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G.W.F.

HEGEL

VORLESUNGEN

AUSGEWÄHLTE NACHSCHRIFTEN
UND MANUSK RIPTE

9
GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL

VORLESUNGEN
Ausgewählte Nachschriften
und Manuskripte
Band 9

FELIXMEINER VERLAG
HAMBURG
G.W. F. HEGEL · VORLESUNGEN · BAND 9
GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL

Vorlesungen
über die Geschichte
der Philosophie
Teil4
Philosophie des Mittelalters
und der neueren Zeit

Herausgegeben von
PIERRE GARNIRON
und
WALTER JAESCHKE

FELIXMEINER VERLAG
HAMBURG
Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprüng-
lichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für un-
vermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung
geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod.

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in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­sche
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isbn 978-3-7873-0639-8
ISBN eBook: 978-3-7873-2537-5

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1986. Alle Rechte vorbehalten.


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BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier,
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INHALT

Vorbemerkung der Herausgeber VII

Die zweite Periode


Die Philosophie des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1. Die Kirchenväter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2. Die Philosophie der Araber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
3. Die Scholastiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Die Hauptmomente der scholastischen Philosophie. . . . 31
Der Beginn der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Die philosophische Betrachtung der Kirchenl~hre . . . 3~
Die Ausbildung der Theologie durch die Schola-
stiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Realismus und Nominalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Lehrbegriff und Formalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Die Mystiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
4. Renaissance und Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Das Interesse an der alten Philosophie . . . . . . . . . . . . . 48
Die besonderen Individuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Die Reformation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Die dritte Periode


Die neuere Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
1. Bacon und Böhme . . . ..... ............. ....... 72
Francis Bacon . . . . . ..... ............. ....... 74
Jakob Böhme . . . . . ..... ............. ....... 78
2. Descartes und Spinoza ..... ............. ....... 88
Rene Descartes . . . . ..... ............. ....... 90
Benedict Spinoza . . ..... ............. ....... 102
Nicolas Malebranche ..... ............. ....... 113
3. Locke und Leibniz . . . ..... ............. ....... 116
John Locke. . . . . . . ..... ............. ....... 116
VI Inhalt

Hugo Grotius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123


Thomas Hobbes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
Gottfried Wilhelm Leibniz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Christian Wolff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Metaphysische und populäre Philosophie . . . . . . . . . . . 140
David Hume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
4. Kant, Fichte und SeheHing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
lmmanuel Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Johann Gottlieb Fichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
Friedrich Heinrich Jacobi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Friedrich Wilhelm Joseph SeheHing . . . . . . . . . . . . . . 179

Anhang
Zeichen, Siglen, Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Zur Konstitution des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Bibliographie der Quellen zur Geschichte der Philosophie. 417
Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
VORBEMERKUNG DER HERAUSGEBER

Umstritten ist heute, ob Hegels Vorlesungen über die Geschichte der


Philosophie überhaupt ein Teil seines Systems der Philosophie seien oder
ob sie gar dessen krönenden Abschl~ß bildeten, wie zumindest einige seiner
Schüler annahmen. Unbezweifelt ist hingegen die große Bedeutung, die
Regel selbst ihnen beimaß, welchen bestimmten systematischen Stellenwert
er der Geschichte der Philosophie auch eingeräumt haben mag: Ihr Stu-
dium ist das Studium der Philosophie selbst. Anderenfalls hätte er kaum so
regelmäßig und so auiführlich über die Geschichte der Philosophie gelesen-
schon in Jena 1805/06, später in Heide/berg 1816/17 und 1817/18 und
schließlich in Berlin im Sommer 1819 sowie im Wintersemester 1820/21
und dann im zweijährigen Turnus 1823/24, 1825/26, 1827/28,1829/30.
Auch im November 1831, wenige Tage vor seinem Tode, hat Regel er-
neut mit dieser Vorlesung begonnen, aber nicht einmal die Einleitung zu
Ende vortragen können.
Hegcls Schüler dürften seine Ansicht von der Wichtigkeit dieses Themas
geteilt haben. Denn keine seiner Vorlesungen ist heute in mehr Nachschrif-
ten überliefert als das Kolleg über Geschichte der Philosophie, und keine
füllt in der ersten, von Karl Ludwig Michelet besorgten Edition im
Rahmen der Freundesvereinsausgabe so viele Seiten wie gerade dieses
Kolleg. Anders jedoch als bei all den übrigen Kollegien, die Regel nicht an
Hand gedruckter Kompendien, sondern eigens ausgearbeiteter Manuskripte
vorgetragen hat, sind diese Vorlesungen seitdem nicht mehr als Ganzes neu
ediert worden. Dies dürfte weniger einem mangelnden Interesse an ihnen
zuzuschreiben sein als vielmehr der Ungunst der Verhältnisse. Einen An-
satz zu einer Neuausgabe hat im Jahre 1940 Johannes Hoffmeister unter-
nommen. Sein Band Hegel: System und Geschichte der Philosophie.
umfaßt jedoch nur die Einleitung und einen Abschnitt über die orientalische
Philosophie, die für Regel vor die eigentliche Geschichte der Philosophie
fällt. Eine Weiterführung ist nicht mehr erschienen. Der die Einleitung
umfassende Teil der Ausgabe Hoffmeisters ist auch gegenwärtig erhältlich
unter dem Titel Hegel: Einleitung in die Geschichte der Philoso-
phie. Herausgegeben von Johannes Hoffmeister. 3., gekürzte Auflage
vm Vorbemerkung der Herausgeber

1959, besorgt von Friedhelm Nicolin. Unveränderter Nachdruck Harnburg


1966.
Hoffmeisters Edition ist die einzige unter den früheren Editionen von
Vorlesungsnachschriften, der man einen kritischen Charakter zuerkennen
kann. Gleichwohl versteht sich die hier vorgelegte Neuausgabe nicht als
deren Fortsetzung. Sie beabsichtigt aber auch nicht, die alte Ausgabe des
Freundesvereins zu ersetzen. Neben mehreren Nachschriften der Schüler
stand dem Erstherausgeber auch Hegels eigenhändiges, a~f die erste Vor-
lesung in Jena zurückreichendes Kollegheft mit den späteren handschrift-
lichen Ergänzungen zur Veifügung. Bis auf die Manuskripte zur Einlei-
tung in die Geschichte der Philosophie aus Heidelberg und Berlin sind
diese Materialien heute verschollen. Trotz dieses Verlustes erlaubte die
gegenwärtige Oberlieferungslage jedoch, wenigstens sämtliche sechs Ber-
liner Kollegien und den Beginn des siebenten zu edieren, in ähnlicher
Weise wie die Vorlesungen über die Philosophie der Religion (Hegel:
Vorlesungen. Bde 3-5). Auch in den Vorlesungen über die Geschichte
der Philosophie hat Hegel seinen früheren Vortrag niemals bloß wieder-
holt, ohne zugleich Änderungen am Wortlaut und auch an der Anordnung
der Gestalten der Philosophiegeschichte vorzunehmen. Die Differenz
zwischen den philosophiegeschichtlichen Kollegien ist jedoch von anderer
Art als diejenige zwischen den Vorträgen derjenigen Disziplinen - wie
z. B. der Religionsphilosophie -, deren systematische Form Hege/ allererst
im Verlauf mehrerer Semester gewonnen hat. Hegel setzt meh~fach neue
Akzente, behandelt einmal diesen, ein anderes Mal jenen Abschnitt aus-
führlicher. Einige alte Themen entfallen, neue treten hinzu. Aber wenn er
auch öfters in der Anordnung einzelner Philosophim variiert- etwa in der
Stellung der schottischen und der französischen Philosophie des 18. Jahr-
hunderts gegenüber Hume -, so ist doch der Aufriß des Gattzen hier durch
die Chronologie vorgegeben. Die Eigenart dieser Überarbeitungen wird
das Vorwort der Herausgeber zum ersten Teil dieser Vorlesungen aus-
führlich darlegen. Nicht allein aus Gründen der Arbeitsersparnis schien
deshalb ein serieller Abdruck sämtlicher Kollegien nicht angezeigt. Er
hätte lediglich eine enorme Aufblähun,~ des Umfangs der Ausgabe zur
Folge gehabt, ohne den philosophischen Ertrag auch nur in annähernd
ähnlichem Maße zu steigern.
Die neue Edition gibt deshalb den Teil für das Ganze: den Vortrag aus
dem Wintersemester 1825/26 an der Friedrich Wilhelms-Universität Ber-
Vorbemerkung der Herausgeber IX

lin. Daß dieser und nicht ein anderer Jahrgang ausgewählt wurde, liegt
nicht daran, daß er inhaltlich einen besonderen Vorzug vor dem der ande-
ren Semester genösse. Es hat vor allem den pragmatischen Grund, daß
dieser Vortrag gegenwärtig weitaus am besten- durch fünf Nachschr!fien-
belegt ist. Daneben wurde aber auch berücksichtigt, daß der Vortrag dieses
Semesters mit den meisten anderen in den Grundzügen übereinstimmt -
anders als etwa der Vortrag 1823/24, der einige Eigentümlichkeiten auf-
weist, aber gleichwohl vom Erstherausgeber Michelet der Konzeption des
Ganzen zu Grunde gelegt worden ist.
Wegen dieser Beschränkung auf ein einziges Kolleg ist die Neuausgabe
zwar nicht so materialreich wie die frühere. Sie gewährt jedoch erstmals
einen Einblick in Hegels wirklichen Vortrag dieses Teils seiner Philosophie
im Verlauf eines Semesters - an Stelle der früheren Kompilationen voll
Vorlesungsmanuskripten Hegels und Nachschr!fien seiner Schüler aus
nahezu drei Jahrzehnten. Und nicht allein die Konzeption eines Kollegs
ist hier authentisch wiedergegeben - auch der hier hergestellte Text kann
als erheblich zuverlässiger gelten als in denjenigen Partien des Kollegs
1825/26, die Michelet in die alte Ausgabe aufgenommen hat, und ebenso
in den anderen auf Nachschr!fien gestützten Partien. Unerreichbar bleibt
einer Nachschr!fienedition freilich die Authentizität des Wortlauts eines
Hegeischen Manuskripts. Doch ist dieser Einwand fiir die gegenwärtige
Interpretation von He,itels Darstellung der Geschichte der Philosophie
unerheblich, da aus den alten Ausgaben allein gar nicht ersichtlich ist,
welche Partien auf Hegeischen Handschr!fien beruhen. Dies kann nur
mittels eines sehr aufwendigen quellenkritischen Verfahrens aus den frühe-
ren Editionen näherungsweise ermittelt werden. Zum ei1te11 lassen sich auf
diese Weise durch Identifikation mit den Nachschr!fien Partien ausgrenzet!,
von denen man mit Grund behaupten kann, daß sie dem Berliner Vortrag
einzelner Kollegien zu Grunde gele,iten haben. Es ist gleichsam eine List
der Editionstechnik, dqß sich beim Versuch der Rekonstruktion des Wort-
lauts eines Kollegs auch Hinweise auf die diesem Vortrag zu Grunde
liegenden Manuskripte finden und die Manuskripte selbst atmäherullgs-
weise bestimmen lassen. Und zum anderen lassen sich durch Subtraktion
zum Teil Utf!fangreiche Partien ausgrenzen, von denen man mit Sicherheit
sagen kann, daß sie nicht auf Nachschr!fien irgendeines der Berliner Kol-
legien zurückgehen. - Ein weiteres Novum der Neuausgabe bilden die
Ulf!{angreichen Anmerkungen, die einen genauen Vergleich der Quellen
X Vorbemerkung der Herausgeber

Hegels und seiner Darstellung - oder doch den Nachschriften seiner Dar-
stellung - erlauben und dadurch zugleich eir1en Einblick in Hegels Ar-
beitsmethode gewähren. Ein Register zu allen vier Teilen der philosophie-
geschichtlichen Vorlesungen wird dem zuletzt erscheinenden dieser Teil-
bände beigegeben werden.
Die hier vorgelegte Neuausgabe ist aus einem Plan der beiden Heraus-
geber zur Publikation ursprünglich nur einer einzigen der Nachschr!ften
des Kollegs 1825/26 erwachsen. Der Vergleich mit den anderen Nach-
schriften dieses - und nicht nur dieses - Kollegs hat jedoch zu der
Einsicht geführt, daß die Publikation einer einzigen Nachschrift- welcher
auch immer-mtschieden zu fehlerhaft und deshalb nicht vertretbar ge-
wesen wäre. Es hätte in diesem Falle Uff!{angreicher Korrekturen bedurft,
die doch allein unter Berufung auf den Jeweils von den anderen Nach-
schriften ü.berlieferten Text zu rechtfertigen gewesen wären. Deshalb
wurde der urspüngliche Plan erheblich ausgeweitet. Eine kurze Infor-
mation über die Editionsmethode geben im Anhang die Bemerkungen
Zur Konstitution des Textes; eine auiführliche Darlegung wird das
Vorwort der Herausgeber zum ersten Teil dieser Vorlesungen enthalten,
der al: Band 6 dieser Reihe Hegel: Vorlesungen. erscheinen wird.
Dieser Erweiterung des ursprünglichen Planes wegen konnte die Neu-
ausgabe nur dank der Unterstützung der beiden Herausgeber durch Dritte
verwirklicht werden. Es galt zunächst, Transkriptionen nicht allein der
füf!{ erhaltenen Nachschriften des Kollegs 1825/26, sondern auch der
übrigen Nachschriften herzustellen. Für die Mitwirkung bei diesen lang-
wierigen - langjährigen - Arbeiten sei Gudrun Sikora und Dora Braun
sehr herzlich gedankt, ebenso fiir die Herstellung der Druckvorlage des
Textes und der Anmerkungen. Ilona und Barbara Jaeschke gilt der Dank
für die Hilfe beim Lesen der Korrekturen.
Anderer Art ist die Förderung, die die Ausgabe von seiten mehrerer
Institutionen erfahren hat. Die Arbeit der Herausgeber steht einerseits im
Zusammenhang der Edition der Heidelberger und Berliner Vorlesungs-
manuskripte Hegels sowie der Vorbereitungen für die Edition der Vor-
lesungsnachschriften im Rahmen der - von der Rheinisch-Westfälischen
Akademie der Wissenschaften herausgegebenen - Gesammelten Werke
Hegels. Andererseits bildet sie einen Teil eines I'Om Centre National de la
Recherche Scienti.fique, Paris, unterstützten Projekts zur philosophischen
wie auch zur iibersetzerischen und editorischen Erschließung der Vorle-
Vorbemerkung der Herausgeber XI

sungen Hegels über die Geschichte der Philosophie. In diesem Rahmen


sind in den zurückliegenden Jahren sechs Bände eir1er auf sieben Bände
geplanten französischen Übersetzung und Kommentierung der Erstausgabe
der Regelsehen Vorlesungen erschienen (Hegel: Le<;:ons sur l'histoire de
la philosophie. Traduction, annotation, reconstitution du cours de
1825-1826 par Pierre Garniron. Paris: Vrin 1971-1985). In derz
Bänden 5 und 6 sind dort - in der Übersetzung der Ausgabe Michelets -
die Elemente des Kollegs 1825/26 in der Nachschrift v. Griesheim identi-
fiziert worden, so daß ein Vergleich der vorliegenden Ausgabe und der
Werke durchgeführt werden kann. Die Deutsche Forschungs,rsemeinschcift
hat diese Arbeiten im Rahmen des deutschfranzösischen Austausches vo11
Wissenschciftlem durch die Gewährung von Aufenthaltskosten finanziell
unterstützt.
Dankbar genannt seien schließlich die Handschriftenabteilung der
Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, das Hegel-Arclziv der
Ruhr-Universität Bochum und die Bibliothek der Polnischen Akademie der
Wissenschciften, Abt. Krak6w. Sie haben den Herausgebem die Erlaubnis
zur Benutzung und Publikation der fünf Quellen erteilt und dadurch die
Ausgabe in ihrer vorliegenden Gestalt ermöglicht.
86-87 1

DIE ZWEITE PERIODE


DIE PHILOSOPHIE DES MITTELALTERS

Die erste Periode umfaßte etwa 1000 Jahre, von Thales 550 a. Chr. n.
* bis Proclus, der 485 p. Chr. n. starb, und bis zum Untergang der
s äußeren Etablissements der heidnischen Philosophie 529 p. Chr. n.
Die zweite Periode reicht von da bis in das 16. Jahrhundert und
umfaßt so wieder 1000 Jahre, über welche wir wegzukommen
Siebenmeilenstiefel anlegen wollen.
In dieser zweiten Periode hat die Philosophie nun ihre Stelle in der
10 christlichen Welt; Araber und Juden sind nur äußerlich, geschicht-

lich zu bemerken: Es ist eine neue Religion in der Welt aufgegangen,


* das Christentum. Mit der Idee desselben sind wir durch die neuplato-
nische Philosophie schon in Bekanntschaft getreten. Denn sie hat zu
ihrem wesentlichen Prinzip, daß das Anundfürsichseiende, Gott, der
15 Geist ist, und darin ist zugleich bestimmt ausgesagt, was der Geist ist,
daß er nicht ein leeres Wort, eine bloße Vorstellung überhaupt ist,
sondern daß Gott als Geist auf konkrete Weise bestimmt wird. Nur
das Konkrete ist das Wahre, nicht aber das Abstrakte; obgleich es
auch Denken ist, so muß es doch, um wahr zu sein, in sich selbst
zo konkret sein. Das Konkrete ist das Absolute und so der an und für
sich seiende Geist. Dieses Konkrete haben wir in den bisherigen
Formen gesehen. Die nähere Gestalt desselben in der christlichen
Religion ist, daß es dem Menschen ins Bewußtsein gekommen,
offenbar geworden ist, was Gott wahrhaft ist; in näherer Bestim-
zs mung: Zum Bewußtsein gekommen ist die Einheit der göttlichen
und menschlichen Natur, diese an und für sich seiende Einheit, das
Ansichsein der Einheit der göttlichen und menschlichen Natur. Dies
Ansich [ist] als das Erste [zu betrachten]. I
Der Kultus oder das christliche Leben ist dann, daß das Indivi-
30 duum, das Subjekt, selbst in Anspruch genommen wird, gewürdigt

4-5 und ... p. Chr. n. so Gr


10-11 Araber . . . bemerken so Gr, ähnlich Lö
18-19 obgleich . . . sein so Gr, ähnlich U
2 Philosophie des Mittelalters 87-88

wird, für sich zu dieser Einheit zu gelangen, sich selbst zu würdigen -


daß dieser Geist Gottes, die Gnade, wie es genannt wird, in ihm
wohne. Das ist die Lehre von der Versöhnung. Gott wird jetzt *
gewußt als sich versöhnend mit der Welt; daß er sich versöhnt,
heißt, wie wir bei der neuplatonischen Philosophie gesehen haben, *
daß Gott nicht das Abstrakte ist, sondern das Besondere, und dazu
gehört der Kreis der Besonderheit, das, was wir die Welt nennen.
Dies ist nicht bloß die äußerliche Natur, sondern insbesondere die
menschliche Individualität. Das Interesse des Subjekts ist hier ein
Hauptmoment, daß Gott ein Geist sei, daß er realisiert sei und daß er 40

sich realisiere in dem Bewußtsein der Individuen, derer, die Bewußt-


sein haben, die an sich geistig sind. Zu diesem Realisieren in ihnen
gehört, daß diese, weil sie Geist und frei an sich sind, durch den
Prozeß an ihnen selbst diese Versöhnung vollbringen, daß sie das,
was sie sind, Geist, frei an sich, zu ihrer Freiheit verwirklichen, d. h. 45

daß sie zu dem Bewußtsein der Gnade Gottes gelangen - daß der
Geist, die Gnade Gottes in ihnen ist; sie versöhnen sich damit. Das
Konkrete in Ansehung Gottes, der absoluten Idee, ist eben: das
Weltliche in Gott sehen, das Andere Gottes in ihm sehen, in Gott
wissen, aber nicht auf eine unmittelbare, sondern auf eine geistige 50
Weise. In den älteren Religionen ist das Göttliche auch vereint mit
dem Natürlichen, dem Menschlichen, aber nicht versöhnt, sondern
nur vereint auf natürliche Weise; die Einheit Gottes mit dem Natür-
lichen, mit dem Menschen ist da eine unmittelbare und so eine geist-
lose Einheit, eben weil sie nur natürlich ist; geistige Einheit ist sie 55
nur, insofern der Geist konkret, lebendig ist, der Prozeß diese Einheit
und Freiheit in sich selbst erst hervorbringt. Der Geist ist nicht natür-
lich; er ist erst das, wozu er sich macht. Die nicht hervorgebrachte
natürliche Einheit ist die geistlose, die hervorgebrachte Einheit da-
gegen ist die geistige. Zu dieser Hervorbringung der Einheit gehört 60

die Negation des Natürlichen. Weil das Natürliche I das Unmittel-

32 wie . . . wird so Gr
36 sondern . . . dazu] so Lö", ähnlich HcPi; Gr: daß er sich besondert, und
zum Besonderen
44-45 daß . . . sich, so Gr
58-59 Die . . . Geistlose, so Gr, ähnlich Lö
88 Philosophie des Mittelalters 3

* bare, das Geistlose ist, muß es negiert werden. Das Fleisch - wie die
Theologen es nennen-, das Natürliche ist das, was nicht sein soll; die
Natürlichkeit ist das, worin der Mensch nicht sein, nicht bleiben soll.
65 Die Natur ist böse von Hause aus. Das Natürliche, Geistlose also ist,
* was nicht sein soll. Der Mensch ist an sich das Ebenbild Gottes in der
Existenz, nur ist er natürlich. Das, was an sich ist, soll zum Fürsich-
sein gebracht, hervorgebracht werden; die erste Unmittelbarkeit soll
aufgehoben werden, [die Unmittelbarkeit] soll hervorgebracht
10 werden. Das ist die Idee des Christentums überhaupt.
Um die Idee des Christentums zu fassen, anzuerkennen, muß man
nun die Idee für sich erkannt haben und zum Wissen gekommen
sein, daß diese allein das Wahrhafte ist. Bei den Neuplatonikern
* haben wir die Idee in ihrer Allgemeinheit gesehen, aber es ist nicht
75 bewiesen, daß die Dreieinigkeit das Wahre ist. Man muß zu dem
* Bewußtsein gekommen sein, daß dies allein das Wahrhafte ist. [Die]
oucr[ot [ist] als Einheit des Unendlichen und [des] 7tepot~; aus der
oucr(ot geht das zweite hervor; dies [sc. das Hervorgehen] ist aber
* selbst eine unmittelbare Weise, und es macht das Ermüdende bei
80 Plotin, Proclus usw. aus. Auch eine dialektische Weise kommt hin-
ein, indem die Gegensätze, die als absolut genommen werden, auf
ihre Einheit zurückgebracht werden. Diese Methode ist mehr nur
vereinzelt dialektisch. Um das, was das Prinzip des Christentums ist,
als Wahrheit zu erkennen, muß die Wahrheit der Idee, des Konkre-
85 ten, des Geistes als Geistes erkannt sein, und dies ist die eigentümliche
* Form bei den Kirchenvätern.
Es kommt also darauf an, daß das Weltliche, das Besondere nicht
mehr in seiner Unmittelbarkeit gelassen werde, sondern daß es als
Allgemeines, Intellektuelles, als in Gott seine Wurzel, seine Wahrheit
90 habend betrachtet wird, wodurch Gott als konkret gedacht wird.
Unter dem Weltlichen nun, welches so in Gott aufgenommen wird
(in Gott ist es nur in seiner Wahrheit, nicht in seiner Unmittelbarkeit

62-63 wie . . . nennen so Sv


66-67 Der . . . natürlich so Gr
75-76 Man ... ist. so Gr
79-80 und ... aus.] so Gr; Lö: In dieser formellen Weise geht es fort.
85-86 und ... Kirchenvätern. so Gr
4 Philosophie des Mittelalters 88-89

aufgenommen, und darum eben ist es nicht das, was wir Pantheismus
heißen, in dem die irdische Gestalt nach ihrer unmittelbaren Natür-
lichkeit gefaßt wird), I was sich in Gott wissen soll, ist der Mensch. 95

So ist die Bestimmung Gottes als der erste Mensch, der Erstgeborene *
Sohn gefaßt. Diese Einheit ist die Einheit an sich, die konkrete Idee,
aber die konkrete Idee an sich nur.
Das zweite, was in dieser Rücksicht zu bemerken ist, ist, daß das,
was wir die natürlichen Dinge nennen, nur in ihrem Ansich bleiben, 100

oder ihre Wahrheit tritt nicht in ihre Lebendigkeit ein; ihre Leben-
digkeit ist ihre natürliche Einzelheit, denn die natürlichen Dinge
existieren als einzelne, Individuen, aber eben ihre Einzelheit ist eine
unmittelbare, nur etwas Vorübergehendes. Die Einzelheit hat nicht
das Umkehren, das Zurückschauen auf ihr Wesen, auf das, was sie an 105

sich ist. Dies ist das Unglück der natürlichen Dinge. Die Wahrheit ist
nicht für die natürlichen Dinge. Eben darin liegt, daß sie nicht zur
Freiheit kommen, sondern nur in der Notwendigkeit bleiben, d. h.
daß einzelne zusammenhängen mit einem Anderen, Fremden, das
Gewalt über sie ausübt, so daß, wenn sich dies Andere vereinigt mit 110

den natürlichen Dingen, diese nur zugrunde gehen; sie können den
Widerspruch nicht ertragen. Der Mensch aber ist dessen fähig, als
Bewußtsein, daß für ihn das Wahre ist und daß er darin die Be-
stimmung zur Freiheit hat, das Ewige, das Anundfürsichseiende zu
wissen, sich in ein Verhältnis zu demselben zu setzen. Dieses Wissen 115

zum Zwecke haben, zu seinem Zwecke haben: Das ist Befreiung des
Geistes. Das Bewußtsein bleibt darin nicht als natürliches, sondern als
geistiges, d. h. daß für ihn [sc. den Menschen] sei das Ewige, die
Wahrheit. Das Bewußtsein ist also wesentlich dieser Prozeß, nicht in
der unmittelbaren Natürlichkeit stehenzubleiben, sondern einen 120

Prozeß durchzugehen, wo das Ewige, Wahre ihm als sein Wesen


zum Gegenstand, zum Zwecke wird.
Dies ist nun die Idee des Christentums. Gott wird als sich selbst
unterscheidend, als konkret gefaßt, und darin liegt die Vermittlung,
der Zusammenhang mit dem, was wir Bewußtsein nannten, daß der 125

106 Dies . . . Dinge. so Lö, ähnlich Gr


123-124 Gott . . . gefaßt] so He; Lö: Im Wahren, in Gott, indem er sich
selbst unterscheidet und die Momente des Unterschieds festhält,
89-90 Philosophie des Mittelalters 5

Mensch die Wurzel seiner selbst in Gott sieht- die Wurzel aber nur
so, daß er dann selbst diesen Prozeß in sich I zu vollbringen hat, um
zu diesem seinen Ursprung, zu dieser seiner Wahrheit zu gelangen.
Dies ist die Grundidee des Christentums. Jetzt macht man sich
13o verschiedene Vorstellungen davon. Einerseits ist dies eine historische
Frage, ob jenes wirklich die Idee des Christentums sei. Die Idee des
Christentums ist verschieden gefaßt worden zu verschiedenen Zeiten.
Die Antwort zu geben, daß es historisch die Idee des Christentums
ist, wäre Erörterung, die nur auf historische Weise zu führen wäre.
* Einerseits geht uns die historische Erörterung hier nichts an; wir
können es als Lemma, Lehnsatz aus der Philosophie der W eltge-
schichte aufnehmen. Insofern das Christentum auch in die Geschichte
der Philosophie fällt, so hat jene Idee des Christentums hier eine
andere Stellung als sie nach äußerer historischer Betrachtung haben
140 würde. In der philosophischen Geschichte muß diese Behauptung die
Gestalt haben, daß in der Welt notwendig diese Idee hervorgetreten
ist, und zwar als Idee von Gott, d. h. daß diese Idee der Inhalt des
allgemeinen Bewußtseins, des Bewußtseins der Völker geworden ist,
d. h. daß diese Idee allgemeine Religion der Völker geworden ist. In
145 der philosophischen Geschichte ist der Inhalt dieser, daß der Begriff
des Geistes zum Grunde gelegt wird und nun die Geschichte der
Prozeß des Geistes selbst ist, sich zu diesem Standpunkt seines Selbst-
bewußtseins zu erheben. Geschichte ist der Weg des Geistes, aus
seinem ersten ungründlichen, eingehüllten Bewußtsein sich zu ent-
150 hüllen und zu diesem Standpunkt seines freien Selbstbewußtseins zu
* kommen; daß das absolute Gebot des Geistes: »Erkenne dich selbst«
erfüllt werde.
Dies hat nun in dem Zusammenhang mit den bisherigen Gestal-
tungen sich gezeigt, daß diese Idee des Christentums hat hervortreten
155 müssen. Daß sie als Weltreligion aufgetreten, gehört mehr der Ge-
schichte an. Daß sie aber im Zusammenhang mit der Philosophie als
solcher aufgetreten ist, das ist schon aus dem Gesagten klar gewor-

129 Dies ist] so HcLö; Gr: Dies wird angegeben oder wird behauptet als
Pi: Dies soll . . . sein
137 das Christentum] so He; Pi: es Lö: dies GrSv: diese Frage
140 philosophische Geschichte] so GrPiHc; Lö: Geschichte der Philosophie
6 Philosophie des Mittelalters 90-91

den. Diese Notwendigkeit dieser Idee des Christentums ist es, die in
der Philosophie der Geschichte näher darzulegen ist. Das Erkennen *
dieser Notwendigkeit hat man teils genannt das Konstruieren der 160

Geschichte a priori und hat es als unzulässig und übermütig ver-


schrien. Man stellt sich andererseits das Christentum I entweder als
reine Zufälligkeit vor, oder, wenn es Ernst ist mit der Vorsehung
und Weltregierung Gottes, so stellt man es sich so vor, daß das
Christentum in Gottes Kopfe fertig gewesen sei, und es erscheint 16S

dann als zufällig, daß es jetzt erst in die Welt geworfen ist; man kann
auch sagen: Es ist Gottes ewiger Ratschluß gewesen, es nun in die
Welt treten zu lassen.
Das Vernünftige aber hierbei und damit das Notwendige dieses
Ratschlusses Gottes will man nun erkennen. Diese Betrachtung kann 110

eine Theodizee, eine Rechtfertigung Gottes genannt werden; es ist


ein Aufzeigen, daß es vernünftig in der Welt zugegangen. Aber
näher ist es eine Berichtigung unserer Idee und Vorstellungen, und
diese Theodizee enthält, daß die Geschichte und das Hervortreten des
Geistes gehört zu dem Prozeß des Geistes, sein Erkennen, sein Be- 11s

wußtsein über sich selbst zu erlangen, zum Teil als Geschichte des
Geistes, der sich in sich zu reflektieren hat, zum Bewußtsein seiner zu
gelangen, wie wir oben gesehen haben. Und dies legt sich in der *
Geschichte als in der Zeit fortgehend dar. Indem hierbei voraus-
gesetzt wird, daß diese Idee allgemeines Bewußtsein, allgemeine 18o

Religion hat werden müssen, so liegt eine Quelle einer eigentüm-


lichen Gestalt dieser Idee für das besondere Bewußtsein darin. Ter- *
tullian sagt: Jetzt wissen die Kinder von Gott, was die größten
Weisen des Altertums nicht gewußt haben; also diese Idee sollte
allgemeine Religion werden; sie tritt zugleich in die Form des äußer- 185

liehen Bewußtseins, sie behält und erhält nicht bloß die Form des
allgemeinen Gedankens - das wäre sonst eine Philosophie, und dies
ist der Standpunkt der Philosophie, die Idee in der Form des Den-
kens, nicht wie die Idee für das Subjekt ist, an dieses gerichtet ist.
Diese eigentümliche Form, wodurch diese Idee als Religion ist, 19o

182 besondere so Gr
188-189 die ... ist.] so Gr, ähnlich Lö; He: daß die Formen des allge-
meinen Denkens hervortreten.
91-92 Philosophie des Mittelalters 7

gehört in die Geschichte der Religion, d. h. ihre Entwicklung, ihre


Form, und wir haben es hier auf der Seite liegen zu lassen.
Ein Beispiel ist jedoch hier anzugeben. Die Lehre von der Erb-
sünde ist bekannt. Diese enthält das, daß unsere ersten Eltern gesün-
195 digt haben, böse geworden sind, und dies Bösesein sei als eine erb-
liche Krankheit zu allen Menschen hindurchgedrungen und sei auf
die spätesten Nachkommen gekommen, als etwas Angeerbtes, Ange-
borenes, das nicht zur Freiheit des Geistes gehöre, nicht in der Frei-
heit seinen Grund habe; sondern es sei nur äußerlich angetan, durch
200 die Erb llichkeit ist es an sie gekommen. Der Mensch verdiene um
* dieser Erbsünde willen Strafe, ziehe Gottes Zorn auf sich. Man hat
wohl um dieser Form willen den ganzen Inhalt verworfen. Es sind
darin enthalten zuerst die ersten Eltern, nicht das Prius dem Gedan-
ken nach, sondern der Zeit nach. Der Gedanke von diesem Ersten ist
2o5 nichts anderes als der Mensch an und für sich (Adam); was von dem
Menschen als solchen prädiziert wird, ist hier in der Form des ersten
Menschen, und bei diesem ersten Menschen stellt [man] sich das
Böse auch als etwas Zufälliges vor, daß er sich habe verführen lassen,
* vom Apfel zu essen. Es wird gar nicht bloß gesagt, Adam habe von
210 irgendeinem Baum die Frucht gebrochen, sondern es wird hinzu-
gesetzt, vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Der
Mensch muß von diesem Baum brechen, sonst ist er kein Mensch,
sondern ein Tier. Der Grundcharakter des Menschen ist hier in dem
* Unterschied des Guten und Bösen angegeben. Es heißt ferner, die
21s Schlange habe Adam verführt, indem sie gesagt: er werde werden
wie Gott. Dies war aber nicht eine Lüge der Schlange, sondern Gott
selbst bestätigte es nachher, indem er sagte: ))Siehe, Adam ist worden
wie unser einer; er weiß, was gut und böse ist.« Ganz allein dadurch,
daß der Mensch ein Denkendes ist, macht er den Unterschied von
220 Gut und Böse. Darin liegt, daß das Denken des Menschen allein die
Wurzel des Guten und Bösen ist. Aber er muß dazu kommen, wenn
er nicht Tier bleibt. Das Tier ist nicht böse, weil es nicht denkt. Das

213-214 ist . . . angegeben.] so He, ähnlich Pi; Gr: wodurch er sich vom
Tier unterscheidet, ist, daß er weiß, was Gutes und Böses ist;
222 nicht böse,] so He; Lö: weder gut noch böse
8 Philosophie des Mittelalters 92-93

Denken enthält aber auch die Heilung des Übels, das durch das
Denken angerichtet wird.
Ferner wird gesagt, der Mensch sei von Natur böse, der Mensch *
an sich. Das scheint ein hartes Wort zu sein, daß der Mensch an sich,
von Natur böse sei. Aber wenn wir dies harte Wort weglassen, von
Strafe Gottes usf., und mildere Worte dafür gebrauchen, so müssen
wir sagen, daß der Mensch, wie er von Natur, unmittelbar ist, das
ist, was er nicht sein soll, sondern daß er als Geist die Bestimmung 23o
hat, für sich zu werden, was er natürlich nur noch an sich ist. In
dieser Vorstellung der Erbsünde liegt für uns, daß der Mensch als
natürlich nicht ist, wie er sein soll. Das Natürlichsein ist das Negative
seiner Bestimmung, daß er so, wie er unmittelbar ist, nicht ist, wie er
sein soll. Daß dies nun die Bestimmung des Menschen überhaupt, 235
nicht bloß Adams, sei, dies ist als Erblichkeit I vorgestellt. Das Auf-
heben der bloßen Natürlichkeit ist uns zunächst als Erziehung
bekannt. Durch die Erziehung, wissen wir, daß das Bezähmen statt-
fmdet - dadurch, daß das Adäquatmachen dem Guten durch die
Erziehung geleistet wird. Dieses Adäquatmachen scheint bloß auf 240
leichte Weise vor sich zu gehen, und es ist von unendlicher Wichtig-
keit, daß diese Versöhnung der Welt mit sich selbst, das Gutmachen,
daß dies durch die einfache Weise der Erziehung zustande gebracht
wird. Von solchen Formen müssen wir uns also nicht bewegen
lassen, den Inhalt [zu] verkennen, zu verwerfen, der in dem Gedan- 245
ken selbst liegt, sondern durch sie zum Inhalt dringen, der der
Gedanke selbst ist. Auf der anderen [Seite] müssen wir sie aber auch
nicht als absolute Formen festhalten, wie eine stroherne Orthodoxie
den Inhalt nur in diesen Formen hat erkennen und festhalten wollen.
Das Interesse, um das es sich jetzt handelt, ist, das Prinzip des 25o
Christentums, was weitläufig erläutert worden ist, zum Prinzip der
Welt zu machen; es ist die Aufgabe der Welt, diese absolute Idee in
sich einzuführen, in sich zu verwirklichen, auf daß sie versöhnt
werde mit Gott. Zuerst gehört dazu die Verbreitung der christlichen
Religion, daß sie in das Herz der Menschen gesetzt werde. Dies liegt zss
jedoch außer dem Kreise unserer Betrachtung. Das Herz - das heißt

246--247 sondern . . . ist. so Lö, ähnlich Gr


250-252 Das . . . machen; so Gr, ähnlich Lö
93-94 Philosophie des Mittelalters 9

der subjektive Mensch als dieser, und dieser hat eine andere Stellung
durch dies Prinzip, als der Mensch früher hatte. Das Subjekt ist
Gegenstand der göttlichen Gnade; es hat einen unendlichen Wert -
260 dieses Subjekt, der Mensch als Mensch, ist bestimmt dazu, daß der
göttliche Geist in ihm wohne, daß sein Geist vereint sei mit dem
göttlichen Geiste, und dieser göttliche Geist ist Gott. Der Mensch ist
zur Freiheit bestimmt, ist bei diesem Prinzip anerkannt als an sich
frei. Dieses Prinzip der subjektiven Freiheit ist zunächst ein formelles
265 Prinzip, als solches die Subjektivität.
Das zweite ist dann, daß das Prinzip der christlichen Religion für
den Gedanken ausgebildet werde, in der denkenden Erkenntnis ange-
eignet werde, in dieser verwirklicht werde, so daß diese zur Versöh-
nung komme, daß diese Erkenntnis in I sich habe die göttliche Idee,
210 daß der Reichtum der Gedankenbildung und besonders der philo-
sophischen Idee vereinigt werde mit dem christlichen Prinzip. Denn
die philosophische Idee ist die Idee von Gott; diese Ausbildung des
denkenden Erkennens muß vereint werden mit dem christlichen
Prinzip, denn das Denken hat das absolute Recht, daß es versöhnt
275 werde; die christliche Idee muß dem Gedanken entsprechen.
Das dritte ist dann, daß die Idee der Wirklichkeit eingeimpft, ihr
immanent werde, daß nicht nur sei eine Menge von glaubenden
Herzen, sondern daß konstituiert werde ein Reich, daß die Versöh-
nung Gottes mit sich sich vollbringe in der Welt, nicht als ein
280 Himmelreich, das jenseits sei, wie es sich in der ersten Erscheinung
* ausspricht: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt«, aber die Idee muß
sich realisieren in der Wirklichkeit, denn sie ist nur so für den Geist,
für das subjektive Bewußtsein und hat sich also nicht nur im Herzen,
sondern in einem Reiche des wirklichen Bewußtseins zu vollenden.
285 Oder mit anderen Worten: Die Gesetze, die Sitten, Staatsverfassun-
gen und was überhaupt zur Wirklichkeit des subjektiven Bewußt-
seins gehört, soll vernünftig werden. Dies sind die drei Aufgaben.
Die erste, [die] Ausbreitung im Herzen, liegt außer unserer Betrach-
tung. Das zweite, die Ausbildung der christlichen Religion für die

269 die] so GrPiSv; He: die Natur, die


274-275 denn . . . werde; so Gr
278-279 daß2 . . . Welt, so Gr mit Lö
10 Philosophie des Mittelalters 94-95

denkende Erkenntnis, war Aufgabe der Kirchenväter, und sie haben 290

es auch geleistet. Diese ihre Verarbeitung des christlichen Prinzips,


die Versöhnung dieser Idee mit der denkenden Erkenntnis haben wir
auch nicht näher zu betrachten; sie gehört gleichfalls der Kirchen-
geschichte an. Nur ist hier über die Beziehung der Kirchenväter auf
die Philosophie im allgemeinen der Standpunkt anzugeben. 295

1. Die Kirchenväter

Wir wissen, daß die Kirchenväter sehr philosophisch gebildete


Männer waren und daß sie die Philosophie, besonders die neuplato-
nische, in die Kirche eingeführt haben. Sie haben das christliche
Prinzip der philosophischen Idee gemäß gemacht und die philoso- 3oo

phisehe Idee in dasselbe hineingebildet und haben dadurch einen


christlichen Lehrbegriff aus Igebildet. Sie sind damit über die erste
Weise der Erscheinung des Christentums in der Welt hinausge-
gangen. Denn der Lehrbegriff, wie ihn die Kirchenväter philoso-
phisch ausgebildet haben, ist nicht in der ersten Erscheinung des 305

Christentums vorhanden gewesen. Alle Fragen über die Natur


Gottes, dessen, was an und für sich ist, über die Freiheit des Men-
schen, über das Verhältnis des Menschen zu Gott, der das Objektive
ist, über den Ursprung des Bösen usf. haben sie behandelt, und was
der Gedanke ihnen darüber bestimmt, haben sie in den christlichen 310

Lehrbegriff eingetragen und aufgenommen. Die Natur des Geistes


überhaupt, die Ordnung des Heils, den Stufengang der Vergeisti-
gung des Subjekts, diesen Prozeß des endlichen Geistes, in bezug auf
seine Äußerungen haben sie in seiner Tiefe und in seinen besonderen
Momenten erkannt und dargestellt. So können wir philosophisch das 315

Verhältnis der Kirchenväter bestimmen.


Man hat den Kirchenvätern eben diese philosophische Ausbildung
des christlichen Prinzips zum Verbrechen gemacht. Bekanntlich hat

300-301 und . . . hineingebildet so Gr, ähnlich Lö'


304-305 philosophisch so Lif
308-309 der . . . ist, so Gr
314-315(und•.. ~.Momenten so Lif, ähnlich Gr
95-96 Kirchenväter 11

Luther bei seiner Reformation den Zweck so bestimmt, daß die


320 Kirche zurückgeführt werden soll auf ihre erste Reinheit, auf die
Gestalt des Christentums in den ersten Jahrhunderten. Diese ersten
Jahrhunderte aber zeigen selbst schon dies Gebäude, ein weitläufig
ausgebildetes Gewebe der Lehre, was Gott sei und das Verhältnis des
Menschen zu ihm. In neueren Zeiten ist ebenso eine bestimmte
325 Dogmatik, ein bestimmtes Lehrgebäude seit der Reformation nicht
aufgeführt, sondern gelassen worden oder nur gereinigt von den
späteren Zusätzen. Es ist dies also schon ein verstricktes Gewebe, in
dem die verwickeltsten Dinge vorkommen. Dieser Strickstrumpf ist
in neueren Zeiten aufgetroddelt worden, indem man das Christen-
330 turn auf den planen Faden des Wortes Gottes zurückführen wollte,
wie es in den Schriften des Neuen Testaments vorhanden ist. Damit
hat man die Ausbreitung des Lehrbegriffs, die durch die Idee und
nach der Idee bestimmte Lehre des Christen Itums, auflösen wollen;
man ist nicht nur auf die ersten Jahrhunderte, sondern auf die erste
335 Erscheinung zurückgegangen, so daß jetzt nur das, was von der ersten
Erscheinung berichtet ist, als die erste Grundlage des Christentums
angesehen wird.
In Beziehung auf die Berechtigung der Philosophie und der
Kirchenväter, die Philosophie darin geltend zu machen, ist hierüber
340 folgendes zu bemerken. Die moderne Vorstellung gibt an, daß die
Worte zugrunde gelegt werden sollen. Das ganze Geschäft des
eigenen Vorstelleus und Denkens sei dann nur exegetisch. Es sollen
die Worte formuliert werden; die Religion soll als positiv, als
gegeben betrachtet werden. Offenbarung ist ein Gegebenes, schlecht-

323-324 was . . . ihm. so Gr


327 verstricktes Gewebe] so PiLö; HcGr: verwickeltes Gebäude, Sv: ver-
wickeltes System
327-328 in . . . vorkommen. so Gr
331 wie . . . ist. so Gr
332 Ausbreitung des Lehrbegriffs] so GrHc; Pi: Philosophien Lö": Philo-
sophie, dieses Lehrgebäude
335-336 so . . . ist, so Gr
344-345 Offenbarung . . . Positives.] so He mit Pi; Gr, ähnlich Lö: so daß
ein Gegebenes, schlechthin auf äußerliche Weise Gesetztes ist, wovon ange-
fangen wird.
12 Philosophie des Mittelalters 9fr97

hin äußerlich Gesetztes, ein Positives. Von solchen Gegebenen soll 345

den Worten nach formuliert werden. Das andere ist dabei, daß eben-
so der Spruch der Bibel geltend gemacht wird: ))Der Buchstabe tötet, *
der Geist aber macht lebendig.« Dies ist allerdings zuzugestehen. Es
ist aber näher zu sehen, was es heißt, daß der Geist lebendig macht.
Der Geist heißt aber nichts anderes als eben das denen Inne- 35o
wohnende, die sich an diese Buchstaben machen, sie auffassen und
beleben. Das dem Subjekt Innewohnende, Belebende sind aber die
mitgebrachten Vorstellungen und Gedanken, die sich im Buchstaben
geltend zu machen haben; das heißt ihn beleben, im Geiste auffassen.
Dies geschieht zu unserer Zeit. So wird also das Recht genommen, 355

den Buchstaben mit Geist zu behandeln, aber den Kirchenvätern


wird dieses Recht abgesprochen. Sie haben ihn auch mit Geist behan-
delt. Es ist aber ausdrückliche Bestimmung, daß der Geist der Kirche
innewohne, daß er bestimme, erkläre, lehre. Die Kirchenväter haben
also dasselbe Recht gehabt, mit dem Geiste sich zu dem Positiven, 360

von der Empfmdtmg Gesetzten zu verhalten. Es kommt dann nur


darauf an, wie der Geist an und für sich beschaffen ist, denn die
Geister sind sehr verschieden. Dabei ist das Verhältnis festgesetzt, daß
der Geist lebendig mache, d. h. die mitgebrachten Gedanken, die
ganz gewöhnlich sein können, gesunder Menschenverstand - wie 365

man in neuerer Zeit auch meint, die Dogmatik müsse populär ge-
macht werden, d. h. der Heerstraße des gewöhnlichen Bewußtseins
soll es gemäß I sein.
Die Stellung davon, daß der Geist den bloßen Buchstaben leben-
dig zu machen habe, wird dann näher so angegeben: Der Geist solle 370

das Gegebene nur erklären, d. h. er solle den Sinn dessen lassen, was
in jenen Buchstaben unmittelbar enthalten sei. Aber man muß noch
nicht weit mit seiner Reflexion gekommen sein, wenn man die Täu-
schung nicht einsieht, die in diesem Verhältnis liegt. Erklären heißt

348-349 Es . . . was] so Lö; Gr, ähnlich Sv: der bloße Buchstabe tötet,
aber
357-358 Sie . . . behandelt. so Gr, ähnlich Lö
361 von . . . Gesetzten so Gr
362-363 denn . . . verschieden so Gr
372-373 man . . . man so Gr, ähnlich Lö
97-98 Kirchenväter 13

375 nichts anderes als klar machen, und zwar mir klar machen. Mir kann
aber nichts klar werden, was nicht schon in mir ist. Es soll entspre-
chen den Bedürfnissen meines Wissens, meines Herzens, meines
Bewußtseins. Nur insofern es meinen Bedürfnissen entspricht, ist es
für mich, und eben indem ich es mir klar mache, mache ich es mir,
3So d. h. ich mache meine Vorstellung, meinen Gedanken darin geltend,
sonst ist es für mich ein Totes, Äußeres, das nicht für mich vor-
handen ist. Darum ist es schwer, ganz fremdartige Religionen, die
tief unter unserem Bedürfnisse des Geistes stehen, sich klar zu
machen, aber sie berühren doch immer eine Seite an mir, wenn es
385 auch nur eine trübe, sinnliche, untergeordnete Seite ist. Wenn man
also sagt >klar machen<, so versteckt man, was die Sache ist, in ein
Wort. Macht man sich dies Wort selbst aber klar, so ist nichts darin,
als daß der Geist, der im Menschen ist, sich selbst in den zu erklä-
renden Worten erkennen will und nichts anderes erkennen kann als
* was in ihm liegt. Man hat so, kann man sagen, aus der Bibel eine
wächserne Nase gemacht; dieser findet dies, jener jenes darin, ein
Festes zeigt sich gleich als unfest, indem es betrachtet wird vom
subjektiven Geiste.
In dieser Rücksicht ist näher die Beschaffenheit des Textes zu
395 bemerken. Er drückt nur aus die Weise der ersten Erscheinung des
Christentums; diese beschreibt er, und diese kann nur auf eine noch
nicht sehr ausdrückliche Weise das enthalten, was in dem Prinzip des
Christentums liegt. Es kann mehr nur die Ahndung dessen geben,
was darin enthalten ist. Und dies ist ausdrücklich in dem Texte selbst
* ausgesprochen. Christus sagt: »Wenn ich von euch entfernt bin, so
werde ich euch senden den Tröster, welcher ist der heilige Geist. Der
wird euch in alle Wahrheit leiten« - also eine Belehrung dessen, was
* Text heißt; also erst nach ihm und seiner Belehrung, nach I dem
Texte werde der Geist in die Apostel kommen, werden sie erst des
405 Geistes voll werden. Man kann beinahe sagen, daß, wenn man das
Christentum auf die erste Erscheinung zurückführen will, so wollte

378 meinen Bedürfnissen] so Lö; Pi: diesem [Wissen]


382-383 die ... stehen, so Gr
390-393 Man ... Geiste. so Gr, ähnlich Lii
399-400 Und ... ausgesprochen. so Gr, ähnlich Lö
14 Philosophie des Mittelalters 98-99

man es auf den Standpunkt der Geistlosigkeit zurückführen, denn


Christus hat selbst gesagt: »Der Geist wird erst nach mir kommen, *
wenn ich weg bin.« Die Erzählung von der ersten Erscheinung ent-
hält also mehr nur die Ahndung von dem, was der Geist ist und 410

wissen wird als wahr, denn er wird erst später kommen.


Das andere nun ist dies, daß eben in der ersten Erscheinung Chri-
stus erscheint als der Lehrer, Messias, aber mit weitergehender Be-
stimmung als die eines bloßen Lehrers ist; in solcher Beziehung ist er
ein sinnlicher, gegenwärtiger Mensch für seine Freunde, Jünger, 415

Apostel usf. gewesen. Wenn er aber Gott für den Menschen sein soll,
wenn er Gott im Herzen des Menschen sein soll, so kann er nicht
sinnliche, unmittelbare Gegenwärtigkeit für sie haben. So ist er im *
Dalai Lama, der der Gott für jene Völker ist. Aber in diesem Prinzip,
daß Gott in das Herz der Menschen einkehre, kann Gott nicht als ein 420

sinnlich gegenwärtiger vor ihnen stehenbleiben.


Sondern das zweite ist dann zunächst, daß diese sinnliche Gestalt
verschwinden muß, so daß sie in die Erinnerung tritt, in die Mnemo-
syne aufgenommen wird, in das Reich der Vorstellung entfernt wird
aus der sinnlichen Gegenwart. Erst dann kann das geistige Bewußt- 425

sein, Verhältnis eintreten. Entfernt nur ist Christus worden; wohin


hat er sich aber entfernt 1 Da ist zuerst die Bestimmung gekommen,
er hat seinen Sitz genommen zu der Rechten Gottes, d. h. jetzt ist *
Gott gewußt worden als das Konkrete, er, der Eine und zweitens sein
Sohn- das, [was] wir als Logos, Sophia usf. gesehen haben. Erst durch *
die Entfernung aus dem Sinnlichen hat das andere Moment in Gott
gewußt werden können und so Gott als das Konkrete. Es ist damit
diese Vorstellung, daß das abstrakte Göttliche in sich selbst aufbricht
und aufgebrochen ist, erst eingetreten, und so ist dies Andere in Gott,
dies Unterschiedene I im Göttlichen, der Sohn Gottes, einerseits ein 435

Moment im Göttlichen, aber nicht bloß in der Weise einer intelli-


giblen Welt oder, wie wir es wohl in der Vorstellung haben, eines
Himmelreichs mit vielen Engeln, die auch endlich, beschränkt sind,

410-411 und ... konm1en. so Gr mit LcY


419 jene Völker] so GrPi; Lö: die Inder
426 Entfernt ... worden; so Gr, ähnlich Ui
437 oder ... haben, so Gr
99 Kirchenväter 15

dem Menschen näher. Aber es ist nicht hinreichend, daß das kon-
440 krete Moment in Gott gewußt werde, sondern es ist auch notwen-
dig, daß diese Vorstellung von Gott gewußt wird im Zusammen-
hang mit dem Menschen, also, daß Christus ein wirklicher Mensch
* gewesen ist, und dies ist der Zusammenhang mit dem Menschen als
Diesen. Das Moment des Diesen ist das große ungeheure Moment in
445 der christlichen Religion; es ist das Zusammenbinden des ungeheuer-
sten Gegensatzes. Diese höhere Vorstellung hat aber nicht unmittel-
bar im Texte, nicht in der ersten Erscheinung vorhanden sein
können, sondern die Größe der Idee konnte erst nach der ersten
Erscheinung eintreten, der Geist konnte erst nach ihr kommen und
450 dieser Geist hat die Idee erst ausgebildet, und dies ist, was die
Kirchenväter getan haben.
Das allgemeine Verhältnis der ersten christlichen Kirche zur Philo-
sophie ist hiermit angegeben; einerseits ist die philosophische Idee
durch die Kirchenväter in diese Religion versetzt worden, anderer-
455 seits ist dies Moment in der Idee, nach welcher sie sich in sich be-
stimmt, besondert, der Logos, Sohn Gottes usf., die Einzelheit eines
menschlichen Individuums, daran geknüpft worden. Es ist so diese
Besonderung, die Weisheit, Tätigkeit, Vernunft, die noch in der
Allgemeinheit bleibt. Diese Besonderung ist herausgebildet worden
460 bis zur Unmittelbarkeit der sinnlichen Einzelheit, bis zur Gegenwart
des einzelnen Individuums. Das Besondere geht allerdings zum Ein-
zelnen fort. Die Subjektivität ist bis zur unmittelbaren Einzelheit
eines in Raum und Zeit erscheinenden Individuums fortbestimmt
worden, indem das Besondere immer zum Einzelnen, zur Subjekti-
•65 vität, Individualität sich fortbestimmt. Diese zwei Elemente haben in
diesem christlichen Lehrbegriff die Idee wesentlich durchflochten, in
der Gestalt, wie sie sich durch die Verknüpfung mit einer einzelnen,
vorhandenen, in Raum und Zeit erschienenen Individualität darstellt.
Dies ist denn also die allgemeine Form. I

448 die Größe] so He; Gr: das Große PiLö: der Geist
452-453 Das . . . angegeben; so Gr
461-462 Das ... fort. so Lö, ähnlich Gr
464-465 indem . . . fortbestimmt. so Gr
465-468 Diese . . . darstellt.] so Gr; Pi: Diese zwei Momente also, die
Idee und die verflochten mit der einzelnen Individualität.
16 Philosophie des Mittelalters 100

Einerseits haben die Kirchenväter den Gnostikern gegenüber- 470


gestanden, wie sich diesen auch unter den Neuplatonikern Plotin *
entgegenstellt - den Gnostikern, bei denen die unmittelbare Gegen- *
wart, die Bestimmung des Individuums als Diesen verschwindet, die
unmittelbare Existenz verflüchtigt wird zur Form des Geistigen; sie
[sc. die Kirchenväter) haben dagegen die unmittelbare Gegenwart 475
des Individuums aufgestellt. Andererseits ist die Kirche und die Kir- *
chenväter den Arianern gegenübergesetzt gewesen, die das erschie-
nene Individuum auch anerkannten, aber es nicht in die Verknüp-
fung setzten mit der göttlichen Idee, mit dem Moment der Beson-
derung, des sich Bestimmens der göttlichen Idee, dem Logos. Die 48o
Arianer haben Christus für einen bloßen Menschen genommen. Sie
haben ihn zwar aufgespreizt zu einer höheren Natur, aber sie haben
ihn nicht in das Moment Gottes, des Geistes selbst, gesetzt. Die So- *
cinianer nehmen vollends Christus nur als bloßen Menschen, als ei-
nen Lehrer, wie Sokrates. Diese hat es in der Kirche gar nicht ge- *
geben. Es sind die Heiden gewesen. Diesen Arianern also und was
dahin gehört, die die Person Christi nicht mit [dem] Moment der Be-
sonderung in der göttlichen Idee verbanden, hat sich die Kirche ent-
gegengestellt. Christi Person sollte noch etwas Höheres haben. Jenes
Aufspreizen zu einer höheren Natur als [der] Mensch ist eine ungenü- 490
gende Halbheit. Die Kirchenväter behaupteten die Einheit der gött-
lichen Natur mit der menschlichen, die in diesem Individuum der
Kirche zum Bewußtsein gekommen ist, und darin standen [sie) den
Arianern entgegen, und dies ist die Hauptbestimmung.
Indem nun im Abendland die germanischen Völker sich in den 495
Besitz dessen gesetzt hatten, was bis dahin römisches Reich war, und
sich zu gestalten und festzusetzen begannen, brach dagegen im
Morgenland eine andere Revolution hervor, die mohammedanische
Religion, und die Bekenner derselben, die Araber, wandten sich zur
Philosophie. soo

480 dem Logos.] so He; Gr: dem Aufbrechen der göttlichen Idee.
494 und ... Hauptbestimmung.] so Gr; Sv: In einem solchen Verhältnis
stand die Philosophie zur Kirche.
100-101 Araber 17

2. Die Philosophie der Araber

Die Araber haben sich bald für Bildung interessiert. Die Philosophie
der Araber ist daher in der Geschichte der Philosophie zu erwähnen.
Sie haben sich, wie gesagt, bald um Künste, Wissenschaften und
505 Philosophie bekümmert und sind vorzüglich durch die Syrer mit der
* griechischen Philosophie bekannt geworden. In Syrien, Antiochien,
besonders Edessa, waren gelehrte Anstalten. Die Syrer waren der
Verknüpfungspunkt I zwischen der griechischen Philosophie und
den Arabern, indem sie unter die Botmäßigkeit derselben kamen.
510 Die Syrer haben viele griechische Werke, besonders des Aristoteles,
ins Syrische übersetzt, und aus dem Syrischen ist es dann wieder [von
* den Arabern] ins Arabische übersetzt worden, was Moses Maimo-
nides, ein Jude, näher angibt, indem er erzählt, daß die Bücher der
Philosophen zu den Arabern kamen, die alles mit beiden Händen
515 ergriffen [und] aufgenommen, was von griechischen Schriften zu
* ihnen gekommen wäre. Er gibt ferner an, daß sie die griechische
Wissenschaft vornehmlich gebraucht haben, um ihre Dogmen zu
verteidigen, indem es das nächste Bedürfnis war, den Mohammeda-
nismus gegen die Christen zu verteidigen, aus denen ein großer Teil
* der Völker bestand, die sie sich unterworfen hatten. Er sagt auch: Sie
sind aber nicht der Natur der Sache gefolgt, sie haben nur darauf
gesehen, wie die Sache beschaffen sein mußte, um ihre Behauptun-
gen zu unterstützen.
Von der arabischen Philosophie ist nicht zu sagen, daß sie ein
525 eigentümliches Prinzip und Stufe in der Ausbildung der Philosophie
* einnehme. Sie haben sich im ganzen besonders die logischen Schrif-
ten des Aristoteles mitgenommen und übersetzt, und auch seine
Metaphysik usf. ist von den Arabern übersetzt worden, und sie
haben sie vielfach kommentiert. Solche Kommentare sind bekannt,
530 auch ins Lateinische übersetzt und gedruckt, zum Teil noch vorhan-
den, aber es ist nicht viel daraus zu holen. Die Bekanntschaft der
Araber mit Aristoteles hat das geschichtliche Interesse, daß die aristo-

502-505 Diez ... bekümmert so Gr


509 indem ... kamen. so Gr
531 aber ... holen. so Gr, ähnlich Lö"
18 Philosophie des Mittelalters 101-102

telischen Werke besonders durch die Juden, die mit den Arabern
zusammenhingen, in Spanien und Portugal aus dem Arabischen teils
ins Hebräische übersetzt und aus diesen Übersetzungen wieder ins 535

Lateinische übersetzt worden sind oder auch unmittelbar aus dem


Arabischen ins Latein, so daß dies ein Hauptgang ist, durch den die
Schriften und die Philosophie des Aristoteles im Abendland bekannt
geworden sind. Aus dem Griechischen gingen sie also ins Syrische, aus
diesem ins Arabische, dann ins Hebräische und endlich ins Lateini- 540

sehe über.
Eine ausgezeichnete philosophische Schule oder Sekte macht *
Maimonides unter den Arabern namhaft; er nennt sie Meddabberim
oder die Redenden. Diese haben angenommen die Atome und das *
Leere, so daß die Erzeugung nichts sei als die Verbindung von I 545

Atomen und das Vergehen nichts als eine Trennung derselben. Sie
haben so mit näherer Gedankenbildung diesen Standpunkt der
Orientalen, den Hauptstandpunkt der einen Substanz zum bestimm-
ten Bewußtsein auch für den Gedanken gebracht. Der Pantheismus
oder Spinozismus ist der Standpunkt, die allgemeine Ansicht der 55o

orientalischen, türkischen, persischen, arabischen Dichter, Ge-


schichtsschreiber oder Philosophen.
Maimonides sagt von der erwähnten philosophischen Sekte: Die *
Medabberim sagen: Die Substanz habe viele Akzidenzen, aber keine
Akzidenz könne zwei Momente dauern; wie es entstehe, vergehe es 555

auch, und die Substanz (Gott) schaffe an seiner Stelle immer ein
anderes. Also dem Sinnlichen, dem Natürlichen kann man nicht
zuschreiben ein Sein, daß es substantiell sei. Es existiert von Natur
nichts. Es bringt nicht die Natur dieses oder jenes Körpers mit sich,
daß er diese Akzidenzen habe, sondern Gott schafft alle Akzidenzien 560

im Augenblick ohne Mittel, ohne Hilfe. Das Beharren, das ganz


allgemeine Beharren ist die Substanz. Alles andere ist ohne Notwen-
digkeit, ist absolut veränderlich, wird in jedem Augenblick verändert
und so gesetzt von der Substanz. Ein anderes Akzidenz tritt ein.
Nach diesem Satze sagen siez. B., daß wir keineswegs ein Kleid, das *

539-541 Aus ... über. so Lö


550 oder] so Pi; Gr: wenn man will
553 Maimonides ... Sekte. so Lo·
102-103 Araber 19

wir mit roter Farbe zu färben glauben, rot gefärbt haben, sondern
Gott hat in dem Augenblick die rote Farbe dem Kleid eigentümlich
gemacht. Nicht die erste rote Farbe bleibe, sondern sie verschwinde
im ersten Moment, und es erscheine eine andere, die wieder erschaf-
* fen wird. Die Wissenschaft ist auch ein solches Akzidenz; man wisse
* heute nicht, was man gestern gewußt hat usf. Der Mensch bewegt
die Feder nicht, sondern die Bewegung ist ein Akzidenz, das von
Gott geschaffen wird in dem Augenblick. Darin ist nur zu erkennen
die vollkommene Auflösung alles Zusammenhangs, alles dessen, was
575 zur Vernünftigkeit gehört. Gott ist in sich das vollkommen Unbe-
stimmte (Substanz), und seine Tätigkeit ist das Schaffen von Akzi-
denzen, die wieder verschwinden und an deren Stelle andere treten.
Diese Tätigkeit ist ganz abstrakt, und eben darin ist das Unterschei-
den, was dadurch gesetzt worden ist, vollkommen Zufälliges. Oder
580 es ist notwendig; aber das >notwendig< ist ein leeres Wort. Warum
die Substanz dieses setzt, das soll gar nicht begriffen werden, und es
soll auch dazu kein Versuch gemacht werden. So ist also Gott die
Substanz der Tätigkeit, aber als ganz unvernünftig dargestellt. I
Diese abstrakte Negativität und vollkommene Auflösung, ver-
585 bunden mit dem beharrenden Einen, das ist die Grundbestimmung
* in der orientalischen Vorstellungsweise. Die orientalischen Dichter
sind vornehmlich Pantheisten. Der Spinozismus ist ihre allgemeinste,
gewöhnlichste Anschauungsweise. Die Araber haben so die Wissen-
schaften und die Philosophie ausgebildet, ohne die konkrete Idee
59o weiter zu bestimmen, sondern [durch] Willkür. Das letzte ist viel-
mehr die Auflösung alles Konkreten, [aller] Bestimmung in der
Substanz, mit der nur die Veränderlichkeit als abstraktes Moment
der Negativität verbunden ist.

567-568 eigentümlich gemacht.] so Pi; Lii: hinzugetan


571-573 Der ... Augenblick. $0 Lii
574-575 alles ... gehört. so Gr, ähnlich Lii
580-581 Warum ... dieses] so Pi; He: weil er die Substanz setzt, aber daß
er die Physis
581-582 und ... werden. so Gr
587-588 Der ... Anschauungsweise. so Lö, ähnlich Gr
591-592 der Substanz] so Lii; Gr: dieser Substanz Pi: die Substanz He: der
Einen Sv: der Einheit der Substanz
20 Philosophie des Mittelalters 103-104

Zu erwähnen sind hier noch einige Juden, besonders Mo s es Mai-


monides. Er war ein Jude, in Ägypten geboren, und lebte in Cor- *
doba in Spanien im 12. Jahrhundert. Sein Werk, More N evochim,
doctor perplexorum, der Lehrer der Verwirrten, haben wir noch; es
ist ins Lateinische übersetzt. Wie bei den Kirchenvätern und Philo
ist die geschichtliche Gestaltung zugrunde gelegt und metaphysisch
behandelt worden. 600

3. Die Scholastiker

Das dritte sind nun in dieser Periode die Scholastiker; es ist die euro-
päische Philosophie im europäischen Mittelalter. Die eigentlichen
Kirchenväter dagegen gehören der römischen Welt vornehmlich an.
Aber die christliche Kirche, Gemeinde, hatte sich zwar ausgebreitet 605
in der römischen Welt, besonders aber im Anfang nur so, daß sie
eine eigene Gemeinschaft unter sich bildete, von welcher die Welt
aufgegeben war. Sie machte keinen Anspruch, darin zu gelten, zu
herrschen. Die Individuen entsagten der Welt und waren Märtyrer
in ihr. Die Kirche ist nun auch zwar herrschend geworden, östliche 610
und westliche Kaiser sind Christen geworden, und die Kirche war so
öffentliche Autorität. Sie hat eine öffentliche, unverkümmerte Exi-
stenz erlangt und erhielt auch so vielen Einfluß auf das Weltliche.
Die politische Welt fiel aber in die Hände der germanischen Völker,
mit denen eine neue Welt im Abendland aufging - und dieser gehört 615

die scholastische Philosophie vornehmlich J an. Wir kennen diese


Revolution als Völkerwanderung. Andere, frische Stämme haben
sich über die alte römische Welt ergossen und sich darin festgesetzt;
sie bauten ihre Herrschaft auf die Ruinen des Alten. Durch Brand
und Zerstörung ist diese neue Welt gegründet - ein Bild, das uns 62o

noch der Anblick Roms gegenwärtig gibt, wo die Pracht der christ-
lichen Tempel zum Teil Reste der alten sind und die neuen Kirchen
auf und unter Ruinen stehen. Das Hauptelement im Mittelalter ist

594 Zu ... besonders so Gr, ähnlich Lö


597 Verwirrten] Lö: Verwickelten He: was verwickelt ist
602 nun] so Pi; Gr: die Hauptpersonen
104-105 Scholastiker 21

dies Gedoppelte, diese Entzweiung. Wir sehen Völker, die vorher


625 geherrscht haben, eine vorhergehende Welt, die eigene Sprache,
Gesetze, Verfassung, Künste und Wissenschaft, das Recht ausgebildet
hatten, tmd auf dies ihnen Fremde setzten sich die neuen Nationen.
Wir haben so in dieser Geschichte nicht vor uns die Entwicklung
einer Nation aus ihr selbst, sondern die Entwicklung einer Nation,
630 insofern sie vom Gegensatz ausgeht, mit diesem Gegensatz behaftet
ist und bleibt, ihn in sich selbst aufnimmt und zu überwinden hat.
Diese Völker haben so auf diese Weise die Natur des geistigen
Prozesses an ihnen dargestellt. Der Geist ist dies, eine Voraussetzung
sich zu machen, das Natürliche sich als Unterlage zu geben, sich von
635 dem Natürlichen zu scheiden und dies so zu seinem Objekt, zu seiner
Voraussetzung zu machen, und diese ist dann zu verarbeiten, zu
formieren und so aus sich hervorzubringen, zu erzeugen, aus sich zu
rekonstruieren. Deswegen ist das Christentum in der römischen und
byzantinischen Welt zwar triumphierend und herrschend geworden,
640 allein nicht die römische noch byzantinische Welt ist fähig gewesen,
die neue Religion wahrhaft in sich zu betätigen und die Welt aus
diesem Prinzip hervorzubringen, denn in beiden Völkern war alles
fertig: Sitte, Gesetze, Rechtsverhältnisse, Verfassung, politischer Zu-
stand, Kunst, Wissenschaft, die ganze geistige Bildung, alles war
645 schon etwas Fertiges. Hingegen der Natur des Geistes ist es nur
gemäß, daß diese gebildete Welt aus ihm erzeugt werde und daß
diese Erzeugung hervorgehe durch die Gegenwirkung und die Assi-
mila Ition eines Vorhergegangenen durch diesen Prozeß. Diese Er-
oberer also haben sich festgesetzt in einem Fremden und sind die
650 Herrschenden darüber gewesen; aber zugleich sind sie in die Gewalt
eines fremden, neuen Geistes gekommen, der ihnen auferlegt worden
ist überhaupt. Weltliche Herrschaft haben sie ausgeübt einerseits,
aber andererseits sich passiv verhalten gegen das geistige Prinzip. Die
geistige Idee oder die Geistigkeit, das Geistige ist in sie hineingelegt
655 worden. Sie als rohe Barbaren erscheinend, in Stumpfheit des Ge-
müts und des Geistes, haben in diese Stumpfheit das Geistige aufge-
nommen. Ihr Herz ist damit gleichsam durchstochen worden. Ihrer

634 Unterlage] so Pi; GrLö: Widerlage


653--654 Die ... oder so GrLö
22 Philosophie des Mittelalters 105-106

stumpfen und rohen Natur ist die Idee auf diese Weise als eine un-
endlich entgegengesetzte immanent geworden, oder es ist in ihnen
die unendliche Qual entzündet worden, so daß sie selbst als ein 660

gekreuzigter Christus dargestellt werden können. Diesen großen


inneren Kampf dieses ungeheuren Gegensatzes hatten sie zu bestehen,
und eine Seite dieses Kampfes ist die Philosophie, die später sich
unter ihnen eingestellt hat und zunächst als ein Gegebenes über-
kommen ist. Es sind noch ungebildete Völker, aber tief an Herz und 665

Gemüt bei barbarischer Dumpfheit; in diese ist dann das Prinzip des
Geistigen gelegt worden, und damit ist diese Qual, dieser Kampf des
Geistes und des Natürlichen notwendig gesetzt. Die Bildung fängt
hier vom ungeheuersten Widerspruch an, und dieser Widerspruch
hat sich aufzulösen. Die zwei Seiten desselben sind wesentlich so im 670

Verhältnis gegeneinander, daß das Geistige es ist, was regieren soll,


was herrschen soll.
Die wahrhafte Herrschaft des Geistes kann aber nicht Herrschaft
sein in dem Sinne, daß das Gegenüberstehende ein Unterworfenes
sei, sondern der allgemeine Geist kann den subjektiven Geist, zu dem 675

er sich verhält, nicht als einen äußerlich Gehorchenden, Knechtischen


gegenüber haben, denn dieses Subjekt ist selbst Geist. Die Herr-J
schaft hat den Sinn, daß der Geist im subjektiven Geiste sich mit sich
selbst vereinigt. Diese Stellung, Harmonie, Versöhnung ist die,
welche zuerst als ein widersprechendes Verhältnis des allgemeinen 680

Geistes zu dem subjektiven erscheint, in dem das eine nur die Macht
haben kann mit Unterwerfung des anderen. Aber so ist [es] nur
äußerer Schein. Die ganze folgende Geschichte ist Entwicklung zu
der Versöhnung. Zur Versöhnung gehört, daß das subjektive
Bewußtsein, die weltliche Herrschaft, [das] weltliche Wesen, Gesetz, 685

Verfassung usf. auf der einen Seite vernünftig werden. Wir haben *
gesehen, daß Plato die Idee einer Republik aufgestellt hat, wo die
Philosophen regieren sollten; jetzt ist es die Zeit, in der ausgespro-
chen wird, daß das Geistige herrschen solle, und dies Geistige hat den

664-665 und ... ist. so Gr, ähnlich Lö


665-666 aber ... Gemüt so Gr
668-669 Die ... und so Gr
670-671 Die ... daß so Gr
106-107 Scholastiker 23

690 besonderen Sinn erhalten, daß das Geistliche, nämlich die Geistlichen
herrschen sollen, d. h. das Geistige in besonderer Gestalt von Indivi-
duen. Der wahre Sinn ist aber, daß das Geistige das Bestimmende
sein soll, was bis auf unsere Zeiten gegangen ist. So sehen wir in der
Französischen Revolution, daß der Gedanke, der abstrakte Gedanke
695 allein der herrschende Regierer der Welt sein soll; nach ihm sollen
Staatsverfassung und Gesetze bestimmt werden, er soll das Band
unter den Menschen ausmachen, und das Bewußtsein der Menschen
soll sein, daß das, was unter ihnen gilt, abstrakte Gedanken sind,
Freiheit und Gleichheit; diese sollen das allein Geltende sein, worein
100 auch das Subjekt seinen wahren Wert in Beziehung auf die Wirk-
lichkeit setzt.
Eine Form dieser letzten Versöhnung kann auch bemerklich ge-
macht werden, nämlich, daß das Subjekt in sich selbst mit sich, wie
es steht und geht, mit seinen Gedanken, seinem Wollen, mit seinem
705 Geistigen zufrieden ist, so daß das Subjekt, sein Wissen, Denken,
seine Überzeugung zum Höchsten geworden ist - die Bestimmung
des Göttlichen, des an und für sich Geltenden hat. Diese Versöhnung,
das allgemeine Geistige, ist so in meinem subjektiven Geiste gesetzt,
identisch mit mir, so daß ich selbst das allgemeine Geistige sei, so daß
110 ich sei in meinem unmittelbaren Geiste, und es gilt I nur, wie ich
* unmittelbar weiß. Das ist die neueste Form der Versöhnung, aber
einseitig, da das Geistige nicht als objektiv an und für sich seiendes
aufgefaßt ist, sondern nur wie es in meiner Subjektivität als solcher
ist, in meinem Gewissen; meine Überzeugung als solche wird für das
715 Letzte genommen.
Wenn die Versöhnung nur diese Gestalt erhalten hat, so hat diese
* Stellung, welche wir früher [in] der christlichen Religion gesehen
haben, kein Interesse mehr; es ist nur etwas Vergangenes, Histori-
sches. Was wir wissen, wie wir überzeugt sind, wie es sich unmittel-
720 bar im Innerenjedes Subjekts offenbart, dies ist das Wahre, das An-
undfürsichseiende. Alle diese Weisen und Gänge der Vermittlung des
Wahren als des Anundfürsichseienden, Gottes, mit den Menschen
haben kein anderes Interesse als ein geschichtliches. Es gilt als etwas,

693 was ... ist so Gr


714-715 meine ... genommen. so Gr
24 Philosophie des Mittelalters 107-108

was für uns nicht mehr Bedürfnis ist, uns nicht mehr interessiert.
Ebenso die Lehren, die Lehrbegriffe der christlichen Religion, haben 725
die Stellung eines Fremdartigen, eines nur einer besonderen Zeit
Angehörigen, mit dem sich jene Menschen bemüht haben. Die Idee
an und für sich - daß die Idee konkret ist, der Geist ist tmd daß das
Subjekt selbst in diese Idee eintrete - dies ist verschwunden und
erscheint nur als etwas Vergangenes. Insofern hat das, was ich vom 730
Prinzip des christlichen Lehrbegriffs gesagt habe und noch von der
Philosophie der Scholastiker sagen werde, nur auf dem angegebenen
Standpunkt Interesse, d. h. auf dem Standpunkt, wo die Idee in
ihrer konkreten Bestimmung gilt, nicht aber auf dem Standpunkt
der unmittelbaren Versöhnung des Subjekts mit sich selbst. Das 735
Allgemeine ist also dieser Gegensatz, der das Prinzip der Auflösung
so in sich enthält, daß das Geistige es ist, was regieren soll, das aber
nur regiert, insofern es versöhnend ist.
Näher haben wir nur zu betrachten den Charakter des Gegensatzes
im Vergleich I mit der Philosophie, und hierbei ist an das Geschieht- 740
liehe kurz zu erinnern, jedoch nur an die Hauptmomente. - Diese
Gestalt des Gegensatzes, wie sie in der Geschichte erscheint, ist einer-
seits die Geistigkeit, die als solche die Geistigkeit des Herzens sein
soll. Der Geist ist aber Einer, und so haben wir [eine] Gemeinschaft
derer, die in dieser Geistigkeit stehen, so entsteht eine Gemeinde - 745
sofern Äußerlichwerden und Anordnung der Gemeinde, die sich
eben dadurch zu einer Kirche ausbreitet. Insofern das Geistige das
Prinzip ist, so ist das Geistige unmittelbar allgemein. Das Geistlose
ist, einzeln zu sein mit seiner Empfindung, Meinung. Die Kirche ist
so organisiert. Sie geht aber selbst fort zum weltlichen Dasein, zu 1so
Reichtum und Gütern und wird selbst weltlich mit allen Leiden-
schaften der Roheit, denn nur erst das Prinzip ist vorhanden, das
Geistige, als Prinzip des Herzens; was aber zur Wirklichkeit des
Daseins gehört- und dazu gehören selbst die Neigungen, Begierden

727 mit ... haben so Gr, ähnlich Lö


728 konkret ist so GrLii
734-735 auf ... selbst.] so Gr; He: wo das allgemeine Interesse unmittel-
bar herrscht und für immer.
744-745 und ... stehen, so Gr mit Lö
108-109 Scholastiker 25

755 des Herzens -, dies und das ganze Verhältnis unter den Menschen ist
nach diesen Neigungen, Leidenschaften, noch nach dieser Roheit
bestimmt.
Die Kirche also, sofern sie nur das geistige Prinzip in sich enthält,
aber noch nicht wahrhaft realisiert, so daß die Verhältnisse noch
760 nicht vernünftig sind, so sind es auch die weiteren Verhältnisse vor
der Entwicklung, Realisierung des geistigen Prinzips in der Welt.
Ehe aber das Weltliche angemessen ist dem Geistigen, ist das Weh-
liehe auch vorhanden als ein Dasein, und dieses Weltliche ist das
unmittelbar natürliche Weltliche. Die Kirche wird sonach das welt-
765 liehe Prinzip in ihrer Unmittelbarkeit an sich haben- Betrug, Hab-
sucht, Gewalttätigkeit, Raub, Mord, Neid, Haß, Leidenschaft, alle
diese Laster der Roheit wird sie an sich haben, und diese gehören
dann ebenso zu dem Regiment. Diese Herrschaft ist also schon, wie
sie Herrschaft des Geistigen sein soll, eine Herrschaft der Leiden-
770 schaft. Beides, das Geistige und Weltliche verschränkt sich inein-
ander, so daß solche Kirche meistenteils, wo nicht durchgehend,
ebenso Recht hat nach dem geistigen Prinzip als sie Unrecht hat nach
dem Prinzip der W eltlichkeit, der Leidenschaftlichkeit. I
Was diesem geistlich-weltlichen Reiche gegenübersteht, ist das
775 weltliche Reich für sich. Es stehen also gegenüber Papst und Kaiser,
Kirche und Reich. Dieses weltliche Imperium soll dem geistigen
oder geistlichen - was weltlich geworden ist - unterworfen sein; der
* Kaiser wird nur advocatus ecclesiae, Kirchenvogt. Dieses Weltliche
stellt sich einerseits für sich, ist aber mit dem Anderen in Vereini-
780 gung, so daß es das Geistige zugleich als herrschend anerkennt. Beide
aber müssen in Kampf kommen, eben wegen des Weltlichen, das in
der Kirche selbst ist, und ebenso wegen des schlechten Weltlichen,
des Gewalttätigen, der Barbarei in dem weltlichen Regiment, wie es
für sich ist. Dieser Kampf mit dem Geistigen muß aber zunächst zum
785 Nachteil desWeltlichen geführt werden, denn ebenso, wie es sich für
sich stellt, so anerkennt es auch das Andere; es muß sich diesem, dem

765 in ihrer Unmittelbarkeit] so Pi; He: diese Unmittelbarkeit der Welt


766 Gewalttätigkeit ... Leidenschaft, so Gr
784 aber zunächst so Gr
785-786 denn ... Andere; so Gr, ähnlich Lö"
26 Philosophie des Mittelalters 109-110

Geistigen und dessen Leidenschaften unterwerfen. Die tapfersten,


edelsten Kaiser sind in den Bann getan, teils von Päpsten, teils selbst
von Kardinälen und Bischöfen. Sie haben mehr oder weniger zu
Kreuze kriechen müssen und konnten nichts dagegen tun, konnten 790
sich nicht auf die äußere Macht verlassen, denn sie waren in sich
gebrochen, und so waren sie immer die Besiegten, mußten nach-
geben.
Was nun zweitens die Sitten anbetrifft, so sehen wir einerseits in
den Individuen das Geistige in ihrem Herzen, unendlich geltend in 795
ihm, aber ebenso andererseits den Gegensatz der Roheit, Unbändig-
keit, der Leidenschaften, der Begierde, und so sehen wir die Indivi-
duen fallen von einem Extrem ins andere; von dem Extrem der
rohesten Gewalttat fallen sie in das andere Extrem, in die voll-
kommenste Entsagung von allem, der Besiegung aller Neigungen, 8oo
Leidenschaften usf. Das größte Beispiel hiervon machen vorzüglich
die Kreuzzüge anschaulich. Zu heiligem Zwecke ziehen sie aus, auf *
dem Zuge aber verfallen sie in alle möglichen Leidenschaften, wobei
die Anführer ihnen vorangehen; [sie] lassen sich frei aus- ebenso die
Gewalt, Wildheit, Roheit der Einzelnen. Nachdem sie den Zug auf 805
das Kopfloseste, auf die ungeschickteste Weise gemacht haben,
kommen sie vor die Stadt Jerusalem, nachdem sie Tausende verloren
haben; hier fallen alle nieder auf die Knie, sie beten, tun Buße I und
sind zerknirscht. In diesem Moment werden [sie] dadurch zur Tap-
ferkeit begeistert, und so erobern sie Jerusalem. Gleich nachher ver- 810
fallen sie wieder in dieselbe frühere Roheit und Leidenschaftlichkeit
zurück. Sie baden sich in Blut, sind unendlich grausam und dann tun
sie zerknirscht wieder Buße und kehren wieder zurück zu den klein-
lichsten Leidenschaften, Roheit, Habsucht und Geiz und verderben
durch ihre Leidenschaften den Besitz, den sie sich erworben haben 815
durch ihre Tapferkeit. Das geschah, weil das Prinzip nur als abstrak-
tes Prinziplin ihnen, im Inneren ist, aber die Wirklichkeit des Men-

787 und dessen Leidenschaften so Gr


788-790 teils ... tun, so Gr mit Lö
791-793 denn ... nachgeben. so Gr, ähnlich Lö
814 Habsucht und Geiz] so He; Gr: des Eigennutzes und Neides
110-111 Scholastiker 27

sehen an sich noch nicht geistig ausgebildet ist. Dies ist die Art und
Weise des Gegensatzes in der Wirklichkeit.
820 Was in der Religion selbst diesen Gegensatz betrifft, so hat er darin
viele Gestalten; es ist jedoch hier nur an das Irmerste derselben zu
erinnern. Einerseits ist die Idee von Gott und auf der anderen Seite,
was von ihm gewußt, erkannt wird, daß er die Dreieinigkeit ist; das
andere ist der Kultus, d. h. der Prozeß des Individuums, sich dieser
825 Idee zu nähern, selbst dem Reiche Gottes mit anzugehören und die
Gewißheit dieser Vermittlung zu haben. Diese Vermittlung im
Kultus ist nur vorhanden, wird nur vollbracht, am Individuum voll-
bracht, in dem höchsten Punkte, der die Messe heißt. Darin ist das
Verhältnis zum Vermittelnden als zum Objektiven, welches genossen
830 werden soll von den Individuen, so daß sie die Gewißheit erhalten,
des Geistes teilhaft zu sein, daß das Göttliche in ihnen sei. Dies
Objektive ist die Hostie, einerseits das Göttliche als gegenständlich,
andererseits der Gestalt nach ein äußerliches Ding, aber so, daß es in
seiner vollkommenen Äußerlichkeit verehrt werden soll. Luther hat
835 diese Weise verändert, er hat den mystischen Punkt vollkommen
beibehalten in dem, was das Abendmahl genannt wird, daß das Sub-
jekt in sich empfängt das Göttliche, aber daß dies nur insofern gött-
lich ist, als es genossen wird im Glauben, d. h. insofern es im
Glauben und im Genuß aufhört, ein äußerliches Ding zu sein; dieser
840 Glaube und Genuß ist erst die subjektive Geistigkeit, und sofern es in
dieser ist, ist es geistig, nicht indem es ein I äußerliches Ding bleibt.
* In der Kirche des Mittelalters, in der katholischen Kirche überhaupt,
ist die Hostie auch als äußerliches Ding verehrt, so daß, wenn eine
Maus eine Hostie gefressen hat, die Maus zu verehren ist und ihre
845 Exkremente. Da ist das Göttliche im Sinne der vollkommenen
Äußerlichkeit genommen. Dies ist der Mittelpunkt, dieser ungeheure
Gegensatz, der einerseits aufgelöst ist, andererseits im vollkommenen
Widerspruch bleibt, so daß z. B. die Hostie auch als bloß äußerliches
Ding festgehalten und verehrt werden soll.
850 Mit dieser Äußerlichkeit ist dann verbunden die andere Seite, das
Bewußtsein über dies Verhältnis. Dieses Bewußtsein des Geistigen,

841 geistig] so Gr; Pi: geltend


849 verehrt werden] so LifSv; Gr: und doch dies Hohe, Absolute sein
28 Philosophie des Mittelalters 111-112

dessen, was die Wahrheit ist, ist in einzelne Individuen, in Besitz


einer Priesterschaft gesetzt worden, und diese ist geschieden von den
anderen als Laien. Die Priesterschaft ist im ausschließenden Besitz
sowohl der Bestimmungen der Lehre als auch der Gnadenmittel, 855

d. h. der Art und Weise des Prozesses, wodurch das Individuum im


Kultus religiös ist und zur Gewißheit kommt, daß es des Göttlichen
teilhaftig sei. Ebenso wie in Beziehung auf den Kultus die Geistlich-
keit im Besitz ist, so ist sie auch im Besitz der moralischen Würdi-
gung der Handlungen der Individuen, im Besitz des Gewissens der 860

Einzelnen, so daß das Innerste des Menschen, das Gewissen, wodurch


eine Handlung dem Einzelnen zugeschrieben werden kann, die Zu-
rechnungsfähigkeit des Menschen, einer anderen Person übergeben
wird und so die Subjekte bis ins Innerste selbstlos sind. Dies sind die
Hauptverhältnisse der Äußerlichkeit in der Religion selbst, wovon 865

denn alle weiteren Bestimmungen abhängen.


Damit ist zugleich das, worum es zu tun ist, das Verhältnis zur
Philosophie, bestimmt. Es kann im allgemeinen das Verhältnis, wenn *
es in einer theologischen Form ausgesprochen werden soll, so ausge-
drückt werden, daß das Mittelalter gewesen sei die Herrschaft des 87o

Sohnes, nicht des Geistes, denn der Sohn ist das vom Varer sich
Unterscheidende und als Sohn bloß aufgefaßt als im Unterschied
bleibend - an sich die Idee, was der Vater ist, aber noch unterschie-
den. Der Geist ist aber erst die Liebe, die Vereinigung beider, was
der Sohn und der Vater ist. Wenn wir sagen, der Sohn ist die Liebe, 875

so sagen wir auch schon, er ist der Geist, schließen ihn zusammen mit
dem Vater. Der Sohn an sich ist die konkrete Idee, aber noch nicht in
ihrem Unterschied. So haben wir die göttliche Idee im Mittelalter
nach dem unaufgelösten Unterschied, in ihrer Äußerlichkeit fest-
stehend. 88o

Halten wir uns ungehörig einen Augenblick auf I bei dem Unter-
schied, ohne die Identität zugleich zu setzen, so ist der Sohn das
Andere, und so finden wir das Mittelalter bestimmt. Den Charakter
der Philosophie betreffend haben wir also im Mittelalter eine Philo-

864-866 Dies ... abhängen. so Gr, ähnlich LO'


874-875 was ... ist. so Lö'
881-883 Halten ... bestimmt. so Gr
112-113 Scholastiker 29

885 sophie, ein Denken, ein Begreifen, aber Begreifen mit einer Voraus-
setzung; es ist nicht die denkende Idee in ihrer Freiheit, sondern
schlechthin mit der Form einer Äußerlichkeit oder Voraussetzung
behaftet. Es ist so hier ganz derselbe Charakter wie im Allgemeinen
des Zustands, und darum habe ich vorher an den konkreten Charak-
890 ter erinnert; es ist ip. einer Zeit immer Eine Bestimmung, die darin
vorhanden ist.
Das christliche Prinzip enthält in sich selbst die höchste Aufforde-
rung zum Denken, weil die Idee darin durchaus spekulativen Inhalts
ist. Einerseits ist die Idee mit dem Herzen aufzufassen; Herz nennen
895 wir den einzelnen Menschen, und die Identität des Individuums mit
der Idee liegt darin, daß die Mitte der Idee, der Sohn, als das Ver-
mittelnde selbst vorgestellt wird in der Form unmittelbarer Einzel-
heit, als dieser Mensch; dies ist die Identität des Geistes mit Gott, die
Identität für das Herz als solches. Aber dieser Zusammenhang selbst,
900 da er zugleich ein Zusammenhang ist mit Gott, in Gott, und der
Gegenstand der ganzen Idee ist mystisch, spekulativ, und darin liegt
* eben eine Aufforderung zum Denken, welche früher die Kirchen-
väter und jetzt die scholastischen Philosophen erfüllt haben. Die
scholastische Philosophie ist so wesentlich Theologie und diese Theo-
905 logie unmittelbar Philosophie. Der sonstige Inhalt der Theologie ist
nur der, welcher in der Religion überhaupt ist, Vorstellung des Lehr-
begriffs. Aber sie [sc. diese Theologie] ist auch Wissenschaft, [ist
auch] noch Gedankeninhalt. Das Wissenschaftliche daran ist auch das
Geschichtliche, daß es soundsoviele Codices des Neuen Testaments
9to gibt, die Geschichte der Päpste, Konzilien, Bischöfe, Kirchenväter,
aber alles dieses gehört der Natur Gottes nicht an und dem Verhält-
nis dieser zum Menschen; der wesentliche Gegenstand der Theologie
als Lehre I von Gott ist die Natur Gottes, und dieser Inhalt ist seiner
Natur nach wesentlich spekulativ. Da also der Inhalt zum Denken
915 auffordert, kann diese wahre Theologie nur eine Philosophie sein.

888-891 wie ... ist. so Gr


892 Das ... selbst] so Pi, ähnlich He; Gr: Die Philosophie des Mittelalters
enthält also das christliche Prinzip, das Lö": In der Philosophie des Mittelalters
liegt, daß das christliche Prinzip
898 Geistes] so Gr; He: Herzens
30 Philosophie des Mittelalters 113

Wir haben nun näher von der Art und Weise der Scholastiker zu
sprechen. Es ist angegeben, daß das Philosophieren, das Denken, mit
absoluter Voraussetzung behaftet war; es war dies die kirchliche
Lehre- selbst zwar spekulativ, an sich das Wahre, aber doch in der
Weise der Vorstellung. Das Denken erscheint also nicht als frei von no
sich ausgehend, sich in sich bewegend, sondern abhängig von einem
gegebenen Inhalt, der spekulativ ist, aber noch die Weise des unmit-
telbaren Daseins in sich enthält. Die Folge davon ist, daß das Denken
mit dieser Voraussetzung sich wesentlich als schließend benehmen
wird; Schließen ist die Weise des formellen logischen Fortgangs; es 925
wird eine endliche besondere Bestimmung vorausgesetzt und von
dieser zu einer anderen fortgegangen, und solche Bestimmungen als
besondere sind endliche überhaupt; diese verhalten sich als äußerlich,
nicht als in sich, wie in einem Kreislauf, zurückgehend, sich mit sich
zusammenschließend. 93o
Mit dieser endlichen Form ist auch unmittelbar endlicher Inhalt
verbunden; es ist endliche Form des Inhalts überhaupt. Das Denken
ist ebenso nicht ein freies, sondern die Selbstlosigkeit macht in
seinem Inhalt eine wesentliche Bestimmung aus. Wenn wir dies
konkreter ausdrücken und betrachten, indem wir uns näher auf das 935
Menschliche berufen, so sprechen wir von Menschlichkeit, von
gesundem Menschenverstand, [von] Naturanschauung. Wir spre-
chen von menschlichem konkreten Gemüt überhaupt, z. B. griechi-
scher Menschlichkeit. In diesem Konkreten liegt, daß der Mensch als
Denkendes oder Fühlendes präsente Gegenwart habe, daß solcher 940
konkrete Inhalt in seinem Denken seine Wurzel hat; dies Konkrete
macht den Stoff aus für sein wesentliches Bewußtsein. Es ist sein
Gegenstand, an dem sich das formelle Denken orientiert, die Ver-
irrungen des abstrakten Reflektierens haben an solchem Bewußtsein
ein Ziel, welches ihnen eine Grenze setzt und sie zurückführt auf 945
menschlich Konkretes überhaupt, auf Naturanschauung, auf das rich-
tige Denken.

916-917 Wir ... sprechen. so Gr


920 der Vorstellung.] so Pi; Gr: äußerliche Gegenstände
922-923 die ... sich] so Gr; He: eine geschichtliche Wahrheit
944 des abstrakten Refl.ektierens so Gr
113-114 Scholastiker 31

Den Inhalt dieser Art entbehrt I nun die Weise des Philosophierens
in dieser Zeit. Einerseits ist die kirchliche Lehre und andererseits ist
950 der natürliche Mensch noch nicht zur Vernünftigkeit oder noch
nicht einmal zur Menschlichkeit aus der Barbarei herausgearbeitet.
Die Wildheit und Barbarei besteht eben aus dem Gegensatz, wie er
aufgezeigt ist; sie ist um so fürchterlicher, je mehr sie am Geistigen
diesen ungeheuren Gegensatz hat. Es ist Barbarei, nicht Mangel an
955 Entwicklung, sondern sie ist um so fürchterlicher, je mehr sie vom
Gegensatz des Geistigen behaftet ist.
Indem nun dieser Gegensatz überhaupt besteht, indem der Mensch
an ihm selbst, an dem, was gesunder Menschenverstand heißt, in die
Vernünftigkeit noch nicht hineingedrungen ist, hat er zum Orien-
960 tieren des formellen Denkens noch keinen solchen konkreten Inhalt.
Was er auch über solchen Inhalt reflektiert, hängt dann haltungslos
an Reflexionsbestimmungen, Bestimmungen des formellen Denkens,
des Schließens. Was etwa von Naturbetrachtungen, Bestimmungen
über natürliche Verhältnisse, Gesetze der Natur usf. vorkommt, hat
965 an der Erfahrung noch nicht seinen Widerhalt, ebenso, was über das
Besondere, Menschliche reflektiert wird; es ist noch nicht begründet,
bestimmt durch gesunden Menschenverstand. Der Inhalt ist auch in
dieser Rücksicht innerhalb dieser Sphäre noch geistlos, und diese
geistlosen Verhältnisse werden umgekehrt, wenn es zur Bestimmung
970 des Höheren, Geistigen übergehen soll; sie werden in das Geistige
hinübergetragen.

Die Hauptmomente der scholastischen Philosophie

Diese Bestimmungen sind hier der allgemeine Charakter des Philoso-


phierens. Das Feld ist also sehr groß. Wir überlassen es der Literatur-
975 geschichte und wollen, kurz an das Nähere gehend, die Haupt-
momente des äußerlichen Gangs herausheben. Was wir zuerst von

954-955 Es ... Entwicklung,] so He; Pi: daß sie nicht unbefangen, unent-
wickelt ist
32 Philosophie des Mittelalters 114-115

Philosophie im Mittelalter, im Beginn selbständiger Staatsbildung


finden, das sind nur dürftige Überbleibsel von der römischen Welt
her, welche nach ihrem Verfall in jeder Rücksicht hinabgesunken
war. So hat man im Abendland fast weiter nichts gekannt als etwa *
Boethius' Kompendium über die aristotelische Logik, [die] Isagoge
des Porphyrius, eine dürftige Abhandlung von Augustin De dialec-
tica, und De categoriis, eine schlechte Paraphrase der Kategorien des
Aristoteles. Dies Äußerste und Formellste war damals nur bekannt. I

Der Beginn der Philosophie 985

Eine eigentliche Philosophie begann mit J ohann Scotus Eriugena *


im 9. Jahrhundert. Sein Vaterland, ob es Irland oder Schottland ge-
wesen, ist nicht bekannt. Er hat einige Kenntnis des Griechischen und
Arabischen besessen. Er las griechische Schriften des Dionysius Areo-
pagita und übersetzte sie ins Lateinische. Michael Balbus, der grie- 990

chisehe Kaiser, hat 824 dem Kaiser Ludwig dem Frommen diese Schrift
zum Geschenk gemacht; Karl der Kahle ließ sie vonjenem Schotten
und Irländer, Johann Scotus, übersetzen. Dadurch ist im Abendland
von der alexandrinischen Philosophie etwas bekannt geworden. Der
Papst hat ihn etwas ausgescholten, daß er ihm die Schrift nicht vor- 995

her übersandt [und] daß er keine Approbation gesucht. Scotus hat *


auch selbsteigene Werke, über die Natur, geschrieben, De naturae
divisione, worin einige Tiefe [und] Scharfsinn nicht zu verkennen
ist. Doktor Hjort in Kopenhagen hat einen Auszug aus den Schriften *
des Eriugena geliefert. Es sind dem Scotus Eriugena auch Vorwürfe *
von einer Kirchenversammlung gemacht worden, daß er sich nicht ge-
stützt habe auf die Heilige Schrift und auf die auctoritates patrum,

977 Staatsbildung] so Gr; He: Staaten und Bildung Lö: Staaten und
wissenschaftlichen Interesses
981 Boethius' Kompendium] so Pi, ähnlich He; Gr: Schriften von Boe-
thius und Cassiodor
984 damals nur bekannt.] so He; Pi: der Anfang
986 Eine ... Eriugena] so He, ähnlich PiLö; Gr: Johann Eriugena aus
Eryng in der Grafschaft Wales war der erste,
115-116 Scholastiker 33

sondern auf menschliche und philosophische Argumentationen seine


Sätze gestellt habe. Dies machte nun so den Anfang.

10 Die philosophische Betrachtung der Kirchenlehre

Anselmus und Abälard haben sich unter den späteren berühmt


gemacht.
* Anselmus war ein gelehrter Mönch; [er] lebte von 1034 bis
1109; er wurde sehr geehrt und später zum Erzbischof von Canter-
15 bury erhoben. Er hat vornehmlich die Lehre der Kirche auf philoso-
phische Weise zu betrachten und zu beweisen gesucht. Es wird sogar
von ihm vornehmlich gesagt, daß er den Grund zur scholastischen
Philosophie gelegt habe, daß er philosophisch bewiesen, was der
* Grund der Lehre der Kirche ist. Er sagt in dieser Rücksicht: Der
20 Christ muß durch den Glauben zum denkenden Erkennen fortgehen,
nicht durch den Intellectus zum Glauben kommen. Wenn er zum
denkenden Erkennen durchzudringen vermag, so wird er sich freuen,
wenn er sich durch den Gedanken beweist, was er sonst glaubt.
Wenn er sich nicht durch das Denken den kirchlichen Glauben [zu]
25 beweisen vermag, so muß er bei der Lehre der Kirche bleiben, nicht
von ihr ablassen. Sehr merkwürdig ist folgendes, was das Ganze
* seines Sinnes enthält; in seinem Traktat Cur Deus sit homo, der
reich an Spekulationen ist, sagt er: Es scheine ihm eine Nachlässig-
keit - negligentia mihi videtur -, wenn wir, nachdem wir im
30 Glauben befestigt worden sind, nicht suchen, dasjenige, I was wir
glauben, zu verstehen, intelligere. lntelligere ist das denkende Erken-
nen. Aber heutigentags erklärt man das für Hochmut, Übermut;
unmittelbares Wissen, Glauben, hält man für höher als Erkennen.
Anselmus aber, der scholastische Gelehrte des Mittelalters, und die
35 [anderen] Scholastiker haben das Gegenteil ausgesprochen.
* Er ist besonders berühmt durch den sogenannten ontologischen

18-19 daß ... ist. so M


26-27 was ... enthält so Gr
28 Spekulationen] so Gr; He: Scharfsinn
33 unmittelbares ... Erkennen. so Gr
34 Philosophie des Mittelalters 116-117

Beweis vom Dasein Gottes, den er aufgestellt hat, daß Gott ist, durch
ein einfaches Räsonnement zu beweisen; davon sagt er in der Ver-
rede zu jener Schrift: es habe ihm dies Tag und Nacht keine Ruhe
gelassen; er hielt den Gedanken lange für eine Versuchung des Teu- 40

fels. Endlich aber sei es ihm gelungen. Der einfache Inhalt dieses
Beweises enthält den Gegensatz von Denken und von Sein, und es ist
merkwürdig, daß wir sehen, daß erst jetzt und nicht früher das
Denken, das Allgemeine, und das Sein in dieser Abstraktion einander
entgegengesetzt werden und so der höchste Gegensatz zu Bewußt- 45

sein gekommen ist. Es ist die höchste Tiefe, den höchsten Gegensatz
zum Bewußtsein zu bringen. Sein Beweis enthält den Mangel, daß er
nach formell logischer Weise gemacht ist. Er enthält näher dieses:
»Wir denken etwas, wir haben einen Gedanken; dieser Gedanke ist *
einerseits subjektiv, aber der Inhalt des Gedankens ist das ganz All- 50

gemeine. Dieses ist zunächst nur so als Gedanke. Unterschieden


davon ist das Sein. Wenn wir nun etwas denken und auch Gott z. B.
denken (der Inhalt ist gleichgültig), so kann das, was wir denken,
vielleicht auch nicht sein. Für das Vollkommenste halten wir aber,
was nicht nur gedacht wird, sondern zugleich existiert. Folglich wäre 55

Gott, der das Vollkommenste ist, unvollkommen, wenn er nur im


Gedanken wäre und ihm nicht die Bestimmung des Seins zukäme.
Folglich müssen wir ihm das Sein zuschreiben.« Der Inhalt ist von
der höchsten Art; diese Identität des Denkens, d. h. des Gedankens
Gottes, des reinen allgemeinen absoluten Gedankens und des Seins ist 60

darin ausgesprochen, und wir geben es zu, daß das das W ahrlufte ist,
was nicht bloß Denken ist, sondern auch ist; das Denken müssen wir
aber hier nicht als bloß subjektiv nehmen; der Gedanke heißt hier
der absolute, der reine Gedanke.
Der Beweis ist von seiten des Formellen, des Logischen ange- *
griffen worden, weshalb Kant ihn auch angegriffen und verworfen
hat, welcher I Verwerfung die ganze Welt hinten nachgelaufen ist,
der Beweis sei [etwas] Unzulässiges. Der Mangel des Formellen ist
Jie Voraussetzung, daß die Einheit des Denkens und Seins, als das
Vollkommenste, als Gott, vorausgesetzt ist. Der wahrhafte Beweis 10

46-47 Es ... bringen. so Gr


61-64 und ... Gedanke. so Gr, ähnlich Lii
117 Scholastiker 35

wäre, daß am Denken für sich aufgezeigt wird, daß es, für sich ge-
nommen, ein Unwahres ist, sich selbst negiert und sich damit zum
Seienden bestimmt, ebenso wie auf der anderen Seite auch am Sein
gezeigt werden muß, daß die eigene Dialektik des Seins ist, sich
75 aufzuheben, sich zu setzen als das Allgemeine und eben damit als der
Gedanke.
* Es ist dieser Beweis schon damals von einem Mönche, Gaunilo,
kritisiert worden in einer Schrift, die er liber pro insipiente
* genannt hat. Anselmus hat ihm darauf geantwortet, [mit dem] liber
* apologeticus contra insipientem. [Gaunilo] hat dasselbe auf-
gezeigt als Kant, daß das Sein und das Denken verschieden sei. Der
Einwurf ist, wenn wir uns etwas denken, ist damit noch gar nicht
* gesagt, daß etwas sei. So z. B., wenn wir uns 100 Taler denken. Es ist
aber hier vom reinen Gedanken überhaupt die Rede. Gerade die
85 Einheit dieser Verschiedenen ist es, worum es sich handelt. Es ist dies
auch gar keine Neuigkeit, daß sie verschieden sind; das wußte An-
* selm ebensogut. Plato sagt: Gott ist das unendlich Lebendige, wo-
durch Seele und Leib, Sein und Gedanke auf ewig verbunden sind.
Das ist die absolute Definition von Gott.
90 Anselm hat also den Grund zur scholastischen Philosophie gelegt,
hat so die Philosophie eingeführt in die Betrachtung der Lehre der
Kirche, die also in dieser Hinsicht viel höher steht als die heutige.
Gott ist der Inhalt der Religion, was nur mit dem Geiste wahrhaftig
ist und nur durch den Gedanken wahrhaft begriffen werden kann.
95 Das ist das eine, was bei ihm herauszuheben ist; das andere ist, daß er
den Gegensatz von Denken und Sein in seiner höchsten Spitze aufge-
* stellt [hat]. In der folgenden Philosophie, bei Cartesius, werden wir
auch Denken und Sein an der Spitze sehen.

80-81 hat ... sei. so Gr


89 absolute] so Pi; Gr, ähnlich Lö: spekulative, wahrhafte
90 hat ... gelegt, so Lii, ähnlich Gr
91-92 Betrachtung ... Kirche,] so He; GrLö: Theologie des Mittelalters
Pi: Religion
92 die ... heutige. so Lö, ähnlich Gr
95-97 er ... aufgestellt] so Lii; Pi: Das Denken ist von der höchten Spitze
ausgegangen.
97-98 In ... sehen. so Lö
36 Philosophie des Mittelalters 117-118

Abälard lebte von 1097 bis 1142; er ist nach Anselm zu großem *
Ansehen gelangt; er hat ebenso über die Lehren der Kirche, beson- 100

ders über die Dreieinigkeit philosophiert. Abälard hat vor mehreren


1000 Zuhörern vorgetragen. Wie um jene Zeit Bologna Mittelpunkt
für das juristische Studium, so war Paris für die Theologen der
Mittelpunkt der Wissenschaften; es war der Sitz der philosophie-
renden Theologie. Anselm und er waren die Stifter der scholasti- 105

sehen Philosophie. Wir haben noch in diesem Sinne viele Werke von
den Scholastikern überhaupt, aber sie sind sehr weitschichtig ge-
schrieben, viele Folianten, und sind je später, desto formeller. I

Die Ausbildung der Theologie durch die Scholastiker

Das Weitere ist die nähere bestimmte Form, die die scholastische uo
Theologie bekommen hat. Die Theologie wurde für die allgemeine
Bildung der Geistlichen so getrieben, daß man aus den Kirchen-
vätern, besonders aus Augustinus und anderen, Stellen, Sentenzen
über die Glaubenslehre zusammenschrieb. Dies hat so die Weise
ausgemacht, die man zum Grunde legte, beim Lehren der Theologie. 115
Das Nähere war dann, den Lehrbegriff der Kirche in methodischer
Form darzustellen und zugleich die metaphysischen Gründe damit zu
verbinden, also die Theologie in ein wissenschaftliches System zu
bringen. Die Männer, die dies besonders geleistet haben, sind vor-
nehmlich: 120

Petrus von Navarra in der Lombardei, woher er gemeinhin *


Petrus Lombardus genannt wird. Er schrieb Vier Bücher von
Sentenzen, und er hieß daher auch Magister sententiarum. Über-
haupt hat jeder scholastische Gelehrte, der sich auszeichnet, einen
solchen Beinamen wie doctor invincibilis, sententiosus, angelicus, 125
divinus, deusinter philosophos usf. Er ist im Jahre 1164 gestorben. Er *
sammelte die Hauptbestimmungen der kirchlichen Lehre, und diesen

99 lebte ... er so Gr
108 je ... formeller.] so Gr, ähnlich Lö; Pi: nur ganz formell
110-111 Das ... hat. so Lii mit Gr
115 Theologie] so He; Gr: Kirche
118-119 Scholastiker 37

wurden dann Fragen und Antworten beigefügt über besondere Um-


stände. Bei Petrus waren aber die Antworten mehr nur problema-
t3o tisch hinzugefügt, so daß die Fragen eigentlich nicht entschieden
beantwortet waren. Er gebrauchte dazu eine Menge von Beweis-
stellen aus den Kirchenvätern. Der andere, der hier berühmt ist, war
* Thomas von Aquino. Er ist aus einem gräflichen Geschlecht
bei Neapel 1224 geboren und starb 1274 auf einer Reise zu einer
135 Lyoner Kirchenversammlung. Er war ein Dominikaner und hat
Kommentare verfaßt über Aristoteles und Petrus Lombardus, und er
hat selbst eine Summa theologiae geschrieben. Summa heißt
Lehrbegriff. Er hieß doctor angelicus oder auch doctor universalis.
Tiefe philosophische Gedanken über den ganzen Umfang der Theo-
* logie und Philosophie finden sich in seiner Summa. Er hat ebenso
Fragen, Anmerkungen und Zweifel hinzugefügt und auch den Punkt
angegeben, von dem die Auflösung abhängt. Das Hauptgeschäft der
scholastischen Theologie hat darin bestanden, die Summa des
Thomas Aquinus auszuführen und zu kommentieren. Ebenso sind
145 eine unzählige Menge von Kommentaren I über [die] vier Bücher
der Sentenzen des Petrus Lombardus geschrieben worden. Außer-
dem sind noch viele unbedeutendere. Die Hauptsache war, die Theo-
logie philosophisch und weiter systematisch zu machen; Petrus Lom-
bardus und Thomas von Aquino sind in dieser Rücksicht die
150 berühmtesten, und man hat sie bei allen weiteren gelehrten Bearbei-
tungen lange zum Grunde gelegt. - In Rücksicht der formellen Aus-
bildung der philosophischen Theologie ist berühmt
* Johannes Duns Scotus, doctor subtilis, ein Franziskaner, ge-
boren zu Dunston in der Grafschaft Northumberland, der auch einen
155 Kommentar über den Magister sententiarum geschrieben hat. Er ist
* auchdeusinter philosophos genannt worden. Es sagt einer von ihm:
Er hat die Philosophie so ausgebildet, daß er ihr Erfinder hätte sein
können, wenn er sie nicht vorgefunden hätte. Er wußte die Myste-

130-131 so ... waren.] so Gr, ähnlich He; Pi: Noch verschiedene An-
nahme der W ortbedeutung.
132 Der ... war so Gr
147-151 Die ... gelegt. so Gr
157-158 Er ... hätte. so Gr mit Lö"
38 Philosophie des Mittelalters 119-120

rien des Glaubens so, als ob er sie nicht geglaubt hätte; er kannte die
Eigenschaften der Engel, als wenn er selbst ein Engel wäre. Er schrieb 160
in wenigen Jahren so vieles, daß kaum ein Mensch hinreicht, es zu
lesen oder es zu verstehen. Zwölf Folianten sind von ihm gedruckt. *
1304 kam er nach Paris und 1308 nach Köln, wo ihn die Domini-
kaner, die damals besonders die Lehrstühle der Theologie besetzten,
sehr recht empfangen [haben] ; er starb jedoch daselbst bald darauf. 165
Er kommentierte die Sententiae des Petrus Lombardus. Dann machte *
er dazu quaestiones und gab die argumenta pro und contra an. Er hat
die scholastische Disputiermethode und ihren Stoff zur höchsten
Höhe, auf den höchsten Gipfel gebracht und eine Menge Sätze er-
funden, viele Unterscheidungen, eine Menge neuer Wörter gebildet, no
Ausdrücke festgestellt. Die Ausdrücke der Scholastiker sind aller-
dings barbarisches Latein, aber dies ist nicht die Schuld der Schola-
stiker, sondern Schuld der lateinischen Bildung, daß die Gedanken-
bestimmungen der neuen Geistesbildung nicht in lateinischer Sprache
vorhanden gewesen sind. Scotus gilt auch als Urheber der quodlibe- *
tanischen Methode, [d. i.] die eristische Abhandlung über einzelne
Gegenstände, die über alles spricht, aber ohne systematische Ord-
nung des Ganzen. I
In der Mitte des 12. Jahrhunderts ist die Scholastik ganz allgemein
geworden. Die doctores theologiae dogmaticae waren die Bewahrer t8o
der öffentlichen Lehre, welche Bücher kritisierten, sie für ketzerisch
erklärten usf. Sie waren gewissermaßen eine Art Kirchenversamm-
lung, eine Art von Vätern in Ansehung des christlichen Lehrbegriffs.
Dahin gehört die Sorbonne in Paris. Die aristotelischen Schriften
wurden später mehr bekannt, kommentiert und interpretiert, und 185
Aristoteles wurde hoch bewundert. Der Weg ist schon gezeigt, wo- *
durch die Abendländer mit den aristotelischen Schriften bekannt-
geworden sind; der Kaiser Friedrich II. ließ des Aristoteles Bücher *
aus dem Arabischen und Syrischen ins Lateinische übersetzen. Die
Kirchenversammlungen haben sich auch zum Teil damit befaßt und 190

159-160 er ... wäre. so Gr


183 eine ... Vätern so Gr
185 mehr) so He; Gr: allgemein
189 rmd Syrischen so Gr, ähnlich Lö
120-121 Scholastiker 39

* das Lesen der Metaphysik, Physik und die Summen, die daraus ver-
fertigt wurden, wurden anfangs auf einer Synode zu Paris verboten.
* Papst Gregor verbot 1231 durch eine Bulle, die nach Paris gerichtet
wurde, die Physik des Aristoteles zu lesen, bis sie geprüft und von
* den Irrtümern gereinigt sei. Später aber wurde verordnet, daß keiner
in Paris Magister der Philosophie werden solle, wenn er nicht die
vorgeschriebenen Bücher des Aristoteles, die metaphysischen und
einige physische, studiert und erklärt hätte. Unter denen, die sich
durch das Kommentieren der aristotelischen Schriften ausgezeichnet
200 haben, ist besonders zu bemerken
* Albertus Magnus. Er war ein Deutscher. Von seinen Schriften
sind noch 21 Folianten vorhanden. Er hat über Dionysius Areo-
pagita, über Aristoteles' Physik [geschrieben] und den Magister
sententiarum kommentiert. Er ist gebürtig aus Lauingen in Schwa-
2os ben, ein Dominikaner, dessen Familienname von Bollstedt ist. Er
studierte in Padua, wo noch sein Studierzimmer gezeigt wird. Er
starb 1280. Früher soll er geistesschwach und stumpfsinnig gewesen
sein. Da soll ihm dann die Jungfrau Maria erschienen sein mit drei
schönen Frauen I und ihm die Philosophie empfohlen haben und die
210 Weisheit gegeben. [Sie) befreite ihn von der Geistesschwäche, indem
sie ihm verhieß, er würde die Kirche erleuchten und der Wissen-
schaft ungeachtet rechtgläubig sterben. So widmete er sich der Philo-
sophie. Es wurden ihm dann Zaubereien zugeschrieben; er soll eine
Sprechmaschine erfunden haben, die Thomas von Aquino, der sie
21s gesehen, so erschreckte, daß er anfing zu evaporieren. Fünf Jahre vor
seinem Tode habe er aber ebenso schnell alle seine Philosophie
wieder vergessen, und [er) verfiel in seinen früheren Stumpfsinn
zurück [und soll) orthodox gestorben sein, und man führt als Sprich-
wort von ihm an: Albertus repente ex asino factus est philosophus et
220 ex philosopho asinus.
[Die] Kenntnis von der Geschichte der Philosophie war damals
sehr gering; [dies) mag aus einigen Äußerungen des Albertus über
* diese erhellen. Von den Epikuräem sagt er, sie hätten ihren Namen
davon, weil sie auf der faulen Haut gelegen hätten, quod supra

204-205 gebürtig ... ist. so Gr


212-213 So ... Philosophie. so Lei
40 Philosophie des Mittelalters 121-122

cutem iacebant, und weil sie supra curantes gewesen wären, die sich 22s

um unnütze Dinge bekümmerten; die Stoiker stellt er sich vor wie


unsere Chorschüler; sie hätten ihre Philosophie in Verse gebracht,
facientes cantilenas, und hätten sich in den Hallen [und] Säulen-
gängen herumgetrieben. Nach ihm sind die Currendejungen wohl
noch ein Überrest von ihnen. Im Leben des Epikur von Gassendi *
wird von Albert angeführt, daß die ältesten unter den Epikuräern
gewesen seien: Hesiod, dann Achalius (wer dieser war wird nicht
gesagt) und Caecinna, den andere Tetinnus nannten, ein Freund des
Cicero. Dann auch Isaacus. - Von den Stoikern seien die ältesten:
Speusippus, Plato, Sokrates und Pythagoras. 235

Diese Anekdoten geben ein Bild des Zustands der Bildung der
damaligen Zeit. - Die Hauptsache aber in dieser Zeit ist die Bekannt-
schaft mit Aristoteles und besonders mit seiner Logik, was sich von
der ältesten Zeit her erhalten hat.

Realismus und Nominalismus 240

Ein drittes, was anzuführen ist, ist ein Hauptgesichtspunkt, der auch
noch für uns Interesse hat, oder eine Bestimmung, die sich durch das
ganze Mittelalter hindurch erhalten hat: Dies ist der Unterschied von
realistischer und norninalistischer Philosophie. Dieser Unterschied
hat sich durch die ganze Zeit der Scholastik hindurchgezogen. Dieser 245
Streit ist mit aller Heftigkeit und scholastischer Subtilität geführt
worden. Man unterscheidet ältere und neuere Nominalisten und
Realisten. Unter den älteren werden Roscellin und Abälard ge- *
nannt.
Zu denneueren gehört vorzüglich IWilhelm Occam, ~in Eng- *
länder und Franziskaner mit dem Beinamen doctor invincibilis, der

228-229 sich ... herumgetrieben.] so Lö mit He, ähnlich Sv; Gr: sie in den
Hallen abgesungen
236-237 Diese ... Zeit. so Gr
238-239 und ... hat. so Gr
244-245 Dieser ... hindurchgezogen. so Gr
250-251 ein Engländer so Gr
251-252 mit ... starb. so Gr
122 Scholastiker 41

1347 zu München starb. [Er] hat diese Frage wieder an die Tages-
ordnung gebracht. Die Franziskaner waren Occamisten, wie Occam
selbst Franziskaner war, und die Dominikaner waren dagegen, nach
255 Thomas von Aquino, Thomisten. Dieser Unterschied ging jetzt fort.
Die Ordensinteressen mischten sich ein. Occam und die Franziskaner
* sind auch in politischer Rücksicht merkwürdig. Occam war ein
Anhänger des Kaisers Ludwig von Bayern und hat mit der Feder, wie
der Kaiser mit dem Schwerte, die germanische Freiheit gegen die
260 Anmaßungen des römischen Stuhls zu behaupten gesucht. Mit
diesem Streitpunkt haben sich auch politische Rücksichten verbun-
* den; der König von Frankreich, Ludwig XI. z. B. hat die Bücher der
Nominalisten weggenommen oder verschließen lassen, 1481 aber
gab er sie wieder frei.
265 Was nun den Unterschied der Realisten und Nominalisten im
allgemeinen betrifft, so bezieht [er] sich auf den Gegensatz des Allge-
meinen und Einzelnen. Es handelt sich um die Universalien, das
Allgemeine, [die] Idee Platos, die Gattung überhaupt, das Wesen der
Dinge. Es war die Hauptfrage, ob dieses Allgemeine realiter existiere
210 oder ob es nur nominell sei, d. h. eine subjektive Vorstellung oder
ein Gedankending. Bei uns heute hat der Ausdruck >Realismus< den
ganz entgegengesetzten Sinn, nämlich, ob die sinnlichen Dinge, wie
sie in ihrer unmittelbaren Existenz sind, etwas Wahrhaftes, Substan-
tielles seien, so daß ihnen eigentliches Sein zugeschrieben werden
275 kann, und der Idealismus steht dem entgegen, abstrakt als die Vor-
stellung, daß das Sinnliche, wie es sich unmittelbar in seiner Einzel-
heit den Sinnen zeige, nicht ein Wahrhaftes sei. Im Mittelalter war es
aber das Umgekehrte; der scholastische Realismus behauptete, daß
das Allgemeine, die Universalien, die Gattungen, das Wesen der
2so Dinge, die Idee ein Selbständiges, Fürsichseiendes, Existierendes sei;
wogegen die Nominalisten sagten, es sei nur Vorstellung, subjektive
Verallgemeinerung. Wenn man Gattungen usf. formiere, so seien
dies Namen, Vorstellungen für uns, die wir machen. Dies ist nun der
Gegenstand; er ist von großem Interesse. Das ist ein viel höherer
* Gegensatz als ihn die Alten gekannt haben. Nach den Nominalisten

282 Wenn ... so so Gr, ähnlich Lö"


42 Philosophie des Mittelalters 122-123

waren also die Universalien bloße Abstraktionen, die an sich nichts


Reelles haben. Das Seiende dabei sei nur im Individuum; nicht das
Leben, das Sein als solches I für sich habe eine eigentümliche Realität.
Da kommen denn viele Bestimmungen und Unterscheidungen
herein. In einer anderen Schrift von Occam wird der Standpunkt der *
Realisten so angegeben: Es ist eine Meinung, daß jedes Allgemeine,
das Gleichnamige, realiter eine außer der Seele existierende Sache sei,
daß die Essenz jedes Einzelnen unterschieden sei von jedem Einzel-
nen, aber auch von jedem Allgemeinen, so daß der allgemeine
Mensch eine wahre Sache außer der Seele sei, die realiter in ihm 295

existiere. Dieser allgemeine Mensch sei unterschieden von allem


Einzelnen und allen Gattungen, vom allgemeinen Leben, von der
natürlichen Substanz; also jede Gattung habe für sich reale Existenz.
Occam nun dagegen sagte, daß das Universale nicht ein solches sei, das *
ein esse subiectivum habe, weder in noch außer der Seele, aber ein esse 3oo

obiectivum in der Seele; es sei ein Gebildetes in der Seele, das aber
doch objektive Realität habe, wie auch die Vorstellung Realität habe
in der Sache; es sei für uns ein Zeichen dessen, was in der Natur
existiere. Dies ist die Hauptfrage bei den Scholastikern, die für sich
wichtig genug ist. 305

Lehrbegriff und Formalismus

Das letzte, was noch von ihnen zu bemerken ist, das ist dies, daß die
Scholastiker nicht nur in den kirchlichen Lehrbegriff alle möglichen
formellen Verhältnisse des Verstandes hineingebracht haben, sondern
daß sie auch diese an sich intelligiblen Gegenstände behandelt haben 3to

nach sinnlichen, ganz äußerlichen Verhältnissen. Man kann daher


sagen, daß sie den kirchlichen Lehrbegriff einerseits tief behandelt
haben, auf der anderen Seite, daß sie ihn durch ganz ungeeignete
äußerliche Verhältnisse verweltlicht haben, so daß dies hier der

286-287 diez ... haben. so Lii


289-290 Da ... herein. so Gr
298 natürlichen Substanz;] so He; Lö: allgemeinen Existenz; Gr: Existenz
303-304 es ... existiere. so Gr
123--124 Scholastiker 43

315 schlechteste Sinn der W eltlichkeit ist, den man nehmen kann. Der
kirchliche Lehrbegriff enthält nun für sich ein geschichtliches Moment,
eine Bestimmung von äußerlichen, sinnlichen Verhältnissen. Das
christliche Prinzip enthält diesen Zusammenhang in sich selbst. Diese
Seite haben die Scholastiker aufgefaßt und mit unendlichem Scharf-
320 sinn, mit endlicher formeller I Dialektik behandelt. Hiervon will ich
einige Beispiele geben.
* Von Julian, Erzbischof von Toledo, hat man auch solche
Behandlung von quaestiones. Der eigentliche Lehrbegriff war un-
disputabel. Aber es wurden an demselben verschiedene Seiten aufge-
325 sucht oder an ihn angehängt, und diese wurden betrachtet als frei-
gelassen von der Kirche; über die Beweise, die vom Inhalt des Lehr-
begriffs gegeben wurden, konnte man streiten, nicht aber über den
Inhalt selbst. Außerdem wurde aber auch eine Menge Inhalts aufge-
* funden durch den Scharfsinn, der dann disputabel war. Es kommt
330 z. B. eine solche Frage vor über die Gestorbenen: Der Mensch wird
auferstehen und mit einem Leibe bekleidet werden. Dies ist eine
kirchliche Lehre. Mit dem Leibe tritt man aber in die sinnliche
Sphäre ein, und damit wird es disputabel. Nun kam man darauf,
diesen Leib bestimmen zu wollen, und die Frage wird aufgeworfen:
335 In welchem Alter werden die Gestorbenen auferstehen? Als Kinder,
Jünglinge, Männer oder Greise? Ferner, in welcher Gestalt, mit
welcher Leibeskonstitution? Wenn sie mager gewesen, [wieder]
mager, wenn sie fett gewesen, wieder fett? Wird der Geschlechts-
unterschied fortdauern? Ob die Menschen alles wiederbekommen
340 werden, was sie an Nägeln und Haaren verloren?
* Eine Hauptfrage betraf ferner auch die Geburt Christi, ob sie
natürlich oder übernatürlich gewesen sei? Schon früh wurde ein
Werk: de partu beatae virginis geschrieben, das den Gegenstand mit
* einer eines Accoucheurs würdigen Genauigkeit behandelt. Bei Petrus
345 Lombardus finden sich über die Schöpfung, den Sündenfall, die

320 endlicher formeller) Gr: endlicher PiLö: formeller He: unendlich


scharfsinniger
332-333 Mit ... disputabel. so Gr mit Lö
345-346 den ... Engel) Lö: den Sündenfall, He: die Engel, über die
Gefallenen
44 Philosophie des Mittelalters 124-125

Dreieinigkeit, die Engel solche quaestiones, ob ein Vorhersehen


[und] Vorherbestimmung Gottes möglich gewesen wäre, wenn
keine Geschöpfe gewesen wären. Wo war Gott vor der Schöpfung 1 *
Thomas von Straßburg antwortete: Tune ubi nunc, in se, quoniam
sibi sufficit ipse. Jene Frage bezieht sich auf eine lokale, kleinliche 3So

Bestimmung, die Gott nichts angeht. Ferner, ob Gott mehreres *


wissen kann als er weiß 1 Von [der] Wirklichkeit des Wissens kann
[die] Möglichkeit unterschieden werden. Ob Gott allezeit alles
könne, was er einst gekonnt habe, z. B. ob er allezeit den König
Salomo machen könne 1 Wo die Engel nach ihrer Schöpfung ge- 355

wesen sind 1 Ob die Engel immer gewesen 1 Wie alt Adam erschaffen
werde 1 Warum Eva aus der Rippe Adams und nicht aus einem
anderen Teile, und warum [sie] während des Schlafs von Adam
erschaffen worden sei 1 Warum die ersten Menschen sich im Paradies
nicht begattet haben 1 I Wie sich die Menschen würden fortgepflanzt 360
haben, wenn sie nicht gesündigt hätten 1 Warum der Sohn und nicht
der Vater oder der Geist Mensch geworden sei 1 Ob Gott den Men-
schen nicht auch in dem weiblichen Geschlecht hätte annehmen
können, suppositare 1 Ob Gott auch in den Teufel hätte fahren *
[können] 1 Ob er nicht auch in Esels- oder Kürbisgestalt hätte er- 36>
scheinen können? Num Deus potuerit suppositare mulierem1 Num
diabolum1 Num asinum1 Num cucurbitam1 Und wie ein Kürbis da
hätte predigen können, oder wie er hätte gekreuzigt werden
können 1 Diese ganz äußerlichen Formen der Sinnlichkeit haben sie
so in dies rein Geistige gebracht und es damit verweltlicht. 370

Hiermit sind nun die Hauptmomente angegeben, die bei der scho-
lastischen Philosophie in Betracht kommen, indem wir eben noch
diese Verweltlichung, dies Hineinbringen von Verstandesunter-
schieden und sinnlichen Verhältnissen in das, was an und für sich
seiner Natur nach Geistiges, Absolutes und Unendliches ist, gesehen 375

haben.

349-351 Themas ... Ferner, so Gr


366-367 Num ... cucurbitam?] so W; Lö: num diabolum, num [lacuna]
potuerit
369-370 Diese ... verweltlicht. so Gr
371-376 Hiermit ... haben.] so Gr, ähnlich LO"; Pi: Endliches ist so hinein-
gebracht in das Unendliche, Absolute.
125-126 Renaissance und Reformation 45

Die Mystiker

Es muß in Rücksicht auf die letztere Richtung noch bemerh


werden, daß neben dieser Verendlichung, Verschlechterung, auch
380 viele große Scholastiker gewesen sind, die Mystiker genannt werden,
die teils in Ansehung der Kirchenlehre und teils in Ansehung der
philosophischen Betrachtung sich rein erhalten haben, die auch die
Moralität, Religiosität, Liebe zu Gott aus wahrhafter Empfindung
geschöpft und Betrachtungen, Vorschriften über Philosophie in
385 diesem Sinne gegeben haben:
* Johann Charlier. Er wird auch von Gersou genannt und
schrieb eine theologia mystica im 14. Jahrhundert, ebenso
* Raimund von Sabunde u. a., der 1437 eine theologia naturalis
schrieb, welche er in einem spekulativen Geiste auffaßte. Diese Weise
390 ist dann jener gegenüberzustellen; um den scholastischen Theologen
auch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sind auch diese Mystiker
zu beachten.

4. Renaissance und Reformation

Wir haben nun nach diesen Spezialien von dem allgemeinen Fort-
395 gang des I Geistes zu sprechen. Wir haben gesehen einerseits eine
Behandlung des Lehrbegriffs auf philosophische Weise, aber auch
eine Ausbildung der formell logischen Wissenschaft und die Ver-
weltlichung des an und für sich seienden, höchsten Inhalts. Ebenso
hat sich die existierende Kirche auch auf eben solche Weise verwelt-
400 licht; sie nahm alle Leidenschaften, Herrschsucht, Habsucht, Laster,
in sich auf. Sie hat das Verhältnis der Herrschaft über das Innerste der
Menschen und das Verhältnis der Priester zu den Laien gegründet
und festgehalten. Auf der anderen Seite hat sich das Weltliche sich in

383 wahrhafter Empfindung] so HcLif, iihnlich Gr; Pi: dem Inneren


384 über Philosophie so Gr
389 welche . . auffaßte. so Gr
389-390 Diese ... gegenüberzustellen so Gr, ähnlich Lö
46 Philosophie des Mittelalters 126-127

sich vergeistigt, oder es hat sich in sich festgesetzt, und zwar auf eine
durch den Geist berechtigte Weise. .o5
Was das Verhältnis der Zeit überhaupt betrifft, so kann bemerkt
werden, daß, wenn wir einerseits das Prinzip der Selbstlosigkeit des
Menschen, das Verhältnis des Geistes, nicht bei sich zu sein, der
Entzweiung des Menschen in sich, sehen, so sehen wir auf der
anderen Seite den gesetzlichen, politischen Zustand überhaupt fester 410

werden, und es bildet sich eine Selbstischkeit, die nicht nur mehr
barbarisch, selbstsüchtig ist. In jener Selbstischkeit ist das Moment
der Barbarei enthalten, die der Furcht vor der Strafe der Kirche
bedarf, um in Schranken gehalten zu werden. Jetzt sehen wir aber
das Recht des Eigentums, gesetzliche Ordnung eintreten; es ist zwar 415

das Feudalsystem, die Leibeigenschaft die Weise der herrschenden


Ordnung, aber alles dieses wird jetzt ein rechtlich Festes, d. h. ein
Festes in Beziehung auf die Freiheit; das ist Recht, daß die Freiheit
der einzelnen Individuen sich zur Existenz bringe und durch das
Gesetz als schlechthin geltend betrachtet werde. Das Recht ist so 420

festgesetzt, wenn auch Verhältnisse zum Privateigentum gemacht


sind, die eigentlich dem Staate angehören. Das Gelten der Selb-
stischkeit des Menschen, die sich auf die Freiheit des Menschen be-
zieht, setzt sich also fest gegen das Prinzip der Kirche, das Prinzip
der Selbstlosigkeit. Die Verhältnisse der Feudalmonarchie, zwar auf 425
der Geburt beruhend, sind aber auch nichts kastenmäßiges wie bei
den Ägyptern und Indem. In der kirchlichen Hierarchie kann einer
vom niedrigsten Stande I selbst zu den höchsten Stellen gelangen. In
Italien haben Städte, Bürgerschaften sich ihre Freiheiten behaupten
und ihre Rechte anerkennen gemacht gegen die weltliche und 430
geistliche Gewalt. Die Freiheit dieser Städte wird gegründet. Die
Capitani in Italien traten auch aus dem Feudalsystem heraus. Auch
in dem Feudalsystem war Recht wenigstens auf formelle Weise

406-407 Was ... daß so Gr


412 Selbstischkeit] Gr: Selbständigkeit
420-422 Das ... angehören.] so Gr; Lö: Es ist das Recht des Eigentums
geltend geworden
430 gegen] so He; Gr: durch
431 Die ... gegründet. so He
127-128 Renaissance und Reformation 47

festgesetzt und anerkannt worden. Bürgerliche, gesetzliche Ord-


435 nung, Freiheiten treten nach und nach hervor; damit stehen dann
im Zusammenhang Gewerbe, Handel und Künste. In den Künsten
liegt, daß der Mensch aus sich das Göttliche darstellt, hervorbringt.
Wenn die Künstler noch so fromm waren, die Selbstlosigkeit zum
inneren Prinzip hatten, waren sie es als Künstler dennoch, aus deren
440 subjektivem Vermögen diese Darstellungen und Vorstellungen in
religiöser Beziehung hervorgingen.
Es hängt also damit zusammen, daß der Mensch, das Weltliche
sich so berechtigt in sich gewußt hat, Bestimmungen festgehalten
hat, die sich auf die subjektive Freiheit gründen. Im Gewerbe auch
#5 ist das Individuum wesentlich auf seine eigene, freie Tätigkeit
angewiesen; es selbst ist das Betätigende und Hervorbringende. Die
Menschen sind dazu gekommen, sich frei zu wissen, ihre Freiheit
anerkennen zu machen; sie sind dazu gekommen, in ihre Hände zu
schauen, daß sie es waren, die für eigene Interessen, für eigene
450 Zwecke tätig zu sein die Kraft hatten. Es ist damit die Zeit ein-
getreten, daß jetzt wieder Künste und Wissenschaften aufblühten,
und zwar so, daß man sich vornehmlich in Ansehung der Wissen-
schaften zu den Werken der Alten wendete, und diese Werke sind
Gegenstand der Studien geworden, welche im Gegensatz [zum
455 Göttlichen] studia humaniora hießen, d. h. wo der Mensch in
seinem Wirken und Zwecken anerkannt ist. Daß die Menschen
selbst etwas sind, hat ihnen Interesse gegeben für die Menschen, die
auch als Menschen etwas sind. Damit war verbunden die nähere
Seite, daß die formelle Bildung des Geistes der Scholastiker all-
460 gemeiner geworden ist. Das Resultat war, daß der Gedanke sich
dabei in sich selbst gefunden hat, und daraus ist dann der I Gegen-
satz entsprungen von V erstand und von Kirchenlehre oder Kirchen-
* glauben. Die Vorstellung des Gegensatzes wurde allgemein, daß der
Verstand etwas für falsch erkennen könne, was die Kirche be-
465 hauptet. Es ist von Wichtigkeit geworden, daß der Verstand, das
Denken überhaupt sich so erfaßt hat, obschon in Gegensatz gegen
das Positive überhaupt.

450-451 Es ... wieder so Lö, ähnlich Gr


465 Es ... daß so Gr, ähnlich Lö"
48 Philosophie des Mittelalters 128

Das Interesse an der alten Philosophie

Die nächste Weise, wie das Umschauen nach dem Menschlichen in


Ansehung des Wissenschaftlichen sich hervorgetan hat, ist die ge- 470

wesen, daß im Abendland ein Interesse für die Werke der Alten
entstand und daß besonders eine Bekanntschaft des Abendlands mit
der griechischen Philosophie gemacht wurde. Die alten Philo-
sophien wurden aufgefrischt. Freie Philosophie, Systeme, die vom
Denken ausgegangen wären, sind noch nicht aufgekommen, son- 475

dem nur die alten philosophischen Systeme wurden jetzt erneuert


und erweckt.
Diese Bekanntschaft, die das Abendland mit den griechischen
Originalen gemacht hat, hängt mit äußeren politischen Gegeben-
heiten zusammen, indem die Türken Griechenland verheert und 480
Konstantinopel erobert haben. In dieser Bedrängnis des griechischen *
Kaisertums wurden Gesandte ins Abendland geschickt, um die Hilfe
der Christenheit anzuflehen. Diese Gesandten waren größtenteils
gelehrte Griechen, wissenschaftlich gebildete Männer, so Chrysolo-
ras. Diese Gesandten und diejenigen, welche flüchtend später nach 485

dem Abendland kamen, haben nähere Bekanntschaft mit den Grie-


chen gebracht. Petrarca hat Griechisch gelernt von einem griechi- *
sehen Mönch in einem Kloster in Kalabrien, wo dergleichen viele
wohnten, die aus Griechenland geflüchtet waren. Vornehmlich sind
also wieder die alten Philosophien erweckt worden, und wir haben 490

noch eine Menge Schriften aus jener Zeit, die Ausbildungen einer
älteren Philosophie enthalten.
Alle griechischen Schulen haben ihre Anhänger gefunden. Es gab
z. B. Aristoteliker, Platoniker usf., aber nun in einem ganz anderen
Sinne als die Scholastiker sich so nannten. So [ist] besonders Pom- *
ponatius berühmt. Es gab Averroisten, welche über die Unsterb- *
lichkeit der Seele stritten, so heftig, daß ein Konzilium darüber
entscheiden mußte. Diese Aristoteliker schöpfen aus den Schriften

474--475 die ... wären so Lö


488-489 wo ... waren. so Gr
489-490 Vornehmlich ... und so Lö, ähnlich Gr
498-499 Diese ... selbst. so He
128-129 Renaissance und Reformation 49

* selbst. Es hat auch Platoniker gegeben; der Kardinal Bessarion, der


500 Patriarch in Konstantinopel gewesen war und aus Trapezunt her-
übergekommen war, hat den Plato im Abendland näher bekannt
* gemacht. Ficinus in Florenz hat ihn dann übersetzt. Die Medici
schützten Künste und Wissenschaften, [haben] griechische Gelehrte
* an ihren Hof gezogen, und einer von ihnen hat eine platonische
* Akademie gestiftet, an deren Spitze Ficinus gestanden. [Ferner ist zu
* nennen] der Fürst von Mirandola. Die epikuräische I Philosophie
* wurde später durch Gassendi bekannt gemacht; auch die stoische
* fand ihre Anhänger. Die kabbalistische [und die] eigentlich pytha-
goräische Philosophie (alles ist mit vieler Trübheit vermischt) ist
5to auch wieder ausgebildet, besonders von einem gewissen Reuchlin
* ausgebreitet. Die Begeisterung für das Griechische war so groß, daß
Reuchlin von einem Griechen in Wien Griechisch gelernt hat.
* Reuchlin hat sich das Verdienst erworben, einen Schluß eines
Reichstages, daß alle hebräischen Bücher verbrannt werden sollten,
* [zu] verhindern. - Die stoische [Philosophie wurde] durch Lipsius
* [wieder belebt]. Auch die Form der ciceronianischen Philosophie
verbreitete sich - eine mehr populäre Philosophie, die aber alles,
was im menschlichen Gemüt vorgeht, die Gefühle, betrachtet. Das
ist ihr Wert, der um so größer ist, als damals Selbstlosigkeit
520 herrschte.

Die besonderen Individuen

Neben diesem ruhigen Hervortreten der alten Philosophie sind die


Gestalten besonders auffallend und merkwürdig, in denen der Trieb
der Erkenntnis, des Spekulierens, des Wissens zu dieser Zeit auf eine
525 gewaltsame, gärende Weise sich aufgetan hat. Hier finden sich viele
große Individuen, groß durch die Energie ihres Charakters und

SOS an ... gestanden. so Lö


S1S Lipsius] He: Leibniz
S18-S20 Das ... herrschte] so He; Gr mit Lö: Die Gefühle des Menschen
usf. sind zu bemerken für würdig gefunden worden, gegen das Prinzip der
Selbstlosigkeit der Kirche.
50 Philosophie des Mittelalters 129-130

Geistes, groß durch die Liebe für die Wissenschaften, bei denen aber
zugleich sich eine so große Verworrenheit der Vorstellungen und
Empfindungen des Geistes und Charakters findet. Die Zeit war
reich an solchen Individuen, die sich auf die genialste und dann aber 530

auf die korrupteste Weise herumtrieben, im Gedanken, im Gemüt,


wie in den äußerlichen Verhältnissen.
Hieronymus Cardanus (1501 bis 1576) ist besonders aus- *
gezeichnet von dieser Seite. Man hat von ihm noch 10 Bände in
Folio. Darunter ist auch seine eigene Lebensbeschreibung, De vita *
propria, worin er das Härteste von sich sagt, was nur ein Mensch
von sich sagen kann. Um ein Bild von diesen Widersprüchen zu
geben, diene dieses. Er spricht zunächst von seinen Schicksalen vor *
der Geburt. Seine Mutter hätte Getränke genommen, um ihn unreif
abzutreiben, seine Säugamme starb an der Pest; sein Vater war sehr 540

hart gegen ihn; er legte sich dann auf die Wissenschaften, wurde
Doktor der Medizin und reiste viel, ist überall gewesen. Er wurde
Professor der Mathematik [zu Mailand], dann der Medizin zu
Bologna, war mehrere Male in Schottland; er hat überhaupt in
beständigen innerlichen und äußerlichen Stürmen gelebt. Er sagt, er 545

hätte die größte Folter des Ge lmüts in sich gehabt und habe die
größte Wonne daran gefunden, sich und andere zu quälen; er
geißelte sich heftig, biß sich in Finger und Lippe, um zum Weinen
zu kommen und so sich von der Geistesmarter zu befreien, Er-
leichterung zu finden. Ebenso war er in seiner Sitte und in seinem 55o

Betragen und äußerlichen Leben von der entgegengesetztesten


Weise, bald ruhig, bald wie ein Verrückter [und] Wahnsinniger,
war bald fleißig, arbeitsam, bald liederlich; er verspielte dann alles.
Seine Kindererziehung war natürlich unter solchen Verhältnissen
sehr schlecht. Einem seiner Söhne ließ er die Ohren abschneiden, 555

wegen dessen Liederlichkeit. Ein anderer seiner Söhne brachte seine


eigene Frau um und wurde mit dem Schwerte hingerichtet. Er
selbst war weit und breit berühmt als ein tiefer Astrologe, hat
vielen Königen und Fürsten die Nativität gestellt, und daher reiste
er auch nach Schottland. Er war auch ein gründlicher Mathemati- *
ker; die Auflösung der Gleichungen dritten Grades heißt noch nach
ihm die Cardanische Regel. Er sagt von sich selbst: ))Ich habe einen *
in Wissenschaften gebildeten Geist, ich bin sinnreich, elegant, an-
130--131 Renaissance und Reformation 51

ständig, aufgeräumt, listig, wohltätig, treu, erfinderisch, gutmütig,


565 durch mich selbst gelehrt, strebe nach Wundem, verschlagen,
nüchtern, arbeitsam, gottesfürchtig, geschwätzig, Verächter der
Religion, heimtückisch, verräterisch, Zauberer, unglücklich, der
Menge gram, eifersüchtig, ein Zotenreißer, willfährig, veränderlich
usf. Solcher Widerspruch meiner Natur und Sitten ist in mir.« Dies
570 sagt er selbst in seinem Buch De vita propria.
* Thomas Campanella ist ebenso ein Gemisch von allen mög-
lichen Charakteren; er war zu Stylo in Kalabrien 1568 geboren und
starb zu Paris 1639. Wir haben noch mehrere Folianten von ihm. Er
ist unter anderem 27 Jahre lang in einem harten Gefängnis in
575 Neapel gewesen. Die Menge seiner Schriften, die wir noch haben,
ist unter diesem äußeren Drucke entstanden. Er hat vieles - innere
und äußere Stürme - gelitten.
In dieser Gärung sind noch besonders zu erwähnen Giordano
Bruno und Vanini.
* Giordano Bruno ist aus Nola in Neapel im 16. Jahrhundert
gebürtig. Er trieb sich in den meisten europäischen Staaten umher.
In Neapel war er zuerst Dominikaner gewesen, aber hatte bittere
Anmerkungen über manche Lehren - über [die] Transsubstantia-
tion, über die Unbeflecktheit der Empfängnis - [und] gegen die
585 krasse Unwissenheit der Mönche und ihr lasterhaftes Leben. Er
lebte dann in vielen Staaten, in Genf zur Zeit des Calvin, dann in
Lyon und Paris, wo er Theses zur öffentlichen Disputation anschlug
* - eine beliebte Manier der damaligen Zeit. (Ein Fürst von Miran-
dola hatte 900 Theses in Europa verbreitet, worüber er zur Disputa-
590 tion nach Rom einlud, indem er selbst den Entfernteren die Er-
* stattung der Reisekosten versprach.) Brunos Theses gingen gegen
die Aristoteliker, d. h. die Scholastiker. Er ist auch in London
gewesen und in vielen deutschen Universitäten; so I lehrte er in
Wittenberg und Prag. Zuletzt ging er nach Italien zurück und lebte
595 eine Zeit lang in Padua ungestört, wurde aber in Venedig von der
Inquisition gepackt, nach Rom gebracht und, weil er nicht wider-

571-573 ist ... 1639 so Gr


576 ist ... entstanden. so Lö
52 Philosophie des Mittelalters 131-132

rufen wollte, 1600 in Rom verbrannt wegen Ketzerei. Er war


standhaft im Tode.
Seine Schriften sind sehr selten zusammen, weil er sie überall hat
drucken lassen; die größte Anzahl deren befindet sich in der Uni- *
versitätsbibliothek zu Göttingen. Jacobi hat besonders auf ihn auf- *
merksam gemacht. Die ausführlichsten Nachrichten über ihn findet *
man in der Buhleschen Geschichte der Philosophie.
Von Bruno ist zweierlei zu betrachten, seine philosophischen *
Gedanken und andererseits das, was seine Lullische Kunst genannt 605

wird. In den Schriften des Bruno zeigt sich vornehmlich die le- *
bendigste Begeisterung des Gedankens. Im allgemeinen ist seine *
Philosophie Spinozismus. Diese Trennung von Gott und der Welt
und alle diese Verhältnisse der Äußerlichkeit sind hinweggeworfen
in seiner lebendigen Idee der Einheit von Allem. Näher sind die *
Hauptformen seiner Vorstellung diese, daß er Materie auf eine Seite
als Bestimmung setzt und auf die andere Seite die zweite Bestim-
mung, Form. Die Form ist der allgemeine Verstand, die allgemeine
Form des Weltalls, die sich zur Hervorbringung der Naturdinge so
verhält wie der Verstand des Menschen zur Bildung des Begriffs; es 615

ist der innere Künstler, der aus dem Inneren die Gestalt bildet. Aus
dem Inneren, der Wurzel [oder) des Samenkorns, komme der
Stamm hervor, aus diesem die Zweige und aus diesen die Blüten.
Alles ist in sich angelegt. Dieser Verstand ist wirkender Verstand, *
Ursache, aber nicht bloß causa efficiens, sondern auch formaler 62o

Verstand, und dies hat dann die Bestimmung von Endursache.


Endursache ist Z weckbestimmung. Bei der Kautischen Philosophie *
werden wir diese Bestimmung näher zu erwähnen haben. Das *
organisch Lebendige, dessen Prinzip die Lebendigkeit ist, das Bil-
dende, das in dieser seiner Wirklsamkeit nur sich hervorbringt, bei 625

sich bleibt, sich erhält, das ist Zweck überhaupt. Bei >Zweck< muß
man nicht an die äußere Vorstellung eines Verstandes [denken), der
für sich einen Zweck macht und Materie äußerlich formiert nach
dieser Bestimmung. >Zweck< ist also die in sich bestimmte Tätigkeit,

601 Göttingen] so GrPiHc; in He am Rande: auf der hiesigen Bibliothek ist


nur eine seiner Schriften.
603 Buhleschen] so Gr; Lii: Buhle, ein Göttinger Professor
132-133 Renaissance und Reformation 53

630 die aber in ihrem Verhalten zu anderen nicht als bloße Ursache sich
verhält, sondern die in sich zurückgeht und sich erhält. Das ist die
Form.
* Vorher ist von Materie gesagt worden, daß sie die eine Bestim-
* mung sei. Die Hauptsache ist aber bei ihm, daß er die Einheit der
635 Form und der Materie behauptet, daß die Materie an ihr selbst
lebendig ist. Sie stellt nur das Bleibende dar, und insofern das Blei-
bende das Abstrakte ist, so ist es das Formlose, das aber aller Form
fähig ist. Diese wird aber nicht von außen an ihr gesetzt, sondern
die Form ist ihr immanent, identisch mit ihr, so daß sie [sc. die
640 Materie] diese Veränderungen, Umbildungen selbst setzt, selbst
hervorbringt. Sie ist also das Vorausgesetzte aller Körperlichkeit,
selbst intelligibel, das Allgemeine, das Verständige, die Endursache
* an ihr selbst. Da gebraucht er denn aristotelische Formen von [der]
Dynamis, der Potenz (Möglichkeit) und der Wirklichkeit. Er sagt:
645 Es ist unmöglich, einer Sache Dasein beizumessen, der die Kraft,
dazusein, gebricht. Und darin liegt sogleich der aktive Modus; das
eine setzt das andere voraus, die Passivität und die Aktivität sind
unzertrennbar. Wenn von jeher eine Wirksamkeit da war, so mußte
auch von jeher ein Vermögen, bewirkt, erschaffen zu werden, da
650 sein. Die vollkommene Möglichkeit des Daseins der Dinge kann
vor dem wirklichen Dasein nicht vorhergehen, sie kann aber auch
ebenso nicht übrig bleiben nach ihrem Dasein. Alles kann da sein
und ist Alles. Das erste Prinzip ist Möglichkeit und Wirklichkeit;
[sie] sind bei ihm ein unzertrennliches Prinzip. Es ist eine sehr
655 wichtige Bestimmung, die darin liegt; in dem Vermögen zum
Wirken, Kräften liegt ebenso die Bestimmung eines Bewirktwer-
* denden, Hervorgebrachten, der Materie. Diese Materie ist aber
nichts ohne Kraft, ohne die Wirksamkeit - ein leeres Abstraktum.
* Das Universum ist die unerzeugte Natur - alles was Natur sein
660 kann; sie enthält alle Materie unter der unveränderlichen Form
ihrer wechselnden Gestalt.
* Dies ist seine Hauptidee. Diese Einheit von Form und Materie in
allem I zu erkennen, ist das Streben der Vernunft. Um zu dieser

65~55 Es ... liegt so Gr


662 Dies ... Hauptidee. so Gr
54 Philosophie des Mittelalters 133

Einheit zu dringen, [die] Geheimnisse der Natur zu erforschen,


müssen wir den entgegengesetzten und widerstreitenden äußersten 665
Enden der Dinge nachforschen, und diese Extreme hat er Maxi-
mum und Minimum genannt. Diesen äußersten Enden, diesen
Extremen müssen wir nachforschen. In diesen Extremen ist es, daß
sie [sc. die Dinge] besonders intelligibel werden; sie [sc. die Ex-
treme] sind es, die als vereinigt gedacht werden müssen, und diese 670

Vereinigung ist die unendliche Natur. Er sagt nun: Aus diesem *


Einen nun auch das Entgegengesetzte, aus demselben seine Gegen-
sätze zu entwickeln und diese Extreme als nichtig darzustellen, das
ist das eigentliche und tiefste Geheimnis der Kunst. Dies ist ein
großes Wort; aus der Idee ihre Entwicklung darzustellen und zu 675

erkennen, so daß sie notwendig ist - eine Notwendigkeit von


Unterschieden und Bestimmungen, die sie zugleich zurückführt auf
die Einheit. Es ist das Urprinzip, oder was anderswo die Form *
heißt; dies stellt Bruno unter der Bestimmung des Minimums, des
Kleinsten, dar, aber so, daß es zugleich das Größte ist - Eins, das 680

zugleich Alles ist. Im Universum, sagt er, ist der Körper nicht vom *
Punkte unterschieden, das Zentrum nicht von der Peripherie, das
Größte nicht von dem Kleinsten; es ist lauter Mittelpunkt, der
Mittelpunkt ist überall; wie die Alten vom Vater der Götter gesagt
haben, er habe seinen Sitz in jedem Punkte des Weltalls. Dies ist 685
nun die Grundidee, die Bruno ausgeführt hat. Die Begeisterung
einer edlen Seele, ein tiefes Denken tritt in diesen Untersuchungen
hervor.
Das zweite, was damit, mit dieser allgemeinen Idee, zusammen-
hängt, ist die Lullische Kunst des Bruno. Der Name kommt her 690
von Raimundus Lullus, doctor illuminatus, der eine ars magna *
Lulliana aufgestellt hat. Lullus lebte im 13. Jahrhundert, [er] war *
aus Mallorca, wo er 1235 geboren wurde. Er ist eine von den
gärenden Naturen, in allen Schicksalen herumgeworfen. In der

673 und ... darzustellen] so He; Lö: und nicht nur diese Einheit zu er-
kennen
678-679 oder ... heißt so Gr, ähnlich Lii
685-686 Dies ... hat. so Gr mit Lö
693 wo ... wurde. so Gr
133-134 Renaissance und Reformation 55

695 Jugend schwärmte er im Vergnügen. Dann lebte er als Einsiedler in


einer Einöde. Hier hatte er eine Menge Visionen, und dabei wurde
in seiner heftigen, feurigen Natur der unwiderstehliche Trieb er-
weckt, das Christentum zu verbreiten bei den Mohammedanern in
Asien und Afrika. Da erlitt er Gefangenschaft, Mißhandlung und
100 starb 1315 an [den] Folgen einer Mißhandlung in Afrika. I In Mai-

land und Paris hat er lange gelebt und hat arabisch gelernt, um sein
Bekehrungswerk bei den Mohammedanern verrichten zu können.
Bei allen Königen Europas und bei dem Papste hat er Unterstüt-
* zung aufgesucht. Neben jenem Hauptzweck, das Christentum
705 auszubreiten, hat er sich zugleich mit seiner Kunst beschäftigt, die

sich auf die Kunst des Denkens bezieht, näher auf eine Aufzählung
und Anordnung der Begriffsbestimmungen, der reinen Kategorien -
eine solche Anordnung, daß dadurch alle Gegenstände darein fallen
* und danach bestimmt werden können. Er hat da neun Klassen der
no Dinge gemacht. Diese hat er in neun Kreise beschrieben. Jeder
Kreis hat eine graphische Darstellung; von diesen Kreisen war ein
Teil unbeweglich und ein Teil beweglich; durch die Regeln des
Herumdrehens, wo die Prädikate so auf einander fallen, sollte die
allgemeine Wissenschaft, alles Konkrete nach seinen Gedankenbe-
715 stimmungen vollkommen erschöpft werden. Von jeder Klasse hatte

er wieder neun Prädikate, neun Bestimmungen. Das erste waren


neun absolute Prädikate (Weisheit, Güte, Größe, Einigkeit, Macht,
Wille, Tugend, Wahrheit, Ewigkeit, Herrlichkeit) ; dann das
zweite: neun relative Prädikate (Verschiedenheit, Gleichheit, Ge-
no gensatz, Anfang, Mitte, Ende, Größersein, Kleinersein); das dritte:
neun weitere Kategorien (wo, was, wovon, warum, weswegen, wie
groß etc.); dann das vierte: neun Substanzen (Gott, Mensch, Engel,
Himmel, das Elementarium, Instrumentarium etc.). Diese hat er,
wie bemerkt, auf Kreise verzeichnet, und durch die Kombination
725 von solchen Prädikaten sollten die konkreten Gegenstände, über-

haupt alle Wissenschaft, Erkenntnis bestimmt werden. Dies hieß


nun die Lullische Kunst.

699 Da ... Mißhandlung) so He; Lö: was er trotz aller Widerwärtig-


keiten, die ihn trafen, mit glühendem Eifer durchzusetzen strebte.
726-727 Dies ... Kunst. so Gr, ähnlich Lii
56 Philosophie des Mittelalters 134-135

Ein ähnliches hat nun Bruno getan und diese Kunst weiter ver- *
vollkommnet. Aristoteles, in der Topik, hat nun eine Zusammen- *
Stellung aller Kategorien, aller allgemeinen Vorstellungen und 73o
Bestimmungen, und die Mnemonik hängt auch damit zusammen.
Die Mnemonik enthielt auch der Autorad Herennium (bei Cicero). *
Es handelt sich da nur um bestimmte Bilder in der Phantasie, die
man sich festmacht. Von allen besonderen Inhalten und Gegen-
ständen, die man auswendig wissen will, trägt man alle einzelnen m
Vorstellungen in ein solches hinein. Z. B. jetzt soll eine Rede, eine
Erzählung behalten werden. Jede Vorstellung darin wird in diese
Bilder, nach der Reihe, wie sie folgen, eingetragen. Das erste Bild, *
z. B. Herkules, kann so nach den Buchstaben geordnet sein: von
Aaron, dann 2) Abimelech, 3) Achilles usf. Ein oberflächlicher I 740
Witz, z. B. bei Aaron, dem Hohenpriester, muß eine Kombination
machen zwischen dem Inhalt, den man behalten soll, und dem
Bilde, welches die Buchstaben waren; und indem ich den Inhalt in
das Bild hineinfixiere, habe ich ilm gleichsam nicht mehr im Ge-
dächtnis, sondern ich lese ihn nur wie von einem Tableau ab. Die 745
Schwierigkeit liegt nur darin, eine Verbindung zu machen zwischen
dem Inhalt und den Bildern. Es ist dies auch eine schlechte Kunst.
Wer darin geübt ist, kann freilich sehr leicht etwas auswendig
lernen.
Mit dieser Mnemonik hängen dann die Lullische Kunst und auch *
Brunos Bemühungen zusammen, aber so, daß bei Bruno das Ta-
bleau nicht nur ein Gemälde von äußerlichen Bildern ist, wie dort,
sondern ein System von Ideen, Gedankenbestimmungen oder allge-
meinen Vorstellungen. Bruno geht zu dieser Kunst über von seinen *
allgemeinen Ideen, die vorher berührt worden sind; nämlich der 755
Verstand überhaupt, die unendliche Form, der tätige Verstand, ist
das erste, die Grundlage, und dieser entwickelt sich; er ist, wie die *
Neuplatoniker diese Form haben; das Licht der Substanz geht aus *

738 nach ... folgen so Lö


745-747 Die ... Bildern. so Gr
747 Es ... Kunst. so Gr, ähnlich Lö
748-749 Wer ... lernen. so Lö
757-758 er ... haben; so Gr
135-136 Renaissance und Reformation 57

von dem ersten Urlicht, von dem primus actus lucis; die vielen
76o Substanzen und Akzidenzien können nicht das volle Licht auf-
nehmen, sie sind nur im Schatten des Lichts enthalten. Die Ent-
wickhmg der unendlichen Natur geht fort von Moment zu Mo-
ment. Ihre einzelnen Teile, die erschaffenen Dinge, sind nicht mehr,
was die unendliche Natur an und für sich ist, sondern nur ein
765 Schatten der ursprünglichen Ideen, des ersten Aktus des Lichts.
* Bruno hat auch ein Buch geschrieben: De umbris idearum.
Von dem Ersten, dem Urlichte, von dem Superessentiale, von
dieser um:poucrloc, geschieht der Fortgang zu den Essenzen, von
diesen zu dem, was wirklich existiert, und dies enthält davon
770 Spuren, Bilder, Schatten, die zum Teil als materielle, natürliche
Dinge vorhanden sind. Auf der anderen Seite gehen sie zu der
Empfindung und Wahrnehmung, um durch sie erkannt zu werden.
Die Dinge entfernen sich vom Urlicht zum Finsteren. Da aber alle
Dinge eng im Universum zusammenhängen, das Materielle mit
775 dem Geistigen, das Ganze mit dem Einzelnen, so daß ein Prinzip,
ein Erstes, ein Letztes ist, so kann nach dem Ton der Leier des
allgemeinen Apollo (Ausdruck des Heraklit, [d. i.] allgemeine
Harmonie, allgemeine Form) das Unterste stufenweise zum Ober-
sten zurückgeführt werden, da Alles Ein Wesen ist. I Der Fortgang
7BO ist dasselbe wie der Rückgang. Die Natur einerseits bringt innerhalb
ihrer Grenzen Alles aus Allem hervor, und so kann der Verstand
* auch Alles aus Allem erkennen. Der erste Verstand strömt sein
Licht aus vom Innersten zum Äußersten, und dann nimmt er sein
Licht vom Äußersten wieder zurück. Jedes Besondere kann nach
* seiner Fähigkeit etwas vom Lichte auffassen. Was hier Kontrast ist,
ist im Urverstand Harmonie. Diese Stufen, diese Ordnung des
Fortgangs solle man aufsuchen. »Versuche also«, ruft er aus, »ob du
die erhaltenen Bilder identifizieren kannst, dann wird dein Gedächt-
nis nicht ermüden, dann wirst du diese allgemeine Ordnung,
790 [diesen] allgemeinen Rhythmus erkennen.«

771 sie] so GrLöPi; HcSv: Die Schatten


772 durch sie] so GrLöPi; He: von der subjektiven Vernunft Sv: im Sub-
jektiven
776 ein1 ... Letztes so Gr
58 Philosophie des Mittelalters 136-137

Dies zu entwickeln hat er also versucht; das allgemeine System


dieser Entwicklung hat er dargestellt und näher bemerkt, wie die *
Bestimmungen der natürlichen Dinge entsprechen den Bestim-
mungen, die im subjektiven Verstand erscheinen. Da gibt er an die *
Momente der Urform; die \mepouO"[oc sei Sein, Güte und Einheit; 795

dies ist mehr entnommen aus dem, was wir bei Proclus gesehen
haben. Güte ist Leben, und Einheit ist das Zurückkehrende und
Zurückführende. Die metaphysische und physische Welt betrachtet
er und stellt das System dieser Bestimmungen auf und gibt an, wie
das als Natürliches erscheint, was in anderer Weise als Gedachtes, 800

Verständiges ist. Das Denken ist Tätigkeit, und nach seiner Vor- *
stellung stellt es einerseits innerlich, durch eine innere Schrift, das
dar, was die Natur äußerlich, durch eine äußerliche Schrift, dar-
stellt. Der Verstand nimmt die äußere Schrift der Natur in sich auf,
und die innere Schrift ist auch in der äußeren abgebildet; es ist eine 805

Form, die sich entwickelt. Dasselbe Prinzip ist das, was er außer
sich organisiert und was im Menschen denkt. Diese Schriftarten
sucht er zu bestimmen, und dabei hat er 12 Grundformen, von
denen er ausgeht: species, simulacra, imagines [usf.]. Hierüber hat
er mehrere Schriften geschrieben: De simulacris, De imagini- *
bus, De sigillis; daß das Erscheinen der Dinge also Buchstaben,
Zeichen sind, die dann einer Denkbestimmung entsprechen.
Es ist also in Bruno ein großer Anfang, die konkrete, absolute
Einheit zu denken, und dann das andere Große ist dieser Versuch,
das Universum in seiner Entwicklung, im System seiner Bestim- 815

mung aufzufassen und aufzuzeigen, wie das Äußerliche ein Zeichen


ist von den Ideen. Dies sind die beiden Seiten, die von Bruno
aufzufassen waren. I
Vanini. Dieser ist ebenso ein Märtyrer der Philosophie ge-
worden wie Bruno. Lucilius Cäsar Vanini ist geboren 1583 zu *
Taurozano im Neapolitanischen und ist 1619 zu Toulouse auf dem
Scheiterhaufen verbrannt worden. Er schweifte überall umher und

804 Der Verstand] so Pi; He: jene Schrift


806--807 Dasselbe ... denkt.] so Pi; Gr: es ist ein Weltprinzip, was sich in
der ganzen Welt ausdrückt;
817-818 Dies ... waren. so Gr
137-138 Renaissance und Reformation 59

ist besonders aufgeregt worden durch das Lesen des Cardanus. Er ist
in Genf und Lyon gewesen und hat sich einmal nach England retten
825 müssen, [ist] viel herumgereist und wurde in Paris vor Gericht
gefordert. Ein Ankläger beschwor, daß Vanini gotteslästerische
Dinge gesagt. Vanini nahm als Antwort auf die Beschuldigung des
Atheismus einen Strohhalm vor Gericht auf und sagte, schon dieser
Strohhalm überzeuge ihn vom Dasein Gottes. In Toulouse wurde
83o ihm die Zunge ausgerissen und dann [wurde] er verbrannt. Indessen
ist der ganze Prozeß sehr dunkel, ging mehr aus persönlicher Feind-
schaft hervor. In der katholischen Kirche hat sich die Kunst aufge-
tan; als aber das freie Denken aufkam, hat die Kirche dies über-
haupt nicht in sich aufnehmen können, hat sich davon geschieden
835 und in Bruno und Vanini hat sie sich am freien Denken gerächt.
Das freie Denken ist insofern von der katholischen Kirche geschie-
den und ist ihr entgegengesetzt geblieben.
* Wir haben von Vanini noch zwei Werke; das eine heißt Am-
phitheatrum aeternae providentiae divino-magicum,
840 christiano-physicum, nec non astrologo-catholicum,
adversus veteres Philosophos, Atheos, Epicuros, Peri-
pateticos et Stoicos. 1615 -eine Widerlegung der alten Philo-
sophen, Atheisten, Epicuräer usf., worin er ihre Philosophien, ihre
Gründe mit vieler Beredsamkeit vorträgt, aber die Widerlegungen
* fallen schwach aus. Das zweite Werk heißt De admirandis
naturae reginae deaeque mortalium arcanis dialogorum
inter Alexandrum et Jul. Caesarem [libri]. 1616, und es sind
Untersuchungen über physikalische und andere Materien in dialogi-
scher Form, doch so, daß sich der Verfasser nicht zu entscheiden
850 scheint für die [eine oder andere] Vorstellung. Es hat die Tendenz,
daß die Natur I die Gottheit sei und daß alles mechanisch entstehe,
daß die Natur, das Universum in seinem Zusammenhang, aus
mechanischen Ursachen begriffen werden könne.

827-828 als . . . Atheismus so Gr


829 vom Dasein Gottes) so GrLö; Pi: von der Dreieinigkeit
835 am freien Denken) He: an das freie Denken GrLö: dagegen
840 astrologo] Gr: astronomico
849-850 sich ... Vorstellung) so He, ähnlich etwas später GrLö; Gr hier:
nicht angegeben ist, in welcher Person V anini seine Meinungen darlegt.
60 Philosophie des Mittelalters 138-139

Er spricht immer auch vom Gegensatz dieser Lehre gegen die *


Kirche, von dem Gegensatz dessen, was die Vernunft erkennt, und 855

er versichert immer, die Vernunft käme zwar auf diesen Gedanken,


den sie mit Gründen nicht widerlegen könne; da er aber der Kirche
widerspreche, so müsse sich der Christ dem Glauben unterwerfen,
und er unterwerfe sich, da die Vernunft nicht alles einsehe. So *
machte er Einwürfe gegen die Vorsehung, bringt Gründe, Räsonne- 860

ment an dafür, daß die Natur Gott sei. Da beweist er durch die eine *
Person in den Dialogen, daß der Teufel mächtiger ist als Gott, daß
er, nicht Gott, die Welt regiere. Er gibt folgende Gründe an: Z. B.
wider den Willen Gottes haben Adam und Eva gesündigt und
dadurch das ganze Menschengeschlecht zum Verderben gebracht 865

[und] unglücklich gemacht. Ebenso auch Christus sei durch die


Macht der Finsternis gekreuzigt worden. Aus diesen Gründen
beweist er die Übermacht des Teufels über Gott. Gott will, daß alle
Menschen selig werden. Dagegen wendet er ein, die Juden seien
von Gott abgefallen; die Katholiken seien wenige gegen die übri- 870

gen Menschen, und wenn man noch von den Katholiken die
Ketzer, Atheisten, Ehebrecher, Huren, Säufer usf. abziehe, so
bleiben noch weniger übrig; so sehe man klar die Herrschaft des
Teufels. Dies seien Gründe des Verstandes, der Vernunft; sie seien *
nicht zu widerlegen, aber man unterwerfe sich dem Glauben, und 875

dies tue er, sagt er, obgleich die Vernunft dieses so einsehe. Man hat
aber dem Vanini nicht geglaubt. Man hat vorausgesetzt, daß, wenn
die Vernunft etwas bestimmt einsehe und diese Ansicht nicht von
der Vernunft widerlegt werde, könne es einem solchen Menschen
nicht Ernst damit sein, solcher Meinung nicht anzuhängen [- daß 1180
er] ein Entgegengesetztes nicht glauben kann; man glaubte nicht,
daß der Glaube in ihm stärker sei als diese Einsicht.
Noch viele andere merkwürdige Männer fallen in diese Zeit, die
auch in der Geschichte der Philosophie aufgeführt zu werden
pflegen, als I Michael de Montaigne, Charron, Machiavelli. Derglei- *
chen Männer werden genannt, aber sie gehören nicht eigentlich der
Philosophie, sondern mehr der allgemeinen Bildung überhaupt an.

862-863 daß2 ... an so Lö, ähnlich Gr


881-882 ein ... Einsicht. so Gr
139-140 Renaissance und Reformation 61

Insofern werden ihre Bemühungen, ihre Schriften dann den philo-


sophischen beigezählt, als solche Männer aus sich selbst, aus ihrem
890 Bewußtsein, aus ihrer Erfahrung, Beobachtung, ihrem Leben ge-
schöpft haben. Ein solches Räsonnieren, Erkennen, ist dem bisheri-
gen scholastischen Erkennen gerade entgegengesetzt. Es finden sich
bei ihnen gute, feine, sehr geistreiche Gedanken über das mensch-
liche Leben, über das Rechte, Gute, es ist eine Lebensphilosophie
895 aus dem Kreise der menschlichen Erfahrung, wie es in der Welt, im
Herzen, im Geiste des Menschen zugeht; solche Erfahrungen haben
sie aufgefaßt und mitgeteilt, und dies ist so teils unterhaltend, teils
lehrreich, und dem Prinzip nach, woraus sie geschöpft haben, sind
sie ganz abgewichen von der Quelle und Methode der bisherigen
9oo Weise des Erkennens; aber indem sie nicht die höchste Frage der
Philosophie zum Gegenstand ihrer Untersuchung machen und
indem sie nicht aus dem Gedanken als solchen räsonniert haben,
gehören sie nicht eigentlich der Geschichte der Philosophie an. Sie
haben aber dazu beigetragen, daß der Mensch an dem Seinigen,
905 seiner Erfahrung, seinem Bewußtsein usf. ein größeres Interesse
gewonnen hat, daß er ein Zutrauen zu sich erhalten hat, daß es ihm
wert ist und gilt, und dies ist ihr Hauptverdienst. Sie haben zur
Bildung im allgemeinen und besonders zur philosophischen Bildung
mehr beigetragen.

