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Kaspar Schoppe, Autobiographische Texte und Briefe: Philotheca Scioppiana.

Bd. 1/1–2: Eine frühneuzeitliche Autobiographie 1576–1630. Bd. 2/1–5: Briefe


1594–1649. Indizes. Bearb. v. Klaus Jaitner in Zusammenarb. mit Ursula Jaitner-
Hahner u. Johann Ramminger. (Bayerische Gelehrtenkorrespondenz, Bd. 2/1–2.)
München, Beck 2004, 2012. 38*, 1404, 56*, 3281 S., 4 Abb., € 52,– u. 120,–.
// doi 10.1515/hzhz-2014-0065
Wolfgang Reinhard, Freiburg im Breisgau

In dieser mustergültigen Edition werden die umfangreichen autobiographischen


Aufzeichnungen und 1496 Stück Korrespondenz des Oberpfälzer „Odysseus“ (Bd. 2,
S.1334), des Späthumanisten Kaspar Schoppe, latinisiert Scioppius, italienisch Sci-
oppio (1576–1649) für die Forschung erschlossen. Der Spross einer Pfarrersfamilie
studierte in Heidelberg, Ingolstadt und Altdorf, schloss als Jurist ab, qualifizierte
sich aber vor allem als brillanter Latinist im Stil Ciceros. Mit Hilfe seines Lehrers
Konrad Rittershausen wusste er sich erfolgreich in der Humanistenwelt zu platzie-
ren. Allerdings trat er 1598 in Prag zum Katholizismus über, eine aufrichtige, aber
auch nützliche Konversion, denn er fand Anschluss an den Reichshofrat Johann
Matthäus Wacker von Wackenfels, ebenfalls ein Konvertit, und durfte diesen zu
Papst Clemens VIII. begleiten. Über den päpstlichen Beichtvater Kardinal Baronius
gewann er die Gunst des Papstes, wohnte zeitweise im Vatikan und erhielt eine mo-
natliche Pension von 15 Scudi, die ihm bis 1645 zuverlässig gezahlt wurde, während
er bei anderen Einkünften um die Auszahlung kämpfen, sonst auf Zuwendungen
seiner fürstlichen Gönner warten oder sich verschulden musste. Zwar pflegte er
einen mönchisch-anspruchslosen Lebensstil, aber durchaus standesgemäß mit zwei
Dienern. In Rom war er als Propagandist zur Gewinnung protestantischer „Touris-
ten“ tätig und begann er seine Laufbahn als Polemiker, zunächst gegen den calvinis-
tischen Vorzeigephilologen Joseph Justus Scaliger, den er eben noch verehrt hatte.
Im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges forderte er dann die Katholiken auf, sich ge-
gen calvinistische Tücke zu wappnen, was als Kriegshetzerei gedeutet wurde. Als in-
formeller Beobachter Papst Pauls V. war er 1608 beim Reichstag zu Regensburg an-
wesend und engagierte sich für eine katholische Liga. Für Erzherzog Ferdinand und
Bayern wurde er deswegen beim Papst vorstellig und 1613–1615 am spanischen Hof.
Im Auftrag Pauls V. hatte er in einer umfangreichen Streitschrift gegen Jakob I. die
weltliche Oberhoheit des Papstes proklamiert, was ihm in Madrid einen Überfall
durch von England gedungene Bravi einbrachte – seither lebte er in Angst vor Atten-

