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Franco Solo

Band 06

Der
Milliardencoup

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Alle bei COUNTER MOB wußten es, vor allem Franco Solo: Sie standen
vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Die Mafia hatte zu ihrem
entscheidenden Schlag ausgeholt - sie würde einen der größten
Rüstungsbetriebe der Welt übernehmen. Franco Solo kochte vor Wut. Wenn
der Mafia dieser Milliarden-Coup gelang, dann hatte COUNTER MOB
seinen Kampf endgültig verloren.
Franco Solo begann seinen einsamen, verbissenen Kampf. Er mußte die
Mafia an ihrem Vorhaben hindern, ihre Pläne durchkreuzen. Und dann traf er
auf Julie, auf jenes Mädchen, das die Schlüsselfigur in diesem Poker auf
Leben und Tod war...
Erich Pabel Verlag KG
Februar 1978

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!


Franco Solo spürte das Gewicht der schweren Waffe kaum.
Der Schaft schmiegte sich glatt an seine Wange. In der Kälte des
Morgens fühlte sich das Holz warm an.
Die Büchse lag gut in seiner Hand. Er preßte sein Auge an die
weiche Gummimanschette des starken Zielfernrohrs.
Stark vergrößert wanderte der westliche Hang des Tals über
sein Blickfeld. Schmale Grate, Risse, hier und da ein dürrer
Strauch, der seine Wurzeln wie Klammern in den Fels krallte.
Und dann fesselte das Wild seinen Blick. Der Gewehrlauf
kam zur Ruhe, schwebte reglos über dem Abgrund. Mit
angehaltenem Atem betrachtete Franco das Tier.
Jetzt hatten auch die anderen das Wild erspäht. Ein Fuß
scharrte, Franco spürte eine Berührung an seiner linken
Schulter. Rechts neben sich hörte er das erregte Atmen des
Kongreßabgeordneten aus Kansas.
Das Dickhornschaf stand auf einem kaum sichtbaren
Vorsprung. Mißtrauisch spähte es herüber. Das scheue Tier
schien die tödliche Gefahr zu ahnen, aber noch reagierte es
nicht, noch hatte es die Drohung nicht erkannt. Die Entfernung
bis zu der kleinen Gruppe in der Felsenkanzel hoch über dem
Grund der Schlucht betrug eine halbe Meile.
Ein Stein löste sich unter einem Fuß, kollerte bis zur Kante
und stürzte dann in die Tiefe. Der breite braune Kopf mit dem
mächtigen, gebogenen Gehörn bewegte sich ein wenig. Franco
sah ein großes braunes Auge unter einem knöchernen Wulst.
„Schießen Sie!" zischte eine Stimme an Francos Ohr. Die
Stimme gehörte Tibor J. Durrance aus Kansas. „Worauf warten
Sie, zum Teufel?"
Franco atmete langsam aus. Das Bild im Sichtfeld des
Zielfernrohrs zitterte unmerklich. Ohne die Waffe abzusetzen,
sagte er: „Diese Tiere stehen unter Naturschutz."
„Schießen Sie! Ich will es! Rathbone hat es versprochen!"

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Rathbone, dachte Franco, ist ein geldgieriger Schurke.
Die leichte Berührung an seiner linken Schulter verstärkte
sich. Dann hörte er Julies leise, flehende Stimme.
„Bitte, nicht!" Sie klang so entsetzt, daß ihr Unterton Franco
verwirrte.
„Tun Sie endlich was!" keuchte Durrance. „Los! Wofür sind
wir sonst mitten in der Nacht aus den Schlafsäcken gekrochen?
Rathbone wird Sie feuern!"
Rathbone, dachte Franco, immer wieder Rathbone ...
„Bitte ..."
Franco zögerte. Dort drüben stand ein Tier. Schön und groß,
wie die Landschaft selbst, wie das Land, in das es ge hörte. Nur
ein Tier. Was spielte es für eine Rolle, wenn er es für seinen Job
opferte? Ein wenig Spaß für die Leute, die in die Bergwildnis
kamen und für die er den Führer spielte.
Er preßte den Schaft an seine Schulter, richtete den Lauf
wieder aus. Das Dickhornschaf äugte direkt ins Objektiv.
Unter Francos Achseln brach der Schweiß aus, rann wie
Eiswasser an den Rippen hinab. Er hob den Lauf um den
Bruchteil eines Zolls. Sein Zeigefinger krümmte sich.
Dann spürte er den harten Rückschlag. Brüllend brach das
Geschoß aus dem Lauf, der schmetternde Knall zerriß die
atemlose Stille über dem Felsental.
Tibor Durrance schrie triumphierend auf.
Das Bild vor Francos Auge zerplatzte unter den
Schwingungen des Laufes. Franco brachte die Waffe zur Ruhe,
starrte durch das Glas.
Über dem rechten Hörn des Dickhornschafes zersplitterte eine
Felsnadel. Franco sah die Steinbrocken über den Kopf des
Bocks wirbeln. Das Tier warf sich herum. Einen Moment schien
es, als stürzte es über den Grat in die Tiefe.
Doch die kleinen Hufe gaben dem scheinbar so plumpen
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Körper einen einwandfreien Halt. Behende sprang das Wild über
den Sims, und während das Echo des Schusses noch donnernd
zwischen den Felswänden hin und her geworfen wurde,
verschwand es in einer dunklen Felsspalte.
Der Triumphschrei des Kongreßabgeordneten ging in ein
wütendes Knurren über. Franco setzte das Gewehr ab.
In diesem Moment brach die Sonne über den östlichen Grat,
und wie Kaskaden farbigen Wassers stürzte das Licht über die
Westflanke in die Tiefe und ließ die Farben der
Gesteinsschichten aufleuchten.
Geblendet schloß Franco die Augen. Der Tag war erwacht.

Als er die Augen wieder öffnete, sah er Julies schmales


Gesicht vor sich. Ihre rauchgrauen Augen schienen sich mit
einem Schleier überzogen zu haben, wie zum Schutz vor dem
Entsetzlichen, das sie beinahe hätten mit ansehen müssen. Die
feingeformte Unterlippe zitterte noch. Julie strich mit einer
Hand über das maisgelbe Haar, das unter dem schwarzen
Kopftuch hervorquoll. Franco lächelte.
Hinter ihm schnaubte Tibor Durrance. „Sie haben ihn
angestoßen!" fauchte der Mann. „Sie sind schuld, nur Sie!"
Franco drehte sich langsam um. „Gar nichts hat sie getan",
sagte er scharf. „Ich habe danebengeschossen. Das ist alles."
Die anderen Teilnehmer des morgendlichen Trips in die
Wildnis der Bitterroot Range - außer Julie und Tibor noch drei
Männer - schienen die Erklärung ihres Führers zu akzeptieren,
schließlich war dieses keine Jagdgesellschaft, auch wenn
Rathbone dem Politiker aus Kansas entsprechende Zusagen
gemacht hatte. Rathbone wußte auch, warum. Das Gewehr
führte Franco nur deshalb mit sich, weil es hier oben Pumas und

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Bären gab, die recht lästig sein konnten, wenn sie sich den
Hütten näherten.
Nick Leoni, ein undurchsichtiger Typ aus Indiana, machte
eine beschwichtigende Handbewegung, die jedoch Tibors Zorn
nur noch mehr anfachte.
Er schnappte nach Luft, sein breites Gesicht rötete sich. Er
hatte sich nicht rasiert, als sie um drei Uhr, bei völliger
Finsternis, von den Blockhütten des Berglagers aufgebrochen
waren, und stachelige Borsten bedeckten das fleischige Kinn.
Die kleinen Augen nahmen einen stechenden Ausdruck an.
„Das glaube ich nicht!" bellte er.
Franco hielt das schwere Gewehr quer vor seiner Brust. Mit
einer plötzlichen Bewegung, deren Heftigkeit ihn selbst
überraschte, warf er es dem anderen zu.
„Versuchen Sie es doch selbst!" sagte Franco mit un-
überhörbarer Schärfe in der Stimme. Seine blauen Augen sahen
den Mann starr an.
Durrance fing die Waffe auf. Es war ein Reflex. Er krümmte
sich zusammen und machte einen halben Schritt rückwärts, der
ihn gefährlich nahe an den drohenden Abgrund führte.
Allan Stark hielt Tibors Arm fest. Durrance schüttelte die
Hand ab, und Stark errötete. Er war ein junger Anwalt aus Tibor
Durrances Kanzlei in Topeka, Kansas. Er galt als Tibors rechte
Hand. Eine Hand offenbar, die mehr herumgestoßen und
getreten wurde als ein mexikanischer Dorfköter. Franco tat der
Mann leid. Die anderen beiden Teilnehmer des Trips sahen in
eine andere Richtung.
Tibor Durrance hatte ein rotes Tuch um seinen stämmigen
Hals geschlungen. Die olivgrüne Parka stand offen und
gestattete einen Blick auf den mächtigen Bauch. Jetzt zerrte
Durrance das Tuch aus seinem Pullover. Das Gewehr rutschte
dabei aus den angewinkelten Armen. Durrance knurrte wütend,
als er es fester packte. Er wischte über die vollen Lippen und trat

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von einem Bein auf das andere.
Er mußte zu einem Entschluß kommen. Er hatte sich selbst in
eine Situation gebracht, aus der er sich nur schwer wieder
herausmanövrieren konnte, wenn er sein Gesicht nicht ganz
verlieren wollte.
Franco nahm das Gewehr wieder an sich. Ihm war nicht daran
gelegen, die Konfrontation auf die Spitze zu treiben. Er hatte
sich zu einer scharfen Reaktion hinreißen lassen und den Mann
damit verärgert. Er hatte seinen Job gefährdet, obwohl Tibor
Durrance nicht das eigentliche Objekt war, weshalb COUNTER
MOB, jene geheime Regierungsstelle, ihn in dieses Camp
geschmuggelt hatte. Aber er, Franco, hatte eben nicht anders
gekonnt. In seinen Augen war Durrance ein Politiker, der im
Begriff stand, sich an die Mafia zu verkaufen. Für Geld und
Macht; es war das alte Spiel.
„Gehen wir weiter", sagte Franco knapp. Er streckte eine
Hand aus, um Julie behilflich zu sein. Julie nahm die Hand. Mit
ihrer anderen hielt sie die Kamera fest, die schußbereit vor ihrer
Brust baumelte.
Julie Conrad gehörte zu Tibors Troß. Genau wie Stark. Nur
mit dem Unterschied, daß sie nicht seine Angestellte war. Julie
war promovierte Psychologin. Sie hatte drei Jahre lang bei
Callup in der Meinungsforschung gearbeitet. Jetzt leitete sie
Tibor Durrances Wahlkampagne. Durrance wollte Senator
seines Staates in Washington werden. Um jeden Preis, wie
Franco vermutete. Mit Hilfe ausgeklügelter
Wahlkampftechniken und mit Unterstützung der Mafia, die den
einflußreiche n Abgeordneten vor ihren Karren zu spannen
gedachte.
Julie - Franco lächelte ihr zu. Er spürte ihre warme Hand in
der seinen, ihren festen Griff. Sie war ein zähes Persönchen.
Schlank, sportlich und in Topform. Franco glaubte nicht, daß sie
viel Zeit im Bikini - oder auch ohne - faul am Rand eines

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Swimmingpools verbrachte. Sie paßte eher auf den Sportplatz
oder auf die Skipiste, auf den Tennis- oder Squash-Platz, wenn
sie nicht gerade arbeitete, was sie sogar auf Rathbones
Gästeranch, der Blue Sky of Montana, im Übermaß tat.
Während Durrance sich entspannte und Kräfte für den
bevorstehenden Wahlkampf sammelte, arbeitete Julie an seinen
Reden, stellte Pläne für den optimalen Einsatz aller Helfer auf,
bastelte an den Bonmots, die ihr Schützling später in
Fernsehinterviews von sich geben würde und die so spontan
klingen sollten, als habe er sie soeben erst erdacht. Julie mußte
hart arbeiten. Eigentlich schade, dachte Franco bedauernd.
Er wußte, daß Durrance scharf auf sie war. Ihm waren die
hungrigen Blicke nicht entgangen, mit denen der Politiker das
Girl förmlich verschlang. Aber er wußte auch, daß Durrance
bisher bei ihr abgeblitzt war. Franco wußte es daher so genau,
weil es ihm gelungen war, eine Wanze im Apartment des
Abgeordneten unten auf der Ranch zu plazieren, und weil er
gestern erst, bevor sie zu der Bergtour aufgebrochen waren, eine
von Rathbones Miezen aus Tibors Apartment hatte huschen
sehen. Rathbones Girls konnten sich sehen lassen. Seine
Kundschaft hatte nicht nur einen auserlesenen Geschmack und
höchste Ansprüche, sondern auch das nötige Kleingeld, um sich
das Beste leisten zu können. Nein, unten in der Guest Ranch
spielte sich nichts ab. Und hier oben im Camp erst recht nicht.
Die beiden Hütten waren zu klein, und jeder beobachtete jeden.
Franco war jedoch nicht als Tibor Durrances Tugendwächter
nach Montana gegangen. Das Sexualleben des Politikers ging
niemanden etwas an. Durrance hatte es nach drei gescheiterten
Ehen aufgegeben, nach einer neuen Dauerpartnerin zu fahnden.
Er konzentrierte sich auf seine Karriere und auf männliche
Zerstreuung wie Jagen, Fischen und Bergsteigen, während er
seine sexuellen Bedürfnisse bei sorgsam arrangierten
Schäferstündchen befriedigte, die dem Mann die Illusion ließen,
auch er habe etwas zu der Anziehung auf die betreffende

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Partnerin beigetragen, und nicht nur die Dollars, die Allan Stark,
vorher oder nachher, der Gespielin zusteckte.
Sie stiegen durch eine enge, mit Geröll übersäte Rinne steil
nach oben.
Tibor Durrance hielt sich gut, das mußte Franco zugeben. Der
Politiker war ein Mann, der nicht so schnell aufgab.
Allan Stark dagegen keuchte bald und fiel hinter Nick Leoni
zurück.
Den Schluß der kleinen Gruppe bildete ein verwittert
aussehender Typ unbestimmbaren Alters, der erst vor wenigen
Tagen auf der Ranch eingetroffen war. Rathbone schien ihn gut
zu kennen. Der Mann war demnach ein Stammgast. Vielleicht
ein Industrieller aus dem Osten oder ein Journalist, der hier
seine Ferien verbrachte.
Franco kannte nur seinen Namen - Claude Couraut.
Er war noch nicht dazu gekommen, ihn überprüfen zu lassen.
Von der Ranch aus wollte er nicht mit Colonel Warner
telefonieren, und bis zum nächsten Telefon, es befand sich an
der Tankstelle kurz vor dem nächsten Ort, einem Kaff namens
Gönner, waren es mehr als zwanzig Meilen über eine
unbefestigte Straße. Wenn Franco sich einfach für eine Stunde
von der Ranch entfernt hätte, hätte er vielleicht den Argwohn
gerade der Leute erregt, auf deren Vertrauen oder zumindest
Arglosigkeit es bei seinem Job ankam.
Ja, er war wieder einmal auf sich allein gestellt. Die
Informationen, über die er verfügte, waren bemerkenswert
dürftig, der Job nicht scharf umrissen, die Anweisungen
schwammig. Bis auf eine.
Auf Rathbones exklusiver Gästeranch, das wußte COUNTER
MOB, sollten Verträge von weitreichender Bedeutung
geschlossen werden. Von Bedeutung nicht nur für die Mafia,
sondern auch für die Vereinigten Staaten von Amerika.

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Die Mafia streckte ihre Hände nach dem einen großen
Geschäft aus, in dem sie bisher noch nicht hatte Fuß fassen
können. Das Rüstungsgeschäft stellte eine der letzten Bastionen
dar, die man bisher vor dem Zugriff dieser sonst übermächtigen
Verbrecherorganisation hatte schützen können.
Doch das viele Geld aus den illegalen Unternehmungen
suchte ständig nach lukrativer und vor allem legaler
Wiederanlage.
COUNTER MOB hatte erfahren, daß einer der bedeutendsten
Rüstungskonzerne in die Kontrolle der Mafia zu geraten drohte.
George H. Whitman, Mehrheitsaktionär des bedeutendsten
Aluminiumkonzerns des Staates Kansas, war vor einigen
Wochen gestorben. Sein Bruder Lawrence, alleiniger Erbe der
Aktien im Wert mehrerer hundert Millionen, hatte kein Interesse
daran, eine Verantwortung über ein solches Industrieimperium
zu tragen. Er war bereit, seinen Anteil zu verkaufen.
Beauftragte der Mafia hatten Lawrence Whitman daraufhin
sofort unter ihre Fittiche genommen, bevor der träge
Regierungsapparat hätte reagieren können. Niemand kannte den
Aufenthaltsort dieses Mannes. Niemand sollte ihn an seine
nationalen Verpflichtungen erinnern können, bevor die Verträge
unterschrieben und besiegelt waren.
Die Mafia hatte einen Strohmann an der Hand, einen
Topmanager, der bereits eine Holding verwaltete, in der mehrere
Mafia-Familien ihre legalen Firmen eingebracht hatten. Der
Whitman-Konzern würde die Holding krönen und es ihr
ermöglichen, den Verteidigungshaushalt der führenden Nation
der westlichen Welt anzuzapfen.
Wer wäre besser geeignet, ein solches Geschäft unter Dach
und Fach zu bringen, als Tibor J. Durrance,
Kongreßabgeordneter und Anwalt aus Topeka, Kansas, Mitglied
des Rüstungsausschusses? Ein allem Anschein nach integrer
Mann. Zur Einstimmung gewährte man sich noch ein paar

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ungestörte Tage der Entspannung in Montanas wildromantischer
Bergwelt. Auf Kosten der Mafia-Holding, versteht sich. In den
nächsten Tagen sollten die Unterhändler der Holding und die
Vertreter des verkaufswilligen Lawrence Whitman auf der Blue
Sky Ranch eintreffen.
Die Blue Sky schien sauber zu sein. Jedenfalls gab es weder
in den Unterlagen von COUNTER MOB noch anderer
Regierungsstellen einen Hinweis darauf, daß die Anlage
vielleicht einem Mafioso gehörte oder von einer ,Familie'
kontrolliert wurde. Man schien peinlich darauf bedacht zu sein,
jeden verdächtigen Anschein zu vermeiden.
Aber Franco war überzeugt, daß es in den Bergen und auch
auf der Ranch bereits von den smarten Jungs mit den harten
Gesichtern und den schweren Waffen wimmelte, die darüber zu
wachen hatten, daß nichts den Abschluß des großen Geschäftes
störte. Für die Mafia ging es um Milliarden. Für Tibor Durrance
ging es um einen Sitz im Senat und um Macht und Einfluß.
Für Franco Solo handelte es sich um einen Job ohne einen
faßbaren, sichtbaren Gegner.
Klar und unmißverständlich war nur die eine Anweisung
gewesen, die Colonel Warner von COUNTER MOB ihm
gegeben hatte, bevor er das Ranger Camp in den Bergen
Colorados verließ, wo er sich auf den Job in Montana
vorbereitet hatte.
„Sorgen Sie dafür, daß das Geschäft nicht zustande kommt",
hatte der Colonel gesagt. Er hatte nicht gelächelt, hatte Franco
nicht einmal Glück oder Erfolg für den Job gewünscht.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kamen sie wieder bei den
Hütten an. Auf dem kleinen Platz vor dem langgestreckten

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Blockhaus, in dem die Küche, der Aufenthaltsraum und die vier
Schlaf räume untergebracht waren, stand ein Wagen.
Franco erkannte sofort einen der Pickups mit Vierradantrieb,
der unten auf der Ranch stationiert war. Nur mit diesen
Fahrzeugen war es möglich, die schmalen, geröllübersäten
Wege in den Bergen zu befahren wenn überhaupt. Auf der
kleinen Ladefläche lag jedoch weder eine Ausrüstung noch
Proviant.
Die Gruppe kam aus einem engen Hohlweg. Julie Conrad
ging neben Allan Stark. Durrance und Leoni schritten
schweigend nebeneinander her, während Claude Couraut nach
wie vor die Nachhut bildete.
Sie waren erschöpft und ausgehungert. Leoni deutete auf die
dünne Rauchfahne, die verheißungsvoll aus dem Kamin stieg
und vom leichten Wind, der über die Klippe herabfiel, zerfasert
wurde.
Franco fühlte eine unbestimmte Unruhe. Er ging schneller. Es
war nicht vorgesehen, daß noch mehr Leute ins Bergcamp
heraufkamen. Die Blockhütte bot nur Platz für maximal acht
Personen. Franco und Tom Harrigan, der Mann, der ständig bis
zum Einbruch des Winters hier oben lebte, die Hütte in Ordnung
hielt und für die Gäste kochte, schliefen ohnehin im
Vorratsschuppen, da Julie, weil sie die einzige weibliche
Teilnehmerin des Trips war, eins der vier Schlafzimmer für sich
beanspruchte.
Es würde eng werden, wenn Rathbone noch mehr Gäste
heraufgeschickt haben sollte.
Durrance zog ein mürrisches Gesicht. Seit dem Morgen hatte
es sich nicht mehr aufgehellt. Stark und auch Julie hatten es
immer wieder versucht, und auch Leoni und Couraut, aber die
beiden hatten es bald aufgegeben und miteinander eine lebhafte
Unterhaltung angefangen. Aus den Gesprächsfetzen, die Franco
mitbekommen hatte, hatte er erfahren, daß Leoni als

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Geschäftsführer einer Fleischfabrik in Chicago arbeitete,
während Couraut ein waschechter Drehbuchschreiber aus
Hollywood war, der hier auf neue Eindrücke hoffte.
Franco stieß die Tür zur Hütte auf.
Der große Hauptraum war mit rohen Möbeln und dicken
Tierfellen ungemein gemütlich eingerichtet. Vor dem mächtigen
Kamin hantierte Tom Harrigan mit seinen Fleischspießen. Auf
dem Buffetwagen standen bunt angerichtete Salate, Getränke
und frisches Obst bereit.
Tom grinste breit, als er Franco erkannte.
„Ihr kommt gerade zurecht! In zwanzig Minuten habe ich
alles fertig. Deine Schäfchen können sich gerade noch etwas
frisch machen und die Smokings anziehen." Toms
Sommersprossen tanzten. Er war ein Mann, der sich wohl hier
oben fühlte.
„Bitte", sagte Franco zu seiner Gruppe. „In einer
Viertelstunde ist das Dinner fertig." Durrance blieb neben
Franco stehen. „Ich will zurück auf die Ranch", sagte er barsch.
„Rufen Sie den Hubschrauber."
„Es wird gleich dunkel sein", gab Franco zu bedenken. „Ein
Flug wäre nur zu verantworten, wenn dringende Gründe
vorliegen. Ein Unfall, zum Beispiel."
„Sagen Sie Rathbone, diesem Geier, er kann mir tausend
verdammte Gründe auf die Rechnung schreiben!" Die dann von
einem Konto der Mafia bezahlt wird, dachte Franco bitter.
„Überlegen Sie es sich doch bitte, Sir", sagte Franco ruhig.
Julie und Stark sahen ihren Boß an, während Leoni und Couraut
soeben in ihrem gemeinsamen Zimmer verschwanden.
„Wenn Sie nicht wollen, zum Teufel, lassen Sie mich mit
Rathbone reden!"
Franco zuckte die Achseln. Er zog das
Hochleistungsfunkgerät aus seiner Parka, schaltete es ein, zupfte

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die Antenne heraus.
„Hier. Versuchen Sie Ihr Glück, Sir", sagte er steif. Er ging zu
Tom Harrigan.
„Ärger?" fragte Tom. Er hatte borstiges rotes Haar, auf das er
besonders stolz war, weil es sichtbar Kunde von seiner
schottischen Abstammung gab.
„Weiß ich noch nicht", gab Franco zurück. „Mr. Durrance
will sich heute noch abholen lassen."
Tom zog den Mund in die Breite. „Rathbone schickt keinen
Hubschrauber, wenn es dunkel ist." „Hoffen wir's", sagte
Franco. „Haben wir Besuch?" „Yeah", machte Tom gedehnt.
„Kam vor 'ner Stunde oder so plötzlich angebraust. Hochnäsiger
Laffe. Sagte, er wollte sich auf eigene Faust die Gegend
ansehen. Ganz allein. Nur er und seine Büchse. Wenn du mich
fragst, Joe", - für diesen Job in Montana hatte Franco sich den
Namen Joe Rosso zugelegt - „hat der Kerl nie und nimmer die
Absicht, durch die Berge zu kriechen! Schau dir nur mal seine
Schuhe an!"
„Wo steckt er jetzt?"
„Im Schuppen natürlich. Hier haben wir ja keinen Platz mehr.
Ich kann deinen Kunden ja nicht zumuten, noch weiter
zusammenzurücken."
Leoni und Couraut teilten sich ohnehin schon ein Zimmer.
Franco drehte sich wortlos um und schob sich an Durrance
und seinem Gefolge vorbei zur Tür. Der Politiker schimpfte
aufgebracht ins Funkgerät. Rathbone schien sich jedoch auf
nichts einlassen zu wollen, wie Franco mit einer gewissen
Genugtuung feststellte.
Mit großen Schritten überquerte Franco den Platz zwischen
der Blockhütte und dem Schuppen, in dem er und Tom Harrigan
schliefen. In der Hütte waren die Vorräte untergebracht; aber
auch der Generator und verschiedene Ausrüstungsgegenstände,

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die für längere Bergtouren benötigt wurden.
Franco zog die Tür auf. Helles Licht flutete ihm entgegen.
Seine Augen huschten durch den kahlen Raum, in dem sich Tom
Harrigan, zwischen Kisten voller Konserven, Papptellern und
Reinigungsmitteln, so etwas wie ein Zuhause eingerichtet hatte.
Francos Blick blieb auf einem hageren Mann mit hohlen
Wangen und dichtem braunem Haar hängen, der versuchte, ein
Klappbett aufzustellen. Das Gestell mußte er im Schuppen
gefunden haben.
„Kann ich Ihnen helfen?" fragte Franco laut.
Der Mann hob den Kopf. Er reagierte weder erschreckt noch
verwundert oder überrascht. Er lächelte und richtete sich
langsam auf. Er war ziemlich groß. Franco musterte den neuen
Gast, ohne das schwere Gewehr abzustellen, das er immer noch
in der Hand hielt.
„Sie sind sicher Rosso", sagte der Hagere. Er stellte das
Bettgestell an die Wand, kletterte über seinen Rucksack und
eine Repetierbüchse mit kurzem Lauf, dann reichte er Franco
die Hand. Sie war kühl, ihr Druck fest. Ein schneller Blick
klopfte Franco ab. „Ich glaube, ich hätte mich doch lieber
anmelden sollen", sagte er dann.
„Jetzt sind Sie hier", entgegnete Franco vage. Er zog die Tür
hinter sich zu.

Der Fremde trug eine neue Jägerjacke mit großen


aufgesetzten Taschen, enge Jeans und halbhohe Schuhe, die
ebenfalls neu zu sein schienen. Es waren keine Schuhe, die sich
zum Bergsteigen eigneten. Es handelte sich um ganz normale
Wanderschuhe.
„Wenn Sie so nett sein wollen", der Neuankömmling deutete

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auf das Klappbett, „dieses Ding klemmt irgendwo ..."
Franco entlud das Gewehr. Die Patronen steckte er in seinen
Rucksack, dann stellte er das Gewehr neben sein Bett, legte den
Rucksack ab und baute dann das Klappbett auf. Er schob es an
die dünne Trennwand zum größeren Lagerraum.
„Sie können auch im Lager schlafen, wenn Sie lieber allein
sein wollen", bot Franco an. „Harrigan und ich gehen erst spät
schlafen."
„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, bleibe ich lieber hier."
Franco hob die Schultern. „Wie Sie wollen, Mister ..."
„Oh, verzeihen Sie! Ich bin Nat Keller aus New Orleans. Ich
war noch nie in den Bergen." Er grinste hohlwangig. „Der
rothaarige Koch da drüben scheint nicht viel von Burschen zu
halten, die aus dem Süden kommen und in die Berge steigen,
ohne vorher die Gebrauchsanweisung gelesen zu haben."
Franco mußte unwillkürlich lächeln. „Machen Sie sich nichts
draus, Mr. Keller. Tom ist schon ein eigenartiger Kauz. Aber er
paßt hierher. Und wenn er von den Sonntagstouristen nicht viel
hält, dann liegt das vermutlich daran, daß er schon zu viele
gesehen hat, die man mit Hubschraubern oder Hunden, an Seilen
oder wie auch immer, wieder herunterbringen mußte. Manche
von ihnen in Blechsärgen."
Keller ließ sich auf die Kante des Bettrahmens niedersinken.
Er starrte zwischen seine Füße, ließ die schmalen Hände
herabhängen. „Ich habe mir vielleicht doch zuviel zugemutet",
gestand er. „Die Fahrt hier herauf war ein einziger Alptraum.
Rathbone hatte doch recht."
Rathbone wird seinen Gast gewarnt haben, vermutete Franco,
aber mehr auch nicht. Rathbone knöpfte seinen Gästen wahre
Raubritterpreise für jede Dienstleistung ab. Für die Miete, die
der Pickup kostete, konnte Rathbone sich vermutlich schon
einen neuen Wagen kaufen. Und trotzdem wunderte er sich über
Rathbone, daß er den Mann überhaupt hatte fahren lassen. Einen

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Mann, der über keinerlei Bergerfahrung zu verfügen schien,
durfte man doch nicht allein losziehen lassen! Nicht einmal mit
einem geländetüchtigen Fahrzeug. Keller mußte Rathbone ganz
schön zugesetzt haben.
„Kennen Sie ihn? Ich meine Rathbone?" fragte Franco
beiläufig. Während er seine Jacke auszog und die Stiefel
abstreifte, ließ er seine Augen über seine Sachen wandern, die
auf dem Feldbett lagen. Sein eigentliches Gepäck lag jedoch
unter dem Bettgestell.
„Nein, ich bin zum ersten Mal hier oben. Ein Geschäftsfreund
aus New Orleans hat mich ne ugierig gemacht. Er kommt jedes
Jahr hierher. Er hat so lange von der Blue Sky Ranch
geschwärmt, daß ich es einfach auch versuchen mußte."
„Wie heißt Ihr Freund?" fragte Franco. „Vielleicht kenne ich
ihn?"
Keller lächelte. Etwas kühl und ein wenig spöttisch, wie es
Franco vorkam. „Sie sind erst ein paar Wochen hier, Rosso.
Mein Freund kommt immer im Frühjahr. Sie können ihn nicht
kennen."
Franco nickte gleichmütig. Der andere hatte ihm eine Abfuhr
erteilt. Keller mußte sich ziemlich ausführlich mit Rathbone
unterhalten haben.
Franco schlug den Schlafsack zurück und zog die Reisetasche
unter der Pritsche hervor, die er auf das Bett stellte.
Keller redete weiter. Vielleicht wollte er die Spannung, die
zwischen den beiden Männern zu knistern begann, ein wenig
abbauen.
„Rathbone scheint jedenfalls etwas übrig zu haben für die
Freunde seiner Gäste. Sonst nimmt er wohl nicht jeden."
Nein, das tat Rathbone nicht. Rathbone suchte sich seine
Gäste unter denen aus, die sich von der Preisliste nicht
abschrecken ließen.

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Franco betrachtete seine Reisetasche. Sein Herz machte einen
schmerzhaften Sprung. Die Zeichen waren untrügerisch. Jemand
hatte sich während seiner Abwesenheit an seinen Sachen zu
schaffen gemacht. Ein Profi.
Tom Harrigan schied aus. Tom war kein Mann, der sich um
andere Leute kümmerte oder um das, was sie in ihrem Gepäck
hatten.
Blieb Nat Keller. Interessant, dachte Franco.
Er hatte jedoch keine verräterischen Gegenstände mit herauf
gebracht. Jedenfalls keine, die er in der Reisetasche ließ. Seine
Luger und die Munition steckten im Rucksack, den er während
der Tour getragen hatte. Die wenigen elektronischen Spielzeuge,
die er mit ins Bergcamp gebracht hatte, trug er in unauffälligen,
eigens dafür angefertigten Fächern in seinem Gürtel. Nein,
nichts, was Keller hätte entdecken können, war geeignet,
Francos wahre Identität oder die wahren Gründe für seine
Anwesenheit auf der Blue Sky zu verraten.
Und dennoch fühlte er sich beunruhigt. Wer war Keller? Hatte
man unten in der Ranch die Wanzen entdeckt, die Franco dort in
den verschiedenen Apartments versteckt hatte? Die Geräte
waren nicht aktiviert, solange er sie nicht überwachen konnte.
Es handelte sich um modernste Apparate, die man nur dann mit
den entsprechenden Geräten aufspüren konnte, wenn sie
eingeschaltet waren und auch sendeten.
Aber immerhin, es war nicht ausgeschlossen, daß vor dem
Eintreffen der Verhandlungskommissionen eine sorgfältige
Durchsuchung aller Räume stattgefunden und daß man eine der
Wanzen entdeckt hatte.
War Keller deshalb hier?
Franco drehte sich um. Keller sah schnell zur Seite. Er hatte
Franco also beobachtet. Er hatte sich mit Rathbone über Franco
unterhalten. Über die anderen Angestellten auch? Alle anderen
waren seit vielen Jahren auf der Blue Sky Ranch beschäftigt.

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Nur der Bergführer war neu, weil der andere, Francos
Vorgänger, in einer dringenden Familienangelegenheit nach
Kanada reisen mußte, wo seine Angehörigen lebten. Überflüssig
zu erwähnen, daß COUNTER MOB die Ursache für die
„dringende Familienangelegenheit" war.
Franco wechselte seine Kleidung. Er zog saubere Jeans und
einen dunklen Pullover an. Den Rucksack räumte er bis auf die
Luger und die Munition aus. Mit dem Rucksack in der Hand
verließ er den Schuppen, nachdem er Keller gesagt hatte, daß
das Essen in wenigen Minuten drüben in der Blockhütte serviert
werden würde.
Draußen war es inzwischen vollends dunkel geworden.
Franco versteckte den Rucksack in einem Hohlraum zwischen
den Brennholzstapeln an der Seitenwand des Schuppens. Dort
kauerte er sich nieder und wartete, bis Keller die Hütte verließ
und zum Blockhaus hinüberging.
Franco grinste dünn, als er blitzschnell in den Schuppen
zurückkehrte. Mal sehen, dachte er, wie Mr. Keller reagierte,
wenn Franco nicht zum Dinner erschien.

Er lehnte die Tür nur an und achtete darauf, daß der Riegel
nicht einschnappte. Ohne das Licht anzuschalten, suchte er seine
Taschenlampe. Er ließ ihren Lichtkegel kurz über Kellers
Gepäck wandern, ohne es jedoch anzurühren. Er war sicher, daß
er kaum etwas Aufschlußreiches finden würde.
Er knipste die Lampe wieder aus und stellte sich an die Tür.
Er hielt sein Ohr an den schmalen Spalt zwischen Tür und
Rahmen und wartete mit angehaltenem Atem.
Als er ein leises Scharren draußen auf der hölzernen Stufe
hörte, spannte er seine Muskeln. Er zählte langsam bis zehn,

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dann warf er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen das Holz.
Die Tür flog nach außen. Mit voller Wucht krachte sie gegen
einen Schädel.
Franco sprang über die Schwelle. Er sah einen Schatten. Eine
Gestalt, die sich krümmte. Stöhnend preßte Nat Keller eine
Hand an die getroffene Stirn.
Mit einem Satz war Franco bei ihm. „Sie sind es?" fragte er
scheinbar überrascht, als er ihm von nahem ins Gesicht sah.
„Verzeihen Sie, Mr. Keller ... Ich konnte ja nicht ahnen ... Ich
habe nur meine Taschenlampe geholt", stammelte Franco
zerknirscht. Er ließ die Lampe kurz aufblitzen, dann packte er
Kellers Arm. „Habe ich Sie verletzt?" Er drückte seine Schulter
unter Kellers linke Achsel, mit der freien Hand strich er wie
zufällig an Kellers Gürtel entlang.
Er war nicht überrascht, als er den Umriß einer flachen Pistole
in einer Gürtelhalfter hinten an Kellers Hose spürte.
„Zum Teufel!" keuchte Keller mit Schmerz in der Stimme.
„Brechen Sie immer wie ein Tornado durch die Türen?"
„Nein, nur wenn ich's besonders eilig habe. Wollte doch noch
was von Tom Harrigans Super-Barbecue mitbekommen!
Kommen Sie, ich helfe Ihnen!"
Keller schüttelte Francos Hand unwillig ab. „Es ist gut", sagte
er abweisend. „Es geht schon." Keller steuerte die Blockhütte
an.
Franco ließ ihn einen Schritt vorgehen, ehe er fragte:
„Wollten Sie nicht in die Hütte?" Er grinste, als der andere
stehenblieb. Keller machte eine vage Handbewegung.
„Ach, die Zigaretten ... Ich nehme an, daß es im Blockhaus
auch welche gibt."
„Sie können welche von mir haben", sagte Franco, der
zufrieden einen Punkt für sich verbuchte.
Hinter Keller betrat er das Blockhaus.

