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Hotline im Krisen- und Katastrophenfall:

Psychosozialer Gesprächsleitfaden

Bild: s_l – Fotolia.com

Band 10

Praxis im Bevölkerungsschutz
Impressum

Hotline im Krisen- und Katastrophenfall: Psychosozialer Gesprächsleitfaden

Herausgeber
© Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)
Provinzialstraße 93, 53127 Bonn, Deutschland

Telefon: +49 (0)228 99 550 0


Telefax: +49 (0)228 99 550 1620

E-Mail: poststelle@bbk.bund.de
URL: www.bbk.bund.de

ISBN: 978-939347-49-1

Verfasst durch
Rike Richwin, Kommunikationswissenschaftlerin (Master of Arts)
Dr. Jutta Helmerichs, Diplom-Soziologin
Malte Kromm, Diplom-Pädagoge

Unter Mitwirkung von


Dr. Maria Bellinger, Sandra Bergmann, Verena Blank-Gorki, Dr. Burkhard Bläsi, Andreas Dannebaum,
Sibylle Dizinger, Dorota Dziwoki, Annika Fritsche, Kerstin Fröschke, Thorsten Güth, Tobias Hahn,
Volker Harks, Gerhard Häusler, Almut Henkelmann-Siaw, Andreas Igl, Sybille Jatzko, Thomas Knoch,
Renate Kottke, Carlo Laeri, Mark Overhagen, Tomasz Niewodowski, Frank Reimann, Thomas Roosen,
Claudia Schedlich, Michael Steil, Marc Stein, Jürgen Wiesbeck, Nathalie Wollmann

Lektorat
Thomas Knoch, BBK

Urheberrechte
Der vorliegende Band stellt die Meinung der Autoren dar und spiegelt nicht grundsätzlich die Meinung des
Herausgebers. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von
­Teilen dieses Werkes ist nur in den Grenzen des geltenden Urheberrechtsgesetzes erlaubt.

Zitate sind bei vollständigem Quellenverweis jedoch ausdrücklich erwünscht.

Grafische Gestaltung
Heike Bauer Grafik & DTP, www.bauer-dtp.de

Druck
Druckerei Engelhardt, Eisenerzstraße 26, 53819 Neunkirchen

Stand/Auflage
Unveränderter Nachdruck der Ausgabe 02.2013/10.000
unmittelbar Betroffenen, von Überlebenden, Angehöri-
gen, Hinterbliebenen und Vermissenden, gibt es noch
keine aussagekräftige Übersicht. Hier setzt der vorlie-
gende Leitfaden an. Vorgestellt werden psychosoziale
Maßnahmen für den Umgang mit belasteten Personen,
außerdem Strategien, um die Arbeitsfähigkeit der Hotli-
ner zu erhalten. Qualifizierte Hotlinearbeit ist deshalb
Christoph Unger Bevölkerungsschutz und Fürsorge für das haupt- und
Präsident ehrenamtlich tätige Personal an der Krisenhotline.
Bundesamt für
­Bevölkerungsschutz Ausgangspunkt des Leitfadens ist die mittlerweile zehn-
und ­Katastrophenhilfe jährige Tätigkeit der Koordinierungsstelle Nachsorge,
Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) des Bundesamtes
für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK),
Liebe Leserinnen und Leser, die Unterstützung für Deutsche, die im Ausland durch
Terroranschläge und schwere Unglücksfälle zu Schaden
bei komplexen Gefahren- und Schadenslagen ist das kommen, bietet. Durch ihren Kontakt zu Betroffenen
Informationsbedürfnis der Bevölkerung und der unmit- bei rund 20 Einsätzen jährlich konnten umfassende
telbar Betroffenen hoch. Im Fall von Krisen wie bei- Erfahrungen gesammelt werden, die seit einigen Jahren
spielsweise Hochwassergefahren, breitflächigem Strom- als Hotline-Seminare an der Akademie für Krisenmana-
ausfall oder Gesundheitsgefahren durch unbekannte gement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) des
Erreger, versuchen die zuständigen Behörden deshalb BBK weitergegeben werden. Ein weiteres Fundament
binnen kurzer Zeit aktuelle und zutreffende Informatio- bilden die Erfahrungsauswertungen zum Einsatz von
nen an eine Vielzahl von Bürgern zu vermitteln. Bei Krisenhotlines in Reallagen der jüngsten Vergangenheit
schweren Unglücksfällen mit zahlreichen Verletzten, und in Übungen sowie Erkenntnisse wissenschaftlicher 1
Toten und Vermissten bemühen sie sich zudem, die Evaluationen zur Hotline, die das BBK in Auftrag gab.
unmittelbar Betroffenen rasch und seriös zu informieren
und Unterstützungsangebote bereitzustellen. Mein besonderer Dank gilt den zahlreichen Autoren, die
mit fachkundigen Berichten aus der Praxis und fundier-
Ein wichtiges Instrument bei all diesen Krisenmanage- ten Konzepten wesentlich zum Gelingen dieses Bandes
mentaufgaben ist die Hotline. Deren Bezeichnung kann beigetragen haben. Ein besonderer Dank gilt den betrof-
unterschiedlich sein, gängig sind Personenauskunfts- fenen Bundesbürgern vergangener Unglücke wie des
stelle oder Bürgertelefon, Krisenhotline oder auch Son- Flugschauunglücks in Ramstein (1988), des Absturzes
derrufnummer. Auch die Trägerschaft ist vielfältig, sie der Birgen Air Maschine in der Dominikanischen Repu-
kann in den Händen der Polizei, von Hilfsorganisatio- blik (1996) und der Concorde in Paris (2000) sowie der
nen, Kommunen, Bundes- oder Landesbehörden oder Terroranschläge in den USA (2001), in Bali (2002) und
privaten Unternehmen liegen. Jenseits der unterschied- Djerba (2002), die das BBK seit Einrichtung der Koordi-
lichen Terminologie und Trägerschaft gilt einheitlich, nierungsstelle NOAH kontinuierlich beraten und dazu
dass sich die zuständigen Organisationen bei der Ein- ihre persönlichen teilweise leidvollen Erfahrungen mit
richtung einer Krisenhotline schwerpunktmäßig mit den Krisenhotlines schilderten und wertvolle Hinweise
strukturellen und technischen Herausforderungen befas- für den angemessenen Umgang mit Betroffenen geben.
sen: Welche Räumlichkeiten stehen zur Verfügung? Wel-
che Hard- und Software ist geeignet? Auch die Einbin- Ich hoffe, dass Sie als Leser von dem vorliegenden Leit-
dung der Neuen Medien in die Krisenhotline wird faden profitieren werden und zahlreiche Hinweise und
zunehmend diskutiert. Schließlich wird auch die Frage Hilfestellungen erhalten können.
gestellt, wie das Hotlinepersonal geschult werden muss.
Bonn, im Februar 2013
Was bisher fehlt, ist eine intensive Beschäftigung mit
dem anrufenden Bürger, mit seinen Fragen und Anlie-
gen, aber auch mit seinen Reaktionen in einer belasten-
den Situation der Ungewissheit oder Sorge. Insbeson-
dere über die Bedürfnisse und Reaktionen der Christoph Unger
Inhalt
1 Vorwort
Christoph Unger

4 Einführung

I. Kapitel Wer weiß was? – Wer macht was?


Schnelle und qualifizierte Informationen – ein kostbares Gut

Hotlineerfahrungen – Bespiele aus der Hotlinepraxis


9 Hotlinepraxis im Vergleich –
Amoklauf Erfurt 2002 und Einsturz Eissporthalle Bad Reichenhall 2006
Andreas Igl

15 „Keine Hotline ohne genaue Bedarfsanalyse“


Interview mit Andreas Igl

22 Amoklauf Winnenden 2009: Krisenhotline der Schulpsychologie


Dr. Burkhard Bläsi

26 Massenpanik auf der Loveparade 2010: Betreuungshotline der Polizei Essen


Interview mit Thorsten Güth

31 www.hilfe-loveparade.de:
Hotline, E-Mail und facebook in der langfristigen Nachsorge
Interview mit Sybille Jatzko
2
39 Hilfe für Helfer per Telefon beim ICE-Unglück in Eschede 1998
Dr. Jutta Helmerichs

45 LÜKEX 2009/10: Bürgertelefone als Krisenhotline im Einsatz


Claudia Schedlich

Hotlineerfahrungen europäischer Nachbarn


53 Die Hotline ist mehr als nur ein heißer Draht – ein Bericht aus der Schweiz
Carlo Laeri

56 Erfahrungswerte der Katastrophenhotline in Luxemburg


Marc Stein

Hotlineangebote – bewährte Praxis und aktuelle Konzepte


59 GAST/EPIC: Eine gemeinsame Auskunftsstelle bei großen Schadenslagen
Gerhard Häusler

63 BEPAS: Personenauskunftsstelle der Berliner Polizei


Andreas Dannebaum

66 GSL.net: Ein IT-Programm zur gemeinsamen Nutzung für Personenauskunftsstellen,


­Rettungsdienst und Polizei
Thomas Roosen

71 Die Krisenhotline des Auswärtigen Amtes


Dr. Maria Bellinger und Almut Henkelmann-Siaw

74 Hotline der Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH)


im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Tobias Hahn, Kerstin Fröschke, Thomas Knoch, Annika Fritsche

81 Tsunami-Einsatz 2004/2005 der Koordinierungsstelle NOAH:


Ein wissenschaftlicher Blick auf die Arbeit einer Krisenhotline
Verena Blank-Gorki und Malte Kromm
88 Das Auskunftswesen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) bei nationalen
­Großschadenslagen und Katastrophen
Zusammenfassung von Rike Richwin

93 Neue Medien in der Krisenhotline – funktioniert das?


Rike Richwin

II. Kapitel Wer ruft an?


Die Anrufer: Typische Gruppen – typische Fragen
101 Anrufgruppen und häufige Anliegen
104 Bedürfnisse und Reaktionen Betroffener
108 Checkliste: Typische Fragen Betroffener

III. Kapitel Wer nimmt ab?


Die Hotliner: Strukturmodelle und Schulungskonzept
111 Anrufannahme: Zwei Aufbauorganisationen
114 Schulungskonzept
116 Checkliste: Schulungsmodule

IV. Kapitel Bin ich gut vorbereitet?


Psychosoziale Hilfe am Telefon: Basiswissen und Basisregeln
3
119 Die eigene Haltung – Voraussetzungen für ein hilfreiches Gespräch
121 Kommunikationsregeln – für die Hotlinepraxis genutzt
128 Techniken und Tipps zum Zuhören, Fragen und Formulieren
132 Der Erstkontakt mit Menschen in Extremsituationen – Was ist zu tun?
137 Umgang mit den Emotionen der Anrufer
139 Checkliste: Do’s and Don’t’s in der Hotlinearbeit

V. Kapitel Die Krisenhotline im Einsatz


Fundamente der Gesprächsführung an der Hotline
143 Zwei grundlegende Faktoren: Zeitliche Dimension und Anrufvolumen
144 Direkt vor dem Telefonat
144 Der Gesprächsanfang
146 Gesprächsverlauf – Gesprächssteuerung
147 Besondere Gesprächssituationen
152 Der Gesprächsabschluss
153 Checkliste: Der rote Faden für die Praxis – M-A-C-H-E-N

VI. Kapitel Stressmanagement der Hotliner


Umgang mit Belastungen und Stress an der Hotline
155 Belastungen und Stress
160 Strategien zur Stressbewältigung
165 Checkliste: Stressbewältigungs- und Stabilisierungsübungen

168 Literatur
172 Abbildungsverzeichnis
Bildnachweis
Einführung*

Hotline ist nicht gleich Hotline! gen der Anrufer werden sich inhaltlich nicht nur auf
den Verbleib und Zustand möglicher direkt Betroffe-
Keine Krise ist wie die andere – deshalb sind auch ner beziehen, sondern zum Beispiel auch dahinge-
die Maßnahmen, die zur Bewältigung der Krise hen, zu erfragen, inwieweit es Verhaltensregeln für
getroffen werden immer wieder anders. Trotz Lehrer und Schüler in einem solchen Fall gibt oder
bewährter und eingespielter Einsatzabläufe müssen wie sich die eigene Schule auf eine derartige Lage
die Maßnahmen immer wieder neu an die jeweilige vorbereiten kann.
Schadenslage angepasst werden, je nachdem, wel-
ches Ereignis überhaupt vorliegt, wie groß das Aus- Welchen Auftrag hat die Hotline?
maß ist, in welchem Gelände es sich ereignet hat etc.
Zusätzlich sind die zu treffenden Maßnahmen immer Der Auftrag, unter welchem die Hotline geschaltet
abhängig von den technischen und personellen Res- ist, kann äußerst unterschiedlich ausfallen. Eine wich-
sourcen. Auf den Punkt gebracht: Die erfolgreiche tige Aufgabe besteht häufig darin, dem Informations-
Bewältigung einer Krise erfordert eine hohe Flexibi- bedürfnis der Bevölkerung zu begegnen und der
lität auf konzeptioneller und operativer Ebene. durch die Schadenslage entstandenen Unsicherheit
Abhilfe zu verschaffen. Schon diese grundlegende
Gleiches gilt auch für die Einrichtung und Einbin- Aufgabe hat strukturelle Auswirkungen, da sie die
dung einer Krisenhotline. Zahlreiche Faktoren, wie Vernetzung mit verschiedenen informationsgeben-
ihr Auftrag, der Zeitpunkt der Einrichtung nach Ein- den Einheiten bedingt.
treffen der Krise, der Zeitraum der Unterhaltung der
4 Hotline, ihre organisatorische Anbindung, die räum- Neben der Informationssammlung und -weitergabe
lichen Gegebenheiten sowie technische und perso- kann es auch Aufgabe der Hotline sein, besorgten
nelle Ressourcen bedingen wesentliche inhaltliche Anrufern Trost zu spenden und Entlastung in ihrer
Unterschiede. schwierigen Situation des Wartens oder der Unge-
wissheit zu geben.
Welches Ereignis liegt vor?
Möglich ist auch die Einrichtung einer Hotline zur
Neben den allgemeinen Fragen Was ist passiert?, Wo Beantwortung spezieller Fragen, die im Zusammen-
hat sich das Unglück ereignet? Wie viele Personen hang mit dem Ereignis stehen und die sich zum Bei-
sind davon betroffen?, welche Auswirkungen auf das spiel durch die jeweilige Art und das Ausmaß oder
Anrufvolumen und den Inhalt der Anliegen haben die durch das Ereignis betroffene Personengruppe
werden, ist für die Hotline auch entscheidend, wel- ergeben können.
che Art von Ereignis vorliegt. Handelt es sich um den
Einsturz eines Gebäudes oder Ähnliches, kann davon Zusätzlich kann es auch Auftrag einer Hotline sein,
ausgegangen werden, dass die Anrufer vor allem aus polizeiliche Hinweisbearbeitung zu umfassen und
der betroffenen Region stammen und das Ereignis auf diesem Weg der Ermittlung von Straftaten dienen.
insgesamt weniger „hohe Wellen schlägt“. Handelt es
sich hingegen zum Beispiel um eine Amoklage an Wie ist die Hotline vorbereitet?
einer Schule, muss damit gerechnet werden, dass das
Ereignis nicht nur regional eine starke Angst und Von der Vorbereitung der Hotline wird abhängen,
Betroffenheit auslöst, sondern auch überregional der wie schnell die Hotline einsatzfähig ist, das heißt wie
Eindruck entsteht, dass ein solcher Vorfall sich auch schnell tatsächlich Anrufe entgegengenommen und
im eigenen Umfeld ereignen könnte. So kann das bearbeitet werden können. Bestehen zum Beispiel
Anrufvolumen entsprechend höher sein und die Fra- ein Konzept und ein Ablaufplan, können präparierte

* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten
für beide Geschlechter.
Qualifizierte Informationsvernetzung ist eine der großen Herausforderungen einer Krisenhotline. (Bild: RainerSturm / PIXELIO)

Räume mit der notwendigen technischen Ausstattung und verlässlich erscheinen, andererseits können aber 5
vorgehalten werden. Können die Mitarbeiter zeitnah auch Ängste geschürt werden: Vielleicht gebe ich
zum Hotline-Einsatzort gelangen, sind sie vertraut durch meine Anfrage Informationen über mich preis,
mit der Technik und den Abläufen und ist ein mögli- die mich belasten könnten?
cher Hotline-Einsatz vorab geübt worden, wird das
„Hochfahren“ der Hotline innerhalb kurzer Zeit mög- Liegt die Einrichtung und Unterhaltung der Hotline
lich sein. Entfallen diese Faktoren, wird es entspre- wiederum bei einer Hilfsorganisation, ist anzuneh-
chend mehr Zeit in Anspruch nehmen. Das Hochfah- men, dass die Anrufer aufgrund des samaritanen
ren wird jedoch auch davon abhängen, inwieweit die Images eine besondere Betreuung oder Fürsorge
Hotline in die Gesamteinsatzstruktur eingebunden ist erwarten.
und wie schnell ihre Kooperationspartner und Infor-
mationsgeber aufgestellt und handlungsfähig sind. Zu welchem Zeitpunkt wird die Hotline
­geschaltet?
Wer ist Träger der Hotline?
Vom Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Hotline wird
Wer Träger einer Hotline ist, wird Auswirkungen auf unter anderem abhängen, wie groß das Volumen der
die Anrufer, auf die eingesetzten Hotlinemitarbeiter Anrufe ist. Wird die Hotline bereits kurz nach Eintritt
und die Inhalte der Gespräche haben. Liegt die Trä- des Ereignisses geschaltet, zu einem Zeitpunkt, zu
gerschaft zum Beispiel bei einer Behörde kann neben dem die Informationslage noch unübersichtlich und
den Anfragen zu Informationen zur jeweiligen Lage uneindeutig ist, ist mit einer hohen Anzahl von Anru-
auch verstärkt mit Anrufen gerechnet werden, in fen zu rechnen, wiederum abhängig vom Ausmaß
denen nicht nur ereignisbezogen kommuniziert wird, der Lage. Sowohl die technischen und personellen
sondern die Hotline auch genutzt wird, um Grund- Ressourcen als auch die Dauer der Gespräche wer-
sätzliches anzumerken oder Kritik loszuwerden. den von diesem zeitlichen Faktor beeinflusst sein,
sodass viele Anfragen in kurzer Zeit bearbeitet wer-
Ist die Hotline zum Beispiel im polizeilichen Kontext den müssen. Entsprechend geringer kann, muss aber
geschaltet, kann dies einerseits den Effekt haben, nicht, das Anrufvolumen ausfallen, wenn die Hotline
dass die Hotline-Informationen als besonders sicher erst zu einem späteren Zeitpunkt geschaltet wird.
Ein weiterer Faktor ist die dynamische Entwicklung Die in diesem Leitfaden enthaltenen Ausführungen
der Anrufer. Anzunehmen ist dabei, dass gerade zu sind allgemein gehalten. Die einzelnen Hinweise
Beginn Angehörige und Bekannte derjenigen anru- werden daher nicht für alle Hotline-Typen Gültigkeit
fen, die aufgrund ihres Aufenthalts im Schadensge- besitzen und nicht für jede Hotline-Phase sinnvoll
biet betroffen sind oder dies zumindest sein könnten. und praktikabel sein. Zudem liegt der Schwerpunkt
Ist die Hotline auch längerfristig geschaltet – eventu- des Leitfadens auf psychosozialen Aspekten sowie
ell bis zu einer möglichen Gedenkfeier oder sogar der Gesprächsführung am Telefon. Offene Fragen,
dem Jahrestag des Unglücks, sind auch Anfragen die eine weiterführende intensive Auseinanderset-
direkt Betroffener, Rückkehrer (zum Beispiel bei zung bedingen, können hier nicht beantwortet, sol-
einem Unglück im Ausland) von Medienvertretern len aber zumindest genannt werden.
oder weiteren unmittelbar oder mittelbar Betroffenen
zu erwarten. Daran gebunden werden sich auch die Als eine große Anforderung an eine Hotline muss die
Inhalte der Anfragen verändern. Informationsverteilung gesehen werden: Wie muss
die Vernetzung der einzelnen Komponenten der Hot-
Wie wird die Hotline in der Öffentlichkeit publi- line gestaltet sein, um eine effektive und effiziente
ziert? Beantwortung der Anfragen zu gewährleisten? Struk-
turell gilt es zu bedenken, über welche Angebote die
Von der Bekanntgabe der Hotlinenummer an die Hotline überhaupt verfügen soll. Damit hängt zusam-
Öffentlichkeit wird abhängen – wie auch bei vielen men, welche Kooperationspartner involviert werden
bereits genannten Aspekten – wie hoch das Anrufvo- müssen und auf welche Weise dies geschieht.
lumen ausfällt. Wird die Nummer über überregionale
Medien verbreitet und zum Beispiel in hoch frequen- Eine weitere große Anforderung an eine Hotline ist,
tierten Nachrichtensendungen ausgestrahlt, wird sie alle Informationen, die zur Verfügung stehen an die
6 eine breite Öffentlichkeit erreichen, sodass ein gro- entsprechenden Stellen weiterzuvermitteln und d­ abei
ßes Anrufvolumen angenommen werden kann. die Übersicht zu erhalten: Nicht jede Information
Außerdem werden je nach Betitelung der Hotline die muss in jedem Hotline-Segment zur Verfügung ste-
Anrufgruppen und Inhalte der Anfragen abhängen, je hen. Außerdem kann sich die Informationslage wäh-
nachdem, ob sie zum Beispiel als allgemeine Infor- rend eines Unglücks minütlich ändern, sodass eine
mationshotline oder als Hotline für eine spezielle große Arbeitsleistung darin besteht, die aktuellen
Zielgruppe und spezielle Anfragen veröffentlicht Informationen an die entsprechenden Hot­ line-
wird. Segmente zu verteilen. Mit dieser Vermittlungsleis-
tung hängt ebenfalls die Frage nach der technischen
Ausstattung zusammen. Neben einer geeigneten
Gestaltung und Entwicklung einer Krisen­
Hardware muss ebenfalls eine Software zur Verfü-
hotline sind abhängig von:
gung stehen, die es ermöglicht, Informationen einzu-
speisen, an die entsprechenden Stellen zu verteilen
• Ereignisart und abzurufen.
• Auftrag
Für diese und weitere offene Fragen wären ein eige-
• Vorbereitung
ner Leitfaden und die Entwicklung von Konzepten
• Trägerschaft notwendig und sinnvoll.
• Zeitpunkt der Einrichtung und Betriebsdauer
Der vorliegende Leitfaden bietet eine umfassende
• Präsentation in der Öffentlichkeit
Orientierung zur Gesprächsführung an einer Krisen-
hotline, sowohl für erfahrene als auch für unerfah-
Die Einrichtung und Unterhaltung einer Krisenhot- rene Hotliner. Inhaltlich befasst sich der Leitfaden
line hängt demnach von verschiedenen Faktoren ab. zunächst mit Erfahrungen und Angeboten bereits
Wie die Krise selbst, wird auch jede Hotline individu- durchgeführter Krisenhotlines. Im darauffolgenden
ell gestaltet sein müssen, sie wird unterschiedliche Kapitel geht es um die Situation der Anrufer und den
Voraussetzungen haben und individuelle Anforde- Umgang mit Menschen, die unter dem Eindruck ext-
rungen an ihre Mitarbeiter stellen. remer Ereignisse stehen und dadurch bestimmte
Reaktionen zeigen können. Das anschließende Kapi-
tel widmet sich den Mitarbeitern einer Krisenhotline
und stellt zwei Aufbauorganisationen sowie ein mög-
liches Schulungskonzept vor. Weitere Kapitel befas-
sen sich mit der Vorbereitung einer Krisenhotline,
der eigenen Haltung am Telefon und mit Hinweisen
zum kommunikativen Umgang mit den Anrufern.
Ab­schließend werden Informationen zu Belastungen
und Stress und zum adäquaten Umgang damit gege-
ben. Sowohl die Bemerkungen zur Gesprächsfüh-
rung als auch die Hinweise zum Umgang mit Stress
und Belastungen sind mit zahlreichen konkreten Bei-
spielen und Anregungen versehen, sodass im prakti-
schen Hotline-Einsatz darauf zurückgegriffen werden
kann.

In diesem Sinne hoffen wir, Ihnen mit diesem psy-


chosozialen Gesprächsleitfaden für die Krisenhotline
praxisorientierte Hinweise mitgeben zu können, die
Sie auf Ihren Einsatz an der Hotline adäquat vor­
bereiten, Ihnen als Orientierung und Hilfestellung
dienen werden und Sie auch im Einsatz an der Kri-
senhotline unterstützen können.
7

Rike Richwin
Dr. Jutta Helmerichs
Bundesamt für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenhilfe (BBK),
Referat Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV)
8

I. Kapitel
Wer weiß was? – Wer macht was?
Schnelle und qualifizierte Informationen – ein kostbares Gut
Hotlineerfahrungen – Beispiele aus der Hotlinepraxis

Hotlinepraxis im Vergleich – Amoklauf Erfurt 2002 und


Einsturz Eissporthalle Bad Reichenhall 2006
Andreas Igl

Amoklauf in Erfurt

Der Amoklauf von Erfurt ereignete sich am Vormittag des 26. April 2002. Ein 19-jäh-
riger, ehemaliger Schüler des Gutenberg-Gymnasiums erschoss damals zwölf Lehrer,
eine Sekretärin, zwei Schüler und einen Polizisten. Danach suizidierte er sich selbst.
Folge des sogenannten Schoolshootings war eine Vielzahl belasteter und traumati-
sierter Menschen. Ein umfassendes psychosoziales Nachsorgeprogramm für direkt
Betroffene und Einsatzkräfte konnte viele bei der Verarbeitung unterstützen. Aber
auch heute, mehr als zehn Jahre nach der Tat, sind noch immer mehrere Personen
in psychotherapeutischer Behandlung. 9

Unmittelbar nach dem Amoklauf in Erfurt gab die tion Thüringen ein auf die Bedarfe in Erfurt zuge-
Polizei die Telefonnummer ihrer Bürgerhotline schnittenes Krisenhotlinesystem (24/7) innerhalb der
öffentlich bekannt. Rasch stieß man hier allerdings Polizeistruktur in Betrieb genommen und bundes-
an Kapazitätsgrenzen. Auch die vor Ort tätigen Kri- weit über die Medien beworben. Die polizeiliche
seninterventionsteams (KIT) machten auf einen Einsatzabschnittsstruktur wurde dazu erweitert. Im
wachsenden Informations- und Beratungsbedarf Einsatzabschnitt (EA) „Betreuung“ wurde neben den
unter direkt Betroffenen und Erfurter Bürgern auf- Untereinsatzabschnitten (UEA) „Angehörige“ und
merksam. Wenige Stunden nach dem Amoklauf „Einsatzkräfte“ der UEA „Hotline“ eingerichtet.
wurde daraufhin im Auftrag der Landepolizeidirek-

Ort des Amoklaufs 2002, das Erfurter Gutenberg-Gymnasium. (Bild: dpa)


Das Anforderungsprofil an die Erfurter Krisenhotline
war komplex. Es war notwendig, einen großen Infor-
mationsbedarf zu decken, aber auch ein Beratungs-
und Vermittlungsangebot (zum Beispiel bei schuli-
schen Fragen) zur Verfügung zu stellen. Anrufer
waren direkt Betroffene, Bürger und Einsatzkräfte
aus der Region Erfurt, aber auch aus ganz Deutsch-
land, vereinzelt sogar Menschen aus dem europäi-
schen Ausland sowie Medienvertreter und psycho­
soziale Fachleute.

Trauer und Erschütterung nach dem Amoklauf in Erfurt.


(Bild: dpa)

Die erste Ebene der Hotline wurde von einem Call-


center (nicht vor Ort) übernommen, das „vorgeschal-
tet“ war. Die Mitarbeiter waren zwar nicht explizit auf
den Umgang mit belasteten Anrufern nach einer
Amoklage geschult, wurden aber vorab gebriefed
10 und hatten zudem einen psychosozialen Experten als
ständigen Ansprechpartner (Coach) zur Verfügung.

Viele Schüler verschanzten sich in den Klassenzimmern. Der Einsatz in Erfurt zeigte im weiteren Verlauf aller-
(Bild: dpa) dings ein gravierendes Kommunikationsproblem,
was die Rahmenbedingungen der Hotline betraf.
Eine wichtige Entscheidung bei diesem umfassenden Nach zwei bis drei Tagen kam Unsicherheit auf, wie
Hotline-Modell in Erfurt war, dass eine Differenzie- lange die Hotline noch geschaltet bleiben würde. In
rung im Ablauf der Anrufbearbeitung vorgenommen Erfurt wurde über den weiteren Betrieb der Hotline
wurde: In einer ersten Ebene wurden die Gespräche sozusagen von einem auf den nächsten Tag entschie-
entgegengenommen, ähnlich wie in einer Leitstelle, den. Aus diesem Grund fragten Anrufer immer wie-
und die jeweiligen Anfragen und Bedarfe durch der, wie lange man noch anrufen könne. Durch eine
„Agenten“ ermittelt und „standardisierte Auskünfte“ transparente Kommunikation bei der Bekanntgabe
erteilt. Dies ermöglichte einerseits die gleichzeitige der Hotline (über die Medien) mit verlässlichen
Bearbeitung vieler Anrufe und entlastete andererseits Angaben hätte dies die Sicherheit bei den Betroffe-
die Mitarbeiter an der Anrufannahme, da ihre eigene nen deutlich erhöht und darüber hinaus die Zentrali-
Tätigkeit sowie der Auftrag „Weiterleitung an die ent- sierung der PSNV-Angebote ebenfalls erleichtert.
sprechende nächste Ebene“ klar formuliert war. Die
eigentliche psychosoziale Beratung und Vermittlung
fand, falls nötig, in der zweiten Ebene statt. Dort
standen zusätzliche Experten (Psychologen, Psycho-
traumatologen) zur Verfügung. Die Anfragen wurden
also erst einmal aufgenommen, dokumentiert und
dann an die jeweilige Stelle beziehungsweise einen
Berater weitergeleitet.
Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall

Der Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall ereignete sich am 2. Januar 2006.
Aufgrund hoher Schneelast war das Ende des Publikumsverkehrs für 16:00 Uhr
geplant. Die Schneelast und bauliche Mängel führten jedoch bereits kurz vorher, um
15:54 Uhr, zum Einsturz des Daches. Getötet wurden bei dem Unglück zwölf Kinder
und drei Erwachsene.Weitere 34 Personen wurden verletzt. Die Erklärung zum Kata-
strophenfall erfolgte um 16:35 Uhr und zu Spitzenzeiten waren zeitgleich mehr als
700 Einsatzkräfte vor Ort.

11

Rettungsmaßnahmen nach dem Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall. (Bild: dpa)

Auch in Bad Reichenhall regten die dort eingesetzten Bürgertelefons. Als Hotliner (Anrufannahme) kamen
KIT-Teams die Einrichtung einer Hotline an. Das örtliche KIT-Kräfte zum Einsatz.
zuständige Landratsamt gab daraufhin die Einrich-
tung einer Krisenhotline in Auftrag, die am Tag nach Die Schadenslage in Bad Reichenhall unterschied
dem Unglücksfall in Betrieb ging. Im Unterschied zu sich insofern von der Lage in Erfurt, als es sich beim
Erfurt wurde die Krisenhotline in Bad Reichenhall Einsturz der Eissporthalle um einen Großunfall und
insgesamt in kleinerem Rahmen realisiert. Hier war nicht um ein Gewaltereignis handelte. In und um Bad
kein Callcenter miteinbezogen. Die Hotline wurde in Reichenhall herrschte zwar große Betroffenheit, die
den Räumlichkeiten des Landratsamtes eingerichtet Dynamik in der Bevölkerung unterschied sich aller-
und nutzte die vorhandene Technik des dortigen dings deutlich von der in Erfurt. Nach dem Amoklauf
Gedenkstätte in Bad Reichenhall. Die Stelen erinnern an die 15 Personen, die beim Einsturz der Halle ums Leben kamen.
(Bild: BBK)

waren viele Menschen nicht nur völlig schockiert line-Fachleuten her. Infolge dessen wurde dann in
12 über die Auswirkungen des Ereignisses, sondern beiden Ereignisfällen innerhalb weniger Stunden ein
ebenfalls fassungslos, angesichts der Tatsache, dass Auftrag formuliert. Der Betrieb konnte 21 bezie-
so etwas überhaupt (in Deutschland) passieren kann. hungsweise 22 Stunden nach Ereignisbeginn aufge-
Ebenso waren viele Menschen in großer Sorge, ein nommen werden.
solches Ereignis (auch im Sinne einer Nachahmungs-
tat) könne sich jederzeit wieder ereignen. Eine weitere Gemeinsamkeit war die fehlende Vorbe-
reitung auf eine Krisenhotline, sowohl bezogen auf
Auch von der Anzahl der Betroffenen unterschieden die Aufbau- und Ablauforganisation, als auch auf die
sich beide Ereignisse. Waren in Erfurt alleine über 700 spezielle Qualifikation der Hotliner (Anrufannahme).
Personen während des Amoklaufes im Schulgebäude Die Einbindung der beiden Krisenhotlines in die
und größtenteils (zumindest „gefühlt“) in Lebensge- jeweiligen Strukturen des Einsatzes war allerdings
fahr, so waren in Bad Reichenhall „nur“ etwa 50 Per- unterschiedlich. In Erfurt war diese Teil der polizeili-
sonen unmittelbar mit der Dramatik und den Gefah- chen Struktur, in Bad Reichenhall wurde das Bürger-
ren des Einsturzes konfrontiert. telefon in eine Krisenhotline umfunktioniert, Träger
Dies bedeutete für die Hotline in Bad Reichenhall, im war hier das dortige Landratsamt.
Vergleich zu Erfurt, einen deutlich geringeren Bedarf
an Information und Informationsaufbereitung. Aus Auch die beiden Ereignisse unterschieden sich grund-
diesem Grund lag der Schwerpunkt hier klar auf dem legend: In Bad Reichenhall handelte es sich um einen
Beratungsangebot für direkt Betroffene und Ange­ Großunfall, in Erfurt um ein Gewaltereignis. Die Lage
hörige. Anrufer waren zunächst Angehörige Geschä- bei einer Gewalttat hat immer eine sehr viel stärkere
digter und Bürger, im weiteren Verlauf auch direkt und umfassendere Betroffenheit, Unsicherheit und
Betroffene. Angst zur Folge, da sie bei vielen Menschen das
Gefühl hinterlässt, dass sich ein solches Ereignis
Resümee grundsätzlich jederzeit wieder ereignen kann. Dies
schlug sich in Erfurt in vielfältiger Weise in den Hot-
Sowohl in Erfurt als auch in Bad Reichenhall wurde lineanfragen nieder und erklärt die, im Vergleich zu
die Krisenhotline durch vor Ort tätige KIT-Teams ini- Bad Reichenhall, hohen Anruferzahlen und den deut-
tiiert. Sie stellten – informell – den Kontakt zu Hot- lich höheren Gesamtbearbeitungsaufwand.
Auch die Gruppen der Anrufer wiesen Unterschiede Lagebild sollte unter anderem enthalten: Ereignisaus-
auf. Nachdem der Amoklauf in Erfurt „kollektive wirkungen, (zu erwartende) Dynamiken und Kom-
Betroffenheit und Angst“ ausgelöst hatte, gingen hier plikationen, Informationsbedarfe, Betroffenengrup-
Anrufe aus dem gesamten Bundesgebiet und teil- pen, (hochgerechnete) Personenzahlen, der für die
weise sogar aus dem benachbarten Ausland ein. PSNV beziehungsweise Hotline relevanten Zielgrup-
Neben direkt Betroffenen und deren Angehörigen pen sowie eine PSNV-Kräfteübersicht. Durch eine
meldeten sich ebenso Menschen, die auf irgendeine fachlich fundierte Einschätzung der jeweiligen Erfor-
Weise mit dem Kontext „Schule“ zu tun hatten oder dernisse und Bedürfnisse können so „inhaltliche
die bereits ähnliche (Gewalt-)Erfahrungen gemacht Schwerpunkte“ (zum Beispiel Gewichtung von Infor-
hatten und Beratung beziehungsweise Hilfe suchten. mations- und Beratungsbedarf), als auch die Dimen-
Außerdem gab es zahlreiche Medienanfragen, zum sionierung der Hotlinelösung (zum Beispiel techni-
Beispiel, wie man Kindern adäquat die psychischen sche und personelle Ausstattung) adäquat festgelegt
Auswirkungen auf die betroffenen Schüler erklären werden.
kann.
Auf Basis des PSNV-Lagebildes kann dann ein kon-
In Bad Reichenhall ergaben sich – ereignisbedingt – kreter „Hotline-Auftrag“ erteilt werden, aus dem die
andere Fragen: „Was hat man denn vor 20 Jahren für nötigen Anforderungen (zum Beispiel fachlich, orga-
Hallen gebaut, dass so etwas passieren kann?“, „Wer nistorisch, technisch) hervorgehen und entspre-
hat die Statik geprüft?“ oder „Ist die Halle in meiner chende Ressourcen beplant werden können. Dieser
Umgebung vielleicht auch nicht sicher?“. Die Anfra- Auftrag muss realisierbar und im Rahmen der beste-
gen drehten sich hier oftmals um rechtliche Aspekte henden Einsatz- beziehungsweise Krisenmanage-
und die Frage der Verantwortung. mentstrukturen umsetzbar sein. Für den Betrieb
braucht es eine funktionierende Vernetzung mit den
In beiden Ereignissen zeigte sich, wie wichtig es ist, Arbeits- und Entscheidungsgremien (zum Beispiel 13
eine „Sichtungsstelle“ für (PSNV-)Hilfsangebote ein- Einsatzstab, TEL, ÖEL, FügK, Verwaltungsstab) sowie
zurichten, die sichtet, ordnet und die (fachliche) Eig- klar beschriebene Aufgabenprofile für alle im Hot-
nung überprüft, sei es, dass Firmen mobile Toiletten line-Betrieb tätigen Funktionen (zum Beispiel
liefern wollen oder Psychologen ihre fachliche Unter- Anrufannahme, Sichtung, psychosoziale Beratung,
stützung anbieten. Gerade für eine adäquate Beurtei- Leitung Hotline, Leitung Technik). Dies erhöht die
lung der PSNV-Angebote sind entsprechende Quali- Arbeitseffizienz und beugt wirksam Belastungen
tätskriterien unverzichtbar. Solche Qualitätsstandards beziehungsweise Überlastungen vor, gerade in Situa-
und Leitlinien standen in beiden Ereignissen aller- tionen, in denen sich Menschen – bei nicht vorhan-
dings noch nicht, zumindest noch nicht in der Form, dener Struktur – um „alles“ kümmern (müssen) und
wie sie heute als Ergebnis der Konsensuskonferenz es sehr schwer fällt, sich abzugrenzen.
2010 vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe formuliert werden konnten, zur Eine zusätzliche Herausforderung im Realfall stellt
Verfügung. die Bewerbung der Hotline dar. Wird diese nicht
schnell und zielgerichtet „über alle Kanäle“ kommu-
Ebenso zeigte sich, dass es für alle Hotline-Verant- niziert, kann auch niemand dort anrufen. Unter
wortlichen eine große Entlastung darstellt, auf eine Umständen werden in der „heißen Phase“ eines
vom Ereignisort abgesetzte „Rückfallebene“ zurück- Ereignisses bereits andere Rufnummern beziehungs-
greifen zu können, die Unterstützung und Coaching weise Anlaufstellen kommuniziert. Die Erfahrungen
anbietet und von einem anderen Standort aus, ohne der letzten Jahre zeigen, dass es hier immer mehrerer
Chaos und ohne Hektik, die Abläufe beobachtet, Anläufe bedarf, um die Versorgung der relevanten
zuarbeitet und „mitdenkt“ – auch in Bezug darauf, Zielgruppen mit den entsprechenden Hotline-Infor-
dass zum Beispiel Ruhezeiten eingehalten werden. mationen sicherzustellen. Sollte dies zum Beispiel in
einer bundesweit ausgestrahlten, abendlichen Nach-
Für Großschadenslagen ist zudem die schnelle und richtensendung geschehen, kann man an der Hotline
qualifizierte Erstellung eines „PSNV-Lagebildes“ von mit einem sprunghaften Anstieg der Anrufe rechnen.
großer Bedeutung, das im weiteren Verlauf des Ein- Und das durchaus auch an einem Sonntag um
satzes kontinuierlich fortgeführt werden muss. D
­ ieses 22:30 Uhr…
Amoklauf Einsturz
Erfurt Eissporthalle Bad-Reichenhall

Alarmierung zunächst informell: KIT-Teams vor Ort zunächst informell: KIT-Teams vor Ort
und
dann formell: Landespolizeidirektion ­Thüringen dann formell: Landratsamt Berchtes­gadener
Beauftragung
Land

Einsatzbeginn 27.04.2002, 07.00 Uhr 03.01.2006, 14.00 Uhr


(21 Stunden nach Ereigniseintritt) (22 Stunden nach Ereigniseintritt)

Einsatzende 04.05.2002 08.01.2006

Auftrag • Betrieb eines Informations- und • Betrieb eines Beratungstelefons


­Beratungstelefons
• Beratung von Funktionsträgern und
• Beratung und Unterstützung von ­Führungskräften bzgl. PSNV-Bedarf
­Einsatzmitarbeitern (Entlastung, ­Supervision,
• Vorbereitung einer Koordinierungsstelle
Coaching,)
für mittel- und längerfristige ­psychosoziale
• strategische Beratung und ­Unter­stützung von Betreuung und psycho­therapeutische
mittel- und länger­fristigen PSNV-Maßnahmen ­Versorgung von ­Betroffenen und deren
­Angehörigen

Anzahl der 1. Ebene: „Anrufannahme“: 1. Ebene: „Anrufannahme“


„Hotliner“ Kernteam: 10 – 15 Callcenter-Agenten Kernteam: 2 Hotliner
Spitzenzeiten: 20 – 35 Callcenter-Agenten (KIT Teams BRK, MHD und Notfall­seelsorger)
2. Ebene „psychosoziale Beratung“: 2. Ebene „psychosoziale Beratung“:
14 Psychosoziale Fachleute und 6 Psychosoziale Fachleute und
14 ­Psychotherapeuten ­Psychotherapeuten
„Koordination und Backoffice“ „Koordination und Backoffice“
1 Leiter Hotline (vor Ort) 1 Leiter Hotline (vor Ort)
1 Psychosozialer Experte (vor Ort) 1 Psychosozialer Experte (vor Ort)
1 Koordinator/Coach (Rückfallebene) 1 Koordinator/Coach (Rückfallebene)
2-4 Verwaltungskräfte 1 Verwaltungskraft
2-5 Techniker (IT, Telefonanlage) 2 Techniker (IT, Telefonanlage)

Anzahl der ­Anrufe ca. 2000 ca. 400


(insgesamt) davon 189 psychosoziale Beratungen* davon 180 psychosoziale Beratungen*

Beratungs­- • Krisenintervention** • Krisenintervention**


schwerpunkte
• Notfallintervention bei akuter Suizidalität** • Psychosoziale Beratung**
• Psychosoziale Beratung** • Psychoedukation
• Psychoedukation • Beratung von Fachstellen und ­Beratern
• Beratung von Lehrern und Schul­ • Vermittlung an Beratungs- und ­Anlaufstellen
verantwortlichen vor Ort
• Beratung von Journalisten und Medien­
vertetern (Psychische ­Trauma­tisierung)

Dauer der 8 Tage (anschließend Weitergabe der 6 Tage (anschließend Koordination und
­Hotlineschaltung ­Hotlinenummer an das Sozialministerium ­Weiterführung der psychosozialen ­Beratung
als „Anlauf- und Koordinationsstelle zur für die nächsten Wochen und ­Mo­nate durch
­Nachsorge“) das Landratsamt/J­ugendamt)

* Weiterführende Telefonate beziehungsweise Rückrufe sind hier nicht enthalten.


** zum Teil sehr intensiv und zeitaufwendig (ein bis zwei Stunden)

Abb. 1: Daten zu den Hotlines in Erfurt und Bad Reichenhall.


„Keine Hotline ohne genaue Bedarfsanalyse“

Andreas Igl, Pädagoge und langjähriges Mitglied des Kriseninterventionsteams (KIT) München,
war zehn Jahre lang Geschäftsführer einer Beratungsfirma für Interdisziplinäres Notfallmanagement.
Vorbereitung und Betrieb von Krisenhotlines gehörten hier zu seinen Aufgaben. (Bild: Andreas Igl)

Der Notfallmanagement-Experte Andreas Igl Seiten in das Krisenkommunikationskonzept einzu-


über Aufbau und Komplexität der Krisenhotline beziehen. Gerade, wenn im Verlauf eines Ereignisses
mehr und mehr „gesicherte Informationen“ vorlie-
BBK: Herr Igl, Sie haben umfassende Erfahrung in gen, können diese sehr einfach und ressourcen­
Sachen Krisenhotline, haben entsprechende Kon- sparend über das Internet/das Web 2.0 kommuniziert
zepte entwickelt, vor allem aber in drei Reallagen werden.
eine Krisenhotline verantwortet. Bei den Amok-
läufen von Freising und Eching im Februar 2002 BBK: Mit welchen Informationsbedürfnissen der 15
und dem Amoklauf in Erfurt im April 2002 waren Anrufer ist nach Ihrer Erfahrung zu rechnen?
Sie mit Ihrem Team vom Landratsamt Freising
sowie der Landespolizeidirektion Thüringen, und Andreas Igl: Es geht bei einer Hotline um die Stabi-
beim Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichen- lisierung der Gesamtsituation und um effektives
hall 2006 vom Landratsamt Berchtesgadener Land Informationsmanagement. Damit verbunden ist
beauftragt, eine Krisenhotline einzurichten sowie immer die Frage, welche Informationen die Anrufer
mittel- und langfristige Psychosoziale Notfallver- benötigen und welche weiteren Informationen von
sorgung vorzubereiten. Wie ist Ihre Einschätzung anderen Stellen dafür eingeholt werden müssen. Die
als Experte? Zu welchem Ereignis sollte eine Kri- Anfragen können also – je nach Art des Ereignisses –
senhotline eingerichtet werden? sehr unterschiedlich sein. Geschädigte haben natur-
gemäß andere Fragen und Bedürfnisse als besorgte
Andreas Igl: Eine Krisenhotline sollte immer dann Anwohner bei einer Bombensprengung oder Ange-
eingerichtet werden, wenn viele Menschen in kurzer hörige, die einen nahestehenden Menschen vermis-
Zeit wichtige Informationen beziehungsweise eine sen beziehungsweise mit den Reaktionen eines akut
PSNV-Anlaufstelle brauchen und es keine Möglich- traumatisierten Menschen überfordert sind.
keit gibt, dies im direkten Kontakt mit den betroffe-
nen Personengruppen zu realisieren. Oder anders BBK: Wer sollte Träger einer Krisenhotline sein?
gesagt, in einer noch sehr instabilen Gesamtsituation
mit Verunsicherung, Belastungen, offenen Fragen, Andreas Igl: Die Hotline sollte bei der für das Krisen­
aufkommender Aggression, wird eine Art Notrufsäule management zuständigen Stelle angesiedelt sein,
benötigt. Hinter dieser Notrufsäule braucht es dann dort, wo auch die Gesamtverantwortung liegt. Je
eine entsprechende Struktur, die gewährleistet, dass nach Gefahren- oder Schadenslage kann sie sich in
die unterschiedlichen Anliegen und Fragen auf­ unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen befinden,
genommen, dokumentiert und adäquat bearbeitet zum Beispiel bei einer Hilfsorganisation, einer Kom-
werden können. Sehr wichtig ist in diesem Zusam- mune, einem Landratsamt, innerhalb der Polizei-
menhang aber auch, andere moderne Kommunika­ struktur oder einem Ministerium. Sie sollte niemals
tionsmittel, wie zum Beispiel Web- oder Facebook- ausschließlich dem PSNV-Verantwortungsbereich
beziehungsweise dem PSNV-Einsatzabschnitt zuge- Vermittlung der Anrufer an die zuständige Stelle
ordnet sein. Vielmehr ist eine Hotline immer ein Ins- beziehungsweise den zuständigen Ansprechpartner
trument des Gesamtkrisenmanagements zur Steue- und drittens die Beratung von Betroffene zu psycho-
rung der Kommunikation in der Schadenslage. sozialen und/oder lebenspraktischen Fragestellun-
gen in einer Ausnahmesituation.
BBK: Sollte die Krisenhotline von externen Spezi- Die Hauptaufgaben sind je nach Lage unterschiedlich
alisten, so wie Sie einer sind, aufgebaut und ver- zu akzentuieren. Hierbei darf die Hotline aber nicht
antwortet werden? Sollte es also eine Art Task isoliert stehen, sondern ist zentrales Kommunikati-
Force Krisenhotline geben, die im Einsatzfall alar- onsinstrument im Krisenmanagement der Schadens-
miert werden kann? lage.

Andreas Igl: Zunächst einmal wäre wichtig, eine


Hotline als selbstverständliches Instrument des Kri- Information
senmanagements in die Vorplanung von Großscha-
denslagen einzubeziehen. In einem ersten Schritt Hauptaufgaben
würde die Hotline im Ereignisfall dann von regiona- einer Vermittlung
len Kräften in Betrieb genommen und verantwortet. Krisenhotline
Sollten die lokalen Ressourcen lagebedingt nicht aus-
reichen beziehungsweise Spezialfragestellungen ent- Beratung
stehen, wäre es möglich – wie in anderen Arbeitsbe-
reichen auch – zum Beispiel auf die Medizinische
und Analytische Task Force und somit auf überregio- Abb. 2: Hauptaufgaben einer Krisenhotline: Information, Ver-
nale Spezialisten und technische Unterstützung mittlung, Beratung.
16 zurückzugreifen. Die Task Force sollte nur auf Anfor-
derung der örtlichen Kräfte und im Rahmen eines
Stufenplans mit vordefinierten Aufgaben tätig wer- BBK: Wie sollte sich die Einrichtung einer Krisen-
den. In der Außenwahrnehmung müssten in jedem hotline vollziehen?
Fall die Kräfte vor Ort „den Hut aufbehalten“. Die
Task Force würde somit im Hintergrund als Dienst- Andreas Igl: Bei der Einrichtung lassen sich grund-
leister fungieren. So könnte auch der Eindruck ver- sätzlich zwei Fälle unterscheiden: Fall a) ist der Kalt-
mieden werden, die regionalen Kräfte wären mit der start ohne Vorbereitung, Fall b) ist der Start mit Vor-
Situation überfordert. Dies ist meines Erachtens ein bereitung.
großes Problem in vielen Großschadenslagen. Denn Der Kaltstart ist derzeit bei schweren Unglücksfällen
hieraus resultierende Kompetenzstreitigkeiten und oder Großschadenslagen in Deutschland eher wahr-
Konflikte beeinflussen die Arbeitsqualität oftmals scheinlich, da konkrete Vorplanungen für eine Kri-
erheblich und führen bei allen Beteiligten zu zusätz- senhotline in der Gefahrenabwehr keineswegs selbst-
lichen Belastungen. verständlich sind. Die Startphase verläuft deshalb in
der Regel – vermutlich – eher chaotisch. Das Gelin-
BBK: Wie sollte der Auftrag für die Krisenhotline gen ist hier abhängig von vielen Zufällen, informel-
­lauten? len Kontakten und dem Engagement Einzelner. Das
Hochfahren einer vorgeplanten Hotline verläuft im
Andreas Igl: Im Schadensfall muss die erste Frage Idealfall so, dass die vorbereitete Struktur Schritt für
vor Inbetriebnahme einer Hotline lauten: Welche Schritt in Betrieb genommen wird. Generell gibt es
Bedürfnisse welcher Betroffenengruppen liegen vor? verschiedene Komponenten, die aktiviert werden
Erst dann kann die erforderliche Struktur aufgebaut müssen, zum Beispiel Technik, Personal, Arbeits-
und aktiviert werden. Der Auftrag für die Krisenhot- und Entscheidungsstrukturen. Parallel dazu müssen
line sollte also – im Sinne eines bedarfsorientierten ebenfalls Vorbereitungen getroffen werden, die Hot-
Ansatzes – dem entsprechen, was auch tatsächlich line in adäquater Form zu bewerben beziehungs-
gebraucht wird. Eine Hotline erfüllt grundsätzlich weise den entsprechenden Zielgruppen bekannt zu
immer drei Hauptaufgaben: Erstens die Aufbereitung machen. Allein dies stellt in der Regel eine große
und Kanalisierung von Informationen, zweitens die Herausforderung dar.
BBK: Wann sollte die Hotline erreichbar sein? ­ allcenter verfügt über professionelle Dokumenta-
C
tions- beziehungsweise Datenbanklösungen, und die
Andreas Igl: Gerade in sehr dynamischen Lagen dort arbeitenden Callcenter-Agenten sind auch
oder Situationen mit hohem Informationsbedarf ist es gewohnt, damit zu arbeiten. Allerdings muss hier
wichtig, dass die Hotline auch außerhalb der übli- bedacht werden, dass ein Callcenter und die dort täti-
chen Bürozeiten – idealerweise 24 Stunden – erreich- gen Agenten für den Einsatz bei schweren Unglücks-
bar ist. So können dringende Anliegen unmittelbar fällen und Großschadenslagen und die Arbeit mit
bearbeitet werden und die Erreichbarkeit der „Not- Menschen in Extremsituationen vorbereitet und
rufsäule Hotline“ erhöht gleichzeitig die Sicherheit in geschult sein müssen.
der Gesamtsituation. Nimmt der Bedarf mit der Zeit Hierzu zwei scheinbar banale Beispiele: Die gängige
ab, beziehungsweise übernehmen mehr und mehr und mit „überfreundlicher Stimme“ vorgetragene
Stellen vor Ort die Beratung und Hilfe für die Betrof- Begrüßungsformel „Guten Tag, mein Name ist XY,
fenen, kann der Erreichbarkeitszeitraum verringert was kann ich für Sie tun?“ wird von Betroffenen unter
werden. Umständen als der Situation unangemessen empfun-
den. Ebenso kann es sein, dass sich Anrufer über die
BBK: Welche Räumlichkeiten und welche techni- konventionelle, möglicherweise unpassende, Warte-
sche Ausstattung sollten für die Krisenhotline zur schleifenmusik beschweren.
Verfügung stehen?
BBK: Was sollte man als Mitarbeiter für den Ein-
Andreas Igl: Möglich sind hier mehrere Optionen: satz in der Krisenhotline mitbringen?
Man kann die Räumlichkeiten und die Ausstattung
eines Bürgertelefons – in der Andreas Igl: Als Hotliner in der
Regel sind dies Büroräume – nut- Anrufannahme ist es von Vorteil,
zen. Dabei muss jedoch bedacht „Der Weg der Zukunft wenn man gerne mit Menschen 17
werden, dass das Personal auch muss sein, im Vorfeld arbeitet und eine gewisse Kon-
auf die Arbeitsweise einer Krisen- Lösungen vorzubereiten. taktfähigkeit mitbringt. Zudem
hotline vorbereitet sein muss. Vier Anschlüsse zu haben sollte man strukturiert arbeiten
Oder man nutzt tatsächlich nur und eine Rufnummer, können und natürlich kein Prob-
die Räumlichkeiten und die Tech- lem damit haben, wenn ständig
das reicht nicht.“
nik eines Bürgertelefons und das Telefon klingelt. Hotliner
bringt die Hotliner mit. müssen den Anrufer „abholen“,
Die dritte Option ist die Nutzung von Räumlichkei- Sicherheit vermitteln und verbindlich auftreten,, so
ten, zum Beispiel in einer Hilfsorganisation oder Leit- dass die Betroffenen merken, dass man sich um ihr
stelle, die in der Regel über gute technische Rahmen- Anliegen auch nachhaltig kümmert.
bedingungen verfügen. Zur Ausstattung werden
neben einer Telefonanlage ebenfalls PC-Arbeitsplätze BBK: Wie sollten die Hotliner für den Einsatz in
mit Internetzugang sowie ein entsprechendes Netz- der Krisenhotline vorbereitet werden? Welche
werk, um Daten und Informationen an jedem Arbeits- Qualifikation ist erforderlich?
platz zur Verfügung zu haben, benötigt. Bei größeren
Anrufvolumina ist eine professionelle Dokumenta- Andreas Igl: Hotliner müssen nicht zwangsläufig
tions- beziehungsweise Datenbanklösung unerläss- Experten am Telefon sein, aber jeder, der diese Tätig-
lich, um Vorgänge, die viele Bearbeitungsschritte keit übernimmt, sollte eine gewisse Vorbereitung
oder viele Anrufe – zum Beispiel auf mehrere Tage sowie ein Praxistraining haben. Die Hotliner brau-
verteilt – notwendig machen, adäquat verwalten zu chen im Ereignisfall eine Einweisung in die Lage, die
können. Hier kann unter Umständen auch auf Soft- verwendete Technik und klare Informationen zur
ware-Anwendungen zurückgegriffen werden, wie eigenen Aufgabe. Ebenso müssen sie wissen, wie
man sie bei der Arbeit in behördlichen Stäben nutzt. Menschen in Extremsituationen reagieren und brau-
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, ein Callcenter chen persönliche Stressbewältigungskompetenzen.
vorzuschalten, das als Dienstleister die Anrufe ent­ Als Unterstützung im laufenden Krisenhotlinebetrieb
gegennimmt, dokumentiert und an die nachgeschal- sollte auf jeden Fall ein Coach oder Supervisor zur
teten Ebenen weiterverteilt. Großer Vorteil: Ein Verfügung stehen, der die Hotliner in und nach
schwierigen Gesprächssituationen unterstützt und so
deren Arbeitsfähigkeit gewährleistet. Wichtig ist
auch, dass Hotliner sich für ihre Aufgabe freiwillig
entscheiden können.
Sollen Mitarbeiter einer Hotline konkrete PSNV-Bera-
tungsaufgaben übernehmen, sind hierfür eine fachli-
che Qualifikation als psychosozialer Akuthelfer, wie
zum Beispiel Notfallseelsorger oder KIT-Mitarbeiter
sowie entsprechende Erfahrung notwendig.

BBK: Sollte für die Krisenhotline ein Schichtplan


erstellt werden?

Andreas Igl: Sinnvoll sind Schichtpläne vor allem in


der Anfangsphase, wenn das Anrufvolumen sehr
hoch ist. Eine Orientierung dafür bieten Systeme aus
der Stabsarbeit. Durch den Schichtplan gibt es einen
klaren Rhythmus mit festen Übergabe- und Pausen- Wichtig, um die Informationen aktuell zu halten:
zeiten. Dadurch kann sichergestellt werden, dass die Die Vernetzung zwischen Hotline und Einsatzleitung.
Mitarbeiter der Hotline Erholungsphasen haben und (Bild: Stefan Körber – Fotolia.com)
die Qualität der Arbeit durch ausgeruhte Hotliner
erhalten bleibt.
Für den Arbeitsplatz der Hotliner in der Anrufan-
18 BBK: Sollte es einen festen Leiter für die Hotline nahme empfiehlt sich zudem eine technische Lösung,
geben? die Infos nicht nur in Form einer Liste zur Verfügung
stellt, sondern neue Meldungen, zum Beispiel als
Andreas Igl: Grundsätzlich bestehen drei große Ver- Pop-up-Fenster, sofort auf dem Bildschirm sichtbar
antwortungsbereiche, die in der Regel auch durch macht.
drei unterschiedliche Personen verantwortet werden.
Der Leiter der Hotline ist verantwortlich für die Orga-
nisation und den Betrieb der Hotline. Er ist Ansprech-
partner für die Einsatzleitung beziehungsweise den
Einsatzabschnittsleiter. Der Leiter Technik ist verant-
wortlich für die Technik der Hotline, das heißt für die
IT und die Telefonie. Der Leiter PSNV ist verantwort-
lich für die PSNV-Beratung an der Hotline.
Je nach Lage sind zusätzlich eine unterschiedliche
Zahl an Mitarbeitern und Verwaltungskräften sowie
eine entsprechende Büroinfrastruktur nötig.

BBK: Wie lässt sich sicherstellen, dass die Hotliner


immer auf dem aktuellen Stand der Lageentwick-
lung sind?

Andreas Igl: Um immer aktuell informiert zu sein,


muss die Hotline in die Einsatz- und Krisenmanage-
mentstrukturen eingebunden sein. Informationen,
die für die Hotline relevant sind, und auch Informati-
onen, die über die Hotline hereinkommen, müssen Eine Krisenhotline kann nur dann effektiv arbeiten, wenn sie
über einen standardisierten Weg leicht und schnell in die Einsatz- und Krisenmanagementstrukturen eingebun-
ausgetauscht werden können. den ist. (Bild: BBK)
BBK: Wie lange sollte eine Krisenhotline geschal- Software-Anwendungen, wie sie in der Stabsarbeit
tet sein? genutzt werden, zurückgegriffen werden. In einer
kurzen Zusammenfassung, einem Lagebericht, wer-
Andreas Igl: Hierfür gibt es mehrere Kriterien: Was den für bestimmte Adressaten, wie zum Beispiel die
die reine Informationsvermittlung angeht, kann die Einsatzleitung, den Einsatzabschnitt PSNV, das
Hotline zurückgefahren werden, wenn ausreichend zuständige Ministerium oder andere, die wichtigsten
Informationen bei den Zielgruppen der Hotline ange- Punkte zusammengestellt – idealerweise zu festen
kommen sind. Steht der Beratungsaspekt im Vorder- Uhrzeiten.
grund, ist ein Zurückfahren der Hotline möglich,
wenn es einen Überblick über die Betroffenen-Grup- BBK: Welche Kooperationspartner sollte es für
pen gibt, die Betreuungs-Ressourcen vor Ort ausrei- eine Krisenhotline geben?
chend sind und eine PSNV-Koordinierungsstelle für
die mittel- und längerfristige Versorgung eingerichtet Andreas Igl: Hier ist keine eindeutige und allge-
wurde. Nach der Akutphase besteht die Möglichkeit, meingültige Aussage möglich. Schwierig ist, dass in
die Hotline in den alltäglichen Betrieb einzugliedern jeder Unglücks- oder Großschadenslage unterschied-
und die Hotlinenummer auf eine bestimmte Neben- liche Zuständigkeiten und Rechtsvorschriften gelten,
stelle oder einen Anrufbeantworter zu schalten. So je nachdem, wer regional oder fachlich für das Ereig-
wird sichergestellt, dass mit geringem Aufwand auch nis zuständig ist, und, ob öffentliche Einrichtungen,
„Nachzügler“ nicht ins Leere laufen und versorgt wer- Behörden oder auch Firmen wie zum Beispiel Ver-
den können. kehrsunternehmen beteiligt sind.

BBK: Werden in einer Krisen- BBK: Kommen wir nun zu den


hotline ausschließlich Anrufe „Eine Hotline darf nicht Anrufern. Welche Personen-
entgegengenommen oder wird ­isoliert stehen, sie ist gruppen melden sich bei einer 19
auch aktiv „raus-“ telefoniert? ­Hilfsmittel des Krisenhotline?
­Krisenmanagements um
Andreas Igl: Bei der Bewälti- zu strukturieren und Andreas Igl: Das ist neben der
gung einer Krise sind sowohl ein- die Gesamtsituation zu Konzeption der Hotline, ob Infor-
gehende als auch ausgehende mations- oder Beratungsschwer-
­stabilisieren.“
Telefonate relevant. Um einen punkt, zunächst einmal abhängig
Vorgang bearbeiten und abschlie- von deren Kommunikation in der
ßen zu können, müssen nach Aufnahme des Anrufs Öffentlichkeit. Wird die Hotline zügig und gemäß
unter Umständen weitere Gespräche geführt, Infor- ihrer Zielsetzung kommuniziert, melden sich Perso-
mationen eingeholt und diese an den Anrufenden nen der entsprechenden Zielgruppen sehr schnell.
zurückgespielt werden. Dies bedeutet unter Umstän- Sind Informationen diesbezüglich unklar oder ver-
den ein Vielfaches an Aufwand, verglichen mit der läuft die Bewerbung in der Öffentlichkeit schlep-
Bearbeitung des aufgenommenen Gesprächs. Einge- pend, melden sich zunächst nur wenige Anrufer.
hende Anfragen und Informationen sind zudem oft Einige von ihnen können dann unter Umständen
auch wichtige Informationen für die Entscheider in auch nicht direkt bedient werden, wenn, anders als
den Einsatz- und Krisenstäben. vom Anrufer aufgrund falscher Information ange-
nommen, die Hotline beispielsweise nicht die Scha-
BBK: Wie sollte sich die Dokumentation in der densabwicklung übernimmt, sondern Betroffene zu
Krisenhotline gestalten? PSNV-Fragestellungen berät. Allgemein lässt sich
sagen, dass es gerade am Anfang um die Vermittlung
Andreas Igl: Sinnvoll ist eine dreigliedrige Doku- von Sicherheit durch Informationen geht. Bei Ereig-
mentation: In der Einzelfall-Dokumentation findet nissen mit einer Vielzahl von belasteten, beziehungs-
sich alles zu einem bestimmten Vorgang, in der weise traumatisierten Personen, lässt sich beobach-
Gesamtdokumentation, im Sinne eines Einsatztage- ten, dass sich zuerst vorwiegend Angehörige und
buchs, wird laufend mit Zeitangaben protokolliert, nahestehende Personen der direkt Betroffenen mel-
wann was geschehen ist beziehungsweise unternom- den. Erst in einem nächsten Schritt kontaktieren diese
men wurde. Hier kann unter Umständen auch auf selbst die Hotline.
BBK: Mit welchem Anrufvolumen ist in einer Kri- digkeiten beeinflusst. Eine Krisenhotline, die bei-
senhotline zu rechnen? spielsweise PSNV-Beratung anbietet, muss sich klar
von einer polizeigeführten Personenauskunftsstelle
Andreas Igl: Das Anrufvolumen ist abhängig von der abgrenzen. Das heißt, alles, was die Bereiche Ver-
konkreten Lage, der Anzahl der betroffenen, bezie- misstensuche und Identitätsklärung betrifft, bleibt
hungsweise potenziell Hilfe suchenden Personen der polizeilichen Auskunftsstelle vorbehalten. In die-
sowie der Bewerbung der Hotline. Wird die Hotline sem Fall ist aber eine interne Vernetzung beider Hot-
öffentlich umfassend und über verschiedene Medien lines essentiell. Ebenso ist wichtig, egal welcher
kontinuierlich kommuniziert, ist das Anrufvolumen Schwerpunkt für die Hotline gewählt wurde, dass
hoch. Es nimmt in der Regel ab, sobald Informatio- alles, was den Umgang mit personenbezogenen
nen, zum Beispiel über die Medien oder das Internet, Daten betrifft, klar geregelt ist und den gesetzlichen
allgemein verfügbar sind. Wenn aber über die Medien Vorgaben entspricht.
bekannt gegeben wird, dass neue Ermittlungsergeb-
nisse oder Informationen zum Tathergang, wie zum BBK: Wie lange dauern Hotlinegespräche? Sollte
Beispiel bei einer Amoklage, vorliegen, kann dies zu es eine zeitliche Vorgabe geben, zum Beispiel mög-
einem sprunghaften Anstieg der Anrufe führen. lichst kurze Gespräche, damit möglichst viele
Anrufe entgegengenommen werden können?
BBK: Welche Fragen sollten durch die Krisenhot-
line beantwortet werden? Andreas Igl: Bei einem großen Ereignis mit umfas-
sender Medienaufmerksamkeit und breiter Betroffen-
Andreas Igl: Welche Fragen beantwortet werden heit in der Gesamtbevölkerung ist ein hohes Anrufvo-
können und sollen, leitet sich grundsätzlich aus dem lumen zu erwarten. Je mehr Anrufe eingehen, desto
jeweiligen Auftrag ab. Das Spektrum ist groß, wird wichtiger ist es, eine Ebene vorzuschalten, die die
20 aber wiederum von Rechtsvorschriften und Zustän- Anrufe lediglich annimmt, standardisierte Auskünfte

Die Bewerbung in der Öffentlichkeit hat Auswirkungen auf das Anrufvolumen in der Krisenhotline. (Bild: IvicaNS – Fotolia.com)
gibt und dann an eine entsprechende Stelle weiter- durchaus möglich, dass Hotliner bestimmte Anrufe
vermittelt. Dieses erste Gespräch und die Weiterlei- persönlich stark beschäftigten. Aus diesem Grund
tung können innerhalb weniger Minuten geschehen. sind eine Vorbereitung auf derartige Anrufsituationen
In der oder den nachgeschalteten Ebenen, zum Bei- und die Nachbereitung enorm wichtig.
spiel bei einem Gespräch mit einer traumatisierten
Person, können die Gespräche dann deutlich länger BBK: Sollte es während des laufenden Hotline­
dauern, manchmal bis zu anderthalb Stunden. Über betriebs Personen geben, welche die Hotliner bei
die verschiedenen – mindestens zwei – Ebenen der hoher Belastung betreuen?
Anrufbearbeitung lässt sich die Flut der Anrufe gut
kanalisieren. Werden aber auf der ersten Ebene Andreas Igl: Wichtig ist, den Hotlinern schon im lau-
bereits lange Beratungsgespräche geführt, produziert fenden Betrieb Psychosoziale Fachkräfte als
man schnell einen fatalen Flaschenhals. Ansprechpartner beziehungsweise Coaches zur Ver-
fügung zu stellen. Alleine das Wissen, im Fall des Fal-
BBK: Zum Schluss möchten wir das Thema Belas- les auf eine entsprechende Rückfallebene einfach
tung der Hotliner und Nachsorge aufgreifen. Welche und schnell zurückgreifen zu können, erhöht die
Erfahrungen haben Sie gemacht, inwieweit kann die Sicherheit in der täglichen Arbeit und beugt Belas-
Arbeit an der Krisenhotline belastend sein? tungen vor.

Andreas Igl: Belastend kann die Arbeit an der Hot- BBK: Herr Igl, wir danken Ihnen für das interes-
line sein, wenn Anrufe eingehen, aber den Hotlinern sante und informative Gespräch!
nicht ausreichend gesicherte Informationen vorlie-
gen. Zudem ist die Arbeit belastend, wenn der Auf- Andreas Igl
trag der Hotline nicht eindeutig formuliert und kom- Pädagoge (Univ.)
muniziert wurde, und beispielsweise nicht klar ist, ob Krisenmanagement- und PSNV-Experte 21
nur Informationen weitergegeben werden, oder Stadtbrandmeister und Geschäftsführer
Betroffene und Traumatisierte auch an weiterfüh- der Freiwilligen Feuerwehr München
rende Hilfsangebote weitervermittelt werden sollen.
Auf andere Art belastend ist die Arbeit für Hotliner, Interview:
wenn sie mit traumatisierten, verzweifelten oder Rike Richwin und Dr. Jutta Helmerichs, BBK
aggressiven Anrufern konfrontiert werden. Es ist
Amoklauf Winnenden 2009:
Krisenhotline der Schulpsychologie

Dr. Burkhard Bläsi

Der Amoklauf in Winnenden und Wendlingen ereignete sich am 11. März 2009. Ein
17-jähriger, ehemaliger Schüler der Albertville-Realschule erschoss dort am Vormittag
neun Schüler und drei Lehrer und verletzte dreizehn weitere Personen. Bei Eintreffen
der Polizei flüchtete er und erschoss einen Mitarbeiter im angrenzenden Park eines
psychiatrischen Krankenhauses. Im weiteren Verlauf entführte der Täter ein Auto mit
Fahrer. Später betrat er in Wendlingen ein Autohaus, erschoss dort einen Mitarbeiter
und einen Kunden und verletzte vorbeifahrende Polizisten schwer. Gegen 12:30 Uhr
erschoss sich der Täter schließlich selbst. Im Rahmen des Einsatzes richtete das Regie-
rungspräsidium Stuttgart eine von Schulpsychologen betreute Hotline ein.