910 Die Reformation

Hier ist nun ein Übergang zu erwähnen, der uns angeht des allge-
meinen Prinzips wegen, das darin höher erkannt und in seiner
Berechtigung erkannt ist. Jordanus Bruno, Vanini und andere fallen
in die Zeit der Reformation und später. Die Reformation ist also in
915 diese I Zeit eingetreten.
* Es ist schon früher der Beginn dieses Prinzips bemerklich ge-
macht worden, des Prinzips des eigenen Denkens des Menschen, des

894 über ... Gute so Gr


896-897 solche ... mitgeteilt so Gr
912-913 und ... Berechtigung so Gr
62 Philosophie des Mittelalters 140-141

eigenen Wissens, seiner Tätigkeit, seines Rechts, seines Zutrauens zu


sich. Es ist das Prinzip, Befriedigung in seiner Tätigkeit, Vernunft,
Phantasie usf., in seinen Produkten, an seinem Werke eine Freude 92o

zu haben und dasselbe für etwas Erlaubtes und Berechtigtes zu


halten, ja als solches, worein er wesentlich sein Interesse setzen darf
und soll, anzusehen. Es ist also der Beginn der Versöhnung des
Menschen mit sich selbst. Dies Gelten des Subjektiven hat jetzt
einer höheren Bewährung, ja der höchsten Bewährung bedurft, um 925

vollkommen legitimiert zu sein und sogar zur absoluten Pflicht zu


werden. Um dahin zu kommen, hat es in seiner reinsten Gestalt
aufgefaßt werden müssen.
Die höchste Bewährung dieses Prinzips ist nun die religiöse
Bewährung, so daß dieses Prinzip der eigenen Geistigkeit, der 930
eigenen Selbständigkeit erkannt wird in der Beziehung auf Gott
und zu Gott; dann ist es durch die Religion geheiligt. Die bloße
Subjektivität, bloße Freiheit des Menschen, daß er einen Willen hat
und damit dieses oder jenes treibt, ist noch nicht für sich berechtigt,
sondern der barbarische Eigenwille, der sich nur mit subjektiven 935
Zwecken befriedigt, die nicht vor der Vernunft Bestand haben, ist
nicht berechtigt. Aber auch, wenn der Wille Zwecke hat und
Bestimmungen in seinem Zweck, die der Form der Vernünftigkeit
angemessen sind, wie z. B. das Recht, meine Freiheit, aber nicht als
Freiheit dieses besonderen Subjekts, sondern als Freiheit des 940
Menschen überhaupt, als gesetzliches Recht, als Recht, das dem
Anderen ebenso zukommt als mir. Wenn auch der Selbstwille die
Form der Allgemeinheit enthält, so liegt darin zunächst nur das
Erlaubtsein, und es ist schon viel, wenn es als erlaubt, nicht bloß als
ein Subjektives anerkannt wird und nicht als an und für sich Sündi- 945
ges. Industrie, Kunst etc. I erhalten auch das Prinzip meiner eigenen
Tätigkeit, insofern sie zugleich auf eine gerechte Weise tätig ist.
So ist aber dies Prinzip zunächst auf besondere Sphären der
Gegenstände seinem Inhalt nach beschränkt. Erst wenn dieses Prin-
zip der Tätigkeit in Beziehung auf den an und für sich seienden 950
Gegenstand, d. h. in Beziehung auf Gott, aufgestellt und erkannt ist

919-920 Vernunft ... Produkten so Gr


944-946 wenn ... Sündiges so Gr mit Lö
141-142 Renaissance und Reformation 63

und damit in seiner vollkommenen Reinheit aufgefaßt wird, frei


von Trieben, endlichen Zwecken, erst dann erhält es seine Bewäh-
rung. Da erhält der Mensch in sich selbst die Gewißheit seines
955 Geltens in Beziehung auf Gott. Dies ist nun das, was der lutherische
Glauben ist, daß der Mensch im Verhältnis zu Gott stehe und hierin
er selbst als dieser nur erscheine, nur Dasein haben müsse; d. h.
seine Frömmigkeit und die Hoffnung seiner Seligkeit und alles
dergleichen erfordere, daß sein Herz, sein Innerstes, seine Empfin-
960 dung, seine Überzeugung, seine Gesinnung dabei sei, kurz:
schlechthin das Seinige. Seine Subjektivität ist der Boden, und diese
innerste Gewißheit seiner selbst - nur diese kann wahrhaft in Be-
tracht kommen in Beziehung auf Gott. Der Mensch selbst muß
Buße und Reue fühlen, sein Herz muß erfüllt sein von einem wahr-
965 haft heiligen Geist. Hier ist also das Prinzip der Subjektivität, der
reinen Beziehung auf sich selbst, der wahren Freiheit, worauf alles
andere beruht, nicht nur anerkannt; sondern es ist schlechthin
gefordert, daß es nur darauf ankomme im Kultus, in der Religion.
Dies ist die höchste Bewährung dieses Prinzips, daß nur dies vor
970 Gott gelte; nur der Glaube, nur das eigene Herz, die Überwindung
des eigenen Herzens und die Begeisterung des eigenen Herzens ist
Prinzip der christlichen Freiheit.
Damit ist denn dies Prinzip der christlichen Freiheit erst aufge-
stellt und zum Bewußtsein, zum wahrhaften Bewußtsein gebracht
975 worden. Es ist damit ein Ort im Innersten des Menschen gesetzt
worden, auf den es allein ankommt und wo der Mensch nur bei
sich und bei Gott ist; und bei Gott kann er nur sein bei sich selbst.
Im Gewissen muß ich zu Hause sein; I dieses Hausrecht soll nicht
gestört werden, es soll kein anderer sich anmaßen, darin zu gelten.
9so Alle Äußerlichkeit in Beziehung auf mich ist da verbannt, ebenso
die Äußerlichkeit, die in der Hostie war. Nur im Genuß und
Glauben bin ich in Beziehung auf ein Göttliches. Der Unterschied
von Laien und Priestern ist damit aufgehoben; es gibt keine Laien

952-953 frei von Trieben,] so Gr; He: nicht mit diesen oder jenen trüben
961 der Boden] so Pi; GrLö: gefordert
980-981 ebenso ... war] so Lii mit Gr; Pi: In der Hostie ist dies das In-
nerste des Herzens.
64 Philosophie des Mittelalters 142-143

mehr, denn jeder Laie ist angewiesen, in Rücksicht seines Glaubens


für sich selbst zu stehen. Die Imputation fällt in das Recht des 985

Individuums; kein anderer kann für mich eintreten, meine Zu-


rechnungsfähigkeit kann nicht entfernt werden durch irgendeine
Autorität. Die guten Werke sind etwas Äußerliches; ohne Gesin-
nung, ohne Beisichsein des Geistes bei sich selbst ist nichts; aber wie
das Herz in sich selbst für sich ist, so verhält es sich zu Gott, ohne 990

Vermittlung, ohne die Jungfrau und ohne die Heiligen - das ist
dort gefordert.
Dies ist also das große Prinzip, daß alle Äußerlichkeit in dem
Punkte des absoluten Verhältnisses zu Gott verschwindet. Alle
Entfremdung seiner selbst, die Abhängigkeit daher und Knecht- 995

schaft ist dadurch verschwunden. Auch in fremder Sprache zu beten


und in fremder Sprache die Wissenschaft zu haben, das ist verbannt.
In der Sprache ist der Mensch in der Konzeption produz;erend. Es
ist die erste Äußerlichkeit, die der Mensch sich gibt durch die
Sprache; was der Mensch sich vorstellt, stellt er sich auch im Inne- 5

ren vor als ein Gesprochenes; es ist die erste, einfachste Form der
Produktion, des Daseins, wodurch das, was in ihm ist, zu Bewußt-
sein kommt. Diese erste Form ist so ein Gebrochenes, Fremdartiges,
wenn der Mensch in einer fremden Sprache das empfangen und
ausdrücken soll, was sein höchstes Interesse berührt. Dieser Bruch 10

mit dem ersten Heraustreten des Menschen aus sich in das Bewußt-
sein ist durch jenes Prinzip aufgehoben. Hier bei sich selbst, in
seinem Eigentum zu sein, in seiner Sprache zu sprechen, zu denken,
vorzustellen, gehört ebenso zur Form der Befreiung. Dies ist von
höchster Wichtigkeit. Luther hätte nicht seine Reformation voll- 15

endet ohne die Bibelübersetzung in die deutsche Sprache. Ohne


diese wäre die Reformation nicht allgemein geworden; ohne diese I
Form, in eigener Sprache zu denken, wäre die subjektive Freiheit
nicht befördert worden.

993-994 Dies ... verschwindet] so Lö' mit Gr; He: Alle äußeren Verhält-
nisse Sv: Alle Äußerlichkeit
5 was ... vorstellt] so etwas später Gr; Lö: Wenn er etwas will, so
12-13 in seinem Eigentum so Gr
14 gehört ... Befreiung so Gr, ähnlich Lö'
143-144 Renaissance und Reformation 65

20 Dieses Prinzip der Subjektivität ist Moment der Religion selbst


geworden, und dadurch hat es seine absolute Anerkennung er-
halten, und es ist im ganzen in der Form aufgefaßt worden, worin
* es nur Moment der Religion sein kann. Nun ist das Gebot der
christlichen Religion erst erfüllt, Gott im Geiste zu verehren. Gott,
2s ein Geist, ist nur unter dieser Bedingung der freien Geistigkeit des

Subjekts, denn nur diese ist es, die sich zum Geiste verhalten kann;
ein Subjekt, worin eine Unfreiheit ist, verhält sich nicht geistig,
verehrt Gott nicht im Geiste. Dies ist das Allgemeine des Prinzips.
Zu merken ist, daß die erste Aufstellung dieses Prinzips auch so
30 aufgefaßt worden ist in der Religion; dadurch hat es seine absolute

Berechtigung erhalten; es ist aber zunächst noch bloß in Beziehung


auf religiöse Gegenstände gesetzt erschienen; es ist noch nicht aus-
gedehnt auf die weitere Entwicklung der Lebendigkeit dieses sub-
jektiven Prinzips selbst. Der Mensch ist zum Bewußtsein gekom-
35 men, an sich versöhnt zu sein und sich für sich versöhnen zu kön-
nen. Insofern hat der Mensch in seiner Wirklichkeit auch eine
andere Gestalt gewonnen; der kräftige Mut, die Gewißheit darf bei
gutem Gewissen sein. Ein frommes Leben für sich, das tüchtig ist
und auch genießt, ist nicht mehr als zu entsagen angesehen worden,
40 sondern der mönchischen Entsagung ist entsagt worden. Aber auf

weiteren Inhalt hat sich das Prinzip zunächst noch nicht ausgedehnt.
Der religiöse Inhalt ferner ist mehr aufgefaßt worden, wie er für
die Vorstellung, für das Gedächtnis ist, d. h. wie er geschichtliche
Gestalt hat. Dadurch ist in diese geistige Freiheit der Anfang, die
45 Möglichkeit einer ungeistigen Weise gekommen. Der alte Glaube

der Kirche, das Credo, ist gelassen worden, wie er früher war.
Dieser Inhalt nun, der wesentlich spekulativer Inhalt I ist, der eine
geschichtliche Seite hat, ist in dieser trockenen Form aufgenommen
und gelassen worden, so daß er in dieser Form geglaubt, vom
so Subjekt aber für das Gewisse in sein Gewissen solle aufgenommen

28 Dies ... Prinzips so Gr, ähnlich Lö


33 der Lebendigkeit so He
40-41 Aber ... ausgedehnt. so Gr
44 der Anfang so GrLö"
66 Philosophie des Mittelalters 144-145

werden, als das Wahre, als die höchste Wahrheit betrachtet werden
soll.
Damit hängt unmittelbar zusammen, daß das spekulative Er-
kennen - der dogmatische Inhalt auf spekulative Weise ausgebildet -
ganz auf die Seite gesetzt worden ist. Was das Bedürfnis war, ist die 55
Vergewisserung des Menschen in sich von seiner Versöhnung, von
seiner Erlösung, seiner Seligkeit, das Verhältnis des subjektiven
Geistes zum absoluten Geist. Die Form der Subjektivität als Glaube,
Sehnsucht, Buße, Bekehrung, ist so als das Überwiegende gestellt
worden, so daß der Inhalt der Wahrheit schlechthin wichtig sei, 60
Wesen Gottes, aber der Lehrbegriff in einer Gestalt, wie sie zu-
nächst für die Vorstellung erscheint. Es ist verworfen worden nicht
nur alle diese Endlichkeit, Äußerlichkeit, Entzweiung, aller dieser
Formalismus, der in der scholastischen Philosophie geltend gemacht
worden, und zwar mit Recht; aber auf der anderen Seite ist auch 65
die philosophische Entwicklung der Kirchenlehre auf die Seite
gesetzt worden, und [zwar] eben in diesem Zusammenhang, daß
das Subjekt sich in sich vornehmlich vertieft hat in sein Herz. Dies
Vertiefen in sich selbst, diese seine Buße, Reue, seine Bekehrung,
diese Beschäftigung des Subjekts mit sich selbst ist das Moment 10
gewesen, das zunächst hat geltend gemacht werden sollen. In den
Inhalt hat sich das Subjekt nicht vertieft; diese Verweltlichung des
allgemeinen Inhalts hat es verworfen, aber damit auch die frühere
Vertiefung des Geistes; die spekulative Ausbildung ist beiseite ge-
lassen und verworfen worden. 75

Noch bis auf diesen Tag fmdet man in der Dogmatik der katho-
lischen Kirche die Anklänge und gleichsam die Erbschaft von den
Philosophemen der alexandrinischen Schule; es ist in der katholi-
schen Dogmatik viel mehr Philosophisches, Spekulatijves; in dem
protestantischen Lehrbegriff, in der protestantischen Dogmatik - so
wenn überhaupt in dieser noch ein Objektives ist und sie nicht ganz

61 Wesen ... Lehrbegriff] so Pi mit He; Gr, ähnlich Lö: aber der Lehrbe-
griff über die Natur, den Prozeß Gottes ist aufgefaßt
68 sein Herz] so Gr; Pi: die Empfindungen
72-73 diese ... verworfen so Lö
81-82 wenn ... ist1 so Lö"
145-146 Renaissance und Reformation 67

leer gemacht ist - ist hingegen der Inhalt mehr geschichtlicher Art
oder mehr in Form geschichtlicher Art gehalten, wodurch die
Lehre trocken wird. Die Verbindung der Theologie mit der Philo-
85 sophie ist in der katholischen Kirche der Hauptsache nach immer

erhalten geblieben. In der protestantischen Kirche dagegen hat sich


das subjektive religiöse Prinzip von der Philosophie getrennt. Aber
in ihr ist es dann auf wahrhafte Weise auch wieder auferstanden.
Es ist also in diesem Prinzip der Reformation der religiöse Inhalt
90 der christlichen Kirche überhaupt erhalten, aber so, daß dieser

Inhalt seine Bewährung durch das Zeugnis des Geistes erhält, daß er
insofern für mich gelten soll, als er in meinem Gewissen, meinem
Herzen sich geltend macht. Es ist dies, was Christus gesagt hat:
* »Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr inne werden, daß meine
95 Lehre die Wahrheit ist.« Das Kriterium der Wahrheit ist, wie es sich

in meinem Herzen bewährt und ergibt. Ob es die Wahrheit sei, das


muß sich in meinem Herzen ergeben. Mein Geist eben ist nur dann
recht daran, wenn er in dieser Weise in diesem Inhalt ist. Wie der
Inhalt in meinem Herzen ist, so ist sie, [die Wahrheit].
too Der Inhalt hat insofern nicht diese Bewährung in ihm selber, die
er durch die philosophische Theologie erhalten hat, nicht durch das
spekulative Denken - dadurch, daß die spekulative Idee sich darin
geltend macht. Er hat auch nicht die geschichtliche Bewährung, die
einem Inhalt, sofern er eine historische Außenseite hat, auf die
to5 Weise gegeben wird, daß geschichtliche Zeugnisse abgehört werden
und seine Richtigkeit danach bestimmt wird; sondern die Lehre hat
sich als wahrhaft zu bewähren durch meinen Geist, durch mein
eigenes Herz, durch die Buße, Bekehrung und Freudigkeit des
Gemüts in Gott. Es wird zwar bei der Lehre, beim äußerlichen
uo Inhalt angefangen, aber insofern ist sie ein äußer llicher Anfang,
und zwar notwendig. Aber so genommen, ohne Beziehung auf
mich, wie sich mein Geist, mein Herz dazu verhält, hat sie eigent-

98-99 Wie ... sie so Lö"


104 sofern ... hat, so Gr
108 Buße, Bekehrung und] so Gr; Lii: Reue
112 dazu] so He, Gr: in sich
68 Philosophie des Mittelalters 146

lieh keinen Sinn. Dieser äußerliche Anfang ist nun aber als christ-
liche Taufe und christliche Erziehung, Bearbeitung des Gemüts zur
Frömmigkeit zugleich verbunden mit dem äußerlichen Bekannt- m
werden. Die Wahrheit des Evangeliums, der christlichen Lehre,
existiert nur in dem wahrhaften Verhalten zu derselben, und dies ist
eben das, was gesagt ist, daß das Gemüt sich in sich rekonstruiert,
sich in sich heiligt, geheiligt werde, und nur in dieser Heiligung des
Gemüts liegt das Kriterium des Inhalts. Nur für diese Heiligung ist 120
der Inhalt ein wahrer. Es ist kein weiterer Gebrauch vom Inhalt zu
machen als daß er erbaulich werde, zur Erweckung des Prozesses
des Gemüts in sich selbst [diene].
Ein anderes und unrichtiges V erhalten ist es, diesen Inhalt äußer-
lich zu nehmen, wie nach dem neueren Prinzip, daß der Inhalt des 12s
Neuen Testaments zu behandeln sei wie die alten griechischen und
lateinischen Schriftsteller, auf kritisch philologische [und] historische
Weise. Der Inhalt aber soll sich verhalten wesentlich für den Geist
und nur für den Geist, und es ist ein verkehrtes Beginnen, die
Wahrheit der christlichen Religion auf diese äußerliche, geschieht- 130
liehe Weise beweisen zu wollen, wie dies die Orthodoxie getan hat.
Der Inhalt wird so in Form eines Geistlosen genommen.
Es ist dies also das erste Verhalten des Geistes zu diesem Inhalt, so
daß der Inhalt als solcher zwar wesentlich ist, daß aber ebenso
wesentlich ist, daß der heilige und heiligende Geist sich zu dem- 135
selben verhalte. Dieser Geist ist aber wesentlich auch denkender
Geist. Das Denken als solches muß sich auch darin entwickeln, und
zwar wesentlich als die Form der innersten Einheit des Geistes mit
sich selbst. Zur Unterscheidung, Betrachtung dieses Inhalts muß es
kommen und übergehen in diese Form der reinsten Einheit des 140

113-116 Dieser ... Bekanntwerden.] so Gr mit Pi, ähnlich Lö'; He: Aber in
diesem Anfang ... liegt schon der Grund zur folgenden wahren Erkenntnis.
120 diese Heiligung] ergänzt entsprechend GrPi; Lö': den heiligen Geist
122 er erbaulich werde] so Pi, ähnlich He; Gr: das Gemüt erbaut, erweckt
werde zur Zuversicht, Freudigkeit, Buße, Bekehrung
127-128 auf ... Weise] so Lii, ähnlich Gr; Sv: durch Kritik und Exegese
131 wie ... hat] so Gr; Lö': Es ist in dieser Weise die Orthodoxie be-
kämpft worden.
139-141 Zur ... sich. so Gr mit Lö'
146-148 Renaissance und Reformation 69

Geistes mit sich. Das Denken ist zunächst abstraktes Denken. So I


zeigt es sich unmittelbar, und dies abstrakte Denken enthält dann
näher noch ein Verhältnis zur Religion, zur Theologie. Der Inhalt,
von dem hier die Rede ist, insofern er auch nur historisch, äußerlich
145 aufgenommen wird, soll doch zugleich religiös sein, die Manifesta-
tion der Natur Gottes soll darin enthalten sein. Darin liegt die
nähere Forderung, daß eben der Gedanke, für welchen die innere
Natur Gottes ist, daß dieser Gedanke sich auch in Beziehung auf
diesen Inhalt setzt. Sofern der Gedanke nun zunächst Verstand und
150 Verstandesmetaphysik ist, wird er aus dem Inhalt die Spekulation,
die vernünftige Idee wegbringen und daraus ein Leeres ohne ab-
solute Bedeutung machen, so daß nur eine äußerliche Geschichte
stehenbleibt, die nach dem absoluten Inhalt wenig Interesse haben
kann.
155 Das dritte Verhalten ist dann das des vernünftigen, konkreten,
spekulativen Denkens. Nach dem angegebenen Standpunkt, wie der
religiöse Inhalt und seine Form bestimmt ist, ist zunächst der speku-
lative Inhalt als solcher und die nähere Ausführung desselben von
der Religion beiseite gestellt worden, und wie dieser Inhalt be-
t6o reichert worden ist durch die Schätze der Philosophie der alten
Welt, der tiefen Ideen aller früheren orientalischen Religionen usf.,
alles dies ist zunächst vergessen. Der Inhalt also hat Objektivität,
aber diese Objektivität hat nur die Bedeutung, daß der objektive
Inhalt nur der Anfang sein sollte, nicht für sich bestehe als äußer-
165 liehe Geschichte, sondern nur als ein Anfang, von dem das Gemüt
sich in sich geistig bilden und heiligen soll. Alle jene Bereicherung
des Inhalts also, wodurch er philosophisch wurde, ist beiseite gesetzt
worden. Es ist nur das Spätere, daß der Geist sich als denkend
wieder in sich vertieft, um konkret, vernünftig zu sein.
110 Das Prinzip der Reformation nun ist gewesen das Moment des
Insichseins des Geistes, des Freiseins, des Zusichselbstkommens; eben
die Freiheit heißt, in dem bestimmten Inhalt sich zu sich verhalten. I
Die Lebendigkeit des Geistes besteht darin, in dem Bestimmten,

153-154 die ... kann so Lö, ähnlich Gr


158-159 von der Religion so He
164 für sich] so PiHc; Lö: als in sich begründeter Inhalt
70 Philosophie des Mittelalters 148

Anderen in sich zurückgekehrt zu sein. Das, was als ein Anderes im


Geiste bleibt, ist ein Unassimiliertes, ein Totes. Insofern ist der Geist 175
unfrei, als er sich zu einem Anderen verhält, es als Fremdes an ihm
bestehen bleibt und es gar sein Wesen sein soll. Also diese Bestim-
mung, daß der Geist wesentlich in sich selbst frei, bei sich selbst sei,
dieses abstrakte Moment macht die Grundbestimmung aus. Insofern
nun der Geist zum Erkennen fortgeht, zu geistigen Bestimmungen, 1so
sich umsieht, heraustritt in einen Inhalt überhaupt, so wird er sich *
darin verhalten als in seinem Eigentum und es wesentlich darin
behaupten und es haben wollen als das Seinige. Der Inhalt ist an
und für sich Seiendes, aber das Seinige. In diesem seinem Eigentum, *
seinem Inhalt sich bewegend und zum Erkennen fortschreitend 185
wird er sich zunächst als konkret darin bewegen, denn er ist kon-
kretes Sein. Dies Eigentum bestimmt sich einerseits als äußeres
W elteigentum, als das endliche, natürliche W eltwesen, andererseits
als innerliches Eigentum, göttliches Erkennen und Streben.

177 und ... soll] so Pi; Lö: das sein Wesen zerstört
186-187 denn ... Sein so Gr
189 göttliches ... Streben] so He; Gr: als das mystische, göttliche, christ-
liche Wesen und Leben; Lii: und nur als des Christen göttliches Leben und
Wesen
148-149 71

DIE DRITTE PERIODE


DIE NEUERE PHILOSOPHIE

* Diese konkrete Gestalt des Erkennens haben wir zuerst zu betrach-


ten, und damit treten wir in die dritte Periode. Nach der konkreten
* Gestalt ist dann das Hervortreten des Denkens für sich zu betrach-
ten. Dies tritt wesentlich jetzt auf als ein Subjektives, mit der Re-
flexion seines Insichseins, so daß es einen Gegensatz am Seienden
überhaupt hat. Das Interesse ist dann ganz allein, diesen Gegensatz
zu versöhnen, die Versöhnung in ihrem höchsten Extrem zu be-
lo greifen, die abstrakteste, höchste Entzweiung des Seins und des
Denkens zu fassen. Alle Philosophie von da an hat das Interesse
dieser Einheit.
Indem I das Denken abstrakt für sich von der Philosophie selbst
ausgeht, verlassen wir zunächst seine Einheit mit der Theologie; es
* trennt sich von derselben, wie es auch bei den Griechen sich se-
pariert hat von der Mythologie der Volksreligion und erst am
Ende, in der alexandrinischen Philosophie, diese Form für das
Denken wieder aufgesucht und die mythologischen Vorstellungen
damit versöhnt hat. Wir verlassen also auch hier die Einheit der
20 Theologie mit der Philosophie. Das Band bleibt aber dennoch
schlechthin an sich, denn die Theologie bleibt durchaus dasselbe was
Philosophie ist, und sie kann sich nicht von der Philosophie tren-
nen. Die Theologie hat es immer mit Gedanken zu tun, die sie
mitbringt, und diese Gedanken - [diese] >Privat<-Metaphysik -
2s sind dann allgemeine Reflexionen, Meinungen usf. der Zeit. Wenn
sie sich mit der Hausmetaphysik behilft, so ist es ein ungebildeter
Verstand, ein unkritisches Denken; es ist zwar mit der eigentüm-

9 ihrem höchsten Extrem] so PiHeLö'; Gr: ihrer höchsten Existenz, d. h. in


den abstraktesten Extremen
10-11 die ... Denkens] so He mit Lö, ähnlich Pi; Gr: diese höchste Ent-
zweiung ist der abstrakteste Gegensatz von Denken und Sein, und deren
Versöhnung ist
20 Theologie] so He; Lö: Religion
72 Neuere Philosophie 149-151

liehen Überzeugung verknüpft, aber unbegründet. Allgemeine


Gesetze sind wohl in ihr, aber diese Gedanken sind nur Vorstellun-
gen, die das Urteil, Kriterium, das Entscheidende abgeben, und 3o

diese allgemeinen Vorstellungen sind weiter nichts als das, was sich
von Reflexion auf der allgemeinen Heerstraße findet - das Ober-
flächlichste. Wenn so das Denken für sich auftritt, so trennen wir
uns damit von der Theologie. Zunächst werden wir jedoch noch
eine Erscheinung betrachten, wo beide noch in Einheit sind; es ist 35

Jakob Böhme. I
Der Geist bewegt und befmdet sich jetzt in seinem Eigentum; *
dies ist teils die endliche, äußerliche Welt, teils die innerliche, und *
diese ist zunächst die christliche. Das nächste, was zu betrachten ist,
ist gleichsam der Geist, der Geist in seiner konkreten Welt als in 40

seinem Eigentum - so die konkrete Weise des Erkennens.


Die zwei ersten Philosophen, die wir zu betrachten haben, sind *
einerseits Bacon und andererseits Jakob Böhme; das zweite sind
Descartes und Spinoza nebst Malebranche; das dritte Locke, Leibniz
und W olff, und das vierte Kaut, Fichte und Schelling. Mit Cartesius 45

beginnt eigentlich erst die Philosophie der neueren Zeit, das abstrakte
Denken.

1. Bacon und Böhme

Baconische Philosophie heißt im allgemeinen [ein] Philosophieren,


das sich auf Erfahrung, Beobachtung der äußerlichen oder geistigen so
Natur, des Menschen in seinen Neigungen, Begierden, vernünf-
tigen, rechtlichen Bestimmungen gründet. Beobachtungen werden
zum Grunde gelegt, daraus Schlüsse gezogen und dadurch allge-
meine Vorstellungen, Gesetze dieses Gebiets gefunden. Bei Bacon
ist diese Art des Philosophierens aber noch nicht sehr ausgebildet; er ss
war nur der Anfänger, obgleich er zitiert wird als der I Chef dieser *
Art und Weise, wenn es um den Namen eines Chefs zu tun ist.
28-29 aber . . . ihr] so Pi mit He; Gr: und diese soll es bewähren.
44--45 und ... Schelling so Gr
56-57 obgleich ... Weise so Gr, ähnlich Lö
57 wenn ... ist so Lö
151-152 Bacon und Böhme 73

Von diesem Heerführer der Erfahrungsphilosophie [sind] die


Lebensumstände folgende. Im allgemeinen kann in Rücksicht der
60 Lebensumstände der neueren Philosophen die Bemerkung gemacht
werden, daß sie von jetzt an [von] ganz anderer Gestalt [sind] als
bei den Philosophen der alten Zeit. Bei diesen hat die Philosophie
den Stand des Individuums bestimmt: Es konnte sein, und es ist
häufig gewesen, daß das Individuum auch als Philosoph gelebt hat,
65 d. h. daß seine äußeren Verhältnisse diesem Zwecke seines inneren
* Lebens gemäß bestimmt waren. Wir hatten es mit plastischen
Individualitäten zu tun. Im Mittelalter sind es vornehmlich Geist-
liche, Doktoren der Theologie, welche die Philosophie treiben. In
der Übergangsperiode haben die Philosophen im Kampfe, im
10 inneren Kampfe mit sich und im äußeren Kampfe mit den Ver-
hältnissen sich gezeigt, haben sich auf wilde, unstete Weise im
Leben herumgetrieben. In neuerer Zeit ist das Verhältnis anders; die
Philosophen gehören irgendeinem Stande im Staate an; sie leben in
bürgerlichen Verhältnissen oder im Staatsleben oder sind auch
75 Privatpersonen, so daß der Privatstand sie ebensowenig von den
anderen Verhältnissen isoliert. Der Unterschied liegt also in der
Natur überhaupt. In der neueren Zeit hat sich die äußerliche Welt
beruhigt, in Ordnung gebracht; Stände, Lebensweise usf. haben sich
konstituiert, und es gehört hierher die Versöhnung des weltlichen
80 Prinzips mit sich selbst, so daß die weltlichen Verhältnisse auf eine
der Natur der Sache gemäße, vernünftige Weise sich organisiert
haben. Dieser allgemeine, verständige Zusammenhang ist von
solcher Macht, daß jedes Individuum ihm angehört. Dabei ist dann
dies der Fall - indem man sich eine innerliche Welt in sich erbaut
85 hat, eine religiöse oder wissenschaftliche Welt, die äußerliche Welt
zugleich so versöhnt mit sich geworden ist -, daß die innerliche und
äußerliche zugleich selbständig I und unabhängig nebeneinander
bestehen können und daß das Individuum in dem Falle ist, seine
äußerliche Seite der äußerlichen Ordnung überlassen zu können,
90 wogegen bei jenen plastischen Gestalten das Äußerliche nur ganz
von dem Inneren bestimmt werden konnte. Hingegen jetzt, bei der
höheren Kraft des Inneren des Individuums, kann dies das Äußer-

91-92 bei ... Individuums so Gr


74 Neuere Philosophie 152-153

liehe dem Gange der Zufälligkeit überlassen, wie der Mensch seine
Kleidung der Zufälligkeit der Mode überläßt; er kann das Äußer-
liche freilassen, es bestimmen lassen durch die Ordnung, die in dem 95
Kreise stattfmdet, in welchem es sich befindet.

Francis Bacon

Bacon, Baron von Verulam, Graf von St. Albans, Großsiegelbe- *


wahrer und Kanzler von England, wurde 1561 zu London geboren.
Sein Vater war Großsiegelbewahrer unter der Königin Elisabeth. 100
Bacon schloß sich in seiner Jugend an den Grafen Essex, [den]
Günstling der Königin, an; durch [ihn] wurde er erhoben, aber er
soll sich gegen seinen Patron mit großer Undankbarkeit betragen
haben; man wirft ihm vor, er habe sich verleiten lassen von den
Feinden des Grafen, ihn nach seinem Falle des Hochverrats anzu- 1o5
klagen. Unter Jakob I. wurde er Großkanzler von England, aber er
machte sich in dieser Stellung der gröbsten Bestechlichkeiten
schuldig, so daß er angeklagt und sein Prozeß vor dem Parlament
geführt wurde, bei welchem er größte Schwäche des Charakters
zeigte. Er wurde zu Gefängnis und zu einer Geldstrafe verurteilt; uo
nach einiger Zeit wurde er jedoch aus dem Gefängnis entlassen, und
dies bewirkte mehr der Haß gegen das damalige Ministerium als
seine Unschuld. Er privatisierte nun und beschäftigte sich den Rest
seines Lebens nur mit den Wissenschaften, aber die persönliche
Achtung, die er durch sein Benehmen, [seine] Intrigen und [sein] 115
Verhältnis zu seiner Frau verscherzt hatte, erwarb er sich nicht
wieder. Er starb 1626.
Viele gebildete Männer haben über das, was für den Menschen
Interiesse hat - Staatsgeschäfte, Gemüt, Herz, äußerliche Natur
usf. -, nach der Erfahrung, nach einer gebildeten Welterkenntnis 120
gesprochen und gedacht. Bacon war ebenso ein Weltmann, der in
Staatsgeschäften gelebt, die Wirklichkeit praktisch gehandhabt, die
Menschen, die Umstände und Verhältnisse beobachtet und mit und
in ihnen gewirkt hat; er war ein gebildeter, reflektierender Welt-

110 zu~Gefängnis] so He, ähnlich PiSv; GrLö: in den Tower gesetzt


153-154 Bacon und Böhme 75

125 mann. Nachdem seine Laufbahn im Staate geschlossen war, hat er


sich ebenso an wissenschaftliche Tätigkeit gewendet und auf die-
selbe Weise nach konkreter Erfahrung und Einsicht die Wissen-
schaften behandelt, besonders wie ein praktischer Weltmann nach
ihrem Nutzen betrachtet. Dem Gegenwärtigen ist ein Wert gege-
130 ben. Er hat verworfen die scholastische Weise, aus ganz entfernten

Abstraktionen zu räsonnieren, zu philosophieren - die Blindheit für


das, was vor Augen liegt. Es ist die sinnliche Erscheinung, wie sie
an den gebildeten Menschen kommt, wie dieser darüber reflektiert,
die Nützlichkeit usf., was denjetzigen Standpunkt ausmacht.
m Dabei ist zu bemerken, daß Bacon sich auf praktische Weise an
die Wissenschaften gewendet, die Erscheinungen reflektierend auf-
genommen und zuerst auf ihre Nützlichkeit Rücksicht genommen
hat. Diese Weise hat er methodisch behandelt; er hat nicht bloß
Meinungen, Sentiments vorgebracht, sich nicht über die Wissen-
140 schaften geäußert wie ein vornehmer Herr, sondern er ist ins

Genaue gegangen, hat eine Methode in Rücksicht des wissen-


schaftlichen Erkennens und allgemeine Prinzipien in Ansehung der
Verfahrungsweise des Erkennens aufgestellt. Durch dies Methodi-
sche der Betrachtung, das er eingeführt hat, allein ist er merk-
145 würdig in der Geschichte der Wissenschaften und der Philosophie,

und durch dies Prinzip des methodischen Erkennens hat er auch die
große Wirkung hervorgebracht.
* Bacon gilt als Heerführer der Erfahrungsphilosophie; es wird sich
immer auf ihn in diesem Sinne berufen. Dem Wissen I aus Erfah-
150 rung, Räsonnieren aus derselben, steht das spekulative Wissen,

Wissen aus dem Begriff gegenüber, und man faßt oft diesen Gegen-
satz wohl gar so schroff auf, daß das Erkennen aus dem Begriff sich
schäme der Erkenntnis aus der Erfahrung, wie umgekehrt diese
* Erkenntnis auf ihren eigenen Wert pocht gegen den Begriff. Von
155 Bacon kann man sagen, was Cicero von Sokrates sagt: er habe die

Philosophie in die weltlichen Dinge, in die Häuser der Menschen


herunter geführt, und insofern kann das Erkennen aus dem Begriff,
aus dem Absoluten, vornehm tun gegen dies Erkennen, aber für die
wissenschaftliche Idee ist es notwendig, daß die Partikularität des

137 ihre Nützlichkeit) so He; Sv: das Gegenwärtige


76 Neuere Philosophie 154-155

Inhalts ausgebildet werde. Die Idee ist konkret, bestimmt sich in 160
sich, hat Entwicklung, und das vollkommene Erkennen ist immer
entwickelter. Wenn wir sagen, die Idee sei noch beschränkt, so hat
dies nur den Sinn, daß die Ausbildung ihrer Entwicklung noch
nicht so weit sei. Um die Ausbildung der Entwicklung nun ist es zu
tun, und daß diese Ausbildung zu der Bestimmung des Besonderen 165
aus der Idee - dazu, daß die Erkenntnis des Universums, der Natur
sich entwickle, dazu ist die Erkenntnis des Partikularen notwendig.
Es ist vornehmlich das Verdienst der neueren Zeit, diese Erkennt-
nis des Partikularen hervorgebracht und befördert zu haben. Die
Empirie ist nicht bloß Aufnehmen der Sinne, sondern geht wesent- no
lieh darauf, das Allgemeine, die Gesetze, Gattungen zu finden, und
indem sie diese hervorbringt, so erzeugt sie ein solches, was dem
Boden der Idee, des Begriffs angehört, in den Boden des Begriffs
aufgenommen werden kann. Wenn die Wissenschaft fertig ist, fängt
sie allerdings nicht mehr vom Empirischen an, aber daß sie zur 175
Existenz komme, dazu gehört der Gang vom Einzelnen, vom
Besonderen zum Allgemeinen, und ohne die Ausbildung der Er-
fahrungswissenschaften für sich hätte die Philosophie nicht weiter
kommen können als sie bei den I Alten gekommen ist.
Diesen Gang der Idee in sich selbst muß man betrachten; das 180
andere ist ihr Anfang, der Gang, wodurch sie zur Existenz kommt.
In jeder Wissenschaft wird von Grundsätzen angefangen; diese
abstrakten Bestimmungen sind im Anfang aber erst Resultate des
Besonderen; ist die Wissenschaft aber fertig, so wird davon ange-
fangen. So ist es auch bei der Philosophie; die Ausbildung der 185
empirischen Seite ist also für die Idee notwendige Bedingung ge-
wesen, damit sie zur Existenz kommen und zur näheren Entwick-
lung fortgehen könne; z. B. daß die Geschichte der Philosophie der
neueren Zeit vorhanden sein kann, dazu gehört die Geschichte der
Philosophie im allgemeinen, der Gang der Philosophie durch so viel 190
tausend Jahre; diesen langen Weg muß der Geist genommen haben,
um diese Philosophie zu produzieren. Die fertige Philosophie kann
die Brücke hinter sich abwerfen, aber wir dürfen es nicht über-
sehen, daß die Philosophie ohne dieselbe nicht zur Existenz gekom-
men wäre.- Dies ist der Geist der Baconischen Philosophie. 195

Bacon ist vornehmlich durch zwei Werke berühmt geworden.


155-156 Bacon und Böhme 77

De augmentis scientiarum ist eine Einteilung, eine systemati-


sche Enzyklopädie der Wissenschaften - ein Entwurf, der bei den
* Zeitgenossen großes Aufsehen erregen mußte. Er teilt die Wissen-
* schaften ein nach Gedächtnis, Phantasie und Vernunft. Dann geht
er die einzelnen Wissenschaften (Geschichte, Poesie, allgemeine
Wissenschaft) durch nach der Manier seiner Zeit; es hat für seine
* Zeit Interesse gehabt, das Wissen so verständig zu ordnen. Eine
Hauptseite ist, daß etwas durch Beispiele z. B. aus der Bibel plau-
205 sibel gemacht wird; wenn von Königen, Päpsten usf. die Rede ist,
* so muß Ahab, Salomo usf. herhalten. Es ist überhaupt die Manier
des Mittelalters und auch späterhin gewesen, daß man die Bibel
zum Beweismittel gebrauchte. Wie z. B. damals in den Gesetzen, in
den Ehegesetzen die jüdischen Formen galten, so sind auch in der
210 Philosophie dergleichen noch gewesen. In dieser Darstellung
* kommt auch die Theologie vor, ebenso Magie; er spricht J über das
Goldmachen, Verwandlung der Metalle, die Verjüngung des Leibes,
Verlängerung des Lebens; dies wird im ganzen in verständiger
Weise vorgetragen, und er bleibt im ganzen innerhalb der Vorstel-
215 lungen seiner Zeit.
Ausgezeichneter ist die Methode, die er weitläufig in seiner
* zweiten Schrift, seinem Organon expliziert hat; er erklärt sich
gegen das Schließen, gegen das syllogistische Schließen, von einer
Voraussetzung, von irgendeiner scholastischen Abstraktion auszu-
220 gehen, und dringt auf die Induktion, die er dem Schließen ent-
* gegensetzt. Aber diese ist auch ein Schließen, was auch Aristoteles
bekannt war. Sie hat den Sinn, daß Beobachtungen angestellt,
Versuche gemacht werden, auf die Erfahrung gesehen wird, und
daß aus dieser Erfahrung allgemeine Bestimmungen abgeleitet
* werden. Diese allgemeinen Bestimmungen nennt er nun formas
und dringt darauf, daß diese Formen erfunden und erkannt werden,
und diese formae heißen nichts anderes als die allgemeinen Bestim-
* mungen, Gattungen, Gesetze. Er sagt: ))Obgleich in der Natur
nichts wahrhaft existiert als Körper, welche individuelle Akte von
23o sich geben, so ist doch in der Wissenschaft ihr Gesetz und das
Erkennen des Gesetzes als die Grundlage anzusehen sowohl für das

211 Theologie] so GrPiHc; Lö: Theurgie


78 Neuere Philosophie 156--157

Erkennen als auch für die Tätigkeit.« Dies Gesetz und seine Para- *
graphen, seine näheren Bestimmungen, nennt er Formen. »Wer die *
Formen erkennt, der umfaßt die Einheit der Natur in den ungleich-
artigst scheinenden Materien.« Dies geht er weitläufig durch und 235

führt darüber viele triviale Beispiele an. Von der Sonnenwärme, *


durch die man Trauben reifen sieht, sagt er, frage es sich, ob sie
eine spezifische sei oder eine allgemeine sei. Man müsse Trauben am
Holzfeuer reifen lassen und durch diesen Versuch erkennen, daß es
nur die allgemeine und nicht die spezifische Wärme sei, wodurch 240
die Trauben reifen - eine Methode, die uns tädiös erscheint.
Eine Hauptbestimmung dabei ist, daß sich Bacon gegen die *
teleologische Betrachtung der Natur, gegen die Betrachtung nach
Endursachen erklärt hat, die nichts zur Erkenntnis fördert. Für die *
Erkenntnis müssen wir uns halten an die Betrachtung durch causae 245

efficientes. Zur Betrachtung I nach Endursachen gehört z. B. die *


Betrachtung des dicken Felles der Tiere - daß es den Zweck habe,
Hitze und Kälte abzuhalten -, der Haare auf dem Kopfe wegen der
Wärme, des Blitzes als Strafe Gottes; Blätter am Baum haben den
Zweck, daß die Früchte und Blüten nicht leiden. Er sagt, daß beide *
Arten von Betrachtungen sehr wohl nebeneinander bestehen könn-
ten; die Betrachtung nach Endursachen bezieht sich zunächst auf *
äußerliche Zweckmäßigkeit, wie Kant dies auch gut unterschieden
hat. Aber die innere Zweckmäßigkeit macht die Grundlage des
Organischen aus; [es ist] Selbstzweck. Die Zwecke aber als äußer- 255

liehe Zwecke sind diesem heterogen, haben nicht ihren Zusammen-


hang mit dem Gegenstand, der betrachtet wird. - Dies ist das
Ganze, was von Bacon anzuführen war.

Jakob Böhme

Dort hatten wir einen englischen Lord Staatskanzler, hier einen 260
deutschen Schuhmacher; jener ist der Heerführer des äußerlichen
Philosophierens, dieser steht gerade im Entgegengesetzten. Seine
Manier ist lange vergessen gewesen; man hat ihn einen Schwärmer *
254-255 des Organischen] ähnlich GrPi; He: von allem
157-158 Bacon und Böhme 79

* genannt, und erst in neuerer Zeit ist er wieder zu Ehren gekom-


* men, aber man hat ihm auch auf der anderen Seite zuviel Ehre
* widerfahren lassen. Er ist in der Oberlausitz in Altseidenberg bei
Görlitz im Jahre 1575 von armen Eltern geboren und hat als
Bauernjunge das Vieh gehütet. In seinem Leben kommen mehrere
Regungen vor, die er gehabt hat; so hat er schon beim Viehhüten
210 im Gesträuch eine Höhlung gesehen, aus der ihm Gold, Metall
entgegenschimmerte, so daß der höchste Glanz ihn frappierte, was
ihn innerlich erweckte aus trüber Dumpfheit. In der Folge ist er zu
einem Schuster in die Lehre gegeben worden; bei seinem Meister
hatte er das zweite Gesicht der Art. Sein Meister hatte blanke zin-
275 nerne Geräte. Durch den jovialischen Schein dieses Metalls sei er in
den Mittelpunkt der geheimen Natur und in einen herrlichen
Ruhetag der Seele versetzt worden; er sei vom göttlichen Lichte
umfangen [worden] und habe sieben Tage lang in höchster Be-
schaulichkeit des Freudenreichs gestanden. Er erzählt: Im fünfund-
280 zwanzigsten Jahre seines Alters, also um 1600, sei er einmal vor das
Tor gegangen, um sich diese Phantasie aus dem Hirne zu schlagen;
da sei ihm im Grünen ein Licht I aufgegangen, daß er durch die
Lineamente, Figuren und Farben den Geschöpfen ins Herz, alle
Dinge in ihrer innerstenNaturhabe sehen können. De signatura
285 rerum heißt seine Schrift, in der er die Lineamente aller Dinge zu
beschreiben sucht und in ihr Herz sieht. In der Folge hat er in
Görlitz gelebt. Seine erste Schrift ist die Aurora, oder Morgen-
röte im Aufgange, der viele folgten; sein zweites Über die 3
Prinzipien, sein drittes Über das dreifache Leben in Gott
* usf. Er ist 1624 als Schuhmachermeister in Görlitz gestorben. Was
er für Schriften sonst gelesen hat, ist nicht bekannt; theosophische
und alchemistische Schriften hat er gewiß gelesen, die Ausdrücke in

276 geheimen] so HeU; GrPi: schönen


277-278 er ... und] so Pi, ähnlich He; Gr: seine Bitte sei ihm gewährt und
281 um ... schlagen] so W; Gr: und habe sich alle Gedanken aus dem
Kopfe geschlagen Pi: voll Gedanken an Gott Lö: und da sei ihm, als er sich
vor den Kopf geschlagen
283-284 den ... Natur] Sv: die Geschöpfe ins Herz Pi: in den innersten
Herzen der Tiere Gr: alle Dinge in ihrer innersten Natur Lö: daß er aus der
Außenseite der Dinge ihre Natur erkennen könne
80 Neuere Philosophie 158-159

seinen Werken zeigen dies; »der göttliche Salitter, Marcurius« usf. *


sagt er auf barbarische Weise. Er ist von den Geistlichen vielfältig *
verfolgt [worden], hat jedoch in Deutschland weniger Aufsehen *
erregt als in Holland und in England, wo seine Schriften vielfach
aufgelegt worden sind. Er ist genannt worden der philosophus *
teutonicus, und in der Tat ist durch ihn erst in Deutschland Philo-
sophie mit einem eigentümlichen Charakter hervorgetreten.
Es ist wunderbar zumute beim Lesen seiner Werke. Man muß 3oo

mit der Idee vertraut sein, um in dieser höchst verworrenen Weise


das Wahrhafte zu finden; es ist eine barbarische Form der Darstel-
lung tmd des Ausdrucks, ein Kampf seines Gemüts mit der Sprache,
und der Inhalt des Kampfes ist die tiefste Idee, die die absolutesten
Gegensätze zu vereinigen aufzeigt. Die Gestalt, die ihm zunächst 305

liegt, ist Christus und die Dreieinigkeit und dann die chemischen
Formen von Merkur, Salitter, Schwefel, Herbes, Saures usf. Man
kann sagen, er habe gerungen, das Negative, das Böse, den Teufel
in Gott zu begreifen, zu fassen. Mit dem Teufel hat er viel zu tun;
er redet ihn oft an: »Komm her, du Schwarzhans.« In der Idee *
Gottes auch das Negative aufzufassen, Gott als absolute Identität zu
begreifen - dies ist I der Kampf, den er zu bestehen hat; [er] hat ein
fürchterliches Aussehen, weil Böhme in der Gedankenbildung noch
so weit zurück ist. Die eine Seite ist die ganz rohe und barbarische
Darstellung; andererseits erkennt man das deutsche, tiefe Gemüt, 315

das mit dem Innersten verkehrt und darin seine Macht, seine Kraft
exerziert. Die Formen der Hauptvorstellungen sind indessen allent-
halben wieder sehr verschieden, und man würde sich täuschen in
seiner Arbeit, wenn man es unternehmen wollte, eine konsequente
Darstellung und Entwicklung seiner Vorstellungen zu geben, sofern 320

diese mehr ins Besondere hinausgehen.


Von den Gedanken Jakob Böhmes läßt sich nicht viel sprechen,
ohne die Weise seines Ausdrucks, die Form desselben anzunehmen.
Sein Haupt-, ja man kann sagen, sein einziger Gedanke ist die

296-297 in1 ... sind] so Gr; Lö: in England und Holland. Dort und in
Harnburg sind seine Werke erschienen.
303 Gemüts ... Sprache] so Lö; Pi: Gemüts mit Sprache Gr: Gemüts,
Bewußtseins mit der Sprache He: Gemüts und seines Bewußtseins {Sprache)
159-160 Bacon und Böhme 81

325 Dreieinigkeit, so daß sie das allgemeine Prinzip ist, in welchem und
durch welches alles ist, und zwar so, daß alles diese Dreieinigkeit in
sich hat, nicht als eine Dreieinigkeit der Vorstellung, sondern als
reale. Das Weitere ist dann die Explikation der Dreieinigkeit, und
die Formen, die er gebraucht, [um] den Unterschied, der in ihr
33o vorkommt, zu bezeichnen, sind sehr verschieden. Diese Dreiheit ist
ihm das allgemeine Leben, das ganz allgemeine Leben in jedem und
* jedem Einzelnen; es ist die absolute Substanz; er sagt: »Alle Dinge
in dieser Welt sind nach dem Gleichnis dieser Dreiheit worden. Ihr
blinden Juden, Türken, Heiden und Gotteslästerer, tut die Augen
335 auf, ich muß euch in der ganzen Natur diese Dreiheit in Einheit
zeigen, daß alle Dinge nach dem Gleichnis Gottes geschaffen sind,
indem kein Ding ohne Kraft, ohne Saft und ohne Geruch oder
Geschmack gefunden wird noch bestehen mag. Ihr sagt, es sei ein
einig Wesen in Gott. Schau dich selber an, Mensch. Ein Mensch ist
340 nach der Kraft Gottes und nach dem Gleichnis dieser Dreiheit
gemacht. Schau den inwendigen Menschen an, so merke: In
deinem Herzen, Adern und Hirn hast du deinen Geist; alle die
Kraft, die sich darin bewegt, darin dein Leben steht, bedeutet Gott
den Vater; aus der Kraft empört (gebärt) sich dein Licht, da du in
345 derselben Kraft siehst, verstehst und weißt, I was du tun sollst.«
Dasselbe Licht scheint in dem ganzen Leibe, denn in der Kraft
bewegt sich dein ganzes Leben und deine ganze Erkenntnis; [das]
ist der Sohn.
Dies Licht, dies Sehen, Verstehen ist die zweite Bestimmung; es
* ist das Verhältnis zu sich selbst; aus dem Lichte geht hervor Ver-
nunft, Verstand und Weisheit, und dieses beides ist in dem Regi-
ment des Gemüts ein Ding - die Kraft und das Sehen der Kraft,
dein Geist, und das bedeutet Gott den heiligen Geist, und dieser
heilige Geist ist aus Gott, herrscht auch in diesem Geiste, in dir,
* wenn du ein Kind des Lichtes bist und nicht der Finsternis. »Nun
merket: In einem Holze, Steine und Kraut kann noch nichts ge-
boren werden und wachsen, sollte eins der drei ausbleiben. Erstlieh
ist die Kraft, daraus ein Leib wird, dann der Saft; dieser ist das Herz
eines Dinges, die Bewegung, Lebendigkeit, und zum dritten eine

336-338 daß ... mag so Gr


82 Neuere Philosophie 160--161

quellende Kraft, Geruch und Geschmack. Das ist der Geist des 360

Dinges. So wenn der dreieneins fehlt, kann kein Ding bestehen.«-


Er betrachtet also alles als diese Dreieinigkeit.
Das Erste ist also Gott der Vater, das Erste überhaupt, und dieses *
Erste ist zugleich wesentlich in sich unterschieden und ist die Einheit
dieser beiden; Gott ist Alles, Finsternis und Licht, Liebe und Zorn, *
aber er nennt sich allein einen Gott nach dem Licht seiner Liebe; es
ist ein ewiges c o n t rar i um zwischen Finsternis und Licht; keines
von beiden ergreift das Andere, und es ist doch schlechthin nur ein
einiges Wesen. Das Prinzip des Begriffs war in Jakob Böhme
durchaus lebendig, nur konnte er es nicht in der Form des Ge- 370

dankens aussprechen. »Jenes Einige«, sagt er, »ist aber unterschieden


mit der Qual.« Davon leitet er ab >Quellen<, ein gutes Wortspiel;
die Qual, das ist die Negativität in sich; >Quellen< nennt er Leben-
digkeit, Tätigkeit, und so setzt er es auch mit Qualität - woraus er
Quallität macht - zusammen, daß bestimmte Unterschiede seien. 375

»Auch mit dem Willen, und ist dennoch kein abtrennliebes Wesen.«
Die absolute Identität der Unterschiede ist durchaus bei ihm vor-
handen.
Gott der Vater also ist das Erste, aber eine ganz bestimmte
Unterscheidung muß man da nicht erwarten; wenn er von dem 380

Ersten, Einen spricht, so hat dies zugleich eine sehr natürliche


Weise, die Weise des ersten natürlichen Seins. Er spricht von der *
einfachen Essenz, vom verborgenen Gott, wie wir dies bei den *
Neuplatonikern gesehen haben. Dies Erste heißt auch das tempera- *
mentum, ein Neutralisiertsein, auch der große Salitter, und dieser 385

ist der Verborgene, der noch nicht Geoffenbarte. Er sagt: »Nicht *


mußt du aber denken, daß Gott im Himmel oder J über dem
Himmel etwa stehe oder walle wie eine Kraft oder Qualität, die
keine Vernunft und Wissenschaft in sich habe, z. B. die Sonne, die
in ihrem Zirkel herumläuft und schüttet von sich die Wärme und 390

das Licht, es bringe gleich der Erde oder den Kreaturen Schaden
oder Frommen - Nein, so ist Gott nicht, sondern er ist ein All-

377-378 Die ... vorhanden. so Gr


385 ein Neutralisiertsein] so Pi; He: wo Verschiedenes temperisiert ist
386-395 Er ... selbst.« so Gr
161 Bacon und Böhme 83

mächtiger, Allweiser, Allwissender, Allsehender, Allhörender, All-


riechender, Allschmeckender, der da ist in sich sänftig, freudig,
395 lieblich, barmherzig und freudenreich, ja die Freude selbst.« - Er
* sagt, so man das ganze curriculum der Sterne betrachtet, so
erkennt man es bald für die Quelle der Natur. So sind alle Dinge
* aus denselben Kräften gemacht und sind dann ewig. Den Vater
nennt er alle Kräfte, die 7 Planeten, 7 Qualitäten, die herbe, bittere,
400 süße usf., aber es ist da kein bestimmter Unterschied, weshalb es
gerade 7 sind, keine Gedankenbestimmung; dergleichen Festes
* fmdet man nicht bei ihm. »Du mußt aber den Sinn im Geist er-
heben und die ganze Natur betrachten, die Weite, Tiefe und Höhe
usf. - das alles sei der Leib Gottes, und die Kräfte der Sterne sind
405 die Quell-Adern im Leibe Gottes in dieser Welt. Im Corpus der
Sterne ist nicht die ganze triumphierende heilige Dreifaltigkeit, der
Sohn, Vater und heilige Geist, sondern die Kraft überhaupt, der
* Vater.« Da fragt er, woher der Himmel solche Kraft nimmt. »Hier
mußt du sehen in die lichte triumphierende göttliche Kraft und die
4to Dreifaltigkeit. In der sind alle Kräfte, wie in der Natur. Dies alles,
Himmel und Erde, ist der ganze Gott, der sich also in soviel Wesen
* kreatürlich gemacht hat.« Betrachten wir die Natur, so sieht man
Gott den Vater, in den Sternen seine Kraft und Weisheit.
* Dann geht er zum Zweiten, daß eine Separation in diesem
* temperamentum habe geschehen müssen. »Kein Ding kann ohne
Widerwärtigkeit ihm offenbar werden. So es nichts hat, das ihm
widersteht, so geht es aus und geht nicht wieder in sich hinein und
weiß so nichts von seinem Urstand.« >Urstand< gebraucht er für
>Substanz<, und es ist schade, daß wir diesen und so manchen

397 So ... Dinge] He: so sind sie alle (sc. die Sterne] Pi: Alles ist Lö: Alle
Dinge sind
401-402 keine ... ihm] so Gr; Pi: Gedankenbestimmung sind sie noch
nicht Lö: so ist an keine genaue Gedankenbestimmung zu denken
404 das alles sei] so Pi; Lö: alles ist Gr: Er sagt, Himmel und Sterne sind
415 müssen.] so PiHc, ähnlich Gr; Lö: müssen. Hier gebraucht er Worte,
von denen man bedauern muß, daß sie nicht in Gebrauch sind. (vgl. die über-
nächste Fußnote)
418 Urstand] so Gr; Pi: Urstand (Verstand) He: Urstand (Substanz)
418-420 >Urstand< ... dürfen. so Gr
84 Neuere Philosophie 161-163

anderen treffenden Ausdruck nicht gebrauchen dürfen. Ohne *


Widerwärtigkeit hätte das Leben keine Empfindlichkeit, kein
Wirken, Wollen, Verstand und Wissenschaft. ))Hätte der verborgene
Gott, der ein einiges Wesen und Willen ist, sich nicht in Schiedlich-
keit des Willens ausgeführt und diese nicht in Infaßlichkeit (Iden-
tität) I eingeführt (Rückkehr der Beziehung auf sich), so daß die- 425

selbe Schiedlichkeit nicht im Streit stünde - wie sollte ihm der


Wille Gottes offenbar sein 1 Wie mag in einem einigen Willen eine
Erkenntnis sein?«
Wir sehen, Böhme ist unendlich erhaben über das leere Abstraktum *
vom Unendlichen, Ewigen, höchsten Wesen usf. Er sagt: ))Der An- *
fang aller Wesen ist das Wort als das Aushauchen Gottes, und Gott
ist das Eine von Ewigkeit her. Das Wort ist der Anfang [und] bleibt
der ewige Anfang ewig- als Offenbarung des Willens Gottes. Unter
dem >Wort< versteht er die Offenbarung des göttlichen Willens. Das
Wort ist Ausfluß des göttlichen Einen und ist doch Gott; das Ausge- 435

flossene ist die Weisheit aller Kräfte (Mvoq.w:;). Aus solcher Offenba-
rung aller Kräfte, worin sich der Wille des Ewigen beschaut, fließen
Verstand und Wissenschaft des Ichts (entgegengesetzt dem Nichts)-
(Selbstbewußtsein im Geiste, Beziehung der Lebendigkeit mit sich).
Das Andere ist nun das Ebenbild Gottes; dies nennt er das Myste- 440

rium Magnum, den Separator, Schöpfer aller Kreatur, Ausfluß des


Willens, welcher den Einen schiedlich macht. Der Sohn ist das Herz, *
das Pulsierende im Vater, der Kern in allen Kräften, die Ursache der
quellenden Freude in allem. Der Sohn Gottes wird von allen Kräften *
seines Vaters von Ewigkeit her immer geboren; er ist der Glanz, der 445

im Vater leuchtet; so der Sohn nicht im Vater leuchtete, so wäre der


Vater ein finsteres Tal, des Vaters Kraft stiege nicht auf von Ewig-
keit zu Ewigkeit, und das göttliche Wesen könnte nicht bestehen.
Dies Ichts nun ist der Separator, das Betätigende, Unterschei- *
dende. Dies Ichts I nennt er auch Luzifer, den eingeborenen Sohn *

433-434 Unter ... versteht] Lö: Mit dem Wort gesteht


438 Wissenschaft] so W; Lö: Weise
441-442 Ausfluß ... macht] so He; in Gr folgt hier ein längeres Exzerpt aus
Rixners Handbuch der Philosophie
442 schiedlich] so Böhme; He: schließlich
163 Bacon und Böhme 85

* Gottes und den Amtmann der Natur. Aber dieser Luzifer ist abge-
fallen, und dies ist der Ursprung des Bösen in Gott und aus Gott
* selbst. So ist dies die höchste Tiefe des Jakob Böhme. Das Ichts, das
sich selbst Wissen, die Ichheit ist das sich in sich Hineinbilden,
455 Imaginieren, das Feuer, das alles in sich hineinzehrt; dies ist das
Negative im Separator, der Zorn Gottes, und dies ist die Hölle und
der Teufel; es ist das Übergehen des Ichts (Ichheit) in Nichts, daß
das Ich, das Unterscheidende, sich in sich hineinimaginiert. Im
* Unterscheiden setzt sich das Unterschiedene für sich. Er sagt: ))Him-
460 mel und Hölle sind so fern von einander wie das Ichts und das
Nichts (ens und non ens), wie Tag und Nacht.«
* Dies wirft er in viele Formen herum, um das Ichts zu fassen, den
Separator, wie er im Vater sich empöre, in ihm aufsteige - und
* damit hat Jakob Böhme viel Mühe. Da nimmt er Qualitäten und
465 Kräfte im Vater an, z. B. Herbigkeit, und stellt dann das Hervor-
gehen des Ichts vor als ein Kontrahieren, Scharfwerden, als einen
* Blitz, der ausbricht. Der Blitz ist des Lichtes Mutter, gebiert das
Licht und ist Vater der Grimmigkeit. Der Blitz ist das absolut
Gebärende, die göttliche Geburt, das Triumphieren aller Geister
470 wie ein Geist; alle Kräfte sind ineinander. Jeder Geist in den sieben
Geistern Gottes ist Totalität. Einer gebiert den anderen durch sich
* selbst. Die göttliche Geburt ist Aufgehen des Blitzes des Lebens aller
* Qualität. Er sagt: ))Du mußt nicht denken als ob im Himmel ein
besonderes Corpus sei, das man Gott nennt, sondern die ganze
475 göttliche Kraft, [die] der Himmel selbst und aller Himmel Himmel
[ist], aus der alle Engel Gottes, auch der menschliche Geist, geboren
werden, heißt Gott der Vater. Allenthalben ist diese göttliche Ge-
burt, dieses Entstehen des Himmels und der Erde. In Gott dem
Vater geht der Blitz, der Separator auf und aus diesem Separator
* wird erst der lebendige Gott geboren. Du kannst keinen Ort in
Himmel und Erde nennen, da die göttliche Geburt der Dreifaltig-
keit nicht ist, und auch in Deinem Herzen werden alle drei Per-
sonen geboren.« Überall ist Quellieren der göttlichen Geburt. -

483-484 Überall ... Geburt.) so Pi, ähnlich HcLö; Gr: Der Separator
gebärt erst so den lebendigen Gott.
86 Neuere Philosophie 163-164

Dies sind so die Grundbestimmungen. Die Kraft wird auch begier- *


lieh und wirkend, die Kraft ist der Urstand des empfindenden 485

Lebens; es urständet darin das ewig empfindliche Leben, und die


Quaal macht die wirkende Empfindlichkeit. -
In den Quaestonibus theosophicis gebraucht er auch be- *
sonders für den Separator den Gegensatz, die Formen von Ja und
Nein. In der Aurora teilt er die Wissenschaften ein in Philosophie, *
Astrologie und Theologie; Philosophie [handelt] von der göttlichen
Kraft, was Gott sei, wie alles erschaffen ist; Astrologie von Kräften
der Natur und Sterne; Theologie vom Reiche Christi, wie es dem
Höllenreich entgegen sei. -Er sagt: »Du sollst wissen daß in Ja und *
Nein I alle Dinge bestehen, das Eine als das Ja ist Kraft und Leben, 495

die Kraft Gottes und Gott selbst. Diese Wahrheit wäre aber sich
selbst unkenntlich ohne das Nein. Dies ist ein Gegenwurf des Ja,
der Wahrheit, auf daß die Wahrheit offenbar, Etwas sei, daß ein
Contrarium sei, die ewige Liebe. Doch sei das Ja vom Nein nicht
abgesondert, zwei Dinge nebeneinander, sondern nur Ein Ding. Sie 500

scheiden sich aber selbst in zwei Anfänge; sie machen zwei Centra
aus. Ohne siebeidewären alle Dinge nichts und ständen still. Ohne
sie ist kein Verständnis; das Verständnis urständet in der Unter-
schiedlichkeit der Vielheit. Der aufgeschlossene Wille bildet Un-
gleichheit, um sein eigen Etwas zu sein, damit etwas sei, was sieht 505

und empfindet das ewige Sehen. Aus dem ewigen Willen entsteht
das Nein. Im Nein hat das Ja etwas, was es wollen kann, wird das
Ja offenbar. Man heißt es darum Nein, daß es eine eingekehrte *
Begierde ist, neinwärts einschließend. Dieser hineinziehende Wille
faßt sich selbst; das sich selbst Fassen ist Blitz, Schrack. Also ur- 5to
ständet das Licht mitten in der Finsternis, denn die Einheit wird zu
einem Lichte. Die Annehmlichkeit des begierliehen Willens wird zu

484 Dies ... Grundbestinunungen. so Gr, ähnlich Lö


487 wirkende Empfindlichkeit] so He; Lö: Empfmdlichkeit frei Pi: wirk-
liche Lebendigkeit
499 die ewige Liebe] so Pi; He: das zu lieben sei Gr: daran zu erkennen,
was wahr ist Lö: das Empfindende, Wahrheit, ein Quellwurf der Liebe sei
504 aufgeschlossene] so Pi; Wund Böhme: ausgeflossene
506 Sehen] so Wund Biihme; Pi: Sein
164-165 Bacon und Böhme 87

einem Geiste. Seine Quall hat es in dem Herben. Danach, nach dem
Einziehen, ist Gott zornig, eifrig, und darin liegt das Böse.« - Dies
st5 ist die Hauptbestimmung des Zweiten.
Das Dritte der Dreifaltigkeit nun ist die Einheit des Lichts, des
* Separators, tmd der Kraft; dies ist nun der Geist. »In der ganzen
Tiefe des Vaters ist nichts außer dem Sohne, und diese Einheit des
Vaters und des Sohnes in der Tiefe ist der Geist- ein allwissender,
520 allsehender, -riechender, -hörender, -fühlender, -schmeckender
Geist.« Das Sinnliche selbst, Geruch und Geschmack, ist auch Geist.
* Der Abgrund der Natur ist Gott selbst. Gott ist nicht etwas Fernes,
das eine besondere Stelle oder Ort besäße, sondern die göttliche
Geburt ist allenthalben.
525 Dies sind nun die Hauptgedanken des Böhme; die Barbarei in
der Ausführung ist einerseits nicht zu verkennen, und sie gebraucht,
um dem Gedanken Worte zu geben, gewaltsam sinnliche Vorstel-
lungen wie Salitter, Tinktur, Essenz, Qual, Schrack usf., aber an-
dererseits ist nicht zu verkennen die größte Tiefe, die sich mit der
530 gewaltsamen Vereinigung der absolutesten Gegensätze herumge-
worfen hat. Er faßt die Gegensätze aufs Härteste, Roheste, aber er
läßt sich durch ihre Sprödigkeit nicht abhalten, die Einheit zu
setzen.
* Zu erwähnen ist noch sein frommes Wesen, das Erbauliche, der I
535 Weg der Seele in seinen Schriften; dies ist im höchsten Grade tief
und innig, rührend, voller Empfindung, und wenn man mit seinen
Formen vertraut ist, so wird man diese Tiefe und Innigkeit fmden,
aber freilich in einer Form, mit der man sich nicht vollkommen
versöhnen kann, besonders nicht im Detail. Hiermit schließen wir
540 diese Vorperiode der neueren Philosophie und gehen zur ersten
Periode derselben über, die wir mit Cartesius beginnen.

514-515 Dies ... Zweiten. so Gr


525 Dies ... Böhme so Gr
529 größte] so GrLö; Pi: tiefste He: höchste
539 besonders ... Detail] so Pi; Gr: und die keine bestimmte Vorstellung
über das Detailläßt
539-541 Hiermit ... beginnen. so Lö
88 Neuere Philosophie 165-166

2. Descartes und Spinoza

Wir kommen eigentlich jetzt erst zur Philosophie der neuen Welt
und fangen diese mit Cartesius an. Hier, können wir sagen, sind wir
zu Hause und können wie der Schiffer nach langem Umherirren 545
endlich »Land« rufen. Cartesius hat mit allem von vorn angefangen.
Das Denken, Philosophieren, der Gedanke und [die] Vernunftbil-
dung der neuen Zeit fängt von ihm an. In dieser neuen Periode ist
das Prinzip das Denken, das von sich ausgehende Denken - diese
Innerlichkeit, die überhaupt in Rücksicht auf das Christentum 55o
aufgezeigt worden und vorzüglich das protestantische Prinzip ist.
Das allgemeine Prinzip ist jetzt, die Innerlichkeit als solche festzu-
halten, die tote Äußerlichkeit, die bloße Autorität zurückzusetzen,
für unzulässig anzusehen. Nach diesem Prinzip der Innerlichkeit ist
nun das Denken, das Denken für sich, die reinste Spitze dieser *
Innerlichkeit, das Innerste der Innerlichkeit - das, was sich für sich
jetzt aufstellt. Diese Periode fängt mit Descartes an; es ist das
Denken frei für sich, was gelten soll, was anerkannt werden soll;
dies kann es nur durch mein freies Denken in mir; nur dadurch
kann es mir bewährt werden. Dies hat zugleich den Sinn, daß dies 560

Denken allgemeines Geschäft, Prinzip für die Welt überhaupt und


die Individuen sei. Was reguliert werden soll, was in der Welt
gelten soll, muß der Mensch durch seine Gedanken anerkennen,
einsehen; was für etwas Festes I gelten soll, muß sich durch das
Denken bewährt haben. 565

Wir treten damit erst wieder in eigentliche Philosophie seit der *


neuplatonischen, -pythagoräischen Schule. So findet man auch in *
älteren Geschichten der Philosophie aus dem 17. Jahrhundert nur
die Philosophie der Griechen und Römer aufgeführt, und das
Christentum macht den Beschluß, so daß in demselben und von da 570

an keine Philosophie mehr vorhanden gewesen sei, weil sie nicht


mehr nötig war - so z. B. bei Stanley in seiner Geschichte der
Philosophie. Die philosophische Theologie des Mittelalters hatte
nicht zum Prinzip das freie, von sich ausgehende Denken. Dies aber

567 neuplatonischen, -pythagoräischen Schule] so Pi; GrLö: neuplatoni-


schen Schule und (Gr: dessen) was damit zusammenhängt
166-167 Descartes und Spinoza 89

575 ist nun das Prinzip. Dabei müssen wir aber nicht erwarten, zu
finden ein philosophisches System, das sich aus dem Gedanken
methodisch entwickelt. Das Denken ist das Prinzip; was gelten soll,
gilt nur durch das Denken. Es ist das alte Vorurteil vorausgesetzt:
Wenn der Mensch Wahrheit wissen soll, so erlangt er sie nur durch
580 das Nachdenken. Dies ist schlechthin die Grundlage.
Aber dabei ist noch nicht geleistet, aus dem Denken selbst das
Konkrete, das Viele, die Weltanschauung zu entwickeln, die Be-
stimmung von Gott, Bestimmung der erscheinenden Welt als aus
dem Denken notwendig hervorgehend aufzuzeigen, sondern wir
585 haben nur Denken, Denken von einem Inhalt, der durch die Vor-
stellung, Beobachtung, Erfahrung gegeben wird; einerseits ist es
eine Metaphysik, andererseits [sind es] die besonderen Wissen-
schaften. [Die] Elemente, die darin zusammengesetzt sind, sind
Denken als solches und Stoff desselben aus dem Bewußtsein, aus der
590 Erfahrung. Wir werden zwar auf den Gegensatz kommen von
apriorischem Denken, daß die Bestimmungen, die dem Denken
gelten sollen, aus dem Denken selbst genommen sein sollen, und
jenem Empirismus, [d. h.] der Bestimmung, daß wir aus der Erfah-
rung anfangen, aus der Erfahrung schließen müssen, denken müssen
595 usf. Diesen Gegensatz werden wir auch später sehen; es ist der
Gegensatz von Rationalismus und Empirismus, aber es ist ein unter-
geordneter, weil auch das Philosophieren, was nur den immanenten
Gedanken gelten lassen will, [der] Rationalismus, nicht metho-
dische I Entwicklung der Bestimmungen aus dem Prinzip des
6oo Denkens ist, sondern auch seinen Stoff nimmt aus der Erfahrung,
aus der inneren oder äußeren.
* Die Form der Philosophie, welche durch das Denken zunächst
erzeugt wird, ist die der Metaphysik, die Form des denkenden
Verstandes. Das zweite ist der Skeptizismus und Kritizismus gegen
605 diesen denkenden Verstand. In jenes, in die Metaphysik, gehören
Cartesius, Spinoza, Leibniz usf. [und] die französischen Materiali-
sten. Das zweite Verhalten ist negativ dagegen, ist die Kritik der
Metaphysik und der Versuch, das Erkennen für sich selbst zu be-
trachten, so daß die Bestimmungen aus dem Erkennen~selbst abge-

588 sind2] Pi: ist


90 Neuere Philosophie 167

leitet werden, betrachtet wird, welche Bestimmungen sich aus ihm 6to

selbst entwickeln. Die erste Periode der Metaphysik umfaßt Des-


cartes, Spinoza, Malebranche. - Das dritte, die zweite Periode der
Metaphysik, [umfaßt] Leibniz, Locke und Wolff; das vierte die
Kantische, Fichtesche und Schellingsche Philosophie.
Rene Descartes ist der Anfänger der Philosophie in der neuen 6t5

Welt, insofern sie das Denken zum Prinzip macht; das Denken für
sich ist hier von der philosophierenden Theologie verschieden, die
es auf die andere Seite stellt; es ist ein völlig neuer Boden.

Rene Descartes

Lebensumstände: Descartes, mit dem lateinischen Namen: Cartesius, *


ist 1596 zu La Haye, einem Städtchen in der Landschaft Tauraine
in der Normandie geboren, aus altadeligem Geschlecht; er genoß *
die gewöhnliche Erziehung in einer Jesuitenschule; er machte große
Fortschritte, war von einem lebhaften, unruhigem Geist, griff nach
allem und trieb sich in allen Systemen und Formen herum, studierte 625

besonders Philosophie, Mathematik, Chemie, Physik, Astronomie


usf. Als er 17 Jahre alt war, wurde ihm das Bücherstudium ver-
leidet; sein Eifer für die Wissenschaften blieb ihm. Er ging nach
Paris und trieb sich lange in der großen Welt herum. Dann kehrte *
er zu den Studien zurück, retirierte sich in eine Vorstadt von Paris, 63o

wo er zwei Jahre allen seinen Bekannten verborgen ungestört dem


Studium der Mathematik lebte. Erst nach zwei Jahren ward er
wieder von ihnen entdeckt und hervorgezogen und wieder in die
große Welt eingeführt. Er stellte nun die Studien ganz auf die Seite
und warf sich in die Wirklichkeit; er ging nach Holland und nahm 635

Militärdienste; bald darauf, 1619, im ersten Jahre des Dreißigjähri-

611 Die ... Metaphysik] He: In der ersten Periode der Metaphysik PiSv:
Die erste Periode ist (Sv: also) die der Metaphysik Lö: Die erste Periode
(erste Periode der Metaphysik) s. Anm. *
620 mit ... Cartesius so Lö
627 17] so He; Gr: 18 Lö: 17,18 Sv: 28
631-632 dem ... Mathematik] so Lö; Gr: den Wissenschaften
167-168 Descartes und Spinoza 91

gen Krieges, ging er [als] Volontär in bayerische Dienste und


* machte mehrere Feldzüge unter Tilly mit. So wohnte er auch der I
Schlacht bei Prag bei, wo Friedrich von der Pfalz die Krone verlor.
640 In den Winterquartieren studierte er fleißig und machte z. B. in der
Reichsstadt Ulm Bekanntschaft mit Bürgern, die sich mit Mathe-
matik beschäftigten. In Neuburg an der Donau erwachte von
neuem in ihm der Trieb, die Philosophie auszubilden. Er gelobte
der Jungfrau Maria eine Wallfahrt nach Loretto, wenn ihm sein
* Vorhaben, Großes im Felde des Wissens zu leisten, gelinge. 1624
verließ er die Kriegsdienste und machte mehrere Reisen durch
* Deutschland, Polen, Preußen usf.; von 1629 bis 1644 lebte er in
Holland, wo er die meisten seiner Werke schrieb und herausgab;
* unter diesen befinden sich viele Streitschriften, Verteidigungsschrif-
650 ten gegen die Angriffe der Geistlichen, die ihn vielfach befehdeten.
Mehrere Geistliche griffen ihn mit Intrigen an. Endlich berief ihn
Christina von Schweden an ihren Hof nach Stockholm, das damals
der Sammelplatz der berühmten Gelehrten war, und hier starb er
1650.
655 Descartes hat sowohl in der Mathematik als in der Philosophie
* eine neue Periode angefangen; seine Methode macht noch die
wesentliche Grundlage der heutigen Analysis aus; [hier] brach er
auch eine Bahn; auch hat er Physik, Optik, Astronomie usf. kulti-
viert. - Bei seiner Philosophie müssen wir unterscheiden, was für
660 uns zunächst allein Interesse hat und was nicht; die Anwendung der
Metaphysik auf besondere Fragen, teils auf die kirchlichen Ange-
legenheiten, Untersuchungen, lassen wir weg. - Hier ist der Gang
seiner Gedanken selbst zu unterscheiden und die Weise, wie er
dieselben abgeleitet und bewiesen hat. Um seinen Gedanken Ge-
665 rechtigkeit widerfahren zu lassen, so müssen wir für uns bekannt,
vertraut sein mit der Notwendigkeit des Fortgangs dieser Bestim-
mungen. Mit der Methode der Ableitung seiner Gedanken werden
wir nicht besonders zufrieden sein können.

644-645 ihm ... gelinge] so Lii; Gr: es ihm gelänge in die Philosophie
einzudringen Pi: sie ihn unterstützen würde
649-650 unter ... befehdeten] so Gr; Pi: gegen viele Angriffe hatte er
sich zu halten seitens der Geistlichkeit Sv: von den Geistlichen angefeindet
92 Neuere Philosophie 168-169

Descartes hat von vorn, vom Allgemeinen, vom Denken als *


solchen angefangen, und dies ist ein neuer, I absoluter Anfang. Daß 67o

so nur vom Denken angefangen werden müsse, das hat er so ausge-


drückt, daß man an allem zweifeln müsse, de omnibus est dubitan-
dum - nicht im Sinne des Skeptizismus, daß man dabei stehenblei-
ben müsse, bei diesem Zweifel, bei dieser vollkommenen Unent-
schiedenheit des Geistes, der darin seine Freiheit hat, und dadurch 675

Ruhe gewinnen, sondern es hat vielmehr den Sinn, man müsse aller
Voraussetzung, jedem Vorurteil entsagen und vom Denken an-
fangen, um erst vom Denken aus auf etwas Festes zu kommen, zu
dem Behuf, damit man einen reinen Anfang gewinne. Bei den
Skeptikern ist dies Bedürfnis nicht, auf Festes zu kommen; da ist 6so

der Zweifel das Resultat.


Das erste ist also, daß man keine Voraussetzung machen müsse;
dies ist ein sehr großes, wichtiges Prinzip. Warum man keine Vor-
aussetzung machen müsse, davon gibt Cartesius den Grund nach
seiner Weise an: Wir fmden, daß, was das Sinnliche betrifft, unsere *
Sinne sich oft täuschen; man kann daher ihre Erfahrung nicht als
gewiß voraussetzen, und es ist daher nicht der Klugheit gemäß, sich
auf sie zu verlassen; unseren Vorstellungen dürfen wir auch nicht
trauen. Das ist empirische Erfahrung. Wir wissen, daß wir im
Traume sehr viel vor uns zu haben meinen, Unzähliges geltenlassen, 690
was niemals ist, und wir können kein Zeichen, kein bestimmtes
Kriterium angeben, wodurch wir das, was uns im Schlafe erscheint,
durch die Beobachtung unterscheiden von den Vorstellungen im
Wachen. Ebenso ist es mit den mathematischen Sätzen; auch an
diesen können wir zweifeln, denn viele irren sich in dem, was man 695

für das Gewisseste hat gelten lassen, und man läßt viel gelten, was
doch nachher falsch erscheint. Wir haben gehört, Gott habe uns
erschaffen; aber, wenn wir davon anfangen, könnte Gott uns viel-
leicht so erschaffen haben, daß wir irren sollten. Wären wir aber

669 vomt) Pi: im


686-688 man ... verlassen so Gr
692 Schlafe] so Gr; Pi: Traume
698 erschaffen) so PiHcLö; Gr: erschaffen und dadurch hätten wir die Vor-
stellung usf.
169-171 Descartes und Spinoza 93

100 nicht von Gott erschaffen, sondern von uns selbst, wäre dies noch
viel wahrscheinlicher, daß wir so unvollkommen sind zu irren.
So sind Descartes' Gründe. Das Bedürfnis ist dabei, daß das
Denken von sich ausgehen soll, und es dürfe daher keine V orausset-
zung gemacht werden, denn diese ist ein Vorgefundenes, das I nicht
705 durch das Denken gesetzt ist, ist ein Anderes des Denkens; das
* Denken ist nicht darin bei sich. Die sogenannte unmittelbare An-
schauung, innere Offenbarung der neueren Zeit gehört auch hier-
her. Vom Denken soll ausgegangen werden; es ist das Interesse der
Freiheit, was zum Grunde liegt; was als wahr anerkannt wird, soll
110 die Stellung haben, daß unsere Freiheit darin erhalten ist, daß wir
denken. Hier in der Cartesianischen Form ist das Prinzip der Frei-
heit als solches nicht herausgehoben, sondern es sind mehr populäre
Gründe: Weil es möglich sei zu irren, müsse man keine Voraus-
setzung machen. Der zweite Satz ist: Wir müssen suchen, was
715 gewiß ist, und das Gewisse ist die Gewißheit selbst, das Wissen als
solches, in seiner reinen Form als sich auf sich beziehend - dies ist
* das Denken. Wenn wir so alles weggeworfen haben, woran wtr
zweifeln können, so ist nur dieser Punkt gelassen.
Dies ist nun der Anfan&; »ich denke« - das ist das schlechthin
* Gewisse, wie auch Fichte anfängt mit unmittelbarem Wissen; es
stellt sich in mir dar. Die nächste Bestimmung, die hinzukommt, ist
die Bestimmung des Seins, und so sagt Descartes: »cogito ergo sum,
ich denke also bin ich«; wir können an allem zweifeln, ob es ist -
daß Gott, Körper, Welt usf. ist -, aber daß wir sind, daran können
725 wir nicht zweifeln. Wir können uns nicht denken, wir existierten
nicht. Die Bestimmung des Seins ist unmittelbar mit dem Ich
[verbunden]; das reine Ich, dies >cogito< ist unmittelbar damit
verbunden. »Diese Erkenntnis ist die erste und gewisseste von allen,
die sich jedem, der in Ordnung philosophiert, darbietet.« Dies ist
730 das berühmte cogito ergo sum; Denken und Sein ist so darin unzer-
trennlich verbunden.
Diesen Satz sieht man einerseits an als einen Schluß; aus dem
* Denken werde das Sein geschlossen. I Kant hat gegen diesen Zu-

727-728 das ... verbunden] so Lö; Gr: das reine Ich ist cogito He: mit
dem Denken habe ich das Sein meines Ichs
94 Neuere Philosophie 171-172

sammenhang eingewandt, im Denken sei nicht das Sein enthalten,


es sei verschieden vom Denken; dies ist ganz richtig. Aber sie sind m
unzertrennlich, d. h. sie machen Eine Identität aus; was unzertrenn-
lich ist, ist dennoch verschieden, aber die Identität wird durch diese
Verschiedenheit nicht gefährdet; sie sind [eine] Einheit. Indessen - *
ein Schluß ist es nicht, denn zu diesem gehören drei Glieder, [d. h.]
hier ein drittes, wodurch Denken und Sein vermittelt wären. So ist 740
es aber nicht. Nicht: »Ich denke, also bin ich« - dies >Also< ist hier
nicht das >Also< des Schlusses, sondern es drückt nur den Zusammen-
hang aus, wodurch das Sein unmittelbar mit dem Denken ver-
knüpft ist. Wir sehen also bei Descartes die Identität des Seins und
Denkens ausgesprochen. 745

Eine zweite Einwendung hat Gassendi gemacht: Man kann eben- *


sogut sagen: »Ludificor, ergo sum - ich werde von meinem Be-
wußtsein zum besten gehabt, also existiere ich.« Daß etwas an *
diesem Einwurf daran ist, hat Descartes selbst sehr wohl gewußt; er
sagt: »Unter dem Denken begreife ich alles, was in unserem Be- *
wußtsein vorgeht, insofern wir uns dessen bewußt sind; Wollen,
Empfindung, Einbilden usf. - alles dies ist auch darin enthalten.«
Wenn ich sage: »ich sehe, ich gehe spazieren«, so ist Ich in der
Bestimmung des Sehens, Gehens, aber ich bin darin auch denkend.
Daß ich »Ich« sage, ist Denken. Es ist absurd zu meinen, die Seele 755
habe das Denken in einer besonderen Tasche und in einer anderen
die Empfindung, das Sehen, Wollen usf. Denken ist das ganz Allge-
meine. Das Denken vorgestellt als Denkendes ist Ich; es ist das
Allgemeine, was auch im Wollen, Fühlen, Gehen usf. ist. Descartes
sagt: »Bei dem Sehen, Gehen usf. ist zugleich solches Enthalten, was 760
durch eine Funktion des Körpers geschieht.« Der Schluß ist hier also
nicht absolut gewiß; im Traume kann einem oft passieren, daß man
zu gehen glaubt; Empfinden und Vorstellen ist nicht mehr das
allgemei jne Denken und nur mit dem Allgemeinen ist das Sein
unmittelbar verbunden. 765

736--737 was ... verschieden so Gr


744-745 Wir ... ausgesprochen. so Lö
755-757 Es ... usf. so GrLö
172-173 Descartes und Spinoza 95

Es 1st ganz leicht, diese Identität einzusehen; Denken ist das ganz
Allgemeine, nicht das Besondere, Sehen, Gehen usf.; in allem
Besonderen ist auch das Allgemeine; das Denken ist die Beziehung
auf sich selbst, ist das Allgemeine, das reine sich Beziehen auf sich
110 selbst, das reine Einssein mit sich. Wenn also vom Sein die Rede ist,
so müssen wir uns darunter nicht ein Besonderes, nicht das Sein
eines konkreten Inhalts vorstellen; >Sein< ist dann nichts als die eben-
so einfache Unmittelbarkeit. Denken ist Bewegung in sich, aber
reine Beziehung auf sich selbst, reine Identität mit sich. Das ist das
775 Sein auch. Unmittelbarkeit ist das Sein; das Denken ist dieselbe
Unmittelbarkeit, zugleich aber auch die Vermittlung mit sich selbst,
aber seine sich negierende Vermittlung mit sich selbst, also auch
Unmittelbarkeit. >Unmittelbarkeit< ist eine einseitige Bestimmung;
das Denken enthält sie, aber sie nicht allein, sondern auch die Be-
7so stimmung, sich mit sich selbst zu vermitteln, und dadurch, daß das
Vermitteln zugleich Aufheben des Vermittelns ist, ist es also auch
Unmittelbarkeit. Im Denken ist allerdings Sein. >Sein< ist eine viel
ärmere Bestimmung als >Denken<, ist das Abstraktum von dem
Konkreten des Denkens. Die nächste Betrachtung ist nun die der
785 Metaphysik des Descartes; die Einheit des Seins und des Denkens ist
dabei das Erste, und das Denken wird dabei genommen als das
reine Denken.
Descartes hat diesen Satz der Einheit des Denkens und Seins aber
nicht bewiesen; es sind verschiedene Bestimmungen - Denken und
790 Sein. Darum muß ausdrücklich der Beweis der Identität geführt
werden, und dies bleibt Cartesius schuldig.
Es steht also einstweilen dahin, und es ist die interessanteste Idee
der Philosophie der neueren Zeit überhaupt; er hat sie wenigstens
zuerst aufgestellt.
* Das Bewußtsein ist seiner selbst gewiß; >ich J denke< - damit ist
gesetzt das Sein; das Bewußtsein sucht nun seine Erkenntnis zu
erweitern und findet, daß es Vorstellungen von vielen Dingen in
sich hat. Das Interesse ist der Fortgang von der abstrakten Einheit
zu weiterer Konkretion. Er geht dabei äußerlich reflektierend zu

766 Es ... einzusehen so Gr


784-787 Die ... Denken. so Gr
96 Neuere Philosophie 173-174

Werke. Wir finden in uns mancherlei Vorstellungen; in diesen aoo


täuscht sich das Bewußtsein nicht, so lange es nicht urgiert, daß
etwas Ähnliches, Objektives, außer ihm sei.
Ich trage dies in der Weise des Cartesius vor. Unter den ver- *
schiedeneu Vorstellungen, die wir haben, ist auch die eines höchst
intelligenten, höchst mächtigen, absolut vollkommenen Wesens, 805
und dies ist die vorzüglichste aller Vorstellungen. Es ist nun die
Frage: »Ist dies eine bloß zufällige oder eine notwendige, ewige
Vorstellung?« Cartesius sagt nun: >>Es ist dies eine notwendige
Vorstellung, daß das Allgemeine, was wir >Gott< nennen, ist.« Denn
es soll eben das sein, in dessen Vorstellung die Existenz als not- s1o
wendig enthalten ist.
Dies ist nun schon bei Anselm gesagt worden: >>Gott ist das *
Vollkommenste«, und es entsteht nun die Frage: »Existiert aber auch
dieses Vollkommenste?« Diese Frage darf man nicht machen. Denn
das Vollkommenste soll eben das sein, in dessen Begriff schon die 815
Existenz liegt; das ist das Vollkommenste: Existenz und Vorstellung
ist in ihm verbunden. Diese Idee ist also eine Voraussetzung. Wir
finden in uns diese Idee - würde man jetzt sagen - als die höchste,
daß das Eine ist. Dies ist also so vorausgesetzt, und wenn wir
fragen, ob diese Idee auch existiere, so soll gerade dies die Idee sein, 82o
daß damit auch die Existenz gesetzt ist. Es ist hier in der Form von
Gott keine andere Einheit ausgesprochen als die in cogito ergo sum -
Sein und Denken, unzertrennlich verknüpft. >Cogito< hat den Sinn
des Bewußtseins als reinen Denkens. Hier, bei der Idee Gottes,
haben wir die Gestalt einer Vorstellung, die ich in mir habe; der 825
ganze Inhalt dieser Vorstellung - der Allmächtige, Allweise usf. -
sind Prädikate, die sich erst später ergeben; der Inhalt selbst, um
den [es] allein zu tun ist, ist der Inhalt I der Idee, des reinen Ge-
dankens, des reinen Allumfassenden, des Allgemeinen, mit der
Existenz, mit der Wirklichkeit, mit dem Sein verbunden. 830

So sehen wir diese Bestimmungen aufeinander folgen auf eine


Weise, die empirisch und naiv ist, die also nicht philosophisch,

804 die wir haben] so Lö; Pi: die Cartes in ( 1) (unleserlich) naivem
Gang aufnimmt
816 Vollkommenste] He: Vollkommene
174 Descartes und Spinoza 97

* metaphysisch beweisend ist. »Dieser Begriff«, sagt Cartesius, •ist


nicht von uns geschaffen. Wir finden in uns die Perfektionen nicht,
835 die in dieser Vorstellung liegen; diese ist uns gegeben als ewige
* Wahrheit.« In ganz anderer Form wird jetzt dasselbe gesagt: Daß
Gott ist, ist uns absolut gewiß, und diese absolute Gewißheit ist der
* Beweis, daß Gott ist. Cartesius sagt nun: »Was uns von Gott
geoffenbart ist, müssen wir glauben, ob wir es gleich nicht begrei-
840 fen. Wir müssen uns nicht wundem, daß es über unsere Fähigkeit
geht.« Das ist denn ein Hereinfallen einer gewöhnlichen Vorstel-
* lung. »Deswegen müssen wir uns nicht durch Untersuchungen
ermüden. Freiheit des Willens und göttliche praescientia sind beide
gewiß, aber wir wissen sie nicht zu vereinen.«
* Das erste Attribut Gottes ist, daß er wahrhaftig ist, daß er der
Geber alles Lichts ist. Es ist seiner Natur also ganz zuwider, daß er
uns täuscht. Was wir also durch unser Erkenntnisvermögen ein-
sehen, daß es uns deutlich und klar ist, das ist so, das ist wahr; was
gedacht wird, richtig und klar eingesehen wird, das ist so, weil Gott
850 uns das Denkvermögen gegeben. Es ist also ausgesprochen, daß der
Mensch durch das Denken erfahre, was in der Tat an den Dingen
ist; Gottes Wahrhaftigkeit ist zum absoluten Band gemacht zwi-
schen dem subjektiven Erkennen und der Wirklichkeit dessen, was
* so erkannt ist. Dies werden wir in Malebranche noch bestimmter
855 ausgedrückt sehen.
Wir haben hier diesen Gegensatz - subjektives Erkennen und die
Wirklichkeit; das eine Mal ist gesagt, sie sind beide unzertrennlich
verbunden, Denken ist Sein; das andere Mal werden sie als ver-
schieden betrachtet; da tritt nun das Bedürfnis ein, sie zu ver-
860 mitteln; auf dem Vermitteln beruht der Beweis dieser Einheit. Hier
ist nun auf einer Seite unser subjektives Erkennen vorgestellt und
auf der anderen Seite die Wirklichkeit. Das Vermittelnde ist die

840-842 Wir ... Vorstellung. so Gr


842 Deswegen] so Wund Descartes; He: Dennoch
850-852 Es ... istz so Gr
856-857 Wir ... Wirklichkeit so Gr
861 unser subjektives Erkennen] so HcLö; Gr: unser Erkennen Pi: unser
Erkennen als subjektiv
98 Neuere Philosophie 174-176

Wahrhaftigkeit Gottes oder die Wahrheit Gottes. Diese I ist selbst


wieder nichts anderes als daß seine Idee unmittelbar auch die Wirk-
lichkeit in sich enthält. - [Den] Begriff und seine Realität nennen 865
wir Wahrheit; also sind uns diese Verknüpfungen von Idee und
Wirklichkeit nur in verschiedenen Beziehungen vorgestellt. Dies
sind die Grundbestimmungen.
Descartes geht nun weiter und sagt: »Was unter unser Bewußt- *
sein fällt, das betrachten wir entweder als Dinge oder als deren 870
Eigenschaften oder als ewige Wahrheiten, die uns eingeboren, ideae
innatae, nicht von uns gemacht sind.« Dieser Ausdruck >ewige Wahr- *
heit< ist bis auf die neuesten Zeiten ganz gebräuchlich; >ewige Wahr- *
heiten< heißen allgemeine, ganz allgemeine Bestimmungen, ganz
allgemeiner Zusammenhang, und von diesen ist hier vorgestellt, 875
daß sie uns angeboren sind. >Angeboren< ist ein schlechter Aus-
druck, weil dies eine natürliche Weise bezeichnet; es paßt nicht für
den Geist; also es [sc. die angeborenen Wahrheiten] ist ein Inhalt,
der in der Natur unseres Geistes gegründet ist. Der Geist überhaupt
ist tätig und verhält sich in seiner Tätigkeit auf eine bestimmte sso
Weise; diese hat aber keinen anderen Grund als seine Freiheit.
Was nun die näheren Dinge betrifft, zu deren Betrachtung Carte- *
sius übergeht, so sind die allgemeinen Bestimmungen der Dinge:
Substanz, Dauer, Ordnung usf.; von diesen gibt er dann Definitio- *
nen. Er legt zum Grunde, man müsse keine Voraussetzungen 885
machen, und den unterschiedenen Inhalt, die Vorstellungen, zu
denen er dann übergeht - diese nimmt er doch als ein Gefundenes
auf in unserem Bewußtsein. Er definiert nun die Substanz so, daß *
sie ein Gegenstand sei, der keines anderen Etwas zum Existieren
bedürfe - das ist auch die Definition des Spinoza -; diese Substanz 890
ist nun allein Gott; man kann sagen, es sei auch die wahrhafte
Definition der Substanz, die Einheit der Idee und der Realität.
Solche Substanz ist nur Gott. Die anderen, die wir >Substanzen<
nennen, existieren nicht für sich, haben ihre Existenz nicht in ihrem
Begriff selbst; sie können nur vermöge eines concursus Dei existie- 895
ren. I Gott ist die absolute Verknüpfung von Begriff und Wirklich-

890 das . . . Spinoza so Gr


176-177 Descartes und Spinoza 99

keit. Die anderen, die endlichen [Substanzen], die eine Grenze


haben, in Abhängigkeit stehen, bedürfen eines anderen. Die anderen
Substanzen als Gott können nicht univoce, d. h. in einem und
900 demselben Sinne >Substanzen< genannt werden.

* Jetzt geht er weiter fort zum Unterschied, [zur distinctio] realis.


* Es gibt zweierlei Gattungen, erstens die denkenden Dinge und
zweitens die Dinge, die sich auf das Ausgedehnte beziehen. Da
haben wir diesen Unterschied von Denken und Ausgedelmtem,
9os Räumlichem, Außereinander. Das Denken, Begriff, Geistiges,
Denkendes, Selbstbewußtes ist das, was in sich zurückgeht, bei sich
ist. Der Gegensatz des Denkens ist, was nicht bei sich ist - das
Außersichseiende, Ausgedehnte, das Unfreie. Dies sind nun er-
* schaffene Substanzen; diese beiden Substanzen können unter der
9to gemeinschaftlichen Bestimmung >erschaffene Substanzen< gefaßt wer-
den, weil sie Dinge sind, die allein Gottes concursus zur Existenz
bedürfen. Die endlichen Dinge bedürfen eines anderen endlichen
Dinges zu ihrer Existenz, aber die ausgedehnte Substanz, das Reich
der Natur und die geistige Substanz- dieser ganze Umfang ist eine
* Totalität in sich; jedes der beiden, das Ganze jeder Seite, kann ohne
das andere gefaßt werden; jedes ist Totalität für sich. (Bei Spinoza
[ist] auch davon [die Rede].) Andere, einzelne Dinge bedürfen
anderer einzelner Dinge zu ihrer Existenz, aber das Denkende und
das Ausgedehnte als ganze Substanzen für sich sind Totalitäten,
920 bedürfen nicht eins des anderen zur Existenz, sondern bedürfen nur

des concursus Dei zu ihrer Existenz.


* Die Substanz nun hat Attribute, und jede hat mehrere; jede hat
aber ein eigentümliches Attribut, welches die Natur und Essenz
desselben ausmacht. Denken macht das Attribut des Geistes aus;
925 Denken ist seine Qualität. Bei dem Körper macht Ausdehnung

seine Essenz, seine Qualität aus, und der Körper ist nur ausgeJdehnt.
* Was der Verstand vom Körper erfaßt ist seine Substanz, seine

897 Die ... endlichen] Gr: die Anderen, die Endlichen Lii: Das andere
Endliche He: Die andere sind endlich
901 Jetzt ... Unterschied] Lö: Jetzt geht man aber fort zum Unterschied
Sv: Dann unterschied er
916-917 (Bei ... davon so Gr
100 Neuere Philosophie 177

wahrhafte Natur, und diese ist nur die Ausdehnung, welche wieder *
zwei Bestimmungen hat, Materie und Bewegung.
Nach Descartes ist die Natur des Körpers vollendet durch sein *
Ausgedehntsein; alles andere, was wir als Qualitäten der Körper
gelten lassen, sind nur sekundäre Qualitäten, Modi usf. - andere
Arten jener ersten, der Ausdehnung. Descartes sagt insofern: ))Gebt *
mir Materie und Bewegung, und ich will euch die Welt erschaffen.«
Das Denken sucht die einfache Bestimmung der Unterschiedenen. 935

Ferner liegt darin die mechanische Weise, die Natur zu betrachten, *


oder daß die Naturphilosophie des Descartes rein mechanisch ist,
indem er alles auf Verhältnisse der Ruhe und Bewegung zurück-
führt. Im Lebendigen sind Verdauen, Sehen, Hören, alles nur solche
mechanische Effekte, deren Prinzipien Materie und Bewegung sind. 940
Wir sehen hier also den Grund, den Ursprung der mechanischen
Philosophie; es ist nun eine weitere Einsicht, daß Materie und
Bewegung nicht hinreichen, um das Lebendige zu erklären. Es ist
aber das Große darin, daß das Denken in seinen Bestimmungen nun
nicht nur auf äußere Weise fortgeht und sich einfach erfaßt, daß es 945

diese Gedankenbestimmungen zu dem Wahrhaften der Natur


macht.
Von da geht Descartes nun von der Metaphysik zur Mechanik *
über, zu dem Weltsystem, [der] Bewegung der himmlischen
Körper, [den] Wirbeln, zu den Poren oder Partikeln, die sich be- 950

gegnen, wobei er auf Erde und Sonne und endlich auch auf Sal-
peter und Schießpulver kommt. So geht seine Metaphysik aus.
Zuerst sollen die allgemeinen Gedanken das Interesse haben; das
weitere ist ein Übergang zum Bestimmten, und dies Bestimmte,
Physikalische, errichtet eine Physik, die das Resultat von Beobach- 955

tungen und Erfahrungen ist. Descartes hat so viele Beobachtungen


mit einer solchen Metaphysik vermengt, und dies ist daher etwas
Trübes und Verwirrtes für uns. I

935 Das ... Unterschiedenen.] so Pi; He: Cartesius sucht die einfache
Bestimmung der Körper in der Materie und Bewegung.
950-951 zu ... begegnen] He: zu den Poren oder Artikeln LO": Die Poren,
die Partikeln bewegen sich
178 Descartes und Spinoza 101

Bei dieser Philosophie ist die denkende Behandlung des Empiri-


* sehen vorherrschend. Auf dieselbe Weise der denkenden Mechanik
* zeigen sich die Philosophien von hier an. Professor Cousin in Paris
hat Descartes' Werke französisch neu herausgegeben; neun Bände
in Oktav sind heraus; der größte Teil besteht in Briefen über physi-
* sehe und mechanische Gegenstände aller Art. Der erste Teil [seines
965 Werkes] handelt de principiis cognitionis humanae, der zweite de
* principiis rerum naturalium; dies ist eine Physik. Auch den dritten,
ethischen Teil hat er ausarbeiten wollen, ist aber nicht dazu gekom-
* men. Spinozas Hauptwerk dagegen ist die Ethik; bei ihm ist der
erste Teil auch allgemeine Metaphysik; den zweiten, die Natur-
970 philosophie, hat er nicht behandelt. In seinem Briefwechsel sind
Beobachtungen über Natur, aber eine Ethik, Philosophie des
Geistes, hat er geschrieben. Bei Cartesius ist nichts Ethisches, und
* das, was das Erkennen betrifft, den intelligenten Geist, das kommt
im ersten Teil, in den Prinzipien der menschlichen Erkenntnis vor.
975 Dies sind nun die Hauptmomente der Cartesischen Philosophie.
Es sind noch einige besondere Formen anzuführen, die sonst in
* der Metaphysik auch bei W olff betrachtet sind, z. B. das Verhältnis
* der Seele zum Körper. In der Metaphysik finden sich viele Systeme
darüber; das eine ist das des influxus physicus, daß der Geist sich auf
980 körperliche Weise verhalte, daß die äußerlichen Dinge zur Seele ein
mechanisches Verhältnis haben, wie ein Ding auf das andere durch
* Drücken, Stoßen. Dies ist eine sehr rohe Vorstellung, welche Des-
cartes widerlegt. Descartes hat das Spirituelle, Intellektuelle frei für
sich festgesetzt; in seinem Cogito bin ich mir selbst zunächst nur
985 gewiß, ich kann abstrahieren von allem; darauf gründet er das
Bestehen des Geistes für sich; nun ist das Mittelglied, die Verbin-
dung von dem abstrakten Allgemeinen und dem besonderen
* Äußerlichen anzugeben. Dies bestimmt nun Cartesius nach dem,
daß er sagt, Gott ist das Mittelding, das Mittelglied; dies heißt man

959-960 Bei ... vorherrschend. so Gr, ähnlich Lö


970--971 In ... Natur so Pi
975-977 Dies ... z. B. so Gr
984-985 in ... allem] so Gr; He: Ich bin meiner selbst bewußt und
meiner Freiheit ohne alles Äußerliche
102 Neuere Philosophie 178-179

das System der Assistenz: Gott ist der metaphysische Grund der 990
gegenseitigen Veränderungen. In der Seele gehen Veränderungen
vor, wie in dem Körper. Letztere entsprechen denen der Seele. Dies
Entsprechen ist bewirkt durch Gott - das ist das systema assistentiae.
Das Bedürfnis des Vermittelnden zwischen den zwei Gegensätzen
sehen wir hier. In Gott allein I ist die Einheit der Idee oder des 995

Begriffs und des Realen. Dies wird dann besonders in dem Spino-
zistischen System in seinen weiteren Momenten herausgehoben.

Benedict Spinoza

Die Spinozistische Philosophie verhält sich zur Cartesischen nur als


eine konsequente Ausführung, Durchführung des Prinzips des 5

Cartesius.
Zunächst sind jedoch die Lebensumstände des Spinoza zu be- *
trachten. Er ist in Amsterdam 1632 geboren, aus einer portu-
giesisch-jüdischen Familie und heißt mit Vornamen. Baruch, den er
jedoch in Benedict verwandelte. Er hat früh Krieg mit den Rah- 10

binen in der Synagoge geführt; er ist weggeblieben aus der Syna-


goge. Man hat ihm viel Geld geboten, wieder in die Synagoge zu
kommen, und [er] kam, als ihn die Juden durch Meuchelmord aus
dem Wege zu räumen suchten, wiewohl mit knapper Not, mit
dem Leben davon. Er hat sodann die jüdische Gemeinde verlassen, t5
ohne jedoch förmlich zur christlichen Kirche überzugehen. Er legte
sich nun besonders auf die lateinische Sprache, studierte die Philo-
sophie des Descartes und gab eine Darstellung - nach geometrischer
Methode - davon heraus, die unter seinen Werken ist. Später *
machte er sich berühmt durch seinen Tractatus theologico- 20

politicus; es ist darin die Lehre von der Inspiration [behandelt],


eine Beurteilung der mosaischen Schriften, besonders aus dem

7-8 Zunächst ... betrachten. so Gr


9-10 und ... verwandelte so Gr
10--11 hat ... geführt] so He mit Pi, ähnlich LöSv; Gr: Er erhielt in seiner
Jugend Unterricht von den Rabbinen
14 knapper] Gr: genauer
179-180 Descartes und Spinoza 103

Gesichtspunkt, daß sich die mosaischen Gesetze nur auf die Juden
beschränken - eine kritische Behandlung der mosaischen Bücher.
* Das meiste, was spätere christliche Theologen über Inspiration und
Einschränkung des mosaischen Gesetzes auf die jüdische Nation
Kritisches geschrieben haben, wodurch gewöhnlich gezeigt werden
soll, daß diese Bücher erst später redigiert worden sind - ein Haupt-
kapitel für die protestantischen Theologen -, haben [sie] schon bei
30 Spinoza vorgefunden. 1664 ging dieser nach Rhynsburg bei
Leyden I und lebte von 1665 an in einem Dorfe beim Haag und im
Haag selbst, wo er sich von Verfertigung optischer Gläser ernährte,
nach Ausschlagung mehrerer Geschenke seiner Freunde. Er wurde
nach Heidelberg zu einer Professur der Philosophie gerufen - der
35 Kurfürst von der Pfalz, Carl Ludwig, tat ihm dies Anerbieten -,
mit der Freiheit, zu lehren und zu schreiben, indem der Fürst
glaube, daß er diese Freiheit nicht mißbrauchen werde, die öffent-
liche Religion zu beunruhigen. Spinoza lehnte es ab, weil er nicht
wisse, in welche Grenzen die philosophische Freiheit eingeschlossen
40 werden müsse, um die öffentliche Religion nicht zu beunruhigen.
Er blieb in Holland außer aller Verbindung. Er starb den 22. Fe-
* bruar 1677 an der Schwindsucht. Seine Ethik gab erst nach seinem
Tode sein vertrautester Freund, der Arzt Ludovicus Meyer heraus.
* So groß der Haß der Juden gegen ihn war, ebenso groß war auch
45 der Haß der protestantischen Geistlichkeit.
* Das Hauptwerk ist seine Ethik. Sie besteht aus fünf Teilen; der
erste Teil handelt von Gott, der zweite von der Natur und dem
Ursprung des Geistes; er [sc. Spinoza] behandelt so nicht die Natur,
sondern geht von Gott gleich zum Geist über; das dritte Buch

31-32 in ... selbst) so HeLö; Pi: in einem Dorfe bei Haag Gr: im Haag,
oder in Vorburg beim Haag
34-35 der ... Anerbieten so Gr
41-42 den 22. Februar so Gr
44-45 So ... Geistlichkeit.) so Gr; Pi: Großer Haß der Juden und der
Protestanten He: Großen Haß der Juden und der Protestanten zog er sich
durch seine Schriften zu. Lö": Noch größere Feindschaft als bei den Juden
hatte Spinoza bei den Christen.
46 Das ... Ethik. so He
48-49 er ... über so Gr
104 Neuere Philosophie 180-181

handelt von den Affekten und Leidenschaften, das vierte von den 5o

Kräften der Affekte oder der menschlichen Knechtschaft, wie das


vierte Buch überschrieben ist; endlich das fünfte von der Macht des
Verstandes, des Denkens, oder von der menschlichen Freiheit.
Was das System des Spinoza anbetrifft, so ist es im ganzen sehr
einfach. Die Schwierigkeit, es zu fassen, liegt zum Teil in der 55

Methode, in der verschränkten Methode, in der er seine Gedanken


vorträgt, und [zum Teil] in dem Beschränkten der Ansicht, wo-
durch man über Hauptgesichtspunkte, Hauptfragen unbefriedigt
bleibt.
Das Einfache des Spinoza ist die absolute Substanz, und nur diese 60

ist wahrhaft, ist wirklich, ist die Wirklichkeit. Sie ist die Einheit des
Denkens und Seins oder das, dessen Begriff I seine Existenz in sich *
selbst enthält. Wir haben vor uns zwei Bestimmungen, das Allge-
meine, das Anundfürsichseiende, und zweitens die Bestimmung des
Besonderen und Einzelnen, die Individualität. Nun ist von dem 65
Besonderen, dem Einzelnen nicht schwer aufzuzeigen, daß es ein
Beschränktes überhaupt ist, daß sein Begriff überhaupt von einem
Anderen abhängt, daß es abhängig ist, nicht wahrhaft für sich selbst
existierend, so nicht wahrhaft wirklich. In Rücksicht des Bestimm- *
ten hat Spinoza so den Satz aufgestellt: omnis determinatio est 10
negatio. Also ist nur das Nichtbesonderte, das Allgemeine. Nur das
ist das Substantielle und also wahrhaft Wirkliche. Die Seele, der
Geist, ist ein Beschränktes, als einzelnes Ding, beschränkt. Das,
wonach ein einzelnes Ding ist, ist Negation. Also hat es nicht wahr-
hafte Wirklichkeit. - Dies ist im ganzen die spinozistische Idee. 75

Im allgemeinen ist darüber zu bemerken, daß das Denken, der


Geist, sich auf den Standpunkt des Spinozismus gestellt haben muß.
Diese spinozistische Idee ist als wahrhaft, als begründet zuzugeben.
Es ist eine absolute Substanz; diese ist das Wahre. Aber das ist noch

60 Das ... Spinoza] so Gr; Lö: Die Hauptidee


61 Sie ist] so PiLö; He: diese Substanz ist Gr: es ist, wie bei Descartes,
70 determinatio] so GrPiLöSv; He: determinatio (Besonderung)
74 wonach] so Pi; Gr: wonach er
74 Also hat es] so Lö; Pi: Darum hat es Gr: und er hat so Sv: also hat er
75 Dies ... Idee. so Gr
181-182 Descartes und Spinoza 105

so nicht das ganze Wahre, sondern die Substanz muß auch als in sich
tätig und lebendig gedacht werden und eben dadurch sich als Geist
bestimmen. Die spinozistische Substanz ist die allgemeine und so die
abstrakte Bestimmung; man kann sagen, es ist die absolute Grund-
lage des Geistes, aber nicht als der absolut unten festbleibende
s5 Grund, sondern als die abstrakte Einheit, die der Geist in sich selbst

ist.
Wird nun bei dieser Substanz stehen geblieben, so kommt es zu
keiner Entwicklung, keinem Leben, keiner Geistigkeit, Tätigkeit.
So kann man sagen, es geht beim Spinozismus alles nur in den
90 Abgrund hinein, aber es kommt nichts heraus. Das Besondere des

Spinoza wird aufgenommen aus der I Vorstellung, ohne daß es


gerechtfertigt wäre; sollte es gerechtfertigt sein, so müßte er es
deduzieren, ableiten aus seiner Substanz; aber dies ist nicht der Fall.
* Was das Besondere unterscheidet und bildet, soll nur Modifikation
95 der absoluten Substanz, nichts Wirkliches an ihm selbst sein. Die

Operation an ihm ist nur die, es von seiner Bestimmung, Besonder-


heit zu entkleiden, es in die eine absolute Substanz zurückzuwerfen.
* Dies ist das Unbefriedigende bei Spinoza. Bei Leibniz wird das
Entgegengesetzte, die Individualität, zum Prinzip gemacht, .>o daß
100 das Spinozistische System so äußerlich integriert ist durch Leibniz.

Es ist das großartige der Denkungsart der Spinozistischen Philo-


sophie, auf alles Bestimmte, Besondere Verzieht zu tun und sich nur
zu verhalten zu dem Einen - nur das Eine zu achten und zu ehren
und allein anzuerkennen. Diese Ansicht muß die Grundlage aller
1os wahrhaften Ansicht sein. Es ist aber ein durchaus Starres, Be-
wegungsloses. Dies ist das Allgemeine.
Einige nähere Bestimmungen sind noch zu erwähnen. Spinoza
hat seine Philosophie auf geometrische Methode vorgetragen, um
der mathematischen Evidenz und Konsequenz willen. Diese ist aber
uo nur bei endlichen Verstandeswissenschaften an ihrem Ort. Er fängt

105-106 Starres, Bewegungsloses] so PiHc; Gr: starre Bewegungslosig-


keit, deren einzige Tätigkeit ist, alles in den Abgrund der Substanz zu
werfen. Lö: Bewegungsloses; alles wird in den Abgrund der Substanz ge-
worfen.
106 Dies ... Allgemeine. so Gr
106 Neuere Philosophie 182-183

daher an mit Definitionen; diese betreffen allgemeine Bestim-


mungen, und diese sind geradezu aufgenommen, vorausgesetzt,
nicht abgeleitet; er weiß nicht, wie er dazu kommt. Er sagt: »Unter *
Ursache seiner selbst, causa sui, verstehe ich das, dessen Wesen die
Existenz in sich schließt und was nicht anders gedacht werden kann, 115
als existierend.« Es ist dies ein ganz spekulativer Begriff. Die Ur-
sache bringt eine Wirkung hervor, die etwas an Ideres ist als jene;
die Ursache seiner selbst ist eine Ursache, die eine Wirkung hervor-
bringt, aber der Unterschied ist darin aufgehoben; die Ursache
seiner selbst produziert nur sich selbst. Es ist dies ein Grundbegriff 120
in allem Spekulativen - Rückkehr in sich im Anderen.
Die zweite Definition ist die des Endlichen. >Endlich< ist das, was *
durch ein Anderes seiner Art begrenzt wird; es hat daran ein Ende,
ist da nicht; was da ist, ist ein Anderes, und zwar ein Anderes seiner
Art; denn die, welche sich begrenzen sollen, müssen gleicher Art 125
sein, in Gemeinschaft stehen, einen gemeinen Boden haben. So
wird der Gedanke durch einen anderen Gedanken begrenzt, der
Körper durch den Körper, nicht aber ein Körper durch einen Ge-
danken oder umgekehrt.
Die dritte Definition ist die der Substanz; >Substanz< ist, was in *
sich und durch sich begriffen wird oder dessen Begriff nicht des
Begriffs eines anderen Dinges bedarf, um dadurch begriffen zu
werden, nicht ein Anderes nötig hat - sonst wäre es endlich, akzi-
dentell. Zu der Substanz gehört [als] das zweite das Attribut; das ist *
- 4. [Definition] - das, was der Verstand von der Substanz erfaßt, m
als deren Wesen ausmachend. Aber wo die Substanz zum Attribut
übergeht, ist nicht gesagt. Das dritte ist der Modus, das heißt, die *
Affektion der Substanz oder das, was in einem Anderen ist, durch
das es begriffen wird.
Gott ist das absolut unendliche Wesen. Das Unendliche ist die *

113 er1 ... kommt so Gr


123-124 es ... ist2 so Gr
130 Die ... Substanz so Gr, ähnlich Lö
133-134 nicht ... akzidentell so Gr
136-137 wo ... übergeht] so Gr; Lö: wie die Bestimmungen folgen,
woher der Verstand kommt,
183-184 Descartes und Spinoza 107

* Affirmation seiner selbst. Es ist unterschieden das Unendliche des


Denkens von dem Unendlichen der Imagination. Das letzte ist das
schlechte Unendliche, z. B. die Unendlichkeit des Raumes, der Zeit,
die unendlichen Reihen der Mathematik, der Zahlen. Dies ist aber
145 die Unendlichkeit, die man gewöhnlich vor sich hat, wenn von
* Unendlichkeit gesprochen wird. Die philosophische Unendlichkeit
* ist die Affirmation seiner selbst. Spinoza bringt hier auch geometri-
sche Beispiele an, um seinen Begriff des Unendlichen zu erläutern.
Er nimmt zwei Kreise, die nicht konzentrisch sind, aber, obwohl sie
150 innerhalb einander sind, sich nicht berühren. Der Raum zwischen
beiden Kreisen ist ein gegenwärtiger, I vollendeter Raum. Er ist
actu, wirklich, nicht ein jenseitiger, und doch läßt sich in Zahlen
die Bestimmung dieses Raums nicht genau angeben. Das Bestim-
men erschöpft den Raum nicht, und doch ist der Raum wirklich.
* Von jeder Linie, die beschränkt ist, kann man sagen, sie besteht aus
unendlich vielen Punkten, und doch ist die Linie präsent, gegen-
wärtig, ist bestimmt. Das Unendliche soll als wirklich gegenwärtig
* vorgestellt werden. Das wahrhaft Unendliche ist, daß die Ursache
sich selbst hervorbringt (causa sui); sobald die Ursache ein Anderes
160 gegenüber hat, die Wirkung, so ist die Endlichkeit vorhanden; aber
hier ist dies Andere zugleich aufgehoben, was sie begrenzen wollte;
* es ist wieder sie selbst. Gott ist also das absolut unendliche Wesen
oder die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, deren
jedes seine ewige und unendliche Essenz ausdrückt. Dies sind aber
165 allgemeine Bestimmungen und so im ganzen formell.
Die Hauptsache ist, daß er sagt, die Substanz bestehe aus unend-
* liehen Attributen. Das scheint den Sinn zu haben, daß es unendlich
viele Attribute sein sollen. Allein Spinoza spricht nur von zwei

144-146 Dies ... wird. so Gr, ähnlich Lö


152 nicht ein jenseitiger so Gr
157-158 Das ... werden. so Gr
159-160 sobald ... vorhanden so Gr, ähnlich Lö
161 was ... wollte so He
164 seine] so GrPiLö; He: eine
164 ausdrückt] so PiLö; GrHc: ausmacht
164-165 Dies ... formell.] so Gr; Pi: Das ist nun sehr formell mit der
ewigen, unendlichen Essenz, die jedes Attribut ausdrückt.
108 Neuere Philosophie 184-185

Attributen, so daß >unendlich< auf ihren Charakter gehen muß.


Aber wie diese zwei aus der einen Substanz hervorgehen, zeigt er 110
nicht auf, sagt auch nicht, warum er nur von zweien spricht. Diese
beiden sind nun, wie bei Cartesius, das Denken und die Ausdeh- *
nung, jedes für sich die ganze Totalität, so daß beide dasselbe ent-
halten, nur dasselbe einmal in der Form des Denkens, das andere
Mal in der Form der Ausdehnung gesetzt. Der Verstand nun faßt m
diese Attribute auf, faßt sie als Totalitäten. Sie drücken dasselbe
Wesen aus, Gott, nur in einer Form, die der Verstand sozusagen
mit herbeibringt, die dem Verstand zukommt. Beide sind dieselbe
Totalität, oder, wie er sagt, die Ordnung - das System - der aus- *
gedehnten Dinge ist dieselbe als die Ordnung der denkenden 180
Dinge; es ist ein und dasselbe System. Dies ist nun neuerlich in *
dieser Redeweise aufgewärmt worden: An sich ist die denkende
Welt dieselbe als I die ausgedehnte Welt, und [beide sind nur] in
verschiedenen Formen; aber es ist hier die Frage: Wo kommt der
Verstand her, daß er diese beiden Formen auf die absolute Substanz 185
anwendet, und wo kommen diese beiden Formen her 1 - Es ist also
hier gesetzt die Einheit des Seins (der Ausdehnung) und des
Denkens, so daß das Denken die Totalität an sich, und ebenso das
Ausgedehnte dieselbe Totalität ist. Wir haben so zwei Totalitäten;
an sich sind sie dasselbe, und die Unterschiede sind nur Attribute 190
oder Bestimmungen des Verstandes, der hinzukommt. Dies ist die
allgemeine Vorstellung; die Attribute sind eben nichts an sich, keine
Unterschiede an sich.
Das dritte sind nun die Modi, affectiones. Diese sind im Aus- *
gedehnten Ruhe und Bewegung und im Denken intelleetos und *

169 so ... muß so Lö


170 aus] so GrPiHc; Lö: und warum nur sie aus
171 sagt ... spricht so Gr
184-185 Wo ... her] so HcLö; Gr: wie kommt der Verstand herbeige-
laufen Pi: wie kommtjetzt der Verstand herbei
188-189 Denken ... Ausgedehnte] so Pi; Sv: Denken ist Totalität an sich
Gr: denkende Universum an sich ist die ganze absolute göttliche Totalität,
und das körperliche Universum
192-193 nichts ... sich] so Gr; Pi: nicht das an sich des Unterschiedenen
He: nicht an sich
185-186 Descartes und Spinoza 109

voluntas, Erkennen und Wollen; es sind bloß Modifikationen.


Was sich auf diesen Unterschied bezieht und dadurch besonders
gesetzt wird, ist nichts an sich. Dies sind nun die allgemeinen
Formen Spinozas.
200 Einige bestimmtere Formen sind noch zu erwähnen. Das, was
* Spinoza vom Bösen sagt, [ist]: »Man behauptet, Gott sei auch
Urheber des Bösen, weil er Urheber von allem ist; das Böse sei er
* selbst. Ich statuiere, daß Gott absoluter Urheber ist von allem, was
positive Realität oder Essenz ist (Brief 36). Wenn Du mir nun
2o5 beweisen kannst, daß der Irrtum, das Laster, das Böse etwas sei, was
eine Essenz ausdrückt, so will ich Dir gern zugeben, daß Gott
Urheber des Bösen sei. Aber ich habe hinreichend bewiesen, daß
die Form des Bösen nicht in etwas ist, das eine Essenz [ausdrückt],
nichts an sich wahrhaft Reales, und daher ka1m nicht gesagt wer-
210 den, daß Gott Urheber des Bösen ist. Neros Muttermord z. B.,
sofern er Positives enthält, Wollen, ist etwas anderes. Sein Laster
war nur Ungehorsam, Mitleidslosigkeit, Undankbarkeit; das ist
aber keine Essenz; Gott ist also nicht Ursache des Bösen darin.
* Indem nun Gott die Sache nicht abstrakt betrachtet, den Dingen
215 aber nicht mehr Realität zukommt als Gott ihnen erteilt, so folgt, I
daß solches Privative nur in Rücksicht auf unseren Verstand, nicht
* in Rücksicht auf Gott stattfindet. Böses und dergleichen ist nur
Privation; Gott ist das schlechthin Reale.«
Dies ist wohl gut gesagt, aber nicht befriedigend. Gegen die
220 Spinozistische Substanz empört sich die Vorstellung der Freiheit des
Subjekts, denn daß ich als Subjekt, individuelle Geistigkeit da bin
usf., ist nach Spinoza alles nur Modifikation, vorübergehende Form.
Dies ist das Empörende, was das Spinozistische System in sich hat
und was den Unwillen gegen dasselbe hervorbringt. Der Mensch
225 aber hat das Selbstbewußtsein der Freiheit und [das Bewußtsein],

196 Erkennen und Wollen so Gr


198-200 Dies ... erwähnen. so Gr
209 nichts . . . Reales] so Gr; Sv: und so könnte man es auch nicht als
etwas Positives nehmen
214-215 den ... zukommt] Pi: den Dingen kommt nicht mehr Realität
zu Gr: die Dinge aber nicht wahre Realität haben
110 Neuere Philosophie 186-187

daß der Geist an und für sich wesentlich das Negative vom Körper-
lichen ist und daß er erst im Entgegensetzen gegen das Körperliche
das ist, was er wahrhaft ist. An diesem Negativen haben die Men-
schen, die Theologie und der gesunde Menschensinn, festgehalten.
Diese Form des Gegensatzes ist zunächst die, daß das Freie wirklich 230
ist, das Böse existiert. Dies ist nun nicht erklärt, wenn ich das alles
nur Modifikation nenne. Das Moment des Negativen ist das, was in
dieser einen, starren, bewegungslosen Substantialität fehlt und
mangelt. Die Art dieses Gegensatzes ist: Der Geist als für sich sich
unterscheidend vom Körperlichen ist substantiell, wirklich, ist, ist 235

nicht bloß eine Privation oder Negation. Ebenso die Freiheit ist,
sie ist nicht bloß Privation. Diese Wirklichkeit hält man nun dem
Spinozistischen System gegenüber; dies ist im formellen Gedanken
richtig; diese Wirklichkeit beruht nun einerseits auf dem Gefühl,
aber das Weitere ist: Die Idee an und für sich enthält dies, das 240
Prinzip der Bewegung, Lebendigkeit, das Prinzip der Freiheit und
daher das Prinzip der Geistigkeit in sich selbst. Das hat Spinoza
nicht aufgefaßt. Einerseits ist der Mangel des Spinozistischen
Systems, daß es nicht der Wirklichkeit entspricht; andererseits ist
der Mangel aber auf höhere Weise zu fassen, und zwar so, daß die 245

Spinozistische Substanz die Idee nur ganz abstrakt, nicht in ihrer


Lebendigkeit ist.
Ich könnte noch viele beisondere Sätze aus Spinoza anführen; sie
sind aber sehr formell und immer die Wiederholung eines und
desselben. So sagt er, das wirkliche Sein der mens humana ist die *
Idee eines einzelnen und existierenden Dinges. Diese Bestimmung *
ist allerdings darin; sie ist aber nur ein Modus, eine Affektion. Es
fehlt also die unendliche Form, die wir Wissen, Freiheit, Geistigkeit
nennen können. Ein System der Form aufzustellen, die Organisation

237 Wirklichkeit] so Gr; He: Freiheit


238-239 dies ... richtig so Gr
248 Ich ... anführen so Gr
252 ein ... Affektion] so Lii; Gr: ein modus affectionis Pi: ein modus Sv:
eine Modifikation
254 Ein] so He; Gr: Schon früher habe ich angeführt, daß Lullus und
Bruno versucht haben, ein
254 die] He: eine
187-188 Descartes und Spinoza 111

* des Einen in sich selbst zu fassen, wie Bruno es tat - darauf hat
Spinoza verzichtet.
* Man sagt, der Spinozismus ist Atheismus; dies ist in einer Rück-
* sieht allerdings richtig, indem Spinoza Gott von der Welt, von der
Natur nicht unterscheidet, indem er sagt, Gott ist alle Wirklichkeit,
260 aber diese, sofern sich die Idee Gottes expliziert auf eine besondere
Weise, z. B. in der Existenz des menschlichen Geistes. Man kann
also sagen, es ist Atheismus, und man sagt dies, insofern er Gott
nicht unterscheidet von dem Endlichen, der Welt, der Natur. Es ist
schon bemerkt, daß allerdings die Spinozistische Substanz den
265 Begriff von Gott nicht erfüllt, indem er zu fassen ist als der Geist.
Will man den Spinozismus aber Atheismus nennen nur deshalb,
weil er Gott nicht von der Welt unterscheidet, so ist dies unge-
* schickt; man könnte ihn vielmehr Akosmismus nennen, weil alle
* natürlichen Dinge nur Modifikationen sind. Spinoza behauptet, was
210 man eine Welt heißt, gibt es gar nicht, es ist nur eine Form Gottes,

nichts an und für sich; die Welt hat keine wahrhafte Wirklichkeit.
Es mischt sich immer die schiefe Vorstellung [hinein], als ob die
einzelnen Dinge wahrhafte Wirklichkeit seien, wie sie in der End-
lichkeit sind. Jener Vorwurf also, daß Spinoza Gott vom Endlichen
275 nicht unterscheide, ist nichtig, sondern alles dieses ist von Spinoza in
den Abgrund der Einen Identität geworfen. Die endliche Wirklich-
keit (Kosmos) hat nach ihm keine Wahrheit; was ist, das ist allein
Gott. Der Spinozismus ist so weit davon entfernt, Atheismus im
gewöhnlichen Sinne zu sein, aber in dem Sinn, daß Gott nicht als
zso Geist gefaßt wird, so würde sein System wohl Atheismus genannt
* werden können. Aber so sind auch viele andere, selbst Theo Jlogen-
welche sagen, Gott ist der unbekannte, die Gott nur das allmäch-

261-262 Man ... insofern so Gr


264-265 daß ... erfüllt] so Gr; Pi: Allerdings ist die Spinozistische Sub-
stanz nicht den Begriff Gottes erkennend
266 den Spinozismus] Gr: ihn
270-271 Form ... Wirklichkeit] so Gr; He: vorübergehende Erscheinung
281-283 Aber ... nennen] so Gr mit He; Pi: aber ebenso ist es dann [mit]
vielen Philosophien und Weisen der Theologie, wo Gott nicht als Geist
gefaßt ist.
112 Neuere Philosophie 188

tige, höchste Wesen usf. nennen - ärgere Atheisten als Spinoza,


denn sie lassen das Endliche, wie es so ist, als das Wahrhafte gelten.
Wir haben noch von der Moral Spinozas zu sprechen. Sein 285
Hauptwerk ist die Ethik; das Prinzip derselben ist kein anderes als
daß der endliche Geist darin seine Wahrheit habe, also moralisch sei,
als er sein Erkennen und Wollen auf Gott richte, sofern er
wahrhafte Ideen hat. Dies ist allein die Erkenntnis Gottes. Man
kann so sagen, es gibt keine erhabenere Moral als diese, indem sie 290

allein dies fordert, eine klare Idee von Gott zu haben. Die Werke *
der Rechtschaffenen, d. h. derer, die eine klare Idee von Gott
haben, sagt er, sind die, daß sie alle Gedanken und Handlungen auf
den erkannten Gott richten. Die Bösen sind diejenigen, welche diese
Idee nicht haben und nur auf irdische Dinge gerichtet sind, nach 295
einzelnen, persönlichen Interessen, Meinungen handeln. Alles, was
ist, geht aus Gottes ewigen Gesetzen und Ratschlüssen notwendig
hervor, und die Wahrheit, die wahrhafte Erkenntnis ist, alles zu *
betrachten sub specie aeterni. [Die] Notwendigkeit der Dinge ist *
der ewige Wille Gottes. Die menschliche Knechtschaft sind die *
Affektionen, weil da der Mensch nur hat den Zweck eines Bestimm-
ten. Der Geist kann machen, daß er alle Affekte des Körperlichen, *
alle Vorstellungen von körperlichen Dingen auf Gott zurückführt,
denn was ist, ist in Gott, und nichts ist ohne Gott. Dadurch ge- *
winnt der Mensch Macht über seine Affekte. Das ist die Rückkehr *
des Geistes zu Gott, und das ist die wahrhafte menschliche Freiheit.
Diese Ideen sind wahr, insofern sie auf Gott bezogen werden. Aus *
dieser Erkenntnis, dem Wissen vom Einen, was das Wahrhafte ist, *
entspringt die intellektuelle Liebe Gottes - eine Freudigkeit, die
zugleich die Vorstellung der Ursache darin hat, und diese ist Gott. 3to

Gott liebt sich selber mit einer unendlichen intellektuellen Liebe, *


denn Gott kann nur sich selbst zum Zweck und zur Ursache haben,

287 also moralisch sei so Gr, ähnlich Lö


292-293 d.h .... er so Gr
299-300 Notwendigkeit ... Gottes. so He
300-302 Die ... Bestimmten so Lö"
307 Diese ... werden. so Gr; in Gr folgt: Dies ist nun nicht philosophische
Erkenntnis;
188-189 Descartes und Spinoza 113

* und die Bestimlmung des subjektiven Geistes ist, sich auf ihn zu
richten. Es ist so die höchste, größte Moral; [sie] bleibt aber noch
315 in dieser Allgemeinheit stehen.

Nicolas Malebranche

Noch einer Form ist zu erwähnen, die dem Spinozismus an die


Seite gesetzt werden kann. Es ist dies auch eine Entwicklung der
Cartesianischen Philosophie - die Form, in der Malebranche diese
320 Philosophie vorgestellt hat, in theologischer Form. Malebranche ist
darum auch nicht der Vorwurf des Atheismus gemacht worden.
* Malebranche ist 1638 zu Paris geboren; er war übel gewachsen,
mit kränklichem Körper, und wurde daher mit großer Zärtlichkeit
erzogen. Er war schüchtern und liebte die Einsamkeit. In seinem 22.
325 Jahre wurde er in die Congn!gation de l'Oratoire - eine Art geist-
licher Orden - aufgenommen und widmete sich den Wissen-
schaften. Er sah zufällig in einem Buchladen ein Werk des Carte-
sius, das ihn bis zum Herzklopfen interessierte, und wurde von der
entschiedensten Neigung zur Philosophie ergriffen. Er war ein
330 frommer, sanfter Mann, trefflicher Charakter; er starb zu Paris
1715, im 77. Jahre seines Alters.
Sein Hauptwerk hat den Titel De Ia recherche de Ia verite.
* Ein Teil davon ist ganz metaphysisch, der größere Teil aber geht
empirisch-logisch zu Werke; er handelt z. B. von den Irrtümern im
335 Sehen, Hören, in der Einbildungskraft. Das Wichtigste ist seine
Vorstellung von der Natur und [dem] Ursprung unserer Erkennt-
* nis. Er setzt das Wesen der Seele in das Denken, das der Materie in
* die Ausdehnung, wie Cartesius. Sein Hauptgedanke ist, daß die
Seele ihre Vorstellungen, Begriffe nicht bekommen kann von

313-314 und ... richten so Gr


323-324 und ... war] so W; He: Zärtlichkeit,
330 frommer ... Charakter] so Pi mit He; Gr: Mann von edelstem Cha-
rakter und der reinsten, unverwandelbarsten Frömmigkeit Lö": Edel, sanft,
von reiner Frömmigkeit Sv: fromm
334-335 er ... Einbildungskraft so Gr
339 Begriffe] Gr: Begriff
114 Neuere Philosophie 189-190

äußerlichen Dingen. Wie kommt Denken und Ausgedehntes zu- 340

sammen 1 Dies ist immer ein Hauptpunkt - wie kommt das Ausge-
dehnte, I Viele in das Einfache, den Geist, da es das Gegenteil ist
von dem Einfachen, von dem [sich] auf sich selbst Beziehenden -
das Außereinander 1 »Die Seele kann die Ideen« aber ferner »auch *
nicht aus sich selbst erzeugen.« »Saget nicht, daß ihr selbst nur *
eigenes Licht seid.« Das Resultat ist dann, daß wir alle äußerlichen *
Dinge in Gott erkennen, daß wir alle Dinge in Gott sehen. Gott ist *
allgegenwärtig und aufs Innigste mit dem Geiste vereinigt; er ist
der Ort der Geister (d. h. das Denken, das Allgemeine, Gott), so
wie der Raum der Ort der Körper ist. Was wir erkennen, das 350

erkennen wir in Gott, insofern Gott erschaffene Wesen darstellt. In


Gott sind die Dinge intellektuell, geistig, und wir sind auch intel-
lektuell, und wir schauen daher die Dinge in Gott an, wie sie in
ihm als intellektuell sind.
Er spricht dann von dem Allgemeinen, dem Denken überhaupt, 355

dem Unendlichen; er sagt, das Allgemeine ist nicht eine verworrene *


Vorstellung, keine Verwirrung der einzelnen Ideen, nicht eine
Vereinigung von einzelnen Dingen; sondern das Besondere, die
besonderen Vorstellungen sind nur Partizipationen der allgemeinen
Idee des Unendlichen. Das Allgemeine empfängt nicht sein Dasein 360

von den besonderen Dingen. Die Idee des Allgemeinen ist die erste *
im Menschen, muß vorausgehen; wollen wir etwas Besonderes
denken, so müssen wir zuerst das Allgemeine denken; es ist die
Grundlage des Besonderen, so wie alle Körper die Grundlage des
Raumes haben, dieses Außereinander überhaupt. Das Allgemeine ist 365

an und für sich, entsteht nicht durch das Besondere. Wenn wir *
einen Triangel im Allgemeinen sehen, kann man nicht sagen, daß

342-344 da ... Außereinander] so Gr; Pi: Der doch gerade das Gegenteil
des Mannigfaltigen ist. He: Ausdehnung ist ja das Gegenteil von dem Ein-
fachen.
344-345 »Die ... erzeugen.«] so W; Lö, ähnlich Gr: es kann sich auch nicht
aus sich selbst erzeugen, geboren werden.
345-346 »Saget ... seid.« so Pi
360-361 Das ... Dingen.] so PiHc; Gr, ähnlich Lö: wie Gott nicht sein
Dasein von dem Erschaffenen hat, so hat nicht das Unendliche sein Dasein
von den endlichen Dingen.
190--191 Descartes und Spinoza 115

* man etwas Besonderes sieht. Man kann keine Rechenschaft geben,


wie der Geist abstrakte [und] allgemeine Wahrheiten erkennt als
37o durch die Gegenwart dessen, der den Geist erhellen kann, der das
Allgemeine an und für sich ist. Das Bewußtsein des Allgemeinen,
Gottes, hat die Seele nur durch Gegenwart Gottes. Eine deutliche
Erkenntnis können wir nur durch die Union mit Gott haben; und
diese Erkenntnis, I diese Idee ist nicht eine erschaffene, ist an und für
* sich. Alles andere ist nur Einschränkung dieses Grundes.
* Es ist wie bei Spinoza; das Eine Allgemeine ist Gott. Wir
wissen von dem Allgemeinen, und sofern es bestimmt ist, so ist
es das Besondere; dies Besondere sehen wir nur im Allgemeinen,
* wie die Körper im Raume. Augustirr sagt, wir sehen Gott des
380 cette vie, von diesem Leben an, d. h. durch die Erkenntnis, die wir
von ewigen Wahrheiten haben; diese Wahrheit ist unendlich,
unermeßlich, an und für sich, unerschaffen; diese ist wahr durch
sich selbst, nicht von einem endlichen Dinge. Sie ist es, die die
Kreatur vollkommener macht; durch sich selbst wollen Geister
385 suchen, [sie] zu erkennen. Diese Vollkommenheit ist nur in Gott;
Gott ist also die Wahrheit; wissen wir von der unendlichen Wahr-
* heit, so schauen wir Gott an. Er sagt - ebenso wie Spinoza nach
* seiner ethischen Seite gesagt hat -, es ist unmöglich, daß Gott einen
anderen Zweck habe als sich selbst; es ist daher notwendig, daß
390 nicht nur unsere natürliche Liebe nach ihm strebt, sondern es ist
auch unmöglich, daß das Licht und die Erkenntnis, die Gott unse-
* rem Geiste gibt, etwas anderes erkennen lasse als das in ihm ist. Alle
natürliche Liebe, noch mehr die Erkenntnis, das Wollen des Wahr-
haften, hat Gott zum Zweck; alle Bewegungen des Willens für die
* Kreatur sind nur Bewegungen für den Schöpfer; er ist seine eigene

370 der ... erhellen] so Wund Malebranche; Lö: das der Geist erhalten
376 Es ... Spinoza so Gr
380 an] HcLö: aus
381 Wahrheit ist] He: Wahrheiten sind
382 unerschaffen] so Wund Malebranehe; He: nicht angeboren
383 nicht ... Dinge] so Gr; He: die Vollkonunenheiten alle umfassend
387-388 ebenso ... hat so Gr
392-393 Alle ... Erkenntnis so Gr
116 Neuere Philosophie 191-192

Ursache.- So sehen wir in Malebrauches edler Seele ganz denselben


Inhalt wie bei Spinoza, nur in einer frömmeren Form.
Das Angegebene sind die Hauptideen Malebrauches; das übrige *
ist teils formelle Logik, teils empirische Psychologie - [die] Form,
wie man zur Wahrheit komme. 400

3. Locke und Leibniz

Locke und Leibniz sind beide für sich selbst stehend, einander
entgegengesetzt; das Allgemeine, was in ihnen gemeinschaftlich ist,
ist, daß sie, im Gegensatz gegen Spinoza und Malebranche, das
Besondere, die endliche Bestimmtheit und das Einzelne zum Prinzip 405

machen. Bei Locke I besonders ist es darum zu tun, das Allgemeine,


die allgemeinen Ideen, Vorstellungen überhaupt, und den Ursprung
derselben zu erkennen. Bei Spinoza und Malebranche war umge-
kehrt die Substanz oder Gott, das Eine das Allgemeine, das Wahr-
hafte, was an und für sich, ohne Ursprung, ewig ist und wovon das 41o

Besondere nur Modifikationen sind. Bei Locke ist hingegen das


Endliche und das endliche Erkennen, Bewußtsein, das Erste, und
daraus soll abgeleitet werden das Allgemeine. Leibniz macht ebenso
die Monade, das Einzelne, Individuelle, was bei Spinoza nur unter-
geht, ein Vorübergehendes ist, zum Prinzip. Sofern schließen sich 415

beide auch zusammen.

John Locke

John Locke ist geboren 1632 zu Wrington; er studierte zu Oxford *


die Cartesianische Philosophie und widmete sich der Arzneiwissen-
schaft, die er jedoch seiner Schwächlichkeit wegen nicht eigentlich 420

ausübte. 1664 kam er mit einem englischen Gesandten auf einige


Zeit nach Berlin. Nach der Rückkehr kam er in Verbindung mit

398 Das ... Malebranches so Gr


415-416 Sofern ... zusammen.] so Pi; Gr: und in dieser Rücksicht ist es,
daß ich beide zusammenstelle.
192-193 Locke und Leibniz 117

dem nachmaligen Grafen Shaftesbury, bei dem er Arzt wurde. Als


dieser späterhin Großkanzler von England wurde, erhielt Locke von
425 ihm ein Amt, aber er wurde verwickelt in den Ministerialwechsel
der damaligen Zeit und verlor, als sein Patron fiel, seine Stelle. Er
begab sich nun 1675 um seiner Gesundheitwillen nach Montpellier.
Er erhielt seine Stelle zwar wieder, wurde jedoch bald nachher bei
einem neuen Sturz seines Patrons von neuem abgesetzt und mußte
430 sogar fliehen. Er ging nach Holland, das [sich] aller Unterdrückung
- sei sie politisch oder religiös - entgegensetzte, und Asyl der Ver-
triebenen war, I wo sich damals die berühmtesten und freisinnigsten
Männer zusammenfanden. 1688 kehrte er mit Wilhelm von
Oranien nach England zurück, gab 1694 sein berühmtes Werk
435 Über den menschlichen Verstand heraus und starb am 28.
Oktober 1704.
Was seine Philosophie betrifft, so ist sie sehr berühmt; sie ist im
ganzen noch die Philosophie der Engländer und der Franzosen und
auch in einem gewissen Sinne der Deutschen gewesen und ist es
440 auch noch jetzt zum Teil. Der kurze Gedanke der Lockischen
Philosophie ist dieser, daß unsere allgemeinen Vorstellungen, daß
das Wahre, die Erkenntnis, beruhe auf Erfahrung. Erfahrung ist
Beobachtung und das Analysieren derselben nach allgemeinen
Bestimmungen, die herausgehoben werden. Es ist metaphysizieren-
445 der Empirismus, und dies ist derWeg in den gewöhnlichen Wissen-
schaften. Locke hat in der Methode den Spinoza entgegengesetzten
Weg eingeschlagen. Spinoza fängt von Definitionen an, die er vom
hinstellt; Locke aber zeigt auf, daß diese allgemeinen Vorstellungen -
Substanz, Ursache und Wirkung- aus der Erfahrung hervorgehen.
450 Bei der Methode des Spinoza und Descartes kann man vermissen,

423 bei ... wurde] so He; Gr: dessen Erziehung er leitete


428-429 bei ... Patrons] He: beim Sturze seines neuen Patrons Lö: bei
einem neuen Ministerialwechsel
442-444 Erfahrung ... werden.] so He mit Pi; Gr, ähnlich Lö: Einerseits
wird die Erfahrung und Beobachtung, andererseits das Analysieren (Lö":
derselben), Herausheben der allgemeinen Bestimmungen als Gang, Weg der
Erkenntnis vorgeschrieben. Sv: Die muß man einerseits beobachten und
dann aber die Stoffe bearbeiten.
447-448 die ... hinstellt] so Lö; Sv: und allgemeinen Vorstellungen
118 Neuere Philosophie 193-194

daß nicht angegeben sei die Entstehung der Ideen; sie sind geradezu
genommen, wie z. B. Substanz, Unendliches usf.; das Bedürfnis ist
jedoch, aufzuzeigen, wo diese Ideen, Gedanken herkommen, wo-
durch diese Vorstellungen begründet, bewahrheitet sind. So befrie-
digt Locke das aus diesem Mangel entstandene Bedürfnis, indem er 455
die Begründung der allgemeinen Vorstellungen gibt.
Allein diese Entstehung, wie Locke sie aufzeichnet, betrifft nur
die empirische Entstehung, d. h. was sie für einen Weg in unserem I
Bewußtsein geht. Jeder Mensch weiß, daß er von Erfahrungen,
Empfindungen, ganz konkreten Zuständen anfängt, und das Spätere 460
der Zeit nach sind die allgemeinen Vorstellungen. Diese haben
einen Zusammenhang mit dem Konkreten der Empfindung; die
allgemeinen Vorstellungen sind darin enthalten. Indem ich dieses
Blatt Papier sehe, sehe ich ein räumlich Ausgedehntes; das Allge-
meine, der Raum, ist auch darin enthalten. Dies Allgemeine, der 465
Raum, kommt mir erst später zum Bewußtsein als das Räumliche,
die Gattung später als das Individuelle, das Konkrete, worin das
Allgemeine enthalten ist; man muß daher dahin kommen, das
Allgemeine von diesem Partikulären zu unterscheiden. Das Allge-
meine herauszuziehen ist Operation meines Bewußtseins. So ist der 470
Gang, den Locke eingeschlagen hat, ganz richtig.
Aber eine andere Frage ist: Sind diese allgemeinen Bestim-
mungen an und für sich wahr, und wo kommen sie nicht nur in
meinem Bewußtsein, in meinem Verstande her, sondern in den
Dingen selbst 1 Raum, Ursache, Wirkung usf. sind Kategorien; wie 475
kommen diese Kategorien in der Besonderhei~, im Konkreten
zusammen 1 Wie kommt der allgemeine Raum zu dieser Besonder-
heit und [diesen] konkreten Eigenschaften 1 Der Standpunkt aber,
ob diese Bestimmungen des Unendlichen, der Substanz usf. an und

451-452 sie ... usf. so Gr


457 Entstehung] so PiHc; Gr: Begründung
467 das1 ... Konkrete] so He; Gr: das Einzelne Pi: dieses Tier Lii: das
Konkrete
470-471 So ... richtig. so Gr, ähnlich Lo"
475 Raum ... Kategorien] so Gr; Lii: welchen Zusammenhang haben
diese Kategorien, daß sie notwendig sind, und
477-478 zu ... Eigenschaften] so Pi; Gr: dazu, sich zu bestimmen
194-195 Locke und Leibniz 119

* für sich wahr sind, wird ganz aus dem Auge verloren. Bei Plato ist
das Unendliche als identisch mit dem Endlichen das Wahre. Die
Wahrheit dieses Inhalts mag herkommen, woher sie will, aber hier
wird sie ganz aus den Augen verloren.
Was nun die näheren Gedanken Lockes anbetrifft, so sind sie sehr
* einfach. Die Ideen sind angeboren bei Cartesius. Locke bestreitet die
* sogenannten angeborenen Ideen und beruft sich darauf, daß man sie
* bei Kindem und bei vielen Menschen nicht findet; z. B. den Satz:
* Was ist, das ist, kennen viele Menschen nicht usf. Dies ist eine sehr I
schwache Einwendung, denn sie setzt voraus, daß man unter ange-
490 boreneu Ideen solche versteht, die der Mensch im Bewußtsein
sogleich als ganz fertig habe, wie dem Menschen die Hand ange-
boren ist, die er hat von Kindheit an. Aber die Entwicklung im
Bewußtsein ist etwas anderes als das Ansich der Vernunft ist, und so
ist der Ausdruck >angeborene Idee< allerdings ganz schief.
* Das Weitere ist dann, daß Locke dazu übergeht, daß er sagt: Jeder
Mensch ist sich bewußt, daß er denkt und daß das, womit sich sein
Geist beschäftigt, die Ideen sind. Die Menschen haben verschiedene
Ideen (Vorstellungen überhaupt); wir verstehen unter >Idee< etwas
anderes; die Ideen hier sind z. B. die von Elefant, [das] Weiße,
500 Härte, Weichheit, Ruhe, Bewegung usf. Die Frage ist nun: Wie
kommt der Mensch zu diesen Vorstellungen; setzt man den Geist
voraus als weißes Papier, leer von allen Charakteren - wie wird er
nun damit versehen? Die Antwort ist mit einem Worte: von der
* Erfahrung; auf sie gründet sich all unser Wissen; durch die Erfah-
505 rung kommt er zu den Bildern - bestimmte Empfindung, die sich
* in Vorstellung verwandele. Alles ist Erfahrung, nicht bloß das
Sinnliche, sondern auch, was meinen Geist bestimmt, bewegt; d. h.

480-481 Bei ... Wahre.] so Pi; Gr: Plato untersuchte das Unendliche und
das Endliche und bestimmte, daß keines für sich das Wahre sei; dies seien sie
nur als beidesich identisch setzend. Lö: Nur das Unendliche, insofern es sich
identisch setzt mit dem Endlichen und umgekehrt ist das Wahre.
491-492 wie ... an so Pi
504 auf ... Wissen so Gr
504-505 durch ... Bildern so Pi
507 was ... bewegt] so Gr; He: was memen Geist bewegt Lii: was
120 Neuere Philosophie 195-196

ich muß das selbst sein und selbst haben. Das Bewußtsein über das,
was ich habe, bin, ist Erfahrung; es ist absurd, daß man etwas wisse
usf., was nicht in der Erfahrung sei; z. B. Mensch - alle sind Men- 51o
sehen, ich brauche sie nicht alle gesehen zu haben; ich bin Mensch,
habe Tätigkeit, Willen, Bewußtsein über das, was ich bin und was
andere sind, und so ist dies allerdings Erfahrung. Locke geht also
davon aus, daß alles Erfahrung ist; aus dieser Erfahrung nun bilden
wir uns allgemeine Vorstellungen. 515

Locke unterscheidet nun die Gegenstände und ihre Qualitäten. Er *


macht dabei einen Unterschied zwischen primären und sekundären *
Qualitäten. Primäre Qualitäten sind bei Cartesius Ausdehnung, *
Ruhe und Bewegung; dies sind Qualitäten des Körperlichen, wie
das Denken die Qualität des Geistigen ist. Die ersten Qualitäten [bei *
Locke] sind Ausdehnung, Festigkeit; hingegen Qualitäten, die sich
auf die Natur des Empfindens, auf das Gefühl beziehen, sind sekun-
där, z. B. Farben, Töne, Gerüche.
Nachdem dies vorausgesetzt I ist, so ist das Weitere, daß das *
understanding, intellectus, der Verstand es ist, der jetzt das Allge- 525
meine findet und erfindet; allgemeine Ideen kommen in den Geist
weder durch Sensation noch durch Reflexion, innere Empfindung,
sondern sie sind Kreaturen, Geschöpfe, Erfindungen des Verstandes;
der Verstand macht sie durch Vorstellungen, die er durch die Sensa-
tion und Reflexion gewonnen hat; so ist er auch aktiv, allein seine *
Aktivität besteht nur in der Verbindung, Zusammensetzung solcher
allgemeiner Ideen. Er sagt: Der Verstand ist in Rücksicht seiner *
einfachen Formen, Modi, ganz passiv; solche einfachen Bestim-
mungen sind Kraft, Zahl, Unendlichkeit usf.; in Rücksicht auf diese
ist er ganz passiv und empfängt sie von der Existenz und der Ope- 535

ration der Dinge, wie diese [sc. Sensation und Reflexion] sie ihm

meinen Geist in Tätigkeit setzt Pi: was für Tätigkeiten in meinem Geiste
tätig sind
519-520 wie ... ist] so Gr; Lö": beim Geiste das Denken
523 Farben] Pi: Farbe
527 Reflexion, innere Empfmdung] so He; PiUi: Reflexion Gr: Affektion
528 Erfindungen] so Locke; Lö: der Empfindungen,
529-530 Sensation und Reflexion] so Lö; Gr: Affektion und Sensation
196-197 Locke und Leibniz 121

darbieten, ohne daß er überhaupt irgendeine Idee macht. Der Ver-


stand ist also weiter nichts als die Auffassung der abstrakten Bestim-
* mungen, die im Gegenstand enthalten sind. Da macht er denn auch
540 einen Unterschied zwischen einfachen und vermischten Formen;

Kausalität z. B. ist ein vermischter Modus aus Ursache und Wir-


kung.
Die Art nun, wie der Verstand die allgemeinen Vorstellungen
gewinnt aus den konkreten Vorstellungen - diese Art expliziert er
545 am Besonderen, aber diese Explikation ist höchst trivial und lang-

* weilig. Dies nun nimmt den größten Teil seines Werkes ein. Raum
z. B. ist eine allgemeine Vorstellung. Diese bilden wir uns aus der
Wahrnehmung der Entfernung unserer von den Körpern und der
Körper von einander, durch Gesicht und Gefühl. Die Entfernung
550 der Körper von einander aber ist nichts anderes als Raum; dies ist

nur ein anderes Wort. Die Aufmerksamkeit stößt auf diese eine
Bestimmung der Räumlichkeit bei den Körpern; es ist jedoch kein
Ableiten, sondern nur ein Weglassen der anderen Bestimmungen.
* Zu dem Begriff der Zeit kommen wir durch die ununterbrochene
555 Sukzession der Vorstellungen im Wachen; sie folgen fortwährend

aufeinander; dadurch erhalten wir allgemeine Vorstellungen von


Zeit. Wenn wir auf diese aufmerksam sind und das Besondere
weglassen, so haben wir die Sukzession überhaupt, die selbst die
* Zeit ist. So erhalten wir die Vorstellung von Ursache I und Wir-
560 kung durch die Kenntnis unserer Sinne von der beständigen Ver-

änderung der Dinge; in diesem Wahrnehmen sehen wir, verschie-


dene Besondere (Substanz und Qualität) fangen an zu existieren, und
wir bemerken, daß ihre Existenz von der gehörigen Applikation
und Wirksamkeit eines anderen Dinges herrührt. Etwas fängt an zu
565 existieren, weil ein anderes Ding gehörig appliziert wird. Dies gibt

uns die Vorstellung von Ursache und Wirkung. Wir sehen z. B.,
daß das Wachs am Feuer zerschmilzt. Das Wachs wird weich,
verändert seine Gestalt; wir sehen das Feuer dann als Wirksamkeit
* an. Das ist die Vorstellung von Ursache und Wirkung. Aber in
s1o dieser fortwährenden Veränderung sehen wir auch Bestehen, und
dies ist die Substanz. Man kann sagen, es kann nichts Oberfläch-

555-557 sie ... Zeit so Gr


122 Neuere Philosophie 197-198

licheres geben, nichts kann trivialer sein als diese sogenannte Ablei-
tung der Idee; es wird auf eine Bestimmung aufmerksam gemacht,
die in einem konkreten Verhältnis enthalten ist. Das Tun des Ver- *
standes ist nur Fixieren der einen Bestimmung und W eglassung der 575

anderen. So empfiehlt sich die Lockische Philosophie durch ihre


Klarheit und Deutlichkeit, und es kann nichts Klareres geben als
diese Ableitung, die wir eben aufgezeigt haben.
Wir erhalten nun also auf diese Weise allgemeine Vorstellungen, *
Gattungsbegriffe, aber diese sind nun bloß Namenwesen, die dazu S8o

dienen, die Gattungen, Arten für uns zu erkennen zu geben; aber


das, was das reale Wesen der Natur ist, kennen wir nicht. Daß nun *
die Gattungen nichts an und für sich seien, dafür führt Locke als
Beweis an z. B. die Mißgeburten; wäre die Gattung an und für
sich, so wäre keine Mißgeburt. Es ist das nur ein sehr schwacher 585
Grund: Er übersieht, daß auch zur Gattung gehört, daß sie existiert.
Die Seite der Existenz der Gattung ist eben das wesentlich von
anderen bestimmenden Umständen Abhängige. Das Allgemeine
tritt heraus und verendlicht sich so; es ist ein Außereinanderwerfen
der einzelnen Seiten der konkreten Idee; so kann die Existenz der 590

Gattung äußerlich verkümmert werden. Das Wahre zu erkennen ist


ein Interesse der Philosophie; dies soll hier auf empirische Weise
erreicht werden; es dient, auf die allgemeinen Bestimmungen
aufmerksam zu machen, aber der Gesichtspunkt, daß dies an und
für sich Wahrheit habe, bleibt auf der Seite liegen. 595
Die Lockische Philosophie ist, wenn man will, eine Metaphysik;
es handelt I sich darin bei aller ihrer Formalität um allgemeine
Bestimmungen, allgemeine Gedanken, und dies Allgemeine soll aus
Erfahrung, Beobachtung abgeleitet werden. Ein anderes ist das

573-574 es ... ist so Gr


574-576 Das ... anderen.] so Pi, ähnlich Lö; Gr: der Verstand abstrahiert
daher nur und fixiert andererseits. He: indem der Verstand nur abstrahiert;
577-578 undz ... haben so Lö mit Gr
584-585 wäre ... Mißgeburt so Gr, ähnlich Lö
589-590 es ... Idee] so He mit Pi; Gr, ähnlich Lö: es ist die Sphäre, wo die
einzelnen, besonderen Dinge aufeinander einwirken
591-594 Das ... machen so Gr, ähnlich Lö
597 darin ... Formalität so Lö
198-199 Locke und Leibniz 123

eoo praktische Verfahren, das sich auf dieselbe Weise verhält, daß der
Gedanke sich anwendet auf Gegenstände oder daß aus den Gegen-
ständen ihre Gedanken - das innewohnende wesentliche Allgemeine
- herausgezogen werden. Dieser metaphysizierende Empirismus ist
die vorzüglichste Weise der Betrachtung, des Erkennens in England
6os und in Europa überhaupt geworden und das, was wir die Wissen-
schaften im allgemeinen nennen und besonders die empirischen
Wissenschaften, haben diesem Gange ihren Ursprung zu verdanken.
Die Beobachtung der Gegenstände und die Erforschung, das Her-
ausziehen ihres inneren Gesetzes ist dieser Gang der Wissenschaft.
610 Das Umgekehrte ist teils das Scholastische, teils das Metaphysische:
von Grundsätzen, Definitionen auszugehen. Es ist dies also prakti-
sches Philosophieren, Philosophieren des räsonnierenden Denkens,
was jetzt allgemein geworden ist und wodurch die ganze Revolu-
tion der Stellung des Geistes hervorgegangen ist.

615 Hugo Grotius

Die eben angeführte Weise ist es, die sich bei Hugo Grotius zeigt;
sie hat sich einesteils auf die physikalischen, anderenteils auf die
politisch-rechtlichen Gegenstände gelegt. Hugo Grotius schrieb: D e
jure belli et pacis (1625); es liestjetzt niemand mehr, aber es ist
* von der höchsten Wirksamkeit gewesen. Er hat geschichtlich, selbst
aus dem Alten Testament, vieles hergeleitet; er hat zusammen-!
gestellt, wie historischer Weise die Völker in den verschiedenen
Verhältnissen des Krieges und des Friedens sich gegeneinander
benommen haben. Durch solche ganz empirische Zusammenstel-
625 lung des Verhaltens der Völker zueinander, verbunden mit empiri-

600 das ... verhält so Gr, ähnlich Lö


618 Grotius schrieb:] so He, ähnlich PiLö; Gr: van Groot, geboren 1583 zu
Delft, war Jurist, Generaladvokat und Syndikus. 1619 mußte er jedoch, in
den Barneveltschen Prozeß verflochten, fliehen, hielt sich längere Zeit in
Frankreich auf, bis er 1634 in die Dienste der Königin Christina von Schwe-
den trat; er wurde 1635 schwedischer Gesandter in Paris und starb 1645 in
Rostock auf einer Reise von Stockholm nach Holland. Sein Hauptwerk ist
124 Neuere Philosophie 199

schem Räsonnement - z. B. Gefangene dürfen nicht getötet wer- *


den, denn der Zweck sei, den Feind zu entwaffnen, kriegsunfähig
zu machen; dieser sei erreicht, es sei daher nicht weiter zu gehen
usf. - hat er die Wirkung gehabt, daß allgemeine Grundsätze,
verständige und vernünftige Grundsätze zum Bewußtsein gebracht 63o

worden sind, daß man sie anerkannt hat, daß sie geltend geworden
sind. Solche allgemeinen Grundsätze haben in ihrem Gegenstand
ihren Grund gehabt. Mit solchen Beweisen, Deduktionen sind wir
unbefriedigt, aber wir dürfen nicht verkennen, was sie geleistet
haben in ihrer Zeit. 635

Thomas Hobbes

England ist es gewesen, wo Reflexion über staatsrechtliche Gegen-


stände besonders erwuchs. Ausgezeichnet und berühmt wegen der
Originalität seiner Ansichten ist Hobbes, geboren 1588 zu Malmes-
bury, gestorben 1679. Er hat viel geschrieben und auch über die 640

Philosophie überhaupt: Elemente der Philosophie; der erste


Teil De corpore ist 1655 zu London erschienen. In diesem ersten
Teile handelt er zuerst von der Logik, zweitens von der philosophia
prima, von der Ontologie, dann drittens de rationibus motuum et
magnitudinum, dann viertens von der Physik, Natur der Phäno- 645

mene, Schall, Geruch usf. Der zweite Teil sollte De homine und
der dritte De cive handeln.
Er sagt in der Vorrede zu diesen Elementen der Philoso- *

626-629 z.B .... usf. so Gr mit Lii


632-633 Solche ... gehabt.] so He; Gr: und dies ist das Feststellen von
allgemeinen Grundsätzen, die ihren letzten Grund in den Gegenständen selbst
haben. Lö: die in der Natur des Gegenstands mehr oder weniger ihren allge-
meinen Grund hatten. Pi: Grundsätze, die in der Natur des Gegenstands
liegen.
637-638 England ... erwuchs.] so He, ähnlich Lii; Pi: In England war
besonders Revolution der politischen Ansichten. Gr: Die innerlichen staats-
rechtlichen Verhältnisse hat besonders England ausgebildet, indem die eigen-
tümliche Verfassung die Engländer zur Reflexion auf diesen Gegenstand
geführt hat.
199-200 Locke und Leibniz 125

phie, daß in der Astronomie Copernicus und in der Physik Galilei


650 den Weg gebahnt hätten; vorher sei nichts Sicheres in beiden Wis-
senschaften gewesen; die Wissenschaft des menschlichen Körpers
habe I Harvey [ausgebildet]; Kepler, Gassendi und andere hätten
die allgemeine Physik und Astronomie weitergebildet. Dies gilt
* alles für Philosophie, nach dem Gesichtspunkt, der schon früher
655 angegeben ist. Er selbst geht [vor] nach unmittelbarer Wahrneh-
* mung und reflektierendem Verstand. Er sagt ferner, was die staats-
rechtliche Philosophie, philosophia civilis betreffe, so sei sie nicht
älter als sein Buch De cive. Sein Buch Leviathan ist desselben
Inhalts, ein sehr verrufenes Werk. Er hat versucht, die Grundsätze
660 der Staatsgewalt, der monarchischen Gewalt usf. aus allgemeinen
Bestimmungen abzuleiten, und seine Sätze sind zu originell, als daß
wir sie nicht anführen sollten.
* Er sagt im Anfang, der Ursprung der bürgerlichen Gesellschaft
rühre aus der gegenseitigen Furcht her; jede Gesellschaft werde
665 geschlossen aus eigenem V orteil oder Ruhmsucht oder Eigennutz.
* Die Menschen sind alle von Natur gleich, aber diese Gleichheit
beweist er aus einem eigentümlichen Grund, nämlich, weil jeder
den anderen umbringen könne, jeder die letzte Gewalt über den
anderen sei. Jeder also ist gleich schwach, vom anderen umgebracht
670 werden zu können. Die Gleichheit ist also auf die allgemeine
Schwäche, nicht wie in neuerer Zeit auf die absolute Freiheit,
* Selbständigkeit gegründet. Ferner sagt er, den Willen, einander zu
verletzen, haben alle im natürlichen Zustand. Damit hat er Recht. Er
nimmt diesen Zustand in seinem wahrhaften Sinne; es ist nicht das
675 leere Gerede von einem natürlichen guten Zustand; dieser ist viel-
mehr der tierische Zustand, der Zustand der Begierde, des nicht
gebrochenen Eigenwillens. Alle haben den Willen, sich zu verletzen
und ebenso sich gegen die Anmaßungen der anderen zu sichern und

650-651 vorher ... gewesen so Gr


653-655 Dies ... ist. so Gr, ähnlich Lei
655-656 Er . . . Verstand.] so Pi; Gr: der reflektierende Verstand will
darin das Allgemeine erkennen.
669-670 Jeder ... können. so Pi
673-675 Er ... Zustand so Gr, ähnlich Lö
126 Neuere Philosophie 200-201

sich größere Rechte, Vorzüge zu erwerben; so ist ein Mißtrauen


aller gegen alle. Diesen natürlichen Zustand bestimmt er näher als *
ein bellum ornnium contra ornnes, Krieg aller gegen alle. Das ist
[die] ganz richtige Ansicht vom Naturzustand. Der Ausdruck
>Natur< hat diesen doppelten Sinn, diese Zweideutigkeit. Man
versteht unter der >Natur<, daß die Natur des Menschen seine
Geistigkeit, Vernünftigkeit, Freiheit ist; [dies] ist freilich nicht 685

gemeint mit >Naturzustand<. Der andere natürliche Zustand ist der,


daß der Mensch nach seiner Natürlichkeit sich benimmt, nach
seinen Begierden, Neigungen usf. handelt, noch nicht nach dem
Recht. Vernünftigkeit ist erst das Meisterwerden des Allgemeinen
über das unmittelbar Natürliche. I Nach dem Recht des unmittelbar *
Natürlichen verleiht eine unwiderstehliche Macht das Recht, die zu
beherrschen, die nicht widerstehen können. Es ist aber ungereimt,
die, welche wir in unserer Gewalt haben, wieder frei und stark
werden zu lassen. Daraus zieht er nun die Folge, daß der Mensch *
herausgehen müsse aus dem Naturzustand, exeundum esse e statu 695

naturae. Dies ist richtig; der rechtliche Zustand ist allerdings nicht
der natürliche. Der besondere Wille muß unterworfen werden dem *
allgemeinen Willen, dem Gesetz der Vernunft, und dies ist der
Wille des Regenten, der nicht verantwortlich ist. So geht aus der *
ganz richtigen Ansicht - indem der allgemeine Wille verlegt wird 100
in den Willen des Einen, des Monarchen - der Zustand des voll-
kommenen Despotismus hervor; der gesetzliche Zustland ist etwas
anderes als daß die Willkür des Einen schlechthin Gesetz sein soll.
Es ist wenigstens dies in Hobbes' Satz enthalten, daß auf die
Grundlage der menschlichen Natur, menschlichen Bestimmungen 705

und Neigungen das Recht und die Organisation des Staates über-
haupt gesetzt werden soll. Die Engländer haben sich viel mit diesem *
Prinzip der passiven Obedienz herumgeschlagen, wonach gesagt
wird, die Könige haben ihre Gewalt von Gott. Dies ist nach einer
Seite ganz richtig; andererseits hat man dies so verstanden, daß sie 110

nicht nur keine Verantwortlichkeit haben, sondern daß ihre blinde


Willkür, ihr bloß subjektiver Wille allein das sei, dem gehorcht
werden müsse.

