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OBERRAT BRACK
Armes Deutschland
Realsatirischer Heimatkrimi
Ein unziemlich deutscher Roman
Erster Band der Trilogie in vier Bänden
1
WDG
OBERRAT BRACK
Krankes Deutschland
ISBN:
Verleger:
Copyright: © 2005 WDG Copyright, sämtliche denkbaren
und noch undenkbaren Rechte beim Autor
Sprache: deutsch
Land: Deutschland
Ausgabe
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Danksagung
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Gutmenschen. Nicht gute Menschen! Es ist schon ein leich-
ter Unterschied!
Ungefähr so, wie zwischen Pikas und Aspik.
Der "Gutmensch" fordert in der und von der Öffentlichkeit.
Der gute Mensch tut es einfach! Und redet nicht darüber.
Wir haben ein gewaltiges Deppenproblem in allen gesell-
schaftlichen Bereichen. Und weil uns das in Bälde das
Genick brechen wird, sollte man den Irrsinn in unserem
Absurdistan für die Nachwelt festhalten. Außerhalb der
offiziellen Propagandamaschinerie. Damit ist auch der
dümmlichen selbst ernannten Nomenklatura der Krieg
erklärt. Für die anständigen Deutschen.
Es liegt in der Natur der Sache, daß ein Anständiger weiß,
was unanständig ist. Während ein Unanständiger noch nicht
einmal wissen will, was anständig ist!
Sie glauben das nicht? Ein neuer Gipfelpunkt der Perversi-
on erreicht, daß einer hungernden Welt Lebensmittel entzo-
gen werden, um weiter Auto fahren zu können. Stichwort:
Biosprit! Die Lebensmittelpreise werden explodieren, und
Pkw nebst Fahrer werden demoliert werden. Und alle ma-
chen mit. Weiter so, Deutschland! Prima, USA!
Noch schlimmer wäre es, wir hätten kein Deppenproblem.
Denn das würde bedeuten, daß Bösartige und Übelwollende
das Sagen hätten!
Auch könnte der geneigte Leser den Eindruck bekommen,
daß den Autor an dem heutigen Deutschland so ziemlich
alles stört. Richtig, genau so! In den letzten 35 Jahren wur-
de alles, was falsch zu machen war, mit einer geradezu
pathologischen Beharrlichkeit auch falsch gemacht! Un-
möglich?
Erinnern Sie sich einfach an Ihre Kindheit. Ohne Verklä-
rung. War es damals besser oder schlechter?
Unsere ist leider nicht die Bestmögliche aller Welten, denn
die Irren haben den Schlüssel zur Anstalt geklaut. Wir sind
drinnen, die sind draußen.
Wir erleben gerade den Beginn eines Raubzuges gehirn-
sprengender Dimension, und wir alle sind die Opfer.
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Merkwürdigerweise leiden wir unter einer genetischen
Duldungsstarre während der Ausplünderung. Wie eine Sau,
die von einem Eber besprungen wird!
Dieses Buch wurde geschrieben, um des Autors Frage an
seinen Opa zur Nazizeit in der Wiederholung zum heutigen
radikalen asozialen Gesellschaftsumbau zu vermeiden:
»Und was hast Du dagegen getan, Opa?« »Nichts, mein
Junge, ich war auch zu feige!«
Nicht weiter schlimm, denn: Wie viele Helden werden pro
Generation geboren? Wer aber die Feigheit anderer aus der
sicheren Distanz der Geschichte anprangert, ist ein groß-
mäuliges Arschloch! Und wer etwas Nichtvorhandenes
eigenbrustschlagend bekämpft, auch. Und davon haben wir
mehr als reichlich. Sie kennen das: Was machst Du denn
da? Ich verjage Löwen. Aber hier gibt es keine Löwen. Da
kannst Du mal sehen, wie erfolgreich ich bin!
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Über den Autor
Da halten die Linken den Autor für einen Rechten, und die
Rechten ihn für einen Linken. Als ob ein Gehirn nur rechts
oder links funktioniert. Es ist ja immerhin ein seltenes Er-
eignis, wenn ein Gehirn überhaupt funktioniert! Er, der
Autor, hat nämlich seine Lektion in Demokratie viel zu gut
gelernt! Glaubt er! Er erlaubt sich den Luxus des unabhän-
gigen Denkens. Auch wenn die Meinungsbildung von ei-
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nem einzigen Käseblatt in Anspruch genommen wird. Mit
Schlagzeilen wie „Tante grillt taube Nichte“.
Unsere Pseudodemokraten mit dem fatalen Hang zur Dikta-
tur werden lauthals toben über soviel Frechheit. »Denn wir
haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und
soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit.« Ein Zitat einer
mehrfach gewendeten »Demokratin«!
Der Autor hat es einfach satt, von Menschenähnlichen sein
Leben bestimmen zu lassen, deren einzige Qualifikation
darin besteht, sich bei der Bevölkerung solange einzu-
schleimen, bis die Bevölkerung sie aus einem Ruhebedürf-
nis heraus endlich wählt!
In diesem Roman wird nachgeholt, was seit vielen Jahren
nicht mehr opportun ist: Deutschland wird gegen den Strich
gebürstet, und alle so schön verdeckten Unzulänglichkeiten
und absichtsvollen Fehler stehen nackt und erbärmlich da!
Andere Länder können damit leben, Deutschland nicht.
Gegen diese unverschämte Camouflage des Nachkriegs-
primus hilft nur eine rigorose Entblätterung der professio-
nellen Lügner und Scheinheiligen aus allen Schichten und
Ständen.
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Jeder Vertrag, der über eine einseitig geschriebene DIN-
A4-Seite hinaus geht, dient nur dem Betrug! Sehen Sie sich
mal Ihren Handy- oder Autokaufvertrag an. Wenn Sie mit
allem einverstanden sind… Schön für die Gegenseite.
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Prolog
52° 31' 22" nördlicher Breite, 13° 22' 13" östlicher Länge,
ungefähr da, wo heute der Kanzlerbunkerlow steht, legten
vor zirka 8.184 Jahren südwärts ziehende Emigranten eine
Rast ein. Sie sahen sich in dem sumpfigen und verholzten
Gelände um, guckten sich an und nölten: »Hier siedeln
doch nur welche, die nicht ganz dicht sind!« Diese Aussage
beinhaltet zwei brillante Erkenntnisse. Erstens, daß intelli-
gente Emigranten nicht nach Berlin gekommen und geblie-
ben sind, und zweitens, wer hat je behauptet, daß die Berli-
ner ganz dicht wären?
Alleine das Bohey um den Berliner Bären. Bären überall,
weil es ja schließlich auch »Berlin« heißt. Das ist niedlich,
das ist historisch!
Aber eben nur für die Herrschaften, deren IQ nicht höher
als die durchschnittliche Jahrestemperatur Berlins ist. Und
die beträgt ungefähr neun Grad Celsius.
Nach ernst zu nehmenden Wissenschaftlern geht der Name
»Berlin« auf die slawische Silbe »berl« zurück.
Und die bedeutet »sumpfig« oder »Sumpf«!
Womit die oben angeführte, flapsige Aussage angesichts
des vorgefundenen Sumpfes: »Hier siedeln doch nur wel-
che, die nicht ganz dicht sind!« der unbekannten intelligen-
ten durchziehenden Emigranten posthum bestätigt wird.
Schon vor vielen Jahrzehnten setzte sich diese Erkenntnis
in dem Gassenhauer durch:
»Du bist verrückt, mein Kind, Du mußt nach Berlin!
Wo die Verrückten sind, da gehörst Du hin!«
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Vor Entsetzen geflohen?
Immer wieder war Berlin Treffpunkt und Rückzugsraum
derjenigen, die für ihre jeweiligen Vater- und Mutterländer
einfach zu verrückt waren und vor die Wahl gestellt wur-
den: Entweder geschlossene Anstalt bei ihnen oder offener
Vollzug in Berlin. Und alle wählten Letzteres. Denn sie
waren zwar verrückt, aber eben nicht blöd.
12
Die Anschläge
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denn wahr wäre! Ich muß sagen, ehrlich, ich glaube kein
Wort davon! Hört sich an wie ein Märchen aus »Tausend-
undeine Nacht« ohne Sex!«
Die resolute jüngere Frau war durch die Informationen, die
sie nicht verarbeiten konnte, noch aggressiver geworden.
Sie griff sonst immer an! Aber wen sollte sie jetzt angrei-
fen? Ihre Mitstreiter waren genauso geschockt und un-
schuldig wie sie! Ihre Aggression wandelte sich in Frustra-
tion um. Und machte sie noch aggressiver.
»Falls, Frau Klein-Westen, falls! Frau Klein-Westen ist
skeptisch wie immer. Allerdings muß ich zugeben, auch
mir fällt es schwer, das alles zu glauben. Eine unbekannte
Gruppe? Wächter? Es würde diese Republik verändern. Es
würde Europa verändern! Aber stimmt es denn auch? Wir
können doch nicht einfach Alles und Jedem glauben. Mär-
chenstunde im Bundestag. Das geht nicht.«
Der etwas dickliche junge Mann hatte bereits für sich die
Auswirkungen analysiert, aber noch nicht die Information
an sich. Klar würde er der Superstar seiner Partei werden,
aber nur, wenn er den Wahrheitsgehalt der Aussage ihres
Besuchers mit handfesten Beweisen belegen konnte.
»Herr Nolden, wir alle werden morgen unsere Kontakte
über unseren geheimnisvollen Besucher vorsichtig befra-
gen. Einfach nur allgemein gesprochen befragen. Keine
Andeutungen, was wir wirklich hören wollen. Wir brauchen
zwar Beweise, aber … erstmal sondieren. Ob wir den Aus-
künften glauben, bereden wir am Wochenende. Bis dahin
sollten wir das Thema ruhen lassen.«
Sven Buchner faßte sich an die Brust und atmete schwer.
Man sah ihm an, daß die Situation ihm schwer zusetzte.
Sein Gesicht war fahl, fast leichenblaß und mit einem dün-
nen Schweißfilm überzogen. Er zündete sich die wohl zehn-
te Zigarette in einer Stunde an. Auch drei andere hatten bei
ihm Zigaretten geschnorrt. Niemand kümmerte sich um das
Rauchverbot!
»Herr Graf, wir müssen uns mit einer Entscheidung Zeit
lassen. Glauben wir es, und es stimmt nicht, machen wir
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uns alle für alle Zeiten zum Narren. Allerdings war er sehr
überzeugend, nicht wahr? An unseren Reaktionen sieht man
doch, daß wir ihm glauben! Hat einer der Anwesenden eine
Erklärung dafür, warum ausgerechnet wir die Ansprech-
partner sind?«
Auch der am nachlässigsten Bekleidete der Runde hatte
einiges seiner sonst naßforschen Art verloren. Ja, er wirkte
etwas verloren, weil er zum ersten Mal in seinem Leben
keine schnelle Einschätzung treffen konnte. Das hier war
doch was anderes als Startbahn West. Er hätte sonst was
dafür gegeben, wenn er jetzt mit einem Stein hätte werfen
dürfen. Aber auf wen bloß?
»Weil er uns vertraut? Aber stimmt es, was er sagt, und wir
unternehmen nicht sofort etwas, sind wir noch größere
Narren. Nein, wir machen es so, wie es Herr Graf vorge-
schlagen hat. Morgen vorsichtig sondieren, übermorgen
treffen wir uns hier wieder und tauschen uns aus, und am
Wochenende entscheiden wir uns, wenn uns der Besucher
mit seinen schriftlichen Unterlagen wieder beehrt. Und kein
Wort zu irgendjemandem! Auch nicht zu unseren Partei-
und Fraktionskollegen. Gerade zu denen nicht! Einen Feh-
ler und wir können unsere politischen Karrieren dauerhaft
begraben. Einverstanden?«
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den GRÜNEN beitrat, zur SPD wechselte und eine Politik
der NSDAP durchpeitschte. Völlig normal!
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Nein, er wäre ein Richter in der Tradition von Salomon.
Der also leider nicht nach Recht und Gesetz, sondern nur
nach Recht ohne jedes Hintertürchen geurteilt hätte. Er
hätte keine 100.000 Paragraphen benötigt, ohne die unser
Rechtswesen nicht auskommen zu können meint. Die Zehn
Gebote wären ausreichend gewesen. Auch für das Volk!
Wenn Gott 100.000 Gebote erlassen hätte, würde Moses
heute noch die Tafeln den Berg runterschleppen!
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Rechtsbeugung sind auch Geldstrafen. Die sind eine einsei-
tige Bevorzugung der Reichen und eine zusätzliche Bestra-
fung der Armen. Vor dem Gesetz sind alle gleich! Da haben
wir aber eine schöne Gleichung: Freiheit gleich Geld! Die-
ses Gesetz wurde schlicht und einfach von den Reichen
bestellt! Wie aus einem Katalog. Kriminelle Manager wer-
den nie ins Gefängnis geschickt. Sie kaufen sich mit Euro
500.000 einfach frei. Großartig, Deutschland! Das stärkt
doch den Kinderglauben an das Recht.
Es erschlägt einen immer wieder, wie gummiartig Recht auf
diesem Planeten praktiziert wird. Ist denn Recht oder Un-
recht nicht universell? Warum kann chinesisches oder japa-
nisches Recht nicht in Frankreich angewendet werden?
Oder Schweizer Recht in Deutschland? Weil diejenigen, die
die Gesetze für sich bestellen, dann kein Hintertürchen zum
Rauswinden mehr hätten?
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war es für ihn zu spät. Was wäre auch die Alternative? Man
konnte es nur so machen, wie er es vorhatte. Aber auch so
hatte er als Primus alle Befugnisse.
Und um die ältliche Putze, die ihn mit weit aufgerissenen
Augen beobachtet hatte, würde er sich später kümmern.
Er verließ ungesehen das Gebäude, besorgte sich an einem
Kiosk Kleingeld und Telephonkarten, setzte sich eine
Schlägermütze auf und fuhr mit dem Bus der Berliner Ver-
kehrsbetriebe zum Bahnhof Zoo.
In dem Gewimmel der Reisenden und Gestrandeten fiel er
absolut nicht auf. Er suchte sich einen Münzfernsprecher
und rief die erste Nummer im Ausland an. Seine umfassen-
den Sprachkenntnisse und seine sagenhaften Verbindungen
kamen ihm nun mal zugute. Er erteilte dem Gesprächspart-
ner genaue Instruktionen mit Namen und Orten und der
Bezahlung. Er heuerte einige Auftragskiller an. Geld stand
ihm ohne Ende zur Verfügung. Er ging zu einem Karten-
fernsprecher und engagierte die nächsten Killer.
Insgesamt sieben feste Aufträge vergab er nach diesem
Modus an zwei unterschiedliche »Killer-GmbHs« weit im
Osten. Und die wären morgen bereits in der Stadt. Oder
sogar schon heute. Vielleicht waren sie schon in Berlin und
wohnten dort?
Natürlich ging er ein enormes Risiko ein, aber mit etwas
Glück würde alles in Ordnung kommen. Denn er wußte, die
Aufklärung dieser Morde würde für die Polizeiorgane sehr
problematisch werden. Bei dem letzten Fernsprecher ließ er
die Telephonkarte einfach stecken. Wenn sich die Karte
irgendjemand unter den Nagel reißen würde, war seine Spur
verwischt.
Und hier trieben sich genügend Drogenabhängige herum,
die jeden Cent gebrauchen konnten.
Tief in Gedanken stieß er mit einer unförmigen Gestalt
zusammen, die unter ihrem Mantel eine Soutane trug. Auch
wenn er eben den fast unchristlichen Auftrag vergeben
hatte, unschuldige Gotteskinder vom Antlitz dieser Erde zu
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tilgen, murmelte er automatisch als guter Christ und Gläu-
biger: »Gelobt sei Jesus Christus!«
Pastor Ambrosius antwortete ebenso automatisch: »In
Ewigkeit, Amen.«
Beide gingen ihrer Wege in entgegengesetzten Richtungen.
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»Freunde! Pah, Herr im Himmel, schick’ mir Feinde, keine
Freunde!« grantelte er. Aus heiterem Himmel wurde er von
der Seite angenegert.
»Hasse ma ne Maak für mich?«
Aber Pastor Ambrosius wollte partout nicht in seinen Ge-
danken unterbrochen werden und schob »Birne«, den klap-
perdürren Junkie, mit einer kräftigen Rückhand zur Seite.
»Birne«, mal wieder voll auf dem Trip, flog auf die sich
bewegende Rolltreppe. Für einen kurzen Augenblick glaub-
te er Raum und Zeit überwunden zu haben, weil er nicht
mitbekommen hatte, wie er eigentlich auf die Rolltreppe
gekommen war. »Birne« wunderte sich. Er war ein ehema-
liger Alkoholiker, den aber durch das ewige Flaschen- und
Dosenschleppen ein schwerer Bandscheibenvorfall vom
Alkohol abgebracht hatte. Nun hatte er ganz andere Visio-
nen.
Pastor Ambrosius war aber mit ausgreifenden Schritten
schon längst weiter. »Beelzebub, schmor in der Hölle!« rief
er mit seiner Stentorstimme so laut, daß einige Passanten
sich erschrocken bekreuzigten.
Hermann Holzer war tot. Und hatte ihn in Vertretung der
katholischen Kirche zum Universalerben eingesetzt.
»So eine Drecksau!« schimpfte er vor sich her. Er hatte mit
Holzer so manches opulente Mahl geteilt und nicht uninter-
essante Streitgespräche geführt. Mit einem hartleibigen
Atheisten. Mit einem Heiden! Holzer hatte ihm maliziös
prophezeit, daß sein katholischer Gott sich einen Scheiß-
dreck drum kümmern würde, wenn er, Pastor Ambrosius,
sich gegen sein Gewissen und seine Überzeugung entschei-
den müßte. Er sah noch Holzers fettes Grinsen vor sich.
Nun hatte er geerbt. Doch da war noch eine kleine Klausel!
Pest! Er würde sich ewig zum Deppen machen, wenn er
diese Klausel erfüllte.
»Mephisto Holzer, hoffentlich bist Du zuhause im ewigen
Fegefeuer!«
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Pastor Ambrosius war ratlos. Erstmal mußte er was essen.
Dann brauchte er Rat. Aber guter Rat war hier wirklich
teuer.
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notwendigerweise leider dem Erarbeiter wegzunehmen,
sicher! Immer! Niemand auf diesem Planeten hat je gehört,
daß Politiker das Volk aufforderten, den Gürtel mal zu
lockern. Aber ununterbrochen enger schnallen, das kommt
jedem bekannt vor!
Nur, irgendwann stirbt der Steuerzahler an dem engen Gür-
tel und an Unterernährung. Während der Staat dick und fett
und bräsig den Beamteninfarkt erleidet.
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Oder die Popstars der Physik. Albert Einstein, der am Mei-
sten angehimmelte Physiker der Weltgeschichte. Der hat ja
nun Alles und Jedes entdeckt. Inklusive Backpulver und
Duftbaum. Hat er?
Noch heute werden »seine Erkenntnisse« passend gemacht,
damit kein Stäubchen auf seiner makellosen Weste er-
scheint.
Allerdings….. seine erste Frau Mileva Einstein-Maric, eine
serbische Bauerntochter, die intensiv mit ihm zusammenar-
beitete und wahrscheinlich alle Theorieentwürfe selbst
erarbeitete, hat ihm seine Nobelpreise geschenkt, um es mal
nett auszudrücken. Da kommt bei einigen aber das Weltbild
durcheinander. Eine Frau soll diese angeblich genialen
Ideen gehabt haben? Eine Bauerntochter? Gar eine Serbin?
Jetzt kommt aber die Keule, von Denkmäler anpissen und
so, und zwar sofort!
Und echte Titanen der fortschrittlichen Physik, Fast-
Zeitgenosse und ebenfalls Nobelpreisträger, Heisenberg,
der die Grundlagen des gesamten heutigen Fortschritts mit
der Quantenmechanik und der Heisenbergsche Unschärfe-
relation legte, sind mangels Starkult fast vergessen.
Und dann noch die Ikone Stephen Hawking. Frauen sollen
ihm tatsächlich Babys bringen, damit er sie berührt! Seg-
net? Ein neuer Jesus?
Nur weil jemand im Rollstuhl sitzt, muß er nicht intelligent
sein! Kennen wir doch von unseren Politikern.
Wer seine Bücher mit den abstrusen widersprüchlichen
Theorien überfliegt, bewundert die Frechheit seiner Be-
hauptungen, aber sonst nichts. Und ehe ein Neidvorwurf
aufkommt: Neidisch sein auf jemand im Rollstuhl? Ich bitte
Sie!
»Eine kurze Geschichte der Zeit« kann ganz kurz gehalten
werden: Es gibt keine Zeit!
Zeit ist eine von Menschen erfundene Hilfskonstruktion,
um unser fehlerbehaftetes Nervensystem zu kompensieren.
So wie wir 24 Standbilder in einer Sekunde als »Bewe-
gung« wahrnehmen. Bis heute gibt es kein elektronisches
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analoges Aufzeichnungsgerät für Bilder, wie es z. B. unser
Gehirn aufzeichnet! Egal, Zeit.
Haben Sie denn schon einmal einen Zeitreisenden getrof-
fen? Was denn, nein? Da gibt es doch nur zwei Möglichkei-
ten: Entweder wird aus oben genannten Gründen – es gibt
keine Zeit - die Zeitreise auch in einer Million Jahre nicht
erfunden, oder die Menschheit stirbt vorher aus. Punkt.
Nicht die Zeit vergeht, sondern wir und unsere Umgebung
vergehen. Ja, wir haben Digitaluhren. Aber nur, damit wir
pünktlich zur Arbeit kommen. Nicht zum Nachweis der
Zeit.
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in Höhe von 100.000 Euro. Seine Hausbank hob entsetzt
die Hände, als er eine Erhöhung seines Revolving Kredits
beantragte. Sie hätten nun sowieso schon schwerste Beden-
ken, weil seit Wochen keine nennenswerten Eingänge zu
verzeichnen gewesen wären.
Fischer sagte dem Finanzamt, er könne noch nicht zahlen
aber er hätte große Forderungen an die Stadt Berlin.
»Die Stadt Berlin und die Berliner Finanzbehörden sind
doch im Grunde genommen ein Verein, man kann doch
problemlos das eine mit dem anderen verrechnen!« Und
guckte auf deutsche Art.
Da lachte der Amtsschimmel ganz herzlich, er wieherte
geradezu und ließ nach Ablauf der Frist pfänden.
Bernd Fischer mußte mit einem kerngesunden Betrieb In-
solvenz beantragen.
Zwölf Mitarbeiter, alle Spezialisten und seit vielen Jahren
bei ihm beschäftigt, machten die Flure der Arbeitsagentur
unsicher und nervten dessen weit überforderte und überbe-
zahlte Agenten. Leider waren die zwölf Mitarbeiter zu alt
und zu einseitig spezialisiert, als daß sie neue Arbeitsplätze
hätten finden können. Ja ja, der Älteste war echt schon 48
Jahre alt! Na, was kann so einer denn wohl noch leisten?
Nichts mehr, oder?
Die Kredite bei der Bank konnten nicht mehr bedient wer-
den und wurden fristlos gekündigt.
Seine große, aber erst zu 60 % bezahlte Eigentumswohnung
wurde unter Zwangsversteigerung gestellt. Ein Käufer war
in Aussicht. Später sollte es sich herausstellen, daß der
Käufer die Frau des Bankfilialleiters war, dem diese große
Wohnung sehr gut gefiel. Und zu dem veranschlagten Preis
gefiel sie ihm und seiner Frau immer mehr. Man konnte
schon so seine Schnäppchen machen, wenn man an der
Quelle saß, und alles unter Kontrolle hatte.
Jedenfalls blieb Bernd Fischer auf ungefähr 150.000 Euro
Verbindlichkeiten sitzen. Seine Ehefrau wollte nicht unbe-
dingt die vom Pastor beschworenen schlechten Zeiten mit-
machen und verließ ihn mit den 15- und 17jährigen Kin-
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dern. Wärme und Sonnenschein und Champagner sind
einfach angenehmer als naßkalter Schnee und Kräutertee.
Natürlich sollte Bernd Fischer auch Unterhalt in normaler
Höhe bezahlen, was er jedoch auch nicht konnte.
Die ausstehenden 500.000 Euro waren zwischenzeitlich
Thema vor Gericht, doch da die Stadt Berlin eine einmalige
Gelegenheit sah, das Geld behalten zu können, wurde über
Reklamationen seine geleistete Arbeit madig gemacht.
Bernd Fischer hatte also summa summarum die Faxen
derartig dicke, daß er beschloß, denen, die durch Gesetze so
etwas zuließen, mal zu zeigen, was eine Harke ist.
Fischer wollte töten. Töten!
27
Absurdistan, Berlin, Mittwoch, der 16. November,
18 Uhr 12
Klara Schütte hatte es, wie immer, eilig. Die »eilige Klara«,
wie sie die Kollegen nannten. In Wirklichkeit meinten sie
jedoch die »heilige Klara«, wegen ihres Gerechtigkeits-
fimmels.
Doch in der U-Bahnstation Tiergarten herrschten Zustände
wie nach einem Rockkonzert. So drängelte und schob auch
sie sich durch die Menge und stellte sich so hin, daß sie in
den letzten Wagen einsteigen konnte.
Der alte Mann zwei Reihen hinter ihr hob langsam seinen
Spazierstock waagerecht in Hüfthöhe. Die U-Bahn war
schon von weitem zu sehen. 50 Meter…30 Meter. Mit ei-
nem extrem kräftigen Stoß des Spazierstockes auf Klara
Schüttes Wirbelsäule katapultierte der alte Mann sie 10
Meter vor dem heranrasenden Triebwagen auf die Gleise.
Als die Bremsen kreischten, war Klara Schütte schon mehr-
fach tot.
Der alte Mann ließ einfach den Spazierstock fallen, drehte
sich um und ging seitwärts zur Rolltreppe, als der kollekti-
ve Schrei des Entsetzens durch die Station hallte.
Während sich die ersten Unglückszeugen übergaben, ver-
wandelte sich der alte Mann in einen ganz normalen jünge-
ren Passanten.
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Absurdistan, Berlin, Mittwoch, der 16. November,
18 Uhr 14
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Absurdistan, Berlin, Mittwoch, der 16. November,
18 Uhr 18
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Absurdistan, Berlin, Mittwoch, der 16. November,
18 Uhr 23
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Absurdistan, Berlin, Mittwoch, der 16. November,
18 Uhr 26
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Absurdistan, Berlin, Mittwoch, der 16. November,
18 Uhr 30
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Absurdistan, Altötting, Mittwoch, der
16. November, 20 Uhr 38
34
Absurdistan, Berlin, Mittwoch, der 16. November,
22 Uhr 54
35
Grauenvoll! Oder der Herr Landrat mit seiner Frau, der
Landratte. Oder der Herr Staatssekretär mit Sekretärin,
nicht seiner Frau. Undenkbar so was! Also war und blieb
man unter sich.
So fiel auch ein festlich herausgeputzter Bernd Fischer in
Promistandarduniform nicht sonderlich auf, als er sein
Stilett Doktor Jens Hartmann von der Seite in die Leber
drückte und Richtung Ausgang verschwand.
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Der Auftrag
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Volksbegehren? Es wäre ja noch schöner, wenn das Volk
seinen Willen ausdrücken dürfte! So was stört doch enorm.
Alle existenzbedrohenden Entscheidungen wurden par
ordre de Mufti gefällt. Wobei niemand wußte, wer eigent-
lich der Mufti war!
Es wurde auch klar, daß das Volk keine Rechenschaft ein-
fordern würde, denn die zwei großen Parteien wurden im-
mer wieder gewählt, auch weil sie sich immer ähnlicher
wurden beim Drängen an den Trog.
Es gab nie eine echte Alternative. Die kleinen Alternativen
bestanden entweder aus Pünktchen oder aus alten Naiven,
die man nur als Steuerberater oder Latzhosenfan ernsthaft
wählen konnte.
Dem Volk war es egal, ob Bonsai- oder Brezeldiktatoren
ein Bundesland wie ein Familienunternehmen führten, es
wollte auch nichts von den zahllosen Geheimnissen wissen.
Dreck am Stecken gehörte nun mal zu Politikern wie Flie-
gen auf dem Misthaufen, dachte der Wähler. Er irrte wie
immer und glaubte auf die nette treudoofe deutsche Art
alles.
So also nahmen die Deutschen ihre Politiker ernst. In
Deutschland muß immer alles, aber auch alles ernst ge-
nommen werden. Gerade und besonders der Humor. Hilfe-
stellung bieten TV-Sendungen mit dem programmatischen
Titel »Lachen macht Spaß!«. 1, 2, 3, lustig sein!
Geht man durch eine Fußgängerzone einer Großstadt in
Deutschland und setzt auf griesgrämige Gesichter einen
Euro, kann man in Windeseile reich werden. Wer da lacht,
ist Ausländer, zählt an und für sich nicht und verschwindet
auch bald wieder. Witzig oder unwitzig ist, daß die Deut-
schen gerne jemanden wählen, der so ist, wie sie selbst, und
problemlos die Vorsitzende des Vereines für unterdrückte
Lebensfreude sein könnte. Wenn über 80 % ihren Job und
ihren Chef und ihre Familie hassen, wie soll da Freude
aufkommen? Deutschland unter sich!
Man munkelt, daß über einem Eingang zum Plenarsaal des
Bundestages steht: Wissen ist Macht! Irgendwann soll das
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ein Durchblicker ergänzt haben mit: Aber nix wissen macht
auch nix! Das wurde von Legislaturperiode zur Legislatur-
periode leider immer wahrer.
Denn allerspätestens mit der zufälligen Teilvereinigung
wurde dieses Land zum Abschuß freigegeben.
Unsere Gesellschaftsform wurde nun perfekt auf die nieder-
sten Instinkte der Menschen ausgerichtet. Betrügen und
belügen war nun Pflicht, Schwäche zeigen durch Mangel an
krimineller Energie war verpönt. Armut ein Zeichen von
Lebensuntüchtigkeit, Reichtum von Gewitztheit. Edle Vor-
standsvorsitzende deutscher Traditionsunternehmen ver-
brachten mehr Zeit vor Gericht wegen Falschaussagen,
Steuerhinterziehung und Insidergeschäften als in ihrer Fir-
ma. Arbeiter und Angestellte der Privatwirtschaft als Abge-
ordnete mit einer Lebenserfahrung der durchschnittlichen
Wähler wurden ersetzt durch raffgierige Juristen mit der
Lebenserfahrung von Piranhas. Die Ideen des März! Oder
waren’s die Iden des Merz?
Daß hinter jedem großen Vermögen ein großes Verbrechen
steht, war natürlich auch nicht mehr wahr, und man gab
sich alle Mühe, sein Curriculum Vitae geschönt den erfreu-
lichen Umständen anzupassen. Die Korruption grassierte in
Politik und Industrie und Verwaltung, und alle planten die
Bestechungssummen fest in ihr Familienjahresbudget ein,
weil sie ohne schon garnicht mehr in Saus und Braus leben
konnten. Na, so was? Die eine Hälfte der Politik und Indu-
strie und Verwaltung ist korrupt. Und die andere? Die ist
sehr korrupt!
Jeder inflationär bis Drei zählen Könnende galt als Genie,
sodaß manches echte siebenjährige Genie beschloß: „Wenn
Dieter Bauhlen oder Bill Gehts eins ist, will ich lieber keins
sein.“ Und wer neuerdings so alles epidemisch Charisma
hatte, hätte sich vorsichtshalber schnellstens impfen lassen
sollen.
So gab sich die neue Elite die Ganovenehre und fühlte sich
auch durchaus völlig unangreifbar. Durch wen denn auch,
bitte? Bundesgerichtshof? Bundesverfassungsgericht? Bis
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die alten Herren sich von ihrem Kathederwechsel erholt
hatten und das kriminelle Gesetz erklärt bekamen, war es
bereits Rechtssprechung und hatte Millionen Bundesbürger
beschissen!
Und doch schafften es ab und an einige gewitzte Außenste-
hende, aus Staatsgeheimnissen insofern Kapital zu schla-
gen, indem sie den Spieß einfach umdrehten. Denn Mord
verjährt nie.
Zu Ihnen gehörte ein junger Kriminalbeamter namens Ju-
stus Brack, der im November 1977 nach gewissen unge-
klärten Vorkommnissen im Oktober 1977 bei vollen Bezü-
gen und turnusmäßigen Beförderungen suspendiert wurde,
besser gesagt, emeritiert. Er wurde von seinen Pflichten
entbunden. Diese Suspendierung dauert bis heute an. Ein
damals junger Politiker, der die kriminalistische Extraklasse
des Justus Brack erkannte, hielt seine Hand über ihn.
Alle ein, zwei Jahre durfte Justus Brack für den rasant auf-
steigenden Politiker bei staatsgefährdenden Verbrechen auf
eigene Faust als Polizist mit unglaublichen Vollmachten
ermitteln. Seine Beliebtheit bei seinen noch nicht suspen-
dierten Kollegen wurde dadurch stark eingeschränkt. Und
doch hatte er einige Freunde. Brüder im Geiste.
Justus Brack hatte dadurch naturgemäß sehr viel Freizeit,
die er nutzte, um seinem Hobby zu frönen, und häufte da-
mit nebenbei ein beträchtliches Vermögen an. War das
nicht schön für ihn?
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Absurdistan, Hannover, Donnerstag, der 17. No-
vember, 04 Uhr 10
41
»Ja, danke, raus!«
»Sehr wohl, Herr Rat.«
Nun ist es ja nicht so, daß Geld glücklich, gesund und frei
macht. Aber es weint sich leichter. Justus Brack war Mitte
50, mittelgroß, mittelschwer, stinkreich, unscheinbar, wenn
er still in der Ecke saß, raumfüllend mit seiner Persönlich-
keit, wenn er denn wollte. Aber er wollte selten. Und auch
immer weniger oft. Seinen Charme konnte er an- und aus-
knipsen wie ein Radio, und seine Wut über menschliche
Dummheit und Bosheit war legendär. Er hatte einen skurri-
len Humor und einen verletzenden Zynismus. Brack setzte
sein Geld bedenkenlos ein, um sich ein angenehmes Leben
zu gestalten. Und doch wußte er um seinen Daseinszweck.
Er mußte Verbrechen aufklären!
Brack ging zum angrenzenden Badezimmer, um seines
Harndranges Herr zu werden. Seine alten sanitären Anlagen
funktionierten auch nicht mehr wie früher. Etwas, was man
damals »Katzenwäsche« genannt hatte, mußte heute mal
genügen. Das verspielte und leicht feminine original Ju-
gendstilinterieur war durch moderne Naßzellentechnik
geschmackvoll ergänzt worden. So konnte Brack die Pak-
kung Feminismus durchaus ertragen. Als er zurückkam,
war seine Kleidung anziehbereit auf dem frisch gemachten
Bett ausgebreitet. Er zündete sich seine Morgenzigarette an
und sinnierte beim Anziehen über Hades Anruf nach. So
war das nun wirklich nicht Hades Art! Um diese Uhrzeit.
Was um Himmels willen war bloß passiert?
Herman stand vor der Tür. »Herr Rat, der Fahrer ist da.«
»Soll warten. Legen Sie mir bitte meinen Laptop raus, die
Handys, die Videokamera und ein paar Speicherkarten, eine
Stange Zigaretten, eine Tüte der leckeren Zitronenbonbons,
meine Ausweise und legen Sie alles in die Aktentasche.«
»Ich habe mir erlaubt, dieses bereits zu tun, Herr Rat!«
»Gut, Herman, danke. Ich komme gleich.«
Brack wog nachdenklich seine Lieblingswaffe, die Baby
Glock in der Hand. Er steckte sie in das Klemmholster mit
dem Stahlfederclip und klemmte das Holster links über den
42
Gürtel hinter der Hüfte. Ob er sich nun wohler fühlte, wuß-
te er selbst nicht so genau. Aber er war, nun ja, vollständi-
ger gewappnet für mehr Situationen.
Brack ging die breite Treppe hinunter zur Diele, wo Her-
man bereits mit der Aktentasche, dem Laptop und dem
Staubmantel über dem Arm wartete. Früher hingen hier die
Kopfgebeine von erlegten Tieren und Treibern. Teilweise
noch mit einem Zweiglein oder einer Zigarre als letzte
Äsung im Maul. Da Justus Brack aber das Wohnen in ei-
nem Ossarium nicht als besonders angenehm empfand,
schenkte er diesen Mist dem Niedersächsischen Landesjä-
germeisterverband, der sich auch hocherfreut über die Rari-
täten zeigte. Justus wurde prompt Ehrenmitglied.
Brack hatte die alte Jugendstilvilla von 1903 zusammen mit
dem Butler Herman, der allerdings Jahrgang 1958 und nicht
1903 war, vor 15 Jahren übernommen. So wohnte er in der
Stadt, unverbaubar am Stadtwald, der Eilenriede, hatte
frischen Sauerstoff, seine Ruhe und Muße. An Herman,
dem Amerikaner, mußte er sich allerdings erst gewöhnen.
Nachrichten aus der neuen Welt hatten ihn immer in der
Meinung bestärkt, daß die Amis am Besten unter sich auf-
gehoben waren. Da konnten sie sich chikagomäßig pracht-
voll selbst umbringen. Sie waren in ihrem Denken derartig
fremdartig, daß es für den Rest der kaukasischen Welt bes-
ser gewesen wäre, US-Amerikaner hätten eine blaue Haut-
farbe gehabt. Dann hätte man auch nicht immer wieder so
eine Art halbvernünftiges europäisches Denken erwartet.
So tat man es leider doch immer wieder und wurde auch
regelmäßig wieder von, nun ja, eigenwilligen präsidialen
Weltzertrümmerungsideen überrascht, die bei uns, abge-
sondert in mitreißenden Ansprachen von einem Napoleon
CXII oder einem Adolf DXI mit Lithium in den geschlos-
senen Abteilungen behandelt wurden. So hat eben jeder
Staat seine ureigensten Sitten und Gebräuche.
Ja doch, um der Wahrheit die Ehre zu geben, er hatte auch
schon von intelligenten Amerikanern gehört. Herman war
einer davon. Dieses Bild wurde aber regelmäßig von den
43
Präsidentschaftswahlen in den USA getrübt. Amerikanische
Fachleute merken dauernd an, daß der zukünftige Präsident
seine Intelligenz vor dem Wähler verstecken muß! In letzter
Zeit gab es da wohl Naturtalente, denen das spielend ohne
Schauspielerei und Verstellung gelang. Und wenn dann
noch die präsidiale Verwandtschaft am passenden Ort und
zur passenden Zeit mitspielt, kann man gewinnen, ohne
gewonnen zu haben. Da freut sich doch die amerikanisch
ausgerichtete demokratische Welt. Und die nichtdemokrati-
sche Welt fragt: »Warum bloß so umständlich? Wir schaf-
fen das auch ganz ohne Betrug.«
Jedenfalls war Herman heute aus seinem Leben nicht mehr
wegzudenken, denn Justus Leben war durch das Delegieren
der täglichen kleinen Dinge um das Haus herum an Herman
streßfreier geworden.
»Ich weiß nicht, wie lange ich weg bin, Herman. Sagen Sie
bitte alle Termine auf unbestimmte Zeit hinaus ab. Und
passen Sie auf das Haus auf, ich melde mich schnellstens.«
»Sehr wohl. Gute Fahrt, Herr Rat.«
Zehn Meter vor der Haustür sah Brack den Fahrer um den
Wagen flitzen und die rechte Fondtür aufhalten.
»Guten Morgen, Herr Rat. Wir müssen uns beeilen.«
»Morgen. Sie sind …?«
»Verzeihung. Kriminalhauptmeister Kleinert, Herr Rat.«
»Gut, Herr Kleinert. Bitte so fahren, daß wir auch ankom-
men! Ohne mich hebt der Flieger nicht ab!«
»Sicher, Herr Rat.« Die Worte gingen bei KHM Kleinert
rechts zum Ohr rein und links zum Ohr raus. Tjaa, wenn
auch nichts dazwischen sitzt?
Der Wagen schoß die dunkle Kaulbachstraße hinab, als
wäre die Tempo-30-Zone nur kommunistische Propaganda.
Kleinert senkte sein Fenster, klebte das Blaulicht auf das
Dach und schaltete beim Linksabbiegen die Lightshow mit
Musik ein. Als sie nach rechts auf den menschenleeren
Schnellweg einbogen, durfte sich Brack davon überzeugen,
was ein A8 zu leisten imstande war. Innerhalb von zehn
44
Minuten waren sie am Flughafen Langenhagen und fuhren
durch das bewachte Tor aufs Rollfeld.
Vor einem Lear-Jet der Bundeswehr stoppte Kleinert sanft.
»Guten Flug, Herr Rat«, sagte er zu dem leicht grünlichen
Brack. Der murmelte etwas Unverständliches, das genauso
ein Fluch wie ein Dank sein konnte.
Mißtrauisch betrachtete Brack den Lear-Jet beim Ausstei-
gen. Erst der Genuß eines verhinderten Schumis, jetzt etwas
Astronautenähnliches.
Die Schattenseiten seines Berufes. Alle wollten ihm zeigen,
wie toll auch sie waren. Und er wollte das ums Verrecken
garnicht wissen!
»Dann müssen wir wohl«, murmelte er und bestieg seinen
Jet. Er würde versuchen, noch etwas Schlaf zu finden. Viel-
leicht konnte er so seiner Luftkrankheit etwas entfliehen.
45
Absurdistan, Köln/Bonn, Donnerstag, der
17. November, 05 Uhr 20
46
Absurdistan, Berlin, Donnerstag, der
17. November, 05 Uhr 28
Ein wartender Alt-68er sang leise und sehr frei nach Rein-
hard May:
»Ich entkam den Beiden einige Minuten später.
Als sie fragten, hamwa nich noch ’nen Gebrauchtkatheter.
Dieser Typ war lange Mitglied bei der AOK,
der soll mal seh’n, was er von hat, daß er so geizig war.
