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Dienstag, 15.

Juni 2023
Theologische Hochschule Reutlingen WS2023
Fach: Psychologie II
Dozentin: Pro. Dr. Dorothea Hüsson
Psychologin: M.Sc. Selina Keppeler
Referent: Giang An Huynh

Dienstag, 15. Juni 2023


Theologische Hochschule Reutlingen WS2023
Fach: Psychologie II
Dozentinnen: M.Sc. Selina KeppelerReligiosität/Spiritualität – psychische
Gesundheit
Gliederung:
1. Einleitung und Definition
2. Funktion, Zusammenhang zwischen R/S und psychischer Gesundheit
3. Wenn R/S schadet…
4. R/S in der Psychotherapie
5.[1.] Literaturverzeichnis

1) Einleitung - Definition
a) Religiosität? Spiritualität?
- Religion und Religiosität (Bucher, 2007b):
Religion: religiöse Institutionen, Gebote, Symbole und Rituale
Religiosität: persönliche Erleben von Religion und deren Praxis betrifft.
 Die genaue Definition von Religiosität ist umstritten
- Spiritualität:
lateinischen Wort "spiritus“ mit verschiedenen Bedeutungen: "Luft, Hauch", "Atem, Atmen",
"Seele, Geist" und "Begeisterung, Mut, Sinn". Sowohl die römische als auch die biblische Tradition
verbinden Spiritualität eng mit dem Atmen. In verschiedenen Atemtherapien und
Meditationsschulen wird die Verbindung von Atmen und Spiritualität betont. (Bucher, 2007b)

b)[a)] Verhältnis zwischen Religiosität und Spiritualität:


Spiritualität kann jedoch auch unabhängig von Religiosität betrachtet werden. Dies ist der
Fall, wenn jemand intensiv die Natur erlebt, ohne diese Erfahrung explizit auf religiösen
Schöpfungsglauben oder Transzendenz zu beziehen. Es besteht eine weite Übereinstimmung
unter Psychologen, dass Religiosität und Spiritualität eng miteinander verbundene Aspekte sind.
(Bucher, 2007b)
- Religiosität ohne spirituelle Erfahrung.,
- Religiosität als Spiritualität; intrinsisches Bezogensein auf Gott, das Heilige,
- Spiritualität ohne Bezug zu Religion im traditionellen Sinn, bspw.,Gott“.
Menschen bezeichnen sich je nach Verwendung, Ziel und kulturellem Kontext als religiös und
spirituell, religiös aber nicht spirituell…
 Es wurde vermutet, dass Spiritualität genetisch bedingt oder das Ergebnis stimulierter
Gehirnteile sein könnte. Spiritualität ist eher ein inneres Gefühl und eine angeborene Eigenschaft
(Hamer, 2004). Religiöse Praxis hingegen werde eher imitiert und gelernt.

2) Funktion von Religiosität/Spiritualität & psychische Gesundheit


Es gibt keinen einheitlichen Mechanismus zur Erklärung der Auswirkungen von S/R auf die
psychische Gesundheit. Koenig et al. (1) schlagen vor, dass S/R mit menschlichen Tugenden wie
Vergebung, Altruismus und Dankbarkeit verbunden ist, die die Beziehung zwischen S/R und
psychischer Gesundheitsergebnissen vermitteln könnten.

Hoffnung:
Emmons (2000) behauptet, dass Spiritualität eine enge Beziehung zur psychischen Gesundheit
hat, indem sie Hoffnung schafft. Hoffnung wird als Energie für zukünftiges Leben angesehen und
als eine christliche Kardinaltugend (1 Kor 13,13).
=> Hoffnung gegen emotionaler Stress (Paloutzian et al., 2013): R/S reduziert emotionale Stress
in Zeiten von Unglück, Unbehagen oder Leiden. Überzeugung: das kommende Glück wird ihre
gegenwärtigen Probleme mehr als wettmachen. Dieses Prinzip wird oft in der Bibel erwähnt: „Ich
bin der Überzeugung, dass die Leiden der jetzigen Zeit im Vergleich zur zukünftigen Herrlichkeit
nicht ins Gewicht fallen“ (Römer 8,18)

Glück - Wohlfühlen:
Nach Mitchell (2020) sind Menschen, die in religiösen Gemeinden aktiv sind, tendenziell glücklicher
und bürgerschaftlicher engagiert als konfessionslose Erwachsene oder inaktive Mitglieder
religiöser Gruppen. Sie neigen auch dazu, weniger zu rauchen und zu trinken, sind aber in Bezug
auf die Häufigkeit von körperlicher Betätigung und die Häufigkeit von Fettleibigkeit nicht gesünder.