692-694 Es ... lassen. so Lö


201-202 Locke und Leibniz 127

Im Kampfe, die rechtlichen Verhältnisse im Staate für sich festzu-


m machen, die Organisation der Staatsverhältnisse zu gründen, hat sich
die Reflexion des Gedankens hervorgetan und wesentlich darin
* eingemischt. Und wie bei Hugo Grotius, so ist es auch bei den
Engländern und bei Pufendorf geschehen, daß der menschliche
Kunsttrieb, Instinkt, Geselligkeitstrieb usf., das immanent Mensch-
no liehe, zu Prinzipien gemacht worden ist. I
Das andere ist, daß der Gedanke sich ebenso an die Natur ge-
wendet hat, und hier ist Newton berühmt durch seine mathemati-
* sehen Entdeckungen wie durch seine Physik. Sein Wahlspruch war
»Physik, hüte dich vor Metaphysik«, d. h. also vor Denken; sie kann
* aber doch nichts machen ohne Denken: Anziehungskraft usf. sind
metaphysische Kategorien, die aus dem Denken durch Newton
aufgestellt sind. Es handelt sich nur [darum], in welcher Art die
Kategorien angewandt werden.
Die experimentierenden Wissenschaften haben bei den Englän-
730 dern seit der Zeit den Namen >Philosophie< gehabt; Mathematik

und Physik heißt bei ihnen Newtonische Philosophie. Auch in der


neuesten Zeit noch ist dieser Ausdruck gebraucht. Über Staats-
ökonomie, Gang des Wohlstands hat man Betrachtungen angestellt;
* die Nationalökonomie von Smith hat sich in England berühmt
735 gemacht. Solche allgemeinen Grundsätze, wie jetzt den Handel

715 die ... gründen] He: die bürgerlichen Rechte zu organisieren Gr:
eine gerichtliche Verfassung zu gründen Lö: die Organisation der Staatsver-
hältnisse im Kampfe zu gründen Pi: Organisation zu geben bemüht
717 Und ... auch so Gr, ähnlich Lö
717-718 bei ... und so Lö
718-719 menschliche Kunsttrieb, Instinkt so Gr
720 ist.] in Gr folgt: Er ist 1621 in Sachsen geboren, studierte in Leipzig
und Jena Staatsrecht, Philosophie und Mathematik; trat 1658 in schwedische
Dienste, welche er 1686 mit brandenburgischen vertauschte und starb 1694
zu Berlin als Geheimer Rat. Er schrieb mehrere staatsrechtliche Werke; be-
sonders zu bemerken ist sein Werk ius naturae et gentium.
723 Physik.] in Gr folgt: Er ist 1642 zu Walstrope in Lincolnshire gebo-
ren; er studierte besonders Mathematik und wurde 1669 Professor derselben
zu Cambridge; später wurde er Präsident der Societät der Wissenschaften zu
London und starb 1727.
724 sie kann] so Gr; Pi: die Mathematiker können
128 Neuere Philosophie 202-203

freizugeben, heißen bei ihnen philosophische Grundsätze, heißen


Philosophie. Vor einem halben Jahr hielt Canning in einer Gesell- *
schaft, wo auf sein Wohl getrunken war, eine Rede, worin er sagte:
es sei England Glück zu wünschen, daß es ein Ministerium habe,
welches in seiner Verwaltung philosophische Grundsätze anwende. 740

So ist in England der Ausdruck Philosophie in einem Fache geprie-


sen worden, während in Deutschland die Philosophie mehr zu
einem Spitznamen geworden ist. Die allgemeinen Grundsätze über
Physik, Chemie, rationelle Staatswissenschaft - Grundsätze, die auf
denkender Erfahrung beruhen, Erkenntnisse dessen, was sich in 745

diesem Kreise als das Notwendige und Nützliche zeigt - heißen


überall bei den Engländern Philosophie. Von dieser empirischen
Weise der Philosophie - Locke ist die Metaphysik dieser empiri-
schen Philosophie- gehen wir nun zu Leibniz über.

Gottfried Wilhelm Leibniz 750

Der Vater Gottfried Wilhelms, Barons von Leibniz, war Professor *


der Philosophie I in Leipzig, wo er [sc. Gottfried Wilhelm] 1646
geboren wurde; er studierte dort Jurisprudenz, beschäftigte sich
auch mit Philosophie, und nach dem damaligen Gange hat er zuerst
Philosophie studiert, auf die er sich besonders legte. Er hat dort *
auch philosophische theses verteidigt, von denen einige noch in
seinen Werken enthalten sind; sie betreffen besonders das Prinzip
der Individuation, was das abstrakte Prinzip seiner Philosophie
überhaupt ausmacht. Er erwarb sich viele historische Kenntnisse,
um zum Doktor der Rechte zu promovieren, aber die Fakultät der 760

Rechte schlug ihm die Promotion ab unter dem Vorwand seiner


Jugend, und es kann sein, daß es geschah, weil man es nicht gern

741-743 So ... ist. so Lö" mit Gr


745 denkender Erfahrung] so Gr; He: Erfahrung mit hinzugekommener
Betrachtung
745-746 Erkenntnisse ... zeigt so Gr, ähnlich Lö
750 Leibniz] so GrHcLöSv; Pi: Leibniz, der deutsche Philosoph
762-763 und ... beschäftigte so Gr, ähnlich Lö
203-204 Locke und Leibniz 129

sah, daß er sich viel mit der Philosophie beschäftigte. Er verließ nun
* Leipzig und ging zuerst nach Jena und von da nach Altdorf, wo er
* mit Beifall promovierte. In Nürnberg gab er sich in den Dienst
einer alchemischen Gesellschaft, um Auszüge aus alchemischen
* Schriften zu machen. Dann wurde er Lehrer eines Sohnes des Kur-
* mainzischen Staatskanzlers von Boineburg. In seiner Korrespondenz
ist eine große Anzahl von Briefen an diesen Herrn Boineburg
* befindlich. Mit diesem jungen Mann ging er nach Paris, erhielt
vom Kurfürsten von Mainz, als die Erziehung beendigt war, eine
* Pension und blieb für sich vier Jahre in Paris. Nach dem Tode des
* Kurfürsten wurde ihm seine Pension entzogen. Er bereiste darauf
Holland, wo er mit dem Mathematiker Huygens Bekanntschaft
* machte, und England, wo er Newton kennenlernte. Er kam so dann
in Braunschweigisch-Lüneburgische Dienste, wurde Hofrat und
* Bibliothekar in Hannover. 1677 erfand er die Differential- und
Integralrechnung. Hierüber geriet er in einen Streit mit Newton
und der Londoner Societät der Wissenschaften, wobei Newton und
1so die Londoner Societät sich nicht edel gegen ihn benahmen. Er
* machte viele Reisen von Hannover aus, besonders nach Italien, im
Dienste seines Hauses, um Urkunden zu sammeln, die sich auf das
Haus Este beziehen, welches mit dem von Braunschweig-ILüneburg
* im Zusammenhang steht, [und] gab Schriften über die Geschichte
* im Braunschweig-Lüneburgischen Haus [heraus]. Er ist dann
Reichshofrat in Wien geworden. Mit dem Kurfürsten von Han-
nover war er in Bekanntschaft sowie auch mit der Prinzessin Sophie
Charlotte, Gemahlin Friedrichs I. von Preußen und bewirkte durch
sie die Stiftung der Berliner Akademie der Wissenschaften. In Wien
790 war er auch mit dem Prinzen Eugen bekannt geworden. Er starb

1716 zu Hannover.
Leibniz hat sich in den mannigfaltigsten Wissenschaften und
Fächern herumgetrieben und zu tun gemacht, besonders in der

764-765 wo ... promovierte so Gr


767 Dann wurde er] so He, ähnlich LöSv, Pi: Er kam in Dienst als
768-770 In ... befmdlich. so Lr'i
784-785 gab ... Haus so He
784 die] in He folgt ein unleserliches Wort
130 Neuere Philosophie 204-205

Mathematik, nnd er ist der Schöpfer der Methode des Integral- nnd
Differentialkalküls. Man hat nicht sowohl ein ausgearbeitetes 795
System seiner Philosophie, sondern man hat nur einzelne Aufsätze
von ihm über dieselbe; z. B. an den Prinzen Eugen von Savoy *
schrieb er eine Abhandlung über die Prinzipien der Gnade,
[sowie] über den menschlichen Verstand eine Widerlegnng Lockes. *
Sein berühmtestes Werk, seine Theodizee, ist eine populäre *
Schrift, die er, der Königin Sophie Charlotte zu Gefallen, gegen
Bayle schrieb. Bayle war ein scharfer Dialektiker, der überall die *
Wendung nahm, die bei Vanini erwähnt ist; indem er gegen die
Dogmen der Religion verfährt, sagt er, sie kötu1ten durch die
Vernunft nicht bewiesen werden; sie seien nicht dadurch zu erken- 805
nen, aber der Glaube nnterwerfe sich. Leibniz' Theodizee ist ein sehr
berühmtes Werk, für uns nicht mehr recht genießbar; es ist eine
Rechtfertignng Gottes über die Übel in der Welt. Die Vorstellnng
darin ist der Optimismus, daß die Welt die beste sei. Er beweist, *
Gott habe aus vielen möglichen Welten die vollkommenste er- *
wählt, insofern sie vollkommen sein kotu1te bei der Endlichkeit, die
sie in sich schließen sollte. Dies läßt sich wohl im allgemeinen
sagen, aber diese Vollkommenheit ist kein bestimmter Geldanke;
die Natur des Übels, des Negativen ist damit nicht erklärt.
Leibniz verfährt bei seinem Philosophieren, wie man z. B. in der s15

Physik noch verfährt, in Bildnng der Hypothesen. Es sind Data


vorhanden. Diese Data sollen erklärt werden; es soll eine Hypo-
these, eine allgemeine Vorstellnng gebildet werden, aus der sich das
Besondere ableiten lasse; wegen der vorhandenen Data muß die
allgemeine Vorstellnng nnn so oder so eingerichtet werden. Leibniz' s2o
System ist noch ganz Metaphysik nnd steht dem Spinozismus *
wesentlich nnd schroff entgegen, dem Prinzip der substantiellen
Einheit, wo alles Bestimmte nur ein Vorübergehendes ist. Diesem

794-795 und ... Differentialkalküls] so Gr; Lö: deren Schöpfer er als


Erfinder der Methode des Differenzierens genannt werden kann.
796 einzelne] so PiHc; GrLö: kleine Sv: kleinen
805-806 sie ... erkennen so Gr
819-820 wegen ... werden so Gr, ähnlich Lö ( Gr: allgemeine Vorstellung;
Lö: Hypothese)
205-206 Locke und Leibniz 131

Prinzip der absoluten Einheit gegenüber hat Leibniz die absolute


825 Vielheit der individuellen Substanzen zum Prinzip gemacht, die
* jedoch in Gott, der Monas Monadum, vereinigt wird.
* Diese Substan:t.en nun nennt er das Individuelle, Monade, die er
von den Atomen unterscheidet. Die Monaden sind das schlec:1thin
* Einzelne, Unteilbare, das einfache Eins. Der Beweis, daß diese das
830 Wahre sind von allem, ist sehr einfach und von oberflächlicher
Reflexion: Es gibt nämlich zusammengesetzte Dinge; das Prinzip
derselben muß also ein Einfaches sein; Zusammengesetztsein heißt
eine Einheit von solchem, die ein Vieles in sich ist. Es ist so die sehr
triviale Kategorie des Zusammengesetzten, aus dem leicht das
835 Einfache abzuleiten ist. Die Monaden also sind das Erste. Diese sind
* nun aber nicht die epikuräischen Atome - diese sind das in sich
Bestimmungslose, wo die Bestimmung nur aus der Aggregation der
* Atome herkommt -, sondern sie sind substantielle Formen - ein
* guter Ausdruck, von den Scholastikern entlehnt; sie sind Entele-
* chien, nicht materiell, nicht ausgedehnt, sie entstehen und vergehen
nicht auf natürliche Weise, sie sind durch eine Schöpfung I Gottes
entstanden. Der Ausdruck >Schöpfung< ist aus der Religion be-
kannt, aber um Gedanke zu sein, philosophische Bedeutung zu
haben, muß er noch viel näher bestimmt sein.
* Die Monaden sind also dies Einfache; jede ist für sich, substan-
tiell, jedes ist selbständig gegen das andere; sie sind ohne Wirkung
aufeinander, so daß eins nicht Ursache im anderen ist, sich in dem-
* seihen setzt; sonst wäre es keine Entelechie. Das Verhältnis des
Einflusses, sagt Leibniz, ist ein Verhältnis der Vulgärphilosophie,
8so denn man kann nicht begreifen, wie materielle Partikeln einer Art
oder materielle Qualitäten von einer Substanz in die andere Sub-
stanz übergehen können; man muß also die Vorstellung vom Ein-
* fluß verlassen. Nimmt man selbständige Substanzen an, wie Carte-

825 der individuellen Substanzen] so Pi; Sv: der Substanzen Gr: die indi-
viduelle Substanz He: der allgemeinen Substanz
825-826 die ... wird so Gr, ähnlich Lö
835 also ... Diese so Lö'
842-844 Der ... sein. so Gr, ähnlich Lö
852-853 man ... verlassen so Gr, ähnlich Lö'
853-854 wie Cartesius so Gr
132 Neuere Philosophie 206-207

sius, so kann kein Kausalnexus gedacht werden, denn dieser setzt


einen Einfluß, eine Beziehung eines auf das andere voraus, und so 855

ist das andere keine Substanz.


Drittens müssen die Monaden von einander unterschieden sein, *
unterschieden an ihnen selbst; hier kommt dann das Leibnizsche
Prinzip der Ununterscheidbaren zur Sprache; populär gesagt, es
gebe nicht zwei Dinge, die einander gleich seien. Dieser Satz der 860

Verschiedenheit, oberflächlich genommen, ist ohne Interesse. Man *


hat selbst bei Hofe darüber philosophiert. Ein Hofmatm hat es nicht
glauben wollen, da hat ihn die Frau Kurfürstin aufgefordert, zwei
gleiche Blätter zu suchen; er hat aber keine gefunden. Zwei Milch-
tropfen, durch ein Mikroskop betrachtet, sind verschieden. Es ist 865

uns gleich, ob es zwei Dinge gibt, die sich gleich sind oder nicht;
dies ist der oberflächliche Sinn, der uns nichts angeht. Der nähere
Sinn ist jedoch, daß jedes an ihm selbst ein Bestimmtes, sich an ihm
selbst von allem anderen Unterscheidendes ist; ob zwei Dinge
gleich oder ungleich sind, ist nur eine Vergleichung, die wir 870

machen, die in uns fällt. Das Nähere aber ist der bestimmte Unter-
schied an ihnen selbst. Sind zwei Dinge bloß dadurch verschieden,
daß sie zwei sind, so ist jedes Eins; zwei macht aber noch keine
Verschiedenheit aus, sie sind gleich; sondern der bestimmte Unter-
schied I an sich ist die Hauptsache. 875

Die Leibnizsche Monade ist also eine bestimmte Monas. Ihre *


Bestimmtheit ist näher so ausgedrückt, daß sie vorstellend ist, tmd *
insofern ist das Leibnizsche System das System einer intelligiblen
Welt; alles Materielle sei ein Vorstellendes, Perzipierendes. Näher *
ist darin dieser Idealismus enthalten, daß das Einfache ein an ihm 880

selbst Unterschiedenes sei und ungeachtet seiner Unterschiedenheit

854-856 denn ... Substanz so Gr, ähnlich Lö


858 unterschieden ... selbst so Gr, ähnlich Lö
861-862 Man ... philosophiert. so Lö
862-863 Ein ... aufgefordert,] so Lö"; He: Geschichte seines Freundes und
der Frau Kurfürstin, die
864-865 Zwei ... verschieden. so He
865-867 Es ... angeht. so Gr, ähnlich Lö
869-870 ob ... sind] so Gr; Pi: Gleichheit oder Ungleichheit
872-873 Sind ... Eins so Gr, ähnlich Lö
207-208 Locke und Leibniz 133

an ihm selbst, ungeachtet des mannigfaltigen Inhalts, doch nur Eines


sei und bleibe. Wie z. B. ich, mein Geist; ich habe viele Vorstellun-
gen, ein Reichtum von Gedanken ist in mir, und doch, dieser
eas Mannigfaltigkeit in sich ungeachtet, bin ich nur Eins; dies ist diese
Idealität, daß das Unterschiedene zugleich aufgehoben ist, als Eins
bestimmt ist. Dies ist der interessanteste Punkt des Leibnizschen
Systems.
Die Monade ist also ein Vorstellendes, Perzipierendes. Der Aus-
890 druck, daß die Monade Vorstellungen habe, ist eigentlich etwas

Ungeschicktes, indem wir ihn nur dem Bewußtsein und dem Be-
* wußten als solchem zuschreiben. Leibniz aber nimmt auch bewußt-
lose Vorstellungen an, im Schlaf, in der Ohnmacht, worin Vorstel-
* lungen sind ohne Bewußtsein. Das, was wir die Materie nennen, ist
895 nun bei Leibniz das Leidende, das Passive, [oder] ein Aggregat von

* Monaden. Die Passivität der Materie besteht in der Dunkelheit der


Vorstellungen, in einer Art von Betäubung, die nicht zum Selbstbe-
* wußtsein kommt. Die Körper sind solche Aggregate von Monaden -
Haufen, die nicht >Substanz< heißen könnten, so wenig als eine
* Herde Schafe. Die Kontinuität derselben ist dann die Ordnung, die
* Ausdehnung. Organische Körper sind solche, wo eine Monade, eine
Entelechie über die übrigen herrscht; >Herrschen< ist aber hier nur
* ein uneigentlicher Ausdruck. Die bewußte Monade unterscheidet
sich von dem, was Leibniz I nackte Monade nennt, durch die Deut-
9os lichkeit des Vorstellens, aber es ist dies nur ein formeller Unter-
schied.
* Näher setzt dann Leibniz den Unterschied des Menschen, der
bewußten Monade, darein, daß derselbe der Erkenntnis der ewigen
und notwendigen Wahrheiten fähig ist, das Allgemeine sich vor-
* stellt, und dies Allgemeine beruht auf zwei Grundsätzen: Der eine
Satz ist der des Nichtzuunterscheidenden, der andere ist der des

883--884 mein ... mir so Gr, ähnlich Lii


885--886 dies ... Idealität] so Gr; Sv: Idealismus ist dieses
886--887 daß ... ist1 so Gr
889 Die ... Perzipierendes. so Gr, ähnlich Lö
893--894 worin ... Bewußtsein so Gr
897--898 zum Selbstbewußtsein) so He; Gr: zur Tätigkeit
134 Neuere Philosophie 208-209

zureichenden Grundes. Dies scheint ein überflüssiger Zusatz, aber


Leibniz versteht hierunter den Grund als Zweckbestimmung. Es ist *
der Unterschied von Kausal- und Finalursache, der hier zur Sprache
kommt. Ein Haus, Stein, Balken sind bloße natürliche Ursachen; 915

die Endursache ist eine Bestimmung des Hauses - der zureichende


Grund, daß diese Balken, Steine und dergleichen so gesetzt worden
sind. Dies sind nun also die Hauptmomente. Weiter gehört dann *
hierzu, daß als Folge dieser ewigen Wahrheiten die Existenz Gottes
ist - ewige Wahrheit, Bewußtsein des an und für sich Allgemeinen 920

und Absoluten, und dies Allgemeine, an und für sich Absolute, ist
Gott, ist als Monas eins mit sich, ist die Monade der Monaden, ist *
die absolute Monade. Wenn die fLOv&~ fLOvoc8wv, Gott, die absolute *
Substanz ist, so fällt nun freilich die Substantialität der anderen
Monaden weg; es ist ein Widerspruch, der in sich unaufgelöst ist: 925

die eine substantielle Monade und dann die vielen einzelnen Mona-
den, die selbständig sein sollen, deren Grund ist, daß sie nicht in
Beziehung auf einander stehen, und so ist ein Widerspruch, der
nicht aufgelöst ist. Sie sind, wird gesagt, durch Gott geschaffen,
d. h. durch seinen Willen so gesetzt, aber nur die Monade als Sub- 930

stanz.
Die nähere Bestimmung des Verhältnisses der Monas monadum, *
ihrer Tätigkeit, ist, daß sie ist das Prästabilierende in den Vcrände-
rungen der Monaden. Jede Monade ist an sich Tojtalität, an sich das *
Universum; die nackte Monade ist ebenso an sich das Universum, 935

und das Unterscheiden ist die Entwicklung dieser Totalität in ihr.


Leibniz sagt, aus einem Sandkörnchen könne das ganze Universum *
in seiner ganzen Entwicklung begriffen werden; dies sieht aus wie
ein glänzender Gedanke; die Welt ist aber mehr als ein Sandkorn;

913-915 Es ... kommt. so Gr, ähnlich Lö


915 Ein ... Ursachen so He
917-918 daß ... sind so He
918 Dies ... Hauptmomente. so Gr
921-922 und2 ... sich] so Gr, ähnlich Lö; He: Gott Sv: von Gott
926-929 die1 ... ist so Gr
929-931 Sie ... Substanz. so Gr mit Lö
935 die ... Universum so Gr
938-940 dies ... ist so Gr mit Lö'
209 Locke und Leibniz 135

940 [es] muß noch manches hinzukommen, was nicht darin ist, wobei
die Vorstellung mehr hinzutut als in diesem Sandkömehen existiert.
* Jede Monade ist also an sich das Universum, und es kommt darauf
* an, daß es zur Existenz komme. Die Monade ist tätig, vorstellend,
* perzipierend; diese Perzeption entwickelt sich in ihr nach den
945 Gesetzen der Begierden, der Tätigkeit. Wie die Bewegungen ihrer
Außenwelt nach den Gesetzen der Körper sich entwickeln, so folgt
die Entwicklung aus sich des Vorstellens in sich selbst, des Geisti-
* gen, den Gesetzen der Begierde. Es hat dieses nähere Beziehung auf
* die Vorstellung der Freiheit bei Leibniz. Er sagt: Die Natur der
950 Magnetnadel ist, sich nach Norden zu richten; ein Magnet mit
Bewußtsein würde sich vorstellen, daß die Richtung nach Norden
seine eigene Determination sei, aber dies wäre nur Vorstellung.
* Indem so die Monaden abgeschlossen sind, jede sich in sich ent-
wickelt, so muß denn ferner eine Harmonie ihrer Entwicklung sein,
955 ein organisches Ganzes. Ein Mensch stellt sich dies und jenes vor,
will dies oder jenes; seine Tätigkeit wendet sich dahin und bringt
Veränderungen hervor; seine innere Bestimmung wird so leibliche
Bestimmung und dann Veränderung nach außen; er erscheint als
Ursache, wirkend auf andere Monaden; dies ist aber nur ein
960 Schein; daß jedoch zusammenstimmt die Bestimmung seines Wil-
lens und die Veränderung, die er meint dadurch hervorzubringen,
ist durch ein Anderes, ist von außen, und dies Andere ist Gott, der
diese Harmonie prästabiliert; es ist dies die bekannte prästabilierte

942-943 Universum ... es] He: Universum, und es kommt darauf an,
daß sie Lif: Unendliche, es kommt aber darauf an, daß es Gr: so kann das
Universum und seine Entwicklung dann allerdings begriffen werden
943 komme.] so He; Lö": kommt, dies ist bei Leibniz das Bewußtsein,
Deutlichkeit der Vorstellung.
945-948 Wie ... Begierde.] so W; Gr, ähnlich Lif: In der Bewegung der
Außenwelt sind Bestimmungen der Monade, die sich in ihnen entwickeln
nach den Gesetzen der Körper und im Geistigen nach den Gesetzen der Be-
gierde.
948-949 Es ... Leibniz. so He
951 die ... Norden] Gr: sie Lö": dies Pi: darin
955-962 ein ... außen] so Gr, ähnlich Lö; Sv: Diese Harmonie kommt
von außen, von Gott,
962 von] so LöSv; Gr: nicht von
136 Neuere Philosophie 209-210

Harmonie, die also von außen kommt. Es ist ungefähr dasselbe, was *
wir bei Cartesius in seiner Assistenz gesehen haben. Was der 965
Mensch auch tut, so ist dies Zusammenstimmung einer unendlichen
Menge von Monaden in ihm. Die Seele wirkt nicht auf die körper-:- *
liehe Monade ein; indem aber in der einen I Monade Veränderun-
gen vorgehen, gehen in der anderen Monade Veränderungen vor,
die jenem entsprechen, und dieses Entsprechen ist Harmonie und 970
durch Gott gesetzt.
Dies sind die Hauptmomente der Leibnizschen Philosophie. Wir
sehen also, das Leibnizsche System ist eine Metaphysik, die von der
beschränkten Verstandesbestimmung der absoluten Vielheit ausgeht,
so daß der Zusammenhang nur als Kontinuität aufgefaßt werden 975
kann; dadurch ist schon die absolute Einheit aufgehoben. Das
absolute Fürsichsein ist abstrakt vorausgesetzt, und Gott muß die
Einzelnen nun vermitteln und die Harmonie in den Veränderungen
der einzelnen Monaden bestimmen. Es ist ein künstliches System,
das auf den Verstandeskategorien des Absolutseins der Vielheit, der 980

abstrakten Einzelheit begründet ist. Das Wichtigste bei Leibniz liegt *


in den Grundsätzen, in dem Prinzip der Individualität und dem Satz
des Nichtzuunterscheidenden.

Christian W olff

An Leibniz' System schließt sich das Wolffische an. W olffs Philo- 985
sophie ist ein Systematisieren der des Leibniz, und man sagt auch
so: Leibniz-W olffsche Philosophie. W olff hat sich große Verdienste,
unsterbliche Verdienste um die Verstandesbildung Deutschlands
erworben.

965-967 Was ... ihm. so Lö


972 Dies ... Philosophie. so Gr
975-976 so ... aufgehoben so Gr, ähnlich Lö
981-982 liegt ..• Individualität] so Gr; Pi: ist darin der Grundsatz der
Intelligibilität Lö: besteht in der Vorstellung der Intellektualität
985 Leibniz' System] Pi: die Systematisierung des Leibnizschen Systems
986-990 und ... Breslau so Gr, ähnlich Lö"
210-211 Locke und Leibniz 137

* Er ist der Solm eines Bäckers in Breslau, wo er 1679 geboren


wurde; er studierte anfangs Theologie, dann Philosophie und
* wurde 1707 Professor der Mathematik und Philosophie zu Halle.
[Er] hatte Gegner: Die pietistischen Theologen machten ihm hier
die schlechtesten Händel; als er sie jedoch in ihren Schriften zu
995 Schanden machte, griffen sie zu Intrigen. Sie hinterbrachten dem
König Friedrich Wilhelm 1., dem Soldatenfreund, W olff lehre einen
Determinismus, daß der Mensch keinen freien Willen habe und die
Soldaten daher auch nicht mit Willen, [sondern] durch göttliche
Fügung desertierten. Sie deuteten zugleich auf die Gefahr hin, die
5 diese Lehre haben könnte, wenn sie sich unter den Soldaten verbrei-
tete. Friedrich Wilhelm I. ward darüber sehr zornig; 1723 mußte
Wolff, bei Strafe des Stranges, binnen 48 Stunden Halle und die
preußischen Staaten I verlassen. Die Theologen fügten noch den
* Skandal hinzu, daß sie wider ilm predigten, wobei der fromme
10 Francke, der Stifter des Waisenhauses, Gott in der Kirche auf den
Knien für die Entfernung Wolffs dankte, daß die Stadt von dem
Atheisten befreit wäre. W olff begab sich nach Kassel und ward
* erster Professor der Philosophie an der Universität Marburg; die
Akademien der Wissenschaften zu London, Paris, Stockholm er-
* nannten ilm zum Mitglied - eine Ehre, die damals noch eine Ehre
* war. Peter der Große machte ilm zum Vizepräsidenten der Aka-
* dernie zu Petersburg. In Berlin wurde eine Kommission niederge-
setzt, um ein Gutachten über seine Philosophie zu geben. Sie wurde
* von aller Gefährlichkeit freigesprochen. Den Theologen dagegen

991-992 er ... Philosophie so Gr


993-1 machten ... Soldatenfreund so Gr mit Lö"
3-4 göttliche Fügung] so Pi; Lö": eine besondere Einwirkung Gottes W:
eine besondere Einrichtung (prästabilierte Harmonie) Gottes
4-6 Sie ... zornig so Lö
6 1723] so PiHcSv; Gr: Den 23. November 1723
8-9 Die ... predigten so Lö, ähnlich Gr
11-12 daß ... wäre so Lö
15-16 einet ... war so Lö"
18-19 Sie ... freigesprochen] so He, ähnlich GrLö; Pi: das ihn für nicht
gefährlich erklärt
138 Neuere Philosophie 211-212

ward der Mund gestopft und ihnen das Sprechen verboten. Schon *
zu Lebzeiten Friedrich Wilhelms I. wurde er nach Halle zurückbe-
rufen. W olff nahm indessen das Anerbieten, von neuem seine Pro-
fessur in Halle anzutreten, nicht sogleich [an], sondern erst, als Fried-
rich II. 1740 den Thron bestiegen und es wiederholte. Er wurde Vize- *
kanzler der Universität und 1745 von dem Kurfürsten von Bayern *
in den Freiherrnstand erhoben. Bis an sein Ende - er starb 1754 -
blieb er nun in Halle.
W olff hat sich in der Mathematik sehr berühmt gemacht und *
ebenso durch seine Philosophie, welche in Deutschland lange herr-
schend gewesen ist. Wir können sie im allgemeinen eine Ver- 3o

Standesphilosophie nennen, die sich auf alle Gegenstände, die in das


Gebiet des Wissens fallen, ausgedehnt hat. Man kann sagen, daß
W olff die Philosophie erst eigentlich einheimisch in Deutschland
gemacht hat. Besonders wichtig ist es, daß seine Schriften meistens *
in deutscher Sprache geschrieben sind; Leibniz schrieb lateinisch 35

und zumeist französisch. Der Titel ist gewöhnlich »Vernünftige *


Gedanken« über Gott, die Welt, die Seele des Menschen, die
Natur usf. Seine Schriften umfassen 24 Quartanten. Wolff schrieb *
also deutsch; Tschirnhausen und Thomasius teilen mit ihm das *
Verdienst der Ausbreitung deutscher Sprache in der Philosophie. 40

Man kann erst sagen, daß eine Wissenschaft einem Volke wahrhaft
angehöre, wenn sie in seiner eigenen Sprache geschrieben ist, und
dies ist bei der Philosophie am notwendigsten.
Im ganzen ist es also Leibnizsche Philosophie, die W olff syste- *
matisiert hat; dies bezieht sich aber nur auf die Hauptvorstellungen 45

seiner Monadologie und seiner Theodizee, denen W olff treu ge-


blieben I ist. Sonst aber hat er der Philosophie die Einteilung in
Fächer gegeben, die bis auf die neueste Zeit gegolten hat: 1) Theo- *

20 Sprechen] so Lö; W: Streiten


24-26 Er ... erhoben. so Gr
26-27 Bis ... Halle.] so Lö· mit GrHc
37-38 über ... usf. so Gr, ähnlich Lö
38 24] so He; GrU: 20 Sv: 25
42-43 und ... notwendigsten] so Gr, ähnlich U
46-47 denen ... ist so U, ährzlich Gr
212 Locke und Leibniz 139

retische Philosophie; [sie] enthält a) Logik, gereinigt von der un-


so endlichen scholastischen Ausführung, worum sich Petrus Ramus
und andere verdient gemacht. Es ist die Verstandeslogik, die W olff
systematisiert hat; b) Ontologie, die Lehre von den abstrakten
allgemeinen Kategorien des Philosophierens, des Seins, des Einen,
der Substanz, des Phänomens - also abstrakte, allgemeine Meta-
55 physik; c) Pneumatologie, Philosophie der Seele; d) Kosmologie,

allgemeine Körperlehre; e) Natürliche Theologie. 2) Praktische Phi-


losophie: a) Naturrecht; b) Moral und Ethik; c) Völkerrecht oder
Politik; d) Ökonomie. Das ganze ist in streng geometrischer Form
vorgetragen - Axiome, Theoreme, Scholien, Korollarien usf. W olff
60 ging einerseits auf einen großen, ganz allgemeinen Umfang und

andererseits auf Strenge der Methode in Ansehung der Propositio-


nen und ihrer Beweise. Der Inhalt ist teils aus der Leibnizschen
Philosophie genommen, in Rücksicht der allgemeinen V orstellun-
gen, teils aus unserer Neigung, Empfindung empirisch aufgenom-
65 men.

Die Strenge der Methode ist dann allerdings zum Teil sehr pe-
dantisch geworden; der Schluß ist die Hauptform, und es ist oft in
einen barbarischen Pedantismus ausgeartet, dessen Breitheit uner-
träglich ist. Die gewöhnlichen Beispiele aus einzelnen Wissenschaf-
* ten sind wie geometrische Aufgaben und Lösungen behandelt; z. B.
der vierte Lehrsatz in seiner Kriegskunst heißt: »Das Anrücken an
die Festung muß dem Feinde immer schwerer gemacht werden, je
näher er kommt.« Der Beweis ist: »Denn je näher der Feind an die
Festung heranrückt, je näher kommt die Gefahr für die Belagerten;
75 je näher die Gefahr für die Belagerten wird, je größer ist sie, und

desto mehr müssen sie dieselbe, durch Schwierigkeiten, die sie dem
Feinde entgegensetzen, abwenden. Derowegen: Je näher der Feind
an die Festung kommt, desto schwieriger muß ihm das Anrücken
gemacht werden. Quod erat demonstrandum.« Auf diese höchst
so triviale Weise verfährt er mit allem möglichen Inhalt.

58 d)] Lö: c)
67 der ... oft so Gr
79-80 Auf ... Inhalt. so Gr
140 Neuere Philosophie 212-213

Metaphysische und populäre Philosophie

Die bisherigen Stufen der Philosophie, die wir betrachtet haben,


haben den Charakter, Metaphysik zu sein, von allgemeinen Ver-
standesbestimmungen auszugehen, damit aber zu verbinden Erfah-
rung, Beobachtung, wie die natürlichen Gegenstände sich dem 85

Geiste präsentieren. I Bei dieser Metaphysik ist die eine Seite die,
daß die Gegensätze des Gedankens zum Bewußtsein gebracht und
das Interesse auf die Auflösung des Widerspruchs gerichtet gewesen
ist: Denken und Sein, Gott und die Welt, Gut und Böse, göttliche
Präszienz und menschliche Freiheit - diese Widersprüche, die Ge- 90

gensätze von Seele und Geist, Vorstellungen und materiellen


Dingen und die gegenseitige Beziehung derselben haben das Inter-
esse beschäftigt. Zweitens ist die Auflösung dieser Gegensätze und
Widersprüche gegeben worden, und diese Auflösung ist gesetzt
worden in Gott. Gott ist also das, in dem alle diese Widersprüche 95

aufgelöst sind. Dies ist das Gemeinschaftliche aller dieser Philoso-


phien nach der Hauptseite.
Dabei ist zu bemerken, daß diese Gegensätze nicht an ihnen selbst
aufgelöst sind, daß die Nichtigkeit der Gegensätze und ihrer Vor-
aussetzungen nicht an ihnen selbst aufgezeigt worden ist. Daher ist 100

keine wahrhaft konkrete Auflösung zu Stande gekommen, und


wenn auch Gott als alle Widersprüche auflösend gedacht wird, so
ist denn Gott und die Auflösung jener Widersprüche mehr genannt
als gefaßt und begriffen worden. Gott, wenn er gefaßt wird nach
seinen Eigenschaften- Präszienz, Allgegenwart, Allwissenheit usf. -, 105

wenn die Eigenschaften Gottes - Macht, Weisheit, Güte und Ge-


rechtigkeit - als Eigenschaften Gottes selbst betrachtet werden, so
führen diese Gegensätze auch auf Widersprüche, z. B. Präszienz und
Erschaffung freier Wesen. Diese Widersprüche nun hat Leibniz so *
zu mildern und aufzuheben gesucht, daß er sagt, diese Eigenschaften 110

temperieren einander; sie sind so verknüpft, daß ihr Widerspruch


hinwegfalle. Das ist aber kein Erfassen der Auflösung solcher
Widersprüche. In dieser Hinsicht kontrastiert diese Metaphysik mit

85-86 wie ... präsentieren] so Lö; Gr: überhaupt die empirische Weise
92-93 und ... beschäftigt so Gr, ähnlich Lö"
213-214 Locke und Leibniz 141

den alten Philosophien, zu denen wir immer wieder zurückkehren


115 und uns an ihnen befriedigen können auf ihrer Stufe, da sie nicht

auf diesem Standpunkt stehen wie die neueren. In dieser modernen


Metaphysik sind die Gegensätze zum absoluten Widerspruch, also
tiefer als in der alten Philosophie entwickelt, also zu etwas Höhe-
rem als in der alten. Es ist zwar auch ihre Auflösung angegeben,
120 Gott; aber er bleibt jenseits stehen und alle Widersprüche bleiben

diesseits ihrem Inhalt nach unaufgelöst. Gott ist als Vermittler nur
genannt, aber nicht als solcher gefaßt, als der, in dem die Wider-
sprüche sich ewig auflösen; er I ist nicht gefaßt als Geist, als der
Dreieinige. Nur in ihm als Geist und dreieinigem Geist ist dieser
12s Gegensatz seiner selbst in ihm selbst enthalten und auch damit die

Auflösung. Dieser bestimmte Begriff von Gott ist also noch nicht
aufgenommen in jene Philosophie; die Auflösung der Widersprüche
ist nur eine jenseitige.
Gegen diese Metaphysik hat sich jetzt das erhoben, was populäre
Bo Philosophie, reflektierende Philosophie oder reflektierender Empiris-
mus genannt werden kann - selbst mehr oder weniger Metaphysik,
wie umgekehrt die letztere im Besonderen empirisch wird. Gegen
jene Widersprüche sind feste Grundsätze, Prinzipien gesucht wor-
den, die nichts Wankendes sind - feste Sätze, die immanent sind
m dem Geiste, der Brust des Menschen, und dagegen, daß nur jenseits
sich in Gott die Auflösung findet, sind diese festen Prinzipien dies-
* seitig, ein Festes, Selbständiges. Diese Grundsätze sind überhaupt
gerichtet gewesen gegen die jenseitige Metaphysik, gegen die
Künstlichkeiten der metaphysischen Zusammenstellung, gegen As-
140 sistenz, prästabilierte Harmonie und Optimismus - die beste Welt.
Ein diesseitiger verständiger Halt ist hervorgegangen, diesseitige
Prinzipien sind geschöpft worden aus dem, was man gesunde Ver-
nunft, gesunden Menschenverstand, natürliches Gefühl genannt hat;
es sind die Prinzipien aus dem Inhalt, der sich in der gebildeten
145 Menschenbrust vorfindet.

115 ihnen] Pi: ihr


132 wie ... wird so Pi
135 der Brust so Gr, ähnlich Lii
140 und ... Welt so Lii
142 Neuere Philosophie 214-215

Diese Prinzipien können gut sein, wenn die Neigung, das Gefühl,
das Herz des Menschen mit seinem Verstand gleichmäßig gebildet
ist. Wenn dies der Fall ist, daß sein Herz sittlich gebildet ist, sein
Geist zum Denken, Reflektieren gebildet, so können schöne Gefühle
in ihm herrschen, so kann allerdings ein allgemein anzuerkennender 1so
Inhalt es sein, den diese Grundsätze ausdrücken. Aber wenn man
den gesunden Menschenverstand, das natürliche Herz im allge-
meinen zum Grundsatz macht, so findet sich ein natürliches Emp-
finden [und] Wissen, wie die Inder Kuh und Affen, die Ägypter,
die [einen] Vogel, einen Ochsen, den Apis anbeten. Die rohen 155
Türken haben auch natürliche Empfindungen und gesunden Men-
schenverstand bei den größten Grausamkeiten. Wenn wir aber von
gesundem Menschenverstand sprechen, von natürlichem Gefühl, so
hat man dabei immer im I Sinne einen gebildeten Geist, und man
vergiBt, daß das Sittliche, Rechtliche, was sich in der Menschen- 160
brust findet, der Bildung und Erziehung verdankt werde; diese
haben erst solche Grundsätze zu natürlichen Gefühlen gemacht, zur
Gewohnheit gestempelt; jene Religion und Sittlichkeit werden dem
Menschen dann zum unmittelbaren Wissen. Hier sind nun also
natürliche Gefühle, gesunder Menschenverstand zum Prinzip ge- 165
macht, und darunter finden sich viele anzuerkennende. Dies ist die
Gestalt der Philosophie im 18. Jahrhundert, und es gehören unter
diese Gestaltung der Philosophie teils französische, teils schottische,
teils deutsche Philosophie; die letztere bezeichnet man auch mit
dem Ausdruck >Aufklärung<. 110

Es sind hier nun einige nähere Bestimmungen anzugeben. Der


natürliche Verstand, [die] gesunde Vernunft, mit dem Inhalt ge-
nommen aus der Menschenbrust, hat sich gerichtet gegen die reli-
giöse Seite einerseits, und zwar in verschiedenen Momenten - zu-
nächst gegen die positive katholische Religion, auf der anderen m

149-150 so ... herrschen so Gr


152-153 den ... allgemeinen] so He mit Pi; Gr: das, was wir gesunden
Verstand, Vernunft nennen, das, was dem Menschen ins Herz gepflanzt ist
153-154 Empfinden] Pi: Empfmdungen
160 das Sittliche, Rechtliche] so Gr; He: Religiosität, Sittlichkeit
163-164 jene ... Wissen so He
215-216 Locke und Leibniz 143

Seite, als deutsche Aufklärung, auch gegen die protestantische


Religion, insofern sie einen Inhalt hat, den sie aus der Offenbarung
und kirchlichen Bestimmung überhaupt empfangen hat.
Die eine Richtung ist also gegangen gegen die Form der Autori-
tao tät überhaupt, die andere gegen den Inhalt. Mit dem Inhalt kann
diese Form des Denkens etwa leicht fertig werden, indem sie nicht
das ist, was eigentlich unter Vernunft verstanden, sondern was
Verstand genannt werden muß; diesem Verstand ist es leicht, im
religiösen Inhalt, dessen letzte Grundlage nur von der spekulativen
185 Vernunft gefaßt werden kann, Widersprüche aufzufinden. Da

abstrakte Identität Prinzip des Verstandes ist, hat dieser Verstand


seinen Maßstab angelegt an den religiösen Inhalt und Widersprüche
darin aufgezeigt und ihn für nichtig erklärt. Der Verstand verfährt
auf dieselbe Weise gegen eine spekulative Philosophie. Dies hat I
19o nun die deutsche Aufklärung ebenso wie die französische Philoso-

phie getan - die eine in der Richtung gegen die lutherische, die
andere in Richtung gegen die katholische Religion. Hier ist keine
Veranlassung, weiter einzugehen in den Unterschied der beiden
* Religionen, der von uns schon im Mittelalter ausgeführt ist. Das
195 Räsonnieren des gesunden Menschenverstandes ist gegen die Auto-

rität der positiven Religion gegangen und gegen ihren Inhalt. Was
denn nun geblieben ist davon ist das, was Deismus genannt wird,
d. h. Glauben an einen Gott überhaupt. Dies ist der Inhalt jetzt, der
sehr allgemein übrig geblieben ist in vielen Theologien, und es ist
200 derselbe Inhalt, der sich auch im Mohammedanismus findet, der

* Einen Gott verehrt. [Der] Koran anerkennt Christus als großen


Lehrer und Propheten und stellt ihn zum Teil höher als er oft in
neuerer Theologie gestellt worden ist. Es ist die Versöhnung der
mohammedanischen mit der christlichen Religion.
2o5 Es ist aber bei dieser Richtung des räsonnierenden Verstandes
gegen die Religion nicht geblieben; der räsonnierende Verstand ist
auch zum Materialismus, Atheismus und Naturalismus fortgegan-

176 protestantische) so GrPiHcLö; Sv: positive Seite der protestantischen


191-192 die1 ... Religion so Gr, ähnlich Lö
192-196 Hier ... Inhalt. so Lö'
198-199 Dies ... und so Gr
144 Neuere Philosophie 216-217

gen. Aber mit dem Namen >Atheismus< darf man nicht leicht jeman-
den belegen. Es ist etwas Leichtes, eine Philosophie, ein Individuum
des Atheismus zu beschuldigen, das mit seinen Vorstellungen über 210

Gott abweicht von denen, die andere haben. Aber bei vielen räson- *
nierenden Philosophen ist allerdings aufs bestimmteste zum Atheis-
mus fortgegangen, und das Allgemeine, was als der letzte Grund
von allem, als das Substantielle, Wirkende und Tätige gefaßt ist, ist
>Natur, Materie< genannt worden. Man kann sagen, es ist im ganzen 21s

Spinozismus, es ist die Spinozistische Substanz, was als dieses Letzte


vorgestellt wird- das Eine der Substanz.
Es ist dies besonders von französischen Philosophen geschehen;
einige sind jedoch nicht dahin zu rechnen, z. B. Rousseau. In *
Rousseaus Emile steht ein Glaubensbekenntnis eines Vikars von 220

Savoyen, das ein reiner Deismus ist. Was der deutschen Aufklärung *
übrig ist, ist das, was im Koran, Rousseau und Voltaire steht. An-
dere sind ausdrücklich zum Naturalismus fortgegangen. Hier ist *
Holbachs (ein deutscher Baron, der in Paris lebte) Systeme de
1a Nature besonders zu erwähnen. Die Gedanken darin sind sehr 225

oberflächlich; le grand tout de la nature, das große Ganze der Na-


tur, ist das Letzte dabei. Durch Gesetze, Eigenschaften und Ver-
bindungen entstehen und vergehen die Dinge. Der Inbegriff von
Qualitäten und ihren Veränderungen ist le grand tout. Solche Dar-
stellung ist wegen der großen Oberflächlichkeit jämmerlich. 230
Die zweite Seite dieses räsonnierenden Verstandes ist die Moral,
die I sehr ausgebildet ist von deutschen, französischen und besonders
schottischen Philosophen. Von englischer Philosophie kann nicht
mehr die Rede sein; Cudworth, Clarke, Wallaston und *
andere lebten allerdings im 18. Jahrhundert, aber bewegten sich in 235
den Formen sehr gewöhnlicher Verstandesmetaphysik. Besonders *
die schottischen Philosophen haben sich darauf gelegt, Moral und
Politik auszubilden; sie haben als gebildete Männer die moralische
Natur des Menschen betrachtet, wie sie sich der gebildeten Re-
flexion darstellt, und versucht, die moralischen Pflichten auf ein 24o

Prinzip zu bringen- auf die Geselligkeit und dergleichen. Garve hat

217 das . Substanz so Gr


o •

227-228 Durch Dinge. so Pi


0 0 0
217-218 Locke und Leibniz 145

mehrere von ihren Schriften ins Deutsche übersetzt, besonders von


Ferguson usf. Es sind populäre [Schriften] mit guten sittlichen
* Grundsätzen, nach Ciceros Weise dargestellt. Bei diesen schotti-
245 sehen Philosophen hat sich besonders eine dritte Wendung einge-
funden, die, daß sie auch die Prinzipien des Erkennens bestimmter
anzugeben gesucht haben. Im ganzen aber gehen sie auf dasselbe
hinaus, was auch in Deutschland als das Prinzip aufgestellt worden
ist.
* So hat Thomas Reid (geboren 1704, gestorben als Professor zu
* Glasgow 1796) untersucht, was das Prinzip des Erkennens sei. Seine
Vorstellung ist, daß es unbewiesene, unerweisliche Grundwahrhei-
ten gebe, welche der Gemeinsinn als unmittelbar entscheidend und
entschieden annehme, also Grundsätze im Geiste, unmittelbares
255 Wissen; darin ist eine innere unabhängige Quelle gesetzt. Diese
unerweislichen Wahrheiten bedürfen nicht der Stütze der Wissen-
schaft, unterwerfen sich auch nicht deren Kritik; sie seien auch die
Wurzel des Erkennens, der Philosophie - unmittelbar für sich
einleuchtende Wahrheiten. Für die Sittlichkeit gibt es ebensolche
260 Bestimmungen - Menschenliebe, gesellige Neigung, Vollkommen-
heit des Ganzen -, wonach das Individuum seine Handlungen ab-
messen müsse. Dies ist Reids Ansicht.
* James Beattie, geboren 1735, Professor der Moral zu Edin-
* burgh und Aberdeen, starb I 1803. Beattie setzt den schlichten
265 Menschenverstand als Quelle alles Wissens, aller Religion und
Sittlichkeit. Wahrheit ist, was man gelten lassen muß nach der
Beschaffenheit der Natur des Geistes, Gemüts. Gewisse Wahrheiten
* seien die Grundlage bei allem weiteren. Das Dasein des göttlichen
Wesens ist eine Tatsache in unserem Bewußtsein, die über allen
* Zweifel, alles Räsonnement erhaben ist. Es ist dasselbe, was in
Deutschland auch zu jener Zeit als Prinzip gesetzt worden ist, eine
innere Offenbarung, die nicht auf eine äußerliche Weise in uns

264-265 Beattie ... Menschenverstand] so Pi mit Lö; Gr: Der Gemeinsinn


ist bei ihm gesetzt
267-268 Gewisse ... weiteren.] so Lö; He: sie [sc. die Natur des Geistes] sei
die Grundlage bei allem Zweifel; Gr: Überzeugungen als ganz gewiß seien
die Grundlage zu Handlungen.
146 Neuere Philosophie 218-219

kommt, ein Wissen vom Gewissen, von Sätzen, Inhalt- ein tatsäch-
liches Wissen von Gott und seinem Sein.
Dugald Stewart ist der neueste der Schotten, er lebt noch; *
und England steht im ganzen auf demselben Boden; es ist derselbe 275
Kreis der Reflexion.
Hieran knüpft sich das, was die Franzosen >Ideologie< nennen. Dies *
ist nichts anderes als Logik, Ontologie, abstrakte Metaphysik, d. h.
Aufzählung, Analysieren der einfachsten Denkbestimmungen. Sie
werden nicht dialektisch behandelt, nicht nach ihren Quellen unter- 280
sucht, sondern aus unserer Reflexion, aus unserem Denken, Vorstel-
len wird der Stoff genommen und dieser genau analysiert, und [es
wird] gezeigt, welche ferneren Bestimmungen darin enthalten sind.
Der Humesche Skeptizismus aber macht den unmittelbaren Über- *
gang zur Kautischen Philosophie. 285

David Hume

David Hume gilt für einen Skeptiker. Er ward 1711 zu Edinburgh *


geboren und starb 1776 zu London. Er lebte lange Zeit in diploma-
tischen Verhältnissen. Seine Essays haben ihn nach der philosophi- *
sehen Seite am berühmtesten gemacht; in diesen hat er philosophi- 290

sehe Gegenstände behandelt - nicht systematisch, sondern mehr wie *


ein gebildeter, denkender Weltmann, nicht in einem Zusammen-
hang, auch nicht in dem Umfang, den seine Gedanken eigentlich
hätten gewinnen, fassen können. Die Hauptisaehe ist, daß er den *
Lockischen-Baconischen Standpunkt der Philosophie voraussetzt 295

(Erfahrungsphilosophie); diese hat sich an einen Stoff zu halten, der


durch äußerliche Anschauung oder Empfindung des Inneren gege-
ben ist. Dahin gehört das Rechtliche, Sittliche, Religiöse; dies ist *
also der Inhalt.

272 von Sätzen, Inhalt so Gr


287 David Hume ... Skeptiker. so Lö
288-289 zu ... Verhältnissen. so Or
296-297 diese ... durch so Gr, ähnlich Lö
219-220 Locke und Leibniz 147

* Indem er nun dies, was man unter die Erfahrung subsumiert,


näher betrachtet, findet er ferner Bestimmungen und besonders die
Bestimmung des Allgemeinen und der allgemeinen Notwendigkeit.
* Hume hat konsequent darauf aufmerksam gemacht, daß, wenn man
sich auf diesem Standpunkt hält, die äußere und innere Erfahrung
3os zwar die Grundlage ist von dem, was man weiß, daß aber in der
Erfahrung nicht enthalten sind, nicht gegeben würden die Bestim-
* mungen von Allgemeinheit und Notwendigkeit. Die Notwendig-
keit ist besonders enthalten in der Beziehung von Ursache und
* Wirkung, aber was wir wahrnehmen, ist nur, daß jetzt etwas ge-
3to schieht und dann etwas anderes darauf folgt. Die unmittelbare
Wahrnehmung bezieht sich nur bloß auf einen Inhalt [im] Zusam-
menhang der Zeit, in der Sukzession der Zeit. In die Wahrneh-
mung fällt nun der Inhalt und die Sukzession, nicht aber der Zu-
sammenhang vonr Ursache und Wirkung. Ebenso ist es in Ansehung
* des Allgemeinen. Was wir wahrnehmen' "sind einzelne Erscheinun-
gen, einzelne Empfindungen, Wahrnehmungen, daß dies jetzt so,
dann anders ist; es kann auch sein, daß wir dieselbe Bestimmung
öfter vielfach wahrnehmen, aber das ist immer noch weit von der
Allgemeinheit entfernt, denn diese ist eine solche Bestimmung, die
320 uns nicht durch die Erfahrung gegeben ist. Man kann sagen, daß

dies eine ganz richtige Bemerkung ist, wenn man unter >Erfah-
rung< die äußerliche Erfahrung versteht. Daß etwas existiert, emp-
findet I die Erfahrung, aber so ist das Allgemeine noch nicht in
derselben.
* Von dieser Seite hat er nun die rechtlichen, sittlichen, religiösen
Bestimmungen betrachtet und ihre absolute Gültigkeit bestritten.
Nämlich, wenn vorausgesetzt ist, unsere Erkenntnis ist aus der
Erfahrung, und nur dies ist wahr, was wir durch Erfahrung haben,
so gilt wohl nach der Erfahrung auch etwas für Recht; wir finden
330 zwar in unserem Gefühl z. B. die Empfindung, daß Morden z. B.

etwas Unrechtes ist, nämlich in unserer Empfindung und in der

322-324 Daß . . . derselben.] so Gr; Pi: Daß dies existiere auf allgemeine
Weise ist nicht zu sagen.
330-331 daß ... ist,] so He; Gr, ähnlich Lö: daß der Mörder, der Dieb
bestraft werden muß,
148 Neuere Philosophie 220-221

Empfindung anderer, und es wird so allgemein geltend. Aber es


kann auch leicht gezeigt werden, daß bei anderen Völkern ganz
anderes für Recht gilt. Es gibt Völker, die für diesen Fall die Emp-
findung des Unrechts beim Diebstahl nicht haben, z. B. die Lake- 335

dämonier, die sogenannten unschuldigen Völker der Südsee-Inseln.


Was als religiös oder als unsittlich, schändlich bei einem Volke gilt,
gilt bei einem anderen nicht dafür. Indem also dergleichen auf *
Erfahrung beruht, so macht das eine Subjekt diese subjektive Erfah-
rung. Es findet in sich religiöse Gefühle, im religiösen Gefühl diese 340
Gestalt, Bestimmung für Gott; ein anderes Subjekt findet Gott in
einer anderen Gestalt, in einer anderen Bestimmung in sich. Wenn
daher die Wahrheit auf Erfahrung beruht, so kommen die Bestim-
mungen von Allgemeinheit, von Anundfürsichgelten usf. anders-
woher, sind nicht gerechtfertigt durch die allein geltende Quelle der 345

Erfahrung.
Er hat denn also diese Art von Allgemeinheit sowie die Not- *
wendigkeit mehr nur für etwas Subjektives erklärt, nicht für objek-
tiv existierend. Eine solche subjektive Allgemeinheit ist die Ge-
wohnheit. Wir haben die Gewohnheit, dies für Recht, sittlich 35o

gelten zu lassen, andere nicht. Bei uns hat etwas Allgemeinheit, aber
ein subjektives Allgemeines ist auf uns eingeschränkt; andere haben
andere Gewohnheiten. - Dies ist eine richtige und scharfsinnige
Unterscheidung I in Beziehung auf diesen Quell der Erkenntnis, der
als Erfahrung angenommen wurde, und von diesem Anfang ist nun *
die Kautische Reflexion ausgegangen, auf die wir jetzt übergehen.

4. Kant, Fichte und Schelling

In Verbindung mit Kant werden wir hier auch von Jacobi *


sprechen.

335-336 z. B .... Südsee-Inseln so Gr, ähnlich Lö"


337 religiös] so Lif; Gr: irreligiös
338-339 Indem ... beruht so Gr, ähnlich Lö
350-351 Wir ... nicht so Gr mit Lö
358-359 In ... sprechen. so Gr, ähnlich Lö"
221-222 Kant, Fichte und SeheHing 149

360 Immanuel Kant

* Der allgemeine Sinn der Kantischen Philosophie ist, daß sich solche
Bestimmungen wie die Allgemeinheit und Notwendigkeit nicht in
der Wahrnehmung finden, wie Hume gezeigt hat; sie haben also
eine andere Quelle als das Wahrnehmen. Diese andere Quelle ist das
365 Subjekt, Ich, das Subjekt in seinem Selbstbewußtsein. Dies ist der
Hauptsatz der Kantischen Philosophie. Die Kantische Philosophie
wird auch kritische Philosophie genannt, indem ihr Zweck zunächst
* ist, eine Kritik des Erkennens zu sein. Das Erkennen wird vorge-
stellt als das Instrument, die Art und Weise, wie wir uns der Wahr-
370 heit bemächtigen wollen. Vorher, ehe man also an die Wahrheit
selbst gehen könne, müsse man zuerst die Natur, die Art des Instru-
ments untersuchen, ob dies fähig sei, das zu leisten, was von ihm
gefordert wird. Indem Kant so das Erkennen der Betrachtung
unterwirft, so ist dies ein großer, wichtiger Schritt. Diese Kritik des
375 Erkennens betrifft ebensowohl diesen Empirismus, dieses Erkennen,
das vorgibt, es gründe sich nur auf Erfahrung, als auch die mehr
metaphysische Art des Wolffischen und deutschen Philosophierens
* überhaupt. Die deutsche Philosophie hatte ohnehin schon vor der
Kantischen I die Wendung nach jener empirischen Manier genom-
* men, die geschildert worden ist. Im Praktischen herrschte vor Kant
die sogenannte Glückseligkeitslehre, die Bestimmung des Menschen,
sein Begriff, und wie er seinen Begriff realisieren soll. Die Bestim-
* mung ist aufgefaßt als Glückseligkeit. Andererseits ist aber Wolf-
fisches Metaphysizieren noch im Schwange gegangen, wie z. B. bei
385 Mendelssohn. Dieses Metaphysizieren hat sich unterschieden gehal-
ten von dem bloß empirischen Verfahren, aber seine Haupttätigkeit
hat darin bestanden, Gedankenbestimmungen wie z. B. Möglich-

361 Der] Gr: Er wurde 1724 zu Königsberg geboren, studierte dort an-
fangs Theologie, trat im Jahre 1755 als akademischer Lehrer auf; 1770 wurde
er Professor der Logik und starb in Königsberg 1804 den 12. Februar. Die
Kantische Philosophie hat unmittelbare Beziehung auf das, was eben von
Hume angeführt ist. Der
363 wie ... hat so Gr
365-366 Dies ... Philosophie. so Gr, ähnlich Lö
150 Neuere Philosophie 222-223

keit, Wirklichkeit usf., Verstandesbestimmungen zum Grunde zu


legen und damit zu räsonnieren, z. B. über Gott usf. Gegen beides
ist zunächst Kants Philosophie gerichtet. Der Hauptsatz derselben ist 390

der ganz einfache, der schon angeführt ist. Erschwert wird er nur
durch die Breite, Weitläufigkeit, worin dies dargestellt wird. Das-
selbe wird oft wiederholt, was für die Anfänger oft nützlich ist.
Eine eigentümliche Art von Terminologie erschwert es auch.
Die Hauptmomente seiner Philosophie sind folgende. Das Erste, *
Allgemeinste ist dies, daß Kant sogleich zugibt, daß die Bestim-
mungen der Notwendigkeit und Allgemeinheit nicht in der Wahr-
nehmung zu finden sind; die Frage ist nun, wo sind sie zu finden1
Sie sind zu finden nur im Selbstbewußtsein; sie gehören diesem an, *
dem subjektiven Denken. Diese Bestimmungen des Denkens sind *
näher von der Art, daß sie Bestimmungen der Allgemeinheit, der
Einheit überhaupt sind, d. h. Verknüpfung von verschiedenen
Bestimmungen, und das Denken nennt Kant insofern Synthesieren,
Verknüpfen zur Einheit. Das Denken enthält aber schon in ihm
selbst in seinen Bestimmtmgen solche Verknüpfungen, es ist ein 405
Einen, ein Ver Ieinen von Unterschieden; die Unterschiede sind der
Stoff, der durch die Erfahrung gegeben ist, und um diesen Stoff zu
verknüpfen, muß in den subjektiven Bestimmungen schon die
Anlage sein, sie verknüpfen zu können. Ursache und Wirkung, *
Kausalität usw. sind Denkbestimmungen. Sie sind an sich selbst 4to
Verknüpfung.
Kant stellt nun die Frage der Philosophie auch so: Wie sind *
synthetische Urteile a priori möglich 1 Urteile sind Verknüpfungen
von Gedankenbestimmungen, wie Subjekt und Prädikat; synthe-
tisch heißt verknüpfend. Es sind Urteile a priori, d. h. Verknüpfun- *
gen, die nicht durch die Erfahrung gegeben sind. Ursache und
Wirkung sind Denkbestimmungen. Hume zeigt schon, daß sie nicht *

394 erschwert es auch] so He; Gr, ähnlich Lö: in der sie vorgestellt wird;
indessen hat die Breite auch einen Vorteil; dasselbe wird oft wiederholt, so
daß man die Hauptsätze behält und nicht gleich aus dem Auge verlieren
kann.
398-399 die ... finden] so Gr mit Lö; Pi: aber He: sondern
406-407 ein ... und so Gr, ähnlich LO'
223-224 Karrt, Fichte und SeheHing 151

* in der Erfahrung sind. Sinnliche Wahrnehmung hat nur den Raum


und die Zeit als das Verbindende, nicht aber Ursache und Wirkung.
* Solche Verknüpfungen sind also a priori, d. h. im Selbstbewußtsein.
* Kant nennt diese Philosophie Transzendentalphilosophie. Transzen-
dent und transzendental ist zu unterscheiden, die transzendente
Mathematik ist die, in der die Bestimmung des Unendlichen vor-
nehmlich gebraucht wird; in dieser Sphäre der Mathematik sagt
425 man z. B., der Kreis besteht aus unendlich vielen geraden Linien;
die Peripherie wird vorgestellt als Gerade, und indem so das Krum-
me als Gerades vorgestellt wird, so geht dies über die geometrische
Bestimmung hinaus, ist so transzendent, liegt über dem Verstand.
* Die Transzendentalphilosophie bestimmt Kant so, daß es nicht eine
430 Philosophie sei, die mit Kategorien über die Sphäre des Endlichen
hinausgeht, sondern die die Quelle von dem aufzeigt, was etwa
transzendent werden kann. Transzendentalismus bezieht sich also
nur auf die Quelle solcher Bestimmungen, die transzendent werden
können, und dies ist das Bewußtsein. Dies ist das Allgemeine.
* Kant geht nur psychologisch, d. h. geschichtlich zu Werke. Es
gibt eine Sinnlichkeit, Verstand, Vernunft im Menschen; das erzählt
er so her, nimmt es ganz empirisch auf, ohne es aus dem Begriff zu
* entwickeln. I Das erste ist die Sinnlichkeit überhaupt. Darin unter-
scheidet er zuerst die Empfindung überhaupt, als äußere - z. B. rot,
44o bitter, hart - oder innere Empfindung vom Rechtlichen, Sittlichen,
* Zorn, Angenehmen, Religiösen usw. Diese sind nur subjektiv. In
diesem Sinnlichen ist aber auch ein allgemeines Sinnliches selbst.
Dies ist Raum und Zeit (Empfmden und Anschauen; Anschauen
heißt, das, was Empfindung ist, aus uns hinauslegen, von uns abson-
445 dern, es entweder in der Zeit als fließend oder im Raum als Neben-
* einander sehen. Jetzt hat man keinen solchen Begriff mehr vom
Anschauen. Man versteht darunter auch Unmittelbarkeit des Be-

417-418 Hume ... sind. so Gr


424-425 in ... man so Gr, ähnlich Lö
426-427 die ... wird so Gr, ähnlich Lii
434 und ... Allgemeine so Gr
437-438 ohne ... enwickeln so Gr, ähnlich Lö
445-448 es ... Gottes so Lii, ähnlich Gr
152 Neuere Philosophie 224-225

wußtseins, man spricht von einer Anschauung Gottes, der doch nur
dem Gedanken angehört). Also Raum und Zeit sind etwas Allge- *
meines, das Allgemeine des Sinnlichen selbst, nach Kant die apriori- 45o
sehen Formen der Sinnlichkeit; sie gehören deswegen auch nicht
der Empfindung an als solcher, insofern diese äußerlich oder inner-
lich bestimmt ist; ich habe diese oder jene Empfindung, es ist etwas
Besonderes, Einzelnes; Raum und Zeit, das Allgemeine darin, *
gehört der Sinnlichkeit a priori, dem Subjektiven an. Diese Beurtei- *
lung nennt er Ästhetik, transzendentale Ästhetik; jetzt heißt Ästhe- *
tik die Kenntnis des Schönen. Hier ist es die Lehre von der An-
schauung nach dem, was das Allgemeine in der Anschauung ist,
d. h. was im Subjekt als solchen liegt, ihm zukommt, d. h. Raum
und Zeit. Ich empfmde etwas Hartes, die Härte ist meine Empfin- 460
dung. Meine Anschauung ist, daß ich etwas Hartes hinaus in den
Raum verlege; nun lege ich aber auch meine Empfindung selbst in
den Raum hinaus; es ist diese Teilung von Subjektivität und Ob-
jektivität, im Raume ist der Inhalt außereinander und außer mir.
Daß es dies ist, ist das Tun der apriorischen Sinnlichkeit. Dieses 465
Hinauswerfen des Bestimmtseins, dieses Inhalts außer mir und von
mir getrennt, ist der Raum. In die Zeit werfe ich es so hinaus, daß
ein anderes an die Stelle tritt.
Das zweite ist der Verstand. Den Verstand nennt Kant die Spon- *
taneität des Denkens. Dieser Ausdruck kommt aus der Leibnizi- *
sehen Philosophie her. Der Verstand ist das tätige Denken, ich *
selbst, diese Tätigkeit, die reine Apperzeption des Selbstbewußt-
seins. Dies bin ich, das ganz leere, abstrakte leere Ich. Das Ap-
perzipie Iren ist das Bestimmen überhaupt; Perzipieren - Perzi- *
pieren, auch ein leibnizischer Ausdruck - heißt mehr empfinden, 475

vorstellen; Apperzipieren ist mehr die Tätigkeit, wodurch etwas in

448-449 der ... angehört so Gr


453 ich ... Empfmdung] so Gr; Lii: ich habe diesen oder jenen Inhalt vor
rmr
456-457 jetzt ... Schönen so Gr
462-463 nun ... hinaus so He
463-464 es ... Objektivität so Gr, ähnlich Lö"
470-471 Dieser ... her. so Gr, ähnlich Lö'
473 Ich] so GrSv; He: Eins Lö: Reine
225-226 Kant, Fichte und Schelling 153

mein Bewußtsein gesetzt wird. Ich bin das Einfache, daher das ganz
Allgemeine, völlig Bestimmungslose, Abstrakte. Sofern ich nun
irgendeinen empirischen Inhalt, Mannigfaltiges in das Ich versetze,
4so apperzipiere, so muß er in dies Einfache hinein; damit er hinein
kann in dies Eine, Einfache, muß er selbst vereinfacht werden; so
wird der Inhalt infiziert gleichsam von der Einheit. Ein Inhalt im
Bewußtsein wird selbst Einer, er wird mein Inhalt; Ich bin Ich, dies
Eine; indem er mein wird, so wird er in die Einheit versetzt, so
* wird er Einer. Diese Einheit des Mannigfaltigen ist gesetzt durch
meine Spontaneität; diese ist das Denken überhaupt, das Synthesie-
ren des Mannigfaltigen. Dies ist ein großes Bewußtsein, eine wich-
tige Erkenntnis. Daß ich das Eine bin, als denkend, tätig, Einheit
setzend, ist indessen bei Kant nicht so genau auseinandergesetzt.
490 Was also das Denken produziert, ist die Einheit; so produziert es
* nur sich selbst, denn es ist das Eine. Die Einheit kann dann auch
Beziehung genannt werden, in Rücksicht auf das Mannigfaltige. Es
gibt nun Arten dieser Einheit; die Beziehungen bestimmen sich
näher, und diese Arten der Beziehungen sind die Kategorien, allge-
* meine Denkbestimmungen. Was es nun für allgemeine Denkbe-
stimmungen gebe, diese nimmt Kant aus der gewöhnlichen Logik
* her, worin die Urteile abgehandelt werden. Verschiedene Arten
von Urteilen stellt er auf als Arten der Beziehung- positives, nega-
tives, unendliches, singuläres etc. Urteil - und zugleich besondere
* Weisen des Beziehens. Sofern nun diese besonderen Weisen des
Beziehens herausgenommen werden, sind dies Kategorien. Diese I
nimmt Kant empirisch auf, wie sie in der Logik zurechtgemacht
worden sind. Er denkt nicht daran, von der Einheit weiterzugehen
zu den Arten, den Bestimmungen der Einheit - aus der Einheit die
* Unterschiede zu entwickeln. Er hat 12 Grundkategorien, die in 4
Arten zerfallen, und zusammengesetzte. 1) Kategorien der Quanti-
* tät, a) Eins, b) Viele und c) Alles (Einheit, Vielheit, Allheit). Dies ist
merkwürdig und ein großes Verdienst von Kant, daß jede Gattung
* wieder eine Dreiheit ausmacht. Die Triplizität, diese alte Form der

487-488 Dies ... Erkenntnis. so Gr, ähnlich Lö'


489 ist ... gesetzt so Gr
508-509 daß ... ausmacht so Gr, ähnlich Lö
154 Neuere Philosophie 226-227

Pythagoräer, Neuplatoniker und der christlichen Religion, kommt 510

hier, wiewohl ganz äußerlich, wieder hervor: Einheit, dann die


Differenz, die Vielheit und das Dritte ist das Irreinssetzen der zwei
Ersteren; die Vielheit als geschlossen ist die Allheit. Die zweite Art *
sind die Kategorien der Qualität, a) Positives, b) Negatives und c)
Limitation, oder die Grenze; diese gilt für positiv und negativ. Die 5t5

dritte Art sind die Kategorien der Relation, des Verhältnisses, a)


Substanz und Akzidenzen, b) Kausalitätsverhältnis, Verhältnis von
Ursache und Wirkung und c) Wechselwirkung. Die vierte Art sind
die Kategorien der Modalität, d. h. der Beziehung der Gegenstände
auf unser Denken. a) Möglichkeit, b) Wirklichkeit und c) Not- 52o

wendigkeit. - Der denkende Verstand ist so also die Quelle der *


Kategorien, der ganz allgemeinen Denkbestimmungen. Diese Kate-
gorien gehören dem Denken an, sind leer, unerfüllt, und damit sie
erfüllt werden, Bedeutung erhalten, dazu gehört der Stoff des
Wahrnehmens, Anschauens, des Gefühls usw.; sie sind die Bezie- 525

hung, das in Einheit Setzen der mannigfaltigen Stoffe des Gefühls,


des Anschauungsstoffs; sie haben nur Bedeutung durch ihre Verbin-
dung mit diesem Stoff des Anschauens.
Diese Verbindung der Kategorien und der Stoffe der Wahrneh- *
mung ist nach Kant die Erfahrung. Dies ist ganz richtig. In I der 53o

Erfahrung wird wahrgenommen, es ist darin Stoff, der dem Gefühl,


der Anschauung angehört. Dieser Stoff wird aber nicht bloß nach
seiner Einzelheit, Unmittelbarkeit, aufgenommen, sondern er wird
in Verbindung gesetzt eben mit jenen Kategorien z. B. Ursache und
Wirkung, kurz mit dem, was wir Naturgesetze nennen - allge- 535

meine Bestimmungen, Gattungen, es sind nicht unmittelbare Wahr-


nehmungen. Man nimmt nicht die Gesetze des Himmels unmittel-
bar wahr, sondern nur die Veränderung des Ortes der Gestirne -
daß, wenn das eine ist, auch das andere ist, daß ein Stern von dem
anderen soweit entfernt ist und wieder in diese Stellung 540

513 die 1 ... Allheit so Gr


515 diese ... negativ so Gr, ähnlich Lii
521-522 Der ... Denkbestimmungen. so Gr
534 mit jenen] so He; Lö: mit den Gr: durch die SV: durch
535 mit ... nennen] so He, ähnlich Lii; GrSv: durch Naturgesetze
536-542 Gattungen ... Erfahrung so Gr mit Lö
227-228 Kant, Fichte und Schelling 155

zurückkehrt. Aber das so Wahrgenommene festgehalten, unter


Kategorien gebracht, ist Erfahrung. In der Erfahrung sind so allge-
meine Gedankenbestimmungen darin. Was Erfahrung ist, soll
allgemein, zu allen Zeiten gelten.
* Nach Kant sind nun in der Erfahrung zwei Bestandstücke, einer-
seits das Empirische, die Wahrnehmung, andererseits das zweite
Moment, die Kategorie, Ursache und Wirkung, Substanz und
Akzidenz, Gattung, Allgemeines. Ist [die] Ursache bestimmt, so
muß auch die Wirkung notwendig dasein. Das ist eine ganz richtige
550 Analyse. In der Erfahrung fmden wir diese beiden Bestimmungen
* vor. Kant knüpft daran den Satz, daß diese Erfahrung nur Erschei-
nungen enthält und daß wir durch diese Erkenntnis, die wir durch
Erfahrung haben, nicht die Dinge erkennen, wie sie an sich sind.
* Die Wahrnehmung in der Erfahrung nennt Kant das Subjektive,
555 die Sphäre des Zufälligen; die Kategorie dagegen, durch welche
dieser Stoff in Beziehung gesetzt wird, die Einheit, die das Denken
hineinbringt, ist das Objektive an der Erfahrung. Das Objektive
heißt hier das Gesetz, das Allgemeine, was dem Denken angehört.
Auf der anderen Seite ist der Stoff der Erfahrung etwas Subjektives
560 überhaupt, d. h. er ist nur so, wie er in meiner Empfindung ist.
Daß ich etwas sehe, höre usf. ist die Rezeptivität meines Organs.
Ich weiß nur von der Empfmdung, nicht von der Sache, dies ist
* ohnehin subjektiv; aber das Objektive, was Kant die Kategorie
nennt, ist der Gegensatz zwar zu dem Subjektiven, aber ist ebenso
565 ein Subjektives, in dem Sinne, daß es zwar nicht meinem Gefühl
angehört, aber dem reinen Ich meines Selbstbewußt Iseins, dem

546 die Wahrnehmung] so GrPi; He: das Gefühl, die Anschauung Lö": die
Wahrnehmung der einzelnen Erscheinungen. Man nennt dies auch oft Erfah-
rung.
554 Die ... Kant] so Gr; Sv: Die Erfahrung, Anschauung nennt Kant Lö:
In der Erfahrung haben wir Gefühle, Anschauung. Dies ist, fährt Kant fort,
555 die1 ... Zufälligen so Lö, ähnlich Gr
559 der Erfahrung] so PiLö; Gr: des Gebiets der Anschauung He: der
Anschauung Sv: und das Gefühl
562-563 nicht ... subjektiv so Gr
565-566 zwar ... aber so Gr
566-567 dem1 ... Verstandes] so Gr, ähnlich Lö"; Sv: dem Selbstbewußt-
156 Neuere Philosophie 228

Gebiet des denkenden Verstandes. Ich habe einerseits Gefühlsinhalt,


andererseits bin ich tätig dagegen, lasse ihn nicht in seiner zufälligen
Bestimmung, mache ihn allgemein, aber dies ist auch subjektiv.
Also erkennen wir auf diese Weise die Sache nicht an ihr selbst, 570

sondern auf einer Seite haben wir nur Gefühlsbestimmungen, die


mit unseren Organen zusammenhängen, auf der anderen Denkbe-
stimmungen, d. h. bestimmte Weisen der Tätigkeit, die ich bin. So *
sind es nur Erscheinungen, die wir erkennen und bestimmen. - Dies
ist der Hauptsatz Kants. 575

Johann Gottlieb Fichte

Das Verhältnis der Fichtischen Philosophie hierzu ist folgendes:


Diese ist als eine konsequentere Darstellung und Ausführung der
Kantischen Philosophie zu betrachten; seine ersten Schriften sind
ganz kantisch. Fichte fängt an von dem, was wir soeben gehabt *
haben, von dem Ich, von der transzendentalen Einheit des Selbst-
bewußtseins; darin bin ich Eins; dies Ich, diese Einheit ist bei Fichte
dieselbe und das Erste. Das Ich gibt Kant auch an als die Quelle der *
Kategorien. Dieses Ich ist das Gewisse, das Cogito des Cartesius, die *

sein, dem denkenden Verstand Pi: meinem Denken He: im reinen Kreise
des denkenden Bewußtseins
567-569 Ich ... subjektiv.) so Gr, ähnlich Lö; Sv: Das Objektive in der
Erfahrung ist auch meine Tätigkeit.
571-572 die ... zusammenhängen so Gr
577 Das) Gr: Geboren zu Rammenau bei Bischofswerda 1762, studierte
in Jena, Leipzig und Wittenberg, wurde 1793 Professor der Philosophie zu
Jena, welche Stelle er im Jahre 1800 jedoch wegen einer Unannehmlichkeit,
die ihm seine Schrift Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche
Weltregierung zugezogen hatte, niederlegte; er privatisierte einige Zeit in
Berlin, wurde 1805 Professor in Erlangen und 1809 in Berlin, wo er den 29.
Januar 1814 starb. Das
580 Fichte fängt) so PiHcSv; Gr, ähnlich Lö: Wo Fichte in seiner Darstel-
lung die höchste Bestimmtheit erlangt hat, fängt er
580-581 von ... haben so Gr
582-583 darin ... Erste) so Gr; Sv: oder vom Ich
584 das2 ... Cartesius so Gr, ähnlich Lö
228-229 Kant, Fichte und SeheHing 157

sas Gewißheit meiner selbst; diese Gewißheit ist die Beziehung meiner
auf mich selbst; das weiß ich, was in mir gesetzt ist, und dieses
reine abstrakte Wissen ist I Ich selbst. Der Anfang ist also wie bei
* Kant. Kant nimmt die Denkbestimmungen, die Kategorien em-
pirisch auf aus der Logik, wie sie dort bearbeitet sind, wie die
590 allgemeinen Formen sich vorfinden in den Urteilen. Dies ist ein
empirisches, philosophisch unberechtigtes Verfahren. Fichte ist
* weitergegangen, und dies ist sein großes Verdienst, daß er gefordert
und zu vollbringen gesucht hat die Ableitung, Konstruktion der
Denkbestimmungen aus dem Ich, und sie auch geleistet hat zum
* Teil. Ich ist tätig, bestimmend, bringt seine Bestimmungen hervor.
Welches sind die Bestimmungen, die es hervorbringt, und was ist
* ihre Notwendigkeit 1 Ich ist Bewußtsein, aber diese Notwendigkeit
dieser Tätigkeit, daß ich Bestimmungen wie z. B. Ursache und
Wirkung hervorbringe, geht jenseits meines Bewußtseins vor; ich
6oo tue es, aber diese Kategorie, die Verknüpfung von Ursache und
Wirkung bringe ich instinktmäßig hervor, ohne daß ich es weiß.
* Die Philosophie bestimmt er nun als das künstliche Bewußtsein, als
das Bewußtsein über das Bewußtsein, so daß ich Bewußtsein habe
* von dem, was mein Bewußtsein tut. Man hat dagegen gesagt, man
605 könne nicht hinter das Bewußtsein, wie dieses dazu gekommen ist,
kommen. »Ich habe das Bewußtsein« heißt: Ich finde, daß mein
Bewußtsein dies getan hat, aber wie das Bewußtsein seine Opera-
tionen gemacht hat, wie ich zu diesem Wissen kommen soll, darin
hat man Schwierigkeiten gesucht. Aber wenn ich philosophiere,
610 wenn ich weiß, was mein Ich tut, so habe ich ein Bewußtsein; ich
komme hinter mein gewöhnliches Bewußtsein - aber nicht über

588 Denkbestimmungen] so Sv; Gr: Bestimmungen des reinen Ich He:


Bestimmungen Lö: Denkbestimmungen des Ich
589-590 wie2 ... Urteilen so Lö
594-595 und ... Teil so Ui
596-597 und ... Notwendigkeit so Lii
598-599 daß ... hervorbringe so Gr
602 künstliche] so GrLii; Sv: kunstmäßig
606-607 »Ich ... hat so Lö, ähnlich Gr
608-609 wie ... gesucht so Lö, ähnlich Gr
611-613 aber ... dumpf so Lii
158 Neuere Philosophie 229-230

dieses hinaus. Wenn ich schlafe, bin ich über das Bewußtsein hin-
aus, dann bin ich dumpf; wenn ich philosophiere, so bin ich Be-
wußtsein und bin als Bewußtsein Gegenstand; mein gewöhnliches
Bewußtsein kann ich mir zum Gegenstand machen. Dies tut das 615

gewöhnliche Bewußtsein nicht; es beschäftigt sich nur mit anderen


Gegenständen, Interessen usw., macht sich nicht sein eigenes Be-
wußtsein zum Gegenstand. Philosophieren wir z. B. über Sein,
Ursache, Wirkung usw., so machen wir Sein, Ursache und Wir-
kung zu unserem Bewußt !sein. Wenn ich sage, das Papier ist weiß, 620
so behaupte ich damit, daß das Papier weiß ist. Wenn ich aber
behaupte, daß es ist, so mache ich das Sein- eine reine Kategorie-
zu meinem Bewußtsein, so mache ich mein Bewußtsein zum Be-
wußtsein und stehe so hinter meinem gewöhnlichen Bewußtsein.
Ich bin immer im Wissen, und dieses Wissen mache ich mir in 625
jenem Fall zum Gegenstand. Insofern wissen wir unser Wissen, und
es hat dies keine Schwierigkeit. Fichte hat so das Wissen des Wis-
sens erst zum Bewußtsein gebracht. Das Weitere ist, daß also Fichte
das philosophische Bewußtsein, den Zweck der Philosophie darein
gesetzt hat, das Wissen zu wissen. Er hat daher seine Philosophie *
Wissenschaftslehre genannt oder das Wissen von dem Wissen. Das
Wissen ist hier die Tätigkeit, das Wissen in den Kategorien. Fichte
hat die Kategorien konstruiert.
Das Nähere ist: Ich ist das Erste. Ich gleich Ich, Ich ist einfach, es *
ist nichts anderes als ein Beziehen des Ich auf Ich, Ich weiß von mir. 635

Sofern ich Bewußtsein bin, weiß ich von einem Gegenstand. Wenn
ich sage: ich schaue etwas an, so habe ich eine Vorstellung davon,
d. h. dieser Inhalt ist auch meiner; in diesem Gegenstand bin auch
ich. Ich = Ich ist die Identität überhaupt, in abstrakter Form. Ich ist
eine Beziehung seiner auf sich selbst; zur Beziehung gehören zwei, 6.a

618-620 Philosophieren ... Bewußtsein. so Gr mit Lö


621-624 so 0 0Bewußtsein] so Gr mit Lö; Sv: Das gewöhnliche Bewußt-
0

sein faßt die Beziehung >weiß< und >Papier< auf, aber das >es ist< nicht
627-630 Fichte . 0. wissen.] so Gr, ähnlich Lö; Sv: Das philosophische
Bewußtsein hat das Wissen des Wissens zum Gegenstande
632 in den Kategorien] Gr: der Kategorien Lii: in der Kategorie Sv: aus
den Kategorien
639-641 Ich3 . sind so Gr mit Lö
0 0
230-231 Kant, Fichte und SeheHing 159

die aber hier dasselbe sind. - Das ist der erste Satz, die erste Bestim-
mung der Fichtischen Philosophie.
* Der zweite Satz ist: Ich setze mir ein Nicht-Ich, ein Objekt
entgegen; Ich setze mich als nicht gesetzt. Dies Nicht-Ich ist das
645 Objekt überhaupt, das Negative meiner. >Nicht-Ich< ist ein guter
Ausdruck, obschon er beim ersten Blick etwas bizarr vorkommen
mag; man hat vieles an dem Ich und Nicht-Ich lächerlich finden
wollen; es ist ein neues Wort, und darum kommt es um Deutschen
gleich kurios vor; der Ausdruck aber ist richtig. Ähnlich sagen die
650 Franzosen moi et non moi, ohne zu lachen. Nicht-Ich ist das An-
dere meiner; der Gegenstand, was gegen mich ist, was nicht Ich ist,
* ist das Nicht-Ich. Dieser zweite Satz heißt also: Das Ich setzt sich als
* begrenzt, als Nicht-Ich. Dieser zweite Satz, sagt Fichte, ist ebemo
absolut wie der erste, wenn er auch nach einer Seite hin bedingt ist
655 durch den ersten, nämlich, daß das Nicht-Ich in das Ich aufgenom-
men ist, ich es mir entgegensetze, es ein anderes meiner ist, aber das
Negative darin ist etwas Absolutes.
* Der I dritte Satz ist die Bestimmung dieser beiden Sätze durch-
einander, daß ich setze das Nicht-Ich als mich begrenzend, oder
660 auch mich als das Nicht-Ich begrenzend, einschränkend, daß es nur
Gegenstand ist. Stets bin Ich in meiner Beziehung auf das Nicht-Ich
gesetzt. Wenn ich begrenzt werde vom Nicht-Ich, so werde ich als
* Passives gesetzt. Der eine dieser Sätze ist der Satz des Theoretischen,
der Intelligenz, der andere der Satz des Praktischen, des Willens.
665 Nämlich insofern ich mir meiner bewußt bin als den Gegemtand

644 als] so GrPiHc; Sv: als begrenzt, als


648-649 es1 ... vor so Gr
649-650 Ähnlich ... moi2] so Pi mit Gr, ähnlich Sv; Lö: Die Franzosen sind
darin weit vernünftiger als die Deutschen: Sie sprechen ganz unbefangen von
moi et non moi, sie finden darin ausgedrückt, was ausgedrückt sein soll. Es
ist eine Unart von uns, etwas deshalb für schlecht zu fmden, weil es passend,
aber ungewöhnlich ausgedrückt ist.
659 begrenzend] so HcLö; Pi: Begrenztes Gr: begrenzend, die synthetische
Tätigkeit
662-663 Wenn ... gesetzt.] so He mit Gr; Lii, ähnlich Gr: Entweder werde
ich begrenzt oder ich setze mich als das begrenzende, einschränkende Ich; so
bin ich Aktivität, Tätigkeit, und das Nicht-Ich wird beschränkt von mir
160 Neuere Philosophie 231-232

bestimmend, so mache ich mich tätig in bezug auf einen Gegen-


stand, das Nicht-Ich, und weiß dies. Der theoretische Satz ist, daß
ich mir Gegenstand bin, so daß ich vom Nicht-Ich begrenzt werde.
In der Anschauung sagen wir: Ich habe einen Gegenstand vor mir,
der Gegenstand beherrscht mich; zwischen beiden ist ein Verhältnis, 670

sie begrenzen einander ; einmal beherrsche ich die Sache, das andere
Mal bin ich ein Passives, werde ich begrenzt von dem Nicht-Ich.
Das Letzte ist das Theoretische: eben daß ich, indem ich anschaue,
dies zum Inhalt erhalte, dies mich bestimmt. Die Vorstellung
kommt vom Inhalt her; ich habe diesen Inhalt in mir, eben den 675

Inhalt, der außer mir ist. Dies ist im ganzen ebenso wie bei der
Kantischen Erfahrung, Ich und ein Stoff, Inhalt; so ist hier ein
Nicht-Ich, wodurch das Ich bestimmt wird. Das Ich verhält sich
ebenso bestimmend (tätig, denkend) als bestimmt. Im theoretischen
Bewußtsein weiß ich, daß ich vom Nicht-Ich, vom Gegenstand 68o
bestimmt werde; im gewöhnlichen Bewußtsein weiß ich aber nicht,
daß ich mich darin auch tätig, bestimmend verhalte; dies weiß nur
das philosophische Bewußtsein.
Diese Tätigkeit ist nun die Kategorie, und näher sucht Fichte nun *
die besonderen Kategorien in ihrer Notwendigkeit daraus abzulei- 685

ten. Das ist das Große in der Fichtischen Philosophie. Woran seit
Aristoteles kein Mensch gedacht hat: die Denkbestimmungen in
ihrer Notwendigkeit, ihrer Ableitung, ihrer I Konstruktion aufzu-
zeigen, dies hat Fichte versucht. Aber wir sehen, daß seine Darstel-
lung von Haus aus behaftet ist mit einem Gegensatz - wie bei Kant 690

Ich und die Vorstellung, und dann die Dinge an sich, hier bei
Fichte das Ich und das Nicht-Ich.
Ich soll nun das Ideal-Prinzip und das Nicht-Ich das Real-Prinzip *
sein, worüber Herr Krug viel geschwatzt hat, wie es denn damals in *
Deutschland viele Philosophen gegeben hat, wie Krug, Fries, 695

Bouterwek, Schulze usw., die nichts getan haben, als ihre etwaigen
Gedanken aufgeschnappt von diesen beiden, Kant und Fichte, oder
von Schelling, und doch polemisieren sie gegen dieselben, obwohl
sie ihre Gedanken daraus genommen haben, wenn anders Gedanken

677 Ich ... Inhalt so Gr


682-683 dies ... Bewußtsein so Gr
232-233 Kant, Fichte und Schelling 161

100 darin sind. Wir beschäftigen uns daher mit diesen Philosophien
nicht. Sie bringen nur Modifikatiönchen, Verbesserungen an, und
diese sind größtenteils nichts anderes, als daß die großen Prinzipien
düdtig, kahl gemacht worden sind, daß gerade der lebendige Ein-
heitspunkt getötet worden ist, oder es sind untergeordnete Formen
705 gebraucht worden, wodurch dann ein anderes Prinzip aufgestellt
werden soll, aber näher betrachtet bleiben es die Prinzipien einer
jener Philosophien. Wir können uns also trösten, wenn von allen
diesen Philosophien weiter nicht die Rede sein kann; wir würden
lauter Diebstähle zu erzählen haben. Die Modifikationen der For-
7tO men sind entweder der Schein einer Veränderung oder vielmehr
eine Verschlechterung der Prinzipienjener Philosophien.
* Bei Fichte ist das Idealprinzip, daß Ich das Bestimmende, Setzen-
de bin. Darin ist aber auch ein Negatives enthalten: Ich finde mich
bestimmt. Ich ist nur sich selbst gleich, das heißt, es ist unendlich;
715 Unendlichkeit im Denken heißt nur: bei sich selbst sein, nicht zu
einem Anderen, zu einer Grenze sich verhalten. Die Schranken der
menschlichen Vernunft sind eine leere I Redensart. Daß die Ver-
nunft des Subjekts beschränkt und abhängig ist, das ist natürlich
und durch die Natur des Menschen selbst bestimmt; das Denken ist
120 unabhängig. Der Ort, wo der Mensch unendlich ist, ist eben im
Denken. Daß außerdem der Mensch auch abhängig und endlich ist,
versteht sich von selbst, aber wir müssen nicht in die Vernunft, in
das Denken diese Abhängigkeit hinübertragen wollen. Die Unend-
lichkeit kann denn auch sehr abstrakt sein, und so ist sie auch
725 wieder endlich, aber dessen ungeachtet bleibt die Unendlichkeit in
sich selbst.
* Bei Fichte ist das Ich unendlich, ist denkend. Aber dieses Ich
findet sich mit einem Nicht-Ich; dies ist ein absoluter Widerspruch:
Das Ich, das schlechthin bei sich selbst sein soll, soll nun bei Ande-
730 rem sein - das Ich, welches bestimmt ist, schlechthin frei zu sein.
Die Auflösung desselben hat bei Fichte die Stellung, daß sie nur
eine geforderte Auflösung ist, und bleibt eine solche, daß ich die

705-707 wodurch ... Philosophien so Gr, ähnlich Lö


720-721 Der ... Denken. so Gr
721-723 Daß ... wollen. so Lö
162 Neuere Philosophie 233-234

Schranke immerfort aufheben kann, daß aber doch immer eine


Grenze bleibt, über die Ich wieder hinausgehen kann und so fort ins
Unendliche, d. h. in die schlechte Unendlichkeit, aber nach dieser 735

Auflösung wieder eine neue Grenze, ein Nicht-Ich finde. Mit dem
Aufheben einer Grenze zeigt sich immer eine neue; es ist eine
fortgesetzte Abwechslung von Negation und Affirmation, eine
Identität mit sich, die wieder in die Negation verfällt und daraus
immer wieder hergestellt wird. Dies ist der Standpunkt der Fichti- 740

sehen Philosophie in Rücksicht des Theoretischen.

Was den Fortgang der Kantischen Darstellung betrifft, so stellt er


als das dritte auf die Vernunft. Das zweite war der Verstand, das
denkende Bestimmen; die Vernunft ist das Denken, insofern es das
Unendliche, das Unbedingte zu seinem Gegenstand macht. Dies *
Unendliche, Unbedingte nennt Kant Idee. Seit dieser Zeit erst ist es
ein philosophischer Sprachgebrauch geworden, Vernunft und Ver-
stand zu unterscheiden. Dieser Unterschied ist notwendig. Bei den
älteren Philosophen ist dieser Unterschied dagegen noch nicht so
vorhanden. Dort haben wir also auch die Ausdrücke promiscue 750
gebraucht. Sofern bestimmt gesprochen wird, muß dieser Unter-
schied beobachtet werden. Der Verstand ist das Denken in end-
lichen I Verhältnissen, die Vemunft - nach Kant - das Denken, was
das Unbedingte, Unendliche zum Gegenstand hat, und dies Unbe-
dingte nennt er Idee, welchen Ausdruck er von Plato entlehnt. Die *
Idee ist freilich das Unbedingte, nur muß dies als konkret gefaßt
werden. Jetzt tritt die Hauptschwierigkeit ein. Die Vernunft hat das
Bedürfnis, das Unendliche, das Unbedingte zu erkennen, das heißt,
es zu bestimmen, die Bestimmungen desselben zu finden und abzu-
leiten. Das Unbedingte soll also erkannt werden. Man spricht viel 760
von Denken, von Wissen und von Erkennen, und dennoch wird
nie gesagt, was dies Wissen, Denken und Erkennen sei. Aber in der
Philosophie ist es eben darum zu tun, daß das, was als bekannt
vorausgesetzt wird, erkannt wird. Es handelt sich also hier darum, · ' , ', , I

748-750 Bei ... vorhanden. so Gr mit Lii


750-752 Dort ... werden. so Lö
764-766 Es ... Vernunft. so Gr mit Lö'
234-235 Kant, Fichte und Schelling 163

765 daß das Unbedingte erkannt werde. Dies ist der Gegenstand der
Vernunft. Die Vernunft hat das Unendliche zum Gegenstand und
hat den Trieb, das Unendliche zu erkennen. Dies aber vermag sie
* nicht, und der Grund, den Kant angibt, ist einerseits dieser, daß das
Unendliche nicht in der Erfahrung gegeben ist, daß es keine dem
110 Unendlichen entsprechende Anschauung gibt, daß es nicht in der
äußerlichen oder inneren Erfahrung gegeben ist. Dies ist nun aller-
dings zuzugeben; das Unendliche ist nicht in der Welt, in der
sinnlichen Wahrnehmung gegeben. Wenn vorausgesetzt ist, tmser
Wissen sei Erfahrung, ein Synthesieren von Gedanken und Gefühls-
775 stoffen, so kann allerdings das Unendliche nicht erkannt werden in
dem Sinn, daß man eine sinnliche Wahrnehmung davon hat. Aber
man wird auch für die Bewahrheitung des Unendlichen nicht eine
sinnliche Wahrnehmung fordern wollen, denn das Unendliche ist
nur für den Geist vorhanden, da es wesentlich geistig ist.
780 Die zweite Seite ist, wenn das Unendliche erkannt werden soll,
so muß es bestimmt werden. Dazu haben wir nichts als die Formen
des Denkens, die wir Kategorien nennen. Diese geben das, was
Kant ob jjektive Bestimmungen nennt, aber so, daß sie an sich doch
* wieder nur ein Subjektives sind. Wenn wir aber diese Kategorien
785 zum Bestimmen des Unendlichen gebrauchen wollen, so ver-
wickeln wir uns in falsche Schlüsse und Widersprüche (Antino-
mien), und es ist dies eine wichtige Seite der Kautischen Philoso-
phie, die Bestimmung, daß das Unendliche, soweit es durch Kate-
* gorien bestimmt wird, sich in Widersprüchen verliert; diese Wider-
790 sprüche, sagt er, sind notwendig, und die Vernunft wird darin
* transzendent. Der Gegenstand z. B. wäre die Welt; es soll erkannt
werden, ob die Welt einen Anfang und ein Ende hat oder nicht, ob
sie begrenzt ist in Raum und Zeit; die Welt aber ist dies Univer-
sum, das Ganze, so ist sie ein Allgemeines, eine Idee, und diese
795 könnte als begrenzt oder unbegrenzt bestimmt werden. Wendet
man nun diese Kategorien darauf an, so verfällt man in Wider-
sprüche. Man kann beides behaupten. Das eine ist notwendig und
ebenso das andere. So verfällt die Vernunft in Widerspruch. Die

770-771 daß ... ist so Gr


164 Neuere Philosophie 235-236

Notwendigkeit des Widerspruchs ist die interessante Seite, die Kant


zum Bewußtsein gebracht hat. Man hatte sich vorgestellt nach der 800

gewöhnlichen Metaphysik, das eine müsse gelten und das andere


widerlegt werden; die Notwendigkeit aber, daß solche Wider-
sprüche stattfinden, ist gerade das Interessante in der Kautischen
Betrachtung.
Kant kommt dann auch auf die Idee Gottes; er sagt, Gott ist das *
allerrealste Wesen, die Wolffische Definition; da handelt es sich
denn darum, zu beweisen, daß Gott nicht bloß ein Gedanke ist,
sondern daß er ist, Existenz, Wirklichkeit, Sein hat. Das nennt nun *
Kant das Ideal zum Unterschied von der Idee; das Ideal ist die Idee
als seiend. So nennen wir in der Kunst Ideal die Idee, die realisiert 810

ist auf sinnliche Weise; bei Gott die allgemeine Idee, die ist. Die
Bestimmung, an der Kant festhält, ist die: Aus dem Begriff kann *
nicht das Sein herausgeklaubt werden. Hiervon ist die Folge, daß
die Vernunft es ist, die Gedanken des Unendlichen, Unbestimmten
zu haben, aber daß I von dieser Idee getrennt ist die Bestimmung 815

überhaupt und näher die Bestimmung, die Sein heißt.


Die Ideen zeigen sich nicht in der Erfahrung; die Ideen der Ver-
nunft also beglaubigen sich nicht durch sie; werden die Ideen bloß
durch Kategorien bestimmt, so entstehen Widersprüche. Soll die
Idee überhaupt nur als seiend erwiesen werden, so ist sie nur sub- 820

jektiv, Begriff, und davon ist immer unterschieden das Sein des
Existierenden, das Objektive. Es bleibt also der Vernunft nichts *
weiter übrig als die Form ihrer Einheit oder Identität von der Idee,
und diese reicht zu nichts, als die mannigfaltigen Verstandesgesetze
und Verstandesverhältnisse zu systematisieren. Die Vernunft ordnet 825

die Klassen, Gattungen, Arten, ebenso die Gesetze des Geistes, der
Natur usf. [und) sucht sie in Einheit zu bringen. Das ist die theore-
tische Vernunft bei Kant. Nach dieser Seite schließt sich unmittelbar
an Kant an die Jacobische Philosophie.
236--237 Kant, Fichte und SeheHing 165

830 Friedrich Heinrich Jacobi

* Friedrich Heinrich Jacobi ist ein geistreicher, sehr edler, wissen-


schaftlich tief gebildeter Mann, der lange in Geschäften des Staats
gelebt hat und sehr vertraut war mit der französischen Philosophie.
Zufällig ist er in Streitigkeiten mit Mendelssohn gekommen wegen
835 einer Lebensbeschreibung Lessings, die Mendelssohn machen wollte.
Jacobi behauptete, daß Lessing ein Spinozist gewesen sei. Diejeni-
gen, welche sich für Männer vom Fach hielten, für Männer vom
Fach der Philosophie und vom Monopol der Freundschaft Lessings,
wie Mendelssohn, Nicolai usw., traten mit Jacobi also in Kampf.
840 Jacobi I zeigte im Briefwechsel eine tiefe Kenntnis des Spinozismus
und daß Mendelssohn sogar völlig unwissend in diesem System sei.
Bei dieser Gelegenheit kam es zu Erklärungen, die Jacobi veran-
laßten, seine philosophischen Ansichten näher zu entwickeln und
darzustellen, vorzüglich über das Erkennen.
845 Bei Kant und Fichte sind die Lebensumstände fortgelassen wor-
den, wir holen sie hier kurz nach: Kant ist 1724 in Königsberg
geboren, und starb den 12. Februar 1804. Fichte ist den 19. Mai
* 1762 in Rammenau geboren und starb [den] 19. März 1814 in
Berlin. Jacobi ist 1743 zu Düsseldorf geboren. Er hat in kamerali-
850 stischen Staatsdiensten gestanden, zuletzt ist er Präsident der Aka-
demie in München gewesen. Er privatisierte nach Niederlegen
* seines Postens und starb den 16. März 1819.
* Jacobi sagt über das Erkennen: Wir begreifen eine Sache, wenn
wir sie aus ihrer nächsten Ursache herleiten können, nicht aus einer
855 entfernten; die entfernteste ist immer Gott, welchen wir dabei nicht
ins Spiel bringen; das wäre oberflächlich. Die nächste, ganz be-
stimmte Ursache aber müssen wir haben, um die Sache davon

830 Jacobi) Gr: Jacobi. Geboren 1743 in Düsseldorf, stand in bergischen


und nachmals in bayerischen Staatsdiensten; 1804 wurde er Präsident der
Akademie der Wissenschaften zu München, welche Stelle er jedoch 1812
niederlegte und den 16. März 1819 daselbst verstarb.
840-841 Jacobi ... sei.) so He mit Pi, ähnlich Sv; Gr: es zeigte sich bei
ihnen nicht nur Flachheit der philosophischen Einsicht, sondern sogar Un-
wissenheit.
851-852 Er ... Postens so Lö
166 Neuere Philosophie 237-238

herzuleiten. Wir erkennen die Sache, wenn wir ihre unmittelbaren


Bedingungen der Reihe nach einsehen. Den Zirkel begreifen wir,
wenn wir die Bedingungen seiner Entstehung einsehen. Diese 860
Einsicht muß deutlich sein. Das ist nun das Erkennen überhaupt,
nämlich von etwas Bestimmtem seine Bedingungen erkennen, es
dadurch als etwas Bedingtes, als etwas von Anderem Bewirktes,
von einer Ursache Hervorgebrachtes einsehen.
Damit hängt zusammen seine Ansicht über das Unternehmen, das *
Unbedingte erkennen zu wollen. Vorstellungen des Bedingten und
Unbedingten sind im Menschen, beide sind unzertrennlich mitein-
ander verknüpft (identisch), doch so, daß die Vorstellung des Be-
dingten die Vorstellung des Unbedingten voraussetzt und die Vor-
stellung des ersteren nur gegeben werden kann durch die Vorstel- 870
lung des letzteren. Unser bedingtes Dasein und Erkennen beruht
nun auf einer unendlichen Menge von Vermittlungen, unsere
Nachforschungen haben ein unendliches Feld vor sich, [wo wir] von
Bedingungen zu Bedingungen aufsteigen müssen. Aber das Unbe-
dingte erketmen hieße: unbedingte Bedingungen entdecken wollen 875
oder dem Unbedingten Bedingungen geben wollen, dem Unbe-
greiflichen ein uns begreifliches, d. h. ein bloß natürliches Dasein
ausmachen zu wollen, denn alles, was für uns begreißich sein soll,
muß auf eine bedingte Weise entstanden sein. So lange wir begrei-
fen, haben wir eine Kette von bedingten Bedingungen; wenn diese sso
Kette aufhört, so hört unser Begreifen auf und der Zusammenhang,
den wir Natur nennen, und da können wir nicht mehr erkennen.
Außerdem müßten wir [den] Begriff des Unbedingten haben. I
Wenn nun das Unbedingte begriffen werden sollte, so müßte es
aufhören, unbedingt zu sein, denn es müßte Bedingungen be- 8&s
kommen.

860 die Bedingungen] so GrHcLrJ; Pi: genau den Mechanismus


873-874 von ... müssen] Gr: von Bedingungen zu Bedingungen vor sich
Sv: von Bedingungen, wodurch wir aufsteigen müssen
883 Außerdem ... haben.] so Pi; Lö: Die Möglichkeit des Daseins der
Natur selbst wäre der Begriff des Unbedingten selbst, insofern dies nicht die
natürliche Voraussetzung, die unbedingte Bedingung der Natur ist.
238 Kant, Fichte und SeheHing 167

* Dies ist nun der Gedanke Jacobis; da nun alles, was außer der
Sphäre des Zusammenhangs des Bedingten liegt, außer unserer
deutlichen Erkenntnis ist, so kann die Erkenntnis desselben durch
890 den Begriff nicht gefordert werden. Das Übernatürliche kann also
auf keine andere Weise von uns angenommen werden als auf un-
vermittelte Weise; es kann nur angenommen werden als eine
Tatsache; es ist, ist dies Unvermittelte, und dies unendliche Wesen,
was ist, nennen alle Zungen Gott. Begreifen heißt, Bedingungen
895 des Bedingten erkennen. Das Übernatürliche ist gerade das, was
keine Bedingungen hat, nicht begriffen werden kann, ist nur als
Tatsache für uns, ist für uns nur auf eine unmittelbare, nicht ver-
mittelte Weise.
Der Unterschied von Kants und Jacobis Ansicht ist der, daß bei
900 Kant die Kategorien nichts taugen; [sie betreffen nur] endliche
beschränkte Verhältnisse. Bei ihm ist das Erkennen nur ein Erken-
nen der Erscheinungen, nicht dessen, was an sich ist, und dies ge-
schieht, weil die Kategorien nur subjektiv sind - nicht des Inhalts
wegen, weil sie beschränkt, endlich sind, sondern die Hauptsache ist
905 immer, daß sie subjektiv sind, wenngleich sie das Objektive in der
Erfahrung ausmachen. Bei Jacobi ist dagegen die Hauptsache, daß
die Kategorien nicht nur subjektiv sind, sondern daß sie nur Be-
dingungen sind und bedingte Bedingungen, und Begreifen heißt
also, den Zusammenhang durch Kategorien setzen, d. h. durch
91o bedingte Bedingungen. Dies ist ein wesentlicher Unterschied, aber
* im Resultat kommen beide miteinander überein. Das unmittelbare
* Wissen hat nun Jacobi Glauben genannt, und wir werden weiterhin
davon sprechen.

Das erste in der Kantischen Philosophie war die Intelligenz, das


915 Theoretische; das zweite ist das Praktische, der Wille, das, was das
* Prinzip des Willens ist. Den Willen teilt Kant in niederes und höhe-
res Begehrungsvermögen; dieser Ausdruck ist schlecht. Das niedere

887-890 Dies ... werden. so Gr, ähnlich Lö


894-895 Begreifen ... erkennen. so Lii
912-915 und ... Theoretische so Gr
917 schlecht] so Lö; Gr: nicht ungeschickt
168 Neuere Philosophie 238-239

Begehrungsvermögen sind die Begierden, Neigungen usw. Das


höhere ist der Wille als solcher, der nicht äußerlliche, einzelne
Zwecke hat, sondern allgemeine Zwecke ; er ist daher ein höheres 920

Seelenvermögen. Die Frage ist nun, was ist das Prinzip des Willens,
was soll den Menschen bestimmen in seinen Handlungen 1 Im allge-
meinen hat man Wohlwollen, Geselligkeit, überhaupt die Glück-
seligkeit als Prinzip genommen. Kant sagt nun, solche Bestimmun- *
gen, die aus unseren Neigungen genommen sind, sind heterogene 925

Prinzipien für unseren Willen, oder der Wille ist heteronomisch,


wenn er solche zu seinem Zweck und seiner Bestimmung macht; er
nimmt sein Gesetz von etwas anderem her. Der Wille aber ist, frei zu
sein, sich selbst zu bestimmen, er ist selbständig, absolute Spontanei-
tät, autonomisch. Er kann nur zu seinem Zweck seine Freiheit haben. 930

Dies ist eine große, wichtige Bestimmung der Kantischen Philoso-


phie. Indem der Mensch sucht nach diesem und jenem Zweck für
sich und sein Handeln, wie er die Welt, die Geschichte beurteilen
soll, was soll er da für den Willen als letzten Zweck annehmen 1 Aber *
für den Willen ist kein anderer Zweck als der aus ihm selbst ge- 935

schöpfte, der Zweck seiner Freiheit. Es ist dies ein großer Fortschritt,
daß dies Prinzip aufgestellt ist, daß die Freiheit des Menschen die
letzte Angel ist, auf der der Mensch sich dreht, die letzte, absolut
feste Spitze ist, welche auf sich nicht einwirken läßt, so daß der
Mensch nichts, keine Autorität, welche Form es sei, gelten läßt, 940

wenn sie gegen seine Freiheit geht. Dies große Prinzip hat der Kanti-
schen Philosophie wenigstens von einer Seite die große Ausbreitung,
Zuneigung gewonnen, daß der Mensch ein schlechthin Festes, Un-
wankendes in sich selbst findet. Es ist ein fester Mittelpunkt, das
Prinzip der Freiheit; alles übrige ist schwankend, was auf diesem 945

Punkt nicht feststeht, so daß nichts verpflichtend ist, worin diese


Freiheit nicht respektiert ist. Dies ist das Prinzip.
Das Weitere ist nun, daß diese Freiheit zunächst leer, formell ist, *
das Negative alles anderen; kein Band, nichts anderes verpflichtet
mich. Es ist insofern unbestimmt, es ist die Identität des Willens mit 95o

sich selbst, seine Freiheit, daß er bei sich selbst ist. Aber in dieser

932-934 Indem ... annehmen 1 so Gr mit Lö"


936--937 Es ... ist so Gr mit Lö
239-240 Kant, Fichte und SeheHing 169

Einsamkeit in sich ist kein Inhalt, keine Bestimmung; die einzige


* Form, die dies Prinzip hat, ist die der Identität mit sich selbst. I Was
ist Pflicht? Was verbindet den freien Willen 1 Nur die Form der
955 Identität, des sich nicht Widersprechens - was das Gesetz des ab-
strakten Verstandes ist - hat Kant gehabt für die Pflicht. Aber mit
der Identität kommt man zu keinem Schritt weiter. Gott ist Gott;
Pflanze ist Pflanze. Dadurch kommt noch keine Bestimmung her-
aus. Irgendein Inhalt muß gegeben werden. Jeder Inhalt, der in
960 diese Form gelegt wird, ist sich nicht widersprechend, aber dies ist
ebensogut als wenn er gar nicht hineingelegt wird. Z. B. Eigentum;
dies muß in Beziehung auf mein Handeln respektiert werden, aber
es kann ganz wegbleiben; es hat gar nichts Widersprechendes, wenn
ich >Eigentum< nicht annehme und sage: Es gibt gar kein Eigen-
965 turn, alles ist bloßer Besitz. Dies ist der Mangel des kantischen
* Freiheitsprinzips, daß es unbestimmt, formell ist. Dies ist ebenso bei
Fichte, wo das Praktische bestimmt so ist, daß das Ich bestimmend
sei das Nicht-Ich, Ich bei mir selbst darin sei; aber um eine Be-
stimmung zu haben, muß doch ein Nicht-Ich sein; dadurch kommt
* erst ein Inhalt herein. Kant hat angefangen, das Recht auf die Frei-
* heit zu gründen; Fichte hat ein Naturrecht verfaßt, worin er die
Freiheit zum Prinzip macht; es ist dies ein großer Anfang, aber um
zum Besonderen zu kommen, haben sie Voraussetzungen machen,
aufnehmen müssen.

975 Das dritte bei Kant ist, daß die Forderung des Konkreten zum
* Vorschein kommt. Dies hat hauptsächlich zweierlei Gestalten; die
* dritte, die ästhetische, lassen wir auf der Seite. Die eine Form ist die
Art und Weise, wie wir das Lebendige betrachten. In seiner Kritik
der reflektierenden Urteilskraft stellt er das Lebendige so dar, daß

953-956 Was ... Pflicht.] so Pi (was ... ist Gr); He: Das nächste ist der
Inhalt, die Bestimmung, die sich der freie Wille gibt. Das ist die Pflicht,
welche die Form des sich nicht Widersprechens, der Identität mit sich ist. Gr,
ähnlich Lö: So hat Kant zur Bestimmung der Pflicht - denn die abstrakte
Frage ist »Was ist Pflicht für den freien Willen 1« - nichts gehabt als die Form
der Identität, des sich nicht Widersprcchcns, was das Gesetz des abstrakten
Verstandes ist.
970-971 Kant ... gründen so Gr, ähnlich Lö
170 Neuere Philosophie 240--241

wir bei seiner Betrachtung, bei Blumen oder Tieren, ein Sinnliches 9so
vor uns haben. Dies wird einerseits behandelt nach den Kategorien
des Verstandes, nach Ursache und Wirkung. Aber wir bleiben bei
der Betrachtung des Lebendigen nicht bei diesen Kategorien des
Verstandes stehen, sondern wir betrachten dann das Lebendige auch *
als Ursache seiner selbst, als sich selbst produzierend; dies ist das 9ss
Sicherhalten des Lebendigen. Das Tote dauert nur, das Lebendige
aber ist vergänglich, aber insofern es lebt, bringt es sich selbst her-
vor, erhält I es sich. Seine Glieder sind Mittel, aber es ist zugleich
Zweck in sich, Selbstzweck, ein organisches Naturprodukt; alle
seine Glieder sind Mittel und zugleich Zweck. [Es ist] nicht äußere *
Teleologie; der Zweck ist nicht außerhalb der Materie, wie bei
einem Haus. Dort ist der Zweck, daß es bewohnt werde, und die
Mittel dazu sind außerhalb, das Holz, die Steine, die man dazu
anwendete. Aber die innere Zweckmäßigkeit ist, daß etwas an ihm
selbst Zweck und Mittel ist. Es ist der aristotelische Begriff. In den *
organischen Naturprodukten haben wir also die Anschauung von
der unmittelbaren Einheit des Begriffs und der Realität; die Leben-
digkeit, die Seele und die Existenz ist identisch, das Allgemeine, die
Lebendigkeit und die Besonderung ist identisch, ist in einer Einheit
angeschaut bei den organischen Naturprodukten, nicht so in der s
unorganischen Natur. Hier ist es, daß Kant das Bedürfnis des Kon- *
kreten hat, daß der Begriff, das Allgemeine bestimmend ist das
Besondere.
Das zweite ist, daß Kant sagt, dies ist eine Weise unserer reflek- *
tierenden Urteilskraft, das Lebendige ist nicht so, aber wir nur sind to
genötigt, es so zu betrachten, es ist die Maxime unserer Reflexion
über das Natürliche. In der Kunst ist es auch so; die Idee ist sinnlich *
dargestellt; Realität und Idealität (das Besondere und Allgemeine)
ist in dem Kunstwerk unmittelbar in Einem.

988 sich.] so He; Gr: sich, hat zwar Bedingungen dazu nötig, aber es
bringt sich selbst hervor. Ferner ist es ein Mittel,
991-994 wie ... anwendete so Lö
995 Es ••. Begriff so Gr
4-5 istz ..• angeschaut so Gr
5-6 nicht ... Natur so Gr
11-12 es2 ... Natürliche so Gr mit Lii
241-242 Kant, Fichte nnd SeheHing 171

t5 Die andere, zweite Form, worin das Bedürfnis des Konkreten in


der Kautischen Philosophie hervortritt, knüpft sich an das Prakti-
* sehe unmittelbar an. Die praktische Vernunft hat einen Zweck,
dieser Zweck in seiner ganzen Allgemeinheit ist das Gute, dies Gute
ist eine Idee, ist mein Gedanke, aber es ist zugleich die absolute
20 Forderung vorhanden, daß das Gute auch realisiert werde in der
Welt, daß die Najturnotwendigkeit entspreche dem Gesetz der
Freiheit, dem Guten, und nicht nur sei als Notwendigkeit einer
äußerlichen Natur, sondern [realisiert werde] durch die Welt über-
haupt, durch das Rechtliche, Sittliche, durch das menschliche
* Leben, das Staatsleben, daß die Welt überhaupt gut sei. Das Gute ist
der absolute Endzweck; es bestimmt die Realität im Menschenleben
und [in] der äußerlichen Welt. Das ist die absolute Forderung in
der Vernunft, diese Harmonie des Guten und der Realität.
* Für das Einzelne ist dies die Glückseligkeit. Aber die subjektive
3o Vernunft vermag nicht, das zu realisieren. In jeder guten Handlung
vollbringt der Mensch etwas Gutes; dies ist aber nur beschränkt;
das allgemeine Gute, der allgemeine Endzweck der Welt kann nur
realisiert werden durch ein Drittes, und diese Macht über die Na-
tur, die Welt, die zum Endzweck hat das Gute in der Welt, ist
* Gott. Gott ist also ein Postulat der praktischen Vernunft, was ge-
glaubt werden muß. Der Inhalt ist hier also der, einerseits das
Weltliche, andererseits das Gute. Das Gute enthält die Bestimmung
in sich selbst, daß es realisiert werden soll. Das Gute ist zuerst Idee
in uns, im Denken, aber wir, die menschlichen Subjekte, können
40 das Gute nicht vollführen. Die Natur hat ihre eigentümlichen
Gesetze; diese selbständigen, einzelnen Beziehungen haben keine
Beziehung auf das Gute. Aber die Bestimmung des Denkens, der
Vernunft, ist, die Einheit des Guten in der Welt zu verlangen, sie
als das Wesentliche, Substantielle in sich zu haben und zu wollen.
45 Der Gegensatz, Widerspruch des Guten und der Welt ist dieser

29 Für ... Glückseligkeit. so•Hc


34 diez ... Weltz so Gr, ähnlich Lö
36-37 Der ... Gute1 so Gr
41-42 diese ... Gute so Gr
44 Substantielle ... wollen so Gr
172 Neuere Philosophie 242-243

Identität zuwider; die Vernunft muß daher fordern, daß dieser


Widerspruch aufgehoben werde, daß eine Macht sei, die gut für
sich selbst und Macht über die Natur sei, und dies ist nur Gott.
Diese Stellung hat also Gott in der Kanti Jschen Philosophie. Bewei-
sen lasse es sich nicht, daß Gott sei, es bleibe Forderung. Gott ist 5o
also ein Postulat der praktischen Vernunft. Wir haben nämlich die
zwei, die Welt und das Gute; das Gute, die Tugend, Moralität ist
nur gut, sofern sie im Kampf ist; Tugend fordert selbst den Gegen-
satz. Einerseits ist die Unauflöslichkeit des Widerspruchs gesetzt und
andererseits ist notwendig die Einigkeit, Harmonie beider. Der 55

Mangel, daß dies nun nicht bewiesen ist, nicht bewiesen werden
kann, liegt darin, daß nach Kants Dualismus nicht gezeigt werden
kann, daß das Gute als abstrakte Idee, als bloß Subjektives an ihm
selbst, dies ist, seine Subjektivität aufzuheben, und die Natur oder
die Welt an ihr selbst dies ist, in ihrer Äußerlichkeit, Verschieden- 60

heit von dem Guten sich selbst aufzuheben und als ihre Wahrheit
zu zeigen, was in Rücksicht auf sie als das Dritte erscheint, aber
zugleich als das Erste bestimmt wird. Gott kann nur geglaubt
werden, ist nur ein Postulat der praktischen Vernunft bei Kant.
Damit ist in Beziehung der Jacobische Glaube, wo Jacobi mit Kant 65

zusammentrifft - und dieser Punkt ist hier einzuschalten.


Es ist schon angegeben, was Jacobi Glauben heißt, nämlich: Gott, *
das Anundfürsichsein, das Absolute überhaupt, Unbedingte usw.
kann nicht bewiesen werden, denn beweisen, begreifen, heißt:
Bedingungen für etwas erfinden, es aus Bedingungen ableiten. Aber 10

ein abgeleitetes Absolutes, ein abgeleiteter Gott, wäre somit nicht ein
Absolutes, nicht ein Unbedingtes, nicht ein Gott, sondern ein Ge-
schöpf. Nun ist in unserem Bewußtsein, Bewußtsein von Gott, und
dies ist so beschaffen, daß mit dieser Vorstellung von Gott unmittel-
bar verknüpft ist das Wissen, daß er ist. Und dies Wissen kann kein 75

bewiesenes sein, weder bei Jacobi noch nach Kant. Es ist also ein

52 die1 ... Moralität so Gr


56 dies] so Pi; GrLö: Gott
57 nach Kants Dualismus so Gr
70 Bedingungen1 ... erfmden so Gr, ähnlich Lei"
76-77 ein ... sondern so Gr
243-244 Kant, Fichte und SeheHing 173

nicht in unserem Wissen vermitteltes, sondern ein unmittelbares


Wissen. Man kann an dies unmittelbare Wissen im Menschen appel-
lieren. Der Mensch geht in seiner Vorstellung, seinem Denken über
80 das Natürliche, Endliche hinaus, geht fort zu einem Übernatürlichen,

* Übersinnlichen. Daß dies I ist, ist ihm so gewiß, als daß er selbst ist;
die Gewißheit, daß es ist, ist identisch mit seinem Selbstbewußtsein;
so gewiß als ich bin, so gewiß ist Gott. Dies unmittelbare Wissen
von Gott ist hier der Punkt, der in der Jacobischen Philosophie fest-
8s gesetzt ist; Jacobi nennt dies nun auch Glaube. Kants und Jacobis

* Glaube sind verschieden. Bei Kant ist es ein Postulat der praktischen
Vernunft, die Forderung der Auflösung des Widerspruchs der Welt
* und des Guten. Bei Jacobi ist es aber ein unmittelbares Wissen für
* sich selbst und ist so vorgestellt. Alles, was nun seit Jacobis Zeit von
90 Philosophen wie Fries und Theologen, auch in Schriften gesagt ist,

ist dieses: Was wir von Gott wissen, wissen wir unmittelbar durch
Anschauung, Uranschauung, intellektuelle Anschauung, unmittel-
* bares Wissen vom Geistigen. Man nennt dies auch Offenbarung, aber
in einem anderen Sinn als Offenbarung im theologischen Sinn, als die
95 Kirche. Die Offenbarung als unmittelbares Wissen ist in uns selbst,

während die Kirche die Offenbarung als ein Mitgeteiltes von außen
nimmt; der Glaube im theologischen Sinn ist Glaube an etwas, was
ein äußerlich Gegebenes ist durch Lehre, kein unmittelbares Wissen
aus uns selbst. So ist es gleichsam ein Betrug, wenn hier [der] Aus-
loo druck von Offenbarung und Glaube gebraucht wird im philosophi-
schen Sinne und wieder im theologischen Sinne. Dies ist der Stand-
punkt Jacobis, und was auch seitdem von Philosophen und Theo-
logen darüber gesagt worden ist, das ist sehr gern aufgenommen und

79-80 in . . . fort so Gr
82 die ... Selbstbewußtsein so Gr, ähnlich Lii
83-85 Dies ... ist so Gr
89-90 von ... Theologen so Gr, ähnlich Li:i
100-101 im ... Sinne2] so Pi; Gr mit Lö": und vorgestellt wird als sei von
Glaube und Offenbarung im theologischen Sinne die Rede, da doch hier der
philosophisch sein sollende Sinn ein ganz anderer ist, und doch tut man in
diesem Glauben recht christlich frornn1. Sv: Dies in allen theologischen
Schriften der Zeit
174 Neuere Philosophie 244-245

verbreitet worden, und man findet überall nichts als nur Wieder-
holung dieses Jacobischen Gedankens. 105

Dies unmittelbare Wissen wird dem philosophischen Erkennen der


Vernunft entgegengesetzt und nun abgeurteilt über Philosophie.
Man spricht dabei vom Erkennen und Glauben, wie der Blinde von
der Farbe. Von der Philosophie ist der Sinn dieser, daß jeder glaubt,
von Haus aus ein Philosoph zu sein, über Philosophie urteilen zu 110

können, weil er dasselbe Maß in sich habe. Man gibt zwar zu, daß
einer keinen Schuh machen könne, wenn er nicht Schuhmacher ist,
obgleich er das Maß des Schuhs, den Fuß, an sich hat und auch die
Hände; hingegen von der Philosophie hat das unmittelbare I Wissen
die Meinung, daß jeder, wie er geht und steht, ein Philosoph ist, 115

absprechen könne wie er wolle, Bescheid wisse in der Philosophie. -


Unter Vernunft versteht man dann einerseits die vermittelte Er- *
kenntnis, die Offenbarung Gottes in uns, und andererseits gerade die
intellektuelle Anschauung selbst; Vernunft ist das Wissen des Anund-
fürsichseienden, die Vernunft ist Offenbaren Gottes, da der Verstand 120

Offenbaren des Endlichen ist; aber unter Glaube, Wissen als unmit- *
telbar, wird dann auchjeder andere Inhalt begriffen; ich glaube, daß
ich einen Körper habe, Papier hier liegt usw.; alles, was ich unmittel-
bar weiß, ist Glaube. Der Ausdruck Glaube, der für religiösen Inhalt
aufbehalten war, wird bei Jacobi im Sinn des unmittelbaren Wissens 12s

auch gebraucht für einen Inhalt jeglicher Art.


Dieses ist auch der allgemeinste Standpunkt unserer Zeit. Unmit-
telbares Wissen ist die Bestimmung, man mag es nun Glaube, Wissen
usw. heißen, dies ist das Erste. Wenn wir nach dem Inhalt fragen, ist
dieser, daß Gott ist. Dies unmittelbare Wissen ist das individuelle, t30
gehört jedem Individuum an, [dem] Individuum als einem solchen.
Das Ich ist, weiß unmittelbar, daß Gott ist, das Allgemeine. Gott ist

109-111 Von ... habe. so Pi


114-116 hingegen ... Philosophie so Gr
121-124 aber ... Glaube. so Gr
127 unserer Zeit] so GrHcLö; Pi: der Philosophie
128-129 man ... heißen so Gr
129-130 istz ... ist.] so Pi; Gr: so wird gewußt Gott und daß er ist.
131-132 Individuumz ... Allgemeine so Pi
245-246 Kant, Fichte und Schelling 175

hier genommen in der Bestimmung eines Geistigen überhaupt, nach


der Bestimmung der Macht, der Weisheit usf. Das ganz allgemeine
m Wissen nennen wir Denken; ein einzelnes, äußerliches Wissen heißen
wir Anschauung, Vorstellung, und Gedankenbestimmungen hinein-
bringen heißen wir Verstand. Es ist absurd, wenn so gesprochen wird
vom Denken, ohne es zu kennen. Alle allgemeine Tätigkeit ist
Denken. Religiöses Gefühl ist bloß, sofern es Gefühl eines Denken-
140 den ist, sofern dessen Bestimmungen vom Denken herkommen; das

Tier hat kein religiöses Gefühl.


Dies Eine, Gott, ist das Allgemeine, abstrakt genommen, und er ist
ganz abstrakt, selbst in seiner Persönlichkeit - die absolut allgemeine
Persönlichkeit. - Dabei wird vergessen, daß das, was in dem un-
145 mittelbaren Wissen geoffenbart wird, das I Allgemeine ist. Aber das

eigentliche unmittelbare Wissen ist das natürliche, sinnliche Wissen.


Und wenn der Mensch dazu gekommen ist, von Gott zu wissen als
nur Gegenstand des Geistes, so ist dies Resultat vermittelt durch
* Lehre, durch eine lang fortgesetzte Bildung. Die Inder und Ägypter
1so haben ebenso unmittelbar gewußt, daß [ein] Ochse Gott ist, daß
Gott ein Ochse ist, [daß er] eine Katze ist, und die Inder wissen noch
jetzt mehr dergleichen. Es ist so ein Mangel der einfachen Reflexion,
nicht zu wissen, daß das Allgemeine, Gott, als das Geistige, in sich
gar nicht ein Unmittelbares ist, sondern daß dies nur Folge einer
* Offenbarung von der Seite der Religion ist, Folge der Erziehung des
Menschengeschlechts, also vermittelt. Wenn man das unmittelbare
Wissen gelten läßt, so hat es jeder nur mit sich zu tun, alles ist dann
gerechtfertigt, jeder kann subjektiv etwas anderes unmittelbar
wissen, dieser weiß dies, jener jenes, alles ist gebilligt, das Abgötti-

133-134 nach ... usf. so Gr


137-138 Es ... kennen. so Pi
138-140 Alle ... herkommen;] so Pi; Gr: das Allgemeine im Menschen
ist das Denken, z. B. das religiöse Gefühl; das Tier hat es nicht, es ist ein
menschliches Gefühl, und sofern es religiös ist, ist es als Gefühl eines Denken-
den, und die Bestimmung des Gefühls nicht Bestimmung eines natürlichen
Triebes usf., sondern Bestimmung des Denkens.
147-148 als ... Geistes so Gr
149 Inder] so PiLö"; He: Phönizier
151-152 eine ... dergleichen so Gr
176 Neuere Philosophie 246-247

sehe, Irreligiöse usw. Die Versicherung, daß der Mensch Gott unmit- 160

telbar wisse, ist also ganz falsch. Das Unmittelbare ist das Natürliche,
und zu wissen von Gott als einem Geistigen ist daher wesentlich erst
Resultat von Vermittlung, Lehre.
Zweitens wird nun das unmittelbare Wissen dem vermittelten
Wissen entgegengesetzt. Die Unterschiede von Unmittelbarkeit und 165

Vermittlung sind sehr dürftige, abstrakte Bestimmungen, und auf


solche Vorstellungen Religion und Philosophie bauen zu wollen,
wäre sehr beschränkt und sehr dürftig. Diese Bestimmungen sind nur
Formen, deren keine für sich besteht, für sich Wahrheit hat. Die
letzte Form, daß die Unmittelbarkeit als das Absoluteste gefaßt wird, 110

zeigt den Mangel aller Kritik, aller Logik; die Kantische Philosophie *
ist die kritische Philosophie, aber man hat es aus ihr vergessen, daß
man das Unendliche nicht mit endlichen Kategorien ausmachen
kann. Eine solche Kategorie gehört dem endlichen, beschränkten *
Verstand an, [ist], wie Kant selbst sagt, nicht fähig, das Wahre zu 175

fassen.
Was den Gegensatz näher an~etrifft, so kann alles Wissen unmit-
telbar sein und ebenso nicht unmittelbar. Alles unmittelbare Wissen
ist auch vermittelt in sich; dies wissen wir in unserem Bewußtsein
und können es an den allergemeinsten Erscheinungen sehen; es ist 18G

absurd, dies zu vergessen. Ich weiß hier in Berlin unmittelbar von


Amerika, und I doch ist dies Wissen sehr vermittelt. Wenn ich un-
mittelbar amerikanischen Boden vor mir sehe, so gehört erst als
Vermittlung [dazu], daß ich hingereist bin; Kolumbus muß es erst
entdecken, Schiffe müssen gebaut werden usw., alle diese Erfindun- 185

gen gehören dazu. Daß es unmittelbar ist, ist ein Resultat von einer
unendlichen Menge von Vermittlungen. Ich weiß unmittelbar, daß
im rechtwinkligen Dreieck die Summe der Quadrate der Katheten
gleich dem Quadrat der Hypotenuse ist. Ich weiß dies unmittelbar,

164-165 Zweitens ... entgegengesetzt. so Gr


169-174 Die ... kann. so Gr
174-176 Eine ... fassen. so Pi
179-181 dies ... vergessen. so Gr mit Ui
186 Daß ... ist 1] so Pi; Gr: Das, was wir jetzt unmittelbar wissen Lii: Daß
ich es unmittelbar weiß Sv: Aber diese Unmittelbarkeit entsteht
247-248 Kant, Fichte und SeheHing 177

190 und doch habe ich es nur gelernt und bin überzeugt durch die Ver-
mittlung des Beweises; das unmittelbare Wissen ist so überall ver-
mittelt. Es ist also nur [eine] psychologische Unterscheidung von
vermittelt und unmittelbar.
Daß aber auch das Wissen, das als unmittelbar behauptete Wissen
195 von Gott, ebensogut ein vermitteltes Wissen ist, ist ebenso leicht
einzusehen. Der unmittelbare Mensch ist der natürliche Mensch in
seinem natürlichen Verhalten, in seiner Begierde, der nicht das All-
gemeine weiß, kein Gedanke ist, [ist] Kind oder Wilder, ist roh,
unwissend, weiß von Gott nichts. Der natürliche Mensch ist, wie er
200 nicht sein soll; es gehört die Vermittlung dazu. Erst vermittels der
Erhebung über das Natürliche, erst wenn er zum Bewußtsein des
Allgemeinen, Höheren gekommen [ist], hat er wahres Wissen. Dann
aber weiß man das Höhere zwar unmittelbar, aber man kommt nur
durch die Vermittlung dazu. Alles Denken ist Unmittelbares, aber
205 eben dies Denken ist Prozeß in sich selbst, Bewegung, Lebendigkeit;
alle Lebendigkeit ist Bewegung, Prozeß in sich, ist vermittelt, um so
mehr noch geistige Lebendigkeit, und sie ist dies von einem zum
anderen überzugehen, vom bloß Natürlichen, Sinnlichen zum Geisti-
gen, und das ist Vermittlung. Der Gegensatz vom unmittelbaren und
210 vermittelten Wissen ist so ganz leer, es ist eine der letzten flachen
Ausgeburten des Denkens, so etwas für einen wahrhaften Gegensatz
zu halten, es ist der dürftigste, trockenste Verstand, der meint, in
solchen Gegensätzen etwas Festes, Letztes zu haben, wie Unmittel-
barkeit und Vermittlung. Die Philosophie tut nichts als diese Ver-
215 mittlung zum Bewußtsein zu bringen; die Philosophie zeigt I die
Vermittlung, die der Sache nach darin ist, z. B. in der Religion usw.
auf.

196-198 in ... ist1 so Gr


198-199 Kind ... weiß] so Pi; Gr, ähnlich Lö: die Kinder, die Eskimos
usf. wissen
200 es ... dazu so Gr, ähnlich Lö
206--207 Bewegung ... Lebendigkeit so Gr mit U
208-209 vom ... Geistigen so Gr
215-219 die1 ... liegt] so Gr; Sv: Dieses ist der jetzige Standpunkt der
Dinge. Es liegt U: 3) Das dritte ist zu bemerken, daß
178 Neuere Philosophie 248

Wenn jeder Standpunkt aber eine Seite hat, worin er gerechtfer-


tigt ist, so liegt in diesem Standpunkt aber das Große, daß, indem
angenommen wird, der menschliche Geist wisse unmittelbar von 220

Gott, so ist dies eine Anerkennung der menschlichen Freiheit, des


menschlichen Geistes. In ihr ist die Quelle des Wissens von Gott; alle
Äußerlichkeit, Autorität ist so in diesem Prinzip aufgehoben, es ist
das Prinzip, aber auch nur das Prinzip der Freiheit des Geistes. Das ist
das Große unserer Zeit, daß diese Form, so sehr sie auch sich nicht 225

versteht, doch dies in sich hat, daß die Freiheit, das Eigentum des
Geistes, anerkannt ist, daß er in sich bei sich ist, daß er in sich dies
Bewußtsein hat; dies ist aber nur abstrakt. Das Weitere ist denn, daß
dieses Prinzip der Freiheit des Geistes, das abstrakt ist, wieder zur
reinen Objektivität komme, daß nicht alles, was mir einfällt, in mir 230

aufsteigt, mir geoffenbart wird, darum schon das Wahre ist, sondern
daß es gereinigt wird und seine wahrhafte Objektivität erhält. Diese
erhält es nur durch den Gedanken, der das Besondere, Zufällige ab-
streift - eine Objektivität, die von der bloßen Subjektivität unab-
hängig und an und für sich ist, so daß das Prinzip der Freiheit doch 235
darin respektiert ist. Der christlichen Religion liegt zum Grunde, daß *
Gott ein Geist ist, und der eigene Geist muß davon Zeugnis geben.
Der Geist muß es aber sein, dem der Geist Zeugnis gibt; der Inhalt
muß der wahrhafte sein, aber dies konstatiert sich nicht dadurch, daß
es mir geoffenbart, versichert wird. Dies ist der Standpunkt, und wir 240
haben so das Mangelhafte desselben und das Große des Prinzips, das
darin liegt, gesehen.
Wenn nun nach diesem Kantisch-Jacobischen Standpunkt Gott
geglaubt wird und wir diesen Standpunkt für einen Augenblick
zugeben, so ist allerdings darin eine Rückkehr zum Absoluten. Aber 245

die Frage ist nun weiter: Was ist Gott 1 Das Übersinnliche ist noch
blutwenig, das Allgemeine, Abstrakte, Anundfürsichseiende ist I

222 In ... Gott so Gr


223-224 es ... Geistes so Gr, ähnlich Lii
228 dies ... abstrakt so Gr
236 Der ... Grunde so Pi
240-242 Dies ... gesehen. so Gr
244-245 und ... zugeben so Gr
245 zum Absoluten] so Gr; Pi: zur Wahrheit
249 Kant, Fichte und SeheHing 179

ebensowenig; alle Beinamen, die ich ihm gebe, sagen noch nichts.
Was ist nun die konkrete Bestimmung Gottes 1 Wollten wir zu Be-
250 Stimmungen übergehen, so würde das für diesen Standpunkt Arge
erfolgen, daß wir zu einem Erkennen übergingen, denn dies heißt
wissen von einem Gegenstand, der in sich konkret, bestimmt ist.
Nach diesem unmittelbaren Wissen wird nur gelangt dazu, daß Gott
überhaupt ist, Gott mit der Bestimmung des Unbegrenzten, Allge-
255 meinen, Unbestimmten; Gott, sagt man, könne darum nicht erkannt
werden, denn um erkannt zu werden, müßte er konkret sein, also
wenigstens zwei Bestimmungen enthalten, und zwei sind Vermittelte
in ihrer Beziehung, denn ein Wissen vom Konkreten ist sogleich
vermitteltes Wissen, Erkennen. Aber jener Standpunkt, indem er
* Vermittlung verwirft, bleibt so bei dem Unbestimmten stehen. ln-
dem Paulus - in der Apostelgeschichte - zu den Athenern spricht,
beruft er sich auf den Altar, den sie dem unbekannten Gotte geweiht
hatten. Der hier erwähnte Standpunkt aber führt uns wieder zurück
zu dem unbekannten Gott.- Auf diesem Standpunkt der Athener ist
265 das unmittelbare Wissen. Paulus hat sie gelehrt, was Gott sei, daß er
nichts Unbekanntes sei.

Friedrich Wilhelm Joseph SeheHing

Die Schellingsche Philosophie ist nun zunächst übergegangen zum


* Erkennen Gottes und von Fichte ausgegangen. Die ersten Schriften
210 Schellings sind noch ganz Fichtisch; erst nach und nach hat sich

258-259 denn ... Erkennen so Gr


266 sei.] als Überleitung zum nächsten Kapitelfolgt in Gr: Alle Lebendigkeit
der Natur wie des Geistes ist Vermittlung in sich, und dazu ist nun die Schel-
lingsche Philosophie übergegangen. in Lö: Es ist bemerkt, daß das Geistige
wesentlich konkret ist; dazu ist übergegangen die SeheHingsehe Philosophie.
267 Schelling] Gr: ScheHing. Geboren zu Schamdorf im Württembergi-
schen 1775, studierte in Leipzig und Jena, wo er in nähere Beziehung mit
Fichte trat; seit mehreren Jahren ist er Sekretär der Akademie der bildenden
Künste in München.
268-269 übergegangen ... und so Gr
180 Neuere Philosophie 249-250

Schelling von dieser Fichtischen Form losgemacht. Diese Form des *


Ich hat diese Zweideutigkeit: Ich als absolutes Ich, Gott- und Ich als
in meiner Besonderheit; dies hat Anstoß gegeben. SeheHing ist einer-!
seits von der Fichtischen Philosophie ausgegangen, und andererseits
macht auch er zum Prinzip die intellektuelle Anschauung, die der 275

Mensch haben müsse und besonders der Philosoph. Der Inhalt der- *
seihen, was in ihr Gegenstand wird, ist nun auch das Absolute, Gott,
das Anundfürsichseiende, aber als konkret, sich in sich vermittelnd,
als die absolute Einheit des Subjektiven und Objektiven ausgedrückt,
oder als die absolute Indifferenz des Subjektiven und Objektiven. 28o

Die SeheHingsehe Philosophie macht also den Anfang vom un-


mittelbaren Wissen, von der intellektuellen Anschauung, aber das
Zweite ist, daß ihr Inhalt nicht mehr das Unbestimmte, das Wesen
der Wesen ist, sondern das Absolute als konkret. Was die Form der *
intellektuellen Anschauung anbetrifft, so ist darüber schon gespro- 285

chen. Es ist nichts Bequemeres als die Erkenntnis auf das unmittel-
bare Wissen zu setzen, auf das, was einem einfällt. Aber das unmittel-
bare Wissen von Gott als einem Geistigen ist nur für christliche
Völker, nicht für andere, nicht im Bewußtsein anderer Völker. Noch
zufälliger erscheint dies unmittelbare Wissen als intellektuelle An- 290

schauung des Konkreten, näher Subjektivität und Objektivität. In- *


dem die Voraussetzung der Philosophie ist, daß das Subjekt die
unmittelbare Anschauung habe von dieser Identität des Subjektiven
und Objektiven, so erscheint die Philosophie in den Individuen als
ein Kunsttalent, Genie, das nur Sonntagskindern zukommt. Philo- 295

sophie ist aber ihrer Natur nach fähig, allgemein zu sein, denn ihr
Boden ist das Denken, das Allgemeine, und eben dadurch ist der
Mensch Mensch. Also das Prinzip ist ein schlechthin Allgemeines;
wenn aber eine bestimmte Anschauung, Bewußtsein gefordert wird,

271-272 Diese ... Zweideutigkeit so Gr, ähnlich Lö


273 dies ... gegeben so Gr
275-276 diez ... Philosoph so Gr
281-286 Die ... gesprochen. so Gr
287-291 auf ... Objektivität. so Gr
298 Also ... Allgemeines so Gr
250--252 Kant, Fichte und SeheHing 181

300 wie das Bewußtsein oder die Anschauung der Identität des Subjekts
und Objekts, so ist dies die Forderung eines bestimmten, besonderen
Denkens.
In dieser Form nun aber I des Wissens des Absoluten als Konkreten
und näher in der Form der Einheit des Subjekts und Objekts hat sich
305 die Philosophie wieder getrennt von der Vorstellung, von der ge-
wöhnlichen, vorstellenden Weise des Bewußtseins und seiner Refle-
xion. Schon bei Kant ist der Anfang dieser Trennung von der ge-
wöhnlichen Weise des Bewußtseins gemacht. Das Resultat, daß das
Wahre nicht erkannt werden könne, Philosophie also überflüssig sei,
310 ist allgemein gemacht, utiliter akzeptiert worden. Noch mehr hat
sich mit der Fichtischen Philosophie das gewöhnliche Bewußtsein
von der Philosophie ausgeschieden. Fichtes Ich soll nicht bloß Be-
wußtsein des Empirischen haben, sondern es sollen auch erkannt,
gewußt werden solche Bestimmungen, die nicht in das gewöhnliche
315 Bewußtsein fallen. Vornehmlich aber hat sich die Schellingsche Phi-
losophie von den gewöhnlichen Vorstellungen des reflektierenden
* Bewußtseins geschieden. Fichte hat noch die Tendenz der Populari-
tät, seine späteren Schriften sind besonders zu diesem Zweck ge-
schrieben - [ein) Versuch, den Leser zum Verständnis zu zwingen;
320 aber diese Popularität hat er nicht erreicht, noch weniger aber Schel-
ling. Das Konkrete bei ihm ist seiner Natur nach sogleich spekulativ.
Der konkrete Inhalt, Gott, Leben oder welche besondere Form er
hat, ist wohl Inhalt des gewöhnlichen Bewußtseins, und in religiöser
Bestimmung, wenn wir uns zu Gott verhalten, ist ein Bewußtsein
325 eines Konkreten. Aber die Schwierigkeit ist, daß das, was im Kon-
kreten enthalten ist, gedacht wird, die Gedanken konkret werden,
die unterschiedenen Bestimmungen gedacht werden; es ist der
Standpunkt des Verstandes, die Gedanken zu unterscheiden, zu be-
stimmen gegen einander, und die Forderung der Philosophie ist,
330 diese unterschiedenen Gedanken zusammenzubringen. Das natürliche
Bewußtsein hat allerdings das Konkrete zum Gegenstand, der Ver-
stand aber ist das Entzweiende, die Reflexion, die I an den endlichen
Gedankenbestimmungen festhält, und die Schwierigkeit ist, die Ein-
heit zu fassen und festzuhalten. Endlich und unendlich, Ursache und
335 Wirkung, positiv und negativ gelten dem Verstand als schlechthin
entgegengesetzt. Das Denken fängt damit an, es ist das Gebiet des
182 Neuere Philosophie 252-253

reflektierenden Bewußtseins, dies hat denn das alte metaphysizie-


rende Bewußtsein mitmachen können. Das Spekulative ist aber, diese
Gegensätze vor sich zu haben, aber sie aufzulösen, sie als identisch zu
wtssen. 340

So ist hier bei Schelling die eigentliche Spekulation wieder empor-


gekommen, und die Philosophie ist so wieder ein Eigentümliches
geworden; das Prinzip der Philosophie, das Denken an sich, das
vernünftige Denken hat die Form des Denkens erhalten. Damit ist in
der Schellingschen Philosophie auch wieder der Inhalt, die Wahrheit 345

zur Hauptsache geworden, wogegen in der Kautischen Philosophie


und in den späteren das Interesse sich besonders so ausgesprochen hat,
daß das Wissen, das Erkennen, das subjektive Erkennen untersucht
werden solle; es ist als plausibel erschienen, daß man das Instrument,
das Erkennen zuerst untersuche; es ist aber eine alte Geschichte, die *
von dem crx_oAIXI1Ttx6c; erzählt wird, der nicht eher ins Wasser gehen
wollte, als bis er schwimmen gelernt habe. Das Erkennen unter-
suchen heißt, das Erkennen erkennen; wie man aber erkennen will,
ohne zu erkennen, ist nicht zu sagen. Dies ist nun der Standpunkt der
Schellingschen Philosophie überhaupt. 355

Daß der Punkt der Indifferenz des Subjektiven und Objektiven *


vorausgesetzt wird, nicht bewiesen wird, ist ein Mangel der Schel-
lingschen Philosophie. Dieser Beweis könnte nur so geführt werden,
daß das Subjektive und das Objektive jedes für sich untersucht würde
in seinen logischen Bestimmungen, d. h. in seinen wesentlichen Be- 360

stimmungen, woran sich dann ergeben müßte, daß das Subljektive


dies ist, sich zu verwandeln, nicht subjektiv zu bleiben, sondern sich
objektiv zu machen, und das Objektive dies ist, nicht so zu bleiben,
sondern sich subjektiv zu machen. So wäre dann das Resultat, daß
jedes sich zu seinem Gegenteil macht und nur die Identität beider die 365

Wahrheit ist. Der Verstand verwundert sich über diese Verwand-


lung, nennt [sie] Sophisterei, Hokuspokus, Gaukelei usw.
Schelling hat wohl diese Vorstellung im allgemeinen gehabt, hat

337-338 Bewußtseins ... können] so Gr; Pi: Verstandes, alte Metaphysik


342-343 und ... geworden so Gr
352-354 Das . . . sagen.] so Gr; Pi: Das Erkennen will man vorher er-
kennen, ehe man es anwendet.
253-254 Kant, Fichte und Schelling 183

* sie aber nicht auf bestimmte, logische Weise durchgeführt. In einer


370 seiner ersten Schriften, seinem Transzendentalidealismus, hat
er das Verhältnis so angegeben: Es sind zwei Pole, der eine die Natur
und das Objektive, der andere ist das Subjektive oder das Wissen.
Diese zwei Pole setzen sich gegenseitig voraus und fordern sich; es
muß also zwei Grundwissenschaften geben: Der Inbegriff alles Ob-
375 jektiven heißt Natur, der Inbegriff alles Subjektiven ist das Ich, die
Intelligenz. Entweder kann der eine oder der andere zum ersten ge-
macht werden, und beides muß geschehen, sowohl das Ich als die
Natur muß zum Ersten gemacht werden; wenn das Objektive zum
Ersten gemacht wird, so fangen wir mit den Naturwissenschaften an,
380 und ihr Bestreben ist, auf das Intelligente zu kommen; das höchste
Ziel ist die Vergeistigung der Naturgesetze zu solchen des Denkens.
Die Phänomene, das Materielle [und] dergleichen müssen ver-
schwinden und nur Gesetze bleiben. Die vollendete Theorie der
Natur würde die sein, kraft der sich die ganze Natur in Intelligenz
385 auflöste. Die toten Produkte der Natur seien nur als mißlungene
Versuche derselben zu betrachten, sich zu reflektieren. Die tote
Natur ist zu fassen als unreife Intelligenz, erstarrte, versteinerte Intel-
ligenz. Das höchste Ziel, sich selbst zum Objekt zu werden, erreicht
die Natur nur durch ihre höchste Reflexion; dies ist der Mensch, der
390 durch sich selbst, durch die Vernunft in sich zurückkehrt, wodurch
offenbar wird, daß die Natur identisch ist mit dem, was in uns Be-
wußtsein und Intelligenz ist.
* Wenn dagegen das Subjektive zum Ersten gemacht wird, so ist die
Auflgabe, zu zeigen, wie ein Objekt, das mit dem Subjekt überein-
395 stimme, hinzukomme. Dies wäre dann die wahre Transzendental-
philosophie; diese geht vom Subjekt aus und läßt das Objektive aus

377-378 sowohl ... werden so Gr


383-384 vollendete ... Naturt] so GrLö; Sv: höchste Vervollkommnung
der Naturwissenschaft
389-390 der2 ... zurückkehrt so Gr
391-392 daß ... ist] so Pi, ähnlich Gr; Sv: daß die Materie aufhörte und
die ganze Welt nicht mehr objektiv, sondern subjektiv, im Gedanken gefaßt
werde
394-395 das . . . hinzukomme] so He; Gr: zum Subjekt kommt, wie es
mit ihm übereinstimme, eins wird
184 Neuere Philosophie 254-255

ihm entstehen. Die Grundlage dieser Philosophie ist Ich, wie bei
Fichte, und da wird das Faktum des Wissens vorausgesetzt, Ich =
Ich, Ich als reines Tun, und von diesem Standpunkt aus wäre das
Objektive aufzuzeigen, wie Ich zum Objektiven fortschreite. Die 400

höchste Weise der Objektivität, die Identität des Objektiven und


Subjektiven, ist nun das Ich, das die Objektivität erreicht und darin
bleibt.
Diese höchste Stufe ist [das, was] SeheHing Einbildungskraft *
nennt. Die Objektivität der intellektuellen Anschauung ist die Kunst, 405

Dichtkunst [und] dergleichen. Die Kunst wird so als das Höchste


gefaßt und das Philosophieren vorgestellt als diese Genialität der
Kunst. Aber wir erkennen bald, daß die Einbildungskraft, [die]
Kunst nicht das Höchste ist, denn die Idee des Geistes kann nicht auf
wahrhaft höchste Weise ausgedrückt werden in [der] Kunst; die 4tu
Kunst bringt die Idee in Weise des Sinnlichen, der Anschauung her-
vor, und wegen dieser Form der Existenz kann das Kunstwerk nicht
entsprechen dem Geist. Indem so der letzte Punkt als Einbildungs-
kraft, als Kunst bezeichnet ist, so ist dies selbst ein subjektiver, nur
untergeordneter Standpunkt, und so ist dieser Punkt selbst nicht 4t5

diese absolute Identität des Subjektiven und Objektiven; Kunst ist


noch nicht die Totalität selbst.
Die zwei Seiten sind im allgemeinen darin sehr bestimmt ausge-
drückt. Eine Seite ist dabei diese Durchführung der Natur zum Sub-
jekt und [die andere die] des Ich zum Objekt; die wahre Durchfüh- 420

rung aber könnte nur auf logische Weise geschehen, denn diese ent-
hält den reinen Gedanken. Die Seele der Natur wie des Subjekts ist
der reine Gedanke und dessen Entwicklung, Prozeß. Aber die Be-
trachtung des Logischen ist es, wozu SeheHing in seiner Darstellung
nicht gekommen ist. Der wahrhafte Beweis, daß diese Identität das 425
Wahrhafte ist, müßte allerdings I auf die angegebene Weise geführt

406-407 wird ... gefaßt] so Gr, ähnlich Lö'; Sv: stellt das Subjektive ob-
jektiv dar
411-412 Kunst ... hervor] Pi: die in Weise des Sinnlichen, der An-
schauung, etwas hervorbringt He: bringt die Idee Gr: dies ist immer Weise
der Anschauung Lö: denn diese ist die sinnliche Weise, Anschauung Sv:
bringt die Idee auf eine sinnliche Weise zur Anschauung
413-414 Indem ... so so Gr
255-256 Kant, Fichte und SeheHing 185

werden. So wäre diese Identität als das Wahre bewiesen, als Resultat,
oder nach Jacobi als bedingt, als hervorgegangen gesetzt. Aber in-
dem sie Resultat ist, ist der wahrhafte Sinn dies selbst, die Einseitig-
430 keit - Form des Resultats, nur V ermitteltes zu sein - und daher dies
Vermitteln selbst wieder aufzuheben, aber es ist ebenso unmittelbar
als es vermittelt ist; es ist ein Prozeß, der ebenso das Vermitteln in
sich ist.
* In den späteren Darstellungen hat Schelling nun, indem es in seiner
435 Darstellung Bedürfnis ist, anzufangen mit der Idee des Absoluten als
Identität des Objektiven und Subjektiven, immer neu versucht, diese
Idee zu beweisen, und zwar besonders in der Neue n Zeitschrift
über spekulative Physik. Aber diese Beweise sind höchst for-
mell geführt, so daß sie eigentlich immer das voraussetzen, was be-
* wiesen werden soll. Jene Identität ist nun auch angegeben als abso-
lute Indifferenz des Objektiven und Subjektiven, so daß beide darin
ihre wahre Bestimmung haben; aber der Ausdruck >Indifferenz< ist
ungeschickt, die Indifferenz ist das Gleichgültige gegen beides.
Danach könnte es scheinen, als ob das Absolute gleichgültig gegen
* die zwei Seiten ist, es davon entfernt wäre. Schelling sagt auch: Iden-
tität des Wesens und der Form, des Endlichen und Unendlichen, des
Positiven und Negativen. Diese Gegensätze kann man gebrauchen;
sie sind aber nur abstrakt und beziehen sich nur auf unterschiedene
Stufen der Entwicklung des Logischen selbst.
450 In den späteren Darstellungen geht also Schelling von dieser abso-
* luten Identität aus. Eine ausführliche Darstellung seiner Philosophie
ist in der Zeitschrift für spekulative Physik enthalten, Band 2,
* Heft 2. Hier hat Schelling wie Spinoza eine geometrische Methode
gebraucht, von Definitionen ausgehend, Axiome, dann Sätze, die
455 den Beweis führen, dann abgeleitete Sätze, aber diese Methode hat
* keine wahrhafte Anwendung auf die Philosophie. Er hat hierbei
gewisse Formen des Unterschieds vorausgeisetzt, die er >Potenzen<
nennt und von Eschenmayer aufgenommen hat. Man hat oft ver-

432-433 es2 ... ist so Gr


444 das Absolute] so Pi; Gr: die Erfüllung der Indifferenz, wodurch sie
konkret ist He: sie [sc. die Indifferenz]
447-448 kann ... und so Gr
186 Neuere Philosophie 256-257

sucht, die Philosophie mathematisch zu machen. Das war nun zwar


nicht der Plan Schellings, jedoch hat er sich der Form der Potenzen 460

bedient als fertiger Unterschiede. In dieser Darstellung ist er in der


Entwicklung der Naturphilosophie jedoch nur fortgegangen bis zum
Organismus. Was aber die Seite des Geistes betrifft, so hat er diese in
seiner früheren Schrift »Transzendentalidealismus« in größerer Aus- *
führlichkeit gegeben. In Rücksicht des Praktischen ist er jedoch nicht 465

viel weiter fortgegangen als Kant in seiner Schrift Vom ewigen *


Frieden; es ist keine ausführliche Philosophie des Geistes. Eine be-
sondere Abhandlung über die Freiheit ist tiefer, spekulativer *
Art, aber sie betrifft nur diesen einen Punkt.
Schelling ist nun vornehmlich der Stifter der neueren Naturphilo- 470

sophie geworden. Naturphilosophie heißt im ganzen nichts anderes


als die Natur denkend betrachten, begreifen. Die gewöhnliche Phy-
sik hat auch ihre Metaphysik, denn ihre Bestimmungen von Kräften,
Gesetzen usw. sind Gedanken. Aber wenn die Philosophie über die
Form des Verstandes hinausgeht und den spekulativen Begriff erfaßt 475

hat, so muß sie die Kategorien, Denkbestimmungen der Natur für


sich kennenlernen. Kant hat schon den Anfang des Denkens über die *
Natur gemacht. Schelling hat aber an die Stelle der gewöhnlichen
Verstandesmetaphysik der Natur den Begriff derselben zu setzen
gesucht. Schelling nennt die Natur eine erstarrte Intelligenz, d. h. die *
äußerliche Weise des Daseins des Systems der Gedankenformen, wie
der Geist ist das Dasein desselben Systems, aber in der Form des Be-
wußtseins. Dies ist das große Verdienst Schellings, den Begriff und
die Form des Begriffs in der Naturbetrachtung eingeführt zu haben,
den Begriff gestellt zu haben an die Stelle der gewöhnlichen Ver- 485

standesmetaphysik.
Die Hauptform, die zu Grunde liegt, ist die der Triplizität, die *
Form der ersten, zweiten I und dritten Potenz. Hier fängt er von der *
Materie an, so daß er sagt: Das A = A, die absolute Indifferenz in
ihrer ersten Unmittelbarkeit, ist die Materie und dann hiervon zu 490
weiteren Bestimmungen übergeht. Der Fortgang der Formen er-

465-467 In ... Frieden so Gr


469 aber ... Punkt so Gr
490-491 und ... übergeht so Gr
257-258 Kant, Fichte und SeheHing 187

scheint aber mehr als ein äußerlich angebrachtes Schema. Das Logi-
sche des Fortgangs ist nicht für sich gerechtfertigt. Dadurch hat sich
die Naturphilosophie besonders in Mißkredit gesetzt, indem sie auf
495 ganz äußerliche Weise verfahren ist, ein fertiges Schema zum Grunde

legt und darunter die Naturerscheinungen bringt. Diese Formen


waren bei SeheHing Potenzen.
Man kann aber auch versuchen, statt solche mathematischen
Formen oder den Typus von Gedanken, irgendein Schema sinnlicher
* Formen zu Grunde zu legen. Man hat so den Magnetismus, die Elek-
trizität und den Chemismus in der Natur als die drei Potenzen be-
stimmt, und man hat so beim Organismus z. B. die Reproduktion den
Chemismus, die Irritabilität die Elektrizität und die Sensibilität den
Magnetismus genannt. Dieser Unfug, Formen, die aus irgendeinem
sos Kreise der Natur genommen sind, auf einen anderen Kreis anzu-
* wenden - ein Spiel von Analogien - ist weit gegangen, wenn man
z. B. die Holzfasern der Pflanzen mit Oken die Nerven nennt. Aber
um den Gedanken ist es zu tun; Nerven sind keine Gedanken, ebenso
nicht die Ausdrücke Pol der Kontraktion und Expansion, das Männ-
510 liehe undWeibliche etc. Dieser Formalismus, ein äußerliches Schema

anzuheften an eine Sphäre der Natur, die man betrachten will, ist das
ganz äußerliche Tun der Naturphilosophie. Man kann mit der Phan-
tasie damit spielen, aber alles dies geschieht, um dem Gedanken zu
entgehen, und dies ist denn doch die einzige Bestimmung, um die es
s1s sich handelt.
Dies ist die letzte Form, die wir zu betrachten hatten; die Haupt-
sache in der SeheHingsehen Philosophie ist, daß es um einen Inhalt zu
tun ist, um Konkretes, Wahres. Man hat seine Philosophie auch
Naturphillosophie genannt, aber Naturphilosophie ist nur ein Teil
i2o des Ganzen, und das Verhältnis der Natur in diesem Konkreten hat

* SeheHing so gefaßt: Das Absolute, Gott, macht sich selbst zum


* Grunde, als vorausgesetzt; Gott als bloßer Grund ist die Natur, er
macht sich selbst zum Grunde, [ist] aber nur der Grund, nicht die
Ursache, und die Natur muß insofern erkannt werden. Das Absolute

494-495 indem ... ist so Gr, ähnlich Lii


520-521 und ... gefaßt so Gr
524 und ... werden so Gr, ähnlich Lii
188 Neuere Philosophie 258-259

ist aber, diesen Grund aufzuheben und sich selbst zur Intelligenz zu 525

machen.

Dies ist nun die letzte interessante, wahrhafte Gestalt der Philosophie.
Es fehlt darin die Form der Entwicklung, die das Logische ist, die
Notwendigkeit des Fortgangs. Diese konkrete Idee ist das Resultat
der Arbeit des Geistes von dritthalb tausend Jahren. Die Stufen sind: 53o

die Idee, die konkrete Idee im Neuplatonismus; aber das Werk der
modernen Zeit ist, diese Idee zu fassen als Geist, als die sich wissende
Idee; um dazu fortzugehen, von der Idee zur sich wissenden Idee,
gehört, daß der Gegensatz sich absolut macht, die Idee zum Wissen,
zum Bewußtsein ihrer absoluten Entzweiung gekommen ist; dies ist 535

das Werk der neueren Zeit. Über diese Entzweiung, die sich bewußt
werden mußte, hat das reine Denken bei Cartesius sich hervor-
gehoben und ist fortgegangen zum Gegensatz des Subjektiven und
Objektiven. Die wahrhafte Versöhnung, Auflösung des Gegensatzes
ist diese Einsicht, daß dieser Gegensatz, auf seine absolute Spitze 540

getrieben, sich selbst auflöst, an sich allerdings, wie Schelling sagt, die *
Entgegengesetzten identisch sind, aber nicht nur an sich, sondern daß
das ewige Leben dieses ist, diese Gegensätze ewig zu produzieren und
ewig in Identität zu setzen.
Dies ist nun der Standpunkt der jetzigen Zeit, und die Reihe der 545

geistigen Gestaltungen ist für jetzt damit geschlossen. I Ich habe ihr
notwendiges Hervorgehen auseinander aufzuzeigen versucht, so daß
die eine Philosophie notwendig die vorhergehende voraussetzt.
Unser Standpunkt ist: Das Erkennen des Geistes, Wissen der Idee als
Geist, als absoluten Geist, der sich so entgegensetzt einem anderen 550

Geist, dem endlichen, und das Prinzip und Bestimmung dieses end-
lichen Geistes ist, zu erkennen, daß für ihn sei der absolute Geist.

530 dritthalb] so PiHc; GrLö: 2500


545 Dies ... Zeit so Gr
546 ist ... geschlossen so Gr
547-548 so ... voraussetzt] so Gr; Pi: Der letztere (Standpunkt] ist ver-
mittelt, Resultat des vorhergehenden Standpunkts.
ANHANG
ZEICHEN, SIGLEN, ABKÜRZUNGEN

Sperrdruck einfache Hervorhebung im Original


KAPITÄLCHEN doppelte Hervorhebung im Original
Kursivdruck Herausgeberrede
Seitenzahlen innen Paginierung des Originals
I neue Seite im Original
I neuer Absatz im zitierten Text
[] Hinzufügungen der Herausgeber
] Abgrenzung des Lemmas
die1 tiefgestellte Ziffern im Apparat geben bei öfterem Vorkom-
men des gleichen Wortes in einer Zeile die Reihenfolge an

Nachschriften zur Geschichte der Philosophie


(Zur Beschreibung siehe das Vorwort der Herausgeber zu Teil 1 sowie die an-
schließenden Bemerkungen Zur Konstitution des Textes)

Gr Griesheim
He Anonymus Krakau
Lö Löwe
Pi Pinder
Sr Stieve

Ausgaben
GW G. W. F. Hege!: Gesammelte Werke. In Verbindung
mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausge-
geben von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der
Wissenschaften. Harnburg 1968ff.
V G. W. F. Hege!: Vorlesungen. Ausgewählte Nach-
schriften und Manuskripte. Harnburg 1983ff.
w G. W. F. Hege!: Werke. Vollständige Ausgabe
durch einen Verein von Freunden des Verewigten.
Bde 13-15: Vorlesungen über die Geschichte der
Philosophie. Herausgegeben von Kar! Ludwig Miche-
let. Berlin Bd 1. 1833.- Bd 2. 1833. - Bd 3. 1836. -
Zweite verbesserte Auflage. Berlin Bd 1. 1840. - Bd 2.
1842. - Bd 3. 1844.
192 Anhang

Im Anhang werden folgenae Abkürzungen verwandt:


Abt. Abteilung
Anm. Anmerkung
Bd, Bde Band, Bände
bzw. beziehungsweise
ed. edidit
hrsg. herausgegeben
Ms Hegels Manuskript zur Geschichte der Philosophie
Nr Nummer
0. 0. ohne Ort
s. siehe
u. a. unter anderem
vgl. vergleiche
z. B. zum Beispiel
ZUR KONSTITUTION DES TEXTES

Über das Verhältnis der sechs Berliner Kollegien über die Geschichte der Philo-
sophie zueinander sowie über die Überlieferungssituation und die Methode der
vorliegenden Ausgabe wird das Vorwort der Herausgeber zu Teil 1 der Vor-
lesungen (Hege!: Vorlesungen. Bd 6.) umfassend informieren. Hier seien vorweg
einige unverzichtbare Hinweise zu den Quellen, zur Herstellung des Textes und
zur Formulierung des Apparats gegeben.

a) Quellen

FünfNachschriften des Kollegs 1825/26 sind den Herausgebern bekannt geworden


und zur Konstituierung des Textes herangezogen worden. Drei von ihnen hat
bereits johannes Hriffmeister verwendet in seiner Ausgabe Hege!: System und
Geschichte der Philosophie. Leipzig 1940. bzw. jetzt Hege!: Einleitung in die
Geschichte der Philosophie. 3., gekürzte Auflage 1959, besorgt von Friedhelm
Nicolin. Unveränderter Nachdruck Harnburg 1966:
G riesheim ( Gr): Geschichte der Philosophie. - Staatsbibliothek Preußischer
Kulturbesitz, Berlin. -Eine sehr ausführliche, etwa um die Hälfte des Unifangs vo11
He oder Pi reichere, dabei im ganzen zuverlässige Reinschrift, die Hegels Vortrag
jedoch an einigen Stellen stilistisch überarbeitet und auch ergänzt.
Anonymus (He): Geschichte der Philosophie von Hege!. -Polnische Aka-
demie der Wissenschaften, Abt. Krakow. - Eine ebenfalls sehr ausführliche Quelle,
jedoch eine unmittelbare Mitschrift; sprachlich nicht so ,sorgfältig durchformuliert,
aber manchmal getreuer als Gr. Insgesamt wird Gr durch He weitgehend bestätigt,
zum Teil korrigiert und ergänzt.
Stieve (Sv): Geschichte der Philosophie. Vortrag von Herrn Prof. Hege!.
Berlin den 31ten [Oktober]1825- Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz,
Berlin. - Eine Reinschrift (HoJJmeister: unmittelbare Nachschrift), die den Text
deutlich verkürzt und auch in der Wiedergabe des Wortlauts hinter den anderen
Quellen zurücksteht.
Eine ausführlichere Charakteristik folgt in V 6; siehe aber bereits jetzt den ge-
nannten Titel von johannes Hriffmeister, S. XIIj. -Der Kritik Hrif[meisters an Gr
schlitjlen sich die Herausgeber so nicht an. So richtig es ist, daß Gr alle die üblichen
Fehler von Nachschriften enthält - Hö.rfehler, Verständnisfehler, Fehler bei der
Entzifferung der im Kolleg mitgeschriebenen Vorlage -, so sehr ist aber zu
194 Anhang

betonen, d'!ß Grinsgesamt doch die wertvollste Überlieferung des Kollegs 1825/26
bietet.
Als Quellen neu hinzugetreten sind:
Löwe (Lo): Geschichte der Philosophie nach Hege!. (Von anderer Hand:
W. S. 1825/1826) J. C. Löwe.- Staatsbibliothek Preußischer Kultur besitz, Berlin.-
Eine auiführliche Reinschrift, die jedoch einerseits mit Gr verwandt ist und anderer-
seits mehrfach hinter der Überlieferung durch Gr zurücksteht. Sie kann deshalb Gr
nicht bestätigen, wohl aber in einigen wenigen Partien ergänzen und korrigieren.
Pinder (Pi): Geschichte der Philosophie von Prof. Hege!. Berlin. Winter-
halbjahr 1825/26. Moritz Pinder. - Hegel-Archiv, Ruhr-Universität Bochum. -
Eine sehr auiführliche, in der Formulierung aber etwas stärker zur prägnanten
Kürze neigende Quelle, die wahrscheinlich eine unmittelbare Mitschrift des Kollegs
bildet. Pi weist große Ähnlichkeit zu Gr und insbesondere zu He auf, ohne aber mit
ihnen verwandt zu sein; sie dient zur Bestätigung und Korrektur, gelegentlich auch
zur Ergänzung von Gr.

b) Zur Textgestalt

Der Text der vorliegenden Ausgabe ist durch Integration der genannten fünf Quel-
len hergestellt. Jede Quelle für sich genommen weist eine Vielzahl der vorhin
genannten Mängel auf Die vier Nachschriften GrLöHcPi bieten aber insgesamt
eine sehr weitgehend parallele Überlieferung des Textes. Deshalb lassen sich die in
ihnen verborgenen Fehler durch Kollationierung aller fünf Quelleu erkennen und
dadurch verbessern, daß an den fraglichen Partien auf die jeweils anderen Quellen
zurückgegriffen wird. Als fehlerhafte Überlieferung im weitesten Sinne wird hier
jede Abweichung vo11 dem mit einem hohen Maß an Wahrscheinlichkeit zu rekon-
struierenden Wortlaut des Vortrags verstanden. Der edierte Text folgt im allge-
meinen Gr; die Differenz zwischen Grals Leittext und HcPi als Ergänzungstexten
ist hier jedoch vergleichsweise gering. Deshalbfolgt der Text HcPi, wenn sie gegetl
Gr übereinstimmen; er folgt aber auch dann He oder Pi, wenn es Gründe für die
Annahme gibt, daß Gr im fraglichen Fall nicht korrekt überliefere. Lö wird nur
selteu in den Text aufgenommen, nämlich nur an den wenigen Stellen, an denen die
anderen Nachschriften einen wenig zufriedenstellenden Text bieten, aber auf Grund
des Verhältnisses zwischen ihnen und Lö Anlaß zu der Vermutung besteht, daß Lö
den ursprünglichen Wortlaut authentisch oder doch wenigstens sinngemäß richtig
wiedergebe. Noch seltener ist Sv in den Text aufgenommen worden; diese Nach-
schrift bietet aber wertvolle Hinweise beim Versuch der Feststellung der authenti-
schen Überlieferung.
Die Nachschriften enthalten nur wenige, zudem nicht untereinander einheitliche
Zur Konstitution des Textes 195

Absatzgliederungen und auch nur wenige Überschriften. Die letzteren lassen -


soweit sie durch die Reinschriften überliefert sind- ohnehin erkennen, d~ß sie das
Ergebnis einer nachträglichen Strukturierung des Textes sind. Wie in den anderen
Manuskriptvorlesungen hat Hege/ offensichtlich auch in den philosophiegeschicht-
lichen die Überschriften im allgemeinen nicht eigens vorgetragen. Deshalb sind in
der vorliegenden Ausgabe die Überschriften und die Absatzgliederungen von den
Herausgebern einheitlich festgelegt worden, soweit möglich im Anschl~ß an Vor-
gaben durch die Nachschriften sowie an die Gliederungskonzeption auf Seite
72,42-45. Die Titel für den zweiten Teil: Die Philosophie des Mittelalters
lauten in den Nachschriften: Gr: Die Philosophie des Mittelalters. - Lö: B.
Geschichte der Philosophie. II. Zweiter Teil. Die Philosophie des Mittel-
alters.- Pi: Keine Überschrift.- He: Die zweite Periode. 500-1500.- Sv: ll.
Periode. -Für den dritten Teil: Dieneuere Philosophie lauten die Titel: Gr:
Die neuere Philosophie. - Lö: B. Geschichte der Philosophie. III. Dritter
Teil. Philosophie der neuem Zeit. -Pi: Keine Überschrift. -He: Dritte Pe-
riode. - Sv: Dritte Periode. Nach der Behandlung Bacons und Böhmes Jolxt
nochmals als Überschrift: Neuere Philosophie.
Wegen der übereinstimmenden Überlieferung wurde hier der Titelfür den vierten
Abschnitt der neuzeitlichen Philosophie - Kant, Fichte und SeheHing - aus den
Nachschriften übernommen. Dieser Titel entspricht jedoch weder dem Umfang noch
gar der Anlage dieses Abschnittes. Denn ein wichtiger Teil der Ausführungen gilt
dem im Titel nicht erwähnten Jacobi, und vor allem handelt Hege/ hier die Philo-
sophie Kants und Fichtes nicht als ganze nacheinander ab, sondern zunächst die
transzendentale Asthetik und Analytik Kants (149-156) und den theoretischen Teil
der Wissenschaftslehre Fichtes (156-162), sodann die transzendentale Dialektik
(162-164),Jacobi (165-167), danach die praktische Philosophie Kants mit einem
Hinweis auf Fichte (167-169) und schließlich die Kritik der teleologischen
Urteilskraft und die Postulatenlehre der Kritik der praktischen Vernunft bzw.
den moralischen Gottesbeweis der Kritik der Urteilskraft, wiederum in Verbin-
dung mit Jacobis Begriff des Glaubens und dem Begriff des unmittelbaren Wissens
überhaupt (169-179). Dieses Ineinanderweben insbesondere der Darstellung Kants
und Fichtes findet sich nicht in den anderen Kollegien, auch wenn Hege/ stets Fich-
tes Wissenschaftslehre für eine konsequenJere Ausgestaltung der Kontisehen An-
sätze angesehen hat.
Zum Teil in Übereinstimmung mit den Nachschriften, zum Teil abweichend von
ihnen sind hier die Namen der behandelten Philosophen - sofern sie nicht zuvor in
einer Überschrift genannt werden - durch Sperrung hervorgehoben worden, z. B.
Rousseau (144,219); Gleiches giltfür die Titel der besprochenen Werke. Andere
gelegentliche und uneinheitliche Hervorhebungen durch die Quellen sind hier nicht
berücksichtigt worden. Die im Text genannten und auch die in den Anmerkungen
196 Anhang

abgekürzten Buchtitel werden in der Bibliographie der Quellen zur Geschichte


der Philosophie in ausführlicher Form wiedergegeben.
Die Normalisierung des Textes folgt den Grundsätzen, die bereits bei den reli-
gionsphilosophischen Vorlesungen angewandt und in V 3. LVI~{ und LXIX be-
schrieben worden sind.
Ein Asterisk am Rande verweist auf die im Anhang beigegebenen Anmerkungen
der Herausgeber. Die Anmerkungen sind über Seiten- und Zeilenzähler auf den
Text bezogen.
Der hier hergestellte Text ist überwiegend durch jeweils mehrere Nachschriften
belegt. In allen diesen Fällen ist man zu der Annahme berechtigt, daß es gelungen
sei, den ursprünglichen Wortlaut des Vortrags aus der Brechung in den Quellen zu
rekonstruieren. Daneben stehen freilich solche Sätze oder Satzteile, die nur voll
einer einzigen Nachschrift überliefert sind. Sofern diese in den Reinschriften
GrLöSv enthalten sind, ist ihre Zugehörigkeit zum Kolleg nicht gesichert; sofern
sie in den Mitschriften HcPi enthalten sind, ist doch zumindest die Authentizität
des Wortlauts nicht gesichert. Auf diese Fälle wird im Apparat hingewiesen. Im
Rahmen der vorliegenden Ausgabe war es jedoch nicht möglich, im Apparat aus-
führlich Rechenschcift über die Textkonstitution abzulegen oder gar den Leittext
zu rekonstruieren. Es konnten auch nur die wichtigsten Varianten mitgeteilt
werden.
Im Kolumnentitel wird die Paginierung des zweiten Bandes der Nachschrift Gr
angegeben. Wo ein Seitenbruch in Gr in der Edition nicht abgebildet wird, da
der Text an der betreffenden Stelle nicht Gr folgt, steht der senkrechte Strich für
die Seitentrennung vor dem ersten wieder durch Gr überliefertett Wort.

c) Zum Apparat

Der Apparat erfüllt hier die Aufgabe eines- sehr knapp gehaltenen - Varianten-
apparats und, wenn auch nur in wenigen Fällen, eines textkritischen Apparats. Er
verwendet die oben genannten Siglen der Nachschriften in Verbindung mit einer
stark formalisierten Sprache, die hier noch zu erläutem ist.
Die Nennungzweier Siglen (z. B. >GrLö<) besagt, daß der Text von beiden
Quellen übereinstimmend überliefert wird. Geringfügige Differenzen etwa der
Orthographie oder der Flexion, die im normalisierten Text ohnehin enifallen,
werden hierbei nicht berücksichtigt.
Die Verbindung zweier Siglen durch >mit< (>Gr mit Lö<) besagt, daß der
Text hergestellt wurde auf der Basis der erstgenannten Quelle unter Hinzufügung
der zweitgenannten oder noch einer weiteren Nachschrift.
Die Notierung >so Gr< gibt die Quelle einer in den Text aufgenommenen Pas-
Zur Konstitution des Textes 197

sage an. Sofern dieser Notierung nicht andere Quellen gegenübergestellt werden,
bezeichnet sie Sondergut der genannten Nachschrift. Diese Notierung wird aber
nicht etwafür jedes nicht durch weitere Quellen bestätigte Wort verwendet, sondern
allein mit Bezug auf Satzteile, deren Vorkommen im ursprünglichen Vortrag oder
deren Formulierung als nicht in der gleichen Weise gesichert gelten kann wie beim
übrigen Text.
Die Notierung >so Gr, ähnlich Lö< besagt, daß die an zweiter Stelle genannte
Nachschrift einen nur so geringfügig abweichenden Text bietet, daß auf eine aus-
führliche Mitteilung im Rahmen des hier konzipierten knappen Apparats verzich-
tet werden konnte.
ANMERKUNGEN

Die Gestaltung der Anmerkungen lehnt sich an die Form an, die in den Gesam-
melten Werken gewählt worden ist. Die Anmerkungen beschränken sich in der
Regel auf Nachweise der im Text vorkommenden Zitate und Bezugnahmen auf
andere Schriften sowie aufVerweise innerhalb des Textes. Sie sind kein Kommen-
tar; nur in Ausnahmefällen wird zur Erhellung von Details auf Parallelstellen in
Hegels Werk verwiesen. Im Unterschied zu den Gesammelten Werken werden
die Zitate hier - sofern der Umfang dies zuläßt - in ausführlicher Form gebracht.
Angeführt werden diejenigen Ausgaben, von denen wir mit Sicherheit wissen oder
mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten können, daß Hege/ sie benutzt habe; sonst
werden nach Möglichkeit die jeweiligen Erstausgaben herangezogen. Dabei wird
stets die Rechtschreibung und Zeichensetzung der zu Grunde gelegten Ausgaben
beibehalten. Soweit möglich, sind die betreffenden Stellen zusätzlich nach Band
und Seite heute gebräuchlicher Gesamtausgaben nachgewiesen. Bei Aristoteles wird
die heute gebräuchliche Zählung nach Bekker zusätzlich in Klammern angegeben.
Altsprachlichen Zitaten wird nach Möglichkeit eine heute gebräuchliche Über-
setzung beigegeben. Geringfügige, für Hegels Verständnis der Textstelle nicht
wichtige Differenzen zwischen Text und Übersetzung werden nicht vermerkt.
Bibelstellen werden dann in vollem Wortlaut zitiert, wenn der Inhalt aus Hegels
Anspielung nicht ausreichend ersichtlich ist oder wenn die von Hege/ zitierte For-
mulierung mißverständlich ist. Bei Anspielungen auf die synoptischen Evangelien
werden die Parallelstellen im allgemeinen nicht angegeben. Nachgewiesen werden
diejenigen Stellen, die Hegels Formulierungen am nächsten stehen.
Die Notierung von Quellenangaben antiker Autoren beschränkt sich in den
Fällen, wo nicht feststeht und auch nicht wahrscheinlich ist, daß Hege/ diese Quel-
len gekannt oder vor Augen gehabt habe, auf die heute gebräuchliche Kurzform
(z. B. Lactanz: Divinae institutiones); sofern Hege/ sich auf bestimmte Aussagen
bezieht (z. B. auf einen Satz Tertullians), aber nicht bekannt ist, ob Hege/ den
betreffenden Text selbst gelesen habe - und gegebenenfalls in welcher Ausgabe -,
werden zum Teil neuere Ausgaben herangezogen.
In den Anmerkungen wird mehrfach auf parallele, zumeist ausführlichere oder
besser formulierte Texte und Fußnoten in W1 verwiesen, und zwar auf solche Stel-
len, die in W1 recte gesetzt sind und deshalb- nach Auskunft des Erstherausgebers
Michelet, siehe W1 Bd 13. XIIIj- auf handschriftliche Notizen Hegels zurück-
gehen, und daneben auch auf solche Stellen, bei denen ein anderweitiger Anlaß zu
der Vermutung besteht, daß in Wt handschriftliches Material Hegels herangezogen
200 Anhang

worden sei. Diese Verweise werden hier- sehr abgekürzt- in der Form >Vgl. W
15.000 (Ms? )<gegeben. Auf eine jeweilige Begründungfür die Vermutung Regel-
scher Manuskripte mußte hier aus Platzgründen verzichtet werden, da sie mehrfach
ausführliche Darlegungen zum Verhältnis des Textes in W1 und in den hier zu
Grunde gelegten Nachschriften erfordert hätte.
Häufiger herangezogene Werke werden mit einem Kurztitel zitiert. Der voll-
ständige Titel ist aus der Bibliographie der Quellen zur Geschichte der Philo-
sophie ersichtlich. Werke mit griechisch-lateinischem Doppeltitel werden nur mit
lateinischem Titel zitiert.
Die fetter gedruckten Ziffern zu Anfang jeder Anmerkung verweisen auf die
zugehörige Textstelle im vorliegenden Band. Dabei ist, ebenso wie bei Verweisen
innerhalb der Anmerkungen, die Zeilenzahl in kleinerem Schriftgrad gesetzt.

