Sie sind auf Seite 1von 12

Ihr Guten und wir Bösen Vortrag

Meine Damen und Herren,


Angenommen, ich hätte zwei Versuche, meinen Vortrag zu eröffnen, dann
würde ich im ersten Versuch gleich zu Beginn behaupten: wir leben in einer
repressiven Zeit, also geht es Euch gut, Euch Polizisten. Die liberalen Zeiten
sind vorbei, die Parole dieser Gesellschaft heisst NULL TOLERANZ und
populär sind jene Politiker, die unseren Staat möglichst repressiv gestalten
wollen. Die Schweiz ist ja kurz davor, von kriminellen Ausländern – konkreter –
von kriminellen Jugos – im Handstreich erobert zu werden, und in solchen
Ausnahmesituationen ist es denn auch erlaubt, gegen die Vernunft zu
politisieren, gegen geltendes Europäisches Menschenrecht und gegen den
menschlichen Anstand überhaupt. So scheint es. Unser populärster Politiker,
mein und Ihr Justizminister Christoph Blocher gefällt sich in der Rolle des
starken Mannes, er ist dem Ruf der – auch von den Medien – aufgeputschten
Öffentlichkeit gefolgt und sagt laut, was angeblich die Mehrheit denkt: Schluss
mit den Sentimentalitäten gegenüber Asylanten, Schluss mit der falschen Moral,
Schluss mit falschen Rücksichtnahmen, und wenn uns die Europäische
Menschenrechtskonvention nicht passt, dann nehmen wir eben eine andere, eine
Schweizerische. Natürlich gibt es in dieser Schweiz auch besonnene Stimmen,
gibt es Rechtsgelehrte und andere unaufgeregte Geister, die etwa auf die Polizei-
und Kriminalstatistiken verweisen und damit belegen können, dass es gar so arg
nicht ist, ja, dass es sogar im Gegenteil so ist, dass die Kriminalität auf vielen
Gebieten zurückgedrängt werden konnte – aber: wann immer diese Stimmen der
Vernunft zu hören sind, kommt neuerdings ein Killer-Argument. Es lautet: was
immer diese Statistiken auch sagen: die repressiven Kräfte in diesem Land, die
Ordnungshüter – also SIE – müssten nicht nur dafür sorgen, dass es objektiv
weniger Kriminalität und Regelverstösse gebe, sondern es gelte, das
SICHERHEITSEMPFINDEN der Bevölkerung ernst zu nehmen. Um das gleich
auf die provokative Spitze zu treiben: wenn es etwa im Kanton Solothurn in
diesem Jahr keinen Mord geben sollte, dann könnte es trotzdem passieren, dass
die Bevölkerung sich von Mördern umzingelt fühlt und es wäre dann IHRE
Aufgabe, die Bevölkerung vor diesen Phantom-Mördern zu schützen –
zumindest drohende Mordserien vorauszusagen, um der öffentlichen Erwartung
gerecht zu werden... -und schon will ich Ihnen ein erstesmal sagen: ich beneide
Polizisten wirklich nicht um ihre Aufgabe. Was ich später noch etwas
differenzierter begründen möchte.

Aber, ich habe mir ja wie gesagt zwei mögliche Vortrags-Anfänge ausgedacht,
und nun muss ich eben zuerst wieder von meiner polemischen Tonleiter
heruntersteigen und zu meinem zweiten Anfang finden:

Dass ich nun schon zum drittenmal vor Polizeioffizieren einen Vortrag halte,
mag nur jene nicht erstaunen, die mich nicht kennen. Denn mit der Ordnung, die
Sie zu schützen haben, gerate ich nicht nur ausnahmsweise in Konflikt. Sondern
sozusagen aus prinzipiellen und insofern aus Ihrem Blickwinkel sicher
verwerflichen Gründen. Zwar war ich in meinem Leben noch nie im Gefängnis,
ich wurde noch nie verhaftet und kann auch sagen, dass es dafür noch nie einen
Grund gegeben hat. Trotzdem gehöre ich in den Augen jener Ordnungshüter, die
mich etwa im Strassenverkehr zu kontrollieren haben, zu den Unbelehrbaren.
Zwar bin ich kein Raser – ich erinnere mich lediglich daran, vor 30 Jahren mit
meinem ersten Auto, einem Fiat 500, einmal die zulässige
Höchstgeschwindigkeit von 80 um 15 km/h überschritten zu haben – mehr war
nicht möglich mit diesem Auto – und mit einem ähnlich kleinen Auto habe ich
mir etwas später noch eine ähnlich kleine Ordnungswidrigkeit erlaubt. Ich bin
also kein Raser – und auch keiner, der besoffen herumfährt, was allerdings
nichts mit meinem vielleicht sogar guten Charakter zu tun hat, sondern damit,
dass ich nur sehr selten Alkohol trinke.

