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Richie Havens zum 80sten Geburtstag

Habt Ihr Euch auch schon mal gefragt: Wer sind meine „Helden“? Menschen, die man persönlich
kennt, oder auch nur über ihre Werke und ihr Wirken, und ohne die das eigene Leben anders
verlaufen wäre?

Nun, wenn ich über diese Frage nachdenke, so kommen mir ganz viele in den Sinn. Wer ganz sicher
dazugehört, ist RICHIE HAVENS, aus Brooklyn stammender amerikanischer Sänger, Songwriter,
Gitarrist.

Als Jugendlicher sang er den 50er Jahren in verschiedenen Gospel- und Doo-Wop-Gruppen. Mit 20
zog er nach Greenwich Village mit seiner lebendigen Kunst- und Musikszene. Er verdingte sich als
Folk-Sängerauf der Straße und in kleinen Clubs und entwickelte hier seinen ganz eigenen Begleitstil
auf der akustischen Gitarre. 1966 veröffentlichte er seine erste Schallplatte „Mixed Bag“.

Großer Wendepunkt seines Lebens wurde das Woodstock-Festival, das er eröffnete, weil viele der
ursprünglich vorgesehenen Musiker im Stau steckten. Als letzte Zugabe sang er – auf Grundlage eines
Spirituals namens „Motherless Child“ das Stück, das ihn weltberühmt machen sollte: „Freedom“, der
Ruf nach Freiheit, traf den Geist der Zeit und wurde zur Hymne der Hippie-Bewegung und des
Woodstock-Festivals.

In Interviews hat Richie Havens immer betont, dass sein Leben zweigeteilt ist in ein Leben vor und
eins nach Woodstock. Er konnte sich die Zähne behandeln lassen und war seither weltweit auf
Festivals und Konzertbühnen unterwegs, er war quasi non stop „on the road“, bis ihm irgendwann
gesundheitliche Probleme das Touren unmöglich machten.

Ich selbst hatte vier Mal das Vorrecht, diesen wundervollen Musiker live erleben zu dürfen. Egal ob
vor 70 Leuten im Frankfurter Sinkkasten oder vor mehreren Tausend auf der Burg Herzberg, ich habe
ihn immer als einen Künstler erlebt, der alles gibt. Der mit seiner unverwechselbaren, tiefen, sonoren
und warmen Stimme die Hörer tief im Herzen berührt und verzaubert. Sein Gitarrenstil ist ebenfalls
einzigartig: Auf einer offen meist in D gestimmten Guild-Akustik-Gitarre greift er mit dem Daumen
Barree-Griffe und beherrscht die Kunst, fast sein gesamtes Repertoire mit 7 oder 8 verschiedenen
Griffen zu begleiten. Mit dem Plektrum in der rechten Hand hat er ein untrügliches Rhythmusgefühl,
das seinen Interpretationen diese mitreißende Energie gibt. Egal ob eigene Songs oder Beatles, Who
oder Dylan, alles gewinnt in seinen Händen eine ganz eigene Note und Intensität.

Ich selbst habe ein Stück namens „Café Europa“ als Hommage an ihn geschrieben, in dem ich diesen
Gitarrenstil benutze, über das sich die Melodien aufbauen und verzweigen.

Last not least habe ich Richie Havens immer als einen großen Geschichtenerzähler wahrgenommen.
Er war einer, der die alten Träume von der Liebe und dem friedlichen Zusammenleben der Menschen
auf eine Weise erzählen konnte, dass man ihnen unbedingten Glauben schenkt, trotz aller
gegenteiligen Erfahrungen und Realitäten.

Dahinter stand ein Mensch von einer unglaublichen, alle umarmenden Warmherzigkeit, der sich nach
den Konzerten immer unter die Menschen begab. So hatte ich auch ein paar Mal Gelegenheit, mich
mit ihm zu unterhalten. Im KFZ Marburg wurden neben CDs auch Konzertfotos verkauft, und auf
einem Bild vom Herzberg-Festival entdeckte ich mich in der Menge und zeigte ihm das, worauf er mit
einem breiten Lächeln antwortete: „Oh, I didn’t recognize you. I apologize for that!“ Nahm den Stift,
signierte das Bild für seinen „fanboy“ und schrieb darunter: „A friend forever.“

Richie Havens wäre heute 80 Jahre alt geworden. Im Jahr 2013 ist er in Folge einer schweren
Nierenerkrankung leider verstorben. Seine Musik wird bleiben.

Der Link unten zeigt die faszinierende Kunst von seinen Interpretationen. Der Song „On the Turning
Away“ stammt eigentlich von David Gilmour und Anthony Moore und ist auf dem letzten Studio-
Album von Pink Floyd enthalten. Richie Havens hat diesen Song in unzähligen Konzerten als Zugabe
gespielt. Ganz allein, ohne Begleitung, manchmal, wie hier in der Studioaufnahme, nur mit einem
Bordun-Ton unterlegt. Darüber diese eindringliche Stimme, die diese Zeilen singt, in denen es darum
geht, sich nicht von den Schwachen und Leidenden abzuwenden. Ein Gebet, ein Glaubensbekenntnis,
ein großer spiritueller Gesang. Wer wie ich live erleben durfte, wie die Lichter verlöschen und der
Sänger eine Kerze anzündet und dieses Lied singt, der wird dies sein Leben lang nicht vergessen. -
Rest in peace and live on forever, Richie Havens!

Gereon Schoplick, Bad Wildungen, 21.1.2021

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