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NEUE HISTORISCHE LITERATUR
BUCHBESPRECHUNGEN FRÜHE NEUZEIT
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| 5/19/15 12:53 PM
Übertreibung bisweilen den Nagel auf den Kopf, etwa beim päpstlichen Nepotis-
mus, auch wenn wir nicht wissen, ob Giovanni Francesco Aldobrandini tatsächlich
2,2 Millionen Subsidien unterschlagen hat oder ob Scipione Borghese tatsächlich
ein Knabenschänder war. Hingegen ist die bösartige Behauptung nur übertrieben,
dass Paul V. bei den Jesuiten weder Literatur noch Theologie gelernt habe, und daher
bloßer Jurist, das heiße aber bloßer Esel gewesen sei (Bd. 1, S.642: „purus legista, ut
aiunt, idemque purus asinista“). Auch Klesl (der übrigens 1609 noch nicht Kardinal
war [Bd. 1, S.583]) schreibt er gerne „CL-Esel“ (Bd. 2, S.970).
Schoppe war aber nicht nur als Polemiker Polyhistor. Jaitners Bibliographie ent-
hält 88 gedruckte und 69 ungedruckte Werke; dazu kommen weitere, die erwähnt
werden, aber nicht mehr vorhanden sind. Als Graphomane (Hausmann) definierte
er sich durch Schreiben und litt nicht umsonst an Hämorriden. Er brauchte für ein
mehrhundertseitiges Buch maximal vier Monate und stellte im Jahresdurchschnitt
drei Bücher fertig. Als Philologe und Sprachdidaktiker erstklassig, blieb er als Theo-
loge, politischer Philosoph und Ratgeber im Gegensatz zu seinem Selbstbewusstsein
eher zweitklassig. Ob ihn die Produktion zahlreicher Genealogien als kritischen Hi-
storiker qualifiziert, wäre noch zu klären. Nichtsdestoweniger macht die Edition
deutlich, welche Schätze hier trotz der älteren Schoppe-Forschung (D’Addio 1962,
Helfenstein 1963, Hausmann 1995, Jaumann u.a. 1998) immer noch zu heben sind.
Denn als Möchtegernpolitiker ist Schoppe ebenso von Interesse wie als Kontrovers-
theologe und politischer Philosoph. Er gibt der Latinistik ebenso zu tun wie der Hu-
manismus-, Konvertiten- und Selbstzeugnisforschung. Vor allem aber stellt die vor-
liegende Edition ein paradigmatisches Quellenkorpus für Mikropolitik dar, für die
Bedeutung der persönlichen Beziehungen in der Geschichte. Das Kunstwort Philo-
theca soll nämlich eine 1645 angelegte Sammeldarstellung der „Freunde“ Schoppes
bezeichnen, die von der Auflistung von Personen zu Kommentaren über Erfahrun-
gen mit ihnen übergeht, aber 1630 mitten im Satz abbricht.
Da Schoppes ciceronianische Schachtelsätze schon den Zeitgenossen Mühe be-
reiteten, gibt der Bearbeiter mit Hilfe seiner Ehefrau und von Johann Ramminger sei-
ner Ausgabe der Philotheca eine auf den ungeraden Seiten des Bandes parallel laufen-
de deutsche Übersetzung bei (die nur bei überbordenden Zitatenhäufungen aus-
setzt). Der Apparat ist tadellos; die zahllosen Personen, auf die es ja besonders
ankommt, erhalten im ersten Teil in den Fußnoten, im zweiten gesonderte Kurzbio-
graphien. Zusätzlich gibt es in beiden Bänden neben ausführlichen Registern Zita-
tenindizes der antiken Schriftsteller, der Kirchenväter und der Bibelstellen, eine
Das Thema Kredit hat in den letzten Jahren erhebliches Interesse gefunden, nicht
zuletzt in Verbindung mit Diskussionen über Vertrauen, Tausch und Markt. Beate
Sturm legt daher eine Studie zum Privatkredit in der Stadt Hannover von 1550 bis
1750 vor. Die Privatkredite reichen von alltäglichen Kreditkäufen bis hin zu größe-
ren Krediten und Pfandleihgeschäften. Der Fokus der Analyse liegt auf sozial-, men-
talitäts-, kultur- und alltagsgeschichtlichen Aspekten (S.16). Die Überlieferung ist
tragfähig, denn auch Kleinkredite haben zahlreiche Quellen hinterlassen; überwie-
gend sind konfliktreiche Schuldverpflichtungen dokumentiert. Sturm hat auf die-
ser Basis eine Datei („Gesamtdaten“) mit 4363 Schuldgeschäften erstellt. Der Aus-
schluss des Fern- und Überseehandels erscheint allerdings problematisch.
Die Einleitung referiert zunächst die Literatur in aller Kürze: Hier hätte man sich
eine kritische Diskussion der Forschung zur Gewinnung von Fragestellungen ge-
wünscht. Sodann werden die rechtlichen Grundlagen und Begriffe erklärt. Als Ursa-
chen von Kredit werden Finanzierung von Unterkunft und Land, Kauf von Lebens-
mitteln, obrigkeitliche Abgaben, Hausrat, Umschuldung, Übergangsriten (beson-
ders Mitgift), Schmuck, Lohn und Sold, Lebenshaltungskosten etc. eruiert. Als
Akteure, d.h. als Schuldner und Gläubiger, traten überwiegend Männer in Erschei-
nung. Sturm wertet die Datensätze auch mit Blick auf soziale Schichten und Grup-
pen sowie Berufsgruppen aus.
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