Aber: ich bin ein notorischer Falschparker. Zwar werden Sie mein Auto nie auf
einer Strassenkreuzung geparkt finden, und auch nicht auf einem
Behindertenparkplatz – und überhaupt an keinem Ort, wo andere
Verkehrsteilnehmer belästigt, behindert oder gar gefährdet werden können.
Aber, es gibt so viele andere Orte, wo ich verbotenerweise Platz finde.
Manchmal aus Zeitnot, oft aus Faulheit, aber immer wider besseren Wissens und
vor allem: immer auch aus Dummheit. Denn in der Regel werde ich gebüsst und
meine Frau schimpft mit mir. Sie können mir glauben, dass ich mir darüber
schon viele Gedanken gemacht habe und es ist leider zu vermuten, dass in
diesem Punkt tatsächlich mit mir etwas nicht in Ordnung ist – und nicht mit der
Strassenverkehrsordnung. Trotzdem lege ich Wert darauf zu sagen, dass ich
zwar ein notorischer Falschparker bin, aber kein rücksichtsloser. Und dass ich
alle Bussen bezahle, also ein Sünder bin, der Busse tut. Warum aber will ich so
dumm sein und unvernünftig? An guten Tagen - das sind jene, an denen ich es
gut mit mir meine – an guten Tagen behaupte ich, dass ich mit meiner
Falschparkerei Widerstand leiste gegen unsinnige Verbote, gegen sinnlose
Reglementierungen. Und dass der Kadavergehorsam in der Geschichte der
Menschheit schon unendlich viel Leid verursacht hat. Weil es mir aber auch an
guten Tagen einigermassen unadäquat scheint, meine Falschparkerei etwa mit
dem Dritten Reich in Verbindung zu bringen, argumentiere ich ersatzweise etwa
mit diesem Beispiel: ich war sechs Jahre lang Deutschlandkorrespondent für
Schweizer Radio DRS in Berlin. Und immer wieder habe ich folgendes erlebt:
es ist nachts, ein – oder zwei Uhr, jedenfalls so spät, dass selbst in Berlin nicht
mehr viele Autos unterwegs sind auf manchen Strassen. Unter den Linden oder
der Ku-Damm sind wie ausgestorben. Es sind Strassen so breit wie Autobahnen
und vor allem: man hat da kilometerlange freie Sicht nach links und rechts. Sieht
also, ob ein Auto kommt oder nicht. Und trotzdem passiert es immer wieder,
dass sich also nachts 1 oder 2 Fussgänger vor roten Ampeln versammeln, um zu
warten. Es warten ausnahmslos Deutsche. Ausländer, speziell Schweizer, warten
nicht auf grün, sondern ärgern sich schwarz über die sinnlosen roten Ampeln –
und wechseln die Strassenseite. Und weil sie immer heil auf die andere Seite
kommen, ärgern sich dann die Deutschen über diese Anarchisten, Freischärler
und dubiosen Subjekte, die sich lieber auf ihr eigenes Urteilsvermögen verlassen
als auf den verordneten Ablauf.

Wenn Sie nun meinem weiteren Vortrag mit wachsender Skepsis verfolgen,
dann habe ich dafür grosses Verständnis. Schliesslich weiss ich, dass ich nicht
nur ein Verkehrssünder bin, sondern auch im übrigen nicht selten sündige und
darüber hier lediglich aus Zeitgründen keine vertiefenden Ausführungen dazu
mache. Jedenfalls ist es fraglich, ob einer wie ich über Ethik sprechen sollte.
Und das unter dem Titel: „Ihr Guten und wir Bösen“.
Der Vortragstitel ist natürlich etwas ironisch gemeint. Aber nur etwas. Weil:

