Sie sind auf Seite 1von 352

Zu diesem Buch lrvin D.

Yalom

Das umfassende Standardwerk zur Gruppenpsychotherapie setzt den Therapeuten in


die Lage, Gruppenprozesse in ihrer Differenziertheit zu verstehen und therapeutisch
nutzbar zu machen. Das Material von mehr als 2000 Gruppensitzungen des Autors gibt
hierzu anschauliche Fallbeispiele. Ein weiterer zentraler Aspekt des Buches ist die He­
rausarbeitung der wichtigsten Wirkfaktoren in einer Therapie und speziell im Grup­
penprozess. Das Buch ist für psychoanalytisch und verhaltenstherapeutisch orientierte
Therapeutinnen gleichermaßen relevant. Theorie und Praxis
Die Neuausgabe des Bandes enthält sämtliche Änderungen und Erweiterungen der
letzten (5.) amerikanischen Ausgabe: Neueste Forschungsergebnisse wurden eingear­ der Gruppenpsychotherapie
beitet. Neu hinzugekommen sind Ausführungen über gruppenpsychotherapeutische
Kurztherapien, über Internet-Therapiegruppen, ethno-kulturelle Besonderheiten und
über das große Thema »Trauma«. Ein Lehrbuch
Sämtliche Kapitel wurden auf der Basis neuer Praxis- und Theorieerkenntnisse ge­
nau überprüft und zum Teil geändert.

Die Reihe »Leben Lernen« stellt auf wissenschaftlicher Grundlage Ansätze und Erfah­ Unter Mitarbeit von Molyn Leszcz
rungen moderner Psychotherapien und Beratungsformen vor; sie wendet sich an die
Fachleute aus den helfenden Berufen, an psychologisch Interessierte und an alle nach
Lösung ihrer Probleme Suchenden. Aus dem Amerikanischen von Teresa Junek,
Theo Kierdorf und Gudrun Theusner-Stampa

Alle Bücher aus der Reihe »Leben Lernen« finden sich unter
www.klett-cotta.de/lebenlernen Klett-Cotta
Leben Lernen 66

Dem Andenken
meiner Mutter und meines Vaters
gewidmet:

IJ
FSC
www.fsc.org
MIX
Papier aus verantwor­
tungsvollen Quellen

FSC- C013736
Ruth Yalom und Benjamin Yalom

Dem Andenken
meiner Mutter und meines Vaters
Klett-Cotta gewidmet:
www.klett-cotta.de Clara Leszcz und Saul Leszcz
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
»The Theory and Practice of Group Psychotherapy«,
5th edition, Published by Basic Books, A Member of the Perseus Books Group,
1995/2005
© 2005 by lrvin Yalom and Molyn Leszcz
Für die deutsche Ausgabe
© 1996/2007 by J. G. Cotta'sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Printed in Germany
Neuübersetzung der Kapitel 1 bis 5 und der Erweiterungen dieser Auflage
von Theo Kierdorf
Umschlag: Roland Sazinger
Unter Verwendung eines Fotos von © lstGallery/fotolia.com
Gesetzt aus der Minion von PC-Print, München
Gedruckt und gebunden von Kösel, Krugzell
ISBN 978-3-608-89189-8

13. Auflage, 2019

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek


Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
Inhalt

Vorwort zur fünften amerikanischen Auflage 11


Danksagung 19
Vorwort zur deutschen Ausgabe (Peter Kutter) 21

KAPITEL 1

Die therapeutischen Faktoren 23


Hoffnung wecken 26
Universalität des Leidens 28
Mitteilen von Informationen 32
Altruismus 36
Die korrigierende Rekapitulation des Geschehens
in der primären Familiengruppe 39
Die Entwicklung sozialer Kompetenz 41
Imitationsverhalten 42

KAPITEL 2

Interpersonales Lernen 43
Die Bedeutung interpersonaler Beziehungen 43
Das korrigierende emotionale Erlebnis 51
Die Gruppe als sozialer Mikrokosmos 57
Der soziale Mikrokosmos: Eine dynamische Interaktion 67
Das Erkennen von Verhaltensmustern im sozialen Mikrokosmos 70
Existiert der soziale Mikrokosmos tatsächlich? 73
Überblick 74
Obertragung und Einsicht 76

KAPITEL 3

Die Kohäsionskraft der Gruppe 80


Die Bedeutung der Gruppenkohäsivität 83
Der Wirkmechanismus 90

KAPITEL 4
Die therapeutischen Faktoren - Ein integrierender Überblick 106
Der Wert der einzelnen therapeutischen Faktoren aus der Sicht des Klienten 109

7
Unterschiede in der Einschätzung therapeutischer Faktoren Überblick 311
durch Klienten und Therapeuten 137 Eine abschließende Warnung 314
Kräfte, die die Wirkung therapeutischer Faktoren verändern 140
KAPITEL 10
KAPITEL 5 Die Entstehung der Gruppe: Ort, Zeit, Größe, Vorbereitung 316
Der Therapeut: Grundlegende Aufgaben 148 Vorüberlegungen 316
Wie beeinflusst der Gruppenleiter die Entstehung Dauer und Häufigkeit der Sitzungen 318
von Gruppennormen? 155
Kurzzeittherapie mit Gruppen 323
Beispiele für therapeutisch wirksame Gruppennormen 162
Vorbereitung auf die Gruppentherapie 330
KAPITEL 6
KAPITEL 11
Der Therapeut: Arbeiten im Hier und Jetzt 174
Zu Beginn 347
Definition von Prozess 175
Die Entstehungsphasen der Gruppe 347
Die Konzentration auf den Prozess: Die Kraftquelle der Gruppe 182
Der Einfluss der Klienten auf die Entwicklung der Gruppe 359
Die Aufgaben des Therapeuten im Hier und Jetzt 184
Probleme der Gruppenmitgliedschaft 363
Techniken der Aktivierung des Hier und Jetzt 190
Techniken zur Klärung des Prozesses 198 KAPITEL 12
Wie man Klienten zu einer Prozessorientierung verhilft 208
Die fortgeschrittene Gruppe 384
Wie man Klienten hilft, klärende Prozesskommentare zu akzeptieren 210
Die Bildung von Untergruppen 384
Der Prozesskommentar: ein theoretischer überblick 211
Konflikte in der Therapiegruppe 403
Die Nutzung der Vergangenheit 221
Selbstoffenbarung 414
Kommentare zum Prozess der Gruppe als Ganzes 226
Das Beendigen der Therapie 422
Die Grundlagen von Kommentaren zum Gesamtgruppenprozess 227
KAPITEL 13
KAPITEL 7
Arbeit mit schwierigen Gruppenmitgliedern 433
Der Therapeut: Übertragung und Transparenz 233
Der Alleinunterhalter 433
Die Übertragung in der Therapiegruppe 237
Der schweigende Klient 439
Der Psychotherapeut und die Transparenz 247
Der Langweiler 442
KAPITEL 8 Der jede Hilfe ablehnende »Jammerer« 445
Die Auswahl der Klienten 263 Der psychotische oder bipolare Klient 448
Ausschlusskriterien 265 Klienten mit schwerwiegenden charakterologischen Störungen 455
Aufnahmekriterien 282
KAPITEL 14
Ein Überblick über das Auswahlverfahren 287
Zusammenfassung 290
Der Therapeut: spezielle Behandlungsformen und Anleitungen
für die Nutzung spezieller Techniken und Ressourcen 471
KAPITEL 9 Gleichzeitige Einzel- und Gruppentherapie 471
Die Zusammensetzung von Therapiegruppen 292 Kombinieren einer Gruppentherapie mit einer Zwölf-Schritte-Gruppe 482
Die Voraussage von Gruppenverhalten 294 Co-Therapeuten 484
Grundsätze der Zusammenstellung von Gruppen 304 Die Sitzung ohne Gruppenleiter 492

8 9
Träume 494 Vorwort zur fünften amerikanischen Auflage
Audiovisuelle Technik 497
Schriftliche Zusammenfassungen 500
Protokollieren von Gruppentherapiesitzungen 512 Bei dieser fünften Neuauflage meines Buches Theorie und Praxis der Gruppenpsycho­
Strukturierte übungen 513 therapie hatte ich das Glück, mit Molyn Leszcz zusammenarbeiten zu können. Ich habe
Dr. Leszcz 1980 kennengelernt, als er bei mir an der Stanford University ein Jahr lang
KAPITEL 15 als Stipendiat Gruppentherapie studierte. Er hat zur Erforschung der Gruppentherapie
520 und zur Weiterentwicklung ihrer klinischen Arbeit einen wichtigen Beitrag geleistet
Spezialisierte Therapiegruppen
und leitet seit zwölf Jahren das größte Ausbildungsprogramm für Gruppentherapie der
Die Abwandlung der traditionellen Gruppentherapie
Welt, das im Rahmen der psychiatrischen Abteilung der University of Toronto organi­
für spezielle klinische Situationen: Grundlegende Schritte 521
siert wird, in der Dr. Leszcz als außerordentlicher Professor tätig ist. Sein umfassendes
Die Therapiegruppe für akut kranke, hospitalisierte Klienten 526
Wissen über die heutige gruppentherapeutische Praxis und seine fast enzyklopädische
Gruppen für Klienten mit physischen Krankheiten 552 Kenntnis sowohl der wissenschaftlichen als auch der klinischen Literatur zum Thema
Adaptation von KV T und IPT an die Gruppentherapie 559 Gruppentherapie waren bei der Vorbereitung dieser Neuausgabe von unschätzbarem
Selbsthilfegruppen und Internet-Unterstützungsgruppen 565 Wert. Wir haben uns wie Co-Therapeuten sorgsam bemüht, neues und altes Material
nahtlos zu integrieren. Obwohl wir uns aus stilistischen Gründen entschieden haben,
KAPITEL 16 im Text die Ich-Form beizubehalten, steht hinter diesem Ich doch stets das Wir unserer
Vorfahren und Cousins der Gruppentherapie 573 gemeinschaftlichen Arbeit.
Was ist eine Encountergruppe? 574 Bei der vorliegenden Neuauflage ging es uns darum, die vielen neuen Phänomene,
Vorläufer und Entwicklung der Encountergruppe 574 die im Bereich der Gruppentherapie aufgetaucht sind, zu dokumentieren und über­
578 holte Ideen und Methoden aus dem Text zu entfernen. Allerdings sahen wir uns bei
Gruppentherapie für nichtklinische Teilnehmer
diesem Bemühen mit einem Dilemma konfrontiert: Was wäre, wenn einige der Ver­
Die Wirksamkeit der Encountergruppe 580
änderungen in der gruppenpsychotherapeutischen Szene keine Fortschritte, sondern
Die Beziehung zwischen der Encountergruppe Rückschritte wären? Und wenn die von der Gesundheitsökonomie geforderten schnel­
und der Therapiegruppe 587
leren, billigeren und effizienteren Verfahren den wohlverstandenen Interessen der Kli­
enten nicht entsprächen? Und wenn der Begriff der »Effizienz« nichts weiter als eine
KAPITEL 17
Beschönigung der Tatsache wäre, dass Klienten zwecks Kostenersparnis so schnell wie
Die Ausbildung des Gruppentherapeuten 591 möglich »gesundgeschrieben« werden sollen? Und was wäre schließlich, wenn diese
Das Beobachten erfahrener Kliniker 593 verschiedenen ökonomischen Faktoren Therapeuten dazu zwängen, ihren Klienten
Supervision 596 weniger zu bieten, als sie eigentlich könnten?
Eine Gruppenerfahrung für Ausbildungskandidaten 601 Sollten diese Vermutungen sich als zutreffend erweisen, sind die Anforderungen,
Persönliche Psychotherapie 608 die an eine Neuauflage wie die vorliegende zu stellen sind, wesentlich komplexer als
Zusammenfassung 610 zunächst angenommen, denn dann sehen wir uns mit einer zweifachen Aufgabe kon­
611 frontiert. Es geht dann nicht nur darum, aktuelle Entwicklungen und Methoden zu
Über die Technik hinaus
beschreiben und Therapeuten auf ihre heutige Arbeitssituation vorzubereiten, sondern
Anhang 615 es geht auch um die Erhaltung des gesammelten Wissens und des Schatzes gruppen­
therapeutischer Techniken, auch wenn einige junge Therapeuten dieses Wissen nicht
Informationen und Leitlinien für die Teilnahme an einer Gruppentherapie 615
sofort anwenden können.
Anmerkungen 619
Seit die Gruppentherapie in den Vierzigerjahren eingeführt wurde, hat sie zahlrei­
che Anpassungsprozesse durchlaufen, um den sich wandelnden Anforderungen der
klinischen Praxis gerecht werden zu können. Mit dem Auftauchen neuer klinischer
Syndrome, Situationen und theoretischer Ansätze sind entsprechende Varianten der
Gruppentherapie entstanden. Die Vielfalt der Formen tritt heute so deutlich hervor,

10 11
dass man besser von Gruppentherapien als von einer Gruppentherapie spricht. Grup­ Gruppenerlebens, die für den therapeutischen Prozess entscheidend sind: den eigent­
pen für Menschen mit akuter oder chronischer Depression, Gruppen für die Präventi­ lichen Veränderungsmechanismen.
on von Rückfällen bei Depressiven, Gruppen für Klienten mit Essstörungen, für Krebs­ Lässt man die »Fassade« außer Acht und betrachtet nur die eigentlichen Methoden,
kranke und Aids-Patienten, für Patienten, die unter rheumatoider Arthritis, multipler die Veränderungen bewirken, stellt man fest, dass die Zahl der Veränderungsmechanis­
Sklerose, chronischer Darmreizung, Fettleibigkeit, Querschnittslähmung oder Parkin­ men relativ klein ist und dass diese bei den verschiedenen Arten von Gruppen erstaun­
son leiden, Gruppen für Gesunde, die aufgrund eines genetischen Defekts damit rech­ liche Ähnlichkeiten aufweisen. Hinsichtlich ihrer äußeren Form sehr verschiedene
nen müssen, an einer bestimmten Krebsart zu erkranken, Gruppen für Opfer sexueller Therapiegruppen mit unterschiedlichen Zielsetzungen nutzen die gleichen Verände­
Gewalt, für verwirrte Senioren, für Menschen, die unter Panikstörungen, Zwangsstö­ rungsmechanismen.
rungen oder chronischer Schizophrenie leiden, Gruppen für erwachsene Kinder von In den ersten beiden Auflagen dieses Buches habe ich diese Mechanismen unter
Alkoholikern, für Eltern sexuell missbrauchter Kinder, für gewalttätige Männer, für dem Einfluss jenes positivistischen Zeitgeistes, in dessen Bann die damals neu auftau­
Menschen, die zur Selbstschädigung neigen, Gruppen für Geschiedene, Trauernde, ge­ chenden Psychotherapien standen, als »Heilfaktoren« bezeichnet. Im Laufe der Jahre
störte Familien, verheiratete Paare, Patienten mit Herzinfarkt oder mit beidseitiger bin ich erfahrener und bescheidener geworden, und heute weiß ich, dass der Lohn der
Lähmung, Gruppen für Patienten mit diabetischer Erblindung, Nierenversagen, Kno­ Psychotherapie nicht die Heilung ist - das wäre eine Illusion -, sondern die Verände­
chenmarkstransplantationen - dies alles sind Formen von Gruppentherapie, und es rung oder die Förderung der Entwicklung. Deshalb bezeichne ich die Veränderungs­
gibt noch wesentlich mehr. mechanismen heute nicht mehr als »Heilfaktoren«, sondern als »therapeutische Fak­
Auch die klinischen Zusammenhänge, in denen Gruppentherapien stattfinden, sind toren«.
vielfältig: Eine auf starke Fluktuation eingerichtete Gruppe für chronisch oder akut Die therapeutischen Faktoren sind das zentrale Organisationsprinzip dieses Buches.
psychotische Klienten in einer sterilen Krankenhausstation ist ebenso Gruppenthera­ Ich werde zunächst die elf therapeutischen Faktoren ausführlich darstellen und an­
pie, wie Gruppen für inhaftierte Sexualtäter und für die Bewohnerinnen eines Frauen­ schließend einen psychotherapeutischen Ansatz beschreiben, der auf ihnen basiert.
hauses es sind, aber das Gleiche gilt auch für eine fortlaufende Gruppe, in der sich re­ Doch mit welchen Arten von Gruppen sollten wir uns befassen? Die V ielfalt der
lativ gut angepasste Menschen, die an neurotischen Störungen oder Persönlichkeitsstö­ Gruppentherapien ist heute so groß, dass es selbst in einem Buch wie diesem unmög­
rungen leiden, in der komfortablen Praxis eines Psychotherapeuten treffen. lich ist, jede einzelne Gruppenart separat darzustellen. Wie aber könnte man sonst vor­
Auch die verwendeten therapeutischen Ansätze, die im Rahmen von Gruppenthe­ gehen? Ich habe mich dafür entschieden, meiner Darstellung eine Art Prototyp von
rapien zum Einsatz kommen, sind geradezu verwirrend vielfältig: Gestalttherapie, Gruppentherapie zugrunde zu legen und darauf aufbauend eine Anzahl von Prinzipien
Kurzzeittherapie, unterstützende Ausdruckstherapie, kognitiv-behaviorale Therapie, herauszuarbeiten, die es Therapeuten ermöglichen, das Grundmodell so abzuwandeln,
psychoanalytische, psychoedukative, interpersonale, dynamisch-interaktive Therapie, dass es sich für jede spezielle klinische Situation eignet.
Psychodrama - diese und viele andere Ansätze kommen im Rahmen von Gruppen­ Das prototypische Modell ist die intensive, heterogen zusammengesetzte ambulan­
therapien zum Einsatz. te Psychotherapiegruppe, die mindestens über einen Zeitraum von einigen Monaten
Noch weiter vergrößert hat sich die Familie der Gruppentherapien durch entfern­ zusammenkommt und ehrgeizige Ziele sowohl hinsichtlich der Symptomlinderung als
tere Verwandte: durch die Selbsterfahrungstrainingsgruppen (oder Prozessgruppen) auch hinsichtlich der Persönlichkeitsveränderung verfolgt. Doch warum konzentriere
an Schulen und die zahlreichen Selbsthilfegruppen, beispielsweise die der Anonymen ich mich auf diese spezielle Art der Gruppentherapie, obwohl die heutige gruppenthe­
Alkoholiker, und anderer Zwölf-Schritte-Gruppen, die der Gruppen für Inzestopfer, rapeutische Szene aufgrund ökonomischer Zwänge von einer anderen Art von Gruppe
Sexsüchtige, Eltern ermordeter Kinder, Übergewichtige und schließlich die Gruppen geprägt ist: von einer homogenen, symptomorientierten Gruppe, die für eine kürzere
von Recovery, Inc. Zwar handelt es sich in den genannten Fällen nicht um formelle Zeitspanne zusammentrifft und begrenztere Ziele verfolgt?
Therapiegruppen, doch ist ihre Arbeit trotzdem sehr oft therapeutisch und bewegt sich Die Antwort lautet, dass die Langzeitgruppentherapie seit vielen Jahrzehnten exis­
in einem fließenden Bereich zwischen Selbsterfahrung, Unterstützung, Psychoeduka­ tiert und dass über diese Therapieform mittlerweile ein gewaltiger Wissensfundus so­
tion und Therapie (Kapitel 16 geht ausführlich auf dieses Thema ein). wohl aufgrund empirischer Untersuchungen als auch durch die aufmerksame Auswer­
Wie soll man nun ein Buch schreiben, das all diesen Formen von Gruppentherapie tung klinischer Erfahrungen zusammengetragen wurde. Ich habe bereits darauf hinge­
gerecht wird? Die Strategie, die ich vor fünfundzwanzig Jahren beim Schreiben der ers­ wiesen, dass Therapeuten heute in der klinischen Praxis nicht oft auf die bestmögliche
ten Auflage dieses Buches wählte, erscheint mir noch heute angemessen. Zunächst Weise arbeiten können; meiner Meinung nach ist die prototypische Gruppe, die wir in
trennte ich bei den verschiedenen Arten von Gruppentherapie jeweils die Fassade vom diesem Buch beschreiben, der Zusammenhang, in dem Therapeuten ihren Klienten am
Kern. Die Fassade besteht aus dem Aufputz, der Form, den Techniken, der Spezialspra­ besten helfen können. Diese intensive und anspruchsvolle Therapieform verlangt so­
che und der Aura, die jede ideologische Schule umgibt, der Kern aus den Aspekten des wohl dem Klienten als auch dem Therapeuten viel ab. Um eine solche Gruppe leiten

12 13
zu können, muss ein Therapeut sehr komplexe Strategien und Techniken beherrschen. bereitung auf eine Gruppentherapie oder die Gründe für deren Abbruch) sind sehr
Doch wenn er sie beherrscht und außerdem in der Lage ist, sie an spezielle T herapiesitua­ gründlich untersucht worden, während andere (beispielsweise das »Durcharbeiten«
tionen anzupassen, kann er eine Gruppentherapie so gestalten, dass sie sich für jede klini­ oder die Gegenübertragung) erst seit kurzem erforscht werden. Natürlich spiegeln sich
sche Population in jedem Rahmen eignet. Studenten in der Ausbildung sollten sich be­ diese Unterschiede des aktuellen Standes wissenschaftlicher Erkenntnis zu den ver­
mühen, sich zu kreativen und mitfühlenden Therapeuten zu entwickeln mit einem schiedenen Aspekten gruppentherapeutischer Arbeit im Text: In einigen Kapiteln wer­
tiefen Verständnis für die theoretischen Grundlagen ihrer Arbeit, also nicht zu »Arbei­ den Kliniker den Eindruck gewinnen, der Forschung werde eine zu große Bedeutung
tern« mit wenig Weitblick und noch weniger innerer Begeisterung für ihre Tätigkeit zu beigemessen, während stärker an der Forschung interessierte Kollegen bei anderen Tei­
werden. Die Verfechter des Managed-Care-Ansatzes im Gesundheitswesen stilisieren len einwenden werden, dass es ihnen an Exaktheit mangelt.
die Gruppentherapie zur wichtigsten Behandlungsform der Zukunft. Gruppenthera­ Wir sollten von der Psychotherapieforschung nicht mehr erwarten, als sie zu leisten
peuten sollten auf diese Entwicklung, die für sie ja auch eine Chance ist, so gut wie vermag. Wird es ihr gelingen, die psychotherapeutische Praxis schnell und tief greifend
möglich vorbereitet sein. zu verändern? Wahrscheinlich nicht. Und warum nicht? Ein Grund hierfür ist »Wider­
Weil die meisten Leser dieses Buches wahrscheinlich Kliniker sind, steht in der Dar­ stand«. Die Anhänger komplexer Therapiesysteme, die oft viele Jahre auf die Ausbil­
stellung die unmittelbare klinische Relevanz im Vordergrund. Ungeachtet dessen glau­ dung in der betreffenden Tradition verwendet haben, halten häufig starr am mühsam
be ich, dass Kliniker mit der aktuellen Forschung in Kontakt bleiben sollten: Auch The­ Erlernten fest und verändern sich deshalb nur sehr langsam und zudem nur dann,
rapeuten, die nicht selbst forschen, müssen in der Lage sein, die Resultate der Untersu­ wenn sie für einen solchen Sinneswandel sehr fundierte Gründe sehen. Außerdem
chungen anderer adäquat einzuschätzen. Deshalb nimmt dieses Buch in starkem Maße können Psychotherapeuten, die tagtäglich mit den akuten Problemen ihrer Klienten
auf relevante klinische, sozialwissenschaftliche und psychologische Untersuchungen konfrontiert werden, verständlicherweise nicht auf neue plausible wissenschaftliche
Bezug. Resultate warten. Auch der ökonomische Aspekt der Forschung darf in diesem Zusam­
Als ich beim Schreiben der ersten Versionen dieses Buches die Regale von Bibliothe­ menhang nicht vergessen werden. Worauf sich die psychologische Forschung jeweils
ken durchstöberte, habe ich oft in antiquierten psychiatrischen Lehrbüchern geblät­ konzentriert, hängt in starkem Maße von den Wünschen und Erfordernissen der Ge­
tert. Es kommt mir geradezu gespenstisch vor, wenn ich mir klarmache, dass die An­ sundheitsindustrie ab. Als Gesundheitspolitiker und Krankenkassenmanager in ihrem
hänger psychiatrischer Therapiemethoden wie Hydrotherapie, Schlafkuren, Loboto­ Bemühen um wirksame Sparmaßnahmen auf eine umfassende Neuausrichtung hin zu
mie und Insulinschocks Kliniker von hoher Intelligenz und Integrität waren, die sich kurzen symptomorientierten Psychotherapien drängten, häuften sich in der Fachlite­
ihrer Arbeit mit großer Hingabe widmeten! Dasselbe gilt für noch frühere Generatio­ ratur plötzlich Berichte über Forschungsprojekte, die sich mit der Wirkung von Kurz­
nen von Psychiatern, die Aderlass, Hungerkuren, die Behandlung mit Abführmitteln zeitbehandlungen befassten. Gleichzeitig wurden die Mittel für die Erforschung der
und die Trepanation befürworteten. Ihre Abhandlungen sind ebenso gut geschrieben Langzeittherapie drastisch gekürzt, obwohl Kliniker sich über die Relevanz von Unter­
und ihr Optimismus war ebenso grenzenlos wie die entsprechenden Produkte und Ak­ suchungen, die deren besondere Vorzüge bestätigen, weitgehend einig sind. Wir erwar­
tivitäten zeitgenössischer Kliniker, und die Erfolge, über die sie berichten, müssen als ten, dass sich der aktuelle Trend irgendwann umkehren wird und dass man dann die
ebenso eindrucksvoll erscheinen wie die der Verfechter heutiger Methoden. Wirksamkeit psychotherapeutischer Arbeit in der realen klinischen Praxis wieder stär­
Frage: Warum wurden in anderen Bereichen der Gesundheitspflege so wesentlich ker erforschen wird, um die aus randomisierten kontrollierten Untersuchungen kurz­
größere Fortschritte erzielt als im Bereich der Behandlung psychischer Störungen? zeittherapeutischer Verfahren gewonnenen Erkenntnisse zu ergänzen. Eine weitere
Antwort: Weil die Vertreter jener anderen Bereiche seit langem die Prinzipien wissen­ Überlegung ist, dass sich viele Aspekte der Psychotherapie naturgemäß und anders als
schaftlicher Methodik anwenden. Solange sich die heutigen Psychotherapeuten keine die Forschungsgegenstände der Naturwissenschaften nicht quantifizieren lassen. Psy­
fundierte wissenschaftliche Grundlage zu eigen machen, ähneln sie hinsichtlich der chotherapie ist Wissenschaft und Kunst. Erkenntnisse, die aus wissenschaftlichen Un­
Begeisterung, die sie für die heute üblichen Behandlungsmethoden aufbringen, in be­ tersuchungen gewonnen wurden, mögen sich auf die peripheren Aspekte psycho­
dauerlichem Maße den früheren Hydrotherapeuten und den Verfechtern der Loboto­ therapeutischer Praxis auswirken, doch die menschliche Begegnung im Zentrum der
mie. Solange wir die Grundprinzipien der heute gängigen Behandlungsverfahren und Therapie wird stets eine zutiefst subjektive, nicht quantifizierbare Erfahrung bleiben.
die mit ihrer Hilfe erzielten Resultate nicht mit wissenschaftlicher Strenge prüfen, Eine der wichtigsten Grundannahmen dieses Buches ist, dass interpersonale Inter­
bleibt unser Tätigkeitsbereich ein Spielball wechselnder Moden. Deshalb bezieht sich aktion im Hier und Jetzt für eine wirksame Gruppentherapie entscheidend ist. Eine
der im vorliegenden Buch beschriebene Ansatz wann immer möglich auf exakte und Therapiegruppe, die wirklich etwas verändert, bietet ihren Mitgliedern zunächst einen
relevante wissenschaftliche Forschung, und die Aufmerksamkeit des Lesers wird im­ Freiraum, in dem sie ungehindert interagieren können, hilft ihnen dann, die Mängel
mer wieder auf Bereiche gelenkt, in denen weitere Untersuchungen als besonders rat­ ihrer Interaktionen zu erkennen und zu verstehen, und ermöglicht ihnen schließlich,
sam erscheinen. Einige Aspekte gruppentherapeutischer Arbeit (beispielsweise die Vor- diese dysfunktionalen Verhaltensmuster zu verändern. Ich bin überzeugt, dass es Grup-

14 15
pen, die ausschließlich von anderen Annahmen - beispielsweise von psychoedukativen In den ersten vier Kapiteln geht es um elf therapeutische Faktoren. In Kapitel 1 be­
oder kognitiv-behavioralen Prinzipien - ausgehen, nicht gelingen kann, aus der Grup­ handle ich das Wecken von Hoffnung, die Universalität menschlichen Erlebens, die Über­
pentherapie maximalen therapeutischen Nutzen zu ziehen. Die Wirkung erhöht sich, mittlung von Informationen, Altruismus, die korrektiv wirkende Rückerinnerung an Er­
wenn man die aufmerksame Beobachtung interpersonaler Prozesse in sie einbezieht. lebnisse in der primären Familiengruppe, die Entwicklung von Sozialisationstechniken
Dies ist ein für die Zukunft der klinischen Praxis ungeheuer wichtiger Punkt. Die und das Imitationsverhalten. In den Kapiteln 2 und 3 werden die komplexeren und
zunehmende Bedeutung der Einzelfall-Kostenkontrolle im Gesundheitswesen wird wirksameren Faktoren interpersonales Lernen und Kohäsion dargestellt. In Kapitel 4
zwangsläufig zu einer verstärkten Nutzung von Therapiegruppen führen. Doch in geht es um Katharsis und existenzielle Faktoren, und es wird versucht, eine Synthese zu
ihrem Bemühen um die Nutzung effizienter, kurzer und verlässlicher Behandlungsver­ erreichen, indem die jeweilige Bedeutung aller elf therapeutischen Faktoren in Abhän­
fahren machen die Entscheidungsträger der Gesundheitskonzerne mit ihren Managed­ gigkeit voneinander thematisiert wird.
Care-Bestrebungen den Fehler zu dekretieren, dass bestimmte therapeutische Richtun­ In den folgenden beiden Kapiteln geht es um die Arbeit des Therapeuten. In Kapi­
gen (Kurzzeittherapie, kognitiv-behaviorale oder symptomorientierte Therapie) wün­ tel 5 werden die Aufgaben des Gruppentherapeuten behandelt - insbesondere diejeni­
schenswerter seien, weil diese Ansätze in einigen Aspekten anderen wirksamen medi­ gen, die für den Aufbau einer therapeutischen Gruppenkultur und für die therapeuti­
zinischen Behandlungsverfahren ähneln: in der Festlegung klar definierter und deut­ sche Nutzung der Interaktion innerhalb der Gruppe wichtig sind. In Kapitel 6 wird
lich abgegrenzter Ziele; im häufigen und regelmäßigen Messen der Fortschritte auf beschrieben, dass der Therapeut zunächst das Hier und Jetzt aktivieren ( d. h. die Grup­
dem Weg zum definierten Ziel; indem sie einen sehr detaillierten und auf den konkre­ pe in ihr eigenes Erleben hineintreiben) und dann die Bedeutung des Hier-und-Jetzt­
ten Fall abgestimmten Behandlungsplan entwickeln und sich generell einer replizier­ Erlebens hervorheben muss. In der aktuellen Neuauflage relativieren wir die Bedeu­
baren, einheitlichen, manualgesteuerten, stark strukturierten Therapie mit einem prä­ tung bestimmter Modelle, die besonderen Wert auf die Untersuchung der Gesamt­
zisen Protokoll für jede Sitzung bedienen. Es wäre jedoch ein gravierender Fehler, den gruppendynamik legen (beispielsweise gilt das für den Tavistock-Ansatz), weil diese
Anschein von Effizienz mit tatsächlicher Wirksamkeit zu verwechseln! sich mittlerweile in der klinischen Arbeit als uneffektiv erwiesen haben. (Ein Teil des
Im vorliegenden Buch beschäftigen wir uns ausgiebig mit dem auf Interaktion zie­ in der vorliegenden Ausgabe nicht mehr enthaltenen Materials steht interessierten Le­
lenden Fokus und mit dessen starkem Einfluss auf entscheidende Veränderungen der sern weiterhin auf der Website www.yalom.com zur Verfügung.)
Persönlichkeit und des zwischenmenschlichen Verhaltens. Die Fokussierung auf Inter­ Während die Kapitel 5 und 6 sich damit befassen, was der Therapeut tun muss, geht
aktion ist die Triebfeder der Gruppentherapie, und Therapeuten, die diese Kraft zu Kapitel 7 darauf ein, wie der Therapeut sein muss. Es erklärt die Rolle des Therapeuten
nutzen wissen, sind bei der Arbeit mit Therapiegruppen jeglicher Art deutlich im und die Nutzung seiner persönlichen Eigenarten, wobei die Darstellung sich auf die
Vorteil, auch wenn das betreffende Gruppenmodell die zentrale Bedeutung der Inter­ beiden wichtigen Aspekte Übertragung und Transparenz konzentriert. In früheren Aus­
aktion nicht in den Vordergrund stellt oder auch nur anerkennt. gaben fühlte ich mich veranlasst, Therapeuten zur Zurückhaltung aufzufordern, da
Anfänglich war ich nicht sonderlich darauf aus, die Mühe einer erneuten Über­ viele von ihnen noch so stark von der Encountergruppenbewegung beeinflusst waren,
arbeitung dieses Buches auf mich zu nehmen. An den theoretischen Grundlagen und dass sie zu oft und zu gründlich »in die Vollen gingen«. Mittlerweile hat sich vieles ver­
den technischen Aspekten der Gruppentherapie hat sich seit der vierten Auflage nicht ändert, und konservativere Kräfte haben an Bedeutung gewonnen. Deshalb erscheint
viel geändert, und sie erscheinen mir weiterhin als solide und nützlich. Doch ein Buch, es mir erforderlich, Gruppentherapeuten in dieser Neuauflage von einer generell de­
das sich mit einem noch stark in der Entwicklung begriffenen Thema befasst, ist fensiven Haltung bei ihrer Arbeit abzuraten. Viele von ihnen sind heute angesichts der
zwangsläufig früher oder später überholt, und die vorige Auflage wurde in verschiede­ Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung ( das Resultat verantwortungslosen und
ner Hinsicht dem neuesten Entwicklungsstand nicht mehr gerecht. Sie enthielt bei nä­ ethisch fragwürdigen Verhaltens einiger Therapeuten und einer rücksichtslosen und
herem Hinsehen nicht nur veraltete und überholte Bezugnahmen, sondern außerdem von Gier motivierten amerikanischen Anwaltsszene, die sich auf die Verfolgung von
hat sich der gesamte Bereich gruppentherapeutischer Arbeit inzwischen stark verän­ »Kunstfehlern« und unethischen Verhaltensweisen von Psychotherapeuten und Ärzten
dert. Kostenkontrolle und Case-Management im Gesundheitswesen sind mittlerweile spezialisiert hat) übertrieben vorsichtig geworden und verhalten sich ihren Klienten
Realität; der Text des DSM-IV wurde einer Revision unterzogen (DSM-IV- TR); und gegenüber betont distanziert. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit der Nutzung der
die klinische und wissenschaftliche Literatur eines ganzen Jahrzehnts musste durch­ persönlichen Ressourcen des Therapeuten für die psychotherapeutische Arbeit in die­
gesehen und in den Text eingearbeitet werden. Außerdem sind viele neue Arten von ser Neuauflage ein wichtiger Schwerpunkt.
Gruppen entstanden, während andere verschwunden sind. Kognitiv-behaviorale, psy­ Die Kapitel 8 bis 14 enthalten eine chronologische Darstellung des Geschehens in der
choedukative und problemspezifische Kurzzeittherapiegruppen werden häufiger, und Therapiegruppe, wobei jeweils die Gruppenphänomene und Techniken hervorgehoben
wir haben uns besondere Mühe gegeben, in der vorliegenden Neuausgabe auf die für werden, die für eine .bestimmte Phase wichtig sind. Die Kapitel 8 und 9, in denen es um
diese Gruppenformen wichtigen speziellen Aspekte einzugehen. die Auswahl der Klienten für die Gruppenarbeit und um die Zusammenstellung der

16 17
Therapiegruppe geht, berichten über neue Forschungsergebnisse zu den Aspekten der und andererseits die Tatsache, dass Encountergruppen (auch Prozessgruppen, T-Grup­
Teilnahme am Gruppengeschehen, der »Aussteiger« und der Resultate einer Gruppen­ pen [T steht für »Training«] oder Selbsterfahrungstrainingsgruppen genannt) auch
therapie. In Kapitel 10 werden praktische Aspekte des Beginns der Arbeit mit einer Grup­ heute noch in der Ausbildung von Gruppenpsychotherapeuten genutzt werden.
pe erörtert; es enthält einen längeren neuen Abschnitt über Kurzzeittherapie in Grup­ Kapitel 17, in dem es um die Ausbildung von Gruppentherapeuten geht, enthält zu­
pen und berichtet über viele wichtige neue Untersuchungen bezüglich der Vorberei­ sätzlich Informationen über neuere Arten des Umgangs mit dem Supervisionsprozess
tung von Klienten auf die Gruppenarbeit. Der Anhang dieses Kapitels enthält ein Do­ sowie über die Nutzung von Prozessgruppen in Ausbildungszusammenhängen.
kument, das Therapeuten neuen Gruppenmitgliedern zum Lesen geben können, um In den vier Jahren, in denen ich an der erneuten Revision dieses Buches arbeitete,
sie auf die Arbeit in der Therapiegruppe vorzubereiten. habe ich gleichzeitig einen Roman mit dem Titel Die Schopenhauer-Kur geschrieben,
In Kapitel 11 geht es um die Anfangsphasen der Therapiegruppe; außerdem enthält den man als eine Art Begleitlektüre verstehen und entsprechend nutzen kann. Es geht
es neues Material über den Umgang mit Therapieabbrechern. In Kapitel 12 behandle ich darin um eine Therapiegruppe, und es werden viele der Prinzipien von Gruppenpro­
Phänomene, die in der Reifephase der gruppentherapeutischen Arbeit auftreten: Bil­ zessen und therapeutischen Techniken beschrieben, die im vorliegenden Handbuch
dung von Untergruppen, Konflikte, Selbstoffenbarung und Abschluss. erläutert werden. Deshalb beziehe ich mich in dieser fünften Auflage an mehreren Stel­
Kapitel 13, das den Umgang mit problematischen K lienten behandelt, enthält neues len auf bestimmte Passagen des Buches Die Schopenhauer-Kur, in denen psychothera­
Material über Weiterentwicklungen der interpersonalen Theorie und referiert außer­ peutische Techniken anklingen.
dem, welche Rollen die Theorie der Intersubjektivität, die Bindungstheorie und die Dicke Bücher landen gewöhnlich in dem für »Nachschlagewerke« vorgesehenen Re­
Selbstpsychologie für die Gruppentherapie spielen. Kapitel 14 befasst sich mit speziel­ gal. Um dem vorliegenden Buch dieses Schicksal zu ersparen, haben wir uns bemüht,
len therapeutischen Techniken, beispielsweise mit einer gleichzeitigen Einzel- und Grup­ den Text nicht noch länger zu machen. Doch da viel neues Material hinzugekommen
pentherapie (sowohl kombiniert in einer einzigen Veranstaltung bzw. bei ein und dem­ ist, sahen wir uns gezwungen, zahlreiche ältere Abschnitte und Zitate zu streichen.
selben Therapeuten als auch nebeneinanderher laufend bei verschiedenen Therapeu­ (Wenn ich abends meinen Schreibtisch verließ, klebte jedesmal das Blut zahlreicher
ten, die miteinander kommunizieren), weiterhin mit Co-Therapie, Gruppensitzungen exekutierter Passagen an meinen Fingern.) Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden
ohne den Therapeuten, mit der Einbeziehung von Träumen in die Gruppenarbeit, der fast alle Einzelheiten über die bei wissenschaftlichen Untersuchungen angewandten
Nutzung von Videoaufnahmen und strukturierter übungen, der Verwendung schrift­ Methoden und über die Kritik an ihnen in Fußnoten oder in Anmerkungen am Ende
licher Zusammenfassungen der Gruppenarbeit sowie mit der Integration von Grup­ des Buches verbannt. Die in den letzten zehn Jahren neu erschienene Literatur über
pentherapie und Zwölf- Schritte-Programmen. Gruppentherapie wird ausführlich besprochen.
Kapitel 15 behandelt spezielle Therapiegruppen, nämlich die vielen neuen Gruppen, Die meisten Kapitel enthalten 50-100 neue Anmerkungen. An zahlreichen Stellen
die für Klienten mit bestimmten klinischen Syndromen sowie für solche, die sich in im Buch weist ein Pfeil ( .71) darauf hin, dass zum betreffenden Zusammenhang stüt­
einer bestimmten klinischen Situation befinden, entwickelt wurden. Es beschreibt die zende wissenschaftliche Studien existieren. Die zugehörigen Literaturhinweise finden
Prinzipien, die bei der Modifikation grundlegender gruppentherapeutischer Techni­ an dieser Thematik Interessierte auf meiner Website, www.yalom.com.
ken zu beachten sind, wenn die Entstehung einer Gruppenstruktur ermöglicht werden
soll, die den Erfordernissen einer speziellen klinischen Situation oder Population ge­
Da n ksagung
recht wird. Außerdem wird die Nutzung der kognitiv-behavioralen und interpersona­
len Therapie in Gruppen beschrieben. Die genannten Grundprinzipien werden durch Ich danke der Stanford University dafür, dass sie mir die akademische Freiheit, die
die detaillierte Beschreibung verschiedener Gruppentypen veranschaulicht, beispiels­ Recherchemöglichkeiten und die administrativen Hilfen gewährt hat, die ich für diese
weise einer Gruppe für stationär behandelte Psychiatriepatienten mit akuten Störun­ Überarbeitung brauchte. Jerome Frank, einem meisterhaften Mentor (der kurz vor der
gen und verschiedener Gruppen für Patienten mit bestimmten körperlichen Krankhei­ Veröffentlichung dieser Neuausgabe starb), danke ich dafür, dass er mir die Gruppen­
ten (wobei eine Gruppe für Krebspatienten besonders ausführlich geschildert wird). therapie nahegebracht hat und dass er für mich mit seiner Integrität, seiner Neugier
Weiterhin werden in Kapitel 15 Selbsthilfegruppen sowie das jüngste Mitglied der Fa­ und seiner Hingabe ein wichtiges Vorbild war. Viele haben mich bei dieser Überarbei­
milie der Gruppentherapien, die Internet-Unterstützungsgruppe, thematisiert. tung unterstützt: Stephanie Brown, Ph. D. (bezüglich der Zwölf-Schritte-Gruppen),
Die Überarbeitung von Kapitel 16, das sich mit der Encountergruppe befasst, gestal­ Morton Lieberman, Ph. D. (bezüglich der Internet-Gruppen), Ruthellen Josselson (be­
tete sich besonders schwierig. Da »die Encountergruppe« heute kaum noch eine Rolle züglich Interventionen, die die Gruppe als Ganzes betreffen), David Spiegel (bezüglich
spielt, wollten wir dieses Kapitel zunächst ganz streichen. Dagegen sprachen aber ei­ der Gruppen für Patienten mit physischen Krankheiten) und mein Sohn Ben Yalom,
nerseits die Bedeutung der Encountergruppenbewegung für die Entwicklung der Tech­ der mehrere Kapitel lektoriert hat. Irvin Yalom
nologie, welche die wissenschaftliche Erforschung der Gruppenarbeit ermöglichte,

18 19
Ich danke der psychiatrischen Abteilung der University of Toronto für ihre Unterstüt­ Vorwort zur deutschen Ausgabe
zung bei diesem Projekt. Meine dortigen Kollegen haben mir durch ihre Kommentare
zu vorläufigen Fassungen dieser Neuauflage sehr geholfen und außerdem zur Fertig­
stellung der endgültigen Fassung wichtige Beiträge geleistet. Zu ihnen zählen Joel Sa­ Schon in der ersten Auflage dieses Buches (1970 auf englisch, 1974 auf deutsch) ging
davoy, M. D., Don Wasylenki, M. D., Danny Silver, M. D., Paula Ravitz, M. D., Zindel es um zwei Ziele: 1. um eine Anleitung für Psychotherapeuten, die mit Gruppen arbei­
Segal, Ph. D., Paul Westlind, M. D., Ellen Margolese, M. D., Jan Malat, M. D., und Jon ten, 2. um die wissenschaftlichen Grundlagen der Gruppenpsychotherapie. Der Bedarf
Hunter, M. D. Liz Konigshaus hat gewissenhaft, effizient und mit unverwüstlichem an einem solchen Lehrbuch ist inzwischen größer geworden. Es existieren im deut­
Humor die schwierige Aufgabe der Überarbeitung der ursprünglichen Textfassung am schen Sprachraum zwar viele Weiterbildungsinstitute für Psychoanalyse, analytische
Computer auf sich genommen. Benjamin, Talia und Noah Leszcz, meine Kinder sowie Psychotherapie und Tiefenpsychologie; alle diese Institutionen widmen sich aber der
Bonny Leszcz, meine Frau, haben mir während der gesamten Arbeit mit ihrem Ver­ psychischen Behandlung des einzelnen. Was die Gruppenpsychotherapie betrifft, so
ständnis und ihrer Ermutigung geholfen. Ihnen allen möchte ich hiermit danken. gibt es zwar einige private Institutionen, an denen bereits in Einzeltherapie weiterge­
Molyn Leszcz bildete Psychologen und Ärzte Gruppenpsychotherapie erlernen können (in Selbster­
fahrungsgruppen, durch Supervision und Theorievermittlung).
Was aber lange fehlte, war ein aktuelles, die neuesten Ent_wicklungen berücksichti­
gendes Lehrbuch der Gruppenprozesse, das dem Lehrbuch von Thomä & Kächele
(1985/1988) über die Psychoanalyse des einzelnen an die Seite zu stellen ist. Diese Lü­
cke füllte Yaloms 3. Auflage von »Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie«, die
1989 auf dem deutschen Buchmarkt erschien. Mit dieser Neuausgabe liegt nun wieder
eine Bearbeitung und Erweiterung vor, die den Veränderungen der wissenschaftlichen
Forschung und den Gegebenheiten des Gesundheitswesens Rechnung trägt, einschließ­
lich einer aktuellen Methodik der Gruppen-Kurzpsychotherapie. Das Buch mag man­
chen Psychoanalytikern nicht psychoanalytisch genug erscheinen, dem einen oder an­
deren verhaltenstherapeutisch arbeitenden Psychologen zu psychoanalytisch, Prakti­
kern zu wissenschaftlich und Wissenschaftlern zu praxisbezogen. Der Grund für diese
Eindrücke liegt darin, dass Yalom alle genannten Gesichtspunkte in einer Person ver­
einigt. Er hat sich keiner bestimmten Schule oder Richtung verschrieben. Yalom ist vor
allem Wissenschaftler, dem es auf Fakten ankommt, auf empirisch überprüfbare Er­
gebnisse und auf direkte beobachtbare Veränderungsprozesse. Er kann deswegen in
logischer Konsequenz feststellen, dass es keine empirischen Beweise für die psychoana­
lytische Erfahrung gebe, Übertragungsprozesse und deren Durcharbeitung seien die
Voraussetzung für Veränderung. Manche Positionen des Autors scheinen der Lern­
theorie und Verhaltenstherapie eher verpflichtet als der Psychoanalyse, wenn er z. B.
folgende Wirkfaktoren der Gruppenpsychotherapie betont: Hoffnung, Universalität
des Leidens, Mitteilung von Informationen, korrigierende Rekapitulation der Her­
kunftsfamilie, Entwicklung von Techniken des mitmenschlichen Umgangs, nachah­
mendes Verhalten und interpersonales Lernen. Der Autor macht auch kein Hehl dar­
aus, dass er dem Erlernen neuer Verhaltensweisen mehr Veränderungspotential zutraut
als »tiefen« Einsichten. Eine solche Einstellung kommt dem Trend entgegen, sich in der
Psychotherapie weniger unbewussten Prozessen zu überlassen, sondern sich vielmehr
gezielt auf das strategische Ziel der »Verhaltens-Modifikation« zu konzentrieren. Kurz­
therapheutische, themen-zentrierte und gesprächstherapeutisch orientierte Gruppen­
verfahren belegen diesen Trend. Insofern spiegelt Yaloms vierte überarbeitete Au�age
der »Gruppenpsychotherapie« durchaus die aktuelle therapeutische Szene wider.