1,4-5 Untergang ... 529 p. Chr. n.] Von den Darstellungen der Philosophie-
geschichte, auf die Hege/ seinen Vortrag weitgehend stützt, nennen nur Rixner und
Wendt das genaue Datum der Schließung der Philosophenschulen; siehe Rixner:
Handbuch. Bd 1.361: Dem Proklus folgte in der Schule zu Athen Marin,
sein Lebensbeschreiber, (starb 490.) und diesem lsidoros von Gaza, Sim-
plicius, und Damascius, die endlich imJ. 529, als die Hörsäle der heidni-
schen Philosophen auf Befehl des Kaisers Justinians geschlossen wurden,
zusammen nach Persien auswanderten. - Vgl. auch W endt: Grundriß. 207,
sowie Brucker: Historia critica. Tomus 2. 347, 349.
1,12-13 sind ... getreten.] Siehe vorliegende Ausgabe, Teil3 (Originalpagi-
nierung 62J, 76J, 85).
· 2,33--34 Gott ... Welt] Siehe 2. Kor. 5,19: Denn Gott war in Christo und
versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu
und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.
2,35 wie wir ... gesehen haben,] Siehe vorliegende Ausgabe, Teil 3 (Origi-
nalpaginierung 62J, 85).
3,62-63 wie ... nennen] Hege/ spielt an auf den Begriff der cr&p~. die besonders
nach der paulinischen Theologie die den natürlichen Menschen beherrschende und
zur Sünde zwingende Macht ist; siehe Rö"m. 8, 7: fleischlich gesinnt sein ist eine
Feindschaft wider Gott. Für den Christen ist die a&p~jedoch überwunden; siehe
Röm. 8,3J: Gott sandte seinen Sohn und verdammte die Sünde im Fleisch, 4.
auf daß die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns erfüllt würde, die
wir nun nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist.
3,66 Ebenbild Gottes] Siehe 1. Mose 1,27: Und Gott schuf den Menschen
ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; ...
3,74 haben wir ... gesehen] Siehe vorliegende Ausgabe, Teil 3 (Original-
paginierung 81-84).
Anmerkungen 201

3,76-78 [Die] ouatoc ••• hervor;] Siehe vorliegende Ausgabe, Tei/3 (Original-
paginierung 82).
3,79-80 es macht ... aus.] Siehe vorliegende Ausgabe, Teil 3 (Original-
paginierung 73, 77 bzw. 81).
3,86 bei den Kirchenvätern] Hegels Verweis auf die Kirchenväter bleibt hier-
wie auch in dem folgenden Abschnitt- sehr pauschal. Da Hege/ hier auf die For-
mulierung des Trinitätsdogmas anspielt, hätte er sich insbesondere auf Tertullian
sowie auf Basilius, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa sowie auf Au-
gustin beziehen kiinnen. Es gibt jedoch keine Belege dafür, daßer-abgesehen von
dem hier nicht einschlägigen Apologeticum Tertullians - die Schriften der Ge-
nannten gelesen habe. Auch eine Kenntnis von Augustin: De trinitate. ist nicht
nachzuweisen, obgleich Hegels Trinitätslehre in manchen Formulierungen dem
Versuch Augustins, die Trinität aus dem Wesen des Geistes zu begreifen, sehr
nahesteht.
4,96-97 erste Mensch, der Erstgeborene Sohn] Mit der Rede vom Erstge-
borenen Sohn spielt Hege! an auf die im Johannesevangelium und im 1. Brief des
johannes vorkommende Bezeichnung jesu als des fLOvoyev~<; u!6.;; siehe joh.
1,14.18; 3,16.18; 1.joh. 4,9. Diese Wendung wäre allerdings zu übersetzen als
der eingeborene Sohn, da sie gerade die Einzigkeif und Einzigartigkeit des
Sohnesverhältnisses zum Ausdruck bringt, während Erstgeborener Sohn eigent-
lich eine Komplementierung durch mindestens einen später geborenen verlangt.
Diese Umdeutung Ztl Erstgeborener Sohn dürfte darin angelegt sein, daß Hege/
hier den fLOvoyev~<; u!6.; mit dem ersten Menschen, also dem Urmenschen des
gnostischen Mythos in eins oder zumindest in eine funktionale Analogie setzt.
Diese Interpretation ist auch heute umstritten; sie kann sich am ehesten aufjoh. 1,14
stützen.
5,135-137 wir können ... aufnehmen.] Siehe Hege!: Vorlesungen über die
Philosophie der Weltgeschichte. Herausgegeben von Georg Lasson. 19232 •
Nachdruck Harnburg 1968. Insbesondere 733-743.
5,151 »Erkenne dich selbst«] Hege! spielt an auf das bekannte Wort, das nach
Plato am Eingang des Tempels zu Deiphi zu lesen war; siehe Plato: Charmides.
164d: axellov yocp n ~ywye ocu-ro -roÜ-ro <p'I)[Ll dvocL aw<ppoaUV'I)V, -ro yLyvw-
CJl<ELV &!Xu-r6v· xocl /;U[L<pepO[LIXL ( !) -ri{> ev ße"A<por.; &viX6ev-rL -ro 'rOLOÜ-rov YPtXfL[LIX.
(Vielleicht möchte ich beinahe sagen, eben dieses wäre die Besonnenheit, das
Sichselbstkennen, und ganz dem beistimmen, der in Deiphi diesen Spruch
aufgestellt hat.)
6,159-162 Das Erkennen ... a priori] Der Begriff der Konstruktion wurde von
Hegels Zeitgenossen vor allem auf das Gebiet der Mathematik und der Naturwis-
senschaft bezogen. Daß Hege/ hier von einer Konstruktion der Geschichte a priori
spricht, deutet deshalb auf den Gebrauch hin, den Schelling: Vorlesungen über
die Methode des academischen Studium. Tübingen 1803. vom Konstruktions-
begriff macht; siehe insbesondere die Achte Vorlesung. Ueber die historische
Construction des Christenthums. 165-186 (SW },2§_6-295.). 179: Was von
Geschichte überhaupt gilt, muß insbesondere von der der Religion gelten,
202 Anhang

nämlich daß sie in einer ewigen Nothwendigkeit gegründet und also eine
Construction derselben möglich sey, wodurch sie mit der Wissenschaft der
ReligioninnigstEins und verbunden wird. (SW 5.292.)- In ähnlicher Weise
wird der Konstruktionsbegriff damals auch von Schlegel l'erwandt; siehe jetzt
Friedrich Schlegel: Die Entwicklung der Philosophie in zwölf Büchern
(Köln 1804-1805). In Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd 13: Philo-
sophische Vorlesungen (1800-1807). Zweiter Teil. Mit Einleitung und Kom-
mentar herausgegeben von Jean-Jacques Anstett. München - Faderborn - Wien
1964. 323: Man wird dieses Konstruieren der Begriffe vorzüglich in jenen
philosophischen Schriften fmden, die der historischen Darstellung angenähert
sind, oder auch in historischen Schriften, die von philosophischem Geiste
durchdrungen sind. / ... / Das Wesentliche der wahren Konstruktion be-
steht in der Vereinigung des Philosophischen und Historischen.
6,178 oben] Siehe vorliegende Ausgabe, Teil 1 (Originalpaginierung 3, 11f,
18f).
6,182-184 Tertullian ... haben;] Hege/ verbindet hier zwei Aussagen Gellerts
und Tertullians. In den Fragmenten unter dem Titel Volksreligion und Christen-
tum hatte Hege/ diese beiden Aussagen miteinander verglichen; siehe Hege!:
Theologische Jugendschriften. Herausgegeben von H. Nohl. Tübingen 1907.
11: Weich eine kahle und forcierte Anmerkung ist es, wenn der gute Geliert
irgendwo sagt - ein kleines Kind wisse heutzutage mehr von Gott - als der
weiseste Heide, gerade wie Tertullian Apolog. Kap. 46 deum quilibet opifex
usf. - Während Hege/ an dieser Stelle der Jugendschriften die christliche Über-
heblichkeit kritisiert, hat sein Rückverweis auf Tertullian jetzt die Aufgabe, die
Erkennbarkeif Gottes zu betonen, die Tertullian gerade gegen das Nichterkennen
Gottes in der Philosophie Platos stellt; siehe Tertullian: Apologeticum. Ver-
teidigung des Christentums. Lateinisch und deutsch. Herausgegeben, übersetzt
und erläutert von C. Becker. 2. Aufi. München 1961. 204. 46, 7-9: quam illuso-
res et corruptores inimice philosophi adfectant veritatem et adfcctando cor-
rumpunt, ut qui gloriam captant, Christiani et necessario appetunt et integre
praestant, ut qui saluti suae curant. / Adeo neque de scientia neque de discip-
lina, ut putatis, aequamur. quid enim Thales, ille princeps physicorum, seis-
eitanti Croeso de divinitate certurn renuntiavit, commeatus deliberandi saepe
frustratus? deum quilibet opifex Christianus et invenit et ostendit et exinde
totum, quod in deum quaeritur, re quoque adsignat, licet Plato adfirmet
factitatorem universitatis neque inveniri facilem et inventum enarrari in
ornnes difficilem. (205: Die Wahrheit, die die Philosophen als ihre Ver-
höhner und Verderber feindselig sich anmaßen und durch diese Anmaßung
verderben - denn ihnen geht es um den Ruhm -, dieser Wahrheit streben die
Christen mit Notwendigkeit nach und treten aufrichtig für sie ein - denn sie
sind um ihr Heil besorgt./ Und so stehen wir weder, wie ihr meint, dem
Erkennen nochdem Verhalten nach auf einer Stufe. Was wußte denn Thales,
bekanntlich der erste Naturforscher, dem Kroisos auf seine Fragen nach der
Gottheit Sicheres zu vermelden, nachdem er den zum Überlegen gewährten
Anmerkungen 203

Aufschub immer wieder hatte verstreichen lassen? Gott vermag der erste
beste christliche Handarbeiter zu fmden und zu zeigen, und alles, was man
über Gott theoretisch fragt, besiegelt er dann auch durch die Tat - mag Plato
immerhin behaupten, der Schöpfer des Alls sei nicht leicht zu fmden und,
habe man ihn gefunden, nur schwer allen mitzuteilen.) - Im Lichte dieser
Gegenüberstellungfällt die Hege/ zeitgenössische Behauptung der Nichterkennbar-
keif Gottes hinter das Christentum auf heidnische Positionen zurück. - Es ist nicht
bekannt, welche Tertullian-Ausgabe Hege! benutzt hat.
7,201-202 Man hat ... verworfen.] Die durch Augustin geprägte Lehre von
der Erbsünde war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch von mehreren
protestantischen Theologen direkt angegriffen oder stillschweigend unterlaufen wor-
den- etwa von Johann Joachim Spalding und Johann Gottlieb Tö"llner -, auch von
Johann August Eberhard. Hegels Formulierung, daß man um der Form der Erb-
sündenlehre willenden ganzen Inhalt verworfen habe, dürfte als Kritik daran zu
verstehen sein, daß von der Aufklärung mit der traditionellen dogmatischen Gestalt
der Erbsündenlehre auch die Ansicht aufgegeben worden ist, daß der Mensch von
Natur böse sei. In den religionsphilosophischen Vorlesungen nennt Hege! eigen-
tümlicher Weise insbesondere Kant als Vertreter der neuen Auffassung; siehe V
3.192 mit Anm. zu 192,846.
7,209-211 Es wird ... Bösen.] Siehe 1. Mose 2,9.17.
7,214-218 Es heißt ... böse ist.«] Siehe 1. Mose 3,4f22.
8,225-226 Ferner ... an sich.] Hege! spielt auf die Lehre von der Erbsünde an,
die in Augustins Auseinandersetzung mit dem Pelagianismus zu Beginn des 5.
Jahrhunderts ihre dogmatisch gültige Form gefunden hat; siehe insbesondere Augu-
stin: De peccato originali. sowie De gratia Christi. Eine eigene Kenntnis Hegels
von diesen Schriften - oder gar von der Vielzahl der anderen im Verlauf dieses
Streits geschriebenen - liijlt sich jedoch nicht nachweisen.
9,281 »Mein Reich ... Welt«,] Siehe Joh. 18,36.
12,347-348 »Der Buchstabe ... lebendig.«] Siehe 2. Kor. 3,6.
13,390-391 Man hat ... gemacht;] Diese Wendung war Hege/ wahrscheinlich
durch Lessing bekannt; siehe ins besondere Lessing: Axiomata, wenn es deren in
dergleichen Dingen gibt. Wider den Herrn Pastor Goeze, in Hamburg.
Braunschweig 1778. In Lessing: Sämtliche Schriften. Bd 13. Leipzig 1897.
128: Die innere Wahrheit ist keine wächserne Nase, die sich jeder Schelm
nach seinem Gesicht bossieren kann, wie er will. Vgl. bereits Lessing: Eine
Duplik. Braunschweig 1778. Erster Widerspruch. Fünfter Widerspruch. In Sämt-
liche Schriften. Bd 13.38 bzw. 62. -Der Ausdruck liijlt sich jedoch bis ins 12.
Jahrhundert zurück verfolgen; siehe Alain de Lilie: De fide catholica. I,30:
Auctoritas cereum habet nasum, idest in diversum potest flecti sensum. In
Migne: Patrologia. Series latina. Tomus CCX. 333. Die Anwendung auf die
Bibelfindet sich schon bei Geiler von Kaisersberg; vgl. M. D. Chenu: La theolo-
gie au douzieme siede. Paris 1957. 361: A la fm du XV siede ... Geilerde
Kaisersberg l'appliquera a l'Ecriture: Die heilige geschrift ist wie eine
wachserne Nase, man bügt es war man will.
204 Anhang

13,400-402 »Wenn ... leiten«] Siehejoh. 16,7.13.


13,403-405 also ... voll werden.] Hege! spielt an auf Acta 2,4.
14,408-409 »Der Geist ... weg bin.«] Siehe Joh. 16, 7.
14,418-419 So ist ... ist.] Vgl. hierzu Hegels Ausführungen in den Vorlesun-
gen über die Philosophie der Religion. Teil 2. V 4. 999. sub voce Lama, Dalai
Lama.
14,428 er hat ... Gottes] Siehe Luk. 22,69; Acta 7,55.
14,430 [was] wir ... gesehen haben] Siehe vorliegende Ausgabe, Teil 3.
(Originalpaginierung 67-70 mit Anm.) sowie die Vorlesungen über die Philo-
sophie der Religion. Teil3. V 5. 22,606-608 sowie 22,608-610 mit Anm.
15,443-444 dies ist ... als Diesen.] Vgl. hierzu die Vorlesungen über die
Philosophie der Religion. Teil 3. V 5. Insbesondere 47-49.
16,471 unter den Neuplatonikern Plotin] Siehe Plotin: Enneaden. II,9. In
Plotin: Schriften. Übersetzt von Richard Harder. Neubearbeitung mit griechi-
schem Lesetext und Anmerkungen [fortgeführt von Rudolf Beutler und Willy
Theiler]. Bd 3. Harnburg 1964. 105-161: Schrift Nr 33.- Vgl. vorliegende Aus-
gabe, Teil3 (Originalpaginierung 78).
16,472-476 den Gnostikern ... aufgestellt.] Hege! spielt auf den im christ-
lichen Gnostizismus fast überall, aber jeweils unterschiedlich gestalteten Doketismus
an. In W 15.31 bezieht er sich hierfür auf August Neander: Genetische Ent-
wickelung der vornehmsten gnostischen Systeme. Berlin 1818. 4H: Aber mit
der Lehre von dem göttlich menschlichen Erlöser, wie sie von den Aposteln
vorgetragen, und in der allgemeinen, das Eine wesentlich-christliche immer
erhaltenden Kirche fortgepflanzt war, konnte Basilides nicht übereinstim-
men. Die Lehre von der Erscheinung des Göttlichen in Knechtsgestalt, von
einem Xpto"roc; E:v crocpKL, einem gekreuzigten Erlöser, war nicht allein den
politisch-fleischlichen, sondern auch den magisch-theosophischen Juden ein
Ärgerniß. Für diejenigen also, die doch von dem Göttlichen und Majestäti-
schen in dem Leben und Würken Jesu ergriffen waren, den göttlichen I Er-
löser in ihm also anzuerkennen sich gedrungen fühlten, blieben nur zwei
Annahmen über, die Übertragung der unter jüdischen Theosophen schon
vorhandenen Ansicht von den Theophanien des alten Testaments, als einer
Verhüllung des Göttlichen in sinnlichen Scheinformen, auch auf die Er-
scheinung des himmlischen Erlösers in Jesu Person, der sogenannte Doketis-
mus, oder die Unterscheidung zwischen einem himmlischen, erlösenden
Geiste, und dem Menschen Jesus, dessen sich jener nur als eines Organs, um
unter den Menschen zu würken, bedient. - Auf diese Stelle bezieht Hege! sich
auch in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. W 15.31. -
Siehe ferner eben da 49f Hingegen dem Leiden Jesu, welches nach der allge-
meinen Kirchenlehre als ein Haupttheil des Erlösungswerks augesehn wurde,
konnte Basilides, nach seinem System, keinen Theill daran zuschreiben. Den
eigentlichen Erlöser, den himmlischen Erlöser, konnte ja das Leiden gar nicht
treffen; der mit ihm verbundene MenschJesus aber konnte nicht zum Besten
der Menschheit leiden, weil überhaupt keiner für andre leiden kann, ... es ist
Anmerkungen 205

der gerechten Weltordnung zuwider, daß irgend ein Wesen ohne eigenes
Verdienst leide, also auch Jesus nicht, als Mensch konnte er auch gar nicht
trei vom Bösen seyn, wenn er gleich der vollkommenste war, denn jeder
Mensch bringt eine mit dem Stoff des Bösen befleckte Lichtnatur mit. -
Neben Basilides wären insbesondere Valentin und Mareion als Vertreter des
Doketismus zu nennen, d. h. der Lehre, daß der Leib Christi nur ein Scheinleib
gewesen und nur dieser gekreuzigt worden sei; vgl. auch vorliegende Ausgabe, Teil
3 (Originalpaginierung 78f). Unter den gegen den Doketismus argumentierenden
Kirchenvätern siehe insbesondere Tertullian: Advcrsus Valentinianos. und
Irenäus: Adversus haereses. Es läßt sich jedoch nicht belegen, daß Hege/ diese
Texte aus eigener Lektüre gekannt habe.
16,476-480 Andererseits ... Logos.] Hege/ spielt an auf die Arianischen
Streitigkeiten um die Christologie seit dem Beginn des 4. Jahrhunderts, die auf dem
Konzil zu Nicaea (325) im Sinne der Gegner des Arius - u. a. Alexander vo11
Alexandrien und Athanasius - entschieden wurden. Sie lassen sich zuspitzen zu
der Differenz, ob Christus mit dem Vater wesenseins (o[J.oouaw~) oder nur wesens-
ähnlich (ofJ.OLoumo~) sei. Hegels Formulierungen verkürzen die Position des Arius,
indem sie dem arianischen Christus jede Verknüpfung ... mit der göttlichen
Idee absprechen. Auch für Arius ist Christus der Logos, aber eben als eine mittlere
Substanz und nicht als wesenseins mit dem Vater.
16,483-485 Die Socinianer ... wie Sokrates.] Hege/ bezieht sich auf die im
Polen des 16. Jahrhunderts entstandene, aber auch darüber hinaus einflußreiche, von
Lelio und Franeo Sozzini m'!ßgeblich beeinflußte unitarische Religionsgemein-
schcift, die sowohl das Inkarnations- als auch das Trinitätsdogma ablehnte. Spezifi-
sche Quellen für Hegels Kenntnis des Socinianismus lasset! sich nicht mit Sicher-
heit nachweisen; siehe aber die folgende Anm.
16,485-486 Diese . . . gegeben.] Über die Socinianer dürjie Hege/ sich in-
formiert haben aus Io. Laur. Moshemius: Institutionum Historiae Ecclesiasticac
·antiquae et recentioris libri quatuor ex ipsis fontibus insignitcr emendati,
plurimis accessionibus locupletati, variis observationibus illustrati. Helmstadii
1755. Saeculum XVI, sectio Ill, pars Il, caput IV. 808-825: Historia Socinia-
rum. Für die Benutzung dieser Quelle spricht, daß Hege/- wie Mosheim - Aria-
nerund Socinianer zusammenstellt; siehe ebenda. Saeculum XVII, sectio II, pars
Il, caput VI. 1013-1016: De Socinianis et Arianis. Siehe insbesondere 101.~(: §.
VI. Socinianis affines sunt Ariani, quorum aliqui etiam hoc aevo darum scri-
bendo nomen adepti sunt, ... , et ex illis quidam, qui generali Anti-Tri-
ni Itariorum et Vnitariorum vocabulo comprehenduntur. Late enim
hoc patet nomen et varii generis homines designat, quibus hoc unum com-
mune est, quod ornnes verae aliquid distinctionis in divina natura ferre no-
lunt. Ariani autem generatim vocantur ornnes, qui Servatorem nostrum
infra Deum patrem ponunt. - Darüber hinaus dürjie Hege/ die Schrift Lessings
über die Auseinandersetzung Leibnizens mit Wissowatius gekannt haben; siehe
Des Andreas Wissowatius Einwürfe wider die Dreycinigkeit. In Zur Ge-
schichte und Litteratur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu
206 Anhang

Wolfenbüttel. Zweyter Beytrag von Gotthold Ephraim Lessing. Braun-


schweig 1773. In Gotthold Ephraim Lessing: Sämtliche Schriften. Herausge-
geben von K. Lachmann. Dritte, auf's neue durchgesehene und vermehrte Auflage,
besorgt durch F. Muncker. Bd 12. Leipzig 1897. 71-99.
17,506-512 In Syrien ... worden,] Hege/ stützt sich aufTennemann: Ge-
schichte. Bd 8, Abt. 1.366. Tennemann spricht hier von Nachteilen, welche ihren
Grund in der Art und Weise hatten, wie jene Werke der Griechen in das
Arabische übergetragen wurden. Bei der großen Entfernung der Sprache
und Kultur der beiden Völker konnte kein unmittelbares Verkehr zwischen
beiden entstehen, sondern es bedurfte eines Mittelgliedes. Dieses fand sich in
den Syrern, welche schon seit Alexanders Zeiten in Verbindung mit den
Griechen gestanden, und seit dem fünften Jahrhundert zu Antiochia, Barytus
und Edessa gelehrte Bildungsanstalten besaßen, und angefangen hatten,
einzelne griechische Werke in das Syrische zu übersetzen. Diese wurden die
Dolmetscher. Nachdem die griechischen Werke in das Syrische übersetzt
worden waren, übersetzten sie Araber aus dieser verwandten in ihre Landes-
sprache. - Vgl. auch Buhle: Lehrbuch. Bd 5.36f
17,512-516 was ... wäre.] Siehe Maimonides: Doctor perplexorum. Pars I,
cap. 71. Maimonides schreibt das von Hege/ kritisierte apologetische Verfahren
allerdings zuerst den griechischen und syrischen Christen zu; von ihnen haben es
die Araber übernommen. Siehe 133f Scias autem, quod omnia illa, quae de his
rebus (sc. de unitate Dei et aliis rebus ad hoc negotium spectantibus) dis-
seruerunt & scripserunt Ismaelitae, tarn illi, qui sunt de Secta Muatzali( !),
quam illi, qui sunt de Secta Assaria, quOd inquam illa omnia sint super-
structa placitis & principiis, desumptis ex libris Graecorum & Aramaeorum,
... I Cum postea succedebant, & dominium obtinebant Ismaelitae, & ad
ipsos Philosophorum libri transferebantur, & cum illis quoque Responsiones
illae, quas Graeci & Aramaei composuerant contra libros Philosophorum, ut
scripta Johannis Grammatici, Aben Adi, & aliorum; turn illi statim
ambabus, quod ajunt, ulnis illa sunt amplexi, magnos thesauros nactos se
arbitrantes. (1.284-286: Wisse jedoch, daß alles, was die Araber, und zwar
die Mutaziliten und Aschariten, in betreff dieser Fragen gesagt haben, An-
sichten sind, die auf Behauptungen und Heischesätzen beruhen, die den
Schriften der Griechen und der Syrer entnommen sind, ... I ... Als nun
nach dem Auftreten des Islams die Schriften der Philosophen ins Arabische
übertragen wurden, wurden auch diese Entgegnungen überlsetzt, die gegen
die Schriften der Philosophen gerichtet waren, und man fand, daß über diese
Dinge bereits der Grammatiker Johannes, (Jachja Ibn Adi) und andere ge-
schrieben hatten. An diesen hielten sie fest in der Meinung, damit einen
wichtigen Fund gemacht zu haben.) (Grammatiker Johannes: Johannes Philo-
ponos, 5./6. Jahrh. in Alexandrien; Ibn Adi: Abu Zacharia Jachja Ibn Adi, 10.
Jahrh. in Bagdad.) - Vgl. die Übersetzung in W 15.122f (Ms ?). - Hier und in
den folgenden Zitaten aus Maimonides sind die Differenzen zwischen dem lateini-
schen und dem deutschen Text größer als in anderen Fällen, da die deutsche Pas-
Anmerkungen 207

sung nicht eine Übersetzung der lateinischen ist, sondern beide atif das arabische
Original zurückgehen.
17,516-520 Er gibt ... hatten.] Siehe ebenda 134, im Anschluß an das in der
vorhergehenden Anm. mitgeteilte Zitat: Et hisnon contenti, selegerunt ac cor-
raserunt praeterea ex sententiis Philosophorum priorum, quicquid sibi utile
fore existimabant, quamvis illud a Philosophis posterioribus satis superque
jam fuerit refutatum, ut est sententia de Atomis, de Vacuo &c. (1.286: Auch
sie wählten von den Ansichten der älteren Philosophen dasjenige, was die,
die es wählten, als nützlich für sich erachteten, obgleich die neueren Philo-
sophen dessen Unrichtigkeit bereits erwiesen hatten, wie z. B. die Lehre von
den Atomen und vom leeren Raume.)- Maimonides lehnt es im Weiteren ab,
sich mit den Lehren zu beschäftigen, quaedam vero illis peculiaria, quibus SC
oneraverunt duae illae Gentes, ut negotium Trinitatis (quam Christiani
statuunt), & sententia alterius sectae (Ismaelitarum) dc Prophetia, sivc
Sermone Dei cum hominibus, ad quae necesse habuerunt excogitarc singularia
quaedam principia, quibus suas illas sententias defenderent. Nos autem de his,
quae illis sunt peculiaria, nil dicemus. (1.287J: welche die Bekenner jener
beiden Religionen auf sich genommen haben, wie z. B. bei den einen die
Untersuchung über die Dreieinigkeit oder in einigen Sekten der anderen die
Untersuchung über den Kalam, zu deren Aufrechterhaltung sie Hypothesen
aufzustellen genötigt waren, die sie in willkürlicher Weise zu I dem Zwecke
aufstellten, um die Dinge aufrecht zu erhalten, in welche sie sich eingelassen
hatten, ebensowenig wie mit den Lehren, die jeder dieser Religionen eigen-
tümlich sind, und mit dem, was darüber für sie geschrieben worden ist.)
17,520-523 Er sagt ... unterstützen.] Siehe ebenda 134, im Anschluß an das
in der vorhergehenden Anm. mitgeteilte Zitat: Summa rei est, quod omnes
Loquentes, tarn primi ex Graecis, qui Christiani facti sunt, quam Ismaeli-
tae, in principiis suis exstruendis non sequuti sint vel attenderint ad ipsam rei,
unde ea desumpserunt, naturam, sed tantum viderint, quomodo res deberet
esse comparata, ad sententiam ipsorum confirmandam, vel saltem non
destruendam: & postea, cum hoc perceperunt, audacter rem ita se habcrc
asseruerint, probationibus super hac re adductis, principiisque suis cisdem
superstructis. (1.288: Mit einem Worte, die älteren zum Christentum über-
getretenen griechischen und die mohammedanischen Dialektiker ließen sich
in ihren Behauptungen schlechterdings nicht davon leiten, was von dem
Zustande des Seienden auf den ersten Blick ersichtlich ist, sondern sie er-
wogen, wie das Seiende beschaffen sein müßte, um als Argument für die
Wahrheit ihrer Ansicht zu dienen oder ihr wenigstens nicht zu wider-
sprechen, und wenn es ihnen schien, daß dieser Einbildung etwas W ahrcs
zugrunde liege, dann stellten sie die positive Behauptung auf, das Seiende
müsse so und so beschaffen sein. Sie gelangten also dahin, Beweisgründe
herbeizuschaffen, mitteist welcher jene Behauptungen bestätigt werden soll-
ten, aus denen die Lehrsätze zu gewinnen waren, vermöge welcher diese
Ansichten bekräftigt oder mindestens nicht widerlegt würden.)
208 Anhang

17,526-18,541 Sie haben ... über.] Dieses kurze Resümee der arabischen
Philosophie und des einen Überlieferungsweges der Aristotelischen Philosophie
stützt sich wiederum auf die Darstellung von Tennemann: Geschichte. Bd 8,
Abt. 1.367-440. Tennemann bemerkt dort, daß unter den Philosophen Aristote-
les Werke fast ausschließlich übersetzt wurden (367). Auch in seinen Darstel-
lungen der einzelnen arabischen Philosophen betont er die Vorherrschaft des Ari-
stotelischen Denkens. So spricht er etwa davon, die Schriften Alkandis (Al-Kindi,
um 800-870 in Bagdad) seien - abgesehen von zweien - Commentare über das
Organon des Aristoteles, logische und metaphysische Fragen, eine Abhand-
lung über die esoterische Philosophie (374}; auch von Aljäräbi (um 870-950 in
Bagdad, Aleppo und Damaskus) erwähnt er seine Logik, d. i. seine Commentare
über das Organon (375). Von Avicenna (Ibn Sina, 980-1037 in Isfahan) heißt es,
daß er ein denkender Kopf war, der im Ganzen zwar dem Aristoteles folgt,
aber doch nicht ohne Einsicht die metaphysischen Begriffe weiter entwickelt
und genauer bestimmt (377). Ebenso sieht Tennemann das Hauptverdienst des
Ave rr o es (Ibn Roschd, 1126-1198 in Sevilla, Cordoba und Marrakesch) als
philosophischen Denkers in der Bemühung um die Erklärung der Aristoteli-
schen Philosophie, welche ihm den größten Ruhm erworben hat, daß er
vorzugsweise der Commentator des Aristotcles heißt(421}. (So Dante:
La Divina Commedia. Inferno. Canto IV.144: Averrois, ehe il gran com-
mento feo.)- Vgl. W 15.130 (Ms?).- Zusammenfassende Bemerkungen über die
Vermittlungsrolle der Araber und der Juden finden sich bei Tennemann: Ge-
schichte. Bd 8, Abt. 1.357J. Tennemann spricht zwar nicht selbst von hebräischm
Übersetzungen, verweist aber auf Buh/es Aufzählung von arabischen und hebräi-
schen Übersetzungen der Aristotelischen Schriften.- Buhle: Lehrbuch. Bd 5.250.
spricht ebenfalls davon, daß lateinische Uebersetzungen der Aristotelischen
Physik und Metaphysik, und der Commentare arabischer Ausleger dazu, im
christlichen Occidente in Umlauf kamen, die entweder unmittelbar aus dem
Arabischen, oder aus einer hebräischen Übersetzung des Arabischen, geflos-
sen waren. - Rixner: Handbuch. Bd 2.60f spricht davon, daß Aristoteles'
sämmtliche I Bücher nunmehr allmählig in lateinischer, selten aus der Ur-
schrift, öfter aus syrischen oder arabischen Uebersetzungen veranstalteter
Dollmetschung und Auslegung in allen gelehrten Schulen der christlichen
Abendländer eingeführt wurden. Jedoch erwähnt keine der Quellen Portugal als
Ort solcher Übersetzungen.- Michelet zieht in W 15.177 zur Bestätigung heran:
Jourdain: Geschichte der Aristotelischen Schriften im Mittelalter. Eine ge-
krönte Prcisschrift. Aus dem Französischen übersetzt, mit Zusätzen und
Berichtigungen und einem Namenregister von Ad. Stahr. Halle 1831. Diese
Schrift konnte Hege/ noch nicht gekannt haben. -Zur Frage der Übersetzungen der
Aristotelischen Philosophie siehe auch vorliegenden Band 38,188-189 mit Anm.
18,542-544 Eine ausgezeichnete ... Redenden.] Siehe Maimonides: Doctor
perplexorum. - Bereits in der Praefatio Authoris an Rabbi Joseph ben Jehuda
kündigt Maimonides an, er beabsichtige, Loquentium sectae tibi explicarem, ac
q uid de illorum rationibm & probationibus sentirem, an scilicet sint demon-
Anmerkungen 209

strativae nec'ne, indicarem; (1.2: Dir Manches über das Wesen der Mutakali-
mun mitzuteilen, nämlich worauf sie hinzielen, ob sie für ihre Lehre Beweise
hätten, falls aber nicht, Dir zu sagen, worin ihre Kunst bestehe.) Siehe ins-
besondere ebenda Pars I, capp. 71ff. - Hege! besaß die lateinische ÜbersetzutJg
dieses Werkes durch Johannes Buxtorf (Basileae 1629). Sie gebraucht aber uicht das
hebräische Äquivalent Medabberim (C'.,~,~) für das arabische Mutakalimun
(.J_,...jtS::::..), d. i. Anhänger des Kalam ((:JS"), eine gegen die Philosophie und gegen
andere Religionen gerichtete, dialektisch verfahrende Apologetik. Daß Hegcl das
hebräische Wort bevorzugt, dürfte ein Indiz nicht dafür sein, daß er ei11e hebräische
Urfassung dieser Schr!ft annahm - dies wird schon durch ihren vollständigen Titel
(siehe das Verzeichnis der Quellen) ausgeschlossen -, sondern daß er sich dem
Sprachgebrauch von Tennemanns Darstellung anschließt; siehe Tennemann: Ge-
schichte. Bd 8, Abt. 1.440-446.
18,544-546 Diese haben . . . derselben.] Siehe das erste in der Anm. zu
17,516-520 mitgeteilte Zitat. -Etwas später stellt Maimonides diese Lehre aus-
führlich dar; siehe ebenda cap. 73, insbesondere 149: Primum itaque quod
attinet, existimant, totum hunc Mundum, h. e. omnia illius Corpora conflata
esse ex perexiguis quibusdam particulis, quae ob summam exiguitatem nul-
lam neque divisionem admittant (Atomos vocant), neque quantitatem
habeant ... (1.317: 1. Die erste These. Ihre Bedeutung ist folgende: Die
Dialektiker nehmen an, daß die Welt in ihrer Gesamtheit, nämlich jeder
Körper in ihr, aus sehr kleinen Teilchen zusammengesetzt ist, die wegen
ihrer Winzigkeit nicht mehr geteilt werden können, so daß keines dieser
Teilchen überhaupt eine Quantität hat.)- Secund um principium est de
Vacuo, quod itidem primi & antiquissimi ex Loquentibus crediderunt.
Est autem Vacuum, spatium quoddam nihil continens, sed omni corpore
vacuum, omnique substantia privatum. Hoc principium propter praecedens
necessario credere coacti sunt. (1.318f: 2. Die zweite These ist die Be-
hauptung vom leeren Raume. Die älteren Dialektiker, welche die Wissen-
schaft des Kalam gegründet haben, glauben auch, daß ein leerer Raum I
existiert und zwar eine oder mehrere Raumgrößen, in denen schlechterdings
nichts ist, die also leer sind und keinen Körper enthalten, sondern jeder Sub-
stanz ermangeln. Dieser Lehrsatz ist ihnen unentbehrlich, weil sie an die erste
These glauben.)- Siehe auch insbesondere die Erläuterung der ersten These: &
proinde Generatio illis nihil aliud est qu1nn Congregatio, & Corruptio
idem quod Separatio (1.31~{: so daß die Vereinigung ihr Werden, die I
Absonderung aber ihr Vergehen bedeute.)- Vgl. W !J.126 (Ms?).
18,553-557 Maimonides . . . anderes.] Siehe Maimonides: Doctor per-
plexorum. Pars I, cap. 73.152f: Quarta proposi tio est, Accidentia existere,
& esse res superadditas ad Substantiam, nullumque corpus sine aliquo illorum
esse posse. {1.324f: 4. Die vierte These ist die Behauptung, daß die Be-
stimmungen wirklich vorhandene und den Atomen beigefügte Dinge I seien
und daß es undenkbar sei, daß irgend ein Körper ohne eine von ihnen sei.) -
Quinta proposi tio est, Substantiae individuae existentiam conservari &
210 Anhang

perfici in Accidentibus illis, neque sine illis esse posse. / Hujus propositionis
declaratio & sensus est, Unamquamque illarum Substantiarum individua-
rum, quas Deus creavit, habere sua Accidentia, sine quibus esse nequeat, ut
V. G. colorem aut odorem, motum vel quietem; (1.326: 5. Die fünfte
These ist ihre Behauptung, daß der Bestand und das Sein des Atoms erst
durch die Bestimmungen vollständig werde und das Atom nicht ohne Be-
stimmungen sein könne. Sinn und Bedeutung dieser Lehre ist, daß, wie sie
sagen, jedes der Atome, die Gott erschafft, Bestimmungen haben müsse,
ohne die es nicht sein könne, wie Farbe, Geruch, Bewegung oder Ruhe,) - E.
G. Quemadmodum in massa Nivis, Albedo non tantum reperitur in tota
massa, sed & in qualibet ejus particula, & per consequens in toto composito.
(1.327: So z. B. sei bei einem Schneeklumpen die weiße Farbe nicht nur in
dem ganzen Stücke vorhanden, sondern jedes einzelne Atom des Seimces sei
weiß, und deshalb sei die weiße Farbe auch in ihrer Vereinigung vorhanden.)
- 153: Propositio sexta est, Nullum accidens durare per duo momenta.
Cujus propositionis hic est sensus: Existimant, DEUM, cum substantiam ali-
quam creat, simul & eodem momento quoque creare cum illa accidens ali-
quod; neque enim Deum posse substantiam creare sine accidente: esse hoc
&Mvcx-rov. Accidentis autem hanc esse rationem, quod ne quidem per duo
momenta durare & superstes esse possit, sed quam-primum creatur, rursus
interire, Deumque statim aliud creare ejusdem speciei, quod cum perierit,
iterum aliud, & sie consequenter fieri in onmibus accidentibus, quorum
speciem Deus vult conservare. (1.329: 6. Die sechste These ist ihre Be-
hauptung, das Akzidens bestehe nicht zwei Zeitteilchen hindurch. Die Be-
deutung dieser Lehre ist folgende: Sie meinen, Gott erschaffe das Atom und
erschaffe gleichzeitig in ihm eine beliebige Bestimmung. Gott könne aber die
Macht nicht zugeschrieben werden, daß er ein Atom ohne eine Bestimmung
erschaffen könne, weil dies unmöglich sei. Das Wesen und der Begriff eines
Akzidens bestehe aber darin, daß es nicht durch zwei Zeiten, nämlich Zeit-
atome, fortbestehen oder andauern könne. Sobald nun Gott dieses Akzidens
erschaffen hat, verschwinde es und bestehe nicht weiter. Gott aber schaffe
hierauf wieder ein Akzidens derselben Art, welches aber gleichfalls wieder
verschwinde, dann wieder ein drittes derselben Art und dies so fort, so lange
Gott diese Art von Akzidentien entstehen lassen wolle.) -154: Ad hoc autem
statuendum induxit eos, quia negant, quod Natura aliqua cxistat: item, quod
hujus vel illius corporis natura requirat & secum ferat, ut habeat talia ac-
cidentia. Sed dicunt, DEUM accidentia omnia in momento creare sine mediis
naturalibus, & sine adjumento aharum rerum. ( 1.330J: Zu dieser Ansicht
wurden sie dadurch gebracht, damit man nicht sagen könne, daß es über-
haupt eine natürliche Beschaffenheit des Seienden gebe, und daß die natür-
liche Beschaffenheit jedes Körpers entscheide, welche der Akzidentien ihm
zukommen müsse; sie ziehen vielmehr vor, zu behaupten, daß Gott diese
Akzidentien augenblicklich ohne VermitteJung I der Natur oder irgendeines
Dinges erschaffe.)- Vgl. W 15.127 (Ms?).
Anmerkungen 211

18,565-19,570 Nach ... erschaffen wird.] Siehe Maimonides: Doctor per-


plexorum. Pars I, cap. 73.154: Secundtim hanc itaque propositionem dicunt,
nos nequaquam vestimentum illud rubrum, V. G. quod nos rubro colore
tinxisse opinamur, tinxisse, sed Deum eo momento colorem illum in
vestimento creasse, quo illud cum rubro colore, quem in vestimentum in-
gressum opinamur, conjunximus. Neque hoc soltim, sed praeterea dicunt,
Deum hanc consuetudinem observare, ut non proveniat Nigredo verbi
gratia, nisi quando vestimentum vel pannus conjungitur cum Indico, &
Nigredinem illam, quae oritur ex conjunctione tincti cum ipsa nigredine,
non permanere, sed primo momento perire, & aliam creari: neque solere
Deum sublata nigredine creare rubedinem vel virorem, sed nigredinem aliam
priori similem. (1.332J: Dieser Lehre zufolge behaupten sie auch, daß das
Kleid, das wir nach unserem Plane rot färben wollten, keineswegs durch
unser Zutun gefärbt wird, sondern Gott erschafft, sobald das Kleid sich mit
der roten Farbe vereinigt, in dem Kleide diese Farbe, und wenn wir meinten,
die rote Farbe sei in das Kleid eingedrungen, so stellen sie dies in Abrede.
Aber nicht genug an dem, behaupten sie sogar, Gott habe es so eingelrichtet,
daß z. B. die schwarze Farbe nur durch die Verbindung des Kleides mit der
Isatis (Waid) entsteht, daß aber die von Gott bei der Vereinigung des
Schwarzzufärbenden mit der schwarzen Farbe erschaffene Schwärze nicht
bestehen bleibt, sondern augenblicklich verschwindet, daß aber Gott eine
andere schwarze Farbe erschafft. Gott habe es übrigens so eingerichtet, daß
nach dem Verschwinden der schwarzen Farbe nicht etwa eine rote oder
grüne, sondern eine der vorherigen ähnliche schwarze Farbe erschaffen
werde.)- Vgl. W 15.127J(Ms?).
19,570-571 Die Wissenschaft ... usf.] Siehe Maimonides: Doctor per-
plexorum, Pars I, cap. 73.155: Secundtim hanc ipsorum positionem sequitur
quoque, quod scientia nostra, quam hodie habemus, non sit scientia illa,
quam habuimus heri: sed scientias illas privari, & creari alias prioribus
similes; siquidem scientia ipsis est accidens. ( 1.333: Dieser Behauptung zu-
folge sind sie auch zu der Folgerung gezwungen, daß das, was wir jetzt von
einem Dinge wissen, nicht dasselbe ist, was wir gestern davon gewußt
haben; sondern diese Kenntnisse haben zu sein aufgehört, und es sind andere
jenen gleichartige geschaffen worden; denn das Wissen sei ein Akzidens.) -
Vgl. W 15.128 (Ms?).
19,571-573 Der Mensch ... Augenblick.] Siehe Maimonides: Doctor per-
plexorum. Pars I, cap. 73.155: Sie dicunt etiam secundtim istam hypothesin,
quando Homo movet (h. e. sibi videtur movere) calamum, Hornirrem
nequaquam illum movere, sed motum calami esse accidens a Deo in calamo
creatum ... (1.334: Dieser Behauptung gemäß sagen sie ferner, daß, wenn
ein Mensch ein Schreibrohr bewegt, es in Wirklichkeit nicht der Mensch sei,
der es bewegt, sondern die im Schreibrohr entstandene Bewegung sei ein
Akzidens, welches Gott im Schreibrohr habe entstehen lassen,) - Vgl. W
15.128 (Ms?).
212 Anhang

19,586-588 Die orientalischen ... Anschauungsweise.] Zum Begriff des


Spinozismus siehe vorliegenden Band 104, 76ff. -Zum Verständnis der orientali-
schen Anschauungsweise als Spinozismus siehe insbesondere Hege!: Vorlesungen
über die Philosophie der Religion. Teil 2. V 4.2 sowie 171. - Unter den
pantheistischen orientalischen Dichtern denkt Regel sowohl in den religionsphilo-
sophischen Vorlesungen (siehe ebenda 6 Fußnote mit Anm.) als auch in der zweiten
und in der dritten Auflage der Enzyklopädie der philosophischen Wissen-
schaften im Grundrisse (1827 bzw. 1830). § 573. an Dscheläl ed-Din Rümi, den
er 1821 in Nachdichtungen Friedrich Rückerts kennengelernt hat.
20,595-600 Er war ... behandelt worden.] Die Quelle dieser biographischen
Notiz könnte Brucker: Historia critica. Tomus 1!.857. oder Tennemann: Ge-
schichte. Bd 8, Abt. 1.446f sein. Allerdings nennen auch Brucker und Tennemann
richtig Cordoba - und nicht Ägypten - als Geburtsort und Ägypten als das Land,
in dem Moses Maimonides (Mose ben Maimon) hauptsächlich wirkte. Wie Regel
oben (18,543 und 554) die hebräische Bezeichnung Medabberim statt des lateini-
schen Loquentes bevorzugt, so auch- mit Tennemann- den Titel der hebräischer~
Übersetzung More Nevochim (C~:I1:1l i1,1~). Er erwähnt aber auch hier nicht,
daß die hebräische Fassung die noch zu Lebzeiten des Maimonides von Samuel ibn
Tibbon angefertigte Übersetzung eines zwar in hebräischer Schrift, aber in arabi-
scher Sprache geschriebenen Originals sei. Die lateinische Übersetzung Buxto~(s
geht zurück auf die zu Beginn des 13. Jahrhunderts angefertigte hebräische Über-
setzung durch Samuel ibn Tibbon. -Regel hat anscheinend nur die Übersetzung
Buxtoifs und nicht die zuvor erschienenen von 1240 (Dux neutrorum) und Paris
1520 (Dux seu Director dubitantium aut perplexorum) gekannt. - Hegels
Bemerkung über Maimonides' Methode trifft insofern, als der Doctor per-
plexorum nicht die methodische Entfaltung vou Gedanken darstellt, sondern im
wesentlichen die Bedeutung biblischer Ausdrücke und Textstellen erklärt. Obgleich
Maimonides zur Deutung der Gleichnisse der Schrift eine exoterische und eine
esoterische Bedeutung unterscheidet (Einleitung Bogen ***** 1v-2r, vgl. Über-
setzung 1.14)- so deutet er die Buhldirne von Spr. 7 als Materie-, tritt die allego-
rische Methode doch nicht so stark hervor wie bei einem Teil der Kirchenväter o.Jer
bei Philo. Statt dessen greift Maimonides für seine Erläuterungen weitläufig auf das
rabbinische Schrifttum zurück. - Zu Hegels Sicht der allegorischen Methode bei
Philo und im Gnostizismus siehe vorliegende Ausgabe, Teil 3 (Originalpaginie-
rung 65f und 79).
22,686-688 Wir haben ... sollten;] Siehe vorliegende Ausgabe, Teil3 (Origi-
ualpaginierung 305-308) sowie W 14.191-196.
23,711-715 Das ist ... genommen.] Siehe vorliegenden Band 172JJ.
23,717 früher] Siehe vorliegenden Band 1ff.
25,778 advocatus ecclesiae, Kirchenvogt] Das Amt des Kirchenvogts war nicht
auf den Kaiser beschränkt. Die Aufgabe der Kirchenvögte im Hochmittelalter war
es, die weltlichen Angelegenheiten von Kirchen oder Klo"stern zu vertreten. Der
Kaiser als Schirmherr der Kirche überhaupt war gleichsam der oberste Kirchenvogt.
26,802-816 Zu heiligem ... Tapferkeit.] Regel bezieht sich auf Darstellungen
Anmerkungen 213

der Eroberung Jerusalems unter Gottfried von Bouillon 1099 während des ersten
Kreuzzugs.
27,842-845 In der Kirche ... Exkremente.] Hegel polemisiert gegen die
Transsubstantiations/ehre, der zu Folge im Abendmahl Brot und Wein ihrer Sub-
stanz nach in Leib und Blut Christi verwandelt werden. Zu den Komplikationen,
die auf Grund von Hegels Äußerungen entstandm - er wurde von einem seiner
Hörer, dem Kaplan der Hedwigskirche, beim Ministerium wegen öffentlicher Ver-
unglimpfung der katholischen Religion angeklagt-, siehe Hege!: Berliner Schrif-
ten 1818-1831. Herausgegeben von ]ohannes Hojfmeister. Harnburg 1956. 572-
575.
28,868-871 Es kann ... des Geistes,] Hege/ spielt hier auf die Periodisierung
der Geschichte durch Joachim von Fiore (1130-1202 in Kalabrien) an, distanziert
sich aber zugleich durch seine Formulierung wenn es ... ausgesprochen werden
soll.
29,902 früher] Siehe vorliegenden Band 10-16.- Hege/ dürfte sich insbesondere
auf die Ausbildung des Trinitätsdogmas seit der zweiten Häljte des 2. Jahrhunderts
bis hin zu Augustin beziehen. Eine genauere Kenntnis dieser Auseinanderset-
zungen läßt Hegel jedoch weder hier noch in den religionsphilosophischen Vor-
lesungen erkennen.
32,980-984 So hat ... Aristoteles.] Hegels Quelle ist offensichtlich Tenne-
mann: Geschichte. Bd 8, Abt. 1.49: Die Dialektik wurde in den Schulen nach
einigen wenigen und dürftigen Schriften gelehret, welche sich aus den vori-
gen Zeiten erhalten hatten. Es waren die zwei Schriften von der Dialektik
und den Kategorieen, welche dem Augustinus beigelegt wurden, Por-
phyrs Einleitung in das Organon des Aristoteles, Cassiodorus
kurzer Abriß der Dialektik, nach dem Aristoteles, und des Boethius
Uebersetzungen.- Vgl. W 15.159 (Ms?).- Regel schließt sich seiner Quelle in
W genauer an, da er dort die Zweifel an der Zuschreibung der beiden Abhandlun-
gen an Augustin aufnimmt und auch - richtiger- die Auszüge des von den Nach-
schriften nicht genannten Gassiodor aus den logischen Schriften als Kompendium
bezeichnet und nicht die Übersetzung und Kommentierung der Isagoge des Por-
phyrius.
32,986-1 Eine ... gesucht.] Diese kurze Biographie folgt den Darstellungen
Tennemanns und Bruckers. Daß Eriugena für seine Übersetzung des Dionysius
Areopagita beim Papste keine Approbation gesucht, deutet auf ein Zitat aus
Bulaeus [Du Boulaye]: Historia universitatis Parisiensis. Tomus 1.184, mitge-
teilt von Tennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 1.68: Sed nuper doluimus, ut
relatum est Apostolatui nostro, quod opus Dionysii Areopagitae, quod de
divinis nominibus et coelestibus ordinibus graeco descripsit eloquio, quidam
vir Ioannes natione Scotus nuper transtulit in Latinum, quod juxta morem
ecclesiae nobis mitti et nostro judicio debuit approbari. -Die Nachricht hinge-
gen, daß der griechische Kaiser Michael Baibus die Schrift des Dionysius Areopa-
gita Ludwig dem Frommen geschenkt habe, .findet sich nicht bei Tennemann, son-
dern bei Brucker: Historia critica. Tomus 111.616: Miserat Ludouico Pio
214 Anhang

imperatori Michael Baibus Graecorum imperator A.C. DCCCXXIV,


scripta Pseudo-Dionysii Areopagitae de coelesti hierarchia. - Vgl. auch
Tiedemann: Geist der spekulativen Philosophie. Bd 4.182.
32,1-4 Scotus ... verkennen ist.] Siehe Johannes Scotus Eriugena: De
divisione naturae libri quinque, diti desiderati. Accedit appendix ex ambiguis
S. Maximi. Graece et latine. Oxonii 1681.- Tennemann: Geschichte. Bd 8,
Abt. 1. 75. erwähnt noch die Schrift De [divina] praedestinatione. sowie vier
nicht mehr erhaltene weitere philosophische Werke: in Theologiam mysticam
1.1; in Moralia Aristotelis I. 9; dogmata philosophica 1.1; de instituenda
juventute 1.1; ... - Auf die Philosophie des Eriugena geht Regel vermutlich nicht
näher ein, weil er sie als einen bloßen Nachklang des Neuplatonismus betrachtet;
vgl. W 15.160f
32,4-5 Doktor Hjort ... geliefert.] Siehe Peder Hjort: Johan Scotus Erige-
na oder Von dem Ursprung einer christlichen Philosophie und ihrem heili-
gen Beruf. Kopenhagen 1823. - Hjort stellt die Philosophie Eriugenas in den
Zusammenhang der christlichen Spekulation des Mittelalters und der Neuzeit;
dabei kommt er auch noch kurz auf Hegels Wissenschaft der Logik zu sprechen. -
Die Schrift enthält keine längeren Auszüge aus den Werken Eriugenas, aber eine
Reihe von Zitaten in den Fußnoten.
32,5-33,9 Es sind ... gestellt habe.] Die Quelle auch dieser Nachricht ist ein
Zitat aus Bulaeus: Historia universitatis Parisiensis. Tomus 1.182, in Tenne-
mann: Geschichte. Bd 8, Abt. 1. 72 Fußnote: Venerunt ad nos cujusdam
vaniloqui et garruli hominis scripta, qui velut de praescientia et praedestina-
tione divina, humanis, et ut ipse gloriatur, philosophicis argumentationibus
disputans, nulla ratione reddita, nulla scripturarum sive S. S. Patrum autoritate
prolata, velut tuenda et sequenda sola sua praesumptione defmire ausus est.
33,13-19 Anselmus ... Kirche ist.] Diese knappe biographische Notiz lehnt
sich wiederum an Tennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 1.115ff. an; Tennemann
seinerseits stützt sich auf Eadmerus: De vita S. Anselmi, als Anhang zu der
Ausgabe Anselmus Cantuariensis: Opera.- Hegels Bemerkung in 33,16-18, es
werde gesagt, daß Anselm den Grund zur scholastischen Philosophie gelegt
habe, spielt wahrscheinlich an auf Tennemann, ebenda 121: Durch diesen Geist,
durch die Befolgung dieser Grundsätze (sc. daß der Glaube der Philosophie
vorausgehen müsse, man aber andererseits die Vernunft gebrauchen solle, um die
Glaubenswahrheiten einzusehen), hat Anselm den ersten förmlichen Grund zur
scholastischen Philosophie gelegt.- Vgl. W 15.169 (Ms?).
33,19-26 Er sagt ... ablassen.] Siehe Anselm: Epistolarum Liber II. Epistola
XLI, zitiert in Tennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 1.160 Fußnote: Nam
Christianus per fidem debet ad intellectum proficere, non per intelleeturn ad
fidem accedere, aut si intelligere non valet, a fide recedere. Sed cum ad intel-
lectum valet pertingere, delectatur: cum vero nequit, cum ( !) capere non
potest, veneratur. - Vgl. W 15.163 Fußnote 1 (Ms?). - Vgl. Anselmus
Cantuariensis: Opera. 357. (Das fünfiletzte Wort des Zitats lautet in dieser Aus-
gabe: quod.)
Anmerkungen 215

33,27-31 in seinem Traktat ... intelligere.] Siehe Anselm: Cur Deus


homo. Liber I, cap. 2: negligentia mihi videtur, si postquam confirmati
sumus in fide, non studemus quod credimus intelligere. Auch dieses Zitat hat
Hege/ wahrscheinlich in der vorstehenden Form aus Tennemann: Geschichte. Bd
8, Abt. 1.118 Fußnote 69 exzerpiert und übersetzt: Es scheint mir eine Nachläs-
sigkeit zu seyn, wenn wir im Glauben fest sind, und nicht suchen, das, was
wir glauben, auch zu begreifen. Siehe W 15.163 mit Fußnote 2.- Vgl. Ansel-
mus Cantuariensis: Opera. 75. sowie die Übersetzung in Anselm von Canter-
bury: Cur Deus homo - Warum Gott Mensch geworden. Lateinisch und
Deutsch. Besorgt und übersetzt von Franciscus Salesius Schmitt. München 1956.
13.- Hege/ nennt diesen Traktat vermutlich deshalb reich an Spekulationen, weil
Anse/rn hier aus Vernunftgründen die Notwendigkeit der Inkarnation darzulegen
sucht: Auch wenn man nichts Geschichtliches über Christus wüßte, müßte die Ver-
nunft einräumen, daß die Menschen ohne die Erscheinung und den Tod des Gott-
menschen nicht selig werden könnten.
33,36-34,41 Er ist ... gelungen.] Die Bemerkungen zu den äußeren Umstän-
den der Konzeption des- nach dem Kantischen Ausdruck- ontologischen Beweises
stützen sich hauptsächlich auf Tennemann, vgl. 34,37-40 mit Tennemann: Ge-
schichte. Bd 8, Abt. 1.116f: Es kam Anselm der Gedanke ein, ob es nicht
möglich sey, durch ein einziges, einfaches Raisonnement alles das zu bewei-
sen, was von Gott geglaubt wird. Dieser Gedanke ließ ihm Tag und Nacht
keine Ruhe, ließ ihn Essen und Trinken vergessen, und störte selbst seine
Andacht in den Horen und Messen. Da er nun das Gesuchte nicht fmden
konnte, und durch das vergebliche Suchen so sehr beunruhiget wurde, so
glaubte er, der Gedanke sey eine Versuchung des Teufels, und er strebte sich
desselben zu entschlagen. Umsonst, er bemächtigte sich seiner immer mehr.
Endlich fand er unverhofft während seiner Nachtwachen durch göttliche
Erleuchtung den berühmten Beweisgrund für das Daseyn Gottes zu seiner
tmauslsprechlichen Freude. - Diese Nachricht entstammt aber nicht - wie Hege/
angibt- der Vorrede zum Proslogion, sondern wiederum aus Eadmerus: De vita
S. Anselmi. In Anselmus Cantuariensis: Opera. Anhang. 6, zitiert bei Tenne-
mann: Geschichte der Philosophie. Bd 8, Abt. 1.117 Fußnote: Quae res, sicut
ipse referebat, magnam sibi peperit difficultatem. Nam haec cogitatio partim
illi cibum, potum et sornnum tollebat, partim, et quod magis eum gravabat,
intentionem ejus, qua matutinis et alii servitio Dei intendere debebat, pertur-
babat. Quod ipse animadvertens, nec adhuc quod quaerebat ad plenum ca-
pere valens, ratus est, hujusmodi cogitationem diaboli esse tentationem,
nisusque est, eam procul repellere a sua intentione. Verum quanto plus in hoc
desudabat, tanto illum cogitatio ipsa magis ac magis infestabat. Et ecce qua-
dam nocte, inter nocturnas vigilias, Dei gratia illuxit in corde ejus, et res
patuit intellectui, immensoque gaudio et jubilatione replevit ornnia intima
ejus. - Andererseits spricht aber auch die Vorrede zum Proslogion von der Entste-
hung dieser Schriften, was Tennemann, Tiedemann, Brucker und Rixner jedoch
nicht erwähnen. Darin könnte ein Indiz dafür liegen, daß Hege/ über seine philo-
216 Anhang

sophiegeschichtlichen Quellen hinaus auch Anselms Werke selbst beriicksichtigt


habe.
34,49-58 »Wir denken ... zuschreiben.«] Dieses Zitat ist eine freie Wieder-
gabe von Anselm: Proslogion. Cap. 2. Hege/ dürfte diese Stelle wiederum Ten-
nemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 1. entnommen haben; siehe 137f Fußnote:
Aliud est enim, rem esse in intellectu; aliud intelligere, rem esse. - Convin-
citur ergo etiam insipiens, esse vel in intellectu aliquid, quo n.ihil maius cogi-
tari potest; quia hoc cum audit, intelligit; et quicquid intelligitur, in intel-
lectu est. Et certe id, quo maius cogitari nequit, non potest esse in intellectu
solo. Si enim I vel in solo intellectu est, potest cogitari esse et in re: quod
maius est. Si ergo id, quo maius cogitari non potest, est in solo intellectu; id
ipsum, quo maius cogitari non potest est quo maius cogitari potest. Sed certe
hoc esse non potest. Existit ergo procul dubio aliquid, quo maius cogitari
non valet, et in intellectu, et in re.- Vgl. W 15.165J(lateinisches Exzerpt und
Übersetzung, Ms?). - Vgl. Anselmus Cantuariensis: Opera. 30, sowie die
Übersetzung in Anselm von Canterbury: Proslogion. Untersuchungen. Latei-
nisch-deutsche Ausgabe von P. Franciscus Salesius Schmitt. Stuttgart 1962.
85-87: Denn ein anderes ist es, daß ein Ding im Verstande ist, ein anderes,
einzusehen, daß das Ding existiert .. . f So wird also auch der Tor überführt,
daß wenigstens im Verstande etwas ist, über dem nichts Größeres gedacht
werden kann, weil er das versteht, wenn er es hört, und was immer verstan-
den wird, ist im Verstande. / Und sicherlich kann »das, über dem Größeres
nicht gedacht werden kann«, nicht im Verstande allein sein. De1m wenn es
wenigstens im Verstande allein ist, kann gedacht werden, daß es auch in
Wirklichkeit existiere- was größer ist. Wenn also »das, über dem Größeres
nicht gedacht werden kann«, im Verstande allein ist, so ist eben »das, über
dem Größeres nicht gedacht werden kann«, über dem Größeres geldacht
werden kann. Das aber kann gewiß nicht sein. Es existiert also ohne Zweifel
»etwas, über dem Größeres nicht gedacht werden kann«, sowohl im Ver-
stande als auch in Wirklichkeit. - Hegels Rede vom Vollkommensten zeigt,
daß er den Anse/mischen Beweis im Lichte des späteren Cartesischen Beweises aus
dem Begr!IJ des ens perfectissimum sieht; siehe vorliegenden Band, Anm. zu
96,803-809 sowie 97,833-836. Auch die andereu Gottesbezeichnungen im Pros-
logion - verissime omnium, maxime omnium (Proslogion. III) bzw. sum-
mum bonum nullo alio indigens et quo ornnia indigent ut sint et ut bene sint
(Proslogion. Prooemium) - lassen sich durch Vollkommenstes nicht adäquat
wiedergeben.
34,65-67 Der Beweis ... hat,] Siehe Kant: Kritik der reinen Vernunft. B
620-631, sowie vorliegenden Band 164,812-813 mit Anm.
35,77-79 Es ist ... genannt hat.] Siehe den Anhang zum Proslogion. in
Anselmus Cantuariensis: Opera. 35J: Liber pro insipiente adversus S. An-
selmi in Proslogio ratiocinationem. - Hege/ stützt sich wahrscheinlich wiederum
aufTennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 1.139.
35,79-80 Anselmus ... contra insipientem.] Der Titel der Antwort
Anmerkungen 217

Anselms findet sich etwa in dieser Form bei Tennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 1.
145: liber apologeticus adversus insipientem. In Anselmus Cantuariensis:
Opera. 37-40. lautet der Titel: Sancti Anselmi liber apologeticus contra Gau-
niionern respondentern pro insipiente.
35,80-83 [Gaunilo] ... etwas sei.] Hege/ bezieht sich wahrscheinlich auf das
Zitat aus Gauni/os Schrift bei Tennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 1.140 Fuß-
note: Liber pro insipiente c. 2. Nonne et quaecunque falsa ac nullo pror-
sus modo in seipsis existentia in intellectu habere similiter dici possem, cum
ea, dicente aliquo, quaecumque ille diceret, ego intelligerem? Nisi forte tale
illud constat esse, ut non eo modo, quo etiam falsa quaeque, vel dubia, haberi
possit in cogitatione, et ideo non dicor illud auditum cogitare vel in cogita-
tione habere, sed intelligere et in intellectu habere: quia scilicet non possum
hoc aliter cogitare, nisi intelligendo, id est scientia comprehendendo re ipsa
illud existere.- Vgl. Anselmus Cantuariensis: Opera. 35.
35,83 So ... denken.] Regel spielt an a11_{ einen Einwand, der ihm aus Kant:
Kritik der reinen Vernunft. B 627. vertraut war: Hundert wirkliche Thaler
enthalten nicht das Mindeste mehr, als hundert mögliche. De1m, da diese den
Begriff, jene aber den Gegenstand und dessen Position an sich selbst bedeu-
ten, so würde, im Fall dieser mehr enthielte als jener, mein Begriff nicht den
ganzen Gegenstand ausdrücken, und also auch nicht der angemessene Begriff
von ihm seyn. - Dieses Beispiel wird jedoch zuerst gebraucht von Johann Be-
ring: Prüfung der Beweise für das Daseyn Gottes aus dem Begriffe eines
höchst vollkommenen und nothwendigen Wesens. Gießen 1780. 79: Ist die
Existenz eine Realität, so hat eine Sache, die existirt, auch nur eine Realität
mehr, als in eben derselben angetroffen werde, so lange sie noch möglich ist.
Auf diese Art wäre also in Hundert wirklichen Thaiern eine Realität mehr
als in Hundert möglichen, und daraus würde also weiter folgen, daß Hun-
dert mögliche Thaler eben so gut wären als Neun und Neunzig wirkliche, da
man den Thaler, welcher dort mehr, für die Wirklichkeit nehmen müßte.
Wer aber zwischen beiden die Wahl hat, nach welchen wird der wohl grei-
fen?
35,87-88 Plato ... verbunden sind.] Siehe Plato: Phaidros. 246b-d: ~ ~Jiux~
rriimx TrOC'ITOc; emfLEAEtTIX~ 't"OU &~Jiuxou· TrcX'i't"IX I)S; oupocvov rrepmof..d, otf..Ao't"' ev
otf..Ao~c; etllecr~ Y~Y"OfLEV"I). 't"EAEIX fLe'i 00'1 oocroc xoct errnpWfLEV"I) fLETewporropd Te:
XIXL otTrOCV't"IX 't"OV x6crfLOV /)~mxei· ~ 1)€, Tr't"epoppu'l)croccroc <ptpe't"OC~, ~wc; <iv cr't"epeo\i
nvoc; &vT~J..&:ß"IJTOCt. 00 KIX't"OtKtcr6dcroc, crWfLOC y'l)'(VOV :t-ocßo\icroc, IXU't"O OCU't"O llo-
KOUV xtvdv lltoc 't"~V exeLV"I)c; MVOCfLtV, ~<;iov 't"O crUfLTrOC'i ex:t-1)6"1), <Jiux~ xocl crWfLOC
rrocyE:v· 6V"I)'t"6V 't"' ~crxev errWVUfL(OCV' &6cXVOC't"O'i /)t, oU/)' e~ tvoc; A6you AEAOytcr-
fLEVOU, &Af..oc rr:f-&:TTOfLEV, oön tll6vTe:c;, oÖTe txocvwc; vo'l)crocvTec; 6e:6v, &6&:voc-
T6v n ~<;iov, ~XOV fLeV ~Ji"IJX'IJV, ~XOV lle crWfLOC" TOV &d lle xp6vov TOCUTIX crUfLTrE-
cpux6Toc. &:t-:f-OC TIXU't"oc fLeV /)~ 8rr7) T<;i 6e<;i cp(:f-ov, TOCUT7) exhw Te xocl :f-eytcr6w.
(Alles, was Seele ist, waltet über alles Unbeseelte und durchzieht den ganzen
Himmel, verschiedentlich in verschiedenen Gestalten sich zeigend. Die voll-
kommene nun und befiederte schwebt in den höheren Gegenden und waltet
218 Anhang

durch die ganze Welt; die entfiederte aber schwebt umher, bis sie auf ein
Starres trifft, wo sie nun wohnhaft wird, einen erdigen Leib annimmt, der
nun durch ihre Kraft sich selbst zu bewegen scheint, und dieses Ganze, Seele
und Leib zusammengefügt, wird dann ein Tier genannt und bekommt den
Beinamen sterblich; unsterblich aber nicht aus irgend erwiesenen Gründen,
sondern wir bilden uns, ohne Gott weder gesehen zu haben noch hinlänglich
zu erkennen, ein unsterbliches Tier als auch eine Seele habend und einen Leib
habend, aber auf ewige Zeit beide zusammen vereinigt. Doch dieses verhalte
sich, wie es Gott gefällt, und auch nur so sei hiermit davon geredet.)- Vgl.
auch die Übersetzung in W 14.209f(Ms?). Auch dort beschließt Hege/ das Zitat
mit der Bemerkung: Dieß ist eine große Defmition von Gott, ...
35,97-98 In der ... sehen.] Siehe vorliegenden Band 93-95.
36,99-102 Abälard ... vorgetragen.] Das Jahr 1097 findet sich nur in Grals
Geburtsjahr genannt, sehr wahrscheinlich auf Grund von Rixner: Handbuch. Bd
2.27. Deshalb ist anzunehmen, daß der Irrtum nicht auf Hege/ zurückgehe; v.
Griesheim hat dieses Handbuch auch an anderer Stelle (siehe vorliegenden Band
u. a. 59,838-845, 59,845-853) zur nachträglichen Ausarbeitung seiner Nachschrift
herangezogen. Es muß richtig heißen: 1079. - Der Kürze der Angaben wegen ist
es hier nicht möglich, Hegels Quelle bestimmt anzugeben. Die etwas ausführlichere
Fassung in W 15.170,2-4 (bekannt durch seine Gelehrsamkeit, noch beriihm-
ter in der empfindsamen Welt durch seine Liebe zu Heloise und seine
Schicksale) zeigt einen Anklang an Brucker: Historia critica. Tomus III. 734f:
cuius turn ob mira, quae expertus est, fata et callamitates, turn ob eruditio-
nem philosophicam celeberrima est in historia philosophica memoria. - Zu
Hegels Hervorhebung der Dreieinigkeitslehre vgl. Tennemann: Geschichte. Bd
8, Abt. 1.173-175: der Mittelpunkt seines Strebens war aber nach dem Geiste
seiner Zeit, bei dem eingeschränkten Kreise des Wissens, die theologischen,
aus der Bibel und den Kirchenvätern geschöpften Kenntnisse, welche damals
zu der I Glaubenslehre der katholischen Kirche gerechnet wurden. . . . man
wollte, was man glaubte, auch vernünftig glauben. Besonders mußte dieses
der Fall bei den Geheimnissen der christlichen Lehre, I am meisten aber bei
demjenigen der Fall seyn, welches die Hauptunterscheidungslehre des Chri-
stenthums war, und als das Fundament desselben betrachtet wurde, nämlich
der Lehre von den drei Personen des einen Gottes. Diese Lehre zu erklären,
und ihre Vernunftmäßigkeit in das Licht zu setzen, bot Abälard allen seinen
Scharfsinn auf. - Auch Hegels Bemerkung, Abälard habe vor mehreren 1000
Zuhörern vorgetragen, deutet auf Tennemann, ebenda 202: Seine Schüler,
deren er Scharen von Tausenden um sich hatte, ... Im selben Zusammenhang
steht bei Tennemann auch der Hinweis auf die damalige Bedeutung von Paris:
Abälard trug durch seinen Ruhm viel dazu bey, daß Paris der bleibende Sitz
eines höheren wissenschaftlichen Strebens erst in der Theologie, dann nach
und nach auch in den andern Fächern wurde.
36,121-123 Petrus ... Magister sententiarum.] Der Kürze der Angabe
wegen ist es auch hier nicht möglich, eine bestimmte Quelle zu benennen. Das
Anmerkungen 219

Todesjahr 1164 findet sich jedoch nicht bei Tennemann genannt, sondern bei
Brucker: Historia critica. Tomus III.767: Obiit Lombardus anno MCLXIV,

36,126-37,132 Er sammelte ... Kirchenvätern.] Diese Au~führungen stützen


sich aufTennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 1.233f Tennemann gibt dort als
Grundfür die ausgebreitete Brauchbarkeit des Werkes des Petrus Lombardus an,
daß es eine große Menge von Fragen und Antworten in sich faßt, dieselben
nicht entscheidend, sondern mehr problematisch vorträgt, und, nachdem
man die Worte in diesem oder jenem Sinne nehmen, oder diese oder jene
Autorität befolgen will, die Entscheidung Andem überläßt, und dadurch
dem Hange zur dialektischen Grübelei Nahrung gibt; daß es eine I Menge
von Beweisstellen aus den am meisten geltenden Kirchenvätern gesammelt
hat, ... In diesem Zusammenhang (233 Fußnote) führt Tennemann auch die
Kritik von Gualterus an, Petrus Lombardus habe die jeweils angeschnittenen Fra-
gen nicht entschieden.
37,133--138 Thomas ... doctor universalis.] Die Hauptquelle Hegels ist
wiederum Tennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 2.551f: Er stammte aus dem
gräflichen Geschlechte Aquino in dem Neapolitanischen, und wurde 1224
auf dem väterlichen Schlosse Roccasicca geboren. Thomas habe beschlossen, in
dem Schoße des Dominicanerordens, . . . dem Studiren sich einzig zu
weihen, . . . Nachdem er an mehreren Orten gelehrt hatte, begab er sich
nach Neapel, und starb 1274, auf der Reise zu der Lyoner Kirchenversamm-
lung, in dem funfzigsten Jahre seines Alters, von der Mit- und Nachwelt
bewundert, und geehrt I durch den Titel eines allgemeinen und engli-
schen Lehrers ... Die lateinische Form dieser Titel nennt Brucker: Historia
critica. Tomus III.802: Hinc splendidum doctoris communis nomen, mox
post fata eius receptum, teste PTOLOMAEO, et quod maius est, doctoris Ange-
lici. - Doctor communis ist die korrekte Form statt des von GrLöPi überlieferten
doctor universalis. - 552: Wir übergehen hier seine Erläuterungsschriften
über den Aristoteles, in welchen er, wegen Mangel an Sprachkenntniß, mit
großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, und seinen Commentar über den
Lombarden. -Zur Charakteristik der Summa theologiae siehe ebenda 552j Die
anderen von Tennemann zitierten Werke des Thomas - u. a. die Summa contra
gentiles - erwähnt Hege/ nicht.
37,140--142 Er hat ... abhängt.] Diese kurze Charakteristik der Methode des
Thomas findet sich in keiner der zumeist von Hege! benutzten Quellen (Tenne-
mami, Tiedemann, Rixner, Brucker).
37,153--156 J ohannes ... genannt worden.] Die Nachrichten über die Her-
kunft des Duns Scotus finden sich übereinstimmend in den von Hege/ herangezo-
genen Quellen; siehe etwa Tennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. !:ZOO. Tenne-
mann nennt auch- ebenda 702- den doppelten Commentar über den Lom-
bard. Tiedemann: Geist der spekulativen Philosophie. Bd .4. 607Jf. orientiert
sich in der Hauptsache an diesem Kommentar. Vgl. auch Rixner: Handbuch. Bd
2.111. -Den Beinamen doctor subtilis überliefern - bereits in der Überschrift von
220 Anhang

§55- Rixner, ebenda 110, sowie Brucker: Historia critica. Tomus III. 828.
Brucker nennt daneben auch den anderen Titel: inter argutos philosophos qui-
dam Deus dici videretur.
37,156-38,162 Es sagt ... zu verstehen.] Dieses Lob entnimmt Hege/ ebenfalls
Brucker: Historia critica. Tomus III.828 Fußnote I. Brucker überliefert es aus
einer 1672 verfaßten Vorrede des Sancrucius zu der Ausgabe der Werke des Du11s
Scotus, London 1672.8: Philosophiam sie excoluit, vt eius inuentor esse posset,
nisi natam inuenisset, mysteria fidei ita sciuit, vt pene non crediderit: Natu-
ram Dei ita descripsit, quasi aspexisset, arcana prouidentiae, quasi penetrasset,
angelorum attributa, quasi angelus esset, delicias alterins vitae, quasi prae-
gustasset, paucis annis tarn multa scripsit, vt iis Iegendis vix vnus; intelli-
gendis vix vllus sufficiat, ... - Brucker zitiert dieses Lob allerdings als Beispiel
einer törichten Bewunderung, die Duns Scotus in England noch nach Bacon und
Hobbes erweckt habe; dieser Kritik schließt Hege/ sich zumindest nicht explizit an.
38,162-165 Zwölf Folianten ... darauf.] Siehe Tennemann: Geschichte. Bd
8, Abt. 2. 702: Auch wenn seine schriftstellerische Fruchtbarkeit der des Thomas
nicht gleichkomme, so machen doch seine sännntlichen Schriften, wie sie Lucas
Wadding gesammlet hat, zwölf Bände in Folio aus.- Zu de11 Daten und Orten
seines Wirkens siehe eben da 701: Seine Obern schickten ihn 1304 nach Paris,
um die Doctorwürde in der Theologie zu erhalten. . .. Eifersucht über seinen
Ruhm und seine Fertigkeit im Disputiren war die Ursache, daß er schon im
Jahr 1308 von Paris weg nach Cöln versetzt wurde, mn hier Theologie und
Philosophie zu lehren. Ein plötzlicher Tod bald nach seiner Ankunft machte
seinem Leben ... ein Ende.
38,166-175 Er kommentierte ... gewesen sind.] Zu den Nachrichten über
den doppelten Kommentar zu den Sentenzen des Petrus Lombardus siehe vorliegen-
den Band 37,153-156 mit Anm. -Die Charakterisierung der Methode des D~ms
Scotus findet sich jedoch nicht in dieser Form in den genannten Quellen. Tenne-
mann, ebenda 712, spricht jedoch von dessen Manier, die Gegenstände der Spe-
culation durch Entgegensetzung und Auflösung einer langen Reihe von
Gründen und Gegengründen zu bearbeiten, ... Ebenda 705 sagt er, Duns
Scotus habe durch übertriebenen Hang zur Subtilität, durch eine Menge
neuer leerer oder unnützer Terminologien in oft barbarischen Ausdrücken
selbst wieder zu vergeblichen Streitigkeiten Veranlassung gegeben, ... Vgl.
auch Brucker: Historia critica. Tomus 111. 827J.- Auch hier schließt Hege/ sich
der kritischen Haltung seiner Hauptquellen nicht an.
38,175--176 Scotus ... Methode,] Hege/ bezieht sich wahrscheinlich mif· eine
Behauptung bei Carl Fridrich Stäudlin: Geschichte und Geist des Skepticismus
vorzüglich in Rücksicht auf Moral und Religion. 2 Bde. Leipzig 1794-1795.
Bd 1.552. - Tennemann: Geschichte. Bd 8. Abt. 2. 713 Fußnote zitiert Stäudlins
Ansicht, Duns Scotus sey der Urheber der Quodlibetanisehen Methode, die
nichts anders, als eine skeptische Methode sey, bestreitet sie aber durch dm
Hinweis auf Heinrich von Gent.
38,186 schon gezeigt] Siehe vorliegendeu Band 17,506-512; 17,512-516;
Anmerkungen 221

17,516-520 sowie insbesondere 17,526-18,541,jeweils mit Anm.- Hierbei hatl-


delt es sich jedoch nur um den einen Weg der Vermittlung der Aristotelischetl
Schriften; zu einem zweiten Weg siehe die folgende Anm.
38,188--189 der Kaiser ... übersetzen.] Hege/ bezieht sich auf Nachrichten, die
kurz zuvor in einer Kontroverse zwischen A. H. L. Heeren: Geschichte des
Studium's der classischen Litteratur, seit dem Wiederaufleben der Wissen-
schaften. 2 Bde. Bd 1. Göttingen 1797. 183. und J. G. Buhle: Lehrbuch. Bd
5.245-252. diskutiert wurden. Gegen die allgemei11e Annahme einer arabischen
Vermittlung stellt Heeren die Zeugnisse heraus, die für eine direkte Übersetzung der
Aristotelischen Schriften ins Lateinische sprechen. In diesem Zusammenhang ver-
weist er - wie schon Brucker: Historia critica. Tomus III. 670,700 - auf die
Aufforderung Kaiser Friedrichs II. zur Übersetzung der Aristotelischen Schriften.
Es sind allerdings schon längst zuvor- insbesondere im 12. Jahrhundert und zrr
Beginn des 13. - Übersetzungen unmittelbar aus dem Griechischen i11s Lateinische
angefertigt worden. - Den Hinweis auf Friedrich II. kann Hege/ nicht nur vo11
Brucker oder Heeren, sondern auch aus Tennemann: Geschichte. Bd 8, Abt.
1.356 Fußnote. aufgenommen haben: Die Aristotelischen Bücher, welche Kaiser
Friedrich II. ins Lateinische übersetzen ließ, waren, wie Heeren vcrmuthct,
neben andem ebenfalls die Metaphysik und Physik des Aristotclcs. Vgl. auch
Rixner: Handbuch. Bd 2.62. - Bei dieser Gelegenheit sind die Aristotelischeil
Schriften also nicht aus dem Arabischen - oder gar aus dem Syrischen, rvic GrLä.
hinzufügen -, sondern unmittelbar aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt
worden. Heerens Hinweis will ja gerade die Amtahme der Vermittlung durch die
Araber korrigieren. Hege/ hat sich möglicherweise durch seine .früheren Angabetl
(siehe die vorhergehende Anm.) dazu verleiten lassen, auch hier eine Übersetz1mg
aus dem Arabischen ins Lateinische anzunehmen. Er könnte hierzu allerdings auch
durch eine Nachricht bei Buhle: Lehrbuch. Bd 5.258f über die Übersetzung der
Thiergeschichte des Aristoteles aus dem Arabischen durch Michael Scotus (ca.
1175-1236) angeregt worden sein. Buhle kann allerdings über die Tätigkeit von
Michael Scotus am Hofe Friedrichs II. nicht gut informiert gewesen sein, da er als
Todesjahr 1190 nennt.
39,191-192 das Lesen ... verboten.] Hege! stützt sich aufTennemann: Ge-
schichte. Bd 8, Abt. 1.359. Tennemann spricht dort von einem strengen Verbot,
welches eine Kirchensynode zu Paris im J. 1209.gab. Die von Hege/ erwähnten
Schr{jten - Metaphysik, Physik und daraus gefertigte Summen - werden vo11
Hegels Quellen erst im Zusammenhang mit einem erneuerten, schon abgeschwächteil
Verbot genannt, das in den Statuten des päpstlichen Legaten Robert von Courron
für die Universität Paris im Jahre 1215 ausgesprochen wurde. In W 15.177 (Ms?)
wird ein Exzerpt Hegels aus Brucker (nach einem Bericht aus Bulaeus: Historia
universitatis Parisiensis. Tomus III.82) wiedergegeben; siehe Brucker: Historia
critica. Tomus III.697: vt ordinaria lectione libri dialectici Aristotelis lcgan-
tur, libri autem Aristotelis metaphysici et de naturali philosophia, summac-
que ex iis confectae, doctrinaque Dinantii et Almarici haereticorum et Mau-
ricii Hispani a nemine discatur legaturque, ... - Tennemann: Geschichte. Bd
222 Anhang

8, Abt. 1.359. teilt den Originaltext des Bulaeus in der Fuß11ote mit.- David von
Dinant und Amalrich hatten in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die aristo-
telischen Texte in der von der arabischen Rezeption geprägten neuplatonisch-
pantheistischm, heterodoxen Sichtweise ausgelegt.
39,19~195 Papst Gregor ... gereinigt sei.] Siehe Tennemann: Geschichte.
Bd 8, Abt. 1.359: Nicht lange nachher milderte der Papst Gregorius in einer
an die Universität zu Paris (1231) gerichteten Bulle dieses Verbot noch mehr,
und verbot, ohne der Metaphysik zu gedenken, die Bücher der Physik nicht
unbedingt, sondern auf so lange, bis sie geprüft und von allem Verdachte des
Irrthums gereiniget seyn würden. - In der Fußnote auf der folgenden Seite teilt
Tennemann aus Bulaeus den Wortlaut dieses Verbots mit.- Vgl. W 15.177 (Ms?).
39,195--198 Später ... erklärt hätte.] Siehe Tennemann: Geschichte. Bd 8,
Abt. 1.361: Ein Jahrhundert später (1366) wurde sogar von zwei Kardinälen
verordnet, daß keiner Magister werden sollte, wenn er nicht die vorgeschrie-
benen Bücher des Aristoteles, unter denen auch die Metaphysik und einige
über Theile der Naturphilosophie waren, studiret, und in Vorlesungen er-
kläret hatte. - Tennemann verweist hierfür auf Launoius: De varia Aristotelis
fortuna [in Academia Parisiensi]. Cap. IX. p. 210.
39,201-220 Albertus Magnus ... asinus.] In dieser kurzeil Darstellung der
Biographie des Albertus Magnus lassen sich Elemente m1s den Philosophiegeschich-
ten Bruckers, Tiedemanns und Tennemanns nachweisen. So erinnert die Betonung
Er war ein Deutscher. an Tiedemann: Geist der spekulativen Philosophie. Bd
4.369: war ein Deutscher ... -Die Ertvähmmg der 21 Folianten dürfte zurück-
gehen atif Brucker: Historia critica. Tomus III. 797J: Er spricht von Alberts
bewundernswertem Fleiß, qua integram fere librorum bibliothecam conscripsit,
... I ... quae pleraque XXI voluminibus, pretioso opere edidit PETRUS IAMMY
Ord. Praedic. (Fußnote: Lugd[unum] 1651.) -Zu 39,202-204 vgl. Tenne-
mann: Geschichte. Bd 8, Abt. 2.486f: Er schrieb Commentare über alle
Schriften des Aristoteles, welche fünf Bände in der Sammlung seiner W erkc
ausmachen, über den Areopagiten, über die Sen Itenzen des Lombarden, ...
(Hege/ schränkt alle Schriften des Aristoteles ein aufPhysik.) -Daß in Padua
11och das Studierzimmer Alberts (museum eius) gezeigt werde, erwähnt nur
Brucker: Historia critica. Tomus III. 789. -Auch die Auiführlichkeit des Berichts
über die StumP.fiinnigkeit Alberts deutet auf Brucker, eben da 790, und ebenso der
Bericht über die Sprechmaschine, ebenda 793: Id quod non tantum speculationi-
bus exequutus est, sed ipsis quoque stupendis machinis, qualis ea fuisse fertur,
quam voces edentem Thomam Aquinatem perterritum baculo concussisse et
fregisse, dolente Alberto, quod triginta annorum opus perdiderit, nonnulli
narrant.
39,223-40,229 Von den Epikuräern ... herumgetrieben.] Siehe Tenne-
mann: Geschichte. Bd 8, Abt. 2.489 Fußnote 115: Ein Beweis von der On-
kunde des Albert ist seine Erklärung von den Epikuräern und Stoikern. Die
ersten, sagt er, haben daher ihren Namen, weil sie auf der faulen Haut lagen
(supra cutem), oder sich um unnütze Dinge bekümmerten (supercurantes).
Anmerkungen 223

Auf diese Art beurtheilte nämlich der große Haufe der Griechen die Philo-
sophen, und gab ihnen daher diese Benennung. In der Folge verstand man
unter Epikuräem oberflächliche Köpfe. Die Stoiker waren Leute, welche
Lieder machten (cantilenas facientes), und in den Säulengängen ihr Wesen
trieben. Die ersten Philosophen kleideten ihre Gedanken in Verse ein, und
sangen diese in den Hallen ab; daher wurden sie Hallensteher (Stoiker) ge-
nannt. Albertus T. V. p. 530.531. - Vgl. Tiedemann: Geist der spekulativen
Philosophie. Bd 4.372.- In W 15.179. ist diese Stelle ebetifalls zitiert. Dort he(ßt
es jedoch statt supra cutem: bd cutem; die von den Nachschriften überli~ferte
Wendung quod supra entern iacebant (39,224-40,225) tvird weder von den ge-
nannten Quellen noch in W gebraucht.
40,230--235 Im Leben ... Pythagoras.] Siehe Petrus Gasscndus: Dc vita ct
moribus Epicuri libri octo. Editio altera auctior & correctior. Hagae - Comitum
1656. Liber II, cap. VI.51f: An postremo adjiciam quod Albertus Magnus in
libro de animi immortalitate habet, dum Epicurcorum antiquissimos fuisse
Hesiodum, Atalium (qui ab aliis, ait commentator, nuncupatur Achalius) &
Cecinnam (qui vocatur a quibusdam, ait idem, Tetinnus) subjicitque sequu-
tum hos fuisse Isaacum Israelitam Philosophum? De Atalio certe nihil habco
quod dicam; imo neque de Caecinna, quando nequc illum Ciceroais familia-
rem, pro quo Oratio, & ad quem, cujusque Epistolae exstant; neque ullum
alium ex iis, qui eodem fuerunt nomine, Epicureum comperio. Isaacus Israe-
lices ille [esse] potuit, qui Salomonis Arabiae Regis adoptivus filius dictus est,
& cttius duo supersunt libri, de diaetis universalibus, & particularibus: nihil
tarnen rcpcrias I in illis, quod Epicureum declaret. At Hesiodum cur non
potuerit Poetam intelligere; cum aliunde CX Stoicorum Secta faciat Spcusip-
pum, Platonem, Socratem, Pythagoram? Seilieee vir alioquin doctus (nisi &
librum alterius dicas) tarn esse potuit temporum ignarus, quam germanarum
opinionum, quas attribuit Philosophis. Sed de Sectatoribus satis. - Vgl. W
15.179-180 (Ms?). Vgl. Petrus Gassendus: Miscellanea. Tomus V. Lugdu11ut11
1658.191.
40,248-249 Unter ... genannt.] Hegels Zusammenstellung von Roscellin 1'011
Compiegne (um 1050- um 1120) und Abälard orimtiert sich an Brucker: Histo-
ria critica. Tomus III.674: Hunc autem Roscelinum Nominalium primum
fuisse conditorem, eamque sectam per discipulum Abaelardum propagauisse,
infra suo loco docebimus. Brucker stützt sich - ebenda 738 - auf einen Schüler
Abälards, Johann von Salisbury: Metalogicus. Liber II, cap. 17.814.- Tenne-
mann: Geschichte. Bd 8, Abt. 1.337. zitiert zwar eberifalls diesen Text, stellt
iedoch die Differenzen zwischen Roscellin und Abälard herarJS: Jener suchte das
Allgemeine in den Wortlauten {vocibus); dieser in den Worten, oder
vielmehr in den durch Worte bezeichneten Ureheilen (sermonibus). Er
bestreitet auch - ebenda 170J Fußnote- die Schülerschcift Abälards. Sie ist jedoch
heute allgemein anerkannt; Abälard hat in Loches bei Roscellin studiert, allerdings
auch andere Lehrer gehabt, wie den Realisten Wilhelm von Champeaux (1070-
1120).
224 Anhang

40,250-41,252 Zu den ... starb.] Diese biographische Notiz stützt sich auf
Tennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 2.842f Nur Tennemann gibt als Todesjahr
1347 (alternativ: 1350) an; Brucker: Historia critica. Tomus III.848. und Tie-
demann: Geist der spekulativen Philosophie. Bd 5.165. nennen 1343 oder
1350. Heute nennt man 1349 oder unbestimmt die Zeit von 1347-1350 als Todes-
datum. Geboren ist Occam um 1285. -Daß Occam die Auseinandersetzung zwi-
schen Realisten und Nominalisteil wieder an die Tagesordnung gebracht habe
(41,252f), deutet aufTennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 2.841: Occam war
der Erste, der ... der Partei der Nominalisten Gewicht und Ansehen gab,
und den alten Streit zwischen diesen und den Realisten wieder emeuerte.
41,257-260 Occam ... gesucht.] Occam hat allerdings nicht nur die germani-
sche Freiheit zu behaupten gesucht, sondern zuvor - von Frankreich aus - die
Rechte der weltlichen Herrschcifi überhaupt verteidigt. Hegels Rede von An-
maßungen des römischen Stuhls klingt an eine Formulierung aus Tiedemann:
Geist der spekulativen Philosophie. Bd 5.164. an: Philipp der Schöne in
seinen heftigen Streitigkeiten gegen die Anmaßungen der Päpste munterte
ihn noch mehr auf, indem er ihm Schutz gegen die Angriffe des römischen
Hofes erblicken ließ; ... Hege/ scheint dies auf Ludwig den Bayern übertragen
zu haben, bei dem Occam 1330- als er von Papst Johannes XXII gebannt war-
Zuflucht fand und den er in zahlreichen Streitschriften unterstützte. Hegels Gegm-
überstellung der Verteidigung mit der Feder und mit dem Schwert geht zurück auf
das Occam zugeschriebene Wort: Tu me defendas gladio, ego te defendam
calamo; siehe Tennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 2.843; Brucker: Historia
critica. Tomus III.848.- Tiedemann: Geist der spekulativen Philosophie. Bd
5.165. teilt diese Formel in deutscher Übersetzung mit.
41,262-264 der König ... frei.] Hege/ stützt sich aufTennemann: Geschich-
te. Bd 8, Abt. 2, insbesondere 945: Unter der Regierung Ludwig XI. im Jahre
1473 traf die Nominalisten eine neue Verfolgung. 946f: In einem königlichen
Dekret zur Reform der Pariser Universität, von dem Tennemann vermutet, es sei
durch die Realisten selbst . . . dem König an die Hand gegeben worden,
umrde ausschließlich das Studium der Lehre des Aristoteles, seines Auslegers
Averroes, des Albertus Magnus, Thomas von Aquino, I . . . und anderer
realistischen Lehrer gestattet; die Schriften der Nominalisten (u. a. Occam, Gregor
11on Rimini, Buridan, Marsilius) wurden verboten. 947: Zufolge dieses Decrets
wurden alle Bücher der Nominalisten weggenommen, und an Ketten ge-
schlossen, bis dasselbe 1481 vom König aufgehoben, die Bücher entfesselt
und zum freien Gebrauche geöffnet, und die Lehre der Nominalisten in
gleichem Range mit der realistischen autorisirt wurde. - Tennemann bezieht
sich aufBulaeus: Historia universitatis Parisiensis. Bd 5. 706, 739f
41,285-42,288 Nach den Nominalisten ... Realität.] Diese Formulierungen
klingen an Ausführungen Rixners über Roscellin- also über den Jrühett Nomina-
lismus - an; siehe Rixner: Handbuch. Bd 2.26: Roscellin behauptete, miß-
kennend die Lebendigkeit der Ideen und sie für nichts als blose Ab-
stractions-Begriffe haltend, daß die Ideen, oder die von ihm sogenann-
Anmerkungen 225

ten Universalien, z. B. Seyn, Leben, Vernunft, Menschheit u.s.w.,


bloße Gattungs-Namen, und an sich nichts Reales seyen, d. h., daß
Seyendes nur seye in individuo, nicht das Seyn selbst; Lebendiges nur
seye in individuo, nicht das Leben selbst u.s.w.- Siehe W 15.182(Ms?).
42,290-298 In einer ... Existenz.] Daß Regelnun von einer anderen Schrift
von Occam spricht, zeigt, daß er irrtümlich die vorausgegangene Charakteristik
des Nominalismus (siehe die vorhergehende Anm.) nicht auf Roscellin, sondern auf
Occam zurückführt; siehe aber die korrekte Zuschreibung in W 15.182 (Ms?). -
Das folgende Zitat aus Occam: In librum primum sententiarum. Distinctio 11,
quaestio IV. hat Regel entnommen aus Tennemann: Geschichte. Bd 8, Abt.
2.846 Fußnote 3: Ad istam quaestionem est una opinio, quod quodlibet uni-
versale univocum est quaedam res existens extra animam realiter in quolibet
et singulari et de essentia cujuslibet singularis distincta realiter a quolibet
singulari et a quolibet alio universali, ita quod homo universalis est una vcra
res extra animam existens realiter in quolibet homine, et distinguitur realiter
a quolibet homine et ab animali universali et a substantia universali et sie de
omnibus generibus et speciebus sive subalternis sive non subalternis. - Vgl.
das Exzerpt und die Übersetzung in W 15.185f(Ms?).
42,299-304 Occam ... existiere.] Diese Aussage geht zurück aufOccam: In
librum primum sententiarum. Distinctio II, quaestio VIII. Regel hat sie aus
zwei Fußnoten in Tennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 2. aufgenommen; siehe
859: Ideo potest aliter dici probabiliter, quod reale (richtig: universale) non
est aliquid reale habens esse subjectivum, nec in anima nec extra animam, sed
tamen habet esse objectivum in anima, et est quoddam fictum habens esse
talein esse objectivo, quale habet resextra in esse subjectivo. sowie 862: Cui
non placet ista opinio de talibus fictis in esse objectivo, potest tenere, quod
conceptus et quodlibet universale est aliqua qualitas existens subjective in
mente, quae ex natura sua est signum rei extra, sicut vox est signum rei ad
placitum instituentis. - Vgl. die vollständigen Exzerpte und die freie und stark
verkürzte Übersetzung in W 15.187/ - Die Übersetzung gibt est quoddam
fictum habens esse tale in esse objectivo, quale habet res extra in esse subjec-
tivo wieder durch: Es ist ein Gebildetes, das aber doch objektive Realität in
der Seele hat; sie läßt also Occams Verhältnis der adaequatio rei et intellectus (tale
... quale) außer Acht. In der Überliiferung durch die Nachschriften enifallen
schließlich auch die Wiirter in der Seele, so daß der übriggebliebene Ausdruck
objektive Realität ( 42,302) die moderne Bedeutung anzunehmen scheint. Die
Übersetzung in W 15.187. verkürzt ferner den Schluß des Zitats quod conceptus
... signum rei extra zu: die Vorstellung sey ein Koncept, das in dem Geiste
existire als Zeichen eines Dinges außerhalb der Seele; die Überliiferung durch
die Nachschriften verfälscht diese Aussage weiterhin zugunsten der Behauptung,
daß die Vorstellung ihre Realität in der Sache habe.
43,322-323 Von Julian ... quaestiones.] Daß Regel erst hier, im A11schluß
an die Darstellung des Nominalismus, auf]ulian von Toledo zu sprechen kommt,
verstößt gegen seine - von Ausnahmen abgesehen - chronologische Darstellung der
226 Anhang

scholastischen Philosophie. julian von Toledo lebte bereits im westgotischen Reich


in Spanien; er starb 690. Zu seinen quaestiones siehe die folgende Anm.
43,329-340 Es ... verloren?] Diese Fragen sind Julian von Toledo: Pro-
gnosticon futuri saeculi. entnommen. Hege/ stützt sich aber nicht auf diese Quelle,
sondern auf Tennemann, der sich ebenfalls nicht unmittelbar aufjulian, sondern auf
Cramers Fortsetzung von Bossuet, 5Th. 2 Bd. S.88. bezieht; gemeint ist Jacob
Benignus Bossuet: Einleitung in die Geschichte der Welt und der Religion,
fortgesetzt von Johann Andreas Cramer. Fünfte Fortsetzung oder des fünften
Theils zweyter Band. Leipzig 1772. 84. Siehe Tennemann: Geschichte. Bd 8,
Abt. 1.61: In welchem Alter die Verstorbenen auferstehen werden, als Kin-
der, Jünglinge, Männer oder Greise? In welcher Gestalt? Mit was für einer
Leibeskonstitution? Werden die Fetten wieder fett, die Magern wieder
mager seyn? Wird der Geschlechtsunterschied in jenem Leben fortdauern?
Werden die Menschen alles wieder bekommen; was sie in ihrem Leben an
Nägeln und Haaren verloren haben?- Vgl. W 15.192 (Ms?).
43,341-344 Eine Hauptfrage ... behandelt.] Siehe die Fortsetzung des in der
vorhergehenden Anm. zitierten Berichts bei Tennemann: Gegen 840 kam die
Streitfrage über die Geburt Jesu, ob sie natürlich oder übernatürlich gewesen
sey, in Bewegung, und veranlaßte mehrere Streitschriften. Unter andern
schrieb Paschasius Radbertus zwei Bände de partu beatae Mariae virgi-
nis. - Tennemann verweist hierfür aufBulaeus: Historia universitatis Parisiensis.
Tomus 1.169. - Paschasius Radbertus (786-860, Kloster Corbie an der Somme)
gehört zur sogenannten Karolingischer~ Renaissance. -Der Vergleich mit der Sicht-
weise eines Geburtshelfers findet sich jedoch nicht bei Tennemann. - Vgl. W
15.192 (Ms?).
43,344-44,348 Bei ... wären.] Auch hier stützt Hege/ sich aufTennemann:
Geschichte. Bd 8, Abt. 1.236. Tennemann gibt eine knappe Übersicht über den
Inhalt der vier Libri sententiarum des Petms Lombardus (zu ihm siehe vorlie-
genden Band 36f): In dem ersten Buche handelt er von der Dreieinigkeit und
von den Eigenschaften der Gottheit, vorzüglich der Allwissenheit, Vorher-
sehung und Prädestination, Allgegenwart, Macht, und dem Willen der Gott-
heit; in dem zweiten Buche von der Schöpfung, den Engeln, dem Falle der
bösen Engel, den Ordnungen und Klassen der guten; ... Ueber alle diese
Materien kommen eine Menge Fragen vor, die, ungeachtet Lombard eine
Auswahl getroffen hatte, doch von einer eitlen Neugierde eingegeben
waren; z. B. Ob ein Vorhersehen und Vorherbestimmen Gottes möglich
gewesen wäre, wenn keine Geschöpfe gewesen wären? Wo Gott war vor
der Schöpfung? -Zur Fortsetzung des Zitats siehe die übernächste Anm.
44,348-350 Wo ... ipse.] Diese Antwort des Thomas von Str~ßburg hat Hege/
aus einer anderen Quelle eingeschoben; sie findet sich erwähnt bei Rixner: Hand-
buch. Bd 2.153.
44,351-364 Ferner ... suppositare ?] Diese Fragen sind wiederum von Tenne-
mann überliefert; sie schließen an die vorletzte Anm. an; siehe Tennemann: Ge-
schichte. Bd 8, Abt. 1.236f: Ob Gott mehreres wissen kann, als er weiß? Ob
Anmerkungen 227

ein Prädestinirter verdammt, oder ein Verworfener selig werden könne? Ob


Gott etwas Besseres oder auf eine bessereWeise machen könne, als er macht?
Ob Gott allezeit alles könne, was er gekonnt hat? Wo die Engel nach ihrer
Schöpfung gewesen? Ob die guten I Engel sündigen, die bösen Engel recht-
schaffen leben können? Ob alle Engel körperlich sind? Von den Gestalten, in
welchen Gott und die Engel erscheinen. Wie die bösen Engel in die Men-
schen fahren? Ob die Ordnungen der Engel seit dem Anfang der Schöpfung
bestimmt worden? In welchem Alter der Mensch geschaffen worden?
Warum Eva aus der Ribbe und nicht aus einem andem Theile des Mannes,
und warum sie während des Schlafes und nicht im wachenden Zustande des
Menschen gemacht worden? Ob der Mensch ohne Aufhören hätte leben
können, wenn er auch nicht von dem Baume des Lebens genossen hätte?
Warum die Menschen in dem Paradiese sich nicht begattet haben? Wie die
ersten Menschen sich fortgepflanzt hätten, wenn sie nicht gesiindiget hätten?
Ob die Kinder mit vollkommen ausgewachsenen Gliedern und mit dem
vollen Gebrauche der Sinne würden geboren worden seyn? Warum der
Sohn, nicht der Vater und der heilige Geist, Mensch geworden? Ob auch die
erste und dritte Person der Gottheit habe Mensch werden können? Ob Gott
den Menschen auch in dem weiblichen Geschlechte habe annehmen können?
- Die Frage nach der Möglichkeit einer wiederholten Schöpfung des Kö"nigs Salo-
mo (44,354f) läßt sich in dieser Quelle nicht nachweisen; sie findet sich auch nicht
in W 15. -Die Hinzufügung der lateinischen Form suppositare (44,364) findet
sich nicht in dieser Quelle; Hege! hat offensichtlich auf den in der folgenden Anm.
zitierten Text vorgegriffen.- Vgl. W 15.193 (Ms?).
44,364-369 Ob Gott ... können?] Diese Fragen sind dem Mwp(a~ EyxwfLLOV
des Erasmus von Rotterdam entnommen; sie karikieren also - wie Hege! nach dem
Zeugnis von W 15.193 gewußt hat- die scholastische Frageweise. Hegels Quelle
ist jedoch nicht Erasmus selbst, sondern Brucker: Historia critica. Tomus
III.878: Num in Christo plures filiationes? num possibilis propositio: pater
Deus odit fuium? num Deus potuerit suppositare mulierem? num diabo-
lum? num asinum? num cucurbitam? quemadmodum cucurbita fuerit con-
cionatura, editura miracula, figenda cruci? - Vgl. die Übersetzung in W
15.193f (Ms?); vgl. Desiderii Erasmi Roterodami operum omnium tomus
quartus, complectens quae ad morum institutionem pertinent. Leiden 1703.
465; Ausgewählte Schriften. Ausgabe in acht Bänden. Herausgegeben von Wer-
ner Welzig. Bd 2. Darmstadt 1975. 132f(§ 53).
45,386-387 Johann Charlier ... Jahrhundert,] Diese kurze Notiz geht-
ebenso wie die Zusammenstellung Gersons mit Raimund von Sabunde- aufTen-
nemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 2.955-986. zurück. Hege! schließt sich jedoch
nicht Tennemanns sehr kritischer Einschätzung Gersor1s und Raimunds an. Siehe
eben da 955: Johann Char lier, oder wie er gewöhnlicher heißt, Gerson,
von Gersou oder Jerson, seinem Geburtsorte in der Nähe von Rheims (ge-
boren 1363), ... Als Titel des Werkes nennt Tennemann ebenda 957 Fz~ßnote:
Considerationes de mystica theologia.
228 Anhang

45,388-389 Raimund ... auffaßte.] Regel orientiert sich für diese kurze
Notiz an Rixner: Handbuch. Bd 2.157: Raymund von Sabunde oder
Sabeyde, ein spanischer Arzt und Lehrer der Medicin, Philosophie und
Theologie zu Tolouse, um das Jahr 1437, machte sich besonders durch seine
Theologia naturalis berühmt, darinnen er das Seyn, die Dreyeinigkeit,
die Zeugung, das Leben und die Offenbarung Gottes in der Natur, und in
der Geschichte des Gott-Menschen J. Chr. den Ungläubigen aus der Ver-
nunft zu erweisen sucht. Tennemann nennt kein Entstehungsjahr der Theologia
naturalis; Tiedemann: Geist der spekulativen Philosophie. Bd 4.290. nennt
1436. Das Todesjahr wird gegenwärtig um 1436 angesetzt; das Geburtsjahr um
1385. - Als Titel des Werks nennt Rixner im Anschluß an das vorhergehende
Zitat: Theologia naturalis, sive liber creaturarum, ex quo homo in Dei et
creaturarum suique ipsius cognitionem assurgit. Argentinae 1501. Die Aus-
gabe Argentorati (Straßburg) 1496 trägt den Titel: Theologia naturalis sive liber
creaturarum, specialiter de homine et de natura eius inquantum homo, et de
his que sunt ei necessaria ad cognoscendum seipsum et Deum et omne debi-
tum ad quod homo tenetur et obligatur tarn Deo quam proximo. - Ebenso-
wenig wie seine Quellen berücksichtigt Hege/ den wichtigen Einfluß des Lullismus
auf Raimund von Sabunde.
47,463-465 Die Vorstellung ... behauptet.] Zur Lehre von der doppelten
Wahrheit siehe vorliegenden Band 48,496-49,499 mit Anm. (zu Pomponazzi),
60,854-859 mit Anm. (zu Vanini) und 130,802-806 (zu Bayle).- Hegels kurzer
Hinweis auf die Lehre von der doppelten Wahrheit läßt deren ideengeschichtliche
Entstehungsbedingungen nicht erkennen. Hege/ scheint diese Lehre mit dem geisti-
gen Umbruch der frühen Neuzeit zu verbinden. Ihr Aufkommen steht aber schon
im Zusammenhang mit der averroistisch geprägten Aristoteles-Rezeption im Paris
der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts- insbesondere bei Siger von Brabant- im
Gegenzug gegen den christlichen Aristotelismus bei Albertus Magnus und Thomas
von Aquin. Aus der Unvereinbarkeit insbesondere des averroistischen Aristotelismus
mit der Kirchenlehre schien- wenn man jenen als gedanklich konsequent anerkannte
und gleichwohl diese nicht preisgeben wollte - allein die Lehre von der doppelten
Wahrheit einen Ausweg zu weisen.
48,481-485 In dieser ... Chrysoloras.] Siehe Buhle: Lehrbuch. Bd 6. Abt.
1.127: Der erste gebohme Grieche, der als öffentlicher Lehrer der Sprache
und Literatur seiner Nation in Italien auftrat, war Manuel Chrysoloras.
Er war zu Constantinopel gebohren und hatte eine literarische Erziehung
daselbst erhalten. Im J. 1387 ward er vom Kayser J ohannes Palaeologus,
dem Sohne des jüngern Andronicus, nach Italien als Gesandter ge-
schickt, um die christlichen Fürsten zur Hülfleistung gegen die siegreichen
Waffen der Türken unter dem Bajazeth zu bewegen. In der Folge ent-
schloß er sich seinen festen Wohnsitz in Italien zu nehmen, kehrte also 1395
von Constantinopel zum zweytenmale dahin zurück, ... - Vgl. auch Tenne-
mann: Geschichte. Bd 9.23. - Die Bekanntschaft ... mit den griechischen
Originalen (48,478J) datiert allerdings nicht erst aus dieser Zeit um 1390; Origi-
Anmerkungen 229

nale der logischen Schriften des Aristoteles waren schon seit langem bekannt, und
zumindest seit dem Ende des 12. Jahrhunderts auch Originalschriften der Meta-
physik und anderer Werke des Aristoteles; vgl. vorliegenden Band, Anm. zu
38,188-189.
48,487-489 Petrarca ... geflüchtet waren.] Siehe Buhle: Lehrbuch. Bd 6,
Abt. 1.125f Petrarcha und Boccaccio beschäfftigten sich auch mit der
griechischen Sprache und Literatur, der letztere noch mehr, als der er-
stere. Der Lehrer des erstem war ein Mönch Barlaam aus dem Orden des
heil. Basilius, jedoch nur auf kurze Zeit, so daß Petrarcha es nicht so
weit brachte, die griechischen Schriftsteller selbst, namentlich den P 1a t o und
Homer, von deren Werken er Manuscripte besaß, verstehn zu können,
sondern sich mit dem, was an Uebersetzungen derselben vorhanden war,
begnügen mußte. Jenem Barlaam gebührt übrigens, sowie dem Leontius
Pilatus, dem Lehrer des Boccaccio im Griechischen, die EhJre, zur
Wiederherstellung der griechischen Literatur in Italien am ersten beygetra-
gen zu haben. Barlaam war aus Seminara in Calabrien gebürtig.
Durch die griechische Liturgie der Mönche des h. Basilius in den Klöstern
Calabriens ward er zu einem eifrigem Studium der griechischen Sprache
veranlaßt. Er begab sich nach Griechenland und lebte eine zeitlang in Aeto-
lien, zu Salonichi und in Constantinopel. Der Kayser Andronicus
der Jüngere schikte ihn im J. 1339 als Gesandten an den Pabst Benedict
XIV nach Avignon, den damaligen Wohnsitz des päbstlichcn Hofes, und
hier war es, wo er mit dem Petrarcha bekant wurde, und dieser seinen
Unterricht genoß. - Regel gibt irrtümlich Kalabrien als Ort des Unterrichts an,
wahrscheinlich weil Barlaam dort die griechische Sprache erlernt hat.- Vgl. Buhle:
Geschichte. Bd 2, Abt. 1.32J, 41f sowie Tcnnemann: Geschichte. Bd 9.22.
48,495-496 So . . . berühmt.] Diese Wendung klingt an Formulierungen
Tennemanns und Buh/es an; siehe Tennemann: Geschichte. Bd 9.64: Weit
berühmter und merkwürdiger ist Petrus Pomponatius geworden. -
Buhle: Geschichte. Bd 2. Abt. 2.528: Sowohl durch seine Theilnahmc an
diesem das Peripatetische System betreffenden Streite, als durch seine neue
Bearbeitung einiger der wichtigsten, philosophischen Probleme erlangte im
Anfange des sechszehnten Jahrhunderts besonders Petrus Pomponatius
großen Ruhm.- Zur Stellung Pomponazzis (1462-1525) in der Diskussion um
die Unsterblichkeit der Seele siehe die folgende Anm.
48,49649,499 Es gab ... selbst.] Diese beiden Sätze sind mißverständlich
überliefert; siehe hingegen die zutreffende Darstellung in W 15.215. Regel bezieht
sich zum einen auf Tennemanns Darstellung der Auseinandersetzungen zwischen
den- angeblich- reinen Aristotelikern (zu denen er u. a. Pomponazzi und Scaliger
zählt) mit den Averroisten (Alexander Achillinus, Antonius Zinara und Andreas
Cäsalpinus). Die Aristoteliker sind also hier von den Averroisten zu unterscheiden;
siehe Tennemann: Geschichte. Bd 9.63: Die letzten folgten dem Averroes in
der Auslegung des Aristoteles, die ersten suchten diese Philosophie in ihrer
reinen Gestalt aus dem Aristoteles selbst darzustellen. -Zum andern bezieht
230 Anhang

Regel sich auf Tennemanns Darstellung des Streits der Averroisten mit den An-
hängern des Alexander von Aphrodisias sowie beider mit der Kirchen/ehre, in den
auch Pomponazzi eingegriffen hat. Eine ausführliche Erörterung dieses Streits gibt
Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2. 534jf. Hege/ stützt sich jedoch sehr wahrschein-
lich aufTennemann: Geschichte. Bd 9.65f: Ueber die Seele und die Un-
sterblichkeit derselben waren zu jener Zeit zwei Vorstellungsarten in
Italien herrschend, welche der Lehre des Thomas (der in Aristoteles: De
anima. cap. 3. die Behauptung einer selbständigen, vom Körper unabhängigen
Existenz des individuellen intellectus humanus zu finden glaubte) entgegengesetzt
waren, und auf einer Kirchenversammlung verboten werden mußten, näm-
lich die Lehre des Averroes, daß J es ein allgemeines Verstandes-Princip für
die ganze Menschengattung gäbe, welches von aussen zum Denken assistire,
immaterial und unsterblich sey, und die Lehre des Alexanders Aphrodisien-
sis, die menschliche vernünftige Seele sey sterblich. Beide Parteien bestritten
einander sehr heftig, weil jede ihre Lehre für echt aristotelisch ausgab. Ihre
Behauptungen wurden auf dem beneventschen Concilium 1513 zu Anfang
der Regierung Leo X. verdammt. Pomponatius hatte den Muth, ohne auf
diese Bulle zu achten, zu welcher er wohl selbst mit zum Theil durch seine
Vorträge und Disputationen gegen den Averroisten Achillinus mochte Ver-
anlassung gegeben haben, das Problem über die Unsterblichkeit der Seele aus
dem Gesichtspuncte des Aristoteles zu untersuchen und die Behauptung
hinzustellen, die Unsterblichkeit, die er als Christ glaube, könne aus
den Principien der Philosophie, nehmlich der Aristotelischen, der
einzigen damals anerkannten, nicht apodiktisch bewiesen werden.-
Tennemann zitiert auch die im Text genannte Bulle und verweist auf Ausführun-
gen des Marsilius Ficinus in seinem Prooemium zur Übersetzung der Werke Plo-
tins (ebenda 60 Fußnote); Hege! besaß auch selbst ein Exemplar dieser Ausgabe;
siehe die Bibliographie der Quellen zur Geschichte der Philosophie. - Tenne-
mann zitiert au~{ührlich die Begründung Pomponazzis und führt - ebenda 72
Fußnote 10- aus dessen Tractatus de immortalitate animae. Cap. 12. als Resul-
tat dieser philosophischen Erörterung an: Quare animus humanus, etsi improprie
dicatur immortalis, quia vere mortalis est, participat tarnen de
proprietatibus immortalitatis, cum universale cognoscat, tametsi ejusmodi
cognitio valde tenuis et obscura sit. Tennemann bemerkt jedoch - ebenda 72-
weiter, Pomponazzi erkläre sich doch am Ende so, daß er der Vernunft kein
Stimmenrecht mehr übrig läßt, sondern sich ganz dem Kirchenglauben in
die Arme wirft. -Siehe hierzu den Schluß des Zitats ebenda 80 Fußnote: mihi-
que illud firmam fidem facit, quod Augustinus, mea sententia, nulli in doc-
trina secundus (etenim minorem Platone et Aristotele non existimo)- in fme
de civitate Dei scribit, tot se occulta fide vidisse miracula, quae intemeratam,
inviolabilem et firmissimam fidem ostendunt. - Zu dieser Unterwerjung der
Vernunft unter dem Kirchenglauben siehe auch vorliegenden Band 47,463-465,
60,854-859 mit Anm. (zu Vanini) und 130,802-806 (zu Bayle).
49,499--502 Es hat ... gemacht.] Hege/ stützt sich hier aufBrucker: Historia
Anmerkungen 231

cntlca. Tomus IV, pars I.41ff: De restauratoribus philosophiae Platonicae.


Brucker behandelt- ebenda 43-45- ausführlich Bessarions Schicksale und seinen
Einfluß in Italien. Hegels Wiedergabe ist jedoch nicht ganz zutreffend: Bessarion
(1403-1472) war in Trapezunt geboren; er wurde als Gesandter nach Italien
geschickt, um die Vereinigung der griechischen und der rö"mischen Kirche zu bewir-
ken, und nahm an den Konzilien zu Perrara und Rom teil. Bei seiner Rückkehr
nach Konstantinopel wurde er zwar vom Kaiser zum Patriarchen ernannt; wegen
der ablehnenden Haltung von Vertretern der griechischen Kirche - die seine Ver-
söhnlichkeit der römischen Kirche gegenüber als Verrat ansahen - konnte er diese
Würde jedoch nicht erhalten. Er ging deshalb nach Italien zurück und wurde dort
zum Kardinal ernannt. Brucker charakterisiert Bessarion zutreffend als einen Schü-
ler des Byzantiners Gemistus Pletho, der sich auch bei dem genannten Konzil zu
Florenz aufgehalten hatte und für einen Plato redivivus gehalten wurde; siehe
Marsilius Ficinus: In Plotinum Prooemium.: philosophum Graecum nomine
Gemistum, cognomine Plethonem, quasi Platonem alterum, de mysteriis
Platonicis disputantem ... ; vgl. die übernächste Anm. - Bessarion kann aller-
dings insofern nicht für einen bloßen Platoniker gelten, als er auch um eine Vereini-
gung des Platonismus und des Aristotelismus bemüht war; so Buhle: Lehrbuch.
Bd 6, Abt. 2.143 (das Titelblatt nennt irrtümlich Abt. 1.). Buhle, ebenda 141-148,
Führt ähnliche Nachrichtm über Bessarion an wie Brucker; sehr ausführlich ist
Buhle: Geschichte. Bd 2. Abt. 1.67-70, 12~ff.
49,502 Ficinus ... übersetzt.] Einen Hinweis auf diese Übersetzungen der
Werke Platos und Plotins geben u. a. Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 1. 75-77;
Tennemann: Geschichte. Bd 9.131. ~md Rixner: Handbuch. Bd 2. 188. Siehe
Plato: "Arw.v-rrx. -.0: cr(J.)~6[J.e:vrx.. Opera ornnia quae extant. Marsilio Ficino inter-
prete. Graecus contextus quam diligentissime cum emendatioribus exempla-
ribus collatus est: Latina interpretatio a quam-plurimis superiorum editio-
num mendis expurgata. Argumentis perpetuis, & commentariis quibusdam
eiusdem Marsilii Ficini ... totum opus explanatum est atque illustratum ...
Vita Platonis a Diegene Laertio copiosissime descripta: item pereruditum
Timaei Locri opusculum (quo Latina exemplaria carebant) aliaque plurima
non conternnenda, huic editioni accesserunt. Adiectus est index locupletissi-
mus. Lugduni 1590. - Plotini Platonicorum coryphaei opera, quae extant
ornnia per celeberrimum illum Marsilium Ficinum ... ex antiquissimis codi-
cibus latine translata, & eruditissimis commentariis illustrata. Cum indice
rerum ethicarum, physicarum, & metaphysicarum copiosissimo. Basileae
1615. (Erste Ausgabe: Florenz 1492.)
49,504-505 einer ... gestanden.] Die Formulierung einer von ihnen könnte
durch widersprüchliche Nachrichten veranlaßt sein. Nach Tennemann: Geschichte.
Bd9.131. stiftete Lorenz Medices eine platonische Akademie. Richtig
hingegen Rixner: Handbuch. Bd 2.188: Marsilius Ficinus ... gab, als das
Haupt der von Cosmo de Medicis gestifteten platonischen Academie,
eine im Ganzen wohlgerathene, correcte, fließende, und doch größtentheils
getreue Uebersetzung des Plato und Plotin, sammteinemCommen-
232 Anhang

tar über den letztem, ... Vgl. auch Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 1.72-74.-
Brucker: Historia critica. Tomus IV, pars I. 48. zitiert die Begründung, die
Marsilius Ficinus in den Eingangssätzen seines In Plotinum Prooemiumfür diese
Stiftung gibt. Cosimus Magnus ( d. h. Cosimo der Alte, und nicht - wie in W
15.216 fälschlich gesagt wird- Cosimo II) habe auf dem Konzil zu Florenz Ge-
mistus Pletho (siehe die vorletzte Anm.) häufig gehört und: E cuius ore feruenti
sie est afflatus protinus, sie animatus, vt inde Academiam quandam alta
mente conceperit, hanc opportuno primum tempore pariturus.
49,505--506 [Ferner ... Mirandola.J Hege! bezieht sich hier a11(]ohann Piws
(1463-1494), den älteren und bedeutenderen der beiden Grafen von Mirandola.
Nachrichten über ihn sowie über seinen Neffen ]ohann Pranz geben u. a. Brucker:
Historia critica. Tomus IV, pars I. 55-61; Rixner: Handbuch. Bd 2.191-193;
Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 1.381-401. und Tennemann: Geschichte. Bd
9.146-156. Ebenda 152 heißt es,Johannes Picus habe auf sein Zeitalter gewirkt,
theils durch die Empfehlung der Platonischen und Cabbalistischen Philoso-
phie und die Behauptung der Einheit derselben sowohl, als ihrer Ueberein-
stimrnung mit dem christlichen Glauben, ... theils durch seine Ueber-
zeugung, daß in den Mosaischen Schriften die Summe aller höhem Erkennt-
niß gefunden werde, ... und endlich durch seine Bestreitung des astrologi-
schen Aberglaubens.- Siehe auch vorliegenden Ba~~d 51,588-591 mit Anm.
49,506-517 Die epikuräische ... verbreitete sich] Bei dieser Zusammenstel-
lung von Nachrichten über die Wiederbelebung der alten Philosophenschulen dürfte
Hege! sich vor allem an Brucker orientieren. Brucker: Historia critica. Tomus IV,
pars I. behandelt nacheinander die Erneuerung der aristotelischen (117-352), der
pythagoräisch-platonisch-kabbalistischen (353-448), der parmenideischen (448-
460), derjonischen (460-486), der stoischen (486-502), der demokritisch-epikuräi-
schen (503-535) und der skeptischen Philosophie (536-609). - Zu Gassendis
Wirksamkeit zu Gunsten der epikuräischen Philosophie siehe ebenda 510-535;
insbesondere 510: Meliori successu et fcliciori sidere, Democritico Epicuream
philosophiam resuscitauit, et propitio genio comtiorem atque commendatio-
rem exhibuit, magnum superioris seculi in republica philosophica et literaria
Iumen PETRVS GASSENDVS. - Siehe auch Rixner: Handbuch. Bd 2.268f (dort
wird Gassendi - wie bei Hege! - unmittelbar neben der Erneuerung der stoischen
Philosophie durch Lipsius behandelt) sowie vorliegenden Band, Anm. zu 39,223-
40,229.
49,507-508 die stoische ... Anhänger.] Siehe insbesondere Brucker: Historia
critica. Tomus IV, pars 1.486: IvsTus LIPSIVS ... enim ingenti studio et cle-
ganti, qua pollebat, eruditione Stoicam ethicam resuscitare conatus est. - Vgl.
Rixner: Handbuch. Bd 2.267f. sowie Buhle: Lehrbuch. Bd 6, Abt. 2.288.JJ.
49,508--511 Die kabbalistische ... ausgebreitet.] Die Zusammenstellung der
kabbalistischen und der pythagoräischen Philosophie findet sich insbesondere bei
Brucker: Historia critica. Tomus IV, pars 1.353-448; siehe insbesondere 357:
Philosophiam Pythagoreo-Platonico-Cabbalisticam primum fere propa-
gauisse IoANNEM REvcHLINVM, modo diximus. Brucker stellt das Wirken johan-
Anmerkungen 233

nes Reuchlins (1455-1522) sehr auiführlich dar (ebenda 357-374); siehe auch die
folgende Anm. Vgl. ferner die Darstellung bei Tennemann: Geschichte. Bd 9.
164-167. sowie Tiedemann: Geist der spekulativen Philosophie. Bd 5.483-
485.
49,511-512 Die Begeisterung ... gelernt hat.] Hege/- oder die Überliiferung
durch Pi- vermischt hier offensichtlich die Nachrichten über das Erlernen des Grie-
chisc!Jen und des Hebräischen. Bmcker berichtet in seiner Historia critica. Tomus
IV, pars I.358, Reuchlin habe in Paris Griechisch gelernt: ... Lutetiam missus
occasionem maturam habuit in ea Musarum sede studiorum cursum pro-
sequendi. Vgl. u. a. Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 1.402. Später lernte Reuchlin
in Basel auch die Anfangsgründe des Hebräischen von Wessel. Melanchthon berich-
tet über das spätere Verhältnis Reuchlins zu Johann Wessei - in der Wiedergabe
iJOn Brucker: Historia critica. Tomus IV, pars I.360-: Colebat autem adoles-
cens Capnio (d. h. Reuchlin) senem Wesselum, eo maiore reuerentia, quia
eum antea Lutetiae, nouerat, et cum ei familiaris esset, elementa linguae
Hebraeae ab eo didicit. Wiederum später wurde Reuchlin als Gesandter zu Kai-
ser Friedrich III. nach Wien geschickt. Dort konnte er bei einem Juden, der zu den
Ärzten des Kaisers gehci"rte, das begonnene Studium des Hebräischen vertiefen;
siehe ebenda 363: ... legatus ad imperatorem Fridericum missus est, felicis-
simis sane auspiciis. In ea enim aula cum magno turn honore viueret Iudaeus
quidam, Iacob Iehiel Loans, qui inter medicos imperatoris erat, Reuchlinus
occasionem nactus de Hebraea lingua disserendi, auidum se illi demonstrauit,
corum accuratius discendorum, quorum rudimenta a W esselo percepisset. -
Vgl. auch Tiedemann: Geist der spekulativen Philosophie. Bd 5.484. sowie
Buhle: Lehrbuch. Bd 6, Abt.1.189; Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 1.403.
(Buhle gibt als Ort der Begegnung mit Loans Linz an.)
49,513-515 Reuchlin hat ... verhindern.] Die Aufforderung zur Verbrennung
der jüdischen Schriften hat ein Schriftsteller jüdischer Herkunft, Johannes Pfeffer-
korn, wenige Jahre nach seiner Taufe an Kaiser Maximilian gerichtet. Bei der
Überprüfung der Bücher- mit der der Mainzer Erzbischof beauftragt war- setzte
Reuchlin sich für ihre Erhaltung ein. Dadurch zog er sich die Gegnerschaft der
Kölner Dominikaner zu und wurde auf deren Betreiben hin im Jahre 1520 wegen
Ketzerei verurteilt; siehe den auiführlichen Bericht bei Brucker: Historia critica.
Tomus IV, pars 1.366: Originem controuersiae dedit Ex-Iudaeus quidam
Ioannes Pfefferkomius, qui Coloniae simulata Christianae religionis profes-
sione Iacobo Hochstrata ceterisque haereticae prauitatis inquisitoribus persua-
serat, eo conniterentur, vt edicto imperatoris Iudaeorum libri omnes, blas-
phemiarum in Christum pleni comburi iuberentur.... Monachorum et
theologorum Coloniensium negotio cum facile religionis praetextu res in
aula Maximiliani I. conficeretur, editur edictum, et Pfefferkornii diligentia
Iudaeorum libri, praeter biblia, omnes in curia Francofurti congeruntur.
Quod cum aegerrime ferret Iudaeorum gens, in aula imperatoris amicos
adeunt, et eo rem adducunt, vt iudicia eruditorum in his literis virorum
explorari imperator iuberet. Cum autem nemo eo tempore Reuchlinum in
234 Anhang

eo doctrinae genere superare crederetur, eum sententiam suam dicere impe-


rator per electorem Moguntinum cui rem commiserat, iubet. Qui vt prauae
superstitionis loligine animum minime tinxerat, ita sententiam Ionge mitio-
rem pronuntiat; libros distinguendos esse, scripta de consilii sui rationibus ad
electorem Moguntinum epistola iubet, libros contra Christum blasphemos
aboleri suadet, eosque suis titulis nominat, seruari cupit Grammaticos, medi-
cos, historicos, et aliarum honestamm artium libros, ne lingua ecclesiae vtilis-
sima tota pereat. Quae sententia Capnionis cum aequissima videretur, redditi
imperatoris auctoritate libri Iudaeis sunt; id quod in rabiem et furorem egit
et impostorem Pfefferkomium et eius caussae socios, elusa fraude, vt corui
hiantes, discedentes.- Vgl. auch Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 1.404f.
49,515 Die stoische ... durch Lipsius] Siehe vorliegenden Band 49,507-508
mit Anm.
49,516 Ciceronianisehen Philosophie] Nachrichten über ein Wiederaufleben der
ciceronianischen Philosophie geben Buhle: Lehrbuch. Bd 6, Abt. 1.286J, Buhle:
Geschichte. Bd 2, Abt. 2.665f sowie insbesondere Brucker: Historia critica.
Tomus IV, pars 1.90: MARIVS NIZOLIVS ... cum Ciceronis puritatem et elo-
quentiam summo loco haberet, eumque in fmem Thesaurum Cicero-
nianum, siue apparatum linguae Latinae collegisset, ad ipsam quo-
que philosophiam hunc amorem Ciceronis transtulit, et barbaram Scholasti-
corum linguam perosus, cum Cicerone non loquendmu modo, sed philoso-
phandum esse statuit.
50,533-535 Hieronymus Cardanus ... Folio.] Die hier genannten -
zutr~{fenden- Lebensdaten überliefert nur Gr, möglicherweise auf Grund einer nach-
träglichen Benutzung von Rixner: Handbuch. Bd 2.226; siehe aber auch:
Brucker: Historia critica. Tomus IV, pars II.64-68. - Tiedemann: Geist der
spekulativen Philosophie. Bd 5.563-566. nennt 1508-1576, Buhle: Lehrbuch.
Bd 6, Abt. 1.360-362. sowie Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2.858-860. nennen
1501-1575. Allerdings überliefern die_ Nachschriften übereinstimmend die Zahl der
Foliobände, die ebenfalls von Rixner, ebenda, genannt wird, und auch von Brucker,
ebenda 86: Catalogum eorum ipse dedit, et repetiit ToMASINVS, ordine dispo-
suit GABR. NAVDAEVS, et ex huius consilio decem voluminibus collegit vul-
gauitque CAROLVS SPONIVS (Fußnote: Lugduni 1663. fol.).
50,538-560 Er spricht . . . Schottland.] Diese biographischen Angaben hat
Hege/ wahrscheinlich Buhle entnommen; siehe Buhle: Lehrbuch. Bd 6, Abt.
1.360-364, entsprechend Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2. 856-860. Siehe
eben da 856: Schon seine Mutter hatte, während sie mit ihm schwanger gieng,
Versuche gemacht, die Frucht abzutreiben, aber dadurch nichts weiter als
eine Erschwerung der Geburt bewirkt. Er wurde hernach von seinem Vater
mit der wunderlichsten eigensinnigsten Laune behandelt, die oft in Grausam-
keit ausartete, ... 857: Seit seinem zwanzigsten Jahre studirte er Philosophie
und Medicin zu Pavia, wo er auch den Euklides erklärte, da er schon von
seinem Vater Unterricht in der Mat!Iematik empfangen hatte; dann zu Pa-
dua, wo er im]. 1525. Doctor der Medicin ward .... Im]. 1533 ward er
Anmerkungen 235

Professor der Mathematik zu Mayland; ... Im J. 1551 that er eine Reise


nach Schottland, kehrte aber bald wieder nach Mayland zurück. Er
ward zehn Jahre darauf nach Bologna berufen, und lehrte hier die Arzney-
wissenschaft bis zum J. 1570, ... 860: Er fand ein grausames Vergnügen
daran, Andem Schmerz und Verdruß zu machen, und zog sich selbst absicht-
lich Schmerzen zu, indem er sich geisselte, in die Lippen biß, heftig kniff, die
Finger verzerrte, um sich dadurch von einer für ihn noch quälendem Gei-
stesunruhe zu befreyen und zum Weinen zu kommen, wodurch er sich im-
mer erleichtert fühlte. . . . Eben so räthselhaft sonderbar war seine ganze
öffentliche Lebensart, selbst bis auf sein äußeres Betragen, seine Kleidung,
seinen Gang u.w. Er sprach zu schicklicher und unschicklicher Zeit alles, was
ihm auf die Zunge kam; gieng bald langsam und nachdenkend, bald rannte
er, wie ein Wahnsinniger, durch die Gassen; seine Art sich zu kleiden contra-
stirte oft auf das lächerlichste mit der gewöhnlichen; dabey hatte er einen so
leidenschaftlichen Hang zu Glücksspielen, daß er einst seinen ganzen Haus-
rathunddas Geschmeide seiner Frau verspielte; ... 858: Zu den vier größten
Widerwärtigkeiten seines Lebens habe Gardanus gerechnet: II) das unglückliche
Schicksal seines ältesten Sohnes, der seine Frau mit Gift vergab, und deßhalb
im Gefängnisse durch den Henker hingerichtet wurde; ... IV) die Lieder-
lichkeit und Bosheit seines zweyten Sohnes, dem er zur Züchtigung vergeb-
lich das Ohr abschneiden ließ, und endlich fortjagte und enterbte. - Die
Nachricht jedoch, daß Gardans Amme an der Pest gestorben sei, überliefert nur
Drucker: Historia critica. Tomus IV, Pars I/.64: Primo mense nutricem ipsa
die, qua aegrotauit, ex peste amisit, ipsique carbunculi quinque in facie, crucis
in effigiem, superuenerunt, ... -Zu Gardans Astrologie siehe ebenfalls Brucker,
ebenda 74jf. -Die Quellen sprechen jedoch nur von einer Reise nach Schottland;
siehe Brucker, ebenda 67J: Anno MDLI ab Eduardo rege vocatus in Scotiam
regiis sumtibus abiit, medendique felicitate illustris tanta auri summa, vt in ea
aula maueret, inuitatus est, vt se verecundari dicat summam explicare, et in
paucis annis fuisset ditissimus. Ast nec regio placebat, nec, quod non lliceret
pecunias per trapezitas ac cursores in Angliam, quanto minus Galliam aut
Italiam traducere. Igitur exactis mensibus decem domum rediit, ...
50,560-562 Er war ... Regel.] Siehe Cardanus: Ars magna sive de regulis
algebraicis liber unus. Gaput XI: De cubo & rebus aequalibus numero.
( 1545). In Cardanus: Opera. Lugduni 1663. Tomus 4. 249-251.- Hege/ erwähnt
hier nicht, daß Gardanus nicht selbst Erfinder der nach ihm benannten Lösungs-
methode für die kubischen Gleichungen sei; die Lösung ist Gardanus 1539 von
Tartaglia mitgeteilt worden. Zum Streit, ob Tartaglia oder Scipione del Ferro der
erste Erfinder dieser Methode sei, siehe Moritz Cantor: Vorlesungen über die
Geschichte der Mathematik. Bd 2. Von 1200-1668. 2. Auflage. Leipzig 1913.
480-497.
50,562-51,570 Er sagt ... De vita propria.] Siehe Buhle: Lehrbuch. Bd
6, Abt. 1.364J. bzw. Buhle: Geschichte. Bd 2.859f: Ich habe, sagt er, von
Natur einen philosophischen und zu den Wissenschaften gebildeten Geist;
236 Anhang

bin sinnreich, elegant, anständig, wohllüstig, aufgeräumt, fromm, treu,


Freund der Weisheit, nachdenkend, unternehmend, lernbegierig, dienst-
fertig, nacheifernd, erfmderisch, Selbstgelehrter, nach medicinischen Kennt-
nissen begierig, nach Wundern strebend, verschlagen, listig, betriegerisch,
bitter, in Geheimnissen bewandert, nüchtern, arbeitsam, fleißig, sorglos,
geschwätzig, Verächter der Religion, rachgierig, neidisch, traurig, heim-
tückisch, verrätherisch, Zauberer, Magus, vielen Widerwärtigkeiten unter-
worfen, I den Meinigen gram, der Geilheit ergeben, einsiedlerisch, widrig,
strenge, mit der Gabe der Wahrsagung versehen, eifersüchtig, Zotenreißer,
verleumderisch, willfährig, veränderlich, wegen des Widerspruchs meiner
Natur und meiner Sitten.- Die lateinische Fassung dieses Zitats teilt Brucker:
Historia critica. Tomus IV, pars II. 69. mit. Daß Hege! hier jedoch B11hle folgt,
erhellt aus der engen Übereinstimmung mit Buh/es Wortwahl und auch daraus, d'!fl
er mit Buhle (858) annimmt, dieses Zitat entstamme der Lebensbeschreibung Car-
dans, De vita propria. Brucker gibt als Fundort an: In Genitur. XII. p. 84.
Gemeint ist: Duodecim Geniturarum Liber. Genesis VIII. (Genitura = Nativi-
tät) In: Opera. Tomus V. Lugduni 1663. 523: Dc animi qualitatibus. (Eine
auiführlichere Fassung des obigen Zitats.)- An zwei Stellen, die jeweils nur durch
Gr überliefert sind, ist der rekonstruierte Text fehlerhaft: 51,564 muß es statt
wohltätig richtig heißen: wollüstig, und 51,567f statt der Menge: den Meini-
gen. In beiden Fällen dürfte es sich nicht um Fehler Hegels oder um Hörfehler des
Nachschreibers, sondern um Fehler bei der Entzifferung der im Kolleg niederge-
schriebenen Notizen handeln.
51,571-577 Thomas Campanella ... gelitten.] Diese Schilderung des
Schicksals Campanellas ist Brucker: Historia critica. Tomus IV, pars II. entlehnt.
Zu den Lebensdaten siehe ebenda 108: In eo oppido (sc. Stylo) honestae famae
atque conditionis parentibus natus est anno MDLXVIII, ... Zu seinen Schrij:
ten siehe insbesondere 120: ... magnus ille scriptorum numerus promanauit,
in quibus mira imaginationis Campanellae foecunditas velut in speculo quo-
dam resplendescit. 126: Scripsit fere innumera Campanella, adolescens, iu-
uenis atque vir; neque senis industria emarcuit. Multa incepit, ct affccta reli-
quit, haud pauca furto vique sublata amisit et resuscitauit, quam plurima
arnicis tradidit edenda, qui eius pennis postea se exornarunt. Multa adhuc
sunt, quae extant a Campanella profecta, licet rarius occurentia: ncc pau-
ciora, quae passim in bibliothecis latent, nondum vulgata. Zur Gefangenschaft
siehe 114-120, insbesondere 118: Viginti enim atquc septem circiter annis
detentus fuit modo in castro Oui, modo in arce noua, vcl etiam in castro S.
Ermi. Adeo autem saeuit furor hostium in Campanellam, vt librorum ei
copia denegaretur, et a studiis prorsus prohiberetur: qui tarnen non diu dura-
uit. Restituta igitur scribendi, ipsiusque literatii commercii cum viris eruditis
licentia, carceris taedia scribendis libris leuauit, viros autem doctos, quotquot
Neapolin venerant, familiariter, praesentibus tamen custodibus alloqui, et
nouam philosophiam docere potuit. - Daß Campaue/la ein Gemisch von allen
möglichen Charakteren gewesen sei, könnte auf eine Bemerkung bei Rixner:
Anmerkungen 237

Handbuch. Bd 2.275f zurückgehen. Rixner schreibt über neue Combinisten


... , welche naturforschende Beobachtung mit religiö I ser Begeisterung und
gemüthlicher Frömmigkeit; dann wissenschaftlich-besonnene Erkenntniß
durch den Begriff, mit der inspirirten Ahnung und instinktartigen Vorher-
sehung zu vereinigen suchten. - Auiführlich gehen Brucker: Historia critica.
Tomus IV, pars II.120-122. sowie Tennemann: Geschichte. Bd 9.295.ß: auf den
Charakter Campartellas ein. - Den Gründen für Campanellas G~(angensch~(t wird
von Hegels Quellen zu wenig Aufmerksamkeit und Glauben geschenkt, und zwar
weder den religiösen, er sei Atheist gewesen und habe Demokrits Ansichtm geteilt,
noch den politischen Vorwürfen, Campanella habe versucht, in Verbindung mit den
Türken Kalabrien in Aufruhr zu versetzen. Siehe z. B. Tennemann: Geschichte.
Bd 9.294: Die Beschuldigungen sind zum Theil so lächerlich und offenbar
falsch (... ), daß man schon dadurch geneigt wird, den Campanella flir
unschuldig zu halten, ... Vgl. Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2.881: Wahr-
scheinlich war es ein böser Verfolgungsgeist einzelner Feinde von ihm, die
seinen Umgang mit einigen Schwärmern und Abentheurern, dergleichen es
damals so viele gab, zum Vorwande brauchten, ihn in's Elend zu stürzen,
und sich dadurch an ihm zu rächen.- Brucker: Historia critica. Tomus IV,
pars II.114: Obscurum vero est, qua potissimum de caussa ita inclementer
Campanella habitus sit. Brucker zitiert dann auiführlich die Anklagen gegm
Campanella und schließt ebenda 115: Difficile est, de hac narratione, quantum
veritatis ei insit, statuere. - Campanella wurde zwar 1626 vom Vorwnrf des
Hochverrats und drei Jahre später auch vom Vorwurf der Ketzerei freigesprochen;
man geht heute jedoch davon aus, daß die politischen Vorwürfe zu Recht erhoben
wurden. - Campanellas heute bekanntestes Werk: Der Sonnenstaat, wird von den
philosophiegeschichtlichen Darstellungen und auch von Hege/nicht erwähnt.
51,580-52,598 Giordano Bruno ... Tode.] Diese Angaben zum Leben
Brunos schli~ßen sich sprachlich eng an Buhle an; siehe Buhle: Geschichte. Bd 2,
Abt. 2. 704-712 (705f entfallen wegen Fehlpaginierung). 704: Bruno war aus
N ola im Neapolitanischen gebürtig. Seine Eltern und sein Geburtsjahr sind
unbekannt. 707: Er trat in den Dominicanerorden, ward aber, da er sich
durch seine Religionszweifel die Transsubstantiation, die unbefleckte Emp-
fängniß der Jungfrau Maria, u. a. Puncte betreffend, und noch mehr durch
seine bittern Angriffe auf die Unwissenheit und schwelgerische lasterhafte
Lebensart der Mönche, dem Hasse und der Verfolgung dieser ausgesetzt sah,
bewogen sein Vaterland zu verlassen, und begab sich im]. 1582 nach Genf.
Da hier damals Calvin und Beza mit großemAnsehn lehrten, und Bruno
bey seinem Hange zur Paradoxie und der leidenschaftlichen Heftigkeit, mit
der er seine Paradoxa vertheidigte, es bald mit diesen ihrem Charakter nach
intoleranten Männern verdarb, so mußte er Genf nach einem Aufenthalte von
zwey Jahren daselbst räumen. Er gieng nach Lyon, Toulouse, und von
dort nach Paris. Hier trat er im]. 1585 feyerlich als Gegner der Aristoteli-
schen Philosophie auf, indem er einer Zahl philosophischer Thesen anschlug,
... - Gegen neuere Kritiker betont Buhle 709 Fußnote: Man muß inzwischen
238 Anhang

bey Beurtheilung dieses Benehmens des B. auf die gewöhnliche Disputirsitte


und den Geschmack seines Zeitalters Rücksicht nehmen. - 707{: Aber er
machte damit so wenig, wie andere Anti-Aristoteliker, Glück, und konte sich
nur kurze Zeit daselbst halten .... Nach dem Scioppius reiste er von Paris
nach London, und gab hier sein Buch: Spaccio della bestia trionfante her-
aus. Es ist indessen wahrscheinlich, daß er diese Reise früher gethan habe;
denn in eben I dem Jahre 1586, da er Paris verließ, lehrte er in Witten-
berg. 709-711: Er verließ Wittenlberg nach zwey Jahren, und begab sich
zunächst nach Prag, von dort nach Helmstädt, wo er von den Herzögen
Julius und Heinrich Julius von Braunschweig Lüneburg begünstigt
wurde. Nach I des Erstem Tode lebte er einige Zeit in Frankfurt am
Mayn, und besorgte Ausgaben von mehrem seiner Schriften. Von hier
mußte er ebenfalls, man weiß nicht warum, entweichen. Im J. 1592 hielt er
sich zu Padua auf. 712: Er ward nicht nur als ein arger Kätzer, sondern auch
als ein Apostat von der katholischen Religion und als vermeynter Meyneidi-
ger wegen des gebrochenen Ordensgelübdes von der Inquisition zu Vene-
dig 1598 ergriffen und gefangen gesetzt. Von Venedig ward er nach Rom
geliefert, und hier von dem Inquisitionstribunale verhört. Es ward ihm eine
Frist von vierzig Tagen gestattet, um sich innerhalb derselben zum Wieder-
rufe zu entschließen. Bald versprach er, zu wiederrufen; bald vertheidigte er
wieder seine Behauptungen; bald suchte er um eine neue Frist von vierzig
Tagen an. Da es sich zeigte, daß er das Tribunal nur hinhalten und täuschen
wollte, so ward ihm das Endurtheil gesprochen. Er ward degradirt, ex-
communicirt, und der weltlichen Obrigkeit zur Hinrichtung übergeben.
Bruno empfieng das Todesurtheil mit Standhaftigkeit; man bewilligte ihm
noch acht Tage Frist zum Wiederrufe; nach Verlauf derselben, und über-
haupt nach einer zweyjährigen Gefangenschaft, ward er den 17. Febr. 1600
auf dem Scheiterhaufen verbrannt, ... - Die Übereinstimmung mit Buh/es
Schilderung erhellt auch aus W 15.224f.- Brunos Lebensweg weist allerdings noch
mehr Stationen auf als sich dieser Schilderung entnehmen lassen. Siehe u. a. die
Lebensdaten Giordano Brunos in der Vorrede zu Giordano Bruno: Von der
Ursache. LIII-LVII.
51,588-591 (Ein Fürst ... versprach.)] Zu Grafjohann Ficus von Mirandola
siehe vorliegenden Band 49,505-506 mit Anm. - Hegels Nachricht über den
Thesenanschlag klingt an Tennemanns Darstellung an; siehe Tennemann: Ge-
schichte. Bd 9.149: Er kam im Jahre 1486, als er vierundzwanzig Jahre alt
war, nach Rom, schlug mit Erlaubniß des Papsts Innocenz VIII. neunhundert
Theses aus allen Theilen der Theologie, Philosophie, Mathematik, größten-
theils aus den von ihm gelesenen Schriften, zum Theil aber auch eigene
Gedanken und Resultate öffentlich zum Disputiren an. Er schickte den An-
schlag auf die berühmtesten Universitäten und versprach den entfernten
Gelehrten, die mit ihm disputiren wollten, die Erstattung der Reisekosten. -
Zum Inhalt der Thesen siehe Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 1.383: Es waren
diese Thesen aus den Werken der verschiedensten philosophischen Schrift-
Anmerkungen 239

steiler, chaldäischer, arabischer, hebräischer, griechischer, lateinischer, ge-


nommen, und zwar sehr viele derselben aus cabbalistischen Werken. Mehr
als die Hälfte waren solche, die Johann Picus als eigne Behauptungen
aufstellte. - 55 dieser Thesen waren aus Proklos entnommen. Sie sind dessen
Theologia Platonis. beigefügt im Anhang der Ausgabe Proclus: In Platonis
theologiam libri sex. Per Aemilium Portum, ... Accessit Marini Neapolitani
libellus de vita Procli. Hamburgi, et prostant Francofurti 1618. Hege! besaß ein
Exemplar dieser Ausgabe. - Hege! erwähnt hier nicht, daß diese Disputation -
wegen Einwänden der Geistlichkeit (so Tennemann, ebenda 150) bzw. weil
sie vom Papste nicht erlaubt wurde (so Buhle, ebenda 383) - nicht stattfindeil
konnte.
51,591-592 Brunos Theses ... Scholastiker.] Hege! scheint hier die Aristoteli-
ker mit den Scholastikern zu identifizieren. An anderer Stelle (W 15.215) zeigt
sich aber, daß er beide auch zu unterscheiden weiß: Die Scholastiker hießen
fälschlich Aristoteliker; die Reformation stritt so gegen Aristoteles, eigent-
lich aber gegen die Scholastiker. -Zur weiteren Differenzierung innerhalb der
Aristoteliker siehe vorliegenden Band, Anm. zu 48,496-49,499. - Bruno kündigte
seine Thesen in Paris an unter dem Titel Articuli de natura et mundo, a No-
lano in principibus Europae academiis propositi, quos Ioannes Henne-
quinus, nobilis Parisiensis, sub einsdem felicibus auspiciis contra vulgaris et
cuiuscunque aduersariae philosophiae Professares triduo Pentecostes in vni-
uersitate Parisiorum defendendos euulgauit breuibus adiectis rationibus. Ver-
öffentlicht sind sie unter dem Titel Acrotismus, seu rationes articulorum physi-
corum aduersus Peripateticos Parisiis propositorum. Wittenberg 1588. (Nach
Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2. 709 Fußnote; vgl. Tennemann: Geschichte.
Bd 9.381.)- Der ursprünglichen Ankündigung zu Folge richten sich die Thesen
gegen die Scholastiker, dem späteren Titel nach gegen die Peripatetiker, also gegen
die Aristoteliker überhaupt; so auch Buhle, ebenda 707, in seiner - in Anm. zu
51,580-52,598 zitierten- Biographie Brunos. Dies geht auch aus den Thesen selbst
hinreichend deutlich hervor; siehe z. B. Bruno: Catalogus Articulorum. In
Bruno: Opera latine conscripta. Bd 1, Abt. 1. 72-81: Articulus 26. Impossibilc
est Aristoteli, et aliis, finitum universum probare. 51. Aristoteles nulla ratio
concludit, universum esse perfectum. 53. Ridicule ex differentia dimensio-
num infert lationum differentiam et numerum Aristoteles. - Hegels Gleich-
setzung der Aristoteliker mit den Scholastikern schwächt Brunos Kritik am Aristo-
telismus ab.
52,600--601 die größte ... Göttingen.] Vgl. Tennemann: Geschichte. Bd
9.375 Fußnote 90. Tennemann spricht hier von der sorgfältigen critischen Be-
nutzung der meisten Schriften des Bruno, welche Hm. Buhle in dem 2. B.
der Geschichte der neuern Philosophie ... durch den Reichthum der
Göttinger Bibliothek verstattet wurde, ... Dies betrifft JJor allem diejenigen
Bücher Brunos, die sich auf die Lullische Kunst beziehen. Buhle: Geschichte. Bd
2. 715. sagt von ihnen, daß sie sehr schwer zu erhalten sind, weil nur wenig
Exemplare davon noch existiren, und daß sie zu den größten literarischen
240 Anhang

Seltenheiten gehören, und die König!. Bibliothek zu Göttingen sie fast alle
besitzt, ...
52,601-602 Jacobi ... gemacht.] Hege/ spielt an aufBeyJage I. Auszug aus
Jordan Bruno von Nola Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen. In
Jacobi: Briefe. 261-306; vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 2.5-46. In der Vor-
rede [zur zweiten Ausgabe]. geht]acobi kurz mif das Leben und auf die Klagen
über die Dunkelheit der Darstellungsweise Bruuos ein, die er zumindest für die vou
ihm exzerpierte Schrift bestreitet. Jacobi begründet auch, weshalb er auf Bruuo
aufmerksam macht; siehe XI.f: Mein Hauptzweck bcy diesem Auszuge ist,
durch die Zusammenstellung des Bruno mit dem Spinoza, gleichsam die
Summa der Philosophie des 'Ev xoc~ Ilocv in meinem Buche darzulegen.
Bruno hatte die Schriften der Alten in Saft und Blut verwandelt, war ganz
durchdrungen von ihrem Geiste, ohne darum aufzuhören Er seI b s t zu seyn.
Jenes ohne dieses fmdet sich auch nie. Darum unterscheidet er mit eben so
viel Schärfe, als er mit großem kräftigen Sinne zusammenfaßt. Schwerlich
kann man einen reineren und schöneren Umriß des Pantheismus im
weitesten Verstande geben, als ihn Bruno zog. Daß man aber diese
Lehre, ! nach allen denen verschiedenen Gestalten, die sie anzunehmen so
geschickt ist, kennen lerne, um sie überall wieder zu erkennen; ferner,
ihr Verhältniß zu andem Systemen, so deutlich und vollständig wie möglich
einsehe, und genau den Punct wisse, worauf es ankommt: dieses halte ich, in
mehr als einer Absicht, für ungemein nützlich- ja, in unsem Zeiten, bey-
nah für nothwendig. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 2.10.- Zur Frage,
ob Bruno Spinozist gewesw sei, siehe auch Brucker: Historia critica. Tomus IV,
pars II.5~1J.
52,602-603 Die ausführlichsten . . . Philosophie.] Die Darstellu11g Brunos
umfaßt bei Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2. mehr als 150 Seiten (703-856), bei
Brucker: Historia critica. Tomus IV, pars II. 12-62. und bei Tennemann:
Geschichte. Bd 9.372-420, also etwa nur ein Drittel; bei Tiedemann: Geist der
spekulativen Philosophie. Bd 5. nur 13 Seiten (570-582). Vgl. auch die vor-
letzte Amn.
52,604-606 Von Bruno ... wird.] Über Bnmos Stellung zur Lullischeu Kunst
siehe vorliegenden Band 54,689-690 und 56,754-757, jeweils mit Anm., sowie
W 15.227,240. Brunos Lullische Kunst wird von Tennemann: Geschichte. Bd
9.388f und Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2. 752f für etwas der eigentlichen Ge-
dankenwelt Brunos mehr Äußerliches und Unwesentliches gehalten. Hege/ hingegen
behauptet einen Zusammenhang der Lullischen Kunst Brunos mit den allgemeinen
Ideen desselben; siehe vorliegenden Band 54,689f sowie 56,754-757.
52,606-607 In den ... Gedankens.] Diese Bemerkung kann als eine Charakte-
risierung des Stils von Brunos Schrift De Ia causa, principio e uno. geltw, von
der Hege/ zumindest den Auszug Jacobis und die Darstellungen in den Philoso-
phiegeschichten gekannt hat.
52,607-610 Im allgemeinen ... Allem.] Hege/ schließt sich hier der Charakte-
risierung Brunos insbesondere durch Jacobi an; siehe das in Anm. 52,601-602
Anmerkungen 241

mitgeteilte Zitat. Die Übereinstimmung zwischen Brunos Philosophie und dem


Spinozismus sieht Hege/ darin, daß in beidm die Trennung Gottes von der Welt
und alle Verhältnisse der Äußerlichkeit aufgehoben seien. Bei Bnmo allerdings
seien diese Verhältnisse hinweggeworfen in seiner lebendigen Idee der Einheit
von Allem (52,608-609); dagegen sagt Hege/ von Spinoza, bei ihm sei das End-
liche in den Abgrund der Einen Identität geworfen (111,275]), und er habe
darauf verzichtet, die Organisation des Einen in sich selbst zu fassen, wie
Bruno es tat (110,254-111,255). Im Blick auf Bruno hat deshalb Spinozismus
auch nicht- wie bei Spinoza selbst (111,26Bff)- die Bedeutung des Akosmismus.
Als ein System von Differentem, als eine unendliche Einheit endlicher Bestimmun-
gen ist das Universum für Bruno selbst giittlich, lebendig, schön.
52,610--613 Näher ... Bestimmung, Form.] Wie aus den folgenden Aum.
erhellt, stützt Regel sich hier auf ein Referat aus dem dritten Dialog in Bruno: De
Ia causa. bei Tennemann: Geschichte. Bd 9.394: Es scheint nothwendig, zwey
Arten der Substanz anzunehmen, wovon die eine Form, die andere Ma-
terie ist.- Dieses Zitatfindet sich auch bei Jacobi: Briefe. 278; vgl. Jacobi:
Werke. Bd 4, Abt. 2.19. - Vgl. Bruno: De Ia causa. 94; Bruno: Von der
Ursache. 52.
52,613-619 Die Form ... angelegt.] Hege/ referiert - leicht verkürzt - ein
Exzerpt Tennemanns aus dem zweiten Dialog in Bruno: De Ia causa; siehe
Tennemann: Geschichte. Bd 9.391: es gibt keine andre allgemein und wirk-
lich thätige d. i. physisch wirksame erste Ursache als den allgemeinen Ver-
stand, die erste und vornehmste Kraft der Weltseele, die sich als allgemeine
Form des Weltalls offenbaret. Die Kraft erfüllt und erleuchtet das Univer-
sum, sie lehrt die Natur ihre Werke verrichten; sie verhält sich zur Hervor-
bringung der Naturdinge, wie sich der Verstand des Menschen zur Hervor-
bringung der Begriffe verhält. 392: Mir erscheint er als ein innerlicher
Künstler, weil er von innen die Materie bildet und gestaltet. Aus dem Innern
der Wurzel oder des Samenkorns sendet er die Sproße hervor, aus der
Sprosse treibt er die Aeste, aus den Aesten die Zweige, aus dem Innern der
Zweige die Knospen. Das zarte Gewebe der Blätter, der Blumen, der Früch-
te, alles wird innerlich angelegt, zubereitet und vollendet. - In einer sprachlich
leicht abweichenden Fassung findet sich dieses Zitat auch in Jacobi: Briefe. 263-
265; vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 2.7-9.- Vgl. Bruno: De Ia causa. 66-69;
Bruno: Von der Ursache. 29f
52,619-622 Dieser Verstand ... Zweckbestimmung.] Dieser Satz aus dem
zweiten Dialog in Bruno: De Ia causa. geht bei Tennemann dem in der vorher-
gehenden Anm. zitierten Text voraus; siehe Tennemann: Geschichte. Bd 9.391:
Die erste Ursache ist wirkend, zugleich formal und Endursache;
... - Vgl. Bruno: De Ia causa. 66; Bruno: Von der Ursache. 28.
52,622-623 Bei ... haben.] Siehe vorliegenden Band 169f
52,623-53,631 Das ... erhält.] Hege/ bezieht sich auf den Begriff der inneren
ZtNckmäßigkeit, auf den er auch sonst in seinen Werken großen Nachdruck legt;
siehe u. a. seine Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grund-
242 Anhang

risse. Heidelberg 1817. §§ 153ff. oder die Vorlesungen über die Philosophie der
Religion. Teilt. V 3.320. - Daneben kann man hier- in da Betonung der Rück-
kehr in sich- auch noch einen Anklang an die Fortsetzung des in Anm. zu 52,610-
619 mitgeteilten Zitats aus dem zweiten Dialog in Bruno: De Ia causa. vermuten;
siehe Tennemann: Geschichte. Bd 9.392: Und von innen ruft er (sc. der allge-
meine Verstand) auch wieder zurück seine Säfte aus den Früchten und Blättern
zu den Zweigen, aus den Zweigen zu den Aesten, aus den Aesten zu dem
Stamme, aus dem Stamme zur Wurzel. Wie hier in der Pflanze, so im Thie-
re, so in Allem.- Vgl. Bruno: De Ia causa. 69; Bruno: Von der Ursache. 30.-
Zum Begriff des allgemeinen Verstandes als des Zurückführenden (emaTptqlOv) vgl.
W 15.85 (Übersetzung aus Proclus; Ms?); vgl. auch vorliegenden Band 106,120!
(zur Interpretation der Spinozistischen causa sui als der Rückkehr in sich im Ande-
ren).
53,633 Vorher] Siehe vorliegenden Band, Anm. zu 52,610-613.
53,634-643 Die Hauptsache ... selbst.] Diese Ausführungen ziehen - stark
verkürzend- eine Summe aus den Zitaten, die Tennemann, Jacobi und Buhle aus
dem dritten und vierten Dialog in Bruno: De Ia causa. geben. Zur Einheit von
Form und Materie (53,634-636) siehe Tennemann: Geschichte. Bd 9.396: Die
erste allgemeine Form und die allgemeine Materie sind, ob-
gleich verschieden, dennoch unzertrennlich vereinigt und nur
ein Wesen. -Zur Materie als dem Bleibenden (53,636) siehe ebenda 395: Wie
sich die Form der Kunst zur Materie der Kunst verhält, so verhält sich unter
der gehörigen Einschränkung auch die Form der Natur zur Materie der
Natur. So wie die Kunst unzählige Verwandlungen mit einer und derselben
Materie vornimmt, so auch die Natur. Was erst Samen war, wird Gras,
Aehre, Brot, Nahrungssaft, Blut, thierischer Same, Embryo, Mensch, Leich-
nam, Erde, Stein oder eine andere Masse. Hier erkennen wir etwas, welches
sich in alle diese Dinge verwandelt und an sich immer Eins und dasselbe
bleibt. Es kann also weder Körper seyn, noch zu dem gehören, was wir
Eigenschaften, Beschaffenheiten oder Qualitäten nennen; denn diese sind
veränderlich und gehen von einer natürlichen Form in die andere über; es
kann folglich auch nicht körperlich oder sinnlich dargethan werden. - Zur
Formlosigkeit (53,636-638) siehe ebenda 395: Die Materie ist formlos und
einfach, indem die Form ihr erst alle Verschiedenheiten und Bestimmun-
gen geben muß. - 398J: Die Materie, welche den körperlichen, wie den
unkörperlichen Dingen zum Grunde liegt, ist ein mannigfaltiges Wesen, in
so fern es die Formen in sich schließt; in sich betrachtet aber schlechterdings
einfach und untheilbar. Sie ist alles, was sie seyn kann, in der That und auf
einmal, und weil sie alles ist, kann sie nichts inbesondere seyn. Es ist aber
nicht für jeden leicht zu fassen, wie Etwas alle Eigenschaften und keine
besitzen, das formelle Wesen von Allem seyn und doch selbst keine Form
haben könne. Was sehen wir nicht die Materie alles seyn und werden, ohlne
daß wir sie nach einer der besonderen Contractionen der Form benennen
können. Die Materie im höchsten Verstande nimmt alle Formen an, ohne
Anmerkungen 243

durch irgend eine dargestellt zu werden. Nullas habet dimensiones, ut omnes


habeat.- Zur Immanenz der Form in der Materie (53,638-641) siehe ebenda 399
(Fortsetzung des vorigen Zitats): Jene Unendlichkeit von Formen, welche sie
annimmt, nimmt sie nicht von einem andern und gleichsam nur äußerlich
an, sondern sie bringt sie aus sich selbst hervor. - Zum Vorausgesetztsein der
Materie (53,641-643) siehe ebenda 398: Wenn der Körper, wie allgemein
zugestanden wird, eine Materie, die nicht Körper ist, voraussetzt, diese also
der Form nach dem körperlichen Daseyn vorhergeht, so ist nicht einzusehen,
was die Materie mit denen Substanzen, welche man unkörperlich nennt, so
ganz unverträglich machen sollte. (jacobi und Buhle schließen hier noch ein
längeres Zitat über die Lehren der Peripatetiker und Plotins an.)- Bei Bruno liegt
jedoch der Akzent darauf, daß die Materie Voraussetzung auch des Unkörperlichen
sei; Hege/ spricht sie nur als Voraussetzung des Körperlichen (und deshalb als
intelligibel usf.) an. Die weiteren Bestimmungen der Materie als des Allgemeinen,
des Verständigen und der Endursache (53,642) sind in dieser Allgemeinheit in
Hegels Quellen oder bei Bruno selbst nicht unmittelbar ausgesprochen; es handelt
sich hier um Folgerungen Hegels aus den Darstellungen von Brunos Schrift. - Die
Bezeichnung der Materie als Endursache könnte anknüpfen an Tennemann, eben-
da 393: In dem Verstande, welcher die Kraft hat, alle Dinge hervorzubringen
und mit der herrlichsten Kunst begabt ist, das Vermögen der Materie im
Wirklichen darzustellen, müssen nothwendig alle jene Dinge nach einem
gewissen formalen Grunde schon früher vorhanden seyn. Der Zweck der
wirkenden oder Endursache überhaupt ist die Vollkommenheit des
Universums, welche darin besteht, daß in den verschiedenen
Theilen der Materie alle Formen zum wirklichen Daseyn ge-
langen.- Vgl. Jacobi: Briefe. 278-291; vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 2.19-
32; Bruno: De Ia causa. 102J, 97J, 96, 130-132, 132, 134, 126,70; Bruno:
Von der Ursache. 60, 55J, 54f, 85-87, 87, 88, 81, 32.
53,643-654 Da gebraucht . . . Prinzip.] Hege/ weist nicht darauf hin, daß
Bruno allerdings die Aristotelischen Begriffe gebraucht, jedoch in einer Perspektive,
die von der des Aristoteles verschieden, ja ihr entgegengesetzt ist. Auch die - bereits
scholastische- Unterscheidung des passiven und des aktiven Vermögens verwendet
Bruno in einem Sinne, der deren Intention zuwiderläuft, da er auf die Einheit
beider Vermögen abhebt und der Materie dieselben Attribute zuschreibt wie dem
göttlichen Wesen. - Das Zitat (53,645-654) folgt - wie insbesondere aus W
15.232 (Ms?) erhellt- der Fassung nicht bei Tennemann: Geschichte. Bd 9.396,
sondern bei Jacobi: Briefe. 283f: Gewöhnlichtheilt man die Potenz, oder das
Vermögen, in ein actives und ein paßives ein. Ich lasse den activen Modum
bey Seite, um bey dem paßiven zu bemerken, daß man, um ihn nach der
Wahrheit zu betrachten, ihn rein und absolut betrachten müsse. Nun ist es
unmöglich, irgend einer Sache Daseyn beyzumessen, welcher das Vermögen
da zu seyn gebräche. Letzteres bezieht sich aber so ausdrücklich auf den
activen Modum, daß hieraus sogleich erhellt, wie der eine ohne den andern I
nicht seyn kann, sondern beyde sich einander gegenseitig voraussetzen.
244 Anhang

