelne, vor allem
S. 213-250.
126 Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AMR) Art 23 (1) »freie Berufswahl«,
sowie Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Art 6 (1)
»frei gewählte oder angenommene Arbeit«. Der Pakt geht grundlegend von einer Ver-
einbarkeit mit den Abwehr- und Mitwirkungsrechten (vgl. Art 5 (2) »grundlegende[n]
Menschenrechte«) in einer staatlichen Verfassung aus.
127 Selbst gegen eine solche Priorisierung richtet sich Donnelly (2013), Universal Human
Rights. Auch die Kennzeichnung der »ersten Generation« als Abwehrrechte und die
Unterscheidung positiver und negativer Rechte ist für ihn irreführend: »All human rights
require both positive action and restraint on the part of the state. Furthermore, whether
a right is relatively positive or negative usually depends on historically contingent
circumstances« (S. 43).
58 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
Dass man den Naturzustand nur kollektiv uno actu verlassen kann, be-
hauptet schon der »Individualist« Hobbes, auch wenn er dazu einen gleich-
zeitig von allen Einzelnen unterschriebenen wechselseitigen Vertrag fingiert.
Ohne wechselseitiges Vertrauen ist die Überwindung von Gewalt nicht mög-
lich, aber auch Mißtrauen und Gewaltbereitschaft sind meist kollektive
Phänomene. Dass selbst die gemeinsamen Realitätsvorstellungen (»shared
reality«) ein Bewusstsein der Kongruenz und Affirmation in einer Gruppe
voraussetzen, haben moderne Sozialpsychologen empirisch nachgewiesen.130
Auch die Bewahrung der körperlichen Integrität ist, vor allem in Zeiten eines
wissenschaftlich-technischen Gesundheitssystems, ein Resultat gemeinsamer
Anstrengungen.
(II) Klarer als bei den Abwehrrechten ist, dass Mitwirkungsrechte ge-
meinsame Rechte und Verfahren voraussetzen.131 Dass gilt vor allem für
aktives und passives Wahlrecht, sowie gemeinsame Verfahren der Gesetz-
gebung, der politischen Willensbildung, zivilgesellschaftlichen Öffentlich-
keit etc. Mitwirkung an der Gesetzgebung des allgemeinen Willens erfordert
eine funktionierende Republik, bei einer parlamentarischen Demokratie auch
eine diskutierende Öffentlichkeit, ein ausreichendes Bildungssystem usw.
Wenigstens einige von ihnen sind nicht nur öffentliche Güter, die nicht allein
genossen werden können, sondern auch »kommunale«. Auch die Pflichten der
Bürger, etwa Schulpflicht und Steuerpflicht können sowohl individuellen wie
gemeinschaftlichen Gütern dienen – die Schulpflicht etwa ist ebenso wichtig
für die Teilnahme an demokratischer Mitbestimmung wie sie advokatorisch
für die Entfaltung der Persönlichkeit geltend gemacht werden kann. Beide
(die Steuerpflicht zumindest seit der Einführung der Steuerprogression) sind
aber auch ein Mittel der »Hervorbringung einer egalitären staatsbürgerlichen
Gesellschaft«.132
Allerdings können zwischen der kollektiven Selbstbestimmung und den
Rechten von Minderheiten und Individuen auch Konflikte entstehen. Zum
einen ist eine demokratische Gesetzgebung, die sich nicht mehr auf Natur-
recht, sondern »souveräne« Gesetzgebung des Volkes stützt, der Gefahr der
Tyrannei der Mehrheit ausgesetzt. Dem sind theoretisch durch die Minder-
heitenrechte und die Individualrechte Schranken gesetzt. Abgesehen von
133 Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AMR) Art 28: »Jeder hat Anspruch auf
eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten
Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können« sowie Nußberger (2009), Völker-
recht, S. 15: »Die Verpflichtungen bestehen gerade nicht dem anderen Staat gegenüber,
sondern erga omnes, gegenüber allen. Damit ist ein neues Koordinatensystem der Werte
im Entstehen begriffen«.
134 Allerdings versuchen Verfassungen wie die deutsche, Umweltpflichten primär durch
den Schutz von Individualrechten zu begründen. Wann im Einzelfall eine geschützte
wirtschaftliche Unternehmung so viel Schäden an Gesundheit und Lebensqualität ver-
ursacht, dass ihr die Genehmigung versagt werden kann, ist aber schwer festzustellen.
Vgl. Hofmann (1995a), Technik und Umwelt, S. 458.
135 Auch in einer derart auf den Schutz individueller Grundrechte ausgerichteten Ver-
fassung wie dem deutschen Grundgesetz ist Platz für so etwas wie »ein für die Allge-
meinheit lebensnotwendiges Gut«, etwa das Grundwasser (Hofmann (1995a), Technik
und Umwelt, S. 460). Inzwischen ist das Bewusstsein für die Bedeutung kollektiver Güter
wie saubere Luft oder die Begrenzung der Klimaerwärmung weiter angestiegen und zu-
nehmend gesetzlich verankert.
3.3 Sind die Menschenrechte individualistisch ? 61
Güter, die gemeinsam »produziert« werden müssen und nicht individuell zu-
geteilt werden können.136 Das hat auch einschneidende Folgen für die Freiheit,
private Verkehrsmittel zu nutzen, sowie zunehmend für den privaten Konsum.
Man kann im Übergang von den Sozial- zu den Umweltrechten einen Para-
digmenwechsel »von der individuellen Sozialvorsorge zur globalen System-
vorsorge« sehen.137 Der verwaltungsrechtliche Schutz der Systeme durch
Umweltschutz und Raumordnung wird sogar als Abkehr von einem »Rechts-
system« gesehen, das »auf den subjektiven Rechten des Einzelnen aufbaut«.138
Das alles ist in noch stärkerem Maße der Fall, wenn man – wozu Verfassungen
(GG Art. 1 (2))139 und internationale Vereinbarungen verpflichten –, die Men-
schenrechte weltweit schützen und ihre Ausübung fördern will.
Eine solche Bestimmung des individualistischen und »kommunalen« An-
teils der Menschenrechte entspricht ihrer Entwicklung und der Erfahrungsge-
schichte nicht nur in Europa, sondern auch des Scheiterns der europäischen
Weltherrschaft. Sie hat sich in den Verfassungen moderner Rechts-, Sozial-
und zunehmend auch Umweltstaaten zumindest ansatzweise niedergesch-
lagen, muss aber bei jedem neuen Technisierungsschub im Auge behalten
werden.140 Sie ist vom »klassischen« Liberalismus vorstaatlicher und »wirt-
schaftsliberaler« Freiheitsrechte – philosophisch von Locke über Jefferson bis
136 »Grundrechte haben neben ihrer subjektiven Bedeutung bekanntlich auch eine objektive
als Wertentscheidungen oder Grundsatznormen. Daraus folgt, dass der Staat sich nicht
nur grundrechtswidriger Eingriffe zu enthalten hat, sondern die grundrechtlichen
Schutzgüter schützen und fördern, vor allem auch vor den rechtswidrigen Einwirkungen
Dritter bewahren muss« (Hofmann (1995a), Technik und Umwelt, S. 458). Vgl. zum Ver-
hältnis subjektiv- und objektivrechtlicher Grundrechtsgehalte auch Dreier (1994).
137 Hofmann (1995a), Technik und Umwelt, S. 461; vgl. 462: »So wie die Sozialstaatlichkeit
die Möglichkeitsbedingungen für den Rechtsstaat der sich entwickelnden respektive der
sich restaurierenden Industriegesellschaft ausdrückte, formuliert die Systemvorsorge die
Möglichkeitsbedingung des etablierten Sozialstaats«.
138 Hofmann (1995a), Technik und Umwelt, S. 468, mit Bezug auf weitere Literatur
(E. Schmidt-Aßmann, H. J. Papier). Dem trägt das Rechtsinstitut der Verbandsklage
Rechnung, das aber nicht einer substantiellen (oder ontologischen) Größe »Verband«
gilt.
139 Auch wenn das Bekenntnis des deutschen Grundgesetzes zu den Menschenrechten als
Grundlage des Friedens in der Welt »keinen Missionsbefehl« darstellt (Dreier (2013),
Kommentar zu Art. 1, II Rn 23, S. 277), lässt es sich doch – auch angesichts zahlreicher
Verpflichtungen und Programme der Vereinten Nationen und ihrer Unterorganisa-
tionen – als »Verpflichtung deuten, weltweit zur Verwirklichung der Menschenrechte
beizutragen« (ebd.).
140 Nach Armin Grunwald gefährdet die von der Politik fast überall massiv vorangetriebene
Digitalisierung die Synthese von liberalen und sozialen Rechten (Grunwald (2019a),
Digitalisierung als Prozess). Zu den Folgen für die Arbeitswelt vgl. auch Herzog (2019),
Die Rettung der Arbeit.
62 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
Die Technisierung des Umganges mit der Natur und die Zunahme des Ge-
wichtes individueller Autonomie hat aber noch eine andere Kontroverse
über den Begriff »Mensch« als Träger von Rechten eröffnet. Sie betrifft den
Bereich der technisch assistierten menschlichen Reproduktion, in dem es
noch keine vergleichbare Erfahrungsgeschichte mit stabilen institutionellen
Resultaten gibt.
145 Hier ist nicht vom Statusbegriff der Würde – dignitas im klassischen Sinne – die Rede,
der Menschen unterschiedlich nach Stand, Ehre oder Rang zukommt, sondern vom
moralischen bzw. rechtlichen Status der Menschen als solcher. Das schließt Graduie-
rungen beim Würdeschutz nicht aus.
146 In diesem Sinne auch Robert Alexy: »Die klarste Abgrenzung des Trägerkreises erreicht
man, wenn man diesen Begriff biologisch definiert«. (Ders. (1998), Menschenrechte, S. 247).
147 Vgl. Gutmann/ Janich (2001), Methodologische Grundlagen der Biodiversität.
3.4 Wer gehört zu den schützenswerten »Menschen« ? 65
der Evolution und der Wissenschaft – mit denen anderer Populationen nicht
kreuzen bzw. fortpflanzen können.148 Dass es Grenzfragen der Zuordnung zur
menschlichen Gattung gibt, hat schon John Locke dazu veranlasst, im Kontext
normgeregelten Handelns den Begriff des Menschen durch den der Person
zu ersetzen. Personen sind Wesen, die sich verpflichten und Rechenschaft
über die Befolgung von Regeln ablegen können. Das Problem mit dieser Be-
stimmung ist aber, dass sie viele von Menschen erzeugte und geborene Lebe-
wesen ausschließt, denen Rechtssysteme seit langem Schutz gewähren.
Nicht nur die Gattungszugehörigkeit bietet schon auf der biologischen
Ebene Probleme, auch der Begriff der biologischen Individualität wird
schwierig, wenn man die Entwicklungsstadien des Menschen ins Auge fasst.
Die klarste Unterscheidung ist sicher die, über einen eigenen Körper zu ver-
fügen, der räumlich von anderen menschlichen Körpern getrennt ist. Das ist
mit der Geburt der Fall, auch wenn das Kleinkind nur in sehr eingeschränktem
Sinn »handlungsfähig« ist. Durch die Entwicklungsbiologie wissen wir aber,
dass bereits das Genom zumindest nach dem Stadium möglicher Mehr-
lingsbildung wesentliche individuelle Merkmale des zukünftigen geborenen
Menschen vorzeichnet. Die Chance, sich zu einem solchen zu entwickeln, hat
einen Wert und es gibt Gründe, sie zu erhalten bzw. zu fördern. Das impliziert
allerdings eine Wertung dieser biologischen Stadien: als biologische ent-
halten sie nicht mehr als ein biologisches Potential, dessen Realisierung von
Zufällen – allen voran der erfolgreichen Nidation – abhängig ist. Nach dem
Ende des teleologischen, von Zweckursachen ausgehenden Denkens, das die
neuzeitliche Naturwissenschaft – jedenfalls als Form der Erklärung natür-
licher Prozesse – durch die Beschränkung auf Wirkursachen ersetzt hat, gibt
es kein Sollen, keine »natürliche« Vorgabe mehr, diese Entwicklung auch zu
erreichen.
Der Schutz der Entwicklungschancen eines werdenden Menschen ist
also eine Frage der Wertung, die nicht durch die Naturwissenschaften vor-
geschrieben ist. Sie gerät zudem in Konflikt mit der Würde und den Freiheits-
rechten desjenigen Menschen, von dessen Körper ein Embryo oder Fötus ein
Teil ist: des mütterlichen. Zu den elementaren Rechten der Mutter gehört die
Verfügung über den eigenen Körper. Darein durch Rechtszwang einzugreifen,
hat eine erhebliche Rechtfertigungslast.
Es gibt Weltanschauungen, für die mit der Befruchtung der Eizelle eine
Person entsteht, die nicht nur der sinnlichen Welt, sondern einer ganz anderen
148 Zu den realistischen Begriffen der Art als einer zeitlich existierenden Fortpflanzungs-
gruppe bei Ernst Mayr und Theodosius Dobzhansky vgl. auch Siep (2016), Konkrete
Ethik, S. 232-234.
66 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
übersinnlichen Ordnung angehört. Für diese hat also die biologische Ent-
stehung eines menschlichen Organismus eine weit mehr als biologische Be-
deutung. Mit ihm beginnt die »Heiligkeit« eines menschlichen Lebens, die ein
Tabu für menschliche Handlungen darstellt. Eine solche Anschauung kann
aber nicht zur Grundlage des Konsenses einer pluralistischen Gesellschaft
über ihre elementaren Normen dienen.149
Vertreter einer solchen »übersinnlichen« Personalität berufen sich gerne
auf Kant, der ebenfalls von einer »noumenalen« Person ausging. Für Kant ist
dies aber kein Begriff der theoretischen, sondern der praktischen Vernunft:
eine noumenale Person unterliegt den Sittengesetzen und ist der Zurechnung
ihrer Taten zu diesem Gesetz fähig. Wie und wann sie in der sinnlichen Welt
entsteht, können wir uns theoretisch nicht erklären.150 Der Ursprung ihrer
Rechtsbeziehungen zu anderen Personen muss aber eine Handlung sein, die
der Zurechnung fähig ist. Das ist die Handlung der Zeugung. Was der Status der
Rechtsbeziehung der Eltern zu ungeborenem Leben ist, hat Kant damit aber
nicht festgelegt. Eine selbständige Rechtsperson ist der ungeborene Mensch
nicht, auch das Kind wird nur antizipatorisch als solche behandelt.151
Die biologische Bestimmung des Anfangs menschlichen Lebens hat also
nicht nur innerwissenschaftliche Schwierigkeiten – vor allem mit den Be-
griffen Art und Individuum – sie hat auch von sich aus keinen evaluativen
und normativen Gehalt. Eine Spezies ist biologisch gesehen nicht wertvoller
oder schützenswerter als eine andere – das wäre in der Tat ein ziemlich kruder
Speziesismus. Man kann aber umgekehrt Wertungen plausibel an biologische
Differenzen »andocken«, also rechtfertigen, warum man menschliches Leben
149 Auch wenn das Bundesverfassungsgericht ihr teilweise folgt, kann sie nicht als not-
wendiger Bestandteil der Begriffe der Menschenwürde im Grundgesetz in Anspruch
genommen werden. Vgl. Dreier (2002), Stufen des vorgeburtlichen Lebensschutzes;
sowie zur Kritik des Gerichtsurteil Hofmann (2008), Methodische Probleme, S. 70 ff.
(»naturalistischer Fehlschluss«).
150 Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (AA VI, 280. Kant geht es ausdrücklich
nicht um Zeitpunkte in einem natürlichen Prozess (vgl. ebd. seine Anm.), sondern um
eine Handlung, aufgrund derer »die Kinder als Personen … ein ursprünglich-angeborenes
(nicht angeerbtes) Recht auf ihre Versorgung durch die Eltern« erhalten, »bis sie ver-
mögend sind, sich selbst zu erhalten.«. Zu den Konsequenzen für den Embryonenschutz
vgl. Geismann (2004), Kant und ein vermeintes Recht des Embryos.
151 Nach den Definitionen der Person in der Einleitung in die Metaphysik der Sitten (AA
VI, 223) muss eine Person ein zurechnungsfähiges Individuum sein. In der Anthropo-
logie in pragmatischer Hinsicht genügt für die Personalität die »Einheit des Bewusstseins
bei allen Veränderungen, die ihm zustoßen können« (AA VII, 127). Die Tötung eines ge-
borenen ehelichen Kindes ist nach Kant Mord, das uneheliche, nicht unter dem Gesetz
der Ehe geborene, ist dagegen »in das gemeine Wesen eingeschlichen (wie verbotene
Waare)«. Daher kann der Staat im Grunde »seine Vernichtung ignorieren« (AA VI, 336).
3.4 Wer gehört zu den schützenswerten »Menschen« ? 67
152 Vgl. Koselleck (1979), Zur historisch politischen Semantik, vor allem S. 213.
68 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
sind alle verpflichtet, die Möglichkeiten ihrer Selbstachtung und ihres selbst-
bestimmten Handelns nicht einzuschränken, sondern zu unterstützen.
Wie weit diese Inklusion in den Bereich des ungeborenen Lebens aus-
gedehnt werden soll, bleibt aber umstritten. Normative Konsense sind zwar in
verschiedenen Gesetzgebungen erreicht worden, haben aber nicht den Grad
der Zustimmung verschiedener Weltanschauungen gefunden wie die übrigen
»Extensionen« des Würdeträgers Mensch. Sie konfligieren nämlich mit der
Autonomie derjenigen Individuen, deren körperlicher Teil der Embryo oder
Fötus ist. Die Kontroversen hängen auch mit der Zunahme an Autonomie im
Bereich der Reproduktion zusammen. Der Zweck dieser Reproduktion wird
heute nicht mehr als (eine Pflicht zur) Fortpflanzung der Gattung angesehen,
sondern als das Gut des Lebens des Kindes und mit einem Kind. Diese Güter
sind aber in aller Regel mit der Hoffnung oder Erwartung auf ein gesundes
Kind verbunden. Ein solches zu bekommen ist kein Recht, denn es liegt nicht
im Umfang der menschlichen Kontrolle, aber ein berechtigter Wunsch. Ob die
Verhinderung der Geburt von Kindern mit der Disposition zu schweren Erb-
krankheiten eine Beeinträchtigung der Würde von Menschen mit schweren
körperlichen Einschränkungen darstellt, ist Gegenstand von Kontroversen. Es
ist aber sehr fraglich ob im Wunsch von Menschen nach gesundem Nachwuchs
überhaupt eine solche Beeinträchtigung liegt – und ob sie einen Eingriff in die
Selbstbestimmung der Mütter rechtfertigen kann.
Die Maßnahmen der assistierten Befruchtung, die zur Erfüllung des
Wunsches nach einem gesunden Kind führen sollen, haben zur Entstehung
einer großen Zahl von Organismen früher menschlicher Entwicklungsstadien
geführt, die nicht einer Mutter implantiert werden. Das entspricht durch-
aus der natürlichen Befruchtung, in der auch die allergrößte Zahl der be-
fruchteten Eizellen nicht zur Einnistung gelangt, sondern abstirbt. Die in der
assistierten Befruchtung entstandenen Organismen (»pre-embryos«) werden
der Verfügung ihrer Erzeuger bzw. mit deren Zustimmung den Reproduktions-
kliniken überlassen. Damit eröffnen sich aber auch Möglichkeiten, an ihnen zu
forschen, um Gesundheit und Würde von Menschen späterer Entwicklungs-
stadien zu fördern. Diese Möglichkeiten werden heute von vielen Rechts-
ordnungen zugelassen.153
Solchen frühen Stadien menschlichen Lebens kommt nichts von dem zu,
was Würde menschlicher Individuen im Sinne der Selbstbestimmung und
der Selbstachtung ausmacht. Der Sinn ihres Schutzes ist die Erhöhung ihrer
153 Mit dem Stammzellengesetz von 2002 auch in der deutschen, auch wenn sie nur
aus Ländern importiert werden dürfen, in denen ihre Verwendung – anders als bei in
Deutschland hergestellten – rechtlich zulässig ist. Vgl. Siep (2015b), Stammzellen.
3.4 Wer gehört zu den schützenswerten »Menschen« ? 69
154 Hofmann (1998, Menschenwürde, S. 78) macht auf den »fundamentalen Unterschied
zwischen Mensch und ungeborenem menschlichem Leben« aufmerksam.
70 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
155 Die Kritik am »westlichen« Charakter der Menschenrechte »gilt in wesentlich deut-
licherem Umfang für die spezifischen Sozialstandards« als für die grundlegenden
Freiheits- und Sozialrechte (Nußberger (2005), Sozialstandards, S. 185). Angesichts des
Ursprungs der Sozialgesetzgebung im Europa des 19. Jahrhunderts ist es »besonders
problematisch, Lösungen zu finden, die für die Nationalstaaten mit ihren sehr ver-
schiedenen, historisch gewachsenen Arbeits- und Sozialrechtssystemen ohne Abstriche
akzeptabel sind.« (ebd. S. 189).
3.5 »Menschenrechtskultur« oder »Kultur der Anerkennung« ? 71
156 Vgl. Sachsenmeier/ Reidel/ Eisenstadt (Hg.) (2002), Reflections on Multiple Modernities.
72 3 Konkrete Ethik und Menschenrechte
Individuen aber die Entscheidungen über ihr gutes Leben, d.h. über Glück,
Moralität und Sinn, nicht abgenommen oder zu sehr eingeengt werden. Die
bewusste Entscheidung für Ziele, an denen einem liegt, macht einen wesent-
lichen Bestandteil des guten Lebens aus (vgl. u. Kap. 6.1.3) Aber auch zu
moralisch richtigem Handeln muss ein Individuum sich aus seinem persön-
lichen Gewissen heraus entscheiden. Ein Glücks-, Moral- und Sinnpaternalis-
mus reduziert den Menschen zum unreflektiert glücklichen Tier.