Und das nächste Mal, wenn er wieder zu uns rennt,
kannste sicher sein, ist er Privatpatient!«
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Der gepflegter 70er freute sich sichtlich, auch mal Horror
und Terror verbreiten zu können und sah seinen Gesprächs-
partner scharf an.
Cem, dem jungen Türken im Gangsta-Rap-Look, traten die
Augen wie bei einem Frosch aus dem Kopf.
»Voll krass, isch schwör!« murmelte er.
Ein steinalter Komposti auf der anderen Seite von Cems
Bett saß so krumm auf einem Stuhl, daß jeder vermutete, er
hätte sich die Hose am Kragen festgemacht. Der kloppte
mit seinem Krückmann auf das Bettende und bemerkte
ziemlich laut: »Früher, als ich noch ein junger Kerl war, da
war alles weich und geschmeidig … bis auf eins. Heute,
heute ist alles hart und knorrig … bis auf eins!«
Cem trug auch zu dem Männergespräch bei:
»Ey Scheissn, odern was? Frag dem Doktern: Alder, was
gurgel’m scheissndreck Blas? Alder, isch kotz’ gleisch!
Sagt dem Doktern: Weisstu, dem konkret Krebs ripp isch,
isch schwör!«
Cems gegelte Haare stellten sich leicht auf. Nicht nur we-
gen seines geringfügig defekten EKGs!
Der gepflegte 70er war fasziniert von dem Gebrabbel,
konnte sich aber nicht zurückhalten zu fragen: »Was ma-
chen Sie denn so beruflich? Auf der Fensterbank stehen,
und ab und an sagt jemand "mein liebes Alpenveilchen" zu
Ihnen?«
Cem war sowieso schon leicht angepißt im Wortsinne und
lag auf einem fahrbaren Krankenhausbett, ausstaffiert mit
einem kniefreien Nachthemd, das seinen blanken Arsch
zeigte. Seine paar Familienjuwelen baumelten im Freien,
und er mußte sich von deutschen Hilden befummeln lassen.
Wenn das seine Gang erfuhr, nahm niemand mehr von ihm
auch nur ein einziges Gramm Äitsch.
Obwohl, auf die eine Hilde fuhr er voll ab. Ein knochenbre-
chendes Geschöpf mit starkem, blondem Bartansatz. Sie
sah echt aus wie seine Mutter!
Cem beugte sich zu dem gepflegten 70er.
48
»Alder, was fur oberngeile Tuss. Kuck ma, wie geil dem
aussieht!«
Der gepflegte 70er versuchte verzweifelt und ergebnislos,
den Sinn des Satzes herauszufinden.
Auf seinem Zimmer hatte Cem schon mal kurz das gesamte
Leid von unten halb- und total ausgeräumten Männern
gesehen. Nix mehr mit Tacktack! Dafür kleine Täschchen
über Schläuche aus dem Bauch nach außen für den Urin. Er
sah sich schon als Cem, der Urinator. Ihm war kotzübel!
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Nur mal wieder eine Stange Wasser in die Ecke stellen. Das
war von allen ihr größter und einziger Wunsch!
Die Urinale der Ambulanz verhinderten jedoch erfolgreich
jedes Selbstvertrauen. Kleine lustige Schilder von einem
herzlosen Witzbold taten dem Benutzer kund: Tritt näher
heran! Er ist kürzer, als Du denkst!
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den OP-Bereich zulief. »Noch nicht zunähen! Meine Rolex
ist weg!«
»Aber Herr Professor, die liegt noch im Aufenthaltsraum
von unserer kleinen Feier vorhin. Direkt neben der leeren
Cognacflasche. Erinnern Sie sich?«
Der Herr Professor schaute irritiert auf den muskulösen
Pfleger, der ihn am Arm nahm und zurück in den Umklei-
debereich führte.
Cem war in voll krasser Panik. »Was geht? Bist du scheisse
im Kopf, oder was?«
51
Ein Produktionsleiter bei INTEL bezeichnet aus voller
Überzeugung und mit Recht einen deutschen, naja, alle
Operationssäle als eine Art Müllkippe und würde sich wei-
gern, bei der Verschmutzung auch nur einen einzigen Chip
dort herzustellen!
Leider kostet so ein Reinst-Raum eine Kleinigkeit. So zirka
eine Milliarde Euro für einen industriellen Reinraum mit
12″-Wafer-Fertigung. Das ist natürlich viel zu viel für eine
alberne Menschenreparatur! Die bringen ja auch nichts ein.
Kein Shareholder Value.
Menschen dürfen weiterhin in einer Art Mülldeponie aufge-
schnitten und allen möglichen Infektionen und Verunreini-
gungen ausgesetzt werden.
Die geschätzten 100.000 Infektionstoten aus den Kranken-
häusern waren als Beitrag zur Bekämpfung der Weltbevöl-
kerungsexplosion zu sehen.
Nur für Chips ist es dort zu dreckig! Schöne Welt. Was für
so’n Chip doch nicht alles getan wird? Da wünscht man
sich richtig, auch mal Chip zu sein!
52
Absurdistan, Bonn, Donnerstag, der 17. November,
05 Uhr 29
53
An der Terrassentür der Villa wartete schon Hade. Unge-
duldig, wie es schien.
»Endlich, komm rein, Justus.«
»Hade, hab’ Mitleid mit einem alten Zausel, der sich gerade
die Seele aus dem Leib gekotzt hat. Laß mich doch einfach
nur hinsetzen und still sterben.«
»Stell Dich nicht so an. Wir gehen in mein Arbeitszimmer.
Das ist abhörsicher. Frühstück, Kaffee und frische kalte
Milch für Dein Gesöff ist alles schon da. Los, komm!«
Dieses Arbeitszimmer sah so aus, wie sich Millionen Men-
schen auch ihr Arbeitszimmer wünschten.
Holzgetäfelt mit Kamin, Büchern, alten, saubequemen
Ledersesseln, einem großen Tisch, auf dem das Frühstück
stand, schweren Vorhängen, diskreten Lichtinseln, einem
Schreibtisch in der Größe eines Fußballfeldes für Liliputa-
ner; kurz, Justus Brack fühlte sich fast zu Hause und erholte
sich in erstaunlicher Geschwindigkeit.
»Erzähl, Hade! Nur die Fakten, bitte!«
»Gestern sind in Berlin innerhalb von 15 Minuten sechs
Personen gestorben. Und etwas später noch ein Kommu-
nalpolitiker!«
Hade ließ sich hinter seinem Schreibtisch in seinen ortho-
pädischen Bürosessel fallen.
»Heiland! Und wegen so einer Petitesse holst Du mich aus
dem Bett? Geht’s noch?«
Mit einem grimmigen Lächeln fügte Hade dazu: »Alle
sechs waren Bundestagsabgeordnete!«
»Um so schlimmer für mich. Damit habe ich aber nun rein
garnichts zu tun.« Zynisch setzte er hinzu: »Dann hat doch
der Bundesstaatsanwalt und das Bundeskriminalamt und
der Bundesnachrichtendienst und der Staatsschutz und die
Kleinkindergruppe Porz/Süd das Heft fest in der Hand. In
»Chaos« sind die echt gut! Die können endlich mal wieder
’ne Glatze verhaften, dann komm’se auch ins Buntfernse-
hen und werden als Retter des Abendlandes gepriesen!«
54
»Keine Witze über unwichtige Sachen, Justus, eigentlich
hättest Du ja recht. Aber …. Eine Stunde, ehe ich Dich
anrief, rief mich jemand an.«
»Is’n Ding! Hade, mach’ Sachen. Du wirst den ganzen Tag
lang angerufen. Und deswegen bin ich hier? Mann, bin ich
sauer! Der Hubschrauber war das Letzte!«
»Warte doch mal die Pausen ab, Justus. Ich habe noch ei-
nen Bonbon für Dich. All die toten Abgeordneten gehörten
einem speziellen Unterausschuß des Wehrausschusses an!«
Brack zog hörbar die Luft ein. Und zündete sich schwei-
gend eine Zigarette an.
»Ob das BKA das auch schon weiß, weiß ich nicht. Aber
ich brauche jemanden für die richtige Polizeiarbeit. Mit
richtigem Ermitteln, Spuren aufnehmen, kombinieren und
Glück haben, außerhalb der Pfade laufen. Und das bist Du,
Justus. Kein Anderer. Das BKA arbeitet parallel mit Com-
puterabgleichen, Rasterfahndung, Laboratorien und Infor-
manten. Mit Abhöraktionen und Beschattung. Aber das hier
ist etwas völlig Anderes. Völlig anders!«
Brack blätterte in seinem Notizbüchlein.
»Justav! Gustav Schunck, Berlin. Tötungsdelikte. Der
könnte unser Mann sein. Warte mal.« Er wählte auf seinem
Handy eine ellenlange Nummer. Und wartete. »Justav? ...
Hier Justus! Dienstlich! ...Du wolltest gerade schlafen?
...Arbeitest Du an sechs bis sieben toten Personen? ...Ja?
Dachte ich mir. ...Hat Dir das BKA abgenommen. Sei froh.
...Woher ich das weiß? Später. Laß alle Unterlagen zusam-
menstellen, ich bin heute Mittag in Berlin. ...Es ist wirklich
wichtig. ...Dann schlaf noch etwas. Ciao!«
Brack legte auf, sah Hade an und sagte: »Weiter!«
»Du hast wie immer alle Vollmachten vom Kanzleramt,
vom Justiz- und Innenminister. BKA, LKA und die Polizei
und Staatsanwaltschaft Berlin sind informiert, daß Du
kommst. Und sie müssen Dir helfen.«
Brack grinste sich eins.
»Und? Was wollen die, das ich tue? Sechs Leute in 15
Minuten! Weißt Du, was das heißt, Hade? Menschliche
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Ressourcen, Geld ohne Ende, Macht bis zum Abwinken!
Ein fremder Staat oder eine Wirtschaftsorganisation. Einer
unserer Geheimdienste. Unsere eigene Polizei. Da gibt es
nichts zum Rauskriegen! Was war das eigentlich für ein
Unterausschuß? Worüber haben die getagt?«
»Jetzt lach’ nicht, Justus, die waren für die Beschaffung
neuartiger Kochgeschirre der Truppe zuständig!«
»Ich fasse es nicht! Ist das offiziell?«
»Ich habe heute früh die Protokolle erhalten. Nur Kochge-
schirre, nichts weiter. Seit drei Wochen.«
»Mmh, die Autopsien. Was haben die ergeben?«
»Alles vorläufig, zwei der Todesfälle könnten zweifelhaft
sein. Bei Vieren ist kein Mord zu beweisen. Der Siebte fällt
völlig aus dem Rahmen. Einwandfreier Mord. Messerstich.
Wie gesagt, alles vorläufig.«
»Komm, laß uns mal weiterspinnen, Hade! Sechs Leute in
15 Minuten! Profikiller. Ostblockprofis. Westblockprofis.
Mossad.«
Brack schüttelte den Kopf. Dieses verdammte Fernsehen
mit den Krimis, die immer Lösungen präsentieren und Täter
auch wirklich verhaften müssen! Da gibt es dutzendfach
politische Morde, die aber auch nie aufgeklärt wurden.
Oder dass ein Staatsanwalt schon vor laufenden Kameras
von Beweisen von Selbstmord redet, während der Selbst-
mörder noch ohne Fallschirm der Erde zurast! Fall gelöst,
ehe es ein Fall wurde!
Und da ist Druck ohne Ende auf die Beamten ausgeübt
worden. Redet nur keine Sau drüber.
»Du verfolgst sicher auch diese Mordserie, wo ein Unbe-
kannter nichtdeutsche Gemüsehöker in ganz Deutschland
erschießt. Da sitzen über 500 Kollegen dran! Die sind nicht
weiter als am allerersten Tag. Es gibt nämlich keine er-
kennbaren Verbindungen zum Täter. Genau wie hier!«
Brack nickte.
»Sind also längst über alle Berge. Die kriegen wir nie.
Auch ich kann nicht zaubern. Also, noch mal. Was zur
Hölle soll ich dabei tun? Du holst mich alle ein bis zwei
56
Jahre für Sonderaktionen. Und nun soll ich das Kaninchen
aus dem Hut holen?«
»Justus, wir wollen wissen, warum, und wer den Auftrag
dazu gegeben hat. Daß die Verantwortlichen gefaßt werden.
Das ist Dein Job! Und in der Nomenklatura herrscht leichte
Panik. Wenn die nicht wissen, warum das passierte, könnte
deren unersetzbares Leben ja nun auch in Gefahr sein.«
Brack zündete sich eine neue Zigarette an, obwohl er wuß-
te, daß Hade das Dauerqualmen nicht mochte. Aber Hade
war beunruhigend tolerant heute. Brack gefiel das alles
immer weniger.
»Du bist Dir darüber im Klaren, daß die Sache mächtig
gewaltig stinkt. Ihr holt mich, Euren Rekorddauersuspen-
dierten, weil Ihr dem BKA nichts zutraut. Meinetwegen!
Sechs sind tot. Na und? Passiert überall, jeden Tag. Euer
Aufhänger ist, daß es Bundestagsabgeordnete sind. Auch na
und! Bin ich nicht für zuständig! Das einzig Merkwürdige
ist in der Tat, daß alle einem Ausschuß angehörten. Und
was habt Ihr sonst? Nix!«
Brack rührte sein Milchgesöff um.
»Und wenn das alles wirklich nur Zufall ist?«
»Sag mal, Justus. Du leistest Dir immer noch Deinen ame-
rikanischen Butler?«
»Was hat das damit zu tun? Willst Du mich zum Sparen
anhalten? Und wenn ich 300 Jahre alt werde, ich kann mein
Scheißgeld garnicht verbraten. Jedes Jahr wird’s mehr.«
Hade grinste sich auch eins auf Bracks »Scheißgeld«! Auch
Justus würde ohne seinen Luxus, der eben reichlich von
dem verachteten »Scheißgeld« kostete, ziemlich laut krei-
schen.
»Das ist es ja genau, was ich meine. Du bist geringfügig
exzentrisch, und das brauchen wir hier, ich meine Deine
äußerst krummen Gedankengänge, und Du kannst definitiv
nicht mit Geld bestochen werden. Von niemandem! Vergiß
nicht, auf der internationalen Bestechungsskala nehmen wir
so um Platz 20 ein. Noch hinter Chile.« Er fügte hinzu:
57
»Und über Deine dauernden Insubordinationen sehen wir
wie üblich einfach hinweg.«
Zufrieden grinsend lehnte sich Hade zurück.
»Du meinst wohl, niemand von Deinen braven subalternen
Beamten würde sich mit einer »Macht« anlegen. Mit je-
mandem, der ihre schöne Pension und ihr angenehmes
Leben versauen kann. Aber ich würde es tun? Du bist ein
linker Fuchs, Hade … Aber ich mach das nur zu meinen
Bedingungen.«
»Du bekommst mehr Befugnisse als unser oberster Grüß-
august und Fähnleinführer!«
»Der hat ja auch keine.«
»Gut, mehr als der Bundeskanzler!«
»Beschaff mir wie üblich alles, was ich brauche, räum’ mir
die Hindernisse aus dem Weg, das reicht.« Brack tunkte ein
weiteres Croissant in den Kaffee.
»Was liegen aktuell für Leichen bei Euch im Keller, die mit
dieser Sache zu tun haben könnten?«
»Justus, Justus! Ganz normal einige. Aber die haben nichts
mit den toten Abgeordneten zu tun. Glaub mir, das hier ist
eine ganz andere Dimension.«
»Laß uns weiterspinnen. Irgend jemand will nicht, daß sein
kleines schmutziges Geheimnis bekannt wird. Aber nun
kommt es. Erstens: Wie hat ausgerechnet dieser Ausschuß
davon erfahren? Zweitens: Wie hat dieser Jemand erfahren,
daß der Ausschuß davon erfahren hat? Bist Du sicher, daß
nicht ein paar unserer 9 Millionen Verhartzten oder gar von
den 20 Millionen Armen hier im diesem unserem Lande
eine Möglichkeit gesehen haben, sich für ihre Dreckssitua-
tion zu rächen? Aus Eurem Haufen ein paar Abgeordnete
zu töten?«
»Einen Politiker umbringen, ja, möglich. Aber sechs? Eine
koordinierte Aktion? Mit großem Geld- und Logistikein-
satz? …..
Nein! Wie denn? Wovon denn? Die Verhartzten kennen
sich ja nicht mal untereinander. Außerdem sind die, mei-
stens, gesetzestreue Bürger, die nur einen Haufen Pech
58
gehabt haben. Zum Glück von einigen ehemaligen und
gegenwärtigen Verantwortlichen. Aufruhr immer, profes-
sionelle Mordserie nie!«
»Ja, die haben halt Pech gehabt mit ihren gewählten Blen-
dern. Dein Herz schlägt also immer noch links mittig. Wie
originell. Meinetwegen, Hade. Verrat also. Aber wovon?
Protokolle? Protokolle! Was für Protokolle? Was soll da
drin stehen? Wer hat Zugang zu den Protokollen? Welche
davon sind vertraulich, welche davon streng geheim? Wer
würde sie warum kaufen? Wer könnte sie verkaufen? Ein
paar aus der Bundestagsverwaltung. Schreibkräfte, Saaldie-
ner, Sesselfurzer. Was verdienen die? 30.000? 40.000?
Bestechung? 100.000 für ein paar Kopien? Wirklich, Hade,
das glaube ich alles nicht. Da läuft was anderes. Ich muß
schnellstens nach Berlin. Dieser Jemand muß zum Beispiel
erstklassige Informationen über die Lebensgewohnheiten
unserer Toten bekommen haben. Und die Frage lautet: Von
wem? Hängen da unter Umständen ganz offizielle Stellen
drin?«
59
»Hat jemand aus Berlin Zugang zu den geheimsten BND-
Unterlagen? Junge, Junge. Hade, falls ich auch nur ein
Fitzelchen heraus bekomme, ist’s ein Wunder. Glaub mir!
Verdammt, wo soll ich nur ansetzen?«
Brack war still und überlegte kurz, dann beschloß er, sich
festzulegen.
»Dein siebter Toter hat mit den anderen nichts zu tun. Da
setze ich jede Wette drauf. Ach, da soll sich das BKA drum
kümmern. Damit will ich nichts zu tun haben.«
60
Die Killer
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Gardinen bewegten sich und das Fenster wurde geöffnet.
Ilse hatte ein Brötchen in der Hand.
»Du Blödbatz hast vielleicht Nerven, hier noch vorbei zu
kommen!«
»Aba Ilsemäuschen, nu mach ma nich so’n Wind vor de
Hoftür. Könn wa doch allet in Ruhe bekakeln. Icke war da
nich so jut druff jewesen, damals. Weeßte doch!«
»Was willste also?«
»Kannste mir nich reinlassen?«
»Erst sagste, was Du willst!«
»Icke bin pekuniär etwas in der Bredouille, weeßte. Viel-
leicht kannst ma helfen, wa?«
»Seit vier Wochen warte ich auf Icke und auf meine Mäuse.
Du willst nüscht von mir, Du willst mein Sparbuch! Du
Scheißkameltreiber!«
»Ilselein, icke bin Deutscher!« rief Icke im heiligen Zorn.
»Du bist ein grottenblöder gehirnamputierter Mongo!!«
»Du blöde Schlampe, Du dämliche!! Scheißpißnelke!!«
»Debiler Hustenpudding! Verwichs Dich, Du impotenter
Arsch!«
Icke nahm sein Handy voll besinnungsloser Wut ob des
Mißerfolges der Geldbeschaffung und warf es auf Ilses
Fenster zu. Leider erreichte das Handy nicht das offene
Fenster im ersten Stock, sondern verschwand darunter in
einem ebenfalls offenen Fenster im Parterre. Fassungslos
und leise blökend starrte Icke seinem fahnenflüchtigen
Handy hinterher.
Boris Orbatov war eben dabei, seine Koffer zu packen und
aus dieser gräßlichen Stadt zu verschwinden. Er zählte in
der Hand einen Stapel Euros, als er aus den Augenwinkeln
einen Schatten auf sich zusausen sah. Boris reagierte blitz-
artig, sprang zur Seite, zog dabei seine Pistole, als unter
ihm der persische Läufer wegrutschte, und er ins Straucheln
kam. Zwei Meter und fünf Zentimeter brauchen lange, bis
sie in Gänze den Boden berühren. Und in der vollgestellten
Wohnung seines Freundes war so manches dabei im Weg.
In diesem Fall war es der Eßtisch, der das physikalische
62
Gesetz demonstrierte, daß sich zwei Körper, hier der Eß-
tisch und da der Kopf von Boris, nicht gleichzeitig am sel-
ben Ort befinden können. Als Boris komplett in voller Grö-
ße auf dem schönen indischen Seidenteppich lag, war er tot.
Icke glaubte es nicht! Sein Handy, weg! Sein Leben, sein
Gedächtnis, seine Kontakte, alles war in diesem verdamm-
ten Handy drin. Er guckte sich um, ob keiner guckte.
Wieselflink rannte er wieder über die Straße, schlich unter
das offene Fenster und lauschte. Kein Ton kam aus der
Wohnung. Icke wußte, er hatte keine Wahl, er mußte unbe-
dingt sein Handy wiederhaben. Eine Hand an dem Regen-
rohr, ein Fuß auf den schmalen Absatz in Hüfthöhe, hoch,
ein Griff an den Fensterrahmen, drin. »Allahu akbar«, sagte
Icke spontan, »und King Kong schläft.« Der riesenhafte
Mann auf der Erde rührte sich nicht, auch nicht, als Icke mit
seinem Fuß ein einsames Alpenveilchen von der Fenster-
bank wischte und auf den Fußboden beförderte. Kein Zwei-
fel, Godzilla war mausetot. Hatte aber, wie der Geist aus
der Flasche, Icke Geld hinterlassen. Icke heulte fast vor
Freude, als er das Geld aufsammelte. Und auf dem Sessel
lag unbeschädigt sein Handy. Heute war sein Glückstag,
echt! Er guckte in die geöffnete Reisetasche, ob da viel-
leicht noch mehr Kohle war. Und zuckte entsetzt zurück,
als er die Waffen und die Munition darin entdeckte. Die
Androhung der Todesstrafe auf Waffenbesitz von den Alli-
ierten vor der Maueröffnung wirkte bis heute in Berlin
nach. Icke fand, daß er seine Portion Glück für einen Tag
aufgebraucht hatte und machte, daß er ganz konventionell
aus der Wohnung kam.
Ob er das fiese Schwein Tulpe linken sollte? Einfach ab-
hauen? Ins Ruhrgebiet vielleicht? Oder den dicken Maxe
markieren, und gaaanz cool 20.000 von den 50.000 Euro-
nen auf den Tisch des Hauses zählen? Das isses! Genauso
wollte er es machen. Er hatte einen Schlüssel für die Hin-
terhoftür zum Club nachmachen lassen. Icke wunderte sich
zwar, daß das Poker-Zimmer hell erleuchtet war, jemand
63
murmelte was, aber erst, als sich eine schwere Hand auf
seine Schulter legte, begriff er das gehörte Wort: Razzia!
»Oh Elend «, jaulte Icke, »jetzt bin icke aba wirklich am
Arsch!«
64
ausgeschnittenen Löcher blicken konnte. Mit ein paar
Schritten war er im Kassenraum, hob seine Pistole und
sagte als Freund weniger Worte schlicht: »Geld!«
Nun war dieser Tankstellenpächter schon dreimal überfal-
len worden und hatte ehrlich, ums Verrecken, keine Lust
mehr auf irgendwelche Strolche, die seine Arbeit abkassier-
ten. Video war keine Lösung, es sei denn, er hatte mal Lan-
geweile und wollte echte Krimifilmchen gucken. Die Ver-
sicherung ließ ihn mit ihren Prämien kräftig bluten, und all
das verbesserte seine Laune keineswegs. So guckte Aslan
sehr blöd unter seiner Mütze aus der Wäsche, als der Mann
hinter der Kasse vor ihm wortlos eine Automatik hob und
sofort feuerte. Aslan schoß vor Überraschung zurück, und
so entwickelte sich ein kleines Feuergefecht, das erst ende-
te, als der draußen wartende Ivan eine verirrte Kugel mit
seinem Kopf aufhielt und tot umfiel. Aslan sah zu, daß er
verschwand und trabte davon.
Die Polizei stellte fest, daß der Tote keine Papiere bei sich
hatte, nur einen Zettel mit »Ivan« und »18« in der Tasche,
und sie bemerkte auch nicht, daß aus einem haltenden Wa-
gen jemand ausstieg und sich den regungslosen Ivan ansah.
Er ging zurück zu den Wagen und sagte auf russisch:
»Ivans Prämie können wir uns jetzt teilen.«
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arzt-Onkel-Doktor-Pillenverschreiber schlicht zu blöd.
Nein, es geht hier nur um: »Isser tot oder nicht?«
Was um Himmels willen würde eigentlich passieren, wenn
der Amts-Doktor in einer albernen postpubertären Phase
oder auch nur einfach sturzbetrunken von dem Toten be-
haupten würde, er lebe? Einfach nur mal in seiner Eigen-
schaft als Amtsperson sagen: »Er lebt noch!« So wie der
alte Holzmichl!
Ob der Tote sich aufrichten würde und mit dem Ausdruck
des größten Bedauerns sich bei der Bürokratie entschuldi-
gen würde? Bekämen wir dann eine Wiederauferstehungs-
bürokratie? Oder bliebe der Tote einfach tot? Dann wäre es
doch aber bewiesen, daß die Feststellung des Todes von
Amtes wegen nicht zwingend notwendig wäre! Es muß
eben alles seine Ordnung haben im Bundesdeutschland. Wo
kämen wir denn auch sonst hin? Das wäre wirklich mal
interessant zu wissen.
66
Absurdistan, Berlin, Donnerstag, der 23. Februar,
11 Uhr 28, das Jahr darauf
67
in einem, in ihrem Sarg liegen. Mahagoni mit vergoldeten
Beschlägen. Ob’s bequem war, und es ihr gefiel!
Der Assi wußte was. »Ich soll hier morgen den Rasen mä-
hen. Dann habe ich 500 Leute unter mir!«
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ob Junge oder Mädchen. Jetzt möchte ich aber wissen, ob
ich Onkel oder Tante geworden bin.«
Beide verbeugten sich kurz und verließen die Grabstätte.
Der Assi mit der Schubkarre vorne weg. Der Bestatter ver-
suchte hinter dem Rücken seines Assistenten das Finger-
spiel von ihm, drehte aber die Finger immer nur in eine
Richtung. Entweder beide einen Kreis nach vorn oder beide
einen Kreis zurück. Er fluchte leise und ausdauernd auf
seinen Assistenten und probierte es immer wieder. Der
Bestatter wurde laut.
»Du kannst mich am Arsch lecken. Wie tausende Andere
auch. Aber hinten anstellen!«
Und sein debiler Assi entgegnete gewählt: »Mit jedem
neuen Tag, den der Herrgott werden läßt, wächst die An-
zahl derer, die mich mal kreuzweise können.«
Es war fast wie eine Szene von »Dick und Doof«, nur daß
hier der Dickere der Doofe war!
69
frost und die Messer in seinem Gedärm trugen nicht dazu
bei, ein ausgeglichenes Gemüt und ein freundliches Wesen
zur Schau zu stellen. Er brauchte einen Druck. Nix sonst.
Aber sein Dealer wollte Bares sehen. Bares! Für den
Druck!
Birne sah schwebende dicke Geldbündel und riesige haari-
ge Spinnen um sich. Seine Beine versanken abwechselnd
im imaginären Treibsand oder setzen hart auf einer festen
Oberfläche auf. Die widersprüchlichen Befehle, die seine
Synapsen erhielten, machten ihn völlig verrückt und ließen
ihn seine Umgebung nicht unbedingt realistisch beurteilen.
Er wäre sonst nie auf die Idee gekommen, der Alten, die
neben ihm schlurfte, das Täschchen zu entreißen.
Mit verzweifelter Kraft riß Birne an Gerda Golkes Tasche,
die jedoch nicht im Traum daran dachte, irgendwas von
ihrem Eigentum mit einem Stück Scheiße zu teilen! »Laß
doch los, Du blöde Schnalle!« keuchte Birne. »Loslassn!«
Doch Gerda hatte so unfreundliche Befehle noch nie in
ihrem Leben befolgt. Ganz im Gegenteil! Und sie versuch-
te, Birne, dem Drücker, mal zu zeigen, wo der Hammer
hängt. Es ging los!
Beide wirbelten um den Griff der Tasche herum, wie bei
den Hammerwerfern. Nur war hier noch nicht raus, wer
Hammer und wer Werfer war. Den Yuppies im Szenecafé
»Radium« wurde ein prächtiges Schauspiel geboten. Man
lancierte Wetten über Ein-Gramm-Tütchen. Das Handicap
für Birne erhöhte sich, als die Alte den Griff ihrer Tasche
auch mit der zweiten Hand erreichte. Dafür war ja Birne
jünger als die Alte. Aber nun! Birne hob ab! Ihm war in-
zwischen so schwindelig und speiübel von der Herumwir-
belei, daß er automatisch losließ.
Ein weiterer Yuppie war in seinem entzündungsgelben
Porsche 911 mit fetten Puschen vorgefahren und holte auf
der Beifahrerseite sein Krokoköfferchen heraus, als Birne
aus seiner erdnahen Umlaufbahn zur Landung ansetzte.
Dabei zertrümmerte er dem Yuppie mit vorgestreckten
70
Beinen die Hüfte und das Schienbein. Bevor dieser die
gnädige Ohnmacht empfing, dachte er noch:
»Grundgütiger, mit solchen Schuhen, wie dieser Junkie sie
trägt, möchte sicher noch nicht einmal ein Unberührbarer in
Bombay tot übern Zaun hängen. So etwas Geschmackloses
aber auch!« Dann wurde es schwarz um ihn.
Birne hatte leider nicht die Ruhe und Muße in seinem Le-
ben und auch nicht das überflüssige ergaunerte Geld, um
sich großartigen oder auch nur kleinartigen Gedanken be-
züglich seiner Fußbekleidung hinzugeben.
Er hatte seinen Abflug prima überstanden und hockte nun
im Rinnstein und würgte und würgte. Da er aber seit zwei
Tagen nichts gegessen hatte, kam nix hoch.
Das wiederum erfreute die herbeigerufene Polizei, die irri-
gerweise glaubte, ihren Wagen sauberhalten zu können.
Leider konnte sie Birnes Durchfall nicht sehen. Dafür aber
auf der Fahrt zur Wache riechen. Gerda, das unschuldige
Opfer des Raubüberfalles aber, war verschwunden und
nicht aufzutreiben. Alle hatten sich auf Birne und den Por-
sche konzentriert, aber doch nicht auf eine alte Siegerin.
Die Allradversion des neuen Porsche 911, Baureihe 997,
war auch alle Konzentration wert. Als Variante 4S mit 355
PS für 100.000 Euro. Geilo! Wo soll da eine Konzentration
auf eine alte Frau herkommen?
71
Das war natürlich nicht sehr hilfreich und erinnerte fatal an
den latenten Rassismus von: »Für mich sehen alle Neger
gleich aus!« Auch wenn er es tatsächlich so empfand.
Birne kam auf die Wache, wo zwei Polizisten mit Gummi-
handschuhen und Kneifzange seine Habseligkeiten in eine
Plastikschale sammelten. Dabei war auch die Telephonkarte
des Auftraggebers der Ausschuß-Morde.
Doch was nützt die tollste Entdeckung, wenn man nicht
weiß, daß man etwas entdeckt hat, und was man eigentlich
entdeckt hat?
72
Schade, daß der Staat ums Verrecken nicht begreift, daß
Verbrechensprävention mit Bekämpfung der Armut be-
ginnt! Und das könnte locker finanziert werden, wenn man
ganz einfach die Steuererleichterungen für die Reichen ab
dem Jahre 2000 zurücknehmen würde. Oder auch ab 1985!
Das würde auch den Reichen direkt zugute kommen, deren
Porsches und Daimlers und BMWs und Audis und Villen
und Werke eben nicht eines Tages wie in Frankreich abfak-
keln würden.
Der durchschnittliche Rentenbezieher liegt so bei 750 Euro!
Naja, Männer bei 1000 Euro, Frauen bei 500 Euro. Jeden
Monat! Beamte erhalten aus sinistren Gründen mehr als das
Doppelte! Also, wer sind denn nun die Kriminellen, wenn
ein staatstragender Politiker mal wieder von kriminellen
Schmarotzern redet, die glatt 11,24 Euro monatlich zu Un-
recht beziehen! Rentner, EEJer, Beamte, Politiker?
Was sind gegen diese Riesensumme von 11,24 Euro schon
die läppischen 350 Milliarden Euros, die Wirtschaftskrimi-
nelle, wie manche Wirtschafts-Institute schätzen, an Schä-
den der Bundesrepublik Deutschland zufügen? Jedes Jahr!
Irre, nicht, was einer Regierung ihre Bürger wert sind?
73
»Am schönsten war für mich, als unser Yuppie mit seinem
Brioni-Zwirn den Asphalt putzte. Das wird dem ewig mehr
wehtun als seine Knochen!«
Der Tag war noch jung, und Mike riß seine zweite Schach-
tel Kippen auf. Charly protestierte nicht, da Mike auch
klaglos den penetranten Fischgestank aushielt.
Ja, der Toyota konnte schon von einem Blinden mit einem
Trawler oder etwas Anderem verwechselt werden. »Hallo,
Mädels!«
Festgenommene Giftler beschwerten sich hin und wieder
wegen »folterähnlicher Methoden« bei ihrer Verhaftung.
Sie kannten nicht die altertümliche Werbung »Eßt mehr
Fisch!« und »Fisch ist gesund!«. So was ging ihnen absolut
am Arsch vorbei.
Die beiden Drogenfahnder waren bekennende Hörer des
illegalen Berliner Blödel-Senders »Ga-Ga-Hau«. Charly
horchte auf und drehte auf volle Pulle. Steinzeittümlicher
Rock’n’roll erklang.
74
Mike und Charly grölten mit.
Mike und Charly kriegten sich wieder ein und wischten sich
die Lachtränen aus den Augenwinkeln.
75
eine Art abgehalfterter Seniorenzuhälter mit Bausparvertrag
und Sparbuch der Raiffeisenkasse.
Ein echter Herr bevorzugt gedeckte Farben, mein Herr. Und
trägt zu dunklen Anzügen keine braunen Schuhe. Gott der
Gerechte!
76
ein bestimmtes Alter erreicht hatte, schlug der Johannistrieb
voll durch, und er sorgte für eine beneidenswerte Zunahme
seiner Nachkommenschaft. Ist schon was dran an »Doof
bumst gut!«.
»Ja, ist denn heut’ schon Weihnachten?«
»Der Schnee jedenfalls ist schon da!«
Beide wollten sich scheckig lachen. Fußball nötigte ihnen
ebenso viel Respekt ab, wie Gala-Diners als Freßorgien
zum Wohle der Hungernden in Afrika. Oder Bier saufen,
um den Regenwald zu retten! »Mal fini! Endkrank!«
Elf wehleidige Männerchen in Spielhöschen im besten
Malocheralter, mit Millioneneinkommen, das ihnen der
Fernsehgebührenzahler gegen seinen Willen bescherte,
waren einfach zum Schießen!
Und selbst wenn man unvoreingenommen an die Sache
heranging, spätestens, wenn die Hirnis vor der Fernsehka-
mera über Gott und die Welt dampfplaudern durften, waren
sie dann einfach zum Schießen!
Top waren auch die Fußballrentner, die die TV-Anstalten in
Legionen zum Kommentieren und zur Analyse einkauften.
Sie waren der lebende Beweis dafür, daß früher eben nicht
alles besser war!
»Der Kalle ist der, der wo immer Tore schießen tut!« Ge-
nau.
Nun ist es aber so, daß Fußball, Rockkonzert oder Papst-
messe etwas Wesentliches gemein haben. Sie vermitteln ein
intensives Gemeinschafts-Erlebnis! Es ist völlig gleichgül-
tig, wer da vorne womit agiert, Hauptsache, man hat mit
und in einer Masse Mensch irgendwas erlebt. Dann können
die schlichten Gemüter voller Stolz immer wieder erzählen:
»Ich war dabei!«
So wie Uropa als Dauerwiederholung von seinen tollen
Erlebnissen aus Stalingrad erzählt:
»Ich war dabei!«
Kluge Menschen würden lieber sagen:
»Ich war nicht dabei! Gottseidank.«
77
Und extrem Kluge würden einfach die Schnauze halten.
Man will doch nicht für einen Spielverderber gehalten wer-
den. Inmitten von 60.000 hysterisch und lautstark Zustim-
mung einfordernden Fußball-Fanatikern im Stadion! Die
sich nicht in Teheran befinden, sondern hier in Berlin!
Dschieses Kreist!
Mike und Charly wußten, daß sie nun einen anderen »drin-
genden« Einsatz bekommen würden. Und sie wußten auch,
daß genau dann der Schneemann das »Radium« aufsuchen
würde. Sie waren noch dabei, einen narrensicheren Plan
auszuhecken, der ihnen die Giftler, den Schneemann und
den verschissenen Maulwurf aus ihren Reihen ans Messer
liefern würde. Da kam der Auftrag auch schon.
Als sie abfuhren, stieg aus dem Streifenwagen, der noch
immer vor dem »Radium« stand, ein Polizist mit einer
Plastiktüte aus. Er verschwand im Lokal.
78
Absurdistan, Altötting, Gestern, den 16. Novem-
ber, 20 Uhr 53
79
Diese Sachlage bedeutete einen beträchtlichen finanziellen
Verlust für seinen Besitzer, der zwar aus eigener leidvoller
Erfahrung anteilnehmendes Mitgefühl zeigte, aber auch für
sich zu keiner Lösung gekommen war.
Nun, und Egon als Zuchtbulle war nun mal sehr teuer und
sollte nur zur Vermehrung eingesetzt werden. Und wenn er
nicht mehr kann, geht’s ab zum Metzger oder zur Kastrati-
on.
Das wäre aber nicht mehr Sinn und Zweck der Angelegen-
heit.
Wenn Egon nun auch nicht die Worte »Satyriasis« und
»Impotenz« verstand, der Begriff Kastration war ihm
durchaus geläufig. Und es wäre eine schamlose Übertrei-
bung, wenn man sagen würde, daß so etwas in Überein-
stimmung mit seinen Wünschen war. Er wollte auch wei-
terhin Vater werden können mit vielen kleinen Bullenkälb-
chen und nicht bloß Onkel! Und irgendwie waren die Ber-
tas und Gertruden ja auch ganz niedlich. Die wollten ja
auch einen ganzen Kerl spüren und nicht so einen fieseligen
Gummischlauch bei der künstlichen Besamung!
Er war auf der Weide, weil er eine letzte Chance bekom-
men sollte. Zwei Tage und Nächte alleine an der frischen
kalten Luft und dann zwei Tage zusätzlich mit Kühen! Das
war doch ein Angebot! Aber eben ein Letztes!
So fetzte Egon vor Wut schnaubend auf der Weide hin und
her, dauernd nach einer Möglichkeit suchend seine Frustra-
tionen abzureagieren.
Der Blödmann, der zufrieden grinsend und leise pfeifend
über die Wiese schlenderte, kam ihm gerade recht. So ein
Arsch! Egon machte sich ernste, durchaus berechtigte Sor-
gen um seine privaten Teilchen, und diesem Mongo fiel zur
Problemlösung nichts Besseres ein, als zu pfeifen und über
seine Wiese zu tänzeln!
Der gewesene falsche Priester hörte aus heiterem Himmel
in der Dunkelheit ein Geräusch wie von einer Dampflok
hinter sich, als er mit gebrochenen Rückrat gut vier Meter
80
in die Luft geschleudert wurde. Das auf ihm Herumtram-
peln und wiederholte Hochwerfen merkte er nicht mehr. Er
würde nie wieder etwas merken.
Egon jedoch fühlte sich »Like A Million Dollar« und hätte
auf der Stelle ein Dutzend der Bertas und Gertruden verna-
schen können!
Man konnte fast sagen, das Opfer war der einzige Gangster
aus dem weiten Osten, der wortgetreu von einem deutschen
Bullen erwischt wurde!
81
82
Die Gelegenheit
»So, Hade. Ruf mir bitte ein Taxi zum Bahnhof, ich will
nach Berlin.«
Brack mußte sich mit Gewalt aus diesem unglaublich be-
quemen alten Ledersessel reißen.
»Immer zu einem kleinen Scherz aufgelegt, der Justus.
Guck mal aus dem Fenster. Dein Hubschrauber ist noch
da.«
Mit einem maliziösen Lächeln stand auch Hade auf. »Und
von Köln geht’s mit dem Lear-Jet nach Berlin. In andert-
halb Stunden bist Du da. Jetzt vergeude keine Zeit.«
Brack sammelte seine Siebensachen ein, die verstreut über-
all rumlagen. Er fühlte sich hier wirklich wie zu Hause.
»Schade um das gute Frühstück! Wie soll ich berichten?«
»Ruf mich unter dieser Nummer mit dem häßlichen Handy
an. Extra und immer für Dich am Rohr. Und nun ab und
Horrido. Gute Jagd, Justus.«
Hade begleitete Brack zur Terrassentür, klopfte ihm auf die
Schulter, machte mit der Hand ein kreisendes Zeichen,
worauf der Hubschrauberpilot die Rotoren anließ. Brack
fühlte sich jetzt schon elend.
