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net/publication/369480293
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Stefan Mainka
Kliniken Beelitz
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All content following this page was uploaded by Stefan Mainka on 24 March 2023.
Abstract
The definition of a therapeutic discipline provides an important position- Stefan Mainka1
fixing and offers orientation for patients, interested parties and profes-
Eckhard Weymann2
sional actors in health care. The definition of music therapy (MT) serves
both the self-portrayal of music therapists and the professional classi-
fication in the institutions of the public health care system. Thus it 1 Neurologisches
contributes decisively to the professional political profiling. There is Fachkrankenhaus für
currently no definition of music therapy in Germany that fits well into Bewegungsstörungen/Parkinson,
the German health system. Beelitz-Heilstätten,
Deutschland
In this article, different definitions are presented and critically ques-
tioned. Against the background of new developments within MT, the 2 Institut für Musiktherapie,
necessity for a new definition is shown. This is presented and explained HfMT Hochschule für Musik
in its conceptual components. und Theater, Hamburg,
Deutschland
Keywords: definition, music therapy, intervention, methods
Zusammenfassung
Die Definition einer therapeutischen Disziplin leistet eine wichtige
Standortbestimmung und bietet Orientierung für Patient:innen, Interes-
sent:innen und professionelle Akteure der Gesundheitsversorgung. Die
Definition von Musiktherapie (MT) dient sowohl der Selbstdarstellung
von Musiktherapeut:innen, als auch der fachlichen Einordnung in die
Institutionen des öffentlichen Gesundheitswesens. Damit trägt sie ent-
scheidend zur berufspolitischen Profilierung bei. Es gibt aktuell in
Deutschland keine im deutschen Gesundheitssystem gut anschlussfä-
hige Definition von Musiktherapie.
In diesem Artikel werden verschiedene Definitionen dargestellt und
kritisch hinterfragt. Vor dem Hintergrund von Neuentwicklungen inner-
halb der MT wird die Notwendigkeit für eine neue Definition aufgezeigt.
Diese wird vorgestellt und in ihren Begriffsbausteinen erläutert.
Schlüsselwörter: Definition, Musiktherapie, Intervention, Methodik
Definitionen von Musiktherapie Inzwischen hat sich, u.a. befördert durch die Neurowis-
senschaften, die klinische Realität der MT weiterentwi-
Eine im deutschsprachigen Raum vielfach verwendete ckelt. Neue Methoden wie beispielsweise zur kognitiven
Definition stammt von der Deutschen Musiktherapeuti- Therapie mit Musik [7], zur MT bei Tinnitus [8], [9] oder
schen Gesellschaft [3]. Sie lautet: zu MT in der Neonatalogie [10], [11] bauen heute auf
„Musiktherapie ist der gezielte Einsatz von Musik im neurophysiologisch fundierten Konzepten auf. Musik wird
Rahmen der therapeutischen Beziehung zur Wieder- dabei zum Agens, das unmittelbar Körperfunktionen wie
herstellung, Erhaltung und Förderung seelischer, Bewegung, Atmung oder kognitive Funktionen zu beein-
körperlicher und geistiger Gesundheit.“ flussen vermag. Hierfür ist der Begriff „psychotherapeu-
Zentral an dieser Definition ist das letzte Wort: Gesund- tisch“ zu eng. Interessanterweise taucht in keiner der von
heit. Bei Bruscia fiele dies in die Kategorie Ziele/Ergeb- Bruscia analysierten Definitionen der Begriff Psychothe-
nisse [2]. Gesundheit als Bezugsrahmen der Medizin rapie auf, weder als Aussagesubstantiv noch als Deskrip-
entspricht dem Konzept der Salutogenese [4]. Genauso tor oder Strategie [2]. Stattdessen vermitteln diese Defi-
spricht die WHO nicht von Krankheiten, sondern orientiert nitionen ein breiteres, quasi bio-psycho-soziales Verständ-
sich am Erhalt und der Wiedergewinnung von Gesundheit, nis von MT.
wenn sie in ihrer Verfassung definiert: „Health is a state Wir werden nun weitere Definitionen näher betrachten.
of complete physical, mental and social well-being and Die World Federation of Music Therapy (WFMT) stellt die
not merely the absence of disease or infirmity“ [5]. Dem Optimierung von Gesundheit, Wohlbefinden und Lebens-
steht die begriffliche Ausrichtung auf Krankheit als An- qualität ins Zentrum ihrer Definition und erwähnt eine
satzpunkt der Medizin in Deutschland entgegen. Unser Vielfalt von Anwendungsbereichen.