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Die übrigen Gäste scharten sich bereits um das Büffet. Julie
und Leoni sahen herüber. Julies Augen weiteten sich etwas, als
sie die mächtige Beule bemerkte, die auf Kellers Stirn erblühte.
Leoni grinste, widmete sich jedoch rasch wieder seinem Essen.
„Meine Damen, meine Herren, darf ich Sie mit Mr. Keller
bekannt machen? Mr. Keller, das ist Dr. Julie Conrad. Die
Herren sind Mr. Stark, Mr. Leoni, Mr. Durrance und Mr.
Couraut. Bitte, greifen Sie zu, die Blue Sky Ranch of Montana
wünscht Ihnen einen guten Appetit."
Seine Worte hatten wohl ein wenig spöttisch geklungen, denn
Julie lächelte und warf ihm einen verwirrenden Blick unter halb
gesenkten Lidern hervor zu.
Franco nahm das Funkgerät wieder an sich, das seinen
einzigen Kontakt zur Ranch und damit zur Außenwelt darstellte.
Rathbone hatte Durrance abblitzen lassen, vermutete er.
Andernfalls hätte der Politiker jetzt etwas davon erwähnt, daß
der Hubschrauber kommen würde. Franco schaufelte Salat auf
einen Teller und füllte ein Glas mit kalifornischem Rotwein.
Tom zog einen langen Spieß mit großen Brocken Steakfleisch
aus dem Kamin.
„Laß es dir schmecken, Joe", sagte er augenzwinkernd. „Es ist
genug da. Auch für die niederen Angestellten."
„Der Hubschrauber kommt morgen mittag", sagte Durrance
laut. „Meine Mitarbeiter kehren mit mir zur Ranch zurück.
Rathbone läßt Ihnen ausrichten, Sie sollten hier oben bleiben,
solange Ihre Anwesenheit erforderlich ist."
Solange ein Gast im Bergcamp bleiben wollte, mußte auch
Franco oben ausharren. Er lächelte und nickte etwas angespannt.
Wenn er seinen Job erledigen wollte, mußte er versuchen,
ständig in der Nähe des Politikers zu bleiben.
„Ich werde mitfliegen", erklärte Leoni. „Ich fühle mich den
Strapazen doch nicht so recht gewachsen." Er schob einen
Fleischbrocken in seinen Mund, kaute und sprach mit vollem

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Mund weiter. „Ich werde es mit den Pferden versuchen." Er
grinste.
Franco sah Claude Couraut, den Drehbuchautor, an. Der
Mann verstand die Frage in Francos Blick auf Anhieb, aber er
deutete sie falsch. Seine Augen begannen zu leuchten. Rasch
wandte Franco den Blick ab.
Beim Essen wollte keine interessante Unterhaltung in Gang
kommen, und Franco gab sich auch keine sonderliche Mühe. Er
stellte schließlich seinen Teller und das geleerte Glas auf die
Ablage vor der Spülmaschine auch diesen Komfort gab es hier
oben in 8600 Fuß Höhe unterhalb des Trapper Peak - und
verließ die Hütte.
Es war kühl geworden. Die Luft roch nach Herbst. Tief
unterhalb der Steilwand, die den Platz um das Camp nach
Norden hin begrenzte, erkannte er die dunkle Masse eines
Kieferngehölzes. Mit lautlosem Flügelschlag glitt ein
Nachtvogel herauf, strich nah an Franco vorbei.
Er zündete eine Zigarette an. Langsam atmete er den Rauch
ein. Er setzte sich auf die Bank neben der Tür unter das Dach. Er
suchte nach einer Möglichkeit, zusammen mit Durrance zur
Ranch zurückzukehren.
Als die vordere Hüttentür geöffnet wurde, wandte er den
Kopf.
Der Schatten eines mittelgroßen Mannes fiel über die
Veranda. Franco erkannte den Drehbuchautor. Couraut hielt
zwei Gläser in den Händen. Mit dem Ellbogen zog er die Tür ins
Schloß, dann kam er auf Franco zu. Er setzte sich neben ihn auf
die Bank, rückte mit einem Ruck zur Seite, bis seine Hüfte
gegen Francos stieß. Franco rutschte eine Handbreit weiter nach
rechts. Der andere folgte prompt.
„Ich habe gesehen, daß Sie nichts zu trinken mitgenommen
haben, Joe", sagte Couraut. Seine Stimme klang ein wenig
belegt. Er drückte Franco ein Glas in die Hand. Süßlicher

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Geruch stieg in die Nase des Mafiajägers.
Franco wollte nicht unhöflich sein, deshalb nippte er an dem
Drink.
„Es ist ein italienischer Likör", erklärte Couraut. „Ich mag ihn
gern auf Eis. Schmeckt er Ihnen, Joe?"
„Pst!" machte Franco scharf.
„Was ist denn?" fragte der andere erschreckt.
„Bären", flüsterte Franco. „Sie kommen oft zur Hütte. Man
muß immer aufpassen. Wenn sie sich angegriffen fühlen,
können sie sehr unangenehm werden."
Couraut zog erschreckt die Luft ein. „Aber man muß doch
etwas gegen sie unternehmen!" hauchte er dann.
„Abschießen darf man sie nicht", entgegnete Franco. Er sah
das verwitterte Gesicht des Drehbuchschreibers neben sich in
der Dunkelheit schweben, und er konnte förmlich spüren, wie
einsam dieser Mann war. „Aber machen Sie sich keine Sorgen",
fuhr er dann beschwichtigend fort, „sie kommen nicht näher
heran, solange sich so viele Menschen wie heute im Camp
aufhalten. Aber wenn sie wissen, daß nur wenige Menschen hier
sind, kommen sie sogar am hellichten Tag, um die Abfallhaufen
zu durchwühlen. Tom Harrigan kann Ihnen haarsträubende
Geschichten erzählen, Mr. Couraut." Franco nahm sich vor,
Tom entsprechend zu instruieren. Natürlich gab es Bären in
diesem Teil der Bitterroot Range, und gelegentlich überfielen sie
sogar einsam gelegene Camps - aber nicht im Herbst, wenn die
Natur den Speisezettel für diese großen Raubtiere noch recht
großzügig ausstattete.
„Und ich hatte irgendwie gehofft", begann Couraut,
verstummte jedoch, ohne den Satz zu beenden.
„Ja?" meinte Franco.
„Ach, nichts weiter. Ich liebe die Einsamkeit", sagte der Mann
an Francos Seite leise. „Aber in gewissen Abständen wird sie

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zur Qual. - Joe, ich darf Sie doch so nennen? Joe, ich hatte
gehofft, daß Sie und ich ... Ach, es spielt keine Rolle. Ich nehme
an, Sie verstehen mich auch so."
„Ich glaube, ja", gab Franco zurück. „Ich will Sie nicht
verletzen, Mr. Couraut, aber ich möchte lieber offen sein - ich
bin kein Mann, der diese Art von Zweisamkeit liebt."
„Ja, ich verstehe Sie, Joe." Couraut stand auf. „Verzeihen
Sie."
„Da gibt es nichts zu verzeihen, Mr. Couraut", erklärte Franco
in neutralem Tonfall.
Couraut nahm Francos Glas, in dem das Eis langsam schmolz.
Er blieb einen Moment nachdenklich stehen, dann sagte er:
„Wegen mir brauche n Sie die Bären nicht zu bemühen, Joe."
Franco glaubte zu hören, wie der andere lächelte. „Ich fliege mit
den anderen zur Ranch zurück."

Franco blieb draußen sitzen, bis es ihm zu kalt wurde. Er holte


seine Parka aus dem Schuppen, zog sie an und kehrte zur
Blockhütte zurück, um nach den Gästen zu sehen.
Tom Harrigan hatte noch in der abgeteilten Küche zu tun. Als
Franco ihm seine Hilfe anbot, wies er ihn barsch zurück.
Julie saß mit einem Buch in der Ecke neben dem Kamin.
Couraut und Nat Keller spielten Schach. Nick Leoni kam gerade
aus seinem Zimmer. Er sah in die Runde, zögerte, setzte sich
dann in einen Sessel und zog eine Zeitschrift aus dem Ständer.
Tibor Durrance gab Allan Stark einen Wink. Der Politiker
verschwand in seinem Zimmer, und Stark eilte hinter seinem
Chef her. Franco wußte, daß Stark sogar hierherauf Akten
mitgenommen hatte.
„Gute Nacht", sagte Franco laut. Er verließ die Blockhütte

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und unternahm einen Rundgang. Die hintere Tür war noch nicht
abgeschlossen. Tom ließ sie meistens geöffnet. Er kontrollierte
die Fenster. Alle Läden waren fest verschlossen. Er stand da und
zögerte einen Moment. Er mußte wissen, was Durrance und
Stark miteinander zu besprechen hatten, aber er mußte sicher
sein, nicht von Keller entdeckt zu werden. Keller stellte einen
Unsicherheitsfaktor für Franco dar, ganz gleich, ob der Mann
ein Mitglied der Mafia war oder nicht. Keller würde sich
wundern, weshalb Franco nicht im Schuppen war.
Franco lief über den Platz und betrat die Hütte. Er zog den
Anorak aus, machte sein Bett zurecht, wartete ungeduldig.
Es dauerte nicht lange, bis er Keller hörte, der über die Stufe
stolperte und dann gegen die Tür krachte. Franco öffnete ihm
die Tür.
Kellers Augen blickten etwas trübe, und eine Alkoholfahne
wehte in Francos Gesicht. Keller hatte nicht viel getrunken, das
hätte Franco bemerkt, aber die ungewöhnte Höhe verstärkte die
Wirkung des Alkohols und ließ den Körper anders reagieren als
üblich.
Keller zog sich schnell aus und ließ sich auf das Klappbett
fallen. Er verfolgte Francos Bewegungen mit den Augen, als der
seinen Anorak vom Haken nahm und ihn wieder anzog.
„Schlafen Sie gut", sagte Franco lächelnd. „Ich treibe mich
noch ein wenig draußen herum."
„Viel Spaß, und fallen Sie nicht die Klippe runter", murmelte
Keller. Er rollte sich in seine Decken und legte sich auf die
Seite. „Sie können ruhig das Licht ausmachen."
Franco schaltete das Licht aus und verließ die Hütte. Er
drückte die Tür zu und stellte ein Holzscheit aufrecht dagegen.
Wenn Keller die Tür von innen öffnete, würde das Scheit
umfallen und ein Geräusch erzeugen, das in der nächtlichen
Stille weit zu hören sein mußte. Tom Harrigan, das wußte
Franco, würde noch gut eine Stunde in der Blockhütte

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beschäftigt sein, um alles für den nächsten Morgen
vorzubereiten.
Franco flitzte zum Blockhaus. Er öffnete zwei Fächer seines
Gürtels und zog zuerst das winzige Kontaktmikrofon heraus,
das, zur besseren Übertragung der Schallwellen, mit einem
Saugfuß aus elastischem Kunststoff versehen war. Er steckte das
dünne Kabel in die Buchse und verband es mit dem kleinen
Ohrlautsprecher, den er in sein Ohr schob.
Geduckt schlich er an der Hauswand entlang, bis er das
Fenster von Tibor Durrances Zimmer erreichte. Er preßte das
Mikrofon gegen die Lade.
Der Druck auf den Saugfuß schaltete das Mikrofon ein. Sofort
hörte Franco das volle Organ des Politikers, der seinem
Mitarbeiter verschiedene Telegramm- und Fernschreibtexte
diktierte. Die Qualität der Übertragung war nicht sehr gut. Das
Mikrofon war für glatte Betonmauern oder Glasscheiben,
allenfalls für gehobelte Holzwände geeignet, nicht jedoch für
massive, gerundete Fichtenbohlen.
Immerhin konnte er heraushören, daß die Verträge zwischen
dem Whitman-Konzern und der Mafia-Holding nicht
Gegenstand der Texte waren, die Durrance diktierte.
Franco horchte erst auf, als Durrance sein Diktat beendete und
der junge Jurist eine Frage stellte.
„Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, Sir", sagte
Stark.
„Na, was denn?"
„Ich finde es ganz gut, daß wir morgen schon zurückfliegen.
Dann können wir die Verträge in der Whitman-Sache noch
einmal durchgehen."
„Da gibt es nichts mehr ..." Den Rest des Satzes verstand
Franco nicht. Durrance schien im Raum umherzuwandern,
während Stark offenbar in der Nähe des Fensters stand.

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„Sir, ich halte einige Paragraphen ..."
„Sie scheinen mich nicht zu verstehen, Allan, ich werde die
Verträge nicht ausfertigen oder, soweit sie bereits formuliert
sind, nicht zur Verfügung stellen."
„Sir! Aber ich ..."
„Schweigen Sie, Allan. Ich habe nachgedacht. Ich bin endlich
dahintergekommen, wer ... Ich lasse mich nicht zum Handlanger
einer verdammten Verbrecherbande degradieren ..."
„Aber Mr. Durrance! Es steckt soviel Arbeit in diesen
Verträgen! Tag und Nacht ..."
„Ich danke Ihnen für Ihren Einsatz, Allan. Sie kommen mit
mir nach Washington ... Sie sollen dabeisein, wenn ich dem
Untersuchungsausschuß mein Wissen offenbare ... Ich werde
nicht zulassen ..." Durrance stand jetzt offenbar in einer
Raumecke. Franco hörte nicht mehr, was der Kongreß
abgeordnete sagte. Er nahm das Mikrofon ab, als er hörte, wie
Allan Stark den Raum verließ.
Tibor J. Durrance stieg aus. Das war eine kleine Sensation,
auch wenn diese Tatsache allein völlig bedeutungslos war.
Durrance war nur ein Vermittler. Die Mafia würde einen neuen
Mann mit einwandfreiem Background und untadeligem Ruf
kaufen. Die Bande verlor nur Zeit, sonst nichts.
Aber COUNTER MOB gewann einen Aufschub. Vielleicht
gelang es, Lawrence Whitmans Aufenthaltsort herauszufinden.
Er, Franco, würde den Colonel informieren müssen, und zwar
bald.
Er schlich weiter. Nacheinander lauschte er in jedes der vier
Zimmer hinein. Durrance, Julie und Stark hatten jeweils einen
Raum für sich allein. Nur Leoni und Couraut mußten sich das
größte Zimmer, es lag auf der Ecke, teilen. Franco lauschte am
Fenster dieses Raumes. Es war still hinter der Lade.
Franco preßte das Mikrofon an den Schlagladen vor Allan

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Starks Schlafzimmer. Franco versuchte bereits seit Tagen,
herauszufinden, ob und mit wem dieser junge Mann sich
heimlich traf. Unten auf der Ranch hatte er mit Hilfe der Wanze
in Starks Apartment kurze Gesprächsfetzen aufgenommen, die
jedoch keine Identifizierung zugelassen hatten. Franco
vermutete, daß Stark mit jemandem außerhalb des Kreises um
Durrance in Verbindung stand. Aber mit wem? Colonel Warner
hatte zu verstehen gegeben, daß auch das FBI und die
Abwehrorgane des Pentagon versuchen würden, das Geschäft zu
vereiteln.
Da hörte er unterdrückte Stimmen. Allan Stark hatte
tatsächlich Besuch!
„... macht nicht mit!"
Franco preßte das Mikrofon gegen das Holz. Stark informierte
jemanden über die letzten Äußerungen seines Chefs!
Franco hörte einen scharfen Laut, ein Wort oder eine Frage.
Er suchte eine glatte Stelle, auf die er das Mikrofon pressen
konnte.
„Ich glaube nicht ... nichts zu machen, nein ... alles versucht
..."
Wer war der andere? Keller schlief im Schuppen. Tom
Harrigan und Tibor Durrance schieden aus naheliegenden
Gründen aus. Blieben nur noch Julie, Nick Leoni und Claude
Couraut, der Drehbuchautor.
Franco wartete darauf, daß Starks Besucher - oder seine
Besucherin - erneut das Wort ergriff. Seine Sinne waren so auf
die schwachen Geräusche hinter den Bohlen konzentriert, daß er
überrascht herumwirbelte, als der scharf gebündelte Lichtkegel
einer Taschenlampe in seine Augen stach.
Er zuckte zur Seite, aus der Schußrichtung. Mit der Hand
verbarg er das kleine Mikrofon. Das dünne Kabel wurde von
seinem Arm verdeckt.

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Der Lichtstrahl folgte ihm, klebte an ihm wie eine zähe
Chemikalie.
„Was machen Sie hier? Lauschen Sie etwa?" Die Frage klang
scharf.
Franco atmete behutsam auf. Er hatte Julies Stimme erkannt.

Doch zum Aufatmen bestand zunächst kein Grund. Julie


Conrad war betroffen und mißtrauisch. Sie kam näher heran,
ohne die Lampe zu senken.
Franco hob die linke Hand und beschirmte seine Augen.
Dabei hielt er den Kopf so, daß der Ohrhörer nicht zu sehen war.
„Machen Sie das Licht aus", bat er. „Ich laufe Ihnen nicht
davon."
„Sie haben gelauscht!" wiederholte Julie.
„Aber Julie! Was hätte ich schon hören können?"
„Das weiß ich auch nicht", gab die Psychologin zu. Immerhin
senkte sie den Lichtstrahl, so daß der Kegel einen Kreis von
zehn Zoll Durchmesser aus dem harten, felsigen Boden schnitt.
Franco zog den Ohrlautsprecher aus seinem Ohr und rollte mit
einer Hand den Draht ein. Er stopfte alles in seine Hosentasche.
„Wollen Sie noch etwas frische Luft schnappen?" erkundigte
er sich dann, sich bemühend, das Girl auf andere Gedanken zu
bringen. Er drehte sich halb herum und machte einen Schritt auf
sie zu.
Julie blieb stehen. Sie ließ sich nicht ablenken. „Haben Sie
gelauscht?" wiederholte sie ihre Frage. Sie leuchtete die dicken
Stämme ab, aus denen die Hüttenwand bestand, und besonders
aufmerksam betrachtete sie das fest verschlossene Fenster. „Das
ist Mr. Starks Zimmer, nicht wahr?"

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„Ich glaube schon", murmelte Franco.
„Was hofften Sie zu hören?"
Franco seufzte. Sie war schon sehr hartnäckig. „Nun, ich
wollte wissen, ob er mit Ihnen ..."
Julie zog erschreckt die Luft ein. Die Lampe erlosch. In
derselben Sekunde klatschte ihre Hand an seine Wange. Es
knallte laut.
Franco hörte ihre schnellen Schritte. Sie wollte davonlaufen.
Mit ein paar langen Sprüngen hatte er sie eingeholt. Er packte
ihre Schulter, hielt sie fest, wirbelte sie herum.
„Nicht dorthin!" sagte er. „Es gibt zwar ein Geländer, aber bei
Nacht wäre ich doch vorsichtig. Zweihundert Fuß ..."
„Ich will erst wissen, warum Sie ..."
Franco drehte das Girl herum und schob es zurück. Die Leute
glauben doch immer das Unwahrscheinliche, dachte er. Oder
nein, korrigierte er sich. Hätte sie ihm etwa geglaubt, wenn er
gesagt hätte, er sei der Beauftragte einer geheimen
Regierungsstelle, die das illegale Treiben des organisierten
Verbrechertums bekämpfte? Wahrscheinlich nicht. Da erschien
es schon glaubhafter, wenn er sich als Spanner ausgab. Oder
wenn er noch einmal die armen Bären bemühte.
„Lassen Sie mich los, oder ich schreie!" fauchte Julie. Ihre
Fäuste trommelten gegen seine Brust. Einmal schrammte die
Taschenlampe in ihrer Hand über seine Kinnspitze, und der
Schmerz zuckte durch den Kiefer bis in den Hinterkopf.
„Seien Sie doch vernünftig!" bat er. „Natürlich habe ich nicht
gelauscht!"
Sie stellte immerhin ihre Gegenwehr ein, und Franco ließ ihre
Schulter los. Als er einfach losmarschierte, ging sie neben ihm
her. Sie schritten über das ebene Plateau auf die Steilwand zu,
die das Camp nach Südosten hin begrenzte.
„Ich habe nur die Schlagläden kontrolliert", erklärte er. „Das

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tue ich immer, wenn ich hier oben bin. Nachts kommen oft
Bären bis ans Haus." Insgeheim leistete er den Tieren Abbitte,
weil er sie nun scho n zum zweiten Mal innerhalb weniger
Stunden als Schreckgestalten bemühte. „Und noch öfter
kommen ganz plötzlich Stürme auf. Wenn die Läden dann nicht
gesichert sind, gibt es einen fürchterlichen Krach. Zufrieden,
Doktor?"
„Nennen Sie mich nicht Doktor, Mr. Rosso!" „Verzeihen Sie,
Miß Conrad."
„Gute Nacht", sagte sie dann steif. Franco begleitete sie bis
zur Vordertür. Als sie im Haus verschwunden war, kehrte er an
seinen Lauschposten zurück. Doch wer immer Allan Stark
besucht hatte, er hatte das Zimmer des jungen Anwalts
inzwischen verlassen.
Franco horchte noch einmal an den anderen Fenstern, und als
er nichts Verdächtiges aufnahm, ging er zum Schuppen hinüber.
Er zog seinen Rucksack mit der Luger aus dem Stapel
Brennholz, dann trat er an die Tür. Er bückte sich, um das Scheit
wegzunehmen, das er dort deponiert hatte, um vor
Überraschungen durch Nat Keller sicher zu sein. Aber er griff
ins Leere. Das Holz war nicht mehr da.

Franco verharrte einen Moment reglos in gebückter Haltung,


während seine Gedanken rasten.
Gut sieben Minuten, vielleicht etwas länger, hatte er sich mit
Julie Conrad aufgehalten. Dennoch war er überzeugt, daß er das
Geräusch des umfallenden Holzscheits gehört hätte, falls Nat
Keller auf den Gedanken verfallen sein sollte, den Schuppen
noch einmal zu verlassen.
Tom Harrigan, dachte er dann aufatmend, doch die

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Erleichterung, die er bei dem Gedanken an den Koch und das
Mädchen für alles empfand, hielt nur eine Sekunde vor. Er hätte
Toms Schritte hören müssen.
Er ließ die Lampe aufblitzen. Seine Befürchtungen sah er
bestätigt, als er das Scheit nicht entdecken konnte. Es war
verschwunden. Oder weggeworfen worden. Vielleicht über den
Rand der Klippe, oder es befand sich wieder bei dem anderen
Holz unter dem Schutz des überhängenden Daches.
Franco knipste die Lampe aus. Seine Kopfhaut kribbelte. Da
hatte sich jemand verdammt viel Mühe gegeben, um nicht
bemerkt zu werden, dachte er.
Er zog die Luger und preßte sich neben der Tür an die Wand.
Behutsam hob er den Riegel an, zog die Tür auf. Zoll um Zoll
bewegte er sie nach außen.
Hinter der Tür gähnte es schwarz.
Franco wartete, bis die Furcht, die hart und schwer wie ein
Stein in seinem Magen lag, sich auflöste. Dann sprang er mit
einem Panthersatz ins Innere des Schuppens, rollte über die
linke Schulter ab, kam wieder auf die Füße und warf sich sofort
nach rechts, bis er mit der Schulter die Trennwand berührte. Das
Holz knackte. Franco hielt die Luger in der erhobenen Hand. Er
ließ den Arm hin und her wandern, fest entschlossen, ohne zu
zögern, das tödliche Blei auf die Reise zu schicken, falls die
Drohung Gestalt annehmen sollte.
Als nichts geschah und nichts auf die Anwesenheit eines
anderen Menschen hindeutete, ließ er die Lampe für einen
Sekundenbruchteil aufblitzen.
Seine Augen nahmen das Bild auf und gaben es ans Hirn
weiter, das es wie eine Fotografie speicherte, während sein
Körper seine Position veränderte, sich in die Ecke neben einem
vollgestopften Regal kauerte. Jetzt erst tastete das Gehirn das
Bild ab.
Francos Bett war leer gewesen.

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Nat Kellers Pritsche ebenfalls.
Franco kroch zur Tür. Er zog sie zu, dann erst richtete er sich
auf und legte den Lichtschalter um. Die Deckenbeleuchtung
flammte auf. Am anderen Ende des Schuppens wummerte der
Generator, der die Batterien neu auflud.
Der Raum war leer. Franco, der geneigt war, an einen Streich
Kellers zu glauben, mit dem der hagere Halunke ihn und seine
Reaktionen testen wollte, durchsuchte die Vorrats- und
Getränkeregale, den Geräteteil und sogar den Kühlraum und die
Gefriertruhen.
Er fand bergeweise Konserven und Whisky, Frischfleisch und
Arzneimittel, Schneeschuhe und Seile. Tausenderlei Dinge, aber
er fand keine Spur von Nat Keller. Dabei verfügte der
verdammte Schuppen weder über ein Fenster noch eine zweite
Tür oder ein loses Brett, durch das Keller den Bau unbemerkt
hätte verlassen können.
Als er die Tür klappen hörte, raste er in den vorderen Raum.
Tom Harrigan starrte ihn verwundert an, als er aus dem dunklen
Lagerraum tauchte. Franco hatte die Luger rechtzeitig unter
seinem Pullover in den Hosenbund geschoben.
„Willst du Rathbones Whiskyvorräte plündern? Oder suchst
du etwas zu lesen? Es ist alles da."
„Ich suche Mr. Keller", sagte Franco.
Tom Harrigan lachte. „Zwischen Konserven und
Ersatzbatterien? Joe, Mr. Keller macht eine Nachtwanderung!"
Franco riß die Augen auf. Er sah an Tom vorbei. Ein Teil von
Kellers Ausrüstung fehlte. Auch die doppelläufige
Bockbüchsflinte und der Rucksack.
„Woher weißt du das? Hast du ihn gesehen?"
„Nein. Mr. Leoni hat ihn getroffen."
„Wann?" Franco zwang sic h dazu, ruhig zu bleiben und den
rothaarigen Schotten nicht anzuschreien.

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„Ich bin ihm eben gerade begegnet, als ich herüberging. Mr.
Leoni sagte, er habe gerade Mr. Keller getroffen. Mr. Keller hat
ihm gesagt, daß er gern des Nachts draußen ist. Er will
versuchen, eine Wildkatze zu schießen."
„Hat Mr. Leoni gesagt", stellte Franco fest. „Genau." Tom
gähnte. „Mann, bin ich froh, daß ihr morgen wieder weg seid!
Da habe ich wenigstens meine Ruhe."
Franco hörte nicht auf Toms Monologe. Er zog seine festen
Bergstiefel an. Aus dem Geräteabteil holte er eine Rolle
Kletterseil und ein Bündel Kletterhaken samt Schnappringen
und Hammer. Tom sah ihm mit großen Augen zu, wie er die
Ringe und den Hammer an seinem Gürtel befestigte und dann
den Anorak darüberzog. Das Seil schlang er locker um seine
Schulter. „Was hast du vor?" erkundigte er sich. „Ich bin nachts
auch gern draußen", behauptete Franco.
„Noch ein Verrückter!" stöhnte Tom. „Sei leise, wenn du
zurückkommst. Ich brauche meinen Schlaf."
Franco nickte. Er spürte den Druck der Luger an seiner Hüfte.
Er drehte sich so, daß Tom nicht sehen konnte, wie er die
schwere Pistole in eine der verschließbaren Taschen des
Anoraks steckte.
Bevor er die Hütte verließ, knipste er das Licht aus. „Du
kannst es gleich wieder anmachen", sagte er zu Tom. „Es ist nur,
damit sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen."
Wenige Minuten später trat er in die kühle Nacht hinaus.

Er strich um das Blockhaus wie ein Wolf. Mit dem kleinen


Mikrofon lauschte er in die vier Zimmer hinein. Das
empfindliche Instrument blieb nahezu stumm. Franco konnte
annehmen, daß die Gäste in ihren Betten lagen - bis auf Nat

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Keller.
Franco stand eine Weile reglos hinter der Blockhütte. Er
spielte mit dem Gedanken, Mr. Leoni einen Besuch abzustatten.
Dem Mann die Mündung der Luger ins Ohr zu drücken und ihn
zu fragen, wo er Nat Keller zuletzt gesehen und was er mit ihm
gemacht hatte.
Doch er verwarf den Gedanken wieder. Ein solches Vorgehen
würde nichts einbringen. Im Gegenteil. Franco würde dem
anderen, gleich, wer er sein mochte und wessen Interessen er
vertrat, nur verraten, daß er nicht Joe Rosso, ein einfacher
Bergführer, war. Zuerst mußte er feststellen, was mit Keller
geschehen war. Und wo er steckte.
Franco zog einen weiten Halbkreis um die Anlage.
Das Camp lag auf einem Plateau, etwa vierzig Yards vom Fuß
einer mehr als sechshundert Fuß senkrecht in den Himmel
ragenden Granitklippe entfernt. Franco durchstöberte zuerst das
dürre Gestrüpp, das sich auf dem Erosionsgeröll am Fuß der
Klippe ausbreitete.
Als er dort keine Spuren fand, die einen Hinweis auf den
Verbleib Kellers gegeben hätten, beschäftigte er sich mit den
beiden Wegen, über die man den Platz erreichen
beziehungsweise verlassen konnte.
Von unten wand sich in engen Schleifen der schmale Sims
herauf, den Keller mit dem Pickup benutzt hatte. Von der
anderen Seite des Plateaus aus führte ein enger Hohlweg, den
man eher eine Rinne nennen mußte, steil bergan. Hier nahmen
die Bergtouren in die Umgebung des Camps ihren Ausgang.
Franco ging davon aus, daß Keller nicht den Weg abwärts
benutzt hatte. Deshalb untersuchte er zunächst den Einstieg in
die Rinne. Denn wenn Keller tatsächlich, wie Leoni Tom
Harrigan gegenüber behauptet hatte, zu einer nächtlichen Tour
aufgebrochen war, dann mußte er diesen Hohlweg passiert
haben.

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Aus den Felsen auf der rechten Seite brach ein dünnes Rinnsal
glasklaren Wassers hervor. Es lief über das Plateau, wo es eine
breite Lache bildete und wie ein dunkler Fleck vor dem Einstieg
in die Rinne lag, ehe es etwas weiter über den Klippenrand in
der Tiefe verschwand.
Mit der Lampe in der Hand untersuchte Franco den Streifen,
der sich dunkel und naßglänzend von seiner hellbraunen
Umgebung abhob.
Der felsige Boden hielt kaum die Spur eines menschlichen
Fußes, aber die Lache war so breit, daß selbst ein Mann von der
Größe Kellers sie nicht mit einem Schritt überwinden konnte.
Kellers Fuß hätte einen feuchten Abdruck jenseits des
Wasserstreifens hinterlassen müssen. Franco setzte seinen Fuß
in das flache Rinnsal und machte dann ein paar Schritte.
Wie Stempelabdrücke war der Umriß der Schuhsohle
sichtbar, und zwar dreimal sehr deutlich, dann erst löschte der
Gesteinsstaub die Feuchtigkeit von der Schuhsohle.
Keller war hier nicht gegangen.
Franco untersuchte den Rand der Klippe, hinter der es steil in
die Tiefe ging. Schwach hörte er das Brausen des Wildbaches,
der unten über die Sohle gurgelte. In der Schlucht wuchsen
verschiedene Kiefernarten, und dort, wo der Canyon sich
verbreiterte, bedeckten sattgrünes Gras und bunte Bergblumen
den Grund. Franco hatte manchmal am Geländer gestanden und
in die Tiefe geschaut. Jeden Gast, der ins Bergcamp kam, zog es
unweigerlich an diese Stelle. Hier verbrachte er, je nach
Temperament, mehrere Stunden, um den Anblick der Tiefe
auszukosten. Schaudernd die meisten, ergriffen alle.
Das Geländer bestand aus glattgehobelten Fichtenstämmen,
die auf stämmigen, vier Fuß hohen Pfosten ruhten. Diese
Pfosten waren tief in Löcher gerammt worden, die man
mühselig in den harten Fels gebohrt hatte. Das Geländer sollte
verhindern, daß jemand bei Nacht über den Rand der Klippe

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stürzte.
Franco leuchtete die Kante ab. Auf Händen und Füßen kroch
er an ihr entlang. Sie war ausgewaschen, spröde und bröckelig.
Franco spürte den Sog der Tiefe, ihre Kälte, aber er achtete nicht
auf die Gefahr, die sie signalisierte.
An der Bruchkante gediehen einige Moosarten und
unscheinbare Flechten. Es hatte seit vielen Wochen nicht mehr
geregnet, und eine dünne graubraune Staubschicht hatte die
Pflanzen überzogen.
Zoll für Zoll suchte Franco die Kante und den Geländerbalken
ab.
Bis er eine Stelle fand, wo ein Schuh die Staubschicht auf
dem Moos zerstört und ein anderer den spröden,
ausgetrockneten Pflanzenteppich sogar zerrissen hatte.
Franco richtete sich auf. Er lehnte sich an das Geländer wie
jemand, der die Aussicht genoß. Er schob den Fuß so weit vor,
wie es ging, und er leuchtete ihn an.
Der Abstand zwischen dem Fuß und der moosbewachsenen
Kante war um einige Zoll zu groß, um ihn auf diese Weise zu
erreichen.
Franco atmete flach. Er befand sich an einer Stelle, wo ein
Pfosten aus dem Grund ragte. Er leuchtete die Stelle an, wo der
Querbalken mit dem Stützpfeiler verzapft war.
An der Verbindungsstelle hatten sich Stoffasern verfangen.
Franco schaltete die Lampe wieder aus. Er befestigte sie an
seinem Gürtel, und während er seine Ausrüstung überprüfte,
lauschte er zur Blockhütte hinüber.
Niemand war auf ihn aufmerksam geworden. Er befestigte das
Kletterseil am Pfosten. Er duckte sich, kroch unter dem
Geländer her, packte das Seil und schlang es um seinen rechten
Schenkel.
Wieder spürte er den mächtigen Sog der unsichtbaren Tiefe,

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und er zögerte einen Moment. Während er noch die Universität
von Colorado besuchte, hatte er mit einigen Kommilitonen
häufig Ausflüge in die Berge unternommen, vorwiegend in die
wild zerklüftete, unzugängliche Sawatch Range, wo er Berge
wie den Mount Yale und den Mount Elbert bezwungen hatte.
Beide über vierzehntausend Fuß hoch. Er hatte geglaubt, einige
Kenntnisse in diesem Sport zu besitzen.
Bis Colonel Warner ihn in das geheime Ranger Camp
beorderte, das COUNTER MOB in den Rockys eingerichtet
hatte und wo Männer wie er, die sich dem Kampf gegen das
organisierte Verbrechertum verschrieben hatten, auf spezielle
Einsätze vorbereitet wurden.
Erst dort hatte er erfahren, was es hieß, auf sich allein gestellt
eine senkrecht in die Tiefe fallende Wand hinab- und
anschließend wieder hinaufzusteigen. Beim sportlichen
Bergsteigen war er nie allein gewesen.
Bei seinem Kampf gegen die Mafia war er stets allein.
Die Überlebenstechniken, die die Ausbilder von COUNTER
MOB ihren Agenten vermittelten, gingen stets davon aus, daß
der Betroffene in der Stunde der Gefahr allein war.
Wenn er es nicht war, war der andere sein Mörder.
Franco atmete ein paarmal tief durch, dann ließ er sich
entschlossen zehn, fünfzehn Fuß in die Tiefe gleiten.

Er schwebte über dem Abgrund. Er war allein mit seinen


Urängsten. Seine Sinne vermochten ihm kein zuverlässiges Bild
seiner Umgebung zu vermitteln. Er konnte nicht einmal richtig
die Hand vor Augen sehen.
Er sah nach oben, wo er undeutlich gegen den helleren,
sternenübersäten Himmel die Kante erkennen konnte. Er

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versetzte seinen Körper in leichte Schwingungen, bis er mit
einer ausgestreckten Hand die Felswand berühren konnte. Beim
vierten oder fünften Anlauf gelang es ihm, seine Finger in eine
enge Spalte zu krallen. Mit den Füßen fand er vorübergehend
Halt auf einem Felszacken.
Er trieb vier Mauerhaken in zwei nah beieinander liegende
Spalten. Er hängte die Karabiner ein und zog das herabhängende
Ende des Seils hindurch, das er in einem der Schnappringe
verknotete. Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht auf die Haken.
Sie hielten.
Sollte jemand das Ende des Seils, das er oben um den Pfosten
geschlungen hatte, durchschneiden, so würde Franco dennoch
sicher in der Wand hängen, unerreichbar für jeden, der nicht,
wie Franco, in die Wand stieg.
Franco ließ sich jetzt langsam in die Tiefe gleiten. Das Seil
rutschte um seinen rechten Schenkel, und Franco hatte dabei ein
sicheres Gefühl. Ein Erfolg der Ausbildung, die er mitgemacht
hatte.
Er hatte kein Gefühl für die Tiefe. Er sah gelegentlich nach
oben, sah die Kante ferner und ferner zurückbleiben, sah sie als
scharfen Grat gegen den klaren Himmel Montanas.
Unmerklich zunächst hatte der Wind aufgefrischt. Er heulte
leise in den Schrunden und Rissen, erfaßte den einsamen Mann
am frei über dem Grund der Schlucht schwebenden Seil und
versetzte ihn in lange Schwingungen. Wie ein Pendel.
Als Franco zum erstenmal gegen die Felsen geworfen wurde,
stellte er die Beine rechtwinklig auf. Seine Schuhe scharrten
über den Fels. Die Granitwand war jetzt sehr nah und nicht mehr
so steil. Bald mußte Franco sich dauernd abstützen. Hartes Geäst
von den genügsamen Pflanzen, die in den engen Spalten Halt
fanden, kratzte über seinen Körper. Seine Arme hatten längst zu
zittern begonnen. Sein rechtes Bein, dessen Schenkel das
Gewicht des ganzen Körpers tragen mußte, war abgestorben. Er

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keuchte. Stoßweise fauchte der Atem aus seinem Mund. Die
Feuchtigkeit fing das schwache Sternenlicht ein und machte den
Atem selbst so tief noch sichtbar.
Franco ließ sich etwas schneller hinabgleiten. Am lauter
werdenden Rauschen des Wildbaches konnte er hören, daß er
bald die Sohle der Schlucht erreichen mußte. Der
Pflanzenwuchs wurde dichter. Hier und da ragten scharfkantige
Zacken aus der Felswand. Schließlich rutschte Franco über die
schräge Sohle am Fuß der Wand. Er lockerte die Schlinge um
seinen Schenkel.
Er landete auf einem lockeren Geröllhaufen. Das lose Gestein
gab unter seinen Füßen nach. Franco versuchte, das Seil fester
zu packen und sich daran festzuhalten, aber seine steifen,
gefühllos gewordenen Finger bekamen es nicht in den Griff. So
schlitterte er inmitten einer grollenden Steinlawine den Hang
hinunter.
Die rasante Abwärtsfahrt endete unvermittelt in einem dichten
Gestrüpp. Keuchend blieb Franco liegen. Es war kalt, aber sein
Körper hatte sich mit Schweiß bedeckt. Hart hämmerte das Herz
gegen die Rippen. Er blieb liegen, bis er seine Hände und die
Beine wieder spürte, obwohl die Arme jetzt unkontrollierbar
zitterten.
Unbeholfen löste er die Lampe von seinem Anorak. Er sah
zuerst nach oben, ehe er sie anknipste und ihren Strahl über die
Geröllhalde wandern ließ.
Das Ende des Seils hatte er bei seiner Talfahrt verloren, doch
als er es jetzt nur wenige Schritte von seinem Standort entfernt
herabbaumeln sah, kroch er hinüber und schlang das lose Ende
um seine Hüfte. Er packte das Seil, zog es straff, dann bewegte
er sich mit kurzen Sprüngen, am Seil hängend und sich mit den
Füßen immer wieder abstoßend, über das Geröll.
Er leuchtete das Gestein ab, wobei er den Streifen gleichzeitig
sorgfältig absuchte. Dabei arbeitete er sich in Schlangenlinien

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auf das dichte Gestrüpp zu.
Als er auf dem Geröll keine Spuren entdecken konnte, drang
er in das Unterholz ein. Er stöberte einige Tiere auf, die
protestierend die Flucht ergriffen.
Die Äste, die Zweige und das trockene Laub warfen tanzende
Schatten. Schon nach wenigen Zoll versickerte das Licht, es
herrschte wieder undurchdringliche Finsternis. Franco glaubte
schon, den Abstieg umsonst unternommen zu haben, als ein
helles Blitzen seine Augen erreichte.
Der Kegel der Taschenlampe war über eine glatte, spiegelnde
Fläche gestrichen. Franco ließ den Strahl zurückwandern, und er
hielt inne, als es im Licht grellmetallisch aufleuchtete.
Er wühlte sich durch das Gestrüpp und kniete neben dem
Gegenstand nieder, der das Licht blitzend reflektierte.
Was das Licht zurückwarf, war der Verschluß einer
doppelläufigen Bockbüchsflinte. Das matte, brünierte Metall der
Läufe glänzte ölig.
Franco erkannte die Waffe sofort wieder.
Sie gehörte Nat Keller.
Franco berührte sie nicht. Er wühlte sich tiefer in das
Unterholz.
Er brauchte nicht lange zu suchen. Er fand Nat Keller nicht
weit von der Stelle entfernt, wo das Gewehr aufgeschlagen war.
Stumm hockte er neben der Leiche und leuchtete das im Tode
erstarrte Gesicht an.