Wenn es Güter der Gemeinschaft gibt, die dem Einzelnen Opfer abverlangen,
dann müssen die Individuen an deren Festlegung beteiligt sein und sie dürfen
die Grenze elementarer Menschenrechte nicht überschreiten. Es sind nur
noch bestimmte Begründungen möglich: Die Ehre, Macht, geschichtliche
Rolle etc. der Kollektive (Nation, Kirche etc.) darf nicht mehr das unfreiwillige
Opfer von Rechten auf Leben oder Auswanderung und auch nicht mehr das
freiwillige der Gewissens- oder Religionsfreiheit verlangen. Sonst würden die
schlimmsten Formen von Kollektivismus und Totalitarismus wieder recht-
fertigungsfähig. Historische Evidenz in Verbindung mit anthropologischen
und begrifflichen Analysen sind dafür hinreichender Grund (vgl. Kap. 4).
Vom Kern der Menschenrechte war schon die Rede (S. 41). Dazu rechnet
die Anerkennung der Freiwilligkeit jeder Bindung, sowohl des Handelns wie
der Überzeugung, und des Anspruchs auf Unterstützung der Erfüllung basaler
körperlicher und emotionaler Bedürfnisse. Es sind aber nicht nur Individual-
rechte, sondern auch Rechte von Gruppen auf Schutz vor Diskriminierung, die
zum Kern der Menschenrechte gehören. Das Verbot der Kennzeichnung von
Minderheiten (»Davidsstern«) oder das Recht auf gemeinsame Religionsaus-
übung betrifft nicht nur Individual- sondern auch elementare Gruppenrechte.
Umgekehrt können die Freiheitsrechte eines Individuums auch durch seine
Festlegung auf eine einzige Gruppenzugehörigkeit verletzt werden.
Ad 2) Was für Gründe könnte es geben, eine Kultur der Menschenrechte
durch eine Kultur der Anerkennung zu ergänzen? Es sind vor allem zwei:
a) Anerkennung bedeutet, vor allem in der auf Hegel zurückgehenden
Tradition, eine Relation der wechselseitigen Selbstbeschränkung und der
Überschreitung eigener Grenzen, sowohl zwischen Individuen wie zwischen
Individuen und Gruppen, vor allem Gruppen, die durch Institutionen »ge-
festigt« sind. Der Vermeidung von Übergriffen korrespondiert eine Öffnung,
eine Überwindung eigener Grenzen sowohl zugunsten des Anderen wie der
Gruppe – notfalls durch Verzicht auf eigene Rechte, etwa als Freundschaft
oder Versöhnung. Diese Beziehungen spielen sich nicht nur auf der Ebene der
Rationalität und des zweckmäßigen Handelns ab, sondern auch auf derjenigen
der emotionalen Einstellungen und Verhaltensdispositionen. Wenn sie nicht
nur bei Individuen, sondern auch bei Gruppen, zu stabilen Überzeugungen
3.5 »Menschenrechtskultur« oder »Kultur der Anerkennung« ? 73
und Haltungen geworden sind, kann man von einer »Kultur der Anerkennung«
sprechen.157
b) Zur Konzeption von Anerkennung gehören nicht nur Rechtsbeziehungen,
vor allem nicht nur strikt erzwingbare Individualrechte. Es gibt seit Hegel eine
Theorie von Stufen der Anerkennung, die zunehmend komplexer werden,
aber nicht alle erzwingbar sind. Hegel hat schon in seiner Frühzeit darauf den
neutestamentlichen Begriff des »pleroma«, der Erfüllung und Ergänzung (des
alttestamentarischen Gesetzes durch die neutestamentliche Liebe) verwandt.
Bei Hegel gefährden aber die höheren Stufen der Vereinigung in sittlichen
Institutionen den Abwehrcharakter der Grundrechte (s.u. S. 101). Um den auf-
rechtzuerhalten ist es wichtig, dass die Freiwilligkeit der »Gruppenbindung«
des Individuums auf den höheren Stufen zunimmt:158 Gegenüber der erzwing-
baren Gewaltlosigkeit, Nicht-diskriminierung und basaler Solidarität (Verbot
unterlassener Hilfeleistung, Steuerpflicht) sind Bürgerfreundschaft und
wechselseitige Anerkennung von Kompetenzen, Schwächen und Engagement
in unterschiedlichen Arten von »Teams« eher freiwillig und verdienstlich. Sie
können aber für die individuelle Selbstachtung wie für das Überleben und
Gedeihen der Gruppe ebenso wichtig sein. In einer Kultur der Anerkennung
haben die Gemeinschaftsaspekte der Menschenrechte gleiche Bedeutung wie
die Schutzaspekte. Die letzteren sichern aber, dass die Beiträge der Individuen
zu den kommunalen Gütern ihren freiwilligen – und möglichst spontanen –
Charakter behalten.
Die Ergänzung der Menschenrechtskultur durch die Anerkennungskultur,
der »protecting«- durch die »enabling«-Beziehungen, markiert den Übergang
von den Grenzen zu den Zielen, vom Rechten zum Guten, vom Respektieren
zum Erstreben – im Rahmen der hier konzipierten Ethik von dem, was dem
Menschen unbedingt zusteht, zu dem, was zu einem guten Leben und einer
guten Welt gehört. Das wird im 6. Kapitel wiederaufgenommen. Auf der Hand
liegt auch, dass der Übergang von »Kern« der Menschenrechte zur »Kultur«
der Menschenrechte und zur Kultur der Anerkennung die moralische Ver-
nunft immer stärker für historische Belehrung öffnet. Es werden dichtere
Beschreibungen von Beziehungen in der sozialen Welt nötig – und damit
stärkere Abhängigkeit von historischen Bedingungen.159 Aber es gibt auch hier
konsensuelle Erfahrungen, wie etwa den Übergang von einer ständischen
Menschenrechte sind das Minimum dessen, was für Menschen innerhalb einer
universal erstrebenswerten Welt »gut« zu nennen ist. Von weiteren Aspekten
des guten Lebens wird noch die Rede sein (Kap. 6). Zugleich stellen sie, das
soll gezeigt werden, für die Historisierung der Vernunft und der Moral eine
Grenze dar: Sie gelten zwar nicht unabhängig von Zeit und Geschichte, aber
gegen eine bloß vorläufige Geltung wird eine für jetzt und die Zukunft un-
umkehrbare behauptet. Ein solcher Geltungsanspruch unterscheidet sich von
zeitlosen und kontextuellen. Was das für die Zukunftsgeltung bedeutet, kann
folgende Dreiteilung klarmachen:
1. Wenn etwas für alle Zeit gilt, beansprucht es auch Zukunftsgeltung.
Das ist der Fall für alle Begründungen, die auf apriorische Prinzipien
oder einen zeitlosen Begriff von Natur, Vernunft oder göttlichem Willen
zurückgehen. Derartige Moral- und Rechtsprinzipien haben immer ge-
golten und gelten für alle Zukunft. Man weiß schon jetzt, dass Theorien,
die in Zukunft etwa für alternative Prinzipien ins Feld geführt werden,
in sich widersprüchlich sind. Auch eine Geschichtsphilosophie des not-
wendigen Fortschritts zu einem vernünftigen Ziel, dessen normative
Konturen schon jetzt erkannt sind, kann einen solchen Anspruch stützen.
2. Kontextgebundene Theorien beschränken sich auf die Verteidigung der
Gültigkeit von Normen und Prinzipien im Rahmen der jetzt zur Ver-
fügung stehenden Begriffe und Argumente. Sie versuchen in diesem
Rahmen eine möglichst stringente Begründung. Damit wird aber nicht
beansprucht, zukünftige Begriffe, Argumente und Erfahrungen vorweg-
nehmen zu können. Wenn diese geltend gemacht werden, muss man sie
prüfen und zurückweisen oder annehmen. Da die Philosophie »ihre Zeit
in Gedanken« fasst (Hegel), muss sie auch ihre normativen Geltungs-
ansprüche auf diese Zeit beschränken.
3. Die »Irreversibilitätsthese« nimmt eine Mittelposition ein. Sie bezweifelt
mit der zweiten Position, dass wir die Widersprüchlichkeit zukünftiger
Argumente antizipieren können. Sie stimmt auch grundsätzlich zu, dass
Philosophie die Begriffe, Argumente und Erfahrungen einer Epoche nicht
überspringen kann. Dennoch reklamiert sie für die Idee der Menschen-
rechte einen Gültigkeitsanspruch für Gegenwart und Zukunft. Der Sinn
von Moral und Recht, so wird behauptet, kann nicht beliebig verändert
werden. Er ist mit Lebensformen verbunden, die bei einer grundlegenden
76 4 Historische Vernunft und irreversible Geltung
impliziert bei Menschen, diese Rechte für alle gleich Berechtigten zu fordern
und sich der Abweichung eigener Handlungen von dieser Forderung bewusst
werden zu können. Das hat eine Verpflichtung zur Folge, sich gegen die Ver-
letzung von Grundrechten anderer einzusetzen.161
Die spezifisch menschliche Vernunft ist die eines verkörperten »Ich«, das
Interesse am eigenen und fremden Handeln und seinen Konsequenzen für leib-
liche und emotionale Zustände und Gefühle nimmt. Das umfasst nicht nur das
Interesse an körperlichem »Gleichgewicht« und Wohlbefinden, sondern auch
an Unterstützung, Zuwendung und Bestätigung. Davon hängen Zugehörigkeit,
Sicherheit und »Geborgenheit« in der kleineren und größeren Gruppe ab. Mit
zunehmender Arbeitsteilung und »innerartlicher Spezialisierung« wird auch
die Sicherheit über die Erfüllung eigener Pflichten und die Zufriedenheit mit
der Ausübung eigener Kompetenzen von der emotionalen und kognitiven
Bestätigung abhängig. Je mehr die individuelle Selbstachtung steigt, desto
empfindlicher wird die Missachtung und komplette Instrumentalisierung
durch andere wahrgenommen. Das Bewusstsein der Gleichheit vor einem
Schöpfer und später vor der menschlichen Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit
führt zur Verbindung von Selbstachtung und dem Bewusstsein eigener Würde
und Rechte. Die Vulnerabilität der Menschen gegenüber der Natur mag mit
dem technischen Fortschritt abnehmen, gegenüber den Mitmenschen nimmt
sie zu.162 Der Widerstand gegen fremden Zwang könnte, wie das Sich-wehren
und die Eigenwilligkeit des Kleinkindes zeigen könnte, eine natürliche Basis
haben. Als Recht aller Menschen wird die Freiheit von nötigender Willkür
aber erst durch die Emanzipation von persönlicher Herrschaft und sakralen
Hierarchien bewusst.
Die Basis allgemeiner, gleicher und individuell einzufordernder Rechte ist
also eine spezifisch menschliche Vernunft. Inwieweit sie bei fortschreitender
Erkenntnis der Fähigkeiten von Tieren oder deren Einbezug in menschliche
Lebensformen ausgedehnt werden könnten, wird uns später noch beschäftigen
(u. 5.3).
2) Aus der sprachlich verfassten menschlichen Vernunft und vom wechsel-
seitigen Verstehen von Absichten her, ergeben sich besondere Weisen der
Vergesellschaftung und Individualisierung. Beides bedingt sich wechselseitig,
wie es oben schon als Gegenstand der Theorie der Anerkennung thematisiert
wurde (3.5). Menschen sind keine selbständigen Atome, die sich aus Interesse
161 Das versucht auch schon Locke naturrechtlich zu begründen als Verpflichtung, für das
Recht auf Selbsterhaltung jedes Mitglieds der Gattung einzutreten (Zweite Abhandlung
über die Regierung, § 6). Vgl. Siep (2018b), John Locke, S. 221-224.
162 Vgl. Hunt (2007), Inventing Human Rights.
80 4 Historische Vernunft und irreversible Geltung
163 Pettit (1993), The Common Mind; Jansen (2017), Gruppen und Institutionen.
4.1 Anthropologische Argumente 81
Am Beispiel der sozialen Rechte lässt sich zeigen, dass hier kein rein
»physiologischer« oder essentialistischer Bedürfnisbegriff zugrunde gelegt
wird: Körperliche Basis, eigene »Deutung«, allgemeine Ideen und historische
Kämpfe um Rechte spielen zusammen. Dass frühindustrielle Ausbeutung
die Arbeitenden physisch und – wie vor allem ihre bürgerlichen Advokaten
betonen – »moralisch« (Alkoholismus, Prostitution) ruinierte, ist empirisch
nicht zu bestreiten. Es bedurfte aber des »Angebots« sozialer Ideen (Früh-
sozialismus, christliche Soziallehre etc.) und ihrer Propagierung durch
politische Gruppen um zum Bewusstsein verletzter Rechte zu kommen. Be-
vor aus paternalistischen Sozialgesetzen subjektive Rechte auf staatliche
Leistungen wurden, war ein weiterer Erfahrungsprozess bezüglich berechtigter
oder missachteter »Bedürfnisse« notwendig.
(d) Sowohl reichere Optionen der Selbstbestimmung wie die Fähigkeiten
öffentlicher Diskussion und gemeinsamer Gesetzgebung erfordern Bildungs-
prozesse und -einrichtungen. Menschen können ihre Fähigkeiten nicht zu
Kompetenzen entwickeln und deren Ausübung nicht genießen, wenn sie
dazu nicht interaktiv und gemeinsam angeleitet werden. Ihre Gleichheit
auch vor dem Recht hängt von einer einigermaßen gleichen Kompetenz ab.
Die gemeinsame Ausübung intellektueller, »musischer« und körperlicher
Kompetenzen ist auf Wiederholung und Überlieferung angewiesen. Sie
macht die Fortbildung von Traditionen nicht nur in der Produktion lebens-
notwendiger, sondern auch »freier« Güter notwendig. Ohne deren Genuss gibt
es kein über die elementare Selbsterhaltung hinausgehendes gutes Leben (vgl.
u. Kap. 6).
e) Bedürfniserfüllung des Menschen ist nur in einer Natur möglich, aus
der er seine Nahrung und seinen Schutz (Kleidung, Wohnung etc.) bezieht,
vor deren zerstörerischen Kräften er sich aber auch selber schützen muss.
Über den Wandel von der Anpassung an natürliche Gegebenheiten über die
»Unterwerfung« natürlicher Kräfte bis zur Substitution durch kontrollier-
bare technische Produkte war schon die Rede. Die gegenwärtige Phase der
»anthropologischen« Angewiesenheit des Menschen auf die Natur ist die eines
notwendigen Schutzes der Natur vor Zerstörung durch den Menschen – mit
möglichen selbstzerstörerischen Folgen. Diese Aufgabe ist, wie wir gese-
hen haben (o. 3.3), nur unzureichend durch Garantie und Ausübung von
Individualrechten zu erfüllen. Es geht aber nicht nur um gemeinsame Güter,
die individuelle und gemeinsame Tätigkeiten voraussetzen. Gemeinsame Be-
dürfnisse und Fähigkeiten manifestieren sich auch in gemeinsamen Werter-
fahrungen der natürlichen Mannigfaltigkeit, der Selbstregulierung und
-regeneration natürlicher Prozesse, der globalen wechselseitigen Abhängig-
keit und der Verletzlichkeit von Fließgleichgewichten. Insofern stützen sie
4.2 Gerichtete Prozesse 83
auch die in den ersten Kapiteln dargelegte Konzeption einer erstrebens- und
erhaltenswerten guten Welt, zu der Menschenrechte als ein nicht aufzu-
gebender Bestandteil gehören.
Entwicklung der Moral behauptet.168 Solche Lernniveaus sind für die kognitive
Entwicklung gut belegt, für die moralische bei Dissens über die einzelnen
Stufen insgesamt wohl auch akzeptiert. Der Weg von der autoritätsorientierten
über die gruppenorientierte bis zur grundsatzorientierten Moral ist allerdings
faktisch nicht unumkehrbar. Auf der am weitesten fortgeschrittenen Stufe uni-
versaler Moralgrundsätze spielen zumindest motivational die beiden anderen
Orientierungen mit. Das gilt erst recht für die Kultur – wenn sich denn eine
Entsprechung zur individuellen Entwicklung überhaupt nachweisen ließe.
Das ist aber schon aus methodischen Gründen schwierig, weil Kinder in der
gegenwärtigen Kulturstufe ja in deren Grundsätze sozialisiert und nach ihnen
erzogen werden – sie müssen sie folglich als höchste betrachten. Es ist aber
auch empirisch schwer nachzuweisen.169
Gleichwohl ist für einige Prozesse, die zur Menschenrechtskultur geführt
haben, die Annahme solch unumkehrbarer Stufen plausibel: Die Ausweitung
des moralischen Standpunktes des unparteilich-wohlwollenden Beobachters
von der beobachteten »Binnengruppe« auf die Gattung und darüber hinaus
auf bedürftige Lebewesen ist offenbar von einer eigenen unumkehrbaren
Logik. Das betrifft dann auch die Inklusion von Rechtsträgern.
1 b) Ähnlich unumkehrbar sind nach Auffassung vor allem sozialwissen-
schaftlicher Autoren auch soziale und ökonomische Rationalisierungs- und
Modernisierungsprozesse. Das moderne Recht insgesamt sowie die Menschen-
rechte insbesondere können als funktional für die Systeme der Ökonomie, der
Verwaltung, des Handels etc. verstanden werden. Niklas Luhmann hat auch
die Grundrechte der deutschen Verfassung als funktional, aber auch als Er-
öffnung besonderer Optionen individueller Selbstdarstellung in modernen
sozialen Systemen analysiert.170 In der Tradition von Max Weber wären
zwar umgekehrt individuelle Rechte in protestantischen Konfessionen Be-
dingungen der Entwicklung des modernen Kapitalismus. Aber mit seiner Ver-
breitung setzen sie sich weltweit durch und erhalten erst ihren universalen
Geltungsanspruch. Das moderne Recht scheint in der Tat die universale Norm-
sprache sowohl über die Systeme der ausdifferenzierten Gesellschaft hinweg
wie zwischen den staatlich verfassten Gesellschaften zu sein.
Inzwischen sind aber Modernisierungstheorien nicht mehr gänzlich un-
bestritten. Zum einen kann es unterschiedliche Formen von Modernisierung
geben – die sog. multiple modernities171 – zum anderen ist deren menschen-
rechtsförderliche Richtung nicht mehr unbezweifelbar. Säkularisierung als
ein Modernisierungsmerkmal kann der aktiven Religionsfreiheit auch ab-
träglich sein. Ökonomische Modernisierung, auch in kapitalistischer Form,
scheint ohne Menschenrechtskultur möglich – wie das Beispiel China neuer-
dings nahelegt. Auch wenn es keine Umkehr in traditionales Recht oder
ständische Rechtsprechung mehr geben mag, sind vor allem die individuellen
Abwehrechte nicht notwendig mit sozialen Modernisierungsprozessen ver-
bunden. Zudem drohen Modernisierungstheorien das Spezifische normativer
Gebote und normativer Erfahrungen auf funktionale Anpassungsleistungen
zu reduzieren.
1 c) Es gibt systemtheoretische Analysen des modernen Rechts, bei denen
die Eigenständigkeit normativer Erfahrungen erhalten bleibt. Thomas Gut-
mann schreibt der Ablösung der Konzeption und Institution natürlicher
Zwecke und Pflichten durch eine der subjektiven Rechte eine unumkehrbare
Richtung zu. Sie folgt einer Logik der Inklusion bzw. Nicht-Diskriminierung.
Vor allem die Weiterentwicklung des Systems der subjektiven Rechte folge
einer einsinnigen Binnenlogik.172 Grundrechtliche Systeme auf dieser Basis
befähigen die Rechtsträger zu neuen Unrechtserfahrungen, sie generieren erst
den Akteur solcher Erfahrungen. Insofern können Rechte und Erfahrungen
auch in einem Wechselverhältnis stehen.173 Der Prozess führt zu einer weiteren
Differenzierung der Rechte und kontinuierlicher Zunahme an Inklusion. Gut-
mann selber bezweifelt aber, ob diese Analyse ausreichend ist, die Entwicklung
der spezifischen Gruppen der Menschenrechte (z.B. der Sozialrechte) zu er-
klären und eine absolute Grenze dessen zu rechtfertigen, was man Individuen
und schwächeren Gruppen antuen darf.174
1 d) Man kann eine Rechtskultur wie die der Menschenrechte auch
pragmatistisch als Ergebnis von Problemlösungs- und Lernprozessen ver-
stehen. Mit der Sicherung individueller Handlungskompetenz und Ver-
antwortlichkeit und mit der Befähigung zu konsensueller gemeinschaftlicher
Aktion steigt offenbar die Fähigkeit von kleinen und großen Gruppen,
komplexe Probleme auf der Ebene materieller Notwendigkeiten und der von
Spannungen in (kollektiven) normativen Selbstbildern zu lösen. Der Fort-
schritt der Problemlösungsfähigkeit, und damit der Stabilität über Krisen
171 Vgl. Sachsenmeier/ Reidel/ Eisenstadt (Hg.) (2002), Reflections on Multiple Modernities.
172 Gutmann (2018a), Claiming Respect S. 292.
173 »Der Weg von der kollektiven historischen Erfahrung zur Normenbegründung [ist] keine
Einbahnstraße«. (Gutmann (2018a), Claiming Respect S. 276).