Wenn also vonjeher ein Vermögen zu wirken, hervorzubringen, zu erschaf-


fen da war, so mußte auch von jeher ein Vermögen bewirkt, hervorge-
bracht, und erschaffen zu werden da seyn. . . . Die vollkommene Möglich-
keit des Daseyns der Dinge, kann vor ihrem wirklichen Daseyn nicht vor-
hergehen, und eben so wenig nach demselben überbleiben. Wenn es eine
vollkommene Möglichkeit wirklich zu seyn, ohne wirkliches Daseyn gäbe,
so erschafften die Dinge sich selbst, und wären da ehe sie da wären. Das erste
und vollkommenste Prinzip fasset alles Daseyn in sich; kann alles seyn, und
ist alles. Wenn es nicht Alles seyn könnte, so wär' es auch nicht alles. Thäti-
ge Kraft und Potenz, Möglichkeit und Wirklichkeit, sind in ihm also ein
unzertrenntes und unzertrennliches Eins. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt.
2.24f; Bruno: De la causa. 109; Bruno: Von der Ursache. 66f -Der rekon-
struierte Text der Vorlesung weist somit nicht allein Verkürzungen, sondern auch
Verzerrungen gegenüber dem Referat Jacobis und auch gegenüber Bruno selbst
auf: 53,645 ersetzt Hege/ Vermögen durch Kraft und identifiziert sodann (Und
darin liegt sogleich ... ) diese Kraft mit dem aktiven Modus. Insbesondere der
nur durch He überlieferte Satz Alles ... Alles (53,652-653) entstellt Brunos Ge-
danken; Bruno behauptet allein vom ersten Prinzip, daß es alles sein kö"nne und
auch alles sei.
53,657-658 Diese Materie ... Wirksamkeit] Siehe Jacobi: Briefe. 291: Sie
ist nicht jenes prope nihil, wozu einige Philosophien sie haben machen wol-
len, und darüber mit sich selbst in Widerspruch gerathen sind; nicht ein
reines, leeres, nackendes Vermögen, ohne Wirksamkeit, Vollkommenheit
und That. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 2.32; Bruno: De Ia causa. 134;
Bruno: Von der Ursache. 88 (Vierter Dialog).- Auch hier ersetzt Hege/ wieder
Vermögen durch Kraft, und statt allgemein von Wirksamkeit spricht er bestimm-
ter von der Wirksamkeit.
53,659-661 Das Universum ... Gestalt.] Siehe Jacobi: Briefe. 285: Das
Universum, die unerzeugte Natur, ist ebenfalls alles was sie seyn kann in der
That und auf Einmal; weil sie alle Materie nebst der ewigen unveränderli-
chen Form ihrer wechselnden Gestalten in sich faßt: ... Vgl. Jacobi: Werke.
Bd 4, Abt. 2.26; Tennemann: Geschichte. Bd 9.397; Bruno: De Ia causa. 110;
Bruno: Von der Ursache. 67f(Dritter Dialog).
53,662-54,671 Diese Einheit ... Natur.] Hege/ stellt hier zwei Zitate aus dem
vierten undfünften Dialog in Bruno: De Ia causa. zusammen, die sich dort und in
der Überliefenmg durch Jacobi in unterschiedlichem Zusammenhang finden; siehe
Jacobi: Briefe. 292: Diese Einheit zu erkennen ist der Zweck aller Philoso-
phie und Erforschung der Natur. Bruno spricht allerdings nicht- wie von Hege/
unterstellt - von der Einheit von Form und Materie, sondern von der Einsicht,
welchergestalt die Seele der Welt alles vermag, alles wirkt, alles in allem ist,
und wie die unendliche Menge der einzelnen Dinge in ihr und durch sie nur
Ein Wesen ausmachen. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 2.32; Bruno: De la
causa. 134f; Bruno: Von der Ursache. 89. -Das zweite Zitat findet sich bei
Jacobi an späterer Stelle; siehe 305: Um in die tiefsten Geheimnisse der Natur
Anmerkungen 245

einzudringen, muß man nicht müde werden, den entgegengesetzten und


widerstreitenden äussersten Enden der Dinge, dem Maximum und Mini-
mum nachzuforschen. Den Punkt der Vereinigung zu fmden, ist nicht das
Größte; sondern aus demselben auch sein Entgegengesetztes zu ent-
wickeln: dieses ist das eigentliche und tiefste Geheimniß der Kunst.- Die in
W 15.233 überlieferte Fassung hält etwa die Mitte zwischen dem rekonstruierten
Text der Vorlesung und dem Zitat. - Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 2.45;
Bruno: De la causa. 162; Bruno: Von der Ursache. 113}:
54,671-674 Er sagt ... Kunst.] Siehe den zweiten Satz des in der vorhergehen-
den Anm. mitgeteilten zweiten Zitats.
"54,678--681 Es ist ... Alles ist.] Hege/ stützt sich auf ein Referat Buhfes aus
Bruno: De triplici minimo et mensura. 8; siehe Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt.
2.808f" In dem erstem (sc. im genannten Werk Brunos) stellt er das Urprincip
unter dem Begriffe des Kleinsten, das zugleich das I Größte ist, des
Eins, das zugleich Alles ist, vor. Daß dieses Urprinzip anderswo die Form
heijle, bezieht sich wahrscheinlich auf die vorausgegangenen Hinweise auf den
Formbegri.ff, der insbesondere in De la causa. im zweiten Dialog im Vordergrund
steht; siehe auch vorliegenden Band 52,613-619 mit Anm. Aus seinen Quellen -
sowohl aus den Exzerpten als auch aus den Darstellungen der von ihm benutz-
ten Philosophiegeschichten - konnte Hege! nicht ersehen, daß der Formbegr!ff in
den letzten drei Dialogen von De la causa. zu Gunsten des Begr!ffs der Materie
zurücktritt. Ebensowenig berücksichtigt er die D!fferenzen zwischen De la causa.
( 1584), der frühesten erhaltenen Schrift Brunos, und der späteren Schrift De triplici
minimo et mensura. (1591), in der z. B. der Atomismus einen neuenGehalt und
eine größere Bedeutung gewinnt. Hegels Hauptinteresse gilt dem Prinzip der Ein-
heit des Universums als einer coincidentia oppositorum; siehe hierzu die folgende
Anm.
54,681-685 Im Universum ... Weltalls.] Hege! bezieht sich wiederum auf
Bruno: De la causa. 5. Dialog, in der Überlieferung durch Jacobi: Briefe. 297j:
Im Universo ist der Körper nicht vom Punkte, das Centrum nicht von der
Peripherie, das Endliche nicht vom Unendlichen, das Größte nicht vom
Kleinsten unterschieden. Es ist lauter Mittellpunkt; oder sein Mittelpunkt ist
überall, und sein Umkreis nirgend. Darum war es keine leere Rede, wenn
jene Alten von dem Vater der Götter sagten, er erfülle alle Dinge, habe in
jedem Theile des Weltalls seinen Sitz, sey der Mittelpunkt eines jeden
Wesens, Eins in Allem und derjenige, durch welchen Eines Alles ist. Vgl.
Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 2.37j; Bruno: De la causa. 145; Bruno: Von der
Ursache. 100. - Hege/ bemerkt nirgends, daß dieser Gedanke sich vor allem in
Nicolaus Cusanus: De docta ignorantia. Liber II, cap. XII. findet.
54,691-692 Raimundus Lullus ... aufgestellt hat.] Diese Auskunft über
Raimundus Lullus - so die latinisierte Form des Katalanischen Rarnon Llull -
stützt sich aufRixner: Handbuch. Bd 2.126: §. 61. Raymundus Lullius, Doc-
tor illuminatus. Rixner spricht ebenda auch von dem Titel Doctor illuminatis-
simus et magnus inventor artis. Die Bezeichnung illuminatus geht darauf zu-
246 Anhang

rück, daß Lullus seine Kunst durch eine Eingebung des Himmels geschenkt worden
sein soll; vgl. Tennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 2.830. - Die Bezeichnung
Ars magna bezieht sich hier wohl vor allem auf das Werk, in dem Lullus seine
Methode in ihrer endgültigen Fassung dargestellt hat: Ars generalis ultima vene-
rabilis magistri, ac doctoris illuminati Raymundi Lulli Maioricensis, tertii
ordinis Sancti Francisci.... Mehrfach veröffentlicht u. a. Palma Malorca 1645
oder Strqßburg 1651; geschrieben in den Jahren 1305-1308. Vorausgegangen war
1307 eine Ars brevis, mehrfach - siebzehn Mal - verö.JJentlicht, u. a. Palmae
Balearum 1669. - Als Ars magna wird gewiihnlich die Kunst der Alchimisten
bezeichnet; aus dieser Übereinstimmung kann jedoch nicht der Schluß gezogen
werden, daß sie für die Benennung der Lullischen Methode ausschlaggebend ge-
wesen sei.
54,692-55,704 Lullus lebte . . . aufgesucht.] Diese biographisch~n Angaben
stützen sich zumeist aufTennemann: Geschichte. Bd 8, Abt. 2,gelegentlich auf
Rixner: Handbuch. Bd 2. Vgl. auch Brucker: Historia critica. Tomus IV, pars
1.10-21. -Als Geburtsjahr gilt heute 1232, allenfalls 1233; Rixner nennt 1234
oder 35; Brucker ebenda 10, nennt 1234, ebenso Tennemann, ebenda 830; siehe
auch ebenda: In seiner Jugend riß ihn seine Sinnlichkeit in den Strudel des
VergnUgens fort ... Er ging in eine Einöde, um durch Reue und Schmerz,
Gebete und Kasteiungen, Beruhigung seines Gewissens zu fmden. In diesem
Zustande einer gereizten Phantasie, die von Natur nur zu leicht Feuer fmg,
erhielt er Visionen.... Jetzt wurde er ein religiöser Schwärmer, gab alle
seine sonstigen Zwecke und EntwUrfe auf, theilte sein Vermögen unter die
Armen aus, und hielt sich fUr berufen die christliche Religion unter den
Mahommedanern und Heiden auszubreiten. - Tennemann (831) und Rixner
(127) sprechen beide von Reisen nach Asien und Afrika; Lullus' Reise nach Asien
beschränkt sich aber auf einen kurzen Aufenthalt in Zypern, Kleinasien undJerusa-
lem ( 1301-1302). Nach Hegels Quellen geriet Lullus bei einem ersten Missionsversuch
in Tunis in Lebensgefahr ( Tennemann 831f, Rixner 127); bei einer zweiten Reise
nach Afrika wurde er durch Vermittlung Genuesischer Kaufleute wieder aus
einem harten Gefängnisse befreiet; so Tennemann, 833. Tennemann Jährt fort:
Nicht glUcklicher war sein dritter Versuch, auf welchem er den grausamsten
Mißhandlungen ebenfalls durch Kaufleute von Genua mit genauer Noth
entrissen wurde, und an den Folgen derselben auf der Ueberfahrt nach Spa-
nien imJ.1315 starb.- Heute nimmt man vier Reisen nach Nordqfrika an.-Als
Todesdatum wird heute die Zeit zwischen Dezember 1315 und März 1316 ge-
nannt. - Die Überlieferung, Lullus sei bei der Rückkehr nach Mallorca an den
Folgen von Mißhandlungen gestorben, denen er bei seiner letzten Reise nach Tunis
ausgesetzt war, wird heute zum Teil als nicht hinreichend verbürgt angesehen. -
Häufige Aufenthalte in Mailand berichten übereinstimmend GrLö"PiHc, aber nicht
die Quellen. Man kann erwägen, ob Regel vielleicht in seinem Vortragsmanuskript
Montpellier notiert, aber Mailand vorgetragen habe.- Daß Lullus nicht nur beim
Papste, sondern auch bei allen Königen Europas um Unterstützung für sein Be-
kehrungswerk nachgesucht habe, greift entschieden zu weit; Tennemann spricht
Anmerkungen 247

davon, daß Lullus sich zu Rom, Genua, Majorka wiederum eben so vergeb-
lich um Unterstützung bemüht habe (832); darüber hinaus ist auch noch der
französische Hof zu nennen. - Lullus' Bemühungen sind nicht ganz so vergeblich
gewesen; die Kirchenversammlung zu Vienne (1311-1312) nahm mehrere Ent-
würfe von ihm an, insbesondere den Plan, Institute zur Erlernung des Arabischen
und auch des Syrischen und Hebräischen zu gründen; vgl. ferner Rixner: Hand-
buch. Bd 2.1-29.
55,704-709 Neben ... können.] Die Formulierung, Lullus habe sich neben sei-
ner Missionstätigkeit mit seiner Kunst beschäftigt, verdeckt die innere Einheit dieser
anscheinend nicht mit einander vermittelten Interessen. Für Lullus steht seine Kunst
nicht neben dem Hauptzweck der Mission; sie steht vielmehr im Dienste der Er-
kenntnis der Wahrheit des Christentums. Daß und wie sie in Lullus' Sinn dazu
beitragen kann, wird verständlich, wenn man den strikt anti-averroistischen Cha-
rakter dieser Kunst berücksichtigt, der sich aus Lullus' Bekanntschaft mit der Aristo-
teles-Rezeption im Paris des ausgehenden 13. Jahrhunderts erklärt. Die Lullische
Kunst steht im Dienst des Aufbaus einer anti-avmoistischen und mit den biblischen
Lehren vereinbaren Philosophie.
55,709-726 Er hat ... werden.] Anders als in der Darstellung in W 15. 197,
die auch Elemente aus Rixner: Handbuch. Bd 2.126. aufnimmt, stützt Regel sich
hier für das Detail der Lullischen Kunst ausschli4Jlich aufTennemann: Geschich-
te. Bd 8, Abt. 2.834-836; siehe insbesondere 834f: Die Hauptsache in seiirrer
großen Kunst war das Alphabet und gewisse Kreise, bewegliche und unbe-
wegliche;jenes enthielt den Stoff, diese gaben die möglichen Combinationen
der Begriffe an; dazu kamen noch besondere Regeln von dem Gebrauche
derselben. Er hatte neun Buchstaben, B C D E F G H I K, gewählt, um neun
Classen von Dingen zu bezeichnen. Die erste Classe enthält neun absolute
Prädicate: Güte, Größe, Ewigkeit oder Dauer, Macht, Weisheit, Wille,
Tugend, Wahrheit, Herrlichkeit; die zweite neun relative Prädicate: Ver-
schiedenheit, Einhelligkeit, Entgegensetzung, Anfang, Mitte, Ende, Größer-
seyn, Gleichseyn, Kleinerseyn. Diese absoluten und relativen Prädicate nennt
er auch die allgemeinsten Principe, weil sie Alles unter sich begreifen. Die
dritte Classe enthält neun, oder, weil die neunte doppelt ist, zehn Fragen,
nämlich: ob? was? wovon? warum? wie groß? von welcher Beschaffenheit?
wann? wo? wie und womit? Die Fragen nennt er auch Regeln, z. B.
die neunte regula modalitatis und instrumentalitatis. Die vierte Classe
begreift die neun allgemeinsten Subjecte: Gott, Engel, Himmel, Mensch,
Imaginativum, Censitivum, Vegetativum, Elementativum, Instrumenta-
tivum. - Hegels Darstellung weicht aber irrtümlich in einigen Punkten von
seiner Quelle ab. Dies ist jedoch noch nicht anzunehmen bei den - allein durch
He belegten - Formen Elementarium, Instrumentarium (55, 723) an Stelle
von Elementativum, Instrumentativum; hier dürfte es sich um einen Hör-
fehler handeln. - Mit Tennemann (siehe das Zitat) spricht Regel fälschlich von
sechs Begriffsklassen - nämlich den vier genannten (1) absolute Prinzipien, (2)
relative Prinzipien, (3) Suchregeln, (4) Subjekte (und nicht Substanzen, wie es
248 Anhang

sowohl in 55,722 als auch in W 15.198 heißt), sowie (5) Tugenden und (6) Laster.
Alle diese Klassen sind neunfach unterteilt; für die ersten vier Klassen siehe das
Zitat aus Tennemann; die Klasse Tugenden ist gegliedert in Justitia, Prudentia,
Fortitudo, Temperantia, Fides, Spes, Caritas, Patientia und Pietas, die Klasse der
Laster umfaßt Avaritia, Gula, Luxuria, Superbia, Acidia, lnvidia, Ira, Menda-
cium, Inconstantia. - Abweichend von Tennemann spricht Regel davon, daß diese
neun Klassen in neun - an Stelle von vier - Kreise einbeschrieben seien. Die Ars
generalis ultima und auch die Ars inventiva- und nur für diese beiden Werke,
nicht für die vorhergehenden Schriften Lulls trifft die genannte Aufzählung der
Prinzipien zu - unterscheiden jedoch nur vier Figuren. Die erste (FigurA) ist ein
einfacher Kreis, in dessen Zentrum A - als Bezeichnung für den Ursprung alles
Seienden - steht. Der Umfang ist neunfach unterteilt nach den Buchstaben des
Lullischen Alphabets (B ... K), die hier die oben genannten absoluten Prinzipien
bedeuten (Bonitas, Magnitudo, Duratio, Potestas, Sapientia, Voluntas, Virtus,
Veritas, Gloria). Auf dem zweiten Kreis, in dessen Zentrum ein T steht (Figur T),
sind ebenfalls diese Buchstaben angeordnet, jedoch in der Reihenfolge B, E, H, C,
F, I, D, G, K. Sie bezeichnen hier die relativen Prädikate: (B) Di.fferentia, (C)
Concordantia, (D) Contrarietas, (E) Principium, (F) Medium, (G) Finis, (H)
Maioritas, (I) Aequalitas, (K) Minoritas. (Regel nennt (55, 717) irrtümlich Einig-
keit- Concordantia- bei den absoluten Prädikaten, so daß er deren zehn, aber nur
acht relative Prädikate aufführt.) Durch Verbindung der zusammengehö"rigen Prä-
dikate entstehen hier drei Dreiergruppen (Ternare): BCD, EFG und HIK, die als
dem Kreis einbeschriebene Dreiecke aufgeJaßt werden kö"nnen. Diese drei Ternare
sollen die Gesamtheit der Relationen alles Seienden erschöpfend erfassen: Jedes
Seiende ist- Ternar BCD - entweder unterschieden oder übereinstimmend oder im
Gegensatz mit anderem Seienden, u~(. - Die dritte Figur ist nicht ein Kreis, son-
dern eine treppenförmige Tabelle von 36 Positionen, die sich durch Kombination
der Buchstaben aus den Figuren I und 11 ergibt: In der Waagrechten stehen die
Paare BC, CD, ... IK, in der Senkrechten BC, BD, ... BK. - Die Figur IV
endlich ist die von Hege! genannte; sie wird aber durch nur drei konzentrische
Kreise gebildet, deren unterster, größter, unbeweglich ist, während die beiden klei-
neren, oberen, gedreht werden können. Der Umfang aller drei Kreise ist überein-
stimmend nach dem Lullischen Alphabet in neun Abschnitte gegliedert (B ... K),
so daß bei Übereinstimmung des FeldesBaufallen Kreisen auch die anderen Buch-
staben einander zugeordnet sind. Durch Drehung der beiden oberen Kreise erhält
man 84 Dreierkombinationen BCD usf. Da die neun Buchstaben auf allen Kreisen
aber ebensowohl die Bedeutungen der ersten als auch der zweiten Figur haben
können - also der absoluten oder der relativen Prädikate -, so bestehen diese 84
Kombinationen nicht allein aus je drei, sondern aus sechs Elementen (BCDbcd).
Diese Elemente lassen sich wieder zu je 20 Kombinationen verbinden, so daß durch
die Figur IV insgesamt 1680 verschiedene Kombinationen hergestellt werden kön-
nen. - Die durch die Figur IV ermöglichten Dreierkombinationen dienen Lullus als
Instrument zur Formulierung korrekter Syllogismen: zur Aujfindung von Prämis-
sen, von Mittelbegriffen und von Schlüssen. - Aus Hegels Erwähnung von sechs
Anmerkungen 249

Kreisen in W 15.197 geht hervor, dl!ß er bei seiner Beschreibung die von Rixner:
Handbuch. Bd 2. Anhang 86-90. sowie von Brucker: Historia critica. Tomus
IV, pars II.18a (Tafel) abgebildeten Kreise im Blick gehabt habe. Sie gehO"ren aber
nicht der Ars generalis ultima an; Rixner verweist für sie auf Johann Heinrich
Alstedt: Clavis artis Lullianae et verae logices duos in libellos tributa. Argen-
torati 1609.
56,728-729 Ein ähnliches . . . vervollkommnet.] Diese Au.ffassung, Bruno
habe die Lullische Kunst vervollkommnet, ist ein Topos der damaligen Philosophie-
geschichtsschreibung. Er findet sich etwa bei Rixner: Handbuch. Bd 2. Anhang
90: Jordanus Brunus, ... einer der glänzendsten Geister der vor-Cartesi-
schen Philosophie ließ sich die Vervollkommnung der Lullischen Kunst sehr
angelegen seyn. -Ebenso aber schon Johann Jakob Wagner in dem von ihm her-
ausgegebenen Journal für Wissenschaft und Kunst. Erstes Heft. Leipzig 1805.
67J: Jordanus Brunus, der glänzendste Geist der vorcartesischen Philosophie,
verwandte nicht geringe Kraft auf ihre Vervollkommung ( !). -Diese Ver-
vollkommnung besteht zum einen in der besseren Nutzung der kombinatorischen
MD"glichkeiten der Lullischen Figuren. So vermehrt Bruno durch Umkehrung und
Verdoppelung der Buchstaben der dritten Figur die binarischen Kombinationen von
36 auf 81, und durch weitere Rotation der Kreise gelangt er zu mehr als 2000
Kolonnen von je 96 Gliedern - anstatt 84 Kolonnen zu je 20 Gliedern. Deshalb
kann Bruno in dieser formalen Hinsicht erklären: An huc usque pertigerit Lul-
lius, tu ipse considera et perpende quantum huic arti additum sit a nobis;
siehe Bruno: De lampade combinatoria Lulliana. De usu tertiae et quartae
figurae et tabulae generalis; in Bruno: Opera latine conscripta. Bd 2, Abt.
2.322. - Auch Brunos Interesse geht weniger auf den Gehalt der Termini, der
Fächer und der weiteren Kombinationen der Lullischen Kunst als auf die Entwick-
lung ihrer formalen MD"glichkeiten. In dieser Hinsicht teilt er die Auffassung des
Lullismus der Renaissance, insbesondere Agrippas von Nettesheim. Im Unter-
schied zu diesem steht das Formelle bei Bruno aber im Dienst einer neuen naturali-
stischen Ontologie. - Auch die Wichtigkeit der Mnemonik bei Bruno kann im
Zusammenhang mit der formalen Entwicklung der Lullischen Kunst verstanden
werden, und ebenfalls mit dem Lullismus der Renaissance überhaupt. Es läßt sich
zwar nicht beweisen, daß die neuere Mnemonik ihren Ursprung in der Lullischen
Kunst habe, doch haben bedeutende damalige Philosophen - insbesondere Bruno
und Campanella - ihr ungeheures Gedächtnis als eine durch die Anwettdung der
Lullischen Kunst erworbene Fähigkeit ausgegeben. Bruno etwa hat versucht, durch
Verbindung der neun Buchstaben des Lullischen Alphabets mit den Namen bekann-
ter PersO"nlichkeiten - B mit Brutus, C mit Caesar usj. -, sodann mit neun von
solchen Subjekten prädikablen Attributen, sodann mit neun solche Subjekte betref-
fenden Relationen usj. die Handhabung der zahlreichen durch die kombinatorischen
MO"glichkeiten gefundenen Termini noch zu erleichtern.
56,729-731 Aristoteles ... zusammen.] Die Verbindung der Lullischen Kunst
mit der Topik und Mnemonik mag Regel durch Buhle nahegelegt worden sein;
siehe Buhle: Geschichte. Bd 2. Abt. 2.716: Die Kunst des Lullus überhaupt
250 Anhang

war nichts anderes als eine Topik und Mnemonik, ... -Zu Hegels Ver-
ständnis der Topik des Aristoteles siehe vorliegende Ausgabe, Teil 3 (Original-
paginierung 385) sowie W 14.408J An der letztgenannten Stelle verweist Hege/
auf Cicero und Jordanus Bruno. Zum Verweis auf Cicero siehe die folgende Anm.
56,732 Die Mnemonik ... bei Cicero).] Hege/ bezieht sich auf die pseudo-
ciceronianische Schrift mit dem Titel Rhetorica ad Herennium. bzw. Ad C.
Herennium de ratione dicendi, die wahrscheinlich zwischen 86 und 82 v. Chr.
verfaßt worden ist. Er spielt wahrscheinlich an auf Liber III, cap. 17ff; siehe ins-
besondere cap. 17 (§ 30): Quemadmodum igitur qui litteras sciunt, possunt id,
quod dictatum est, scribere, & recitare, quod scripserunt: ita qui f.LV7Jf.LOVLKcX
didicerunt, possunt, quae audierunt, in locis collocare, & ex his memoriter
pronuntiare. Loci enim cerae, aut chartae simillimi sunt; imagines, litteris;
dispositio & collocatio imaginurn, scripturae; pronuntiatio, lectioni.- In M.
Tullii Ciceronis opera omnia ex recensione Gronovii. Accedit varietas lectionis
Pearcii, Graevianae, Davisianae cum singulorum librorum argumentis et indice
rerum historico verborumque philologico-critico. Curavit Io. Augustus Ernestius.
Lipsiae 1737. 164 (entspricht der Ausgabe Halae 1757).- (Marcus Tullius Cice-
ro's Werke. Bd 26. Rhetorik, an Herrenius. Uebersetzt von Christian Walz.
Stuttgart 1842. 3444: 17. Wie also Diejenigen, welche die Buchstaben ken-
nen, Das, was dictirt wird, schreiben, und das Geschriebene vorlesen können,
so können Diejenigen, welche die Gedächtnißregeln gelernt haben, Das-
jenige, was sie gehört haben, an Stellen bringen, und von diesen hinweg aus
dem Gedächtniß hersagen. Denn die Stellen sind dem Wachs oder Papier
ganz ähnlich, die Bilder den Buchstaben, die Anordnung und Stellung der
Bilder der Schrift, das Hersagen dem Lesen.)
56,738-745 Das erste ... Tableau ab.] Dieses Beispielfindet sich weder in
Brunos Schriften noch in Pseudo-Cicero: Ad Herrenium. Da die gewählten
Namen Aaron und Abimelech in der vorchristlichen Antike zweifellos nicht ver-
wandt wurden, dürfte Hege/ auf eine mittelalterliche oder neuzeitliche Quelle an-
spielen, die jedoch nicht nachgewiesen werden konnte. - Hege/ hat sich mehrfach mit
der Mnemonik beschäftigt und als Redakteur der Bamberger Zeitung Nachrichten
über Auseinandersetzungen um die Mnemonik in Frankreich veröffentlicht; siehe
Hege!: Gesammelte Werke. Bd 5. 391-394.
56,750-754 Mit dieser ... Vorstellungen.] Dieser Satz ist insofern mißver-
ständlich, als er einen Gegensatz zwischen der- ursprünglichen - Lullischen Kunst
und Brunos Bemühungen zu behaupten scheint. Hege/ verwendet jedoch zur
Charakterisierung der Lullischen Kunst Brunos diejenigen Auszeichnungen, die
Buhle der Kunst bei Lullus zuspricht; siehe Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2. 716:
Sie unterschied sich von der ältern Topik und Mnemonik der griechischen
und römischen Logiker und Rhetoren nur darin, daß diese bloß Aggregate
von Gemeinbegriffen, Gemeinplätzen und psychologischen Regeln waren;
anstatt daß jene (sc. die Lullische Kunst) es auf kurze leicht zu fassende und
anzuwendende systematische Tafeln von Grundbegriffen, in denen alle
übrige Begriffe enthalten seyn, oder die zur Erfindung derselben leiten soll-
Anmerkungen 251

ten, und auf sinnbildliche Darstellungen dieser Tafeln anlegte. Daher rühmte
Lullus seine Kunst, sofern er darin erschöpfende systematische Tafeln der
Grundbegriffe der menschlichen Erkentniß entdeckt, und ihren Gebrauch
gezeigt zu haben wähnte, ... - Hege/ hätte ohnehin auf Grund seiner Quellen
nicht die Möglichkeit gehabt, zwischen der ursprünglichen Lullischen Kunst und
derjenigen Form zu unterscheiden, die sie bei Bruno genommen hat. - Die Gegen-
überstellung wie dort (56, 752) dürfte sich deshalb nicht aufLullus, sondern auf die
ältere Mnemonik beziehen.
56,754-757 Bruno ... entwickelt sich;] Der Sinn dieser Aussage läßt sich
nicht eindeutig bestimmen. Sie kann so verstanden werden, als mache Hege/ hier
eine Aussage über die Entwicklungsgeschichte von Brunos Denken oder über den
systematischen Zusammenhang seiner Schriften. In beiden Fällen träfe Hegels
Behauptung jedoch nicht zu. Wahrscheinlicher ist, daß Hege/ sich an eine Aussage
Buh/es anschließe; siehe Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2.734: Nach dieser
Erörterung der metaphysischen Principien geht Bruno zu der eigentlichen
Mnemonik über, die er auf jene gründen wollte. - Diese metaphysischen
Principien - Hegels allgemeine Ideen - sind jedoch nicht die in De Ia causa.
explizierten; vorher (56, 755) bezieht sich- wie die folgenden Auiführungen bele-
gen - auf den Gang nicht der Vorlesung Hegels, sondern der Darstellung Buh/es.
Wie Bruno, so gibt auch Buhle (719a-734)- bevor er näher aufBrunos Mnemonik
eingeht- eine Uebersicht der Haupttheile der Lullischen Kunst. Er bezieht sich
dabei insbesondere auf De compendiosa Architectura et complemento artis
Lullii. Parisiis 1582, sowie aufDe umbris idearum. Parisiis 1582. Siehe insbe-
sondere 719a: Das allgemeine Princip derselben ist der außer sich thä-
tige Verstand (intellectus extrinsecus agens, Sinnlichkeit), der sich zur
Erleuchtung des Geistes verhält, wie die Sonne zum Auge. Ihr besonderes
Princip ist der thätige Verstand an sich selbst (intellectus agens,
reiner Verstand), der sich wiederum zu den Vorstellungen und Begriffen
(species intelligibiles) oder dem äußern Verstande verhält, wie das Auge zu
den sichtbaren Dingen. - 731J: Der erste Verstand bringt aus seiner Fülle
weder neue Ideen, noch auf eine neue Art (... ) hervor. Die Natur
bringt neue Dinge der Zahl nach hervor, aber nicht auf neue Art, weil
sie immer auf dieselbe Art wirkt. Die menschliche Vernunft bildet neue
Formen und auf neue Art in's Unendliche, (... I ...). -Die Formen häß-
licher Geschöpfe sind schön im Himmel; die Formen nicht glänzender Me-
talle glänzen in ihren Planeten. Weder Menschen, noch Thiere, noch Metalle
existiren dort, so wie hier. Was hienieden zerstreut ist, ist dort vereinigt,
kräftiger, schöner. Die Tugenden, die in der Materie sich auswickeln und
vereinzelnen, vereinigen sich in der Nähe des Urwirklichen und wickeln sich
ein. -In dem Urverstande ist nur Eine Idee aller Dinge. Er ist Licht,
Leben, Geist, Einheit. In ihm sind alle Gattungen, Vollkommenheiten,
Wahrheiten, Zahlen und Grade der Dinge. Was in der Natur Contrast und
Verschiedenheit ist, ist in ihm Harmonie und Einheit. - Vgl. Bruno: Opera
latine conscripta. Bd 2, Abt. 2.6-8.
252 Anhang

56,757-758 wie die Neuplatoniker] Hege/ bezieht sich wahrscheinlich auf


Plotin und Proclus; siehe seine Interpretation in W 15.53: Bei Ploti11 ist das Ge-
dachte nicht außer dem voü~, der voü~ hat im Gedanken sich nur selbst als
denkend. . . . in der Ausbildung dieses Denkens in sich, insofern es sein
Gegenstand ist, liegt dem Plotin die erste und wahrhafte intellektuelle Welt,
... -Zu Proclus siehe ebenda 85: Der Verstand (voü~) aber ist die Grenze (To
dpoc~, finis) des Seyenden, und er ist gedachtes Denken (o vo1jTO~ voü~); denn
im Gedachten ist der voü~, und im voü~ das Gedachte .... »Der Verstand aber
ist die Grenze« (Individualität), »welche wieder« (das Leben) »zu den Princi-
pien zurückführt (&mcrTpEq:>oV), und« (es immer) »dem Princip« (der oucrloc)
»gemäß macht, und einen intellektuellen Kreis vollbringt.« - Zum neuplatoni-
schen Charakter der Werke Brunos und zu seiner Bedeutungfür Hegels Interpreta-
tion siehe vorliegmden Band, Anm. zu 57,766-782.
56,758-57,765 das Licht ... des Lichts.] Hege/ stützt sich auf Buh/es Referat
von Bruno: De umbris idearum. Intentio III; siehe Buhle: Geschichte. Bd 2,
Abt. 2. 724: Das Licht kann erkannt werden in Ansehung der Substanz selbst,
und in Ansehung ihrer Accidenzen; so wie das Licht der Substanz (materia
prima) aus dem Urlichte (actus primus lucis) emanirt, so emanirt wiederum
das Licht der Aceidenzen aus dem Lichte der Substanz; die Substanz und ihre
Aceidenzen aber können das volle Licht nicht aufnehmen; sie sind also nur
im Schatten des Lichts enthalten, und die Ideen von ihnen sind wiederum
Schatten.- Vgl. Bruno: Opera latine conscripta. Bd 2.21f- Vgl. W 15.238.-
Zu Bruno: De umbris idearum. vgl. die folgende Anm. Die beiden letzten
Sätze (57,761-765: Die Entwicklung ... des Lichts.) sind vielleicht zu bezie-
hen auf Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2. 724: Indem die Erkentniß von der
übersubstantiellen Ureinheit herabsteigt, und nach und nach zur unendli-
chen Mehrheit fortschreitet, entfernt sie sich in eben dem Grade von der
Wahrheit, wie sie sich von der Einheit entfernt.
57,766-782 Bruno ... erkennen.] Hege/ stützt sich auf ei11 Referat BHhles aus
Bruno: De umbris idearum. Intentiones V, VII und IX; siehe Buhle: Ge-
schichte. Bd 2, Abt.2.724f: Fit enim ab ipso superessentiali ad essen-
tias; ab essentiis ad ipsa, quae sunt; ab iis ad eorum vestigia,
imagines, simulacra et umbras excursus, turn versus materiam, vt
in ejus sinu producantur, tum versus sensum atque rationem, vt per
eorum facultatem dinoscantur. Hingegen nähert sich die Erkentlniß der
Wahrheit immer mehr im umgekehrten Fortschritte von der Mehrheit zur
Einheit./ Aller Schatten der Natur und Naturdinge in der Materie so-
wohl, als in der äussern und innern sinnlichen Wahrnehmung,
besteht in Bewegung und Veränderung; allein im Verstande und
Gedächtniße ist er gleichsam in Ruhe. Da aber alle Dinge im Univer-
sum genau zusammenhangen, das Untere mit dem Mittlern und dieses
mit dem Obern, das Zusammengesetzte mit dem Einfachen, das Einfache
mit dem Einfachem, das Materielle mit dem Geistigen, damit Ein Univer-
sum, Eine Ordnung und Regierung desselben, Ein Princip und Zweck, Ein
Anmerkungen 253

Erstes und Letztes sey; und da es einen Fortschritt vom Lichte zur Fin-
sterniß giebt, sofern (nach den Platonikern) einige Intelligenzen durch ihre
Abneigung vom Urlichte und ihre Neigung zur Materie den mechanischen
Gesetzen der Natur unterworfen werden; so können auch durch den
lockenden Ton der Leyer des W el t-A pollo die niedem Dinge in die
Natur der höhern übergehen. 726: Weil nun jedes Ding in das andere ihm
im nächsten Grade ähnliche übergehen kann heraufwärts und hernieder-
wärts; so kann einerseits die Natur innerhalb ihrer Grenzen Alles aus Allem
hervorbringen, und andererseits kann der Verstand Alles aus Allem erken-
nen. - Vgl. Bruno: Opera latine conscripta. Bd 2, Abt. 1.23-26.- Der Hinweis
auf Heraklit findet sich nicht bei Buhle; Hege/ hat ihn aus Plato: Symposium.
187a. aufgenommen; 'rO ~V yocp (j)"l)crL (sc. 'HpcixAe;L-ro~) »3Lcx~pe:p6[LE:VOV CXU'rO cx\m"i)
cru[L~pepe:cr8cxL,« »&cr7te:p &p[Lov!cxv -r6~ou -re; xcxt Aupcx~.« (Er (sc. Herakleitos) sagt
nämlich, daß Eins »in sich entzweit sich mit sich einige« »wie die Stimmung
einer Lyra oder eines Bogens«.)- Brrmos Schrift De umbris idearum. ist seine
früheste erhaltene Schrift (Paris 1582; siehe die Bibliographie der Quellen). Ihr
erster Teil gliedert sich in 30 Intentiones und 30 Conceptus; er ist anzusehw als
eine philosophische Grundlegung der Gedächtniskunst (Ars mcmoriae), die den
zweiten Teil der Schr~(t bildet. Der erste Teil ist stark neuplatonisch geprägt,
insbesondere durch die Parallele zwischen dem Fortschritt der Erkenntnis und der
Hierarchie der Schatten und des Lichts, ohne dqß diese Hierarchie aber auf ein
geozentrisches Weltbild festgelegt wäre. Da Hege/ jedoch die Chronologie der
Schriften Brunos nicht berücksichtigt, macht er auf Gmnd dieser Schrift eine Aus-
sage über Bmnos Stellung zum Neuplatonismus (siehe 56,757-758 mit Anm.), die
Für die späteren Schriften Brunos nicht in gleicher Weise zutr!fft. Er unterstreicht
diese Verwandtschaft noch durch die Erläuterung von Brunos Begr(IJ des super-
essentiale durch das Prodisehe \me:poucr(cx (57, 768), die sich allerdings auch bei
Buhle, jedoch an späterer Stelle (eben da 745) findet. -Zu diesem Begriff bei Pro-
clus vgl. W 15.81,85.
57,782-785 Der erste ... auffassen.] Hege/ stützt sich wieder auf ein R~ferat
Buh/es aus Bruno: De umbris idearum. Conceptus X; siehe Buhle: Geschichte.
Bd 2, Abt. 2. 731: Der erste Verstand ist das Urlicht; er strömt sein Licht aus
dem Innersten zu dem Aeussersten, und zieht es von dem Aeussersten wieder
an sich; jedes Wesen kann nach seiner Fähigkeit etwas von diesem Lichte
auffassen. - Vgl. Bruno: Opera latine conscripta. Bd 2, Abt. 1.45.
57,785-790 Was hier ... erkennen.«] Hege/ stützt sich wiederum mif ein Refe-
rat Buh/es aus Bruno: De umbris idearum. Conceptus XIII, dem er verstärkt
eigene Reflexionen hinztifügt; siehe Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2. 732: Was
in der Natur Contrast und Verschiedenheit ist, ist in ihm Harmonie und
Einheit. Tenta igitur, an possis viribus tuis identificare, concordare et vnire
receptas species, et non fatigabis ingenium, mentem non turbabis, et memo-
riam non confundes.- Vgl. Bruno: Opera latine conscripta. Bd 2, Abt. 1.46.
- Vgl. auch die getreuere Überliiferung in W 15.240 (Ms?).
58,792-794 wie die ... erscheinen.] Hege/ spielt wahrscheinlich an auf Bruno:
254 Anhang

De umbris idearum. Conceptus XXVI, wiederum durch Vermittlung von Buhle:


Geschichte. Bd 2, Abt. 2. 733f" Durch die Idee, welche in einem Verstande ist,
wird etwas besser begriffen, als durch die Form des Naturdinges an sich
selbst, weil die letztere materieller ist. Auf gleiche Weise wird ein Gegen-
stand durch die Idee von ihm im göttlichen I Verstande besser erkant, als
durch sein objectives Wesen. - Vgl. Bruno: Opera latine conscripta. Bd 2,
Abt. 1.51.
58,794-801 Da gibt ... Verständiges ist.] Hege/ stützt sich auf Buhfes Referat
von Bruno: Sigillus Sigillorum. 11; siehe Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt.
2.745: Die Form überhaupt scheidet sich zunächst in eine dreyfache
(progressus primae formae in ternarium): a) die Urform (u7te:poumiX, super-
essentia), ... b) die Form der physischen Welt, welchedie Spuren der
Ideen (vestigia idearum) der Oberfläche der Materie aufdrückt, und gleich-
sam ein Urbild in zahllosen entgegenstehenden Spiegeln vervielfältigt; c) die
Form der vernünftigen Welt, welche die Schatten der Ideen (vm-
bras idearum) für die Sinne numerisch individualisirt, und für den Verstand
zu allgemeinen Begriffen erhebt. Die Urform heißt Seyn, Güte, Ein-
heit; in der metaphysischen Weltistsie ein Ding, ein Gutes, Princip
der Mehrheit (ante multa); in der physischen Welt offenbart sie sich in
Dingen, Gütern, Individuen; in der vernünftigen Welt entspringt
sie aus Dingen, Gütern, und Individuen.- Vgl. Bruno: Opera latine con-
scripta. Bd 2, Abt. 2.203f - Mit seinem Hinweis auf Proclus zieht Hege/ eine
Parallele zwischen den obersten Stufen der Ontologie des Proclus- der Einheit über
dem Sein (\.me:poumov, superessentiale) und dem Leben. Zu Hegels Interpretation
siehe W 15.81, 85. Als das Moment der Rückkehr ist dort allerdings nicht die
Einheit, sondern der Verstand genannt. Die Schwierigkeiten einer Parallelisierung
von Proclus und Bruno werden in Gr ausgedrückt durch die - von den anderen
Nachschriften aber nicht gestützte - Formulierung: diese haben wir ungefähr
gesehen bei Proclus (entsprechend 58, 796).
58,801-809 Das Denken ... imagines.] Hege/ bezieht sich frei a"!f Buhfes stark
verkürzendes Referat der ersten zwölf Paragraphen von Bruno: Ars memoriae;
siehe Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2. 734: Er betrachtet das Denken als eine
Kunst der Seele, im Innern gleichsam durch innere Schrift darzustellen, was
die Natur äußerlich gleichsam durch äußere Schrift darstellt, und sowohl die
äußere Schrift der Natur in sich aufzunehmen, als die innere Schrift in der
äußern abzubilden und zu verwirklichen .... Als verschiedene Schriftarten
der Seele, durch welche sich auch das organisirende W eltprincip offenbart,
nimt Bruno zwölf an: Species, Formae, Simulachra, Imagines, Spectra,
Exemplaria, Indicia, Signa, Notae, Characteres et Sigilli. - Vgl. Bruno:
Opera latine conscripta. Bd 2, Abt. 1.56-62.
58,810-811 De simulacris ... De sigillis;] Diese beiden letztgenannten,
sehr verkürzten Titel verweisen auf Brunos Schriften: De imaginum, signorum
et idearum compositione. (1591}; Explicatio triginta sigillorum. (1583)
bzw. Sigillus sigillorum. (ebenfalls 1583).- Der Titel De simulacris. ist nur
Anmerkungen 255

von Lö- und wohl in unzutreffender Analogie zu simulacra (58,809)- über-


liefert.
58,820-59,832 Lucilius Cäsar Vanini ... hervor.] Diese Biographie stützt sich
auf Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2.866-869 (entsprechend Buhle: Lehrbuch.
Bd 6, Abt. 1.406-410}; siehe 866: Juli us Cäsar Vanini ... wurde geheh-
ren im J. 1586 im Neapolitanischen, ... Seine Führer in der Philosophie
wurden Aristoteles, und zwar wie die Averrhoisten das System desselben
auslegten, Pomponatius, Telesius, und Cardanus . . . . 866J: Nach
Vollendung seiner akademischen Studien that er Reisen durch Deutschland,
Böhmen, I die Niederlande, disputirte überall angeblich gegen Ungläubige
und Atheisten, jedoch so, daß er selbst in den Verdacht des Atheismus ge-
rieth, und darüber mehrmal in Lebensgefahr kam. Er hielt sich hierauf in
Genf auf, gieng dann nach Lyon, wo er sich vor der Verfolgung der In-
quisition kaum noch durch die Flucht rettete, begab sich aus Frankreich nach
England, lebte daselbst zwey Jahre, und kehrte wieder nach Italien zurück .
. . . Er verließ Genua, trieb sich bald in Frankreich, bald in Italien herum,
bestand dabey mancherley Abentheuer, und ward durch sein Disputiren über
Gegenstände der Philosophie und Religion, womit er sich Jedem aufdrängte,
und durch seine Schriften immer der Kätzerei und des Unglaubens verdäch-
tiger. Um dieses Verdachtes gegen ihnwillenmußte er auch Paris verlassen,
wo er sich zuletzt aufhielt. Sein unglückliches Loos führte ihn nach Tou-
louse. Hier ward er auf die Angabe eines gewissen Franeon us vor Gericht
gezogen, ... (also nicht in Paris, wie in 59,825 nach Gr) 868: Francanus
sagte gotteslästerliche Behauptungen, die Vanini gegen ihn geäußert, vor
Gericht aus und beschwor seine Aussage. Auch mehrere seiner Zuhörer
zeugten gegen ihn. Vanini that freylich Alles, was er konte, um die Be-
schuldigung von sich abzulehnen; er leugnete die Aussage seiner Gegner,
betheuerte seinen Glauben an den dreyeinigen Gott, und nahm einst vor
seinen Richtern einen Strohhalm auf mit der Versicherung, daß schon dieser
ihn vom Daseyn Gottes überzeugen würde; auch genoß er oft im Gefäng-
nisse das Abendmahl. Dennoch ward er zum Scheiterhaufen verdammt und
öffentlich im J. 1619 verbrannt, nachdem ihm vorher der Henker die Zunge
auf eine grausame Weise mit einer Zange ausgerissen hatte./ ... Uebcrhaupt
ist die Geschichte des Inquisitionsprozesses, von welchem Vanini das trau-
rige Opfer wurde, nicht recht klar; ... - Als Geburtsjahr nennt auch Brucker:
Historia critica. Tomus IV, pars II.671. das Jahr 1586; Rixner: Handbuch. Bd
2.262. nennt 1585. Rixner gibt auch Taurozano als Geburtsort an; ebenso Bruk-
ker, ebenda 672: Taurisani oppido. Da der Ort nur in Gr überliefert wird, ist die
nachträgliche Benutzung von Rixners Handbuch durch v. Griesheim wahrschein-
lich. Vgl. die folgende Anm.
59,838-845 Wir haben . . . schwach aus.] Den vollständigen Titel dieser
Schrift nennt nur Gr, offensichtlich gestützt auf Rixner: Handbuch. Bd 2.262, der
ebenfallsfälschlich astronomico- statt astrologo- schreibt; richtig hingcgm
Brucker: Historia critica. Tomus IV, pars II.678. und Buhle: Geschichte. Bd 2,
256 Anhang

Abt. 2.873f Erschienen ist Vaninis Buch in Lyon 1615.- Zu Hegels Beurteilung
dieses Buches vgl. Buhle, ebenda 873-875: In dem Amphitheatro diuinae proui-
dentiae werden dem Anscheine nach nur die Meynungen der ältern I Philo-
sophen bestritten. War es auch, wie sich aus der Beschaffenheit der vom
Vanini vorgebrachten I Gegengründe wohl schließen läßt, mit der Wider-
legung mancher Lehren der ältern Philosophie ihm in der That kein Ernst;
... So schwach deßhalb auch die Gründe sind, die hier gegen Plato,
Zeno, Epikur, u. a. vorkommen, und obgleich Vanini die bessern Argu-
mente der Neuern verwarf oder vernachlässigte, um schlechtere an die Stelle
derselben zu setzen; ... so konte doch Niemand ihn des Atheismus gerade-
hin zeihen. - Ein Beispiel einer beredten Darlegung der Position der Gegner ist
Vaninis Referat der Überlegungen moderner Atheisten, daß - entsprechend der
Analogie des Menschen und des Tiers - die menschliche Seele wie die tierische mit
dem Tode verschwinde; ein Beispiel der schwächlichen Widerlegung ist eines seiner
Argumente gegen die Leugnung der Unsterblichkeit der Seele durch die Epikuräer:
Durch Weiterbestimmung des Satzes Ex nihilo nihil fit zu Non fit aliquid ex nihilo
und dessen Umkehrung zu Ex aliquo non fit nihil sucht Vanini zu beweisen, daß
die Seele- ein einfaches Etwas- nicht zu Nichts werden kiinne; siehe Amphithea-
trum. 151f bzw. 166. Vanini sucht übrigens nicht allei11 - wie der Titel seines
Buches nahelegt - die Philosophen der Antike, sondern auch neuere, insbesondere
Cardanus, die Averroisten und Pomponazzi zu widerlegen.
60,845-853 Das zweite ... könne.] In dieser ausführlichen, aber inkorrekten
Form findet sich der Titel nur in Gr, offensichtlich übernommen aus Römer:
Handbuch. Bd 2.262. Rixner schließt allerdings an Caesarem an: libri IV., so
daß der Genitiv dialogorum ein Bezugswort erhält; der eigentliche Titel lautet
jedoch nur: De admirandis ... arcanis. Die Titelerweiterung bei Rixner geht
darauf zurück, daß sich Vaninis Buch in sechzig Dialoge zwischen Alexander und
]ulius Caesar gliedert (Kolumnentitel: Iulii Caesaris Vanini Dialogi). - Hegels
Beschreibung des Inhalts von Vaninis Schrift stützt sich wiederum auf Buhle:
Lehrbuch. Bd 6, Abt. 1.414 (entsprechend Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt.
2.876f): Er hatte zwar die Untersuchung in die dialogische Form eingeklei-
det, ohne bestirnt anzugeben, unter was für einer Person des Dialogs er selbst
rede; auch scheinen die Gespräche bloß wissenschaftliche Unterredungen
über einzelne physikalische und naturhistorische Materien zu seyn. Aber die
Person, welche V anini selbst angenommen hatte, war doch nicht zu ver-
kennen; es war diejenige, die am heftigsten spottete und lästerte; und die
Tendenz der Gespräche überhaupt war zu klar, um von einem aufmerksa-
men Prüfer verkannt werden zu können. Diese Tendenz war, zu zeigen, daß
die Natur die Gottheit sey, daß alle Dinge mechanisch entständen, und das
ganze Universum in seinem Zusammenhange aus mechanischen Ursachen zu
erklären. - Vgl. W 15.246 (Ms?). - Der Schein, Vanini entscheide sich nicht
zwischen den verschiedenen von ihm vorgetragenen Gedanken, hat zwar auch die
Theologen der Sorbonne getäuscht, die die Approbation für Vaninis Dialoge erteilt
haben, in quibus- wie sie schreiben- nihil Religione Catholicae Apostolicae &
Anmerkungen 257

Romanae repugnans aut contrarium repetimus, ... Diese Theologen werden


jedoch im Text von Vanini verspottet; siehe Dialog XXXVII. De prima hominis
generatione. 235: I[ulius] C[aesar]. Id ipsum ego volebam dicere, foelicem
Adae culpam quae talem ac tantum meruit habere redemptorem, non enim
animantibus solum nunc imperamus, sed & Angelos ipsos pro Paedagogis
habemus. Sed quaeso haec doctis Sorbonae senibus relinquamus, & nostra, si
placet, in Philosophicis exerceamus ingenia. Alex[ander]. Non recuso. -Zu
Vaninis Tendenz, das Universum insgesamt aus bl~ß mechanischen Ursachen zu
erklären, siehe u. a. Dialogus IV. De Coeli Forma & Motore. 21f: Alex[an-
der]. At quomodo Coeli certis statisque legibus mouentur, si diuinae mcntes
illae motrices, primae participes sapientiae non adsistunt? I[ulius] C[aesar].
Quid mirum? nonne in vilissimis horologiorum machinulis, ab cbrio Gcr-
mano elaboratis, certa stataque motus Iex viget? vt silentio praetercam tertia-
nae & quartanae febris motum, qui certis aduenit & recedit spatijs, vt ne
momento quidem lineam transiliat. Mare quoque certis statisque tempo-
ribus a sua forma, grauitate nimirum, vt vos Peripatetici asscritis, agitur
progressionibus & regressionibus. Quinimo cum Coelum semper codem
feratur motu, a sua pura forma non ab Intel I ligentiae voluntate moueri
dixerim.
60,854-859 Er spricht ... einsehe.] Hege/ bezieht sich sehr wahrscheinlich auf
Auskünfte, wie sie sich in den von ihm benutzten Philosophiegeschichten finden;
siehe u. a. Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2.873: Vanini folgte dem Beyspiele
des Pomponatius, der als Philosoph und Schriftsteller gleichsam die Rolle
zweyer verschiedener Personen, eines Denkers aus bloßen Vernunft- und
Erfahrungsgründen, und eines treuen Anhängers des Kirchenglaubens spielte,
und in den Fällen, wo seine Philosophie dem Kirchenglauben schnurstracks
entgegengesetzt war, zugleich behauptete, daß er als ein ergebener Sohn der
Kirche doch das Gegentheil glaube. - Diese Schilderung kann sich auf eine
Vielzahl von Aussagen in Vaninis Schriften stützen; siehe u. a. Amphitheatrum.
164: Ego Christianus nomine, cognomine Catholicus nisi ab Ecclesia, quae
veritatis est certissima, & infallibilis magistra, edoctus essem, animam nos-
tram immortalem esse vix crediderim, quod dicere non erubesco, sed glo-
rior, nam adimpleo Paulinum praeceptum, captiuans intellectum in obse-
quium fidei, quae in me validior est, innititur enim huic principio, Deus
dixit: quare & Sanctissimus Pater Augustinus in lib. 4. de Bapt. cap. 24.
Euangelio, inquit, non crederem, nisi Ecclesiae me commoueret
authoritas. At in Euangelio reprehenduntur Saducaei, qui animi immorta-
litatem negabant: Ne autem ignorantiae vitio id mihi vertatur, subtilissimis a
me excogitatis rationibus animae immortalitatem propugnabo. - Zum Pro-
blem der Unsterblichkeit siehe aber auch die vorletzte Anm.
60,859-861 So machte ... Gott sei.] Daß für Vanini die Natur Gott sei, geht
bereits aus dem Titel seiner an zweiter Stelle genannten Schrift hervor, in dem die
Natur als regina deaque mortalium bezeichnet wird. - Dqß Vanini Einwürfe
geger1 die Vorsehung Gottes mache, gre!ft wahrscheinlich nicht auf den Text Vani-
258 Anhang

nis selbst, sondern auf Nachrichten über ihn zurück; siehe Buhle: Geschichte. Bd
2, Abt. 2.875: Mochte er immerhin, indem er die Behauptungen der ältern
Philosophen zu bestreiten schien, eigentlich nur die Blöße der gangbaren
Philosophie über Gott, Welt und Vorsehung, und vornehmlich der Lehrsätze
des Kirchenglaubens aufdecken, und als ungereimt und lächerlich charakteri-
siren; ... - Vanini behandelt das Problem der Vorsehung insbesondere in Amphi-
theatrum. Exercitatio IV. Probat Dei providentiam a creatione mundi. Vanini
geht hier aus von der Annahme einer Vorsehung: Da die Welt nicht ewig sei, einen
Anfang habe und sich nicht selbst erschaffen habe, verweise sie auf eine unkörper-
liche und intelligente Ursache. Daraufhin legt Vanini die Einwände der Philoso-
phen gegen den Begriff der Schöpfung dar, den der Begriff der Vorsehung voraus-
setzt, und gibt sich den Anschein, diese Einwände entkräften zu wollen; siehe
ebenda 18: Quod vero ingerunt argurnenturn quasi inuictum, futurum fuisse,
vt mutatione afficeretur Deus, si postquam non fecisset, faceret mundum,
nullius est roboris, nam ex Aristotele in primo de Anima, Si faber cum acdi-
ficat, non alteratur, qui tarnen habet potentiam primam, & secundam cum
actu coniunctam, quantominus Deus, qui actus est? eius enim velle actio est.
explico. mutatio sequitur ex nouitate, sed nihil est noui Deo in creatione
mundi, nec mutationis igitur. minor probatur, quia Deus est omnia, &
omnia ei sunt in actu, quae nobis videntur in potentia, & quae nobis fuerunt
noua, illi semper fuerunt: quare mundus ei non fuit in potentia antequam
fieret, quia existentia mundi, quae nunc cst, semper apud Deum in actu fuit. -
Diese vermeintliche Widerlegung hat also einen pantheistischen Gottesbegriff(Deus
est omnia) und die Annahme der Ewigkeit der Welt zum Ergebnis- im Gegensatz
zu den Anfangsbehauptungen.
60,861-874 Da beweist ... Teufels.] Diese Begründung für die Überlegenheit
des Teufels dürfte Hege! nicht unmittelbar Vanini: De admirandis arcanis. 420f
entnommen haben, sondern Buhle, der sie als Beispiel für Vaninis Frechheit und
frevelhafteste und empörendste Gotteslästerung zitiert; siehe Buhle: Ge-
schichte. Bd 2, Abt. 2.877jFußnote: Ex bibliorum contextu infertur, Dae-
monem Deo praeualere. Reluctante Dei voluntate Adamum et Euam
totumque genus humanum ad interitum duxit; cumque malo huic Deifilius
occurrere vellet, et ipso etiam Daemone judicum animos sollicitante, Chri-
stus asserit: Haec est hora vestra et potestas Tenebrarum, morte
turpissima damnatus est. Efficacior est, asserebat ille, juxta biblicum
codicem Diaboli quam Dei voluntas. Vult Deus, omnes homines
saluos fieri; I perpauci tarnen seruantur. Vu!t Daemon, damnari omnes;
innumeri damnantur. Ex amplissimo terrae gremio soli Christiano Catholici,
qui in angustissimis Italiae, Hispaniae, nonnullarum Galliae, Germaniae et
Poloniae prouinciarum limitibus continentur, seruari possunt. Ab his si aufe-
ras Judaeos, occultos Haereticos, Atheos, Blasphemos, Simoniacos, Adulte-
res, Masculorum concubitores, qui regnum Dei non possidebunt, vix e mille
millibus vnus electus aderit. Sie et veteri lege totus mundus Daemoni inse-
ruiebat. Soli Hebraei, quorum regni amplitudo Britanniae insula, Deum
Anmerkungen 259

agnoscebant, saepissime ab ejus cultu defecerunt; cumque Deum colebant,


calamitatibus et miseriis a Daemone inflictis opprimebantur. Haec ille blas-
phemus.- Vgl. W 15.247 (Ms?).- Auch hier gibt Vanini vor, die Ansicht dieses
Gotteslästerers nur angeführt zu haben, um sie unter Rückgriff auf die traditionelle
Kirchenlehre vom Sündenfall und von der Erlösung zu widerlegen.
60,874-876 Dies seien ... einsehe.] Zum Problem der doppelten Wahrheit
siehe die vorletzte Anm. Hege/ scheint anzunehmen, daß dieses Problem sich für
Vanini ähnlich stelle wie oben (siehe Anm. zu 48,496-49,499)für Pomponazzi; er
übersieht - wahrscheinlich mangels eigener Lektüre -, daß diese Behauptung der
Differenz von philosophischer und kirchlicher Lehre bei Vanini zum Werkzeug der
Agitation, zum Vehikel der Propagierung heterodoxer Ansichten geworden ist.
60,885 Michael de Montaigne ... Machiavelli] Diese Zusammenstellung vo11
Montaigne, Charron und Machiavelli deutet darauf hin, daß Hege/ sich hier an
Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2. orientiert, in deren 5. Abschnitt sie- zusamme11
u. a. mit justus Lipsius, Jean Bodin und Francis Bacon - behandelt werden; zu
Montaigne (1533-1592) siehe 908-916; zu Pierre Charron (1541-1603) siehe
917-925; zu Machiavelli (1469-1527) siehe 929-934.
61,916 früher] Siehe vorliegenden Band 46f
65,23-24 Nun ist ... zu verehren.] Hege/ spielt an auf joh. 4,24: Gott ist
Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit
anbeten.
67,94-95 »Wenn ihr ... Wahrheit ist.«] In dieser Formfindet sich der Spruch
nicht überliefert; Hege/ bezieht sich wahrscheinlich auf Stellen wie joh. 15,10 und
insbesondere Joh. 14,21: Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist es, der
mich liebt. Wer mich aber liebt, der wird von meinem Vater geliebt
werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.
70,181 so wird ... seinem Eigentum] Hege/ greift hier wahrscheinlich vor auf
eine Wendung Böhmes; siehe vorliegenden Band 72,37 mit Anm.
70,184-189 In diesem ... Streben.] Hege/ greift hier- angedeutet durch zu-
nächst - vor auf den ersten Abschnitt der Philosophie der Neuzeit. Unter dem
Geist, der sich in seinem äußeren Welteigentum bewegt, ist die Philosophie Francis
Bacons verstanden; in seinem innerlichen Eigentum ist er in den Schriften Jakob
Böhmes.
71,3 konkrete Gestalt des Erkennens] Dieser Ausdruck nimmt die beiden
abschließenden Sätze des vorhergehenden Teils wieder auf, in denen es heißt, der
Geist werde sich in seinem Eigentum konkret bewegen, und zwar einerseits im
endlichen, natürlichen Weltwesen ( d. h. bei Bacon) und andererseits im innerlichen
Eigentum ( d. h. bei Böhme).
71,5 Hervortreten des Denkens für sich] Hege/ weist voraus a~f die Darstel-
lung der Garfesischen Philosophie im zweiten Abschnitt.
71,15-19 wie es ... versöhnt hat.] Zu dieser Deutung der Entwicklung der
griechischen Philosophie mittels der Kategorie der Separation und Versöhnung mit
der Volksreligion siehe u. a. vorliegende Ausgabe Teil 2 (Originalpaginierung
168-170 bzw. 208f) zu Xenophanes und Anaxagoras sowie Teil 3 (Original-
260 Anhang

paginierung 60ff, 80f, 83f) zur alexandrinischen Philosophie; vgl. W 13.284, 289f
bzw. 388Jf sowie W 15. 5ff, 32, 71ff, 92.
72,37 Der Geist ... Eigentum] In diesem Satze klingt eine Formulierung
Jakob Biihmes an. Die inhaltliche Bestimmung des >Geistes< und des >Eigen-
tums< ist bei Böhme jedoch verschieden; siehe dessen Aurora. Kap. IX, 41. 103:
... alle Creaturen im Himmel und in dieser Welt sind aus diesen Geistern
[sc. den sieben Geistern Gottes] gebildet / und leben darinnen als in ihrem
Eigentuhm: ...
72,38-41 dies ist ... des Erkennens.] Vgl. die abschließenden Sätze des vor-
hergehenden Teils, 70,184ff.
72,42-45 Die zwei ... Schelling.] Diese Einteilung der neueren Philosophie in
die hier unterschiedenen vier Perioden findet sich wenig verändert in jeder derBer-
liner Vorlesungen, abgesehen von der Vorlesung 1823/24. Diese sucht drei Epochen
zu scheiden: a) Ankündigung der Vereinigtmg von Denken und Sein (Bacon
und Böhme), b) Metaphysische Vereinigung ( ()() eigentliche Metaphysik, Descartes,
Spinoza usj. und ß) Untergang der Metaphysik), c) Vereinigung als Gegenstand der
Philosophie (Kant- Schelling); vgl. W 15.274f Diese Einteilung in den Werken
dürfte dem - verschollenen - Heft von 1823/24 des Herausgebers Michelet ent-
nommen sein; sie wird durch die Hefte von Hotho und Hube bestätigt. Michelet
schließt diese Dreigliederung an die Viergliederung an, ohne über die Differenz der
Konzeptionen Auskunft zu geben, und legt die Dreigliederung von 1823/24 über-
dies dem Aufbau des Abschnitts über die neuere Philosophie zu Grunde. - Zur
weiteren Unterteilung der Viergliederung siehe vorliegenden Band 89,602-90,614
mit Anm.
72,56-57 obgleich ... Weise] Siehe vorliegenden Band, Anm. zu 75,148-
149.
73,66-72 Wir ... herumgetrieben.] Zur Konkretion dieser historischen Dilfe-
rmzienmg im Verhältnis von philosophierendem Individuum und Philosophie siehe
vorliegende Ausgabe, Teil2 (Originalpaginierung 249j, 302f; vgl. W 14. 65,185)
(zu den plastischen Individuen in den sokratischen und platonischen Dialogen)
sowie - zu den mittelalterlichen Doktoren und zu den Philosophen der Übergangs-
periode vom Mittelalter zur Neuzeit - vorliegenden Band 36Jf bzw. 49Jf. Eine
ausführlichere Behandlung dieses Themas siehe in W 15. 275-277.
74,98-117 Bacon . . . starb 1626.] Die Hauptquelle dieser biographischen
Angaben ist Buhle: Geschichte. Bd 2, Abt. 2.950-954. Daneben hat Hege!
wahrscheinlich auch Brucker: Historia critica. Tomus IV, pars II.91-93. heran-
gezogen. Die Begründung für Bacons Entlassung (dies bewirkte ... als seine
Unschuld) findet sich jedoch weder bei Buhle noch bei Brucker oder Tennemann. -
In dem Bild, das Tennemann: Geschichte. Bd 10. 7Jf. von Bacons Charakter ent-
wirft, fehlen die negativen Züge gänzlich.
75,148-149 Bacon ... berufen.] Eine sichere Quelle für diese Einschätzung
konnte nicht nachgewiesen werden. Vgl. aber die ähnliche Aussage bei Tenne-
mann: Geschichte. Bd 11.68: Baco, Newton und Locke sind als eminent(!)
Geister die Führer der folgenden Zeiten geworden, und besonders hat der
Anmerkungen 261

erste, noch mehr der dritte, die Richtung des philosophirenden Geistes und
die Methode der Philosophie bestimmt.
75,154-157 Von Bacon ... geführt,] Siehe Cicero: Tusculanarum Quae-
stionum Liber I. 4 (§ 10J). In Cicero: Opera. Bd 4. Lipsiae 1737. 425f: So-
crates autem primus philosophiam devocavit e caelo, & in urbibus collocavit,
& in domos etiam introduxit, & coegit de vita, & molribus, rebusque bonis,
& malis quaerere. (325: Sokrates hat als erster die Philosophie vom Himmel
herunter gerufen, sie in den Städten angesiedelt, sie sogar in die Häuser hin-
eingeführt, und sie gezwungen, nach dem Leben, den Sitten und dem Guten
und Schlechten zu forschen.) - Dieser Vergleich zwischen Bacon und Sokrates
findet sich bereits bei Rixner: Handbuch. Bd 2.9. - Vgl. ferner Cicero: Acad.
1,4.
77,199-200 Er teilt ... Vernunft.] Siehe Bacon: De augmentis scientiarum.
Bogen A 3: Partitiones Scientiarum, & Argumenta singulorum Capitum.
Liber II. Caput I. Partitio Univeralis Doctrinae Humanae, in Histo-
riam, Poesim, Philosophiam: Secundum tres Facultates Intellectus;
Memoriam; Phantasiam; Rationem: ... (Works. 425.) (169: lstes
Capitel. Allgemeine Eintheilung des menschlichen Wißens in Historie,
Poesie, Philosophie, nach den drey Verstands-Fähigkeiten, dem Gedächtniß,
der Phantasie, der Vernunft:)
77,200-202 Dann ... Zeit;] Geschichte und Poesie werden in Buch 2, Kapitel
2-13 behandelt; siehe die Argumenta in Bacon: De augmentis scientiarum.
Bogen A 3 (Works. 425f) bzw. in der Übersetzung 172-229; die Bücher 3-9
behandeln Theologie, Philosophie, Naturwissenschaft, Medizin usf.
77,203-206 Eine Hauptseite ... herhalten.] Derartige Beispiele finden sich
zwar sehr zahlreich in Bacons Werk; sie beziehen sich aber nicht auf Ahab. Aller-
dings erwähnt ein von Hege/ übersetztes Beispiel zur Cosmetica Jesabel, Ahabs
Frau (vgl. 1. Kön. 16,32}; siehe Bacon: De augmentis scientiarum. Liber 4,
Caput 2. 113: Miramur autem, pravam hanc consuetudinem fucandi, leges
censorias, tarn Ecclesiasticas, quam Civiles, quae alias in luxuriam circa
vestes, aut cultus capillorum effoeminatos, admodum fuerint severae, ita diu
fugisse. Legimus certe de Jezabele, quod pigmentis faciem obliverit;
verum de Esthera & Iuditha, nil tale perhibetur. (Works. 602.) (409: Uns
wundert aber, daß diese schlimme Gewohnheit sich so zu verkleistern, weder
von den Geistlichen noch weltlichen Censurgesezen, die sonst auf die Klei-
derpracht und die ausschweifende weibische Verzierung der Haare sehr
streng gewesen, so lange nicht gerügt worden ist. Von einer Jesabellesen wir
in Wahrheit, daß sie ihr Angesicht mit Farben verkleistert; aber von einer
Esther und Judith wird nichts dergleichen erzählt.)- Vgl. W 15.290 (Ms?).-
Die Erwähnung Salomos könnte sich auf die Widmung des Novum Organum an
James I. beziehen, der darin mit Salomo verglichen wird; siehe Bacon: Novum
Organum. 269f: Superest Petitio, Majestate tua non indigna; & maxime
ornnium faciens ad id quod agitur, Ea est, ut quando Salomonern in plurimis
referas, Judiciorum gravitate, Regno pacifico, Cordis latitudine, Librorum
262 Anhang

denique, quos composuisti, nobili varietate; etiam hoc ad ejusdem Regis


exemplum addas, ut eures Historiam Naturalern & Experimentalem, veram
& severam (... ) & quae sit in Ordine ad condendam Philosophiam, denique
qualem suo loco describemus, ... (Works.124.) (34j: Es bleibt mir noch eine
Bitte, welche Deiner Majestät nicht unwerth und für das Unternehmen
von höchster Bedeutung ist. Sie geht dahin, dass Du, der Du Salomo in so
Vielem, in dem Ernst Deiner Urtheile, in dem Frieden Deiner Herrschaft,
in der weit reichenden Milde Deines Herzens, in der edlen Mannichfaltig-
keit der von Dir verfassten Bücher gleichst, auch darin noch dem Beispiel
jenes Königs nachfolgest, dass Du für die Ausarbeitung und Vollendung
jener auf Versuche sich stützenden Naturbeschreibung sorgest, jener wahren
und strengen, ... welche die Unterlage der Philosophie bildet, und welche
ich an ihrem Orte näher beschreiben werde; .. .). Vgl. auch den Beginn der
Widmung von De augmentis scientiarum. 1: Sub Veteri Lege, Rex optime,
... (Works. 431.) (35: Zu den Zeiten des Alten Testaments, bester König,
.. .), sowie Liber 1. 3: Audio primos [sc. theologos] dicentes ... Salomonern
censere, Faciendi libros nullum esse finem, multamque lectio-
nem carnis esse afflictionem; (40: Ich höre die erstere sprechen, die
Willenschaft gehöre unter diejenigen Dinge, die man sparsam und mit Vor-
sicht zulaßen müße; denn die allzu große Begierde nach Wißen, sey die erste
Sünde gewesen, daher des Menschen Fall; noch heut zu Tage stecke was
schlangenartiges darinn, sintemal solche den Stolz einführe, das W ißen
blähet auf. Salomo halte davor: daß des Büchermacheus kein Ende sey,
und daß vieles Lesen das Fleisch anfechte; .. .);ferner Liber 8, caput 2.
77,206-210 Es ist ... gewesen.] Es läßt sich nicht mit Sicherheit nachweisen,
auf welche Quellen Hege/ sich für seine Behauptung stützt. Man kann erwägen, ob
sie auf Gespräche mit Eduard Gans zurückgehe, der diesem Thema wenig später
ausführliche Aufmerksamkeit widmet; siehe Eduard Gans: Das Erbrecht in welt-
geschichtlicher Entwicklung. Eine Abhandlung der Universalrechts-
geschichte. 4 Bde. Insbesondere Bd 3. Das Erbrecht des Mittelalters. Teil 1.
Stuttgart 1829. ?Off.
77,211 Theologie] Zur Theologie siehe Bacon: De augmentis scientiarum.
Insbesondere Liber 3, caput 2 und Liber 9, caput 1.
77,211 Magie] Bacon spricht nicht schlechthin von Magie, wie der Text an-
nehmen läßt. Er unterscheidet hier drei sehr verschiedene Formen, denen er auch
unterschiedlichen Wert beimißt: magia naturalis, magia superstitiosa und wahr-
hafte magia.
Die abergläubische Magie ist für ihn kaum der Beachtung wert; siehe Bacon:
Novum Organum. Liber 1. § 85. 304: In superstitiosa autem Magia, (si & de
hac dicendum sitD], illud imprirnis animadvertendum est, esse tantummodo
certi cujusdam & defmiti generis subjecta, in quibus Artes curiosae & super-
stitiosae, per ornnes Nationes, atque aetates, atque etiam religiones, aliquid
potuerint. Itaque ista missa faciamus. (Works.193.)(138: Soll ich nun über
die abergläubische Magie noch etwas bemerken, so ist es, dass diese gehei-
Anmerkungen 263

men und abergläubischen Künste bei allen Völkern und zu allen Zeiten und
in allen Religionen nur in einzelnen Dingen ganz besonderer Natur etwas
vermocht haben. Deshalb lasse ich sie bei Seite.) - Zur natürlichen Magie siehe
Bacon: De augmentis scientiarum. Liber 1.19: Artes ipsae, quae plus habent
ex phantasia, & fide, quam ex ratione, & demonstrationibus, sunt praecipue
tres, Astrologia, Naturalis Magia, Alchymia; quarum tarnen fines
non sunt ignobiles. . .. Magia sibi proponit naturalem Philosophiam avarie-
tate speculationum ad magnitudinem operum revocare. . .. Sed viae, atque
rationes, quae ducere putantur ad hos fmes, tarn in Theoria illarum artium,
quam in praxi, erroris & nugarum plenae sunt. (Works. 456J.) (88f: Die
Künste selbst welche mehr aus der Einbildung und blinden Glauben, als aus
der Vernunft und Beweisen haben, sind vorzüglich drey, die Astrologie,
die Natürliche Magie, und die Alchymie; deren Endzwecke aber doch
nicht unedel sind.... Die Magie nimmt sich vor, die natürliche Philosophie
von der Mannigfaltigkeit der Spekulationen zu der Größe der W erkc zu-
rückzurufen. . .. I . . . Aber die Wege und Methoden, welche zu diesen
Absichten führen sollen, sind sowohl in der Theorie jener Künste, als in
derselben Praxis, voller Poßen und Irrthümer.) - Zur näheren Charakterisie-
rung dieser fehlerhaften Methoden und zur Verwerjung der Magie siehe ferner
Bacon: Novum Organum. Liber 1. § 85. 304: At Naturalis Magiae Culto-
res, qui per rerum Sympathias omnia expediunt, ex conjecturis otiosis &
supinissimis, rebus virtutes & operationes admirabiles affinxerunt; atque si
quando opera exhibuerint, ea illius sunt generis, ut ad admirationem & novi-
tatem, non ad fructum & uti!itatem, accommodata sint. (Works. 193.) (137f:
Dagegen haben Die, welche sich der natürlichen Magie befleissigten und
Alles mit der Sympathie der Dinge erreichen wollten, nach müssigen und
grundlosen Vermuthungen den Dingen wunderbare Kräfte und Wirksam-
keiten beigelegt, und wenn sie einmal etwas zu Stande gebracht haben, so
diente es doch mehr dem Staunen und I der Neugierde als dem Nutzen und
Gebrauche. -) - Die wahrhcifte metaphysische Magie aber beruht auf der Meta-
physik und der Erforschung der Formen (vgl. dazu vorliegenden Band 77,225-228
mit Anm.); siehe Bacon: De augmentis scientiarum. Liber 3, caput 5.93: (Ar-
gumentum: Partitio Operativae Doctrinae de Natura in Mechanicam &
Magiam: Quae respondent Partibus Speculativae: Physicae Mechanica,
Metaphysicae Magia: & Expurgatio Vocabuli Magiae.) ... Meta-
physica, & inquisitio formarum, producit Magiam. 94: Nos vero eam
illo in sensu intelligimus, ut sit scientia, quae cognitionem formarum ab-
ditarum ad opera admiranda deducat, atque, quod dici solet, Activa cum
passivis conjungendo. Magnalia Naturae manifestet. (Works. 571,573)
(348: ( Argumentum: Eintheilung der Praktischen Gelehrsamkeit welche die
W ercke der Natur behandelt, in die Mechanik, und Magie, welche den
Theilen der Theoretischen entsprechen: nemlich der Physik die Mechanik,
der Metaphysik die Magie; und die Ausmerzung des Wortes Magie.) ... die
Metaphysik und die Untersuchung der Formen erzeugt die Magie: 351: Wir
264 Anhang

nehmen sie aber in denjenigen Sinn, daß sie die Wißenschaft ist, welche die
Erkenntniß der verborgenen Formen zur Bewunderung der W ercke herleitet
und wie man zu sagen pflegt, durch die Verbindung des wirkenden mit dem
leidenden die Herrlichkeiten der Natur veroffenbaret.) - Diese wahrhafte
Magie unterscheide sich aber grundlegend von der natürlichen; siehe 94: non erra-
verit sane, qui eam dixerit, a scientia, quam quaerimus, tantum distare,
quoad veritatem naturae, quantum Libri rerum gestarum Arthuri ex Britan-
nia, aut Hugonis Burdegalensis, & hujusmodi Heroum umbratilium, diffe-
runt a Caesaris Commentariis, quoad veritatem historicam. (Works. 573.)
(351: und hat also derjenige allerdings Recht gehabt, welcher gesagt: daß die
bis daher davor erkannte Wißenschaft von der eigentlichen ächten Wißen-
schaft, die wir zum Augenmerke haben, in Absicht der Wahrheiten der
Natur so weit entfernt sey, als die Bücher von den Thaten des Arthurs aus
Brittannien, oder des Hugo von Bourdeaux, und dergleichen Schatten-
helden, von den Commentarien des Cäsars in Absicht der historischen
Wahrheit sich unterscheiden.)
77,211-213 er spricht ... Lebens;] Regel nennt hier im wesentlichen die Auf-
gaben, die Bacon der Alchemie zuschreibt; siehe De augmentis scientiarum. Liber
1.19: Chymica in se suscipit partes rerum Heterogeneas, quaein corporibus
naturalibus latent & implicantur, separare & extrahere: corporaque ipsa,
inquinata depurare, impedita liberare, immatura perficere. (Works. 457.)
(88J: Die Chemie trägt vor, wie die fremdartigen Theile der Dinge, die in
den natürlichen Körpern verborgen und I verwickelt sind, abgesondert und
ausgezogen werden: und wie die Körper selbst, wenn sie unrein worden, zu
reinigen von ihren Banden loszumachen, und von ihrer Unreife zur Voll-
kommenheit zu bringen sind.) -Zur Abgrenzung der Alchtmie gegen Astrolo-
gie und natürliche Magie siehe die vorhergehende Anm. Wie in der vorherigen
Erwähnung der Magie, so bringt Hegels Darstellung auch hier die differenzierte
und kritische Haltung Bacons gegenüber den angesprochenen Problemen nicht zum
Ausdruck. Hierzu siehe Bacon: Novum Organum. Liber 1, § 85. 304: si quis
... Alchymistarum aut Magorum opera penitius introspexerit, is dubitabit
forsitan, utrum risu, an lachrymis potius illa digna sint. Alchymista enim
spem alit aeternam, atque ubi res non succedit, errores propries reos substi-
tuit; ... Neque tarnen negandum est, Alchymistas non pauca invenisse, &
Inventis utilibus hornirres donasse. (W orks. 192J) ( 137: betrachtet einer ( Ori-
ginal: er) die Werke der Alchymisten und Magier von innen, so wird er
vielleicht schwanken, ob sie mehr belacht oder beweint zu werden verdie-
nen. Der Alchymist hat ein unverwüstliches Hoffen; gelingt ihm etwas
nicht, so ist nur sein Irrthum daran Schuld; . . . Dennoch kann man nicht
leugnen, dass die Alchymisten Manches entdeckt und die Menschheit mit
nützlichen Erfmdungen beschenkt haben.) - Dieses letztere geschieht aber - wie
das anschließende Beispiel zeigt- eher entgegen der Absicht der Alchemie. - Aller-
dings unterscheidet Bacon wie bei der Magie so auch bei der Alchemie verschiedene
Formen. Die wahrhafte Alchemie ist von der wahrhaften Magie nicht getrennt und
Anmerkungen 265

unterscheidet sich von der gewöhnlichen Alchemie zwar nicht in ihren Zwecken,
aber doch in ihren Mitteln; siehe Bacon: De augmentis scientiarum. Liber 3,
caput 5.95: Versio argenti, aut argenti vivi, aut alicujus alterins metalli in
aurum, res creditu dura: Attamen Ionge verisimilius est, ab homine, qui
Ponderis, Coloris flavi, Malleabilis & Extensibilis, Fixi etiam &
Volatilis, naturas cognitas & perspectas habuerit, quique similiter prima
mineralium semina & menstrua diligenter introspexit; posse aurum multa &
sagaci molitione tandem produci; quam quod pauca Elixiris grana, paucis
momentis, alia metalla in aurum vertere valeant, per activitatem ejusdem
Elixiris, quae naturam scilicet perficere & omni impedimento liberare
possit. Similiter, senectutis retardatio, aut gradus alicujus juventutis instaura-
tio, non facile fidem reperiat: Attamen Ionge verisimilius est, ab homine, qui
naturam Arefactionis & Spirituum super solida corporis deprae-
dationes bene norit, quique Naturam assimilationis, atque alimenta-
tionis, vel perfectioris, vel pravioris, perspexerit; Naturam etiam Spiri-
tuum, & quasi Flammae Corporis, alias ad consumendum appositae,
alias ad reparandum, notarit; posse per diaetas, balnea, unctiones, medicinas
proprias, accommodata etiam exercitia, & similia, vitam prolongari, aut
vigorem juventutis, aliqua ex parte, renovari; quam quod hoc fieri possit per
guttas pauculas aut scrupulos alicujus pretiosi liquoris, aut quintessen-
tiae. (Works. 574.) (353: Die Verwandlung des Silbers, oder Quecksilbers,
oder eines andem Metalles in Gold, ist eine Sache die sehr schwer zu glauben
ist: doch ist es weit wahrscheinlicher, daß das Gold von einem Menschen,
der die Naturen der Schwere, der gelben Farbe, der Dehnbarkeit und der
Eigenschaft sich hämmern zu !aßen, auch des Feuer beständigen und flüchti-
gen, eingesehen und erkannt und gleichfals die ersten Samen und Auf-
lösungsmittel der Mineralien sich fleißig bekannt gemacht hat, durch eine
vielfache und scharfsinnige Bearbeitung endlich hervorgebracht werde; als
daß wenige Tropfen eines Elixirs in wenigen Momenten andere Metalle in
Gold zu verwandlen vermögen, und daß eben daßelbe Elixir auch die Natur
vollkommen machen, und von aller Beschwerde befreyen könne. Ebenso
mag die Verlängerung des Alters, oder die Wiederherstellung eines gewißen
Jugendgrads nicht leicht Glauben verdienen: doch ist es weit wahrschein-
licher, daß ein Mann der die Natur der Trocknung und die Beraubung der
geistigen Feuchtigkeiten über den festen Theilen des Körpers wohl einge-
sehen hat, und der auch die Beschaffenheit der Gleichwerdung und Nahrung
die entweder vollkommener oder schlimmer ist, wohl kennet, und auch auf
die Natur der Geister und gleichsam der Flamme des Körpers die theils zur I
Verzehrung teils zur Wiederauflebung dient, wohl Acht gegeben hat, durch
Diäten, Bäder, Salbungen, schickliche Arzneyen, taugliche Leibesübungen,
das Leben verlängern, und zum Theil die Kraft der Jugend wieder herstellen
werde, als daß dieses durch wenige Tropfen oder Scrupel eines kostbaren
Liquors oder Quintessenz geschehen könne.) - Der eigentliche Ort der Aus-
'ührungen über Verjüngung des Leibes und Verlängerung des Lebens ist jedoch die
266 Anhang

Behandlung der Medizin in Bacon: De augmentis scientiarium. Liber 4, caput


2.105: Eam (sc. Medicinam) in tres partes dividemus, quae tria ejus officia
nominabimus. Primum est Conservatio Sanitatis, secundum Curatio
Morborum, tertium Prolongatio Vitae. At istud postremum, non
videntur Medici, tanquam partem principalem artis suae agnovisse, verum
idem reliquis duobus satis imperite immiscuisse. Putant enim, si propulscntur
morbi, antequam ingruant, & curentur postquam invaserint, Prolongatio-
nern vitae ultro sequi. (Works. 590.) (385: Wir wollen sie (sc. die Medizin) in
drey Theile eintheilen, der erste ist die Erhaltung der Gesundheit, der
zweyte die Heilung der Krankheiten, der dritte die Verlängerung
des Lebens. Aber dieses letzte scheinen die Aerzte nicht als einen Haupt-
theil ihrer Kunst anerkannt, sondern es mit den zwey übrigen ziemlich un-
schicklich vermengt zu haben. Denn sie glauben, daß wenn die Krankheiten
zurückgehalten werden, ehe sie einfallen, und wenn sie eingefallen sind,
geheilet werden, die Verlängerung des Lebens von selbst folge.)
77,217 zweiten Schrift, seinem Organon] Hege/ vermischt die zeitliche und
die sachliche Folge der beiden Hauptwerke Bacons. Zuerst erschienen (1620) ist das
Novum Organum, das aber in Bacons Gesamtplan der Instauratio magna den
zweiten Teil bildet; De augmentis scientiarum - also der erste Teil - ist erst
1623 erschienen. -Zu Bacons Gesamtplan siehe die - dem Novum Organum
vorausgeschickte- Einteilung des Gesamtwerkes: ebenda Bogen A 1b: Instauratio-
nis magnae I distributio.l Ejus constituuntur Partes sex.l Prima; Partitio-
nes Scientiarum. I Secunda; Novum Organum sive Indicia de
Interpretatione Naturae .... (Works. 134.) (50: Das Werk hat sechs
Theile; davon handelt I der erste von der Eintheilung der Wissenschaften;
der zweite von dem Neuen Werkzeuge oder von den Mitteln zur Erklärung
der Natur; .. .). Die Teile 3-6 hat Bacon nicht mehr fertiggestellt.
77,217-221 er erklärt ... entgegengesetzt.] Siehe Bacon: Novum Orga-
num. Liber 1. §§ 11-34 (Works. 158-162). Zur Venve~fung des Syllogismus
überhaupt siehe insbesondere §§ 13f" XIII. Syllogismus ad Principia Scientia-
rum non adhibetur, ad media Axiomata frustra adhibetur, cum sit subtilitati
Naturae Ionge impar. Assensum itaque constringit, non res. I XIV. Syllogis-
mus ex Propositionibus constat, propositiones ex verbis, verba Notionum
tesserae sunt. Itaque si notiones ipsae, (id quod basis rei est) confusae sint, &
temere a rebus abstractae; nihil in iis, quae superstruuntur, est firmitudinis.
Itaque spes est una in Inductione vera. (Works. 158.) (86: 13. Der Syllogis-
mus wird für die Prinzipien der Wissenschaften nicht benutzt und für die
Lehrsätze vergeblich benutzt, da er der Feinheit der Natur lange nicht gleich-
kommt; er legt der Zustimmung, aber nicht der Sache Fesseln an.l14. Der
Syllogismus besteht aus Sätzen; die Sätze bestehen aus Worten; die Worte
sind die Zeichen der Begriffe. Sind daher die Begriffe, welche die Grundlage
der Sache bilden, verworren und voreilig von den Dingen abgenommen, so
kann das darauf Errichtete keine Festigkeit haben. Alle Hoffnung ruht des-
halb auf der wahren Induktion.) - In diesem Zusammenhang wendet Bacon sich
Anmerkungen 267

zwar nicht explizit gegen die Scholastik; dieser Bezug ist aber implizit vorhanden
in der häufigen Polemik gegen die jetzigen Wissenschciften bzw. das bis jetzt in
den Wissenschaften Entdeckte(§ 11: Scientiae, quae nunc habentur, bzw. Lo-
gica, quae nunc habetur, § 18: Quae adhuc inventa sunt in Scientiis).- Zur
Gegenüberstellung der syllogistischen und der induktiven Methode siehe§§ 19-32,
insbesondere§ 19: XIX. Duae viae sunt, atque esse possunt, ad inquirendam
& inveniendam veritatem. Altera a sensu & particularibus advolat ad Axio-
mata maxime generalia, atque ex iis principiis eorumque immota veritate
judicat & invenit Axiomata media: Atque haec via in usu est. Altera a sensu
& particularibus excitat Axiomata, aseendende continenter & gradatim, ut
ultimo loco perveniatur ad maxime generalia; quae via vera est, sed inten-
tata. (Works. 159.) (88: 19. Zwei Wege zur Erforschung und Entdeckung der
Wahrheit sind möglich. Auf dem einen fliegt man von den Sinnen und dem
Einzelnen gleich zu den allgemeinsten Sätzen hinauf und bildet und ermittelt
aus diesen obersten Sätzen, als der unerschütterlichen Wahrheit, die mittleren
Sätze. DieserWeg ist jetzt in Gebrauch. Der zweite zieht aus dem Sinnlichen
und Einzelnen Sätze, steigt stetig und allmählich in die Höhe und gelangt
erst zuletzt zu dem Allgemeinsten. Dies ist der wahre, aber unbetretene
Weg.) - Bacon grenzt seinen Begriff der Induktion auch von den gewöhnlichen
Verfahren ab, zu denen er implizit auch die aristotelische Induktion rechnet; siehe
insbesondere§ 105: CV. In constituendo autem Axiomate, forma Inductio-
nis alia, quam adhuc in usu fuit, excogitanda est; eaque non ad Principia
tantum (quae vocant) probanda & invenienda, sed etiam ad Axiomata mino-
ra, & media, denique ornnia. Inductio enim quae procedit per enumeratio-
nem simplicem, res puerilis est, & precario concludit, & periculo exponitur
ab instantia contradictoria, & plerumque secundum pauciora quam par est,
& ex his tantumrnodo quae praesto sunt, pronunciat. At Inductio, quae ad
inventionem & demonstrationem Scientiarum & Artium erit utilis, Naturam
separare debet, per rejectiones & exclusiones debitas; ac deinde post negativas
tot quot sufficiunt, super affirmativas concludere; quod adhuc factum non
est, nectentatum certe, nisi tantummodo a Platone, qui ad excutiendas
defmitiones & ideas, hac certe forma Inductionis aliquatenus utitur. Verum
ad hujus Inductionis, sive Demonstrationis instructionem bonam & legiti-
mam, quamplurima adhibenda sunt, quae adhuc nullius mortalium cogita-
tionem subiere; adeo ut in ea major sit consumenda opera, quam adhuc
consumpta est in Syllogismo. Atque hujus Inductionis auxilio, non solum ad
Axiomata invenienda, verum etiam ad Notiones terminandas, utendum est.
Atque in hac certe Inductione, spes maxima sita est. (Works. 205f) (155f:
105. Für die Feststellung der Lehrsätze ist eine andere als die bisher gebräuch-
liche Art der Induktion zu bilden; sie soll nicht blos zur Entdeckung und
zum Beweis I der sogenannten Prinzipien dienen, sondern auch für die mitt-
leren und niederen Sätze, ja überhaupt für Alles. Denn die blos auf die ein-
fache Abzählung sich stützende Induktion ist ein kindisches Ding und führt
nur zu unsicheren Schlüssen; sie bleibt der Gefahr entgegengesetzter Fälle
268 Anhang

ausgesetzt und stützt sich meistens auf die wenigen Fälle, welche gerade zur
Hand sind. Dagegen muß die Induktion, welche für die Entdeckung und
Beweise der Wissenschaften und Künste nützen soll, die Fälle durch Aus-
sonderung und Zurückweisung, wo es nöthig ist, trennen, und dann, je
nachdem die verneinenden Fälle es gestatten, aus den bejahenden ihre Schlüs-
se ziehen. Dies ist bis jetzt weder geschehen noch versucht worden, PI a t o
ausgenommen, welcher für die Gewinnung seiner Definitionen und Ideen
dieser Art der Induktion sich mitunter bedient. Zu einer guten und richtigen
Einrichtung solcher Induktionen und Beweise ist Vielerlei nöthig, an das
bisher noch Niemand gedacht hat; denn freilich ist dazu mehr Arbeit nöthig,
als man bisher auf den Syllogismus verwendet hat. Diese Induktion muss
nicht blos zur Entdeckung der Lehrsätze, sondern auch zur Bestimmung der
Begriffe benutzt werden. / Auf diese Art von Induktion kann man grosse
Hoffimng setzen.)- Vgl. auch Bacon: De augmentis scientiarum. Liber 5,
caput 2.124f. (Works. 621.)
77,221-225 Aber ... abgeleitet werden.] Daß die Induktion ebenfalls ein
Schließen sei, ist auch im Novum Organum deutlich ausgesprochen; z. B. Liber
1. § 105; siehe die vorhergehende Anm. - Zum Verhältnis der Induktion und des
Schlusses durch den Mittelbegriff bei Aristoteles siehe dessen Analytica priora.
Buch 1, Kap. 23; siehe vorliegende Ausgabe, Bd 3. (Originalpaginierung 38ij)
mit Anm. - Siehe auch Hegels Erwähnung der aristotelischen Unterscheidung von
dialektischen (beweisenden) und rhetorischen Syllogismen, W 14. 409.
77,225-228 Diese ... Gesetze.] Siehe Bacon: Novum Organum. Liber 2,
§ 17. 345f Nos enim quum de Formis loquimur, nil aliud intelligimus,
quam Ieges illas & determinationes Actus puri, quae Naturam aliquam sim-
plicem ordinant & constituunt; ut calorem, Iumen, pondus; in omnimoda
materia & subjecto susceptibili. Itaque eadem res est Forma I Calidi, aut
Forma Luminis, & Lex Calidi, sive Lex Luminis; neque vero a rebus ipsis &
parte operativa, unquam nos abstrahimus, aut recedimus. Quare cum dici-
mus (exempli gratia) in Inquisitione Formae Caloris, Rejice tenuitatem,
aut Tenuitas non est ex Forma Caloris, idem est ac si dicamus, pot-
est homo superinducere Calorern in corpus densum; aut contra,
potest homo auferre aut arcere Calorern a corpore tenui. / Quod
si cuiquam videantur etiam Formae nostrae habere nonnihil abstracti, quod
misceant & conjungant heterogenea, (videntur enim valde esse heterogenea
Calor Coelestium, & Ignis; ... & tarnen conveniunt ista in Natura Calidi
...) ... Certissimum enim est, ista utcunque heterogenea & aliena, coire in
Formam, sive Legern eam quae ordinat Calorem, aut ruborem, aut mortem;
nec emancipari posse potentiam humanam, & liberari a Naturae cursu com-
muni, & expandi & exaltari ad Efficientia nova, & Modos operandi novos,
nisi per revelationem & inventionem hujusmodi Formarum; ... (W orks.
257f.) (232f Wenn ich von den Formen spreche, so meine ich damit viel-
mehr nur jene Gesetze und Bestimmungen des reinen Vorganges, welcher
die einfache Eigenschaft zu Wege und hervorbringt, z. B. die Wärme, das
Anmerkungen 269

Licht, die Schwere, so wie sie in jedem dafür empfänglichen Stoffe besteht.
Deshalb ist die Form des Warmen oder die Form des Lichts und das Gesetz
des Warmen und das Gesetz des Lichts ein und dasselbe, und ich entferne
und trenne mich niemals von den Dingen selbst und von den erzeugenden I
Vorgängen. Wenn ich deshalb bei Ermittelung der Form der Wärme z. B.
sage: »Man lasse das Dünne bei Seite«, oder: »Das Dünne gehört nicht zu der
Form des Warmen«, so ist das ebenso viel, als wenn ich sagte: »Man kann die
Wärme auch dem Dichten beibringen«, oder umgekehrt: >>Man kann die
Wärme auch von einem dünnen Körper trennen oder abhalten.« Meine
Formen kommen vielleicht Manchem noch etwas abstrakt vor, weil sie sehr
verschiedenartige Dinge mischen und zusammenstellen; wie denn die
Wärme der Himmelskörper und das Feuer sehr verschieden scheinen; ...
allein trotz dem stimmen diese sämmtlich in den Eigenschaften des Warmen
... überein .... Denn es ist ganz gewiss, dass diese Dinge trotz ihrer Ver-
schiedenheit und Fremdartigkeit doch in der Form oder in dem Gesetze
zusammentreffen, welches die Wärme, das Roth oder den Tod bedingt;
denn die Macht des Menschen kann sich nur durch Aufdeckung und Entdek-
kung dieser Formen befreien und über den gemeinen Lauf der Natur erhe-
ben, sich ausbreiten und aufschwingen, um Neues und neue Weisen des
Wirkens zu schaffen.) - Bacons Begriff der Form wird in den friihen Berliner
Kollegien nicht abgehandelt. Er findet sich erst im Kolleg 1823/24, u11d zwar im
Zusammenhang der Behandlung einer Rezension von Dugald Ste1vart (zu ihm
siehe vorliegenden Band 146,274-276 mit Anm.): Dissertation prefixed to the
Supplemental Volumes of the Encyclopaedia Britannica, exhibiting a Gene-
ral View of the Progress of Metaphysical, Moral and Political Philosophy in
Europe, from the Revival of Letters. In The Quarterly Review. Vol. 17.
April 1817. Hegels Bezugnahme auf diese Rezension wird auch belegt durch W
15.290-296, insbesondere 293f sowie- zu John Locke- 422.- Das Kolleg 1825/
26 entwickelt zwar den Begriff der Form, aber ohne ausdrücklichen Bezug auf diese
Rezension, vielmehr mit Bezug a"!f eine von Tennemann herangezogene Stelle;
siehe dazu diefolgende Anm. In den späteren Kollegien (1827/28 und 1829/30)
entfällt dieses Thema dann wieder.
77,228-78,232 »Obgleich ... Tätigkeit.«] Siehe Bacon: Novum Organum.
Liber 2, § 2. 326: Licet enim in Natura nihil vere existat praeter Corpora
individua, edentia actus puros individuos ex lege; in doctrinis tarnen, illa ipsa
Iex, ejusque inquisitio, & inventio atque explicatio, pro fundamento est tam
ad sciendum, quam ad operandum. (Works. 228.)(186: Denn allerdings ist in
der Natur nichts wahrhaft wirklich als nur die einzelnen Körper mit ihren
reinen und gesetzmässigen Wirksarnkeiten; aber in der Wissenschaft ist dies
Gesetz, seine Erforschung, Entdeckung und Erklärung die Grundlage des
Wissens wie des Wirkens.)- Dieser Text wird in W 15. 294- unter Verweis auf
Tennemann und andere Stellen bei Bacon (Novum Organum. Liber 1, § 51;
Liber 2, § 9)- zitiert (Ms?).
78,232-233 Dies Gesetz ... Formen.] Siehe Bacon: Novum Organum.
270 Anhang

Liber 2, § 2. 326: Eam autem Iegern, ejusque Paragraphos, Formarum


nomine intelligimus; ... (Works. 228.) (186: Dieses Gesetz und seine einzel-
nen Bestimmungen verstehe ich unter dem Worte »Form«; ... ) - Vgl. die
Übersetzung in W 15.294 (Ms?).
78,233-235 »Wer die ... Materien.«] Siehe Bacon: Novum Organum.
Liber 2, § 3. 326: At qui Formas novit, is Naturae unitatem in Materiis dis-
simillimis complectitur. (Works. 229.) (18~{: Wer daigegen die Formen
kennt, der erfasst die Einheit der Natur in den verschiedensten Stoffen; .. . )
78,236-241 Von der ... reifen] Siehe Bacon: Novum Organum. Liber 2,
§ 35. 366: Exempli gratia: sit Natura Inquisita, Calidum. ornnino videtur
esse divisio solennis & authentica, quod sint tria genera Caloris; videlicet
Calor Coelestium, Calor Animalium, & Calor Ignis; quodque isti Calores
(praesertim unus ex illis comparatus ad reliquos duos) sint ipsa essentia &
specie, sive natura specifica, differentes & plane heterogenii; Quandoquidem
Calor Coelestium & Animalium generet & foveat, at Calor Ignis contra
corrumpat & destruat. Est itaque Instantia Foederis, Experimentum illud
satis vulgatum, cum recipitur ramus aliquis vitis intra domum ubi sit focus
assiduus, ex quo maturesennt uvae, etiam mense integro citius quam foras;
Ita ut maturatio fructus etiam pendentis super arborem fieri possit, scilicet ab
Igne, cum hoc ipsum videatur esse opus proprium Solis. ltaque ab hoc initio
facile insurgit Intellectus, repudiata Heterogenia essentiali, ad inquirendum
quae sint Differentiae illae, quae revera reperiuntur inter Calorern Solis &
Ignis, ex quibus fit, ut eorum operationes sint tarn dissimiles, utcunque illi
ipsi participent ex Natura communi. (Works. 289f) (276/: Man nehme z. B.
dasWarme als die untersuchte Eigenschaft. Hier gilt nun diejenige Einthei-
lung allgemein als feierlich anerkannt und beglaubigt, wonach es drei Arten
der Wärme giebt: 1) die Wärme der Himmelskörper, 2) die Wärme der
lebenden Wesen und 3) die Wärme des Feuers. Jede dieser Wärmearten soll
gegenüber den beiden andem nach ihrem Wesen und ihrer Besonderheit und
Natur eine eigenthümliche, von den andem durchaus verschiedene sein, weil
die Wärme der Himmelskörper und der Thiere erzeuge und nähre, während
die Wärme des Feuers verzehre und vernichte. Hier stellt jener bekannte
Versuch einen Bündnis-Fall dar, wo man I eine Weinrebe in ein fortwährend
geheiztes Gebäude zieht, und die Trauben derselben um einen Monat früher
als die im Freien reifen. Mithin kann das Reifen einer selbst an einem Baum
hängenden Frucht sogar durch das Feuer erfolgen, während man dies als das
cigenthürnliche Werk der Sonne behauptet. Deshalb weiset durch solche
Fälle der Verstand diese sogenannten wesentlichen Unterschiede zurück und
erhebt sich von solchen Fällen leicht zur Erforschung der Bestimmungen,
welche den wahren Unterschied zwischen der Wärme der Sonne und des
Feuers ausmachen, und weshalb ihre Wirksamkeit so ungleich wird, obgleich
sie beide aus einer und derselben Eigenschaft abstammen.) - Zum Teil zitiert
in W 15. 294j(Ms?).
78,242-244 Eine Hauptbestimmung ... fördert.] Siehe Bacon: Novum
Anmerkungen 271

Organum. Liber 2, § 2. 325: At ex his Causa Finalis tantum abest ut prosit, ut


etiam Scientias corrumpat, nisi in Hominis actionibus. (Works. 228.) (185f:
Davon (sc. von den vier verschiedenen Ursachen) ist das Ziel für die Wissen-
schaften ohne Nutzen, ja schädlich; es I gilt nur für das menschliche Han-
deln.)- Vgl. W 15.291 (Ms?).- Vgl. ferner Bacon: De augmentis scientiarum.
Liber 3, caput 5.93: Nam Causarum finalium inquisitio sterilis est, &
tanquam virgo Deo consecrata, nihil parit. (W orks. 571.) (349: denn die
Untersuchung der End-Ursachen ist unfruchtbar, und gebiert als eine gleich-
sam Gott geweihete Jungfrau, nichts.)
78,244-246 Für ... causae efficientes.] Diese Aussage trifft nicht zu. Bacou
verwirft zwar das Streben nach Erkenntnis der Endursachen (siehe die vorher-
gehende Anm.), urteilt aber auch sehr kritisch über die Erkenntnis der causae mate-
riales und efficientes. Über sie heißt es im Novum Organum. Liber 2, § 2. 325:
Efficiens vero & Materia (quales quaeruntur & recipiuntur, remotae scilicet,
absque latenti processu ad formam) res perfunctoriac sunt, & supcrficia-
les, & nihili fere ad Scientiam veram & activam. (Works. 228.) (186: Das
Wirkende und der Stoff sind in der Weise, wie man sie in voller Absonde-
rung aufsucht und aufstellt, ohne Rücksicht auf den verborgenen Uebergang
zur Form, nur oberflächliche und äusserliche Annahmen, welche zur wahren
thätigen Wissenschaft nichts beitragen.) An der Erkenntnis der Formursache
(Forma) sei man - in der früheren Wissenschoß- verzweifelt: Formae inventio
habetur pro desperata. (Works. 228.) (Vgl. W 15.294, Fußnote 3 (Ms?).) Auf
sie kommt es Bacon aber gerade an. Siehe Novum Organum. Liber 2, § 3. 326:
qui Efficientem & Materialem Causam tantummodo novit, (quae Causae
fluxae sunt, & nihil aliud quam vehicula, & Causae, Formam deferentes in
aliquibus) is ad nova lnventa in Materia aliquatenus simili, & praeparata,
pervenire potest; sed rerum Terminos altius fixos non movet. At qui Formas
novit, is Naturae unitatem in Materiis dissimillimis complectitur. Itaque quae
adhuc facta non sunt, qualia nec Naturae vicissitudines, neque Experimen-
tales industriae, neque Casus ipse, in Actum unquam perduxissent, neque
cogitationem humanam subitura fuissent; detegere & producere potest.
Quare ex Formarum Inventione, sequitur Contemplatio vera, & Operario
libera.(Works. 228f.) (186f: Wer ... nur die wirksame und stoffliche Ur-
sache kennt, welche Ursachen fliessend sind und nur die Vermittler und
Ursachen für die Form bei einzelnen Dingen sind, der kann wohl zu neuen
Entdeckungen bei ähnlichem und zubereitetem Stoffe gelangen; aber die
höher liegenden Schranken der Dinge durchbricht er nicht. Wer dalgegen
die Formen kennt, der erfasst die Einheit der Natur in den verschiedensten
Stoffen; er vermag das aufzudecken und hervorzubringen, was bis jetzt noch
nicht erreicht worden, und was weder der Wechsel in der Natur noch müh-
samen (!)Versuche, noch selbst der Zufall verwirklicht haben würden, und
auf das das Denken der Menschen überhaupt nicht gekommen sein würde.
Deshalb folgt aus der Entdeckung der Formen die wahre Auffassung und die
unbeschränkte Macht.) - An anderer Stelle scheint Hege/ sich auch im klaren,
272 Anhang

daß es Bacon um diese Betrachtung der formalen Ursachen zu tun sei; das Problem
sieht er dann - in Übereinstimmung mit dem oben (Anm. zu 77,225-228) genann-
ten Artikel aus dem Quarterly Review - darin, was diese Formen Jiir Bacon seien;
vgl. W 15.293f
78,246-250 Zur Betrachtung ... leiden.] Siehe Bacon: De augmentis scien-
tiarum. Liber 3, caput 4. 92: Etenim qui causas adduxerit hujusmodi, Palpe-
bras cum pilis, pro sepi & vallo esse, ad munimentum oculo-
rum: Aut Corii in Animalibus firmitudinem esse ad propellen-
das calores & frigora: Aut Ossa pro columnis & trabibus a natu-
ra induci, quibus fabrica corporis innitatur: Aut Folia arborum
emitti, quo fructus minus patiantur a Sole & Vento: Aut Nubes
in sublimi fieri, ut terram imbribus irrigent: Aut Terram den-
sari & solidari, ut statio & mansio sit Animalium: & aliasimilia:Is
in Metaphysicis non male ista allegarit, in Physicis autem nequaquam.
(Works. 569.) (345: Denn wer zum Beyspiel solche Ursachen anführt, daß
nemlich die Augenwimper mit ihren Haaren ein Dam und Zaun zur Ver-
wahrung der Augen; oder die Festigkeit der Felle der Thiere zur Abtreibung
der starken Hize und Kälte; oder die Beine wie Säulen und Balken anzu-
sehen seyen, darauf der Bau des Körpers ruhe; oder die Blätter der Bäume
diesfals ausschlagen, damit die Früchte weniger von Sonne und Wind leiden;
oder die Wolken in der Höhe entstehen um die Erde mit Regen zu nezen;
oder die Erde diesfals dichte und fest sey, damit die Thiere darauf stehen und
bleiben können; und anderes dergleichen der mag all dieses ganz wohl in der
Metaphysik anführen, aber mit nichten in der Physik.) - Die genannten Bei-
spiele hat Bacon insbesondere Galen: De usu pertium. mtnommen. Vom Blitz als
Strtife Gottes ist bei Bacon aber nicht die Rede.
78,250-252 Er sagt ... könnten;] Hege/ bezieht sich wahrscheinlich a"!f
Bacon: De augmentis scientiarium. Liber 3, caput 4.92: Alioquin, si modo
intra terminos suos coerceantur: magnopere hallucinantur, qui cunque eas
Physicis causis adversari aut repugnare putent. Nam causa reddita, quod
Palpe brarum pili oculos muniant, nequaquam sane repugnat alteri illi,
quod philositas soleat contingere humiditatum orificiis: f Muscosi
fontes, &c./Neque causa reddita, quod Coriorum in animalibus fir-
mitudo pertinet ad coeli injurias propulsandas, adversatur illi
alteri, quod illa firmitudo fit ob contractionem pororum, ex
intimis corporum, per frigus, & depraedationem aeris. Et siede
reliquis: Conspirantibus optime utrisque causis, nisi quod altera intentionem,
altera simplicem consecutionem denotet. (Works. 570.) (346f Wenn sie
sonsten in ihren Grenzen gehalten werden, so irren diejenigen sehr, welche
glauben, daß sie den physikalischen Ursachen zuwider oder entgegen sey.
Denn die gegebene Ursache, daß die Haare der Augenwimper die Augen
verwahren, ist jener andern keinesweges zuwider, daß die Bewachsung mit
Haaren an den Mündungen der Feuchtigkeiten zu geschehen pflegt; eben so
ist die gegebene Ursache, daß die festen Felle die Thiere wider die Unge-
Anmerkungen 273

mächlichkeiten der Witterung verwahren, jener andem nicht zuwider, daß


jene Festigkeit wegen der Zusammenziehung der Poren durch die Kälte und
die I Beraubung der Luft geschiehet. So ist es auch mit dem übrigen beschaf-
fen: indem beide Ursachen sehr wohl zusammen treffen können: da die eine
die Absicht die andere aber die bloße Befolgung andeutet.)
78,252-254 die Betrachtung ... unterschieden hat.] Siehe vorliegenden Band
170,990-995 mit Anm.
78,263-79,264 man hat ... genannt,] Als Schwärmer wurde Bö"hme von der
Aufklärung bezeichnet und behandelt. Unter anderem findet sich diese Ein-
schätzung bei Tennemann, dessen Böhme-Darstellung Hege/ nachweislich herange-
zogen hat; siehe die folgende Anm. Tennemann spricht vo11 Böhmes zur
Schwärmerey geneigten Gemüth sowie von seinen schwärmerischen Schrif-
ten; Böhme könne deshalb nicht für einen Philosophen gehalten werden: Über-
haupt ist jede Schwärmerei der Philosophie entgegengesetzt, weil sie Dich-
tung ist, und die Vernunft als Erkenntnißquelle verschmähet ... Als Beleg
führt Tennemann aus Böhmes Aurora an: Wiltu nun ein Philosophus seyn und
das Wesen Gottes in der Natur erforschen, so bitte umb den h. Geist allein,
... ; vgl. Tennemann: Geschichte. Bd 10.188.
79,264-265 erst ... gekommen,] Vgl. Tennemann: Geschichte. Bd 10.188:
In den neuem Zeiten ist seine Philosophie wieder zur Ehre gekommen.
79,265-266 man hat ... lassen.] Hege! wendet sich wahrscheinlich insbesondere
gegen begeisterte Anhänger Böhmes wie Louis Claude de Saint-Martin (1745-
1803) und Pranz v. Baader, der ihm auch die Kenntnis Saint-Martins vermittelt
haben dürfte, vielleicht auch gegen Novalis und F. Schlegel. Ob Hege! Bö"hme vor
der Böhme-Renaissance der Jahrhundertwende bereits durch Vermittlung anderer
Traditionen - z. B. durch Oetinger -gekannt habe, läßt sich nicht ermitteln. Eine
eingehendere Kenntnis der Schr!ften Bö"hmes hat Hege/ sich nach eigener Auskunft
erst erworben, nachdem ihm sein Schüler und Freund van Ghert 1811 eine Bö"hme-
Ausgabe geschenkt hatte; siehe Hegel: Briefe. Bd 1.317, 324, 330, 350; insbe-
sondere 381f
79,266-290 Er ist ... gestorben.] Diese Angaben zu Böhmes Biographie sind
dem biographisch-bibliographischen Anhang am Ende des zweiten Bandes seiner
Werke entnommen: Historischer Bericht von dem Leben und Schriften des
Deutschen Wunder-Mannes und Hocherleuchteten Theo-Philosophi Jacob
Böhmens. In sechs Abteilungen verfasset. Num. I. Hn. Abraham von
Frankenbergs, eines Gottseligen Schlesischen von Adel und vertrauten
Freunde des sei. Autoris, Gründlicher und wahrhafter Bericht von dem
Leben und Abschied des in GOtt selig-ruhenden Jacob Böhmens, dieser
Theosophischen Schriften eigentlichen Autoris und Schreibers. - Hegels
Angaben sind den§§ 2-7 sowie 10-11 dieser postumen Hagiographie entnommen.
Sie entsprechen- etwas verkürzt und gelegentlich ungenau- der in W 15.298-299
enthaltenen Biographie.
79,290 als Schuhmachermeister] Böhme hat bereits um 1620 das Schuhmacher-
handwerk gegen einen zeitweiligen Handel mit Handschuhen vertauscht, der sich
274 Anhang

besser in Zusammenhang mit seiner damaligen intensiven literarischen Tätigkeit


bringen ließ, aber anscheinend ebenfalls bald von Böhme aufgegeben wurde; siehe
Von dem Leben und Schriften Jacob Böhmens N um. V. Mehrere historische
Merckwürdigkeiten zu des Autoris ]. B. Lebens-Lauff gehörig. In Theo-
sophia revelata. Bd 2.62f
80,293 der göttliche Salitter, Marcurius] Salitter steht für Sal nitri, Marcu-
rius für Mercurius bzw. Mercur. Die Änderung des Ausdrucks ist beabsichtigt;
Marcurius sollte die Verwandtschaft mit Mark andeuten. - Zu beiden Begr!{fen
siehe vorliegenden Band, Anm. zu 82,384-386.
80,294-295 Er ist ... verfolgt] Bei diesen Verfolgungen hat sich insbesondere
der lutherische Pastor primarius von Görlitz, Gregor Richter, hervorgetan, der
nach dem ersten handschriftlichen Erscheinen der Aurora Böhme das Bücherschrei-
ben verbot (1613) und ihn in seinen Predigten beleidigte und verketzerte. Dies
führte dazu, daß der Giirlitzer Senat Böhme zum Verlassen der Stadt aufforderte;
siehe den Bericht A. von Frankenbergs in Theosophia revelata. Bd 2. Von dem
Leben und SchriftenJacob Böhmens. 8-10(§§ 13-15); Böhme: Schutz-Rede
wider Gregor. Richtern, in Theosophia revelata. Bd 1.2094--2136, sowie
insgesamt die Abt. Schutzschriften, ebenda 1769-2174. Die Verfolgung durch die
Geistlichkeit dauerte noch über Böhmes Tod hinaus; siehe Umständlicher Bericht
des Herrn Tob. Kobers ... von der Kranckheit/Absterben und Begräbniß
des sei. Aut. Theosophi ... , in Von dem Leben und Schriften Jacob
Böhmens. Num. III. 36-46. - Auf die Schwierigkeiten beim Begräbnis geht
Hege/ in der Vorlesung 1827{28 ein.
80,295-297 hat . . . worden sind.] Siehe Von dem Leben und Schriften
Jacob Böhmens. Num. VI. Von den alten und neuen Editionen oder Ab-
drucken dieser hohen Schriften. ltem von der Holländischen/Englischen/
Französischen und Lateinischen Ubersetzung derselben ... , in Theosophia
revelata. Bd 2.80-100. Nach diesem Bericht erschienen die ersten Ausgaben der
Werke Böhmes von 1634 an in Holland, fast alle in Amsterdam, so auch die erste
vollständige Ausgabe 1682; vgl. §§ 3-6. § 7 handelt von den verschiedenen Über-
setzungen ins Lateinische, Französische und Englische,§§ 8-11 beschreiben aus-
führlich die Übersetzungen der meisten Werke Böhmes ins Holländische durch
Abraham Wilhelmson von Bayerland, der unter großen Schwierigkeiten - während
des Dreißigjährigen Krieges - Originale und Abschr!ften der Werke Biihmes aus
Deutschland nach Amsterdam kommen ließ.
80,297-298 Er ist ... philosophus teutonicus,] Siehe Von dem Leben und
Schriften Jacob Böhmens. Num. I. § 18.- Abraham von Frankenberg schreibt
dort den Ursprung dieser Bezeichnung Balthasar Walter zu, der zuvor mehrere
Jahre in Arabien, Syrien und Ägypten nach der verborgenen Weisheit geforscht
hatte und dann zum Verehrer Biihmes geworden war; er habe Biihme (vielleicht
nach dem alten Canonico Joh. Teutonico, oder zum Unterscheid der Natio-
nen und wegen der vortreflichen Gabe solcher Hochdeutsch - gestelleten
Schriften) Teutonicum Philosophum genennet ... ; in Theosophia revelata.
Bd 2.11f
Anmerkungen 275

80,310 »Komm ... Schwarzhans.«] Solche direkte Anrede des Teufels findet
sich im Recept vor dem schwarzen Teufel in der Trost-Schrift von Vier
Complexionen. Böhme nennt hier Rezepte, die man dem Teufel zu essen geben
solle, wenn er komme, um die arme Seele anzufechten; siehe Theosophia revelata.
Bd 1. 1602f 44. Erstlieh wenn er kommt I mitnichten mit ihme disputiret,
wenn er das Sünden-Register brinlget und zeucht seine Gewalt an I samt
dem Zutritt zu dir: gib ihm erstlieh darauf keine Antwort I sondern wenn er
komt I und mit der Imagination an die Sele stöst I wirft dir böse Gedanken
ein I und deine Sünde für I und tuht wie er dich wolle im schrecklichen
Anblicke wegführen I so fasse dir einen trotzigen Muht wider ihn I
sprechend: I 45. Sihe wannenhero I Schwarz-Hans? Ich dachte du wärest im
Himmel unter den Engeln I so kommestu daher gezogen I und schleppest
dich mit GOttes Zorn-Register: Ich dachte du wärest ein Fürst in GOtt I wie
bistu dan sein Büttel worden? Ist dan ein Henker-Knecht aus solchem
schönen Engel worden? Pfuy dich I du garstiger Henker-Knecht I was wiltu
bey mir? Gehe hin in Himmel zu den Engeln I bis tu GOttes Diener; Pfuy
dich an I packe dich weg du Henker-Knecht I gehe zu deinen Engeln I hier
hastu nichts zu tuhn.
81,332-348 »Alle ... Sohn.] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 3, §§ 36.f
In Theosophia revelata. Bd 1. 44f: 36. Alle Ding in dieser Welt ist nach dem
Gleichniß dieser Dreyheit worden: ihr blinden Juden I Türken und Heiden;
tuht die Augen des Gemühtes auf I ich muß euch an eurem Leibe und an
allen natürlichen Dingen zeigen I an Menschen I Thieren I Vögeln und
Würmen I sowol an Holz I Steine I Kraut I Laub und Graß I das Gleichniß
der Heiligen Dreyheit in GOtt. I 37. Ihr saget I es sey ein einig Wesen in
GOtt I GOtt habe keinen Sohn; nun tuhe die Augen auf; und sihe dich
selber an; ein Mensch ist nach dem Gleichniß und aus der Kraft GOttes in
seiner Dreyheit gemacht. Schaue deinen inwendigen Menschen an I so
wirstu das hel u. rein sehen I so du nicht ein Narr und unvernünftig Thier
bist; so merke: In deinem Herzen I Adern und Hirne hastu deinen Geist; alle
die Kraft die sich in deinem Herzen I Adern und Hirne beweget I darinne
dein Leben stehet I bedeut GOtt den Vater. Aus derselben Kraft empöret
(gebäret) sich dein Licht I daß du in derselben Kraft sihest I verstehest I und
weist was du tuhn solst: dandasselbe Licht schimmert in deinem ganzen Leibe I
und beweget sich der ganze Leib in Kraft und Erkentniß des Lichtes I denn der
Leib hilft allen Gliedern in Erkäntniß des Lichtes I das bedeut GOtt den Sohn.
81,350-355 aus ... Finsternis.] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 3, § 38.
In Theosophia revelata. Bd 1.45: ... aus deinem Lichte gehet aus in die-
selbe Kraft Vernunft I Verstand I Kunst und Weisheit I den ganzen Leib zu
regiren I und auch alles was ausser dem Leibe ist I zu unterscheiden. Und
dieses beides ist in deinem Regiment des Gemühtes ein Ding I dein Geist:
und das bedeut GOtt den Heiligen Geist; und der Heilige Geist aus GOtt
herrschet auch in diesem Geiste in dir I bist du aber ein Kind des Lichts und
nicht der Finsterniß.
276 Anhang

81,355-82,361 »Nun ... bestehen.«] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 3,


§ 47. In Theosophia revelata. Bd 1. 46: 47. Nun merke: In einem Holze/
Steine und Kraut sind drey Dinge / und kan nichts geboren werden oder
wachsen / so unter den dreyen solte in einem Dinge nur eines aussen bleiben;
erstlieh ist die Kraft / daraus ein Leib wird / es sey gleich Holz oder Stein
oder Kraut; hernach ist in demselben ein Saft / das ist das Herze eines
Dinges; zum 3ten ist darinnen eine quellende Kraft / Geruch oder Ge-
schmack / das ist der Geist eines Dinges / davon es wächst u. zunimt: so nun
unter den dreyen Eines fehlet/ so kan kein Ding bestehen.- Vgl. W 15. 323f
(Ms?).
82,363 Das Erste ... überhaupt,] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 3, § 14.
In Theosophia revelata. Bd 1. 39: 14. Der Vater ist alles / und alle Kraft
bestehet in dem Vater: Er ist der Anfang und das Ende aller Dinge / und
ausser Ihm ist nichts; und alles was da worden ist/ das ist aus dem Vater
worden. Dan vorm Anfang der Schöpfung der Creaturen war nichts als nur
allein GOtt: und wo nun nichts ist/ daraus wird nichts; alle Ding muß eine
Ursache oder Wurzel haben/ sonst wird nichts.
82,365-376 Gott ... Wesen.«] Zu diesem, von Hegels Kommentirrung zwei-
mal unterbrochenen Zitat siehe Böhme: Von wahrer Gelassenheit. § 9f In
Theosophia revelata. Bd 1. 1673: 9. Dan GOtt ist alles/ Er ist Finsterniß und
Licht/ Liebe und Zorn/ Feur und Licht; Aber er nennet sich alleine einen
GOtt nach dem Lichte seiner Liebe. / 10. Es ist ein ewiges Contrarium
zwischen Finsterniß und Licht: Keines ergreiffet das an der / und ist keines das
ander / und ist doch nur ein einiges Wesen / aber mit der Quaal unterschie-
den/ auch mit dem Willen/ und ist doch kein abtrenlieh Wesen/ nur ein
Principium scheidet das / daß eines im andern / als ein Nichts ist / und ist
doch; aber nach dessen Eigenschaft/ darinnen es ist/ nicht offenbar. - Vgl.
W 15. 306 (Ms?).- Zu dem Wortspiel Qual-Quellen-Qualität siehe insbesondere
Böhme: Beschreibung der drey Principien Göttlichen Wesens. Kap. 10,
§§ 39-43, insbesondere§ 42. In Theosophia revelata. Bd 1. 469J, insbesondere
470: 42. Nun ist im ängstlichenGemühte der Finsterniß die unaussprechliche
Quaal/ davon der Name Qualität/ als von viel Quaalen in einer Quell ur-
kundet: und aus demselben viel Quaale in einer Quaal entspringet die viel
Wissenschaft / daß viel sey; und der Geist GOttes aus dem Lichte komt jeder
Wissenschaft zu Hülfe / und macht in jeder Wissenschaft des Quelles in der
Qualität durch sein freundliches Liebe-Inficiren wieder das Centrum, und in
dem Centro gebieret sich wieder ein Quell/ wie ein Zweyg aus dem
Baume; da wieder aufgehet ein Gemühte in der Aengstlichkeit / und der
Liebe-Geist machet mit seinem Liebe-Inficiren alles / jeden Gedanken und
Willen wesentlich. Denn der wille im Centro steiget so hoch / daß er das
Feuer gebieret /und im Feuer wird Substanz und Wesenheit erboren.
82,382-383 Er spricht ... Gott,] Zur Rede von einer einfachen Essenz siehe
Böhme: Schlüssel. Das ist: Eine Erklärung der vornehmsten Puncten und
Wörter ... § 145f In Theosophia revelata. Bd 2. 3696f: 145. Die Unter-
Anmerkungen 277

scheidung aus dem Feuer ist zu verstehen als folget: Die ewige Scienz im
Willen des Vaters ziehet den Willen (welcher Vater heisset) in sich/ und
schliest sich in ein Centrum der göttlichen Geburt der Dreyheit; und spricht
sich mit der Scienz aus in ein Wort des Verstandes. Und im Sprechen ist die
Schiedlichkeit f in der Scienz; alda ist in jeder Schiedlichkeit die Begierde zur
Irrfassung des Aussprechens; u. die Irrfassung ist wesentlich f und heisset göttl.
Essenz./146. Aus dieser Essenz spricht sich nun das Wort in der zweyten
Scheidung (als von der Natur) aus: Und in demselben Aussprechen f da sich
der creatürliche Wille in sein Centrum scheidet in eine Sinnlichkeit f alda
wird die Scheidung aus der feurischen Scienz verstanden; dan daraus ist die
Sele und alle Englische Geister.- Zur Verborgenheit Gottes siehe Böhme: Von
der Gnadenwahl. Kap. 2. § 19j In Theosophia revelata. Bd 2. 2420: 19.
Siehe an eine angezündete Kerze / so sihestu ein Gleichniß / beides des Gött-
lichen und auch des natürlichen Wesens. In der Kerze liegt alles unterein-
ander in Einem Wesen / in gleichem Gewichte / ohne unterscheid / als / das
Fette f das Feur / das Licht / die Luft / das Wasser / die Erde: Item der
Schwefel/ der Mercurius f das Salz und das Oele / aus welchem das Feur f
Licht f Luft und Wasser urständet; da kan man in der Kerze keinen Unter-
scheid halten und sagen / das ist Feur / das ist Licht / das ist Luft / das ist
irdisch; man sieht keine Ursache des Schwefels/ Salzes noch Oeles; man
saget / es ist ein Fettes / u. ist auch wahr / aber alle diese Eigenschaften Iigen
darinnen f u. doch in keinem Unterscheide der Erkentniß / denn sie stehen
alle in gleichem Gewichte in der Temperatur./20. Also auch in gleichem ist
uns zu erkennen von dem ewigen Einen / als von dem verborgenen / un-
offenbaren GOtte / ausser der ewigen Scienz, das ist / ausser seiner kräftigen
Offenbarung seines Wortes. Es Iigen alle Kräften und Eigenschaften in dem
unanfänglichen GOtt JEHOVAH in der Temperatur ... -Siehe auch vorliegen-
den Band, Anm. zu 84,420-428.
82,383-384 bei den Neuplatonikern] Hege/ bezieht sich auf seine Darstellung
Plotins und Proklos'; siehe vorliegende Ausgabe Teil 3. (Originalpaginierung 75
bzw. 82f mit Anm.); sieheferner W 15. 48,75.
82,384-386 Dies ... Geoffenbarte.] Zu Temperamentum erläutert das erste
Register: die Mässigkeit f das rechte Maaß eines Dinges f die rechte Ordnung
und Gestalt. Siehe Böhme: Theosophia revelata. Bd 2 (nicht paginiert).- Siehe
auch vorliegenden Band, Anrn. zu 84,420-428. - Daß Hege/ Temperamentum
durch ein Neutralisiertsein erläutert, deutet darauf hin, daß er sich insbesondere
durch die Bedeutung des Verbs temperiren leiten läßt; zu ihr siehe das erste
Register: mäßigen, / stillen / zur Gleichheit bringen. - Zu Salitter oder Sal-
niter siehe Hege!: Werke. Bd 15.307: ... es ist eine schustermäßige Rade-
brechung des Worts sal nitri, Salpeter - Salniter noch im Oestreichischen -,
d. h. also eben noch das neutrale und in Wahrheit allgemeine Wesen. -
Hege/ macht nicht darauf aufmerksam, dqß der große Salitter von Bci"hme unter-
schiedlich bestimmt wird; Hege/ hat hier die folgende erste Bedeutung - in den
ersten Kapiteln der Morgenröhte - im Blick, den Salitter als das eine Element der
278 Anhang

himmlischen Pomp, neben dem Marcurius oder Schall; siehe Böhme: Morgen-
röhte. Kap. 4, §§ 13J 9J In Theosophia revelata. Bd 1. 50: 13. In der Gött-
lichen Pomp sind fürnernlich 2. Dinge zu betrachten: erstlieh der Salitter
oder die Göttliche Kräfte / die sind eine bewegende / quallende Kraft ... /
14. Die andere Gestalt des Himmels in der Göttlichen Pomp ist Marcurius
oder der Schall: gleichwie in dem Salitter der Erden ist der Schall; ... 49: 9.
Und dieses (sc. das Ganze der Kräfte) ist in der Tieffe des Vaters gleich wie ein
göttlicher Salitter / welches ich nahthalben muß der Erden vergleichen / die
ist vor ihrer Verderbung ein solcher Salitter gewesen: ... /10. Dieser himli-
sche Salniter, oder Kräfte in einander/ gebären himlische / freudenreiche
Früchte und Farben/ allerley Bäume und Stauden; darauf wächst die schöne
und liebliche Frucht des Lebens ... - Von Kap. 8 an führt Bo'hme die Lehre der
sieben Quellgeister (einschließlich des Marcurius) ein, die die dynamischen, sich
einander ewig unterscheidenden und gebärenden Eigenschaften des großen Salitter
bilden. So hat dieser Salitter seine Vollendung im siebenten Quellgeist, dem Leib
(vgl. Morgenröhte. Kap. 16, § 7), als dem Corpus, der aus den andern sechs
Geistern geboren wird, darinnen ... sich alles bildet und formet ... Das ist
der rechte Geist der Natur/ ja die Natur selber/ darinnen die Begreiflichkeit
stehet / und darinnen alle Creaturen formiret sind im Himmel und auf Erden
••. Siehe Morgenröhte. Kap. 11, § 1. 118.- Diesen Leib, diesen Geist nennt
Böhme dann im eigentlichen Sinn den Salitter Gottes, der aber zugleich der Sa-
litter der Natur ist; siehe Morgenröhte. Kap. 15, § 38. 196: 38. Die 7. Quell-
geister haben ihren zusammen-corporirten Leib aus der Natur/ das ist/ aus
dem siebenden Natur-Geist in der göttlichen Kraft / welches ich in diesem
Buche den Salitter GOttes heisse oder die Begreiflichkeit / darinnen die him-
lische Figuren aufgehen. - Vgl. das Argurnenturn zu diesem Absatz: Der gött-
liche Salitter ist der 7de Quellgeist.
82,386-83,395 »Nicht ... selbst.«] Dieses durch Gr überlieferte, geringfügig
geänderte Zitat aus Böhme: Morgenröhte. Kap. 3, § 11. 38 findet sich nicht in
den anderen Nachschriften, aber in identischem Wortlaut in Rixner: Handbuch.
Bd 2. Anhang. 106 (§ 6). Griesheim hat es zweifellos hieraus entnommen und nicht
aus dem Kolleg überliefert; es könnte aber sein, daß Hege/ in der Vorlesung auf
diese Stelle hingewiesen habe.
83,396-398 so man ... ewig.] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 2, § 15.
30: 15. So man das ganze Curriculum oder den ganzen Umcirk der Sternen
betrachtet / so fmdet sichs bald / daß dasselbe sey die Mutter aller Dinge oder
die Natur/ daraus alle Dinge worden sind/ und darinnen alle Dinge stehen
und leben / und dadurch sich alles beweget / und alle Dinge sind aus den-
selben Kräften gemacht/ und bleiben darinne ewiglich ... - Vgl. W 15.308
(Ms?).
83,398-400 Den Vater ... süße usf.] Dieses Zitat verbindet zwei bei Böhme
an verschiedener Stelle gemachte Aussagen; siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 4,
§ 6. 48: 6. Es ist alle Kraft in GOtt dem Vater / und gehet von Ihm aus / als
Licht / Hitze / Kalt / Weich / Süsse / Bitter / Saur / Herbe / Schall/ und das
Anmerkungen 279

unmöglich zu reden oder zu begreiffen ist: dieses alles ist in GOtt dem Vater
ineinander wie eine Kraft / und bewegen sich doch alle Kräfte in seinem
Ausgange. Es sind aber die Kräfte in GOtt nicht auf eine solche Art und
Weise qualificirende wie in der Natur in Sternen und Elementen, oder in den
Creaturen. Siehe auch Kap. 3, § 18. 40: 18. Hie muß ich nun in Gleichniß
schreiben. Alhier wil ich dir ein Gleichniß in der Natur zeigen/ wie da sey
das H. Wesen in der H. Trinität. Schaue an den Himmel: der ist eine runde
Kugel/ und hat weder Anfang noch Ende / sondern es ist überall der Anfang
und das Ende / wo du ihn nur ansihest; also ist auch GOtt in und über dem
Himmel/ der hat weder Anfang noch Ende. Nun sihe weiter an der Sternen
Cirk / die bedeuten des Vaters mancherley Kraft und Weisheit: und sie sind
auch aus des Vaters Kraft und Weisheit gemacht worden. Nun der Himmel/
die Sternen / und die ganze Tieffe zwischen den Sternen / samt der Erden /
bedeuten den Vater: und die 7. Planeten bedeuten die 7. Geister GOttes/
oder die Fürsten der Engel; unter welchen Herr Lucifer auch einer gewesen
ist vor seinem Fall/ welche alle aus dem Vater gemacht sind im Anfang der
Schöpfung der Engel vor der Zeit der Welt. - Die hier in Kap. 4, § 6 aufge-
zählten Qualitäten sind ausgegangene Qualitäten, die nicht sieben sind; die sieben
Geister Gottes in Kap. 3, § 18 sind zumindest noch nicht explizit als Quellgeister,
als natürliche Kräfte oder Qualitäten bezeichnet, sondern nur als Fürsten der
Engel. Die Lehre von den sieben Quellgeistern oder Qualitäten in Gott wird erst in
den Kapiteln 8-11 entwickelt; hier hingegen spricht Bö"hme erst von einem
Gleichniß, wo die Natur den Vater bedeutet. - Die von Regel hier unterstellte
Entsprechung zwischen den sieben Quellgeistern oder Naturgeistern und den sieben
Planeten stellt Bö"hme ausdrücklich her in Morgenröhte. Kap. 26, § 37. 352: 37.
Dan das instehende Rad der Sternen und Planeten ist anders nicht / als wie
die Geburt in den 7. Natur-Geistern vor den Zeiten der Welt ist aufgangen f
darinnen sich haben Bildnisse und Figuren / sowohl himlische Früchte figu-
riret nach der ewigen Gottheit Recht.
83,402-408 »Du ... Vater.«] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 2, § 16f.
30J: 16. Du must aber deinen Sinn alhie im Geist erheben und betrachten f
wie die ganze Natur mit allen Kräften/ die in der Natur sind/ darzu die
Weite/ Tieffe /Höhe/ Himmel/ Erde und alles was darinnen ist/ und über
dem Himmel/ sey der Leib GOttes; und die Kräfte der Sternen sind I die
Quell-Adern in dem natürlichen Leibe GOttes in dieser Welt./17. Nicht
must du denken / daß in dem Corpus der Sternen sey die ganze triumphiren-
de heilige Dreyfaltigkeit / GOtt Vater / Sohn und Heiliger Geist / in welchen
ist kein Böses; sondern ist der Licht-heilige/ ewige Freuden-Quell/ der
unzertrenlich und unveränderlich ist / das keine Creatur genug ergreiffen
oder aussprechen kan / welcher wohnet und ist über dem Corpus der
Sternen in sich selbst; seine Tieffe kan keine Creatur ermessen. - Vgl. W
15.308 (Ms?).
83,408-412 Da fragt ... hat.«] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 2, §§ 31-
33. 33(· 31. Alhier tuhe nun die Augen deines Geistes auf/ und schaue GOtt
280 Anhang

deinen Schöpfer. Alhier ist nun die Frage f woher dan der Himmel solche
Kraft hat oder nimt f daß er solche Beweglichkeit in der Natur machet? /32.
Hie mustu nun sehen über und ausser die Natur/ in die Licht-heilige/
triumphirende f göttliche Kraft / in die unveränderliche / heilige Dreyfaltig-
keit: die ist ein triumphirend f qualllend f beweglich Wesen; und sind alle
Kräfte darinnen wie in der Natur. Dan das ist die ewige Mutter der Natur/
davon Himmel/ Erden f Sternen f Elementa, Engel/ Teufel/ Menschen/
Thier u. alles worden ist f u. darinnen alles stehet. f 33. So man nennet Him-
mel und Erden / Sternen und Elementa, und alles was darinnen ist / und alles
was über allen Himmeln ist / so nennet man hiemit den ganzen GOtt / der
sich in diesem oberzehlten Wesen in seiner Kraft / die von Ihm ausgehet /
also creatürlich gemacht hat.- Vgl. W 15. 309 (Ms?).
83,412-413 Betrachten ... Weisheit.] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 3,
§ 8. 37: 8. Wan man nun betrachtet die ganze Natur und ihre Eigenschaft/
so sihet man den Vater: wan man anschauet den Himmel und die Sternen f
so sihet man seine ewige Kraft und Weisheit. Also viel Sternen unter dem
Himmel stehen / die doch unzehlich und der Vernunft unbegreiflich / auch
ein Teil unsichdich sind f also viel- und mancherley ist GOttes des Vaters
Kraft und Weisheit.- Vgl. W 15. 309 (Ms?).
83,414-415 Dann ... müssen.] Siehe die übernächste Anm.
83,415-418 »Kein ... Urstand.«] Siehe Böhme: Von Göttlicher Beschau-
lichkeit. Kap. 1, § 8. 1739: 8.... Kein Ding ohne Widerwertigkeit mag
ihme selber offenbar werden: Dan so es nichts hat f das ihmc widersteher f so
gehets immerdar vor sich aus / und gehet nicht wieder in sich ein: So es aber
nicht wieder in sich eingehet / als in das / daraus es ist ursprünglich gegangen
/so weis es nichts von seinem Urstand.- Vgl. W 15. 313 (Ms?).
84,420-428 Ohne ... sein?«] Siehe Böhme: Von Göttlicher Beschaulich-
keit. Kap. 1, §§ 9f 1739: 9. Wan das natürliche Leben keine Widerwertigkeit
hätte / und wäre ohne ein Ziel/ so fragte es niemals nach seinem Grunde f
woraus es sey herkommen: so bliebe der verborgene GOtt dem natürlichen
Leben unerkant. Auch so keine Widerwertigkeit im Leben wäre / so wäre
auch keine Empfmdlichkeit / noch Wollen / noch Wirken / auch weder
Verstand/ noch Wissenschaft darinnen: Dan ein Ding/ das nur Einen Wil-
len hat / das hat keine Schiedlichkeit? So es nicht einen Widerwillen emp-
fmdet f der es zum Treiben der Bewegniß ursachet f so stchets stille: Dan
ein Einig Ding weis nichts mehr als Eines; Und ob es gleich in sich gut ist/
so kennets doch weder Böses noch Gutes / dan es hat in sich nichts / das es
empfmdlich mache. / 10. Also auch können wir von dem Willen Gottes
philosophiren und sagen: W an sich der verborgene Gott / welcher nur ein
Einig Wesen und Wille ist / nicht hätte mit seinem Willen aus sich ausge-
fiihret f und hätte sich aus der Ewigen Wissenschaft im Temperamente, in
Schiedlichkeit des Willens ausgefiihret / und hätte nicht dieselbe Schiedlich-
keit in eine Infaslichkeit zu einem natürlichen und creatürlichen Leben einge-
fiihret / und daß dieselbe Schiedlichkeit im Leben nicht im Streit stünde /
Anmerkungen 281

wie wolte ihme dan der verborgene Wille GOttes I welcher in sich nur Einer
ist I offenbar seyn? Wie mag in einem einigen Willen eine Erkenntniß seiner
selbsten seyn?- Vgl. W 15. 313 (Ms?).
84,429-430 Wir ... Wesen usf.] Siehe vorliegenden Band 140ff.
84,430-442 »Der Anfang ... macht.] Siehe Böhme: Von Göttlicher Beschau-
lichkeit. Kap. 3, §§ 1-5. 1755f" 1. Der Anfang aller Wesen ist das Wort I als
das Aushauchen GOttes gewesen I und GOtt ist das ewige Ein gewesen von
Ewigkeit I und bleibets auch in Ewigkeit: Aber dasWortist der Ausfluß des
Göttlichen Willens oder der Göttlichen Wissenschaft: Gleichwie die Sinnen
aus dem Gemühte ausfliessen I und das Gemüht doch nur ein Ein ist; also ist
auch das ewige Ein mit in dem Ausfluß des Willens gewesen I das heisset:
Im Anfang war das WoRT; Dan das Wort I als der Ausfluß vom Willen
GOttes I ist der ewige Anfang gewesen I und bleibets ewig: Dan er ist die
Offenbarung des ewigen Einen I damit und dadurch die Göttliche Kraft in
eine Wissenschaft des Etwas gebracht wird: Und verstehen wir mit dem
WORT den offenbaren Willen GOttes I und mit dem Wort I GoTT verstehen
wir den verborgenen GOtt I als das ewige Ein I daraus das Wort ewig
entspringet. I 2. Also ist der Ausfluß des Göttlichen Ein das WoRT I und
doch GOtt selber I als seine Offenbarung. I 3. Dieser Ausfluß fleust aus GOtt I
und das Ausgeflossene ist Weisheit I aller Kräfte I Farben I Tugend und
Eigenschaften Anfang und Ursach.l4. Aus solcher Offenbarung der Kräfte I
darinnen sich der Wille des Ewigen Ein beschauet I fleust aus der Verstand
und die Wissenschaft des Ichts I da sich der ewige Wille im Ichts schauet I
und in der Weisheit in Lust einführet zu einer Gleichniß und Ebenbildniß. I
5. Und dieselbe Ebenbildniß ist das Mysterium Magnum, als der Schöpfer
aller Wesen und Creaturen I dan es ist der Separator in dem Ausfluß des Wil-
lens I welcher den Willen des ewigen Ein schiedlich machet: Er ist die
Schiedlichkeit im Willen I daraus Kräfte und Eigenschaften urständen. - Vgl.
W 15. 313f 315f(Ms?).- Sowohl in der Vorlesung als auch in dem Text W 15.
314 bezieht Hegel den Genitiv aller Kräfte irrtümlich auf das vorhergehende
Weisheit statt auf das nachfolgende Anfang und Ursach.
84,442-444 Der Sohn ... allem.] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 3,
§ 15. 39: 15. Der Sohn aber ist das Herze in dem Vater: alle Kräfte I die in
dem Vater sind I die sind des Vaters Eigentuhm I und der Sohn ist das Herze
oder der Kern in allen Kräften in dem ganzen Vater; ...
84,444-448 Der Sohn ... bestehen.] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 3.
§§ 20. 22.40f" 20. Dan gleichwie die Sonne mitten zwischen den Sternen und
Erden stehet I und erleuchtet alle Kräfte I und ist das Licht und Herze aller
Kräfte; und alle Freude in dieser Welt I darzu alle Schönheit und Lieblichkeit
stehet in der Sonnen Licht und Kraft; also auch der Sohn GOttes in dem
Vater I der ist das Herze in dem Vater I und leuchtet in allen Kräften des
Vaters I und seine Kraft ist die bewegliche I quällende Freude in allen
Kräften des Vaters I und leuchtet in dem ganzen Vater I gleichwie die Sonne
in der ganzen Welt .... 122.... so der Sohn nichtmehrindem Vater !euch-
282 Anhang

tete I so wäre der Vater ein finster Tahll dandes Vaters Kraft stiege nicht
auf von Ewigkeit zu Ewigkeit I und könte das Göttliche Wesen nicht be-
stehen.
84,449-450 Dies Ichts . . . Unterscheidende.) Der Begriff des Ichts hat bei
Biihme seinen Ort in der Betrachtung Gottes außer der Natur und Creatur, in der
Gott als Ungrund (ein Begriff, der in Hegels Darstellung nicht vorkommt) oder als
ein ewig Nichts bezeichnet wird; siehe Böhme: Mysterium Magnum. Kap. 1,
§ 2, in Theosophia revelata. Bd 2. 2717J. Böhme unterscheidet in der ewigeu
Gebährung drei Dinge: (1) Ein ewiger Wille. (2) Ein ewig Gemühte des Wil-
lens. (3) Der Ausgang vom Willen und Gemühte I welcher ein Geist des
Willens und Gemühtes ist. I 4. Der Wille ist Vater: Das Gemühte das Ge-
fassete des Willens I als des Willens Sitz oder Wohnung I oder das Centrum
zum Etwas I und ist des Willens Herze; und der Ausgang vom Willen und
Gemühte ist die Kraft und der Geist. I 5. Dieser dreyfache Geist ist ein einig
Wesen I und da Er doch kein Wesen ist I sondern der ewige Verstand: Ein
Urstand des Ichts I und ist doch die ewige Verborgenheit ... - Siehe auch
vorliegenden Band, Anm. zu 84,430-442. - Zum Begriff des Separator siehe
Theosophia revelata. Bd 2. Das dritte Register. sub voce Archaeus oder Se-
parator. Eine ausdrückliche Identifizierung des Ichts mit dem Separator läßt sich
in Bö"hmes Schriften nicht nachweisen. Siehe auch die folgende Anm.
84,450-85,451 Dies Ichts ... Natur.) Eine derartige ausdrückliche Identifizie-
rung des Ichts mit Luzifer und mit dem eingeborenen Sohn Gottes (so Gr Pi He;
W 15. 316: erstgeborenen Sohn) läßt sich bei Bö"hme nicht nachweisen. Zur
Annahme solcher Identität wird Hege/ wahrscheinlich dadurch geführt, daß Böhme
die Funktionen des Separators in der späteren Schrift Von Göttlicher Beschau-
lichkeit (1624) und Luzifers in der Morgenröhte (1613) zum Teil ähnlich zeich-
net. Zu Luzifer siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 12, §§ 101-107, Kap. 13,
§§ 31-34, 92-104; zum Separator siehe Böhme: Von Göttlicher Beschaulich-
keit. Kap. 3, § 12. 1757J: 12. Aus diesem ewigen Wirken der Empfmdlich-
keit und Sinnlichkeit I da sich dieselbe Wirkung von Ewigkeit hat je also in
Natur als in Eigenschaften eingeführet I ist die sichtbare Welt mitallihrem
Heer entsprungen I und in ein Geschöpf gebracht worden: Dan die Ewigkeit
solcher Wirkung zu Feur I Licht und Finsterniß I hat sich mit der sichtbaren
Welt in einen Gegenwurf geführet I und den Separatorern in allen Kräften I
des ausgeflossenen Wesens I durch die Begierlichkeit zu einem Amtmann der
Natur geordnet I mit welchem der ewige Wille alle Dinge regiret I machet I
formet und bildet.
85,451-453 Aber ... selbst.] Siehe hierzu Böhme: Morgenröhte. Kap. 13:
Von dem schrecklichen I kläglichen und elenden Falle des Königreichs Lu-
zifers, insbesondere §§ 31-35. 38-40. 46-48; sowie Böhme: Erklärung des
ersten Buchs Mosis. Kap. 9, in Theosophia revelata. Bd 2. 2754-2758.
Böhmes Intention ist jedoch darauf gerichtet, Luzifers Fall dessen eigener willkür-
licher Entscheidung anzulasten; siehe insbesondere ebenda § 3. 2754j: 3. Der Fall
Lucifers ist nicht aus GOttes Fürsatz oder Verordnung geschehen; in Gottes
Anmerkungen 283

Grimme II als nach der finstern Welt Eigenschaft ist er wo! erkant worden I
wie er geschehen könte oder würde: Aber in GOttes Heiligkeit I als im Licht
I ist keine solche Begierde in solcher Eigenschaft offenbar; sonst müste der
heilige GOtt in seiner Liebe eine Teufels- oder höllische-grimmige Begierde
haben I welches gar nicht ist: Aber im Centro der ewigen Natur I als in den
Gestalten zum Feur I ist in der fmstern Impression wo! eine solche Eigen-
schaft.
85,453-458 Das Ichts . . . hineinimaginiert.] Hege! verbindet hier mehrere
Themen (Ichts, Ichheit, Separator, Zorn Gottes usj.), die sich bei Böhme zwar
einzeln, jedoch nicht in dieser Zuordnung nachweisen lassen. Zum Ichts bzw. zum
Separator siehe vorliegenden Band, Anm. zu 84,430-442 bzw. 84,450-85,451;
zur Ichheit - die Hege[ ohne weiteres mit dem Ichts identifiziert - siehe Böhme:
Von Göttlicher Beschaulichkeit. Kap. 1, §§ 18. 26. 1741: 18. Wan das Ge-
müht nicht selber aus sich ausflösse I so hätte es keine Sinnen; so es aber keine
Sinnen hätte I so hätte es auch keine Erkenntniß seiner selber I auch keines
andern Dinges I und könte keine Verbringung oder Wirkung haben: Aber
der sinnliche Ausfluß aus dem Gemühte (der ein Gegenwurf des Gemühts ist I
darinnen sich das Gemüht empfmdet) machet das Gemüht wollende oder
begehrende I daß das Gemüht die Sinnen in etwas einführet I als in ein Cen-
trum einer Ichheit I darinnen das Gemüht mit den Sinnen wirket I und sich
selber in dem Wirken mit den Sinnen offenbaret und beschauet. 1743: 26.
Unddan zum Andern I ist uns der anfängliche Wille der Natur I als der In-
faslichkeit der Centrorum zu verstehen I da sich ein jedes Centrum in der
Schiedlichkeit in eine Stäte zur Ichheit und Selbwollens I als ein eigen My-
sterium oder Gemüht einschleust I daraus die Ungleichheit des W ollens ur-
ständet I wie in diesen beiden ein Contrarium entstehe I dan sie sind zwey in
Einem Wesen.- Zur Verbindung Zorn Gottes- Hölle siehe u. a. Morgenröhte.
Kap. 19, § 119.
85,459-461 »Himmel ... Nacht.«] Siehe Böhme: Vom übersinnlichen
Leben. § 42. In Theosophia revelata. Bd 1. 1696: 42. Der Jünger sprach:
Wie ferne ist dan Himmel und Hölle von einander? Der Meister sprach:
Wie Tag und Nacht I und wie Ichts und Nichts: ... -Für den Vergleich
von ens und nonens mit Tag und Nacht verweist Hege! in W 15. 317 auf
frühere Formen; er bezieht sich dabei wahrscheinlich auf Philo und Plotin; vgl. W
15. 25 bzw. 62f
85,462-463 Dies ... aufsteige] Siehe vorliegenden Band, Anm. zu 84,430-442
sowie zu 84,449-450 und 84,450-85,451.
85,464-467 Da nimmt ... ausbricht.] Zu den Qualitäten im Vater siehe
Böhme: Morgenröhte. Kap. 8, § 4. 77: 4.... In GOtt dem Vater ist alle
Kraft I und Er ist aller Kräfte Quellbrunn in seiner Tieffe: in Ihm ist Licht
und Finsterniß I Luft und Wasser I Hize und Kälte I Hart und Weich I Dick
und Dünne I Schall und Thon I Süß und Saur I Bitter und Herbe I und das
ich nicht erzeWen kan; ... Zur Herbigkeit insbesondere siehe ebenda §§ 15-17.
78f" 15. Sihe I in diesem (sc. Gott) ist sonderlich auf siebenerley Qualitäten
284 Anhang

oder Umstände zu merken: erstlieh ist in der Göttlichen Kraft im Verborgen


die herbe Qualität; das ist eine Qualität des Kerns oder verborgenen Wesens;
eine Schärfe / Zusammenziehung oder Durchdringung in dem Salitter / ganz
scharf und herbe: die gebäret die Härtigkeit u. auch die Kälte; und so sie
entzündet wird/ gebäret sie die Schärfe/ gleich dem Salze. /16. Das ist eine
Species oder Zorn-Quell in dem Göttlichen Salitter: so dieser Quell ange-
zündet wird / welches geschehen kau durch grosse Bewegung oder Erhe-
bung oder Rügung / so qualificiret darinnen die herbe grosse Kälte / die ist
ganz scharf / gleich dem Salz / auch ganz hart zusammenziehend / gleich den
Steinen./! 17. Sie ist aber in der himlischen Pomp nicht also erheblich / dan
sie erhebet sich nicht selber / und zündet sich nicht selber an; allein König
Lucifer hat diese Qualität in seinem Reiche durch seine Erhebung und Hofart
angezündet/ davon diese Qualität noch brennet bis an Jüngsten Tag. - Vgl.
§§ 19f- Zur Erwähnung des Blitzes in diesem Zusammenhang siehe eben da Kap.
10, § 33. 111: 33. Es nehmen alle Qualitaeten in Mitten ihren anfänglichen
Ursprung: merke / wo das Feur geboren wird; dan daselbst gehet auf der
Blitz des Lebens aller Qualitaeten / und wird in dem Wasser gefangen / daß
er leuchtend bleibet / und in der Herbigkeit vertrocknet / daß er corporlich
bleibet und helle scheinend wird.- Vgl. eben da§ 34. - Vom Ichts ist allerdings
in der Morgenröhte. noch nicht die Rede.
85,467-472 Der Blitz ... sich selbst.] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 10,
§§ 38-40. 112: 38. So aber die Grimmigkeit in dem scheinenden Lichte ge-
boren würde / so würde sie freilich auch also weit reichen als des Lichtes
Glanz; so aber geschiht das nicht. Das ists aber/ der Blitz ist des Lichtes Mut-
ter: dan der Blitz gebäret das Licht von sich / und ist der Grimmigkeit
Vater; dan die Grimmigkeit bleibet im Blitze als ein Same im Vater; und
derselbe Blitz gebäret auch den Tohn oder Schall. / 39. Wan er von der
Härtigkeit und Hitze ausgehet / so pocht die Härtigkeit im Blitze; und die
Hitze klinget / und das Licht in dem Blitze macht den Klang helle /und das
Wasser macht ihn sanfte; und in der Herbigkeit oder Härtigkeit wird er
gefangen und vertrocknet / daß es ein corporlicher Geist ist in allen Quali-
taeten. Dan einjeder Geist in den 7. Geistern GOttes ist aller 7. Geister GOt-
tes schwanger / und sind alle ineinander wie ein Geist/ keiner ist ausser dem
andem: Allein eine solche Geburt hat es darinnen /und also gebäret einer
den andren in und durch sich selber; und die Geburt währet von Ewigkeit zu
Ewigkeit also. / 40. Alhier wil ich den Leser vermahnet haben / daß er die
Göttliche Geburt recht betrachte. Du solst nicht denken/ daß ein Geist neben
dem andem stehe / wie du die Sternen am Himmel sihest neben einander
stehen; sondern sie sind alle 7. in einander wie ein Geist: ... - Ebenda §54.
115: 54. In GOtttriumphiren alle Geister wie ein Geist /und ein Geist sänf-
tiget und liebet immer den andem / und ist nichts dan eitel Freude und
Wonne; ...
85,472-473 Die göttliche ... Qualität.] Hege/ verbindet Böhmes Rede vom
Ursprung der Qualitäten, vom Aufgehen des Blitzes des Lebens aller Qualitäten
Anmerkungen 285

(Morgenröhte. Kap. 10, § 93; siehe die vorletzte Anm.) mit de111 Thema der
göttlichen Geburt in Morgenröhte. Kap. 11, §§ 5-13.
85,473-477 »Du mußt ... Vater.] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 10,
§55. 115: 55. Du must nicht denken J daß im Himmeletwanein Corpus sey
J der nur also geboren werde J den man für alles andere GOtt heisse: Nein,
sondern die ganze göttliche Kraft J die selber Himmel u. aller Himmel Him-
mel ist J wird also geboren: u. das heist GOtt der Vater J aus dem alle heilige
Engel sind geboren worden J u. auch in derselben Kraft leben; und wird
auch aller Engel Geist in ihrem Corpus immer und ewig also geboren J darzn
auch aller Menschen Geist.
85,480-483 Du kannst ... Geburt.] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 10,
§§ 60. 58. 116: 60. Dan du kaust keinen Ort weder im Himmel noch in dieser
Welt ernennen J da die göttliche Geburt nicht also sey J es sey gleich in
einem Engel und heiligen Menschen J oder ausser demselben .... J 58. Also
nahe ist dir GOtt J daß die Geburt der Heiligen Dreyfaltigkeit auch in dei-
nem Herzen geschiht; es werden alle 3. Personen in deinem Herzen geboren J
GOtt Vater J Sohn J Heiliger Geist./60. . .. Wo ein Quell-Geist in der gött-
lichen Kraft gerüget wird J die Stäte sey gleich wo sie wolle (nur in den
Teufeln nicht J und in allen gottlosen verdamten Menschen nicht); so ist
schon der Quellbrunn der göttlichen Geburt vorhanden; da sind schon alle
sieben Quell-Geister GOttes J als wan du einen räumlichen J creatiirlichen
Cirkel schlössest J und hättest die ganze Gottheit besander darinnen ... -
Vgl. W 15. 322f(Ms?).
86,484-487 Die Kraft ... Empfmdlichkeit.] Siehe Böhme: Von Göttlicher
Beschaulichkeit. Kap. 3, §§ 11f 1757: 11. ... Auch wird die ewige Kraft
dadurch begierlieh und wirkende J und ist der Urstand des empfmdlichen
Lebens J da in dem WORT der Kräften im Ausfluß ein ewig J empfindlich
Leben urständet; Dan so das Leben keine Empfindlichkeit hätte J so hätte es
kein Wollen noch Wirken J aber das Peinen machet es wirkend und wol-
lend: Und das Licht solcher Anzündung durchs Feur machet es freudenreich J
dan es ist eine Salbung der Peinlichkeit./12. Aus diesem ewigen Wirken der
Empfmdlichkeit und Sinnlichkeit J da sich dieselbe Wirkung von Ewigkeit
hat je also in Natur als in Eigenschaften eingeführet J ist die sichtbare Welt
mit all ihrem Heer entsprungen J und in ein Geschöpf gebracht worden ...
86,488-490 In ... Nein.] Siehe die übernächste Anm.
86,490-494 In ... sei.] Siehe Böhme: Morgenröhte. Vorrede.§§ 84-88. 18f"
84. Nun habe ich aber diesem Buch den Namen gegeben: Die Wurzel
oder Mutter der Philosophiae, Astrologiae und Theologiae.
Damit du aber wissest J wovondisBuch handelt Jso verstehe: (1) Durch die
Philosophia wird gehandelt von der göttlichen Kraft J was GOtt sey /und
wie im Wesen GOttes die Natur J Sternen und Eiementa beschaffen sind J
und woher alle Ding seinen Ursprung hat J wie Himmel und Erden beschaf-
fen sind J auch Engel/ Menschen und Teufel/ darzu Himmel und Hölle J
und alles was creatürlich ist; auch was da sind beide Qualitäten in der Natur;
286 Anhang

aus rechtem Grunde in Erkentniß des Geistes/ im Trieb und Wallen GOttes./
85. (2) Durch die Astrologia wird gehandelt von den Kräften der Natur / der
Sternen und Elementen / wie daraus alle Creaturen sind herkommen / und
wie dieselben alles treiben / regiren und in allem wirken; und wie Böses und
Gutes durch siegewirket wird in Menschen und Thieren: daraus herkernt /
daß Böses und Gutes in dieser Welt herrschet und ist; auch wie der Höllen-
und Himmel-Reich darinnen bestehet. / 88. (3) Durch die Theologia wird
gehandelt von dem Reich Christi; wie dasselbe sey beschaffen / wie es der
Höllen Reich sey entgegen gesetzt/ auch wie es in der Natur mit der Höllen
Reich kämpfet und streitet; und wie die Menschen durch den Glauben und
Geist können der Höllen Reich üiberwinden /und triumphiren in göttlicher
Kraft / und die ewige Seligkeit erlangen / und als einen Sieg im Streit davon
bringen. Auch wie sich der Mensch durch die Wirkung der höllischen
Qualität selbst in die Verderbung wirft/ und endlich wie es einen Ausgang
mit beiden nehmen wird.- Vgl. W 15. 305j(Ms?).
86,494-508 »Du sollst ... offenbar.] Siehe Böhme: 177. Fragen von Gött-
licher Offenbarung. Die dritte Frage. §§ 2-5. In Theosophia revelata. Bd 2.
3591J: 2. Der Leser so! wissen / daß in Ja u. Nein alle Dinge bestehen / es
sey Götti. Teuflisch/ Irdisch / oder was genant mag werden. Das Eine / als
das Ja / ist eitel Kraft und Leben / und ist die Wahrheit Gottes oder GOtt
selber. Dieser wäre in sich selber unerkentlich / und wäre darinnen keine
Freude oder Erheblichkeit /noch Empfmdlichkeit ohne das Nein. Das Nein
ist ein Gegenwurf des Jah / oder der Wahrheit / auf daß die Wahrheit offen-
bar/ und etwas sey / darinnen ein Contrarium sey / darinnen die ewige Liebe
wirkende / empfmdlich / wollende / und das zu lieben sey. I / 3. Und kön-
nen doch nicht sagen/ daß das Jah vom Nein abgesondert/ und zwey
Ding neben einander sind / sondern sie sind nur Ein Ding / scheiden sich aber
selber in 2. Anfänge / und machen zwey Centra, da ein jedes in sich selber
wirket/ und wil. Gleichwie der Tag in der Nacht/ und die Nacht in dem
Tage zwey Centra sind / und doch ungeschieden / als nur mit Willen und
Begierde sind sie geschieden. Denn sie haben zweyerley Feure in sich/ als (1)
den Tag / das Hitzige aufschliessende / und (2) die Nacht / das Kalte ein-
scWiessende: und ist doch zusammen nur Ein Feur / und wäre keines ohne
das andere offenbar oder wirkende: Dan die Kälte ist die Wurzel der Hitze/
und die Hitze ist die Ursache daß die Kälte empfindlich sey. Ausser diesen
beiden / welche doch in stetem Streite stehen / wären alle Dinge ein Nichts /
und stünden stille ohne Bewegniß. / 4. Also auch irrgleichen / von der ewi-
gen Einheit Göttlicher Kraft zu verstehen ist: wan der ewige Wille nicht
selber aus sich ausflösse / und führte sich in Annehmlichkeit ein / so wäre
keine Gestältniß noch Unterschiedlichkeit / sondern es wären alle Kräften
nur Eine Kraft; so möchte auch kein Verständniß seyn: Dan die Verständniß
urständet in der Unterschiedlichkeit der Vielheit / da eine Eigenschaft die
andere sihet / probiret u. wil./ 5. Irrgleichen stehet auch die Freude darinnen:
Sol aber eine Annehmlichkeit urständen / so mus eine eigene Begierde zu
Anmerkungen 287

seiner selbst-Empfindlichkeit seyn I als ein eigener Wille zur Annehmlichkeit


I welcher nicht mit dem einigen Willen gleich ist und wil: Dan der einige
Wille wil nur das einige Gut I das er selber ist I er wil sich nur selber in der
Gleichheit; Aber der ausgeflossene Wille wil die Ungleichheit I auf daß er
von der Gleichheit unterschieden I und sein eigen Etwas sey I auf-daß etwas
sey I das das Ewige Sehen sehe und empfmde: und aus dem eigenen Willen
entstehet das Nein; danerführet sich in Eigenheit/ als in Annehmlichkeit
seiner selber; er wil Etwas seyn I und gleicher sich nicht mit der Einheit I dan
die Einheit ist ein ausfliessend J ah I welches ewig also im Hauchen seiner
selber stehet I und ist eine Unempfmdlichkeit I dan sie hat nichts darinnen sie
sich möge empfinden I als nur in der Annehmlichkeit des abgewichenen
Willens I als in dem Nein I welches ein Gegenwurf ist des Ja h I drinnen das
J ah I offenbar wird I und darinnen es etwas hat I das es wollen kan. - Vgl.
w 15. 319f
86,508--87,514 Man ... Böse.•] Siehe Böhme: 177. Fragen von Göttlicher
Offenbarung. Die dritte Frage. §§ 10-13. 3593f: 10. Und heisset das Nein
darum ein Nein I daß es ein eingekehrete Begierde ist I als Nein==werts ein-
schliessende: Und das Jah heisset darum Ja I daß es ein ewiger Ausgang I
und der Grund aller Wesen ist I als lauter Wahrheit. Denn es hat kein Nein
vor ihm I sondern das Nein urständet erst in dem ausgeflossenen Willen der
Annehmlichkeit. I 11. Dieser ausgeflossene I begehrende Wille ist ein-
ziehende I und fasset sich selber in sich I darvon kommen Gestältnisse und
Eigenschaften. (1) Die erste Eigenschaft ist Schärfe: daraus komt Härte I
Kälte I Trocken und Finsterniß. Denn die Angezogenheit überschattet sich
selber; und dieses ist der wahre Grund der ewigen und zeitlichen Finsterniß;
und die Härtigkeit und Schärfe ist der Grund zur Empfindlichkeit. (2) Die
zweyte Eigenschaft ist die Bewegniß im Anziehen I die ist eine Ursache des
Scheidens. (3) Die I dritte Eigenschaft ist die wahre Empfindung zwischen
der Härte und der Bewegniß I darinnen sich der Wille empfindet I denn er
befmdet sich in grosser Schärfe I gleich einer grossen Angst gegen der Ein-
heit also geredet. (4) Die vierte Eigenschaft ist das Feur I als der Bliz des
Glanzes; das urständet in der Zusammenfügung der grossen ängstlichen
Schärfe I und der Einheit: denn die Einheit ist sanft und stille; Und die be-
wegliche harte Schärfe ist schrecklich I als ein Grund der Peinlichkeit. 112.
Also ists ein Schrack in der Zusammenfügung; und in diesem Schracke wird
die Einheit ergriffen I daß sie ein Blick oder Glast wird I als eine erhebliche
Freude. Dan also urständet das Licht mitten in der Finsterniß: Dan die Ein-
heit wird zu einem Lichte I und die Annehmlichkeit des begierliehen Willens
in den Eigenschaften wird zu einem Geist-Feur I welches seinen Quall und
Ursprung aus der herben I kalten Schärfe I in der Bewegniß I und Emp-
findlichkeit in der Finsterniß nimt; und ist eben dessen Wesen I als eine
schreckliche Verzehrlichkeit.l13. Und darnach ist GOtt ein zorniger I eiferi-
ger GOtt I und ein verzehrend Feur genant; ... - Vgl. W 15. 321 (Ms?).
87,517-521 »In ... Geist.«] Siehe Böhme: Morgenröhte. Kap. 3, § 30. 43:
288 Anhang