Schließlich drückte er die Lider über die gebrochenen Augen.


Der Schädel war beim Absturz zertrümmert worden.
Nackenwirbel, die rechte Schulter und beide Arme schienen

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mehrfach gebrochen zu sein. Die Umgebung der Aufschlagstelle
war voller Blut. Das Blut glänzte noch, der Körper war noch
warm.
Nat Keller hatte etwas getrunken. Das würden die Zeugen
später zu Protokoll geben. Dann war Keller auf die Idee
gekommen, durch die Nacht zu streifen. Weil er das Gelände
noch nicht kannte, er hatte es nicht einmal bei Tageslicht
erkunden können, weil er erst gegen Abend im Camp
eingetroffen war, hatte er das Geländer zu spät gesehen. Er hatte
den Halt verloren und war in die Tie fe gestürzt.
So etwa würde die Begründung des Leichenbeschauers lauten,
wenn er sein Urteil fällte - Tod durch Unfall.
Nur Franco wußte es besser. Keller kannte die Berge nicht. Er
hatte Franco gegenüber zu verstehen gegeben, daß ihn die Fahrt
herauf ins Camp mitgenommen hatte.
Und Franco hatte sogar einen Beweis dafür, daß Keller
ermordet worden war. Der Mörder hatte das Holzscheit von der
Tür genommen und weggestellt.
Es war ein dumpfer Zorn, der Francos Brust wie mit einer
Klammer zusammenschnürte. Warum? fragte er sich. Warum
hatte Nat Keller sterben müssen?
Hatte der Mörder ihn vielleicht mit Franco verwechselt, als er
in den Schuppen eindrang und den ahnungslos Schlafenden mit
dem Griff einer Pistole bewußtlos schlug?
Unsinn, dachte Franco. Spätestens als er sein Opfer
ankleidete, um die Vorspiegelung eines Unfalls perfekt zu
machen, müßte er seinen Irrtum erkannt haben. Franco tastete
Kellers Hüfte ab. Die Pistole steckte in der Halfter. Franco
öffnete den Anorak und untersuchte die Taschen. Alles stimmte.
Der Mörder hatte nichts vergessen. Die Kleidung, die Pistole,
die zweifellos auf Keller registriert war, und selbst das Gewehr,
ohne das ein Mann in den Bergen selten, und bei Nacht schon
gar nicht, unterwegs war, lag in der Nähe.

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Er fand Kellers schmale Brieftasche in einem schwer
zugänglichen Fach des Anoraks. Im Schein der Taschenlampe
untersuchte er ihren Inhalt.
Er fand dreihundert Dollar in bar, mehrere Kreditkarten auf
den Namen Frederic Random und ein Etui. Er klappte es auf.
Auf der einen Seite steckte ein Bronzeabzeichen unter einem
durchsichtigen Plastikstreifen. US Government stand auf dem
Stern.
Auf der anderen Seite steckte eine Ausweiskarte aus
elastischem, nahezu unzerstörbarem Material, in das ein Foto
des Toten eingebettet war. Darunter stand wieder der Name
Frederic Random. Der kleingedruckte Text neben dem Foto
verschleierte die Funktion des Ausweisinhabers eher, als daß
seine Tätigkeit deutlich bezeichnete:
„Der Inhaber dieses Ausweises führt Ermittlungen im Auftrag
der Bundesregierung durch. Alle US-Behörden sind gehalten,
ihn bei der Erfüllung seiner Aufgabe mit allen zu Gebote
stehenden Mitteln zu unterstützen."
Den Schluß bildeten ein Siegel sowie eine Postleitzahl und
eine Postfachnummer. Franco kannte die Bedeutung dieser
Zahlen. Sie bezeichneten das Pentagon. Keller-Random hatte für
den Abschirmdienst des Verteidigungsministeriums gearbeitet.
Sie hatten ihn direkt in sein Verderben laufen lassen. Sie
hatten zu spät geschaltet. Sie hatten sich nicht mit dem
Justizministerium abgestimmt, und sie hatten ihren Mann nicht
genug auf seinen Einsatz vorbereitet. Ein Mann wie Keller-
Random kannte sich vielleicht mit Spionen und Saboteuren aus,
vielleicht hatte er Erfolge in der Terrorbekämpfung zu
verzeichnen.
Hier war er jedoch auf einen Gegner gestoßen, dessen
Entschlossenheit und Grausamkeit er unterschätzt hatte. Die
ewig mißtrauischen Mafiosi hatten ihn sofort durchschaut, weil
er die Spielregeln nicht kannte.

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Aber diejenigen, die ihn losgeschickt hatten, hätten es wissen
müssen.
Franco suchte seine Taschen nach Zigaretten ab. Er hatte
keine mitgenommen. Aber in Kellers Anorak steckte eine
Packung. Franco holte sie heraus. Er rauchte die Zigarette hinter
der hohlen Hand. Seine Finger zitterten noch. Wenn er es doch
gewußt hätte, dachte er verzweifelt ...
Ja, was wäre dann gewesen? Hätte er den Babysitter für ihn
spielen sollen? Franco fluchte verhalten, verstummte sogleich
wieder, als ihm die Anwesenheit des Toten bewußt wurde.
Wer hatte ihn getötet? Tibor Durrance schied aus, ebenso
Harrigan und natürlich auch Julie. Stark war kein Mann der Tat,
ihm schien auch jedes Motiv zu fehlen. Claude Couraut kam
ebenfalls nicht in Frage. Der Drehbuchautor war echt. Rathbone
kannte ihn.
Leoni war das Schwein, das Keller-Random getötet hatte.
Ohne zu zögern. Vermutlich verfügte Leoni über einen
Empfänger, über den er seine Anweisungen bekam. Franco hatte
Nick Leoni beobachtet. Er hatte diesen Mann nicht für einen
Killer gehalten. Wahrscheinlich hatte Franco mit dieser
Einschätzung auch recht, obwohl die Leiche am Fuß der Klippe
das Gegenteil zu beweisen schien.
Franco war jedoch sicher, daß Nick Leoni ursprünglich nur
einen Auftrag gehabt hatte - Tibor Durrance nicht aus den
Augen zu lassen. Der Mord an dem Abwehrmann aus
Washington stellte eine Sondermaßnahme dar. Die Gegenseite
hätte so schnell keinen Profi heraufschicken können, wenn sie
keinen Verdacht erregen wollte. Für Leoni dagegen konnte die
Gelegenheit nicht günstiger sein. Einen Unfall zu arrangieren
stellte einen entschlossenen Mann hier oben vor keine
unüberwindlichen Probleme.
Sie schalteten so verdammt schnell und prompt ...
Dabei schien Kellers Tod überflüssig gewesen zu sein, denn

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Durrance hatte bereits erklärt, daß er die Verträge und die
endgültigen Verhandlungen nicht mehr behandeln würde.
Tief atmete Franco den Rauch ein, bis sich seine Nerven
beruhigten und die Gedanken sich klärten. Der erste Zorn war
unvernünftig. Niemandem war geholfen, wenn er, Franco, jetzt
mit Leoni abrechnete. Und mehr noch - er durfte niemandem
mitteilen, daß er Keller gefunden hatte. Keller mußte hier
liegenbleiben, bis andere ihn vermißten und eine Suchaktion
starteten.
Denn Nat Keller gehörte nicht zu Francos Gruppe. Er war auf
eigene Faust ins Bergcamp gekommen. Es war hart, aber nicht
zu ändern. Keller ging Franco nichts an. Franco hatte seinen Job,
und nichts durfte die Aufgabe gefährden.
Franco drückte die Zigarette sorgfältig aus. Er blies die Asche
fort und schob die Kippe unter losen Schutt. Dann verwischte er
alle Spuren, die er hinterlassen hatte, und er wischte auch seine
Fingerprints von der Brieftasche, die er daraufhin wieder in
Kellers - oder Randoms - Anorak verstaute. Er sah auf die Uhr,
und er erschrak, als er sah, daß die Nacht schon bald vorüber
war.
Dann machte er sich an den mühseligen Aufstieg.
Als er das Plateau erreichte, war er zu Tode erschöpft. Blutrot
erschien die Sonne über einem Felseneinschnitt im Osten und
übergoß die Berge mit ihrem kalten Licht.

Der Helicopter kam nach dem Lunch herauf. Da der


Fairchild-Hiller nur vier Passagiere faßte, mußte er zweimal
fliegen, um alle Mitglieder aus Francos Gruppe und die
Ausrüstung zur Ranch zu bringen.
Franco half dem Piloten, das Gepäck zu verladen. Für den

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ersten Flug teilte er Durrance, Couraut und Julie ein. Er selbst
flog eine Stunde später zusammen mit Stark und Leoni. Sie
hockten in der engen Kabine auf ihren Rucksäcken, sahen
aneinander vorbei.
Die Maschine hob ab. Der Pickup, in dem Nat Keller
heraufgekommen war, wurde rasch kleiner. Urplötzlich, es war
ein atemberaubender Moment, schien das Land unter der Kanzel
jäh abzusacken, als der Pilot die Maschine über die Felskante
steuerte. Der FH 1100 schwebte über der tiefen Schlucht, auf
deren Grund der Geheimagent des Pentagon mit zerschmetterten
Knochen lag.
Niemand hatte nach ihm gefragt. Außer Couraut. Franco hatte
die Schultern gehoben, und Tom Harrigan hatte sich
eingeschaltet und die Version wiederholt, die er von Nick Leoni
hatte. Leoni hatte geschwiegen.
Leoni hockte Franco gegenüber. Franco sah den Mann an.
Leonis papierdünne Lider waren halb über die leicht
hervorquellenden Augen gesunken. Die Hände, sie wirkten
durch die kurzen Finger etwas plump, hingen zwischen den
Knien herab. Die Haut war gelblich und mit braunen Flecken
übersät, zwischen denen die geschwollenen Adern deutlich zu
erkennen waren.
Nick Leoni bemerkte Francos forschenden Blick. Er leckte
sich die spröden Lippen und setzte zu einer Frage an, die jedoch
im Lärm der Rotoren unterging.
Der Hubschrauber folgte knatternd dem Verlauf der tiefen
Schlucht und schwebte dann an der Ostflanke des Trapper Peak
abwärts. Schroffe, wie Obsidian glänzende Felsen glitten an der
gläsernen Kanzel vorbei.
„Tolle Landschaft!" schrie Leoni.
Stark nickte, erleichtert, daß überhaupt jemand das lastende
Schweigen durchbrach. Franco sah nach draußen. Der Haß auf
den Mörder schnürte ihm die Kehle zu. Er konnte seinen

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Anblick nicht mehr ertragen.
Tief unter der Kanzel öffnete sich das Land. Dunkle
Kiefernwälder bedeckten die Hänge und füllten Täler und
Schluchten. Nur hier und da schnitten schmale Wege in die
Wälder oder ragten die wuchtigen Beobachtungskanzeln der
Feuertürme über die Gipfel.
In einem weiten Tal, das von einem glitzernden, glasklaren
'Fluß in zwei gleiche Teile zerschnitten wurde, lag die Blue Sky
Ranch of Montana wie ein Juwel auf heller grüner Seide.
Die Flächen der beiden Swimmingpools schimmerten wie
Saphire im grünen Gras. Selbst aus dieser Höhe konnte Franco
die schlanken Körper der Mädchen erkennen, die wie Delphine
durch das klare Wasser glitten und sich den Männern zur Schau
stellten, die am Rand standen und sich die Gefährtinnen für das
Dinner und die Stunden danach aussuchten.
Einer der Pools konnte bei schlechtem Wetter innerhalb
weniger Minuten in eine heizbare Halle mit gläserner Kuppel
verwandelt werden.
Am Südende des Tals tummelten sich die Pferde in ihren
Koppeln. Beaufsichtigt von mehreren Cowboys, die eigentlich
ausgebildete Reitlehrer waren und gleichzeitig Gäste, die Lust
zum Reiten hatten, betreuten.
Mehrere Reiter galoppierten durch die Bahn. Eine andere
Gruppe kehrte von einem Tagesausflug zurück. Die Pferde
durchquerten gerade den Fluß.
Es war eine bildschöne Anlage. Das Hauptgebäude war im
Ranchstil errichtet. Es bestand aus mächtigen Fichtenstämmen
und war von den Gästehäusern, den Werkstatt- und
Freizeithütten umgeben. Es bildete ein nach Westen hin offenes
Hufeisen. In dem Innenhof, der bei schlechtem Wetter ebenfalls
mit einer gläsernen Kuppel überdacht werden konnte, standen
mehrere gemauerte Grillplätze und ein überdimensionaler
Kamin. Der Südflügel war als stilechter Saloon eingerichtet -

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mit Mahagonibar und Spielräumen, in denen abends und nachts
hohe Beträge umgesetzt wurden. Auf einem schlanken Turm
drehte sich ein Windrad in der frischen Brise, die durch das Tal
strich.
Die Gästeapartments lagen in insgesamt acht
zweigeschossigen Blockhütten mit jeweils zwölf
abgeschlossenen Apartments, die mit allem Komfort
eingerichtet waren. Die Girls, offiziell fungierten sie als
Gesellschafterinnen, wohnten im Nordflügel des Haupthauses.
Sie verfügten dort über zwei eigene Ausgänge, so daß diskrete
Begegnungen zu nahezu jeder Tagesund Nachtzeit möglich
waren.
Die Sportanlagen befanden sich fast ausnahmslos auf der
Ostseite des Tals. Es gab sechs Tennisplätze, eine Go-Kart-
Bahn, den Rodeoplatz, den Betonkasten für das Squash-Spiel,
einen Schießstand und andere, vielseitig nutzbare Anlagen. Ja,
und natürlich, auf künstlich angelegten Hügeln, einen Golfplatz
mit achtzehn Löchern.
Der Helicopter stieß herab. Minuten später setzte die
Maschine sanft auf dem betonierten Platz nördlich des
Haupthauses auf. Ein Pickup mit offener Ladefläche fegte von
den Garagen her auf den Landeplatz zu, wo er den knallroten
Dodge mit der großen Fahrer- und Personenkabine hart zum
Stehen brachte. Ein Mann, der wie fast alle Angestellten der
Ranch wie ein Cowboy gekleidet war, sprang heraus und rannte
geduckt unter den noch wirbelnden Rotorblättern her. Er öffnete
die Kabinentür, spähte grinsend herein und reichte dem ersten
Passagier die Hand. Es war Nick Leoni.
Leoni sprang aus der Kabine. Er deutete auf seinen Rucksack,
dann ging er einfach davon. Der Cowboy würde ihm das Gepäck
in sein Apartment stellen.
Allan Stark lächelte Franco verlegen an, als er heraussprang.
„Tut mir irgend wie leid", sagte er. „Ich wäre gern noch ein paar

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Tage oben geblieben. Und Julie ebenfalls. Aber so ist er nun
mal." Er verzog das Gesicht.
Franco lächelte mechanisch. Du falscher Hund, dachte er. Er
sah hinter Leoni her, der im Haupthaus verschwand. Dort gab es
nicht nur die gutsortierte Bar, sondern auch mehrere
Münztelefone, die Franco für seine Zwecke jedoch nicht als
sicher betrachtete. Wenn die Mafia diese Ranch als
Verhandlungsort ausgesucht hatte, dann hatte sie auch dafür
gesorgt, daß die Telefonleitungen überwacht werden konnten.
Schon vorgestern hatte Franco aus der Luft mehrere
Campmobile an der Straße von Conner herauf gesehen, und eins
stand sogar unter einem überhängenden Felsen, nur drei Meilen
von der Ranch entfernt.
Franco wartete, bis Lennie, so hieß der Bursche in der
Cowboykluft, alles Gepäck auf den Pickup geladen hatte, dann
wandte er sich dem Piloten zu. „Danke, Sid", sagte er.
Der Pilot nahm die Sonnenbrille ab und starrte Franco
verwundert an. „Was hast du gesagt?" erkundigte er sich.
„Danke. Sagt man das etwa nicht unter euch Luftkutschern?"
„Ich hör's nur so selten", seufzte Sid. „Und dann ausgerechnet
von einem Makkaroni!"
Franco lächelte flüchtig, als er sich neben Lennie auf die
vordere Bank schwang. Allan Stark war hinten eingestiegen.
„Rathbone will dich sprechen", sagte Lennie zu Franco. Er
gab dem Wagen die Sporen, raste das kurze Stück auf das
Haupthaus zu, wo er hart bremste und Franco aussteigen ließ.
Mit gemischten Gefühlen betrat Franco das Haus. Er
durchquerte die Halle. Er kam an dem Gang vorbei, an dem die
Telefonkabinen lagen. Wider Erwarten waren sie leer. Franco
konnte einen Blick in die Bar werfen, wo trotz der frühen
Stunde kaum ein Platz an der langen Theke frei war. Nick Leoni
hielt ein kleines Glas in der Hand. Er schnupperte an der
öliggelben Flüssigkeit, dann kippte er den Drink in seinen

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Mund. Er stellte das Glas auf die Theke und bedeutete dem
Mixer, es neu zu füllen.
Vielleicht war es sein erster Mord, dachte Franco. Wenn du
ihn vergessen willst, mußt du dich zu Tode saufen.
Tibor Durrance und Julie konnte er nicht entdecken. An ihrer
Stelle bemerkte er mehrere neue Gesichter. Einige von ihnen
gefielen Franco ganz und gar nicht.
Franco Solo lief die breite Treppe zur oberen Galerie hinauf,
wo Rathbones Office im Zwischengeschoß über der Halle lag.

Rathbone hockte hinter seinem Schreibtisch, dessen Platte mit


Büffelleder überzogen war. Rathbone blickte nicht auf, als
Franco die Tür hinter sich ins Schloß drückte.
Der Raum verfügte über zwei Fenster. Eins ging nach Süden,
das andere nach Osten. Auf dem Rodeo-Platz führten einige
Reiter ihre verwegenen Kunststücke vor. Durch das Südfenster
konnte Franco die eisbedeckten Grate des Trapper Peak unter
dem klaren blauen Himmel erkennen.
„Guten Tag, Mr. Rathbone", sagte er.
Der Besitzer der Blue Sky blickte auf. Er hatte einen
eiförmigen Schädel mit spiegelnder Glatze und abstehenden
Ohren. Er trug ein buntgewürfeltes Cowboyhemd und enge
Jeans, deren Röhrenbeine in handgearbeiteten hochhackigen
Reitstiefeln steckten. Von den anderen Angestellten der Blue
Sky wußte Franco, daß Rathbone noch nie auf einem Pferd
gesessen hatte.
Mit einer ärgerlichen Handbewegung schob Rathbone die
Papiere zur Seite. Er starrte Franco aus wäßrigen Augen an,
blickte zu dem Kurzwellenempfänger hinüber, der
empfangsbereit in einem offenen Regal stand.

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„Was war da oben los? Mr. Durrance äußerte sich sehr
ungehalten."
„Es war ihm zu anstrengend da oben. Und wahrscheinlich
auch zu langweilig", antwortete Franco.
„Ich habe es anders verstanden", schnappte Rathbone.
„So?"
„Mr. Durrance hat sich über Sie beschwert. Sie seien nicht auf
seine Wünsche eingegangen. Rosso, ich habe Ihnen ..."
„Hat er gesagt, welche Wünsche das waren?"
„Nein, das spielt auch keine Rolle."
„Ich sollte ein Dickhornschaf abschießen", sagte Franco
trotzdem.
Rathbone sah seinen „Bergführer" lauernd an. „Und? Haben
Sie's getan?"
„Wenn ich's getan hätte, könnte es Sie die Lizenz kosten, Mr.
Rathbone. Die Ranch befindet sich mitten in einem Naturpark.
Ich habe nicht getroffen."
„Das war vielleicht richtig, vielleicht unklug. Männer wie Mr.
Durrance sind ganz besondere Gäste. Mr. Durrance hat erklärt,
daß er vorzeitig abreisen werde. Das bedeutet einen großen
Verlust für die Ranch. Soll ich Ihnen den Betrag nennen,
Rosso?"
„Sie können ihn von meiner Gage abziehen, Mr. Rathbone."
Durrance reiste nicht ab, weil Franco das Dickhornschaf verfehlt
hatte. Franco kannte den wahren Grund. Durrance wollte sich
nicht vor den Karren der Mafia spannen lassen. Doch das konnte
er Rathbone natürlich nicht verraten. „Oder wollen Sie mich
feuern?" fragte Franco, als Rathbone höhnisch grinste.
Rathbones Gesicht rötete sich ein wenig. Das Blut
überschwemmte die Haut unter der Glatze und fiel dann in die
abstehenden Ohren. Er zog die Oberlippe hoch und krauste die
Nase wie ein gereizter Hund.

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„Morgen fliegen Sie mit einer neuen Dreiergruppe ins
Bergcamp. Zwei Herren und eine Dame. Die Leute sind nicht
sehr bergerfahren. Riskieren Sie also nichts, aber vermitteln Sie
den Gästen die Illusion, als ob sie irgend etwas Schwieriges,
Gefahrvolles vollbringen."
„Ja, Sir", sagte Franco. Er sah Rathbone an, der sich wieder
mit seinen Papieren zu beschäftigen begann. Er drehte sich um
und ging zur Tür. Er war entlassen. Vielleicht konnte er einen
Wagen nehmen und nach Gönner fahren. Er mußte Colonel
Warner sprechen. Ihn informieren. Und er, Franco, mußte
wissen, wer Nick Leoni in Wirklichkeit war.
„Ach, Rosso!" rief Rathbone. Franco hatte bereits den
Türgriff in der Hand. Er blickte über die Schulter zurück. „Sie
könnten sich beim Dinner schon mit den Herrschaften
bekanntmachen."
„Ja, Sir", sagte Franco. Aus war es mit dem schnellen Trip
nach Conner.
„Und noch etwas - was macht Mr. Keller? Kommt er
zurecht?"
„Ich hoffe es, Sir. Sie hätten ihn nicht allein heraufkommen
lassen sollen." „Was wollen Sie damit sagen?" fragte Rathbone
flach. Die Muskeln an seinem Hals spannten sich.
„Er hat eine Nachtwanderung unternommen."
„Ja, und?"
„Er ist ein Greenhorn, Mr. Rathbone."
„Das zu beurteilen ist wohl nicht Ihre Sache, Rosso! Er
kommt also zurecht. Mehr wollte ich nicht wissen."
„Das habe ich nicht gesagt, Mr. Rathbone. Ich habe ihn heute
noch nicht gesehen. Ich weiß nur von Tom, daß er eine
Nachtwanderung unternehmen wollte."
Rathbone stülpte die Unterlippe vor, lutschte sie dann
zwischen seinen Zähnen. Die wäßrigen Augen bekamen einen

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unruhigen Ausdruck. Wenn Keller-Random sich dem Besitzer
der Blue Sky gegenüber ausgewiesen hatte, bekam Rathbone
jetzt das große Muffenklappern. Wenn der Geheimagent sich zu
erkennen gegeben hatte, und daran zweifelte Franco nicht, weil
Rathbone ihm sonst den Wagen nicht überlassen hätte, konnte
dem Eierkopf Kellers Interesse an den Gästen und den
Angestellten, die noch nicht lange auf der Ranch beschäftigt
waren - was nur für Franco zutraf - nicht entgangen sein. Der
alte Geier befand sich jetzt in der Klemme. Keller-Random hatte
sich garantiert eingehend nach dem angeblichen Bergführer
erkundigt. Und jetzt war er überfällig, der Bergführer stand
etwas abgespannt vor seinem Boß. „Noch etwas, Sir?"
erkundigte sich Franco. Rathbones Gesicht spannte sich.
„Nachtwanderung, sagten Sie? Wann ist er aufgebrochen?"
„Das weiß ich nicht. Da müssen Sie Tom Harrigan fragen. Ich
hatte mit meinem Haufen genug zu tun! Ein aufgeblasener
Politiker, ein schwuler Serienschreiber ..."
„Es ist gut, Rosso, ja? Okay, okay, Keller wollte unbedingt
auf eigene Faust in die Berge. Gut, gut, Sie können nichts dafür.
Aber so, wie ich die Sache sehe, ist er überfällig, oder sind Sie
anderer Ansicht?"

„Nein, Sir. Aber vielleicht ist er inzwischen wieder


aufgetaucht", meinte Franco.
„Rufen Sie Tom an!" Rathbone deutete auf das Funkgerät.
Franco stellte es auf die Frequenz des Bergcamps ein. Nach
einer Weile hörte er Tom.
„Was is'n los?" fragte der Schotte verdrossen.
„Ist Keller wieder da?"
„Nein, Joe. Ich mache mir Sorgen ..."
Rathbone sprang auf. Er trat neben Franco und riß ihm das
Mikrofon aus der Hand. „Tom! Wo, zum Teufel, kann er

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stecken?"
„Ich weiß es nicht, Mr. Rathbone."
„Ist der Wagen da?"
„Ja, Sir, der Wagen steht vorm Haus."
„Hat Mr. Keller eine Ausrüstung bei sich?"
„Ja, das heißt, ich glaube es wenigstens ..."
„Ja, zum Teufel!" brüllte Rathbone. „Weißt du es denn
nicht?"
„Nicht genau, Sir. Leoni hat ihn zuletzt gesehen."
„Tom, sag mir sofort Bescheid, wenn er wieder auftaucht.
Sofort, hörst du?"
„Ja, Sir. Ich kann ihn ja suchen ..."
„Auf keinen Fall!" Rathbone sah aus dem Fenster. Blaue,
durchsichtige Schatten sickerten ins Tal. „Heute hat es keinen
Zweck mehr. Bevor ich morgen die neue Gruppe hinauflasse,
schicke ich einen Suchtrupp." Er sah an Franco vorbei. Er traute
ihm nicht.
Franco hatte einen heimlichen Blick ins Gästebuch geworfen.
Ihm war eine Diskrepanz aufgefallen in den Informationen, die
er über Leoni besaß. Er hatte gehört, daß Leoni aus Indiana
stammte. Unterwegs, während des gestrigen Trips, hatte Leoni
dem Drehbuchautor erzählt, er sei der Manager einer
Fleischwarenfabrik in Chicago. Chicago lag jedoch im Staate
Illinois. Die Eintragung im Gästebuch klärte den scheinbaren
Widerspruch. Als Wohnort Leonis war hier Hammond, Chicago
East. angegeben, und Ost-Chicago lag im Nachbarstaat Indiana.
„Sie sollten Leoni fragen, ob Keller eine vollständige
Ausrüstung bei sich hatte", schlug Franco vor.
„Das werde ich auch tun", versicherte Rathbone grimmig.
„Ganz bestimmt." Er starrte aus dem Fenster in die schroffen
Berge.

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„War Mr. Leoni schon mal hier?" erkundigte sich Franco
beiläufig.
Rathbone lachte bellend auf. „Er kommt hierher, seit es die
Blue Sky gibt! Seit zehn Jahren ..."
Seit zehn Jahren ... Franco schluckte. War er einem
Hirngespinst zum Opfer gefallen?
„In diesem Jahr ist er sogar schon zum zweitenmal hier. Sonst
kommt er immer im Frühjahr ..."
Das war die Erklärung. Leoni war Mafioso, daran gab es für
Franco keinen Zweifel. Er hatte es innerhalb des
Verbrechersyndikats zu einem angesehenen Posten gebracht. Er
managte eine Fleischwarenfabrik. Er besaß vermutlich ein
hübsches Haus und eine weniger hübsche Frau, ein paar gut
erzogene Kinder.
Aber er schuldete der Ehrenwerten Gesellschaft noch einen
Gefallen.
Irgendwann bekam jeder die Rechnung. Irgendein großer
Capo hatte Nick Leoni in der Hand. Als in der Commissione
nun das große, das ganz große Geschäft diskutiert wurde,
erinnerte sich dieser Capo an einen Burschen namens Leoni, der
Stammgast in einer einsam gelegenen Gästeranch in den Bergen
Montanas war.
So also war man auf die Blue Sky gekommen ...
Und als dann ein Regierungsagent auf der Bildfläche erschien,
hatte Leoni einen Mordauftrag bekommen.
Und ihn auch ausgeführt.
Francos Mund war trocken. Es wäre interessant zu erfahren,
wie viele „Freunde" Nick Leonis sich auf der Ranch aufhielten.
Aber er konnte den Glatzkopf schlecht danach fragen, ohne
dessen Argwohn weiter anzufachen.
„Ist noch was?" drang Rathbones Stimme in Francos Hirn.
„He, Rosso, träumen Sie?"

-54-
„Nein, Sir, ich träume nicht", sagte Franco leise. Er ging
hinaus.

Draußen stieß er auf Julie.


Unter dem breit ausladenden Dach der Veranda hatte sie ihre
Kamera auf einem Stativ aufgebaut. Sie stand gebückt da, das
Hinterteil herausgestreckt, und peilte durch den Sucher den
Trapper Peak an, der im rötlichen Schein der Abendsonne
leuchtete.
„Ein schöner Anblick", sagte Franco aufrichtig, und er meinte
nicht nur das runde Hinterteil der Psychologin.
Sie betätigte gelassen den Auslöser, ehe sie sich aufrichtete
und Franco ansah. Ihre Augen funkelten, und sie hatte das Kinn
angriffslustig vorgeschoben.
„Ich glaube, Sie sind doch ein Mann, der andere Menschen
belauert. Gestern haben Sie an der Hütte gelauscht, jetzt
schleichen Sie sich an mich heran wie ein Indianer ..."
Franco sah sich beunruhigt um. Zwei Männer kamen gerade
an ihm vorbei. Burschen, die sich nicht für Julie interessierten.
Was sie in Francos Augen verdächtig machte. Männer, die an
einen Job zu denken schienen. Sie verschwanden im Haus.
Franco spürte, wie ein dünner Schweißfilm auf seiner Stirn
erschien.
„Sie sehen nicht gut aus", stellte Julie fest. Sie betrachtete ihn
sehr aufmerksam.
Franco brachte ein Grinsen zustande. „Ich habe letzte Nacht
kaum geschlafen", sagte er, was noch eine Übertreibung
darstellte.
„War es so aufregend ..." Sie verstummte rasch, als sie die

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stumme Warnung in seinen Augen erkannte.
„Wir sehen uns sicher noch", sagte er kühl und ging an ihr
vorbei.
Franco bewohnte ein winziges Apartment in einem
Doppelbungalow südlich des Ranchhauses. Es lag unter dem
Dach, verfügte immerhin über ein Bad und einen kleinen
Balkon, von dem aus er den Trapper Peak und das Tal des Great
Rock Creek einsehen konnte.
Lennie hatte den Rucksack und die Reisetasche in den
Vorraum gestellt.
Franco holte die Luger aus dem Geheimfach der Reisetasche.
Er schob sie unter das Kopfkissen seines Bettes, ehe er sich
auszog und sich unter die Dusche stellte. Er drehte das heiße
Wasser auf, wartete, bis seine Haut dampfte und sich rötete,
dann schreckte er sich mit kaltem Wasser ab.
Er fühlte sich jetzt etwas frischer. Frisch genug, um den
kleinen Mehrkanalempfänger betriebsbereit zu machen. Mit
diesem Gerät konnte er die Abhörgeräte in den verschiedenen
Apartments über ein Funksignal einschalten und die Räume
abhören. Er vergewisserte sich noch einmal, daß die Tür zum
Flur verschlossen war, und nachdem er sein eigenes Apartment
mit einem Panoramaempfänger nach verbogenen
Lauscheinrichtungen abgesucht hatte, setzte er die Sende- und
Empfangskombination in Betrieb.
Nacheinander lauschte er in die verschiedenen Räume hinein,
die er mit seinen Wanzen gespickt hatte.
Durrance, Stark und Julie bewohnten das ganze Obergeschoß
einer der geräumigeren Blockhütten östlich des Haupthauses,
unmittelbar vor dem großen Swimmingpool. Franco hatte je eine
Wanze in Durrances, Starks und Leonis Apartment versteckt,
außerdem hatte er vier weitere Räume, deren Bewohner ihm
irgendwie bemerkenswert vorgekommen waren, in die
elektronische Überwachung einbezogen.

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Nacheinander ging er auf die verschiedenen Frequenzen.
Aus einem Apartment hörte er eine Frau, die ununterbrochen
mit schriller Stimme auf jemanden einredete. Die Frau beklagte
sich bei einem offenbar stummen Zuhörer, daß er sie gegen
ihren Willen in diese Wildnis verschleppt habe und daß sie doch
besser nach Reno oder Las Vegas gefahren wären, wie sie es
immer vorgeschlagen hätte.
Franco beschloß, dieses Apartment zu vergessen. Der
ursprüngliche Gast schien ausgezogen zu sein.
In Leonis Quartier herrschte Stille. Aber der Mörder war da.
Franco konnte ihn atmen hören. Sender und Empfänger waren
außerordentlich empfindlich.
Stark hämmerte auf einer Schreibmaschine.
Tibor Durrance telefonierte mit seiner Kanzlei in Topeka. Er
beauftragte einen seiner Angestellten, ihm Flugtickets nach
Washington zu besorgen und Termine mit dem Staatssekretär im
Department of Justice sowie mit einem hohen Beamten des
Pentagon und dem Vorsitzenden des Rüstungsausschusses zu
machen und danach die Abflugzeit in das Open-Flight-Ticket zu
setzen. Durrance machte also Ernst. Er stieg aus.
Franco legte sich auf sein Bett. Er spürte jetzt die Müdigkeit
in allen Knochen. In der vergangenen Nacht hatte er keine
Minute geschlafen. Statt dessen war er zweihundert Fuß tief in
eine Wand hinabgestiegen und wieder hinaufgeklettert.
Er ließ den Empfänger auf die Frequenz der Wanze im
Zimmer des Politikers stehen und behielt den Hörer im Ohr. Im
Unterbewußtsein nahm er die Geräusche aus dem
einhundertzwanzig Yards entfernten Apartment wahr.
Er schlief ein.
Die Schatten krochen aus den Ecken und füllten den Ra um.
Franco entspannte sich, auch wenn seine Sinne eine Reihe von
Eindrücken verarbeiteten, indem sie alles Unwichtige

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aussortierten.
Franco schoß erst mit einem Satz aus dem Bett, als der Schrei
in seinem Ohr explodierte. Er riß das Empfangsgerät vom
Nachttisch und schnellte ans Fenster.