174 Gutmann (2018a), Claiming Respect, S. 303 ff.
86 4 Historische Vernunft und irreversible Geltung
hinweg, hinge dann von der Stärkung von individueller Verantwortung einer-
seits und zwangfreier Integration in handlungsfähige Kollektive andererseits
ab. Da in hochtechnisierten und global vernetzten Gesellschaften komplexe
Probleme zunehmen müssen, gilt das auch für die Menschenrechte als
problemlösungssteigernd.175
Es scheint mir aber nicht sicher, dass zukünftige Probleme nicht auch wieder
durch eine Zunahme an Disziplinierung lösbar erscheinen sollten. Vor allem
bei zunehmender Knappheit natürlicher Ressourcen und der »Verführung«
humantechnischer Lösungen scheint mir nicht garantiert, dass Menschen-
rechte nicht eher als Hindernis betrachtet würden. Die Beibehaltung dieser
Normen ist keine Konsequenz von Problemlösungskapazität.
1 e) Auch das Konzept der Sakralisierung der Person kann man als eine
Theorie des unumkehrbaren Fortschritts zu Menschenwürde und Menschen-
rechten verstehen.176 Unumkehrbar ist auch hier normativ und nicht faktisch
zu verstehen. Denn die dagegen gerichtete Sakralisierung von Kollektiven,
in der jüngeren Geschichte vor allem von Staaten, kann wieder die Ober-
hand gewinnen. Die erste Ent-Sakralisierung des Staates, nach Hans Joas
in der Achsenzeit des ersten vorchristlichen Jahrtausends, war aber ein
revolutionärer Schub, der nach einer langen Latenzphase in der neueren
Menschenrechtsphase sozusagen reaktiviert wurde. Was der zweite Schub vor
allem hinzusetzen musste, waren die Abwehrrechte der Personen und ihr An-
spruch, über Wahrheit und Zugehörigkeit selbst zu entscheiden. Normativ ist
das für Joas sicher ein irreversibler Fortschritt. Die Unvermeidlichkeit dieser
Abfolge liegt für ihn vermutlich in der Wahrheit des Bezugs auf das Heilige.
Diese These ist aber nicht frei von metaphysischen oder religiösen Prämissen,
die für die Akzeptanz der Menschenrechte nicht vorausgesetzt werden können.
Ohne diese hängt die Bewertung des Fortschritts dann allein von der positiven
Bewertung der Menschenrechte selber ab und ist daher für diese kein zusätz-
liches Argument.
175 Eine differenzierte Konzeption dieser Art vertritt Rahel Jaeggi (2014), Kritik von Lebens-
formen; sowie dies. (2018), Widerstand gegen die immerwährende Gefahr des Rückfalls.
Ich teile ihren Rückgriff auf Hegels Konzeption der Erfahrungsgeschichte. Ohne deren
logische Teleologie bedarf aber die Irreversibilität von Normen einer stärkeren Be-
gründung als die von unabgeschlossenen Problemlösungsgeschichten.
176 Vgl. Joas (2011), Die Sakralität der Person. Zu den Defiziten aus meiner Sicht vgl. Siep
(2019b), Sakralisierung und Genealogie. Für Jan Assmann (2018, Achsenzeit) sind Äqui-
valente »moderner« Rechte schon in alten Kulturen wie der ägyptischen anzutreffen (vor
allem S. 290-293). Zur Universalität vgl. Georg Mohr (2008), Sind die Menschenrechte auf
ein bestimmtes Menschenbild festgelegt?
4.2 Gerichtete Prozesse 87
177 Zur Bedeutung sozialer und rechtspolitischer Kämpfe für eine irreversible Lerngeschichte
vgl. Pollmann (2018), Lernen aus historischer Erfahrung, S. 62, 65.
178 Vgl. Siep (2018), Arten normativer Erfahrung, S. 253.
179 Vgl. Assmann J. (2007), Das kulturelle Gedächtnis.
180 Zum Recht (»Law«) in diesem Sinne als über die Jahrhunderte konsequente Entwicklung
von Normen und Institutionen vgl. Berman (1983), Introduction.
88 4 Historische Vernunft und irreversible Geltung
Prozesse bedeutet »Irreversibel«, dass Grenzen der Moral und des Rechts
nicht rückgängig gemacht oder überschritten werden können, wenn noch
sinnvoll von diesen Norm- und Handlungsbereichen gesprochen werden soll –
statt von Willkürherrschaft usw. Die Idee der Menschenrechte enthält nicht
nur Normen, die der menschlichen »Natur« im Sinne seiner artspezifischen
Möglichkeiten entsprechen – und daher wesentliches Element einer an-
zustrebenden »guten« Welt sind – sondern ist auch Resultat eines unumkehr-
baren Lern- bzw. »Findungs«prozesses. So weit reicht eine historisierte
Vernunft mit einer normativ sicheren »Veränderungssperre«.
181 Vgl. Kants analoge Argumentation bezüglich der enthusiastischen »Theilnehmung« der
Zuschauer der Freiheitskämpfe der Französischen Revolution (AAVII, 85 f.).
4.3 Zwei Einwände 91
Im Licht der Argumentation der ersten drei Abschnitte dieses Kapitels ist die
Irreversibilitätsthese noch einmal genauer zu formulieren. Zunächst zwei Ein-
schränkungen des Geltungsanspruches:
Erstens, dieser Anspruch wird nur für die mit der Menschenwürde unabding-
bar verbundenen Menschenrechte erhoben. Also in der hier verwendeten
Terminologie (vgl. o. S. 41 f.) für den von ihrer »Idee« geforderten »Kern«.
Entscheidend ist, dass sie eine Grenze dessen darstellen, was Menschen als
Individuen und in Gruppen zugemutet werden darf.
4.4 Genesis und Geltung 93
185 Vgl. etwa das Verständnis von »prinzipiell« bei Michael Quante: »>>Prinzipiell<< würde
dann heißen, dass diese Handlung [d.h. eine unentschuldbare Handlung] unter allen
empirisch erwartbaren und für unsere ethischen Überlegungen zu berücksichtigenden
Bewertungszenarien zu der Bewertung >>ethisch falsch<< führt« (Quante (2019a),
Prägungen durch Kultur, S. 158). »Empirisch erwartbar« hängt aber ab von biotech-
nischen Veränderungen, für die hier nach Grenzen gefragt wird.
4.4 Genesis und Geltung 95
Züchtung als Organlieferanten (s.u. Kap. 5. 4) erlaubt bzw. geboten ist, gibt es
noch Regeln der Kooperation und evtl. der Konfliktvermeidung, aber keine
»Moral« mehr.
Das Problem eines auf den verfügbaren Argumentationshorizont be-
schränkten Pragmatismus scheint mir zu sein, dass er die »moralische« Recht-
fertigung solcher Gebote oder Erlaubnisse nicht ausschließen kann. Wenn
»bisher keine überzeugenden Einwände«186 bedeutet, es könnten ja auch
wieder einmal gute Gründe für Folter, Sexismus, Rassismus etc. geben, dann
ist ein solcher Pragmatismus zu schwach. Eine derartige »Umkehr« ist mit
den leidvoll erlernten Begriffen des Rechts, der Moral und der Philosophie
nicht vereinbar – auch nicht mehr mit dem der Menschen als selbständige,
empathische, begrifflich denkende und den moralischen Standpunkt ein-
nehmende Wesen.
Die Gültigkeit bestimmter normativer Prinzipien ist nach dieser These für
die Rede von Moral und das Verständnis ethischer Geltungsansprüche sinn-
konstitutiv. Metaethisch kann sie, als nicht letztbegründet, relativiert werden.
Aber man kann von einer normativen Lebensform sagen, wann ihre Grenzen
überschritten werden. Nicht nur die Verneinung ihrer Grundnormen, sondern
auch die Überschreitung selber ist moralisch verboten. Unbedingte moralische
Normen implizieren, dass auch Moral selber gesollt ist – hier impliziert das
ought to do das ought to be, das Tun-Sollen das Sein-Sollen. Insofern kommt der
Moral Selbstzweckcharakter zu. Aber nicht, wie bei Kant, weil ein Gesetz der
praktischen Vernunft unbedingter Selbstzweck ist (ein »Göttliches in uns«)187
und daher die Träger Würde besitzen, sondern um der verletzlichen Würde
jedes menschlichen Individuums willen. Man kann das mit Michael Quante
seine personale Lebensform nennen.188 Dass diese nicht nur eine menschliche
Option unter anderen ist, sondern dass er zu ihr verpflichtet ist, folgt aus ihrer
notwendigen Verknüpfung mit der moralischen Lebensform. Und mit dieser
sind, wie hier zu zeigen versucht wurde, Menschenwürde und Menschen-
rechte untrennbar verbunden.
»Sinnkonstitutiv« heißt aber wiederum nicht, dass keine andere Moral über-
haupt denkbar sei. Es bedeutet, dass nach den historischen Erfahrungen und
anthropologischen Überlegungen keine Moral ohne Menschenrechte mehr
gerechtfertigt werden kann. Das setzt aber voraus, dass es nicht schon in der
gegenwärtigen Diskussionslage Argumente gegen die Menschenrechte gibt.
Solche werden aber vorgebracht und müssen daher auch entkräftet werden.
189 Vgl. Rawls (1993), Political Liberalism, S. 63 f. (u.ö.). Zum Wertpluralismus in der Demo-
kratie vgl. auch Willems (2016)
190 Vgl. Hoesch (2017a), Sind keine Gründe gegen die Geltung der Menschenrechte mehr
denkbar?, S. 226.
98 5 Begründete Alternativen zur Idee der Menschenrechte ?
191 Hoesch (2017a), Sind keine Gründe gegen die Geltung der Menschenrechte mehr denk-
bar?, S. 232.
192 Vgl. dazu Eckel (2014), Die Ambivalenz des Guten, S. 798-802.
193 Wie etwa Sandel (1998), Liberalism, oder Walzer (1990), Kritik und Gemeinsinn. Waldron
(1987, Nonsense upon Stilts, S. 189) entwickelt eine Verteidigung der Menschenrechte
als Rückfallposition bei Störung spontaner Gemeinschaftsformen. Das kommt der
Hegelschen Position zum Verhältnis von unmittelbarer Sittlichkeit und Recht nahe.
Es lässt die kommunitaristischen Einsichten in den Wert nicht-rechtsförmiger Ge-
meinschaften und Verpflichtungen bestehen, sichert aber die Individuen gegen deren
Instabilität.
194 Hoesch (2017a), Sind keine Gründe gegen die Geltung der Menschenrechte mehr denk-
bar?, S. 230.
100 5 Begründete Alternativen zur Idee der Menschenrechte ?
195 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts § 258. (Die folgenden Paragraphenangaben
im Text beziehen sich auf dieses Buch)
196 Der natürliche Tod wird für Hegel im Krieg für die Existenz des Staates verwandelt und
zum »Werke der Freyheit, einem Sittlichen erhoben; – jene Vergänglichkeit wird ein
5.1 Primat der Individualrechte 101
gewolltes Vorübergehen und die zum Grunde liegende Negativität (sc. der Endlichkeit)
zur substantiellen eigenen Individualität des sittlichen Wesens« (GW 14, 1, S. 265, (Z. 32-
37). Vgl. Siep (2015), Der Staat als irdischer Gott, S. 135-138 (dort auch Kap. II, 5 zu den
wohlfahrstaatlichen Aspekte von Hegels Staat)
197 Weil diese Parallelität den Staat in der letzten (»tiefsten«) persönlich-religiösen Ge-
wissheit verankert, soll er die Individuen zu einer Religionszugehörigkeit verpflichten.
Vgl. dazu Siep (2015) besonders S. 171-173. Es geht Hegel nicht primär um den Wert einer
religiösen Kultur oder des religiösen Gemeinschaftsgefühls (vgl. Hoesch (2017a), Sind
keine Gründe gegen die Geltung der Menschenrechte mehr denkbar?, S. 231).
102 5 Begründete Alternativen zur Idee der Menschenrechte ?
Menschenrechte gelten dem Begriff nach für alle Menschen. Aber wer ist für
ihren Schutz verantwortlich, der jeweilige Staat, in dem sie leben, auch Staaten
gegenüber den Bürgern anderer Staaten, oder die »Staatengemeinschaft«
und die internationalen Organisationen für alle Menschen? Ein »liberaler
Nationalist« könnte argumentieren, dass jeder Staat genug leistet, wenn er
auf seinem Gebiet die Menschenrechte respektiert und durch sein Verhalten
198 Vgl. Bothe (2004), Friedenssicherung und Kriegsrecht. Neben der »Selbstverteidigung«
(S. 601) gibt es zwar noch andere völkerrechtliche »Rechtfertigungsgründe für Ge-
walt« (ebd. S. 601-609), die aber alle dem Schutz der Staatsbürger und ihrer Grund- und
Menschenrechte dienen sollen.
5.2 Internationale Verantwortung 103
199 Zum Folgenden Hoesch (2017a), Sind keine Gründe gegen die Geltung der Menschen-
rechte mehr denkbar?, S. 232 f.)
200 Henkin formuliert in Anlehnung an Kant: »how human beings are treated anywhere
concerns everybody everywhere«. (Henkin (1979), How Nations Behave, S. 257)
201 Es handelt sich um eine nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1948 erfolgte Aus-
weitung durch »Staatenpraxis« auf »Gewaltflüchtlinge« bzw. Personen, die vor Krieg
oder Kriegsfolgen wie Hungersnot und ethnischer Gewalt fliehen, seit 1985 (Auftrag an
UNHCR) auch »persons who are compelled to leave their homeland because of man-
created disasters, e.g. armed conflict or other political and social upheaval« (nach Kay
Hailbronner (2004), Der Staat und der Einzelne, S. 231). In der neueren Diskussion geht
es auch um Flüchtlinge infolge von Klimaveränderungen.
104 5 Begründete Alternativen zur Idee der Menschenrechte ?
Das Problem der Migration (a) und das der humanitären Intervention (b)
oder, wie man heute im Völkerrecht vorzieht, des Schutzes der Bevölkerung
gegen den eigenen Staat (»military assistance of a population in dire need
under attack by its own government«).202 Beide Problemkreise haben es mit
Konflikten zwischen kollektiver Selbstbestimmung in Staaten und universalen
Rechten aller Menschen, aber auch zwischen individuellen Menschenrechten
zu tun. Zu beiden sind hier nur kurze Überlegungen möglich. Auf die zweite
Problematik, zu der Anna Goppel (2017) kritische Fragen gestellt hat, gehe ich
etwas ausführlicher ein.
(a) Probleme der Ethik und des Rechts von Migration, Asyl und Flucht
haben es mit Konflikten zwischen dem Menschenrecht auf Verlassen eines
Staates und den Bürgerrechten im »Zielstaat« zu tun.203 Die Bürger des Ein-
wanderungslandes haben Rechte autonomer Gesetzgebung und sozialer
Sicherheit. Das Recht der Mitgesetzgebung in einem Staat setzt voraus zu
wissen, welche Kriterien für die Teilnahme an der gemeinsamen Gesetz-
gebung gelten. Zulassungskriterien für den Kreis der Mitgesetzgeber dürfen
allerdings über die Zustimmung zu den Verfassungsgrundsätzen nicht hinaus-
gehen. Bürger erwarten von ihrem Staat aber auch den Schutz des rechtmäßig
Erworbenen und gemeinsam Erarbeiteten, je nach Privatrechtsordnung auch
des Vererbten. Dabei sind Rechte der sozialen Sicherheit, aber auch des Eigen-
tums betroffen.
Das macht Kriterien der Zuwanderung zulässig, die aber vom vorüber-
gehenden Aufenthaltsrecht für Asylsuchende unterschieden werden müssen.
Mit einer grundsätzlichen Kritik der Menschenrechte haben es diese Fragen
nicht zu tun. Erst ein Nationalismus, der den Rechten seiner Mitglieder über die
Staatsbürgerrechte hinaus einen grundsätzlich anderen (privilegierten) Status
einräumen würde als Menschen außerhalb seines Staatsgebietes, benutzt
einen indiskutablen Rechtsbegriff. Es gibt keine universal nachvollziehbaren
Argumente mehr, die grundsätzliche Unterschiede in den Rechten von (aus-
erwählten, zivilisierteren, rechtgläubigen) Völkern oder Rassen legitimierten.
Für die historisch belehrte Vernunft ist ein solcher Nationalismus der Grund
der schmerzhaftesten und entwürdigendsten Erfahrungen der jüngeren Zeit
in allen Teilen der Welt.
202 Vgl. dazu und zum Folgenden Kreß (2019), On the Principle of Non-use of Force, vor
allem den Abschnitt: Humanitarian Intervention – or Rather: Lawful Force in Defense of
a Civilian Population under Attack? (nicht paginiert).
203 Vgl. dazu ausführlich Hoesch (2016), Was kann philosophische Aufklärung mit Blick auf
die Flüchtlingskrise leisten?.
5.2 Internationale Verantwortung 105
204 Zum Widerstandsrecht in der europäischen Neuzeit vgl Schweikard/ Mooren/ Siep (Hg.)
(2018), Ein Recht auf Widerstand gegen den Staat? Zur Verbindung von Widerstandrecht
und humanitärer Intervention vgl. Laukötter (2014), Zwischen Einmischung und Nothilfe.
205 Die »responsibility to protect« wurde vor allem beim »world summit« der UN-General-
versammlung 2005 erklärt, ist aber durchaus noch keine völkerrechtliche Praxis (vgl.
Kreß (2019), On the Principle of Non-use of Force). Heute wird im Völkerrecht die
Formulierung »defense of the people« statt »humanitarian intervention« verwendet, die
weniger anfällig für Missbrauch ist (vgl. Kreß ebd.)
206 Darauf stützt sich die Kritik des Widerstandsrechts bei Reinhard Merkel und seiner
Schülerin Tessa Elpel. Vgl. Merkel (2017), Demokratischer Interventionismus?; Elpel
(2017), Das Widerstandsrecht.
106 5 Begründete Alternativen zur Idee der Menschenrechte ?
207 Eine Verpflichtung vertritt Walzer (2003), Die Politik der Rettung.
208 Vgl. Eckel (2014), Die Ambivalenz des Guten, S. 809 ff.
5.2 Internationale Verantwortung 107
212 Vgl. Fabre (2008), Cosmopolitanism; dies., (2012)., Cosmopolitan War (2012a); Schwenken-
becher (2013), Rethinking Legitimate Authority, S. 161,170; Steinhoff (2012), On the Ethics
of War and Terrorism. Vgl. dazu meine kritischen Bemerkungen in: Siep (2019c), Ewiger
Friede und gerechter Krieg.
213 Zum Notrecht bei Locke vgl. Siep (2018b), John Locke, S. 224-226, 295.
214 Vgl. Siep (2018d), Widerstandsrecht zwischen Vernunftstaat und Rechtsstaat, S. 104-107.
5.2 Internationale Verantwortung 109
215 Vgl. Goppel (2017), Warum alle berechtigt sind zu handeln, S. 252.
110 5 Begründete Alternativen zur Idee der Menschenrechte ?
216 Vgl. Goppel (2017), Warum alle berechtigt sind zu handeln, S. 252 ff. Unter »alle Akteure«
können außer Individuen auch nichtstaatliche Organisationen verstanden werden. Das
betrifft heute etwa Fragen der Seenotrettung bei Untätigkeit staatlicher Organe. Man
darf allerdings nicht ohne Weiteres die Selbstgefährdung mit der aktiven staatlichen
Menschenrechtsverletzung eigener Bürger gleichsetzen, auf die die »responsibility to
protect« zielt.
217 Vgl. Siep (2018b), John Locke, S. 287 f.
218 Die Probleme der Blockade des Sicherheitsrates durch Veto lasse ich hier beiseite, vgl.
dazu Kreß (2019), On the Principle of Non-use of Force.
5.3 Die Exklusivität der Menschenrechte 111
219 Vgl. o. Kap. 3. 4 sowie Dreier (2002), Stufen des vorgeburtlichen Lebensschutzes.
112 5 Begründete Alternativen zur Idee der Menschenrechte ?
biologischen Eigenschaften sich mit der Zeit ändern. Diese Zuordnung hängt
von historischen Erfahrungen, aber auch von Erkenntnissen über die Eigen-
schaften der Rechtsträger ab.
Die Grenzen zum nicht-menschlichen Leben sind in der Tat von biologisch-
empirischen Erkenntnissen abhängig. Nach dem Stand der Zoologie fehlen
Primaten – umso mehr den einfacher organisierten Lebewesen – fundamentale
Fähigkeiten und Bedürfnisse, die Menschen zu Rechtssubjekten machen.
Dazu gehört die Fähigkeit zur sprachlich-begrifflichen Verallgemeinerung, zur
Selbstverpflichtung auf Regeln, zur Rechtfertigung mit allgemeinen Gründen
sowie ein vergleichbarer Grad der Sorge um persönliche Identität und Selbst-
achtung. Man kann sich vorstellen, die Schädigung von Tieren, die Ausrottung
von Pflanzen oder die Zerstörung unbelebter Natur unter hohe Strafen zu
stellen. Vor allem Hominiden haben Ansprüche, in ihrem Wohlergehen be-
rücksichtigt zu werden. Aber man kann keinem Tier subjektive Rechte und zu
verantwortende Pflichten zusprechen.