22

Kerzen und Blumen für die Opfer des Amoklaufs in Winnenden und Wendlingen 2009. (Bild: dpa)
Tathergang des Amoklaufs und Rahmen­ von vielen elektronischen Medien weiter in Umlauf
bedingungen der schulpsychologischen gebracht (unter anderem als Dauer-Laufband bei
­Krisenintervention einem privaten Fernsehsender). Am ersten Tag war
die Hotline ab dem späten Vormittag bis in den spä-
Am 11. März 2009 erschoss ein ehemaliger Schüler ten Abend durchgängig mit vier Apparaten geschal-
der Albertville-Realschule (ARS) in Winnenden an tet. Diese vier Apparate waren technisch vorab für
seiner früheren Schule acht Schülerinnen, einen Krisenfälle zur Freischaltung einer Hotline eingerich-
Schüler und drei Lehrerinnen. Darüber hinaus wur- tet worden. Die folgenden Tage war die Hotline
den elf Schülerinnen und Schüler sowie zwei Lehre- zunächst von 07:00 Uhr bis 22:00 Uhr, später dann
rinnen zum Teil schwer verletzt. Als Augenzeugen aufgrund sinkender Nachfrage nur noch bis 20:00
direkt betroffen waren drei Klassen der 9. und 10. Uhr beziehungsweise bis 18:00 Uhr geschaltet, wobei
Jahrgangsstufen sowie mehrere Lehrkräfte. Auf der jeweils ein bis drei Apparate besetzt waren. In den
Flucht erschoss der 17-Jährige einen Mitarbeiter des restlichen Zeiten bestand eine Weiterleitung auf die
an die Schule grenzenden Parkgeländes des Zent- Hotline der DRK-Leitstelle. Nach etwa zwei Wochen
rums für Psychiatrie. Anschließend nahm er einen tendierte die Zahl der Anrufe über die Hotline gegen
Autofahrer als Geisel und ließ sich von diesem nach Null, so dass die Nummer zwar während der übli-
Wendlingen fahren, wo er in einem Autohaus zwei chen Geschäftszeiten noch eine Weile lang auf einen
weitere Menschen erschoss und zwei Polizeibeamte regulären psychologischen Telefonanschluss im
schwer verletzte. Schließlich richtete er die Waffe Regierungspräsidium weitergeleitet wurde, aber
gegen sich selbst und verstarb. keine gesonderte personelle Besetzung mehr erfor-
derte.
Neben Polizei, Rettungskräften und Notfallnachsor-
gediensten waren bereits am 11. März Schulpsycho- Die Anrufe wurden mit schnurgebundenen Telefon-
logen vor Ort, um an den Sammelstellen Schüler, apparaten geführt, Headsets standen nicht zur Verfü- 23
Lehrer und Eltern zu betreuen. Ab dem folgenden gung.
Tag bis zehn Wochen nach der Tat erfolgte von schul-
psychologischer Seite eine intensive Betreuung und Auftrag, Aufgabe, Arbeitsstrukturen
Beratung für die Schulgemeinschaft der ARS (Schul- Auftraggeber der Hotline war das Regierungspräsi-
leitung, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern) dium Stuttgart, welches als zuständige übergeordnete
sowie für die umliegenden Schulen. Um den vor Behörde für die Krisennachsorge in Winnenden ver-
allem anfangs enormen Unterstützungsbedarf antwortlich zeichnete. Außer der allgemeinen Maß-
gewährleisten zu können, waren während der ersten gabe, Betroffenen und Ratsuchenden psychologisch
zwei Wochen täglich zwischen 30 und 70 Schul­ beratend zur Seite zu stehen, gab es keinen genauer
psychologen vor Ort; noch bis zwei Monate nach der definierten Auftrag an die an der Hotline tätigen
Tat waren es mindestens zehn Schulpsychologen pro Fachkräfte. Explizit wurde lediglich noch die inhaltli-
Tag. Vom Juni 2009 bis Juli 2011 wurde zur länger- che Vorgabe ausgesprochen, am Telefon keine
fristigen Krisennachsorge ein „Beratungszentrum Namen von Opfern weiterzugeben oder zu bestäti-
Schulpsychologie Winnenden“ mit 2,5 Schulpsycho- gen. Die sonstige fachliche und organisatorische Aus-
logenstellen eingerichtet. Anschließend wurde die gestaltung blieb den Beratern in Rücksprache mit der
Unterstützung der Schulen in die normalen schulpsy- Leitung des schulpsychologischen Krisenteams selbst
chologischen Strukturen zurückgeführt (Bläsi; überlassen. Hierbei entwickelten sich ab dem zwei-
Nieder­meier 2012). ten Tag folgende Arbeitsstrukturen:
•Dokumentation der Anrufe mittels eines ad hoc
Hotline erstellten Dokumentationsbogens (am ersten Tag
erfolgte keine systematische Dokumentation).
Rahmenbedingungen •Briefing für neue Hotline-Mitarbeiter: bisherige
Nur kurz nach Bekanntwerden der Tat wurde am 11. typische Anfragen, zu erwartende „schwierige
März am Regierungspräsidium Stuttgart eine telefoni- Anrufer“, Adressen, an die weiterverwiesen wer-
sche Hotline für alle vom Ereignis Betroffenen einge- den kann, Einführung in Dokumentation, etc.
richtet. Die Nummer wurde durch eine Pressemittei- •Regelmäßige kurze Übergabe von einer Einsatz-
lung der Kultusbehörde veröffentlicht und sogleich schicht an die nächste.
•B
ei Bedarf Möglichkeit des kollegialen Austau- Ängste oder Aufgewühltheit mit jemandem teilen
sches und Abgleichens zwischen Anrufen. zu können. Bei einem Teil dieser Anrufer waren
•
Einteilung eines Hotline-Zuarbeiters (Mitarbeiter durch die Tat und die Berichterstattung offenbar
des Referats, der sich um Bereitstellung der nöti- auch eigene traumatische Erlebnisse oder allge-
gen Arbeitsmaterialien und die „Bewirtung“ der an mein schwierige Lebenssituationen in die Erinne-
der Hotline tätigen Kollegen kümmerte). rung zurückgerufen worden, welche in der Folge
wieder als akut belastend erlebt wurden.
Personal • Informationssucher: Anrufer, die durch die
An der Hotline zum Einsatz kamen nahezu aus- anfangs unklare und widersprüchliche Informati-
schließlich Schulpsychologinnen und Schulpsycholo- onslage verwirrt oder verunsichert waren und sich
gen. Lediglich am ersten Tag erfolgte in den Abend- eine eindeutige Faktenklärung erhofften (zum Bei-
stunden zusätzliche Unterstützung von Einsatzkräften spiel: Ist der Täter jetzt schon gefasst oder noch auf
des Deutschen Roten Kreuzes. Die schulpsychologi- der Flucht? Handelt es sich nun um einen oder
schen Einsatzkräfte verfügten neben ihrer Ausbil- zwei Täter? Wie viele Tote gibt es genau?).
dung als Diplom-Psychologin/-Psychologe und ihrer • Unterbreiter von Hilfsangeboten: Von vielen Sei-
mindestens mehrjährigen beraterischen Berufserfah- ten und aus dem ganzen Bundesgebiet wurden
rung über eine zusätzliche Fortbildung in Krisenin- spontane Hilfsangebote gemacht. Zum großen Teil
tervention. Eine spezielle Schulung für die Tätigkeit kamen diese von professioneller Seite, das heißt
an einer Krisenhotline hatte jedoch niemand zuvor von im Bereich Krisennachsorge oder Traumathe-
durchlaufen. Umgekehrt verhielt es sich bei den Ein- rapie tätigen Psychologen, Ärzten und sonstigen
satzkräften des DRK: Diese hatten zwar eine Kurz- Fachkräften. Zum Teil boten aber auch nicht fach-
schulung für Krisenberatung am Telefon erhalten, lich geschulte Einzelpersonen ihre unspezifische
verfügten aber ansonsten über kein weiteres psycho- Hilfe für die Betroffenen an.
24 logisches Wissen und über nur wenig praktische • Erklärer und Beschwerdeführer: Solche Anrufer
Beratungserfahrung. warteten mit fertigen Erklärungsmustern für die Tat
auf, die von der zu leichten Zugänglichkeit von
Auslastung der Hotline Waffen über die zunehmende Verrohung der heuti-
Allein am ersten Tag gingen mehr als 1000 Anrufe gen Jugend bis zum allgemeinen Niedergang von
ein. Dies bedeutete, dass die jeweils vier parallel täti- Moral und Sitte in unserer Gesellschaft reichten.
gen Fachkräfte ununterbrochen Anrufe entgegennah- Ganz offensichtlich nutzten diese Anrufer die
men – die Telefone standen bis in den Abend hinein Gelegenheit, ihrem Ärger über gesellschaftliche
­
so gut wie niemals still. Nach den noch relativ hoch Entwicklungen Luft zu machen, die ihnen schon
frequentierten nächsten beiden Tagen ging am dann längere Zeit missfallen hatten und in deren Ein-
folgenden Wochenende die Zahl der Anrufe deutlich schätzung sie sich nun durch die Tat bestätigt
zurück und blieb danach weiter auf rückläufigem sahen. Da die Hotline von einem Regierungspräsi-
Niveau. dium verantwortet wurde, meinten einige sogar
direkt mit der „Regierung“ zu sprechen und ihr
Anliegen der Anrufer Anliegen dort endlich persönlich platzieren zu
Die meisten Anrufer des ersten Tages ließen sich können.
einer der folgenden Gruppierungen zuordnen: • Botschaften anderer Länder: Im Verlauf des ers-
• Angehörige, Freunde, Bekannte von potentiell ten Tages meldeten sich an der Hotline knapp
Betroffenen: Besonders in den ersten Stunden zwanzig Botschaften oder Konsulate anderer Staa-
nach Beginn der Tat – auch bereits während sich ten, in der Hoffnung herauszufinden, ob sich unter
der Täter noch auf der Flucht befand – riefen viele den Opfern Angehörige der eigenen Staatsangehö-
Personen an, die genauere Informationen zum rigkeit befinden.
Tathergang und zu den Opfern und Verletzten
erlangen wollten, weil sie um Angehörige oder Schon im Verlauf des ersten Tages nahm die Zahl der
Freunde an der betroffenen Schule bangten. Anrufer mit direktem persönlichen Tatbezug ab,
•Emotional stark betroffene Personen ohne während die Anzahl von Personen, welche die Tat
direkte eigene Verbindung zur Tat: Diese Anrufer erklären und interpretieren oder sich über irgendet-
hatten vor allem das Bedürfnis, ihre Betroffenheit, was beschweren wollten, deutlich zunahm.
Die oben genannten Themen wurden in den folgen- gerieten hierbei unversehens in eine Doppelrolle als
den Tagen zunehmend abgelöst von Anliegen, die psychologische Berater und als Informationslieferan-
mit den schulischen Auswirkungen der Tat im gan- ten. Dies wurde als emotionale Belastung erlebt, da
zen Land zu tun hatten. Hierzu gehörten zum Bei- für die Rolle als Informationslieferant weder eine
spiel Anrufe von Eltern, die Rat suchten, weil ihr strukturelle Vorbereitung erfolgt war, noch im laufen-
Kind aus Angst nicht mehr in die Schule gehen wollte den Betrieb auf aktuelle Informationskanäle außer-
oder insgesamt verunsichert wirkte; Anrufe von halb des Internets zurückgegriffen werden konnte,
Eltern, die sich über den ihrer Ansicht nach inad- der Erwartungsdruck und die emotionale Aufgela-
äquaten Umgang mit dem Amoklauf an der Schule denheit seitens der Anrufer aber verständlicherweise
ihrer Kinder beschwerten (entweder, weil darauf gar hoch war. Als Konsequenz soll das Hotline-Personal
nicht oder zu wenig eingegangen wurde oder aber in Zukunft um einen Polizeibeamten erweitert wer-
im Gegenteil, weil die Tat zu stark thematisiert wurde den, der über einen Zugriff auf aktuellste polizeiliche
und die Kinder zusätzlich verängstigte); vereinzelt Informationen verfügt und geschult darin ist, welche
auch Anrufe von Lehrkräften, die um Hinweise baten, Informationen in einem solchen Fall weitergegeben
welche Art der Thematisierung fachlich angemessen werden können und welche nicht.
erscheine.
Erleichtert werden könnte nach den vorliegenden
Zudem verbreiterte sich im Lauf der Zeit die Art der Erfahrungen die Dokumentation, inhaltlich zum Bei-
Hilfsangebote: Diese beschränkten sich nicht mehr spiel durch eine vorgegebene mögliche Kategorisie-
auf die professionelle Unterstützung in der Krisen- rung der Anliegen im Dokumentationsbogen, tech-
nachsorge, sondern umfassten vermehrt materielle nisch durch die Bereitstellung von Headsets.
Angebote, die durch Unternehmen, Vereine oder
andere Organisationen zur Verfügung gestellt wur- Empfehlenswert erscheint zudem eine Schulung
den, zum Beispiel Sachspenden, Eintrittskarten für zukünftiger Hotline-Mitarbeiter. Im Falle psychologi- 25
sportliche oder kulturelle Ereignisse oder Erholungs- scher Fachkräfte muss diese nicht einmal besonders
urlaube für die Betroffenen. umfangreich sein, da beraterische Kompetenz und
Kenntnisse in Krisenintervention vorausgesetzt wer-
Herausforderungen und Konsequenzen den können. Gezielte Hinweise auf erwartbare Anlie-
gen und Anrufertypen sowie auf typische Schwierig-
Insbesondere am ersten Tag stellte die Tätigkeit an keiten und den möglichen Umgang damit wären
der Hotline eine besondere Herausforderung dar. jedoch mit Sicherheit auch für diese Berufsgruppe
Angesichts einer teils widersprüchlichen Informati- gewinnbringend.
onslage, die sich für die Berater nur unwesentlich
von den in den Medien zugänglichen Informationen Dr. Burkhard Bläsi
unterschied, gestaltete sich eine für die Anrufer Diplom-Psychologe
befriedigende telefonische Beratung in den ersten Psychologischer Schulberater am
Stunden oftmals schwierig. Die Hotline-Mitarbeiter ­Regierungspräsidium Stuttgart

Kerzen und Rosen auf der Trauerfeier erinnern an die 15 ­Getöteten des Amoklaufs. (Bild: dpa)
Massenpanik auf der Loveparade 2010:
­Betreuungshotline der Polizei Essen
Polizeioberrat Thorsten Güth berichtet über seine Erfahrungen beim
ad-hoc-Aufbau einer Krisenhotline

Die Massenpanik auf der Loveparade, ereignete sich am 24. Juli 2010. Bei der Veran-
staltung auf einem ehemaligen Rangier- und Güterbahnhof in der Duisburger
Innenstadt kam es am Nachmittag zu einer Stauung in einem Tunnel, der als Gelän-
dezugang vorgesehen war. Am Tunnelende entstand eine Massenpanik, bei der ins-
gesamt 21 Menschen getötet und mehr als 500 Personen verletzt wurden.

Im Rahmen des Einsatzes bei der Massenpanik auf der Loveparade sind zahlreiche Hotlines für
­Betroffene geschaltet worden. Bereits am Unglückstag gab die Stadt Duisburg ihr Bürgertelefon als
Ansprechstelle für Betroffene bekannt. Im Verlauf der ersten Woche bis zur öffentlichen Trauerfeier
folgte die Bekanntgabe von Hotlines verschiedener Organisationen und Fachdienste wie beispiels-
26
weise der Landespsychotherapeutenkammer, des Malteser Hilfsdienstes, und der Evangelischen
Kirche im Rheinland. Auch Juristen boten öffentlich Fachberatung per Krisentelefon an. Das Minis-
terium für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen fuhr eine ihrer für Großschadenslagen
vorgesehene Landespersonenauskunftsstellen hoch und forderte Personal des Deutschen Roten
Kreuzes zur Unterstützung an. Am 27. Juli 2010 verpflichtete ein ministerieller Runderlass alle
­unteren Katastrophenschutz- und Gesundheitsbehörden zentrale Ansprechstellen für Betroffene
einzurichten. Zahlreiche Gesundheitsämter wurden daraufhin über ihre eigens eingerichtete Hot-
line kontaktiert. Am 20. September 2010, knapp zwei Monate nach dem Unglück und nachdem alle
bis dahin eingerichteten Krisenhotlines ihre Arbeit wieder eingestellt hatten, gab es einen neuen
Vorstoß in Sachen telefonische Hilfe: Auf Initiative des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation,
Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen und der Evangelischen Kirche im Rheinland wur-
de eine weitere zentrale Hotline für die Betroffenen des Love-Parade-Unglücks aufgebaut und
­öffentlich gemacht, die als langfristige Anlaufstelle konzipiert war.

Ein Angebot in der Hotlinevielfalt der ersten Wochen war die Betreuungshotline der Polizei. Sie
wurde am Sonntag, 25. Juli 2010 im Polizeipräsidium geschaltet und insgesamt drei Wochen
­
­aufrechterhalten.*

* Wir danken dem Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen für die Unterstützung bei der E
­ rstellung
dieses Interviews.
Schon am Tag nach dem tragischen Unglück initiierte Thorsten Güth die polizeiliche
­Hotline. Lang vorher hatte er sich bereits mit der psychosozialen Betreuung befasst.
(Bild: Polizei Essen / Uwe Klein)

BBK: Herr Güth, Sie sind Polizeibeamter in Essen Zwecke) ebenso wie um die Betreuung von Kolle-
und haben am ersten Tag nach der Massenpanik ginnen und Kollegen; und es ging auch um Schutz-
auf der Loveparade eine Betreuungshotline ins maßnahmen möglicherweise von Personen, die
Leben gerufen. Was hat Sie dazu veranlasst, diese durch die Presse angegangen werden. Ich habe dann
Hotline einzurichten? drei Pressesprecher aus dem Einsatzabschnitt EPÖA
(Einsatzbegleitende Presse- und Öffentlichkeitsar-
Thorsten Güth: Das hat sich im laufenden Einsatz beit) angefordert und den Auftrag gegeben, einer-
entwickelt. Eigentlich wollten wir Zeugen ermitteln. seits eine Medienauswertung durchzuführen und
Ich hatte auf der Fahrt ins Polizeipräsidium im Auto- andererseits ein Konzept zu entwickeln, wie wir an
radio ein Interview gehört mit verschiedenen Perso- Zeugen gelangen können. So kamen wir auf den
nen, die wohl am Unglücksort gewesen waren und Vorschlag, dass wir eine Hotline schalten könnten. 27
am Ende sagte der Reporter: „Wir danken Frau XY Dadurch wollten wir das Angebot bieten, sich dort zu
für die Information zu dem Unglück.“ Da habe ich melden und Hinweise zum Unglück zu geben.
gedacht, dass müsste man eigentlich auch machen. Gleichzeitig sollte die Hotline für die Anrufer aber
Die Opfer sind alle weg, die Zeugen sind weg. Wir auch die Möglichkeit bieten, an eine psychosoziale
bekommen die am besten, wenn wir jetzt eine Betreuung vermittelt zu werden.
Medienauswertung machen. Dann habe ich mit dem
damaligen Polizeiführer darüber gesprochen. Wir BBK: Also haben Sie den Auftrag quasi aus der
haben uns darauf verständigt, dass ich das aus mei- Situation heraus entwickelt?
nem Einsatzabschnitt (Betreuung) heraus mache.
Thorsten Güth: Natürlich bestehen für die Bewälti-
BBK: Was hatte das Polizeipräsidium (PP) Essen gung derartiger Einsatzsituationen polizeiliche Hand-
mit der Loveparade zu tun? Wie war der Zusam- lungskonzepte für die Polizeibehörden in NRW, auf die
menhang in der formalen Struktur? wir zurückgreifen konnten. Wir sind davon ausgegan-
gen, dass wir zu betreuende Personen im Einsatzraum
Thorsten Güth: Am Tag der Loveparade selbst habe finden würden. Dass man in eine Situation kommt, in
ich einen Einsatz in Essen geführt, weil Essen einen der sich fast alle schon aus dem Einsatzraum entfernt
Ausweichbahnhof für Teilnehmer der Loveparade haben, war problematisch, deshalb musste das Kon-
unterhalten hat, falls der Bahnhof in Duisburg zuläuft. zept schlagartig verändert, das heißt angepasst werden.
So war ich komplett in das Geschehen involviert und
auch immer über die aktuelle Entwicklung infor- BBK: Also die Zielgruppe waren die Bürger?
miert. So erfuhren wir auch unmittelbar von dem
Unglück. Der Einsatzabschnitt Betreuung ist dann in Thorsten Güth: Genau. Die Einsatzkräfte waren ja
die Duisburger Einsatzmaßnahmen integriert wor- noch im Einsatz und konnten deshalb auch zeitnah
den. Es ging dabei um sogenannte taktische Betreu- unserem Abschnitt zugeführt werden. Aber die Bür-
ung (Anm. d. Redaktion: „taktische Betreuung“ meint ger waren ja schon weg und wussten teilweise auch
das Herstellen oder Aufrechterhalten von Kooperati- nicht, an wen sie sich wenden konnten. Genau diese
onsfähigkeit bei Betroffenen/Zeugen für polizeiliche Zielgruppe wollten wir erreichen.
BBK: Wie ist das Hochfahren der Hotline abgelau- Thorsten Güth: Hierauf antworte ich immer: Das
fen? waren in erster Linie Menschen, die dort gesessen
haben. Das war ein sogenannter sozialer Ansprech-
Thorsten Güth: Start war am Sonntag etwa drei bis partner aus unserer Behörde und weitere Angestellte
vier Stunden nach der Idee der Einrichtung der Hot- der Behörde. Die waren alle freiwillig da, wurden
line. Die Meldung wurde über einen Nachrichtenser- von uns eingewiesen und auch darauf vorbereitet,
vice eingestellt und die Hotline-Nummer bereits dass sie mit belastenden Anrufen konfrontiert wer-
abends über die Medien verbreitet. Gegen 20 Uhr den können. Wir haben regelmäßig ein Stimmungs-
konnten wir die ersten Anrufe in der Hotline entge- bild eingeholt: Was kommt an Anrufen an und wie
gennehmen. geht es den Hotlinern dabei?
Die Hotliner hatten auch den Auftrag zu selektieren,
BBK: In welchen Räumlichkeiten wurden die Hot- die Leute erst einmal etwas zu stabilisieren, was aber
linearbeitsplätze eingerichtet? mitunter auch schwierig war. Ich hatte selbst ein
Gespräch, bei dem es erst einmal eine halbe Stunde
Thorsten Güth: Wir haben die Hotline in unserer gedauert hat, bis die Person überhaupt sprachfähig
Führungsgruppe im PP Essen eingerichtet. Entspre- war.
chende Räume sind für derartige Lagen vorbereitet, Dann haben wir versucht zu ermitteln, ob die Anru-
deshalb waren dort auch Telefone, PCs usw. schon fer ausschließlich einen Betreuungsbedarf hatten
vorhanden. Die Hotlinenummer konnte in einer oder ob sie uns auch Informationen zum Verlauf des
Gruppenschaltung auf alle Telefone umgelegt wer- Unglücks geben konnten. Wenn sie uns Informatio-
den. Die Hotline war dann rund um die Uhr erreich- nen geben konnten, wurden sie an den Einsatz­
bar. Nach ein paar Tagen sind wir noch einmal in abschnitt „Taktische Betreuung“ vermittelt. Anrufer,
einen anderen Raum umgezogen, weil der Führungs- die einen ausschließlichen Betreuungsbedarf hatten,
28 raum freigehalten werden musste, falls noch eine wurden zum Beispiel an die Notfallseelsorge vermit-
weitere Lage eintritt. telt, damit eine Betreuung außerhalb der Polizei statt-
finden konnte.
BBK: Zu den Hotlinern selbst: Wer hat dort an den
Telefonen gesessen und die Anrufe entgegen­ BBK: Hat die Betreuung auch bei Ihnen im Polizei-
genommen? präsidium stattgefunden?

Das Gelände der Loveparade, auf dem bei der Massenpanik 21 Menschen zu Tode kamen. (Bild: dpa)
Thorsten Güth: Das hing alles ein bisschen ab von gängig hoch motiviert. Zum Teil musste ich sogar zur
der Dringlichkeit des Falls – soweit man das am Tele- Pause oder zum Dienstende ermahnen.
fon beurteilen kann. Entweder haben wir gesagt,
dass die Betroffenen innerhalb eines gewissen Zeit- BBK: Wie lang war die Hotline insgesamt g
­ eschaltet?
raums einen Rückruf von uns erhalten oder sie wur-
den zu Hause abgeholt und betreut, oder es wurde Thorsten Güth: Die Hotline war ca. drei Wochen in
jemand zur Betreuung zu den Personen nach Hause dieser Weise geschaltet, danach wurde sie umgestellt
geschickt. Da die Anrufe aus dem gesamten Bundes- auf einen Apparat des täglichen Dienstbetriebes. Spä-
gebiet kamen, haben wir uns dann mit den entspre- ter wurde sie dann umgeschaltet auf die zentrale
chenden Polizeien und anderen Stellen in Verbin- Hotline, die ab Oktober vom Gesundheitsministe-
dung gesetzt und eine Betreuung veranlasst. Da alle rium Nordrhein-Westfalen und der Notfallseelsorge
entsprechend sensibilisiert waren, hat das auch alles der Evangelischen Kirche im Rheinland organisiert
sehr gut funktioniert. war.

BBK: Wie sind die Hotliner alarmiert worden? BBK: Wurden die Daten der Betroffenen an diese
Notfallseelsorge-Hotline übermittelt?
Thorsten Güth: Zunächst haben wir mit denen
begonnen, die eh schon da waren und die sich bereit Thorsten Güth: Wir haben die Personalien und eine
erklärt hatten. Zu Beginn waren wir mit vier Leuten Rückrufnummer abgefragt und auch vorab das Ein-
in der Hotline. Das waren über mehrere Tage auch verständnis eingeholt, die Daten weitergeben zu dür-
immer die gleichen Personen. Nachts und als die fen. Das war auch der Wunsch der Anrufer, die woll-
Anrufe zurückgingen, haben dann die Mitarbeiter aus ten eine Betreuung bekommen. Wir haben das
der Führungsgruppe die Hotline übernommen. Da laufend dokumentiert und in regelmäßigen Abstän-
gab es dann nachts teilweise auch nur zwei bis drei den überprüft, ob noch etwas offen ist beziehungs- 29
Anrufe. Es gab auf freiwilliger Basis 16 Stunden weise dass eine lückenlose Betreuung stattgefunden
Dienst und 8 Stunden Rufbereitschaft für die Füh- hat. Es war uns sehr wichtig, dass bei den Leuten, die
rungsgruppe. Das haben wir mit den Kollegen und uns keine Informationen liefern konnten und einen
Kolleginnen ca. 14 Tage lang problemlos so durchge- ausschließlichen Betreuungsbedarf hatten, dieser tat-
halten. Alle Kolleginnen und Kollegen waren durch- sächlich auch erfüllt wurde.

Der Tunnel, an dessen Ende sich die Massenpanik ereignete. (Bild: dpa)
BBK: Also waren mit der taktischen Betreuung Thorsten Güth: Im Grunde war ich der Organisator,
beide Aspekte abgedeckt: Polizeiliche Hinweis­ da die Hotline ja ein Bestandteil meines Einsatzab-
aufnahme und psychosoziale Betreuung der schnittes war. Die vier Kollegen an der Hotline haben
Betroffenen. sich im Grunde selbst koordiniert, weil sie sich
gegenüber saßen. Nach kurzer Zeit kannte man sich
Thorsten Güth: Ich denke, man kann diese beiden und dann wurden Telefonate von denen man wusste,
Aspekte gut miteinander in Einklang bringen. Man dass ist jetzt eine Situation mit der der Kollege X bes-
muss ein funktionierendes System dahinter haben, ser klar kommt, übergeben.
ein Auffangsystem. Man kann das eine tun, ohne das
andere zu lassen. BBK: Haben Sie auch selbst Anrufe entgegenge-
nommen?
BBK: Gab es Anrufer, die sich selbst oder andere
belastet haben, sodass von Ihrer Seite polizeiliche Thorsten Güth: Nur sehr vereinzelt. Ich habe aber
Maßnahmen, also Strafverfolgungsmaßnahmen, immer wieder mein Ohr in den Hotlineraum gehal-
notwendig waren? ten, um mir einen Überblick zu verschaffen. Ein paar
Telefonate habe ich aus der Not heraus annehmen
Thorsten Güth: Wir haben natürlich versucht, die müssen. Da hat dann auch jemand einen richtigen
Situation der Anrufer nicht auszunutzen. Wir haben Weinkrampf am Telefon gehabt und konnte sich
die Anrufer darauf hingewiesen, dass wir unter Straf- kaum artikulieren.
verfolgungszwang stehen und kein Zeugnisverwei-
gerungsrecht haben. In den Telefonaten wurde auch BBK: Da ist man schon ein bisschen ratlos, wenn
nicht nach Details gefragt. Das war gar nicht der Auf- man völlig unvorbereitet in die Situation hinein-
trag der Hotline. Es war zunächst der Auftrag zu geht, kann ich mir vorstellen.
30 ermitteln, ist das jemand, der vor Ort war, der etwas
mitbekommen hat? Oder hat jemand nur über Dritte Thorsten Güth: Erstens das und es kommt noch
etwas gehört? Werden Personen vermisst? Sobald hinzu, dass man als Führungskraft viele Entscheidun-
man wusste, der Anrufer war selbst vor Ort, fand eine gen treffen muss und sich nicht emotionalisieren las-
Weitervermittlung direkt in die taktische Betreuung sen darf. Emotionen spielen dann eine untergeord-
statt. Dort fand dann auch die Belehrung statt und es nete Rolle, man muss eher sachlich-nüchtern bleiben.
gab die Möglichkeit, mit einem Notfallseelsorger oder Das war nicht immer einfach in einer solchen Situa-
einem Polizeiseelsorger zu sprechen, sodass eine tion.
Vertraulichkeit gewährleistet war.
BBK: Welche Personengruppen haben in der Hot-
BBK: Also hat die Reallage gezeigt, dass man line angerufen? Nur Betroffene?
­personenbezogene Daten abfragen kann in einer
solchen Situation? Thorsten Güth: Das kann man kaum eingrenzen.
Zunächst haben die Personen angerufen, die selbst
Thorsten Güth: Ja, denn die Menschen wollen ja erst vor Ort waren und dort Erlebnisse hatten, also vor
einmal Hilfe bekommen in ihrer Lage, da rückt der allem junge Leute. Es haben auch Angehörige von
Datenschutzgedanke in den Hintergrund. Man muss Personen angerufen, die vor Ort waren und sagten:
natürlich das Einverständnis der Aufnahme und Wei- „Mein Sohn war vor Ort und ist jetzt zu Hause, aber
tergabe der Daten kurz abklären. Gerade in diesem er ist eigentlich ganz normal. Muss ich etwas beach-
Bereich ist man auf eine Vertrauensbasis angewiesen, ten?“, also Leute, die einen Rat wollten. Es gab auch
auch in Bezug auf die Zusammenarbeit mit anderen Anrufer, die jemanden vermisst haben. Außerdem
Behörden. gab es auch Anrufer, die gesagt haben: „Mein Ange-
höriger war vor Ort und ich glaube, er braucht Hilfe,
BBK: Ein paar Fragen zur Organisation der Hot- lehnt diese aber ab.“ Die Anfragen waren wirklich
line: Gab es einen Organisator oder Hauptkoordi- sehr vielfältig und unterschiedlich, quer durch die
nator? Bank.
BBK: Haben auch Einsatzkräfte in der Hotline
angerufen?

Thorsten Güth: Ja, in Einzelfällen haben auch Ein-


satzkräfte und Angehörige von Einsatzkräften ange-
rufen.

BBK: Auch wenn es schwierig ist, die Anrufe zu


kategorisieren, kann man sagen, ob sich die
Anfragen im Lauf der Zeit verändert haben?

Thorsten Güth: Ja, erstmal hat sich die Anzahl der


Anrufe verändert. An den ersten Tagen war diese
recht hoch und ging dann langsam zurück bis hin zur
öffentlichen Trauerfeier eine Woche nach dem Öffentliche Gedenkfeiern, wie hier in der Salvatorkirche in
Unglück. Danach stieg sie wieder etwas an. Das Duisburg, nach schweren Unglücken oder Katastrophen
Ganze verlief in Phasen. Es gab Anrufer, die sofort ­führen zu erhöhtem Anrufvolumen in der Krisenhotline.
gemerkt haben, dass sie alleine nicht zurechtkom- (Bild: dpa)
men und direkt angerufen haben. Dann kamen nach
einer Weile Personen hinzu, die gedacht haben, sie BBK: Wie viel Zeit stand den Hotlinern für die ein-
schaffen es alleine, aber gemerkt haben, dass es doch zelnen Anrufe zur Verfügung?
nicht klappt. Dann gab es noch eine Phase, da kamen
Personen hinzu, die Symptome bei sich entdeckt hat- Thorsten Güth: Die Kollegen haben sich schon die
ten, die sie erst nicht einordnen konnten und dann Zeit genommen, die Anrufer bei Bedarf auch zu sta- 31
überlegt haben, dass diese vielleicht damit zusam- bilisieren. Außerdem kam es auf das Anliegen an.
menhängen, dass sie auf der Loveparade waren. Wenn die Geschichten der Anrufer zu ausführlich
Außerdem gibt es noch Personen, die gar nicht auf wurden, haben wir natürlich versucht, den Anrufer
der Loveparade waren, aber durch die vielen Erzäh- möglichst an die nächste Stelle weiterzuvermitteln,
lungen Probleme bekommen haben und sehr belas- um die Leitung freizuhalten, ähnlich wie bei einer
tet waren. Notrufnummer.

BBK: War das alles in den drei Wochen, in denen BBK: Haben sie neben der Hotlinenummer auch
die Hotline geschaltet war? eine E-Mailadresse herausgegeben?

Thorsten Güth: Das war teil- Thorsten Güth: Ja, wir haben
„Einige wollten einfach
weise auch erst im Nachgang. In die eingehenden E-Mails so
den drei Wochen der Schaltung
nur erzählen und abgearbeitet, wie die Anrufe. Die
waren es überwiegend Personen, etwas loswerden.“ meisten Personen hatten in der
die direkt oder nach wenigen Mail eine Telefonnummer ange-
Tagen gemerkt haben, dass sie Hilfe brauchen. geben oder wir haben in einer Antwortmail um diese
gebeten. Eine schriftliche Betreuung haben wir nicht
BBK: Gab es typische Fragen von den Anrufern, gemacht, weil es einfach nicht möglich ist.
die häufig gestellt wurden?
BBK: Sind noch weitere Medien miteinbezogen
Thorsten Güth: Die meisten Anrufer wollten einen worden? Zum Beispiel eine Internetseite?
Rat haben, wie sie mit der Situation umgehen kön-
nen. Einige wollten einfach nur erzählen und etwas Thorsten Güth: Das haben wir nicht gemacht, weil
loswerden, die haben wir dann möglichst schnell in der Einsatzabschnitt auf die Akutbetreuung ausge-
die Betreuung vermittelt, um die Hotline freizuhal- richtet war.
ten. Und natürlich gab es häufig Fragen nach ver-
missten Personen.
Anteilnahme der Bundesregierung: Kränze für die Opfer der Massenpanik. (Bild: dpa)

32
BBK: Sie haben gesagt, dass sie die Anrufer an Not- BBK: Das war sozusagen die Evaluation des Kon-
fallseelsorger vermittelt haben. Woher hatten sie zepts.
die Kontakte? Bestand da im Vorhinein bereits ein
Netzwerk? Thorsten Güth: Ja, genau. Wir haben jeden Tag
geschaut, wo Schwachstellen sind und was künftig
Thorsten Güth: Da haben wir auf bestehende Netz- anders laufen muss. Mittlerweile gibt es in Nord-
werke aus dem Opferschutz zurückgreifen können. rhein-Westfalen eine Arbeitsgruppe, ein Gesamtkon-
Diese Kontakte waren im Einsatzabschnitt „Betreu- zept für den Bereich „taktische Betreuung“ – im Ent-
ung“ damals noch gar nicht so bekannt. wurf – und eine neue Einsatzakte, in die genau diese
Generell war das Konzept für diesen Einsatzabschnitt Erfahrungen eingeflossen sind.
gerade erst fertig und noch gar nicht publiziert wor-
den. Die Loveparade hat uns quasi eingeholt. BBK: Dann kommen wir zum vorletzten Punkt,
dem Thema Belastungen der Hotliner. Gab es eine
BBK: Dann kommen wir noch einmal auf den Nachsorge? Gab es Supervision? Wie haben Sie das
Ablauf und die Organisation zu sprechen: Haben organisiert?
Sie schon während des laufenden Hotlinebetriebs
Änderungen und Optimierungen in der Arbeitsor- Thorsten Güth: Jeder, der in der Führungsgruppe
ganisation vornehmen können? war und jeder, der in der Hotline gearbeitet hat, hat
eine Supervision durch einen externen Psychologen
Thorsten Güth: Ja, natürlich. Wir haben jeden Tag angeboten bekommen. Das Angebot war auf freiwil-
innerhalb der Führungsgruppe reflektiert und liger Basis, ist aber wahrgenommen worden. Es gab
geschaut, an welchen Stellen man etwas optimieren auch das Angebot, die Supervision mehrfach zu
kann. Da, wie gesagt, die Einsatzakte für den machen, dies ist aber nicht wahrgenommen worden.
Abschnitt „Betreuung“ gerade erst fertig war, waren
wir sehr im Thema drin und haben uns gesagt: Jetzt BBK: Gab es auch während des Hotlinebetriebs
können wir schauen, ob das auch so funktioniert, eindeutige Pausenregelungen, Entspannungspha-
wie wir uns das ausgedacht haben. sen oder so etwas?
Thorsten Güth: Das haben die Kollegen unter sich Gesprächspartner an der Hotline muss man wissen,
geregelt. Wir haben zu der Zeit unser Privatleben um dass sich die Anrufer infolge einer Belastungsreak-
den Dienst herum gebaut. Das war also relativ wenig. tion vielleicht merkwürdig verhalten oder sich ein-
Wenn dann mal jemand eine Stunde später kommen fach nicht erinnern können.
musste, sind die kollegialen Absprachen völlig prob-
lemlos gelaufen. BBK: Das heißt, Ihr Fazit ist:
„Als Hotliner muss Bessere Vorab-Ausbildung und
BBK: Unser letzter Punkt sind man wissen: Sensibilität für psychotrauma-
die Lehren, die sie aus dem Ein- Was passiert mit tologische Fragen?
satz bei der Loveparade ziehen.
einem Menschen,
Können Sie da welche formu- Thorsten Güth: Sensibilität für
lieren, die besonders deutlich
der ein belastendes die gesamte Situation. Als
waren? Ereignis erlebt hat?“ Betreuer merke ich immer mehr,
hier stoßen zwei Welten aufein-
Thorsten Güth: Die größte Lehre, die ich für mich ander, die normale und die völlig unnormale Welt.
gezogen habe, ist die, dass mir bewusst geworden Die Person aus der normalen Welt kann das nicht
ist, dass man als Einsatzabschnittsführer eines sol- einordnen und die aus der unnormalen Welt kann es
chen Abschnitts auch thematisch mit dem Thema nicht transportieren.
verknüpft sein muss. Das heißt, man muss wissen:
Was passiert mit einem Menschen, der ein belasten- BBK: Noch eine abschließende Frage: Eine Medien-
des Ereignis erlebt hat? Welche Reaktionen und kör- recherche hat gezeigt, dass bei der Loveparade
perlichen Symptome treten auf? Wie läuft ein Verar- sehr viele verschiedene Hotlines von den unter-
beitungsprozess ab? Ich muss ja letztlich auch den schiedlichsten Stellen geschaltet wurden. Haben
Polizeiführer dahingehend beraten, was für belastete Sie da eine Idee, wie man es strukturell hinbe- 33
Kollegen hilfreich und was weniger hilfreich sein kommt, dass nicht so eine große Heterogenität
kann. Es ist ja nicht immer richtig, den belasteten herrscht?
Kollegen einfach herauszuziehen und auf die Wache
oder nach Hause zu schicken. Um diese Beratung Thorsten Güth: Ich denke, da wäre ein qualifizierter
wirklich kompetent vornehmen zu können, muss Weg, eine zentrale Hotline zu schalten und dahinter
man mit dem Thema verknüpft sein. ein Netzwerk zu hängen mit entsprechenden Adres-
sen und Anlaufstellen, die sich dann kümmern. Ich
BBK: Und konkret auf die Hotline bezogen, welche denke, die Hotline selber muss nicht die psychosozi-
Lehren würden Sie da ziehen? ale Betreuung leisten, von stabilisierenden Gesprä-
chen mal abgesehen. Die Hotline muss im Prinzip
Thorsten Güth: Auch da gilt das das Netzwerk vermitteln und
Gleiche: Man muss die Inhalte „Man muss die sicherstellen, dass das Netzwerk
kennen, nicht nur telefonieren Inhalte kennen, sich auch kümmert.
können. Ich bringe das mal auf
nicht nur
den Punkt: Man kann wahr- BBK: Herr Güth, wir danken
scheinlich nichts kaputt machen,
telefonieren können.“ Ihnen für das interessante und
wenn man ein normaler Mensch informative Gespräch!
mit sozialer Kompetenz und Empathie ist, aber sinn-
voller ist es natürlich, wenn man einen gewissen Thorsten Güth
Background hat, ein Gespräch strukturiert führen Polizeioberrat
kann, Hilfsangebote im Detail kennt und entspre- Leiter Einsatzabschnitt/Führungsgruppe Integrative
chende Weiterempfehlungen geben kann. Außer- Betreuung Polizeipräsidium Essen
dem: Dass man vorher alle Daten zusammenträgt, Mitglied Betreuungsteam Polizei
einsatzfähig ist. Dass man fortgebildet ist in der Nordrhein-Westfalen
Gesprächsführung und dass man mit den Begriffen
„Posttraumatische Belastungsstörung“ oder „Stressbe- Interview:
lastung“ etwas anfangen kann. Als Ermittler und als Dr. Jutta Helmerichs und Rike Richwin, BBK
www.hilfe-loveparade.de:
Hotline, E-Mail und facebook in der langfristigen
Nachsorge

Die Nachsorge-Expertin Sybille Jatzko stellt erste Erfahrungen mit dem Einsatz
der Neuen Medien in der Krisenhotline vor

Im Rahmen einer umfassenden langfristigen Nachsorge für Betroffene der Massenpanik, die sich
am 24. Juli 2010 auf der Loveparade in Duisburg ereignete, hat das Ministerium für Gesundheit,
Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit der Evangeli-
schen Kirche im Rheinland unter www.hilfe-loveparade.de sowohl eine Beratungshotline als auch
das Angebot einer E-Mail-Beratung eingerichtet. Die Beratungshotline war vorher vom Polizeiprä-
sidium Essen initiiert und unterhalten worden und wurde ab dem 20. September 2010 von Sybille
Jatzko und Kollegen der Evangelischen und Katholischen Notfallseelsorge übernommen. Zum
­Hotline- und E-Mail-Angebot, das etwa zwei Jahre bestand, hat sich zusätzlich eine Gruppe im
­sozialen Netzwerk facebook entwickelt, die ebenfalls Teil der langfristigen Nachsorge wurde und
bis heute aktiv ist.
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Sybille Jatzko verfügt über umfassende Erfahrungen in der psychosozialen Begleitung und Therapie
von Betroffenen zahlreicher Katastrophen und Unglücke. (Bild: Sybille Jatzko)

BBK: Frau Jatzko, Sie haben viel Erfahrung in der 2010 haben Sie, gemeinsam mit der Notfallseel-
langfristigen Nachsorge, Betreuung und Beglei- sorge, ein ganzes Nachsorgeprogramm gestaltet.
tung von Betroffenen und Angehörigen von Die Besonderheit dabei ist, dass es neben persön-
Opfern zahlreicher Katastrophen und Unglücke, lichen Treffen und einer Telefonhotline auch ein
darunter des Flugschauunglücks in Ramstein E-Mail-Angebot für Betroffene gab und sich sogar
1988, des Absturzes der Birgen-Air-Maschine in eine eigene Gruppe im sozialen Netzwerk face-
der Dominikanischen Republik 1996, des Amok- book entwickelt hat. Sie haben damals, etwa zwei
laufs in Erfurt 2002 oder des Seebebens in Südost- Monate nach dem Unglück, die bestehende Hot-
asien Weihnachten 2004. Auch nach der Massen- line von der Polizei Essen übernommen. Wie ist
panik auf der Loveparade in Duisburg am 24. Juli diese Übernahme abgelaufen?
Sybille Jatzko: Ja, vorab muss man sagen, dass die zu kommen und an persönlichen Treffen teilzuneh-
Polizisten in Essen damals das Richtige getan haben. men, weil diese ebenfalls Teil der Nachsorge waren.
Sie haben sofort reagiert und eine Anlaufstelle für
alle, die irgendwie von dem Unglück betroffen BBK: Haben in der Hotline Personen angerufen,
waren, geschaffen. Das ist ganz wichtig, weil die die selbst auf der Loveparade waren oder zum Bei-
Menschen bei solchen Unglücken voller Fragen sind. spiel Eltern von Betroffenen?
Vor der Weiterführung der Hotline durch unser Team
saßen wir im Gesundheitsministerium von Nord- Sybille Jatzko: In der Hotline haben tatsächlich mehr
rhein-Westfalen zusammen und haben versucht, direkt Betroffene angerufen, beim E-Mail-Angebot
einen Plan zu stricken, um zu schauen, wie es jetzt sah es anders aus. Es gab allerdings eine Entwicklung
weitergehen soll. Wir waren uns auch mit den Poli- im Laufe der Zeit: Die Anrufe nahmen ab, je mehr die
zisten aus Essen schnell einig, dass die Hotline auf Onlineangebote zunahmen. Dabei wurde nicht mal
jeden Fall aufrechterhalten werden soll. So hat dann das offizielle E-Mail-Angebot genutzt, sondern viel
unser Team, bestehend aus mir als Psychologin und stärker eine Gruppe im sozialen Netzwerk facebook,
mehreren Notfallseelsorgern als Berater und einer die sich gebildet hat, nachdem die ersten persönli-
Religionspädagogin als Koordinatorin die Hotline chen Treffen in der Nachsorgegruppe stattgefunden
übernommen. hatten. Die Betroffenen haben diese Gruppe selbst-
ständig in facebook gegründet und ich wurde gebe-
BBK: War die Hotline dann weiterhin 24 Stunden ten, ebenfalls Mitglied zu werden. So war ich Mail-
und sieben Tage die Woche erreichbar? Beraterin in facebook. Ich habe mich selbst anfangs
gewundert, dass die offizielle E-Mail-Beratung kaum
Sybille Jatzko: Ja, die Hotline genutzt wurde, aber es hatte sich
war weiterhin 24 Stunden erreich- alles in die facebook-Gruppe
bar, wobei wir nicht die ganze
„Die Neuen Medien verlagert. Man hatte fast den Ein- 35
Zeit vor Ort, also im Gesundheits- lassen sich gut druck, dass den Betroffenen die
ministerium, waren, sondern mit­ a
­ nderen Kommunikation dort leichter fiel,
Rufumleitungen auf unsere Han- Nachsorgeangeboten als einen Anruf zu tätigen oder
dys geschaltet hatten, um mobil ­verbinden.“ eine E-Mail zu schreiben.
zu sein. Es wurden aber trotzdem Außerdem konnten die Betroffe-
alle Anrufe sauber und gewissenhaft dokumentiert, nen innerhalb der facebook-Gruppe, ähnlich wie in
weil es sich ja um eine offizielle Hotline handelte. So der Nachsorgegruppe, leichter untereinander kom-
lässt sich auch später eine Evaluation durchführen, munizieren. In der E-Mail-Beratung hatten sie nur
aus der wieder Lehren für die nächsten Einsätze Kontakt zu mir, aber in facebook konnten sie sich
gezogen werden können. auch untereinander austauschen.

BBK: Mittlerweile waren zwei Monate seit dem BBK: Wie lief beziehungsweise läuft der Austausch
Unglück vergangen. Welche Personengruppen in facebook genau ab?
haben zu diesem Zeitpunkt noch in der Hotline
angerufen? Sybille Jatzko: Dort gibt es die Möglichkeit, dass
man mich als Beraterin separat anschreiben kann.
Sybille Jatzko: Ich hatte den Eindruck, dass die Zusätzlich kann man Themen gleichzeitig mit allen
Hauptflut der Anrufer schon abgeebbt war. Es gab Gruppenmitgliedern besprechen, sodass die Betrof-
aber immer mal wieder Anrufer, die Fragen hatten, fenen sich untereinander austauschen und zum Bei-
wie zum Bespiel: Ist das, was ich an Symptomen spiel gegenseitig Fragen beantworten können.
habe, normal? Hat das was mit der Loveparade zu Zusätzlich haben sich zwei Gruppen gebildet, die
tun? Soll ich denn jetzt etwas dagegen unternehmen? Angehörigen und Betroffenen haben also selber dif-
Es waren also vorwiegend Beratungsgespräche, ob ferenziert: Es waren die Personen, die zum Verein
sich die Anrufer in Therapie begeben sollen, sei es der Hinterbliebenen und Verletzten und ihrer Ange-
Einzeltherapie, Gruppentherapie oder auch Klinik- hörigen, der gegründet worden war, gehören und
aufenthalt. Gleichzeit machten wir auch immer auf diejenigen, die zur Betroffenenberatung gehören. In
das Angebot aufmerksam, in die Nachsorgegruppe der Vereins-Gruppe wurden dann stärker administra-
tive Fragen zum Bespiel zur Planung der Gedenk- natürlich nicht alle Betroffenen in Duisburg oder der
stätte besprochen, während in der zweiten Gruppe Umgebung wohnen und sich persönlich sehen kön-
sehr intensiv Befindlichkeiten besprochen wurden. nen. Und auch diejenigen, die sich in der Nachsorge-
Man konnte deutlich erkennen, dass facebook eine gruppe persönlich kennengelernt haben, konnten in
Hilfe war, miteinander in Kontakt zu bleiben, weil facebook den Kontakt fortsetzen.

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www.hilfe-loveparade.de: Beratung per Hotline und E-Mail als Teil des Angebots der langfristigen Nachsorge für
Betroffene der Loveparade-Katastrophe. Die Hotlinenummer ist mittlerweile eingestellt. (Bild: www.hilfe-loveparade.de)
BBK: Wie stark wurde die Hotline noch frequen- Sybille Jatzko: Ja, das haben die Gruppenmitglieder
tiert, nachdem sich die facebook-Gruppe gegrün- alles selbst gestaltet. Sie haben die Gruppe als
det hatte? geschlossene Gruppe eingerichtet, sodass die Mit-
glieder erst von einem Administrator autorisiert wer-
Sybille Jatzko: Also ich habe die Kommunikation via den müssen und die Inhalte für Externe nicht sicht-
facebook-Gruppe wesentlich aktiver erlebt, als die bar sind. Es war den Mitgliedern sehr wichtig, dass es
Kommunikation über die Hotline. In der Hotline ein geschützter Raum ist, zu dem nicht jeder Zugang
haben dann im Laufe der Zeit vermehrt Personen erhält.
angerufen, die mich auch über die Nachsorgegruppe
schon persönlich kannten. Denen hat es auch gehol- BBK: Würden Sie sagen, dass sich die Einbindung
fen, per Telefon also wiederum persönlich mit mir zu Neuer Medien, in diesem Fall facebook, als sinn-
sprechen, aber insgesamt ist mehr schriftlich kommu- voll und hilfreich erwiesen hat?
niziert worden als telefonisch. Vielleicht herrscht am
Telefon eine größere Nähe als per Mail, vielleicht ist Sybille Jatzko: Ja, ich denke, man kann die Neuen
das für manche Menschen schwieriger. Eine E-Mail Medien in solchen Fällen gut ergänzend einbinden.
ist anonymer und kostet vielleicht weniger Überwin- Da das Unglück auf der Loveparade besonders
dung als ein Anruf. Jugendliche betraf, die ohnehin großenteils facebook
Man kann sagen: Diejenigen, die die E-Mail-Beratung nutzen, hat sich das in diesem Fall angeboten. Wäre
in Anspruch genommen haben, waren an keine es ein Ereignis gewesen, bei dem vorrangig ältere
Nachsorgegruppe angedockt, diejenigen, die in der Menschen betroffen waren, hätte es vielleicht anders
Nachsorgegruppe waren, haben nicht mehr die ausgesehen. In einem solchen Fall, wäre wahrschein-
E-Mail-Beratung in Anspruch genommen, sondern lich die Mailberatung stärker genutzt worden. Es war
die haben sich untereinander über facebook ausge- zu erkennen, dass die Mailberatung vor allem von
tauscht, weil sie dadurch eben angedockt waren. Erwachsenen genutzt wurde, die Jungendlichen und 37
jungen Erwachsenen haben sich tatsächlich vor allem
BBK: Also hat sich die facebook-Gruppe quasi zu auf facebook organisiert. Da fand eben auch eine
einem Selbstläufer entwickelt. sehr starke Vernetzung untereinander statt.

Die Gedenkstätte in Duisburg: 21 Stelen symbolisieren die bei der Massenpanik Getöteten. (Bild: dpa)
BBK: Das Unglück auf der Loveparade liegt mitt- BBK: Sie sagten vorhin, dass innerhalb der face-
lerweile mehr als zwei Jahre zurück. Sind die book-Gruppe vor allem sehr persönliche Anlie-
Angebote der Hotline, der Mail-Beratung und der gen und Befindlichkeiten der Mitglieder Themen
facebook-Gruppe alle noch aktiv? sind. Facebook wird häufig sehr kritisch betrach-
tet, wenn es um den Datenschutz seiner Nutzer
Sybille Jatzko: Die Hotline und die Mailberatung geht. Haben die Gruppenmitglieder auch Beden-
sind mittlerweile eingestellt worden, weil der Bedarf ken um ihre Daten, gerade wenn es um sehr per-
einfach nicht mehr da ist. Die facebook-Gruppe ist sönliche Anliegen und Äußerungen geht? Ist das
aber nach wie vor sehr aktiv. Die Gruppenmitglieder ein Thema innerhalb der Gruppe?
schreiben mich nach wie vor mit konkreten Anliegen
an, aber in den meisten Fällen unterstützen und tra- Sybille Jatzko: Meines Wissens nach, war das bisher
gen sie sich gegenseitig. kein Thema. Wie gesagt, handelt es sich um eine
geschlossene Gruppe, sodass alle Inhalte nur für
BBK: Telefon, E-Mail und facebook bieten unter- autorisierte Mitglieder sichtbar und steuerbar sind,
schiedliche Möglichkeiten der Kommunikation aber welche Daten von facebook selbst einbehalten
an: mündlich oder schriftlich. Sehen Sie Unter- und verwendet werden, war bisher kein Thema. Es
schiede im verbalen oder schriftlichen Austausch? stehen der persönliche Austausch, die Vernetzung
Gibt es Vor- und Nachteile? und die gegenseitige Hilfe im Vordergrund, sodass
ein Thema wie Datenschutz für die Betroffenen tat-
Sybille Jatzko: Ja, für mich gibt es Unterschiede. sächlich nur nebensächlich auftaucht. Wir als
Wenn ich jemanden am Telefon höre, habe ich das Betreuer sollten allerdings auch diese kritische Seite
Gefühl, ich bin ihm näher und kann besser auf ihn der Neuen Medien im Auge behalten und hier sensi-
eingehen. Ich höre am Klang der Stimme, wie seine bel bleiben.
38 innere Gefühlslage zu sein scheint. Wenn hingegen
jemand in der E-Mail-Beratung schreibt, bekomme BBK: Frau Jatzko, vielen Dank für das interessante
ich zwischen den Zeilen zwar mit, dass es demjeni- und informationsreiche Gespräch!
gen nicht gut geht oder er ein Anliegen hat, ich
bekomme aber nicht so viele Rückmeldungen. Ich Sybille Jatzko
kann auch nicht so gut überprüfen, ob es der Person Gesprächstherapeutin,
jetzt tatsächlich geholfen hat, was ich ihr geantwortet Expertin für Katastrophennachsorge
habe. In facebook wird zwar auch schriftlich kom- Dozentin an Feuerwehr-, Rettungsdienst- und
muniziert, aber dort ist es ein Sonderfall, weil ich die ­Polizeifachschulen
Gruppenmitglieder aus den Treffen im Rahmen der
Nachsorge persönlich kenne. Wenn ich antworte, Interview:
sehe ich die Person vor meinem inneren Auge. Rike Richwin, BBK
Hilfe für Helfer per Telefon beim ICE-Unglück in
Eschede 1998

Dr. Jutta Helmerichs

Am 3. Juni 1998, um 10:59 Uhr, entgleiste der ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“
auf dem Weg von München nach Hamburg bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h
in Höhe der niedersächsischen Ortschaft Eschede nördlich von Hannover und prallte
gegen eine Brücke. Ursache war ein gebrochener Radreifen. 99 Zugpassagiere und
zwei Gleisarbeiter starben, 123 Reisende wurden zum Teil schwer verletzt und hun-
derte Angehörigen und Hinterbliebene waren plötzlich konfrontiert mit Verlust,
Trauer und Verzweiflung. Die Bergungs- und Aufräumarbeiten nahmen etwa eine
Woche in Anspruch. Eingesetzt waren annähernd 2000 haupt- und ehrenamtliche
Einsatzkräfte aus den Hilfsorganisationen Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland
e.  V. (ASB), Deutsches Rotes Kreuz e. V. (DRK), Johanniter-Unfall-Hilfe e.  V. (JUH), Mal- 39

teser Hilfsdienst e. V. (MHD) und privaten Rettungsdiensten, den Feuerwehren, den


Länderpolizeien und den Polizeien des Bundes, der Bundeswehr, der Bundesanstalt
Technisches Hilfswerk sowie der vor Ort stationierten englischen Armee.

Die Unglücksstelle 1998: Großeinsatz für zahlreiche Einsatzkräfte. (Bild: dpa)


Einsatzkräftenachsorge Aufbau der Helfer-Hotline 7070

Erstmals nach einem Großschadensereignis in Wenige Stunden nach der Zugentgleisung am 3. Juni
Deutschland wurde bereits während des Einsatzes 1998 wurden bundesweit Fachleute für die Einsatz-
ein umfangreiches psychosoziales Unterstützungs- kräftenachsorge nach Eschede alarmiert, die vorab
programm für die Einsatzkräfte eingerichtet, finan- von Meldeköpfen vor Ort tätiger Organisationen
ziert durch das Land Niedersachsen, den Bund und (Hilfsorganisationen, Bundeswehr, Bundespolizei)
die Deutsche Bahn AG und unterstützt durch Sach- alarmiert worden waren.
spenden. Dieses Unterstützungsprogramm sollte
auch die folgenden anderthalb Jahre fortlaufen. Beim Zusammentreffen an der Unglücksstelle verein-
Bestandteile des Programms waren Einzelgespräche, barten sie, abgestimmt vorzugehen. Eine organisati-
Gespräche in Gruppen (Debriefing), Informations- onsübergreifende Koordinierungsstelle Einsatznach-
veranstaltungen, Entlastungsgespräche für Angehö- sorge nahm 24 Stunden nach dem Unglück ihre
rige der Helfer und vieles mehr. Indikationen für die Arbeit auf.
„Hilfe für Helfer“ waren folgende Belastungen: hohe
Anzahl von Toten, mehrtägige Bergung und Fund Zu den ersten Maßnahmen gehörte, eine Helfer-Hot-
von Leichenteilen, viele Schwerverletzte, mehrere line zu schalten. Dazu wurden eine nicht aktive Leit-
lange eingeklemmte Personen, zahlreiche Kinder stellennummer („Celle 7070“), Räumlichkeiten und
und Jugendliche unter den Verletzten und Toten, die Büroausstattung des Deutschen Roten Kreuzes
zahlreiche angereiste Angehörige und Vermissende (Kreisverband Celle-Stadt e. V. und Celle-Land e. V.)
an der Unglücksstelle bereits wenige Stunden nach zur Verfügung gestellt. Die Nummer wurde – gemein-
dem Unglück, zwei Gleisarbeiter unter den Toten, sam mit mehreren anderen Helferhotlineerreichbar-
die vielen persönlich bekannt waren und eine rasch keiten – über die täglichen Pressekonferenzen des
40 anwachsende und dauerhafte Medienpräsenz. Krisenstabs durch den Kreisbrandmeister und über
mehrere Berichte in der lokalen Zeitung bekannt
Die Einsatzkräftenachsorge fand schnell breite gegeben. Die Hotline war von Anfang an rund um
Akzeptanz und ein Drittel aller eingesetzten Kräfte die Uhr durch die Leitung der Koordinierungsstelle
nahm das Nachsorgeangebot an. Darüber hinaus Einsatznachsorge besetzt, immer unterstützt durch
führte die Einsatznachsorge in Eschede zu einer vier bis fünf Peers (speziell für Helfernachsorge aus-
höheren Sensibilität gegenüber psychosozialen Fra- gebildete Einsatzkräfte) des Malteser Hilfsdienstes,
gen und Problemen im Einsatzwesen, zum Aufbau der Berliner Feuerwehr und der Bundesvereinigung
zahlreicher Nachsorgeteams im gesamten Bundesge- Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen e. V.
biet und zur fachlichen Weiterentwicklung und Qua- (SbE). Vorgesehen war, die Hotline bis zur öffent­
litätssicherung in diesem Feld. lichen Trauerfeier und zum Staatsakt vor Ort 19 Tage
nach dem Unglück aufrecht zu halten.
Besondere Belastungen für die Helfer durch:
Hotlinebetrieb in den ersten 3 Wochen

• hohe Anzahl von Toten Die Helfer-Hotline „Celle 7070“ erlangte innerhalb
• mehrtägige Bergung und Fund von weniger Tage durch regelmäßige Präsentation in der
Leichen­teilen Öffentlichkeit und „Mund-zu-Mund-Propaganda“ im
• viele Schwerverletzte Einsatzwesen einen hohen Bekanntheitsgrad unter
• viele lange eingeklemmte Personen den Einsatzkräften, wurde zunächst jedoch noch
• viele Kinder und Jugendliche unter den nicht für Entlastungsgespräche von belasteten Hel-
Toten und Verletzten fern genutzt. In den ersten drei Wochen war der Hot-
• viele Angehörige und Vermissende an der line-Anschluss vielmehr in erster Linie Koordinati-
Unglücksstelle onsinstrument, da weitere Festnetzanschlüsse nicht
• zwei Gleisarbeiter unter den Toten (vielen zur Verfügung standen und Mobiltelefone 1998 noch
persönlich bekannt) nicht so verbreitet waren wie heute. Somit wurde
über die Helfer-Hotline Kontakt zum politisch-admi-
• hohe und dauerhafte Medienpräsenz
nistrativen Krisenstab gehalten. Allen regionalen
Führungskräften aus Feuerwehr, Rettungsdienst und Belastete Helfer, die von sich aus und ohne Kontakt-
Polizei sowie Politikern und Verwaltungsleitern wur- vermittlung über ihre Führungskräfte eine Beratung
den die Koordinierungsstelle und ihr Angebot der oder ein Nachsorgegespräch über die Helfer-Hotline
Einsatznachsorge vorgestellt und alle Nachsorgemaß- „Celle 7070“ erbaten, gab es in den ersten drei
nahmen wurden über „Celle 7070“ organisiert. Wochen insgesamt nur zehn. Dabei schilderten fast
Weiterhin wurden Informationsveranstaltungen für
­ alle typische Belastungsreaktionen nach einem belas-
Führungskräfte und Vertreter regionaler Beratungs- tenden Einsatz: Konzentrationsprobleme, Schlafstö-
einrichtungen und der Seelsorge über die Hotline rungen, Albträume, Ängste, allgemeine Unzufrieden-
vorbereitet und regelmäßig Kontakt zu den Medien heit und das ungewollte Aufsteigen von belastenden
gehalten. Zahlreiche Reporter beziehungsweise Pres- Bildern, Geräuschen und Gerüchen aus dem Einsatz-
seagenturen hatten sich, wie zu erwarten war, schon geschehen. Schlafstörungen wurden am häufigsten
am Tag der Hotlineschaltung telefonisch bei der beklagt, oft verbunden mit der Bitte an den Berater
Koordinierungsstelle gemeldet. Schließlich wurde in der Hotline, Medikamente zu verschreiben.
der Hotline-Anschluss genutzt, um ausgebildete Ein-
satznachsorgekräfte aus ganz Deutschland nach Schließlich meldeten sich in der Hotline einige Part-
Eschede zu alarmieren, die Einzel- und Gruppen­ nerinnen und Mütter von Einsatzkräften, die beim
gespräche für Helfer anbieten konnten. Eschede-Einsatz dabei waren, schilderten, dass sie
veränderte Verhaltensweisen bei ihren Partnern und
Drei Tage nach dem Unglück meldeten sich die ers- Söhnen beobachteten und baten um Rat.
ten Führungskräfte, vorwiegend aus den Feuerweh-
ren, in der Hotline, um Nachsorgegespräche für ihre
An der Helfer-Hotline geschilderte
Einheiten anzufordern. In den Tagen danach wurden
­Belastungsreaktionen:
die zunehmend nachgefragten Nachsorgegespräche
über die Hotline koordiniert: Allein in den ersten drei 41
Wochen fanden 53 Gruppengespräche (Debriefings) • Konzentrationsprobleme
und zahlreiche Einzelgespräche für insgesamt 714 • Schlafstörungen
Helfer aus Feuerwehr, Rettungsdienst, Bundeswehr,
• Albträume
Technischem Hilfswerk, den örtlichen Polizeien und
der Bundespolizei statt. In der Folge suchten viele • Ängste
dieser Einsatzkräfte dann den Kontakt zur Koordinie- • allgemeine Unzufriedenheit
rungsstelle über die Helfer-Hotline, um ihre Erfah-
• Aufsteigen von belastenden Bildern,
rungen mit den Nachsorgegesprächen zu schildern
­Geräuschen, Gerüchen aus dem Einsatz
oder weitere Hilfen anzufordern.