Hell leuchteten die Umrisse der Fenster und bezeichneten die


Lage der verschiedenen Blockhütten. Das Eis des Trapper Peak
schimmerte silbern vor dem samtenen Himmel.
Franco preßte den kleinen Hörer fester in sein Ohr.
Er hatte zuerst einen Ruf und dann den lauten Schrei gehört.
Jetzt herrschte Stille.
Was war dem Schrei vorangegangen? Francos Hirn hatte alle
Geräusche gespeichert. Während er sich in fliegender Eile
anzog, ließ er die verschiedenen Eindrücke noch einmal an
seinem inneren Ohr vorbeiziehen.
„... es dauert nur ein paar Minuten, Julie, kommen Sie doch
eben mal herüber ..." Durrance, der ins Telefon sprach. Julie
schien zu zögern. „Bitte", drängte der Politiker. „Ich habe mir
die Fotos für die Plakate angesehen. Ich möchte Ihre Meinung
hören ..." Durrance hatte den Hörer aufgelegt.
Was war dann geschehen?
Danach hatte er einen erstaunten Ruf und danach den Schrei
gehört, der rasch erstickte.
Wie unter einer Hand, die sich auf einen Mund legte.
Wo war Julie? War sie schon in Durrances Apartment?
Franco schlüpfte in die Turnschuhe. Er schaltete den
Empfänger nacheinander auf die anderen Kanäle.
In Leonis Apartment rauschte die Dusche.
Die Frau sprach immer noch mit schriller Stimme auf
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jemanden ein, der hin und wieder matte Grunzlaute ausstieß.
In Allan Starks Zimmer lärmte der Fernseher.
Franco schaltete zu Tibors Apartment zurück.
Wasser rauschte. Franco stutzte. Wieso badete der Politiker,
wenn er seine Wahlkampfmanagerin erwartete?
Franco riß den Hörer aus seinem Ohr. Er schnappte die Luger,
sprang zur Tür. Dort besann er sich. In dieser Hütte waren außer
ihm noch mehrere Angestellte der Ranch untergebracht.
Sportlehrer und Trainer. Zwei von ihnen hörte er im Flur
miteinander reden.
Franco öffnete die Fenstertür des Balkons. Er trat hinaus. Sein
Kopf berührte beinahe das tiefhängende Dach. Er trat ans
Geländer, sah hinunter. Die Luger hatte er bereits unter dem
Pullover im Hosenbund verstaut. Er packte jetzt das Geländer.
Entschlossen flankte er hinüber.
Er fiel, landete im weichen Gras, federte den Aufprall ab,
jagte sofort los. Ein dunkler Schatten. Wie ein Puma, der eine
Gazelle verfolgte.
Deutlich sichtbar lag das Haus, in dem Durrance und seine
beiden Begleiter untergebracht waren, vor dem lichtüberfluteten
Geländer mit den beiden Swimmingpools. Er hörte das fröhliche
Lachen der Girls, aufspritzendes Wasser, wenn ein Körper
hineinklatschte. Vom Patio des Ranchhauses wehte würziger
Fleischduft herüber. Franco hatte nicht auf die Uhr gesehen. Er
schätzte, daß es ha lb zehn war, vielleicht etwas später. Das
Barbecue begann abends erst um zehn. Wer früher Hunger
bekam, konnte sich an der Bar oder in der Halle oder auch in
seinem Apartment jederzeit einen Imbiß servieren lassen.
Franco steuerte die Südseite der Hütte an, die im Schatten lag.
Er sah die hellen Rechtecke der Fenster im Obergeschoß und
den Umriß des schmalen umlaufenden Balkons.
Die Fenstertür zum Apartment des Politikers war geschlossen,

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die Jalousie herabgelassen.
Franco kletterte auf den Holzstapel unter dem Balkon. Seine
Hände suchten noch nach einem Halt an der Regenrinne oder an
der Hausecke, da hörte er das Krachen einer zuschlagenden Tür,
einen gellenden Schrei und einen heftigen Fall.
Der Schrei riß jäh ab.

Julie Conrads Füße versanken in dem weic hen Teppich, der


den Flur bedeckte. Am Ende des Ganges hing der präparierte
Kopf eines Braunbären an der Wand. Julie sah dem Vieh in die
Glasaugen und schnitt ihm eine Fratze.
Die Grimasse galt Tibor Durrance. Der Anruf des Politikers
hatte sie im unpassendsten Moment erreicht. Sie hatte eine
Stunde geschlafen und sich danach geduscht. Als Durrance sie
dann anrief, hatte sie sich gerade angezogen und begonnen, sich
ein wenig zurechtzumachen - das lange Haar kämmen und
bürsten, die Wimpern ein wenig dunkler nachziehen, mehr nicht.
Aber für sie war es wichtig.
Heute war vielleicht ihr letzter Abend hier draußen, und sie
hatte sich vorgenommen, ihn auszukosten.
Die grandiose Bergwelt hatte sie gepackt. Sie war in Texas
geboren und aufgewachsen, und sie hatte ge glaubt, es gebe auf
der ganzen Welt nichts Größeres und Einmaligeres als Texas.
Dabei bestand Texas nur aus Wüsten, staubigen Weiden,
Hitze und lärmenden, eingebildeten und rauflustigen
Viehtreibern. Und aus Öl und Dollars.
Erst hier in Montana hatte sie begriffen, daß es auch noch
etwas anderes gab als Texas.
Vor der Tür zu Tibors Apartment blieb sie stehen. Sie holte
noch einmal tief Luft, klemmte die Mappe, in der sie noch mehr

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Fotos von Tibor hatte, fester unter den Arm. Sie trug einen
knielangen Rock aus kariertem Wollstoff, flache Schuhe und
einen leichten hellbeigen Kaschmirpullover. Das maisgelbe
Haar hatte sie mit einem einfachen blauen Band zu einem Zopf
geflochten. Sie war bereits neunundzwanzig, aber sie wußte
genau, daß sie es mit ihrer schlanken, sportlichen Erscheinung
und dem etwas eckigen Gesicht mit den ausdrucksvollen grauen
Augen jederzeit mit den jungen Dingern da draußen aufnehmen
konnte. Sie nannten sich Gesellschafterinnen. Julie lächelte.
Außer Busen und Pos hatten sie nichts zu bieten. Und ob sie mit
denen auch noch das Richtige anfangen konnten, stand dahin.
Nachher am Barbecue und später an der Bar, das wußte Julie
ganz genau, würde sie die Blicke der Männer auf sich ziehen.
Sie klopfte. Etwas zu leise, wie ihr schien. Aber was machte
das schon! Tibor Durrance erwartete sie schließlich. Sie drehte
den Knauf und öffnete die Tür.
Sie hörte das Wasser rauschen, und sie runzelte die Stirn.
Zögernd blieb sie stehen, nachdem sie über die Schwelle
getreten war. Durrance kam doch nicht etwa auf dumme
Gedanken? Beklommen sah sie in Richtung Badezimmer.
Sie erinnerte sich an eine ähnliche Szene vor einigen Jahren,
damals war sie trotz ihres Psychologiestudiums noch sehr naiv
gewesen, als sie der Creative Director einer Werbeagentur, bei
der sie ein Praktikum absolvierte, in sein pompöses Büro
beordert hatte. Das Büro war eine richtige Wohnung mit einem
großen Hauptraum, einer Kochnische, Schlafzimmer und Bad
gewesen. Die schwere Doppeltür war hinter ihr ins Schloß
gefallen und zugeschnappt. Aus dem angrenzenden Bad war der
Creative Director auf sie zugekommen, mit nichts am Leib als
einem lüsternen Grinsen. Sie hatte sich herumgeworfen und den
schrecklichsten Augenblick ihres Lebens durchgemacht, als sie
bemerkte, daß der Türöffner fehlte. Nur mit knapper Not war sie
damals einer Vergewaltigung entgangen ...
Sie vergewisserte sich, daß sie das Apartment jederzeit wieder
-61-
verlassen konnte, ehe sie auf die angelehnte Badezimmertür
zuging.
Sie zog sie ein Stück auf. Man muß Gefahren oder Ängste
bewußt durchstehen. Psychologie für Anfänger.
Doch was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gerinnen.
Wasser schwappte über den Rand der Badewanne.
In der Wanne lag Tibor Durrance. Nackt, mit dem Gesicht
nach unten.
Obwohl er sich nicht mehr bewegte, drückte der Mann, der
mit einer Gesäßhälfte auf dem Wannenrand hockte, seinen Kopf
unter Wasser. Die Hand lag in Durrances Genick. Sie steckte in
einem schwarzen Lederhandschuh und bildete einen
entsetzenerregenden Kontrast zu der bleichen schlaffen Haut.
Julie konnte nicht verhindern, daß ein scharfer Laut über ihre
Lippen brach. Sie war ein mutiges Persönchen, aber sie begriff
nicht sofort, daß hier ein Unfall gestellt wurde.
Der Mann schnellte herum.
Er starrte Julie an. Aus seltsam blassen, seelenlosen Augen,
die wie Glaskugeln in flachen Höhlen lagen.
Julie begriff schlagartig, daß sie dem Tod in die Augen sah.
Bevor der Schreck und das Entsetzen sie zu lähmen
vermochten, warf sie sich auf dem Absatz herum. Sie raste zur
Tür, packte den Griff, drehte ihn herum. Die Tür öffnete sich.
Die Mappe mit den Fotos fiel zu Boden.
Doch der Mörder war schneller. Er warf sich mit der Schulter
gegen das Türblatt. Es gab einen lauten Knall, als sie wieder ins
Schloß schlug. Hände streckten sich nach Julie aus, nach ihrem
Hals. Die schwarzen Lederhandschuhe trieften noch vor Nässe
und erinnerten Julie daran, daß es diese Hände gewesen waren,
die Tibor Durrances Gesicht unter Wasser gedrückt hatten. Da
stieß Julie einen gellenden Schrei aus. Der Mörder zögerte nicht.
Er schmetterte Julie eine Faust an die Schläfe.

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Der brutale Hieb schleuderte sie quer durch den Raum. Sie
prallte gegen eine Wand, wo sie bewußtlos zu Boden sank.

Der Schrei klang kaum gedämpft durch die geschlossenen


Scheiben. Es war der Schrei einer Frau, die sich dem Tod
gegenübersah.
Franco schnellte von dem Holzstapel aus in die Höhe. Seine
Finger bekamen die Kante des Balkons zu fassen. Über ihm
krachte etwas gegen die Wand. Das Holz dröhnte. Franco
schwang sich auf den Balkon, wand sich unter dem Geländer
durch, richtete sich geduckt auf.
In diesem Augenblick erlosch das Licht in Tibor Durrances
Apartment.
Franco Solo warf sich mit der Schulter gegen die leichte Tür.
Das Holz zerbarst mit einem explosionsartigen Laut. Glas
splitterte, Scheiben klirrten. Franco hechtete in den dunklen
Raum. Ins Ungewisse, noch ehe der Scherbenregen aufhörte.
Die Jalousie stürzte herab, Franco arbeitete sich aus den
biegsamen Lamellen heraus.
Er war gegen einen Sessel geprallt. Über sich sah er einen
Schatten. Den riesenhaften Umriß eines scheinbar sehr großen
Mannes. Der Mann packte den Sessel, schwang ihn hoch über
seinen Kopf, um Francos Schädel zu zertrümmern.
Blitzartig warf sich der Mafiajäger zur Seite.
Der Boden erzitterte, als das schwere Möbelstück zerschellte.
Franco hatte sich auf den Rücken gewälzt und die Beine
angezogen. Jetzt schoß er die Füße ab.
Sie prallten gegen Schenkel. Franco hörte einen erstickten
Schmerzensschrei, und er sah den Schatten taumeln, mit den
Armen durch die Luft rudern.

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Sofort war Franco wieder auf den Beinen. Er sprang über den
zerstörten Sessel, duckte sich, als ein Gegenstand heranflog. Es
handelte sich um eine Tischlampe. Der schwere Fuß streifte
Francos Schulter, das Anschlußkabel wickelte sich um seinen
Hals. Ein stechender Schmerz ging vo n der Schulter aus und
rann mit dem Blutstrom durch seinen Körper.
Der andere kam wieder näher heran. Ein wilder Fausthieb
krachte vor Francos Brust und schleuderte ihn zurück.
Der Mafiajäger blieb jedoch auf den Beinen. Er zog sich
etwas zur Seite zurück, damit er gegen das hellere Rechteck der
Fenstertür keine scharfe, erkennbare Silhouette abgab. Er riß die
Luger unter seinem Pullover hervor. Der Daumen fuhr über den
Spannabzug.
Der andere hatte das Geräusch gehört. Es ließ ihn in Deckung
gehen. Der Scha tten verschwand einfach.
„Julie!" rief Franco unterdrückt. „Julie!"
Er bekam keine Antwort. Dabei war er sicher, daß er ihren
Schrei gehört hatte. Im Bad rauschte noch das Wasser. Julie,
dachte er, um Gottes willen, ihr durfte nichts zugestoßen sein.
Vielleicht hatte sie fliehen können, während er durch das
Fenster brach.
Er bewegte sich vorsichtig im Kreis. Er kannte das
Apartment, schließlich hatte er hier die Wanze in die Fuge der
Deckentäfelung gesteckt. Aber der andere kannte den Raum
ebenfalls. Plötzlich setzte sich der Tisch, wie von Geisterhand
berührt, in Bewegung. Das schwere Möbelstück flog auf Franco
zu. Er blockte es mit einer Hand ab, sprang zur Seite. Da wurde
er niedergerissen. Ein Knie bohrte sich in seinen Leib, nahm
ihm den Atem. Er fiel, keuchte, saugte gierig nach Luft,
während noch krampfartige Schmerzen seinen Körper
zusammenzogen.
Er hörte ein schwaches Wimmern, leichte Schritte draußen
auf dem Balkon. Er kroch zur Flurtür, öffnete sie. Leer lag der

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Gang vor ihm, schwach erhellt von einigen Wandlampen. Er
drückte sie wieder ins Schloß. Mechanisch schob er den Riegel
vor. Er schaltete kurz das Licht an.
Julie lag an der Wand neben der Balkontür. Ihr Gesicht war
geschwollen, die Haut über einer Wange von einem brutalen
Hieb aufgerissen.
Franco löschte das Licht wieder. Mit zwei Sätzen war er
neben dem Mädchen. Er hob ihren Kopf, spürte ihren flatternden
Atemzug, fühlte den Schauder, den sie unter seiner Hand
empfand.
Er trug sie vorsichtig bis in die Nähe der zertrümmerten
Fenstertür. Im schwachen Licht, das hereinfiel, sah Franco, wie
ihre Augenlider flatterten, wie sie ihn anblickte, ihn aber nicht
gleich erkannte.
Franco hielt ihren Kopf. „Ich bin's, Joe", sagte er leise. „Es ist
alles in Ordnung." „Mr. Durrance ..." sagte sie leise. Tibor
Durrance! Franco hätte ihn beinahe vergessen, so froh war er,
daß Julie noch lebte. Er stürzte zur Badezimmertür.
Das Wasser lief bereits über den Rand und floß über den
Boden. Kleidungsstücke schwammen darin.
In der Wanne schwamm Tibor Durrance, mit dem Gesicht
nach unten.

O Gott, dachte Franco. Er platschte durch das Wasser, schob


die Luger in den Hosenbund, griff ins Wasser, packte den
schweren Körper unter den Achseln und hievte ihn heraus. Mit
dem Körper schwappte noch mehr Wasser über, ehe der
Flüssigkeitsspiegel in der Wanne schlagartig absank. Das
Wasser klatschte voll über Francos Hosenbeine und Schuhe.
Er wuchtete den schweren Körper vollends aus der Wanne

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und legte ihn einfach zu Boden, zwischen Wanne und WC-
Schüssel. Er bückte sich, preßte sein Ohr auf die nackte Brust
und stieß die Finger in die Halsgrube.
Kein Herzschlag. Tibor Durrance, Kongreßabgeordneter und
Mitglied des Rüstungsausschusses, war tot. Der Mörder hatte
ihn wahrscheinlich mit einem Handkantenschlag, der keine Spur
hinterließ, betäubt, ehe er ihn in die Wanne legte. Später hätte er
den Toten das kurze Stück zum Swimmingpool getragen und
hineingeworfen. Tod durch Ertrinken. Zwei Unfälle innerhalb
kurzer Zeit. Tragisch, aber etwas anderes wäre kaum zu
beweisen gewesen.
Wieder einmal hatte die Mafia schnell und erbarmungslos
zugeschlagen.
Aber dieses Mal, das schwor Franco, kamen sie nicht durch
mit einem Mord.
Zuerst war Julie dem Mörder in die Quere gekommen, dann
er, Franco. Jetzt konnten sie den Tod des Politikers, der sich
nicht vor ihren Karren spannen lassen wollte, nicht mehr als
Unfall verkaufen.
Julie hatte den Mörder gesehen.
Julie ... O Gott, Julie! Bis die Polizei eintraf, schwebte sie in
höchster Gefahr. Auch danach noch, aber dann würden sich
Fachleute um sie kümmern.
Er sprang durch die Tür. Jemand klopfte draußen an die
Eingangstür.
„Mr. Durrance! Mr. Durrance!" Das war Allan Stark, der
seinen Chef zum Essen abholen wollte. Franco blieb regungslos
stehen, bis Stark abzog. Von dem jungen Anwalt konnte Franco
keine Hilfe erwarten. Stark hatte sich selbst an die Mafia
verkauft.
Julie stöhnte. Franco huschte zu ihr, kniete neben ihr nieder.
Sie berührte die aufgeplatzte Haut, wo die Faust des Mörders sie

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getroffen hatte.
Franco half ihr beim Aufstehen. Taumelnd stand sie da,
klammerte sich an ihm fest. „Mr. Durrance ..." stammelte sie.
„Er ist tot, Julie. Haben Sie den Mörder gesehen?" Sie nickte
heftig, wollte etwas sagen. Da hörte Franco ein Geräusch. Er
legte ihr eine Hand über den Mund. „Pst!" machte er, und sie
preßte entsetzt die Lippen aufeinander.
Draußen, auf dem Balkon, der sich um die ganze Blockhütte
herumzog, schlich sich jemand an. Sie reagierten verdammt
schnell.
Franco trug Julie über Scherben und zertrümmerte
Möbelstücke nach vorn. Allan Stark hatte das Klopfen längst
aufgegeben und war verschwunden. Vielleicht konnten sie vorne
noch hinaus. Er mußte Julie verbergen, bis die Männer des
County Sheriff heraufkamen. Er zog den Riegel zurück und
brachte seinen Mund nah an Julies Ohr.
„Gehen Sie in Starks Apartment. Schließen Sie sich ein und
machen Sie kein Licht! Warten Sie an der Wand neben dem
Fenster auf mich. Ich komme wahrscheinlich über den Balkon.
Ich klopfe zweimal kurz und nach einer Pause noch einmal.
Machen Sie dann sofort auf. Los, gehen Sie jetzt!" Stark ließ
seine Zimmertür unverschlossen. Franco wußte es.
Er öffnete die Tür einen Spalt. Für einen Moment stand Julie
in einer Lichtbahn, deutlich zu erkennen für den Mann, der in
diesem Moment den Rahmen der gegenüberliegenden Balkontür
füllte. Der Mann war gedrungen und breitschultrig. Er trug eine
eng anliegende dunkle Hose und einen ebensolchen Pullover.
Sein Bild brannte sich in Francos Hirn.
Der Mörder? Oder sein Komplice? Sie hatten zweifellos
schon ein ganzes Kommando auf der Ranch. Franco fielen die
Campmobile wieder ein.
Er kam jedoch nicht dazu, Betrachtungen über Kampfauftrag
und Kampfstärke des Gegners anzustellen. Er sah einen

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Gegenstand in der Hand des Gedrungenen. Der längliche,
kantige Umriß löste eine Reihe von Reflexen in Francos Hirn
aus.
Er stieß Julie durch den Türspalt hinaus und drückte die Tür
sofort wieder zu. Er riß seine Luger heraus, sprang gleichzeitig
zur Seite.
Im gleichen Moment hämmerte die Maschinenpistole in den
Fäusten des Breitschultrigen los. Die erste Salve stanzte eine
Reihe fasriger Löcher in die Tür, durch die Licht fiel. Dann
tanzten die Kugeln über die Wand, rasten auf Franco zu.
Francos Hand schnellte hoch. Der Hammer der Waffe war
noch gespannt. Mechanisch schob Franco die Sicherung nach
vorn.
Dann schoß er.
Die Maschinenpistole verstummte und segelte durch die Luft.
Der Schütze warf die Arme hoch. Die Wucht, mit der die große
Kugel in seine Brust gedrungen war, schleuderte den Mann
gegen das Geländer. Er kippte nach hinten über und verschwand
wie ein Spuk.

Franco huschte über den Gang. Spätestens die MPi- Salven


mußten Menschen anlocken. Aber außer Julie und ihm hielten
sich keine anderen Personen mehr in diesem Teil des Hauses
auf. Die Gäste versammelten sich in diesen Minuten beim
abendlichen Barbecue. Sie hatten dadurch vielleicht noch ein
paar Sekunden.
Er drückte gegen die Tür zu Starks Zimmer. Sie war
abgeschlossen. Er klopfte das vereinbarte Signal. Dabei fiel ihm
ein, daß sie ihn über den Balkon erwartete. „Julie!" rief er
scharf. „Machen Sie auf! Ich bin's! Joe!"

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Die Tür ging auf. Er zwängte sich durch den engen Spalt in
den dunklen Raum, schloß und verriegelte die Tür sofort. Er
spürte die Frau neben sich. Er berührte ihre Schulter. Ihre
Haltung versteifte sich, aber dann lockerte sie ihre Muskeln, und
ihr ganzer Körper begann zu zittern und zu zucken.
Er nahm sie einfach in seine Arme, hielt sie fest und strich mit
einer Hand über ihren Kopf. In der anderen hielt er noch die
Luger.
„Haben Sie keine Angst", sagte er leise. „Sie brauchen keine
Angst zu haben." Er log, um sie zu beruhigen. Die nächsten
Minuten, vielleicht die kommende halbe Stunde, konnten
verteufelt hart werden. Denn jeder Mann, den die Bande hier zur
Verfügung hatte, würde sie jetzt suchen. Julie und den Mann,
der dem Mädchen so überraschend zu Hilfe gekommen war.
Denn Julie hatte den Mörder gesehen. Oder war der Mörder
bereits tot? Hatte er, Franco, ihn erwischt?
„Wie sah der Mann aus?" fragte er. Mit einem Ohr lauschte er
in den Flur hinaus. Irgendwo wurden Stimmen laut.
Julie Conrad erschauerte. „Ich ... ich habe ihn nur kurz
gesehen ..." „Würden Sie ihn wiedererkennen?"
„O ja! Ganz sicher! Diese Augen ... Er war groß, vielleicht
noch größer als Sie, und sehr schlank ..."
„Nicht gedrungen? Breitschultrig?"
„Nein." Das klang ganz entschieden. Nein, Franco hatte nicht
den Mörder des Politikers erwischt. Es wäre einfacher gewesen,
dachte er, denn dann brauchten die anderen Julie nicht zu jagen.
Er preßte sein Ohr gegen die Tür. Er hörte ratloses Gemurmel.
Jemand klopfte. Franco rührte sich nicht. Julie legte ihren Kopf
an seine Schulter.
Er atmete flach. Der Knauf bewegte sich. Dann gellte ein
Schrei durch den Gang.
Jemand hatte den Leichnam gefunden.

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„Was ist hier los?" schaltete sich eine barsche Stimme ein.
„Bitte, verlassen Sie das Haus. Bitte, gehen Sie, es darf nichts
angerührt werden. Ja, die Polizei wird umgehend verständigt
werden ..."
Franco zog Julie zum Fenster. Auch hier war die Jalousie
herabgelassen. Er konnte den Helicopterplatz sehen und ein
Stück vom vorderen Swimmingpool, dessen Umrandung jetzt
verlassen dalag.
Aber jetzt, in diesem Augenblick, hetzten zwei dunkel
gekleidete Gestalten um die Ecke der gegenüberliegenden Hütte.
Im nächsten Moment entschwanden sie Francos Blicken im
toten Winkel unterhalb des Balkons.
Großer Gott, dachte er entsetzt. Sie hetzten das Girl wie einen
Hasen bei einer Treibjagd! Sie hatte ja keine Chance!
Er zog sie mit sich zum Telefon. Sie würde keine Sekunde
allein bleiben, jedenfalls nicht im Augenblick. Der Schock war
noch zu groß für sie.
Im Dunkeln hakte er seinen Zeigefinger in die Wählscheibe.
Er kannte die Nummer, mit der er Rathbones Büro direkt
anwählen konnte. Er wählte zweimal die Eins.
Sofort wurde der Hörer abgenommen. „Ja? schnappte der
Besitzer der Blue Sky Ranch of Montana.
Franco sagte nichts. Ein Instinkt warnte ihn. Noch hatte ihn
niemand erkannt, noch wußte niemand, daß er es war, der die
Augenzeugin unter seine Fittiche genommen hatte. Das konnte
wichtig sein und ihm die Bewegungsfreiheit verschaffen, die er
vielleicht bald und sehr dringend brauchte.
„Wer ist da, zum Teufel? Kann mir, verdammt noch mal,
endlich jemand sagen, was da draußen vorgeht?"
Franco legte die Hand über die Sprechmuschel und drückte
den Hörer an Julies Ohr. Für sie konnte sich die Lage nicht
verschlimmern, wenn sie sich meldete. Doch nicht einmal

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Rathbone durfte wissen, wer bei ihr war.
„Sagen Sie ihm, er soll den Sheriff alarmieren!" zischte er in
Julies Ohr. „Aber er soll es sofort tun! Jede Sekunde ist
wichtig!" Er nahm die Hand von der Muschel und drückte Julies
Schulter.
Sie schluckte. „Mr. Rathbone! Holen Sie den Sheriff! Schnell!
Man hat Mr. Durrance ermordet! Um Gottes willen, schnell ..."
Julie verstummte, ließ den Hörer sinken, sah Franco an. Er sah
ihr helles, unnatürlich bleiches Gesicht mit den dunklen
Augenhöhlen darin. „O Gott, jemand war bei ihm!" flüsterte sie.
„Er wollte wissen, wo ich bin!"
Franco nahm ihr den Hörer aus der Hand, lauschte, und als er
nur ein leichtes Schnarren hörte, drückte er die Gabel nieder und
wählte dann sofort noch einmal Rathbones Office an.
Wieder wurde sofort abgehoben. Aber dieses Mal hörte er
nicht Rathbones zornige Stimme, sondern eine flache, kalte
Stimme, die klang, als spräche ihr Besitzer über Polareis.
„Ja? Wer ist da?"
Franco preßte die Lippen aufeinander. Dann legte er den
Hörer auf die Gabel. Er huschte noch einmal ans Fenster. Im
Schatten des Hubschraubers bemerkte er eine Bewegung.
Bewaffnete Mafiosi. Sie dachten an alles.
Sie hatten den Hubschrauber, und sie hatten Rathbones Office
besetzt. Sie hatten die Ranch in der Hand. Sie brauchten nur die
beiden Münztelefone in der Halle des Haupthauses zu zerstören,
dann ging kein Gespräch hinaus, das sie nicht kontrollieren und
unterbrechen konnten.
Sie würden nicht eher die Polizei hereinlassen, bis sie Julie
erledigt hatten. Und ihn, Franco Solo, natürlich auch. Es war nur
eine Frage der Zeit, bis sie Julie und ihn aufstöberten. Sie waren
bereits im Haus.
Zum erstenmal dämmerte es Franco, daß sie in der Falle

-71-
saßen.

„Joe, was können wir tun?"


„Ich weiß es noch nicht."
Ihre Stimme klang überraschend fest, als sie fragte: „Man will
auch mich ... töten, nicht wahr? Weil ich den Mörder gesehen
habe. Und weil es wie ein Unfall aussehen sollte."
Franco schwieg.
„Wer steckt dahinter, Joe? Und warum?"
„Die Mafia", erklärte Franco.
„O mein Gott! Warum? Um Gottes willen, Joe! Warum?"
„Sie hatten geglaubt, Durrance in der Tasche zu haben. Aber
sie haben sich geirrt. Durrance wollte aussteigen, als er
erkannte, wer sie waren und weshalb sie ihn, ausgerechnet ihn,
gekauft hatten. Und mehr noch er wollte sich bestimmten
Regierungsstellen anvertrauen."
„Joe, ich verstehe ... Die Verträge! Es geht um die Verträge!
Sagen Sie bloß, die Mafia will die Whitman-Werke kaufen?"
„Die Aktienmehrheit, Julie. Aber das ist dasselbe. Die
anderen Anteile hätte sie im Laufe der Zeit schon bekommen.
Diese Leute haben Erfahrung." Er spürte Julies Blick und die
Frage darin, aber er beantwortete sie nicht.
Schließlich formulierte sie die Frage. „Joe - wer sind Sie?"
„Fragen Sie nicht, Julie. Die Antwort könnte Sie bestürzen."
„Das glaube ich nicht, Joe. - Was machen wir jetzt?" Franco
wußte es nicht. Sie waren auf Hilfe von außen angewiesen.
Doch die würde lange, vielleicht zu lange, auf sich warten
lassen. Zwölf Stunden mindestens. Vielleicht aber auch drei
Tage, wenn die Kerle es geschickt anstellten und keinen

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Argwohn erregten, wenn sie Anrufe von draußen
entgegennahmen. Er mußte Julie hier herausbringen. „Wir
kommen nicht heraus, nicht wahr?" flüsterte sie. Sie hatte die
herrischen Stimmen draußen im Gang gehört. Die Gangster
hatten die Gäste vertrieben. Unter wüsten Schlägen zersplitterte
eine Zimmertür.
„Sie dringen in mein Zimmer ein!" hauchte Julie entsetzt.
Er drückte sie an sich und hielt sie fest. In der Rechten lag die
Luger. Wie lange würde er sich zur Wehr setzen können? Er
spähte aus einem Spalt in der Jalousie nach draußen. Fieberhaft
suchte er nach einem Ausweg, nach einer Fluchtmöglichkeit.
Der Helicopter wurde bewacht, die Wagen in der großen
Garage zweifellos ebenfalls. Was war mit den Pferden? Unsinn,
was sollten er und Julie mit Pferden anfangen? Wie weit würden
sie kommen?
Er starrte unverwandt nach draußen. Behutsam zog er die
Jalousie halb in die Höhe. Er öffnete die Fenstertür einen Spalt
und steckte seinen Kopf hinaus.
Sofort zog er ihn wieder zurück. An der Ecke stand einer von
ihnen. Ein Typ mit MPi. Aus den Fenstern der anderen Räume
fiel Licht über den Balkon. Sie würden keine zwei Schritte weit
kommen. Geräuschlos schloß er das Fenster wieder.
Wie viele mochten sie sein? Sechs Mann? Oder acht oder
bereits zehn? Rathbone war entmachtet. Er konnte nicht mehr
den anspruchsvollen Gastgeber mimen, der sich seine Gäste
aussuchte. Jetzt kamen die Hitmen. Die Kerle mit den schnellen
Eisen.
Hinzu kamen noch ein paar Typen, die vo rnehm auftraten und
über Empfehlungen von Leoni hereingekommen waren. Der
Mann, der Durrance getötet hatte. Dann vielleicht noch ein
Leutnant oder sogar ein Capo, Leute, die wie Industrielle oder
Professoren aufzutreten verstanden. Was sie teilweise ja auc h
waren.

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Aber sie konnten nicht alle Häuser und Apartments zugleich
durchsuchen und unter Kontrolle halten.
Er drückte Julies Schulter, schob sie an die Wand neben dem
Fenster. Draußen schlugen sie die nächste Tür ein. Noch eine
Minute, dann war Starks Zimmer an der Reihe. Er nahm den
Telefonhörer ab.
Franco wählte die Nummer des gegenüberliegenden
Apartments. Er hatte gehört, daß dort ein oder zwei Kerle
herumstöberten.
„Ja?" schrie eine Stimme.
„Ist der Boß da?" fragte Franco leise und undeutlich.
„Nein. Wer ist denn da? Kannst du nicht lauter sprechen?"
„Nein, verdammt! Sonst hört mich ja ... Sag dem Boß
Bescheid, schnell! Sie sind bei den Pferden! Beeilt euch, ich
bleibe hier ..." Er legte einfach auf.
Gespannt warteten die beiden Verfolgten auf die Reaktion der
Gangster.
Franco fletschte die Lippen zu einem bösen Grinsen, als er
den Kerl, mit dem er am Telefon gesprochen hatte, nach einem
Knilch namens Carlo brüllen hörte.
Carlo hieß also der Boß, der den Einsatz hier leitete. Das war
gut zu wissen.
Carlo antwortete aus einem anderen Raum. Carlo und der
Kerl, dem Franco etwas vorgemimt hatte, palaverten einen
Moment miteinander, dann gellte ein schriller Pfiff durchs Haus.
Franco peilte aus dem Fenster. Insgeheim hatte er gehofft, daß
auch die Wache vom Helicopter abgezogen würde, doch diese
Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Kerle hatten zwei Probleme.
Sie mußten Julie jagen und den unbekannten Mann, der sie
beschützte, und sie mußten um jeden Preis verhindern, daß
irgend jemand den Sheriff alarmierte, bevor sie hier alles
geregelt hatten.

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Plötzlich herrschte Stille im Blockhaus. Unten sprang ein
Motor an. Sie hatten sich einen der Pickups geholt. Der Wagen
dröhnte davon.
Franco öffnete die Tür. Es war möglich, daß Carlo nicht auf
den faulen Trick mit dem Anruf hereingefallen war und jetzt nur
darauf wartete, daß er und Julie ihre Nasen aus dem
Schlupfwinkel steckten.
Der Flur lag leer vor ihnen. Franco zerrte Julie hinter sich her.
Als sie an ihrer Zimmertür vorbeikamen, blieb Franco stehen.
Die Tür war zur Hälfte zersplittert. Im Raum herrschte ein
wüstes Durcheinander. Julies flacher Lederkoffer lag geöffnet
mitten im Raum.
Franco holte den Koffer. Wahllos stopfte er verschiedene
Kleidungsstücke und herumliegende Akten hinein. Im
Vorbeigehen schnappte er noch Julies schwere Fototasche, dann
rannten sie weiter.
Im Untergeschoß schaltete er das Licht aus, ehe er aus der Tür
peilte.
Das Windrad reckte sich in den klaren Nachthimmel. Es
bewegte sich langsam. Franco konnte in den hell erleuchteten
Patio blicken, wo Kellner umherliefen und die Köche vor den
glühenden Grillfeuern hantierten. Am Salatbuffet drängten sich
die verwirrten Gäste.
Sie wußten, daß irgend etwas vor sich ging, aber sie konnten
nicht ahnen, daß sie alle Gefangene waren. Oder Geiseln. Es war
auch besser für sie.
Franco wollte schon loslaufen, als er über sich ein Geräusch
auf dem hölzernen Boden des Balkons hörte. Er zuckte zurück,
drückte Julie in den tiefen Schatten neben dem Eingang und
stellte das Gepäck ab. Er hatte den Wachtposten vergessen. Sie
hatten doch einen Mann zurückgelassen.
Er huschte wieder die Treppe ins Obergeschoß hinauf.

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Geduckt schlich er durch ein verwüstetes Zimmer. Die
Fenstertür zum Balkon stand offen. Franco erreichte die Tür. Er
verharrte reglos im Rahmen, hielt den Atem an.
Als sich nichts rührte, wagte er sich hinaus.
Der Gangster stand vorn an der Ecke und peilte zum Patio
hinüber. Die Maschinenpistole lag in seiner rechten Armbeuge,
die Hand unter dem Verschluß.
Franco schlich sich an den Mann heran. Er zog die Luger,
packte sie am Lauf.
Eine Bohle knackte unter Francos Gewicht. Der Mann
wirbelte herum, die MPi beschrieb einen Bogen.
Franco sprang vor. Er drückte den Arm des Gangsters mit der
linken Schulter in die Höhe, riß das Knie hoch, und als der Kerl
sich zusammenkrümmte, schlug er mit dem Kolben der Luger
zu.
Der Mann sackte zusammen. Franco packte den rechten Arm
am Handgelenk, hielt ihn fest, um zu verhindern, daß die MPi
doch noch losratterte. Vorsichtig wand er die Waffe aus den
verkrampften Fingern.
Er steckte die Luger wieder ein, behielt die MPi in der Hand.
Er flankte einfach über das Geländer. Wie ein Schatten tauchte
er vor Julie auf, die erschreckt den Atem einzog.
Er zog sie um das Haus herum, nachdem er das Gepäck
wieder aufgenommen hatte. Dort, an der Ostseite des Tals war
es dunkel. Er rannte mit dem Mädchen durch das hohe Gras. Sie
konnte verdammt schnell laufen. Er mußte immerhin noch den
Koffer und die Fototasche schleppen. Die MPi schleuderte er
irgendwann in ein Gestrüpp.
In einem weiten Bogen näherten sie sich der Doppelhütte, in
der Francos kleines Apartment lag. Er blieb einmal stehen, um
die Lage zu peilen. Er sah die Lichtfinger eines
Scheinwerferpaares über den unebenen Weg tanzen, der zu den

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Pferdekoppeln führte. Er grinste.
Er führte Julie ins Haus, schob sie die Treppe hinauf, brachte
sie in sein Zimmer. Als er aufatmend die Tür hinter sich schloß,
begann das Telefon zu läuten.

Er ließ es dreimal schnarren, ehe er abhob. Undeutlich, mit


scheinbar schlaftrunkener Stimme, meldete er sich. Sie
kontrollierten jetzt vermutlich jeden Mann, der auf der Ranch
wohnte.
Er war überrascht, als er Rathbones Stimme erkannte.
„Joe, kommen Sie in mein Office. Sofort."
„Chef, ich habe schon geschlafen ..."
„Ziehen Sie sich an. Beeilen Sie sich." Rathbone legte auf.
Franco warf hastig die nasse Hose und die Schuhe ab. Er
betrachtete sich im Spiegel. Sein Gesicht hatte keine
Schrammen abbekommen, nur an der Schulter, wo der Mörder
ihn mit dem Lampenfuß erwischt hatte, bildete sich ein blauer
Fleck. Schnell zog er trockene Sachen an. Julie hockte stumm
auf dem Bett.
„Wir kommen hier nicht heraus, nicht wahr?" stellte sie fest.
„Vertrauen Sie mir", bat Franco. Er stopfte die nassen
verräterischen Sachen in einen Wäschebeutel, steckte die Luger
in den Hosenbund, besann sich, warf die Waffe aufs Bett. Julie
sah die schwere Pistole stumm an.
Franco stellte den Mehrkanalempfänger auf den Nachttisch
und legte den Ohrhörer daneben. Auf diese Weise sah das Gerät
wie ein ganz normales Radio aus. „Was haben Sie vor?"
erkundigte sich Julie. „Ich muß mich unten sehen lassen",
antwortete er. Er sah, wie sich ihre Augen angstvoll weiteten.