Pathozentrische Konsequentialisten können demgegenüber Schmerzen
leidensfähiger Lebewesen höher werten als die von Menschen.220 Wenn
der Begriff Schmerz (pain) aber rein körperlich verstanden wird, ebnet er
alle Grenzen unterschiedlicher »Subjektivitäten« ein. Wir kennen zwar die
Innenperspektive von nicht-menschlichen Lebewesen nur unvollständig und
Thomas Nagels Programm einer vergleichenden Untersuchung der Arten
von Selbstwahrnehmung (»What is it like to be a bat?«) ist kaum durch-
geführt.221 Demgegenüber gibt es eine lange historische Erfahrung damit,
was bei Menschen Verletzungen nicht nur ihres körperlichen Wohlgefühls,
sondern ihrer Selbstachtung, sozialen Anerkennung etc. hervorruft. Wenn es
gute Gründe gibt, anderen Lebewesen auf diesem oder anderen Planeten oder
künstlichen »Menschen« diese Fähigkeiten zuzuschreiben, könnte man über
die Ausweitung der Menschenrechte nachdenken. Bei unserem gegenwärtigen
Kenntnisstand aber scheint es mir der Unparteilichkeit zu widersprechen,
die einen (Tiere) grotesk zu überfordern und die Bedürfnisse der anderen
(Menschen) grob zu unterschätzen. Man kann nicht zu Prozessen gegen Tiere
zurückkehren und man kann Menschen nicht mehr an den Pranger stellen
oder auspeitschen lassen.
Die Grenze der Menschenrechte gegenüber den Ansprüchen der Tiere
ist aber nicht starr. Ob man Tieren Rechte desselben Umfanges zu-
schreiben soll wie Menschen, hängt von ihren Fähigkeiten – vor allem
Verpflichtungsfähigkeiten – ab. Anderen als biologisch menschlichen Wesen
220 Man denke an Peter Singers berühmt-berüchtigten Vergleich zwischen Tieren (Schwein,
Hund, Schimpanse) und neugeborenen Menschen (Singer (1984), Praktische Ethik, S. 169).
221 Nagel (1974), What it is like to be a bat?.
5.3 Die Exklusivität der Menschenrechte 113
222 Zum Verhältnis Menschen- und Tierrechte vgl. Ach (2012, Menschenrechte und Tier-
rechte). Amélie Rorty hat vorgeschlagen, die Frage, ob Venusbewohner als Personen
zu bestimmen sind, von den Erfahrungen bei einer Begegnung mit ihnen abhängig zu
machen (Rorty (1976), A Literary Postscript).
114 5 Begründete Alternativen zur Idee der Menschenrechte ?
223 Vgl. den Text von Bentham und die ausführliche Kritik von Waldron (1987, Nonsense
upon Stilts), S. 29-76 u. 183-196.
5.4 Konsequentialismus statt Priorität 115
fixen Kanon zugestimmt worden. Der Vorwurf des Egoismus und eines mit ge-
meinsamen Gütern und Rechten unvereinbaren Individualismus wurde oben
(Kap. 3. 1.) zurückgewiesen.
Bereits seit John Stuart Mill wird im Utilitarismus versucht, Rechten eine
besondere Stellung gegenüber anderen Arten des Nutzens zuzuweisen. Für
Mill schließen sich individuelle Freiheitsrechte und sozialer Nutzen nicht
aus. Soziale Nützlichkeit wird durch Strafrechte und eine meritokratische
Güterverteilung gefördert: dadurch, »dass wir jeden gleich gut behandeln
sollen, … der sich um uns im gleichen Maße verdient gemacht hat, und dass
die Gesellschaft jeden gleich gut behandeln soll, der sich um sie im gleichen
Maße verdient gemacht hat.«224 Zwischen dem modernen Utilitarismus und
seinen Kritikern, von Rawls bis Nida-Rümelin,225 ist die Frage umstritten, ob
mit konsequentialistischen Mitteln extreme Eingriffe in Freiheit und Integri-
tät Weniger zugunsten einer Erhöhung der kollektiven Nutzenmenge –
paradigmatisch durch die Sklaverei – ausgeschlossen werden können.
Als Kritik an der Menschenrechtsidee taugt nur ein extremer Konse-
quentialismus, der vom unbegrenzten Primat der Menge oder der Gemein-
schaft vor dem Individuum ausgeht und auch radikale Eingriffe rechtfertigt.
Hoesch konstruiert eine Reihe solcher Einwände sowohl handlungs- wie regel-
utilitaristischer Art. Einige davon widersprechen dem Diskriminierungsverbot
des Unparteilichkeitsprinzips, wie etwa die Einstellung von Gesundheitsver-
sorgung oder Pflege alter Menschen. Andere, wie die heimliche Tötung um
der Organgewinnung willen oder die Folter von Terroristen, der Abschuss von
entführten Flugzeugen etc. sind gegen individuelle Rechte gerichtet. Dabei
verbleiben Ausnahmehandlungen, die Rechte mehrerer durch die Verletzung
der Rechte weniger Menschen retten wollen, noch innerhalb der Menschen-
rechtskultur. Dass im äußersten Notstand auch »Zahlen zählen« (numbers
count), wird man außerhalb des Utilitarismus zwar nicht als Regel (vor allem
nicht als Rechtsgesetz) anerkennen können. Es kann aber als moralische
Entschuldigung in Einzelfällen gelten, ohne dass die Idee der Menschen-
rechte als solche zu Fall käme.226 Man kann sogar davon sprechen, dass in
224 Mill (1976), Der Utilitarismus, S. 107. Zur individuellen Freiheit bei Mill vgl. auch Simon
Derpmanns Kommentar dazu in ders., (Hg.) (2014), Mill, S. 111-125.
225 Vgl. etwa Smart/ Williams (Hg.) (1973); Utilitarianism; O. Höffe (Hg.) (1975), Einführung
in die utilitaristische Ethik; Rawls (1975) Eine Theorie der Gerechtigkeit; Nida-Rümelin
(2019), Zur normativen Ontologie von Grenzen, vor allem S. 355. Nach Rawls ist die Ab-
weisung der Sklaverei im Utilitarismus nicht erfolgreich. Die Theorie der Gerechtigkeit
leiste dies dagegen vor allem mit ihrer Priorisierung der Selbstachtung (vgl. S. 193, 203 ff.)
226 Für eine Lösung im Rahmen des Utilitarismus, die den Individualrechten Rechnung trägt,
vgl. jetzt Dufner/Schöne-Seifert (2019), Die Rettung der größeren Anzahl.
116 5 Begründete Alternativen zur Idee der Menschenrechte ?
Sind andere Begründungen der Menschenrechte eher in der Lage, den er-
örterten Einwänden zu begegnen? Zweifellos haben Theorien, die auf zeit-
lose Prinzipien wie die des rationalen Diskurses oder der wechselseitigen
Bedingungen der Personalität zurückgehen, mit der Zukunftsgeltung der
Menschenrechte weniger Schwierigkeiten. Die Ansätze haben aber eigene
Schwächen: Man muss in die Konzeption der Diskursteilnehmer oder der
»Partner« wechselseitiger Anerkennung bereits Bedingungen der Autonomie,
Gleichheit und Anteilnahme aufnehmen, wenn man konkrete Menschen-
rechte damit begründen will. Diskurse setzen eher Menschenrechte voraus als
umgekehrt. Ohne eine solche Historisierung der Diskursidee ist schwer zu ver-
stehen, weshalb über Jahrtausende die ungleiche Kompetenz von Diskursteil-
nehmern zwanglos akzeptiert wurde.
Jürgen Habermas beruft sich in seinen Arbeiten zu den Menschen-
rechten zwar auf die »stillschweigenden Präsuppositionen eines jeden auf
Verständigung abzielenden Diskurses«.229 Seine Herleitung der besonderen
Menschenrechte ist aber eine historische. Er erklärt sie aus der Verbindung
der Idee der Menschenwürde, deren Ursprung sowohl in der antik-stoischen
wie der christlich-jüdischen Tradition (und deren philosophischer An-
eignung) liege (S. 351). Dabei wird ein Begriff (Würde), der in der Stoa auf die
Stellung des Menschen im Kosmos bezogen war, über die Statuswürde von
Standesgesellschaften zum Begriff der »gleichmäßige[n] Anerkennung der
Würde eines jeden« (S. 349) in modernen Rechts- und Verfassungsgemein-
schaften. Der Gehalt des Würdebegriffes sensibilisiert in den neuzeitlichen
Kämpfen um die rechtliche Anerkennung Individuen und Gruppen für Ent-
würdigungserfahrungen: »Die Erfahrung verletzter Menschenwürde hat eine
Entdeckungsfunktion« (S. 346).230
235 Mohr (2008), Sind die Menschenrechte auf ein bestimmtes Menschenbild festgelegt?
(Seitenzahlen im Folgenden beziehen sich auf diesen Text).
120 5 Begründete Alternativen zur Idee der Menschenrechte ?
240 In jedem standesamtlichen Ahnenpaß der NS-Zeit stand eine Kritik des Individualismus
der Ideen von 1789 und eine Beschwörung des Primats des Volkes.
241 Vgl. Joas (2015), Sind die Menschenrechte westlich; Bellah/ Joas (2011), The Axial Age and
its Consequences; Assmann, J. (2018), Achsenzeit; Kühnlein (2019), Der Westen und die
Menschenrechte. Eckel (2014, Die Ambivalenz des Guten) analysiert die Gründe der Aus-
einandersetzung und die Idee alternativer (z.B. afrikanischer) Genesen.
242 Vgl. Siep (2012), Wie eurozentrisch ist die praktische Philosophie der Neuzeit?.
Kapitel 6
Fragt man nach Zielen und Grenzen des menschlichen Handelns im Um-
gang mit der Welt, vor allem für den technischen Umgang mit der natürlichen
Welt, dann sind die Menschenrechte zwar wichtige, aber keine ausreichenden
Kriterien. Es gibt andere Wesen, für die Zustände der Welt gut oder schlecht
sein können und die vom Standpunkt eines wohlwollend unparteiischen Be-
trachters der Welt im Ganzen berücksichtigt werden müssen. Weder von einer
Ethik aus Prinzipien reiner Vernunft noch von einer rein wissenschaftlich be-
schreibenden und erklärenden Perspektive aus ist ihre Bestimmung möglich.
Es kommt, wie im zweiten Kapitel erörtert wurde, auf das adäquate Verhält-
nis von beobachtenden, erklärenden und wertenden Aspekten des Denkens
an. Was Menschen als eine bestimmte Art von Lebewesen angeht, kann man
auf normative Traditionen zurückgreifen, in denen versucht wurde, das dem
Menschen Zustehende als Rechte zu formulieren und durchzusetzen. Der
neueren, auf universale Menschenrechte zielenden Entwicklung von Recht
und Moral liegt das wertende Konzept von individuell verantwortlichen und
aus Einsicht handelnden Menschen zugrunde. Auf diese Autonomie sollen
Gemeinschaften bauen, in denen Menschen auch zur Lösung gemeinsamer
Aufgaben und zur Arbeit an gemeinsamen »Werken« in der Lage sind.
Aber auch das gute Leben des Menschen hat noch andere Bedingungen als
den Respekt vor den Menschenrechten. Von den Tugenden war oben (Kap. 1.3)
die Rede, die nach Auffassung schon der antiken Philosophie denjenigen, der
sie ausübt, glücklich macht. Von Tätigkeiten für gemeinsame Werke sind wir
gewohnt zu sagen, dass sie dem individuellen Leben »Sinn« verleihen. Glück
und Sinn sind also zusätzlich zu dem »Genuss« von Rechten Bestandteile eines
guten menschlichen Lebens. Zum sinnvollen Leben gehört aber auch die Sorge
um den Weg, der für den Einzelnen geeignet ist, sei es zu seinem »Seelenheil«
oder – wie in der säkularen Moderne – zur Selbstverwirklichung. Bei einem
zumindest biologisch endlichen Leben gehört dazu auch die Einstellung zum
Tod, dem eigenen und dem der anderen (6.2). Wie sich diese Dimensionen
des menschlichen Lebens zueinander verhalten, ob sie unabhängig von-
einander sind und ob es sich um eine vollständige Unterscheidung handelt,
ist Gegenstand der philosophischen Diskussionen über das »gute Leben« (6.1).
In einer Ethik, die von der Möglichkeit einer nicht nur für Menschen guten
Welt ausgeht, ist auch das Verhältnis des guten Lebens zu einer guten Welt zu
reflektieren (6.3).
124 6 Gutes Leben und gute Welt ?
In der neueren philosophischen Debatte über das gute Leben werden über-
wiegend die drei Dimensionen des Wohlergehens – oder seiner höchsten
Stufe, des Glücks –, der Moral und des Sinns erörtert. Ob diese Einteilung sinn-
voll und vollständig ist und wie sich die Dimensionen zueinander verhalten,
ist aber umstritten.
Die Wiedereinführung der »Sinnfrage« in die philosophische Ethik war
von einer Unterscheidung geprägt, die sich den Arbeiten von Harry Frankfurt,
Bernard Williams und Susan Wolf verdankt: derjenigen zwischen den Fragen
des ethisch Gebotenen oder Wertvollen und dem, was einem individuellen
Leben Sinn verleiht – mit Harry Frankfurt: The Importance of what we care
about.243 Neuerdings ist aber wieder kontrovers geworden, ob man zwischen
der moralischen Perspektive, der »prudentiellen« – d.h. auf die Wahl der Mittel
des Wohlergehens zielenden – und der Sinn-Perspektive klar unterscheiden
kann.244
Wie die Überlegungen über die Rechte des Menschen hat auch die über sein
gutes Leben insgesamt mit den spezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten
des Menschen zu tun (vgl. oben Kap. 4.1). Was die moralische Perspektive an-
geht, sind Menschen die einzigen, die zugleich Betroffene und unparteiische
Beobachter sein können. Sie allein können sich in ihrem Verhalten auf all-
gemeine Regeln verpflichten und diese bewusst einhalten oder brechen.
Menschen erreichen aber nicht nur einen höheren Grad an Selbstdistanz und
Fähigkeit des Umganges mit allgemeinen Perspektiven und Regeln. Sie ver-
halten sich zu diesen auch individuell, persönlich. Sie beziehen alle Güter,
Werte und Sachverhalte auf sich als individuierte, verkörperte, sich ihres »hier
und jetzt« bewusste Wesen. Weil sie zugleich von einem Zentrum aus und in
universalisierender Distanz dazu urteilen,245 können sie sich mit jedem Ziel,
Wert, Urteil, Regel identifizieren, aber auch gleichgültig sein, sich ablehnend
verhalten und sie mit Gründen aufgeben. Das umfasst auch das eigene Leben.
Selbstaufgabe und Selbstopfer können aus höheren Gründen gerechtfertigt
werden und (sich selbst oder anderen) als wertvoll erscheinen. Sie können
aber auch Ergebnis von Verzweiflung oder Überdruss sein. Ob ein gänzlich
243 Vgl. Williams (1985), Morality, the Peculiar Institution; Frankfurt (1988), The Importance
of what we care about; Wolf (2010), Meaning in Life and Why It Matters.
244 Vgl. Ernst (2011), Normative Individualität; Halbig (2019), Sinn – eine dritte Dimension des
guten Lebens.
245 Das hat besonders Thomas Nagel (1992, Der Blick von Nirgendwo) herausgearbeitet.
6.1 Wohlergehen, Moral und Sinn des Lebens 125
teilnahmsloses Dahinleben ein Verzicht oder noch eine Antwort auf »Sinn-
suche« darstellt, ist kaum zu beantworten.
Die zugleich zentrierte und distanzierte Perspektive auf sich selbst ist
Teil dessen, was philosophisch, vor allem in der Neuzeit, die Subjektivi-
tät des Menschen genannt wurde. Bei der Rekapitulation der Geschichte
der Menschenrechte war davon schon die Rede (o. Kap. 3.3). Weil bei den
folgenden Überlegungen davon wiederholt Gebrauch gemacht wird, muss die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Perspektive etwas differenziert
werden – wiederum nur für diesen Zweck und unter Ausblendung der Gesamt-
debatte. Beide können von einem Individuum selber eingenommen oder
angeeignet werden. Sie lassen eine Reihe von Abstufungen zu, für die im
Folgenden bei Gefahr von Missverständnissen Indices (1-3) verwandt werden.
Subjektiv 1: Die subjektive Perspektive ist vor allem die eines Individuums,
das sich selber (metaphorisch »von innen«) von anderen verkörperten Wesen
oder von Gruppen – mehr oder minder institutionalisierten – unterscheidet.
Über die Kriterien der persönlichen Identität muss aber hier nicht gehandelt
werden.
2: Ein Individuum kann sich, vermittelt über Sprache, Gestik oder unmittel-
bare Empathie, auch in die subjektive Perspektive eines anderen Individuums
versetzen.
3: Auch Kollektive können zumindest Elemente solcher Subjektivität be-
sitzen. Diese sind zumeist über Individuen vermittelt, können aber eine weit-
gehende Unabhängigkeit von ihnen erreichen – wie die Entscheidung einer
Institution.246
Objektiv 1: »Objektiv« kann die Perspektive einer Person oder Einrichtung,
heute vielleicht auch eines digitalen Programms (man denke an Profile und
»cookies«) auf ein Individuum sein. Eine solche Außenperspektive kann
ein Individuum sich selber aneignen, vom photographischen Selbstporträt
(»Selfie«) bis zur Personalakte. Sie wird sich aber immer von der Innen-
perspektive unterscheiden.
2: Diese Unabhängigkeit von der individuell-subjektiven Perspektive
kann höhere Grade erreichen, zunächst den einer Übereinstimmung ver-
schiedener Individuen oder Beobachter. Sie kann sich auch auf das richten,
was »von außen« beurteilt für ein Individuum passend erscheint – die
Beraterperspektive.
3: Wenn diese Übereinstimmung in wahren Aussagen besteht – je nach den
Kriterien einer Wahrheitstheorie – sprechen wir von Objektivität des Urteils.
247 Vgl. auch Mohr (2008, Sind die Menschenrechte auf ein bestimmtes Menschenbild fest-
gelegt?) über die Bedeutung körperlicher, psychisch-sozialer und moralisch weltanschau-
licher Bedürfnisse für die Menschenrechte. Zum hier verwandten Bedürfnisbegriff vgl. o.
S. 14, 82.
6.1 Wohlergehen, Moral und Sinn des Lebens 127
248 Zu den Weisen, wie sich der Sinn eines Lebens zu dem der Lebensabschnitte verhält vgl.
Rüther und Muders (2015) S. 77. Der Fokus auf dem »Gesamtsinn« (78) könnte aber dem
Erbe der metaphysischen Tradition des Primats der Einheit und Ganzheit geschuldet
sein.
249 Zur Geschichte des Sinn-Begriffs insgesamt vgl. Gerhardt (2006)
128 6 Gutes Leben und gute Welt ?
250 Nicht zuletzt wegen der Verwandtschaft mit den theoretischen Begriffen der Fregeschen
Tradition (Sinn und Bedeutung). Vgl. Frege (1969).
251 Ausführlicher zu den Begriffen Rüther und Muders (2015), Sinn und Wohlergehen, S. 77
sowie die Einleitung in Hoesch/ Muders/ Rüther (2013), Glück, Werte, Sinn. Vgl. auch
meinen Beitrag in diesem Band (Siep 2013c, Was für ein Leben? Was für ein Sinn).
6.1 Wohlergehen, Moral und Sinn des Lebens 129
252 Diese Auffassung vertritt vor allem Thomas Nagel (1992, Der Blick von Nirgendwo, S. 294-
301). Sie erschein mir auch vom Standpunkt einer konkreten Ethik aus einleuchtend
(Siep (2016), Konkrete Ethik, S. 290 f., 303).
253 Man kann allenfalls die Menschheit als ganze oder eine Generation daran messen, in-
wieweit sie im Guten oder Schlechten auf die Welt als ganze (»Mitwelt« und zukünftige
Generationen) gewirkt hat. Vgl. Meyer-Abich (1997), Praktische Naturphilosophie, vor
allem Kap. V.
130 6 Gutes Leben und gute Welt ?
objektiven Momenten der Glückssuche wird noch die Rede sein. Was einem
persönlich das Leben sinnvoll und lohnend macht, kann aber mit viel Verzicht,
Leiden etc. verbunden sein. An dem, was man einsetzt bzw. zu opfern bereit
ist, kann nicht zuletzt der Wert gemessen werden.
Ein »einmaliges« Leben muss aber nicht unersetzlich sein, nicht in der
sozialen Umgebung und erst recht nicht im Weltganzen. Auch in dieser Hin-
sicht muss es keine Rechtfertigung für ein Dasein geben. Für den einzelnen
ist das eine Frage des moralischen Verdienstes oder der Schuld, nicht der
Existenzberechtigung oder des Sinns. Auch die Selbstperfektionierung,254 die
vielfach als wichtiger Bestandteil des Lebenssinnes bezeichnet wird, bedeutet
nicht, dass ein Leben erst Verdienste erringen muss, um überhaupt in seiner
Existenz gerechtfertigt zu sein. Es ist aber nicht zu bestreiten, dass für viele
Menschen Selbstverbesserung oder Perfektionismus eine Quelle des Lebens-
sinnes ist. Dazu trägt auch die Anerkennung bei, die Asketen, Künstlern oder
Sportlern aus ihrer Umwelt entgegengebracht wird.
254 Oder Selbsttranszendierung im Sinne von Sebastian Muders. Vgl. Muders (2017), Das
sinnvolle Leben und die gute Welt, S. 117-138, hier S. 129 f.
255 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 260. Hegels Darstellung und Kritik
des Subjektivismus findet sich vor allem in den Kap. V B und C der Phänomenologie
(GW 9) und im Abschnitt Moralität (vor allem § 140) der Grundlinien (GW 14.1).
6.1 Wohlergehen, Moral und Sinn des Lebens 131
256 Susan Wolf etwa gibt der objektiven Sicht eine stärkere Bedeutung als Harry Frankfurt:
»meaning arises when subjective attraction meets objective attractiveness« (Wolf (2010),
Meaning in Life, S. 9). Zu der Debatte mit einem eigenen Vermittlungsversuch vgl.