83
Absurdistan, 8.000 Meter über Brandenburg,
Donnerstag, der 17. November, 09 Uhr 04
84
arbeitest für die Banken, und das ist der Grund, warum den
Banken immer mehr und bald alles gehört!«
»Mmhh, na, mach erstmal weiter.«
»Man behauptet, Geld sei ein scheues Reh. Nää, Geld ist
mehr eine zerstörende Wildsau! Jeder Geldschein müßte ein
Verfallsdatum haben! Aber das führt für Dich heute zu
weit. Alles, aber auch alles, was aus Papier ist, darfst Du
niemals kaufen. Börsen, egal welcher Art, sind nichts als
Zockerbuden. Wenn Du zocken willst, geh ins Casino oder
mach eine Pokerrunde auf. Für Dich heißt jede Investition,
ich kaufe nur Werte, die ich auch anfassen kann! Sonst
spielst Du Spiele, deren Regeln Du nicht kennst, und die
jede Minute neu gestaltet werden. Du darfst nie, aber auch
nie vergessen, daß Gangster und Politiker in Personalunion
immer hinter Deinem Geld her sind. Die geben das aus,
was Du verdienst! Diese Gangster kommen in den harmlo-
sesten Verkleidungen daher. Nichts glauben, was die sa-
gen.«
»Also Du rätst mir, in Sachwerte zu investieren.«
»Grundsätzlich ja, aber nicht in alle! Aber laß mich noch’n
bißchen erzählen. Also, nur mit dem Finanzamt würde ich
mich nicht anlegen! Die haben Rechte, die weit über die
Normalgesetze der Cosa Nostra hinausgehen. Da mußt Du
Deine Unschuld beweisen! Aber beweise mal, daß Du un-
schuldig am Untergang der Titanic bist! Oder daß Du 100
Millionen Dollar nicht verdient hast! Schaffst Du nicht, bist
also immer der Verlierer, und wenn Du nicht zahlen kannst
oder willst, wanderst Du in den Knast.«
»Quatsch! Das würde ja unsere gesamte Rechtsordnung
aushebeln!«
»Genau das! Für den Staat ist das schlimmste Verbrechen
die Steuerhinterziehung. Noch weit vor Mord! Also würde
ich nur ein Konto für die laufenden Einnahmen und Ausga-
ben betreiben. Also, eins für alles! Denn überzähliges Bar-
und Papiergeld wird von Dir unverzüglich in handfeste
Sachwerte verwandelt. Vergiß die Schweiz oder die Kai-
85
man-Inseln, die können nämlich das Gleiche wie Deutsch-
land oder Argentinien machen, Deine Konten sperren!
Hab immer 100.000 Euros in Cash und verschiedenen Wäh-
rungen zu Hause. Aber keine Dollars. Das tut Dir nicht
weh, wenn die mal weg sind.« Ralf D. verdrehte die Augen.
»Beneidenswert! Verzichte auf Zinsen, denn damit machst
Du die Banken und den Staat reich, aber nicht Dich.«
»Zement mal! Warum denn das? Ralf, erzähl hier keinen
Mist!«
»Na, willste mal mitrechnen? Du bekommst für Dein Geld
drei bis vier Prozent Zinsen. Wenn die Bank Dein Geld
verleiht, nimmt sie 12 bis 14 Prozent Zinsen. Na, wer ver-
dient mehr?«
»Äähh?«
»Von Deinen drei bis vier Prozent Zinsen erhält der Staat
mindestens 25 % Zinsertragsteuer, dann rechne noch die
wirkliche Inflation und Preissteigerung für knappe Güter
dazu, die ungedeckte Gelddruckerei, und zack, verlierst Du
jedes Jahr einen kleinen Teil Deines Vermögens. In zirka
50 Jahren ist so von Deinem Geld nichts mehr übrig, das
haben nun die Banken geschluckt! Zu der ungedeckten
Gelddruckerei noch ein Rätsel: Wenn sich eine Bank oder
Sparkasse 1 Million Euro in Scheinen von der Zentralbank
leiht und nach einem Jahr 1 Million Euro zurückzahlt, wo-
her kommen dann eigentlich bei 3% Zinssatz die 30.000
Euro Zinsen, die fällig geworden sind? Na? Ganz einfach:
Die 30.000 Euronen bleiben für alle Zeiten als Schulden
erhalten. Mit einer Verzinsung für die Ewigkeit, denn eine
vollständige Rückzahlung ist garnicht möglich. Auch dann
nicht, wenn es von einer anderen Bank stammt, dann fehlt
es eben hier. «
»Ich fasse es nicht! Und nun?«
»Kümmere Dich nur darum, daß Dein Vermögen kauf-
kraftmäßig nicht an Wert verliert. Vergiß Immobilien!
Vergiß Aktien! Vergiß Staatsanleihen! »Gold gab ich für
Eisen!« Kennste doch noch von Oma und Opa, heh? Aber
Du sagst in Zukunft: Papier gab ich für Gold!«
86
»Also Papiergeld und Kontoguthaben in Gold umtauschen?
Und Diamanten?«
»So ungefähr. Muß nicht nur Gold sein. Aber keine Dia-
manten. Deren Wert ist künstlich! Wenn alle von Angebot
und Nachfrage faseln, werden aber Diamanten künstlich
verknappt! Unser heutiges Geldsystem ist keine hundert
Jahre alt. Oder noch genauer keine 40 Jahre. Zahlungen in
Gold und Silber liefen aber über tausende von Jahren
höchst erfolgreich. Da haben aber Staat und Banken keine
Kontrolle mehr drüber, und das mögen sie nicht! Papiergeld
kann endlos neu gedruckt werden, Gold und Silber sind
endlich! Zusätzlich solltest Du Dir über den Industriever-
brauch von seltenen Metallen Gedanken machen. Platin
zum Beispiel. Oder Iridium.
Der Euro spielt wegen Frankreich, Italien, Spanien und so
weiter keine Rolle, die Welt wird vom Dollar dominiert.
Der Euro müßte heute bereits 1:9 umgetauscht werden,
wenn eine Warendeckung vorhanden sein soll. 111 NEUE
Euro gegen 1.000 alte Euro. So schnell kann’s gehen. Und
da wird es in den nächsten 20 Jahren zu einem Crash kom-
men, der sich gewaschen hat! Alfred Nobel war ein sehr
kluger Mann! Er wußte schon, warum er keinen Nobelpreis
für Volkswirtschaft und Psychowischiwaschiwissen-
schaften vergeben wollte. Es sind nämlich keine. Also im-
mer schön auf die Leitwährung achten. Es stellt sich aber
nicht nur die Frage nach der Leitwährung, sondern nach der
Zukunft des gesamten Weltfinanzsystems. Und die sieht
rabenschwarz aus.
Hedgefonds häufen immer größere virtuelle Vermögens-
werte an, die mit der Realwirtschaft nichts mehr zu tun
haben. Die Immobilienblasen in den USA und einigen an-
deren Ländern nehmen immer bedrohlichere Ausmaße an.«
»Ich versteh nicht ein Wort!«
»Mußt Du auch nicht, dafür hast Du mich engagiert! Wei-
ter. Die private Verschuldung in den USA ist astronomisch.
Das riesige Außenhandelsdefizit der USA hat es in ähnli-
cher Größenordnung noch nie vorher in der Wirtschaftsge-
87
schichte gegeben und steigt ständig weiter. In weiten Berei-
chen der zivilen Industrie sind die USA seit langem nicht
mehr wettbewerbsfähig.«
»Und mein PC? Und die Software? Kommt doch alles aus
den USA!«
»Hehehehe, nicht wirklich. Dein Prozessor kommt zum
Beispiel aus Dresden. Deine Software wird in Bangalore
hergestellt. Liegt beides nicht so richtig in den USA!«
Justus Brack guckte etwas kariert.
»Ich meinte auch mehr Industrieprodukte und normale
Verbrauchsgüter, die heute in Massen von den USA impor-
tiert werden müssen. Wenn die internationale Leitwährung
auf so einem maroden wirtschaftlichen Fundament steht,
dann ist sie bald keine Leitwährung mehr oder reißt alle
anderen wichtigen Währungen mit in den Abgrund. Mer-
ken, die nächste Weltwirtschaftskrise steht vor der Tür.
Verzichte auf »Geld aus Geld«, sichere einfach Dein Ver-
mögen. Sollen die Gierigen, die Mitspieler ihr Geld verlie-
ren, Du aber nicht!«
»Wäre ja richtig schön für mich.«
»Weiter. Es sieht nicht nur aus wie ein riesiges Schneeball-
system, es ist eins. Die Erkenntnis aus unserer Blödheit
wird diesmal ungeheuer teuer. Teuer wird vor allen Dingen
der Aufstieg einiger Entwicklungsländer, die zwar kein
Geld, aber plötzlich Sachwerte haben. Die ganzen nationa-
len Wirtschaften sind über Defizitkreisläufe aneinander
gekoppelt. Geht die amerikanische Wirtschaft den Bach
runter, folgen alle anderen Staatswirtschaften ebenfalls.
Wer soll denn im Falle eines Dollarzusammenbruchs den
überflüssigen Schnickschnack kaufen, den die Asiaten und
Europäer herstellen und vertickern müssen? Und theore-
tisch müßten wir raus aus der EU! Aber schnellstens! 4000
Jahre Feindschaft in Europa wollen grenzdebile Politiker
mit einem Federstrich ungeschehen machen. Fassen sich an
die Hand und behaupten, nun haben wir uns aber ganz doll
lieb! Krank! Mal fini! Man hat das Pferd aber so was von
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falsch aufgezäumt… nicht zu sagen. Deswegen müssen wir
raus aus EU und Euro.«
Brack schüttelte den Kopf. Er begriff nur wenig.
»Die Unternehmen sitzen auf fiktivem Geld und die Staaten
auf astronomischen Schulden. Die ganze Weltwirtschaft ist
nur noch eine große Voodooveranstaltung mit Zaubersprü-
chen zur Gesundung. Die aber nie kommen wird. Und
wenn, mit einem Riesenkrach!
Der Dollar hat seit der Beendigung des Goldstandards in
den USA ca. 96 % seines Wertes verloren. Der heutige
Goldpreis entspricht wieder, in Kaufkraft ausgedrückt, dem
Goldpreis von damals. Das gleiche gilt für Erdöl. Für eine
Unze Gold konntest Du Dich 1971 einkleiden. Exakt wie
heute!
Die Ölpreisvervierfachung zur Zeit der Ölkrise in den 70ern
wurde nicht durch eine embargoabhängige Ölknappheit
gestartet, sondern die Scheichs entschieden das innerhalb
weniger Stunden nach Aufkündigung des Bretton-Wood-
Abkommens durch die Vereinigten Staaten, weil sie wuß-
ten, daß ohne Goldbindung des Dollars die Druckerpressen
heißlaufen und seine Kaufkraft sinken würde.«
»Moment, Moment. Heißt das, das ich damals am Sonntag
zuhause bleiben mußte wegen Bretton-Wood?«
»Wenn Du so willst, ja! Öl gab es genug. Nur der Preis war
wegen der amerikanischen Goldentkopplung leicht explo-
diert. Und Deutschland wollte einfach Devisen sparen.«
»Man hat aber damals was ganz anderes in den Zeitungen
geschrieben!«
»Na, und was schreiben sie heute? Die Wahrheit? Die USA
überziehen jedes Land mit Krieg, das den Ölpreis auf eine
andere Währung wie zum Beispiel den Euro umstellen will!
Denn sonst wäre der Dollar innerhalb eines Tages tot!
Wie die EZB zugab, sind die Zentralbanken nicht in der
Lage, im Fall des Zusammenbruchs eines großen interna-
tionalen Finanzhauses die Reaktion des mit geschätzten 350
Billionen Dollar unvorstellbar großen Derivatenmarktes
vorherzusagen oder gar zu kontrollieren.
89
Wenn man sich dann noch anhört, wie die verschiedenen
Ämter für Statistik uns verkaufen wollen, daß die Inflation
durch die Preissteigerung bei den Gütern A, B und C be-
dingt ist, während alle größeren Währungen der Welt im
Jahr 2005 die Geldmenge in Zirkulation um durchschnitt-
lich 10 % erhöht und damit die Kaufkraft der Bürger um
effektive 10 % verringert haben, fragt man sich, was damit
wohl bezweckt werden soll……. Nie zuvor in der Mensch-
heitsgeschichte wurden in so kurzer Zeit zwei Milliarden
Menschen plötzlich zusätzlich zu Wettbewerbern im Kampf
um so wenig verbleibende Ressourcen, egal, ob es sich
Industriemetalle, fossile Energie, Holz oder Fische oder
Nahrung handelt. Nie zuvor in den letzten 100 Jahren wa-
ren die USA so deindustrialisiert und deinfrastrukturiert wie
heute. Mit dem ganzen angehäuften Papiergeld, das in Kür-
ze wertlos sein dürfte, werden gerade jetzt überall Firmen,
Konzerne, Immobilien, Stadtwerke, Wohnungsbaugesell-
schaften und so weiter aufgekauft. Wenn die Blase dann
platzt, sitzen andere auf den wertlosen Dollars und die
amerikanischen Fonds besitzen massenweise Realwerte.«
»Also kaufe ich auch so was?«
»Nein. Du kaufst Sachen, die selten sind und bleiben und
immer weltweit gebraucht werden! Die Du schnell verkau-
fen kannst. Und die läßt Du Dir nach Hause zum Anfassen
liefern. Wenn Du was zu Deiner Versorgung beitragen
willst, kauf Dir einen großen Bauernhof in Deiner Nähe! Ist
auch steuermindernd. Keine Papieranteile!«
Langsam begriff Justus Brack die Zwickmühle. Im Falle
eines Falles konnte er auch mit Vermögen bitterarm wer-
den, wenn er auf Geld setzte. Mit seltenen Metallen war er
auf einer sichereren Seite.
»Mit dem Federal Reserve Act vom 23.12.1913 fing das
Trauerspiel an. Mit diesem Gesetz wurde dem Kongreß und
damit dem amerikanischen Volk die Kontrolle über das
Geld entzogen und in private Hände übergeben. Das
»Köppchen« dieser Gesetzgebung war der aus Deutschland
stammende Paul Warburg, der Bruder von Max Warburg
90
und Miterbe des einflußreichen Hamburger Bankhauses
gleichen Namens, einer Agenturbank des englischen Roth-
schild Bankenimperiums.
Die wirklich wichtigen finanziellen Strategieentscheidun-
gen für die ganze Welt des FED werden also von einem
internationalen Bankenkonsortium getroffen. Von Privat-
leuten! Nicht von einem Staat!
Kennedy wollte und hat mit der am 4. Juni 1963 unter-
zeichneten Executive Order 11110 staatliche Banknoten
herausgegeben und so das Geldmonopol des Federal Reser-
ve System, die zwölf amerikanischen Zentralbanken, be-
droht. Man mußte verhindern, daß Kennedy wirklich die
Macht der FED beschneidet. Und die Verordnung wurde
nach dem erfolgreichen Attentat auf Kennedy von seinem
Nachfolger in ganz kleine Fetzen zerrissen, und bereits
gedruckte staatliche Banknoten wieder eingestampft und
stillschweigend aus dem Verkehr gezogen.
Es ging um die Kleinigkeit von 30-100 Milliarden Dollar
jährlich. Bis heute! Abraham Lincoln und J. F. Kennedy
waren die einzigen amerikanischen Präsidenten, die staatli-
ches Geld einführen wollten. Beide starben bei nie geklär-
ten Attentaten. Beide Attentäter, Booth und Oswald wurden
kurze Zeit nach dem Attentat erschossen. Lasset uns raten!
Es war immer schon im Interesse der Geldschöpfer, durch
fortwährende Geldschöpfung Inflation zu erzeugen. Da-
durch konnten Schulden von Banken und Staaten leichter,
eher und billiger zurückbezahlt werden, und man konnte
schneller neue Schulden machen. Bezahlt werden sollte das
Ganze von den kleinen fleißigen Ameisen. Auch Bürger
oder Wähler genannt. Eine Art Perpetuum mobile. Doch
das existiert nicht. Ein Schneeballsystem! Ein legales! Und
den letzten beißen die Hunde!
Daß das nicht gut gehen konnte und nicht gut gehen kann,
dazu muß man nicht Kommunist sein, um das zu verstehen.
Das Trauerspiel ging weiter bis zur Ära Nixon, der 1971 die
Goldbindung auch für nationale Zentralbanken aufhob.
Damit waren sämtliche Dämme für das hemmungslose
91
Gelddrucken gebrochen. Heute haben wir nur noch fiktives
Luftgeld in den Händen. Wie lange soll das gut gehen?
Selbst die stärkste Währung der Welt, der Schweizer Fran-
ken büßte seitdem zwei Drittel seines Wertes ein. In dieser
Welt des sogenannten fiat money werden die Reichen im-
mer reicher und die Armen immer ärmer. Das liegt schlicht
und einfach am System und ist von vornherein zum Schei-
tern verurteilt. Daran kann auch keine Regierung etwas
ändern. Und doch werden die Armen über die Reichen
siegen, weil sie viel mehr sind. Allerdings wird das Ströme
von Blut kosten Die ganze widerwärtige selbsternannte
Elite wird zerfetzt werden. Und wozu? Zu Recht! Deren
Verbrechen kosten Millionen Opfer. Jedes Jahr!.«
»Ach, deswegen soll die Bundeswehr unbedingt im Inland
für Ruhe und Ordnung sorgen dürfen?«
»Das weiß ich natürlich nicht. Aber vermuten wir das mal.«
Ralf D. guckte Brack nachdenklich an.
»Hast Du irgendwas mal von »Bilderberg« gehört?«
»Mann, Ralf, hör’ auf!”
Ralf D. lachte.
»Gut, machen wir weiter! Die deutsche nationale Goldre-
serve ist in den USA, New York gelagert! Warum? Nie-
mand glaubt doch ernsthaft daran, daß die USA unser
schönes Gold jemals wieder rausrücken!
Es wurde angeblich dort eingelagert, weil es im Konfliktfall
in Frankfurt vor den Sowjets nicht sicher gewesen wäre.
Nur: Die Sowjetunion gibt es seit 15 Jahren nicht mehr!
Also wie jetzt?
Und warum liegen mit der gleichen Begründung nicht die
Schweizer Goldvorräte in den USA? Na, weil die Schwei-
zer nicht so blöd sind wie wir!«
»Moment! Unser Gold ist garnicht hier? Sind denn die
Politiker blöd?«
»Keine Fangfragen, Justus!« Ralf grinste.
»Lediglich 5 % des US Dollar dürften durch echte Produk-
tivität und Werte gedeckt sein. Alles andere ist Luftgeld.
Man müßte auch mal überprüfen, wohin eigentlich die
92
Gelder der 300 Millionen Steuerzahler der EU immer ge-
flossen sind, und warum so wenig Gegenwert gefunden
wird. Und noch Eins.
Wenn der Westen Kriege zur Rohstoffversorgung plant,
braucht er Soldaten! Die erhält er, wenn er bei einer Mas-
senarbeitslosigkeit die allgemeine Wehrpflicht wieder ein-
führt und auch durchzieht! Und irgendwie sind wir dafür
auf einem guten Weg!«
»Da ich nun der Meinung bin, die Amerikaner mögen sich
endlich mal selbst ernähren und nicht dauernd auf unsere
Kosten, empfehle ich folgende Anlagen immer und nur mit
Blick auf den Dollar.«
93
»Jaaahaa?«
»Ein Kriminalhauptkommissar Schunck will Sie sprechen.
Kommen Sie bitte mit ins Cockpit, Herr Rat. Hier entlang.«
Gebückt folgte er dem Ersatzpiloten durch die gepolsterte
enge Röhre. Er setzte sich das Headset auf, und auf das
Nicken des Co-Piloten hin fragte er: »Justav?«
»Wenn mir Deine amerikanische Perle Herman nicht gehol-
fen hätte, hätte ich Dich nie erreicht. Wo bist Du jetzt?«
»So 20 Minuten vor und über Berlin. Was gibt’s denn so
Eiliges? Solltest Du nicht schlafen?«
»Hätte ich gerne getan. Aber wir haben ein neues Tötungs-
delikt. Oder Unfall oder so was. Und etwas Hochinteressan-
tes gefunden. Ihr landet in Tegel, richtig? Ich lasse Dich
von dort abholen.«
»Bitte, keinen Hubschrauber mehr.«
»Grundgütiger, wie denn und wovon denn? Nein, mein
Assistent Ruud holt Dich mit dem Wagen ab, und dann
geht’s direkt zum Tatort. Bis gleich.«
94
Absurdistan, Berlin, Donnerstag, der 17. Novem-
ber, 09 Uhr 35
95
Passanten. Eine Gruppe ehemaliger Nigerianer, die, nach-
dem sie ihre Pässe weggeworfen hatten, sich nicht mehr an
ihre Herkunft erinnern konnten, verkauften unbehelligt von
der Polizei kleine Bröckchen Shit. Ein weißgewandeter
Mann mit einer fatalen Jesusähnlichkeit rezitierte im Wie-
ner Dialekt:
96
die hatte auch schon das Atom.
Wenn Generäle Wodka saufen,
kann man sich ein paar Bomben kaufen.
Vom Basar in Tadschikistan
mit UPS nach Teheran.
So kommt die Welt dem Abgrund näher,
nicht später, sondern eher eher!«
97
»Laß gut sein, Justus. Könnten wir garnicht richtig mit
umgehen. Neue Autos sollen ja Elektronik haben. Kennen
wir nur vom Hörensagen.«
»Sage mal«, zeigte Brack vor den Tatort, wo der Leichen-
wagen hielt, »was soll denn das werden?«
Ein unförmiger großer Pastor stand neben einem Sarg,
schlug ein Kreuzzeichen über den Sarg und sprach ein kur-
zes Gebet. Dann verschwand er im Haus.
Die zwei Bestattungsleute hatten den Kunststoffsarg zwi-
schen sich, der Deckel stand halb hoch, und nach vorne
baumelten zwei Beine heraus. Das hatte Brack in seiner
bisherigen Laufbahn auch noch nicht gesehen.
»Der Kerl ist elendig lang. Wir hatten es zuerst mit ange-
winkelten Beinen versucht, das sah aber noch blöder aus.
Hätte auch in der Höhe nicht in den Leichenwagen gepaßt.
Beantrage doch schlicht, daß nur noch Zwerge abgeholt
werden! Oder: Einfach ignorieren. Machen wir schon lange
so.« Schunck schwankte vor Müdigkeit.
Kopfschüttelnd ob dieser Pietätlosigkeit riß Brack seinen
Blick von dieser Slapsticknummer los.
»So, nun rück mal raus mit Deiner Überraschung!«
Schunck zog aus der Jackentasche eine Klarsichthülle mit
einer angekokelten kleinen Ecke Papier. Man konnte noch
lesen: Beate Kle… Sven Buch… und Heinz N……..
»Für’n Zufall ist es zu viel. Wer ist der Tote?«
»Osteuropäer mit falschen Papieren. Waffen, Munition,
Sprengstoff, auch Drogen hatte er dabei. Ist schon merk-
würdig, unser Doktor für Kalte sagt, zu 99 % ein Unfall!
Vielleicht ist er von der Teppichkante gefallen.«
»Und, Justav? Hilft uns das weiter?«
»Nee, nicht so richtig.«
»Dann gib sofort den Schnipsel an das BKA! Die kommen
dann hier angeflogen wie die Spatzen auf’m Pferdeappel.
Und Du hast den Fall vom Schreibtisch und Deine Ruhe.
Ruud, fragen Sie doch bitte mal im Haus gegenüber, ob
jemand gestern, vorgestern was Ungewöhnliches gesehen
hat. Wir fragen dann weiter.«
98
Als Ruud ausgestiegen war, sagte Brack: »Justav, Du siehst
ja richtig verboten aus. Was ist los? Willste kleine Kinder
erschrecken? Nimm Dir mal ein Beispiel an den Damen
und Herren Juristen vom BKA, die hier gleich auftauchen!
Wie adrett die aussehen.«
»Ich habe jetzt 26 Stunden nicht mehr geschlafen. Ich habe
Kopfschmerzen vom Feinsten. Ich habe das Gefühl, jeden
Moment fliegt mir die Schädeldecke weg. Als ob man mir
unter die Hirnhaut Agent Orange geblasen hätte. Aber sonst
geht’s mir primstens!«
»Da kümmern wir uns gleich drum. Ruud kommt schon
wieder.«
Tatsächlich kam Ruud mit einem breiten Grinsen auf den
Museums-Opel zu.
»Herr Nepomuk hat was beobachtet. Dritter Stock links.«
»Wir gehen mal rüber. Sie, Ruud, informieren das BKA.«
Herr Nepomuk war ein netter alter Herr mit einem Graupa-
pagei namens Don Carlos in einem großen Käfig im Wohn-
zimmer. Beide hatten völlig irritierende Angewohnheiten.
»Ich bin Kommissar Schunck, und das hier ist mein Kolle-
ge Brack. Nun erzählen Sie mal, was Sie beobachtet ha-
ben.«
Brack und Schunck nahmen in den Polstersesseln Platz und
warteten gespannt.
»Beobachtet? Vorgestern?«
Schunck fuhr herum, als hinter ihm eine Stimme fragte:
»Beobachtet? Vorgestern?«
Um nicht laut loszulachen, fragte Brack einfältig, wie For-
rest Gump: »Der spricht, der Papagei, nicht wahr?«
Brack stand auf und ging zum Fenster, damit niemand sein
Lachen sah.
99
Gegenüber schien eine Ballettschule zu sein. Brack sah
hinter einem Pfeiler einen unförmigen Körper im rosa Tutu,
der verzweifelt versuchte, das rechte Bein über die Stange
zu wuchten. Brack beobachtete die Situation fasziniert.
Endlich gelang es dem unförmigen Körper im rosa Tutu
sein Bein auf die Stange zu bringen. In Zeitlupe fiel er mit
ausgestrecktem Bein hintenüber. Brack bedeckte seine
Augen und ging in die Knie, um seinen Lachanfall zu ka-
schieren. Er ging keuchend zum Sessel zurück und wischte
sich die Tränen ab.
100
An der Wohnungstür rief ihnen Herr Nepomuk nach: »Auf
Wiedersehen?« Getreulich assistierte sein Partner: »Auf
Wiedersehen?«
Auf der Treppe lachten sich die beiden erstmal aus. »Mit
der Nummer könnten die auch im Werbefernsehen auftre-
ten. Was es nicht so alles gibt?«
Schunck drehte sich um, als erwarte er die Replik des Pa-
pageis. Brack betrachtete Schunck nachdenklich.
»Weißt Du, Justav, Du siehst aus wie das Vogeltier! Von
oben bis unten grau!
»Stimmt nicht. Der Papagei hatte wenigstens einen knallro-
ten Schwanz!«
In stiller Verzweiflung verdrehte Justus die Augen.
101
»Wer hat hier um Hilfe gerufen?«
»Niemand natürlich!«
»Wer ist noch in der Wohnung?«
Die Antwort auf diese Frage erübrigte sich, als ein kleines
verheultes Mädchen von etwa acht Jahren aus einem Zim-
mer auf den Flur trat. Die Striemen, die sich von den Ober-
armen hin zum Rücken zogen, waren über älteren Striemen
deutlich zu sehen.
»Mach die Wohnungstür zu!« rief Brack Schunck zu. Über
Justus Augen zog sich ein blutroter Schleier der Wut.
»Mach keinen Scheiß, Justus!« warnte ihn Schunck, der
allerdings auch wenig Neigung verspürte, Brack zurückzu-
halten. Endlich hatte man mal jemand auf frischer Tat er-
tappt, der sich an den Schwächsten, nämlich Kindern, aus-
toben mußte. Und endlich gab es mal die Möglichkeit,
diesen Leuten das Gefühl der Kinder zu vermitteln, die aus
nichtigem Anlaß verdroschen wurden.
Natürlich ist es extrem schwierig, einen Weg zu finden
zwischen Prügel und Strafe, aber immer nur Verdreschen
bringt es genau so wenig, wie nie zu strafen.
Schunck kannte Bracks Vergangenheit und wußte, daß
Justus nicht der joviale nette Onkel war, wenn er durch
irgendetwas bis zur Weißglut gereizt wurde. Brack hatte in
einem früheren Leben, als er noch sehr jung und sehr dumm
war, Leute äußerst kaltblütig umgelegt. Das würde er aller-
dings heute aus Überzeugung durch Einsicht nicht mehr
machen.
102
Deine Brötchen aus der Schnabeltasse lutschen. Wenn Du
noch einmal, hörst Du, nur noch einmal, ein Kind schlägst,
komme ich wieder und breche Dir ein paar Knochen mehr.
Dann bekommste einen auf Deine runde Römernuß, da
guckste durch Deine Rippen wie ‘n Affe durch die Gitter.
Dann schreibste das Sachbuch »Schönsein im Streckver-
band« oder »Mein Leben im Gips«. Hast du verstanden? …
HAST DU VERSTANDEN?«
Der Unrasierte nickte hektisch. Das kleine Mädchen sah mit
großen Augen auf die Szene. Es hatte jedes Wort verstan-
den und auch begriffen. Es rannte auf Brack zu und umarm-
te ihn dankbar. Brack wandte sich mit feuchten Augen ab.
»Jetzt ist alles gut. Du mußt nie wieder vor ihm Angst ha-
ben. Nun hat er Angst vor uns.«
Schunck hatte inzwischen seine Uniformierten und einen
Krankenwagen gerufen. »Anzeige wegen Kindesmißhand-
lung, Körperverletzung, Widerstand … Ach, die ganze
Latte eben.« sagte Brack zu den Uniformierten.
»Justus, Justus! Du weißt garnicht, wie gut Du es hast. Ich
hätte so gerne mitgemacht.«
»Ach Justav, oller Schaute, manchmal bin auch ich richtig
froh, daß die Gerechtigkeit nur allein für mich verbundene
Augen hat!«
103
Österreich folgt auf Platz 3. Luxemburg, die Niederlande
und Belgien liegen noch weit vor Deutschland. Wo bleibt
denn nun unser super-duper-tolles Vaterland? Das kleine
verprügelte Mädchen kann doch nicht repräsentativ für das
ganz unglückliche Deutschland sein? Man sollte die Rent-
ner mal verstärkt fragen.
Deutschland belegte im Vergleich von 178 Nationen bloß
Platz 35. Allerdings noch vor afrikanischen Ländern wie
Simbabwe und Burundi. Ein schöner Erfolg!
Es dürfte auch kein besonderer Trost sein, daß Deutschland
noch vor Indien, Platz 125, und Rußland, Platz 167, liegt.
Grundlage für die Studie waren die Daten von insgesamt
mehr als hundert anderen Untersuchungen. Sie stammen
unter Anderem vom UNICEF, dem US-Geheimdienst CIA
und der WHO. Der Psychologe Adrian White stützt sich
auch auf Umfragen, in denen weltweit mehr als 80.000
Menschen auf Fragen nach Glück und Zufriedenheit Aus-
kunft gaben. Die Antworten wurden dann mit Daten zu
Wohlstand, Bildungs- und Gesundheitssystem verglichen.
In Ländern mit guter Gesundheitsversorgung, hohen Wach-
stumsraten und gutem Zugang zum Bildungssystem seien
die Leute glücklicher als anderswo.
So, so! Auf, auf, ihr tollen deutschen Politiker! Eure zahllo-
sen Reformen der reformierten Reformen bringen uns in
Richtung auf Platz 180. Schlechte Gesundheitsversorgung,
keine Wachstumsraten, schlechter Zugang zum Bildungssy-
stem ist nach dieser Studie die Garantie zum Unglücklich-
sein!
Frau Weißnix als Bundesgesundheitsminister, föderales
PISA-System, zwanzig Millionen Arme, sinkende Realein-
kommen, hört sich an wie eine Loosergeschichte.
Was können wir tun?
Hallo Dänemark, hallo Schweiz? Dürfen wir uns mal für
eine Legislaturperiode Eure Politiker ausleihen?
104
Vor der Haustür winkte Brack einen der Uniformierten zu
sich. Neugierig beäugte der Brack. So was hatte der Uni-
formierte auch noch nicht erlebt. Ein Fremder betreute
einen leitenden Kriminalhauptkommissar. Der gab ihm nun
auch noch einen Befehl!
105
Chinesen pflegen alles zu essen, was den Rücken zur Sonne
streckt. Na, gut, sonnende Badegäste mal ausgenommen.
Aber man war schließlich nicht bei Kannibalen, deren
freundliche Aufforderung: »Bleiben Sie doch zum Essen!«
mißverständlich und doppeldeutig war.
106
Der erste Koch Ching-Lin rief den fremden Teufeln ein
perfektes gerolltes: »Rrrrrrrrrrrrrrreis!« hinterher, und der
Rest der Küchenmannschaft sang: Oooooi, ooi, yingyangy-
ingyangyingyangyingyangyecketiyey, yingyangyingyangy-
ingyangyingyangyecketiyey, yecketiy-eeeeey…………
*
Wie von Brack prophezeit, fiel das BKA mit Wucht über
die Pradistraße her. Man hatte einen mutmaßlichen Täter.
Tot zwar, aber immerhin einen schönen schnellen Erfolg,
den man später auf einer Pressekonferenz als Beweis für die
ungeheure Effizienz des BKA präsentieren konnte. Intern
hatte man längst beschlossen, die Berliner Polizei im All-
gemeinen und diesen obskuren Oberrat Brack im Beson-
dern zu ignorieren. Ja, seine Existenz einfach nicht zur
Kenntnis zu nehmen. Und sollten sie doch darauf angespro-
chen werden, nun, Justus Brack war strenggenommen und
bei Lichte betrachtet ja immer noch einer von ihnen. Und es
war ja wohl selbstverständlich, daß ein Mitarbeiter des
BKA auch für das BKA arbeitet. So was muß man doch
nicht noch extra erwähnen!
Brack hatte noch viele Feinde in Wiesbaden. Und die hiel-
ten es für eine Ehrensache, ihm eins auszuwischen.
107
sten Verwicklungen und Mißverständnissen führte, da sich
einige selbst sprechen hörten, obwohl sie nichts mehr sag-
ten. Aber eine Einzelzelle für Don Carlos, der sowieso
schon hinter Gittern saß? Das war doch nun etwas übertrie-
ben.
Also sprach Herr Nepomuk ein Machtwort:
»Ohne meinen Papagei sage ich garnichts mehr!« Don
Carlos war so clever, unverzüglich den Schnabel zu halten.
Der leitende BKA-Beamte verstand allerdings mangels der
Wiederholung: »Ohne meinen Anwalt sage ich garnichts
mehr!« und fing vor Wut an zu toben und zu kreischen.
»Anwalt?« drohte er, »Plustern Sie sich nicht so auf! Erst
ein dickes Ei legen mit, von wegen Sie hätten was gesehen,
und dann… Sie stecken mit Ihrem Papagei bis zum Hals in
der Sache drin. Ihr werdet Federn lassen, das verspreche ich
Euch! Hier kommt Ihr nicht ungerupft wieder raus!«
Der älteste BKA-Mann in der Runde, noch bei der Polizei
ausgebildet, beruhigte die erhitzten Gemüter wieder. Man
könne doch nicht einen 69jährigen Zivi verhaften, der einen
120jährigen betreut. Die Medien würden das BKA in der
Luft zerreißen!
Ein BKAler ging zum Fenster und blickte gegenüber in die
Ballettschule. Er winkte grinsend seine Kollegen zu sich,
und sie beobachteten gespannt, wie hinter einem Pfeiler ein
unförmiger Körper im rosa Tutu verzweifelt versuchte, nun
das linke Bein über die Stange zu wuchten. Einige BKAler
fingen an zu gackern. Endlich gelang es dem unförmigen
Körper im rosa Tutu, sein Bein auf die Stange zu bringen.
In Zeitlupe fiel er mit ausgestrecktem Bein hintenüber.
Zwei BKAler lagen vor Lachen am Boden, ein anderer
hämmerte hysterisch kreischend an das Fenster, während
ein weiterer wie ein Huhn beim Wasserlassen kicherte. Erst
das atavistische Brüllen ihres humorlosen Häuptlings been-
dete den Spaß. Sie gingen, nach Luft schnappend, in den
Raum zurück und wischten sich die Tränen ab.
108
Aber auch die Aufnahme der Personalien gestaltete sich
schwierig.
»Name?«
»Florian Nepomuk.«
»Ihr Alter?«
»Hieß auch Nepomuk!«
»Nein, geboren?«
»Ja!«
»WANN?«
»Mein Vater?«
Mit einem leisen Wimmern schloß der BKA-Beamte sein
Notizbuch.
Also zog das BKA nach diesem Reinfall von hinnen nach
dannen.
An der Wohnungstür rief ihnen Herr Nepomuk nach: »Auf
Wiedersehen?« Und Don Carlos, dem das Durcheinander
sehr gefallen hatte, ergänzte selbstverständlich: »Auf Wie-
dersehen?«
109
Es war eine moderne Kirche, die aussah, als ob ein zerbor-
stener Bunker notdürftig geflickt worden wäre. Kahle Be-
tonwände überall. Der Altar und die Kerzenständer ließen
die beliebten Gemälde »Zigeunerin« oder den »Röhrenden
Hirsch« als hochpreisige Kunstwerke erscheinen. Der Jesus
am Kreuz trug einen Gesichtsausdruck zur Schau, als ob er
tief bedauere, sich für die Menschheit geopfert zu haben.
110
Die Zeugin
111
innerhalb eines halben Jahres starben. Die Golkes waren am
Boden zerstört. Sie erfuhren nach und nach, daß noch eini-
ge weitere Leukämiekranke in ihrer Nachbarschaft vege-
tierten. Man vermutete als naheliegend eine kleine Havarie
im AKW. »Garnicht möglich«, sagte der Pressesprecher des
AKW, »wir werden strenger überwacht als ein Gefängnis.«
Nun war dieses eine lupenreine Quatschaussage, weil es
erstens nicht stimmte, und zweitens es immer wieder Wel-
chen gelingt, aus dem Gefängnis auszubrechen. »Wenn
Radioaktivität die Verursacherin der Leukämie war, dann
kam sie definitiv nicht von uns!«
Als ob die Landbevölkerung in ihrer kargen Freizeit mit
Plutoniumbällen auf dem Hof Fangen spielen würde.
Als vorbildliche, aber eben deswegen dämliche Bundesbür-
ger, setzte man sich aus eigenem Antrieb der sorgsam aus-
getüftelten Bundes-Rechtsmaschinerie aus, die allen Besit-
zern unter einer Million Euronen Vermögen garantierte,
gegen finanziell stärkere Gegner zu verlieren und alle Ko-
sten zu tragen. Immer und todsicher!
Die Bundesländer halfen nicht, denn leider, leider waren
ihnen ohne aussagekräftige Beweise die Hände gebunden,
der Staatsanwalt konnte auch nicht, weder zu Hause, noch
im Büro, eine Gutachterkommission gab nach 12 Jahren
auf, - da sieht man mal wieder, wie gut eine Kommission
oder ein Ausschuß zum Verdecken geeignet ist -, kurz:
Niemand hatte auch nur das allergeringste Interesse,
Krankheits- und Todesfälle an Kindern aufzuklären. Kinder
kann man immer wieder neue machen, aber Geld, GELD,
haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie schwer es ist, an
anderer Leute GELD zu kommen?
Da meldeten sich plötzlich unter konspirativen Umständen
Zeugen bei Gerda Golke, die 1986 im September am AKW
nachts ein Feuer gesehen haben wollten. Die Beschreibung
des nie zuvor gesehenen Feuers dieser Art war so unge-
wöhnlich, daß die Wahrheitswahrscheinlichkeit extrem
hoch war.
112
Die Leser mit einem längeren Gedächtnis fragen sich nun:
»1986? War da denn nicht noch was?«
Die Katastrophe von Tschernobyl ereignete sich am 26.
April 1986 im Kernkraftwerk Tschernobyl nahe der Stadt
Prypjat, Ukraine, Sowjetunion, als Folge einer Kernschmel-
ze und Explosion im Kernreaktor Tschernobyl Block 4. Es
war eine der größten Umweltkatastrophen überhaupt.
Nun stelle man sich kurz aber intensiv vor: 1986, Tscher-
nobyl, ganz frisch in Erinnerung, mit Spielverbot draußen
für Kinder, mit Warnungen vor dem Verzehr von Pilzen,
Wildbret, ungewaschenem Gemüse und Obst und überhaupt
und so weiter. Die Bevölkerung war auf das Höchste sensi-
bilisiert und verängstigt. Wegen eines Unfalls, ein paar
tausend Kilometer entfernt. Was würden wohl die schlaf-
mützigen Deutschen machen, bei einem Unfall nur ein paar
Meter entfernt? Richtig! Das gesamte deutsche Atompro-
gramm wäre mausetot gewesen. Abgeschaltet von heute auf
morgen. Innerhalb von Minuten. Na, das ging doch wohl
nicht! Diese paar Kinder. Denkt doch mal lieber an unser
Geld, GELD! Unsere Investitionen, INVESTITIONEN!
Aktienbesitz! So beschloß eine immer unheilige Allianz,
vielleicht bestehend aus Wirtschaft, Banken, Bundesstaats-
anwaltschaft, Polizei und Politikern, in totaler Panik die
kleine Havarie zu vertuschen, zu verleugnen, zu verdrän-
gen. Eben etwas neben dem Gesetz zu arbeiten!
Gerda allerdings schloß messerscharf, wenn es denn wirk-
lich beim AKW gebrannt hätte, müßte doch die dörfliche
Feuerwehr einen Einsatz gehabt haben. Sie verlangte also
die Einsatzprotokolle der Feuerwehr zu sehen.
Peinlich!
Denn bei der Feuerwehr hatte es auch gebrannt! Und es
hatte, jetzt darf geraten werden, richtig, ausgerechnet die
Protokolle der Einsätze von 1986 erwischt! So ein Zufall
aber auch!
Gerda allerdings beschloß einseitig für sich, daß das Sich-
Verarschen-Lassen nun per sofort zu Ende war.
113
Der Staat war nun ausgewiesener Maßen ihr Feind, und
jetzt nahm sie die Sache eben selbst in die Hand. Sie wollte
ab jetzt auch etwas neben dem Gesetz arbeiten! Sie richtete
auf verschiedenen Namen neue Konten ein, arbeitete noch
mal intensiv auf den Äckern, Feldern und Wiesen ihrer
Vorfahren, die seit 1645 in Familienbesitz waren und ver-
abschiedete sich von ihrem Mann.