Leichter verzeihen (Bucher, A. A. 2007a):


Personen mit neurotischen Tendenzen haben Schwierigkeiten, zu vergeben (Maltby, Day &
Barber, 2004). Menschen, die Schwierigkeiten haben zu vergeben, sind ängstlicher, besorgter und
weniger in der Lage, Stress aktiv zu bewältigen. Geringere Empathie führt ebenfalls zu einer
geringeren Bereitschaft zu vergeben (McCullough, Worthington & Rachal, 1997). Im positiven
Sinne kann gesagt werden, dass jemand, der vergeben kann, psychisch gesund ist (Sanderson &
Linehan, 1999, 210).

Suchtmittel (Drogen, Alkohol, Rauch):


Aktiv religiöse Erwachsene rauchen seltener und zeigen geringere Wahrscheinlichkeit für als
sündhaft angesehene Verhaltensweisen wie Tabakrauchen und Alkoholkonsum (Mitchell, 2020).
Eine Studie an 676 Jugendlichen in den USA zeigt, dass die Hingabe an das Göttliche und
fundamentalistische protestantische Religionszugehörigkeiten mit geringerem Substanzkonsum
verbunden sind (Miller et al., 2000). Eine andere Studie an 5387 Schweizer Männern zeigt, dass
Religiosität umgekehrt mit Substanzkonsum verbunden ist. (Gmel et al., 2013)

Depression:
Religiosität/Spiritualität mindert nachweislich depressive Stimmungen.
Eine kanadische Langzeitstudie mit 12.583 Teilnehmern ergab, dass regelmäßige religiöse
Besucher ein um 22% geringeres Depressionsrisiko hatten. Es gibt jedoch unterschiedliche
Ergebnisse in nicht-westlichen Ländern. Eine 13-jährige Längsschnittstudie in Japan mit 67.723
Erwachsenen ergab, dass stark religiöse Personen häufiger an schweren depressiven Störungen
litten. Kulturelle Aspekte können die unterschiedlichen Ergebnisse in der Literatur erklären.
=> Schutz vor Suizidalität: Spiritualität und intrinsische Religiosität können das Risiko für
Suizidalität verringern (Koenig, McCullough & Larson, 2001)

Religiosität/Spiritualität reduziert Stress (Bucher, A. A. 2007a):


Eine Studie mit südkoreanischen Studenten ergab, dass Spiritualität als Puffer gegen Stress
fungieren kann. Teilnehmer mit einer stärkeren spirituellen Ausrichtung zeigten geringere negative
Reaktionen und psychosomatische Beschwerden bei Stressbelastung, unabhängig davon, ob sie
religiös gebunden waren oder nicht.

Schwere/chronische Erkrankung (Bucher, A. A. 2007a): :


Eine Studie mit 114 Krebspatienten ergab eine negative Korrelation zwischen spirituellem
Wohlbefinden und Todesangst, insbesondere bei den zwölf Nonnen in der Stichprobe.
Krebspatienten mit starker spiritueller Ausrichtung zeigten eine bessere psychosoziale Anpassung,
weniger Ängstlichkeit und Depression sowie einen tröstenden Blick auf den Tod. Eine Studie von
2
Reese und Kaplan (2000) mit 53 HIV-diagnostizierten Frauen ergab, dass Spiritualität die Angst
vor Krankheit und Tod stärker reduzierte als soziale Unterstützung.

3. Dunkle Seite - wenn R/S schadet:


Spiritualität in totalitären Gruppen und spirituellem Missbrauch:
- Spirituelle Führer in pathogenen Gruppen fordern bedingungslosen Gehorsam und
werden oft als "Vater" bezeichnet.
- Sie missbrauchen ihre Position, um Abhängigkeiten zu schaffen und Anhänger in
infantile Rollen zu drängen.
- Verehrung der spirituellen Führer kann zu blindem Gehorsam führen und zur
Verleugnung der eigenen Persönlichkeit.
- Solche intensiven Beziehungen bergen das Risiko von sexuellem Missbrauch, auch in
der katholischen Kirche.
- Zölibatäre Priester sind besonders gefährdet, ihre Macht durch sexuellen Missbrauch,
vor allem bei Kindern, auszunutzen.

In einigen Fällen kann intensivierte


Spiritualität negative Auswirkungen haben.
Einige Erfahrungen können als
transpersonale Erfahrung oder auch als
psychotische Halluzination interpretiert
werden.