Stoppenbrink (2019), Praktisch bedeutsam, intrinsisch wertvoll und objektiv gut?.
257 Halbig (2019), Sinn – eine dritte Dimension des guten Lebens?, S. 77.
258 Wie ja auch bei Tugenden, vgl. Christoph Halbig (2013), Der Begriff der Tugend, S. 251.
132 6 Gutes Leben und gute Welt ?
259 Halbig (2019), Sinn – eine dritte Dimension des guten Lebens?. Halbig gesteht durchaus
zu, dass es Gründe der Differenzierung zwischen Moral, Wohlergehen und Sinn gibt,
sowohl auf axiologischer (S. 76) wie rationalitätstheoretischer Ebene (»lassen sich durch-
aus überzeugende Beispiele für Gründe anführen, die sich weder als moralische noch als
prudentielle angemessen verstehen lassen«, ebd.). Er bestreit nur, dass es sich um eine
von genau drei Dimensionen und eine ebenso fundamentale wie die beiden anderen
handelt (S. 76 f.). Beides muss man nicht behaupten, wenn man, wie hier, für die Selb-
ständigkeit der »Sinn-Dimension« plädiert. Allerdings lassen sich aussichtsreiche andere
Kandidaten (etwa die religiöse) unter diese subsumieren – jedenfalls unter Voraus-
setzungen der Moderne.
260 Metz (2013, Das Sinnvolle und das Lebenswerte) unterscheidet vom Wohlergehen und
vom Sinn noch das »Lebenswerte«, das zu einem guten Leben hinzukommen müsse.
Er differenziert zwischen »worthwile« als »erfreulich« und »sinnvoll« als »einen be-
sonderen Stolz oder eine besondere Bewunderung« rechtfertigend (123). Dieser Sinn-
begriff kann auch weder intendierte noch bewusst gewordene – nämlich postmortale
– positive Konsequenzen für andere umfassen (das Beispiel des Malers van Gogh). Es
fragt sich, ob ein so objektiver Sinnbegriff die Selbständigkeit dieser Dimension nicht
gefährdet und eher dem moralischen Verdienst oder den Beiträgen zu einer guten Welt
zuzuordnen ist.
261 Vgl. auch meine Überlegungen zum Verhältnis von Wert und Motivation in Siep (2016),
Konkrete Ethik, S. 92 f. 177.
6.1 Wohlergehen, Moral und Sinn des Lebens 133
Streben eine »Selbstsorge« zukommt, scheint mir die Art des Engagements für
»mein Ding« – wie die moderne Jugend- und Werbesprache das nennt – bei
der Beurteilung eines sinnvollen Lebens charakteristisch anders.
unbeeinflusste Dezision kann ein »Metawert« sein, der in die Auswahl der
Möglichkeiten erst eine Hierarchie bringt.265 Das heißt aber nicht, dass
Authentizität eine völlig beratungs- und überlegungsfreie Dezision verlangte.
Man kann ebenso in der möglichst differenzierten Abwägung der Optionen
und ihrer Folgen für das Leben als Ganzes einen Metawert sehen. Vielleicht
sind Wahlen zwischen gleich »attraktiven« Zielen auch ein »Luxusproblem«,
das sich Menschen in ärmeren und weniger autonomiefreundlichen Gegenden
selten stellt.
In der neueren Bioethik ist die Frage umstritten, ob eine bestimmte
genetische Ausstattung die Wahl sinnvoller Lebensziele erleichtert. Ob eine
genetische Vorprägung günstig ist oder zu einer Belastung durch die Vor-
erwartungen der Erzeuger und der sozialen Umgebung führt, ist schwer zu
entscheiden. Das Risiko solcher Belastungen sollte vor der genetischen »Ver-
besserung« des Nachwuchses nach Antizipation der Eltern eher warnen. Vom
Ziel her gerechtfertigt wären allenfalls Versuche, Kinder vor allzu einengenden
und benachteiligenden »Ausstattungen« zu bewahren.
Für Sinnentscheidungen gibt es jedenfalls eine reiche Phänomenologie
zwischen Anziehung und Ausprobieren, langer Suche und plötzlichen Ent-
deckungen, gründlichem Überlegen und »glücklichen« Intuitionen. Grund-
sätzlich wichtig ist die Bedeutung und Unersetzbarkeit der persönlichen
»Bindung« an eine Lebensweise, sei es durch Entscheidung, Attraktion oder
Konvention.266 Dass dem Leben entweder nur durch die Attraktion von Werten
oder die individuelle Wahl eines umfassenden »Entwurfs« Sinn zukommen
könnte (s.u. S. 150), ist jedenfalls nicht ohne Voraussetzungen erweisbar, die
heute nicht mehr allgemein akzeptabel sind.267 Wenn die Sinnfrage letztlich
nur vom Individuum selber zu entscheiden ist, sagt das nichts über den Inhalt
der Entscheidung, eine enge Selbstzentrierung oder die Überschreitung eines
solchen Horizonts.
(2) Eine von den beiden anderen Dimensionen unterschiedene Rolle spielt
auch die objektive Seite der Sinndimension.268 Trotz der überragenden Be-
deutung der subjektiven Entscheidung (»Identifizierung«) gibt es für ein
sinnvolles Leben auch objektive Kriterien, sowohl externe (objektiv 1,2) wie
auf allgemeinen Gründen basierende (objektiv 3). Konsensuelle menschliche
Erfahrungen und ihre begriffliche Rechtfertigung zu Rate zu ziehen, kann die
»Sinnchancen« eines Lebens, Lebensabschnittes oder einer kontinuierlichen
Praxis erhöhen. Es gibt aber drei Stufen einer objektiven Stellungnahme, die
man unterscheiden und unterschiedlich bewerten muss:
a) Die externe Vermutung über das, was zu einem Individuum passt und
es vermutlich langfristig ausfüllen wird (objektiv 2). Im Sinne einer nicht-
direktiven Beratung ist das mit der Autonomie und Gleichheit aller »Sinn-
sucher« vereinbar.
b) Die Beurteilung des Wertes der gewählten Ziele, der Leistungen und
der Folgen für die Umwelt und die Nachwelt.269 Das ist als »interesselose«
Beobachtung akzeptabel und kann allenfalls in die Beratung eingehen. Es
benutzt aber Maßstäbe, die nicht genuin zur Sinndimension gehören, vor
allem ethische und »perfektionistische« unterschiedlicher Wertungsskalen
(ästhetisch, sportlich, wissenschaftlich etc.). Dabei stehen unvermeidlich auch
kulturell-partikuläre im Hintergrund und es droht Konformismus. Eine solches
Urteil sozusagen über die Leistungshöhe eines Lebens darf die Autonomie der
Entscheidung und die Gleichheit des grundsätzlichen Wertes bzw. der Würde
nicht beeinträchtigen.
c) Die Rechtfertigung eines Lebens bzw. einer Existenz als sinnvoll oder
sinnlos.270 Eine solche Messung setzt eine unumstritten objektive Wert-
ordnung voraus und eine Bewertung eines Lebens von außen nach Gewicht
und sozusagen seinem Platz im Universum. Das ist ein »god’s eye view« den
Menschen nicht besitzen und bei Annahme gleicher Würde auch nicht ein-
nehmen dürfen. Ob es Ausnahmen bei Menschen gibt, deren Lebenssinn in
der Vernichtung der Würde anderer besteht, ist noch zu erörtern (s.u. S. 138 f.).
Kann man Urteile der ersten und zweiten Stufe dann vertreten, wenn
Menschen beim Versuch, ihre Lebenspläne zu verwirklichen, gescheitert sind?
Auch hier ist die eigene Sicht der Betroffenen in der Rückschau nicht zu über-
trumpfen. Die objektive Leistung entscheidet keineswegs immer über den Sinn
268 Womit wiederum nicht entschieden sein soll, dass es nur diese drei Dimensionen gibt.
269 Vgl. Metz (2013), Das Sinnvolle und das Lebenswerte, S. 123 f.
270 Das ist keine weitere Bedeutung von »objektiv«, sondern ein Vergleichen und Abwägen
des Wertes von individuellem Leben überhaupt. Unterschiedliche Verdienste für Mit-
menschen und Welt rechtfertigen aber keine Urteile über Existenzberechtigung.
136 6 Gutes Leben und gute Welt ?
als Erfolg der Identifizierung (subjektiv 1). Auch der Versuch, das individuell
Erreichte oder die rechtzeitige Aufgabe kann sinnvoll gewesen sein. Allen-
falls lassen sich für die Diagnose und die Warnung vor Entfremdung und Ver-
zweiflung annähernd objektive Kriterien der Psychopathologie angeben. Auch
literarische Zeugnisse von Ennui und Apathie sind aussagekräftig – man denke
an Chechov oder Gogol. Auf dem Weg, wieder Interesse und Anteilnahme am
Leben zu entwickeln, sind sie von großer Bedeutung. Zu »Unwerturteilen«
über Lebenssinn berechtigen sie aber nicht.271
Die Gefahr eines Paternalismus in der Beurteilung fremder Lebenspläne
besteht sicher auch beim Wohlergehen oder Glück. Niemand ist deshalb un-
glücklich, weil er das im Urteil anderer sein müßte. Aber dieses Urteil hat auch
nicht die Bedeutung eines Sinnlosigkeitsurteils. Außerdem spielt die objektive
Dimension zumindest der Beratung – im Zeitalter der Menschenrechte nicht
des Zwangs – eine größere und unproblematischere Rolle: Es handelt sich
um Optionen, die wesentlich weniger von individuellen Präferenzen und
Synkrasien abhängig sind. Menschen nehmen auf diesem Feld eher an, dass
das, was »man« tut Erfolg verheißt – die Kultur des Massenkonsums ist der
Beweis. Nachahmung und »geteilte Freuden« spielen beim Sinn eine wesent-
lich geringere Rolle. Das heißt nicht, dass die sinnvollen Ziele auch inhaltlich
individualistisch sein müssen – Einsatz und Opfer für andere und für Ge-
meinschaften ist erfahrungsgemäß besonders »sinnversprechend«.272 Aber es
kommt viel stärker als beim Wohlergehen darauf an, dass sie persönlich an-
geeignet sind.
Noch unproblematischer ist die Bedeutung der objektiven Perspektive in
der Moral. Es geht ja um gemeinsame, möglichst objektiv begründete Normen.
Zum modernen moralischen Subjekt gehört aber – was die Grund- und
Menschenrechte zu schützen haben (s.o. S. 46) –, die eigene Einsicht und die
Zustimmung des Gewissens. Das schließt aber das objektiv berechtigte Urteil
nicht aus, dass jemand falsch gehandelt hat oder ein »Wiederholungtäter« ist.
Die Verallgemeinerung auf Laster und schlechten Charakter sollte mit großer
Vorsicht erfolgen, ist aber nicht so grundsätzlich fehl am Platz wie ein Sinn-
losigkeitsurteil. Von extremen Ausnahmen des Letzteren wird noch die Rede
sein (u. S. 138).
271 Zu der Problematik solcher Urteile für den Respekt vor der Menschenwürde vgl. Pollmann
(2018), Lernen aus historischem Unrecht? S. 57.
272 Insofern ist Wolf (2010, Praktische Ethik, S. 9) zuzustimmen, dass das objektiv Erstrebens-
werte (»attractiveness«) Sinnerfahrungen ermöglicht. Vgl. die in Siep (2013c, Was für
ein Leben?) diskutierten Kriterien sinnvoller Aufgaben sowie die interessanten Über-
legungen von Savadogo (2019), Vie Sensée et Vie Heureuse.
6.1 Wohlergehen, Moral und Sinn des Lebens 137
Generell lässt sich sagen, dass die Bedeutung der subjektiven Perspektive
beim Sinn am wichtigsten ist und über das Glück zur Moral nachlässt, die
objektive (in allen Bedeutungen) dagegen umgekehrt ansteigt. Aber trotz
dieses »Individualismus« des Sinns folgt daraus nichts über die als sinnvoll
verfolgten Ziele – sie können auch in einer Hingabe an gemeinsame Güter
und Gruppenziele liegen. Das entspricht dem Befund über die Ausübung von
Menschenrechten.
273 Für einen Aristoteliker liegt das Glück in der Übereinstimmung der seelischen Kräfte
unter Führung der Vernunft – das heißt auch in der inneren Ruhe dessen, der sich keine
Vorwürfe machen muss. Für den Kantianer ist Handlung nach dem Sittengesetz – und in
der Folge gutes Gewissen – die entscheidende Voraussetzung für ein verdientes Glück,
über das aber erst jenseits dieses Lebens entschieden wird. Zu neueren empirischen
Untersuchungen zum (positiven) Einfluß der Moral auf das Glück vgl. Bayertz (2007),
Ethik und Lebensgestaltung.
138 6 Gutes Leben und gute Welt ?
Alle drei Dimension besitzen also eigene Gütekriterien. Sie können die Güte
in den anderen Dimensionen – wie die Beiträge moralischen Handelns zu
Glück und Sinn – erhöhen und sie können sich zur Gesamtgüte eines Lebens
ergänzen. Es kann aber auch Spannungen zwischen ihnen geben, so dass ein
Leben nicht in jeder Dimension gut genannt werden kann. Solange in jeder
Dimension ein gewisses Maß vorhanden ist, wird man aber noch von einem
hinreichend guten Leben sprechen können. Fragen des minimalen, optimalen
oder maximalen Wohlergehens, der tolerablen, anerkennenswerten oder
perfekten Moral etc. werden hier nicht weiterverfolgt.
Kann aber ein völliges Fehlen von »Güte« in einer Dimension die Güte der
anderen und damit die Güte des Lebens insgesamt zerstören? Das scheint
am ehesten dann der Fall zu sein, wenn der Sinn eines Lebens dazu führt, die
Güter Anderer in allen Dimensionen zu zerstören. Kann ein engagierter und
reueloser Verbrecher, dessen Schuld objektiv etwa am Maßstab der Menschen-
rechte zu messen ist, auch die Güte seines eigenen Lebens zerstören? Kann
man ein solches Leben dann doch als »sinnlos« bezeichnen? Dann würde
offenbar zumindest in Grenzfällen, die objektive Sinndimension die subjektive
»übertrumpfen«. Dieser Frage soll hier noch etwas nachgegangen werden, um
den Beitrag des Lebenssinns zum guten Leben genauer zu bestimmen.
Unsere alltägliche Verwendung von »Sinn« scheint nahezulegen, dass es
den großen Zerstörer gibt, der sein Leben selber als sinnvoll erfährt. Wenn
über den Sinn eines Lebens nicht ohne die eigene Perspektive desjenigen ent-
schieden werden kann, der es führt, dann scheint auch der Ganove als Lebens-
künstler, der Mafioso oder der Kriegsverbrecher ein sinnvolles Leben führen
zu können. Die gleiche Würde jedes Einzelnen verbietet die Einnahme einer
»Gottesperspektive« über den Sinn der Existenz eines Menschen.
Andererseits sagen wir in extremen Fällen der mutwilligen oder raffiniert
geplanten, lustvollen Zerstörung doch, es wäre besser gewesen, dieses
Individuum hätte nicht existiert. Das ist vor allem aus moralischer Sicht ge-
urteilt,274 aber die Zerstörung sinnvoll angelegter und ausgeführter Lebens-
läufe ist auch »sinnwidrig« im objektiven Sinne. In beiden Dimensionen
kann, objektiv (3) geurteilt, der Sinn eines Lebens sozusagen die Nullgrenze
erreichen – was nicht bedeutet, dass man in seiner Behandlung nicht auf den
Respekt vor der Menschenwürde verpflichtet wäre. Es heißt auch nicht, ihm
den subjektiven Sinn abzusprechen. Eine gewisse Parallele besteht zu Hannah
Arendts Urteil über Eichmann: wer ganzen Völkern oder Rassen das Recht zur
274 Dann muss sich die moralische Perspektive aber auf unbedingte Gebote bzw. Rechte
beziehen (o. Kap. 5.4). Man darf nicht im konsequentialistischen Sinne böse Taten
durch positive Folgen relativieren. Viele zerstörerische Modernisierer, Adolf Hitler ein-
geschlossen, haben positive (Modernisierungs-)Folgen hinterlassen.
6.1 Wohlergehen, Moral und Sinn des Lebens 139
275 Arendt deutet Eichmann als Feind der Menschheit (hostis generis humani): »Er konnte
nicht länger auf der Erde unter den Menschen bleiben, weil er in ein Unternehmen ver-
wickelt war, das zugegebenermaßen gewisse »Rassen« für immer vom Erdboden ver-
schwinden lassen wollte.«
276 Vgl. dazu Quante (2019a), Prägungen durch Kultur, besonders S. 165-171.
277 Eine ethische Akzeptanz solcher Einstellungen – individueller und sozialer Weltbilder –
wäre schon aus tugendethischen Gründen (Haltung des Hasses) problematisch, vor allem
aber bei entsprechenden Handlungsfolgen.
140 6 Gutes Leben und gute Welt ?
278 Vgl. Hegel, Rechtsphilosophie § 123: »wofür sich die Menschen als für das ihrige
interessieren oder interessieren sollen, dafür wollen sie tätig sein«. Er versteht dieses
Interesse wörtlich als Dabeisein (ebd.).
6.1 Wohlergehen, Moral und Sinn des Lebens 141
279 Muders (2017), Das sinnvolle Leben und die gute Welt, S. 117-138.
280 Vgl. Metz (2011), The Good, the True and the Beautiful; Metz (2013), Das Sinnvolle und das
Lebenswerte.
281 Vgl. das Metz-Zitat bei Muders: »obtaining deep insights into the workings of nature and
creating a masterpiece that are significant in themselves« (Metz (2011), The Good, the
True and the Beautiful, S. 391). Rüther u. Muders (2015, Sinn und Wohlergehen) folgen
dem schon in ihrer Bestimmung des sinnvollen Lebens als »erstrebenswert, bedeutsam
und lobenswert« – das sind tugendethische oder »ästhetische« Attribute (vgl. S. 78, 96).
Entsprechend weist die »Kategorie des Lebenssinns« für sie »auf eine Ausrichtung auf
das Schöne, Wahre und Gute« (S. 79). Um Normalmenschen, auch unter Bedingungen der
(evtl. extremen) Knappheit ihren Lebenssinn nicht abzusprechen, verwende ich dem-
gegenüber einen »deflationären« Sinnbegriff.
6.1 Wohlergehen, Moral und Sinn des Lebens 143
Wohlergehen der Lebewesen »je nach ihrer Art« gefördert werden, entspricht
den Forderungen zur Mitwirkung an einer für alle erstrebenswerten Welt.
Das gilt auch für den Sinn des Lebens. Sinnvolle Lebensläufe gehören
sowohl für sich wie auch als Bestandteile des guten Lebens zu einer erstrebens-
werten Welt. Menschen selber suchen und streben danach und es ist auch aus
einer externen Perspektive bejahenswert. In der traditionellen Vorstellung
des Sinnes des Lebens und der Welt war der Mensch Teil einer zweckmäßigen
Ordnung, die auf eine unpersönliche oder personale Vernunft zurückging.
Eine solche Teleologie gehört nicht mehr zu den besten Erklärungen der Welt.
Ein darauf gegründetes Sinnverlangen ist außerhalb religiöser Überzeugungen
eine Überforderung. Die große Varietät sinnvoller Lebensläufe trägt aber
ihrerseits zu einer bejahens- und erstrebenswerten Welt bei. Lebenssinn wird
sowohl hervorgebracht wie gefunden. Er macht selber die Welt zu einer sinn-
vollen, erstrebenswerten – aber weder als bloß subjektive Konstruktion noch
als technische Hervorbringung. Stattdessen setzt sinnvolles Leben Sensibilität
für die Möglichkeiten des natürlichen und sozialen Lebens voraus. Es aktiviert
dessen Potentiale. Dazu können technische Lebenserleichterungen und
Optionen des Erlebens beitragen.286 Der Ersatz einer unvollkommenen Natur
durch ein technisches Paradies der unbegrenzten Möglichkeiten, der Unsterb-
lichkeit und Unvergänglichkeit gehört nach den Erfahrungen und anthropo-
logischen Einsichten nicht dazu (vgl. o. Kap. 4.1).
Für die »innerweltliche« Konzeption einer für alle bejahens- und erstrebens-
werten Welt ist das Leben prima facie ein hoher Wert, aus allen drei hier er-
örterten Dimensionen der Güte. Kann dann auch der Tod im positiven Sinne ein
Wert sein?287 Oder ist er das größte Übel und seine Überwindung das gebotene
Ziel aller Anstrengungen, auch der technischen, d.h. vor allem medizinischen?
Wenn die Ethik der technischen Kontrolle und dem Perfektionieren Grenzen
ziehen soll, auf welche Seite gehört der Tod? Zu dem, wogegen sich der Mensch
zu Recht wehrt oder zum Bejahens- wenn schon nicht zum Erstrebenswerten?
286 Viele Naturerfahrungen in von sich aus »menschenfeindlichen« Regionen der Erde –
wie Wüsten, Meeren, Hochgebirgen oder Großwildregionen – sind für gewöhnliche
Reisende nur mit einer technischen »Hülle« von Klimatisierung, Fortbewegungs- und
Kommunikationsmöglichkeiten realisierbar.
287 Diese Frage erörtert Amir Mohseni (2017), Der Tod als wertethische Herausforderung.
146 6 Gutes Leben und gute Welt ?
Für diese Fragen ist es wichtig, den Tod in seinem Verhältnis zur Idee einer
guten Welt (1) und zum Sinn des individuellen menschlichen Lebens zu be-
trachten (2). Dabei wird wiederum die individuelle subjektive Perspektive –
diesmal nicht nur des menschlichen Lebens – und die objektive von Bedeutung
sein.