Unter „wir Bösen“ verstehe ich uns alle. Uns Menschen, fehlerhaft wie wir alle
sind. Lasterhaft und willensschwach. Meistens wissen wir oder spüren, was
richtigerweise zu tun wäre und was nicht – aber uns fehlt der Wille. Das hat
schon Aristoteles gesagt, aber trotzdem tun wir uns schwer mit dieser Einsicht.
Mit der Tatsache, dass die Menschen willensschwach sind und darum oft
versagen. Wir wissen zwar meistens, was richtig wäre, aber wir sind nicht in der
Lage, gemäss dieser Einsicht zu handeln. Und das ist darum eine gravierende
Feststellung, weil unser Rechtsstaat nur funktionieren kann, wenn der
sogenannte freie Wille nicht prinzipiell angezweifelt wird. Dass wir also alle die
Wahl haben: dass wir uns so – oder so entscheiden können, aus freiem Willen.
Der Rechtsstaat ist darauf angewiesen, dass wir diesem freien Willen vertrauen
können. Wie sonst könnten wir appellieren an diesen – guten –Willen? Ohne
den Glauben an diesen freien Willen würde unser Sanktionensystem
zusammenbrechen. Weil es ohne Selbstverantwortlichkeit keine Täter gäbe,
keine Schuldigen, keine Bösen. Sigmund Freud ist für alle Juristen ein
Alptraum. Denn dass Menschen immer auch von unbewussten Motiven
gesteuert werden, von Trieben und Antrieben und Ängsten und Aggressionen,
auf die sie keinen direkten Zugriff haben – das ist zwar wissenschaftlich nicht
mehr zu bestreiten, aber trotzdem müssen sich Juristen und Polizisten gegen
diese Einsichten verwahren. Sonst gäbe es sie nicht mehr, die Guten und die
Bösen, diese Unterscheidung, die speziell in unserer Zeit wieder so beliebt ist.
Der amerikanische Präsident ist da auch vielen Schweizern offenbar ein Vorbild:
es gibt die Schurkenstaaten, und die Guten, es gibt die Bösewichter auf der Welt
und es gibt die Guten, die sich angesichts des Schrecklichen, das sich da
zusammenbraut, zusammentun müssen. Bush hat dem internationalen
Terrorismus den Krieg erklärt und nur wenige Leute gab es die sagten: das ist
doch lächerlich. Wobei ich mir schon vorstellen könnte, dass es bei IHNEN,
dass es bei der POLIZEI einige gibt, die das schon auch lächerlich finden: einer
Kampfmethode den Krieg zu erklären. Sinngemäss zu sagen: wir erklären den
Bomben den Krieg. Oder den Zeitzündern. Oder irgendeiner andern Technik.
Und ich kann mir auch gut vorstellen, dass es bei der Polizei einige Leute gibt
die wie ich den Verdacht haben, dass es bei der behaupteten Terrorbekämpfung
vor allem um Politik geht, um politische Interessen-Wahrung – und nicht um das
konkrete Bemühen, Gewalt wirklich einzudämmen. Der Kampf gegen den
Terrorismus, behaupte ich, wird schon in wenigen Jahren als ein Phantom
kommentiert werden, heraufbeschworen von Machtpolitikern zum Zwecke der
Tarnung politischer Motive. Zwar ist es unbestreitbar so, dass es in der jüngsten
Vergangenheit brutalste Terroranschläge gegeben hat mit verheerenden Folgen.
Und dass es Terrororganisationen gibt wie Al Kaida, ist ebenfalls nicht zu
bestreiten. Und dass es in diversen Ländern diverse Gruppen gibt, die bereit,
fähig und willens sind, neue furchtbare Terroranschläge zu begehen, wird von
mir ebenfalls nicht bezweifelt. Nur: wenn von terroristischen Netzwerken die
Rede ist, wenn plötzlich Allgemeinwissen sein soll, dass es quasi eine
internationale Verschwörung von Terroristen gibt, wenn Al Kaida fast mystisch
überhöht wird und davon die Rede ist wie vom Teufel - dann werde ich
misstrauisch. Zum einen habe ich noch nie an Weltverschwörungen geglaubt,
zum andern scheint es mir offensichtlich, dass unter dem Decknamen Al Kaida
vor allem eines gemacht wird: Politik. Denn: erinnern wir uns nur kurz an ein
anderes Phänomen, das weltweit vor einigen Jahren für Panik sorgte: an die
regelmässigen Flugzeugentführungen. Auch da waren Terroristen am Werk,
auch da wurde die zivile Gesellschaft auf unheimliche Art bedroht von Leuten,
die mit Menschenleben spielten wie mit Schachfiguren. Und was ist passiert?
Wann haben wir letztmals von einer Flugzeugentführung gehört? Gibt es fast
keine mehr, weil die Sicherheitsvorkehrungen so viel besser geworden sind?
Oder weil man mit einer Flugzeugentführung nicht mehr so viel
Aufmerksamkeit erregen kann? Jedenfalls: das Phänomen beschäftigt uns längst
nicht mehr. Ich will damit sagen, dass die Öffentlichkeit derzeit mit Al Kaida so
beschäftigt ist, dass anderes dafür kaum ernsthaft diskutiert wird. Dass die
WIRKLICHE Bedrohung von demokratischen Rechtsstaaten leider nicht ernst
genommen wird. Ich rede von der Organisierten Kriminalität.
Hier versuchen viele Politiker der Öffentlichkeit einzureden, man müsse zuerst
genau klären, was damit gemeint sei, man müsse exakter definieren, bevor man
handeln könne. Bei der OK, meine ich, geht es um eine tatsächliche Bedrohung
der rechtsstaatlichen Ordnungen. Und dass HIER bagatellisiert wird, dass –
konkreter gesagt – fast alle OK-Jäger in der Öffentlichkeit letztlich lächerlich
gemacht werden (Carla del Ponte, die OK-Staatsanwälte in Berlin, die ich
kennenlernte, die italienischen Mafia-Jäger) – das lässt mich leider vermuten,
dass es auch da um Geschäftsinteressen geht, die zu wahren sind. Und so
passiert in der Schweiz z.B. Jahr für Jahr dasselbe: die dafür zuständige
Internationale Organisation erwähnt beim Stichwort Korruption und Bestechung
auch regelmässig die Schweiz – und alle sind angeblich erstaunt... Oder: das
Bundesamt für Polizei listet jährlich die Aktivitäten diverser OK-Banden –
namentlich aus dem Osten – auf, publiziert die detaillierten Berichte für
jedermann zugänglich im Internet – und kaum ein Journalist berichtet darüber,
und von Parlamentariern hört man dazu in der Regel auch nichts. Frauenhandel,
Waffenhandel, Autoschiebereien, Drogenhandel: AUCH die schweizerische
Gesellschaft hat sich dafür entschieden, diese Geschichten im Reich der
Märchen anzusiedeln: man redet zwar davon, aber so, dass es irgendwie
unwirklich scheint. Ich habe sechs Jahre in Berlin gelebt und habe anderes zu
berichten: von einer Metropole, die in ihren Fundamenten von Organisierter
Kriminalität erschüttert ist – was ich wörtlich meine: kein öffentlicher Bau ist in
Berlin in den letzten Jahren ohne Mitwirkung speziell der Ost-Mafia
grossgezogen worden, auch nicht das bombastische Bundeskanzleramt.
Schwarzarbeit, Bestechung – und alles was dazu gehört. Etwa Stundenlöhne auf
Baustellen von unterdessen 1 Euro. Und: ALLE wissen es. Die Parteien, der
Regierende Bürgermeister, die Berliner Medien – so wie sie schon lange vor
dem sog. Visa-Skandal von der Tatsache wussten, dass jährlich Hunderttausende
Menschen illegal aus der Ukraine nach Deutschland einwandern, aus
Weissrussland, aus Russland, aus Bulgarien, Rumänien usw.: ALLE wissen,
dass nicht nur 250-tausend Russen in Berlin leben, sondern rund eine Million.
Und die meisten leben in einer Schattenwelt, aufgebaut, organisiert und
verwaltet von ein paar grossen Banden der OK – und unzähligen Kleinen.
ABER: weil die organisierte kriminelle Gesellschaft so ähnlich funktioniert wie
die normale, geht das Leben eben weiter, kriminell halt, aber es geht weiter, und
die Politiker reden weiter von einem Berlin, das es schon lange nicht mehr gibt.
Wobei ich an diesem Punkt nicht missverstanden werden möchte: ich nehme die
Politik schon ernst. Und eben, weil ich sie ernst nehme, ärgere ich mich so über
ihre faulen Köpfe, über diese Weigerung, sich ernsthaft mit der Realität
auseinander zusetzen. Wie viel einfacher ist es da doch, in Bayern mit der Null-
Toleranz-Ideologie in der Sprayer-Szene aufgeräumt zu haben. Was wirklich
funktioniert hat – davon habe ich mich vor Ort persönlich überzeugt: gute
Polizisten haben auf diesem Gebiet gute Arbeit geleistet. Nur: ich wünsche mir
diese gute Arbeit auch auf andern Gebieten und habe aber leider den Eindruck,
dass in wesentlichen Bereichen der Kriminalität diese gute Arbeit der Polizei
nicht so erwünscht ist.