30. Nun ist in der ganzen Tieffe des Vaters I ausser dem Sohne nichts I dan
die vielerley und unermesliche und unerforschliche Kraft des Vaters; und die
unerforschliche Kraft u. Licht des Sohnes; das ist in der Tieffe des Vaters ein
lebendiger I allkräftiger I allwissender I allhörender I allsehender I allriechen-
der I allschmeckender I allfühlender Geist I in dem alle Kraft und Glanz und
W eishcit ist I wie in dem Vater und Sohne.
87,522-524 Der Abgrund ... allenthalben.] Siehe Böhme: Von Göttlicher
Beschaulichkeit. Kap. 3, § 13. 1758: 13. Also können wir mitnichten sagen I
daß Gottes Wesen etwas fernes sey I das eine sonderliche Stäte oder Ort be-
sitze oder habe I dan der Abgrund der Natur und Creatur ist GOtt selber.
87,534-535 Zu erwähnen ... Schriften;] Hege/ bezieht sich wahrscheinlich-
neben den biographischen Berichten- auf die drei Schriften Der Weg zu Christo,
eine Sammlung eher mystischen als theosophischen Charakters, die später auch in
pietistischen Kreisen bekannt war: Von wahrer Busse. Von wahrer Gelassen-
heit. Vom übersinnlichen Leben. In Theosophia revelata. Bd 1. 1621-1704.-
Unter dem Titel Der Weg zu Christo war auch im Jahre 1624 die erste Publika-
tion von Böhmes Schriften erschienen.
88,555 die reinste Spitze] Diese Bemerku11g stellt die Philosophie Descartes' und
die neuzeitliche Philosophie insgesamt in einen Zusammenhang mit dem Christen-
tum und dem Neuplatonismus. Die Rede von einer Spitze des Seyenden nimmt
Hege/ aus Proclus auf ( &xp6-nJ~ -r&v ilv-rwv). Näher zu bestimmen ist diese Spitze
des Seyenden als das Selbstische, Fi.irsichseyende, Subjective, der Punkt der
individuellen Einheit (siehe W 15. 84 (Ms?). Eine parallele Entwicklung sieht
Hege/ auch im Christentum: Im Bewußtseyn der Welt ist für die Menschen
aufgegangen, daß das Absolute konkret ist bis zu dieser &xp6-r1J~, -der Spitze
der unmittelbaren Wirklichkeit; das ist die Erscheinung des Christenthums.
(W 15. 114f). Während diese im Christentum erreichte Spitze der unmittelbaren
Wirklichkeit vor allem durch das Moment der Endlichkeit in Raum und Zeit
geprägt ist, fallen die Bestimmungen des Gehalts der Spitze im Neuplatonismus
tmd in der Cartesischen Philosophie als des Subjektiven, Fürsichseienden in eins.
Hege/ sieht also, wie sich hierin zeigt, die mit Descartes beginnende neuzeitliche
Philosophie als eine Wiederaufnahme der- durch das Mittelalter unterbrochenen -
Geschichte der Philosophie. - Siehe auch die folgende Anm.
88,566-567 Wir treten . . . Schule.] Diese Ansicht einer Folge der neuzeit-
lichen Philosophie auf die Philosophie der Spätantike gründet sich nicht allein auf
Hegels Geringschätzung der philosophiegeschichtlichen Bedeutung des Mittelalters
als einer Periode, über welche wir wegzukommen Siebenmeilenstiefel anlegen
wollen (W 15. 99), sondern auf seine Annahme einer inhaltlichen Übereinstim-
mung der neuzeitlichen und der spätantiken Philosophie im Begriff des sich selbst
denkenden Denkens; siehe etwa W 15. 13: Die Grundidee dieser neupytha-
goreischen-auch neuplatonischen oder alexandrinischen- Philosophie war:
das Denken, das sich selbst denkt, der vou~, der sich selbst zum Gegenstande
hat. Eben darin liegt auch der Bezug dieser beiden Epochen zur Aristotelischen
Metaphysik und zur christlichen Trinitäts/ehre; siehe auch die vorhergehende Anm.
Anmerkungen 289

88,567-573 So findet . . . Philosophie.] Zu Stanleys Philosophiegeschichte


siehe die Bibliographie. - Die Formulierung, man finde auch in älteren Philoso-
phiegeschichten diese von Hege/ kritisierte Konzeption, ist wohlnicht als eine gene-
relle Aussage zu verstehen. Als solche wäre sie unzutriffend; siehe dagegen etwa
das Werk des Holländers Georg Horn: Historiae philosophicae libri VII qui-
bus de origine, successione, sedis et vita philosophorum ab orbe condito ad
nostram aetatem agitur. Lugduni Batavorum 1655.
89,602-90,614 Die Form ... Philosophie.] Die hier gegebenen Einteilrmgen
verhalten sich auf eine nicht leicht durchsichtige Weise zueinander. Die Unter-
scheidung einer zunächst vom Denken erzeugten Form der Philosophie und einer
zweiten Form des dagegen gerichteten Skeptizismus und Kritizismus entspricht im
wesentlichen der Unterteilung der zweiten Epoche der neuzeitlichen Philosophie i11
der Vorlesung von 1823/24 (siehe W 15. 274J: Abschnitt b: a) Metaphysik ß)
Skeptizismus). Dieser Gedanke eines geschichtlichen Zusammenhangs zwischen
metaphysischer und nachfolgender skeptischer Periode ist aber für die Gliederung
des hier veröjfentlichtm Kollegs 1825/26 unerheblich.- Die genannte erste Periode
der Metaphysik ist im Aufbau dieses Kollegs die zweite (nach der ersten, noch
nicht im Vollsinn zur Philosophie gehö"renden durch Baco und Bö"hme rcpräsmtier-
ten Periode). - Siehe auch die folgende Anm.
90 Fußnote s. Anm.] Zum Textverständnis: Die Inkongrueuzen zwischen den
Quellen sind dadurch bedingt, daß die erste Periode der Geschichte der neuzeit-
lichen Philosophie zugleich die erste Periode der Metaphysik ist. Diesen Doppelsinn
der Rede von einer ersten Periode bringt am deutlichsten Lö" zum Ausdruck, aber
wohl erst auf Grund späterer Reflexion des Nachschreibers über die Epochen-
konzeption Hegels.
90,620-91,654 Lebensumstände: ... 1650.] Die Quelle der folgenden Nach-
richten über Descartes' Leben sind Brucker: Historia critica. Tomus IV, pars II.
203-207. sowie Buhle: Geschichte. Bd 3, Abt. 1. 4./J. und Tennemann: Ge-
schichte. Bd 10. 21q[f.
90,622 in der Normandie] Diese Angabe ist ein durch mehrere Nachschriften
überlüferter Irrtum. Hege/ verbindet hier Nachrichten Tennemanns und anderer,
die- richtig- La Haye in der Tauraine als Geburtsort Descartes' nennen, mit der-
irrigen -Auskunft von Buhle: Geschichte. Bd 3, Abt. 1. 4: ... wurde ge-
bohren im]. 1596 zu la Haye in der Normandie, ... Dadurch gelangt Hege/
zu der irrigen Annahme, daß die Landschaft Tauraine in der Normandie gelegen
sei.
90,622 aus altadeligem Geschlecht] Diese Angabe geht zurück auf einen Irrtum
von Adrien Baillet: La vie de Monsieur Des-Cartes. 2 Bde. Paris 1691. Bd 1.
2, der von den meisten späteren Philosophiegeschichten übernommen worden ist,
u. a. von Brucker: Historia critica. Tomus IV, pars II. 20.- Descartes' Vater ge-
hö"rte dem Amtsadel an; die Familie Descartes ahielt den Adelsbrief erst nach dem
Tode des Philosophen im Jahre 1668.
90,629-634 Dann ... eingeführt.] Dieser erste, zurückgezogene Aufenthalt in
Paris dauerte - nach Bai/let und Brucker - von 1614 bis 1616. Im Anschluß hieran
290 Anhang

wurde Descartes jedoch nicht wieder in die große Welt eingeführt- zumindest
nicht im Sinne der Vergnügungen, von denen in 90,629 die Rede ist-, sondern er
ging nach Holland und nahm dort Militärdienste. - Hegels Darstellung orientiert
sich an Brucker: Historia critica. Tomus IV, pars II. 208: Quamuis autem ab
amicis tandem anno MDCXVI fuisset deprehensus et ad pristinas voluptates
retractus, ... Brucker Jährt allerdings fort: nullo tamen modo earum vinculis
irretiri eum passum est summum, quod philosophiae mathesi statuebat, pre-
tium studiumque.
91,638-639 So wolmte ... Krone verlor.) Diese Nachricht wird heute be-
zweifelt; sie geht zuriick auf Adrien Baillet: La vie de Monsieur Des-Cartes.
Paris 1691. Bd 1. 72f
91,645 1624] Das Ende der Kriegsdienste fällt bereits in das Jahr 1620; Tenne-
mann: Geschichte. Bd 10. 208 nennt 1621. - Hegels Irrtum geht zurück auf
Buhle: Geschichte. Bd 3, Abt. 1. 7.
91,647 von 1629 bis 1644) Der Aufenthalt in Holland beginnt bereits Ende des
Jahres 1628; Hegels Irrtum geht zurück auf eine Nachricht bei Tennemann: Ge-
schichte. Bd 10. 210. - Die folgenden biographischen Angaben orientieren sich
ebenfalls an Tennemann, ebenda 210-216, insbesondere die Nachrichten über die
Angriffe und Intrigen der Geistlichkeit (ebenda 214]).- Der Aufenthalt in Holland
dauerte - von Reisen nach Frankreich unterbrochen - bis in das Jahr 1649; das Jahr
1644 hat Hege/ vielleicht genannt, weil Descartes damals eine längere Reise nach
Frankreich gemacht hat.
91,649-650 unter diesen ... befehdeten.) Siehe insbesondere Descartes: Epi-
stola ad Gisbertum Voetium. In Descartes: Appendix, continens objectiones
quintas & septimas in Renati Des-Cartes Meditationes de prima philosophia
... Altera ad celeberrimum virum D. Gisbertum Voetium. Amstelodami
1663. 1-88. (Descartes: CEuvres. Bd 8, 2. 1-194.)
91,656-657 seine Methode ... Analysis aus;) Hege/ spielt an aufDescartes'
Geometrie, ein Werk, das 1637 gleichzeitig mit dem Discours de Ia Methode in
Leiden erschienen war, als Beispiel für die Anwendung der im Discours ent-
wickelten Methode. Hege/ hat Descartes' Geometrie studiert in der Ausgabe Des-
cartes: CEuvres. Publiees par Victor Cousin. Bd 5. Paris 1824. 309-428: La
Geometrie. - An anderer Stelle hat Hege/ ausdrücklich hierauf Bezug genommen;
siehe seine Wissenschaft der Logik. GW 21. 287f mit Anm.
92,669-681 Descartes hat ... das Resultat.) Diese Erläuterung der Argumen-
tation des Discours de Ia Methode und der Principia philosophiae stützt sich auf
Spinoza: Principia philosophiae Cartesianae. In Spinoza: Opera (ed. Paulus).
Bd 1. 2: Ut vero primum, secundum, ac tertium assequi posset, ornnia in
dubium revocare aggreditur, non quidem ut Scepticus, qui sibi nullum alium
praefigit finem, quam dubitare, sed ut animum ab ornnibus praejudiciis libe-
raret, quo tandem firma, atque inconcussa scientiarum fundamenta, quae hoc
modo ipsum, si quae essent, effugere non possent, inveniret. Vera enim
scientiarum principia adeo clara, ac certa esse debent, ut nulla indigeant pro-
batione, extra ornnem dubitationis aleam sint posita, et sine ipsis nihil demon-
Anmerkungen 291

strari possit. (Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 1. 141J) (Baruch de Spinoza:


Descartes' Prinzipien der Philosophie auf geometrische Weise begründet.
Neu übersetzt und herausgegeben von Artur Buchenau. Leipzig 1907. 12j: Um
nun zu dem Ersten, Zweiten und Dritten hiervon zu gelangen, beginnt er
alles zu bezweifeln; indes nicht wie ein Skeptiker, der sich kein anderes Ziel,
als zu zweifeln, vorsetzt, sondern um seinen Geist I auf dieseWeise von allen
Vorurteilen zu befreien und so endlich die festen und unerschütterlichen
Grundlagen der Wissenschaften aufzufinden, die, wenn es deren gibt, ihm
auf diese Weise nicht entgehen können. Denn die wahren Prinzipien der
Wissenschaften müssen so klar und gewiß sein, daß sie keines weiteren Be-
weises bedürfen, daß sie der Gefahr des Zweifels ganz entrückt sind, und daß
ohne sie nichts bewiesen werden kann.) - Vgl. die Paraphrase in W 15. 335
{Ms?).
92,685-93,701 Wir finden, ... zu irren.] Siehe Descartes: Principia philo-
sophiae. Pars I.1j: IV. Nunc itaque cum tantum veritati quaerendae incum-
bamus, dubitamus inprimis, an ullae res sensibiles aut imaginabiles existant:
Primo, quia deprehendimus, interdum sensus errare; ac prudentiae est, nun-
quam nirnis fidere iis, qui nos vel semel deceperunt: Deinde, quia quotidie in
sornnis innumera videmur sentire aut imaginari, quae nusquam sunt; nul-
laque sie dubitanti signa apparent, quibus somnum avigilia certo dignoscat./
V. Dubitamus etiam de reliquis, quae antea pro maxime certis habuimus;
etiam de Mathemaricis demonstrationibus, etiam de iis principiis, quae hacte-
nus putavimus esse per se nota; turn quia vidimus, aliquando nonnullos er-
rasse in talibus, & quaedam pro certislsimis, ac per se notis admisisse, quae
nobis falsa videbantur; turn maxime quia audivimus, esse Deum, qui potest
omnia, & a quo sumus creati. Ignoramus enim, an forte nos tales creare
voluerit ut semper fallamur, etiam in iis, quae nobis quam notissima ap-
parent; quia non minus hoc videtur fieri potuisse quam ut interdum fal-
lamur, quod contingere ante advertimus. Atque si non a Deo potentissimo,
sed vel anobis ipsis, vel aquovis alio nos esse fmgamus, quo minus potentem
originis nostrae authorem assignabimus, tanto magis erit credibile, nos tarn
imperfectos esse, ut semper fallamur. (Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 5f) (1J: 4.
Da wir hier aber bloß auf die Erforschung der Wahrheit ausgehen, wollen
wir zunächst daran zweifeln, ob es überhaupt solche Dinge gibt, wie sie sich
der Wahrnehmung oder der Einbildung darbieten; denn erstens bemerken
wir, daß die Sinne bisweilen irren, und die Klugheit fordert, niemals denen
allzusehr zu I trauen, die uns auch nur einmal getäuscht haben, sodann glau-
ben wir alle Tage im Traume eine Unzahl Dinge wahrzunehmen oder vor-
zustellen, die nirgends sind, und wenn man so entschlossen ist, an allem zu
zweifeln, so ermangelt man jeden Zeichens, woran man den Traum vom
Wachen unterscheiden könnte. / 5. Wir werden auch alles übrige bezweifeln,
was wir bisher für das Gewisseste gehalten haben; selbst die mathematischen
Beweise und die Sätze, die wir bisher für selbstverständlich angesehen haben.
Denn einmal haben wir gesehen, daß manche in solchen Dingen geirrt und
292 Anhang

das, was uns falsch schien, für ganz gewiß und selbstverständlich angenom-
men haben; vor allem aber haben wir gehört, daß es einen Gott gibt, der uns
geschaffen hat und alles vermag, und wir wissen nicht, ob er uns vielleicht
nicht so hat schaffen wollen, daß wir immer und selbst in dem, was uns ganz
offenbar scheint, getäuscht werden. Denn dies ist ebensogut möglich, als die
Täuschung in einzelnen Fällen, deren Vorkommen wir ber.:its bemerkt
haben. Denken wir uns aber, nicht der allmächtige Gott, sondern wir selbst
oder irgend ein anderer hätte uns geschaffen, so wird es, je weniger mächtig
wir den Urheber unseres Daseins annehmen, um so wahrscheinlicher, daß
wir unvollkommen sind und immer getäuscht werden.) - Vgl. W 15.336J
(Ms?).
93,706-708 Die sogenannte ... auch hierher.] Siehe vorliegenden Band 172]}:
93,717-729 Wenn wir ... darbietet.«] Siehe Descartes: Principia philo-
sophiae. Pars 1.2: VII. Sie autem rejicientes illa ornnia, de quibus aliquo
modo possumus dubitare, ac etiam falsa esse fmgentes; facile quidem sup-
ponimus, nullum esse Deum, nullum coelum, nulla corpora; nosque etiam
ipsos non habere manus, nec pedes, nec denique ullum corpus; non autem
ideo nos qui talia cogitamus nihil esse: repugnat enim, ut putemus, id, quod
cogitat, non existere. Ac proinde haec cognitio, Ego cogito, ergo sum,
est ornnium prima & certissima, quae cuilibet ordine philosophanti occurat.
(Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 6J.) (2f 7. Indem wir so alles nur irgend Zvvei-
felhafte zurückweisen und es selbst als falsch gelten lassen, können wir leicht
annehmen, daß es keinen Gott, keinen Himmel, keinen Körper gibt; daß wir
selbst weder Hände noch Füße, überhaupt keinen Körper haben; aber wir
können nicht annehmen, daß wir, die wir solches denken, nichts sind; denn
es ist ein Widerspruch, daß das, was denkt, zu dem Zeitpunkt, wo es denkt,
nicht existiert. Demnach ist der Satz: Ich denke, also bin ich, die allererste I
und gewisseste aller Erkenntnisse, die sich jedem ordnungsgemäß Philoso-
phierenden darbietet.)- Vgl. W 15.339 (Ms?).
93,720 wie auch . . . Wissen.] Hege/ interpretiert hier den ersten Satz von
Fichtes Wissenschaftslehre im Sinne des unmittelbaren Wissens; zu Fichte siehe
vorliegenden Band 156f
93,733-94,735 Karrt hat ... ganz richtig.] Siehe vorliegenden Band, Anm. zu
164,812-813.
94,738-744 Indessen ... verknüpft ist.] Vgl. Descartes: Meditationes. Re-
sponsio ad secundas objectiones. 74: Cum autem advertimus nos esse res
cogitantes, prima quaedam notio est quae ex nullo syllogismo concluditur;
neque etiam cum quis dicit, ego cogito, ergo sum sivc existo, existen-
tiam ex cogitatione per syllogismum deducit, sed tanquam rem per se notam
simplici mentis intuitu agnoscit, ut patet ex eo quod si eam per syllogismum
deduceret, novisse prius debuisset istam majorem, illud omne quod
cogitat, est sive existit, atqui profecto ipsam potius discit ex eo quod
apud se experiatur fieri non posse ut cogitet nisi existat. Ea cnim cst natura
nostrae mentis ut generales propositiones ex particularium cognitione effor-
Anmerkungen 293

met. (Descartes: <Euvres. Bd 7. 140f) (127J: Wenn wir aber bemerken, daß
wir denkende Dinge sind, so ist das ein gewisser Grundbegriff, der aus kei-
nem Syllogismus geschlossen wird; und auch, wennjemand sagt: »ich denke,
also bin ich, oder existiere ich«, so leitet er nicht die Existenz aus dem
Denken durch einen Syllogismus ab, sondern erkennt etwas »durch sich
selbst Bekanntes« durch I einen einfachen Einblick des Geistes an, wie sich
daraus ergibt, daß, wenn er sie durch einen Syllogismus ableiten sollte, man
vorher den Obersatz erkannt haben müßte: »Alles, was denkt, ist oder exi-
stiert«, während man vielmehr umgekehrt diesen erst daraus gewinnt, daß man
bei sich erfährt, es sei unmöglich, zu denken ohne zu existieren. Denn es ist die
Natur unseres Geistes, daß er die allgemeinen Sätze nur aus der Erkenntnis
des Besonderen bildet.)- Vgl. die verkürzte Übersetzung in W 15.340 (Ms?).
94,746-748 Eine zweite ... existiere ich.«] Vgl. Descartes: Meditationes.
Objectiones quintae. In Appendix, continens objectiones quintas & septimas
in Renati Des-Cartes Meditationes de prima philosophia. Amstelodami 1663.
4: Circa secundam (sc. meditationem), Video te adhuc in ludificatione
perstare, & nihilominus animadvertere, saltem TE ESSE, qui ludi-
ficaris; atque idcirco statuere illud pronunciatum, Ego sum,
Ego existo, quoties a te profertur, vel mente concipitur, esse
verum. Attamen non video tibi opus fuisse tanto apparatu; quando aliunde
certus eras, & verum erat te esse: poterasque idem vel ex quavis alia tua
actione colligere: cum lumine naturali notum sit, quicquid agit, esse. (Des-
cartes: <Euvrcs. Bd 7.258f) (234: Über die zweite Meditation. Ich sehe, Du
beharrst noch in der Annahme, getäuscht zu sein und bemerkst nichts-
destoweniger, daß wenigstens »Du existierst«, da Du getäuscht wirst, und daß
Du deswegen »die Behauptung aufstellst, jener Satz, Ich bin, Ich existiere, so
oft Du ihn aussprichst oder in Gedanken fassest, sei wahr«. / Und doch hät-
test Du nach meiner Auffassung nicht einen so großen Aufwand an Worten
zu machen brauchen, da Du ja schon von anderer Seite her gewiß warst und
es an sich wahr war, daß Du existierst; auch hättest Du denselben Schluß aus
jeder beliebigen anderen Betätigung Deiner selbst ziehen können, da es nach
natürlicher Einsicht bekannt ist, daß, was immer wirkt, auch existiert.)
94,748-749 Daß etwas ... wohl gewußt;] Vgl. Descartes: Meditationes.
Responsio ad quintas objectiones. (Siehe die vorhergehende Anm.) 58: Quam
deinde habes rationem ut dicas non opus fuisse tanto apparatu ad
probandum me existere; Certe ego ex his ipsismet tuis verbis optimam
mihi videor habere rationem judicandi nondum me ibi sads magno apparatu
usum fuisse, quandoquidem efficere nondum potui ut rem recte intelligas:
Cum enim ais me idem potuisse ex quavis alia mea actione colligere, multum
a vero aberras, quia nullius meae actionis orruiino certus sum (nempe certi-
tudine illa Metaphysica, de qua sola hlc quaestio est) praeterquam solius co-
gitationis. Nec licet inferre, exempli causa, ego ambulo, ergo sum, nisi
quatenus ambulandi conscientia cogitatio est, de qua sola haec illatio est
certa, non de motu corporis, qui aliquando nullus est in sornnis, cum tarnen
294 Anhang

etiam mihi videor ambulare; adeo ut ex hoc quod putem me ambulare,


optime inferam existentiam mentis quae hoc putat, non autem corporis quod
ambulet. Atque idem est de caeteris. (Descartes: CEuvres. Bd 7. 352.) (324:
Ferner, welchen Grund hast Du zu sagen, »es hätte nicht eines so großen
Aufwandes an Worten bedurft, um zu beweisen, daß ich existiere«? Tat-
sächlich, gerade aus diesen Deinen Worten glaube ich den besten Grund für
die Auffassung zu haben, daß der Aufwand an Worten, den ich gemacht
habe, noch nicht groß genug gewesen ist, da ich ja noch nicht habe erreichen
können, daß Du die Sache richtig verstehst; denn wenn Du meinst, »ich
hätte aus jeder beliebigen anderen Betätigung meines Ichs denselben Schluß
ziehen können«, irrst Du Dich gewaltig, da ich überhaupt keiner meiner
Betätigungen gewiß bin (natürlich mit jener metaphysischen Gewißheit, von
der hier allein die Rede ist) mit Ausnahme einzig und allein des Denkens. So
darf man z. B. nicht die Folgerung ziehen: »Ich laufe, also bin ich«; höchstens
insofern, als das Bewußtsein des Laufens Denken ist, über das allein diese
Behauptung gewiß ist, nicht aber über die Bewegung des Körpers, die
manclunal, im Traume, gar keine ist, während ich doch auch zu laufen
glaube. Daher kann ich sehr wohl eben deshalb, weil ich zu laufen glaube,
die Existenz des Geistes, der das glaubt, folgern, nicht aber die des Körpers,
der läuft. Genau so ist es in allen übrigen Fällen.)
94,750-765 »Unter ... verbunden.] Siehe Descartes: Principia philosophiae.
Pars I. 2J: IX. Cogitationis nomine intelligo illa omnia, quae nobis consciis
in nobis fi.unt, quatenus eorum in nobis conscientia est: Atque ita non modo
intelligere, velle, imaginari, sed etiam sentire, idem est hic quod cogitare.
Nam si dicam, ego video, vel ego ambulo, ergo sum; & hoc intelligam de
visione, aut ambulatione, quae corpore peragitur: conclusio non est absolute
certa; quia, ut saepe fit in somnis, possum putare me videre, vel ambulare,
quamvis oculos non apelriam, & loco non movear, atque etiam forte, quam-
vis nullum habeam corpus; Sed si intelligam de ipso sensu, sive conscientia
videndi aut ambulandi, quia tune refertur ad mentem, quae sola sentit, sive
cogitat, se videre aut ambulare, est plane certa. (Descartes: CEuvres. Bd 8,1.
7J.) (3: 9. Unter Denken verstehe ich alles, was derart in uns geschieht, daß
wir uns seiner unmittelbar aus uns selbst bewußt sind. Deshalb gehört nicht
bloß das Einsehen, Wollen, Einbilden, sondern auch das Wahrnehmen hier
zum Denken. Denn wenn ich sage: »Ich sehe, oder: ich gehe, also bin ich,«
und ich dies von dem Sehen oder Gehen, das vermittels des Körpers erfolgt,
verstehe, so ist der Schluß nicht durchaus sicher; denn ich kann glauben, ich
sähe oder ginge, obgleich ich die Augen nicht öffue und mich nicht von der
Stelle bewege, wie dies in den Träumen oft vorkommt; ja, dies könnte ge-
schehen, ohne daß ich überhaupt einen Körper hätte. Verstehe ich es aber
von der Wahrnehmung selbst oder von dem Bewußtsein meines Sehens oder
Gehens, so ist die Folgerung ganz sicher, weil es dann auf den Geist bezogen
wird, der allein wahrnimmt oder denkt, er sähe oder ginge.)- Vgl. W 15.
341f(Ms?).
Anmerkungen 295

95,795-96,802 Das Bewußtsein ... ihm sei.] Siehe Descartes: Principia


philosophiae. Pars I. Jf: XIII. Cum autem mens, quae se ipsam novit, & de
aliis ornnibus rebus I adhuc dubitat, undiquaque circumspicit, ut cognitio-
nem suam ulterius extendat; primo quidem invenit apud se multarum rerum
ideas, quas quamdiu tantum contemplatur, nihilque ipsis simile extra se esse
affirmat nec negat, falli non potest. (Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 9.) (4f: 13.
Wenn nun der Geist, der zwar sich selbst erkannt hat, an allem anderen aber
noch zweifelt, rings I umherschaut, um seine Kenntnisse auszudehnen, so
fmdet er zwar zunächst in sich die Ideen von vielen Dingen; aber solange er
nur diese Ideen betrachtet, ohne zu behaupten oder zu leugnen, daß etwas
ihnen ähnliches außerhalb ihrer bestehe, kann er nicht irren.)- Vgl. W 15.345
(Ms?).
96,803-809 Unter ... ist.] Siehe Descartes: Principia philosophiae. Pars 1.4:
XIV. Considerans deinde inter diversas ideas, quas apud se habet, unam esse
entis summe intelligentis, summe potentis & summe perfecti, quae omnium
Ionge praecipua est; agnoscit in ipsa existentiam, non possibilem & con-
tingentem tantum, quemadmodum in ideis aliarum ornnium rerum, quas
distincte percipit, sed ornnino necessariam & aeternam. Atque ut ex eo quod,
exempli causa, percipiat in idea trianguli necessario contineri, tres ejus angu-
los aequales esse duobus rectis, plane sibi persuadet, triangulum tres angulos
habere aequales duobus rectis; ita ex eo solo, quod percipiat, existentiam
necessariam & aeternam in entis summe perfecti idea contineri, plane con-
dudere debet, ens summe perfeeturn existere (Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 10.)
(5: 14. Wenn der Geist dann unter seinen verschiedenen Ideen die eines all-
weisen, allmächtigen und höchst vollkommenen Wesens betrachtet, welche
bei weitem die vornehmste ist, so erkennt er darin dessen Dasein nicht bloß
als möglich oder zufällig, wie bei den Ideen anderer Dinge, die er distinkt
erfaßt, sondern als durchaus notwendig und ewig. So wie z. B. der Geist bei
der Idee eines Dreiecks es als notwendig darin enthalten erkennt, daß seine
drei Winkel gleich zwei rechten sind und deshalb überzeugt ist, daß ein
Dreieck drei Winkel hat, die gleich zwei rechten sind, so muß er lediglich
daraus, daß er einsieht, daß in der Idee eines höchst vollkommenen Wesens
das notwendige und ewige Dasein enthalten ist, folgern, daß das höchst voll-
kommene Wesen existiert.)- Vgl. W 15.346f(Ms?).
96,812-813 Dies ist ... das Vollkommenste.] Siehe vorliegenden Band, Anm.
zu 34,49-58.
97,833-836 »Dieser Begriff ... Wahrheit.«] Siehe Descartes: Principia
philosophiae. Pars 1.5: XVIII. ... Et quia summas perfectiones illas, quarum
ideam habemus, nulle modo in nobis reperimus, ex hoc ipso recte concludi-
mus, eas in aliquo anobis diverse, nempe in Deo, esse; ... eben da 4: XV. Magis-
que hoc (sc. ens summe perfeeturn existere) credet (sc. mens), si attendat, nullius
alterius rei ideam apud se inveniri, in qua eodem modo necessariam existen-
tiam contineri animadvertat. Ex hoc enim intelliget, istam ideam entis sum-
me perfecti non esse a se effictam, nec exhibere chimaericam quandam, sed
296 Anhang

veram & immutabilem naturam ... (Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 12 bzw. 10.)
(7: 18 .... Da wir nun jene höchsten Vollkommenheiten, deren Idee wir
haben, auf keineWeise in uns antreffen, so folgern wir daraus mit Recht, daß
sie in einem von uns verschiedenen Wesen, nämlich in Gott, vorhanden sein
... müssen ... Ebenda 5f 15. Er (sc. der Geist) wird um so mehr davon (sc.
von der Existenz des h&hst vollkommenen Wesens) überzeugt sein, wenn er
beachtet, daß in keiner anderen von seinen Ideen dieses notwendige Dasein
in derselben Weise I enthalten ist; denn er wird daraus ersehen, daß diese
Idee eines höchst vollkommenen Wesens nicht von ihm selbst gebildet ist
und keine chimärische, sondern eine wahre und unveränderliche Natur dar-
stellt .. .)- Vgl. W 15.351 (Ms?).- Der von Hege/ hier in freier Paraphrase
gebrauchte Ausdruck ewige Wahrheit ist in Descartes Text an dieser Stelle nicht
belegt; zu Descartes' Unterscheidung zwischen res und veritates aeternae siehe
vorliegenden Band, Anm. zu 98,869-872.
97,836-838 In ganz ... Gott ist.] Hege/ spielt insbesondere auf Jacobi an;
siehe vorliegenden Band 167 sowie 172-179.
97,838-841 Cartesius sagt ... Fähigkeit geht.«] Siehe Descartes: Principia
philosophiae. Pars I. 7: XXV. ( Argumentum: Credenda esse ornnia quae a
Deo revelata sunt, quamvis captum nostrum excedant.) ... Nec ullo modo
mirabimur, multa esse, turn in immensa ejus natura, turn etiam in rebus ab
eo creatis, quae captum nostrum excedant. (Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 14.)
(9: 25. [Alles, was von Gott geoffenbart ist, müssen wir glauben, auch wenn
es unsere Fassungskraft überschreitet.] . . . und wir werden uns durchaus
nicht wundern, daß vieles teils in seiner eigenen unermeßlichen Natur, teils
in den von ihm geschaffenen Dingen unsere Fassungskraft überschreitet.) -
Vgl. W 15.352 (Ms?).
97,842-844 »Deswegen ... vereinen.«] Siehe Descartes: Principia philoso-
phiae. Pars I. 7: XXVI. Ita nullis unquam fatigabimur disputationibus de
infmito: Nam sane cum simus fmiti, absurdum esset nos aliquid de ipso
determinare, atque sie illud quasi fmire ac comprehendere conari. . .. Eben da
11: XLI. (Argumentum: Quomodo arbitrii nostri libertas & Dei praeordinatio
simul concilientur.) Illis vero nos expediemus, si recordemur, mentem nost-
ramesse fmitam; Dei autem potentiam, per quam non tantum ornnia, quae
sunt aut esse possunt, ab aeterno praescivit, sed etiam voluit ac praeordinavit,
esse infinitam: ... (Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 14 bzw. 20.) (9: 26. Wir
werden deshalb uns nicht mit Streitigkeiten über das Unendliche ermüden;
denn bei unserer eigenen Endlichkeit wäre es verkehrt, wenn wir versuchten,
etwas darüber zu bestimmen und es so gleichsam endlich und begreiflich zu
machen.... Ebenda 14: 41. [Auf welche Weise die Freiheit unserer Willkür
und die Vorausanordnung Gottes zugleich vereint werden.] Aus diesen
Schwierigkeiten können wir uns befreien, wenn wir bedenken, daß unser
Geist endlich ist, Gottes Macht aber, durch welche er alles, was ist oder sein
kann, nicht bloß von Ewigkeit vorausgewußt, sondern auch gewollt und im
voraus angeordnet hat, unendlich.)- Vgl. W 15.352 (Ms?).
Anmerkungen 297

97,845-850 Das erste ... gegeben.] Siehe Descartes: Principia philosophiae.


Pars I. 8: XXIX. Primum Dei attributum quod hic venit in consideratio-
nem, est, quod sit summe verax & dator omnis luminis; adeo ut plane re-
pugnet ut nos fallat, ... nunquam certe fallendi voluntas nisi ex malitia vcl
metu & imbecillitate procedit, nec proinde in Deum cadere potest. f XXX.
Atque hinc sequitur, Iumen naturae, sive cognoscendi facultatem aDeo nobis
datam, nullam unquam objectum possc attingere, quod non sit verum,
quatenus ab ipsa attingitur, hoc est, quatenus clare & distincte percipitur....
(Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 16.) (10J: 29. Das erste Attribut Gottes, das hier
in Betracht kommt, ist, daß er im höchsten Grade wahrhaft und Geber allen
Lichtes ist. Er kann uns deshalb nicht betrügen ... so geht doch der Wille zu
täuschen nur aus Bosheit, Furcht und Schwäche hervor und kann daher Gott
nicht zugeschrieben werden. /I 30. Daraus folgt, daß das natürliche Licht
oder das von Gott uns verliehene Erkenntnisvermögen, niemals einen
Gegenstand erfassen kann, der nicht, soweit er erfaßt wird, d. h. soweit er
klar und deutlich erkannt ist, wahr wäre.)- Vgl. W 15.352f(Ms?).
97,854-855 Dies werden ... ausgedrückt sehen.] Siehe vorliegenden Band
114{.
98,S69-872 Descartes ... gemacht sind.] Siehe Descartes: Principia philo-
sophiae. Pars !.12: XLVIII. Quaecunque sub perceptionem nostram cadunt,
vcl tanquam res, rerumve affectiones quasdam consideramus; vcl tanquam
aetemas veritates, nullam existentiam extra cogitationem nostram habentes.
. . . (Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 22.) (16: 48. Alles von uns Vorgestellte be-
trachten wir entweder als Ding oder als Eigenschaft eines Dinges oder als
eine ewige Wahrheit, die keine Existenz außerhalb unseresDenkens hat ... .)
-Hege/ identifiziert hier ausdrücklich ewige Wahrheiten und eingeborene Ideen
(ideae innatae). Er berücksichtigt also nicht die Definition der Idee, die Descartes
in der dritten Meditation gibt; siehe Descartes: Meditationes. 16: Quaedam ex
his [cogitationibus meis] tanquam rerum imagines surrt, quibus solis proprie
convenit ideae nomen ... (Descartes: CEuvres. Bd 7.37.) (65: Einige davon
(sc. von meinen Gedanken) sind gleichsam Bilder der Dinge und nur diesen
kommt eigentlich der Name ~Vorstellung« zu .. .). Andererseits scheint Hege/
gerade auf die dritte Meditation anzuspielen, indem er die ideae innatae als Wahr-
heiten bezeichnet, die nicht von uns gemacht seien; siehe hierzu Descartes: Medi-
tationes. 17: Ex his autem ideis aliae innatae, aliae adventitiae, aliae ame ipso
factae mihi videntur: ... (Descartes: CEuvres. Bd 7.37f.) (67: 7. Von diesen
Vorstellungen aber, scheint es, sind die einen mir angeboren, andere erwor-
ben, wieder andere von mir selbst gemacht.) - Zu Descartes' Verständnis der
angeborenen Ideen siehe insbesondere die Jünjie Meditation; Meditationes. 31:
Quodque hic maxime considerandum puto, invenio apud me innumeras
ideas quarundam rerum, quae etiamsi extra me fortasse nullibi existant, non
tarnen dici possunt nihil esse; & quamvis a me quodammodo ad arbitrium
cogitentur, non tarnen a me fmguntur, sed suas habent veras & immutabiles
naturas: ... (Descartes: CEuvres. Bd 7.64.) (117: 5. Hierbei verdient nun
298 Anhang

meiner Meinung nach die höchste Beachtung, daß ich bei mir unzählige
Vorstellungen fmde von gewissen Dingen, von denen man, wenngleich sie
vielleicht nirgendwo existieren, dennoch nicht sagen kann, sie seien nichts.
Und wenngleich ich sie gewissermaßen willkürlich denke, so erfmde ich sie
dennoch nicht, vielmehr haben sie ihre wahrhaften und unveränderlichen
Naturen.)
98,872-873 Dieser Ausdruck ... gebräuchlich;] Hege! könnte sich hier auf
Spinoza, Malebranche und Leibniz beziehen; das Thema der ewigen Wahrheiten
wird von ihm insbesondere im Kapitel über john Locke wieder aufgenommen; siehe
vorliegenden Band, Anm. zu 119,485-494.
98,873-876 >ewige Wahrheiten ... angeboren sind.] Siehe Descartes:
Principia philosophiae. Pars I. 13: XLIX.... Cum autem agnoscimus, fieri
non posse, ut ex nihilo aliquid fiat, tune propositio haec, Ex nihilo nihil fit,
non tanquam res aliqua existens, neque etiam ut rei modus consideratur, sed
ut veritas quaedam aetema, quae in mente nostra sedem habet, vocaturque
communis notio, sive axioma. Cujus generis sunt: lmpossibile est; idem
simul esse & non esse ... (Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 23-24.) (17: 49 ....
Wenn wir aber anerkennen, daß unmöglich aus Nichts Etwas werden kann,
dann gilt der Satz: Aus Nichts wird Nichts, nicht als ein existierendes Ding
und auch nicht als Zustand eines Dinges, sondern als eine ewige Wahrheit,
welche in unserem Geiste ihren Sitz hat und ein Gemeinbegriff oder ein
Axiom genannt wird. Von dieser Art sind die Sätze: Es ist unmöglich, daß
dasselbe zugleich ist und nicht ist; .. .) - Vgl. W 15.357 (Ms?).- Zu Hegels
Identifizierung der angeborenen Ideen und der ewigen Wahrheiten siehe die vor-
letzte Anm.
98,882-884 Was nun ... Ordnung usf.] Siehe Descartes: Principia philoso-
phiae. Pars I. 12: XLVIII. ... Ex iis quae tanquam res consideramus, maxi-
me generalia surrt substantia, duratio, ordo, numerus, & si quae alia sunt
ejusmodi, quae ad omnia generarerum se extendunt. (Descartes: CEuvres. Bd
8,1. 22f.) (16: 48 .... Von dem, was wir als Dinge annehmen, sind die allge-
meinsten die Substanz, die Dauer, die Ordnung, die Zahl und was sonst noch
sich auf alle Arten von Dingen erstreckt.)- Vgl. W 15.357 (Ms?).
98,884-885 von diesen ... Defmitionen.J Siehe die Definitionen der Substanz
bzw. der Dauer, Ordnung und Zahl in Descartes: Principia philosophiae. Pars
I.14f. Abschnitte LI bzw. LV. (Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 24. 26.)- Zu den
Definitionen selbst siehe die folgenden Anm.
98,888-99,900 Er definiert ... genannt werden.] Siehe Descartes: Principia
philosophiae. Pars !.14: LI. ... Per substantiam nihil aliud irrteiligere pos-
sumus, quam rem quae ita existit, ut nulla alia re indigeat ad existendum. Et
quidem substantia quae nulla plane re indigeat, unica tantum potest intelligi,
nempe Deus. Alias vero ornnes non nisi ope concursus Dei existere posse
percipimus. Atque ideo nomen substantiae non convenit Deo & illis uni-
voce, ut dici solet in Scholis, hoc est, nulla ejus nominis significatio potest
distincte intelligi, quae Deo & creaturis sit communis. (Descartes: <Euvres.
Anmerkungen 299

Bd 8,1. 24.) (17J: 51. ... Unter Substanz können wir nur ein Ding ver-
stehen, das so existiert, daß es zu seiner Existenz keines anderen Dinges be-
darf; und eine Substanz, die durchaus keines anderen Dinges bedarf, kann
man nur als eine einzige denken, d. h. als Gott. Alle anderen aber können,
wie wir einsehen, nur mit Gottes Beistand existieren. Deshalb gebührt der
Name Substanz Gott und den übrigen I Dingen nicht in gleichem Sinne,
univoce, wie man in den Schulen sagt, d. h. es gibt keine deutlich einzu-
sehende Bedeutung dieses Wortes, welche Gott und den Geschöpfen ge-
meinsam wäre.)- Vgl. W 15.357j(Ms?).- Zu Spinozas Definition der Sub-
stanz, die Hege/ hier mit der Garfesischen gleichsetzt, siehe vorliegenden Band
104,60-63 sowie 106,130-133 mit Anm.
99,901 Jetzt ... realis.] Siehe Descartes: Principia philosophiae. Pars I. 16:
LX. Numerus autem in ipsis rebus oritur ab earum distinctione: quae
distinctio triplex est, realis, modalis & rationis. Realis proprie tantum est
inter duas vel plures substantias: Et has percipimus a se mutuo realiter esse
distinctas, ex hoc solo, quod unam absque altera clare & distincte intelligere
possimus. Deum enim agnoscentes, certi sumus, ipsum posse efficere, quic-
quid distincte intelligimus; ... (Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 28.) (21: 60. Die
Zahl in den Dingen selbst entsteht aus deren Unterschied, welcher drei-
fach ist: der reale, der modale und der der Beziehung. Ein realer Unter-
schied besteht eigentlich nur bei zwei oder mehr Substanzen, und wir erken-
nen, daß diese real von einander unterschieden sind, bloß weil wir die eine
ohne die andere klar und deutlich einsehen können. Denn durch die Kennt-
nis Gottes sind wir sicher, daß er all das bewirken kann, was wir klar ein-
sehen.)
99,902-903 Es gibt ... beziehen.] Siehe Descartes: Principia philosophiae.
Pars I. 12J: XLVIII. ... Non autem plura quam duo summa generarerum
agnosco; unum est rerum intellelctualium sive cogitativarum, hoc est, ad
mentem sive ad substantiam cogitantem pertinentium; aliud rerum materia-
lium, sive quae pertinent ad substantiam extensam, hoc est, ad corpus. (De-
scartes: CEuvres. Bd 8,1. 23.) (16: 48 .... Ich erkenne aber nur zwei oberste
Gattungen von Dingen an: die der geistigen oder denkenden Dinge, d. h.
die, welche zum Geiste oder zur denkenden Substanz gehören, und die der
körperlichen Dinge oder der zur ausgedehnten Substanz, d. h. zum Körper
gehörenden.)- Vgl. W 15.358 (Ms?).
99,909-912 diese beiden ... bedüden.] Siehe Descartes: Principia philoso-
phiae. Pars I. 14: LII. Possunt autem substantia corporea, & mens, sive sub-
stantia cogitans, creata, sub hoc communi conceptu intelligi; quod sint res,
quae solo Dei concursu egent ad existendum. (Descartes: CEuvres. Bd 8,1.
24f.) (18: 52. Dagegen kann man die körperliche Substanz und den Geist
oder die denkende Substanz, als geschaffen, unter einem gemeinsamen Be-
griff fassen, weil sie Dinge sind, die bloß Gottes Beistand zu ihrem Dasein
bedüden.)- Vgl. W 15. 358 (Ms?).
99,915-917 jedes ... [die Rede].)] Hegels Darstellung der Garfesischen Posi-
300 Anhang

tion ist hier wieder deutlich durch seine Sicht Spinozas geprägt; siehe vorliegenden
Band 106-108, insbesondere zu Spinozas Definitionen des Endlichen sowie des
Denkensund der Ausdehnung als zweier Attribute, deren jedes für sich die ganze
Totalität ist.
99,922-926 Die Substanz ... ausgedehnt.] Siehe Descartes: Principia philo-
sophiae. Pars 1.14: LIII. Et quidem ex quolibet attributo substantia cogno-
scitur: sed una tarnen est cujusque substantiae praecipua proprietas, quae
ipsius naturam essentiamque constituit, & ad quam aliae omnes referuntur.
Nempe extensio in longum, latum & profundum, substantiae corporeae
naturam constituit; & cogitatio constituit naturam substantiae cogitantis.
Nam omne aliud quod corpori tribui potest, extensionem praesupponit,
estque tantum modus quidam rei extensae; ut & omnia, quaein mente re-
perimus, sunt tantum diversi modi cogitandi. Sie exempli causa, figura
nonnisi in re extensa potest intelligi, nec motus nisi in spatio extenso; nec
imaginatio, vel sensus, vel voluntas, nisi in re cogitante. Sed c contra potest
intelligi extensio sine figura vel motu, & cogitatio sine imaginatione, vel
sensu, & ita de reliquis: ut cuilibet attendenti fit manifestum. (Descartes:
CEuvres. Bd 8,1. 25.) (18: 53. Nun wird allerdings aus jedem Attribut die
Substanz erkannt, aber es gibt doch für jede Substanz eine vorzügliche
Eigenschaft, welche ihre Natur und ihr Wesen ausmacht, und auf die sich
alle anderen beziehen. So bildet die Ausdehnung in die Länge, Breite und
Tiefe die Natur der körperlichen Substanz, und das Denken macht die Natur
der denkenden Substanz aus. Denn alles, was sonst dem Körper zugeteilt
werden kann, setzt die Ausdehnung voraus und ist nur ein Zustand der aus-
gedehnten Sache; ebenso ist alles, was man im Geiste antrifft, nur ein be-
sonderer Zustand des Denkens. So kann z. B. die Gestalt nur an einer ausge-
dehnten Sache vorgestellt werden; ebenso die Bewegung nur in einem aus-
gedehnten Raume; ebenso das Einbilden, das Wahrnehmen und der Wille
nur in einem denkenden Dinge. Dagegen kann die Ausdehnung ohne Gestalt
tmd Bewegung vorgestellt werden, und das Denken ohne Einbilden oder
Wahrnehmen; dasselbe gilt für das übrige, wie jedem Aufmerksamen klar
ist.)- Vgl. W 15.359 (Ms?).
99,927 Was ... erfaßt] Die Formulierung, die Hege/ hier zur Darstellung
Descartes' gebraucht, erinnert an seine Darstellung Spinozas, siehe vorliegenden
Band 106,134-135.
100,928-929 tmd ... Bewegung] Diese Darstellung entspricht nicht der Car-
tesischen Position. Descartes setzt vielmehr Ausdehnung und Materie in eins und
unterscheidet als deren Bestimmungen Gestalt und Bewegung (siehe die vorletzte
Anm.). - Zur Definition der Materie siehe ferner Descartes: Principia philoso-
phiae. Pars 1!.25: IV. Quod agentes, percipiemus, naturam materiae, sive
corporis in universum spectati, non consistere in eo quod sit res dura, vel
ponderosa, vel colorata, vel alio aliquo modo sensus afficiens; sed tantum in
eo, quod sit res extensa in longum, latum & profundum. Zur Definition der
Bewegung siehe Descartes: Principia philosophiae. Pars II.32: XXIV. Motus
Anmerkungen 301

autem, (scilicet localis. neque enim ullus alius sub cogitationem meam cadit;
nec ideo etiam ullum alium in rerum natura fmgendum puto) motus, in-
quam, ut vulgo sumitur, nihil aliud est quam actio, qua corpus aliquod
ex uno loco in alium migrat. (Descartes: <Euvres. Bd 8,1. 42 bzw. 53.)
(32: 4. Wir werden dann erkennen, daß die Natur der Materie oder des
Körpers überhaupt nicht in Härte, Gewicht, Farbe oder einer anderen sinn-
lichen Eigenschaft besteht, sondern nur in seiner Ausdehnung in die Länge,
Breite und Tiefe. bzw. 41f: 24. Die Bewegung (nämlich die örtliche, denn
eine andere kann ich mir nicht denken und deshalb auch in I der natürlichen
Welt nicht annehmen), also die Bewegung, sage ich, ist im gewöhnlichen
Sinne nur eine Tätigkeit, wodurch ein Körper aus einem Ort an
einen anderen übergeht.)
100,930-933 Nach ... Ausdehnung.] Zur Ausdehnung als der Natur der
körperlichen Substanz siehe die letzte und die drittletzte Anm. - Eine explizite
Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten findet sich nicht bei Descartes,
sondern bei Locke (siehe vorliegenden Band 120,516-523). Sie steht dort jedoch in
einer unmittelbar Garfesischen Tradition: Locke hat sie Boyle entnommen. Er uuter-
scheidet im Geiste des Cartesianismus von den geometrischen oder mechanischen
Qualitäten, die wir als solche adäquat erkennen, diejenigen Qualitäten, die sich
zwar auf die erstgenannten zurüc~(ühren lassen, die wir aber durch unsere Sinne in
ganz anderer Weise wahrnehmen. - Die sekundären Qualitäten können also stets
nur Modi der ausgedehnten Substanz sein, doch gehö"ren viele Modi bereits zu den
primären Qualitäten. - Zu Cartesius' Unterscheidung von modi, attributa rmd
qualitates siehe seine Principia philosophiae. Pars 1.15. §LVI.
100,933-934 Descartes ... erschaffen.«] Dieses vermeintliche Zitat dürjte zu-
rückgehen aufBuhle: Geschichte. Bd 3, Abt. 1.9: Gebt mir Materie und Be-
wegung und ich will Euch Welten bauen. - Buhle überträgt den berühmten
Aphorismus des Archimedes auf Descartes' Naturphilosophie. Descartes selbst hatte
ihn auf sein Cogito bezogen; siehe seine Meditationes. I/.9: Nihil nisi punctum
petebat Archimedes, quod esset firmum & immobile, ut irrtegram tcrram
loco dimoveret; magna quoque speranda sunt, si vel minimum quid in-
venero quod certum sit & inconcussum. (Descartes: <Euvres. Bd 7.24.) (43:
Nichts als einen festen und unbeweglichen Punkt verlangte Archimedes, um
die ganze Erde von ihrer Stelle zu bewegen, und so darf auch ich Großes
hoffen, wenn ich nur das geringste fmde, das sicher und unerschütterlich ist.)-
Zur Funktion von Materie und Bewegung bei der Schöpfung siehe Descartes:
Principia philosophiae. Pars III. Insbesondere 65: XLVI. ... Itaque si placct,
supponemus, ornnem illam materiam, ex qua hic mundus adspectabilis est
compositus, fuisse initio a Deo divisam in partienlas quam proxime inter SC
aequales, & magnitudine mediocres, sive medias inter illas omnes, cx quibus
jam cocli atque astra componuntur easquc omnes tantundem motus in sc
habuisse quantum jam in mundo reperitur; & aequaliter fuisse mutuo, ita ut
corpus fluidum componerent, quale coelum esse putamus, tum etiam plurcs
simul, circa alia quaedam puncta aequa a se mutuo rcmota, & eodem modo
302 Anhang

disposita, ac jam sunt, centra fixarum; nec non etiam circa alia aliquante
plura, quae aequent numerum planetarum. (Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 101.)
(82: Wir wollen deshalb annehmen, daß die ganze Materie, aus der die sicht-
bare Welt besteht, im Anfange von Gott in möglichst gleiche Teilchen von
mittlerer Größe geteilt worden ist, d. h. welche die Mitte zwischen denen
hielten, aus denen jetzt der Himmel und die Gestirne bestehen; daß sie alle
zusammen so viel Bewegung in sich gehabt haben, als jetzt in der Welt vor-
handen ist, und daß sie gleiche Bewegung gehabt haben, sowohl die einzel-
nen um ihre eigenen Mittelpunkte und voneinander getrennt, so daß sie den
flüssigen Körper bildeten, wie wir den Himmel vorstellen, wie auch mehrere
zusammen eine Bewegung um bestimmte andere Punkte, die in der gegen-
seitigen Entfernung so verteilt waren, wie es jetzt die Mittelpunkte der Fix-
sterne sind; endlich auch noch eine Bewegung um einige andere Punkte, die
der Zahl der Planeten gleich sind.)
100,936-943 Ferner ... erklären.] Dieser Vorwurf der mechanischen Betrach-
tungsweise des Lebens berücksichtigt nicht Descartes' Darstellung des menschlichen
Empfindungs- und Begehrungsvermögens, insbesondere dessen Lehre von der Ver-
bindung (unio, permixtio, compositio) der Seele und des Körpers, wie sie in der
Meditatio VI. entwickelt ist; siehe auch vorliegenden Band, Anm. zu 101,982-
983.
100,948-952 Von ... kommt.] Hege! gibt einen sehr gera.fJten Überblick über
die fernere Thematik der Principia philosophiae. Den Übergang von der Meta-
physik zur Mechanik bildet der Übergang vom ersten Teil der Principia philoso-
phiae (De principiis cognitionis humanae) zum zweiten Teil (De principiis
materialium), d. h. der Lehre von der ausgedehnten Substanz (res extensa) und
mechanischen, lokalen Bewegung (motus localis). Das Weltsystem stellt Descartes
dar im dritten Teil der Principia philosophiae (De Mundo aspectabili). Dort
handelt er auch über die Bewegung der himmlischen Kifrper (§§ 14-41) sowie über
die Wirbel und die Bewegung der Gestirne(§§ 46ff). Die Lehre von den Wirbeln
steht in Zusammenhang mit der Antiahme von Poren und Partikeln. Aus der
(wegen der Identität von Materie und Ausdehnung) den gesamten Raum ausfüllen-
den Materie entstehen durch die Wirbelbewegung zunächst Teilchen in Kugelge-
stalt, zwischen denett also ein leerer Raum angenommen werden müßte: 66J:
XLIX. Cum autem nullibi spatia ornni corpore vacua esse possint, cumque
rotundae illae materiae particulae, simul junctae, perexigua quaedam inter-
valla circa se reliquant, necesse est, ista intervalla quibusdam aliis materiae
ramentis minutissimis, figuras ad ipsa implenda aptas habentibus, easque pro
ratione loci occupandi perpetuo mutantibus, impleri. Nempe dum earum
materiae particularum, quae fiunt rotundae, anguli paulatim atteruntur, id
quod ex ipsis eraditur adeo est minutum, & tantam celeritatem acquirit, ut
sola vi sui motus in ramenta innumerabilia dividatur, sicque impleat omnes
angulos, quos aliae materiae particulae subingredi non possunt./1 L. Notan-
dum enim est, quo minora sunt ista particularum aliarum ramenta, eo facilius
moveri atque in alia adhuc minutiora comminui posse: Quia quo minora, eo
Anmerkungen 303

plus habent superficiei, pro ratione suae molis: & occurrunt aliis corporibus
secundum superficiem; dividuntur vero secundum molem. (Descartes:
CEuvres. Bd 8,1. 104) (84: 49. Da es aber keine durchaus leeren Räume geben
kann und diese runden Stoffteilchen miteinander verbunden waren, so wer-
den sie keine Zwischenräume behalten haben, und diese mußten also von
anderen, ganz kleinen Abgängen des Stoffes, welche die zur Ausfüllung
nötige Gestalt hatten und diese nach Verhältnis der auszufüllenden Raum-
stelle fortwährend wechselten, ausgefüllt werden. Während nämlich die
Stoffteilchen, welche rund werden, ihre Ecken allmählich abreiben, ist das
davon Abgeriebene so klein und erlangt eine solche Geschwindigkeit, daß es
durch die bloße Kraft seiner Bewegung in unzählige Stückehen sich trennt
und so alle Lücken ausfüllt, wohin die anderen Stoffteilchen nicht eindringen
können. / 50. Denn man muß daran festhalten, daß, je kleiner die Abgänge
der Teilchen sind, sie um so leichter sich bewegen und in noch kleinere sich
trennen können. Denn je kleiner sie sind, desto größer ist ihre Oberfläche im
Verhältnis zur Masse; und sie begegnen anderen Körpern nach dem Ver-
hältnis ihrer Oberfläche und teilen sich nach dem ihrer Masse.) - Die hier
erwähnten kleinen Zwischenräume sind an späterer Stelle ausdrücklich als Poren
bezeichnet; siehe Principia philosophiae. Pars III. 102: CV. Sit, exempli
causa, sidus I circumquaque teeturn macula defg, quae non potest esse tam
densa, quin poros sive meatus habeat permultos, per quos ornnis materia
prirni elementi, etiam illa quae constat particulis striatis supra descriptis,
transire possit. Cum enim in principio suae generationis fuerit mollissima &
rarissima, tales pori facile in ipsa formati surrt; cumque postea densabatur,
particulae istae striatae, aliaeque primi elementi, continuo per illos transeun-
do, non perrniserunt ut plane clauderentur; sed tantum eo usque angustati
sunt, ut nullae materiae particulae, striatis primi elementi crassiores, viam per
ipsos habere possint; ac etiam ut ii meatus, qui partienlas striatas ab uno polo
venientes admittunt, non aptae sirrt ad easdem, si regrederentur, nec etiam ad
illas quae veniunt ab alio polo, & contrario modo surrt intortae, rapiendas
(sic!,Jälschlichfür recipiendas). (Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 15Jf) (11ij: 105.
Es sei z. B. der Stern J ringsum von dem Flecken d e f g bedeckt, der nicht so
dicht sein kann, daß nicht in seinen Poren viele Gänge blieben, durch die alle
Materie ersten Elements, einschließlich der oben beschriebenen gerieften
Teilchen, hindurchgehen könnte. Denn bei seiner Erzeugung war er ganz
weich und dünn, und da konnten sich solche Poren leicht bilden, und als er
später sich verdichtete, hinderten jene gerieften Teilchen und die I übrigen
ersten Elements durch ihren fortwährenden Durchgang ihr völliges Zu-
sammenfließen; vielmehr rückten sie nur so nahe zusammen, daß keine Stoff-
teilchen, die größer als die gerieften des ersten Elements waren, hindurch-
konnten, und daß die Gänge, welche die von einem Pol kommenden ge-
rieften Teilchen einließen, sie nachher _!!icht mehr zurückließen und auch die
von dem anderen Pol kommenden umgekehrt gerieften nicht aufnahmen.) -
Zu Descartes' Auiführungen über die Bildung der Sonne siehe seine Principia phi-
304 Anhang

losophiae. Pars III. §§ 20-23,32 und insbesondere§ 54: (LIV. Quomodo Sol
& Fixae formatae sint.) sowie § 72ff (LXXII. Quomodo moveatur materia,
quae Solem componit.) - Über die Erde siehe eben da u. a. §§ 14-41, 26,
28-29; 33, 38-40, 150 sowie Principia philosophiae. Pars IV: De Terra.- Zur
Erwähnung von Salpeter und Schießpulver siehe die Betrachtung der Natur des
Feuers in Principia philosophiae. Pars IV. 178-180 (§§ 109-115), insbesondere
178: CIX. Nihil vero celerius ignem concipit, nec minus diu illum conservat,
quam pulvis tormentarius, ex sulphure, nitro, & carbone confectus (Descar-
tes: CEuvres. Bd 8,1. 263.) (195: 109. Nichts fängt schneller Feuer und behält
es kürzere Zeit als aus Schwefel, Salpeter und Kohle hergestelltes Schieß-
pulver.)
101,960-961 Auf ... an.] Diese - nur von He überliiferte - Formulierung li{ßt
unentschieden, ob Hege/ nicht nur die cartesianische Tradition (Spinoza, Malebran-
che, Leibniz uif.), sondern auch die sonst als Empiristen Bezeichneten (wie Locke
und Newton) als Vertreter einer denkenden Mechanik verstandeil hat.
101,961-964 Professor Cousin ... Art.] Siehe hierzu die Bibliographie der
Quellen zur Geschichte der Philosophie. - Von Cousins Ausgabe waren etwa
zu Beginn des Kollegs 1825/26 erst neun Bände erschienett; die Bände 10 und 11
erschienen in den Jahren 1825 und 1826.
101,964-968 Der erste ... gekommen.] Diese beiden Sätze vermischen den
Aufbau der Principia philosophiae und des Gesamtwerks des Descartes. Die für
den ersten und zweiten Teil genannten Titel De principiis cognitionis humanae
bzw. De principiis rerum naturalium (richtig: materialium) bezeichnen den
ersten bzw. zweiten Teil der Principiae philosophiae. Aber nicht nur dieser
zweite, sondern auch der dritte und vierte Teil der Principia (De Mundo aspecta-
bili bzw. De Terra) bilden Teile der Garfesischen Physik. Die Rede von einem
dritten, ethischen Teil bezieht sich deshalb a"!f einett Plan des Gesamtwerks, wie
ihn Descartes im Briefan den Jranzö"sischen Übersetzer der Principia philosophiae
entwirft; siehe Epistola Authoris ad Principiorum Philosophiae Interpretem
Gallicum. Quae hlc Praefationis loco esse potest. Dort he!ßt es - im Zusatlt-
menhang eines Hinweises für denjenigen, der sich um das Studium der Philosophie
bemüht und bereits mit Logik beschiiftigt hat (Bogen*** 1b-2a): Et postquam in
veritate harum quaestionum detegenda facilitatem aliquam sibi acquisivit,
serio applicare se debet verae Philosophiae, cttius prima pars Metaphysica est,
ubi continentur Principia cognitionis, inter quae occurrit explicatio praeci-
puorum Dei attributorum, immaterialitatis animarum nostrarum, nec non
onmium clararum & simplicium notionum quae in nobis reperiuntur. /
Altera pars est Physica, in qua inventis veris rerum materialium Principiis,
generatim examinatur quomodo totum Vniversum sit compositum, deinde
speciatim quaenam sit natura hujus terrae, omniumque corporum quae ut
plurimum circa eam inveniri solent, ut aeris, aquae, ignis, magnetis, & alio-
rum mineralium. Deinceps quoque singulatim naturam plantarum, anima-
lium, & praecipue hominis examinare debet, ut ad alias scientias inveniendas
quae utiles sibi sunt idoneus reddatur. Tota igitur Philosophia veluti arbor
Anmerkungen 305

est, cujus radices Metaphysica, truncus Physica, & rami ex eodem I pullu-
lantes omnes aliae Scientiae sunt, quae ad tres praecipuas revocantur, Medici-
nam scilicet, Mechanicam, atque Ethicam; altissimam autem & perfectis-
simam morum disciplinam intelligo, quae irrtegram aliarum scientiarum
cognitionem praesupponens, ultimus ac summus Sapientiae gradus est. (Des-
cartes: ffiuvres. Bd 9,2. 14.) (XLif: Wenn er sich dann eine gewisse Übung
erworben hat, die Wahrheit in diesen Fragen zu fmden, so muß er sich ernst-
haft der wahren Philosophie zuwenden, deren erster Teil die Metaphysik ist,
welche die Prinzipien der Erkenntnis enthält, wozu die Erklärung der
Hauptattribute Gottes, der Immaterialität unserer Seelen und aller klaren und
einfachen Begriffe gehört, die es in uns gibt. Ihr zweiter Teil ist die Physik,
in der man, nachdem man die wahren Prinzipien der materiellen Dinge
gefunden hat, im allgemeinen untersucht, wie das ganze Universum zu-
sammengesetzt ist, sodann im besonderen, welches eigentlich die Natur die-
ser Erde und aller Körper ist, die für gewöhnlich auf ihr und um sie herum
gefunden zu werden pflegen, wie der Luft, des Wassers, des Feuers, des
Magneten I und der übrigen Minerale. Sodann ist auch im einzelnen zu
prüfen die Natur der Pflanzen, die der Tiere und besonders des Menschen,
damit er dann in der Folge geeignet gemacht wird, die übrigen Wissen-
schaften zu fmden, die ihm nützlich sind. Die gesamte Philosophie ist also
einem Baume vergleichbar, dessen Wurzel die Metaphysik, dessen Stamm
die Physik und dessen Zweige alle übrigen Wissenschaften sind, die sich auf
drei hauptsächliche zurückführen lassen, nämlich auf die Medizin, die
Mechanik und die Ethik. Unter Ethik verstehe ich dabei die höchste und
vollkommenste Sittenlehre, die, indem sie die gesamte Kenntnis der anderen
Wissenschaften voraussetzt, die letzte und höchste Stufe der Weisheit bildet.)
101,966-968 Auch ... gekommen.] Siehe die vorhergehende Anm.; ebenda,
an etwas späterer Stelle nennt Descortes die Gründe dqfür, df!ß er die weiteren Teile
seines Entwurfs der Philosophie nicht ausführen kiinne (Bogen*** Ja): Verum ad
hoc opus ad fmem suum perducendum, postea naturam corporum magis
particularium quae in terra sunt, mineralium scilicet, plantarum, animalium,
& praecipue hominis, eodem modo singulatim explicare deberem; tandem
denique Medicina, Ethica, artesque Mechanicae accurate tractandae essent.
Hoc mihi agendum restaret ut integrum Philosophiae corpus humano generi
darem: non adeo autem me aetate provectum esse sentio, nec tauturn viribus
meis diffido, neque a cognitione ejus quod desideratur tarn Ionge me abesse
video, quin accingere me auderem ad opus illud perficiendum, modo opor-
tunitas mihi esset omnia experilmenta faciendi quibus ad ratiocinia mea ful-
cienda & comprobanda indigerem. Verum animadvertens, hoc ipsum mag-
nos requirere sumptus, quibus privatus, qualis Ego sum, nisi a publico adju-
varetur, par esse non posset, nec esse cur istiusmodi subsidium expectem,
credo, in posterum satis mihi esse debere si privatae mei ipsius institutioni
tantum studeam, posteritatemque excusatum me habituram, si deinceps nul-
lis amplius in ejus gratiam me laboribus fatigem. (Descartes: ffiuvres. Bd 9,2.
306 Anhang

17.) (XLIIIf: Um aber diesen meinen Plan zu Ende zu führen, müßte ich
danach in derselben Weise die Natur eines I jeden der Einzelkörper ausein-
andersetzen, die es auf der Erde gibt, also die der Mineralien, der Pflanzen,
der Tiere und vorzüglich des Menschen, und dann schließlich aufs genaueste
von der Medizin, der Ethik und der Mechanik handeln. Das wäre meine
Aufgabe, wenn ich dem menschlichen Geschlechte ein vollständiges System
der Philosophie geben wollte, und ich fühle mich noch nicht so alt, ich
mißtraue noch nicht so sehr meinen Kräften, ich glaube mich auch nicht so
weit von der Erkenntnis dessen, was noch übrig ist, entfernt, daß ich es nicht
wagen möchte, dieses Werk zu vollenden, wenn ich nur die Gelegenheit
hätte, alle die Experimente zu machen, deren ich bedürfte, um meine Ver-
nunftgründe (ratiocinia) zu stützen und zu rechtfertigen. Da ich aber sehe,
daß dazu große Ausgaben nötig wären, die ein Privatmann wie ich sich nicht
leisten kann, wenn er nicht durch die Allgemeinheit unterstützt wird, und da
ich eine solche Hilfe nicht erwarten darf, so glaube ich mich von nun an
damit begnügen zu müssen, zu meiner eigenen Belehrung zu studieren, und
die Nachwelt mag mich entschuldigen, wenn ich von nun an nicht mehr für
sie arbeite.) - Eine Ethik hat Descartes zwar nicht in ausführlicher Form, jedoch
ansatzweise in seinem Traktat De passionibus skizziert, den Hege/ an anderer
Stelle erwähnt; siehe W 15.365. Dieser Traktat nimmt auch die bekanntemorale
par provision (ethicam ad tempus) (siehe Descartes: CEuvres. Bd 6.22 sowie
532) auf, die Hege/nicht berücksichtigt.
101,968-972 Spinozas ... geschrieben.] Zur Ethik Spinozas siehe vorliegeil-
den Band 103,46--104,53 mit A11m. - Hegels Formulieru11g berücksichtigt hier
weder Spinozas Ausführungw über das Böse in seinem Briefwechsel (siehe dazu
aber vorliegmdm Band 109 mit Anm.) noch den Tractatus theologico-politicus
und den Tractatus politicus.
101,973-974 das, was ... vor.] Der erste Teil der Principiae philosophiae
(De principiis cognitionis humanae) behandelt 11icht nur - wie Hege/ zuvor
ausgeführt hatte - Fragen der Metaphysik, sondem auch solche Prinzipiell der
menschlichen Erkenntnis, die nach Hegels eige11em Systemaufriß in die Philosophie
des subjektiven Geistes gehören, z. B. die Probleme Zweifel, Irrtum, Willkür,
Einbildung, Sinnlichkeit usf.
101,977 auch bei W olff] Hege! bezieht sich wahrscheinlich insbesondere auf
Wo!ffs rationale Psychologie; siehe Christianus Wolfius: Psychologia rationalis
methodo scientifica pertractata. Editio nova priori emendatior. Francofurti &
Lipsiae 1740. 451-587: Sectio III. De Commercio inter mentem et corpus.
Caput 1. De Systematis explicandi commercium inter mentem & corpus in
genere. Caput 2. De Systemate influxus physici. Caput 3. De Systemate
causarum occasionalium. Caput 4. De Harmonia praestabilita.
101,978 viele Systeme] Siehe die Unterscheidu11g dreier solcher Systeme im
vorliegenden Band 131f u11d 135J; vgl. W 15.456J. - Siehe aber auch Hegels
Kritik der gedanke11losen Vorstellung des Verhältnisses von Seele und Kiirper bei
Epikur, W 14.499J.
Anmerkungen 307

101,982-983 Dies ... widerlegt.] Eine derartige Widerlegung findet sich bei
Descartes nicht so ausdrücklich, wie es nach Hegels Formulierung den Anschein hat.
Regel dürfte sich auf Ausführungen Descartes' über den Realunterschied der
denkmden und ausgedehnten Substanz beziehen, der eine derartige mechanische
Einwirkung der äußerlichen Dinge auf die Seele ausschließt; siehe insbesondere
Descartes: Principia philosophiae. Pars I.16f (§ 60), oder, unmittelbar mif den
Zusammenhang von Seele und Kö"rper bezogen, Meditationes. VI. 38: nequc
enim ulla plane est affinitas (saltem quam ego intelligam) inter istam velli-
cationem (i. e. famem), & cibi sumendi voluntatem, sive inter sensum rei
dolorem inserentis, & cogitationem tristitiae ab isto sensu exortae. (Descar-
tes: ffiuvres. Bd 7. 76.) ( 137: denn es ist durchaus keine Vcrwandtschaft, so-
viel ich wenigstens einsehe, zwischen dieser Erregung (sc. dem Hunger) und
dem Willen, Speise zu sich zu nehmen, oder zwischen der Empfmdung eines
schmerzenden Gegenstandes und dem Bewußtsein der Traurigkeit, die aus
dieser Empfindung herrührt.) - Die in derselben Meditation wenig später be-
hauptete Verbindung (compositio, unio, permixtio) der Seele und des Körpers
schließt ebenfalls ein rein mechanisches Verhältnis beider aus; siehe auch
vorliegenden Band, Anm. zu 100,936-943.
101,988-102,993 Dies ... systema assistentiae.] Die Annahme eines systema
assistentiae ist - wegen ihrer Übereinstimmung mit dem Okkasionalismus - in
ausgeführter Form eher Malebranche als Descartes zuzuschreiben, wie Hege/ an
anderer Stelle auch selbst bestätigt; siehe W 15.367: Dieß hat nachher Male-
branche mehr ausgeführt. -Diejenigen Ausführungen Descartes', die am weite-
sten in die Richtung eines systema assistentiae gehen, sind im Traite de l'homme
enthalten, dessen begeisterte Lektüre für Malebranche entscheidend werden sollte;
siehe vorliegenden Band 113,327-329. Siehe Descartes: Traite de l'homme.
Originalpaginierung 30: Et s'ils sont tirez par une force presque aussi grande
que la precedente, sans que toutesfois ils se rompent, ny se separent aucune-
ment des parties ausquelles ils sont attachez: ils causeront vn mouuement
dans le cerueau, qui, rendant temoignage de la bonne constitution des autres
membres, donnera occasion al'ame de sentir vne certaine volupte corporelle,
qu' on nomme chatoüillement, & qui, comme vous voyez, estant fort proehe
de la douleur en sa cause, luy est toute contraire en son effet. - Siehe Descar-
tes: ffiuvres. Bd 11.144; vgl. 151. (Originalpaginierung 37J).- Regel erwähnt
zwar nirgends diesen Traktat; siehe aber das Referat bei Rixner: Handbuch. Bd
3.44-49: §. 14. Darstellung der Cartesischen Psychologie und Pathologie;
Auszug aus dem Anhange zum IV. Buche der Principien der Philosophie,
und der Abhandlung de Passionibus et de Homine.
102,7-103,45 Zunächst ... Geistlichkeit.] Diese Nachrichten zur Biographie
Spinozas sowie die bibliographischen Angaben sind entnommen aus den Col-
lectanea de vita B. de Spinoza, die der Ausgabe der Opera durch Paulus im
zweiten Band (Jena 1803) beigegeben waren. An dieser Ausgabe hatte Hege/ei-
genen, wenn auch geringen Anteil; siehe den Editorischen Bericht von M. Baum
und K. R. Meist zu Hegel: Gesammelte Werke. Bd 5. - Unter diesen Col-
308 Anhang

lectanea stützt Hege/ sich hauptsächlich auf die Biographie Spinozas von]. Cole-
rus, einem lutherischen Geistlichen in Den Haag, mit den Zusätzen des Spinozisten
Graf Boulainvilliers. -Zu den einzelnen von Hege/ angesprochenen Themen siehe
eben da
593: Spinozas Herkunji
594, 596f: frühe Händel mit den Rabbinen
603: Verlassen der jüdischen Gemeinde
603f' Bestechungs- und Mordversuch (die Quelle sagt aber nicht ausdrücklich,
daß der Mordversuch von seiten der Juden angestiftet worden sei; W 15.368 macht
Hege/ die Rabbinen hierfür verantwortlich)
595-599: Erlernen des Lateinischen
602: Studium der Garfesischen Philosophie; als Grund wird genannt: il aban-
donna Ia Theologie pour s' attacher entierement a Ia Physique
632: Veriiffentlichung von Renati Des Cartes Principiorum philosophiae
Pars I et II more geometrico demonstratae. Amstelodami 1663 (Siehe Spinoza:
Opera (ed. Paulus). Bd 1.1-86.)
634-640: Vertijfentlichung des Tractatus theologico-politicus. Hamburgi
1670 (falsche Angabe; richtig: Amsterdam 1670); siehe Spinoza: Opera (ed.
Paulus). Bd 1.141-446.- Vgl. diefolgende Anm.
615-617: Wohnorte
612-615: Beruf
618,622f' Ausschlagen von Geschenken
627J: Angebot einer Professur und Ablehnung; dort wird auch a"!f die Briefe
Bezug genommen, die]. Ludovicus Fabricius im Aujirag des Kurfürsten von der
Pfalz und Spinoza in dieser Frage gewechselt haben; siehe Briefe Nr 53 und 54
( 47 und 48 nach Gebhardts Zählung), insbesondere Brief 53: Philosophandi
libertatem habebis amplissimam, qua te ad publice stabilitatem Religionern
conturbandam non abusumm credit. Brief 54: Cogito deinde, me nescire,
quibus limitibus libertas ista Philosophandi intercludi debeat, ne videar
publice stabilitam Religionern perturbare velle ... In Spinoza: Opera (ed.
Paulus). Bd 1. 639-640; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 4. 235 bzw. 236.
(204-207, insbesondere 205: Sie werden die vollste Freiheit haben zu philoso-
phieren, indem er vertraut, daß sie diese nicht zur Störung der öffentlich
anerkannten Religion mißbrauchen werden. 206: Dann habe ich das Be-
denken, daß ich nicht weiß, in welche Grenzen die Freiheit zu philosophie-
ren einzuschließen ist, damit ich nicht den Anschein erwecke, als wolle ich
die öffentlich anerkannte Religion stören ... )- Vgl. W 15.36~f(Ms?).
657-665: Krankheit und Tod.
102,19-103,24 Später ... beschränken] Zur Beschränkung der Gültigkeit des
Mosaischen Gesetzes auf die Judm siehe insbesondere Spinoza: Tractatus theolo-
gico-politicus. Praefatio: diejenigen, die einem falschen Verständnis der Religion
anhängen, glauben weniger an die Schrift als daß sie ihr nur nachsprechen: quod
hinc etiam patet, quod plerique tanquam fundamenturn supponunt, (ad
eandem scilicet intelligendum, ejusque verum sensum eruendum) ipsam
Anmerkungen 309

ubique veracem, et divinam esse; id nempe ipsum quod ejusdem intellec-


tione, et seJvero examine demum deberet constare; et quod ex ipsa, quae
humanis figmentis minime indiget, Ionge melius edoceremur, in primo
limine pro regula ipsius interpretationis statuunt. In Spinoza: Opera (ed.
Paulus). Bd 1.148f; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 3.9. (15: Das geht
schon daraus hervor, daß die meisten den Grundsatz aufstellen (nach dem die
Schrift verstanden und ihrer (!)wahrer Sinn ermittelt werden soll), sie sei an
allen Stellen wahr und göttlich. Also das, was sich erst aus ihrem Verständnis
und ihrer genauen Prüfung ergeben müßte und was man weit besser aus ihr
selbst entnehmen würde, die keiner menschlichen Erdichtung bedarf, das
stellen sie von vornherein als Regel für ihre Auslegung auf.) - Kap. V: Cum
autem caeremoniae, eae saltem, quae habentur in Vetere Testamento He-
braeis tantum institutae et eorum imperio ita accommodatae fuerint, ut
maxima ex parte ab universa societate, non autem ab unoquoque exerceri
potuerint, certurn est, eas ad Iegern divinam non pertinere, adeoque nec
etiam ad beatitudinem et virtutem aliquid facere; sed eas solam Hebraeorum
electionem, hoc est, (per ea, quae in tertio cap. ostendimus) solam corporis
temporaneam foelicitatem et imperii tranquillitatem respicere, proptereaque,
nonnisi stante eorum imperio, ullius usus esse potuisse. In Spinoza: Opera
(ed. Paulus). Bd 1.219; Opera (ed. Gebhardt). Bd 3.69. - (161: Da nun aber
die Zeremonien, wenigstens soweit sie sich im Alten Testament fmden, bloß
für die Hebräer eingesetzt und ihrem Reich so angepaßt waren, daß sie zum
größten Teil nur von der ganzen Gesellschaft, aber nicht vom einzelnen
vollzogen werden konnten, so ist es gewiß, daß sie nicht zum göttlichen
Gesetz gehören und also auch nichts zur Glückseligkeit und Tugend bei-
tragen. Vielmehr bezogen sie sich bloß auf die Auserwählung der Hebräer,
d. h. nach dem, was ich im 3. Kapitel gezeigt habe, bloß auf ihr leibliches,
zeitliches Glück und auf die Sicherheit des Reiches und konnten deshalb auch
nur so lange, wie das Reich bestand, von Nutzen sein.)- Zur Ablehnung der
Inspiration siehe Praefatio: Hac igitur cautione Methodum Sacra volumina
interpretandi concinnavi, et hac instructus quaerere ante omnia incepi, quid
esset Prophetia? et qua ratione Deus sese Prophetis revelaverit? et cur hi Deo
accepti fuerint? num scilicet propterea quod de Deo et natura sublimes
habuerint cogitationes? an vero propter solam pietatem? Postquam haec
novi; facile determinare potui, Prophetarum authoritatem in iis tantum pon-
dus habere, quae usum vitae, et veram virtutem spectant, caeterum eorum
opiniones nos parum tangere. His cognitis quaesivi deinde, quid id fuerit
propter quod Hebraei Dei electi vocati fuerint? Cum autem vidissem hoc
nihil aliud fuisse, quam quod Deus ipsis certarn mundi plagam elegerit, ubi
secure et commode vivere possent; hinc didici Leges Mosi a Deo revelatas,
nihil aliud fuisse, quam jura singularis Hebraeorum imperii, ac proinde eas-
dem praeter hos neminem recipere debuisse; imo nec hos etiam, nisi stante
ipsorum imperio, iisdem teneri. In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 1.149;
Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 3.9f (17: Mit solcher Vorsicht habe ich
310 Anhang

mir eine Methode gebildet, die heiligen Bücher auszulegen, und mit dieser
Methode bin ich dann vor allem an die Fragen herangetreten: Was ist Pro-
phetie? in welcher Weise hat sich Gott den Propheten offenbart? warum
waren diese Gott wohlgefällig? etwa deshalb, weil sie von Gott und Natur
erhabene Gedanken hatten? oder aber bloß wegen ihrer Frömmigkeit?
Nachdem ich darüber Gewißheit erlangt, fiel es mir nicht schwer zu ent-
scheiden, daß die Autorität der Propheten nur in Fragen des Lebenswandels
und der wahren Tugend von Bedeutung ist, daß uns im übrigen aber ihre
Anschauungen wenig angehen. Nachdem ich das erkannt hatte, fragte ich
weiter, aus welchem Grunde die Hebräer die Auserwählten Gottes hießen.
Als ich aber gesehen, daß der Grund kein anderer war, als daß Gott ihnen
einen bestimmten Landstrich auserwählt hatte, wo sie sicher und bequem
leben könnten, da wurde mir auch klar, daß die Gesetze, die Gott dem
Moses offenbart, nichts anderes waren als einzig die Rechtsordnung des he-
bräischen Reiches und daß demnach außer ihnen auch niemand anders sie
anzunehmen brauchte, ja daß sie selbst nur so lange, wie ihr Reich bestand,
an sie gebunden waren.)- Ferner Kap. VII: Quae hic primum examinan-
da venit, eorum est sententia, qui statuunt Iumen naturale non habere vim ad
Scripturam interpretandum, sed ad hoc maxime requiri Iumen supernatura-
le; quid autem hoc Iumen praeter naturale sit, ipsis explicandum relinquo .
. . . I ... Quare qui Iumen supranaturale quaerunt ad mentem Prophetarum
et Apostolorum intelligendam, ii sane lurnine naturali indigere videntur;
Ionge igitur abest, ut tales donum divinum supranaturale habere existimem.
In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 1.270f; Opera (ed. Gebhardt). Bd 3.112f
(265: Zuerst will ich die Ansicht derjenigen untersuchen, die behaupten, das
natürliche Licht besitze nicht die Fähigkeit, die Schrift auszulegen, dazu sei
vielmehr übernatürliche Erleuchtung erforderlich. Was aber das für eine
Erleuchtung außer der natürlichen noch ist, überlasse ich ihnen zu erklären.
267: Wer daher auf eine übernatürliche Erleuchtung wartet, um den Sinn
der Propheten und Apostel zu verstehen, dem fehlt es offenbar an natür-
lichem Licht, und ich bin weit entfernt zu glauben, daß diese Leute eine
übernatürliche göttliche Gabe besitzen.) - Zum Nachweis der späteren A/ifas-
sung sowohl der alttestamentlichen als auch der neutestamentlichen Bücher siehe die
Kapp. 8-11.- Zu Hegels Kenntnis der späteren historischen Kritik lassen sich ein-
zelne Titel nicht mit Sicherheit angeben. So ist es z. B. wenig wahrscheinlich, daß
er Johann Lorenz Schmidt gekannt habe; auch eine Kenntnis Johann Salomo
Semlers ist nicht belegt. Fraglos gekannt hat Hege/ aber die von Lessing veröffent-
lichten Fragmente der Schutzschrift von Hermann Samuel Reimarus; siehe Zur
Geschichte und Litteratur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu
W olfenbüttel. Vierter Beytrag von Gotthold Ephraim Lessing. Braunschweig
1777; vgl. Lessing: Sämtliche Schriften. Herausgegeben von K. Lachmann.
Dritte, auf's neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch F. Muncker.
Bd 12. Leipzig 1897. 303-450.- Von Lessings Bestimmung des Verhältnisses von
Schrift und Geschichte wie auch von Herder läßt sich zudem der Rückbezug auf
Anmerkungen 311

Spinoza leicht aufweisen, der für die beginnende historisch-kritische Erforschung des
Alten und des Neuen Testaments insgesamt nicht so deutlich ist wie Hege/ hier
annimmt.
103,42-43 Seine . . . heraus.] Die Umstände der Veröffentlichung der Ethik
waren Hege/ bekannt durch Ludwig Meyers Vorwort zur Ethik; in Spinoza:
Opera (ed. Paulus). Bd 2.3jf.
103,44-45 So groß . . . Geistlichkeit.] Diese Reaktionen der Geistlichkeit
waren Hege/ insbesondere aus der Lebensbeschreibung Spinozas durch Colerus
bekannt; siehe die Collectanea zu Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2. 647jf,
insbesondere die dort S. 650 zitierten Sätze aus der Streitschrift des Jenaer Theo-
logieprofessors Musaeus: Tractatus Theologico-Politicus ad veritatis Iumen
examinatus: Iure merito quis dubitet, num ex illis, quos ipse Daemon ad
humana divinaque jura pervertenda magno numero conduxit, repertus fue-
rit, qui in iis depravandis operosior fuerit quam hic Impostor, magno Eccle-
siae male et Reip[ublicae] detrimento natus.
103,46-104,53 Das Hauptwerk . . . Freiheit.] Siehe die im Titel der Ethik
enthaltende Gliederung: Ethica Ordine Geometrico Dernonstrata et in Quin-
que Partes distincta in quibus agitur I. De Deo. li. De Natura et Origine
Mentis. III. De Origine et Natura Affectuum. IV. De Servitute Humana, Seu
de Affectuum Viribus. V. De Potentia Intellectus, seu de Libertate Humana.
In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.33; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd
2.43. (1: Ethik nach geometrischer Methode dargestellt und in fünf Teile
geschieden, die da handeln I. Von Gott li. Von der Natur und dem Ursprung
der Seele III. Von dem Ursprung und der Natur der Affekte IV. Von der
menschlichen Knechtschaft oder von den Kräften der Affekte V. Von der
Macht des Verstandes oder von der menschlichen Freiheit.)
104,62-63 dessen Begriff ... enthält.] Hege/ spielt an auf die Definition der
causa sui, siehe vorliegenden Band, Anm. zu 106,113-116.
104,69-71 In Rücksicht ... negatio.] Siehe Spinoza: Epistolae. Nr 50 (an
]arig ]elles): Quantum ad hoc, quod figura negatio, non vero aliquid posi-
tivum est; manifestum est, irrtegram materiam, indefmite consideratam,
nullam posse habere figuram, figuramque in fmitis ac determinatis corpori-
bus locum tantum obtinere. Qui enim se figuram percipere ait, nil aliud eo
indicat, quam se rem determinatam et quo pacto ea sit determinata, con-
cipere. Haec ergo determinatio ad rem juxta suum Esse non pertinet: sed
econtra est ejus non esse. Quia ergo figura non aliud, quam determinatio et
determinatio negatio est; non poterit, ut dictum, aliud quid, quam negatio,
esse.- In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 1.634; Spinoza: Opera (ed. Geb-
hardt). Bd 4.240. (210: Bezüglich dessen, daß die Gestalt eine Negation und
nicht etwas Positives ist, so ist es offenbar, daß die gesamte Materie, als unbe-
grenzt betrachtet, keine Gestalt haben kann und daß es eine Gestalt nur bei
endlichen und begrenzten Körpern geben kann. Wer nämlich sagt, daß er
eine Gestalt begreife, der zeigt eben damit an, daß er ein begrenztes Ding
und in welcher Art es begrenzt ist, begreift. Diese Bestimmung bezieht sich
312 Anhang

also nicht auf die Sache, soweit ihr Sein in Frage kommt; im Gegenteil be-
deutet sie gerade ihr Nichtsein. Da also Gestalt nichts anderes ist als Bestim-
mung und Bestimmung Vemeinung, so wird sie wie gesagt nichts anderes
sein können als eine Vemeinung.) - Hegels Formulierung zeigt, daß er die
zitierte Wendung sehr wahrscheinlich nicht unmittelbar aus Spinoza aufgenommen
hat, sondern aus Jacobi: Briefe. 31 Anm. sowie 182; vgl. Jacobi: Werke. Bd 4,
Abt. 1. 62 Anm. sowie 182. In der von Jacobi geprägten Fassung zitiert Hege/
diesen Satz auch in der ersten Atiflage der Wissenschaft der Logik; siehe GW
11. 76. Wenig später, in seiner Jacobi-Rezension,.findet sich erstmals die erweiterte
Form: ornnis determinatio est negatio, die wahrscheinlich auf Hege/ selbst
zurückgeht; siehe die Rezension zu Friedrich Heinrich Jacobi' s Werke. Dritter
Band. In Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Heide/berg 1817. Nr 1. 6.
Vgl. W17.8.
105,94-95 Was ... sein.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars I, Propositio 25, Corol-
larium: Res particulares nihil sunt, nisi Dei attributorum affectiones, sive
modi, quibus Dei attributa certo et determinato modo exprimuntur. -In
Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.59; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.
68. (29: Die besonderen Dinge sind nur Affektionen von Attributen Gottes
oder Modi, durch die Gottes Attribute in gewisser und bestimmter Weise
ausgedrückt werden.)
105,98-99 Bei Leibniz ... gemacht.] Siehe vorliegenden Band 128,757-758
sowie 131,824-825.
106,113-116 »Unter ... existierend.«] Siehe Spinoza: Ethica. Pars I, De.fini-
tio 1: Per causam sui intelligo id, cujus essentia involvit existentiam; sive id,
cujus natura non potest concipi, nisi existens.- In Spinoza: Opera (ed. Pau-
lus). Bd 2.35; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.45. (3: 1. Unter Ursache
seiner selbst verstehe ich das, dessen Wesenheit die Existenz in sich schließt,
oder das, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann.) -Diese
Definition sowie die fünffolgendet1 und die Explicatio zur sechsten Definition sind
in W 15.379-382- als von Hegels Hand überliifert- auf deutsch zitiert.
106,122-129 Die zweite ... umgekehrt.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars I,
De.finitio 2: Ea res dicitur in suo genere fmita, quae alia ejusdem naturae ter-
minari potest. Ex. gr. corpus dicitur fmitum, quia aliud semper majus con-
cipimus. Si (!) cogitatio alia cogitatione terminatur. At corpusnon terminatur
cogitatione, nec cogitatio corpore.- In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.
35; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.45. (3: 2. Das Ding heißt endlich in
seiner Gattung, das durch ein anderes der seihen Natur begrenzt werden
kann. Z. B. heißt ein Körper endlich, weil wir stets einen anderen größeren
begreifen. So wird ein Gedanke durch einen anderen Gedanken begrenzt.
Dagegen wird kein Körper durch einen Gedanken begrenzt und kein Ge-
danke durch einen Körper.)
106,130-133 Die dritte ... werden,] Siehe Spinoza: Ethica. Pars I, De.finitio
3: Per substantiam intelligo id, quod in se est et per se concipitur: hoc est id,
cujus conceptus non indiget conceptu alterins rei, a quo formari debeat. - In
Anmerkungen 313

Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.35; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd


2.45. (3:3. Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist, und durch sich
begriffen wird, das heißt das, dessen Begriff, um gebildet werden zu können,
den Begriff eines anderen Dinges nicht bedarf.)
106,134-136 Zu ... ausmachend.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars I, Definitio 4:
Per attributum intelligo id, quod intellectus de substantia percipit, tanquam
ejusdem essentiam constituens. -In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.35;
Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.45. (3:4. Unter Attribut verstehe ich
das, was der Verstand an der Substanz als deren Wesenheit ausmachend
wahrnimmt.)
106,137-139 Das dritte ... wird.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars I, De.finitio 5:
Per modum intelligo substantiae affectiones, sive id, quod in alio est, per
quod etiam concipitur.- In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.35; Spinoza:
Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.45. (3:5. Unter Modus verstehe ich die Affek-
tionen der Substanz oder das, was in einem Andern ist, durch das es auch
begriffen wird.)
106,140-107,141 Gott ist ... selbst.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars I, Propositio
8, Scholium 1: Cum fmitum esse revera sit ex parte negatio et infmitum abso-
luta affirmatio existentiae alicujus naturae, sequitur ergo ex sola 7. Prop.
ornnem substantiam debere esse infinitam.- In Spinoza: Opera (ed. Paulus).
Bd 2.39; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.49. (7f Anmerkung 1: Da
Endlichsein in Wahrheit die teilweise Verneinung, und Unendlichsein die
unbedingte Bejahung I der Existenz einer Natur ist, so folgt schon allein aus
Lehrsatz 7, daß jede Substanz unendlich sein muß.)
107,141-144 Es ist ... Zahlen.] Siehe hierzu den Brief an Ludwig Meyer;
Spinoza: Epistolae. Brief Nr 29 (Nr 12 nach Gebhardts Zählung): Quaestio de
Infmito ornnibus semper difficillima, imo inextricabilis visa fuit, propterea
quod non distinxerunt inter id, quod sua natura, sive vi suae I defmitionis
sequitur esse infmitum; et id, quod nullos fines habet, non quidem vi suae
essentiae sed vi suae causae. Ac etiam, quia non distinxerunt inter id, quod
infmitum dicitur, quia nullos habet fmes; et id, cujus partes, quamvis ejus
maximum et minimum habeamus, nullo tamen numero adaequare et expli-
care possumus. Denique quia non distinxerunt inter id, quod solummodo
intelligere, non vero imaginari; et inter id, quod etiam imaginari possumus.
Ad haec, inquam, si attendissent, nunquam tam ingenti difficultatum turba
obruti fuissent. Clare enim tum intellexissent, quale Infmitum in nullas partes
dividi, seu nullas partes habere potest; quale vero contra, idque sine contra-
dictione. Porro etiam intellexissent, quale Infinitum majus alio Infmito sine
ulla implicantia, quale vero non item concipi potest; ... - In Spinoza:
Opera (ed. Paulus). Bd 1.526J; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 4.53. (47f:
Die Frage über das Unendliche ist allen stets sehr schwierig, ja unlösbar er-
schienen, und zwar aus dem Grunde, weil man nicht unterschied zwischen
dem, was seiner Natur zufolge oder vermöge seiner Defmition sich als un-
endlich darstellt, und dem, was keine Grenzen hat, aber nicht vermöge seines
314 Anhang

Wesens, sondern vermöge seiner Ursache; ferner aus dem Grunde, weil man
auch keinen Unterschied machte zwischen dem, was unendlich heißt, weil es
keine Grenzen hat, und dem, dessen Teile wir, auch wenn es begrenzt ist und
wir I sein Maximum und sein Minimum haben, nicht mit irgendeiner Zahl
vergleichen und durch sie erklären können; endlich aus dem Grunde, weil
man keinen Unterschied gemacht hat zwischen dem, was wir allein erken-
nen, aber uns nicht vorstellen können, und dem, was wir uns auch vorstellen
können. Hätte man, sage ich, darauf acht gehabt, dann wäre man nicht, wie
aus dem gleich zu Sagenden erhellen wird, in eine solche Menge von
Schwierigkeiten geraten. Denn dann hätte man klar eingesehen, welches
Unendliche in keine Teile zerlegt werden oder keine Teile haben kann, wel-
ches dagegen wohl und ohne Widerspruch. Dann hätte man ferner einge-
sehen, welches Unendliche ohne Widerspruch größer als ein anderes gedacht
werden kann und welches nicht.) - Die Auflösung dieses Problems liegt in der
Unterscheidung der Existenz der Substanz und der Existenz der Modi; die Teil-
barkeit kommt nur den Modi, nicht der Substanz zu. Im folgenden geht Spinoza
auf den Grund der kritisierten Vermischung ein: Si tarnen quaeras, cur naturae
impulsu adeo propensi simus ad dividendam substantiam extensam: ad I id
respondeo, quod quantitas duobus modis a nobis concipiatur; abstracte scili-
cet, sive superficialiter, prout ope sensuum eam in imaginatione habemus; vel
ut substantia, quod non nisi a solo intellectu fit. Itaque si ad quantitatem,
prout est in imaginatione, attendimus, quod saepissime et facilius fit, ea divi-
sibilis, finita, ex partibus composita et multiplex reperietur. Sin ad eandem,
prout est in intellectu, attendamus, et res, ut in se est, percipiatur, quod diffi-
cillime fit, turn, ut satis antehac tibi demonstravi, infmita, indivisibilis et
unica reperietur. / Porro ex eo, quod Durationem et Quantitatem pro libitu
determinare possumus, ubi scilicet hanc a Substantia abstractam concipimus
et illam a Modo, quo a rebus aeternis fluit, separamus, oritur Tempus et
Mensura; Tempus nempe ad Durationem; Mensura ad Quantitatem tali
modo determinandam, ut, quoad fieri potest, eas facile imaginemur. Deinde
ex eo, quod Affectiones Substantiae ab ipsa Substantia separamus et ad clas-
ses, ut eas quoad fieri potest, facile imaginemur, redigimus, oritur Numerus,
quo ipsas determinamus. Ex quibus clare videre est, Mensuram, Tempus et
Numerum nihil esse praeter cogitandi, seu potins imaginandi Modos. -In
Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 1.52~(; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd
4.56J. {49f: Wenn Sie aber fragen, warum wir von Natur aus so geneigt sind,
die ausgedehnte Substanz zu teilen, so erwidere ich darauf: weil wir die
Quantität auf zwei Arten denken, nämlich abstrakt oder oberflächlich, sofern
wir sie mit Hülfe der Sinne im Vorstellungsvermögen haben, oder aber als
Substanz, was bloß durch den Verstand geschieht. Fassen wir daher die
Quantität ins Auge, sofern sie im Vorstellungsvermögen ist, wie es am I
häufigsten und leichter geschieht, so erscheint sie teilbar, begrenzt, aus Teilen
bestehend und vielfältig. Fassen wir sie aber so ins Auge, wie sie im Ver-
stande ist, und begreifen wir die Sache, wie sie an sich ist, was sehr schwierig
Anmerkungen 315

ist, dann erscheint sie, wie ich Ihnen eben zur Genüge bewiesen habe, unend-
lich, unteilbar und einzig. / Weil wir ferner Dauer und Quantität beliebig
bestimmen können, sofern wir sie nämlich als von der Substanz losgelöst
denken, und sie von dem Modus, durch den sie von den ewigen Dingen
herkommen, scheiden, I so entsteht Zeit und Maß, die Zeit nämlich, um
die Dauer, das Maß, um die Quantität so zu bestimmen, daß wir sie mög-
lichst leicht vorstellen können. Daraus ferner, daß wir die Affektionen der
Substanz von der Substanz selbst trennen und sie zur Erleichterung des Vor-
stellensinKlassen bringen, entsteht die Zahl, mit der wir diese Affektionen
bestimmen. Daraus ist klar zu ersehen, daß Maß, Zeit und Zahl nur Modi
des Denkens oder eigentlicher des Vorstelleus sind.) - Vgl. auch Spinoza:
Ethica. Pars I, Propositio 15, Scholium. In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd
2.47-51; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.57-60.- Die von Hege/soge-
nannte Unendlichkeit erläutert Spinoza weiter an einem Beispiel: ubi quis Dura-
tionem abstracte conceperit, eamque cum Tempore confundendo in partes
dividere inceperit, nunquam poterit intelligere, qua ratione hora ex. grat.
transire possit. Nam ut hora transeat, necesse erit, ejus dimidium prius trans-
ire et postea dimidium reliqui et deinde dimidium, quod huius reliqui super-
est; et si sie porro infinite dimidium a reliquo substrahas, nunquam ad fmem
horae pervenire poteris.- In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 1.530; Spino-
za: Opera (ed. Gebhardt). Bd 4.58. (51: Wenn jemand die Dauer abstrakt
dächte, sie mit der Zeit verwechselte und anfmge, sie in Teile zu zerlegen,
dann könnte er nie und nimmer erkennen, wie beispielsweise eine Stunde
vergehen kann. Denn damit eine Stunde vergeht, müßte erst ihre Hälfte
vergehen und dann die Hälfte des Restes und dann wieder die Hälfte von
dem übrigen Teil des Restes, und wenn man so fort bis ins Unendliche
immer die Hälfte vom übrigen abziehen würde, dann könnte man nie bis ans
Ende der Stunde kommen.)- Durch eine derartige Annahme würde man eine
unendliche Reihe der folgenden Form erhalten: 1- 1/2- 1/4- 1/8- 1/16- 1/32
usf., d. h. ein Unendliches, das nicht actu ist. - Im Unterschied zu Spinoza nimmt
Hege/ aber auch Zahlenverhältnisse an, die ein wahrhaftes - quantitatives - Un-
1
endliches ausdrücken, z. B. den Bruch ~ im Unterschied zur Reihe 1 + a + a 2 +
2
a3 ... , oder den Bruch 7 im Unterschied zu dem Dezimalbruch 0,285714 .. . ;
siehe Wissenschaft der Logik. GW 11.159 bzw. GW 21.242-244, sowie- in
den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen- W 15.382.
107,146-147 Die philosophische ... selbst.] Siehe die vorletzte Anm. sowie
Spinoza: Epistolae. BriefNr 29( = (Nr 12 nach Gebhardts Zählung): Substantiae
vero [existentiam explicare possumus] per Aeternitatem, hoc est, infmitam
existendi, sive ... essendi fruitionem. -In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd
1.528; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 4.55. (49: die [Existenz] der Sub-
stanz aber [können wir erklären] nur unter dem Begriff der Ewigkeit usw.,
des unendlichen Teilhaftseins der Existenz oder ... des Seins.)
316 Anhang

107,147-154 Spinoza ... wirklich.] Siehe Spinoza: Epistolae. Brief Nr 29


( = Nr 12 nach Gebhardts Zählung): Sed quam miserc ratiocinati sint, judicent
Mathematici, quibus hujus farinae Argumenta nullam moram injicere potu-
erunt in rebus, ab ipsis clare distincteque perceptis. Nam praeterquam quod
multa invenerunt, quae nullo Numero explicari possunt; quod satis
numerorum defectum ad omnia determinandum patefacit: multa etiam
habent, quae nullo numero adaequari possunt; sed omnem, qui dari I potest,
numerum superant. Nec tarnen concludunt, talia omnem numerum superarc
ex partium multitudine: sed ex eo, quod rei natura non sine manifesta con-
tradictione numerum pati potest, ut ex. grat. omnes
inaequalitates spatii duobus circulis A B et CD, inter-
positi, omnesque variationes, quas materia, in co mota,
pati debeat, omnem numerum superant. Idque non con-
cluditur, ex nirnia spatii interpositi magnitudine. Nam
quantumvis parvam ejus portionem capiamus, hujus
tarnen parvae portionis inaequalitates omnem nume-
rum superabunt. -In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 1.530f; Spinoza: Opera
(ed. Gebhardt). Bd 4.59j (51J: Aber wie kläglich ihre Schlußfolgerungen
sind, das können die Mathematiker beurteilen, die sich durch Gründe von
solcher Art nicht stutzig machen lassen bei Sachen, die sie selbst klar und
deutlich begreifen. Sie haben nicht nur vieles gefunden, das sich durch keine
Zahl erklären läßt, woraus sich schon das Unvermögen der Zahlen, alles zu
erklären, ergibt; vielmehr haben sie auch vieles, das sich mit keiner Zahl
vergleichen läßt, sondern jede mögliche Zahl übersteigt. Und doch ziehen sie
daraus nicht den Schluß, daß derartige Dinge wegen der Menge ihrer Teile
jede Zahl übersteigen, sondern nur deswegen, weil eben die Natur der Dinge
nicht ohne offenbaren Widerspruch die Zahl zuläßt; wie z. B. alle Ungleich-
heiten des Raumes zwischen den beiden Kreilsen AB und CD und alle Ver-
änderungen, die eine darin sich bewegende Materie erleiden muß, jede Zahl
übersteigt. Das schließt man doch nicht aus der übermäßigen Größe des
Zwischenraumes, denn man mag einen noch so kleinen Teil davon nehmen,
so werden doch die Ungleichheiten dieses kleinen Teiles jede Zahl überstei-
gen.) - Spinozas Formulierungen lassen unklar, ob er hier an eine planimetrische
oder eine stereometrische Figur denkt; die Rede von einem Raum und einer sich
darin bewegenden Materie deutet auf letzteres, andererseits sind mit AB und CD
Strecken bezeichnet, so daß hier vielmehr der planimetrische Grundriß einer Figur
vorliegen dürfte, die Spinoza an anderer Stelle zu Versuchen in der Striimungslehre
einführt; siehe dazu Hegel: Wissenschaft der Logik. GW 11.162,9-11 mit
Anm.
107,155-157 Von ... bestimmt.] Hege/ spielt wahrscheinlich wiederum auf ein
Argument aus demselben Zusammenhang an; siehe Spinoza: Epistolae. Brief Nr
29 ( = Nr 12 nach Gebhardts Zählung): Ad eundem etiam modum alii, qui
postquam sibi persuaserunt, lineam ex punctis componi, multa invenire po-
tuerunt argumenta, quibus ostendereut lineam non esse in infmitum divisibi-
Anmerkungen 317

lem.- In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 1.528; Spinoza: Opera (ed. Geb-
hardt). Bd 4.56. (49: Auf dieselbe Weise konnten auch andere Leute, nach-
dem sie sich eingeredet hatten, daß die Linie sich aus Punkten zusammen-
setze, viele Argumente beibringen, um darzutun, daß die Linie nicht ins
Unendliche teilbar sei.)
107,158-159 Das ... (causa sui) ;] Diese Verbindung vo11 Unendlichkeit und
causa sui ergibt sich aus .dem Rückbezug von Propositio 8, Scholium auf Propositio
7; siehe Spinoza: Ethica. Pars I, Propositio 7, Demonstratio: Substantia non
potest produci ab alio; (... ) erit itaque causa sui, id est (... ) ipsius essentia
involvit necessario existentiam, sive ad ejus naturam pertinet existere. - Pro-
positio 8, Scholium 1: Cum finitum esse revera sit ex parte negatio et
infmitum absoluta affirmatio existentiae alicujus naturae, sequitur ergo ex
sola 7. Prop. omnem substantiam debere esse infinitam. - In Spinoza: Opera
(ed. Paulus). Bd 1.38J; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.49. (7: Eine Sub-
stanz kann (... ) nicht von etwas anderem hervorgebracht werden; sie ist
daher die Ursache ihrer selbst, das heißt (... ) ihre Wesenheit schließt not-
wendig die Existenz in sich, oder zu ihrer Natur gehört die Existenz. 7J: Da
Endlichsein in Wahrheit die teilweise Vemeinung, und Unendlichsein die
unbedingte Bejahung I der Existenz einer Natur ist, so folgt schon allein aus
Lehrsatz 7, daß jede Substanz unendlich sein muß.)
107,162-164 Gott ... ausdrückt.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars I, Drfinitio 6:
Per Deum intelligo ens absolute infinitum, hoc est, substantiam constantem
infmitis attributis, quorum unumquodque aetemam et infinitam essentiam
exprimit. I Explicatio: Dico absolute infmitum, non autem in suo genere;
quidquid enim in suo genere tantum infmitum cst, infinita de eo attributa
negare possumus; quod autem absolute infmitum est, ad ejus essentiam pcr-
tinet, quicquid essentiam exprimit et negationem nullam involvit. - In
Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.35f; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd
2.45f (4: 6. Unter Gott verstehe ich das unbedingt unendliche Wesen, das
heißt die Substanz, die aus unendlich vielen Attributen besteht, deren jedes
ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt. I Erläuterung: Ich sage ))unbe-
dingt« und nicht ))in seiner Gattung« unendlich. Denn von dem nur in seiner
Gattung Unendlichen können wir unendlich viele Attribute verneinen; zur
Wesenheit des unbedingt Unendlichen aber gehört alles, was Wesenheit
ausdrückt und keinerlei Vemeinung in sich schließt.)
107,167-108,173 Das scheint ... Ausdehnung,] Siehe Spinoza: Ethica. Pars
II, Propositio 1: Cogitatio attributum Dei est, sive Deus est res cogitans. Pro-
positio 2: Extensio attributum Dei est, sive Deus est res extensa.- In Spinoza:
Opera (ed. Paulus). Bd 2. 78J; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.86. (51:
Das Denken ist ein Attribut Gottes, oder Gott ist ein denkendes Ding. 52:
Die Ausdehnung ist ein Attribut Gottes, oder Gott ist ein ausgedehntes
Ding.) - Die von Hege/ hier verworfene Interpretation, daß unter unendlichen
Attributen hier unendlich viele Attribute zu verstehen seien, wird auch durch den
Beweis zu Propositio 1 gestützt; siehe ebenda (79 bzw. 86): Est igitur Cogitatio
318 Anhang

tmum ex infmitis Dei attributis ... (51: Folglich ist das Denken eins von den
unendlich vielen ( !) Attributen Gottes .. .). - Siehe auch den Schluß des
Scholiums zu Spinoza: Ethica. Pars II, Propositio 7 (s. die übernächste Anm.).
108,172 wie bei Cartesius] Siehe vorliegenden Band, Anm. zu 99,902-903.
108,179-181 die Ordnung ... Dinge;] Siehe Spinoza: Ethica. Pars II, Pro-
positio 7: Ordo et connexio idearum idem est, ac ordo et connexio rerum.-
Vgl. hierzu auch das dazu gehörige Scholium: revocandum nobis in memoriam
est id, quod supra ostendimus; nempe, quod quicquid ab infmito intellectu
percipi potest, tanquam substantiae essentiam constituens, id ornne ad uni-
cam tauturn substantiam pertinet; et consequenter quod substantia cogitans
et substantia extensa una eademque est substantia, quae jam sub hoc, jam sub
illo attributo comprehenditur ... Daraus folgt für Spinoza, ut, quamdiu I res,
ut cogitandi modi considerantur, ordinem totius naturae, sive causarum
connexionem, per solum Cogitationis attributum explicare debemus et qua-
tenus, ut modi Extensionis, considerantur, ordo etiam totius naturae per
solum Extensionis attributum explicari debet et idem de aliis attributis intel-
ligo. Quare rerum, ut in se sunt, Deus revera est causa, quatenus infinitis
constat attributis; ... -In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 1.82f; Spinoza:
Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.89f (55: Hier müssen wir uns ... dessen erin-
nern, was wir oben gezeigt haben, nämlich, daß alles, was von dem unend-
lichen Verstand als die Wesenheit einer Substanz ausmachend wahrgenom-
men werden kann, nur zu einer einzigen Substanz gehört, und folglich, daß
die denkende Substanz und die ausgedehnte Substanz eine und die selbe Sub-
stanz sind, die bald unter diesem, bald unter jenem Attribut gefaßt wird. 55f
daß wir, solange die Dinge als Modi des Denkens angesehen werden, die
Ordnung der ganzen Natur oder die Verknüpfung der Ursachen allein durch
das Attribut des Denkens erklären müssen, und daß, sofern sie als Modi der
Ausdehnung angesehen werden, auch die Ordnung der ganzen Natur allein
durch das Attribut der Ausdehnung I erklärt werden muß; und das selbe gilt
von den anderen Attributen. Darum ist Gott die Ursache der Dinge, wie sie
an sich sind, in Wahrheit, sofern er aus unendlich vielen ( !) Attributen be-
steht.)
108,181-184 Dies ... Formen;] Hegels Kritik ist gegen Schellings Identitäts-
philosophie gerichtet; siehe vorliegenden Band 183.Jf.
108,194 Das dritte ... affectiones.] Siehe die Definition des Modus im
l'orliegenden Band, Anm. zu 106,137-139. Die Bezeichnung des Modus als des
dritten ist darin begründet, daß Hege/ von seinem Ansatz her Substanz, Attribut
und Modus mit dem Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen identifiziert. Diese
Analogie von Einzelnem und Modus wird besonders deutlich in W 15.391: Das
Einzelne als solches fällt in diese Modos (sc. Ruhe und Bewegung bzw. Verstand
und Wille); sie sind es, wodurch sich das, was einzeln genannt wird, unter-
scheidet. - Hegels Interpretation kann sich stützen z. B. auf Spinoza: Ethica.
Pars I, Propositio 25, Corollarium: Res particulares nihil sunt, nisi Dei attribu-
torum affectiones, sive modi ... - In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.59;
Anmerkungen 319

Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.68. (29: Die besonderen Dinge sind nur
Affektionen von Attributen Gottes oder Modi ... )
108,194-109,196 Diese ... Modifikationen.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars I,
Propositio 32, Demonstratio: Voluntas certus tantum cogitandi modus est,
sicuti intellectus ... Corollarium 2: [Hinc] (d. h. aus Propositio 32) sequitur li.,
voluntatem et intelleeturn ad Dei naturam ita sese habere, ut motus et quies
... -In Spinoza: Opera {ed. Paulus). Bd 2.63; Spinoza: Opera (ed. Geb-
hardt). Bd 2. 72f (33: Der Wille ist nur ein gewisser Modus des Denkens, wie
der Verstand ... 34: Es folgt zweitens, daß sich Wille und Verstand zu
Gottes Natur ebenso verhalten wie Bewegung und Ruhe .. .) -Dies impli-
ziert, daß auch Bewegung und Ruhe als Modi zu gelten haben.
109,201-203 •Man ... selbst.] Dieser erste Satz des längereil Zitats dürfte
diejenige Position formulieren, die Blyenbergh auf Grund von Spinozas Principia
philosophiae Cartesianae und Cogitationes metaphysice Spinoza vorwirft;
siehe Spinoza: Epistolae. Brief Nr 31 ( = Nr 18 nach Gebhardts Zählung): Aus
Spinozas Position folge, Deum non tantum causam esse Substantiae Mentis,
sed etiam cujuscunque conatus vel motus Mentis, quem voluntatem nuncu-
pamus, veluti passim statuis: ex qua assertione etiam necessario sequi videtur,
vel nil mali in motu sive mentis voluntate esse, vel Deum ipsum illud mal um
immediate operari.... I ... Nam voluntas Dei, quae causa absoluta cst
omnium, quae existunt tarn in substantia, quam in conatu, videtur ctiam
prima causa esse malae voluntatis, quatenus mala est. Deindc nulla in nobis
fit voluntatis determinatio, quin Deus eam ab aeterno sciverit; alioquin, si
nesciverit, in Deo imperfectionem statuimus. Sed qui Deus illam aliter sci-
verit, quam ex suis Decretis? Sunt igitur ejus Decreta nostrarum determina-
tionum causa; et ita rursum sequi videtur, malam voluntatem vel non esse
malum quid, vel Deum illius mali causam esse immediatam et id operari. -
In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 1.538f; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt).
Bd 4.82,83f (76: Es folgt also, daß Gott nicht nur die Ursache der Seelen-
substanz ist, sondern auch die Ursache eines jeden Strebens oder jeder Bewe-
gung der Seele, die wir Willen nennen, wie Sie an verschiedenen Stellen
behaupten. Aus dieser Behauptung scheint notwendig zu folgen, entweder
daß es in der Bewegung oder im Willen der Seele nichts Böses gibt oder daß
Gott selbst unmittelbar jenes Böse bewirkt. 77: Denn der Wille Gottes, der
die absolute Ursache von allem Existierenden ist, sowohl der Substanz als
dem Streben nach, scheint auch die erste Ursache des bösen Willens zu sein,
sofern er böse ist. Ferner gibt es in uns keine Willensbestimmung, ohne daß
Gott sie von Ewigkeit gekannt hätte; denn sonst schrieben wir Gott eine
Unvollkommenheit zu. Wie aber hätte sie Gott anders gekannt als nach
seinen Ratschlüssen? Also sind seine Ratschlüsse die Ursache unserer Willens-
bestimmungen; und damit scheint wieder zu folgen, daß der böse Wille
entweder nichts Böses ist, oder daß Gott die unmittelbare Ursache dieses
Bösen ist [und es bewirkt].)
109,203-213 Ich statuiere ... darin.] Siehe Spinoza: Epistolae. Brief Nr 36
320 Anhang

( = Nr 23 nach Gebhardts Zählung): Statuo ergo primo, Deum absolute et


revera causam esse ornnium, quae essentiam habent, quaecunque etiam illa
sint. Si jam poteris demonstrare, Malum, Errorem, Scelera, etc. quicquam
esse, quod essentiam exprimit, tibi penitus concedam, Deum scelerum, mali,
erroris, etc. causam esse. Videor mihi sufficienter ostendisse id, quod formam
mali, erroris, sceleris ponit, non in aliquo, quod essentiam exprimit, consis-
tere, ideoque dici non posse, Deum ejus esse causam. Neronis, verbi gratia,
matricidium, quatenus aliquid positivum comprehendebat, scelus non erat:
nam facinus extemum fecit, simulque intentionem ad trucidandam Matrem
Orestes habuit et tarnen, saltem ita uti Nero, non accusatur. Quodnam ergo
Neronis scelus? Non aliud, quam quod hoc facinore ostenderet se ingratum,
immisericordem, ac inobedientem esse. Certum autem I est, nihil horum
aliquid essentiae exprimere et idcirco Deum eorum etiam non fuisse causam,
licet causa actus et intentionis Neronis fuerit. - In Spinoza: Opera (ed. Pau-
lus). Bd 1.581f; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 4.147. (123J: Ich behaupte
also erstens, daß Gott schlechthin und tatsächlich die Ursache ist von allem,
was Wesen hat, es sei auch, was es sei. Wenn Sie mir nun beweisen könnten,
daß das Böse, der Irrtum, die Verbrechen usw. etwas ist, das Wesen aus-
drückt, dann will ich Ihnen vollkommen zugeben, daß Gott die Ursache der
Verlbrechen, des Bösen, des Irrtums usw. ist. Mir scheint, ich habe zur
Genüge gezeigt, daß alles, was die Form des Bösen, des Irrtums, des Verbre-
chens ausmacht, nicht in etwas besteht, was Wesen ausdrückt, und daß man
daher nicht sagen kann, Gott sei die Ursache davon. Der Muttermord des
Nero z. B. war, soweit er etwas Positives enthielt, kein Verbrechen, denn
dieselbe äußere Handlung tat und dieselbe Absicht, seine Mutter zu töten
hatte auch Orestes, und doch wird dieser nicht, wenigstens nicht so wie Nero
angeklagt. Worin bestand also das Verbrechen N eros? Nur darin, daß er
durch diese Tat sich undankbar, unbarmherzig und ungehorsam erwies. Nun
ist es sicher, daß nichts davon irgend Wesen ausdrückt und daß darum Gott
nicht die Ursache gewesen ist, auch wenn er die Ursache der Handlung und
der Absicht Neros war.)- Vgl. W 15.406 (Ms?).
109,214-217 Indem ... stattfindet.] Siehe Spinoza: Epistolae. Brief Nr 32
( = Nr 19 nach Gebhardts Zählung): Quoniam vero Deus res nec abstracte
novit, nec id genus generales format defmitiones, nec plus realitatis rebus
competit, quam iis Divinus intellectus et potentia immisit et revera tribuit,
manifeste sequitur, privationem istam solummodo respectu nostri intellectus,
non vero respectu Dei diti posse. - In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd
1.543; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 4.91f (81J: Weil aber Gott die
Dinge weder abstrakt kennt, noch derartige allgemeine Definitionen bildet,
noch den Dingen mehr Realität beilegt als ihnen der göttliche Verstand und
die göttliche Macht beilegt und tatsächlich verliehen hat, so folgt augen-
scheinlich, daß von jenem I Beraubtsein nur im Hinblick auf unsren Ver-
stand aber nicht im Hinblick auf den Verstand Gottes die Rede sein kann.)-
Vgl. W 15.406f(Ms?).
Anmerkungen 321

109,217-218 Böses ... Reale.«] Zum Begriff der Privation siehe die Erläute-
rung in Spinoza: Epistolae. Brief Nr 34 ( = Nr 21 nach Gebhardts Zählung):
Dico igitur prima Privationern non esse privandi actum; sed tantum simpli-
cem et meram carentiam, quae in se nihil est: est quippe Ens rationis tantum,
vel modus cogitandi, quem formamus, quum res invicem comparamus. (Es
folgt das Beispiel des Blinden, von dem man nicht sagen kiinne, er sei seines Ge-
sichts beraubt, und das Beispiel eines vom Verlangen nach Wollust geleiteten Men-
schen; in beiden Fällen handele es sich nicht um Beraubung, sondern um Vernei-
nung:) Adeo ut Privatio nihil aliud sit, quam aliquid de re negare, quod judi-
camus ad suam naturam pertinere, et Negatio nil aliud, quam aliquid de re
negare, quia ad suam naturam non pertinet. - In Spinoza: Opera (ed. Pau-
lus). Bd 1.566 bzw. 567; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 4.128 bzw. 129.
(107f: Ich sage also zuerst, daß Beraubtsein nicht die Handlung des Berau-
bens bedeutet, sondern nur den einfachen und bloßen Mangel, der an sich
nichts ist. Sie ist bloß ein Gedankenvorgang oder ein Modus des Denkens,
den wir bilden, wenn wir die Dinge miteinander J vergleichen. 108:
Beraubtsein ist demnach nichts anderes, als etwas von einem Ding verneinen,
was nach unsrem Urteil zu seiner Natur gehört, und Verneinung nichts
anderes, als etwas von einer Sache verneinen, was zu seiner Natur nicht
gehört.)
110,250-251 So sagt ... Dinges.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars II, Propositio
11: Primum, quod actuale Mentis humanae Esse constituit, nihil aliud est,
quam idea rei alicujus singularis actu existentis. - In Spinoza: Opera (ed.
Paulus). Bd 2.86; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.94. (60: Das erste, was
das wirkliche Sein der menschlichen Seele ausmacht, ist nichts anderes als die
Idee eines wirklich existierenden Einzeldinges.)- Vgl. W 15.395 (Ms?).
110,251-252 Diese ... Affektion.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars II, Propositio
9: Idea rei singularis, actu existentis, Deum pro causa habet, non quatenus
infinitus est; sed quatenus alia rei singularis actu existentis idea affectus consi-
deratur, cujus etiam Deus est causa, quatenus alia tertia affectus est, et sie in
infmitum. sowie Propositio 10, Corollarium: Hinc ( d. h. aus Propositio 10) sequi-
tur essentiam hominis constitui a certis Dei attributorum modificationibus.
Nam Esse substantiae (...) ad essentiam hominisnon pertinet. Est ergo (... )
aliquid, quod in Deo est et quod sine Deo nec esse, nec concipi potest, sive
(... ) affectio, sive modus, qui Dei naturam certo et determinato modo ex-
primit.- In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.84 bzw. 85; Spinoza: Opera
(ed. Gebhardt). Bd 2.91f bzw. 93. (57: Die Idee eines wirklich existierenden
Einzeldinges hat Gott zur Ursache, nicht sofern er unendlich ist, sondern
sofern er als affiziert durch eine andere Idee eines wirklich existierenden Ein-
zeldinges angesehen wird, deren Ursache auch Gott ist, sofern er durch eine
andere dritte Idee affiziert ist, und so weiter ins Unendliche. 58: Hieraus
folgt, daß die Wesenheit des Menschen aus gewissen Modifikationen der
Attribute Gottes besteht. Denn das Sein der Substanz gehört (... ) nicht zur
Wesenheit des Menschen. Somit ist sie( ... ) etwas, was in Gott ist, und was
322 Anhang

ohne Gott weder sein noch begriffen werden kann, oder( ...) eine Affektion
oder ein Modus, der Gottes Natur auf gewisse und bestimmte Weise aus-
drückt.)
111,255 wie Bruno] Siehe vorliegenden Band 54,671-674 mit Anm. -In W
15.408 bezieht Hege! sich in diesem Zusammenhang neben Bruno auch noch auf
Lullus; zu ihm siehe vorliegenden Band 54f
111,257 Man ... Atheismus;] Die Interpretation des Spinozismus als Atheis-
mus findet sich u. a. bei Christianus W olfius: Theologia naturalis. Pars poste-
rior. 729: § 716. Spinosismus ab atheismo parum distat, & aeque noxius est,
immo certo respectu magis nocet, quam atheismus. . .. Perinde igitur est, ac
si Deum verum existere negaret. Quamobrem cum atheus sit, qui Deum
existere negat; Spinosismum ab atheismo parum distare patet. Sie wurde
Hege! vor allem bekannt durch Jacobi: Briefe. 223: I. Spinozismus ist Atheis-
mus. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 1.216 mit Fußnote. Vgl. ferner Jacobis
Vorrede zum vierten Band seiner Werke. XXXVIJ: Solches ward mir klar, und
daß darum Spinozismus Atheismus sey. Ungeachtet des Hasses mancher zur
Klasse der Philosophen gezählten Leute gegen dieses Wort, welches I sie aus
der Sprache zu verbannen wünschen, und wogegen sie unter Andern erin-
nern: ein Atheist sey am ersten derjenige, welcher an Atheismus glaube -
kann es seine Bedeutung nicht verlieren. Gesetzt auch, man ändert den
Namen und spricht von Cosmotheismus, so bleibt dennoch die Sache was sie
gewesen.
111,258-261 indem Spinoza ... Geistes.] Hege/ bezieht sich wahrscheinlich
nicht auf eine bestimmte Aussage, sondern gibt den Sinngehalt von Auiführungen
wieder, wie sie sich an verschiedenen Stellen der Ethik finden; siehe insbesondere
Spinoza: Ethica. Pars I, Propositio 14: Praeter Deum nulla dari, neque concipi
potest substantia. . .. Corollarium 1: Hinc clarissime sequitur I. Deum esse
Wlicum, hoc est (... ) in rerum natura non, nisi unam substantiam, dari,
eamque absolute infmitam esse, ... Pars II, Propositio 11, Corollarium: Hinc
( d. h. aus Propositio 11) sequitur Mentem humanam partem esse infmiti intel-
lectus Dei; ac proinde cum dicimus, Mentem humanam hoc, vel illud perci-
pere, nihil aliud dicimus, quam quod Deus, non quatenus infinitus est, sed
quatenus per naturam humanae Mentis explicatur, sive quatenus humanae
Mentis essentiam constituit, hanc vel illam habet ideam; ... - In Spinoza:
Opera (ed. Paulus). Bd 2.46 bzw. 87; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.56
bzw. 94j. (15: Außer Gott kann keine Substanz sein und keine begriffen
werden. 16: Hieraus folgt ganz klar, 1. daß Gott einzig ist, das heißt (... ),
daß es in der Natur der Dinge nur Eine Substanz gibt, und daß diese unbe-
dingt unendlich ist, ... bzw. 60: Hieraus folgt, daß die menschliche Seele ein
Teil des unendlichen Verstandes Gottes ist. Wenn wir daher sagen, die
menschliche Seele nehme dieses oder jenes wahr, so sagen wir nichts anderes,
als daß Gott, nicht sofern er unendlich ist, sondern sofern er durch die Natur
der menschlichen Seele erklärt wird oder sofern er die Wesenheit der
menschlichen Seele ausmacht, diese oder jene Idee habe; .. .)
Anmerkungen 323

111,268 Akosmismus} Die Bezeichnung der Philosophie des Spinoza als


Akosmismus sowie die Entgegensetzung dieses Begriffs gegen den Vorwurf des
Atheismus dürfte zurückgehen auf Salomon Maimon: Lebensgeschichte. Von
ihm selbst geschrieben und herausgegeben von K. P. Moritz. In zwei Theilen.
Theil1. Berlin 1792. 154: Es ist unbegreiflich wie man das spinozistische Sy-
stem zum atheistischen machen können? da sie doch einander gerade ent-
gegengesetzt sind. In diesem wird das Daseyn Gottes, in jenem aber das
Daseyn der Welt geleugnet. Es müßte also eher das akosmische System
heißen. Hege/ dürfte diese Deutung Spinozas als eines Akosmisten wenn nicht
durch Maimon, so durch Murrs Adnotationes bekannt geworden sein, die Hege/
im Rahmen seiner Tätigkeit an der Spinoza-Ausgabe von H. E. G. Paulus im
Sommer 1802 zu bearbeiten hatte; siehe Benedicti de Spinoza Adnotationes ad
Tractatum Theologico Politicum. Ex autographo edidit ac praefatus est, addita
notitia scriptorum philosophi, Christophorus Theophilus de Murr. Hagae 1802. 4:
Quidquid metaphysica transscendentalis potest efficere, Spinoza praestitit.
Ornnis metaphysica dogmatica ducit ad Spinozae systema, mediumque
inter ambo systemata, atheisticum et akosmicum tenet Lcibnizianum,
judice Salom. Maimon, qui Kantii criticam philosophiam pro classica ct
tarn inrefutabili habuit, ac libros Euclidis. (Vgl. auch den Editorischen Bericht
zu GW 5.) - Hegels Übernahme des Begriffs des Akosmismus - hier wie in den
philosophiegeschichtlichen Vorlesungen (Werke. Bd 15.404, 408) sowie der En-
zyklopädie (1827 bzw. 1830). §50 Anm. und§ 573 Anm.- steht im Gegensatz
gegen Jacobis Ablehnung dieses Begriffs; siehe dessen- etwa 1818-1819 geschrie-
benen- Vorbericht zu Bd 4 seiner Werke, XXXIVJ: Dieses in seinem Grunde
blödsinnige Weltall [sc. des Spinoza} macht sich selbst einen blauen Dunst
vor von Wesen, welche nicht sind, deren jedes, mithin auch ihre Gesammt-
heit, nur ein wechselndes Nichts ist. Darum könnte man sagen, der Spinozis-
mus läugne nicht sowohl das Daseyn eines Gottes, als das Daseyn einer I
wirklichen und wahrhaften Welt, grade wie sich dieses auch von jedem spä-
teren System der Art sagen ließe. Das ist aber im Grunde nur ein WortspieL
111,269-271 Spinoza behauptet, ... Wirklichkeit.} Eine derartige Behaup-
tung läßt sich bei Spinoza in dieser Form nicht nachweisen; Hege/ zieht hier viel-
mehr- veranlaßt durch die Diskussion um Spinozas Akosmismus (siehe die vorher-
gehende Anm.) - eine Konsequenz aus Spinozas Ansatz.
111,281-112,284 Aber ... gelten.) Hegels Kritik richtet sich unspezifiziert
sowohl gegen die Philosophie der Aufklärung, insbesondere die franziisische Philo-
sophie (siehe W 15.521 über Robinets Rede vom unbekannten Gott), als auch gegen
den Deismus (siehe z. B. Herbert von Cherbury: De Veritate, prout distingui-
tur a revelatione, a Verisimili, a Possibili, & a Falso. 16281; Londini 1645.
210Jf) und die theologia naturalis, die zwar an der Erkennbarkeif Gottes Jesthält,
aber ihn nur als ens necessarium oder ens perfectissimum begreift (siehe z. B. Chri-
stianus Wolfius: Theologia naturalis. Pars 11. 4Jf(§§ 6JJ), schließlich auch gegen
die Kritik an der Erkennbarkeif Gottes bei Kant und Jacobi und ihren Nachfolgern
in Philosophie und Theologie. Die Bezeichnung Gottes als des höChsten Wesens
324 Anhang

findet sich u. a. auch noch bei F. D. E. Schleiermacher: Der christliche Glaube


nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dar-
gestellt. Bd 1. Berlin 1821. 36, 10, 37, 44 u. ö. (§§ 9, 2, 10).
112,291-298 Die Werke ... hervor,) Siehe Spinoza: Epistolae. Brief Nr 36
( = Nr 23 nach Gebhardts Zählung): Notari taudem voluissem, quod, quamvis
opera proborum, (hoc est, eorum, qui claram Dei habent ideam, ad quam
cuncta eorum opera, ut et cogitationes determinantur) et improborum, (hoc
est, eorum, qui Dei ideam haud possident, sed tantum rerum terrenarum
ideas, ad quas eorum opera, cogitationesque determinantur) et denique om-
nium eorum, quae sunt, ex Dei aeternis legibus et Decretis necessario pro-
fluant, ... -In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 1.582; Spinoza: Opera (ed.
Gebhardt). Bd 4.148f (124f Schließlich hätte ichihnen gerne bemerkt, daß
zwar das Tun der Frommen (d. h. derer, die eine klare Idee von Gott haben,
nach der all ihr Tun und Denken sich I bestimmt) und der Gottlosen (d. h.
derer, die eine Idee von Gott nicht besitzen, sondern bloß Ideen von den
irdischen Dingen, nach denen sich ihr Tun und Denken bestimmt) und
schließlich aller, die existieren, von Gottes ewigen Gesetzen und Ratschlüssen
notwendig herkommt .. .)
112,298-299 und ... aeterni.) Siehe Spinoza: Ethica. Pars II, Propositio 44,
Corollarium 2: De natura Rationis est, res sub quadam aeternitatis spccie per-
cipere. - Siehe ferner Pars IV, Propositio 62 und Pars V, Propositio 29. In
Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2. 118, 250, 288J; Spinoza: Opera (ed. Geb-
hardt). Bd 2. 126, 257, 298f (94: Es liegt in der Natur der Vernunft, die
Dinge unter einer gewissen Art der Ewigkeit wahrzunehmen. - Siehe ferner
243 und 285.)
112,299-300 [Die) Notwendigkeit ... Gottes.) Siehe die vorletzte Anm.
sowie Spinoza: Ethica. Pars I, Propositio 33, Scholium 2: Ex praecedentibus
clare sequitur, res summa perfectione a Deo fuisse productas, quandoquin-
dem ex data perfectissima natura necessario secutae sunt.... Attamen ...
ostendam, quod, quamvis concedatur, voluntatem ad Dei essentiam per-
tinere, ex I ejus perfectione nihilominus sequatur, res nullo alio potuisse
modo, neque ordine a Deo creari; quod facile erit ostendere, si prius con-
sideremus id, quod ipsimet concedunt, videlicet ex solo Dei decreto et
voluntate pendere, ut unaquaeque res id, quod est, sit (ed. Paulus: fit). -In
Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.65J; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd
2.74j. (35: Aus dem Vorangegangenen folgt klar, daß die Dinge in höchster
Vollkommenheit von Gott hervorgebracht sind; sind sie doch aus der ge-
gebenen vollkommensten Natur notwendig gefolgt. 36: Doch will ich ...
zeigen, daß, selbst wenn man zugibt, der Wille gehöre zur Wesenheit Gottes,
nichtsdestoweniger aus Gottes Vollkommenheit folgt, daß die Dinge auf keine
andere Weise und in keiner anderen Ordnung von ihm geschaffen werden
konnten. Dies wird sich leicht zeigen lassen, wenn wir zuvörderst das be-
trachten, was sie selbst zugestehen, nämlich daß es von Gottes Beschluß und
Willen allein abhängt, daß jedes Ding ist, was es ist.)
Anmerkungen 325

112,300-302 Die menschliche ... Bestimmten.] Siehe den Titel von Spino-
za: Ethica. Pars IV: De servitute humana, seu de affectuum viribus, sowie die
Vorrede: Humanam impotentiam in moderandis et coercendis affectibus
Servitutern voco; ... -Zum Zusammenhang der Affekte mit dem Wollen von
einzelnem Endlichen siehe u. a. Pars III, Propositio 56, Demonstratio: ergo, prout
unusquisque a causis extemis hac, aut illa Laetitiae, Tristitiae, Amoris, Odii
etc. specie afficitur, hoc est, prout ejus natura hoc aut alio modo constituitur,
ita ejus Cupiditas alia, atque alia esse et natura unius a natura alterius Cupi-
ditatis tantum differre necesse est, quantum affectus, a quibus unaquaeque
oritur, inter se differunt. Dantur itaque tot species Cupiditatis, quot sunt
species Laetitiae, Tristitiae, Amoris etc. et consequenter (per iam ostensa)
quot sunt objectorum species, a quibus afficimur. - In Spinoza: Opera (ed.
Paulus). Bd 2.199 bzw. 178; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.205 bzw.
185. (186: Von der Menschlichen Knechtschaft oder von den Kräften der
Affekte. . .. Die menschliche Ohnmacht, die Affekte zu meistem, zu hem-
men, nenne ich Knechtschaft; ... 161J: je nachdem also jemand von äußeren
Ursachen in diese oder in jene Art der Freude, der Trauer, der Liebe, des
Hasses usw. versetzt wird, das heißt je nachdem seine Natur in diesen oder in
einen anderen Zustand gebracht wird, muß seine Begierde immer wider
eine andere sein, und die Natur der einen Begierde muß sich von der
Natur der anderen um so viel unterscheiden, als die Affekte sich vonein-
ander unterscheilden, durch die die einzelnen Begierden entstehen. Es gibt
daher ebensoviel Arten der Begierde, als Arten der Freude, der Trauer,
der Liebe usw. vorhanden sind, und folglich (nach dem bereits Bewiesenen)
als Arten uns affizierender Objekte vorhanden sind.) - Siehe ferner die dritt-
letzte Anm.
112,302-303 Der Geist ... zurückführt,] Siehe Spinoza: Ethica. Pars V,
Propositio 14: Mens efficere potest, ut ornnes Corporis affectiones, seu rerum
imagines ad Dei ideam referantur. - In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd
2.280; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.290. (276: Die Seele kann be-
wirken, daß alle Körperaffektionen oder Vorstellungsbilder der Dinge auf
die Idee Gottes bezogen werden.)- Vgl. W 15.404 (Ms?).
112,304 was ist ... Gott.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars I, Propositio 15:
Quidquid est, in Deo est et nihil sine Deo esse, neque concipi potest. - In
Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.46; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd
2.56. (16: Alles, was ist, ist in Gott, und nichts kann ohne Gott sein oder
begriffen werden.)
112,304-305 Dadurch ... Affekte.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars V, Propositio
6: Quatenus Mens res ornnes, ut necessarias intelligit, eatenus majorem in
affectus potentiam habet, ... -In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.275;
Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.284. (270: Sofern die Seele alle Dinge
als notwendig erkennt, insofern hat sie eine größere Macht über die Affekte
oder leidet sie weniger von ihnen.)- Vgl. W 15.404 (Ms?).
112,305-306 Das ... Freiheit.] Spinoza spricht in diesem Zusammenhang nicht
326 Anhang

ausdrücklich von einer Rückkehr zu Gott; siehe aber Spinoza: Ethica. Pars IV,
Propositio 66, Scholium: ... facile videbimus, quid homo, qui solo affectu, seu
opinione, homini, qui ratione ducitur, intersit. Ille enim, velit nolit, ea, quae
maxime ignorat, agit; hic autem nemini, nisi sibi, morem gerit et ea tantum
agit, quae in vita prima esse novit, quaeque propterea maxime cupit et ideo
illum servum, hunc autem liberum voco, ... - In Spinoza: Opera (ed. Pau-
lus). Bd 2.254; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.260. (247: ... so werden
wir leicht sehen, worin der Unterschied zwischen einem Menschen, der nur
vom Affekt oder von der Meinung, und einem Menschen, der von der Ver-
nunft geleitet wird, besteht. Jener nämlich handelt, mag er nun wollen oder
nicht, ohne im geringsten zu wissen, was er tut; dieser dagegen ist nieman-
dem zu Willen als sich selbst und tut nur das, was er als das Wichtigste im
Leben erkennt und deswegen am meisten begehrt. Und darum nenne ich
jenen einen Knecht und diesen einen Freien.)
112,307 Diese ... werden.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars I!, Propositio 32:
Ornnes ideae, quatenus ad Deum referuntur, verae sunt. - In Spinoza:
Opera (ed. Paulus). Bd 2.107; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.116. (83:
Alle Ideen sind wahr, sofern sie sich auf Gott beziehen.) - Vgl. W 15.404
(Ms?).
112,307-310 Aus ... Gott.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars V, Propositio 32,
Corollarium: Ex tertio cognitionis genere [sc. quod procedit ab adaequata idea
quorundam Dei attributerum ad aequatam cognitionem essentiae rerum, vgl.
eben da Propositio 25, Demonstratio] oritur necessario Amor Dei intellectualis.
Nam ex hoc cognitionis genere oritur (... ) Laetitia concomitante idea Dei,
tanquarn causa, hoc est (... ) Amor Dei, non quatenus ipsum ut praesentem
imaginamur; (...) sed quatenus Deum aeternum Esse intelligimus et hoc est,
quod arnorem Dei intellectualem voco. - In Spinoza: Opera (ed. Paulus).
Bd 2.291; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.300. (287: Aus der dritten
Gattung der Erkenntnis [sc. die von der adäquaten Idee einiger Attribute
Gottes fortschreitet zur adäquaten Erkenntnis der Wesenheit der Dinge, vgl.
ebenda Lehrsatz 25, Beweis] entspringt notwendig die geistige Liebe zu Gott.
Denn aus dieser Gattung der Erkenntnis entspringt (... ) Freude, begleitet
von der Idee Gottes als der Ursache, das heißt (... ) Liebe zu Gott, nicht
sofern wir ihn als gegenwärtig vorstellen (... ), sondern sofern wir einsehen,
daß Gott ewig ist; und dies ist es, was ich die geistige Liebe zu Gott nenne.)-
Vgl. W 15.405 (Ms?).
112,311-312 Gott ... haben,] Siehe Spinoza: Ethica. Pars V, Propositio 35:
Deus se ipsum Amore intellectuali infinito amat. I Demonstratio: Deus est
absolute infinitus, (...) hoc est, (... ) Dei natura gaudet infinita perfectione,
idque (... ) concomitante idea sui, hoc est, (... ) idea suae causae ... - In
Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.292; Spinoza: Opera (ed. Gebhardt). Bd
2.302. (289: Gott liebt sich selbst mit unendlicher geistiger Liebe. I Gott ist
(...) unbedingt unendlich, das heißt (...) Gottes Natur erfreut sich unend-
licher Vollkommenheit und zwar (...) unter Begleitung der Idee ihrer
Anmerkungen 327

selbst, das heißt (... ) der Idee ihrer Ursache; .. .) - Spinoza spricht aber nicht
davon, daß Gott nur sich selbst zum Zwecke haben ko"nne.
113,313_:314 die Bestimmung ... richten.] Siehe Spinoza: Ethica. Pars V,
Propositio 36, Scholium: Ex his clare intelligimus, qua in re salus nostra seu
beatitudo, seu Libertas consistit, nempe in constanti et aetemo erga Deum
Amore, sive in Amore Dei erga homines. - Siehe ferner Pars IV, Propositio 28:
Summum Mentis bonum est Dei cognitio, et summa Mentis virtus Deum
cognoscere. - In Spinoza: Opera (ed. Paulus). Bd 2.293 bzw. 221; Spinoza:
Opera (ed. Gebhardt). Bd 2.303 bzw. 228. (289f: Auf Gnmd hiervon er-
kennen wir klar, worin unser Heil oder unsere Glückseligkeit oder Freiheit
besteht; nämlich in beständiger und ewiger Liebe zu Gott I oder in der Liebe
Gottes zu den Menschen. 211: Das höchste Gut der Seele ist die Erkenntnis
Gottes und die höchste Tugend der Seele Gott erkennen.) - Vgl. ferner vor-
liegenden Band, Anm. zu 112,291-298.
113,322-331 Malebranche ... seines Alters.] Diese Angaben zu Malebranches
Biographie sind der Darstellung bei Buhle: Geschichte. Bd 3, Abt. 2.430f ent-
nommen. Hege/ setzt aber insofern einen eigenen Akzent, als bei ihm Buhfes
pejorative Unterto"ne (von einer fast überspannten Frömmigkeit) entfallen; siehe
statt dessen die Varianten zu 113,330.- Bei dem von Hege/ erwäh11ten Werk des
Cartesius handelt es sich um den Traite de l'homme.
113,333-335 Ein Teil ... Einbildungskraft.] Hege/ bezieht sich wahrscheinlich
arif die folgenden Überschriften in Malebranche: Recherche. Livre 1: Des erreurs
des sens. - Livre 2, partie 1 und 2: De l'imagination. partie 3: De Ia com-
munication contagieuse des imaginations fortes. - Livre 3, partie 1: De
l'entendement ou de l'esprit pur. partie 2: De Ia nature des idees. - Insbe-
sondere dieser letztgenannte Teil dürfte mit der Charakterisierung ganz meta-
physisch gemeint sein.
113,337-338 Er setzt ... Ausdehnung,] Siehe Malebranche: Recherche.
Livre 3, partie 1, chapitre 1. 292: que I' essence de I' esprit ne consiste que dans
Ia pensee, de meme que l'essence de Ia matiere ne consiste que dans l'etendue;
... (<Euvres. 381) (5: ... daß das Wesen des Geistes nur im Denken
besteht, ebenso wie das Wesen der Materie nur in der Ausdehnung be-
steht; .. .)
113,338-114,340 Sein Hauptgedanke ... Dingen.] Daß die Seele ihre Vor-
stellungen von ä~ßeren Dingen erhalte, bildet die erste von Malebranche erwähnte,
aber verworfene Bestimmung dieses Verhältnisses. Siehe Malebranche: Recher-
che. Livre 3, partie 2, chapitre 1. 324: II. Division de toutes !es manieres selon
lesquelles on peut voir !es objets de dehors. I Nous assurons donc qu'il est
absolument necessaire, que les idees que nous avons des corps, & de tous !es
autres objets que nous n' appercevons point par eux-memes, viennent de ces
memes corps, ou de ces objets: ... (<Euvres. 417.) (39: II. Einteilung aller
Arten, auf die man die äußeren Objekte sehen kann. I Wir sind also dessen
gewiß, daß es absolut notwendig ist, daß die Ideen, die wir von den Körpern
haben und von allen anderen Objekten, die wir nicht an sich selbst wahr-
328 Anhang

nehmen, von diesen Körpern selbst oder von diesen Objekten herkommen,
0 0 .)

114,344-345 »Die Seele ... erzeugen.«] Dies ist die zweite, von Malebranche
ebenfalls verworfene empiristische Weise. Siehe Malebranche: Recherche. Livre
3, partie 2, chapitre 3.328: La secende opinion est de ceux qui croycnt, que
nos ames ont Ia puissance de produire !es idees des choses ausquelles elles
veulent penser: & qu' elles sont excitees a!es produire par !es impressions que
!es objets font sur le corps, quoique ces impressions ne soient pas des images
semblables aux objets qui !es causent. Ils pretendent que c' est en cela que
!'hemme est fait al'image de Dieu, & qu'il participe asa puissance. (CEuvres.
422.) (43f: Die zweite Meinung ist die derer, welche glauben, daß unsere
Seelen die Macht haben, die Ideen der Dinge, an die sie denken wollen, her-
vorzubringen: daß sie zu ihrer Hervorbringung angeregt werden durch
Eindrücke, welche die Objekte auf den Körper machen, obwohl diese Ein-
!drücke keine den sie verursachenden Objekten ähnliche Bilder sind. Sie
behaupten, daß gerade darin der Mensch nach dem Bilde Gottes gemacht ist,
und daß er an seiner Macht teil hat; ... )
114,345-346 »Saget ... seid.«] Dieses Zitat steht bei Malebranche in einem
anderen Zusammenhang. Nach der kritischen Betrachtung der dritten möglichen
Bestimmung des Verhältnisses von Seele und Gegenständen - der Annahme ange-
borener Ideen (die hier nicht erwähnt ist; vgl. aber W 15.412)- geht Malebranche
zur Erörterung und Widerlegung der vierten Ansicht über, einer von Descartes in
der dritten Meditation berührten Ansicht (siehe Descartes: Meditationes. III. 18f
(§ 14); Descartes: CEuvres. Bd 8,1. 41), die später von dem Cartesianer Louis de Ia
Forge vertreten wurde. Siehe Malebranche: Recherche. Livre 3, partie 2, chapitre
5.337: La quatrieme opinion est, que l'esprit n'a besoin que de soi- meme,
pour appercevoir !es objets; & qu'il peut, en se considerant & ses propres
perfections, decouvrir toutes !es choses qui sont au dehors. (CEuvres. 433.)
(53: Die vierte Meinung ist die, daß der Geist nur seiner selbst bedarf, um die
Objekte wahrzunehmen, und daß er dadurch, daß er sich und seine eigenen
Vollkommenheiten betrachtet, alle Dinge, die außerhalb seiner sind, ent-
decken kann.)- Um seine Widerlegung dieser Annahme zu stützen, zitiert Male-
branche Augustins Satz aus Sermo 8. De verbis Domini: (Die quia tu tibi
Iumen non es) 338: Ne dites pas que vous soyez avous memes votre lumiere.
Hege/ übersetzt diese französische Fassung. Siehe Malebranche: Recherche.
Livre 3, partie 2, chapitre 5. (CEuvres. 434.)
114,346-347 Das Resultat ... sehen.] Dies ist die fünfte von Malebranche
erwogene und allein akzeptierte Lösung; siehe Malebranche: Recherche. Livre 3,
partie 2, chapitre 6. 340: Que nous voyons toutes choses en Dieu. (CEuvres.
437.) (57: Wir sehen alle Dinge in Gott.)
114,347-353 Gott ... intellektuell sind.] Siehe Malebranche: Recherche.
Livre 3, partie 2, chapitre 6. 340f: Pour Ia bien comprendre, il faut se souvenir
de ce qu'on vient de dire dans le Chapitre precedent, qu'il est absolument
necessaire que Dieu ait en lui-meme !es idees de tous !es etres qu'il a creez,
Anmerkungen 329

puisqu' autrement il n' auroit pas pu les produire, & qu' ainsi il voit tous ces
etres en considerant les perfections qu'il renferme ausquelles ils ont rapport. Il
faut de plus sc;:avoir que Dieu est tres etroitement uni a nos ames par sa pre-
sence, desorte qu'on peut dire qu'il est le lieu des esprits, de meme que les
cspaces sont le lieu des corps. Ces deux choses etans supposees, il est certain I
que l'esprit peut voir ce qu'il y a dans Dieu qui represente les etres creez,
puisque cela est tres-spirituel, tres-intelligible, & tres-present a1' esprit. Ainsi
1' esprit peut voir en Dieu les ouvrages de Dieu, suppose que Dieu veüille
bien lui decouvrir ce qu'il y a dans lui qui les represente. (CEuvres. 437.) (57:
Um sie recht zu begreifen, muß man sich an das erinnern, was eben in dem
vorhergehenden Kapitel gesagt wurde, daß es absolut notwendig ist, daß
Gott in sich selbst die Ideen aller von ihm geschaffenen Wesen hat, da er sie
sonst gar nicht hätte hervorbringen können, und daß er so alle diese Wesen
dadurch sieht, daß er die Vollkommenheiteil betrachtet, die er in sich
schließt, mit denen sie in Beziehung stehen. Man muß weiterhin wissen, daß
Gott mit unseren Seelen durch seine Gegenwart sehr eng verbunden ist, so
daß man sagen kann, daß er der Ort der Geister ist, ebenso wie die Räume
... der Ort der Körper sind. Unter Voraussetzung dieser beiden Dinge ist es
gewiß, daß der Geist das in Gott zu sehen vermag, was die geschaffenen
Wesen vorstellt, da dies sehr geistig, sehr intelligibel und dem Geist sehr
gegenwärtig ist. Daher kann der Geist in Gott die Werke Gottes sehen, vor-
ausgesetzt, daß Gott ihm das zu entdecken gewillt ist, was sie in ihm vor-
stellt.)- Vgl. auch die Teilübersetzung in W 15.412J(Ms?).
114,356-361 das Allgemeine ... Dingen.] Siehe Malebranche: Recherche.
Livre 3, partie 2, chapitre 6. 344: Ainsi l'esprit n'apperc;:oit aucune chose que
dans l'infmi: & tant s'en faut que cette idee soit formee de l'assemblage con-
fus de toutes les idees des etres particuliers, comme le pensent les Philosophes
[vor Descartes]; qu' au contraire toutes ces idees particulieres ne sont que des
participations de l'idee generale de l'infmi: de meme que Dieu ne tient pas
son etre des creatures, mais toutes les creatures ne subsistent que par lui.
(CEuvres. 441f) (61: Daher nimmt der Geist kein Ding anders wahr als (im
Unendlichen Übersetzung nach 6. Auflage: kraftder Idee, die er vom Unend-
lichen hat): und weit gefehlt, daß diese Idee aus der verworrenen Anhäufung
aller Ideen der einzelnen Dinge gebildet sein könnte, wie die Philosophen
glauben, sind im Gegenteil alle diese besonderen Ideen nur Partizipationen
der allgemeinen Idee des Unendlichen: ebenso wie Gott sein Sein nicht von
den Kreaturen erhält, sondern alle Kreaturen nur (in ihm bestehen. Über-
setzung nach 6. Auflage: unvollkommene Partizipationendes göttlichen Seins
sind.))- Vgl. auch die Übersetzung in W 15.414f. (Ms ?).
114,361-363 Die Idee ... denken;] Siehe Malebranche: Recherche. Livre 3,
partie 2, chapitre 6.344: Mais non seulement l'esprit a l'idee de l'infini, ill'a
meme avant celle du fmi. Car nous concevons l'etre infini, de cela seul que
nous concevons l'etre, sans penser s'il est fini ou infmi. Mais afin que nous
concevions un etre fini, il faut necessairement retrancher quelque chose de
330 Anhang

cette notion generale de l'etre, laquelle par consequent doit preceder.