Ihr Mann lehnte ihr Vorhaben vehement ab, er wollte wei-
ter »rechtstaatlich« kämpfen, was nur ein netter Euphemis-
mus für »Ich bin zu feige« war. Und ihr Schwiegersohn war
bestenfalls ein Bettnässer und Fliegenfuß!
Mit einer Leidensgenossin zusammen entführte sie den
stellvertretenden leitenden Ingenieur des AKW und befrag-
te ihn als Mordgehilfen an einem verschwiegenen Örtchen
hochnotpeinlich. Das Ergebnis war erschreckend und einer
afrikanischen Diktatur würdig.
Nur hatten beide nichts von ihren gewonnenen Erkenntnis-
sen aus Namen, Zeiten, Daten und Fakten. Nachdem der
Ingenieur von der Polizei gefunden und im Krankenhaus
mit liebevoller Pflege behandelt wurde, um im Rollstuhl
wie ein rohes Ei ohne Schale das Leben weiter genießen zu
können, wurden Gerda und ihre Leidensgenossin weltweit
per Haftbefehl gesucht. Doch die hatten für ihren Kampf
um die toten Kinder und Enkel mit ihrem bürgerlichen
Leben längst abgeschlossen und befanden sich auf der
Flucht.
Gerdas Leidensgenossin kam bei einem obskuren Unfall
ums Leben, und als auch Gerda drei Beinahunfälle über-
stand, war klar, daß lautlose Killer hinter ihr her waren. Die
Auftraggeber konnte man fast erraten. Gerda verschwand in
den Untergrund.
Und da sie keiner Gruppe angehörte, war sie auch durch
Verrat unmöglich zu finden. Und auf eine einsame alte
Schachtel achtet sowieso niemand. Da hätten ja alle viel zu
tun.
114
Sie putzte also weisungsgemäß die Türklinken von innen
und außen, als sie in einem kleineren Sitzungssaal jeman-
den mit Kopfhörern sitzen sah. Der Mann sprang auf und
blickte sie mit tödlicher Wut an!
Gerda erschrak, weil sie wußte, es war ein Killerblick, der
den Wunsch zu töten ausdrückte und machte, daß sie davon
kam. Weit, weit weg.
Es war ihr höchst gleichgültig, warum der Mann sie so
voller Haß angeschaut hatte, sie wollte es auch wirklich
nicht wissen. Es war nur schade um ihren Job und ihre
schöne Tarnung.
Aber einfach abzuwarten, ob der Mann sie auch wirklich
töten würde, war nicht so ihr Ding! Sie verließ den Bundes-
tag, nahm sich ein Taxi, packte ihre Siebensachen ein und
zog in die Berliner Wohnung einer anderen Freundin, die
für ein Jahr in Afrika den Bonobos bei der Vermehrungssa-
che zuguckte. Gerda war schon so oft auf der Flucht gewe-
sen, daß es ihr leicht fiel, ein sogenanntes Zuhause auf-
zugeben. Genauso, wie sie sich blitzschnell in eine neue
Umgebung einleben konnte.
115
Den 23-jährigen pickeligen Chef des Ganzen erinnerte
Gerda an seine früh verstorbene Oma, und so bekam sie,
unter der eindringlichen Ermahnung, das juvenile und ge-
schmacksresistente Publikum nicht durch ihr greises Aus-
sehen zu verschrecken und in der Küche zu bleiben, den
heiß ersehnten Job und durfte sofort anfangen.
116
Absurdistan, Berlin, Donnerstag, der 17. Novem-
ber 11 Uhr 00
117
auch schon, wie sie ihren Lieblingsjungstar überzeugen
würde. Sie würde ihm ihr ganzes Repertoire auf dem Tre-
sen vorsingen und vorspielen. Das hatte echt noch niemand
gebracht! So mußte sie einfach zum Fernsehen kommen!
Bernd Fischer schnauzte in ihre Tagträumerei: »Nun geben
Sie’s endlich her. Ich will essen und nicht quizzen!«
Beleidigt knallte das Gör sein Käsegetoastetes auf den
Tresen und schob einen großen Becher Kaffee mit Deckel
rüber.
Fischer suchte sich einen stillen Platz, von dem er alles
überblicken konnte und begann zu essen und zu trinken.
Pastor Lüder saß drei Tische weiter. Er hatte eine große
Schwäche, für die er Gott den Herrn täglich um Verzeihung
bat. Er aß für sein Leben gerne amerikanisches Junkfood!
Pastor Ambrosius behauptete, Lüders verkniffener Ge-
sichtsausdruck stamme vom Verzehr dieses Abfalls, und
daß er besser mal mit ihm ein richtiges Essen zu sich neh-
men sollte.
Eine Terrine von der roh marinierten Gänsestopfleber mit
Quitte und grünem Pfeffer zum Beispiel!
Aber Pastor Lüder liebte seinen Junk.
118
Egal, bei der Polizei konnte man Leute scheuchen und ab
und zu mal ausgiebig den Widerstand gegen die Staatsge-
walt brechen. Mit etwas Glück durfte man auch im Notfall
zweimal schießen. Einmal gezielt und dann ein Warnschuß.
Oder so. Aber nun war ihre Frühstückszeit!
Und der pickelige Jüngling, der in dem bekannten großen
amerikanischen Spezialitätenrestaurant den Boss mimte,
hatte den Wert der Präsenz der Polizei zur Abschreckung
locker erkannt und spendierte ihnen mit den Worten: »Zur
Unterstützung der schweren Polizeiarbeit mit einer Emp-
fehlung des Hauses«, was immer sie bestellten. Denn so
hielt er sich die vielen Penner und Junkies vom Leibe.
Bernd Fischer allerdings traf fast der Schlag, als er die
Polizisten in krankoliv und förstergrün und Macholeder
hereinspazieren und sich umsehen sah.
Er sprang auf, warf dabei Tisch und Stuhl um, und hatte
damit sichergestellt, daß Frida und Jakob nun richtig auf-
merksam wurden. Fischer hechtete über den Tresen und
rannte in die Küche. Er schnappte sich ein stumpfes Messer
und hielt es der Alten von der Bratplatte vor die Kehle. In
diesem Augenblick ging die Tür auf, und Frida mit der
Waffe im Anschlag kam herein.
»Waffe fallen lassen«, brüllte Fischer, »oder ich steche die
Alte ab!«
Brack und Ruud waren justamente vor der bekannten gro-
ßen amerikanischen Bulettenbude, als sie die Durchsage
hörten: »Achtung, an alle. Geiselnahme mit einer unbe-
kannten Anzahl von Personen. Alle Wagen in der Nähe zu
dem bekannten großen amerikanischen Spezialitätenrestau-
rant!«
Ruud trat ausbildungsautomatisch auf die Bremse, und
beide rannten in die Klopsebraterei rein.
Frida und Jakob waren schon ganz fickerig, weil sie sich
nicht entscheiden konnten, ob sie schießen sollten oder
nicht.
Brack nahm ihnen die Entscheidung ab, als er kurz sagte:
»Waffe runter, aber dalli!« Dann ging er mit gezogener
119
Waffe in die Küche. Ruud zwei Meter hinter ihm. Fischer
machte sich nicht viel Mühe mit dem Ausfeilen seiner Dia-
loge. Was einmal gut war, war es auch zum zweiten Mal.
»Waffe fallen lassen«, brüllte Fischer, »oder ich steche die
Alte ab!«
»Du hast zu viel Mist im Fernsehen gesehen, Du Blöd-
mann! Niemand läßt hier die Waffe fallen. Weil er dann
nämlich selber wehrlos wäre, Du dämliche Pfeife!«
Daran hatte Fischer erstmal eine Weile zu knabbern.
120
Zuerst schubste Gerda den in Geiselnahme sehr und bald
wörtlich blutigen Anfänger Fischer von sich nach hinten.
Fischer geriet ins Torkeln und stützte sich auf der total
überhitzten Klopsebratplatte mit den Händen auf. Schreiend
vor Schmerzen bewegte er sich abwehrtechnisch immer
noch das Messer haltend auf Gerda zu, als Frida in Aktion
trat. Sie schoß aus vier Metern Entfernung drei Mal, traf
drei Mal, und Fischer war seine Schmerzen los. Brack war
von den Schüssen halbtaub, ihm klingelten die Ohren. Er
blickte zu Frida und zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Das war’s wohl mit der Karriere als Polizistin!«
121
Die sollen kommen und sich der Sache annehmen. Wird
das bei denen eine große Freude auslösen! Die haben jetzt
den Mörder! Dann dürfen sie nächstes Jahr mit noch mehr
Personal und Gerätschaften rechnen! Jaja, der Mörder.
Naja, wenigstens der von der Oper. Muß man denen aber
nicht auf die Nase binden. Und schreiben Sie bitte irgend-
wann unsere Protokolle. Ab ins Präsidium.«
122
Dabei hätte sie Brack einiges erzählen können. Wenn sie
denn gewußt hätte, wer oder was gesucht wurde. Leider
hatte man sich ja noch nicht persönlich vorgestellt.
*
Es ist schon erstaunlich, was bei Unglücken, gleich welcher
Art, immer wieder für ein Schwachsinn anstelle der Wahr-
heit geschrieben wird. »Da hätte niemand was gegen tun
können« heißt das Credo! Ja, aber natürlich hätte der Her-
steller zum Beispiel eines Autos etwas dagegen tun können!
Er wollte aber nicht! Ja, natürlich kann man Automobile
bauen, in denen die Insassen nahezu unverletzt jeden Unfall
überstehen! Aber wozu bloß?
123
Ach, die Brauereien und Schnapsbrenner und rotnasigen
Winzer zahlen jedes Jahr so enorme Summen direkt oder
über Umwege an die Parteikassen oder an ihre lieben Kum-
pels, daß die paar Tausend Toten und Verkrüppelten jähr-
lich nun bestimmt keine Rolle spielen.
Menschen kann man immer wieder neue machen, aber
Geld, GELD, haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie
schwer es ist, an anderer Leute GELD zu kommen?
Und mit einem kleinen Augenzwinkern denken wir an die
flinken, wohlorganisierten, riesigen, planetenweittätigen
Transplantationsindustrien, die jedes Wochenende startbe-
reit aus ihren Löchern kommen können, um junge besoffe-
ne Discobesucher der Organqualitätsstufe »erstklassig«
nach deren Unfällen ausweiden zu können. Bestimmte
Kleinwagentypen für Arme werden humorvoll auch intern
als Organspenderversion bezeichnet.
Denn die Brauereibesitzer und Schnapsbrenner und rotnasi-
gen Winzer und Politiker brauchen wegen ihres aufreiben-
den Jobs der Volksvergiftung Austauschorgane, die ihnen
freiwillig niemand geben würde!
124
Denn besitzt sie keine gesellschaftliche Relevanz oder hat
sich zwangsweise bewußt in ihrem Job krankgeschuftet:
Adieu Niere, Tschüß Herz! Allerdings würde man gerne
von ihren Enkeln die Organe nehmen. Aber dann auf dem
Euromarkt vertickern. Bringt bis Euro 500.000.
Nur noch einmal, falls es vergessen wurde:
»Menschen kann man immer wieder neue machen, aber
Geld, GELD, haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie
schwer es ist, an anderer Leute GELD zu kommen?«
125
sich ein Auto erst mit 30 Jahren und sparen das Geld vorher
an? Weil niemand den Konsumverzicht will!
Es gibt nur künstliche und falsche Argumente für einen
Kredit! Von stark interessierten Kreisen, die eine Gesell-
schaft in ihrem Würgegriff halten möchten.
Vorweggenommener Konsum steigert die Arbeitslosigkeit
der Zukunft! Wir zahlen heute die Zeche der sechziger und
siebziger Jahre. Und Kreditorgien wie in den USA und dem
Vereinigten Königreich werden eines Tages ein Chaos
verursachen, falls es diesen Ländern nicht gelingt, die Fol-
gen des Kredites andere Länder bezahlen zu lassen und auf
sie abzuwälzen. Den USA gelingt das seit über 200 Jahren!
Toll. Es sollen eben wieder Geheimgespräche über eine
Freihandelszone USA/Deutschland geführt werden. Und
Frau Kanzler kann darüber vor Freude kaum das Wasser
halten. Daß Deutschland die Verschuldung der USA mitbe-
zahlen darf! Mal fini!
Eng mit dem Kredit ist der Handel verbunden. Alle Händ-
ler, Dealer, vulgo Koofmichs sind Diebe und Blutsauger.
Eine Weisheit, die sogar Thomas Mann in den »Budden-
brooks« anklingen läßt. Nicht umsonst ist Merkur, der Göt-
terbote, der Beschützer von Kaufleuten und Dieben.
Das beliebte Argument der Lagerhaltung gilt nicht, da z.B.
ein erzeugender Bauer seine Lebensmittel entweder frisch
verkaufen könnte oder problemlos selbst lagert. Jahrtausen-
delange Erfahrung. Handel ist im besten Falle geldverbren-
nend. Es entsteht keine zusätzliche Produktivität und Wert-
schöpfung.
Eng mit Kredit und Handel sind die Versicherungen ver-
bandelt.
Prinzipiell sind Versicherungen etwas zutiefst Unmorali-
sches. Ohne Versicherung für zum Beispiel das Autofahren
würde jeder bedeutend vorsichtiger agieren, denn er müßte
einen verursachten Schaden alleine aus seinem Vermögen
begleichen. So bezahlt die Gemeinschaft, und ihm kann
wenig passieren. Pekuniär gesehen.
126
Die Versicherungen haben einen weiteren unerwünschten
Effekt. Sie ziehen wie ein Staubsauger enorme Geldmengen
aus dem Kreislauf des Marktes, die dann auf der Nachfra-
geseite fehlen. Dieses Geld wird dann wieder an die USA
verliehen, denen es richtig gut auf Kredit geht, weil jeder
sein Öl in Dollar bezahlen muß.
127
128
Das Präsidium
Brack und Ruud gingen über den Flur im zweiten Stock des
Dienstgebäudes Keithstraße, Abteilung für Delikte am
Menschen, und unterhielten sich. Brack rauchte dabei seine
unvermeidliche Zigarette und betrachtete interessiert den
ekelerregenden Erguß der Farbgebung von Fluren und
Zimmern. Er vermutete stark, daß der Innenarchitekt ein
abgebrochener Mediziner war oder die Behörden von Natur
aus haßte. Wie sonst waren die rotzgrün gestrichenen Flur-
wände zu erklären? Was heiterte eigentlich die Gemüter in
einem eitergelb gepinselten Zimmer auf? Warum mußten
mit haferschleimgrauen Tischen, Stühlen, Teppichen und
Aktenschränken den Mitarbeitern zusätzliche Depressionen
aufgedrängt werden? Brack schüttelte sich angewidert.
129
»Können Sie nicht hören, wenn ich mit Ihnen spreche? Was
sind denn das für Manieren? Ich bin der stellvertretende
Kriminaldirektor Dr. Vollmer. Machen Sie sofort die Ziga-
rette aus. Hier herrscht Rauchverbot!«
130
einem da schon verfrieren? Aber diese grottenfiesen Rau-
cher. Sind fast schon wie Nazis!
Wie viele Kinder und Frauen werden verdroschen, weil der
Mann raucht?
Und wie viele Kinder und Frauen werden verdroschen, weil
der Mann säuft?
Dies bißchen Fressepolieren! Was kümmert es mich, denkt
der Gutmensch! Hauptsache, das Rauchen hört auf!
131
»Es….«
»Frau Alma-Erdmute Langenfeld-Holstein verstärkt ab
sofort das Team«, fiel Dr. Vollmer Brack ins Wort. »Ruud
hat andere Aufgaben. Und Sie als Gast berichten mir um 20
Uhr jeden Abend. Und zwar pünktlich, bitte ich mir aus!«
Nach dieser Demonstration seiner Großartigkeit wollte der
stellvertretende Kriminaldirektor abtreten.
»Sie waren gerne stellvertretender Kriminaldirektor, nicht
wahr?« zischte Brack. »Da kann man so schön Untergebene
drangsalieren und schurigeln, nicht? Sie brauchen eine
Lektion, mein Herr, die Ihre Eltern vergessen haben Ihnen
zu erteilen!« Er fuhr immer lauter fort:
»Ihre neue Gehirnprothese funktioniert wohl immer noch
nicht richtig, was? Braucht ein Update, wie? Sie sind ent-
weder unfähig oder zu böswillig, Ihre Dienstanweisungen
zu verstehen, oder? Sie sabotieren staatswichtige Ermitt-
lungen!« Die letzten Worte brüllte Brack.
Voll ungeheucheltem Interesse genoß Ruud das Schauspiel.
Auch die anderen Mitarbeiter auf dem Flur rückten näher
heran.
»Ich bin hier nicht Gast, sondern Boss. Sie haben mir mit
Ihrer gesamten Mannschaft und all Ihren Ressourcen un-
eingeschränkt zur Verfügung zu stehen! Wenn ich sage,
hopp, dann hopsen Sie. Sie haben keine Lust, Ihre Arbeit zu
machen und Ihrer Dienstanweisung zu folgen? Gut! Kön-
nen Sie gerne ausbaden! Zu Ihrer überflüssigen Informati-
on, Herr zukünftiger ex-stellvertretender Kriminaldirektor
Dr. Vollmer, mein Team stelle ich mir selber zusammen.
Da ist Ihr aufgedrängter Arschwärmer so sinnlos wie bei
Ihnen das Gehirn!«
Tückisch sah Brack der jungen Dame ins Gesicht.
»Ne Quote, was? Frau Alma-Erdmute Langenfeld-Holstein.
Das ist doch kein Name, sondern eine Kurzgeschichte!«
Brack zündete sich voller Wut eine neue Zigarette an. Jetzt
mußte er die Sache gnadenlos zu Ende bringen.
»Ruud, bringen Sie bitte mal zwei Stühle. Und Sie, Herr
Dr. Vollmer, sind suspendiert. Geben Sie Ihrem Stellvertre-
132
ter Waffe und Dienstausweis und verlassen Sie das Gebäu-
de. Bis auf weiteres haben Sie Hausverbot bei der Polizei
Berlins.«
Entzückt aber ungläubig verfolgten die Mitarbeiter auf dem
Flur den Einlauf für den bestgehaßten Kriminaldirektor
Berlins. Das Thema gab Gesprächsstoff auf Jahre hinaus.
Aber noch wollte Dr. Vollmer nicht aufgeben. Er fragte
höhnisch:
»Und wie wollen Sie Großmächtiger das anstellen?«
Brack zog Ruud auf die zwischenzeitlich gebrachten Stühle
runter, machte es sich auch bequem und fragte sanft:
»Reicht ein Anruf von Ihrem Innensenator?« Er wählte
Hades Nummer.
»Hade, hier Justus. Ein Komiker schießt wieder quer. Ja,
suspendieren, der stört. Der Komiker ist der stellvertretende
Kriminaldirektor Dr. Vollmer. Sehr hartleibig. Hielt mich
für seinen Schuhputzer und Laufburschen. Behindert die
Ermittlungen. Folgt nicht seiner Dienstanweisung. Ich
möchte, daß der Innensenator in spätestens 15 Minuten die
Vollmer-Pfeife anruft. Und wenn der Herr Innensenator auf
dem Thron sitzt und ein Ei legt. In 15 Minuten! Danke.«
Brack schaute auf die Uhr, und unwillkürlich machten es
alle nach.
133
Ruud meinte nur: »War das denn wirklich nötig?«
134
dacht, hat Der oder Die ein Steak zu viel gegessen, oder ist
Die oder Der immer so?
Doch der Bevölkerung wurde nun durch die Nichtberichter-
stattung unserer aufklärungsverweigernden Medien sugge-
riert, es wäre alles in Ordnung. Nix war in Ordnung! BSE
tobte weiter. Jetzt aber auf verdunkelter Bühne. Und was
man nicht sieht, existiert auch nicht. Man kennt das von
unseren lieben Kleinen, die sich die Hände vor die Augen
halten und sagen, jetzt wären sie unsichtbar. Ja, man konnte
auch heute noch vom Rindfleischverzehr blöd werden.
135
Gut, und sonst? Na sehen Sie! Und mit dem Auto? Da gibt
es doch ganz andere Möglichkeiten. Zum Beispiel über die
Grenze fahren, um billig zu tanken! Und all so was.
Das Waldsterben ist doch nicht real für die meisten Men-
schen. Man sieht es im Buntfernsehen, genau wie Mister
Spock. Ist der etwa real? Oder Wale! Haben Sie schon mal
in Echt einen Wal gesehen? So richtig lebendig? Außer im
Fernsehen? Würden Sie Mister Spock oder einen Wal in
Echt vermissen? Na also! Was man nicht kennt, vermißt
man nicht! So ist das auch mit dem Waldsterben. Und des-
wegen macht niemand mehr so ein Zirkus darum.
Brack war auf der einen Seite froh, daß er keine Kinder
hatte, soweit ihm bekannt war. Was für eine kaputte Welt
würde er, ja er, ihnen hinterlassen. Die Klimakatastrophe
dreht langsam ihr riesiges Rad, und die Führer der freien
und unfreien Welt zeigten in ihren Reden eindrucksvoll,
warum die Evolution mit dem Menschen eine Sackgasse
beschritt.
Ein Jahrtausendsommer löste den Jahrhundertsommer ab,
der dann von dem Jahrhunderttausendsommer abgelöst
werden würde. Fünf Monate Sommer in Deutschland mit
45° Celsius plus? Toll für die schlichten Gemüter, die dann
nicht mehr auf Malle fahren müßten. Und dürften! Toll für
die Dermatologen, die einen krisensicheren Zukunftsberuf
hätten und wegen merkwürdiger Hautveränderungen mit
Patienten überlaufen würden. Toll für die Bauern, deren
Ernten nur noch 20 % ausmachen würden. Toll für die
Alpen, die dann endlich keine Gletscher mehr hätten.
Na, und wenn es bei uns kein Wasser mehr gibt, dann trin-
ken wir eben Bier!
Und reizvolle Wüstenlandschaften in Spanien, Frankreich
und Italien haben wir beginnend schon heute.
Ob wir dann mit den vielen bunten Geldscheinen in den
Klimaanlagen unsere Körpertemperatur auf 37° runter be-
kommen?
Ach was! Es wird schon wieder kühler werden!
136
Klar, wenn der Golfstrom dann irgendwann abreißt, werden
wir es schön kühl hier haben. In fünf Monaten Winter in
Deutschland mit 45° Celsius minus wird unser Gehirn der-
artig abkühlen, daß die dann aktuelle Generation unsere
Generation von Herzen verfluchen wird! Ob wir dann mit
den vielen bunten Geldscheinen im Ofen unsere Körper-
temperatur auf 37° rauf bekommen?
Auch um die Gentechnik ist es verdächtig still geworden.
Schaf Dolly? Noch bekannt? War schon toll, was? Gut, die
2.000 anderen mißlungenen Versuche vorher mit den Mon-
sterergebnissen hat man der Öffentlichkeit vorenthalten,
auch daß Dolly nicht an Altersschwäche, sondern an einen
ganzen Strauß unwahrscheinlicher Krankheiten eingegan-
gen ist, mußte nicht jeder wissen. Aber allein diese Ideen!
Da hat man ein Lachsgen in eine Kartoffel übertragen,
damit diese kälteunempfindlicher wurde. Von wegen endlo-
se Kartoffelfelder in der Antarktis oder so. Ein Engländer
delektierte sich an Pommes frites aus eben diesen Kartof-
feln und hastenichgesehn war er hin. Er starb an einem
allergischen Schock. Er war gegen Fisch allergisch!
Dieser dumme Inselaffe hätte doch wissen müssen, daß er
keine Kartoffeln essen darf, wenn er gegen Fisch allergisch
ist! Da warten auf die Welt noch viele lustige Geschichten.
137
hatte vorher schon mal im Buntfernsehen im Juli von toten
Vögeln gehört? Entweder starben die Viecher nicht im
Sommer, oder sie wurden schlicht und einfach ignoriert.
Aber dann! Jede gemeine entseelte Kohlmeise wurde zu
einem brandgefährlichen Killer-Vogel. H5N1, H5N1. Der
verunsicherte Zuschauer erwartete ob der vielen Sonder-
sendungen ganze entvölkerte Landstriche vorzufinden.
Mmh!
Im Oldenburgischen warteten ebenfalls Dutzende von Ge-
flügelzüchtern, daß in ihrem Bestand endlich der Virus
nachgewiesen wird! Bei einem kleinen Betrieb mit 100.000
gekeulten Tieren gibt es pro Tier 40-50 Euro Entschädi-
gung über die EU vom Steuerzahler. Dann hätte man auf
Malle seinen Lebensabend ohne diese blöden Viecher ge-
nießen können. Doch leider, leider ist auf nichts mehr rich-
tig Verlaß. Sie warten noch heute auf H5N1.
138
Absurdistan, Berlin, Donnerstag, der 17. Novem-
ber, 14 Uhr 22
139
beutel! Da war seine Zahnbürste und Seife und so was drin.
War’s das?
Der Kulturbetrieb in Deutschland ist schon eine Marke für
sich. Da gibt es die literarische Pokerrunde, die ein Buch
hochleben heißt, in dem sich der Autor auf 600 Seiten über
seinen ausgebliebenen Orgasmus ausläßt.
Nicht, daß einen einsamen Einzigen das freudlose Sexual-
leben eines impotenten Halbidioten auch nur die Bohne
interessiert, aber der Machwerker hat doch sicher seine
echtesten und edelsten Gefühle dem Leser offenbart. Denk-
ste! Echte Gefühle bekommt man von dem nur zu hören,
wenn der sich mit dem Hammer auf den Daumen haut!
Oder die zahllosen Goetheverbesserer. Faust spielt in Sta-
lingrad unter Erfrierenden. Und alle sind nackt. Wegen der
Gleichberechtigung hat der Regisseur noch schnell Frau
Daumen und ein Frollein Beelzebub reingeschrieben. Wer-
fen sich geschmackvolle Obszönitäten und ekelerregende
Körperausscheidungen an den Kopf! Toll! Hat sich der zu
seinem Glück tote Geheimrat auch wirklich so vorgestellt.
Geil! Jedenfalls der Theaterbesucher. Nur weil der Regis-
seur zu dämlich ist, was Eigenes zu schreiben, muß er sich
an wehrlosen Klassikern vergreifen. Und das Bildungsbür-
gertum mit seinen Bildungsbürgern ist hin und weg. Nicht,
weil sie es selbst wirklich begreifen und mögen, sondern
weil es eben alle sagen. Und da muß man doch einfach
mitmachen! Denn einen eigenen Standpunkt zu beziehen,
haben diese angepaßten Schleimer nie gelernt und sind
dank geistigen Unvermögens auch nicht dazu in der Lage.
Es sind halt professionelle Gutmenschen, die ihre eigenen
krausen Gedanken allen oktruieren wollen. Ist Ihnen schon
einmal aufgefallen, daß die, die am lautesten nach Gutmen-
schentum quengeln, genau wie die von ihnen verachteten
Sozialhilfeempfänger ausschließlich von Staatsknete und
Zwangsabgaben leben? Die noch nie in ihrem Leben arbei-
ten mußten? Die das Maul am weitesten aufreißen, wenn
sie Pulswärmer für linkshändige Negerkinder fordern? Die
gerne Millionen Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen lassen,
140
weil, das hört sich doch so irgendwie edel an und schaut
her, sind wir nicht gute Menschen? Aber doch bitte nicht in
ihrer eigenen Wohnung aufnehmen! Eine Zumutung! Und
selbst die eigenen absurden Vorschläge aus eigener Tasche
zu bezahlen, was denn, wie denn, wo denn? Wozu gibt es
denn den Steuerzahler? Die Gutmenschbande kann aber
problemlos Dschingis Khan politisch rechts überholen,
wenn es darum gehen sollte, der Mehrheit der Bürger das
Deutsch vorzugeben, das die ums Verrecken wirklich nicht
sprechen wollen!
Hey Müsli: Ein Zwerg ist ein Zwerg, auch wenn er Goliath
heißt! Muß man nur nachmessen, wenn man’s nicht glaubt.
Und ein Neger ist ein Neger, selbst wenn man ihn weiß
anstreicht, es bleibt ein Neger! Von negro gleich schwarz!
Aber da solche Begriffe »negativ besetzt« sind, - warum
eigentlich? -, von wem eigentlich? -, muß jeder, also auch
die, die das garnicht wollen, die endlich angeblich nichtbe-
leidigenden neuen Begriffe verwenden.
141
Da rotieren die Brüder Grimm, die sicher bessere Sprach-
wissenschaftler und Germanisten waren, als es die gesamte
Gutmenschbande jemals sein wird.
Und: Nur die Neonazis sagen noch Zigeuner. Soso!
»Herr Ober, ein Sinti-und-Manusch-und-Roma-Schnitzel,
bitte!« Besser hört sich das auch nicht an. Und mit etwas
Pech erhält man drei Stück. Aus zartem Pferdefleisch!
Die fröhliche Operette »Der Sinti-und-Manusch-und-
Roma-Baron« kennt auch keine Sau.
Und wenn Kinder eine »Orale Zärtlichkeit eines stärker
pigmentierter Mitbürgers« haben wollen, schrillen bei nor-
malen Eltern eher die Alarmglocken als bei »Negerkuß«.
Und was »Der stärker pigmentierter Mitbürger von Vene-
dig« sein soll, wird kaum jemand erraten können. So soll
aus der verquasten Gedankenwelt Einzelner Vorschrift für
alle werden. Neusprech aus 1984!
So guckte sich die Polizei nach einem Vergewaltiger auf-
grund der Täterbeschreibung tagelang die Guckerchen aus.
Bis sich rumsprach, daß der Gesuchte ein Neger war! Fas-
sungslos fragten sie, warum man ihnen das nicht auch ge-
sagt hatte! Rassische Merkmale in der Fahndung wären
Rassismus. Edle Einfalt, stiller Schwachsinn! Na, wenn’s
denn den vergewaltigten Frauen und ihren Partnern hilft?
Die Einen sind nun mal schwarz, die Anderen weiß, dann
gibt’s Braune und noch Gelbliche. Na und? Das ist eine
Tatsache! Und es gibt Alte und Junge. Für die Alten sagen
die Nichtlateiner schön falsch »Senior«! Den Komparativ!
Hehehe, auch in einer zweiten Klasse Volksschule gibt es
immer einen »Senior«. Und wenn er erst acht Jahre alt ist!
Und im Wartesaal des Todes, also in einem Altenheim, gibt
es auch immer einen »Junior«. Witzig was? Alt, jung,
schwarz, weiß. Was ist daran schlimm? Schlimm sind im-
mer nur die tollen Gutmenschen, die einen einfach nicht in
Ruhe lassen können!
142
Oder die neuen Theaterautoren. Immer das Gleiche in Va-
riationen. Vater Alkoholiker, Mutter Prostituierte, Sohn
kriminell, Tochter drogensüchtig. Oder andersherum. An-
dersherum? Ach ja, schwul nicht zu vergessen. Also schwu-
ler Vater, Mutter lesbische Kleptomanin, Sohn drogensüch-
tiger Sodomit, Tochter Flatrate-Alkoholikerin aus Beru-
fung. Egal, ist alles so ähnlich dämlich. Und das Stück ist
zur Entspannung stets voller lichtem Frohsinn und heller
Heiterkeit eines Ingmar Bergman. Man ist jedenfalls zum
Schluß immer derartig deprimiert, daß man am liebsten im
Foyer freudig lachend in eine Kreissäge rennen möchte.
Und wenn man dann noch die Kommentare von lebensecht
und wirklichkeitsgetreu hört, fragt man sich ratlos: Nanu?
Warum kenne ich nicht auch so eine Familie? Weiß der
Geier, wo sich diese modernen Autoren immer rumtreiben!
143
ne Idee, aber eben nur eine Idee! Der Mensch ist einfach
nicht so.
»Gottchen, ja, ich bin schwul! Ist das nicht etwas gaaanz
Tolles? Wir sind alle so sensibel und künstlerisch begabt.
Und lieben einander. Ist das nicht interessant und bemer-
kenswert? Ist das nicht etwas äußerst Exquisites und Ge-
heimnisvolles?«
Was an Blut, Ejakulat und Kot exquisit sein soll, erschließt
sich wohl nur den wenigsten Menschen.
144
Zzzzzz und Boing ein Highlight per Laufschrift wie zum
Beispiel Messmers »Ich war fast der Yeti« im Sommer für
das nächste Weihnachtsfest angekündigt wird, daß man
dann allein nur aus Verärgerung sich todsicher nicht rein-
zieht. Geschweige denn, daß man es wegen des gehirnam-
putierten Titels sowieso zum Kotzen findet. Gespannt ist
man nur auf die Fortsetzung der Geschichte eines Yetis:
»Ich war fast der Messmer.«
Man lernt, diese TV-Sender zu meiden. Denn der Zuschau-
er ist lästig, überflüssig, nervt! Wichtig allein sind die Ein-
nahmen aus der verkauften Werbung.
Fast kaum glaubhaft und echt ohne Scheiß existieren Pläne,
das Proll-TV zu verschlüsseln und gegen eine geringe mo-
natliche Gebühr zum Bezahlfernsehen mit Werbung zu
machen. Wir dürfen uns auf das Ende vom Proll-TV freu-
en! Und da die Satellitenbetreiber das Gleiche vorhaben, ist
bei den ärmeren Bevölkerungsschichten zu hoffen, daß den
Kids das Hirn nicht mehr mit unerträglichem Mist via Bunt-
fernsehen zugemüllt wird.
Wenn ein Kind in die Schule kommt, hat es im Buntfernse-
hen schon sein ganzes Leben vorab gesehen. Inklusive 1000
Morden und 1000 Zeugungen. Warum sollte dieses Kind
noch neugierig auf das Leben sein? Und ganz ehrlich, das
Leben aus der amerikanischen Konserve ist irgendwie ab-
stoßend, brechreizerregend. Es ist doch nur folgerichtig,
daß sich dann ein Kind andere Werte sucht. Die haben dann
nichts mehr mit unserer Wertegesellschaft zu tun und ver-
ursachen subtile Probleme.
Die letzte Generation, die ohne Dauerfernsehen aufwuchs,
war die bis Anfang der 70er Jahre.
Merkwürdig, das sind die, die heute als klug gelten. Woran
mag das liegen?
Zum Beispiel, daß sie Informationen analog per Lesen und
Lehrer und Musik und nur im Kino zerschnippselten 24
Standbildern pro Sekunde erhielten? Während die Genera-
tionen danach fast nur noch mit zerschnippselte 24 Stand-
145
bilder pro Sekunde via TV und zerschnippselter 16Bit-CD-
Musik gefüttert wurden und werden?
Bei MP3s, die die entfernten Musikinformationen durch das
Gehirn neu zusammensetzen lassen, gibt es glasklare Un-
tersuchungsergebnisse. MP3s machen doof! Beim TV wer-
den vorsichtshalber erst gar keine Untersuchungen ange-
stellt. Ist das ein Grund für grenzenlose Blödheit?
Egal, drei Jahre nach dem TV-Entzug werden die PISA-
Ergebnisse stark verbessert sein. Danke, Proll-TV! Mit
Euch möchte wohl keiner segeln gehen. Vermutlich zieht
Ihr den Stöpsel, wenn der Kahn sinkt, damit auch das Was-
ser abläuft.
Aber mal im Ernst, Ihr werdet genauso heftig vermißt wer-
den wie Duftbäume, Diskettenlaufwerke oder große, dunkle
Eichenmöbel.
Richtig gute Nachrichten kommen oft unverhofft.
146
Meinetwegen sollen auch die Kirmismutanten ab und an
Nachwuchs zeugen, aber doch bitte nicht in vitro! Sämtli-
che Anlagen zum sympathischen Talent werden ausgemen-
delt. Viele glauben ja bis heute, daß der MDR nur ein be-
wegtes Testbild sei, weil sich niemand vorstellen kann, daß
so was echtes Programm ist.
147
»Seine eigenständige, subjektive Bildsprache basiert auf
einem strengen kompositorischen Strich, einer ungeahnten
Tiefe….«
Man sieht also, daß das Kunstwerk keine eigene Aussage
mehr hat.
Aber spitzenmäßig, was der Künstler alles darin sieht. Man
sollte ihn fragen, was er sich so einwirft. Und davon eine
Probe fordern!
Einen bleibenden Eindruck hinterläßt der Künstler nur,
wenn er aus dem achten Stockwerk in feuchten Beton fällt!
Ein Schlachtabfallhändler bekam jedenfalls Wutanfälle, als
seine Putzmadam zu seiner drei Mal fünf Meter großen
Neuerwerbung nur bemerkte: »Sind die Maler und Tapezie-
rer denn gestern nicht fertig geworden?«
Wo sind die wirklichen Künstler, deren Kunst Menschen im
Innersten berührt? Die Bilder und Skulpturen schaffen, bei
denen Jeder diese begnadete Kunstfertigkeit bewundert?
Und nicht zu Recht sagt: »Kann ein Schimpanse auch!«
Avanti Dilettanti! Ein Pfund Margarine auf eine Kuckucks-
uhr zu nageln ist keine Kunst. Sondern Publikumsverar-
schung. Und wenn Putzfrauen Kinderbadewannen von
Leukoplastpflastern befreien und damit ein Kunstwerk
zerstören…. Man sollte diese Putzfrauen in aller Öffent-
lichkeit belobigen.
Aber solange es Käufer gibt, die noch blöder sind als der
Künstler…
148
»Jetzt informieren wir uns an der Quelle und dem Hort der
wahren Demokratie und der hehren Weisheit, Ruud. Wir
besuchen den Bundestag!«, deklamierte Brack mit einer
großartigen Handbewegung.
»Naja, für uns Muschkoten reicht wohl die Verwaltung des
Bundestages«, setzte Brack resigniert hinzu.
149
150
Der Bundestag
151
man auf Empfehlung des lieben, doofen Onkel-Doktor-
Hausarztes ein.
Das erfreute auch einen Teil der Lobbyisten in der Wandel-
halle ungemein, die seit Jahrzehnten mit den diversen über-
flüssigen aber maßgeschneiderten Gesundheitsreformen
Milliarden scheffelten, die ihnen exakt die draußen in der
Kälte stehenden Alt-Deppen bescherten. Diese Lobbyisten
hatten sogar schon Heilmittel, für die es noch gar keine
Krankheiten gab!
Genau genommen und bei Lichte besehen waren die Legio-
nen von Lobbyisten nichts weiter als eine Bande Bahnhofs-
penner, die jeden Abgeordneten trebemäßig anhauten:
»Hasse ma’n Euro für mich?«. Im Gegensatz zu Bahnhofs-
pennern wurden sie aber leider nicht ins Freie geprügelt,
denn für je einen spendierten und in Lettern gegossenen
»Gesetzes-Euro« erhielten die Abgeordneten das große
Füllhorn des nahezu unbestechlichen Demokraten »Mam-
mon« über sich ausgeschüttet.
So waren fast alle zufrieden, sogar der frierende Urnenpö-
bel da draußen.
152
»Selbstverständlich! Alle Säle werden wöchentlich über-
prüft oder auch zwischendurch auf Verdacht. Halten Sie
mich für blöd?«
Herr Eugen Sänger war empört. Ein Zweifel an seiner Effi-
zienz!
»Bitte, keine Fangfragen! Gut«, sagte Brack, »jetzt haben
wir einen Verdacht! Lassen Sie bitte überprüfen und zwar
sofort!«
»Etwa jetzt?«
»Nein, jetzt!«
Eugen Sänger sprach zu dem Saaldiener, der dann seiner-
seits zu seinem Handy sprach. Den letzten Satz bellte er.
»Sie kommen sofort!«
Brack wandte sich an Ruud. »Den besten Wanzenputzer,
den Sie kennen. Wer ist das?«
»Henner! Der arbeitet aber nicht bei der Polizei.«
»Soll herkommen. Er darf Rechnungen in jeder Höhe
schreiben, er darf verbotenes Spielzeug mitbringen, alles so
was. Aber auch so-fort! Ich muß wissen, ob hier abgehört
wird oder wurde.«
Herr Sänger wurde bleich. »Es dürfen keine Betriebsfrem-
den hier herein!«
»An Ihrer Stelle würde ich darauf keine Wetten abgeben,
haben wir uns verstanden? In der Zwischenzeit machen Sie
uns eine Liste aller, verstehen Sie, aller Mitarbeiter. Und
eine Liste aller, begriffen?, aller Besucher von … Montag,
Dienstag und Mittwoch. Jetzt, sofort.«
»Da sind aber delikate Besucher dazwischen, deren Anwe-
senheit hier äußerst diskret behandelt werden muß.«
»Wir kümmern uns nicht um Besucher mit Geldköfferchen
und fremd vorgefertigten Gesetzesvorlagen. Das muß der
Wähler tun. Wir wollen nur einen Serienkiller! Sollten wir
feststellen, daß Sie einen Besucher »vergessen« haben, sind
Sie Ihren Job und Ihre Pension los. Nur zur Klarstellung!«
Herr Sänger sprach wieder mit seinem Adlatus, der wieder-
um wieder mit seinem Handy sprach.
153
»Was ist hier eigentlich Ihre Aufgabe?« sprach Brack den
Blaubefrackten an.
»Meine Kollegen und ich sorgen dafür, daß alles reibungs-
los funktioniert und abläuft. Reparaturen durchgeführt wer-
den, Getränke und Häppchen zur Verfügung stehen, daß
Papier und Schreibutensilien auf den Tischen liegen, Kopi-
en gemacht werden und so weiter und so fort. Wenn Sie
einen Butler hätten, Herr Oberrat, wüßten Sie um unsere
Aufgaben.«
Brack amüsierte sich wie Bolle!
»Gut, der Mann, danke.«
»Ruud, Sie bleiben bitte hier und überwachen die Wanzen-
aktion. Und vergessen Sie die Listen nicht! Ich fahre los
und wecke einen alten Mann.«
»Soll ich Sie nicht fahren?«
»Lassen Sie man. Ich will mal ein neues Auto genießen und
rufe mir eine alte Taxe.«
Brack wandte sich noch mal um.