Bereits am vierten Tag nach dem Zugunglück bot die


Verwaltung eines Kurortes über die lokale Presse und Anderthalb Jahre telefonisch erreichbar –
über den (politisch-administrativen) Krisenstab den ­Koordinierungsstelle Einsatznachsorge
Einsatzkräften von Eschede kostenlose Erholungs­
urlaube an. Mit Beauftragung durch den Landkreis Die Koordinierungsstelle wurde aufgrund des
war die Koordinierungsstelle fortan auch für die erkennbar wachsenden Bedarfs an Einsatznachsorge
Organisation dieser Angebote zuständig. und der zunehmenden Akzeptanz unter den Eschede-
Einsatzkräften, aber auch auf Empfehlungen von
Ab dem fünften Tag gingen täglich regionale und Experten der Psychotraumatologie (Universitäten
überregionale Hilfsangebote für die Helfer ein. und Fachgesellschaften), die einen deutlich anstei-
Darunter niedergelassene Psychiater, Kurkliniken,
­ genden Versorgungsbedarf ab der sechsten Woche
Spezialambulanzen für posttraumatische Belastungs- nach dem Zugunglück prognostizierten, über die ers-
störungen, Familien- und Lebensberatungsstellen ten drei Wochen hinaus weitergeführt. Insgesamt
sowie diverse Angebote aus dem sogenannten esote- anderthalb Jahre hindurch wurde sie aufrechterhal-
rischen Spektrum. Zusätzlich gab es Forschungsan- ten und von den Helfern in Anspruch genommen.
fragen (Schwerpunkt Psychotraumatologie) aus ver- Damit blieb auch die Helfer-Holtline „Celle 7070“
schiedenen Hochschulen und Instituten. weiter geschaltet. Sie war jetzt allerdings nur tags-
(Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Informationsver-
anstaltungen, Vorträge etc.). Außerdem war die Koor-
dinierungsstelle für Medien- und Fachöffentlichkeits-
arbeit, die Evaluation durch Expertengruppen, die
Durchführung von Workshops sowie einer wissen-
schaftlichen Erhebung durch die Universität Freiburg
verantwortlich.
Daneben erfolgte die konkrete „Hilfe für Helfer“
über:
• Einzel- und Paarberatungsgespräche
• Moderation von Gesprächsgruppen für
­Angehörige der Eschede-Helfer
• Vermittlung weiterführender Hilfen (psychosoziale
Beratungsstellen, Unfallkassen, niedergelassene
Psychotherapeuten, Traumaambulanzen etc.)
• administrative Beratung
• Moderation von Gesprächen zwischen Einsatz-
kräften, Überlebenden und Hinterbliebenen
• Vorbereitung auf den ersten Jahrestag (Beratung
der Einsatz- und Führungskräfte zur Ablaufgestal-
tung, Helfergottesdienst, Kranzniederlegungen etc.)
Das ICE-Unglück in Eschede war für viele Helfer eine extreme • Beratung von Einsatz- und Führungskräften im
Belastung. (Bild: dpa) Umgang mit Medien
42
Längerfristige telefonische Beratung
über erreichbar, abends und nachts war ein Anrufbe-
antworter mit entsprechenden Hinweisen zur Erreich- Die Hotline wurde auch im Verlauf des anderthalb-
barkeit und Aufsprechmöglichkeit geschaltet. jährigen Projektes vor allem für Koordinationsaufga-
ben genutzt. Im Unterschied zu der Akutphase der
Ziele des langfristigen Nachsorgeprojektes waren ersten drei Wochen wurde sie in dieser Zeit aber
zum einen die Prävention psychosozialer Belastungs- auch zunehmend von belasteten Helfern, die Unter-
folgen und die Unterstützung bei der Erfahrungs­ stützung suchten, in Anspruch genommen.
verarbeitung. Ermöglicht wurde dies durch ein Pro-
gramm, das den Einsatzkräften von Eschede Insgesamt 158 Einzelpersonen oder Paare nahmen
mittel- und längerfristig einen niedrigschwelligen von sich aus Kontakt zur Koordinierungsstelle auf
Zugang zu regionalen psychosozialen und psycho- und baten um ein Entlastungsgespräch, davon knapp
traumatherapeutischen Hilfen ermöglichte. Zum die Hälfte (46%) über die Hotline „ Celle 7070“. Elf
anderen erfolgte eine umfassende Dokumentation Personen suchten die Koordinierungsstelle persön-
und Evaluation, um die Erkenntnisse und Erfahrun- lich auf, die übrigen Ratsuchenden nahmen bei ande-
gen dieses Pionierprojektes für die Fachöffentlichkeit ren Gelegenheiten, vor allem am Rande von Infor­
sowie für politische Entscheidungsträger nutzbar zu mationsveranstaltungen in Rettungswachen und
machen. Feuerwehren Kontakt auf. Dabei hatten acht Anrufer
die Rolle der Kontaktvermittlung übernommen, um
Arbeitsschwerpunkte der Koordinierungsstelle eine Beratung für eine andere Person anzufragen,
zwei Ratsuchende nahmen verabredete Beratungster-
Arbeitsschwerpunkte der Koordinierungsstelle waren mine nicht wahr.
Information und Beratung der regionalen Bevölke-
rung, von politischen Entscheidungsträgern, Füh- Einzelberatungsgespräche erfolgten somit mit ins­
rungskräften im Einsatzwesen und Anlaufstellen der gesamt 148 Personen, wobei das Kontaktaufnahme-
psychosozialen Regelversorgung über Folgen beson- gespräch zumeist (zu 76%) mit dem ersten Bera-
ders belastender Einsätze und Nachsorgemethoden tungsgespräch identisch war. Bei 82 Personen erfolgte
nur ein Beratungsgespräch, mit 45 Personen wurden Interesse der Medienvertreter an der einzelnen Ein-
zwei bis drei Gespräche geführt, mit 21 Personen satzkraft mit der damit verbundenen Möglichkeit,
fünf und mehr Gespräche. von sich zu berichten, als wohltuend und als Aner-
kennung ihrer Arbeit erlebt.
Von den im Projektverlauf insgesamt geführten 537
Einzelberatungsgesprächen erfolgten rund 40% über
die Helfer-Hotline. Die Hälfte der 215 Telefonate Häufige Themen in der Helfer-Hotline:
dauerte rund 10 Minuten, die anderen Telefongesprä-
che rund 30 Minuten. • eigene Belastungsreaktionen
• Medien (störend und aufdringlich versus
Anrufende waren überwiegend Einsatzkräfte (opera-
wohltuend und anerkennend)
tive Kräfte und Führungskräfte, davon 56% ehren-
amtlich und 44 % hauptamtlich Tätige), die sich belas- • eigene Grenzen
tet fühlten. Daneben meldeten sich Angehörige von • Schuld (Habe ich genug getan?)
Einsatzkräften, einige der beim Zugunglück Verletz-
• empfundene Hilflosigkeit und Ohnmacht
ten oder Hinterbliebene, Ersthelfer beziehungsweise
Anwohner von Eschede und Journalisten mit Belas- • Anblick von zahlreichen Toten, Leichen­
tungsreaktionen in der Hotline. teilen, eingeklemmten Personen
• viele Kinder und Jungendliche unter den
Zeitlich gesehen nahmen die Ratsuchenden verstärkt unmittelbar Betroffenen
im Herbst 1998 – drei bis vier Monate nach der
Zugentgleisung – zur Weihnachtszeit und in den
Wochen um den ersten Jahrestag (Mai/Juni 1999) Wichtige Themen an der Hotline waren immer wie-
telefonisch Kontakt zur Koordinierungsstelle auf. der die „eigenen Grenzen“ und „Schuld“. Die Frage, 43
ob man während des Einsatzes alles zur Rettung
getan hatte, was möglich gewesen war, quälte viele
Anrufergruppen in der Helfer-Hotline: Helfer. Zentral waren die empfundene Hilflosigkeit
und die Ohnmacht, angesichts der vielen Toten und
Leichenteile und auch der eingeklemmten Personen,
• Einsatzkräfte
die nicht sofort befreit werden konnten, sowie die
• Angehörige von Einsatzkräften Tatsache, dass zahlreiche Kinder und Jugendliche
• Verletzte unter den Betroffenen waren.
• Hinterbliebene
Nicht wenige Einsatzkräfte reagierten – wie von
• Ersthelfer (meist Anwohner von Eschede) Experten erwartet – zeitversetzt auf die hohen psy-
• Journalisten (mit Belastungsreaktionen) chischen Belastungen des Einsatzes. Nachdem sie
mehrere Wochen oder Monate hindurch in ihren All-
tag zurückgefunden hatten, traten plötzlich störende
Zu den typischen Gesprächsthemen der Helfer Belastungsreaktionen auf. Eine zusätzliche Schwie-
gehörten ihre Belastungsreaktionen. 1998 war im rigkeit in diesen Fällen bestand darin, dass das sozi-
Einsatzwesen sehr viel weniger darüber bekannt als ale Umfeld der Einsatzkräfte oftmals mit Unverständ-
heute, so dass viele Eschede-Einsatzkräfte beunru- nis darauf reagierte und nur noch bedingt für
higt und sich selbst fremd waren, da sie die eigenen Entlastungsgespräche zur Verfügung stand. In diesen
Reaktionen nicht einordnen konnten. Die in den Fällen wurde dann die Helfer-Hotline genutzt.
Hotline-Gesprächen gegebenen Aufklärungen und
Erläuterungen konnten so zur Entlastung beitragen. Rückblickend lassen sich die Einsatzkräfte, die die
Helfer-Hotline nutzten, grob in drei Gruppen eintei-
Ein weiteres Thema war der Umgang mit den Medien, len:
zu denen die meisten ein ambivalentes Verhältnis • in Einsatzkräfte, die in ihrer Kollegenschaft bezie-
hatten. Sie wurden einerseits als störend und vielfach hungsweise Kameradschaft und in ihrem sozialen
aufdringlich beschrieben, andererseits wurde das Umfeld keine Möglichkeit (mehr) hatten oder nutz-
ten, über ihre Belastungen im Eschede-Einsatz zu zeien, Technisches Hilfswerk, Bundeswehr) haben
sprechen, inzwischen flächendeckend eigene Hilfe-für-Helfer-
• in Einsatzkräfte, die keinen Kontakt mehr zu der Strukturen aufgebaut. Auch die Qualitätssicherung
Einheit, mit der sie im Einsatz waren oder zu ande- schreitet voran. Inzwischen erarbeitete, wissenschaft-
ren Eschede-Einsatzkräften hatten, lich fundierte Standards und Leitlinien für die psy-
• in Einsatzkräfte, die mit erheblichen psychischen chosoziale Einsatzvorbereitung, -begleitung und
Vorbelastungen in den Eschede-Einsatz gegangen -nachsorge finden Berücksichtigung. Eine koordinie-
waren oder in der Zeit danach eine psychosoziale rende Stelle für die Einsatznachsorge mit einer
Zusatzbelastung (zum Beispiel familiäre Krise) ­Helfer-Hotline, wie sie in Eschede umgesetzt wurde,
erleben mussten. ist heute in dieser Form nicht mehr erforderlich.

Für einen Teil der Einsatzkräfte, etwa 10%, brachte Dennoch melden sich auch Einsatzkräfte und ihre
der Eschede-Einsatz dauerhafte Probleme mit sich, Angehörigen erfahrungsgemäß in Krisenhotlines, die
die auch in den Hotlinegesprächen eine Rolle spiel- nach komplexen Gefahren- und Schadenslagen
ten. Dazu gehörten vor allem schwerwiegende Kri- angeboten werden, wenn auch nicht in großer Zahl.
sen in Partnerschaft und Familie oder auch erheb­ Diese Anrufgruppe ist somit bei allen Planungen und
liche Probleme im Beruf. Einige Helfer hatten eine Schulungen zur Krisenhotline einzubeziehen. Über
Psychotraumatherapie begonnen, bei einzelnen die Gründe lässt sich – da keine systematischen
zeichnete sich eine Berufsunfähigkeit ab. Bei all die- Untersuchungen zu dieser Frage vorliegen – zurzeit
sen gravierenden Auswirkungen – so war es in den nur anhand von einzelnen Rückmeldungen spekulie-
Beratungsgesprächen erkennbar – war der Eschede- ren. Danach spielen Unzufriedenheit mit den Bera-
Einsatz allerdings nicht die alleinige Ursache. tungsangeboten in der eigenen Einsatzstruktur und
der Wunsch nach Anonymität hierbei eine wesent­
44 Helferhotline – heute noch zeitgemäß? liche Rolle.

Die akute und längerfristige Einsatznachsorge nach Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass anonyme
dem ICE-Unglück in Eschede führte zu einer breiten Internetforen mit der Möglichkeit, Selbsteinschätzun-
Akzeptanz und höheren Sensibilität für psychosozi- gen zu psychischen Belastungen (online-Diagnostik)
ale Themen und Fragen im Einsatzwesen. Zahlreiche anhand von Checklisten vorzunehmen und Fach-
Nachsorge-Teams im gesamten Bundesgebiet wur- leute online ansprechen zu können, von Einsatzkräf-
den gegründet. Bei allen größeren Schadenslagen in ten immer stärker angenommen werden. Diese
Deutschland, die in den ersten Jahren nach dem Zug- neuen Beratungsformen sind in die zukünftigen Pla-
unglück in Eschede folgten und mit hohen Belastun- nungen zur psychosozialen Arbeit im Einsatzwesen
gen für die Helfer verbunden waren (Amoklauf Erfurt einzubeziehen.
2002, Flugzeugkollision Überlingen 2002, Transrapid-
Unglück im Emsland 2006, Eissporthalleneinsturz Dr. Jutta Helmerichs
Bad Reichenhall 2006), zeigte sich, dass hinreichend Diplom-Soziologin
Kräfte für die Helfernachsorge in angemessener Zeit Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
abrufbar waren. Aber auch bei weniger großen und ­Katastrophenhilfe (BBK),
gravierenden Unfällen und Unglücken im Einsatz­ Leiterin des Referats Psychosoziale
alltag, die für Einsatzkräfte belastend sein können, ist ­Notfallversorgung (PSNV), beim ICE-Unglück
die „Hilfe für Helfer“ mittlerweile in der Regel unpro- Eschede Leiterin der Koordinierungsstelle
blematisch verfügbar. Die meisten Organisationen im ­Einsatznachsorge (04.06.1998-15.12.1999)
Einsatzwesen (Feuerwehren, Rettungsdienste, Poli-
LÜKEX 2009/10:
Bürgertelefone als Krisenhotline im Einsatz

Claudia Schedlich

45

Stabsrahmenübungen sind wichtige Instrumente des behördlichen Krisenmanagements. (Bild: BBK)

Die länderübergreifende Krisenmanagement- am gesamtgesellschaftlichen Krisenmanagement


übung LÜKEX Be­teiligten soll somit erhöht werden. Ziel ist es fer-
ner, staatliche Entscheidungsträger für außergewöhn-
Seit 2004 organisiert das Bundesamt für Bevölke- liche Krisenlagen und Themenfelder des strategi-
rungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) im Auftrag schen Krisenmanagements zu sensibilisieren.
des Bundesministeriums des Innern (BMI) regel­
mäßig eine länder- und bereichsübergreifende Stabs- Besondere Bedeutung kommt der Risiko- und Krisen­
rahmenübung namens LÜKEX (Kurzform für Länder­ kommunikation, dem Psychosozialen Krisenmanage-
übergreifende Krisenmanagement-Exercise). ment und der Einbindung privater Unternehmen und
Organisationen im Bereich der Kritischen Infrastruk-
Dadurch soll die Entscheidungs- und Abstimmungs- tur (sogenannte KRITIS-Betreiber) zu. Die Stabsrah-
kultur bei der Bewältigung nationaler Krisen auf poli- menübung LÜKEX dient auch der Umsetzung und
tischer und strategischer Ebene optimiert werden. Überprüfung der Wirksamkeit, der durch die Innen-
Verfahrensabläufe werden getestet und die länder­ ministerkonferenz beschlossenen „Neuen Strategie
übergreifende Koordinierung von Maßnahmen, die zum Schutz der Bevölkerung“ (IMK-Beschluss vom
auf der Grundlage einschlägiger Vorschriften und 16.12.2002) sowie der Implementierung der einschlä-
Arbeitsanweisungen von Bund und Ländern zu tref- gigen Vorschriften des Gesetzes über den Zivilschutz
fen sind, wird erprobt. Die Handlungssicherheit aller und die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG). Die
Planung, Durchführung und Auswertung von ressort- lung, Lageprognose und die Planung und Implemen-
und länderübergreifenden Krisenmanagementübun- tierung geeigneter Maßnahmen auf politischer, admi-
gen ist als gesetzliche Aufgabe dem Bundesamt für nistrativer und operativ-taktischer Ebene dar. Damit
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) rücken Fragen nach zu erwartendem Bevölkerungs-
zugewiesen (vgl. §14 ZSKG). verhalten in komplexen Schadenslagen und Umset-
zungsstrategien für eine angemessene Risiko- und
An der LÜKEX nehmen betroffene Bundesressorts Krisenkommunikation sowie geeignete Maßnahmen
und Bundesbehörden, übende Länder mit ihren Res- der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) in den
sorts und Behörden als sogenannte intensivübende Fokus von Übungen.
Länder sowie KRITIS-Betreiber teil. Die übrigen Län-
der sind mit Rahmenleitungsgruppen beteiligt. Ins­ Deshalb wurde erstmals während der Übung LÜKEX
gesamt sind bei der LÜKEX ca. 4000 Personen, ent- 2009/10, welche „terroristische CBRN-Bedrohung“
weder als Übende in den Krisenstäben oder in (chemische, biologische, radiologische, nukleare
Steuerungsstäben, in die Übung eingebunden. Bedrohung) zum Thema hatte, in breitem Umfang
auch das psychosoziale Krisenmanagement als integ-
Übungsthemen waren: großflächiger Stromausfall raler Bestandteil des gesamten Krisenmanagements
(2004), Großveranstaltungen (2005), Pandemie in seiner Relevanz verdeutlicht und beübt.
(2007), terroristische CBRN-Bedrohung (2009/10)
und Cyber-Terrorismus (2011). 2013 wird das Thema Zur angemessenen Darstellung des Bevölkerungsver-
Lebensmittelsicherheit beübt. haltens und um während der Übung spontan auf die
Lageentwicklung reagieren zu können, wurde in der
Bevölkerungsverhalten und Krisenhotline als LÜKEX 2009/10 erstmals die „Gruppe Bevölkerung“
Übungselement im eingerichteten Zentralen Übungssteuerstab (ZÜST)
46 etabliert. Sie bestand aus 20 Experten aus Bereichen
Reaktionen der Bevölkerung und einzelner Bevölke- des Psychosozialen Krisenmanagements mit umfassen-
rungsgruppen stellen eine wesentliche Einflussgröße der praktischer und wissenschaftlicher Erfahrung zu
in komplexen Schadenslagen für die Lagebeurtei- komplexen Gefahren- und Schadenslagen.

Akteure der „Gruppe Bevölkerung“ simulieren unterschiedliche Anrufgruppen der Bevölkerung, die bei einer Terrorbedrohung
zu erwarten sind (v.l.n.r.: Thomas Erbert, Christian Hannig, Jutta Unruh, Ralf Radix, Dr. Gerhard Fahnenbruck, Dr. Andreas
­Müller-Cyran, Sören Petry; vorne: Nora Hüllmantel). (Bild: BBK)
Die Darstellung des Bevölkerungsverhaltens erfolgte Anliegen der Anrufenden:
im Einzelnen durch: Anliegen der Anrufenden waren zum Beispiel, Infor-
• das Entwickeln und Einspielen von vorab vorbe- mationen zu erhalten
reiteten strategischen Einlagen zu Bevölkerungs- • zur aktuellen Bedrohung,
reaktionen und von Einlagen, die sich aus den im • zu entstandenen Schäden,
Übungsverlauf eingeleiteten Maßnahmen der • zu Verhaltens- und Handlungsempfehlungen,
Stäbe, der daraus abzuleitenden Lageentwicklung • zu Hilfsangeboten,
sowie den Darstellungen in den übenden Medien • zum Verbleib von Angehörigen und Einsatzkräften.
ergeben sowie In Auswertungsgesprächen mit den jeweiligen Orga-
• das Beüben von Bürgeranfragen an „Krisenhot- nisatoren der Hotlines in den übenden Behörden
lines“ durch direkte Anrufe von Mitgliedern der und Organisationen wurde rückgemeldet, dass die
„Gruppe Bevölkerung“. überwiegende Anzahl der Anrufe als realistisch
bewertet wurde.
Das operative Übungselement „Krisenhotline“ wurde
einbezogen, weil in komplexen Gefahren- und Scha- Telefonprotokoll:
denslagen von einem umfassenden Informationsbe- Jedes Telefonat wurde von den Mitarbeitern der
darf in der Bevölkerung auszugehen ist. Erfahrungen „Gruppe Bevölkerung“ in einem Telefonprotokoll
zeigen, dass mit einer hohen Anzahl von telefoni- erfasst und nach vorab entwickelten Auswertekrite-
schen Bürgeranfragen in den unterschiedlichen rien bewertet.
Behörden (Polizei, Feuerwehr, Gesundheitsämter, Auswertungskategorien waren:
Bürgertelefone etc.) auszugehen ist. Um dieses • die Erreichbarkeit der Hotline
Anrufaufkommen kanalisieren und gleichzeitig Kata- • das Erfassen der Personendaten
strophenhilfe leisten zu können und um ein abge- • das Verhalten der Hotliner
stimmtes Informationsmanagement zu ermöglichen, • das Eingehen auf Anliegen der Anrufer 47
wird die schnelle Einrichtung einer zentralen Krisen- • die Transparenz und Glaubhaftigkeit der
hotline als wesentliches Element des psychosozialen ­Informationen
Krisenmanagements empfohlen. • das Vermitteln weiterer Kontaktmöglichkeiten
bei Bedarf
Übungserfahrungen in der Krisenhotline • die Anleitung zur Selbsthilfe
• die Genauigkeit der Handlungsempfehlungen
Im Vorfeld der LÜKEX 2009/10 wurde von mehreren • die Vermittlung von Perspektive
teilnehmenden Behörden und Organisationen der In Auswertungsgesprächen wurde rückgemeldet,
Wunsch geäußert, die Nutzung des Bürgertelefons in dass während der Arbeit an der Hotline insbesondere
einer Krise beziehungsweise Katastrophe zu beüben. die Vielschichtigkeit der Anliegen und die Emotiona-
Einbezogen wurden die Bürgertelefone einer Bun- lität der Anrufenden für die Hotliner eine hohe Belas-
desbehörde, zweier Landkreise, zweier Regierungs- tung bedeuteten. Hier wurde ein elementarer Unter-
bezirke und einer Hilfsorganisation. Über einen Zeit- schied zwischen Bürgertelefon und Krisenhotline
raum von anderthalb bis zwei Stunden je übender deutlich: Am Bürgertelefon melden sich überwie-
Einrichtung wurden sie von drei Hotline-Plätzen aus gend Bürger, die Informationen einholen wollen. Mit
mit insgesamt 161 Anrufen durch Mitarbeiter der schwierigen Anrufern, welche die Hotliner emotional
„Gruppe Bevölkerung“ beübt. Nach Abschluss der nachhaltig belasten, sind sie hier eher selten kon-
Übung wurde die Übungserfahrung Krisenhotline frontiert.
per Fragebogen nach wissenschaftlichen Standards
ausgewertet. Anrufergruppen:
An einer Krisenhotline sind sehr unterschiedliche
In der Vorbereitung auf das Beüben von Bürgertele- Anrufergruppen mit äußerst unterschiedlichen Anlie-
fonen im Krisen- und Katastrophenfall wurden – gen zu erwarten, dabei auch zahlreiche Menschen,
basierend auf den Erfahrungen bei Großschadens­ die sich in einer emotionalen Ausnahmesituation
lagen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu befinden. Eine Unterscheidung in einerseits Krisen-
Reaktionen und Bedarfen der Bevölkerung – Anru- hotlines bei Informations- und K ­risenlagen (bei-
ferrollen und Anruferanliegen entwickelt. spielsweise Hochwassergefahren, Ausfällen von Inf-
Anrufer fühlen sich dann verstanden und entlastet, wenn Informationen sachlich und zugewandt übermittelt werden
(v.l.n.r.: Susanne Lenerz, Dr. Martin Weber, Thomas Erbert, Dr. Andreas Müller-Cyran und weitere Experten des psychosozialen
48 Krisenmanagements). (Bild: BBK)

rastruktur wie Strom oder Gas, Gesundheitsgefahren Erreichbarkeit der Hotline:


wie Vogelgrippe, EHEC etc.), die ein höheres Anruf- Aufgrund des vergleichsweise geringen Anrufauf-
und Informationsaufkommen zur Lage, aber keine kommens in der Übung (Übungskünstlichkeit)
hochbelasteten Betroffenen zur Folge haben, und konnte die Erreichbarkeit der Krisenhotlines nicht
andererseits Schadenslagen mit zahlreichen Toten ausgewertet werden. Überwiegend waren die Hot-
und Verletzten (schwere Unglücke, Katastrophen) lines in den vereinbarten Zeitfenstern gut erreichbar.
mit hochbelasteten Betroffenen ist eher konzeptio- Ausnahme war die Hotline der Hilfsorganisation.
neller Natur. Denn sehr rasch kann eine Informa- Hier kam es mehrmals zu längeren Wartezeiten und
tions-Krisenlage (wie bei Großveranstaltungen) zu vor allem zu mehrfachen internen Weiterverbindun-
einer Schadenslage werden (wie zum Beispiel bei gen, was erhebliche Zeitverluste bedeutete. Im Ernst-
der Loveparade 2010 in Duisburg) und zahlreiche fall ist ein wesentlich höheres Anrufaufkommen zu
Betroffene (Verletzte, Angehörige, Hinterbliebene, erwarten und die entsprechenden personellen Res-
Vermissende) hervorrufen, die sich in jeder verfüg­ sourcen sind in der Vorbereitung auf eine komplexe
baren Krisenhotline melden. Hierauf sind die Agen- Gefahren- oder Schadenslage im Vorfeld zu planen.
ten von Bürgertelefonen, die in einer Krisenhotline
zum Einsatz kommen sollen, vorzubereiten. Personendaten:
Bei insgesamt 161 Anrufen wurden die Personenda-
Informationslage der Hotliner: ten der Anrufer von den Hotlinern in 22 Fällen voll-
Ein weiteres Ergebnis der LÜKEX-Auswertungsge- ständig erfasst und in neun Fällen unvollständig. Hier
spräche ergab, dass sich die Hotliner durch (übungs- zeigt sich ein wesentlicher Unterschied in den Vorge-
gemäß vorgegebene) mangelnde Informiertheit über hensweisen bei einer Bürgerhotline und bei einer
die Lageentwicklung, die Maßnahmen, die Gefähr- Krisenhotline: In der Arbeit einer Bürgerhotline ist
dung und die Folgen des Schadensereignisses zeit- die Erfassung von Personendaten in der Regel obso-
weise verunsichert erlebten, was das Empfinden von let, anders als in der Krisenhotline. Insbesondere bei
Belastung partiell verstärkte. Vermissendenanfragen, aber auch für die Weiterver-
mittlung und den Rückruf bei Rechercheaufträgen ist ersichtlich, dass hier eines der Probleme in der Hot-
die Erfassung der Personendaten unerlässlich. Emp- line-Arbeit zu verzeichnen war: Wenn die Hotliner
fohlen werden in einer Krisenhotline ein generelles über aktuelle Informationen zur Lage verfügten, wur-
Erfassen von Personendaten und Erreichbarkeiten den diese bei immerhin 32% der Anrufe adäquat,
sowie eine sorgfältige Gesprächsdokumentation. Das sachlich und kompetent vermittelt, was einen wesent-
Erfassen der Personendaten und die Dokumentation lichen positiven Effekt auf die Anrufenden erzielte.
ermöglichen unter anderem Sachstandsklärungen im Bei vielen Anrufen wurde jedoch ein deutliches
Konfliktfall, Rückrufe, zum Beispiel bei veränderten Informationsdefizit der Hotliner ersichtlich. Nur in
Informationslagen oder die Möglichkeit, Mehrfachge- wenigen Fällen wurde dieses Defizit benannt und
spräche auch bei Schichtwechsel nachzuverfolgen. mit der Zusage versehen, die angefragten Informati-
Im deutlichen Unterschied zum Bürgertelefon wird in onen möglichst rasch einzuholen. Stattdessen wurde
der Krisenhotline somit keine hohe „Fallabschluss- versucht, das Defizit zum Teil mit diffusen, wider-
rate“ angestrebt. sprüchlichen oder sogar falschen Informationen zu
kompensieren. Auch wurde in Einzelfällen ein Zuviel
Gesprächsverhalten der Hotliner: an Information weitergegeben.
Für die Bewertung des Verhaltens der Hotliner waren
– neben der Möglichkeit der freien Kommentierung – Informationsgewinnung und Vernetzung:
die folgenden Einschätzungsmöglichkeiten vorgege- In mehr als der Hälfte der Anrufe wurden den Anru-
ben: zugewandt, beruhigend, empathisch, sachlich, fenden weitere Kontaktmöglichkeiten zur Informati-
emotionalisierend, hektisch, abweisend. Das Verhal- onsgewinnung und weiterführende Hilfen angebo-
ten der Hotliner wurde bei annähernd zwei Drittel ten, zum Beispiel an eine Vermissenden-Hotline,
der geführten Telefonate positiv bewertet. Insbeson- lokale Behörden, Einrichtungen des Gesundheitswe-
dere wurden der sachliche und informative Umgang sens, psychosoziale Dienste oder das Internet. Der
mit einem beruhigenden Effekt assoziiert. Dies ent- Verweis auf Informationsgewinnung über das Inter- 49
spricht den empirischen Erkenntnissen, wonach zeit- net war meist unspezifisch und wenig konkret hin-
nahe, sachliche und zugewandte Informationsver- sichtlich dessen, was Informationsbedürftige dort fin-
mittlung einen wesentlichen beruhigenden und den können. Hier zeigten sich bei den Hotlinern an
kooperationsfördernden Effekt in komplexen Scha- vielen Stellen Informationsdefizite in Bezug auf die
denslagen zeigt. Problematisch für die Hotliner war Lage, involvierte Behörden und weitere Anlaufstellen.
in Einzelfällen das Aufrechterhalten einer freundlich-
zugewandten Grundhaltung bei hoch belasteten oder Konkrete Handlungsempfehlungen und
auch aggressiven Anrufern. ­Anleitung zur Selbsthilfe:
Handlungsempfehlungen und Anleitung zur Selbst-
Den Hotlinern ist es überwiegend gut gelungen, die hilfe wurden nur in sehr wenigen Fällen vermittelt.
Anliegen der Anrufer aufzugreifen und zu vermitteln, Dies ist sicher das adäquate Verhalten, wenn den
dass diese ernst genommen werden. Das ist jedoch Hotlinern keine klaren Handlungsempfehlungen zur
nicht damit gleichzusetzen, dass die Anliegen der Verfügung stehen. Die deutliche Zurückhaltung ver-
Anrufenden auch erfüllt werden konnten. Dies hing weist aber auch auf einen entsprechenden Hand-
in starkem Maße von dem Stand der Informationen lungsbedarf. Möglichst zeitnah zum Ereignis sollten
und dem Netzwerkwissen bei den Hotlinern ab. Als Handlungsempfehlungen auf der Basis einschlägiger
besonders problematisch erwies sich die Situation, Expertise für die Bürger in den betroffenen Regionen
wenn der Informationsstand der Hotliner zu Lage, formuliert werden und den Mitarbeitern an einer Kri-
Gefährdungspotential und Handlungsempfehlungen senhotline vorliegen.
niedrig war.
Vermittlung von Perspektiven:
Transparenz und Glaubhaftigkeit der Auch bezüglich der Vermittlung von Perspektiven
­Informationen: wurde in den Hotline-Gesprächen sehr zurückhal-
Die Ergebnisse zur Informationsqualität bezüglich tend vorgegangen. Hier zeigte sich ein klarer Unter-
Transparenz und Glaubhaftigkeit der Informationen schied zwischen Bürgertelefon und Krisenhotline: In
erwiesen sich als heterogener als die in den übrigen einer Krisenhotline ist es besonders wichtig, Perspek-
Kategorien. In den Auswertungsgesprächen wurde tiven aufzuzeigen, zum Beispiel wann wahrschein-
Schon während der LÜKEX-Übung werden erste Erfahrungen der „Gruppe Bevölkerung“ ausgewertet
(v. l. n. r. Thomas Erbert, Christian Hannig, Jutta Unruh). (Bild: BBK)
50

lich mit weiteren Informationen gerechnet werden sen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
kann, welche Behörden und Experten eingeschaltet Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass bei kom-
sind oder wo und wann Informationen über Ver- plexen Gefahren- und Schadenslagen – je nach Lage-
misste zu erfahren sind, um zum Bespiel vermissen- charakter – mit einem hohen Informations-, Bera-
den Personen einen nächsten Anhaltspunkt zu geben. tung- und/oder Vermittlungsbedürfnis in der
Bevölkerung und einem hohen Anrufaufkommen zu
Zusammenfassung und Empfehlungen rechnen ist. Umso ungewisser und uneinschätzbarer
der Gefährdungsgrad und umso größer die Anzahl
Die Bereitschaft der bei der LÜKEX 2009/10 übenden von unmittelbar Betroffenen (Tote, Verletzte, Ver-
Behörden und Organisationen, das übungsaufwen- misste) ist, umso größer wird das Anrufvolumen aus-
dige Element Krisenhotline in den Übungsrahmen fallen. Es ist grundsätzlich zu empfehlen, schnellst-
mit einzubeziehen und sich mit der Relevanz der möglich eine Krisenhotline zu schalten und deren
Thematik in der Vorbereitung auf komplexe Gefah- Telefonnummer über die Medien zu verbreiten, bei
ren- und Schadenslagen auseinanderzusetzen, ist Lagen in denen
sehr zu begrüßen. Die zeitnahe Einrichtung einer Kri- • der Gefährdungsgrad unklar und schwer kalku-
senhotline im Falle komplexer Gefahren- und Scha- lierbar ist (zum Beispiel bei CBRN-Lagen),
denslagen als Element des psychosozialen Krisenma- • eine große Anzahl von Menschen betroffen ist,
nagements ist in der heutigen Mediengesellschaft • viele Menschen verletzt und/oder verstorben sind,
unverzichtbar. Für ihre Einrichtung müssen im Vor- • die Identität Verletzter oder Verstorbener nicht
feld einer Lage technische Voraussetzungen, struktu- zeitnah festgestellt werden kann,
relle Rahmenbedingungen sowie die Zusammenar- • das grundsätzliche Sicherheitserleben in einer
beit mit den Stäben und die Informationsübermittlung Region schwer erschüttert ist,
geklärt sein. Der psychosozialen Schulung von Hotli- • materielle Versorgungsengpässe und/oder Fragen
nern zur Vorbereitung auf den qualifizierten Umgang zu finanzieller Unterstützung relevant sind oder
mit Menschen in Extremsituationen und einer • rechtliche und administrative Fragestellungen auf-
adäquaten Risiko- und Krisenkommunikation müs- tauchen.
Die Schaltung und Bekanntgabe einer zentralen Kri- Personendaten zu erfassen, um erneute Kontakt-
senhotline verkleinert das Anrufaufkommen bei den aufnahme und die Nachverfolgung mehrerer Tele-
Notrufnummern 110 und 112 (Feuerwehr, Rettungs- fonate zu ermöglichen.
dienst, Polizei) und in unterschiedlichen jeweils 3. 
Die Hotliner müssen durch Schulungen auf die
involvierten Behörden (wie beispielsweise Bundes- psychosozialen Anforderungen an einer Krisen-
umweltministerium, Bundesämter für Strahlenschutz, hotline vorbereitet sein. Insbesondere der Umgang
Risikobewertung, Bevölkerungsschutz, Robert-Koch- mit Menschen in Extremsituationen muss trainiert
Institut etc.) und jeweils involvierten Versorgungsein- werden. Ein Schulungseffekt ist erfahrungsgemäß
richtungen (wie Kliniken, Gesundheitsämter etc.) erst nach zwei bis drei Unterrichtstagen mit hohem
und entlastet diese damit erheblich. Zudem können Trainingsanteil (Rollenspiele am Telefon) zu erzie-
relevante Informationen gebündelt erhoben werden len. Eine Auffrischung der Inhalte sollte einmal
und der Einsatz von Experten – falls erforderlich – jährlich in eingeschränktem Umfang (eintägig)
arbeitsökonomisch erfolgen. stattfinden.
4. Es sollte in der Vorbereitung eine Datenbank mit
Grundsätzlich ist es nicht möglich ein Bürgertelefon regionalen und überregionalen Kontaktdaten und
ohne strukturelle und personelle Vorbereitung als kooperierenden Organisationen und Behörden
Krisenhotline einzusetzen. erstellt und regelmäßig aktualisiert werden, um
selbst Informationen zu erfragen und auch die
Die Mitarbeiter an einer Krisenhotline benötigen eine Anrufenden angemessen weiter verweisen zu kön-
besondere Schulung, um sich auf den adäquaten nen.
Umgang mit Menschen in (emotionalen) Extremsitu- 5. Es empfiehlt sich, in der Vorbereitung Informati-
ationen und die adäquate Erfassung und Vermittlung onsmaterial zu spezifischen Lageaspekten sowie
von Informationen vorzubereiten. Nur so kann zum Frequently Asked Questions (FAQ) zusammen­
einen gewährleistet werden, dass sich eine Krisen- zustellen, um möglichst zeitnah über notwendige 51
hotline nahtlos in die Risiko- und Krisenkommunika- Informationen zu verfügen.
tion und das gesamte Krisenmanagement eingliedert.
Zum anderen ist eine umfassende Vorbereitung der Während des Einsatzes einer Krisenhotline ist eine
Hotliner auf diese schwierige und teilweise emotio- klare Leitungs- und Organisationsstruktur zu gewähr-
nal belastende Arbeit im Sinne der Fürsorgeverpflich- leisten. Darunter fallen eine eindeutige Schichten-
tung notwendig. und Pausenregelung, der ständige Austausch mit
dem Krisenstab, regelmäßige Updates zum Lagefort-
Die Vorbereitung auf die schnelle Schaltung von schritt und über eingeleitete Maßnahmen und die
einem Bürgertelefon zur Krisenhotline im Schadens- Abstimmung der Informationsweitergabe mit Krisen-
fall erfordert folgende Planungsschritte: stab und Pressestelle – one voice policy etc.
1. Die technischen Voraussetzungen müssen in Form
von ausreichenden Arbeitsplätzen mit PC-Ausstat- Die Erfahrungen der „Gruppe Bevölkerung“ mit der
tung gegeben sein. Eine entsprechende Doku- Verwendung von Bürgertelefonen als Krisenhotline
mentationsvorlage/Software sollte erstellt sein. Die bei der LÜKEX 2009/10 (und LÜKEX 2011) hatten zur
Hotliner müssen mit den technischen Bedingun- Folge, dass im Rahmen des „Projektes 115 – Einheit-
gen und dem Dokumentationssystem vertraut liche Behördenrufnummer“* ein Konzept entwickelt
sein. wird, wie die 115 in besonderen Lagen (Gefahren­
2. Die Arbeit an einer Krisenhotline erfordert eine lagen, Krisen) mit hohem Anrufvolumen unterstützen
sorgfältige Form der Datenerhebung und Doku- kann. Mit seinen bestehenden Ressourcen mit über
mentation, in die die Hotliner zuvor eingewiesen 30 Service-Centern und über 1.000 Agenten, der ver-
sein müssen. So ist es zum Beispiel notwendig, netzten Infrastruktur sowie seinem Know-How, birgt

* Die einheitliche Behördenrufnummer 115 ermöglicht seit Projektstart Anfang 2009 vielerorts Bürgern in Deutschland einen d
­ irekten
­Zugang zu Auskünften über Leistungen der öffentlichen Verwaltung. Das Projekt wurde vom Bundesministerium des Innern (Geschäfts-
und Koordinierungsstelle 115) und dem Land Hessen gemeinsam mit Modellregionen, Landes- und B
­ undesbehörden entwickelt.
der Rückgriff auf den 115-Verbund Potenzial. Die der Krisenhotline zum Einsatz kommen sollen, auf
Herausforderung liegt dabei in der Verzahnung mit den Umgang mit allen zu erwartenden Einsatzgrup-
den bestehenden Bürgertelefonen sowie in der nach pen – auch hoch belasteten Betroffenen – zu s­ chulen,
außen kommunikativen Abgrenzung zu Rufnum- da Krisenlagen ad hoc zu Schadenslagen mit Toten
mern, die Personenauskünfte erteilen (Personenaus- und Verletzten werden können und die Beteoffenen
kunftsstellen, amtliche Auskunftsbüros, Suchdienst in solchen Fällen erfahrungsgemäß alle geschalteten
des Deutschen Roten Kreuzes, Krisenhotlines von und bekannten Informationsquellen nutzen.
Unternehmen und vergleichbaren Einrichtungen).
Claudia Schedlich
Generell gilt es, die telefonische Auskunft, die bei Diplom-Psychologin,
Schadensalgen mit zahlreichen Toten und/oder Ver- Psychologische Psychotherapeutin
letzten aktiviert wird, strukturell und technisch so zu Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
gestalten, dass die Anrufer keine zusätzliche Belas- ­Katastrophenhilfe (BBK),
tung sondern Hilfe erfahren. Gleichzeitig sind die Referat Psychosoziale ­Notfallversorgung (PSNV)
Service-Center-Agenten des 115-Verbundes, die an Leiterin der „Gruppe Bevölkerung“ bei der LÜKEX

52

Neben moderner Technik wird bei der Übung auch auf altbewährtes Material gesetzt (Thomas Erbert, Jutta Unruh). (Bild: BBK)
Hotlineerfahrungen europäischer Nachbarn

Die Hotline ist mehr als nur ein heißer Draht –


ein Bericht aus der Schweiz

Carlo Laeri

53

Mitarbeitende der Hotline des EDA (Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten) im Einsatz nach der
­Tsunami-Katastrophe Ende Dezember 2004. (Bild: BABS)

Zur modernen Ereignisbewältigung gehört das Mittel der Hotline. Sie ist ein zentrales Instrument
der Information, aber auch der Führung. Nicht nur Fragen plagen die betroffenen Menschen, auch
Angst, Ärger und Frustration. Wenn tausende Anrufe effizient und psychologisch geschickt gemeis-
tert werden, hat das einen positiven Einfluss auf die betroffene Gemeinschaft und auf die Ereignis-
bewältigung.

Es ist jederzeit möglich, dass in der Schweiz – viel- Gerade in so einer Situation ist der Informationsbe-
leicht sogar in einer stark frequentierten, dicht bevöl- darf aber riesig. Viele mehr oder weniger stark, direkt
kerten Gegend – ein großes Ereignis geschieht, das oder indirekt betroffene Menschen stellen sich alle
nicht nur eine weiträumig zerstörte Infrastruktur hin- möglichen Fragen. Wenn sie über die Medien oder
terlässt, sondern auch viele Tote, Verletzte, Evaku- durch die Behörden keine Antworten erhalten, ver-
ierte und Obdachlose. Zu Beginn ist die Situation suchen sie auf anderen Wegen zu den Informationen
unübersichtlich, die Informationen sind dürftig und zu gelangen: Sie melden sich bei der Polizei, den Spi-
wegen der angeschlagenen Infrastruktur vielleicht tälern oder der Feuerwehr, bei einer Verwaltungs-
auch schwer vermittelbar. stelle der Gemeinde, des Kantons oder des Bundes.
Sie ruhen nicht, bis sie eine für sie akzeptable Ant- Die entgegengenommenen Anrufe müssen registriert
wort erhalten. und teilweise weiterverarbeitet werden. Eine modern
eingerichtete Hotline verfügt über entsprechende IT-
Um all die Anfragen zu kanalisieren, stellen die Einrichtungen. Werden alle Anrufe registriert, dauert
Behörden eine Hotline (Infoline, Bürgertelefon, Hel- ein Anruf erfahrungsgemäß durchschnittlich etwa
pline) zur Verfügung. Damit können sie einen sieben Minuten. In der Regel kann ein Operateur
Ansturm auf ihre Amtsleitungen vermindern; zumin- etwa zehn Anrufe pro Stunde bearbeiten. Je länger
dest verhindern sie, dass ein und dieselbe Person ein Einsatz dauert, desto größer wird die Menge der
mehrere Verwaltungsstellen beschäftigt. Eine Hotline produzierten Fehler. Es ist deshalb sinnvoll, Opera-
entlastet die Behörden in einem Zeitraum, in dem sie teuren nach zwei Stunden eine längere Ruhepause
durch die eigentliche Ereignisbewältigung überbean- zu gönnen. Und länger als sechs bis acht Stunden
sprucht sind. pro Tag sollte ein Operateur nicht im Einsatz stehen.

Wenn Unternehmen in das Ereignis involviert sind – Breite Palette von Anrufen
beispielsweise Transportunternehmungen bei Zug-
unglücken und Airlines bei Flugzeugabstürzen – neh- Unendlich viele Fragen können im Zusammenhang
men diese in der Regel ihre vorbereiteten Hotlines in mit einem Ereignis entstehen, es können etwa Fragen
Betrieb. Die Kundennähe spielt auch im Krisenfall nach Vermissten sein, zum Gesundheitszustand von
für diese Firmen eine zentrale Rolle. hospitalisierten Angehörigen, zu noch bestehenden
oder sich in Zukunft entwickelnden Gefahren, zu
Eine Hotline einrichten beeinträchtigten Infrastrukturen.

Es stellt sich immer wieder die Frage nach der Anzahl Menschen in Angst haben aber nicht nur Fragen: Sie
54 der zu erwartenden Anrufe. Insbesondere hängt möchten wieder handlungsfähig werden, die läh-
davon die der Anzahl Arbeitsplätze ab, die ein Hot- mende Angst und Ungewissheit loswerden. Das kann
line-Betreiber einrichten muss. Verschiedene Erfah- dazu führen, dass sie wütend und aggressiv werden,
rungen (etwa nach Flugzeugabstürzen) haben weil sie die Kontrolle über die Situation verlieren
gezeigt, dass pro potenziellem Opfer mit ungefähr oder bereits verloren haben. Augenzeugen möchten
fünf Anrufen zu rechnen ist. Nicht nur die direkten zudem die beobachteten Schäden melden und dabei
Verwandten eines Opfers rufen an, auch Freunde, gleich auch in Erfahrung bringen, ob die Gefahr vor-
Arbeitskollegen und Arbeitgeber. über ist. Es gibt auch hilfsbereite Menschen, die
sofort mithelfen möchten.

Ebenfalls ist mit hilflosen und verwirrten Menschen


zu rechnen, mit fordernden, mit Querulanten, mit
Aufsässigen und mit solchen, die alles abwerten.
Eine Hotline inspiriert auch zu scherzhaften Anrufen.
Schließlich können Anrufe schlicht auf einem Miss-
verständnis beruhen, wenn jemand falsch verstanden
hat, welche Gegend betroffen ist, und deshalb seine
Angehörigen fälschlicherweise in Gefahr glaubt.

Wichtiges Führungsinstrument

Die Hotline ist ein Führungsinstrument und Teil des


Informationskonzeptes in der Hand der Behörden
oder eines Unternehmens. Eine Hotline für die
betroffene Bevölkerung kann eine erste nieder-
schwellige Anlaufstelle sein. Besorgte Bürgerinnen
Es reicht nicht, ein Telefon bedienen zu können. Vor einem und Bürger sollen ihre Vermisstenmeldungen abset-
Einsatz werden die Operateure geschult. (Bild: BABS) zen können, ihre Fragen stellen dürfen und auch
einen Blitzableiter erhalten. Eine gut geführte und Faktor Psychologie
anruferfreundliche Hotline gibt Sicherheit und Ver-
trauen in die Kompetenz der Führungsorgane. Dass Operateure auf ihre anspruchsvolle Aufgabe
vorbereitet werden sollten, liegt auf der Hand. Es
Mit Hilfe einer guten allgemeinen Sprachregelung, reicht nicht, ein Telefon bedienen zu können. Auch
die sich auf das Ereignis bezieht, können die Opera- wenn Operateure keine Spezialisten auf einem
teure zahlreiche Anrufe direkt erledigen. Im Hinter- bestimmten Gebiet sein müssen und grundsätzlich
grund verarbeiten weitere Mitarbeitende diejenigen bei unterschiedlichen Ereignissen einsetzbar sein
Meldungen, die durch die Operateure nicht erledigt sollten, braucht es ein gewisses Grundwissen. Dieses
werden konnten. Vermisstenmeldungen gelangen in kann durch Sprachregelungen ergänzt werden, die
der Regel zur Polizei, die das Vermisstenmanagement bei Bedarf von Spezialisten erweitert werden.
betreut.
In der Ereignisbewältigung spielt aber auch die Psy-
Die Anrufe spiegeln auch die Befindlichkeit der chologie ganz entscheidend mit. Die Gefühlswelt der
betroffenen Bevölkerung wider. Regelmäßige Betroffenen kann durcheinander geraten sein – Angst
Berichte an die Informationsverantwortlichen helfen und Misstrauen den Behörden gegenüber sind Aus-
diesen bei der Steuerung der Information. Tauchen druck davon. Dies muss berücksichtigt werden. Die
häufig die gleichen Fragen auf, besteht ein Informa- Art und Weise der Kommunikation wirkt gerade in
tionsbedürfnis, das über die Medien befriedigt wer- schwierigen Zeiten sehr stark auf die Psyche. Ein
den kann. unbedachtes Wort kann nicht nur Schlagzeilen in der
Boulevardpresse nach sich ziehen, sondern auch
Zweck und Zielpublikum der Hotline unkontrollierbare Reaktionen in der Bevölkerung.
Wenn – umgekehrt – Tausende von Anrufen durch
Es ist wichtig, dass der Auftrag, der Zweck und das eine Hotline gut, das heißt psychologisch geschickt, 55
Zielpublikum einer Hotline festgelegt werden. Bei bewältigt werden, hat das sicher einen positiven Ein-
vielen Ereignissen macht es Sinn, eine Hotline für ein fluss auf die Ereignisbewältigung und die betroffene
breites potenziell betroffenes Publikum zu führen. Gemeinschaft. Und Tausende von Anrufen sind bei
Bei komplexen Ereignissen kann es aber sinnvoll einem Großereignis keine Seltenheit.
sein, dass eine Hotline für spezielle Fragen und Pro-
blemstellungen für Fachleute eingesetzt wird. Dem Mitfühlende Personen an der Hotline wirken beruhi-
Auftrag entsprechend wird die Hotline-Nummer dem gend auf verstörte Anrufer, vermitteln Verständnis für
Zielpublikum kommuniziert. Ein Zusammenwirken deren Situation und bieten angemessene Unterstüt-
von verschiedenen Hotlines ist heute technisch zung an. Auf diese Weise bringt die Institution ihren
machbar und erleichtert die Aufgaben. Willen zum Ausdruck, die Bedürfnisse der Bevölke-
rung ernst zu nehmen. Operateure von Hotlines
In unserer vielsprachigen Schweiz brauchen wir viel- reagieren professioneller, wenn sie eine Ahnung von
sprachige Operateure. Diese zu finden, ist für alle Notfallpsychologie haben. Dasselbe gilt im Übrigen
Organisationen eine echte Herausforderung, beson- auch für Führungsstäbe und deren Informationsver-
ders dann, wenn über mehrere Tage oder gar Wochen antwortliche.
eine Hotline rund um die Uhr geführt werden muss
– wie die EDA-Hotline (Eidgenössisches Departe- Carlo Laeri
ment für auswärtige Angelegenheiten) nach dem Chef Schutz und Betreuung
Tsunami 2004. Hohe Anforderungen im Bereich der Eidgenössisches Departement für Verteidigung,
Sprachen (Vielsprachigkeit), der Kapazitäten (Inten- Bevölkerungsschutz und Sport (VBS)
sität der Präsenz) und der Durchhaltefähigkeit (Dauer Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS),
der Präsenz) drängen danach, verschiedene beste- Geschäftsbereich Ausbildung
hende Hotlines zu vernetzen.
Erfahrungswerte der Katastrophenhotline in
­Luxemburg

Marc Stein

Ende 1996 gab es in Luxemburg erste Bestrebungen, Internetdienste, Radio und Fernsehen propagiert, so
Opfern von Großschadenslagen eine ordnungsge- dass Angehörige sehr schnell von dem Ereignis erfah-
mäße psychosoziale Unterstützung zukommen zu ren und verständlicherweise rapide Informationen
lassen. Polizei und Zivilschutz (Protection Civile) von offizieller Seite erhalten wollen.
beschlossen ein gemeinsames Konzept zur psycho-
sozialen Akuthilfe nach Katastrophen auszuarbeiten, Auf Seiten der Einsatzkräfte kann eine Hotline eben-
welches im „Plan S.A.I. (Service d’Accueil des Impli- falls gewinnbringend sein, so zum Beispiel um die
qués)“ resultierte. Rückführung von Opfern oder die Identifikation von
Vermissten zu beschleunigen. Eine gut organisierte
Mit der Reorganisation der Rettungskräfte und der Informationspolitik gegenüber Opferangehörigen
Gründung der Administration des Service de Secours erlaubt zudem, Falschinformationen zu minimieren
(ASS) im Jahre 2004 wurde zeitgleich auch psycho­ und daraus entstehende unnötige Verwirrungen und
soziale Unterstützung gesetzlich in den nationalen Folgeprobleme zu vermeiden.
Katastrophenplan (Plan Nombreuses Victimes) ver-
ankert. Die Hotline wurde seit 1997 mehrmals bei Verkehrs-
56 katastrophen im In- und Ausland aktiviert, so zum
Zuständig für die psychosoziale Nothilfe in Groß- Beispiel bei einem Busunfall mit Todesopfern, bei
schadenslagen sind auf Seiten des Zivilschutzes der einem tödlichen Zusammenstoß zwischen Zügen,
Groupe de Support Psychologique (GSP), vergleich- bei einem Flugzeugabsturz mit 20 Todesopfern, aber
bar in Deutschland mit Kriseninterventionsteams, auch nach den Bombenattentaten in London, bei der
und auf Seiten der Polizei der Psychologische Dienst. Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean oder nach
Übrigens hat sich im Nachhinein diese methodische dem Pandemieverdacht im Zusammenhang mit der
Zusammenarbeit im psychosozialen Bereich zwi- Vogelgrippe.
schen Polizei und Zivilschutz in Reallagen als sehr
nutzbringend erwiesen. Aufbau der Hotline

Der S.A.I.-Plan ist modular aufgebaut und sieht, je Die S.A.I.-Hotline in Luxemburg ist in den Räumlich-
nach Katastrophenszenario, verschiedene Unterab- keiten der ASS untergebracht und in der Grundform
schnitte vor: eine Anlaufstelle für Verwandte und angesichts räumlicher und personaler Einschränkun-
nicht verwandte Angehörige (LAFP); eine Anlauf- gen auf sechs Arbeitsplätze (PC, Telefon mit Head-
stelle für unverletzte Opfer, eventuell auch für Augen- set) und einen Platz für den Hotline-Leiter ausgelegt.
zeugen (LAVI); eine Betreuungsstelle für Einsatz- Im Bedarfsfall könnte jedoch an anderer Stelle eine
kräfte, sinnbildlich OASE getauft und letztendlich zusätzliche Hotline eingerichtet werden.
eine telefonische Auskunftsstelle (Hotline). Alle
Unterabschnitte werden von einer S.A.I.-eigenen Die Hotline-Mitarbeiter haben als Auftrag, ausschließ-
Koordinierungsstelle (CIC) geleitet. lich die Anrufe Verwandter und Angehöriger entge-
genzunehmen, diesen von offizieller Seite bewilligte
Die Erkenntnisse der ersten Reallagen haben sehr Informationen mitzuteilen, ihnen Auskunft über den
schnell die Relevanz des Moduls Hotline ergeben. In Verbleib und Zustand der Vermissten zu geben und
unserer Gesellschaft, die immer stärker durch Tele- Informationen über Vermisste zu erfragen. Auch sol-
kommunikations- und Informationstechnik geprägt len sie, so gut es geht, beruhigend auf die Betroffe-
wird, werden Katastrophen im In- und Ausland fast nen einwirken und, wenn der Rahmen es zulässt,
zeitgleich mit dem Ausgangsereignis durch Handy, Betreuungsgespräche führen. Anrufe von Presse oder
Cellule Gouvernementale
de Crise (CGC) 112

Ministère de l’Intériuer
113 / PC Police
– Protection Civile
– Service Incendie
PC # Ministère
– Police Grand-Ducale
et services
– Commissariat de district
Hotline
Public Ministère de la Santé
Public
– Direction de la Santé
Hotline Ministère de l’Etat
Presse
– Secrétariat Général du Conseil
de Gouvernement
– Service Information et Presse
Autres selon la situation
– HCPN
– Procureur d’Etat
Presse – Ministère de la Famille
– Ministère des Affaires Etrangères
– Ministère de l’Environnement
– Ponts et Chaussées S.A.I.
– Ministère du Transport Centre d’Information et de
– .................................. Coordination (CIC)
57

LAFP LAVI OASE

PC Presse POSTE DE COMMANDEMENT


OPERATIONNEL (PCO)

– DSM
– SI PCO Police
– PC
– POLICE
– .............

Unités Unités Différentes Unités


Protection Civile Service Incendie unités implquées Police

Abb. 3: Organigramm des nationalen Katastrophenplans (psychosoziale Unterstützungsmaßnahmen in rot).

anderer offizieller Organe (Botschaften, Ämter) wer- plans, das „Füttern“ der Hotline-Mitarbeiter mit neu-
den umgehend an die verantwortlichen Stellen wei- esten Informationsständen und das sich Kümmern
tergeleitet. um besondere Fragen. Er soll zudem ein Augenmerk
auf das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter haben und
Der Hotline steht ein Leiter vor. Zu seinem Aufgaben- Auszeiten organisieren.
bereich gehört die technische und organisatorische
Inbetriebnahme der Hotline, der Informationsaus- Sämtliche Mitarbeiter der Hotline sind Ehrenamtler,
tausch mit den anderen Unterabschnitten des Notfall- die dem Groupe de Support Psychologique angehö-
ren und sich vorrangig für den Dienst am Telefon Weitergeben von Daten können dank dieser Soft-
gemeldet haben. Die Basisschulung für den Hotline- ware, welche das Eingeben und Abfragen von Daten
dienst erstreckt sich über zwei Abende und umfasst von verschiedenen Einsatzkräften an unterschied­
Themen wie Organisation und Zweck der Auskunfts- lichen Orten ermöglicht, gemindert werden.
stelle, Gesprächsverhalten mit Betroffenen, Kommu-
nikation und Argumentation am Telefon sowie Ende 2012 plant das luxemburgische Innenministe-
Benutzen der PC-Software, der Formulare, des Tele- rium die aktuellste Version der Software GSL.net zu
fons und Headsets. beziehen und in einem ersten Schritt werden Polizei
und die ASS das Programm als Informationssystem in
Wichtig für das Training sind auch Übungen in regel- Großschadenslagen nutzen, weitere Verwaltungen
mäßigen Abständen. So wird wenigstens einmal im und Einsatzkräfte können nachträglich eingegliedert
Jahr an einer größeren Übung teilgenommen, wo die werden.
Hotline-Mitarbeiter simulierte Telefongespräche von
Betroffenen entgegennehmen oder wenigstens die Das Callcenter-Modul von GSL.net bietet zudem
Eingabe von Informationen am PC trainieren. Dieses schätzenswerte Merkmale: eine flexible Struktur, wel-
soll den Mitarbeitern ermöglichen, angelernte Hand- che auch den Aufbau von weiteren Callcenter-
lungsweisen welche über einen längeren Zeitraum Arbeitsplätzen an anderer Stelle zulässt, das Abfragen
nicht verwendet wurden, aufrechtzuerhalten. Auf- von Informationen in mehreren Sprachen und das
grund zeitlicher und personeller Beschränkungen Erkennen und Bearbeiten von Mehrfachanrufern
sind intensivere Schulungen sowie Weiterbildung nur durch unterschiedliche Mitarbeiter.
sporadisch möglich.
Ausblick
Mehrsprachigkeit ist in Luxemburg ein besonders
58 Thema, da mittlerweile mehr als 43 Prozent der Mit- Das Wegfallen der Grenzen in Europa, die stetige
bürger ausländischer Abstammung sind. Entspre- Zunahme des Transits von Güterverkehr und Massen-
chend der Einsatzlage wird versucht, die Hotline ent- tourismus sowie die zunehmende grenzüberschrei-
sprechend mit Personal zu bestücken, welches die tende Mobilität von Arbeitnehmern machen sich in
geforderten Fremdsprachen beherrscht. In besonde- einem kleinen Land wie Luxemburg besonders
ren Fällen würde sogar mit Übersetzern zusammen- bemerkbar. Schon alleine die Tatsache, dass tagtäglich
gearbeitet werden. über 120.000 Einwohner der Großregion nach Luxem-
burg zur Arbeit pendeln (44% aller Arbeitnehmer in
Wichtigkeit einer integrierten Datenbank Luxemburg), verpflichtet, dass wir überregional den-
ken müssen. In diesem Sinne ist es erfreulich, dass das
Eine effiziente und gut durchdachte Hotline ist ohne Saarland und Rheinland-Pfalz ebenfalls GSL.net als
entsprechende informatische Datenbank undenkbar. Informationssystem in Großschadenslagen benutzen.
Erfahrungswerte aus Hotline-Übungen und Realla- In Zukunft sollten durch gemeinsame Übungen noch
gen haben ergeben, dass Einsätze mit mehr als 20 nicht identifizierte Schwachstellen in der Kommunika-
Vermissten und Einsätze, die sich über mehrere Tage tion erkannt und behoben werden können.
erstrecken, nur unzulänglich mit Stift und Papier zu
meistern sind. Diese Hotline-Datenbank wiederum Unsere Erfahrungen aus Übungen und Reallagen
muss mit dem globalen Informationssystem bei Groß- haben erbracht, dass sich die Kooperation bei Groß-
schadenslagen verknüpft sein, um eine optimale schadenslagen zwischen Nachbarländern kompliziert
Informationsgewinnung zu ermöglichen. gestaltet, insbesondere im Bereich Kommunikation
und Datenübermittlung. In diesem Sinne wäre eine
Luxemburg hat sich früh für die Benutzung der von Harmonisierung der Informationssysteme auf euro-
der Polizei aus Nordrhein-Westfalen entwickelten päischer Ebene erstrebenswert.
Software GSL.net interessiert, da diese den luxembur-
gischen Bedürfnissen am nächsten kommt. Problem- Marc Stein
bereiche wie ungenügender Informationsaustausch Diplom-Psychologe
zwischen Einsatzkräften, redundante Datenerfas- Leiter des psychologischen Dienstes der Großherzog-
sung, lange Informationswege, Fehlerquellen beim lichen Polizei Luxemburg
Hotlineangebote –
bewährte Praxis und aktuelle Konzepte

GAST/EPIC: Eine gemeinsame Auskunftsstelle bei


großen Schadenslagen

Gerhard Häusler

GAST/EPIC (GAST = Gemeinsame Auskunftsstelle; GAST/EPIC ist ca. 30 bis 45 Minuten nach Bekannt-
EPIC = Emergency Procedures Information Centre) werden des Schadensfalles voll betriebsbereit. Die
ist eine Einrichtung der Bayerischen Polizei zur Telefonnummer für die Bevölkerung wird also bereits
Bewältigung von „Großen Schadenslagen“ (GSL) und zu einem sehr frühen Zeitpunkt über Rundfunk und
eine zentrale Auskunfts- und Vermisstenstelle unter Fernsehen bekannt gegeben, die Flut von Anrufen
einer einheitlichen Telefonnummer. Sie sammelt und wird auf uns kanalisiert. Somit werden andere Stellen
kontrolliert alle Informationen im Zusammenhang erheblich entlastet. Aus eigenen Erfahrungen und
mit Personen, die in einen Unglücksfall verwickelt solcher anderer vergleichbarer ausländischer Einrich-
sind und bietet den nächsten Angehörigen und tungen ist bekannt, dass bereits in diesem Stadium
Behörden sachbezogene Informationen und Unter- (noch ohne konkrete Opferliste) schon sehr viele 59
stützung. GAST/EPIC hat ihren Sitz am Flughafen Anrufer beruhigt werden können, wenn ihnen soge-
München im Gebäude der Polizeiinspektion Flug­ nannte Basisinformationen (Unglücksort, -zeit, betei-
hafen München. ligtes Transportunternehmen, Flugnummer etc.) zum
Unglück genannt werden.
Die Komplexität der Maßnahmen, die einer Groß-
schadenslage (GSL) folgen und das weltweite Inter- Aufteilung innerhalb von GAST/EPIC:
esse, das dadurch hervorgerufen wird, bedingt die
Notwendigkeit einer voll funktionsfähigen Einrich- Insgesamt 27 Arbeitsplätze stehen für die Entgegen-
tung. GAST/EPIC wurde gegründet, um diesen Erfor- nahme der Anrufe von Angehörigen und Hilfe­
dernissen zu entsprechen und kann die Aufgaben suchenden zur Verfügung. Die Daten der Anrufer
des Untereinsatzabschnitts (UA) „Auskunfts- und Ver- und der gesuchten Personen werden mittels der Soft-
misstenstelle“ der Soko GSL je nach Bedarf ganz oder ware GSLweb in eine Datenbank eingestellt. Sofern
teilweise übernehmen. Eine größere Schadenslage bei uns bereits eine Passagier- oder in anderen Fällen
liegt vor, wenn das Leben, die körperliche Unver- eine Opferliste vorliegt, können wir sofort feststellen,
sehrtheit zahlreicher Personen gefährdet oder geschä- ob es sich um einen „positiven“ (Informationen zur
digt wurde, insbesondere bei Unglücksfällen beson- gesuchten Person vorhanden) oder „negativen“ Anruf
ders schwerer Art. Durch die ersten Meldungen, die (keine Informationen zur gesuchten Person vorhan-
meistens nur sehr spärliche Informationen enthalten, den) handelt. Alle gesuchten Personen, über die
entsteht bei vielen Menschen, die einen Angehörigen nichts bekannt ist, werden automatisch als Vermisste
oder guten Freund betroffen glauben, eine große gespeichert. Das Schicksal dieser Personen muss
Verunsicherung und ein erhebliches Informations­ durch weitere Ermittlungen geklärt werden.
bedürfnis. Nachfolgende Beispiele geben dies ein-
drucksvoll wieder: Im Supportbereich befinden sich insgesamt acht
• Absturz der Swissair MD 11 vor Halifax im Jahr Arbeitsplätze für die Programmbetreuer und Mit­
1998: 52.000 Anrufe arbeiter aus dem psychologisch/kirchlichen Bereich.
• Bombenanschläge in London im Jahr 2005: Sollte es erforderlich werden, dass bestimmte Anru-
108.000 Anrufe fer verstärkt psychologisch betreut werden müssen,
so stehen hier entsprechend qualifizierte Mitarbeiter des Cute-Terminals kann der Vertreter der Fluggesell-
für erste Maßnahmen bereit. Die Mehrzahl der schaft firmenintern mit seinem Notfallmanagement
Arbeitsplätze an diesen Tischen ist jedoch für Mitar- sowie mit allen anderen Stationen seiner Firma welt-
beiter mit Fremdsprachenkenntnissen vorgesehen. weit kommunizieren und notwendige Daten austau-
Die Programmbetreuer ergänzen die Opferlisten, schen. Ein weiterer Arbeitsplatz ist für einen Verbin-
kontrollieren den Druckserver und versorgen die dungsmann von der Flughafen München GmbH
Kräfte bei der Anrufannahme ständig mit Einsatzin- (FMG) reserviert. Durch ihn steht uns die FMG mit
formationen. Weiter erstellen sie Listen nach den ihrer Logistik unmittelbar zur Verfügung. Faxgeräte
jeweiligen Bedürfnissen des Anfordernden. für die verschiedenen Arbeitsbereiche, E-mail- und
Internetanschluss vervollständigen die Ausstattung.
Für die kriminalpolizeilichen Sachbearbeiter sind an
zwei weiteren Tischen acht Arbeitsplätze vorhanden. Das Personal
Hier laufen alle Informationen bezüglich der Opfer
und deren Angehöriger zusammen: Bei der Polizeiinspektion Flughafen wurden bisher
• Ergebnisse aus den eingegangenen Anrufen 180 Mitarbeiter, die größtenteils im Schichtdienst tätig
• Ermittlungsergebnisse von der Unfallstelle sind, in die Arbeit in GAST/EPIC eingewiesen. Dies
• Mitteilungen von Rettungsleitstellen oder ist der Grund, warum wir innerhalb 30 bis 45 Minu-
­Krankenhäusern ten in Betrieb gehen können. In der Praxis bedeutet
• Ergebnisse der Abholer- oder Angehörigen­ dies, dass wir kurz nach dem Bekanntwerden eines
befragung Ereignisses über den Rundfunk bereits unsere Num-
• Ergebnisse der Identifizierungsgruppe mer anbieten können. Zusätzlich zu unseren 180 Mit-
• Hinweise von der einsatzführenden oder anderen arbeitern haben wir bisher 185 Freiwillige von über
Polizeidienststellen 40 Unternehmen für die Tätigkeit bei der Anruferfas-
60 sung ausgebildet. Der große Vorteil besteht neben
Für den Fall eines Luftfahrtunfalles ist für den Vertre- der Quantität in der Qualität dieser Personengruppe.
ter der betroffenen Fluggesellschaft ein Arbeitsplatz Berufsbedingt verfügen die „Airliner“ über breit gefä-
mit einem Cute-Terminal (Common User Terminal) cherte Fremdsprachenkenntnisse. Bisher decken wir
und einem DSL-Internet-Rechner vorbereitet. Mittels so über 20 Fremdsprachen ab.

Arbeitsbereich der Kriminalpolizei. (Bild: GAST / EPIC)


Hardware und Software Im Echtbetrieb ist es dadurch möglich, mehrere Ein-
sätze in einer Einsatzstelle gleichzeitig zu bearbeiten.
Wir benutzen in der GAST handelsübliche PCs mit Das Programm bietet die Möglichkeit der professio-
dem Betriebssystem „Windows“ – derzeitige Version nellen Verarbeitung und Verknüpfung von Hinwei-
„XP Professionell“. Hardwareseitig ist die Software sen/Anrufen, Personen- und/oder Opferdaten, Per-
GSLweb in einer Webfarm im Rechenzentrum des sonenbeschreibungen und so weiter. Eine Funktion
Bayerischen Landeskriminalamtes implementiert und für den Statusabgleich sorgt für Übereinstimmung
kann dort als Web-Anwendung über den Internet- zwischen dem bereits eingestellten Bestand und
Explorer von jedem Arbeitsplatz-PC der bayerischen neuen Erkenntnissen, da bei größeren Schadensla-
Polizei aufgerufen werden und bei entsprechender gen meist nicht alle Opfer sofort bekannt sind. Alle
Berechtigung geöffnet und nach vorhandener neu gefundenen Verbindungen werden beim
Berechtigungsstufe bearbeitet werden. Des Weiteren Abgleich angezeigt. Eine integrierte Statistikvorschau
steht für die Mitglieder des Förderkreises GAST/EPIC ermöglicht jederzeit den Abruf der bereits erfassten
(siehe unten) eine eigenständige Serverfarm für Ver- Daten (Anzahl der Opfer, Anrufer, und so weiter).
einseinsätze zur Verfügung. Für die Ermittlung und Auswertung der kriminalpoli-
zeilichen Sachbearbeitung bietet GSLweb ein großes
Voraussetzung für eine professionelle Erfassung und Paket an Hilfestellungen. Die Listen der Personen/
Verarbeitung der Daten in GSLweb sind geschulte Opferdaten, Streugut, Identifizierung und so weiter
Anwender. Hierzu wurden in der Vergangenheit sind so miteinander verknüpft, dass eine lückenlose
umfangreiche Schulungsmaßnahmen durchgeführt. Recherche das Ergebnis der Sachbearbeitung in
Das Programm ist für kleine und große Informations- jedem Fall beschleunigt. Eine Doppelerfassung ist
zentren gleichermaßen geeignet. GSLweb ist ein leis- mit GSLweb nicht erforderlich.
tungsstarkes, intuitiv zu bedienendes Windows-Pro-
gramm, das große Funktionalität bietet. Verschiedene Liegt eine Gemengelage vor (Unglücksfall aufgrund 61
Einsätze können damit getrennt voneinander verwal- eines terroristischen oder extremistischen Anschlags),
tet und bearbeitet werden. so besteht die Möglichkeit neben Suchanfragen von

Übersicht des Callcenter-Bereichs. (Bild: GAST / EPIC)


Angehörigen auch Zeugenhinweise in der Anrufer- tungen, die sie einbringen, (Mitgliedsbeiträge und
maske entgegenzunehmen. Diese Hinweise werden Personal für die Anruferfassung) somit eine erheb­
dann per E-mail an einen vorher festgelegten Emp- liche Gegenleistung.
fänger – eine sachbearbeitende Dienststelle, in der
Regel das Landeskriminalamt (LKA) – verschickt. Bisherige Einsätze

Der Förderkreis In der Vergangenheit war GAST/EPIC bei insgesamt


neun Unglücken eingesetzt. Die nachfolgende Auflis-
Um das Projekt GAST/EPIC finanziell verwirklichen tung macht deutlich, dass GAST/EPIC nicht nur, wie
zu können, wurde der gemeinnützige „Förderkreis ursprünglich geplant, bei Unglücken im Luftverkehr
GAST/EPIC am Flughafen München e. V.“ gegründet. eingesetzt werden kann, sondern aufgrund seiner
Zwischenzeitlich sind 40 Unternehmen (Fluggesell- Ausrichtung vielfältig nutzbar ist.
schaften, deutsche und österreichische Flughäfen,
einige Reiseunternehmen, die Deutsche Bahn und • Flugzeugabsturz in Gambia, 09.10.1997
ein Schifffahrtsunternehmen) Mitglied in diesem För- • ICE-Unglück Eschede, 03.06.1998
derkreis. GAST/EPIC ist zwar eine polizeiliche Ein- • Brand im Tauerntunnel, 29.05.1999
richtung und kann grundsätzlich nur genutzt werden, • Unfall der Zugspitzbahn, 10.06.2000
wenn eine polizeiliche Aufgabe zugrunde liegt. • Notlandung Hapag Lloyd in Wien, 12.07.2000
Sofern in einem Unglücksfall die örtliche und sachli- • Absturz der Concorde über Paris, 25.07.2000
che Zuständigkeit der Bayerischen Polizei jedoch • Brand der Gletscherbahn in Kaprun, 11.11.2000
nicht gegeben ist, hat jedes Mitglied des Förderkrei- • Flugzeugabsturz am Bodensee/Überlingen,
ses das Recht, die Einrichtung GAST/EPIC in eige- 01.07.2002
nem Namen und in eigener Regie zu betreiben. • Busunglück BAB A 92, 22.08.2012
62 Selbstverständlich unterstützt die Polizei in diesen
Fällen dann den jeweiligen Betreiber der Einrich- Gerhard Häusler
tung. Die Polizeibeamten befinden sich dann aller- Erster Polizeihauptkommissar
dings nicht im Dienst sondern in der Freizeit. Die Leiter GAST/EPIC
Mitglieder des Förderkreises bekommen für die Leis- Polizeiinspektion Flughafen München

Gemeinsame Auskunftsstelle Ablage Ablage

GAST/EPIC Notausgang Notausgang


CUTE

Airline-Bereich 27 Arbeitsplätze

Support-Bereich

Anrufentgegennahme
Mitgliederwand

Soko GSL
UA Auskunfts- und
­Vermisstenstelle
Kopierer Leinwand
Monitor Monitor

Lager
SOKO SOKO
Internet

Abb. 4: Schema GAST/EPIC.