(CEuvres. 441.) (60f: Aber nicht nur hat der Geist die Idee des Unendlichen, I
er hat sie sogar vor der des Endlichen. Denn wir erfassen das unendliche Sein
allein dadurch, daß wir das Sein erfassen, ohne zu bedenken, ob es endlich
oder unendlich ist. Aber damit wir ein endliches Sein erfassen, ist es schlech-
terdings notwendig, etwas von diesem allgemeinen Begriff des Seins wegzu-
nehmen, der infolgedessen vorhergehen muß.)- Dieser Text geht dem in der
vorigen Anm. zitierten unmittelbar voraus. Freie und verkürzte Übersetzungen
einzelner Partien dieser Texte sind in W 15.412-415 wiedergegeben, wahrschein-
lich auf Grund Hege/scher Manuskripte. Die beiden im Text der Nachschriften
überlieferten Zitate bilden einen wiederum verkürzten Nachklang dieser Materia-
lien.
114,366-115,368 Wenn ... sieht.] Siehe Malebranche: Recherche. Livre 3,
partie 2, chapitre 6.343: Car toute creature etant un etre particulier, on ne peut
pas dire qu' on voye quelque chose de cree lors qu' on voit par exemple, un
triangle en general. (CEuvres. 441.) (60: Denn da jedes Geschöpf ein beson-
deres Wesen ist, kann man nicht sagen, daß man irgend etwas Geschaffenes
sieht, wenn man beispielsweise ein Dreieck im allgemeinen sieht.)- Vgl. die
Übersetzung der vollständigen Fassung des Zitats in W 15.414 (Ms?).
115,368-374 Man kann ... erschaffene,] Siehe Malebranche: Recherche.
Livre 3, partie 2, chapitre 6.343f: Enfin je ne croi pas qu' on puisse bien rendre
raison de Ia maniere dont I'esprit connoit plusieurs veritez abstraites &
generales, que par Ia presence de celui qui peut eclairer I' esprit en une infmite
de fa~ons differentes. 1/ Enfin Ia preuve de I' existence de Dieu Ia plus belle, Ia
plus relevee, Ia plus solide, & Ia premiere, ou celle qui suppose le moins de
choses, c'est l'idee que nous avons de l'infini, quoi qu'il ne le comprenne pas;
& qu'il a une idee tres-distincte de Dieu, qu'il ne peut avoir que par l'union
qu'il a avec lui; puisqu'on ne peut pas concevoir, que l'idee d'un etre infini-
ment parfait, qui est celle que nous avons de Dieu, soit quelque chose de
cree. (CEuvres. 441.) (60: Schließlich glaube ich auch nicht, daß man sich
anders hinreichend Rechenschaft von der Art, auf die der Geist mehrere
abstrakte und allgemeine Wahrheiten erkennt, zu geben vermag als durch
die Gegenwart dessen, der den Geist auf unendlich verschiedene Weise zu
erleuchten imstande ist. Schließlich ist der schönste, der höchste, der festeste
und der erste Beweis der Existenz Gottes oder derjenige, der am wenigsten
voraussetzt, die Idee, die wir vom Unendlichen (haben, Übersetzung nach 6.
Auflage: haben. Denn es steht fest, daß der Geist das Unendliche wahr-
nimmt,) obwohl er es nicht begreift, und daß er eine sehr deutliche Idee von
Gott hat, die er nur durch die Vereinigung mit ihm haben kann, da es un-
vorstellbar ist, daß die Idee eines unendlich vollkommenen Wesens, wie wir
sie von Gott haben, etwas Geschaffenes sein sollte.) - Vgl. die zum Teil freie
und selektive Übersetzung dieses Textes in W 15. 414 (Ms ?), die vermutlich die
Vorlage für den in den Nachschriften überlieferten Text bildet.
115,375 Alles ... Grundes.] Hege/ bezieht sich wahrscheinlich arif Malebran-
Anmerkungen 331

ehe: Recherche. Livre 3, partie 2, chapitre 6.344: Mais afin que nous con-
cevions un etre fmi, il faut necessairement retrancher quelque chose de cette
notion generale de l'etre, laquelle par consequent doit preceder. - Siehe die
Anm. zu 114,361-363.
115,376 wie bei Spinoza] Hege/ spielt an auf den Satz, daß alle Bestimmtheit
Negation des Allgemeinen sei; siehe vorliegenden Band 104,69-71 mit Anm.
115,379-387 Augustin ... Gott an.] Siehe Malebranche: Recherche. Livre
3, partie 2, chapitre 6.346: (Malebranche zitiert eine längere Passage aus Augu-
stin: De trinitate. und fährt fort:) II y a dans saint Augustin une infmite de
passages semblables a celui-ci, par lesquels il prouve que nous voyons Dieu
des cette vie, par Ia connoissance que nous avons des veritez eternelles. La
verite est increee, immuable, immense, eternelle au dessus de toutes choses.
Elle est vraie par eile meme. Elle ne tient sa perfection d' aucune chose. Elle
rend !es creatures plus parfaites, & tous !es esprits cherchent naturellerneut a
Ia conno!tre. II n'y a rien qui puisse avoir toutes ces perfections que Dieu.
Donc Ia verite est Dieu. Nous voyons de ces veritez immuables & eternelles.
Donc nous voyons Dieu. (CEuvres. 444.) (63: Es gibt im heiligen Augustin
unendlich viele dieser ähnliche Stellen, durch die er beweist, daß wir Gott
schon in diesem Leben durch die Erkenntnis der ewigen Wahrheiten sehen.
Die Wahrheit ist ungeschaffen, unwandelbar, unermeßlich, ewig, über alle
Dinge erhaben. Sie ist durch sich selbst wahr. Sie erhält ihre Vollkommen-
heit von nichts anderem. Sie macht die Geschöpfe vollkommener, und alle
Geister streben von Natur aus danach, sie zu erkennen. Nur Gott allein kann
alle diese Vollkommenheiten besitzen. Also ist die Wahrheit Gott. Wir sehen
solche unveränderlichen und ewigen Wahrheiten. Mithin sehen wir Gott.)-
Vgl. die- nicht ganz vollständige- Übersetzung in W 15.415f(Ms?).
115,387 wie Spinoza] Hege/ spielt wahrscheinlich auf Spinozas Gedanken des
amor Dei intellectualis an; siehe vorliegenden Band 112,311-312 mit Anm.
115,388-392 es ist . . . ihm ist.] Siehe Malebranche: Recherche. Livre 3,
partie 2, chapitre 6.344f: II est impossible que Dieu ait d' autre fm principale de
ses actions que lui-meme: c' est une notion commune a tout homme capable
de quelque reflexion; & l'Ecriture sainte ne nous permet pas de douter, que
Dieu n' ait fait toutes choses pour lui. II est donc necessaire que non seulement
notre amour nature!, je veux dire le mouvement qu'il produit dans notre
esprit, tende vers lui; mais encore que Ia connoissance & que Ia lumiere qu'il
lui donne nous fasse connoltre quelque chose qui soit en lui; car tout ce qui
vient de Dieu ne peut etre que pour Dieu. Si Dieu faisoit un esprit & lui
donnoit pour idee, ou pour I' objet immediat de sa connoissance le soleil, I
Dieu feroit ce me semble cet esprit, & l'idee de cet esprit pour le Soleil &
non pas pour lui. (CEuvres. 442.) (61f: Schließlich ist es nicht möglich, daß
Gott bei seinen Handlungen ein anderes hauptsächliches Ziel hat als sich
selbst: es ist dies ein jedem Menschen, der einiger Überlegung fähig ist, ge-
läufiger Begriff, und die Heilige Schrift erlaubt uns nicht, daran zu zweifeln,
daß Gott alle Dinge I seinetwegen gemacht hat. Es ist also notwendig, daß
332 Anhang

nicht nur unsere natürliche Liebe, ich meine die Bewegung, die er in unse-
rem Geist hervorruft, auf ihn hin gerichtet ist, sondern auch die Erkenntnis
und das Licht, die er ihm gibt, uns etwas von dem, was in ihm ist, erkennen
läßt, denn alles, was von Gott kommt, kann auch nur für Gott sein. Wenn
Gott einen Geist machte und ihm zur Idee oder zum unmittelbaren Objekt
seiner Erkenntnis die Sonne gäbe, würde Gott, so scheint mir, diesen Geist
und die Idee dieses Geistes für die Sonne und nicht für ihn selber machen.)-
Vgl. die Übersetzung in W 15.415 (Ms?), die die Vorlagefür den in den Nach-
schriften überlieferten Text bildet.
115,392-395 Alle ... Schöpfer;] Siehe Malebranche: Recherche. Livre 3,
partie 2, chapitre 6.345: De sorte que l'on peut dire, que si nous ne voyons
Dieu en quelque maniere, nous ne verrions aucune chose; de mcme que si
nous n'aimons Dieu, je veux dire si Dieu n'imprimoit sans cesse en nous
l'amour du bien en general, nous n'aimerions aucune chose. Car cet amour
etant notre volonte, nous ne pouvons rien aimer, ni rien vouloir sans lui; ...
Ainsi comme nous n'aimons aucune chose que par l'amour necessaire que
nous avons pour Dieu, nous ne voyons aucune chose que par Ia connoissance
naturelle que nous avons de Dieu: & toutes !es idees particulieres que nous
avons des creatures, ne sont que des limitations de l'idee du Createur,
comme tous !es mouvemens de Ia volonte pour !es creatures ne sont que des
determinations du mouvement pour le Createur. (CEuvres. 443.) (62: ... so
daß man sagen kann, daß, wenn wir nicht Gott auf irgendeine Art sähen, wir
überhaupt nichts sehen würden: ebenso wie, wenn wir Gott nicht liebten,
ich meine wenn Gott nicht unaufhörlich in uns die Liebe zum Gut im allge-
meinen eindrückte, wir überhaupt nichts lieben würden. Denn da diese Liebe
unser Wille ist, können wir nichts lieben noch irgend etwas wollen ohne ihn,
... Wie wir kein Ding anders lieben als kraft der notwendigen Liebe, die
wir zu Gott haben, so sehen wir auch kein Ding anders als kraft der natür-
lichen Erkenntnis, die wir von Gott haben: und alle besonderen Ideen, die
wir von den Geschöpfen haben, sind nur Einschränkungen der Idee des
Schöpfers, so wie alle Bewegungen des Willens von seiten der Geschöpfe nur
nähere Bestimmungen der Bewegung für den Schöpfer sind.) - Vgl. die mit
dem Vorlesungstext fast identische Übersetzung des letzten Satzes in W 15.415.
(Ms?).
115,395-116,396 er ... Ursache] Wie oben bei der Anspielung auf Spinozas
Gedanken des amor Dei intellectualis (siehe die Anm. zu 115,387), so dürfte Hegel
auch hier Spinozas Begriff der causa sui in seine Darstellung Malebranches ein-
fließen lassen; siehe hierzu vorliegenden Band 106,113-116 mit Anm.
116,398-399 Das Angegebene . . . Psychologie] Hegels Darstellung be-
rücksichtigt allein die metaphysischen Partien der Recherche deIaverite in Livre
3, partie 2. Die vorangehenden und die folgenden Bücher liegen jenseits seines
Interesses. In der Wissenschaft der Logik ( GW 21.148) bezieht er sich ferner noch
auf den Eclaircissement Sur Ia nature des Idees.
116,418-117,436 John Locke ... 1704.] Diese biographischen Angaben
Anmerkungen 333

stützen sich mifBuhle: Geschichte. Bd 4, Abt. 1.238-241; eine weitere Quelle


läßt sich nicht nachweisen. - Hege/ teilt deshalb auch Buh/es Irrtümer. So spricht
Buhle davon (239), Locke sei 1664 mit einem englischen Gesandten an den
Brandenburgischen Hof gegangen und habe ein Jahr in Berlin gelebt. Die an den
Brandenburgischen Hof gerichtete Gesandtschaft unter der Leituug von Sir Walter
Vane hat jedoch erst im Winter 1664-65 stattgefunden, und sie hat in Kleve mit
Friedrich Wilhelm, dem Großen Kurfürsten, verhandelt.- Buhle sagt flleiter (240),
Locke sei Ende 1683 dem Grafen Shajtesbury nach Holland nachgereist; Lockcs
Flucht nach Holland erfolgte aber erst nach dem Tode Shajtesburys (Januar 1683),
im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Rye House Plot vom Juni 1683. -
Schließlich nennt Buhle (241) 1694 als Erscheinungsjahr von Locke: An Essay
conceming Human Understanding. Der Essay erschien jedoch bereits Ende 1689
mit der Jahreszahl 1690. -Das von Hege/ genannte Datum der Rückkehr nach
England- 1688- trifft nur für Wilhelm von Oranien zu. Locke selbst kehrte erst
einige Monate später zurück, und zwar auf Einladuug der Prinzessin Mary - der
Gemahlin Wilhclms- mit demselben Schilf wie sie, im Februar 1689.
119,480 Bei Plato ... Wahre.] Hegel bezieht sich auf seine Interpretation des
Platonischen Philebos; vgl. vorliegende Ausgabe, Teil 3 (Originalpaginicrrmg
327-329).
119,485 Die Ideen ... Cartesius.] Siehe vorliegenden Band 98,869-872 mit
Anm.
119,485-486 Locke ... Ideen] Die Bestreitung der Annahme angeborener Ideen
bildet den Inhalt des ersten Buchs, Kapp. 2-4. von Lackes Essay; siehe insbesondere
Locke: Essay. Book 1, chapter 2, § 1. Bd 1. 13: §. 1. It is an established Opinion
amongst some Men, That there are in the Understarrding certain innatc
Princi ples; some Primary Notions. ( !) KmviXl ~vvoLIXL, Charactcrs, as it
were, stamped upon the Mind of Man, which the Soul receives in its very
first Being; and brings into the W orld with it. It would be sufficient
to convince unprejudiced Readers of the Falseness of this Supposition, if I
should only shew (as I hope I shall in the following Parts of this Discoursc)
how Men, barely by the Use of their Natural Faculties, may attain to all the
Knowledge they have, without the Help of any Innate Imprcssions; and
may arrive at Certainty, without any such Original Notions or Principles.
(W orks. 48.)
119,486-487 und beruft ... fmdet;] Siehe Locke: Essay. Book 1, chapter 2,
§ 5. Bd 1.14: §. 5. For, first 'tis evident, that all Children and Ideots, havc
not the least Apprehension or Thought of them: And thc Wantofthat is
enough to destroy that Universal Assent, which must needs be the neccssary
Concomitant of all Innate Truths: It seeming to me near a Contradiction, to
say, that there arc Truths imprinted on the Soul, which it perceivcs or
understands not: Imprinting, if it significs any Thing, bcing nothing eise, but
the making certain Truths to be perceived. For to imprint any Thing on thc
Mind, without the Mind's perceiving it, seems to me hardly intelligible.
(Works. 49!)- Vgl. die Übersetzung in W 15.426 (Ms?).
334 Anhang

119,487-488 z. B. . .. usf.] Siehe Locke: Essay. Book 1, chapter 2, § 4. Bd


1.14: I shall begirr with the Speculative, and instance in those magnified
Principles of Demonstration: Whatsoever is, is; and 'Tis impossible
for the same Thing to be, and not to be, which of all others I think
have the most allow' d Tide to Innate. These have so settled a Reputation of
Maxims universally received, that 'twill, no doubt, be thought strange, if
any one should seem to question it. But yet I take liberty to say, that these
Propositions are so far from having an universal Assent, that there are a great
Part of Mankind, to whom they arenot so much as known. (Works. 49.)-
Vgl. die Übersetzung in W 15.426 (Ms?).
119,495-504 Jeder Mensch ... Wissen;] Siehe Locke: Essay. Book 2 (Of
Ideas in general, and their Original.), chapter 1, § 1f Bd 1.67J: §. 1. Every
Man being conscious to himself, That he thinks, and that which his Mind is
apply' d about whilst Thinking, being the Ideas that are there, 'tis past
doubt, that Men have in their Mind several Ideas, such as are those expres-
sed by the Words, Whiteness, Hardness, Sweetness, Thinking,
Motion, Man, Elephant, Army, Drunkenness, and others: It is in
the first Place then to be inquired, How he comes by them? .. . f §. 2. Let us
then suppose the Mind tobe, as we say, white Paper, void of all Characters,
without any Ideas; How comes it tobe fumished? Whence comes it by
that vast Store, which the busy and boundless Fancy of Man has painted on
it, with an almost endless Variety? Whence has it all the Materials of Reason
and Knowledge? Tothis I answer, in one Word, from Experience: In that
all our Knowledge is founded; I and from that it ultimately derives it self.
(Works. 104.)
119,504-506 durch ... verwandele.] Hege/ interpretiert hier wahrscheinlich
Locke: Essay. Book 2, chapter 1, § 3. Bd 1.68: §. 3. First, Our Senses, con-
versant about particular sensible Objects, do convey into the Mind,
several distinct Perceptions of Things, according to those various Ways,
wherein those Objects do affect them: And thus we come by those Ideas we
have of Yellow, White, Heat, Cold, Soft, Hard, Bitter, Sweet,
and all those which we call sensible Qualities, which when I say the Senses
convey into the Mind, I mean, they from Extemal Objects convey into the
Mind what produces there those Perceptions. (Works. 105.)- Perceptions
scheint an dieser - nur durch Pinder belegten - Stelle durch Vorstellungen wieder-
gegeben zu sein.
119,506-120,515 Alles ... bewegt;] Siehe Locke: Essay. Book 2, chapter 1,
§ 2. Bd 1.67f: In Experience, all our Knowledge is founded; I and from that it
ultimately derives it self. Our Observation imploy'd either about External
sensible Objects; or about the Interna! Operations of our
Minds, perceived and reflected on by our selves, is that, which
supplies our Understarrdings with all the Materials of Think-
ing. (Works. 104.)
120,516 Locke ... Qualitäten.] Dieser Satz bildet wahrscheinlich eine starke
Anmerkungen 335

Verkürzung von Lackes Unterscheidung von Bodies, Qualities und Ideas. Siehe
Locke: Essay. Book 2, chapter 8, § 7. Bd 1.97: §. 7. To discover the Nature of
our Ideas the better, and to discourse of them intelligibly, it will be con-
venient to distinguish them, as they are Ideas or Perceptions in our Minds;
and as they are Modifications of Matter in the Bodies that cause such Per-
ceptions in us; that so we may not think (as perhaps usually is done) that
they are exactly the Images and Resemblances of something inherent in
the Subject; most of those of Sensation being in the Mind no more thc
Likeness of something existing without us, than the Names that stand for
them are the Likeness of our Ideas, which yet upon Hearing, they are apt
to excite in us. (Works. 134.)
120,516-518 Er macht ... Qualitäten.) Siehe Locke: Essay. Book 2, chaptcr
8. §§ 9-26. Bd 1.97-105.
120,518-520 Primäre ... Geistigen ist.) Siehe vorliegendeil Baud 100,930-
933 mit Aum.
120,520-523 Die ersten . . . Gerüche.) Zu deu primäreu Qualitäten siehe
Locke: Essay. Book 2, chapter 8, § 9. Bd 1.98: These I call original or pri-
mary Qualities of body, which I think we may observe to produce
simple Ideas in us, viz. Solidity, Extension, Figure, Motion, or Rest and
Number. (Works. 135)- Zu den sekundären Qualitäten siehe ebenda § 10.
Bd 1.98: §. 10. 2dly, Such Qualitites, which in Truth arenothing in the
Objects themselves, but Powers to produce various Sensations in us by their
primary Qualities, i.e. by the Bulk, Figure, Texture, and Motion of
their insensible Parts, as Colours, Sounds, Tastes, &c. These I call second-
ary Qualities. (Works. 135.)- Hege/ erwähnt nicht die 11on Locke im An-
schluß daran unterschiedene dritte Art von Qualitäten, which are allowed to bc
barely Powers, though they are as much real Qualitics in thc Subjcct, as
those which I, to comply with the common way of Speaking, call Qua-
lities, but for Distinction, secondary Qualitics. For the Power in Fire
to produce a new Colour or Consistency in W ax or Clay by its primary
Qualities, is as much a Quality in Fire, as the Power it has to produce in me a
new Idea or Sensation of Warmth or Buming, which I feit not beforc, by
the same primary Qualities, viz. The Bulk, Texture, and Motion of its in-
sensible Parts. - Im Unterschied zu Descartes, auf den Hege/ in diesem Zusam-
menhang verweist, spricht Locke hier nicht von Qualitäten des Geistigen. - Zum
Verhältnis der primären und sekundären Qualitäten zu den Ideas siehe ferner ins-
besondere ebenda § 15. Bd 1.99: ... I think it is easy to draw this Observation,
that the Ideas of primary Qualities of Bodies, are Rescmblances
of them, and their Patterns do really exist in the Bodies themselves; but
the Idcas, produced in us by these secondary Qualitics, have no
Resemblance of them at all. There is nothing likc our Ideas existing
in the Bodies themselves: They are in the Bodies we denominate from
them, only a Power to produce those Sensations in us: And what is
Sweet, Blue, or Warm in Idea, is but the certain Bulk, Figure, and Motion
336 Anhang

of the insensible Parts in the Bodies themselves, which wc call so. (W orks.
137.)
120,524-530 Nachdem ... gewonnen hat;] Siehe Locke: Essay. Book 2,
chapter 2, § 2. Bd 1.81 (Fußnote): For General Ideas come not into the Mind
by Sensations or Reflection, but are thc Creature or Inventions of the
Understanding, as I think, I have shcwn; and also, how thc mind makes
them from Ideas which it has got by Sensation and Reflection, ... -Diese
Fußnote .findet sich erst von der fünften Ausgabe des Essay (1706) an; sie ist nicht
in den W orks enthalten, die sich an der vierter1 Auflage orientieren; vgl. eben da
119.
120,530--532 so ist ... Ideen.] Siehe Locke: Essay. Book 2, chapter 22, § 2. Bd
1.236: The Mind often exercises an active Power in making these
sevcral Combinations: For it being once furnished with simple Ideas, it
can put them tagether in several Compositions, and so make Variety of
complex Ideas, withoutexaminingwhether they exist so tagether in Nature.
(Works. 288.)- Vgl. die verkürzte Übersetzung in W 15.432 (Ms?).
120,532-121,537 Der Verstand . . . macht.] Siehe Locke: Essay. Book 2,
chapter 22, § 2. Bd 1.236: §. 2. That the Mind, in respect of its simple Ideas,
is wholly Passive, and receives them all from the Existence and Operations of
Things, such as Sensation or Reflection offers them, without being able to
make any one Idea, Experience shew us. (Works. 288.) - Vgl. W 15.432
(Ms?). -Die von Hege! in das Zitat eingeschobene Erläuterung der einfachen
Bestimmungen nimmt Bezug auf die im Essay vorangehender~ Kapitel 13-21, in
denen Locke diese simple modes ausführlich betrachtet. Siehe insbesondere chapter
13: Of Simple Modes; and first, of the Simple modes of Space; 14: Of Dura-
tion, and its simple Modes; 16: Of Number; 17: Of Infinity; 21: Of Power.-
Zur Definition dieser modes siehe Locke: Essay. Book 2, chaptcr 12, § 4. Bd
1.125: §. 4. First, Modes I call such complex Ideas, which however com-
pounded, contain not in them the Supposition of subsisting by themselves,
but arc considered as Dependencies on, or Affections of Substances; such are
the Ideas signified by theWords Triangle, Gratitude, Murther, &c.
(W orks. 165.)
121,539-542 Da macht ... Wirkung.] Siehe Locke: Essay. Book 2, chapter 12,
§ 5. Bd 1.125: §. 5. Of these Modes there are two sorts, which deserve
distinct Consideration. First, There are some which are only Variations, or
different Combinations of the same simple Idea, without the mixture of
any other, as a Dozen, or Score; which are nothing but the Ideas of so
many distinct Unites added •ogeth~r, and these I call simple Modes, as
being contained within the Bounds of one simple Idea. Secondly, There are
others compounded of simple Ideas of several kinds, put tagether to make
one Camplex one; v.g. Beauty, consisting of a certain Composition of
Colour and Figure, causing Delight in the Beholder; Theft, which being
the concealed Change of the Possession of any Thing, without the consent of
the Proprietor, contains, as is visible, a Combination of several Ideas of
Anmerkungen 337

several kinds; and these I call mixed Mo des. (Works. 165.)- Zum Begriff
der Mixed Modes siehe ferner chapter 22 (Of Mixed Modes.), insbes. § 1. Bd
1.236: Thesemixed Modes being also such Combinations of simple Ideas,
as are not looked upon to be the Characteristical Marks of any real Beings
that have a steady Existence, but scattered and independent Ideas, put
together by the Mind, are thereby distinguished from the complex Ideas of
Substances. (Works. 288.)- Zur Kausalität siehe vorliegenden Band 121,559-
569 mit Anm.
121,546-549 Raum ... Gefühl.] Siehe Locke: Essay. Book 2, chapter 13, § 2.
Bd 1.127: I have shewed above, c. 4. that we get the Idea of Space, both by
our Sight and Touch; which I think is so evident, that it would be as need-
less to go to prove, that Men perceive, by their Sight, a Distance between
Bodies of different Colours, or between the Parts of the same Body; as that
they see Colours themselves: Nor is it less obvious, that they can do so in the
Dark by Feeling and Touch. (Works. 167.)
121,554-559 Zu dem ... Zeit ist.] Siehe Locke: Essay. Book 2, chapter 14,
§ 3. Bd 1.141: §. 3. To understand Time and Eternity aright, wc ought
with Attention to consider what Idea it is we havc of Duration, and how
wc came by it. 'Tis evident to any one who will but observc what passes in
his own Mind, that there is a Train of Ideas which constantly succeed one
another in his Understanding, as long as he is awake. Reflection on these
Appearances of several Ideas, one after another in our Minds, isthat which
furnishes us with the Idea of Succession: And the Distance between any
Parts of that Succession, or between the Appearance of any two Ideas in
our Minds, isthat we call Duration. (Works. 181!)- Hege! berücksichtigt
nicht Lockes nachfolgende Unterscheidung zwischen Zeit und Dauer; siehe hierzu
Bd 1.146: §. 17. Having thus got the Idea of Duration, the next Thing natu-
ral for the Mind to do, is, to get some Measure of this common Dura-
tion, whereby it might judge of its different Lengths, and consider the
distinct Order, wherein several Things exist, without which a great Part of
our Knowldge would be confused, ... This Consideration of Duration, as
setout by certain Periods, and marked by certain Measures or Epochs, is
that, I think, which most properly we call Time. (Works. 187.)
121,559-569 So erhalten ... Wirksamkeit an.] Siehe Locke: Essay. Book 2,
chapter 26, § 1. Bd 1.276: §. 1. In the Notice that our Senses take of the con-
stant Vicissitude of Things, we cannot but observe, that several particular,
both Qualities and Substances, begin to exist; and that they receive this
their Existence from the due Application and Operation of some other
Being. From this Observation we get our Ideas of Cause and Effect.
That which produces any simple or complex Idea, we denote by the gene-
ral Name Cause; and that which is produced, Effect. Thus fmding, that in
that Substance which we call Wax, Fluidity, which isasimple Idea, that was
not in it before, is constantly produced by the Application of a certain
Degree of Heat, we call the simple Idea of Heat, in Relation to Fluidity in
338 Anhang

Wax, the Cause of it, and Fluidity, the Effect.... § 2. Bd 1.277: we may
observe, that the Notion of Ca use and Effect, has its Rise from Ideas
received by Sensation or Reflection; and that this Relation, how com-
prehensive soever, terminates at last in them. For to have the Idea of Cause
and Effect, it suffices to consider any simple Idea, or Substance, as beginn-
ing to exist, by the Operation of some other, without knowing the manner
of that Operation. (Works. 324f.) - Vgl. die Teilübersetzung in W 15.433f
(Ms?).
121,569-571 Aber ... Substanz.] Siehe Locke: Essay. Book 2, chapter 23,
§ 1. Bd 1.242: §. 1. The Mind being, as I have declared, furnished with a
great Number of the simple Ideas conveyed in by the Senses, as thcy arc
fotmd in cxteriour Things, or by Reflection in its own Operations, takes
notice also that a certain Numbers of these simple Ideas go constantly
together; which being presumed to belong to one Thing, and W ords being
suited to common Apprehensions, and made use of for quick Dispatch, are
called, so united in one Subject, by one Name; which by Inadvertency, we
are apt afterwards to talk of, and consider as one simple Idea, which indeed
is a Complication of many Ideas together; Because, as I have said, not
imagining how these simple Ideas can subsist by themselves, we accustom
our selves to suppose some Substra tum, wherein they do subsist, and from
which they do result; which therefore we call Substance. (Works. 295.)
122,574-576 Das Tun ... anderen.] Siehe Locke: Essay. Book 3, chapter 3,
§ 6. Bd 2.10: ... Ideas become general, by separating from them the Cir-
cumstances of Time, and Place, and any other Ideas, that may determine
them to this or that particular Existence. By this way of Abstraction they are
made capable of representing more Individuals than one; each of which,
having in it a Conformity tothat Abstract Idea, is (as we call it) ofthat sort.
(Works. 411.)- Siehe auch diefolgende Anm.
122,579-582 Wir erhalten ... geben;] Siehe Locke: Essay, Book 3, chapter 3,
insbes. § 13. Bd 2.1~(: ... the sorting of them (sc. the things) under Names,
is the W orkmanship of the Understanding, taking occasion
from the Similitude it observes amongst 'em, to make Abstractgeneral
Ideas, and set 'em up in the mind, with Names annex'd to 'em, as Patterns
or Forms, (for in that sense the word Form has a very proper Signification,)
to which, as particular Things existing are found to agree, so they come to
be of that Species, have that Denomination, or are put into that Classis .
. . . J . . . And what are the Essences of those Species, set out and marked by

Names, but those abstract Ideas in the mind; which are, as it were, the
Bonds between particular Things that exist, and the Names they are ranked
tobe ranked under? (Works. 415.)- Zum Unterschied zwischen Namenwesen
und realem Wesen siehe§ 15. Bd 2.21j: First, Essence may be taken for the
Being of any thing, whereby it is what it is. And thus the real internal, but
generally in Substances, unknown Constitution of Things, whereon their
discoverable Qualities depend, may be called their Essence .... / Sec-
Anmerkungen 339

ondly, ... the Word Essence ... I ... has been almost wholly applied to
the artificial Constitution of Genus and Species .... But it being evident,
that Thingsare rankedunder Namesintosorts of ( !) Species, only as they
agree to certain abstract Ideas, to which we have annexed those Names, the
Essence of each Genus, or Sort, comes to be nothing but that abstract
Idea, which the General, or Sortal ... Namestands for. ... These two
sorts of Essences, I suppose, may not unfitly be termed, the one the Real,
the other the Nominal Essence. (Works. 417.) - Hegels Bemerkung, wir
kennten nicht das reale Wesen der Natur, dürfte sich neben dem vorhergehenden
Zitat auch noch auf Lockes Zurückweisung zweier Irrtümer bei der Annahme realer
Wesenheilen- the Supposition of Essences, that cannot be known-
beziehen; siehe hierzu§ 17. - Siehe auch die folgende Anm.
122,582-585 Daß nun ... Mißgeburt.] Siehe Locke: Essay. Book 3, chapter
3, § 17. Bd 2.22: The frequent Productions of Monsters, in all the Species of
Animals, and of Changelings, and other strange Issues of humane Birth,
carry with them Difficulties not possible to consist with this Hypothesis
(sc. der Annahme realer Wesenheiten): since it is as impossible, that two things,
partaking exactly of the same real Essence, should have different Pro-
perties, as that two Figures partaking in the same real Essence of a Circle,
should have different Properties. (Works. 418.)
123,620-624 Er hat ... haben.] Diese kurze Auskutift läßt nicht deutlich wer-
den, welche methodische Funktion derartige Beispiele für Grotius haben. Das Recht
gründet für Grotius letztlich in der der menschlichen Vernunft entsprechenden
Sorgefür die- vom Geselligkeitstrieb (appetitus societatis) angestrebte- Gemein-
schaft (societatis custodia, humani intellectui conveniens, fons est ejus I juris,
quod proprie tali nomine appellatur) (De iure belli ac pacis. Prolegomena. Xf
§ 6.8).- 33: selbst wenn man annähme, was freilich ohne die größte Sünde
nicht geschehen könnte, daß es keinen Gott gäbe oder daß er sich um die
menschlichen Angelegenheiten nicht bekümmere (XIIf: etiamsi daremus,
quod sine summo scelere dari nelquit, non esse Deum, aut non curari ab eo
negotia humana). (Prolegomena.§ 11). Die einzelnen Bestimmungen des Völker-
rechts stützen sich auf einen consensus gentium; siehe insbesondere Prolegomena.
§ 17. XVf: 17. Sed sicut cuiusque civitatis jura utilitatem suae civitatis re-
spiciunt, ita inter civitates aut ornnes, aut plerasque, ex conlsensu iura quae-
dam nasci potuerunt, et nata apparet, quae utilitatem respicerent non coetu-
um singulorum, sed magnae illius universitatis. Et hoc jus est quod gentium
dicitur, quoties id nomen ajure naturali distinguimus. (34: 17. Wie nun das
Recht eines jeden Staates auf den Nutzen des Staates eingerichtet ist, so hat
sich auch unter allen oder mehreren Staaten durch Übereinkommen ein
Recht bilden können. Das so entstandene Recht wird nicht den Nutzen
einzelner Genossenschaften, sondern nur den des großen Ganzen berücksich-
tigt haben. Dieses Recht heißt das Völkerrecht, sofern man es von dem
Naturrecht unterscheidet.)- Siehe ferner Prolegomena.§ 40. XXVIII: 40. Usus
sum etiam ad juris hujus probationem testimoniis philosophorum, histori-
340 Anhang

corum, poetarum, postremo & oratorum: non quod illis indiscrete cre-
dendum sit; solent enim sectae, argumento, causae servire: sed quod ubi
multi diversis temporibus ac locis idem pro certo affirmant, id ad causam
universalem referri debeat: quaein nostris quaestionibus alia esse non potest,
quamaut recta illatio ex naturae principiis procedens, aut communis aliquis
consensus. Illa jus naturae indicat, hic jus gentium: (39f: 40. Zum Beweis
dieses Rechtes habe ich auch die Aussprüche der Philosophen, Geschichts-
schreiber, Dichter, ja selbst der Redner benutzt, nicht, weil ihnen unbedingt
zu vertrauen ist, denn die Parteien pflegen mit ihren Beweisen nur ihrer
Sache zu dienen, sondern weil, wenn viele aus verschiedenen Zeiten und
allen Orten dasselbe als gewiß behaupten, dies auf einen allgemeingültigen
Grund hinweist, der in unseren Erörterungen kein anderer sein kann als die
richtige Schlußfolgerung, wie sie sich aus der Natur der Sache ergibt, oder
die allgemeine ÜberJeinstimmung. Jener Grund gehört zum Naturrecht,
dieser zum Völkerrecht.)- Der Erkenntnis diesesconsensusdienen die geschicht-
lichen Nachforschungen, in denen Grotius den Vorzug seiner Methode gegenüber
den früheren sieht, in denen die Geschichte fehle (Prolegomena. § 38.) - Siehe
insbesondere Prolegomena.§§ 46-48. XXXIVf: 46. Historiae duplicem habent
usum, qui nostri sit argumenti: nam et exempla suppeditant, & judicia.
Exempla quo meJliorum sunt temporum ac populorum, eo plus habent
auctoritatis: ideo Graeca & Romana vetera caeteris praetulimus. Nec sper-
nenda judicia, praesertim consentientia: jus enim naturae, ut diximus, aliquo
modo inde probatur; ius vero gentium non est ut aliter probetur. I 47.
Poetarum & oratorum sententiae non tantum habent pondus: & nos saepe iis
utimur non tarn ut inde adstruamus fidem, quam ut his, quae dicere volui-
mus, ab ipsorum dictis aliquid ornamenti accedat. I 48. Librorum, quos a
Deo afflati hornirres aut scripserunt, aut probarunt, auctoritate saepe utor,
cum discrimine antiquae & novae legis. Antiquam Iegern sunt qui urgent pro
ipso jure naturae: haud dubie mendose; multa enim ejus veniunt ex Dei
voluntate libera, quae tamen cum vero jure naturae nunquam pugnat: &
eatenus argurnenturn inde recte ducitur, dummodo distinguamus accurate
jus Dei, quod Deus per hornirres interdum exsequitur, & jus hominum inter
se. (41f: 46. Die Geschichte hat für unser Vorhaben einen zweifachen Nut-
zen; sie bietet Beipiele und Grundsätze. Die ersten haben um so mehr Wert,
je besser die Zeit und das Volk ist, dem sie entlehnt sind. Deshalb haben wir
die aus der alten griechischen und römischen Geschichte vorzugsweise be-
rücksichtigt. Auch die Richtersprüche sind nicht zu verachten; namentlich,
wenn sie übereinstimmen. Denn das Naturrecht wird, wie wir bemerkt
haben, dadurch einigermaßen bewiesen, und für das Völkerrecht gibt es auch
keinen anderen Beweis.l47. Die Aussprüche der Dichter und Redner haben
kein so großes Gewicht; wir benutzen sie nicht gerade des Beweises wegen,
sondern um unsere Darstellung durch ihre Worte zu verzieren. I 48. Das
Ansehen der Bücher, welche in Eingebung Gottes geschrieben oder gebilligt
worden sind, werde ich oft benutzen und dabei zwischen dem Alten und
Anmerkungen 341

Neuen Testament unterscheiden. Manche wollen das Alte Testament


zu einem Naturrecht erheben, allein mit Unrecht; denn vieles darin stammt
aus dem freien Ratschluß Gottes, der allerdings nicht mit der wahren Natur
in Wideristreit steht. Man kann deshalb einen Beweis daraus entnehmen,
wenn man nur gerrau unterscheidet zwischen dem Recht Gottes, das Gott
mitunter durch Menschen vollzieht, und zwischen dem Recht unter den
Menschen selbst.)
124,626-629 z. B. Gefangene ... gehen usf.] Siehe Hugo Grotius: De iure
belli ac pacis. Liber 3, caput 4: De jure interficiendi hostes in belle solenni, et
alia vi in corpus. (Über das Recht, in einem förmlichen Kriege die Feinde zu
töten und sonstige Gewalt gegen die Person zu üben.) 783 bzw. 447. Die von
Grotius hier herangezogenen Sätze deuten allerdings eher darauf hin, daß es nach
dem Kriegsrecht sehr wohl gestattet sei, Gefangene zu töten; siehe insbesondere die
Argumenta zu§§ 10-12: 783: X. Etiam ad captos, & quovis tempere (452: Es
erstreckt sich auch auf die Gefangenen, und zwar zu jeder Zeit.); XI: Etiam
ad eos qui se dedere volunt, nec recipiuntur (453: XI. Das Kriegsrecht gilt
jederzeit auch für die, welche sich ergeben wollen, aber nicht angenommen
werden.); XII. Etiam ad deditos sirre conditione (453: XII. Das Kriegsrecht
erstreckt sich auch auf die, die sich bedingungslos ergeben haben.) Gefangene
nicht zu töten entspringt weniger einer Bestimmung des bloßen Rechts als vielmehr
Überlegungen der Schicklichkeit und der Sittlichkeit (Liber 3, caput 4, § 2: (quid
decet)) bzw. der Nützlichkeit (quod est utilius) (Liber 3, caput 7, § 5). Auch
Liber 3, caput 11: Temperamentum circa jus interficiendi in belle justo (Be-
schränkungen des Tötungsrechts in einem gerechten Kriege) führt übt?r-
wiegend Gesichtspunkte nicht des Rechts, sondern der Sittlichkeit und Nützlichkeit
auf Hegels Formulierung am nächsten kommt ein von Grotius in Liber 3, caput
11, § 13 zitiertes Wort Augustins (Brief 205 an Bonifatius), 900.(: »hostem
pugnantem necessitas perimat, non voluntas, Sicut bellanti & resistenti I
violentia redditur, ita victo vel capto misericordia jam debetur, maxime in
quo pacis perturbatio non timetur.« (512: »Der Feind im Kampfe wird aus
Notwendigkeit, nicht mit Willen getötet. So wie man dem, der Kampf und
Widerstand leistet, Gewalt mit Gewalt beantwortet, so schuldet man dem
Besiegten und Gefangenen Erbarmen, namentlich denen, von denen eine
Störung des Friedens nicht zu besorgen ist.«)
124,648-125,653 Er sagt ... weitergebildet.] Siehe Hobbes: Eiementa phi-
losophiae. Sectio prima. De corpore. Londini 1655. Epistola dedicatoria: ...
Astronomiae initium (praeter Observata) non ultra referendum esse puto,
quam ad Nicolaum Copernicum, Placita Pythagorae Aristarchi,
Philolai, proxime superiore saeculo referentem. Post hunc, agnito jam
Telluris motu, ortaque inde difficili quaestione de descensu gravium, cum
difficultate illa certans nostris temporibus Galilaeus primus aperuit nobis
Physicae universae pertarn primam, naturam Motus. Adeo ut neque ultra
hunc computanda videatur esse aetas Physicae. Postremo, Scientiam Humani
Corporis, Physicae partem utilissimam, in libris suis de Motu Sanguinis, &
342 Anhang

de Generatione Animalium, mirabili sagacitate detexit & demonstravit


Gulielmus Harvaeus ... solus (quod sciam) qui doctrinam novam supe-
rata invidia vivens stabilivit. Ante hos nihil certi in Physica erat, praeter ex-
perimenta unicuique sua, & Historias naturales, si tarnen & hac diccndac
certae sint, quae civilibus Historiis certiores non sunt. At post hos Astrono-
miam & Physicam quidem Universalem Joanne~ Keplerus, Petrus
Gassendus, Marinus Mcrscnnus, Physicam vcro Humani Corporis
specialem Ingenia & Industria Mcdicorum (id est, vere Physicorum,) ... pro
tarn exiguo tempore egregie promoverunt. Physica ergo res novitia cst. -
Vgl. auch Hegels Exzerpt aus der Epistola dcdicatoria in Hegcl: Berliner
Schriften 1818-1831. Herausgegeben von ]ohannes Hoffmcistcr. Harnburg 1956.
689.
125,654 schon früher] Siehe vorliegenden Band 122j
125,656-658 Er sagt ... De cive.] Siehe Hobbes: Eiementa philosophiae.
Sectio prima. De corpore. Epistola dedicatoria: Sed Philosophia Civilis multo
adhuc magis; ut quae antiquior non sit ... libro qucm dc Cive ipsc scripsi.
(im Anschluß an das in der vorletzten Anm. mitgeteilte Zitat)
125,663-665 Er sagt ... Eigennutz.] Siehe Hobbes: Dc civc. Caput 1, § 2.2
(Argumentum zu§ 2): Societatis civilis initium esse a mutuo metu. (Der Ur-
sprung der bürgerlichen Gesellschaft liegt in der gegenseitigen Furcht.)
Hobbes führt zunächst zwei andere Gründe für eine gesellschciftliche Verbindung
der Menschen an: 5: Ornnis igitur societas vcl commodi causa, vcl gloriae,
hoc est, sui, non sociorum amorc contrahitur. (78: Somit wird jede Ver-
bindung nur des Vorteils oder des Ruhmes wegen, d. h. aus Liebe zu sich
selbst und nicht zu den Genossen eingegangen.) Er deckt jedoch die Unzuläng-
lichkeit dieser beiden Gründe auf 6: Statuendum igitur cst, originem magna-
rum & diuturnarum societatum non a mutua hominum benevolentia, sed a
mutuo metu exstitisse. (79: Deshalb muß man anerkennen, daß der Ur-
sprung der großen und dauernden Verbindungen der Menschen nicht von
gegenseitigem W ohlwollcn, sondern von gegenseitiger Furcht ausgegangen
ist.)
125,666-672 Die Menschen ... gegründet.] Siehe Hobbcs: Dc cive. Caput
1, § 3.8: III. Causa mctus mutui consistit, partim in naturali hominum
aequalitate, partim in mutua laedendi voluntatc. Ex quo fit, ut nequc ab aliis
exspcctare, neque nobismet ipsis securitatem pracstare valcamus. Si specte-
mus enim maturos homines, atque animadvcrtamus, quam fragilis sit com-
pages humani corporis: (quo ruente, corruit ornnis ejus vis, robur, & sapien-
tia) quamque facile sit infirrnissimo cuique robustiorem occidcrc, non cst quod
quis viribus fidcns Superiorem SC aliis factum putet a natura. Aequales sunt,
qui aequalia contra se invicem possunt. At qui maxima possunt, nirnirum
occidere, aequalia possunt. Sunt igitur ornnes homines natura inter sc acqua-
les. Inaequalitas quae nunc est, a lege civili introducta est. (79f: 3. Der Grund
der gegenseitigen Furcht liegt teils in der natürlichen Gleichheit der
Menschen, teils in ihrem Willen, sich gegenseitig Schaden zuzufügen; des-
Anmerkungen 343

halb kann man weder von andern Sicherheit erwarten, noch vermag man sie
sich selbst zu verschaffen. Denn betrachtet man die I erwachsenen Menschen
und sieht man, wie gebrechlich der Bau des menschlichen Körpers ist (mit
dessen Verfall auch alle Kraft, Stärke und Weisheit des Menschen vergeht),
wie leicht es selbst dem Schwächsten ist, den Stärksten zu töten: so versteht
man nicht, daß irgend jemand im Vertrauen auf seine Kraft sich andern von
Natur überlegen dünken kann. Die einander Gleiches tun können, sind
gleich. Aber die, die das Größte vermögen, nämlich zu töten, können Glei-
ches tun. Deshalb sind alle Menschen von Natur einander gleich. Die jetzt
bestehende Ungleichheit ist durch das bürgerliche Gesetz eingeführt
worden.)
125,672-673 Ferner ... Zustand.] Siehe Hobbes: De cive. Caput 1, § 4.8f:
IV. Voluntas laedendi omnibus quidem inest in statu naturae, sed non ab I
eadem causa, neque aeque culpanda. Alius enim secundum aequalitatem
naturalem permittit caeteris eadem ornnia, quae sibi: ... Alius superiorem se
aliis existimans, ornnia licere sibi soli vult, & prae caeteris honorem sibi
arrogat; ... Huic igitur voluntas laedendi est ab inani gloria & falsa virium
aestimatione; Illi ex necessitate res suas & libertatem contra hunc defendendi.
(80: 4. Den Willen zu schaden haben im Naturzustande alle Menschen; er
entspringt jedoch nicht immer aus demselben Grunde und ist nicht gleich
tadelnswert. Denn nach der zwischen uns bestehenden natürlichen Gleichheit
gestattet der eine den übrigen ebensoviel wie sich selbst; so der bescheidene
Mensch, der seine Kraft richtig einschätzt. Der andere, der sich für höher hält
als die übrigen, will, daß ihm allein alles erlaubt sei, und maßt sich vor den
andern Ehre an; so der Unbändige. Bei diesem entsteht der Wille zu schaden
aus eitler Ehrsucht und Überschätzung seiner Kraft; beijenem aus der Not-
wendigkeit, seinen Besitz und seine Freiheit gegen den andern zu verteidi-
gen.) - Vgl. ferner §§ 5f
126,680-681 Diesen ... alle.] Siehe Hobbes: De cive. Caput 1,§ 12, 14: XII.
Ad naturalem hominum proclivitatem ad se mutuo lacessendum, ... si addas
jam jus ornnium in ornnia, quo alter j ure invadit, alter j ure resistit, atque
ex quo oriuntur ornnium adversus ornnes perpetuae suspiciones & studium,
... negari non potest, quin status hominum naturalis antequam in societatem
coiretur, Bellum fuerit; neque hoc simpliciter, sed bellum ornnium in
ornnes. (83f: 12. Nimmt man nun zu der natürlichen Neigung der Men-
schen, sich gegenseitig Schaden zuzufügen, ... dies Recht aller auf alles hin-
zu, nach welchem der eine mit Recht angreift und der andere mit Recht
Widerstand leistet, und auch welchem stetes Mißtrauen und Verdacht nach
allen Seiten hin hervorgeht, ... so kann man nicht leugnen, daß der natür-
liche Zustand der Menschen, bevor sie zur Gesellschaft zusammentraten, der
Krieg gewesen ist, und zwar nicht der Krieg schlechthin, sondern der Krieg
aller gegen alle.)
126,690-694 Nach ... lassen.] Siehe Hobbes: De cive. Caput 1, § 14.15J:
... Potest autem victor victum, vel fortior debiliorem ... ad praestandam
344 Anhang

cautionem futurae obedientiae, ni velit potius mori, j ure cogere. Cum enim
jus protegendi nosmet ipsos nostro arbitrio a periculo nostro, atque peri-
culum ab aequalitate profeeturn sit, magis rationi consentaneum est, certius-
que ad conservationem nostram, utendo praeisenti commodo comparare
nobis ipsis securitatem quaesitam, accepta cautione, quam cum adoleverint,
convaluerint, & e nostra potestate se receperint, eandem dubio certamine
postea repetere conari. Contrique, absurdins cogitari nihil potest, quam ut
quem debilem in potestate tenes, eum amittendo, fortem simul & hostem
facias. Ex quo intelligitur etiam, tanquam Corollarium, in statu hominum
naturali, potentiam certarn & irresistibilem, jus conferre rcgen-
di, imperandique in eos, qui resistere non possunt; adeout omni-
potentiae, ab ea causa, omnium rerum agendarum jus essentialiter & im-
mediate adhaereat. (84f: Der Sieger kann aber den Besiegten, oder der
Stärkere den Schwächern ... mit Recht zwingen, daß er ihm Sicherheit
für seinen späteren Gehorsam leiste, wenn er nicht lieber sterben will. Denn I
da das Recht, sich selbst nach eigenem Ermessen zu schützen, von der
eigenen Gefahr, und die Gefahr von der Gleichheit kommt, so entspricht es
mehr der Vernunft und ist für die eigene Erhaltung sicherer, daß man sich
durch Benutzung des gegenwärtigen Vorteils durch Empfang einer Bürg-
schaft die erstrebte Sicherheit verschafft, als daß man, wenn jene groß und
stark geworden sind und unserer Macht sich entzogen haben, sich bemüht,
durch einen zweifelhaften Kampf diese Macht wieder zu gewinnen. Und
andrerseits läßt sich nichts Verkehrteres denken, als einen Schwachen, den
man in der Gewalt hat, freizulassen und damit zu einem Starken und Feind
zugleich zu machen. Hieraus ergibt sich auch, gleichsam als Nebenergebnis,
die Einsicht, daß in dem Naturzustande der Menschen eine feste und un-
widerstehliche Macht dem Inhaber das Recht zur Regierung und zum Befehl
über die gewährt, welche ihm keinen Widerstand leisten können. Aus die-
sem Grunde haftet an der Allmacht wesentlich und unmittelbar das Recht,
alles zu tun.)
126,694-696 Daraus ... naturae.] Siehe Hobbes: De cive. Caput 1, § 13.15:
... Atque ita evenit, ut mutuo metu, e tali statu exeundum & quaerendas
socios putemus; ut si bellum habendum sit, non sit tarnen contra omnes,
nec sine auxiliis. (84: Dadurch kommt es, daß man infolge gegenseitiger
Furcht es für ratsam hält, aus einem solchen Zustande herauszutreten und
Genossen zu suchen, damit, wenn Krieg sein muß, er doch nicht gegen alle
und nicht ohne Hilfe geführt werde.)
126,697-699 Der besondere . . . ist.] Siehe Hobbes: De cive. Caput 5,
§ 6.79: VI. Quoniam igitur conspiratio plurium voluntatum ad eundem
finem non sufficit ad conservationem pacis, & defensionem stabilem, requiri-
tur ut circa ea quae ad pacem & defensionem sunt necessaria, una omnium
sit voluntas. Hoc autem fieri non potest, nisi unusquisque voluntatem
suam, alterius unius, nimirum unius Hominis, vel unius Concilii
voluntati ita subjiciat, ut pro voluntate omnium & singulorum haben-
Anmerkungen 345

dum sit, quicquid de iis rebus quae necessariae sunt ad pacem communem ille
v o I u er i t. ( 128: 6. Wenn sonach die Obereinstimmung des Willens vieler
zu demselben Zwecke nicht genügt, um den Frieden zu erhalten und eine
dauernde Verteidigung zu ermöglichen, so muß in bezugauf die zum Frie-
den w1d zur Selbstverteidigung notwendigen Mittel ein Wille in allen be-
stehen. Dies ist aber nur möglich, wenn die einzelnen ihren Willen dem
Willen eines einzelnen, d. h. eines Menschen oder einer Versammlung so
unterwerfen, daß dieser Wille für den Willen aller einzelnen gilt, soweit er
etwas über das zum gemeinsamen Frieden Notwendige bestimmt.) - Zur
Nichtverantwortlichkeit des Regenten siehe ebenda caput 6, § 12.95: XII. Postre-
mo, ex eo quod civium unusquisque voluntatem suam voluntati ejus sub-
jecit, qui summum in civitate imperium habet, ita ut viribus propriis
contra eum uti non possit; sequitur manifeste, impune debere esse, quicquid
ab eo factum erit. Nam ut punire naturaliter eum nemo potest, qui satis
virium non habet; ita neque jure punire, qui satis virium non habet. (137: 12.
Endlich folgt daraus, daß jeder Bürger seinen Willen dem Willen jenes
unterworfen hat, der die höchste Staatsgewalt innehat, und er mithin sich
seiner Kräfte gegen ihn nicht bedienen kann, ganz klar, daß alles, was von
letzterem getan wird, straflos sein muß. Denn da niemand da ist, der die
genügende Kraft dazu hat, ihn natürlicherweise zu strafen, so kann auch
niemand, der diese Kraft nicht hat, ihn rechtlich strafen.)
126,699-702 So geht ... hervor;] Siehe Hobbes: De cive. Caput 6,
§ 13.95JJ: XIII. Ex his quae dicta jam sunt, manifestissimum est, in omni
civitate perfecta ... esse summum in aliquo Imperium, quo majus ab
hominibus jure conferri non potest, sive quo majus nemo mortalium habcrc
potest in se ipsum. Imperium autcm quo I majus ab hominibus in hominem
transferri non potest, vocamus ABSOLUTUM ••.• Cum jure absolute summi
lmpcrantis, tanta connectitur civium obcdicntia, quanta ad civitatis regimen
ncccssario requiritur, ... Hujusmodi autem obedientiam, licet ea aliquibus
de causis aliquando negari jure possit, quia tarnen praestari major non potest,
SIMPLICEM volcabimus. (137-139: 13. Aus dem Bisherigen wird völlig klar,
daß in jedem vollkommenen Staate, ... einer die höchste Gewalt besitzen
muß, und daß die Menschen eine höhere als diese rechtlich nicht übertragen
können, daß auch ein Sterblicher keine größere Macht gegen sich selbst als
diese besitzen kann. Eine solche Herrschaft, welche die größte ist, welche
Menschen auf einen Menschen übertragen I können, heißt absolut.... I ...
Zu dem absoluten Rechte des höchsten Herrschcrs gehört ein solcher Gehor-
sam von seiten der Bürger, wie er zur Staatsleitung notwendig erforderlich
ist, ... Ein solcher Gehorsam mag vielleicht aus gewissen Gründen mitunter
mit Recht verweigert werden können, da er aber jedenfalls der höchstmög-
liche ist, nenne ich ihn den einfachen Gehorsam.)
126,707-713 Die Engländer ... müsse.] Dieser etwas pauschale Hinweis auf
die Engländer dürfte sich aufThomas Hobbes: De civc. sowie Thomas Hob-
bes: Leviathan. beziehen. Eine darüber hinaus gehende Kenntnis der englischen
346 Anhang

Staatsphilosophie des 17. Jahrhunderts läßt sich bei Hege/ nicht nachweisen. Sie ist
auch deshalb wenig wahrscheinlich, weil seine philosophiegeschichtlichen Quellen
darüber schweigen. Die auiführlichste Darstellung der Probleme findet sich bei
Buhle: Geschichte. Bd 3, Abt. 1. 263JJ, 308ff. Aber auch Buhle geht nicht auf
weitere englische Autoren ein.
127,717-720 Und wie ... worden ist.] Es ist nicht mit Sicherheit zu bestim-
men, auf wen sich der nur von Lö überlieferte Zusatz bei den Engländern bezieht.
Hege/ kiinnte wiederum an John Locke gedacht haben, und zwar an die im Kapitel
über Locke vernachlässigten Two Treatises of Government. In John Locke:
The W orks. A New Edition, Corrected. In Ten Volumes. London 1823. Bd 5.207-
485. - Es ist jedoch nicht sicher, ob Hege/ diese beiden Schriften gekannt habe. -
Daß Hege/ Pufendorfs De jure naturae et gentium libri octo. Londini Scanorum
1672. gelesen habe, läßt sich nicht belegen. Er bes'!ß jedoch Pufendorfs Werk Dc
officio hominis et civis juxta legem naturalem libri duo. Londini Scanorum
1673. in der Ausgabe Basileae 1739. -In W 15.446 (Ms?) hat Regel sich im
wesentlichen auf den einschlägigen Abschnitt in Rixner: Handbuch. Bd 3.31.
gestützt, von dem sich aber im Kolleg 1825/26 keine Spuren nachweisen lassen.-
Der Geselligkeitstrieb, den Regel hier hervorhebt, hat für Pufendorf nicht mehr die
Funktion wie für Grotius; seine Grundbegriffe sind - mit dem Persongedanken
verknüpft- imbecillitas (Bedürftigkeit) und socialitas (Gemeinschaftlichkeit). Daß
hier das immanent Menschliche zu Prinzipien gemacht werde, dürfte sich da-
rauf beziehen, daß Pufendorf den Prozeß der Ablösung einer - säkularen - Natur-
rechtslehre von der theologischen weitertreibt und vor allem die eigenständige Be-
deutung der Sozialordnung gegenüber anderen Bereichen betont und soziologische,
historische und kulturelle Elemente in einen erweiterten Rahmen des Naturrechts
einbezieht. Im Zuge der Verwirklichung dieses Programms finden sich allerdings
hinlänglich viele Beispiele für die von Regel bemerkte Verbindung empirischer
Materialien und rationaler Reflexion.
127,723-724 Sein Wahlspruch ... Metaphysik«] Dieser Wahlspruch konnte
bislang bei Newton nicht nachgewiesen werden. (Die von Michelet (W15.447) als
Quelle angegebene Ausgabe der Optik. London 1706. 314. war den Herausgebem
allerdings nicht zugänglich.) Er findet sich jedoch in der zeitgentYssischen Literatur
zu Newton mehrfach zitiert; siehe u. a. Buhle: Geschichte. Bd 4, Abt. 1. 115.
127,725-727 Anziehungskraft ... sind.] An dieser Bemerkung läßt sich ein
grundsätzlicher Unterschied in der Beurteilung des Verhältnisses des Newtonsehen
Werkes zur Metaphysik ablesen. Newton weiß sich von Hypothesen - auch meta-
physischen Hypothesen - entfernt, da er zwar die Phänomene auf Grund der Gra-
vitationskraft exponiere, aber nicht nach deren Ursache frage; für Hege/ ist gerade
die Annahme der Gravitationskraft zur Erklärung von Phänomenen und insbeson-
dere Newtons Behauptung, daß die Gravitationskraft wirklich vorhandm sei, die
Formulierung einer- über sich selbst nicht verständigten - metaphysischen Katego-
rie. Siehe Newton: Principia Mathematica. Scholium generale. 483J: Hactenus
Phaenomena coelorum & maris nostri per Vim gravitatis exposui, sed cau-
sam Gravitatis nondum assignavi. Oritur utique haec Vis a causa aliqua quae
Anmerkungen 347

penetrat ad usque centra Solis J & Planetarum, sine virtutis diminutione;


quaeque agit non pro quantitate superficierum particularum in quas agit
(ut solent causae Mechanicae,) sed pro quantitate materiae solidae; & cuius
actio in imrnensas distantias undique extenditur, decrescendo semper in du-
plicata ratione distantiarum. Gravitas in Solern componitur ex gravitatibus in
singulas Solis particulas, & recedendo a Sole decrescit accurate in duplicata
ratione distantiarum ad usque orbem Saturni, ut ex quiete Apheliorum Pla-
netarum manifestum est, & ad usque ultima Cometarum Aphelia, si modo
Aphelia illa quiescant. Rationern vero harum Gravitatis proprietatum ex
Phaenomenis nondum potui deducere, & Hypotheses non fingo. Quicquid
enim ex Phaenomenis non deducitur, Hypothesis vocanda est; & Hypo-
theses seu Metaphysicae, seu Physicae, seu Qualitatum occultarum, seu Me-
chanicae, in Philosophia Experimentali locum non habent. In hac Phi-
losophia Propositiones deducuntur ex Phaenomenis, & redduntur generales
per Inductionem. Sie impenetrabilitas, mobilitas, & impetus corporum &
Ieges motuum & gravitatis innotuerunt. Et satis est quod Gravitas revera
existat, & agat secundum Ieges a nobis expositas, & ad corporum coelestium
& maris nostri motus ornnes sufficiat.
127,734 Nationalökonomie von Smith] Hege[ besaß dieses Werk in der Aus-
gabe Adam Smith: An lnquiry into the Nature and Causes of the Wealth of
Nations. 4 Bde. Basil 1791, und ebenso John Steuart: Untersuchung der
Grundsätze der Staats-Wirthschaft, oder Versuch über die Wissenschaft der
innerlichen Politik in freyen Staaten, ... 2 Bde. Aus dem Englischen übersetzt.
Harnburg 1769-1770.
128,737-740 Vor einem ... anwende.] Siehe The Morning Chronicle.
February 14th. 1825. p. 3 cols. 3 and 4. -Diesen Artikel hat Hegel exzerpiert;
siehe Hege!: Berliner Schriften. 701: Mom. Chron. 14. 2. 25: Ship Owner's
Society; anniversary dinner of this Soc. The Earl of Liverpool, as President
of the Soc. took the head of the table, supported on his right by Mr.
Secretary Canning, and on his left Sir Charles Long, the Paymaster -
General of the Forces (- 300 persons sat down to the dinner). Mr. Canning
(after the health of Mr. Canning drunk with three times three and reiterated
applause): A period has lately commenced when Ministers have had in their
power to apply to the state of the country the just maxims of profound
philosophy - maxims which have enabled them to carry on their
system in a plainer and more intelligible way; -. Die vollständige Fassung
des Artikels ist wiedergegeben von M. J. Petry: Hege! and The Morning
Chronicle. In Hegel-Studien. Bd 11. Bonn 1976. 31f
128,751 Gottfried Wilhelms, Barons von Leibniz] Für die folgenden Aus-
führungen zu Leibnizens Biographie läßt sich eine Hauptquelle nicht feststellen.
Neben den Darstellungen von Buhle, Brucker, Tennemann und Tiedemann ist
Hege/ auch La vie de Mr. Leibniz in der Einleitung zu den Essais de Theodicee
bekannt gewesen. Zur Richtigstellung mehrerer dieser biographischen Hinweise
siehe diefolgenden Anm.
348 Anhang

128,755-759 Er hat ... ausmacht.] Siehe Leibniz: Opera (ed. Dutens).


Tomus 2, pars 1. 400: VII. Propositiones ex disputatione metaphysica de prin-
cipio individui, quam praeside Jacobo Thomasio, publice proponit Gottfr.
Guil. Leibnitius. Lips. 30. Maii 1663. /I. Materia habet de se actum Entitati-
vum. f II. Non ornnino improbabile est materiam & quantitatem esse realiter
idem./ 111. Essentiae rerum sunt aeternae sicut numeri. / IV. Essentiae rerum
non sunt aeternae, nisi ut sunt in Deo. f V. Possibilis est penetratio dimensio-
num. f VI. Hominis solum una est anima, quae vegetativam & sensitivam
virtualiter includat. / VII. Epistolas Tyranno Phalaridi adscriptas supposititias
crediderim. Nam Siculi Dores erant, hlc genus dicendi Atticum, adde quod
Atticismus illo tempore durior, ut Thucydidis, sed hae sapiunt aetatem Luciani.
Certe ubi combustionem Perilli dependit, declamatorem se producit autor.
129,764 nach Jena ... nach Altdorf.] Der Aufenthalt in Jena im Sommer 1663
fand bereits im Anschluß an die Leipziger Disputation (siehe die vorhergehende
Anm.) statt, also drei Jahre vor dem Abschlagen der juristischen Promotion (1666).
Danach ging Leibniz von Leipzig unmittelbar nach Altdorf, wo er im November
1666 promovierte.
129,765-767 In Nürnberg ... machen.] Der Aufenthalt in Nürnberg fällt in
die Zeit vom Frühjahr - Herbst 1667.
129,767-768 Dann ... Boineburg.] Der Aufenthalt in (Frankfurt rmd) Mainz
beginnt im Herbst 1667. Hege/ übergeht Leibniz' vielfältige Tätigkeiten im Um-
kreis des Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn und des Barons Johann Chri-
stian von Boineburg; die von Hege/ behauptete Erziehertätigkeit ist jedoch für diese
Zeit nicht nachzuweisen.
129,768-770 In ... befindlich.] Diese Briefe findeu sich weniger iu der von
Hegel im allgemeinen benutzten Ausgabe Leibniz: Opera (ed. Dutens), sondem
in Commercii epistolici Leibnitiani, ad ornne genus eruditionis, praesertim
vero ad illustrandam integri propemodum seculi historiam literariam ap-
prime facientis, per partes publicandi tomus prodromus, qui totus est Boine-
burgicus. Recensuit Io. Daniel Gruber. Hanoverae 1745. bzw. Commercii epis-
tolici Leibnitiani typis nondum vulgati selecta specimina edidit notulisque
passim illustravit loannes Georgius Henricus Feder. Hanoverae 1805. Vgl. jetzt
Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe. Herausgegeben von der Preußischen
Akademie der Wissenschaften. Reihe 1, Bd 1. Darmstadt 1923.
129,770-772 Mit diesem ... Paris] Leibniz ging bereits im März 1672 nach
Paris. Seine Aufgabe bildete vor allem die Erledigung von privaten Vermögens-
angelegenheiten v. Boineburgs, daneben das Betreiben des Consilium Aegyptiacum,
d. h. des Versuchs, das politische Interesse Ludwigs XIV. vom Deutschen Reich und
den Niederlanden ab- und auf Agypten zu lenken. Der Sohn Boineburgs, Philipp
Wilhelm,Jolgte erst im November 1672 nach. Die Beaufsichtigung der Studien des
jungen Boineburg bildete somit nur einen Nebenaspekt des Pariser Aufenthalts. -
Kurfürst Johann Philipp von Schönborn verstarb bereits im Februar 1673, also nur
drei Monate nach der Ankunft des jungen Boineburg in Paris. Leibuiz erhielt in
dieser Zeit nicht eine Pension wegen des Abschlusses der Erziehungstätigkeit, son-
Anmerkungen 349

dern ein Gehalt für seine Mainzischen Dienste, daneben ein Gehalt für die - noch
bis zum September 1673 dauernden - Dienste für die Familie Boineburg.
129,772-773 Nach ... entzogen.] Leibniz blieb i11 Paris noch bis 1676 im
Dienst der Kurfürsten von Mai11z, Lothar Friedrich von Metternich und Damia11
Hartard vo11 der Leyen. Hegels Bemerku11g bezieht sich wohl auf das Ausscheideil
aus dem Dienst der Familie Boi11eburg im September 1673.
129,773-775 Er bereiste ... kennenlernte.] Die Bekmmtscluifi mit Huygens
machte Leibniz nicht in Holland, sondern in Paris, im Herbst 1672. Die erste, vo111
Januar bis Februar 1673 unternommene Reise nach London steht noch im Zusalll-
menhang der politischen und privaten Aufträge Leibnizens durch den Mainzischen
Kurfürsten und die Familie Boineburg. Ein zweiter, nur sehr kurzer Aufenthalt in
London während der Rückreise von Paris über England und Holland nach Hanno-
ver fällt in das Jahr 1676. Zu einer Bekanntschaft mit Ne1vto11 ist es dabei sehr
wahrscheinlich nicht gekommen.
129,775-777 Er kam . . . Hannover.] In Braunschweigisch-Lünebur,~ischc
Dienste trat Leibniz Ende des Jahres 1676.
129,777-780 1677 erfand ... benahmen.] Die Erfindung des Dijferential-
kalküls fällt bereits in das letzte der Pariser Jahre, 1676. Die Streitigkeiten z1vische11
Newton und Leibniz um die Priorität sind hier nicht im einzelnen zu belegen. He-
gels Äußerungen sind nicht so zu verstehen, als ob er diese Erfindung allein fiir
Leibniz beanspruchen wolle; dagegen spräche schon die Beschäftigung mit Newtons
Kalkül in der Wissenschaft der Logik (GW 11.165ff; GW 21.253-263). Hege/
dürfte sich lediglich gegen Versuche wenden, den Anteil Leibnizens an dieser Erfin-
dung zu schmälern; siehe z. B. die Kritik an dem Wegfall eines Lobes mif.Lcibniz
in den späteren Auflagen von Newtons Principia mathematica, W 15.451.
129,781-783 besonders ... beziehen,] Diese- erste- Reise fand in den jahreil
1689-1690 statt; vgl. die übernächste Anm.
129,784-785 Schriften ... Haus] Diese Forschungen konnten Hege/ nicht i11
der endgültigen Form bekannt gewesen sein, die sie in dem nachgelassenen Manu-
skript Annales rerum Brunsvicensium. gefunden haben. Es ist aber auch nicht
wahrscheinlich, daß Hege/ die zuvor von Leibniz publizierten Darstellt111gen und
Sammlungen gekannt habe: Lettres sur Ia connexion ancienne des maison de
Brunsvic et d'Este (1695). sowie Scriptores rerum Brunsvicensium illustra-
tioni inservientes (1707-1711). - Nachrichteil über diese Seite des Leibnizschen
Werks sind in den von Hege/ herangezogenen Philosophiegeschichten enthalten. -
Siehe jetzt Leibniz: Gesammelte W erkc. Aus den Handschriften der Kiiniglichm
Bbliothek zu Hannover herausgegeben von Georg Heinrich Pertz. I. Geschichte.
1-3: Annales Imperii occidentis Brunsvicenses. Hannover 1843-1846, Repro-
gra.fischer Nachdmck Bildesheim 1966.
129,785-789 Er ist ... Wissenschaften.] Hege/ unterscheidet nicht die beiden
ersten Aufenthalte in Wien 1688 und 1690 bei der Hin- und Rückreise nach und
von Italien, den dritten im Jahre 1700, den vierten 1708 und den letzten Af!.fenthalt
1712-1714, während dessen er zum Reichshofrat ernannt wurde. Mit Prinz
Bugen wurde Leibniz vielleicht schon 1708 in Hannover bekannt.- Die Gründung
350 Anhang

der Akademie der Wissenschaften fällt in das Jahr 1700. Zu Leibnizens Stellung
zur Prinzessin und nachmaliger Kurfürstin von Brandenburg und Königin von
Preußen Sophie Charlotte siehe insbesondere Leibniz: Werke. Reihe 1. Historisch-
politische und staatswissenschaftliche Schriften. Hrsg. von 0. Klopp. Bd 10: Cer-
respendenz von Leibniz mit Sophie Charlotte, Königin von Preußen. Han-
nover 1877.
130,797-798 an den ... Gnade] Diese Auskunft trifft zwar zu; ihre Richtig-
keit verdankt sich aber wahrscheinlich einem doppelten Irrtum.].]. Koethen hat ir1
seiner lateinischen Übersetzung der später Monadologie genannten Schrift irrtüm-
lich diese als dem Prinzen Bugen gewidmet ausgegeben (Thcses metaphysicae in
gratiam serenissimi principis Eugenii. Geneve 1737). Von hier ging der Irrtum
auch in die von Hege/ benützte Ausgabe ein; siehe Opera (ed. Dutens). Tomus
2, pars 1. 20-31: Principia philosophiae, seu theses in gratiam principis Euge-
nii &c. - Diesen Irrtum hat erst Gerhardt in seiner Ausgabe (Philosophische
Schriften. Bd 6. 483.JJ, 598, 607) aufgedeckt. - Hegels zutreffende Zuschreibung
dürfte sich nicht einer richtigen Information, sondern einem nochmaligen Irrtum
verdanken. Vielleicht orientiert Hege! sich hier aber auch an Jacobi, der den Sach-
verhalt richtig darstellt; siehe Jacobi: Briefe. 387f' Zu Wien, im Jahre 1714.
schrieb er für den Prinzen Eugen von Savoyen, Principes de Ia nature & de Ia
grace. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 2.118.
130,799 über ... Lockes.] Siehe Leibniz: CEuvres philosophiques Latines &
Frans;oises. Tirees de ses manuscrits qui se conservent dans Ia Bibliotheque Royale
a Hanovre, et publiees par Rud. Brie Raspe. Amsterdam et Leipzig 1765.- Darin:
Nouveaux Essais sur l'Entendement Humain par I' Auteur du Systeme de
l'harmonie preetablie. - Vgl. Leibniz: Philosophische Schriften (ed. Ger-
hardt). Bd 5.
130,800-802 Sein berühmtestes ... schrieb.] Siehe Leibniz: Essais de Theo-
dicee. Die A~fassung der Essais geht zurück auf Gespräche, die Lei bniz insbeson-
dere während seiner Aufenthalte in Berlin in den Jahren 1701-1702 mit Königin
Sophie Charlotte über Pierre Bayle: Dictionnaire. führte. Sie nehmen auch Bezug
atif Bayles wenig später erschienene Reponse aux Questions d'un Provincial.
2 Bde. Rotterdam 1704, die von Sophie Charlotte ebenfalls gelesen wurde. Vgl.
Pierre Bayle: CEuvres diverses. 5 Bde. La Haye 1727. Bd 3: Reponse aux
Question d' un Provincial.
130,802-806 Bayle ... unterwerfe sich.] Zu Vanini siehe vorliegenden Band
60,854-859 mit Anm. - Zu Bayles Haltung siehe dessen Dictionairc historique
ct critique. Insbesondere Artikel Spinoza, Anm. M. Bd 3.2637: Accuse d' etre
spinoziste, Bredenbourg se defendit en faisant valoir Ia distinction ordinaire de
Ia Foi & de Ia Raison. Il pretendit que ... il croioit le franc arbitre, quoi que
Ia Raison lui foumit de fortes preuves que tout arrive par une necessite inevi-
table, & par consequent qu'il n'y a point de Religion. Il n'est pas aise dc
forcer un homme dans un tel retranchemcnt. On peut bicn cricr qu'il n'est
point sincerc, & que notre esprit n'est pas fait de teile sorte, qu'il puisse pren-
dre pour vrai cc qu'une Demonstration geometrique lui fait pareitre tres
Anmerkungen 351

faux; mais n'est-ce point s'eriger enJuge dans un cas ou l'incompetence vous
pourra etre objectee? Avons-nous droit de decider de cc qui se passe dans le
cceur d'autrui? (Bayle: Historisches und Critisches Wörterbuch, ... Bd 4.
Leipzig 1744. 267: Auf die Anklage des Spinozismus hat sich dieser (sc. Breden-
bourg) durch die gewöhnliche Unterscheidung, unter dem Glauben und der
Vernunft, vertheidiget. Er hat vorgegeben, daß ... er auch den freyen Wil-
len glaube, ob ihm gleich die Vernunft starke Beweise darbiethe, daß alles,
vermöge einer unvermeidlichen Nothwendigkeit, geschehe, und folglich
keine Religion sey. Es ist nicht leicht, einen Mann hinter einer solchen Ver-
schanzung zu überwältigen. Man kann wohl schreyen, daß er nicht aufrich-
tig ist, und daß unsere Vernunft auf keine solche Art gemachet ist, daß sie
dasjenige für wahr halten könne, was ihr eine geometrische Demonstration
als ganz falsch vorstellet: allein heißt dieses nicht, sich in einer Sache zum
Richter aufwerfen, wo uns die Ungültigkeit vorgeworfen werden kann?
Haben wir ein Recht, darüber zu entscheiden, was in dem Herzen eines an-
dem vorgeht?)
130,809 Optimismus] Dieses Wort selbstfindet sich in der Theodizee nicht; es
scheint erstmals in der Rezension der Theodizee durch die Jesuiten von Trevoux in
den Memoires pour l'histoire des sciences ct des beaux-arts. vom Februar 1737
gebraucht worden zu sein.
130,809-812 Er beweist, . . . sollte.] Siehe Leibniz: Essais de Theodicee.
Insbesondere Tome 1, partie 1. § 8. 77: 8. Or cette supreme sagesse jointe a une
honte qui n' est pas moins infmie qu' elle, n' a pu manquer de choisir le meil-
leur. Car comme un moindre malest une espece de bien; de meme un moin-
dre bien est une espece de mal, s'il fait obstacle a un bienplus grand: & il y
auroit quelque chose a corriger dans !es actions de Dieu, s'il y avoit moycn
de mieux faire. Et comme dans !es Mathematiques, quand il n'y a point de
maximum ni de minimum, rien enfm de distingue, tout se fait egale-
ment; ou quand cela ne se peut, il ne se fait rien du tout; on peut dirc de
meme en matiere de parfaite sagesse, qui n' est pas moins reglee que !es Ma-
thematiques, que s'il n'y avoit pas le meilleur ( optimum) parmi tous !es
Mondes possibles, Dieu n'en auroit produit aucun. J'appelle Monde toute Ia
suite & toute Ia collection de toutes !es choses existantes, afin qu' on ne dise
point que plusieurs Mondes pouvoient exister en differens temps & differcns
lieux. Car il faudroit !es compter tous ensemble pour un Monde, ou si vous
voulez pour un Univers. Et quand on remplireit tous !es tems & tous !es
lieux; il demeure toujours vrai qu'on !es auroit pu remplir d'une infinite de
manieres, & qu'il y a une infmite de Mondes possibles, dont il faut que Dieu
ait choisi Ie meilleur; puisqu'il ne fait rien sans agir suivant Ia suprl:ine Rai-
son. (101: 8. Diese überlegene Weisheit konnte in Verbindung mit einer
nicht weniger unendlichen Güte einzig und allein das Beste erwählen. Denn
wie ein geringes Übel eine Art Gut und ein geringes Gut eine Art Übel ist,
wenn es ein größeres Gut verhindert, so hätte man Ursache, die Handlungen
Gottes zu tadeln, wenn es ein Mittel gäbe, es besser zu machen. Und wie in
352 Anhang

der Mathematik ohne ein Maximum und Minimum, kurz ohne etwas
bestimmt Unterschiedenes, alles gleichförmig verläuft, oder wenn dies nicht
möglich ist, überhaupt nichts geschieht, so läßt sich dasselbe von der voll-
kommenen Weisheit sagen, die gleichen Regelmäßigkeiten untersteht wie
die Mathematik: gäbe es nicht die beste (optimum) aller möglichen Wel-
ten, dann hätte Gott überhaupt keine erschaffen. »Welt« nenne ich hier die
ganze Folge und das ganze Beieinander aller bestehenden Dinge, damit man
nicht sagen kann, mehrere Welten könnten zu verschiedener Zeit und an
verschiedenen Orten bestehen. Man muß sie insgesamt für eine Welt rech-
nen, oder, wie man will, für ein Universum. Erfüllte man jede Zeit und
jeden Ort; es bleibt dennoch wahr, daß man sie auf unendlich viele Arten
hätte erfüllen können und daß es unendlich viel mögliche Welten gibt, von
denen Gott mit Notwendigkeit die beste erwählt hat, da er nichts ohne
höchste Vernunft tut.)- Vgl. Leibniz: Principes de Ia nature & de Ia grace.
§ 10. sowie Leibniz: Principia philosophiae. §55, in Opera (ed. Dutens).
Tomus 2, pars 1.36 bzw. 26 (neue Zählung: Monadologie.§ 53).
130,821-823 dem Spinozismus ... Vorübergehendes ist.] Siehe vorliegenden
Band u. a. 104,60-75 sowie 105,94-98.
131,826 Monas Monadum] Siehe vorliegenden Band 134,922-923 mit Anm.
131,827-829 Diese Substanzen . . . Eins.] Siehe Leibniz: Principes de Ia
nature & de Ia grace. § 1.32: 1. La substance est un etre capable d'action.
Elle est simple ou composee. La substance simple est celle qui n'a point
de parties. La composee est l'assemblage des substances simples, ou de Mo-
NADES. Monas est un mot Grec, qui signifie l'Unite, ou ce qui est un. (3:
1. Die Substanz ist ein der Tätigkeit fähiges Wesen. Sie ist entweder ein-
fach oder zusammengesetzt. Die einfache Substanz ist diejenige, welche
keine Teile hat. Die zusammengesetzte ist die Ansammlung einfacher
Substanzen oder Monaden. Monas ist ein griechisches Wort, das Einheit
heißt oder das, was eines ist.)- Vgl. die Übersetzung in W 15.455 (Ms?).- Daß
Leibniz die Monaden von den Atomen unterscheide, könnte sich beziehen aufLeib-
niz: Principia philosophiae. § 3.20: 3. Ubi non dantur partes, ibi nec exten-
sio, nec figura, nec divisibilitas locum habet. Atque monades istae surrt verac
atomi naturae, &, ut verbo dicam, elementa rerum. (27: 3. Nun ist aber da,
wo keine Teile sind, weder Ausdehnung, noch Gestalt, noch Teilbarkeit
möglich. So sind denn die Monaden, die wahren Atome der Natur und -
mit einem Wort- die Elemente der Dinge.)
131,829-833 Der Beweis ... sich ist.] Siehe Leibniz: Principia philosophiae.
§ 2.30: 2. Necesse autem est dari substantias simplices, quia dantur compo-
sita: neque enim compositum est nisi aggregatum simplicium. (27: 2. Ein-
fache Substanzen muß es geben, da es zusammengesetzte gibt; denn das Zu-
sammengesetzte ist nichts anderes als eine Anhäufung oder ein Aggregat
von Einfachem.)
131,836-838 diese ... herkommt] Siehe vorliegende Ausgabe, Bd 3 (Original-
paginierung 28); vgl. W 14.487.
Anmerkungen 353

131,838 substantielle Formen] Siehe Leibniz: De ipsa natura sive de vi insita


actionibusque creaturarum. In Leibniz: Opera (ed. Dutens). Tomus 2, pars 2.
§ 11.55: ... debere in corporea substantia reperiri entelechiam primam,
tandem 7tpc7rwv Se:x·nxov activitatis; vim scilicet motricem primitivam, quae
praeter extensionem (seu id quod est mere geometricum) & praeter molem
(seu id quod est mere materiale) superaddita, ... Atque hoc ipsum substan-
tiale principium est, quod in viventibus anima, in aliis forma substantialis
appellatur, & quatenus cum materia substantiam vere unam, sed unum per se
constituit, id facit quod ego monadem appello; ... Vgl. Leibniz: Philoso-
phische Schriften (ed. Gerhardt). Bd 4.511. - Vgl. auch Leibniz: Principia
philosophiae. § 77.29: formae, entelechiae aut animae (61: § 74. Formen,
Entelechien oder Seelen).
131,839 von den Scholastikern] Regel geht allerdings bei seiner Behandlung
der Scholastiker nicht auf diese substantiellen Formen ein. - Bei Leibniz schließt-
im Unterschied etwa zu Thomas voll Aquin - der Bereich der substantiellen For-
men auch das Individuum selbst ein, das also bis hin zu seiner haecceitas zum illtel-
ligiblen Wesen gemacht wird. -In W 15.456 ist in diesem Zusammellhallg auch
noch auf alexandrinische metaphysische Punkte verwiesen. Zum Problem siehe
insbesondere Plotirr: Enneaden. V, 7.
131,839-842 sie sind ... entstanden.] Zur Deutung der Monaden als Entele-
chien siehe Leibniz: Principia philosophiae. § 18.22: 18. Nomen Entele-
chiarum imponi posset ornnibus substantiis simplicibus, seu monadibus
creatis. Habentenimin se certarn quandam perfectionem (~xoucn To €vn:Ae~)
datur quaedam in iis sufficientia, (odmipxe:Loc) vi cujus surrt actionum suarum
internarum fontes quasi automata incorporea. (33-35: 18. Man könnte allen
einfachen Substanzen oder geschaffenen Monaden den Namen Entelechien
geben, denn sie I tragen alle eine bestimmte Vollkommenheit in sich (~xoucn
To EVTe:Ae~); sie haben eine Art Selbstgenügsamkeit (oc\mipxe:Loc), die sie zu Quel-
len ihrer inneren Tätigkeiten und sozusagen zu unkörperlichen Automaten
macht.) - Zum aristotelischen Begriff der Entelechie siehe vorliegende Ausgabe.
Teil 3. Originalpaginierung 371f) -Zum Entsteheil ulld Vergehen der Molladen
siehe Leibniz: Principia philosophiae. §§ 3-6. 20J: 3. Ubi non dantur partes,
ibi nec extensio, nec figura, nec divisibilitas locum habet. Atque monades
istae surrt verae atomi naturae, &, ut verbo dicam, elementa rerum. I 4. Ne-
que etiam in iis metuenda est dissolutio, nec ullus concipi potest modus, quo
substantia simplex naturaliter interire potest. I 5. Ex eadem rationc non datur
modus, quo substantia simplex naturaliter oriri potest, quoniam non aliter
nisi per compositionem formari posset. I 6. Immo asserere quoque licet,
monades nec oriri, nec interire posse I in instanti, hoc est, non incipere potest
nisi per creationem, nec finiri nisi per annihilationem, cum e contrario com-
posita incipiant, ac fmiantur per partes. (27: 3. Nun ist aber da, wo keine
Teile sind, weder Ausdehnung, noch Gestalt, noch Teilbarkeit möglich. So
sind denn die Monaden die wahren Atome der Natur und- mit einem Wort
- die Elemente der Dinge. I 4. Auch ist ihre Auflösung nicht zu befürchten,
354 Anhang

und es ist völlig unbegreiflich, wie eine einfache Substanz auf natürlichem
Wege vergehen könnte. I 5. Aus dem nämlichen Grunde ist es unbegreiflich,
daß eine einfache Substanz auf natürlichem Wege entstehen könnte, da sie
sich ja nicht durch Zusammensetzung bilden kann. I 6. Man kann demnach
sagen, daß die Monaden nur mit einem Schlage entstehen oder vergehen
können, d. h., sie können nur durch Schöpfung entstehen und nur durch
Vernichtung vergehen; das Zusammengesetzte hingegen entsteht aus Teilen
und vergeht in Teile.)- Vgl. Leibniz: Principes de Ia nature & de Ia grace.
§2.
131,845-848 Die Monaden ... setzt;] Siehe Leibniz: Principia philosophiae.
§ 7.21: 7. Nullo etiam modo explicari potest, quomodo monas alterari, aut
in suo interiori mutari queat per creaturam quandam aliam, quoniam in ea
nihil transponere, neque ullum motum internum concipere licet, qui excitari,
dirigi, augmentari, aut diminui possit, quemadmodum in compositis contin-
git, ubi mutatio inter partes locum habet .... (29: 7. Es gibt ferner keine
Möglichkeit, zu erklären, wie eine Monade durch irgendein anderes Ge-
schöpf in ihrem Innern beeinflußt oder verändert werden könnte, da man
nichts in sie hinein übertragen, sich auch keine innere Bewegung in ihr selbst
vorstellen kann, die in ihr hervorgerufen, geleitet, vermehrt oder vermindert
werden könnte - so wie es bei den zusammengesetzten Dingen möglich ist,
bei denen es Veränderung im Verhältnis der Teile zueinander gibt ... .)
131,848-853 Das Verhältnis ... verlassen.] Siehe Leibniz: Troisieme eclair-
cissement du systeme de Ia Communication des substances. (Journal des Sfi:a-
vans. 19. nov. 1696.) In Leibniz: Opera (ed. Dutens). Tomus 2, pars 1. 73: . ..
La voye de I' influence, est celle de Ia Philosophie vulgaire; mais comme
on ne sauroit concevoir des partiett!es materielles, ni des especes ou des quali-
tes immaterielles, qui puissent passer de l'une de ces substances dans I' autre,
on est oblige d'abandonner ce sentiment. (Philosophische Schriften (ed. Ger-
hardt). Bd 4.501.) (Hauptschriften. Bd 2.273: Der Weg des physischen
Einflusses ist der, den die gewöhnliche Philosophie einschlägt; da es in-
dessen unbegreiflich ist, wie materielle Teilchen oder immaterielle »Spezies«
oder Qualitäten von einer der beiden Substanzen in die andre übergehen
sollten, so sieht man sich genötigt, diese Ansicht aufzugeben.) - Vgl. W
15.457 (Ms?)- Vgl. auch Leibniz: Principia philosophiae. §§ 7.53 (neue Zäh-
lung: 7.51).- Im Anschluß an den zitierten Text widerlegt Leibniz den Okkasio-
nalismus Malebranches, den Hege/ bereits bei Descortes findet; siehe vorliegenden
Band 101,988-102,993 mit Anm. Als einzig mögliche Deutung bleibt die An-
nahme der prästabilierten Harmonie.
131,853-132,854 wie Cartesius] Siehe vorliegenden Band 101,988-102,993 mit
Anm.- Gegen die cortesionische Ansicht grenzt Leibniz sich auch ab in den Prin-
cipia philosophiae. §§ 83J30: 83. Cognovit Cartesius animam non posse
dare vim corporibus, quoniam eadem semper virium quantitas in materia
conservatur; credidit tarnen animam posse mutare directionem corporum. Id
quidem ideo factum est, quod ipsius tempore Iex naturae ignoraretur, quae
Anmerkungen 355

vult eandem semper directionem totalem conservari in materia. Quod si hoc


observasset, in systema meum harmoniae praestabilitae incidisset. /84. In hoc
systemate corpora agunt, ac si (per impossibile) nullae darentur animae, &
animae agunt, ac si corpora nulla darentur, & ambo agunt, ac si unum influe-
ret in alterum. ( 63-65: 80. Descartes hat erkannt, daß die Seelen den Körpern
keine Kraft verleihen können, weil die Größe der Kraft in der Materie
immer dieselbe bleibt. Er hat jedoch geglaubt, die Seele könnte die Richtung
der Körper ändern. Aber das I konnte er nur, weil man zu seiner Zeit das
Naturgesetz von der Erhaltung derselben Gesamtrichtung in der Materie
nicht kannte. Hätte er dieses gekannt, so wäre er auf mein System der prästa-
bilierten Harmonie gekommen. /81. Nach diesem System wirken die Kör-
per so, als ob es (was unmöglich ist) gar keine Seelen gäbe; und die Seelen
wirken, als ob es gar keine Körper gäbe; und alle beide tun so, als ob eines
das andere beeinflußte.)
132,857-860 Drittens ... seien.] Siehe Leibniz: Principia philosophiae. §§
8J.21: 8. Opus tarnen est, ut monades habeant aliquas qualitates; alias nec
entia forent. /9. Immo opus est, ut quaelibet monas differat ab alia quacun-
que. Neque enim unquam dantur in natura duo entia, quorum unum ex asse
conveniat cum altero, & ubi impossibile sit quandam reperire differentiam
intemam, aut in denorninatione intrinseca fundatam. Quod si substantiae
simplices qualitatibus non differrent; nulla etiam in rebus mutatio observari
posset: quoniam, quod in composito reperitur, aliunde quam ex simplicibus
ingredientibus resultare nequit. Et si monades qualitatibus destituerentur,
nec una ab altera distingui posset, quoniam eaedem nec quantitate differunt:
consequenter si plenum supponatur, locus quilibet in motu non reciperet, nisi
quod aequivaleret ei, cui succederet, & unus rerum status indiscernibilis foret
ab altero. (29: 8. Doch müssen die Monaden irgendwelche eigentümlichen
Beschaffenheiten haben, anderenfalls sie gar keine Wesen sein würden. (Bei
Dutens zu§ 9 gehörig: Denn wenn sich die einfachen Substanzen nicht durch
ihre eigentümlichen Beschaffenheiteil unterschieden, so gäbe es überhaupt
kein Mittel, irgendeine Veränderung in den Dingen festzustellen; denn was
im Zusammengesetzten vorkommt, kann nur aus seinen einfachen Bestand-
teilen stammen. Wenn daher die Monaden ohne Eigentümlichkeiten und
somit voneinander ununterscheidbar wären - denn auch quantitative Unter-
schiede gibt es bei ihnen nicht -, so würde folglich, unter der Voraussetzung
der durchgängigen Erfüllung des Raumes, jeder Ort bei der Bewegung stets
nur einen Inhalt aufnehmen, der dem bisherigen äquivalent wäre. Somit
wäre ein Zustand der Dinge vom anderen völlig ununterscheidbar.) / 9. Es
muß sogar jede einzelne Monade von jeder anderen verschieden sein. Denn
es gibt niemals in der Natur zwei Wesen, die einander vollkommen glichen
und bei denen sich nicht ein innerer oder ein auf eine innere Bestimmtheit
gegründeter Unterschied entdecken ließe.)
132,861-865 Man hat ... verschieden.] Siehe Quatrieme ecrit de Mr. Leib-
niz. Ou Reponse a Ia troisieme Replique de Mr. Clarke. In Leibniz: Opera
356 Anhang

(ed. Dutens). Tomus 2, pars 1.128J: 4. Il n'y a point deux Individus indis-
cernables. Un Gentilhomme d'esprit de mes amis, en parlant avec moi en
presence de Madame l'Electrice dans le jardin de Herrenhausen, crut qu'il
trouveroit bien deux feuilles entierement semblables. Madame l'Electrice I'en
defia, & il courut I long-tems en vain pour en chercher. Deux goutes d' eau,
ou de lait, regardees par le Microscope, se trouveront discemables. C' est un
argument contre !es atomes, ... (Hauptschriften. Bd 1.145f: Es gibt keine
zwei ununterscheidbaren Einzeldinge. Ein mir befreundeter, geistvoller Edel-
mann, mit dem ich mich im Parke von Herrenhausen in Gegenwart I. H. der
Kurfürstin unterhielt, meinte, er könne wohl zwei vollkommen ähnliche
Blätter fmden. Die Kurfürstin bestritt dies, und er gab sich nun lange ver-
gebliche Mühe damit, sie zu suchen. Zwei Tropfen Wasser oder Milch er-
weisen sich, durch das Mikroskop betrachtet, als unterscheidbar. Es ist dies
ein Beweisgrund gegen die Atome, .. .)- Vgl. W 15.457 (Ms?).- Vgl.Jerner
Leibniz: Nouveaux essais sur l'entendement humain. In Leibniz: Clluvres
philosophiques (ed. Raspe). 190. (Philosophische Schriften (ed. Gerhardt). Bd
5.214.)
132,876 Die Leibnizsche ... bestimmte Monas.] Hege/ setzt hier implizit die
Leibnizsche Monade - als bestimmte - der Pythagoräischen Einheit (&wxc;, fLOvocc;J
entgegen, die er als wesentlich unbestimmte Monas charakterisiert, insifern sie nur
das abstrakte Eins ist und von den Pythagoräern selbst bald als das von der Dyas
Bestimmte, bald als das die Dyas Bestimmende betrachtet wird; siehe vorliegende
Ausgabe. Tei/2 (Originalpaginierung 152); vgl. W 13.245-247.
132,876-879 Ihre Bestimmtheit ... Perzipierendes.] Hege/ bezieht sich auf
den Beweisgang in§§ 11-14 der Principia philosophiae; siehe 21: 11. Sequitur
ex hactenus dictis, mutationes naturales monadum a principio interne profi-
cisci, propterea quod causa extema in ejus interius influere nequit. Et genera-
liter affirmare licet, vim non esse nisi principium mutationum. /12. Opus
etiam est, ut praeter principium mutationum detur quoddam schema ejus,
quod mutatur, quod efficit, ut ita dicam, specificationem, ac varietatem sub-
stantiarum simplicium. /13. Involvere istud debet multitudinem in unitate,
aut simplici. Ornnis enim mutatio naturalis cum per gradus fiat, aliquid mu-
tatur, & aliquid remanet, consequenter in substantia simplici datur quaedam
pluralitas affectionum, & relationum, quamvis partibus careat. /14. Status
transiens, qui involvit, ac repraesentat, multitudinem in unitate, seu substan-
tia simplici, non est nisi istud, quod perceptionem appellamus, quam probe
distinguere debemus ab apperceptione, seu conscientia, quemadmodum in
sequentibus patebit.... (31: 11. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die
natürlichen Veränderungen der Monaden aus einem inneren Prinzip
erfolgen, da eine äußere Ursache keinen Einfluß auf ihr Inneres haben kann./
12. Außer dem Prinzip der Veränderung muß es aber noch eine Besonder-
heit des sich Verändernden geben, wodurch gewissermaßen die Beson-
derung und die Mannigfaltigkeit der einfachen Substanzen bewirkt wird./13.
Diese Besonderheit schließt notwendig eine Vielheit in der Einheit oder im
Anmerkungen 357

Einfachen in sich. Denn da jede natürliche Veränderung gradweise vor sich


geht, so gibt es immer einiges, was sich verändert und einiges, was bleibt.
Folglich muß es in der einfachen Substanz eine Vielzahl von Beschaffen-
heiten und Beziehungen geben, obwohl sie nicht aus Teilen besteht. /14.
Der vorübergehende Zustand, der eine Vielheit in der Einheit oder in der
einfachen Substanz einbegreift und repräsentiert, ist nichts anderes als das,
was man Perzeption nennt. Diese muß, wie sich in der Folge zeigen wird,
von der Apperzeption oder dem Bewußtsein unterschieden werden. . .. ) -
Vgl. auch Leibniz: Principes de la nature & de la grace. § 2.32: ... Et par
consequent, une Monade en elle-meme, & dans le moment, ne sauroit etre
discemee d'une autre, que par les qualites & actions internes, lesquelles ne
peuvent etre autre chose que ses perceptions, (c'est-a-dire,les representations
du compose, ou de ce qui est dehors, dans le simple,) & ses appetitions,
(c'est-a-dire, ses tendances d'une perception a l'autre,) qui sont les principes
du changement. . .. (3: ... folglich läßt sich eine Monade, als solche und in
einem Zeitpunkt verstanden, von einer anderen nur durch ihre inneren
Eigenschaften und Tätigkeiten unterscheiden, die in nichts anderem bestehen
können, als in ihren Perzeptionen (d. h. in den Darstellungen des zusam-
mengesetzten oder des außerhalb ihrer sich Befindenden im Einfachen) und
in ihren Begehrungen (d. h. in ihren Bestrebungen, von einer Perzeption
zur anderen überzugehen), welche die Prinzipien der Veränderungen sind•
. . .) - Zur Reduktion des Materiellen auf das Perzipierende siehe insbesondere
Leibniz: Principia philosophiae. § 17.22: 17. Negari tarnen nequit perceptio-
ncm, & quod inde pendet per rationes mechanicas explicari non posse, hoc
est, per figuras, & motum. Quod si fmgamus, dari machinam, quae per
structuram cogitet, sentiat, percipiat; non obstat quominus iisdem proportio-
nibus retentis sub majore mole construi concipiatur, ita ut in eam aditus
nobis concedatur tanquam in molendinum. Hoc supposito, intus nil depre-
hendemus, nisi partes per se mutuo impellentes, nec unquam aliud quidpiam,
per quod perceptio explicari queat. Hoc itaque in substantia simplici, non in
composita, seu machina quaerendum. Imo etiam praeter istud in substantia
simplici non reperietur aliud, hoc est, praeter perceptiones, earumque muta-
tiones in ea nil datur. Atque in hoc solo consistere debent ornnes actiones
intemae substantiarum simplicium. (33: 17. Man muß übrigens notwendig
zugestehen, daß die Perzeption und das, was von ihr abhängt, aus me-
chanischen Gründen, d. h. aus Figuren und Bewegungen, nicht er-
klärbar ist. Denkt man sich etwa eine Maschine, die so beschaffen wäre,
daß sie denken, empfinden und perzipieren könnte, so kann man sie sich
derart proportional vergrößert vorstellen, daß man in sie wie in eine Mühle
eintreten könnte. Dies vorausgesetzt, wird man bei der Besichtigung ihres
Inneren nichts weiter als einzelne Teile finden, die einander stoßen, niemals
aber etwas, woraus eine Perzeption zu erklären wäre. Also muß man diese in
der einfachen Substanz suchen und nicht im Zusammengesetzten oder in der
Maschine. Auch läßt sich in der einfachen Substanz nichts finden als eben
358 Anhang

dieses: Perzeptionen und ihre Veränderungen. In diesen allein können die


inneren Tätigkeiten der einfachen Substanzen bestehen.)
132,879-133,885 Näher ... Eins;] Siehe Leibniz: Principia philosophiae. §
16.22: 16. Ipsimet experimur multitudinem in substantia simplici, quando-
quidem deprehendimus, minimam cogitationem, cujus nobis conscii sumus,
involvere varietatem in objecto. Omnes itaque, qui agnoscunt, animam esse
substantiam simplicem, hanc multitudinem in monade admittere debent, ...
{33: 16. Wir machen selbst die Erfahrung von einer Vielheit in der einfachen
Substanz, wenn wir entdecken, daß der geringste Gedanke, dessen wir uns
bewußt werden, eine Mannigfaltigkeit im Gegenstande einbegreift. Es
müssen demnach alle, die die Seele als einfache Substanz anerkennen, diese
Vielheit in der Monade zugeben, .. .)
133,892-894 Leibniz . . . Bewußtsein.] Siehe Leibniz: Principia philoso-
phiae. § 20.22f 20. In nobis enim ipsis experimur statum quendam, in quo
nihili recordamur, nec ullam perceptionem distinctam habemus, veluti cum
deJliquio animi laboramus, aut quando sornno profunde absque in sornnio
oppressi sumus. In hoc statu anima quoad sensum non differt a simplici mo-
nade. Sed cum status iste non perduret, aliquid amplius sit, necesse est. (35:
20. Wir erfahren ja in uns selbst einen Zustand, in dem wir uns an nichts
erinnern und keine unterschiedene Perzeption haben, so z. B. im Falle einer
Ohnmacht oder eines tiefen, traumlosen Schlafes. In diesem Zustand unter-
scheidet sich die Seele nicht merklich von einer bloßen Monade. Da aber
dieser Zustand nicht andauert und die Seele sich ihm wieder entzieht, so ist
sie doch etwas mehr.) Siehe ebenso Leibniz: Principes de Ia nature & de Ia
grace. § 4.33: ... II est vrai que !es animaux sont quelquesfois dans I' etat de
simples vivans, et leurs ames dans l'etat de simples Monades, savoir, quand
leurs perceptions ne sont pas assez distinguees, pour qu' on s' en puisse sou-
venir, comme il arrive dans un profend sommeil sans songes, ou dans un
evanoulssement; ... (7: Allerdings befinden sich die Tiere zuweilen in der
Verfassung einfacher Lebewesen und ihre Seelen im Zustande einfacher Mo-
naden, nämlich dann, wenn ihre Perzeptionen nicht hinreichend distinkt
sind, um sich ihrer entsinnen zu können, wie das bei einem tiefen traumlosen
Schlafe oder in der Ohnmacht vorkommt.)
133,894-896 Das, was ... Monaden.] Dieser wahrscheinlich verkürzt üherlie-
ferte Satz verbindet die Charakterisierung der ersten und der zweiten Materie, auf
Grund deren Leibniz beiden die Substantialität abspricht (siehe auch den im Text
übernächsten Satz Die Körper ... Schafe.) - Hegel bezieht sich auf Lettre de
Mr. Leibniz a Mr. Remend de Montmort (4. November 1715). In Leibniz:
Opera (ed. Dutens). Tomus 2, pars 1.214f: ... Ia Matiere premiere &
pure, prise sans !es ames ou vies qui lui sont unies, est purerneut passive; aussi
a proprement parler n'est-elle pas une 1 substance, mais quelque chose d'in-
complet. Et Ia Matiere seconde, comme par exemple, le corps, n'est pas
une substance, mais par une autre raison; c'est qu'elle est un amas de plu-
sieurs substances, comme un etang plein de poissons, ou comme un troupeau
Anmerkungen 359

de brebis; & par consequent eile est ce qu'on appelle Unum per accidens,
en un mot, un phenomene. . .. (Philosophische Schriften (ed. Gerhardt). Bd
3.657.)
133,896-898 Die Passivität ... kommt.] Zur Verbindung von Passivität und
unvollkommenen Perzeptionen siehe die vorhergehende Anm. sowie Leibniz: Prin-
cipia philosophiae. § 51.26: Ita monadi actionem tribuimus, quatenus habet
perceptiones distinctas, & passiones, quatenus confusas habet. (49: So schreibt
man der Monade Tätigkeit zu, sofern sie deutliche, Erleiden, sofern sie
verworrene Perzeptionen hat.) -Zur Interpretation dieses Zustands als einer Art
Betäubung siehe die vorletzte Anm. sowie Leibniz: Principia philosophiae. §§
23f23: 23. Itaque cum evigilantes ab isto stupore perceptionum nostrarum
conscii simus, necesse omnino est, ut aliquas immediate antea habuerimus,
quamvis earum conscii non fuerimus. Etenim perceptio naturaliter non ori-
tur nisi ex alia perceptione, quemadmodum motus naturaliter non oritur, nisi
ex motu. I 24. Apparet, inde, nos, quando nihil distincti, & ut ita loquar,
sublirnis, ac gustus altioris in nostris perceptionibus habemus, in perpetuo
fore stupore. Atque is monadum nudarum status est. (37: 23. da man sich
ferner beim Erwachen aus der Betäubung seiner Perzeption bewußt wird,
so muß man offenbar unmittelbar davor schon welche gehabt haben, ob-
wohl man sich ihrer nicht bewußt war. Denn eine Perzeption kann natür-
licherweise nur aus einer anderen Perzeption entstehen, wie eine Bewegung
natürlicherweise nur aus einer Bewegung entstehen kann. I 24. Man sieht
hieraus, daß wir stets im Zustande der Betäubung sein würden, wenn wir in
unseren Perzeptionen keine hervorstechende Eigentümlichkeit und keine
Vorliebe zu Höherem hätten. Tatsächlich ist das der Zustand der ganz ein-
fachen (!) Monaden.) - Vgl. W 15.461; anders als hier wird dort - unter Bezug
aufLeibniz: De anima brutorum. §§ 2-4- die Dunkelheit als Folge der Passi-
vität verstanden. - In den Varianten zum Selbstbewußtsein bzw. zur Tätigkeit
spiegelt sich diese Zusammengehörigkeit von distinkter Perzeption und Aktivität;
möglicherweise hat Hege! beide Formulierungen gebraucht.
133,898-900 Die Körper ... Schafe.] Siehe die vorletzte Anm.- Vgl. Leib-
niz: De ipsa natura sive de vi insita. § 11. In Opera (ed. Dutens). Tomus 2,
pars 2.55; vgl. Philosophische Schriften. Bd 4.510f- In den Principia philoso-
phiae. § 2. allerdings wird eine Anhäufung oder ein Aggregat von Einfachem (20:
aggregatum simplicium; Original: amas, ou aggregatum des simples) als
zusammengesetzte Substanz (20: composita; Original: substances composes)
bezeichnet.
133,900-901 Die Kontinuität ... Ausdehnung.] Siehe Leibniz: Eclaircisse-
ment des Difficultes que Mr. Bayle a trouvees dans le Systeme nouveau de
!'Union de I' Ame et du Corps. In Opera (ed. Dutens). Tomus 2, pars 1. 79:
Nous concevons l'etendue, en concevant un ordre dans !es coexistences;
mais nous ne devons pas Ia concevoir, non plus que l'espace, aIa far;:on d'une
substance. (Philosophische Schriften (ed. Gerhardt). Bd 4.523.) (Hauptschrif-
ten. Bd 2.285: Wir fassen den Gedanken der Ausdehnung, indem wir eine
360 Anhang

Ordnung in den Koexistenzen denken; aber wir dürfen sie ebensowenig wie
den Raum als eine Art von Substanz denken wollen.) - Zur Ausdehnung als
nicht-substantieller Kontinuität vgl. Epistolae Leibnitii ad. P. Des Bosses. 21. 7.
1707 sowie 15. 2. 1712, in Opera (ed. Dutens). Tomus 2, pars 1.280 bzw. 295
(Philosophische Schriften (ed. Gerhardt). Bd 2.339 bzw. 435f); vgl. ferner
Extrait d'une lettre de Mr. Leibnitz sur Ia question: Si l'essence du corps con-
siste dans l'etendue (1691), in Opera (ed. Dutens). Tomus 2, pars 1.234-237.
und Extrait d'une lettre de Mr. Leibnitz pour soutenir ce qu'il y a de lui dans
le Journal des Sfi=avans du 18 juin 1691, in Opera (ed. Dutens). Tomus 2, pars
1.237 (Philosophische Schriften (ed. Gerhardt). Bd 4.464-467.)
133,901-903 Organische . . . Ausdruck.] Siehe Leibniz: Principes de Ia
nature & de Ia grace. § 4.33: 4. Chaque Monade, avec un corps particulier,
fait une substance vivante. Ainsi il n'y a pas seulement de Ia vie par-tout,
jointe aux membres ou organes, mais meme il y a une infmite de degres dans
!es Monades, !es unes dominant plus ou moins sur !es autres. Mais quand
Ia Monade a des organes si ajustes, que par leur moyen il y a du relief & du
distingue dans !es impressions qu'ils refi=oivent, & par consequent dans !es
perceptions qui !es representent, (...); cela peut aller jusqu'au sentiment,
c' est-a-dire, jusqu'a une perception accompagnee de memoire, a savoir, dont
un certain echo demeure long-tems pour se faire entendre dans I'occasion; &
un tel vivant est appelle Anima!, comme sa Monade est appellee une
Ame.... (7: 4. Jede Monade bildet im Verein mit einem ihr eigentümlichen
Körper eine lebendige Substanz. Demnach gibt es nicht nur überall Leben,
das an Glieder oder Organe gebunden ist, sondern sogar unendlich viele
Grade unter den Monaden, da die einen mehr oder weniger über die anderen
herrschen. Besitzt nun die Monade zweckvoll beschaffene Organe, kraft
deren es hervortretende und sich abhebende Unterschiede in den Ein-
drücken, die sie empfangen, und folglich in den diese wiedergebenden Per-
zeptionen gibt(...), so kann das bis zur Empfindung führen, d. h. bis zu
einer von Gedächtnis begleiteten Perzeption, von der ein gewisses Echo
lange Zeit zurückbleibt, um sich bei Gelegenheit vernehmen zu lassen. Ein
solches Lebewesen nennt man Tier, wie seine Monade Seele genannt wird .
. . .)
133,903-905 Die bewußte ... Vorstellens,] Siehe Leibniz: Principia philo-
sophiae. § 24.23: 24. Apparet inde, nos, quando nihil distincti, & ut ita lo-
quar, sublimis, ac gustus altioris in nostris perceptionibus habemus, in per-
petuo fore stupore. Atque is monadum nudarum status est. (37: 24. Man
sieht hieraus, daß wir stets im Zustande der Betäubung sein würden, wenn
wir in unseren Perzeptionen keine hervorstechende Eigentümlichkeit und
keine Vorliebe zu Höherem hätten. Tatsächlich ist das der Zustand der ganz
einfachen ( !) Monaden.) - Vgl. Leibniz: Principes de Ia nature & de Ia
grace. § 4 (l'etat de simples Monades).
133,907-910 Näher ... vorstellt,] Siehe Leibniz: Principia philosophiae. §
29.24: 29. Enimvero cognitio veritatum necessariarum, & aeternarum est id,
Anmerkungen 361

quod nos ab animantibus simplicibus distinguit, & rationis, ac scientiarum


compotes reddit, dum nos ad cognitionem nostri, atque Dei elevat. Atque
hoc est istud, quod in nobis anima rationalis, sive spiritus appellatur.
(39: 29. Die Erkenntnis der notwendigen und ewigen Wahrheiten jedoch
unterscheidet uns von den bloßen Tieren und setzt uns in den Besitz der
Vernunft und der Wissenschaften, indem sie uns zur Selbst- und Gotteser-
kenntnis erheben. Dies nun ist es, was man in uns vernünftige Seele oder
Geist nennt.)- Vgl. Leibniz: Principes de Ia nature & de Ia grace. § 5.34:
Mais le raisonnementveritable depend des verites necessaires ou eternelles,
comme sont celles de Ia Logique, des Nombres, de Ia Geometrie, qui sont Ia
connexion indubitable des idees, & !es consequences immanquables. Les
animaux ou ces consequences ne se remarquent point, sont appelles betes;
mais ceux qui connoissent ces verites necessaires, sont proprement ceux
qu'on appelle animaux raisonnables, & leurs ames sont appellees es-
prits. Ces ames sont capables defairedes actes reflexifs, & de considerer ce
qu'on appelle Moi, Substance, Monade, Ame, Esprit; en un mot,les
choses & !es verites immaterielles. Et c' est ce qui nous rend susceptibles des
sciences ou des connoissances demonstratives. (11: Das wahrhaft ver-
nünftige Schlußfolgern aber hängt ab von den notwendigen oder
ewigen Wahrheiten, wie es die der Logik, der Arithmetik, der Geometrie
sind, die eine unzweifelhafte Verknüpfung der Ideen und unfehlbare Folge-
rungen herstellen. Diejenigen Lebewesen, bei denen sich diese Folgerungen
nicht beobachten lassen, werden Tiere genannt; die aber, die diese not-
wendigen Wahrheiten erkennen, heißen vernunftbegabte Lebewesen
im eigentlichen Sinne, und ihre Seelen werden Geister genannt. Diese
Seelen sind der Reflexion fähig und in der Lage, das in den Blick zu fassen,
was man I eh, Substanz, Seele, Geist nennt, mit einem Wort: die immateriel-
len Dinge und Wahrheiten. Eben dieses befähigt uns zur Wissenschaft oder
zu beweiskräftigen Erkenntnissen.)
133,910-134,912 dies Allgemeine ... Grundes.] Siehe Leibniz: Principia
philosophiae. § 31f 24: 31. Ratiocinia nostra duobus magnis principiis
superstructa sunt. Unum est principium contradictionis, vi cujus
falsum judicamus, quod contradictionem involvit, & verum quod falso
opponitur, vel contradicit./ 32. Alterum est principium rationis suf-
ficientis, vi cujus consideramus nullum factum reperiri posse verum, aut
veram existere aliquam enunciationem, nisi adsit ratio sufficiens, cur potius
ita sit, quam aliter, quamvis rationes istae saepissime nobis incognitae esse
queant. (41: 31. Unsere Vernunfterkenntnis beruht auf zwei großen
Prinzipien: erstens auf dem des Widerspruchs, kraftdessen wir alles
als falsch beurteilen, was einen Widerspruch einschließt, und als wahr
alles, was dem Falschen entgegengesetzt oder kontradiktorisch ist. / 32. Sie
beruht zweitens auf dem Prinzip des zureichenden Grundes, kraft
dessen wir annehmen, daß sich keine Tatsache als wahr oder existierend,
keine Aussage als richtig erweisen kann, ohne daß es einen zureichenden
362 Anhang

Grund dafür gäbe, weshalb es eben so und nicht anders ist - wenngleich uns
diese Gründe in den meisten Fällen nicht bekannt sein mögen.) -Im Unter-
schied zu W 15.463, wo diese beiden Paragraphen verkürzt wiedergegeben sind,
ersetzt Hege/ hier irrtümlich das Prinzip des Widerspruchs durch das des Nichtzu-
unterscheidenden. Die Verwechselung beider Prinzipien wird wahrscheinlich da-
durch begünstigt, daß Hege/ das Prinzip des Widerspruchs von dem der Identität
her denkt und dieses wiederum in Bezug setzt zum Satz des Nichtzuunterschei-
denden, der in W 15.463 so formuliert ist: Was im Gedanken nicht unterschie-
den ist, ist nicht unterschieden.
134,913-915 Leibniz . . . kommt.] Hegels Reduktion des zureichenden
Grundes a"!_{ die causa .finalis verkürzt das Leibnizische Prinzip um seine theologi-
sche Dimension, die insbesondere dann zur Geltung kommt, wenn man nach dem
zureichenden Grund nicht nur der Vernunfiwahrheiten, sondern der Tatsachen-
wahrheiten fragt. Für diese können unendlich viele Wirk- und Zweckursachen
angegeben werden, ohne daß man doch zu einem zureichenden Grunde gelangte.§§
37-39. 24f: 37. Et quemadmodum tota haec series nonnisi alia contingentia
anteriora involvit, quorum unumquodque simili analysi opus habet, ubi
rationem I reddere voluerimus, progressus nil juvat: necesse est rationem
sufficientem, seu ultimam extra seriem contingentium reperiri, quantumvis
infinita ponatur. I 38. Propterea quoque ratio ultima rerum in substantia qua-
dam necessaria contineri debet, in qua series mutationum nonnisi eminenter
existat, tanquam in fonte suo. Atque istud ens est, quod Deum appellamus.l
39. Jam cum substantia ista sit ratio sufficiens onmis istius seriei, quae etiam
prorsus connexa est; nonnisi unus datur Deus, atque hic Deus sufficit. (43:
37. Da nun alle diese Einzelheiten ihrerseits immer nur andere vorher-
gehende und noch speziellere Zufälligkeiten enthalten, deren jede zu ihrer
Begründung wieder eine ähnliche Analyse erfordert, kommt man dadurch
nicht weiter. Daher muß der zureichende oder letzte Grund außerhalb der
Folge oder der Folge-Reihen der einzelnen zufälligen Dinge liegen, so
unbegrenzt diese Folge auch sein mag. I 38. So muß also der letzte Grund
der Dinge in einer notwendigen Substanz liegen, in der das Besondere der
Veränderungen nur in eminenter Weise, wie in ihrer Quelle enthalten ist:
und diese Substanz nennen wir Gott. I 39. Da nun diese Substanz ein zu-
reichender Grund für alles Besondere ist, das seinerseits durchgängig mitein-
ander verknüpft ist, so gibt es nur einen Gott, und dieser Gott ist
zureichend.) Zureichender Grund ist das notwendige Wesen, das seinen Grund
in sich selbst hat (ebenda § 46: ens necessarium, quod rationem existentiae suae
in seipso habet). (Übersetzung und Philosophische Schriften (ed. Gerhardt):
§ 45.) Siehe auch Leibniz: Principes de Ia nature & de Ia grace. § 8. - Zur
Unterscheidung der Kausal- und Finalursache siehe insbesondere Leibniz: Prin-
cipes de Ia nature & de Ia grace. § 11. - Die Notwendigkeit, von den Wirkur-
sachen zu den Zweckursachen überzugehen, leitet ebenfalls über zum Gottesge-
danken. - Siehe die folgende Anm.
134,918-920 Weiter ... ist] Siehe die vorige Awn. sowie Lcibniz: Principes
Anmerkungen 363

de Ia nature & de Ia grace. § 11.36: Et il est surprenant, de ce que par Ia seule


consideration des causes efficientes, ou de Ia matiere, on ne sauroit
rendre raison de ces loix du mouvement decouvertes de notre tems, & dont
une partie a ete decouverte par moi-meme. Car j'ai trouve qu'il y faut re-
courir aux causes finales, & que ces loix ne dependent point du principe
de Ia necessite, comme !es verites Logiques, Arithmetiques & Geometri-
ques; mais du principe de Ia convenance, c'est-a-dire, du choix de Ia
sagesse. Et c' est une des plus efficaces & des plus sensibles preuves de I'exi-
stence de Dieu, pour ceux qui peuvent approfondir ces choses. (17: Nun ist
es überraschend, daß man bei Betrachtung der Wirkursachen oder der
Materie allein diese Bewegungsgesetze, die in unseren Tagen, und zum Teil
von mir selbst, entdeckt wurden, nicht beweisen kann. Man muß dazu viel-
mehr, wie ich erkannt habe, zu den Zweckursachen seine Zuflucht
nehmen, weil diese Gesetze nicht - wie die logischen, arithmetischen und
geometrischen Wahrheiten - von dem Prinzip der Notwendigkeit
abhängen, sondern von dem Prinzip der Angemessenheit, d. h. von
der durch die Weisheit getroffenen Wahl. Es ist dieses einer der wirksamsten
und sinnfälligsten Beweise der Existenz Gottes, für alle, die imstande sind,
diesen Dingen auf den Grund zu gehen.)- Siehe ebenso Leibniz: Principia
philosophiae. §§ 43-45, insbesondere§ 43.25: 43. Verum etiam est in Deo
non modo esse fontem existentiarum, verum etiam essentiarum, quatenus
reales sunt, aut ejus, quod in possibilitate reale est. Propterea intelleetos Dei
est regio veritatum aeternarum aut idearum, unde dependent, & sine ipso
nihil realitatis foret in possibilitatibus, & nihil non modo existeret, sed nihil
etiam possibile foret. (45: 43. Gott ist allerdings nicht nur der Ursprung der
Existenzen, sondern auch der Essenzen, sofern sie real sind bzw. dessen, was
es in der Möglichkeit schon an Realem gibt. Denn der göttliche Verstand ist
die Region der ewigen Wahrheiten bzw. der Ideen, von denen sie abhängen;
ohne ihn gäbe es daher in den Möglichkeiten nichts Reales und nicht nur
nichts Existierendes, sondern auch nichts Mögliches.)
134,922-923 Monade ... fLOVcX<; fLOvocawv] Der Ausdruck Monas monadum
oder Mov&.; fLOvocawv findet sich bei Leibniz nicht; Hege/ dürfte ihn der Literatur zu
Leibniz entnommen haben; siehe u. a. A. Wendt: Grundriß. 377: §. 357. Gott
ist die Monas monadum, das nothwendig existirende Wesen; ... Er eignet
sich gut zur Fassung des Verhältnisses Gottes zu den anderen Monaden, da er bei
den Pythagoräem ein Verhältnis der fL(fLrJO"~<; (imitatio, Nachahmung) bzw. fLt6e:~~<;
(Teilhabe) ist (siehe vorliegende Ausgabe Teil 2, Originalpaginierung 151; vgl.
W 13.260-262) und Hege/ diese Verhältnisse-trotz des Paradigmas des Geschaf-
fenseins- in den Principia philosophiae. wiederfindet, vgl. §50 (neue Zählung:
§ 48): imitationes, bzw. § 48 (neue Zählung:§ 47): receptivitas creaturae. -Der
Ausdruckfindet sich bei Bruno: Opera latine conscripta. Bd 1, Abt. 3. 146.
134,923-925 Wenn ... weg;] Ebensowenig wie Monas monadumfinden sich
die Ausdrücke absolute Monade oder absolute Substanz; Hege/führt sie ein, um
diejenige Dijferenz zu bezeichnen, die Leibniz selbst durch den Unterschied von
364 Anhang

ursprünglich und geschaffen ausdrückt; siehe insbesondere Principia philoso-


phiae. § 48.26: 48. Ita Deus solus est unitas primitiva, seu substantia simplex
originaria, cujus productiones surrt ornnes monades creatae, aut derivatae, &
nascuntur, ut ita loquar, per continuas Divinitatis fulgurationes per receptivi-
tatem creaturae limitatas, cui essentiale est esse limitatum. (47: 47. Demnach
ist Gott allein die ursprüngliche Einheit oder die ursprüngliche einfache Sub-
stanz; alle erschaffenen oder abgeleiteten Monaden sind seine Erzengungen
und entstehen sozusagen von Augenblick zu Augenblick durch ständige
blitzartige Ausstrahlungen der Gottheit - beschränkt durch die Aufnahme-
fähigkeit des Geschöpfes, das ja seinem Wesen nach begrenzt ist.) Siehe ebenso
Leibnizens Brief an Bierling vom 12. August 1711, in Leibniz: Opera (ed.
Dutens). Tomus 5.375: Monas seu substantia simplex in genere continet
perceptionem, & appetitum; estque vel primitiva seu Deus, ... vel est deri-
vativa, nempe Monas Creata, ... (Philosophische Schriften (ed. Gerhardt).
Bd 7.502.) (Die Monade oder die einfache Substanz besitzt allgemein Vor-
stellung und Begehrung; sie ist entweder ursprüngliche Monade oder Gott,
... oder abgeleitete und erschaffene Monade, ... )
134,932-934 Die nähere ... Monaden.] Zum Gedanken der prästabilierteil
Harmonie siehe oben 131,853-132,854 mit Anm. - Zur Begründung der prä-
stabilierten Harmonie in Gott siehe insbesondere Leibniz: Principes de Ia nature
& de la grace. § 15. 37J: 15. C'est pourquoi tous !es esprits, soit des hommes,
soit des genies, entrant en vertu de la raison & des verites etemelles dans une
espece de societe avec Dieu, sont des membres de Ia Cite de Dieu, c' est-a-
dire, du plus parfait etat, forme & gouveme par le plus grand & le meilleur
des Monarques: ou il n'y a point de crime sans chatiment, point de bonnes
actions sans recompense proportionnee; & enfm, autant de vertu & de bon-
heur qu'il est possible; & cela, non pas par un derangement de Ia Nature,
comme si ce que Dieu prepare aux ames troubloit les loix des corps; mais par
I' ordre meme des choses naturelles, en vertu de l'harmonie preetablie de tout
tems entre !es Regnes de Ia Nature & de Ia Grace, I entre Dieu, commc
Architecte, & Dieu comme Monarque; en sorte que Ia Nature mene a Ia
Grace, & que Ia Grace perfectionne Ia Nature en s'en servant. (21f: 15. Des-
halb gehen alle Geister, seien es nun Menschen oder reine Geister, kraft der
Vernunft und der ewigen Wahrheiten mit Gott eine Art Gemeinschaft ein
und sind Angehörige des Gottesreiches, d. h. des vollkommensten Staates,
der vom größten und besten aller Monarchen gegründet und regiert ist. In
diesem gibt es kein Verbrechen ohne Bestrafung, keine guten Taten ohne
entsprechende Belohnung und schließlich soviel Tugend und Glück wie
überhaupt möglich. Und das geschieht nicht durch eine Umwälzung der
Natur, so daß, was Gott den Seelen bestimmt, die Gesetze der Körper störte,
sondern gemäß der Ordnung der natürlichen Dinge selbst, kraft der Har-
monie, die zwischen dem Reiche der Natur und dem Reiche der Gnade,
zwischen Gott I als Baumeister und Gott als Monarchen seit aller Zeit prä-
stabiliert ist; nämlich so, daß die Natur selbst zur Gnade hinführt, wie ander-
Anmerkungen 365

seits die Gnade die Natur vervollkommnet, indem sie sich ihrer bedient.) -
Sielteferner Leibniz: Principia philosophiae. § 81 (neue Zählung:§ 78).
134,934-936 Jede ... in ihr.] Siehe insbesondere Leibniz: Principes de Ia
nature & de Ia grace. § 13.37: 13. Car tout est regle dans !es choses une fois
pour toutes, avec autant d'ordre & de correspondance qu'il est possible; Ia
supreme Sagesse & Bonte ne pouvant agir qu' avec une parfaite harmonie. Le
present est gros de I' avenir: le futur se pourroit Iire dans le passe; I' eloigne est
exprime dans le prochain. On pourroit connoitre Ia beaute de l'Univers dans
chaque ame, si l'on pouvoit deplier tous ses replis, qui ne se developent sen-
siblement qu' avec le tems. Mais comme chaque perception distincte de I' ame
comprend une infmite de perceptions confuses, qui envelopent tout !'Uni-
vers, I' ame meme ne connoit !es choses dont elle a perception, qu' autant
qu' elle en a des perceptions distinctes & relevees; & elle a de Ia perfection, a
mesure de ses perceptions distinctes .... (19: 13. Denn alle Dinge sind ein für
allemal nach größtmöglicher Ordnung und Übereinstimmung eingerichtet,
da die oberste Weisheit und Güte nicht anders als in vollkommener Har-
monie handeln kann: die Gegenwart trägt die Zukunft in ihrem Schoße, aus
dem Vergangenen könnte man das Zukünftige ablesen, das Entfernte wird
durch das Naheliegende ausgedrückt. Die Schönheit des Universums könnte
man an jeder Seele erkennen, wenn man alle ihre verborgenen Falten ent-
falten könnte, die sich jedoch erst merklich mit der Zeit entwirren. Da aber
jede deutliche Perzeption der Seele eine unendliche Anzahl undeutlicher
Perzeptionen enthält, die das ganze Universum einschließen, so erkennt die
Seele die Dinge, die sie perzipiert, nur insofern, als diese Perzeptionen deut-
lich und abgehoben sind, und ihre Vollkommenheit mißt sich an ihren deut-
lichen Perzeptionen. . . .) -Zur Identität von Monade und Universum siehe die
folgende Anm.
134,937-938 Leibniz ... werden.] Leibniz spricht zwar nicht von einem Sand-
körnchen, aber von einem Stück Materie; siehe Principia philosophiae.
§ 68.28: 68. Et fieri potuit ut Autor naturae hoc artificium divinum, &
prorsus mirabile in praxin deduceret, quia portio quaelibet materiae non
modo divisibilis in infinitum, sicuti veteres agnovere, verum etiam actu sub-
divisa in infmitum, qualibet parte peculiari motu gaudente: alias fieri haud-
quaquam passet, ut quaelibet portio materiae totum exprimeret universum.
(57: 65. Der Urheber der Natur hat dieses göttliche und unendlich wunder-
bare Kunstwerk schaffen können, weil jedes Stück der Materie nicht nur ins
Unendliche teilbar ist, wie die Alten erkannt haben, sondern überdies wirk-
lich endlos weitergeteilt ist, jeder Teil wieder in Teile, von denen jeder eine
ihm eigene Bewegung hat - denn sonst wäre es unmöglich, daß jedes Stück
der Materie das ganze Universum ausdrücken könnte( ... ).)- Vgl. Principia
philosophiae. § 64 (neue Zählung:§ 62); vgl.Jerner Essais de Theodicee. Tomc
1, partie 1. § 9.85J sowie den Bri~f Nr 6 an Bourget vom 2. Juli 1716, it1 Opera
(ed. Dutens). Tomus 2, pars 1.337 (Philosophische Schriften (ed. Gerhardt).
Bd 3.595.)
366 Anhang

135,942-943 Jede Monade ... komme.] Hege! kiinnte au Aussagen denken,


wie sie sich etwa in den Principia philosophiae. § 63. finden; 27j: Et per con-
sequens omne corpus ab omni eo afficitur, quod in universo accidit, ita ut is,
qui omnia perspicit, in unoquoque legere possit, quod per totum accidit, imo
etiam quod jam factum, aut adhuc futurum, in praesenti observans quicquid
tarn secundum tempus, quam secundum spatium elongatur. :EufL7tVOLIX
mxv-roc I dicebat Hippocrates. Enimvero anima in SC ipsa legere nequit, nisi
quod distincte in ipsa repraesentatur; non omnes suas perceptiones una
evolvere valet, quoniam ad infinitum tendunt. (55: 61. Infolgedessen ver-
spürt jeder Körper alles, was in der Welt geschieht, derart, daß derjenige, der
alles sieht, in jedem einzelnen lesen könnte, was überall geschieht, ja selbst
das, was geschehen ist oder geschehen wird, indem er im Gegenwärtigen das
nach Zeit und Ort Entfernte bemerkt: O"U(.L7tVOLIX mxv-roc, so sagte Hippokrates.
Eine Seele aber vermag in sich selbst nur das zu lesen, was in ihr deutlich
vorgestellt ist; sie kann alle ihre Falten nicht auf einen Schlag entfalten, denn
diese reichen ins Unendliche.)
135,943-944 Die Monade ... perzipierend;] Zum Zusammenhang von
Tätigkeit und Perzipieren siehe vorliegenden Band 133,896-898 mit Anm.; siehe
ferner Leibniz: Principia philosophiae. § 51.26: 51. Creatura dicitur agere
extra se, quatenus habet perfectionem, & pa ti ab alia, quatenus cst imper-
fecta. Ita monadi actionem tribuimus, quatenus habet perceptiones distinctas,
& passiones, quatenus confusas habet. (49: 49. Man sagt von einem Ge-
schöpf, daß es nach außen hin wirkt, sofern es Vollkommenheit hat; von
einem anderen sagt man, es leidet, sofern es unvollkommen ist. So schreibt
man der Monade Tätigkeit zu, sofern sie deutliche, Erleiden, sofern sie
verworrene Perzeptionen hat.)
135,944-948 diese Perzeption ... Begierde.] Der erste dieser beideuSätze ist
sehr wahrscheinlich durch die Quellen unzureichend überliefert. Es ist anzunehmen,
daß Hege/ auf die unterschiedliche Wirkungsweise von Se~len und Körper abheben
wollte; siehe Principia philosophiae. § 82.30: 82. Animae agunt secundum
Ieges causarum finalium per appetitiones, fmes, & media. Corpora agunt
secundum Ieges causarum efficientium, alterum causarum fmalium, sunt
harmonica inter se. (63: 79. Die Seelen wirken nach den Gesetzen der
Zweckursachen, durch Begehrungen, Zwecke und Mittel. Die Körper
wirken gemäß den Gesetzen der Wirkursachen bzw. der Bewegungen. Und
diese beiden Reiche, das der bewirkenden Ursachen und das der
Zweckursachen, harmonieren.)- Vgl. hierzu auch Principes de Ia nature & de
Ia grace. § 3.
135,948-949 Es hat ... Leibniz.] Siehe die Kritik au Descartes iu Leibniz:
Principia philosophiae. § 83.30: 83. Cognovit Cartesius animam non possc
dare vim corporibus, quoniam eadem semper virium quantitas in materia
conservatur; credidit tarnen animam posse mutare directionem corporum .
. . . (63: 80. Descartes hat erkannt, daß die Seelen den Körpern keine Kraft
verleihen können, weil die Größe der Kraft in der Materie immer dieselbe
Anmerkungen 367

bleibt. Er hat jedoch geglaubt, die Seele könnte die Richtung der Körper
ändern ... . ) - Siehe ebenso Leibniz: Essais de Theodicee. Tome 2, partie 3.
§ 291.167J: 291. Pour mieux entendre ce point, il faut savoir, qu'une
spontanei:te exacte nous est commune avec toutes les substances simples, &
que dans la substance intelligente ou libre, eile devient un Empire sur ses
actions. Ce qui ne peut etre mieux explique, que par le systeme de l'har-
monie preetablie, que j'ai propose il y a deja plusieurs annees. J'y fais
voir que naturellement chaque substance simple a de la perception, & que
son individualite consiste dans la loi perpetuelle qui fait la suite des percep-
tions I qui lui sont affectees, & qui naissent naturellement les unes des autres,
pour representer le corps qui lui est assigne, & par son moyen I'Univers
entier, suivant le point de vue propre a cette substance simple; sans qu'clle ait
besoin de recevoir aucune influence physique du corps: comme le corps aussi
de son cote s'accommode aux volontes de l'ame par ses propres loix, & par
consequent ne lui obe1t, qu' autant que ces loix le portent. D' ou il s' ensuit que
l'ame a donc en elle-meme une parfaite spontane1te, en sorte qu'elle ne
depend que de Dieu, & d'elle-meme dans ses actions. (322: 291. Zum besse-
ren Verständnis dieses Punktes muß man wissen, daß eine Spontaneität in
diesem strengen Sinne uns mit allen einfachen Substanzen gemein ist und daß
sie in der intelligenten oder freien Substanz zur Herrschaft über alle ihre
Handlungen gelangt. Das kann nicht besser erklärt werden, als durch das
System der praestabilierten Harmonie, das ich schon vor mehreren
Jahren aufgestellt habe. Hierin zeige ich, wie jede einfache Substanz auf
natürliche Weise Perzeptionen besitzt und wie ihre Individualität in dem
fortwährend gültigen Gesetz besteht, wonach ihre gegebenen Perzeptionen,
die auf natürliche Weise aus einander entstehen, den zu ihr gehörenden
Körper und dadurch das ganze Universum nach dem für diese einfache Sub-
stanz geeigneten Gesichtspunkt vorstellen, ohne eines physischen Einflusses
von seiten des Körpers zu benötigen: wie der Körper sich seinerseits auf
Grund seiner eigenen Gesetzmäßigkeiteil nach den Wünschen der Seele
richtet und ihr infolgedessen nur so weit gehorcht, wie es diese Gesetze zu-
lassen. Daraus folgt schließlich, daß die Seele an sich eine vollkommene
Spontaneität besitzt, derart, daß sie bei ihren Handlungen nur von Gott und
von sich selbst abhängig ist.) - Siehe auch die folgende Anm.
135,949-952 Die Natur . . . Vorstellung.] Siehe Leibniz: Essais des
Theodicee. Tome 1, partie 1. § 50.108: Nous ne pouvons pas sentir propre-
ment notre independance, & nous ne nous appercevons pas toujours des
causes, souvent imperceptibles, dont notre resolution depend. C' est comme si
l'eguille aimantee prenoit plaisir de se tourner vers le Nord; car eile croiroit
tourner independamment de quelque autre cause, ne s' appercevant pas des
mouvemens insensibles de la matiere magnetique. (128: Wir können unsere
Unabhängigkeit nicht eigentlich fühlen; denn wir bemerken durchaus nicht
immer die häufig unvorstellbaren Ursachen, von denen unser Entschluß
abhängt. Das ist als ob man sagen würde, die Magnetnadel finde ein Ver-
368 Anhang

gnügen daran, sich nach Norden zu drehen; sie glaubt sich unabhängig von
jeder äußeren Ursache zu drehen und bemerkt nicht die unmerklichen Be-
wegungen der magnetischen Materie.)
135,953--136,964 Indem ... kommt.] Zu der durch Gott prästabilierten Har-
monie siehe vorliegenden Band, Anm. zu 134,932-934 sowie 131,853-132,854.-
Zur Abgeschlossenheit der Monaden siehe Leibniz: Principia philosophiae. § 7,
vgl. vorliegenden Band, Anm. zu 131,845-848 sowie, daran angeschlossen, 21:
Destituuntur monades fenestri, per quas aliquid ingredi, aut egredi valet.
Accidentia non egrediuntur ex substantiis, quemadmodum alias species sen-
sibiles scholasticorum. Atque adeo neque substantia, neque accidens in mona-
clern forinsecus intrare potest. (29: Die Monaden haben keine Fenster, durch
die etwas in sie herein oder aus ihnen hinaustreten kann. Die Akzidenzien
können sich weder von den Substanzen loslösen noch außerhalb ihrer sich
ergehen, wie dies ehemals die species sensibiles der Scholastiker taten. Daher
kann weder eine Substanz noch ein Akzidens von außen in eine Monade
eintreten.)
136,964-965 Es ist ... haben.] Hegels Analogie berücksichtigt nicht, daß Leib-
niz sein System der prästabilierten Harmonie insbesondere gegen Cartesius ab-
grenzt; siehe die dritt- und die vorletzte Anm. -Außerdem berücksichtigt er nicht,
daß Leibniz das Assistenzverhältnis gar nicht als cartesianisch ansieht. - Zum
Assistenzverhältnis siehe vorliegenden Band 101,988-102,993 mit Anm.
136,967-970 Die Seele ... entsprechen.] Siehe Leibniz: Principia philoso-
phiae. § 84.30: 84. In hoc systemate corpora agunt, ac si (per impossible)
nullae darentur animae, & animae agunt, ac si corpora nulla darentur, &
ambo agunt, ac si unum influeret in alterum. (65: 81. Nach diesem System
wirken die Körper so, als ob es (was unmöglich ist) gar keine Seelen gäbe;
und die Seelen wirken, als ob es gar keine Körper gäbe; und alle bcide tun
so, als ob eines das andere beeinflußte.)
136,981-983 Das Wichtigste ... Nichtzuunterscheidenden.] Siehe aber vor-
liegenden Band 133,910-134,912 mit Anm.
137,990-138,27 Er ... Halle.] Diese Nachrichten über Wo!ffs Leben stimmen
weitgehend mit den in Werke. Bd 15.474f enthaltenen überein, von denen Hein-
rich Wuttke: Christian Wolffs eigene Lebensbeschreibung. Herausgegeben
mit einer Abhandlung über Wolff. Leipzig 1841. III. sagt, sie sei voll irr-
thümlicher Angaben. - Wuttkes Edition und seine Abhandlung- zusammen mit
den Biographien von Friedrich Christian Baumeister: Vita, fata et scripta
Christiani Wolfii Philosophi. Lipsiae et Vratislaviae 1739 (anonym erschienen)
und Johann Christoph Gottsched: Historische Lobschrift des weiland hoch-
und wohlgebohmen Herrn Christians, des Heiligen Römischen Reiches
Freyherrn von Wolf ... Halle 1755 - sind wieder zugänglich gemacht in
Christian Wolff: Gesammelte Werke. Abt. 1, Bd 10. Biographie. Hrsg. von
Hans Werner Arndt. Hildesheim- New York 1980. - Diese irrtümlichen An-
gaben hat Hege/ aus der Biographie Buh/es übernommen; zu ihrer Richtigstellung
siehe die folgenden Anm.
Anmerkungen 369

137,990 Sohn eines Bäckers] So Buhle: Geschichte. Bd 4.571. - Wo!ffs Vater


war Lohgerber (Rotgerber); siehe Baumeister: Vita, fata et scripta. 12: Pater
WüLFII Vratislaviae honesto nec illiberali opificio victum sibi paravit, in
coriis, alumine subigendis, cineris inspersu obfirmandis, perficiendis, et ad
usum aptandis operam consumens, (Ein Loh-Gerber.) So auch Wo[ff in seiner
von Wuttke veröffentlichten Autobiographie: Eigene Lebensbeschreibung. 110.
137,992 Mathematik und Philosophie] Wo!ff wurde als Professor für Mathe-
matik- nach Wuttke. 14.für Mathematik und Physik- nach Halle berufen. Seit
1709 trug er auch Metaphysik, Logik und Moral vor.
137,9-12 wobei ... befreit wäre.] Hege/ referiert hier nahezu wörtlich Buhle:
Geschichte. Bd 4.579. Siehe aber den Bericht von Gottsched: Historische Lob-
schrift. 67, über die Ereignisse, nachdem Wo!ff Halle verlassen hatte: Da nämlich
solches Freytags geschehen war, trat gleich am folgenden Sonntage, da vom
Gräuel der Verwüstung geprediget ward, der sonst so sanftmüthige und
bescheidene Prof. Frank, mit großem Eifer auf die Kanzel: und als er die
Worte des evangelischen Textes von der Flucht im Winter, und das Wehe
über die Schwangeren und Säugenden auslegte; so schonte er sogar in seinen
Ausdrückungen, die hochschwanger zurückgebliebene Frau Hofräthinn
nicht. - Gottsched stützt sich hierbei auf W olff: Eigene Lebensbeschreibung.
196J
137,13-15 die Akademien ... zum Mitglied] Hege! folgt auch hier Buhle:
Geschichte. Bd 4.581: Dazu kamen die ganz ungewöhnlichen Ehrenbezeu-
gungen, die Wolfe'n um eben diese Zeit im Auslande wiederfuhren. Er ward
Mitglied der Akademieen der Wissenschaften zu London, Paris und
Stockholm. -Die Aufnahme in die Berliner Akademie erfolgte jedoch bereits
im Februar 1711, und in die Londoner Akademie noch kurz zuvor; siehe Wuttke,
Fußnote 1 zu W olff: Eigene Lebensbeschreibung. 148. - Buhfes irrtümliche
Nachricht von einer Mitgliedschaft in der Stockholmer Akademie ist wahrscheinlich
dadurch angeregt, daß der seit 1730 regierende Landgraf von Hessen zugleich
König von Schweden war. Vielleicht beruht sie auch auf einer Verwechselung, denn
Wo!ff wurde - allerdings erst 1752 - zum Mitglied der Akademie zu Bologna
ernannt; siehe Gottsched: Historische Lobschrift. 130. Allein die Aufnahme in
die Französische Akademie erfolgte wärend Wo!ffs Marburger Jahren, 1733; siehe
hierzu Gottsched: Historische Lobschrift. Beilage v. Anhang 46, sowie Wolff:
Eigene Lebensbeschreibung. 158.
137,15-16 eine Ehre ... Ehre war.] Hegels Sarkasmus gilt den Bestrebungen
Schleiermachers, ihn aus der Königlich Preußischen Akademie der Wissensch'!ften
fernzuhalten-sei es selbst um den Preis der Auflösung der philosophischen Klasse.
Näheres siehe in Hege!: Briefe. Bd 2.449f; Bd 3.440-442.
137,16-17 Peter der Große ... Petersburg.] Diese Angabe dürfte erst durch
die Nachschriften verkürzt sein, da W 15.474f eine zwar nicht gänzlich komkte,
jedoch angemessenere Nachricht bringen. Peter der Große hatte Wo!ff im Frühjahr
1723 die Vizepräsidentenstelle an der von ihm geplanten Akademie der Wissen-
sch'!ften angeboten und dieses Angebot nach Wo!ffs Vertreibung aus Halle wieder-
370 Anhang

holt; siehe die Beilagen d und p zu Gottsched: Historische Lobschrift. Anhang


31f bzw. 42f Wo!ff hatte dieses Angebot jedoch abgelehnt und war dann 1725
nach Gründung der Akademi.: durch die Zarin Katharina zum Ehrenmitglied er-
nannt worden; siehe ebenda Beilage s, Anhang 44f.
137,17-19 In Berlin ... freigesprochen.] Die Kommission wurde im Jahre
1736 eingesetzt. Drei Jahre zuvor war an Wo!ff bereits der Ruf zur Rückkehr nach
Preußen ergangen; siehe Gottsched: Historische Lobschrift. 89 mit Beilage y.
137,19-138,20 Den Theologen ... verboten.] Hegels Formulierungen gehen
über seine Quellen Buhle und Tiedemann hinaus; sie ähneln jedoch einem von
Gottsched: Historische Lobschrift. Anhang 38. mitgeteilten Notandum, das aber
bereits aus dem Jahre 1723 stammt: Die ganze Controvers, die ich mit den
Pietisten gehabt, ist in dem November der Actorum Ernditorum zu Leipzig
umständlich recensiret, und Briefe aus Leipzig urtheilen, nachdem sie heraus
ist, den Pietisten werde nun das Maul gestopft seyn, wofern sie
nicht leer Stroh dreschen wollten.
138,20-22 Schon ... zurückberufen.] Der erste Ruf zur Rückkehr nach Halle
erging bereits 1733 (siehe die vorletzte Anm.), vor der eigentlichen Rehabilitierung
Wo!ffs. 1739 wurde Wo!ff wiederum nach Preußen berufen, zunächst nach Frank-
Furt an der Oder, dann aber auch nach Halle; siehe Gottsched: Historische Lob-
schrift. 100f
138,24-25 Vizekanzler der Universität] Wo!ff wurde zunächst als Vize-
kanzler zurückberufen, nach dem Tode des Kanzlers Ludewig 1743 aber auch zum
Kanzler ernannt.
138,25 Kurfürsten von Bayern] Der Kurfürst von Bayern, Maximilian Joseph,
war damals- nach dem Tode Karls VII. - Reichsvicar. Das korrekte Jahresdatum
der Erhebung in den Freiherrnstand konnte Hege/ weder Tiedemann: Geist der
spekulativen Philosophie. Bd 6.517. noch Buhle: Geschichte. Bd 4.581. ent-
nehmen. Siehe aber Gottsched: Historische Lobschrift. 123f mit Beilage g.
138,28 in der Mathematik ... berühmt gemacht] Siehe insbesondere das
mathematische Hauptwerk, Christianus W olfius: Eiementa matheseos uni-
versae. 5 Bde. Halae Magdeburgicae 1713-1741. Insbesondere Tomus V, qui
commentationem de praecipuis scriptis mathematicis commentationem de
studio mathematico recte instituendo et indices in tomos quinque matheseos
universae continet. Halae Magdeburgicae 1741.
138,34-35 Besonders ... sind;] Siehe insbesondere die hierauf bezogene Schrift
Christian Wolff: Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schrifften, die
er in deutscher Sprache von den verschiedenen Theilen der Welt-Weisheit
heraus gegeben I auf Verlangen ans Licht gestellet. Die andere Auflage, hin
und wieder vermehret. Frankfurt am Mayn 1733. Cap. 2, § 16.27: Ich habe
gefunden, daß unsere Sprache zu Wissenschafften sich viel besser schickt als
die lateinische, und daß man in der reinen deutschen Sprache vortragen kan,
was im Lateinischen sehr barbarisch klinget. - Wo!ff hat seit Beginn seiner
Professur in Halle deutsch gelehrt.
138,36-38 Der Titel ... Natur usf.] Diese auch für andere Werke gültige
Anmerkungen 371

Formulierung erinnert insbesondere an Christian Wolff: Vemünfftige Ge-


dancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen
überhaupt. Neue Auflage hin und wieder vermehret. Halle im Magdeburgischen
1751.
138,38 24 Quartanten) Die korrekte Zahl ist 26 Quartanten; siehe Heinrich
Wuttke: Ueber Christian Wolff den Philosophen. Eine Abhandlung. 100.
138,39-40 Tschimhaus . . . Philosophie.] Regel spielt wahrscheinlich an ary·
Ehrenfried Walther von Tschimhaus: Zwölf nützliche Lebensregeln ... ,
genannt u. a. bei Buhle: Geschichte. Bd 4.528; zu Christian Thomasius vgl.
ebenda 541: er hielt auch seine Vorlesungen zuerst in deutscher Sprache,
statt daß der bisherige Lehrvortrag auf den Akademieen immer lateinisch
gewesen war. Schwerlich hat Thomasius selbst geahndet, welche wohl-
thätige Folgen dieser Schritt für die deutsche Literatur nach sich ziehen
würde, ... - Ein eigenes Studium der Werke der beiden Genannten läßt sich bei
Regel nicht nachweisen.
138,44-47 Im ganzen ... geblieben ist.) Mit diesem Urteil folgt Regel eiuem
verbreiteten Verständnis, das in Bi!fingers Rede von der Leibniz-Wo!ffischen Phi-
losophie kulminierte. Wo!ff selbst hat sich dagegen zur Wehr gesetzt; siehe seine-
erst nach Hegels Tod veröffentlichte -Eigene Lebensbeschreibung. 141f, sowie
Wuttke: Ueber Christian Wolff den Philosophen. 102. Siehe insbesondere die
ebenda 82f mitgeteilten Schreiben Wo!ffs, in denen er sich sehr zurückhaltend ge-
rade über Leibnizens Monadenlehre und Theodizee äußert.
138,48-139,58 1) Theoretische Philosophie ... d) Ökonomie.) Regel be-
zieht sich auf die Einteilung des bereits genannten Werkes von Wolff: Ver-
nünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch
allen Dingen überhaupt. Neue Auflage hin und wieder vermehret. Halle im
Magdeburgischen 1741. Siehe auch die Inhaltsangabe in Werke. Bd 15.478. -
Hegels Umstellung der Pneumatologie und der Kosmologie dürfte durch die Folge
der Kritik der Kosmologie auf die Kritik der Psychologie in Kant: Kritik der
reinen Vernunft. B 399ff motiviert sein.
139,70-79 z. B.... demonstrandum.] Siehe Christian Wolff: Der Anfangs-
Gründe aller mathematischen Wissenschaften anderer Theil. Neue, verbesserte
und vermehrte Auflage. Halle im Magdeburgischen 1757. Darin: Anfangs-
Gründe der Fortification oder Kriegs-Bau-Kunst. Der fünfte und letzte Theil
der Fortification, von den Attaquen und der Gegenwehr wider dieselben.
Der erste Theil, von den Grund-Regeln der Fortifi.cation. 604: Der 4. Lehr-
satz. 27. Das Anrücken an die Festung muß dem Feinde immer saurer ge-
macht werden, je näher er derselben kommt. Beweis. Je näher der Feind der
Festung kommt, je größer ist die Gefahr. Je größer aber die Gefahr ist, je
mehr muß man ihm Wiederstand thun können, um seine Anschläge zu zer-
nichten, und sich von der Gefahr zu befreyen, so viel möglich ist. Dero-
wegen, je näher der Feind an die Festung kommt, je saurer muß ihm das
Anrücken gemacht werden. W.Z.E.W.
140,109-111 Diese Widersprüche ... temperieren einander;) Auch in der
372 Anhang

zweiten Auflage der Lehre vom Sein heißt es, >temperieren< sei ein leibnitzi-
scher Vermittlungs-Ausdruck; siehe Hege!: Wissenschaft der Logik. GW
21.100. - Die von Hege/ als unzureichend verworfene Vermittlungsvorstellung
findet sich zwar mehrfach bei Leibniz; siehe Leibniz: Principes de Ia
nature & de Ia grace. § 9. 36: ... Et comme Ia j u s t i c e, prise generalement,
n'est autre chose que Ia honte conforme a Ia sagesse, il faut bien qu'il y ait
aussi une justice souveraine en Dien. In Leibniz: Opera (ed. Dutens). Tomus
2, Pars 1.36; Leibniz: Philosophische Schriften (ed. Gerhardt). Bd 6.602. (15:
Da ferner die Gerechtigkeit im allgemeinsten Sinne nichts anderes ist, als
die der Weisheit entsprechende Güte, so muß Gott auch die höchste Ge-
rechtigkeit zukommen.) - Leibniz: Essais de Theodicee. Preface. XXIV: Il est
leur maitre (il est vrai) mais il est un Maitre bon & juste: son pouvoir est
absolu, mais sa sagesse ne permet pas qu'ill'exerce d'une maniere arbitraire
& despotique, qui seroit tyrannique en effet. Vgl. Leibniz: Philosophische
Schriften (ed. Gerhardt). Bd 6.36. (16: Gewiß ist er ihrer aller Herr, aber
doch ein guter und gerechter Herr; seine Macht ist absolut, aber seine Weis-
heit gestattet ihm keine willkürliche und despotische Anwendung, die ja
tatsächlich etwas Tyrannisches wäre.) - Der Ausdruck temperieren läßt sich
aber erst bei Wo!ff nachweisen; siehe Christianus Wolfius: Theologia naturalis
methodo scientifica pertractata. Pars prior, integrum systema complectens,
qua existentia et attributa Dei a posteriori demonstrantur. Francifurti & Lip-
siae 1739. 1033: § 1067: Bonitas sapientiae attemperata, aut, temperamentum
bonitati vi sapientiae adhibitum est Justitia. Ut adeo lustus sit, qui boni-
tatem sapientiae attemperat, seu temperamentum bonitati vi sapientiae adhi-
bet. 1036f: § 1070: ... I ... bonitatem suam summam sapientiae attemperat
itidem summae, ut ea majorem concipi repugnet (... ). Quamobrem cum
bonitas sapientiae attemperata sit justitia (... ), neque adeo justitia major
concipi possit, quam si bonitas summa, qua m:!Jorem concipi repugnat, at-
temperetur sapientiae summae, qua itidem m:!Jorem concipere non datur;
Deus est justissimus, ita ut justitiam divina majorem conciperc non liceat. -
Die deutsche Form temperieren findet sich auch häufig bei Biihme, ebenfalls als eiu
Vermittlungsaus druck, jedoch nicht in dem hier verhandelten Zusammenhang.
141,137-140 Diese Grundsätze ... beste Welt.] Zur Rede von Künstlich-
keiten siehe oben 136,979-981. Das systema assistentiae sieht Hege/ bereits bei
Descartes - und ausgeführter bei Malebranche - verwirklicht; siehe vorliegenden
Band, Anm. zu 101,988-102,993.- Die Nennung von prästabilierter Harmonie
und Optimismus bezieht sich wiederum auf Leibniz; siehe vorliegenden Band,
Anm. zu 131,853-132,854, 134,932-934 bzw. 130,809.
143,194 schon ... ausgeführt ist] Siehe vorliegenden Band 61-70.
143,201-203 Koran ... worden ist.] Der Koran kennt Jesus, den Sohn Marias,
als einen der von Allah Gesandten (2, 81. 130. 254; 3, 78; 4, 156. 161. 169; 5,
79; 33, 7; 42, 11; 57, 27; 61, 6), mit dem Heiligen Geiste Erleuchteten (2, 81.
254; 5, 50. 109-115), einen Diener Allahs (4, 170; 43, 57JJ; 61, 14), einen der
Allah Nahen (3, 40; 4, 156); er räumt sogar- anders als der radikalere Flügel der
Anmerkungen 373

aufklärerischen Religionskritik - die übernatürliche Erschaffung Jesu ein (3, 40ff;


19, 16Jf; 21, 91; ähnlich der Erschaffung Adams: 3, 52), bestreitet aber die Gottes-
sohnschaft Jesu (5, 19. 76; 9, 30J) und verwirft die Dreieinigkeit Gottes als
Tritheismus (4, 169; 5, 77. 116).- Siehe Der Koran. Aus dem Arabischen über-
tragen von Max Henning. Einleitung und Anmerkungen von Annemarie Schim-
mel. Stuttgart 1966. - Es läßt sich nicht belegen und ist auch nicht wahrscheinlich,
daß Hege! eine eigene Kenntnis des Koran hatte.
144,211-217 Aber ... Substanz.] Hege! bezieht sich hier wahrscheinlich auf
Mirabaud [d'Holbach]: Systeme de Ia Nature. Ou des Loix du Monde Physi-
que & du Monde Moral. 2 Bde. Londres 1770. Siehe insbesondere Bd 1, Cha-
pitre 3.39: Teile est Ia marche constante de Ia nature; tel est le cercle eternel
que tout ce qui existe est force de decrire. C' est ainsi que le mouvement fait
naitre, conserve quelque tems & detruit successivement !es parties de l'uni-
vers !es unes par !es autres, tandis que Ia somme de I' existence demeure tou-
jours Ia meme. . . . I C' est dorre le mouvement continuel inherent a Ia
matiere qui altere & detruit tous !es etres, qui leur enleve a chaque instant
quelques-unes de leurs proprietes pour leur en substituer d'autres: c'est lui
qui, en changeant ainsi leurs essences actuelles, change aussi leurs ordres, leurs
directions, leurs tendances, !es loix qui reglent leurs fac;:ons d'etre & d'agir.-
Vgl. ebenda Chapitre 2.28: Pour former l'univers, Descartes ne demandoit que
de Ia matiere & du mouvement. Une matiere variee lui suffisoit, !es mouve-
mens divers etoient des suites de son existence, de son essence & de ses pro-
prietes; ses differentes fac;:ons d' agir sont des suites necessaires de ses diffe-
rentes fac;:ons d'etre. Une matiere sans proprietes est un pur neant. Ainsi des
que Ia matiere existe, elle doit agir; des qu' elle est diverse, elle doit agir
diversement; des qu'elle n'a pu commencer d'exister, elle existe depuis
l'eternite, elle ne cessera jamais d'etre & d'agir par sa propre energie, & le
mouvement est un mode qu' elle tient de sa propre existence. I L' existence de
Ia matiere est un fait; l'existence du mouvement est un autre fait. Nos yeux
nous montrent des matieres d' essences differentes, douees de proprietes qui
!es distinguent entre elles, formant des combinaisons diverses. En effet c' est
une erreur de croire que Ia matiere soit un corps homogene & dorrt !es
parties ne different entre elles que par leurs differentes modifications. Parmi
!es individus que nous conoissons, dans une meme espece, il n' en est point qui
se ressemblent exactement; & cela doit etre ainsi, Ia seule difference du site
doit necessairement entra1ner une diversite plus ou moins sensible non seule-
ment dans !es modifications, mais encore dans I' essence, dans !es proprietes,
dans le systeme entier des etres.
144,219-221 In Rousseaus ... Deismus ist.] Siehe Jean-Jacques Rousseau:
Emile ou de I' education. Livre 4. Profession de foi du vicaire savoyard. In
Jean Jacques Rousseau: CEuvres completes. Bd 4. Paris 1964. (Bibliotheque de
Ia Pleiade).- Es läßt sich nicht bestimmen, ob Hege! eine französische Ausgabe des
Emile oder auch die deutsche Übersetzung gekannt habe: Herrn Johann Jacob
Rousseaus, Bürgers zu Genf, Aemil, oder Von der Erziehung. Aus dem
374 Anhang

Französischen übersetzet, und mit einigen Anmerkungen versehen. 4 Theile.


Berlin, Frankfurt und Leipzig 1762. Theil3. 16-161: Glaubensbekenntniß des
savoyischen Vicarius. - Dieses Glaubensbekenntnis enthält im ersten Teil eine
Exposition der drei deistischen Glaubenssätze: Annahme der Existenz eines gött-
lichen Willens, der göttlichen Intelligenz und der Unsterblichkeit der menschlichen
Seele; im zweiten Teil eine ausführliche Kritik aller Offenbarung. Hegels Ein-
schätzung berücksichtigt nicht die - im Rahmen dieses Glaubensbekenntnisses
allerdings nur marginale- Außerung gegen Ende des Glaubensbekenntnisses, daß,
wenn Sokrates' Schicksal das eines Weisen sei, so sei das Leben und Sterben Christi
das eines Gottes- also die wenigen Außerungen, die über den freiwilligen Skepti-
zismus des Vikars hinausgehen. Vgl. Rousseau: CEuvres completes. Bd 4.
380; Übersetzung 142f
144,221-222 Was ... steht.] Zu Rousseau siehe die vorhergehende Anm.; zum
Koran siehe die Anm. zu 143,201-203.- Es gibt wenige Hinweise darauf, welche
religionskritischen Schriften Voltaires Hege/ bekannt gewesen sind. In seiner Biblio-
thek fanden sich nur historische Werke Voltaires. Die Kenntnis des Candide und
auch des Dictionnaire darf man voraussetzen, zumalsich Hegels Kenntnis nicht so
bekannter Schriften Voltaires belegen läßt; siehe Hege!: Vorlesungen über die
Philosophie der Religion. Teilt. V 3.400.- Auch Hegels Bezugnahme auf die
deutsche Aufklärung läßt sich nicht mit Sicherheit konkretisieren. Er könnte an-
spielen aufHerrnarm Samuel Reimarus: Abhandlungen von den vornehmsten
Wahrheiten der natürlichen Religion. Durchgesehn, und mit einigen Anmer-
kungen begleitet von Johann Albert Heinrich Reimarus. Harnburg 1791 6 • oder
Johann Joachim Spalding: Religion, eine Angelegenheit des Menschen.
Frankfurt und Leipzig 1797. oder Johann Wilhelm Friedrich Jerusalem: Be-
trachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion. Braunschweig
1768. Fortgesetzte Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der
Religion. Braunschweig 1772.
144,223-229 Hier ist . . . le grand tout.] Siehe insbesondere Mirabaud
[d'Holbach]: Systeme de la Nature. Ou des Loix du Monde Physique & du
Monde Moral. 2 Bde. Londres 1770. Chapitre 1.10: L'univers, ce vaste as-
semblage de tout ce qui existe, ne nous offre par-tout que de la matiere & du
mouvement: son ensemble ne nous montre qu'une chame immense & non
interrompue de causes & d' effets: quelques-unes de ces causes nous sont con-
nues parce qu'elle frappent immediaterneut nos sens; d'autres nous sont in-
connues, parce qu' elles n' agissent sur nous que par des effets souvent tres
eloignes de leurs premieres causes. I Des matieres tres variees & combinees
d'une infinite de far;:ons rer;:oivent & communiquent sans cesse des mouve-
ments divers. Les differentes proprietes de ces matieres, leurs differentes com-
binaisons, leurs far;:ons d' agir si variees qui en sont des suites necessaires, con-
stituent pour nous les essences des etres; & c'est de ces essences diversifiees
que resultent les differens ordres, rangs ou systemes que ces etres occupent,
dont la somme totale fait ce que nous appellans Ia nature. I Ainsi Ia nature,
dans sa signification la plus etendue, est le grand tout qui resulte de 1'as-
Anmerkungen 375

semblage des differentes matieres, de leurs differentes combinaisons, & des


differens mouvemens que nous voyons dans l'univers. - Vgl. W 15.519f
(Ms? ). Obgleich Hege/ d' Holbachs Buch besaß, exzerpiert er dort dessen Referat in
Buhle: Lehrbuch. Bd 8.62f.
144,234-236 Cudworth ... Verstandesmetaphysik.] Die Nennung von
Cudworth ist zwar nur durch Pi überliefert, aber wahrscheinlich dennoch authen-
tisch. Ralph Cudworth lebte allerdings nicht im 18., sondern im 17. Jahrhundert
(1617-1688). Tennemann, Buhle und Rixner behandeln ihn deshalb getrennt von
Clarke und Wollaston. In W 15.445 heißt es zwar, Cudworth habe ein berühmtes
Werk geschrieben: The True Intellectual System of the Universe: [The First
Part; Wherein, All the Reason and the Philosophy of Atheism is Confuted;
and its Impossibility Demonstrated. London 1678.]. Regel gibt dort jtdoch eine
sehr negative Charakteristik dieses Werks als stroherner Verstandesmetaphysik. Es
ist nicht festzustellen, ob Regel seine Ansicht nur auf seine - im Tenor aber sehr
positiven - philosophiegeschichtlichen Quellen stütze oder Cudworths Buch oder
dessen sehr verbreitete, mit vielen Anmerkungen bereicherte Übersetzung durch
Mosheim gekannt habe: Systema intellectuale huius universi; seu, de veris
naturae rerum originibus commentarii, quibus omnis eorum philosophia, qui
Deum esse negant, funditus evertitur. Accedunt reliqua eius opuscula. Ioannes
Laurentius Moshemius reliqua omnia ex Anglio Latine vertit, recensuit, variisque
observationibus et dissertationibus illustravit et auxit. Ienae 1733. Editio secunda ex
autographo Moshemiano emendatior & auctior. Lugduni Batavorum 1773. - Über
William Wollaston (1659-1724) und Samuel Clarke (1675-1729) konnte Hege/
sich in Buhle: Geschichte. Bd 5, Abt. 1.321-328. sowie in Rixner: Handbuch.
Bd 3.140-142. informieren. Buhle orientiert sich allerdings nur an Clarke: Dis-
course Conceming the Unehangeahle Obligations of Natural Religion. -
Tennemann: Geschichte. Bd 9.370-388. geht zwar nicht auf Wollaston ein,
referiert aber mehrere Schriften Clarkes, u. a. A Letter to Mr. Dodwell wherein
all the arguments in his epistolary Discourse against the immortality of Soul
are particularly answered, and the judgement of the Fathers conceming that
matter truly presented. London 1706. sowie Clarkes Traite de l'existence et des
attributs de Dieu: des devoirs de Ia religion naturelle et de Ia verite de Ia
religion chretienne. Auf diese Schriften dürfte sich Hegels Rede von sehr ge-
wöhnlicher Verstandesmetaphysik beziehen. - Von Wollaston erwähnt Buhle,
ebenda 322J, die Schrift Religion of Nature delineated. London 1754; Wollaston
gründe die Moral lediglich auf die Vernunft als Erkenntnisvermögen. Zu Wol-
lastons Lehre über den Zusammenhang von Moral und Erkenntnis der Wahrheit
(conforrnity to truth) siehe auch Rixner: Handbuch. Bd 3. 141f.
144,236-145,243 Besonders ... Ferguson] Zu Adam Ferguson (1724-1814)
siehe insbesondere dessen Institutes of Moral Philosophy. London 1769. Da
Regel Übersetzungen von Garve erwähnt, könnte es sein, daß er Fergusons Schrift
in einer solchen Übersetzung gekannt habe: Adam Fergusons Grundsätze der
Moralphilosophie. Uebersetzt und mit einigen Anmerkungen versehen von Chri-
stian Garve. Leipzig 177.2. Es gibt aber keinen Hinweis darauf, daß Hege/ auch
376 Anhang

das spätere, umfangreichere Werk Adam Ferguson: Principles of Moral and


Political Science. Edinburgh 1792. 2 Bde. gekannt habe. Garve hat außerdem
noch weitere Werke schottischer Philosophen übersetzt, u. a. von James Porter,
Henry Horne, Edmund Burke, Alexander Gerard und Adam Smith; siehe die
Bibliographie in Christian Garve: Popularphilosophische Schriften über lite-
rarische, ästhetische und gesellschaftliche Gegenstände. Im Faksimiledruck
herausgegeben von Kurt Wölfe/. 2 Bde. Bd 2. Stuttgart 1974. 70*-71*. - Von
anderen schottischen Philosophen hat Hege/ zwar das Werk von Adam Smith: An
Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. 4 Bde. Basil
1791. gekannt; es befand sich auch in seiner Bibliothek. Es gibt jedoch keine An-
haltspunkte dafür, daß er auch Adam Smith: Theory of Moral Sentiments.
17591, London 17683 , deutsche Übersetzung Braunschweig 1770. geka~~nt habe. In
W 15.504f verweist Hege/ auf Philosophen, die über Moral geschrieben haben,
und nennt unter ihnen auch Adam Smith; dieser Hinweis kann aber auch durch die
Berichte über Smith bei Buhle: Geschichte. Bd 5, Abt. 1.328-331. sowie bei
Rixner: Handbuch. Bd 3.265f(§ 123) veranlaßt sein.
145,244 nach Ciceros Weise] Man kann es als einen Belegfür diesen Zusam-
menhang zwischen der schottischen Philosophie und der Philosophie Ciceros an-
sehen, daß Christian Garveneben den schottischen Philosophen auch Cicero: De
officiis. übersetzt und kommentiert hat; er hat jedoch auch die Ethik und die Politik
des Aristoteles übersetzt; siehe die in der vorhergehenden Anm. genannte Biblio-
graphie. - In W 15.505 urteilt Hege/ weit weniger positiv über diese populären
Schriften.
145,25~251 So hat ... Erkennens sei.] Die Nennung des Jahres 1704- statt
richtig 1710 - als Geburtsjahr Thomas Reids ist offensichtlich abhängig vou
W endt: Grundriß. 442 (§ 371 ). Da sie sich nur in Gr findet- PiHcLöSv nennen
kein Geburtsdatum- könnte sie auf eine nachträgliche Benutzung dieses Handbuchs
zurückgehen.
145,251-262 Seine ... Ansicht.] Diese Darstellung entspricht -leicht verkürzt-
der Darstellung in W 15.503 (Ms?), der einfast wörtliches Exzerpt aus Rixner:
Handbuch. Bd 3.259 (§ 119) zu Grunde liegt. Rixner stützt sich hierfür auf
Thomas Reid: An Inquiry into the Human Mind on the Principles of Com-
mon Sense. London 1769. - Die Erläuterung Menschenliebe, gesellige Nei-
gung ließ sich jedoch weder in dieser Quelle noch in anderen nachweisen.
145,263-264 James Beattie ... starb 1803.] Das Geburtsjahr Beatties wird
nur in Gr, das Todesjahr von allen fünf Nachschriften genannt. Die Daten werden
übereinstimmend berichtet von Tennemann: Geschichte. Bd 9.480; vgl. Wendt:
Grundriß. 404 (§ 372); Rixner: Handbuch. Bd 3.261.
145,264-268 Beattie ... allem weiteren.] Diese kurze Angabe des Wesent-
lichen der Philosophie Beatties stützt sich- wie auch aus W 15.504 (Ms?) erhellt-
auf Rixner: Handbuch. Bd 3.261f (§ 120): »Der Gemein-Sinn (common
sense) des schlichten Menschenverstandes (behauptet Bcattie) ist die
Quelle aller Sittlichkeit, aller Religion, d. i. alles Glaubens an Gott) und aller
Gewißheit. Selbst das Zeugnis der äussem Sinne borgt seine Zuverlässigkeit
Anmerkungen 377

von der Bestättigung des Gemein-Sinnes; wo aber diese hinzukommt, da


erhebe sich das äussere Sinnen-Zeugnis zur Stärke und Zuverlässigkeit einer
Demonstration: wenn nämlich der prüfende common sense geurtheilt
hat, daß ihre Organe unverderbt waren, und ihre Vorstellungen durch kein
täuschendes Medium gestört wurden.« f »Wahrheit (fährt er fort) ist, was
mich die Beschaffenheit meiner Natur zu glauben nöthigt, Unlwahrheit,
was sie mich zu verwerfen bestimmt: Der GI a u b e heißt bei gewissen
Wahrheiten Ueberzeugung; beywahrscheinlichen Beyfall; die gewisse
Wahrheit wird unmittelbar durch Anschauung, die wahrscheinliche mit-
telbar durch Beweise erkannt.- Rixner beruft sich hierfür auf]ames Beattie:
Versuch über die Natur und Unveränderlichkeit der Wahrheit; im Gegen-
satze der Klügeley und der Zweifelsucht. Aus dem Englischen. Übersetzt von
Andreas Christoph Rüdinger. Copenhagen und Leipzig 1772. 26,27-36. Vgl.
James Beattie: An Essay on the Nature and Immutability of Truth; in Op-
position to Sophistry and Scepticism. Edinburgh 1770. Es handelt sich hierbei
aber nicht- wie Rixner glauben macht- um ein Zitat aus Beattie, sondern um eine
sehr geraffte und zudem überpointierte und verfälschende Zusammenfassung des
ersten Kapitels der Schrift Beatties: Of the perception of Truth in general. (28-
51) - Hege/ schließt sich hier Rixners Rede von Gemein-Sinn ( common
sense) des schlichten Menschenverstandes an; die Übersetzung unterscheidet
hingegen terminologisch zwischen Verstand- als derjenigen Kraft der Seele, wo-
durch wir die Wahrheit eines Beweises erkennen - und common sense (gesunder
Vernunft) als dem Vermögen, eine durch sich selbst klare Wahrheit zu erkennen;
vgl. James Beattie: Versuch über die ... Wahrheit. 27.
145,268-270 Das Dasein ... erhaben ist.] Dieser Satz geht nicht auf James
Beattie, sondern aufJames Oswald (ca. 1704--1793) zurück. Er entspricht- ver-
kürzt- einem Referat der Position Oswalds in Rixner: Handbuch. Bd 3.262
(§ 121): »Das Daseyn des göttlichen Wesens ist (nach ihm) schlechthin That-
sache; über alles Raisonnement und allen Zweifel schlechthin erhoben, und
für den sittlichen Gemein-Sinn unmittelbar gewiß.[«] Vgl. W 15.504 (Ms?),
wo dieser Satz richtig unter der Überschrift James Oswald angeordnet ist. -
Rixner stützt sich auf]ames Oswald: An Appeal to CommonSense on Behalf
of Religion. Edinburgh 1766. bzw. die deutsche Übersetzung: James Oswald:
Appellation an den gemeinen Menschenverstand zum Vortheil der Religion.
Aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Ernst Wilmsen. 2 Bde. Leipzig 1774.
145,270-146,273 Es ist ... Sein.] Vgl. vorliegenden Band 167,172-179. -Auf
Jacobis Woldemar verweist in diesem Zusammenhang auch Rixner: Handbuch.
Bd 3.260 (§ 119).
146,274--276 Dugald Stewart ... Reflexion.] Dugald Stewart (1753-
1828) war ein Schüler von Thomas Reid. In den sonst von Hege/ herangezogenen
Philosophiegeschichten wird er nur als Verfasser einer Biographie Reids erwähnt
(siehe Rixner: Handbuch. Bd 3.261 ), da seine Publikationen fast ausnahmslos erst
in das 19.]ahrhundertfallen: Elements of the Philosophy of the Human Mind.
In two parts . ... London 1792, Übersetzung: Anfangsgründe der Philosophie
378 Anhang

über die menschliche Seele. Übersetzt von Samuel Gottlieb Lange. 2 Bde. Berlin
1793-1794; Philosophical Essays. Edinburgh 1810.- Da Hege! auch nach der
Überlieferung in W 15.505 nicht konkreter auf Stewart eingeht und überdies be-
merkt, er scheine der letzte und unbedeutendste zu sein, ist eine auiführliche Lek-
türe Stewarts wenig wahrscheinlich. Mit Sicherheit gekannt hat Hege! jedoch die
Rezension in The Quarterly Review, die sich auch auf Stewart bezieht; siehe
vorliegenden Band, Anm. zu 77,225-228.
146,277-283 Hieran ... enthalten sind.] Von den Philosophiegeschichten, auf
die Hege! sich im allgemeinen stützt, geht allein Rixner: Handbuch. Bd 3.46q
auf die Ideologie ein; seine Darstellung ist jedoch wenig zutreffend. Hingegen
kann Hegels Charakterisierung der Ideologen als - allerdings sehr abgekürzte -
Beschreibung des Verfahrens gelten, das Destutt de Tracy, der bedeutendste unter
ihnen, im ersten und wichtigsten Teil seiner Elements d'ideologie. Premiere partie.
Ideologie proprement dite. Paris 18173 • eingeschlagen hat. Er beruft sich frei auf
den Sensualismus von Condillac, jedoch ohne dessen genetische Perspektive; siehe
ebenda 25: penser c'est avoir des perceptions ou des idees; ... nos perceptions
ou nos idees Ue ferai toujours ces deux mots absolument synonymes) sont des
choses que nous sentons, et ... par consequent penser c'est sentir. -Die-
sem Ansatz gemi!ß analysiert Destutt de Tracy das Denken, das er auf vier Ver-
mögen der Empfindung reduziert; ebenda 27: On appelle sensibilite Ia faculte dc
sentir des Sensations; memoire, cel]e de Scntir des SOUVenirs; jugement, cel]e
de sentir des rapports; volonte, celle de sentir des dcsirs. -Die Analyse dieser
Vermögen, also des ganzen Bereichs unserer Ideen, bildet die eiget~tliche Ideologie;
siehe ebenda 213: toutes les consequences qui en derivent (sc. Ia maniere d'ex-
primer ccs idees, de !es combiner, de !es enseigner, usf.) sont l'objet de Ia
grammaire, de Ia logique, de I' enseignement, de Ia morale privee, de Ia
morale publique (ou l'art social), de l'education et de Ia legislation, ... -
Hegels Beurteilung der Ideologie als abstrakter Metaphysik dürfte den Umstand
im Blick haben, daß Destutt de Tracy vom empirischen subjektiven Denken aus-
geht, abgesehen von der Existenz äußerer Gegenstände, die erst nachträglich - in
Chapitre VII: De l'Existence. ebenda 107-142.- bewiesen wird.
146,284-285 Der Humesche . . . Philosophie.] Hege! stellt hier im Kolleg
1825/26 den Gesichtspunkt einer exakten Chronologie in dw Hintergrund, um
unmittelbar von Hume zu Kant übergehen zu kiinnen. Chronologisch gesehen hätte
die Philosophie Humes vor der französischen Philosophie behandelt werden müssm
und insbesondere vor der schottischen Philosophie ( Reid, Beattie, Oswald und
Stewart), die insgesamt eine Replik auf Humes Philosophie bildet. Der Aufbau
dieses Kollegs ähnelt dem des ersten Berliner Kollegs 1819, ebenso des zweiteil
(1821/22} und des letzten (1829/30). In den Kollegien 1823/24 und ähnlich in
1827/28 läßt Hege! auf Christian Wolff Hume, die schottische tmd die französische
Philosophie und Jacobi- als Übergang zu Kant -folgen.
146,287-289 David Hume ... Verhältnissen.] Diese kurze biographische
Notiz ist teils fehlerhaft, teils zumindest entstellend. Ten11emann ut1d Tiedemann
nennen den Sterbeort zwar nicht ausdrücklich; auf Grund ihrer Darstellung legt
Anmerkungen 379

sich aber Edinburgh nahe. Daß Hume zu London - statt richtig: Edinburgh -
gestorben sei, überliefert nur Gr, wahrscheinlich mif Grund der Auskunft bei
Rixner: Handbuch. Bd 3.248.- Es läßt sich auch nicht sagen, daß Hume lange in
diplomatischen Verhältnissen gelebt habe; dies trifft nur für die vergleichsweise
kurzen Reisen nach Wien und Turin - mit General St. Clair, 1747-1748 - und
nach Paris- 1763-1766 mit Graf Hertford- sowie die zweijährige Tätigkeit als
Unterstaatssekretär von 1767-1769 zu.
146,289-291 Seine Essays ... behandelt] Hege/ bezieht sich hier wahr-
scheinlich nicht überhaupt aufHume: Essaysand Treatises on Several Subjects.
4 Bde. Bd 1. Edinburgh 17534, Bd 2. London 17532 , Bd 3. London 1753, Bd 4.
Edinburgh 17532, sondern speziell auf den ersten Band: Essays moral, political
and literary. Edinburgh 1742 (entsprechend Bd 1. Edinburgh 17534). Von diesen
Essays berichten Buhle und Tennemann übereinstimmend, sie seien überaus gün-
stig aufgenommen worden bzw. sie hätten eine günstige Aufnahme gefunden;
siehe Buhle: Geschichte. Bd 5, Abt. 1.195. bzw. Tennemann: Geschichte. Bd
11.419. - Daß diese Essays Hume nach der philosophischen Seite am be-
rühmtesten gemacht haben, dürfte im Blick auf die Hochschätzung formuliert
sein, die Humes History of England zumindest bei einem Teil des Publikums
gefunden hat. In anderen Kollegien spielt Hege/ auch unmittelbar auf dieses Ge-
schichtswerk an; vgl. W 15.493.
146,291-294 nicht systematisch ... fassen können.] Diese Charakterisierung
der Rumeschen Darstellungsweise geht nicht auf Hegels Quellen zurück. Sie erin-
nert an Hegels Charakteristik Bacons; siehe vorliegenden Band 74,121-75,129.
146,294-298 Die Hauptsache ... gegeben ist.] Zu Bacon und Locke vgl.
vorliegenden Band 72,49-54 und 75ff bzw. 117Jf. - Die Bedeutung Lockes für
Hume unterstreicht insbesondere Tennemann: Geschichte. Bd 11.426J. -Hege/
dü~{te sich hier insbesondere beziehen auf Hume: Essays concerning Human
Understanding. Essay II.23f: But tho' Thought seems to possess this un-
bounded Liberty, we shall fmd, upon a nearer Examination, that it is really
confm' d within very narrow Limits, I and that all this creative Power of the
Mind amounts to no more than the compounding, transposing, augmenting,
or diminishing the Materials afforded us by the Senses and Experience. When
we think of a golden mountain, we only join two consistent Ideas, Gold,
and Mountain, with which we were formerly acquainted. A virtuous
Horse we can conceive; because, from our own Feeling, we can conceive
Virtue; and this we may unite to the Figure and Shape of a Horse, which is
an Animal familiar to us. In short, all the Materials of thinking are deriv' d
either from our outward or inward Sentiment: The Mixture and Com-
position of these belongs alone to the Mind and Will. Or, to express myself
in philosophical Language, all our Ideas or more feeble Perceptions are
Copies of our Impressions or more lively ones.- 28: When therefore we
entertain any Suspicion, that a philosophical Term is employ' d without any
Meaning or Idea (as is but too frequent) we need but enquire, from what
Impression is that suppos' d Idea deriv' d? And if it be [im-]possible
380 Anhang

to assign any, this will serve to confirm our Suspicion. - Vgl. Philosophical
Works. Bd 4.14 bzw. 17.
146,298-299 Dahin ... Inhalt.] Beispiele hierfür finden sich mehrfach; Hege/
dürfte hier insbesondere die Beispiele im Blick haben, die sich zwischen den in der
vorhergehenden Anm. zitierten Texten finden; siehe Hume: Essays concerning
Human Understanding. Essay II.24f: Even those Ideas, which, at first View,
seem the most wide of this Origin, are found, upon a nearcr Scrutiny, tobe
deriv' d from it. The Idea of God, as meaning an infmitely intelligent, wise,
and good Being, arises from reflecting on the Operations of our own Mind,
and augmenting those Qualilties of Goodness and Wisdom, without Bound
or Limit. We may prosecute this Enquiry to what Length we please; where
we shall always fmd, that every Idea we examine is copy' d from a similar
Impression. 26: A Man of mild Manners can form no Notion of inveterate
Revenge or Cruelty; nor can a selfish Heart easily conceive the Heights of
Friendship and Generosity. It is readily allowed, that other Beings may pos-
sess many Senses, of which we can have no Conception; because the Ideas
of them have never been introduc'd to us, in the only Manner, by which an
Idea can have access to the Mind, viz. by the actual Feeling and Sensation. -
Vgl. Philosophical Works. Bd 4.15.
147,300-302 Indem ... Notwendigkeit.] Es ist hier und im Folgenden un-
übersehbar, daß Hege/ die Position Humes nicht für sich selbst darstellt, sondern in
der Perspektive der Kritik Kants an Hume. Dies erhellt insbesondere aus der häufi-
gen Rede von Allgemeinheit und Notwendigkeit- Begriffen, die sich bei Hume
so nicht finden. Hingegen geht Hege/ nicht ein auf die von Hume genannten Prin-
zipien der Verknüpfung von Vorstellungen: Ähnlichkeit, Berührung in Zeit und
Raum, Kausalität; ebensowenig auf Humes Einteilung der Gegenstände der
menschlichen Vernunft in Beziehungen von Vorstellungen und in Tatsachen; siehe
Essays concerning Human Understanding. Essays III und IV.
147,303-307 Hume ... Notwendigkeit.] Hege/ erwähnt hier nicht, daß diese
Überlegung sich nur auf den zweiten der beiden von Hume unterschiedenen Gegen-
stände der Vernunft bezieht - nicht auf die Beziehungen von Vorstellungen, son-
dern a"!f die Tatsachen. Hege/ dürfte sich auf Aussagen stützen, wie sie sich etwa
bei Hume: Essays concerning Human Understanding. Essay IV, part I. finden;
siehe 48: The contrary of every Matter of Fact is still possible; because it can
never imply a Contradiction, and is conceiv' d by the Mind with equal
Distinctness and Facility, as if ever so conformable to Truth and Reality.
That the Sun will not rise To-morrow is no less intelligible a Propor-
tion ( !), and implies no more Contradiction, than the Affirmation, that it
will rise. We should in vain, therefore, attempt to demonstrate its False-
hood.- Vgl. Philosophical Works. Bd 4.23.
147,307-309 Die Notwendigkeit ... Wirkung,] Siehe insbesondere Hume:
Essays concerning Human Understanding. Essay IV, part 1.49: All Reason-
ings concerning Matter of Fact seem to be founded on the Relation of
Cause and Effect. By Means ofthat Relation alone we can go beyond the
Anmerkungen 381

Evidence of our Memory and Senses. - Ebenda Essay IV part II.57J: When it
is ask'd, What is the Nature of all our Reasonings concerning
Matter of Fact? the proper Answer seems tobe, that they are founded on
the Relation of Cause and Effect. When again it is ask'd, What is thc
foundation of all our Reasonings and Conclusions conccrning
that Relation? it may be reply'd in onc Word, EXPERIENCE. But if we still
carry on I our sifting and examining Humour, and ask, What is the
Foundation of all our Conclusions from Experience? this pro-
duces a new Question, which may be of more difficult I Solution and Ex-
plication.- Vgl. Philosophical Works. Bd 4.24 bzw. 28f
147,309-314 aber was ... Wirkung.] Siehe insbesondere Hume: Essays Con-
cerning Human Understanding. Essay VII, part I!. 11. a. 119J: It appears, that,
in I single Instauces of the Operation of Bodies, we nevcr can, by our utmost
Scrutiny, discover any Thing but one Event following another, without
being able to comprehend any Force or Power, by which thc Cause
operates, or any Connexion betwixt it and its suppos'd Effcct.- Vgl. Philo-
sophical W orks. Bd 4.61.
147,315-320 Was wir ... gegeben ist.] Hege/ bezieht sich wahrscheinlich m~(
Hume: Essays concerning Human Understanding. Essay VII, part II.121j: lt
appears, then, that this Idea of a necessary Connexion amongst Objccts or
Events arises from a Number of similar Instauces of the constant Conjunc-
tion of I these Events, and can never be suggested by any one of thesc In-
stances, survey' d in all possible Lights and Positions. But there is nothing in a
Number of Instances, different from every single lnstancc, which is suppos'd
tobe exactly similar, except only, that after a Repetition of similar Instanccs,
the Mind is carry'd by Habit, upon the Appearance of one Event, to ex-
pect its usual Attendant, and to believe, that it will exist. This Conncxion,
therefore, which we feel in the Mind, or customary Transition of thc
Imagination from one Object to its usual Attendant, is the Sentiment or
Impression, from which we form the Idea of Power or necessary Connexion.
Nothing farther is in the Case. Contemplate the Subject on all Sides; you
will never find any other Origin ofthat Idea.- Vgl. Philosophical Works. Bd
4.62. - Hege! verwendet Allgemeinheit hier wieder im strengen Kantischen
Sinne; er berücksichtigt deshalb zu wenig die Bedeutung, die für Hume die Gleich-
förmigkeit der Naturereignisse (uniformity observable in the operations of
nature) und unsere Gewohnheit (custom).für die Vorstellung einer notwendigeil
Verursachung hat. Es kann (147,17) deshalb für Hume nicht nur sein, daß man eine
Wahrnehmung mehrfach macht, sondern es muß so sein, wenn man überhaupt eine
Vorstellung von Verkniipfung gewinnen will; siehe Essays concerning Human
Understanding. Essay VIII, part !.132: lt seems evident, that, if all the Scenes
of Nature were shifted continually in such a Manner, that no two Events
bore any Resemblance to each other, but every Object was entirely new,
without any Similitude to whatever had been seen before, we should never,
in that Case, have attain' d the least Idea of Necessity, or of a Connexion
382 Anhang

amongst these Objects. We might say, upon such a Supposition, that one
Object or Event has follow'd another; not that one was produc'd by other.
The Relation of Cause and Effect must be utterly unknown to Mankind. -
Vgl. Philosophical W orks. Bd 4.67.
147,325-148,338 Von dieser ... nicht dafür.] Es ist wahrscheinlich, daß Hege/
sich auch hier wieder auf Hume: Essays conceming Human Understanding.
beziehe; siehe insbesondere Essay XII, part II. Hume unterscheidet dort allerdings
populäre und philosophische Einwände und schließlich einen gemäßigten Skeptizis-
mus; siehe 249f: The sceptical Objections to moral Evidence or to the
Reasonings conceming Matter of Fact are either popular or philo-
s o p h i c a I. The popular 0 bjections are deriv' d from the natural W eakness of
human Understarrding; the Contradietory Opinions, which have been enter-
tain'd in different Ages and Nations; the Variations of our Judgment in
Sickness and Health, Youth and Old-age, Prosperity and Adversity; the
perpetual Contradiction of each particular Man's Opilnions and Sentiments;
with many other Topics of that Kind. 'Tis needless to insist farther on this
Head. These Objections are but weak. For as in common Life, we reason
every Moment conceming Fact and Existence, and cannot possibly subsist,
without continually employing this Species of Argument, any popular Ob-
jections, deriv' d from thence, must be insufficient to destroy that Evidence. -
Vgl. Philosophical Works. Bd 4.130. - Zudem erweckt Hegels Darstellung
Fälschlich den Eindruck, als sei der Skeptizismus in moralischen und rechtlichen
Dingen Humes letztes Resultat. Hege/ berücksichtigt im Kolleg 1825/26 (vgl. aber
W 15.499f) nicht Humes Argumente gegen den übertriebenen Skeptizismus, insbe-
sondere den Gedanken einer Überwindung des Skeptizismus durch the strong
Power of natural Instinct; siehe 255, vgl. Philosophical Works. Bd 4.133. Auf
diese Macht beruft Hume sich auch in An Enquiry concerning the Principles of
Morals, um eine Allgemeinheit der moral evidence zu begründen. - Siehe ferner
die Anm. zu 148,347-353. -Die Beispiele, die Hege/ anführt, wären jedoch den
populären Einwänden zuzurechnen und nicht den philosophischen, die sich auf die
Ungesichertheit des Kausalverhältnisses stützen. Im Blick auf sie betont Hume
wiederum die Wichtigkeit der Erfahrung; siehe Essay XII, part III. 258: 'Tis only
Experience, that teaches us the Nature and Bounds of Cause and Effect, and
enables us to infer the Existence of one Object from that of another. Such is
the Foundation of moral Reasoning, which forms the greatest Part of human
Knowledge, and is the Source of all human Action and Behaviour. - Vgl.
Philosophical Works. Bd 4.135.- Die einzelnen von Hege/ genannten Beispiele
lassen sich in ihrer bestimmten Form in Humes Schriften nicht mit Bestimmtheit
identifizieren, weder in Essays conceming Human Understanding. noch in An
Enquiry conceming the Principles of Morals. oder in The Natural History of
Religion. Hege/ dü~{te sie frei aus der zeitgenössischen Diskussion aufgenommen
haben, auch den Hinweis auf die sogenannten unschuldigen Völker der Südsee-
lnseln. Zu ihnen siehe auch Hegels kritische Bemerkungen in seinen Vorlesungen
über die Philosophie der Religion. Teil 3. V 5.34,944 mit Anm.
Anmerkungen 383