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„Sie dürfen mich nicht mit Ihnen und ... der Sache da drüben in
Verbindung bringen, Julie! Ich werde einen Ausweg finden.
Aber dafür brauche ich Bewegungsfreiheit."
Sie nickte tapfer, aber sie hatte Angst. Hier war sie nicht
sicher. Das wußte niemand besser als Franco Solo. Die Gangster
würden ihre Kreise immer weiter ziehen. Irgendwann im Laufe
der Nacht würden sie auch diese Hütte dur chsuchen. Er sah sich
um.
Das Apartment lag am Ende eines kurzen Flurs unter dem
Dach einer der kleineren Blockhütten. Weder das kombinierte
Wohn- und Schlafzimmer noch das Bad boten eine
einigermaßen sichere Versteckmöglichkeit für einen
ausgewachsenen Menschen.
Er öffnete die Tür zum Flur. Sein Blick fiel auf die
Kofferkammer. Er öffnete die dünne Tapetentür. In der
winzigen Kammer befanden sich außer verschiedenen
Reinigungsutensilien und leeren Koffern der elektrische
Durchlauferhitzer und die Wasserpumpe, die für den nötigen
Druck auf den Leitungen sorgte. Hinter dem Gestell mit der
Pumpe und dem Durchlauferhitzer hatte sich eine dunkle Nische
gebildet, in der nahezu undurchdringliche Finsternis herrschte.
Konnte er Julie zumuten, sich dort zu verstecken?
Sie hatte keine andere Wahl. Franco kroch in die Kammer. Es
gab eine Lampe. Er zog an der Schnur, und die Birne leuchtete
grell auf. Rechts bemerkte Franco eine etwa vier Fuß lange und
anderthalb Fuß hohe Klappe. Er schob verstaubtes Gerumpel zur
Seite, dann hakte er den Riegel auf. Die Klappe fiel ihm
entgegen.
Er sah Licht und zwei Beine, die über einen Bettrand
hinabbaumelten.
Es waren Julies Beine! Die Klappe diente als direkter Zugang
zur Kofferkammer. Wer den Raum bewohnte, konnte seine
Koffer unter dem Bett her in den Verschlag schieben.

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Franco kroch zurück. Er stapelte Eimer und eine nicht mehr
benötigte Trittleiter vor der Klappe auf, so daß sich dort ein
Hohlraum bildete, in dem Julie, wenn auch nicht bequem, so
aber doch sicher aufgehoben war.
Dann lockerte er die Birne in ihrer Fassung und verschloß die
Kammer mit dem Schlüssel, den er in dem Schloß steckenließ.
Er kehrte in sein Apartment zurück und erklärte Julie, wo sie
sich verstecken sollte, wenn sie verdächtige Geräusche hörte.
Sie nickte. Sie hatte verstanden, und sie wußte, daß es um
Leben und Tod ging. Sie klopfte den Staub von Francos Hose
und Pullover. Ihr Gesicht war sehr ernst. Franco starrte aus dem
Fenster. Von den Korrals jagte der Pickup mit den Gangstern
heran. Sie hatten gemerkt, daß sie einem Bluff aufgesessen
waren. Um so hartnäckiger und nachdrücklicher würden sie jetzt
ihre Suche nach Julie und dem Mann, der einen der ihren
umgelegt hatte, betreiben. Wenn sie den anderen fanden, den
Franco mit einem genau dosierten Hieb in den Nacken für
Stunden ins Reich der Träume geschickt hatte, würde sich ihr
Zorn ins Unermeßliche steigern. Dazu würde die Angst vor dem
unbekannten Gegner kommen.
Franco drückte Julie die Luger in die Hand. Er knipste die
Leselampe an. „Können Sie mit so einer Waffe umgehen?"
Julie lächelte mit angespannten Lippen. „Ich bin Texanerin",
sagte sie, als ob das alles erklärte.
Was auch der Fall war. In Texas, so geht die Mär, kommen
die Babys bereits mit Schußwaffen auf die Welt. Er lächelte.
Franco nahm den Wäschebeutel an sich. Er würde ihn
unterwegs in den Abfallcontainer stopfen. Er löschte das Licht.
Bevor er hinausschlüpfte, drückte er noch einmal Julies
Schulter.
Er schloß die Tür ab und steckte den Schlüssel ein.

-79-
*

Als Franco den Patio erreichte, bewegt e er sich langsamer,


gelassener. Die abendliche Grillparty lief weiter, wenn auch mit
halber Kraft. Die Nachricht von Tibor Durrances Tod mußte
sich inzwischen herumgesprochen haben. Die Gäste aßen und
tranken, aber ihre Gespräche klangen gedämpft. Sie konnten
sich noch kein Bild machen. Die vielen Fremden verwirrten sie.
Der Pickup mit den Gangstern dröhnte vorbei. Köpfe ruckten
herum, starrten dem Wagen nach, auf dessen quadratischer
Ladefläche sich vier oder fünf Figuren in schwarzen Anzügen
drängten. Der Pickup stoppte vor dem Haus, in dem Durrance
gestorben war, die Männer sprangen herab und schwärmten
erneut aus.
Franco trat an die fahrbare Bar. Er goß einen Hauch Gin in ein
hohes Glas, schaufelte Eis hinein und füllte mit Tonic auf. Als er
den Drink hinunterstürzte, merkte er erst, wie durstig er war.
„He, Joe!" rief ihn jemand von hinten an. Franco erkannte
Nico, einen der Kellner. „Der Boß hat nach dir gefragt."
„So?" Franco füllte noch einmal Tonic über das Eis.
„Ich würde gleich raufgehen", sagte Nico. „Weißt du
eigentlich, was das Durcheinander zu bedeuten hat? Ich habe da
was von einem Verrückten läuten gehört. Wir sollen alle beim
Ranchhaus bleiben."
Franco lächelte dünn. So erklärten sie also den Wirbel. Gar
nicht einmal so ungeschickt, dachte er. Ein Verrückter, ein
Amokläufer. Das erklärte den oder die Toten und die Männer,
die ihn jagten.
„Ich habe nichts gesehen und gehört", behauptete Franco. „Ich
habe gepennt."
„Du hast es gut!" Nico verdrehte die Augen. Franco grinste.
Er hatte Claude Couraut bemerkt, der den schwarzhaarigen

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Kellner mit schmachtenden Blicken verfolgte.
„Halt dich sauber", sagte Franco. Er schob sich durch die
Gäste und betrat das Haus durch eine der weit geöffneten
Glastüren. Hier drinnen war es kühler als im Patio, wo die
Infrarotstrahler eingeschaltet waren.
Er warf einen Blick in die Bar. Die Theke war bis auf den
letzten Platz belegt. Allan Stark hing schlapp auf einem Hocker.
Vor ihm stand eine halbleere Flasche Whisky. Aus leeren,
geröteten Augen starrte der junge Anwalt auf seine zitternden
Hände.
Franco blieb stehen. Er spürte ein dumpfes Pochen an seinen
Schläfen.
Allan Stark hatte als erster erfahren, daß Durrance die
Abschlußverhandlungen nicht mehr leiten wollte, und Stark
hatte sein Wissen sofort weitergegeben. An Leoni. Hatte Stark
gewußt, was er tat? Hatte er Leoni auch verraten, daß sein Chef
sich sogar an den Untersuchungsausschuß des Justizministers
und an andere Regierungsstellen wenden wollte? Wenn das der
Fall war, hatte Allan Stark das Todesurteil über seinen Chef
gesprochen.
Franco drehte sich ruckartig um, dann rannte er die Treppe ins
Zwischengeschoß hinauf. Er klopfte kurz an die Tür zu
Rathbones Office, und ohne das „Herein" abzuwarten, stieß er
sie auf und trat über die Schwelle. Er blieb sofort stehen,
lächelte, während er die Szene blitzschnell in sich aufnahm.
Rathbone lehnte am Regal, das eirunde Gesicht zu einer
grämlichen Grimasse verzogen.
Hinter dem Schreibtisch des Besitzers der Blue Sky thronte
jetzt Nick Leoni. Leoni schien sich in seiner Rolle ebenfalls
nicht sonderlich wohl zu fühlen.
Neben Leoni stand ein weiterer Mann, von dem eine
energische Ausstrahlung ausging, die Franco wie etwas
Körperliches spüren konnte. Der Mann hatte eine große, kühn

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gebogene Nase, dünnes, angegrautes Haar, dunkle Gesichtshaut
und einen Haufen Brillanten an den Fingern, der Krawatte und
den Manschettenknöpfen.
Diesen Mann hatte Franco bereits unter den Gästen bemerkt.
Er war vor drei oder vier Tagen auf der Ranch eingetroffen.
Begleitet von zwei Burschen, die als sein Chauffeur und sein
Butler auftraten. Franco erinnerte sich auch an den Namen
dieses Mannes - Marco Benedict. Seine Anwesenheit in diesem
Raum bewies, daß er der Obermacher war. Der Mann, der die
geplante Transaktion zum Abschluß bringen sollte. Benedict
mußte ein Capo sein. Einer der ganz Großen.
Hinter Franco krachte die Tür ins Schloß. Er hatte halb und
halb mit einer Falle gerechnet, deshalb schaffte er es, nicht allzu
heftig zu reagieren, nur erstaunt.
Er drehte sich halb herum und sah in das Gesicht eines
plattnasigen Clowns, der sich hinter der offenen Tür versteckt
hatte. Rathbone hätte ihn unter normalen Umständen nicht
einmal mit einer persönlichen Empfehlung des Präsidenten der
Vereinigten Staaten auf die Ranch gelassen. Franco vermutete,
daß er einen der Gangster vor - beziehungsweise hinter - sich
hatte, die in einem der Campmobile außerhalb der Blue Sky auf
ihren Einsatzbefehl gewartet hatten.
Plattnase befingerte Franco sehr geschickt und sehr schnell
von oben bis unten.
„He, was soll das!" protestierte Franco. „Lassen Sie das!" Er
wich zurück.
Plattnase grinste und knuffte Franco freundschaftlich ins
Kreuz. Franco stolperte und hätte den Halt verloren, wenn der
andere ihn nicht gestützt hätte. Franco keuchte. Noch einmal
versuchte er, so zu tun, als wollte er den Kerl abschütteln.
„Lassen Sie ihn, Joe", sagte Rathbone überraschend ruhig und
gefaßt. „Es hat keinen Zweck."
„Er ist sauber, Sir", meldete der Gorilla respektvoll.

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Der Mann mit der kühnen Nase verzog keine Miene. Nur die
grauen Augen wanderten kühl an Franco hinab und wieder
hinauf.
Nick Leoni warf dem Capo einen nichtssagenden Blick zu,
dann räusperte er sich. Seine vorquellenden Augen richteten sich
auf Franco, dann fielen die Lider halb herab. Mit seiner gelben
fleckigen Hand deutete er auf einen Stuhl. „Setzen Sie sich,
Joe", sagte er leise. „Setzen Sie sich."
Franco ignorierte die Aufforderung. Er sah Rathbone an. „Sie
haben mich rufen lassen, Sir?"
„Tun Sie, was er sagt", knurrte Rathbone angewidert. „Ich
will mit der Geschic hte nichts zu tun haben."
„Danke für Ihr Entgegenkommen, Paul", sagte Leoni ohne
Sarkasmus.
Franco grinste Leoni an. „Haben Sie dem alten Geier den
Laden abgekauft?" fragte er munter. Er nahm endlich Platz, weil
er die Konfrontation nicht unnötig verschärfen wollte.
„Wo waren Sie. Joe?" fragte Leoni.
„Wo ich war?" Franco lachte. „Wie meinen Sie das, Mr.
Leoni?" Er ahnte, wie der Hase lief. Oder laufen sollte.
„Wörtlich", entgegnete der andere.
„Da müssen Sie schon deutlicher werden, Mr. Leoni! Mr.
Rathbone, was hat das zu bedeuten? Ist das hier ein Verhör?
Weshalb ist Mr. Benedict hier? Und der da?" Franco deutete mit
dem Daumen über die Schulter.
Prompt bekam er einen Schlag in den Rücken versetzt, der ihn
vom Stuhl schleuderte. Er sprang auf, ballte die Hände zu
Fäusten, starrte Plattnase wütend an.
„Joe!" sagte Rathbone scharf. „Seien Sie vernünftig!"
„Sagen Sie das dem da! Und Ihrem Freund Leoni!"
„Regen Sie sich wieder ab, Joe", sagte Leoni.

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Rathbone meldete sich wieder zu Wort. „Ich nehme an, Sie
wissen, was mit ..."
„Schweigen Sie, Paul!" Leoni klappte die Lider auf. „Am
besten, er sagt uns, wo er war und was er getan hat. Sagen wir,
in der letzten Stunde."
„Da habe ich geschlafen. Ich war nämlich müde." Weshalb er
müde war, verriet er nicht. „War das alles? Kann ich jetzt
gehen?" Er stand neben dem Stuhl. Er spürte Plattnases feuchten
Atem im Genick.
Eine mächtige Pranke legte sich auf seine Schulter und
drückte ihn auf den Sitz zurück.
„Sie haben also kein Alibi", stellte Leoni scheinheilig fest.
„Das ist bedauerlich, wirklich, sehr bedauerlich."
Franco lachte. „Wofür brauche ich ein Alibi, zum Teufel? Ich
habe niemanden umgebracht."
Die Anwesenden sahen einander betreten an. Leoni räusperte
sich.
„Mr. Durrance ist ermordet worden", sagte er.
Franco schoß in die Höhe. „Was?" Wieder drückte der Gorilla
ihn nieder. „Nein, das glaube ich nicht! Mr. Rathbone, sagen
Sie, daß es nicht wahr ist."
„Es stimmt, Joe", gab Rathbone zu. „Leider ... Nick, ich
meine Mr. Leoni, bezieht sich auf die Auseinandersetzung, die
Sie und Mr. Durrance oben im Camp hatten ... Und Mr.
Durrance hat mir ja selbst erzählt, daß er und Sie ..." Er
verstummte hilflos.
Franco sprang wieder auf. Dieses Mal wand er sich rechtzeitig
unter der Pranke des Leibwächters weg. Er sprang vor und
stemmte die Fäuste auf den Schreibtisch.
„Beschuldigen Sie mich etwa, Mr. Durrance ermordet zu
haben? Mr. Leoni! Sie wissen, daß es kein Streit war! Durrance
hatte sich geärgert, weil ich den Bock nicht getroffen habe ..."

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„Beruhigen Sie sich, Joe. Niemand ... Ach, ich weiß es auch
nicht." Er fuhr mit der Hand über sein Gesicht.
Franco richtete sich auf. „Ich habe nichts zu befürchten. Ich
nehme an, daß die Polizei bald eintreffen wird. Ich halte mich
zur Verfügung." Er drehte sich um, ging zur Tür.
Plattnase grinste selig. Er hatte einen Wink bekommen. Er
durfte noch einmal seine Kraft demonstrieren.
Franco war auch nur ein Mensch. Demütigungen
hinzunehmen sind nicht jedermanns Sache.
Er rammte dem Kerl eine Faust in den Magen. Es war ein
Schlag, der unbeholfen und keineswegs profihaft aussah.
Aber die Wirkung war verheerend.
Plattnase brach in die Knie und fiel dann aufs Gesicht.
Stöhnend rollte er zur Seite, dann übergab er sich.

Die beiden Mafiosi blickten einander betroffen an. In


Rathbones wässerigen Augen erschien ein kleines,
schadenfrohes Glitzern, das jedoch schnell wieder verschwand.
„Er soll die Finger von mir lassen!" schrie Franco empört.
„Das war ein sauberer Schlag." Zum ersten Mal machte
Marco Benedict den Mund auf. Franco hatte die Stimme schon
einmal gehört. Vorhin, als er von Starks Zimmer aus hier
angerufen hatte. Die Stimme klang immer noch wie
Gletschereis.
„Ich lasse mich nicht gern herumstoßen, Sir. Vergessen Sie
nicht - ich bin nicht nur Bergsteiger, sondern auch Diplom-
Sportlehrer. Wenn Sie wollen, kann ich ihn", er deutete auf das
kotzende Häufchen Elend am Boden, „trainieren. Er hat's nötig."
„Sie sind etwas voreilig, junger Mann. Setzen Sie sich

-85-
wieder."
Franco gehorchte der zwingenden Stimme. Jetzt endlich
kamen die Schurken zur Sache.
„Wann haben Sie Miß Conrad zuletzt gesehen?"
„Julie?" Franco tat so, als überlegte er.„Heute nachmittag. So
gegen halb sechs. Sie war draußen und fotografierte. Wir haben
ein paar Worte gewechselt."
„Mehr nicht? Danach haben Sie sie nicht mehr gesehen?"
Leonis Stimme verriet Enttäuschung und Mißtrauen zugleich.
Sie fahndeten immer noch nach dem Mann, der Julie so
überraschend zu Hilfe gekommen war. „Ich hatte gedacht, Sie
und Miß Conrad, nun, mir schien es, als habe sie etwas für Sie
übrig."
Franco war wirklich überrascht. Und verlegen. Das brauchte
er nicht zu mimen. „Davon habe ich nichts bemerkt", sagte er
leise.
„Oder wissen Sie von einem anderen Mann, der ihr etwas
bedeutet? Oder umgekehrt, der hinter ihr her ist?"
„Stark", sagte er. „Mr. Stark ..."
Leoni schüttelte den Kopf. Natürlich hatten sie Allan Stark als
ersten gecheckt und mit ihm kostbare Zeit verloren, die ihm
zugute gekommen war.
„Was wollen Sie denn von Miß Julie?" fragte Franco dann.
„Joe, wir müssen sie sprechen. Sie hat möglicherweise den
Mörder gesehen. Es ist zu ihrem Besten, wenn wir auf sie
aufpassen, bis die Polizei eintrifft."
Franco nickte verstehend. „Aber was habe ich damit zu tun?
Sie halten mich für verdächtig ... Glauben Sie etwa, ich hätte
Julie ... ich könnte ihr etwas ..." Gekonnt riß er die Augen auf.
Leoni blickte ihn kalt an. „Nein, Joe, dazu werden Sie sich
wohl kaum hinreißen lassen. Julie vertraut Ihnen. Sie kennen das
Gelände. Suchen Sie das Mädchen und bringen Sie es her."

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Ihr verdammten Schweine, dachte Franco benommen. Ihr
scheut auch vor keiner Gemeinheit zurück.
Das Telefon auf dem Schreibtisch schnarrte. Leoni nahm den
Hörer ab. Er lauschte, spitzte die Lippen. Dann sagte er
bedauernd: „Es tut mir leid, Sir, aber die Leitungen sind
unterbrochen ... Ja, Mr. Rathbone bemüht sich, die Verbindung
so schnell wie möglich herzustellen. Bitte, haben Sie etwas
Geduld, Sir. Vielleicht morgen früh." Er legte auf.
Von der Polizei war keine Rede mehr, dachte Franco. Er sah
Rathbone an, doch der Besitzer der Blue Sky wich seinem Blick
aus. Rathbone war feige. Das war gut so. Wäre er ein mutiger
Mann gewesen, wäre er jetzt vielleicht schon tot.
Wieder schnarrte das Telefon. Diesmal gab Leoni den Hörer
an Marco Benedict weiter.
„Ja, Carlo? Was gibt's?" Die Augen des Capo verengten sich,
richteten sich auf Franco. Fast ohne die Lippen zu bewegen,
fragte er: „Hat er ihn gesehen? Wann war das? Ja, es ist gut.
Sucht weiter. Sucht alles ab." Er legte den Hörer langsam
zurück.
Franco wußte, was Carlo seinem Boß gemeldet hatte. Carlo
hatte ihm von dem Mann erzählt, den Franco niedergeschlagen
hatte. Der Niedergeschlagene hatte Franco nicht erkannt. Und es
schien, als sei Francos Alibi mit diesem Fall sogar bestätigt
worden. Auch wenn die Zeit etwas knapp war.
Die Kerle konnten sich ruhig selbstsicher und einigermaßen
gelassen geben. Sie hatten eine ganze Ranch mit an die hundert
Gästen und etwa fünfzig Angestellten fest in der Hand. Niemand
würde den Helden mimen wollen. Sie konnten sich Zeit lassen.
„Ist noch etwas?" fragte Leoni.
„Die Polizei ..." Franco wollte zeigen, daß er nicht so schnell
nachgab. Von einem Mann wie ihm erwarteten sie vielleicht
einigen Widerstand.

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„Sie haben es eben gehört, Joe", Leoni deutete auf das
Telefon. „Die Leitungen sind gestört." Leoni lächelte bedauernd.
Langsam schien ihm die Sache Spaß zu machen. Das Gefühl der
Macht über andere Menschen begann ihm zu gefallen.
„Aber man kann doch einen Wagen oder den Hubschrauber
..."
„Joe, wir wollen jetzt mal eins klarstellen", schaltete sich
Marco Benedict ein. Er lächelte dünn. „Es gibt immer und
überall Leute, die befehlen, und andere, die gehorchen. Leute,
die das Sagen haben, und andere, die tun, was man ihnen sagt
und ansonsten den Mund halten. Verstehen Sie mich?"
„Ich fürchte, nein, Sir", antwortete Franco.
Benedict seufzte. „Joe, wir haben diesen Laden besetzt. Ich
muß so deutlich werden, weil Sie ein aufrechter Mann zu sein
scheinen. Ihre Haltung ehrt Sie, Joe. Ich habe Respekt vor
Ihnen. Aber ich kann erwarten, daß Sie auch mich und meine
Haltung respektieren." Die Stimme des Capo hatte sich nicht
gehoben, aber sie klang jetzt schneidend und scharf. „Um es
ganz deutlich zu sagen, Joe - entweder machen Sie bei diesem
Spiel mit, oder Sie werden alles verlieren. Möglicherweise sogar
Ihr Leben. Verstehen Sie mich jetzt?"
„Ich ... glaube, ja, Sir." Der Teufel hatte seine Maske
abgelegt. Das war ein Erfolg für Franco.
„Werden Sie tun, was man von Ihnen erwartet?"
„Miß Conrad suchen?"
„Ja."
„Ja, ich werde sie suchen."
„Und Sie werden sie herbringen, Joe."
„Ja, Sir, ich werde sie herbringen."
Benedict und Leoni lächelten einander an. Sie waren
mißtrauische Halunken, aber sie konnten sich einfach nicht
vorstellen, daß es Leute gab, die sich nicht einschüchtern ließen.

-88-
„Nick", sagte Benedict zu Leoni. „Sagen Sie Carlo Bescheid.
Er soll unserem Freund hier", der Capo deutete mit dem Kopf
auf Franco, „einen Begleiter geben." Benedict lächelte dünn.
„Dann ist es für Sie einfacher, Joe."
Und er hatte einen Aufpasser im Nacken. Franco nickte.
„Sie können schon gehen, Joe", sagte Benedict leise. „Suchen
Sie Carlo und melden Sie sich bei ihm. Er ist irgendwo
draußen."
Leoni würde Carlo entsprechende Anweisungen geben.
Deshalb schickten sie ihn hinaus. Franco wandte sich um. Sein
Blick fiel auf Plattnase, der in seinem eigenen Erbrochenen lag
und jetzt sein verschmiertes Gesicht hob.
„Noch etwas, Joe", meldete sich Benedict. „Wenn Sie unten
sind, schicken Sie jemand zum Saubermachen herauf."
Franco verließ Rathbones Office. Seine Bewegungsfreiheit
war jetzt beträchtlich eingeschränkt. Er hatte jetzt nur noch
kurze Zeit, in der er versuchen konnte, etwas zu unternehmen.
Aussichtslos, dachte er hoffnungslos. Er sollte seinen
Wachhund so bald wie möglich akzeptieren und ihn für seine
Pläne einspannen. Ihn einen Wagen requirieren lassen, zum
Beispiel.
Denn er mußte die Ranch verlassen. Mit Julie. Bevor der
Morgen graute.
Einigermaßen zuversichtlich durchquerte er die Halle. Er
spähte in die Bar. Sie war überfüllt. Nachdem die meisten Gäste
draußen ihren Hunger gestillt hatten, hielten sie sich hier an
kalten Drinks fest. Weil draußen immer noch, wie sie glaubten,
der verrückte Amokläufer herumtobte.
Allan Stark konnte Franco nicht mehr entdecken. Der
verräterische Schuft lag jetzt vermutlich im Vollrausch in
seinem Bett. Franco wollte schon weitergehen, als er wie vom
Donner gerührt stehenblieb.

-89-
An der Bar saß der Mann, den er hier zuallerletzt erwartet
hätte.
Weißes Haar, aufrechte, asketische Erscheinung. Im Spiegel
über dem Flaschenregal sah er das scharfgeschnittene, gebräunte
Gesicht, und ein zwingender Blick aus steinharten Augen saugte
sich für einen Moment an Francos Gesicht fest.
Franco spürte ein hohles Gefühl in der Magengrube. Jetzt war
er wirklich von allem abgeschnitten.
Denn der Mann an der Bar war Colonel Warner, der Chef von
COUNTER MOB.

Franco schob sich näher an die Bar heran. Miguel, einer der
vier Mixer, wurde auf ihn aufmerksam, und Franco bestellte
eine Cola.
Miguel grinste, als er Franco das Glas reichte, aber er sagte
nichts. Heute war nicht der Tag für die üblichen Scherze.
Colonel Warner starrte vor sich hin. Er malte in einer
Getränkepfütze, wobei er mit dem Ärmel den Schlüssel zu
seinem Apartment hin und her schob. Franco erkannte die
Zimmernummer auf dem Schlüsselanhänger - 5/B 4. Der
Colonel hatte also ein Apartment auf der Blue Sky. Bungalow
fünf, Eingang B, Apartment Nummer vier.
Franco stürzte die Cola hinunter, dann verließ er das
Haupthaus. Draußen im Patio rieselte sanfte Musik aus den
Lautsprechern, die unter dem überhängenden Dach montiert
waren. Zum Klang der Musik drängten sich einige Paare auf der
Marmorfläche. Die Girls taten ihre Jobs - die Gäste unterhalten.
Keine düstere Stimmung aufkommen lassen.
Er wandte sich nach rechts. Bungalow Nummer fünf lag in
der Mitte des Tals in unmittelbarer Nähe des Baches. Franco

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streifte die anderen Hütten mit schnellen Blicken, und etwas
länger verweilte er nur an dem dunklen Umriß des Hauses, in
dem sein eigenes Zimmer lag und wo er Julie wußte, die dort
voller Furcht im Dunkeln auf seine Rückkehr wartete.
Sie würde sich noch eine Weile gedulden müssen. Die
unplanmäßige Anwesenheit des Colonels beunruhigte Franco
mehr, als er sich eingestehen wollte. Noch nie hatte sich der
Chef von COUNTER MOB an den Schauplatz einer Aktion
gegen die Mafia begeben.
Ungesehen erreichte er die Doppelhütte. Er wartete neben
dem Eingang im Schatten, bis der Colonel auftauchte, dann
folgte er ihm einfach. Unmittelbar hinter dem Chef jener
geheimen Regierungsstelle, für die Franco Solo arbeitete, betrat
er dessen Zimmer.
Der Colonel schloß die Tür. Die Fenster waren bereits
verhängt, die Jalousien herabgelassen. Colonel Warner schaltete
das Licht an und richtete den Blick auf Franco.
„Was geht hier vor?" fragte er ohne Einleitung.
Franco gab schnell einen kurzen Bericht, der mit Kellers Tod
begann und über Durrances Ermordung zu seiner kurzen
Konferenz mit Leoni und Marco Benedict führte. Franco war
bewußt, daß seine Erfolgsbilanz nicht gerade aufregend aussah.
„Keller-Random hätte vielleicht nicht zu sterben brauchen,
wenn man mir gesagt hätte, wer er war oder umgekehrt."
Colonel Warner wischte Francos Bemerkung mit einer
knappen Handbewegung vom Tisch. Nicht unsere Schuld, wenn
sich unfähige Ignoranten einmischen, sollte die Bewegung
bedeuten. „Ich hatte Sie schon gesucht", sagte der Colonel, ohne
auf einen einzelnen Punkt aus Francos Bericht näher
einzugehen. „Ich bin heute am späten Nachmittag eingetroffen
..." Da hatte Franco etwas von dem versäumten und bitter
benötigten Schlaf nachgeholt. „Ich trete hier übrigens als Owen
Lorrimer auf, Grundstücksmakler aus Virginia. Kommen wir zur

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Sache, zum Grund für meine Anwesenheit hier. Die Dinge
spitzen sich zu. Woodrow Totten war der Mann, der die Mafia-
Holding leitete. Und dann ist Carlo Porcelli hier ..."
Franco wurde blaß. Carlo ... Der Bursche, der die Besetzung
der Ranch leitete. Carlo Porcelli war Caporegime in der Familie
des Don Giorgio Farelli, eines der beiden großen Capos aus Las
Vegas. Don Giorgio war ebenfalls an der Holding beteiligt. Er
hatte seinen Caporegime, seinen verläßlichsten, grausamsten
Unterboß, ausgeliehen, damit die Gewähr bestand, daß hier
nichts, aber auch gar nichts schieflief.
„Und dann ist natürlich noch Luigi d'Ambrosio hier. Don
Luigi - ich hätte es eigentlich wissen müssen, daß er die ganze
Geschichte deichselt. Er hat das nötige Format dafür und den
finanziellen Background."
Luigi d'Ambrosio - Franco kannte diesen Capo nur vom
Hörensagen. D'Ambrosio hatte sich vor etwa einem Jahr an die
Spitze der fünf New Yorker Mafia-Familien gesetzt. Er genoß
das Vertrauen der anderen Bosse an der gesamten Ostküste.
„Luigi hat allein zehn Prozent des für den Aktienkauf
benötigten Kapitals gezeichnet. Seine Freunde von der Ostküste
haben weitere sechzig Prozent aufgebracht. Deshalb, Franco, ist
er hier. Er will dabeisein; wenn der große Happen eingesackt
wird. Er wird also den größten Anteil bezahlen und den
Whitman-Konzern in die Holding einbringen. Es ist der größte
Coup, den die Mafia je gelandet hat."
„D'Ambrosio ist also hier", stellte Franco atemlos fest. Dieser
Big Boß war also das Angriffsziel. Endlich gab es einen Namen
für den Gegner.
„Ja, er ist hier. Haben Sie ihn noch nicht gesehen? Er muß
schon seit ein paar Tagen auf der Ranch sein. Franco, was haben
Sie die ganze Zeit getan?"
„Ich habe Durrance die Berge gezeigt", knirschte Franco
aufgebracht. „d'Ambrosio - ist er ein großer, eleganter Kerl mit

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Adlernase und Silberhaar?"
„Geiernase, Franco, ja, das ist er. Brillanten für
sechzigtausend an den Fingern, Gold im Mund ... Sie haben ihn
also doch gesehen ..."
„Er nennt sich hier Marco Benedict, und er leitet die
Besetzung persönlich", sagte Franco.
„Das ist gut ... Das ist sehr gut. Das bricht ihm vielleicht das
Genick. Er hat nicht damit gerechnet, daß es hier heiß hergehen
könnte. Jetzt hat er sich selbst eingesperrt. Denn die Ranch ist
eine Falle ..."
„Er kann jederzeit ausfliegen, Sir", gab Franco zu bedenken.
„Zu viele Leute haben ihn gesehen. Aber das ist jetzt nicht so
wichtig."
„Warum sind Sie hergekommen?" erkundigte sich
Franco. Er mußte sich bald bei Carlo melden. Wenn er
überfällig wurde, würden sie vielleicht sein Zimmer
durchstöbern ...
„Ich konnte Sie schlecht anrufen, Franco, um Ihnen die
neuesten Informationen zukommen zu lassen. Ich habe von
draußen beobachtet, wie sich die Dinge zuspitzten. Aus den
Beobachtungen konnte ich schließen, daß die
Vertragsunterzeichnung unmittelbar bevorsteht. Aber das ist
nicht alles. Es geht um Lawrence Whitman. Wir können das
Geschäft, ganz gleich, was hier vorgefallen ist, nur dann
verhindern, wenn wir Gelegenheit bekommen, mit Whitman zu
reden."
„Dann suchen Sie ihn."
„Das tun wir auch, Franco", versicherte der Chef von
COUNTER MOB ruhig. „Wir, das heißt, das FBI sucht ihn und
die CIA ebenfalls. Weil wir eine Zeitlang davon ausgingen, daß
man ihn im Ausland versteckte. Aber das ist nicht der Fall, wie
wir jetzt vermuten." Der Colonel machte eine nachdenkliche

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Pause. „Die Experten aus dem Department of Justice, dem
Pentagon und dem Wirtschaftsministerium haben sich
zusammengesetzt, um die rechtlichen Aspekte der geplanten
Transaktion zu durchleuchten. Sie haben einen Haufen
Vorschriften entdeckt, die für eine Transaktion, wie sie von
Whitman und der Holding geplant wird, berücksichtigt werden
müssen. Allein die Umgehung der Antitrustgesetze machte es
nötig, daß die Holding mehrere andere Firmen abstoßen oder in
andere Gesellschaften einbringen mußte. Doch das betrifft uns
nicht. Kernstück der Gesetze ist eine Vorschrift, die besagt, daß
bei einem Aktienkauf dieses Umfanges, wenn er nicht über die
Börse abgewickelt wird, der Verkäufer des Aktienpaketes
persönlich erscheinen muß."
„Das ist ja großartig", sagte Franco ohne Enthusiasmus.
„Dann wird er ja hier auftauchen müssen, und Sie können mit
ihm reden."
„Wir müssen ihn vorher finden. Whitman muß also in der
Nähe sein. Ich bin überzeugt, daß die Vertragsunterzeichnung
unmittelbar bevorsteht. Wie gesagt, Totten hält sich bereits auf
der Ranch auf. Ich weiß, daß heute nachmittag zwei Notare aus
Topeka nach Montana abgereist sind. Die Notare sind die
Testamentsvollstrecker des verstorbenen George Harrison
Whitman und somit momentan auch Lawrence Whitmans
Rechtsvertreter."
„Dann lassen Sie die Notare aufhalten", schlug Franco vor. Er
war nervös. Er dachte an Julie.
„Das ist bereits geschehen", sagte Warner kühl. „Aber notfalls
können rechtsgültige Verträge auch ohne Mitwirkung dieser
Herren abgeschlossen werden. Sie können beliebige Juristen
hinzuziehen, wenn die betroffenen Parteien einverstanden sind."
„Durrance ist tot."
„Das spielt keine Rolle. Soweit ich informiert bin, sind die
Verträge weitgehend formuliert. Die letzten Änderungen kann

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notfalls Allan Stark vornehmen. Er ist Jurist. Franco,
d'Ambrosio wird nicht warten wollen und können. Sie müssen
die Verträge abschließen, bevor Tibor Durrances Tod bekannt
wird. Das heißt, sie werden versuchen, die Sache entweder noch
in der Nacht oder morgen in aller Frühe durchzuziehen. Dann
verschwinden sie und hinterlassen hier ein Schlachtfeld."
Oder einen Friedhof, dachte Franco bitter.
„Ich muß Miß Conrad in Sicherheit bringen", sagte er laut.
„Franco, unter normalen Umständen würde ich Ihre Haltung
respektieren und Sie nach Kräften unterstützen. Aber der Job hat
Vorrang." Warners Augen wirkten wie tot. Er mußte jedes
menschliche Gefühl ausschalten. „Wir sind von der Außenwelt
abgeschnitten. Es gibt keine Hilfe. Sie sind allein, Franco. Sie
müssen Whitman finden und ihn wegschaffen, notfalls mit
Gewalt. Sie müssen dafür sorgen, daß ich mit ihm reden kann.
Deshalb bin ich hergekommen. Ohne Whitman keine Verträge.
Das ist die Parole."
Franco schüttelte den Kopf. Er spürte wieder diese seltsame
Leere in sich. Die Unmenschlichkeit, mit der dieser Krieg
geführt wurde. Was gingen ihn die Aktien eines verdammten
Rüstungskonzerns an? Er sah Julie vor sich. Immer wieder Julie.
Sie war unschuldig. Sie war zwischen die Fronten geraten. Er
konnte sie doch nicht draufgehen lassen, verdammt nochmal!
Er konnte das Brummen eines Automotors hören. Der Wagen
rollte vorm Haus aus. Bungalow Nummer fünf war an der
Reihe, durchsucht zu werden.
„Suchen Sie Whitman, Franco! Das ist alles. Vergessen Sie
alles andere, verstanden?"
„Was ist, wenn er noch gar nicht hier ist? Wenn er in Gönner
oder Hamilton oder in Butte in einem Hotel untergetaucht ist
und sie ihn erst unmittelbar vor der Unterschriftsleistung
herüberfliegen?"
„Dann schnappen Sie ihn eben unmittelbar vor Vollziehung

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der Unterschriften, Franco", sagte der Colonel kalt. „Das ist
alles. Sie sollten jetzt gehen, damit man uns nicht zusammen
sieht."

