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lt:h habe zwei gute Stunden mit diesen so poetischen Texten verhr:1 ·h1,

Axel
dabei einen wunderbaren Dichter kennen lernen dürfen. Da ist ein1.;r :1111'
seine Weise liebend unterwegs, schwelgt in allen Sinnen und llil.\t tli ·
Sprache quellen. Edwin Kratschmer Axel Reitel ist ein Dichter, Lkr l ,i ·­
be noch buchstabieren kann, ohne dahinter zu verschwinden. Bers ·rl ·r
im Wort wie Heine und Rimbaud blitzen zwischen den Silben auf. l�xl 111·­
se in böhmische Landschaften und Atmosphären erinnern an den j11n1� ·11

Reitel
Reiner Kunze und Freunde. Susanne Altmann Die schönste Neuers ·h ·i­
nung des Jahres. Heinz Czechowski Andere Gedichte haben Ank1Un1 1 •
ans Märchen, an Hölderlin, an Celan, ohne damit den eigenen 'Ihn z11
verlieren. Wieder einmal: eine Lyrik zum Angewöhnen. Alexautle,- VOii
Bohrmann Reitels Gedichte sind mir nah, weil sie nah am Leb1.;n gi;­
schrieben wurden und daher eine Höhe erreichen, die man lyrischen En­
thusiasmus nennen könnte. Diese Verbindung macht ihn zu einem dcr1,;r,
die sich nicht in Fernsehshows herumtreiben und von denen es in
Deutschland schmerzlich wenige gibt: une poet maudit. Utz R11- Auswahl Edwin Kratschmer
chowski Der genaue Erzähler und sensible Lyriker wird künftig auch m i l
::.einen Liedern zu beachten sein. Seine als Chanson arrangierte Liebesur­
klärung an »Paris, Paris« ist ein Ohrwurm. Udo Scheer »Exkursion« b ·­
· Grafik von Hubertus Giebe
rührte mich besonders. Hannes Würtz In der Anspielung auf Ovid und
griechische Legenden sehe ich mittels der griechischen Klassik eine Aus­
einandersetzung mit der deutschen. Guy Stern Kein Gedicht bei Ax ·1
Reitel, das nicht von existentieller Dringlichkeit wäre. Marko Ma,-1i11

l Axel Reinhard Reitel, wurde am 7. April 1961


in eine von der S.D.A.G Wismut dominierten
Familie im vogtländischen Plauen geboren.
Zu den frühen Gedichtthemen gehören der
im DDR-Alltag zutage tretende Ost-West-
Zwiespalt. Für insgesamt vierundzwanzig
Monate gerät er zwischen 1978 und 1982 in
die Gefängnismühlen der Staatssicherheit.
1979-1981 privater Unterricht. Externes
Abitur. Im Stasi-Knast Cottbus nahm er Dezember 1981 am
offenen Gefangenenprotest gegen die Verhängung des Kriegs-
rechts in Polen teil. Im August 1982 erfolgte der Freikauf durch die
Bundesrepublik. Studium der Kunstgeschichte und der Philoso-
phie. Autor von rund 120 Veröffentlichungen, einschließlich
Radiofeatures und Radioessays (ARD-Hörfunk) Liedern (CDs),
Interviews, Essays, Kritiken, Kolumnen und Rubriken in
Tageszeitungen, Zeitschriften, Anthologien, Film und Funk.
Mitbegründer und Mit-Redakteur der Kulturzeitschrift

MärkischerVerlag
„Ostragehege“. Zahlreiche Auszeichnungen sowie nationale und
internationale Nominierungen. 2016 Solidarność-Dankbarkeits-
medaille und Dipl. h.c. des Europäischen Zentrums der Solidarność
in Gdańsk. Wichtigste Lyrikveröffentlichungen: das exil und der
sandberg, Gedichte 1976 – 1991; Liebe Anarchie (1996); Paris, Paris
(15 Gedichte zu 15 Gemälden von Hubertus Giebe, mit
Wilhelmshorst 2022·
eingesprochener CD); Herzflur (2014); Sommerofferte (2015).
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Roter Stein Liebeszonen