Sie wissen ja, was die Medien seit ein paar Jahren von Ihnen hauptsächlich
erwarten: Erfolge im Kampf gegen die Internetkriminalität, Erfolge im Kampf
gegen Kinderpornografie, gegen Autoraser, gegen illegale Asylsuchende, gegen
kriminelle Jugendliche.
Und vor ein paar Jahren waren andere Themen modern: da mussten Sie vor
allem Steuerbetrüger/Hinterzieher präsentieren, oder Umweltsünder.

Aber ich möchte noch eine Weile bei den kriminellen Jugendlichen bleiben.
Konkret bei Sandro. Sandro ist der Sohn meiner Schwester. Er ist 18 und macht
Probleme. Er geht nicht mehr in die Schule, er macht keine Lehre, er macht gar
nichts. Er benimmt sich unauffällig, ist höflich, hilfsbereit, sauber, trinkt nicht,
raucht nicht, aber: wir, die wir ihn gern haben spüren, dass etwas nicht stimmt.
Nur: was stimmt nicht? Sandro sagt: mir geht es gut. Sandro lebt in meinem
Elternhaus in Solothurn. In einem dreistöckigen Haus, das mein Grossvater
gebaut hatte: im obersten Stockwerk wohnt meine alleinerziehende Schwester
mit ihrem Sohn Sandro, im Mittelteil eine Freundin meiner Schwester, und im
Parterre meine Mutter. Das will ich so genau sagen, weil die Solothurner Polizei
letzte Woche da keine so grossen Unterschiede machen wollte. Weil man diesen
Sandro suchte, weil man ihn verhaften wollte und ihn in diesem Haus vermutete
und darum auf alle Klingeln drückte, die da waren. Fast täglich, und an manchen
Tagen mehrmals.

Ich bin nicht dabei gewesen und darum nicht befugt darüber zu urteilen, ob die
Polizisten ihren Job gut gemacht haben bei ihrer Suche nach Sandro. Ich kann
nur über das berichten, was mir meine Schwester erzählt hat und meine Mutter.
Beide wussten nicht, mit was für einem Papier die Polizisten jeweils gewedelt
hatten. Mit einem Haftbefehl? Warum, fragte ich meine Mutter, wird Sandro
denn gesucht? Das habe sie die Polizisten auch gefragt, sagte meine Mutter, und
die Antwort sei gewesen: Sandro mache Dinge, die man nicht tun sollte. Und so
ähnlich hörte es auch meine Schwester. Und sowohl meine Schwester wie auch
meine Mutter waren zumindest nach den ersten Polizeibesuchen so überrumpelt,
dass sie keine präzisen Nachfragen stellten.

Bei ihrem ersten Besuch kündigten die zwei Polizisten an, sie würden nun
täglich kommen, bis sie ihn hätten, diesen Sandro, und zwar würden sie Tag und
Nacht kommen.

Meine Damen und Herren,


dass die Polizei gegenüber Angehörigen eines Gesuchten eine Druckkulisse
aufbaut, wenn sie vermutet, dass die Angehörigen unter diesem Eindruck den
Aufenthaltsort des Gesuchten preisgeben – das kann ich verstehen. Das Problem
in diesem Fall war nur, dass weder meine Schwester noch meine Mutter
wussten, wo Sandro steckt. Und dass es meiner Mutter in all den Tagen nie
gelungen ist, die Polizei auf die Grenzen ihres Tuns aufmerksam zu machen.
Etwa darauf, dass Sandro das Kind meiner Schwester ist, dass Sandro nicht bei
ihr lebt, sondern bei meiner Schwester, und dass es also keinen angemessenen
Grund gibt, sie in diese Sippenhaft zu nehmen. Wissen Sie, meine Mutter ist
zwar 75jährig, aber ich will hier kein Mitleid erwecken: meine Mutter ist
physisch und psychisch und geistig topfit und brauchte keine falschen
Rücksichtnahmen. Aber war es nicht doch etwas rücksichtslos, täglich und wie
gesagt manchmal mehrmals täglich mit dem Polizeiwagen vorzufahren, mehrere
Uniformierte vor dem Haus zu postieren und meine Mutter vor den Augen aller
Nachbarn blosszustellen?