»Wir sehen uns im Präsidium, gegen sechs.«
154
haben Szteuerkarte. Porca misera! Sage ische, Du müsse
gehe Dottore für Kopfe. Noche nixe Szteuer. Tanto lavoro –
viele arbeite, dann Szteuer. Du jetze bearbeite meine Sakke.
Du Sakkbearbeiterin! Policia komme, unde wir superveloce
- saussnell auf Wakke. Dokke wire nix wisse warum Poli-
cia. So wire nix Gelateria, wire Taxi … Ecco! Hier isse
Wege von Kolumbus.«
Brack war vor Lachen längst nicht mehr in der Lage, dem
Gespräch zu folgen. Er drückte dem Neapolitaner einen
Zwanziger in die Hand, wischte sich die Tränen ab und
sagte:
»Du kaufe il mazzo di fiori – großen Blumenstrauß füre
Deine Sakkbearbeiterin. Dann sie vielleicht bearbeitet Dei-
ne Sakke.«
155
Ohne Sie läuft doch bei uns nichts.« Streicheleinheiten!
Brack seufzte.
»Wenn Herr Rat meinen?« Man hörte an der Stimme, daß
Herman hoch erfreut war. »Im Hotel »Avon« gibt es einen
Butlerservice. Zufälligerweise kenne ich den Kollegen. Ich
glaube, Herr Rat müssen sich keine Sorgen machen.«
»Sie denken an Wäsche zum Wechseln und so etwas?«
»Herr Rat werden im »Avon« nichts vermissen.«
»Danke, Herman, ich melde mich wieder.«
Schunck betrat das Wohnzimmer mit einem Kaffeetablett.
Er schenkte beiden ein und setzte sich.
»Hier haust Du nun! Warum?«
»Ach Justus, nach meiner Scheidung hatte ich keinen Bock
mehr auf Mietwohnung! Hier bin ich groß geworden in den
50ern, 60ern, bei meiner Oma. Habe hier als Kind gespielt,
kenne jeden Baum, alle Menschen. Hier habe ich die glück-
lichste Zeit meines Lebens verbracht. Und ich sage Dir, es
ist auch heute nicht das Schlechteste! Und daß ich blöd
angeguckt werde, von Kollegen und so, ist mir scheißegal.
Jetzt gehört es mir, es reicht aus, und ich fühle mich sau-
wohl hier.«
»Suum cuique und mir das Meiste. Wenn Du Dich wohl
fühlst, geht der Rest niemand was an!«
156
»Was meinste damit? Du meinst, wir sind ebenfalls Ziel-
scheibe? Das gefällt mir aber garnicht!«
»Ja, ja, da kann man auf Dauer tot sein!«
»Was sollen, müssen, können wir tun?«
»Du, Ruud und ich müssen aufpassen, aufpassen, aufpas-
sen!«
»Als ich heute Morgen mit Dir sprach, hatte ich schon so
eine Ahnung, daß das ein Scheißtag werden würde! Wohin
fahren wir?«
»Ins Präsidium!«
»Na, dann komm.«
157
noch nicht einmal mehr sehen kann. Nachdenklich schüttelt
der unbedarfte Bürger den Kopf. Empfand der damalige
Bürger die Bösen nicht als böse? Oder sind die heutigen
beliebtesten Politiker aller Zeiten garnicht so beliebt? Da
muß man doch erstmal drüber nachdenken.
158
Absurdistan, Berlin, Donnerstag, der 17. Novem-
ber, 18 Uhr 23
159
Schunck hob irritiert den Kopf.
»Erzählt Dir Ruud nachher«, sagte Brack.
Ruud fuhr fort: »Es gibt nur ein Problem, das wir nicht
lösen können. Die Berichte über die Todesfälle trudeln von
überall erst nach und nach bei den zentralen Stellen ein.
Und die geben es dann sofort an uns weiter. Kann also bis
Übermorgen dauern.«
»Ja, da können wir nichts machen. Aber, Ruud, Ihre Kolle-
gen sollen anfangen. Alle Listen vergleichen. Auf bekannte
Namen achten, Duplikate, Berlin und tot und ungewöhnlich
und so weiter.«
»Sind an der Arbeit.«
160
der Philosophiae. Ich eilte stehenden Fußes zu Ihnen, um
Sie mit einer meiner Beobachtungen vertraut zu machen!«
Brack und Ruud waren baff.
Schunck seufzte. »Ja, stimmt alles. Doktor Eichner legt bei
Nichtsatisfaktionsfähigen allerdings keinen Wert auf diesen
Titel. Und das sind unter andern für ihn wir Nichtpromo-
vierten. Sagt einfach Homer zu ihm. Ihr werdet schon noch
erfahren warum.«
»Also, Homer«, hob Brack an und atmete krampfhaft durch
den Mund, »erzählen Sie bitte von Ihrer Beobachtung.
Nehmen Sie Platz.«
»Ich bedanke mich für die freundliche Aufmerksamkeit,
mein Herr. Es ist eine sehr trockene Luft hernieden. Hätten
Sie wohl die Güte zum leichteren Plaudern etwas Trinkba-
res herbei zu beordern?«
»Im Polizeipräsidium herrscht strikte Prohibition!«
Bracks Nase und Mund wirkten schon etwas gefühllos.
Ungefähr so, als hätte er beim Zahnarzt eine Vereisungs-
spritze erhalten.
»Ich entsage allen Drogen im Allgemeinen und Alkohol im
Besonderen. Ich dachte mehr an eine Tasse Früchte-Tee.«
Der und die Queen bei Five o’clock Tea, dachte Ruud. Das
gäbe sicher einen interessanten Gedankenaustausch!
»Tass’ Kaff’ können Sie kriegen.«
»Vergelt’s Gott viel tausend Mal. Ich hebe an. Vorgestern
zu später Stunde suchte ich mein temporäres Domizil in der
Kolonie Bienenstock auf.«
»Noch ein Laubenpieper«, murmelte Brack, der sich wegen
seiner paralysierten Geruchs- und Geschmacknerven mit-
samt seinem Stuhl immer näher an das offene Fenster robb-
te.
»Ich möchte Sie höflich bitten, mich in meinem Gedanken-
fluß nicht zu inkommodieren, mein Herr. Jedenfalls be-
merkte ich, wie ein korrekt gekleideter Herr des Weges
entlang schlenderte, einen großen Findling zur Seite be-
mühte, und ein kleines Päckchen darunter schob. Er rückte
den Findling wieder auf seinen angestammten Platz und
161
ging von dannen. Als ich, von sicher verständlicher Wißbe-
gier getrieben, nachschauen wollte, ob auch alles in Ord-
nung wäre, kam ein zweiter, ziemlich nachlässig gekleide-
ter Mann des Weges, tat desgleichen wie der vor ihm und
nahm das Päckchen an sich. Nein, mein Herr, ich kann sie
nicht beschreiben, ja, mein Herr, ich kann Ihnen die Stelle
zeigen.«
»Sag’ mal, Homer, brauchste mal wieder ‚ne Taxe? Sollen
wir Dich zur Kolonie fahren? Nun sag’ mal. Was sollen wir
denn mit Deiner Aussage anfangen?«
Homer erhob sich. »Diese Verdächtigung betrübt mich
zutiefst.« Er ging Richtung Tür. »Ich wollte uneigennützig
behilflich sein.« Doktor Eichner war schwer beleidigt.
»Auch ich bin ein Staatsbürger!«, sagte er, als er grußlos
den Raum verließ.
»Da hat er Recht«, meinte Brack, der nun weder etwas roch
noch schmeckte.
»Nun weißt Du auch, warum der Homer heißt. Der erzählt
uns öfter solche Stories.«
Brack guckte nachdenklich.
»Ruud, nehmen Sie zwei von den staubigen Brüdern und
untersuchen Sie den blöden Stein. Man weiß ja nie. Wir
gehen jedem Hinweis nach, und sei er noch so abwegig.
Wir wollen uns ja keine Versäumnisse vorwerfen lassen.«
»Ach und Ruud, Schunck wird Ihnen gleich mal einen
unangenehmen Gedanken erklären! Und«, fuhr er grinsend
fort, »ich bin erstmal im meinem Hotel, entspanne und
mache mich frisch. Vielleicht funktionieren auch bald mei-
ne Geschmacks- und Geruchsnerven wieder. Wenn was ist,
anrufen.«
An der Tür stecke Brack noch mal den Kopf rein: »Ich
fahre mal wieder Taxi!«
162
Das Avon
Absurdistan, Berlin, Donnerstag, der 17. Novem-
ber, 20 Uhr 05
163
Heute sieht der Potsdamer Platz derartig gehirnalbern aus,
daß manche Passanten versonnen den Kopf heben, als wür-
den sie wieder verstohlen nach alliierten Bombern Aus-
schau halten.
164
Gültigkeit beansprucht und, bis zu einer gegebenenfalls
möglichen Widerlegung, auch weithin akzeptiert. Dies ist
insbesondere dann der Fall, wenn aus seiner Formulierung
in traditionell Theorien genannten Gesamtdarstellungen
logisch und nicht redundant Handlungsanweisungen ableit-
bar sind, deren praktische Anwendung oder Umsetzung
regelmäßig zu Ergebnissen führt, die ebenfalls aus diesem
Wissen logisch ableitbar sind und deswegen prognostiziert
werden können.«
Alles verstanden?
Wissenschaftlich seriöse Erkenntnisse können überall und
unter allen bekannten Umständen reproduziert werden.
1+1=2. Das gilt auf der Erde wie auf dem Mond!
Und genau das Seriöse ist den Wischiwaschiwichtigtuern
mit ihren Wischiwaschiwissenschaften nicht gegeben. Oma
und ihr Enkel reagieren in den gleichen Situationen völlig
unterschiedlich! Oder Frau Müller und Herr Meyer. Oder
einfach erzählt: 6.500.000.000 Menschen verhalten sich im
Extremfall 6.500.000.000 mal anders!
Und deswegen fallen die Psychowasauchimmer-Berufe
unter den Begriff Rummelplatzattraktionen. Und sind über-
flüssig wie ein Kropf! Und es hört sich skandalös an, daß
hilflose Gerichte aufgrund von »Gutachten« derer aus der
Zunft der Kartenschläger Bürger zu Freiheitsentzug verur-
teilen. Da sind wir nicht fortschrittlicher als unsere Altvor-
deren vor 500 Jahren.
165
den. Fast wie das Trash-Komiker-Duo Erdal & Stoffel.
Oder so ähnlich. Brack stellte seine Ohren auf.
»Frag dem Tuss, Scheissndreck Mathe! Normal, isch hab
kein Plan, zeigen mal, wie geht! Sag dem Tuss, was geht?
Bist du scheisse im Kopf, oder was?"
»Wem ist konkret krassn Arschnloch?«
»Dem selbern, isch schwör!
»Voll krass, dem Tuss, isch schwör!«
»Korreckt! Arschnloch!«
»Versägt dem Tuss meim Mathe! Heftig!«
»Korreckt! Dem Tuss hat dem gemacht.«
»Dem Alde is scheissndreck, isch schwör!«
»Isne Spasttuss!«
»Korreckt! Isch geh ma Bäcker.«
166
ließen sich die Sache richtig was kosten. Auf der anderen
Seite wurden in Berlin immer mehr staatliche Schulen ge-
schlossen. Und die lustigen kleinen Braunfelle und all die
kleinen Mongolen, Orientalen und Kalmücken, hehehe,
blieben unter sich.
Arme, aber intelligente Eltern meldeten den Wohnsitz ihrer
Kinder weit weg zu Oma und Opa um, wo die Schulen fast
weiß waren. Auch die wirklich guten Lehrer und Pädago-
gen sammelten sich von Jahr zu Jahr mehr in Konfessions-
oder Waldorfschulen.
Also hatte die Multikultibande in ihren Rentierpullis immer
mehr Grund zu klagen: »Eyh, Du, ich finde es total uncool,
daß Yildrim nicht optimal mit Einzelunterricht gefördert
wird. Echt, eyh, Du!« Yildrim wurde ja mit Einzelunterricht
gefördert, aber der hatte nun rein garnichts mit der deut-
schen Schule zu tun. Und an förderungswürdige deutsche
Kinder verschwendeten die schrecklich engagierten Multi-
kultis ohnehin keinen Gedanken. Deutsche waren in ihrer
abstrusen Gedankenwelt nur zum Bezahlen für ihre hoch-
wichtigen Verschlimmbesserungs-Projekte da.
So lernten auch die weißen reichen Kinder von klein auf die
wichtigste Lektion in ihrem jungen Leben, daß in Deutsch-
land Probleme nicht gelöst, sondern am Besten verlagert
werden.
Und auch der engagierteste Ausländerbeauftragte in Dah-
lem achtete darauf, daß sich seine angesagte Eigentums-
wohnung in einem ausländerfreien Haus befand. Naja,
irgendwann will man ja schließlich auch mal entspannen!
Ja ja…, Bildung ist schon ein hohes Gut. Aber manchmal…
167
»Hömma, ich sach ma so«: Der Eine hat den Niedergang
Deutschlands zementiert, indem er bar jeden Intellektes,
aber voll primitiven Machtwillens Abgeordnete einer
Volkspartei durch dauernde Rücktrittsdrohungen und der
damit verbundenen Macht- und Einkommensaufgabe
zwang, undeutschen, weil britischen, Gesetzen zuzustim-
men. Man hört es nun schallen, die Abgeordneten wären
nur ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich. Aber dazu
muß man doch erst einmal eins haben! So wurde aus einer
weltweit einmaligen sozialen Marktwirtschaft der Bundes-
republik Deutschland in Windeseile ein beliebiges Wirt-
schaftssystem, wie zum Beispiel Bangladesch oder USA.
Außerdem tönte er rum oder auch nicht, wer weiß das
schon so genau, daß es kein Recht auf Faulheit gebe. Aber
Hallo! Man müßte arbeiten! Na gucke! Der Sinn fürs Ge-
meinsein, äh der Gemeinsinn, wird doch schön demon-
striert, wenn ein gutbezahlter Politiker Familienmitglieder
in der Sozialhilfe verrecken läßt. Oder daß seine Frau, an-
statt in einer öffentlichen Suppenküche etwas Nützliches zu
arbeiten, eine gräßliche Töle als Pinup für Hundefraß ver-
marktet. Anschließend kauft man sich an deutschen Geset-
zen vorbei ein kleines Russenbankert, damit die Medien
nicht aufhören, über den Brionimenschen jubelnd positiv
nach nordkoreanischer Art zu berichten!
Er zeigte sich zum Schluß als eine Art trunkene Gottheit
und war ganz scharf auf Opfergeschenke, die er auch gerne
aus dem In- und Ausland annahm. Heute macht er auch
noch den Schabbesgoi bei einer Bank. Sein Name wurde
sofort zu Unrecht vergessen.
Der andere war ein rechter Hallodri, der sich gerne mal auf
Firmenkosten ein paar Nutten aus Brasilien einfliegen ließ,
um zu sagen: »Heute ist ein guter Tag für… mich!«
Daß die Staatsanwaltschaft sich seiner annahm, ist wohl nur
ein Zufall. Und daß seitdem seine ehemalige Firma als
Viagra und Weiber verspottet wird, Pech!
Sein Name wird die nächsten 100 Jahre in Deutschland
öfter als der von Hitler genannt werden und immer von
168
einem Ausspucken begleitet sein. Denn von seinem giganti-
schen Verarmungs- und Enteignungsprogramm werden sich
auch die Urenkel nicht erholt haben. Und natürlich gehörte
auch er den Spezialdemokraten an.
Der Letzte, der die BRD dauerhaft veränderte, war jemand,
der für seine Psychotherapie, siehe oben, verpulverte, um
endlich mal, siehe oben, zu zeigen. Zur Kasse gebeten wur-
den allerdings nicht er, sondern die Mitarbeiter und Aktio-
näre seines Unternehmens.
Er machte es möglich, daß seine private Putzfrau mehr
Steuern zahlte, als das gerupfte Großunternehmen. Der
Steuerzahler und sein Staat durften zu der Zeche des ver-
geblich Therapierten auch ihr Scherflein dank idiotischer
Steuergesetze beitragen.
Was haben die Drei also gemeinsam?
Richtig! Sie haben ihren zuletzt ausgeübten Beruf über den
zweiten Bildungsweg erreicht. Ihr erlernter Beruf reichte
ihnen nicht, denn sie fühlten sich zu Höherem berufen!
Oh Elend! Uromas Weisheit von »Schuster bleib bei Dei-
nem Leisten« ist also aktuell wie eh und je. Wären die Drei
bloß bei ihren Leisten geblieben!
Der zweite Bildungsweg ist ein Beispiel, daß zwischen gut
gemeint und gut gemacht Welten liegen, und man bestimm-
te Dinge einfach lassen sollte. Lieber sollte man von An-
fang an jedem noch als Kind eine Chance einräumen. Und
wenn das Kind als Kind schon zu blöd ist, wird es als Er-
wachsener in keiner anderen Verfassung sein. Oder »Never
Give a Sucker an Even Break«, wie W. C. Fields völlig
richtig bemerkte.
Hey! Alle Welt glaubt doch an den Psychoscheiß der
Schrumpfköpfe, oder? Wenn man eine Medizinisch-
Psychologische-Untersuchung benötigt, um die läppische
Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nachzuweisen,
um wie viel notwendiger wäre diese MPU zur Führung von
Unternehmen oder gar Staaten? Oder gar Kindererziehung?
Na, wir wollen mal lieber nicht bundesalbern werden! Da
kommt man ja auf Ideen!
169
Fakt ist, daß ohne den zweiten Bildungsweg der Bundesre-
publik Deutschland viel, sehr viel erspart geblieben wäre,
und es heute der BRD bedeutend besser gehen würde.
Quod erat demonstrandum!
Das ist Latein.
170
Umwege bei einer Regierung das Gesetz »Wehrpflicht«.
Und dann kämpfen Max Meyer und Paul Müller für das
Eigentum von Herrn Aldy, obwohl sie das nun wahrlich
nichts angeht, und sie haben ja auch nichts davon, und der
Herr Aldy soll sein Eigentum gefälligst selbst verteidigen!
Was wiederum der Herr Aldy wegen Sterben und Krüppel
und so nun wirklich nicht so richtig gerne möchte!
Außerdem hat er auf Kosten von Max Meyer und Paul
Müller soviel zusammengerafft, daß er sein Eigentum we-
gen der schieren Größe auch garnicht verteidigen könnte.
Wirklich? Na, dann hat er eben Pech gehabt!
Die Ökopaxe haben schließlich auch in schlechter alter
Tradition eines Ribbentropps den ersten deutschen An-
griffskrieg nach 1945 mit vom Zaun gebrochen. Zusammen
mit den Spezialdemokraten! Es waren eben Anfänger, al-
lerdings blutige Anfänger. Tempora mutantur, et nos mu-
tamur in illis!
Afghanistan, Irak, Iran und viele weitere Länder locken
zum Freizeitballern.
All inclusive! Leichensäcke und so!
So wie die Xenophobie im tagtäglichen Kleinen gegeißelt
wird, bereitet sie im Großen auch dem militantesten Gut-
menschen keine Probleme. Wenn Norwegen Gas- und Öl-
vorkommen besitzt, ist das normal und völlig in Ordnung.
Die Gas- und Ölvorkommen in der arabischen Welt, der
afrikanischen Welt und der südamerikanischen Welt aber
müssen unter die Kontrolle der G7-Staaten! Und der ameri-
kanische Präsident fragt routinemäßig: »Wie kommt eigent-
lich mein Öl unter Deinen Boden?«
Tja, wenn die NATO mit Deutschland mal nach Palästina
oder Libanon geht, ist es von da nicht mehr weit nach Bag-
dad, Damaskus und Teheran. Und wenn wir schon mal da
sind, können wir Uropas Kampf um den Kaukasus fortset-
zen. Dann ist der Weg nach Aserbaidschan frei.
Um Mexiko, Venezuela, Kolumbien, Bolivien und so
kümmern sich bald ausgiebig die USA.
171
Industriediamanten aus Australien machen doch keine
Kopfschmerzen. Aber die Industriediamanten aus dem
Kongo? Oder Coltan! Auch aus dem Kongo, für unsere
Handys. Daß dabei die Lebensräume der nahen, allerdings
klugen Verwandten der Politiker, die Lebensräume der
Menschenaffen nämlich, zerstört werden, ist das unser
Problem? Die stärker pigmentierten Weltbürger können
noch nicht mal unter sich für Ordnung sorgen. Eine Ord-
nung, wie sie sich die weiße Welt so vorstellt und ihnen
selbstlos und hautnah bringen will. Das erste Kontingent
der EU-Truppe wird monatelang im Kongo bleiben, um
Wahlen zu bewachen!
MUHAAAAAHAAAAAAaaahahahhahaaaaaahh-
haaaaaaaa......ha…brsch....MUHAAAAAHAAAAAAaaaha
hahhaha....hkkkkrrrrh.. hmhmmm.
Tschuldigung!
Erinnert sich noch jemand an Lumumba? Nicht an den
Longdrink, der aus heißem oder kaltem Kakao mit einem
Schuß Rum, manchmal zusätzlich mit Schlagsahne gemacht
wird. In Nordfriesland wird die Version mit heißem Kakao
Tote Tante genannt. Toter Onkel wäre da wohl treffender!
Egal, die UNO war schon mal da. Vor vielen Jahren. Da ist
der UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld bei draufge-
gangen. Jetzt sind wir da! »EUFOR RD Congo«. Patati
patata.
Allons, mes enfants! Es gibt viel zu stehlen in der Demo-
kratischen Republik Kongo. Und belgische Soldaten sind
dabei, weil der Kongo mal Privatbesitz von Leopold II.
war. Sein Ausplündern des Kongos für seine Privatschatul-
le kostete 10 Millionen Kongoneger das Leben. Lohnt sich
nicht, darüber zu sprechen. Waren wohl zuwenig. Also!
Bald geht’s lohos!
172
Das sind die am Meisten unterschätzten Kriegsgründe der
nahen Zukunft! Benzin verfahren ist nicht so lebensnot-
wendig. Trinken schon!
173
erbaut, schauten die Hotelmitarbeiter an den Gästen und
Besuchern vorbei.
Auch wenn Brack der ganze Protz und die Pseudopracht
zuwider waren, erwiderte er höflich die Arroganz an der
Rezeption: »Es wurde ein Zimmer reserviert auf den Na-
men Brack!«
»Ah, Herr Oberrat«, schleimte der Portier – nicht so aus-
sprechen wie »Gürteltier« – devot und trinkgeldheischend,
»Willkommen im »Avon«. Es wurde bereits alles arran-
giert. Einen Augenblick, bitte, Ihr Butler begleitet Sie auf
Ihre Suite.«
In diesem Moment sah Brack jemand gemessenen Schrittes
auf sich zukommen, der wie die mumifizierte Ausgabe von
seinem Herman aussah.
»Ich erlaube mir, Sie zu begrüßen, Herr Oberrat. Man nennt
mich James. Ich hatte einen fruchtbaren Austausch mit
Ihrem Mister Herman. Das stellte sicher, daß alles zu Ihrer
Zufriedenheit eingerichtet werden konnte. Ich darf Sie
bitten, mir zu folgen?«
»Sicher, James. Gehen Sie voran.«
»Sehr wohl, Herr Oberrat!«
Irgendwo im Vereinigten Königreich mußte es eine Fabrik
geben, wo diese Exemplare mit der geschraubten Aus-
druckweise vom Band laufen, dachte Brack. Mal sehen, wie
seine Arbeit ist. Die Ausdrucksweise ist jedenfalls prima.
Mit dem geräuschlosen Aufzug fuhren sie in die vierte
Etage. Der Lift war wirklich sehr geräuschlos auf den er-
sten Metern. Der war so geräuschlos, daß man dachte, er
steht. Er stand tatsächlich.
»James, ich fürchte, der Aufzug verweigert seine Dienste.
Sorgen Sie doch bitte für eine minimierte Verzögerung.«
Brack fühlte sich in solchen Kabinen immer unwohl.
»Sehr wohl, Herr Oberrat!«
Während James den Portier, Direktor und die Haustechnik
gemächlich aber zielstrebig per Gegensprechanlage und
Handy zur Sau machte, wandte Brack einen Trick an, um
für sich die unangenehme Zeit in einer geschlossenen
174
Schachtel zu überbrücken. Er dachte gegen den Strich. Er
forderte seine Phantasie zu Höchstleistungen heraus. Seine
Frage war dieses Mal nicht, gibt es da draußen in den un-
endlichen Weiten des Alls intelligentes Leben? Sondern:
Gibt es auf der Erde intelligentes Leben?
Wie würden Außerirdische in ungefährer Form einer grü-
nen Robbe mit Schneckenbauchmuskeln einen Menschen
sehen, und was würden sie dabei denken?
Und über seine merkwürdigen Sitten und Gebräuche?
Würden sie bei einem Menschen an das Äquivalent eines
Stockes denken, der sich schwankend auf zwei Stelzen
vorwärtsbewegt, mit astähnlichen seitlichen Auswüchsen
balancierte, immer in Gefahr war, hinzufallen und in der
Mitte durchzubrechen? Über seine lässige Art staunen, bei
Bedarf Artgenossen mit hohen Phantasieeinsatz zu töten?
Wenn Menschen als homo sapiens über lustige Tiere lachen
konnten, warum nicht auch Außerirdische über lustige
Menschen?
Für Brack stand fest, daß das Universum nun bestimmt
nicht nur für Menschen errichtet wurde. Sondern daß es vor
Lebewesen geradezu wimmeln mußte! Was wäre das sonst
für eine riesige Verschwendung! Und wie gräßlich alleine
wären wir! Ob Außerirdische auch einen Jesus und eine
Mutter Gottes haben? Ob ihnen Gott auch vergeben hatte?
Und wenn nicht, warum bloß nicht?
Ja, und warum besuchen sie uns nicht mal? Das ist die
typisch anmaßende menschliche Art! Wir sind vielleicht in
den Augen anderer derartig dämlich und uninteressant, daß
sich ein Besuch bei uns einfach nicht lohnt! Oder würden
Sie die Strapazen auf sich nehmen, auf Rollerblades und im
Kanu nach Kenia zu düsen, um irgendwo im Busch mit
einem Termitenvolk zu kommunizieren, daß noch nicht
einmal begreift, daß Sie ein fürsorglicher Mitteleuropäer
aus Wanne-Eickel sind, Sozialpädagoge und Mitglied einer
ökologischen Partei? Geschweige denn, die Diskussions-
175
grundlage zur Erhöhung der Steuern auf Erdölderivate
verstehen würde? Nä, ne?
Wie beurteilen die Menschen, so es sie dann noch gibt, in
500 Jahren die Blödbatze aus dem Jahre 2005? Wir versu-
chen mal zukünftige Geschichtsschreibung! Da gehen wir
einfach 500 Jahre zurück und suchen die dümmsten und
abergläubischsten Taten unserer Vorväter raus. Die trans-
ponieren wir in die heutige Zeit, und ecco, was sagen unse-
re Nachkommen in 500 Jahren?
»Mann, waren die blöd damals!«
176
Warum nur sind wir aus dem Paradies geworfen worden?
Wegen eines Appels? War Gott wirklich so kleinlich und
rachsüchtig, seine Schöpfung zum Teufel zu jagen, weil sie
mal nicht zugehört hatte?
Brack mochte die Bibel. Jedenfalls das Alte Testament. Das
Neue Testament war total uninteressant. Geistige Flatulen-
zen fanatischer Brüder in Christo. Selbstbeweih-
räucherungen dummer Mönche im Auftrag der Päpste min-
desten 400 Jahre nach Christi Geburt!
Aber das Alte Testament war ein Geschichtsbuch der
Menschheit. Abgekupfert aus der Thora, die wiederum…
irgendwo aus grauer Urzeit.
Warum hatte Gott bloß eine Art Prätorianergarde, denn
Adam und Eva wurden ja vom Erzengel Gabriel aus dem
Paradies gewiesen, der an der Pforte mit flammenden
Schwert Wache halten mußte? Wache halten? Wo? War-
um? Gegen wen? Adam und Eva? Wohl weniger. Flam-
mendes Schwert? Für zwei verschreckte nackte Mensch-
lein?
Und auch für die lieben Rassisten hält die Bibel eine üble
Überraschung bereit! Gott entschied, schwarz null, weiß
null, erst mit goldbraun war er zufrieden.
Wo kamen bloß all die Menschen her, denen Adam und
Eva als erste Menschen nach ihrer Vertreibung außerhalb
des Paradieses begegneten? Und die Kain heiratete? Abel
auch? Weiß nicht mehr. Was war das für ein auf der Erde
sichtbarer Kampf zwischen Gottes Legionen und den abge-
fallenen Engeln »jenseits der Mondbahn«? Und wie…
»Hecchhmm, Herr Oberrat, wir können aussteigen.«
»Wie? Oh ja, sicher!«
Er hatte doch tatsächlich die gesamte Rettungs- und Repa-
raturaktion irgendwie verdöst. James hatte unbemerkt die
Leute weggescheucht, um den tief in seinen Gedanken
versunkenen Brack nicht zu stören.
177
mir, Herr Oberrat.« Mit einer hochherrschaftlichen Geste
öffnete James beide Flügel und blickte indigniert auf die
beiden herunterfallenden schwarzen, tennisballgroßen,
zischenden Metallkugeln.
Brack erbleichte! »Gott, der Gerechte!« rief er, packte den
alten Butler am Kragen und warf sich an die schräg gegen-
über nur angelehnte Tür. Die zwei nun erfolgenden Explo-
sionen ließen Brack fast ertauben, so daß er den bösartig
jaulenden Splitterregen nicht hörte.
Staub, Tapetenteile, Möbelstückchen und Teppichbrocken
regneten herab und machten das Atmen nahezu zur Unmög-
lichkeit. Als ob der Allmächtige seinen Daumen dazwi-
schengehalten hatte, waren beide unverletzt. Sie erhoben
sich, und der alte Butler, dessen Anzug an mehreren Stellen
qualmte, sagte ungerührt und hochtrabend: »Herr Oberrat
dürfen nicht vermuten, daß alle unsere Gäste diesen Emp-
fang haben!«
Brack stand kurz vor einem hysterischen Anfall, er zitterte
unkontrolliert, mußte dringend »faire pipi« und wenn es in
die Hose ging, aber der Blick des alten James ließ es nicht
zu. Auch Herman hätte ihm fehlende Contenance nie, aber
auch wirklich nie, verziehen.
Also erwiderte er nonchalant: »Vielleicht hat das »Avon«
noch eine andere nette Suite?«
178
James ließ den neuen Anzug schnellreinigen, Brack hatte
sich einen hoteleigenen Bademantel übergeworfen und der
Hoteldirektor tänzelte händeringend und brabbelnd wie eine
übergewichtige Ballerina im Hintergrund herum.
»Uuuuntröstlich« wäre er! »Der gute Ruf des Hauses«
flötete er!
Brack reichte es. »Ob er nicht noch einmal drei von den
vorzüglichen Cognacs organisieren könne?« Der Herr Ho-
teldirektor versprach sofortigen Vollzug.
Oben war die Spurensicherung am Werke, der Staatsschutz
störte, und das BKA witterte eine Gelegenheit, Brack end-
lich kaltzustellen.
»Ich nehme das sehr persönlich«, sagte Brack mit rauher
Stimme. »Ich mag so was nicht!«
»Ich könnte in Pension gehen«, soufflierte Schunck.
»Ich nicht«, stellte Ruud fest.
»Was tun, spricht Zeus? Sichere Unterkünfte aufsuchen?
Wo sind die? Im Präsidium leben? Na, vielen, herzlichen,
schönen Dank aber auch! Als Zielscheibe weiter rumlau-
fen? Ist nicht mein Hobby.« Brack war etwas ratlos und
fuhr fort:.
»An und für sich fürchte ich nur zwei Dinge:
Saudumme Menschen mit Macht und Leute mit IKEÄ-
Möbeln!«
»Häh?«
»Nehmen Sie den Schrank "Öle Bömmel" designed by
Tove Strullson. Die neue Spießigkeit. Nicht, daß mir Gel-
senkirchener Barock mehr zusagt, aber wer Pappmöbel als
progressiv empfindet, wird auch im Denken nicht über
Pappe hinauskommen.«
Die Tür ging auf, und der BKA-Häuptling kam mit seinem
Troß herein.
»Da kommt schon die Pappe!« murmelte Brack.
»Da haben Sie ja noch mal Glück gehabt, Brack«, trompe-
tete er. »Hoffentlich sehen Sie nun ein, daß dieses eine
Nummer zu groß für Sie ist!«
179
»Wäre das hier mein Zimmer, würde ich Sie persönlich
rauswerfen!«
»Das ist der Schock, mein Lieber. Sie brauchen viel Ruhe.
Am besten wäre es, Sie kommen mit uns. Da wären Sie auf
Nummer Sicher. Ganz sicher.«
»Wissen Sie, wie man einen Wichser neugierig macht?«
Der BKA- Häuptling war verblüfft.
»Nä, wie denn?«
»Erzähle ich Ihnen morgen… Am besten ist es, Sie und Ihre
Advokatenbagage subtrahieren sich. Aber presto!«
»Wie Sie meinen, Brack. Wir haben es, wie unter Kollegen
üblich, nur gut gemeint. Also nicht beschweren, wenn’s mal
schief geht!«
Die BKA-Korona zog beleidigt ab.
Verächtlich meinte Brack: »Diese Personen haben zuviel
von Scheißhausfliegen! Sind immer da, wo’s stinkt, sind
lästig und treiben einen zum Wahnsinn, und ich bin auch
noch Einer von Denen!«
»Was haben Sie gegen das BKA?« fragte Ruud.
»Reichlich«, erwiderte Brack. »Das BKA ermittelt nicht,
sondern verläßt sich auf Spitzel, Informanten, V-Männer.
Ein Kriminalbeamter scheut aber keine Drecksarbeit, weil
er Polizist mit Leib und Seele ist. Der BKA-Mann möchte
das nicht sein. Er hält sich für einen Juristen oder Controller
mit einem gemütlichen Büro und Anzug mit Krawatte.
Ärsche! Verwaltungsheinis! Gesinnungsschnüffler!«
Unruhig hingen die Drei ihren Gedanken nach, bis Ruud sie
in die Realität zurückführte.
»Der Findling von Homer war wirklich ein toter Briefka-
sten. Aber keinerlei verwertbare Spuren. Sackgasse.«
Nachdenklich sagte Ruud weiter: »Mhhh. Sagen Sie, Herr
Brack. Legen Sie immer wert auf so ein feudales Ambiente
mit Brimborium?«
»Wenn ich’s bekommen kann, durchaus. Wenn nicht, fehlt
mir auch nichts. Und auf die eben erlebte Exklusivität mit
180
dem recht bemerkenswerten Brimborium kann ich ohne
größere Anstrengungen verzichten. Warum?«
»Ich wüßte einen Ort, wo wir sicher wären. Wahrlich nichts
Exklusives, mitten auf dem Kiez, dementsprechend anrü-
chig, aber mit 500 Leuten als Sicherheitspersonal!«
»Na, Ruud? Aus Deiner Undercoverzeit?«, blinzelte
Schunck.
»Genau! Das war nicht nur Einschleichen und hochgehen
lassen. Das war auch Unterhaltung, Reden mit Kumpel-
Typen, mit den Mädchen. Klar, auch total abgesackte und
kranke Menschen dazwischen. Aber auch Hochintelligente,
die spürten, daß ich nicht ganz koscher war. Aber nichts
sagten. Die ganze Bande mal wiedersehen. Da gibt es
furchtbar nette Menschen zwischen. Und da wollen wir hin!
Wenn Sie wieder angezogen sind, Herr Brack, geht’s ab zur
»Lampe«.
181
182
Die Lampe
»Lampe« war ein Lokal auf dem Kiez, benannt nach sei-
nem Besitzer Paul Lampe, auch »das warme Paulchen«
genannt. Paulchen war eine Seele von Pferd, der in seiner
Jugend drei Jahre fast unschuldig im Bau gesessen hatte. Er
war Freund und Vertrauter von Männlein und Weiblein
beiderseitigen Geschlechts.
Hilfsbereit und immer einen guten Rat zur Hand. So war es
kein Wunder, daß seine Kneipe seit Jahren brummte und er
nicht mehr. In dieser Zeit war er zu einem wohlhabenden
Mann geworden, ganz legal. Aber vom Kiez weg? Unmög-
lich. Das war doch sein Leben. Seine Gäste waren Hehler
und Stehler, Kleindealer, Luden mit ihren vielen Verlobten,
Geld- und Paßfälscher und die ganze Kleinkrimi-
nellenschar. Auch männliche und weibliche Groupies vom
Lokalkolorit, tagsüber brave Angestellte, tranken gerne bei
Paulchen ihr Bier oder aßen seine berühmten Buletten.
Mörder und Kinderschänder mieden die »Lampe«. Sehr
zum Ärger der ortsansässigen Dentisten. Ruud hatte Paul-
chen vor Jahren einmal vor einer Rückendauertätowierung
Marke »Viele-Grüße-aus-Solingen« bewahrt. Ruud hatte
also was gut bei ihm!
Der Lärm aus der Kneipe von Musik und Gesprächsfetzen
verstummte wie auf ein geheimes Zeichen hin, als Brack,
Schunck und Ruud die »Lampe« betraten. Durch den Ziga-
rettendunst war Paulchen, groß und schwer, kaum zu sehen,
wie er einen Stiel einer Axt in seinen bratpfannengroßen
Händen wog.
»Das ist ja der Ruud!«
»Kinderchen, weitermachen!« rief Paulchen den Gästen zu.
183
Während Brack und Schunck einen der Tische ansteuerten
und prompt mit einem Frischgezapften bedacht wurden,
flüsterte Ruud mit Paulchen. Der flüsterte dann wiederum
mit vier zweifelhaften Gestalten, die den Billardraum von
einem einsamen Spieler befreiten und den Tisch halb
schräg vor die Tür wuchteten. Dann verschwanden sie und
kehrten mit verschiedenen Einrichtungsgegenständen zu-
rück. Der Billardraum wurde wohnlich.
Brack schob sein Bier Justav rüber. Mit Bier konnte man
ihn jagen. Er haßte den Geschmack. Bei seinen Freunden
im Ausland war er als der nichtbiertrinkende Germane eine
bestaunenswerte Sensation! Ungefähr so, wie ein vegetari-
scher Tiger. Oder ein altruistischer Anwalt. Brack sog statt-
dessen lieber die Atmosphäre der »Lampe« in sich auf und
richtete seine Aufmerksamkeit auf den Wirt.
»Kinderchen, mal herhören!« rief Paulchen.
»Diese drei Herren sind hohe und aktive Tiere bei unserer
lieben Polizei.«
Die Bemerkung hatte eine kollektive Absetzbewegung
Richtung Tür zur Folge.
»Halt!« rief Paul. »Nicht doch, Kinderchen! Hiergeblieben!
Die netten Herren werden sich nicht um Euch kümmern. Es
sind doch bloß Leichenheinis.«
»Und was wollen die dann hier?« grollte eine tiefe Stimme
im Hintergrund. »Wir sind sauber.«
»Nun wartet es doch mal ab. Gaaanz tolle Sache! Aber
müßt Ihr für Euch behalten. Die netten Herren sind einem
Mehrfachmord auf der Spur. Und nun versucht der Killer
sie umzubringen. Sie brauchen also Schutz, und den be-
kommen sie von mir! Und es wäre lieb von Euch, wenn
auch Ihr sie beschützen würdet.«
Ein verblüfftes Gemurmel erhob sich.
»Und die Bullen scheißen uns auch nicht an?« fragte je-
mand, dem der Taschendieb ins Gesicht geschrieben war.
»Warum soll’n wa eijentlich der Bullizei helfen? Soll’n’se
doch sehn, wie’se alleene klarkomm’n!« Der Trickbetrüger
184
war echt noch sauer wegen der drei Jahre, die er gerade
abgesessen hatte. Polizei, nein danke!
185
»Ruud, los. Ihr Henner hat heute seinen Glückstag.
Schuncks Laube, mein Handy und mein Haus in Hannover
müssen sofort gecheckt werden. Beeilung!«
Als Ruud müde wurde, dachte auch er die uralte Frage der
Menschheit: Warum eigentlich immer ich und nicht mein
Nachbar?
186
sonst hätten die schon bei ihm geklopft. Also warum nicht?
Er haßte ungelöste Rätsel!
187
was wie ein Wäsche- und Bügelzimmer war, als er jeman-
den draußen an der Tür hörte.
Er öffnete das Fenster, konnte aber keinen Abstieg aus dem
ersten Stock auf die Schnelle entdecken.
»Gawno!« brummte er lautlos und erkletterte einen riesi-
gen Wäscheschrank. Er holte seinen bleigefüllten Totschlä-
ger heraus und legte sich oben auf dem Schrank auf die
Lauer.
Friedhelm, der Taschendieb, hatte von Paulchen den Auf-
trag bekommen, Bettwäsche für die exotischen Gäste zu
holen. Friedhelm öffnete also die Tür zum Bügelzimmer,
Sergei richtete sich halb auf und holte mit seinem Totschlä-
ger aus. Er konnte durch seinen Restlichverstärker jede
Bewegung von Friedhelm perfekt verfolgen. Friedhelm
schloß mit der Rechten den Wäscheschrank auf, als ihm
einfiel, daß er im Dunkeln ja nichts sehen konnte. Er ging
gleichzeitig einen Schritt zum Lichtschalter zurück, schalte-
te ihn ein und Sergei war durch die enorme Lichtflut in
seinem Restlichtverstärker blind! Blitze zischen vor seiner
Netzhaut hin und her, ihm wurde schwindelig. Sergei hatte
aber gerade den Schlag schon ausgeführt, als Friedhelm
sich umdrehte, das Zimmer verließ, um sich in der Küche
doch lieber erstmal einen kleinen Korn als Stärkung zu
genehmigen. Durch die Wucht des Schlages pfiff der Tot-
schläger wirkungslos durch die Luft und Sergei verlor das
Gleichgewicht. Er fiel vom Schrank und haute voll auf das
Bügelbrett, das hinten hochschnellte und ein mit Büchern
vollgestelltes Regal zum Kippen brachte.