(1) Wenn man nach Zuständen der Welt fragt, die für alle Betroffenen
förderlich und daher bejahenswert sind, scheint der Tod eindeutig nicht dazu
zu gehören. Zum Streben der Lebewesen gehört das Streben nach Selbst-
erhaltung (Ernährung, Brutpflege, Flucht etc.) und das Vermeiden des Todes.
Einige Lebewesen setzen sich zwar absichtlich oder instinktiv der Gefahr
des Todes aus. Soziobiologisch gesehen tragen sie dadurch zur Verbreitung
bestimmter Gene bei, beim Menschen kommen Emotionen der Verwandten-
und Gruppenliebe dazu. Insgesamt scheint der Tod aber nicht zu den er-
strebten, sondern den gemiedenen Zuständen zu gehören.
Auf der anderen Seite ist das Ende individuellen Lebens auf viel-
fältige Weise für das Entstehen von neuem Leben günstig.288 So lange der
Lebensraum auf die Erde begrenzt ist – also abgesehen von zukünftiger
Weltraumbesiedlung – hängt der Platz für neues Leben, und damit alle Vor-
züge des Generationenwechsels, mit der Endlichkeit des Lebens zusammen.
Man kann geradezu behaupten, dass die Hinnahme des Todes ein Gebot der
Generationengerechtigkeit ist.
Wenn Gentechnologen es dagegen für ein Gebot der Fürsorge für unsere
Nachkommen halten, die Lebenszeit immer mehr und möglichst unbegrenzt
zu verlängern, stellen sie die Einschränkung der Reproduktion und das Über-
wiegen des Alters in einer Welt der Langlebigen oder gar Unsterblichen in der
Regel nicht in Rechnung. Mit der Verletzlichkeit, Unkontrollierbarkeit und End-
lichkeit des menschlichen Lebens sind zudem die bisherigen Zuschreibungen
von Pflichten der Hilfe und Tugenden der Kooperation verbunden. Das alles
müsste breiter ausgeführt werden, es gibt heute eine detaillierte Debatte über
irdische Unsterblichkeit.289 Sie vernachlässigt aber oft die erwähnten Kriterien
und geht von idealen (»paradiesischen«) Bedingungen aus.
Dem Kreislauf des Entstehens und Vergehens sind auch das Anorganische
und vorläufig sogar die technischen Stoffe nicht entzogen, sie unterliegen den
Gesetzen der Entropie. Lebewesen steuern sogar genetisch ihre Alterungs-
prozesse. Die Technisierung der Natur zielt aber auf Permanenz und
288 Für Hegels Philosophie des Lebendigen sind Krankheit und Tod des Individuums eng mit
der Reproduktion der Gattung verbunden (vgl. Enzyklopädie (1830) §§ 369-376).
289 Vgl. etwa die Arbeiten von John Martin Fischer zum Thema in dem Aufsatzband Freiheit,
Verantwortlichkeit und das Ende des Lebens (Quante (Hg.) (2015)).
6.2 Gutes Leben und Tod 147
290 Zu welchen oft absurden Konstruktionen die Lehre von der Verbindung zwischen dem
Sündenfall des ersten Menschen und der Strafe der Sterblichkeit etwa bei Augustinus
geführt hat, kann man nachlesen bei Kurt Flasch, (2013) Warum ich kein Christ bin,
S. 196-199. Bei Hobbes ist das summum malum nicht der natürliche, sondern nur der ge-
waltsame Tod durch die Hand eines anderen Menschen.
148 6 Gutes Leben und gute Welt ?
291 Zu einer genauen Differenzierung des Übel-Charakters und der Werturteile, vor allem mit
Bezug auf die medizinethischen Probleme, vgl. Quante (2019), Tod, wo ist Dein Stachel.
292 Vgl. Mohseni (2017), Der Tod als wertethische Herausforderung, S. 159-163.
6.2 Gutes Leben und Tod 149
einen Schatten auf das Leben werfen. Es kann aber auch umgekehrt das
Bewusstsein der Kostbarkeit und Einmaligkeit von Erlebnissen und Be-
gegnungen schärfen, wie vor allem José Luis Borges in seiner Kritik der Un-
sterblichkeit hervorhebt.293
Die Einschätzung des Wert- oder Übelcharakters der Folgen des Todes (4)
für den Lebenssinn dessen, der sein Leben verliert, hängt offenbar vom Zeit-
punkt, damit aber auch von den durchschnittlichen Lebenserwartungen und
der zu erwartenden Lebensqualität ab. Das gängige Urteil, dass jemand zu früh
und zum falschen Zeitpunkt gestorben ist, bedeutet ja, dass dem Betreffenden
und den ihm besonders Nahestehenden ein üblicherweise zu erwartendes
Lebensglück vorenthalten wird. Dadurch werden sinnvolle Unternehmungen,
vielleicht sogar ein Lebenswerk, abgebrochen und auch die Nahestehenden –
bei großen »Meistern« sogar die Nachwelt – unwiderruflich geschädigt. Ebenso
schlimm kann das Bewusstsein sein, etwas versäumt zu haben bzw. etwas
nicht mehr wiedergutmachen zu können – am schlimmsten wohl, wenn man
einen ungewollten Tod schuldhaft herbeigeführt hat. Diese Übel betreffen vor
allem den Zeitpunkt des Todes und seine Unvorhersehbarkeit. Ob sie durch
eine technische Kontrolle beseitigt würden, ist aber höchst zweifelhaft – außer
in Fällen unerträglichen Leidens ist der vorhersehbare Tod für den Betroffenen
meist schwerer erträglich als der überraschende und plötzliche.
Der unbestreitbare Übelcharakter vor allem des vorzeitigen Todes hat
den Menschen immer schon zu geistigen, heute zunehmend auch zu
technischen Versuchen der Überwindung veranlasst. Geistige Verarbeitung
hat traditionell vor allem zwei Richtungen genommen: Die Relativierung und
die Instrumentalisierung des Todes, d.h. die Umwandlung seiner Zufälligkeit
(»Kontingenzbewältigung«) in ein notwendiges Mittel für »höheren« Sinn.
Das ist ein Kern vieler Religionen, aber auch Ziel des Strebens nach geschicht-
lichem Ruhm, für sich und das Kollektiv, durch Taten und Werke. Religionen
mit Doktrinen individueller Unsterblichkeit nehmen dem Tod die Endgültig-
keit und integrieren das Sterben in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang,
sei es des heroischen Opfers oder der gläubigen Hinnahme. Die Annahme
der Vorläufigkeit des Todes ist zumeist mit der ewigen Tröstung der zu früh,
gewaltsam oder nach einem elenden Leben Gestorbenen verbunden. Die
Lebenserfahrungen vieler Menschen, die solche Kompensationen eher als
Wunschdenken betrachten, zeigen aber, dass auch ohne die Annahme eines
durchgängig zweckmäßigen Weltganzen ein sinnvolles Leben und Sterben
möglich ist. Vielfach erfordert das eine gewisse »Seelenstärke« oder Würde,
die religiöse Menschen gerne mit Hybris verwechseln.
293 Vgl. Borges (1982), The Immortal sowie dazu Stewart (1993), Borges on Immortality.
150 6 Gutes Leben und gute Welt ?
Sie ist auch nicht zu verwechseln mit einem extremen Individualismus des
»Jemeinigen« anstelle der Rückkehr in den Schoß der Gemeinde. Wie weit-
gehend sich jemand bei seinem Tod von anderen helfen lässt und ob er ihn als
eine Rückgabe an das Ganze der Generationen und der Natur versteht, bleibt
seinem eigenen Sinnverständnis überlassen. Auch die existentialistische
Integration des Todes in ein »eigentliches« Leben, dessen Zufälligkeit und
Endlichkeit durch Engagement und Entschlossenheit wettgemacht wird,
geht von der Voraussetzung aus, dass der Tod an sich sinnwidrig oder absurd
sei.294 »Sinnlos« ist der Tod aber nur im Licht metaphysischer Prämissen um-
fassender Zweckmäßigkeit oder eines radikalen Individualismus eigener Sinn-
gebung (Selbstentwurf, »Neudefinition« etc.). Auch darin sind noch technische
Phantasien vollständiger Kontrolle wirksam. Ohne diese Überschätzungen
gibt es keinen Grund, in der Sterblichkeit eine Kränkung der individuellen
Selbstachtung oder des Gattungsbewusstseins zu sehen. Eine gelassene Zu-
stimmung zur »artgemäßen« Sterblichkeit295, die unabdingbar für die Wert-
aspekte des organischen Lebens ist, erscheint angemessener.
Betrachtet der Mensch sein Leben aus dem Blickwinkel einer für alle Wesen
erstrebenswerten Welt, ist die Bedeutung des Sachverhaltes des Sterbenmüs-
sens eine ganz andere. In der natürlichen Welt überwiegt der Wert der Sterb-
lichkeit für eine Welt der Mannigfaltigkeit, Natürlichkeit (Selbsterneuerung,
Unkontrollierbarkeit, Unvollkommenheit) und Gerechtigkeit (Lebensraum
und Generationenfolge). Zum sinnvollen Verhalten des Menschen zur Natur
zählt daher die Schonung dieser Art von Sterblichkeit. Das hat auch erheb-
liche naturethische Folgen: Der Tod von Arten im Sinne des endgültigen Ver-
schwindens (von »Sterben« wird bei Gruppen nur metaphorisch gesprochen)
muss vermieden werden. Das Töten von Tieren soll der Erhaltung von Arten
und Populationen, von Pflanzen, Ökosystemen, Landschaften etc. dienen.
Wenn es für die menschliche Ernährung notwendig erscheint, muss es zu-
mindest mit artgerechter Haltung und schmerzfreier Tötung verbunden sein.
Dass in der natürlichen Welt ein technisch unsterblich gewordener Mensch
genügend Raum für seine eigene Reproduktion und die des übrigen Lebens
lassen könnte, ist kaum anzunehmen. Die Bekämpfung von Ursachen un-
zeitigen Sterbens, Erleichterung des Sterbevorganges und die Verhinderung
294 Vgl. Heideggers Konzeption des Vorlaufens zum Tod in § 53 von Sein und Zeit (1963).
Auch Michael Quante spricht von der »Sinnlosigkeit« des Todes, der den »Sinn unserer
Existenz« und »unsere Autonomie radikal in Frage« stelle. Vgl. Quante (2019) Tod, wo ist
dein Stachel, S. 74.
295 Vgl. Mohseni »Artgerechte Haltung« in Mohseni (2017), S. 169. Ich stimme seinen Aus-
führungen zu, halte aber auch das Vertrauen in eine unvergängliche Kraft der Natur nicht
für unbedingt nötig zum Trost über die Sterblichkeit (S. 170).
6.3 Individuum, Gemeinschaft, Welt 151
gewaltsamen Tötens ist aber zweifellos legitim. Dabei spielt die Technik in der
Medizin, möglicherweise sogar als schonende Kriegstechnik,296 eine wichtige
Rolle. Es ist zuzugeben, dass die natürliche Konstitution des Menschen für die
Überwindung »tödlicher« Konflikte nicht sehr förderlich ist. Daran muss er
aber, wenn seine Moralfähigkeit erhalten bleiben soll, vor allem durch soziale
und persönliche Formen der Verbesserung arbeiten, nicht durch technisches
»moral enhancement« (s.o. S. XIII, 19).
Von den Dimensionen des guten Lebens ist der Sinn, wie wir gesehen haben,
in erster Linie eine Frage der individuellen Identifikation. Diese kann sich
aber auf Gemeinschaftswerke richten und diese Richtung verspricht sinn-
volle Aufgaben. Anders als bei den Menschenrechten ist der »Individualis-
mus« des Lebenssinnes nicht normativ. Und ebenso wie diese ist er sozusagen
nur formal: Sowohl die aktive Entscheidung wie das passive Finden eines
Lebenssinnes geht vom Individuum aus und kann von außen nicht ersetzt
werden. Was dem Individuum aber persönlich bedeutsam ist, bleibt damit
offen. Es kann auch von außen »qualitativ« beurteilt werden. Dabei spielt die
»Transzendenz« der Entscheidung, das Überschreiten des selbstbezogenen
oder privaten Horizontes für die objektiven Maßstäbe – moralisch, ästhetisch,
historisch etc. – eine besondere Rolle.
Für die Frage nach den Zielen und Grenzen der Technisierung sind aber vor
allem die Richtungen gemeinsamer Tätigkeiten wichtig. Dazu gehören wissen-
schaftliche und technologische Entwicklungen, politische Zielsetzungen
und wirtschaftliche Strategien. Menschenrechte spielen dabei vor allem als
Grenzen eine Rolle (s.u. Kap. 8) Es geht aber auch um gute Gesamtzustände
menschlicher Gemeinschaften und ihr Verhältnis zur Natur.297
Das gute Leben des Einzelnen und die gute Verfassung von Gemeinschaften
hängt wechselseitig voneinander ab, das ist Konsens der politischen Philo-
sophie seit Aristoteles. Der moderne Staat gibt aber den Menschenrechten aller
Generationen und den individuellen Aspekten des guten Lebens, vor allem der
Glücks- und Sinnsuche einen weiten Spielraum. Können den Gemeinschaften
296 Vgl. Koch (2019), Die Technik der Befriedung? In der jüngeren Zeit nimmt die Zahl der
Kriegstoten durch »präzise« Waffentechnik offenbar weltweit ab. Man kann in der
Kriegstechnik in Verbindung mit der Rüstungsindustrie, aber auch einen Grund für die
Perpetuierung der Kriege sehen.
297 Zum Folgenden vgl. Siep (2017), Braucht die moderne Ethik einen umfassenden Begriff
des Guten?.
152 6 Gutes Leben und gute Welt ?
überhaupt noch Güter und Qualitäten zukommen, die über Bedingungen des
guten Lebens von Individuen hinausgehen? Ist das »Blühen« von Wissen-
schaft und Kunst ein Wert, der sich nicht auf den Genuss oder das gute Leben
der daran beteiligten Individuen reduzieren lässt? Oder hieße das, zum Primat
der Kollektive zurückzukehren?
Die Blüte einer Kultur – jedenfalls am Maßstab der Historiker gemessen –
war in der Vergangenheit in der Tat oft mit der Unterdrückung von Individuen
verbunden. Zu denken ist an Sklavenhalter-Gesellschaften, in denen der
Großteil der Bevölkerung weder über garantierte Rechte noch über ein hohes
Maß an körperlichen oder geistigen Freuden im diesseitigen Leben ver-
fügten. Beispiele sind die »goldenen Zeitalter« etwa Athens oder europäischer
Kolonialmächte. Grundsätzliche Theorien menschlicher Ungleichheit –
wie Aristoteles’ Unterscheidung zwischen aktiv und passiv Vernünftigen
(Pol. I,6) – oder religiöse Versprechen der Kompensation gegenwärtiger
Leiden durch künftige Freuden lieferten dafür Rechtfertigungen. Nach der
Entwicklung der individuellen Freiheit und ihrer rechtlichen Bedingungen ist
eine Verrechnung zwischen den Entbehrungen der Individuen und der Höhe
einer Kultur nicht mehr gerechtfertigt. Auch der Genuß späterer Generationen
trägt dazu nicht bei. Ob die Spontaneität und breite freiwillige Beteiligung die
ästhetischen und wissenschaftlichen Leistungen einer Kultur eher befördert
oder die hedonistische »Konsumkultur« sie senkt, ist eine empirisch schwer
zu entscheidende Frage. Möglicherweise nehmen nur die Heroen und Titanen
ab – in Militär ebenso wie in Wissenschaft und Kunst – aber nicht das Gesamt-
niveau. Ein Gemeinschaftsleben mit weniger Heroen, aber einem hohen Maß
an Gerechtigkeit, Rechtskultur und Bürgertugenden, muss nicht weniger
blühend sein.
Weder die Bedeutung der individuellen Rechte noch die der freien Sinn- und
Glücksverfolgung besagt aber, dass sich der Wert kultureller Leistungen nur
nach dem Genuss derjenigen bemisst, die daran teilnehmen können.298 Dieser
Wert lässt sich auch nicht allein auf gesellschaftlichen Nutzen reduzieren. Ob-
gleich die Werke der Gemeinschaften auf Tätigkeiten der Individuen zurück-
gehen, reichen sie über sie hinaus. So schützt etwa das Völkerrecht Monumente
des Weltkulturerbes wohl nicht nur zugunsten der wenigen Menschen, die
sie betrachten und genießen können. Kulturelle Mannigfaltigkeit ist nicht
nur ein Wert für Touristen und Wissenschaftler, so wenig wie natürliche
Mannigfaltigkeit.
Es gibt Gründe für die Annahme, dass die Existenz einer Gemeinschaft, in
der Künste und Wissenschaft blühen, aber auch ein gerecht verteilter Wohl-
stand, über das gute Leben der Individuen hinaus ein eigenes Gut darstellt.
298 Vgl. in diesem Sinne auch Waldron (1987), Nonsense Upon Stilts, S. 186.
6.3 Individuum, Gemeinschaft, Welt 153
Man kann sich etwa in der Weise von G. E. Moore fragen, ob die Welt nicht
besser wäre, wenn es solche Gemeinschaften gäbe, sogar in möglichst großer
Zahl.299 Wenn das gute Leben der Individuen und »intrinsische« Güter der
Gemeinschaft weder in einer Teil-Ganzes- noch einer (wechselseitigen)
Mittel-Zweck-Relation aufgehen, dann kann man von einem kontributiven300
Verhältnis sprechen. Sie tragen zur umfassenden Güte einer erstrebenswerten
Welt bei.
Nicht nur zwischen Individuen und Gemeinschaften, auch zwischen
den Bedingungen blühender Gemeinschaften und denen einer insgesamt
guten Verfassung der Welt, zu der die Grundzüge von Natürlichkeit gehören,
können aber Konflikte entstehen. Sie können sowohl auf den Ressourcenver-
brauch entwickelter Gemeinschaften wie auf ihre Rechtsordnungen zurück-
gehen (vgl. u. Kap. 8). Der Wert der Natürlichkeit bestimmter Prozesse wie
Wachstum, Reproduktion, Verbreitung und Wanderung (von Flussläufen
über Tierwanderungen bis zu menschlichen nomadischen Lebensformen)
liegt auf verschiedenen Ebenen. Natürlichkeit kann ästhetische, emotionale
(»Heimat«) und kognitive (z.B. in der Verhaltensforschung) Werterlebnisse
für Individuen ermöglichen, aber auch für Gemeinschaften wertvoll sein.
Viele Kulturen und Gemeinschaften haben ein über Landschaften, Vegetation
und Klima vermitteltes Zusammengehörigkeits-, Kontinuitäts- und Auto-
nomiebewusstsein.301 Die Werterfahrung von Natürlichkeit impliziert für die
meisten Menschen das Bewusstsein, dass darin alle Empfänglichen annähernd
kognitiv und emotional übereinstimmen. Insofern treffen auf sie die Kriterien
kommunaler Güter zu (s.o. S. 58). Sie müssen aber mit anderen menschlichen
Gütern und den Werten der Ernährung und der Eindämmung zerstörerischer
Naturkräfte abgestimmt werden.
Es gibt auch übereinstimmende Glücks- und Sinnbedürfnisse der Menschen,
die sich auf andere Werte richten. Die Attraktivität des Künstlichen und
Technischen ist für viele größer als der Wert der Natürlichkeit (Stadtmenschen,
Autonarren, »Technofreaks«). Die Prioritäten werden heute weitgehend durch
die Folgen für die Lebensgrundlagen auf der Erde diktiert. Wenn es aber
weniger um ökologische Notlagen als um das dauerhaft Erstrebenswerte geht,
müssen die meta-ethischen und historischen Überlegungen über das, was zum
umfassenden Guten und zum Sollen gehört (o. Kap. 2), hinzugezogen werden.
Erst dadurch werden prinzipielle Grenzen für die Technisierung der Natur
erkennbar.
Die Grenzen zwischen dem Blühen der Gemeinschaften und den Lasten der
Individuen sind durch die Menschenrechte gezogen. Zwischen dem Florieren
einer Mannigfaltigkeit kultureller Gruppen einerseits und andererseits der
natürlichen Mannigfaltigkeit und dem Wohlergehen nicht-menschlicher
Lebewesen sind die Grenzen nicht so klar. In den Konflikten zwischen
traditionellen Jagdmethoden – vom Walfang bis zur Speerjagd auf große
Landtiere – versucht die Völkergemeinschaft, ihre Biodiversitäts- und Tier-
schutzregeln gegen nationale Gesetzgebungen und Traditionen von Gruppen
durchzusetzen. Man könnte in der Gefährdung von Dorfbewohnern durch
Großwildreservate auch eine Einschränkung des Rechts der Individuen auf
Unversehrtheit sehen. In dieses Recht wird allerdings nicht aktiv eingegriffen
und den Betroffenen bleiben Möglichkeiten der »Risikominimierung«. In-
wieweit zwischen Menschenrechten und den Anforderungen einer guten
Welt Konflikte bestehen, wird im Schlusskapitel grundlegender erörtert.
Das Gewicht dieser Güterarten hängt auch von ihrem ontologischen und
epistemischen Anspruch ab, der zuvor zu klären ist.
Kapitel 7
Was ist der Status der Konzeption der »guten Welt« als Zielorientierung für
individuelles und gesellschaftliches Handeln? Wie steht sie zu den subjektiven
Sinn- und Glücksvorstellungen von Einzelnen und Gruppen? Die Idee einer
»guten«, universal erstrebenswerten Welt geht auf verschiedene Quellen
zurück: der Semantik der moralischen Sprache, der Hermeneutik umfassender
Vorstellungen des Guten (Kosmos, Schöpfung) und einer »wertenden Be-
schreibung« tatsächlicher Eigenschaften der gegebenen Welt. Wie verhält sich
die Semantik zur Hermeneutik und was ist der ontologische Status von Ideen
und Werten?