Roter Stein vom Ettersberg, Roter Stein, nicht Nacht, Jeden Sonntag am Rauchtisch ist nochmals Krieg,
Nacht, schwarze Limousine, sind Städte, die sich ihnen beugen wie Frauen.
Sechstürig wie der Tod, der sein Reich in Mohnblüten hat. Der Blinde sagt: wir sind willkommen wie man sieht.
Roter Stein der weißen Schatten, grau wie Rauch, Der Lahme: und wie schnell zusammengehauen.
Grausame Blume Wahrheit, wie Wasser
Nach dem Bade der geretteten Haut Die Zonen der Liebe sind verminte Gelände,
Die Geretteten weckt die Frühe der Träume die Welt hat einen zureichenden Grund.
Wie ein tanzendes und frostiges Licht. Es umfingen ihn ihre Hände,
Roter Stein Holunder, aufgehoben habe ich dich, was vorher eckig, war nun mehr rund.
nicht Nelke, nicht Mohn,
Tag im Monat Juley, im Herzen die Gnade der späten Geburt, doch bang
Drang eine Stimme, beauty face,
Aus einer Limousine schwarz am Ohr vorbei: Meursault
Heute kommt kein Zug mehr an! (Und lachte und fuhr weiter) für Hubertus Giebe
Roter Stein der weißen Schatten, grau wie Rauch,
Schwarze Stimmen sind zu hören, schwarze Schatten Mit einer Drehung des Schlüssels
Ein neues Nachtlied, Nelke Mohn, klingt wie ein uralt Lied heran - im Unkraut der Bürgersteige
Im Walde schlafen wieder die Vögel und brennenden Hölderlinstühlen,
die toten Generäle ruhen mit ihren Toten auch führt der Weg zum tobenden Haß
unten in den Städten spürest du
von solchen Morden kaum einen Hauch. Der Dienst des Fremden endet am Strand,
Alles behind und long ago, die Nächte haben bunte Lichter, Neon, Mohn, löscht Sommer mit gekrümmter Hand.
kaum noch Juden, 'n paar Maudits, die's auch nicht übersteh'n, Die kürzeste Begegnung am Venusbassin,
Bis dahin ab ins Dancehouse Funny, Veilchenschlager, Trips und Phon. ins Ungefüge schloss es dich ein.
Ach, Roter Stein vom Ettersberg, Holunder, Remember,
Alles auf einmal - auf meinem Vertiko im Kreis von Steinen aus
Solingen, Sarajevo, Jericho,
Liegst du so friedlich, draußen rufen die V ögel Fanny
über keinem Wipfel ist Ruh'.
Ich meide Schwermut, meine liebe Urgroßtante,
doch Du warst grade drei und die Faktoren des Unglücks
springen aufbewahrt von Mund zu Mund im Kreis der Familie.
Goethe aus Weimar, 1998 Eine Zeitmaschine, ja, aber du würdest auf andre Weise sterben.

Nachts regieren wieder die Steine, Ich denke DICH, warum aber am Meer, das ist das Rätsel,
die bewunderten Werte das wir sind. Auch hier ist nur ein Piatz zu einem Gebet ver­
versiegen in den Herzen aus Sand. mischt,
das zu allen Mächten dringt: und für die Wiedergeburt
sammeln wir Muscheln. Straßenschluchten. Verbrannt.

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Mozart Wieviel Liebe überlebt den langen pandemischen Winter?
. . . Mirblut' das Herz
Wenn ich daran gedenke . . . Wieviel Liebe überlebt den langen pandemischen Winter?
W. A. Mozart Wird es heifürn,
Um deinetwillen die Pandemie ist vorüber, die Welt blieb der Liebe treu?
trägt sie dich, weit und konsequent, Oder wandelt Vernunft sich zum Zugvogel
noch in die schwärzesten Hi_mmelssektoren - und zurückbleibt die Religion Egomanie?
Liegt der Himmel unter deinen eigenen Interessen?
die Hoffnung in d-Moll-, Siehst du in der Politik den tätigen Feind?
nur fünfzehn Takte, Es hieß, der Krieg war vorüber, die Welt verliebte sich neu.
dem Ungeliebten entronnen. Truman verhinderte vierunddreißig Atombomben auf China.
Wie froh war ich, Chi, als ich dich gestern sah,
Die Anwendung erlaubt uns nicht, was klang wie krachendes Glas liegt in den Ohren,
auf ihre Absichten zurückzuschließen. so sehr es uns reut.
Wird es der längste Film, den alle auf der Welt gemeinsam sehen?
Weder ist die Hoffnung blind, noch ist sie der Stein, Was gibt man allen uns zu verstehen?
der die Herzwand hinab stößt Defoe floh nach Oxford, wo die Seuche keinen auch nur berührt,
und wieder hinein. obwohl von ihrem himmelschreienden lästerlichen Hang
das Virus auf die ganze Nation übersprang.
Dein wacher Humor kam immer mit, Kommt unsere Welt noch in Gang, wo die Trauben darauf warten,
wie dein Gemüt, der Furz beim Komponieren in den Mund uns zu fallen im erhaltenen Menschenrechtsgarten?
der kleinen Nachtmusik, wie das liebe Vieh, Was ist nie zu viel gesagt? Was ist viel zu wenig gefragt?
- unzerrüttet-, zerrüttend nie. Wie wir mit Covid-19 geschlagen wurden
und drei Prozent der Menschheit starben?
Ad ovo ist nicht drin, doch macht nur ovo Sinn.
Erhalten wir uns. Freilich wird viel Liebe überleben,
Begegnung daß es heißt,
nach Frederico Garcia Lorca überleben Liebende die Liebe vielleicht nicht,
geht sie erreichbar voran und strahlt als immerwährendes Licht.
Nicht du nicht ich
sind vorbereitet einander zu begegnen,
du ... weißt schon, warum -,
ich habe sie zu sehr geliebt! Engelsturz
In den Händen
schmerzen noch die Nagellöcher - Engel fielen über Nacht
siehst du nicht wie ich Die Leere zu füllen
daran verblute? Den Hufschlag der Uhr zu enthüllen
Langsam geh weiter Umschlungen blieben wir verschont
und bete, bete wie ich Am Morgen standen die Wiesen voll Tau
zum heiligen Cajetan -
denn wir sind nicht
vorbereitet
einander zu begegnen.