Gesundheitssystem ist bestimmt von Begriffen wie “Music therapy is the professional use of music and
Krankenhaus, Krankenkasse, Krankengeld und Patient. its elements as an intervention in medical, educatio-
Es spricht einiges dafür, diese an der Pathogenese orien- nal, and everyday environments with individuals,
tierte Begrifflichkeit unseres Gesundheitssystems zu groups, families, or communities who seek to optimize
hinterfragen. Wenn aber MT für dieses System überzeu- their quality of life and improve their physical, social,
gend definiert werden soll, ist es aus pragmatischen communicative, emotional, intellectual, and spiritual
Gründen sinnvoll, die dort gängigen Begriffe zu verwen- health and wellbeing. Research, practice, education,
den. and clinical training in music therapy are based on
Ausführungen zum Verständnis der MT finden sich in den professional standards according to cultural, social,
Kasseler Thesen [1], die aber nicht als Definition angelegt and political contexts” ([2], S. 331).
sind. Sie sind das Ergebnis eines schulenübergreifenden Eine Orientierung an klinischen Behandlungsanlässen
Verständigungsprozesses der 1990er Jahre. Die Thesen wird hier nicht formuliert. Der Schwerpunkt liegt eher auf
wurden 1998 veröffentlicht und im Jahr 2010 revidiert. Prävention, Lebensqualität („optimize quality of life“) und
Sie stellen eine wichtige Grundlage für die musikthera- persönlicher Weiterentwicklung („improve spiritual health
peutische Lehre und Praxis in Deutschland dar. Dort heißt and wellbeing“). Eine klinische Ausrichtung wird durch
es in der These 2: „Der Begriff ‘Musiktherapie’ ist eine die Verwendung der beiden Begriffe „medical“ und „clini-
summarische Bezeichnung für unterschiedliche musik- cal training“ lediglich angedeutet, was uns für die Charak-
therapeutische Konzeptionen, die ihrem Wesen nach als terisierung eines Therapieverfahrens als unzureichend
psychotherapeutische zu charakterisieren sind, in Abgren- erscheint.
zung zu pharmakologischer und physikalischer Therapie.“ Die „klinische und evidenzbasierte Verwendung von Mu-
Diese Auffassung findet sich bereits in der Definition von sik“ eröffnet die Definition der American Music Therapy
Simon [6]: Association (AMTA). Anschließend wird MT als Gesund-
„Unter Musiktherapie versteht man eine diagnose- heitsberuf eingeordnet.
spezifische Behandlungsmethode der Psychotherapie, “Music Therapy is the clinical and evidence-based use
welche, nach psychopathologischen Erfordernissen of music interventions to accomplish individualized
ausgerichtet, das spezifische Kommunikationsmedium goals within a therapeutic relationship by a credential-
Musik rezeptiv und aktiv anwendet, um therapeutische ed professional who has completed an approved
Effekte in der Behandlung von Neurosen, psycho-so- music therapy program.
matischen Störungen, Psychosen und neuro-psychia- Music therapy interventions can adress a variety of
trischen Erkrankungen zu erzielen“ (S. 140). healthcare and educational goals: promote wellness,
Es wurde damit betont, dass die zentralen Medien der manage stress, alleviate pain, express feelings, en-
MT psychologische Mittel sind. Die Herausstellung des hance memory, improve communication, [and] pro-
psychotherapeutischen Charakters war sicherlich ein mote physical rehabilitation” [12].