Während Sergei keuchend mit schmerzenden Rippen quer
auf dem gekippten Bügelbrett lag, krachte das Regal auf
den hochstehenden Teil des Bügelbrettes und Sergei wurde
durch das geöffnete Fenster geschleudert! Kurzfristig konn-
te er sich noch an einer Hand mit den Fingerspitzen an die
Fensterbank klammern, aber dann versagten die Kräfte und
er fiel!
Allerdings nur etwa 50 Zentimeter, dann verfing sich seine
Jacke in einen verrosteten Fahnenhalter.
188
Was hatte dieser Fahnenhalter nicht schon alles gesehen!
Kaiserzeit und Kaiser, Weimarer Republik und die ganzen
Demokratielehrlinge mit dem sozialdemokratischen Arbei-
termörder Noske, die stark verkürzten tausend Jahre mit uns
Adolf, Zerbombung, Befreiung, Besatzung, Frontstadt,
Wiedervereinigung. Das reichte dem Fahnenhalter! Die
neuen Machtbesoffenen mußte er nicht mehr sehen.
189
Sergei Bulgakov schwor baldige Rache und humpelte wie
ein angeschossener Bär davon. Er sah aus, als ob er von
mehreren Autos überrollt worden wäre. Von wegen »Gol-
dener Westen«! Gawno was drauf!
Falk Heimann hatte auf dem riesigen Hof der alten Kleinin-
dustrieanlage sein Uraltauto repariert. Fachgerechte Entsor-
gung von 25 Liter Benzinschlamm und 8 Liter der Terpen-
tin- und Alkoholreinigungssoße als Sondermüll kam schon
aus finanziellen Gründen für ihn nicht in Frage. Er hatte
schließlich nicht die geldlichen Möglichkeiten eines Politi-
kers, der diese unpraktikablen Gesetze mit verabschiedet
hatte. Also kippte Falk den ganzen Mist in einen ziemlich
großen Metallcontainer und zur Tarnung noch Zeitungen
und drei Kilo Roststaub obendrauf. »Brennt auf der Müll-
kippe sowieso weg!« dachte Falk und fuhr nach Hause.
190
einfach. Er wußte, daß heute eine Übergabe Geld gegen
Heroin stattfand. Er wußte wann, er wußte wo. Er brauchte
nur noch die drei anderen, die Lärm machen sollten und
eben auch notfalls schießen konnten.
»Begriffen? » Halt! Polizei!« Los geht’s!«
Mit Karacho und Blaulicht fuhren sie auf den weiten Hof,
wo eben 100.000 Euro in bar gegen 1000 Gramm feinsten
und reinsten Stoff getauscht wurden.
»Halt! Polizei!« und »Halt! Polizei! Stehenbleiben!«
manchmal auch nur »Polizei!« tönte es, als die vier Männer,
mit gezogenen Waffen einen Wahnsinnsradau machend, auf
die Tauschpartner zurannten. Die stoben auseinander wie
Kakerlaken im Scheinwerferlicht und waren bald in dem
dunklen Gelände nicht mehr zu sehen.
»Wo ist das verschissene Geld? Und wo der ist der Stoff?«
Aber das Gewünschte war weg!
»Wladimir, ihr sucht in die Richtung, ich suche hier. Klar?«
Wladimir nickte »Da!«
Nach etwa dreißig Metern kamen sie zu einer Reihe Müll-
containern. Das wäre doch ein schnelles Versteck! Sie ho-
ben den Deckel an und leuchteten mir ihren Feuerzeugen
hinein. Nichts. Sie hoben den zweiten Deckel an und leuch-
teten wieder mir ihren Feuerzeugen hinein.
191
davon kam. Er überlegte, ob er nicht noch einen Cousin
hatte, der vielleicht sogar etwas schlauer war als der eben
Verblichene.
Feuerzeuge! Wie doof waren die eigentlich? Sein schöner
Plan! Die schönen, vielen Mäuse. Mannomann, die im
Osten schliefen wirklich noch auf’m Baum!
Die mußten doch echt aufpassen, daß sie sich beim Gehen
nicht die Fingerknöchel aufschlugen! Zu doof, um sich
beim Essen nicht in die Finger zu beißen!
»Gawno, gawno, gawno!«
Saublöde Verwandtschaft.
192
Die Mannschaft
193
Brack sprang erfreut auf und umarmte die Beiden. »Kalle«,
sagte er zu dem spirreligen? Männchen mit dem Tourette-
Syndrom, »willst Du wirklich wieder mit mir arbeiten?«
Kalle standen Tränen in den Augen. »Hrrrrrch, mit Dir
immer, Justus! Hrrrrch.«
Die Umarmung bei Horstchen war nicht ganz so einfach. Er
war zwar nicht größer als Brack, dafür hatte er einen mäch-
tigen Brustkasten Marke Silberrücken. Aber Horstchen hob
Brack wortlos hoch und küßte ihn rechts und links. »Danke,
Justus!«
»Alle mal herhören! Das also sind Kalle und Horstchen.
Der Kleine ist Kalle, der Große Horstchen. Die bleiben
hier. So, macht Euch miteinander bekannt.«
194
»Also«, begann Ruud, »Schuncks Laube war äußerst pro-
fessionell verwanzt. Das absolut Modernste auf dem Markt.
Erstklassige Arbeit, sagte Henner. „Ihr Handy, Herr Brack,
war sauber. Aber Ihr Haus in Hannover hatte drei alte Wan-
zen! So alt, daß Henner sie für seine Sammlung behalten
möchte.«
»Moment«, erwiderte Brack. »Sind die Wanzen noch in der
Laube?«
»Henner hat nichts angerührt. Er ist Profi!«
»Gut, da lassen. Und … zwei kleine Kameras installieren.
Vielleicht kommt noch mal jemand.«
»Hrrrrrch, Justus? Ich habe mir so was gedacht und,
hrrrrrch, was mitgebracht.«
Kalle legte zehn Handys auf den Tisch. »Hrrrrrch, sind ein
wenig von mir modifiziert. Wenn wir mit, hrrrrrch, denen
unter uns sprechen, kann verbindlich niemand mithören!
Hrrrrrch.«
»Siehste, Kalle, wegen so was brauche ich Dich.«
Kalle lächelte geschmeichelt und Brack zählte ab.
»Eins bleibt bei Kalle, eins Ruud, eins Schunck, eins ich.
Eins… mal sehen. Justav, einen zuverlässigen Mann im
Präsidium? Eins für den, sofort. Schick einen von unseren
»Bodyguards« hin. Paulchen fragen. Eins Herman, eins
Hade. Wen vergessen?«
Kalle stand auf. »Ich, hrrrrrch, richte nebenan schon mal
alles ein. Meinen Rechner und so, hrrrrrch.«
Schunck kam von Paulchen wieder. »Genau genommen
haben wir doch immer noch nix. Keine Spuren, keine Ver-
dächtigen, kein Motiv, wir sind immer noch am Anfang.«
195
»Daach ooch! Schulldchnsä! Binsch hier richtsch beidä
Griminaalbollzei?« Peter Gagesch war der absolut festen
Meinung, ein astreines Hochdeutsch zu sprechen. Niemand
würde hören und merken, wo er herkam. Es erinnerte ein
wenig an früher an der innerdeutschen Grenze, wo die VO-
POS fragten: »Gänsefleisch mahn Gofferoom oofmachn?«
Und da lag man bei Peter Gagesch garnicht mal so falsch.
Um Monolinguisten zu entlasten, einige Informationen
vorab.
Peter Gagesch war Techniker bei einem vorgeblich ehema-
ligen telekommunikativen Staatsmonopolisten. Er vermaß
den elektrischen Widerstand der Leitungen, und es ließ sich
bei seiner Arbeit nicht vermeiden, ab und an Gespräche
kurzfristig mitzuhören. Jede Weitergabe der mitgehörten
Gespräche war mit harten Strafen bedroht, und so wartete
Peter Gagesch volle zwei Tage auf die Rückkehr seines
Chefs, der zur Hochzeit seiner Tochter mit einem käsigen
Holländer gefahren war, um zu erfahren, ob er das Mitge-
hörte an die Polizei weitergeben durfte. »Duh nich so
rummgähsn!« sagte der weitgereiste Chef. »Klar doch!
Aber das hätteste doch auch Frau Borchers fragen können.«
»De v’gaggde Ämandse? Ischb’n doch geen Äggsdsendrig-
ger! De is ne alde Bäddse. De met ihrm Baggfeifngesischd
isn Baragrahfnreidr. Da gäh isch lieb’r als Maggr zu meene
Brivahd’dodsendin grein’n. Ich gloob, de had eenen midn
Dobblabbn midgegrischd. Nä, geene Fissemadends’chn.«
196
einzigen Namen, den er behalten hatte, war Heinz Nolden,
weil sein Schwager Hans Nolde hieß. Und nun als vorbild-
licher brandneuer Bundesdemokrat brannte er darauf, seiner
neuen Gesellschaft einen pflichtbewußten Dienst zu erwei-
sen.
»Und wo war das?« fragte Brack.
»Na unda’m Baanh’f Zoo. Abberaad zwee, eens, fuffzn!«
»Da gehen Sie bitte mit unserem Herrn Ruud hin und zei-
gen ihm die Telephonzelle. Ich danke Ihnen und auf Wie-
dersehen.«
»Bis bälde!«
197
London und Paris kamen, die an den Problemen der deut-
schen Gesellschaft regen Anteil nahmen?
Das Sturmgeschütz der Demokratie hatte mit dem Tod des
Herausgebers als Fünfte Kolonne die Seite gewechselt und
kartätschte seine ehemalige Klientel zusammen!
Dafür wurde das umgedrehte Sturmgeschütz mit Endlos-
werbeanzeigen und TV-Lizenzen gut und reichlich bezahlt.
Und ganz ehrlich, die ehemalige Klientel war arm und
kaufte den »Spargel« schon lange nicht mehr!
Beim Lesen jedenfalls bekam der unaufmerksame Betrach-
ter den Eindruck, daß die Regierungsmitglieder geradezu
vor Genialität sprühten. Sie hatten alle einen IQ von etwas
über 130. Aber… Oje! Bedauerlicherweise alle zusammen
genommen. Man konnte auch sagen, sie hatten zwar alle,
aber nicht der Reihe nach.
Menschen, die über sein ganz privates Schicksal bestimmen
wollten und bretto mit nutto verwechselten oder zum fünf-
ten Male heirateten, waren für Schunck nicht so unbedingt
richtig vertrauens- und regierungswürdig. Wahrscheinlicher
war allerdings, daß die Übergangsregierung nur »Laurel
and Hardy - Zum Nachtisch weiche Birnen« in der Hartz-
version nachspielte. Nachdem Schunck sich so richtig satt-
geekelt hatte, legte er die Zeitschriften beiseite. Und gähnte
still.
198
wirklich und wahrhaftig bei den Pfadfindern gewesen war.
Informationen irgendwelcher Art würden sie hier genauso-
wenig wie die anwesenden scharf lauschenden Diplomaten
erhalten, aber das war ja auch nicht beabsichtigt.
Es war schon beeindruckend, die Vorfahrt der diplomati-
schen Familien mit den Kindern zu beobachten. Die Diener,
die Roben, die Fräcke und Uniformen und dazwischen
Brack und Ruud. Alles nach dem Motto: Wir haben’s ja
und wenn nicht, erhöhen wir einfach die Steuern.
Oder, wie der unsterbliche Spruch eines Weltklasse-
Zynikers lautete: »Die noch fehlenden Milliarden holen wir
uns einfach von den Obdachlosen!«
Im Wintergarten wurden für die Diplomaten-Kinder gebra-
tene Klopse zwischen zwei Schrippenhälften von einem
höchst unwitzigen Clown angeboten. Amerikanische Spe-
zialitäten! Schon wieder! Hier wäre mal eine Gelegenheit
gewesen, das asiatische Corps mit urdeutschem Kartoffelsa-
lat und Bockwürsten bekannt zu machen und zu quälen.
Statt dessen bevorzugte man eine internationale kulinari-
sche Scheußlichkeit.
Eine auf alt getrimmte Berliner Kapelle spielte alte Berliner
Marschmusik. Plötzlich fing Brack an zu grinsen. Sie spiel-
ten die neue deutsche Hymne! Und Brack kannte den aktu-
ellen Text und sang leise mit!
199
Zee Ess Ooh und 90 Grüne sind dabei. «
200
Und die Stimmungskanone aus der Uckermark guckte so,
als wäre sie die Oma gewesen.
Dann eine Familienministerin, die vehement ihr eigenes
Mutterkreuz wollte und in einer Allianz mit der katholi-
schen und evangelischen Kirche auf einen christlichen
Gottesstaat hinarbeitete.
Nicht zu vergessen die intellektuelle Granate einer ehemals
großen, nun völlig zu Recht vergessenen, uninteressanten
kleinen Volkspartei, die immer zu sagen schien: »Keine
Angst, kriegen wir alles noch viel schlechter hin. Glück-
auf!«
Mit anderen Worten, es gab Häppchen, Bölkstoff und Edel-
dröhnung ohne Ende, und wo es was umsonst gab, waren
immer alle dabei. Und wenn’s nur der Segen des Papstes
war.
Und ein Bürgermeister fand für die männlichen Anwesen-
den wie immer warme Worte der Werbung. Ja, das war
auch gut so! Berlin bringt in der Politik die seltsamsten
heißblütigen Treibhauspflanzen hervor.
201
Tat« und so was ähnliches Dämliches wie eine Monstranz
vor sich hertragen.
Irgendwann würde er sich mal erkundigen, was denn nun
ein »mutiger und offener Mord« wäre. Oder eine zustim-
mungswürdige Tat! Tyrannenmord vielleicht? Müßte nur
noch geklärt werden, wer Tyrann wann ist. Aber im Vor-
aus, und nicht erst, wenn alles schiefgelaufen ist! Doch das
ging alles nicht. Mord war ein Verbrechen, und er mußte
Verbrechen aufklären.
202
nun auch herausragende Vorbilder an Scheinheiligen. Ein
Hypokrit sagt, wenn es politisch opportun erscheint, »Frei-
heitskämpfer«! Ändert sich aber schlagartig die politische
Wetterlage, wird blitzartig aus »Freiheitskämpfer« »Terro-
rist«.
Achten Sie mal bei der alten Tunte, ähh, Tante Tagesschau
darauf, ein Böser wird von den Guten »getötet«, ein Guter
aber immer von den Bösen »ermordet«. Geil, nicht? So
wird für klare Verhältnisse gesorgt. Überfällt also ein als
»Böser« Erkannter ein Land, ist es ein Kriegsverbrecher.
Überfällt aber ein als »Lieber« Erkannter ein Land, ist es
ein prophylaktischer Friedensfreund in vorweggenommener
Notwehr mit unvermeidlichen Kollateralschäden oder so.
Und natürlich vice versa! Immer nach Bedarf. Man ist doch
flexibel! Obwohl nur Menschen ohne Rückrat flexibel sein
können. Na, da haben wir doch keine Probleme mit!
»Wenn also Ehrlichkeit derartig beliebig behandelt wird,
dann mache ich das auch!« meint der Bundesbürger, der
einfach nur seine Ruhe haben will, und dem die Worthülsen
der Sonntagsreden seiner nie gewählten Politiker kilome-
terweit zum Halse raushängen.
203
was übrig geblieben war, war…. Was war das eigentlich?
Egal, was einem jetzt auf der Zunge liegt, ….. nicht sagen!
204
Checker war damals der Spitzname von Ruud gewesen,
weil er alles sofort checkte. Sie hatten so manchen illegalen
Spaß miteinander in der Unterwelt Berlins gehabt.
»Was machste denn jetzt? Biste bei Schunck in der Lehre?
Azubi Checker.«
»Leg Du Dir mal lieber einen anderen Duft als Tarnung zu.
Ich hab Dich schon auf der Avus gerochen. Wenn Du so
weiter stinkst, prügeln sich die Luden um Dich!«
Das gegenseitige Frotzeln wollte kein Ende nehmen.
»Wer ist denn das da bei Dir im Wagen? Das ist doch nicht
der Schunck?«
»Möchte ich nicht sagen. Hört mal. Habt Ihr in der Szene
irgendwelche Hinweise über die Abgeordnetenmorde ge-
hört? Irgendwelche Tips? Wir hängen voll auf der Rolle.«
Synchron schüttelten Mike und Charly den Kopf.
»Nä, Checker! Nix! Aber wir halten die Ohren für Dich
offen.«
Charly grinste breit.
»Dann grüß mal Deinen Oberrat, hehehehe! Das mit der
Vollmer-Pflaume war super! Ihr habt was gut bei mir.«
»Gut, Ihr beiden. Schlaft nicht ein.«
205
Absurdistan, Berlin, Freitag, der 18. November,
10 Uhr 14
206
konnte, und die faltenlose, von aller schlaffen überflüssigen
Haut befreite Augenpartie, mit dem klitzekleinen Nachteil,
daß Nora die Augenlider nicht mehr ganz schließen konnte.
Das verlieh ihr das geheimnisvolle, leicht glasige Aussehen
einer Somnambulen. Nora fand sich sehr schön!
Wenn beide ein Glas Rotwein tranken, sahen sie aus wie
zwei Fieberthermometer. Und daß beide zusammen den IQ
eines Alpenveilchens hatten, sei hier nur der Vollständig-
keit halber erwähnt und erfolgt nicht in der Absicht, ein
Alpenveilchen zu beleidigen.
207
heihn Häcker!« während Magdalena wortgetreu übersetzte:
»Ja doch, er war beim Bäcker!« und trieb den ob ihrer ab-
schreckenden Optik schon schwer angeschlagenen BKA-
Heini zu dem wenig originellen Gedanken:
Warum eigentlich immer ich und nicht mein Chef?
208
Absurdistan, Berlin, Freitag, der 18. November,
11 Uhr 01
209
Absurdistan, Berlin, Freitag, der 18. November,
11 Uhr 34
210
ger pechschwarzer Dobermann! Icke konnte schon so klei-
ne Kampfhamster wie Yorkshireterrier nicht verknusen.
Und Adolf versetzte ihn in blanke Todesfurcht. Laut schrei-
end sprang Icke aus dem fahrenden HUMMER, der mit
beachtlicher Geschwindigkeit weiterrollte.
211
nenswerten Probleme. Aber dann war der Asphalt im We-
ge.
Icke war zu diesem Zeitpunkt schon drei Blocks weiter, als
seine malträtierten Lungen einfach nicht mehr wollten.
Auch er stelle sich die uralte Frage der Menschheit: Warum
eigentlich immer ich und nicht das fiese Schwein Tulpe?
Zum Glück antwortete niemand, denn die Antwort darauf
hätte Icke nicht gefallen!
Nur Adolf, der Dobermann, war mit sich und seiner Lei-
stung rundherum zufrieden. Es war echt das erste Mal, daß
er alleine Auto fahren durfte. Und er fand, soo schlecht
hatte er seine Sache garnicht gemacht.
212
Absurdistan, Berlin, Freitag, der 18. November,
12 Uhr 04
213
»Noch mal!«
»Guckt, hier, beide zögern. Die kannten sich nicht! Und
jetzt gehen Sie in Richtung Ausschußsaal!«
Brack überlegte.
»Eilers hat ein Treffen mit der Schütte vereinbart. Und
Andeutungen gemacht. Deswegen wollte die Schütte Zeu-
gen dabei haben, Zeugen, die sie gut kannte. Ihren Aus-
schuß.
Oder Eilers hat auf den Ausschuß bestanden. Eilers hat
dann seine Geschichte dem Ausschuß erzählt. Davon hat
jemand Wind bekommen und alle umgebracht. Soweit
richtig?«
Zögernd nickten alle.
»Und?«, fragte Schunck, »was hilft uns das? Wir wissen
nicht, was besprochen wurde. Also fehlt das Motiv! Wir
können niemand mehr fragen, da alle tot sind. Uns fehlen
die Täter. Und wenn wir die hätten, fehlt der Auftraggeber.
Und wer hat davon wie Wind bekommen? 2000 Besucher
plus über 600 wichtigfühlende Abgeordnete plus über 1000
Mitarbeiter? Alle überprüfen? Die werden uns mit’nem
nassen Handtuch erschlagen. Die werden auch Dich, Justus,
brutalst abwimmeln! Weiß der Geier, was wir da so alles
herausbekommen würden. Nää, Sackgasse, Herrschaften!«
»Kommt, laßt uns wenigsten noch ansehen, mit wem Eilers
den Saal wieder verläßt.«
Aber Eilers verließ den Bundestag alleine.
214
Die Freiin
215
»Natürlich nicht.«
»Dann erwarte ich Sie heute zum Tee, Justus. Ich freue
mich.«
216
Absurdistan, Gut Brachhatten, Freitag, der 18.
November, 15 Uhr 36
217
Und die ganz Schlauen unter uns fragen weiter: »Wie
kommen denn diese riesigen Mengen an Bargeld wieder
unbemerkt aus unserem Land heraus?«
Ehrlicherweise muß man erschrocken annehmen, daß ohne
die Hilfe von Wirtschaft, Banken, Zoll, Polizei und Politi-
kern beides nicht möglich wäre. Ein Schelm, wer bei
»Schengen« Böses denkt.
Schengen, keine Grenzkontrollen für die Bürger! Ein Witz!
20 Kilometer hinter der Grenze werden Privatleute kontrol-
liert. Das ist, als wenn im Supermarkt geworben wird mit
»Heute müssen Sie nicht an der Kasse zahlen«,
…………aber am Ausgang! Die EU ist zu einem Sammel-
becken blöder, machtgeiler und krimineller Typen ver-
kommen. Es heißt nicht umsonst: Hast’n doofen Opa,
schick ihn nach Europa!
Und Staaten sind in der EU, fast kaum zu glauben!
Um auf die Olivensubventionen zu kommen, die die Grie-
chen abfegen, müßte ganz Griechenland bis in das vierte
Stockwerk mit Bäumchen bepflanzt werden. Inklusive
Meer!
All die mit Steuerzahlermilliarden angehäuften riesigen
Notvorräte sind weg! Vertickert! Nun dürfen die EU-
Bürger Superpreissteigerungen der Nahrungsmittel erwar-
ten. Die haben sie zwar noch alle, aber nicht der Reihe
nach!
Manche wetten auf Frankreich und Italien, daß die die Uni-
on durch Verlassen sprengen. Daumen drücken!
Auch sagen die Gewichte und Mengen der Drogen nun aber
auch garnichts aus. Wir nehmen den Umsatz der Straße. Ein
Kilo Kokain: Zirka Euro 100.000. Das macht bei 20 Ton-
nen zwei Milliarden Euro. Ist doch nicht wirklich schlecht.
Die 70 Tonnen Heroin ergeben sieben Milliarden Euro.
Haschisch und Marihuana nochmals 1,5 Milliarden Euro.
Die Pillen fallen mit nur 250 Millionen Euro ab.
Also ein Markt von 10 bis 50 Milliarden Euro. Nur für
Deutschland! Je nachdem! Und dieses Geschäft soll man
218
irgendwelchen barfüßigen ungebildeten Bauern aus der
Dritten Welt überlassen?
219
römischer Zeit eindrucksvoll herausstellte. Wo diese Expo-
nate wohl herkamen? Jeder Staat auf der Welt wachte ge-
genwärtig eifersüchtig über seine Kunstschätze. Nichts kam
mehr raus aus dem Land!
An einem kleinen Tischchen saß eine etwa 50jährige Dame
in einem Rollstuhl. In ihrem Gesicht befanden sich immer
noch die Reste ihrer jugendlichen Schönheit als Mädchen.
Nun war es das Gesicht einer schönen Frau. Die aufwendi-
ge Pflege, und das sehr schlichte Kleid, der geschmackvoll
sparsame Schmuck, die bemessenen Bewegungen und der
offene Blick waren der Grund, warum allen das Wort »Da-
me« und nicht »Frau« in den Sinn kam.
Brack ging förmlichen Schrittes auf sie zu, und beugte sich
zu ihrer leicht angehobenen Hand herunter. Kurz vor der
Handoberfläche stoppte er, deutete einen Handkuß an,
schaute der Baroneß in die Augen und sagte: »Es ist mir,
wie immer, eine große Freude, Baroneß wohlauf zu sehen.«
»Mein lieber Justus, Sie verändern sich wohl nie?«
Irgendwas in ihrer Stimme elektrisierte Ruud. Er war
schwer beeindruckt.
Brack hielt ihre Hand ein wenig länger, als es sich gehörte.
Eine distanzierte, aber innige Vertrautheit schien sich aus-
zubreiten. Und doch konnte ein unvoreingenommener Be-
trachter nicht sagen, wie gut oder ob sie sich überhaupt
kannten.
»Setzen Sie sich, lieber Brack, und nehmen Sie etwas Tee.
Möchte Ihr netter Begleiter auch Tee?«
»Danke Baroneß, mein Begleiter nimmt keinen Tee. Ich
möchte auch Ihre kostbare Zeit nicht über Gebühr in An-
spruch nehmen. Ich weiß Ihr Entgegenkommen bei dieser
hastigen Terminvereinbarung überaus zu schätzen und
möchte gleich zur Sache kommen.«
»Immer noch ein ungezügeltes Temperament, lieber Justus?
Sie sind noch nicht ruhiger geworden? Geht es um diese
Berliner Affaire?«
Als Affäre hatte Brack das noch nicht betrachtet.
»Ja, Baroneß.«
220
»Und was glauben Sie, was ich hilflose Frau dazu beitragen
kann?« Die Freiin hatte ein mildes Lächeln in ihrem Ge-
sicht.
Das Wort »hilflos« wäre auch das Letzte gewesen, was
Brack in Verbindung mit der Baroneß eingefallen wäre.
Brack gab Ruud ein Zeichen, und Ruud reichte Brack Kal-
les Handy.
»Baroneß erinnern sich noch an Karl Dietz?«
»Aber ja, geht es ihm wieder besser?«
»Leider nicht, aber er ist für mich wieder tätig. Er hat dieses
Handy mit neun anderen abhörsicher modifiziert. Darüber
könnten wir in einem eiligen Fall kommunizieren.«
»Ach ja?« Mit Interesse betrachtete sie das Handy. Sie
schien viel von Kalle zu halten.
»Wir benötigen Informationen und Zusammenhänge über
diese Personen.« Brack stand auf und überreichte der Baro-
neß das Handy und eine Namensliste. Versonnen betrachte-
te sie die Liste.
»Justus, nehmen Sie sich nicht zu viel vor. Ich habe gehört,
daß Sie und Ihr reizender Begleiter sehr viel Glück hatten.
Das muß nicht immer so sein. Es sieht aus, als ob Ihre Geg-
ner weitreichende Mittel besitzen. Mehr als ich habe!«
Brack wurde blaß und unsicher.
»Gnädigste haben heute wieder einen wundervoll rustikalen
Humor! Aber Baroneß werden es doch versuchen?«
»Assez! Sicher, lieber Justus. Ich stehe tief in Ihrer Schuld.
Wenn die Herren mich nun bitte entschuldigen?«
Ein kleiner Schalk blitzte in ihren Augen.
Brack stand auf.
»Wenn ich meinerseits etwas für die Baroneß unternehmen
kann? Jederzeit.«
»Ich werde bestimmt darauf zurückkommen. Jean begleitet
Sie hinaus. Ich rufe Sie an, Justus!«
Die Baroneß surrte mit ihrem Rollstuhl aus einer kleinen
Tür des grünen Salons. Brack und Ruud folgten Jean.
Ruud sah Brack an, und Brack schüttelte unmerklich mit
dem Kopf. Der Rolls-Royce fuhr vor, und als sie am Tor
221
ausstiegen und zum Hubschrauber rübergingen, sah Brack
Ruud an und grinste.
»Jetzt darfst Du!« Brack zündete sich eine Zigarette an.
»Dir platzt doch gleich der Kopf!«
»Eine überaus bemerkenswerte Dame«, meinte Ruud. »Der
wäre ich gerne mal vor 30 Jahren begegnet!«
Brack machte sofort ein finsteres Gesicht. »Bin ich!«
»Und?«
»Erzähle ich ein anders Mal. Aber damit Du von der Wolke
wieder herunterkommst, die Baroneß ist die cleverste und
skrupelloseste Gangsterchefin Deutschlands!«
»Mach’ Sachen!« rief Ruud verblüfft aus. »Sie verarschen
mich doch?«
222
Brack verzog das Gesicht. »Ja, aber damals dachte sie noch
nicht an ihre Karriere.«
»Ich muß so blöd fragen, wieso glauben Sie, daß sie uns
helfen kann und helfen wird?«
»Sie weiß alles Krumme, alles Verbotene, das in Deutsch-
land abgeht. Sie kennt fast jedes Geheimnis. Sie hat tausen-
de Informanten. Und sie ist mir Einiges schuldig.«
Der Primus Custos tobte innerlich. Sie hatten das mit Eilers
herausgefunden! Das gab es doch garnicht! Was sollte er
nun machen? Er mußte einen genialen Dreh finden. Er
mußte!
Positiv war nur, daß sie zu der Baroneß geflogen
waren. Woher kannte der Brack die Baroneß? Dieses halb-
seidene Geschäftsmilieu war doch nun bestimmt nicht sein
normales Spielfeld!
Plötzlich strahlte er. Er hatte es! Das war die Lösung. So,
und nur so, würde es gehen!
Er mußte mal wieder dringend und ungestört telephonieren.
223
Absurdistan, Berlin, Freitag, der 18. November,
20 Uhr 54
224
Ich sitze nicht nur da und denk an Dich.
Ich will Dich bei mir in meinem Arm,
Ich will Dich spüren. «
225
Scheinen, und was hab ich bekommen? Hundert Melonen
in kleinen Schweinen!"
Darauf der Gärtner: "Na, glaubst Du, ich hab mir ’nen 30
cm langen Simmel gewünscht?"
Friedhelm drosch vor Grölen mit seiner »goldenen« Hand
auf den Tisch ein.
»Als ich noch jung und ledig war, sind meine Verwandten
auf Hochzeiten immer zu mir gekommen, haben mir in die
Wange gekniffen und grinsend »Du bist der Nächste« ge-
sagt. Sie haben mit dem Scheiß aufgehört, als ich das Glei-
che mit ihnen auf Beerdigungen gemacht habe...«
An eine Unterhaltung war in der »Lampe« nicht mehr zu
denken.
Nachdem Schunck sich die Tränen abgewischt hatte, sagte
er: »Noch Einen! Ist aber der Letzte! Also, seit vielen Wo-
chen ist der Handelsvertreter schon unterwegs. Eines
Abends geht er in ein Bordell, wirft der Bordellchefin eine
Handvoll zerknüllter Scheine hin und verlangt: »Die Häß-
lichste, die Sie haben! Und Bratkartoffeln und Flaschen-
bier!" Die Chefin zählt schnell nach und sagt ihm, für so-
viel Geld könne er auch die Hübscheste bekommen. »Kein
Interesse«, brummt der Mann, »ich bin nicht geil - ich habe
Heimweh!«
Hinter sich am Tisch hörte Brack zwei Opfer von Hartz IV,
kurz HIV, sich unterhalten.
»Ich bin entweda zu alt oder zu jung. Nie passe ich irgend-
welchn Bettnässan ins Schema!«
»Woll!«
»Für eine anständige normale Arbeit bin ich viel zu alt, und
eine Fortbildung zum Meista lohnt angeblich nicht mäa.«
226
»Woll!«
»Für die Rente bin ich viel zu jung, aba für umsonst in den
Zoo bin ich wieda zu alt.«
»Woll!«
»’ne Seniorenkarte für die BVG bekomme ich nich, bin ich
wieda zu jung. Aba eine Schülerkarte kriege ich auch nich,
da bin ich plötzlich zu alt.«
»Woll!«
»Ich kriege noch nich ma Ermäßigung für Fraun, wenn ich
in die Disco will. Da habe ich das falsche Geschlecht! Und
ziehe ich’n Fummel von meina Alten an, habe ich die fal-
schen Lover am Hals!«
»Woll!«
»Wir sind doch echt rundherum angeschissn! Wir zahln 40
Jahre in eine Versicherung ein, und brauchn wir sie, heißt
es: Oohhh, sorry, habn ebn die Bedingungen zu unseren
Gunstn geändert. Jetzt kriegste nur noch 12 Monate ALGI-
Asche!«
»Woll! Gestern sollte ich so’ne Zwangsvereinbarung un-
terschreibn! In dem Beamtenkauderwelsch heißt das wohl
»Eingliederungsvereinbarung«. Ich bin gelernta Klempna!
Die solln mir ein’n Job gebn, damit ich meine Familie er-
nährn kann. Aba nix Ein-Euro-Job, Dummsau!«
227
Die Spirale nach unten ist mittlerweile nicht mehr zu stop-
pen. Und der Zorn nach oben auch nicht.
Spannend!
Justus Brack taten die Beiden leid. Auf ihren Rücken wurde
Skat gedroschen. Sie waren nur Kollateralschäden eines
Auftragdiebstahls der deutschen und internationalen Indu-
strie über die Politik an dem Volk. Es sind die ausgemuster-
ten 50jährigen, mit guter Ausbildung, viel Lebenserfahrung
und grenzenlosem Haß auf die Politik von Regierung, Op-
position, Industrie und erblichen Beamtentum. Und die nun
für den Rest ihres Lebens pleite sind. Gefährlich daran ist:
»Intelligente Menschen können sich dumm stellen.« Umge-
kehrt klappt das nicht. Zum endlosen Bedauern der Regie-
rungsmitglieder.
228
Die Beiden hörten nur: »Nicht wettbewerbsfähig« und
wunderten sich über jährliche Exportrekorde, die von den
Nichtwettbewerbsfähigen eingefahren wurden.
Wir reden von einem Auftragdiebstahl der deutschen und
internationalen Industrie aus der Tasche des deutschen
Volkes. Die Unterschicht ist schon restlos ausgeplündert.
Die untere Mittelschicht ist gerade jetzt dran, und der Mit-
telstand kommt in drei Jahren dran. Und dann?
Aber nach ausländischen Computerfachleuten schreien!
Wir haben zwar 100.000 eigene Arbeitslose in der Branche,
aber Inder sind ja viel besser.
Die haben schon auf der Stirn den roten Resetknopf einge-
baut! Und können alle fließend deutsch!
Und sind die nicht die Erfinder des Indernets?
Also besuchen uns Machmahinda und sein Kumpel Hatte-
maanfatalerror und retten die dumme BRD vor BSE (Be-
sonders saudumme Entwickler)! Diese heilige Kuh sollte
man endgültig schlachten.
Irgendwann wird mal ein schwarzes Schaf, aber ein intelli-
gentes, unter den Regierungsbeamten darauf kommen, daß
wir von unseren begehrten Exporten nichts haben. Dann
endlich wird die Mehrwertsteuer als Umweltsteuer auch auf
Exporte erhoben! Dann verschenken wir nicht mehr unsere
Produkte und bezahlen die Umweltzerstörung durch die
Exportherstellung selber. Dann zahlt dafür der Käufer im
Ausland. Aber für ein derartiges revolutionäres Denken ist
die Zeit und sind die heutigen Beamten noch nicht reif!
Der Binnenmarkt war durch die politische Unfähigkeit
zusammengebrochen, und, Gnade Gott Deutschland, falls
der Dollar krachen würde! Die Kohl’schen Berater hatten
Anfang der 80er den Wirtschaftsumbaublödsinn auf An-
weisung des BDI eingefädelt.
Ja, ein Gangster, der 1990 das totale Ausplündern der Ren-
tenkassen anregte, wurde zum IWF befördert und beförder-
te gleich das ganze Argentinien in die Pleite und Armut.
Und der markiert heute den weisen Anführer der Deut-
schen. Ein Treppenwitz!
229
Ausgedacht von profilierungssüchtigen Betriebs- und
Volkswirten. Was wußten die beiden Kneipenbesucher
schon von den Mohns, von der Lisboa-Strategie oder der
Bolkestein-Richtlinie? Kommt ja in unseren Medien nicht
vor! Es waren zwei brave arbeitslose Kerle, die arbeitslos
waren, weil andere sich nicht superreich genug fühlten und
die Welt nach ihren Vorstellungen umbauen mußten. So’ne
Art: Regieren durch Zahlen! Diese Zwei wählten ihre Lieb-
lings-Politstricher immer wieder, ohne zu merken, wie sie
verarscht wurden. Aber irgendwann, irgendwann würden
sich die Beiden die Schweine greifen und umbringen. Und
Leute wie Brack mit seiner Villa und seinem Lexus als
reicher Typ würden ebenfalls dran sein. Brack spürte Wut
auf das verantwortungslose Gesocks, ihn in so eine Lage zu
bringen, zu der er ja nun wirklich nichts konnte! Am Later-
nenpfahl baumeln wegen der Feigheit und der Gier oder der
Dummheit von Abgeordneten. Wegen eines frömmelnden
Weltbildes der schlichtesten Art eines Einflußnehmers. Die
dumpf brodelnde Wut im Volk konnte er absolut verstehen.
Denn in ihm brodelte die gleiche Wut!
230
dafür muß ich nicht heiraten.« Ruud machte eine Pause, ehe
er fortfuhr.
»Und dann die phantastische Auswahl an Frauengestalten.
Sex, ja, sicher. Kein Problem. Aber was ich suche, wird
heute doch garnicht mehr hergestellt. Ich möchte mit einer
Frau alt werden können, die Frau lieben, vielleicht unver-
schämterweise auch geliebt werden.«
Brack warf Ruud einen nachdenklichen Blick zu.
»Hast Du Dich mal mit Goethe beschäftigt? Macht man ja
heutzutage nicht mehr, weil so wenig bunte Bilder in seinen
Büchern drin sind! Ein kleines Gedicht vom Meister, heißt:
»Willkommen und Abschied«, letzter Vers.
231
wäre. GmbH kannste übersetzen mit »Gatte mit beschränk-
ter Hoffnung«. Wobei jeder, der einen Ehevertrag unter-
schreibt wirklich beschränkt ist. Was hat das mit Liebe und
füreinander Dasein zu tun? Nichts! Unsere mediale Promi-
nenz und die Politiker machen es uns dauernd vor. Fünf
oder sechsmal heiraten? Kein Thema! Entweder man heira-
tet wöchentlich oder garnicht. Oder »Lebensabschnittspart-
ner«. Die spinnen doch total. Das sind die gleichen Leute,
die keinen Beruf haben, aber sich großspurig Webdesigner
oder Eventmanager oder Weddingplaner schimpfen, anstatt
beschämt zuzugeben, daß sie berufslos sind.
Statt dessen wird von »Selbstverwirklichung« gelabert.
Man ist stolz darauf, ledige Mutter zu sein, und als Stra-
ßenpantomimin gejobbt zu haben. Krank!
Das sind dann die Trottel, die mit 40 die Heiratsinstitute
reich machen. Wer nimmt denn solche verkorksten Men-
schen als Partner? Nur andere verkorkste Menschen. Und
nach 20 Jahren Singledasein haben die keine Chance mehr,
ein Zusammenleben zu lernen. Und dann werden immer wir
von der Mordkommission gerufen.«
Ruud blickte amüsiert auf den sich ereifernden Brack.
Brack fuhr fort: »Weißt Du, warum die Scheidungsraten
explodieren?«
Ruud schüttelte gelangweilt den Kopf.
»Wegen der Antibabypille! Nein, nicht, was Du glaubst.
Viel filigraner! Die Antibabypille als Befreiung der Frau?
Denkste! Wie überall im Tierreich, und Menschen gehören
nun mal zum Tierreich, also wie überall im Tierreich, su-
chen die Weibchen die Männchen aus. Immer und überall.
Da kann der Mann von Eroberungen prahlen, soviel er will.
Ohne aktive Zustimmung des Weibchens läuft nichts!«
»Und was hat das mit der Antibabypille zu tun?«
»Pausen abwarten. Das Weibchen ist so programmiert, daß
es sich immer nur Männchen aus ihrer eigenen »Sippe«,
Stamm, oder sagen wir das böse Wort »Rasse«, nimmt. Das
ist im weitesten Sinne gemeint. Nun kommt die Antibaby-
pille ins Spiel. Die Frau kann wichtige unterbewußte Gerü-
232
che nicht mehr riechen. Durch die Antibabypille. Die sozia-
le Verständigung und insbesondere die Sympathie und
damit auch die Liebe hat viel mit dem "Sich riechen kön-
nen" zu tun. Die wahrgenommenen Riech- oder Duftstoffe
dienen uns auch zur Identifizierung von Artgenossen,
»Stallgeruch«, und von Feinden. Überlegungen wie materi-
elle Versorgung oder sexuelle Gier spielen bei Frauen eine
untergeordnete Rolle. Durch die Antibabypille wird das
Erkennen wichtiger Pheromone blockiert, und die Frauen
suchen sich den falschen Partner. Deswegen auch die vielen
Scheidungen. Klar, gibt es noch andere Gründe, aber das ist
der Hauptgrund!«
Ruud guckte ungläubig, ging aber darauf nicht weiter ein.
233
ham’sen Charakter wie’n eingetretener Stuhl. Und’ne Aus-
strahlung wie’n Paar alte Socken.
Da ist die schon ewig gelangweilte zukünftige Fleischerei-
fachverkäuferin Marke »Ich hätte gern Leberwurst, von der
Fetten, Groben…... Tut mir leid, die hat heute Berufsschu-
le«, und die wartet allen Ernstes auf einen Märchenprinzen
mit weißem Roß.
Warum sollte der sich ausgerechnet in diese Metzgerei
verirren? Um aus dem weißen Roß Rouladen machen las-
sen?
Oder in einem akuten Anfall von Masochismus eine unter-
durchschnittlich intelligente, aber dafür eine überdurch-
schnittlich geldgierige Frau suchen?
Den anständigen Busfahrer, der sie immer morgens anlä-
chelt, sieht sie einfach nicht. Busfahrer ist bestimmt unter
ihrem Stand! Und der kann ihr auch kein Leben im Luxus
und Überfluß bieten! Aber vielleicht ein anständiges Le-
ben.«
Brack und Ruud sahen sich grinsend an.