4. R/S in der Psychotherapie:


- Gebet als Therapie:
Das Gebet beträgt zur emotionalen Anpassung bei Arthritis beiträgt (Laird, 1991),
depressive Gefühle bekämpft (Parker & Brown, 1986) und Menschen bei der Bewältigung
von Stress durch Herzoperationen (Saudia, Kinney, Brown & Young-Ward, 1991),
Nierentransplantationen (Sutton & Murphy, 1989) und Hämodialyse (Baldree, Murphy &
Powers, 1982) hilft. Es wirkt auch dem Alkohol- und Drogenmissbrauch bei obdachlosen
Frauen entgegen (Shuler, Gelberg & Brown, 1994).
- Religiös-spirituelle Imagination als Therapie (Bucher, A. A. 2007a):
Bilder haben eine starke emotionale Wirkung und können als visuelle Gedanken betrachtet
werden. Opfer von Missbrauch konnten durch Vorstellung von tröstenden Figuren wie
Jesus oder Maria über ihr Trauma sprechen (Propst, 1988).
- Meditation als Therapie
Meditative Entspannungstechniken reduzieren Stress oder beugen ihm vor, unabhängig
davon, ob die Meditation aus spirituellen oder weltlichen Motiven (z. B. Stressmanagement)
praktiziert wird (Carrington, 1993; Vaitl & Petermann, 2004).
- Religiös kognitive Verhaltenstherapie (Bucher, A. A. 2007a):
In der Untersuchung von Hawkins, Tan (1999) mit Bezug zur Bibel zeigt die Reduzierung
der Depressivität
- Vergeben als Therapie (Bucher, A. A. 2007a):

3
Die Erleichterung der Vergebung wird besonders in Ehe- und Familientherapien empfohlen
(Walsh, 2003), da Vergebung verletzte Beziehungen stabilisieren und gegebenenfalls sogar
erneuern kann.
 Therapieeffekte, eine schwierige Erforschung (Bucher, A. A. 2007a):
Nach der Durchsicht von Hunderten von Effektivitätsstudien prägte Lambert (1992) die
bekannte Formel, dass 40% der Therapieeffekte auf außertherapeutische Faktoren
zurückzuführen sind, 30% auf die Therapeutenbeziehung, 15% auf die angewendeten
Techniken und 15 % auf den Placeboeffekt..

5. Literaturverzeichnis:

Balbuena L, Baetz M, Bowen R. Religious attendance, spirituality, and major depression in


Canada: a 14-year follow-up study. Can J Psychiatry. 2013;58:225–232.
Bucher, A. A. (2007a). Effekte von Spiritualität: Spiritualität und psychische Gesundheit.
Psychologie der Spiritualität: Handbuch, 122.
Bucher, A. A. (2007a). Effekte von Spiritualität: Spiritualität und psychische Gesundheit.
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Bucher, A. A. (2007a). Effekte von Spiritualität: Spiritualität und psychische Gesundheit.
Psychologie der Spiritualität: Handbuch, 130-131.
Bucher, A. A. (2007a). Effekte von Spiritualität: Spiritualität und psychische Gesundheit.
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Bucher, A. A. (2007a). Effekte von Spiritualität: Wenn Spiritualität schadet. Psychologie der
Spiritualität: Handbuch, 139.
Bucher, A. A. (2007a). Effekte von Spiritualität: Wenn Spiritualität schadet. Psychologie der
Spiritualität: Handbuch, 143.
Bucher, A. A. (2007a). Spiritualität in der Psychotherapie: Konkrete Interventionen. Psychologie
der Spiritualität: Handbuch, 156-159.
Bucher, A. A. (2007a). Spiritualität in der Psychotherapie: Konkrete Interventionen. Psychologie
der Spiritualität: Handbuch, 161.
Bucher, A. A. (2007a). Was ist Spiritualität?: Spiritualität und Religiosität: gegensätzlich-
deckungsgleich überlappend? Psychologie der Spiritualität: Handbuch, 54.
Bucher, A. A. (2007a). Was ist Spiritualität?: Spiritualität: Etymologie und erste Assoziationen.
Psychologie der Spiritualität: Handbuch, 22.
Emmons. R.A. & McCullough, M.E. (2003). Couting blessings versus burdens: An experimental
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Gmel G, Mohler-Kuo M, Dermota P, Gaume J, Bertholet N, Daeppen JB, Studer J. Religion is
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Misuse. 2013;48:1085–1098
Hamer, D. (2004). The God gene: How faith is hardwired into our genes. New York: Doubleday
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4
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