Zunächst stellt sich die Frage, ob man von einer Welt im Singular überhaupt
reden kann oder ob es unendlich viele Welten als mögliche Sinnzusammen-
hänge oder Sprachspiele gibt, wie der »Neue Realismus« postuliert.302 Philo-
sophische Ethik und »common sense« gehen (überwiegend) davon aus, dass
menschliches Handeln in einer gemeinsamen, raum-zeitlich-materiellen Welt
stattfindet (s.o. S. 1). Das gilt sogar für einen weiten Begriff des Handelns, der
geistige Tätigkeiten im Bereich der Theorie, der Fiktion, oder auch »Akte« der
Phantasie einschließt. Die Hirnforschung und die Informatik haben es über-
aus wahrscheinlich gemacht, dass alle diese Akte eine »hardware« voraus-
setzen, das menschliche Gehirn oder vom Menschen geschaffene Medien
der Informationsverarbeitung und Kommunikation. Für die Sozialontologie
gibt es zwar auch Institutionen und künstliche Personen, die manchmal über
Jahrhunderte hinweg verbindliche Entscheidungen treffen. Aber auch solche
institutionellen Handlungen setzen lebende Menschen voraus, die sie ein-
mal in Gang gesetzt haben und die sie erneut realisieren.303 Es kann große
Zwischenräume ihrer Aktualisierung geben, aber ohne Menschen, die sie ein-
gerichtet haben und »aufwecken«, hört ihre Existenz auf.
Ob es außer der raumzeitlichen Welt ein »drittes Reich« von Ideen,304
mathematischen Wahrheiten, Fregeschen »Gedanken« etc. gibt, braucht die
Ethik nicht zu entscheiden. Dass die Ideen der Gerechtigkeit oder anderer
handlungsleitender Werte aus einer solchen Sphäre stammen, ist eine kaum
zu beweisende Annahme. Auch die Kantische These, dass der Imperativ der
strikten Gesetzlichkeit jeder Handlungsmaxime einer übersinnlichen Welt
entstammt und nicht dem in dieser Welt und ihrer Geschichte entwickelten
moralischen Standpunkt, ist nach meiner Auffassung nicht überzeugend.
Ebenso wenig, dass vernünftiges Handeln ziellos wäre, wenn es nicht ein un-
bedingtes »letztes« Ziel, ein höchstes Gut etc. verfolgte.305 Es lässt sich in
Anlehnung an die wissenschaftliche Kosmologie die La Place’sche Formel
variieren: »on n’a pas besoin de telles hypothèses«.
Es gibt in den traditionellen Religionen und Weisheitslehren Versuche,
sich durch Meditationen und richtige Lebensführung von dieser Welt zu
lösen und entweder auf eine jenseitige vorzubereiten oder einen Zustand
der Überwindung von Individualitäts- und Existenzbewusstsein zu erreichen
(»Nirwana«). Das hat Folgen auch für das soziale Handeln und geht daher
die Ethik an. Es stützt sich aber letztlich auf Visionen, »heilige« Texte und
Propheten, die nicht von allen Menschen zu akzeptieren sind. Würden
solche »akosmistischen« Einstellungen zum Maßstab sozialen Handelns ge-
macht, könnten verheerende Schäden für alle folgen – wie etwa die Passivi-
tät gegenüber dem Klimawandel aus eschatologischen Überzeugungen bei
evangelikalen Gruppen zeigt.
Aber selbst wenn man sich auf die raumzeitlich-materielle Welt als
äußersten Rahmen des menschlichen Handelns beschränkt – ohne den An-
spruch, dass aus deren naturwissenschaftlicher Erklärung moralische oder
rechtliche Normen folgen – gibt es diese als Einheit, als Gegenstand von Er-
klärungen und Handlungen? Ist sie nicht ein »Totalitätsbegriff«, der weder an-
schaulich noch experimentell belegbar, messbar etc. ist? Auch hier würde ich
mit den modernen Naturwissenschaften annehmen wollen, dass man aus einer
Vielzahl von Beobachtungen, Messungen, Berechnungen und theoretischen
Modellen ein einheitliches Weltall, offenbar in mehr als dreidimensionaler
raumzeitlicher Bewegung (derzeit Ausdehnung) extrapolieren kann. Ohnehin
ist für das menschliche Handeln zunächst die Erde entscheidend, die ja sogar
304 Vgl. Popper und Eccles (1989), Das Ich und sein Gehirn.
305 Ausführlicher dazu Siep (2017), Braucht die moderne Ethik einen umfassenden Begriff
des Guten? S. 8-13.
7.1 Ontologie der »guten Welt« 157
306 Vgl. zu einer solchen Verwendung von Zustand (state) auch Sidgwick, (2019), <Sein> und
<Sollen>, S. 87.
307 Wenn ein solcher Begriff überhaupt denkbar ist, was Parmenides bekanntlich bezweifelt.
Auch für Hegel ist der Gedanke des »reinen« Nichts nicht bestimmbar oder unterscheid-
bar – nicht einmal von einem ebenso bestimmunglosen Sein, wie am Anfang seiner
Wissenschaft der Logik gezeigt wird (GW 11, S. 44)
308 Goethe (2005), S. 65, Z, 1339-1340.
158 7 Ontologie und Hermeneutik ?
auch strebens- oder handlungsfähig sein müssen, kann man die beiden Be-
deutungen unterscheiden.
Für diese »Güte« der Welt reicht ihre innere Mannigfaltigkeit allein nicht
aus. Sie könnte ja auch in einem permanenten Prozess des Kampfes oder der
wechselseitigen Beschädigung ihrer Bestandteile bestehen, in dem Mannig-
faltigkeit nicht verlorengeht.309 Dieser Zustand bzw. diese Verfassung wäre
aber für keines ihrer Glieder bejahens- oder erstrebenswert. Wenn man nicht
von einem permanenten »Todestrieb«, sondern von elementarer Selbst-
bejahung ausgeht, kann man eine Art von Koexistenz oder Teilung der Exis-
tenzmöglichkeit positiv bewertend feststellen. Sie ist in einem allgemeinen
Sinne »Gerechtigkeit« zu nennen.
In der Welt, in der Menschen leben, vor allem auf der Erde, ist diese Ko-
existenz ein Verhältnis des wechselseitigen Angewiesen-Seins bzw. der Ab-
hängigkeit. Schon unorganische Prozesse und Dinge brauchen einander, erst
recht gilt das auf der Ebene des Lebens. Lebendige Wesen sind auf Stoff-
wechsel mit der Umgebung angewiesen – die benötigten Stoffe zu erhalten ist
für sie »gut« im Sinne des Förderlichen für ihre Erhaltung und ihr Gedeihen. In
diesem Sinne habe ich Mannigfaltigkeit, Gerechtigkeit, Gedeihen und Natür-
lichkeit als die allgemeinsten Attribute einer »guten Welt« bezeichnet (s.o.
S. 12). Dazu muss eine Fülle materieller Voraussetzungen gegeben sein.
Wenn das in einem graduell ausreichenden Maße der Fall ist, kann man
von einem guten Zustand bzw. hinsichtlich eines größeren Zeitraums von
einer guten Verfassung der materiellen Welt sprechen. Das lässt sich über-
tragen auf das wechselseitige Verhältnis von Kulturen, Völkern, Gruppen und
Individuen. Da höhere oder niedere Grade bzw. Niveaus solcher Güte sowohl
natur- wie kulturgeschichtlich vorgekommen sind, handelt es sich nicht um
die Realisierung eines Ideals, sondern um die Beförderung oder Verhinderung
von Zuständen dieser Welt. In der Gegenwart geht es offenbar primär um ein
Aufhalten von Verschlechterung. Es kann sich auch nicht um die beliebige
Steigerung von Mannigfaltigkeit handeln, denn das könnte auch durch er-
höhte Künstlichkeit, Züchtung, Technik, Aufspaltung etc. erfolgen. Warum der
damit einhergehende Verlust von Natürlichkeit weder für die Welt noch für
die Menschen »gut« wäre, bedarf aber eigener Argumente, die ich teils oben
(S. 11 f.), teils andernorts zu entwickeln versucht habe.310
309 In der außermenschlichen Natur gibt es entgegen klischeehafter Vorstellungen nicht nur
permanente gegenseitige Schädigung, sondern auch Symbiose, Kooperation usw. – was
eine Konkurrenz um erfolgreiche Weitergabe von Genen nicht ausschließt.
310 Zuletzt in Autonomie, Natürlichkeit und Technik, vgl. Siep (i. E. a).
7.2 Werte und Wertewandel 159
Das »Gut-sein-für« in diesem allgemeinen Sinne habe ich auch als »Wert« be-
zeichnet. Dazu gehört beim Menschen alles, was ein gutes Leben zu einem
solchen macht. Wenn ein Wesen »Würde« in dem Sinne hat, dass es eine be-
stimmte Behandlung verdient, sie ihm »konstitutionell« gerecht wird usw.,
dann ist eine solche Behandlung für es »gut«. Auch Rechte sind für ihre
Träger wertvoll, aber deswegen, weil sie anders als andere Wertbeziehungen
Personen, Gruppen und Institutionen zu etwas verpflichten.
Werte sind nach dieser Konzeption also Relationen des für-etwas bzw.
jemanden-wertvoll Seins. So, wie man die Rechtsbeziehung als »Rechte«
substantivieren kann, so auch die Wertbeziehungen als »Werte«. Mehr onto-
logische Verselbständigung scheint mir nicht vonnöten.
Man kann den Begriff einer guten Welt, wie ich ihn hier noch einmal
kurz skizziert habe, als »Rahmenvorstellung« bezeichnen, die weiter spezi-
fiziert werden muss und in der Geschichte der Religion, der Philosophie
oder der Literatur auch wurde. Ohne eine ausführliche Begriffsgeschichte
lässt sich sagen, dass die erwähnten Grundzüge in wesentlichen Stadien
dieser Geschichten leitend waren, etwa in der griechischen Tradition des
»Kosmos« oder der christlichen der Schöpfung. In diesen Traditionen galten
sie allerdings nicht als temporäre Zustände, die erhalten oder erreicht werden
können, sondern als ewige Ordnungen eines zeitlosen Logos bzw. göttlichen
Schöpfers. In der Neuzeit verloren die Weltbegriffe diese metaphysische
Stützung, außerdem traten die Dimensionen von Natur und Geschichte, später
auch Kultur, auseinander. Wenn die Ethik heute an die normativen Selbst-
bilder von Kulturen und ihre teils vereinbarten (z.B. durch internationale
Konventionen), teils möglichen Konsense anknüpfen will, dann muss sie
»hermeneutisch« deren Grundlagen deuten. Dazu gehört auch die Geschichte
der Menschenrechte (o. Kap. 4). Die Begriffe der guten Welt ebenso wie die
des moralischen Standpunktes enthalten aber Kriterien, an denen diese
Geschichte gemessen werden kann.
Sowohl die Werte wie die »gute Welt« haben nach der konkreten Ethik ein
doppeltes fundamentum in re: im bewerteten Gegenstand und im bewertenden
Subjekt.311 Der Wert des für Bedürfnisse (Lebensfunktionen, Gesundheit)
Förderlichen ist in bestimmten Eigenschaften von Dingen und Prozessen der
materiellen Welt ebenso verankert wie in den physiologischen Bedingungen,
311 Zu meiner relationalen Werttheorie vgl. Konkrete Ethik (Siep 2016), S. 124-185 sowie
Siep (2004) Ethics and the Structure of Valuation. Zur Diskussion relationaler Theorien
ethischer Werte vgl. auch Quante (2013) Einführung in die allgemeine Ethik, S. 95 ff., 103 ff.
160 7 Ontologie und Hermeneutik ?
312 Vgl. Jansen (2017), Gruppen und Institutionen, S.21, 40, 55, 285.
7.2 Werte und Wertewandel 161
ein »Andocken« an Relationen und Sachverhalte, die auch von anderen Wesen
gesucht bzw. (bei Schädlichem) gemieden werden und für diese tatsächlich
förderlich sind.314 Zudem verlangt der moralische Standpunkt ihre Förderung.
Die Exklusion von Lebewesen und ihren Lebensbedingungen aus dem Kreis
des moralisch Berücksichtigenswerten war von daher eine Inkonsequenz. Dass
es bei der Ausweitung dieser Inklusion zu schwierigen Konflikten und Ab-
wägungen kommt, nicht nur zwischen menschlichen und nicht-menschlichen
Ansprüchen, sondern auch zwischen diesen selber – bedingt durch die
Nahrungskette und die Formen der Arterhaltung bzw. Genverbreitung – liegt
auf der Hand.
Viel schwieriger ist diese Frage für geistige Werte und für Rechte von
Menschen zu beantworten. Wenn man »Kultur« zumindest mit Sprachlichkeit
beginnen lässt, gehören Bedürfnisse der Kommunikation und des wechsel-
seitigen Verständnisses dazu. Mit dem Vermögen des sprachlichen bzw. be-
grifflichen Denkens oder der Vernunft kommen neue artgemäße Bedürfnisse
und Wünsche hinzu, solche die zu dem sich entwickelnden moralischen
Standpunkt passen (»gute«) und solche, die ihm widersprechen (»böse«).
Zur Allgemeinheit der Begriffe und Regeln sowie der Unparteilichkeit des
moralischen Standpunkts gehören allgemeine Normen für die Regelung
individueller Ansprüche in einer Gruppe.
Von dem Wandel im Primat der Rechte der Einzelnen sowie der engeren
Gruppen vor den umfassenden und institutionalisierten (Staat) war schon
die Rede. Für den ontologischen und evaluativen Primat der Kollektive gab
es in der Vergangenheit tiefgreifende philosophische, religiöse und politische
Gründe (s.o. S. 121). Die »weltlichen« Institutionen, die Anteil oder direkten
Zugang zum Göttlichen haben, die Kirche oder das sakrale Königtum,
partizipieren an der eigentlichen Realität des Ewigen, das der Vergänglich-
keit der raumzeitlichen Welt und ihrer materiellen Körper entzogen ist. In der
Neuzeit übernehmen zunächst Institutionen, die von einer zeitlosen, über
den Menschen hinausreichenden Vernunft gefordert sind diese Funktionen,
vor allem der das Vernunftrecht sichernde Staat – wie bei Kant und Hegel.
Mehr voluntaristisch als rationalistisch verstanden, können auch Volk oder
Nation als Träger einer unbedingten Souveränität über die Individuen zu einer
solchen Entität werden. Dass Völker immer nur in zeitlich vorübergehenden
Bürgerschaften existieren, die aufeinander folgen, sich aber auch durch ab-
rupte Brüche – wie Revolutionen, Sezessionen, Vertreibungen – voneinander
314 Für eine »realist conception of evaluative properties« plädieren auch Vieth/Quante
(2010), The Structure of Perception, S. 6.
7.2 Werte und Wertewandel 163
Eine plurale Ontologie, die den Institutionen und den Individuen eine
eigene Seinsart und Realität zuspricht, ist aber für eine Ethik passend, die von
Individualrechten, Gemeinschaftsgütern und intrinsischen Werten blühender
Gemeinschaften ausgeht – den ersteren aber den normativen Primat in
Konfliktfällen einräumt. Eine höhere Seinsart im Sinne der Zeitlosigkeit
kommt beiden nicht zu, das kann auch eine »Sakralisierungstheorie« nicht
zeigen. Was hat es dann aber mit der Irreversibilität auf sich? Beanspruchen
Menschenwürde und Menschenrechte nicht doch eine Unveränderlichkeit,
die einen höheren ontologischen Status begründet oder seiner bedarf?
318 Vgl. Hegels »begriffene Geschichte« in der Phänomenologie des Geistes, die allerdings nach
meiner Lesart mit »logischen«, letztlich doch metaphysischen Begriffen rekonstruierbar
ist. Die hier vorgeschlagene Methode entspricht einem »Hegel ohne Teleologie der Ver-
nunft«, d.h. ohne die Annahme einer sich in der Geschichte notwendig durchsetzenden,
allen materiellen Hindernissen überlegenen Vernunft.
319 Vgl. dazu auch Schneewind (1971), Moral Progress (sowie die Comments von Fein-
berg, ebd. S. 19) sowie Jaeggi (2018), Widerstand gegen die immerwährende Gefahr des
Rückfalls.
7.3 Ontologie und Irreversibilität 165
Mythos ist ein eigenes komplexes Thema, zu dem von Ernst Cassirer über
Hans Blumenberg bis Jan Assmann wichtige Beiträge geleistet wurden.320 Man
muss aber den Anspruch von Wertungen und Zuschreibungen, die in Mythen
enthalten sind, von denen der Menschenrechte klar trennen. Aus religiösen
oder nationalen Mythen folgen keine Ansprüche an Menschen, die sie nicht
freiwillig anerkennen. Solche Mythen sind Erzählungen, die Menschen zur
Erklärung von Gegebenheiten und Erfahrungen und zur Rechtfertigung von
Ansprüchen ersonnen haben. Die darin vorkommenden Entitäten haben
keinen nachweislich »höheren« Realitätsgehalt als menschliche Individuen.
Ihre Ansprüche – etwa überweltlicher Wesen oder weltlicher Kollektive –
haben keine Basis, die Unterdrückung und Entwürdigung dieser Individuen
rechtfertigen könnten. Individuen können freiwillig ihre Interessen der Ver-
ehrung oder Unterstützung solcher Entitäten unterordnen, aber sie dürfen
dazu nicht gezwungen werden. Sie dürfen sich dabei ihrer Würde und ihrer
elementaren Rechte auch nicht selber »entäußern«.
Sicher sind auch historische Erfahrungsgeschichten wie die der Ab-
schaffung der Sklaverei nicht frei von narrativen Elementen. Sie können aber
an historischen Quellen überprüft werden. Die Gefühle der Unterdrückung
und Entwürdigung können noch immer real nachvollzogen werden und sie
empören sich immer wieder gegen neue Unterdrückungsversuche. Ontologie
und Naturwissenschaften entlarven die gegenteiligen Ansprüche imaginierter
Kollektive auf einen höheren Status. Wie immer die Geschichte der Abschaffung
der Sklaverei erzählt werden mag, aus dem Resultat einer mit Sklaverei un-
vereinbaren Menschenwürde folgen Ansprüche an alle Menschen, auch wenn
sie gerne Sklavenhalter oder sogar Sklaven wären. Das ist eine andere Art von
Wert oder normativer Realität als der eines Konventions- oder Geschmacks-
wandels. Er ist auch verbunden mit wirklichen Fähigkeiten der Menschen,
aktiven und passiven, wie ihrer Selbstverpflichtung aus begründeter Einsicht,
aber auch Gefühlen der Selbstachtung oder Kränkung.
Auch die Würde von Menschen, die in ihrem Leben zur Ausübung ihrer Ver-
nunft, Zurechenbarkeit, Pflichterfüllung etc. niemals in der Lage sein werden,
ist nicht die der Gattung, sondern der Individuen, wenn auch in Ansehung
ihrer Zugehörigkeit zur Gattung. Sie werden durch die Rechtsgemeinschaft
der Verfügung durch jeden anderen Menschen entzogen. In manchen Fällen
bleibt ihnen allerdings nur ein »Rest« von Selbstverfügung, etwa bei lebens-
langer Sicherungsverwahrung oder Entmündigung. In solchen Fällen wird
320 Cassirer (1994), Philosophie der symbolischen Formen II; Blumenberg (1996), Arbeit am
Mythos; Assmann J. (2007), Das kulturelle Gedächtnis, S. 78-83; ders., (2015), Exodus, S. 91-
95, 386 f.
166 7 Ontologie und Hermeneutik ?
321 Noch für Ranke sind Staaten »Gedanken Gottes«. (Ranke (1958), Politisches Gespräch,
S. 61).
7.3 Ontologie und Irreversibilität 167
Erfolgen sie »von unten«, wird man ihnen nur dann ein »Recht« zuschreiben,
wenn ein beträchtlicher oder repräsentativer326 Teil des Volkes frei ent-
schieden hat und die Verfassung zumindest keinen schweren Rückfall hinter
bereits erreichtes Recht darstellt.
Der ontologische Status von Werten und Normen ist verschieden, je nach
ihrer Zuordnung zu Institutionen und Individuen. Der Wert der Gesundheit
etwa ist sozialontologisch gesehen verankert in Institutionen wie Kranken-
kassen, Krankenhäusern oder dem Sozialgesetzbuch. Dabei werden, etwa
in der Rechtsprechung, auch unterschiedliche Standards berücksichtigt
werden – im 21. Jahrhundert ist das »Niveau« erwartbarer Gesundheit höher
als im 16. oder 19. Jahrhundert. Gesund zu sein ist aber auch ein von den
meisten Menschen gehegter Wunsch, der individuell sehr unterschiedlich aus-
geprägt ist. Für einen »unheilbar« oder »austherapierten« Kranken bleibt er
eine Erinnerung und ein Traum, der in seinem Leben mit großer Wahrschein-
lichkeit nicht mehr realisiert wird. Er kann aber immer noch Realität besitzen
als handlungsorientierend und -motivierend. Der Traum von einer für den
Durchschnitt erreichbaren Gesundheit ist etwas anderes als der Wunsch nach
einem Jungbrunnen. Das intentionale Objekt von Werthaltungen besitzt einen
sehr unterschiedlichen ontologischen Status.