»Willkommen im Klub, mein lieber Justav. So ähnlich
sahen wir das auch gerade.« Brack guckte nachdenklich vor
sich her. »Was sich seit meiner Kindheit am meisten geän-
dert hat, ist die Lebenseinstellung. ….
Jeder kennt den Preis von Allem, aber niemand kennt mehr
den Wert. Dabei sind es immer die wichtigsten Sachen im
Leben, die man nicht kaufen kann. Gut, ich habe am wenig-
sten unter mangelnder Masse zu leiden, aber ich habe mir
vielleicht auch am meisten Gedanken gemacht. Geld
braucht man, um Essen, Trinken, Wohnen und Bekleidung
zu haben. Ein paar Extras dazu, die das Leben aufheitern.
Aber mehr? Wozu? Menschen, die sich über ihre Kohle
definieren, haben in ihrem Genpool ein paar Algen zu viel
drin!
Warum ist denn der Drogenkonsum zu einem Volksver-
gnügen geworden? Es ist die einzige Möglichkeit, aus ih-
rem armseligen und sterbenslangweiligen Leben zeitweilig
auszuchecken…
234
Arme Schweine haben es leicht. Sie können nur um ihrer
selbst willen geliebt und geachtet und respektiert werden.
Das ist der Vorteil des Armseins!«
»Sie sehen also im Armsein einen Vorteil?«
Brack war amüsiert.
»Ich könnte jetzt anfangen und sagen, daß Reichtum Dieb-
stahl an den Armen ist. Es geht auch nicht um bitterarm
sondern um nichtreich oder noch nicht einmal wohlhabend.
Eben gerade so viel, daß man sein Leben anständig leben
kann. Den Menschen in Deutschland geht es doch nur gut,
weil es den Menschen in der Dritten Welt schlecht geht!
Möchtet Ihr für ein Pfund Kaffee 100 Euro bezahlen? Nein,
zu teuer? Ist ein »Golf« 10.000 Kilo Kaffee wert? Oder nur
1.000 Kilo? Muß eine Friseuse nur 5 Euro die Stunde ver-
dienen, damit ein Vorstandsvorsitzender 5.000 Euro die
Stunde verdienen kann? Oder meine kleine Nebenbeschäf-
tigung. Ich…«
»Die müssen Sie uns aber erstmal verraten, Herr Brack!«
»Die letzten 15 Jahre tanzen weltweit die Kids auch nach
meiner Technomusik! Das dürfen die aber nicht wissen, daß
ihre Musik von einem steinalten Zausel gemacht wird!
Hehehe. Ich komme da auch auf einen Stundenlohn von
2.000 bis 3.000 Euro. Ich nehme das Geld natürlich gerne,
aber ungerecht ist das trotzdem schon! Ich arbeite doch
nicht länger als 3 Monate an so einer CD. Wir Künstler im
allerweitesten Sinne verdienen nach dem Prinzip der fleißi-
gen Bienen, hier etwas, da etwas und schon ist eine Million
voll. Ist das meine Arbeit wirklich wert? Ich weiß nicht.
Wenn ich Rumptata-Musik schreiben kann, ist das ein Ta-
lent, für das ich nichts kann.«
Ruud legte den Kopf schräg. »Und warum spenden Sie Ihr
Geld nicht einfach? Wenn Sie Ihren Verdienst für zu hoch
halten?«
Brack grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Wem denn?
Unseren tollen Institutionen, deren Vorsitzende irgendwel-
che abgehalfterten Politgangster mit einer Aufwandsent-
schädigung von 200.000 per anno sind? Och nää! Die müs-
235
sen sich ihr Geld schon ganz alleine ergaunern. Aber ohne
mein Zutun. Ich helfe gerne Notleidenden direkt! Anders
geht’s nicht. Ich kann die festgefügten Gaunereien nicht
ändern. …
Ein Berliner Blödelsänger mit einer verkorksten Stimme läd
Weihnachten immer Obdachlose zum Gänsebraten in ein
Hotel ein! Der hat meine schrankenlose Bewunderung. Der
tut was! Aber die Ehrungen um das Gemeinwohl erhalten
immer die Politgangster. Auf so einer Ehrenliste möchte ich
auch nicht stehen.
Ich kann die Meinungen der Politstricher nicht ändern, die
knapp ein Viertel unserer Nation hungern lassen. Aber
genau das müßte geändert werden! Wir brauchen einen
radikalen Systemwechsel! Wenn ein Armer kein Talent zu
irgend etwas hat, oder er sein Talent nie entdecken kann,
soll deswegen sein Leben verpfuscht sein? Nur weil viel-
leicht eine politische Ratte ohne Vater aufwachsen mußte
und seine soziopathischen Ideen in politischer Verantwor-
tung zum verbindlichen Gesetz machte? Es liegt in der
Natur der Sache, daß ein Anständiger weiß, was unanstän-
dig ist. Während ein Unanständiger noch nicht einmal wis-
sen will, was anständig ist! Jeder Mensch ohne soziale
Komponente hat das Anrecht auf den Titel »Mensch« ver-
spielt. Jeder Mensch ohne Gewissen und Mitleid darf pro-
blemlos »Schwein« tituliert werden, da sein Handeln am
Trog darauf ausgerichtet ist, Kümmerlinge wegzubeißen
und verhungern zu lassen. Und komme mir keiner mit
Darwins "Survival of the Fittest"! Das heißt eben nicht, das
Überleben der Stärksten, sondern das Überleben der am
besten Angepaßten. «
236
Die Katakomben
237
»Ist doch kein Problem«, meinte Ruud. »Ich ruf mal bei
dem zuständigen Revier an. Das haben wir gleich.«
Nach sieben Minuten hörte er auf zu telephonieren und
schaute Brack merkwürdig an.
»Woher wußten Sie das? Sie ist weg!«
»Das heißt?«
»Weg aus dem Krankenhaus. Niemand hat gestern ihre
Personalien aufgenommen, weil sie schwer unter Schock
stand.«
»Ich habe es geahnt!«
Brack schlug mit der Faust auf den Tisch. »Scheiße!«
238
»Schade«, meinte Schunck. »Ich glaubte schon, Täter ge-
faßt, und ich dürfte mal wieder in meinem Bett schlafen.«
»Schlafen? Der Tag hat doch gerade erst angefangen.
Mooooogn Paulchen. Frühstück, bitte!«
Die Drei benahmen sich schon, als wären sie hier zu Hause.
Was ja in gewisser Weise auch stimmte.
239
Absurdistan, Berlin, Samstag, der 19. November,
07 Uhr 37
240
Absurdistan, Berlin, Samstag, der 19. November,
08 Uhr 03
242
Absurdistan, Berlin, Samstag, der 19. November,
08 Uhr 57
»Ich bedauere nur, daß Sie meinem Sohn nicht schon eher
die Leviten gelesen haben. Danke.«
Sie schaute zu Ruud, betrachtete seine Haarpracht, dann
sagte sie: »Frau Kapotschek von gegenüber meint immer:
Mein Mann kann ruhig eine Glatze haben, Hauptsache er
hat ein Pferdeschwanz!«
Und schloß die Tür.
Ruud stieg eine zarte Röte den Hals hoch, und Brack gab
abgewandt erstickte Geräusche von sich. Nach einer unge-
hörig langen Pause räusperte sich Ruud.
»Eyh, die Mutter des Monats! Und der Bel Ami der Wo-
che!« Ruud grinste. »Das schaffe ich ja noch nicht mal!
Zwei Eroberungen in drei Minuten.«
Brack guckte etwas tückisch. Daß er verarscht wurde, gefiel
ihm nicht, aber er nahm es einfach als Kompliment. Dafür
ließ er Ruud mal ein bißchen laufen.
»Geh Du mal hoch zu Herrn Nepomuk, sag ihm, daß wir
hier sind und komm wieder runter, ich frage mal im Keller,
was eigentlich los ist.«
Im Keller griff sich Brack den BKA-Einsatzleiter, der leise
aufstöhnte, als er Brack erkannte.
»Erklären Sie mal kurz, was hier los ist.«
»Hier gibt es wieder freigemachte Flucht- und
Tunnelwege durch die Bunkersysteme, durch die Kanalisa-
tion bis hin zu fast allen U-Bahn-Linien. Als meine Leute
kurz nachschauten, liefen mindestens 20 Personen davon.
Einige schossen auf uns. Und die räuchern wir jetzt aus!«
»Das gucke ich mir mit an. Ich brauche zwei BKA-Westen
und Gummistiefel.«
»Tun Sie, was Sie sowieso nicht lassen können. Oben im
Einsatzwagen gibt es alles. Aber nur auf Ihre eigene Ver-
antwortung!«
244
»Sowieso!«
Brack ging wortlos zum Treppenhaus zurück und winkte
Ruud, ihm zu folgen. Sie holten sich die Westen, Gummi-
stiefel und für jeden zwei Taschenlampen.
»So Ruud, jetzt geht’s in die Berliner Unterwelt. Daas ist
die Berliner Luft, Luft, Luft…«
245
Absurdistan, Berlin, Samstag, der 19. November,
09 Uhr 44
Gerda hatte vor Jahren, als man ihr sehr, sehr dicht auf den
Fersen war, in dem Berliner Untergrund einen kleinen,
abgelegenen Bunkerraum gefunden. Dieser Bunker hatte
zwei Ausgänge, und es standen noch sechs Hochbetten aus
Stahl drin. Das Besondere an diesem Bunker war die Tar-
nung seiner Eingänge und der kurze Weg auf eine belebte
Straße. Gerda hatte sich nun hier eingerichtet und holte
versäumten Schlaf nach.
247
»Die lieben Schlagzeilen der Blödzeitung wie: »Glück im
Unglück! Selbstmörder stirbt bei Rettung!««
»Zombietime. Kann man richtig Angst bekommen, wirklich
wahr!«
Da dachten sie nichts Böses und dann so was.
»Jetzt aber links rum«, meinte Ruud sich schüttelnd.
»Wenn die da durchgegangen sind, schaffen wir das auch!«
bemerkte Brack. »Los, das Schloß oder den Mechanismus
suchen!«
Ruud stolperte in seinen Gummistiefeln, schlug sich den
Kopf auf und wäre böse gefallen, wenn er sich nicht an
einem Stück Stahl aus der Betonarmierung festgehalten
hätte. Die Mauer öffnete sich einen halben Meter.
»Na also, die dümmsten Bauern haben…...« murmelte
Brack. » Bist Du in Ordnung? Dann mal leuchten und vor-
sichtig durch!«
Sie schlurften also durch den Staub und leuchteten in eine
richtige Betonhalle hinein, voll gestellt mit Tausenden von
Kartons und endlosem Krimskrams.
»Ist das alles noch aus dem Dritten Reich?« fragte Ruud
verblüfft.
»Weniger.« meinte Brack und leuchtete auf die Kartons.
»Es sein denn, Adolf hat mit Dell-Computern und Sony-
LCDs gearbeitet!«
Brack betrachtete aufmerksam die Hehlerware.
»Das hier ist eine Räuberhöhle. Wortwörtlich!«
Ruud hatte einen Lichtschalter gefunden. Schweigend und
staunend sahen sie sich um.
»Was wir so alles nebenbei entdecken, sagenhaft!« bemerk-
te Ruud.
»Sicher! Nur nicht das, weswegen ich in Berlin bin. Krieg-
ste Kontakt mit den Kollegen?«
Aber der Stahlbeton wirkte wie ein Faradayscher Käfig und
verhinderte jeden Handy-Verkehr.
248
Und in Deutschland waren 17.000 Brücken, jünger als 50
Jahre, derartig marode und sanierungsbedürftig, daß kaum
noch ein Fußgänger drüber gehen durfte, geschweige denn
ein LKW mit 30 Tonnen! In unzähligen Gebäuden aus der
Nachkriegszeit rieselte der Beton davon. Aber die alten
Bunker waren nicht kaputtzukriegen. Ob es daran lag, daß
sich mancher Polier und viele Maurer im Bauboom der
Nachkriegszeit ein Häuschen mit den Fremdmaterialien
gebaut hatten? Auf Deutsch, mit dem geklauten Material
von den Kommunalaufträgen? Brack war richtig gespannt
darauf, was wohl passieren würde, wenn 10.000 Brücken in
Deutschland einfach ersatzlos gesperrt würden, weil natür-
lich kein Geld für einen Neubau da war. Oder Schulen und
Verwaltungsgebäude in unbekannter Anzahl!
Spannende Sache, das!
249
»Runter, Junge! Hinlegen, sofort!«
Ein heller Lichtschein gefolgt von einer Feuersäule brauste
wie ein D-Zug mit glühendheißem Atem durch den einen
Quergang sieben Meter vor ihnen und zog sämtlichen Sau-
erstoff ab. Hustend und nach Luft schnappend richteten sich
Brack und Ruud wieder auf. Ihnen standen durch die Hitze
die Haare zu Berge.
»Erbarmung! Was war das?«
»Da hat sich irgendwo was entzündet… Methangas, Butan-
gas, Benzin, was weiß ich. Gerda? GERDA!! Was ist mit
der? Los, weiter, dahinten hat sie gestanden!«
Aber Gerda war mal wieder verschwunden. Vielleicht ver-
brannt durch den glühenden Atem der Unterwelt.
Nach endlosen Abzweigungen sahen sie eine Treppe sich
nach oben winden. Sie stiegen hinauf und öffneten eine
Holztür, die nicht einmal abgeschlossen war.
Brack und Ruud standen in einem überdachten Hinterhof
neben ein paar flachen Werkstätten und Garagen, und 20
Meter weiter brauste der tägliche Verkehr durch Berlin. Das
Tageslicht hatte sie wieder!
250
Absurdistan, Berlin, Samstag, der 19. November,
14 Uhr 51
Sieh mal einer an, der Junge macht sich, dachte Brack.
Aber der Junge hatte auch ihre Akte gelesen und sich seine
Gedanken gemacht.
Und auch wenn er die durch seinen Beinahsturz verursachte
Kopfwunde mit einem Heftpflaster beklebt hatte, war das
beileibe kein Zeichen von Hohlraumversiegelung. Auf den
Jungen mußte er aufpassen und ihn ganz vorsichtig leiten.
Unbemerkt natürlich. Der wurde bestimmt mal große Klas-
se oder hörte eben gerade deswegen bei der Polizei auf!
*
251
Gerda, deren Tod charmant übertrieben wurde, fühlte sich
quicklebendig und hatte beschlossen, Berlin doch zu verlas-
sen. Sie war sicher, im Bajuwarischen war es nicht so irre
wie in Berlin und viel gemütlicher. Es war halt ein lieber
Freistaat!
Sie hatte sich gesäubert und nach allen Regeln der weibli-
chen Camouflagekunst derartig aufgebrezelt, daß sie nun
als Dame im Wortsinne sich Fahrkarten, Kleidung und
Koffer besorgen konnte. Sie war sogar schon zweimal mit
»Gnädige Frau« angesprochen worden.
252
»Ach, lassen wir doch die Alte. Ist wirklich nicht unser Job.
Aber den da greifen wir uns. Wenn wir ihn bei irgendwas
erwischen.«
»Mann, haste Antibabypillen geschluckt? Du bist ja wan-
kelmütig wie ‘n Weib! Einmal hüh, einmal hott. WIE
JETZT NUN?... Ach, leck mich doch am Arsch!«
253
andere Wirklichkeit in der Bundesrepublik kennen lernen.
Nää, ich fahre alleine.«
»Aber bis zum Zug begleiten wir Dich. Und ab da paßte
schön auf Dich auf!«
»Jaa, sonst werde ich Euch ja nicht los! Kalle? Frag mal
Deinen schlauen Computer nach Oberst von Haller, Mün-
chen!«
»Hrrrchh, mach ich, Justus. Hrrchh.«
Brack schaute herzlich zu Schunck und Ruud.
»Ihr zwei Beiden haltet hier die Stellung und sortiert neue
Erkenntnisse. Irgendwann müssen wir mal Glück haben
und ein Faden aufnehmen, der uns auf die Spur bringt. Wir
müssen einfach!«
»Hrrrchh, komm mal her, Justus. Lies mal. Hrrchh.«
Auf Kalles Bildschirm blinkte ein kleines Fenster: »Zugang
zu diesen Informationen verweigert. Identifizieren Sie sich!
Indiziert vom Militärischen Abschirmdienst.«
»Wow! Trenn die Verbindung, Kalle! Und dann neu ein-
loggen.«
Zu Schunck und Ruud gewandt, meinte er: »Kalle könnte
an die Informationen rankommen. Aber das geht auch spä-
ter. Wieso verweigert der MAD dem BKA Zugriff zu Per-
sonendaten? Hab ich ja noch nie erlebt. Jetzt bin ich doppelt
neugierig auf den adeligen Oberst!«
254
Die Bahn
Die Reisenden, die für die groß geprahlte, aber nicht gelie-
ferte Pünktlichkeit und Schnelligkeit ein Schweinegeld
hinblättern durften, meuterten erst, als man ihnen die
»Speisewagen« mit ihren Plastikfraß zum Preis eines Drei-
Sterne-Menüs wegnahm. Dabei hätte doch eben Dieses sehr
255
viel zur allgemeinen Verbesserung der Volksgesundheit
beigetragen.
Die Marketinghampelmänner, die heutzutage zusammen
mit den Tintenpissern, früher Buchhalter, heute Controller,
in den Firmen das Sagen haben, wurden von der glänzen-
den Idee verfolgt, anstatt eines Speisewagens noch einen
zusätzlichen Wagen zur Personenbeförderung einzusetzen,
so könne man noch mehr Einnahmen erzielen.
Nach dieser feinen Logik sollte man aber auch die Trieb-
wagen wegfallen lassen, da sich dort nur zwei Personen
aufhalten, die noch nicht einmal Fahrkarten gelöst haben,
sondern im Gegenteil ein geradezu fürstliches Gehalt von
dem fürsorglichen Unternehmen forderten. Frechheit! Au-
ßerdem war alles zu komfortabel für die Fahrgäste. Alte
Viehtransporter würden auch reichen. Bei gleichen Preisen
natürlich. Dann wäre der Börsengang aber ein Welterfolg!
So dachten die Marketinghampelmänner und Controller. So
funktioniert heute kaufmännisches Denken. So schreibt
man Erfolgsgeschichten für den Insolvenzverwalter! 280
Milliarden Euronen Volksvermögen werden zum Sonder-
preis von 18 Milliarden ins Ausland verschleudert! Die
roten Zahlen können doch nicht nur von dem sagenhaften
Service her kommen! Jaja, in allen großen Firmen gibt es
heutzutage ganz viele Häuptlinge, aber nur noch ganz we-
nige Indianer.
256
Er wühlte in dem Freßpaket, daß Schunck ihm trotz seines
Protestes zusammengekauft hatte. Zitternd entkorkte er
einen kalifornischen Roten und trank das erste Glas in ei-
nem Zug. Der Killer hätte… Er könnte jetzt… Das gab’s
doch nicht! Seine Glock! Wo war die? Er legte sie neben
sich. Sicherer fühlte er sich dadurch aber nicht.
Ob die Baroneß…? Die Baroneß. Schlagartig dachte Brack
bummelig 30 Jahre zurück. Hätte er sie nur eine Woche
eher kennen gelernt. Nur einen Tag eher! Das Leben geht
seltsame und verschlungene Wege. »Und wir?«, dachte er,
»wir können nie erkennen, was an unserem Weg gut oder
schlecht ist. Wir können aus freiem Willen gut oder böse
sein, aber wir können unser Schicksal eben nicht entschei-
den. Wir sind abhängig von anderen, die wiederum von
anderen abhängig sind. Und letztendlich wieder von uns
abhängig sind.«
257
thematisch sich zirka 75 % bis 100 % aller der diversen
Vereinsmitglieder als Volltrottel outen würden, wenn ein
anderer Verein recht hätte.
258
Bänderzerrung fest. Aus! Sie haben nicht abgelehnt, haben
sich nicht zum Deppen gemacht und haben das Mitgefühl
Ihrer ganzen Gemeinde. Na, ist das was? Na, das ist doch
was!« Auch ein zu Rate gezogener Anwalt des Bischofs
fand an der Lösung nichts auszusetzen. Der Lüder war in
seiner schlitzohrigen Art fast schon ein bayerischer Katho-
lik.
»Dank Euch, himmlische Heerscharen!«
Pastor Ambrosius stand mühsam auf, als eine elegante
Dame wieder in das Abteil herein kam, die sich wohl eben
frisch gemacht hatte. Die Dame hatte eine fatale Ähnlich-
keit mit Gerda Golke! Pastor Ambrosius nickte ihr wohl-
wollend, ja äußerst freundlich zu.
259
Statt dessen überkam ihn eine tiefe Ruhe, ein grenzenloser
Frieden, eine sichere Geborgenheit vermischt mit einem
Gefühl universeller Liebe, er hatte so was vorher noch nie
auch nur annähernd verspürt. Nicht zu beschreiben, weit
außerhalb jeder Lebenserfahrung. Das war der Augenblick,
in dem er wußte, auch wenn sein Körper starb, er würde
weiterleben!
Ein süchtig machendes Gefühl, er wollte mehr. Er glaubte
sich nicht bewußtlos oder so, er sah, wie alles heller und
transparenter wurde. Aber er konnte sich, respektive Teile
von sich nicht mehr sehen! Normalerweise sieht man seine
Arme oder Bauch oder Brust immer noch aus den Augen-
winkeln, aber er sah sie nicht! Jedoch sonst war alles klar
und scharf. Die Wände seines Badezimmers wurden, nun
ja, so was wie durchsichtig. Aber hinter den Wänden war es
schwarz oder besser gesagt, gar keine Farbe! Er gab sich
voll diesem süchtig machenden Gefühl dieses einmaligen
Friedens und der echten Liebe von Vielen hin, als er von
Bettchen geschüttelt und in den Arm genommen wurde. Er
saß auf dem geschlossenen Toilettendeckel, und seine erste
Reaktion war Zorn und Frustration! Man hatte ihn bei der
schönsten Erfahrung, bei dem schönsten Gefühl seines
Lebens gestört! Er war wieder in einer Welt, die er nicht
mochte, die er eben überwunden hatte.
Warum Bettchen aufgestanden war und ihn wieder zurück-
geholt hatte, war rätselhaft und nicht erklärbar! Er hatte
jedenfalls seit dieser Nacht keine Furcht mehr vor dem Tod.
Im Gegenteil, Brack erwartete ihn ungeduldig mit offenen
Armen.
Ein paar Tage später fiel es Justus wieder ein, er war schon
mal »tot« gewesen. Er war fünf Jahre alt und hatte Schar-
lach. Mit extrem hohen Fieber. Doch plötzlich waren die
Hitze und der Schüttelfrost fort. Er sah sich aus einer Höhe
von etwa sechs Metern in seinem Bett liegen. Er fühlte sich
pudelwohl, er konnte sich auch bewegen. Das Bett und sein
Körper waren wie in einem Scheinwerferkegel, der nur
etwas ausfranste und dann abrupt endete. Den Rest des
260
Zimmers sah er nicht. Und ihm ging es sehr gut. Sehr, sehr
gut! Das war alles, woran er sich erinnern konnte. Aber da
war noch was. Als Kind war Justus oft krank. Sehr oft. Was
sich so mit 13, 14 gegeben hatte, und er als Erwachsener
danach so gut wie nie krank war. 35 Jahre keinen Arzt zu
sehen, hielt er für einen Segen.
Aber immer wenn er als Kind Fieber hatte, und es ihm
schlecht ging, versuchte er diesen tollen Zustand unbewußt
wieder herbei zu führen, den er als Fünfjähriger erlebt hatte.
Ohne, daß er wußte, warum er diesen Zustand wollte. Wie
stark mußte der Eindruck auf einen Fünfjährigen gewesen
sein!
Sein bewußtes Leben wurde mit 39 grundlegend anders. Er
verplemperte sein Leben nicht mehr mit irgendeiner sinn-
entleerten Arbeit und zeittotschlagenden Beschäftigungen,
keine Vereine mehr, kaum noch Geselligkeiten, kein Blah-
blah und wenig Eitelkeiten, dafür mehr direkte Hilfe für
die, die er kannte, die er mochte, und die ihn brauchten. Er
wurde ehrlicher, offener. Brack wußte, daß jedem Men-
schen, ob alt oder jung, Mann oder Frau, Krüppel oder
Modellathlet, schwarz oder weiß, arm oder reich nur eine
freie Willensentscheidung gegeben war: Gut oder Böse zu
sein! Er hielt sich nicht für einen besseren Menschen als
zum Beispiel sein Nachbar, aber Brack war und wurde
anders! Er wollte weniger böse sein. Und er wußte, daß
andere Dinge im Leben zählten. Nicht Macht und Geld!
Obwohl er genau davon reichlich hatte. Ohne sein willentli-
ches Zutun. Die zwei wichtigsten Ziele im Leben hatte er
nicht erreicht. Er hatte, soweit er wußte, keine Kinder, die
ihn liebten, und er hatte keine ihn liebende Ehefrau. Und er
war einsam, weil er nach dem Tod seiner damaligen zu-
künftigen Ehefrau nicht noch einmal die Verzweiflung und
die hilflose Wut durchmachen wollte. Natürlich informierte
er sich über seine »Tode«, und die ähnlichen Erlebnisse
ebenfalls Betroffener, aber er blieb erstaunlich oberfläch-
lich und desinteressiert dabei.
261
Bis er bei einem zufälligen Besuch in Venedig bei der Sta-
tion San Marco mit dem Wassertaxi anlegte und den Do-
genpalast als ganz normaler Touri besuchte. Der Dogenpa-
last befindet sich inmitten der berühmtesten Sehenswürdig-
keiten Venedigs: Markusplatz, Markuskirche, Markusturm
und Seufzerbrücke.
262
Der Gedanke dahinter, der Brack nun umtrieb, war, daß es
eine einfache Frage geben mußte, die Jeder beantworten
konnte. Dann wäre ein starkes Indiz für eine Trennung von
Körper und Seele gegeben.
Also beschäftigte Brack sich mit dem Schlaf und den
Träumen. Daß der Schlaf zu Regeneration von Geist und
Körper dienen soll, hielt er für platte Propaganda.
Wenn man weiß, wie oft man sich in der Nacht herum
wirft, wie stark man mit den Augen rollt, wie man schwitzt,
wie das Rückgrat vom falschen Liegen her schmerzt, wel-
ches Herzrasen man manchmal beim Erwachen hat, wie
man die Kiefer zusammenpreßt und mit den Zähnen
knirscht, kann wohl von Regeneration nicht ernsthaft die
Rede sein. Von irgendwelchen Albträumen ganz zu
schweigen.
263
Und durch einen Assassinen wollte Brack nicht unbedingt
seine Neugierde schnellstens befriedigt sehen.
Brack freute sich jedesmal wie ein kleines Kind, wenn er
irgendwo was von »Künstlicher Intelligenz« las. Für ihn
wäre natürliche Intelligenz vorrangig gewesen, aber wer
war er schon, um so was zu fordern? Die Amerikaner waren
darin sehr konsequent. Sie brauchten intelligente Bomben,
dafür aber nicht so ganz intelligente Menschen. Und es
gelang spielend!
KI, Künstliche Intelligenz, oder auch AI, wie sollte das
gehen? Was sollte das sein? Wie definieren Menschen
Intelligenz? Problemlösungen! Es sind wohl alle Maßnah-
men und Handlungen, die die gezielte Unversehrtheit und
stärkste Erleichterungen des Daseins eines Menschen zur
Folge haben. Jedenfalls zu 99%.
Ein Computer aber wird niemals Hunger verspüren, und
alles tun, um diesen Zustand abzustellen. Er wird auch nicht
schwächer werden, falls es ihm nicht gelingt. Er wird auch
nicht das angenehme Gefühl der Sättigung erfahren. Und
das Müdewerden nach einer opulenten Mahlzeit. Er wird
nicht den Zwang kennen, zu defäkalieren und zu urinieren.
Die universelle Triebfeder seines Seins wird auch nicht die
Reproduktion sein, das ununterbrochene Überzeugen des
geschlechtlichen Widerparts von der Qualität seiner Gene.
Undundundund… Intelligenz ist also abhängig von Mög-
lichkeiten zur Befriedigung der Bedürfnisse des Körpers!
Also, was für Bedürfnisse hat eine Intel-CPU? Definitiv
nicht die eines Menschen. Und damit ist KI im Ansatz ge-
scheitert!
264
so what? Unser Leben setzt sich eben nicht nur aus mathe-
matischen Formeln zusammen. Und das wird so eine
Blechkiste niemals begreifen. Und Menschen mit einem
starken emotionalen Defizit auch nicht. Man ist immer auf
der Suche nach Formeln, die die Welt erklären! Wenn die
Welt so simpel wäre, daß wir sie erklären könnten, wären
wir so simpel, daß wir es eben nicht könnten. So oder so
ähnlich erklärt’s der Erklärbär. Eine Formel für die Liebe?
Wer will das?
Justus Brack wachte aus seinem Halbschlaf auf und sah aus
dem Fenster. Bald war er in München. Er war gespannt auf
einen Oberst von Haller. Über den niemand Informationen
bekam, den die Baroneß aber so gut kannte, daß sie eine
Verabredung arrangieren konnte. Putzige Sache.
265
Aber das Taxi war in diesem Augenblick losgefahren und
der Fahrer meinte gemütlich: »Herrschaftszeiten nochama-
ol, hier kann i’ gleich gar net nie nicht halten!« Und fuhr
weiter. Und in der anderen Richtung verschwand Gerda
Golke aus Bracks Augen.
Wir bewegen uns auf Bahnen, die wir nicht kennen, dachte
Brack, wir umtanzen einander, wir nähern und wir entfer-
nen uns wieder von einander. Manchmal liegt auch ein
riesiges Hindernis auf unseren Bahnen, das alles durchein-
ander bringt, und uns zu Umwegen zwingt. Und dann trifft
man sich nie wieder. Seltsam.
266
Der Oberst
267
Brack fragte so, wie eben anteilnehmende Bekannte gedan-
kenlos fragen. Der Kranke aber hat todsicher alle Möglich-
keiten geprüft!
»Ich habe Krebs und wünsche dann auch an Krebs zu ster-
ben! Nicht an der vorgeblichen »Kunst« der Medizinkoof-
michs! Außerdem vermute ich, daß es ein Krebsheilmittel
längst gibt. Aber das Geschäft mit dem Krebs ist derartig
riesig, da wünscht sich niemand aus der Gesundheitsindu-
strie ein Heilmittel. Vielleicht die Betroffenen, aber
sonst…?«
Haller lächelte.
»Kommen Sie, wir suchen uns eine Bank. Sie wollen sicher
viel wissen.«
Beide setzen sich unter ihren Regenschirmen auf eine Bank
mit einer beeindruckenden Aussicht.
»Das ist mein Lieblingsplatz. Ist auch schön hier im Re-
gen.«
Von Haller sah Brack an.
»Schmerz ist so eine Sache. Habe immer geglaubt, ich wäre
ein harter Bursche. Aber… Ich war Soldat. Ich war gerne
Soldat. Mein Leben war die Verteidigung der Bundesrepu-
blik! Beschützen! Feinde abwehren. Ich wollte nie etwas
Anderes werden. Können Sie sich vorstellen, daß heute die
Weicheier ihre Familie beschützen würden? Weicheis Kin-
der, die ihm fremd sind, deren Gedanken er nicht kennt und
auch nicht mehr kennen will? Die es ums Verrecken nicht
kapieren, warum ihnen der Alte weder Pferd noch Porsche
hinstellt? Weicheis Frau, die ihn haßt und verachtet, weil er
zu blöd ist, den immer gezeigten mühelosen Reichtum aus
dem Werbefernsehen auch mal für sie zu ergattern? Warum
sollte er denn auch kämpfen? Er hat ja nichts, wofür es sich
lohnt.«
»Man sollte es vielleicht garnicht zum Krieg kommen las-
sen!« warf Brack ein. »Krieg vermeiden ist erfolgreicher.«
Der alte Mann sah ihn verächtlich an.
»Ich hatte gehofft, daß ich eines meiner letzten Gespräche
nicht mit einem Kretin führen müßte. Krieg vermeiden?
268
Sind Sie schon senil? Jetzt, in dieser Sekunde sterben ir-
gendwo Menschen in einem Krieg! Wie viele Kriege haben
wir aktuell auf diesem Planeten? 80? 90? 100? Deutsche
Soldaten befinden sich auf vielen fremden Territorien. Und
sterben ohne Sinn und Verstand. Ich verurteile das auf das
Schärfste! Die Bundeswehr soll Deutschland verteidigen,
aber nicht das Grundgesetz am Hindukusch! Oder die
Mohnfelder da. Damit die CIA unbehelligt das Opium ab-
transportieren kann. Wer immer das mit dem Hindukusch
gesagt hat, wäre bei einem IQ-Punkt weniger eine Pflanze!
Und? Wo ist denn da Ihr Vermeiden?«
Brack war irritiert und erstaunt. Auf was für Gebieten be-
wegten sie sich in diesem für ihn wichtigen Gespräch? Er
beschloß zu provozieren.
»Das sind auch UNO-Friedensmissionen!«
»Krieg führen für den Frieden? Warum dann nicht vögeln
für Jungfräulichkeit? Sie müssen sich mal Ihre Birne spie-
geln lassen! Verzeihen Sie meine Ausdrucksweise. Aber
Dummheit regt mich auf. Sie müssen die mistige Propagan-
da aus Ihrem konditionierten Gehirn ausblenden! Wir sind
in fremden Ländern, weil wir etwas haben wollen. Es gab
keinen Tag in der Menschheitsgeschichte ohne Krieg. Es ist
immer das Gleiche. Der Eine hat was, was der Andere ha-
ben will. Und wenn er sich stärker glaubt, na, dann nimmt
er es sich! Das will der Andere nicht zulassen, wehrt sich,
und Sie haben Ihren Krieg. Nicht daß wir uns mißverstehen,
junger Mann, kein Krieg ist eine prachtvolle Idee! Aber
unsere Tünche der »Zivilisation« ist dünn. Viel zu dünn!
Hat nichts mit der Realität und unseren Instinkten zu tun.
Der Sieger hat immer recht, und der Verlierer ist Sklave.
Bis es von Neuem losgeht. Aber darüber wollte ich garnicht
reden… Also, in media res! Wußten Sie, daß die höchste
Produktion von Waffen aller Art in Deutschland erst im
Dezember 1944 erreicht wurde? Kurz vor Kriegsende?«
»Bitte verschonen Sie mich mit alten Nazigeschichten!«
»Das ist keine Nazigeschichte, es fängt da nur an. Bitte
sehr! Sie können gerne wie alle Deutschen die Zeit von
269
1933 bis 1945 einfach ausblenden. 32 geht nahtlos in 46
über. Toll! Ohne Großeltern und Urgroßeltern. Super Idee!
Nützt nur nichts. Unser Gegenwartsleben basiert auf dieser
Zeit. Sie können sich auch von profilierungssüchtigen Pro-
paganda-Professoren im Buntfernsehen vollsülzen lassen.
Ist auch keine Lösung… Werden Sie nicht schlauer von. Im
Gegentum! Sie kennen doch diese dummerhaftigen »Ge-
schichtsserien«? »Hitler und die Goldhamster« oder »Hitler
und das Blumengebinde«!
Sie suchen also Nazis? Wo versteckt man einen Baum? Im
Wald! Und einen lupenreinen Brillanten? In einer Flasche
Wasser! Und wo verstecken sich Nazis? Unter Demokraten
oder unter denen, die sich dafür halten. Und wie sorgen die
Nazis dafür, daß man sie nicht findet? Man baut einen Po-
panz auf. Neonazis! Alle schlagen auf die Schlagetots ein,
Gesetze werden extra deretwegen erlassen, man unterwan-
dert sie mit Polizei und Geheimdiensten, und was findet
man? Blöde Glatzen! Während die echten Nazis Deutsch-
land umbauen. Ein Reichsarbeitsdienst ist durch »demokra-
tische« Zwangsarbeit schon weit übertroffen worden. Aber
das interessiert doch keine Sau. Sind ja alles super Demo-
kraten. Egal.
Aber weiter. All die versprochenen Wunderwaffen existier-
ten! Auf dem Papier und in der Erprobung. Man hatte nur
keine Zeit mehr. Deutschland wollte Amerika mit Atom-
bomben durch Raketen angreifen. Die V3 und V4 wurden
bereits gebaut und erprobt. Das waren mehrstufige Exem-
plare! Tausende Menschen haben die Dinger über Norwe-
gen wegfliegen sehen.«
»Was soll das hier werden, Oberst? Eine Märchenstunde?«
Brack echauffierte sich. »Das ist doch alles tausend Mal
von Journalisten und Historikern widerlegt worden!«
»Ach wissen Sie, Napoléon Bonaparte sagte: »Geschichte
ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat.« Was Caesar in
»De Bello Gallico« so für faustdicke Lügen über die Gallier
und Germanen erzählt, ist zum Haare ausraufen. Daran hat
sich bis heute nichts geändert!
270
Es gibt zwei Sorten von Schreiberlingen. Die einen decken
auf, die anderen decken zu. Letztere verdienen doppelt.
Wissen Sie, daß bei einem ehemals berühmten, jetzt nur
noch berüchtigten Nachrichtenmagazin die Journalisten
eine Klausel unterschreiben müssen, nichts Negatives über
zwei ausgesuchte befreundete Folterstaaten zu schreiben?
Und über die kriminelle deutsche Wirtschaft sowieso nicht.
Es ist doch schön zu wissen, daß es in machen Ländern gar
keine Schweinereien und Gangster gibt, nicht wahr? Ich
Dummerchen dachte, Sauereien und Verbrechen gäbe es
überall. Wie schön, daß in diesen Ländern Soldaten auch
keine Kinder im überfallenen Ausland ermorden. Man
sollte sie trotzdem nicht als Vorbild nehmen. Da ist mir die
europäische Kultur mit all ihren Fehlern lieber. Das ist
wenigstens Eine!
Zurück zum Thema. Das letzte U-Boot, U 234, aus
Deutschland auf dem Weg nach Japan, hatte eine komplett
zerlegte Me 262 an Bord. Das war der erste serienmäßig
produzierte Düsenjäger der Welt. Eine halbe Tonne Uran-
oxid, wahrscheinlicher aber richtiges waffenfähiges ange-
reichertes Uran. Konstruktionspläne von weiteren Wun-
derwaffen.
1947 präsentierte Kalaschnikow ein Sturmgewehr, das 1949
eingeführt wurde. Die berühmte Kalaschnikow begründete
den guten Ruf sowjetischer Waffen. Lächerlich! In Ka-
laschnikows Konstruktionsbüro arbeiteten bis in die 50er
Jahre zahlreiche in die UdSSR verschleppte deutsche
Zwangsarbeiter, darunter der Konstrukteur Hugo Schmeis-
ser, der das Sturmgewehr 44 erfand. Und die Kalaschnikow
ist dem Sturmgewehr 44 wie aus dem Gesicht geschnitten!
Alles erlogen? Meinetwegen. Bei der Kapitulation ergab
sich also der Kapitän des U 234 am 14. Mai 1945 östlich
des Flemish Cap dem amerikanischen Geleitzerstörer USS
Sutton.
Den Amerikanern fiel die Zukunft in die Hand. Einfach so!
Unsere Zukunft. Unsere jetzige Gegenwart. Der Preis für
das Verbrechen eines verlorenen Krieges! Deutsches Mate-
271
rial und deutsche Konstruktionspläne haben die Bombe von
Hiroshima erst möglich gemacht.«
»Quatsch!«
»Wie Sie meinen. Informieren Sie sich bitte mal unter den
Stichworten »4. März 1945« und »Jonastal« und »Kurt
Diebner« und »Karl Wilhelm Ohnesorge« und endlos viele
mehr. Auch der Dr. Ing. Hans Kammler spielt da eine wich-
tige Rolle mit. Die erste amerikanische Atombombe war für
Berlin gedacht. Da hatten wir wohl »Glück«, daß die Rus-
sen schneller waren.
Jedenfalls, die ersten amerikanischen Atom-U-Boote hatten
die gleiche Konstruktion wie das U 234! Eine wunderbare
deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Egal! Das ist doch
hier auch völlig egal! Das soll doch nur die Vorgeschichte
sein! Um Sie auf das für Sie Unglaubliche vorzubereiten.
Sie müssen mir doch aber nichts glauben!«
Brack schwirrte der Kopf. War er auf einen totalen Spinner
hereingefallen? Was redete der? Ein Heroinsüchtiger. Voll
auf dem Trip. Was hatte das mit seinem Fall zu tun? Als ob
er hellsehen konnte, ließ der Oberst die Katze aus dem
Sack.
»Für Sie, Herr Brack, kürze ich es ab. Deutschland hatte bei
Kriegsende vier einsatzfähige Atomsprengsätze, die die
Alliierten nicht fanden… Nein, damit hätte Deutschland
den Krieg auch nicht mehr gewonnen. Im Gegenteil.
Dann wäre der Morgenthau-Plan todsicher umgesetzt wor-
den. Es war alles zu spät! Die Atomwaffen waren auch
mehr nur Atomgranaten mit nur 120 g Kernsprengstoff auf
Lithiumbasis, die aber durch einen Trick die kritische Mas-
se überschreiten können. Wir Deutschen behielten sie!«
Brack wirkte wie vom Donner gerührt! Er hatte so viele
Bücher gelesen, in denen man ihm haarklein nachwies, daß
die Deutschen so was garnicht konnten! Daß nur die USA
mit den emigrierten Wissenschaftlern dazu in der Lage
waren. Daß es keine Unterlagen über die deutsche Atom-
bombe gab. Und daß genau das der Beweis für ihre Nicht-
existenz war. Alles Andere wäre Lüge.
272
»Ja, Deutschland war seit März 1945 Atommacht. Und ist
es bis heute!«
»Aber der Atomwaffensperrvertrag! Deutsche Politiker
hätten den doch niemals unterschrieben…«
»Politiker!« Von Haller spuckte das Wort förmlich aus. Er
malte mit dem Schuh Wellenlinien in den Matsch zu ihren
Füssen. Dann strich er wieder alles glatt.