20 21
Gruppenpsychotherapie spielt in der psychotherapeutischen Versorgung der Bevöl­
kerung eine große Rolle: ein Drittel aller Behandlungen in analytischer Psychotherapie
findet in Gruppen statt. Gruppenpsychotherapie hat gegenüber der Einzeltherapie vie­
le Vorteile: sie entspricht eher der sozialen Realität unseres Lebens als die duale Situa­ Ka pite l 1
tion. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Übertragungen entwickeln, ist wegen der An­
wesenheit von mehreren Personen höher als in der Einzeltherapie. Das therapeutische
Potential ist größer, denn andere Gruppenmitglieder und die Gruppe als Ganzes kön­
nen manches wahrnehmen, beobachten und interpretieren, was der Gruppenthera­
Die t h e ra peutisc h e n Fa kto re n
peut nicht sieht. Außerdem hat jede Interpretation in einer Gruppe insofern eine grö­
ßere überzeugungskraft, als die anderen Anwesenden die Interpretation als Öffentlich­ Hilft Gruppentherapie Klienten? Natürlich tut sie das. überzeugende Ergebnisstudien
keit im guten Sinne kontrollieren können. belegen, dass Gruppentherapie eine sehr wirksame Form psychotherapeutischer Arbeit
Es gibt also viele Gründe, sich der Gruppentherapie zuzuwenden. An Yaloms Stan­ ist und dass sie der Einzeltherapie in ihrer Fähigkeit, Klienten zu befriedigenden The­
dardwerk führt dabei kein Weg vorbei, weil hier ein Autor wissenschaftlich begründet rapieresultaten zu verhelfen, zumindest nicht nachsteht. 1
argumentiert und ebenso fundiert wie umfassend informiert, mögen auch manche sei­ Doch wie hilft Gruppentherapie Klienten? Vielleicht ist das eine naive Frage. Doch
ner Thesen und Resultate zum Widerspruch herausfordern. wenn wir sie mit einer gewissen Genauigkeit und Sicherheit beantworten könnten,
Wer sich weiterbilden will, kann dies auch über die Lektüre einschlägiger Bücher stünde uns ein zentrales Organisationsprinzip zur Verfügung, mit dessen Hilfe wir eine
tun. Es gibt Einführungen von Argelander (Gruppenprozesse, 1972), Battegay (Der Chance hätten, einige der bedrückendsten und umstrittensten Probleme der Psycho­
Mensch in der Gruppe, 1967-1969), S.H. Foulkes (Praxis der gruppenanalytischen Psy­ therapie zu lösen. Wenn wir die entscheidenden Aspekte des Veränderungsprozesses
chotherapie, 1978), Heigl-Evers (Konzepte der analytischen Gruppenpsychotherapie, kennen, verfügen wir über eine rationale Grundlage für die Entwicklung einer Taktik
1978), Grotjahn (Analytische Gruppentherapie, 1985), Kutter (Elemente der Gruppen­ und Strategie zur Beeinflussung des Gruppengeschehens und zur Maximierung seiner
therapie, 1976), Sandner (Psychodynamik in Kleingruppen, 1978), W. Schindler (Die Wirkung bei unterschiedlichen Klienten und in unterschiedlichen zusammen­
analytische Gruppentherapie nach dem Familienmodell, 1980), Schmidbauer (Selbst­ hängen.
erfahrung in der Gruppe), ders. (Sensitivitätstraining und analytische Gruppendyna­ Therapeutische Veränderung ist ein sehr komplexer Vorgang, der auf einem diffizi­
mik) oder König und Lindner (Psychoanalytische Gruppentherapie, 2. Aufl. 1992). len Zusammenspiel menschlicher Erfahrungen basiert, die ich »therapeutische Fakto­
Von diesen hat sich die Foulkessche Richtung der London Group-Analytic Society im ren« nenne. Es ist von Vorteil, sich dem Komplexen vom Einfachen her zu nähern, also
deutschen Sprachraum am ehesten durchgesetzt, wie das »European Group Analytic dem Gesamtphänomen von den Teilprozessen her, die ihm zugrunde liegen. Deshalb
Training Institutions Network« (E.G.A.T.I.N., 1988 gegründet) beweist. beginne ich mit einer Beschreibung und Untersuchung dieser elementaren Faktoren.
Peter Kutter Nach meiner Auffassung lässt sich das Geschehen in der Gruppentherapie aufgrund
natürlicher Gegebenheiten in elf Primärfaktoren unterteilen:

1. Hoffnung wecken
H i nweis des Verlages
2. Universalität des Leidens
Der Autor konnte eine Vielzahl an Quellenangaben und Literaturempfehlungen nicht 3. Mitteilen von Informationen
in das Buch aufnehmen. Diese ergänzenden Angaben finden sich auf der Homepage 4. Altruismus
von Irvin Yalom: www.yalom.com 5. Korrigierende Rekapitulation des Geschehens in der primären Familiengruppe
Im Buch sind Hinweise zu Angaben auf der Homepage mit ,71 markiert. Da die 6. Entwicklung von sozialer Kompetenz
Homepage die Seitenzahlen der amerikanischen Originalausgabe zugrunde legt, findet 7. Imitationsverhalten
der Leser der deutschen Ausgabe eine Seitenkonkordanz auf Seite 704 dieses Buches. 8. Interpersonales Lernen
9. Gruppenkohäsion
10. Katharsis
11. Existenzielle Faktoren

Im weiteren Verlauf dieses ersten Kapitels werde ich die ersten sieben der genannten

22 23
Faktoren erläutern. Interpersonales Lernen und Gruppenkohäsivität halte ich für so sprechen«, herrscht nicht immer Einigkeit darüber, aus welchen Gründen Klienten
wichtig und komplex, dass ich sie in den nächsten beiden Kapiteln getrennt behandeln Fortschritte machen. Im Rahmen unserer Auseinandersetzungen mit Encountergrup­
werde. Existenzielle Faktoren werden im vierten Kapitel behandelt, weil sie in Zusam­ pen fanden meine Kollegen und ich heraus, dass viele erfolgreiche Gruppenleiter ihren
menhang mit dem dort vorgestellten Material am besten verständlich werden. Kathar­ Erfolg Faktoren zuschrieben, die für den Therapieprozess irrelevant waren: beispiels­
sis ist mit anderen therapeutischen Faktoren eng verwoben und wird gleichfalls im weise der Hot-Seat-Technik oder nonverbalen Übungen oder der unmittelbaren Wir­
vierten Kapitel erläutert. kung der Persönlichkeit des Therapeuten (siehe Kapitel 16).3 Doch das überrascht uns
Meine Unterscheidung zwischen den einzelnen Faktoren ist in gewisser Weise will­ nicht. In der Geschichte der Psychotherapie gibt es eine große Zahl erfolgreicher Hei­
kürlich. Obwohl ich sie einzeln bespreche, sind sie interdependent und kommen weder ler, die aus völlig anderen Gründen Erfolg hatten, als sie selbst annahmen. In anderen
einzeln vor, noch können sie isoliert wirksam werden. Außerdem können sie verschie­ Fällen sind wir einfach völlig ratlos über die plötzlichen Fortschritte eines Klienten -
dene Teile des Veränderungsprozesses repräsentieren: Einige Faktoren (beispielsweise welcher Therapeut hätte so etwas noch nie erlebt?
die korrigierende Rekapitulation des Geschehens in der primären Familiengruppe) Am Ende einer Gruppentherapie können die Teilnehmer Angaben über die thera­
wirken auf der Ebene der Kognition; andere (beispielsweise die Entwicklung von Tech­ peutischen Faktoren machen, die ihnen selbst als die nützlichsten oder die am wenigs­
niken des mitmenschlichen Umgangs) wirken auf der Ebene der Veränderung von Ver­ ten nützlichen erschienen sind. Doch ist uns klar, dass solche Einschätzungen immer
halten; und wieder andere (beispielsweise Katharsis) wirken auf der Ebene der Emo­ unvollständig und nur bedingt verlässlich sind. Konzentrieren die Gruppenmitglieder
tion; und schließlich gibt es Faktoren (beispielsweise den der Gruppenkohäsivität), die sich möglicherweise hauptsächlich auf oberflächliche Faktoren und vernachlässigen sie
man vielleicht zutreffender als Vorbedingungen für eine Veränderung bezeichnen soll­ tiefer reichende heilende Kräfte, die sie nicht wahrnehmen? Könnten ihre Aussagen
te. .71 Obwohl die gleichen therapeutischen Faktoren in jeder Art von Therapiegruppe von Faktoren beeinflusst werden, die kaum »dingfest« zu machen sind? Beispielsweise
wirksam sind, variieren ihr Zusammenspiel und ihr Gewicht je nach Art der Gruppe können ihre Ansichten durch die Art ihrer Beziehung zum Therapeuten oder zur
sehr stark. Außerdem können die verschiedenen Mitglieder ein und derselben Gruppe Gruppe verzerrt sein. (Ein Forscherteam hat nachgewiesen, dass Klienten, die vier Jah­
aufgrund ihrer individuellen Unterschiede aus sehr unterschiedlichen Konstellationen re nach Abschluss ihrer Therapie befragt wurden, viel eher bereit waren, über hinder­
therapeutischer Faktoren Nutzen ziehen . .71 liche oder schädliche Aspekte ihrer Gruppenerfahrung zu sprechen, als dies bei einer
Wenn wir bedenken, dass die therapeutischen Faktoren im Grunde willkürliche Befragung unmittelbar nach Abschluss der Gruppenarbeit der Fall gewesen war.)4
Konstrukte sind, können wir sie als Lieferanten einer kognitiven Landkarte verstehen. Auch wurde nachgewiesen, dass die therapeutischen Faktoren, die Gruppenmitglie­
Die in diesem Buch beschriebene Zusammenstellung therapeutischer Faktoren ist kein der für wichtig halten, völlig andere sein können, als ihre Therapeuten oder Beobach­
Dogma, und andere Psychotherapeuten und Forscher haben andere, ebenso willkürli­ ter für wichtig hielten5 - eine Entdeckung, die auch bezüglich der Einzeltherapie ge­
che Zusammenstellungen therapeutischer Faktoren entwickelt. 2 Kein Erklärungsansatz macht wurde. Außerdem beeinflussen viele eher verwirrende Faktoren die Art, wie Kli­
vermag alles zu erfassen, was Therapie beinhaltet. Da der Therapieprozess in seinem enten die Wirkung therapeutischer Faktoren beurteilen, beispielsweise die Behand­
Kern unvorstellbar komplex ist, gibt es eine unüberschaubare Zahl von Möglichkeiten, lungsdauer und die allgemeine psychische Funktionsfähigkeit des Betreffenden,6 die
ihn zu erleben. (Auf alle hier angeschnittenen Fragen werde ich in Kapitel 4 ausführ­ Art der Gruppe (ob es sich etwa· um eine Gruppe für ambulante oder stationäre Pati­
licher eingehen.) enten oder für die Besucher einer Tagesklinik handelt oder um eine Kurztherapie in
Die Liste therapeutischer Faktoren, die ich hier vorstelle, ist aus meiner persönli­ Gruppenform),7 Alter und Diagnose des Klienten8 und theoretische Orientierung des
chen klinischen Erfahrung sowie aus der klinischen Erfahrung anderer Therapeuten, Gruppenleiters.9 Ein weiterer Aspekt, der die Suche nach allgemeingültigen therapeu­
aus den Äußerungen erfolgreich behandelter Gruppenmitglieder und aus relevanten tischen Faktoren verkompliziert, ist die unterschiedliche Wahrnehmung und Erlebens­
Ergebnissen systematischer Untersuchungen hervorgegangen. Keine dieser Quellen ist weise ein und desselben Ereignisses durch die einzelnen Gruppenmitglieder. .71 Alles,
über jeden Zweifel erhaben; weder Gruppenmitglieder noch Gruppenleiter sind völlig was in einer Gruppe passiert, kann für einige Gruppenmitglieder wichtig oder nützlich
objektiv, und unsere Forschungsmethoden sind oft ziemlich undifferenziert und häu­ und für andere belanglos oder sogar schädlich sein.
fig nicht anwendbar. Trotzdem sind Berichte von Klienten eine ergiebige Informationsquelle, die relativ
Gruppentherapeuten liefern uns divergierende und in sich unstimmige Aufzählun­ wenig genutzt wird. Schließlich geht es einzig und allein um ihr Erleben und Erfahren,
gen therapeutischer Faktoren (siehe Kapitel 4). Therapeuten sind keineswegs unpar­ und je weiter wir uns als Therapeuten davon entfernen, umso fragwürdiger werden
teiische oder unvoreingenommene Beobachter, denn sie haben viel Zeit und Energie unsere Schlussfolgerungen. Natürlich nimmt der Klient bestimmte Aspekte des Ver­
auf das Erlernen eines bestimmten therapeutischen Ansatzes verwendet. Ihre Antwor­ änderungsprozesses nicht wahr, doch wäre es eine gefährliche Fehlentscheidung, des­
ten sind weitgehend von der Schule geprägt, der sie sich zugehörig fühlen. Selbst zwi­ halb das, was er sagt, völlig zu ignorieren.
schen Therapeuten der gleichen theoretischen Überzeugung, die »die gleiche Sprache Klienten aussagekräftige Berichte zu entlocken, ist eine Kunst. Schriftlich verfasste

24 25
Berichte und die Beantwortung von Fragebögen liefern zwar auf unkomplizierte Wei­ signifikanten Korrelation zu einem Therapieerfolg steht.II Man denke in diesem Zu­
se Informationen, doch erfassen sie häufig nicht die Nuancen und die Vielfalt dessen, sammenhang auch an die eindrucksvollen Ergebnisse von Untersuchungen, in denen
was der Klient erlebt hat. Je besser sich der Fragende in das Erleben eines Klienten die Wirksamkeit des Gesundbetens und von Placebo-Behandlung dokumentiert wur­
hineinversetzen kann, umso klarer und bedeutungsvoller wird dessen Bericht darüber, de - also von Therapien, deren Wirkung ausschließlich auf Hoffnung und Glauben be­
was er in der Therapie erlebt hat. Insoweit es dem Therapeuten gelingt, seine persön­ ruht. In einer Psychotherapie ist ein positives Behandlungsergebnis wahrscheinlicher,
liche Voreingenommenheit beiseite zu lassen und die Antworten des Klienten nicht zu wenn Klient und Therapeut hinsichtlich der Behandlung ähnliche Erwartungen
beeinflussen, wird er zum idealen Fragesteller: Der Klient vertraut ihm, und er versteht haben. I 2 Erwartungen wirken nicht nur auf die Vorstellung. Kürzlich durchgeführte
besser als jeder andere Mensch, was im Inneren seines Gesprächspartners vor sich Brain-Imaging-Untersuchungen haben gezeigt, dass ein Placebo keineswegs immer
geht. völlig unwirksam ist, sondern durchaus unmittelbar physiologisch auf das Gehirn wir­
Abgesehen von der Sichtweise des Therapeuten und den Berichten des Klienten gibt ken kann. 1 3
es noch einen dritten wichtigen Aspekt, der zur Einschätzung der relevanten therapeu­ Gruppentherapeuten können diesen Faktor nutzen, indem sie alles ihnen Mögliche
tischen Faktoren beitragen kann: der Ansatz der systematischen Forschung. Die am tun, um den Glauben ihrer Klienten an die Wirksamkeit der gruppentherapeutischen
weitesten verbreitete Forschungsstrategie besteht darin, die in der Therapie als relevant Behandlungsmethode zu stärken. Diese Aufgabe beginnt vor der eigentlichen Grup­
erkannten Variablen nach Abschluss der Therapie zum tatsächlich erzielten Therapie­ penarbeit, nämlich während der Einführung in die Gruppentherapie, in deren Verlauf
erfolg in Beziehung zu setzen. Indem man feststellt, welche Variablen in signifikanter der Therapeut positive Erwartungen verstärkt, negative Vorurteile korrigiert und auf
Korrelation zum Therapieerfolg stehen, kann man eine rationale Grundlage für die klare und überzeugende Weise erklärt, inwiefern die Gruppe zu heilen vermag. (Die
Definition relevanter therapeutischer Faktoren schaffen. Allerdings ist diese Vor­ Vorbereitungsphase vor Beginn der Gruppentherapie wird in Kapitel 10 ausführlich
gehensweise mit vielen Problemen behaftet: Schon die Erfolgsmessung an sich ist ein erläutert.)
methodologischer Morast, und die Variablen auszuwählen und zu messen ist ebenso Die Gruppentherapie nutzt nicht nur die allgemein zustandsverbessernde Wirkung
problematisch: 10 positiver Erwartungen, sondern profitiert auch von einer Quelle der Hoffnung, die nur
Um die im vorliegenden Buch erörterten therapeutischen Faktoren herauszu­ im Falle einer Gruppentherapie ihre Wirkung entfaltet. In Therapiegruppen gibt es
kristallisieren, habe ich mich aller genannten Methoden bedient. Trotzdem sehe ich immer Teilnehmer, die sich an unterschiedlichen Punkten des Problembewältigungs­
das Ergebnis, zu dem ich auf diese Weise gelangt bin, nicht als »der Weisheit letzten Zusammenbruchs-Kontinuums befinden. Jedes Gruppenmitglied hat starken Kontakt
Schluss« an, sondern ich verstehe es als eine Art zeitweiliger Orientierungshilfe, als et­ zu anderen, oft mit ähnlichen Problemen kämpfenden Mitgliedern, die aufgrund der
was, das andere klinische Forscher überprüfen und vertiefen können. Was mich per­ Therapie Fortschritte erzielt haben. Ich habe Klienten oft am Ende ihrer Gruppenthe­
sönlich angeht, bin ich vollauf damit zufrieden, dass die therapeutischen Faktoren, die rapie sagen hören, es sei für sie ungeheuer wichtig gewesen mitzuerleben, wie andere
ich definiert habe, auf den besten zur Zeit verfügbaren klinischen und wissenschaft­ sich positiv entwickelten. Erstaunlicherweise kann Hoffnung sogar in Gruppen zu ei­
lichen Daten basieren und dass sie die Grundlage eines effektiven Therapieansatzes ner hochwirksamen Kraft werden, deren Mitglieder mit Krebserkrankungen im fort­
bilden. geschrittenen Stadium kämpfen, wobei erschwerend hinzukommt, dass die Betreffen­
den im Laufe ihrer gemeinsamen Arbeit immer wieder erleben, dass andere, die sie
sehr geschätzt haben, sie für immer verlassen. Hoffnung ist flexibel; sie definiert sich
Hoffn u n g wecken
ständig neu und passt sich so der jeweils aktuellen Situation an, sodass sie zu Hoffnung
Hoffnung zu wecken und zu erhalten ist in jeder Psychotherapie sehr wichtig. Hoff­ auf Trost, auf Würde, auf Verbundenheit mit anderen oder auf möglichst wenig kör­
nung motiviert den Klienten dazu, die Therapie fortzusetzen, und schafft dadurch erst perliches Unbehagen werden kann. I4
die Möglichkeit, dass andere therapeutische Faktoren wirksam werden können. Darü­ Gruppentherapeuten sollten sich keinesfalls darüber erhaben fühlen, diesen Faktor
ber hinaus hat das Vertrauen zu einer Behandlungsmethode auch an und für sich eine zu nutzen, indem sie die Aufmerksamkeit der Gruppe immer wieder auf die Fort­
therapeutische Wirkung. Aus mehreren Untersuchungen geht hervor, dass die starke schritte einzelner Mitglieder richten. Wenn mir beispielsweise Gruppenteilnehmer, die
anfängliche Erwartung von Klienten, ihnen werde in der Therapie geholfen, in einer ihre Therapie kürzlich beendet haben, über die weitere Verbesserung ihres Zustands
auch nach Abschluss der Therapie berichten, lege ich stets Wert darauf, dies der Grup­
* Wir können besser das Gesamtergebnis einer Therapie einschätzen, als die Beziehungen zwischen die­ pe, mit der ich aktuell zusammenarbeite, mitzuteilen. Oft übernehmen ältere Grup­
sen Prozessvariablen und Resultaten zu messen. Kivlighan und Kollegen haben eine vielversprechende penmitglieder diese Funktion, indem sie neu hinzugekommenen und noch skepti­
Skala entwickelt, die Group Helpful Impacts Scale, die den gesamten gruppentherapeutischen Prozess
multidimensional zu erfassen versucht, was die Therapieaufgaben, die therapeutische Beziehung, den
schen Mitgliedern aus eigenem Antrieb über derartige Erfolge berichten.
Gruppenprozess sowie die Variablen der Gruppenmitglieder und des Gruppenleiters einschließt. Es wurde nachgewiesen, wie ungeheuer wichtig es ist, dass ein Gruppentherapeut

26 27
sowohl an sich selbst als auch an die Wirksamkeit seiner Arbeit mit der Gruppe Dies gilt mehr oder minder für uns alle, doch haben viele Klienten aufgrund ihrer
glaubt. 1 5 Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass ich jedem motivierten Klienten extremen sozialen Isolation verstärkt das Gefühl, dass ihre spezielle Situation einzig­
helfen kann, der bereit ist, mindestens ein halbes Jahr in einer von mir geleiteten Grup­ artig ist. Weil sie so große Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen haben,
pe mitzuarbeiten. Wenn ich mit potenziellen Gruppenteilnehmern Erstgespräche füh­ ist es ihnen nicht möglich, echte und tief reichende Nähe zuzulassen. Deshalb merken
re, teile ich ihnen dies mit und versuche, sie mit meinem Optimismus anzustecken. sie im Alltag nicht, dass andere ähnliche Gefühle haben und Ähnliches erleben wie sie,
Viele Selbsthilfegruppen ( Gruppen für Eltern, die ein Kind verloren haben, für ge­ und sie sind auch nicht in der Lage, die Gelegenheit zu nutzen, sich anderen Menschen
walttätige Männer, für Inzestopfer und für Herzpatienten nach einer Herzoperation) anzuvertrauen und dadurch letztendlich von diesen bestätigt und akzeptiert zu wer­
verlassen sich in starkem Maße auf die Wirkung des Weckens von Hoffnung. 1 6 Ein den.
Großteil der Zusammenkünfte der Gruppen von Recovery Inc. ( einer Organisation, die In Therapiegruppen wirkt die Entkräftung des Gefühls der Einzigartigkeit insbe­
sich um derzeitige und frühere Psychiatriepatienten kümmert) und der Anonymen Al­ sondere im Anfangsstadium der Arbeit sehr entlastend. Nachdem die Klienten andere
koholiker ist dem Zeugnisablegen gewidmet. Bei jeder Zusammenkunft von Mitglie­ Gruppenmitglieder über Probleme haben sprechen hören, die ihren eigenen stark
dern von Recovery Inc. berichten die Teilnehmer über erlebte Situationen, die für sie ähneln, fühlen sie sich nach eigenen Äußerungen manchmal stärker in Kontakt mit der
belastend hätten werden können, in denen es ihnen jedoch durch Anwendung von Me­ Welt, und sie beschreiben den Gruppenprozess als ein Erlebnis der »Wiederaufnahme
thoden, die ihre Organisation ihnen beigebracht hat, gelungen ist, eine Verstärkung in die menschliche Gesellschaft«. Vereinfacht ausgedrückt kommt dieses Phänomen
ihrer inneren Anspannung zu vermeiden. Und erfolgreiche Mitglieder der Anonymen auch in Redensarten wie ·»Wir sitzen alle im gleichen Boot« oder auch in dem zyni­
Alkoholiker erzählen bei jeder Zusammenkunft die Geschichte ihres Wegs nach immer scheren Satz »Not liebt Gesellschaft« zum Ausdruck.
weiter unten und ihrer Rettung durch die AA. Eine der großen Stärken der Anonymen Nichts, was Menschen tun oder denken, ist anderen Menschen völlig fremd. Ich
Alkoholiker liegt darin, dass die Leiter ihrer Gruppen alle Alkoholiker· sind und dass habe Gruppenmitglieder Handlungen wie Inzest, Folter, Einbruch, Unterschlagung,
sie deshalb für die übrigen Mitglieder als lebender Ansporn fungieren können. Mord, Selbstmordversuche und Fantasien über noch schrecklichere Taten eingeste­
Ähnlich mobilisieren auch viele Programme, die zur Behandlung von Substanz­ hen hören, und ich habe in solchen Situationen jedesmal beobachtet, dass andere
abhängigen eingesetzt werden, bei den Teilnehmern Hoffnung, indem sie ehemalige Gruppenmitglieder sich den Bekennenden sehr nahe fühlten und dass sie offen ein­
Drogenabhängige als Gruppenleiter einsetzen. Dadurch werden die Gruppenmitglie­ gestanden, selbst auch zu solchen Handlungen fähig zu sein. In vielen Fällen wurden
der angespornt, und durch den Kontakt mit Menschen, die auf ähnliche Abwege wie die Betreffenden durch das Vertrauen und den Mut des Bekenners sogar dazu ange:
sie selbst geraten sind und den Weg zurück gefunden haben, werden ihre Genesungs­ spornt, sich selbst ebenfalls zu offenbaren. Schon vor langer Zeit hat Freud festgestellt,
erwartungen gestärkt. Vergleichbar wird bei der Behandlung von Menschen mit chro­ dass die unerschütterlichsten Tabus (die gegen Inzest und Vatermord gerichteten) eben
nischen körperlichen Krankheiten wie Arthritis und Herzerkrankungen verfahren. In deshalb geschaffen wurden, weil die Impulse dazu dem tiefsten Wesen des Menschen
diesen Selbsthilfegruppen ermutigen eigens ausgebildete Leidensgenossen die Grup­ eigen sind.
penmitglieder dazu, aktiv an der Verbesserung ihrer körperlichen Situation zu arbei­ Hilfe in Form einer Relativierung der Einzigartigkeit persönlichen Leidens spielt
ten.17 Dadurch gelingt es oft, den physischen Zustand der Betreffenden stark zu verbes­ nicht nur in der Gruppentherapie eine Rolle, sondern die implizite oder explizite The­
sern, die Krankheitskosten drastisch zu senken und das Gefühl der Patienten zu stär­ matisierung der Universalität des Leidens hat auch in der Einzeltherapie eine wichtige
ken, dass sie ihrer Krankheit nicht hilflos ausgeliefert sind. Gruppeninterventionen Funktion, wobei in diesem Zusammenhang die konsensuelle Einschätzung der beste­
sind aufgrund dieser Vorarbeit oft wirksamer als Einzeltherapien. 1 8 henden Probleme jedoch schwieriger ist, weil Therapeuten ihren Klienten gegenüber
nur sehr wenig über ihre persönliche Situation offenbaren.
U niversa l ität des Lei d e n s Während meiner eigenen sechshundert Stunden umfassenden Einzelanalyse habe
ich einmal eindrucksvoll die Wirkung des therapeutischen Faktors Universalität erlebt.
Viele Menschen haben zu Beginn einer Gruppentherapie das Gefühl, sie seien in ihrem Ich war gerade dabei, meine extrem ambivalenten Gefühle meiner Mutter gegenüber
Elend einzigartig und nur sie allein hätten bestimmte erschreckende oder Abwehr aus­ zu beschreiben, und es machte mir sehr zu schaffen, dass ich nicht nur starke positive
lösende Probleme, Gedanken, Impulse und Fantasien. Darin liegt natürlich ein Körn­ Empfindungen ihr gegenüber hatte, sondern ihr gleichzeitig den Tod wünschte, weil
chen Wahrheit, da die meisten Klienten unter einer ungewöhnlichen Konstellation ich dann einen Teil ihres Besitzes erben würde. Mein Analytiker kommentierte dies nur
schwerer Belastungen leiden und ihr Bewusstsein von Zeit zu Zeit von beängstigenden mit der simplen Feststellung: »So sind wir eben.« Diese ungeschminkte Äußerung er­
Inhalten ihres Unbewussten überschwemmt wird. leichterte mich nicht nur, sondern ermöglicht mir auch, mich gründlicher mit meiner
Ambivalenz auseinanderzusetzen.
* Nach Auffassung der AA ist und bleibt ein Alkoholiker ein Alkoholiker, auch wenn er dauerhaft
trocken ist. Anm. d. übers. Trotz der fraglosen Komplexität und Spezifität menschlicher Probleme sind gewis-

28 29
se Gemeinsamkeiten zwischen Menschen deutlich zu erkennen, und die Mitglieder ei­ ihnen geschehen ist, nicht verantwortlich waren und die ebenfalls von tiefen Gefühlen
ner Therapiegruppe merken schnell, in welcher Hinsicht sie den übrigen Gruppenteil­ der Scham, Schuld, Wut und des Beschmutztseins heimgesucht wurden. Das Gewahr­
nehmern ähneln. Das folgende Beispiel veranschaulicht dies: Seit vielen Jahren bitte werden der Universalität des selbst erlebten Leidens ist oft ein entscheidender Punkt in
ich die Mitglieder von T-Gruppen (dies sind keine Klienten, sondern hauptsächlich der Therapie von Klienten, auf denen Schamgefühle, Stigmatisierung und Selbstbe­
Medizinstudenten, Ärzte in der psychiatrischen Facharztausbildung, Krankenpflege­ schuldigungen lasten, beispielsweise von HIV-Positiven oder von Menschen, die unter
personal, Psychiatriehelfer und Peace-Corps-Freiwillige; siehe hierzu Kapitel 16), bei den Nachwirkungen eines misslungenen Selbstmordversuchs leiden. 21
einer » Top-Secret«-Aufgabe mitzuwirken. Die Betreffenden werden aufgefordert, Mitglieder homogener Gruppen können besonders authentisch miteinander reden,
anonym auf einem Zettel ihr größtes Geheimnis zu notieren, das sie in der Gruppe auf weil ihnen allen bestimmte Erlebnisse gemeinsam sind. Dies ermöglicht eine Authen­
keinen Fall preisgeben wollen. Die Geheimnisse, die auf diese Weise zu Papier gebracht tizität in der Kommunikation, zu der die Therapeuten selbst nicht immer in der Lage
werden, ähneln einander in erstaunlichem Maße, und einige Themen wiederholen sich sind. Beispielsweise habe ich einmal als Supervisor einen 35-jährigen Therapeuten be­
ständig. Am häufigsten wird der tiefen überzeugung Ausdruck gegeben, man sei gene­ treut, der eine Gruppe für depressive Männer in den Siebzigern und Achtzigern leitete.
rell unzulänglich - dem Gefühl, man sei im Grunde völlig unfähig und mogele sich In einer Sitzung dieser Gruppe hatte ein 77-jähriger Mann, der kurz vorher seine Frau
mittels Bluff durch das Leben. Als zweithäufigstes Geheimnis wird ein tiefes Gefühl der verloren hatte, erklärt, er denke daran, sich umzubringen. Der Therapeut sagte zu­
Entfremdung von anderen Menschen genannt - das Gefühl, man empfinde entgegen nächst nichts dazu, weil er fürchtete, was immer er sage, könnte ihn als naiven Grün­
allem äußeren Anschein keine echte Liebe und Zuneigung einem anderen Menschen schnabel erscheinen lassen. Dann meldete sich ein 9 1 -Jähriger zu Wort und beschrieb,
gegenüber und sei dazu auch gar nicht in der Lage. Am dritthäufigsten werden persön­ wie er nach dem Tod seiner Frau, mit der er 60 Jahre zusammengelebt hatte, völlig ver­
liche Geheimnisse sexueller Art genannt. Diese drei größten Sorgen, über die Nicht­ zweifelt gewesen sei und ebenfalls daran gedacht habe, sich umzubringen, dass es ihm
klienten berichten, sind identisch mit den wichtigsten Problembereichen von Men­ jedoch irgendwann gelungen sei, dieses Tief zu überwinden und sich wieder dem
schen, die psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe suchen. Fast ausnahmslos Leben zuzuwenden. Diese Äußerung ging dem Leidensgenossen zu Herzen, und er
haben unsere Klienten Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl und mit ihrer Fähigkeit, konnte sie nicht so leicht als »naiv« abtun.
zu anderen Menschen in Beziehung zu treten.· In multikulturellen Gruppen muss der Therapeut dem klinischen Faktor der Uni­
Einige sehr spezielle Gruppen, für deren Mitglieder Geheimhaltung ein besonders versalität oft besondere Aufmerksamkeit schenken. Kulturelle Minderheiten in einer
wichtiger und isolierend wirkender Faktor war, messen ihrer Ansicht über die Univer­ von Weißen (bzw. Angehörigen einer bestimmten Nation) dominierten Gruppe fühlen
salität des Leidens besonders großen Wert bei. So machen strukturierte Kurzzeitgrup­ sich aufgrund ihrer kulturbedingt anderen Einstellung gegenüber Selbstoffenbarung,
pen für Bulimiker die Selbstoffenbarung zur Pflicht, insbesondere Äußerungen über Interaktion und dem Ausdruck von Gefühlen schnell isoliert. Ein Therapeut, der mit
das eigene Körperbild und ausführliche Berichte über Essrituale und Praktiken zur Be­ einer solchen Gruppe arbeitet, muss den Teilnehmern helfen, die Konzentration auf
schleunigung der Ausscheidung. Fast ausnahmslos zeigen sich die Mitglieder solcher konkrete kulturelle Unterschiede zu überwinden und sich auf transkulturelle - also
Gruppen sehr erleichtert, wenn sie merken, dass sie sich nicht als Einzige so verhalten, universelle - Reaktionen auf menschliche Situationen und Tragödien zu konzentrie­
sondern dass andere die gleichen Dinge erleben wie sie und sich in der gleichen Zwick­ ren.22 Gleichzeitig muss er die wirksamen kulturellen Faktoren genau im Blick haben.
mühle befinden. 19 Psychotherapeuten und Psychiatern mangelt es oft in bedauerlichem Maße an Wissen
Auch Mitglieder von Gruppen sexuell Missbrauchter profitieren sehr vom Erleben über kulturelle Besonderheiten - eine Voraussetzung für die Arbeit mit Klienten aus
der Universalität ihrer Probleme.20 Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit dieser Gruppen unterschiedlichen Kulturen. Es ist für sie unverzichtbar, sich so gut wie eben möglich
ist, dass deren Mitglieder oft zum ersten Mal in ihrem Leben anderen Menschen Ein­ über die Kultur ihrer Klienten, über deren Bindung an ihre Ursprungskultur oder über
zelheiten über den erlebten Missbrauch und über die im Anschluss daran erlebten ver­ ihre Entfremdung von dieser zu informieren.23
heerenden Empfindungen mitteilen. Die Teilnehmer begegnen in solchen Gruppen Die Universalität des Leidens lässt sich wie die übrigen therapeutischen Faktoren
anderen, die als Kinder unter ähnlichen übergriffen gelitten haben, die für das, was mit nicht deutlich abgrenzen; sie überschneidet sich mit ihnen. Wenn Klienten erkennen,
dass sie anderen Menschen ähneln und dass diese ihre tiefsten Sorgen teilen, profitie­
* Es gibt mehrere Möglichkeiten, solche Informationen in der Gruppenarbeit zu nutzen. Sehr nützlich ren sie auch davon, wenn es bei der Arbeit mit diesen anderen zur Katharsis kommt
ist es, die anonymisierten Geheimnisse einzusammeln und die Zettel anschließend nach dem Zufalls­ und sie von ihnen völlig akzeptiert werden (siehe Kapitel 3 über Gruppenkohäsivi­
prinzip wieder an die Gruppenmitglieder zu verteilen, sodass jeder das Geheimnis eines anderen be­
tät) .
kommt. Dann werden alle Gruppenmitglieder aufgefordert, das Geheimnis, das sie vor sich haben,
laut vorzulesen und dann zu beschreiben, wie sie persönlich sich fühlen würden, wenn sie solch ein
Geheimnis hätten. Auf diese Weise lassen sich gewöhnlich sehr überzeugend Universalität, Empathie
und die Verständnisfähigkeit anderer Menschen demonstrieren.

30 31
Mittei l e n von I nformationen Spieler), Make Today Count (Nutze den Tag - eine Gruppe für Krebspatienten), Parents
Without Partners (Alleinerziehende) und Mended Hearts (Patienten, die am Herzen
Zu dieser Kategorie zähle ich sowohl die didaktische Unterweisung des Therapeuten operiert worden sind) fördern den Informationsaustausch zwischen ihren Mitgliedern
über seelische Gesundheit, seelische Krankheit und allgemeine Grundlagen der Psy­ und laden oft Fachleute zu Gruppenvorträgen ein.29 Wichtig ist, in welcher Art von
chodynamik als auch Ratschläge, Empfehlungen oder direkte Anleitungen, die ent­ Umgebung das Lernen stattfindet. Ideal ist eine von partnerschaftlichem Denken und
weder der Therapeut oder andere Klienten geben. Zusammenarbeit geprägte Atmosphäre, also keine, in der Vorschriften und Unter­
ordnung dominieren.
Didaktische Unterweisung In der neueren gruppentherapeutischen Literatur wird eine große Zahl spezieller
Die meisten Klienten wissen nach Abschluss einer erfolgreichen interaktionsorien­ Gruppen beschrieben, die für Klienten mit bestimmten Leiden oder Störungen und für
tierten Gruppentherapie viel über die Funktionsweise der Psyche, über die Bedeutung Menschen in bestimmten Lebenskrisen gedacht sind: beispielsweise Gruppen für Pati­
von Symptomen, über interpersonale Dynamik und Gruppendynamik und über den enten mit einer Panikstörung,30 Übergewicht,3 1 Bulimie,32 Scheidungsproblemen, 33
psychotherapeutischen Prozess. Dieser Lernprozess findet gewöhnlich implizit statt; Herpes,34 Koronarerkrankungen,35 für Eltern missbrauchter Kinder, 36 für Täter fami­
die meisten Gruppentherapeuten bieten in der interaktionsorientierten Gruppen­ liärer Gewalt,37 Trauernde, 38 Aids-Kranke und HIV- Positive,39 Menschen mit sexuellen
therapie keine explizite didaktische Unterweisung an. Im Laufe des letzten Jahrzehnts Funktionsstörungen,40 Vergewaltigungsopfer,41 für die Anpassung des Selbstbilds nach
haben jedoch viele gruppentherapeutische Ansätze die formelle Unterweisung oder einer Brustamputation,42 für Patienten mit chronischen Schmerzen,43 für Patienten, die
Psychoedukation zu einem wichtigen Bestandteil ihres Programms gemacht. eine Organtransplantation erhalten haben44, und Gruppen für die Rückfallprävention
Eine eindrucksvolle historische Vorläuferform der Psychoedukation wird Maxwell bei Depression.45
Jones zugeschrieben, der in den 1940er-Jahren im Rahmen seiner Arbeit mit großen Diese Gruppen ermöglichen ihren Mitgliedern nicht nur, einander zu unterstützen,
Gruppen seine Klienten wöchentlich drei Stunden lang über Struktur und Funktion sondern beinhalten gewöhnlich auch eine psychoedukative Komponente, da sie die
des Zentralnervensystems und dessen Bedeutung für psychiatrische Symptome und Mitglieder genau über das Wesen ihrer Krankheit oder ihrer speziellen Lebenssituation
Störungen aufl<lärte.24 informieren und ihnen helfen, sich mit eventuellen falschen Vorstelluhgen über ihre
Auch Marsh, der seine Schriften in den 1930er-Jahren publizierte, hielt die Psycho­ Krankheit und mit kontraproduktiven Reaktionsweisen auf diese auseinandersetzen.
edukation für sehr wichtig, und er organisierte in den Dreißigerjahren für seine Klien­ Beispielsweise beschreiben die Leiter von Gruppen für Klienten mit Panikstörungen
ten Kurse, in denen er Vorträge hielt, Hausaufgaben stellte und Noten vergab.25 die physiologische Ursache von Panikanfällen: dass starker Stress und ein erhöhtes Er­
Recovery Inc., das älteste und größte Selbsthilfeprogramm der Vereinigten Staaten regungsniveau die Adrenalinproduktion verstärken, was Hyperventilation, Kurzatmig­
für Psychiatriepatienten und ehemalige Psychiatriepatienten, orientiert sich weitge­ keit und Schwindelgefühle hervorrufen kann, die der Klient wiederum falsch deutet
hend an didaktischen Grundsätzen.26 Diese Selbsthilfeorganisation, die 1937 von Abra­ (»Ich sterbe« oder »Ich werde verrückt«), wodurch ein Teufelskreis entsteht. Die The­
ham Low gegründet wurde, umfasst heute über siebenhundert aktive Gruppen.27 Die rapeuten solcher Gruppen weisen darauf hin, dass Panikattacken nicht gefährlich sind;
Teilnahme an diesen Gruppen ist freiwillig, und die Gruppenleiter gehen aus den Rei­ sie leiten die Gruppenmitglieder zunächst dazu an, einen leichten Panikanfall auszulö­
hen der Gruppenmitglieder hervor. Die Gruppen werden zwar nicht von professionel­ sen, und bringen ihnen später bei, Panikanfälle zu vermeiden. Sie lehren sie, bestimm­
len Psychotherapeuten geleitet oder supervidiert, doch ihre Zusammenkünfte verlau­ te Atemtechniken richtig einzusetzen, und schulen sie in der Technik der progressiven
fen gemäß einer von Dr. Low entwickelten sehr differenzierten Struktur, und bei jeder Muskelentspannung.
Zusammenkunft werden Teile seines Lehrbuchs Mental Health Through Will Training Auch die relativ neue Methode der Stressverringerung mithilfe der Achtsamkeits­
(»Seelische Gesundheit durch Willensstärkung«) 28 laut vorgelesen und diskutiert. Psy­ meditation wird häufig im Rahmen von Gruppen vermittelt. Durch die Entwicklung
chische Krankheit wird anhand einiger sehr einfacher Prinzipien erklärt, die die Mit­ einer disziplinierten Fokussierung lernen deren Mitglieder, ihre Gedanken und Gefüh­
glieder auswendig lernen - beispielsweise dass es wichtig ist, störende und hinderliche le klar, akzeptierend und nicht urteilend zu beobachten und so ihren Stress, ihre Angst
Verhaltensweisen zu erkennen; dass neurotische Symptome zwar sehr unangenehm, und ihre Anfälligkeit für Depression zu verringern.46
aber nicht gefährlich sind; dass Angespanntheit Symptome intensiviert und erhält und Leiter von Gruppen für HIV-positive Klienten bieten oft umfassende krankheitsbe­
deshalb vermieden werden sollte; und dass die Nutzung des eigenen freien Willens die zogene medizinische Informationen an und helfen den Mitgliedern, irrationale Ängste
Probleme von »Nervenkranken« zu lösen vermag. und falsche Vorstellungen über die Übertragbarkeit ihrer Krankheit zu korrigieren.
Auch viele andere Selbsthilfegruppen legen großen Wert auf die Vermittlung rele­ Außerdem raten sie HIV-Positiven manchmal, wie sie andere Menschen über ihren
vanter Informationen. Gruppen wie Adult Survivors of Incest (Erwachsene Inzestüber­ Zustand informieren und eine Lebensweise entwickeln können, die weniger stark von
lebende ), Parents Anonymous (Anonyme Eltern), Gambiers Anonymous (Anonyme ihren Schuldgefühlen geprägt ist.