148,338-346 Indem also ... Erfahrung.) Hegels Bemerkungen über die Be-
liebigkeit der religiösen Gifühle könnten die Darstellung der unterschiedlicheil
religiöseil Gebräuche und Lehren im Blick habell, die Hume in seiner Natural
History of Religion. gibt; siehe Philosophical Works. Bd 4. Sie berücksichtigen
iedoch nicht das Resultat, das Hume dort in Section 15. General Corollary. zieht.
Er spricht hier zwar einerseits voll der Schwäche der menschlichen Vernun.fi, die sich
in den religiö'sen Prinzipien zeige, die in der Welt geherrscht habw, aber auch
davon, daß die Vernunft auf natürlichem Wege zur Annahme eines einzigen, in der
Weise der Physikotheologie gedachten Schöpfergottes gedrällgt werde: What a
noble privilege is it of human reason to attain the knowledge of the supremc
Being; and, from the visible works of nature, be enabled to infer so sublime
a principle as its supreme Crcator? - In Philosophical Works. Bd 4.362.
Wahrscheinlicher ist deshalb, daß Hege/ hier nur seine sonst gegen die Berufung auf
das unmittelbare Wissen gerichtete Polemik wiederhole.
148,347-353 Er hat ... Gewohnheiten.] Zur Betonung der Gewohnheiten
siehe illsbesondere Hume: Essays concerning Human Understanding. Essay V,
part I. 73: This Principle is CusTOM or HABIT. For wherever thc Repetition
of any particular Act or Operation produces a Propensity to renew the same
Act or Operation, without being impell' d by any Reasoning or Process of
the Understanding; we always say, that this Propensity is thc Effect of
Custom.-75-77: CusTOM, then, is the great Guide of human Life. 'Tis that
Principle alone, which renders our Expelrience useful to us, and makes us
expect for the future a similar Train of Events with those which have
appear'd in the past. Without the Influence of Cusltom, wc should bc en-
tirely ignorant of every Matter of Fact, beyond what is immediately present
to the Memory and Senses. W e should never know how to adjust Means to
Ends, or to employ our natural Powers in the Production of any Effect.
There would be an End at once of all Action, as weil as of the chief Part of
Speculation. - Vgl. Philosophical Works. Bd 4.37 bzw. 39. - Diese Aus-
führungen stehen jedoch nicht im Kontext der Moralphilosophie Humes. Auf die
Entwicklung der spezifischen Prinzipien der moralischen Evidenz in Hume: An
Enquiry concerning the Principles of Morals. geht Hege/ hingegen nicht ein,
auch nicht auf die Gegenüberstellung von reason und moral sentiment; siehe
ebenda. Appendix I. Concerning Moral Sentiment. 201: But tho' reason,
when fully assisted and improv' d, be sufficient to instruct us in the pernicious
or useful tendencies of qualities and actions; it is not alone sufficient to
produce any moral blame or approbation. Utility is only a tendency to a
certain end; and were the end totally indifferent to us, we should feel the
same indifference towards the means. 'Tis requisite a sentimen t should hcrc
display itself, in order to give a preference to the useful above the pernicious
tendencies. This sentiment can be no other than a feeling for the happiness of
mankind, and a resentment of their misery; since these are the different ends
which virtue and vice have a tendency to promote. Here, therefore, reason
instructs us in the several tendencies of actions, and humanity makes a
384 Anhang

distinction in favour of those which are useful and beneficial. - Vgl. Philo-
sophical W orks. Bd 4.259. - Zur gesellschaftlichen Bedeutung des natural senti-
ment of benevolence siehe Enquiry concerning the Principles of Morals.
Section V, part II.104f; vgl. Philosophical Works. Bd 4.215.
148,355-356 von diesem ... ausgegangen,] Zur Differenz Kants und Humes
im Blick auf Gewohnheit und Allgemeinheit siehe insbesondere Kant: Kritik
der reinen Vernunft. B 5: In dem Satz, daß alle Veränderung eine Ursache
haben müsse, ... enthält selbst der Begriff einer Ursache so offenbar den
Begriff einer Nothwendigkeit der Verknüpfung mit einer Wirkung und
einer strengen Allgemeinheit der Regel, daß er gänzlich verlohren gehen
würde, wenn man ihn, wie Hume that, von einer öftern Beygesellung
dessen was geschieht, mit dem was vorhergeht, und einer daraus entspringen-
den Gewohnheit, (mithin bloß subjectiven Nothwendigkeit,) Vorstellungen
zu verknüpfen, ableiten wollte. - Möglicherweise spielt Hege/ an auf die
Auskunft Kants, Hume habe ihn aus seinem dogmatischen Schlummer erweckt;
siehe Kant: Prolegomena. Vorwort.
148,35S-359 In Verbindung ... sprechen.] Zu dieser Eigentümlichkeit im
Aufbau des Kollegs 1825/26 siehe die Bemerkungen im vorliegenden Band 195.
149,361-365 Der allgemeine ... Selbstbewußtsein.J Hege/ bezieht sich mif
Wendungen Kants, die den Zusammenhang zwischen dem Programm der Kritik
der reinen Vernunft und Humes Kritik zum Gegenstand haben; siehe die vor-
letzte Anm. sowie Kant: Kritik der reinen Vernunft. B 127: David Hume
erkannte, um das letztere thun zu können, sey es nothwendig, daß diese
Begriffe ihren Ursprung a priori haben müßten. Da er sich aber gar nicht
erklären konnte, wie es möglich sey, daß der Verstand Begriffe, die an sich
im Verstande nicht verbunden sind, doch als im Gegenstande nothwendig
verbunden denken müsse, und darauf nicht verfiel, daß vielleicht der Ver-
stand durch diese Begriffe selbst Urheber der Erfahrung ... seyn könne, so
leitete er sie, durch Noth gedrungen, von der Erfahrung ab ... - Vgl. ebenda
B 793: Hume hielt alle vermeintlichm Prinzipien der Vernu"!ft apriorifür einge-
bildet, und fand daß sie nichts als eine aus Erfahrung und deren Gesetzen
entspringende Gewohnheit ... seyn, denen wir eine vermeinte Noth-
wendigkeit und Allgemeinheit beymessen.- Zu Kants Rüc~führung der Kate-
gorien auf das reine Subjekt siehe die Transseendentale Deduction der reinen
Verstandesbegriffe, ebenda B 129-169.- Zur Bedeutung Humesfür Kants Aus-
bildung des transzendentalen Idealismus siehe auch insbesondere Kant: Kritik der
praktischen Vernunft. 92-100. (AA 5.52-57.)
149,36S-373 Das Erkennen ... gefordert wird.] Hege/ dürfte anspielen auf
Kant: Kritik der reinen Vernunft. B 24J: Ein Organon der reinen Vernunft
würde ein Inbegriff derjenigen Prinzipien seyn, nach denen alle [ reinen Er-
kenntnisse a priori können erworben und wirklich zu Stande gebracht wer-
den. Die ausführliche Anwendung eines solchen Organon würde ein System
der reinen Vernunft verschaffen. - Die Zurückweisung einer der eigentlichen
Wahrheitserkenntnis vorausgehenden Erkenntniskritik dürfte sich gegen Kants Be-
Anmerkungen 385

zeichnung der Kritik der reinen Vernunft als einer Propädevtik zum System
der reinen Vernunft richten. Siehe ebenda B 25; vgl. B XLIII.
149,378--380 Die deutsche ... worden ist.] Siehe vorliegenden Band 141.ß:
Hege/ nennt dort jedoch keine Namen aus der deutschen Philosophie - abgesehen
von Garves Übersetzung (144j). Auch in W 15.485ff bzw. 530ff nennt er keine
Namen für einen vorkantischen Empirismus in der deutschen Popularphilosophie.
Siehe aber die folgende Anm.
149,380-383 Im Praktischen ... Glückseligkeit.] Es läßt sich nicht mit Sicher-
heit bestimmen, auf welche Autoren und Werke Hegels pauschale Anspielung sich
bezieht. Auch Hegels philosophiegeschichtlichen Quellen li!Jlt sich kein über-
zeugender Hinweis entnehmen. Am ehesten könnte noch Buh/es Bericht über
Maupertuis Hegels Behauptung veranlaßt haben; siehe Buhle: Geschichte. Bd 6,
Abt. 1.350. Wahrscheinlicher ist, daß Hege/ an eine Vielzahl heute fast vergessener
Autoren denkt, etwa an Gotthilf Samuel Steinhart: System der reinen Philo-
sophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums für die Bedürfnisse seiner
aufgeklärten Landsleute und anderer die nach Weisheit fragen eingerichtet.
17781, Zweite sehr vermehrte Auflage. Züllichau 1780. Insbesondere§§ 81j Bd
1.210-223. oder an Johann Georg Heinrich Feder: Untersuchungen über den
menschlichen Willen, dessen Naturtriebe, Veränderlichkeit, Verhältniß zur
Tugend und Glückseligkeit und die Grundregeln, die menschlichen Ge-
müther zu erkennen und zu regieren. 3 Theile. Neueste Auflage. Linz 1785-
1787. Insbesondere Tei/3, Buch 4.
149,383-150,389 Andererseits ... Gott usf.] Diese Kritik richtet sich insbe-
sondere gegen Moses Mendelssohn: Morgenstunden oder Vorlesungen über
das Daseyn Gottes. Erster Theil. Berlin 1786. Insbesondere 284-305: XVI.
Erläuterung der Begriffe Nothwendigkeit, Zufälligkeit, Unabhängigkeit und
Abhängigkeit. - Versuch eines neuen Beweises für das Daseyn Gottes, aus
der Unvollständigkeit der Selbsterkenntniß.
150,395-398 Das Erste ... fmden sind;] Daß Kant sogleich zugebe, daß
Allgemeinheit und Notwendigkeit nicht in der Wahrnehmung - oder allgemeiner
in der Erfahrung- enthalten seien, deutet daraufhin, daß Hege/ an eine Passage der
Einleitung in die Kritik der reinen Vernunft. denke; siehe ebendaB3f: Erfah-
rung giebt niemals ihren Ortheilen wahre oder strenge, sondern nur ange-
nommene und comparative Allgemeinheit (durch Induction), so daß es
eigentlich heißen muß: soviel wir bisher wahrgelnommen haben, fmdct sich
von dieser oder jener Regel keine Ausnahme .... Nothwendigkeit und
strenge Allgemeinheit sind also sichere Kennzeichen einer Erkenntniß a
priori, und gehören auch unzertrennlich zu einander. - Siehe auch B 123J
sowie vorliegenden Band, Anm. zu 149,361-364.
150,399-400 Sie sind ... subjektiven Denken.] Siehe etwa die Kritik Kants
an Hume, daß dieser es sich nicht erklären konnte, wie es möglich sey, daß der
Verstand Begriffe, die an sich im Verstande nicht verbunden sind, doch als
im Gegenstande nothwendig verbunden denken müsse, und darauf nicht
verfiel, daß vielleicht der Verstand durch diese Begriffe selbst Urheber der
386 Anhang

Erfahrung ... seyn könne, ... Ebenda B 127; vgl. B 131Jf. - Vgl. auch vor-
liegenden Band, Anm. zu 152,471-473.
150,40~404 Diese Bestimmungen ... Einheit.] Zu Kants Begriff der Synthe-
sis siehe Kritik der reinen Vernunft. B 102f: Allein die Spontaneität unseres
Denkens erfordert es, daß dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise
durchgegangen, aufgenommen, und verbunden werde, um daraus eine El-
kenntniß zu machen. Diese Handlung nenne ich Synthesis. I Ich verstehe
aber unter Synthesis in der allgemeinsten Bedeutung die Handlung, ver-
schiedene Vorstellungen zu einander hinzuzuthun, und ihre Mannigfaltigkeit
in einer Erkenntniß zu begreifen. . .. die Synthesis ist ... dasjenige, was
eigentlich die Elemente zu Erkenntnissen sammlet, und zu einem gewissen
Inhalte vereinigt; ... Siehe auch die Transseendentale Deduction der reinen
Verstandesbegriffe, in Kant: Kritik der reinen Vernunft. B 129-169. Insbe-
sondere B 129-131.- Zur synthetisierenden Funktion der Kategorien siehe insbe-
sondere B 143Jf.
150,409-410 Ursache ... Denkbestimmungen.] Siehe ebenda B 104J: Die-
selbe Function, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Ur-
theile Einheit giebt, die giebt auch I der bloßen Synthesis verschiedene ( !)
Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausge-
druckt, der reine Verstandesbegriff heißt. - B 105: Auf solche Weise ent-
springen gerade so viel reine Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegen-
stände der Anschauung überhaupt gehen, als es in der vorigen Tafellogische
Functionen in allen möglichen Ortheilen gab: ... Wir wollen diese Begriffe,
nach dem Aristoteles, Categorien nennen, ... - Im Anschluß hieran (B 106)
stellt Kant die Kategorientafel auf; in der Klasse der Relationskategorien nennt er
an zweiter Stelle: Causalität und Dependenz (Ursache und Wirkung).
150,412-413 Kant ... möglich?] Siehe ebenda B 19: Die eigentliche Auf-
gabe der reinen Vernunft ist nun in der Frage enthalten: Wie sind syn-
thetische Ortheile a priori möglich?
150,415-416 Es sind ... gegeben sind.] Siehe ebenda, insbesondere B 12f Hier
heißt es, das in diesen Urteilen Verknüpfende könne nicht die Erfahrung sein, weil
die im Urteil gedachte Verbindung nicht allein mit größerer Allgemeinheit,
sondern auch mit dem Ausdruck der Nothwendigkeit, mithin gänzlich a
priori und aus bloßen Begriffen hergestellt werde. Vgl. B 2.
150,417-151,418 Hume ... sind.] Siehe vorliegenden Band 147,303-307
mit Anm.
151,418-419 Sinnliche ... Wirkung.] Siehe vorliegenden Band 147,309-314
mit Anm.
151,420 Solche ... Selbstbewußtsein.] Hege/ mag an Formulierungen Kants
gedacht haben wie etwa Kritik der reinen Vernunft. B 24: Denn ist Ver-
nunft das Vermögen, welches die Principien der Erkenntnißapriori an
die Hand giebt. - Zur Hervorhebung des Selbstbewußtseins siehe insbesondere
ebenda B 132: Ich nenne sie (sc. die Vorstellung Ich denke) die reine Appercep-
tion, um sie von der empirischen zu unterscheiden, . . . Ich nenne auch die
Anmerkungen 387

Einheit derselben die transseendentale Einheit des Selbstbewußtseyns, um die


Möglichkeit der Erkenntniß a priori aus ihr zu bezeichnen.
151,421-422 Kant ... unterscheiden,] Zu Kants Begriff der Transzendental-
philosophie siehe u. a. ebenda B 27JJ sowie B 829 Anm. - Hege/ berücksichtigt
nicht, daß für Kant diese Kritik nicht schon selbst Transscendental-Philosophie
heißt (B 27), sondern erst die vollständige Idee der Transscendental-Philoso-
phie, aber diese Wissenschaft noch nicht selbst ist (B 28).- Zur Unterscheidung
von transzendent und transzendental siehe B 352.
151,429-434 Die Transzendentalphilosophie . . . Bewußtsein.] Eine un-
zweifelhafte Quelle für diese eigentümliche Erläuterung der Idee der Transzen-
dentalphilosophie hat sich nicht nachweisen lassen. Hege/ könnte sich beziehen auf
Kant: Kritik der reinen Vernunft. B 90f; dort bestimmt Kant die Analytik der
Begriffe als Zergliederung des Verstandesvermögens selbst, um die
Möglichkeit der Begriffe a priori dadurch zu erforschen, daß wir sie im Ver-
stande allein, als ihrem Geburtsorte, aufsuchen und dessen reinen Gebrauch
überhaupt analysiren; denn dieses ist das eigenthürnliche Geschäfte einer I
Transscendental-Philosophie; ... Vgl. auch ebenda B 24f - Zur Unterschei-
dung von transzendent und transzendental siehe insbesondere ebenda B 352f
151,435-438 Kant ... entwickeln.] Hege/ dürfte sich insbesondere gegen die
Formulierung am Ende der Einleitung der Kritik der reinen Vernunft. richten;
dort heißt es: Nur so viel scheint zur Einleitung, oder Vorerinnerung, nöthig
zu seyn, daß es zwey Stämme der menschlichen Erkenntniß gebe, die viel-
leicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel ent-
springen, nernlich Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns
Gegenstände gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden. (B 29) -
Unmittelbar zuvor hatte Kant sein Methodenideal jedoch so skizziert (B 28}: Das
vornehmste Augenmerkbey der Eintheilung einer solchen Wissenschaft (sc.
der Kritik der reinen Vernunft. als der vollständigen Idee der Transzendental-
philosophie) ist: daß gar keine Begriffe hineinkommen müssen, die irgend
etwas Empirisches in sich enthalten; ... B 29: Daher ist die Transscendental-
Philosophie eine Weltweisheit der reinen bloß speculativen Vernunft. (Diese
Auiführungen stehen jedoch für Kant im Zusammenhang der Abgrenzung der
spekulativen von der praktischen Vernunft.)
151,438-441 Das erste ... Religiösen usw.] Hege/ bezieht sich wahrscheinlich
auf die auiführliche Fußnote am Ende der Vorrede zur zweiten Auflage in Kant:
Kritik der reinen Vernunft. B XLf; vgl. ferner insbesondere B 66, 275-279, 400f,
405, 519, 700. -Die hierfür beigebrachten Beispiele finden sich jedoch hier nicht,
aber auch nicht an anderer Stelle. Auf die Empfindung des Roten geht Kant zwar
im Zusammenhang seiner Auiführungen über die intensive Große (B 211) kurz
ein; diese haben aber insgesamt einen anderen Charakter und Stellenwert als die
von Hege/ behauptete Unterscheidung einer äußeren und einer inneren Empfindung.
- Hege/ vermischt hier zudem die >innere Empfindung< aus dem Kontext der trans-
zendentalen Ästhetik mit der Empfindung (im Sinne des Gefühls) in der praktischen
Philosophie.
388 Anhang

151,441-446 In diesem ... sehen.] Siehe ebenda B 36: Bey dieser Unter-
suchung wird sich fmden, daß es zwey reine Formen sinnlicher Anschauung,
als Principien der Erkenntniß a priori gebe, nemlich Raum und Zeit, mit
deren Erwegung wir uns jetzt beschäftigen werden. - Zum Verhältnis von
Empfindung und Anschauung siehe ebenda B 35: Wenn man von der Vorstellung
eines Körpers das, was der Verstand denke und das, was zur Empfindung gehöre
(Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe) absondere, bleibe noch das übrig, was zur
reinen Anschauung gehöre, nernlich Ausdehnung und Gestalt. - Hegels Erläute-
rung dieses Verhältnisses wird dessen eigentlicher Fassung nicht gerecht. Hege/
könnte allerdings auch diejenige Stelle im Blick gehabt haben, wo es heißt, damit
gewisse Empfmdungen auf etwas außer mich bezogen werden, . . . dazu
muß die Vorstellung des Raumes schon zum Grunde liegen. (B 38) -Zur
äußeren und inneren Anschauung siehe ebenda B 38f bzw. B 48f
151,446-152,448 Jetzt ... Gottes,] Siehe vorliegenden Band 173,89-93 mit
Anm.
152,449-451 Also ... Sinnlichkeit;] Siehe Kant: Kritik der reinen Ver-
nunft. B 34lf, insbesondere B 36: Es werde sich finden, daß es zwey reine For-
men sinnlicher Anschauung, als Principien der Erkenntniß a priori gebe,
nernlich Raum und Zeit ... - Kant spricht hier allerdings nicht, wie Hege/
unterstellt, von der Allgemeinheit, sondern von der Einheit von Raum und Zeit, da
sie nicht Begriffe, sondern reine Anschauungen sind; vgl. ebenda B 39 bzu1.
B 47.
152,45~455 Raum ... Subjektiven an.] Zur Betonung des Subjektiven siehe
insbesondere ebenda B 42: b) Der Raum ist nichts anders, als nur die Form
aller Erscheinungen äußerer Sinne, d. i. die subjective Bedingung der Sinn-
lichkeit, unter der allein uns äußere Anschauung möglich ist. - Zum Charak-
ter der Zeit als einer subjektiven Bedingung, unter der alle Anschauungen in uns
stattfmden können, siehe ebenda B 49, vgl. B 51. -Auf Kants Lehre von der
empirischen Realität und transzendentalen Idealität von Raum und Zeit geht Hege/
nicht ausführlich ein.
152,455-456 Diese Beurteilung ... Ästhetik;] Siehe ebenda B 35: Eine Wis-
senschaft von allen Principien der Sinnlichkeitapriori nenne ich die trans-
scendentale Aesthetik.
152,456-457 jetzt ... Schönen.] Dieser Wandel im Gebrauch des Wortesfällt
nicht erst in die Zeit zwischen Kant und Hege/. In einer Fußnote zur Kritik der
reinen Vernunft. B 35. weist Kant bereits darauf hin, daß >Ästhetik< in Deutsch-
land - seit A. G. Baumgarten - dasjenige bezeichne, was anderswo Critik des
Geschmacks genannt werde. Seine eigene Rede von transzendentaler Ästhetik
richtet sich also ausdrücklich gegen den zeitgenössischen Wortgebrauch; er sucht
statt dessen an die antike Gegenüberstellung von ()(to-fhrr&: und V01JT&: anzuknüpfen.
Allerdings hat Kants Rede von >ästhetischer Urteilskrqft< selbst dem von ihm zu-
nächst abgelehnten Gebrauch zum Durchbruch verholfen.
152,469-470 Den Verstand ... Denkens.] Siehe eben da, insbesondere B 75:
Wenn man die Receptivität die Sinnlichkeit nennen wolle, so ist dagegen
Anmerkungen 389

das Vermögen, Vorstellungen selbst hervorzubringen, oder die Spontanei-


tät des Erkenntnisses, der Verstand.
152,470-471 Dieser Ausdruck ... Philosophie her.] Zum Begriff der Spon-
taneität bei Leibniz siehe insbesondere Essais de Theodicee. Tome 1, partie 1.
§ 59.114f ... qu'il n'y ait dans le fonddes choses une spontanei:te mer-
veilleuse en nous, laquelle dans un certain sens rend I'ame dans ses resolutions
independante de l'influence physique de toutes !es autres creatures. (134:
... daß in allem eine uns wunderbar erscheinende Spontaneität steckt, die
gewissermaßen die Seele in ihren Entschlüssen von dem physischen Ein-
fluß aller anderen Geschöpfe unabhängig macht.) - Siehe vor allem Tome 2,
partie 3. § 291, zitiert im vorliegenden Band, Anm. zu 135,948-949.
152,471-473 Der Verstand ... Selbstbewußtseins.] Siehe insbesondere Kant:
Kritik der reinen Vernunft. B 132: Diese Vorstellung (sc. Ich denke) aber ist
ein Actus der Spontaneität, d. i. sie kann nicht als zur Sinnlichkeit ge-
hörig angesehen werden. Ich nenne sie die reine Apperception, um sie
von der empirischen zu unterscheiden, oder auch die ursprüngliche
A pperception, weil sie dasjenige Selbstbewußtseyn ist, was, indem es die
Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle andere muß begleiten können,
und in allem Bewußtseyn ein und dasselbe ist, von keiner weiter begleitet
werden kann. Ich nenne auch die Einheit derselben die transseendentale
Einheit des Selbstbewußtseyns, um die Möglichkeit der Erkenntniß a priori
aus ihr zu bezeichnen.- Kant betont hier wie auch anderer Stelle, daß diese Vor-
stellung ein Denken, nicht ein Anschauen sei (B 157) bzw. daß sie- als ein
Actus der Spontaneität- eine Verstandeshandlung sei (B 130).
152,474-153,477 Perzipieren ... gesetzt wird.] Kant unterscheidet diejenige
Perzeption, die sich lediglich auf das Subject, als die Modification seines Zu-
standes bezieht, als Empfindung (sensatio) von der objektiven Perzeption als
Erkenntniß (cognitio), die entlweder Anschauung oder Begriff (intui-
tus vel conceptus) sei; vgl. ebenda B 376f -Zum Gebrauch von perceptio und
apperceptio bei Leibniz siehe vorliegenden Band 132,876-879 mit Anm.
153,485--487 Diese Einheit . . . Mannigfaltigen.] Siehe Kant: Kritik der
reinen Vernunft. B 129ff, insbesondere B 129f die Verbindung (conjunctio)
eines Mannigfaltigen überhaupt, kann niemals durch Sinne in uns kommen,
und kann also auch nicht in der reinen Form der sinnlichen Anschauung
zulgleich mit enthalten seyn; denn sie ist ein Actus der Spontaneität der
Vorstellungskraft, ... , eine Verstandeshandlung, die wir mit der allgemeinen
Benennung Synthesis belegen würden ... - B 132: Also hat alles Mannig-
faltige der Anschauung eine nothwendige Beziehung auf das: Ich denke,
in demselben Subject, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird. Diese
Vorstellung aber ist ein Actus der Spontaneität, d. i. sie kann nicht als zur
Sinnlichkeit gehörig angesehen werden. - Vgl. vorliegenden Band, Anm. zu
150,400-404.
153,491-495 Die Einheit ... Denkbestimmungen.] Siehe ebenda B 137: Die
Erkenntnisse bestehen in der bestimmten Beziehung gegebener Vorstellungen
390 Anhang

auf ein Object. Object aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer
gegebenen Anschauung vereinigt ist. - B 143 (Überschrift zu§ 20): Alle
sinnliche Anschauungen stehen unter den Categorien, als Bedingungen,
unter denen allein das Mannigfaltige derselben in ein Bewußtseyn zusam-
menkommen kann. - Siehe auch die folgende Anm.
153,505-507 Er hat ... Allheit).] Siehe ebenda B 106-108. - Statt von
Grundkategorien und zusammengesetzten Kategorien spricht Kant von ur-
sprünglichen und primitiven Begriffe(n) bzw. von abgeleiteten und subalter-
nen oder von Prädicamenten bzw. Prädicabilien (B 108).
153,495-497 Was ... abgehandelt werden.] Siehe ebenda B 143: Nun sind
aber die Categorien nichts andres, als eben diese Functionen zu urtheilen,
so fern das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung in Ansehung ihrer
bestimmt ist. - B 105: Auf solche Weise entspringen gerade so viel reine
Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegenstände der Anschauung über-
haupt gehen, als es in der vorigen Tafellogische Functionen in allen mög-
lichen Ortheilen gab: denn der Verstand ist durch gedachte Functionen völ-
lig erschöpft, und sein Vermögen dadurch gänzlich ausgemessen. Wir wollen
diese Begriffe, nach dem Aristoteles, Categorien nennen, ...
153,497-500 Verschiedene ... Beziehens.] Siehe eben da B 95. -Regel trägt
hier allerdings die Terminologie seiner eigenen Urtheilslogik ein; siehe Hege!:
Wissenschaft der Logik. Bd 2. Die subjektive Logik. Herausgegeben von Fried-
rich Hogemann und Walter Jaeschke. Harnburg 1981. GW 12.60-73. - Kants
Urteilst'![el spricht nicht von positiven, negativen und singulären, sondern von
bejahenden, verneinenden und einzelnen Urteilen.
153,500-505 Sofern . . . zu entwickeln.] Es ist Kants Kritik an Aristoteles,
dieser habe kein Principium einer Ableitung der Kategorien gehabt und deshalb
deren zuerst zehn aufgerafft und in der Folge nochmals ihrer fünfe aufgefunden
(ebenda B 107). Kants Anspruch, die Kategorien demgegenüber systematisch aus
einem gemeinschaftlichen Princip, nemlich dem Vermögen zu urtheilen,
hergeleitet zu haben (B 106), weist Regel deshalb zurück, weil die Kritik der
reinen Vernunft lediglich versichert, wenn wir von den Inhalten der Urteile ab-
strahierten und auf die bloße Verstandesform achteten, so fmden wir, daß die
Function des Denkens in demselben unter vier Titel gebracht werden könne,
deren jeder drey Momente unter sich enthält ... (B 95). -Als Beispiel einer
Entwicklung der Unterschiede aus der Einheit dürfte Regel die Folge der ersten
Bestimmungen bei Proclus, vielleicht auch schon bei Pythagoras, vor Augen gestan-
den haben; siehe vorliegende Ausgabe Tei/3 (Originalpaginierung 81JJ) bzw. Teil
2 (Originalpaginierung 150ff).- Vgl. W 15. 75ff und W 13.243Jf.
153,507-509 Dies ist ... ausmacht.] Zu dieser >Merkwürdigkeit< siehe auch
Kants Begründung, ebenda B 110: 2te Anmerk. Daßallerwerts eine gleiche Zahl
der Categorien jeder Classe, nemlich drey sind, welches eben sowol zum Nach-
denken auffodert, da sonst alle Eintheilung a priori durch Begriffe Dichoto-
mie seyn muß. Dazu kommt aber noch, daß die dritte Categorie allenthalben
aus der Verbindung der zweyten mit der ersten ihrer Classe entspringt.
Anmerkungen 391

153,509-154,510 Die Triplizität ... Religion,] Siehe die vorliegende Aus-


gabe, Teil 2 (Originalpaginierung 150-153) sowie Teil 3 (Originalpaginierung
81-84). Siehe ferner Hege!: Vorlesungen über die Philosophie der Religion.
Teil 3. V 5. 19jf, 125jf, 205ff.
154,513-521 Die zweite ... c) Notwendigkeit.] Als Kategorien der Qualität
nennt Kant: Kritik der reinen Vernunft. B 106: Realität, Negation und
Limitation; als Relationskategorien: Inhärenz und Subsistenz (substantia
et accidens), Causalität und Dependenz (Ursache und Wirkung) und Ge-
meinschaft (Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden);
als Kategorien der Modalität: Möglichkeit- Unmöglichkeit, Daseyn-
Nichtseyn, N othwendigkeit- Zufälligkeit.
154,521-522 Der denkende ... Denkbestimmungen.] Siehe ebenda B 106:
Dieses ist nun die Verzeichmmg aller ursprünglich reinen Begriffe der Syn-
thesis, die der Verstand a priori in sich enthält, und um deren willen er auch
nur ein reiner Verstand ist; ...
154,529-530 Diese Verbindung ... Erfahrung.] Siehe ebenda, u. a. B 218:
Erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer nothwendigen
Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich. Vgl. ebenda B 219.
155,545-548 Nach ... Allgemeines.] Siehe ebenda B 146: Zum Erkenntnisse
gehören nernlich zwey Stücke: erstlieh der Begriff, dadurch überhaupt ein
Gegenstand gedacht wird (die Categorie), und zweytens die Anschauung,
dadurch er gegeben wird; ... Vgl.Jerner B 161 sowie B 195 und B 218.
155,551-553 Kant ... sind.] Siehe ebenda, insbesondere B XXVf" Daß Raum
und Zeit nur Formen der sinnlichen Anschauung, also nur Bedingungen der
Existenz der Dinge als Erscheinungen sind, daß wir ferner keine Verstandes-
begriffe, mithin auch gar keine Elemente zur Erkenntniß der Dinge haben,
als so fern I diesen Begriffen correspondirende Anschauung gegeben werden
kann, folglich wir von keinem Gegenstande als Dinge an sich selbst, sondern
nur so fern es Object der sinnlichen Anschauung ist, d. i. als Erscheinung,
Erkenntniß haben können, ...
155,554-558 Die Wahrnehmung ... angehört.] Siehe ebenda, insbesondere B
23~{: es bleibt I durch die bloße Wahrnehmung das objective Verhält-
niß der einanderfolgenden Erscheinungen unbestimmt.... Der Begriff
aber, der eine Nothwendigkeit der synthetischen Einheitbey sich führt, kann
nur ein reiner Verstandesbegriff seyn, der nicht in der Wahrnehmung liegt,
und das ist hier der Begriff des Verhältnisses der Ursache und Wir-
kung, ... Vgl.ferner ebenda B 218f
155,563-156,567 aber ... Verstandes.] Zu diesem Zusammenhang des Sub-
jektiven und des Objektiven siehe ebenda B 122 und B 138: Die synthetische
Einheit des Bewußtseyns ist also eine objective Bedingung aller Erkenntniß,
nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Object zu erkennen, sondern unter
derjedeAnschauungstehenmuß, um für mich Object zu werden, ... -
Siehe ferner B 122: Daher zeigt sich hier eine Schwierigkeit, die wir im Felde
der Sinnlichkeit nicht antrafen, wie nernlich subjective Bedingungen
392 Anhang

des Denkens sollten objective Gültigkeit haben, d. i. Bedingungen


der Möglichkeit aller Erkenntniß der Gegenstände abgeben ...
156,573-574 So sind ... bestimmen.] Siehe vorliegenden Band, Anm. zu
155,551-553.
156,580 soeben] Siehe vorliegenden Band, insbesondere 155,563-156,567 sowie
150,399-400.
156,583-584 Das Ich . . . Kategorien.] Siehe vorliegenden Band, Anm. zu
155,563-156,567.
156,584 das Cogito des Cartesius] Siehe vorliegenden Band 93,717-729 mit
Anm.
157,588-590 Kant ... Urteilen.] Siehe vorliegenden Band, Anm. zu 153,500-
503.
157,592-595 dies ist ... zum Teil.] Hege/ bezieht sich a~{Fichte: Grundlage.
Siehe insbesondere die Ableitung der ersten Kategorie aus dem ersten Grundsatz,
14: Abstrahiert man ferner von allem Urtheilen, als bestimmten Handeln,
und sieht bloß auf die durchjene Form gegebne Handlungsart des mensch-
lichen Geistes überhaupt, so hat man die Kategorie der Realität. (GA
2.261.) Ähnlich gewinnt Fichte aus dem zweiten Grundsatz die Kategorie der
Negation (23, vgl. GA 2.267) und aus dem dritten Grundsatz die Kategorie der
Bestimmung (Begrenzung, bei Kant Limitation). (48, vgl. GA 2.282.)
Siehe ferner 60 (GA 2.290) zur Kategorie der Wechselbestimmung usj.
157,595 Ich ... hervor.] Fichte versteht das Ich bin nicht nur als Ausdruck
einer Tatsache des Bewußtseins, sondern als Ausdruk einer Thathandlung; siehe
ebcnda 10, vgl. GA 2.259. Siehe auch ebenda: Also das Setzen des Ich durch
sich selbst ist die reine Thätigkeit desselben.
157,597-601 Ich ... es weiß.] Hege/ kommt hier sehr wahrscheinlich auf das
Thema des bewußtlosen Produzierens zu sprechen, dem er bereits in seiner Schrift
Differenz des Fichte'schen und Schelling'schen Systems .. . Jena 1801. breiten
Raum gewidmet hat; siehe 82:ff, 99f(GW 4. 43f,51). Er dürfte sich dabei beziehen
auf Fichte: Grundlage. 199: Ferner ist klar, daß das Ich seiner Thätigkeit in
dieser Produktion des angeschauten, als eines solchen, sich nicht bewußt seyn
könne, darum, weil sie nicht reflektirt, dem Ich nicht zugeschrieben wird.
(Nur in der philosophischen Reflexion, die wir jezt anstellen, und die wir
immer sorgfältig von der gemeinen nothwendigen zu unterscheiden haben,
wird sie dem Ich beigemessen.)- 205: Daher unsre feste Ueberzeugung von
der Realität der Dinge ausser uns, und ohne alles unser Zuthun, weil wir uns
des Vermögens ihrer Produktion nicht bewußt werden. Würden wir in der
gemeinen Reflexion uns bewußt, wie wir in der philosophischen uns dessen
allerdings bewußt werden können, daß sie erst durch die Einbildungskraft in
den Verstand kommen, so würden wir wieder alles für Täuschung erklären
wollen, und würden durch das leztere eben so Unrecht haben, als durch das
erstere). (GA 2.371,374f)
157,602-604 Die Philo~ophie ... Bewußtsein tut.] Siehe Fichte: Grundlage.
184j: Alle im Verlauf unsrer Untersuchung aufgestellten Denkmöglichkei-
Anmerkungen 393

ten, die wir uns dachten, die wir uns mit Bewußtseyn unsers Denkens der-
selben dachten, waren auch Fakta unsers Bewußtseyns, inwiefern wir philo-
sophirten; aber es waren durch die Spontaneität unsers Reflexionsvermögens
nach den Regeln der Reflexion künstlich hervorgebrachte Fakta. Die jezt
aufgestellte, nach Absonderung alles erwiesen falschen, einig übrigbleibende
Denkmöglichkeit, I ist zuförderst auch ein solches durch Spontaneität künst-
lich hervorgebrachtes Faktum; es ist dies, insofern es vermittelst der Re-
flexion zum Bewußtseyn (des Philosophen) erhoben worden ist; oder noch
eigentlicher, das Bewußtseyn jenes Faktums ist ein durch Kunst hervorge-
brachtes Faktum. - 188: Man abstrahire vorläufig gänzlich von der künst-
lichen philosophischen Reflexion, und bleibe bloß bei der ursprünglich noth-
wendigen Reflexion stehen, die der menschliche Geist über jenes Faktum
anstellen soll (und welche von nun an der Gegenstand einer höhern philoso-
phischen Reflexion seyn wird). (GA 2.363 bzw. 365.)
157,604-609 Man hat ... Schwierigkeiten gesucht.] Hegel bezieht sich sehr
wahrscheinlich mifWilhelm Traugott Krug: Entwurf eines neuen Organon's
der Philosophie oder Versuch über die Prinzipien der philosophischen Er-
kenntniß. Meissen und Lübben 1801. 60J: Aber man hüte sich wohl, durch
diese Ausdrücke zu dem Mißverstande verleitet zu werden, als wenn durch
das philosophische Bewußtseyn das gemeine Bewußtseyn oder das Bewußt-
seyn überhaupt seinem Wesen und Entstehen nach deduzirt, erklärt und
begriffen werden solllte. Denn die Gesetze meiner Thätigkeit kann ich nur
vermittelst der Thatsachen meines Bewußtseyns kennen lernen, und ob ich
gleich mit Hülfe dieser Gesetze hinter her diese oder jene Thatsache aus an-
derweiten Thatsachen ableiten, und insofern erklären und begreiffen kann, so
muß ich doch zuletzt auf gewisse einfache oder Urthatsachen stoßen,
wo alles Ableiten, Erklären und Begreiffen aufhört, und das Bewußtseyn
selbst, jene ursprüngliche Synthesis des Seyns und Wissens im Ich, wird
nimmer von einem Philosophen erklärt und begriffen werden, weil er sein
Bewußtseyn nicht gleichsam willkürlich verlassen und darüber hinausgehen
kann, um etwa zuzusehen, wie das Bewußtseyn selbst entsteht.- 74: aber das
gemeine oder natürliche Bewußtseyn ist und bleibt schlechterdings unerklär-
bar und unbegreiflich. Ich kann durchaus nicht angeben und zeigen, wie und
wann und wodurch ich zum Seyn und zum Wissen von meinem Seyn ge-
kommen bin. Ich kann nur sagen, Das Seyn und das Wissen vom Seyn in
seiner ursprünglichen Vereinigung in mir ist weil es ist, und ist so, weil es so
ist.
158,630-631 Er hat ... dem Wissen. J Siehe - neben dem Titel Grundlage
der gesammten Wissenschaftslehre - insbesondere die Überlegung in Fichte:
Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie,
als Einladungsschrift zu seinen Vorlesungen über diese Wissenschaft. Weimar
1794. 18: Die bisher sogenannte Philosophie könnte dann schlechthin die Wis-
senschaft, oder die Wissenschaftslehre heissen. (GA 2.118.)
158,634-635 Ich ist das ... von mir.] Siehe die Weiterbestimmung des ersten
394 Anhang

Grundsatzes, in Fichte: Gnmdlage. 7J: das schlechthin gesetzte X. I läßt sich


auch so ausdrücken: Ich = Ich; Ich bin Ich. (GA 2.257.)
159,643-644 Der zweite ... nicht gesetzt.] Siehe ebenda 21J: So gewiß das
unbedingte Zugestehen der absoluten Gewißheit des Satzes: - A nicht = A
unter den Thatsachen des empirischen Bewustseyns vorkommt: so gewiß
wird dem Ich schlechthin entgegengesezt ein Nicht-Ich .... 1
... Und so wäre denn auch der zweite Grundsaz alles menschlichen Wissens
gefunden. (GA 2.266f.)
159,652-653 Dieser zweite ... Nicht-Ich.] Siehe die vorhergehet~de Amn.
sowie die Formulierungen der Implikation des zweiten Grundsatzes im Kontext der
Deduktion des dritten, ebenda 24 (GA 2.268f).
159,653-656 Dieser zweite ... meiner ist,] Siehe ebenda 21J: Von diesem
ursprünglichen Entgegensetzen nun ist alles das, was wir so eben vom Entlge-
gensetzen überhaupt gesagt haben, abgeleitet; und es gilt daher von ihm
ursprünglich: es ist also der Form nach schlechthin unbedingt, der Materie
nach aber bedingt. (GA 2.266f.)- Zum Ar,ifgen01nmensein des Nicht-Ich in das
Ich siehe ebenda 24f(GA 2.268f).
159,658-660 Der dritte ... einschränkend,] Der dritte Satz lautet bei Fichte,
ebenda 30: Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares
Nicht-Ich entgegen. (GA 2.272.)- Hegels Formulierung greift vor auf den
Beginn des theoretischen Teils der Wissenschqftslehre in§ 4, ebenda 52J: 1) Das
Ich sezt das Nicht-Ich, als beschränkt durch das Ich. bzw. 2) liegt
in jenem Satze folgender: das Ich sezt sich selbst, als beschränkt
durch das Nicht-Ich. (GA 2.285.)- Hege/führt diese beiden Sätze in der
umgekehrten Reihenfolge an, die auch fiir den Aufbau der Wissenschqftslehre be-
stimmend ist.
159,663-664 Der eine ... des Willens.] Siehe die beiden in der vorhergehen-
den Anm. zitierten Sätze. Zur Zuordnung des ersten Satzes zum praktischen und
des zweiten Satzes zum theoretischen Teil der Wissenschaftslehre siehe ebenda 54:
Es wird sich zeigen /1) daß der leztere Saz den theoretischen Theil der Wis-
senschaftslehre begründe -jedoch erst nach Vollendung desselben, wie das
bei'm synthetischen Vortrage nicht anders seyn kann./2) daß der erstere, bis
jezt problematische Saz den praktischen Theil der Wissenschaft begründe.
(GA 2.286.)
160,684-689 Diese Tätigkeit . . . Fichte versucht.] Zu Fichtes systemati-
scher Ableitung der Kategorien siehe vorliegenden Band 157,592-595 mit
Anm.
160,693-694 Ich soll ... sein,] Siehe Fichte: Grundlage. 121: das Nicht-Ich
ist für das Ich überhaupt nicht setzend, sondern bloß aufhebend, demnach
wird es insofern dem Ich der Qualität nach entgegengesezt, und ist Real-
Grund einer Bestimmung desselben .... Demnach ist das Ich sich selbst
nicht der Qualität, sondern bloß der Quantität nach entgegengesezt; es ist
daher bloß der Ideal-Grund von einer Bestimmung in sich selbst.- Es sezt
etwas in sich nicht; und es sezt dasselbe in das Nicht-Ich, ist Eins und eben
Anmerkungen 395

Dasselbe: das Ich ist demnach von der Realität des Nicht-Ich nicht anders
Grund, als es von der Bestimmung in sich selbst, von seinem Leiden, der
Grund ist; es ist bloß Ideal-Grund. (GA 2.325.)
160,694-696 worüber . . . Schulze usw.] Siehe Wilhelm Traugott Krug:
Entwurf eines neuen Organon's der Philosophie oder Versuch über die Prin-
zipien der philosophischen Erkenntniß. Meissen und Lübben 1801.- Für Krug
ist allerdings das Ich nicht das Idealprinzip, sondern das Realprinzip, und er
identifiziert weder das Ideal- noch das Realprinzip schlechthin mit dem Nicht-Ich.
Siehe insbesondere 10: Realprinzip nennen wir hier das, was man sonst
auch principium essendi, und Idealprinzip das, was man princi-
pium cognoscendi nennt. Realprinzip der philosophischen Er-
kenntniß ist also dasjenige, was philosophische Erkenntniß überhaupt
möglich macht, der innere Grund, die Quelle der philosophischen Er-
kenntniß. Dieses Prinzip kann nur ein einiges seyn. Idealprinzip der
philosophischen Erkenntniß hingegen ist dasjenige, was zur Ableitung
bestimmter philosophischer Erkenntnisse, es sey der Materie oder der Form
nach, gebraucht wird ... - 11: Soll es nun außer dem Realprinzipe der phi-
losophischen Erkenntniß auch Idealprinzipien derselben geben, so muß es
geben theils Prinzipien der philosophischen Erkenntniß, als eines Wissens
überhaupt, theils Prinzipien derselben, als eines wissenschaftlichen
Wissens. Jene bestimmen den Gehalt der philosophischen Erkenntniß und
können daher Materialprinzipien heißen, diese die Gestalt derselben
und können daher Formalprinzipien heißen. -17J: Wenn nun das Reall-
prinzip der philosophischen Erkenntniß im Allgemeinen betrachtet einerley
ist mit dem Realprinzipe der Erkenntniß überhaupt, die philosophische Er-
kenntniß aber sich doch eben dadurch, daß sie philosophisch ist, von der
menschlichen Erkenntniß überhaupt unterscheiden muß: so muß das Real-
prinzip der philosophischen Erkenntniß seyn das durch Philo-
sophiren erkennende Subjekt oder das Ich, wiefern es philoso-
phirt. - 19j- Wir nehmen also hier das Ich bloß als Realprinzip der
philosophischen Erkenntniß an, und zwar nicht das Ich überhaupt, wiefern es
irgend etwas erkennt, sondern wiefern es sich selbst vermittelst einer freyen
Abstrakzion und Reflexion zum Objekte der Erkenntlniß macht. (Gegen
Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie ... Tübingen 1795.)- Vgl.
ferner Hegels Kritik in GW 4.112,174-187; zu Hegels Kritik an Jakob Friedrich
Fries: System der Logik siehe insbesondere GW 12.311f; zur Kritik an Friedrich
Bouterwek siehe GW 4.95-104 sowie W 15.645f; zur Kritik an Schulze (Aene-
sidemus) siehe GW 4. 197-238.
161,712--713 Bei Fichte ... Setzende bin.] Siehe die vorletzte Anm.
161,727-728 Bei Fichte ... Widerspruch:] Siehe insbesondere Fichte:
Grundlage. 30: 2) Das Ich soll sich selbst gleich, und dennoch sich selbst
entgegengesezt seyn. Aber es ist sich gleich in Absicht des Bewußtseyns, das
Bewußtseyn ist einig: aber in diesem Bewußtseyn ist gesezt das absolute Ich,
als untheilbar; das Ich hingegen, welchem das Nicht-Ich entgegengesezt
396 Anhang

wird, als theilbar. Mithin ist das Ich, in sofern ihm ein Nicht-Ich entgegenge-
sezt wird, selbst entgegengesezt dem absoluten Ich. (GA 2.271.)
162,745-746 Dies Unendliche ... Idee.] Siehe Kant: Kritik der reinen Ver-
nunft. B 368ff; B 378 spricht Kant von besonderen Begriffen a priori, welche wir
reine Vernunftbegriffe, oder transseendentale Ideen nennen können,
und die den Verstandesgebrauch im Ganzen der gesamten Erfahrung nach
Principien bestimmen werden. - Siehe auch B 379: Der transzendentale Ver-
nunftbegriff sei kein anderer, als der von der Totalität der Bedingungen
zu einem gegebenen Bedingten. Da nun das Unbedingte allein die Totali-
tät der Bedingungen möglich macht, und umgekehrt die Totalität der Be-
dingungen jederzeit selbst unbedingt ist: so kann ein reiner Vernunftbegriff
überhaupt durch den Begriff des Unbedingten, so fern er einen Grund der
Synthesis des Bedingten enthält, erklärt werden.
162,755 von Plato entlehnt.] Siehe ebenda, insbesondere B 370: Plato be-
diente sich des Ausdrucks Idee so, daß man wol sieht, er habe darunter
etwas verstanden, was nicht allein niemals von den Sinnen entlehnt wird,
sondern welches so gar die Begriffe des Verstandes, mit denen sich Aristote-
les beschäftigte, weit übersteigt, indem in der Erfahrung niemals etwas damit
Congruirendes angetroffen wird.
163,768--771 der Grund ... gegeben ist.] Siehe die vorhergehende Anm. sowie
ebenda B 383: Ich verstehe unter der Idee einen nothwendigen Vernunftbe-
griff, dem kein congruirender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden
kann. - B 384: Die Vernunftbegriffe sind transscendent und übersteigen die
Grenze aller Erfahrung, in welcher also niemals ein Gegenstand vorkommen
kann, der der transseendentalen Idee adäquat wäre.
163,784-787 Wenn wir ... (Antinomien),] Unter den falschen Schlüssen ist
hier nicht die Dreiheit der Arten der dialektischen Vernunftschlüsse gemeint,
sondern speziell der transzendentale Paralogismus; siehe ebenda B 397f: In dem
Vernunftschlusse der ersten Classe schließe ich von dem transseenden-
talen I Begriffe des Subjects, der nichts Mannigfaltiges enthält, auf die ab-
solute Einheit dieses Subjects selber, von welchem ich auf diese Weise gar
keinen Begriff habe. Diesen dialektischen Schluß werde ich den transscen-
dentalen Paralogismus nennen. - Zur Definition der Antinomie siehe im
Anschluß an das vorhergehende Zitat: Die zweyte Classe der vernünftelnden
Schlüsse ist auf den transseendentalen Begriff der absoluten Totalität, der
Reihe der Bedingungen zu einer gegebenen Erscheinung überhaupt, ange-
legt, . . . Den Zustand der Vernunft bey diesen dialektischen Schlüssen,
werde ich die Antinomie der reinen Vernunft nennen.
163,789-791 diese Widersprüche ... transzendent.] Hege/ bezieht sich auf
Kants Lehre vom transzendentalen Schein, siehe ebenda B 349ff, insbesondere B
354f: Die transseendentale Dialectik wird also sich damit begnügen, den
Schein transscendenter Urtheile aufzudecken, und zugleich zu verhüten, daß
er nicht betriege; ... Denn wir haben es mit einer natürlichen und unver-
meidlichen Illusion zu thun, ... mit einer natürlichen und unvermeidlichen
Anmerkungen 397

Dialektik der reinen Vernunft, die der menschlichen Vernunft unhintertreiblich


anhängt, und selbst, nachdem wir ihr Blendwerk aufgedeckt haben, dennoch
nicht aufhören wird ihr vorzugaukeln, und sie I unablässig in augenblickliche
Verirrungen zu stoßen, die jederzeit gehoben zu werden bedürfen. - Zum
Transzendentwerden der Vernunft siehe u. a. die Schlußanmerkung, ebenda B
593.
163,791-793 Der Gegenstand ... und Zeit;) Hege/ spielt an mif den erstm
Widerstreit der Antinomie der reinen Vernunft, siehe ebenda B 454f: Thesis. I Die
Welt hat einen Anfang in der Zeit, und ist dem Raum nach auch in Grenzen
eingeschlossen. I Antithesis. I Die Welt hat keinen Anfang, und keine
Grenzen im Raume, sondern ist, sowol in Ansehung der Zeit, als des Raums,
unendlich.
164,805-808 Karrt ... Sein hat.) Hege/ bezieht sich auf dm dritten der dialek-
tischen Vernunftschlüsse, das Ideal der reinen Vernunft, ebenda B 595Jf. Im Gegen-
satz zu Hegels Rede von einer Wolffische[n) Defmition spricht Wo/ff nicht vou
eiuem ens realissimum, soudem- allerdiugs gleichbedeuteud- vom ens perfectis-
simum; siehe Christianus Wolfius: Theologia naturalis methodo scientifica
pertractata. Pars posterior, qua existentia et attributa Dei ex notione entis
perfectissimi et naturae animae demonstrantur. Editio secuuda priori emenda-
tior. Francofurti & Lipsiae 1741.4: §. 6. Ens perfectissimum dicitur, cui insunt
omnes realitates compossibiles in gradu absolute summo. - Die Bezeichnung
Gottes als ens realissimum- unterschieden von ens perfectissimum- findet sich
u. a. bei A. G. Baumgarten: Metaphysica. Editio VII. Halae Magdeburgicae
1779. 331: §. 806. Ens perfectissimum est ens reale ... Ergo illi conuenit reali-
tas tanta, quanta in ente esse potest. Ens perfectissimum est realissimum, ...
in quo plurimae maxime realitates, summum borrum & optimum, meta-
physice, ... Baumgarten zählt auch die Existenz zu den Realitäten u11d schließt,
daß somit das ens perfectissimum Existenz habe; siehe ebenda 332: §. 810. Exsi-
stentia est realitas cum essentia & reliquis realitatibus compossibilis, ... Ergo
ens perfectissimum habet exsistentiam, ... - Hege/ spielt hier nur auf den onto-
logischen Gottesbeweis an; den kosmologischen und den physikotheologischen läßt
er unerwähnt, wohl wegen Kants Rückführung der Beweiskraft dieser beiden Be-
weise auf diejenige des ontologischen Beweises.
164,808-810 Das nennt ... als seiend.] Zu Kants Verständnis von >Ideal< siehe
Kritik der reinen Vernunft. B 595ff, insbesondere B 596: Aber noch weiter, als
die Idee, scheint dasjenige von der objectiven Realität entfernt zu seyn, was
ich das Ideal nenne, und worunter ich die Idee, nicht bloß in concreto,
sondern in individuo, d. i. als ein einzelnes, durch die Idee allein bestimm-
bares, oder gar bestimmtes Ding, verstehe. - Siehe ferner eben da B 59~/J, ins-
besondere B 604 zu Kants Begriff des transzendentalen Ideals als des einzigen
eigentlichen Ideals, dessen die menschliche Vernunft fähig ist; weil nur in
diesem einzigen Falle ein an sich allgemeiner Begriff von einem Dinge durch
sich selbst durchgängig bestimmt, und als die Vorstellung von einem Indivi-
duum erkannt wird.
398 Anhang

164,812-813 Aus dem ... herausgeklaubt werden.] Siehe eben da B 631: Es


war etwas ganz Unnatürliches und eine bloße Neuerung des Schulwitzes, aus
einer ganz willkührlich entworfenen Idee das Daseyn des ihr entsprechenden
Gegenstandes selbst ausklauben zu wollen.
164,822-827 Es bleibt ... zu bringen.] Hege/ dürjte hier nicht so sehr die
transzendentale Methodenlehre (ebenda 733Jf) im Blick haben als den Anhang zur
transseendentalen Dialectik. Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der
reinen Vernunft. (B 670-696) - Siehe insbesondere B 673: Uebersehen wir
unsere Verstandeserkenntnisse in ihrem ganzen Umfange, so fmden wir, daß
dasjenige, was unsere Vernunft ganz eigenthümlich darüber verfügt und zu
Stande zu bringen sucht, das Systematische der Erkenntniß sey, d. i. der
Zusammenhang derselben aus einem Princip. Diese Vernunfteinheit setzt
jederzeit eine Idee voraus, nemlich die von der Form eines Ganzen der Er-
kenntniß, ... -Zur Ordnung der Gattungen und Arten siehe ebenda, insbeson-
dere B 679J: Daß alle Mannigfaltigkeiteil einzelner Dinge die Identität der
Art nicht ausschließen; daß die mancherley Arten nur als ver! schiedentliehe
Bestimmungen von wenigen Gattungen, diese aber von noch höheren
Geschlechtern etc. behandelt werden müssen; daß also eine gewisse syste-
matische Einheit aller möglichen empirischen Begriffe, so fern sie von höhe-
ren und allgemeineren abgeleitet werden können, gesucht werden müsse; ist
eine Schulregel oder logisches Princip, ohne welches kein Gebrauch der
Vernunft stattfände, ... - Zu den Gesetzen des Geistes und der Natur siehe
ebenda, insbesondere B 677J.
165,834-841 Zufällig ... System sei.] Siehe Jacobi: Briefe. Insbesond~re ~ff,
vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 1.37Jf. Eben da 4 ( vgl. Werke. Bd 4, Abt 1.39)
teilt Jacobi mit, er habe Emi!ie- d. h. Elise Reimarus- geschrieben: Leßing sey
ein Spinozist gewesen.- Sieheferner insbesondere 22Jf(vgl. 54Jf).
165,848 19. März 1814] Dieses Datum überliefert nur Pi; Lö nennt als Todes-
jahr 1809. Es muß richtig heißen: 29. Januar 1814.- Möglicherweise hat Regel-
wie auch bei Jacobi, siehe die folgende Anm. - ein falsches Datum genannt.
165,852 16. März 1819] Dieses Datum überli~fem sowohl Pi, Lö" als auch Gr
(siehe die Fußnote zu 165,830). Es muß richtig heißen: 10. März 1819. -Siehe
hierzu Friedrich Köppen in Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 1. Ill.
165,853-166,860 Jacobi ... Entstehung einsehen.] Siehe Jacobi: Briefe.
Beylage VII. 419 Fußnote: Wir begreifen eine Sache, wenn wir sie aus ihren
nächsten Ursachen herleiten können, oder ihre unmittelbaren Bedingungen
der Reihe mch einsehen: was wir auf diese Weise einsehen, oder herleiten
können, stellt uns einen mechanischen Zusammenhang dar. So begreifen wir
z. B. einen Cirkel, wenn wir uns den Mechanismus seiner Entstehung, oder
seine Physik, deutlich vorzustellen wissen; ... Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4,
Abt. 2.149 Ftiflnote.
166,865-886 Damit ... bekommen.] Siehe Jacobi: Briefe. Beylage VII.
423-426: Ich nehme den ganzen Menschen, ohne ihn zu theilen, und finde,
daß sein Bewußtseyn ans zwey ursprünglichen Vorstellungen, der Vorstel-
Anmerkungen 399

lung des Bedingten und des Unbedingten zusammen gesetzt ist. Beyde
sind unzertrennlich mit einander verknüpft, doch so, daß die Vorstellung des
Bedingten die Vorstellung des Unbedingten voraussetzt, und in dieser nur
gegeben werden kann. Wir brauchen also das Unbedingte nicht erst zu
suchen, sonl dem haben von seinem Daseyn dieselbige, ja eine noch größere
Gewißheit, als wir von unserem eigenen bedingten Daseyn haben. I Da
unser bedingtes Daseyn auf einer Unendlichkeit von Vermittelungen
beruht, so ist damit unserer Nachforschung ein unabsehliches Feld eröffi1et,
welches wir schon um unserer physischen Erhaltung willen, zu bearbeiten
genöthigt sind. Alle diese Nachforschungen haben die Entdeckung dessen,
was das Daseyn der Dinge vermittelt, zum Gegenstande. Diejenigen
Dinge, wovon wir das Vermittelnde eingesehen, das ist, deren Mechanis-
mus wir entdeckt haben, die können wir, wenn die Mittel selbst in unsern
Händen sind, auch hervorbringen. Was wir auf diese Weise, wenigstens in
der Vorstellung, construiren können, das begreifen wir; und was wir nicht
construiren können, das begreifen wir auch nicht. I Bedingungen des Un-
bedingten entdecken, dem absolut Nothwendigen eine Möglichkeit er-
finden, und es construiren zu wollen, um es begreifen zu können,
scheint I als ein ungereimtes Unternehmen sogleich einleuchten zu müssen.
Und doch ist es eben dieses, was wir unternehmen, wenn wir uns bemühen,
der Natur ein uns begreifliches, das ist ein blos natürliches Daseyn auszu-
machen, und den Mechanismus des Prinzips des Mechanismus an den Tag
zu bringen. Denn wenn alles, was auf eine uns begreifliche Weise entstehen
und vorhanden seyn soll, auf eine bedingte Weise entstehen und vorhanden
seyn muß; so bleiben wir, so lange wir begreifen, in einer Kette bedingter
Bedingungen. Wo diese Kette aufhört, da hören wir auf zu begreifen,
und da hört auch der Zusammenhang, den wir Natur nennen, selbst auf.
Der Begriff der Möglichkeit des Daseyns der Natur, wäre also der
Begriff eines absoluten Anfangs oder Ursprungs der Natur; er wäre
der Begriff des Unbedingten selbst, in so fern es die nicht natürlich
verknüpfte, das ist für uns unverknüpfte - unbedingte Bedingung der
Natur ist. Soll nun ein Begriff dieses Unbedingten und Unverknüpften -
folglich Aussernatürlichen -MÖGLICH werden: so muß das Unbedingte I
aufhören das Unbedingte zu seyn; es muß selbst Bedingungen bekommea;
und das absolut N othwendige muß anfangen das Mögliche zu werden,
damit es sich construiren lasse. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 2.152-155.
167,887-894 da nun ... Gott.] Siehe Jacobi: Briefe. Beylage VII. 426f: Und
ferner: da alles, was ausser dem Zusammenhange des Bedingten, des natür-
lich vermittelten liegt, auch ausser der Sphäre unserer deutlichen Er-
kenntniß liegt, und durch I Begriffe nicht verstanden werden kann: so kann
das Uebernatürliche auf keine andre Weise von uns angenommen werden,
als es uns gegeben ist; nehmlich als Thatsache - ES IST! I Dieses Ueber-
natiirliche, dieses Wesen aller Wesen, nennen alle Zungen: den Gott.
Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 2.155f
400 Anhang

167,911-912 Das unmittelbare ... genannt,] Hege! bezieht sich auf das von
Jacobi vertretene Verständnis des Glaubens; siehe Jacobi: Briefe. 228f: VI. Das
Element aller menschlichen Erkenntniß und Wirksamkeit, ist Glaube. Vgl.
Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 1.223. Sieheferner ebenda 215-217: Lieber Men-
delssohn, wir alle werden im Glauben gebohren, und müssen im Glauben
bleiben, wie wir alle in Gesellschaft gebohren werden, und in Gesellschaft
bleiben müssen: Totum parte prius esse necesse est.- Wie können wir nach
Gewißheit streben, wenn uns Gewißheit nicht zum voraus schon bekannt ist;
und wie kann sie uns bekannt seyn, anders als durch etwas das wir mit Ge-
wißheit schon erkennen? Dieses führt zu dem Begriffe einer unmittelbaren
Gewißheit, welche nicht allein keiner Gründe bedarf, sondern schlechter-
dings alle Gründe ausschließt, und einzig und allein die mit dem vorgestell-
ten Dinge übereinstimmende Vorstellung selbst ist. Die Ueberzeugung aus
Gründen ist eine Gewißheit aus I der zweyten Hand. Gründe sind nur Merk-
male der Aehnlichkeit mit einem Dinge, dessen wir gewiß sind. Die Ueber-
zeugung, welche sie hervorbringen, entspringt aus Vergleichung, und kann
nie recht sicher und vollkommen seyn. Wenn nunjedes Fürwahrhalten,
welches nicht aus Vernunftgründen entspringt, Glaube ist, so muß die
Ueberzeugung aus Vernunftgründen selbst aus dem Glauben kommen, und
ihre Kraft von ihm allein empfangen./ Durch den Glauben wissen wir, daß
wir einen Körper haben und daß außer uns andre Körper und andre denken-
de Wesen vorhanden sind. Eine wahrhafte, wunderbare Offenbarung! Denn
wir empfinden doch nur unseren Körper, so oder anders beschaffen; und
indem wir ihn so oder anders beschaffen fühlen, werden wir nicht allein seine
Veränderungen, sondern noch etwas davon ganz verschiedenes, das weder
blos Empfindung noch Gedanke ist, andre Dinge wirklich gewahr, und zwar
mit I eben der Gewißheit, mit der wir uns selbst gewahr werden; denn ohne
Du, ist das Ich unmöglich. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 4, Abt. 1.210J - Siehe
ferner Jacobi: David Hume über den Glauben- oder Idealismus und Realis-
mus. Ein Gespräch. Breslau 1787. 44: GLAUBE ist der wahre eigentliche Name
für dies Gefühl, ... 47: Es gibt Worte, die etwas ähnliches ausdrücken; aber
das wahre eigentliche Wort dafür ist GLAUBE. Vgl. Jacobi: Werke. Bd
2.161,163.
167,912 weiterhin] Siehe vorliegenden Band 172,65-174,126.
167,916--168,921 Den Willen ... Seelenvermögen] Siehe Kant: Kritik der
praktischen Vernunft. 41ff, insbesondere 45: Alsdenn allein ist Vernunft nur,
so fern sie für sich selbst den Willen bestimmt, (nicht im Dienste der Nei-
gungen ist,) ein wahres oberes Begehrungsvermögen, dem das pathologisch
bestimmbare untergeordnet ist, und wirklich, ja specifisch von diesem
unterschieden, so daß sogar die mindeste Beymischung von den Antrieben
der letzteren ihrer Stärke und Vorzuge Abbruch thut, ... (AA 5. 24f)
168,924-930 Kant ... Freiheit haben.] Siehe ebenda 58: Die A vtonomie
des Willens ist das alleinige Princip aller moralischen Gesetze und der ihnen
gemäßen Pflichten: Alle Heteronomie der Willkühr gründet dagegen
Anmerkungen 401

nicht allein gar keine Verbindlichkeit, sondern ist vielmehr dem Princip
derselben und der Sittlichkeit des Willens entgegen. -Etwas später {84) nennt
Kant die Idee der Freiheit ein Vermögen absoluter Spontaneität. (AA 5. 33 bzw.
48.)
168,934--936 Aber ... Freiheit.] Siehe ebenda 51j: Wenn aber auch kein
anderer Bestimmungsgrund des Willens für diesen zum Gesetz dienen kann,
als blos jene allgemeine gesetzgebende Form; so muß ein solcher Wille als
gänzlich unabhängig von dem Naturgesetz der Erscheinungen, nemlich dem
Gesetze der Causalität, beziehungsweise auf einander, gedacht werden. Eine
solche Unabhängigkeit aber heißt Freyheit im strengsten d. i. transscen-
dentalen Verstande. Also I ist ein Wille, dem die bloße gesetzgebende Form
der Maxime allein zum Gesetze dienen kann, ein freyer Wille. (AA 5.29.)
169,948-950 Das Weitere ... verpflichtet mich.] Siehe ebenda 59J: Zum
practischen Gesetze muß also niemals eine practische Vorschrift gezählt wer-
den, die eine materiale (mithin empilrische) Bedingungbey sich führt. Denn
das Gesetz des reinen Willens, der frey ist, setzt diesen in eine ganz andere
Sphäre, als die empirische, und die Nothwendigkeit, die es ausdrückt, da sie
keine Naturnothwendigkeit seyn soll, kann also blos in formalen Bedin-
gungen der Möglichkeit eines Gesetzes überhaupt bestehen. - 61: Das Gesetz
der Beförderung der Glückseligkeit anderer entspringe blos daraus, daß die Form
der Allgemeinheit, die die Vernunft als Bedingung bedarf, einer Maxime der
Selbstliebe die objective Gültigkeit eines Gesetzes zu geben, der Bestim-
mungsgrund des Willens wird, und also war das Object (anderer Glückselig-
keit) nicht der Bestimmungsgrund des reinen Willens, sondern die bloße
gesetzliche Form war es allein, dadurch ich meine auf Neigung gegründete
Maxime einschränkte, um ihr die Allgemeinheit eines Gesetzes zu verschaf-
fen, und sie so der reinen practischen Vernunft angemessen zu machen, ... -
113: Nur ein formales Gesetz, d. i. ein solches, welches der Vernunft nichts
weiter als die Form ihrer allgemeinen Gesetzgebung zur obersten Bedingung
der Maximen vorschreibt, kann a priori ein Bestimmungsgrund der practi-
schen Vernunft seyn. {AA 5. 34 bzw. 35 bzw. 64.)
169,953-956 Was ist ... die Pflicht.] Siehe ebenda 144: Der Begriff der
Pflichtfedert also an der Handlung, ob j ect i v, Uebereinstimmung mit dem
Gesetze, an der Maxime derselben aber, subjectiv, Achtung fürs Gesetz, als
die alleinige Bestimmungsart des Willens durch dasselbe. (AA 5. 81.)
169,966--969 Dies ist ... Nicht-Ich sein;] Siehe vorliegenden Band, Anm. zu
159,658-660.
169,970--971 Kant ... gründen;] Siehe Kant: Metaphysische Anfangs-
gründe der Rechtslehre. Königsberg 1797. XXXIII: §. C. I Allgemeines
Princip des Rechts. I ~Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren
Maxime die Freyheit der Willkühr eines jeden mit jedermanns Freyheit nach
einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann etc.« (AA 6.230.)
169,971-972 Fichte ... macht;] Siehe Fichte: Gnmdlage des Naturrechts
nach Principien der Wissenschaftslehre. Jena und Leipzig 1796. Siehe insbe-
402 Anhang

sondere die - nicht paginierte - Einleitung: Wie die Handelsweise in diesem


Setzen der Begriff des Rechts sey, läßt sich sogar sinnlich darstellen. Ich setze
mich als vernünftig, d. h. als frei. Es ist in mir bei diesem Geschäfte die Vor-
stellung der Freiheit. Ich setze in dergleichen (!) ungetheilten Handlung
zugleich andere freie Wesen. Ich beschreibe so nach durch meine Einbil-
dungskraft eine Sphäre für die Freiheit, in welche mehrere Wesen sich
theilen. Ich schreibe mir selbst nicht alle Freiheit zu, die ich gesetzt habe, weil
ich auch noch andere freie Wesen setzen, und denselben einen Theil der-
selben zuschreiben muß. Ich beschränke mich selbst in meiner Zueignung
der Freiheit dadurch, daß ich auch für andere, Freiheit übrig lasse. Der Be-
griff des Rechts ist sonach der Begriff von dem nothwendigen Verhältnisse
freier Wesen zu einander. (GA 3.319.)- 94: I.) Personen, als solche, sollen
absolut frei, und lediglich von ihrem Willen abhängig seyn. Personen sollen,
so gewiß sie das sind, in gegenseitigem Einflusse stehen, und demnach nicht
lediglich von sich selbst abhängig seyn. Wie beides beisammen bestehen
könne, dieses zu beantworten, ist die Aufgabe der Rechtswissenschaft: und
die ihr zum Grunde liegende Frage ist die: wie ist eine Gemeinschaft
freier Wesen, als solcher, möglich? (GA 3.383.)- Hegel vernachlässigt
hier die Unterschiede in der praktischen Philosophie Kants und Fichtes - etwa die
Bedeutung, die das Problem der Anerkennungfür Fichte hat, d. h. der Zusammen-
hang zwischen dem Setzen meiner als einer freien Person und dem Setzen anderer
freier Personen.
169,97Cr-977 die dritte, die ästhetische,) Diese Aufzählung von drei Formen,
in denen die Forderung des Konkreten zum Vorschein komme, gibt Kants Syste-
matik nicht angemessen wieder. Mit der dritten Form meint Hege/ die ästhetische
Urteilskrqft; siehe Kritik der Urteilskraft. 3-260 (AA 5.203-356.). Unter der
ersten Form versteht Hege/ die teleologische Urteilskraft, ebenda 261-476 (AA
5.357-485.); siehe hierzu die folgende Anm. Als zweite Form bezeichnet Hege/
die Postulatenlehre-siehe vorliegenden Band 171,15-172,64-, die er allerdings in
der Perspektive nicht der Kritik der praktischen Vernunft, sondern des morali-
schen Gottesbeweises der Kritik der Urteilkraft interpretiert. Die behauptete Drei-
heit der Formen des Konkreten entspricht insofern also den beiden Formen der
>Elementar/ehre< der Kritik der Urteilskraft, der Analytik und Dialektik, der
ästhetischen (§§ 1-60) und der teleologischen Urteilskraft(§§ 61-78) sowie der
Methodenlehre der teleologischen Urteilskrqft (§§ 79-91).
169,977-170,984 Die eine Form ... stehen,) Siehe Kant: Kritik der Urteils-
kraft. Insbesondere 265: Die teleologische Betrachtung der Natur nach Analogie
mit der Kausalität nach Zwecken gehöre zur reflectirenden, nicht der bestim-
menden, Urtheilskraft. Der Begrif von Verbindungen und Formen der
Natur nach Zwecken ist doch wenigstens ein Prinzip mehr, die Erschei-
nungen derselben unter Regeln zu bringen, wo die Gesetze der Causalität
nach dem bloßen Mechanism derselben nicht zulangen. (AA 5.360.)
170,984-986 wir betrachten ... des Lebendigen.) Siehe ebenda, insbesondere
282: ein Ding existirt als Naturzweck, wenn es von sich selbst Ur-
Anmerkungen 403

sache und Wirkung ist, ... Im Anschluß darm1 unterscheidet Kant drei
Arten der Erzeugung, von denen insbesondere die zweite unter den Begriff der
Ursache seiner selbst gestellt werden kann, 283: Zweytens erzeugt ein Baum
sich auch selbst als Individuum. (AA 5.370f)- Zum Begriff der causa sui bei
Spinoza siehe vorliegenden Band 107,158-159 mit Anm.
170,990--995 [Es ist] ... Mittel ist.] Zu Kants Unterscheidung zwischen der
äußeren und der inneren Zweckmäßigkeit siehe ebenda 375, 275ff, 292ff, (§§ 82,
63, 66) (AA 5.425, 366Jf, 376Jf.).
170,995 Es ist ... Begriff.] Siehe Aristoteles: Physik. Bd 1.152 (Buch 2,
Kapp. 8-9). Insbesondere 152 6-1: d ou11 1:oc x.cx1:oc '1:'!)11 TtXIIYJII ~IIEX.cX 1:ou,
8'ijAOII 0'1:~ )((XL '1:0C X.(X'1:0C cpuow. OfLOLW<; y<Xp lxE~ rrpoc; (}.),.)..1)ACX Eil '1:0L<; )(.(X'1:0C TEX·
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EITL '1:WII ~<jlw11 '1:WII (}.)..)..wll, & o\ln '1:EXII"(), OÖ'1:E ~1)TIJGCXII'1:CX, o\l1:e: ßouAEUGcXfLEIICX,
ITOLEL. 8~o ocrropoücr( '1:~11E<;, rr61:Ep011 11(il lJ '1:~11~ (}.),.),.<!l Epyci~OII'1:CX~ oln ocpcXXIICX~
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Toi:c;, cpcxl11e:1:cx~ 1:oc cru11cpepo111:cx y~yv6fLEIICX rrpoc; 1:0 TEAoc;, oto11 1:oc cpu)..)..cx 1:'ijc;
1:oü x.cxprroü ~IIEX.cx crx.&rr1Jc;, &cr1:' d cpocrE~ n rrmEi:, x.cxL ~IIEX.cX 1:ou 1] XEA~8w11
TIJII IIE0'1:'1:~cXII, X.CXL o ocpcXX111J<; 1:0 ocp&:x11~011, x.cx! 1:oc (jlUTcX, 1:oc cpu)..)..cx ~11e:x.cx '1:WII
x.cxprrw11, x.cxL 1:occ; pl~cxc; oux. &11w, &:n<X x.ci1:w ~11e:x.cx 1:'ijc; 1:pocp'ijc;, cpcx11Epo11 01:~
~crnll 1] cxt'1:L(X 1] '1:0~0(01:1) Eil '1:0L<; cpucrE~ Y~IIOfLEIIO~c;. x.cx! oucr~. x.cx! errd 1] cpucr~c;
8~'1:1), lJ fLtll wc; ÖA1), lJ 8' wc; fLOpcp~, '1:tAO<; 8' CXÖ1:1), 1:0\i '1:tAOU<; 8€ ~IIEX.CX '1:0C (}.)..)..cx.
cxÖ'1:1J &11 d1) 1] cxhlcx 1] oo ~11e:x.cx. (199a 17-32) (Aristoteles: Physik. Uebersetzt
und mit Anmerkungen begleitet von C. H. Weijle. Erste Abtheilung. Die Ueber-
setzung enthaltend. Leipzig 1829. 46f: Hat nun das der Kunst Angehörige einen
Zweck, so hat einen solchen auch das der Natur Angehörige. Denn auf
gleiche Weise verhält sich gegenseitig in dem der Kunst und in dem der
Natur Angehörigen, das Spätere zu dem Früheren. Am deutlichsten sieht
man dieß an den vernunftlosen Thieren, die weder mit Kunst, noch mit
Absicht, noch Ueberlegung handeln. Darum zweifeln Einige, ob mit Denk-
kraft, oder womit sonst ihr Werk verrichten die Spinnen, die Ameisen und
ähnliche Thiere. Man gehe nur ein wenig weiter, und man wird auch
bei den Pflanzen solchergeistalt Zweckmäßiges geschehen finden zu einem
Endziel, wie die Blätter zu der Frucht Bedeckung. Wenn also von Natur
zugleich und eines Zweckes wegen die Schwalbe ihr Nest baut, und die
Spinne ihr Gewebe, und die Pflanze ihre Blätter wegen der Früchte, und die
Wurzeln nicht nach oben, sondern nach unten zum Behuf der Nahrung: so
erhellt, daß es eine solche Ursache giebt in dem, was von Natur geschieht
und ist. Und da die Natur zwiefach ist, einmal als Stoff, das anderemal als
Form; Endziel aber diese, und des Endziels halber das Uebrige: so möchte
diese wohl die Ursache des Weswegen sein.)
170,6--8 Hier ist ... das Besondere.] Regel dürfte etwa an die folgende Formulie-
rung denken; siehe Kant: Kritik der Urteilskraft. 280j(§ 64): Um einzusehen,
daß ein Ding nur als Zweck möglich sey, d. i. die Caussalität seines Ur-
sprungs nicht im Mechanism der Natur, sondern in einer Ursache, deren
404 Anhang

Vermögen zu wirken durch Begriffe bestimmt wird, suchen zu müssen, dazu


wird erfodert: I ... daß selbst ihr empirisches Erkenntnis, ihrer Ursache und
Wirkung nach, Begriffe der Vernunft voraussetze. (AA 5.369J) - Hegels
Formulierung ist allerdings insofern nicht verständlich, als die teleologische Natur-
betrachtung für Kant ein Prinzip nicht für die bestimmende, sondern nur für die
reflektierende Urteilskraft ist; siehe die folgende Anm.
170,9-12 Das zweite ... das Natürliche.] Siehe ebenda, insbesondere 291
(§ 65): Der Begrif eines Dinges, als an sich Naturzwecks, ist also kein con-
stitutiver Begrif des Verstandes oder der Vernunft, kann aber doch ein regu-
lativer Begrif für die reflectirende Ortheilskraft seyn, ... 297 (§ 67): Es ver-
steht sich, daß dieses nicht ein Princip für die bestimmende, sondern nur für
die reflectirende Ortheilskraft sey, daß es regulativ und nicht constitutiv sey
... (AA 5.375 bzw. 379.)
170,12-14 In der Kunst ... in Einem.] Diese Bemerkungen schließen sich nicht
wirklich an Kants Kritik der ästhetischen Urteilskraft an, sondern an Hegels eigene
Vorlesungen über die Philosophie der Kunst; siehe W 10/1-3.
171,17-35 Die praktische Vernunft ... Gott.] Die hier behandelte Thematik
betrifft einerseits die Postulatenlehre der Kritik der praktischen Vernunft, 122Jf,
andererseits die Methodenlehre der Kritik der Urteilskraft, 383./J(§§ 83./J). Hege/
unterscheidet nicht zwischen beiden Formen. Die Hervorhebung des Zweckbegriffs
zeigt aber an, daß Hege! die Darlegungen primär in der Form der Kritik der
Urteilskraft vor Augen habe.
171,25-26 Das Gute ... Endzweck;] >Endzweck< ist für Kant derjenige
Zweck, der keines andern als Bedingung seiner Möglichkeit bedarf. Siehe
Kant: Kritik der Urteilskraft. 391 (§ 84). (AA 5.434.)- >Endzweck der Schiip-
fung< ist für Kant nicht einfach das Gute, wie Hege! hier angibt, sondern der
Mensch, allerdings der Mensch unter moralischen Gesetzen; siehe ebenda u. a.
411, 416 (AA 5.445, 448.).- Als den höchsten Zweck des Menschen als Nou-
menon betrachtet nennt Kant das höchste Gut in der Welt bzw. das höchste
durch Freyheit mögliche Gut in der Welt; siehe ebenda 393 bzw. 419(AA
5.435 bzw. 450.).
171,29-35 Für das Einzelne ... ist Gott.] Siehe - im Anschluß an das letzte
Zitat der vorhergehenden Anm. -eben da 419 (§ 87): Die subjective Bedingung,
unter welcher der Mensch (und nach allen unsern Begriffen auch jedes ver-
nünftige endliche Wesen) sich, unter dem obigen Gesetze, einen Endzweck
setzen kann, ist die Glückseeligkeit, folglich das höchste in der Welt mög-
liche und, so viel an uns ist, als Endzweck zu befördernde physische Gut ist
Glückseeligkeit, unter der objectiven Bedingung, der Einstimmung des
Menschen mit dem Gesetze der Sittlichkeit, als der Würdigkeit glücklich zu
seyn. - Da diese beiden Erfordernisse des uns durch das moralische Gesetz
aufgegebenen Endzwecks nicht als durch bloße Naturursachen verknüpft
gedacht werden können, schließt Kant ebenda 419f: Folglich müssen wir eine
moralische Weltursache (einen Welturheber) annehmen, um uns, gemäs dem
moralischen Gesetze, einen Endzweck vorzusetzen und, so weit als das letzte-
Anmerkungen 405

re nothwendig ist, so weit (d. i. in I demselben Grade und aus demselben


Grunde) ist auch das erstere nothwendig anzunehmen: nämlich es sey ein
Gott. ( AA 5.450.)
171,35-36 Gott ist ... werden muß.] Diese Formulierung schließt sich eng an
Kant: Kritik der praktischen Vernunft. an; siehe ebenda 223.Jf: V. Das Daseyn
Gottes, als ein Postulat der reinen practischen Vernunft. - Die Annahme des
Daseins Gottes nennt Kant - im Blick auf die Verständlichkeit eines uns doch
durchs moralische Gesetz aufgegebenen Objects- ... Glaube, und zwar
reiner Vernunftglaube; siehe ebenda 227 (AA 5.124 bzw. 126.).- Zum
Begr!ff des praktischen Glaubens siehe auch Kant: Kritik der Urteilskraft. 448.Jf
(§ 91) (AA 5.467Jf), insbesondere 456: Glaube (als habitus, nicht als actus) ist
die moralische Denkungsart der Vernunft im Fürwarhalten ( !) desjenigen,
was für das theoretische Erkenntnis unzugänglich ist. 457: Der Glaube
(schlechthin sogenannt) ist ein Vertrauen zu der Erreichung einer Absicht,
deren Beförderung Pflicht, die Möglichkeit der Ausführung derselben aber
für uns nicht einzusehen ist (... ). ( AA 5.471 bzw. 472.)
172,67 schon] Siehe vorliegenden Band 167,911-912 mit Anm. sowie 167,887-
894 mit Anm.- Siehe auch Jacobi an Fichte. Harnburg 1799. Vorbericht. IX: Ein
Gott, der gewußt werden könnte, wäre gar kein Gott. - Vgl. Jacobi:
Werke. Bd 3. 7.
173,81-85 Daß dies ... Glaube.] Siehe vorliegenden Band, Anm. zu 167,
887-894 sowie zu 167,911-912.
173,86-88 Bei Kant . . . Guten.] Siehe vorliegenden Band 171,35-36 mit
Anm.
173,88-89 Bei Jacobi ... vorgestellt.] Siehe vorliegenden Band 167,887-894
mit Anm. sowie 167,911-912 mit Anm.- Siehe auch Jacobis Vorrede zu Bd 4
seiner Werke. XXXIX: Allerdings muß dabey ausgegangen werden von
Gefühl und Anschauung, es giebt durchaus keinen bloß speculativen Weg
zum Innewerden Gottes, die Speculation mag bloß hinzutreten ...
173,89-93 Alles, was ... Geistigen.] Siehe u. a. Anonymus [Schleierma-
cher]: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern.
Berlin 1799.50: Ihr [sc. der Religion] Wesen ist weder Denken noch Handeln,
sondern Anschauung und Gefühl. - Von]. F. Fries wurde das Gefühl der
Anerke1mung des Ewigen im Endlichen, welches wir Ahndung nennen, als
ein spezielles Organ dem Wissen und dem Glauben entgegengestellt; siehe dessen
Wissen, Glaube und Ahndung. Jena 1805, insbesondere 176, vgl. 64, 178, 218,
233ff, 326. Fries' Begr!ff wurde aufgenommen u. a. von W. M. L. de Wette:
Lehrbuch der christlichen Dogmatik, in ihrer historischen Entwicklung dar-
gestellt. Berlin 1813, sowie in de Wette: Über Religion und Theologie. Er-
läuterungen zu seinem Lehrbuche der Dogmatik. Berlin 1815. Siehe ferner F.
Köppen: Ueber Offenbarung, in Beziehung auf Karrtische und Fichtische
Philosophie. Zweyte vermehrte und umgearbeitete Ausgabe. Lübeck und Leipzig
1802. 139: Ja, es gehört zu unsrer frohesten Ueberzeugung, daß die Wahr-
heit nicht abhängig ist von der Demonstration irgend eines einzelnen
406 Anhang

Denkers, daß wir sie inniger fühlen als klar begreifen, daß wir unmittelbar
von ihr gewiß werden können. Siehe ferner eben da 52J: Solche Forderungen
werden auf Kantische Weise aus dem Sittengesetz hergeleitet, wenn man den
Begriff des höchsten Guts zu Hülfe nimmt, wovon ich oben geredet habe.
Allein im Grunde ist die Religion hierdurch nicht zu einer transseendentalen
Wissenschaft gemacht und der Trieb des Menschen nicht befriedigt. Denn es
läßt sich wohl begreifen, wie der Mensch auf dielsem Wege zur Idee eines
höchsten Wesens gelangt, wie er wünschen kann, daß dieses Wesen nicht
bloß in seiner Idee, sondern auch außer ihm existire; allein wie er nun dieses
Daseyn als gewiß und unumstößlich annehmen könne, wie er mit völliger
Ueberzeugung und ganzer Seele sagen könne: es ist ein Gott, bleibt uner-
klärbar.
173,93-95 Man nennt ... Kirche.] Siehe etwa die zuletzt genannte Schrift von
F. Köppen oder F. H. Jacobi: Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenba-
rung. Leipzig 1811. 55: Eine Offenbarung durch äußerliche Erscheinungen,
sie mögen heißen wie sie wollen, kann sich höchstens zur innem ursprüng-
lichen nur verhalten, wie sich Sprache zur Vernunft verhält. Ich sage,
höchstens nur; und setze dem vorhergegangenen hinzu: So wenig ein
falscher Gott außer der menschlichen Seele für sich daseyn kann, so wenig
kann der Wahre ausser ihr erscheinen. Vgl. Jacobi: Werke. Bd 3.277.
174,117-121 Unter Vernunft ... Endlichen ist;] Zur Rede von Offenbarung
siehe die vorhergehende Anm. sowie Jacobis Vorrede zu Bd 3 seiner Werke. XX:
Er sei mit Friedrich Schlegel einig in dem Satz: Die ursprüngliche Offenba-
rung Gottes an den Menschen ist keine Offenbarung in Bild und Wort,
sondern ein Aufgehen im inneren Gefühl. - Auch in der Vorrede zu Bd 4, Abt.
1 seiner Werke. XXI. beruft Jacobi sich auf einen Sinn für das Uebersinnliche.
Diesen Sinn nenne ich Vernunft, zum Unterschiede von den Sinnen für
die sichtbare Welt. XXIIJ: Wurzel der Philosophie muß bleiben: mensch-
liche Erkenntniß gehet aus von Offenbarung, die Vernunft nämlich
offenbaret Freyheit, indem sie Vorselhung offenbaret; ... - Vgl.
ferner ebenda XXXVI u. ö. -Zur Unterscheidung von Verstand und Vernunft, die
sich bei Jacobi erst in den späteren Schriften findet, siehe die Kontroverse zwischen
Jacobi und Schelling über das Verhältnis zwischen Vernunft und Verstand. In
seiner Schrift Ueber das Unternehmen des Kriticismus die Vernunft zu Ver-
stande zu bringen und der Philosophie überhaupt eine neue Absicht zu
geben. hatte Jacobi Kants Überordnung der Vernunft über den Verstand kritisiert;
in Beyträge zur leichtem Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym
Anfange des 19. Jahrhunderts. Hrsg. von C. L. Reinhold. Drittes Heft.
Harnburg 1802; vgl. Jacobi: Werke. Bd 3. Leipzig 1816. 59-195. In seiner
Schrift Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung. Leipzig 1811.
ordnete er aber den Verstand der Vernunft unter; vgl. insbesondere 175Jf. Hierge-
gen wendete sich Schelling: Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen
etc. des Herrn Friedrich Heinrich Jacobi. Tübingen 1812. Insbesondere 140:
Daß Sie aber die Vernunft jetzt über den Verstand erheben wollen, das ist
Anmerkungen 407

eben ihr größter Irrthum, Ihre größte Sünde gegen Vernunft und Verstand.
143: In allen Sprachen, allen Reden der Menschen, wird der Verstand über
die Vernunft gesetzt. Niemanden vor der Kautischen Sprachverwirrung war
eingefallen, daran zu zweifeln. ( SW 8. 616f bzw 618.) - Jacobi bekriiftigt jedoch
die Zurücksetzung des Verstandes gegenüber der Vernunft in der Einleitung zur
Ausgabe seiner Werke und in einer nachträglichen Fußnote zu seiner Schrift David
Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch. Vgl.
Jacobi: Werke. Bd 2. Leipzig 1815. 61jf, 98jf, bzw. 221f(Fußnote).
174,121-126 unter Glaube ... jeglicher Art.) Siehe vorliegenden Band Anm.
zu 167,911-912.
175,149-152 Die Inder ... dergleichen.) Hege/ spielt an auf den Apis der
Agypter; siehe Hege!: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2.
V 4. Insbesondere 630,678-631,681 mit Anm. Zur Verehrung von Katzen siehe
ebenda 528 Fußnote 2 mit Anm.
175,155-156 Erziehung des Menschengeschlechts) Hege/ dürfte hier - über
den allgemeinen Gedanken einer solchen Erziehung hinaus- auf Lessings Schrift
anspielen; siehe Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts. In Sämt-
liche Schriften. Herausgegeben von K. Lachmann. Dritte, auf's neue durchge-
sehene und vermehrte Auflage, besorgt durch F. Muncker. Bd 13. Leipzig
1897.
176,171-174 die Kautische Philosophie ... ausmachen kann.) Hege/ wendet
hier ein Resultat der Kritik der reinen Vernunft. gegen die nach-Kontisehen Ver-
suche, das Absolute vo11 den Formen der Unmittelbarkeit aus zu erfassen; er er-
wähnt hingegen nicht, daß Kants kritische Philosophie auch die Möglichkeit seines
eigenen Programms einer vernünftigen Gotteserkenntnis bestreitet.
176,174-176 Eine solche ... fassen.) Hege/ spielt an auf Kants Beschränkung
der Erkenntniifunktion der Kategorien auf den Bereich der Erfahrung und insbe-
sondere auf die Erkenntnis von Erscheinungen und nicht von Dingen, wie sie an sich
selbst sind; siehe vorliegenden Band, Anm. zu 155,551-553.
178,236-237 daß ... ist,) Siehe vorliegenden Band, Anm. zu 65,23-24.
179,260-263 Indem Paulus ... geweiht hatten.) Siehe Acta 17,23: Ich bin
herdurchgegangen und habe gesehen eure Gottesdienste und fand einen
Altar, darauf war geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich
euch denselben, dem ihr unwissend Gottesdienst tut. - Diesen Vergleich
zwischen dem Standpunkt der späten Aufklärung und der Romantik, daß Gott
nicht zu erkennen sei, und den Athenern, die dem unbekannten Gott einen Altar
gewidmet haben, hat Hege/ im Kolleg 1823/24 aus Jean-Baptiste Robinet: De Ia
Nature. aufgenommen; siehe das Zitat in W 15.521 (Ms?): L'on pourrait en-
core mettre sur Ia porte de nos temples l'inscription qu'on lisait sur l'autel
que I' Areopage lui fit dresser: Deo ignoto.
179,269--270 Die ersten ... Fichtisch;) Hege/ bezieht sich auf Schellings
Schriften Ueber die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt.
Tübingen 1795. und Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Un-
bedingte im menschlichen Wissen. Tübingen 1795. - Seine Behauptung, daß
408 Anhang

diese Schriften noch ganz Fichtisch seien, berücksichtigt nicht die Differenzen, die
bereits hier- etwa in der Formulierung der ersten Grundsätze - zwischen Fichte
und Schelling bestehen.
180,271-273 Diese Form ... Anstoß gegeben.] Zu Fichtes Begriff des absolu-
ten Ich siehe vorliegenden Band 161,727-728 mit Anm. Zu Gott als absolutem
Ich siehe auch den Brief Schellings an Hege/ vom 4. Februar 1795, in Hegel:
Briefe. Bd 1.22: Gott ist nichts als das absolute Ich, das Ich, insofern es alles
Theoretische zernichtet hat, in der theoretischen Philosophie also = 0 ist.
Persönlichkeit entsteht durch die Einheit des Bewußtseins. Bewußtsein aber
ist nicht ohne Objekt möglich; für Gott aber, d. h. für das absolute Ich gibt
es gar kein Objekt, denn dadurch hörte es auf, absolut zu sein, - mithin
gibt es keinen persönlichen Gott, ... Zu Hegels Beurteilung der Doppeldeutig-
keit eines Ansatzes am Ich siehe seine Wissenschaft der Logik. Bd 1. Herausgege-
ben von Friedrich Hogemann und Walter Jaeschke. Harnburg 1978. GW
11.38f
180,276-280 Der Inhalt ... Objektiven.] Zum Begriff der intellektuellen An-
schauung siehe Schelling: System des transseendentalen Idealismus. 50J: Eine
solche Anschauung wird im Gegensatz gegen die sinnliche, welche nicht als
Produciren ihres Objects erscheint, wo also das Anschauen selbst vom
Angeschauten verschieden ist, intellectuelle Anschauung genannt. /
Eine solche Anschauung ist das Ich, weil durch das Wissen des Ichs
von sich selbst das Ich selbst (das Object) erst entsteht. Denn da das Ich
(als Object) nichts anders ist, als eben das Wissen von sich selbst, so
entsteht das I Ich eben nur dadurch, daß es von sich weiß; das Ich selbst
also ist ein Wissen, das zugleich sich selbst (als Object) producirt./ Die intel-
lectuelle Anschauung ist das Organ alles transseendentalen Denkens. . .. Das
Ich selbst isteinObject, das dadurch ist, daß es von sich weiß, d. h.
es ist ein beständiges intellectuelles Anschauen: ... -Zum Begriff der absoluten
Einheit des Subjektiven und Objektiven siehe ebenda 43Jf: Wenn nun jenes
Höhere nichts anders ist, als der Grund der Identität zwischen dem absolut
Subjectiven, und dem absolut Objectiven, dem Bewußten, und dem Be-
wußtlosen, welche eben zum Behuf der Erscheinung im freyen Handeln
sich I trennen, so kannjenes Höhere selbst weder Subject, noch Object, auch
nicht beydes zugleich, sondern nur die absolute Identität seyn, .. . f Es
ist nun aber leicht einzusehen, daß es für jenes absolut-Identische, das
schon im ersten Act des Bewußtseyns sich trennt, und durch diese Trennung
das ganze System der Endlichkeit hervorbringt, überhaupt keine Prädicate
geben kann, denn es ist das absolut-Einfache, auch keine Prädicate, die vom
Intelligenten, oder vom Freyen hergenommen wären, daß es also auch nie
Object des Wissens, sondern nur des ewigen Voraussetzens im Handeln, d. h.
des Glaubens seyn kann. - Zum Begriff der absoluten Indifferenz siehe Schel-
ling: Darstellung meines Systems der Philosophie. In Zeitschrift für speku-
lative Physik. Herausgegeben von Schelling. Bd 2, H.2. Jena und Leipzig 1801.
1: §. 1. Erklärung. Ich nenne Vernunft die absolute Vernunft, oder die
Anmerkungen 409

Vernunft, insofern sie als totale Indifferenz des Subjectiven und Objectiven
gedacht wird. (SW 3.369f bzw. 600f bzw. SW 4.114.)
180,284-286 Was ... gesprochen.] Siehe vorliegenden Band 173,91-93.
180,291-295 Indem . . . zukommt.] Hegels Kritik dürfte Formulierungen
gelten, wie sie sich in Schellings Werk an mehreren Stellen finden; siehe insbeson-
dere Schelling: System des transseendentalen Idealismus. Tübingen 1800. 51:
Das transseendentale Philosophiren muß also beständig begleitet seyn von
der intellectuellen Anschauung: alles vorgebliche Nichtverstehen jenes Philo-
sophirens hat seinen Grund nicht in seiner eigenen Unverständlichkeit, son-
dern in dem Mangel des Organs, mit dem es aufgefaßt werden muß.- 52:
Warum unter dieser Anschauung etwas mysteriöses - ein besonderer nur von
einigen vorgegebener Sinn, verstanden worden, davon ist kein Grund anzu-
geben, als daß manche deßelben wirklich entbehren, welches aber ohne
Zweifel ebensowenig befremdend ist, als daß sie noch manches andern Sinns
entbehren, dessen Realität ebensowenig in Zweifel gezogen werden kann.-
Siehe ferner insbesondere Schelling: Vorlesungen über die Methode des aca-
demischen Studium. Tübingen 1803. Vierte Vorlesung. Ueber das Studium
der reinen Vernunftwissenschaften: der Mathematik, und der Philosophie im
Allgemeinen. Dort heißt es von der intellektuellen Anschauung, 98: Wer sie
nicht hat, versteht auch nicht, was von ihr gesagt wird; sie kann also über-
haupt nicht gegeben werden. (SW 3.369fbzw. SW 5.256.)
181,317-319 Fichte hat ... geschrieben] An anderer Stelle - vgl. W
15.613,640- bezieht Hege! sich auf Fichte: Ueber das Wesen des Gelehrten
und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit. In öffentlichen Vorlesun-
gen, gehalten zu Erlangen, im Sommerhalbjahre 1805. Berlin 1806. sowie auf
Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, oder auch die Religionslehre. In
Vorlesungen gehalten zu Berlin, im Jahre 1806. Berlin 1806. Vgl. Fichte:
Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Herausgegeben von Fritz Medicus.
Leipzig 19101. Nachdruck Darmstadt 1962. 1-102 bzw. 103-307.
182,350-352 es ist ... gelernt habe.] Siehe «l>LAoyeAw~ ht Twv 'le:poxAeou~
xoct «l>LAocyplou ypocfLvocnxoü (Lachfreund. Aus den Papieren des Hierokles
und des Grammatikers Philagrios). Siehe Philogelos der Lachfreund. Von
Hierokles und Philagrios. Griechisch-Deutsch mit Einleitung und Kommentar
hrsg. von A. Thierfelder. München 1968.28: §. 2. ~XoAoccrnxo~ xoAUfL~iiv
~oUA6fLE:VO~ 7rocp&: fLLXpov E7rVLYIJ" (.)fLOO"E:V ouv fL-IJ &<jloccr6ocL ö8ocTo~. e&:v !L-IJ
1rp&Tov fLcX61) xoAUfL~iiv. (Ein Scholastikus, der schwimmen wollte, wäre
beinahe ertrunken. Er schwor, das Wasser nicht mehr zu berühren, als bis
er Schwimmen gelernt habe.) - Auf diese Anekdote spielt Hege! auch in den
Vorlesungen über die Philosophie der Religion an, siehe Teil 1. V 3. 79,406
sowie 53,550. An der letztgenannten Stelle überliifert Gr allerdings statt Schola-
stikus: Gascogner.
182,356-358 Daß . . . Philosophie.] Siehe vorliegenden Band, Anm. zu
180,276-280.
183,369-392 In einer ... Intelligenz ist.] Siehe Schelling: System des trans-
410 Anhang

seendentalen Idealismus. 1: 2. Wir können den Inbegriff alles blos Objecti-


ven in unserm Wissen Natur nennen; der Inbegriff alles Subjectiven
dagegen heiße das Ich, oder die Intelligenz. 2: 3. Im Wissen selbst -
indem ich weiß- ist Objectives und Subjectives so vereinigt, daß man nicht
sagen kann, welchem von beiden die Priorität zukomme. Es ist hier kein
Erstes und kein Zweites, beide sind gleichzeitig und Eins. - Indem ich diese
Identität erklären will, muß ich sie schon aufgehoben haben. Um sie zu
erklären, muß ich, da mir außer jenen beiden Facteren des Wissens (als Er-
klärungs-Princip) sonst nichts gegeben ist, nothwendig den Einen dem an-
dem vorsetzen, von dem Einen ausgehen, um von ihm auf den andern
zu kommen; von welchem von beiden ich ausgehe, ist durch die Aufgabe
nicht bestimmt. I 4. Es sind also nur zwei Fälle möglich. I A. Entweder
wird das Objective zum Ersten gemacht, und gefragt: wie ein
Subjectives zu ihm hinzukomme, das mit ihm übereinstimmt?
3: Die Aufgabe kann also auch so ausgedrückt werden: Wie kommt zu der
Natur das Intelligente hinzu, oder wie kommt die Natur dazu, vorgestellt zu
werden? I Die Aufgabe nimmt die Natur oder das Objective als Erstes
an. Sie ist also ohne Zweifel Aufgabe der Naturwissenschaft, die das-
selbe thut. 3J: Wenn alles Wissen gleichsam zwei Pole hat, die sich wechsel-
seitig voraussetzen, und fordern, so müßen sie in allen Wissenschaften sich
suchen; es muß daher nothwendig zwei Grundwissenschaften geben, und es
muß unmöglich seyn, von dem Einen Pol auszugehen, ohne auf den andern
getrieben zu werden. Die nothwendige Tendenz aller Naturwissenschaft
ist also, von der Natur auf's Intelligente zu kommen. Dieß, und nichts anders
liegt dem Bestreben zu Grunde, in die Naturerscheinungen Theorie zu
bringen. -Die höchste Vervollkommnung der Naturwissenschaft wäre die
vollkommene Vergeistigung aller Nalturgesetze zu Gesetzen des Anschauens
und des Denkens. Die Phänomene (das Materielle) müssen völlig verschwin-
den, und nur die Gesetze (das Formelle) bleiben. 4f: Die vollendete Theorie
der Natur würde diejenige seyn, kraftwelcher die ganze Natur sich in eine
Intelligenz auflöste. - Die todten und bewußtlosen Producte der Natur sind
nur mißlungene Versuche der Natur, sich selbst zu reflectiren, die sogenannte
todte Natur aber überhaupt eine unreife Intelligenz, daher in ihren Phäno-
men noch bewußtlos schon der intelligente Charakter durchblickt. - Das
höchste Ziel, sich selbst ganz Object zu werden, erreicht die Natur erst durch
die höchste und letzte Reflexion, welche nichts anders, als der Mensch, oder
allgemeiner, das ist, was wir Vernunft nennen, I durch welche zuerst die
Natur vollständig in sich selbst zurückkehrt, und wodurch offenbar wird,
daß die Natur ursprünglich identisch ist mit dem, was in uns als Intelligentes
und Bewußtes erkannt wird. (SW 3.339-341.)
183,393-184,397 Wenn dagegen ... entstehen.] Siehe ebenda 5: B. Oder
das Subjective wird zum Ersten gemacht, und die Aufgabe ist
die: wie ein Objectives hinzukomme, das mit ihm überein-
stimmt? 6: Wenn es also eine Transscendental-Philosophie giebt, so
Anmerkungen 411

bleibt ihr nur die entgegengesetzte Richtung übrig, vom Subjectiven als
vom Ersten und Absoluten auszugehen, und das Objective aus
ihm entstehen zu lassen. (SW 3.341f)
184,404-408 Diese höchste ... der Kunst.] Deutlicher als in der Durchführung
bestimmt Schelling den Begriff der Einbildungskraft in der Einleitung zum System
des transseendentalen Idealismus. Er postuliert dort ( 18) eine Identität der be-
wußtlosen Thätigkeit, welche die Natur hervorgebracht hat, und der be-
wußten, die im Wollen sich äußert, und fordert weiter ( 1~f), daß im Subjecti-
ven, im Bewußtseyn selbst, jene zugleich bewußte und bewußtlose
Thätigkeit aufgezeigt werde. /Eine solche Thätigkeit ist allein die ästheti-
sche, und jedes Kunstwerk ist nur zu begreifen als Product einer solchen.
Die idealische Welt der Kunst, und die reelle der Objecte sind also Producte
einer und derselben Thätigkeit; das Zusammentreffen beyder, (der bewußten
und der bewußtlosen) ohne Bewußtseyn, giebt die wirkliche, mit Bewußt-
seyn die ästhetische Welt./1 Die objective Welt ist nur die ursprüngliche,
noch bewußtlose Poesie des Geistes; das allgemeine Organon der Philosophie
- und der Schlußstein ihres ganzen Gewölbes - die Philosophie der
Kunst. -Im Anschluß daran (20) heißt es, zum Verstehen der Philosophie seien
zwei Bedingungen erforderlich: ein beständiges Produzieren der ursprünglichen
Handlungen der Intelligenz und eine beständige Reflexion auf dieses Produzieren,
und weiter, 20J: Es kann hier nicht, wohl aber in der Folge bewiejsen wer-
den, daß dieses Reflectirtwerden des absolut unbewußten und nichtobjecti-
ven, nur durch einen ästhetischen Act der Einbildungskraft möglich ist.
(SW 3.349-351.) Zum Begriff der Einbildungskraft siehe ferner ebenda 473 (SW
3.626.).- Zum Begriff der Kunst siehe ebenda 472: Diese allgemein anerkannte,
und auf keine Weise hinwegzuläugnende Objectivität der intellectuellen
Anschauung ist die Kunst selbst. Denn die ästhetische Anschauung eben ist
die objectiv gewordene intellectuelle. (SW 3.625.)- Zum dunklen Begriff des
Genies (ebenda 458, SW 3.616) und zu seiner Funktion für das Verhältnis von
Philosophie und Kunst siehe ebenda 462f: Es erhellt nun aber auch von selbst,
daß ebensowenig, als Poesie und Kunst einzeln und für sich, ebensowenig auch
eine abgesonderte Existenz beyder das Vollendete hervorbringen könne, daß
also, weil die Identität beyder nur ursprünglich seyn kann und durch Frey-
heit schlechthin unmöglich und unerreichbar ist, das Vollendete nur durch I
das Genie möglich sey, welches ebendeßwegen für die Ästhetik dasselbe ist,
was das Ich für die Philosophie, nämlich das Höchste absolut Reelle, was
selbst nie objectiv wird, aber Ursache alles Objectiven ist. (SW 3.619.)
185,434-438 In den ... Physik.] Die Rede von späteren Darstellungen
könnte hier rein zeitlich solche Darstellungen der Philosophie Schellings meinen,
die nach dem System des transseendentalen Idealismus entstanden sind - ebenso
wie in 185,450. Da Hege/jedoch hier auf die Neue Zeitschrift für speculative
Physik verweist, ist es wahrscheinlich, daß er sich hier auf einen einzelnen, von
den Hörern mißverstandenen Titel beziehe: Fernere Darstellungen aus dem
System der Philosophie. In Neue Zeitschrift für speculative Physik heraus-
412 Anhang

gegeben von F. W.]. Schelling. Bd 1, Stück 1. Tübingen 1802. 37f: Ganz


und gar, und schon vorläufig ist aus aller Evidenz heraus, wer aus jener
Einheit des Denkens und Seyns, Subjectiven und Objectiven herlaus ist;
mit jener zugleich ist das demonstrative Princip der Identität verloren ...
(SW 4.364.)
185,44~42 Jene Identität ... Bestimmung haben;] Siehe vorliegenden
Band, das letzte Zitat in der Anm. zu 180,276-280.- Zum Begriff der absoluten
Indifferenz in den Ferneren Darstellungen siehe 60: Es ist aber schon bemerkt
worden, daß, da wir das Absolute selbst wieder als Indifferenz des Wesens
und der Form denken, in dieser höchsten Indifferenz auch aller Gegensatz
von quantitativer und qualitativer Einheit wieder verschwindet. / Von die-
sem Punct, dem der ab so I u t e n Indifferenz, kann auch allein die Erkenntniß
der Einheit ausgehen, die wir der Form zuschreiben. (SW 4.379f)
185,445-447 Schelling ... Negativen.] Siehe insbesondere ebenda 43J: Da es
die Form ist, wodurch das Besondere ein Besondres, das Endliche endlich ist,
so ist, weil im Absoluten das Besondre und Allgemeine absolut Eines, auch
die Form mit dem Wesen Eins, beydes nämlich absolut- und schon in
dieser absoluten Einheit, oder gleichen Absolutheit des Wesens
und der Form liegt der Beweis unsers obigen Satzes, die Enthül-
lung der Möglichkeit: wie das Absolute selbst, und das Wissen des Absoluten
Eins seyn können, der Möglichlkeit also einer unmittelbaren Erkenntniß des
Absoluten. (SW 4.367J.)
185,451-453 Eine ausführliche . . . Heft 2.] Siehe Schelling: Darstellung
meines Systems der Philosophie. In Zeitschrift für spekulative Physik her-
ausgegeben von Schelling. Bd 2, H. 2. Jena und Leipzig 1801. III-XIV, 1-127.
(SW 4.105-212.)
185,453-456 Hier hat ... die Philosophie.] Siehe eben da XIJf: Die Weise der
Darstellung betreffend, so habe ich mir hierin Spinoza zum I Muster genom-
men, nicht nur, weil ich denjenigen, welchem ich, dem Inhalt und der Sache
nach, durch dieses System am meisten mich anzunähern glaube, auch in
Ansehung der Form zum Vorbild zu wählen den meisten Grund hatte, son-
dern auch, weil diese Form zugleich die größte Kürze der Darstellung ver-
stattet, und die Evidenz der Beweise am bestimmtesten beurtheilen lässt. -
(SW 4.113.)
185,456-458 Er hat ... aufgenommen hat.] Siehe ebenda, im Anschluß an das
vorhergehende Zitat: Ich habe mich iiberdieß sehr häufig der allgemeinen
Bezeichnung durch Formeln bedient, wie sie bereits von Herrn Eschen-
mayer, ... angewendet worden ist; ... (SW 4.113.)
186,464 •Transzendentalidealismus«] Gemeint ist Schelling: System des
transseendentalen Idealismus. Tü bingen 1800.
186,466-467 Vom ewigen Frieden] Siehe Kant: Zum ewigen Frieden.
Ein philosophischer Entwurf. Königsberg 1795.
186,468 Abhandlung über die Freiheit] Siehe Schelling: Philosophi-
sche Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freyheit und die
Anmerkungen 413

damit zusammenhängenden Gegenstände. In SeheHing: Philosophische


Schriften. Bd 1. Landshut 1809. 397-511.
186,477-478 Kant hat ... gemacht.] Hege/ bezieht sich auf Kant: Meta-
physische Anfangsgründe der Naturwissenschaft. Riga 1786.
186,480 Schelling ... Intelligenz,] Regel bezieht sich sehr wahrscheinlich auf
die in der Anm. zu 183,369-392 als letzte zitierte Stelle.
186,487-488 Die Hauptform ... Potenz.] Zu Schellings Rede von Potenzen
siehe seine Darstellung meines Systems der Philosophie. Insbesondere 14f(§ 23.
Erläuterung; SW 4.124.), 1?ff (§ 30. Erläuterung; SW 4.128.), 24ff (§ 40. SW
4.133.), 26 (§ 42. Erläuterung; SW 4.134.), 26f (§§ 43f SW 4.135f). Die
Form der Triplizität tritt hier aber nicht so stark hervor, wie man dies nach Hegels
Worten annehmen kö·nnte. Hege/ dürfte sich deshalb beziehen auf Schelling:
Fernere Darstellungen. 34-50: §. V. Von dem Gegensatz der reellen und
ideellen Reihe, und den Potenzen der Philosophie. (SW 4.412-423.) Insbe-
sondere 37: Da nun die Form der Absolutheit immer und nothwendig sich
selbst gleicht und dieselbe ist, so folgt, dass die Philosophie, als Ganzes, wie
jede einzelne Construction der Philosophie in jener gegedoppelten ( !) Ein-
heit, der, welche im Endlichen (Besondem), und der, welche im Unend-
lichen (oder Allgemeinen) ausgedrückt ist, und der Indifferenz beyder Ein-
heiten sey; und dass demnach, wenn wir die ideelle Bestimmung (bey
gleicher innerer Einheit des Wesens) als Potenz bezeichnen, die Form der
Philosophie im Ganzen, wie jeder Construction im Einzelnen, auf die drey
Potenzen des Endlichen, Unendlichen und Ewigen mit absoluter Gleich-
setzung dieser Potenzen zurückkomme. (SW 4.414.)
186,488-490 Hier fängt ... die Materie] Diese Formulierung tr!!Jt nicht ganz
zu; siehe vielmehr Schelling: Darstellung meines Systems der Philosophie. 35:
§.51. Die erste relative Totalität ist die Materie. (SW 4.38.)
187,500-504 Man hat ... genannt.] Zum Verhältnis von Magnetismus, Elektri-
zität und Chemismus siehe ebenda, insbesondere 87: §. 113. Der chemische
Prozess ist sowohl durch Magnetismus als durch Electricität
vermittelt[.] 91: §. 114. In dem chemischen Prozess sind alle
andern dynamischen nicht nur potentia sondern actu enthalten,
denn er ist die Totalität des dynamischen Prozesses[.] (SW 4.184,187.) -
Schelling stellt auch die Beziehung zur Erregung, Reizbarkeit und zum Organis-
mus her; siehe ebenda 112ff(§§ 141ff. SW 4.2021J.). Auch die von Hege/ kriti-
sierte Unterschiebung sinnlicher Formen ist hier offenkundig, da Schelling etwa die
Pflanze als den Kohlenstoffpol und das Tier als den Stickstoffpol bezeichnet, oder
wenn es heißt: Das männliche und weibliche Geschlecht im Einzelnen ver-
halten sich also zu einander, wie Pflanze und Thier im Allgemeinen. (119.
§ 152. SW 4.207.) Die direkte Zuordnung von Magnetismus, Elektrizität und
Chemismus zu Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion findet sich jedoch in
Schelling: Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie. Zum Behuf
seiner Vorlesungen. Jena und Leipzig 1799. 231Jf, insbesondere 236: Und so
wäre /1) das LICHT das was in der allgemeinen Natur der Ursache des
414 Anhang

BILDUNGSTRIEBS in der organischen Natur entspricht. Und wenn das Licht


letzte Ursache, alles chemischen Prozesses ist (... ) so wäre der Bildungstrieb
selbst (wie das Organische von dem Anorgischen überhaupt) nur die höhe-
re Potenz des chemischen Processes, ... 241: und so würde nun, um
weiter fortzuschließen./2) die ELECTRICITÄT das seyn, was der IRRITABILITÄT
in der Außenwelt entspricht. 251: Und so wird / 3) der allgemeine
MAGNETISMUS das seyn, was der SENSIBILITÄT in der Außenwelt entspricht,
oder, dieselbe letzte Ursache, welche in der allgemeinen Natur Ursache des
allgemeinen Magnetismus ist, wird Ursache der Sensibilität in der organi-
schen Natur seyn, ... (SW 3.203Jf, insbesondere 207, 210, 218.)
187,506-507 wenn man ... nennt.] Siehe [Lorenz] Oken: Lehrbuch der
Naturphilosophie. Dritter Theil. Erstes und zweites Stück. Jena 1810. 112: Die
Spiralfasern sind für die Pflanze das, was die Nerven für das
Thier sind. Sie können mit vollem Rechte Pflanzennerven heißen, und
ich freue mich, sie in dieses Recht einsetzen zu dürfen.
187,521-522 Das Absolute ... vorausgesetzt;] Siehe Schelling: Denkmal
der Schrift von den göttlichen Dingen etc. des Herrn Friedrich Heinrich
Jacobi und der ihm in derselben gemachten Beschuldigung eines absichtlich
täuschenden, Lüge redenden Atheismus. Tübingen 1812. 94: Gott, oder,
gerrauer gesprochen, das Wesen, welches Gott ist, ist Grund- in zweyerley
Verstand, der wohl unterschieden werden muß. Einmal ist er Grund- von
sich selbst nämlich, sofern er sittliches Wesen ist. Daß jede Intelligenz einen
Anfang ihrer selbst in sich selber haben müsse, der nichtintelligent sey, wurde
schon beyGelegenheitdes vierten Satzes erwiesen. Aber Gott macht sich
auch zum Grund, indem er eben jenen Theil seines Wesens, mit dem er
zuvor wirkend war, leidend macht. 95: Aber er macht sich zugleich zum
Grunde seiner selbst, da er nur in sofern, als er diesen Theil seines Wesens
(den nichtintelligenten) dem höheren unterordnet, mit diesem frey von der
Welt, über der Welt- (nach dem Jacobi'schen Ausdruck als Ursache)
lebt, wie der Mensch erst dadurch sich wahrhaft zur Intelligenz, zum
sittlichen Wesen verklärt, daß er den irrationalen Theil seines Wesens dem
höheren unterwirft. ( SW 8. 71f)
187,523-524 aber nur ... erkannt werden.] Siehe Schelling: Philosophische
Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freyheit und die damit
zusammenhängenden Gegenstände. In Philosophische Schriften. Bd 1.
Landshut 1809. 429: Da nichts vor oder außer Gott ist, so muß er den Grund
seiner Existenz in sich selbst haben. Das sagen alle Philosophieen; aber sie
reden von diesem Grund als einen bloßen Begriff, ohne ihn zu etwas Reel-
lem und Wirklichem zu machen. Dieser Grund seiner Existenz, den Gott in
sich hat, ist nicht Gott absolut betrachtet, d. h. sofern er existirt; denn er ist ja
nur der Grund seiner Existenz, Er ist die Natur - in Gott; ein von ihm zwar
unabtrennliches, aber doch unterschiednes Wesen. ( SW 7.301f)
188,541-542 an sich ... identisch sind,] Hege/ spielt wahrscheinlich an auf
Schelling: Darstellung meines Systems der Philosophie. 7J: §. 12. Alles was
Anmerkungen 415

ist, ist die absolute Identität selbst .... Zus. 2. Die absolute Identität
ist das Einzige, was schlechthin, oder an sich ist, also ist alles nur insofern an
sich, als es die absolute Identität selbst ist, und insofern es nicht die absolute
Identität selbst ist, ist es überhaupt nicht an sich. (SW 4.119.)
BIBLIOGRAPHIE DER QUELLEN
ZUR GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE

Im Folgenden werden nur solche Quellen verzeichnet, auf die Hege/ in den
Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie sich entweder ausdrücklich
bezieht oder die sich aus seinen Formulierungen mit hoher Wahrscheinlichkeit
erschließen lassen. Nicht aufgeführt werden hingegen Titel, die in den Anmer-
kungen als Belegfür einen Gedanken herangezogen worden sind, ohne daß Hegels
Lektüre gerade dieser Schriften nachgewiesen oder doch wahrscheinlich gemacht
wer den könnte.
Bei Werken mit griechisch-lateinischem Doppeltitel entfällt der griechische Titel.
Nur noch in wenigen Fällen sind die von Hege/ benutzten Ausgaben auch heute
noch verbindlich oder wenigstens leicht greifbar. Deswegen werden zusätzlich neue-
re Standardausgaben herangezogen; fremdsprachlichen Texten - außer englischen -
werden nach Möglichkeit Übersetzungen beigegeben.
In den Anmerkungen werden Titel häufig in Kurzform zitiert. Sofern ein Kurz-
titel nicht unmittelbar verständlich ist, wird er hier hinter dem vollständigen Titel in
Klammern aufgeführt.
Verfasser und Werke werden in alphabetischer Folge genannt; abweichend davon
sind Standardausgaben bzw. Übersetzungen Jeweils dem Titel zr1geordnet, auf derr
sie sich beziehen.
Die im Folgenden genannten Quellen sind in vier Gruppen gegliedert:
- Werke, die im Versteigerungskatalog der Bibliothek Hegels aufgeführt sind,
werden mit einem Asterisk (•) gekennzeichnet.
- Werke, auf die Hege/ hier oder an anderer Stelle verweist und bei denen auch die
von ihm benutzte Ausgabe zweifelsfrei zu bestimmen ist, werden mit einem
Dreieck ( 6) gekennzeichnet.
- Werke,Jür deren Benutzung durch Hege/ zwar die Wahrscheinlichkeit, aber kein
ausdrücklicher Hinweis spricht, werden ohne besondere Auszeichnung ange-
führt.
- Neuere Standardausgaben sowie Übersetzungen werden von den letztgenannten
durch Einrückung abgehoben.
418 Anhang

Anselmus Cantuariensis: Opera. Secunda editio, correcta & aucta. Paris 1721.
Anselm von Canterbury: Cur Deus homo - Warum Gott Mensch ge-
worden. Lateinisch und Deutsch. Besorgt und übersetzt von Franciscus Sale-
sius Schmitt. München 1956.
Anselm von Canterbury: Proslogion. Lateinisch-deutsche Ausgabe von P.
F. S. Schmitt. Stuttgart 1962.
'f Aristoteles: Opera quaecunque hactenus extiterunt omnia .... Per Des. Eras.
Roterodamum. 2 Bde in einem Band. Basileae 1550. (Hege/ besaß die Ausgabe
von 1531.)
* Aristoteles: Physik. Uebersetzt und mit Anmerkungen begleitet von C. H. Weiße.
Erste Abtheilung. Die Uebersetzung enthaltend. Zweite Abtheilung. Die An-
merkungen enthaltend. Leipzig 1829.

* Fraucis Bacon: Opera omnia, quae extant: Philosophica, moralia, politica,


historica ... His prae.fixa est auctoris vita. Francofurti ad Moenum 1665. -
Darin: De Dignitate & Augmentis Scientiarum, libri IX. Sive Instaura-
tionis magnae pars prima. 1664. - Novum Organum Scientiarum, sive
Iudicia vera de Interpretatione Naturae. 1664.
Fraucis Bacon: The Works. Collected and edited by James Spelling, Robert
Leslie Bilis, and Douglas Denon Heath. Bd 1. London 1858. Faksimile -
Neudruck dieser Ausgabe. Stuftgart-Bad Cannstatt 1963.
Franz Baco's Neues Organon. Uebersetzt, erläutert und mit einrr Lebens-
beschreibung des Verfassers versehen von]. H. v. Kirchmann. Berlin 1870.
Lord Franz Bacon über die Würde und den Fortgang der Wissenschaff-
ten. Verdeutschet und mit dem Leben des Verfaßers und einigen historischen
Anmerkungen herausgegeben von johann Hermann Pfingsten. Pest 1783.
Nachdruck Darmstadt 1966.
* Baumgarten, Alexander Gottlieb: Metaphysik. Halle 2 1783.
Baumgarten, Alexander Gottlieb: Metaphysica. Editio VII. Halae
Magdeburgicae 1779.
'ßayle, Pierre: Dictionaire historique et critique. Troisieme edition, revue, cor-
rigee, et augmentee par I' auteur. Bd 3. Rotterdam 1720.
Herrn Peter Baylens ... Historisches und critisches Wörterbuch, nach
der neuesten Auflage von 1740 ins Deutsche übersetzt; Mit des berühmten
Freyherm von Leibnitz, und Herrn Maturin Weyssiere Ia Croze, auch ver-
schiedenen andem Anmerkungen, sonderlich bey anstößigen Stellen wie auch
einigen Zugaben versehen, von johann Christoph Gottscheden. Bd 4. Leipzig
1744.
Bayle, Pierre: ffiuvres diverses. Bd 3. La Haye 1727: Reponse aux Question
d'un Provincial.
Quellen zur Geschichte der Philosophie 419

Beattie, James: An Essay on the Nature and Immutability of Truth; in Op-


position to Sophistry and Scepticism. Edinburgh 1770. (Faksimile-Reprint of
the .first edition, Edinburgh 1770. With general introduction to this edition and a
special introduction to Beattie' s criticism if the »theory ~f ideas« by Friedrich 0.
Wolf. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973.)
Beattie, James: Versuch über die Natur und Unveränderlichkeit der Wahr-
heit; im Gegensatze der Klügeley und der Zweifelsucht. Aus dem Englischen.
Übersetzt von Andreas Christoph Rüdinger. Copenhagen und Leipzig 1772.
* Böhme, Jacob: Theosophia revelata. Das ist: Alle Göttliche Schriften des
Gottseligen und Hocherleuchteten Deutschen Theosophi. o. 0. 1715.
* Brucker, Jacob: Historia critica philosophiae. Tomi I-IV. Lipsiae 1742-1744.
(Hege! besaß die Ausgabe 1756.)
!::::. Buhle, Johann Gottlieb: Geschichte der neuem Philosophie seit der Epoche
der Wiederherstellung der Wissenschaften. 6 Bde. Göttingen 1800-1804.
!::::. Buhle, Johann Gottlieb: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie und
einer kritischen Literatur derselben. 8 Bde. Göttingen 1796-1804.
Cardanus, Hieronymus: Opera. Tomus Quartus; quo continentur Arithmetica,
Geometrica, Musica. Lugduni 1663. Reprint New York and London 1967. -
Tomus Quintus; quo continentur Astronomica, Astrologica, Onirocritica. Lug-
Juni 1663. Reprint New York and London 1967.
Cicero, Marcus Tullius: Opera. 4 Bde und ein Indexband. Lipsiae 1737.
Cicero: Marcus Tullius: Opera omnia ex recensione Iacobi Gronovii. Accedit
varietas lectionis Pearcianae, Graevianae, Davisianae cum singulorum librorum
argumentis et indice rerum historico verborumque philologico-critico. Curavit Io.
Augustus Ernesti. Lipsiae 1737. (Entspricht der Ausgabe Halae 1757.)
Cicero, Marcus Tullius: Werke. Bd 26: Rhetorik, an Herrenius. Uebersetzt
von Christian Walz. Stuttgart 1842.
Cicero, Marcus Tullius: Gespräche in Tusculum. Lateinisch-deutsch mit
ausführlichen Anmerkungen neu herausgegeben von Olif Gigon. 2. verbesserte
Auflage. München 1970.
Descartes, Rene: CEuvres de Descartes, publiees par Victor Cousin. Tome cin-
quieme. Paris 1824.
Descartes, Rene: CEuvres. Publit!es par Charles Adam & Paul Tannery.
Nachdruck Paris 1964-1972.
Descartes, Rene: Meditationes de prima philosophia, in quibus Dei existen-
tia, & animae humanae a corpore distinctio, demonstrantur. His adjunctae
sunt variae objectiones doctorum virorum in istas de Deo & anima demonstra-
tiones; cum responsioni bus auctoris. Editio ultima priori bus auctior & emendatior.
Amstelodami 1663.
420 Anhang

Descartes, Rene: Meditationes de prima philosophia / Meditationen


über die Grundlagen der Philosophie. Auf Grund der Ausgaben von
Arthur Buchenau neu herausgegeben von Lüder Gäbe, durchgesehen von Hans
Günter Zekl. Harnburg 2 1977.
Descartes, Rene: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie mit
den sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. Zum erstenmal vollständig
übersetzt und herausgegeben von Arthur Buchenau. Harnburg 1972.
* Descartes, Rene: Principia philosophiae. Nunc demum hac editione diligenter
recognita, & mendis expurgata. Amstelodami 1656.
Descartes, Rene: Die Prinzipien der Philosophie. Übersetzt und erläutert
von Arthur Buchenau. Harnburg 7 1965.
Destutt de Tracy: Elemens d'ideologie. Premiere partie. Ideologie proprement
dite. Paris 1817.

Ferguson, Adam: Grundsätze der Moralphilosophie. Uebersetzt und mit eini-


gen Anmerkungen versehen von Christian Garve. Leipzig 1772.
Fichte, Johann Gottlieb: Die Anweisung zum seligen Leben, oder auch die
Religionslehre. In Vorlesungen gehalten zu Berlin, im Jahre 1806. Berlin 1806.
Fichte, Johann Gottlieb: Die Anweisung zum seligen Leben. Dritte
durchgesehene Auflage herausgegeben von Hansjürgen Verweyen. Harnburg
1983.
* Fichte, loharm Gottlieb: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre als
Handschrift für seine Zuhörer. Leipzig 1794.
Fichte, Johann Gottlieb: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre als
Handschrift für seine Zuhörer. Einleitung von Wilhelm G. Jacobs. Harn-
burg 31979.
* Fichte, Johann Gottlieb: Grundlage des Naturrechts nach Principien der
Wissenschaftslehre. Jena und Leipzig 1796.
Fichte, Johann Gottlieb: Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der
Wissenschaftslehre (1796). Einleitung von Manfred Zahn. Harnburg 2 1979.
Fichte, Johann Gottlieb: Ueber das Wesen des Gelehrten und seine Erschei-
nungen im Gebiete der Freiheit. In öffentlichen Vorlesungen, gehalten zu
Erlangen, im Sommerhalbjahre 1805. Berlin 1806.
Fichte, Johann Gottlieb: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der
sogenannten Philosophie, als Einladungsschrift zu seinen Vorlesungen über
diese Wissenschaft. Weimar 1794.
Fichte, J[ohann] G(ottlieb]: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie
der Wissenschaften. Herausgegeben von Reinhard Lauth und Hans Jacob
bzw. Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky. Abt. 1. Stuttgart-Bad Cannstatt
1964ff. (GA. Abt. I.)
Quellen zur Geschichte der Philosophie 421

Fichte, Johann Gottlieb: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Heraus-


gegeben von Fritz Medicus. Leipzig 1910, Nachdruck Darmstadt 1962.
!:, Fries, Jakob Friedrich: System der Logik. Ein Handbuch für Lehrer und zum
Selbstgebrauch. Beideiberg 1811.
* Gassendi, Pierre: De vita et moribus Epicuri libri octo. Editio altera au(tior
& correctior. Hagae-Comitum 1656. (Regel besqß die Ausgabe von 1654.)
Gassendi, Pierre: Miscellanea. Tomus V. Lugdunum 1656.
Gottsched, Johann Cristoph: Historische Lobschrift des weiland hoch- und
wohlgebohrnen Herrn Christians, des Heiligen Römischen Reiches Frey-
herrn von Wolf ... Halle 1755.
* Grotius, Hugo: De Jure Belli ac Pacis Libri tres, in quibus jus naturae et gen-
tium, item juris publici praecipua explicantur. Cum annotatis auctoris eius-
demque Dissertatione de Mari Libero; ac libello singulari de aequitate, indulgen-
tia, et facilitate. Nec non Jo. Fr. Gronovii V. C. notis in totum opus de jure belli
ac pacis. Ex altera recensione Joannis Barbeyracii, JC. Cum notulis ejusdem nunc
auctoribus, pluriumque locorum ex auctoritate quib. laudat. Adiuvationi indica-
tione. 2 Bde. Lipsiae 1758.
Grotius: Hugo: Drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens.
Neuer deutscher Text und Einleitung von Walter Schaetzel. Nebst einer Vorrede
von Christian Thomasius zur ersten Ausgabe vom Jahre 1707. Tübingen 1950.

Hege!: Berliner Schriften 1818-1831. Herausgegeben von Johannes Ho_ff-


meister. Harnburg 1956.
[Hege!:] Briefe von und an Hege!. Bd 1-3: herausgegeben von Johannes
Ho.Jfmeister. Dritte, durchgesehene Auflage Harnburg 1969. Bd 4/1 u. 4/2:
herausgegeben von Friedhelm Nicolin. Harnburg 1977 bzw. 1981.
Hege!: Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungs-
gemeinschaft herausgegeben von der Rheinisch-Wesifälischen Akademie der
Wissenschaften. Harnburg 1968Jf.
Hege!: Theologische Jugendschriften nach den Handschriften der Kgl.
Bibliothek in Berlin herausgegeben von Herman Nohl. Tübingen 1907.
Hege!: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Harn-
burg 1983Jf.
Hege!: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bd 1. Die
Vernunft in der Geschichte. Herausgegeben von ]ohannes Ho.Jfmeister.
Harnburg 1955. Bd 2. Die Orientalische Welt. Bd 3. Die griechische und
römische Welt. Bd 4. Die germanische Welt. AufGrund der Handschrif-
ten herausgegeben von Georg Lasson. Harnburg 2 1923.
Hege!: Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden
des Verewigten. 18 Bde. Berlin 1832Jf.
422 Anhang

!::::. Hjort, Peder: Johan Scotus Erigena oder Von dem Ursprung einer christli-
chen Philosophie und ihrem heiligen Beruf. Kopenhagen 1823.
* Hobbes, Thomas: Elementerum philosophiae sectio prima. De corpore.
Londini 1655.
Hobbes, Thomas: Vom Körper (Elemente der Philosophie I). Ausge-
wählt und übersetzt von Max Frischeisen-Köhler. Harnburg 2 1967.
* Hobbes, Thomas: Elementerum philosophiae sectio altera. De cive. Amstero-
dami 1696.
Hobbes, Thomas: Vom Menschen.- Vom Bürger (Elemente der Philo-
sophie II/III). Eingeleitet und herausgegeben von Günter Gawlick. Nachdruck
dtr 2., verbesserten Auflage. Harnburg 1977.
Hobbes, Thomas: Opera philosophica quae latine scripsit omnia, in
unum corpus nunc primum collecta studio et Iabore Gulielmi Molesworth. 5
Bde. London 1839-1845. Nachdruck Aalen 1961.
* [d'Holbach, Paul Henri Thiry] Mirabaud: Systeme de la nature ou des loix
du monde physique & du monde moral. Nouvelle edition a laquelle on a
joint plusieurs pieces des meilleurs auteurs relatives aux m2me objets. 2 Bde.
Landres 1771.
Hume, David: Essays and Treatises on Several Subjects. 4 Bde. Bd 1. Edin-
burgh 41753, Bd 2. London 2 1753, Bd 3. London 1753, Bd 4. Edinburgh
2 1753.
Hume, David: The Philosophical Works. Edited by Thomas Hili Green
and Thomas Hodge Grose. 4 Bde. Bd 4. London 1882. Nachdruck Aalen
1964.

* Jacobi, Friedrich Heinrich: Jacobi an Fichte. Harnburg 1799.


!::::. Jacobi, Friedrich Heinrich: David Hume über den Glauben oder Idealismus
und Realismus. Ein Gespräch. Breslau 1787.
!::::. Jacobi, Friedrich Heinrich: Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den
Herrn Moses Mendelssohn. Neue vermehrte Ausgabe. Breslau 1789.
* Jacobi, Friedrich Heinrich: Von den göttlichen Dingen und ihrer Offen-
barung. Leipzig 1811.
Jacobi, Friedrich Heinrich: Werke. 6 Bde. Leipzig 1812-1825. (Bde 1-3
befanden sich in Hegels Bibliothek.)

* Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga 1788.


Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft. Mit einer Einleitung
herausgegeben von Kar/ Vorländer. Ergänzter Nachdruck. Harnburg 1985.
!::::. Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Zweyte, hin und wieder verbes-
serte Auflage. Riga 1787.
Quellen zur Geschichte der Philosophie 423

Kant, lmmanuel: Kritik der reinen Vernunft. Neu herausgegeben vo11


Raymund Schmidt. Durchgesehener Nachdruck. Harnburg 1976.
* Kant, lmmanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin und Libau 1790.
Kant, lmmanuel: Kritik der Urteilskraft. Herausgegeben von Kar/ Vor-
länder. Harnburg (Nachdruck) 1974.
* Kant: lmmanuel: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
Riga 1786.
* Kant, lmmanuel: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Königsberg
1797.
* Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwu~f Königs-
berg 1795.
Kant, Immanuel: Gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Königlich
Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1900ff. ( = AA)
* Krug, Willhelm Traugott: Entwurf eines neuen Organon's der Philosophie
oder Versuch über die Prinzipien der philosophischen Erkenntniß. Meissen
und Lübben 1801.

* Leibniz, Gottfried Wilhelm: CEuvres philosophiques latines & fran~oises.


Tirees de ses manuscrits qui se conservent dans Ia Bibliotheque Royale a Hanov-
re, et publiees par Rud. Brie Raspe. Avec une Priface de Mr. Kaestner. Amster-
dam et Leipzig 1765.
!::::. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Opera omnia, tlunc primum collecta, in classes
distributa, praefationibus & indicibus exornata, studio Ludovici Dutens. Genevae
1768. (= Leibniz: Opera (ed. Dutens).)
Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die philosophischen Schriften. Heraus-
gegeben von C.]. Gerhardt. 7 Bde. Berlin 1875-1890.
Leibniz, Gottfried Wilhelm: Sämtliche Schriften und Briefe. Heraus-
gegeben von der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Reihe 1, Bd 1.
Darmstadt 1923.
Leibniz, Gottfried Wilhelm: Werke. Reihe 1. Historisch-politische und
staatswissenschaftliche Schriften. Herausgegeben von Onno Klopp. Bd 10:
Correspondenz von Leihniz mit Sophie Charlotte, Königin von
Preußen. Hannover 1877; Nachdruck Bildesheim und New York
1970.
Leibniz, Gottfried Wilhelm: Hauptschriften zur Grundlegung der Phi-
losophie. Übersetzt von A. Buchenau. Durchgesehen und mit Einleitungen
und Erläuterungen herausgegeben von Ernst Cassirer. Dritte, mit Literaturhin-
weisen in Band 11 ergänzte Auflage. Harnburg 1966.
Commercii epistolici Leibnitiani, ad ornne genus eruditionis, pracsertim vero
ad illustrandam integri propemodum seculi historiam literariam apprime
424 Anhang

facientis, per partes publicandi tomus prodromus, qui totus est Boinebur-
gicus. Recensuit Io. Daniel Gruber. Hanoverae 1745.
Commercii epistolici Leibnitiani typis nondum vulgati selecta speciminia
edidit notulisque passim illustravit Ioannes Georgius Henricus Feder. Hanoverae
1805.
* Leibniz, Gottfried Wilhelm: Essais de Theodicees sur Ia honte de Dieu, Ia
liberte de l'homme et l'origine du mal. Nouvelle edition, augmentee de l'his-
toire de Ia vie & des ouvrages de /' auteur, par M. L. de Neufville. Amsterdam
1734.
Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Übersetzung von Arthur
Buchenau. Einführender Essay von Morris Stockhammer. Harnburg 2 1968.
/::,. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Principia philosophiae, seu theses in gratiam
principis Eugenii &c. (=Monadologie.) In Leibniz: Opera (ed. Dutens).
Tomus II, pars I. 20-31.
/::,. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Principes de Ia nature & de Ia grace, fondes en
raison. In Leibniz: Opera (ed. Dutens). Tomus II, pars I. 32-39.
Leibniz: Gottfried Wilhelm: Vernunftprinzipien der Natur und der
Gnade. - Monadologie. Auf Grund der kritischen Ausgabe von Andre
Robinet (1954) uud der Übersetzung von Arthur Buchenau mit Einführung
und Anmerkungen herausgegeben von Herbert Herring. Zweite, verbesserte
Auflage. Harnburg 21982.
Lessing, Gotthold Ephraim: Axiomata, wenn es deren in dergleichen Dingen
gibt. Wider den Herrn Pastor Goeze, in Hamburg. Braunschweig 1778.
Lessing, Gotthold Ephraim: Eine Duplik. Braunschweig 1778.
Lessing, Gotthold Ephraim: Die Erziehung des Menschengeschlechts. Her-
ausgegeben von Gotthold Ephraim Lessing. Berlin 1780.
Lessing, Gotthold Ephraim: Zur Geschichte und Litteratur. Aus den Schätzen
der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Zweyter Beytrag. Braunschweig
1773. Darin: Des Andreas Wissowatius Einwürfe wider die Dreyeinigkeit.
Lessing, Gotthold Ephraim: Sämtliche Schriften. Herausgegeben von K.
Lachmann. Dritte, auf's neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt
durch F. Muncker. Leipzig 1886-1924.
* Locke, John: An Essay concerning Human Understanding. In Jour books. The
Eighth Edition, with !arge Additions. 2 Bdc. Iondon 1721.
Locke, John: An Essay concerning Human Understanding. Edited with
an Introduction, Critical Apparatus and Glossary by Peter H. Nidditch.
Oxford 1975. (= Works.)
Locke, John: Versuch über den menschlichen Verstand. Neubearbeitung
der C. Winklerschen Ausgabe. Vierte, durchgesehene Auflage. Hamburg
1981.
Quellen zur Geschichte der Philosophie 425

Locke, John: The Works. A New Edition, Corrected. In Ten Volumes. London
1823.

* Maimon, Salomon: Lebensgeschichte. Von ihm selbst geschrieben und herausge-


geben von Kar! Philipp Moritz. 2 Bde. Berlin 1792.
* Malebranche, Nicolas: De Ia recherche de Ia verite. 2 Bde. 4. Auflage Amster-
dam 1688.
Malebranche, Nicolas: Von der Erforschung der Wahrheit. Drittes Buch.
Übersetzt und mit Einleitung, Anmerkungen und Registern herausgegeben
von Alfred Klemmt. Harnburg 1968.
* Mendelssohn, Moses: Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn
Gottes. Berlin 1786.
/':,. The Moming Chronicle. February 14th. 1825.
* Maimonides, Moses: Liber c~~,::ll i1,,~ Doctor perplexorum: Ad dubia &
obscuriora Scripturae loca rectius intelligenda veluti clavem continens, ... Nunc
vero nove, ad linguae hebraicae cognitionem uberius propagandam, ejusque usum
& amplitudinem evidentius Christianorum Scholis declarandam, in linguam
latinam perspicue & .fideliter conversus, aJohanne Buxtorfio, Fil. Basileae 1629.
Mose ben Maimon: Führer der Unschlüssigen. Übersetzung und Kom-
mentar von Adolf Weiss. 1923/24. Nachdruck mit einer Einleitung von
Johann Maier. Harnburg 1972.
Moshemius, lo [annes] La ur[entius]: Institutionum Historiae Ecclesiasticae
antiquae et recentioris libri quatuor ex ipsis Jontibus insigniter emendati,
plurimis accessionibus locupletati, variis observationibus illustrati. Helmstadii
1755.

/':,. Neander, August: Genetische Entwickelung der vornehmsten gnostischen


Systeme. Berlin 1818.
* Newton, lsaac: Philosophiae naturalis principia mathematica. Editio ultima
auctior et emendatior. Amstaelodami 1714.
* Newton, Isaac: Optice: sive de Reflexionibus, Refractionibus, Inflexionibus
& Coloribus lucis libri tres. Latine reddidit Samuel Clarke. Editio secunda,
auctior. Londini 1719.

Oken, [Lorenz]: Lehrbuch der Naturphilosophie. 3 Bde. Jena 1809-1811.

* Plato: Opera quae extant omnia. Ex nova Ioannis Serrani interpretatione, ...
Henr. Stephani de quorundam locorum interpretatione indicium, & multorum
contextus Graeci emendatio. 3 Bde. o. 0. 1578.
Platon: Sämtliche Werke. Nach der Übersetzung von Friedrich Schleier-
426 Anhang

macher ... herausgegeben von Walter F. Otto f, Ernesto Grassi und Gert
Plambö"ck. Harnburg 1958.JJ.
Plato: Opera orrmia quae extant. Marsilio Ficino interprete. Graecus contextus
quiim diligentissime cum emendatioribus exemplaribus collatus est: Latina inter-
pretatio ii quam-plurimis superiorum editionum mendis expurgata. Argumentis
perpetuis, & commentariis quibusdam eiusdem Marsilii Ficini . .. Lugduni 1590.
Plotin: Opera, quae extant orrmia per celebe"imum illum Marsilium Ficinum
... ex antiquissimis codicibus latine translata, & eruditissimis commentariis illus-
trata. Cum indice rerum ethicarum, physicarum, & metaphysicarum copiosissimo.
Basileae 1615. (Die Ausgaben Florenz 1492 bzw. von Perna, Basel1580 waren
den Herausgebern nicht zugänglich.)
Plotin: Schriften. Übersetzt von Richard Harder. Neubearbeitung mit
griechischem Lesetext und Anmerkungen (fortgeführt von Rudolf Beutler und
Willy Theiler). Bd 1. Die Schriften 1-21 der chronologischen Reihen-
folge. a) Text und Übersetzung. Harnburg 1956. Bd 3. Die Schriften 30-38
der chronologischen Reihenfolge. a) Text und Übersetzung. Harnburg
1964.
* Proclus: In Platonis Theologiam Libri Sex. Per Aemilium Portum, ... Accessit
Marini Neapolitani libellus de Vita Procli. Hamburgi, et prostant Francofurti
1618.
Pufendorf, Samuel: De jure naturae et gentium libri octo. Londini Scanorum
1762.
* Pufendorf, Samuel: De officio hominis et civis juxta Iegern naturalem libri
duo. Londini Scanorum 1673. (Die im Katalog der Bibliothek Hegels genannte
Ausgabe Basileae 1739 konnte nicht nachgewiesen werden.)

/:::, The Quarterly Review. April & july, 1817. London 1817.

Rixner, Thaddä Anselm: Handbuch der Geschichte der Philosophie zum


Gebrauche seiner Vorlesungen. Sulzbach. Bd 1. 1822; Bd 2-3. 1823.
Rousseau, Johann-Jacob: Aemil, oder Von der Erziehung. Aus dem Französi-
schen übersetzet, und mit einigen Anmerkungen versehen. 4 Theile. Berlin,
Frankfurt und Leipzig 1762.
Rousseau, Jean-Jacques: <Euvres completes. Bd 4. Paris 1964. (Biblio-
theque de Ia Pleiade.)- Darin: Ernile ou de l'education.

Schelling, [Friedrich Wilhelm Joseph): Darstellung meines Systems der


Philosophie. In Zeitschrift für spekulative Physik. Herausgegeben von Schel-
ling. Bd 2, H. 2. Jena und Leipzig 1801.
* Schelling, F[riedrich) W[ilhelm) J[oseph]: Denkmal der Schrift von den
Quellen zur Geschichte der Philosophie 427

göttlichen Dingen etc. des Herrn Friedrich Heinrich Jacobi und der ihm in
derselben gemachten Beschuldigung eines absichtlich täuschenden, Lüge
redenden Atheismus. Tübingen 1812.
Schelling, F[riedrich] W[ilhelm] J[oseph]: Erster Entwurf eines Systems der
Naturphilosophie. Zum Behuf seiner Vorlesungen. Jena und Leipzig 1799.
* Schelling, [Friedrich Wilhelm Joseph]: Fernere Darstellungen aus dem Sy-
stem der Philosophie. In Neue Zeitschrift für speculative,Physik herausge-
geben von F[riedrich] W[ilhelm] J[oseph] Schelling. Bd 1, Stück 1. Tübin-
gen 1802.
Schelling, F [riedrich] W [ilhelm] ][oseph]: Philosophische Schriften. Bd 1.
Landshut 1809. -Darin 397-511: Philosophische Untersuchungen über das
Wesen der menschlichen Freyheit und die damit zusammenhängenden
Gegenstände.
* Schelling, Friedr[ich] Wilh[elm] Joseph: System des transseendentalen Idea-
lismus. Stuttgart 1800.
Schelling, F[riedrich] W[ilhelm] J[oseph]: Ueber die Möglichkeit einer
Form der Philosophie überhaupt. Tübingen 1795.
* Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Vom Ich als Princip der Philosophie
oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen. Tübingen 1795.
Schelling, Friedr[ich] Wilh[elm] Joseph: Vorlesungen über die Methode des
acadernischen Studium. Tübingen 1803.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Historisch-Kritische Ausgabe. Im
Auftrag der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissen-
schaften herausgegeben von Hans Michael Baumgartner, Wilhelm G. Jacobs,
Hermann Krings und Hermann Zeltner. Reihe 1: Werke. Stuftgart-Bad
Cannstatt 1976Jf.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Sämmtliche Werke. Herausge-
geben von K. F. A. Schelling. Abt. 1. 10 Bde. Stuftgart und Augsburg 1856-
1861. (= SW)
!:::. Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Der christliche Glaube nach den
Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Bd
1. Berlin 1821. Bd 2. Berlin 1822.
Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt.
1, Bd 7, Teilbände 1 und 2: Der christliche Glaube. Herausgegeben von
Hermann Peiter. Berlin - New York 1980. ( = Der christliche Glaube.)
!:::. [Schleiermacher, Friedeich Daniel Ernst:] Über die Religion. Reden an die
Gebildeten unter ihren Verächtern. Berlin 1799.
Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Über die Religion. Reden an
die Gebildeten unter ihren Verächtern. Herausgegeben von Hans-Joachim
Rothert. Harnburg (Nachdruck) 1978.
428 Anhang

* Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of
Nations. 4 Bde. Basil1791.
* Spinoza, Benedictus de: Opera quae supersunt ornnia. Iterum edenda curavit,
praefationes vitam auctoris, nec non notitias, quae ad historiam scriptorum per-
tinent addidit Henr. Eberh. Gottlob Paulus. Bd 1. Ienae 1802. Bd 2. Ienae
1803.
Spinoza, Baruch de: Sämtliche Werke in sieben Bänden und einem
Ergänzungsband. In Verbindung mit Otto Baensch und Artur Buchenau
herausgegeben von Carl Gebhardt. Hamburg.
* Spinoza, Benedictus de: Adnotationes ad Tractatum Theologico Politicum.
Ex autographo edidit ac praefatus est, addita notitia scriptorum philosophi Chri-
stophorus Theophilus de Murr. Hagae 1802.
Spinoza, Baruch de: Tractatus theologico-politicus/Theologisch-politi-
scher Traktat. Herausgegeben von Günter Gawlick und Friedrich Nie-
wöhner. Darmstadt 1979.
Spinoza, Baruch de: Descartes Prinzipien der Philosophie auf geometri-
sche Weise begründet mit dem »Anhang, enthaltend metaphysische
Gedanken«. Übersetzt von Artur Buchenau, Einleitung von Wolfgang Bar-
tuschat. Harnburg 51978.
Spinoza: Opera. Im A~ftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschq{ten
herausgegeben von Carl Gebhardt. 4 Bde. Heide/berg o.].
Spinoza, Baruch de: Briefwechsel. Übersetzung und Anmerkungen von
Carl Gebhardt. Zweite, durch weitere Briefe ergänzte Auflage mit Einleitung
und Biographie von Manfred Walther. Harnburg 1977.
Spinoza, Benedict de: Die Ethik nach geometrischer Methode darge-
stellt. Übersetzt und herausgegeben von Otto Baensch. Einleitung von Rudo[(
Schottlaender. Nachdruck Harnburg 1976.
* Stanley, Thomas: Historia philosophiae, vitas opiniones, resqve gestas
et dicta philosophorvm sectae cvivsvis complexa . . . Ex Anglico
sermone in Latinum translata, emendata, & variis dissertationibus atque
obseruationibus passim aucta. Accessit vita autoris. Lipsiae 1711.
* Steuart, John: Untersuchung der Grundsätze der Staats-Wirthschaft, oder
Versuch über die Wissenschaft der innerlichen Politik in freyen Staaten. 2
Bde. Aus dem Englischen übersetzt. Hamburg 1769-1770.

!::. Tenneman, Wilhelm Gottlieb: Geschichte der Philosophie. 11 Bde. Leipzig


1798-1819.
Tennemann, Wilhelm Gottlieb: Grundriss der Geschichte der Philosophie
für den akademischen Unterricht. Vierte vermehrte und verbesserte Auflage
oder zweite Bearbeitung von Amadeus Wendt. Leipzig 1825.
Quellen zur Geschichte der Philosophie 429

Tertullian: Apologeticum. Verteidigung des Christentums. Lateinisch


und deutsch. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von C. Becker. München
2 1961.

* Tiedemann, Dieterich: Geist der spekulativen Philosophie. 6 Bde. Marburg


1791-1797. (Regel besaß die Bde 1-3.)

6 Wagner, Johann Jakob (Hrsg.): Journal für Wissenschaft und Kunst. Erstes
Heft. Leipzig 1805.
Wendt, Amadeus siehe Tennemann, Wilhelm Gottlieb.
Wolff, Christian: Der Anfangs-Gründe aller mathematischen Wissenschaften
anderer Theil ... Neue, verbesserte und vermehrte Auflage. Halle im Magde-
burgischen 1757. Nachdruck Hildesheim - New York 1973.
* Wolfius, Christianus: Eiementa matheseos universae. 5 Bde. Halae Magde-
burgicae 1713-1741. Nachdruck Hildesheim-New York 1968-1971. (Regel
besaß die Ausgabe 1730-1738.)
* W olfius, Christianus: Psychologia rationalis methodo scientifica pertractata.
Editio nova priori emendatior. Francofurti & Lipsiae 1740. Nachdruck Bildes-
heim- New York 1972.
W olfius, Christianus: Theologia naturalis methodo scientifica pertractata.
Pars prior, integrum systema complectens qua existentia et attributa Dei a poste-
riori demonstrantur. Editio nova priori emendatior. Francofurti & Lipsiae 1739.
Pars posterior, qua existentia et attributa Dei ex notionis entis perfectissimi et
naturae animae demonstrantur ... Editio secunda priori emendatior. Francofurti
& Lipsiae 1741. Nachdruck Hildesheim- New York 1978-1981.
W olff, Christian: Vemünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele
des Menschen, auch allen Dingen überhaupt. Neue Auflage hin und wieder
vermehret. Halle im Magdeburgischen 1751. Nachdruck Hildesheim - New
York 1983.
Wolff, Christian: Gesammelte Werke. Neu herausgegeben und bearbeitet
von Jean Ecole,]. E. Hofmann, M. Thomann, H. W. Arndt, Ch. A. Corr.
Hildesheim - New York.
PERSONENVERZEICHNIS

Das Register gilt nur für historische Personen. Formen wie z. B. Kantisch, Spino-
zismus usw. sind bei den betreffenden Namen (Kant, Spinoza usw.) mitvermerkt.
In der Bibel vorkommende Personen seit der Zeit Abrahams werden hier aufgeführt
(z. B. Hiob), da sie analog historischen Personen handeln. Ein weitergehendes
Urteil über die Historizität ist damit nicht beabsichtigt. Nicht aufgenommen sind
die Namen von Herausgebern, Übersetzern oder der Verfasser von Vorlesungsnach-
schrifien. Nicht berücksichtigt sind ferner Personennamen, die in den Titeln der
zitierten Literatur enthalten sind (z. B. Spinoza in Jacobi: Ueber die Lehre des
Spinoza .. .). Die von Hege/ selbst bzw. in der zitierten Literatur gelegentlich
nicht oder nur als Initiale mitgeteilten Vornamen konnten hier nur zum Teil nach-
gewiesen werden. Recte gesetzte Zahlen beziehen sich auf den Textteil der Aus-
gabe, kursiv gesetzte auf die Anmerkungen der Herausgeber, und zwar sowohl
auf den Text der Herausgeber als auf die dort zitierten Quellen.
Aaron 56, 250 Aristoteles 17f, 32, 37-40, 56, 77,
Abälard 33, 36, 40, 218, 223 160, 208, 213, 221f, 224, 228-232,
Abimelech 56, 250 237-239, 243, 247, 249f, 255, 258,
Achillinus, Alexander 229f 267f, 288, 353, 376, 386, 390, 396,
Agrippa von Nettesheim 249 403
Ahab 77,261 Aristarch von Samos 341
Alain de Lilie 203 Arius 205
Albertus Magnus 39f, 222-224, 228 Athanasius 205
Alexander der Große 206 Augustin 32, 36, 115,201,203,213,
Alexander von Alexandrien 205 230, 257, 328, 331, 341
Alexander von Aphrodisias 230 Averroes 208, 224, 228-230, 247,
Alfäräbi 208 255f
Al-kindi 208 Avicenna 208
Alstedt, Johann Heinrich 249
Amalrich von Bene 221f Baader, Franz von 273
Anaxagoras 259 Bacon, Francis 72, 74-76, 78, 146,
Andronicus der Jüngere, Kai- 220, 259-272, 289, 379
ser von Byzanz 228f Baillet, Adrien 289f
Anselm von Canterbury 33, 35f, Bäjesid I., Sultan 228
96, 214-217 Barlaam 229
Arehirnedes 301 Basilides 204j
432 Anhang

Basilius von Cäsarea 201, 229 Brutus, Marcus Iunius 249


Baumeister, Friedrich Christian Buhle, Johann Gottlieb 52, 206,
368J 208, 221, 229-240, 242J, 245, 249-
Baumgarten, Alexander Gottlieb 260, 289f, 301, 327, 333, 346f,
388,397 368-371, 375J, 379, 385
Bayerland, Abraham Wilhelmson Buridan, Johannes 224
von 274 Burke, Edmund 376
Bayle, Pierre 130, 228, 230, 350J, 359
Beattie, James 145, 376-378 Caecina 40, 223
Benedict XIV., Papst 229 Cäsalpinus, Andreas 229
Bering, Johannes 217 Caesar, Gaius Iulius 249, 264
Bessarion, Johannes 49, 231 Calvin, Johann 237
Beza, Theodor 237 Campanella, Thomas 51, 236J, 249
Bierling, Friedrich Wilhelm 364 Canning, George 128, 347
Bilfinger, Georg Bemhard 371 Cantor, Moritz 235
Blyenbergh, Willern van 319 Cardanus, Hieronymus 50, 59,
Boccaccio, Giovanni 229 234-236, 255f
Bodin, Jean 259 Cassiodorus, Flavius Magnus Aure-
Böhme, Jakob 72, 78, 80, 82, 84- lius 32, 213
87, 259f, 273-289, 372 Charron, Pierre 60, 259
Boethius, Anicius Manlius Severi- Chenu, M. D. 203
nus 32, 213 Cherbury, Herbert von 323
Boineburg, Johann Christian von Christina, Königin von Schweden
129,348/ 91, 123
Boineburg, Philipp Wilhelm von Chrysoloras, Manuel 48, 228
129,348 Cicero, Marcus Tullius 40, 56, 75,
Bosses, Bartholomäus des 360 145, 223, 234, 250, 261, 376
Bossuet, Jacques Benigne 226 Clarke, Samuel 144, 355, 375
Boulainvilliers, Henri de, Graf von Colerus, Johannes 308, 311
Saint-Saire 308 Condillac, Etienne Bonnot de 378
Boulaye, C. D. du (Bulaeus) 213f, Coun;;on, Robert von 221
221f, 224, 226 Cousin, Victor 101, 304
Bourget, Louis 365 Cramer, Johann Andreas 226
Bouterwek, Friedrich 160, 365 Cudworth, Ralph 144, 375
Boyle, Robert 301
Brucker,Jakob 200,212/,215,218- Damascius 200
224, 227, 230-234, 236f, 240, 246, Damian Hartard von der Leyen,
249, 255J, 260, 289J, 347 Kurfürst von Mainz 349
Bruno, Giordano 51f, 54, 56-59, David von Dinant 22~{
61, 110f,237-245, 249-254,322 Demokrit 232, 237
Personenverzeichnis 433

Descartes, Rene 35, 72, 87-98, Friedrich I., Landgraf von Hessen-
100-102, 104, 108, 113, 116f, 119f, Kassel 369
131, 136, 156, 188, 216, 259_{, 288- Friedrich II., König von Preußen
308, 318_{, 327_{, 333, 335, 354_{, 138
366, 368, 372_{, 392 Friedrich II. von Staufen, Kaiser
Destutt de Tracy, Antoine Louis 38,221
Claude 378 Friedrich III. von Habsburg, Kai-
Diogenes Laertius 231 ser 233
Dionysius Areopagita 32, 39, 213_{, Friedrich V., Kurfürst von der
222 Pfalz 91
Dscheläl ed-Din Rümi 212 Friedrich Wilhelm, Kurfürst von
Brandenburg 333
Eadmer 214f Friedrich Wilhelm I., König von
Eberhard, Johann August 203 Preußen 137f
Eduard VI., König von Eng- Fries, Jakob Friedrich 160, 173,
land 235 395, 405
Epikur 40, 222, 232, 256, 306 Francanus 255
Erasmus von Rotterdam 227 Frankenberg, Abraham von
Ernst August von Braunschweig, 273f
Kurfürst von Hannover 129
Eschenmayer, Adam Karl Au- Galen 272
gust 412 Galilei, Galileo 125, 341
Esther 261 Gans, Eduard 262
Eugen, Prinz von Savoyen 129f, Garve, Christian 144, 375_{, 385
349f Gassendi, Pierre 40, 49, 94, 125,
Euklid 234, 323 223, 232, 342
Gaunilo 35, 217
Fabritius, J. Ludwig 308 Geiler von Kaisersberg 203
Feder, Johann Georg Heinrich 348, Gellert, Christian Fürchtegott 202
385 Gerard, Alexander 376
Ferguson, Adam 145, 375J Gerson, Johannes (Jean Char-
Ferro, Scipione del 235 lier) 45, 227
Fichte, Johann Gottlieb 72, 90, 93, Ghert, Pierre Gabriel van 273
148, 156-161, 165, 169, 179-181, Gottfried von Bouillon 213
184, 292, 393-395, 401_{, 405, 407- Gottsched, Johann Christoph 368-
409 370
Forge, Louis de la 328 Gregor IX., Papst 39, 222
Francke, August Hermann 369 Gregor von Nazianz 201
Friedrich I., König von Preußen Grgor von Nyssa 201
129 Gregor von Rimini 224
434 Anhang

Grotius, Hugo 123, 127, 339, 341, James 1., König von England und
346 Schottland 74, 261
Gualterus 219 Jerusalem, Johann Wilhelm Fried-
rich 374
Harvey, William 125, 342 Jesabel 261
Heeren, Amold Herrmann Ludwig Jelles, Jarig 311
221 Jesus Christus 13-16, 22, 43, 67,
Heinrich von Gent 220 80, 200J, 204f, 215, 226, 228, 233,
Heinrich Julius, Herzog von Braun- 288, 372-374
schweig-Wolfenbüttel 238 Joachim von Fiore 213
Heloise 218 Johannes XXII., Papst 224
Hennequinus, loannes 239 Johannes Duns Scotus 37f, 219f
Heraklit 57, 253 Johannes Palaeologus, Kaiser von
Hesiod 40, 223 Byzanz 228
Hippokrates 366 Johannes Philoponos 206
Hjort, Peder 32, 214 Johannes Scotus Eriugena 32, 213f
Hobbes, Thomas 124, 126, 220, Johannes von Salisbury 223
341-345 Joseph ben Jehuda 208
Hochstratus, lacobus 233 Jourdain, Amable 208
d'Holbach, Paul Henri Thiry 144, Judith 261
373-375 Julian von Toledo 43, 225J
Horne, Henry 376 Julius, Herzog von Braunschweig-
Homer 229 W olfenbüttel 238
Hertford, Graf 379 Justinian, Kaiser von Byzanz 200
Hierokles 409
Horn, Georg 289 Kant, Immanuel 34f, 52, 72, 78,
Hume, David 146f, 149f, 378-386, 90, 93, 146, 148-157, 160, 162-
407 165, 167-172, 176, 178, 181f, 186,
Huygens, Christiaan 129, 349 203, 215-217, 260, 292, 371, 378,
380J, 384-392, 396J, 400-407, 412f
Innocenz VIII., Papst 238 Kar! VII. Albrecht, Kaiser 370
Irenäus von Lyon 205 Kar! der Kahle, Kaiser 32
Isaak 40, 223 Kar! Ludwig, Kurfürst von der
Isidor von Gaza 200 Pfalz 103, 308
Katharina 1., Zarin 370
Jachja Ibn Adi 206 Kepler, Johannes 125, 342
Jacobi, Friedrich Heinrich 52, 148, Köppen, Friedrich 398, 405J
164f, 167,172-174,178,185,240- Kolumbus, Christoph 176
245, 296, 312, 322, 350, 37?{, 398- Kopemikus, Nikolaus 125, 341
400, 405-407, 414 Krösus 202
Personenverzeichnis 435

Krug, Wilhelm Traugott 160, 393, Maria, Prinzessin von England 333
395 Marinus von Sichern 200, 239
Marsilius Ficinus 49, 224, 230-232
Launoy, J. (Launoius) 222 Maupertuis, Pierre Louis Moreau
Leibniz, Gottfried Wilhelm 49, 72, de 385
89f, 105, 116, 128-136, 138, 152, Mauritius Hispanus (= Aver-
205, 298, 304, 312, 323, 347-368, roes?) 221
371J, 389 Maximilian I., Kaiser 233
Leo X., Papst 230 Maximilian III. Joseph, Kurfürst von
Leontius Pilatus 229 Bayern 138, 370
Lessing, Gotthold Ephraim 165, Medici, Cosimo der Alte, dc 231j
203, 205J, 310, 398, 407 Medici, Lorcnzo I., il Magnifico,
Lipsius, Justus 49, 232, 234, 259 de 231
Loans, Jakob Jehiel 233 Melanchthon, Philipp 233
Locke, John 72, 90, 116-120, 122, Mendelssohn, Moses 149, 165, 385,
130, 146, 260, 269, 298, 301, 304, 400
332-339, 346, 350, 379 Mersenne, Marin 342
Long, Charles 347 Meyer, Ludwig 103, 311, 313
Lothar Friedrich von Metternich, Michael Balbus, Kaiser von By-
Kurfürst von Mainz 349 zanz 32, 213f
Lucianus 348 Michael Scotus 221
Ludewig 370 Mirandola, Johann Pranz von 232
Ludwig XI., König von Frank- Mirandola, Johann Picus von 49,
reich 224 51, 232, 238J
Ludwig XIV., König von Frank- Montaigne, Michel de 60, 259
reich 348 Moses Maimonides 17f, 20, 206-
Ludwig der Bayer, Kaiser 224 209, 211f
Ludwig I. der Fromme, Kaiser 32, Mosheim, Johann Lorenz 205, 375
213 Murr, Christoph Theophil von 323
Lullus, Raimundus 52, 54-56, 110, Musäus, Johann 311
228, 239, 245-251, 322
Luther, Martin 11, 27, 64 Neander, August 204
Nero 320
Machiavelli, Niccolo 60, 259 Newton, Isaac 127, 129, 260, 304,
Maimon, Salomon 323 346, 349
Malebranche, Nicolas 72, 90, 97, Nicolai, Friedrich 165
113, 115f, 298, 304, 307, 327-332, Nikolaus von Kues 245
354,372 Nizolius, Marius 234
Mareion 205 Novalis (Friedrich von Harden-
Maria, die Mutter Jesu 226, 372 berg) 273
436 Anhang

Oetinger, Friedrich Christoph 273 Reimarus, Elisc 398


Oken, Lorenz 414 Reimarus, Hermann Samuel 310,
Oswald, James 377/ 374
Reinhold, Kar! Lconhard 406
Parmenides 232 Remond, Nicolas 358
Paschasius Radbertus 226 Reuchlin, Johannes (Capnio) 49,
Paulus, der Apostel Jesu 179, 200, 232-234
257, 407 Richter, Gregor 274
Pelagius 203 Rixncr, Thaddä Anselm 200, 208,
Peter der Große, Zar 369 215, 218-221, 224, 226, 228, 231],
Petrarca, Francesco 48, 229 234, 236, 245-247, 249, 255], 261,
Petrus Lombardus 36f, 43, 218- 278, 307, 346, 375-379
220,226 Robinet, Jean-Baptiste 323, 407
Pfefferkorn, Johannes 233/ Roseeilirr von Compiegne 40,
Phalaris 348 223-225
Philagrios der Grammatiker 409 Rousseau, Jean-Jacques 144, 373f
Philipp IV., der Schöne, König von Rückert, Friedrich 212
Frankreich 224
Philo von Alexandrien (Philo Ju- Saint-Martin, Louis Claude, Mar-
daeus) 212, 283 quis de 273
Philolaos 341 Salomo 44, 77, 223, 227, 261/
Plato 22, 35, 40f, 49, 119, 162, Sancrucius (Sancrusius) 220
201], 217, 223, 229, 231], 239, 253, Scaliger, Julius Cäsar 229
256, 260, 267J, 333, 396 Schelling, Friedrich Wilhelm Jo-
Plethon, Georgios Gemistos 231/ seph 72, 90, 148, 160, 179-182,
Plotirr 3, 16, 204, 230J, 243, 252, 184-188, 201, 260, 318, 392, 395,
277, 283, 353 406-409, 411-414
Pomponazzi, Pietro 48, 228-230, Schlegel, Friedrich 202, 273, 406
255-257, 259 Schleiermacher, Friedrich Daniel
Porphyrius 32, 213 Ernst 324, 369, 405
Porter, James 376 Schmidt, Johann Lorenz 310
Proclus Diadochus 1, 3, 58, 200, Schönborn, Johann Philipp von,
239, 252-254, 277, 288, 390 Kurfürst von Mainz 129, 348/
Pufendorf, Samuel 127, 346 Schulze, Gottlob Ernst (Aencside-
Pythagoras 40, 223, 232, 341, 356, mus) 160, 395
363, 390 Scioppius 238
Sernler, Johann Salomo 310
Raimund von Sabunde 45, 227/ Shaftcsbury, Anthony Ashlcy-Coo-
Ramus, Petrus 139 pcr, Earl of 117, 333
Reid, Thomas 145, 376-378 Siger von Brabant 228
Personenverzeichnis 437

Simplicius 200 Thomasius, Christian 138, 371


Smith, Adam 127, 347, 376 Thomasius, Jakob 348
Sokrates 16, 40, 75, 205, 223, 260f, Thucydides 348
374 Tilly, Johann Tserclaes von 91
Sophie von der Pfalz, Kurfürstin Timaios Lokros 231
von Hannover 132, 356 Tiedemann, Dietrich 214f, 219,
Sophie Charlotte, Königin von 222-224, 228, 233f, 240, 347, 370,
Preußen 129f, 350 378
Sozzini, Franeo 205 Töllner, Johann Gottlieb 203
Sozzini, Lelio 205 Tschirnhaus, Ehrenfried Walther
Spalding, Johann Joachim 203, 374 von 138,371
Speusippus 40, 223
Spinoza, Benedict (Baruch) de 19, Valentinus 205
52, 72, 89f, 98f, 101-105, 107, Vane, Walter 333
109-113, 115-117, 130, 144, 165, Vanini, Lucilio (Julius Caesar) 51,
185, 212, 240-242, 260, 290f, 298- 58-61, 130, 228, 255-259, 350
300, 304, 306-327, 331f, 351f, 398, Voltaire (Franr,:ois-Marie Arouet)
403, 412 144, 374
St. Clair, General 379
Stäudlin, Carl Fridrich 220 Wagner, Johann Jakob 249
Stanley, Thomas 88 Walter, Balthasar 274
Steinhart, Gotthilf Samuel 385 W endt, Amadeus 200, 363, 376
Steuart, John 347 Wessel, Johann 233
Stewart, Dugald 146, 269, 377f Wette, Wilhelm Martin Leberecht
de 405
Tartaglia, Niccolo 235 Wilhelm von Champeaux 223
Telesio, Bernardino 255 Wilhelm von Ockham 4~2, 224f
Tennemann, Wilhelm Gott- Wilhelm III. von Oranien 117, 333
lieb 206, 208J, 212-233, 237-244, Wissowatius, Andreas 205
246-248, 260, 269, 273, 289J, 321, Wolff, Christian 72, 90, 101, 136-
326, 347, 375f, 378f 139, 149, 164, 306, 322f, 368-372,
Tertullian (Quintus Septimius Flo- 378, 397
rens Tertullianus) 6, 201-203, Wollaston, William 144, 375
205 Wuttke, Heinrich 368J, 371
Teutonicus, Johannes 274
Thales 1, 202 Xenophanes 259
Thomas von Aquin 37, 39, 41,
219f, 222, 224, 228, 230, 353 Zeno 256
Thomas von Straßburg 226 Zinara, Antonius 229
G.W.F. HEGEL
GESAMMELTE WERKE
In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft
hrsg. v. d. Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften
Band 1: Frühe Schriften, Teil1
Herausgegeben von F. Nicolin und G. Schüler
Band 3 : Exzerpte 1785-1800
Herausgegeben von F. Nicolin und G. Schüler
Band 4: Jenaer kritische Schriften
Herausgf -~" H. Buchner und 0. Pöggeler. 1968
Band 5: Schrifter '' ...,0 Q-1808)
Unter ~ . ----, --".~geben von
M.Ba1
Band 6: Jenaer Ir \.
Hera1 I. 1mmerle. 1975
Band 7: Jenaf
Her· und J. H. Trede.
197
Band 8: Jer.~
Herausgegell\.,._ unter Mitarbeit von
J. H. Trede. 1976
Band 9: Phänomenologie des Geistes
Herausgegeben von W. Bonsiepen und R. Heede. 1980
Band 11 : Wissenschaft der Logik
Erster Band. Die objektive Logik (1812/1813)
Herausgegeben von F. Hogemann und W. Jaeschke. 1978
Band 12: Wissenschaft der Logik
Zweiter Band. Die subjektive Logik (1816)
Herausgegeben von F. Hogemann und W. Jaeschke. 1981
Band 15: Schriften und Entwürfe (1817-1825)
Herausgegeben von F. Hogemann und C. Jamme
Band 17: Vorlesungsmanuskripte I (1811-1831) / '
Herausgegeben von W. Jaeschke. 1986
Band 19: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1827)
Herausgegeben von W. Bonsiepen und H.-Ch. Lucas
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Erster Teil, erster Band. Die Lehre vom Sein (1832)
Herausgegeben von F. Hogemann und W. Jaeschke. 19~ S"

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Hegels Vorlesungen haben die unmittelbare Aufnahme und die
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Druckschriften. Die konkrete Umsetzung bzw. Ausführung wichti-
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3: Teil 1. Einleitung. - Der Begriff der Religion. 1983
4a/b: Teil 2. Die bestimmte Religion. 2 Bde. 1985
5: Teil3. Die vollendete Religion. 1984
Bände 6-9: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie
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6: Teill. Einleitung.- Orientalische Philosophie, t1~ 'lo
7: Teil2. Griechische Philosophie I~Thales bis Kyniker
8: Teil 3. Griechische Philosophie II(Plato bis Proklos .!J~q 0
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Band 10: Vorlesungen über die Logik (1831)
Nachschrift von Karl Hegel. Herausgegeben von H.-
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