Die Menschenwürde hat ebenfalls einen teilweise institutionalisierten
Status in völkerrechtlichen Abkommen, einzelstaatlichen Verfassungen sowie
Organisationen und Ämtern überstaatlicher oder zivilgesellschaftlicher Art
(»Human Rights Watch« etc.). Teilweise ergreifen sie Maßnahmen zu ihrer
Achtung in aller Welt – bei völkerrechtlichen Organisationen auch militärischer
Art (s.o. Kap. 5.2). Diese Achtung bleibt aber für viele Menschen ein unerfülltes
Versprechen, auf dessen Einlösung in ihrer Lebenszeit nicht mehr zu hoffen
ist. Der sozialontologisch zu affirmierenden Realität der Menschenwürde
steht also eine normative Forderung gegenüber, die in der raumzeitlichen Welt
noch nicht erfüllt ist und in vielen individuellen Fällen auch nicht mehr erfüllt
werden wird.
Analoges ist von der guten Welt zu sagen: Sie ist ein Begriff, der auf realisierte
Wertbeziehungen in der Vergangenheit und Gegenwart zutrifft (»referiert«),
insofern es Blühen und Gedeihen einer Mannigfaltigkeit von Wesen und
Formen gegeben hat und gibt. Zugleich ist sie aber eine unerfüllte Forderung,
die Chancen auf weitergehende Erfüllung besitzt, aber auch erheblich an
326 Das traf auf den erfolglosen Widerstandsversuch des 20. Juli 1944 zu, hinter dem Vertreter
unterschiedlicher politischer und weltanschaulicher »Lager« standen – von der »Roten
Kapelle« über den Kreisauer Kreis bis zum konservativen Adel und Bürgertum (Robert
Goerdeler).
7.3 Ontologie und Irreversibilität 169
Zur Idee einer umfassend bejahens- und erstrebenswerten Welt gehört das
gute Leben der Menschen. Es umfasst seine elementaren Rechte, aber auch
andere Bedingungen für Wohlergehen, moralisch richtiges Handeln und ein
nach eigenen Kriterien sinnvolles Leben. Über den Menschen hinaus fordert
diese Idee aber auch günstige Bedingungen des Gedeihens und Wohlergehens
anderer Lebewesen. Grundzüge eines solchen möglichen »Kosmos« sind
Natürlichkeit, Mannigfaltigkeit, Gedeihen und Gerechtigkeit (vgl. o. S. 9-13).
Wie verhalten sich diese Forderungen zu den Normen mit dem strengsten
Verbindlichkeitsanspruch, den Menschenrechten? Stimmen sie überein
oder sind Konflikte möglich? Gilt dabei ebenfalls ein »Vetorecht« für die
Menschenrechte?
Im Folgenden werden zunächst Argumente für eine Übereinstimmung er-
wogen (1), dann für einen möglichen Konflikt (2). Schließlich geht es um die
Frage einer Überwindung dieser Spannungen (3).
(1) Für eine Übereinstimmung in den Zielen der Förderung einer guten Welt
und der Menschenrechte spricht das Folgende:
A) Zu den Menschenrechten gehören ökologische Rechte, die An-
sprüche auf »natürliche Lebensgrundlagen« und intakte Umwelt
umfassen. Diese Rechte erstrecken sich auf künftige Generationen,
auch was die Mannigfaltigkeit natürlicher Arten angeht – im Sinne
der oben skizzierten konkurrierenden Grundzüge (S. 9 f.).
B) Zur Persönlichkeitsentwicklung vieler Menschen trägt eine mannig-
faltige Natur, und die Begegnung mit natürlich-unkontrollierten
Prozessen bei – ein Grund unter anderen für die Renaturierung
von Flüssen und Wäldern. Die gewaltige Anziehungskraft eines
weltweiten Tourismus – ganz unabhängig von den positiven und
negativen politischen, ökonomischen und ökologischen Folgen –
zeigt ein global verbreitetes Interesse an natürlicher und kultureller
Mannigfaltigkeit. Auch das Identitätsbewusstsein von Gruppen
hängt oft an der Erhaltung natürlicher (Heimat) Landschaften.
C) Viele philosophische, politische und theologische Strömungen
haben die Verknüpfung von Unterwerfung und Ausbeutung
172 8 Schluss: Gute Welt, Menschenrechte
327 Jungk (1977), Der Atomstaat; Roßnagel (Hg.) (1984), Recht und Technik im Spannungsfeld.
328 Vgl. die Enzyklika Laudato si (Papst Franziskus 2015) und die dort in Anspruch ge-
nommene Ökotheologie von Leonardo Boff (2012, Zukunft für Mutter Erde).
329 Vgl. Siep (2018), Natur als Maß menschlichen Handelns, S. 48.
8 Schluss: Gute Welt, Menschenrechte 173
330 Gegen natürliche Evolution als Paradigma der Kulturgeschichte vgl. auch Assmann
(2012), Cultural Memory, S. 369 f.
8 Schluss: Gute Welt, Menschenrechte 177
die Vorstellungen des guten Lebens der Menschen wandeln sich – nicht
zuletzt angesichts technischer Möglichkeiten.
3. Grenzen der Technisierung folgen aus dem Verzicht auf die Ziele der
vollständigen Kontrolle und Verbesserung der Natur und des Menschen.
Natürlichkeit im Sinne der Selbstregulierung und Selbstzweckhaftig-
keit von Lebewesen und Prozessen, die für den Menschen keine
katastrophalen Folgen haben, soll erhalten bleiben. Insofern der Tod
für die natürliche Mannigfaltigkeit und die Gerechtigkeit zwischen den
Generationen notwendig ist, muss er in Kauf genommen werden. Un-
bedingte Grenze technischer Entwicklung ist die Moralfähigkeit des
Menschen, seine Würde und Selbstbestimmung sowie die dazu erforder-
lichen Rechte.
Um es an einem Beispiel der vieldiskutierten Grenzen der Gen-
technologie weiter zu konkretisieren: Eine Verbesserung der mensch-
lichen »Sozialverträglichkeit«, die seine Autonomie und die Fähigkeit
zur Selbstverpflichtung auf gemeinsame Regeln beseitigt, liegt jenseits
der Grenzen. Das mit dem Verzicht verbundene Leid von Unrecht und
Strafe muss um der Würde willen hingenommen werden. Gentechnische
Eingriffe, die von Krankheit und schwerer Benachteiligung befreien, sind
im Prinzip legitim. Dazu gehört prinzipiell sogar das Ziel, die genetische
Benachteiligung von Teilen der Bevölkerung zu korrigieren. Grenze
dafür ist aber die Instrumentalisierung der Nachkommen nach den
Wünschen ihrer Erzeuger und die Verletzung der sozialen Gerechtigkeit.
Wo diese Grenzen genau liegen, muss (erst) angesichts realisierbarer
Optionen entschieden werden. Es hängt auch von den Möglichkeiten
ab, genetische Korrekturen überhaupt über Experimente, die ihre »Pro-
banden« nicht entwürdigen, als sichere Therapie zu etablieren. Selbst
wenn dies gelänge, wäre die Gerechtigkeit verletzt, wenn nur Wenigen
(»Finanzstarken«) solche Möglichkeiten offenständen. Das gilt auch für
die Versuche, das Lebensalter zu verlängern.
Jenseits der Grenzen liegen auch Techniken, die zwischen dem Gehirn
von Menschen und Kommunikationsnetzen wie dem Internet eine Ver-
bindung herstellen. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie dem Individuum
seine informationelle Selbstbestimmung, seinen »privilegierten Zugang«
zu eigenen Gedanken und Gefühlen331 sowie seine nicht-manipulierte
331 »To extend the human nervous system across the internet and to create new forms
of communication« war eine Idee von Kevin Warwick, erörtert in einem Vortrag der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im September 2017. Vgl. auch
Warwick (2004), March of the Machines sowie kritisch Grunwald (2017), Abschied vom
Individuum.
178 8 Schluss: Gute Welt, Menschenrechte
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Register
Namen Gethmann 2
Gilbert, M. 58
Ach, J. 16, 31 Goethe, J. W. 130
Alexy, R. 35, 64 Goerdeler, C. F. 168
Annas, J. 6, 28 Goppel, A. 104, 110
Arendt, H. 138, 139 Grotius, H. 90
Aristoteles XII, 7, 18, 28, 81, 128 f., 137, Grunwald, A. XII, 5, 61
142, 151 f., 163, 166 Gutmann, T. 14-16, 42, 47, 55, 81, 85 f.
Assmann, A. 48
Assmann, J. 2, 6, 46, 48, 86, 165, 176 Häberle, P. 39
Habermas, J. 22, 38, 83, 117, 118
Bauer, C. 33 Hailbronner, K. 57, 103
Bauer, T. 15 Halbig, C. 28, 131 f.
Bayertz, K. 137 Hardy, J. 10, 23, 31
Bentham, J. 114 Hegel, G. W. F. XVI, XX, 14, 16, 18, 22, 30,
Berman, H. 87 33 f., 46 f., 49, 51, 53, 56, 72 f., 75,
Bienenstock, M. 38 87, 91, 100 f., 130, 134, 140, 157, 162,
Birnbacher, D. XII f. 164, 166
Blumenberg, H. 4, 21, 165 Heidegger, M. 1, 150
Bodin, J. 106 Henkin, L. 103
Boff, L. 172 Herzog, L. 61
Bothe, M. 102 Hilsenrath, E. 15
Borges, J. L. 149 Hobbes, T. 18, 59, 62, 90, 106, 147
Brandom, R. B. 7 Hoesch, M. 97-101, 111, 118
Hofmann, H. XIV, 36, 39, 47, 54, 60 f., 66,
Calvin, J. 91 69, 83, 167
Cassirer, E. 164 Honnefelder, L. 35
Cortina, A. 118 Honneth, A. 14
Hume, D. 10, 114
Donnelly, J. 36, 48, 57 Hursthouse, R. 28
Derpmann, S. 115
Dreier, H. 33, 36, 56, 61, 167 Jaeggi, R. 15, 30, 86
Dufner, A. 115 Jansen, L. 58, 155
Jefferson, T. 61
Elpel, T. A. 105 Jennings, B. 51
Enskat, R. XVIII Joas, Hans 6, 86, 134
Ernst, G. 133, 134 Jonas, Hans XV
Fichte, J. G. 47, 51, 53, 91, 119 f. Kant, I. XVIII, 7, 9, 23, 29, 33, 42, 48-50,
Fischer, J. M. 146 66, 81, 90 f., 95, 108, 110, 121, 128, 134,
Flasch, K. 121, 147 137, 156, 162, 169
Frankfurt 124, 131 Koch, B. 151
Frege, G. 128 Kohlberg, L. 83
196 Register
Autonomie X, XV, 7 f., 12, 15, 17, 20, 45, 53 f., Erde XI, XV, XIX, 1, 3, 139, 142, 145 f., 153,
63 f., 67-69, 77, 92-94, 116-118, 123, 128 f., 156, 158, 172
135, 161, 165, 175-177 Erfahrungsbegriff VIII, 14 f., 92
Authentizität 129 f., 134, 139, 144 Erfahrungsgeschichte IX, 45, 48, 57, 61, 64,
Autorität 27, 58 f., 91, 110, 120 f., 129 77, 86 f.
Erinnerung 38, 48, 116, 168
Bedürfnis XVIII, 14, 27-29, 55, 64, 72, 76-78, Erlösung 147 f., 157, 161
80-83, 111 f., 119, 126 f., 137, 159-162, 166 Evolution VII f., XIII f., 3, 5, 7 f., 10, 12 f., 17 f.,
Befruchtung (assistierte) 65, 68 22, 32, 45, 65, 76, 129, 160, 176
Begrifflich 2, 23 f., 72, 93, 112, 162 Ewig, Ewigkeit XIII, 100 f., 114, 121, 139, 148 f.,
Bewusstsein IX, XVI, 21, 28, 59, 62 f., 79, 82, 159, 162, 166
119 f., 140, 143, 148 f., 153, 166 f. Existenzialismus, existentialistisch 127, 147,
Bildung 55, 59, 82, 105, 131, 150 150
Biodiversität XV, XVIII, 9, 64, 154, 168 f., 174 Experiment 92, 177
Bioethik VII, 35, 51, 64, 134 Experten 98, 113, 121, 128
Biotechnik, Biotechnologie XIV, 5, 19, 94
Blühen (flourishing) 111, 152, 154, 168 Familie XVI, 16, 81, 98, 100
Bürger 38, 54, 59, 63, 98-110, 172 Folter 15, 95, 113, 115
Forschung 23, 68, 89 f., 92
christlich (Christentum) XVII, 3, 55, 89, Fortschritt XIV, XVII, 12, 79, 83-86, 173
101, 159 Freiheitsrechte 46, 53, 61, 63, 69, 72, 95, 115
Gewalt (Gewaltmonopol) XII, 32, 42, 50, Kolonisation, Kolonialismus 17, 21, 52,
54, 87, 102 f., 105 f., 108-110, 120, 161 120, 152
Gewissen 72, 80, 90, 128, 137, 141 Kommunal (kommunale Güter) 58 f., 100,
Gleichheit 14 f., 20, 38, 42, 47, 55, 57, 79, 153
82, 88, 106, 116-118, 135, 152 Kommunikation XII, 4, 45, 78, 81, 87, 113,
Glück XX, 46, 72, 123, 128-153 148, 155, 160, 162, 175
Gott, (göttlich) XVIII, 1, 3, 20 f., 110, 121, Kommunitarismus 52, 71, 97 f., 100-102
138 f., 159, 162 f., 166 Konkretisierung 26-33, 38, 47, 94, 113
Grundgesetz (deutsches) 36, 56, 60, 66, Konsens VIII, XVII, 12, 15 f., 31, 35, 37, 58, 64,
161, 167 66, 68 f., 73, 76 f., 85, 113, 135, 151, 159,
Gruppenrechte 52 f., 58, 62 f., 72, 94, 107 163, 166, 174
Konsequentialismus 27, 98, 112, 114-117, 138
Handel 84, 103, 106 Konstanz (Konstante) XVII, 6, 13, 19, 76, 160
Heimat XV, XVIII, 25, 153, 171 Kontingenz 10-12, 20, 149
Humiliationismus 118 Kontrolle XI-XIII, XVIII, 1, 11, 20, 68, 145,
149 f., 173, 175-177
Identität XIV, 25, 42, 46, 52, 112, 118, 123 Konvention VIII, 9, 12, 41, 47, 67, 87, 92, 113,
Individualismus XX, 3, 17, 36, 51-55, 58, 134, 144, 159, 174
63, 98, 115, 122, 137, 150 f., 163 Krieg XIII, 47, 70, 100-103, 105, 107 f., 138, 151
Information XV f., 5, 41, 116, 155, 177 Krise XII, XIV, XVIII, 17, 22, 37, 50, 53 f., 56,
Inklusion 13-15, 39, 41 f., 67 f., 78, 84 f., 87, 83, 85, 87
113, 161 f., 178 Kunst 3, 25, 100, 142, 152, 157
Instrumentalisierung XVIII, 23, 79, 83, 118, künstlich XI-XIII, 1, 19, 112, 153, 155, 158,
149, 172, 177 f. 175 f.
Integration XIV, XVIII, 18, 86, 150
Integrität XI, 42, 45, 57-59, 67, 90, 105 f., Lebensform XV, 13, 28, 30, 33, 52, 75 f., 79,
113, 115, 139, 166 86 f., 95, 129 f., 133, 144, 153, 169, 178
Intelligenz (auch: künstliche) XI, XIII, 13, Lebensgrundlagen 9 f., 52, 60, 153, 161, 171,
19, 94, 176 f. 173-175
Interaktion 28, 78 Letztbegründung 93, 95
Internet XIII, 94, 177 liberal (Liberalismus) 51 f., 57, 61, 98, 102,
Intervention (humanitäre) 71, 104 f., 107 107
Luft 1, 58, 60, 99
Judentum, jüdisch XVII, 15, 38, 62, 89,
117, 139 Macht 50, 55 f., 72, 81, 101, 107, 178
Mannigfaltigkeit (s. Biodiversität) XI, 9 f.,
Kambodscha 15 12, 26, 30, 44, 82, 144, 150, 152, 157 f., 161,
Kampf XI, 14 f., 46, 106, 126 168, 171, 175-177
Kanon 36, 48, 115 Medizin XIV f., 16, 145, 148, 151, 160, 175
Kapitalismus XIV, 56, 84 f., 172 Metaphysik, metaphysisch XVIII, 3, 12, 16,
Katastrophen XV, 4, 11, 29, 50, 98, 118, 28 f., 32, 86, 121, 127, 131, 150, 159, 163 f.
174 f. Moral
Kern 31-33, 38, 41 f., 63, 72-74, 90, 92, 120, Standpunkt der 9, 13, 23, 26, 88, 93, 95,
132, 149, 167, 174, 178 106, 123, 156, 160-162, 178
Klasse 56, 60, 100 f., 132 und Recht 31-34, 87-89, 122, 174 f., 178
Klima (Klimakrise) XV f., 3 f., 99, 103, 153 und Ethik 31-34
Klonierung XV, 147 Mythos 25, 47, 90, 107, 163-166
Register 199
Nation 15, 47, 62, 72, 87, 98, 100-102, 107 Sozialismus 52
Nationalismus 81, 98, 102, 104, 107, 111 Spezies (s. auch Art) 28, 97, 113, 166
Naturrecht XVII, 5, 35, 45, 54, 59, 79 Speziesismus 66, 78, 97
Nothilfe 105, 107, 109 Sprache 2 f., 6, 9, 13, 22, 26, 78-81, 84, 99,
112, 117, 125, 128, 133, 155, 162
Ökologie (s. Umwelt) 24, 55, 60, 80, 150, Subjektivität 49, 102, 112 f., 122, 125
153, 172 Subjektivismus 130
Ökonomie XII, 50, 84, 171 Substitution 82, 176
Opfer 4, 63, 70, 99, 101 f., 122, 136, 139, 161, Sünde 3, 21, 91, 121, 129, 147
166
Ordnung VIII, 66, 88, 108, 143, 145 Terror 63, 115
Tier 6, 12 f., 30, 33, 78, 81, 113, 157, 166
Pathozentrismus 112 Tod 11, 100, 123, 127, 139, 140-145, 158,
Perfektion XI f., XV, 1, 8, 19, 26, 138, 145, 174 f. 175, 177
Person, personal 6, 27 f., 63, 65 f., 86 f., 100, Totalitarismus 56 f., 72, 120
113, 117-121, 125, 139, 145, 148, 163, 178 Tugend 18-20, 133, 147
Pflanze 13, 30, 112, 150, 157
Pluralismus XI, 16, 26, 63, 66, 71, 130 Überforderung 18, 70 f., 103, 186, 112, 114, 145
Politik, politisch XIII, XX, 31, 36 f., 52, 61, 82, Überzeugungsfreiheit 81, 105, 119, 172
89, 91, 105 f., 142, 151, 162, 171 f. Umwelt XIV, 33, 39, 44, 60 f., 71, 94, 135, 171
Pragmatismus 15, 85, 94 f. Umweltrechte (ökologische Rechte) 33, 41,
48, 54, 60 f., 71, 80, 171
Rassismus 95, 102 f., 120 UN (Vereinte Nationen) 37, 42, 61, 70, 105,
Rationalität 8, 72, 90, 97 f., 132 107, 109, 137
Raumordnung 61 Unabhängigkeit 15, 56, 91, 92, 100
Redefreiheit 46 Universalität (von Rechten) VIII, 67, 70, 77,
Reflexion XVI, 52, 87, 91, 119 86, 93, 106
Reflexionsgleichgewicht 24 Unparteilichkeit (des moralischen
Religion, religiös XIII, 2 f., 48, 62, 101, 105, Standpunkts) 6 f., 10, 13, 26, 33, 78, 88,
120, 127, 132, 139, 148 f., 152, 162 f., 165 f. 93, 97 f., 107, 112, 116, 118, 122, 139, 160,
responsibility to protect 162
(Schutzverantwortung) 105, 110 Unsterblichkeit 127, 145 f., 149, 166
Revolution 16, 47, 56, 86-88, 114, 162, 167, 176
Veränderungssperre 33, 36, 167
säkular, Säkularisierung 16, 48, 85, 122 f., 131 Verantwortung 80, 86, 94, 105, 110
Selbstachtung 23, 40, 48, 68 f., 73, 79, 90, Vereinigungsfreiheit 41, 54, 172
112, 115, 150, 165-167 Verfassung (Staats-) 33, 37, 56, 60, 81, 84,
Selbstbestimmung XV f., 16, 38, 41, 52, 110, 167 f.
56-60, 63, 67 f., 70 f., 78, 80, 82, 94, 99 f., Verhältnismäßigkeit 109 f.
102, 104, 108, 119, 129, 167, 177 f. Vernichtung 15, 66, 94, 135
Semantik 9, 12, 19, 93, 120, 155, 174 Vertrag 41, 58 f., 70, 80, 106
Sexismus 95 Verwaltung 42, 50, 60 f., 169
Sollen 10, 26, 28 f., 35, 65, 95, 153, 174 Völkerrecht 32, 37, 41, 53 f., 57, 60, 101-106,
Souveränität XIV, 49, 55, 59, 101, 103, 110, 152
105-108, 173 Völkermord (Genozid, Ausrottung) 14 f., 83,
Sozialrechte 42, 45, 50, 55-57, 60 f., 70 f., 73, 89, 116, 139
73, 80, 82, 85, 104, 177 Vorsorge 19, 61
200 Register
Westen, westlich 17, 51 f., 57, 71, 99 Zukunft (s. Antizipation, Generationen)
Widerstand 57, 79, 101, 105, 110, 168 VIII, XVI, 11, 20, 62, 75, 86, 90, 93,
Widerstandsrecht 105, 167 122 f., 167, 174
Willkür 42, 79, 89, 93, 108, 110
Wissenschaftsfreiheit 89-92, 97