BEPAS: Personenauskunftsstelle der Berliner Polizei

Andreas Dannebaum

Die Bewältigung größerer Schadenslagen und Kata­ (direkt bei der Aufnahme). Derzeit sind 20 Kran-
strophen stellt an die Gefahrenabwehrbehörden kenhäuser unmittelbar mit der Polizei verbunden.
sowie die jeweils beteiligten Organisationen immer Kliniken die nicht an das IT-System BEPAS ange-
wieder hohe Anforderungen. Dabei hat sich im Laufe schlossen sind, übersenden die Daten der eingelie-
der Zeit herauskristallisiert, dass nicht nur die unmit- ferten Personen per Fax/E-Mail an die jeweiligen
telbare Schadensbekämpfung und Menschenrettung örtlichen Lagedienste der Polizei. Ergänzend sei
von Bedeutung sind, sondern auch die Betreuung angemerkt, dass neben einem (zentralen) Lagezen-
und Versorgung nicht direkt betroffener Personen, trum Berlin sechs weitere Lagedienste in den ört­
also den Angehörigen und Freunden der Schadens- lichen Polizeidirektionen für die Kräfte- und Auf-
opfer. tragssteuerung existieren.

Nach einem Schadenseintritt entsteht, verstärkt durch Dass sich die Polizei dieses Themenfeldes annahm
die Berichterstattung der Medien, bei diesem Perso- lag nicht zuletzt daran, dass bei einer größeren Scha-
nenkreis das Verlangen, gesicherte Erkenntnisse über denslage regelmäßig von einer hohen Anzahl ver-
den Verbleib ihrer nahen Angehörigen erlangen zu misster oder getöteter Personen auszugehen ist, die
wollen. In vielen Fällen werden dabei die Notrufe zwangsläufig zur Einleitung entsprechender Ermitt-
von Polizei und Feuerwehr als erste „Ansprechpart- lungsverfahren mit Datenerhebungen durch die
ner“ genutzt, die jedoch sehr schnell überlastet sind zuständigen Kriminalpolizeidienststellen führen. Das 63
und als reine Einsatzleitstellen regelmäßig nicht über im Jahr 1999 verkündete Katastrophenschutzgesetz
die notwendigen Informationen verfügen. Resultie- für Berlin, indem explizit die Polizei als Kata­
rend aus den Erfahrungen eingetretener Schadensla- strophenschutz­ behörde mit der Einrichtung einer
gen in Berlin Ende der achtziger Jahre, bei denen Personenauskunftsstelle (PASt) beauftragt wurde,
jeweils eine zentrale Auskunftsstelle bei der Polizei trug diesem Umstand ebenfalls Rechnung.
eingerichtet wurde und deren Aussagekraft im
wesentlichen auf einer klassischen Karteikartenfüh- Bei der Umsetzung des Gedankens zur Schaffung
rung beruhte, wurden erste Überlegungen für eine eines IT-Systems wurde sehr schnell deutlich, dass
IT-gestützte Auskunftserteilung angestellt. Grundge- eine bürgerorientierte Auskunftserteilung nur durch
danke war hierbei, dass das bis zu diesem Zeitpunkt die Integration aller an der Schadensbewältigung
und auch heute noch praktizierte Registrierungsver- beteiligten Behörden, Organisationen und Einrich-
fahren beibehalten wird. tungen gewährleistet werden kann. So schied von
Beginn an eine rein polizeiinterne Anwendung, in
Dies bedeutet für unsere Behörde konkret: der nur die Polizei Daten einstellt, aus. Darüber hin-
• Nutzung der „Anhängekarte für Verletzte“ des DRK aus war und ist es aus unserer Sicht unzweckmäßig
durch den Rettungs- und Sanitätsdienst, ein Exem- auf die Zulieferung von Daten vom Schadensort
plar dieses Durchschreibesatzes erhält die Polizei (Behandlungsplatz) zu warten. Vielmehr sollte der
am Schadensort. Dort steht ein Registrierungsteam neue IT-Verbund auch eine Eingabemöglichkeit von
der Polizei für die Eingabe in das IT-System BEPAS Opferdaten direkt am Schadensort ermöglichen. Zu
bereit und übersendet die Informationen per diesem Zweck wurde nach zahlreichen Testläufen
Mobilfunkanbindung direkt an die Personenaus- Mitte der 90er Jahre das Berliner Personenauskunfts-
kunftsstelle (PASt) stellen Informationssystem (BEPAS) aus der Taufe
• Bei Schadensopfern, die unmittelbar in ein Kran- gehoben. Dieses System ermöglicht derzeit die
kenhaus eingeliefert werden, verbleibt das Exemp- dezentrale Eingabe, Bearbeitung und Abfrage von
lar, das für die Polizei bestimmt ist, bei der Person. Angehörigen-, Vermissten-, Getöteten- oder Evaku-
Die Eingabe der personenbezogenen Daten in das iertendaten durch verschiedene Dienst­bereiche der
IT-System BEPAS erfolgt durch die jeweilige Klinik Polizei, der Senatsverwaltung für Ge­sund­heit sowie
ausgewählter Krankenhäuser. Die Zu­griffsrechte auf • je ein Arbeitsplatzrechner in den sechs Lagediens-
die Datensätze wurden dabei unter Berücksichtigung ten der örtlichen Polizeidirektionen
der tatsächlichen Erfordernisse und der Belange des • 150 Arbeitsplatzrechner bei der Vermisstenstelle im
Datenschutzes vergeben. Hierbei gilt der Grundsatz, Landeskriminalamt (LKA)
nur derjenige kann die Daten einsehen und bearbei- • zwei Mobilrechner beim LKA für die Eingabe von
ten, der sie auch un­abdingbar für seine Aufgabener- Streugut am Schadensort und für die Erfassung
füllung benötigt. Bestimmte Dienstbereiche, wie zum pathologischer Angaben
Beispiel die ­Vermisstenstelle des Landeskriminalam- • ein Mobilrechner bei der Opfer- und Angehörigen-
tes besitzen uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit, betreuung der Polizei (Zentrale Serviceeinheit,
da unter anderem durch eine integrierte Recherche- Referatsgruppe „Verhaltensorientiertes Training“)
möglichkeit im System sehr schnell unbekannte • acht Arbeitsplatzrechner bei der Senatsverwaltung
Opfer – im Abgleich mit den aufgenommenen Ver- für Gesundheit (Krisen-/Arbeitsstab) für das dor-
misstenmeldungen – identifiziert werden können. tige „Bürgertelefon“ (Anfragen/Hilfeleistungsange-
bote von Bürgern mit sozialem Charakter)
Technische Kernbestandteile des BEPAS sind derzeit: • je ein Arbeitsplatzrechner in 20 zurzeit ausgewähl-
• ein zentraler Server im 24 Stunden Dauerbetrieb, ten Krankenhäusern (dortige Rettungsstellen). Die
betreut durch die Zentrale Serviceeinheit (ZSE) der Auswahl der Krankenhäuser erfolgt in Absprache
Berliner Polizei mit der zuständigen Senatsverwaltung.
• zwölf Auskunftsplätze beim Stab des Polizeipräsi-
denten (PPr St) inklusive einer Möglichkeit zur Der Zugang der Polizei und anderer Behörden zum
Hinweisweitergabe an das LKA (zum Beispiel sach- Zentralserver erfolgt über landeseigene Datenleitun-
dienliche Hinweise/Beobachtungen von Zeugen) gen beziehungsweise für externe Einrichtungen/
• sechs Mobilrechner (Laptops) in den örtlichen Organisationen über den Aufbau einer DFÜ (ISDN-
64 Polizei­
direktionen für die Opferregistrierung am Leitungen). Die Mobilrechner der Polizei übertragen
Schadensort sowie zwei Reservegeräte beim PPr St ihre Daten per UMTS-Verbindung.

Personenauskunftsstelle der Polizei

Landeskriminalamt Auskunfts­erteilung Polizeidirektion


Kriminalpolizeiliche Datenerfassung (Dir 1–6)
Katastrophenkommission Anrufer, Vermisste Schadensort
(KrimKatKom) Recherche Datenerfassung
Schadensort Schadensopfer
Datenerfassung – Verletzte
Anruferdaten
– nicht identifizierte – Vermisste
Tote/Leichenteile – Evakuierte
– Streugut – Getötete
Aufnehmen von
– Vermisste Meldungen/Anfragen
Recherche Registrieren
Identifizierung Recherchieren
Informieren
SenGesSozV Krankenhäuser
(Gesundheitsverwaltung) Datenerfassung
Krisenstab (Bürgertelefon) Opferdaten – Verletzte
– Beratung in gesund­heitlichen – unbekannte
und sozialen Fragen Verletzte/Tote
Angehörigen- und Opferbetreuung
– Koordination der – Verletzungsmuster
­Not­unterbringung in Ab­sprache Schadensort – Verletzungsgrad
mit den ­Bezirken Betreuungsstelle
Datenerfassung
Angehörige, ggf. unverletzte Schadens­opfer, Evakuierte

Abb. 5: Informations- und Leistungsmerkmale der Personenauskunftsstelle der Polizei Berlin.


Die Anmeldung an den Server und das IT-System Beispiel Straftaten mit einer Vielzahl verletzter/getöte-
erfolgt im Rahmen des Sicherheitskonzeptes unserer ter Personen) durch die örtlichen Polizeidirektionen
Behörde über einen Abgleich der IP-Adresse sowie beziehungsweise das LKA eigenverantwortlich
einer Nutzer- und Passwortabfrage. Dies entspricht genutzt werden. Daher kann man in Bezug auf BEPAS
den Vorgaben des Datenschutzes der auch die Schaf- von einer mittlerweile „selbstverständlichen“ Nutzung
fung einer entsprechenden Rechtsvorschrift vorsah, dieses IT-­Systems sprechen. Die Liste der mit Unter-
welche in Form der Ausführungsvorschrift über die stützung des IT-Systems bewältigten Einsatzlagen ist
Erhebung und sonstige Verarbeitung personenbezo- durchaus umfänglich, so dass hier nur der in seinen
gener Daten in Katastrophenfällen durch die Berliner Auswirkungen schrecklichste und für die PASt in ihrer
Personenauskunftsstelle der Polizei (AVBEPAS) erlas- Nutzung sicherlich ungewöhnlichste Einsatz kurz
sen wurde. Ergänzend sei angemerkt, dass in Berlin Erwähnung finden sollte.
eine Krankenhaus-Verordnung (KhsVO) existiert,
wonach die Krankenhäuser zur Übermittlung von Anlässlich der Flutkatastrophe in Südost-Asien im Jahr
Personendaten eingelieferter Schadensopfer an die 2004 wurde durch die Polizei Berlin nämlich eine so
Polizei verpflichtet sind. genannte „Rückkehrer-Hotline“ eingerichtet. Zahlrei-
che Berliner Urlauber waren unmittelbar nach dem
Unsere Auskunftsplätze beim Stab des Polizeipräsi- Ereignis direkt und zum Teil ohne Hab und Gut nach
denten unterliegen teilweise einer Doppelnutzung. Europa zurückgekehrt. Parallel und im Wissen eines
Dies bedeutet, dass sie auch für die tägliche Bewälti- im Krisengebiet verbrachten Urlaubs meldeten zahl-
gung von Aufgaben im Rahmen des Katastrophen- reiche Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen und sogar
und Zivilschutzes eingesetzt werden und somit einer direkt Verwandte von potenziellen Opfern diese Per-
permanenten Überprüfung / technischen Kontrolle sonen als vermisst, da – aus welchen Gründen auch
im Hinblick auf Fehlfunktionen unterliegen. Zugleich immer – kein Kontakt in Berlin/Deutschland zu ihnen
werden damit die eng begrenzten monetären Res- hergestellt werden konnte. Über die Medien wurde 65
sourcen unserer Behörde geschont, da ein „ungenutz- der Aufruf an alle bereits Zurückgekehrten gestartet,
tes“ Vorhalten von Technik (Rechner, Telefone, Räum- sich in der PASt telefonisch „zurück zu melden“.
lichkeiten) weitestgehend vermieden wird. Gleichzeitig wurden auch alle Berlinerinnen und Ber-
liner gebeten sich bei uns zu melden, die zwischen-
Für die telefonische Auskunftserteilung stehen zeitlich Kontakt mit ihren Angehörigen hatten, die
Mitarbeiter/-innen des Stabes des Polizeipräsidenten trotz des Ereignisses den Urlaub im oder im Nahbe-
zur Verfügung, die über eine gesonderte Alarmie- reich des Krisengebietes weiter verbrachten. So
rungsliste zu jeder Tages- und Nachtzeit zum Dienst konnte im Rahmen des Ausschlussverfahrens auf völ-
herangezogen werden können. Da das IT-System ein- lig neue Art die Auskunft an besorgte Angehörige,
schließlich der genutzten Bildschirmmasken als bei- Freunde und Verwandte erfolgen und letztendlich die
nahe selbsterklärend zu bezeichnen ist, kann der Zahl der Vermisstenmeldungen deutlich reduziert
­Aufwand für Aus- beziehungsweise Fortbildungsmaß- werden. Diese „Rückkehrer-Hotline“ wurde insge-
nahmen der Kollegen/-innen gering gehalten wer- samt über sieben Wochen rund um die Uhr betrieben.
den. Er beträgt kaum mehr als zwei Stunden pro Mit-
arbeiter im Jahr. Im Fazit kann festgestellt werden, dass mit der in Ber-
lin angewandten Systematik der Auskunftserteilung
Nach Eintritt einer Großschadenslage und der Prü- eine hohe Variabilität gegeben ist, die vielschichtig
fung, ob die Einrichtung einer Personenauskunfts- zur Anwendung gelangen kann. Wir werden diesen
stelle (PASt) erforderlich ist, wird über die Pressestelle Bürgerservice nach „Berliner Art“ – egal unter wel-
der Berliner Polizei eine Telefonnummer an die chen Rahmenbedingungen – aufrechterhalten und
Medien mit der Bitte weitergegeben, diese regelmä- weiter ausbauen.
ßig zu publizieren. So wird einem breiten Kreis der
Bevölkerung die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme Andreas Dannebaum
mit uns ermöglicht. Unabhängig von der Einrichtung Polizeihauptkommissar
der PASt kann das IT-System BEPAS auch für direkti- Stab des Polizeipräsidenten 1121
onseigene Lagen (zum Beispiel lokale Evakuierun- Katastrophen-/Zivilschutz
gen) oder in Fällen bedeutsamer Kriminalität (zum Polizei Berlin
GSL.net:
Ein IT-Programm zur gemeinsamen Nutzung für
­Personenauskunftsstellen, Rettungsdienst und Polizei

Thomas Roosen

Die schrecklichen Bilder der Loveparade am 24. Juli ­orhersehen, welche Brisanz in der Realisierung
v
2010 in Duisburg mit 21 Toten und 541 Verletzten ­stecken würde.
brennen sich förmlich in das Gedächtnis der Öffent-
lichkeit ein. Katastrophen und Großschadenslagen Seit dieser Zeit hat eine Vielzahl an Großschadensla-
sind erschütternde Ereignisse, für die Helfer vor Ort gen im nationalen wie im internationalen Bereich –
gehören sie zu den größten Herausforderungen. an der Spitze der Anschlag der Al-Kaida am 11. Sep-
tember 2001 auf das World Trade Center in New York
Entscheidend für den Einsatz ist das Zusammenspiel und die Loveparade in Duisburg am 24. Juli 2010 –
von Polizei, Feuerwehr und anderen Hilfs- und Ret- die Bevölkerung erschüttert und Polizei, Rettungs-
tungskräften. Der reibungslose und rasche Ablauf der dienste und den Katastrophenschutz vor eine schwie-
Hilfs- und Ermittlungsmaßnahmen fordert von den rige Aufgabenbewältigung gestellt.
Verantwortlichen einen kühlen Kopf und schnelle
Entscheidungen. Damit die Organisation planvoll Wie alleine diese beiden Beispiele zeigen, war es
66 und strukturiert umgesetzt werden kann, bedarf es notwendig, eine Software zu entwickeln, um unab-
neben ausgefeilten Einsatzplänen auch solcher IT- hängig von der Ursache einer größeren Schadenslage
Tools wie GSL.net, die wichtige Informationen des mit einem großen Maß an Flexibilität die strukturierte
Geschehens bündeln und allen beteiligten Basisorga- Abarbeitung zu ermöglichen – von der Personenaus-
nisationseinheiten aufbereitet zur Verfügung stellen. kunftsstelle bis zur Beweissicherung.

Mittlerweile wurde die 4. Version von GSL.net entwi- Fachliche Entwicklung


ckelt und nach einem langen Weg der Abstimmung
mit den weiteren Bundesländern werden zukünftig Unter Federführung der ZPD NRW befasste sich eine
14 Bundesländer GSL.net nutzen und sich damit zu Arbeitsgruppe, die zunächst mit Fachleuten für die
100% kompatibel gegenseitig unterstützen können. Bewältigung von Großschadenslagen aus dem
Zwei Bundesländer werden weiter auf eine eigene Bereich der Polizei NRW besetzt und später durch
Software setzen, jedoch bei einer Überlastung der Fachleute der Rettungsdienste erweitert wurde, ab
landesinternen Personenauskunftsstellen auf GSL.net September 2000 mit einer Analyse vergangener Groß-
als Zentralsystem zurückgreifen können. schadenslagen. Analysiert wurden diese in Hinblick
auf redundante Defizite bei der Lagebewältigung. In
Bis dahin war es jedoch ein langer und mitunter stei- allen untersuchten Großschadenslagen gab es nahezu
niger Weg: identische Problembereiche. Die ermittelten Defizite
waren nahezu immer:
Entstehung
• die Zeitnahe Einrichtung von Personenauskunfts-
Als die damaligen Zentralen Polizeitechnischen stellen mit entsprechenden Kapazitäten,
Dienste (ZPD) NRW im Juli 2000 vom Innenminister • die Erfassung von Vermissten und Beteiligten,
den Auftrag bekamen, ein IT-Programm zu entwi- • die Identifizierung von Toten und Verletzten,
ckeln, das den Einsatzabschnitt (EA) Ermittlungen • die Zuordnung von Körperteilen,
im Rahmen der Besonderen Aufbauforganisation • die Asservierung von Beweismitteln sowie
(BAO) bei der Bewältigung Größerer Schadens­ • die zeitnahe Informationsgewinnung und -weiter-
lagen (GSL) abbilden sollte, konnte niemand gabe zwischen den beteiligten Organisationen.
GSL.net ermöglicht die Arbeit auf einer gemeinsamen Datenbasis für alle bei einer Großschadenslage
zuständigen Organisationen. (Bild: Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW, Frank Reimann) 67

Die Ursachen für diese Defizite waren vielfältig, Die Rettungskräfte der Feuerwehren sind immer
jedoch wurden immer wieder bemängelt: zuerst am Schadensort tätig und retten und bergen
die Verletzten, die über die Verletztenanhängekarte
• die fehlende zeitnahe Informationsaufnahme und registriert und in Krankenhäuser transportiert wer-
-weitergabe, den. Alleine die von den Rettungsdiensten ins System
• zu lange Informationswege und GSL.net eingegebenen Informationen darüber, wie
• redundante Erfassungen. stark jemand verletzt wurde und in welches Kran-
kenhaus er eingeliefert wurde, bieten den Rettungs-
Die Arbeitsgruppe hat diese Defizite eingehend diensten einen Überblick über deren Tätigkeiten und
beleuchtet und in einem ausführlichen Fachkonzept der Polizei die Möglichkeit, ihre Kräfte zunächst
dargelegt, wie die fachliche Umsetzung einer solchen gezielt in die Krankenhäuser zu entsenden, in denen
IT-Unterstützung aussehen könnte. Im Januar 2004 Leichtverletzte eingeliefert wurden, die ad hoc ver-
wurde die Version 1 von GSL.net fertiggestellt und nommen werden könnten. Auf diese Weise werden
nach mehreren Tests für den Echtbetrieb bei Polizei, wichtige Informationen zur Schadenslage bereits
Rettungsdiensten und Katastrophenschutz freigege- sehr zeitnah gewonnen. Die Kommunen wiederum
ben. haben in NRW nach § 31 FSHG (Feuerschutz- und
Hilfeleistungsgesetz) die Aufgabe, eine Personenaus-
GSL.net geht jedoch als IT-Unterstützung über die kunftsstelle zu betreiben. Ein entsprechendes Modul
Bewältigung von Großschadenslagen hinaus und ist ist in GSL.net integriert, sodass durch eine gemein-
so konzipiert, dass es auch bei Massenveranstaltun- same Programmnutzung sämtliche Hinweise und
gen zum Einsatz kommen kann. Das Konzept der Nachfragen aus der Bevölkerung sofort der Polizei
­IT-Anwendung GSL.net berücksichtigt die heteroge- zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung stehen und
nen Zuständigkeitsstrukturen bei Großschadenslagen auf der anderen Seite die Personenauskunftsstellen
und gewährleistet die bestmögliche Zusammenarbeit alle gesicherten Informationen zu Verletzten oder
aller zuständigen Basisorganisationseinheiten. anderweitig betroffenen Personen direkt an die
Der Wegfall spezieller Anforderungen an die Hardware ermöglicht hohe Verfügbarkeit und Ausfallsicherheit im Einsatz.
68 (Bild: Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW, Frank Reimann)

besorgten Anrufer weitergeben können. Allen betei- um Auskünfte über alle Personen geben zu können,
ligten Organisationseinheiten steht eine immer aktu- die bei den verschiedenen Veranstaltungen erfasst
elle Statistik bzgl. der Opferzahlen zur Verfügung, wurden.
sodass im Umgang mit den Medien immer identi-
sches und gesichertes Zahlenmaterial weitergegeben Technische Entwicklung
werden kann.
Technisch gesehen handelt es sich bei dem Pro-
So arbeiten alle bei Großschadenslagen zuständigen gramm um eine Web-Anwendung, die browserunab-
Organisationen im Rahmen ihrer individuellen hängig über die verschiedenen Netze mit den ent-
Zuständigkeit mit demselben Programm GSL.net und sprechenden Berechtigungen in einer Einsatzlage
auf derselben Datenbasis. Jeder trägt dazu bei, dass aufzurufen ist. Das bedeutet, dass zum Beispiel alle
sehr zeitnah wichtige Informationen gesammelt, aus- Polizeibeschäftigten sowohl aus dem Polizeinetz her-
gewertet und – auch im Falle der Personenauskunfts- aus wie auch direkt von der Einsatzstelle über das
stellen – weitergegeben werden können. Natürlich Internet das Programm nutzen können.
bietet das Programm keine freie Datensicht auf alle
erhobenen Daten für jede Organisation. Hier wurde Es sind ganz bewusst keine speziellen Voraussetzun-
ein streng hierarchisches Rechtekonzept entwickelt, gen an einen PC gestellt worden, um das Programm
das auf die jeweilige individuelle Rolle und damit der nutzen zu können. Dieses ist vor dem Hintergrund
Zuständigkeit referenziert. von Bedeutung, dass im Falle einer Großschadens-
lage sehr viele Personen eingesetzt werden können,
So wurde zum Beispiel für die Fußball-WM 2006 in also eine hohe Verfügbarkeit des Programms bei
NRW neben mehreren örtlichen auch eine Zentrale maximaler Ausfallsicherheit garantiert sein muss.
Personenauskunftsstelle eingerichtet. In allen Aus-
kunftsstellen konnte bei Lagen mit WM-Bezug auf Für GSL.net wurde mit der abgesicherten Internetver-
denselben Datenbestand zurückgegriffen werden, bindung erstmals im Polizeiumfeld ein Programmzu-
Die modulare Gestaltung ermöglicht einen schnellen Abgleich der Daten, zum Beispiel bei einer Suchanfrage durch
einen Angehörigen. (Bild: Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW, Frank Reimann) 69

gang über das World Wide Web ermöglicht. Somit ist Großschadenslage bei einer Personenauskunftsstelle
die Programmnutzung sowohl über das Intra- wie an und fragen, ob ein Angehöriger betroffen ist. Nach
auch über das Internet möglich. dem Eingang einer solchen Meldung warten die
Angehörigen zu Hause oder direkt am Schadensort
Da die Erfahrung gelehrt hat, dass eine Netzverbin- auf eine Antwort der Behörden. Diese konnte aber
dung – welcher Art auch immer – im Falle von Groß- bislang nicht zeitnah erfolgen, obwohl die erforderli-
schadenslagen oft schwierig ist, wurden die Erfas- chen Informationen durch die Behörden oder Hilfs-
sungsvordrucke für die Offline-Nutzung so konzipiert, organisationen in der Regel irgendwo bereits erho-
dass die Daten bei Konnektivität automatisiert in die ben wurden. Warum war das so?
GSL-Datenbank übernommen werden können. Das
Prinzip der Einmalerfassung und Mehrfachnutzung Bislang standen diese Informationen nicht zentral zur
wurde konsequent umgesetzt. Verfügung, sondern wurden dezentral, dafür aber
häufig redundant, erhoben und konnten nicht zeit-
Programmaufbau nah abgeglichen werden. Dieses hat sich durch die
gemeinsame Nutzung der Anwendung GSL.net
Das Programm ist modular aufgebaut und besteht grundlegend geändert, da alle in das System eingege-
neben den Modulen der polizeilichen Sachbearbei- benen Informationen sofort allen beteiligten Pro-
tung, die sich aus der Besonderen Aufbauorganisa- grammnutzern im Rahmen der zugeteilten Rechte zur
tions-Struktur (BAO-Struktur) bei Großschadens­ Verfügung stehen.
lagen ergeben, zum Beispiel auch aus einem
Programmmodul „Personenauskunftsstelle“, welches Nunmehr ist es völlig unproblematisch, alle Anrufe
den zentralen Knotenpunkt für die zu erwartenden zu einer vermissten Person, die in einer Personen-
Anrufe verunsicherter Angehöriger auf der einen wie auskunftsstelle eingehen, mit Personendaten von
auch für die polizeiliche Hinweisaufnahme auf der zum Beispiel Verletzten oder aber auszuschließenden
anderen Seite darstellt. Oft rufen Personen nach einer Personen zusammenzuführen und den Anrufer sehr
zeitnah, vielleicht sogar direkt, zu informieren. Das Das Programm wird stetig weiterentwickelt, um die
lange Warten auf die – hoffentlich – erlösende Aus- Bedürfnisse aller beteiligten Organisationen zu
kunft wird somit deutlich verringert, ein störender implementieren. Exemplarisch seien hier die Nut-
„Katastrophentourismus“ minimiert. zung der Ante- und Post-Mortem-Vordrucke von
Interpol genannt, die nun auch die internationale
Die Erfahrungen bei der Loveparade 2010 in Duis- Nutzung von GSL.net völlig unabhängig von der
burg haben gezeigt, dass die Vielzahl von Anrufen Sprache ermöglichen, da diese Vordrucke immer
nicht zeitnah angenommen werden konnten, da die gleich aussehen und zu befüllen sind. Mit einem
Personenauskunftsstellen trotz der Nutzung der Import in GSL.net werden diese Daten so automa-
Rückfallebenen in NRW überlastet waren. Das wird tisch an der richtigen Stelle in der Datenbank abge-
in der Zukunft so nicht mehr geschehen, da die loka- legt und stehen in der Landessprache für die weitere
len Personenauskunftsstellen nun auf die Unterstüt- Bearbeitung zur Verfügung.
zung aller Bundesländer zurückgreifen können und
damit deutlich mehr Anrufe parallel entgegengenom- Vor diesem Hintergrund wird aktuell mit Luxemburg
men werden können. über die Nutzung von GSL.net verhandelt. Die inter-
nationale Nutzung einer abgestimmten Software mit
Gewinnen von aktuellen ­Führungsinformationen internationalen Standards im Grenzgebiet ist auch
sehr zu begrüßen.
Der weitere Vorteil des Programms liegt bei der
Gewinnung von Führungsinformationen, die in Echt- Es bleibt als Fazit festzustellen, dass die gesamte Pro-
zeit aus den im Programm eingegebenen Daten für grammentwicklung bei allen Beteiligten immer von
alle beteiligten Organisationseinheiten generiert wer- zwei Wünschen begleitet wird: Zum einen wünschen
den. Diese Informationen können zum einen als Sta- wir uns, ein komplexes gut funktionierendes Pro-
70 tistik in abstrakter Form erhoben werden, stehen gramm zu realisieren, zum anderen ist natürlich der
aber auch detailliert zur Verfügung. Wunsch noch größer, dass dieses Programm mög-
lichst nicht eingesetzt werden muss.
Fazit und Ausblick
Thomas Roosen
Die gemeinsame Nutzung von GSL.net durch Polizei, Polizeidirektor
Rettungsdienste und Personenauskunftsstellen hat Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste
sich bewährt, was sich letztendlich in der Nutzung ­Nordrhein-Westfalen
durch nahezu alle Bundesländer auch zeigt.
Die Krisenhotline des Auswärtigen Amtes

Dr. Maria Bellinger und Almut Henkelmann-Siaw

„Guten Tag, Sie sind mit der Krisenhotline des Aus- Unterstützung bei der Ausreise oder gegebenenfalls
wärtigen Amtes verbunden, mein Name ist …, was die Vorbereitung/Durchführung von Evakuierungs-
kann ich für Sie tun?“ Diese Begrüßung hören Bür- maßnahmen erforderlich machen können.
gerinnen und Bürger, die sich im Falle einer interna-
tionalen Großschadenslage an das Auswärtige Amt Für das Krisenmanagement der Bundesregierung
wenden, zum Beispiel 2011 im Rahmen der politi- sind die weltweiten Verbindungen des Auswärtigen
schen Unruhen in Ägypten, als über zwölf Tage in Amtes und das enge Netz der Auslandsvertretungen
insgesamt 96 Schichten zahlreiche Freiwillige im besonders wertvoll, um jederzeit eine direkte Kon-
Telefonpool die Fragen der besorgten Anrufer beant- taktaufnahme mit der betroffenen Region zu ermög-
worteten. lichen und über dort vorhandene Kontakte deutsche
Interessen vor Ort rasch und effektiv zu vertreten. Im
Die Krisenhotline ist ein wichtiger Baustein des zivi- Krisenstab beraten die betroffenen Arbeitseinheiten
len Krisenmanagements, dessen Zuständigkeit im des Auswärtigen Amtes und der übrigen zuständigen
Falle von Auslands-Ereignissen beim Auswärtigen Ressorts und Behörden gemeinsam über zu ergrei-
Amt liegt und hier im Krisenreaktionszentrum fende Maßnahmen. Verbindungsbeamte anderer
(KRZ) angesiedelt ist. Das Spektrum reicht von tech- Behörden haben ihren ständigen Arbeitsplatz im Kri-
nischen Unglücksfällen, zum Beispiel einem Flug- senreaktionszentrum und garantieren so den konti-
zeugabsturz, oder terroristischen Anschlägen über nuierlichen Informationsfluss. Das Krisenreaktions- 71
Naturkatastrophen wie Erdbeben/Vulkanausbrüche zentrum ist rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr
bis hin zu politischen Krisen, die deutsche Staats­ erreichbar.
bürger in Gefahr bringen und die eine Hilfeleistung,

Wertvolle Ressource der Informationsvernetzung beim Krisenfall im Ausland: Das Krisenreaktionszentrum im Auswärtigen Amt.
(Bild: photothek Auswärtiges Amt)
Werden im Krisenfall besonders viele Anrufe erwar- wärtigen Amtes), enthalten fortlaufend aktualisierte
tet, kann ein Telefonpool mit bis zu 60 Plätzen ein- Informationsblätter für die Telefonisten Hinweise,
gerichtet werden, der entweder über die Telefonzen- wohin beziehungsweise an wen die Anrufer weiter-
trale des Auswärtigen Amtes oder bei Bedarf über verwiesen werden können. Üblicherweise schauen
zwei Hotline-Nummern direkt erreichbar ist. Für die die Freiwilligen zu Beginn ihrer Schicht ihrem Vor-
Einrichtung dieses Telefonpools stehen dem Auswär- gänger bei ein bis zwei Telefonaten über die Schul-
tigen Amt ca. 150 freiwillige Mitarbeiterinnen und ter, um ihre Schulungsinhalte nochmals am konkre-
Mitarbeiter in der Zentrale zur Verfügung, die im ten Beispiel aufzufrischen und mit zu überlegen, wie
Bedarfsfall per Massen-SMS vom Lagezentrum sie reagieren würden, ohne schon sofort reagieren zu
benachrichtigt werden. Die Entscheidung über die müssen.
Aktivierung des Telefonpools trifft das Krisenreakti-
onszentrum gemeinsam mit dem für die konsulari- Die Freiwilligen erfassen die Vermissten mit Hilfe
sche Hilfe im Ausland zuständigen Referat, unter einer speziell entwickelten Krisys-Software, die
anderem anhand der Zahl der vom Unglück betroffe- weltweit von allen Auslandsvertretungen verwendet
nen Deutschen im jeweiligen Land und der daraus wird, jederzeit einen Zugriff auf die aktuellen Ver-
folgenden Einschätzung der Zahl potenzieller Anru- missten-Listen möglich macht und welche auch dem
fer. Wenn das Anruferaufkommen steigt, stellt das Bundeskriminalamt zugänglich gemacht wird. Krisys
Krisenreaktionszentrum zunächst eine Erstbesetzung ist webbasiert und kann damit von jedem durch das
der Telefone sicher, notfalls in der Nacht durch in Krisenreaktionszentrum für das Krisenereignis freige-
Teleheimarbeit beschäftigte Angehörige des Krisen- schalteten Anwender, der Zugang zum Intranet des
reaktionszentrums, alarmiert die Mitglieder im Tele- Auswärtigen Amtes hat, aufgerufen werden.
fonpool und erstellt sofort einen Schichtplan für den
Einsatz. Die öffentliche Bekanntgabe einer Hotline Die Telefon-Software verfügt über eine automatische
72 erfolgt erst, wenn ausreichend Plätze im Telefonpool Ansage der Position in der Warteschlange und eine
besetzt sind. Die Einsatzzeiten am Telefon sind wäh- statistische Erfassung der Anrufer. Die Aufnahme von
rend der normalen Arbeitszeiten nicht länger als ca. Daten in Krisys ist so strukturiert, dass als erstes die
zwei Stunden pro Schicht, nachts und am Wochen- Daten des Anrufers erfasst werden und erst dann die
ende etwas länger. Die Freiwilligen gehen nach der Daten des Vermissten: Dies hat den Hintergrund,
Schicht im Telefonpool wieder an ihren regulären dass für die weitere Bearbeitung der Meldungen ent-
Arbeitsplatz zurück. Häufig melden sie sich bei län- sprechende Ansprechpartner beziehungsweise Kon-
ger andauernden Großkrisen für wiederholte Schich- taktpersonen benötigt werden. Würde man zuerst die
ten an. Die Vorgesetzten sind über die Mitgliedschaft Daten des Vermissten erfassen, besteht die Gefahr,
ihrer Mitarbeiter im Telefonpool informiert. Zur dass man in der Eile vergisst, die Daten des Anrufers
Betreuung der Telefonpool-Freiwilligen nach beson- aufzunehmen. Anschließend werden die für eine
ders belastenden Telefonaten stehen Mitarbeiter der Suche nach dem Vermissten wichtigen Informationen
Psychosozialen Beratungsstelle zur Verfügung. Tele- eingegeben. Neben Daten zu deutschen Staatsange-
fonpool-Schichten außerhalb der regulären Arbeits- hörigen werden auch Angaben zu ausländischen
zeiten werden als Mehrarbeit mit späterem Freizeit- Partnern und Kindern und gegebenenfalls Daten zu
ausgleich angerechnet. EU-Bürgern aufgenommen, deren Heimatstaat im
Krisenland nicht vertreten ist.
Die jeweiligen Freiwilligen werden unmittelbar vor
Ihrem Einsatz im Telefonpool durch einen Mitarbei- Die Telefonpool-Mitarbeiter sind geschult, nicht sofort
ter des Krisenreaktionszentrums in die aktuelle Lage und allzu aufdringlich mit der Datenerfassung über
eingewiesen und können den aktuellen Sachstand die Krisys-Software zu beginnen, sondern den Anru-
auch jederzeit in einem „Krisenpool-Laufwerk“ auf fern etwas Zeit (ca. zwei Minuten) zu geben, ihr Anlie-
Ihrem PC einsehen. gen vorzubringen und dann zu klären, ob bei dem
Anruf ein Bezug zu dem Krisenereignis gegeben ist.
Für alle Anfragen, die im konkreten Fall über die
eigentliche Vermisstenaufnahme hinausgehen könn- Die Schulung der Telefonpool-Freiwilligen, beste-
ten (Reisehinweise, Anschriften, Hotlines, wichtige hend aus Gesprächsführung und Krisensoftware,
Ansprechpartner innerhalb und außerhalb des Aus- erfolgt in verschiedenen Abschnitten durch krisener-
fahrene Mitarbeiter des Lagezentrums und durch Psy- Telefonplatz ebenso aus wie eine Liste mit möglichen
chologen, teilweise unter dem Einsatz von Berufs- Verweis-Gesprächspartnern im Hause, an die im
schauspielern zur Simulation von „schwierigen Bedarfsfall verbunden werden kann. Der Bereich
Anrufern“. In diesem Rahmen erfolgt auch eine Unter- „Selbstfürsorge in stressigen Situationen“ bildet den
richtung zum Umgang mit Pressevertretern, unmittel- Abschluss des Telefonpool-Trainings: Hier werden
baren Unglückszeugen, selbst Betroffenen oder auch die Teilnehmer geschult und ermutigt, auf sich und
mit Bekenneranrufen im Falle von Attentaten. ihre Bedürfnisse gut zu achten, auch und gerade
wenn es „heiß hergeht“ am Telefon.
Besondere Vertiefung erfährt auch der Bereich des
Umgangs mit hoch emotionalen Anrufen: Wie kön- So gut vorbereitet können die Freiwilligen ihrem Ein-
nen Telefonpool-Mitarbeiter am besten auf Beleidi- satz an der Hotline gelassen entgegensehen.
gungen oder Beschimpfungen reagieren oder ver-
zweifelte Angehörige am besten beruhigen? Das Dr. med. Maria Bellinger
Training umfasst direktive und konkrete Gesprächs- Ärztin für Neurologie und Psychiatrie,
techniken ebenso wie umschreibende und auswei- ­Psychotherapie, Sozialmedizin
chende, die je nach Sachlage gefordert sein können. Leiterin der Psychosozialen Beratungsstelle
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auch auf der höf­ im Auswärtigen Amt
lichen – aber bestimmten – Beendigung eines
Gesprächs, die gerade in Zeiten starker Nachfrage Almut Henkelmann-Siaw
essentiell für die Funktionsfähigkeit der Hotline ist. Mitarbeiterin im Krisenreaktionszentrum
Ein Handout mit Formulierungshilfen liegt an jedem im Auswärtigen Amt

73
Hotline der Koordinierungsstelle Nachsorge,
Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) im Bundesamt
für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe

Tobias Hahn, Kerstin Fröschke, Thomas Knoch, Annika Fritsche

Ende 2002 wurde in Zusammenhang mit den Anti-Terror-Maßnahmen der Bundesregierung nach
den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA eine zentrale Stelle zur Koordination der
Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
­Katastrophenhilfe (BBK) eingerichtet. Das psychosoziale Unterstützungsangebot von NOAH richtet
sich an Bundesbürger, die im Ausland durch Terroranschläge oder schwere Unglücksfälle, Evaku-
ierungen und Geiselnahmen betroffen sind, sowie an deren Angehörige im Inland. Seither bearbei-
tet NOAH jährlich etwa zwanzig Einsätze unterschiedlicher Größenordnung. Sowohl die gesamte
Koordina­tionstätigkeit als auch die Beratung Betroffener erfolgt über die NOAH-Hotline, die seit
zehn Jahren rund um die Uhr geschaltet ist.

74

Hotlineraum der Koordinierungsstelle NOAH. (Bild: BBK)


Koordination – Beratung – Vermittlung Unterstützung der örtlichen Polizeibeamten bei der
Überbringung von Todesnachrichten.
Hauptaufgabe von NOAH ist es, unmittelbar nach
einem Terrorakt oder Unglücksfall eine akute und Bei Einsätzen mit zahlreichen Toten bewährt sich die
längerfristige psychosoziale Betreuung für unmittel- enge Zusammenarbeit und abgestimmte Vorgehens-
bar Betroffene und ihre Angehörigen anzuregen und weise gegenüber Betroffenen zwischen NOAH und
aufzubauen. NOAH unterstützt im Wesentlichen der Identifizierungskommission (IDKO) des Bundes-
durch: kriminalamtes (BKA), die in solchen Fällen tätig wird.
• Informationsvernetzung der beteiligten Behörden, Ein rascher Informationsaustausch und ein überein-
Organisationen und Institutionen in Betreuungs- stimmendes behördliches Handeln werden dabei
fragen gewährleistet und sichergestellt. Beides bietet für
• telefonische Beratung Betroffener (durch eine Betroffene von Katastrophen eine wichtige Orientie-
24-Stunden-Hotline) rung in einer Zeit des Chaos und der Verunsicherung.
• Vermittlung von wohnortnahen psychosozialen Einige Wochen nach einem schweren Unglück erhält
Hilfen (Notfallseelsorger, Kriseninterventions­ die Koordinierungsstelle NOAH erfahrungsgemäß
mitarbeiter, Notfallpsychologen, psychosoziale zunehmend Anfragen nach Psychotherapeuten. Dann
­Beratungsstellen etc.) kommt die langjährige Kooperation, die NOAH zu
• Traumaberatung und Vermittlung regionaler Ärzte- und Therapeutenkammern, Kassenärztlichen
­psychologischer und ärztlicher Psycho(trauma)- Vereinigungen sowie Fachgesellschaften der Psycho-
therapeuten (durch Rückgriff auf die NOAH- logie und Psychiatrie aufbauen konnte, zum Tragen.
Trauma-Datenbank) Im Rahmen der psychosozialen Notfallversorgung
• Hilfen bei administrativen und rechtlichen nach dem Seebeben in Südostasien 2004/2005, bei
Fragen und Problemen dem mehr als 7.000 Bundesbürger betroffen waren,
• Organisation von Treffen für Überlebende, konnte gemeinsam eine Therapeuten-Datenbank auf- 75
­Angehörige, Hinterbliebene und Vermissende gebaut werden. Zahlreiche Psychotraumatologen
• Beratung von Bundes- und Landesbehörden stellten damals zusätzliche ambulante und stationäre
zur Gestaltung von öffentlichen Gedenk­ Therapieplätze für die Katastrophenopfer zur Verfü-
veranstaltungen mit Beteiligung Be­troffener. gung und gewährleisteten dadurch eine zeitnahe
Akutversorgung. Auf diese – regelmäßig aktualisierte
Kooperationspartner und Berater der – Therapeuten-Datenbank kann NOAH für ihre Klien-
­Koordinierungsstelle NOAH ten bis heute zurückgreifen.

Die Koordinierungsstelle NOAH stützt sich bei ihrer Das NOAH-Team


Arbeit auf ein weit verzweigtes und multiprofessio-
nelles Netz an Kooperationspartnern. Dazu gehören Die Koordinierungsstelle NOAH besteht aus einem
Bundes- und Landesbehörden, Versicherer, Reisever- erfahrenen Team von Fachkräften aus den Diszi­
anstalter, Flughäfen und Fluggesellschaften, Reede- plinen Psychologie, Sozialwissenschaften, Notfallpä­
reien sowie Ansprechpartner der Kirchen, Hilfs­ dagogik, Kommunikationswissenschaft, Theologie,
organisationen, Wohlfahrtsverbände und weitere ­Rettungsingenieurwesen, Trauerbegleitung und Ver-
psychosoziale Dienste. waltungswirtschaft. Bei größeren Einsätzen kann es
darüber hinaus auf geschulte Kollegen aus dem BBK
In der Akutsituation eines Einsatzes sind die Evange- und auf einen Expertenpool, bestehend aus erfahre-
lischen Landeskirchen und die katholischen Bistü- nen BBK-externen Unterstützungskräften verschiede-
mer sowie Kriseninterventionsteams (KIT) der Hilfs- ner Kooperationspartner (Mitarbeiter aus Kriseninter-
organisationen und anderer Träger im gesamten ventionsteams, Notfallseelsorger, Notfallpsychologen,
Bundesgebiet wichtige erste Stützen der Koordinie- Juristen, Sozialarbeiter) zurückgreifen.
rungsstelle. Sie stellen unentgeltlich Notfallseelsorger
beziehungsweise KIT-Mitarbeiter zur Verfügung und Qualitätssicherung
garantieren so in den ersten Stunden oder Tagen
wohnortnah eine qualifizierte Akutbetreuung der Die Qualitätssicherung der Koordinations-, Betreu-
betroffenen Familien oder eine Begleitung und ungs- und Vermittlungsmaßnahmen wird durch eine
enge Kooperation mit einschlägigen wissenschaftli- dass das gesamte NOAH-Team zur eigenen Entlas-
chen Instituten, Fachgesellschaften der Psychologie tung und Erfahrungsverarbeitung seit 2003 regelmä-
und Psychiatrie sowie Kammern gewährleistet. Dane- ßig Supervision in Anspruch nimmt.
ben hat NOAH einen Expertenpool zusammenge-
stellt, der aus ausgewiesenen und einsatzerfahrenen NOAH-Einsätze (2003-2012)
psychosozialen Fachleuten besteht, die bei Einsatz-
auswertungen und Konzeptfortentwicklungen regel- Seit der Einrichtung der Koordinierungsstelle NOAH
mäßig zu Rate gezogen werden. Zudem steht NOAH vor zehn Jahren am 18. Dezember 2002 wurden ins-
in Kontakt mit Betroffenen vergangener schwerer gesamt 217 Einsätze unterschiedlichster Schadensart
Unglücksfälle und mit internationalen Vertretern von und dementsprechend auch unterschiedlicher Größe
(Opfer-)Verbänden, die die Koordinierungsstelle auf und Komplexität bearbeitet. Zusätzlich zu diesen 217
der Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen beraten. Einsätzen war die Koordinierungsstelle mit neun
Qualifizierte Hotlinearbeit erfordert eine solide Schu- Schadenslagen befasst, die sich bereits vor ihrer Ein-
lung und regelmäßiges Training. Nicht nur das NOAH- richtung im Jahr 2002 ereigneten. Die längerfristige
Team, sondern auch die BBK-Verstärkungskräfte Begleitung Betroffener dieser Schadenslagen wurde
erhalten deshalb regelmäßig Fortbildungen. Ein wei- mit der Etablierung von NOAH durch sie übernom-
terer Baustein in der Qualitätssicherung ist die wis- men. Hierzu zählen unter anderem Betroffene der
senschaftliche Auswertung von speziellen F ­ ragen und Terroranschläge in den USA, Djerba und Bali von
Aufgaben. So wurden beispielsweise die Instrumente 2001 und 2002.
und Aufgaben „NOAH-Trauma-Datenbank und The-
rapeutenvermittlung“ sowie „Hotline Anrufannahme“ Über die letzten zehn Jahre ist eine steigende Anzahl
wissenschaftlich evaluiert (siehe Tsunami-Einsatz der NOAH-Einsätze zu verzeichnen (Abb. 6), auch
2004/2005 der Koordinierungsstelle NOAH: Ein wis- wenn diese – sowohl in der Gesamtanzahl pro Jahr
76 senschaftlicher Blick auf die Arbeit einer Krisenhot- als auch in den jeweiligen Einsatzkategorien – kei-
line). Zur Qualitätssicherung gehört schließlich auch, nen linearen, konstanten Anstieg aufzeigen.

2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 gesamt

Terroranschläge* 0 1 4 3 3 4 3 2 1 0 21

Entführungen/
3 0 4 4 4 7 4 2 1 6 35
Geiselnahmen

Evakuierungen/
Ausreiseunter­ 1 1 0 1 1 2 0 0 2 0 8
stützungen

Naturkatastrophen 0 1 1 0 0 3 2 3 3 4 17

Flugzeugunglücke** 0 0 0 3 2 3 2 3 2 3 18

Busunglücke 5 1 4 2 3 6 6 2 3 5 37

Schiffs- und
0 1 0 2 1 2 3 4 1 7 21
Bootsunglücke

sonstige Unglücke
2 0 4 2 9 7 2 3 1 5 35
im Ausland***

Sondereinsätze**** 0 0 3 3 3 6 1 2 4 3 25

gesamt 11 5 20 20 26 40 23 21 18 33 217

* außerdem Nachbetreuung zu den Terroranschlägen 9/11 (2001), Djerba (2002) und Bali (2002)
** außerdem Nachbetreuung zu den Unglücken Ramstein (1988), Birgen-Air (1996) und Concorde (2000)
*** außerdem Nachbetreuung zu den Unglücken Enschede (2000) und Kaprun (2000)
**** außerdem Nachbetreuung zu dem Unglück Eschede (1998)

Abb. 6: Einsatzstatistik der Koordinierungsstelle NOAH.


Die Gründe für den Anstieg setzen sich aus verschie- wie Bergsteiger-, Seilbahn-, Canyoning- und Rafting-
denen Faktoren zusammen. So kann zum einen unglücke, Brände und Vergiftungen.
davon ausgegangen werden, dass durch eine wach-
sende Mobilität deutscher Staatsbürger in einer glo- Abläufe im Einsatzfall
balisierten Welt gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit
ansteigt, von einem Unglück im Ausland betroffen zu Die Abläufe und Prozesse in der Einsatzabarbeitung
sein. Auch die steigende Bekanntheit der Koordinie- unterscheiden sich aufgrund der großen Spannbreite
rungsstelle NOAH durch die vielfältige Netzwerkar- der Einsatzkategorien und damit auch der Größe,
beit der letzten Jahre spielt eine Rolle. Komplexität und Dynamik teilweise immens vonein-
ander. Dies bedingt eine lage- und bedarfsorientierte
Die Abbildungen 7 und 8 geben einen Überblick und somit sehr flexible Anpassungsfähigkeit der
über das Einsatzaufkommen der Koordinierungs- eigenen Aufbaustrukturen und Abläufe. Auch wäh-
stelle NOAH, die unterschiedlichen Einsatzkatego- rend der Einsatzabarbeitung ist durch ein kontinuier-
rien sowie die Verteilung der Unglücke weltweit. liches Lagemanagement jederzeit auf dynamische
Dabei fällt unter die Kategorie „Sondereinsätze“ die Veränderungen in der Lageentwicklung zu reagieren.
Unterstützung anderer Organisationen des Bundes
(wie Technisches Hilfswerk, Bundeskriminalamt, Alarmierung
Bundespolizei) und weiterer Organisationen der
Gefahrenabwehr bei inländischen Schadenslagen Die Alarmierung von NOAH erfolgt in der Regel über
(zum Beispiel Massenkarambolage auf der Bundes- das rund um die Uhr besetzte Gemeinsame Melde-
autobahn 19 bei Rostock 2011) oder die Vorbereitung und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ) im
und Durchführung von Großveranstaltungen (zum BBK. Eine Anfrage um Unterstützung wird parallel
Beispiel G8-Gipfel 2007 und NATO-Gipfel 2009) im dazu vom Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen
Rahmen der Amtshilfe. Bei der Kategorie „Sonstige Amtes (AA), manchmal auch vom Fachreferat „Not- 77
Unglücke im Ausland“ handelt es sich um Unglücke hilfe für Deutsche im Ausland“ des Auswärtigen

Sondereinsätze 12% Terroranschläge 10%

s onstige Unglücke  ntführungen /


E
im Ausland 16% Geiselnahmen 16%

 vakuierungen /
E
Ausreiseunter-
stützung 4%

 chiffs- und
S
Bootsunglücke 10% Naturkatastrophen 8%

Busunglücke 16% Flugzeugunglücke 8%

Abb. 7: Prozentuale Verteilung der NOAH-Einsätze nach Einsatzkategorien.


Abb. 8: Übersicht der Regionen weltweit, in denen Deutsche bei schweren Unglücken oder Katastrophen betroffen
waren und NOAH zum Einsatz kam.

78

Amtes ausgesprochen. Darüber hinaus kann eine ­längerfristigen Einsatzdauer und einem gesteigerten
Unterstützungsanfrage auch über andere Kooperati- ­ersonalbedarf zu rechnen – erfolgt die Einsatz­­
P
onspartner, zum Beispiel über involvierte Reiseversi- abarbeitung in einer sogenannten Sonderaufbau­
cherer, Fluggesellschaften oder Flughäfen erfolgen. organisation (SAO) (Abb. 9). Dann werden lage- und
In jüngster Zeit mehren sich auch unmittelbar nach bedarfsorientiert Einsatzabschnitte sowie Unter­
Ereigniseintritt direkte Kontaktaufnahmen Betroffe- einsatzabschnitte eingerichtet, längerfristige Schicht-
ner. Insbesondere bei größeren Schadensereignissen dienste geplant und der Personalbestand erheblich
nutzen unmittelbar Betroffene oder Angehörige die aufgestockt. Während des Tsunami-Einsatzes
Vielzahl verfügbarer Kommunikationsmittel und sto- 2004/2005 beispielsweise waren in den ersten vier
ßen dabei auch auf Hinweise zu NOAH (zum Bei- Wochen täglich bis zu 70 Kräfte in der Hotline tätig.
spiel über das Internet), obgleich die NOAH-Hotline Die Koordinierungsstelle NOAH greift auf ein Ver-
– im Unterschied zur Krisenhotline des Auswärtigen stärkungskräfte-System von 20 geschulten Kollegen
Amtes – nach Unglückseintritt nicht offensiv über die des BBK sowie auf einen externen, bundesweit
Medien bekannt gegeben und kommuniziert wird. ­verfügbaren Expertenpool an PSNV-Kräften zurück.

Einsatzabarbeitung Bei folgenden Einsätzen der letzten zehn Jahre bil-


dete die Koordinierungsstelle NOAH eine Sonderauf-
Die weitere Einsatzabarbeitung innerhalb der Koor- bauorganisation:
dinierungsstelle NOAH nach der Alarmierung unter- • Tsunami in Südostasien (2004/2005)
scheidet sich je nach Einsatzmerkmal, Größe und • Ausreiseunterstützung aus dem Krisengebiet
Komplexität. Die meisten Einsätze – ca. 20 pro Jahr – ­Libanon (2006)
werden jeweils von drei bis vier Kräften aus dem • Absturz des Air-France-Flugs 447 vor Brasilien
NOAH-Team bearbeitet. Übersteigt ein Schadensze- (2009)
nario ein gewisses Maß an Komplexität, Größe, • Havarie des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia
Dynamik und somit Betreuungs- und Koordinie- vor Italien (2012)
rungsbedarf – und ist in dessen Folge mit einer
NOAH-Einsatzleitung

Psychosoziale Infovernetzung
Dokumentation Tagesgeschäft
Betreuung Organisation

Sichtung Kooperation mit Einsatztagebuch


Behörden, Orgs,
Psychosoziale Schnittstellen Lagenmanagement
Beratung
Schadensverursacher Einsatzstatistik-/evaluat.
Vermittlung:
Psychosoziale Berichterstattung
Akuthilfe
Info-Recherche
Traumaberatung
Medien
Therapeuten­vermittlung
Angehörigentreffen

Abb. 9: Beispielhafte Sonderaufbauorganisation (SAO) der Koordinierungsstelle NOAH mit den entsprechenden
Einsatz- und Untereinsatzabschnitten.

79

Beispiel Einsatzabschnitt Therapeutenvermitt- der eingegangenen Anrufe erfolgte innerhalb der


lung beim Tsunami-Einsatz Koordinierungsstelle NOAH über Meldezettel, die in
der Ebene „Hotline-Anrufannahme“ nach vorgegebe-
Bei den meisten NOAH-Einsätzen gehört die Trauma- ner Checkliste (Daten zur Person, Anliegen etc.) aus-
beratung per Hotline und die Vermittlung von gefüllt worden waren. Die Kräfte in der „Therapeu-
(Trauma-)Psychotherapeuten durch die Diplom- tenvermittlung“ riefen die Anrufer dann zeitnah
Pychologinnen beziehungsweise die Psychologische zurück und stimmten in mehreren Telefonaten die
Psychotherapeutin im NOAH-Team zu den Standard- Beratung oder therapeutische Hilfe mit den Betroffe-
aufgaben. Bei umfangreichen Einsätzen mit Sonder- nen und den infrage kommenden Psychotherapeu-
aufbauorganisation werden ein Untereinsatzabschnitt ten ab. Die Auswahl der Psychotherapeuten erfolgte
„Therapeutenvermittlung“ gebildet und zusätzliche über die NOAH-Therapeuten-Datenbank, die ad hoc
externe Traumapsychotherapeuten angefordert. in Kooperation mit Psychotherapeutenkammern,
Fachgesellschaften, Kassenärztlicher Vereinigung
Beim Tsunami-Einsatz 2004/2005 war der Unterein- und weiteren Institutionen aufgebaut worden war.
satzabschnitt „Therapeutenvermittlung“ in den ersten Zahlreiche Traumapsychotherapeuten im gesamten
drei Monaten nach dem Seebeben eingerichtet. In Bundesgebiet hatten zusätzliche ambulante und stati-
diesem Zeitraum gingen insgesamt rund 10.000 onäre Therapieplätze bereitgestellt. Deshalb gelang
Anrufe in der Hotline ein, 210 Anrufer (~ 2 %) davon in 91 % der Fälle eine Therapeutenvermittlung inner-
fragten nach psychologischer oder therapeutischer halb von sieben Tagen, die übrigen 9 % wurden
Hilfe (für insgesamt 321 Betroffene) und wurden von innerhalb von maximal drei Wochen vermittelt. Bei
der Ebene „Hotline-Anrufannahme“ an den Abschnitt den Betroffenen handelte es sich um 158 Überle-
„Therapeutenvermittlung“ weitergeleitet. Bei diesen bende aus dem Krisengebiet in Südostasien ohne
Anrufern handelte es sich überwiegend um die schwerwiegende körperliche Verletzungen und um
Betroffenen selbst, daneben meldeten sich aber auch 27 Überlebende mit zum Teil schweren physischen
Angehörige, Arbeitgeber, Versicherer, Ärzte, Notfall- Einschränkungen, weiterhin um 41 Angehörige und
seelsorger und andere (Abb. 10). Die Weiterleitung 95 Vermissende.
NOAH-Hotlineraum Tobias Hahn
Rettungsingenieur (Bachelor of Engineering)
Für die effektive Einsatzbewältigung von komplexen Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
Schadenslagen verfügt die Koordinierungsstelle ­Katastrophenhilfe (BBK),
NOAH über einen extra ausgestatteten Hotline- Referat Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV),
Arbeitsraum, da diese Einsätze nicht nur einen erhöh- Koordinierungsstelle Nachsorge,
ten Bedarf an Arbeitskräften, sondern auch an techni- Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH)
schen Arbeitsmitteln sowie eine längere Einsatzdauer
mit sich bringen. Der Hotline-Arbeitsraum ist dabei Kerstin Fröschke
als Führungsmittel in der Einsatzabarbeitung zu ver- Diplom-Verwaltungswirtin (FH)
stehen. Er ist jederzeit ohne Vorlauf voll funktionsfä- Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
hig. Mit acht ausgestatteten PC- und Telefon-Arbeits- Katastrophenhilfe (BBK),
plätzen sowie weiterer Unterstützungstechnik steht Referat Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV),
eine komplette Infrastruktur zur Verfügung, mit der Koordinierungsstelle Nachsorge,
auch ein längerfristiger Schichtbetrieb aufgenommen Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH)
werden kann. Mittels der technischen Ausstattung
durch Computer, Fernsprechapparate, Whiteboard, Thomas Knoch
Drucker, Faxgerät, Fernsehgeräte etc. ist der Hotline- Diplom-Theologe
Arbeitsraum lagebedingt sowohl auf die Ausübung Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
der direkten telefonischen Betreuung der Betroffenen Katastrophenhilfe (BBK),
als auch auf die Durchführung des Lage-, Organisa- Referat Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV)
tions-, Informations- und Dokumentationsmanage-
ments ausgerichtet. Darüber hinaus können weitere Annika Fritsche
80 Rechner hinzugezogen sowie weitere zur Verfügung Diplom-Psychologin
stehende Büros im Haus genutzt werden, sodass Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
jederzeit eine Arbeitsaufnahme an mehr als 20 Arbeits- Katastrophenhilfe (BBK),
plätzen sichergestellt ist. Referat Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV)

16
30 4 Betroffene
5
3
Familienangehörige
11

2 Freunde

Arbeitgeber

Versicherungen

Notfallseesorger

Ärzte, Psychologen und Sonstige

Kriminalbeamte
139

Abb. 10: Anrufergruppen im Untereinsatzabschnitt Therapeutenvermittlung beim NOAH-Einsatz Seebeben in Südostasien


2004/2005 (N = 210).
Tsunami-Einsatz 2004/2005 der Koordinierungsstelle
NOAH: Ein wissenschaftlicher Blick auf die Arbeit
­einer Krisenhotline

Verena Blank-Gorki und Malte Kromm

Am 26. Dezember 2004 kam es in Südostasien, ausgelöst durch ein starkes S­ ee­beben,
zu einer verheerenden Flutkatastrophe. Von den Auswirkungen waren nicht nur
unzählige Einheimische betroffen, sondern auch abertausende Touristen. Aus
Deutschland waren – wie man heute weiß – ca. 7.000 Personen im Katastrophen­
gebiet selbst betroffen und haben, teilweise schwer verletzt, überlebt. 538 deutsche
Todesopfer wurden identifiziert, 13 Deutsche werden bis heute vermisst.

81

Durch die Wucht des Tsunami wurden weite Teile des Landes völlig zerstört. (Bild: dpa)
NOAH-Einsatzleitung

Psychosoziale Infovernetzung
Dokumentation Tagesgeschäft
Betreuung Organisation

Sichtung Kooperation mit Einsatztagebuch


Behörden, Orgs,
Passagierlisten­recherche/ Schnittstellen Lagenmanagement
Personenauskunft
Flughäfen, ReiseOrg Einsatzstatistik-/evaluat.
Hinterbliebenen­betreuung
Berichterstattung
Therapeuten­vermittlung
Info-Recherche

Medien

Angehörigentreffen

Abb. 11: Einsatzabschnitt „Psychosoziale Betreuung“ der Koordinierungsstelle NOAH während des Tsunami-Einsatzes 2004/2005.

82 Hintergrund nenbetreuung“ erweitert. Ab dem 05. Januar 2005


wurde ein weiterer Untereinsatzabschnitt eingerich-
Im Rahmen des Hilfseinsatzes für deutsche Betrof- tet, der sich mit der Vermittlung von Psychotrauma-
fene und deren Angehörige in der Akutphase im therapeuten befasste (Abb. 11).
Dezember 2004 und Anfang 2005 war neben vielen
anderen BBK-internen Fachbereichen sowie weite- Im Blick der Wissenschaft
ren Behörden und Organisationen auch die Koordi-
nierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigen- Der Tsunami-Einsatz der Koordinierungsstelle NOAH
hilfe (NOAH) eingebunden. wurde im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit an
der Universität Mannheim systematisch ausgewertet
Im Laufe der ersten Tage wurde das Ausmaß der (Blank 2006). Ziele der Evaluation waren,
Katastrophe immer deutlicher und es wurde erkannt, (a) inhaltliche und strukturelle Aspekte zu identifi-
dass die personellen Ressourcen der Koordinierungs- zieren, die für die Arbeit an einer Krisenhotline
stelle NOAH nicht ausreichen würden, um die anste- unerlässlich sind, und darauf aufbauend
henden Arbeitsaufträge bewältigen zu können. Ab (b) Grundlagen für eine Hotlineschulung zu
dem 30. Dezember 2004 unterstützten deshalb en­twickeln.
externe Kräfte aus den Arbeitsfeldern Kriseninterven- Nicht zuletzt wurde auf diese Weise auch dem eige-
tion in Feuerwehren und Hilfsorganisationen, Not- nen Anspruch der Koordinierungsstelle NOAH nach
fall- und Telefonseelsorge und Notfallpsychologie Qualitätssicherung und konzeptioneller Fortentwick-
aus den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nord- lung entsprochen.
rhein-Westfalen die Arbeit an der NOAH-Hotline. Der
Bedarf an weiteren Einsatzkräften stieg ab dem 31. Inhaltlicher Ausgangspunkt der Evaluation war die
Dezember 2004 noch einmal an, als die Hotline ein- teilweise „landläufig“ vorherrschende Annahme, dass
satzbezogen modifiziert werden musste: Sie wurde die Tätigkeit an einer Krisenhotline ohne spezifische
auf einen 24-Stunden-Präsenz-Betrieb umgestellt und Kenntnisse allein auf Basis von alltäglichem und intu-
der Einsatzabschnitt (EA) „Psychosoziale Betreuung“ itivem Wissen ausgeführt werden kann. Demgegen-
um die Untereinsatzabschnitte (UEA) „Passagierlis- über steht die These, dass eine entsprechende Quali-
tenrecherche/Personenauskunft“ und „Hinterbliebe- fizierung des Hotline-Personals sehr wohl notwendig
ist, wenn man bedenkt, dass es beim Arbeitsauftrag nahme an einer Befragung gebeten. Bei den 55
von Krisenhotlines um die angemessene psychosozi- kontaktierten Personen handelte es sich sowohl um
ale Betreuung von Menschen geht, die von Katastro- Stammpersonal des BBK (13 Personen) als auch um
phen und schweren Unglücken betroffen sind. externe Verstärkungskräfte (42 Personen). Der Rück-
lauf bestand aus 33 ausgefüllten Fragebögen (60%).
Inhalte und Ergebnisse der Studie Davon konnten 30 Fragebögen (55%) in die Analy-
sen einbezogen werden.
Im Mittelpunkt der Studie standen die Mitarbeitenden
der Koordinierungsstelle NOAH, speziell aus dem Untersuchungsgegenstand
Einsatzabschnitt der Hotline. Ihre Kenntnisse, Fähig-
keiten und Erfahrungen vor, während und nach dem Um Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Arbeit an
Tsunami-Einsatz wurden systematisch erfasst und der NOAH-Hotline ziehen zu können, wurden fol-
ausgewertet. Ein besonderer Fokus lag dabei auf der gende Kriterien erhoben:
Fragestellung, inwieweit sich die Mitarbeitenden in
ihrer Arbeit als „wirksam“ wahrgenommen haben. Hilfswirksamkeit:
Für die Evaluation wurde somit ein sogenanntes Hierbei wurden die Personen befragt, wie hilfreich
selbstevaluatives Vorgehen gewählt, in dem sich die die geleisteten Maßnahmen eingeschätzt wurden. Im
eingesetzten Kräfte an der NOAH-Hotline als Exper- Zusammenhang damit wurde untersucht, welche
tinnen und Experten der eigenen Arbeit selbst beur- Faktoren – wie beispielsweise fachspezifisches Wis-
teilen sollten. sen, Vorerfahrungen oder soziale Unterstützung –
einen Einfluss auf wirksame Hilfe haben.
Datenlage
Kompetenz:
In diesem Zusammenhang wurden alle Personen, die Hier standen die Fragen im Vordergrund, ob sich die 83
an der NOAH-Hotline (Einsatzabschnitt „Psychosozi- Mitarbeitenden der NOAH-Hotline selbst als kompe-
ale Betreuung“) während des Tsunami-Einsatzes mit- tent erlebt haben und welche Faktoren grundsätzlich
gearbeitet hatten, angeschrieben und um ihre Teil- kompetent machen.