Der Oberst setzte neu an.
»Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß wir eine so wichtige
Sache grenzdebilen Kriminellen anvertrauen würden! Völ-
lig gleichgültig von welcher Partei. Politiker verkaufen ihre
Großmutter für süße Brause. Politiker kämpfen ausdauernd
für ihre eigenen Interessen, aber niemals für die Interessen
der Nation oder gar des Volkes!«
»Und was wollen Sie und Ihre Leute mit Atomwaffen? Das
Vierte Reich errichten?«
Von Haller lachte meckernd. »60 Jahre Dauerpropaganda
wirken einfach bei Jedem! Auch bei Ihnen! Wir haben mit
den Nazis nichts am Hut. Aber auch rein garnichts. Einige
von uns saßen vielleicht im KZ! Ist aber gleichgültig, spielt
für Keinen eine Rolle. Die Nazis waren doch auch nur
Dreckspolitiker. Nur von einer anderen Partei. HÖREN SIE
GEFÄLLIGST ZU! Wir sind nur ein paar Leutchen, zirka
20 Wächter von rund 15 deutschen Atomwaffen. Keine
Nazis, keine Volkskammerabgeordneten, keine Bundespoli-
tiker, nur idiotische Idealisten.«
»Vorhin waren es vier Atombomben, nun 15. Sie wider-
sprechen sich, Herr Oberst!«
»Die Geschichte geht noch etwas weiter. Für unsere Gruppe
ist die Alles-gelogen-und-kann-es-nicht-geben-Propaganda
ein Segen! Was es nicht gibt, sucht man nicht! Weiter! Man
brachte die Atomwaffen 1945 ins Allgäu, wo sie 10 Jahre
unter dem Estrich einer Scheune lagen. Mit dem Aufbau
der Bundeswehr und der Volksarmee wurde die Sache
kompliziert und unsere zurückgehaltenen Bomben zu einem
echten Glücksfall. Denn in den ersten Jahren der Bundesre-
publik Deutschland erfuhren wir, was sich die Amerikaner
273
und die Russen für ihren Kriegsfall ausgedacht hatten. Um
ihr Mutterland zu schützen, vereinbarten die USA und die
Sowjetunion Schonung ihrer eigenen Länder. Nach dem
Motto »Greifst Du mich nicht an, greif ich Dich nicht an«
sollte dafür Gesamtdeutschland zu einem Schlachtfeld
werden.
Zu einem atomaren Schlachtfeld! Wissen Sie, was das be-
deutet hätte? Wir beide würden hier nicht mehr sitzen.
Niemand würde mehr in Deutschland sitzen! Ganz
Deutschland wäre zu einem strahlenden Vorhang gewor-
den! Kraterlandschaft! Wenn man solche »Freunde« hat, ist
man über jeden Feind froh!«
»Das ist aber nicht so gekommen.«
»Nun fragen Sie sich doch mal, warum nicht! Kriegswütig
waren die USA und die Sowjetunion schon immer. Die
USA heute noch. Rußland bald wieder! Nein, beim Aufbau
der Bundeswehr und der Volksarmee mußten die Sieger-
mächte zwangsläufig auf Offiziere Hitlers zurückgreifen.
Und die kannten sich doch untereinander! Na, und in den
vergangenen 10 Jahren war man ein guter Demokrat oder
Sozialist geworden. Ganz nach Belieben! Aber man blieb
Deutscher. Man traf sich privat und in Zivil in Schweden
oder der Schweiz. Und plauderte. Und vereinbarte. Sogar
für Ulbricht und Honecker war die Vorstellung nicht zu
ertragen, Atompilze auf dem Boden der DDR sprießen zu
sehen. Für Adenauer wohl schon eher. Dessen Deutschland
bestand aus Köln und Umgebung! Die Russen haben ihren
Waffenbrüdern aus der Volksarmee nie, aber auch nie über
den Weg getraut.
Warum nicht? Weil bei den Russen sieben Atombomben
spurlos verschwanden! Spurlos! Bei den Amerikanern ver-
schwanden drei. Es wurden Attrappen gefunden, sonst
nichts! Die GIs sahen in der Bundeswehr nur Schlapp-
schwänze und Drückeberger. Kunststück, denen war
Deutschland ja auch völlig gleichgültig. Kalifornien oder
Washington als atomares Schlachtfeld, und die GIs hätten
auch anders gedacht… Im Falle eines Krieges hatten beide
274
deutschen Seiten vereinbart, inoffiziell, versteht sich, daß
die Bundeswehr Ramstein mit einer Atomwaffe auslöscht,
die Volksarmee die Russen mit einer Atomwaffe in Karls-
horst. Der Krieg wäre zu Ende gewesen oder in die USA
und die Sowjetunion getragen worden.«
Brack fragte leise: »Und das soll ich glauben?«
»Das ist mir herzlich egal, mein lieber Brack!«
Oberst von Haller sah ihn freundlich an.
»Sie veranstalten hier einen Riesenzirkus, weil der Eilers ja
unbedingt plaudern mußte mit seinen stockkatholischen
Schuldgefühlen. Und die Gruppe muß handeln. Ich liefere
Ihnen nun die Gründe. Ob Sie mir glauben? Gott, ist das
uninteressant! Glauben Sie, oder glauben Sie nicht, Sie
werden nichts jemals beweisen können.«
»Sie erzählen mir hier die wildeste Geschichte, die ich je
gehört habe. Und Sie reden jetzt von 15 anstatt 14 Atom-
waffen, falls ich noch bis 14 zählen kann… Warum gibt es
Sie als Gruppe noch? Die Russen und Amerikaner sind
weg, und Deutschland ist wieder vereinigt.«
»Wir besitzen noch einige Basiskonstruktionen, die wir als
eine Waffe zählen. Ja, die Russen sind weg. Die Amerika-
ner aber nicht! Die Amerikaner sitzen fester im Sattel denn
je.
Deutschland mußte bei der Wiedervereinigung lustige Kne-
belverträge unterschreiben! Mit unseren »Freunden«! Und
»Wiedervereinigung«? Womit? Mit allen Teilen Deutsch-
lands? Teilvereinigung! Da hat man ja wohl Einiges ver-
gessen! Rußland und Weißrußland und die Ukraine geben
polnisches Gebiet nicht wieder her, Polen deutsches
nicht…und so weiter. Jaja, Wiedergeben ist nicht so nett
wie Stehlen. Wir hätten gerüchteweise auch Ostpreußen,
Kaliningrad oder besser Königsberg wiederbekommen
können. Aber da waren unsere tollen westlichen »Freunde«
dagegen. Na vorbei. Kommt irgendwann mal wieder! Die
Geschichte wiederholt sich endlos, weil niemand lernen
will.
275
Und Thema Wiedervereinigung: Für zirka 20 Millionen
Deutsche wäre heutzutage eine umgekehrte Wiedervereini-
gung besser als ihr Leben jetzt! Auch wenn der Kommu-
nismus vordergründig verloren hat, ist es immerhin doch
sehr zweifelhaft, ob der Kapitalismus denn auch gewonnen
hat! Todsicher hat er auch verloren, denn Kommunismus
und Kapitalismus sind untrennbare Siamesische Zwillinge.
Stirbt der Eine, folgt ihm der Andere nur etwas später an
Leichenvergiftung nach. Ich halte die Wiedervereinigung
und den Rückzug und die Abkehr der Sowjetunion vom
Kommunismus für einen genialen Trick des KGB! Da sit-
zen sehr schlaue Leute! Ihre Verwandtschaft sitzt in den
USA in den großen Thinktanks und versucht die Welt zu
vergewaltigen. Ist aber ein anderes Thema.
Was hat die Sowjetunion denn schon aufgegeben außer
Ländern, die ihr sowieso nicht gehörten? Nichts. Im Gegen-
teil, heute bekommt sie auf Kredit dafür endlich die mo-
dernsten westlichen Technologien, die ihr ansonsten ver-
wehrt geblieben wären. Ihre Wirtschaft, ihre Infrastruktur
wird mit ausländischen Geldern modernisiert. Die Sowjet-
union hat nur gewonnen.
Der Westen aber reitet sich immer tiefer in ausweglose
Situationen. Er wird immer diktatorischer, faschistischer,
kriegslüsterner. Und plötzlich ist der Sozialismus für den
Großteil der Bevölkerungen wieder eine richtige Alternati-
ve. Bolivien, Venezuela, Kolumbien und so weiter. Aber
auch hier in Europa und auch in Deutschland. Überlegen sie
mal. So schlecht, wie es heute in der BRD Millionen Kin-
dern geht, ging es den Kindern in der DDR nie. So schlecht,
wie es heute in der BRD Millionen Rentnern geht, ging es
den Rentnern in der DDR nie. Arbeitslosigkeit war in der
DDR kein Thema, es bestand ein Recht auf Arbeit. Und der
beliebte flüchtige Eindruck von Freiheit?
20 Millionen Arme möchten in diesem unserem Lande auch
gerne nach Italien oder Mallorca reisen! Können sie es?
Nein? Was haben sie also von der Pseudofreiheit? Nichts!
276
Vor 30.000 Jahren haben unsere Vorfahren ca. 30 Stunden
die Woche gearbeitet. Für sich! Nicht für »Arbeitgeber«!
Sie hatten unverseuchtes Wasser, saubere Luft und gesunde
Nahrung. In ihrer Freizeit fertigten sie prachtvolle Höhlen-
malereien.
Und wir? Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen, mit
Geld, das wir nicht haben, um Menschen zu beeindrucken,
die wir nicht leiden können! Ist das der Fortschritt? Unver-
seuchtes Wasser, saubere Luft und gesunde Nahrung einge-
tauscht gegen Buntfernsehen, Autos und Digitaluhr und
Fußball. Sind wir noch ganz dicht?
Was hatten wir damals nach dem Krieg alles vor! Ein bes-
seres Deutschland wollten wir haben. Ohne Krieg, weltof-
fen und gastlich. Und was haben wir erreicht? Angriffskrieg
auf dem Balkan, deutsche Soldaten in aller Welt, Krämer-
seelen und Pfandleihermentalität, wo man hinsieht. Unsere
Gastlichkeit wird verhöhnt, wir haben in unserem eigenen
Land nichts mehr zu sagen. Moslems hier dürfen ungestraft
und ungesühnt tagtäglich gegen deutsche Gesetze versto-
ßen.
Fast die Hälfte unserer Verbrecher sind Ausländer, und wir
sollen die Schnauze halten. Das ist zwar mein Land! Aber
nicht mehr mein Staat! WIR HABEN VERSAGT! Versagt
auch im Wehren gegen die unscheinbare Bespitzelung.
Nicht nur die Arbeitsagentur, nicht nur die GEZ, nicht nur
das Finanzamt, nicht nur die SCHUFA, Dutzende von Stel-
len sorgen in Deutschland für den Überwachungsstaat.«
Von Haller rang nach Luft. Dann ging es wieder.
»In der DDR hatten die Kranken wenigstens eine umfas-
sende medizinische Versorgung. Sie mußten nicht Eintritts-
geld bei den Medizinkoofmichs entrichten. Doch, sicher,
die DDR wäre heute eine echte Alternative zur BRD. We-
nigstens für 20 Millionen Bürger. Ist das nicht ein Trauer-
spiel? Unglaublich! Wir haben alles verzockt, was wir hat-
ten. Und noch mehr. Zusätzlich geht die Bundesrepublik
innenpolitisch mit Riesenschritten Richtung Überwa-
chungsstaat und Diktatur. Aber das werden wir nicht dul-
277
den. Wirklich nicht. Auf keinem Fall! Notfalls verdamp-
fen wir den Bundestag!«
Schwer atmend hielt Haller wieder inne.
»Unsere Verfassung wird zuverlässig eine Diktatur verhin-
dern«, warf Brack ein.
»Stille Einfalt! Erstens haben wir keine Verfassung, son-
dern ein Grundgesetz, das erst durch einen Volksentscheid
aller Deutschen zu einer Verfassung werden würde. Da
müßte ich aber Einiges versäumt haben. Zweitens unter-
schreibe ich gerne das Grundgesetz unserer Gründungsvä-
ter, aber doch nicht den pervertierten Mist von heute!
Das Grundgesetz ist derartig beliebig geworden, daß vor-
geblich aufrechte und nicht so ganz aufrechte Demokraten
das Grundgesetz, unser Grundgesetz nur wegen einer Dep-
pen-Sportveranstaltung mal wieder ändern wollen!«
»Ja, um die Bundesrepublik vor Terroristen zu schützen!«
»Ach ja? Ist das so? Wenn es die lieben Terroristen nicht
gäbe, man müßte sie glatt erfinden, so nützlich sind die!
Aufwachen! Hirn einschalten! Selbstverständlich war das
nur ein vorgeschobener Grund! Für wen sind denn »siche-
re« biometrische Pässe? Für Terroristen? Nein, für die bra-
ven Bundesbürger. Um sie zu überwachen. Ich sehe, Sie
rauchen. Bieten Sie mir mal eine an.«
Brack gab ihm Feuer.
»Danke. So«, sagte der Oberst und hustete nach einem
tiefen Zug, »jetzt kämpfen wir beide gerade gegen den
internationalen Terrorismus.«
Brack verstand nichts mehr.
»Wie bitte?«
»Hehehe, die Tabaksteuer wurde von einem Haufen klini-
scher Idioten erhöht, mit der expliziten Begründung, daß
das Geld zum Kampf gegen Terroristen ausgegeben würde.
Terroristenbekämpfung! Telephonüberwachung, Handy-
überwachung, Internetüberwachung, Vorratsdatenspeiche-
rung, Kontenüberwachung! Gedankenkontrolle! Wegen
Terroristen? Von unserer Bevölkerung von 80 Millionen
sind 68 Millionen Deutsche. Also, wen betrifft denn nun die
278
Überwachung? Man sagt ja, daß die Terroristen immer und
nur Moslems seien. Na, meinetwegen. Dann soll man den 4
bis 5 Millionen Moslems in Deutschland das Gleiche sagen,
wie es ein baden-württembergischer Politiker locker formu-
liert hat: »Hier ischt die Fahrkart!« Die können wirklich
kein Hochdeutsch. Egal, sagt man aber nicht, weil es nicht
um die Moslems, sondern um die Deutschen geht, die man
unter der Knute halten möchte. Die strunzdoofe Politiker-
kaste und selbsternannte Elite hat Angst. Ganz ordinären
Schiß! Sie fürchten irgendwann ein 1789. Oder daß für sie
wieder irgendwo ein Kofferraum bereitsteht. Sie treten den
Haß los und denken, sie kommen unbeschadet damit durch.
Und sie werden bedenkenlos die Bundeswehr, meine Bun-
deswehr, auf ihre Mütter, Väter, Brüder und Schwestern
hetzen und schießen lassen, um ihr eigenes erbärmliches
Leben vor dem Aufknüpfen zu retten.
Das ist das Land, in dem Sie leben!
In dem die Dummheit, die Feigheit und der Verrat zur
Staatskunst erhoben worden sind. In dem miesen kleinen
ungebildeten Spießbürgern Macht auf Zeit verliehen wird,
und die genau wie jeder Emporkömmling diese Macht wüst
ausleben. … In dem Berufsverräter für die Siegermächte
die Beine spreizen und die Bevölkerung verschachern!«
Der Oberst beruhigte sich. Nach einer Weile fing er wieder
an zu sprechen:
279
seiner Zeit ein hochsozialer Mensch, der sich um seine
Mitarbeiter persönlich kümmerte und ihnen Häuschen mit
Garten baute. Ein Vorstandsvorsitzender einer deutschen
Bank fällt bei so einer Idee vor Lachen kreischend in die
Ecke!«
»Der Staat kann doch nun wirklich der Wirtschaft keine
Moral oder ein spezielles soziales Verhalten vorschreiben!«
Brack schüttelte den Kopf.
»Aber warum denn nicht? Der Staat schreibt auch seinen
Arbeitslosen eine »Moral« vor! Arbeit für nichts. Sklaven-
arbeit für die Gemeinschaft! Damit die Nocharbeitsplatzbe-
sitzer sich ducken. Kopfarbeiter auf die Felder zur Ernte
abkommandiert! Können auch gerne bei der Zwangsarbeit
sterben. Gibt es alles! Gab es schon! Es läuft etwas schwer
aus dem Ruder. Die Balance ist gestört. Auf der einen Seite
die Freiheit des Individuums, auf der anderen der Staat mit
seinen Regularien zum Zusammenleben in einer Gemein-
schaft. Der Staat mißtraut seinen Bürgern und zieht die
Schraube der Kontrolle immer stärker an. Weil nicht alle
seine Jubelpropaganda mitmachen, wird er immer mißtraui-
scher. Der Witz an der Sache ist jedoch, daß zwar die mut-
maßlich staatsgefährdenden Elemente aus dem Ausland
kommen, der Staat aber nichts dagegen unternehmen kann
oder will. Also drangsaliert er seine Bürger. Das geht nicht
gut! Wir werden keine neue Diktatur in Deutschland dul-
den. Verbindlich nicht!«
»Warum verraten Sie Ihre Gruppe? Wir wissen doch jetzt,
wonach wir suchen müssen.«
280
»Wir könnten Sie unter Drogen setzen, und Sie würden
plaudern.«
»Mich unter Drogen setzen?«
Haller schien von der Idee angetan zu sein.
»Aber gerne. Dann brauche ich meinen sympathischen
Dealer nicht mehr! Hören Sie, Brack. Wir schützen uns
nach einem Mafiaprinzip. Mafia, nicht Mafifa! Wir haben
einen Primus inter pares plus vier Stellvertreter, die die
anderen kennen. Die anderen kennen nur den Primus und
sein Kennwort.
Mit spätestens 60 Jahren gibt jeder von uns dem Wächter
vier Vorschläge für einen Nachfolger. Einen der Vier wählt
er aus, wir wissen aber nicht welchen. Wir sind dann aus
der Gruppe raus. Die Neuen verlagern die Waffen, wohin,
erfahren wir nicht mehr. Ich könnte Ihnen vier Namen von
vor 12 Jahren erzählen, aber nicht mehr!«
»Wir brauchen uns doch nur auf die Bundeswehr zu kon-
zentrieren. Da kriegen wir schon einiges raus.«
»Hahaha, Sie denken viel zu schlicht, Brack! Ihr Niveau ist
viel zu tief, Brack! Wie ein Polizist! Sicher, es dürften zwei
bis vier Soldaten der Bundeswehr dabei sein. Aber doch
nicht alle! Der Rest, mein Lieber, besteht aus ganz norma-
len Bürgern. Männer und Frauen, denen das reine Wohler-
gehen und die pure Existenz Deutschlands am Herzen lie-
gen und nicht das Ausplündern, das Verraten und Verkau-
fen Deutschlands. Die ihr persönliches Vermögen und
Wohlergehen für die Gruppe einsetzen! Die keinen persön-
lichen Vorteil aus ihrem Engagement für Deutschland zie-
hen. Und wir verlassen uns eben nicht auf Politiker, Gerich-
te und Medien.«
Brack betrachtete nachdenklich den alten Herrn. War das
die Wahrheit? Er wußte es nicht. Nein, unmöglich.
»So etwas gibt es heute nicht mehr. Ich glaube Ihnen
nicht!«
»Sehen Sie? Sie räumen ein, daß es so was mal gab. Aber
aus unserem Leben und unserem Volke verschwunden ist.
Sind Sie sicher? Nur weil unsere Meinungsmedien darüber
281
nicht berichten, heißt das noch lange nicht, daß es das nicht
gibt!
Unsere Meinungsmedien bevorzugen die Bevölkerung mit
Nachrichten über die Farbe der Verdauung einer Prostitu-
ierten zu beglücken, die mit einem adoptierten Prinzen liiert
ist. Oder unappetitliche Details aus einer Besenkammer.
Oder über das sterbenslangweilige Leben von jemanden,
der sich hochstaplerisch als Sänger und Komponist ausgibt.
Wir werden seit Jahren mit Nullmeldungen zugemüllt, daß
wir Wichtiges nicht mehr von Unwichtigem unterscheiden
können. Dauerwerbesendungen mit Sabine Christ, Maybritt
Ill, Reinhold Beck, Sandra Maisch, Johannes Kern oder
Heiner Brem zappe ich so schnell weg, daß ich deren volle
Namen überhaupt nicht kenne! Da wird die Mantra des
Manchester-Kapitalismus gesungen! Sie kennen doch die
formelhaften Wortfolgen, die oft auch noch repetativ rezi-
tiert werden. »Die Renten sind sicher« oder »Die Lohnne-
benkosten müssen gesenkt werden«. »Die Löhne sind zu
hoch« und welcher Mist auch sonst verzapft wird.
Sollte es noch einen seriösen Journalisten in Deutschland
geben, wo protestiert der gegen die Verunglimpfung seines
Berufsstandes? Was ist aus all den Journalisten geworden,
welche die monströsen Sauereien in der Politik aufdeckten?
Vor denen die Politiker solche Angst hatten, daß sie sie
gesetzeswidrig in den Knast brachten und damit eine APO
lostraten? Wo sind die alle? Auf der Sonnenseite des Le-
bens! Gekauft, bezahlt, benutzt! Schönschreiber, die für
jeden die Beine breitmachen, der sie kauft. Medienstricher
eben!
Bei den oben Genannten treten Bauchredner der verschie-
denen Parteien auf, die aber alle einem Verein angehören.
INSM! Kennen Sie nicht? Seien Sie froh. Deren Motto
scheint zu sein:
»Wie klopfen wir Deutschland auf das Niveau des
Tschads!« Und sie sind unglaublich erfolgreich. Kein
Wunder, wenn alle Parteien Mitglieder in diesem Verein
sind. Politiker lieben erfolgreiche Arbeit. Bewundern sie,
282
weil sie es selbst nicht können. Oder: »Du bist Deutsch-
land«. Ein von den Nazis geklauter und adoptierter Werbe-
spruch. Im Original: »Sie sind Deutschland!« Daß die Nazis
wenigstens höflicher waren mit dem »Sie«, nur so am Ran-
de. Schöner wäre der Spruch:
»DU BIST DFUTSCHLAND«. Das wäre endlich die
Wahrheit.
Aber da sieht man doch, welches Geistes Kind diese Leute
sind, und was sie wollen! Und wie unsäglich primitiv an-
biedernd.«
Haller holte tief Luft. Er mußte sich auf das Wesentliche
konzentrieren. Aber es war doch so viel!
283
Wir folgen dem internationalen Trend der moralischen
Verlotterung. Der ethischen Legasthenie. Der Verherrli-
chung des Schweinseins.
Zu Ihrem Glauben oder Nichtglauben. Hätten Sie es vor 10
Jahren für möglich gehalten, daß es heute wieder Zwangs-
arbeit in Deutschland gibt? Hätten Sie es vor 10 Jahren für
möglich gehalten, daß es heute zweierlei Recht in Deutsch-
land gibt? Eins für die reiche Bevölkerung, ein eingedampf-
tes und kastriertes für die Arbeitslosen und Armen. Hätten
Sie es vor 10 Jahren für möglich gehalten, daß die Reichen
um jährlich 60 Milliarden Euros entlastet werden, das Fuß-
volk aber eben wegen der angeblich schlechten Kassenlage
ausgepreßt wird? Hätten Sie es vor 10 Jahren für möglich
gehalten, daß der produktiven Bevölkerung alles wegge-
nommen wird, den staatsdienernden Beamten aber nichts?
Daß diese im Schnitt eine doppelt so hohe Pension bekom-
men als die Rentner Rente? Und daß der Staat alleine des-
wegen in 15 Jahren pleite ist? Weil niemand weiß, wie die
Pensionen und Beamtenvergütungen zu bezahlen sind?
Hätten Sie es vor 10 Jahren für möglich gehalten, daß heute
wieder Folter als »Wahrheitsfindungsmöglichkeit« in
Deutschland ernsthaft diskutiert wird? Mit herzlichen Grü-
ßen Ihrer reformierten GESTAPO? Hätten Sie es vor 10
Jahren für möglich gehalten, daß es heute über 2,5 Millio-
nen Kinder in Deutschland gibt, die offiziell bitter arm sind?
Verdoppelt seit 2004, also in einem Jahr? Und Hunderttau-
sende Kinder in Deutschland, die tagtäglich hungern? Daß
eine Million pflegebedürftige hilflose Alte hungern und
dursten müssen? Daß Kenia Entwicklungshilfe nach Berlin
schickte? SIE MÜSSEN MAL WAS ANDERES ALS DIE
VIERBUCHSTABENZEITUNG LESEN!«
Haller atmete schwer.
»Tut mir leid, aber ich ertrage soviel Ignoranz einfach
nicht. Mein Deutschland gibt es nicht mehr, und auf das
neue Deutschland bin ich nicht neugierig.«
Brack war hin und hergerissen. Was der Oberst sagte, war
ohne Zweifel ehrlich gemeint. Aber war es auch wahr?
284
»Ich sehe, Sie möchten jetzt nachdenken. Tun Sie das!
Schalten Sie Ihr Kriminalistenhirn aus und Ihr normales
ein. Wägen Sie ab. Und kommen Sie zu einem Ergebnis.
Ich bleibe noch etwas hier. Es ist sehr schön hier, trotz des
Regens.«
Haller reicht Brack die Hand.
»Leben Sie wohl.«
Brack sah den Oberst lange nachdenklich an, nickte ihm
noch mal zu und entfernte sich dann durch den Regen. In
seinem Kopf herrschte das totale Chaos. Hinter ihm ertönte
gedämpft ein Schuß. Brack mußte sich nicht umdrehen.
Auf seiner Fahrt von München nach Bonn rief Brack Kalle
an.
»Hallo Kalle, wir können einpacken, es ist vorbei!«
»Hrrrrrch, hast Du den Fall gelöst, hrrrrrch, Justus?«
»Nein, nicht richtig. Aber es ist aus. Auch besteht keine
Gefahr mehr, glaube ich. Wir treffen uns in einer Woche
bei mir in Hannover. Reden von alten Zeiten. Dann rechnen
wir auch Eure Auslagen ab.«
»Hrrrrrch, quatsch nicht rum, Justus. So wie jetzt habe ich
mich schon lange nicht mehr amüsiert. Und Horstchen,
hrrrrrch, hat deinetwegen das Glück seines Lebens gefun-
den, hrrrrrch.«
»Gib mir mal Ruud oder Schunck. Bis nächste Woche.
Tschüß Kalle!«
»Hrrrrrch, mach’s gut, Justus!«
Brack informierte Ruud kurz über den Oberst.
»Wir treffen uns heute abend in Schuncks Laube. Da müs-
sen wir die Geschichte zu Ende bringen. Bis dann.«
285
Brack mußte Hade berichten. Von einem totalen Mißerfolg.
Von einem Gegner, den es unbekannter Weise wohl gab,
und der cleverer war als er.
Man muß wissen, wann man verloren hat. Brack döste
wieder ein. Er wußte es.
286
Die Niederlage
288
Videos sind seit vielen Jahren verschwunden! Es gibt nur
noch schlechte Kopien. Ich habe keine Ahnung, was die
Wahrheit ist, aber, was man mir unterjubeln will, ist ver-
bindlich nicht die Wahrheit! »9/11«! Ich hätte zu gerne die
Flugschreiber gehört, vom Twin-Tower-Einschlag und dem
im Pentagon. Gucke da, alles kaputt! Aber eine deutsche
Firma hat handelsübliche Festplatten von PCs aus den
Stockwerken wiederhergestellt, in die die Flugzeuge hin-
einkrachten. Warum nimmt man nicht anstatt Flugschrei-
bern Festplatten? Die scheinen doch viel robuster? Ich habe
keine Ahnung, was die Wahrheit ist, aber, was man mir
unterjubeln will, ist verbindlich nicht die Wahrheit!
Mein lieber Kokoschinski, werden wir verarscht!
Irak-Krieg! Mit Powerpoint für Doofe im Sicherheitsrat
gelogen und haarklein bewiesen, was für weltzerstörende
Waffen Saddam hatte. Du hast alles geglaubt!
Herrhausen und Rohwedder, da gab es noch keine »Terrori-
sten«, wie es sie heute in willkommenen Massen gibt! Also
hat man ganz zufällig RAF-Schreiben gefunden! Ich habe
keine Ahnung, was die Wahrheit ist, aber was man mir
unterjubeln will, ist verbindlich nicht die Wahrheit!
Nänä, so nicht, Hade! Wir sollen alles glauben, was denen,
ja Euch, in den Kram paßt, aber nicht das, was wahr sein
könnte.«
Brack atmete tief ein.
»Jetzt glaub mal weiter. Stell Dir mal vor, es wäre wahr!
Unbekannte, deren Geisteszustand wir nicht kennen und
noch nicht mal erahnen können, haben Atomwaffen zu ihrer
Verfügung! Mitten in Deutschland. Sie fordern nichts, sie
verhandeln nichts. Sie beobachten nur und meinen es bitter
ernst, was durch die Toten bewiesen wäre. So, meine Er-
mittlungen haben immerhin einen, wenn auch unbewiese-
nen Grund für die Morde erbracht. Falls nicht ein unglaub-
licher Zufall mitspielt, werden wir die »atomare Oppositi-
on« nie erkennen und erwischen. Das sind die Fakten!«
»Wir könnten den BND darauf ansetzen.«
289
»Worauf, Hade? Worauf? Was willst Du denen erzählen?
Suchen Sie irgendwo in Deutschland nach unseren Atom-
bomben, die uns eigentlich nicht gehören, aber vielleicht
doch? Wo, weiß ich nicht? Wer, weiß ich auch nicht? Nun
machen’se mal?«
»Hast recht, Justus. Hast ja recht!«
»Du kennst doch auch die Baroneß, Hade.«
»Gefährliche Person.«
»Na, dann denk mal daran, wer Schuld hat, daß sie so ge-
fährlich geworden ist! Sie hat mich mit dem Oberst zusam-
mengebracht. Wenn sie da mit drin hängt, kommen wir
absolut nicht weiter! Oder sie weiß auch nur das, was sie
mir durch den Oberst gesagt hat. Wer weiß denn dann mehr
und sagt uns auch mehr? Ich kenne niemanden sonst!«
»Also, Justus, sie ist von der Regierung aber großzügig
entschädigt worden damals.«
»Für mit 19 Jahren auf ewig spinale Lähmung? Entschä-
digt? Na, ganz große Klasse, Hade, ich bitte Dich. Hör
auf!«
Hade war nicht bei der Sache und sah nachdenklich aus.
»Was meinte der Spinner mit »Eine Diktatur werden wir
auch nicht dulden«? fragte Hade. »Wollen die dann ernst-
haft den Bundestag mit allen Abgeordneten inklusive Re-
gierung mit einer Atombombe hochjagen«?
Justus Kopf zuckte hoch. Er sah plötzlich das grenzenlos
Positive in Oberst Hallers Aussage. Bracks Gedanken ra-
sten.
Sollte er manipulieren? So wie er vielleicht auch manipu-
liert worden war und wurde? Eine Chance! Wenn er denn
den Ausführungen des Obersten folgte. In sich schlüssig
war es schon, wenn es auch den Hauch von Science Fiction
trug. Also, schnell! Glauben oder nicht glauben? Die Waa-
ge bewegte sich. Auch Brack wollte das Beste für Deutsch-
land. Der kleine Brack und die große Politik. Er grinste
innerlich. Also… Mhh… Glauben!
»Wahrscheinlich, Hade.«
290
»Das können und werden wir nicht zulassen! Aber wie
finden wir die?«
»Das mußt Du garnicht, Hade. Sorge dafür, daß Deutsch-
land eine aktuelle Musterdemokratie der Zukunft wird,
Vorbild für alle Staaten, und daß alle diktatorischen Ten-
denzen schnellstens wieder verschwinden. Ist das zuviel
verlangt?
Sorge dafür, daß die Menschen in diesem Land wieder
gerne leben und auch leben können, eine Identität haben
und sich ernsthaft um ihr Land sorgen. Ist das zuviel ver-
langt? Sorge dafür, daß hier die Menschen wieder frei sind
und nicht von ein paar Familien versklavt werden! Ist das
zuviel verlangt? Sorge dafür, daß die Deutschen über ihr
eigenes Schicksal selbst bestimmen können. Ohne einen
Vormund von innen oder außen. Ist das zuviel verlangt?
Sorge dafür, daß Deutschland wieder das Land der Deut-
schen wird, und nicht der Tummelplatz für Kriminelle aus
aller Welt. Dann sind doch Deine ganzen Befürchtungen
obsolet!«
Hade war bis ins Mark erschüttert. So hatte er die Situation
noch nie betrachtet.
»Ist …. das … Dein Eindruck von Deutschland?«
Justus rauchte wie ein Schlot. Er mußte überzeugend sein.
Er wollte ein gutes Deutschland!
Brack sah Hade fest in die Augen.
»Ja, Hade! Das vorbildliche Deutschland der 60er und 70er
ist tot! Unsere heutige Gesellschaft ist unerträglich rück-
schrittlich. Es haben Fremde die Macht übernommen. Wir
amerikanisieren immer mehr. Wir werden zu einer Bastard-
nation ohne Identität! Ich hätte nie geglaubt, daß ich das
sagen müßte, aber wir können froh sein, daß wir mit Ruß-
land einen Staat haben, der nicht den Amerikanern in den
Arsch kriecht und Widerstand gegen alle amerikanischen
Idiotien leistet! Idiotien, die von Euch gerne übernommen
und gegen die Bürger durchgepeitscht werden. Und unsere
Wirtschaftsbonzen sind die Einpeitscher.«
Hade schloß die Augen vor Scham. Brack fuhr fort:
291
»Jagt die EU-Gewinnler zum Tempel raus, wir brauchen
hier keine Arbeitsplatzexporteure, keine Verräter, keine
Plünderer! Macht aus Deutschland einen sicheren Hafen,
laßt Euch nicht mit in den Untergang ziehen, der am Hori-
zont auftaucht! Koppelt Euch vom Dollar und vom Euro
ab! Folgt nicht den beliebten Heilsversprechen durch einen
nächsten Krieg. Haltet strengen und gerechten Frieden!«
Hade schaute irritiert auf Brack.
»Macht doch schlicht und einfach das Beste aus diesem
Land. Du und Deine Mitstreiter vom alten Schlage habt
noch ein paar Jahre. Tretet den Parvenüs in die Ärsche! Jagt
sie zur Hölle. Das schafft Ihr. Und dann braucht Ihr Euch
um nichts zu sorgen. Und wenn etwas schief läuft, ist im-
mer noch diese ominöse Atom-Gruppe im Hintergrund.«
Man sah förmlich, wie sich nun die Gedanken in Hades
Hirn überschlugen. War das noch der Polizist Brack, der zu
ihm sprach? Oder war es der neue Volkstribun Brack? Was
war in ihn gefahren? Hatte Brack sich etwa entschlossen,
diesem Oberst zu glauben?
Brack fuhr erbarmungslos fort: »Du kannst Deinen Polit-
rentnern diese unglaubliche Geschichte des Obersten gar-
nicht erzählen. Damit wäre Deine Reputation futsch! Wie
bei jemandem, der von Erlebnissen mit fliegenden Unter-
tassen berichtet. Der ist für alle Zeiten als Spinner ge-
branntmarkt. Also, Du darfst von meinen »Ergebnissen«
nichts erzählen. Warte doch in aller Ruhe auf den Bericht
des BKA. Die werden schon eine schöne plausible Ge-
schichte erfinden. So was wie: »Ein Geisteskranker hat eine
persönliche Vendetta aus Haß gestartet, und ist vor den
Augen der Beamten in der Havel ertrunken. Nach seiner
Leiche wird noch gesucht! Sein Mithelfer wurde bei einer
Geiselnahme erschossen. Es herrscht wieder Sicherheit für
die Abgeordneten.« Na? Ist das was? Besser als meine
Geschichte ist’s allemal, nur nicht wahrer.«
Hade, der gewiefte Politiker und geniale Taktiker, war
verunsichert! Gab’s das auch? Die Drohung, den Bundestag
zu verdampfen, hatte ihn schwer erschüttert! Aber einer
292
Drohung nachgeben? Unmöglich! Das heißt, wer hatte
eigentlich eine Drohung ausgesprochen? Oberst von Haller,
und der war tot! Und an die Vorschläge von Justus Brack
hatte er auch schon mal ganz privatim im stillen Kämmer-
lein gedacht.
»Kann sein. Vielleicht. Ist ja auch nur eine Möglichkeit! Ich
muß die schwierigste Entscheidung meines Lebens treffen.
Für Deutschland gegen die Gesetze, oder gegen Deutsch-
land, für mein Lebenswerk.
Manchmal hast Du ganz gute Ideen, Justus. Machst hier den
Advocatus Diaboli! Garnicht mal richtig schlecht. Fahr
nach Hause, Justus. Auch wenn mir Dein Ergebnis nicht
schmeckt, es war trotz Allem eine gute Arbeit. Danke.«
Hade begleitete Brack hinaus. Sie kamen an einer offenen
Tür vorbei, hinter der ein Fernsehgerät lief. Eine Nachrich-
tensendung.
»Wie das Bundeskriminalamt eben auf einer Pressekonfe-
renz in Wiesbaden mitteilte, sind die Ermittlungen zu den
Todesfällen in Berlin erfolgreich abgeschlossen worden. Es
bestand zu keiner Zeit eine Gefahr für Politiker und Bevöl-
kerung. Und nun zum Wetter…..«
Hade und Brack lauschten mit offenem Mund. Sie sahen
sich an und schüttelten müde den Kopf.
Der Stachel der Unsicherheit saß tief und bohrte. Und das
war gut so!
293
294
Die Aufgabe
295
Ihre Aktivitäten sind auf Jahre hinaus unterbunden. Sie
können die Atomwaffen nicht mehr verlagern. Sie werden
mit Millionen anderer am Telephon abgehört. Sie sind dann
handlungsunfähig. Im Notfall eines Krieges oder einer
Diktatur können Sie nichts tun. Sie dürfen aus Angst vor
Verrat keine neuen Leute auswählen. Wollen Sie das? Wol-
len Sie freiwillig Ihre selbstgestellte Aufgabe gefährden?
Sie wissen selber, daß Sie ein Mörder sind! Daß Ihre hehre
Mission von Ihnen desavouiert wurde. Daß Sie um nichts
besser sind, als die, die Sie bekämpfen wollen. Von wegen
»Der Zweck heiligt die Mittel«! Die übliche Ausrede von
Diktatoren. Egal, lassen Sie uns in Ruhe, und es passiert
nichts weiter.
Einverstanden? «
Brack machte eine Pause und zündete sich eine neue Ziga-
rette an.
»Den Bürgern ist es herzlich gleichgültig, ob sie von Mon-
archen, Faschisten, Kommunisten, Pseudodemokraten oder
einem einfach geldgierigen Gesocks regiert werden.
Solange man sie in Ruhe läßt.
Mir ist das nicht egal! Sie haben gemordet und müssen
hinter Gitter. Das ist in allen Ländern der Welt so. Sollte
ich jemals… Aber Sie haben Glück. Ich kenne Sie nicht.«
Brack schaute in die Runde.
»Justav? Ruud? Habt Ihr noch was zu ergänzen?«
Beide schüttelten den Kopf.
»Wir zerstören jetzt Ihre Wanzen. Überlegen Sie es sich
gut! Unsere Unversehrtheit gegen unsere Unglaubwürdig-
keit. Und gegen Ihre Ruhe. Ende!«
Brack wandte sich an Schunck und Ruud.
»Mir reicht’s. Ich fahr’ nach Hause. Ich brauche Urlaub.
Und Ihr zwei Beiden, danke. Wenn Ihr mal Sorgen habt,
ruft mich auf Kalles Handy an. Ich kann und werde helfen!
Und in zwei Monaten kommt Ihr zu mir, und wir lachen
über unser jetziges Abenteuer.«
Mit einer Umarmung verabschiedeten sie sich.
296
*
Epilog
297
den großen Mülleimer. Er mußte sich jetzt nur noch die
Hände waschen, denn als Saaldiener hatte er heute noch
viel zu tun. Er war immer bereit!
***
298
Nachwort
Nun sollte man bei einem rein fiktiven Roman dem Autor
wirklich nicht alles glauben. Hat er doch nur einen winzi-
gen Bruchteil Dessen angesprochen, was ihm ansprechens-
wert erschien. Es ist die andere Sicht der Dinge, die diesen
Roman unglaubwürdig erscheinen läßt.
Es ist unser aller Leben in diesem Absurdistan. Tragikko-
mische Ereignisse, die das tagtägliche Leben berühren und
verändern.
In diesem Jahr kommen wieder zahllose Opfer dazu, die
sich ihre neue Situation noch vor wenigen Wochen einfach
nicht vorstellen konnten. Wer es bis heute nicht glaubt, soll
einfach morgen abwarten.
In der Zwischenzeit wird die Entmündigung und Fesselung
des Bürgers – des Souveräns! – mit Hochdruck und außer-
halb des Wissens Desselben europaweit betrieben.
Soviel Fiktion wie nötig wäre, um nicht laufend von der
Realität überholt zu werden, kann es wahrscheinlich in den
heutigen Zeitenläufen garnicht geben.
Da ist es auch möglich, vor lauter Sorge um Deutschland
etwas pathetisch zu werden. Etwas!
Noch ein kleines Bißchen mehr von der Entmündigung, und
man könnte sich ernsthaft überlegen, ob nicht die fiktive
atomare Opposition wünschenswert erschiene.
Aber das muß Jeder für sich entscheiden.
299
Inhalt
Danksagung 3
Über den Autor 7
Prolog 11
Die Anschläge 13
Der Auftrag 37
Die Killer 61
Die Gelegenheit 83
Die Zeugin 111
Das Präsidium 129
Der Bundestag 151
Das Avon 163
Die Lampe 183
Die Mannschaft 193
Die Freiin 215
Die Katakomben 237
Die Bahn 255
Der Oberst 267
Die Niederlage 287
Die Aufgabe 295
Epilog 297
Nachwort 299
300