202 Historische Zeitschrift // BAND 298 / 2014


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taten. Erst nach der Wahl Gregors XV. konnte er aus Mailand nach Rom zurückkeh-
ren. Von diesem wie von Urban VIII. enttäuscht, verließ er Rom 1626 für immer, hat-
te aber mit seinen unerbetenen Ratschlägen im Mantuaner Erbfolgestreit so wenig
Erfolg wie beim Regensburger Kurfürstentag 1630. Dabei hatte sich der Kontrovers-
theologe zum Friedens- und Wiedervereinigungstheologen gemausert und eine hef-
tige Auseinandersetzung mit den Jesuiten begonnen. Ab 1636 lebte er im veneziani-
schen Padua, wo er sich vor Nachstellungen sicher glaubte. Bis zuletzt war er philo-
logisch, historisch und theologisch tätig. Er plädierte jetzt für die Reform der Kirche,
distanzierte sich von seinem früheren Papalismus, befürwortete ein Konzil und
stellte den Primat des Papstes sowie das Fegefeuer in Frage (Bd. 1, S.1028). Zugleich
versuchte er eine angeblich in der Bibel verborgene Eschatologie zu entschlüsseln.
Er starb mit der Benediktinerregel in der Hand.
Schoppe war sicher nicht „normal“, sondern eine außergewöhnlich unstete und
widersprüchliche Persönlichkeit. Sein Porträt von Rubens’ Hand, das alle sieben
Bände ziert, zeigt einen eleganten, aber gestrengen Herrn mit widerspenstigem
Haarwuchs. Er war stolz auf seine stoische Unabhängigkeit und seinen „deutschen
Freimut“, wenn er mit Päpsten und Fürsten als selbst ernannter Ratgeber auf dersel-
ben Augenhöhe zu verhandeln versuchte. Abgewiesen konnte er grob reagieren. Zu
einem ablehnenden Bescheid der Republik Lucca schrieb er 1634 „non so a che ser-
virmi, se non per nettarmi, dove non voglio dire“ (Bd. 1, S.148); den freundschaftli-
chen Rat, sich dafür zu entschuldigen, quittierte er mit der Feststellung, er habe eine
Entschuldigung zu erwarten. Seine betonte Wahrheitsliebe als „stoico Christiano“
(Bd. 2, S.2107) hat ihn nicht am Plagiat gehindert. So hat er Manuskripte Campanel-
las, die er sich erbeten hatte, während er sich durchaus aufrichtig um die Verbesse-
rung von dessen Haftbedingungen bemühte, schamlos ausgeschlachtet. Auch seine
Eitelkeit, mit der er zunächst als fürstlicher Rat, später als adeliger Graf gelten woll-
te, mutet nicht eben stoisch an. Selber ein politischer Projektemacher, fiel er auf alles
Mögliche herein, auf das Goldmachen und unsägliche Rezepte zur Bekämpfung sei-
ner Krankheiten ebenso wie auf den dubiosen Georgsritterorden und die Impresa di
Levante des „Sultans“ Jahja, der ihn (anders als Jaitner Bd. 1, S.1, 30, Bd. 2, S.55* meint)
zum Grafen erhoben hatte (Bd. 2, S.1946). Typisch für ihn ist die Art und Weise, wie
er sich für neue Bekannte begeistern konnte, aber dieselben Personen mit giftiger
Kritik und ätzendem Hohn überzog, wenn es passte oder sie ihn enttäuscht hatten,
neben Rittershausen und Scaliger vier Päpste, Federico Borromeo und Kaiser Ferdi-
nand II., den er zum Schluss als jesuitenhörigen Trottel hinstellt. Dabei trifft er trotz

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Übertreibung bisweilen den Nagel auf den Kopf, etwa beim päpstlichen Nepotis-
mus, auch wenn wir nicht wissen, ob Giovanni Francesco Aldobrandini tatsächlich
2,2 Millionen Subsidien unterschlagen hat oder ob Scipione Borghese tatsächlich
ein Knabenschänder war. Hingegen ist die bösartige Behauptung nur übertrieben,
dass Paul V. bei den Jesuiten weder Literatur noch Theologie gelernt habe, und daher
bloßer Jurist, das heiße aber bloßer Esel gewesen sei (Bd. 1, S.642: „purus legista, ut
aiunt, idemque purus asinista“). Auch Klesl (der übrigens 1609 noch nicht Kardinal
war [Bd. 1, S.583]) schreibt er gerne „CL-Esel“ (Bd. 2, S.970).
Schoppe war aber nicht nur als Polemiker Polyhistor. Jaitners Bibliographie ent-
hält 88 gedruckte und 69 ungedruckte Werke; dazu kommen weitere, die erwähnt
werden, aber nicht mehr vorhanden sind. Als Graphomane (Hausmann) definierte
er sich durch Schreiben und litt nicht umsonst an Hämorriden. Er brauchte für ein
mehrhundertseitiges Buch maximal vier Monate und stellte im Jahresdurchschnitt
drei Bücher fertig. Als Philologe und Sprachdidaktiker erstklassig, blieb er als Theo-
loge, politischer Philosoph und Ratgeber im Gegensatz zu seinem Selbstbewusstsein
eher zweitklassig. Ob ihn die Produktion zahlreicher Genealogien als kritischen Hi-
storiker qualifiziert, wäre noch zu klären. Nichtsdestoweniger macht die Edition
deutlich, welche Schätze hier trotz der älteren Schoppe-Forschung (D’Addio 1962,
Helfenstein 1963, Hausmann 1995, Jaumann u.a. 1998) immer noch zu heben sind.
Denn als Möchtegernpolitiker ist Schoppe ebenso von Interesse wie als Kontrovers-
theologe und politischer Philosoph. Er gibt der Latinistik ebenso zu tun wie der Hu-
manismus-, Konvertiten- und Selbstzeugnisforschung. Vor allem aber stellt die vor-
liegende Edition ein paradigmatisches Quellenkorpus für Mikropolitik dar, für die
Bedeutung der persönlichen Beziehungen in der Geschichte. Das Kunstwort Philo-
theca soll nämlich eine 1645 angelegte Sammeldarstellung der „Freunde“ Schoppes
bezeichnen, die von der Auflistung von Personen zu Kommentaren über Erfahrun-
gen mit ihnen übergeht, aber 1630 mitten im Satz abbricht.
Da Schoppes ciceronianische Schachtelsätze schon den Zeitgenossen Mühe be-
reiteten, gibt der Bearbeiter mit Hilfe seiner Ehefrau und von Johann Ramminger sei-
ner Ausgabe der Philotheca eine auf den ungeraden Seiten des Bandes parallel laufen-
de deutsche Übersetzung bei (die nur bei überbordenden Zitatenhäufungen aus-
setzt). Der Apparat ist tadellos; die zahllosen Personen, auf die es ja besonders
ankommt, erhalten im ersten Teil in den Fußnoten, im zweiten gesonderte Kurzbio-
graphien. Zusätzlich gibt es in beiden Bänden neben ausführlichen Registern Zita-
tenindizes der antiken Schriftsteller, der Kirchenväter und der Bibelstellen, eine