Die Pointe der Geschichte ist keine Schöne. Denn als ich meine Schwester
aufforderte, sich bei der Polizei nach dem Grund des Haftbefehls zu erkundigen
– da erhielt sie – telefonisch – folgende Auskunft: theoretisch dürfe man ihr – da
Sandro 18 und damit volljährig sei – gar nichts sagen. Aber natürlich verstehe
man die Sorgen einer Mutter und könne also doch etwas sagen. Und zwar, dass
es um eine Schlägerei in Zürich gehe, an der Sandro beteiligt gewesen sei, nichts
Ernstes, keine Verletzten, aber nun müsse er sich stellen und aussagen. Aufs
Wochenende hin hat Sandro sich gestellt. Er wurde nach Zürich überstellt und
bei dieser Gelegenheit wurde meiner Familie erneut versichert, dass nichts
Gravierendes vorliege. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen. Aber WENN
das stimmt, dann stimmt für mich etwas im Einsatz der Mittel nicht, dann
stimmt für mich die Verhältnismässigkeit nicht. Dann stört es mich enorm, dass
meine Schwester und meine Mutter tagelang in Angst und Schrecken versetzt
wurden, dass sie sich gedemütigt fühlen mussten und dem Vorwurf ausgesetzt,
nicht kooperativ zu sein, dass Sie sich so verdammt ohnmächtig fühlten – und
blossgestellt vom Auge des Gesetzes.

Es wäre jedenfalls verständlich, wenn Sie mir nun nicht mehr so gerne zuhören
möchten, weil ich mich nun nicht nur als notorischer Verkehrssünder präsentiert
habe, sondern zudem noch als einen aktuell ziemlich befangenen Referenten, der
sich zornig über die Polizei äussert, ohne genaue Kenntnisse zu haben vom
behaupteten Geschehen – kurz: die Frage ist erlaubt, wie Sie mit so
unqualifizierten Auesserungen umzugehen haben. Vielleicht so, dass Sie mir
doch noch ein paar Sätze lang zuhören.

Natürlich habe ich mit meiner Schwester schon oft über Sandro geredet,
darüber, was zu tun ist, wenn ein 18jähriger einfach keine Lust hat, irgendetwas
zu tun. Und nicht bloss vom Reichtum zu träumen. Von einem Reichtum, der
einem tatenlos in den Schoss fällt. Wissen Sie: ich mache hier vielleicht ein paar
schlaue Sätze. Aber etwas Schlaues zu Sandro ist mir nicht eingefallen, als
meine Schwester sagte: weißt du, Fritz, ich bin einfach so unendlich traurig. Die
Trauer einer Mutter, deren Sohn in Gefahr ist – und alle wissen wir es, die wir
ihn gern haben, diesen Sandro. Wir alle wissen, dass etwas passieren müsste, mit
Sandro, nur – was? Der grosse Redner Dinkelmann hat etwas von einem
Englisch-Kurs erzählt, der immer für irgendetwas gut sein kann – welche
Zukunft dieser Sandro auch immer haben möge – aber: glauben Sie mir: so
hilflos, wie ich in diesen letzten Tagen war, so wortlos, mit so lächerlich
wenigen Ideen im Kopf: es war mir peinlich, mir zuzuhören. Und doch war es so
unendlich viel wichtiger als das, was ich über die Polizei zu sagen wusste, über
ihr womöglich ungeschicktes Verhalten in meinem Elternhaus: ich habe mir
letztlich vorgestellt, dass Polizisten bei meiner Schwester und bei meiner Mutter
geklingelt haben, die sich ähnlich hilflos fühlten. Sie mussten kommen, weil
etwas gegen einen Sandro vorlag, sie mussten ihn suchen und standen vor Türen
mit ratlosen und eingeschüchterten Angehörigen. Ich bin sicher, dass es diesen
Polizisten auch peinlich war. Vielleicht noch ein bisschen ein Gefühl von
Stärke, von Machtgefühl, mag sein – aber vor allem, hoffe ich, war es diesen
Polizisten auch peinlich.

Und warum will ich das auch erzählt haben? Weil ich solche Geschichten von
Bürgern und Polizei wichtiger finde als die gelegentlichen Geschichten von
angeblichen oder wirklichen Missetaten von Polizisten, von Misshandlungen
oder offensichtlich pflichtwidrigem Verhaltens. Denn: das Grundproblem
zwischen Polizei und Bürgern scheint mir zu sein, dass es da eben diesen
Graben gibt, zwischen Polizei und Bürgern. Dass ich nach wie vor – und das
habe ich schon in meinem letzten Vortrag gesagt – fast keine alltäglichen
zwischenmenschlichen Kontakte gibt zwischen Polizisten und Nicht-Polizisten.
Verdammt noch mal, warum kenne ich persönlich FAST keine Polizisten? Wo
trinken sie ihr Bier oder ihre Cola? Wo liegen sie im Urlaub am Strand? In
welcher Disco tanzen Sie oder suchen die richtige Frau?
Es gibt eine grundsätzliche Kontaktstörung zwischen dieser neuerdings so
ordnungsverliebten Öffentlichkeit und ihren Ordnungshütern. Entsprechend
schwierig wird der Dialog in emotional angespannten Situationen. Die
besonderen Machtbefugnisse der Polizei sind jedem Bürger jederzeit präsent.
Und umgekehrt glaube ich zu spüren, dass die Polizei ihrerseits jederzeit dieses
Misstrauen präsent hat, das ihr die Bürgerinnen und Bürgern grundsätzlich
entgegenbringen.