32 33
Leiter von Gruppen für Trauernde können die Teilnehmer über den natürlichen Gegensatz zum Rückzug in mutloses Vermeiden eine große Hilfe. Diese Reaktionswei­
Trauerzyklus informieren, um ihnen klarzumachen, dass der Schmerz, den sie durch­ sen gefallen nicht nur unserem gesunden Menschenverstand, sondern neuesten neu­
leben, einer bestimmten Entwicklung folgt, und dass ihr Kummer im Laufe dieser Se­ robiologischen Untersuchungen zufolge mobilisieren Formen aktiver Bewältigung
quenz ganz natürlich und fast zwangsläufig abklingen wird. Beispielsweise helfen die auch wichtige neuronale Schaltkreise, die bei der Regulierung der Stressreaktionen des
Gruppenleiter ihren Klienten, sich auf den starken Schmerz einzustellen, den sie im Körpers eine Rolle spielen. 50
ersten Jahr nach dem Trauerfall zu bestimmten Zeitpunkten, etwa bestimmten Feier­ Ebenso verhält es sich bei Klienten, die sich in einer Psychotherapie befinden:
tagen, Jahrestagen oder Geburtstagen, spüren werden. Psychoedukative Gruppen für Furcht und Angst, die durch die Unsicherheit über Ursache, Bedeutung und Schwere
Frauen mit primärem Brustkrebs informieren diese über ihre Krankheit, über Behand­ psychischer Symptome entstehen, können den dysphorischen Zustand als Ganzes so
lungsmöglichkeiten sowie über zukünftige Risiken und geben ihnen Empfehlungen für verschlimmern, dass eine sinnvolle Erforschung desselben erheblich erschwert wird.
die Entwicklung einer gesünderen Lebensweise. Untersuchungen über Gruppen dieser Die didaktische Unterweisung hat, weil sie dem Klienten eine Struktur und eine Erklä­
Art haben ergeben, dass die Teilnehmerinnen deutlich und dauerhaft von ihnen profi­ rung liefert, einen Wert in sich selbst, und sie verdient einen Platz in unserem Reper­
tieren.47 toire therapeutischer Werkzeuge (siehe Kapitel 5).
Die meisten Gruppenpsychotherapeuten bereiten ihre Klienten in irgendeiner Wei­
se auf die oft beängstigend wirkende Situation des Eintritts in eine Psychotherapie­ Direkter Rat
gruppe vor, beispielsweise in Form einer Vorbereitungssitzung, in der wichtige Gründe Anders als die explizite didaktische Instruktion des Therapeuten existiert das Phäno­
für eine psychische Dysfunktion geklärt werden und in denen die angehenden Grup­ men des direkten Rats vonseiten anderer Gruppenmitglieder ausnahmslos in jeder
penmitglieder Methoden der Selbsterforschung erlernen.48 Indem wir den Klienten zu Therapiegruppe. In dynamischen interaktionsorientierten Gruppen tritt es so regel­
erwartende Ängste voraussagen und ihnen Verständnisgrundlagen liefern, helfen wir mäßig im Anfangsstadium der Gruppenarbeit auf, dass man aufgrund dessen das Alter
ihnen, besser mit dem »Kulturschock« fertig zu werden, der sie beim Beginn der Grup­ der betreffenden Gruppe schätzen kann. Wenn ich eine Gruppe beobachte oder mir
pentherapie möglicherweise erwartet (siehe hierzu Kapitel 10). eine Bandaufnahme von einer Gruppensitzung anhöre, und die Gruppenteilnehmer
Didaktische Anleitung wurde und wird in der Gruppentherapie auf vielfältige Wei­ sagen mit einer gewissen Regelmäßigkeit: »Ich glaube, Sie sollten . . . « oder »Sie sollten
sen verwendet: zur überrnittlung von Informationen, zur Veränderung dysfunktiona­ . . . tun« oder: »Warum machen Sie nicht . . . ?«, dann kann ich mit einiger Sicherheit
ler Denkmuster, zur Strukturierung der Gruppe und schließlich, um den Krankheits­ behaupten, dass die Gruppe entweder noch sehr jung ist oder dass es sich um eine äl­
prozess zu erklären. Oft dienen solche Erklärungen dazu, einen ersten Zusammenhalt tere Gruppe mit gewissen Schwierigkeiten handelt, die entweder ihre Entwicklung be­
zwischen den Gruppenmitgliedern zu schaffen, der diesen Zweck so lange erfüllt, bis hindern oder eine vorübergehende Regression hervorgerufen haben. Mit anderen
andere therapeutische Faktoren ihre Wirkung entfalten. Erklärungen und Klärungen Worten: Das Erteilen von Ratschlägen kann Widerstand gegen ein stärkeres Engage­
wirken jedoch teilweise auch an und für sich als therapeutische Faktoren. Menschen ment anzeigen, wobei die Gruppenmitglieder versuchen, ihre Beziehungen zueinander
haben Ungewissheit immer verabscheut und deshalb zu allen Zeiten versucht, das Uni­ zu »managen«, statt sich wirklich aufeinander einzulassen. Obwohl zu Beginn von in­
versum zu ordnen, indem sie (meist religiöse oder wissenschaftliche) Erklärungsmo­ teraktionsorientierten Gruppen sehr häufig Ratschläge gegeben werden, kommt es nur
delle entwickelten. Ein Phänomen zu erklären ist der erste Schritt auf dem Weg zu selten vor, dass ein spezieller Rat einem der Klienten tatsächlich hilft. Indirekt jedoch
seiner Beherrschung. Wenn ein Vulkanausbruch durch einen verstimmten Gott ver­ erfüllt das Ratgeben einen Zweck: Nicht der Inhalt des Rats, sondern der Prozess des
ursacht wird, kann man zumindest hoffen, diesen gnädig zu stimmen. Ratgebens könnte nützlich sein, insofern er gegenseitige Anteilnahme und Interesse am
Frieda Fromm-Reichmann weist auf die Rolle der Ungewissheit bei der Entstehung anderen erkennen lässt.
von Angst hin. Sie schreibt, das Bewusstsein des Menschen, dass er nicht sein eige­ Ratgebendes oder ratsuchendes Verhalten ist oft ein wichtiger Anhaltspunkt bei der
ner Steuermann sein könne und dass seine Wahrnehmungen und Verhaltensweisen Aufklärung der interpersonalen Pathologie. Beispielsweise ist ein Klient, der ständig
irrationalen Kräften unterlägen, sei schon an sich eine häufige, zentrale Ursache versucht, anderen Gruppenmitgliedern Ratschläge und Anregungen zu entlocken, nur
für Angst.49 um sie dann prompt abzulehnen und die Befragten zu frustrieren, Gruppentherapeu­
Wir sehen uns heutzutage gezwungen, uns oft mit Furcht und Angst auseinander­ ten als der »Hilfe ablehnende Klagende« oder als der »Ja-aber-Klient« wohlbekannt
zusetzen. Insbesondere seit den Ereignissen am 1 1 . September 2001 haben diese be­ (siehe Kapitel 1 3). 5 1 Einige andere Klienten versuchen, sich Aufmerksamkeit und Zu­
unruhigenden Emotionen im Leben vieler Menschen einen höheren Stellenwert als in wendung zu sichern, indem sie bezüglich eines Problems um Rat bitten, das entweder
früheren Zeiten. Die Auseinandersetzung mit traumatischen Erlebnissen in Form unlösbar oder bereits gelöst ist. Wieder andere saugen Ratschläge auf, als sei ihr Durst
aktiver Bewältigungsbemühungen (beispielsweise durch eine generell aktive Lebens­ unstillbar, geben aber selbst Teilnehmern, die ebenfalls Rat und Hilfe benötigen, nie­
gestaltung, durch Offenheit im Reden und durch gegenseitige Unterstützung) ist im mals etwas Entsprechendes. Manche Gruppenmitglieder sind so darauf aus, innerhalb

34 35
der Gruppe ein hohes Ansehen zu wahren oder eine Fassade kühler Selbstgenügsam­ und sich einen Löffel von dem Eintopfgericht zu nehmen, aber zu lang, um die Speise
keit aufrechtzuerhalten, dass sie nie direkt um Hilfe bitten. Einige sind so davon beses­ zum Mund zu führen. Der Rabbi sah, dass die Versammelten schrecklich litten, und
sen, selbst gefällig zu sein, dass sie nie für sich selbst um etwas bitten. Andere über­ neigte voller Mitleid sein Haupt. »Nun zeige ich dir den Himmel«, sagte Gott, und sie
schlagen sich geradezu in ihren Dankbarkeitsbezeugungen; und schließlich gibt es betraten ein anderes Zimmer, genau wie das erste - der gleiche große runde Tisch, die
Klienten, die das Geschenk nie als solches anerkennen, sondern es mit nach Hause gleiche riesige Schüssel mit Eintopf, die gleichen langstieligen Löffel. Doch hier waren
nehmen wie einen Knochen, an dem sie dann im stillen Kämmerlein nagen. die Anwesenden fröhlich, wohlgenährt, rundlich und ausgelassen. Zunächst begriff der
Andere Arten von strukturierteren Gruppen, bei denen die Interaktion der Mitglie­ Rabbi nicht und schaute den Herrn an. »Es ist einfach«, sagte Gott, »aber man braucht
der nicht im Vordergrund steht, nutzen explizit und sehr effektiv direkte Vorschläge dazu eine gewisse Fähigkeit. Die Menschen in diesem Raum haben gelernt, einander
und Anleitungen. Beispielsweise werden in Gruppen, deren Arbeit Verhaltensänderun­ zu füttern!« '
gen zum Ziel hat, in Gruppen, die Patienten nach einer stationären psychiatrischen Be­ Nicht nur im imaginären Himmel und in der imaginären Hölle der obigen Ge­
handlung auf das Leben außerhalb der Klinik vorbereiten sollen, in Gruppen, die Le­ schichte, sondern auch in Therapiegruppen erhalten Klienten etwas, indem sie selbst
benskompetenzen oder Kommunikationsfähigkeiten vermitteln, in Recovery Inc. und etwas geben, und zwar nicht nur in Form der Hilfe, die ihnen im Rahmen wechselsei­
in der AA oft direkte Ratschläge gegeben. Eine der Gruppen, die ihren Mitgliedern hel­ tigen Gebens und Nehmens zuteil wird, sondern auch, indem sie von etwas profitieren,
fen, Kommunikationsfähigkeiten zu erlernen, berichtet über ausgezeichnete Erfolge das der Handlung des Gebens wesenseigen ist. Am Anfang ihrer Therapie sind psy­
mit einem strukturierten Gruppenprogramm, das fokussiertes Feedback, Arbeit mit chisch Kranke oft demoralisiert und haben das bedrückende Gefühl, sie hätten ande­
Videoaufnahmen und Problemlösungsprojekte umfasst.52 Die AA arbeitet mit Anlei­ ren nichts Wertvolles zu bieten. Sie glauben seit langem, dass sie für andere eine Last
tungen und Merksprüchen: Beispielsweise werden ihre Mitglieder aufgefordert, nur sind. Deshalb wirkt es belebend auf sie, für andere wichtig sein zu können, und es
während der nächsten vierundzwanzig Stunden abstinent zu bleiben - immer nur für stärkt ihr Selbstwertgefühl. Gruppentherapie ist die einzige Therapieform, die Klienten
einen Tag. Bei Recovery, Inc. lernen Mitglieder, wie man Symptome entdeckt, wie man erleben lässt, dass sie für andere wichtig und wertvoll sind. Außerdem fördert sie die
»auslöscht und zurückverfolgt« (erase and retrace), übt und umkehrt (rehearse and re­ Rollenflexibilität, weil die Klienten zwischen der Rolle des Empfängers von Hilfe und
verse) und wie man die Willenskraft wirksam einsetzt. der des Helfenden hin und her wechseln müssen.55
Ist bestimmter Rat besser als anderer? Wissenschaftler, die sich mit einer Gruppe Natürlich helfen Klienten sich auch gegenseitig im gruppentherapeutischen Pro­
beschäftigten, die das Verhalten männlicher Sexualstraftäter positiv zu beeinflussen zess. Sie unterstützen und beruhigen einander, machen Vorschläge, teilen Einsichten
versuchte, stellten fest, dass in dieser Gruppe häufig Rat gegeben wurde und dass dieser und informieren einander darüber, dass sie ähnliche Probleme haben. Häufig hören sie
für die einzelnen Gruppenmitglieder unterschiedlich nützlich war. Dabei erwies sich sich die Äußerungen anderer Teilnehmer viel bereitwilliger an und nehmen sie sich
direkter Rat als die unwirksamste Form des Ratgebens, und als besonders wirksam er­ auch eher zu Herzen, als wenn der Therapeut ihnen mehr oder weniger das Gleiche
wies sich die Beschreibung verschiedener konkreter Möglichkeiten, ein angestrebtes sagt. Für viele Klienten ist und bleibt der Therapeut der bezahlte Fachmann, wohinge­
Ziel zu erreichen.53 Psychoedukation hinsichtlich der Wirkung einer Depression auf gen die anderen Gruppenmitglieder für sie die reale Welt verkörpern; von ihnen glau­
Familienbeziehungen ist wirksamer, wenn die Teilnehmer einer Gruppe, in der diese ben sie aufrichtiges Feedback und wirklich spontane Reaktionen erwarten zu können.
Information vermittelt wird, auf emotionaler Ebene untersuchen, wie die Depression Bei einem Rückblick auf den Verlauf ihrer Therapie schreiben Gruppenmitglieder das
ihr eigenes Leben und die Beziehungen in ihrer Familie beeinflusst. Wird die gleiche Verdienst für die Besserung ihrer Situation fast immer anderen Gruppenmitgliedern
Information auf abstrakte, intellektuell-distanzierte Weise vermittelt, ist sie wesentlich zu. Manchmal erwähnen sie ausdrücklich die Unterstützung und die Ratschläge, die sie
weniger nützlich.54 von anderen Teilnehmern erhalten haben, manchmal hat deren bloße Anwesenheit
ihnen geholfen, im Schutz einer fördernden und unterstützenden Beziehung zu wach­
sen. Indem sie Altruismus erleben, lernen sie aus erster Hand, dass sie gegenüber den­
Altru i s m u s
jenigen, von denen sie Unterstützung erhalten möchten, Verpflichtungen haben.
Eine alte chassidische Geschichte berichtet von einem Rabbi, der mit Gott ein Ge­
spräch über Himmel und Hölle führte. »Ich will dir die Hölle zeigen«, sagte Gott und * Im Jahr 1973 eröffnete ein Gruppenmitglied das erste Treffen der ersten Gruppe für Patienten mit
führte den Rabbi in ein Zimmer, in dem um einen großen runden Tisch eine Gruppe Krebs im fortgeschrittenen Stadium, indem es Zettel mit dieser Parabel an die übrigen Anwesenden
hungernder, verzweifelter Menschen saß. Mitten auf dem Tisch stand eine riesige verteilte. Diese Frau (über die ich an anderer Stelle berichtet habe und die in diesem Zusammenhang
Paula West genannt wird [siehe I. Yalom, Die Reise mit Paula, (Goldmann, München 2000) hatte an
Schüssel mit Eintopf, mehr als genug für alle. Das Gericht duftete köstlich, und dem der Entwicklung des Konzepts für diese Gruppe und an ihrer Organisation mitgewirkt (siehe hierzu
Rabbi lief das Wasser im Mund zusammen. Doch niemand aß. Jeder am Tisch hatte auch Kapitel 1 5). Dies erwies sich als erstaunlich hellsichtig, denn wie sich später herausstellte, profi­
einen sehr langstieligen Löffel in der Hand - lang genug, um den Topf zu erreichen tierten viele der Teilnehmer vom therapeutischen Faktor Altruismus.

36 37
Die im Folgenden beschriebene Interaktion zwischen zwei Gruppenmitgliedern wir unsere eigene begrenzte Perspektive überwunden haben, wenn wir uns vergessen
veranschaulicht dies. Derek, ein chronisch ängstlicher und ziemlich isolierter Mann in haben und völlig von jemand (oder etwas) anderem außerhalb von uns in Anspruch
den Vierzigern, hatte sich kürzlich der Gruppe angeschlossen und die anderen Grup­ genommen sind.57 Die Konzentration auf den Lebenssinn und auf den Altruismus sind
penmitglieder sehr verärgert, indem er ihre kritischen und besorgten Äußerungen im­ besonders wichtige Komponenten jener Gruppenpsychotherapien, die für Patienten
mer wieder in den Wind geschlagen hatte. Irgendwann hatte Kathy, eine 35-jährige mit lebensbedrohlichen Krankheiten wie Krebs und Aids angeboten werden.� 58
Frau, die unter chronischer Depression und Problemen infolge von Substanzmiss­
brauch litt, ihm eine wichtige Lektion erteilt, was das Erleben der Gruppe betraf. Auch
D i e korrigierende Reka p it u l ation des Geschehens
sie hatte die mitfühlenden Äußerungen anderer monatelang abgetan, weil sie das Ge­
i n der primäre n Fa m i l iengru p pe
fühl gehabt hatte, diese Zuwendung nicht zu verdienen. Nachdem andere Teilnehmer
ihr klargemacht hatten, dass ihre Zurückweisung verletzend wirkte, hatte sie sich be­ Die meisten Klienten, die sich einer Therapiegruppe anschließen - mit Ausnahme
wusst dafür entschieden, auf die Äußerungen anderer grundsätzlich aufgeschlossener jener, die unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder unter einer medizi­
zu reagieren. Daraufhin hatte sie zu ihrer überraschung schon bald festgestellt, dass sie nischen oder umweltbedingten Belastung leiden -, haben in ihrer ersten und wichtigs­
sich wesentlich besser fühlte. Sie hatte also nicht nur von der erhaltenen Unterstützung ten Gruppe, der Ursprungsfamilie, sehr unbefriedigende Erfahrungen gemacht. Eine
profitiert, sondern auch davon, dass sie anderen das Gefühl gab, sie hätten ihr etwas zu Therapiegruppe ähnelt in vielerlei Hinsicht einer Familie: Es gibt darin Autoritäts­
bieten, das für sie wertvoll war. Kathy sagte, sie hoffe, dass Derek diese Möglichkeiten figuren (in der Familie die Eltern), Gleichaltrige bzw. Gleichgestellte, tiefe persönliche
auch für sich entdecken werde. Offenbarungen, starke Gefühle der Nähe sowie der Feindseligkeit und Konkurrenz. Oft
Altruismus wird auch in anderen Heilsystemen als ein ehrwürdiger therapeutischer werden Gruppen zudem von einem .Therapeuten-Team geleitet, dem ein Mann und
Faktor angesehen. In primitiven Kulturen erhalten Menschen, die Probleme haben, oft eine Frau angehören - ein bewusster Versuch, die Elternstruktur nachzuahmen. Nach­
den Auftrag, ein Festmahl vorzubereiten oder der Gemeinschaft irgendeinen Dienst zu dem das anfängliche Unbehagen überwunden ist, kommt es zwischen den Gruppen­
erweisen.56 Altruismus spielt auch bei dem Heilungsprozess eine wichtige Rolle, der an mitgliedern und den Gruppenleitern sowie auch anderen Mitgliedern früher oder spä­
katholischen Wallfahrtsorten wie Lourdes stattfindet, wo die Kranken nicht nur für ter mit Sicherheit zu Interaktionen, die stark denjenigen ähneln, die die Betreffenden
sich selbst, sondern auch füreinander beten. Menschen brauchen das Gefühl, gebraucht früher mit ihren Eltern und Geschwistern erlebt haben.
zu werden und nützlich zu sein. Alkoholiker, die sich den Anonymen Alkoholikern an­ Wenn die Gruppenleiter als Elternfiguren angesehen werden, rufen sie Reaktionen
geschlossen haben, halten den Kontakt zu dieser Gemeinschaft nach Erreichen des Zu­ hervor, die im Allgemeinen mit Eltern- oder Autoritätsfiguren in Verbindung gebracht
standes völliger »Trockenheit « noch jahrelang aufrecht; viele Mitglieder haben die Ge­ werden: Einige Mitglieder werden von den Gruppenleitern, denen sie unrealistischer­
schichte ihres Scheiterns und ihrer späteren Heilung als warnendes Beispiel für andere weise besonderes Wissen und besondere Macht zuschreiben, abhängig, und sie reagie­
schon mindestens tausendmal erzählt, und sie genießen weiterhin die Freude, anderen ren hilflos auf sie; andere verhalten sich den Leitern gegenüber generell aufsässig, weil
ihre Hilfe anbieten zu können. sie deren Verhalten als infantilisierend und kontrollbesessen wahrnehmen; wieder an­
Neue Gruppenmitglieder wissen den heilenden Einfluss anderer Mitglieder zu­ dere sind den Leitern gegenüber sehr auf der Hut, weil sie ihnen die Absicht unterstel­
nächst nicht zu schätzen. Viele Kandidaten für die Gruppenarbeit sperren sich gegen len, den Gruppenmitgliedern ihre Individualität rauben zu wollen; andere Mitglieder
die Empfehlung, sich auf eine Gruppentherapie einzulassen, und sie fragen: »Wie kön­ versuchen, die Co-Therapeuten zu entzweien, um Streitigkeiten und Rivalitäten zwi­
nen Blinde andere Blinde führen? « oder: »Was könnte ich von anderen bekommen, die schen den beiden Elternfiguren hervorzurufen; einige Gruppenmitglieder öffnen sich
ebenso gestört sind wie ich? Das kann doch nur dazu führen, dass wir uns gegenseitig in verstärktem Maße, wenn einer der beiden Co-Therapeuten nicht anwesend ist; man­
herunterziehen. « Derartiger Widerstand lässt sich am besten durcharbeiten, indem che konkurrieren erbittert mit anderen Gruppenmitgliedern um die größtmögliche
man die kritische Selbstbewertung des Klienten erforscht. Ein Klient, der sich dagegen Aufmerksamkeit und Anteilnahme der Therapeuten; einige platzen fast vor Neid, wenn
verwehrt, dass andere Gruppenmitglieder ihm helfen könnten, meint in der Regel: »Ich die Gruppenleiter sich mit anderen Gruppenmitgliedern beschäftigen; wieder andere
persönlich habe niemandem etwas Wertvolles zu bieten. « verwenden ihre Energie auf die Suche nach Bundesgenossen, die bereit sind, mit ihnen
Altruistisches Handeln hat noch einen weiteren, subtileren Nutzen. V iele Klienten, die Therapeuten von ihrem »Thron« zu stoßen; und eine weitere Teilgruppe vernach­
die über Gefühle der Sinnlosigkeit klagen, sind in einer krankhaften Beschäftigung mit lässigt ihre eigenen Interessen in dem scheinbar selbstlosen Bemühen, die Leiter und
sich selbst befangen, die Formen zwanghafter Introspektion oder eines verbissenen Be­ andere Gruppenmitglieder zu besänftigen.
mühens, sich »selbst zu verwirklichen « , annimmt. Wie Victor Frankl bin ich der Mei­ Obwohl es natürlich in der Einzeltherapie ähnliche Phänomene gibt, bietet die
nung, dass das Gefühl der Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens sich ergibt und dass man Gruppe eine sehr viel größere Zahl und V ielfalt von Möglichkeiten, Familiensituatio­
einen Sinn nicht bewusst suchen kann: Den Lebenssinn finden wir immer dann, wenn nen zu wiederholen. In einer meiner Gruppen klagte Betty, eine Klientin, die in den

38 39
vorangegangenen Sitzungen wortlos geschmollt hatte, dass sie nicht in einer Einzelthe­ Die E ntwickl u ng sozi a l e r Kom petenz
rapie sei. Sie behauptete, sie sei benachteiligt, weil die Gruppe ihre Bedürfnisse mit Si­
cherheit nicht befriedigen könne. Sie wisse, dass sie im Einzelgespräch mit dem Thera­ Soziales Lernen, die Entwicklung grundlegender sozialer Kompetenz, ist ein therapeu­
peuten oder mit einem der anderen Gruppenmitglieder in der Lage sei, frei über sich tischer Faktor, der in allen Therapiegruppen wirksam ist, wobei die Art der vermit­
zu sprechen. Auf eindringliches Befragen hin gestand die Klientin ihren Ärger darüber telten Fertigkeiten sehr unterschiedlich sein und der Vermittlungsprozess mehr oder
ein, dass andere Gruppenmitglieder ihr gegenüber vorgezogen würden. Beispielsweise weniger explizit stattfinden kann. Beispielsweise wird soziale Kompetenz in Gruppen,
habe die Gruppe kürzlich ein anderes Gruppenmitglied nach dessen Rückkehr aus ei­ die Psychiatriepatienten nach einem langen Klinikaufenthalt auf die Entlassung vorbe­
nem Urlaub herzlich begrüßt, wohingegen die Gruppe ihre Rückkehr aus dem Urlaub reiten, oder in Gruppen, deren Mitglieder Jugendliebe sind, oft explizit vermittelt. Die
kaum registriert habe. Außerdem war ein Klient gelobt worden, weil er einem Grup­ Gruppenmitglieder können beispielsweise aufgefordert werden, in Form eines Rollen­
penmitglied eine wichtige Deutung angeboten hatte, während eine ähnliche Äußerung spiels darzustellen, wie sie sich bei potenziellen Arbeitgebern vorstellen oder sich zu
von ihr einige Wochen zuvor völlig unbeachtet geblieben war. Sie hatte seit einiger Zeit einem Date verabreden.
bemerkt, dass sie immer größeren Widerwillen dagegen entwickelte, sich die Zeit in In anderen Gruppen findet soziales Lernen in indirekterer Form statt. Die Mitglie­
der Gruppe mit anderen teilen zu müssen; sie wartete ungeduldig darauf, selbst zu der psychodynamisch orientierter Therapiegruppen, in denen offenes Feedback geför­
Wort zu kommen, und sie wurde wütend, wenn die Aufmerksamkeit der Gruppe sich dert wird, können viel über fehlangepasstes soziales Verhalten lernen. So könnte ein
einem anderen Teilnehmer zuwandte. Gruppenteilnehmer herausfinden, dass er die unangenehme Tendenz hat, Gesprächs­
Hatte Betty womöglich Recht? War die Gruppentherapie tatsächlich die falsche Be­ partner nicht anzuschauen; dass er auf andere hochmütig und unnahbar wirkt; oder
handlungsform für sie? Ganz sicher nicht! Was sie an der Arbeit in der Gruppe auszu­ er erfährt etwas über seinen Umgang mit anderen, dessen er sich nicht bewusst ist und
setzen hatte - Aspekte, deren Wurzeln bis in die frühen Beziehungen der Klientin zu das sich negativ auf seine sozialen Beziehungen auswirkt. Oft ist die Gruppe für Men­
ihren Geschwistern zurückreichten -, waren keine berechtigten Einwände gegen die schen, die keine engeren Beziehungen haben, die erste Gelegenheit, intensives und
Methode der Gruppentherapie an und für sich. Im Gegenteil war die Gruppentherapie präzises Feedback über ihre Art des Umgangs mit anderen zu erhalten. Vielen Klien­
für sie sogar besonders nützlich, weil in diesem Rahmen sowohl ihr Neid als auch ihre ten, die über ihre unerklärliche Einsamkeit klagen, ermöglicht die Gruppentherapie
Sehnsucht nach Aufmerksamkeit zutage treten konnten. In einer Einzeltherapie, in herauszufinden, wie sie ihre Isolation und Einsamkeit mitverschuldet haben.59
welcher der Therapeut auf jedes Wort und jede Sorge des Klienten eingeht und von Beispielsweise erhielt ein Klient, der seit Jahren darunter litt, dass andere den Um­
diesem erwartet wird, dass er die gesamte ihm zur Verfügung stehende Zeit nutzt, kom­ gang mit ihm mieden, in der Therapiegruppe die Rückmeldung, dass es auf Zuhörer
men derartige Konflikte, wenn überhaupt, erst sehr verspätet ans Licht. sehr abschreckend wirkte, wie er, wenn er etwas sagte, zwanghaft unwichtige Einzelhei­
Wichtig ist jedoch nicht nur, dass frühe Familienkonflikte erneut durchlebt werden, ten schilderte. Jahre später erzählte er mir, eines der wichtigsten Ereignisse in seinem
sondern dass dies in korrigierender Form geschieht. Eine unveränderte erneute Exposi­ Leben sei gewesen, dass ein Gruppenmitglied (dessen Namen er längst vergessen hatte)
tion verschlimmert eine ohnehin schon negative Situation nur noch weiter. Bezie­ zu ihm gesagt hatte: »Wenn du über deine Gefühle sprichst, mag ich dich und möchte
hungsmuster, die die Weiterentwicklung hemmen, dürfen nicht zu jenem starren und ich dir näher sein; aber wenn du über Tatsachen und Details berichtest, verspüre ich
undurchdringbaren System werden, das für viele Familienstrukturen charakteristisch den Wunsch, so schnell wie möglich das Weite zu suchen!«
ist. Vielmehr müssen verfestigte Rollen ständig untersucht und hinterfragt und es müs­ Eine übertrieben vereinfachte Darstellung der Dinge liegt mir fern. Die Therapie ist
sen Grundregeln entwickelt werden, die zur Untersuchung von Beziehungen und zum ein komplexer Prozess und umfasst natürlich weitaus mehr als das bloße Erkennen
Erproben neuartiger Verhaltensweisen ermutigen. Viele Gruppenmitglieder bringen dysfunktionaler sozialer Verhaltensweisen und deren bewusste Veränderung. Im drit­
also durch die Auseinandersetzung mit den Problemen, die sie im Umgang mit ihren ten Kapitel werde ich zeigen, dass solche Veränderungen zum Positiven wesentlich
Therapeuten und mit anderen Gruppenmitgliedern haben, auch bisher ungelöste Pro­ mehr als nur Randerscheinungen sind. Sie sind für die Anfangsphasen therapeutischer
bleme aus wesentlich früheren Zeiten zum Abschluss. (Wie viel Raum dem Durchar­ Veränderung oft sehr wichtig, und sie ermöglichen es den Klienten zu verstehen, dass
beiten früherer Erlebnisse gegeben werden sollte, ist eine komplexe und umstrittene zwischen ihrer Absicht und ihrer tatsächlichen Wirkung auf andere ein riesiger Unter­
Frage, mit der ich mich in Kapitel 5 beschäftigen werde.) schied besteht. ?\
Häufig eignen sich Mitglieder, die einer Therapiegruppe schon lange angehören,
sehr differenzierte soziale Fertigkeiten an: Sie sind auf den Durcharbeitungsprozess
eingestimmt (siehe Kapitel 6); sie haben gelernt, auf andere so zu reagieren, dass sie
ihnen helfen; sie haben sich Methoden der Konfliktlösung angeeignet; sie urteilen sel­
tener über andere; und sie sind besser in der Lage, auf angemessene Weise Empathie zu

40 41
erleben und zum Ausdruck zu bringen. Diese Fertigkeiten helfen den Betreffenden
später im Umgang mit anderen Menschen und bilden die Grundlage der emotionalen
Intelligenz.
60

Ka pite l 2
l m itationsverha lten

Manchmal werden Klienten während einer Einzeltherapie in ihrer Art zu sitzen, gehen,
reden und denken ihrem Therapeuten immer ähnlicher. Es spricht einiges dafür, dass
l nte rpe rson a l es Le r n e n
Gruppentherapeuten die Kommunikationsmuster in ihren Gruppen beeinflussen, in­
dem sie bestimmte Verhaltensweisen wie Selbstoffenbarung und Unterstützung bei­ Interpersonales Lernen ist, so wie ich es definiere, ein umfassender und komplexer the­
spielhaft vorführen. 61 In Gruppen ist der Nachahmungsprozess diffuser: Die Gruppen­ rapeutischer Faktor, der in der Gruppentherapie ungefähr die Bedeutung hat, die in
mitglieder ahmen bestimmte Aspekte des Verhaltens anderer Mitglieder und der The­ der Einzeltherapie therapeutischen Faktoren wie Einsicht, Durcharbeiten der Übertra­
rapeuten nach.62 Die Gruppenmitglieder lernen, indem sie einander bei Problemlö­ gung und korrigierenden emotionalen Erlebnissen zukommt. Doch beinhaltet inter­
sungsversuchen beobachten. Dies könnte in homogenen Gruppen, die sich mit be­ personales Lernen auch Prozesse, die ausschließlich in der Gruppensituation zum Tra­
stimmten Problemen auseinandersetzen, besonders ausgeprägt sein - beispielsweise in gen kommen, und dort auch nur, wenn der Therapeut eine bestimmte Arbeit leistet.
einer nach den Grundsätzen der kognitiven Verhaltenstherapie arbeitenden Gruppe, Um das Konzept des interpersonalen Lernens definieren und um beschreiben zu kön­
die psychotischen Patienten beibringt, wie sie die Intensität auditorischer Halluzina­ nen, mittels welcher Mechanismen es beim einzelnen Gruppenmitglied eine therapeu­
tionen verringern können.63 tische Veränderung bewirkt, muss ich zunächst drei andere Aspekte erläutern:
Wie wichtig das Imitationsverhalten für den therapeutischen Prozess ist, lässt sich
schwer einschätzen, doch lassen sozialpsychologische Untersuchungen vermuten, dass 1. die Bedeutung interpersonaler Beziehungen,
die Bedeutung dieses Phänomens bisher unterschätzt wurde. Bandura, der schon vor 2. das korrigierende emotionale Erlebnis und
langer Zeit geäußert hat, dass soziales Lernen allein mit direkter Verstärkung nicht er­ 3. die Gruppe als sozialen Mikrokosmos.
klärt werden könne, hat experimentell nachgewiesen, dass Nachahmung eine wirk­
same therapeutische Kraft ist. ?i 64 In der Gruppentherapie ziehen Klienten oft Nutzen Die Bedeut u n g i nterpersona l e r Beziehu ngen
daraus, dass sie die Therapie eines anderen Klienten mit einer ähnlichen Problem­
konstellation beobachten - ein Phänomen, das allgemein als Stellvertreter- oder Zu­ Ganz gleich, aus welcher Perspektive wir die menschliche Gesellschaft untersuchen -
schauertherapie bezeichnet wird.65 ob wir die Entwicklungsgeschichte der gesamten Menschheit oder die Entwicklung des
Imitationsverhalten spielt meist in den Anfangsstadien einer Gruppe eine wichtige­ einzelnen Menschen betrachten -, in jedem Fall ist es unerlässlich, den Menschen in
re Rolle als später, da die neu hinzugekommenen Mitglieder sich mit älteren oder mit der Matrix seiner interpersonalen Beziehungen zu sehen. Aus Untersuchungen nicht
den Therapeuten identifizieren.66 Auch wenn das Imitationsverhalten an und für sich menschlicher Primaten, primitiver menschlicher Kulturen und der heutigen mensch­
nur in einer kurzen Zeitspanne von Bedeutung ist, kann es bei den Klienten das Eis so lichen Gesellschaft geht eindeutig hervor, dass Menschen immer in Gruppen zusam­
weit brechen, dass sie in der Lage sind, mit neuen Verhaltensweisen zu experimentie­ mengelebt haben, innerhalb derer es intensive und dauerhafte Beziehungen zwischen
ren, wodurch wiederum eine anpassungsfördernde Spirale in Gang gesetzt wird (siehe den Gruppenmitgliedern gab, und dass das Zugehörigkeitsbedürfnis stets eine starke,
Kapitel 4). Es kommt gar nicht so selten vor, dass Klienten im gesamten Verlauf der grundlegende und omnipräsente Motivation war. 1 Die interpersonale Bezogenheit hat
Therapie diese oder jene Eigenart anderer Teilnehmer »anprobieren« und später wie­ im evolutionären Sinne immer eindeutig anpassungsfördernd gewirkt, denn ohne tie­
der verwerfen, weil sie ihnen »nicht passt«. Dieser Prozess kann eine starke therapeu­ fe, positive und auf Gegenseitigkeit beruhende interpersonale Bindungen hätte weder
tische Wirkung haben. Herauszufinden, was wir nicht sind, ist ein Schritt auf dem Weg der Mensch als Individuum noch die menschliche Art überleben können.
zur Erkenntnis dessen, was wir sind. John Bowlby ist aufgrund seiner Untersuchungen über die frühe Mutter-Kind-Be­
ziehung nicht nur zu dem Schluss gelangt, dass das Bindungsverhalten überlebensnot­
wendig ist, sondern er hat auch erkannt, dass es von zentraler Bedeutung, dem Men­
schen wesenseigen und genetisch prädisponiert ist.2 Werden Mutter und Säugling von­
einander getrennt, erleben beide während ihrer Suche nach dem verlorenen Objekt
deutliche Angst. Dauert die Trennung länger, hat dies für den Säugling schwerwiegende

42 43
Konsequenzen. In einem ähnlichen Sinne hat Winnicott festgestellt: »So etwas wie ein Ansatz sinnvoll miteinander zu verbinden - dies ist die umfassendste unter den inte­
Baby gibt es nicht. Es gibt ein Mutter-Säugling-Paar. « Nach Stephen A. Mitchell leben grativen Psychotherapien. /'1 15
3

wir in einer »relationalen Matrix« . Er schreibt: »Die Person wird nur im Gewebe ihrer Sullivans Ansichten sind für das Verständnis des gruppentherapeutischen Prozesses
früheren und heutigen Beziehungen verständlich.«
4 von großem Nutzen. Da eine umfassende Darstellung seiner interpersonalen Theorie
Der große amerikanische Psychologe und Philosoph William James hat vor einem den Rahmen dieses Buches sprengen würde, möchte ich zumindest einige seiner wich­
Jahrhundert geäußert: tigsten Ansichten erläutern. Nach Sullivans Auffassung entsteht die Persönlichkeit fast
»Wir sind nicht nur Herdentiere, die gern in Sichtweite ihrer Artgenossen bleiben, ausschließlich durch die Interaktion des Menschen mit wichtigen Bezugspersonen.
sondern wir haben auch eine angeborene Neigung, uns die Beachtung, und zwar die Das Bedürfnis, mit anderen eng verbunden zu sein, ist so grundlegend wie jedes bio­
positive Beachtung, unseresgleichen zu sichern. Man könnte sich. keine höllischere logische Bedürfnis und - angesichts der langen Zeit der Hilflosigkeit des Säuglings -
Strafe ausdenken, wäre so etwas physikalisch möglich, als jemanden in einer Gesell­ ebenso überlebensnotwendig. Das heranwachsende Kind entwickelt in seinem Streben
schaft leben zu lassen, deren Mitglieder den Betreffenden nicht im Geringsten bemer­ nach Sicherheit die Tendenz, die Charakterzüge und Selbstaspekte bevorzugt zu beto­
ken. «5 nen, die von seiner Umgebung gebilligt werden, wohingegen es missbilligte Aspekte
Die Überlegungen von William James wurden durch zeitgenössische Untersu­ unterdrückt oder leugnet. Letztendlich entwickelt der Mensch ein Selbstkonzept, das
chungen, in denen der Schmerz der Einsamkeit und deren negative Folgen nachgewie­ auf diesen wahrgenommenen Urteilen wichtiger Bezugspersonen basiert.
sen wurden, immer wieder als zutreffend bestätigt. Beispielsweise liegen uns stichhal­ Man kann sagen, dass das Selbst aus gespiegelten Urteilen besteht. Wenn diese
tige Beweise dafür vor, dass praktisch alle verbreiteten Todesursachen signifikant häu­ hauptsächlich abschätzig waren - wie im Fall eines ungewollten Kindes, das nie geliebt
figer bei Alleinstehenden vorkommen: bei ledigen, geschiedenen und verwitweten wurde, eines Kindes, das bei Pflegeeltern aufgewachsen ist, die kein echtes Interesse an
Menschen.6 Soziale Isolation ist ein ebenso gravierender Risikofaktor für frühe Sterb­ ihm als Kind hatten -, wenn also die Dynamik des Selbst durch Erlebnisse hauptsäch­
lichkeit wie altbekannte körperliche Risiken, beispielsweise Rauchen und Überge­ lich negativer Art geprägt wurde, neigt der Betroffene später dazu, andere Menschen
wicht.7 Auch das Gegenteil trifft zu: Verbundenheit mit anderen Menschen und soziale feindselig und herabsetzend zu beurteilen, und er schätzt auch sich selbst in der Regel
Integration wirken sich positiv auf den Verlauf schwerer Krankheiten wie Krebs und herabsetzend und feindselig ein. 1 6
Aids aus.8 Dieser Prozess der Beeinflussung unserer Selbstachtung durch gespiegelte Einschät­
Heutige Modelle dynamischer Psychotherapie, die die Bedeutung von Bezogenheit zungen, die wir für uns wichtigen Mitmenschen von den Augen ablesen, setzt sich na­
und Gebundenheit anerkennen, haben sich von der triebbasierten Ein-Personen-Psy­ türlich über den gesamten Entwicklungszyklus fort. Grunebaum und Solomon haben
chologie Freuds zu einer relationalen Zwei-Personen-Psychologie hin entwickelt, die in ihren Untersuchungen über Heranwachsende darauf hingewiesen, dass befriedi­
das interpersonale Erleben des Klienten als den Mittelpunkt wirksamer psychothera­ gende Peer-Beziehungen und das Selbstwertgefühl untrennbar miteinander verbunden
peutischer Arbeit versteht.?'1 9 Die zeitgenössische Psychotherapie geht aus von »einem sind. 17 Das Gleiche gilt für ältere Menschen: Dem Bedürfnis nach bedeutsamen
relationalen Modell, innerhalb dessen die Psyche als aus interaktionellen Konfigurati­ menschlichen Bezügen entwachsen wir nie. 1 8
onen des Selbst in Beziehung zu anderen bestehend verstanden wird. w« Sullivan sprach von »parataxischen Verzerrungen « und meint damit die Neigung
Die auf den älteren Beiträgen Harry Stack Sullivans und seiner interpersonalen des Menschen zur verzerrten Wahrnehmung anderer. Zu einer parataxischen Verzer­
Theorie der Psychiatrie1 1 aufbauenden interpersonalen Modelle spielen für die psycho­ rung kommt es in einer interpersonalen Situation, in der ein Mensch der Kontaktauf­
therapeutische Arbeit mittlerweile eine große Rolle. 1 2 Trotz des wichtigen Anstoßes, nahme zu einem anderen nicht dessen reale Eigenschaften zugrunde legt, sondern eine
den Sullivan durch sein Schaffen gegeben hat, werden seine Schriften von der heutigen weitgehend fantasierte Vorstellung von der Persönlichkeit des anderen. Obwohl der
Therapeutengeneration kaum noch gelesen. Das liegt zum einen sicherlich daran, dass Begriff der parataxischen Verzerrung demjenigen der übertragung ähnelt, unterschei­
seine Ausdrucksweise oft schwer zu verstehen ist (allerdings gibt es ausgezeichnete Be­ det er sich von Letzterem in zweierlei Hinsicht. Erstens bezieht er sich auf einen grö­
schreibungen seiner Ideen in leichtverständlichem Englisch von anderen Autoren); 13 ßeren Bereich, nämlich nicht nur darauf, dass der Therapeut verzerrt wahrgenommen
zum anderen sind seine Theorien so stark in das heutige psychotherapeutische Denken wird, sondern auf die verzerrte Sicht aller interpersonalen Beziehungen (natürlich
eingegangen, dass uns seine Originalschriften schon deshalb oft als sehr vertraut oder auch auf die verzerrten Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern). Zweitens ist
sogar als Beschreibungen von Selbstverständlichkeiten erscheinen. Doch aufgrund der auch die Theorie des Ursprungs dieses Phänomens umfassender: Die parataxische Ver­
neuerdings sich anbahnenden Verschmelzung kognitiver und interpersonaler Ansätze zerrung beinhaltet nicht nur die Übertragung von Einstellungen gegenüber realen Per­
in der Einzel- und Gruppentherapie ist das Interesse an Sullivans Schriften wiederer­ sonen der Vergangenheit auf gegenwärtige Beziehungen, sondern auch die Verzerrung
wacht. 1 4 Nach Kieslers Auffassung ist der interpersonale Rahmen am besten dazu ge­ der interpersonalen Realität in Reaktion auf intrapersonale Bedürfnisse. Ich werde die
eignet, den kognitiven, den verhaltenstherapeutischen und den psychodynamischen beiden Begriffe generell austauschbar verwenden, denn trotz des unterschiedlichen Ur-

44 45
sprungs, der ihnen zugeschrieben wird, kann man übertragung und parataxische Ver­ seiner Auffassung sollten wissenschaftliche Untersuchungen im psychotherapeutisch­
zerrung als in ihrer Funktion identisch verstehen. Außerdem bezeichnen heute viele psychiatrischen Bereich sich mit Prozessen befassen, an denen Menschen beteiligt sind
Therapeuten alle interpersonalen Verzerrungen als übertragung, statt letzteren Begriff oder die zwischen Menschen stattfinden.24 Psychische Störungen oder Symptome in
ausschließlich für die Beziehung zwischen Klient und Therapeut zu verwenden (siehe ihren vielfältigen Ausdrucksformen sollten im interpersonalen Sinne verstanden und
Kapitel 7). entsprechend behandelt werden.25 Die aktuellen psychotherapeutischen Behandlungs­
übertragungsbedingte Verzerrungen basieren auf in den Tiefen des Gedächtnisses methoden für viele Störungen basieren auf diesem Prinzip. .71 Der Begriff der psychi­
lagernden Erinnerungen an frühe lnteraktionserlebnisse. 19 Durch sie entsteht ein in­ schen Störung bezeichnet interpersonale Prozesse, die entweder der realen sozialen Si­
neres Funktionsmodell, das die Bindungsmuster eines Menschen während seines gan­ tuation unangemessen oder übertrieben komplex sind, weil die Klienten sich nicht nur
zen Lebens beeinflusst.20 Dieses innere Funktionsmodell (oder »Arbeitsmodell«), das auf das beziehen, was andere real sind, sondern auch auf verzerrte, in der eigenen Ver­
auch Schema2 1 genannt wird, besteht aus den Überzeugungen des Betreffenden über gangenheit entstandene Vorstellungen, die die anderen für sie repräsentieren. Fehlan­
sich selbst und aus der Art, wie er Beziehungssignale und das sich daraus ergebende gepasstes interpersonales Verhalten lässt sich außerdem aufgrund von Eigenschaften
Verhalten versteht - und zwar nicht nur sein eigenes, sondern auch das Verhalten, das wie Starrheit, Extremismus, Verzerrtheit, Zirkularität und scheinbarer Unausweich­
er selbst bei anderen Menschen hervorruft. 22 So entwickelt beispielsweise eine junge lichkeit identifizieren.26
Frau, die bei ihren depressiven und überlasteten Eltern aufwächst, wahrscheinlich das Deshalb sollte eine psychiatrische Behandlung interpersonale Verzerrungen korri­
Gefühl, um die Verbundenheit mit anderen Menschen nicht zu gefährden, dürfe sie gieren und den Klienten so zu einer erfüllenderen Lebensweise befähigen, ihm die ak­
keinerlei Forderungen stellen, müsse sie ihre Unabhängigkeit völlig aufgeben und habe tive Kooperation mit anderen ermöglichen und ihn in die Lage versetzen, im Rahmen
sie sich den emotionalen Bedürfnissen anderer völlig unterzuordnen. .71 Möglicherwei­ realistischer, für alle Beteiligten befriedigender interpersonaler Beziehungen selbst in­
se erhält sie in einer Psychotherapie zum ersten Mal die Möglichkeit, ihren starren und terpersonale Zufriedenheit zu erreichen: »Man wird in dem Maße psychisch gesund,
äußerst hinderlichen Verhaltenskodex für interpersonale Beziehungen zu hinterfra­ wie man sich der eigenen interpersonalen Beziehungen bewusst wird.« 27 Die psychi­
gen. sche Heilung besteht in der »Erweiterung des Selbst mit dem Ziel, die Selbsteinschät­
Interpersonale (bzw. parataxische) Verzerrungen neigen dazu, sich selbst zu perpe­ zung des Klienten mit seinem Verhalten anderen gegenüber in Einklang zu bringen.« 28
tuieren. Beispielsweise kann ein Mensch mit einem nachteiligen, ihn herabsetzenden Obwohl zentrale negative Überzeugungen, die die eigene Person betreffen, durch eine
Selbstbild seine Wahrnehmung eines anderen durch selektive Aufmerksamkeit oder Therapie nie völlig aufgelöst werden können, entsteht durch sinnvolle psychothera­
Projektion so verzerren, dass er den Betreffenden fälschlich als ungehalten und ableh­ peutische Arbeit die Fähigkeit, interpersonale Kompetenzen zu erwerben.29 Der Klient
nend wahrnimmt. Dazu kommt, dass dieser Prozess sich selbst verstärkt, weil der Be­ kann sich dann eines umfassenderen, flexibleren, empathischeren und anpassungsför­
treffende im Laufe der Zeit Eigentümlichkeiten und Verhaltensgewohnheiten entwik­ dernderen Repertoires von Reaktionsweisen bedienen und so die ursprünglich dys­
kelt - etwa Unterwürfigkeit, defensive Feindseligkeit oder eine herablassende Haltung funktionalen durch konstruktivere Verhaltensoptionen ersetzen.
-, die dazu führen, dass andere Menschen sich ihm gegenüber irgendwann tatsächlich Die Verbesserung der interpersonalen Kommunikation steht im Mittelpunkt eini­
im Sinne seiner Erwartung verhalten, nämlich ungehalten und zurückweisend. Diese ger gruppentherapeutischer Ansätze, die Eltern und Kinder in die Arbeit einbeziehen
Sequenz wird oft »sich selbst erfüllende Prophezeiung« genannt - d. h., die betroffene und der Behandlung von Verhaltensstörungen und antisozialem Verhalten von Kin­
Person antizipiert, dass andere auf eine bestimmte Weise reagieren werden, und verhält dern dienen. Wenn Kinder ihre Bedürfnisse und Eltern ihre Erwartungen an die Kin­
sich dann, ohne sich darüber im Klaren zu sein, so, dass das erwartete Resultat tatsäch­ der unzulänglich kommunizieren, entstehen bei Kindern wie Eltern Gefühle persönli­
lich eintritt. Mit anderen Worten: Die Kausalität in Beziehungen ist zirkulär, nicht li­ cher Hilflosigkeit und Unzulänglichkeit. Dies hat bei den Kindern Ausagieren und bei
near. Die interpersonal orientierte Forschung hat diese These gestützt, indem sie auf­ den Eltern oft feindselige und entwertende Reaktionen zur Folge, die die Atmosphäre
gezeigt hat, dass unsere interpersonalen Oberzeugungen in Verhaltensweisen zum Aus­ noch weiter aufheizen, ohne dass dies beabsichtigt wäre.30 In Gruppen dieser Art ler­
druck gelangen, die auf andere eine voraussehbare Wirkung haben.23 nen Eltern und Kinder, dysfunktionale interpersonale Kommunikationszyklen zu er­
Interpersonale Verzerrungen lassen sich nach Sullivans Auffassung insbesondere kennen und sie mithilfe von Psychoedukation und Problemlösungstechniken, durch
durch konsensuelle Validierung verändern - durch Vergleich der eigenen Einschätzun­ Erlernen interpersonaler Kompetenzen sowie durch Rollenspiel und Feedback zu kor­
gen interpersonaler Sachverhalte mit den diesbezüglichen Einschätzungen anderer rigieren.
Menschen. Die konsensuelle Validierung ist in der Gruppentherapie sehr wichtig. Häu­ Diese Vorstellungen - nämlich dass Therapie sowohl in ihren Zielen als auch in ih­
fig verändern Gruppenmitglieder Verzerrungen, nachdem sie sich darüber informiert ren Mitteln weitgehend interpersonal ist - sind für die Gruppentherapie sehr wichtig.
haben, wie andere Gruppenmitglieder ein wichtiges Ereignis einschätzen. Das bedeutet nicht, dass alle oder auch nur die meisten Klienten, die eine Gruppenthe­
Damit kommen wir zu Sullivans Ansicht über den therapeutischen Prozess. Nach rapie beginnen, ausdrücklich ihrer interpersonalen Beziehungen wegen Hilfe suchen.