Meilenstein in der Entwicklung und Professionalisierung Die AMTA-Definition setzt mit Begriffen wie Intervention
der MT und auch in der Verständigung der musikthera- und Gesundheitspflege deutlich stärker klinische
peutischen Schulen. Sie war zudem mit der Hoffnung auf Schwerpunkte. Dabei scheinen die „edukativen Ziele“
Einbezug in die Psychotherapie-Gesetzgebung verbunden, nicht recht zu einer „klinischen Anwendung“ zu passen.
die sich letztlich nicht erfüllt hat. Es werden Behandlungsanlässe genannt, welche jedoch
zum Teil keinen klaren therapeutischen Bezug haben
(„manage stress“, „express feelings“). Dem steht das in- gehen: „Erhalt und Förderung von Gesundheit“ (DMTG),
dikationsgeleitete Vorgehen in der medizinischen Behand- „improve health and wellbeing“ (WFMT), „promote well-
lung entgegen, welches darauf aufbaut, dass Experten ness“ (AMTA), „help people“ und „support … needs“
(Arzt/ Ärztin oder Therapeut:in) therapeutische Maßnah- (BAMT), „optimize health“ (Bruscia). Fachspezifisch geht
men einleiten. Wie die WFMT-Definition besteht sie aus es dabei vor allem um Prävention, Unterstützung und
zwei Sätzen, die sich inhaltlich nicht überschneiden. Es Förderung. Prävention ist gekennzeichnet durch den
wird das Werkzeug-Schema („clinical and evidence-based Schutz vor Krankheit und die Förderung von Gesundheit
use“) verwendet und auf die spezielle Berufsausbildung bzw. von gesundheitsstabilisierenden Kompetenzen [14].
verwiesen. Auch in Deutschland gehört es zur beruflichen Realität
Schauen wir uns als nächstes die Definition der British von Musiktherapeut:innen, dass deren Angebote oft im
Association of Music Therapy (BAMT) an: Zusammenhang mit Präventionsarbeit stattfinden, auch
„Music Therapy is an established psychological clinical wenn dieser Begriff meist nicht verwendet wird. Stattdes-
intervention, delivered by HCPC (The Health and Care sen ist etwa von „Förderung“ oder „Erhalt von Gesund-
Professions Council)-registered music therapists to heit“ die Rede.
help people whose lives have been affected by injury, MT kann in einer Definition so „weit“ gefasst werden,
illness or disability through supporting their psycholo- dass wirklich alles, was Musiktherapeut:innen tun, darin
gical, emotional, cognitive, physical, communicative abgebildet ist. Oder die Definition wird enger gefasst, in-
and social needs“ [13]. dem auf behandlungsbedürftige Symptome fokussiert
Während in dieser Definition der klinische Charakter wird. Letzteres eröffnet die Möglichkeit, darüber hinaus-
durch die Begriffe clinical intervention, Krankheit und gehende Anwendungen musiktherapeutischer Methoden
Behinderung sowie durch die gesetzliche Registrierung davon zu unterscheiden und etwa von einem musikthe-
betont wird, scheinen die Verben help und support, wie rapeutischen Förderangebot zu sprechen. Wir werden im
auch der Ausdruck needs eher eine außerklinische An- Weiteren darstellen, was aus unserer Sicht für diese
wendung zu charakterisieren. Weiterhin werden hier die Sprachregelung spricht.
Interventionen wieder auf psychologische Wirkweisen Im Österreichischen Musiktherapiegesetz (MuthG) wird
eingeengt. Die Aufzählung der Zielbereiche ist mit der etwa in der Berufsumschreibung die Ausübung der Mu-
Verknüpfung der Wörter psychological, emotional und siktherapie eher weit gefasst. Zwar wird die MT zunächst
communicative begrifflich überladen, während der Begriff dezidiert auf die Behandlung von „Verhaltensstörungen
physical zu allgemein gewählt ist. und Leidenszustände“ bezogen, dann aber mit Begriffen
Bruscia verwendet in seiner Definition ein Prozesssche- wie „vorbeugen“, „fördern“ und „wiederherstellen“ erwei-
ma, in dem MT als Vorgang erklärt wird: ternde Tätigkeitsfelder (Prävention, Rehabilitation,
„Music therapy is a reflexive process wherein the Förderangebote) benannt, in denen sich Musikthera-
therapist helps the client to optimize the client’s peut:innen ebenfalls engagieren. Diese Formulierung gibt
health, using various facets of music experience and die Berufswirklichkeit von Musiktherapeuten zwar zutref-
the relationships formed through them as the impetus fend wieder, verunklart damit aber die Charakterisierung
for change. As defined here, music therapy is the der MT.