Unterstützungskräfte aus BBK und Feuerwehren während des Einsatzes der Koordinierungsstelle NOAH nach dem Seebeben
in Südostasien 2004 im improvisierten Hotlineraum (v. l. n. r.: Rainer Schramm, Rainer Mocnik, Dirk Hallwaß, Jan Mallmann-
Kallenberg, Engelbert Schödder, Stefan Kronen). (Bild: BBK)
Negative Beanspruchung: nisse zu Gesprächsführung, Trauerreaktionen und
Von Interesse waren bei diesem Aspekt besonders Psychotraumatologie sowie die persönliche Einbet-
Themen zu potentiell belastenden Rahmenbedingun- tung in ein funktionierendes soziales Umfeld (soge-
gen bei der Arbeit. Die Bewertung von räumlichen nannte soziale Unterstützung). Es zeigte sich, dass
Umgebungsfaktoren und organisatorische Rahmen- alle Aspekte einen wichtigen Einfluss auf die Hilfs-
bedingungen wurde dabei genauso abgefragt wie die wirksamkeit haben. Personen, die bereits an einer
Einschätzung des Arbeitsklimas, der Teamzusam- Hotline im sozialen Kontext (beispielsweise Telefon-
mensetzung, der Einsatzzeiten, der Arbeitseinwei- seelsorge, Leit- und Personenauskunftsstellen etc.)
sung etc. gearbeitet hatten und/oder über Erfahrungen im
Umgang mit der Bewältigung von psychosozialen
Hilfswirksamkeit, Kompetenz und negative Krisen (beispielsweise durch Arbeit im Bereich der
­Beanspruchung: Zahlen und Fakten Notfallseelsorge, Krisenintervention etc.) verfügten,
wiesen wesentlich positivere Einschätzungen der
Hilfswirksamkeit: Hilfswirksamkeit auf. Das gleiche Ergebnis lässt sich
In der Gesamtsicht beurteilten die Mitarbeitenden für fachspezifische Kenntnisse festhalten. Existierten
ihre Arbeit an der Hotline als hilfreich: 70% gaben an, diese bereits vor dem Einsatz an der NOAH-Hotline,
dass sie den Eindruck hatten, den Anrufenden bei fühlten sich die befragten Personen hilfreicher.
der Lösung ihrer Schwierigkeiten behilflich gewesen Ebenso wirkt sich ein stabiles soziales Umfeld positiv
zu sein. Betrachtet man dieses Ergebnis allerdings aus.
etwas genauer, ergibt sich ein differenzierteres Bild:
Die Wirksamkeit der Hilfe unter psychologischen Kompetenz:
Aspekten (psychologisch/seelsorgerliche Betreuung, Die Variable „Kompetenz“ wurde über die Frage erho-
interne Weitervermittlung an die Einsatzabschnitte ben, wie geeignet sich die Mitarbeitenden für das
84 Hinterbliebenenbetreuung etc.) wurde höher einge- gesamte Aufgabenspektrum der NOAH-Hotline ein-
schätzt als die administrative Hilfe (sozialrechtlich schätzten. Im Unterschied zur oben beschriebenen
administrative Hilfe, externe Weitervermittlung an Hilfswirksamkeit bezieht sich die Einschätzung hin-
andere Behörden etc.), die geleistet wurde. sichtlich der Kompetenz nicht auf einen konkreten
Aspekt der Hotline-Arbeit, sondern stellt ein umfas-
Warum die administrative Hilfe als geringer einge- sendes Urteil über die Eignung für die Arbeit dar.
schätzt wurde, lässt sich nur vermuten. Mögliche
Thesen sind, dass die Befragten den Eindruck hatten, Alle Befragten beurteilten sich in der Gesamtsicht als
dass die Stellen, an die weiterverwiesen wurde, den gut geeignet für die Arbeit an der NOAH-Hotline.
Anrufenden keine Hilfe geben könnten, oder dass es Wenn man sich die Ergebnisse genauer ansieht, zeigt
möglicherweise für bestimmte Problemlagen keine sich allerdings, dass sich manche Personen – gefragt
weiteren Ansprechpartner mit einem adäquaten nach einer differenzierten Einschätzung vor und
Angebot gab, oder dass generell wenig Informatio- nach dem Einsatz – unterschiedlich eingeschätzt
nen vorlagen, die weitergegeben werden konnten. haben. So zeigten sich zwei Tendenzen: Zum einen
Möglich wäre aber auch, dass bezogen auf die admi- gab es Befragte, die angaben, sich nach dem Einsatz
nistrative Hilfe für das jeweilige Ereignis spezifisches kompetenter zu fühlen als vorher. Zum anderen
einsatz- und strukturbezogenes Wissen notwendig schätzten 33% der Befragten ihre Kompetenz nach
ist, das nicht bei allen Mitarbeitenden gleichermaßen dem Einsatz niedriger ein als vor dem Einsatz.
vorhanden war. Ebenso wie bei der Hilfswirksamkeit, wurden auch
hier Faktoren untersucht, die als wesentlich dafür
Um mehr darüber zu erfahren, warum sich die angenommen wurden, warum sich die Befragten als
Befragten als (nicht) hilfswirksam empfunden haben, (nicht) kompetent empfunden haben. Die Ergebnisse
wurden verschiedene Faktoren untersucht, von zeigen, dass sich Personen, die über keine oder nur
denen angenommen wurde, dass sie einen positiven wenig fachspezifische Kenntnisse verfügten, nach
Einfluss auf die eigene Beurteilung haben. Dazu dem Einsatz vergleichsweise als weniger kompetent
gehörten unterschiedliche Formen der Vor- bezie- einschätzten als vor dem Einsatz. Der Rest (also mit
hungsweise Berufserfahrung im Bereich Hotlinear- mehr fachspezifischem Wissen) hat sich nach dem
beit und Krisenbewältigung, fachspezifische Kennt- Einsatz in etwa gleich eingeschätzt oder sogar als
kompetenter bewertet als vorher. Im Bezug auf Vor- • Räumliche Umgebungsfaktoren und organisa-
beziehungsweise Berufserfahrung im Bereich Hot- torische Rahmenbedingungen:
linearbeit und Krisenbewältigung zeigte sich ein ähn- Es stellte sich heraus, dass vor allem Geräusche
liches Muster: Personen ohne Hotline- und/oder durch andere Telefonate, die räumliche Enge und
Krisenerfahrung schätzten sich vor und nach dem die (mangelnde) Belüftung des Einsatzraumes als
Einsatz im Schnitt als weniger kompetent ein. schwerwiegend eingeschätzt wurden. Bei den
organisatorischen Rahmenbedingungen wurden
Negative Beanspruchung: mangelnde Verpflegung und ungeregelte Pausen-
Mit dem Begriff der negativen Beanspruchung ist zeiten als problematisch angesehen.
gemeint, dass sich Stressoren so stark auf das eigene
Wohlbefinden auswirken, dass vorhandene Ressour- • Einsatzzeitraum und Arbeitseinweisung:
cen zeitweilig überfordert sind, was gegebenenfalls Es wurde vorab angenommen, dass die Zeitpunkte,
einen negativen Einfluss auf die Effektivität der Arbeit zu denen die Einsatzkräfte eingesetzt wurden, eine
haben kann. In der Befragung zeigte sich, dass 13% Rolle für das Belastungsausmaß spielen könnten,
aller Mitarbeitenden an der NOAH-Hotline als bean- da die Frequenz der Anrufenden im zeitlichen Ver-
sprucht gelten können. Das Ergebnis „beansprucht“ lauf des Einsatzes unterschiedlich ausfiel. Hierzu
traf für 30% nur teilweise und für 57% eher bis gar ließ sich allerdings kein Zusammenhang nachwei-
nicht zu. sen. In Bezug auf die Arbeitseinweisung gaben
63% der Befragten an, dass sie mangels verfügba-
Personen, die über keine Erfahrungen und Kennt- ren Personals nur eine unsystematische oder gar
nisse (Einsatzerfahrung, fachspezifisches Wissen etc.) keine Einweisung in die Arbeit an der NOAH-Hot-
verfügten, waren tendenziell stärker beansprucht als line erhalten hatten. Auch wenn dieser Umstand
Personen mit entsprechenden Vorerfahrungen und durch persönliches Engagement der Mitarbeiten-
Kenntnissen. Um herauszufinden, was beeinträchti- den kompensiert wurde, kann er als potentieller 85
gend auf das Wohlbefinden gewirkt hat, wurden ver- Belastungsfaktor benannt werden.
schiedene Belastungsfaktoren abgefragt. Grundlage
für die Wahl der abgefragten Belastungsfaktoren • Arbeitsklima und Teamzusammensetzung:
waren bereits bestehende wissenschaftliche Untersu-  Die Beurteilung beider Aspekte fiel äußerst positiv
chungen zum Themenbereich Stress- und Beanspru- aus. Da sich die meisten der eingesetzten Personen
chungsforschung im Einsatzwesen. schon vorher kannten und diese Tatsache über-
wiegend als positiv beurteilten, lässt sich ableiten,
Wie im Folgenden aufgezeigt wird, konnten einige dass es für eine Teamzusammensetzung empfeh-
Stressoren identifiziert werden, die aber kaum im lenswert ist, ein gewisses Maß an Kommunikation
Zusammenhang mit dem Ausmaß der Beanspru- zu fördern, um eventuell vorhandene Unbekannt-
chung stehen. Die Ursachen für diesen Umstand heit so schnell wie möglich zu überwinden.
bestehen möglicherweise darin, dass nicht alle Stres-
soren, die eingewirkt haben, identifiziert wurden. • Art der Anrufe:
Eine weitere mögliche Erklärung besteht darin, dass  Die Inhalte der Anrufe an der Hotline waren nicht
es sich bei der Beanspruchung um einen Prozess immer gleich. Besonders belastend wurden die
handelt, der durch das Zusammenwirken vieler Fak- Telefonate bewertet, bei denen es um Fragen nach
toren erst wirkt und Reaktionen zeigt. So wäre es dem Verbleib von vermissten Personen ging.
zum Beispiel auch möglich, dass Mitarbeitende schon
vorbelastet in den Tsunami-Einsatz der NOAH-Hot- Grenzen der Untersuchung
line gegangen sind, beziehungsweise Belastungsfak-
toren auf sie einwirkten, die hier nicht berücksichtigt Die dargestellten Ergebnisse der Evaluation basieren
werden konnten (wie zum Beispiel familiäre oder auf sogenannten selbstevaluativen Urteilen. Die Mit-
berufliche Probleme). arbeitenden an der NOAH-Hotline wurden demnach
als Expertinnen und Experten ihrer eigenen Arbeit
Folgende Stressoren wurden überprüft und teilweise befragt. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass die
durch die Mitarbeitenden der NOAH-Hotline als eigenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen
wesentlich identifiziert: einen Einfluss auf die Effektivität der Arbeit haben.
Aufnahme von Vermisstendaten in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt und dem Auswärtigen Amt im
­Einsatzabschnitt „Passagierlistenrecherche/Personenauskunft“. (Bild: BBK)
86

Dieses Vorgehen wurde gewählt, da gängige Erhe- Gruppe, die vom Angebot der NOAH-Hotline
bungsverfahren für die Auswertung des NOAH-Ein- Gebrauch gemacht hat und eine Gruppe, die zwar
satzes nicht geeignet beziehungsweise möglich auch betroffen war, sich aber mit ihren Problemen
waren. Im besten Fall hätten die Betroffenen und nicht an die Krisenhotline des BBK wandte. Die
Hinterbliebenen der Tsunami-Katastrophe mit in die Schwierigkeit der Kontaktaufnahme zu den Perso-
wissenschaftliche Untersuchung eingebunden wer- nen, die die NOAH-Hotline nicht angerufen haben,
den müssen, um die Effektivität der an der Hotline liegt auf der Hand.
geleisteten Arbeit zu messen. Dieses Vorgehen ver-
bot sich aus verschiedenen Gründen: • 
Eine weitere Möglichkeit hätte darin bestanden,
Betroffene und Hinterbliebene bezüglich ihrer Pro-
• 
Zum Zeitpunkt der Untersuchungskonzeption blemlage einmal vor und einmal nach einem Kon-
(September 2005) war noch kein Jahr seit der Kata- takt mit NOAH zu befragen. Doch in einer Aus-
strophe vergangen, womit sich die meisten Betrof- nahme- beziehungsweise Krisensituation ist die
fenen noch in einer emotional belastenden Situa- Erhebung von Befindlichkeitswerten nicht reali-
tion der Verarbeitung oder, als Vermissende, des sierbar: Abgesehen von fehlenden zeitlichen Res-
Hoffens befunden haben. Dementsprechend sourcen sollten Anrufende nicht zusätzlich mit ent-
wurde aus ethischen Überlegungen auf einen wis- sprechenden Fragen belastet werden.
senschaftlich motivierten Kontakt zu dieser Perso-
nengruppe verzichtet. Dass auch das letztlich gewählte Vorgehen mit eini-
gen methodischen Problemen behaftet ist, steht
• Um die Effektivität der Arbeit an der NOAH-Hot- außer Frage. So ist bei selbstevaluativen Urteilen
line zu überprüfen, wäre es nötig gewesen, a) eine immer davon auszugehen, dass die Ergebnisse sub-
repräsentative Anzahl von Überlebenden, Angehö- jektiv gefärbt sind. Das bedeutet, dass die eigene
rigen, Hinterbliebenen und Vermissenden zu fin- Wahrnehmung und Beurteilung niemals genau der
den und b) die Betroffenen in mindestens zwei Wahrnehmung und Beurteilung durch eine andere
Gruppen zu unterteilen und zu vergleichen: eine Person entsprechen kann. Trotzdem können die
Ergebnisse als Hinweis für die untersuchten Zusam- Insgesamt lässt sich resümieren, dass „gute“ bezie-
menhänge gewertet werden. Es lassen sich gesi- hungsweise hilfreiche Arbeit einer Krisenhotline
cherte Tendenzen beschreiben. unmittelbar von dem eingesetzten Personal abhängig
ist. Natürlich spielt auch die technische Ausstattung
Konsequenzen der Studie und Einweisung in den Umgang mit derselben eine
wichtige Rolle. Aber letztlich ist der adäquate Umgang
Die Ergebnisse der Evaluation zeigen, dass es ver- mit hoch belasteten Menschen nur zu gewährleisten,
schiedene Faktoren gibt, die die Arbeit der Mitarbei- wenn die Mitarbeitenden der Hotline umfassend und
tenden der NOAH-Hotline während des Tsunami- fachspezifisch geschult sind. Dementsprechend sollte
Einsatzes entscheidend beeinflusst haben. Auf dieser in der Vorbereitung einer Krisenhotline ein Hauptau-
Grundlage lassen sich generelle Empfehlungen und genmerk auf die Aus- und Fortbildung gelegt wer-
Hinweise für die Vorbereitung und Einrichtung von den, um im Einsatzfall nicht ungeschulte Kräfte ein-
Krisenhotlines ableiten. setzen zu müssen.

Im Rahmen der Studie wurde deutlich, dass Perso- Verena Blank-Gorki


nen, die über Vor- beziehungsweise Berufserfahrun- Diplom-Sozialwissenschaftlerin
gen im Bereich Hotlinearbeit und Krisenbewältigung Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
sowie über fachspezifische Kenntnisse zu Gesprächs- Katastrophenhilfe (BBK),
führung, Trauerreaktionen und Psychotraumatologie Referat Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV)
verfügten, hilfreicher und kompetenter bei der Aus-
übung ihrer Arbeit waren als Personen ohne dieses Malte Kromm
Wissen. Im Umkehrschluss lässt sich somit folgern, Diplom-Pädagoge
dass Mitarbeitende einer Krisenhotline, die keine bis 2010 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
Vorerfahrungen besitzen und damit völlig unvorbe- Katastrophenhilfe (BBK), 87
reitet in einen Einsatz gehen, weniger hilfreich für Referat Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV)
Anrufende sein dürften. Eine Vorbereitung durch die Koordinierungsstelle Nachsorge,
Vermittlung von einsatzspezifischem Wissen und Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH)
Fachkenntnissen, die auf die praktische Arbeit der
Hotline hin ausgerichtet sind, ist damit dringend zu
empfehlen. In diesem Sinne sollten Hotlineschulun-
gen möglichst praxisnah ausgerichtet sein, um den
Bereich der Hotlineerfahrung schon im Vorfeld eines
Einsatzes zugänglich zu machen und Fertigkeiten zu
trainieren. Ebenso erscheint es sinnvoll, Fähigkeiten
und Wissen zu vermitteln, die im Umgang mit psy-
chosozialen Krisensituationen erforderlich sind.

Neben den inhaltlichen Aspekten konnten auch


Gesichtspunkte aufgezeigt werden, die sich auf
Rahmenbedingungen der Hotlinearbeit beziehen.
­
Besondere Bedeutung kommt dabei räumlichen und
organisatorischen Faktoren zu: Die Vermeidung
beziehungsweise Reduzierung von Lärmbelästigung
durch andere Telefonate sowie die klare Regelung
von Pausen- und Einsatzzeiten sind hierbei wichtige
Ergänzungen zur Vorbereitung von effektiven Arbeits-
einweisungen („so lang wie nötig – so kurz wie mög-
lich“) und der Schaffung eines guten Arbeitsklimas
durch regelmäßige Teamtreffen.
Das Auskunftswesen des Deutschen Roten Kreuzes
(DRK) bei nationalen Großschadenslagen und
­Katastrophen

Zusammenfassung von Rike Richwin*

Das Deutsche Rote Kreuz e. V. (DRK) hält bundes- Die Kreisauskunftsbüros beziehungsweise Personen-
weit auf regionaler Ebene Teams aus überwiegend auskunftsstellen auf regionaler Ebene sind Teil des
ehrenamtlichen Mitgliedern vor, die im Falle schwe- Suchdienstes, einer der ältesten Einrichtungen zur
rer Unglücksfälle und Katastrophen innerhalb weltweiten Suche nach vermissten Personen (Abb.
Deutschlands ein sogenanntes Kreisauskunftsbüro 12). War der Suchdienst – entstanden nach dem Ende
(KAB) aktivieren und so Personenauskunftsstellen des zweiten Weltkriegs 1945 aus einer spontanen
einrichteten können. Die Mitarbeiter des Kreisaus- Aktion freiwilliger Helfer – zunächst vor allem mit
kunftsbüros können in speziell dafür eingerichteten der Suche nach Vermissten durch Krieg und Ver­
Räumlichkeiten Suchanfragen besorgter Bürger bear- treibung befasst, unterstützt er in seiner heutigen
beiten. Einige Kreisauskunftsbüros verfügen zudem Struktur bei der weltweiten Suche nach vermissten
über mobile Anlaufstellen. Die Kernaufgabe der Personen und berät in allen Fragen der Familienzu-
Kreisauskunftsbüros besteht in der Annahme und sammenführung. Und dies unabhängig davon, ob es
Bearbeitung von Suchanfragen, der Suche nach ver- sich bei dem auslösenden Ereignis um eine Natur­
88 missten Personen in Listen und Datenbanken und katastrophe, ein Zug-, Bus- oder Schiffsunglück, eine
der Erteilung von Auskünften an die Suchenden. Evakuierung oder eine terroristische Tat handelt.

Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK)


DRK-Generalsekretariat in Berlin
Ausland (DRK Suchdienst München)
(DRK Suchdienst Hamburg)
Direktion Amtliches Auskunftsbüro (AAB)

Landesauskunftsbüro (LAB)
bei den Landesverbänden

Abb. 12: Struktur der Personenauskunft – modifizierte


Kreisauskunftsbüro (KAB)
­Fassung nach DRK Landesverband Baden-Württemberg e.V.
bei den Kreisverbänden
(Bild Weltkarte: Gerd Altmann / PIXELIO)

* Wir danken Frau Nathalie Wollmann, Frau Renate Kottke, Herrn Jürgen Wiesbeck und Frau Sibylle Dizinger vom DRK-Landes­verband
Baden-Württemberg und Herrn Michael Steil und Frau Sandra Bergmann vom DRK-Landesverband Badisches Rotes Kreuz für die
fachkundige und freundliche Beratung und die Bereitstellung informativer Materialien. Außerdem danken wir Frau Dorota Dziwoki und
Herrn Tomasz Niewodowski, Referat Amtliches Auskunftsbüro im Generalsekretariat des DRK, für ihre Unterstützung.
Das DRK ist außerdem beauftragt mit der Planung, Nach Aktivierung des Kreisauskunftsbüros wird das
Vorbereitung und Wahrnehmung der Aufgaben, die Arbeitsmaterial – über Papier und Stifte bis hin zu
der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 122 Laptops samt Software und Suchdienstformulare – in
des III. und Artikel 136 des IV. Genfer Abkommens den speziell dafür vorgehaltenen Kreisauskunfts-
von 1949 obliegen. Darin sind die Einrichtung und büro-Kisten (KAB-Kisten) zu Räumlichkeiten, zum
Unterhaltung eines sogenannten Amtlichen Aus- Beispiel DRK-Geschäftsstellen, gebracht und dort zur
kunftsbüros geregelt, das im Konfliktfall als nationale Einrichtung eines Computernetzwerkes sowie von
Anlaufstelle fungiert und Auskünfte über Kriegsge- Telefonarbeitsplätzen genutzt. Zeitgleich finden sich
fangene und Zivilpersonen, die sich in der Gewalt die dafür geschulten Kreisauskunftsbüro-Helfer
einer Konfliktpartei befinden, organisiert. (KAB-Helfer) dort ein. Je nach Bedarf und Größe der
Schadenslage werden mehrere Arbeitsplätze einge-
Aktivierung des regionalen Suchdienstes im richtet und die Nummer der Hotline mit Hilfe der
Einsatzfall Medien bekanntgegeben.

Bei Bedarf wird bei einer nationalen Großschadens-


lage oder Katastrophe (oder präventiv bei Großver- Arbeitsablauf im Kreisauskunftsbüro
anstaltungen) das regionale Kreisauskunftsbüro des
DRK aktiviert. Dazu wird dies als Teil der DRK- Datenaufnahme
Bereitschaftsstrukturen gemeinsam mit dem Sanitäts-
und Betreuungsdienst alarmiert. Vielerorts erfolgt Die Datenaufnahme im Kreisauskunftsbüro erfolgt
auch – wie vorher vertraglich festgelegt – eine Anfor- auf drei unterschiedlichen Wegen: per Telefon, durch
derung zur Einrichtung einer kommunalen Personen- persönliche Anfragen in den Räumlichkeiten des
auskunftsstelle (PASt) im Kreisauskunftsbüro durch Kreisauskunftsbüros und per Registrierung an den
die untere Katastrophenschutzbehörde. Einsatzstellen (Abb. 13). 89

Arbeiten im Kreisauskunftsbüro, hier beim NATO-Gipfel 2009. (Bild: DRK / Kai Mungenast)
Hotline des Kreisauskunftsbüros: Die KAB-Helfer
nehmen die Anfragen der Anrufer entgegen und fül-
len gemeinsam mit ihnen die Suchanträge aus. Neben
der Anrufentgegennahme findet (später) auch die
Auskunftserteilung über die Hotline statt.

Persönliche Entgegennahme im Kreisauskunfts-


büro: Zusätzlich zur telefonischen Kontaktaufnahme
mit den KAB-Mitarbeitern ist es auch möglich, per-
sönlich zu erscheinen und Suchanträge zu stellen.

Datenerfassung an der Einsatzstelle: Vor Ort wer-


den sowohl die Daten der Betroffenen der Großscha- Telefon, PC und Infowände – eine Möglichkeit der Arbeits-
denslage als auch der Einsatzkräfte erfasst. Die Regis- platzgestaltung in der Hotline. (Bild: DRK / Petra Sabine
trierung betroffener Personen erfolgt nicht durch das ­Herold)
Kreisauskunftsbüro, sondern durch die Einsatzkräfte
mit Hilfe von dafür vorgesehenen Suchdienstkarten.
Daten der vor Ort tätigen Einsatzkräfte werden über dann über ein LAN-Netz von einzelnen Rechnern auf
sogenannte „Meldekarten für Einsatzkräfte“ erfasst den Server gespielt.
und von den Einsatzkräften selbst ausgefüllt. Zur
Registrierung von Verletzten und Kranken wird bei- Konnte bei einem Suchantrag dem Suchenden über
spielsweise die Suchdienstkarte für Verletzte/Kranke die Hotline eine Auskunft erteilt werden, wird der
und zur Registrierung von unverletzt Betroffenen die Suchfall in Xenios als „erledigt“ gekennzeichnet und
90 Begleitkarte benutzt. Nach Vereinbarung vor Ort die Auskunftserteilung auf dem vorliegenden Such-
werden nicht nur DRK-Kräfte, sondern auch Kräfte antrag vermerkt. Der Suchantrag wird dann auch
anderer Organisationen erfasst, denn auch die Ein- wieder in die manuelle Kartei einsortiert. Liegt keine
satzkräfte selbst können – gerade in weitläufigen Suchfallklärung, vor und kann dem Suchenden daher
Schadenslagen – zu Gesuchten werden. (vorerst) keine Auskunft erteilt werden, verbleiben
die Daten in der Xenios-Datenbank und werden dort
Informationsaufbereitung und Erfassung mit weiterhin mit den eingehenden Informationen abge-
dem EDV-System „Xenios“ glichen. Ein EDV-Koordinator prüft die „Karteibegeg-
nungen“ im EDV-System. Ebenfalls kann es zu „Kar-
Die an der Einsatzstelle handschriftlich ausgefüllten teibegegnungen“ in der manuellen Kartei kommen.
Suchdienstkarten müssen dem Kreisauskunftsbüro
zur Verfügung gestellt werden. Insgesamt hat sich gezeigt, dass zu Beginn eines
Kreisauskunftsbüro-Einsatzes häufig die papierba-
In der Station „Informationsaufbereitung“ des Kreis­ sierte Form schneller ist als die EDV-basierte Form.
auskunftsbüros werden alle eingegangenen Suchanf- Je mehr Daten jedoch eingehen, desto schneller wird
ragen und Suchdienstkarten gesichtet und auf Leser- die EDV.
lichkeit überprüft.
Auskunftserteilung „Wer ist wo?“
Anschließend werden die Suchanträge und Such-
dienstkarten in das EDV-System „Xenios“ einge­ Sofern ein „Treffer“ gemeldet werden kann, erfolgt
geben. Die im Jahr 2004 entwickelte Software Xenios die Auskunftserteilung über die Hotline. Ein „Treffer“
kann sich flexibel an das Ausmaß einer Schadenslage liegt vor, wenn dem Suchenden überhaupt etwas
anpassen: Sie kann entweder nur an einzelnen Plät- über die gesuchte Person mitgeteilt werden kann.
zen verwendet oder zu einem Rechner-Netzwerk Die Information, welche herausgeben wird, ist jedoch
ausgeweitet werden. Bei einer dezentralen Erfassung eingeschränkt und beantwortet die Frage „Wer ist
von Daten, zum Beispiel bei ausgedehnten Scha- wo?“. Über den Zustand der gefundenen Person, ob
denslagen, wird auf ein in München stationiertes sie verletzt, unverletzt oder sogar tot ist, wird an die-
Serversystem zurückgegriffen. Die Daten werden
­ ser Stelle keine Auskunft erteilt.
Überregionale Kreisauskunftsbüros (ÜKAB) als rechtliche Grundlagen, die Organisationsstruktur des
Rückfallebene Kreisauskunftsbüros, Datenschutzrichtlinien, funktio-
nale Arbeitsabläufe, Karteikartensysteme und die
Zur Unterstützung des regionalen Kreisauskunftsbü- Software Xenios.
ros dienen im DRK-Landesverband Baden-Württem-
berg im Bedarfsfall die überregionalen Kreisaus- Da die Konfrontation mit Suchenden sowohl in der
kunftsbüros (ÜKAB) als Rückfallebene. Die ÜKAB persönlichen Aufnahme von Suchanträgen als auch
werden durch die jeweilige Landesbereitschaftslei- an der Hotline mitunter belastend sein kann, werden
tung alarmiert. Sie leisten personelle und technische außerdem Inhalte aus dem psychosozialen Bereich
Unterstützung, speziell bei der Eingabe der Daten in zum Umgang mit belastenden Ereignissen und zur
Xenios und fungieren bei einer Zusammenarbeit mit Bewältigung von Stress in einem zusätzlichen Modul
der Polizei als Ansprechpartner. vermittelt.

Personal und Qualifikation Für KAB-Helfer, die an der Hotline eingesetzt werden,
wird im Landesverband Baden-Württemberg eine
Das Personenauskunftwesen des DRK ist nicht- zusätzliche Hotlineschulung angeboten. Schwer-
gewerblich, es dient ausschließlich humanitären punkte sind: die Arbeit am Telefon, die Gesprächsfüh-
Zwecken und stützt sich von daher überwiegend auf rung mit Betroffenen, die Auskunftserteilung und der
ehrenamtliche Kräfte. Im Kreisauskunftsbüro kom- Umgang mit Stress während und nach dem Einsatz.
men Helfer und Leiter zum Einsatz.
Die Ausbildung zum KAB-Leiter beinhaltet Inhalte
Die Qualifikation zum KAB-Helfer beziehungsweise zur Organisation und Leitung eines KAB sowie zum
zum KAB-Leiter erfolgt in einer dafür vorgesehenen Aufbau eines KAB im eigenen Kreisverband. Zusätz-
Fachdienstausbildung Suchdienst und einer KAB-Lei- lich ist eine Vollübung vorgesehen, bei der der funk- 91
ter-Qualifikation. Inhalte dieser Fachdienstausbil- tionale Arbeitsablauf in der Praxis geübt werden
dung sind unter anderem die Rahmenbedingungen, kann.

Rückfallebene „Manuelle Kartei“. (Bild: DRK-Archiv)


Persönliche ­Aufnahme im Hotline im KAB Datenerfassung
KAB (Suchanträge) (Suchanträge) vor Ort

Dateneingang

Informationsaufbereitung

Koordinator
EDV Erfassung

Weiter­leitung
Eingabe
der
ins
­eingepflegten
EDV-System
Karten und
Xenios
Xenios Suchanträge
Datenbank

Manuelle
Kartei

92

Suchfall­ nein Ausdruck Treffer Hotline


klärung
­Auskunftserteilung

ja

Abb. 13: Arbeitsablauf DRK-Suchdienst/Kreisauskunftsbüro – modifizierte Fassung nach DRK Landesverband


Baden-Württemberg e.V.

Rike Richwin
Kommunikationswissenschaftlerin (Master of Arts)
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe (BBK),
Referat Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV)
Neue Medien in der Krisenhotline – funktioniert das?

Neue Kommunikationstechnologien und Social Media


in der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) –
Chancen und Risiken

Rike Richwin

Neue Kommunikations- und Informationstechnologien sowie Social-Media-Anwendungen sind


­wesentlicher Bestandteil des Alltags nahezu aller Altersklassen der Bevölkerung. Warum sollte bei
der Bewältigung von schweren Unglücksfällen und Katastrophen darauf verzichtet werden? Zudem
rückt neben die bestehende Skepsis gegenüber diesen Neuerungen zunehmend der Gedanke der
Nutzung ihrer positiven Aspekte innerhalb eines umfassenden Krisenmanagements. Der folgende
Artikel diskutiert die Vor- und Nachteile des Einsatzes solcher Anwendungen in der Krisenhotline.
Welche Gefahren bestehen und welche Potenziale können genutzt werden, um eine adäquate
­psychosoziale Notfallversorgung im Sinne eines modernen Bevölkerungsschutzes zu leisten? 93

Wer meint, moderne Kommunikationstechnologien Zuwachs an Nutzern ist in der Gruppe ab 50 Jahren
und Social Media seien nur etwas für die junge Gene- festzustellen (ARD/ZDF-Onlinestudie 2012).
ration, der täuscht sich. Der Onlinestudie von ARD/
ZDF aus dem Jahr 2012 zufolge, nutzen seit dem Jahr Moderne Kommunikationstechnologien und Social-
2010 mittlerweile 100 % der 14- bis 19-jährigen zumin- Media-Anwendungen sind fester Bestandteil des All-
dest gelegentlich Onlineangebote, aber auch die tags nahezu der gesamten Bevölkerung. Dadurch
Gruppe der 20- bis 49-jährigen ist mit einem Anteil sind die Menschen an daran gebundene Möglichkei-
von über 90 % im World Wide Web unterwegs. Die ten in Bezug auf Schnelligkeit, Vielfalt und Umfang
Generation 60+ ist immerhin mit knapp 40 % vertre- gewöhnt. Es lässt sich daher ableiten, dass auch
ten und in den letzten Jahren – 2006 waren es erst beziehungsweise gerade im Falle einer Krise darauf
knapp 20 % – deutlich gewachsen. zurückgegriffen werden will und wird.

Am häufigsten genutzte Anwendungen sind die Das klassische Modell: Die Hotline für
Suchmaschinen, auf die alle Altersgruppen zugreifen. ­Betroffene
Dicht gefolgt werden sie von E-Mail-Funktionen und
Onlinecommunities, Newsgroups und Chatfunktio- Brechen ein schweres Unglück oder eine Katastrophe
nen. Die Nutzung von RSS-feeds/Newsfeeds ist zwar herein, gehört die rasche Einrichtung einer Hotline
auch in allen Altersgruppen erkennbar, wird jedoch mittlerweile zum Standard. Angehörige möglicher
besonders von jüngeren Menschen in Anspruch Schadensopfer und Vermisster haben ein hohes
genommen. Ähnlich verhält es sich mit der Nutzung Bedürfnis nach gesicherten Informationen. Erhärtet
von Apps auf mobilen, internetfähigen Geräten wird dies durch die unmittelbar einsetzende Bericht-
(ARD/ZDF-Onlinestudie 2012). Insgesamt sind mitt- erstattung in den Medien mit zum Teil überzogenen
lerweile 53,4 Millionen Deutsche online, mobile End- Meldungen zu Opfer- und Verletztenzahlen. Erfahrun-
geräte sind im Vormarsch, das Internet ist vom neuen gen mit Krisenhotlines nach komplexen Gefahren-
zum etablierten Medium geworden und der stärkste und Schadenslagen der jüngsten Vergangenheit in
Deutschland (Amoklauf Erfurt 2002, Loveparade • die Förderung der Eigeninitiative des Betroffenen
Duisburg 2010) oder im Ausland, bei denen zahlrei- • die Erläuterung von Belastungsreaktionen und
che Bundesbürger betroffen waren (Terroranschläge Möglichkeiten der Stressbewältigung
USA 2001, Tsunami Südostasien 2004), zeigen, dass • die Auflistung weiterer Hilfsangebote
dieses hohe Informationsbedürfnis Betroffener zuneh- • die Hilfe bei der Kontaktaufnahme zu anderen
mend zu einer intensiven Hotlinenutzung führt. Betroffenen
• praktische Hilfsangebote bei administrativen
Qualitativ hochwertige Hotlinearbeit zeichnet sich ­Aufgaben
vor allem dadurch aus, auf die vielfältigen Anfragen
der Anrufer adäquat zu reagieren. Bei einer sich stän- Zu den weichen Kriterien gehören unter anderem:
dig ändernden Sach- und Zuständigkeitslage müssen
aktiv Gespräche geführt und eine Reihe von Ent- • dem Bedürfnis nach Beruhigung begegnen
scheidungen getroffen werden. Zusätzlich sind Anru- • Zuversicht und Hoffnung vermitteln
fer häufig in einem emotional erregten Zustand, • dem Wunsch nachkommen, Sorgen und Ängste
sodass Hotlinemitarbeiter auch damit umgehen müs- um vermisste Angehörige loszuwerden
sen. Strukturkenntnisse, Netzwerkwissen und fach- • dem Schüren von Angst (zum Beispiel durch
kundiges Urteilsvermögen über verfügbare Hilfssys- Medienberichte) entgegenwirken
teme sind unverzichtbar (Kromm; Helmerichs 2006). • gemeinsam mit dem Betroffenen einen sicheren
Eine hohe psychosoziale Kompetenz und die Sicher- Ort (vertraute Personen/Rückzugsmöglichkeiten)
heit im Umgang mit den Rahmenbedingungen füh- suchen
ren nachweislich zu geringerer Belastung unter den • dem Betroffenen Raum für Schilderungen geben
Hotlinemitarbeitern (Blank 2006). oder anregen, das Erlebte aufzuschreiben

94 Psychosoziale Notfallversorgung am Telefon: Zu den weichen Kriterien gehört ebenso das


Fünf Handlungsprinzipien Gespräch über individuelle soziale Ressourcen (Fami-
lie, Freunde, Kollegen) und Handlungspotenziale,
Neben der Entgegennahme von Anfragen nach Ver- die Stärkung von Eigeninitiative und bereits eingelei-
unglückten oder Vermissten und der Bereitstellung teten Lösungsansätzen sowie der Verweis auf die
verlässlicher Informationen erhebt eine qualifizierte Bewältigung möglicher früherer extremer Ereignisse.
Hotline-Arbeit den Anspruch, dem Anrufer adäquate
psychosoziale Betreuung zu gewährleisten. Wie in Neue Technologien auf dem Prüfstand
allen anderen Feldern der Psychosozialen Notfallver-
sorgung (PSNV) (BBK 2011) folgt auch die Hotline- So vielfältig wie die Neuen Medien selbst sind auch
Arbeit den von Hobfoll 2007 beschriebenen fünf die Möglichkeiten ihres Einsatzes, und so viele Chan-
Handlungsprinzipien: cen wie Risiken bieten sie. Bevor auf die Möglich­
keiten und Gefahren einzelner Anwendungen einge-
1. das Empfinden von Sicherheit fördern gangen wird, sollen zunächst einige allgemeine
2. beruhigen und entlasten Einsatzmöglichkeiten genannt werden.
3. Selbstwirksamkeit und Kontrolle fördern Der Einsatz von neuen Kommunikationstechnolo-
4. Kontakt und Anbindung stärken gien und Social-Media-Anwendungen kann auf ver-
5. das Gefühl von Hoffnung stärken schiedene Weisen vollzogen werden: Die Einbin-
dung in die Bewältigung einer Krise kann passiv
Weiterhin lässt sich eine Unterteilung in „harte“ und geschehen. Dabei werden Soziale Netzwerke und
„weiche“ Aspekte der psychosozialen Versorgung Plattformen (Twitter, facebook und so weiter) beob-
vornehmen. Unter die harten Aspekte fallen unter achtet und anhand von dort kursierenden Themen
anderem: und Inhalten Meinungen und Stimmungen erfasst
und Informationen gesammelt. Die Nutzung kann
• die Vermittlung klarer, seriöser Informationen aber auch aktiv erfolgen, indem neben der reinen
• das Widerlegen von schlechten Nachrichten, Observierung der Aktivitäten auch aktiv auf Äuße-
­Sensationsmeldungen und Gerüchten rungen reagiert wird und zum Beispiel Fragen beant-
• die Vermittlung von Struktur, Halt und Ordnung wortet und ungenaue oder falsche Informationen
berichtigt werden. Die dritte Stufe der Einbindung zur Verfügung gestellt werden. Durch einen E-Mail-
kann engagiert erfolgen, wenn zum Beispiel eine Verteiler können gebündelt aktualisierte und seriöse
eigene Social-Media-Seite eingerichtet und gepflegt Meldungen an Betroffene verschickt werden. Im ent-
wird, was eine ständige Interaktion mit allen Nutzern standenen Chaos gibt ihnen dies Struktur zurück.
bedeutet, unabhängig davon, ob sie unmittelbar
Betroffene, Angehörige oder zum Beispiel Mitglieder Standardisierte Dokumente (zum Beispiel FAQ)
von Hilfsorganisationen sind (Rive 2012). erleichtern zudem den Arbeitsablauf für die Hotline-
betreuer, da diese bereits im Vorfeld erstellt und für
Insgesamt ist es ebenfalls wichtig, sich den Bedürf- das jeweilige Ereignis modifiziert werden können.
nissen der Bevölkerung anzupassen und darauf zu Eine E-Mail-basierte Maßnahme wurde bereits erfolg-
reagieren, sich vorab über den konkreten Einsatz der reich nach dem Absturz der Air-France-Maschine vor
Anwendungen klar zu sein und geschultes Personal Brasilien im Jahr 2009 eingesetzt, als Anrufer durch
damit zu beauftragen, welches über Wissen und die Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und
Kompetenzen sowohl in den Möglichkeiten (Tools) Angehörigenhilfe (NOAH) des Bundesamtes für
der jeweiligen Anwendung als auch bezüglich des Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)
Nutzerverhaltens verfügt (Rive 2012). mit einem ständig aktualisierten Newsletter versorgt
wurden (BBK 2010).
Eine Schwierigkeit in der Nutzung solcher Anwen-
dungen besteht darin, dass eine sehr große Anzahl Per Mail versandte Informationen bieten zudem den
von Informationen in extrem kurzer Zeit an sehr Vorteil der einfachen Speicherung. Daten können zu
viele Nutzer gelangen kann. Um auch mit gesicher- einem späteren Zeitpunkt noch einmal aufgerufen
ten Informationen dieses Tempo halten zu können, oder weiterverarbeitet werden. So wird die Flüchtig-
werden viele Mitarbeiter benötigt und es muss ein keit rein verbal übermittelter Informationen umgan-
gut funktionierendes Netzwerk zugrunde liegen. gen, da Anrufer ohnehin eventuell durch Aufregung 95
Kann man Informationen nicht schnell genug liefern, und Sorge nur eingeschränkt aufnahmefähig sind.
kann es passieren, dass sich die Aufmerksamkeit auf Ebenso können Betroffene selbst wählen, ob sie im
schnellere Informationsgeber richtet – unabhängig Mailverteiler als Adresse erscheinen wollen. So kön-
davon, ob die dort gegebenen Informationen gesi- nen sich die Personen eigenständig untereinander
chert sind oder nicht. vernetzen, was eine Entlastung für die Hotlinemitar-
beiter bedeutet.
Potenziale und Risiken von facebook und Co
Neben zahlreichen Vorteilen lauern – wie bei allen
Zu den neuen Kommunikationstechnologien, die seit neuen Technologien – auch Gefahren. Werden Kar-
einigen Jahren auf den Markt drängen, große Akzep- ten, Bilder oder Links ohne ausreichende Erläuterun-
tanz und Verwendung erfahren und Telefon und gen versandt, sind die Rezipienten bei der Interpreta-
E-Mail ergänzen, gehören Skype, facebook, News- tion auf sich selbst gestellt. Überbewertungen oder
feeds, Twitter und Apps. Die Potenziale sind in Abb. Fehleinschätzungen können die Folge sein, welche
14 skizziert. Ob und inwieweit durch die genannten Angst und Sorge schüren.
elektronischen Medien eine adäquate psychosoziale
Versorgung gewährleistet werden kann, soll anhand Da Schreiben länger dauert als Reden, bedeutet das
der genannten fünf Handlungsprinzipien nach Hob- Verfassen von E-Mails für die Hotlinebetreuer einen
foll geprüft werden: erheblichen Mehraufwand an Zeit. Formulierungen
müssen unmissverständlich gewählt werden und
Ein enormes Potenzial haben neue Kommunikations- erlauben – zumindest bei Rundmails – kein Eingehen
technologien erstens durch die Schnelligkeit, mit der auf die individuelle Situation der jeweiligen Person.
Informationen transportiert werden können und Ein E-Mail-Angebot birgt zusätzlich die Gefahr, dass
zweitens durch die Möglichkeit, sehr vielfältige Daten die Hotline von Anfragen überflutet wird, da die
(Texte, Bilder, Videos, Audios) an eine große Anzahl Hemmschwelle, eine E-Mail abzusetzen, geringer ist,
von Personen versenden zu können (Blank; Karutz als einen telefonischen Anruf zu tätigen (Ziegler/
2011). Per E-Mail können den Betroffenen Karten, Dürscheid 2007).
Bilder oder Lageberichte über die Katastrophenregion
Betreuenden – verbunden: Ein einwandfreies Ausse-
hen (zum Beispiel Kleidung, Haare, Zähne) muss
vorausgesetzt werden. Der Betreuende darf sich
nicht zu „mimischen Entgleisungen“ (Augenrollen,
genervter Gesichtsausdruck) oder Gähnen hinreißen
lassen, was in seiner Situation durch hohe Anspan-
nung und Belastung verständlich und zum eigenen
Stressabbau nötig sein kann, auf den Betroffenen
jedoch respektlos und unseriös wirkt.

Sensible Daten wie Informationen über Betroffene,


Todesopfer oder Dokumente für den internen
Gebrauch dürfen nicht im Sichtfeld der Kamera abge-
legt werden. Außerdem ist es paradoxerweise nicht
möglich, tatsächlich Blickkontakt aufzunehmen: Da
die Kamera in der Regel oberhalb des Monitors ange-
bracht ist, schaut man immer entweder in die Kamera
(Gesprächspartner blickt in meine Augen), oder auf
den Bildschirm (man selbst sieht in die Augen des
Richtungweisend: Der Einsatz neuer Kommunikationstech­ Gesprächspartners, kann aber nicht in die Kamera
nologien setzt eine kritische Auseinandersetzung mit deren schauen). Ein zeitgleiches in-die-Augen-Sehen ist
Chancen und Risiken voraus. (Bild: arrow – Fotolia.com) also technisch (bisher) nicht möglich.

96 Was nicht geleistet werden kann, sind die „weichen“ Aktivitäten, die sich hinter dem Betreuenden abspie-
Aspekte psychosozialer Versorgung: So sind die len (zum Beispiel herumlaufende andere Mitarbei-
Suche nach individuellen Handlungspotenzialen ter), können eine Störquelle darstellen. Außerdem
oder der Aufbau eines sozialen Netzwerkes stark kann kein absoluter Datenschutz gewährleistet wer-
interaktionsbedürftig und erfordern persönliche den, da Anrufer Aktivitäten mithören und vor allem
Gespräche, in denen die Hotlinebetreuer auch auf sehen können, die nur für die interne Kommunika-
Merkmale wie Stimmlage, Weinen oder Aufregung tion bestimmt sind. Da Skype nicht als abhörsicher
der Betroffenen eingehen müssen, was in einem gilt, kann generell kein Schutz von Daten gewährleis-
schriftbasierten Medium entfällt. tet werden.

Eine Option, die zahlreiche Kommunikationsformen Ein ähnlich vielfältiges Kommunikationsmedium wie
beinhaltet, ist die Verwendung des Onlineangebotes Skype stellt das Social-Media-Netzwerk facebook dar.
Skype beziehungsweise der Videokonferenz. Durch Zwar bietet facebook – zumindest in Deutschland –
die Möglichkeit der (Bild-)Telefonie erfolgt die Kom- noch keine Möglichkeit der telefonischen Verständi-
munikation verbal und in Echtzeit, sodass eine indi- gung, es verfügt aber über die Optionen des Chats,
viduelle und interaktive Betreuung stattfinden kann. der Versendung von Nachrichten (mit Dateianhän-
Durch die Sichtbarkeit ist es dem Betreuenden mög- gen) und der Option, öffentliche Kommentare (Pinn-
lich, sich ein genaues Bild des Zustandes des Betrof- wand) abzugeben.
fenen zu machen. So kann er ihn ebenfalls direkter
„steuern“ (zum Beispiel „Setzen Sie sich erst einmal Problematisch ist, dass sich in diesem sozialen Netz-
auf den Stuhl, der hinter Ihnen steht!“). Gesten der werk jede Person einen Account anlegen kann. So
Hotlinemitarbeiter können zusätzlich zur Stimmlage können zum Beispiel auch Befürworter terroristi-
beruhigend auf den Betroffenen wirken. Ebenso scher Aktionen ihre Meinung äußern oder Bilder von
kann ein Echtzeitbild der Betreuungsperson ein Todesopfern in die Öffentlichkeit gelangen, was für
Gefühl der Nähe vermitteln. die Betroffenen eine extreme Belastung darstellen
kann. Da in facebook ausschließlich in schriftlicher
An die Verwendung einer Webcam sind jedoch auch Form kommuniziert werden kann, ist eine individu-
einige Anforderungen – vor allem auf Seiten der elle interaktive Betreuung von Betroffenen s­ chwierig.
Datenschutz kann bisher nicht gewährleistet werden, Durch RSS-feeds/Newsfeeds werden Abonnenten im
da facebook bereits häufiger in die Kritik geraten ist, Sinne eines Newstickers regelmäßig über aktuelle
weil es Daten seiner Nutzer an Dritte weitergegeben Änderungen oder Neuerungen auf einer Homepage
hat. informiert. Betroffene müssen dadurch nicht mehr
die gesamte Internetseite im Blick behalten, sondern
Da das Schreiben eines Kommentars beziehungs- erhalten Informationen zu aktuellen Änderungen.
weise das Stellen von Fragen einfacher, anonymer Hotlinemitarbeiter werden ebenfalls entlastet: Rück-
und weniger aufwendig ist als ein Anruf, ist damit zu rufe können in ihrer Anzahl minimiert werden, da
rechnen, dass dieses Angebot stark frequentiert wer- die Betroffenen durch die Newsfeeds auf dem aktu-
den würde. Im Umkehrschluss heißt das, dass auch ellsten Stand bleiben.
ständig geprüft werden muss, ob dort unangemes-
sene Kommentare veröffentlicht werden, was einen Da es sich um eine einseitig gerichtete Kommunika-
enormen Aufwand für die Hotlinemitarbeiter bedeu- tionsform handelt, ist es nicht möglich, auf Meldun-
tet (Krämer 2011). gen zu reagieren. Die oben beschriebenen „weichen“
Aspekte der psychosozialen Versorgung bleiben
Die Mikrobloganwendung Twitter dient der reinen ebenfalls unabgedeckt.
Informationsverbreitung und weniger der interakti-
ven Kommunikation. Ein Vorteil sind die Schnellig- Eine spezielle Erweiterung der Hotline bietet eine
keit der Informationsverbreitung und die Möglich- App, die in ihrer Gestaltung variabel ist. Eine App
keit, eine große Masse von Personen zu erreichen. zum Beispiel für die Koordinierungsstelle Nachsorge,
Durch die Begrenzung auf 140 Zeichen müssen die Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) im Bundesamt
Nachrichten jedoch extrem komprimiert werden. Da für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, die
ein Kommentieren der Tweets nur indirekt möglich Bundesbürgern, die im Ausland durch schwere
ist, sind Interaktivität und individuelle Betreuung und Unglücksfälle oder Terroranschläge zu Schaden kom- 97
damit alle „weichen“ Aspekte der psychosozialen men, psychosoziale Unterstützung anbietet (www.
Versorgung ausgeschlossen. bbk.bund.de/noah) könnte Kontaktdaten von psy-

Charakteristisches Merkmal neuer Kommunikationstechnologien: Die schnelle Datenübertragung.


(Bild: ferkelraggae – Fotolia.com)
chosozialen Diensten für Betroffene beinhalten, Anrufer wollen einerseits personengebundene, indi-
Informationen über bisherige Einsätze liefern oder viduelle Informationen über vermisste Angehörige
einen Leitfaden zum Verhalten im Krisenfall zur Ver- erhalten, aber auch global über die Lage am Katast-
fügung stellen. Vorteilhaft ist außerdem, dass Apps rophenort unterrichtet werden; und das alles mög-
nach dem Download auch ohne eine bestehende lichst zeitnah, transparent und zuverlässig. Neue
Internetverbindung nutzbar sind. Nachteilig ist, dass Informations- und Kommunikationstechnologien
Apps bisher nur für hochpreisige Smartphones und bestechen vor allem durch die Schnelligkeit der
Tablet-PCs angeboten werden und die „weichen“ Informationsverbreitung, die Vielfalt an Daten (Bil-
Aspekte der psychosozialen Versorgung auch hier der, Grafiken, Übersichtskarten, Lagepläne) und die
nicht erfüllt werden können. Mobilität, bergen aber auch Gefahren in Bezug auf
unzureichenden Datenschutz und wenig Möglichkei-
Sowohl für die Verwendung der Newsfeeds als auch ten zur individuellen und interaktiven Betreuung.
für den Umgang mit Skype, Twitter oder facebook
werden teilweise zusätzliches technisches Equipment Es kann folglich nicht darum gehen, das Angebot der
und Software benötigt. Außerdem müssen die Hot- Krisenhotline grundlegend zu revolutionieren. Der
linemitarbeiter im Umgang mit Hard- und Software persönliche Kontakt am Telefon ist (bisher) durch
gleichermaßen geschult werden. Neben Kenntnissen, technische Neuerungen nicht zu ersetzen. Kommuni-
wo welche Informationen eingestellt werden, müs- kations- und Social-Media-Anwendungen haben in
sen ein kompetenter Umgang mit diesen „trainiert“ den letzten Jahren jedoch einen enormen Einfluss
und ein Verständnis für die Netzwerkstrukturen ent- auf nahezu die gesamte Bevölkerung und deren
wickelt werden. Soziale Netzwerke bieten keine auf- Kommunikations- und Interaktionsverhalten genom-
bereiteten Informationen, an denen sich zum Bei- men. Neue Medien verändern sich in raschem Tempo
spiel die Stimmung der Bevölkerung ablesen lässt. und bringen laufend weitere Chancen und Risiken
98 500.000 „Likes“ für eine Profilseite, die zu einer mit sich. Präsenz und Einfluss dieser Anwendungen
bestimmten Aktion einlädt, müssen nicht zwingend dürfen daher nicht missachtet und unterschätzt
von Befürwortern stammen. Auch Gegner können ­werden, um im Schadens- und Katastrophenfall ein
auf den Button geklickt haben, weil es eine Möglich- bedürfnisorientiertes Vorgehen im Sinne eines
keit ist, um überhaupt von einer Aktion zu erfahren modernen Bevölkerungsschutzes zu gewährleisten.
(Krämer 2011). Neben der Kompetenz im Nutzver- Neben einer noch besseren Versorgung Betroffener
halten muss ebenfalls ein spezifischer Sprachge- in Krisenlagen, kann ebenfalls ein positiver Effekt auf
brauch beherrscht werden (zum Beispiel CUL8r für das Image von Behörden, die eine Hotline für Betrof-
„see you later“) um medienadäquat interagieren zu fene anbieten, vermutet werden, da sie damit
können. ­kommunikationstechnisch up to date sind und den
Anforderungen einer Schadenslage mit einem multi-
Fazit medialen Angebot der psychosozialen Krisenbewälti-
gung begegnen können.
Neue Kommunikations- und Informationstechnolo-
gien finden in der Bevölkerung viel Akzeptanz und Rike Richwin
Zuspruch. Auch wenn die junge Generation diese Kommunikationswissenschaftlerin (Master of Arts)
Anwendungen am stärksten nutzt, ist eine zuneh- Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
mende Verwendung durch ältere Personen erkenn- Katastrophenhilfe (BBK),
bar. Zu bedenken ist außerdem, dass kommende Referat Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV)
ältere Generationen an eine verstärkte Mediennut-
zung aus Beruf und Alltag gewöhnt sein werden. So
ist anzunehmen, dass Betroffene einer Katastrophe
neben der rein telefonbasierten Hotline weitere Mög-
lichkeiten der Informationsbeschaffung und der
Hilfsangebote nutzen möchten und werden.
Funktion(en) Kommunikations-/Informationsform

Telefon, Kommunikationsmittel zur Übermittlung von mündlich; räumliche, aber keine zeitliche
­Mobiltelefon Sprache mittels elektronische Signale; ­Trennung, Kommunikation in Echtzeit möglich;
­Mobiltelefone sind ortsunabhängig One-to-One-Kommunikation
­einsetzbar; kostenpflichtig

E-Mail Elektronische Post zum Versenden von schriftlich; raum-zeitliche Trennung der
­Textnachrichten und Dateianhängen; ­Kommunikationspartner; One-to-One-­
­mittlerweile meistgenutzter Mediendienst Kommunikation, erweiterbar zu One-to-Few-
im Internet; kostenlos und ­One-to-Many-Kommunikation

SMS Dienst zur Übertragung von Kurznachrichten schriftlich; raum-zeitliche Trennung der
zwischen Mobiltelefonen; (teilweise) ­Kommunikationspartner; One-to-One-­
­Beschränkung auf 160 Zeichen; Kommunikation (erweiterbar zu One-to-­Few-
­kostenpflichtig und ­One-to-Many-Kommunikation)

Skype, Software zur Internettelefonie (mit und ohne mündlich/schriftlich; Echtzeitkommunikation


Videokonfe- Bildübertragung), Chat, Dateiübertragung; (bei Telefonie), One-to-One-/ One-to-Few-/
renz nicht abhörsicher; kostenlos One-to-Many-Kommunikation (bis zu 25 Teil-
nehmer möglich)

facebook Soziales Netzwerk mit weltweit über eine schriftlich; raumzeitliche Trennung der Kommu-
Milliarde Nutzern (Deutschland: 24,8 Millio- nikationspartner; One-to-One-/ One-to-Few-/
nen); Erstellen eines eigenen Profils, Emp- One-to-Many-Kommunikation; Kommunikation
fang/Versand von Nachrichten, Einstellen nur zwischen angemeldeten Nutzern möglich
von eigenen Inhalten (Bilder, Videos), Pinn- 99
wand-Funktion, Einladung zu Ereignissen,
Profilerstellung auch für Unternehmen und
Organisationen möglich (mit beschränkten
Funktionen); kostenlos

Twitter Mikroblog zur Verbreitung von Kurznach­ schriftlich; raum-zeitliche Trennung der
richten (140 Zeichen) im Internet; ­Kommunikationspartner; One-to-Many-­
Autoren ­twittern („zwitschern“) subjektive Kommunikation
Nachrichten, die von den Lesern (indirekt)
kommentiert werden können; kostenlos

RSS-feeds, Dienste, die regelmäßig über Aktualisierun- schriftlich; One-to-Many-Kommunikation;


Newsfeeds gen auf Internetseiten informieren; ähnlich einseitig-gerichtet: Anbieter stellt Informationen
einem Newsticker werden Abonnenten mit zur Verfügung, die vom Abonnenten einmalig
Info-Blöcken (Schlagzeile, Textanriss, Link eingefordert werden müssen, kein Austausch
zur Originalseite) „gefüttert“; kostenlos beziehungsweise Kommentieren möglich

Apps (Kurzform für „application“ = Anwendung); schriftlich, bildlich, audiovisuell; ähnlich wie
Anwendungsprogramme für Smartphones/ RSS-feeds dienen Apps nicht der Interaktion,
Tablet-PCs, die über einen in die Software sondern je nach Gestaltung der Information/
des Geräts integrierten Onlineshop bezogen Unterhaltung
werden können; mittlerweile mehr als
500.000 Apps zu unterschiedlichsten
­Themen (Spiele, Ratgeber, Sport, Ernäh-
rung, Erste Hilfe) verfügbar; erhältlich durch
download; teilweise kostenpflichtig

Abb. 14: Herkömmliche und neue Kommunikations- und Informationstechnologien.


100

II. Kapitel
Wer ruft an?
Die Anrufer: Typische Gruppen – typische Fragen
Anrufgruppen und häufige Anliegen

Letztendlich lässt sich natürlich nie voraussagen, wer Die Gruppe der Betroffenen ist zu unterteilen in die
mit welchem Anliegen und in welcher Verfassung als vier Kategorien:
nächstes in einer Krisenhotline anrufen wird. Die
Auswertung von Erfahrungen mit Krisenhotlines bei •Ü  berlebende (Unverletzte und physisch und/oder
komplexen Gefahren- und Schadenslagen der jüngs- psychisch Verletzte)
ten Vergangenheit in Deutschland (ICE-Unglück • Angehörige (Familienangehörige, Freunde und
Eschede 1998, Amokläufe in Erfurt 2002 und Win- weitere nahestehende Personen von – potenziell
nenden/Wendlingen 2009, Einsturz der Eissporthalle – Betroffenen)
in Bad Reichenhall 2006, Massenpanik auf der Love- • Hinterbliebene (Familienangehörige, Freunde
parade 2010) sowie Gespräche mit Betroffenen und weitere nahestehende Personen von Ver­
schwerer Unglücksfälle und Katastrophen im Aus- storbenen)
land im Rahmen der Arbeit der Koordinierungsstelle • Vermissende (Familienangehörige, Freunde und
Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) weitere nahestehende Personen von Vermissten)
(vgl. auch Beiträge in Kapitel I), erlauben jedoch eine
erste Systematik und Tendenzbeschreibung zu Anruf- Die Anliegen dieser vier Betroffenengruppen sind
gruppen und typischen Anliegen, die zukünftig auf- lage- und zeitabhängig und untereinander verschie-
grund weiterer Erfahrungsauswertung zu verfeinern den. Zu den grundlegenden Bedürfnissen aller gehö-
sind. ren gesicherte Informationen, Sicherheit und Schutz,
Kontakt, Struktur, Unterstützung in administrativen
Fragen, „single point of contact“ und Gedenken.
101
Die Anrufanliegen der Bevölkerung im Krisenfall las-
sen sich in drei Kategorien gliedern: Zum einen mel-
den sich Personen, die emotional stark betroffen
sind, aber nicht zwangsläufig eine direkte Verbin-
dung zum Ereignis haben. Eine allgemeine psychi-
sche Vulnerabilität (Verwundbarkeit), ­Vorerfahrungen
mit vergleichbaren Ereignissen, frühere Traumatisie-
rungen und ähnliche Gründe können hier eine Rolle
spielen. Daneben gibt es die Gruppe der Personen,
die am Schadensereignis interessiert sind und
Informationen einholen möchten. Ebenfalls melden
sich Personen, die Erläuterungen zum Schadens­
Anrufgruppen und Anliegen können in der Krisenhotline ereignis abgeben, ihre Fachkunde einbringen möch-
­äußerst vielfältig sein. (Bild: pakhnyushchyy / clipdealer.com) ten oder die Gelegenheit nutzen, um allgemeinen
Unmut gegenüber dem Träger der Krisenhotline
Danach ist im Ereignisfall nach Schaltung einer Kri- (Ministerium, Kommune, Polizei, Hilfsorganisation
senhotline und ihrer Präsentation in der Öffentlich- etc.) auszudrücken.
keit mit folgenden Anrufgruppen zu rechnen:
Eine Sonderform der Anrufgruppe „Bevölkerung“,
• Betroffene die sich in einer Krisenhotline meldet, bildet die
• Bevölkerung und Community Community, also Personen oder Gruppen mit thema-
• Einsatzkräfte und deren Angehörige tischem oder strukturellem und damit starkem emoti-
• Unterbreiter von Hilfsangeboten onalen Bezug (Identifikation) zur Betroffenengruppe.
• Medienvertreter Bei einer Amoklage in einer Schule können zum Bei-
• Vertreter aus Behörden, Organisationen und spiel Schüler und Lehrer anderer Schulen zur Com-
­Institutionen munity gehören, da der Kontext „Schule“ zu ihrer all-
täglichen Lebenswelt gehört und dadurch ebenfalls
eine Form mittelbarer Betroffenheit bei den Personen Schließlich melden sich Vertreter aus Behörden,
hervorgerufen werden kann. Organisationen und Institutionen sowie (betrof-
fene) Unternehmen. Ihre Anliegen lassen sich unter
Auch Einsatzkräfte, die im aktuellen Schadensfall Informationsvernetzung und Abstimmung zur aktuel-
im Einsatz waren, melden sich im Bedarfsfall erfah- len Schadenslage zusammenfassen, die der Bewälti-
rungsgemäß bei einer Krisenhotline, insbesondere gung, Abarbeitung beziehungsweise Auswertung des
wenn die Hotline auch als „Helferhotline“ angekün- Unglücks dienen. Damit lassen sich dieser Anruf-
digt wird. Hinzu kommen Anrufe von Angehörigen, gruppe auch die anrufenden Wissenschaftler zuord-
aber auch von Vorgesetzten oder Kollegen und nen. Sie melden sich in der Krisenhotline, um für
Kameraden von Einsatzkräften, die Rat und Auskunft Forschungsanliegen den Kontakt zu Akteuren im Ein-
suchen. satzwesen und zu Betroffenen zu suchen und nach
entsprechenden Erreichbarkeiten zu fragen.

Allgemein gilt, dass sämtliche Anrufer aus der betrof-


fenen Region stammen können. Anrufe aus dem
gesamten Bundesgebiet, aber auch aus anderen Län-
dern und sogar von anderen Kontinenten sind jedoch
möglich und je nach Ereignis auch wahrscheinlich.

Wer ruft zu welchem Zeitpunkt an?

Alle genannten Anrufergruppen nehmen die Krisen-


hotline erfahrungsgemäß nicht im selben Zeitfenster
102 in Anspruch. Vielmehr ist davon auszugehen, dass
aus der Anrufgruppe „Betroffene“ die Angehörigen
und die Vermissenden (Familienangehörige, Freunde
und weitere nahe stehende Personen von – potenzi-
Grundlegende Bedürfnisse belasteter Anrufer sind der ell – Betroffenen und Vermissten) in den ersten Stun-
Wunsch nach gesicherten Informationen, Orientierung und den und am ersten Tag anrufen. Dabei melden sich
Struktur, emotionalem Halt und einem „single point of diese in der Regel persönlich, manchmal aber auch
­contact“. (Bild: annete / clipdealer.com) durch Beauftragte, bis hin zu Botschaftsvertretern aus
dem Ausland.

Jede Krisenhotline sollte darauf eingestellt sein, dass Gleichzeitig melden sich in den ersten Stunden und
zahlreiche Hilfsangebote eingehen. Diese sind zu dif- am ersten Tag diejenigen Personen, die vom Ereignis
ferenzieren in Unterstützungsangebote psycho­ emotional stark betroffen sind sowie Personen und
sozialer Dienste (Akuthelfer wie Notfallseelsorger, Gruppen der entsprechenden Community. Auch mit
Notfallbegleiter, Kriseninterventionsteammitarbeiter Medienvertretern muss von Anfang an gerechnet
etc., Psychologen, ärztliche und psychologische werden, ebenso mit Anrufen von Behördenvertre-
(Trauma-)Psychotherapeuten und andere psychoso- tern, Organisationen und Institutionen. Die beiden
ziale Fachleute beziehungsweise Anrufer, die sich als letztgenannten Anrufgruppen frequentieren die Kri-
solche ausgeben), Angebote materieller Hilfen senhotline in der Regel kontinuierlich bis zu deren
(Sach- und Geldspenden, Einladungen für Betroffene Einstellung, wenn auch mit vergleichsweise gerin-
oder Einsatzkräfte zu kulturellen Ereignissen oder gem Anrufvolumen. Sehr früh, oft schon am ersten
Erholungsurlauben etc.) und Unterstützungsange- Tag, melden sich auch Vertreter psychosozialer
bote von Betroffenen vergleichbarer Ereignisse oder Dienste, die ihre Hilfe anbieten.
entsprechender Selbsthilfeorganisationen.
In den weiteren Tagen nach dem Schadensereignis
Auch Medienvertreter suchen den Zugang zu Quel- melden sich nach derzeitigem Erfahrungsstand erst-
len ihrer Berichterstattung über geschaltete Krisen- mals in größerer Zahl Überlebende – soweit sie auf-
hotlines. grund von physischen und/oder psychischen Verlet-
zungen schon in der Lage sind, eine Krisenhotline zu Wer ruft bei welchem Ereignis an?
kontaktieren, sowie Hinterbliebene.
Eine klare Prognose zum Zusammenhang von Ereig-
Angehörige und Vermissende rufen auch in den nisart und erwartbaren Anrufgruppen lässt sich nicht
Tagen und Wochen nach dem Ereignis weiterhin in geben, dazu sind die Einflussfaktoren Auftrag, Vorbe-
der Krisenhotline an, ebenso wie Anrufer aus der reitung, Trägerschaft , Zeitpunkt der Schaltung und
Gruppe der „Bevölkerung“. Letztgenannte haben in Öffentlichkeitsarbeit der Krisenhotline zu variabel.
diesem Zeitfenster häufig Informationen zum Ereig- Nach derzeitigem Stand der Erfahrungsauswertung
nis, wollen Fachfragen diskutieren oder Beschwer- (Krisenhotline Erfurt 2002, Winnenden/Wendlingen
den loswerden. Aus der Gruppe der Unterbreiter von 2009, Bad Reichenhall 2010, Loveparade 2010) lässt
Hilfsangeboten melden sich weiterhin Anbieter psy- sich jedoch festhalten, dass Gewaltereignisse wie
chosozialer Dienste, aber vorrangig diejenigen, die Amokläufe an Schulen mit rascher und hoher media-
materielle Hilfen anbieten sowie – vereinzelt – Betrof- ler Aufmerksamkeit offensichtlich eine kollektive
fene vergangener Unglücke mit Unterstützungs­ Betroffenheit, Unsicherheit und Angst in der Bevöl-
anliegen. kerung auslösen. Dies führt zu einem sehr hohen
Anrufvolumen, sodass neben den Betroffenen (Über-
Einsatzkräfte und deren Angehörige melden sich lebende, Angehörige, Hinterbliebene, Vermissende)
erfahrungsgemäß Tage und Wochen nach dem Ereig- zahlreiche Personen mit unterschiedlichem Bezug
nis und dann kontinuierlich. zum Ereignis aus dem gesamten Bundesgebiet, aus
dem Ausland und der Community (zum Beispiel Leh-
Wird die Krisenhotline über einen Zeitraum von rerkräfte an Schulen) die Krisenhotline in Anspruch
Monaten bis zu einem Jahr oder darüber hinaus auf- nehmen.
rechterhalten, ist mit einem Anschwellen des Anruf­
volumens der Anrufgruppen „Betroffene“, „Einsatz- Großveranstaltungen, bei denen ein schweres Un- 103
kräfte und deren Angehörige“, „Vertreter aus glück mit Toten und Verletzten geschieht, ist mit
Behörden, Organisationen und Institutionen und einem hohen Anrufvolumen aller genannten Anrufer-
(betroffene) Unternehmen“ und „Medienvertreter“ gruppen zu rechnen, bei komplexen Schadenslagen
etwa vier bis sechs Wochen vor einer öffentlichen auf Großveranstaltungen mit Gästen aus dem In- und
Gedenkfeier oder Jahrestagsfeier zu rechnen. Medi- Ausland (zum Beispiel bei der Loveparade in Duis-
envertreter melden sich zudem verstärkt vier bis burg 2010) entsprechend mit einem internationalen
sechs Wochen vor Jahreswechsel, um über das Scha- Anrufaufkommen. Bei Krisenlagen wie Hochwasser-
densereignis bei der medialen Aufbereitung des ver- und Sturmflutgefahr, Ausfall von Infrastruktur (zum
gangenen Jahres („Jahresrückblicke“) berichten zu Beispiel Stromausfall) oder Gesundheitsgefahr (zum
können. Beispiel EHEC, Vogelgrippe) hingegen ist in erster
Linie von einem hohen Informationsbedürfnis der
Bevölkerung und Anrufen von Medienvertretern,
Unterbreitern von Hilfsangeboten und Anrufen aus
Behörden, Organisationen und Institutionen auszu-
gehen, während Anrufe unmittelbar Betroffener und
von Einsatzkräften kaum zu erwarten sind.

Neben vielen Anfragen können auch Hilfsangebote für Betrof-


fene in der Hotline eingehen. (Bild: tomxox / clipdealer.com)
Bedürfnisse und Reaktionen Betroffener

Jeder Mensch erlebt seine persönliche Katastrophe Zu den gesicherten Informationen


anders, wird seine Geschichte – auch in Abhängig- ge­hören keine Pressemeldungen!
keit vom Gesprächspartner – anders erzählen und
unterschiedlich damit umgehen. Umso wichtiger ist Auf Bedürfnisse angemessen reagieren zu können,
es, aufmerksam, ohne Vorannahmen und mit Inter- heißt auch, flexibel im Handeln zu bleiben. Manche
esse zuzuhören. Bedürfnisse lassen sich aus den jeweiligen Reaktio-
nen von Betroffenen ableiten.
Obwohl das Erleben von und das Reagieren auf
extreme Ereignisse sich von Mensch zu Mensch
­ Bedürfnisse in der Akutphase sind:
unterscheiden kann, lassen sich Tendenzen beschrei- • Sicherheit und Schutz: Hierzu zählen zum Beispiel
ben, die sich bei den meisten Menschen in ähnlicher Nahrung, Wärme/Kühle, „Dach über dem Kopf“,
Form zeigen können und hier angesprochen werden aber auch Rückzugsmöglichkeiten und die
sollen. Abschirmung vor der Presse
• Hohes Informationsbedürfnis zur Lage/Situation
Bedürfnisse und Reaktionen verändern sich lage- • Kontakt zu Angehörigen, Information über
und zeitabhängig. Dies bedeutet, dass sich die aku- ­Aufenthaltsort, Status/Zustand des vermissten
ten, mittel- und längerfristigen Angebote mit ver- Angehörigen oder Freundes
ändern müssen. • Struktur als Gegengewicht zum äußeren und
­inneren Chaos
Neben den lage- und zeitabhängigen Veränderungen
104 von Bedürfnissen, sind diese auch nach der jeweili- Bedürfnisse im weiteren Verlauf
gen Zielgruppe zu differenzieren. Unmittelbar
Betroffene haben andere Bedürfnisse als Angehö- Im weiteren zeitlichen Verlauf des Ereignisses kön-
rige. Bei den Angehörigen wiederum gibt es Unter- nen sich Anliegen ändern und neue Fragen auftau-
schiede, ob es sich um Angehörige Überlebender chen. Bei unmittelbar Betroffenen stellen sich Fragen
handelt, um Hinterbliebene, die bereits Gewissheit wie zum Beispiel „Wann wird es mir besser gehen?“,
über den Tod eines Angehörigen haben oder um Wo kann ich weitere Hilfen finden?“, Muss ich mir
Vermissende, die unter Umständen noch zwischen Sorgen machen, längerfristig krank zu sein?“. Bei
Hoffnung und Angst hin- und herpendeln. Men- Angehörigen können Fragen auftauchen, wie „Was
schen, die „nur“ Zeuge eines Unglücks waren, haben braucht der Betroffene jetzt?“, „Was kann hilfreich
wiederum andere Bedürfnisse als Einsatzkräfte.* sein, und was ist weniger hilfreich?“ oder „Was pas-
siert, wenn mein Angehöriger nicht gefunden wird?“
Bedürfnisse in der Akutphase Bei Hinterbliebenen können Fragen auftauchen wie
„Wann und wo wird die Überführung der Toten statt-
In der Akutphase eines Ereignisses werden Anrufer finden, und wer bezahlt das?“.
vor allem das Bedürfnis nach gesicherten Informatio-
nen haben, die Gewissheit und Sicherheit bringen Neben psychosozialen Bedürfnissen können auch
sollen. Fragen tauchen auf, wie zum Beispiel: „Was sehr lebenspraktische Anliegen auftauchen, so zum
ist los, was genau ist passiert?“, „In den Nachrichten Beispiel bei Überlebenden, die sich vielleicht im
war die Rede von … Ist das wahr?“, „Wo sind meine Urlaub im Ausland befunden haben und nicht wis-
Angehörigen?“, „Haben meine Angehörigen das sen, wie und wo sie an neue Ausweispapiere gelan-
Unglück überlebt? Sind sie verletzt? Wie kann ich gen oder wie sie Rückflugtickets organisieren und
Kontakt aufnehmen?“. Wichtig ist, ausschließlich bezahlen können, wenn sämtliche Kreditkarten,
gesicherte Informationen – gemäß den geltenden Reisechecks oder Geld vernichtet worden sind.
Sprachregelungen – weiterzugeben.