Ich weiss auch nicht, was dagegen zu tun ist. Ich weiss nur, dass es ein langer
Prozess ist, um zu einem Zustand zu kommen, in dem sich Bürger und Polizist
normal begegnen können, mit Vertrauen, unverkrampft und mit Respekt. Und
ich weiss, dass EINE Voraussetzung dafür ist, dass die Polizei sich öffnet und
ihre Arbeit noch transparenter macht als in der jüngsten Vergangenheit. Es
genügt nicht, eine professionelle Medienstelle zu betreuen, die unterdessen
meist sehr kompetent mit der professionellen Öffentlichkeit umgeht. Sondern es
braucht eine Durchmischung auch auf der persönlichen Ebene. Die Bürger
müssen mitverantwortlich gemacht werden für das repressive Tun von Polizei
und Justiz. Genau davor aber drücken sich die meisten Leute bis jetzt – so wie
sie als Feinschmecker auch nicht wissen wollen, wie Tiere geschlachtet werden.
Meine Bitte: tun Sie bei der Polizei alles, um die Bürger Einsichten gewinnen zu
lassen, sie zu beteiligen und so mit der Zeit in die Verantwortung zu nehmen
und in die Pflicht. Lassen Sie es nicht zu, dass die Leute sich billigerweise von
nichts wissen wollen.

Was meine ich damit zum Beispiel konkret? Konkret möchte ich noch einmal an
meinen ersten Vortragsanfang erinnern: an die Überforderungs-Situation der
Polizei angesichts irrealer Erwartungen und Wünsche. Die Sache ist aber noch
viel komplizierter. Denn einerseits diktiert der Zeitgeist der Polizei eine Low-
and Order Haltung, die vor allem die repressive Seite Ihrer Tätigkeit betont -
aber andererseits laufen - wenn ich richtig informiert bin - Ihre eigenen
Anstrengungen in eine ganz andere Richtung.
Ich habe mich - mit Blick auf dieses Referat - ein bisschen kundig gemacht und
bin dabei auf den Code of Police Ethics des Europarates gestossen, also auf den
Europäischen Polizeiethikkodex, von dem ich bislang nichts wusste. Es finden
sich dort ein paar wirklich wesentliche und kluge Gedanken. Zentral finde ich
die Feststellung, dass polizeiliche Aktivitäten zu einem grossen Teil in engem
Kontakt mit der Öffentlichkeit durchgeführt werden - und dass darum
logischerweise die Effizienz der Polizeiarbeit von der öffentlichen
Unterstützung abhängt. Das wiederum verlangt Polizisten, die auf hohem
Niveau kommunizieren können und entsprechend ausgebildet sind. Art. 23
verlangt, dass Polizeibedienstete über ein fundiertes Urteilsvermögen verfügen,
eine offene Haltung haben, Reife, Fairness, Kommunikationsfertigkeiten und
gegebenenfalls auch Leitungs- und Management-Fähigkeiten. Darüber hinaus
müssten sie über ein gutes Verständnis von sozialen, kulturellen und
kommunalen Themen haben.

Meine Damen und Herren, nur sehr gut ausgebildete Polizisten können diesem
Anforderungsprofil einigermassen genügen. Und ich glaube nicht, dass Ihre
Leute im Moment den Ansprüchen des Europarates gerecht werden können.
Voraussetzung dafür wäre ja, dass die Schweizerische Politik der Polizei eine so
wichtige Rolle bei der Förderung des Rechtsstaates zuweisen würde, wie das der
Europäische Polizeiethikkodex vorsieht. Was natürlich sofort finanzielle
Konsequenzen hätte. Denn zum einen kostet eine qualifizierte Ausbildung sehr
viel Geld, und zum andern müsste man so gut ausgebildeten Polizisten sicher
einen besseren Lohn bezahlen. Ich wäre sehr dafür. Weil ich finde, dass die
Polizei tatsächlich eine höchst komplexe Aufgabe zu bewältigen hat, höchst
anspruchsvoll, belastend und mit gelegentlich hohem Risiko. Und vor allem:
eine sehr sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Es ist darum absolut nötig, Ihrem
Berufsstand zu einem besseren Ansehen zu verhelfen - und den
Polizeiangehörigen zu einem gehörigen, also deutlich besseren Verdienst.