46 47
Allerdings habe ich beobachtet, dass sich die Therapieziele von Klienten oft nach eini­ große Abendgesellschaft geplant hatte und ausgerechnet an diesem Tag erfuhr, dass ihr
gen Sitzungen verändern. Die Betroffenen modifizieren dann ihr ursprüngliches Ziel, Krebs, von dem sie bisher angenommen hatte, er sei zum Stillstand gekommen, in
ihr Leiden zu lindern, und ersetzen es durch neue Ziele, bei denen es gewöhnlich um Wahrheit Metastasen gebildet hatte. Sie behielt diese Nachricht für sich und veranstal­
interpersonale Themen geht. Beispielsweise kann aus dem ursprünglichen Wunsch, tete die Party, wobei ihr ständig der schreckliche Gedanke durch den Kopf ging, sie
eine Angst oder Depression zu überwinden, das Ziel werden, mit anderen besser kom­ werde durch die unerträglichen Schmerzen, die ihre Krankheit verursache, den Men­
munizieren zu können, im Umgang mit ihnen mehr Vertrauen zu entwickeln, ihnen schen immer unähnlicher werden, und irgendwann werde niemand sie mehr akzeptie­
gegenüber ehrlicher zu sein oder zu lernen, andere Menschen zu lieben. In Kurzzeit­ ren.
therapien im Gruppenrahmen muss dieses Übersetzen der Sorgen und Bestrebungen Die Isoliertheit Sterbender ist nicht nur den Menschen in ihrer Umgebung zuzu­
der Teilnehmer in interpersonale Ziele eventuell früher stattfinden, nämlich schon in schreiben. Oft meiden sie selbst diejenigen, die ihnen am liebsten sind, weil sie fürch­
der Einschätzungs- und Vorbereitungsphase (siehe Kapitel 10). 31 ten, ihre Familie und ihre Freunde in den Morast ihrer eigenen Verzweiflung hineinzu­
Die Verschiebung des Therapieziels von der Linderung des Leidens auf die Verän­ ziehen. Deshalb sprechen sie nicht über ihre Krankheit, legen sich eine lebhafte, fröh­
derung der interpersonalen Verhaltenskompetenz ist ein wichtiger früher Schritt im liche Fassade zu und behalten ihre Ängste für sich. Freunde und Familienangehörige
dynamischen Therapieprozess, der auch Auswirkungen auf die Denkweise des Thera­ tragen zur Isolation des Kranken bei, indem sie sich zurückziehen, weil sie nicht wis­
peuten hat. Beispielsweise kann ein Therapeut keine Depression an und für sich be­ sen, wie sie mit einem Sterbenden reden sollen, und weil sie diesen und auch sich selbst
handeln: Im Falle einer Depression gibt es keinen erfolgversprechenden therapeuti­ nicht beunruhigen wollen. Wie Elisabeth Kühler-Ross bin ich der Ansicht, dass es nicht
schen Ansatzpunkt, keine sinnvolle Grundlage für die Untersuchung interpersonaler um die Frage geht, ob man einen Kranken offen und ehrlich über eine tödliche Erkran­
Beziehungen, was jedoch, wie ich beweisen zu können hoffe, der Schlüssel zum thera­ kung aufklären sollte, sondern darum, wie man es ihm sagt. Aufgrund des Verhaltens
peutischen Potenzial einer Therapiegruppe ist. Eine Depression muss zunächst in einen seiner Mitmenschen, des Rückzugs der Lebenden, ist ihm ohnehin klar, dass er bald
interpersonalen Rahmen übersetzt werden; erst danach kann an der zugrunde liegenden sterben wird. 33
interpersonalen Pathologie gearbeitet werden. Der Therapeut übersetzt die Depression Ärzte tragen zur Isolation Sterbender oft bei, indem sie zu Patienten mit Krebs im
also zunächst in ihre interpersonalen Elemente - beispielsweise passive Abhängigkeit, fortgeschrittenen Stadium psychische Distanz halten - wahrscheinlich, um ihren Ge­
Isolation, Unterwürfigkeit, die Unfähigkeit, Wut auszudrücken, und Überempfindlich­ fühlen des Versagens und der letztendlichen Vergeblichkeit aller Bemühungen auszu­
keit gegenüber Trennung. Erst danach geht er auf diese interpersonalen Probleme weichen, vielleicht aber auch, um ihre Angst vor dem eigenen Tod zu verdrängen. Ihr
ein. Fehler ist anzunehmen, dass sie ohnehin nichts mehr tun könnten. Für den Patienten
Sullivans Äußerung über Prozess und Ziele der Einzeltherapie steht völlig im Ein­ ist dies der Zeitpunkt, zu _dem er den Arzt am dringendsten braucht - nicht wegen me­
klang mit Prozess und Zielen einer interaktionsorientierten Gruppentherapie. Diese dizinischer Hilfe, sondern einzig und allein um seiner Präsenz als Mensch willen. Der
interpersonale und relationale Orientierung ist eine der entscheidenden Stärken der Patient braucht in dieser Situation Kontakt; er muss andere Menschen anfassen und
Gruppentherapie. 71 Hingegen ist das Bemühen, die Vergangenheit zu verstehen und seine Sorgen offen äußern können und sich auf diese Weise vergegenwärtigen, dass er
sich über den familiengeschichtlichen Ursprung fehlangepasster interpersonaler Ein­ nicht nur anders (apart from) ist, sondern auch immer noch dazugehört (a part from).
stellungen klar zu werden, in einer Gruppentherapie möglicherweise weniger wichtig Einige psychotherapeutische Ansätze haben mittlerweile begonnen, sich der speziellen
als in der Einzeltherapie, dem Bereich, in dem Sullivan arbeitete (siehe Kapitel 6). Bedürfnisse unheilbar Kranker anzunehmen - ihrer Angst vor Isolation und ihres
Die Theorie der interpersonalen Beziehungen ist heute zu einem so festen Bestand­ Wunsches, in ihren Beziehungen ihre Würde zu behalten. 71 Selbst von der Gesellschaft
teil psychiatrischen Denkens geworden, dass es mir als überflüssig erscheint, noch stär­ Geächtete - Menschen, von denen allgemein angenommen wird, sie seien es gewöhnt,
ker darauf einzugehen. Menschen brauchen Menschen - um zu Beginn und im weite­ abgelehnt zu werden, und sie seien interpersonalen Regungen gegenüber völlig abge­
ren Verlauf ihres Daseins überleben zu können, ihre Sozialisation zu bewältigen und stumpft - haben drängende soziale Bedürfnisse. Ein Erlebnis in einem Gefängnis hat
zufrieden zu werden. Niemand - weder ein Sterbender noch ein Geächteter noch ein mir nachdrücklich gezeigt, dass diese Bedürfnisse wirklich allen Menschen eigen sind.
Mächtiger - ist über das Bedürfnis nach Kontakt zu anderen Menschen erhaben. Ein psychotherapeutischer Berater, der noch wenig Erfahrung in der Gruppenarbeit
Während der vielen Jahre, in denen ich Gruppen von Klienten leite, die an irgend­ hatte, bat mich einmal wegen seiner aus zwölf Gefängnisinsassen bestehenden Therapie­
einer fortgeschrittenen Form von Krebs litten oder noch leiden,32 ist mir immer wieder gruppe um Rat. Alle Gruppenmitglieder waren als gefährlich eingestufte Wiederho­
klargeworden, dass wir angesichts des Todes weniger das Nichtsein oder das Nichts lungstäter, deren Delikte von der Vergewaltigung Minderjähriger bis hin zum Mord
fürchten als vielmehr die damit verbundene völlige Einsamkeit. Sterbende Klienten reichten. Der Gruppenleiter klagte, die Gruppe sei träge und beschäftige sich ständig
werden oft von Sorgen interpersonaler Art gequält - davon, dass die Welt der Leben­ mit Dingen, die mit der Gruppenarbeit nichts zu tun hätten. Ich erklärte mich bereit,
den sie im Stich lässt oder sogar meidet. Ein Beispiel hierfür ist eine Klientin, die eine seine Gruppe zu beobachten, und schlug ihm vor, er solle zunächst versuchen, einige

48 49
soziometrische Informationen zu sammeln, indem er jedes Gruppenmitglied einzeln gen, denken oder empfinden; sie sind mir sowieso egal; ich habe keinen Respekt vor
auffordere, die allgemeine Beliebtheit aller anderen Teilnehmer einzuschätzen. (Ich den anderen Gruppenmitgliedern« oder Ähnliches. Wenn es mir gelingt, solche Klien­
hatte gehofft, das Gespräch über diese Aufgabe werde die Gruppe dazu bringen, ihre ten lange genug in der Gruppe zu halten, tauchen nach meiner Erfahrung mit ziemli­
Aufmerksamkeit auf sich selbst zu konzentrieren.) Wir hatten zwar geplant, die Ergeb­ cher Sicherheit Kontaktwünsche auf. Sehr tief innen ist ihnen die Gruppe durchaus
nisse vor der folgenden Gruppensitzung zu besprechen, sahen uns jedoch durch un­ nicht gleichgültig. Eine solche Klientin, die ihre Pose der Gleichgültigkeit viele Monate
vorhergesehene Umstände gezwungen, unsere Besprechung vor der nächsten Grup­ lang aufrechterhalten hatte, wurde in einer Sitzung aufgefordert, der Gruppe ihre un­
pensitzung abzusagen. ausgesprochene Frage zu stellen - die Frage, die sie der Gruppe am allerliebsten stellen
Beim Treffen der Gruppe kündigte der enthusiastische, aber noch sehr unerfahrene würde. Zum Erstaunen aller fragte diese äußerst reserviert und distanziert wirkende
und für interpersonale Bedürfnisse nicht genügend sensibilisierte Therapeut an, er Frau: »Wie könnt ihr mich nur ertragen?«
werde die Ergebnisse der Befragung laut vorlesen. Als die Gruppenmitglieder dies hör­ Viele Klienten erwarten die Gruppensitzungen geradezu ungeduldig oder ängstlich;
ten, reagierten sie aufgebracht und ängstlich. Sie erklärten, sie wollten die Ergebnisse manche sind danach zu mitgenommen, um nach Hause fahren oder in der Nacht
nicht wissen. Einige stellten die verheerenden Folgen, die es für sie haben könnte, wenn schlafen zu können; viele führen während der Woche zwischen den Sitzungen imagi­
sie erführen, dass sie am Ende der Liste stünden, so drastisch dar, dass der Therapeut näre Gespräche mit der Gruppe. Außerdem hält die Beschäftigung mit den anderen
seinen Plan, die Liste laut vorzulesen, rasch aufgab. Gruppenmitgliedern oft sehr lange an; ich kenne viele Klienten, die Monate oder sogar
Ich schlug für die nächste Gruppensitzung etwas anderes vor: Jedes Mitglied sollte noch Jahre nach Ende der Gruppentherapie an die anderen Gruppenmitglieder den­
angeben, wessen Stimme ihm in der Gruppe am wichtigsten sei, und seine Entschei­ ken oder von ihnen träumen.
dung anschließend erklären. Auch dies erschien der Mehrheit der Gruppe als zu be­ Um es noch einmal kurz zusammenzufassen: Niemand bleibt gegenüber den ande­
drohlich, und nur ein Drittel der Gruppenmitglieder wagte es, eine entsprechende ren Mitgliedern seiner Therapiegruppe lange gleichgültig. Und kein Klient verlässt eine
Wahl zu treffen. Trotzdem wechselte die Gruppe auf diese Weise auf eine interaktionel­ solche Gruppe, weil er sich darin langweilt. Wenn jemand sagt, dass er die anderen
le Ebene über, und es entstanden ein Maß an Spannung und Engagement und eine Mitglieder seiner Gruppe verachte, geringschätze, vor ihnen Angst habe, durch sie ent­
Hochstimmung, wie es in dieser Gruppe bisher noch nie der Fall gewesen war. Diese mutigt werde, sich ihretwegen schäme, wegen ihnen in Panik gerate oder sie hasse,
Männ�r waren von der Gesellschaft im höchstmöglichen Maße abgelehnt worden: kann das zutreffen. Aber glauben Sie nie, dass jemandem eine Gruppe, die er verlässt,
Man hatte sie eingesperrt, ausgesondert und ausdrücklich als Ausgestoßene deklariert. gleichgültig ist!
Auf den beiläufigen Beobachter wirkten sie verhärtet und den Feinheiten interperso­ Wir haben uns in diesem Abschnitt mit einigen Aspekten der Persönlichkeitsent­
naler Billigung und Missbilligung gegenüber gleichgültig - und doch waren ihnen die­ wicklung, der ausgereiften Funktionsfähigkeit, der Psychopathologie und der psycho­
se wichtig, sogar sehr wichtig. therapeutischen Behandlung aus der Perspektive der interpersonalen Theorie beschäf­
Das Bedürfnis, von anderen akzeptiert zu werden und mit ihnen zu interagieren, ist tigt. Viele der angesprochenen Themen sind für den gruppentherapeutischen Prozess
bei Menschen am anderen Ende der Skala menschlichen Glücks oder Unglücks - bei von zentraler Bedeutung: die Auffassung, dass psychische Erkrankungen auf gestörten
jenen, die sich in den höchsten Höhen von Macht, Ansehen oder Reichtum befinden interpersonalen Beziehungen beruhen; die Rolle der konsensuellen Validierung bei der
- nicht anders. Ich habe einmal drei Jahre lang mit einer unvorstellbar reichen Klientin Veränderung interpersonaler Verzerrungen; die Definition des therapeutischen Prozes­
gearbeitet. Dabei ging es hauptsächlich darum, dass das Geld einen Keil zwischen sie ses als einer adaptiven Modifikation interpersonaler Beziehungen; und die Beständig­
und andere trieb. Gab es auch nur einen einzigen Menschen, der sie um ihrer selbst keit und Stärke der sozialen Bedürfnisse von Menschen. Wir werden uns nun dem kor­
willen und nicht wegen ihres Geldes schätzte? Wurde sie von anderen ständig ausge­ rigierenden emotionalen Erlebnis zuwenden, der zweiten der drei Vorstellungen, die
nutzt? Bei wem konnte sie sich darüber beklagen, dass ein Vermögen von neunzig Mil­ wir kennen müssen, um den therapeutischen Faktor interpersonales Lernen verstehen
lionen Dollar eine Bürde war? Das Geheimnis ihres Reichtums isolierte sie von ande­ zu können.
ren Menschen. Und dann das Problem mit den Geschenken! Wie konnte sie andere
angemessen beschenken, ohne sie zu enttäuschen oder einzuschüchtern? Wir brauchen
auf die Probleme dieser Frau nicht näher einzugehen; die Einsamkeit sehr Privilegier­ Das korrigierende emoti o n a l e E r l e b n i s
ter ist allgemein bekannt. (Einsamkeit ist übrigens auch für Gruppentherapeuten ein Franz Alexander hat 1946 i m Rahmen seiner Beschreibung des Vorgangs der psycho­
wichtiges Thema. In Kapitel 7 werde ich auf die mit der Rolle des Gruppenleiters ver­ analytischen Heilung die Idee des »korrigierenden emotionalen Erlebnisses« (corrective
bundene Einsamkeit zu sprechen kommen.) emotional experience) eingeführt. Er schrieb, das Grundprinzip der Behandlung sei,
Wohl jeder Gruppentherapeut hat schon Klienten erlebt, die gegenüber der Gruppe »den Klienten unter günstigeren Umständen in emotionale Situationen zu versetzen,
gleichgültig oder distanziert waren. Sie erklären: »Mir ist gleich, was sie über mich sa- mit denen er in der Vergangenheit nicht fertig geworden ist. Man kann einem Klienten

50
51
nur helfen, wenn man ihm ein korrigierendes emotionales Erlebnis ermöglicht, das und unterstützend empfinden, dass sie es wagen, derartige Spannungen offen auszu­
den traumatischen Einfluss früherer Erlebnisse zu neutralisieren vermag.«34 Alexander drücken; (2) das Engagement muss stark genug sein, und es muss ehrliches Feedback
beharrte darauf, dass intellektuelle Einsicht allein nicht ausreiche, sondern eine emo­ gegeben werden, damit eine adäquate Realitätsprüfung möglich wird.
tionale Komponente einbezogen werden und eine systematische Realitätsprüfung Im Laufe meiner langjährigen klinischen Arbeit habe ich alle meine Klienten nach
stattfinden müsse. Der Klient, der aufgrund der Übertragung ( oder der parataxischen Abschluss ihrer Gruppentherapie befragt. Ich erkundige mich dann immer, ob sie sich
Verzerrung) mit dem Analytiker affektiv dysfunktional interagiere, müsse sich allmäh­ an eine wichtige Situation in der Therapie erinnern, die ihnen als Wendepunkt er­
lich dessen bewusst werden, dass »diese Reaktionen auf die Aktivitäten des Analytikers scheint oder die sie für das nützlichste Ereignis in der gesamten Arbeit halten. Zwar ist
nicht angemessen sind, und zwar nicht nur, weil er (der Analytiker) objektiv ist, son­ solch ein einzelner »wichtiger Vorfall« nicht das Gleiche wie ein therapeutischer Fak­
dern auch, weil er ist, was er ist, nämlich ein unabhängiger Mensch. Die Reaktionen tor, doch besteht zwischen beiden offensichtlich ein Zusammenhang, und man kann
des Klienten sind weder der realen Situation zwischen Klient und Therapeut angemes­ sehr viel lernen, wenn man einzelne wichtige Ereignisse untersucht. Meine Klienten
sen noch den aktuellen interpersonalen Beziehungen des Klienten im Alltagsleben. «35 nennen fast immer Situationen, die mit starken Emotionen verbunden waren und an
Obwohl die Vorstellung des korrigierenden emotionalen Erlebnisses im Laufe der denen ein anderes Gruppenmitglied beteiligt war, kaum jedoch Vorfälle, bei denen das
Jahre immer wieder kritisiert wurde, weil man sie fälschlich für unnatürlich, un­ Wirken des Therapeuten im Vordergrund stand.
authentisch oder manipulativ hielt, sehen heutige Psychotherapien sie als einen der Besonders häufig wird, wie J. Frank und E. Ascher bestätigen,3 9 vom plötzlichen
Grundpfeiler therapeutischer Wirkung an. Veränderungen sowohl auf der Ebene des Ausdruck starken Abscheus oder starken Ärgers auf ein anderes Gruppenmitglied be­
Verhaltens als auch auf der tieferen Ebene der internalisierten Bilder aus früheren Be­ richtet. In allen von ihnen beobachteten Fällen blieb die kommunikative Verbindung
ziehungen beruhen nicht in erster Linie auf Deutung und Einsicht, sondern auf be­ bestehen, der Sturm legte sich, und der Klient erlebte ein Gefühl der Befreiung von
deutsamen Erlebnissen von Bezogenheit im Hier und Jetzt, welche die pathogenen inneren Einschränkungen sowie eine Steigerung der Fähigkeit, die eigenen interperso­
überzeugungen des Klienten entkräften.36 Eine derartige Widerlegung dysfunktionaler nalen Beziehungen gründlicher zu untersuchen.
Überzeugungen kann eine dramatische Veränderung bewirken: Die Klienten bringen Die gemeinsamen Merkmale solcher kritischen Phasen waren:
dann in stärkerem Maße ihre Emotionen zum Ausdruck, erinnern sich häufiger an für
sie wichtige prägende Erlebnisse und lassen mehr Mut und ein stärkeres Selbstwert­ 1. Der Klient brachte starken negativen Affekt zum Ausdruck.
gefühl erkennen.37 2. Dieser Ausdruck war für ihn ein einzigartiges oder neuartiges Erlebnis.
Diese Grundprinzipien - die Bedeutung emotionalen Erlebens in der Therapie und 3. Der Klient hatte sich davor gefürchtet, Wut auszudrücken, doch blieb die erwartete
die (durch Realitätsprüfung ermöglichte) Entdeckung des Klienten, dass seine inter­ Katastrophe aus: Niemand ging fort oder starb, und das Dach stürzte auch nicht
personalen Reaktionen unangemessen sind - spielen in der Gruppentherapie eine em.
ebenso wichtige Rolle wie in der Einzeltherapie, möglicherweise sogar eine noch wich­ 4. Darauf folgte eine Realitätsprüfung. Dem Klienten wurde entweder klar, dass der
tigere, weil die Gruppensituation wesentlich mehr Möglichkeiten für korrigierende ausgedrückte Ärger zu stark oder nicht auf ein angemessenes Ziel gerichtet war,
emotionale Erlebnisse bietet. In einer Einzeltherapie kommen korrigierende emotio­ oder er erkannte die Irrationalität seines früheren generellen Vermeidens von Af­
nale Erlebnisse seltener vor, weil die Beziehung zwischen Klient und Therapeut isolier­ fektäußerung. Manchmal gelangte er dadurch zu einer Einsicht - d. h., ihm wurde
ter ist und der Klient Spontaneität, Wirkungsbereich und Authentizität dieser Bezie­ klar, wie der unangemessene Affekt zustande gekommen war oder warum er affek­
hung eher anzweifeln kann. (Ich nehme an, dass Alexander sich darüber im Klaren war, tive Erlebnisse früher generell gemieden oder sie nicht ausgedrütkt hatte.
denn er hat einmal die Auffassung vertreten, der Analytiker müsse gegebenenfalls wie 5. Der Klient entwickelte die Fähigkeit zu freiem Verhalten in der Interaktion und zur
ein Schauspieler eine Rolle spielen, um die gewünschte emotionale Atmosphäre zu er­ gründlicheren Untersuchung seiner Beziehungen zu anderen Menschen.
zeugen.) 38
In einer Therapiegruppe ist eine derartige Simulation nicht erforderlich, weil in ihr Wenn ich merke, dass zwischen zwei Gruppenmitgliedern ein Konflikt besteht, nehme
ohnehin zahlreiche Spannungen bestehen, die in frühesten Erlebnissen wurzeln: ich an, dass sie im Laufe der Therapie wahrscheinlich eine ziemlich wichtige Rolle für­
Geschwisterrivalität, Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Gruppenleiter/Eltern, einander spielen werden. Handelt es sich um einen besonders unangenehmen Konflikt,
Kampf um Dominanz und Status, sexuelle Spannungen, parataxische Verzerrungen versuche ich manchmal, das Unbehagen zu verringern, indem ich meine Ahnung laut
und Unterschiede hinsichtlich Herkunft, Bildung und Wertvorstellungen. Doch Reak­ ausspreche.
tivierung und Ausdruck des unverarbeiteten Affekts allein reichen nicht aus; er muss Auch bei der zweithäufigsten Art von Vorfällen, die meine Klienten beschreiben, ist
in ein korrigierendes emotionales Erlebnis verwandelt werden. Dazu sind zwei Voraus­ starker Affekt im Spiel - in diesem Fall positiver Affekt. Beispielsweise beschrieb ein
setzungen erforderlich: ( 1) Die Gruppenmitglieder müssen die Gruppe als so sicher schizoider Klient eine Situation, in der er einem anderen Gruppenmitglied, das in

52 53
einer Anwandlung von Verzweiflung fluchtartig den Gruppenraum verlassen hatte, Zeit verändern sich die tief verwurzelten Überzeugungen des Klienten - und diese Ver­
nachgelaufen war; später berichtete er, es habe ihn zutiefst berührt festzustellen, dass änderungen werden durch konstruktive interpersonale Reaktionen anderer Menschen,
er sich um einen anderen Menschen kümmern und ihm sogar helfen könne. Auch an­ die durch die neuen interpersonalen Verhaltensweisen des Klienten hervorgerufen
dere Gruppenteilnehmer berichteten darüber, wie sie ihre Lebendigkeit entdeckt oder werden, verstärkt. Da sich selbst in subtilen Veränderungen des interpersonalen Ver­
gespürt hatten, dass sie mit sich selbst in Kontakt waren. Den Situationen, die sie be­ haltens ein tiefreichender Wandel spiegeln kann, sollten diese vom Therapeuten und
schrieben, waren folgende Merkmale gemeinsam: von den übrigen Gruppenmitgliedern gewürdigt und verstärkt werden.

1 . Der Klient brachte starken positiven Affekt zum Ausdruck - was für ihn ungewöhn­ Barba ra, eine depressive j u nge Fra u, sch ilderte der G ru ppe lebhaft ihre isolierte u n d
lich war. von E ntfremdung geprägte Situation. Ansch l ießend wendete s i e sich an Alice, die wäh­
2. Die befürchtete Katastrophe trat nicht ein - Hohn, Zurückweisung, ein Zustand rend des Berichts geschwiegen hatte. Barbara und Alice hatten oft m iteinander gestrit­
völliger Erschütterung, die Vernichtung anderer. ten, weil Barbara Alice i m mer wieder vorgeworfen hatte, sie ignoriere sie und lehne sie
3. Der Klient entdeckte einen Teil von sich selbst, der ihm bisher unbekannt gewesen ab. In d ieser S itzung jedoch ä u ßerte sich Barbara Alice gegen ü ber etwas einfü h lsamer,
war, und dadurch wurde es ihm möglich, zu anderen Menschen auf eine für ihn indem sie fragte, was i h r Schweigen bedeute. Alice a ntwortete, sie habe grü nd lich zu­
neuartige Weise in Beziehung zu treten. gehört und darüber nachgedacht, wie viel sie beide gemeinsam hätten. Ba rba ras ein­
fü hlsame Nachfrage habe es ihr ermöglicht, ih re Ged a n ken a uszudrücken, statt sich
Die am dritthäufigsten genannte Ereigniskategorie ähnelt der zweithäufigsten. Die Kli­ gegen den Vorwurf, kei n Mitgefü h l zu h a ben, zur Weh r setzen zu m ü ssen - was i n
enten erinnern sich an eine Situation, in der sie gewöhnlich etwas Wesentliches über früheren G ruppensitzu ngen meh rfach z u einer kontraprod u ktiven E ntwickl u n g des
sich selbst offenbart haben, wodurch ihre Beziehung zur Gruppe intensiviert wurde. Dia logs gefü hrt hatte. Durch die scheinbar geringfügige, aber offenbar doch sehr wich­
Beispielsweise gestand ein vorher sehr verschlossener und schweigsamer Klient, der ei­ tige Verä nderung, die darin bestand, dass Barbara sich n u n a u s ei ner e mpathischen
nige Gruppensitzungen versäumt hatte, wie sehr er sich wünsche, von der Gruppe zu Grundha ltung heraus an Alice wenden konnte, wurde die Bez i e h u ng der beiden ge­
hören, dass sie ihn während seiner Abwesenheit vermisst habe. Auch andere baten die heilt, statt dass ein a ltbeka nntes dysfu n ktiona les Muster ein weiteres Mal wiederholt
Gruppe in der einen oder anderen Form offen um Hilfe. wurde.
Das korrigierende emotionale Erlebnis in der Gruppentherapie besteht offenbar
aus folgenden Komponenten: Dieser Gedanke ist sehr wichtig für einen Schlüsselbegriff des gruppentherapeutischen
Ansatzes, das Hier und Jetzt, womit ich mich in Kapitel 6 eingehend beschäftigen wer­
1. einem starken interpersonal orientierten emotionalen Ausdruck, der für den Kli­ de. Im Augenblick muss es genügen, dass ich auf die folgende Grundannahme eingehe:
enten mit einem Risiko verbunden ist; Wenn die T herapiegruppe sich auf das Hier und Jetzt konzentriert, wird ihre therapeu­
2. einer Gruppe, deren Unterstützung es dem Klienten ermöglicht, das Risiko ein­ tische Wirkung stärker.
zugehen; Doch kann die Fokussierung auf das Hier und Jetzt (auf das, was in diesem Raum
3. einer Realitätsprüfung, in deren Verlauf der Klient das Vorgefallene mithilfe einer in der unmittelbaren Gegenwart geschieht) nur dann therapeutisch wirken, wenn zwei
konsensuellen (das Urteil anderer Gruppenmitglieder einbeziehenden) Validierung Voraussetzungen erfüllt sind: Die Gruppenmitglieder müssen einander so spontan
untersucht; und ehrlich wie möglich erleben, und sie müssen über ihr Erleben reflektieren. Dieses
4. der Erkenntnis, dass bestimmte interpersonale Gefühle und Verhaltensweisen un­ Reflektieren des Geschehenen ist für die Verwandlung eines emotionalen Erlebnisses
angemessen sind oder dass es abträglich ist, bestimmte interpersonale Verhaltens­ in ein therapeutisches entscheidend. In Kapitel 5, wo die Aufgaben des Therapeuten
muster zu vermeiden; beschrieben werden, wird erläutert, dass es den meisten Gruppen nicht schwerfällt,
5. und schließlich der Förderung der Fähigkeit des Klienten, mit anderen Menschen sich in den emotionalen Strom des Hier und Jetzt zu begeben; doch befreit dies den
intensiver und ehrlicher zu interagieren. Therapeuten nicht von der Aufgabe, die Gruppe immer wieder zur Selbstreflexion zu­
rückzuführen.
Eine Therapie ist ein emotionales und ein korrigierend wirkendes Erlebnis. Diese Dop­ Die irrige Annahme, ein starkes emotionales Erlebnis allein könne verändern, ist
pelnatur des Therapieprozesses ist elementar, und ich werde im Laufe dieses Buches ebenso verführerisch wie überholt. Diesem Irrtum verdankt die moderne Psychothe­
immer wieder auf sie zurückkommen. Wir müssen Situationen, mit denen wir kon­ rapie geradezu ihre Entstehung: In der frühesten Darstellung einer analytischen Psy­
frontiert werden, sehr intensiv erleben; aber wir müssen auch unseren Verstand nut­ chotherapie (Freuds und Breuers Studien über Hysterie aus dem Jahre 1895) 40 wird eine
zen, um die Implikationen dieses emotionalen Erlebnisses zu verstehen . .71 Im Laufe der kathartische Behandlungsmethode beschrieben, die auf der Überzeugung basiert, die

54 55
Ursache der Hysterie sei ein traumatisches Ereignis, auf das der Patient emotional nie Die Gru ppe a l s soz i a l e r Mi krokosmos
adäquat reagiert habe. Da man annahm, die Krankheit sei durch einen unterdrückten
Affekt entstanden, war die Behandlung darauf gerichtet, dieser unterdrückten Emoti­ Eine frei interagierende Gruppe, die kaum durch strukturelle Faktoren in ihrer Entfal­
on zum Ausdruck zu verhelfen. Doch schon bald erkannte Freud seinen Irrtum: Der tung behindert wird, entwickelt sich im Laufe der Zeit zu einem sozialen Mikrokosmos
emotionale Ausdruck war zwar notwendig, reichte aber keineswegs aus, um eine Ver­ ihrer Mitglieder. Wenn man den Klienten genug Zeit lässt, fangen sie alle irgendwann
änderung herbeizuführen. Die von Freud verworfenen Ideen kursieren aber noch heu­ an, sie selbst zu sein. Sie interagieren dann mit den übrigen Gruppenmitgliedern so
te und bilden die Wurzeln jenes unkontrollierbaren Wildwuchses therapeutischer Me­ wie mit den Menschen in ihrer gewohnten sozialen Umgebung; sie lassen in der Grup­
thoden, der immer neue Blüten treibt. Die im Wiener Pin de siecle entstandene kathar­ pe das interpersonale Universum entstehen, in dem sie ständig leben. Klienten zeigen
tische Behandlung lebt in der Urschrei- oder Primärtherapie, in den bioenergetisch in einer Therapiegruppe im Laufe der Zeit unwillkürlich und unvermeidbar ihr fehl­
orientierten Ansätzen weiter, die der emotionalen Katharsis immer noch eine übertrie­ angepasstes interpersonales Verhalten. Sie brauchen weder ihre Krankheit zu beschrei­
bene Bedeutung beimessen. Ich habe mit Kollegen gründlich die Prozesse und Resul­ ben noch detailliert deren Entstehungsgeschichte zu schildern: Früher oder später in­
tate vieler in den 1970er-Jahren populärer Encountertechniken untersucht (das ent­ szenieren sie ihre Problematik vor den Augen der anderen Gruppenmitglieder. Außerdem
sprechende Forschungsprojekt wird in Kapitel 16 ausführlich beschrieben). Die in die­ liefert ihr Verhalten zuverlässigere Informationen als Selbstberichte, weil es nicht durch
sem Zusammenhang durchgeführten Untersuchungen haben unsere Auffassung, dass die für Letztere unvermeidlichen blinden Flecken in seiner Zuverlässigkeit einge­
beim psychotherapeutischen Prozess nicht nur die emotionale, sondern auch die intel­ schränkt wird. Für Klienten ist es schwierig, über eine Charakterpathologie zu berich­
lektuelle Komponente unverzichtbar ist, überzeugend bestätigt.41 ten, weil diese so stark mit ihrer Persönlichkeit verwoben ist und sich ihrem bewussten
Im Rahmen der genannten Studie wurde die Beziehung zwischen den Erlebnissen und expliziten Gewahrsein entzieht. Deshalb ist die Gruppentherapie, in der das Feed­
der einzelnen Gruppenmitglieder und ihrem Therapieerfolg auf unterschiedliche Wei­ back eine so wichtige Rolle spielt, für Menschen mit Störungen dieser Art eine beson­
sen untersucht. Beispielsweise forderten wir die Klienten nach Abschluss der Gruppen­ ders geeignete Behandlungsform.43
therapie auf, darüber nachzudenken, welche Aspekte ihrer Erlebnisse in der Gruppe Hier handelt es sich um eines der Fundamente des gruppentherapeutischen Ansat­
nach ihrer Meinung die Veränderung bewirkt hatten. Außerdem baten wir die Proban­ zes: Während der Transaktionen innerhalb der Gruppe wird irgendwann der interper­
den während der Gruppenarbeit, und zwar am Ende jeder Sitzung, zu beschreiben, sonale Verhaltensstil jedes Gruppenmitglieds erkennbar. Einige dieser persönlichen Ei­
welches Ereignis am betreffenden Tag sie als das für sie persönlich wichtigste ansahen. genarten erzeugen interpersonale Dissonanzen, die in der Regel schon zu Beginn der
Durch Korrelation der Art der Ereignisse, die auf diese Frage hin genannt wurden, mit Zusammenarbeit einer Gruppe erkennbar werden.
dem jeweiligen Therapieresultat erhielten wir hochinteressante Informationen, die vie­ Beispielsweise rufen Gruppenmitglieder, die ärgerlich oder rachsüchtig sind, die
le gängige Klischeevorstellungen darüber widerlegten, welche Elemente für die erfolg­ hart urteilen, sich übertrieben bescheiden geben oder sich besonders kokett verhalten,
reiche Teilnahme an einer Encountergruppe am wichtigsten seien. Zwar wurden emo­ meist schon in den ersten Gruppensitzungen starke interpersonale Turbulenzen her­
tionale Erlebnisse (Ausdruck und Erleben starken Affekts, Selbstoffenbarung, Geben vor. Ihre dysfunktionalen sozialen Verhaltensmuster ziehen schnell die Aufmerksam­
und Empfangen von Feedback) übereinstimmend als wichtig bezeichnet, doch unter­ keit der Gruppe auf sich. Bei anderen treten die Schwierigkeiten erst später im Hier
schieden sie nicht zwischen den Gruppenmitgliedern, die von der Teilnahme an der und Jetzt der Gruppe zutage. Dazu zählen Klienten, die ebenso große oder sogar noch
Gruppentherapie profitiert hatten, und denjenigen, die ihre Teilnahme als Misserfolg größere, aber subtilere Probleme haben - beispielsweise Menschen, die andere insge­
ansahen. Anders ausgedrückt schätzten Gruppenmitglieder, die sich durch die Grup­ heim ausnutzen, oder solche, die sich in einem gewissen Maße auf andere einlassen,
penarbeit nicht verändert oder die in der Gruppe sogar negative Erfahrung gemacht sich aber dann aus Angst zurückziehen, oder jene, die den Anschein erwecken, sich auf
hatten, die emotionalen Erlebnisse in der Gruppe in der Regel genauso positiv ein wie andere einzulassen, dabei aber stets in einer sich unterordnenden, willfährigen Haltung
Teilnehmer, die sich durch die Gruppe tatsächlich verändert hatten. verharren.
Doch welche Erlebensaspekte unterschieden die erfolgreichen von den erfolglosen Die erste Aufgabe einer Gruppe besteht gewöhnlich darin, sich mit den Gruppen­
Mitgliedern tatsächlich? Ausschlaggebend war offenbar eine kognitive Komponente: mitgliedern auseinanderzusetzen, deren Pathologie im interpersonalen Kontakt am
Eine Art kognitiver Landkarte war erforderlich, ein intellektuelles System, das dem Er­ deutlichsten zum Ausdruck kommt. Einige Verhaltensstile treten schon bei der ersten
lebten einen Rahmen gab, und die Emotionen, die in der Gruppe hervorgerufen wur­ Interaktion kristallklar zutage, andere während der ersten Gruppensitzung, und wieder
den, mit einer Bedeutung verband. Die Tatsache, dass diese Erkenntnisse durch die andere werden erst nach monatelangem Beobachten verständlich. Die Entwicklung der
Untersuchung von Gruppen gewonnen wurden, deren Leiter der intellektuellen Kom­ Fähigkeit, fehlangepasstes interpersonales Verhalten zu identifizieren, wie es im sozi­
ponente keinen großen Wert beimaßen, legt nahe, dass diese Komponente dem Kern, alen Mikrokosmos der Kleingruppe zum Ausdruck gelangt, und dies therapeutisch zu
nicht der Fassade des Veränderungsprozesses zuzurechnen ist.42 nutzen, ist eine der zentralen Aufgaben eines Ausbildungsprogramms für Gruppenpsy-

56 57
chotherapeuten. Zur Veranschaulichung folgen nun Beschreibungen einiger klinischer anzuspornen, m ä n n licher zu werden), einen 24-jäh rigen sexuell unerfa hrenen Ma n n