professional practice component of the discipline, „Die Musiktherapie ist eine eigenständige, wissen-
which informs and is informed by theory and research“ schaftlich-künstlerisch-kreative und ausdrucksfördern-
([2], S. 36). de Therapieform. Sie umfasst die bewusste und ge-
Auch diese Definition besteht aus zwei Sätzen. Im Unter- plante Behandlung von Menschen, insbesondere mit
schied zu den Definitionen von WFMT und AMTA ist hier emotional, somatisch, intellektuell oder sozial beding-
jedoch eine deutliche Gewichtung erkennbar. Der erste ten Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, durch
Satz enthält die eigentliche Definition und könnte auch den Einsatz musikalischer Mittel in einer therapeuti-
für sich stehen. Der zweite liefert eine genauere Bestim- schen Beziehung zwischen einem (einer) oder mehre-
mung des fachlichen Kontextes des Gegenstandes, ohne ren Behandelten und einem (einer) oder mehreren
den ersten Satz zu verwässern. Behandelnden mit dem Ziel
Im Definitionssatz fällt der Begriff reflexive auf, der mit
1. Symptomen vorzubeugen, diese zu mildern oder
reflektiert übersetzt werden kann. Was mag Bruscia ver-
zu beseitigen oder
anlasst haben, dieses Wort einzufügen? In den Ausfüh-
2. behandlungsbedürftige Verhaltensweisen und
rungen erklärt Bruscia, dass er mit dem Begriff auf
Einstellungen zu ändern oder
(Selbst-)Beobachtung, Auswertung und Bewusstmachung
3. die Entwicklung, Reifung und Gesundheit des
im Prozess abzielt. Mit der Zielbestimmung optimize the
(der) Behandelten zu fördern und zu erhalten
client’s health orientiert sich Bruscia am salutogeneti-
oder wiederherzustellen“ [15].
schen Ansatz. Es finden sich keine Aussagen zu Zielberei-
chen, was eine Einordnung als therapeutische Disziplin
zumindest nicht unterstützt.
Fünf der sechs hier diskutierten Definitionen mit Ausnah-
Anforderungen an die Definition
me der von Simon ist gemein, dass sie in ihren Formulie- Die neue Definition soll den aktuellen Entwicklungsstand
rungen über eine rein medizinische Anwendung hinaus- der MT widerspiegeln. Dabei sollen auch jüngere über
das schwerpunktmäßig psychotherapeutische Arbeiten therapeut, Supervisor und frisch emeritierter Hochschul-
hinausgehende Entwicklungen einbezogen werden. Es lehrer mit den Lehr- und Forschungsschwerpunkten
soll das therapeutische Profil von MT verdeutlicht werden, Theorie der MT, Improvisation und Ethik.
in Sinne einer klareren Positionierung und Charakterisie-
rung sowohl der therapeutischen als auch der nicht-the-
rapeutischen Angebote von Musiktherapeut:innen. Die neue Definition
Die Definition soll aussagekräftig und allgemeingültig
formuliert sein. Sie soll nicht nur für Musiktherapeut:in- Die neue Definition lautet wie folgt:
nen, sondern auch für Vertreter:innen anderer Heilberufe, Musiktherapie ist eine wissenschaftlich fundierte
Patient:innen, Verwaltungsangehörige und Politiker:innen therapeutische Disziplin, bei der in einer kollaborati-
verständlich und anwendbar sein. Sie soll eine Grundlage ven Tätigkeit von Therapeut:in und Patient:in Musikin-
für die musiktherapeutische Theorie und Praxis darstellen. terventionen zur Minderung von psychischen, somati-
schen, psychosomatischen und kognitiven Symptomen
angewandt werden.