In diesen Sekunden haßte Franco den Mann, der sich wie er


dem Kampf gegen das organisierte Verbrechertum verschworen
hatte. Er haßte ihn, und er würde gegen die Befehle handeln. Er
würde Julie herausbringen aus der Hölle. Und dann würde er
zurückkehren.
Vor dem Bungalow begegnete er vier Kerlen, die von einem
fünften angeführt wurden und wie ein Suchtrupp ins Haus
einfielen. Immerhin hielten sie ihre Waffen nicht in den Fäusten.
Der Anführer war ein Kerl mit feuchten Babyaugen und
glattem, schwarzem Haar. Er fixierte Franco mißtrauisch. Der
Mafiajäger blieb stehen.
„Wo ist Carlo?" fragte er.
„Carlo? Was wollen Sie von Carlo? Wer sind Sie überhaupt?"
„Ich bin Joe Rosso. Ich habe den Auftrag von Mr. Benedict
persönlich. Also, wo finde ich Carlo?"
„Da drüben irgendwo." Der Schwarzhaarige deutete in die
Dunkelheit, wo die Schuppen mit den vielseitigen
Freizeiteinrichtungen lagen - Räume für so unterschiedliche
Hobbys wie Tischtennis, Gymnastik oder Basteln, aber auch das
Fotolabor und zwei Projektionsräume waren dort untergebracht.
Franco ließ den Schwarzhaarigen einfach stehen. Er lief zu
den Schuppen hinüber. Er sah Lichter hinter den Fenstern
tanzen. Vor der Tür des ersten Gebäudes sah er einen offenen
Jeep stehen, der von einem gummikauenden Gorilla bewacht
wurde. Der Gangster hatte einen Fuß auf das Trittbrett gesetzt.
Griffbereit lag eine MPi auf dem Kotflügel.

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Der Bursche nahm die Waffe auf, als er Franco bemerkte.
Franco näherte sich vorsichtig dem Eingang zu dem Gebäude.
„Stop", sagte der Kerl mit dem Kaugummi. „Hier können Sie
nicht rein."
„Ich soll mich bei Mr. Carlo melden", sagte Franco
bescheiden. „Mr. Benedict schickt mich."
Der Typ schielte Franco argwöhnisch an, dann bewegte er
sich rückwärts bis an die Tür, verdrehte den Kopf und rief:
„Carlo! Hier ist jemand ..."
Die Antwort konnte Franco nicht verstehen, aber der Bursche
mit der MPi gestattete ihm, das Haus zu betreten.
Franco entdeckte Carlo Porcelli in einem der hell erleuchteten
Werkstatträume. Er lehnte an der Wand und sah zwei Männern
zu, die Schränke von den Wänden rückten und jeden Hohlraum
absuchten.
„Ich soll mich bei Ihnen melden", sagte Franco. „Ich bin Joe
Rosso."
Carlo Porcelli hatte ein längliches Gesicht mit hohlen Wangen
und olivfarbenen Lippen. Seine Augen waren blaß, ihr Blick
gefühllos. Ein Killer, schoß es durch Francos Kopf. Carlo
Porcelli hat Durrance getötet. Der Caporegime wollte und durfte
kein Risiko eingehen. Und doch war er von einer Zeugin
überrascht worden ...
„Wo hast du solange gesteckt?" fragte der Gangster mit leiser,
etwas rauher Stimme. Die blassen Augen klopften Franco ab.
Vermutlich verglich er jetzt das Bild, das er sich von seinem
unsichtbaren Widersacher gemacht hatte, mit Francos
Erscheinung.
„Ich habe Sie gesucht", sagte Franco. „Vorher habe ich an der
Bar etwas getrunken ..."
„Du sollst dieses Mädchen suchen", sagte er
zusammenhanglos. „Hast du eine Idee, wo sie stecken könnte?"

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Franco breitete die Hände aus. „Jede freie Minute verbrachte
sie auf den Sportplätzen", sagte er. „Sie kennt sich dort aus."
„Nun gut. Du kannst die Sportanlagen absuchen. - Jack!" rief
er dann laut.
In der Tür erschien ein grobschlächtiger Geselle mit breiten,
runden Schultern, die in einem schimmernden Seidenanzug
steckten. Er sah wie ein Müllfahrer im Sonntagsanzug aus. Er
hatte kleine gemeine Augen, die tief in den Höhlen lagen.
„Jack", sagte Carlo, „das ist Joe."
Jack verzog die vollen Lippen zu einem hämischen Grinsen.
Carlo hatte ihn vermutlich schon instruiert.
„Ihr sucht zunächst die Sportanlagen ab", sagte Carlo.
„Verschwindet."
Franco nickte dem Burschen zu. Er lächelte, und Jack grinste
zurück. Franco ging nach draußen. Dort blieb er gleich wieder
stehen. Jack prallte gegen ihn.
„He, was ist denn?" fragte der Gangster.
„Wo ist unser Wagen?" fragte Franco.
„Wagen? Unser Wagen?"
„Yeah, unser Wagen! Hat Carlo dir nichts gesagt? Meinst du,
ich habe Lust, zu Fuß durch den Bach zu latschen? Und bei der
Finsternis da drüben zwischen den Anlagen herumzustreifen?
Meinst du, ich will aus dem Hinterhalt ein Messer in den
Rücken bekommen?"
Diese Überlegungen leuchteten dem Burschen ein. Aber Carlo
hatte natürlich nicht daran gedacht, einen Wagen für sein neues
Team bereitzustellen, zumal er anfangs ja nicht gewußt hatte,
wo Franco mit seiner Suche beginnen wollte.
„Warte hier. Ich frage den Boß." Jack trabte davon. Als er
zurückkehrte, winkte er Franco zu.
Der Kerl in der Garage wußte Bescheid. Also hatte Carlo dort
angerufen. Der Gangster rückte demnach nur auf ausdrückliche
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Anweisung des Caporegime ein Fahrzeug heraus.
Sie bekamen einen der Pickups, einen Dodge mit vier Sitzen
in der Kabine und einer kleinen Ladefläche hinten.
Der Gangster schwang sich hinter das Lenkrad. Er murkste
eine Weile mit den Gängen herum, aber bald hatte er es gepackt.
Er jagte den geländegängigen Wagen aus der Garage und fuhr
direkt in die schwarze Nacht.
„Ich würde die Scheinwerfer einschalten", sagte Franco. Jack
fluchte und fummelte am Armaturenbrett herum. Schließlich
zeigte Franco ihm die Schalter. Die Scheinwerfer flammten auf.
Franco deutete nach Süden. „Fahr dahin", sagte er.
„Ich denke, wir sollen zu den Sportanlagen da drüben
fahren,", sagte Jack. Er fluchte laut, als der Wagen über eine
Bodenwelle sprang und dann in die darunterliegende Senke
krachte.
„Yeah, aber zuerst will ich in die Hütte da drüben. Da liegt
nämlich mein Zimmer, verstehst du? Ich will meine Zigaretten
holen, meine Windjacke und eine Taschenlampe. Ich habe
nämlich keine Lust, da im Dunkeln herumzutappen, aber das
habe ich wohl schon gesagt, oder?"
Jack maulte. Er nahm das Gas weg, wußte anscheinend nicht,
wie er sich verhalten sollte. Er hatte seine strengen
Anweisungen. Franco konnte sich vorstellen, wie sie lauteten -
laß den Kerl nicht eine Sekunde lang aus den Augen.
Aber Franco hatte seinen Plan gefaßt. Die Gelegenheit war
günstig, und er mußte die Chance nutzen. Er war in den Besitz
eines Wagens gelangt. Man würde ihn während der nächsten
halben Stunde nicht vermissen, weil man ihn drüben bei den
Sportanlagen vermutete. Ja, er mußte die Chance nutzen.
Jack niederschlagen, sich in den Besitz des Fahrzeugs setzen
und Julie aus der Falle herausbringen.
„Mr. Benedict hat gesagt, ich soll das Girl suchen. Auf meine

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Weise, verstehst du? Aber okay, okay, wenn du meinst, fahr
zurück und frag Carlo. Los, fahr zurück!"
Jack murrte. Er wollte seinem Boß nicht schon wieder auf den
Wecker fallen. Francos Rechnung ging auf. Jack steuerte den
Bungalow am Südende des Tals an. Er stoppte genau vorm
Eingang, stellte den Motor ab und machte Anstalten,
auszusteigen.
Damit hatte Franco rechnen müssen. „Warte hier", sagte er
dennoch und scheinbar gelassen. Er sprang aus dem Wagen und
wetzte um die Motorhaube herum. Aus den Augenwinkeln
beobachtete er Jack, der ebenfalls ausstieg. Der Gangster hielt
ein kleines Walkie-Talkie in der Hand.
„Okay, dann komm mit", sagte Franco ergeben. Er hielt die
Tür für Jack auf.
Der Gangster ging an Franco vorbei. Franco sah sich um.
Kein Mensch war zu sehen. Er mußte es jetzt tun. In diesem
Moment, bevor Jack seinem Boß über Funk mitteilen konnte,
wo er gelandet war, und bevor er Julie zu sehen bekam.
Franco spannte seine Muskeln. Er visierte eine Stelle in Jacks
breitem Stiernacken an.
Da hörte er ein Geräusch. Am Ende des unteren Flurs wurde
eine Tür geöffnet. Eine breite Lichtbahn fiel in den Gang, ein
Schatten kreuzte das Licht.
Franco erkannte einen der Reitlehrer.
„Hi, Jo", sagte Mike Hobart.
„Hi, Cowboy", gab Franco zurück.
Mike war einem Plausch nicht abgeneigt. Er hatte offenbar
noch nicht mitbekommen, daß auf der Ranch der Teufel los war.
Jack wollte die Pause benutzen, um sich bei seinem Boß oder
wer immer das Gegenstück zu dem Walkie-Talkie in der Hand
des Gangsters besaß, zu melden.
Franco ließ Mike einfach stehen und lief die Treppe hinauf.

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Der Gangster folgte ihm notgedrungen. Jacks Tritte dröhnten auf
der Treppe. Franco schob den Schlüssel ins Schloß in seinem
Zimmer. Er wollte die Tür aufdrücken, als Jack ihn an der
Schulter packte und zurückriß.
„Ich gehe vor", sagte er. Seine kleinen Augen glitzerten
mißtrauisch.
Er schob sich in das Zimmer hinein, und bevor Franco zu
einem entscheidenden Schlag kam, war er drinnen und hatte sich
von der Tür weg in die rechte Ecke geschoben. Er schaltete das
Licht an.
Francos Herz wummerte wie mit Hammerschlägen gegen die
Rippen. Er schwitzte heftig.
Francos erster Blick fiel auf das Bett.
Es war sorgfältig gemacht und leer.
Jack bewegte sich behende auf die Tür zum Bad zu. Sein
Verhalten verriet Franco nur zu deutlich, wie die Instruktionen
lauteten, und mehr noch, daß Carlo Porcelli Franco verdächtigte,
der Mann zu sein, der Julie zu Hilfe gekommen war.
Die Tür zum Bad krachte gegen die Wand. Auch das Bad war
leer.
„Stell dich da ans Fenster", befahl Jack. Er hatte seine Jacke
zurückgeschlagen, und Franco konnte den Kolben und die
Riffelschalen eines schweren Revolvers erkennen, den der
Gangster rechts am Gürtel trug.
Franco stellte sich neben das Fenster. Er warf einen Blick
hinaus.
Seine Kopfhaut zog sich zusammen. Von der Freizeitanlage
her näherten sich Scheinwerfer. Diese Hütte, das erkannte
Franco mit Schrecken, würde als nächste durchsucht werden.
Ihm blieb nicht einmal mehr eine Minute.
Jack hatte sich auf den Boden gelegt. Er peilte unter das Bett.
Dort stand Francos Koffer und verdeckte die Klappe. Jack
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ächzte, als er den Koffer unter dem Bett hervorzog.
„Warte", sagte Franco, „ich nehme dir den Koffer ab." Er
machte einen Schritt vor. Jack hatte den Kopf gehoben. Er
ahnte, daß etwas faul war, aber Francos Angebot hatte so
unverfänglich geklungen, daß er nicht schnell genug schaltete.
Franco bückte sich.
Da schnellte seine Handkante herab.

Jack fiel aufs Gesicht. Er war nicht bewußtlos. Er zog die


Beine unter seinen schweren Körper, während er mit der Hand
bereits versuchte, an den Revolver zu kommen.
Franco schmetterte eine zweite Handkante herunter. Diesmal
legte er alle Kraft in den Hieb. Und dieses Mal sackte der
Gangster schlaff zu Boden.
Franco packte ihn unter den Schultern, nachdem er die
Fenstertür, die nur angelehnt gewesen war, ganz aufgezogen
hatte. Er schleifte den Bewußtlosen auf den Balkon und peilte
nach unten.
Es war verflucht tief. Zu tief, um den Mann einfach fallen zu
lassen.
Er legte ihn ab, nahm den Revolver an sich, ging ins Zimmer
zurück.
„Julie!" rief er. „Julie! Wo bist du?" Er warf sich auf den
Boden, kroch unter das Bett und öffnete die Klappe. Er starrte in
das gähnende Loch, wiederholte den Namen.
Er bekam keine Antwort. Jedenfalls nicht aus dem Verschlag.
„Joe! Ich bin hier!"
Er wirbelte herum, sprang wieder auf den Balkon.
Er sah etwas Helles über sich. Er reckte die Arme und fing

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Julie auf. Schluchzend lag sie an seiner Brust.
„Ich sah den Wagen kommen, und ich sah dich aussteigen",
stammelte sie. „Als ich den anderen Mann aussteigen sah, war
es zu spät, um in den Verschlag zu kriechen."
Er streichelte ihren Kopf. „Es war gut so", sagte er und sah
nach oben, und er fragte sich, wie lange sie sich an den rauhen
Dachbalken hätte halten können.
Die Scheinwerfer kamen näher.
„Kannst du mit dem Wagen da unten umgehen?" fragte er. Sie
nickte.
„Geh runter und setz ein Stück zurück. Bis das Dach unter
dem Balkon steht. Wenn ich zweimal mit der Hand aufs
Wagendach klatsche, mußt du abfahren. Zum Creek. Und nach
Osten, immer nach Osten, bis ich was anderes sage. Los jetzt!"
Sie lief davon. In der rechten Hand hielt sie immer noch die
Luger.
Franco hievte den bewußtlosen Gangster auf das Geländer,
nachdem er hinter sich im Zimmer das Licht ausgeschaltet hatte.
Der Motor des Dodge heulte auf. Franco sah das glänzende
Blech des Wagendaches, wie es sich langsam unter den Balkon
schob. Er schwang sich über das Geländer, ließ seine Beine
herabbaumeln, bis seine Füße das Dach des Dodge berührten.
Er packte die Arme des Gangsters und zerrte an ihnen, bis
Jack in seine Arme stürzte.
Franco fing ihn sicher auf. Er ließ ihn auf die quadratische
Ladefläche gleiten, wo er von den Seitenwänden verdeckt
wurde. Er schlug zweimal mit der Hand aufs Wagendach, dann
warf er sich neben Jack, preßte sich auf die Ladefläche.
Julie gab Gas. Der Pickup schoß davon.
Die Scheinwerfer des anderen Wagens strichen über den
Dodge hinweg und erfaßten das Haus. Vorsichtig peilte Franco
über die Kante der Ladefläche.

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Hart wurde das andere Fahrzeug abgebremst, drei Männer
sprangen heraus.
Niemand schien Verdacht geschöpft zu haben.
Jack stöhnte, dann richtete er sich auf.
Franco schlug mit dem Kolben des Revolvers zu.

Während der rasenden Fahrt zum Bach hinunter öffnete Julie


das Heckfenster.
„Du kannst jetzt die Scheinwerfer einschalten", sagte er. Er
klammerte sich an dem Haltebügel fest und versuchte, die Stöße
mit den Beinen abzufangen.
„Wohin?" schrie Julie.
„Weißt du, wo der Schießstand ist?"
„Ja ..."
„Dann los!"
Der Pickup schoß durch das flache, aufspritzende Wasser des
Great Rock Creek. Franco blickte zurück. Sie wurden nicht
verfolgt. Einen Augenblick dachte er an Allan Stark. Es wäre
vielleicht gut gewesen, wenn er den jungen Anwalt
mitgenommen hätte, aber Stark lag jetzt wahrscheinlich
betrunken in seinem Bett und versuchte zu vergessen, was
seinem Boß zugestoßen war.
Die hohen Zäune der Tennisplätze flogen vorbei, dann riß
Julie das Lenkrad herum. Franco mußte sich festhalten, um nicht
von der Fliehkraft vom Wagen geschleudert zu werden. Die
Schutzwälle, die den Schießstand umgaben, tauchten im Licht
der Scheinwerfer auf. Der Wagen verschwand hinter den Wällen
wie in einem Schützengraben. Von der Ranch aus waren sie jetzt
nicht mehr zu erkennen.

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Das Schutzdach über den Schießständen wurde sichtbar.
Dahinter der flache, eckige Betonbau, in dem die Waffen und
die Munition, die Schießscheiben, die Ohrschützer und die
Wurfmaschinen für die Tonscheiben aufbewahrt wurden.
Julie schaltete die Scheinwerfer aus und stoppte vor dem
Gerätehaus. Franco flankte von der Ladefläche. Er besaß einen
Hauptschlüssel, der für alle Türen an den allgemeinen Anlagen
der Gästeranch paßte. Er schloß die Tür auf und hakte sie fest.
Dann rannte er zurück. Julie war ausgestiegen. Im schwachen
Widerschein des Standlichts erkannte er ihr blasses,
angespanntes Gesicht.
Er zerrte den bewußtlosen Gangster von der Ladefläche und
schleifte ihn ins Haus. Julie kam hinterher.
„Mach die Tür zu und schalte das Licht ein", sagte Franco.
Es wurde hell im Gang. Franco sah mehrere Türen. Er war
erst einmal hier gewesen, und er hatte nicht alle Räume gesehen.
Er wußte jedoch, daß es einen Pistolenschießstand gab. Er legte
den Gangster ab und stieß nacheinander die verschiedenen
Türen auf.
Der Schießstand für Handfeuerwaffen bestand aus einem
vierzig Yard langen Raum aus Betonwänden und einer nach
hinten abgeschrägten Decke. Tausende Bleikugeln hatten ihre
Spuren an den Wänden und an der Decke hinterlassen. Es roch
kalt und scharf nach Kordit.
Franco untersuchte den fensterlosen Raum. Die schwere
Doppeltür ließ sich von außen verschließen. Im Schrank
befanden sich lediglich Schießscheiben und mehrere Paar
Ohrenschützer, aber keine Waffen und keine Munition. Franco
riß das Telefon von der Wand, dann zerrte er den Gangster in
den Raum. Er legte ihn einfach auf den kalten Boden, weil es
keine andere Möglichkeit gab. Er nahm ihm das Walkie-Talkie
ab, filzte noch einmal seine Taschen. Dann zog er sich zurück
und sperrte den Gangster ein.

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Julie wirkte erleichtert. Die Gegenwart des schlaffen,
scheinbar leblosen Körpers hatte ihr zugesetzt. Doch der
Alptraum, dachte Franco mitleidig, würde noch andauern. Noch
hatten sie das Tal nicht verlassen. Noch befand sich Julie nicht
in Sicherheit. Und sie wußte nicht, daß er zurückkehren mußte
in die Hölle, weil er einen Job zu erledigen hatte.
Franco wußte, wo die Waffenkammer lag. Er brach den
Stahlschrank auf.
Einen Moment lang starrte er sprachlos die Sammlung
schwerer Waffen an, die eher einem Armeemuseum Ehre
gemacht hätte. Doch Franco dachte an die Ansprüche der Gäste
einer Ranch, die sich nicht mit
Sport- oder Jagdwaffen begnügten. Die hatten sie auch zu
Hause. Ferien auf einer Ranch wie der Blue Sky suggerierten
mehr als nur einen Hauch von männlichen Abenteuern.
Franco schwankte einen Moment zwischen einer
hochpräzisen Match-Waffe und einem Schnellfeuergewehr, ehe
er sich für das Armeegewehr entschied. Mit dem schweren M-
14 konnte er einem Hubschrauber das Heckleitwerk wegfetzen
oder ihn, notfalls, auch abschießen. Er packte noch eine
großkalibrige doppelläufige Schrotflinte und stopfte sich die
Taschen der Jacke mit Munition voll. Dann rannte er mit Julie
nach draußen.
Er löschte die Lichter im Flur und schloß die Außentür wieder
ab. Je später sie Jack fanden, desto größer wurde vielleicht sein
Vorsprung.
Sie schwangen sich in den Pickup. Franco klemmte die beiden
Gewehre zwischen die Vordersitze. Julie hatte Francos Luger
vorn auf die Ablage unter der Windschutzscheibe gelegt. Jetzt
nahm sie die Pis tole wieder in die Hand.
Franco startete, stieß zurück und riß das Fahrzeug herum.
Ohne die Hauptscheinwerfer einzuschalten, trieb er den Dodge
am Ostufer des Creek nach Süden, wo es den einzigen Ausgang

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aus dem Tal gab.
Als sie das letzte Gebäude passierten, schaltete er auch die
Standlichter aus und nahm etwas Gas zurück. Bald mußten sie
auf die Wachen stoßen, die den Ausgang des Tals bewachten.
Sollte er einen gewaltsamen Durchbruch wagen und auf das
Überraschungsmoment vertrauen? Oder konnte er einen
verwegenen Bluff riskieren?
Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Das Walkie-
Talkie in seiner Tasche meldete sich mit einem energischen
Schnarren.
„Was ist das?" fragte Julie erschreckt.
„Unsere elektronische Leine", antwortete Franco. Er war froh,
daß er Jack das Gerät abgenommen hatte. Er zog es heraus. „Sei
jetzt still", sagte er zu Julie. Dann meldete er sich mit einem
knappen: „Ja? Was gibt's?"

Er wußte sofort, daß er Jacks Tonfall nicht getroffen hatte.


Deshalb mußte er jetzt improvisieren.
„Jack? Wo ist Jack?" knarrte es aus dem Gerät. Das war
Carlos Stimme.
„Sie hat ihn niedergeschlagen", berichtete Franco. Er ließ den
Wagen ausrollen, ohne die Fußbremse zu berühren. Das rote
Bremslicht hätte den Wachen seinen Standort angezeigt.
„Wer hat Jack niedergeschlagen?" erkundigte sich Carlo
verblüfft.
„Na, das Luder natürlich! Wir haben sie am Unterstand beim
Golfplatz aufgestöbert. Sie hat Jack 'nen Schläger über die Birne
gezogen und ist mit einem von den Golfwagen abgesaust ..."
„Was ist sie? Und du hast sie nicht aufgehalten?"

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„Ich habe mich um Jack gekümmert, zum Teufel!" fauchte
Franco ins Mikrofon. „Ich bin jetzt hinter dem Luder her ..."
„Wo ist sie hin?" erkundigte sich Carlo mit seiner leisen,
etwas rauhen Stimme. Sie klang ruhig. Zu ruhig, fand Franco.
An Jack verschwendete der Caporegime aus Las Vegas keinen
Gedanken mehr.
„Ich weiß es nicht genau. Die Karre ist so verdammt leise, daß
man sie nicht hören kann. Ich nehme an, sie versucht, den
Talausgang zu erreichen. Ich will ihr den Weg abschneiden ..."
„Wo bist du jetzt?"
Das war die entscheidende Frage. Die Kontrollfrage. Franco
grinste mit den Lippen. Carlo wußte es garantiert genau.
Wahrscheinlich stand der Posten nur ein paar Schritte entfernt
und hatte sogar die Mündung seiner Tommy Gun dorthin
gerichtet, wo er den Pickup vermutete. Er hatte den Wagen
gehört und seinen Boß alarmiert und wartete jetzt auf seine
Befehle.
„Ich bin am Südende des Tals", antwortete der Mafiajäger
wahrheitsgemäß. „Aber vielleicht ist sie schon durch. Diese
kleinen Elektrokarren sind verdammt schnell."
„Sie sind keine Rennwagen", konterte der Killer gelassen.
„Bleib, wo du bist."
„Yes, Sir", sagte Franco. „Du bist der Boß."
Aber Franco würde nicht bleiben, wo er war. Ihm war
nämlich ein Licht aufgegangen. Wahrscheinlich in der ersten
Sekunde ihrer Begegnung mußte Carlo erkannt haben, daß er
den Mann vor sich hatte, der ihn im Zimmer des Politikers
überrascht hatte. Mit dem Instinkt des Gesetzlosen mußte er die
Gefahr gespürt haben, die von Franco ausging. Aber bevor er
mit Franco abrechnete, spannte er ihn für seine Zwecke ein und
ließ ihm ein wenig Bewegungsfreiheit, damit er den Gangster zu
Julie führte. Carlo mußte Julie, die gefährliche Zeugin, finden.
Da er sicher zu wissen glaubte, daß sie aus dem Tal nicht

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herauskam, konnte er mit ihr und ihrem Beschützer ruhig etwas
Katz und Maus spielen.
Aber er hatte die Leine etwas zu lang gelassen. Jack mochte
ein ausgekochter Junge sein, aber kein Gegner für einen Mann
wie Franco Solo. Doch wer der angebliche Joe Rosso in
Wirklichkeit war, konnte er sich wahrscheinlich in seinen
düstersten Schreckensvisionen nicht ausmalen. Er mochte
denken, daß sich der Bergführer in das gelehrte Girl verknallt
hatte und es retten wollte. Joe Rosso, der edle Ritter. Carlo wird
sich amüsiert haben.
Carlo war jedoch kein dummer Junge. Carlo würde einfach
wissen, daß ,Joe Rosso' das Girl jetzt bei sich hatte. Er würde
kommen. Oder seine Boys schicken, die den Talausgang
sperrten.
Franco legte das Walkie-Talkie weg. Er starrte in die
Dunkelheit. Der Motor schnurrte fast unhörbar wie eine
gutgeölte Nähmaschine. Franco trat die Kupplung durch und
legte den ersten Gang ein. Gleich würde es darauf ankommen,
den richtigen Sekundenbruchteil zu treffen.
Sanft berührte er Julies Schulter. Sie zitterte wieder. Sie
spürte die Anspannung des Mannes an ihrer Seite. Franco
drückte sie nieder, bis sie' in den vordersten Fußraum rutschte,
wo sie sich zusammenkauerte wie ein Baby.
Leise löste er die Schrotflinte, die sich zwischen den Sitzen
und mit der anderen Waffe verklemmt hatte. Beide Läufe waren
geladen. Er kurbelte die Scheibe an seiner Seite herab und legte
die Läufe auf die Fensterkante.
Atemlos wartete er. Auf ein Geräusch, auf eine Bewegung,
auf einen Befehl aus der Dunkelheit, auf Scheinwerfer, die wie
Lanzen aus der Finsternis schießen und ihn blenden würden.
Im großen Außenspiegel, der vorn auf der Tür montiert war,
sah er eine schwache Bewegung. Gleichzeitig hörte er in der
nächtlichen Stille, wie ein Fuß durch das harte Gras strich.

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Er holte tief Luft. Es war soweit.

Licht flutete ihm wie eine gigantische Woge entgegen. Es


füllte die Kabine des Dodge, und Franco glaubte, die
Wärmestrahlung auf der Haut spüren zu können. Der Wagen der
Gangster stand mitten im engen Einschnitt.
Wie ein Korken. Es würde eng werden, verdammt eng sogar.
Franco schaltete die Fernlichter ein, trat das Gas voll durch
und ließ die Kupplung kommen. Der Pickup wurde nach vorn
geschleudert, schoß auf den anderen Wagen mit der Batterie
greller Lichter vorn auf der Stoßstange zu. Hinter der
Lichtschranke blitzte es blutrot auf. Im selben Moment hörte er
den Donner des Schusses, und er hörte, wie das Blei über das
Dach des Dodge ratschte.
Der Pickup stellte sich quer. Er bockte wie ein wilder
Mustang. Die sechs grellen Scheinwerfer des anderen Wagens
lagen genau vor den Läufen der Schrotflinte. Franco hob den
Kolben der Waffe ein wenig an. Die Zwillingsläufe senkten sich
um ein, zwei Zoll. Dann feuerte er den ersten Lauf ab.
Ein fürchterlicher Schlag ging durch seine linke Seite. Wie
aus einer altertümlichen Haubitze krachte das Blei in die
Vorderfront des Gangsterwagens.
Glas klirrte, splitterte, Birnen zerplatzten, aus schmorenden
Kabeln sprühten Blitze. Das grelle Licht erlosch.
Franco steuerte den bockenden Dodge mit einer Hand. Er
wollte versuchen, links an dem anderen Wagen
vorbeizukommen, weil an der rechten Seite hinter der
aufgestellten Tür ein Schütze lauerte. Wieder zuckte
Mündungsfeuer auf. Dieses Mal zersplitterte die Frontscheibe
des Dodge. Erschreckt zog Franco den Kopf ein. Glas prasselte

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auf seine Schenkel.
„Hab keine Angst", sagte erlaut. „Das ist nur Glas. Wir
schaffen es."
Julie hielt sich großartig. Sie wimmerte nicht einmal. Der Kerl
an der rechten Flanke des Gangsterwagens jagte jetzt Schuß auf
Schuß gegen den heranbrausenden Pickup.
Franco zog die Flinte aus dem Seitenfenster und stieß die
Zwillingsläufe durch die bröckelnde Frontscheibe. Dann feuerte
er den zweiten Lauf ab.
Er hörte den Donner der Detonation, und er hörte, wie das
Blei in die geöffnete Tür des Gangsterfahrzeugs prasselte und
die Deckung zerschlug. Ein gellender Schrei über dem Dröhnen
der strapazierten Maschine bewies, daß er den Schützen
erwischt hatte. Franco ließ die Flinte los und packte das Lenkrad
fester. Die Kanone rutschte halb durch den Rahmen und blieb
schließlich an einem zackigen Splitter der Scheibe hängen.
Die Scheinwerfer- des Dodge rissen die eckigen Konturen
eines Range Rover aus der Finsternis. Franco preßte die Zähne
aufeinander, als er auf den engen Spalt zwischen dem Wagen
und der linken Felswand zuhielt. Das Nadelöhr raste förmlich
heran.
Da hörte er Schüsse hinter sich. Er hatte den zweiten Mann
vergessen, der sich zuvor von hinten an den Pickup
herangerobbt und den Franco mit seinem wilden Start abgehängt
hatte.
Er schaltete die Gänge hoch. Der Dodge krachte über einen
Felsbrocken. Er wurde ein ganzes Stück zur Seite geworfen.
Franco steuerte gegen. Der Umriß des Rover wuchs, dann
krachte die rechte Flanke des Dodge gegen den Kotflügel des
Range Rover.
Ein Ruck ging durch den Wagen. Metall barst. Wie eine
Billardkugel wurde der Pickup zurückgeschleudert. Eins der vier
angetriebenen Räder verlor den Bodenkontakt.

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Dann zwängte sich das Fahrzeug durch den Spalt. Links
schrammte der Felsen über die Flanke. Franco trat das Gas bis
zum Bodenblech durch. Der Wagen würgte sich in den Engpaß,
drohte eingeklemmt zu werden.
Wenn er steckenbleibt, sind wir verloren, schoß es durch
Francos Kopf.
Verbissen schaltete er zurück, gab erneut Gas. Der Motor
heulte gequält, dann fiel die Drehzahl rapide ab. Der Wagen
ruckte, wurde langsamer, immer langsamer, während das
nervenzerfetzende Kreischen berstenden Metalls und platzender
Scheiben die Kabine erfüllte.
Und dann steckten sie fest. Endgültig. Zwei Räder drehten
noch einmal durch. Steinsplitter spritzten unter die Kotflügel,
aber sie kamen nicht mehr vor und auch nicht mehr zurück.
Es war alles umsonst, dachte Franco in einem Augenblick der
Hoffnungslosigkeit. Sie kamen nicht aus den eingeklemmten
Türen heraus. Nur vorn durch die zertrümmerte Frontscheibe.
Doch dort steckten die Glassplitter wie Dolche im Rahmen.
Aber Franco gab nicht auf. Er war erst dann verloren, wenn
seine Leiche im Dreck lag.
Rechtzeitig zog er den Kopf ein. Über ihm zerplatzte die
Heckscheibe. Er zerrte Jacks schweren Revolver aus dem
Gürtel. Er drehte sich um, zog die Beine an, bis er auf dem Sitz
kniete.
Wie Blut lag der Widerschein der Rücklichter über dem
taufeuchten Gras. Franco sah einen Schatten heranhetzen. Der
Gangster feuerte aus vollem Lauf. Franco hörte die Kugeln
durch die Öffnung der Heckscheibe jaulen oder das Blech
durchschlagen.
Er zog den Hammer zurück, streckte die Hand. Er zielte über
den Lauf auf den heranjagenden Schatten eines Mannes.
Dann drückte er ab.

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Der Revolver brüllte überlaut. Der Schatten draußen, inmitten
der in blutiges Rot getauchten Landschaft, erstarrte wie das Bild
eines Films, der angehalten wurde. Noch einmal zog Franco den
Hammer zurück, zielte auf den Schatten, obwohl er wußte, daß
er keinen zweiten Schuß mehr brauchen würde. Er hatte
schießen müssen, um zu töten.
Keuchend stieß er die Luft aus, als der Schatten endlich in
sich zusammensackte.

Mit dem Kolben des Revolvers schlug er die Reste der


Scheibe aus dem Rahmen, dann kroch er hindurch und legte sich
auf die Motorhaube.
Er half Julie hinaus. Als sie neben ihm lag und vor
Erleichterung schluchzte, beugte er sich noch einmal in den
Wagen hinein. Er holte alle Waffen heraus, dann schaltete er die
Scheinwerfer aus. Er wollte sich gerade von der Haube rutschen
lassen, als sich gebieterisch das Walkie-Talkie bemerkbar
machte. Franco nahm es an sich.
„Joe! Joe, zum Teufel! Was ist da los? Melde dich, du
verdammter Bastard!"
Franco lachte laut auf. Es war kein Lachen, das Heiterkeit
verriet. Carlo rief ihn. Den Mann, den er zum Abschuß
freigegeben hatte. Seine eigenen Killer konnte er nicht
erreichen. Sie würden nie mehr antworten.
Er nahm Julies Hand und ließ sie behutsam von der Haube
gleiten. Sie kauerte vor der bulligen, jetzt jedoch deformierten
Schnauze des Dodge und wartete geduldig.
Carlo war schwer besorgt. „Melde dich!" schrie er.
Franco drückte die Sprechtaste. „Was willst du?" fragte er
kühl und unfreundlich.

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„Joe! Bleib! Warte auf mich! Ich bin gleich bei dir! Wir
müssen über alles reden! Hast du mich verstanden?" Carlo
Porcelli mußte die Zeugin beseitigen. Er war eine zu bekannte
Figur innerhalb der Cosa Nostra. Er konnte sich nicht wie ein
Mietkiller, ein nicht vorbestrafter Mann ohne Gesicht oder
besondere Kennzeichen für eine Weile zurückziehen.
„Ich habe dich gehört, ja", bestätigte Franco. „Aber ich rate
dir eins, Carlo - bleib mir vom Leib! Du hast von uns nichts zu
befürchten. Wir wollen nur weg, weit weg. Verstehst du?"
Franco wußte, daß sich der Caporegime nicht auf Francos
Beteuerung verlassen würde. Aber vielleicht glaubte Carlo, daß
der angebliche Joe Rosso und Julie, die Augenzeugin, derart
verängstigt waren, daß sie nicht gleich zur Polizei laufen
würden.
„Bleib, wo du bist, Joe! Oder, bei Gott, ich ziehe dir die Haut
in Streifen über den Rücken."
Franco spürte einen Schauder bei der Drohung, weil er wußte,
daß Carlo sie beinahe wörtlich meinte. Er hob den Kopf und sah
zur Ranch zurück. Scheinwerfer tanzten heran.
„He, Carlo!" sagte Franco mit trockenem Mund. Er stellte
sich auf die Motorhaube des gestrandeten Dodge, nahm mit der
freien Hand das M-14 an sich und drückte ein volles Magazin in
den Schacht. „He, Carlo! Hörst du mich?" Franco lachte. Es
klang böse. Er legte das auf Senden gestellte Walkie-Talkie
neben sich auf das Dach. Er stützte die Ellbogen auf und zielte
auf einen der herantanzenden Scheinwerfer. „Bleib, wo du bist!"
schrie er in das Gerät. „Oder ich hacke deinen Wagen in
Stücke!"
Sofort erloschen die Scheinwerfer. Das war der Beweis dafür,
daß es der Killer war, der durch das Tal heranraste.
Franco jagte das ganze Magazin in die Richtung, aus der sich
das jetzt unsichtbare Fahrzeug näherte.
Franco schaltete das Gerät auf Empfang. Es blieb stumm.