Beispiele.* stel lte sie einer geschiedenen, pro m iskuitiven Freundin vor. Doch a l l m ä h l ich wurde
klar, dass sie diese Geschenke n icht aus p u rer Sel bstlosigkeit verteilte. Beispielsweise
schn üffelte sie in der Beziehung herum, die sie zwischen dem m ä n n l ichen sexuell un­
Die große Dame
erfah renen G ruppen m itglied und i h rer geschiedenen Freundin gestiftet hatte, indem
Va lerie, eine 27-jäh rige Musikeri n, ka m hauptsäch lich wegen schwerwie gender Ehe­
sie sich als Vertraute und Verm ittlerin a ufd rä ngte - was i h r eine ziemliche Macht über
probleme zur Therapie, u nter denen sie seit meh reren Jahren litt. Sie hatte schon er­
die beiden Partner sicherte.
folglose Versuche m it einer längeren E i n zeltherapi e und einer a ufdeckend en Hyp­
Schon bald waren a l le i h re I ntera ktionen in der Gruppe von ihrem Dom i n a nzstreben
nosethera pie gemacht. Sie beschrieb i h ren Ehema n n a l s Trin ker, der n u r widerwi llig
bestimmt. Der U mgang m it m i r wurde fü r sie zu einer besonderen Hera usforderu ng,
m it ihr kom m u n i zierte, sei es auf sozialer, i ntellektue ller oder sexueller E bene. Nun
und sie machte mehrere Versuche, a uch m ich i h rer Kontrolle zu unterwerfen. Rein zu­
hätte sich die Gruppe, wie es manche G ruppen tun, lang und breit m it der Ehe der Kli­
- fä l l ig hatte ich ein ige Monate vorher eine Beratu ngssitzung m it i h rer Schwester ge­
entin auseinand ersetzen kön nen. Sie hätten sich detailliert m it dem Verlauf der Ehe
Alkohol kra n kheit habt und ihr einen kompetenten Therapeuten, einen klin ischen Psychologen, empfoh­
der Phase des Kennenler nens, der Entstehun g der Streitigkei ten, der
len. Deshalb gratulierte Va lerie m ir in einer G ru ppensitzung zu der brilla nten Idee, ihre
des Mannes, den Gründen fü r die Ehesc h l i eßung u n d m it der Rolle der Fra u in dem
Schwester zu einem Psychologen zu schicken, weil d ies zeige, dass ich d ie tiefe Abnei­
Konfl i kt befassen kön nen. Aufgru nd der so zusammen getragene n I nformatio nen hät­
gung der Schwester gegen Psych iater gea h nt hätte. In einem a nderen Fa ll a ntwortete
ten sie der Frau da n n wah rsche i n lich zu neuen Verha ltensweise n, zu einer Tre n n ung
sie auf eine Äußerung von mir: »Wie a ufmerksam von I h nen, dass Sie bemerkt haben,
a uf Probe oder z u einer endgültige n Tre n n ung geraten.
wie meine Hände z itterten.«
Doch d i e Aufarbeitu ng der Beziehu ngsgeschi chte und a l le Bemühu ngen um eine Lö­
Ich sa ß in der Falle! Tatsächlich hatte ich weder die angebl iche Abneigung ihrer Schwe­
sung der bestehend en Probleme wä ren vergeblich gewese n: Der Nachte i l eines sol­
ster gegen Psychiater era h nt (ich hatte sie einfach an den besten Therapeuten ü ber­
chen Vorgehens ist n icht n u r, dass es die einziga rtigen Möglichke iten einer G ruppen­
wiesen, den ich ka n nte), noch waren m i r Va leries z itternde Hände a ufgefa l len. Hätte
therapie u ngen utzt lä sst, sondern es basiert a u ßerdem a uf der sehr fragwürd igen
ich i h r u nverd ientes Lob n u n sti l l schweigend a ngenommen, so wäre dies der sti l l­
Vora ussetzung, dass der Bericht einer Klientin über i h re Ehe a uch nur hal bwegs zutref­
schweigenden E i nwilligung in eine nicht der Wahrheit entsprechenden S icht gleichge­
fend ist. G ruppen, die a uf diese Weise a rbeiten, können den Kl ienten, u m die es geht, in
kommen: Ich hätte m ich m it i h r »gemein gemacht«. Hätte ich hingegen zugegeben,
der Regel nicht helfen, und a u ßerdem wirkt der problem lösu ngs- und lebensgesc hichtc
dass ich weder das Zittern der Hände bemerkt noch etwas von der Abneigung ih rer
l ieh orientierte G ru ppenthera piea nsatz a ufgrund sei n e r U neffektivit ät demora l isie­
Schwester gegen Psychiater gea h nt hatte, hätte das E ingestä ndnis meiner unzulä ng­
rend. U ntersuche n wir stattdesse n Va leries Verha lten, wie es im H ier und Jetzt der
lichen Wa hrnehmu ngsfä higkeit m ich in e i n schlechtes Licht gerückt. In beiden Fä llen
G ruppe zum Ausd ruck gelangte.
hätte sie mich in der Hand gehabt! In solchen Situationen hat ein Therapeut e igentlich
Die Klientin verhielt sich in der G ruppe vor a l lem sehr a uffä l l ig. Zunächst erfolgte je­
n u r eine Mögl ichkeit: Er m uss den Rahmen ä ndern und sich zum G ruppenprozess äu­
desmal i h r »großer Auftritt«: Sie kam notorisch fü nf bis zehn M i n uten zu spät. Sie
ßern: Er m uss Art und Bedeutung der Falle, d ie ihm gestellt wurde, kommentieren. (Auf
rauschte stets in nicht n u r top-modischer, sondern zudem ziemlich »sch riller« Kleidung
entsprechende therapeutische Techniken werde ich in Kapitel 6 sehr viel a usfü hrlicher
in den Raum, warf manchmal ein igen Anwesende n Kusshände zu und fing sofort an zu
eingehen.)
reden, ohne sich darum zu scheren, ob ein a nderes G ruppenmitg lied gerade etwas sag­
Va lerie trat a uch a uf viele andere Arten z u mir i n Kon ku rrenz. Weil sie sehr intuitiv und
te. N a rzissm us in Rei nform! Sie bezog a l les, was geschah, a usschließlic h auf sich und
i ntelligent wa r, entwickelte sie sich in nerha l b der G ruppe zur Spezial istin für die Deu­
zog n icht in Betracht, dass sich die G ruppen m itglieder schon vor i h rem Ei ntreffen et­
tung von Trä umen und Fa ntasien. E i n m a l suchte sie m ich zwischen den Gruppensit­
was zu sagen geha bt haben kön nten.
zu ngen auf, um m ich um die E rlaubnis zu bitten, in meinem Namen ein Buch a u s der
Schon nach wenigen gemeinsam en Sitzu ngen fing Valerie an, in der Gru ppe Geschen­
Bibl iothek der medizinischen Faku ltät zu entleihen. Diese Bitte war insofern d u rchaus
ke zu verteilen: Ei ner übergewich tigen Fra u schen kte sie ein Buch über eine neue Diät,
pla usibel, als das Buch (über Musiktherapie), u m das es ging, i h ren Beruf betraf und sie
einer Schielende n empfa h l sie einen guten Augena rzt, einem fem i n inen Homosexu el­
als N ichtmedizinerin keinen Zuga ng zu d ieser Bibl iothek hatte. Doch i m Ra hmen des
len schenkte sie ein Abonneme nt der Zeitschrift Field and Stream (zweifellos, um i h n
G ruppen prozesses hatte die Bitte eine kom plexere Bedeutung: Es ging u m die lnfrage­
* I n den hier beschriebenen klinischen Beispielen habe ich ebenso wie a n anderen Stellen in diesem stellung von G renzen. I h r den Wunsch zu erfü llen hätte den a nderen G ruppe n m itglie­
Buch die Privatsphäre der Klienten durch Veränderung der Angaben über Namen, Beruf und Alter dern signalisiert, dass sie eine spezielle Bezie h u n g zu m i r hätte. Ich teilte i h r d iese
geschützt. Außerdem gebe ich die Interaktion nie so wieder, wie sie tatsächlich stattgefunden hat, son­ Ü berlegungen m it und sch lug vor, in der nächsten Gru ppensitzung a usfü hrlicher auf
dern ich rekonstruiere sie aus jeweils nach den Therapiesitzungen angefertigten detaillierten kli­
nischen Notizen. die Angelegen heit einzugehen. Doch nach dieser von i h r als Zu rückweisung wa hrge-

59
58
nommenen Entscheidung rief sie die drei m ä n n lichen Gruppe n m itglieder z u H a use a n selbst große Probleme hatten u nd versuchten, einander nach Kräften z u helfen, sie zu
u nd vera bredete sich m it i h nen zu privaten Treffen - nicht o h n e s i e vorher z u Sti l l ­ schätzen und zu respektieren begonnen hatte; dass sie trotz a l ldem innerhalb weniger
schweigen verpfl ichtet zu ha ben. Mit zweien bega n n s i e eine sexuelle Beziehung, u n d Wochen die Atmosphäre in dieser Gruppe vergiftet hatte u nd i h ren bewussten Wü n­
a uch d e n dritten, e i n e n Homosexuel len, d e r an i h ren Annä heru ngsversuchen nicht i m schen z u m Trotz zu einer Ausgestoßenen geworden wa r, die die Gru ppe, die ihr hätte
Geringsten interessiert wa r, versuchte s i e m it a l len Mittel n zu verfü h ren. helfen können, nicht mehr u nter sich haben wollte. Indem sie sich m it d iesen Proble­
Die darauffolgende Gru ppensitzung wa r entsetzlich. Va lerie wa r sehr angespa n nt und men in i h rer späteren Therapiegru ppe auseinandersetzte, gela ngen i h r tiefgreifende
unprod u ktiv, und es bestätigte sich der a ltbekan nte Gru ndsatz (mit dem wir uns später Verä nderu ngen, sodass sie ihr beträchtliches Potenzial i n späteren Beziehu ngen und
ausfü h rl icher beschäftigen werden): Wen n wä h rend einer Gru ppensitzu ng etwas a kut Situationen konstruktiv n utzen kon nte.
Wichtiges bewusst n icht angesprochen wird, wird in dieser Sitz u ng a uch sonst ü ber
n ichts Wichtiges gesprochen. Zwei Tage später bat m ich Va lerie, d i e sichtlich u nter Der Mann, der Robin Hood mochte
i h rer Angst und der Last i h rer Schu ldgefü hle l itt, um eine Einzelsitzu ng, in der sie ein­ Ron, ein 48-jäh riger Rechtsa nwalt, der von seiner Frau getrennt lebte, hatte wegen De­
gesta nd, was geschehen wa r. Wir verein barten, in der nächsten Gruppensitz u ng ü ber pression, Ängsten u nd starken Einsamkeitsgefü h len mit einer Gru ppentherapie be­
die ganze Sache zu sprechen. gon nen. Seine Beziehu ngen zu Männern wie zu Frauen waren sehr problematisch. Er
Dieses nächste Treffen eröffnete Va lerie m it den Worten: »Heute ist Beichttag! Also los, seh nte sich nach einer engen Freund schaft zu einem Ma nn, wie er sie seit seiner H igh­
Charles! « Und später: »Jetzt bist du d ra n, Lou is. « Auf d iese Weise m a ni p u l ierte sie die school-Zeit n icht mehr gehabt h atte. Augenblicklich waren seine Männerbeziehu ngen
Situation geschickt so, dass der Eindruck entstand, nicht sie, sondern ei nzig und a l lein entweder von starkem Konku rrenzdenken und von Feindseligkeit geprägt, wobei sein
die betreffenden Männer trügen die Vera ntwortung fü r die Verstöße gegen die G rup­ Verha lten offener Aggressivität gefä h rlich nahe ka m, oder er trat sehr dom in ierend auf
pen regeln. Alle d rei Männer fügten sich i h rer Aufforderung u nd beka men später i n der mit der Folge, dass ihm d ie Bezieh u n g bald als leer und langweilig ersch ien.
gleichen Sitzung von Va lerie eine kritische Beurtei l u ng i h rer sexuellen Leistung zu hö­ Seine Beziehu ngen zu Frauen waren stets a uf vorhersehba re Weise verlaufen: Liebe a uf
ren. E i nige Wochen später i nformierte Va lerie i h re n Mann, mit dem sie eigentlich nicht den ersten Blick, rasch entfl a m mende Leidenschaft u n d e i n sch nelles Abfla uen des In­
mehr viel z u tun hatte, ü ber i h re Abenteuer, woraufh i n d ieser den d rei m ä n n l ichen teresses. Die Liebe zu seiner Ehefrau wa r schon vor vielen Jahren verkü m mert, u nd er
Gruppe n m itgliedern Droh briefe schickte. Das brachte das Fass zum ü berla ufe n ! Die d u rchlebte gerade den fü r i h n sehr schmerzhaften Prozess der Scheidu ng.
G ruppen m itglieder hatten jegliches Vertra uen zu ihr verloren und schlossen sie aus der Ron wa r intell igent, er konnte sich verbal sehr gut a usd rücken, und er sicherte sich so
Gru ppe aus - der einzige Fa l l dieser Art, den ich jemals erlebt ha be. (Va lerie setzte i h re in der G ruppe von Anfa ng an eine einfl ussreiche Position. Er teilte den ü brigen G rup­
Therapie i n einer a n de ren Gru ppe fort.) Die Gesch ichte ist d a m it zwa r noch n icht z u pen mitgliedern stä ndig sehr nützl iche u n d e infü h lsa me Beobachtungen m it, verbarg
Ende, a ber vielleicht reicht der besch riebene Tei l aus, u m zu veranscha u l ichen, dass die aber seinen eigenen Sch merz und seine Bed ü rfnisse völ l ig. Weder a n mich noch a n
Gruppe e i n sozialer Mi krokosmos ist. meine Co-Thera peutin stellte er irgendwelche Forderu ngen, u n d er n a h m auch nichts
Fassen wir zusa m men: Der erste Sch ritt besta nd darin, dass Valerie in der G ruppe deut­ von uns an, wen n wir es ihm a n boten. Bei jedem meiner Versuche, m it Ron eine I nter­
l ich i h re i nterpersonale Pathologie erkennen l ieß. I h r Narzissm us, i h re Bed ü rfnisse, aktion zu begin nen, hatte ich das Gefü h l, in eine Sch lacht zu z iehen. Sein Widersta nd
bewundert zu werden u nd andere zu beherrschen, i h re sadistische Bezieh ung zu Män­ war so stark, dass meine Interaktion m it ihm monatelang hauptsäch lich darin besta nd,
nern - das gesamte Repertoire i h rer fü r sie u nd a ndere u n heilvollen Verha ltensweisen dass ich ihn i m mer wieder a ufforderte zu u ntersuchen, wa rum er m ich nicht als jeman­
- traten im H ier und Jetzt der Gru ppentherapie zutage. Als Nächstes folgten im G rup­ den erlebe, der ihm helfen kön ne.
penprozess Reaktion und Feedback a uf ihr Verhalten. Die betroffenen Män ner brachten » Ron « , sch l ug ich i h m i rgendwa n n vor, »lassen Sie u n s doch einmal zu klären versu­
z u m Ausdruck, dass sie sich zutiefst gedem ütigt fü h lten und dass sie wütend waren, chen, worum es hier eigentlich geht. In I h rem Leben gibt es viele Bereiche, in denen Sie
weil sie nach Va leries Pfeife hatten ta nzen mü ssen u nd von i h r »Ze n s u ren « fü r i h re u ngl ücklich sind. Ich bin ein erfa h rener Therapeut, und Sie sind zu mir gekom men, wei l
sexuellen Leistungen erhalten hatten. Dara ufh i n hatten sie sich von i h r zu rückgezo­ S i e H ilfe suchen. S i e kommen regelmäßig zu den Sitzungen, fehlen n ie, beza h len m ich
gen, hatten nachgedacht u nd das Resü mee gezogen: »Ich möchte nach einem sexuel­ fü r meine Arbeit und hindern m ich doch systematisch dara n, I h nen zu helfen. E ntwe­
len E rlebnis n icht jedesmal einen Bericht ü ber meine Leistungen bekom men. Das ist der Sie verstecken das, worunter Sie leiden, so gut, dass m i r nichts e infä l lt, was ich Ih­
ein Versuch, mich zu beherrschen. Es ist, a l s würde ich m it meiner Mutter schlafe n ! nen als H ilfe a n bieten könnte, oder, wenn ich I h n e n etwas a n biete, lehnen S ie es auf
Allmäh lich verstehe ich, wa ru m d e i n Mann sich von d i r tren nen wil l ! « D i e wei bl ichen die eine oder andere Weise a b. Es wäre s i n nvoller, wen n wir a n einem Stra ng ziehen
G ruppen mitgl ieder u nd die Therapeuten empfanden Va leries Verha lten als m utwi l l ig würden. Meinen Sie n icht a uch, wir sollten zusammena rbeiten, damit Sie die Hilfe be­
destru ktiv, u nd zwar sowoh l fü r die Gru ppe als auch fü r sie sel bst. kom men, d i e Sie b ra uchen? Können Sie m i r erklä ren, wieso wir u n s eher wie Gegner
Vor a l lem jedoch m usste sie damit fertig werden, dass eine Gruppe von Menschen, die verhalten? «

60 61
Doch auch dadurch verä nderte sich unsere Bezieh u ng nicht. Ron wi rkte irritiert, und er schwörung zu gewin nen: fü r die E ntthronung des Therapeuten. Die Kontakte zu G ru p­
pa rierte geschickt und d u rchaus plausibel, viel leicht spräche ich ja nicht ü ber ein Prob­ penmitgliedern a u ße r h a l b der Sitz u ngen e rm ögl ichten i h m, e nge B ü n d n i sse z u
lem von ihm, sondern ü ber mein eigenes. Für Rons Beziehu ngen zu den anderen G ru p­ schm ieden, u n d er versta nd es, sich a ndere z u Da n k zu verpfl ichten, indem er i h nen
pen m itgliedern war charakteristisch, dass er sie u n bed ingt a l l e auch a u ßerha l b der irgendeinen Gefa llen tat oder ihnen eine Gu nst erwies. Als Nächstes versuchte er, mir
G ruppe treffen wollte. E r bem ü hte sich systematisch, mit jedem G ruppen m itglied et­ »meine Fra uen« abspenstig zu machen - zuerst das attraktivste weibl iche G ruppen­
was zu u nterneh men. Da er Pilot wa r, lud er ein ige zu einem Flug ein, m it a nderen ging mitglied und dann meine Co-Therapeuti n.
er sege l n u nd m it wieder a nderen zum Essen. Ein ige beriet er in Rechtsfragen, u nd mit Nicht nur Rons pathogenes interpersona les Verhalten trat in der G ru ppe z utage, son­
einem der wei blichen Gru ppenmitglieder bega n n er eine Liebesaffäre. Die Krön u ng dern a uch die schädigenden Folgen dieses Verha ltens zeigten sich, die letztendlich das
bestand darin, dass er meine Co-Therapeutin, eine Assistenzärzti n der Psych iatrie, zu Gegenteil dessen bewirkten, was er eigentlich damit bea bsichtigt hatte. Du rch seine
einem Skiwochenende ein l ud. Käm pfe m it den m ä n n l ichen Gruppen m itgl iedern e rschwerte er a usgerechnet das,
Zu a l lem Überfl uss weigerte er sich, sein Verha lten i n der Gru ppe zu erforschen oder weswegen er mit der Therapie begonnen hatte: H ilfe zu bekommen. Sei ne Konkurrenz­
ü ber sei ne Treffen mit Gruppenmitgliedern a u ßerhalb der G ruppe auch nur zu spre­ empfi n d u ngen wa ren so sta rk, dass er jede Hilfe, die ich ihm a n bot, nicht a l s H i lfe,
chen, obwohl er wie a l le anderen in der Vorbereitu ngsphase (siehe Kapitel 12) gehört sondern als Niederlage, a ls ein Anzeichen seiner Schwäche empfa nd.
hatte, dass Begegnungen von G ru ppena ngehörigen a u ßerha l b der Thera piesitzu ngen, Au ßerdem wurden im Mi krokosmos der Gru ppe die Auswirkungen seines Verhaltens
sofern sie nicht in der G ruppe u ntersucht wurden, die thera peutische Arbeit in der a uf seine Beziehu ngen zu eben b ü rtigen Kom m u n i kationspartnern erke n n bar. I m la u­
Regel erschweren. fe der Zeit merkten die a nderen G ruppenmitglieder. dass Ron i m G runde n icht z u ihnen
Nach einer Sitzung, in der er sehr sta rk unter Druck gesetzt worden war, sich mit der in Bezieh u ng trat. E r erweckte zwa r den Anschein, d ies zu tun, ben utzte sie a ber im
Bedeutung seiner Einladu ngen auseinanderzusetzen - insbesondere mit der Einladung G runde n u r, um zu mir, dem mächtigen und gefürchteten Mann in der Gruppe, in Be­
meiner Co-Thera peutin z u m Skila ufen -, verließ er die Sitz u ng verwirrt u n d sichtlich zieh u ng zu treten. Schon bald fü h lten sich die ü brigen G ruppen mitglieder von Ron
erschüttert. Auf dem Weg nach Ha use fiel Ron unerklärl icherweise Robin Hood ein. ben utzt. Sie spürten, dass er sie eigentlich ga r nicht kennenlernen wollte, und distan­
Dieser war in seiner Kindheit sein Liebli ngsheld gewesen, doch hatte er a n diese Ge­ zierten sich a l l mäh lich von ihm. Erst als Ron seine intensiven und verzerrten Bem ü h u n ­
schichte schon seit J a h rzeh nten nicht mehr gedacht. ge n, zu m i r in Bezie h u n g z u treten, zu verstehen lernte, kon nte er sich den anderen
Einer plötzlichen Eingebung folgend suchte er a uf der Stelle die Kinderabteil u ng der G ruppenmitgliedern wirkl ich zuwenden und ohne Hi ntergedanken mit ihnen kom m u­
nächsten öffentlichen Bibliothek auf, setzte sich dort auf ein Kinderstü hlchen u nd las nizieren.
die Geschichte von Robin Hood noch einmal. Danach war ihm die Bedeutung seines
Verha ltens klar! Wa rum hatte die Legende von Robin Hood ihn immer so fasziniert? »Diese verdammten Männer«
Weil Robin Hood Menschen, und insbesondere Frauen, von Tyra nnen befreite! Linda, sechsundvierzig J a h re a lt und d reimal geschieden, kam wegen Angstzustä nden
Dieses Motiv hatte fü r sein Seelen leben immer eine Rolle gespielt, begi nnend m it den und starken Magen-Darm-Beschwerden in die Gruppe. Ihr größtes i nterpersona les
ödipalen Konflikten in seiner U rspru ngsfa m il ie. Als ju nger Erwachsener hatte er d a n n Problem wa r i h re q u ä lende, sel bstzerstöre rische Bezie h u n g zu i h re m derzeitigen
eine erfolgreiche Anwaltska nzlei a ufgeba ut, i n d e m er zunächst in der Kanzlei eines Freu nd. Sie hatte im la ufe ihres Lebens mit vielen Män nern zu tun gehabt (mit i h rem
Kollegen mitgearbeitet und später die Angestellten seines Arbeitgebers ü berredet hat­ Vater, ih ren Brüdern sowie verschiedenen Chefs, Geliebten und Ehemä n nern), die ihr
te, für ihn in seiner eigenen Kanzlei zu a rbeiten. Aus dem gleichen Grund füh lte er sich sowohl körperlich a l s a uch psychisch Gewalt a ngetan hatten. I h re Schilderung der Ge­
im mer wieder zu Frauen hingezogen, die eine Bezieh u n g zu einem mächtigen Mann walttaten, die Männer ihr zugefügt hatten u nd noch zufügten, wa r ersch ütternd.
hatten. Sogar die G ründe fü r seine Heirat waren u n klar: Er konnte seine Liebe zu seiner Die G ru ppe konnte nicht viel tun, u m ihr zu helfen, a u ßer i h re Wunden zu pflegen und
Frau n icht von seinem Wunsch u nterscheiden, sie vor i h rem tyra n n ischen Vater zu sich i h re Berichte ü ber die stä nd ige schlechte Beha n d l u ng d u rch i h ren a ugen blickli­
retten. chen Chef und den Freund, m it dem sie momenta n zusa mmen wa r, anzuhören. Da n n
Die erste Stufe interpersonalen Lernens ist die M.anifestation der Pathologie i m G rup­ wurde die Psychodyna m i k i h rer Situation d u rch einen ungewö h n l ichen Vorfa l l sehr
penz usammen ha ng. Rons typische Art, zu Män nern u nd Fra uen i n Bezie h u n g zu tre­ deutlich. Ei nes Morgens rief sie mich in großer Not an. Sie hatte eine sehr aufwü hlende
ten, entfaltete sich sehr a nscha u l ich im Mi krokosmos der G ru ppe. Sein wichtigstes Ausei nandersetzung m it i h rem Freund geh a bt, war in Pa nik u nd redete von Sel bst­
interpersona l es Motiv war, m it anderen Männern zu käm pfen und sie zu besiegen. Er mord. Sie flehte m ich a n, i h r möglichst ba ld einen Termin für eine Ei nzelsitzung zu
trat zu ihnen in einen offenen Wettstreit und erlangte mithi lfe sei ner I ntel l igenz und geben, wei l sie die Zeit bis zur nächsten Gruppensitzung, die erst in vier Tagen stattfi n­
seiner bri l l a nten verba len Ausdrucksfä h igkeit in der Gru ppe bald eine dominierende den würde, u n möglich a bwarten kön ne. Obwohl es mir sehr unge legen ka m, orga n i­
Position. D a n n versuchte er, die ü brigen G ru ppen mitglieder fü r die u ltimative Ver- sierte ich meinen Terminplan fü r den Nach m ittag um und machte Zeit fü r ein Treffen

62 63
m it i hr frei. Ungefä hr eine halbe Stu nde vor dem verei nbarten Zeitpu n kt rief sie an und Di nge häufen würden, wäre ich i hr gegen ü ber wa hrschei n lich oft wütend, frustriert
ließ m i r d urch meine Sekretä rin m ittei len, sie werde doch n icht kom men. u n d gleichgültig. Dies ist ei n besonders ei nd rückliches Beispiel für das Phänomen der
Als ich Li nda in der nächsten G ru ppensitzung fragte, was geschehen sei, a ntwortete »sich sel bst e rfü l lenden Prophezeiung « . Li nda sagte vora us, dass Män ner si ch ih r
sie, sie habe d ie Notfa llsitzung a bgesagt, wei l sie sich a m Nach m ittag schon wieder gegenüber auf ei ne besti m mte Art verhalten würden, und d a n n verh ielt s ie sich u n ­
etwas. besser gefü h lt ha be. Schl ießlich wisse sie, dass ich Kl ienten wä h rend der gesa m­ bewusst so, dass i hre Prophezei ung i n E rfü l l u n g gi ng.
ten Gru ppentherapie n u r ei ne einzige Notfallsitzung ei n rä u men würde. Sie habe sich
gedacht, es sei besser, diese Möglich keit für eine Situation a ufzusparen, in der sie sich Männer, die nicht fühlen konnten
i n einer noch schwereren Krise befä nde. Allan, ei n 30-jäh riger u nverhei rateter Naturwissenschaftler, wa r wegen eines einzigen,
Die Antwort i rritierte m ich sehr. Eine Regel d ieser Art hatte ich n ie festgelegt. Wen n von i h m kla r defin ierten Problems zur Therapie gekom men: Er wollte i n der Lage sei n,
Kl ienten sich i n ei ner echten Krise befa nden, weigerte ich m ich nie, ihnen e i n e n Ge­ sich von ei ner Fra u sexuell erregt zu fü hlen. Diese kryptische Form u l ierung machte d ie
sprächsterm in zu geben. Auch d ie ü brigen Gruppen m itgl ieder konnten sich nicht da­ anderen Gruppen mitglieder so neugierig, dass sie herauszufinden versuchten, was da­
ra n eri n nern, dass ich jemals etwas Derartiges gesagt hatte. Doch Li nda beh a u ptete hi ntersteckte. Sie erkund igten sich nach Allans früher Kindheit sowie nach sei nen se­
steif und fest, sie habe m ich genau dies sagen hören, und s ie ließ sich weder d u rch xuellen Vorl ieben u n d Fa ntasien. Da A l l a n s Antworten s ie der Lösu n g n icht n ä h e r
mei n Deme nti noch d u rch d ie Versicheru n ge n der ü b ri gen G ruppen m itgl ieder von brachten, wandten sie sich schließl ich andere n Theme n zu. Im weiteren Verlauf der
i h rer Mei n u ng a bbringen. Auch schien sie kei nen Geda n ken d a ran zu verschwenden, Sitzu ngen wi rkte Allan gege n ü ber sei nem eigenen Sch merz u nd dem anderer Grup­
dass ich i h retwegen ziem l iche U n a n n e h m l ic h keiten auf m ich genom men hatte. I m pen m itglieder ind ifferent. Beispielsweise berichtete ei n ma l ei ne u nverheiratete Fra u
Gespräch in der Gru ppe wurde sie sehr abwehrend und bissig. schl uchzend, sie sei schwa nger und ü berlege, ob sie den Fötus a btrei ben lassen solle.
Dieses Ereignis im sozialen Mikrokosmos der Gru ppe verhalf uns zu wichtigen Informa­ I m Rah men i hres Berichts erwähnte s ie nebenbei, sie habe ei nen sch lechten PCP-Trip
tionen ü ber Li ndas Anteil an einigen ihrer problematischen Männerbeziehu ngen. Vor­ gehabt. All an, von i h ren Trä nen offenbar u ngerührt, ließ sich nicht davon abbri ngen, i h r
her hatte die G ruppe n u r i hre Beschreibung dieser Beziehungen geka n nt. Da i h re Be­ »rein sachliche « Fragen ü ber d ie Wirkung von Angel dust zu stellen. Als d i e Gruppe sein
richte ü berzeugend geklu ngen hatten, hatte d ie Gru ppe i hre Sicht, dass s ie das Opfer Verhalten als gefü h l los bezeichnete, reagierte er völ l ig verstört.
»all dieser verda m mten Männer da drau ßen « sei, u ngeprüft ü bernom men. Ei ne U nter­ I m laufe der Zeit passierten so viele Di nge d ieser Art, dass die Gruppe von i h m schließ­
suchung der soeben beschriebenen H ier-und-Jetzt-Situation ergab, dass Lindas Wa hr­ l ich keinerlei Gefü h lsäu ßerung mehr erwa rtete. Wurde er direkt auf sei ne Gefühle an­
neh m ung m i ndestens ei nes wichtigen Man nes i n i h rem Leben, nä mlich des Therapeu­ gesprochen, reagierte er, als hätte jema nd etwas auf Sanskrit oder Ara mä isch zu ih m
ten, verzerrt wa r, u nd zwa r auf vorhersehbare Weise: Sie erlebte m ich als viel weniger gesagt. Nach e i n igen Monaten form u l ierte d ie G ruppe ei ne Antwort a uf sei ne ei n­
a nteilneh mend, u nsensi bler u n d a utoritärer, als ich i n Wi rkl ichkeit war. gangs gestel lte u n d da nach oft wiederholte Frage: »Waru m bin ich n icht i n der Lage,
Das wa r eine neue Information, und zudem ei ne ü berzeugende, die vor den Augen a l ler einer Frau gegenüber sexuelle Gefü hle zu em pfi nden? « Die Gruppen mitglieder legten
Gruppen m itglieder zutage getreten wa r. Zu m ersten Mal zweifelte die Gru ppe an der i h m na he, sich doch besser ei n ma l Ged a n ken d a rü ber zu machen, weshalb er nichts
Zuverlässigkeit von Li ndas Berichten ü ber i hre Män nerbeziehungen. I h re Gefü h le stell­ gegenüber i rgendjemandem em pfi nde.
te sie zweifel los richtig dar, doch unterlag ihre Wa hrneh m ung offensichtl ich Verzerrun­ Es dauerte sehr lange, bis sich Allans Verha lten änderte, und a uch dann geschah dies
gen: Aufgrund i h rer Erwartungen Män nern gegen ü ber und i h rer konfl i ktträchtigen n u r sehr a l lmä hlich. Er lernte, Gefühle zu erkennen und zu identifizieren, indem er auf
Bezieh u ngen zu i h ne n verstand s ie das Verhalten der Betreffenden i h r gege n ü ber d ie verräterischen Anzeichen vegetativer Rea ktionen achtete: Erröten, ein angespann­
fa lsch. tes Gefü hl im Bereich des Magens, feuchte Handflächen. Ei n ma l drohte ei ne i m pulsive
Doch die Ma n ifestation des Problems im sozialen Mi krokosmos der G ru ppe war a uch Frau, die Gruppe zu verlassen, weil es sie, wie s ie sagte, a uf die Pa lme bri nge, sich dam it
i n anderer H i nsicht sehr a ufschl ussreich. Wichtige Anhaltspunkte l ieferte weiterh i n abm ühen zu m üssen, zu »ei nem psychisch tau bstu m men gottverda m mten Roboter«
der Ton, i n dem das Gespräch i n der G ruppe stattfa n d : Es war von ei ner Abwehrhal­ in Beziehung zu treten. Auch dara ufh i n bl ieb Al l a n völlig tei lnah mslos und a ntwortete
tu ng, von Gereiztheit u n d von Wut geprägt. Sch l ießlich wurde a uch ich ziem l ich ge­ n u r: »Ich werde m ich n icht a uf I h r Niveau hera b lassen. «
reizt, weil Li nda sich trotz der großen Mühe, die ich m ir gemacht hatte, u m i h r ei ne Als er jedoch i n der folgenden Woche gefragt wurde, wie er sich nach der letzten Grup­
Krisensitzung zu ermögl ichen, so u n da n kba r zeigte. Auch ä rgerte m ich i h r Beha rren pensitzung zu Hause gefü hlt hätte, gestand er, er habe wie ein klei nes Kind geweint.
dara uf, ich hätte ei ne wenig m itfü h lende Regel ei ngefüh rt, obwohl ich m i r sicher wa r (Als er d ie Gruppe ei n Jahr später verl ieß und s ich bei d iesem An lass den Verlauf seiner
(und die übrigen Gruppen m itgl ieder dies bestätigten), dass dies nicht zutraf. I n ei ner Thera pie vergegenwä rtigte, bezeich nete er d ieses Ereign is als einen wichtigen Wende­
Art Tagtrau m fragte ich m ich: »Wie wäre es wohl, m it Linda stä nd ig zusa m menzule­ p u n kt.) In den folgenden Monaten fiel es i h m leichter, etwas zu em pfi nden und sei ne
ben, statt n u r ei neinhalb Stunden pro Woche mit ihr zu verbringen? « Wen n sich solche Gefühle gegenüber anderen Gru ppenm itgliedern a uszud rücken. Sei ne Rolle in nerhal b

64 65
der Gruppe wa ndelte sich von der eines ged u ldeten »Maskottchens « zu der ei nes a k­ renswert erschienen, fühlten sich von seinen einseitig sexuel len Aufmerksa m keitsbe­
zeptierten ebenbürtigen Mitglieds, u nd sei n Sel bstwertgefü h l wurde stärker, weil er weisen a bgestoßen. Der weitere Verlauf von Eds Gruppenthera pie wurde stark davon
merkte, dass die a n d eren G ru ppenm itglieder ihn nun eher respektierten. bestim mt, dass er seine i nterpersonale Pathologie in der G ru ppe offengelegt hatte,
u n d es ka m i h m sehr zugute, dass d ie thera peutische Arbeit m it i h m hauptsächlich
E i n anderer Fa l l d ieser Art wa r Ed, e i n 27-jä hriger Ingenieur, der an einer Therapiegrup­ darin bestand, sich m it sei nen Bez i e h u n gen zu a nderen Gruppenm itgl iedern a us­
pe tei l nahm, wei l er sich einsam fühlte u nd keine geeignete Partnerin fand. Ed bezeich­ einanderzusetzen.
nete seine sozialen Bezie h u ngen als generell sehr u n befried igend: Er hatte n ie enge
m ä n n l iche Freunde geha bt und stets a usschl ießlich sexuelle u nd kurzlebige Beziehun­ Der soziale Mikrokosmos: Eine dyn a m ische I ntera ktion
gen z u Frauen, die sich a m Ende i m mer z u rückgezogen hatten . Wei l Ed i n Gese l l schaft
sehr u mgä nglich war u nd wei l er H u mor hatte, hatten die a nderen G ru ppen m itglieder Zwischen dem Gruppenmitglied und der artifiziellen Umgebung des Geschehens in­
i h n a m Anfang sehr geschätzt. nerhalb der Gruppe findet ein facettenreiches und subtiles dynamisches Zusammen­
Als die Beziehungen i n nerha l b der Gru ppe d a n n a l l m ä h l ich tiefer wurden, blieb Ed von wirken statt. Die Klienten gestalten jeweils ihren eigenen Mikrokosmos, der dann bei
d ieser Entwicklung ausgeschlossen, u n d seine Situation in den G ruppensitzungen äh­ den anderen Teilnehmern deren charakteristisches Abwehrverhalten auslöst. Je mehr
nelte bald derjenigen i n seinem Alltagsleben. Der auffä l l igste Aspekt seines Verha ltens spontane Interaktion stattfindet, desto schneller und authentischer entfaltet sich der
wa r seine beschrä n kte und beleidigende Art, sich Frauen zu nähern. Er scha ute dabei soziale Mikrokosmos. Und dies wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die
hauptsächlich auf ihre Brüste oder zwischen ihre Beine, seine Aufmerksamkeit konzent­ zentralen Probleme aller Gruppenmitglieder erkennbar werden und dass an ihnen ge­
rierte sich voyeu ristisch a uf i h r Sexual leben, und sei ne Bemerkungen i h nen gegen über arbeitet wird.
waren meist ziem lich ei nfä ltig und m it sexuellen Anspiel u ngen gespickt. Die anderen Nancy beispielsweise, eine junge Frau mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung,
m ä n n l ichen G ruppen m itglieder waren in seinen Augen lästige Konku rrenten, u nd er war wegen einer sie sehr behindernden Depression in die Gruppe gekommen, außer­
trat monatelang zu keinem Mann in Kontakt. dem wegen eines subjektiv empfundenen Zerfallszustandes und wegen ihrer Neigung,
Bindu ngen waren i h m so gleichgü ltig, dass er a ndere Menschen als weitgehend a us­ in Panik zu geraten, wenn sie allein war. Alle diese Symptome waren durch die drohen­
tauschbar a n sa h . E i n m a l besch rieb e i n wei b l iches G ruppenm itglied eine obsessive de Auflösung der kleinen Gemeinschaft, in der Nancy lebte, noch verstärkt worden. Sie
Fantasie, derzufolge ihr Freu nd, der sich häufig verspätete, bei einem Autounfa l l ums reagierte schon lange sehr empfindlich auf die Gefahr des Zerbrechens wichtiger sozi­
Leben kommen würde. Ed versicherte i h r daraufh in, da sie j u ng, charmant u n d attra k­ aler Bezüge. Als Kind hatte sie sich dafür verantwortlich gefühlt, ihre unberechenbare
tiv sei, werde sie sicher sch n e l l einen neuen, mindestens ebenso guten M a n n finden. Familie zusammenzuhalten, und jetzt als Erwachsene hegte sie die Fantasie, wenn sie
Ed begriff auch n ie, wa rum den übrigen Gruppe n m itgl iedern die zeitweilige Abwesen­ einmal heiraten werde, würden die verschiedenen Fraktionen unter ihren Verwandten
heit einer Co-Therape uti n u n d später das Ausscheiden einer Thera peutin etwas a us­ dadurch dauerhaft miteinander ausgesöhnt.
machte. Er erklä rte, es gebe doch sicherlich a l lein schon u nter den Ausbildu ngska ndi­ Wie trat Nancys Dynamik im sozialen Mikrokosmos der Gruppe zutage, und wie
daten einen ebenso tüchtigen Ersatz. (Dabei dachte er offensichtlich a n eine vol l busige wurde sie durchgearbeitet? Vor allem sehr langsam! Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis
Psychologi n, d i e er i m Foyer des Gebä udes gesehen hatte. Von i h r wäre er offe n ba r Probleme, die sie quälten, erkennbar wurden. Anfangs arbeitete sie manchmal wochen­
besonders gern betreut worden.) lang in aller Seelenruhe an untergeordneten Konflikten. Doch irgendwann wurden ihre
Sehr klar ließ er erkennen, wie es um i h n sta nd, wen n er ü ber seine »M. T. R. « (Minima­ zentralen, schwelenden Probleme durch bestimmte Ereignisse in der Gruppe zu einem
le Tagesration) an Zuwen d u ng sprach. A l l m ä h l ich wurde der Gru ppe klar, dass es i h m beängstigenden, hoch auflodernden Feuer. Beispielsweise beunruhigte sie die Abwe­
ziemlich gleichgültig war, wer i h m seine » M . T. R. « verschaffte - dass i h m die Identität senheit eines bestimmten Gruppenmitglieds. Viel später erklärte Nancy während eines
der betreffenden Person viel u nwichtiger wa r a l s die Tatsache, dass sie i h m die Zuwen­ Debriefing-Interviews am Ende der Therapie, das Fehlen eines Gruppenmitglieds habe
d u n g zuverlässig und regelmäßig lieferte. sie oft so mitgenommen, dass sie sich an der betreffenden Sitzung praktisch nicht habe
So zeigte sich in der ersten Phase des Gruppen prozesses die i nterpersonale Pathologie beteiligen können.
des Klienten. Ed trat zu a n deren n icht in Bezieh u ng, sondern benutzte sie wie O bjekte, Selbst das Zuspätkommen von Gruppenmitgliedern machte ihr zu schaffen, und sie
die i h m die Befriedigung seiner Bed ü rfnisse garantierten. In relativ ku rzer Zeit hatte er tadelte die Betreffenden wegen ihrer Unpünktlichkeit. Wenn jemand erwog, die Grup­
in der Gruppe sei n a ltbeka n ntes - u n d trostloses - i nterpersonales U n iversum reinsze­ pe zu verlassen, reagierte Nancy immer sehr betroffen und forderte das betreffende
niert: Er wa r von a llen a nderen isoliert. Die Männer zahlten i h m seine völlige Gleichgül­ Gruppenmitglied nachdrücklich zum Weitermachen auf, ohne sich auch nur im Ge­
tigkeit ihnen gegen ü ber m it gleicher Mü nze zu rück. Die Frauen hatten i m Allgemeinen ringsten darum zu kümmern, ob das im Interesse des anderen war. Wenn Gruppen­
keine Lust, i h m seine »M. T. R. « z u geben, und dieje nigen, die i h ni als besonders begeh- mitglieder sich zu Treffen außerhalb der gemeinsamen Sitzungen verabredeten, furch-

66 67
tete Nancy, dies könnte die Gruppenintegrität gefährden. Manchmal fühlten sich die traditioneller Auffassung ist die verzerrte Darstellung sowohl früherer Ereignisse als
anderen von ihr regelrecht erstickt. Sie zogen sich von ihr zurück und protestierten da­ auch des Geschehens im Gruppenrahmen einzig und allein den betreffenden Grup­
gegen, dass Nancy sie zu Hause anrief, um festzustellen, weshalb sie nicht zur Grup­ penmitgliedern zuzuschreiben und von ihnen zu verantworten. Eine intersubjektive
pensitzung gekommen waren oder sich verspäteten. Als die übrigen Gruppenmitglie­ Sicht hingegen berücksichtigt den Einfluss des Gruppenleiters und der anderen Grup­
der darauf bestanden, Nancy solle weniger Forderungen an sie stellen, wurde ihre penmitglieder auf das Hier-und-Jetzt-Erleben eines jeden Einzelnen sowie auf die Art
Angst noch stärker, was wiederum eine Ausweitung ihrer Beschützeraktivitäten zur seines gesamten Erlebens in der Gruppe.
Folge hatte. Kommt beispielsweise jemand wiederholt zu spät zu den Gruppensitzungen, wirkt
Obwohl sie sich danach sehnte, in der Gruppe Geborgenheit und Sicherheit zu fin­ dies stets irritierend, und die anderen bringen ihre Verärgerung zum Ausdruck. Doch
den, konnten gerade durch das Auftreten dieser Wechselfälle des Lebens ihre größten sollte der Therapeut die Gruppe auch dazu anhalten, eingehend zu untersuchen, was
Probleme zutage treten und in die therapeutische Arbeit mit einfließen. das Verhalten des Zuspätkommenden bedeutet. Zu spät zu kommen kann bedeuten:
»Die Gruppe ist mir eigentlich nicht wichtig.« Es kann aber auch viele andere, komple­
Die Kleingruppe bildet nicht nur einen sozialen Mikrokosmos, in dem das fehl­ xere Bedeutungen haben, beispielsweise: »Ohne mich beginnt die Arbeit sowieso nicht;
angepasste Verhalten der Gruppenmitglieder deutlich wird, sondern sie wird auch zu warum sollte ich mich da beeilen?« Oder: »Ich wette, sie merken nicht einmal, dass ich
einem Laboratorium, in dem sich der Sinn und die Psychodynamik von Verhaltenswei­ fehle; ich habe den Eindruck, dass ich nicht einmal wahrgenommen werde, wenn ich
sen oft sehr klar zeigen. Der Therapeut sieht nicht nur das Verhalten, sondern außer­ anwesend bin.« Oder: »Diese Regel mag für andere gelten; ich jedenfalls fühle mich
dem die Ereignisse, die es hervorrufen, und manchmal - was noch wichtiger ist - ist er nicht an sie gebunden.«
sich auch darüber im Klaren, welche Reaktionen der Klient von den anderen Gruppen­ Doch um den Gruppenmitgliedern zu empathischem Verstehen zu verhelfen, muss
mitgliedern erwartet und welche sie tatsächlich zeigen. die Wirkung eines solchen Verhaltens auf andere aufgedeckt und verarbeitet werden.
Die Interaktion der Gruppe ist so vielgestaltig, dass dysfunktionale Transaktions­ Empathiefähigkeit ist für die emotionale Intelligenz sehr wichtig. 46 Sie fördert das Ver­
zyklen der einzelnen Mitglieder viele Male wiederholt werden und die Gruppenmit­ mögen der Klienten, das in der Gruppe Gelernte auf ihre persönliche Alltagswelt zu
glieder immer wieder die Möglichkeit erhalten, über das Geschehen zu reflektieren übertragen. Wenn wir keine Vorstellung von der Innenwelt anderer haben, erscheinen
und es zu verstehen. Doch zur Veränderung pathogener Oberzeugungen brauchen sie uns Beziehungen als verwirrend, frustrierend und aufgrund der ständigen Wiederho­
klares und nützliches Feedback. Ist der Stil, in dem das Feedback übermittelt wird, zu lung von Situationen langweilig, da wir die anderen Menschen dann lediglich zu Spie­
belastend und provozierend, können die Klienten das von den anderen Gruppenmit­ lern feststehender Rollen in unserer Geschichte machen, ohne uns um ihre eigenen
gliedern Angebotene möglicherweise nicht verarbeiten. Manchmal wird Feedback zu Motivationen und Bestrebungen zu kümmern.
früh gegeben - bevor eine Vertrauensbasis entstanden ist, die ihm eventuell kontrapro­ Leonard beispielsweise war wegen seines chronischen Aufschiebens in die Gruppe
duktiv wirkende Schärfe nehmen kann. In anderen Fällen wird Feedback als herabwür­ gekommen. Nach seiner Auffassung war dieser Hang nicht nur ein Problem, sondern
digend, unter Druck setzend oder schädigend empfunden.44 Wie können wir nutzloses auch die Erklärung für sein Versagen im beruflichen und sozialen Bereich, für seine
oder sogar schädliches Feedback vermeiden? Die Gefahr, dass Gruppenmitglieder ein­ Mutlosigkeit, seine Depressivität und seinen Alkoholismus. Allerdings machte diese
ander angreifen oder beschuldigen, ist geringer, wenn ihnen klar ist, was unter der »Erklärung« jedes sinnvolle und realitätsgetreuere Verständnis der Situation unmög­
Oberfläche des äußeren Verhaltens vor sich geht und wenn sie für innere Erlebnisse lich.
und untergründige Absichten anderer sensibel werden. .71 Deshalb ist Empathie für den In der Gruppe wurde uns Leonards Tendenz zum Aufschieben bald sehr vertraut,
erfolgreichen Verlauf einer Gruppentherapie sehr wichtig. Doch fällt es den anderen und wir waren oft irritiert und frustriert darüber. Dieses Verhalten fungierte als letzte
Gruppenmitgliedern und dem Therapeuten manchmal sehr schwer, insbesondere pro­ Bastion seines Widerstandes gegen die Therapie, wenn alle anderen Widerstandsarten
vokanten und aggressiven Klienten gegenüber Empathie aufzubringen. .71 sich als nutzlos erwiesen hatten. Wenn die Gruppenmitglieder Leonard »in die Mangel
In diesem Zusammenhang sind die neuesten Beiträge der Befürworter des intersub­ nahmen« und man den Eindruck gewinnen konnte, ein Teil seines neurotischen Cha­
jektiven Modells wichtig und nützlich. 45 Dieses konfrontiert die Gruppenmitglieder rakters werde in Kürze zusammenbrechen, fand er stets Möglichkeiten, die Gruppen­
und ihre Therapeuten mit Fragen wie: »Welchen Anteil habe ich an dem, was ich als arbeit zu behindern. Beispielsweise sagte er dann: »Ich möchte heute von der Gruppe
deine Provokation verstehe? Welche Rolle spiele ich dabei?« Es ist eine Tatsache, dass nicht irritiert werden«, oder: »Von diesem neuen Job hängt alles ab«, »Ich halte mich
Gruppenmitglieder und Therapeut einander ständig beeinflussen. Ihre Beziehungen nur noch an einem Strohhalm fest«, »Nun macht doch mal halblang - ist denn dieser
zueinander, die Bedeutung und die Muster, die sie generieren, und ihre Beschaffenheit Ärger wirklich nötig?«, »Ich war drei Monate lang trocken, aber wegen der letzten Sit­
sind keine festen Größen und unterliegen auch nicht einzig und allein äußeren Ein­ zung bin ich auf dem Heimweg in einer Bar hängengeblieben«. Trotz zahlreicher Va­
flüssen, sondern werden von den beteiligten Parteien gemeinsam konstruiert. Gemäß riationen ging es im Grunde immer um das gleiche Thema.