Ich bin in meinem Leben immer wieder Polizisten begegnet, deren


Minderwertigkeitskomplexe mir zu schaffen gemacht haben. Sie sind mir
aufgefallen durch einen Neid-Komplex, den ich als äusserst problematisch
ansehe, weil: wenn Bürger und Polizei sich begegnen, dann sollte das möglichst
auf gleicher Augenhöhe passieren. Wenn es aber so ist, dass Uniformierte mit
Minderwertigkeitskomplexen auf Zivile treffen, dann ist das ungut. Weil die
Uniform solche Komplexe nicht kompensieren kann, sondern ihnen im
Gegenteil eine Schärfe gibt, die gefährlich ist. Viele Polizisten finden, dass sie -
im Vergleich zu vielen Bürgern - zu den "zu kurz Gekommenen" gehören. Sie
fühlen sich - obwohl augenfällig Respektspersonen - nicht wirklich ernst
genommen - oder eben nur dann, wenn sie im konkreten Fall das
Gewaltmonopol des Staates verkörpern können - was dann ja aber auch zu
keiner gleichen Augenhöhe führt. Das Gefühl vieler Polizisten, benachteiligt zu
sein, ihr Hass auf die "Grossen", auf die "Reichen", auf jene, die "es sich leisten"
können - kurz: ihr Neid - er verbindet sie mit vielen Rechtsbrechern, die oft ein
ähnliches Unrechtsempfinden geltend machen zur Erklärung ihrer Taten.

Ich bin aber eben überzeugt davon, dass der Rechtsstaat selbstbewusste
Polizisten braucht, stolze Polizisten, weil nur von solchen Polizisten souveränes
Handeln zu erwarten ist. Und also auch darum will ich, dass Polizisten besser
und ihrer Aufgabe angemessen bezahlt werden.
Ich habe Ihnen von Sandro erzählt. Und erwähne das noch einmal, weil ich
davon überzeugt bin, dass gut ausgebildete und gut bezahlte Polizisten den Job
in meinem Elternhaus anders gemacht hätten. Sie hätten den gleichen Auftrag
gehabt, und sie hätten den zwar nicht gänzlich anders erledigen können - aber
vielleicht so, dass ich heute ganz anders über diese Geschichte hätte reden
können, weil die Beteiligten das Geschehen ganz anders erlebt hätten.

Apropos selbstbewusst und selbstbestimmt: Der Europäische Polizeiethikkodex


stellt dazu in Art. 16 eindeutig fest: "Die Bediensteten der Polizei sind auf jeder
Ebene für ihre eigenen Handlungen oder Unterlassungen sowie für
Anweisungen an ihre Untergebenen persönlich verantwortlich."
Damit bin ich sehr einverstanden und will hier Rita Wirrer zitieren, die
Weiterbildungsseminare für polizeiliche Führungskräfte macht und in der
Schriftenreihe der Polizei-Führungs-Akademie 2004 - publiziert vom
Bundesministerium des Inneren Berlin - folgendes gesagt hat:
"Alle Polizeibeamtinnen und Beamten stehen unter dem Risiko, sich unethisch
zu verhalten. Auf Grund der besonderen Macht und Autorität, der zugänglichen
Informationen und wegen des beständigen Umgangs mit Straftaten ist
Polizeiarbeit empfänglich für nicht-ethisches Verhalten. Die Natur der
polizeilichen Arbeit, der Schichtdienst, die Möglichkeit der Gefahr, der
individuelle Entscheidungsspielraum insbesondere in Verbindung mit der
Uniform, die Gleichförmigkeit verordnet und die jeweilige Persönlichkeit und
persönliche Verantwortung verbirgt, die unterschwellige Botschaft, dass in der
Polizei niemand spezielle Fähigkeiten ausbilden soll, weil jeder jeden ersetzen
können muss, dazu die schier unüberschaubare Vielzahl von Regularien
innerhalb der Dienststellen sowie das Gefühl, nicht genügend in die Gesellschaft
integriert zu sein - all das wirkt in Richtung der Ausbildung einer spezifischen
Subkultur, die ethische Risiken bergen kann".

Und die Autorin stellt fest, dass es bei der Polizei darum einen
Paradigmenwechsel brauche: weg von der Fremdsteuerung, hin zur
Selbststeuerung. Anordnung und Kontrolle seien keine tauglichen
Schlüsselbegriffe mehr für eine Polizei, deren Mitarbeiter über folgende zentrale
Fähigkeiten verfügen müssten: Eigeninitiative, hohe Identifikation mit dem
Beruf, Verantwortungsbewusstsein, soziale Kompetenz, Risikobereitschaft,
Improvisationstalent und Innovationsbereitschaft.

Sie merken: hier redet einer, dem Ruhe und Ordnung nicht genügen. Und zwar
darum nicht, weil ich davon überzeugt bin, dass die Polizei tatsächlich eine
zentrale Rolle hat bei der Förderung der Rechtsstaatlichkeit - so wie das der
Code of Police Ethics postuliert. Ein Staat wie die Schweiz muss nicht mit dem
Besen ausgemistet werden. Ein Rechtsstaat wie die Schweiz braucht keine
Stallknechte als Ordnungshüter. Sondern Polizisten, die aufrecht gehen, die klar
denken und eigenverantwortlich entscheiden und handeln.

Ich komme zum Schluss: Ich habe gesagt, dass wir Menschen alle zu den Bösen
gehören. Weil wir als einzelne Individuen alle fehlerhaft und lasterhaft sind -
und willensschwach.
Aber: als Gesellschaft müssen wir uns bemühen, unerwünschtes Verhalten in
den Griff zu bekommen und Fehlleistungen so zu sanktionieren, dass sie
möglichst wenig auftreten. Es braucht eine kollektive Anstrengung, um das Gute
zu wollen, es braucht den guten Willen der ganzen Gesellschaft - und nicht nur
gute Polizisten. Wir haben alle einen Vertrag zu unterzeichnen, dass wir eine
rechtsstaatliche Ordnung wollen, und wir haben diesen Vertrag zu
unterzeichnen, obwohl wir alle im Einzelfall versagen können und dann zu den
Bösen gehören.