* In den folgenden Beschreibungen wird die Zielgruppe der Einsatzkräfte ausgeklammert, da sich die Maßnahmen der psychosozialen
Notfallversorgung dieser Zielgruppe zu den übrigen Gruppen unterscheiden.
Bedürfnisse im weiteren Verlauf sind: Reaktionen
• Normalisierung und Information: Das Bedürfnis,
die eigenen Reaktionen zu verstehen, da der Mögliche Reaktionen auf extreme Ereignisse und die
Anrufer diese möglicherweise noch nie in der Art mittel- und längerfristigen psychischen Folgen wer-
erlebt hat und diese damit beängstigend wirken den auch als Extremstress oder „traumatischer Stress“
können: „Ich glaube, ich werde verrückt…“, „Ich bezeichnet. Während und nach extremen Ereignissen
war wie gelähmt, konnte nichts mehr fühlen … können die psychischen Belastungen für betroffene
das kenne ich gar nicht von mir.“ Menschen ein Ausmaß annehmen, das weit über den
• Informationen bei der Suche nach der Unglücks- Alltagsstress hinausgeht. Auch wenn die Bereiche
ursache: „Warum?“, „Wer hat Schuld?“ Stressforschung und Psychotraumatologie Verbin-
• Hilfe und Unterstützung bei administrativen Fra- dungspunkte und Überschneidungen haben, ist der
gen: Rückführung vom Ereignisort, Beerdigungs- Begriff „traumatischer Stress“ nicht ganz unumstrit-
kosten, Rehabilitationsmaßnahmen, Kosten für ten, da es sich bei einem psychischen Trauma in
medizinische Behandlungen, juristische Aspekte Ursache und Reaktionen nicht mehr „nur“ um Stress
wie Schadensersatzregelungen und Entschädigun- und Stressfolgen handelt. Das auslösende Ereignis
gen, Versicherungsfragen, Hilfe bei der Nachlass- liegt qualitativ in einem Bereich, der eine vitale
regelung Bedrohung bedeutet und die Bewältigungsmöglich-
• gegebenenfalls Vermittlung in traumazentrierte keiten der betroffenen Person zunächst absolut über-
Fachberatung oder Psychotraumatherapie fordert. Reaktionen auf Extremstress oder potentiell
• Entstehen einer Selbsthilfegruppe, Schicksals­ „traumatischen Stress“ sind vom Ausmaß her qualita-
gemeinschaft, Interessenvertretung etc. tiv weit schwerwiegender als kurzfristige Stressreak-
• (religiöse) Rituale: Trauergottesdienst, Angehöri- tionen. Die betroffene Person hat erst einmal keine
gentreffen, Errichten einer Gedenkstätte Möglichkeit, auf das Ereignis in „angemessener“
• nach Möglichkeit eine zentrale Anlauf- und Kon- Weise zu reagieren. 105
taktstelle „single point of contact“ mit Schnittstel-
lenfunktion zu anderen beteiligten Organisationen Zu Extrembelastungen zählen Ereignisse, die nahezu
und Institutionen jeden Menschen in der (akuten) Bewältigung
zunächst überfordern und auf die er mit starker
Angst, Entsetzen, Hilflosigkeit oder Kontrollverlust
Auf einen Blick: Bedürfnisse reagiert. Zu den auslösenden Ereignissen gehören
zum Beispiel das Erfahren oder Bezeugen von
Gewalt, Tod, schwerer Krankheit, Unfällen, Katastro-
• Bedürfnisse ändern sich lage- und
phen etc. Das auslösende Ereignis stellt dabei eine
­zeitabhängig.
existentielle Bedrohung dar. Die Bedrohung muss
• Bedürfnisse weisen je nach Zielgruppe hierbei nicht objektiv lebensbedrohlich sein, sondern
Unterschiede auf. die subjektive Bewertung als vital bedrohlich ist aus-
• Grundlegende Bedürfnisse sind vor allem: schlaggebend.
- gesicherte Informationen und Gewissheit,
Aufklärung Die Grenzerfahrung bringt Anforderungen mit sich,
bei denen die ansonsten wirksamen Bewältigungs-
- Sicherheit und Schutz
strategien nicht oder nur eingeschränkt greifen. Ein
- Kontakt solches Ereignis kann den Menschen in seinen
- Struktur Grundfesten erschüttern: Das Selbst- und Weltbild
kann erheblichen Schaden erleiden und die Erfah-
- Unterstützung in administrativen Fragen
rung unter Umständen nicht in vorhandene Schemata
- „single point of contact“ eingeordnet werden (Abb. 15). Es kann ein Riss zwi-
- Gedenken schen Grundüberzeugungen, der „Realität“, also dem
Ereignis, und den zur Verfügung stehenden Ressour-
cen entstehen.
schen Handlungen kommen. Für manche Menschen
ist es besser irgendetwas zu tun als zur Handlungs­
losigkeit verurteilt zu sein. Im Gegensatz dazu kann
es aber auch zur Erstarrung („Totstellreflex“) kom-
men – den Personen ist es nicht mehr möglich, sich
zu bewegen oder aktiv zu handeln.

Da es meist nicht möglich ist real zu fliehen, beob-


achten wir Veränderungen in der Wahrnehmung in
Bezug auf die Umgebung oder die eigene Person,
die quasi als eine „seelische Flucht“ zu verstehen
sind. Menschen berichten zum Beispiel, dass sie

• e s empfunden hätten, als seien sie „in einem


Abb. 15: Riss im Sinngefüge. Film“ oder hätten alles „wie durch einen Tunnel“
gesehen,
Die Erschütterung der Grundannahmen und das • automatisiert gehandelt hätten,
Erleben von Ohnmacht, Hilflosigkeit und verlorenem • nichts mehr gefühlt hätten, auch keinen körper­
Sicherheitsgefühl erfordern, dass Menschen nach lichen Schmerz und wie betäubt gewesen seien,
einer potentiell traumatisierenden Erfahrung ihr • den Eindruck gehabt hätten, das passiere nicht
Selbst- und Weltbild neu ordnen und verändern müs- (mit) ihnen selbst,
sen, um die gemachten Erfahrungen verarbeiten und • sich nicht mehr an bestimmte Dinge des Ereignis-
integrieren zu können. ses erinnern können.
106
Wenn wir die Reaktionen von Menschen auf Erfah- Wenn das Geschehen so furchtbar und entsetzlich
rungen von vitaler Bedrohung betrachten, unter- ist, dass es nicht gefühlt werden darf, bedeuten der-
scheiden wir diejenigen Reaktionen, welche unmit- artige Wahrnehmungsveränderungen, sogenannte
telbar in der bedrohlichen Situation erfolgen und Dissoziationen, in der Situation einen seelischen
diejenigen, die in der Zeit danach eintreten können. Schutz vor dem Erleben von extremer Angst und Ver-
Potentiell traumatisierenden Erfahrungen wirken letzung. Sie sind also in der Situation selbst durchaus
durch die tiefgreifende Erschütterung des Selbst- und sinnvoll, können aber längerfristig die Verarbeitung
Weltbildes längerfristig seelisch ein und erfordern erschweren, vor allem, wenn es zu großen Erinne-
andere Verarbeitungsschritte als Erfahrungen von rungslücken gekommen ist.
alltäg­lichem negativem Stress.
Es kann sein, dass manche Betroffene von außen
Reaktionen in der Akutphase betrachtet auf ihre Umwelt stark und gefasst wirken,
da kaum oder keine Emotionen sichtbar sind. Eine
In einer vital bedrohlichen Situation sind Menschen mögliche Gefahr besteht dann darin, die innere Not
mit dem Erleben von Hilflosigkeit, Ohnmacht, schutz- zu übersehen.
loser Preisgabe und Kontrollverlust konfrontiert. Sie
sind neurophysiologisch in einen extremen Alarmzu- Reaktionen in der Übergangszeit
stand versetzt bei einer gleichzeitigen Unmöglich-
keit, die instinktiven Reaktionsmuster von Flucht und Die meisten Menschen entwickeln im Anschluss an
Angriff umzusetzen. Daraus resultieren Reaktions- die Akutsituation Belastungsreaktionen.
weisen, Veränderungen in der Handlung und in der Belastungsreaktionen (emotional, kognitiv, physisch
Wahrnehmung, die zum Teil unverständlich schei- und im Verhalten) können zum Beispiel sein:
nen, aber bei genauerer Betrachtung durchaus nach-
vollziehbar sind. •d
 as Erlebte taucht immer wieder in sich plötzlich
aufdrängenden Bildern, Sinneseindrücken (Geräu-
Auf der Handlungsebene kann es zu übersteigerten, sche, Gerüche, Körperempfindungen) oder Alb-
teilweise ungerichteten Bewegungen und chaoti- träumen auf
•m  anchmal empfinden Menschen es so, als befän- matische Belastungsstörung (PTBS), aber auch
den sie sich wieder inmitten der Situation depressive ­Entwicklungen, Angststörungen, psycho-
(so­genannte „Flashbacks“) somatische Störungen oder Suchtmittelmissbrauch.
• Unfähigkeit, sich an bestimmte Einzelheiten oder
längere Zeitabschnitte während des Ereignisses zu Unabhängig vom individuellen Belastungsprofil ist
erinnern für die meisten Betroffenen zunächst eine primäre
• Vermeiden von allem, was an das kritische Ereig- Unterstützung hilfreich, damit mögliche Ressourcen
nis erinnert: Vermeiden von Orten, Personen, wiederhergestellt beziehungsweise gefunden und
Erinnerungen oder vermeiden, darüber zu reden die subjektiven Handlungsoptionen erweitert wer-
• „Gefühl der Gefühllosigkeit“, emotionale Taubheit den können, sowie das Erleben von individueller
• (starke) Gefühlsschwankungen: Ärger, Angst, Ver- und kollektiver Selbstwirksamkeit gestärkt wird.
zweiflung, Wut, Trauer, Scham- und Schuldgefühle
• Schlafstörungen Entsprechend unterschiedlicher Bedarfe, je nach Ent-
• erhöhte Reizbarkeit wicklung der Belastungsreaktionen, müssen abge-
• (starke) Nervosität und erhöhte Schreckhaftigkeit stufte Hilfsangebote vorhanden sein.
• Hyperwachsamkeit, permanenter „Alarmzustand“
• Konzentrationsstörungen Auf einen Blick: Reaktionen

Manche der oben genannten Reaktionen können bei


Betroffenen den Eindruck erwecken, sie würden • Zentral ist während potentiell traumatisieren-
„verrückt“. In diesem Fall ist es sehr wichtig zu über- der Erfahrungen das Erleben von Hilflosig-
mitteln, dass nicht die Betroffenen verrückt sind, keit und Ohnmacht, Kontrollverlust und ver-
sondern die Situation, der sie ausgesetzt waren, lorenem Sicherheitsgefühl.
„ver-rückt“ gewesen ist – herausgerückt aus den bis- • Betroffene können auf die Bedrohung nicht 107
her bekannten Lebenszusammenhängen und Sinnge- adäquat reagieren und sind in ihren Bewälti-
fügen, herausgerückt aus bisher bekannten alltägli- gungsmöglichkeiten zunächst überfordert.
chen Erfahrungen und Bezügen. • Reaktionen auf potenziell traumatisierende
Erfahrungen sind von Ausmaß und Qualität
Vermittelt werden muss auch, dass die genannten her wesentlich schwerwiegender als
Reaktionen „normale“ Reaktionen auf ein hochbelas- ­normale Stressreaktionen.
tendes Ereignis sind. Mit vielen dieser Reaktionen
• Potentiell traumatisierende Ereignisse über-
schützt sich die Psyche zunächst vor dem Erleben
steigen von der Qualität und Intensität die
von zu starker Angst und Ohnmacht. Da Menschen
„normale“ menschliche Erfahrung und
sehr unterschiedliche Biographien, Erfahrungen und
nahezu jeder Mensch zeigt zunächst heftige
Ressourcen haben und in unterschiedlichen Kontex-
Belastungsreaktionen:
ten leben, wird nicht jeder Mensch mit den oben
genannten Anzeichen reagieren. Und nicht jeder - sich aufdrängendes ungewolltes Wieder­
Mensch wird in der Folge eines extremen Ereignisses erleben des Ereignisses
auch eine Traumafolgestörung entwickeln. - Vermeidung, Rückzug, emotionale Taub-
heit, Erinnerungslücken
Die meisten Menschen können sich von der potenti-
- Schlafstörungen, Konzentrationsschwierig-
ell traumatisierenden Erfahrung innerhalb der Über- keiten, körperliche Unruhe, erhöhte
gangsphase (vier Wochen bis zu drei Monate nach Schreckhaftigkeit
dem Ereignis) erholen, ihr Selbst- und Weltbild ent-
• Belastungsreaktionen sind sowohl in der
sprechend der Erfahrung modifizieren und das
Akut- als auch der Übergangsphase als
Erlebte verarbeiten. Bei einem Teil der Betroffenen
­normal einzustufen.
chronifizieren die Belastungsreaktionen und es kön-
nen sich psychische Störungen entwickeln, die dann
behandlungsbedürftig sind. Psychotraumatische Stö- Nicht jeder Mensch wird nach einer extre-
rungen, die aus einer extrem belastenden Erfahrung men Erfahrung in der Folge eine psycho-
resultieren können, sind zum Beispiel die Posttrau- traumatische Störung entwickeln.
Checkliste: Typische Fragen Betroffener

In der folgenden Checkliste sind einige Betroffenen- und Angehörigenhilfe (NOAH) im Bundesamt für
gruppen und typische Anliegen aufgeführt, die im Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)
Krisen- und Katastrophenfall in der Hotline anfallen basiert, welche sich um Deutsche, die im Ausland
können. durch Unglücke oder Katastrophen zu Schaden kom-
men, kümmert, werden in der Checkliste auch Un­­
Da die Zusammenstellung in erster Linie auf Erfah- glücke im Ausland berücksichtigt.
rungen der Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer-

Betroffene Typische Fragen

Angehörige Was ist vor Ort los?


(Familienangehörige, In den Nachrichten war die Rede von …Ist das wahr?
Freunde, weitere nahe­ Sind meine Angehörigen/Freunde/Bekannte betroffen?
stehende Personen von
– potenziell – Betroffenen) Wie kann ich Kontakt zu meinen Angehörigen/Freunden/Bekannten an der
­Unglücksstelle aufnehmen?
Was wird vor Ort getan?
Welche Maßnahmen der Rettung und Hilfe werden getroffen?
Wer sind meine Ansprechpartner vor Ort?
Kann ich zur Unglücksstelle reisen?
108
Was kann ich selbst tun?
Wo finde ich einen Berater/Therapeuten, der meine Situation versteht?
Wie finde ich eine geeignete Beratungsstelle?
Wie kann die Rückkehr gestaltet werden?
Was braucht die rückkehrende Person?
Wer sollte die Person abholen?
Kann ein Seelsorger oder Therapeut bei der Abholung direkt vor Ort sein?

Vermissende Wie und wo kann ich eine Person als vermisst melden?
(Familienangehörige, Wie verläuft die Suche nach vermissten Personen?
Freunde, weitere nahe­ Wie und wann erhalte ich Informationen über die Identifizierung?
stehende Personen von
Vermissten) War die Person an Bord (Schiff/Flugzeug/Bus)?
Was muss ich bedenken, solange die Person vermisst ist?
Wie ist der rechtliche Status einer vermissten Person?
Wann und wie lange gilt eine Person als vermisst beziehungsweise als verschollen?
Nach Ablauf welcher Frist wird eine verschollene Person für tot erklärt?
Welche Personen und Stellen müssen über die Verschollenheit
benachrichtigt werden?
Wer kann für die verschollene Person weiterhin Geschäfte führen beziehungsweise
Behördenangelegenheiten regeln?
Wer erhält das Sorgerecht für die Kinder der Verschollenen?
Worauf muss ich mich einstellen, wenn die Person gefunden wird?
Was passiert, wenn die Person nicht gefunden wird?
Wo finde ich einen Berater/Therapeuten, der meine Situation versteht?
Welche psychosozialen Hilfen stehen mir (wohnortnah) zur Verfügung?
Hinterbliebene Wie werden die Verstorbenen eindeutig identifiziert?
(Familienangehörige, Wo hat die Person gesessen?
Freunde, weitere nahe­ Wo hat sich die Person zuletzt aufgehalten?
stehende Personen von
Verstorbenen) Was hat die Person zuletzt getan?
Wie hat die Person ihre letzten Momente verbracht? Wie kann ich dies herausfinden?
Wie komme ich an die persönlichen Gegenstände der verunglückten Person?
Wie sage ich es den Kindern/Eltern/Großeltern/…?
Wie kann ich Abschied nehmen?
Kann ich den Sarg am Flughafen/Hafen/… abholen?
Kann ich mich mit anderen Betroffenen vernetzen?
Wird ein Treffen für alle Hinterbliebenen organisiert?
Wird es einen Gedenkstein/eine Gedenktafel etc. geben?
Wer trägt dafür die ­Kosten?

Administrative und rechtliche Fragen:


Wie sind die Verfahrensweisen, wenn eine Person im Ausland verstirbt?
Welche Ansprechpartner habe ich für die Rückführung? Wer trägt die Kosten dafür?
Wie organisiere ich die Beerdigung?
Welche Aufgaben kann das Bestattungsinstitut für mich übernehmen?
Gibt es einen Hilfe-Fonds?
Wie organisiere ich die Wohnungsauflösung?
Was muss ich bezüglich der Konten und Versicherungen organisieren?
109
Wie erhalte ich eine Sterbeurkunde?
Welche Personen und Stellen muss ich vom Tod der Person unterrichten?
Welche finanziellen Ansprüche (zum Beispiel Hinterbliebenenrente) habe ich?
Wo finde ich (wohnortnah) einen geeigneten Berater/Therapeuten?
Wo finde ich Selbsthilfegruppen/Trauergruppen?

Überlebende Psychosoziale Fragen:


(Unverletzte und physisch Mit welchen Belastungsreaktionen ist zu rechnen?
und/oder psychisch Ver­ Wie kann ich mögliche Belastungsreaktionen erkennen?
letze, die unmittelbar von
einem Schadensereignis Wie sind welche Belastungsreaktionen einzuordnen?
betroffen sind) Wann sollte ich professionelle Beratung/Therapie in Anspruch nehmen?
Welche psychosozialen Hilfen stehen mir (wohnortnah) zur Verfügung?
Kann ich mich mit anderen Betroffenen vernetzen?
Wo finde ich Selbsthilfegruppen/Trauergruppen?

Organisatorische Fragen:
Wie bekomme ich meine persönlichen Sachen vom Ereignisort (Inland oder Ausland)
zurück?
Wer trägt die Kosten für therapeutische Hilfe?
Wer trägt die Kosten für einen möglichen Arbeitsausfall?
Wer sind meine Ansprechpartner bei einer ereignisbedingten Arbeitsunfähigkeit
oder Behinderung?

© Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) 2013


Abb. 16: Typische Fragen Betroffener.
110

III. Kapitel
Wer nimmt ab?
Die Hotliner: Strukturmodelle und Schulungskonzept
Anrufannahme: Zwei Aufbauorganisationen

Die Einrichtung einer Krisenhotline erfolgt in der Abschnitt „Psychosoziale Betreuung“, „Medienbe-
Regel wie die Krise selbst: Spontan und unvorherge- treuung“, „Bearbeitung von Bevölkerungsanliegen“
sehen. Eine adäquate Vorbereitung kann helfen, das oder anderen) weitergeleitet. Die Agenten in der ers-
entstandene Chaos und das damit zusammen­ ten Ebene der Krisenhotline kommunizieren somit
hängende Bedürfnis nach Information und Beratung mit sehr verschiedenen Personen mit unterschied-
innerhalb der Bevölkerung und von unmittelbar und lichsten Anliegen aus allen Anrufgruppen. Darunter
mittelbar Betroffenen abzufangen. Außerdem gilt: sind auch Personen mit hoher emotionaler Belas-
Wer gut vorbereitet ist, fühlt sich auch während der tung. Deshalb müssen die Agenten der Anrufan-
Krise sicherer und wird die Aufgaben meistern kön- nahme über Grundkenntnisse der Psychosozialen
nen. Im Folgenden werden zwei Aufbauorganisatio- Notfallversorgung am Telefon verfügen, werden im
nen vorgestellt, die zeigen, wie die Hotlinearbeit im Idealfall von einem psychosozialen Experten im
Krisen- oder Katastrophenfall aufgebaut und organi- Backoffice fachlich begleitet und schließen ihre Ein-
siert sein kann. sätze an der Hotline mit einer entlastenden Super­
vision ab. Die Agenten übernehmen nicht die psy-
Agenten-Modell chosoziale Betreuung selbst. Auch nehmen sie keine
Recherche vor oder tätigen Rückrufe, sondern
Eine der möglichen Aufbauorganisationen für eine beschränken sich auf die Anrufannahme, also die
Hotline im Krisen- oder Katastrophenfall stellt das Sichtung und die Weitervermittlung innerhalb der
Agenten-Modell dar (Abb. 17). Die Bezeichnung Hotlinestruktur.
ergibt sich daraus, dass in der ersten Ebene, der
Anrufannahme und Sichtung, die Hotliner als soge- 2. Ebene: Anrufbearbeitung 111
nannte „Agenten“* an den Telefonen sitzen, die sich Auf der zweiten Ebene wird in den verschiedenen
durch ein spezifisches Tätigkeits- und Kompetenz- Hotlineabschnitten entsprechendes Fachpersonal zu
profil auszeichnen (siehe Schulungskonzept). den jeweiligen Aufgabengebieten vorgehalten. Die
Hotlineabschnitte der zweiten Ebene stehen zusätz-
Agenten können zum Beispiel Mitarbeiter eines Call- lich in Verbindung mit dem Krisenstab und nehmen
centers sein, sie können aus dem Aufgabenfeld des ihre Informations-, Beratungs- und Vermittlungsauf-
Beschwerdemanagements von Unternehmen stam- gaben in kontinuierlicher Abstimmung mit diesem
men oder sie können Mitarbeiter eines kommunalen wahr. So ist für die PSNV-Experten des Hotlineab-
Bürgertelefons oder sogenannte Service-Center- schnittes „Psychosoziale Betreuung“ dabei zum Bei-
Agenten sein, wie sie vielerorts in Deutschland spiel der Fachberater Psychosoziale Notfallversor-
Anrufe auf der Behördenrufnummer 115 beantwor- gung (FB PSNV) im Stab wichtigster Ansprechpartner.
ten. Auch der Einsatz anderer, in der Verwaltung täti- Gehen Anrufe von belasteten Personen ein, die einen
ger Sachbearbeiter, von Polizeibeamten (bei polizei- Betreuungsbedarf erkennen lassen, können diese an
geführten Krisenhotlines) oder von Kräften der den Abschnitt Psychosoziale Betreuung weitergelei-
Betreuungsdienste der Hilfsorganisationen ist – nach tet werden und dort eine Betreuung durch PSNV-
einer entsprechenden Basisschulung in Kommunika- Experten erfahren. Die PSNV-Experten verfügen über
tion und Gesprächsführung am Telefon – für die Auf- fundierte Kenntnisse und Erfahrungen in der Psycho-
gaben der ersten Ebene denkbar. sozialen Notfallversorgung, wie beispielsweise
Notfallseelsorger, Notfallbegleiter, Mitarbeiter von
­
1. Ebene: Anrufannahme und Sichtung Krisen­interventionsteams (KIT-Teams) oder Notfall-
Auf dieser ersten Ebene werden alle Anrufe entge- psychologen.
gengenommen, je nach Anliegen des Anrufers nach
vorbereiteten Kriterien sortiert und an die nachge- Rufen Bürger mit konkreten Fragen zum Einsatz­
schaltete zweite Ebene der Anrufbearbeitung an den geschehen an, wird an den entsprechenden Abschnitt
entsprechenden Hotlineabschnitt (zum Beispiel den zur Information der Bevölkerung weitervermittelt.

* Die Bezeichnung „Agent“ ist aus dem Callcenter-Bereich entlehnt.


Dort führen auf Fragen dieser Art speziell vorberei- Das Agenten-Modell empfiehlt sich bei Krisen oder
tete Agenten den Kontakt zum Bürger weiter. Gehen Katastrophen mit sehr hohem, überregionalem
Medienanfragen ein, werden sie an den zuständigen Anrufaufkommen in kurzer Zeit, wie bei Gewalt­
Abschnitt zur Medienbetreuung weitergegeben und ereignissen (Amoklauf) oder Großveranstaltungen,
so weiter. bei denen es zu vielen Toten und Verletzten gekom-
men ist (Loveparade in Duisburg 2010). Aber auch
Für die Hotlineeinsatzabschnitte, in denen Anliegen für ­Krisenlagen, bei denen ein erhöhtes Risiko für
der Bevölkerung, von Behörden und Organisatio- einen Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten
nen, Hilfsangebote und Medienanfragen bearbeitet (MANV) besteht, wie bei Gesundheitsgefährdungen
werden, kommen ebenfalls Agenten mit 115-Service- größerer Bevölkerungsgruppen (beispielsweise
Center-Erfahrungen oder Sachbearbeiter aus dem durch zu­nächst unbekannte Erreger) oder bei Hoch-
behördlichen Kontext oder Betreuungsdienstkräfte wasser- und Sturmgefahren mit hohem Informations-
infrage. Deren Qualifikation für die Krisenhotline­ bedarf in der Bevölkerung und Informations- und
arbeit hat jedoch andere Akzente als die der Agenten Beratungsbedarf bei Betroffenen, erscheint das Agen-
in der Anrufannahme (siehe Schulungskonzept). ten-Modell geeignet.

Agenten-Modell
Anrufgruppen

Unterbreiter Behörden
Bevölkerung & Einsatzkräfte
Betroffene von Medien Institutionen
Community & Angehörige
Hilfsangeboten Organisationen

112

Anrufannahmen – Sichtung
durch Krisenhotline-Agenten
Rückrufe

Rückrufe
1. Ebene

Psychosoziale Betreuung Agenten zur Bearbeitung von Anliegen der Bevölkerung,


2. Ebene

durch PSNV-Experten Hilfsanbietern, Medienvertretern, Behörden, Organisationen

Krisenstab
FB PSNV PSNV-Anrufe und -Belange
s onstige Anrufe und Belange

© Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) 2013


Abb. 17: Agenten-Modell.
PSNV-Experten-Modell ob beim Anrufer ein psychosozialer Betreuungs­
bedarf besteht. Ist dies der Fall, verbleibt der Anrufer
Eine weitere mögliche Aufbauorganisation stellt das direkt beim Experten und kann eine erste adäquate
so genannte PSNV-Experten-Modell dar, das sich Unterstützung erfahren. Dazu übernimmt der PSNV-
vor allem dadurch vom Agenten-Modell unterschei- Experte auch notwendige Recherchearbeiten, die für
det, dass die Kompetenz- und Tätigkeitsprofile inner- seine psychosoziale Arbeit erforderliche kontinuierli-
halb der Hotlinestruktur auf anderen Ebenen ange- che Informationsvernetzung mit anderen Abschnit-
ordnet sind (Abb. 18). ten und dem Krisenstab (auch hier insbesondere mit
dem Fachberater PSNV), Rückrufe bei den Betroffe-
1. Ebene: Anrufannahme, Sichtung, psycho­ nen und bei Bedarf Weitervermittlungen zu anderen
soziale Betreuung psychosozialen Diensten. Stellt der PSNV-Experte bei
Diese Aufbauorganisation sieht vor, dass bereits die der Anrufannahme fest, dass es sich um ein anderes
Anrufannahme auf der ersten Ebene ausschließlich Anliegen handelt, bei dem kein Bedarf nach psycho-
durch psychosoziale Experten (PSNV-Experten) vor- sozialer Unterstützung besteht (zum Beispiel ein
genommen wird, die über fundierte Kenntnisse und Hilfsangebot oder die Anfrage eines Medienvertre-
Erfahrungen in der Psychosozialen Notfallversor- ters), wird der Anrufer an den jeweiligen Hotline­
gung verfügen, wie beispielsweise Notfallseelsorger, abschnitt in der zweiten Ebene weitergeleitet.
Notfallbegleiter, Mitarbeiter von Kriseninterventi-
onsteams (KIT-Teams) oder Notfallpsychologen. 2. Ebene: Anrufbearbeitung
Zusätzlich sollten diese über eine Qualifikation im Auf der zweiten Ebene wird in den verschiedenen
Bereich Krisenhotline (Gesprächsführung am Tele- Hotlineabschnitten entsprechendes Fachpersonal zu
fon, typische Anrufgruppen im Krisen- und Katastro- den jeweiligen Aufgabengebieten vorgehalten. Diese
phenfall, Strukturkompetenz etc.) verfügen. Ebene steht zusätzlich in Verbindung mit dem
­Krisenstab und nimmt ihre Informations-, Beratungs- 113
Bei den eingehenden Anrufen kann von den PSNV- und Vermittlungsaufgaben in kontinuierlicher Ab-
Experten während des Gesprächs ermittelt werden, stimmung wahr.

PSNV-Experten-Modell
Anrufgruppen

Unterbreiter Behörden
Bevölkerung & Einsatzkräfte
Betroffene von Medien Institutionen
Community & Angehörige
Hilfsangeboten Organisationen

Anrufannahmen – Sichtung – psychosoziale Betreuung


durch PSNV-Experten
Rückrufe

Rückrufe
1. Ebene

Agenten zur Bearbeitung von Anliegen der Bevölkerung,


2. Ebene

Hilfsanbietern, Medienvertretern, Behörden, Organisationen

Krisenstab
PSNV-Anrufe und -Belange
FB PSNV s onstige Anrufe und Belange

© Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) 2013


Abb. 18: PSNV-Experten-Modell.
Vor- und Nachteile der Modelle

Beide genannten Aufbauorganisationen haben Vor- Nachteile sind, dass es nicht so einfach sein kann,
und Nachteile: Beim Agenten-Modell werden die viele PSNV-Experten, die auf die Krisenhotlinearbeit
eingehenden Anrufe schnell sortiert und in die jewei- geschult sind, innerhalb kürzester Zeit für die Hot-
ligen Abschnitte weitergeleitet, sodass die Hotliner line verfügbar zu haben. Auch sind bei Einsatz einer
der Ebene „Anrufannahme und Sichtung“ viele Anfra- größeren Anzahl von psychosozialen Fachleuten
gen in kurzer Zeit entgegennehmen können. Nach- unter Umständen höhere Kosten (zum Beispiel
teile sind, dass die Hotliner aufgrund ihrer Ausgangs- Honorare für gewerblich tätige Psychologen) zu
qualifikation auf den Umgang mit hochbelasteten erwarten. Außerdem kann es passieren, dass die
Anrufern und deren Reaktionen und Verhaltenswie- Anrufentgegennahme „vollläuft“, sofern alle PSNV-
sen nur bedingt durch Hotlineschulungen vorbereitet Experten durch belastete Anrufer „blockiert“ sind,
werden können, was sich sowohl für die Agenten sodass an die weiteren Hotlineabschnitte keine
selbst (hohe Stressbelastung) als auch für die Anrufer Anfragen mehr weitergeleitet werden können.
(nicht immer adäquater Umgang mit Belastungsreak-
tionen) negativ auswirken kann. Eine abschließende Antwort auf die Frage, welche
Aufbauorganisation aus verschiedenen Blickwinkeln
Beim PSNV-Experten-Modell besteht ein Vorteil die geeignetere und effektivere wäre, lässt sich auf-
darin, dass tatsächlich belastete Anrufer direkt durch grund noch fehlender systematischer Erfahrungsaus-
dafür ausgebildete Fachleute betreut werden kön- wertung bisher nicht abschließend beantworten.
nen. Eine hohe Betreuungsqualität und höhere Auch hierbei gilt wieder, dass die Wahl der geeigne-
Zufriedenheit und Entlastung der Anrufer ist zu ten Aufbauorganisation vom Ereignis selbst, den
erwarten. PSNV-Experten verfügen außerdem über damit zusammenhängenden Bedarfen der Bevölke-
114 Kenntnisse in Bezug auf ein adäquates Stress­ rung, den Ressourcen der Helfenden und der
management und können deshalb die mitunter belas- Gesamtstruktur der Krisenhotline abhängen wird.
tende und anstrengende Arbeit an der Krisenhotline
eher handhaben.

Schulungskonzept

Die Arbeit an der Krisenhotline ist für die eingesetz- Grundlegend für die Arbeit an der Krisenhotline ist
ten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter höchst ein sicherer und routinierter Umgang mit der vorge-
anspruchsvoll. Um ihre Leistungsfähigkeit zu erhal- sehenen Soft- und Hardware sowie den Abläufen
ten und gleichzeitig Anrufern eine adäquate Aus- und organisatorischen Rahmenbedingungen (Bau-
kunft beziehungsweise Betreuung geährleisten zu stein: Aufbau- und Ablauforganisation einer Kri-
können, bedarf es neben der Bereitstellung optima- senhotline).
ler Ausstattung und Arbeitsbedingungen einer sorg-
fältigen Personalauswahl und regelmäßiger Schulun- Hohe Kompetenz und Sicherheit im Umgang mit den
gen. Legt man die möglichen Aufbauorganisationen Rahmenbedingungen führt nachweislich zu geringe-
des Agenten- und des PSNV-Experten-Modells (siehe rem Belastungsempfinden der Hotliner. Daneben ist
Anrufannahme: Zwei Aufbauorganisationen) der Bereich Stressmanagement nicht nur im Sinne
zugrunde, ergeben sich für die Tätigkeiten im jewei- von Leistungserhalt, sondern auch im Rahmen der
ligen Hotlineabschnitt unterschiedliche Anforderun- Mitarbeiterfürsorge von Bedeutung. Zusätzlich soll-
gen. Im Folgenden wird deshalb ein Schulungskon- ten regelmäßige Supervisionsangebote zur Verfü-
zept vorgestellt, dass die unterschiedlichen gung stehen (Baustein: Stressmanagement für Hot-
Kompetenzprofile berücksichtigt und die Inhalte der liner).
einzelnen Module zeigt.
Hotliner auf der Ebene der „Anrufannahme und Sich- Wesentlichen Anteil an der Hotlinearbeit der Ebene
tung“ nehmen in den ersten Stunden und Tagen „Anrufbearbeitung“ hat die Informationsvernetzung
nach komplexen Gefahren- oder Schadenslagen und Kooperation mit unterschiedlichen Behörden,
nicht nur Suchanfragen nach Vermissten entgegen, Organisationen und Unterstützungsanbietern. Dazu
sondern werden mit äußerst vielfältigen Anfragen, sind genaue Strukturkenntnisse einschließlich Kennt-
Bedürfnissen oder auch Angeboten konfrontiert, die nisse der Rechts- und Vorschriftenlage und eine Ver-
je nach Lage äußerst unterschiedlich ausfallen kön- ständigung auf einheitliche Sprachregelungen not-
nen. Eine entscheidende Qualifikation der Hotliner wendig.
besteht deshalb darin, das Anliegen des Anrufers
schnell zu erfassen. Im nächsten Schritt muss ent- Hotliner im Aufgabenbereich „Psychosoziale Betreu-
schieden werden, wie die Anfrage zu beantworten ist ung“ vermitteln außerdem einen Teil der Anrufer zu
oder wohin der Anrufer weiterverwiesen werden Sozialdiensten, Krisendiensten oder diversen psy-
kann. Eine Reihe von Entscheidungsprozessen muss chologischen Beratungseinrichtungen beziehungs-
parallel zur aktiven Gesprächsführung mit den Anru- weise nehmen als Dienstleistung für den Anrufer
fern ablaufen, um dieser Anforderung gerecht zu selbst Kontakt zu unterschiedlichen Unterstützungs-
werden. Gleichzeitig verändert sich die Informations- anbietern auf. Eine kompetente regionale und auch
lage und damit unter Umständen auch die Zuständig- überregionale Vermittlung setzt Kenntnisse und ein
keitslage mit fortschreitender Zeit ständig. Hotliner in fachkundiges Urteilsvermögen über die verfügbaren
der Anrufannahme haben deshalb die Aufgabe, auf Hilfssysteme voraus (Baustein: Psychosoziale
der Grundlage komplexer Urteils- und Bewertungs- Dienste und Netzwerke).
prozesse Entscheidungen zu treffen, worauf sie im
Idealfall durch ein Praxistraining vorab vorbereitet Basiswissen für die Arbeit an der Hotline ist Wissen
werden (Baustein: Anrufannahme – Sichtung – über Kommunikation und Gesprächsführung am
Weiterleitung: Entscheidungskompetenz in kom- Telefon, wie zum Beispiel Fragetechniken, richtiger 115
plexen Situationen). Einsatz von nonverbalen und paraverbalen Signalen

Neben der Gesprächsführung, Strukturkenntnissen und PSNV-Know-how ist auch ein souveräner Umgang mit der Hard- und
Software ein entscheidendes Kriterium qualifizierter Hotlinearbeit. (Bild: sumos – Fotolia.com)
wie Mimik, Gestik, Stimmlage, Stimmlautstärke etc. psychosoziale Stabilisierungsmaßnahmen bekannt
oder passende und unpassende Redewendungen sein (Baustein: Psychosoziale Betreuung am Tele-
(Baustein: Kommunikation und Gesprächsfüh- fon).
rung am Telefon). Dieses Basiswissen kann bei aus-
gebildeten und erfahrenen Callcenter- oder Service- Vor allem aber sollten praktische Übungen (Rollen-
Center-Agenten und Mitarbeitern kommunaler spiele) in der Vorbereitung der Hotliner breiten Raum
Bürgertelefone vorausgesetzt werden, bei anderen einnehmen. Die Erfahrungen zeigen, dass nicht nur
möglichen Hotline-Agenten wie Polizeibeamten oder der reale Einsatz, sondern auch Übungen an die psy-
Betreuungsdienstkräften der Hilfsorganisationen chischen Belastungsgrenzen führen können, wes-
nicht zwangsläufig. halb diese unbedingt durch geschulte psychosoziale
Fachkräfte begleitet werden sollten (Baustein: Prak-
Angehörige, Freunde und Bekannte von (potenziel- tische Übungen).
len) Überlebenden, Hinterbliebene und Vermissende
sowie unmittelbar Betroffene, die sich an eine Hot- Als Voraussetzungen für die Hotlinearbeit werden
line wenden, befinden sich in einer Ausnahmesitua- empfohlen: soziale Kompetenz und persönliche
tion und können sehr unterschiedliche Verhalten­ Reife, Sprachkenntnisse (Deutsch, Englisch), Bürger-
weisen und Emotionen zeigen. Die vielfältigen beziehungsweise Kundenorientierung, freundliche
Ausdrucksformen emotionaler Belastungen müssen Stimme mit klarer Aussprache. Auch sollte die Hot-
für die Arbeit an der Hotline bekannt sein. Insbeson- linearbeit freiwillig übernommen werden. Die PSNV-
dere die adäquaten Reaktionen auf Aggressivität Experten an der Krisenhotline sollten über Kennt-
oder Suizidalität sind zu trainieren. Weiterhin müssen nisse und Erfahrungen als psychosoziale Akuthelfer
die typischen Bedürfnisse der unterschiedlichen nach Qualitätsstandards der Konsensus-Konferenz
Betroffenen (Überlebende, Angehörige, Hinterblie- Psychosoziale Notfallversorgung 2010 verfügen.
116 bene, Vermissende) in einer Krisensituation sowie

Checkliste: Schulungsmodule

Modul: Organisation und Struktur

Baustein Inhalte Zielgruppe

Aufbau- und • Hotline als Teil der Risiko- und Krisenkommunikation im ­ • Agenten
­Ablauforganisation Krisen- und Katastrophenfall • PSNV-Experten
einer Krisenhotline • Aufbauorganisationen: Agenten-Modell und
PSNV-Experten-­Modell
• Umgang mit Hardware und Software
• Arbeiten mit Checklisten - Wissensmanagement im Krisen-
und Katastrophenfall
• Dokumentationstraining

Psychosoziale • Einweisung in regionale und überregionale PSNV-Strukturen • PSNV-Experten


Dienste und Netz-
werke

© Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) 2013


Abb. 19: Modul: Organisation und Struktur.
Modul: Psychosoziale Kompetenz

Baustein Inhalte Zielgruppe

Basiskompetenz: • Die eigene Haltung – Voraussetzungen für ein hilfreiches • PSNV-Experten


Kommunikation ­Gespräch • Agenten ohne
und • Kommunikationsmodelle ­Basis­ausbildung
­Gesprächsführung in ­Kommunikation
am Telefon • Kommunikation ohne Sichtkontakt: Was ist am Telefon ­anders?
am Telefon
• nonverbale Signale und paraverbale Signale nutzen und
­einsetzen
• Fragetechniken
• Redewendungen – konstruktiv oder destruktiv?

Anrufannahme – • Typische Anrufgruppen im Krisen- und Katastrophenfall – • Agenten


Sichtung – ­häufige Fragen und Anliegen • PSNV-Experten
Weiterleitung: • Prioritätensetzung und Entscheidungsfindung
Entscheidungs­
kompetenz in • Strategien der Informationsgewinnung
komplexen • Datensicherung – Welche Informationen müssen erfasst
Situationen ­werden?
• Optionen der Weiterleitung
• Wie bleibe ich unter hohem Druck trotzdem ­entscheidungsfähig?

Psychosoziale • Umgang mit Menschen in Extremsituationen – die fünf • PSNV-Experten


­Betreuung am ­Handlungsprinzipien nach Hobfoll an der Hotline 117
Telefon • Typische Anliegen von Überlebenden, Angehörigen, Hinter­
bliebenen, Vermissenden, Mehrfachbetroffenen
• Gesprächsanfang – Gesprächsverlauf – Gesprächsabschluss
• besondere Gesprächssituationen
• Gesprächsleitfaden: MACHEN

Information der • Bevölkerungsverhalten im Krisen- und Katastrophenfall • Agenten


­Bevölkerung • Informations- und Beschwerdemanagement

Stressmanage- • Reflexion der eigenen Aufgabe und Rolle: Einsatz in Krisen- und • Agenten
ment Schadenslagen • PSNV-Experten
für Hotliner • Stress, was ist das eigentlich? Stressoren, Stressreaktionen und
traumatischer Stress
• Strategien zur Stressbewältigung - konkrete Empfehlungen zum
Erhalt der eigenen Arbeitsfähigkeit

Praktische • typische Anrufsituationen: Häufige Fragen – passende • Agenten


Übungen ­Antworten und Arbeiten mit Infogrammen (FAQs) • PSNV-Experten
• problematische Anrufer: der Schweigsame, der Aggressive
• Simulation schwieriger Anliegen: Lob und Kritik, Verzweiflung
und Suizidalität, Presseanrufe, Todesnachricht
• Einzelanalyse der Hotline-Performance im Team und durch
erfahrene Hotline-Trainer
• Ableitung konkreter Handlungsempfehlungen für den Ernstfall

© Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) 2013


Abb. 20: Modul: Psychosoziale Kompetenz.
118

IV. Kapitel
Bin ich gut vorbereitet?
Psychosoziale Hilfe am Telefon: Basiswissen und Basisregeln
Die eigene Haltung –
Voraussetzungen für ein hilfreiches Gespräch

Elementare Grundhaltung für die Arbeit an der Sich in den Anrufer einfühlen
Hotline
Neben den sachlichen Inhalten gilt es, die damit ver-
Gesprächsführung an der Hotline bedeutet zwar bundenen Gefühle durch einfühlendes Verstehen
auch das Erlernen und Anwenden von „Techniken“ (Empathie) wahrnehmen und aufgreifen zu können.
oder „Tricks“, in erster Linie geht es aber darum, eine Es geht darum, die Situation aus der Sichtweise des
Grundhaltung einzunehmen und zu verinnerlichen, Anrufers zu sehen und zu verstehen. Nehmen Sie die
die für Anrufer hilfreich ist und sich vertrauensför- Perspektive des Anrufers ein, aber ohne sich darin zu
dernd auswirkt. Sie können davon ausgehen, dass verlieren.
jeder Anrufer die Grundbedürfnisse nach Wertschät-
zung, Anerkennung und Sicherheit mitbringt. Ihre Jeder Mensch färbt Erlebnisse mit unterschiedlichen
Aufgabe liegt nun darin, eine Gesprächsatmosphäre Gefühlen ein und empfindet dementsprechend
zu schaffen, in der sich die Anrufer aufgehoben und unterschiedlich. Versuchen Sie, die von Ihnen wahr-
angenommen fühlen. Dabei sollten Sie sich immer genommenen Emotionen nicht als „gut“ oder
vor Augen halten, dass sich die Personen in einer „schlecht“ beziehungsweise „übertrieben“ oder
mehr oder weniger starken Krisensituation befinden „gefühlskalt“ etc. zu bewerten. Der Anrufer braucht
und möglicherweise traumatisiert sind. sich für seine Gefühle, Sorgen oder Ängste nicht zu
schämen. Bedenken Sie: Personen, die in der Hotline
Wie empirische Studien zum Erfolg von Beratungen anrufen sind unter Umständen Vermissende oder 119
und Gesprächstherapien belegen, wirken sich die Hal- haben bereits vom Tod eines Angehörigen oder
tungen Akzeptanz und Wertschätzung sowie einfüh- Bekannten erfahren. Diesen Personen kann es
lendes Verständnis (Empathie) und Echtheit (Kon- schwer fallen „loszulassen“ beziehungsweise sich
gruenz) positiv auf den Beziehungsaspekt aus und den neuen Lebensumständen anzupassen. Fühlen sie
machen „gelungene Kommunikation“ wahrscheinlicher. sich in dieser Situation zusätzlich nicht verstanden
und nicht angenommen, können sich diese Gefühle
Den Anrufer akzeptieren und wertschätzen noch verstärken. Begegnen Sie dem Anrufer daher
anerkennend und verständnisvoll. Versuchen Sie
Jeder Mensch hat unterschiedliche Werte und zeigt nicht, den Anrufer zu beschwichtigen („Es wird
unterschiedliche Reaktionen auf bestimmte Ereig- schon wieder werden“), sondern nehmen Sie sein
nisse. Versuchen Sie, diese anzunehmen. Akzeptanz Anliegen ernst. Einfühlendes Verständnis bedeutet
bedeutet dabei nicht, dass Sie alles für gut befinden also: Ein nicht wertendes Verstehen, das von emotio-
oder gar Meinungen und Einstellungen für sich über- naler Wärme geprägt ist.
nehmen sollen. Akzeptanz bedeutet eher, dass man
Verhalten oder Einstellungen des Anrufers nicht ver- Authentisch sein
urteilt und den Anrufer annimmt, so wie er sich gibt.
Akzeptanz schließt Wertschätzung oder zumindest Kongruenz bedeutet Echtheit, Authentizität. Verstel-
Respekt dem Anrufer gegenüber mit ein. len Sie sich also nicht im Gespräch – das, was Sie
sagen, soll auch so gemeint sein. Gehen Sie verant-
Hinter jedem Anruf steckt ein Anliegen, auch wenn wortlich mit Ihrer kongruenten Haltung um. In man-
es manchmal schwer fallen kann, dieses als Anliegen chen Fällen müssen situative Rahmenbedingungen
gelten zu lassen, es zunächst nicht klar erkennbar ist mit abgewogen werden, sodass eine „selektive Echt-
oder sich Anrufer „schwierig“ verhalten. Anrufer, heit“ erforderlich sein kann.
denen Wertschätzung entgegen gebracht wird, ler-
nen sich wieder selbst zu vertrauen, Verantwortung Bleiben Sie möglichst transparent in Ihrem Handeln
zu übernehmen und erlangen das Gefühl zurück, und Denken: Halten Sie sich an die vorliegenden
selbst etwas „bewegen“ zu können. Fakten und die gegebenenfalls vereinbarten Sprach-
regelungen innerhalb der Hotline und mit möglichen len, Therapie, Betreuungsstelle oder Sammelpunkte
Informationsstellen und Kooperationspartnern. mit anderen Betroffenen etc.

Lösungen und Ressourcen suchen statt an Neben dem Wer spielt häufig auch das Was eine
­Problemen festhalten große Rolle – also was könnte jetzt hilfreich und ent-
lastend sein. Neben notwendigen materiellen Res-
Eine ausschließlich problemorientierte Gesprächs- sourcen (finanzielle Unterstützung, „Dach über dem
führung birgt die Gefahr, Anrufer (emotional) in Kopf“) haben manche Menschen zum Beispiel
ihrem Problem festzuhalten. Bei der Lösungs- und bestimmte Rituale, die im Alltag regelmäßig voll­
Ressourcenorientierung geht es deshalb darum, nach zogen werden und jetzt möglicherweise wieder
Möglichkeiten zu suchen, um die Situation zu verän- Struktur geben können: Zum Beispiel mit dem Hund
dern. Vereinfacht ausgedrückt geht es um die Frage: rausgehen, Spazieren gehen, Sport treiben, Einkau-
Wer oder was ist jetzt nützlich und hilfreich? Im fen etc. Für manche Menschen kann es hilfreich sein,
­Mittelpunkt des Gesprächs sollte stärker das stehen, solche Rituale wieder zu reaktivieren.
was aktuell nützlich und hilfreich ist oder sein
könnte, als das, was „nicht gut läuft“ und belastet. Zum „Was kann hilfreich sein“ gehört auch die Pla-
nung des weiteren Vorgehens und der weiteren mög-
Im Zusammenhang mit stark belasteten Anrufern lichen beziehungsweise notwendigen Schritte, über
kann durch Lösungs- und Ressourcenorientierung die Sie mit dem Anrufer sprechen sollten. Darunter
das Selbstwirksamkeitserleben der Betroffenen geför- fallen zum Beispiel das Aufgeben einer Vermissten-
dert werden. Dies schließt ein, dass Betroffene so anzeige oder die Kontaktaufnahme zu Versicherern,
viel wie möglich selber tun und aktiv umsetzen sol- Botschaften, dem Arbeitgeber etc.
len und können.
120 Lösungs- und Ressourcenorientierung bedeuten
Die eine und richtige Lösung wird wahrscheinlich nicht, dass Leid und Klagen einfach ausgeblendet
kaum innerhalb eines Telefonats zu finden sein und werden. Die Anerkennung der schwierigen Situation
manche Dinge lassen sich nicht einfach (auf)lösen: und des Leids ist wichtig. Wer in seiner Vorgehens-
verstorbene Angehörige wieder zum Leben erwe- weise zu schnell agiert, riskiert, dass der Anrufer
cken, damit die Trauer verschwindet; oder gesicherte nicht „mitgehen“ wird oder gegebenenfalls sogar
Informationen herbeischaffen, die schlichtweg noch noch stärker „beweisen“ muss, dass es ihm nicht gut
nicht vorhanden sind. Lösungsorientierung bedeutet geht und die Situation für ihn sehr schwer ist.
daher die Konzentration auf Teillösungen und kleine
Schritte, die möglich und umsetzbar sind. Unterstüt- Bei der Suche nach Ressourcen müssen die individu-
zen Sie den Anrufer, Probleme in kleinere, über- ellen und situativen Voraussetzungen berücksichtigt
schaubare und damit zu bewältigende Einheiten zu werden. Eine Voraussetzung für das Erleben von
strukturieren. Selbstwirksamkeit durch die Nutzung von Ressour-
cen ist, dass betroffene Menschen überhaupt Zugang
Möglicherweise hat der Anrufer auch schon selbstän- zu bestimmten Ressourcen haben, um aktiv werden
dig etwas unternommen, um sich zu entlasten oder zu können: Um sein Haus vor der Flut zu schützen,
seine Situation zu ändern. Erkennen und verstärken muss der Zugang zu Sandsäcken gegeben sein; um
Sie solche Aktivitäten. sich vor drohenden Krankheiten schützen zu kön-
nen, müssen Impfstoffe und medizinisches Personal
Eine wichtige Ressource stellt das soziale Netzwerk vorhanden sein etc. Situationsbedingt können
der Betroffenen dar. Unterstützen Sie den Anrufer in bestimmte Ressourcen Mangelware sein oder der
der Aktivierung sozialer Netzwerke und erkunden Zugang ist für manche Menschen erschwert bezie-
Sie mit ihm, wer jetzt hilfreich sein könnte, um ihn – hungsweise unmöglich.
auch noch nach dem Telefonat – zu unterstützen.
Dies können zum Beispiel Freunde, Kollegen, Fami-
lienmitglieder, Nachbarn etc. sein. Wo solche Netz-
werke nicht vorhanden sind, helfen Sie durch die
Vermittlung von formalisierter Hilfe: Beratungsstel-
Auf einen Blick: Elementare Grundhaltung

Für eine lösungs- und ressourcenorientierte Vorgehensweise können folgende Punkte h


­ ilfreich sein:
• Anerkennen der schwierigen Situation und des Problems
• Wer oder was ist jetzt hilfreich?
• Erarbeiten von kleinen, überschaubaren Schritten, die nicht überfordern und vom Betroffenen
­selbständig umgesetzt werden können
• Aufgreifen und Verstärken von Eigenaktivität
• Aktivierung sozialer Netzwerke
• evtl. Weitervermittlung

Kommunikationsregeln – für die Hotlinepraxis genutzt

Die Themenfelder „Kommunikation“ und „Gesprächs- weitere Signale auf anderen Ebenen gesendet und
führung“ sind sehr weitläufig und können an dieser empfangen werden. Kommunikation beinhaltet
Stelle nicht allumfassend dargestellt werden. Die fol- neben den verbalen Anteilen auch nonverbale
genden Kapitel beziehen sich daher auf ausgewählte Anteile (Gestik, Mimik) und paraverbale Anteile
Ansätze, die für die Arbeit an einer Krisenhotline (Intonation, Lautstärke, Sprachrhythmus, Sprech­ 121
nützlich sind. Neben speziellem Fachwissen zum tempo). Diese nonverbalen und paraverbalen Signale
Umgang mit Menschen, die einem kritischen Ereignis können eine Nachricht und die damit verbundene
ausgesetzt sind oder waren, ist es sinnvoll, sich Absicht des Senders unterstreichen: Form und Inhalt
Grundlagen und Modelle aus dem Bereich der Kom- sind dann kongruent: Eine Person mit freundlich ent-
munikationspsychologie zu vergegenwärtigen. Sie spanntem Gesicht sagt, es gehe ihr gut. Sie können
können hilfreich sein, Abläufe in der zwischen- aber auch inkongruent sein, passen also nicht zusam-
menschlichen Kommunikation besser zu verstehen men und widersprechen sich: Eine weinende Person,
und zu gestalten. die sagt, es gehe ihr gut.

Menschliche Kommunikation ist nicht immer so ein- Im Folgenden sind einige Lehrsätze genannt, welche
deutig, wie sie erscheint. Bei der Verständigung geht die Grundlagen der Kommunikation verdeutlichen
es nicht nur um das Reden (Senden), sondern auch und eine Orientierung sowohl für die Hörer- als auch
um das Hören (Empfangen) beziehungsweise Wahr- für die Sprecherposition geben sollen*.
nehmen und Beobachten von Signalen. Ein erhebli-
cher Teil hängt dabei vom Empfänger einer Nach- „Man kann nicht nicht kommunizieren“
richt ab, da dieser das Gehörte beziehungsweise
Beobachtete interpretiert. Die Reaktion des Empfän- „Man kann nicht nicht kommunizieren“ sagt der
gers ist deshalb immer eine Reaktion auf die eigene bekannte Kommunikationspsychologe Paul Watzla-
Interpretation des Gehörten. wick. Jede Handlung und alles, was man sagt oder
was durch nonverbale und paraverbale Signale über-
Kommunikationsabläufe sind vielschichtige Prozesse, tragen wird, ist mit einer mehr oder weniger bewuss-
in denen neben dem gesprochenen Wort noch viele ten und zielgerichteten Bedeutung versehen. Jedes

* An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Trennung in Sprecher und Hörer nur eine künstliche Trennung ist, weil jeder Sprecher
immer zeitgleich auch ein Hörer ist, da er sich selbst aber auch sein Umfeld und seine Gesprächspartner hören und wahrnehmen
kann. Die sprachliche Trennung wird jedoch beibehalten, um zu verdeutlichen, welcher Anteil (Sprechen oder Hören) bei der Person im
jeweiligen Moment im Vordergrund steht.
Verhalten hat deshalb eine (Signal-)Wirkung auf „Jede Nachricht hat zwei Seiten:
andere und wird durch den Empfänger interpretiert. Inhalt und ­Beziehung“
Es ist nicht möglich, nicht zu kommunizieren bezie-
hungsweise man kann sich nicht nicht verhalten, Jede Nachricht hat neben der Inhaltsebene (liefert
zumindest solange Sender und Empfänger sich Informationen zur Sache) auch immer eine weitere
gegenseitig durch Sichtkontakt oder akustische Sig- Ebene, die sich auf die Beziehung zwischen Sender
nale wahrnehmen können. So hat auch Schweigen und Empfänger bezieht. Auf der Beziehungsebene
oder sich körperlich von jemandem abwenden – werden Informationen zum Verhältnis von Sender
egal, ob dies absichtlich oder unabsichtlich geschieht und Empfänger übertragen, es wird übermittelt, wie
– eine Bedeutung und wirkt auf die Person ein, die der Sender zum Empfänger steht, wie er ihn „sieht“.
diese Signale wahrnimmt, interpretiert und auf ihre Auf beiden Ebenen wird gesendet und empfangen.
eigene Interpretation hin wiederum reagiert. Die Art, wie man kommuniziert, kann viel über die
Beziehung zum Gegenüber aussagen.

Bedeutung für die Hotlinepraxis: Die Beziehungsebene ist sehr bedeutsam für Kom-
munikationsprozesse, denn sie bestimmt die Inhaltse-
bene: Wenn die Beziehungsebene „gestört“ ist, zum
Übertragen auf die Arbeit am Telefon bedeuten
Beispiel durch Einflüsse wie Angst, Ärger, Nervosität,
diese Aussagen Watzlawicks, dass es beispiels-
Ablehnung, Erwartungen etc., wird die Beziehung
weise in Gesprächspausen sehr wichtig ist zu
wichtiger als der Inhalt einer Nachricht. Die Bezie-
erklären, was man gerade tut. Der Anrufer kann
hung bestimmt maßgeblich, wie die übermittelten
Sie nicht sehen, aber er hört, dass gerade nicht
Inhalte vom Empfänger verstanden werden. Mit
gesprochen wird und versucht, sich auf das
Schweigen einen „Reim“ zu machen – das Nicht- anderen Worten: Wenn die Beziehung positiv oder
122
Reden wirkt auf den Anrufer ein. Der Grund für zumindest neutral und unbelastet ist, kann die sach-
die entstandene Gesprächspause liegt auf Ihrer liche Botschaft zum Gegenüber durchdringen. Stimmt
Seite möglicherweise darin, dass Sie gerade die Beziehung nicht, weil sie zum Beispiel negativ
etwas aufschreiben, recherchieren oder einen belastet ist, wird es schwieriger, die gewünschten
kurzen Moment nachdenken müssen. Inhalte zu transportieren.

Ein Hinweis auf das, was Sie gerade tun ist an


Die Art, wie Person A die Beziehung zu Person B im
dieser Stelle wichtig, um den Anrufer mit seinen
Kommunikationsprozess definiert, berührt Person B
Interpretationen nicht allein zu lassen. Informieren
in ihrem eigenen Selbstverständnis. Weicht das
Sie ihn daher durch eine kurze Rückmeldung, wie
Selbstverständnis von Person B von der Sichtweise
zum Beispiel „Das möchte ich mir kurz notieren.“
von Person A stark ab, wird der Gegenstand der
oder „Einen Moment bitte, ich muss kurz etwas
Kommunikation verstärkt auf der Beziehungsebene
nachschauen, um Ihnen weiterhelfen zu können.“
und weniger auf der Inhaltsebene liegen. Dieses Phä-
darüber, dass Sie noch in der Leitung sind.
nomen lässt sich in manchen Diskussionen beobach-
Dasselbe gilt natürlich auch in umgekehrter Rich- ten. Es wird zwar sachlich über ein bestimmtes
tung. Bezogen auf das Beispiel des Schweigens Thema gesprochen, doch beim genaueren Hinsehen
kann dies bedeuten, dass Sie nachfragen, was und Hinhören lässt sich feststellen, dass es sich nur
der andere gerade denkt oder tut. um eine „Scheinsachlichkeit“ handelt: Es geht längst
Alles, was Sie tun oder auch nicht tun, hat nicht mehr um das Sachthema und den Austausch
also eine Wirkung auf Ihr Gegenüber und von Argumenten – das Ringen um die Beziehung ist
umgekehrt. in den Vordergrund gerückt und somit kann das
eigentliche Thema lauten: „Wer von uns beiden ist
der Stärkere?“.

Ob und wie eine Nachricht verstanden wird, hängt –


wie bereits erwähnt – stark vom Empfänger bezie-
hungsweise seiner Interpretation des Verbalen und
Nonverbalen ab und ist nur begrenzt vom Sender
beeinflussbar. Eine gelingende Kommunikation ist Beide setzen ihre eigenen Anfangspunkte und sehen
aber dann wahrscheinlicher, wenn die Kommunikati- das eigene Verhalten als Reaktion auf das Verhalten
onspartner es schaffen, eine positive und förderliche des anderen. Dieses Phänomen wird als Zirkularität
Beziehung zueinander herzustellen. der Kommunikation bezeichnet (Abb. 21).

Um einen solchen Teufelskreis durchbrechen zu


Bedeutung für die Hotlinepraxis:
können, ist Metakommunikation hilfreich, das heißt
die Kommunikation über die Kommunikation, das
Um die Inhalte und Informationen an den Reden darüber, wie man miteinander umgeht und
Anrufer übermitteln zu können, ist es hilfreich, Botschaften gemeint hat.
wenn die Beziehung möglichst unbelastet und
positiv im Gespräch ist. Um eine solche posi- Die Denkweise aus dem oben genannten Beispiel
tive Beziehung zwischen Ihnen und dem nennt man auch linear-kausal: Aus A folgt B. Meis-
Anrufer zu fördern, sollte eine Grundhaltung tens ist dieses Denken auch mit Schuldzuweisungen
von Akzeptanz, Empathie und Kongruenz beziehungsweise der Suche nach einer Ursache ver-
eingenommen werden, was im Abschnitt bunden: Aus A folgt B und A ist schuld oder trägt die
­„Elementare Grundhaltungen für die Arbeit an Verantwortung dafür, dass B daraus folgt. Diese
der Hotline“ näher erläutert wird. Ur­sache-Wirkungsbeschreibungen sehen zwar sehr
logisch aus, sind aber in der Regel zu vereinfacht dar-
gestellt und blenden die Komplexität von mensch­
„Kommunikation verläuft kreisförmig“ lichem Verhalten aus, das durch eine Vielzahl von
Wechselwirkungen beeinflusst wird.
In kommunikativen Prozessen lässt sich „objektiv“
kein Anfang bestimmen. Die Anfangspunkte, soge- 123
l nörgelst,
nannte Interpunktionen, werden durch die beteilig- ovie bin
us ich
ten Kommunikationspartner individuell gesetzt. lD
ei
„W

Damit verleihen die Beteiligten der Kommunikation

ka
um
eine jeweils eigene Struktur, die durch ihre eigene

noc
Sichtweise geprägt ist. Die subjektive Interpunktion
ich so viel!“.

h
hat zur Folge, dass die Gesprächspartner jeweils ihr
eigenes Verhalten meist als Reaktion auf das Verhal- zu Hause!“
ten des anderen interpretieren. Die Ursache des eige-
nen Verhaltens wird also dem Verhalten der anderen
gle

Person zugeschrieben. Dabei geht der Blick dafür


ör

verloren, dass auch das Gegenüber auf das eigene


n
t,

Verhalten reagiert. bi
s „W
s e e il
Du k u
au m z u H a
Dieses Phänomen lässt sich bei Streitigkeiten oft
deutlich erkennen: „Du hast doch mit … angefan-
gen!“.
Abb. 21: Zirkularität in kommunikativen Prozessen nach
Paul Watzlawick führt das Beispiel eines Paares Paul Watzlawick.
an, das sich etwa so unterhält:

Bedeutung für die Hotlinepraxis:


Er: „Weil Du soviel nörgelst,
bin ich kaum noch zu Hause!“
Wir sollten also äußerst vorsichtig sein, wenn
wir eine Ursache für das Verhalten anderer
Sie: „Weil Du kaum zu Hause bist,
festlegen und sollten uns selber nicht nur als
nörgle ich so viel!“. die sehen, die auf andere reagieren – auch
„die Anderen“ reagieren auf uns.
„Kommunikation kann digital oder analog sein“ damit mehrere Deutungen möglich sind. Analoge
Kommunikation liefert nur eine ungefähre Informa-
Bei der digitalen Kommunikation werden Inhalte tion. Diese Form der Kommunikation findet sich in
über genaue und eindeutige Bezeichnungen über- der Körpersprache (Mimik, Gestik), in paraverbalen
mittelt (Zahlen, Buchstaben, Sprache). Digital über- Signalen (Tonfall, Sprechrhythmus, Sprechtempo)
mittelte Informationen sind eindeutig, zumindest oder in einer sehr bildlichen Sprache wieder
unter der Voraussetzung, dass die Kommunikations- (Geschichten, Metaphern, Analogien, Gleichnisse) –
partner aus demselben Kulturkreis kommen. So ver- eine genaue und eindeutige Entschlüsselung ist kaum
stehen die meisten Menschen unter dem Begriff möglich – es bestehen mehrere Interpretationsmög-
„Stuhl“ ein Sitzmöbel und denken nicht an einen lichkeiten.
Kühlschrank. Digitale Kommunikation bezieht sich
vor allem auf die übermittelte Information (Sachin- Meistens werden die Beziehungsaspekte in der Kom-
halt), liefert aber keine Hinweise, wie diese Informa- munikation analog übermittelt. Wenn die Beziehung
tion zu interpretieren ist. geklärt werden muss, kann es daher förderlich sein,
Analog bedeutet, dass Informationen in Form von seinem Gegenüber eine direkte, digitale Rückmel-
Zeichen oder Symbolen verschlüsselt werden und dung zu geben, um Missverständnisse zu vermeiden.

Bedeutung für die Hotlinepraxis:

Manche Beschreibungen lassen sich nur schwer „in Worte fassen“ und „ein Bild sagt mehr als tausend
Worte“. Viele solcher Bilder und Symbole werden ständig gebraucht und sind sehr geläufig: „Wie die
Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, „den Stein ins Rollen bringen“, „wie Balsam für die Seele“, „sich
124 wie ausgelaugt fühlen“, „sich gerädert fühlen“, „dünnhäutig sein“, „wie versteinert sein“ etc. und sollten
individuell angepasst oder passend neu erfunden werden. Teilweise nutzen Anrufer selbst solche
sprachlichen Bilder, sodass Sie diese aufgreifen und ebenfalls verwenden können, möglicherweise fällt
Ihnen im Verlauf eines Gesprächs aber auch selbst ein Vergleich ein, der auf die Situation oder auf
Gefühle von Anrufern passen könnte. Achten Sie jedoch darauf, dass Sie nicht ausschließlich in eine
metaphorische Ausdrucksweise verfallen. Dies kann auf den Anrufer unpassend wirken. Außerdem
bergen sprachliche Bilder immer die Gefahr von Missverständnissen, eben weil sie nicht eindeutig ent-
schlüsselbar sind und auf unterschiedliche Weise interpretiert werden können.

„Kommunikation ist entweder symmetrisch


oder komplementär“

Menschliche Beziehungen können auf Gleichheit


Bedeutung für die Hotlinepraxis:
oder auf Unterschiedlichkeit beruhen. Sehen sich die
Kommunikationspartner als gleichrangig an bezie-
hungsweise versuchen sie, die Rangunterschiede zu In der Situation Hilfesuchender und Beratender
verringern, ist die Kommunikation symmetrisch – sie liegt auf einer formalen und inhaltlichen Ebene
sind „auf einer Wellenlänge“. Bei der komplementä- eher ein komplementäres Verhältnis vor. Der
ren Kommunikation ergänzen sich die Verhaltens- Beratende verfügt über Fachwissen und -kom-
weisen, zum Beispiel redet der Professor in der Vor- petenz, auf die der Hilfesuchende angewiesen
lesung viel, die Studenten wenig oder gar nicht. ist. Auf der Beziehungsebene allerdings sollten
Sie als Beratender dem Ratsuchenden nach
Beide Kommunikationsmuster funktionieren nur, Möglichkeit Symmetrie vermitteln. Der Rat­
wenn die Beteiligten die zugrunde liegende Bezie- suchende sollte spüren können, dass er als
hungsdefinition von Gleichheit oder Ungleichheit Person akzeptiert und anerkannt wird.
akzeptieren und ähnlich sehen.
„Jede Nachricht enthält vier Botschaften – und Wie bereits angesprochen, geht es beim Kommuni-
umgekehrt: Botschaften können auf vier Arten zieren nicht nur um das Senden von Nachrichten,
empfangen werden“ sondern auch um das Empfangen.

Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz Im Prinzip ist jeder Mensch im übertragenen Sinne
von Thun hat ein differenziertes Kommunikations- mit vier Ohren (Sach-Ohr, Appell-Ohr, Beziehungs-
modell entwickelt. Er geht davon aus, dass in jeder Ohr, Selbstoffenbarungs-Ohr) ausgestattet. Bei jedem
Nachricht vier Botschaften enthalten sind, die immer Mensch sind die einzelnen Ohren unterschiedlich
mitgesendet werden (Abb. 22). Die einzelnen Bot- stark ausgeprägt oder unterschiedlich stark „trai-
schaften besitzen allerdings unterschiedliches niert“. Wer vermehrt mit dem Beziehungsohr hört,
Gewicht und müssen immer im jeweiligen Kontext also sehr empfänglich für die Beziehungsseite einer
betrachtet werden. Durch den Einsatz von weiteren Nachricht ist, wird Nachrichten verstärkt auf der per-
Signalen wie Körpersprache, Intonation etc. unter- sönlichen Ebene verstehen. Wer ein stärker ausge-
streicht der Sender die Bedeutung dessen, was er prägtes Appell-Ohr hat, wird sich im Gespräch stär-
übermitteln möchte. ker aufgefordert fühlen, etwas zu tun oder zu lassen.
Das folgende Beispiel zeigt, wie die Äußerung eines
Sachinhalt: Anrufers mit den verschiedenen Ohren gehört wer-
Diese Ebene enthält das sachliche Thema, den rein den kann:
sachlichen Informationsgehalt der Nachricht.
Sachinhalt
Appell: „Meine Tochter ist über das Handy
nicht zu erreichen.“
Diese Ebene enthält eine Aufforderung. Mit der
„Ich mache mir große Sorgen.“
Selbststoffentbarung

Appellebene fordert der Sender den Empfänger auf,

„Bitte hilf mir und sag mir,


was ich jetzt tun kann!“
entweder etwas zu tun oder etwas zu lassen.
„Ich kann meine 125

Tochter nicht

Appell
Beziehung:
Durch die Botschaft auf der Beziehungsebene wer- ­erreichen,
den Hinweise darauf gesendet, wie Sender und Emp-
sie geht nicht
fänger zueinander stehen.
ans Handy!“
Selbstoffenbarung:
Die Ebene der Selbstoffenbarung enthält die Botschaft,
also das, was der Sender über sich selber mitteilt. Beziehung
„Du bist der kompetente Helfer.“

Sachinhalt Abb. 23: Kommunikationsquadrat nach


Friedemann Schulz von Thun: Fallbeispiel.
Selbststoffentbarung

Auch das „Hören mit vier Ohren“ ist kontextabhän-


gig: So hören (und sprechen) wir im privaten Bereich
Appell

Nachricht unter Freunden und Angehörigen sicherlich anders


als in unserem dienstlichen Umfeld.

Es ist außerdem wichtig, sich darüber im Klaren zu


sein, dass das „Verstehen“ einer Nachricht zum größ-
ten Teil im Empfänger selbst erzeugt wird. Der Emp-
Beziehung fänger reagiert auf das, was er glaubt verstanden zu
haben. Vereinfacht ausgedrückt läuft folgender Pro-
zess ab:
Abb. 22: Kommunikationsquadrat nach
Friedemann Schulz von Thun.
Reizaufnahme Je nachdem mit welchem „Ohr“ der Empfänger hört,
hören kann es zu Missverständnissen kommen. Im Zweifel
muss der Empfänger also nachfragen, ob er den Sen-
der „richtig“ verstanden hat, beziehungsweise zurück-
melden, was er glaubt verstanden zu haben („Wenn
Reizverarbeitung ich Sie richtig verstanden habe, möchten Sie also…“).
interpretieren des Gehörten
Um den gesamten Gehalt einer Nachricht zu verste-
hen, müssen die vier Ebenen einer Nachricht berück-
sichtigt und die Hauptbotschaft einer Nachricht iden-
Reaktion tifiziert werden.
reagieren auf das, was man glaubt,
verstanden zu haben

Abb. 24: Kommunikationsprozess.

Bedeutung für die Hotlinepraxis:

Es gilt also, mit allen „vier Ohren“ gleich stark zu hören, um möglichst viel von einer Nachricht mitzu­
bekommen. Haben Sie den Sach­inhalt einer Nachricht aufgenommen, lohnt es sich, sich auch zu über-
legen, was auf den anderen Ebenen mitgesendet wird, wie zum Bespiel auf der Selbstoffenbarungs-
ebene (Wie geht es dem Anrufer? Welche Bedürfnisse klingen mit?) oder der Appellebene (Was
126 möchte der Anrufer von mir? Ist das Angebot der Hotline für das Anliegen ausreichend oder kann
beziehungsweise muss weiterverwiesen werden?). In der Kommunikation läuft das Hören mit „vier
Ohren“ automatisch ab, das heißt, man hört in der Regel nicht nur mit „einem Ohr“. Die Vorstellung,
dass eine Nachricht verschiedene Seiten hat und mit verschiedenen Ohren gehört werden kann, ist
jedoch hilfreich und kann ins Gedächtnis gerufen werden, wenn ein Gespräch „aus dem Ruder läuft“.
Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass eben nur mit einem bestimmten Ohr gehört wird, obwohl es
vielleicht nicht zwingend auf eine bestimmte Weise gemeint ist.

„Nonverbale Signale fallen ins Gewicht“

Auch wenn die Gesprächspartner an der Hotline Gedanken- und Gefühlswelt des Gegenübers abge-
räumlich voneinander getrennt sind, haben die nicht- leitet werden, da mehrere Interpretationsmöglichkei-
sprachlichen Anteile (Gestik, Mimik, Stimmklang, ten bestehen (siehe „analoge Kommunikation“).
Sprechtempo etc.) eine Wirkung, die nicht unter- Beim Sprechen und Hören können nonverbale Sig-
schätzt werden darf. Wie bereits zu Beginn ange- nale aber dennoch Ansatzpunkte liefern, um sich
merkt, können nonverbale und paraverbale Signale deutlicher auszudrücken beziehungsweise „mehr“ zu
einerseits eingesetzt werden, um eigene Botschaften empfangen als ausgesprochen wird.
zu verstärken und sie in ihrer Bedeutung zu akzentu-
ieren. Auf der anderen Seite können sie als Informa- Die Tatsache, dass wir auch empfänglich für diese
tionsquelle genutzt werden, um zum Beispiel Stim- Signale sind und darauf reagieren, kennen Sie viel-
mungen und Gefühlslagen wahrzunehmen. leicht aus Ihrem Umgang mit vertrauten Menschen:
Manchmal reicht es schon aus, dass sich jemand nur
Zu beachten ist, dass auch diese nonverbalen Signale am Telefon meldet und Sie nehmen anhand des
letztlich vom Empfänger interpretiert und ganz sub- Stimmklangs direkt wahr, dass denjenigen etwas
jektiv mit einer Bedeutung versehen werden. Es kön- bedrückt.
nen keine völlig eindeutigen Rückschlüsse auf die
Zu den nonverbalen Signalen gehören: Zu den paraverbalen Signalen gehören:

Mimik Stimmlautstärke
Da am Kommunikationsprozess der gesamte Körper Die Lautstärke und das natürliche Volumen der
des Menschen beteiligt ist, ist auch der Gesichtsau- Stimme sind in einem gewissen Rahmen genetisch
druck von Bedeutung. Ein leichtes Lächeln wird sich determiniert. Trotzdem können diese Eigenschaften
auf den Klang der Stimme übertragen und kommuni- beim Sprechen variabel eingesetzt werden bezie-
ziert dem Anrufer „Ich begegne dir freundlich und hungsweise aus ihrem – mehr oder weniger bewuss-
nehme mich deinem Anliegen an.“ ten – Einsatz Informationen über die Gefühlslage des
jeweiligen Gesprächspartners gezogen werden:

TIPP
• leise Stimme: erschöpft, traurig, verzweifelt,
Achten Sie jedoch darauf, ­ängstlich
dass Sie durch ein zu starkes • laute Stimme: aufgebracht, wütend, bestimmt
Lächeln nicht in einen übertriebenen Sing-
Sang-Tonfall verfallen. Das kann auf Anru-
fer, die direkt betroffen sind oder sich um
TIPP Wenn der Gesprächspartner
ihr eigenes Wohl beziehungsweise das Ihre verbalen Äußerungen
Wohl von Angehörigen und Freunden sor- inhaltlich nicht oder zumindest nicht sofort
gen, unpassend und unseriös wirken. versteht, sollten Sie sich nicht dazu verlei-
ten lassen, direkt überdeutlich und laut in
den Hörer zu „brüllen“. Dies gilt auch,
Gestik wenn Sie einen alten Menschen als Anru-
Auch wenn Sie bei der Arbeit an der Hotline damit fer in der Hotline haben. In der Regel gilt:
beschäftigt sein werden, etwas in den Computer ein- In angemessener Lautstärke sprechen, wie 127
zutippen, etwas zu notieren oder in Unterlagen zu bei einem Gespräch am Tisch.
blättern, sollten Sie auf ihre Gestik mit Händen und
Armen achten, die sich ebenfalls auf die Stimme
übertragen kann und somit auch Bewegungen des Stimmlage, Klang und Modulation
Körpers für den Anrufer wahrnehmbar sind. Die Stimmlage ist ebenfalls in einem gewissen Rah-
men durch die Beschaffenheit des Stimmapparates

TIPP
festgelegt, trotzdem klingt sie je nach gesprochenem
Stützen Sie sich während des Inhalt und Gefühlslage unterschiedlich und kann
Gesprächs nicht mit dem Kinn sich während des Sprechens verändern, sodass auch
auf dem Arm auf, sodass ihr Kiefer sozu- aus diesen Parametern Rückschlüsse gezogen wer-
sagen „fixiert“ ist und sie nur noch undeut- den können:
lich artikulieren können. Außerdem sollten • höhere Stimmlage: Freude, Aufregung,
Sie ein Zusammenschlagen der Hände ­Unsicherheit
über dem Kopf oder andere Gesten zum • tiefere Stimmlage: ernstere Gedanken,
Ausdruck von zum Beispiel „nervigen“ ­Überzeugungen
Anfragen oder als Ausdruck des Erstau- • der Klang unterstreicht Gefühle – so ist der Klang
nens oder Erschreckens unterbinden, da der Stimme in der Regel wärmer, wenn man mit
diese entweder durch Rascheln der Klei- Freunden oder der Familie spricht
dung oder Ähnliches wahrnehmbar sein • keine oder kaum Modulation (monoton):
können und sich ebenfalls auf den Klang ­Desinteresse, Trauer, Erschöpfung
der Stimme auswirken und das Gespräch
in eine negative Richtung lenken können. Geschwindigkeit, Rhythmus
Die Sprechgeschwindigkeit und der Rhythmus sind
sehr individuell. Manche Menschen sprechen „von
Natur aus“ eher langsam, andere eher schnell. Trotz-
dem lassen sich auch anhand dieser Parameter Rück-
schlüsse auf die innere Lage ziehen:
• s chnelles Sprechen: aufgeregt, freudig,
Bedeutung für die Hotlinepraxis:
(über-)eifrig
• langsames Sprechen: zögerlich, stockend, verwirrt
• Pausen: nachdenklich, ängstlich, verzweifelt, Hotlinearbeit erfordert Konzentration auf die
abwartend auditive Kommunikation: Man muss mit dem
Arbeiten, was man hört. Eine Beachtung ins-
Intonation besondere der nonverbalen und paraverbalen
Durch die Intonation wird der Inhalt der Nachricht Signale bei sich selbst und beim Anrufer ist
unterstrichen. So kann anhand der Intonation abge- daher unabdingbar, weil diese Parameter
leitet werden, ob es sich bei der Äußerung um eine Rückschlüsse auf die Gefühlslage des
Frage, eine Bitte, eine Feststellung oder Ähnliches Gesprächspartners ermöglichen.
handelt. Zum Beispiel die Aussage „Wir gehen“ kann
in Abhängigkeit von der Intonation eine Frage, eine
Feststellung oder ein Befehl sein. In der Schriftspra- Nicht nur Sie als Hotliner ziehen Rück-
che helfen wir uns durch den Einsatz von Satzzei- schlüsse, sondern auch der Anrufer wird
chen, um die Bedeutung eines Inhalts zu unterstrei- Ihre paraverbalen Signale wahrnehmen und so Ner-
chen – so schreiben Sie folgenden Sätzen sicherlich vosität, Gereiztheit oder Anstrengung, aber auch
völlig unterschiedliche Bedeutungen zu: „Wir gehen?“ Kompetenz, Wohlwollen und Hilfsbereitschaft daraus
– „Wir gehen!“. ableiten.Generell gilt an dieser Stelle wieder: Wie
auch bei den verbalen Anteilen handelt es sich um
jeweils eigene Interpretationen, die nicht zwingend
mit dem Empfinden und der Absicht Ihres Gegen-
übers übereinstimmen müssen.
128

Techniken und Tipps


zum Zuhören, Fragen und Formulieren

Aktives Zuhören •F  ragen Sie nach und arbeiten Sie mit geschlosse-
Beim aktiven Zuhören geht es darum, die Erlebnis- nen und offenen Fragen (siehe Fragetechniken):
welt des Anrufers mit seinen Empfindungen, Bedürf- Dadurch bekommen Sie Informationen und ein
nissen und Gedanken wahrzunehmen, zu akzeptie- klareres Bild, signalisieren Interesse und beugen
ren und zurückzumelden, was man glaubt, verstanden Missverständnissen vor.
zu haben. Da wir häufig erst einmal unsere eigenen • Fassen Sie die Äußerungen zusammen und
Wirklichkeiten und Regeln zugrunde legen und davon ­melden wertschätzend zurück, was Sie meinen
ausgehen, dass sie für unser Gegenüber genauso gel- ­verstanden zu haben. Auch das signalisiert Ihr
ten, ist dies häufig leichter gesagt als getan. Interesse, beugt Missverständnissen vor, da Mög-
lichkeiten zur Korrektur beziehungsweise Prä­
Um offen und aktiv zuzuhören, beachten Sie zisierung bestehen und zeigt, ob und was Sie
­deshalb Folgendes: ­verstanden haben. Darüber hinaus ist das Zurück-
• Bringen Sie dem Anrufer ehrliches und offenes melden eine hervorragende und einfache Mög-
Interesse entgegen. lichkeit, Struktur in ein Gespräch zu bringen.
• Zeigen Sie Präsenz und Aufmerksamkeit – hierzu • Überprüfen Sie immer wieder kritisch Ihre eige-
gehören auch Äußerungen wie „aha“ oder „mhm“. nen Wahrnehmungen und Interpretationen.
Denken Sie daran, dass der Anrufer ein zustim- • Hören Sie zu, ohne zu werten.
mendes Kopfnicken nicht sehen kann, weshalb • Stellen Sie sich auf Ihr Gegenüber ein, beachten
diese kurzen verbalen Rückmeldungen unabding- Sie Tonfall oder sonstige Signale, die nicht verbal
bar sind. sind.
129

Aktives Zuhören hilft, die Erlebniswelt und Situation des Anrufers zu verstehen. (Bild: R K Hegewald / PIXELIO)

•V  ersuchen Sie, sich auf das Gehörte zu konzent- • L assen Sie sich nicht provozieren. Vor allem in
rieren und nicht schon währenddessen zu über­ der Anfangsphase von größeren Schadenslagen
legen, was Sie alles sagen wollen. sind oft nur wenige Informationen vorhanden,
• Seien Sie so transparent wie möglich. Für Men- was Anrufer aufgeregt oder aggressiv stimmen
schen, die sich in einer Ausnahmesituation befin- kann. Reizbarkeit und Wut sind häufig beglei-
den, die von Gefühlen wie Angst, Hilflosigkeit, tende Reaktionen auf die Belastungssituation,
Ohnmacht oder Kontrollverlust geprägt ist, ist in der sich Anrufer befinden. Machen Sie sich
eine klare Kommunikation sehr unterstützend. klar, dass Sie nicht persönlich gemeint sind: Der
Anrufer ist der Situation gegenüber aggressiv oder
Gehen Sie mit der Weitergabe von Infor- aufgebracht, aber nicht gegenüber Ihrer Person,
mationen verantwortungsbewusst um. Es auch wenn Sie in dem Moment der Adressat der
sind Situationen möglich, in denen Sie Informatio- Aggression sind (siehe Besondere Gesprächs­
nen haben, die Sie noch nicht oder gar nicht weiter- situationen). Vor allem Behörden bieten sich als
geben dürfen. Der Umgang mit solchen Situationen Ziel von Schuldzuweisungen und Wut an –
ist nicht ganz einfach, weshalb es auch keine gene- manchmal allerdings auch zu Recht.
relle Lösung dafür gibt. Teilen Sie mit, dass Sie an • Auch wenn es zunächst für Sie nicht ganz offen-
dieser Stelle dazu nichts sagen können. sichtlich oder nicht nachvollziehbar ist: Hinter
jedem Anruf steckt ein Anliegen.
Alles, was Sie sagen, soll wahr sein, aber nicht
alles, was wahr ist, müssen und dürfen Sie sagen!
• S tellen Sie Fragen gezielt und nutzen Sie dabei
Bedeutung für die Hotlinepraxis:
eindeutige Formulierungen.
• Fragen Sie immer nur nach einem Aspekt und
Um offen und aktiv zuzuhören, können ­lassen Sie den Anrufer erst eine Antwort geben,
­folgende Aspekte hilfreich sein: bevor Sie die nächste (detailliertere) Frage stellen.
• ehrliches und offenes Interesse zeigen • Versuchen Sie, bei wenig gesprächigen Anrufern,
den für Sie notwendigen Informationsfluss anzu-
• Anteilnahme und Verständnis zeigen
regen beziehungsweise zu fördern, indem Sie
• nachfragen und zusammenfassen, zum Beispiel kleinschrittiger vorgehen oder ver-
­paraphrasieren schiedene Angebote zur weiteren Vorgehensweise
• höchst mögliche Transparenz herstellen unterbreiten.

• nicht provozieren und nicht provozieren


Durch das Stellen von Fragen, äußern Sie Ihr Inter-
­lassen
esse am Anrufer und an seiner Situation. Außerdem
können Sie Fragen nutzen, um das Gespräch besser
zu lenken und für sich selbst im Kopf einen Roten
Was Sie vermeiden sollten: Faden zu entwickeln, an dem sie sich „entlanghan-
• Bewertung von Gefühlen, Gedanken und Hand- geln“ können. Fragen Sie außerdem immer nach,
lungen Ihres Gegenübers wenn Sie etwas nicht verstanden haben. Es ist mög-
• Analysen und Interpretationen aus Helfersicht – lich, dass Sie – aus welchen Gründen auch immer –
wenn Sie Ihren Eindruck schildern, sprechen Sie nicht sofort verstehen, worum es dem Anrufer geht.
in der „Ich-Form“ und machen Ihre Aussage als Durch Nachfragen wirken Sie Missverständnissen
Ihre Meinung deutlich entgegen. Sollte ein Anrufer ungeduldig reagieren,
130 • davon auszugehen, dass das, was für Sie das machen Sie sich bewusst, dass niemandem geholfen
Beste wäre, zwangsläufig auch für andere hilf- ist, wenn Sie nicht wirklich wissen, was für ein Anlie-
reich sein muss gen der Anrufer hat und ob beziehungsweise was für
• Vorwürfe und Schuldzuweisungen ein Arbeitsauftrag sich daraus für Sie ergibt.
• Floskeln („Alles wird gut!“, „Die Zeit heilt alle
Wunden“) Offene Fragen
Was, Wann, Wo, Wie, Welche, Wie viele, Womit etc.
Fragetechniken sind offene Fragen. Sie lassen dem Anrufer Freiraum
für die Antwort und damit Platz für Informationen.
Selbstverständlich müssen Sie davon ausgehen, dass Sie eignen sich, um Hintergrund- und Detailinforma-
Personen, die in der Krisenhotline anrufen, Ihnen tionen einzuholen.
viele Fragen stellen werden, Sie möglicherweise
sogar damit „bombadieren“ können. In erster Linie
sind Sie als Hotliner dafür da, diese Anfragen im Rah-
men der Möglichkeiten und Vereinbarungen zu
beantworten. Aber auch Sie selbst sollten Fragen stel-
len, um an wichtige Informationen über den Anrufer
und sein Anliegen zu gelangen. Fragen stellen bedeu-
tet, den Anrufer besser einschätzen und verstehen zu
können, seine Sichtweise und emotionale Verfassung
zu erfahren. In Verbindung mit dem aktiven Zuhö-
ren, schaffen Sie so eine Beziehung zum Anrufer und
eine Vertrauensbasis für das weitere Gespräch.

Bei Fragen, die Sie an den Anrufer richten, Offene Fragen lassen Freiraum
­beachten Sie deshalb Folgendes: für die Antwort und dienen der
• Vergewissern Sie sich, dass der Anrufer Sie bezie- Informationsgewinnung.
hungsweise Ihre Frage verstanden hat. (Bild: by-studio – Fotolia.com)
Informationen, die der Anrufer Ihnen über Passend formulieren – „Man“, „Ich“, Wir“
sich, seine Lage und sein Anliegen geben
kann, sind hilfreich, um eine adäquate Versorgung zu Welche Formulierung Sie als Hotliner dem Anrufer
bieten. Wenn Sie jedoch merken, dass der Anrufer gegenüber verwenden und ob diese als passend oder
sich in Details verliert, sollten Sie ihn freundlich aber unpassend empfunden wird, kann stark von der indi-
bestimmt anhalten, Sie erst einmal mit den bereits viduellen Einstellung und der jeweiligen Situation
gegebenen Informationen arbeiten zu lassen und abhängen. Auf den Punkt gebracht: An dieser Stelle
gegebenenfalls später weitere notwendige Einzelhei- gibt es – wie häufig in der zwischenmenschlichen
ten einholen. Kommunikation – keine Musterlösung, die immer
funktioniert. Trotzdem können an dieser Stelle einige
Geschlossene Fragen allgemeine Erläuterungen und Hilfestellungen zu den
Bei geschlossenen Fragen wie „Sind Sie Angehöri- Formulierungsmöglichkeiten gegeben werden.
ger?“, „Haben Sie die Bestätigung für … schon erhal-
ten?“ etc. können Anrufer nur mit „Ja“ oder „Nein“ Man-Form
antworten. Diese Fragen ermöglichen es, Klarheit Die Man-Form, wie zum Beispiel „Man kann davon
und Verbindlichkeit herzustellen und können ein ausgehen, dass innerhalb der nächsten Stunde wei-
Gespräch geradlinig und fokussiert aber auch knapp tere Informationen vorliegen werden.“ wird als sehr
halten. Geschlossene Fragen können Sie daher dafür unverbindlich empfunden und kann darauf hindeu-
nutzen, um den Anrufer auf grundlegende Informati- ten, dass sich der Sender von der Aussage distanzie-
onen „abzuklopfen“. ren möchte. Gerade für die Arbeit in einer Krisenhot-
line, bei der es auf verlässliche und exakte Aussagen
Fragen, die der Anrufer voraussichtlich mit „Ja“ beant- gegenüber den Anrufern ankommt, ist diese Form
worten wird, eigenen sich, um ein schwierig verlau- eher sparsam zu verwenden.
fendes Gespräch „wieder einzufangen“. Die dadurch 131
entstehende sogenannte „Ja-Haltung“ kann eine posi- Ich-Form
tive Einstellung auf Seiten des Anrufers begünstigen. Anders verhält es sich mit der Ich-Form. Durch diese
Art der Formulierung, bezieht sich die Aussage klar
Achten Sie jedoch darauf, dass der Anrufer auf den Sender. Er drückt damit seine Position, sowie
sich nicht manipuliert oder nicht nicht ernst Gedanken und Einstellungen aus und bezieht Stel-
genommen fühlt. Außerdem kann sich der Anrufer lung zu einem bestimmten Sachverhalt. Mit der Ich-
bei übermäßigem Einsatz geschlossener Fragen Form unterstreichen Sie Ihre Position als konkreter
schnell wie in einem Verhör vorkommen. Diese Ansprechpartner, was dem Anrufer Verlässlichkeit
Methode ist also sparsam anzuwenden. und Sicherheit vermitteln kann. Auch in Konfliktsitu-
ationen oder bei schwierigen Gesprächen mit verär-

TIPP Vermeiden Sie Warum-Fragen.


gerten oder aggressiven Anrufern ist diese Art der For-
mulierung sinnvoll, da Sie damit ausdrücken, dass es
Diese verlangen in der Regel Ihre persönliche Position ist und sie diese nicht als all-
eine Begründung oder gar eine Rechtferti- gemeingültig voraussetzen.
gung und können daher leicht als Vorwurf
oder Anklage aufgefasst werden. Viele Per- Wir-Form
sonen sind dadurch schnell verärgert oder Die Wir-Form wird in der Regel verwendet, wenn ein
verunsichert und fühlen sich bloßgestellt Vertrauensverhältnis herrscht oder hergestellt werden
oder in die Enge getrieben. Eine alternative soll. Sie betont vor allem die Gemeinsamkeiten der
Fragemöglichkeit wäre „Aus welchen Grün- Gesprächspartner. Wie bei der Man-Formulierung, ist
den haben Sie dieses Angebot bisher jedoch auch bei der Wir-Form Vorsicht geboten, da sie
abgelehnt?“ oder „Was hat Sie dazu ver­ auch als vereinnahmend, manipulierend oder anbie-
anlasst, diese Schritte einzuleiten?“ dernd empfunden werden kann. Bedenken Sie außer-
dem einen weiteren möglichen Effekt dieser Form:
Anrufer befinden sich in der Regel in einer Ausnahme-
situation und empfinden es unter Umständen als anma-
ßend und unpassend, wenn Sie im Gespräch die Wir-
Form nutzen und sich mit ihnen „auf eine Stufe stellen“.
Der Erstkontakt mit Menschen in Extrem­situationen –
Was ist zu tun?

Im Rahmen der Möglichkeiten ist es für Anrufer, die „Innere“ Sicherheit lässt sich durch folgende
im Zusammenhang mit einem extremen Ereignis ste- Maßnahmen stärken:
hen, hilfreich, wenn die folgenden fünf Prinzipien • Vermitteln Sie Informationen zum Unglücksereig-
berücksichtigt werden, die von einer Arbeitsgruppe nis und wenn möglich zum Verbleib und zum
um den Psychologen Stevan E. Hobfoll entwickelt Zustand von Angehörigen, um dem Bedürfnis
wurden. Diese fünf Prinzipien orientieren sich an der nach Information und Gewissheit entgegenzu-
Situation und den Bedürfnissen der Anrufer in der kommen und dem Anrufer eine realistischere
Akutphase, also den ersten Stunden und Tagen nach ­Einschätzung der Situation zu ermöglichen.
Eintritt des Unglücks. Dabei ist zu beachten, dass Todesmitteilungen dürfen niemals am Tele-
diese Ziele innerhalb eines telefonischen Kontaktes fon übermittelt werden. Sie werden von der
kaum vollständig erreicht, aber zumindest angeregt Polizei und möglichst gemeinsam mit einem
und unterstützt werden können. psychosozialen Experten überbracht!
• Informieren Sie über das, was bereits unternom-
Die fünf Prinzipien nach Hobfoll sind: men wurde beziehungsweise aktuell unternom-
men wird.
1. Das Erleben von (relativer) Sicherheit • Formulieren Sie die Informationen klar und ein-
2. Beruhigen und entlasten deutig. Informationsaufnahme und Informations-
3. Selbstwirksamkeit und Kontrolle fördern verarbeitung können beim Gesprächspartner
132 4. Kontakt und Anbindung fördern ­situationsbedingt beeinträchtigt sein.
5. Das Gefühl von Hoffnung stärken • Sorgen Sie für eine ruhigere Gesprächsatmo-
sphäre. Schalten Sie mögliche Störquellen so gut
Einige dieser Aspekte ergänzen sich, sodass eine es geht aus. Wenn beim Anrufer zum Beispiel
scharfe Abgrenzung voneinander nicht möglich ist. durch andere Personen oder laufende Radios,
So kann zum Beispiel das Übermitteln von Informati- Fernseher oder PCs (Live-Stream mit Bild und Ton
onen auch beruhigend sein oder das Erleben der oder Ähnliches) Hintergrundgeräusche wahr-
Selbstwirksamkeit eine Steigerung des Sicherheits- nehmbar sind, halten Sie die Personen dazu an,
und Kontrollempfindens bewirken. in einen ruhigeren Raum zu wechseln und die
Geräte möglichst auszuschalten.
Das Erleben von (relativer) Sicherheit fördern • Suchen Sie mit dem Anrufer nach einem „sicheren
Ort“: Welche Personen können Unterstützung im
Sicherheit ist relativ zu sehen. In einer katastrophalen Umfeld des Anrufers bieten (Geborgenheit, Ver-
Situation kann absolute Sicherheit zunächst nicht ständnis, Rückzugsmöglichkeiten etc.)?
(wieder) hergestellt werden. Für unmittelbar Betrof- • Sicherheit hat viel mit dem (Wieder-)Erlangen von
fene, die sich möglicherweise noch im Schadensge- Kontrolle zu tun. Unterstützen Sie die Handlungs-
biet aufhalten, gilt es, zunächst eine äußere Sicher- fähigkeit des Anrufers und erkennen Sie die
heit herzustellen: Unter anderem Schutz, Unterkunft, Eigeninitiative an, zum Beispiel der Anruf bei der
Nahrung, Rückführung. Für Angehörige, die um Hotline oder das Aufsuchen und Organisieren von
möglicherweise verunglückte Personen bangen und Menschen aus dem Umfeld, die hilfreich sein kön-
deshalb in der Hotline anrufen, gilt es, eine innere nen. Manchmal hilft auch schon die Anregung
Sicherheit herzustellen, also sie zu beruhigen, zu etwas zu halten, sich zu setzen oder aufzustehen,
entlasten, Ihnen Struktur und Halt zu geben und ein Glas Wasser einzugießen, um ein Erleben von
Zuversicht und Trost zu vermitteln. Sicherheit und Kontrolle anzustoßen.
• Zeigen Sie auf, dass Möglichkeiten bestehen, die
Situation des Betroffenen zu erleichtern oder zu
klären. Erläutern Sie, welche Möglichkeiten der
Unterstützung Sie anbieten können.
133

Struktur und Halt können bei den Anrufern das Empfinden der „relativen“ Sicherheit fördern. (Bild: Marvin Siefke / PIXELIO)

•V  ermitteln Sie transparent und in einfachen Wor- Bei allen Möglichkeiten, Beruhigung und Entlastung
ten das weitere Vorgehen, zeigen Sie die nächsten im psychischen Sinne zu fördern, sind solche Maß-
Schritte auf. nahmen vorrangig, die direkt auf eine konkrete pra-
• Sollten Sie mit dem Anrufer Vereinbarungen xisbezogene Problemlösung zielen und situative
­treffen (zum Beispiel Rückruf oder Ähnliches) Bedingungen auflösen können (wie zum Beispiel
müssen diese unbedingt verbindlich, verlässlich materielle Ressourcen, Abbauen einer Bedrohung).
und pünktlich eingehalten werden. Liegen Ihnen
noch keine neuen Informationen vor, rufen Sie Zur Beruhigung und Entlastung können folgende
trotzdem zurück und erklären die Situation. So Maßnahmen beitragen:
vermitteln Sie Zuverlässigkeit, unterbrechen die • Auch hier gilt wieder: Sorgen Sie für eine mög-
zermürbende Zeit des Wartens für den Anrufer lichst ruhige Gesprächsatmosphäre.
und zeigen, dass sich um sein Anliegen geküm- • Zeigen Sie einfühlendes Verständnis und geben
mert wird. Sie den Schilderungen Raum.
• Übermitteln Sie Informationen zum Geschehen.
Beruhigen und entlasten • Geben Sie nur gesicherte Informationen heraus –
dazu gehören keine Pressemitteilungen!
Auch die Empfehlungen, zu beruhigen und zu ent- • Erläutern Sie dem Anrufer die Belastungsreaktio-
lasten, sind relativ zu sehen: Es geht um das Kappen nen (zum Beispiel Konzentrationsprobleme, Herz-
von Belastungsspitzen und die Reduktion von Zei- klopfen, Zittern, Schwitzen, Albträume etc.), die
chen der Übererregung, denn niemand kann tatsäch- er Ihnen schildert, da sich manche Betroffene in
lich „entspannen“, während er seine Angehörigen ihren eigenen Reaktionen „nicht mehr wieder
vermisst und eine Zeit der Ungewissheit und des erkennen“:
Wartens aushalten muss.
-K  lären Sie darüber auf, dass es sich bei Belas- • Der Umgang mit dem Thema „Darüber sprechen“
tungsreaktionen (in der Akutphase bis etwa 30 kann bei Betroffenen sehr unterschiedlich sein.
Tage nach dem Ereignis) um normale Reaktio- Oft trifft man hier auf die Extreme „Gar nicht dar-
nen auf ein unnormales Ereignis handelt, auf über reden“ und „Permanent darüber reden“.
das nahezu jeder Mensch so oder ähnlich Schlagen Sie dem Betroffenen vor, über das
reagieren würde. Belastungsreaktionen gehören Erlebte zu sprechen und achten Sie darauf, ob er
zum normalen Verarbeitungsprozess. tatsächlich das Bedürfnis hat, zu erzählen.
- Fördern Sie das Verständnis des Betroffenen für Akzeptieren Sie ein „Nein“ und wahren
die eigenen Belastungsreaktionen. Sie unbedingt die Grenzen des Betroffe-
- Vermitteln Sie Informationen über Belastungsre- nen. Drängen Sie ihn niemals!
aktionen mit dem Hinweis, dass diese auftreten • Empfehlen Sie dem Betroffenen, wenn er über
können, aber nicht müssen. Vorsicht vor selbst- das Erlebte berichten möchte,
erfüllenden Prophezeiungen! Zu bedenken ist, - nur mit Personen seines Vertrauens und nicht
dass diese Maßnahme erst dann greifen kann, mit jedem zu sprechen (Vorsicht vor allem in
wenn sich der Betroffene bereits etwas beruhigt Bezug auf Interviews mit Medienvertretern),
hat. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die - nur in Situationen zu sprechen, in denen er
Informationen nicht verarbeitet oder als selbst es wünscht,
Beschwichtigungsversuche gedeutet werden. - nur so viel und so lange darüber zu sprechen,
• Ermutigen Sie zu Eigenaktivität. Wer oder was wie es von ihm selbst als gut und hilfreich emp-
dem Betroffenen hilft, kann sehr unterschiedlich funden wird.
sein: Manchen Menschen hilft es, Sport zu treiben, • Unterstützen Sie den Betroffenen, Hemmnisse
die gewohnte Arbeit wieder aufzunehmen oder abzubauen: Darüber sprechen wird oft als Zei-
ihren Hobbys nachzugehen. Andere möchten lie- chen von Schwäche und Reden und Weinen als
134 ber Ruhe haben. Entscheidend ist, zu vermitteln, unmännliches Verhalten gewertet.
dass der Betroffene selbst bestimmen kann, was • Schlagen Sie ihm vor, das Erlebte aufzuschreiben.
in der Situation für ihn hilfreich ist und was nicht. Schreiben in Form eines Tagebuchs kann helfen,
• Geben Sie Hinweise zum Umgang mit Nachrich- Gedanken und Gefühle zu ordnen.
ten und kursierenden Gerüchten in den Medien.
Es kann helfen, sich nicht permanent der gesam-
ten Berichterstattung der Medien zu einem Ereig-
nis auszusetzen, sondern in regelmäßigen Abstän-
den gezielt Nachrichten zu schauen (siehe
Spezielle Hinweise zum Informationsmanage-
ment)
• Vergessen Sie nicht, dass sich Sorgen, Ängste und
Beunruhigung der Anrufer auf reale Befürchtun-
gen und Bedingungen beziehen. Daher gilt es,
Maßnahmen einzuleiten, die auf das Auflösen von
situativen Bedingungen abzielen.
• Unterstützen Sie den Betroffenen bei Bedarf, wei-
terführende regionale oder überregionale psycho-
soziale Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.
Dies setzt voraus, dass
- die Hotline mit weiterführenden Angeboten ver-
netzt ist (Schnittstellenfunktion).
- Sie über die einzelnen Angebote und deren
Qualität informiert sind.
Dadurch wissen Anrufer einerseits, was auf sie
zukommt (Verminderung der Hemmschwelle) und
können sich anderseits besser entscheiden, ob
und welche Angebote sie annehmen möchten.
Spezielle Hinweise zum Informations­management:

• Manche Menschen sind bereit, sich Hinweise zum Umgang mit Nachrichten anzuhören: In einer
Schadenslage kursieren jedoch vor allem zu Beginn viele ungesicherte Informationen und Gerüchte.
Vermissende Angehörige werden jegliche Informationsquellen bemühen, um Gewissheit zu bekom-
men und dementsprechend einer Vielzahl von sich teilweise auch widersprechenden Informationen
ausgesetzt sein. Die meisten Betroffenen werden sich (nachvollziehbarerweise) nicht von der Ten-
denz abbringen lassen, möglichst viele Informationen zu recherchieren, auch wenn es kaum oder
keine neuen gesicherten Informationen gibt. Menschen, die mit erhöhter Belastung auf Nachrichten
reagieren, kann in Bezug auf (Sensations-)Nachrichten und Gerüchte, die die schlimmsten Erwar-
tungen und Ängste ­verstärken, empfohlen werden, dass
- sie sich der Nachrichtenflut nur begrenzt aussetzen sollten (zum Beispiel: Nachrichten nur mor-
gens, mittags und abends ­verfolgen oder sich die Nachrichten von vertrauten Personen berichten
lassen),
- Nachrichten mit vielen (sich wiederholenden) belastenden Bildern oder Filmen gemieden werden
sollten.
• In enger Abstimmung mit dem Krisenstab sollte eine möglichst umfassende Information stattfinden.
Dies kann den ungebremsten Austausch von Gerüchten hemmen, was wiederum eine Reduktion
von Belastung nach sich ziehen kann.
• Anfragen von Medienvertretern werden grundsätzlich an die Pressestelle weiter­geleitet. Sollte es
einen gemeinsamen Sammelpunkt zum Beispiel durch eine Betreuungsstelle geben, an dem sich
Vermissende oder Abholer einfinden, müssen diese vor der Presse abgeschirmt sein.
135

Bietet Stabilität und Halt:


Die Aktivierung des sozialen Netzwerks.
(Bild: picsfive – Fotolia.com)
Selbstwirksamkeit und Kontrolle fördern Zur Förderung von Kontakt und Anbindung zäh-
len folgende Maßnahmen:
Unter Selbstwirksamkeit versteht man die individu- • Unterstützen Sie beim Aufbau beziehungsweise
elle Überzeugung, dass sich das eigene Handeln der Aktivierung eines sozialen Netzwerks
(durch Regulation von Gedanken, Emotionen und (Freunde, Nachbarn, Kollegen etc.), das verläss-
Verhalten) positiv auf die Situation auswirkt. Auch in lich für die Betroffenen verfügbar ist und ein
chaotischen beziehungsweise belastenden Situatio- gewisses Maß an Stabilität bieten kann. Dort, wo
nen müssen Menschen die Erfahrung machen kön- keine sozialen Netzwerke (mehr) existieren, über-
nen, dass sie die Fähigkeit besitzen, einer Bedrohung legen Sie mit dem Betroffenen, welche alternati-
beziehungsweise Gefahr zu begegnen und ihr etwas ven Möglichkeiten in Frage kommen könnten:
entgegenzusetzen, um sie später ganz zu überwin- Bieten Sie die Kontaktvermittlung zu regionalen
den und ihre Probleme zu lösen. Das Erleben von Unterstützungsangeboten (Krisendienste, Selbst-
Selbstwirksamkeit steht somit dem Erleben von Kon- hilfeverbünde etc.) an.
trollverlust und Hilflosigkeit gegenüber. • Erkundigen Sie sich beim Betroffenen, ob er mit
anderen ebenfalls Betroffenen zusammenkommen
Förderung der Selbstwirksamkeit beinhaltet auch die möchte, und unterstützen Sie ihn bei Bedarf bei
(gemeinsame) Suche nach verfügbaren Ressourcen der Kontaktaufnahme.
und umsetzbaren Handlungsmöglichkeiten. Vermit-
teln Sie nach Möglichkeit, dass jede betroffene Per- Das Gefühl von Hoffnung stärken
son selbst kompetent und fähig ist, die eigene Situa-
tion zu beeinflussen und zu verändern, auch wenn Das Thema „Hoffnung“ ist im Kontext von traumati-
es Zeiten gibt, in denen dazu zunächst die Energie zu schen Ereignissen wie schweren Unglücksfällen und
fehlen scheint. Katastrophen schwierig zu behandeln. Das Gefühl
136 von Hoffnung stärken meint nicht, eine „Alles-wird-
Selbstwirksamkeit und Kontrolle lassen sich gut“-Einstellung zu vermitteln. Vielmehr geht es um
durch folgende Maßnahmen fördern: die Förderung von Zuversicht, die Vermittlung des
• Helfen Sie, die Situation des Betroffenen gedank- Gefühls, dass in der Zukunft eine Besserung erreich-
lich zu strukturieren und damit überschaubarer zu bar sein wird. Dies kann beispielsweise dadurch
machen. gefördert werden, dass man konkrete und praktische
• Zeigen Sie auf, welche Möglichkeiten und Hand- Hilfen anbietet, die Betroffene darin unterstützen,
lungsschritte für den Betroffenen umsetzbar sind. ihre Situation zu verbessern, und befähigen, sich
• Ermutigen Sie zu Eigeninitiative und Aktivität selbst zu helfen: Hilfe beim Wiederaufbau, Unterstüt-
(ohne zu überfordern). zung in der Bewältigung von administrativen Aufga-
• Greifen Sie bereits unternommene Lösungsan- ben im „Behördendschungel“ etc. Es geht also um
sätze auf und verstärken Sie diese. eine lösungsorientierte Sichtweise, die das Erreichen
• Das Erleben von Kontrolle ist auch eng mit dem realistischer Ziele einschließt.
Erleben von Vorhersagbarkeit verknüpft: Zeigen
Sie transparent auf, welche nächsten Schritte von Für manche Menschen ist mit dem Thema „Hoff-
Ihrer Seite oder durch den Betroffenen selbst ein- nung“ ihr religiöser Glaube eng verknüpft. Oder
geleitet werden können. möglicherweise haben Betroffene die Erfahrung
gemacht, dass sie in der Vergangenheit schon ähnlich
Kontakt und Anbindung fördern schwierige Situationen gemeistert haben. Auch so
lässt sich an wichtige Ressourcen anknüpfen.
Im Idealfall findet eine schnelle Zusammenführung
beziehungsweise Kontaktherstellung zu den Ange-
hörigen, Freunden etc., die vermisst werden, statt.
Gleichzeitig hat die Anbindung der Betroffenen an
ihnen nahestehende und vertrauenswürdige Men-
schen und unterstützende soziale Gruppen einen
besonders hohen Stellenwert.
Umgang mit den Emotionen der Anrufer

137
Je nach Situation der Anrufer können Sie in der Hotline mit unterschiedlichen Emotionen konfrontiert werden (nachgestellte
Szene). (Bild: Anne Katrin Figge – Fotolia.com)

Wenn Sie an der Hotline mit starken Emotionen wie schafft.“ Sie können den Anrufer zusätzlich fragen,
Wut, Verzweiflung oder Trauer konfrontiert werden, ob er sich selbst genug Raum und Zeit gibt, um die
sollten Sie vor allem vermeiden, „Phrasen zu dre- Emotionen zuzulassen. In diesem Zusammenhang
schen“. Sätze wie „Ich weiß, wie es Ihnen geht“ oder können Sie auch auf weitere Unterstützung durch
„Ich weiß, wie Sie sich fühlen“ sind in der Regel nicht Notfallseelsorger und Kriseninterventionsteams hin-
hilfreich. Vielleicht haben Sie tatsächlich eine Vorstel- weisen und – sofern es das Angebot der Hotline
lung des emotionalen Zustandes des Anrufers, weil umfasst – Hilfe bei der Kontaktaufnahme anbieten.
sie selbst schon in einer ähnlichen Situation waren.
Trotzdem werden derartige Äußerungen häufig als
Auf einen Blick:
Beschwichtigungen aufgefasst. Halten Sie sich des-
Umgang mit Emotionen der Anrufer
halb vor Augen, dass Sie zwar innerhalb eines gewis-
sen Rahmens nachempfinden können, wie sich der
Anrufer fühlen mag, dass sie aber zwei unterschiedli- • dem Anrufer Anteilnahme und Interesse
che Personen mit jeweils eigenen Empfindungen ­entgegenbringen
sind und Sie deshalb schlichtweg nicht wissen, was • Emotionen ernst nehmen und ihnen Raum
in der Person genau vorgeht. geben
• aktiv zuhören
Hören Sie deshalb aktiv zu, geben Sie dem Anrufer
Raum für seine Emotionen und mögliche Trauer: • „Phrasen dreschen“ vermeiden
Halten Sie weinende Anrufer aus. Eine alternative • weitere Möglichkeiten der Unterstützung
Formulierung wäre zum Beispiel „Ich kann mir vor- (Notfallseelsorge, Krisenintervention)
stellen, dass Sie sehr aufgewühlt / traurig / erschüt- ­anbieten
tert sind. Lassen Sie die Gefühle zu. Weinen Sie,
wenn es Ihnen gut tut und Ihnen Erleichterung ver-
Der Eisberg Das Geschehene verstehen

Mit einem plötzlich eintretenden Todesfall oder der Häufig hängt die Frage nach dem „Warum“ wie eine
Angst um eine noch vermisste Person können auch große, dunkle Wolke über dem Anrufer: „Warum
andere traurige oder aufwühlende Ereignisse (Verlust mein Mann / meine Frau / meine Tochter / unsere
der Arbeit, Trennungen, Fehlgeburten, frühere Todes- Freunde? Warum gerade jetzt? Warum überhaupt?“ So
fälle) „an die Oberfläche treten“, sodass das aktuelle schwierig die Situation auch zu ertragen ist, auf die
Ereignis nur der Auslöser für eine heftige Reaktion Frage nach dem „Warum“ gibt es keine Antwort. Auch
ist, wie „der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen Sie können diese Frage im Hotlinegespräch nicht
bringt“. Halten Sie sich das Bild des Eisbergs vor beantworten. Halten Sie sich dies vor Augen und
Augen: Das Anliegen, das der Anrufer Ihnen vorträgt, machen Sie sich selbst deutlich, dass es nichts mit
ist möglicherweise nur die Spitze, der größte Teil mangelnder Kompetenz oder Hilfsbereitschaft zu tun
liegt unter Wasser und ist für Sie – zumindest auf den hat, dass Sie an dieser Stelle keine Antwort geben
ersten Blick – nicht erkennbar. Dies gilt vor allem können. Vermeiden Sie unbedingt, eigene Ideen zu
auch dann, wenn Ihnen die Reaktionen des Anrufers Ursachen und eigene Überzeugungen zu formulieren.
überzogen erscheinen oder Sie diese nicht einordnen
können. Wenn Sie den Eindruck haben, dass die Frage nach
dem „Warum“ den Anrufer nicht loslässt oder er
Den Schmerz anerkennen sogar beginnt, darin eine mögliche Bestrafung zu
sehen, weisen Sie darauf hin, dass es professionelle
Trauer verläuft äußerst individuell. Die eine und rich- Unterstützungsmöglichkeiten (Notfallseelsorge, KIT,
tige Art zu trauern gibt es nicht. Manche Menschen therapeutische Hilfe) gibt, die der Anrufer in
werden zunächst sehr aktiv, reagieren sachlich und Anspruch nehmen kann.
138 handlungsorientiert, Trauerreaktionen wie Verzweif-
lung, Schmerz oder Rückzug setzen erst später ein. Das Chaos bewältigen
Einige Menschen reagieren verzweifelt, fühlen sich
von Beginn an handlungsunfähig, ziehen sich zurück. Um das entstandene Chaos wieder in den Griff zu
Andere reagieren zunächst wütend und kämpferisch. bekommen, können Sie das Ausprobieren verschie-
dener Strategien vorschlagen: Was hat dem Anrufer
Bedenken Sie im Umgang mit Menschen, die den in möglichen vorangegangenen Krisensituationen
Verlust einer nahestehenden Person erlebt haben, geholfen? Über welche Ressourcen verfügt er (Fami-
dass für manche nicht nur ein geliebter Mensch plötz- lie, Freunde, Sportverein, Haustier)? Raten Sie dem
lich fehlt, sondern unter Umständen auch die gesamte Anrufer, fürsorglich mit sich selbst umzugehen. Häu-
Existenz (Wegfall des einzigen Verdieners in der fig sind Anrufer in Krisensituationen gesundheitsge-
Familie) bedroht sein kann. Erkennen Sie in den Hot- fährdet durch Stress oder trauerbedingte mangelnde
line-Gesprächen den Schmerz an und zeigen Sie Ver- Ernährung, wenig Bewegung, nicht ausreichenden
ständnis für die Schwierigkeit und Ungewohntheit Schlaf, soziale Isolation. Vermitteln Sie dem Anrufer,
der Situation. dass Selbstfürsorge wichtig ist, auch wenn es momen-
tan schwerfällt.

Eine Bewältigungsstrategie der Betroffenen kann


auch darin bestehen, die zum Beispiel Trauer erst
einmal zu „verdrängen“ oder aufzuschieben, zum
Beispiel, wenn Kinder oder ältere Menschen versorgt
oder administrative Aufgaben erledigt werden müs-
sen. Erkennen Sie das Weiterfunktionieren als gleich-
berechtigte Strategie an und drängen Sie den Anrufer
nicht dazu, sich Ruhe zu gönnen und der Trauer
zwanghaft Raum zu verschaffen.
139

Im entstandenen Chaos kann das Gespräch an der Hotline eine ordnende Funktion erfüllen.
(Bild: Bertold Werkmann – Fotolia.com)

Checkliste: Do’s and Don’t’s in der Hotlinearbeit


Es gibt einige Faktoren beziehungsweise Formulie- Die aufgeführten Do’s und Don’t’s liefern
rungen, die sich positiv auf den Verlauf der Kommu- lediglich eine grobe Übersicht und erheben
nikation auswirken können. Genauso gibt es aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Außerdem
auch “Gesprächskiller”, welche die Kommunikation muss bedacht werden, dass sie nicht allgemeingültig
ins Stocken bringen oder sie sogar zerstören können. sind: So kann – wie bereits angemerkt – ein zu inten-
Im Folgenden ist eine Liste mit den möglichen Do’s sives Nachfragen mit offenen Fragen auf den Anrufer
und Don’t’s an Formulierung für die Arbeit an der wie ein Verhör wirken. Genauso kann der Ausspruch
Krisenhotline. „Jetzt bleiben Sie doch bitte sachlich!“ bei aggressi-
ven Anrufern durchaus angebracht sein und sogar
dazu führen, dass die Person sich beruhigt und das
Gespräch tatsächlich anschließend sachlich fortge-
führt werden kann.
Do’s Typische Redewendungen

offen Fragen „Was ist passiert?“


„Wie geht es Ihnen?“
„Was haben Sie bisher unternommen?“

nachfragen „Wie genau hat es sich ereignet?“


„Welche konkreten Schritte haben Sie bisher unternommen?“
„Können Sie Ihre Situation durch ein Beispiel verdeutlichen?“

zielorientiert Fragen „Wodurch könnte Ihre Situation verbessert werden?“


„Was würde Sie entlasten? Haben Sie vielleicht selbst eine Idee?“

Aufmerksamkeit signalisieren „mhm”, „ja”, „aha”

zusammenfassen, umschreiben (evtl. bildhaft) „Sie meinen, dass…“


„So können wir den Stein ins Rollen bringen.“

auf den Punkt bringen „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht es Ihnen um...“

Gefühle ansprechen „Sie fühlen sich vielleicht ohnmächtig?“

Bedarfe herausarbeiten „Sie möchten also am ehesten…“


„Ihnen ist also erst einmal am wichtigsten…“

140
Ich-Botschaften senden (zum Beispiel bei „Ich verstehe Ihre Aufregung, aber ich kann Sie am ehesten
­Konflikt, Aggression) unterstützen, wenn wir die Sache in Ruhe angehen.“

namentlich ansprechen „Ja, Herr Schulze…“


„Gut, Frau Schneider…“

positiv formulieren „Ja, selbstverständlich / sicherlich / natürlich…“

Verständnis zeigen „Ich habe Verständnis für Ihre Sorgen…“

Verbindlichkeit signalisieren „Ich kümmere mich jetzt direkt darum.“


„Jetzt ist es 18:00 Uhr. Ich werde Sie in einer halben Stunde,
also um 18:30 Uhr wieder anrufen.“

© Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) 2013


Abb. 25: Formulierungen, die sich positiv auf das Gespräch auswirken können (auch als herausnehmbare
Checkliste auf der letzten Seite dieser Ausgabe).
Don’t’s Typische Redewendungen

Reizformulierungen „Dafür bin ich / ist die Krisenhotline nicht zuständig.“


„Das ist problematisch.“

bagatellisieren „Das ist doch alles nicht so schlimm.“


„Das wird schon wieder werden.“
„Das kenne ich gut…“

ausfragen / beschuldigen „Warum haben Sie denn nicht schon früher angerufen?“
„Können Sie keine genaueren Angaben machen?“

Unterstellungen „Sie regen sich ja nur auf, weil…“

Gefühle missachten „Warum regen Sie sich denn so auf?“


„Bleiben Sie doch mal sachlich!“

bewerten / urteilen „Das sehen Sie falsch!“


„Das kann so nicht funktionieren!“
„So kommen wir hier nicht weiter!“

Befehlen „Ich erwarte von Ihnen, dass…“


„Jetzt hören Sie zu!“

Belehren „Das habe ich Ihnen doch gerade schon erklärt.“


„An diesem Punkt waren wir doch bereits.“ 141
„Das wird das Beste für Sie sein.“

Du- / Sie-Botschaften „Sie hätten zuerst…tun sollen.“


„Sie dürfen auf keinen Fall…“

warnen und drohen „Aber bedenken Sie gut die Folgen.“


„Das würde ich mir an Ihrer Stelle gut überlegen.“

„kluge“ Sprüche „In jeder Krise liegt eine Chance.“


„Was uns nicht umbringt, macht uns stark.“
„Gut Ding, will Weile haben.“
„Kommt Zeit, kommt Rat.“
„Die Zeit heilt alle Wunden.“

Ironie / Sarkasmus „Jetzt wollen Sie also doch meine Hilfe annehmen?“
„Haben Sie es sich jetzt doch anders überlegt?“

Killerphrasen „Das haben wir schon immer so gemacht.“


„Das machen wir nie so.“

Weichmacher „irgendwie“, „vielleicht“, „unter Umständen“, „eventuell“

© Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) 2013


Abb. 26: Formulierungen, die sich negativ auf das Gespräch auswirken können.
142

V. Kapitel
Die Krisenhotline im Einsatz
Fundamente der Gesprächsführung an der Hotline
Zwei grundlegende Faktoren:
Zeitliche Dimension und Anrufvolumen

Im Folgenden werden einige Aspekte skizziert, die partner aktiviert und vernetzt werden müssen. Der
für nahezu jedes Gespräch an der Hotline hilfreich zweite Faktor ist das Anrufvolumen: Auch das wird
sein können. Die Hinweise beziehen sich auf die Zeit sich im Laufe der Zeit ändern. In der Akutphase ist
vor der Arbeitsaufnahme an der Hotline, auf den mit einem großen Ansturm zu rechnen, sodass
Gesprächsanfang, den Gesprächsverlauf, besondere Gespräche zeitlich begrenzt werden müssen. In den
Situationen während des Gesprächs und den Tagen und Wochen danach nimmt das Anrufvolumen
Gesprächsabschluss. Erläuterungen und Empfehlun- in der Regel ab. Dies hat Auswirkungen auf die
gen, die in Kapitel IV ausgeführt sind, werden hier Erreichbarkeit und den Personalbedarf. Es kann dann
aufgegriffen. zum Beispiel sinnvoll sein, eine 24/7-Erreichbarkeit
auf eine Tageserreichbarkeit zu reduzieren, sodass
Für die eigentliche Hotlinearbeit – das Gespräch mit weniger Hotliner benötigt werden oder die Schicht-
dem Anrufer – sind zwei Faktoren zu bedenken. Der dienste zu verkürzen, um die Arbeitsbelastung zu
erste Faktor ist die zeitliche Dimension: Die Anfragen senken
und Bedürfnisse der Anrufer werden in den ersten
Stunden nach Eintritt des Ereignisses anders sein als Die im Folgenden genannten Hinweise zur
in den Tagen und Wochen danach. Für die Arbeit an Gesprächsführung an der Hotline sind allgemein
der Hotline bedeutet das, dass unter Umständen auf gehalten, sodass sie sich sowohl auf die Akutphase
andere oder zusätzliche Informationsquellen zurück- als auch auf die Tage und Wochen nach dem Unglück
gegriffen werden muss oder weitere Kooperations- beziehen. 143

Wichtig für die Dokumentation: Schreibmaterial bereithalten. (Bild: maho – Fotolia.com)


Direkt vor dem Telefonat

Bevor Sie das Gespräch annehmen, ist es wichtig, • S orgen Sie nach Möglichkeit für eine ruhige
sich ausreichend am Arbeitsplatz einzurichten, denn äußere und innere Atmosphäre, die es Ihnen
wenn das Telefon erst einmal klingelt, werden Sie erlaubt, konzentriert und überlegt zu arbeiten.
keine Zeit mehr haben, ihr Material zu ordnen. • Fragen Sie sich auch nach Ihrem eigenen emotio-
nalen Zustand: Sind Sie selbst emotional stabil
Beachten Sie bei der Vorbereitung auf den Hot- oder leiden Sie unter Stress, zum Beispiel weil Sie
lineeinsatz deshalb Folgendes: bereits lange im Einsatz sind, Sie ein Telefonat
• Setzen Sie sich noch im Vorfeld Ihres Einsatzes sehr mitgenommen hat oder Sie privat belastet
mit der eingesetzten Technik auseinander (Bedie- sind durch Krankheit oder Tod eines Angehöri-
nung des Telefons, eingesetzte Software etc.), gen, durch eine Trennung oder durch einen
damit Sie über den Gebrauch während des Einsat- Umzug etc.?
zes nicht nachdenken müssen und Kapazität für
das Gespräch frei haben. So können Sie auch für Rufen Sie sich immer ins Gedächtnis, wie Sie
sich selbst den Stress reduzieren. selbst gerne am Telefon und in einer möglicher-
• Legen Sie sich Schreibmaterial, gegebenenfalls weise belastenden Situation behandelt und ange-
Checklisten und aktuelles Informationsmaterial sprochen werden würden!
griffbereit an Ihren Arbeitsplatz.
• Bevor Sie die Arbeit am Telefon aufnehmen, ist es
wichtig, dass Sie sich Ihren Arbeitsauftrag und die Auf einen Blick: Direkt vor dem Telefonat
Rahmenbedingungen noch einmal ganz genau vor
144 Augen führen, wie zum Beispiel: Welche Form
• Stifte, Notizblock und Meldezettel griffbereit
von Unterstützung, welche Hilfsangebote leistet
legen
die Hotline und wo sind Grenzen der Unterstüt-
zung? Welche Ansprechpartner stehen innerhalb • Arbeitsauftrag klären
und außerhalb zur Verfügung: „Wer macht was?“ • Informationen und Unterlagen ordnen
Wie sind die aktuellen personellen Ressourcen?
• mögliche weiterführende Hilfsangebote und
• Vergegenwärtigen Sie sich die Lage und die Infor-
Ansprechpartner innerhalb und außerhalb
mationen, die Sie zum Ereignis haben und welche
der Hotline klären
Informationen Sie an wen weitergeben dürfen
(Sprachregelungen / „Wording“). Legen Sie sich • möglichst ruhige Atmosphäre schaffen
eine entsprechende Übersicht in Griff- bezie- • eigenen emotionalen Zustand prüfen
hungsweise Sichtweite.

Der Gesprächsanfang

Der Beginn und das Ende sind wichtige Eckpfeiler Anruf sofort angenommen wird – insbesondere
eines Gesprächs. Im ersten Moment kann sich ent- nicht, wenn sie in einer Hotline anrufen – und
scheiden, wie ein Gespräch im Weiteren verläuft und reagieren irritiert. Lassen Sie die Anrufer aber
ob es als positiv empfunden wird oder einen negati- auch nicht zu lange warten. Ein Annehmen des
ven „Beigeschmack“ erhält. Gesprächs etwa nach dem zweiten Rufton gibt
dem Anrufer und Ihnen selbst Zeit, sich auf die
Beachten Sie bei der Annahme des Gesprächs nachfolgende Gesprächssituation einzustellen
deshalb Folgendes: und die Aufmerksamkeit darauf zu richten.
• Heben Sie nicht direkt nach dem ersten Klingeln • Melden Sie sich bei der Entgegennahme des
ab. Viele Anrufer rechnen nicht damit, dass ein Anrufs mit der jeweiligen Bezeichnung der Hot-
line, mit Ihrem Namen und gegebenenfalls noch tiven Fragen etc. Dies ist wichtig, um Transparenz
mit der Grußformel „Guten Tag/Morgen/Abend!“. zu schaffen, in welcher Form Sie Unterstützung
Halten Sie sich selbst immer wieder dazu an, die bieten können und bei welchen Anliegen des
Grußformel nicht zu „verschlucken“, sondern Anrufers die Hotline möglicherweise nicht weiter-
langsam zu sprechen und deutlich zu artikulieren, helfen kann.
auch wenn Sie bereits zahlreiche Telefonate hin- • Wiederholen Sie gegebenenfalls die Informatio-
ter sich haben. nen des Anrufers, um Missverständnissen vorzu-
• V  ersuchen Sie, entspannt zu lächeln, auch wenn beugen.
es Ihnen im Zusammenhang mit einer Katastrophe • Fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstanden
unpassend erscheint. Das entspannte Lächeln wird haben. Es ist sehr gut möglich – aus welchen
sich auf Ihre Stimme übertragen und der Anrufer Gründen auch immer – dass es etwas dauert, bis
wird sich dadurch positiv angenommen fühlen Sie wirklich verstanden haben, worum es dem
(siehe Nonverbale Signale). Anrufer geht. Manche Menschen sind auch auf-
• Der Anrufer wird in der Regel schon sehr bald grund ihres Dialektes oder Akzentes nur schwer
nach Beginn des Gesprächs seinen eigenen zu verstehen. Durch Nachfragen wirken Sie nicht
Namen nennen. Notieren Sie sich den Namen nur Missverständnissen entgegen, sondern zeigen
und fragen Sie nach der korrekten Schreibweise. auch Interesse. Sollte ein Anrufer ungeduldig wer-
Im weiteren Verlauf des Gesprächs können Sie den, machen Sie sich bewusst, dass niemandem
den Namen immer wieder einmal nennen. geholfen ist, wenn Sie nicht wirklich wissen, was
Der eigene Name ist für den Menschen etwas für ein Anliegen der Anrufer hat und ob bezie-
­Vertrautes und die namentliche Anrede kann das hungsweise was für ein Arbeitsauftrag sich hier-
Interesse an der Person und nicht an einem „Fall“, aus für Sie ergibt.
der abgearbeitet werden muss, unterstreichen. • Notieren Sie sich die Erreichbarkeiten (Rückruf-
Achten Sie jedoch darauf, den Namen nicht zu nummer, Anschrift, E-Mailadresse) des Anrufers. 145
häufig zu nennen, dies kann auf den Anrufer Lassen Sie sich die Angaben buchstabieren.
anbiedernd und nicht authentisch wirken. So vermeiden Sie Unklarheiten und geben dem
• Lassen Sie sich möglichst früh im Gespräch eine Anrufer das Gefühl, etwas Sinnvolles beitragen zu
Rückrufnummer geben, damit Sie den Anrufer können.
wieder erreichen können, falls die Verbindung
unterbrochen wird.
• Um einen „Draht“ zum Anrufer herzustellen, Auf einen Blick: Der Gesprächsanfang
­sollten Sie sich so gut wie möglich auf den Anru-
fer einstellen. Nutzen Sie auch die paraverbalen • Gespräch etwa nach dem zweiten Klingeln
Aspekte zur Informationsgewinnung und Kontakt- annehmen
herstellung, wie zum Beispiel Sprechtempo, Ton-
• Meldeformel: Bezeichnung der Hotline +
fall, Lautstärke, Stimme etc.
Name + Grußformel
• Besinnen Sie sich auf die Grundhaltungen der
Akzeptanz, Empathie und Kongruenz und nutzen • Den Anrufer im Gespräch mit Namen
Sie das aktive Zuhören. ­anreden
• Nachdem der Anrufer geschildert hat, worum es • Kontakt herstellen durch „Einpendeln“ auf
geht, bieten sich bei der Klärung des Anliegens den Anrufer und aktives, interessiertes
Fragen an, wie zum Beispiel „Und wobei kann ich Zuhören
Ihnen behilflich sein?“. Klären Sie das Anliegen
• Anliegen klären, Informationen sammeln
und die Erwartungen des Anrufers.
• Erfragen Sie, was der Anrufer bereits unternom- • Überblick über Angebotsstruktur geben
men hat und was sich aufgrund der bisherigen • Erreichbarkeiten notieren
Bemühungen bereits ergeben hat.
• Geben Sie bei Bedarf einen Überblick, was die
Institution leisten kann und was nicht; zum Bei-
spiel Informationsvermittlung, Vermittlung an
andere Institutionen, Unterstützung in administra-
Gesprächsverlauf – Gesprächssteuerung

Durch den Gesprächseinstieg erhalten Sie bereits an Beratungs- und Therapiemöglichkeiten auf.
wichtige Informationen. Klären Sie weitere Details Der Verweis auf eine unverbindliche und
durch gezieltes Nachfragen und versuchen Sie zu zunächst anonyme Kontaktaufnahme senkt oft-
ermitteln, welches Anliegen der Anrufer hat. Klären mals die Hemmschwelle.
Sie die Prioritäten: Was soll zuerst geklärt werden? • Machen Sie niemals Versprechungen, die Sie nicht
Fragen Sie lieber einmal zu viel als zu wenig und sicher einhalten können. Vereinbarungen müssen
erläutern Sie, warum Sie so detailliert nachfragen eingehalten werden. So sollte ein vereinbarter
müssen, wenn der Anrufer sich irritiert zeigen sollte. Rückruf auf jeden Fall erfolgen, auch wenn die
gewünschten Informationen noch nicht vorhan-
Es kann vorkommen, dass sich das Anliegen des den sind.
Anrufers im Laufe des Gesprächs verändert. Seien Sie • Gesprächspausen: Manchmal ist es notwendig,
deshalb geduldig und formulieren nicht voreilig Pausen und Schweigen im Gespräch einfach aus-
einen Lösungsvorschlag: Je genauer Sie wissen, zuhalten. Wenn auf Ihrer Seite Pausen entstehen,
worum es eigentlich geht, desto leichter werden Sie die nichts mit der Atmosphäre und dem Inhalt
eine angemessene und hilfreiche Unterstützung von Gesprächen zu tun haben, melden Sie dem
anbieten können. Anrufer zurück, was sie gerade tun, zum Beispiel
etwas nachschlagen, notieren, recherchieren.
Beachten Sie für den Verlauf des Gesprächs Wenn auf der Seite der Anrufer Gesprächspausen
­deshalb Folgendes: entstehen, können Sie nachfragen, was dem Anru-
• Versuchen Sie, ein möglichst detailliertes Bild des fer gerade durch den Kopf geht. Seien Sie mit
146 Anrufers und seines Anliegens zu erstellen, indem einer Nachfrage aber zurückhaltend und halten
Sie offene Fragen nutzen (siehe Fragetechniken). Sie auch eine Weile des Schweigens aus.
• Wechseln Sie nicht nach der Darstellung des Pro- • Der Fokus des Gesprächs liegt auf der aktuellen
blems durch den Anrufer zu einer Lösungssuche. Situation. Sollte jemand mehrere Problemlagen
Dies kann irritierend wirken. Fassen Sie kurz beschreiben, fassen Sie diese zusammen und
zusammen, wie sie den Anrufer verstanden haben ­fragen nach dem aktuell dringlichsten Problem.
(„Habe ich Sie richtig verstanden, dass…?“, „Es
geht also um…?“, „Ihr Anliegen ist also folgen-
des…?“) und bieten dann einen Vorschlag für die Auf einen Blick:
weitere Vorgehensweise an. Fragen Sie nach, ob Gesprächsverlauf – Gesprächssteuerung
der Anrufer mit der von Ihnen vorgeschlagenen
Vorgehensweise einverstanden ist oder ob er eine • Situation des Anrufers und Anliegen klären
andere Idee hat.
• keine Fachbegriffe, Fremdwörter oder
• Nutzen Sie keine Fachbegriffe, Fremdwörter oder
Abkürzungen nutzen
Abkürzungen. Gestresste Anrufer können dadurch
noch stärker verunsichert werden. • weitere Möglichkeiten externer Hilfe
• Helfen Sie, Hemmungen und Skepsis bei der ­aufzeigen
Inanspruchnahme von externer Hilfe (Beratung, • Fokus auf die aktuelle Situation richten
Therapie) abzubauen. Zeigen Sie Möglichkeiten
Besondere Gesprächssituationen

Besondere Gesprächssituationen können sich genau diese Person zuständig. Geben Sie dem Anru-
dadurch ergeben, dass Sie als Hotliner mit bestimm- fer Zeit und Raum, vielleicht nutzt er die Stille um
ten „Anruftypen“ konfrontiert werden, aber auch seine Gedanken zu sortieren.*
durch bestimmte Situationen, die sich durch
Gesprächsinhalte oder -verläufe ergeben. Im Folgen- Extrem gesprächige Anrufer
den sind mögliche Typen von Anrufern und beson- Bei Anrufern, die sich in Details verstricken oder zu
dere Anliegen und Gesprächssituationen dargestellt. weit ausholen und beginnen, „ihre Lebensgeschichte“
zu erzählen, ist es hilfreich, die bereits gegebenen
Anruftypen Informationen zusammenzufassen, auf den Punkt zu
bringen und abzuschließen: „Kann ich Ihnen sonst
Schweigsame Anrufer noch irgendwie weiterhelfen? Ansonsten schlage ich
Ist ein Anrufer schweigsam, sodass Sie sein eigentli- vor, dass Sie sich nicht zu viel auf einmal vornehmen
ches Anliegen nicht ermitteln können, versuchen Sie und die besprochenen Punkte erst einmal abarbei-
den Dialog durch offene Fragen zu aktivieren: „Wie ten. Beim nächsten Schritt können Sie gerne wieder
sind Sie auf die Idee gekommen, die Hotline anzuru- anrufen beziehungsweise ich rufe Sie zum verabre-
fen?“, „Was hat sie zu dem Anruf veranlasst?“. Konn- deten Zeitpunkt zurück.“. Versuchen Sie extrem
ten Sie einen Redefluss anstoßen, hören Sie aktiv zu gesprächige Anrufer möglichst gesichtswahrend und
und signalisieren durch „mhm“, „ja“ etc. Ihre Auf- behutsam zu „stoppen“, damit sie sich nicht „abge-
merksamkeit. Stellen Sie die Hilfsangebote der Kri- wimmelt“ fühlen. Lässt sich ein Anrufer in seinem
senhotline dar. Hat der Anrufer in der stressigen und Redefluss auch dann nicht aufhalten, weisen Sie dar-
belastenden Situation vergessen, was eigentlich sein auf hin, dass für den nächsten Arbeitsschritt alle rele- 147
genaues Anliegen war, erinnert er sich so möglicher- vanten Informationen ausgetauscht wurden, Sie das
weise wieder daran. Gespräch an dieser Stelle erst einmal unterbrechen
müssen und sich nach dem nächsten Schritt wieder
Eine weitere Möglichkeit ist, die Stille oder das mit dem Anrufer in Verbindung setzen werden.
Schweigen zu thematisieren: „Sie sagen im Moment
gar nichts dazu. Überlegen Sie oder fällt es Ihnen Aufgebrachte Anrufer
vielleicht schwer, zu berichten?“, „Würde es Ihnen Aufgebrachte Anrufer können denjenigen, der das
helfen, wenn Sie eine Weile in Ruhe nachdenken Telefonat annimmt, unter Druck setzen, kränken
könnten?“. Achten Sie dabei darauf, dass Ihre Stimme oder verärgern. Es kann zu Beleidigungen, Drohun-
möglichst ruhig und warm klingt, damit sich der gen und ungeduldigen oder arroganten Verhaltens-
Anrufer nicht gehetzt fühlt. weisen kommen. Reizbarkeit und Wut können
begleitende Reaktionen auf die Belastungssituation
Auch wenn es manchmal schwer fällt: Üben sein. Gerade offizielle Kontaktstellen bieten sich hier
Sie sich in Geduld und halten Sie Stille, als Zielscheibe von Schuldzuweisungen und Vorwür-
Schweigen und Gesprächspausen aus. Vorsicht vor fen an.
Gedanken wie „In der Zeit könnte ich bereits viele
andere Anrufe entgegengenommen haben.“. Selbst- Vor allem in Großschadenslagen kämpfen manche
verständlich ist es wichtig, in der Krise möglichst Menschen mit Angst und Sorgen um ihre Zukunft
viele Menschen zu entlasten und zu unterstützen, (Versorgungsleistungen, Schadensersatz etc.) und
aber deshalb darf nicht die Qualität in den einzelnen sich mit diversen Behörden und Ämtern auseinan-
Gesprächen leiden. Sie sind in diesem Moment für dersetzen. Auf Seiten des Anrufers fehlt – oftmals