68 69
Eines Tages verkündete Leonard eine wichtige Neuigkeit, mit der er schon lange anderen hervorruft, sich stark von denjenigen unterscheiden, die der Betreffende gern
»schwanger ging«: Er hatte seine Arbeitsstelle gekündigt, und man hatte ihm eine Stel­ bei anderen Menschen erzeugen würde, oder wenn er die Gefühle, die er bei anderen
le als Lehrer angeboten. Nur noch eine einzige Formalität blieb zu erledigen: Er musste weckt, zwar wünscht, diese sich aber (wie in Leonards Fall) hemmend auf die Entwick­
sich seine Lehrbefähigung bestätigen lassen und die Voraussetzung dafür war, dass er lung auswirken, dann ist dies ein wichtiger Hinweis auf das Problem des Klienten. Na­
ein Formular ausfüllte - eine Arbeit von etwa zwei Stunden. türlich ist diese These problematischer, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag.
Nur zwei Stunden, und das schaffte er nicht! Er zögerte es bis kurz vor Ablauf der Vermutlich werden einige Kritiker einwenden, dass eine starke emotionale Reaktion oft
gesetzten Frist hinaus, sodass ihm nur noch ein einziger Tag blieb. Als er an diesem nicht der Pathologie des Auslösenden zuzuschreiben ist, sondern derjenigen des auf
Punkt angelangt war, jammerte er in der Gruppensitzung über die Grausamkeit seines diesen Ausdruck Reagierenden. Ruft beispielsweise ein selbstsicherer Mann bei einem
persönlichen Aufschiebe-Dämons. Alle Gruppenmitglieder und sogar die Therapeuten anderen starke Gefühle der Angst, des Neides oder starken Ärger hervor, können wir
verspürten den starken Wunsch, Leonard irgendwo hinzusetzen, ihn eventuell sogar kaum davon ausgehen, dass diese Reaktion die Pathologie des Ersteren spiegelt. Der
auf den Schoß zu nehmen, ihm einen Stift in die Hand zu drücken und dann seine eindeutige Vorteil einer Gruppentherapie ist in dieser Hinsicht, dass es in einer Grup­
Hand beim Ausfüllen des Antragsformulars zu führen. Das weibliche Gruppenmitglied pe zahlreiche Beobachter gibt, was es erleichtert, exzentrische und stark subjektive
mit dem stärksten Mutterinstinkt tat genau das: Sie nahm Leonard mit nach Hause, Reaktionen von objektiveren zu unterscheiden.
gab ihm zuerst etwas zu essen und ging dann mit ihm Punkt für Punkt das Antrags­ Die emotionale Reaktion der einzelnen Gruppenmitglieder allein reicht jedoch als
formular durch. Bestätigung nicht aus; Therapeuten brauchen noch weitere Informationen. Sie achten
Als wir uns später noch einmal vergegenwärtigten, was geschehen war, wurde uns auf sich wiederholende Verhaltensmuster und darauf, ob mehrere andere Gruppen­
klar, was sein Aufschieben tatsächlich war: ein trauriges, die aktuelle Realität ignorie­ mitglieder auf ein und dieselbe Handlung des beobachteten Klienten gleich reagieren
rendes Flehen nach der verlorenen Mutter. Nachdem wir dies erkannt hatten, passte (was konsensuelle Validierung genannt wird). Letztlich verlassen Therapeuten sich auf
auch vieles andere ins Bild, einschließlich der Dynamik, die Leonards Depression zu­ die wertvollste Bestätigung, die es überhaupt gibt: auf ihre eigenen emotionalen Reak­
grunde lag (sie war ebenfalls ein verzweifeltes Bitten um Liebe), sowie sein Alkoholis­ tionen den Klienten gegenüber - eine für alle relationalen Modelle unverzichtbare
mus und seine zwanghafte Gewohnheit, sich mit Essen vollzustopfen. Kompetenz. Wenn wir, wie Kiesler meint, auf das interpersonale Verhalten eines Grup­
penmitglieds hin »anbeißen«, sind unsere Reaktionen die beste interpersonale In­
Damit ist die Idee des sozialen Mikrokosmos, so glaube ich, ausreichend erklärt: Wenn formation über die Wirkung des Klienten auf andere Menschen, die wir bekommen
die Gruppe so geleitet wird, dass sich die Mitglieder ohne Scheu und unbefangen verhalten können. 47
können, reinszenieren sie in der Gruppe sehr anschaulich ihre Pathologie. Deshalb hat ein Für die therapeutische Arbeit ist diese Information jedoch nur dann von Wert,
geübter Beobachter während des Lebensdramas der Gruppensitzung die einzigartige wenn es uns gelingt, nicht so auf den Klienten zu reagieren, wie er es von anderen ge­
Möglichkeit, die Dynamik des Verhaltens jedes einzelnen Gruppenmitglieds zu verste­ wöhnt ist, denn wenn uns diese Verweigerung nicht gelänge, würden wir nur seine ha­
hen. bituellen interpersonalen Kreisbewegungen verstärken. Durch den Prozess der Erhal­
tung oder des Wiedererlangens unserer Objektivität verschaffen wir uns wichtiges
Feedback über die fragliche interpersonale Transaktion. Insofern sollten Therapeuten
Das E r ken nen von Verha lte n s m u stern i m sozialen Mi krokosmos
die Gedanken, Fantasien und realen Verhaltensweisen, die einzelne Gruppenmitglieder
Wenn Therapeuten den sozialen Mikrokosmos für die therapeutische Arbeit nutzen bei ihm hervorrufen, wie einen Goldschatz würdigen. Unsere Reaktionen sind keine
wollen, müssen sie zunächst lernen, die sich wiederholenden fehlangepassten interper­ Fehler und Mängel, sondern Informationen von unschätzbarem Wert. Es ist uns nicht
sonalen Verhaltensmuster der Klienten zu erkennen. Im Falle Leonards lieferten die möglich, auf das Verhalten unserer Klienten hin nicht »anzubeißen«, es sei denn, wir
emotionalen Reaktionen der Gruppenmitglieder und Therapeuten auf sein Verhalten halten uns von ihrem Erleben so fern, dass es uns nicht berührt - allerdings verringert
den entscheidenden Hinweis. Da solche Reaktionen aussagekräftige und unentbehr­ diese Distanz dann ganz erheblich unsere therapeutischen Wirkungsmöglichkeiten.
liche Informationen sind, sollte man sie weder übersehen noch unterschätzen. Der Nun könnte ein Kritiker einwenden: »Woher wollen wir denn wissen, ob die Reak­
Therapeut oder einige Gruppenteilnehmer können auf ein Gruppenmitglied wütend tionen des Therapeuten >objektiv< sind?« Co-Therapie liefert uns eine der möglichen
sein oder sich von ihm ausgenutzt, ausgesaugt, überfahren, eingeschüchtert, gelang­ Antworten auf diese Frage. Co-Therapeuten werden mit der gleichen klinischen Situa­
weilt oder zu Tränen gerührt fühlen; und sie können ihm gegenüber noch viele andere tion konfrontiert. Indem sie ihre Reaktionen miteinander vergleichen, können sie kla­
der unendlich vielfältigen Gefühle haben, die Menschen füreinander empfinden. rer zwischen den eigenen subjektiven Reaktionen und einer objektiven Einschätzung
Diese Gefühle sind Informationen - Aspekte der Wahrheit über die andere Per­ der Interaktionen unterscheiden. Außerdem ist die Perspektive von Co-Therapeuten
son -, und der Therapeut sollte sie ernst nehmen. Wenn die Gefühle, die ein Klient bei insofern privilegiert, als sie im Gegensatz zu einzelnen Therapeuten zahllose zum »An-

70 71
beißen« animierende interpersonale Dramen miterleben, ohne selbst in deren Mittel­ Existiert der sozi a l e M i k rokosmos tatsäc h l i c h ?
punkt zu stehen.
Natürlich haben auch Therapeuten »blinde Flecken« - Bereiche, in denen sie unge­ Ich habe oft erlebt, dass Gruppenmitglieder die Idee des sozialen Mikrokosmos infrage
lösten interpersonalen Konflikten und Verzerrungen unterliegen. Wie können wir si­ stellten. Manchmal behaupteten sie, ihr Verhalten in dieser konkreten Gruppe sei un­
cher sein, dass diese Dinge ihre Beobachtungsfähigkeit im Laufe der Gruppentherapie typisch, entspräche also keineswegs ihrem alltäglichen Verhalten. Oder in der Gruppe
nicht beeinträchtigen? Auf diese Frage gehe ich in den Kapiteln über die Therapeuten­ befänden sich lauter gestörte Menschen, die nicht richtig wahrnähmen, wie sie wirk­
ausbildung sowie über die Aufgaben des Therapeuten und die Techniken, derer er sich lich seien. Oder sie behaupteten gar, die Gruppentherapie sei keine realitätsgemäße,
bedienen kann, ein. Hier sei nur angemerkt, dass diese Frage auf einen wichtigen sondern eine künstliche Situation, die ihr normales Verhalten eher verzerre als spiegele.
Grund dafür zielt, dass Therapeuten sich so gut wie möglich kennen sollten. Deshalb Ein unerfahrener Therapeut mag sich von solchen Argumenten beeindrucken oder so­
ist es für einen angehenden Gruppentherapeuten unverzichtbar, eine lebenslange Rei­ gar überzeugen lassen, doch verzerren sie die tatsächlichen Gegebenheiten. Aus einer
se der Selbsterforschung anzutreten, die eine Einzeltherapie und persönliche Erfahrun­ bestimmten Perspektive betrachtet ist eine Gruppe ein künstliches Gebilde: Die Grup­
gen mit der Gruppentherapie einschließt. penmitglieder suchen sich ihre Freunde nicht in der Gruppe; sie haben füreinander
Natürlich bedeutet all dies nicht, dass ein Therapeut die Reaktionen und das Feed­ keine zentrale Bedeutung; sie wohnen, arbeiten und essen nicht zusammen; und ob­
back seiner sämtlichen Klienten, also auch stark gestörter, nicht ernst nehmen sollte. wohl sie auf eine sehr persönliche Weise miteinander umgehen, besteht diese Bezie­
Sogar stark übertriebene, irrationale Reaktionen enthalten einen Wahrheitskern. Au­ hung in ein oder zwei wöchentlichen Zusammenkünften in der Praxis eines Thera­
ßerdem kann der gestörte Klient in anderen Fällen eine wertvolle und zuverlässige peuten; außerdem sind die Beziehungen zwischen Gruppenmitgliedern vorüber­
Feedbackquelle sein (kein Mensch hat in allen Bereichen starke Probleme). Außerdem gehend - ihr Ende ist im Therapievertrag festgelegt.
lassen exzentrische Reaktionen natürlich Rückschlüsse auf den Reagierenden zu. Wenn ich über die weiter oben genannten Argumente nachdenke, kommen mir im­
Dieser letzte Punkt ist für Gruppentherapeuten ein sehr wichtiges Axiom. Häufig mer wieder Earl und Marguerite in den Sinn, die vor langer Zeit an einer meiner Grup­
reagieren die Mitglieder einer Gruppe auf ein und denselben Reiz sehr unterschiedlich. pen teilgenommen haben. Earl war schon vier Monate in der Gruppe, als Marguerite
Wenn in der Gruppe etwas geschieht, können alle sieben oder acht Gruppenmitglieder neu hinzukam. Als sie sich das erste Mal in der Gruppe sahen, wurden beide rot, weil
es unterschiedlich sehen, wahrnehmen und deuten. Ein und derselbe Reiz und acht un­ sie zufällig einen Monat vorher während eines Sierra-Club-Camping-Trips eine Nacht
terschiedliche Reaktionen - wie ist das möglich? Dafür gibt es eigentlich nur eine plau­ zusammen verbracht hatten und »intim« geworden waren. Beide wollten nicht zusam­
sible Erklärung: dass acht verschiedene innere Welten existieren. Wunderbar! Schließ­ men in der Gruppe sein. Earl sah in Marguerite ein blödes, albernes Mädchen, eine
lich ist das Ziel einer Therapie, den Klienten zu helfen, ihre eigene innere Welt zu ver­ »hirnlose Möse«, wie er es später in einer Gruppensitzung ausdrückte. Für Marguerite
stehen und zu verändern. Die unterschiedlichen Reaktionen zu analysieren ist also eine war Earl eine langweiliger Niemand, dessen Schwanz sie benutzt hatte, um es ihrem
Art Königsweg zur inneren Welt des einzelnen Gruppenmitglieds. Mann heimzuzahlen.
Man denke beispielsweise an die erste Fallbeschreibung im vorliegenden Kapitel, in Die beiden arbeiteten ungefähr ein Jahr lang zusammen und lernten einander in
der es um eine Gruppe mit einem auffälligen und extrem stark nach Dominanz stre­ dieser Zeit in einem umfassenderen Sinne intim kennen: Sie teilten einander ihre
benden Gruppenmitglied, Valery, ging. Die anderen Gruppenmitglieder reagierten im tiefsten Gefühle mit; sie standen heftige und erbitterte Kämpfe durch; sie halfen einan­
Einklang mit ihrer jeweiligen inneren Welt sehr unterschiedlich auf sie - von unter­ der durch depressive Phasen, in denen sie dem Selbstmord nahe waren; und mehr als
würfiger Ergebenheit über sinnliche Begierde und Dankbarkeit bis hin zu ohnmächti­ einmal weinten sie umeinander. Welche Welt war nun die reale und welche die künst­
ger Wut oder effektiver Konfrontation. liche?
Und wenn wir uns bestimmte strukturelle Aspekte der Gruppensitzung anschauen, Ein Gruppenmitglied äußerte: »Lange glaubte ich, die Gruppe sei ein natürlicher
fällt auf, dass die verschiedenen Gruppenmitglieder deutlich unterschiedlich auf die Ort für unnatürliche Erlebnisse. Erst später wurde mir klar, dass es sich genau um­
Tatsache reagieren, dass sie die Aufmerksamkeit der Gruppe oder des Therapeuten mit gekehrt verhält - sie ist ein unnatürlicher Ort für natürliche Erlebnisse.«48 Eine The­
anderen teilen müssen, dass sie zur Selbstoffenbarung angehalten werden, dass sie an­ rapiegruppe ist unter anderem deshalb real, weil sie soziale, sexuelle und auf Prestige­
dere um Hilfe bitten oder anderen helfen sollen. Nirgendwo werden derartige Unter­ gewinn zielende Spielchen ausklammert. Die Gruppenmitglieder erleben gemeinsam
schiede deutlicher als bei der übertragung - der Art, wie die Gruppenmitglieder auf Situationen, die für sie elementar sind; sie lassen realitätsverzerrende Masken fallen
den Gruppenleiter reagieren: Ein und denselben Therapeut erleben einige Gruppen­ und bemühen sich, ehrlich miteinander umzugehen. Schon oft habe ich Gruppenteil­
mitglieder als herzlich, andere als kühl und wieder andere als ablehnend oder akzep­ nehmer sagen hören: »Das erzähle ich jetzt zum ersten Mal jemandem.« Sie sind ein­
tierend, kompetent oder stümperhaft. ander nicht fremd, sondern kennen einander sehr tief und umfassend. Natürlich ver­
bringen sie nur einen kleinen Teil ihres Lebens zusammen. Aber die psychische Realität

72 73
entspricht in diesem Fall nicht der physischen. Psychisch verbringen Gruppenmitglie­ B. Durch Feedback und Selbstbeobachtung
der sehr viel mehr Zeit miteinander als die eine oder zwei Sitzungen pro Woche, in de­ ( 1 ) lernen die Klienten ihr eigenes Verhalten besser zu beobachten;
nen sie in einem Therapieraum zusammenkommen. (2) lernen sie die Wirkung ihres Verhaltens auf
(a) die Gefühle anderer,
Ü berbl ick (b) die Meinung anderer über sie und
(c) ihre eigene Meinung über sich
Kehren wir nun zum Hauptthema dieses Kapitels zurück: zur Definition und Beschrei­ richtig einzuschätzen.
bung des therapeutischen Faktors »Interpersonales Lernen«. Alle erforderlichen Prä­ V. Die Klienten sind sich über diese Sequenz im Klaren, ebenso wie darüber, dass
missen wurden im Rahmen der Untersuchung folgender Komponenten benannt und sie persönlich dafür verantwortlich sind - denn jeder Mensch ist der Schöpfer
beschrieben: seiner eigenen interpersonalen Welt.
VI. Wenn Menschen voll und ganz akzeptiert haben, dass sie persönlich für die Ge­
1 . die Bedeutung interpersonaler Beziehungen, staltung ihrer interpersonalen Welt verantwortlich sind, können sie sich mit der
2. das korrigierende emotionale Erlebnis, logischen Folge dieser Entdeckung auseinandersetzen: Schaffen sie die Welt ihrer
3. die Gruppe als sozialer Mikrokosmos. sozialen Beziehungen selbst, verfügen sie auch über die Macht, diese Welt zu ver­
ändern.
Nach der separaten Darstellung dieser Komponenten können wir sie nun wieder zu VII. Tiefe und Bedeutung dieses Verstehens hängen unmittelbar von dem mit der Se­
einer logischen Folge verbinden, sodass erkennbar wird, wie interpersonales Lernen als quenz verknüpften Affekt ab. Je realitätsnäher und emotionaler ein Erlebnis ist,
therapeutischer Faktor wirkt: umso stärker wirkt es; und je distanzierter und vom Verstand bestimmter es ist,
umso uneffektiver ist das Lernen.
I. Psychische Symptome entstehen durch Störungen in interpersonalen Bezie­ VIII. Aufgrund dieser für die Gruppentherapie typischen Sequenz verändert sich der
hungen. Eine Psychotherapie hat die Aufgabe, Klienten beizubringen, wie sie ver­ Klient allmählich, indem er riskiert, neue Arten des Zusammenseins mit anderen
zerrungsfreie und befriedigende interpersonale Beziehungen aufbauen können. zu erproben. Die Wahrscheinlichkeit einer Veränderung hängt ab von
II. Die Psychotherapiegruppe entwickelt sich, sofern dem keine schwerwiegenden A. der Motivation des Klienten, sich zu ändern, der Stärke seines persönlichen
strukturellen Hindernisse im Wege stehen, zu einem sozialen Mikrokosmos, Unbehagens und seiner Unzufriedenheit mit seinen augenblicklichen Ver­
einer Miniaturrepräsentation des sozialen Universums ihrer Mitglieder. haltensweisen,
III. Die Gruppenmitglieder werden sich durch das Feedback anderer sowie durch B. dem Engagement des Klienten in der Gruppe - wie wichtig er die Gruppe
Selbstreflexion und Selbstbeobachtung wichtiger Aspekte ihres interpersonalen für sich werden lässt,
Verhaltens bewusst: ihrer Stärken, ihrer Schwierigkeiten, der Verzerrungen ihrer C. der Starrheit seiner Charakterstruktur und seines interpersonalen Ver­
interpersonalen Kommunikation und ihres dysfunktionalen Verhaltens, das ihre haltensstils.
Kommunikationspartner zu unerwünschten Reaktionen veranlasst. Klienten, die IX. Sobald eine Veränderung eintritt, und sei es nur eine geringe, begreift der Klient,
oft schon in der Vergangenheit katastrophale Beziehungen erlebt und infolgedes­ dass die Furcht vor einer Katastrophe, die ein derartiges Verhalten bisher verhin­
sen unter Ablehnung gelitten haben, haben daraus nichts gelernt, weil die ande­ dert hat, irrational war und widerlegt werden kann; die Verhaltensänderung hat
ren Beteiligten ihre allgemeine Unsicherheit spürten und ihnen, den ungeschrie­ nicht zu Katastrophen wie Tod, Vernichtung, Verlassenwerden, Verspottung oder
benen Gesetzen der üblichen sozialen Interaktion folgend, nicht mitteilten, wa­ einem völligen überwältigtsein vom Geschehen geführt.
rum sie sich so ablehnend verhielten. Deshalb - und das ist wichtig - haben sol­ X. Die Idee eines sozialen Mikrokosmos beinhaltet nicht nur, dass das Verhalten der
che Klienten nie gelernt, zwischen anstoßerregenden Aspekten ihres Verhaltens Gruppenmitglieder in ihrem Lebensumfeld ebenfalls in der Gruppe zutage tritt,
und einem Selbstbild, das sie als völlig unakzeptablen Menschen darstellt, zu un­ sondern auch, dass die Gruppenmitglieder das in der Gruppe neu erlernte Ver­
terscheiden. Die Therapiegruppe, die zu akkuratem Feedback ermutigt, macht halten schließlich in ihrer normalen Umwelt nutzen, wodurch sich ihr inter­
diese Unterscheidung möglich. personales Verhalten außerhalb der Gruppe verändert.
IV. In der Therapiegruppe ereignet sich regelmäßig folgende interpersonale Se­ XI. Eine Spirale der Anpassung entfaltet sich zunächst in der Gruppe und später
quenz: auch außerhalb von ihr. Die Verzerrungen im interpersonalen Verhalten werden
A. Die Pathologie wird erkennbar, indem sich die Gruppenmitglieder auf die weniger, und die Fähigkeit, befriedigende Beziehungen aufzubauen, wird ge­
für sie charakteristische Weise verhalten. stärkt. Die Sozialangst nimmt ab; die Selbstachtung wird gestärkt; und das Be-

74 75
dürfnis, sich zu verstecken, wird geringer. Verhaltensveränderungen spielen in Zahlreichen Untersuchungen zufolge ist es Gruppenmitgliedern oft wichtiger, Be­
einer Gruppentherapie eine wichtige Rolle, weil selbst geringe Veränderungen ziehungen zu anderen Mitgliedern durchzuarbeiten, als dies mit ihrer Beziehung zum
andere Gruppenmitglieder zu positiven Reaktionen veranlassen: Sie billigen und Gruppenleiter zu tun.50 Beispielsweise fragten Forscher im Rahmen einer Überprüfung
akzeptieren andere Mitglieder in stärkerem Maße - was wiederum deren Selbst­ der Resultate einer kurzzeittherapeutisch arbeitenden Krisengruppe zwölf Monate
wertgefühl stärkt und sie zu weiteren Veränderungen ermutigt. 49 Schließlich wird nach Abschluss der Gruppenarbeit die ehemaligen Gruppenmitglieder, wer ihnen im
die Spirale der Anpassung so autonom und ihre Wirkung so stark, dass die Be­ Rahmen jener Gruppe geholfen habe. 42 Prozent der Befragten gaben an, nicht der
treuung durch einen Therapeuten nicht mehr notwendig ist. Therapeut, sondern die anderen Gruppenmitglieder hätten ihnen geholfen; 28 Prozent
antworteten, sowohl der Therapeut als auch die anderen Gruppenmitglieder hätten
Jeder Schritt der soeben beschriebenen Sequenz muss durch den Therapeuten auf an­ dies getan. Nur 5 Prozent bezeichneten den Therapeuten als die Person, die am stärks­
dere Weise gefördert werden. Beispielsweise muss er an verschiedenen Punkten be­ ten zu ihrer Veränderung beigetragen habe.5 1
stimmte Arten von Feedback geben, zur Selbstbeobachtung ermutigen, erklären, was Dieses Untersuchungsergebnis hat für die Arbeitsweise des Gruppentherapeuten
Verantwortung beinhaltet, den Klienten zur Risikobereitschaft ermahnen, fantasierte wichtige Implikationen: Statt sich ausschließlich auf die Beziehung zwischen ihm und
katastrophale Folgen widerlegen, seine Bemühungen, das in der Therapie Erlernte auf den einzelnen Klienten zu konzentrieren, muss er Interaktionen zwischen den Grup­
sein Alltagsleben zu übertragen, positiv verstärken und dergleichen mehr. Alle diese penmitgliedern und deren Durcharbeitung fördern. Ich werde in den Kapiteln 6 und 7
Aufgaben und Techniken werden in den Kapiteln 5 und 6 gründlich beschrieben. ausführlicher auf diese Thematik eingehen.

Einsicht genau zu definieren ist schwierig, weil dieser Begriff sehr unterschiedlich ver­
Ü bertra g u ng u nd E i nsicht
standen wird. Ich persönlich benutze den Ausdruck im allgemeinen Sinne von »Innen­
Bevor ich die Untersuchung des interpersonalen Lernens als eines Vermittlers von Ver­ schau« (Introspektion): ein Prozess, der Klärung, Erklärung und Aufhebung von Ver­
haltensänderungen abschließe, möchte ich die Aufmerksamkeit auf zwei Begriffe len­ drängung umfasst. Einsicht stellt sich ein, wenn wir etwas Entscheidendes entdecken,
ken, die es verdienen, dass wir uns mit ihnen eingehender beschäftigen: Übertragung das uns selbst betrifft - unser Verhalten, unsere Motivationen oder unser Unbewusstes.
und Einsicht spielen in den meisten Darstellungen des therapeutischen Prozesses eine Im Prozess der Gruppentherapie können Klienten auf mindestens vier verschiede­
so wichtige Rolle, dass wir sie hier nicht einfach übergehen können. Ich stütze mich in nen Ebenen zu Einsicht gelangen:
meiner eigenen therapeutischen Arbeit sehr stark auf sie und möchte ihre Bedeutung
nicht verschweigen. Im vorliegenden Kapitel habe ich sie in den therapeutischen Fak­ 1 . Sie können ihr interpersonales Verhalten in einem objektiveren Licht sehen. Manch­
tor »interpersonales Lernen« eingebettet. mal wird ihnen dabei zum ersten Mal klar, wie andere Menschen sie sehen - ange­
spannt, warmherzig, distanziert, verführerisch, verbittert, arrogant, aufgeblasen,
übertragung ist eine spezielle Form der Verzerrung interpersonaler Wahrnehmungen. unterwürfig und ähnlich.
In der Einzelpsychotherapie ist es unerlässlich, diese Verzerrung zu erkennen und 2. Sie können lernen, die komplexeren Muster ihres Interaktionsverhaltens zu verstehen.
durchzuarbeiten. Und wie wir schon gesehen haben, ist das Durcharbeiten interperso­ Dabei kann sich ihnen eine riesige Zahl von Mustern erschließen - beispielsweise
naler Verzerrungen in einer Gruppentherapie nicht weniger wichtig; nur treten Verzer­ dass sie andere ausnutzen; dass sie ständig bewundert werden wollen; dass sie an­
rungen in der Gruppentherapie vielfältiger auf. Das Durcharbeiten der Übertragung dere verführen und sie später zurückweisen oder sich von ihnen zurückziehen; dass
- der Verzerrung, die sich in der Beziehung des Klienten zum Therapeuten nieder­ sie mit anderen unerbittlich konkurrieren; dass sie um Liebe betteln; oder dass sie
schlägt - ist allerdings, wenn es um den Gruppenzusammenhang geht, nur eine von nur zum Therapeuten, nur zu männlichen oder nur zu weiblichen Gruppenmitglie­
mehreren Arten von Verzerrungen, die Klienten im Laufe der Therapie untersuchen dern in Beziehung treten.
und durcharbeiten müssen. 3. Eine dritte Ebene der Einsicht könnte man Einsicht in die Motivation nennen. Bei­
Zwar ist die Beziehung zum Therapeuten für die meisten Klienten die wichtigste spielsweise lernen die Klienten auf dieser Ebene zu verstehen, warum sie sich ande­
durchzuarbeitende Beziehung, weil der Therapeut die lebende Personifizierung der ren Menschen gegenüber auf eine bestimmte Weise verhalten oder warum sie ihnen
verinnerlichten Bilder von Eltern, Lehrern, Autoritätspersonen, etablierten Institutio­ etwas Bestimmtes antun. Bei dieser Art von Einsicht wird Klienten häufig klar, dass
nen und der verinnerlichten Werte ist. Doch haben die meisten Klienten auch in ande­ sie sich auf eine bestimmte Art verhalten, um eine Katastrophe zu vermeiden: Sie
ren Bereichen interpersonalen Kontakts Schwierigkeiten - beispielsweise bezüglich der könnten gedemütigt, verachtet, vernichtet oder verlassen werden. Unnahbare, dis­
Themen Macht, Selbstbewusstsein, Ärger, Konkurrenzverhalten im Umgang mit tanzierte Klienten beispielsweise könnten merken, dass sie Nähe meiden, weil sie
Gleichgestellten, Intimität, Sexualität, Großzügigkeit, Gier und Neid. Angst haben, mit einer interpersonalen Situation überhaupt nicht fertig zu werden

76 77
und sich darin zu verlieren; krankhaft ehrgeizige, rach- und herrschsüchtige Kli­ konzentriert sich seit jeher die Erforschungs- und Deutungsarbeit psychodynamischer
enten könnten begreifen, dass sie sich vor ihrem tiefen, unersättlichen Bedürfnis, Therapien. In einer zweiten Art von Gedächtnisspeicher, dem »impliziten Gedächtnis«,
umsorgt zu werden, fürchten; und furchtsame, unterwürfige Menschen könnten befinden sich unsere frühesten Beziehungserlebnisse, von denen viele vor dem Sprach­
entdecken, dass sie Angst vor einem Ausbruch ihrer verdrängten destruktiven Wut erwerb und vor der Entstehung der Fähigkeit der Nutzung von Symbolen stattgefun­
haben. den haben. Diese zweite Gedächtnisform ( die auch »prozedurales Gedächtnis« ge­
4. Eine vierte Ebene der Einsicht, die Einsicht in die eigene Geschichte (Einsicht in die nannt wird) enthält unsere Überzeugungen bezüglich unseres Verhaltens in Beziehun­
Genese),lässt Klienten erkennen, warum sie so und nicht anders geworden sind. In­ gen zu anderen Menschen. Im Gegensatz zum expliziten Gedächtnis vermag der her­
dem sie die Wirkung früher Erlebnisse in der Familie und in ihrer Lebensumwelt kömmliche psychotherapeutische Dialog das implizite Gedächtnis nicht vollständig zu
untersuchen, erhalten sie Aufschluss über die Entstehung ihrer aktuellen Verhal­ erreichen; mithilfe der relationalen und emotionalen Komponenten der Therapie hin­
tensmuster. Der theoretische Rahmen, innerhalb dessen die Einsicht in die Entste­ gegen ist dies möglich.
hungsgeschichte gegenwärtiger Muster formuliert wird, und die Art, wie dies ge­ Aufgrund dieser neuen Sicht des Gedächtnisses befindet sich die psychoanalytische
schieht, hängen natürlich stark von der theoretischen Schule ab, der ein Therapeut Theorie heute in einem umfassenden Veränderungsprozess. Peter Fonagy, ein wichti­
sich zugehörig fühlt. ger analytischer Theoretiker und Forscher, hat die existierende Literatur über den psy­
choanalytischen Prozess und seine Resultate gründlich untersucht und ist zu dem
Ich habe diese vier Ebenen der Einsicht in der Reihenfolge der Grade der Herleitung Schluss gekommen: »Frühere Erlebnisse wieder zu erschließen mag von Nutzen sein, Ver­
(degrees ofinference) angeordnet. Ein bedauerlicher und schon sehr alter Denkfehler ist änderungen jedoch kann man letztlich nur erreichen, wenn man die aktuelle Art des Zu­
teilweise der häufig geübten Praxis zuzuschreiben, dass eine von »oberflächlich« bis sammenseins mit anderen Menschen versteht. Dies ist nur möglich, wenn sich sowohl die
»tiefreichend« verlaufende Skala den soeben beschriebenen Graden der Herleitung Selbstrepräsentationen als auch die Repräsentationen anderer ändern - was wirksam nur
gleichgesetzt wird. Außerdem wurde »tief« mit »tiefgründig« oder »gut« und »ober­ im Hier und Jetzt möglich ist.«54 Mit anderen Worten: Was Klient und Therapeut tat­
flächlich« mit »banal«, »offensichtlich« oder »nebensächlich« gleichgesetzt. Psycho­ sächlich von Augenblick zu Augenblick in der therapeutischen Beziehung erleben, ist
analytiker haben in früheren Zeiten verbreitet, je tiefgründiger der Therapeut sei, umso der Motor der Veränderung.
tiefer reiche seine Deutung (im Hinblick auf frühe Erlebnisse) und umso umfassender Eine umfassendere Auseinandersetzung mit der Frage der Verursachung psychi­
könne er seine Klienten behandeln. Es gibt aber nicht die Spur eines Beweises dafür, dass scher Probleme würde uns zu weit vom interpersonalen Lernen wegführen, aber ich
diese Behauptung zutrifft. werde in den Kapiteln 5 und 6 auf dieses Thema zurückkommen. An dieser Stelle ge­
Sicher hat jeder Therapeut schon einmal Klienten erlebt, die zu beträchtlicher Ein­ nüge der Hinweis, dass intellektuelles Verstehen zweifellos dem Mechanismus der Ver­
sicht in die Genese ihrer Verhaltensmuster im Sinne einer der etablierten Theorien änderung zugute kommt. Einsicht - »Hineinschauen« - muss stattfinden, aber im »ge­
kindlicher Entwicklung gelangt waren - beispielsweise nach Freud, Klein, Winnicott, nerischen« (allgemeinen) Sinne [d. h. im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs] ,
Kemberg oder Kohut - und die trotzdem keine therapeutischen Fortschritte erzielt nicht im »genesischen« (entstehungsgeschichtlichen) Sinne. Und Psychotherapeuten
hatten. Andererseits kommt es immer wieder vor, dass wichtige klinische Veränderun­ müssen das Streben nach »tiefgründigem« oder »signifikantem« intellektuellem Ver­
gen eintreten, ohne dass der betreffende Klient auch nur die geringste Einsicht in die stehen von weniger tiefreichenden Erwägungen unterscheiden. Wenn ein Patient ein
Entstehungsgeschichte problematischer Verhaltensmuster entwickelt hat. Ebenso we­ tiefes Gefühl empfindet oder etwas für ihn eine tiefe Bedeutung hat, kann dies auf der
nig wurde eine Beziehung zwischen dem Erlangen von Einsicht in die Genese und der Enträtselung der frühen Entstehungsgeschichte von Verhaltensweisen basieren oder
Beständigkeit von Veränderungen nachgewiesen. Es gibt sogar gute Gründe dafür, die nicht - wobei Letzteres häufiger der Fall ist.
Gültigkeit unserer geschätztesten Annahmen über die Beziehung zwischen bestimm­
ten Arten frühkindlicher Erlebnisse und bestimmten Verhaltensweisen und Charakter­
strukturen im Erwachsenenalter in Zweifel zu ziehen.52
Zum einen müssen wir in diesem Zusammenhang die Resultate neuester neurobio­
logischer Untersuchungen über die Speicherung von Erinnerungen berücksichtigen.
Das Gedächtnis lässt sich nach heutiger Auffassung in mindestens zwei unterschiedli­
che Formen mit sehr unterschiedlichen neuronalen Verbindungen untergliedern,53 wo­
bei wir am meisten über die Gedächtnisform wissen, die »explizites Gedächtnis« ge­
nannt wird. Im expliziten Gedächtnis werden Einzelheiten, Ereignisse und die autobio­
grafischen Erinnerungen des Menschen gespeichert. Auf diese Art von Erinnerungen

78 79
verläuft nicht jede Psychotherapie erfolgreich. Es gibt sogar Anzeichen dafür, dass eine
psychotherapeutische Behandlung die Situation eines Klienten auch verschlechtern
kann - dass zwar die meisten Therapeuten ihren Klienten helfen, einige deren Situa­
Kapitel 3 tion jedoch verschlimmern.3 Warum ist das so? Was garantiert den Erfolg einer Thera­
pie? Zwar spielen dabei viele Faktoren eine Rolle, aber eine unverzichtbare Vorausset­
zung für ein gutes Therapieresultat ist eine gute therapeutische Beziehung.4 Die uns
vorliegenden Ergebnisse wissenschaftlicher Studien bestätigen weitgehend die Auffas­
Die Koh ä sion s kraft der Gru ppe sung, dass eine Therapie nur erfolgreich sein kann - und dies gilt sogar für eine medi­
kamentöse Therapie -, wenn zwischen Therapeut und Klient eine durch Vertrauen,
In diesem Kapitel untersuche ich die Eigenschaften der Kohäsionskraft, die zahlreichen Wärme, empathisches Verstehen und Akzeptieren gekennzeichnete Beziehung besteht. 5
vorliegenden Beweise dafür, dass Kohäsivität für Gruppen ein therapeutischer Faktor Obwohl eine positive therapeutische Allianz bei allen wirksamen Behandlungsmetho­
ist, und ich beschäftige mich damit, wie dieser Faktor den Therapieverlauf be­ den eine wichtige Rolle spielt, ist es keineswegs leicht oder eine reine Routineangele­
einflusst. genheit, eine solche Beziehung aufzubauen. Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Unter­
Was ist Kohäsivität und wie wirkt sie sich auf das Resultat der therapeutischen Ar­ suchungen über das Wesen der therapeutischen Allianz und darüber, welche Interven­
beit aus? Die kurze Antwort lautet: Kohäsivität ist das gruppentherapeutische Gegenstück tionen erforderlich sind, um eine gute therapeutische Beziehung aufzubauen und zu
zur therapeutischen Beziehung in der Einzeltherapie. Aus zahlreichen wissenschaftlichen erhalten.6
Untersuchungen über psychotherapeutische Einzelbehandlungen geht hervor, dass Hängt die Qualität der therapeutischen Beziehung von der Schule oder der theore­
eine gute Beziehung zwischen Therapeut und Klient für ein positives Therapieresultat tischen überzeugung des behandelnden Therapeuten ab? Nach den vorliegenden wis­
entscheidend ist. Ist eine gute therapeutische Beziehung auch im Falle einer Gruppen­ senschaftlichen Untersuchungen muss diese Frage eindeutig mit Nein beantwortet
therapie unverzichtbar? Die uns vorliegende wissenschaftliche Literatur lässt kaum werden. Erfahrene und erfolgreiche Kliniker unterschiedlicher Schulen (Freudianer,
Zweifel daran, dass positive Beziehungen auch in einer Gruppentherapie die Voraus­ Anhänger der nicht direktiven Therapie, der Gestalttherapie, des Psychodramas sowie
setzung für positive Therapieresultate ist. Allerdings ist der Beziehungsaspekt in der der relationalen, interpersonalen und kognitiv-behavioralen Therapie) haben ähnliche
Gruppentherapie wesentlich komplexer als in der Einzeltherapie. Schließlich sind an Ansichten über die ideale therapeutische Beziehung, und die Beziehungen, die sie zu
den Transaktionen in einer Einzeltherapie nur zwei Personen beteiligt, wohingegen in ihren Klienten aufbauen, ähneln einander, unterscheiden sich jedoch vom Charakter
einer Gruppentherapie im Allgemeinen sechs bis zehn Menschen zusammenarbeiten. der Beziehungen, die unerfahrenere Anhänger ihrer jeweiligen Schule aufbauen.7
Die Aussage, für eine erfolgreiche Gruppentherapie sei eine gute Beziehung erforder­ Eine engagierte, kohäsive therapeutische Beziehung ist in allen Psychotherapien er­
lich, ist unzureichend; wir müssen genauer angeben, welche Beziehung wir meinen: die forderlich, sogar wenn es sich um die sogenannten »mechanistischen Ansätze« handelt
Beziehung zwischen dem Klienten und dem Gruppentherapeuten (oder den Gruppen­ - womit die kognitiv, behavioral und systemisch orientierten Formen der Psychothe­
therapeuten, falls mehrere Gruppenleiter sich diese Arbeit teilen)? Oder die Beziehung rapie gemeint sind.8 Eine kürzlich durchgeführte Sekundäranalyse einer großen ver­
zwischen einem Gruppenmitglied und den anderen Gruppenmitgliedern? Oder viel­ gleichenden Psychotherapie-Pilotstudie, die vom Treatment of Depression Collaborative
leicht die Beziehung zwischen dem einzelnen Mitglied und der Gruppe insgesamt? Research Program des National Institute of Mental Health (NIMH) durchgeführt wur­
de, gelangt zu dem Schluss, dass eine erfolgreiche Therapie, und zwar sowohl eine ko­
Kontrollierte Psychotherapiestudien aus den letzten vierzig Jahren zeigen, dass sich die gnitiv-behavioral als auch eine interpersonal orientierte, »das Bestehen einer positiven
Situation von Menschen, die eine psychotherapeutische Behandlung erhalten, deutlich Bindung an eine wohlwollende, unterstützende und Sicherheit gebende Autoritätsfi­
verbessert und dass das mithilfe einer Gruppentherapie erzielbare Resultat mit demje­ gur« erfordert.9 Studien haben gezeigt, dass die Bindung zwischen Klient und Thera­
nigen einer Einzeltherapie praktisch identisch ist. 1 Außerdem liegen uns Hinweise vor, peut und die technischen Elemente der kognitiven Therapie synergistisch miteinander
nach denen bestimmte Klienten von einer Gruppentherapie sogar noch stärker profi­ verbunden sind: Eine starke und positive Bindung widerlegt schon an sich depressive
tieren als von anderen Therapieformen und -ansätzen; dies gilt besonders für Klienten, Überzeugungen und kommt der Arbeit an der Veränderung kognitiver Verzerrungen
die unter Stigmatisierung oder sozialer Isolierung leiden, und für jene, die sich bemüh­ zugute. Fehlt eine solche positive Verbindung zwischen Klient und Therapeut, sind die
en, neue Kompetenzen zur Bewältigung von Problemen zu entwickeln.2 rein technischen Interventionen oft unwirksam oder wirken sogar schädigend. 10
Die Wirksamkeit der Gruppenpsychotherapie ist so überzeugend nachgewiesen, Wie bereits erwähnt, spielt die therapeutische Beziehung in der Gruppenpsychothe­
dass wir unsere Aufmerksamkeit einer anderen Frage zuwenden können: Welche Vo­ rapie eine ähnlich wichtige Rolle. Doch das gruppentherapeutische Gegenstück zur
raussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Psychotherapie wirken kann? Schließlich Therapeut-Klient-Beziehung in der Einzeltherapie muss etwas Umfassenderes sein

80 81
und die Beziehung des einzelnen Klienten zum Gruppentherapeuten, seine Beziehung terscheiden auch zwischen dem Zugehörigkeitsgefühl des Einzelnen und seiner Ein­
zu anderen Gruppenmitgliedern und seine Beziehung zur Gruppe als Ganzes ein­ schätzung dessen, wie gut die Gruppe als Ganzes arbeitet. Nicht selten haben einzelne
schließen. .71 Auf die Gefahr hin, semantische Verwirrung zu stiften, verwende ich für Mitglieder das Gefühl: »Die Gruppe arbeitet zwar gut zusammen, aber ich persönlich
alle diese Beziehungen innerhalb einer Gruppe den Sammelbegriff »Gruppenkohäsi­ bin daran nicht beteiligt.« 20 Es kann auch sein, dass Mitglieder (beispielsweise Klienten
vität«. Die Kohäsionskraft ist eine Grundeigenschaft von Gruppen, mit der sich meh­ mit Essstörungen) die Interaktion und das Bindungsverhalten innerhalb der Gruppe
rere Hundert wissenschaftliche Aufsätze beschäftigen. Allerdings zeichnet sich diese als dem Gruppenziel völlig entgegengesetzt einschätzen.21
gesamte Literatur bedauerlicherweise nicht gerade durch Kohäsivität aus, sondern sie Bevor wir die Auseinandersetzung mit der Definition der Gruppenkohäsivität ab­
basiert auf den unterschiedlichsten Definitionen, Messskalen, Themenschwerpunkten schließen, möchte ich noch darauf hinweisen, dass diese nicht nur eine eigenständige
und Beurteilungsperspektiven. l t starke therapeutische Kraft ist, sondern auch eine Vorbedingung für die optimale Ent­
Generell besteht Einigkeit darüber, dass Gruppen sich hinsichtlich der für sie cha­ faltung der Wirkung anderer therapeutischer Faktoren. Wenn wir in der Einzeltherapie
rakteristischen Stärke des »Gruppengeistes« (»groupness«) unterscheiden. Diejenigen, davon sprechen, dass »die Beziehung heilt«, ist damit nicht gemeint, dass Liebe oder
in denen das Solidaritätsempfinden oder das Wir-Gefühl stärker ist, schätzen die Grup­ liebevolles Akzeptieren ausreiche, um ein Problem zu beheben, sondern dass eine ide­
pe höher und verteidigen sie dementsprechend gegen innere und äußere Gefahren. Für ale Therapeut-Klient-Beziehung die Voraussetzungen schafft, unter denen die erfor­
solche Gruppen ist ein höheres Maß an Anteilnahme, Beteiligung am Gruppengesche­ derliche Risikobereitschaft und Katharsis sowie die intra- und interpersonale Explora­
hen und gegenseitiger Unterstützung typisch, und ihre Mitglieder beherzigen die tion ihre Wirkung entfalten können. In der Gruppentherapie verhält es sich genauso:
Gruppenregeln wesentlich nachdrücklicher als Mitglieder von Gruppen, in denen das Gruppenkohäsivität ist die Voraussetzung dafür, dass andere gruppentherapeutische
Gemeinschaftsgefühl weniger stark ausgeprägt ist. Trotzdem ist es schwierig, Kohäsivi­ Faktoren überhaupt wirksam werden können.
tät präzise zu definieren. In einer kürzlich erschienenen umfassenden und sehr gründ­
lichen Überblicksstudie heißt es: »Kohäsivität gleicht der Würde: Jeder vermag sie zu Die Bedeutung der G ru ppen kohäsivität
erkennen, doch offenbar sieht sich niemand in der Lage, sie zu beschreiben, ganz zu
schweigen davon, sie zu messen.« 12 Das Problem ist, dass sich Kohäsivität auf einander Obwohl ich die therapeutischen Faktoren separat dargestellt habe, sind sie voneinan­
überschneidende Dimensionen bezieht. Einerseits gibt es ein Gruppenphänomen - der abhängig. Katharsis und Universalität des Leidens beispielsweise sind keine in sich
den Gruppengeist der Gesamtgruppe -, und andererseits gibt es die Kohäsivität zwi­ abgeschlossenen und eigenständigen Prozesse. Es geht nicht um den bloßen Ausdruck,
schen den einzelnen Gruppenmitgliedern (oder, genau genommen, die Attraktion, die nicht allein darum zu entdecken, dass die Probleme anderer unseren eigenen ähneln,
die Gruppe auf ihre einzelnen Mitglieder ausübt). 13 und auch nicht nur um die sich daraus ergebende Widerlegung unserer Oberzeugung,
Im vorliegenden Buch wird Kohäsivität definiert als Ergebnis aller Kräfte, die auf unser Elend sei einzigartig. Entscheidend ist offenbar, dass wir anderen affektiv mittei­
alle Gruppenmitglieder so einwirken, dass sie in der Gruppe bleiben, 14 oder einfacher len, was in unserem Inneren vor sich geht, und dass diese anderen uns dann so akzeptie­
als die Attraktivität einer Gruppe für ihre Mitglieder. 15 Die Mitglieder einer Gruppe ren, wie wir sind. Wenn ein Klient von anderen Gruppenmitgliedern akzeptiert wird,
mit starker Kohäsionskraft finden in dieser Gruppe Wärme und Trost und fühlen sich wird dadurch seine eigene Oberzeugung untergraben, er sei grundsätzlich abstoßend,
ihr zugehörig; außerdem schätzen sie die Gruppe und haben das Gefühl, von den an­ unakzeptabel oder nicht liebenswert. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit ist uns allen
deren Gruppenmitgliedern geschätzt, akzeptiert und unterstützt zu werden. 16 angeboren. Die Entwicklung eines Gefühls der Zugehörigkeit zur Gruppe (affiliation)
Gruppengeist und individuelle Kohäsivität sind voneinander abhängig, und die Ko­ und die Entwicklung einer Bindung in der Einzeltherapie basieren auf ihm.22 Thera­
häsionskraft einer Gruppe wird oft aufgrund der Attraktivität der Gruppe für die ein­ piegruppen erzeugen eine positive, sich selbst verstärkende Bandschleife: Vertrauen -
zelnen Mitglieder berechnet. Neuere Methoden, die die Gruppenkohäsivität aufgrund Selbstoffenbarung - Empathie - Akzeptiertwerden - Vertrauen.23 Die Gruppe akzep­
des Gruppenklimas beurteilen, ermöglichen zwar eine quantitative präzisere Beschrei­ tiert ein Mitglied, wenn es sich an die Verhaltensregeln der Gruppe hält, unabhängig
bung, ändern aber andererseits nichts an der Tatsache, dass die Kohäsivität einer Grup­ von irgendwelchen früheren Erlebnissen, Regelverstößen oder Mängeln im Sozialver­
pe auf dem Zugehörigkeitsgefühl der einzelnen Mitglieder basiert und eine Funktion halten. Ganz gleich, ob Klienten früher auf eine Weise gelebt haben, die von der Gesell­
derselben ist. 17 Dabei ist zu bedenken, dass sich die einzelnen von ihrer Gruppe unter­ schaft geächtet wird, ob sie sich der Prostitution oder perversen sexuellen Praktiken
schiedlich stark angezogen fühlen und dass die Kohäsivität keine für alle Zeiten feste gewidmet oder abscheuliche Verbrechen begangen haben - alles akzeptiert die Thera­
Größe ist, sondern während des Bestehens der Gruppe stark schwanken kann. 18 Kohä­ piegruppe, wenn zu Beginn der Gruppenarbeit nicht verurteilendes, alles einbezie­
sivität und Verbundenheitsgefühle sind insbesondere zu Beginn der Gruppenarbeit hendes Akzeptieren zur Norm erklärt wird.
wichtig, damit die Gruppe zu der schwierigeren, konfliktreicheren und unangenehme­ Insbesondere ihre beeinträchtigte interpersonale Kompetenz hat unsere Klienten
ren Arbeit, die ihr bevorsteht, überhaupt in der Lage ist. t9 Neuere Untersuchungen un- daran gehindert, in vertrauten Beziehungen ihre Gefühle mitzuteilen und die affekti-