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Franco drückte mehrfach die Sprechtaste. „He, seid ihr stumm
geworden?"
Im gleichen Augenblick zuckte ein greller Blitz durch das Tal
wie ein heller Ball, der von innen her zerfetzt wurde. Die
Druckwelle der Detonation erreichte den Mafiajäger vor dem
Knall.
Franco stieß pfeifend die Luft aus. Er hatte den Mörder
erwischt, schrie es in ihm.
Doch dann knackte das Gerät neben Francos Arm. Carlos
Stimme erreichte sein Ohr. Wie aus einer anderen Welt, schoß
es durch seinen Kopf. Die Stimme des Killers klang hart und
rauh vor sinnlosem Zorn und abgrundtief böse.
„Joe, dafür wirst du ganz langsam sterben ..."
Flammen loderten in den Himmel, und Franco glaubte, dünn
und weit entfernt Carlos Schatten vor dem grellen Rot erkennen
zu können. Wie eine Halluzination. Er schleuderte das Walkie-
Talkie gegen die Felswand, weil er Carlos wütende
Todesdrohungen nicht mehr ertragen konnte.
Er nahm die Waffen auf und ergriff Julies Hand. Die Haut
fühlte sich eiskalt an. „Komm, Doktor, wir haben eine Menge
Vorsprung", sagte er munter. „Wenn der Killer mit einem
anderen Wagen heraufkommt, wird er eine weitere
Überraschung erleben." Er sah zurück. Der Ausgang aus dem
Tal war blockiert.
Julie seufzte erleichtert. Sie fragte nicht, wie groß der
Vorsprung war.
Franco versuchte, ihn zu berechnen. Die Gangster würden
eine starke Zugmaschine brauchen, um die ineinander verkeilten
Fahrzeuge aus dem Engpaß zu ziehen. Aber Franco dachte auch
an den Helicopter. Nur im Schutz der Dunkelheit konnten sie
sich noch eine Weile sicher fühlen.
Er begann zu laufen, mit den schweren Waffen auf der

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Schulter und Julie an der Hand. Der Weg war einigermaßen
eben.
„Wohin gehen wir, Joe?" fragte das Mädchen.
„Ich weiß, wo ein Wagen steht", sagte Franco. „Komm, lauf,
lauf!"
Franco hob das linke Handgelenk nah an seine Augen, als er
sich an einem steil abfallenden Hang auf die Fersen kauerte. Es
war drei Uhr in der Nacht. Mit den Augen versuchte er, die
Dunkelheit unter sich zu durchdringen.
Dort irgendwo, in einem unbenutzten Seitenweg, halb unter
Kiefernzweigen verborgen, hatte vor drei oder vier Tagen ein
Campmobil gestanden. Er hatte es aus der Luft gesehen, als er
im Hubschrauber ins Bergcamp geflogen war. Es hatte deshalb
seine Aufmerksamkeit erregt, weil sein Besitzer offenbar
versucht hatte, es zu tarnen. Franco glaubte jetzt genau zu
wissen, warum - in diesem und in drei oder vier anderen
Campern waren die Gorillas und die Hitmen angereist. In diesen
Kompaktwohnungen hatten sie auf ihre Einsatzbefehle gewartet.
Wenn Francos Rechnung aufging, dann mußte der Wagen noch
da sein, und, was wichtiger war, er würde ihn leer vorfinden.
Julie hockte erschöpft neben ihm. Er hatte seinen Arm um sie
gelegt, und sanft streichelte er ihre Schulter.
„Ich muß da runter", sagte er. „Du mußt hier warten. Du
darfst nichts unternehmen, auch dann nicht, wenn du Geräusche
hörst, die du dir nicht erklären kannst. Wenn ich nicht
zurückkehre oder du nichts von mir hörst, versteck dich bis
Tagesanbruch in einem Gestrüpp und schlag dich dann zur
Landstraße durch. Das sind von hier aus bis zur Straße etwa
sieben Meilen. Von der Kreuzung bis zur Stadt nochmal zehn
oder zwölf. Du darfst keinen Wagen anhalten!"
Julie nickte, und weil ihr bewußt wurde, daß Franco die
Bestätigung nicht sehen konnte, sagte sie: „Ja." Ihre Stimme
klang benommen.

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Franco lud die beiden Läufe der Schrotflinte neu. Die Waffe
klemmte er unter seinen rechten Arm. Das M-14 ließ er zurück,
ebenfalls die Luger. Die sollte Julie zu ihrem Schutz behalten,
solange es notwendig schien. Den Revolver hatte er unterwegs
weggeworfen, weil sich nur noch vier volle Patronen in der
Trommel befunden hatten und er keine Ersatzmunition für die
Waffe besaß.
Er kroch den Hang hinab. Unter seinen Füßen löste sich hin
und wieder lockeres Geröll. Es kollerte vor ihm her. Als ein
größerer Stein gegen Blech prallte, erstarrte er. Es gab ein
lautes, hohles Geräusch.
Er legte sich flach auf den Boden, die Läufe der Flinte wiesen
nach unten, dorthin, wo das Campmobil stehen mußte. Atemlos
wartete er. Auf flutendes Scheinwerferlicht oder berstende
Schüsse.
Nichts regte sich. Nur der schwache Nachtwind bewegte die
Äste und ließ die Stämme der hohen Kiefern leise knacken.
Vorsichtiger und langsamer als zuvor rollte er sich tiefer. Er
schlug einen Bogen, der ihn irgendwo hinter dem Camper auf
die Sohle des Seitentals führen mußte. Es war möglich, daß die
Kerle eine Wache zurückgelassen hatten, obwohl Franco das für
unwahrscheinlich hielt.
Geduckt schlich er sich an den Wagen heran. Er spürte die
kalte Masse des Metalls in seiner unmittelbaren Nähe. Behutsam
setzte er Fuß vor Fuß, bis er mit der ausgestreckten Linken die
Hecktür berührte.
Er preßte als erstes sein Ohr gegen das Metall. Erst als er kein
verdächtiges Geräusch vernahm, tastete er sich einmal um den
Wagen herum. Er konnte die Staubschicht fühlen, die so dick
war, als stünde der Camper bereits seit vielen Wochen unter der
Kiefer und nicht erst seit ein paar Tagen.
Die Türen waren verschlossen. Franco knipste seine kleine
Taschenlampe an. Der dünne Lichtfinger wanderte über

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stumpfes, gelbraunes Blech und verdreckte Scheiben. Der
Wagen, ein AMC-Camper, schien jedoch noch ziemlich neu zu
sein.
Franco entdeckte schließlich ein nicht richtig verriegeltes
seitliches Schiebefenster. Er zwängte es vollends auf, packte mit
der Hand hinein und löste den Türriegel.
Wenige Minuten später hatte er das Fahrzeug durchsucht und
festgestellt, daß es leer war. Bis auf das Durcheinander aus
leeren Büchsen, Decken, aufgerissenen Lebensmittelpaketen
und leeren Weinflaschen. Die Zulassung baumelte an der
Lenksäule. Der Wagen war auf eine Autovermietung in Butte
zugelassen.
Franco kletterte den Hang wieder hinauf. Er holte Julie und
das zurückgelassene Armeegewehr. Zusammen schlitterten sie
den Hang hinab. Franco packte die Waffen hinten hinein. Julie
verfrachtete er auf den rechten Vordersitz. Im Schein der
Innenbeleuchtung machte er sich mit den Bedienungselementen
vertraut. Besonders genau betrachtete er die Umgebung des
Zündschlosses.
Er stieg wieder aus. Unter dem Reserverad fand er ein Bündel
Werkzeuge. Ein kräftiger Schraubenzieher war dabei, und die
Hebelstange des Wagenhebers besaß ein scharfkantiges,
abgeflachtes Ende wie ein Brecheisen.
Er riß die Verkleidung in der Umgebung des Zündschlosses
ab. Mit dem Schraubenzieher zerbrach er die Verriegelung des
Lenkradschlosses, dann riß er die Drähte vom Zündschloß.
Probeweise tippte er zwei aneinander. Funken knisterten. Die
Kontrollichter flammten auf, die Zeiger der Instrumente
schlugen aus. Besorgt stellte er fest, daß der Benzintank fast leer
war. Bei seiner Inspektion des Wagens hatte er keinen
Reservetank entdecken können.
Entschlossen tippte er den gelbrot gezeichneten Draht zu den
anderen.

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Der Anlasser begann zu mahlen. Es dauerte jedoch eine
Weile, bis die Maschine, die offenbar lange gestanden hatte,
gleichmäßig rund lief.
Er würgte die Drähte richtig zusammen und stopfte sie unter
die verbogene Verkleidung, dann schaltete er die
Innenbeleuchtung aus. Der Motor lief jetzt geschmeidig und
sehr leise.
Und doch zögerte Franco noch, abzufahren.
Er dachte an Carlo. Der Caporegime würde ihn verfolgen wie
ein Wolf.
Der Lärm des fahrenden Wagens und die Scheinwerfer
würden dem Gegner genau zeigen, wo er steckte.
Er hielt den Kopf aus dem Seitenfenster.
Da hörte er das Knattern des Helicopters.

Die Maschine strich flach über die Baumwipfel. Franco stieß


die Tür auf. Die Innenbeleuchtung ging an. Franco zerschlug die
Birne mit der bloßen Faust. Er rannte um den Camper herum
und zerrte das Schnellfeuergewehr aus dem hinteren Teil.
Er sah die Hummel herabstreichen. Das Licht unter der
Kanzel zuckte rhythmisch. Franco hielt das Gewehr in den
verkrampften Fäusten.
Wer flog die Kiste? Ein Mafioso? Oder Sid Vernon, der Pilot
der Blue Sky? Franco visierte das hintere Leitwerk an, das sich
scharf gegen den nachtblauen Himmel abzeichnete.
Er drückte nicht ab. Die Maschine verschwand hinter dem
buckligen Rücken eines Hügels.
Franco preßte seinen Rücken gegen die Seitenwand des
Campers. Sein Mund war trocken. Gern hätte er eine Zigarette

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angezündet. Aber er wartete. Er hörte, wie Julie sich unruhig
bewegte, aber sie blieb an ihrem Platz.
Nach gut einer Minute kehrte der Hubschrauber zurück. Er
folgte genau dem Weg von der Landstraße zur Blue Sky. Die
Maschine stieg, wirbelte auf der Stelle, wendete. Das Flatschen
der Rotorblätter stürzte von überall her auf ihn herab.
Niemand an Bord der Hummel würde ihn erkennen können,
bevor der Tag anbrach, dachte Franco, und doch begriff er,
weshalb Carlo den Hubschrauber hatte starten lassen.
Die Maschine sollte die Flüchtlinge zwingen, sich zu
verstecken, abzuwarten, sich zu verkriechen wie Tiere. Bis die
Fußtruppen kamen.
„Warte!" rief Franco Julie zu. Er packte das Gewehr und
rannte zum Weg. Er stellte sich an den Rand, spähte nach rechts
und nach links. Die einzige Zufahrt zur Blue Sky Ranch bestand
aus einer geschotterten Schneise, auf der zwei Fahrzeuge
einander nur an den dafür vorgesehenen Ausweichstellen
passieren konnten.
Das Knattern des Hubschraubertriebwerks übertönte alle
anderen Geräusche. Franco beugte sich vor. Der Helicopter hing
ungefähr dreihundert Yards entfernt hinter einigen hohen
Ponderosa-Kiefern.
Weit oben sah er ein Licht aufblitzen. Ganz kurz nur, aber es
verriet dem Mafiajäger genug.
Carlo Porcelli hatte die Hindernisse bereits überwunden. Er
kam. Und der Hubschrauber sollte das Geräusch des sich
nähernden Wagens übertönen.
Franco konnte sie nur mit ihren eigenen Waffen schlagen. Es
hatte wenig Zweck, jetzt mit Waffengewalt versuchen zu
wollen, sich den Killer vom Leib zu halten. Sie hatten eine
nahezu beliebige Anzahl von Hitmen und Fahrzeugen zur
Verfügung, aber was ausschlaggebend war - auch eine große
Zahl von Geiseln.

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Franco traute dem Caporegime ohne weiteres zu, daß er einen
oder mehrere Gäste oder Angestellte der Ranch mit auf seinen
Rachetrail genommen hatte.
Franco ging davon aus, daß Sid Vernon am Steuerknüppel des
Hubschraubers saß - mit einem Aufpasser an der Seite und einer
Revolvermündung im Ohr.
Ja, er mußte es wie sie machen - den Schutz der Dunkelheit
ausnutzen.
Er rannte zurück, warf sich hinter das Lenkrad des Campers.
Mit fliegenden Fingern schaltete er die Drähte kurz und tippte
den Starterdraht an die Verbindung. Funken sprühten. Die
Maschine kam jetzt sofort. Franco löste die Bremse. Mit
gelöschten Scheinwerfern rollte der Wagen auf die
Schotterstraße zu. Dort hielt Franco noch einmal an. Er lauschte.
Der Hubschrauber wirbelte über ihn hinweg nach Süden.
Franco wartete, bis die Maschine nach einer Minute
zurückkehrte und weiter oben hinter den hohen Gipfeln
verschwand. Er ließ den Wagen aus dem Versteck rollen und in
die leicht abwärts führende Straße einschwenken.
Julie klammerte sich an ihrem Sitz fest. Es war, als führe
Franco gegen eine schwarze Wand an, die nur zögernd
zurückzuweichen schien. Franco versuchte, seine
Aufmerksamkeit zu teilen. Zwischen der schwarzen Wand und
dem dunklen Himmel über sich.
Julie unterdrückte einen Schrei, als sich der Camper
gefährlich zur Seite neigte. Franco tippte auf die Bremse. Im
Rückspiegel sah er den roten Widerschein der Bremslichter.
Hart stellte er seinen Fuß auf den Boden. Das Campmobil
schlingerte heftig. Zweige kratzten über die rechte Flanke.
Franco korrigierte den Kurs. Mit dem Erfolg, daß der
unbeholfene Wagen zur anderen Seite des Weges abdriftete und
dort über die Kante zu rutschen drohte.
Er nahm das Gas weg und zog die Handbremse an. Nach

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kurzer Strecke kam der Camper zum Halten.
Franco sprang heraus. Das Knattern der Rotorblätter füllte
wieder die Luft. Franco starrte nach oben. Hatte der Gangster
oben in der gläsernen Kabine eben die Bremslichter gesehen?
Franco wartete, bis die Maschine verschwand. Dann
zertrümmerte er die Rückleuchten.
„Julie, jetzt müssen wir etwas riskieren", sagte er, als er
wieder hinter dem Lenkrad saß. Er blickte in ihre Richtung, wo
ihr helles Haar leuchtete. „Der Hubschrauber kann nicht landen,
jedenfalls nicht in diesem Teil der Range. Wenn wir an der
Landstraße sind, bevor es dämmert, können wir ihn abhängen."
Vielleicht, schränkte Franco in Gedanken ein. Wenn Carlo in
einem geländegängigen Fahrzeug saß, auf der Ranch gab es
genug davon, dann würde er rapide aufholen.
„Wen?" fragte Julie beklommen.
„Er heißt Carlo Porcelli. Ihn hast du gesehen, als ..." Er
verstummte. Sie wußte auch so, was er meinte.
Franco fuhr an. Er tippte auf die Lichthupe. Wie mit einem
Blitzlicht beleuchtet tauchte der Weg für einen kurzen Moment
aus der Dunkelheit.
Franco fuhr an. Er hatte eine gerade Strecke von etwa einer
halben Meile vor sich.
„Schnall dich fest", sagte er zu Julie. Er hatte gesagt, er müsse
etwas riskieren. Er hatte es auch so gemeint. Denn er mußte es
tun.
Hinter ihm glitzerten die Lichter eines Scheinwerfers,
fingerten über eine Kuppe, und im nächsten Moment senkten sie
sich und strichen weit über den Weg. Franco beschleunigte noch
einmal. Er atmete vorsichtig auf, als die Schotterstraße eine
Biegung machte und ihn der Gefahr, von den Scheinwerfern des
Verfolgers erfaßt zu werden, erst einmal entzog.
Wieder ließ er die Lichthupe aufblitzen, nahm das Bild der

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Umgebung in sich auf. Rechts türmten sich Schutt und Geröll zu
einem lockeren Wall unterhalb eines ziemlich steilen Hanges.
Links fiel das Gelände ab, versank in undurchdringlicher
Finsternis.
Das Licht erlosch. In Francos Hirn blieb das Bild der
Schotterstraße haften und ein Detail, das ihn den Fuß auf die
Bremse rammen ließ.
Er blendete erneut auf. Sein Blick wanderte über das stumpfe
Grau der Straße, die Böschung, das Geröll und die wenigen
Sträucher und Bäume, die das Licht nahezu verschluckten.
Am Ende einer Hangrinne hatte sich, infolge des im Frühjahr
herabschießenden Wassers, eine Hohlkehle gebildet. Auf dieser
unsicheren Terrasse reckte eine mächtige Kiefer ihren schlanken
Stamm in den Himmel. Ihre Wurzeln lagen nahezu frei.
Franco ließ den Camper abwärts rollen und hielt ein Stück
unter halb der Kiefer an. Das Licht hatte er wieder
ausgeschaltet. Irgendwo schwirrte der Hubschrauber. Franco
blickte nicht einmal auf. Er nahm das M-14 an sich, setzte ein
volles Magazin ein und nahm die übrigen vier, die letzten, die er
noch besaß, an sich. Er sprang aus dem Wagen und rannte zur
Kiefer hinauf.
Ihre Krone bildete ein gefächertes Dach über der Straße.
Franco hielt das M-14 in der Armbeuge. Er spreizte die Beine,
bevor er den Abzug drückte. Das Gewehr stand noch auf
Schnellfeuer. Die Geschosse peitschten aus dem Lauf. Das
zuckende Mündungsfeuer erhellte sekundenlang den Weg.
Erdfontänen spritzten unter der Hohlkehle auf. Wurzeln wurden
von den Geschossen zerfetzt, Erdreich rutschte nach.
Das Getöse erstarb, als das Magazin leer war. Franco ließ es
herausgleiten und setzte sofort ein neues ein. Er begann zu
schwitzen. Jeden Augenblick konnte der Killer an der Biegung
erscheinen.
Er feuerte pausenlos in das Wurzelwerk, bis die Waffe

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endgültig verstummte. An der Biegung wurde es hell der Wagen
mit dem Killer an Bord näherte sich. Francos Ohren waren taub.
Er stand geduckt da.
Da! Der Stamm begann zu knacken. Geröll brach aus dem
Hang. Franco schleuderte das nutzlose Gewehr den Hang hinab,
warf sich herum und begann um sein Leben zu rennen.
Ganze Felsbrocken lösten sich unter dem Gewicht der Kiefer.
Mit Getöse begann der Stamm sich zu bewegen. Das
Tonnengewicht sackte herab, die Wurzel krachte auf den Grund
unterhalb der weggebrochenen Hohlkehle.
Atemlos erreichte Franco den Wagen. Er warf sich hinein,
keuchend löste er die Bremse, rammte den Gang ins Getriebe.
Er raste einfach los.
Hinter ihm stürzte die Kiefer. Ihre Krone streifte am Hang
entlang und riß Steine, Sträucher und kleinere Bäume aus den
Spalten. Wie Hagelschlag prasselten sie auf das Dach des
Campers.
Dann erschütterte ein mächtiger Schlag den Wagen und die
ganze Umgebung. Zweige klatschten auf das Blech. Die Kiefer
war gestürzt. Sie bildete ein Hindernis, das nur mit Hilfe einer
Motorsäge und eines Traktors wieder entfernt werden konnte.
Franco hielt noch einmal an und beugte sich aus dem Fenster.
Durch die dichten Nadeln der Krone schimmerte das Licht
aufgeblendeter Scheinwerfer, doch ihr Schein erreichte den
Camper nicht. Franco lachte. Er konnte sich Carlos brennenden
Zorn vorstellen, aber auch seine Furcht. Der Killer konnte nichts
gegen Franco oder Julie unternehmen. Der Helicopter konnte
hier nicht landen, um den Gangster aufzunehmen. Carlo mußte
im Rückwärtsgang zurückfahren ins Tal. Dort erst konnte er
umsteigen und die Jagd erneut aufnehmen.
„Wir haben eine Chance, Mädchen", sagte er. Ruhiger als
zuvor fuhr er weiter. Endlich konnte er die Scheinwerfer
einschalten.

-124-
*

Der Himmel hellte fern am Horizont auf. Im ersten blassen


Grau des Morgens lag die Landstraße nach Conner vor den
Gejagten. Kein Fahrzeug begegnete ihnen auf dieser
abgelegenen Bergstrecke, die fast nur für die Wagen der
Feuerbrigaden, der Holzfäller und Jäger da war. Die Gäste der
Blue Sky Ranch wurden zumeist mit dem Hubschrauber in
Hamilton abgeholt.
Es lagen noch knapp zehn Meilen vor ihm. Zehn lausige
Meilen.
Franco fuhr schneller. Er dachte an den Hubschrauber. Carlo
würde niemals lockerlassen. Er würde alles versuchen, um sie zu
finden und zu töten.
Franco suchte nach den Zigaretten. Julie hatte ein Päckchen
bei sich. Sie zündete zwei Stäbchen an und gab ihm eins. Er sah
sie an und lächelte.
Sie lächelte zurück. „Gott, bin ich froh", sagte sie, „wenn wir
endlich einen Polizeiposten erreichen ..."
„Es wird keine Polizei geben, Julie", sagte Franco ernst.
„Jedenfalls nicht sofort."
„Joe!"
„Das da oben ist eine Sache fürs FBI. Wenn die State
Troopers oder der Sheriff da oben erscheinen, gibt es eine
Katastrophe. Und außerdem ... es geht um den Vertrag. Er darf
nicht zustande kommen."
„Wie willst du das verhindern? Joe, wer bist du?"
Wie oft hatte man ihm diese Frage gestellt, seit er seinen
einsamen Kampf begonnen hatte! Wie oft hatte er lügen oder
Ausflüchte benutzen müssen! Auch jetzt konnte er nicht die
Wahrheit sagen.
„Ich muß Whitman finden, Julie. Er muß in der Nähe der

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Ranch sein. Er muß erfahren, wer die Aktien kaufen will." Es
hörte sich so einfach an. Aber er hatte keinen blassen Schimmer,
wo Whitman steckte.
„Whitman ..." sagte Julie nachdenklich. „Ich weiß nicht, wo er
ist. Mr. Durrance wußte es, glaube ich." Aber Tibor Durrance
war tot.
Durrance, dachte Franco atemlos. Der Himmel flammte in
hellen Farben auf. Er schaltete die Scheinwerfer aus, als die
Straße deutlicher hervortrat.
„Ich muß zurück", sagte er dann hart. Er spürte Julies Blick
von der Seite her, doch er ließ seine Augen auf die Straße
gerichtet.
„Joe! Das kannst du doch nicht tun! Du hast die Kerle erlebt!"
Franco nickte. Er hatte sie erlebt. Er kannte sie wie kaum ein
anderer.
„Warum, um Gottes willen?"
„Vielleicht weiß Allan, wo Whitman steckt. Oder Allan muß
auf andere Weise versuchen, den Abschluß zu verhindern."
„Joe, du kannst Allan doch nicht mit hineinziehen!"
Und ob ich das kann, dachte Franco grimmig. Allan hatte
verdammt viel gutzumachen. „Ich habe keine andere Wahl,
Julie", sagte er laut.
„Du bist nicht der, für den du dich ausgibst ..." Ihre Stimme
klang etwas ruhiger. „Ich hätte es wissen müssen, seit ich dich
dabei überrascht habe, wie du an Allans Fenster gelauscht hast.
Und dann die Sache heute - gestern, meine ich. Du warst so ...
so ... hart, so unerbittlich. Bist du ... Polizist?"
Franco schüttelte den Kopf. „Frag nicht. Sprich nicht über
mich. Niemals."
Julie verstand den tödlichen Ernst in seiner Stimme, und sie
ahnte, daß der Mann an ihrer Seite mit dem Tod lebte. Sie
fröstelte. Der Tod war Francos Schatten und sein ständiger

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Begleiter. Sie hatte es erlebt.
Er deutete nach vorn. „Schau, dort liegt Gönner", sagte er, um
sie abzulenken.
Flache Häuser an einer langgezogenen Straße. Ein paar
Motels, ein Sägewerk, die Tankstelle vornan. Das Transparent
leuchtete rot gegen den erwachenden Tag an.
Bis zur Tankstelle und dem Telefon betrug die Entfernung
noch mehr als eine halbe Meile, als der Motor zu stottern
begann, schließlich spuckte und stehenblieb. Der Benzintank
war leer.

Franco schaltete erbittert fluchend in den Leerlauf. Noch


rollte der Wagen auf der leicht abschüssigen Straße, aber weiter
vorn wurde sie eben und schien sogar leicht anzusteigen. Er
fragte sich, wieso die Gangster, die den Camper benutzt hatten,
so töricht gewesen waren, ohne ausreichende Treibstoffmengen
in die Berge zu fahren.
Julie löste den Sicherheitsgurt. „Wenn es sein muß", schiebe
ich", erklärte sie.
„Kommt nicht in Frage! Komm her, rutsch rüber. Bevor die
Mühle endgültig stehenbleibt, springe ich ab und schiebe."
Das Fahrzeug wurde auf der schlecht erhaltenen Straße
schnell langsamer. Julie berührte Franco, und er überließ ihr das
Lenkrad. Ihr Haar strich über seine Wange.
„So geht es", sagte sie. Sie blies eine Haarsträhne aus ihrem
Gesicht, sah ihn kurz aus blitzenden Augen an. Das Gefühl, es
geschafft zu haben, übte eine belebende, nach den Strapazen der
Nacht beinahe berauschende Wirkung auf sie aus.
An der Tankstelle war kein Mensch zu sehen. Wahrscheinlich
waren die Pumpen noch nicht in Betrieb. Es war erst Viertel

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nach fünf.
Aber das Telefon würde sie mit der Außenwelt verbinden.
Franco würde das FBI Field Office in Helena anrufen. Sie hatten
bestimmt einen Agenten in Hamilton. Der Mann würde
herüberkommen und Julie in seine Obhut nehmen. Und während
die Boys vom FBI noch über der Frage brüteten, wie sie die
Ranch stürmen konnten, würde er, Franco, seinen Job erledigen.
Er stieß die Tü r auf und sprang hinaus. An der Seite fand er
keinen Angriffspunkt für seine Schulter, deshalb stemmte er sich
hinten gegen die Kante. Der Wagen bewegte sich, aber die
letzten Yards wurden zur Qual.
„Fahr neben das Telefon!" rief Franco.
Julia schlug die Vorderräder ein. Franco spannte noch einmal
seine Muskeln. Er hielt den Kopf gesenkt, keuchte. Unter dem
Wagen glitt der rauhe fleckige Beton der Tankstellenzufahrt her.
Er fuhr zusammen, als er Julies Schrei hörte. Sie trat auf die
Bremse, und Francos Fuß glitt auf einem Ölfleck aus, als sich
der Wagen plötzlich nicht mehr bewegte. Er rappelte sich auf
und wollte nach vorn, zu Julie, starten, als ihn eine schnelle
Bewegung und eine scharfe Stimme stoppten.
„Das war's, du Großmaul!"
Langsam drehte Franco sich um. Ein Mann kam hinter der
Telefonzelle hervor. Er hatte große Ohren und kleine Augen,
und in der schlanken Faust lag eine ölig glänzende Neun-
Millimeter-Pistole.
Franco erkannte den tödlichen Fehler, den er gemacht hatte
und der ihn jetzt in die Arme der Mafia getrieben hatte. Sie
hatten das Telefon. Sie brauchten von der Ranch aus nur dort
anzurufen, wo sich die Nachhut versteckte. Vielleicht in einem
Motel in Gönner. Carlo oder Don Luigi hatten sich genau
ausrechnen können, wo die Flüchtlinge aufkreuzen würden.
Genau dort hatten sie ihre Hitmen aufgestellt.

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Jetzt war die Falle zugeschnappt.
Ein zweiter Strolch zerrte Julie aus dem Wagen. „Ich habe die
Kratzbürste, Jimmy!" kreischte er und lachte. Wie zufällig
berührte er Julies Brüste und drückte sie fest. Er lachte noch
lauter.
Franco sprang auf ihn zu. Der Kerl mit dem dreckigen Lachen
ließ Julie los. Seine Hand zuckte unter das Jackett. Er war viel
zu langsam. Francos Faust explodierte auf seiner Nase.
Der Kerl brach zusammen.
Dann kam, was kommen mußte. Der andere, Jimmy, hieb ihm
von hinten die Pistole in den Rücken. Franco bekam keine Luft
mehr. Der Schmerz wühlte mit glühenden Messern in seinem
Inneren. Er fiel auf die Knie, stützte sich dort ab, ließ den Kopf
kraftlos herabhängen.
Er hörte, wie Jimmy die Telefonzelle betrat, eine Münze in
den Schlitz steckte und eine achtstellige Nummer wählte.
„Hier ist Jimmy", sagte er mit einer Stimme, die vor
Zufriedenheit und Stolz überquoll. „Sagen Sie Carlo, er kann die
beiden abholen." Er lachte glücklich.

Der Kerl mit dem dreckigen Lachen hieß Ortiz. Er rappelte


sich auf. Seine Nase war zu einem unförmigen Klumpen
angeschwollen, die Oberlippe aufgeplatzt. Lachen konnte er
während der nächsten Zeit bestimmt nicht mehr.
Julie lehnte am Kotflügel. Sie hatte Franco helfen wollen,
aber Jimmy hatte ihr mit der Pistole bedeutet, sich nicht von der
Stelle zu rühren.
Jetzt befahl er seinem Komplicen, das Mädchen zu einem
Wagen zu bringen, der hinter der Tankstelle stand.

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„Damit ihr beiden euch nicht immerzu anhimmeln müßt, bis
wir abgeholt werden", erklärte er.
„Wenn er sie noch einmal mit seinen schmutzigen Pfoten
betatscht, bringe ich ihn um!" drohte Franco dumpf. Er stand
schwankend auf seinen Füßen.
Jimmy stieß ihm die Pistole vor die Brust und drückte ihn
gegen die Flanke des Wagens. Mit einem Ruck riß er Francos
Jacke herab. Blitzschnell tastete er den Mafiajäger nach Waffen
ab. Er fand nur ein paar Schrotpatronen, die er durch die
geöffnete Tür ins Innere des Campers warf.
Franco verdrehte den Kopf. Mit den Augen suchte er die
Ablage unter dem Armaturenbrett ab, wo die Luger liegen
mußte. Aber sie war nicht da. Julie mußte es irgendwie
fertiggebracht haben, die Waffe unter ihrem Rock oder dem
hellen Pullover zu verbergen. Schweiß rann in Strömen an
Francos Körper herab. Julie, mach keinen Unsinn, dachte er
beschwörend.
„Laßt das Mädchen laufen!" sagte Franco. „Laßt sie laufen!
Sie wird den Mund halten, dafür verbürge ich mich!"
„Halt die Schnauze! Los, steig in den Camper, aber so, damit
ich dich immer schön im Auge behalten kann. Und denk dran -
wenn du Mist baust, geht's der Kleinen dreckig."
Jimmy durchstöberte den Wagen nach Waffen. Außer der
Schrotflinte war keine da. Francos Blick fiel in den
Außenspiegel.
Sein Mund wurde trocken, und in seinem Innern zog sich
etwas zusammen, als er den Streifenwagen sah, der langsam die
Landstraße vom Dorf heraufkam. Francos Gedanken begannen
zu rasen. Was hätte er von den Cops zu erwarten? Wenn sie sich
einmischten, gab es hier ein Blutbad. Franco regte sich nicht.
Hoffentlich fuhren sie vorbei.
Der Wagen verlangsamte seine Fahrt, blieb drüben auf der
anderen Straßenseite stehen. Dann, nach endlosen Sekunden,

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zuckte der Blinker, und der Wagen zog quer über die Straße auf
die Einfahrt der Tankstelle zu.
„Da kommt ein Streifenwagen", sagte Franco leise zu dem
Gangster, der sich gerade eine Zigarette anzünden wollte.
Jimmys Kopf ruckte so schnell herum, daß ihm die Zigarette
aus dem Mund fiel. „Verflucht!" Er zog den Spannabzug der
Pistole zurück.
„Verlier jetzt nicht die Nerven", mahnte Franco. „Laß mich
mit ihnen reden ..."
Jimmy sah ihn hämisch an. Er hob die Pistole.
„Tu's nicht! Als nächstes kreuzen die Staatsbullen auf. Das
würde Carlo nicht gefallen. Ihr habt doch das Girl! Steck die
Kanone ein und stell dich vor die Telefonkabine. Los, mach
schon und bete, daß die Niete da hinten unsichtbar bleibt!"
Jimmy schob die Pistole unter das Jackett. Dann glitt er aus
dem Wagen. Franco stieg auf der anderen Seite aus. Er landete
genau vor der Stoßstange des Streifenwagens. Die Türen flogen
auf. Zwei Beamte mit Sheriffsternen auf den kurzen
Lederjacken stiegen aus. Beide fingerten an den Laschen ihrer
Revolverhalfter herum.
Der Streifenführer war ein verwitterter Typ mit
dunkelbraunem Gesicht und breiten Wangenknochen. Wachsam
tasteten seine Augen Franco ab.
„Drehen Sie sich um, Mister", sagte er, „und legen Sie die
Hände an den Wagen. Beine gespreizt ..."
Franco kam der Aufforderung widerspruchslos nach. Der
jüngere der beiden näherte sich ihm von der Seite.
„Was hat das zu bedeuten. Officer?" fragte Franco.
Während der Jüngere ihn nach Waffen abtastete, fragte der
Verwitterte: „Ist das Ihr Wagen, Mister?"
Die Frage veranlaßte Franco zu größter Vorsicht. „Nein,
Officer. Ich wollte gerade das Sheriff Office anrufen."

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„Nanu? Warum denn?" Der Deputy schlich sich seitlich um
den Wagen herum. Da entdeckte er Jimmy, und seine Hand
klatschte auf den Kolben der Waffe.
„Wer sind Sie? Kommen Sie hierher!" befahl er barsch.
„Er gehört zu mir, Officer. Ich habe ihn zufällig hier
getroffen. Er ha tte telefoniert, und wir haben uns einen
Augenblick unterhalten."
„Das stimmt", bestätigte Jimmy. „Ich habe auf der Blue Sky
angerufen."
„Wo steht Ihr Wagen?" fragte der Deputy unbeeindruckt.
„Dort, hinter der Garage. Ich warte darauf, daß die Werkstatt
anrollt." Er lächelte verbindlich. „Ich und noch zwei Leute
wollen auf die Blue Sky Ranch. Wir werden gleich mit dem
Hubschrauber abgeholt. Da dachte ich mir, während wir oben
Ferien machen, kann ich den Wagen hierlassen, damit eine
Inspektion gemacht wird."
Der Deputy verlor das Interesse an Jimmy. Sein Blick
wanderte über den Camper. Die Kiste sah tatsächlich ziemlich
mitgenommen aus. Die Krone der stürzenden Kiefer hatte das
Dach über der Hecktür fausttief eingedrückt.
Franco durfte sich endlich umdrehen. Der Deputy fixierte ihn
scharf. „Der Camper ist als gestohlen gemeldet, Mister. Was
haben Sie für 'ne Geschichte auf Lager?"
Gestohlen! Deshalb war der Tank leer gewesen! Jemand hat
den Wagen gemietet, den Tank fast leergefahren und das
Fahrzeug dann irgendwo stehengelassen. Franco hätte beinahe
gelacht. Dieser Camper war nicht von einem Hitmen der Mafia
gemietet worden.
„Ich war ein paar Tage in der Range, unterhalb des Trapper
Peak. Als ich vorige Woche rauf stieg, stand der Wagen schon
in einer Rinne. Als ich gestern abend zurückkam, stand der
Wagen immer noch da. Jetzt allerdings aufgebrochen. Da habe

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ich ihn runtergebracht. Ich wollte die Sache gerade melden.
Vielleicht ist ja was passiert." Die Geschichte kam glatt über
Francos Zunge. Sie hörte sich gut an, dachte er.
„Können Sie sich ausweisen?"
Franco zog die Brieftasche. Er gab sie dem jüngeren Beamten,
der sie dem Deputy brachte. In der Brieftasche steckten ein paar
hundert Dollar, ein Führerschein und mehrere Kreditkarten auf
den Namen Joe Rosso.
Die Haltung des Deputy entspannte sich. Er gab Franco die
Dokumente zurück und ließ seine Augen etwas ratlos zwischen
dem Camper, Franco und Jimmy hin und her wandern. Jimmy
machte ein ausdrucksloses Gesicht.
„Kommen Sie mit ins Office", sagte der Gesetzeshüter
schließlich zu Franco. „Wir nehmen die Meldung auf, und Sie
können weiterwandern."
Franco runzelte die Stirn. Jeden Augenblick konnte der
Hubschrauber hinter dem vorgelagerten Bergrücken erscheinen.
Wenn er die Kerle mit Julie allein ließ, großer Gott ...
„Meine Sachen sind noch oben. Ich bin Bergsteiger, wissen
Sie?"
Jimmy meldete sich eifrig. „Wenn Sie wollen, können Sie mit
uns im Helicopter mitfliegen und Ihre Ausrüstung holen", bot er
an. Jimmy war ein Bursche, der schnell schaltete. „Das
Protokoll können Sie dann immer noch unterschreiben."
Von Norden her näherte sich der Hubschrauber. Klein wie
eine Hummel hing er vor dem blaßroten Himmel.
Der Deputy schüttelte energisch den Kopf. „Ich muß der
Sache nachgehen. Vielleicht werden Personen vermißt. Sie
müssen mir auf der Karte zeigen, wo Sie den Wagen
aufgefunden haben."
Der Helicopter kam jetzt schnell näher. Schon war deutlich
das Knattern des Triebwerks zu hören. Franco sah, wie sich

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Jimmys Gesicht verhärtete. Die Aufmerksamkeit der
Gesetzeshüter hatte merklich nachgelassen.
„Vielleicht kann die Maschine hier auf mich warten?" fragte
Franco schnell. „Es dauert bestimmt nicht lange."
Jimmy krauste die Nase. Der Deputy mahlte mit dem
Unterkiefer.
„Meinetwegen", brummte er dann. „Fahren Sie die Mühle
hinter uns her. Wir bringen Sie dann im Streifenwagen zurück."
„Der Sprit ist alle", sagte Franco. „Es passierte da vorn. Ich
habe die Kiste das letzte Stück geschoben."
„Mann, oh, Mann! Auch das noch! Los, steigen Sie bei uns
ein!"
Der Hubschrauber von der Blue Sky stieß herab. Der Luftzug
der Rotorblätter peitschte feinen Staub in die Gesichter der
Männer. Hinter der gläsernen Kanzel erkannte Franco Sid
Vernon auf dem Pilotensitz. Hinter ihm saß ein zweiter Mann,
undeutlich und nur in den Umrissen zu erkennen. Die Maschine
hing in der Luft, bis Jimmy winkte und auf die freie Fläche
neben dem Werkstattschuppen deutete.
Franco stieg in den Streifenwagen. Jimmy starrte stumm
hinter ihm her. Seine Augen sprachen eine tödliche Warnung
aus, die Franco mühelos verstand.
Wir warten hier auf dich ... Keine Tricks, oder es geht dem
Girl an den Kragen ...