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Der Aeroplan Genets Balkon, Schillertheater, West-Berlin 1983,
in memoriam Miriam Goldschmidt
New York, Manhattan Transfer, daran denkst du, für Ulrike und Hans Speidel
wie du nun losgehst oder zerstörte Liebe neu erbaust,
an die Jahre, nicht die Werte, meine ich, Die Generation Krieg inszeniert;
nicht gemessen an den Frühlingsbändern, die jugendliche Feuerwache in der Loge
wieviele Male du zurück an Lilith fielst bestaunt Hans Neuenfels' Inszenierung von Aufstand und Flamme
und sie als Racheengel in eines häßlichen Adonis Armen lag. und im Zeichen der Freiheit die in Höhen sich erhebende
Verlorener ward ihr einander nie Schauspielerin als D-Day-Mission Chantal,
als im Dezember, dort, am Toten Meer, den Ozean der Zeit im Oval der erhobenen Hände
mit einem Seitenblick nach Ur zurück, und einmal seine Hand, wirklich, dreißig Jahre später.
wo vor Ewigkeiten euer Garten war. Was mochte seine Empfehlung sein?
Die Adonisse, wie viele sind ihr seit jeher angehängt, Unter dem Tischtuch, im herzlichen Haus des Generals -
so auch in dieser Stadt, dessen Vater die NATO anführte, dessen Ablösung De Gaulle
die einmal mit dem Namen Klein Paris sich schmückte einrührte,
und in der heute das Feuer kalt in den Alkoven steigt, weil er, bevor er zum Widerstand neigte, Hitler Paris zeigte -,
geht es im Sommer niemals ohne Gartenpflicht - und dessen Frau Ri Künstlern vor allem den Vorzug gibt -.
Sie ging an dir vorüber hier jedenfalls ergreift sie seine Hand, wie Soldaten sich verdingen:
und gab nur ihre Laune zu bedenken, daß du jetzt keine Rolle spielst, wollte sie seinen toten Bruder und ihre tote Tochter
und du hörst die Schreber aus den anderen Gärten rufen: in Verbinden bringen?
Wind, Wind, so viele wir noch sind! Ach, auf Feuerwache, muss man wissen,
Nun gut, du schweigst darauf kann man alles sehen und muss nichts vermissen.
und siehst bis in den Winter ihren weinverweinten Blick.
Du denkst über ihre Tränen nach, die Gottes Augen zählen,
und was für Hörner du ihr aufgesetzt
und daß sie dies Geschenk nur dankend wiedergab. Epilog
Dann gehst auch du in eine Destille
und verlangst - nach Sprichwörter 31,6 -Alkohol bis an die Gürtellinie. Das Böse wandert,
Und wieder denkst du an eine Liebesnacht in Manhattan, die Freiheit steht nicht still,
dann fragst du nie mehr. wer für sich mäandert,
Nichts, nichts weiß dein Herz, braucht weder Druck noch Drill.
wenn sie wieder vorübergeht mit offenem Haar,
nur dieser Frost, den du in deinen Schuhen spürst,
treibt dich zurück, zu diesem Aeroplan, vergangenes Jahr.·

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