82 83
ven Äußerungen ihrer Kommunikationspartner zu akzeptieren. Außerdem 'sind man­ ehe Menschen kann schon allein das Erlebnis, in eine Gruppe aufgenommen zu wer­
che Gruppenmitglieder davon überzeugt, dass ihre ihnen verhassten Impulse und Fan­ den, heilsam sein. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe stärkt das Selbstwertgefühl und
tasien sie in beschämender Weise von der sozialen Interaktion ausschließen .71. Ich habe erfüllt die Abhängigkeitsbedürfnisse der Gruppenmitglieder, doch werden gleichzeitig
viele extrem isolierte Klienten kennengelernt, deren einziger tieferer menschlicher auch Verantwortungsgefühl und Autonomiestreben gestärkt, da jedes Gruppenmit­
Kontakt die Gruppe war. Schon nach wenigen Sitzungen haben solche Menschen in glied zum Wohlergehen der Gruppe beiträgt und jedes die Atmosphäre einer kohären­
der Gruppe ein Gefühl, zu Hause zu sein wie sonst nirgendwo. Noch nach Jahren, ten Gruppe verinnerlicht.26
wenn die meisten anderen Erinnerungen an die Gruppensituation längst verblasst · Die Mitglieder einer Therapiegruppe bedeuten einander in verschiedenster Hin­
sind, erinnern sich manche an das positive Gefühl der Zugehörigkeit und des An­ sicht sehr viel. So wird diese Gruppe, die sie zunächst als künstlich und deshalb nicht
genommenwerdens in der Gruppe. ernst zu nehmend ansehen, für sie allmählich immer wichtiger. Ich kenne Gruppen,
Ein Klient, der seine Therapie nach zweieinhalb Jahren erfolgreich abgeschlossen deren Mitglieder gemeinsam schwere Depressionen, Psychosen, Eheschließungen,
hatte, sagte einmal rückblickend: »Das Wichtigste an der ganzen Sache war, dass eine Scheidungen, Abtreibungen, Selbstmorde und berufliche Veränderungen erlebt haben,
Gruppe da war, Menschen, mit denen ich jederzeit sprechen konnte und die mich nicht die einander ihre geheimsten Gedanken mitgeteilt und die gemeinsam »Gruppenin­
hängen ließen. In der Gruppe wurde viel Anteil genommen, gehasst und geliebt, und zest« (sexuelle Erlebnisse zwischen Gruppenmitgliedern) durchgestanden haben. Ich
ich war an alldem beteiligt. Jetzt geht es mir besser, und ich kümmere mich um meine habe erlebt, dass Gruppen ein Mitglied ins Krankenhaus brachtt,n und über den Tod
eigenen Angelegenheiten. Aber eigentlich ist es traurig, dass die Gruppe nicht mehr eines Mitglieds trauerten. Ich habe Mitglieder von Unterstützungsgruppen für Krebs­
existiert.« kranke bei Bestattungsfeiern Gedenkreden für ein verstorbenes Gruppenmitglied hal­
Weiterhin erkennen die Gruppenmitglieder, dass sie nicht nur passiv von der Grup­ ten hören. Beziehungen werden oft durch bewegende oder gefährliche Abenteuer ge­
penkohäsivität profitieren, sondern die Kohäsion auch selbst erzeugen, indem sie sta­ festigt. Wie viele Beziehungen im Leben sind so vielschichtig?
bile Beziehungen aufbauen - manchmal zum ersten Mal in ihrem Leben. Ein Klient
erklärte, er habe seine Einsamkeit immer irgendeiner ihm unbekannten, hartnäckigen Forschungsergebnisse
und abstoßenden Charakterschwäche zugeschrieben. Erst nachdem er sich abgewöhnt Die uns vorliegenden empirischen Daten, die die Bedeutung der Kohäsivität von Grup­
hatte, immer wieder Gruppensitzungen zu versäumen, weil er sich mutlos fühlte und pen im therapeutischen Prozess dokumentieren, sind nicht so umfassend oder syste­
die ganze Mühe für vergebens hielt, wurde ihm klar, dass er für sein Alleinsein selbst matisch wie die Ergebnisse von Untersuchungen über die Bedeutung der therapeu­
verantwortlich war: Beziehungen müssen nicht zwangsläufig verkümmern. In seinem tischen Beziehung in der Einzeltherapie. Die Wirkung der Kohäsivität zu erforschen ist
Fall zumindest waren sie hauptsächlich deshalb zugrunde gegangen, weil er sich ent­ sehr schwierig,27 weil dazu Untersuchungen über mit Kohäsivität eng zusammenhän­
schieden hatte, sie zu vernachlässigen. gende Variablen erforderlich sind, beispielsweise des Gruppenklimas (wie stark sind
Einige Menschen internalisieren die Gruppe. »Es ist, als säße die Gruppe auf meiner das Engagement, das Vermeiden und die Konflikte in der Gruppe28 und in der thera­
Schulter und würde mich beobachten. Ich frage mich immer wieder: >Was würde die peutischen Allianz [ der Beziehung zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern und
Gruppe zu diesem oder jenem sagen?< « Oft bleiben therapeutische Veränderungen er­ dem Therapeuten] ).29 Allerdings weisen die Resultate entsprechender Untersuchungen
halten und verfestigen sich, weil die ehemaligen Gruppenmitglieder die Gruppe auch allesamt darauf hin, dass Beziehungen in einer guten Therapie immer eine zentrale
Jahre später nicht enttäuschen wollen.24 Rolle spielen. Dies ist in unserer von Managed-Care-Bestrebungen geprägten Zeit nicht
Verschiedenen Gruppen anzugehören und von ihnen akzeptiert und anerkannt zu weniger wichtig als in der Vergangenheit. Der heutige Gruppentherapeut hat sogar
werden, ist für die Entwicklung eines Menschen äußerst wichtig. Wie wichtig es ist, in eine noch größere Verantwortung für den Schutz der therapeutischen Beziehung vor
der Kindheit zu einer Gruppe Gleichaltriger zu gehören, in der Jugend zu einer Clique, Angriffen und Versuchen, sie von außen zu kontrollieren.30
während des Studiums zu einer Studenten- oder Studentinnenverbindung und später Es folgt eine kurze Zusammenfassung wichtiger Untersuchungen über Kohäsivität.
als Erwachsener zur »richtigen« sozialen Gruppe, kann kaum überschätzt werden. Bei­ (Leser, die sich für die methodischen Aspekte dieser Untersuchungen nicht interessie­
spielsweise scheint es für Selbstwertgefühl und Wohlergehen eines Jugendlichen nichts ren, können sich gleich der anschließenden Zusammenfassung zuwenden.)
Wichtigeres zu geben, als in eine Gruppe Gleichaltriger aufgenommen und von ihr ak­
zeptiert zu werden, und nichts ist für ihn schrecklicher, als zu einer begehrten Gruppe • In einer schon älteren Untersuchung ehemaliger Teilnehmer einer Gruppenpsycho­
keinen Zugang zu finden.25 therapie, die die Erklärungen der Probanden über die in ihrer Therapie wirksamen
Doch die meisten unserer Klienten haben in ihrem bisherigen Leben nicht die für therapeutischen Faktoren erfasste und kategorisierte, wurde festgestellt, dass über
viele Menschen normalen Erfahrungen der Gruppenzugehörigkeit gemacht. Sie waren die Hälfte der Untersuchten gegenseitige Unterstützung als wichtigste Art der Hilfe
noch nie ein geschätztes und anerkanntes vollwertiges Mitglied einer Gruppe. Für sol- ansah. Klienten, die ihre Gruppe als kohäsiv empfanden, besuchten mehr Sitzungen,

84 85
erlebten stärkeren sozialen Kontakt mit anderen Gruppenmitgliedern und waren orientierter Gruppen teilnahmen, dass »von der Gruppe angezogen sein« signifi­
der Ansicht, die Gruppe habe eine therapeutische Wirkung gehabt. Klienten, bei de­ kant mit einer Verbesserung des Selbstwertgefühls korrelierte und zu der Zahl der
nen eine Besserung eingetreten war, fühlten sich signifikant häufiger von den üb­ Mitglieder, die die Gruppe vorzeitig verließen, in umgekehrter Relation stand.37
rigen Gruppenmitgliedern akzeptiert, und wenn sie gefragt wurden, wie sie die • Die Qualität der Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern hat sich auch als
Gruppe erlebt hätten, erwähnten sie bestimmte andere Teilnehmer.3 1 ein wichtiger Aspekt des Geschehens in T-Gruppen (auch »Sensitivitätstraining«
• 1970 habe ich über eine Studie berichtet, in der erfolgreich behandelte Teilnehmer sowie »Prozess-«, »Encounter-« oder »Selbsterfahrungsgruppen« genannt - siehe
einer Gruppentherapie aufgefordert wurden, sich noch einmal zu vergegenwärti­ Kapitel 16) erwiesen. Eine Studie mit einer sehr strengen Testanlage zeigte, dass die
gen, was sie in der Gruppe erlebt hatten, und die im vorliegenden Buch beschrie­ Qualität der Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern und das Resultat der
benen therapeutischen Faktoren nach ihrer Wirksamkeit zu ordnen.32 Seither wur­ Arbeit bei einer T-Gruppe von elf Personen, die sich zweimal wöchentlich und ins­
den zahlreiche ähnliche Untersuchungen durchgeführt, sodass wir nun viel darüber gesamt 64 Stunden lang trafen, in einer signifikanten Korrelation standen.38 Die
wissen, welche Aspekte der Gruppentherapie nach Ansicht der untersuchten Kli­ Gruppenmitglieder, die sich in dieser Zeit am häufigsten in zwei Personen umfas­
enten am nützlichsten sind. Diese Untersuchungsergebnisse werde ich im nächsten sende mutuelle therapeutische Beziehungen begaben, erzielten im Laufe der Grup­
Kapitel gründlich besprechen. Im Augenblick möge die Feststellung genügen, dass penarbeit die stärkste Besserung.39 Außerdem stellte sich heraus, dass die von den
Klienten Gruppenkohäsivität ziemlich einhellig als eine sehr wichtige Determinan­ Klienten wahrgenommene Beziehung zum Gruppenleiter für die erreichte Verän­
te einer erfolgreichen Therapie ansehen. derung völlig bedeutungslos war.
• In einer Untersuchung, an der zwei Langzeittherapiegruppen über einen Zeitraum • Zusammen mit meinen Kollegen M. A. Lieberman und M. Miles habe ich eine Stu­
von sechs Monaten teilnahmen,33 beurteilten Beobachter den Prozess jeder Grup­ die mit 210 Versuchspersonen durchgeführt, die an 18 Encountergruppen teilnah­
pensitzung, indem sie jedes einzelne Mitglied aufgrund von fünf Variablen ein­ men, welche sich an zehn unterschiedlichen theoretischen Ansätzen orientierten
schätzten: Akzeptiertsein, Aktivität, Mangel an Sensibilität, Abreaktion und Besse­ (Gestalttherapie, Transaktionsanalyse, T-Gruppen, Synanon, Personal Growth, Sen­
rung. Außerdem wurden alle Gruppenmitglieder gebeten, eine Selbsteinschätzung sory Awareness [Esalen] , Psychoanalyse, Marathon, Psychodrama, Encounter mit
vorzunehmen. Die Einschätzungen der Beobachter wie die der Gruppenmitglieder Anweisungen vom Tonband).40 (Dieses Projekt wird in Kapitel 16 ausführlich be­
deuteten darauf hin, dass die Variable Akzeptiertsein am stärksten mit Besserung schrieben.) Die Kohäsivität wurde auf verschiedene Weisen ermittelt und zum The­
korrelierte. rapieresultat in Relation gesetzt.4 1 Es stellte sich heraus, dass die Attraktion, die die
• Zu ähnlichen Schlüssen gelangte eine Untersuchung, an der 47 Klienten teilnah­ Gruppe ausübt, sich tatsächlich sehr stark auf das Resultat der Therapie auswirkt.
men, die 12 verschiedenen Psychotherapiegruppen angehörten. 34 Die von den Alle Arten der Kohäsivitätsbestimmung ergaben eine positive Korrelation zwischen
Gruppenmitgliedern selbst wahrgenommene Persönlichkeitsveränderung stand in Kohäsivität und Therapieresultat. Mitglieder, die sich der Gruppe wenig zugehörig
einer starken Korrelation sowohl zur von ihnen empfundenen Stärke ihres Engage­ und sich auch kaum von ihr angezogen fühlten, hatten, selbst nach in den ersten
ments in der Gruppe als auch zu ihrer Einschätzung der Gruppenkohäsivität. Sitzungen durchgeführten Messungen zu schließen, nur geringe Aussichten, von
• Mit meinen Kollegen habe ich nach Ablauf eines Jahres die Therapieresultate von der Gruppe zu profitieren, und die Wahrscheinlichkeit eines negativen Therapiere­
vierzig Klienten ausgewertet, die an fünf Gruppen für ambulant behandelte Kli­ sultats war bei diesen Klienten groß. Außerdem fielen die Therapieresultate von
enten teilnahmen.35 Die Ergebnisse wurden anschließend mit den in den drei ersten Gruppen mit einer stärkeren allgemeinen Kohäsivität deutlich besser aus als die von
Monaten der Therapie gemessenen Variablen verglichen. Positive Therapieresultate Gruppen mit geringer Kohäsivität.
• Eine weitere große Studie, an der 393 Mitglieder von Selbsterfahrungsgruppen teil­
standen in signifikanter Korrelation zu nur zwei Prädiktorvariablen: Gruppenko­
häsivität36 und allgemeine Beliebtheit. Das bedeutet, dass Klienten, die sich schon nahme11, zeigte eine starke Beziehung zwischen dem Streben nach Zugehörigkeit
früh in der Therapie am stärksten von der Gruppe angezogen fühlten (starke Kohä­ (affiliativeness - ein Konstrukt, das sich weitgehend mit dem der Kohäsivität deckt)
sivität) und die von den anderen Gruppenmitgliedern in der sechsten und zwölften und dem Therapieresultat.42
• MacKenzie und Tschuschke differenzierten im Rahmen einer Untersuchung von 20
Woche als beliebt eingeschätzt wurden, in der fünfzigsten Woche ein besseres The­
rapieresultat erreicht hatten. Die Beliebtheitsfeststellung, die in dieser Untersu­ Klienten, die an Langzeitgruppen für stationär behandelte Klienten teilnahmen,
chung in einer noch positiveren Korrelation zum Therapieresultat stand als die Ko­ zwischen »emotionaler Beziehung zur Gruppe« und »positiver Einschätzung der
häsivität, ist, wie ich im Folgenden erklären werde, für die Gruppenkohäsivität re­ Gruppenarbeit« insgesamt. Sie stellten fest, dass das Zugehörigkeitsgefühl der ein­
levant und macht deutlich, wie diese Veränderungen bewirkt. zelnen Gruppenmitglieder in einer Korrelation zum zukünftigen Ergebnis stand,
• Ähnliches zeigten Untersuchungen strukturierterer Gruppen. Beispielsweise ergab wohingegen dies bei den Resultaten für die gesamte Gruppenarbeit nicht der Fall
eine Studie, in deren Verlauf 51 Klienten an zehn Sitzungen verhaltenstherapeutisch war.43

86 87
• S. Budman und Kollegen entwickelten eine Methode zur Messung der Kohäsivität, Teilnehmer beeinflusst.so Positive Ergebnisse könnten durchaus dem Engagement
bei der geschulte Beobachter auf Video aufgenommene Gruppensitzungen beur­ der Gruppe zuzuschreiben sein, das die interpersonale Kommunikation und die Be­
teilten. Die Beobachter untersuchten fünfzehn Therapiegruppen un.d stellten bei reitschaft zur Selbstoffenbarung fördert.s 1
Gruppen mit hoher Kohäsivität eine starke Verringerung psychiatrischer Symp­
tome und eine Stärkung des Selbstwertgefühls fest. Die schon früh - innerhalb der Zusammenfassung
ersten dreißig Minuten der Sitzung - erkennbare Kohäsivkraft der Gruppe war ein Ich habe im Vorangegangenen Untersuchungsergebnisse beschrieben, aus denen her­
zuverlässiger Prädiktor für ein besseres Therapieresultat.44 vorgeht, dass es für Gruppenmitglieder sehr wichtig ist, von ihrer Therapiegruppe ak­
• Eine Anzahl weiterer Studien setzt sich mit der Rolle der Beziehung zwischen Klient zeptiert und geschätzt zu werden. Die Eigenbeurteilung des Therapieresultats steht in
und Gruppenleiter in der Gruppentherapie auseinander. Marziali und Kollegen4s positiver Korrelation zu der Anziehung, die die Gruppe auf ihre Mitglieder ausübt.
untersuchten die Gruppenkohäsivität und die Beziehung zwischen Klient und Gruppen mit starker Kohäsivität erreichen ein besseres Gesamtergebnis als Gruppen,
Gruppenleiter im Rahmen einer dreißig Sitzungen umfassenden manualisierten in­ deren Gruppengeist schwächer ausgeprägt ist. Sowohl das Gefühl emotionaler Verbun­
terpersonal orientierten Therapiegruppe für Klienten mit Borderline-Persönlich­ denheit mit der Gruppe als auch das Erleben ihrer Wirkung stärkt die Gruppenkohä­
keitsstörung. Die Kohäsivität der Gruppe und die Beziehung zwischen Gruppen­ sivität. Teilnehmer mit einem positiven Therapieresultat haben in der Regel mehr Be­
mitglied und Gruppenleiter korrelierten sehr stark, was Budmans Erkenntnisse ziehungen zu anderen Gruppenmitgliedern erlebt, die für alle Seiten befriedigend wa­
stützt,46 und beide Faktoren stehen in positiver Korrelation zum Therapieresultat. ren. In Gruppen mit starker Kohäsionskraft erreicht die Selbstoffenbarung ein höheres
Doch erwies sich die Messung der Beziehung zwischen Gruppenmitglied und Niveau als in anderen Gruppen. Für einige Klienten und manche (insbesondere stark
Gruppenleiter als der zuverlässigere Prädiktor für das Behandlungsergebnis. Mög­ strukturierte) Gruppen ist die Beziehung zum Gruppenleiter entscheidend. Eine starke
licherweise ist die Beziehung zwischen Klient und Therapeut für Klienten mit sehr therapeutische Beziehung garantiert zwar nicht unbedingt ein positives Therapieresul­
volatilen interpersonalen Beziehungen, für die der Therapeut eine Haltefunktion tat, aber eine schlechte Beziehung zwischen Klient und Therapeut ist ganz sicher keine
erfüllt, besonders wichtig. gute Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Behandlung.
• In einer Untersuchung, die sich mit einer stukturierten kognitiv-behavioralen Kurz­ Manifestiert sich schon in den ersten Sitzungen und schon früh in jeder einzelnen
zeittherapiegruppe für Sozialangst beschäftigte,47 vertiefte sich die Beziehung zum Sitzung eine starke Kohäsionskraft, sind positive Behandlungsergebnisse zu erwarten.
Therapeuten im Laufe der zwölfwöchigen Behandlung, und sie stand in positiver Es ist sehr wichtig, dass Gruppen Kohäsivität entwickeln, dass ihre Leiter sich darüber
Korrelation zum Behandlungsergebnis, doch die Kohäsivität der Gruppe war sta­ im Klaren sind, wie die einzelnen Mitglieder die Gruppe erleben, und dass sie sich mit
tisch und stand in keiner Relation zum Resultat der Arbeit. Im geschilderten Fall Problemen, die mit der Kohäsivität zusammenhängen, rasch befassen. Positive Be­
war die Gruppe eine Situation für die Therapie, also kein Agens der Therapie. Der handlungsergebnisse einzelner Gruppenmitglieder sind auch von der Beliebtheit der
Therapeut hatte die Bindungen zwischen den Mitgliedern nicht kultiviert, was die Betreffenden in der Gruppe abhängig, einer Variablen, die eng m it der Unterstützung
Forscher zu dem Schluss brachte, dass in stark strukturierten Gruppen die Zusam­ und dem Akzeptiertwerden durch die Gruppe zusammenhängt. Zwar ist therapeu­
menarbeit zwischen Klient und Therapeut im Rahmen der Therapieaufgabe die tische Veränderung multidimensional, doch stützen die beschriebenen Erkenntnisse
wichtigste Rolle spielt.48 insgesamt stark die Auffassung, dass die Gruppenkohäsivität eine wichtige Determi­
• Eine Studie, an der 34 Klienten teilnahmen, die unter Depression und sozialer Iso­ nante eines positiven Therapieresultats ist.
lation litten und zwölf Sitzungen lang im Rahmen einer interaktions- und pro­ Abgesehen von diesen direkten Belegen für die Bedeutung der Kohäsivkraft von
blemlösungsorientierten Gruppe behandelt wurden, berichtet, dass die Klienten Gruppen gibt es auch viele indirekte, die aus Untersuchungen mit Gruppen anderer
bessere Therapieresultate erzielten, die beschrieben, der Gruppenleiter habe ihnen Art gewonnen wurden. Zahlreiche Studien zeigen, dass bei Gruppen, die unter Labor­
gegenüber Wohlwollen und positive Aufmerksamkeit gezeigt. Umgekehrt standen bedingungen arbeiten, eine starke Gruppenkohäsivität viele Ergebnisse hervorbringt,
negative Therapieresultate in Korrelation zu einer negativen Beziehung zwischen die man als Ergebnisfaktoren einer intervenierenden Therapie ansehen kann. Bei­
Klient und Gruppenleiter. Diese Korrelationsstudie beschäftigt sich nicht mit Ursa­ spielsweise führt Gruppenkohäsivität zu regelmäßigerer Teilnahme an den Gruppen­
che und Wirkung, doch drängt sich hier die Frage auf, ob Klienten von ihren The­ sitzungen sowie zu stärkerer Beteiligung und Beeinflussbarkeit der Mitglieder, und es
rapeuten stärker geschätzt werden, weil sie sich in der Therapie positiv entwickeln, gibt noch viele andere Wirkfaktoren dieser Art. Ich werde im Rahmen der Darstellung
oder ob die Tatsache, dass sie vom Therapeuten geschätzt werden, dem Wohlgefühl des Mechanismus, mit dessen Hilfe Kohäsivität therapeutische Veränderung fördert,
und dem Bemühen der Betreffenden zugute kommt.49 ausführlicher auf diese Erkenntnisse eingehen.
• Die Resultate kurzer intensiver Ausbildungsgruppen des American Group Psycho­
therapy Association Institute wurden durch ein höheres Maß an Engagement der

88 89
Der Wi rkmech a n i s m u s Diese Aufgabe spielt in jeder dynamischen Psychotherapie eine wichtige Rolle.. Ka­
ren Horney beispielsweise hat auf das Bedürfnis des Menschen nach Selbsterkenntnis
Wie helfen Akzeptiertwerden, Unterstützung vonseiten der Gruppe und Vertrauen und Selbstverwirklichung hingewiesen. Nach ihrer Auffassung muss der Therapeut
Menschen, die sich in psychischen Schwierigkeiten befinden? Dazu ist natürlich mehr Dinge aus dem Weg räumen, die die Entfaltung dieser autonomen Prozesse behin­
erforderlich als Unterstützung und Akzeptieren. Therapeuten lernen schon in ihrer dern.55 Heutige Verständnismodelle bestätigen die Bedeutung dieses Prinzips. Klienten
Ausbildung, dass Liebe allein nicht genügt. Zwar spielt die Qualität der Beziehung zwi­ begeben sich häufig in eine Therapie, um pathogene Überzeugungen zu widerlegen,
schen Therapeut und Klient eine wichtige Rolle, aber der Therapeut muss mehr tun, die Wachstum und Entwicklung behindern.56 Alle Menschen haben das Bedürfnis, sich
als nur warmherzig und ehrlich mit dem Klienten zu kommunizieren.52 Die therapeu­ weiterzuentwickeln und die eigenen Möglichkeiten zu nutzen. Als Therapeuten brau­
tische Beziehung schafft jedoch günstige Voraussetzungen für die Entfaltung anderer chen wir diese Qualitäten beim Klienten nicht erst zu beleben (als ob wir das könn­
Prozesse. Welche sind dies genau, und inwiefern sind sie wichtig? ten!). Wir müssen vielmehr beseitigen, was den Wachstumsprozess behindert. Eine
Die tiefen Einsichten von Carl Rogers über die therapeutische Beziehung sind heu­ Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht darin, dass wir in der Therapiegruppe eine für
te so relevant wie vor nun schon fast 50 Jahren. Wir werden uns zunächst mit seinen die therapeutische Arbeit ideale Atmosphäre schaffen. Eine starke Verbindung zwi­
Ansichten über den Handlungsmodus der therapeutischen Beziehung in der Einzel­ schen den Gruppenmitgliedern widerlegt nicht nur an und für sich die Gefühle der
therapie befassen. Im Rahmen seiner sehr systematischen Beschreibungen des Thera­ Einzelnen, wertlos zu sein, sondern verstärkt außerdem ihre Bereitschaft zur Selbst­
pieprozesses legt Rogers detailliert dar, was in einer idealen Therapeut-Klient-Bezie­ offenbarung und zum Eingehen von Risiken im interpersonalen Kontakt. Diese Ver­
hung typischerweise geschieht: änderungen tragen zur Auflösung alter negativer Überzeugungen über die Beziehung
der eigenen Person zur Welt bei.57
1. Der Klient ist immer besser in der Lage, seine Gefühle auszudrücken. Experimentell wurde nachgewiesen, dass guter Rapport in der Einzeltherapie und
2. Er fängt an, die Realität zu prüfen und seine Empfindungen und Wahrnehmungen dessen Gegenstück Kohäsivität in der Gruppentherapie Klienten zur Teilnahme an ei­
über seine Umwelt, sich selbst, andere Menschen und seine Erlebnisse differenzier­ nem Prozess der Reflexion und Selbsterforschung ermutigen. Beispielsweise hat Truax58
ter zu unterscheiden. in einer Studie mit 45 stationären Patienten, die in drei heterogenen Gruppen behan­
3. Ihm wird immer klarer, wie schlecht seine Erlebnisse und seine Vorstellung über delt wurden, gezeigt, dass die Teilnehmer kohäsiver Gruppen in wesentlich stärkerem
sich selbst zusammenpassen. Maße zu tiefer und weitreichender Selbsterforschung bereit waren. 59 Andere Untersu­
4. Er nimmt Gefühle, die er früher geleugnet oder in seinem Bewusstsein verzerrt hat, chungen haben bestätigt, dass die starke Kohäsionskraft einer Gruppe mit einem ho­
allmählich bewusst wahr. hen Maß an Vertrautheit, Risikobereitschaft, empathischem Zuhören und Feedback in
5. Sein Selbstbild, das jetzt früher verzerrte oder geleugnete Aspekte umfasst, stimmt Verbindung gebracht werden kann.60 Wenn den Gruppenmitgliedern klar wird, dass
immer besser mit seinem Erleben überein. sie bei der Arbeit an der Aufgabe des interpersonalen Lernens gute Fortschritte erzie­
6. Er sieht die bedingungslose positive Beachtung des Therapeuten immer un­ len, wirkt sich dies positiv auf eine sich selbst verstärkende Schleife der Förderung von
verzerrter und empfindet auch sich selbst positiver, ohne sich bedroht zu fühlen. Kohäsivität aus.6 1 Die gemeinsame erfolgreiche Bewältigung der Gruppenaufgabe
7. Er erlebt sich immer stärker als im Mittelpunkt. Seine Einschätzungen des Wesens stärkt das Gefühl emotionaler Verbundenheit in der Gruppe.
und des Wertes von Objekten oder Erlebnissen werden immer eigenständiger. Vielleicht ist Kohäsivität deshalb so wichtig, weil vielen unserer Klienten die posi­
8. Seine Reaktionen auf Erlebtes entsprechen nicht mehr in erster Linie seinen Annah­ tive Erfahrung fehlt, in ihrer Kindheit von einer Gruppe Gleichaltriger grundsätzlich
men darüber, wie andere ihn einschätzen, sondern den positiven Auswirkungen der akzeptiert worden zu sein. Deshalb ist es für sie ein neues und wichtiges Erlebnis, von
eigenen Erlebnisse auf seine Entwicklung.53 anderen Gruppenmitgliedern bestätigt zu werden. Außerdem könnte der akzeptieren­
den und verständnisvollen Haltung zwischen den Mitgliedern eine stärkere Kraft und
Zentral für Carl Rogers' Ansichten ist der von ihm entwickelte Begriff der Aktualisie­ eine größere Bedeutung innewohnen als dem Akzeptiertwerden durch den Therapeu­
rungstendenz, einer Tendenz allen Lebens, sich auszudehnen und weiterzuentwickeln ten. Schließlich haben andere Gruppenmitglieder - im Gegensatz zum Therapeuten
- eine Idee, die an frühe philosophische Ansichten anknüpft und vor einem Jahrhun­ - nicht aufgrund ihrer Rolle eine gewisse Verpflichtung, sich um einen Klienten zu
dert von Friedrich Nietzsche klar formuliert wurde. 54 Aufgabe des Therapeuten ist es, kümmern oder ihn zu verstehen.62
fördernd zu wirken und günstige Voraussetzungen für den Selbstausdruck zu schaffen. Die Nähe, die in einer Therapiegruppe entsteht, kann in einer von Technologie be­
Die erste Aufgabe des einzelnen Klienten ist die Selbsterforschung: die Untersuchung herrschten Kultur, die menschliche Beziehungen in jeder Hinsicht - sowohl sozial und
von Gefühlen und Erlebnissen, deren Auftauchen im Bewusstsein er zuvor nicht zu­ beruflich als auch was Wohnung und Freizeit angeht - erbarmungslos enthumanisiert,
gelassen hat. als Gegenkraft verstanden werden.63 In einer Welt, in der traditionelle Grenzen, die Be-

90 91
ziehungen schützen, immer durchlässiger und unbeständiger werden, ist das Bedürfnis nehmungen, und sofern sie in sich schlüssig und kongruent sind, nutzt es die verinner­
nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe und nach einer Gruppenidentität größer denn lichten Einschätzungen als stabilen Maßstab für den eigenen Wert.
je.64 Das tiefe menschliche Erlebnis in der Gruppe kann nach Ansicht von Rogers für Doch abgesehen von dieser inneren Ressource für die Einschätzung des eigenen
den Menschen sehr wertvoll sein. Selbst wenn dabei nichts Greifbares »herauskommt«, Wertes sorgen Menschen sich stets mehr oder weniger stark, wie andere sie wohl im
wenn sich das Verhalten äußerlich nicht ändert, können die Gruppenmitglieder einen Moment beurteilen - wobei das Urteil der Gruppen, denen sie angehören, sie am stärks­
menschlicheren, reichhaltigeren Teil von sich kennenlernen und diesen zu ihrem inne­ ten interessiert. Die sozialpsychologische Forschung bestätigt die klinische Erkenntnis,
ren Bezugspunkt machen. Dies sollte besonders hervorgehoben werden, denn es han­ dass wir die Gruppen und Beziehungen, an denen wir teilhaben, in uns aufnehmen
delt sich dabei um einen der Vorteile der Therapie - und insbesondere der Gruppen­ oder verinnerlichen.69 Die Bindung eines Menschen an eine Gruppe schließt zahlreiche
therapie -, die unser inneres Leben bereichern, auch wenn sie sich nicht unbedingt - Dimensionen ein. Sie wird sowohl vom Vertrauen des Mitglieds darauf, selbst für die
oder zumindest sehr lange nicht - im äußeren Verhalten niederschlagen und somit den Gruppe attraktiv zu sein - von der Frage: »Bin ich für die Gruppe attraktiv?« -, als
Wissenschaftlern und ihren Messungen ebenso entgehen wie den Managern der Ge­ auch von seinem Bedürfnis nach Zugehörigkeit - von der Frage: »Will ich dazugehö­
sundheitsdienstleister, die darüber entscheiden, wie viel therapeutische Betreuung und ren?« - geprägt.
welche Art von Therapie in einem konkreten Fall notwendig sind. Wie stark ein Mensch seinem Ansehen innerhalb der Gruppe ( dem Urteil der Grup­
Dass Gruppenmitglieder einander und sich selbst akzeptieren, steht in engem Zu­ pe über ihn) unterliegt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: davon, für wie wichtig
sammenhang. Sich selbst zu akzeptieren hängt nicht nur von der Fähigkeit ab, andere er die Gruppe hält; davon, wie häufig und spezifisch sich die Gruppe über sein Anse­
zu akzeptieren, sondern man kann andere auch nur dann völlig akzeptieren, wenn hen äußert; und davon, wie wichtig die betreffenden Eigenschaften für das Mitglied
man sich selbst akzeptiert. Dieses Prinzip wird sowohl durch klinische Erfahrung als selbst sind. (Angesichts der in Therapiegruppen üblichen ehrlichen und intensiven
auch durch entsprechende Untersuchungen gestützt. Es kann sein, dass die Mitglieder Selbstoffenbarung sind diese Faktoren den Mitgliedern wahrscheinlich ziemlich wich­
einer Therapiegruppe sich selbst und andere sehr verachten. Ein Ausdruck dieses Ge­ tig, weil diese Charakteristika der menschlichen Kernidentität sehr naheliegen.) Je
fühls ist manchmal die anfängliche Weigerung von Klienten, sich einer »Gruppe von wichtiger die Gruppe dem einzelnen Mitglied ist und je stärker sich dieses mit den
Verrückten« anzuschließen, oder ihr Widerstreben, sich auf eine Gruppe leidender Wertvorstellungen der Gruppe identifiziert, desto mehr neigt es dazu, sich d�m Urteil
Menschen intensiv einzulassen, weil sie fürchten, in einen Sog des Elends hineingezo­ der Gruppe anzuschließen.70 Dieser letzte Punkt ist für die klinische Arbeit von großer
gen zu werden. Eine besonders bewegende Reaktion auf die Aussicht, an einer Grup­ Bedeutung. Je stärker sich ein Einzelner von einer Gruppe angezogen fühlt, desto mehr
pentherapie teilzunehmen, stammt von einem Mann in den Achtzigern, der aufgefor­ Respekt hat er vor dem Urteil der Gruppe und desto schärfer registriert er jede Diskre­
dert wurde, sich einer Gruppe für depressive ältere Männer anzuschließen: Er sagte, es panz zwischen dem eigenen Ansehen und der Selbsteinschätzung des eigenen Wertes,
sei sinnlos, Zeit damit zu vergeuden, einen Haufen abgestorbener Bäume zu wässern und entsprechend ernst nimmt er diese Diskrepanz. Durch das Bestehen einer Diskre­
- dies war seine Metapher für die Männer, die mit ihm zusammen in einem Pflegeheim panz zwischen diesen beiden Aspekten wird das betreffende Mitglied in einen Zustand
lebten.66 kognitiver Dissonanz versetzt, den es zu überwinden versucht.
Nach meiner Erfahrung sind für alle Menschen, die bei einem Psychotherapeuten Nehmen wir nun an, die Diskrepanz tendiert zum Negativen - dass das Urteil der
oder Psychiater Hilfe suchen, insbesondere zwei Probleme typisch: ( 1) Aufbau und Er­ Gruppe über das Mitglied schlechter ausfallt als dessen Selbsteinschätzung. Wie lässt
halt einer bedeutsamen interpersonalen Beziehung und (2) die Aufrechterhaltung des sich die Diskrepanz in einem solchen Fall auflösen? Eine Möglichkeit besteht darin, das
Selbstwertgefühls oder der Selbstachtung. Es ist schwierig, diese beiden eng miteinan­ Urteil der Gruppe zu leugnen oder zu verzerren. Wenn das in einer Therapiegruppe
der verbundenen Phänomene getrennt zu beschreiben, doch da ich mich im vorigen geschieht, entsteht ein Teufelskreis: Zunächst beurteilt die Gruppe das Mitglied
Kapitel stärker auf den Aufbau interpersonaler Beziehungen konzentriert habe, möch­ schlecht, weil es sich nicht für die Arbeit der Gruppe engagiert (was in einer Thera­
te ich mich nun kurz mit der Selbstachtung beschäftigen. piegruppe bedeutet, sich selbst und die eigenen Beziehungen zu anderen aktiv zu er­
Selbstachtung und das Ansehen anderer sind stark miteinander verbunden.67 Der forschen). Jede Verstärkung der Defensivhaltung und der Kommunikationsprobleme
Begriff Selbstachtung bezeichnet, wie ein Mensch seinen eigenen Wert einschätzt. Die schwächt das Ansehen des betreffenden Gruppenmitglieds zusätzlich. Häufig versu­
Selbstachtung ist unauslöschlich von den Erlebnissen des Betreffenden in früheren so­ chen Gruppenmitglieder auch, mit einer solchen Diskrepanz fertig zu werden, indem
zialen Beziehungen geprägt. Vielleicht erinnern Sie sich noch an Sullivans Äußerung: sie den Wert der Gruppe herabsetzen - beispielsweise in Form der Erklärung, die
»Man kann sagen, dass das Selbst aus gespiegelten Beurteilungen besteht.«68 Anders Gruppe sei künstlich zusammengestellt oder bestehe aus lauter stark gestörten Men­
ausgedrückt: Wie Menschen in der Frühzeit ihrer Entwicklung die Einstellungen ande­ schen, und indem sie anschließend einen für diese »künstliche« Gruppe ungünstig aus­
rer ihnen gegenüber wahrnehmen, beeinflusst, wie die Betreffenden sich später selbst fallenden Vergleich zu irgendeiner Ankergruppe (beispielsweise einer sozialen oder be­
sehen, sich bewerten und beurteilen. Das Individuum verinnerlicht viele dieser Wahr- ruflichen Gruppe) ziehen, die sie anders beurteilen. Gruppenmitglieder, die dies ver-

92 93
suchen (beispielsweise die in Kapitel 8 beschriebenen Gruppenabweichler), verlassen Wesentlich häufiger kommen in Therapiegruppen Diskrepanzen entgegengesetzter
die Gruppe meist vorzeitig. Art vor: Die Gruppe hat ein positiveres Bild von einem ihrer Mitglieder als dieses von
Gegen Ende einer erfolgreich verlaufenen Gruppentherapie stellte eine Klientin sich selbst. Auch in diesem Fall entsteht ein Zustand der Dissonanz, den das betreffen­
ihre Erinnerungen an ihre Zeit in der Gruppe wie folgt dar: »Meist habe ich mir einge­ de Mitglied aufzulösen versucht. Was kann man, wenn man sich in dieser Situation be­
redet, dass ihr alle verrückt wärt und dass das Feedback, das ihr mir wegen meiner De­ findet, tun? Vielleicht sorgt der Betreffende dafür, dass sein Ansehen leidet, indem er
fensivhaltung und meiner Verschlossenheit gegeben habt, lächerlich sei. Ich wollte da­ eigene Unzulänglichkeiten bekennt. Allerdings kann dies in Therapiegruppen das Ge­
mals aufgeben; das hatte ich vorher schon oft getan. Aber diesmal fühlte ich mich der genteil des Beabsichtigten bewirken, nämlich das Ansehen noch vergrößern - denn
Gruppe so verbunden, dass ich beschloss zu bleiben. Dann sagte ich mir, dass ihr mit Fehler und Mängel zu bekennen wird in Therapiegruppen häufig sehr geschätzt. Ein
euren Ansichten über mich eigentlich nicht völlig danebenliegen könntet. Das war der weiteres mögliches und therapeutisch positives Szenario besteht darin, dass Gruppen­
entscheidende Wendepunkt in meiner Therapie.« Dies ist ein Beispiel für die Anwen­ mitglieder ihr schwaches Selbstwertgefühl untersuchen und verändern. Um diese
dung der therapeutischen Methode des Auflösens der Diskrepanz, die in einer Gruppe ziemlich theoretisch klingende Beschreibung etwas anschaulicher zu machen, möchte
für das einzelne Gruppenmitglied entsteht. Sie beinhaltet, das eigene Ansehen zu stär­ ich nun ein passendes klinisches Beispiel anführen.
ken, indem man die von der Gruppe kritisierten Verhaltensweisen und Einstellungen
verändert. Diese Methode ist eher erfolgversprechend, wenn ein Gruppenmitglied sich Ma rietta, eine 34-jäh rige Ha usfra u, die i n i h rem Leben frü h u nter mangelnder emotio­
von einer Gruppe stark angezogen fühlt, wobei die Stärke des Ansehens in der Gruppe naler Zuwe n d u ng gel itten hatte, wa r wegen Ängsten u nd Schuldgefü h len, die d u rch
dem Selbstwertgefühl des Betreffenden entsprechen sollte. i h re a ußerehelichen Liebesaffä ren entstan d e n waren , z u r Thera pie geko m m e n . I h r
Aber ist die Nutzung von Gruppendruck zur Veränderung des Verhaltens oder der Sel bstwertgefü h l war u ngewö h n l ich schwach; n ichts wa r von i h rer Sel bstverachtung
Einstellungen eines Mitglieds nicht vielleicht eine Form von Sozialkonstruktion (social a u sgenommen - weder i h re ä u ßere Ersch e i n u ng noch i h re I ntelligenz, i h re Art zu spre­
engineering)? Ist diese Methode nicht zu mechanistisch? Werden dabei nicht die tiefe­ chen, i h re Fantasielosigkeit und erst recht nicht, wie sie i h re Pfl ichten als E h efra u u nd
ren Ebenen der Integration vernachlässigt? Tatsächlich nutzt die Gruppentherapie Mutter erfü l lte. Obwohl sie a u s i h rer Zugehörigkeit zu einer Rel igionsgemeinschaft
lerntheoretische Prinzipien; Psychotherapie in all ihren Varianten ist im Grunde eine einen gewissen Trost zog, wa r d ies i nsofern ein zweifel hafter Segen, wei l sie g l a u bte,
Form des Lernens. Selbst Therapeuten, die kaum direktiv arbeiten, nutzen unbewusst sie sei es nicht wert, m it andere n Gemeindemitgliedern gesel lschaftl ichen U mgang zu
Techniken der operanten Konditionierung: Sie signalisieren ihren Klienten, welches pflegen. Sie hei ratete einen M a n n, den sie, obwo h l er sie a nwiderte, fü r einen guten
Verhalten und welche Einstellungen sie für wünschenswert halten, ganz gleich, ob sie Ma n n hielt - z u m i ndest gut gen ug fü r sie. N u r in i h ren sexuellen Affä ren, u nd i n s be­
dies nun explizit zum Ausdruck bringen oder ob sie es subtil andeuten.7 1 sondere wen n sie zu mehreren Män nern gleichzeitig sexuelle Bezieh u ngen u nterhielt,
Dies beinhaltet jedoch nicht, dass wir uns eine explizit behaviorale, mechanistische lebte sie auf. Aussch ließlich i n d iesen Situationen h atte sie das Gefü hl, attraktiv u nd
Sicht des Klienten zu eigen machen. Aversive oder operante Konditionierung von Ver­ begehrenswert zu sein und a n deren etwas geben zu kön nen, das diese schätzten. Doch
haltensweisen und Einstellungen ist nach meiner Meinung als isolierte Technik weder widersprach d ieses Verha lten i h rer rel igiösen Ü berzeugung u nd fü h rte dazu, dass sie
praktikabel noch wirksam. Obgleich Klienten oft über dauerhafte Besserung berichten, starke Angst beka m und i h re Selbsthera bsetz u n g noch verstärkte.
nachdem ein belastendes Problem mithilfe verhaltenstherapeutischer Techniken auf­ Der Thera peut, der die Gru ppe a l s e i n e n sozialen M i k ro kosmos versta nd, bemerkte
gelöst wurde, ergibt eine genauere Untersuchung eines solchen Prozesses regelmäßig, bald deutliche Eigenarten von Ma riettas Verha lten in der Gru ppe. Sie sprach oft ü ber
dass dabei wichtige interpersonale Beziehungen eine Rolle gespielt haben. Entweder die Sch u l dgefüh le, d ie sie a ufgrund i h res Sexualverhaltens plagten, u nd die G r uppe
war die Beziehung zwischen Therapeut und Klient in der behavioralen oder kognitiven befasste sich viele Stu nd e n lang m it den za h l reichen pika nten E i nz e l h e iten i h re r
Therapie wichtiger, als dem Therapeuten klar war ( und uns liegen Studien vor, die schwierigen Situation. Ansonsten t r u g sie nicht v i e l z u m Gru ppengeschehen bei, son­
eben dies bestätigen);72 oder die Symptomlinderung hat in den sozialen Beziehungen dern zog sich mehr oder wen iger in sich sel bst zu rück. Ihr Kontakt zur G ruppe ä h nelte
des Klienten wichtige Veränderungen herbeigeführt, die sich positiv auf das Befinden d e m Kontakt zu ihrem sozia len U mfeld. Sie fü h lte sich zwar zugehörig, konnte a ber z u
des Klienten auswirken und die so erreichten Besserungen auch erhalten. Ich habe d e n anderen Menschen n icht i n Bezie h u ng treten : Das E i n zige, was s i e nach i hrer eige­
schon wiederholt darauf hingewiesen, dass sämtliche therapeutischen Faktoren in nen Mei n u ng a nderen I nteressa ntes zu bieten hatte, waren i h re Genita lien.
Wahrheit eng miteinander verbunden und ineinander verwoben sind. Verhaltens- und Im laufe der Zeit fing sie an, i n der G ruppe auf Fragen a n derer zu a ntworten und posi­
Einstellungsveränderungen, ganz gleich, wodurch sie eintreten mögen, führen stets zu tive Zuwendu ng, U nterstützu ng u nd Feedback zu geben . Sie offenbarte nicht sexuelle
weiteren Veränderungen. Die Gruppe ändert ihr Urteil über ein Mitglied; dieses fühlt Aspekte von sich u nd sprach ü ber viele Probleme, m it denen sie i n i h re m Leben kon ­
sich daraufhin zufriedener mit sich selbst in der Gruppe und auch mit der Gruppe; so frontiert wurde. i nfolge dieser E ntwick l u n g wurd e sie von den a ndere n G ruppen m it­
nimmt die im vorigen Kapitel beschriebene Spirale der Anpassung ihren Anfang. gliedern zunehmend geschätzt. Nach einer Wei l e ü berprüfte sie i h re Ü berzeugu ng, sie