* Dieser Hinweis bezieht sich vorrangig auf die Phase der Tage und Wochen nach dem Unglück und in besonderem Maße auf die Hot-
linearbeit von psychosozialen Experten, weniger von Agenten. In der Akutphase, den ersten Stunden nach Unglückseintritt, werden
Sie nicht die Möglichkeit haben, sich sehr intensiv mit jedem einzelnen Anrufer zu befassen, sondern tatsächlich sehr viele Anrufe in
kurzer Zeit bearbeiten müssen.
nachvollziehbar – das Verständnis, dass unbürokrati- • S orgen Sie dafür, dass der durch das Telefonat
sche und schnelle Hilfe häufig nicht so einfach geleis- entstandene eigene Ärger vor dem nächsten Tele-
tet werden kann. fonat möglichst abgeklungen ist: Ablenkung,
kurze Pause an der frischen Luft, kurz Durchat-
Sinnvolles Verhalten bei aufgebrachten Anrufern men, etwas Essen / Trinken etc. Wenn Ihr eigener
ist deshalb: Ärger über den vorherigen Anrufer noch in Ihnen
• Führen Sie sich vor Augen, dass Sie in der Regel schwelt, werden Sie den nächsten Anrufer mögli-
nicht persönlich gemeint sind. Ignorieren Sie ver- cherweise nicht unvoreingenommen und unbelas-
bale Aggressionen soweit es Ihnen möglich ist: tet behandeln können, deshalb: „Die innere Uhr
Der Anrufer ist der Situation gegenüber aggressiv wieder auf Null stellen.“
und nicht speziell gegenüber Ihrer Person. Auch
wenn Sie in diesem Moment eine Angriffsfläche
Auf einen Blick: Aufgebrachte Anrufer
und ein Ventil für Aggression darstellen.
• Vermeiden Sie spontane Gegenaggression.
• Nehmen Sie den Anrufer und seine Wut ernst. • die Wut des Anrufers ernst nehmen
Zeigen Sie Verständnis und versuchen Sie, die • spontane Gegenaggression vermeiden
sachliche Information beziehungsweise das
• klare Grenzen setzen, wenn Aggressionen
eigentliche Anliegen herauszuhören.
nicht abreißen oder ausufern
• Bleiben Sie ruhig. Halten Sie ruhig bewusst inne
und atmen Sie durch, bevor Sie reagieren. • sich selbst entlasten
• Spiegeln Sie dem Anrufer sein Verhalten zurück:
„Sie sind im Moment sehr aufgebracht. Da fällt es
mir schwer, Sie richtig zu verstehen.“ Vielleicht
148 wird dem Anrufer dadurch erst bewusst, dass
oder wie sehr er in Rage ist.
• Versuchen Sie, den Konflikt zu regeln: „Nach
dem, was Sie geschildert haben, kann ich mir vor-
stellen, dass Sie sehr ärgerlich sind. Wir könnten
jetzt gemeinsam sehen, was wir hier und jetzt
unternehmen können.“
• Sollten die Aggressionen nicht abreißen und aus-
ufern, setzen Sie freundlich und bestimmt klare
Grenzen. Beenden Sie das Telefonat, bieten aber
einen erneuten Anruf an: „Ich bin nicht bereit, in
diesem Tonfall weiter mit Ihnen zu sprechen.
Bitte versuchen Sie es später noch einmal, damit
ich mich auf ein Gespräch mit Ihnen einlassen
kann und wir eine Lösung für ihr Anliegen finden
können.“

Hinter jedem Anruf steckt ein Anliegen –


auch wenn es manchmal nicht auf den
ersten Blick erkennbar scheint.
(Bild: fotomek – Fotolia.com)
Besondere Anliegen und Situationen die Sachebene zurückzuführen und knüpfen sie an
den letzten Punkt an. Lässt sich der Anrufer von sei-
Lob und Kritik ner Kritik nicht abbringen, weisen Sie darauf hin,
Bei Anrufern, die Sie loben („Nur Sie allein verstehen dass er sich ja nun in einer neuen Situation befindet
mich!“, „Wenn ich Sie nicht hätte!“) ist es ratsam, und Sie sich nun aufs Neue seinem Anliegen anneh-
möglichst wenig darauf einzugehen. Ein kurzer Dank men können.
(„Schön, dass ich Ihnen weiterhelfen konnte!“) drückt
Höflichkeit aus. Entschuldigungen
Gerade bei Personen, die mehrmals anrufen, kann es
An dieser Stelle lauert die Gefahr, dass ein vorkommen, dass sie sich für den Anruf entschuldi-
Gespräch zu persönlich wird. Nehmen Sie gen („Ich glaube, ich falle Ihnen zur Last!“). Gehen
deshalb die Anerkennung für sich an, ohne weiter Sie auch hier wieder möglichst wenig darauf ein und
darauf einzugehen. Es soll zwar eine möglichst posi- knüpfen Sie an den letzten sachlichen Austausch an.
tive Beziehung zum Anrufer angestrebt werden, aber
keine persönliche „Abhängigkeit“ entstehen. Anrufer Sensationslust
sollen Selbstwirksamkeit erfahren und möglichst Wenn Sie im Gespräch mit einem Anrufer feststellen,
schnell wieder eigenständig aktionsfähig werden. dass er nicht betroffen ist, sondern aus reinem Inter-
esse oder aus Sensationslust Informationen zum
Auch bei Anrufern, die Ihnen Kritik entgegenbringen Ereignis erfahren möchte, weisen Sie ihn höflich aber
(„Sehr kompetent sind Sie ja nicht gerade!“, „Nun ja, bestimmt darauf hin, dass die Krisenhotline gerade in
Sie tun, was Sie können!“) ist es ratsam, möglichst der Akutphase der Hilfe und Entlastung unmittelbar
wenig darauf einzugehen. Versuchen Sie, das Gespräch Betroffener, Angehöriger etc. dient und Anfragen
auf die Sachebene zurückzulenken und knüpfen Sie Anderer, die aus reinem Interesse erfolgen, nicht
an den letztgenannten Gesprächspunkt an. bedienen kann. Verweisen Sie gegebenenfalls auf 149
weitere Möglichkeiten zum Beispiel über seriöse
Sowohl für Lob als auch für Kritik gilt: Der Anrufer ist Medienangebote.
in erster Linie der Situation gegenüber entweder
dankbar, weil Sie ihn mit Informationen versorgen Verzweiflung und Suizidalität
und beruhigen konnten oder er ist verärgert, weil Sie Es ist möglich, dass manche Anrufer aufgrund ihrer
sein Anliegen möglicherweise nicht gänzlich erfüllen Situation so verzweifelt und niedergeschlagen
konnten. Lob oder Kritik gelten also nicht direkt Ihrer erscheinen, dass Sie beginnen, sich im Verlauf des
Person – was nicht heißt, dass Sie sich nicht über Kri- Gesprächs um das Leben des Anrufers zu sorgen.
tik ärgern oder über Lob freuen dürfen. Nehmen Sie dieses Gefühl ernst, ohne dem Anrufer
zu unterstellen, dass er auf jeden Fall suizidgefährdet
Anruf für einen anderen Hotliner ist. Nicht jeder Mensch, dem es schlecht geht, ist
Wenn Personen häufiger in der Hotline anrufen, auch automatisch suizidgefährdet. Es ist jedoch wich-
kann es sein, dass Sie den Wusch äußern, wieder mit tig, Ihre Vermutung anzusprechen und Ihre Sorge zu
dem vorherigen Hotliner sprechen zu wollen äußern. Vermutlich werden sich suizidgefährdete
(„Schade, dass ich jetzt nicht wieder mit Herrn Müller Personen an andere Institutionen wenden. Sollten Sie
sprechen kann. Er hat mir so gut geholfen. Aber trotzdem Zweifel haben, beachten Sie Folgendes:
wenn er nicht da ist, meinetwegen…“). Weisen Sie • Seien Sie aufmerksam für Äußerungen und Anzei-
darauf hin, dass Sie ebenfalls bereit sind, dem Anru- chen, die auf eine mögliche Suizidabsicht hindeu-
fer nach allen Möglichkeiten zu helfen. Sofern es der ten beziehungsweise auf den Wunsch nach abso-
Fall ist, können Sie auch darauf hinweisen, dass der luter Ruhe oder nach einer „Pause“; hierzu zählen
Anrufer und seine Geschichte Ihnen bekannt sind unter anderem: ausgeprägte Hilf- und Hoffnungs-
und Sie sich ihm ebenfalls gerne annehmen. losigkeit, Erschöpfung oder der Wunsch nach
Tritt der Fall ein, dass sich ein Anrufer bei Ihnen über Ruhe, offene und verdeckte Todeswünsche, sozia-
einen anderen Hotlinemitarbeiter beschwert („Ihr ler Rückzug, eine fehlende Perspektive, selbstschä-
Kollege hat mich gar nicht verstanden.“, „Der hat digendes Verhalten, Einschränkung der Sichtweise
wohl eine schlechten Tag, ja?!“) gehen Sie nicht dar- auf ausschließlich Negatives, das Fehlen von Hoff-
auf ein. Versuchen Sie auch hier das Gespräch auf nung, Hinweise auf Vorbereitungshandlungen.
•Ü  berprüfen Sie Ihren Eindruck. Äußern Sie Ihre Anruf im Namen einer anderen Person
Sorge ohne zu dramatisieren und sprechen Sie die Gelegentlich kommt es vor, dass eine Person für
Hinweise direkt und offen an. Es ist ein Vorurteil, jemand anderen anruft: „Ich habe einen Kollegen
dass man hierdurch Menschen erst auf die Idee und der braucht Rat.“ Schwierig an dieser Konstella-
bringen könnte, sich selbst zu töten („Schlafende tion sind unter anderem folgende Aspekte:
Hunde wecken“). • Gibt es einen Auftrag von der eigentlich betroffe-
• Vergewissern Sie sich, dass der Anrufer die Mög- nen Person? Wenn ja, wäre es besser, direkt mit
lichkeit hat, um sich bei Bedarf sofort Unterstüt- der betroffenen Person sprechen zu können.
zung und Entlastung zu organisieren (soziales • Was ist das Thema des Anrufs? Ist das Thema viel-
Netzwerk). Sollte dies nicht ausreichend vorhan- leicht eigentlich die Sorge, die sich der Anrufer
den sein, erarbeiten Sie gemeinsam mit dem um jemand anderen macht? Damit stünde der
Anrufer entsprechende Alternativen. Hierzu zäh- Anrufer selber im Mittelpunkt. An solchen Stellen
len auch Institutionen wie zum Beispiel die Tele- sind unter Umständen auch große Unterschiede in
fonseelsorge, die 24 Stunden hindurch erreichbar der Wahrnehmung und Einschätzung der Situation
ist. Vermitteln Sie bei Bedarf an weiterführende des „eigentlich“ Betroffenen möglich.
Stellen. Vereinbaren Sie einen Rückruf. • Aus Scham und diffusen Befürchtungen kann die
„andere“ Person auch einfach erfunden sein und
Androhung von Suizid als Erpressung es geht eigentlich um den Anrufer selbst. Ziel des
Es kann auch vorkommen, dass Anrufer versuchen, Anrufers ist dabei häufig ein vorsichtiges Heran-
Sie unter Druck zu setzen beziehungsweise zu erpres- tasten und Überblick verschaffen, ohne sich selbst
sen: „Wenn Sie das nicht tun, bringe ich mich um!“. offenbaren zu müssen.
Sie werden vermutlich nicht einschätzen können, ob
eine Person tatsächlich suizidgefährdet ist oder ob sie Grundsätzlich ist es am besten, mit dem eigentlich
150 Sie nur erpressen will. Nehmen Sie Suizidandrohun- Betroffenen direkt zu sprechen. Wer hier der „eigent-
gen jedoch immer ernst, umso mehr, je konkreter sie lich Betroffene“ ist beziehungsweise wer in welcher
sind. Form betroffen ist, muss im Verlauf des Gesprächs
geklärt werden.
Haben Sie verstärkt den Eindruck, dass eine Tötungs-
absicht als Druckmittel vom Anrufer eingesetzt wird, •K  lären Sie Anliegen und Arbeitsauftrag: Um wen
zeigen Sie Verständnis für die schwierige und belas- geht es im Gespräch? Was ist das Thema?
tende Situation und sichern Sie zu, dass dem Anrufer • Wer ist in welcher Form betroffen, wer hat wel-
nach allen zur Verfügung stehenden Mitteln geholfen ches Anliegen?
werden wird, um eine rasche Besserung herbeizu- • Verdeutlichen Sie, dass es besser ist, mit dem
führen. Betroffenen direkt zu sprechen, um sich ein Bild
zu machen.
Möglicherweise stoßen Sie mit solchen • Sollten Sie den Eindruck haben, dass die „dritte
Gesprächen an Ihre Grenzen. Sorgen Sie Person“ eigentlich nur erfunden ist, spielen Sie
dafür, dass Sie an dieser Stelle, wenn notwendig, das „Spiel“ mit. Versuchen Sie, Hemmschwellen
durch eine Weitervermittlung an qualifizierte Fach- abzubauen und verhalten Sie sich so transparent
stellen aus der Verantwortung entlassen werden. wie möglich.
„Profis“ können eine etwaige Suizidalität abklären.
Anruf von der Presse
Medienvertreter werden – auch bei kurzen und drin-
genden Anfragen – grundsätzlich an die Pressestelle
verwiesen. Achten Sie deshalb darauf, dass Sie die
notwendigen Kontaktdaten bereithalten.
TIPP
Todesnachrichten
Wenn Sie den Eindruck haben, Die Überbringung von Todesnachrichten liegt in der
dass der Anrufer ein Pressever- Verantwortung der Polizei, die dies häufig in Beglei-
treter ist, der sich als Betroffener oder tung eines Notfallseelsorgers oder des Mitarbeiters
Angehöriger ausgibt, besteht die Möglich- eines Kriseninterventionsteams vornimmt.
keit einer Plausibilitätsprüfung: Notieren
Sie sich den Namen und die Kontaktdaten Wenn Sie mit Hinterbliebenen sprechen, die einen
der Person und vereinbaren Sie einen Angehörigen / eine nahestehende Person verloren
Rückruf. Die Pressestelle wird prüfen, ob haben und dies bereits wissen, sprechen Sie nicht
der angegebene Name zu einer Presse- von „dem Toten“ oder „dem Leichnam“, sondern
oder Medieneinrichtung gehört. Selbstver- benennen Sie ihn „Ihr Mann“, „Ihre Tochter“ etc.
ständlich funktioniert eine solche Prüfung
nur, wenn der Anrufer seinen wahren Todesnachrichten werden niemals
Namen genannt hat. ­telefonisch übermittelt!
Sind Sie sich nicht sicher, ob jemand, der
sich als Pressevertreter ausgibt, auch wirk-
lich ein Pressevertreter ist, lassen Sie
ebenfalls eine Plausibilitätsprüfung durch-
führen.

151
Auf einen Blick: Besondere Anliegen und Situationen

• Lob und Kritik:


Möglichst nicht persönlich nehmen
• Anruf für einen anderen Hotliner:
Verweisen, dass Sie dem Anrufer ebenfalls nach allen Ihnen zur Verfügung stehenden
Möglichkeiten helfen werden
• Entschuldigungen:
Auf Sachebene zurücklenken
• Sensationslust:
Informieren, dass die Hotline für Betroffene eingerichtet ist und auf seriöse ­Medienangebote
­verweisen
• Verzweiflung und Suizidalität:
Die eigene Wahrnehmung überprüfen, Hinweise ernst nehmen,
an weitere Hilfsangebote vermitteln
• Androhung von Suizid als Erpressung:
Hinweise ernst nehmen, den eigenen Eindruck ­überprüfen, an weitere Hilfsangebote vermitteln
• Anruf im Namen einer anderen Person:
Verdeutlichen, dass es besser ist, mit dem Betroffenen direkt zu sprechen,
gegebenenfalls „Spiel um die dritte Person“ mitspielen und Hemmschwellen abbauen
• Anruf von der Presse:
An Pressestelle verweisen, gegebenenfalls ­Plausibilitätsprüfung ­durchführen lassen
• Todesnachrichten:
Niemals am Telefon übermitteln! Die Überbringung liegt in der Verantwortung der Polizei.
Der Gesprächsabschluss

Hat der Anrufer keine weiteren Fragen und Anliegen, gen beziehungsweise den Auflege-Button richtig zu
beenden Sie das Gespräch aktiv: Fassen Sie kurz die drücken, damit die Leitung frei ist und ein gegebe-
wichtigsten Ergebnisse zusammen und nennen Sie nenfalls vereinbarter Rückruf auch erfolgen kann.
die Maßnahmen, die bisher eingeleitet wurden. Um dies zu prüfen, legen Sie erst auf, wenn der
Geben Sie einen Ausblick, welche weiteren Schritte Anrufer dies getan hat. So können Sie zusätzlich
von Ihnen unternommen werden und welche der sicher gehen, dass eine Frage, die „in letzter Sekunde“
Anrufer selbst unternehmen kann. aufgekommen ist von Ihnen noch entgegengenom-
men werden kann.
Treffen Sie niemals eine Vereinbarung, die Sie nicht
einhalten können, auch wenn der Anrufer noch so
verzweifelt ist oder auf sie einredet! Auf einen Blick: Gesprächsabschluss

Vergewissern Sie sich, dass Sie alle notwendigen


• Gesprächsende einleiten
Daten des Anrufers korrekt erhoben haben: Name,
Erreichbarkeiten, Anliegen, Vereinbarungen. • Gespräch möglichst positiv und mit Ausblick
beenden
Wenn Sie den Eindruck haben, der Anrufer sei sehr • Prüfen, ob alle notwendigen Daten korrekt
nervös, können Sie darauf hinweisen, dass er darauf erhoben wurden
achten soll, den Hörer des Telefons richtig aufzule-

152

Nach dem Gespräch gilt: Durchatmen, Daten notieren und das nächste Gespräch erst annehmen, wenn man wieder bereit ist.
(Bild: dpa)
Checkliste: Der rote Faden für die Praxis – M-A-C-H-E-N

Material ordnen

• vorhandene Unterlagen sortieren (gesicherte Informationen, Sprachregelungen, ­


Erreichbarkeiten etc.)

M • Schreibmaterial zurecht legen


• Arbeitauftrag vergegenwärtigen – Möglichkeiten und Grenzen der leistbaren ­Unterstützung
• Strukturen klären (weitere Hilfsangebote in der eigenen Organisation und
von Kooperationspartnern)

Anruf entgegennehmen

• aktiv zuhören
• Beziehung aufbauen

A • Anruferdaten aufnehmen
• Informationen und Anliegen aufnehmen:
- praktischer Arbeitauftrag
- psychosoziale Bedürfnisse

Chaos strukturieren

• zusammenfassen und zurückmelden, was ich verstanden haben

C
• beruhigen und entlasten (dabei über „normale“ Reaktionen aufklären) 153
• Fokus auf die aktuelle Situation richten
• gesicherte Informationen vermitteln
• weiteres Vorgehen planen

Handeln planen

• ressourcen- und lösungsorientiert arbeiten: Wer oder was ist jetzt hilfreich?
• Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit fördern (dabei überschaubare und erreichbare

H Schritte planen)
• soziales Netzwerk aktivieren
• gegebenenfalls Weitervermittlung anbieten (Beratung, Therapie etc.)
• gegebenenfalls Rückruf vereinbaren (konkrete Zeit festlegen)

Ende des Gesprächs einleiten

E
• wichtige Gesprächsinhalte und Vereinbarungen zusammenfassen
• vergewissern, dass alle Daten korrekt erfasst wurden (Name, Erreichbarkeiten)
• Gespräch positiv beenden: Ausblick auf weiteres Vorgehen geben

Nachsorge für sich selbst treffen

• durchatmen
• gegebenenfalls unübersichtliche Notizen neu schreiben

N • sobald notwendig, für eigene Entlastung sorgen:


- kurze Pause (essen, trinken, frische Luft etc.)
- mit Kollegen austauschen
- Strategien und Übungen des Stressmanagements anwenden

© Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) 2013


Abb. 27: Checkliste: M-A-C-H-E-N (auch als herausnehmbare Checkliste auf der letzten Seite in dieser Ausgabe).
154

VI. Kapitel
Stressmanagement der Hotliner
Umgang mit Belastungen und Stress an der Hotline
Belastungen und Stress

Nicht jedes Gespräch und nicht jeder Einsatz an der Gefühle der Anrufer sind, die Sie hier wahrnehmen
Hotline werden auch automatisch belastend sein. Es und die sich auf Sie übertragen. Versuchen Sie im
ist sogar möglich, dass das Gegenteil eintritt: positive Gespräch kleine Handlungsschritte und Lösungen zu
Gefühle oder Freude durch Erfolgserlebnisse. Trotz- formulieren. Suchen Sie sich geeignete Strategien
dem ist es notwendig, sich auch mit möglichen eige- und Ressourcen, um sich selbst Entlastung zu ver-
nen Belastungen und deren Bewältigung zu beschäf- schaffen.
tigen. Bei allem Einsatz für andere Menschen ist es
erforderlich, dass Sie auch an sich selbst denken. Ärger und Wut
Dies dient nicht nur Ihrem eigenen Interesse und Manche Anrufer drücken ihre eigene Wut sehr vehe-
Wohlergehen, sondern geschieht auch im Sinne der ment aus. Zum Teil kann sich diese gegen Sie als ers-
Anrufer. Niemandem ist geholfen, wenn Sie aufgrund ten Adressaten richten. Vielleicht reagieren Sie selbst
der situativen Anforderungen nicht mehr konzent- mit Ärger und Wut. Machen Sie sich klar, dass die
riert arbeiten können und nachfolgenden Anrufern Wut nicht persönlich gemeint ist, dass Ärger eine
nicht mehr gerecht werden: „Nach dem Gespräch ist häufige Reaktion auf Belastungen ist. Lassen Sie sich
vor dem Gespräch.“ nicht provozieren, bleiben Sie ruhig. Wird ein Anru-
fer gegen Sie ausfallend und beleidigend, beenden
Die folgenden Ausführungen bieten einen Überblick Sie das Gespräch, bieten aber die Möglichkeit an,
über den Bereich Stress und Stressmanagement. Ent- erneut anzurufen. Tauschen Sie sich mit Personen
scheidend ist, dass Sie sich Ihre eigenen und sicher- Ihres Vertrauens über den Ärger aus, vielleicht haben
lich schon vorhandenen individuellen Ressourcen Ihre Kollegen und Kolleginnen ähnliche Erfahrungen
„Wer oder was ist jetzt hilfreich und nützlich?“, „Was gemacht und hilfreiche Strategien entwickelt. 155
hilft mir erfahrungsgemäß in stressigen Zeiten?“ ver-
gegenwärtigen und ausbauen. Traurigkeit
Es kann sein, dass einzelne Schicksale Sie selbst stark
Die Arbeit an der Hotline kann belastend sein, gerade berühren oder Sie auch an eigene Erfahrungen erin-
wenn Sie viele Gespräche mit verzweifelten, aufge- nern. Versuchen Sie während des Gesprächs, diese
regten oder aufgebrachten Anrufern entgegenneh- Gefühle nicht auszudrücken. Versuchen Sie zwischen
men. Neben einem Grundwissen über Reaktionen den eigenen Erinnerungen und den damit verbunde-
und Bedürfnisse von Menschen in Extremsituatio- nen eigenen Gefühlen und der Geschichte des Anru-
nen, wie es in den vorherigen Kapiteln ausgeführt fers zu trennen. Suchen Sie sich nach dem Gespräch
wurde, ist ein Wissen über eigene Belastungen, Stress eine Person Ihres Vertrauens, mit der Sie über Ihre
und den adäquaten Umgang damit hilfreich. Gefühle sprechen können.

Umgang mit eigenen Gefühlen während und Angst


nach dem Gespräch Es kann vorkommen, dass Anrufer derart verzweifelt
sind, dass Sie sich Sorgen um diese machen, sich
Der Kontakt mit Betroffenen wird Sie nicht unberührt vielleicht sogar die Frage stellen, ob sich die Person
lassen. Während und nach dem Gespräch ist eine etwas antun könnte. Sprechen Sie diese Sorge behut-
ganze Bandbreite von Gefühlen bei Ihnen selbst sam an und eröffnen Sie gegebenenfalls die Möglich-
möglich, von denen im Folgenden einige kurz keit für den Anrufer, einen Kontakt zu einem psycho-
genannt werden. sozialen Experten herzustellen, der ihn zum Beispiel
am Wohnort betreuen kann.
Hilflosigkeit und Ohnmacht
Manchmal erscheinen die Erfahrungen und Situatio-
nen von Anrufern so aussichtslos und leidvoll, dass
Sie sich ebenfalls hilflos und ohnmächtig fühlen.
Akzeptieren Sie eigene Gefühle von Hilflosigkeit.
Machen Sie sich klar, dass das zum Teil auch die
Was ist Stress?

Im Alltagsgebrauch taucht der Begriff „Stress“ oft auf Es ist aber auch das Gegenteil möglich: Die Situation
und wird dann mit etwas Negativem assoziiert (vor unterfordert den Menschen, auch in diesem Fall
allem mit Zeitdruck), aber „Stress“ umfasst viel mehr: spricht man von negativem Stress. Eine weitere Mög-
Belastungen beziehungsweise Anforderungen kön- lichkeit besteht darin, dass die Anforderung zur Her-
nen sich ganz unterschiedlich auf einen Organismus ausforderung für den Betroffenen wird und ihn zu
auswirken. Sie können das Gleichgewicht bedrohen, Höchstleistung bewegt. In diesem Fall ist der Stress
können bewältigt werden oder sich sogar förderlich positiv.
und leistungssteigernd auf den Reaktionsebenen aus-
wirken. Stress muss also nicht immer negativ sein und nega-
tive Konsequenzen nach sich ziehen, sondern man
Stress heißt zunächst einmal, dass ein Organismus kann Distress (negativen Stress) und Eustress (positi-
auf Reize/Ereignisse (sogenannte Stressoren) reagiert ven Stress) unterscheiden. Distress und Eustress kön-
und eine Anpassungsleistung an neue Bedingungen nen letztlich nicht nach dem auslösenden Reiz unter-
vollziehen muss. Dieses Ereignis kann die zur Verfü- schieden werden, sondern nur in den Reaktionen
gung stehenden Bewältigungsmöglichkeiten der darauf, die wiederum von der Wahrnehmung und
betroffenen Person strapazieren oder zeitweilig sogar Interpretation der betroffenen Person abhängig sind.
überfordern, man spricht dann von negativem Stress.

156

a u s f o rd e r u n g
Her
Leistungsfähigkeit

Eustress

Unterforderung Überforderung
Langeweile – Distress Druck – Distress

Anforderung
Abb. 28: Stressverlaufskurve.

Die Abbildung 28 zeigt:


• Ein zu geringes Stressniveau führt zu Unterforderung (Langeweile, Flüchtigkeitsfehler, Lustlosigkeit etc.)
und bedeutet Distress ➝ geringe Leistungsfähigkeit.
• Ein mittleres Stressniveau wirkt sich positiv aus (Spaß an der Arbeit, erhöhte Konzentration, Kreativität
etc.) und bedeutet Eustress ➝ optimale bis maximale Leistungsfähigkeit.
• Ein zu hohes Stressniveau führt zu Überforderung (Lustlosigkeit, Krankheit, Resignation etc.) und bedeu-
tet Distress ➝ geringe Leistungsfähigkeit.
Das transaktionale Stressmodell
Auf einen Blick: Belastungen und Stress

„Transaktional“ bedeutet, dass Stress ein dynami-


• Stress bedeutet eine Anpassungsleistung sches Geschehen ist, in dem sich verschiedene Fak-
an veränderte Bedingungen. toren gegenseitig beeinflussen. Von der Wechselwir-
• Stress ist nicht zwangsläufig schlecht – kung dieser Faktoren und der eigenen Wahrnehmung
er ist sogar lebensnotwendig. und Bewertung ist abhängig, ob und in welcher
Weise es zu einer Stressreaktion kommt.
• Eustress (positiver Stress): Herausforderung,
optimale beziehungsweise maximale
Wechselseitige Einflussgrößen sind also der Stressor
­Leistungsfähigkeit
an sich mit seinen Eigenschaften, die zur Verfügung
• Distress (negativer Stress): stehenden Ressourcen und die Person mit ihrer per-
Über- oder Unterforderung sönlichen Struktur, die sowohl den Stressor als auch
die zur Verfügung stehenden Ressourcen wahrnimmt
und subjektiv bewertet. Stress entsteht also zum Teil
Es kann sogar sein, dass ein und derselbe Stressor „im Kopf“. Der griechische Philosoph Epiktet sagt „Es
bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Wir- sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern
kungen hat: Was für den einen ein belastender Stres- die Meinung, die wir von den Dingen haben.“
sor ist, wird von einem anderen möglicherweise erst
gar nicht als Stress erlebt und hat für ihn keine In Bezug auf die Wahrnehmung und die Bewertung
Bedeutung. Generell kommt es beim Empfinden des Stressors und der zur Verfügung stehenden Res-
beziehungsweise Nicht-Empfinden von Stress vor sourcen spielt die Erwartung von Selbstwirksamkeit
allem auf die eigene Wahrnehmung und Bewertung eine entscheidende Rolle: Traue ich mir zu, die
an: Einerseits auf die Bewertung und Gewichtung Anforderung so anzugehen, dass meine Maßnahmen 157
des auslösenden Reizes (Stressor), der als bedrohlich und Verhaltensweisen wirksam sind und ich die Situ-
oder nicht bedrohlich beziehungsweise angenehm ation bewältigen kann oder nicht.
oder nicht angenehm empfunden wird und anderer-
seits auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen,
um die Anforderung zu bewältigen.

Stressor Person Ressourcen


• Typ • physische Merkmale • materielle Ressourcen
kognitive kognitive
• Dimension • psychische Merkmale • persönliche
• kulturelle Merkmale ­Kompetenzen
Bewertung Bewertung
• psychosoziale
­Ressourcen

Reaktionsebenen

physisch verhaltensbezogen emotional kognitiv


• erhöhte Herzfrequenz • Nervosität • Aggression • eingeschränkte
• Zittern • selbstschädigendes • Angst ­Wahrnehmung
• Schlafstörungen ­Verhalten • Hilflosigkeit • Sprachschwierigkeiten
• psychosomatische • gehemmte oder • Hoffnungslosigkeit • Tunnelblick
­Störungen ­gesteigerte Aktivität
• emotionale Taubheit

Abb. 29: Transaktionales Modell nach Lazarus: Beispiel für Reaktionen bei Distress.
Unsere heutigen Umweltbedingungen haben sich
Auf einen Blick:
aber so stark verändert, dass instinktive Stressreakti-
Das transaktionale Stressmodell
onen in bestimmten Situationen nicht mehr angemes-
sen sind. Wir können beziehungsweise sollten nicht
• Stress ist ein dynamisches und individuelles so reagieren, wie es das ursprüngliche „Programm“
Geschehen. Ob es zu einer Stressreaktion von uns verlangt, denn wir müssen heutzutage in der
kommt, hängt von verschiedenen Einfluss- Regel nicht auf Gefahren wie zum Beispiel plötzlich
größen ab: Stressor, zur Verfügung ste- auftauchende Raubtiere reagieren. Die alltäglichen
hende Ressourcen und Person. Stressauslöser sehen anders aus, lösen aber die
• Entscheidend bei der Entstehung von Stress „alten“ Notfall-Reaktionen aus. Eine Konfliktsituation
sind das subjektive Erleben und die subjek- mit dem Vorgesetzten kann uns stark ängstigen oder
tive Bewertung des Stressors und der zur verärgern und wir reagieren mit einem Anstieg der
Verfügung stehenden Ressourcen durch die Herzfrequenz, Zornesröte oder Unempfänglichkeit
betroffene Person. für alternative Sichtweisen etc. Problematisch ist,
dass wir solche Situationen nicht mehr so bewältigen
• Stressreaktionen finden auf vier Ebenen
können wie „damals“ bei der Konfrontation mit
statt: physisch, verhaltensbezogen, emotio-
einem Säbelzahntiger, sondern dass von uns zum
nal und kognitiv.
Beispiel eine ruhige und besonnene Reaktion erwar-
tet wird.

Negative Stressreaktionen Der Körper kann auch bei psychischer Bedrohung in


genau derselben Art reagieren, wie er es bei einer
Stressreaktionen können sehr unterschiedlich sein. körperlichen Bedrohung tun würde: Die mobilisier-
158 Zu unterscheiden sind vor allem Akutreaktionen ten Energiereserven stauen sich auf und müssen
(Alarm) und Reaktionen auf lang anhaltenden (chro- irgendwann und irgendwie abgeführt werden, um
nischen) Stress. das hohe Aktivierungsniveau im Organismus wieder
zu normalisieren und ein Gleichgewicht herzustellen.
Aus dem Blickwinkel der Evolution sind Stressreakti-
onen sinnvoll, da sie es uns ermöglichen, innerhalb Stressreaktionen können von Mensch zu Mensch
kürzester Zeit auf eine Gefahr zu reagieren und damit unterschiedlich aussehen. Es gibt bei jedem Mensch
unser Überleben zu sichern. Unser Körper mobilisiert vor allem bei länger anhaltendem Stress individuelle
dabei Energie und versetzt uns in Alarmbereitschaft. und spezifische Reaktionsmuster. Eine Person reagiert
Dieser Reaktionsmechanismus ist so gestaltet, dass eher mit Muskelverspannungen, die andere mit Reak-
wir auch ohne nachzudenken im Rahmen eines „Not- tionen im Herz-Kreislauf-System. Abb. 30 zeigt nega-
fallplans“ reagieren können: Flucht oder Angriff oder tive Stressreaktionen auf allen vier Ebenen.
Erstarrung.

Negative Stressreaktionen können die Arbeitsfähigkeit einschränken und belasten. (Bild: Schlierner – Fotolia.com)
physisch verhaltensbezogen

• Zittern • Überaktivität
• Schwitzen • Erstarrung, Lähmung
• kalte Extremitäten • vermehrter Konsum von Suchtmitteln
• Schlafstörungen • falsche Ernährung
• trockener Mund, Schluckbeschwerden • Vermeidung von sozialen Kontakten, Rückzug
• Kurzatmigkeit • Suchbewegung nach sozialen Kontakten
• Herzklopfen, -rasen
• Übelkeit, Verdauungsstörungen
• Rückenschmerzen
• Kopfschmerzen
• erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten
• Schwindel

emotional kognitiv

• nervös • Gedächtnislücken
• schreckhaft • Sprachlosigkeit
159
• gereizt, wütend, ärgerlich • Denkblockaden, Konzentrationsstörungen
• ängstlich, panisch • „Tunnelblick“
• verunsichert • Wahrnehmungsverschiebung
• apathisch, Gefühl von „emotionaler Taubheit“ • Grübeln, Selbstvorwürfe
• niedergeschlagen

Abb. 30: Negative Stressreaktionen.

Gesundheitsschädigend und kritisch wird Stressbe-


lastung erst dann, wenn das Aktivierungsniveau über Auf einen Blick: Stressreaktionen
längere Zeit anhält (ständig „unter Strom stehen“),
ohne dass ein Ausgleich geschaffen werden kann.
Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Stressoren sehr • Stressreaktionen können in akute Reaktio-
belastend sind (kritische Lebensereignisse), häufig nen (Flucht, Angriff, Erstarrung) oder Reakti-
onen auf lang anhaltenden chronischen
auftreten (ohne dass sie gelöst werden können),
Stress differenziert werden.
lange Zeit anhalten (auch im Einzelnen weniger
belastende Stressoren) oder zusammen auftreten und • Stressreaktionen können in der Art und
sich gegenseitig verstärken und somit kumulativ wir- Intensität individuell sehr unterschiedlich
ken. sein.
• Stress ist ein normales Geschehen, das erst
In diesen Fällen können Belastungen zum Beispiel im Übermaß schädliche Folgen nach sich
zu andauernder Erschöpfung und Niedergeschlagen- ziehen kann.
heit führen oder körperlich krank machen.
Strategien zur Stressbewältigung

So wie wir bestrebt sind, unseren Körper vor Krank- Stressbewältigung kann von zwei Ausgangspunk-
heiten zu schützen und ihn gesund zu halten, zum ten her angegangen werden:
Beispiel durch Ernährung, Schlaf oder Bewegung, • problemlösungsorientiert: Lösung des Problems
sind auch Maßnahmen auf der psychischen Ebene und Beseitigung des Stressors
nötig und möglich, um unsere geistige und psychi- • emotionsregulierend: Regulierung der Stressre-
sche Gesundheit aufrecht zu erhalten oder wieder aktionen (unangenehme Gefühle, Gedanken etc.)
herzustellen.
Die Strategien können in kurzfristig und langfristig
Mit Stressbewältigung ist nicht gemeint, dass man wirksame Strategien unterteilt werden und beziehen
keinen Stress mehr empfindet. Ziel ist es, unter mög- die vier Ebenen der Stressreaktion (physisch, kogni-
licherweise anfordernden Umständen das Belas- tiv, emotional und verhaltensbezogen) mit ein. Wich-
tungsempfinden zu reduzieren, sich im Vorfeld mög- tig ist, dass solche Strategien im Vorfeld trainiert und
lichst umfassend auf stressreiche Situationen immer wieder geübt werden, damit sie im Bedarfsfall
vorzubereiten oder adäquate Lösungsstrategien zu „sitzen“. Es reicht also nicht aus, „nur“ darüber zu
entwickeln, um Stressoren auszuschalten. lesen. Die Strategien sind erlernbar, wenn auch man-
che zum Erlernen eine Unterweisung brauchen, wie
Die Strategien zur Bewältigung können von Mensch zum Beispiel das autogene Training.
zu Mensch sehr unterschiedlich sein. Bewältigungs-
maßnahmen sind nicht nur auf Entspannung ausge-
Bedeutung für die Hotlinepraxis:
richtet, sondern können auch Aktivität und unter
160 Umständen Anstrengung bedeuten.
• Stressbewältigung kann auch heißen:
Stressbewältigung läuft in der Regel nicht automa- ­Aktivität und Anstrengung.
tisch ab. Es ist förderlich, ein breites Spektrum an • Strategien können problemlösungsorientiert
Bewältigungsstrategien, sogenannten Coping-Strate- und emotionsregulierend sein.
gien, zu haben, um möglichst flexibel auf die eigene
• Strategien können in kurzfristig und lang­
Bedürfnis- und Anforderungslage reagieren zu kön-
fristig wirksame Strategien unterteilt werden.
nen. Was hilfreich ist, entscheidet dabei jeder selbst.
Eine Voraussetzung für die Entscheidung zur Stress- • Strategien sind erlernbar und sollten im
reduktion sowie für die Entwicklung und Anwen- ­Vorfeld trainiert werden.
dung effektiver Maßnahmen ist die Selbstbeobach- • Was hilft und was weniger hilfreich ist, kann
tung der eigenen Stressreaktionen und das Auspro- individuell sehr unterschiedlich sein.
bieren und Erlernen verschiedener Techniken.

Die hier aufgeführten Maßnahmen der Kurzfristig wirksame Strategien


Stressbewältigung sind weniger bezie-
hungsweise gar nicht geeignet, wenn es um außerge- Kurzfristig wirksame Strategien sind immer dann
wöhnlich belastende Extremereignisse geht oder die nützlich, wenn die Ursache für die Belastung nicht
Belastungssymptomatik derart stark ausgeprägt ist, sofort zu beheben ist beziehungsweise der Stressor
dass sie Krankheitswert besitzt. Hierfür sind andere nicht direkt beseitigt werden kann. Zu beachten ist,
Stabilisierungs- und Unterstützungsmaßnahmen dass diese Strategien auf langfristige Sicht zur Bewäl-
nötig, die unter Umständen unter professioneller tigung von Stress und Belastungen ungeeignet sind.
Anleitung stattfinden sollten. Kurzfristig wirksame Strategien sind gut geeignet,
um sie in einer Akutsituation einsetzen zu können.

Wesentliche kurzfristig wirksame Strategien umfassen


Techniken zur Selbstmotivation, -strukturierung und
Beruhigung: Ablenkungstechniken, kognitive Um-
strukturierung, kurzfristige Entspannung und Abre- und sich von der belastenden Situation und der inne-
aktion. Techniken zur Entspannung, die auch kurz- ren Anspannung zu distanzieren. Ablenkung bedeu-
fristig und in begrenzten Zeiträumen umsetzbar sind, tet nicht Verdrängung. Es geht hier nur um eine kurz-
sollten im Vorfeld trainiert und geübt werden, damit fristige Unterbrechung und Distanzierung, um sich
sie in der Stresssituation abrufbar sind. zu einem besser geeigneten Zeitpunkt unter anderen
Voraussetzungen erneut der Situation zu stellen. Mit
Positive Selbstgespräche mehr Distanz und Ruhe ist es dann eher möglich,
Gedanken beeinflussen unsere Gefühle – und umge- sich anschließend wieder angemessen mit dem
kehrt. Aus dieser Tatsache ergibt sich der Ansatz der Geschehen auseinanderzusetzen.
„positiven Selbstgespräche“. Die meisten von uns
kennen Situationen, in denen eine außenstehende Eine Strategie kann zum Beispiel sein, seine Wahr-
Person beruhigend und strukturierend auf uns einge- nehmung auf einen bestimmten Gegenstand zu
wirkt hat, indem sie uns klar und ruhig gesagt hat, fokussieren oder seine volle Aufmerksamkeit auf
was zu tun ist. Das ist auch durch eigenständige eine bestimmte (Teil-)Aufgabe oder Nebentätigkeit
Gedanken für sich selbst möglich: zu richten. Übungen, die gut geeignet sind sich kurz-
fristig abzulenken, sind zum Beispiel Ablenken
Zum Beispiel: durch Rechnen, oder 5-4-3-2-1 Sehen-Hören-Emp-
• „Ich habe schon andere Situationen gemeistert, finden.
dann schaffe ich das hier auch!“
• „Erst mal werde ich tief durchatmen, danach Perspektivenwechsel
schaue ich mir die vorliegenden Informationen an Bei der Entstehung von Stressreaktionen spielt die
und dann entscheide ich, wie es weitergeht und subjektive Bewertung der Situation eine entschei-
mache meine Sache so gut ich kann.“ dende Rolle. Eine veränderte Sichtweise und Inter-
• „Eins nach dem Anderen!“ pretation kann förderlich sein, um ein Problem leich- 161
ter erscheinen zu lassen und besser bewältigen zu
Entscheidend ist, nur positive Formulierungen zu können. Zu den Strategien zählen zum Beispiel Rela-
verwenden – zum Beispiel statt „Ich werde mich tivierungen „Wenn ich mir die anderen so anschaue,
nicht beunruhigen lassen!“ besser „Ich bleibe ruhig!“ habe ich noch ganz schön Glück gehabt!“, Bagatelli-
oder anstatt „Ich brauche keine Angst zu haben!“ bes- sierungen „Alles halb so wild, wird schon wieder.“
ser „Ich bin abgesichert!“. Psychisch haben Negatio- oder Neubewertung im Sinne von „Eigentlich eine
nen eine geringere Dominanz, als das was negiert ganz interessante Herausforderung.“
wird. Bei der Negation des Zustandes, den man ver-
hindern will, dominiert in den Gedanken das Nega-
tive und der positive Effekt wäre damit hinfällig. So
würde bei dem Beispiel „Ich brauche keine Angst zu
haben!“ das Wort „Angst“ dominant wahrgenommen.

Atemübungen
Atemübungen regulieren eine autonome Funktion:
In Belastungssituationen wird die Atmung meist fla-
cher und schneller. Bewusstes und tiefes Ein- und
Ausatmen beruhigt, stabilisiert und steigert das Erle-
ben von Kontrollfähigkeit.

Ablenkungsstrategien
Wesentlich in der Stressbewältigung sind Ablen-
kungsübungen, die dabei unterstützen, sich kurzfris-
tig von quälenden Gedanken, Bildern und Gefühlen
zu distanzieren. Mit gezielter Ablenkung und Steue-
rung der Wahrnehmung ist es möglich, die Aufmerk- Wichtig, um die Arbeitfähigkeit an der Hotline zu erhalten:
samkeit kurzfristig von den Stressoren abzuziehen Pausenzeiten. (Bild: kebox – Fotolia.com)
Abreaktion – körperliche Betätigung
Spannungen können durch Abreaktion abgebaut
werden. Hierzu zählt vor allem körperliche Betäti-
gung: die Treppen rauf und runter rennen, einmal
um den Block laufen etc. Aber auch der Ausdruck,
das „Herauslassen“ von Emotionen: schimpfen,
schreien, weinen, lachen. Gerade in der akuten Situ-
ation ist wichtig, dies in einem sozial verträglichen
Rahmen und bei vertrauten Personen zu tun. Ein
unkontrolliertes vor allem aggressives Auslassen an
anderen Personen ist in der Regel stressverstärkend,
sowohl für Sie selbst als auch für Ihr Umfeld.

Humor
Im Umgang mit schwierigen Situationen kann eine
humorvolle Betrachtung hilfreich sein und zur Ent-
spannung beitragen. Humor ist die Fähigkeit, der Kaltes Wasser regt den Kreislauf an und hilft, einen „kühlen
Situation mit innerer Ruhe und Gelassenheit zu Kopf“ zu bekommen. (Bild: Marco Barnebeck / PIXELIO)
begegnen und eine gewisse Distanz dazu einzuneh-
men. Humorvolle Betrachtungen können außerdem Entspannen durch Musik
als Ausdruck von Hoffnung und Trost gesehen wer- So wie Musik störend, nervend und konzentrations-
den und der Motivationssteigerung dienen. Sie soll- beeinträchtigend sein kann, kann sie auch zur Ent-
ten allerdings darauf achten, dass Humor nicht auf spannung und Ablenkung beitragen. Es gibt zahl­
162 Kosten der Anrufer oder Ihrer Kollegen eingesetzt reiche und vielfältige musikalische Angebote, die
wird oder Sachverhalte dadurch ins Lächerliche gezo- explizit der Entspannung dienen. Dabei handelt es
gen werden. sich häufig um melodische bis sphärische Klänge
unterlegt von Meeresrauschen oder anderen Natur-
Nach einer akut belastenden Situation neigen man- geräuschen. Teilweise sind diese Klänge mit soge-
che Menschen zu schwarzem Humor oder Zynismus. nannten Traumreisen kombiniert, wobei ein Text
Dies ist durchaus eine kurzfristig wirksame Bewälti- vorgelesen wird, der ihre Gedanken zum Beispiel an
gungsstrategie, welche die Situation entkrampfen einen Strand, auf eine Wiese oder an einen anderen
und zu einer ersten Distanzierung beitragen kann. schönen Ort leitet. Häufig werden dabei neben dem
Gehör auch andere Sinne angeregt, sodass Sie zum
Schwarzer Humor und Zynismus reichen Beispiel angeleitet werden, sich die Berührung des
jedoch nicht für eine nachhaltige Verarbei- Grases oder seinen Duft vorzustellen. Diese Entspan-
tung. Achten Sie deshalb darauf, dass der Zynismus nungsmethode erfordert Zeit, sodass sie für längere
nicht in eine grundlegende Haltung übergeht, mit der Pausen geeignet ist oder am Ende Ihrer Schicht even-
Sie zukünftig jede Anrufsituation betrachten. tuell mit anderen Kollegen oder auch nur für sich
selbst im eigenen Zuhause durchgeführt werden
Kalte Erfrischung kann.
Lassen Sie ein paar Minuten lang kaltes Wasser über
ihre Pulsadern laufen oder spritzen Sie sich kaltes Um sich für einen kurzen Moment zu entspannen,
Wasser ins Gesicht. Dadurch üben Sie gleich mehrere können Sie sich zum Beispiel Ihr Lieblingslied (egal,
Strategien aus: Sie regen den Kreislauf an, weil Sie welches Musikgenre), ein Lied mit dem Sie etwas
aufstehen und zum Waschbecken gehen müssen, Positives verbinden oder erinnern oder ein einzelnes
haben einen kurzzeitigen Ortswechsel und bekom- Lied mit Entspannungsmusik anhören. Achten Sie
men einen „kühlen Kopf“. darauf, dass Sie Kopfhörer verwenden: Dadurch wer-
den Ihre Kollegen nicht gestört und sie können
Umgebungsgeräusche abhalten, sodass Sie sich noch
besser auf die Musik einlassen und für einen kurzen
Moment „abtauchen“ können.
Professionelle Einsatznachsorge Aufbau und Erhalt der Widerstandskraft
Hierzu zählt zum Beispiel ausreichend Schlaf, ausge-
Nach jedem Krisenhotlineeinsatz sollten allen Hot­ wogene Ernährung, ausreichende Flüssigkeitszufuhr,
linern (Agenten und PSNV-Experten) professionelle Bewegung etc. „Ohne Mampf kein Kampf!“
Einsatznachsorgegespräche angeboten werden.

Dabei können Einzelgespräche oder Gespräche in


Gruppen geführt werden. Der zeitliche Abstand vom
Einsatz sollte einige Tage bis maximal vier Wochen
betragen. Nach etwa zwei bis drei Monaten empfieht
sich ein zweites Nachsorgegespräch, bei Bedarf auch
weitere. Viele Einsatzorganisationen halten inzwi-
schen gut ausgebildete Nachsorgeteams vor. Auch
viele Psychologen bundesweit haben ihre Super­
visionsangebote mittlerweile auf die Nachsorge von
Einsatzkräften abgestimmt.
Auch für die Arbeit an der Hotline gilt:
Zur Vorbereitung der Krisenhotline gehört somit die „Ohne Mampf, kein Kampf!“ (Bild: elbefoto – Fotolia.com)
Recherche möglicher regionaler Nachsorgeangebote
einschließlich einer Klärung der Kostenübernahme. Erlernen von Entspannungstechniken
Entspannungstechniken, wie das autogene Training
Langfristig wirksame Strategien nach Johannes Heinrich Schultz, die progressive
Muskelentspannung nach Edmund Jacobson und
Langfristig wirksame, individuelle Stressmanagement­ meditative Verfahren müssen erlernt und regelmäßig 163
strategien dienen der Verbesserung der eigenen Res- trainiert werden, um in Stresssituationen schnell
sourcen und sind vor allem dann geeignet, wenn die abrufbar zu sein. Vor allem die progressive Mus-
Faktoren, die Einfluss auf die Stressreaktionen haben, kelentspannung ist leicht zu lernen und anzuwen-
direkt veränderbar sind. Beispiele sind: den. Autogenes Training und verschiedene medita-
tive Verfahren brauchen stärkere Anleitung und
Soziale Unterstützung etwas mehr Zeit, um sie zu verinnerlichen.
In Zeiten, in denen die Ressourcen strapaziert oder
überfordert werden, ist es sehr hilfreich, das soziale Strategien zur Problemlösung
Netz zu aktivieren, zu erweitern beziehungsweise
aufzubauen. Ein funktionierendes soziales Netz kann Systematische Problemlösung kann es ermöglichen,
Sicherheit und Schutz gewährleisten und eine Erwei- stressauslösende Bedingungen zu verändern oder zu
terung von Problemlösungsstrategien mit sich brin- bewältigen. Sie ist aus folgenden Komponenten
gen. Voraussetzung ist – neben der Tatsache, dass ein zusammengesetzt:
solches Netzwerk überhaupt existiert – dass Sie sich
eingestehen, an eine Grenze zu stoßen und bereit 1. Problemdefinition: Ausgangszustand und eigene
sind, sich unterstützen zu lassen. Manchmal reicht Reaktionen, Definition der Ziele, die nach der Pro-
sogar das Bewusstsein aus, dass ein solches Netz- blemlösung erreicht sein sollen.
werk existiert und Unterstützung durch andere ver- 2. Sammeln von möglichst vielen alternativen
lässlich möglich ist. Lösungsmöglichkeiten, auch durch Befragen von
Freunden, Kollegen etc.
Regelmäßiges Training 3. Entscheidung für eine Lösungsmöglichkeit: Welche
Regelmäßiges Training von notwendigen Fertigkei- Herangehensweise verspricht den größten Erfolg?
ten und Kompetenzen ist bereits im Vorfeld wichtig Planung der nächsten Schritte.
und hilfreich, um die Stressbelastung in einer Akutsi- 4. Ausführung der gewählten Lösungsmöglichkeit.
tuation zu reduzieren: Wer weiß, was wann und wie 5. Überprüfen, ob sich die Möglichkeit bewährt hat
zu tun ist, fühlt sich sicherer und wird die Anforde- oder ob andere Lösungsmöglichkeiten herangezo-
rungen souverän bewältigen können. gen werden müssen.
Sich für herausfordernde Situationen vorher die Zeit durch Saunagänge, gutes Essen, erholsamen
zu nehmen, entsprechend zu planen und zu struktu- Schlaf
rieren, erspart später im laufenden Prozess in der • Zufriedenheitserlebnisse schaffen: Schaffen Sie
Regel viel Zeit und ist hilfreich, auch in komplexen sich Freiräume, in denen Sie Zeit mit Dingen ver-
Situationen den Überblick zu behalten. bringen, die Sie gerne tun und die nicht zwangs-
läufig einem bestimmten Ziel dienen oder beson-
Einstellungsänderung, Änderung von Denkmus- ders „nützlich“ sind. Erlauben Sie sich selber
tern, Vermeiden von Stressverstärkern Genuss.
Persönlichkeitsbedingte Stressverstärker bestehen
aus überhöhten und absoluten Wünschen, Forderun- Vorbereitung: „Nach dem Einsatz ist vor dem
gen und Vorstellungen, die es zu identifizieren gilt ­Einsatz“
und die kritisch zu überdenken sind. Zu eigenen Vorbereitende, nachbereitende und langfristig wirk-
Stressverstärkern zählen zum Beispiel: same Strategien gehen an manchen Punkten nahtlos
• Perfektionismus: „Ich darf keine Fehler machen – ineinander über. Enorm wichtig und stressreduktiv
niemals!“; „Ich muss immer kompetent, effektiv ist eine gute Vorbereitung und Training für anfal-
und erfolgreich sein!“ lende Aufgabenbereiche. Hilfreich kann dafür sein:
• „Alles auf einmal wollen.“ • Training von immer wiederkehrenden Handlungs-
• Es immer allen recht machen wollen: „Ich muss abläufen
von allen gemocht werden!“ • sicheres Beherrschen der Technik und der einge-
• Einzelkämpfermentalität, nicht delegieren können: setzten Mittel
„Ich muss alles selber machen, damit es funktio- • klare Kenntnis des eigenen Arbeitsauftrages,
niert!“; „Ich brauche keine Hilfe, ich muss stark sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen
sein!“ • klare Kenntnis über Arbeitsabläufe und Zuständig-
164 • Kontrollbedürfnis: „Ich muss immer alles kontrol- keiten in der eigenen Struktur und bei externen
lieren, sonst ist es fehlerhaft.“ Stellen (Kooperationspartner etc.)
• klar strukturierter Arbeitsplatz „Wo finde ich was?“
Das Wissen um die persönlichen Stressverstärker • Informationsbeschaffung zur Lage
kann helfen, mit diesen bewusster und zielorientier- • Planung von regelmäßigen (Mini-)Pausen, in
ter umzugehen. Wenn jemand sich zum Beispiel dar- denen es möglich ist, den Hotline-Raum zu ver-
über bewusst ist, dass die Tendenz zum Einzelkämp- lassen und akut wirksame Strategien umzusetzen
fertum besteht, kann man sich in komplexen • ausgeglichener Schichtplan
Situationen eher disziplinieren, Dinge abzugeben. • Austausch mit Kollegen, eventuell Supervision
Menschen mit sehr perfektionistischen Ansprüchen • Rituale bei Schichtende
können sich klar machen, dass Fehler insbesondere • Aussicht auf etwas Positives nach Feierabend,
in unüberschaubaren Situationen nicht zu vermeiden Schaffen von Gegengewichten zum Erlebten
sind und entsprechend die Dramatik von Fehlern
noch einmal überprüfen.
TIPP Die „eine und richtige“ Strategie
Schaffen von Gegengewichten gibt es nicht. Jeder Mensch
Um neben dem Stress und der möglichen Belastung muss für sich selbst ausprobieren, was bei
auch Erholung zu erfahren, kann es hilfreich sein, ihm wirkt und förderlich ist und was eher
entsprechende Gegengewichte zu schaffen. Im Fol- nicht. Probieren Sie daher aus, welche
genden sind einige Beispiele genannt: Strategien Ihnen angenehm sind und zu
• Passende Erholung: Ihnen passen. Methoden, die Ihnen von
- unruhig, überreizt: Entspannungsübungen, vornherein unangenehm sind, werden Ihnen
­Spaziergänge ➝ Reizreduktion nicht helfen, sondern eher noch mehr
- „geladen“, angespannt: Bewegung, Abreaktion Stress verursachen. Bedenken Sie aber
➝ Abfuhr von aufgestauten Energien auch: Manchmal können scheinbar abwe-
- unausgefüllt, gelangweilt: Suche nach neuen gige oder völlig ungewohnte Dinge eine
Herausforderungen, Aktivität überraschende Wirkung haben, wenn man
- Erschöpfung: Energien tanken zum Beispiel sich erst einmal darauf eingelassen hat.
Checkliste:
Stressbewältigungs- und Stabilisierungsübungen

Im Folgenden werden einige Beispiele für Stressbe- 5 – 4 – 3 – 2 – 1 Sehen – Hören – Empfinden


wältigungs- und Stabilisierungsübungen genannt, die
Sie direkt im Einsatz an der Krisenhotline durchfüh- Diese Übung dient dazu, sich von unangenehmen
ren können. Unter Stabilisierungs- und Distanzie- Gedanken und Gefühlen abzulenken und sich in der
rungstechniken werden Übungen zusammengefasst, aktuellen äußeren Realität zu verankern. Der Wech-
die Sie darin unterstützen, sich in anstrengenden sel der Sinneswahrnehmung und die Kombination
Situationen von belastenden Erinnerungen und mit Zählen sind insofern wichtig, als dass die Kon-
Gefühlen zu distanzieren, diese zu kontrollieren und zentration auf nur eine Sinnesqualität mit der Zeit
sich abzulenken zu können. eher „einlullend“ und nicht ablenkend wäre.
Gegenstände, Geräusche oder Empfindungen kön-
Auch hier gilt wieder: Wer welche Übung für sich als nen sich in der Übung wiederholen. Bei den Empfin-
hilfreich erlebt, ist sehr unterschiedlich und kann nur dungen geht es nicht um Gefühle, sondern um kon-
durch Ausprobieren erfahren werden. Sinnvoll ist es, krete Körperwahrnehmungen, wie zum Beispiel der
Übungen, die Ihnen angenehm sind, durch Wieder- Druck des Rückens an die Stuhllehne, das Gewicht
holung zu verinnerlichen, um sie in stressreichen der Arme auf den Oberschenkeln oder die Beschaf-
Situationen einfach „abrufen“ zu können. fenheit eines Materials. Die Übung kann auch im
Dunkeln oder mit geschlossenen Augen durchge-
Auch wenn Sie sich zu diesen Übungen erst überwin- führt werden. Dann sollten Sie sich eine Vorstellung
den müssen oder sie Ihnen albern erscheinen, pro- von dem realen Raum machen, in dem sie sich 165
bieren Sie sie einmal aus und lassen Sie sich von der gerade befinden und vorgestellte Gegenstände auf-
positiven Wirkung überraschen! Wichtig ist, dass Sie zählen.
sich mit der Übung wohl fühlen, nur so kann eine
Stressreduktion auch wirklich erreicht werden.
5–4–3–2–1
SEHEN – HÖREN – EMPFINDEN
Ablenken durch Rechnen

Auch wenn es paradox erscheinen mag, sich durch Konzentrieren Sie sich mit Ihrer Wahrnehmung
Rechenübungen kurzfristige Entspannung zu Ver- auf die äußere Realität und zählen Sie auf:
schaffen, ist die Methode effektiv: Durch das Rech- 5 Gegenstände, die Sie sehen
nen werden Menschen angeregt, sich auf etwas zu 5 Geräusche, die Sie hören
konzentrieren, was ihre ganze Aufmerksamkeit bean- 5 Körperempfindungen, die Sie wahrnehmen,
sprucht und somit unangenehme Eindrücke zeit- dann
weise verdrängen kann. Der Schwierigkeitsgrad der
4 Gegenstände, die Sie sehen
Rechenübungen ist dabei variabel, je nachdem was
4 Geräusche, die Sie hören
noch hilfreich ist, um sich erfolgreich abzulenken.
4 Körperempfindungen, die Sie wahrnehmen,
Man sollte die Übung jedoch nicht zu einfach gestal-
dann
ten, da sonst der Ablenkungseffekt nicht ausreichend
ist. 3 Gegenstände, die Sie sehen
3 Geräusche, die Sie hören
3 Körperempfindungen, die Sie wahrnehmen,
ABLENKEN DURCH RECHNEN dann…
Die Wahrnehmungen können dabei laut oder
Rechnen Sie zum Beispiel „10.000 – 13“ leise ausgesprochen oder auch nur gedacht
­fortlaufend abwärts. werden.

Abb. 31: Anleitung: Ablenken durch Rechnen. Abb. 32: Anleitung: 5 – 4 – 3 – 2 – 1 Sehen – Hören –
­Empfinden.
Atemübungen Körperliche Übungen zur Stressreduktion

Atemübungen sind eine wichtige Grundlage für die Eine innere Anspannung wirkt sich in der Regel
bewusste Übernahme von Kontrolle: Ich kontrolliere immer auch körperlich aus. In Stresssituationen span-
meine Atmung, die ansonsten unbewusst gesteuert nen Menschen – und auch Tiere – instinktiv die Mus-
wird. Atemübungen dienen der Entspannung. Wenn kulatur an, um sich vor Angriffen zu schützen und
jemand bewusst etwas kontrollieren kann, was schnell reagieren zu können. Wenn Situationen kör-
ansonsten unbewusst abläuft, kann ein Transfer auf perlich oder seelisch belastend oder bedrohlich sind,
andere Bereiche erfolgen. In Stresssituationen ist es neigen Menschen dazu, die Schultern hochzuziehen
ein angeborenes physiologisches Reaktionsmuster, und den Rücken zu krümmen. Auch das sind ganz
flach und schnell zu atmen. Durch das Erlernen der alte, angelegte Verhaltensmuster, die dazu dienen,
Atemkontrolle können belastende Eindrücke und die verletzlichsten Körperbereiche (den Hals, das
Erinnerungen in Verbindung mit anderen Übungen Herz und den Bauch) zu schützen.
positiv beeinflusst und Distanzierung und Selbstberu-
higung gefördert werden. Wenn Menschen sich über längere Zeit in einer ange-
spannten Situation befinden und nicht für muskuläre
ATEMÜBUNGEN Entspannung sorgen, kann das zu Spannungsschmer-
zen führen.

Versuchen Sie Ihren Atemrhythmus mit Zählen Die nachfolgenden Übungen unterstützen dabei, die
zu kombinieren. Achten Sie zunächst eine
Muskulatur aktiv zu entspannen und zu dehnen, um
Weile auf Ihren eigenen Atem und beginnen
Spannungsschmerzen zu vermeiden.
dann Ihren Atemrhythmus mitzuzählen, ohne
ihn zu verändern. Zum Beispiel:
166 Insbesondere die progressive Muskelentspannung
Einatmen: 1 – 2 – 3 ……….
kann in kurzer Zeit erlernt und in Arbeitspausen ein-
(Stopp: 4)
fach durchgeführt werden.
Ausatmen: 5 – 6 – 7 ……..
Manche Menschen stoppen den Atemfluss
zwischen der Ein- und Ausatmung für einen KÖRPERLICHE ÜBUNGEN ZUR
kurzen Moment. Sollte das bei Ihnen so sein, ­STRESSREDUKTION
zählen Sie die kurze Pause mit.
Probieren Sie dann aus, Ihren Atemrhythmus • Achten Sie zwischendrin darauf, sich immer
zu verändern, zu verlängern oder auch zu ver- wieder zu bewegen, eventuell aufzustehen.
kürzen. Finden Sie heraus, welche Art zu
atmen Sie am meisten entlastet und beruhigt. • Strecken Sie sich und achten dabei insbe-
Versuchen Sie darauf zu achten oder dahin zu sondere auf die Dehnung der Schulter-
gelangen, dass die Ausatmung gleichlang Nacken-Partie, indem Sie zum Beispiel die
oder sogar etwas länger andauert, als die Ein- Arme nach hinten strecken und damit den
atmung. Brustkorb öffnen, die Schultern bewusst in
Einatmen: 1 – 2 – 3 …… alle Richtungen bewegen, vorsichtig den
(Stopp: 4) Kopf kreisen etc.
Ausatmen: 5 – 6 – 7 – (8) ……
Um sich verstärkt von unangenehmen Gedan- Abb. 34: Anleitung: Körperliche Übungen zur Stressreduktion.

ken und Bildern abzulenken, können Sie Ihren


Atem auch eine Weile wie eine „Welle“ gestal-
ten, den Atemrhythmus verlängern – verkür-
zen – verlängern und so weiter
Führen Sie die Übung möglichst im Stehen
aus, nehmen Sie einen festen Stand ein und
atmen Sie in den Bauch.

Abb. 33: Anleitung: Atemübungen.


PROGRESSIVE MUSKELENTSPANNUNG

• Setzen Sie sich für einen Moment bequemen hin. Setzen Sie sich aufrecht hin, sodass Ihr Kopf vom
Oberkörper ohne Mühe getragen wird und lehnen Sie sich leicht an die Rückenlehne an.
• Lassen Sie die Schultern fallen, die Unterarme ruhen auf der Stuhllehne.
• Die Füße stehen fest auf dem Boden und tragen die Unterschenkel.
• Atmen Sie tief und ruhig durch, möglichst in Bauchatmung.
In den folgenden Schritten geht es hauptsächlich darum, den Unterschied zwischen entspannten und
angespannten Muskelgruppen zu spüren. Spannen Sie nach und nach einzelne Körperbereiche bis zu
einer für Sie angenehmen Grenze an und entspannen Sie diese wieder. Die Anspannung sollte 5 bis 7
Sekunden gehalten werden, an den Füßen etwas kürzer. Die Entspannung sollte länger ­dauern.
• Als Rechtshänder beginnen Sie mit dem rechten Arm, Linkshänder mit dem linken. Bereiten Sie sich
nun darauf vor, an diesem Arm sämtliche Muskeln nacheinander maximal anzuspannen. Am besten
erreichen Sie dies, wenn Sie die Faust ballen, den Unterarm nach oben hin anwinkeln und zugleich
die Muskeln des Oberarms anspannen. Atmen Sie dabei tief ein. Dann halten Sie für 5 bis 7 Sekun-
den die Luft an und die Muskeln gespannt. Mit der Ausatmung entspannen Sie auch die Muskulatur
wieder.
• Manche Personen spüren ein wohltuendes Gefühl der Schwere oder Wärme in den Körperberei-
chen. Physiologisch ist dies ein Zeichen dafür, dass der Arm vermehrt durchblutet wird – eine Folge
der Muskelentspannung.
167
• Nehmen Sie jetzt den zweiten Arm hinzu und üben Sie solange, bis Sie die Entspannung und ihre
Begleiterscheinungen wie Schwere und Wärme in beiden Armen fühlen.
• Stellen Sie sich vor, dass Sie mit dem Ausatmen etwas Unangenehmes wegschicken. Das Aus­
stoßen von etwas, das uns unbekömmlich ist, ist eine der natürlichsten Reaktionen unseres Körpers.
• Dehnen Sie die Übung schrittweise auf die großen Muskelpartien aus. Falls Sie mit Ihren Beinen
beginnen wollen, erreichen Sie einen guten Spannungszustand, wenn Sie Ihre Fußspitzen nach oben
und innen hochziehen.
• Die Schulter- und Nackenpartie spannen Sie an, wenn Sie die Schultern hochziehen und den Kopf
einziehen.
• Ihren Bauch können Sie anspannen, indem Sie ihn herausstrecken oder einziehen. Alle Muskeln
­lassen sich entweder durch Dehnung oder durch Zusammenziehen anspannen. Wechseln Sie
­zwischen diesen beiden Möglichkeiten der Anspannung.
• Wenn sich während der Übung unerwünschte Erinnerungen einstellen, atmen Sie diese mit aus.
• Schließen Sie die Übung ab, indem Sie sich zum Beispiel strecken, aufstehen oder ausschütteln.

Abb. 35: Anleitung: Progressive Muskelentspannung.


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Seite 16, Abb. 2: Andreas Igl Seite 113, Abb. 18: BBK
Seite 57, Abb. 3: Plan Nombreuses Victimes, Service National de Seite 116, Abb. 19: BBK
la ­Protection Civile, 2003 Seite 117, Abb. 20: BBK
Seite 62, Abb. 4: GAST / EPIC Seite 123, Abb. 21: BBK (nach Paul Watzlawick)
Seite 64, Abb. 5: Polizei Berlin Seite 125, Abb. 22: BBK (nach Friedemann Schulz von Thun)
Seite 76, Abb. 6: BBK Seite 125, Abb. 23: BBK (nach Friedemann Schulz von Thun)
Seite 77, Abb. 7: BBK Seite 126, Abb. 24: BBK
Seite 78, Abb. 8: BBK; Weltkarte: Vardion / Seite 140, Abb. 25: BBK
http://commons.wikimedia.org Seite 141, Abb. 26: BBK
Seite 79, Abb. 9: BBK Seite 153, Abb. 27: BBK
Seite 80, Abb. 10: BBK Seite 156, Abb. 28: BBK
Seite 82, Abb. 11: BBK Seite 157, Abb. 29: BBK (nach Lazarus)
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© Gerd Altmann / PIXELIO Seite 165, Abb. 31: BBK
Seite 92, Abb. 13: BBK Seite 165, Abb. 32: BBK
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Seite 108/109, Abb. 16: BBK Seite 167, Abb. 35: BBK

172 Bildnachweis
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Seite 15: Andreas Igl Seite 86: BBK
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