Vorgehensweise Im Folgenden werden die gewählten Begriffe sukzessive
erläutert.
Ausgangspunkt für unseren Arbeitsprozess war die Psy-
chotherapiedefinition von Hans Strotzka: Wissenschaftlich fundiert
„Psychotherapie ist ein bewusster und geplanter inter-
aktioneller Prozess zur Beeinflussung von Verhaltens- Bei Strotzka heißt es, Psychotherapie sei „lehrbar“ und
störungen und Leidenszuständen, die in einem Kon- finde auf „auf Basis einer Theorie des […] Verhaltens“
sensus (möglichst zwischen Patient, Therapeut und statt. Mit der Formel „wissenschaftlich fundiert“ soll bei-
Bezugsgruppe) für behandlungsbedürftig gehalten des ausgedrückt werden. Wissenschaftlichkeit basiert
werden, mit psychologischen Mitteln (durch Kommu- auf tradiertem Erfahrungswissen und klinischen Studien
nikation), meist verbal aber auch averbal, in Richtung und beinhaltet, dass Wirkprinzipien, Anwendungsformen
auf ein definiertes, nach Möglichkeit gemeinsam erar- und Interventionen nachvollziehbar hergeleitet und be-
beitetes Ziel (Symptomminimalisierung und/oder schrieben werden können. Dies ist mit einer Lehrbarkeit
Strukturänderung der Persönlichkeit) mittels lehrbarer verbunden. Die Theorie der MT beinhaltet Erkenntnisse
Techniken auf der Basis einer Theorie des normalen verschiedener wissenschaftlicher Fachgebiete wie Psy-
und des pathologischen Verhaltens. In der Regel ist chologie, Musikpsychologie, Musikwissenschaft, Medizin,
dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig“ Rehabilitationswissenschaft und so weiter. Diese Theorie
([16], S. 4). ist durch ihre Wissenschaftsorientierung der permanenten
Maßgeblich war diese Definition für uns in ihrer schlüssi- Hinterfragung und Aktualisierung – zum Beispiel aufgrund
gen Verkettung der Bestimmungsbausteine. Zudem wird von Forschungsergebnissen – verpflichtet.
gegenüber Simon das Element der therapeutischen Be-
ziehung hinzugefügt. Nach Bruscia wird dabei ein Prozess- Therapeutische Disziplin
schema zugrunde gelegt (interaktioneller Prozess). Es
werden die Akteure (Patient, Therapeut), die Agenzien MT ist eine therapeutische Disziplin, die unterschiedliche
(psychologische Mittel, meist verbal), das Ziel (Symptom- Methoden mit spezifischen Techniken umfasst. Der Be-
minimalisierung und/oder Persönlichkeitsveränderung) griff Disziplin impliziert eine umfassende, eigenständige
und eine Strategie (Techniken auf Basis einer Theorie) Theorie, die sich auf unterschiedliche Anwendungsberei-
aufgeführt und verständlich miteinander verknüpft. Die che bezieht und aus der heraus sich Indikationen und
Definition entfaltet und erklärt sich als eine geschlossene Behandlungsziele ableiten lassen. Durch die Charakteri-
Kette in der es auf jedes einzelne Glied ankommt. Fehlt sierung als Therapie ist die MT auf die Behandlung
eines, ist die Kette nicht funktionsfähig. krankheitswerter Phänomene (Symptome) ausgerichtet.
Ausgehend von Strotzkas Definition und unter Berücksich- Auch wenn Prävention zurecht als wichtiges musikthera-
tigung der dargestellten Entwicklungen der MT haben wir peutisches Arbeitsfeld gilt und mit musiktherapeutischen
die Erarbeitung einer neuen Musiktherapie-Definition Methoden und Techniken versorgt wird, ist Prävention
begonnen. Diese wurde im Dialog der Autoren – meist von Therapie zu unterscheiden und nicht Gegenstand
per Video-Call, einmal auch in Präsenz – kontrovers und dieser Definition. Von Prävention kann gesprochen wer-
konsensorientiert erörtert und ausgearbeitet. Dabei diente den, wenn eine etwa nach dem ICD-10 klassifizierte be-
eine Cloud-Textdatei als Arbeitsplattform. Hier wurden handlungsbedürftige Störung noch nicht aufgetreten ist.