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Notwendigkeit bei Schoppes ausufernder Gelehrsamkeit. Band 1 enthält Jaitners so-
lide Biographie Schoppes von über 200 Seiten, die sich aber als Teil einer Edition
starker Wertungen bewusst enthält. Natürlich gibt es hin und wieder kleine Fehler.
Außerdem hätte ich mir Ausführungen über die in den Briefen auftretenden Chiff-
ren und die Probleme gewünscht, die der Schriftsteller Schoppe mit Druckern und
Zensoren hatte. Doch statt zu beckmessern, sollten wir uns freuen, dass der unglück-
liche Zufall einer Frühpensionierung diese großartige Edition ermöglicht hat; denn
unter „normalen“ Bedingungen haben Historiker heute dazu weder Zeit noch Lust.

Beate Sturm, ‚wat ich schuldich war‘. Privatkredit im frühneuzeitlichen Hanno-


ver (1550–1750). (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bei-
hefte, Nr.208.) Stuttgart, Steiner 2009. 336 S., € 62,–.
// doi 10.1515/hzhz-2014-0066
Reinhold Reith, Salzburg

Das Thema Kredit hat in den letzten Jahren erhebliches Interesse gefunden, nicht
zuletzt in Verbindung mit Diskussionen über Vertrauen, Tausch und Markt. Beate
Sturm legt daher eine Studie zum Privatkredit in der Stadt Hannover von 1550 bis
1750 vor. Die Privatkredite reichen von alltäglichen Kreditkäufen bis hin zu größe-
ren Krediten und Pfandleihgeschäften. Der Fokus der Analyse liegt auf sozial-, men-
talitäts-, kultur- und alltagsgeschichtlichen Aspekten (S.16). Die Überlieferung ist
tragfähig, denn auch Kleinkredite haben zahlreiche Quellen hinterlassen; überwie-
gend sind konfliktreiche Schuldverpflichtungen dokumentiert. Sturm hat auf die-
ser Basis eine Datei („Gesamtdaten“) mit 4363 Schuldgeschäften erstellt. Der Aus-
schluss des Fern- und Überseehandels erscheint allerdings problematisch.
Die Einleitung referiert zunächst die Literatur in aller Kürze: Hier hätte man sich
eine kritische Diskussion der Forschung zur Gewinnung von Fragestellungen ge-
wünscht. Sodann werden die rechtlichen Grundlagen und Begriffe erklärt. Als Ursa-
chen von Kredit werden Finanzierung von Unterkunft und Land, Kauf von Lebens-
mitteln, obrigkeitliche Abgaben, Hausrat, Umschuldung, Übergangsriten (beson-
ders Mitgift), Schmuck, Lohn und Sold, Lebenshaltungskosten etc. eruiert. Als
Akteure, d.h. als Schuldner und Gläubiger, traten überwiegend Männer in Erschei-
nung. Sturm wertet die Datensätze auch mit Blick auf soziale Schichten und Grup-
pen sowie Berufsgruppen aus.

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