Franco kehrte schon zwanzig Minuten später zurück. Er


kletterte aus dem Streifenwagen und lief zum Helicopter
hinüber. Jemand schob die Tür zur Seite. Während der
Streifenwagen bereits wendete und mit jaulenden Reifen
davonjagte, kletterte er in die Kabine.

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Der Helicopter war überladen. Er war für vier Passagiere
zugelassen, jetzt drängten sich fünf Personen in der engen
Kabine.
Jimmy grinste dünn, fragend. Ortiz preßte ein Taschentuch
auf seine gebrochene Nase. Der Gangster, der den Piloten in
Schach hielt, war ein mickriger Kerl mit stechenden Augen.
Julie sah elend aus. Franco drängte sich einfach zwischen sie
und Ortiz. Sid Vernon warf Franco einen Blick über die Schulter
zu, der Verständnislosigkeit ausdrückte. Er begriff nicht, wie
jemand so dumm sein konnte, freiwillig auf die besetzte Ranch
zurückzukehren - ohne von Fallschirmtruppen oder der
Nationalgarde begleitet zu werden.
Jimmy zog die Tür zu. „Es kann losgehen." Er grinste. „Bist
ein braver Idiot, Rosso. Ja, wenn die Liebe nicht wäre ..."
Franco grinste. Jimmys Züge vereisten, und ein mißtrauisches
Glitzern erschien in den kleinen Augen.
„Du hast was mit den Bullen ausgeheckt!"
„Mann, bist du dämlich", sagte Franco gelangweilt. „Wer
kann mit so Provinzbullen schon was anfangen!"
Der Helicopter hob ab und schwebte schnell über die Straße
in Richtung Norden.
Vom Office des Sheriffs aus hatte Franco sofort mit dem FBI
in Helena telefoniert. Der Deputy - er hieß Brian McKelway -
hatte große Augen bekommen und hatte sofort den Chef aus
dem Bett holen wollen, was Franco nur mit Mühe verhindern
konnte. Dem FBI gegenüber hatte Franco nur den Namen
Whitman und die Codenummer einer Dienststelle im
Department of Justice in Washington zu erwähnen brauchen, um
sofort auf volle Kooperationsbereitschaft zu stoßen. Franco hatte
den Boy vom FBI gebeten, Männer und Material in einer
unauffälligen Aktion nach Conner zu verlegen und auf den
Einsatzbefehl zu warten, der aus Washington kommen würde.
Nur Colonel Warner war dafür zuständig, den Befehl zur

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Einteilung der Befreiungsaktion zu geben, niemand sonst.
Danach hatte Franco den Deputy aufgefordert, ihn sofort
zurückzufahren. Der gestohlene oder überflüssige Camper hatte
plötzlich Zeit.
Franco suchte Julies Blick. Sie bewegte sich, und er konnte
etwas Hartes mit seiner Hüfte fühlen.
Die Luger! Sie steckte unter Julies Pullover.
„Weißt du, wie Whitman aussieht?" fragte Franco das
Mädchen.
Jimmy und der Mickrige sahen uninteressiert an Franco
vorbei. Der Name des Konzernerben sagte ihnen nichts. Franco
vermutete, daß nicht einmal ein Mann wie Carlo Porcelli über
den Grund der Aktion hier oben unterrichtet war.
„Nein", sagte sie. „Nein ..."
Auch Sid reagierte nicht. Aber es war anzunehmen, daß man
Whitman unter einem anderen Namen auf die Ranch gebracht
hatte. Franco hatte Bilder von Lawrence Whitman gesehen, und
er verfügte auch über eine Beschreibung.
„Bestimmt hast du ihn gesehen, Julie, oder du, Sid ..."
Jetzt, wo Franco den Piloten direkt ansprach, wurde Jimmy
mißtrauisch.
„Ihr könnt nachher plaudern, wenn ihr noch Zeit dafür habt",
sagte er.
„Hast du Angst, Jimmy? Whitman ist nichts weiter als ein
besonders lieber Gast, weißt du? Er ist schon über fünfzig, hat
welliges braunes Haar, das ihm bis in den Nacken fällt, und eine
breite Nase. Er würde dir gefallen, Jimmy. Er ist ein
Lebenskünstler. Sein Bruder ist vor kurzem gestorben ..."
„Trägt er Trauer?" fragte Sid laut.
„Natürlich", sagte Franco schnell. Sid hatte ihn also gesehe n,
ihn geflogen! Whitman war auf der Ranch! „Ist er auf der Blue
Sky?"
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„Schnauze!" schrie Jimmy. Er hieb Franco den Kolben der
Pistole aufs Knie. Franco krümmte sich zusammen. Dadurch
verdeckte er seinen rechten Arm. Er führte die Hand an Julies
Taille. Wenn er etwas unternehmen wollte, mußte er es jetzt tun.
Hier oben in der Luft. Er allein gegen drei Gangster. Sie waren
bald da. Franco sah, wie sich das Tal des Great Rock Creek
unter ihnen öffnete.
Er bekam die schwere Waffe mit den Fingerspitzen zu fassen.
Langsam zog er sie unter Julies Pullover hervor.
Nur Jimmy und der Mickrige hielten ihre Kanonen in den
Händen, aber sie waren jetzt alle einen Moment abgelenkt. Sie
sahen durch die bauchige Kanzel nach unten.
Es war schon ein schönes Bild, das sich ihr en Augen bot. Die
verstreuten Blockhäuser in dem breiten Tal, der glitzernde Fluß
in der Mitte und die Pferde, die sich unbehelligt von Gewalt und
Tod auf der Weide tummelten.
„Guck mal", sagte Franco zu Jimmy, der ihm gegenüber auf
der schmalen Bank hockte. Jimmy drehte sich um. Er riß den
Mund auf, als er die Luger in Francos Faust erblickte.
Franco rammte ihm den kantigen Lauf in die Seite, und er zog
den Spannabzug zurück. „Jetzt macht was", sagte er gefährlich
leise, womit er die anderen Halunken meinte. „Wenn ihr am
Leben bleiben wollt, dann legt eure Eisenwaren schön vorsichtig
auf den Boden." Jimmy nahm er die Kanone persönlich ab.
Dieser Bursche würde sich nicht einmal bewegen, wenn der
Hubschrauber einen Überschlag machte.

Sid hielt die Maschine vierzig Meter über dem Landeplatz.


Aber als unten ein paar Figuren mit Gewehren auftauchten, zog
er die Hummel rasch einige hundert Fuß höher.

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„Wo ist Whitman?" fragte Franco.
„Oben im Bergcamp", antwortete Sid bereitwillig. „Ich habe
ihn gestern in Hamilton abgeholt und sofort hinaufgebracht.
Einer von denen hat es so befohlen."
Ein unhörbares Lachen schüttelte Franco. Dort oben hatten
die Gangster den Mann so sicher wie in Abrahams Schoß oder
auf einer einsamen Insel.
„Wer ist bei ihm?"
„Mr. Stark und noch ein Gast mit einem Burschen, der
verdammt wie ein Leibwächter aussieht."
Franco ließ sich den einen Gast beschreiben, dessen Namen
Sid nicht kannte.
„Marco Benedict", sagte Franco andächtig. Alias Don Luigi
d'Ambrosio! Das war zu schön um wahr zu sein. „Flieg mich
hinauf, Sid, bitte, laß uns schweben ..."

Das Plateau mit dem Bergcamp lag noch im Schatten, als der
Helicopter aus dem blutroten Morgenhimmel stieß. Franco
blickte aufmerksam auf die Lichtung hinab. Dort stand noch der
Wagen, mit dem Keller alias Random heraufgekommen war.
Vor der Haupthütte erschienen fünf Gestalten.
Franco unterschied Tom Harrigan, Allan Stark, Don Luigi
und einen ungeschlachten Mann mit breiten Schultern, der
deutlich sichtbar eine schwarze Armbinde trug. Und dann war
da noch ein Hüne. Ein Bodyguard im Maßanzug.
„Soll ich runtergehen?" fragte Sid.
„Immerzu. Sie werden hören wollen, was wir vorzuschlagen
haben, nicht wahr, Jimmy?"
Jimmy schielte auf Francos Hand und den Revolver. Er wagte

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nicht einmal zu nicken.
Die Maschine fiel, und die Männer unten waren deutlicher zu
erkennen. Sie waren alle vollständig angezogen. Sie alle starrten
dem landenden Hubschrauber entgegen.
Besorgnis, aber nicht Furcht kennzeichnete den
Gesichtsausdruck des Don. Das würde sich bald ändern, dachte
Franco grimmig. Über Funk hatte er zweifellos erfahren, daß mit
dem Helicopter und seinen Insassen etwas nicht stimmte.
Sid setzte die Maschine butterweich hinter dem Pickup auf,
wo sie ein wenig gedeckt stand. Franco gab Julie Jimmys
Pistole.
„He, du!" sagte Franco zu dem Mickrigen. „Mach mal das
Türchen auf!"
Die Tür glitt zur Seite. Frische kühle Luft strömte herein.
Da standen sie. Der Gorilla hielt einen schweren länglichen
Colt in der herabhängenden Hand. Hinter ihm lehnte noch eine
Schrotflinte an der Hüttenwand. Sie stammte aus dem Arsenal
der Hütte.
Noch wußte niemand, wie er sich verhalten sollte.
Nur Franco verfolgte einen Plan, der immer schärfere
Konturen annahm.
Die Rotorblätter kamen zur Ruhe, ihr schrilles Pfeifen
verstummte.
„Hallo, Mr. Be nedict!" rief Franco. „Können Sie mich
hören?"
„Ja, Rosso. Was wollen Sie?"
„Verhandeln, Mr. Benedict."
„Sie haben die Flaschen doch ausgetrickst. Was gibt's denn da
noch zu verhandeln? Sie können die Stümper an die Krähen
verfüttern und fliegen, wohin Sie wollen."
„Und mein Leben lang habe ich Carlo oder einen anderen

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Killer im Nacken. Nein, Mr. Benedict. Ich möchte leben, und
nicht rennen und immer nur rennen müssen."
Don Luigis Gorilla grinste verächtlich. Er war offenbar bereit,
auf einen Befehl seines Boß' hin Franco in Stücke zu schießen,
und die Kerle, die sich hatten übertölpeln lassen, ebenfalls.
„Ich verstehe Sie immer noch nicht, Rosso." Die Stimme des
Don klang eisig. Dieser Mann konnte sich nicht vorstellen, daß
er von einem schlaksigen Bergsteiger hereingelegt werden
könnte.
„Ich will mit Ihnen über Garantien reden!"
„Reden Sie."
„Zuerst soll der da den Revolver ablegen." Franco deutete auf
den Babysitter.
„Nein." Die Ablehnung wurde geradezu genüßlich
ausgesprochen.
Franco mußte eine erste Kraftprobe bestehen. Er zog die
Luger von Jimmys Seite. Jimmy ließ sich zitternd zurückfallen.
Franco zielte auf die Motorhaube des Pickup und riß den Abzug
durch. Es krachte fürchterlich, und im Blech erschien ein langes
Loch. Franco visierte einen der Reifen an.
„Vielleicht hat die Kugel kein wichtiges Aggregat zerstört.
Deshalb setze ich die Kiste noch auf die Felgen." Zwei Schüsse
krachten. Die Reifen auf der rechten Seite des Pickup platzten.
Die Hand des Gorillas kam in die Höhe, das Gesicht
versteinerte. D'Ambrosio drückte die Hand seines Leibwächters
herab. „Und was soll diese lächerliche Demonstration
beweisen?" fragte er schneidend.
„Mit dem Pickup kommen Sie jetzt nicht mehr weg, Mr.
Benedict." Franco visierte den Gorilla an. „Sie sind jetzt auf
einen Helicopter angewiesen. Auf diesen hier oder auf einen von
der Polizei. Sie können es sich aussuchen. Wenn der Lümmel
nicht sofort seinen Ballermann weglegt, fliegen wir wieder ab."

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Jimmy bewegte sich. Julie paßte jedoch auf. Sie zielte auf
seinen Bauch. Ihr grimmig entschlossenes Gesicht ließ den
Gangster die Luft ausstoßen.
Der Capo schnippte mit den Fingern, und der Große ließ die
Kanone fallen.
„Tom!" schrie Franco. „Sammle die Kanonen ein und schließ
sie in den Schuppen!"
Tom grinste breit. „Yippeeh!"
In d’Ambrosios grauen Augen erschien ein leichtes Glitzern,
das jedoch gleich wieder verschwand. Ein nachdenklicher
Ausdruck blieb zurück. Noch ahnte er die Wahrheit nicht, wußte
nicht, daß er verloren war, daß es für ihn nur noch zwei
Alternativen gab - den Tod oder die Zelle.
„Sid", sagte Franco zu dem Piloten. „Würdest du noch mal
einen Flug machen? Freiwillig, versteht sich. Ich will etwas
versuchen, Sid, aber ich kann für nichts garantieren."
Sid schnalzte mit der Zunge. „Du ziehst hier 'ne große
Nummer ab, Joe. Hoffentlich weißt du, was du tust. Ich bin
jedenfalls dabei."
Franco atmete auf. „Julie, steig aus. Sid, du fliegst diese
Herren hier zur Ranch und wartest auf neue Passagiere. Die
bringst du dann hier herauf."
„Das ist alles?" fragte der Pilot trocken.
„Das ist genug", bestätigte Franco heiter. Er nahm die Waffen
der Gangster an sich und sprang auf den Platz. Julie war schon
draußen.
„Guten Flug", sagte er, als er die Kabinentür zuzog. Jimmy
verzog wütend das Gesicht. Im nächsten Moment hob die
Maschine ab.

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Tom Harrigan hatte die Flinte und den Revolver bereits aus
der Reichweite des Leibwächters geschafft. Der große Kerl
stand wie ein Kleiderschrank neben seinem Boß. Franco wußte,
daß der bloße Anblick einer Waffe ihn nicht einzuschüchtern
vermochte. Don Luigis Gorilla war einer von der alten Sorte. Er
würde sich eher selbst erschießen lassen als in Kauf zu nehmen,
daß seinem Schützling auch nur ein Haar gekrümmt wurde.
Julie hielt sich abseits, während Franco auf die Gruppe vor
der Hütte zuging.
„Allan, gehen Sie ins Haus", sagte er. Allan Stark sah elend
aus. Wortlos drehte er sich um und verschwand.
Franco richtete den Blick auf Whitman. Whitman wirkte
ratlos und betroffen. Er hatte immer noch nicht begriffen, um
was es ging.
„Gehen Sie auch rein", sagte Franco, ohne den Mann mit
Namen anzureden. Er durfte noch nicht erkennen lassen, daß er
nicht ein Bursche namens Joe Rosso war, der um sein Leben
und das seines Girls kämpfte.
Lawrence Whitman sah d'Ambrosio an.
„Gehen Sie schon", sagte der Mafia-Boß, ohne die dünnen
Lippen zu bewegen. Tom blieb am Schuppen. Franco war mit
den beiden Mafiosi allein.„So, Rosso, jetzt sind wir unter uns.
Wie soll die Komödie jetzt weitergehen?" Ein kaltes Lächeln
umspielte seine Lippen.
Franco ging näher heran. Er spürte Julies Blicke in seinem
Rücken. Er mußte etwas tun, was sie erschrecken würde. Einen
Schritt vor dem Gorilla blieb er stehen. „Dreh dich um", sagte er
flach.
Der Bursche spuckte vor Francos Füße.
Franco fintete mit der linken Hand. Der Gorilla riß die
Deckung hoch, um sein Hammerkinn zu schützen. Dadurch
entblößte er seinen Körper.

-142-
Franco nutzte die Chance ohne zu zögern. Von unten herauf
schlug er mit der Pistole zu. Die Hände des Leibwächters fielen
herab, der Mund klappte auf, alles Blut wich aus seinem
Gesicht. Mit einem gestochenen linken Haken schickte Franco
den Hünen zu Boden.
Tom Harrigan rannte mit einem Strick in der Hand herbei.
„Soll ich ihn etwas einpacken?" rief er.
„Verschnür ihn zu 'ner Mumie", riet Franco, „und schaff ihn
hinters Haus. Dann kannst du uns Kaffee kochen. - Kommen
Sie, Mr. Benedict, wir gehen hinein, plaudern ein wenig mit
ihren Freunden auf der Ranch. Bitte, gehen Sie vor."
Als der Gangsterboß an ihm vorbeiging, tastete Franco ihn
schnell nach Waffen ab. Wie erwartet, trug d'Ambrosio keine.
Im Haus standen sie einander dann gegenüber. Die anderen -
Stark und Whitman - hatten sich in die Gästezimmer
zurückgezogen. Franco sah den New Yorker an. Aufrecht stand
der Mann in der Mitte des Raumes, eine elegante Erscheinung,
in der niemand einen der abgebrühtesten Verbrecher der Staaten
vermutet hätte. An seinen gepflegten Fingern klebte das Blut
junger Menschen, die sich an seinem Heroin zu Tode gespritzt
hatten.
Franco holte das Funkgerät, wog es in der Hand. „Sie werden
mit Ihren Leuten unten reden", sagte Franco sachlich. „Ich
möchte ganz gern noch ein paar Figuren hier oben sehen. Carlo
und Leoni, beispielsweise."
„Was sollen die denn hier?" fragte der Gangster
verständnislos.
Jetzt kam Francos großer Bluff, und es kam darauf an, daß
d'Ambrosio die Kröte schluckte.
„Carlo hat Durrance umgelegt. Wenn ich Carlo töte, braucht
er die Augenzeugin nicht mehr zu fürchten." Franco lächelte
zynisch. d'Ambrosio hielt den Atem an. Seine Geiernase stand
wie ein Felsbrocken in dem unbewegten Gesicht. Für einen

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Moment glichen die Augen trüben Pfützen, sie zogen sich wie
Schnecken in die Höhlen zurück.
Dann kamen sie wieder hervor. Die schlichte Logik in
Francos Plan schien ihn zu beeindrucken. Was lag ihm an einem
Burschen wie Carlo Porcelli, der nicht einmal zu seiner
„Familie" gehörte, wenn es um das größte Geschäft ging, das die
Mafia je getätigt hatte? Mit diesem Erfolg im Rücken war sein
Vorsitz in der Commissione, im Großen Rat, gesichert. Er
nickte.
Franco schaltete das Gerät ein. Er drückte die Ruftaste. Es
dauerte einige Augenblicke, bis sich jemand meldete.
Es war Rathbone. Seine Stimme klang müde. „Ja? Bist du's,
Tom?"
„Ich bin's, Chef. Joe."
„Joe?"
„Ist Ihr Busenfreund Leoni in der Nähe? Der Boß will ihn
sprechen."
„Ich hole ihn. Warten Sie, Joe."
Nick Leoni konnte nicht weit weg gewesen sein. Er meldete
sich nach wenigen Sekunden. „Rosso? Joe? Sind Sie wirklich
oben? Was ist mit ..."„Sie sind alle wohlauf, Mr. Leoni. Mr.
Benedict wird gleich das Wort an Sie richten."
„Joe, warten Sie!" Leoni lag etwas auf dem Magen. „Sagen
Sie mir eins - haben Sie die Polizei informiert?"
Franco lachte lautlos in sich hinein. „Nein", antwortete er. Er
gab das Gerät an d'Ambrosio weiter und ließ den Don mit Leoni
palavern. Tom betrat die Hütte, und nachdem er Franco
zugezwinkert hatte, machte er sich in der Küche zu schaffen.
„Und ich soll mit heraufkommen?" fragte Leoni gerade. Er
schien sich unbehaglich zu fühlen. „Warum?" d'Ambrosio hatte
seine Augen auf Franco gerichtet. Sie schimmerten wie blankes
Gletschereis. „Kommen Sie rauf. Sie und Carlo. Sonst

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niemand."
„Ja, Mr. d'Am ... Benedict, sowie der Hubschrauber eintrifft."
Franco nahm dem Capo das Gerät aus der Hand. Er blies ins
Mikrofon. An Leonis Ohr mußte es ganz schön krachen. „Ich
bin's nochmal, Joe. Mr. Benedict meint gerade, es soll doch
noch jemand mit heraufkommen." Franco hob die rechte Hand.
Er preßte die Mündung der Luger tief an d'Ambrosios Hals.
„So? Wer denn?"
„Mr. Totten." Woodrow Totten war der Mann, der die Mafia-
Holding leitete. Von Colonel Warner hatte Franco erfahren, daß
Totten auf der Ranch war. „Sie, Carlo und Mr. Totten." Franco
schaltete das Gerät ab. d'Ambrosio stieß einen pfeifenden Ton
aus. Mit jähem Erschrecken begriff er, wem er da in die Falle
gegangen war.
Franco Solo ...

Julie musterte Franco immer wieder über den Rand der Tasse
hinweg. Sie tranken starken schwarzen Kaffee.
Luigi d'Ambrosio hockte blaß auf einem Stuhl. Seine Augen
hatten jeden Glanz verloren. Wie zerkratztes Glas lagen sie in
den Höhlen. All seine Macht endete auf einem gottverlassenen
Hochplateau der Bitterroot Range, weit entfernt von der
Sicherheit der Straßenschluchten New Yorks. Dort wo er
Horden von Schlägern und Killern befehligte, einflußreiche
Leute in der Tasche hatte und ganze Hundertschaften der besten
Anwälte für sich arbeiten lassen konnte.
„Sie können mir nichts anhaben", behauptete er. Er schüttelte
den Kopf. „Nein, ich war hier doch nur als Gast ..."
„Leoni wird auspacken, um seine Haut zu retten", sagte
Franco. „Er hat einen Mord begangen. Auf Ihren Befehl hin,

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d'Ambrosio! Und vergessen Sie Rathbone nicht. Er hat neben
Ihnen gestanden, als Sie die Befehle gaben, hundert Leute als
Geiseln zu benutzen. Und zwei andere - Miß Conrad und mich
wie die Hasen zu jagen. Das reicht für die ersten fünfzehn Jahre,
Don Luigi!"
„Warum?" fragte der Capo. Er fragte nur nach dem Grund,
weil er wußte, daß er einen Mann wie Franco Solo nicht kaufen
konnte. Nicht mit allem Geld der Mafia.
„Ich habe es schon zu oft erklärt, d'Ambrosio. Ihr seid eine
Brut, die das Land auslaugt und die Menschen verdirbt. Ihr raubt
und tötet und mordet nach euren eigenen Gesetzen. Das muß ein
Ende haben. Diesem Kampf habe ich mich verschrieben, und ich
werde nicht ruhen, solange noch einer von Ihrer Sorte ungestraft
andere Menschen terrorisiert. Oder ich werde vorher sterben."
Als er das ferne Knattern des Helicopters hörte, schickte er
Julie in eins der Gästezimmer.
Tom Harrigan hatte eine Leine bereitgelegt. Franco trat hinter
den großen Don. Mit einem Ruck riß er ihm die Arme nach
hinten, und bevor der andere überhaupt reagieren konnte, hatte
ihm Franco die Ellbogen zusammengebunden. Er schlang die
Leine unter dem Stuhl her und fesselte auch d'Ambrosios Beine.
„Paß auf ihn auf", sagte Franco zu Tom, als er die Hüttentür
öffnete.

Das geladene Schrotgewehr lag in Francos Armbeuge, als der


Hubschrauber aufsetzte. Die Luger steckte in seinem
Hosenbund. Franco bedeutete den Passagieren, deren Gesichter
er hinter dem spiegelnden Glas nur undeutlich erkennen konnte,
die Tür zu öffnen.
Carlo, Leoni und ein hagerer Mann mit faltigem, totenblassem

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Gesicht starrten heraus. Carlo haßerfüllt und furchtsam zugleich.
Leoni unsicher, ängstlich, Totten teilnahmslos.
„Leoni, kommen Sie ins Haus. Der Don will Sie sprechen."
Nick Leoni schluckte. Er kletterte an den anderen vorbei und
sprang aus der Kabine. Langsam kam er herüber. Er schob seine
Jacke vorn auseinander, um Franco zu zeigen, daß er
unbewaffnet war. Franco hob ein wenig den Lauf der Flinte, und
Leoni blieb stehen.
„Joe ..."
„Warten Sie. - Sid!" rief Franco. Die Gangster waren
unsicher. Keiner von ihnen wußte, was gespielt wurde. Er mußte
diese Minuten der Unsicherheit nutzen, um die Unbeteiligten in
Sicherheit zu bringen.
Sid Vernon sprang aus der Maschine. Franco hoffte, daß er
den Schlüssel für die Zündanlage abgezogen hatte. Er begann zu
laufen.
Da wurde Carlo lebendig. Seine Hand fuhr unter die Jacke.
Franco riß das schwere Gewehr hoch. Über den langen Lauf
hinweg peilte er den Schädel des Killers an. Wenn er abzog,
würde auch Totten sterben.
„Laß die Kanone, wo sie ist, Carlo! Du wirst deine Befehle
vom Boß bekommen!"
„Ich habe dir was versprochen!" schrie Carlo. „Ich werde dich
töten! Ganz langsam, verstehst du?"
„Später, Carlo", konterte Franco gelassen. „Sid, geh ins Haus
und schließ dich mit den anderen ein."
Der Pilot schob sich an Franco vorbei. Franco winkte Leoni.
Der Mann, der sich wie viele andere der Mafia verkauft hatte
und der jetzt teuer dafür bezahlen mußte, kam langsam näher.
„Stellen Sie sich neben die Tür, Gesicht zur Wand, Arme
aufgestützt, Beine gespreizt", sagte Franco. Er traute keinem von
ihnen. Aber Leoni war unbewaffnet. Er war eine vorsichtige

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Ratte. Er war kein Revolvermann. Er tötete nur, wenn er mußte,
und dann aus dem Hinterhalt.
„Gehen Sie rein", sagte Franco. Er hielt die beiden Männer im
Hubschrauber im Auge. „Ich habe Don! Vergeßt das nicht!
Bleibt, wo ihr seid!"
Blitzschnell verschwand Franco im Haus. Die Schrotflinte
stellte er griffbereit innen neben die Tür.
Tom Harrigan hatte an einem der vorderen Fenster Posten
bezogen. Zwischen den beiden Männern herrschte eine
stillschweigende Übereinstimmung. Tom würde Franco sofort
Bescheid sagen, wenn Carlo Porcelli einen Ausfall versuchte.
Franco rechnete jedoch damit, daß der Gangster stillhalten
würde, weil er mit neuen Befehlen rechnete. Wahrscheinlich
vermutete er, daß Franco alias Joe Rosso den Don zu erpressen
versuchte. Carlo war bestimmt fest davon überzeugt, daß seine
große Stunde noch kommen würde. Er würde der Retter des
großen Capo aus New Yo rk sein ...
Leoni stand fassungslos vor dem gefesselten d'Ambrosio.
Franco drückte ihm das Funkgerät in die Hand.
„Wer sitzt jetzt unten am Empfänger und nimmt die Befehle
entgegen?" erkundigte sich Franco.
„Hart. Dale Hart."
„Hört er auf Sie?"
„Ich ... glaube."
„Sagen Sie ihm, er soll dafür sorgen, daß die Ranch geräumt
wird. Sofort. Alle Mann ziehen ab, und zwar ganz ruhig.
Verstehen wir uns?"
Leoni starrte d'Ambrosio gequält an. Seine Haut war fleckig
und grau.
„Tun Sie's nicht, Nick", keuchte der Don. Er lehnte sich noch
einmal auf, weigerte sich, die Niederlage hin-, zunehmen.
„Don Luigi spielt nicht mehr mit, Leoni. Lassen Sie sich von

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ihm sagen, wer ich bin." d'Ambrosio preßte die Lippen
aufeinander.
„Ich bin Franco Solo."
Leonis vorquellende Augen zuckten. Natürlich hatte er von
dem Todfeind der Mafia gehört. Seine Lippen bebten. Er hob
die Hände. Sie zitterten. „Nein ... ich bin ... ich kann nicht ..."
„Sie machen alles nur noch schlimmer, wenn Sie da unten
mehr als hundert Geiseln halten. Denn Sie führen jetzt den
Befehl, Leoni. d'Ambrosio kommt nicht mehr ans Gerät. Dafür
wird es später Zeugen geben. Wollen Sie wegen
Bandenverbrechens und Geiselnahme in hundert Fällen vor
Gericht stehen?" d'Ambrosio zerrte wütend an seinen Fesseln.
Leonis vorquellende Augen schlössen sich halb, als er das
Funkgerät nahm und sich mit dem Gangster namens Hart in
Verbindung setzte.
„Nick!" schrie d'Ambrosio „Tun Sie's nicht! Die Geiseln da
unten sind unsere einzige Chance!"
Franco trat hinter den Capo. Er riß dessen Kopf zurück und
preßte ihm die Kiefer zusammen, bis Leoni den Dialog mit Hart
abgeschlossen hatte.
Die Gangster würden den Rückzug antreten - und den
Burschen vom FBI genau in die Arme laufen. Franco lächelte.
Leoni sah das Lächeln, und er blickte Franco hünd isch an.
Franco ließ d'Ambrosio los.
„Ich habe getan, was Sie verlangten, Joe ... Mr. Solo, meine
ich. Ich bin hier gegen meinen Willen reingerutscht ..."
„Schweig, du Kröte!" fauchte d'Ambrosio. „Merkst du nicht,
wie ..."
Mit einer blitzschnellen Bewegung seiner linken Hand brachte
Franco den Verbrecher zum Schweigen. d'Ambrosios Kopf fiel
nach vorn. Leoni sah den Mafia-Jäger atemlos und voller Furcht
an.

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„Lassen Sie mich draußen, Mr. Solo." Er lächelte kläglich.
„Ich habe eine Frau und zwei Kinder, die mich brauchen ..."
„Die hatte der Mann da unten sicher auch", sagte Franco kalt.
Er spürte keine Genugtuung. Nur Haß. Abgrundtiefen Haß, als
er sah, wie sich das Gesicht des Mannes aus Chicago veränderte.
Es verfiel wie das eines Toten. „Gehen Sie zur Tür, Leoni.
Rufen Sie Totten herein. Sagen Sie ihm, es sei ein Befehl von
d'Ambrosio."
Wenn Totten ebenfalls im Haus war, gab es draußen nur noch
Carlo Porcelli und ihn. Dann hatten sie die Berge als Zeugen,
wenn es zum Showdown kommen sollte. Er, Franco war bereit.
Leoni bewegte sich mit schleppenden Schritten zur Tür. Leoni
war ein gebrochener Mann. Er hatte seine Existenz in einer
bürgerlichen Welt angesiedelt und vergessen, wem er sie
verdankte. Das Erwachen war zu plötzlich gekommen.
Franco irrte nicht, wenn er Leoni für einen gebrochenen Mann
hielt. Franco erkannte nur nicht sofort, daß Nick Leoni in diesen
Minuten mit dem Leben abgeschlossen hatte.
An der Tür stand die Schrotflinte. Leoni packte sie und riß sie
an sich.
„Nicht!" schrie Franco. Er warf sich zur Seite, die Luger lag
bereits in seiner Hand.
Leoni schwenkte das Gewehr herum. Er legte nicht auf ihn,
Franco, an. Die dicken Mündungen der Zwillingsläufe wiesen
auf d'Ambrosio.
Franco erkannte in diesem Sekundenbruchteil, daß Leoni
schießen würde und daß er hoffte, selbst sterben zu müssen.
Franco und Leoni schossen im gleichen Moment.
Die Bleiladung aus der Schrotflinte tötete den Verbrecher aus
New York nicht sofort. Das Blut floß aus seiner zerrissenen
Brust, während Francos Kugel gnädiger gewesen war.
Leoni flog durch die nachgebende Tür und stürzte draußen zu

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Boden, wo er leblos liegenblieb.

„Mein Gott", flüsterte Tom Harrigan.


Franco sprang zur Tür. Dort warf er sich zu Boden.
Carlo Porcelli sprang aus dem Helicopter und ging hinter dem
Pickup in Deckung.
„Joe!" schrie er. „Komm jetzt endlich raus, Supermann!"
Franco drückte sich an den Rahmen. Immerhin befand sich
Woodrow Totten nicht in unmittelbarer Gefahr. Der Manager
drückte sich ängstlich in der Kabine des Hubschraubers herum.
Er war wie Leoni. Er arbeitete für die Mafia. Aber er war der
Gewalt noch nicht begegnet. Vielleicht würde auch er eines
Tages, wenn man ihn brauchte, einen Anruf bekommen. Da ist
jemand im selben Hotel wie Sie, Mr. Totten. Sie wissen doch, Sie
schulden uns noch einen Gefallen ... Gehen Sie hin, töten Sie ihn
...
Franco versuchte, seine verkrampften Muskeln zu lockern.
Hinter ihm starb Luigi d'Ambrosio. Franco sah sich nicht um.
Er nahm das Gewehr an sich. Ein Lauf war noch geladen. Er
schob es Tom zu.
„Rühr dich nicht aus der Deckung, aber wenn ich Jetzt' sage,
feuerst du einen Schuß aus dem Fenster dort!"
Tom nickte. Er nahm das Gewehr und kroch unter das Fenster
an der linken Hüttenseite. Er öffnete es, legte die Mündung der
Waffe auf die Fensterkante.
Franco zog die Beine an. Wie ein Hundertmeterläufer am
Start. Die Tür war drei Handbreit weit geöffnet, Leonis Beine
hielten sie in der Stellung.
„Jetzt", sagte Franco.

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Die Detonation erschütterte die Hütte. Franco startete. Er warf
sich gegen die Tür, stieß sie auf, stürmte hindurch.
Der Schuß aus der Schrotflinte hatte Carlo für einen winzigen
Moment abgelenkt. Er feuerte unter dem Pickup her in Richtung
Hütte, als Franco bereits zur rechten Seite hinüberflitzte.
Carlo Porcelli stand auf. Er legte das Handgelenk auf die
Klappe der Ladefläche und zielte auf den hakenschlagenden
Mann.
Franco warf sich zu Boden. Blei pfiff über ihn hinweg,
während er sich zur Seite rollte und die Luger in Anschlag
brachte.
Neben seiner Schulter spritzte eine Erdfontäne auf. Franco
schoß. Dreimal ruckte die Automatic in seiner Hand. Carlo
verschwand wieder hinter dem Wagen. Franco sah für einen
Moment den Fuß des Killers, als Carlo seine Position veränderte
und das Vorderrad das Bein nicht mehr deckte.
Franco zielte kurz und schoß.
Er sah, wie die Kugel den Fuß unter dem Körper des
Gangsters weg riß. Carlo stürzte. Franco sprang auf und hetzte
mit langen Sprüngen auf den Wagen zu.
Er schlug einen Bogen, bis er den Gangster vor sich liegen
sah. Er zielte auf Carlos Kopf.
Das Gesicht des Killers war verzerrt. Er hielt einen Revolver
in der Faust.
„Du Hund!" schrie er. Er legte auf seinen Todfeind an.
Franco ließ die Waffe sinken. „Einer von euch soll die Firma
im Knast vertreten", sagte er. „Ich habe dich dazu ausgelost."
„Fahr zur Hölle!" Carlo zog den Hammer zurück.
„Du bist ein Stümper, Carlo. Wer einen Revolver benutzt,
sollte die Schüsse zählen ..."
Es klickte, als der Hammer auf eine abgeschossene Patrone
fiel. Franco ging zu ihm und nahm ihm die nutzlose Waffe ab.
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Als der Schmerz im zerschossenen Fuß einsetzte, begann der
Killer zu schreien.

Am Abend stellte sich Colonel Warner neben Franco an die


Bar. Er hob sein Whiskyglas und lächelte. Es sah ganz zufällig
aus.
„Mr. Whitman hat sich entschlossen, die Aktien zu behalten",
sagte er leise.
Franco nippte an seinem Wein. Er lächelte und schwieg.
„Wenn ich mir die Sache so recht überlege, hätte ich gar nicht
herzukommen brauchen. Sie haben ja doch wieder alles allein
geschafft. Die Burschen vom FBI sind auch ziemlich sauer."
Franco zündete eine Zigarette an, dann drehte er sich um und
machte Anstalten zu gehen. Er hatte Julie in der Halle entdeckt,
wo sie mit Allan Stark sprach. Franco hatte niemandem etwas
von der Rolle erzählt, die Allan in diesem Fall spielte. Das
mußte der junge Mann mit seinem Gewissen abmachen. Franco
hatte herausgefunden, daß die Gangster alle Telefongespräche,
die Tibor Durrance von seinem Zimmer aus geführt hatte,
abgehört hatten. Nicht Allan Stark hatte den Gangstern verraten,
daß sein Chef sich an die Behörden wenden wollte. Das hatte
Durrance selbst am Telefon getan, als er mit seinem Büro in
Topeka telefonierte.
„Wohin gehen Sie?" fragte der Colonel.
Franco drehte sich noch einmal um. In der Bar wimmelte es
von FBI-Leuten. Der Colonel hatte dafür gesorgt, daß Franco
nicht behelligt wurde.
„Ich gehe spazieren, Sir", antwortete Franco. „Wenn Sie die
G-men glücklich machen wollen, schicken Sie sie zum
Pistolenschießstand. Dort liegt noch einer." Franco grinste. Er

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hatte Jack vergessen, mit dem er eine Zeitlang durch das Tal
gefahren war und den er schließlich im Schießstand eingesperrt
hatte. „So long, Sir. Ich habe Feierabend."
Er hatte eine Schlacht gewonnen, doch der Krieg dauerte an.
Franco wollte ihn vergessen. Wenigstens heute abend. Er
lächelte Julie zu. Zusammen gingen sie hinaus.
ENDE

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