Vorschläge gesammelt, beleuchtet und über mehr als 14 Therapie ist dann angezeigt, wenn entsprechende Sym-
Monate auch mehrmals aktualisiert und/oder verworfen. ptome bereits diagnostiziert wurden.
Der kontroverse Austausch wurde befeuert durch unsere Mit dem Begriff therapeutische Disziplin wird überdies
unterschiedlichen beruflichen Hintergründe. Der erste ein Beruf und eine damit verbundene fachliche Qualifika-
Autor arbeitet als klinischer Musiktherapeut mit Schwer- tion impliziert. Auf einen direkten Bezug zum Beruf Mu-
punkt Neurologische MT und bringt Erfahrung als forschen- siktherapeut:in wurde dementsprechend in dieser Defini-
der Rehawissenschaftler ein. Der zweite Autor ist Musik- tion verzichtet.
16. Strotzka H, Hrsg. Psychotherapie: Grundlagen, Verfahren, 24. Weymann E. Healing Soundscape. In: Decker-Voigt HH, Weymann
Indikationen. München: Urban & Schwarzenberg; 1975. E, Hrsg. Lexikon Musiktherapie. 3. Aufl. Göttingen: Hogrefe; 2021.
S. 239-43.
17. Wirtz MA, Hrsg. Dorsch – Lexikon der Psychologie. 19. überarb.
Aufl. Bern: Hogrefe; 2020.
18. Weymann E. Das Medium Musik. In: Schmidt HU, Stegemann T,
Spitzer C, Hrsg. Musiktherapie bei psychischen und
psychosomatischen Störungen. München: Elsevier; 2020. S. 27-
Korrespondenzadresse:
31. Dr. phil. Stefan Mainka
19. Schwabe C, Reinhardt A. Das Kausalitätsprinzip
Neurologisches Fachkrankenhaus für
musiktherapeutischen Handelns nach Schwabe. Crossener Bewegungsstörungen/Parkinson, Straße nach
Schriften zur Musiktherapie (Bd. 17), Akademie für angewandte Fichtenwalde 16, 14547 Beelitz-Heilstätten, Deutschland
Musiktherapie Crossen. Weida: Wüst & Söhne; 2006. mainka@kliniken-beelitz.de
20. von Uexküll T. Das Problem einer bio-psycho-sozialen Theorie.
In: Brähler E, Geyer M, Kabanow MM, editors. Psychotherapie Bitte zitieren als
in der Medizin: Beiträge zur psychosozialen Medizin in ost- und Mainka S, Weymann E. Musiktherapie – neu definiert. GMS J Art Ther.
westeuropäischen Ländern. Wiesbaden: VS Verlag für 2023;5:Doc02.
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01127-9_1
21. Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerischer Therapien, Hrsg. Artikel online frei zugänglich unter
Künstlerische Therapien in wissenschaftlich-medizinischen https://doi.org/10.3205/jat000030
Leitlinien. [letzter Zugriff 2021 Dez 1]. Verfügbar über:
https://bagkt.de/implementierung/leitlinien/
Veröffentlicht: 28.02.2023
22. Foster B, Pearson S, Berends A. 10 Domains of Music Care: A
Framework for Delivering Music in Canadian Healthcare Settings.
Copyright
Music & Medicine. 2016;8(4): 199-206. DOI:
©2023 Mainka et al. Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und
10.47513/mmd.v8i4.415
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23. Spintge R. Musik in der MusikMedizin am Beispiel Algesiologie. 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe
In: Nöcker-Ribaupierre M, Hrsg. Musik in Therapie und Medizin. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.
Wiesbaden: Reichert; 2018. S. 13-24.