Aber natürlich will ich damit nicht verwischt haben, dass die Polizei bei diesem
Kampf für eine rechtsstaatliche, offene, faire und menschliche Schweiz eben
doch eine ganz spezielle Rolle spielt. Und darum reagiere ich auch allergisch,
wenn ich von Polizisten in letzter Zeit immer häufiger den Satz höre: "Ich
mache hier nur meinen Job". Es ist kein Zufall, dass man diesen Satz immer
öfter hört. Noch vor einigen Jahrzehnten herrschte die Meinung vor, dass es
Berufe gibt, die man aus Berufung ausübt - womöglich sogar aus einer höheren
Berufung. Pfarrer zählt man dazu, Lehrer, Ärzte, aber auch Postangestellte - und
eben, Polizisten. Zum Wohle der Gesundheit, der Kinder, zum Wohle des
Staates oder des Herrn: es gab eine ganze Reihe von Berufsleuten, die zwar stolz
waren auf ihre Professionalität, und die trotzdem niemals gesagt hätten: wir
machen nur unseren Job.

So eng wie die Polizei ist keine andere Berufsgruppe mit dem Staat verknüpft,
und darum erstaunt es eben nicht, dass, wenn der Staat schwächelt (etwa, weil er
kein Geld mehr hat, mit dem ein Staat zu machen wäre), die Polizei sofort in die
Defensive kommt. Die Aussage, "ich mache schliesslich nur meinen Job", soll
schützen. Schutz bieten nicht zuletzt vor zu hohen Erwartungen. Wenn damit
nur falsche oder überrissene Erwartungen der Gesellschaft gemeint wären, dann
wäre das nicht weiter schlimm. Aber so ist es nicht. Die Aussage will nämlich
vor allem das: die eigenen Ansprüche herunterschrauben - um sich so vor dem
Frust zu schützen, wenn man den eigenen Erwartungen - oder den Erwartungen
der Chefs - wieder einmal nicht genügen konnte. Und vor allem: Polizeiarbeit ist
eben tatsächlich eine sehr spezielle Arbeit. Und auch, wenn man diese Arbeit
einfach nur vernünftig machen will und sorgfältig und professionell, geht es
dabei doch immer auch um moralische Kategorien wie "gut und böse", "richtig
und falsch", "Schuld und Unschuld". Das sind zwar alles auch juristische
Kategorien - aber eben nicht nur. Sondern im Gegenteil: wenn hinter einem
Schuldspruch eines Gerichts keine moralische Überzeugung mehr stehen sollte
der Gesellschaft, dann gäbe es auch keine Legitimation mehr für Urteile und
Verurteilungen. Es wäre also fatal, wenn die Polizei sich künftig hinter der
Fassade der puren Rationalität verstecken würde. Wer nur seinen Job macht, der
ahndet Regelverstösse, der spürt Delinquenten auf und führt sie der Justiz zu -
die dann ihrerseits und nach ihrem professionellen Regelwerk ihren Job macht
und Urteile fällt. Und dann kommen die Vollzugsleute, die ihren Job machen,
und das alles wird von Medien kommentiert, die auch nur ihren Job tun, und
wenn sich gelegentlich Politiker zum Handeln veranlasst sehen, dann machen
auch sie nur ihren Job...
Meine Damen und Herren, so geht es nicht, so geht es schief. Denn wenn alle
nur ihren Job tun, dann bleibt mit Sicherheit ETWAS auf der Strecke. Und das
ist die persönliche Verantwortung. Und die gibt es immer, und ohne die geht es
nie gut. Man hat in den allermeisten Situationen die Wahl. Zwar ist die Auswahl
meist nicht sehr gross und man kann sich oft lediglich zwischen zwei
Möglichkeiten entscheiden, die sich nur ein bisschen voneinander unterscheiden,
aber: für dieses BISSCHEN müssen wir alle kämpfen und Sie als Polizisten
ganz besonders. Denn es ist der Kampf um jene Freiheit, die Sie als Polizisten
im Namen unserer freiheitlichen Gesellschaft verteidigen. Und wer - wenn auch
nur ein bisschen - mitentscheidet, über sein Tun - der macht sich eben auch
mitverantwortlich. Und wer sich mitverantwortlich fühlt für ein Geschehen, der
wird eben nicht sagen: ich mache nur meinen Job.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen allen: machen Sie es gut. Machen Sie nicht
nur Ihren Job, machen Sie eine gute Arbeit - im Interesse von uns Bösen, die wir
auch alle versuchen, unser Bestes zu geben. Und bitte, glauben Sie an das Gute
in uns: wie sonst könnten Sie erwarten, dass wir manchmal ein schlechtes
Gewissen haben...

Fritz Dinkelmann 14. April 2005

Referat gehalten im Rahmen eines Ethikkurses des Führungslehrgangs III für


deutschsprachige Polizeioffiziere in der Kantonsschule Solothurn. Leitung:
Dr. Barbara E. Ludwig, Kommandantin der Kapo Schwyz.

Das könnte Ihnen auch gefallen