94 95
habe anderen n ichts zu bieten. Die Diskrepa nz zwischen der Anerkenn u ng, die sie i n meinsamen Freizeitaktivitäten eingeladen wurden und die mit anderen Mitgliedern
d e r Gru ppe genoss, u n d i h rer Sel bsteinschätzu ng wurde noch größer, u nd schon bald gut zusammenarbeiten konnten, wurden von der Gruppe geschätzt. Eine klinische
sah sie sich vera n lasst, eine realistischere und positivere Selbstsicht zu entwickeln. All­ Studie über die beliebtesten und am wenigsten beliebten Gruppenmitglieder ergab,
m ä h l ich entsta nd eine S pi rale der positiven An passung: Sie ba ute sowohl in a l s a uch dass erstere Mitglieder meist jung, gebildet und intelligent waren und über die Fä­
a u ßerhalb der Gruppe tiefe nicht sexuelle Beziehu ngen a Lif, die wiederu m ihr Sel bst­ higkeit zur Introspektion verfügten. Die Betreffenden füllten das Führungsvakuum
wertgefü hl stä rkten. aus, das zu Beginn der Gruppenarbeit auftritt, wenn der Therapeut es ablehnt, die
traditionelle Leiterrolle zu übernehmen.78
Je deutlicher eine Therapie das negative Selbstbild eines Klienten durch neue Be­
ziehungserlebnisse widerlegt, umso wirksamer ist sie.73 Am unbeliebtesten waren starrsinnige, übertrieben auf Moralgrundsätzen beharren-
de, nicht introspektiv veranlagte Mitglieder, die sich zudem kaum an der Arbeit der
Selbstachtung, Ansehen bei anderen Menschen und therapeutische Veränderung Gruppe beteiligten. Manche waren ausgeprägte Quertreiber, die die Gruppe angriffen
- Forschungsergebnisse und sich isolierten. Einige schizoide Mitglieder fürchteten sich vor dem Gruppenpro­
Die Gruppentherapieforschung hat die Beziehung zwischen der Achtung, die andere zess und blieben deshalb am Rande des Gruppengeschehens. Eine Untersuchung mit
einem Klienten zollen, und Veränderungen der Selbstachtung bisher nicht untersucht. 66 Teilnehmern von Gruppentherapien ergab, dass die weniger beliebten Mitglieder
Allerdings führten Studien mit Selbsterfahrungsgruppen (siehe Kapitel 16) zu der in­ (die von den anderen weniger positiv gesehen wurden) die Gruppe häufiger vorzeitig
teressanten Entdeckung, dass das Selbstwertgefühl eines Gruppenmitglieds schwächer verließen.79
wurde, wenn sein Ansehen in der Gruppe abnahm.74 (Das Ansehen in der Gruppe wird Sozialpsychologisch orientierte Forscher haben auch untersucht, welche Eigen­
mithilfe soziometrischer Daten gemessen; zu diesem Zweck werden die Gruppenmit­ schaften den Mitgliedern gesellschaftlicher Gruppen zu einem höheren Status verhel­
glieder gebeten, einander hinsichtlich verschiedener Variablen zu beurteilen und auf fen. Das Persönlichkeitsmerkmal Extravertiertheit (gemessen mithilfe eines Persön­
einer Rangordnungsskala einzuordnen.) Außerdem entdeckten die Forscher, dass Kli­ lichkeitsfragebogens, des NEO-PI) 80 ist ein sehr zuverlässiger Prädiktor für Beliebt­
enten von den anderen Gruppenmitgliedern umso stärker akzeptiert wurden, je gerin­ heit.8 1 Extravertiertheit wird mit den Charakterzügen aktiven und energischen sozialen
ger sie selbst ihr Ansehen in der Gruppe einschätzten. Demnach verstärkt die Fähig­ Engagements in Verbindung gebracht - das heißt, die betreffende Person ist generell
keit, den eigenen Mängeln ins Gesicht zu sehen oder sich sogar ein wenig zu hart zu optimistisch und emotional stabil. Depues neurobiologischer Untersuchung82 zufolge
beurteilen, das Ansehen eines Gruppenmitglieds innerhalb seiner Gruppe. Demut ist, laden solche Menschen andere ein, sich ihnen zu nähern. Die anziehend wirkende
wenn sie sich in gewissen Grenzen hält, wesentlich anpassungsfördernder als Arro­ Willkommensreaktion des Extravertierten belohnt und verstärkt das Aufnehmen einer
ganz. Verbindung zu ihm.
Interessant ist auch, sich die Angaben über die Beliebtheit der einzelnen Mitglieder Die von Lieberman, Yalom und Miles durchgeführte Studie über Encountergrup­
einer Gruppe genauer anzuschauen - eine Variable, die derjenigen des Ansehens in der pen bestätigte diese Erkenntnisse.83 Die soziometrischen Daten zeigten, dass die Mit­
Gruppe eng verwandt ist. Die Gruppenmitglieder, die von den anderen nach sechs und glieder mit positiveren Behandlungsergebnissen innerhalb der Gruppe mehr Einfluss
nach zwölf Therapiewochen als die beliebtesten bezeichnet worden waren, hatten am hatten und dass ihr Verhalten mit den in Encountergruppen hochgeschätzten Werten
Ende des Jahres ein deutlich besseres Therapieresultat als die übrigen.75 Demnach fällt Risikobereitschaft, Spontaneität, Offenheit, Selbstoffenbarung, Ausdruck von Gefühlen
bei Klienten, die schon zu Beginn der Arbeit in der Gruppe sehr angesehen sind, das sowie Förderung und Unterstützung der Gruppe im Einklang stand. Erkenntnisse so­
Resultat der Behandlung mit ziemlicher Sicherheit wesentlich besser aus als bei ande­ wohl aus der klinischen als auch aus der sozialpsychologischen Kleingruppenforschung
ren. zeigen, dass diejenigen unter den Gruppenmitgliedern beliebt und einflussreich sind,
Aufgrund welcher Faktoren werden Klienten in Therapiegruppen beliebt? Die fol­ die sich am striktesten an die geltenden Gruppennormen halten.84 Mitgliedern, die der
genden drei Variablen standen zwar zum Behandlungsergebnis in keiner Korrelation, Gruppe helfen, ihre Aufgaben zu erfüllen, wird ein höherer Status eingeräumt.85
aber in einer signifikanten zum Faktor Beliebtheit: Zusammenfassend können wir feststellen, dass beliebte und einflussreiche Mitglie­
der von Therapiegruppen sich mit höherer Wahrscheinlichkeit verändern. Ihre Be­
1. Vorangegangene Selbstoffenbarung.76 liebtheit und ihr Einfluss in der Gruppe basieren auf aktiver Teilnahme, Selbstoffenba­
2. Interpersonale Harmonie: 77 Klienten mit interpersonalen Bedürfnissen, die mit rung, Selbsterforschung, Ausdruck von Gefühlen, Vermeiden von Defensivhaltungen,
denjenigen der anderen Gruppenmitglieder (möglicherweise zufällig) im Einklang übernehmen von Führungsaufgaben, Interesse an anderen und Unterstützung der
stehen, sind in der betreffenden Gruppe beliebt. Gruppe.
3. Weitere soziometrische Maße: Auch Gruppenmitglieder, die von anderen oft zu ge- Doch werden Gruppenmitglieder, die sich den Gruppennormen entsprechend ver-

96 97
halten, nicht nur durch höheres Ansehen innerhalb der Gruppe belohnt, sondern sie men werden, beginnt danach gewöhnlich eine lange Phase der Stabilität, in der die ent­
können die gleiche soziale Kompetenz auch nutzen, um interpersonale Probleme zu scheidende therapeutische Arbeit stattfindet. Bei einigen Gruppen beginnt diese Phase
bewältigen, mit denen sie außerhalb der Gruppe konfrontiert werden. Somit wirkt der Stabilität offenbar schon früh, wohingegen andere sie nie erreichen. Manchmal
größere Beliebtheit in der Gruppe in zweierlei Hinsicht therapeutisch: indem sie das animieren Aussteiger auch andere Gruppenmitglieder zum vorzeitigen Ausstieg, und
Selbstwertgefühl stärkt und indem sie die Entwicklung anpassungsfördernder sozialer es kommt vor, dass Klienten die Arbeit kurz nach dem Ausscheiden eines für sie wich­
Kompetenzen begünstigt. Die Reichen werden reicher. Die Kunst in der Gruppenthe­ tigen Gruppenmitglieds abbrechen. In einer Follow-up-Untersuchung zu einer Grup­
rapie besteht darin, den Armen zu helfen, ebenfalls reicher zu werden. pentherapie wiesen die Befragten oft spontan darauf hin, dass ein stabiler Mitglieder­
bestand für den Erfolg einer Gruppe sehr wichtig sei.9 1
Gruppenkohäsivität und Teilnahme an den Gruppensitzungen In Kapitel 1 5 werde ich mich mit der Kohäsivität von Gruppen beschäftigen, die in
Die regelmäßige Teilnahme an den Gruppensitzungen ist natürlich notwendig, sie ga­ klinischen Situationen zusammenkommen, in denen die langfristige Zusammenarbeit
rantiert aber nicht den Behandlungserfolg. Aus mehreren Untersuchungen geht her­ in einer bestimmten Teilnehmerkonstellation ausgeschlossen ist. Beispielsweise haben
vor, dass Klienten, die eine Gruppentherapie vorzeitig beenden, wenig von dieser pro­ Kriseninterventionsgruppen oder Gruppen für stationär behandelte Akutpatienten so
fitieren.86 Im Rahmen einer Studie begründeten über 50 Klienten, die ihre Teilnahme gut wie nie einen stabilen Mitgliederbestand, und zwar oft nicht einmal in zwei auf­
an langfristig angelegten Therapiegruppen während der ersten zwölf Sitzungen abbra­ einanderfolgenden Sitzungen. In solchen Fällen müssen Therapeuten ihre Erwartun­
chen, ihre Entscheidung damit, dass sie in den-Gruppen irgendeine Art von Belastung gen bezüglich der Lebensdauer und der Entwicklung der Gruppe radikal den realen
erlebt hätten. Sie waren mit dem Geschehen in der Gruppe nicht zufrieden, und ihre Gegebenheiten anpassen. Beispielsweise ist nach meiner Auffassung die angemessene
persönliche Situation hatte sich auch nicht gebessert; viele fühlten sich sogar schlechter Lebensdauer einer Gruppe für stationär behandelte Akutpatienten eine einzige Sit­
als vorher. 87 Hingegen profitieren Klienten, die mindestens einige Monate lang in einer zung. Der Therapeut muss versuchen, innerhalb dieser einen Sitzung so effizient wie
Gruppe bleiben, mit hoher (einer Studie zufolge 85-prozentiger) Wahrscheinlichkeit möglich zu arbeiten und so vielen Klienten wie möglich zu helfen.
von der Therapie.88 Kurzzeittherapiegruppen zahlen für eine unregelmäßige Teilnahme ihrer Mitglieder
Je attraktiver eine Gruppe für ein Mitglied ist, desto höher ist die Wahrscheinlich­ einen besonders hohen Preis, und Therapeuten, die mit solchen Gruppen arbeiten,
keit, dass es in der Gruppe bleibt - dies gilt für Therapiegruppen, Encountergruppen, müssen sich besonders große Mühe geben, um die Kohäsivität der Gruppe schon zu
Laborgruppen (die für die Durchführung einer bestimmten Untersuchung zusam­ einem frühen Zeitpunkt zu verbessern. Entsprechende Strategien ( darunter eine
mengestellt werden) sowie aufgabenorientierte Gruppen (deren Ziel esist, eine be­ gründliche Vorbereitung auf die Gruppenarbeit, eine homogene Teilnehmerzusam­
stimmte Aufgabe auszuführen) . 89 In der Encountergruppen-Studie von Lieberman, menstellung und strukturierte Interventionen)92 werden in Kapitel 15 erläutert.
Yalom und Miles wurde eine starke Korrelation zwischen geringer Gruppenbindung
(individueller Kohäsivität) und vorzeitigem Ausscheiden aus der Gruppe festgestellt.90 Gruppenkohäsivität und Ausdruck von Feindseligkeit
Das Zugehörigkeitsgefühl der »Aussteiger« war sehr schwach, und sie verließen die Es wäre völlig verfehlt, Kohäsivität mit einem allgemeinen Gefühl der Zufriedenheit
Gruppe in den meisten Fällen, weil sie sich von der Gruppe abgelehnt, angegriffen oder gleichzusetzen. Zwar sind Gruppen mit starker Kohäsionskraft akzeptierender und
mit ihr nicht verbunden fühlten. vertrauter miteinander, doch ermöglichen sie auch eine schnellere Entwicklung und ei­
Die Beziehung zwischen Kohäsivität (bzw. Gruppenbindung) und dem Verbleib in nen stärkeren Ausdruck von Feindseligkeit und Konflikten. In kohäsiven Gruppen gibt es
der Gruppe hat auch Implikationen für die Gruppe als Ganzes. Es ist nicht nur so, dass ungeschriebene Regeln darüber, welche Art von Verhalten von den Gruppenmitglie­
gewöhnlich die Mitglieder mit der geringsten Gruppenbindung die Arbeit mit der dern akzeptiert wird. Diese Normen ermutigen zum offenen Ausdruck von Meinungs­
Gruppe vorzeitig abbrechen und von der Therapie nicht profitieren, sondern Gruppen verschiedenheiten oder Konflikten und wirken gleichzeitig unterstützend. Wenn es in
mit schwacher Kohäsionskraft, deren Mitglieder stark fluktuieren, erweisen sich auch einer Gruppe nicht möglich ist, Feindseligkeit offen zum Ausdruck zu bringen, können
für die verbleibenden Mitglieder als therapeutisch unwirksamer. Klienten, die ihre sich verdeckte feindselige Einstellungen verfestigen und die Entwicklung von Kohäsi­
Gruppe vorzeitig verlassen, stellen dadurch das Selbstwertgefühl und die Effektivität vität und das interpersonale Lernen behindern. Werden feindselige Regungen nicht
der Gruppe infrage. ausgedrückt, schwelen sie innerlich weiter und äußern sich indirekt in vielerlei For­
Beständige Teilnahme an der Gruppenarbeit und möglichst wenig Fluktuation der men, die dem Prozess der Gruppentherapie nicht förderlich sind. Es ist nicht leicht,
Teilnehmer sind unverzichtbare Voraussetzungen für eine effektive interaktionsorien­ mit jemandem, den man nicht mag oder gar hasst, weiter ehrlich zu kommunizieren.
tierte Gruppentherapie sowohl bei Kurzzeit- als auch bei Langzeitgruppen. Obwohl die Die Versuchung, den anderen zu meiden und die Kommunikation mit ihm abzubre­
meisten Therapiegruppen am Anfang eine instabile Phase durchleben, in deren Verlauf chen, ist sehr groß. Doch wenn die Kommunikationskanäle verschlossen bleiben, kön­
einige Mitglieder ausscheiden und als Ersatz für sie andere in die Gruppe aufgenom- nen Konflikte nicht gelöst werden, und das persönliche Wachstum stagniert.

98 99
Dies gilt auf der Ebene großer - und sogar nationaler - Gruppen ebenso wie in Be­ Deshalb ist es nur logisch, dass die Mitglieder ethnischer oder rassischer Gruppen, in
ziehungen zwischen zwei Menschen. Das berühmte Robbers'-Cave-Experiment, das in die Angehörige anderer Gruppen niemals aufgenommen werden können, oft mit
der Anfangszeit gruppendynamischer Forschung' durchgeführt wurde, hat experimen­ Feindseligkeit konfrontiert werden. Welche Implikationen dies für internationale Kon­
telle Beweise geliefert, die für die klinische Arbeit noch immer wichtig sind.93 Eine flikte hat, liegt auf der Hand: Feindseligkeiten zwischen Gruppen können in schwer­
Gruppe gut angepasster elfjähriger Jungen in einem Ferienheim wurde zu Beginn des wiegenden weltweiten Krisen, die sich nur durch supranationale Zusammenarbeit ab­
gemeinsc:imen Aufenthalts in zwei Gruppen unterteilt, die in verschiedenen Wettkämp­ wenden lassen, bedeutungslos werden - beispielsweise durch die weltweite Umwelt­
fen gegeneinander antraten. Schon bald entstanden in den beiden Gruppen eine starke verschmutzung und die damit verbundenen Gefahren oder durch eine Aids-Epidemie,
Kohäsionskraft und ein tiefes Gefühl der Feindschaft gegenüber der anderen Gruppe. die sich in allen Ländern ausbreitet. Die genannten Prinzipien sind jedoch auch für die
Sinnvolle Kommunikation zwischen den beiden Gruppen wurde völlig unmöglich. Ka­ klinische Arbeit mit kleinen Gruppen wichtig.
men sie einander beispielsweise in der Kantine räumlich nahe, wurden die Gruppen­ Konflikte zwischen Gruppenmitgliedern, die im Laufe des Therapieprozesses auf­
grenzen strikt gewahrt. Die Kommunikation zwischen ihnen bestand in Sticheleien, treten, müssen eingegrenzt werden. Vor allem darf nicht zugelassen werden, dass die
Beleidigungen und dem gegenseitigen Beschießen mit Papierkugeln. Kommunikation völlig abbricht, und die Kontrahenten müssen dazu angehalten wer­
Wie konnte zwischen den Mitgliedern der beiden Gruppen wieder eine sinnvolle den, weiterhin auf sinnvolle Weise zusammenzuarbeiten. Sie müssen die Verantwor­
Kommunikation ermöglicht werden? Alle Bemühungen der Forscher zielten darauf, tung für ihre Äußerungen übernehmen und bereit sein, ihre gegenseitigen Beschimp­
diese Frage zu beantworten. Schließlich entdeckten sie eine Möglichkeit, die sich als fungen einzustellen. Natürlich unterscheidet sich hier eine Therapiegruppe stark von
erfolgreich erweisen sollte. Die Feindseligkeit zwischen den beiden Gruppen ließ sich Gruppen im normalen Leben, denn bei Letzteren führen Konflikte oft zum dauerhaf­
verringern, wenn es gelang, in beiden ein Gefühl der Loyalität gegenüber einer einzigen ten Abbruch der Beziehungen. Wenn Klienten in ihrer Therapie beschreiben, welches
Großgruppe zu wecken. Die Forscher entwickelten übergeordnete Ziele, die die Gren­ Ereignis für sie das wichtigste Erlebnis war (siehe Kapitel 2), geht es dabei meist um
zen zwischen den beiden Kleingruppen durchbrachen und alle Jungen zwangen, als den Ausdruck eines starken negativen Affekts in einer Situation, in der es ihnen gelang,
eine Großgruppe zusammenzuarbeiten. Beispielsweise fuhr an einem Tag ein Lastwa­ den Sturm durchzustehen und die Beziehung zu dem anderen Gruppenmitglied (oft
gen, der den Proviant für eine zweitägige Wanderung beförderte, in einen Graben und sogar auf befriedigendere Weise) fortzusetzen.
konnte nur durch die gemeinschaftlichen Bemühungen aller Jungen wieder fahrbereit In solchen Fällen kommt es sehr darauf an, wie stark die Kohäsivität in der Gruppe
gemacht werden; und ein Film, den sich alle Mitglieder beider Gruppen gern anschau­ ist. Die Gruppe und ihre Mitglieder müssen einander so viel bedeuten, dass sie bereit
en wollten, konnte nur ausgeliehen werden, wenn alle Geld zusammenlegten, um die sind, das mit dem Durcharbeiten des Konflikts verbundene Unbehagen zu ertragen.
Leihgebühr aufzubringen; und als einmal die Wasserversorgung ausfiel, konnte sie nur Gruppen mit starker Kohäsionskraft gleichen in gewisser Hinsicht Familien, in denen
repariert werden, wenn alle mithalfen. zahlreiche erbitterte Kämpfe toben, deren Mitglieder aber trotzdem starke Loyalität
Das Streben nach Zugehörigkeit kann in Gruppen starke Emotionen hervorrufen. füreinander empfinden.
Mitglieder, die sich alles, was in der Gruppe geschieht, sehr zu Herzen nehmen, stehen Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass Kohäsivität in einer positiven Korre­
manchmal unter einem starken inneren Druck, sich von allen und allem außerhalb der lation zu Risikobereitschaft und intensiver Interaktion steht.95 Somit ist sie nicht iden­
Gruppe abzuschotten und alle diese Personen und Objekte abzuwerten.94 Nicht selten tisch mit Liebe oder einem permanenten Strom unterstützender, positiver Äußerun­
entwickeln Menschen Vorurteile gegen Gruppen, denen sie nicht angehören können. gen. Gruppen mit starker Kohäsionskraft lassen sich auf Konflikte ein und ziehen Nut­
zen daraus. Weil Methoden zur Einschätzung der Kohäsivität, die Warmherzigkeit,
* Der Begriff Dynamik wird im psychotherapeutischen Vokabular sehr häufig benutzt. Er hat eine all­
Behagen und Unterstützung zum Maßstab nehmen, im Falle eines akuten Konflikts
tagssprachliche und eine fachsprachliche Bedeutung und leitet sich vom griechischen Wort dunasthi,
»Macht oder Kraft haben«, her. Im umgangssprachlichen Sinne bezeichnet der Begriff Energie oder vorübergehend unbrauchbar werden, haben viele Forscher große Vorbehalte dagegen,
Bewegung (beispielsweise wenn es um einen dynamischen Fußballspieler oder Redner geht), in der den Faktor Kohäsivität als eine präzise, stabile, messbare, eindimensionale Variable zu
psychotherapeutischen Fachsprache bezeichnet er die Vorstellung von »Kräften«. Wenn in der Einzel­ verstehen, und sie wollen ihn stattdessen multidimensional verstanden wissen.96
therapie von der »Psychodynamik« eines Klienten die Rede ist, meinen wir damit die verschiedenen
Sobald die Gruppe in der Lage ist, mit Konflikten zwischen ihren Mitgliedern
und widersprüchlichen Kräfte in der Persönlichkeit, durch die bestimmte Konfigurationen von er­
lebten Gefühlen und Verhaltensweisen entstehen. Seit Freud ist es üblich geworden anzunehmen, dass konstruktiv umzugehen, wird die therapeutische Arbeit in vielerlei Hinsicht effektiver.
einige gegensätzliche Kräfte auf unterschiedlichen Bewusstseinsebenen existieren - dass manche sich Ich habe bereits darauf hingewiesen, wie wichtig Katharsis, das Eingehen von Risiken,
völlig außerhalb des Bewusstseins befinden und aufgrund des Verdrängungsmechanismus in das dy­ das allmähliche Erforschen zuvor gemiedener oder unbekannter Bereiche der eigenen
namische Unbewusste verbannt sind. In der Gruppenarbeit bezeichnet der Begriff Dynamik ange­
nommene unsichtbare Konstrukte oder Gruppeneigenschaften (beispielsweise Kohäsivität, Gruppen­
Persönlichkeit sowie die Erkenntnis, dass die erwartete und gefürchtete Katastrophe
druck, Sündenbocksuche, Herausbildung von Untergruppen), die die Bewegungen der Gruppe als nur in der Fantasie existiert, sind. Viele Klienten haben starke Angst vor Wut - vor ih­
Ganzes beeinflussen. rer eigenen ebenso wie vor der anderer. Eine Gruppe mit starker Kohäsionskraft leitet

100 101
ihre Mitglieder dazu an, den Schmerz, den interpersonales Lernen hervorrufen kann, Sch l ießlich erkan nten sie a uch, wie viel sie einander sowohl persönlich als a uch sym­
zu ertragen. bolisch bedeuteten. Jea n wünschte sich verzweifelt, von Susan gebill igt zu werden;
Doch ist zu bedenken, dass die frühe Auseinandersetzung mit der Problematik spä­ Susan beneidete Jean zutiefst u m d i e Freiheit, die sie sel bst sich niema ls zugestanden
teres erfolgreiches Durcharbeiten erst ermöglicht.97 Der exzessive Ausdruck von Feind­ hatte. Wä hrend des Durcha rbeitens erlebten beide i h re sta rke Wut, und sie lernten
seligkeit, bevor die Gruppe eine gewisse Kohäsivität entwickelt hat, ist einer der wich­ Anteile i h rer Persön l ichkeit ken nen und zu a kzeptieren, die ih nen vorher u n beka n nt
tigsten Gründe für das Zerfallen von Gruppen. Klienten müssen erkennen, dass ihre gewesen waren. Sch ließlich gelang es ihnen, eina nder empathisch zu verstehen und zu
Wut nicht tödlich wirkt. Sowohl sie selbst als auch andere können einen Ausdruck a kzeptieren. Ohne die starke Kohäsionskraft der Gruppe hätte keine der beiden Frauen
ihrer Ungeduld, Gereiztheit und sogar Rage ertragen und durchstehen. Außerdem ist den extrem unangenehmen Konfl ikt ertragen können, denn d iese Kraft band sie trotz
es für manche Klienten wichtig zu erleben, wie sie mit einem Angriff fertig werden. Sie i h res Schmerzes an die Gru ppe.
werden dadurch mit den Voraussetzungen ihres Standpunkts vertrauter, und sie lernen,
dem Druck anderer Widerstand zu leisten.98 Gruppen mit starker Kohäsionskraft machen es ihren Mitgliedern nicht nur leichter,
Ein Konflikt kann auch die Bereitschaft zur Selbstoffenbarung stärken, da die bei­ untereinander Feindseligkeit auszudrücken, sondern sie erleichtern auch den Aus­
den Kontrahenten immer mehr von sich selbst preisgeben, um ihre Position zu ver­ druck von Feindseligkeit dem Gruppenleiter gegenüber. 100 Ganz gleich, wie erfahren
deutlichen. Wenn sie über den bloßen Ausdruck ihrer eigenen Sicht hinauszugehen in Gruppenleiter sind und welchen Stil therapeutischer Arbeit sie persönlich bevorzugen,
der Lage sind, sie die frühere und gegenwärtige Erlebenswelt der anderen zu verstehen empfinden die Mitglieder von Therapiegruppem oft schon während der ersten zwölf
beginnen und sie die Auffassung des anderen aus dessen eigenem Verständnisrahmen Gruppensitzungen eine gewisse Feindseligkeit und Unmut ihnen gegenüber. (In Kapi­
zu sehen vermögen, begreifen sie vielleicht, dass der konträre Standpunkt für den an­ tel 1 1 wird dieses Thema ausführlicher behandelt.) Sie erfüllen die fantasierten Erwar­
deren ebenso angemessen ist wie der eigene für sie selbst. Das Durcharbeiten extremer tungen der Gruppenmitglieder nicht, ihnen liegt angeblich nicht genug an der Gruppe,
Abneigung oder des gegen einen anderen Menschen gerichteten Hasses ist therapeu­ sie leiten die Gruppe nicht stringent genug, und es gelingt ihnen nicht, das Befinden
tisch sehr wertvoll. Folgendes Beispiel aus der klinischen Praxis veranschaulicht viele der Gruppenmitglieder schnell genug zu verbessern. Unterdrücken die Gruppenmit­
der soeben genannten Aspekte ( ein weiteres Beispiel ist in meinem Roman Die Scho­ glieder diese Gefühle der Enttäuschung oder Wut, kann das verschiedene negative Fol­
penhauer-Kur enthalten) . 99 gen haben. Zum einen können sie einen sich anbietenden Sündenbock angreifen - ent­
weder ein anderes Gruppenmitglied oder eine Institution wie »die Psychiatrie« oder
Susan, eine 46-jäh rige sehr korrekte Sch u l leiterin, u n d Jean, e i n e 21-j ä h rige High­ »die Ärzte«. Die Situation der betroffenen einzelnen Gruppenmitglieder oder die der
school-Abbrecherin, hatten sich i n einen heftigen Streit verwickelt. Susan verachtete gesamten Gruppe kann durch eine ständige unterschwellige Gereiztheit gekennzeich­
Jean wegen ihrer freizügigen Lebensweise und ihrer angeblichen Neigu ng zu Fa ul heit net sein. Kurz gesagt können sie Normen einführen, die sie davon abhalten, ihre Ge­
und Promiskuität. Jean wa r wütend ü ber Susa ns vorschnelle Verurteil ungen, ü ber ihre fühle offen auszudrücken. Wenn die Gruppe einen Sündenbock sucht, zeigt das
Scheinheiligkeit, ihre a ltjü ngferlich a n m utende Verbitterung und ihre Versch lossenheit manchmal, dass die Aggression von ihrem eigentlichen Ziel - oft dem Therapeuten -
gege n ü ber dem, was in der rea len Welt geschah. Beide Frauen nahmen die Arbeit i n abgelenkt wird. 10 1 Gruppenleiter, die die Suche nach einem Sündenbock hinterfragen,
d e r Gruppe sehr ernst. (Da bei spielten glückliche U mstä nde e i n e Rol le. J e a n w a r e i n statt sich dieser Tendenz der Gruppe anzuschließen, verhindern nicht nur unfaire An­
J a h r lang eines der tragenden Mitglieder der Gruppe gewesen, hatte d a n n geheiratet griffe, sondern demonstrieren auch, dass authentisches und verantwortliches Verhalten
u n d sich a nschließend d rei Monate l a n g im Ausland aufgehalten. I n d ieser Zeit war in Beziehungen ihnen wichtig ist.
Susan in die Gruppe a ufgenommen worden, und sie hatte sich i n Jeans Abwesenheit Ist eine Gruppe in der Lage, negative Gefühle gegenüber dem Therapeuten auszu­
sehr sta rk engagiert.) drücken, wird sie dadurch fast immer gestärkt. Dies ist eine ausgezeichnete übung in
Beiden Fra uen wa r es in der Verga ngen heit sehr schwergefa llen, Wut zu a kzeptieren direkter Kommunikation und vermittelt eine wichtige Lernerfahrung, nämlich dass
und auszud rücken. Vier Monate lang »bekriegten« sie sich manchmal regelrecht. Bei­ man Feindseligkeit direkt ausdrücken kann, ohne eine schreckliche Katastrophe zu
spielsweise wurde Susan sehr u ngeha lten, als sie merkte, dass Jean sich i l lega l Lebens­ provozieren. Es ist sehr viel besser, wenn der Therapeut, das wahre Objekt der Wut, di­
m ittelmarken besorgte. Und als Jean herausfand, dass Susa n noch Jungfra u war, mach­ rekt angegriffen wird, als wenn die Wut auf ein anderes Gruppenmitglied verschoben
te sie sich ü ber sie lustig und bezeich nete sie als Kuriosum, Museumsstück und Relikt wird. Außerdem kann ein Therapeut eine Konfrontation dieser Art (hoffentlich! ) sehr
aus viktorianischer Zeit. viel besser durchstehen als ein zum Sündenbock abgestempeltes Gruppenmitglied.
In der Gru ppe wurde sehr positive Arbeit geleistet, weil Jean und Susan trotz i h res Dies ist ein sich selbst verstärkender Prozess. Ein gemeinsamer Angriff auf den Grup­
Konflikts nie die Kom m u n i kation abbrachen. Sie lernten einander sehr gut ken nen, und penleiter, der nicht aus einer Defensivhaltung heraus erfolgt und der nicht als Vergel­
sch ließl ich wurde i h nen klar, wie grausam ihre gegenseitigen Verurteilu ngen waren. tungsaktion gemeint ist, stärkt die Kohäsionskraft der Gruppe.

102 103
Als Warnung möchte ich nun noch einige andere Dinge zum Thema Kohäsivität wichtig. Wenn Klienten sich von den anderen Gruppenmitgliedern und von den The­
anmerken: Falsche Vorstellungen über Kohäsionskraft können die Gruppe bei der Er­ rapeuten angenommen und verstanden fühlen, sind sie eher bereit, sich auszudrücken
füllung ihrer Aufgabe behindern. 102 lrving Janis hat den Begriff »Groupthink« (»Grup­ und zu erforschen, sich eigener Wesenszüge, die sie bisher als unakzeptabel angesehen
pendenk«) geprägt, um das Phänomen der »Minderung der mentalen Leistungsfähig­ hatten, bewusst zu werden und sie zu integrieren und zu anderen tiefer in Kontakt zu
keit, der Realitätsprüfung und des moralischen Urteilsvermögens infolge von Grup­ treten. Das Selbstwertgefühl wird durch die Rolle, die ein Klient in einer kohäsiven
pendruck« 103 zu beschreiben. Zielt solcher Druck darauf, einem bestimmten innerhalb Gruppe spielt, stark beeinflusst. Das Sozialverhalten, das Mitglieder zeigen müssen, um
einer Gruppe bestehenden Konsens zu entsprechen und ihn zu erhalten, kann eine von ihrer Gruppe geschätzt zu werden, ist für die Betreffenden auch außerhalb der
»Gruppendenk« fördernde Umgebung entstehen. Diese Art von Kohäsivität basiert je­ Gruppe von Vorteil, weil es die Fähigkeit zur sozialen Anpassung stärkt.
doch nicht auf der therapeutischen Allianz und fördert nicht die Entwicklung der Außerdem sind Gruppen mit starker Kohäsivität stabiler, da ihre Mitglieder regel­
Gruppenmitglieder, sondern sie beruht auf naiven oder regressiven Annahmen über mäßiger an den Gruppensitzungen teilnehmen und die Mitgliedschaft seltener vorzei­
Zugehörigkeit. Gruppenleiter müssen kritisches und analytisches Denken als wichtige tig abbrechen, weshalb auch seltener neue Mitglieder in die Gruppe hineingenommen
Gruppennorm bestätigen und fördern. 1 04 Selbstherrlich, verschlossen und autoritär werden müssen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass diese Stabilität für den Therapie­
auftretende Gruppenleiter versuchen dieses Denken zu unterbinden. Ihre Gruppen erfolg wichtig ist: Gruppenmitglieder, die vorzeitig aus ihrer Gruppe ausscheiden,
neigen dazu, Unsicherheit zu meiden, weniger zu reflektieren und Untersuchungen ziehen keinen Nutzen aus der Gruppenarbeit und behindern außerdem die Arbeit und
verfrüht zu beenden.105 den Therapieerfolg anderer Gruppenmitglieder. Gruppenkohäsivität begünstigt
Selbstoffenbarung, Risikobereitschaft und den konstruktiven Ausdruck von Konflikten
Gruppenkohäsivität und andere therapierelevante Variablen in der Gruppe - Phänomene, die allesamt den erfolgreichen Abschluss der Therapie
Untersuchungen, die mit Therapie- und Laborgruppen durchgeführt wurden, haben fördern.
gezeigt, dass Gruppenkohäsivität noch viele andere für den gruppentherapeutischen Zu klären bleiben die Determinanten der Kohäsivität. Warum ist die Kohäsivität in­
Prozess relevante Auswirkungen hat. 1 06 So hat sich erwiesen, dass die Mitglieder einer nerhalb einer bestimmten Gruppe stark oder schwach? Wie kann man als Therapeut
Gruppe mit starker Kohäsionskraft im Gegensatz zu den Mitgliedern einer Gruppe, die Kohäsionskraft einer Gruppe fördern? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns in
deren Kohäsionskraft gering ist, den Kapiteln, in denen es um die Aufgaben des Gruppentherapeuten und die zu ihrer
1. sich größere Mühe geben, andere Gruppenmitglieder zu beeinflussen; 1 07 Lösung verwendeten Techniken geht.
2. für den Einfluss anderer Gruppenmitglieder offener sind; 108
3. eher bereit sind, anderen zuzuhören 109 und andere zu akzeptieren; 110
4. in der Gruppe mehr Geborgenheit erleben und sich deutlicher von Spannungen be-
freit fühlen; 1 1 1
5. bereitwilliger an den Gruppensitzungen teilnehmen; 112
6. sich stärker offenbaren; 1 1 3
7. die Gruppennormen verteidigen und mehr Druck auf Mitglieder ausüben, die sich
nicht den Gruppennormen entsprechend verhalten; 114
8. weniger anfällig für Beeinträchtigungen der Gruppenarbeit sind, wenn ein Mitglied
die Gruppe verlässt; 1 15
9. stärker das Gefühl haben, dass die gruppentherapeutische Arbeit ihr eigenes Projekt
ist, mit dem sie sich völlig identifizieren. 1 16

Zusammenfassung
Unter Gruppenkohäsivität verstehen wir, in welchem Maße sich die Mitglieder einer
Gruppe von dieser und den übrigen Gruppenmitgliedern angezogen fühlen. Diese Ko­
häsionskraft wird auf interpersonaler und intrapersonaler Ebene sowie innerhalb der
Gruppe empfunden. Mitglieder einer Gruppe mit starker Kohäsivität akzeptieren und
unterstützen einander und neigen dazu, innerhalb der Gruppe für sie wichtige Bezie­
hungen einzugehen. Kohäsivität ist für den Erfolg einer Gruppentherapie offenbar sehr

104 105
dem Voraussetzungen für eine Veränderung schaffen. Beispielsweise hat das Hoffnung­
Wecken, wie ich schon in Kapitel 1 erwähnt habe, manchmal hauptsächlich die Funk­
tion, zu Beginn der Arbeit Entmutigung zu verhindern und die Klienten in der Grup­
Ka pite l 4 pe zu halten, bis wirksamere veränderungsfördernde Kräfte sich entfalten können. Im
Falle der Kohäsivität ist für manche Gruppenmitglieder schon allein das Erlebnis, als
Mitglied einer Gruppe akzeptiert und geschätzt zu werden, ein Motor der Verände­
rung. Für andere ist Kohäsivität wichtig, weil sie uns das Gefühl gibt, dass wir in
Die t h e ra peutisch e n Fa kto ren - Sicherheit sind und unterstützt werden, und sie uns so ermöglicht, Emotionen aus­
E i n i nteg riere n d e r Ü be r b l ick zudrücken, um Feedback zu bitten und mit neuen interpersonalen Verhaltensweisen
zu experimentieren.
Unsere Bemühungen, die therapeutischen Faktoren zu bewerten und zu integrie­
Bei unserer Untersuchung der in der Gruppentherapie wirksamen therapeutischen ren, werden nie zu einem völlig befriedigenden Ergebnis führen. Im Laufe der letzten
Faktoren sind wir davon ausgegangen, dass sich aus der Beschreibung dieser Faktoren 25 Jahre ist die Zahl der Untersuchungen über die therapeutischen Faktoren gigantisch
wie von selbst wirksame Taktiken und Strategien für die Arbeit des Therapeuten ablei­ gewachsen. In aktuellen Überblicksstudien werden Hunderte derartiger Untersuchun­
ten lassen. Die in Kapitel 1 zusammengestellten therapeutischen Faktoren sind meiner gen erwähnt. 1 Trotzdem gibt es bisher kaum schlüssige Aussagen über den Wert der
Meinung nach recht umfassend, aber in der Form, wie sie dort beschrieben werden, einzelnen therapeutischen Faktoren und über ihre Beziehung zueinander, und viel­
noch nicht ohne Weiteres in der klinischen Praxis nutzbar. Um die einzelnen Faktoren leicht werden wir über ihren Stellenwert im Einzelnen nie wirklich zuverlässige Aussa­
möglichst klar darzustellen, habe ich mich zunächst separat mit ihnen beschäftigt, ob­ gen machen können. Leser, die sich für die Einzelheiten der im Folgenden beschriebe­
wohl sie in der Realität eng miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. nen Untersuchungen nicht besonders interessieren, finden am Ende der einzelnen Ab­
Im vorliegenden Kapitel werde ich mich zunächst mit der Wirkung der verschiede­ schnitte jeweils Zusammenfassungen der Ergebnisse.
nen therapeutischen Faktoren als Bestandteilen eines dynamischen Prozesses befassen. Meine Perspektive ist nicht die eines »investigativen Nihilismus«, sondern ich bin
Anschließend gehe ich auf ihre offenbar unterschiedlich starke Wirkung ein. Allerdings der Auffassung, dass unsere Informationen über die therapeutischen Faktoren so stark
ist es nicht möglich, eine generell gültige Skala der Wirksamkeit sämtlicher therapeu­ subjektiv geprägt sind, dass sie die Anwendung wissenschaftlicher Methodik ziemlich
tischer Faktoren zu erstellen, weil bei der Wirksamkeitsbeurteilung zahlreiche Eventua­ unmöglich machen. Die Präzision unseres wissenschaftlichen Instrumentariums und
litäten in Betracht gezogen werden müssen. Der Stellenwert der einzelnen therapeuti­ unserer statistischen Analyse wird immer durch die Ungenauigkeit unserer Primär­
schen Faktoren hängt unter anderem von der Art der Gruppentherapie ab, auf die sich daten beeinträchtigt bleiben - der individuellen Einschätzungen der Klienten, welche
die Einschätzung bezieht. Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich der klinischen Po­ therapeutischen Faktoren in der Gruppentherapie von größtem Nutzen sind. Wir kön­
pulationen, denen ihre Mitglieder angehören, sie verfolgen unterschiedliche Therapie­ nen unser Datenmaterial verbessern, indem wir die Einschätzung in bestimmten Zeit­
ziele und sie treffen in unterschiedlichen Behandlungssituationen zusammen. Bei­ abständen wiederholen lassen oder indem wir durch unabhängige Rater feststellen las­
spielsweise gibt es Gruppen für Menschen mit Essstörungen oder Panikstörungen, sen, welche therapeutischen Faktoren im konkreten Fall wirksam sind;2 doch ändert
Gruppen für Drogen- und Medikamentenabhängige, für Menschen mit bestimmten das nichts an der Notwendigkeit der Quantifizierung und Kategorisierung subjektiver
körperlichen Krankheiten, weiterhin fortlaufende Gruppen für Klienten in ambulanter Dimensionen, die nicht ohne Weiteres in einem objektiven und kategorialen System zu
Behandlung, Kurzzeittherapiegruppen sowie Gruppen für stationär behandelte Pati­ erfassen sind. 71 3 Außerdem müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass unserer Fä­
enten und für die Besucher von Tageskliniken. Bei allen diesen Gruppen stehen unter­ higkeit, aufgrund der Beobachtungen des Raters oder der Reflexionen des Klienten -
schiedliche Konstellationen therapeutischer Faktoren im Vordergrund, von denen zu­ die gleichermaßen völlig subjektiv sind - objektiv die therapeutischen Ursachen und
dem einige in einem bestimmten Stadium der Gruppenarbeit wichtig sind, wohin­ Wirkungen zu erschließen, sehr begrenzt ist.
gegen andere die Arbeit in einem anderen Stadium prägen. Sogar in ein und derselben Dieses Problem verstehen unter Therapeuten und Forschern diejenigen am besten,
Gruppe profitieren die einzelnen Klienten von unterschiedlichen therapeutischen Fak­ die selbst eine Therapie als Klienten erlebt haben, denn wenn sie versuchen, die in ihrer
toren. Wie Kantinenbesucher stellt sich jedes Gruppenmitglied in Abhängigkeit von eigenen Therapie wirksamen therapeutischen Faktoren zu bewerten, wird ihnen si­
seinen Bedürfnissen, seiner sozialen Kompetenz und seiner Charakterstruktur sein cherlich klar, dass es völlig ausgeschlossen ist, zu einem präzisen Urteil zu gelangen.
persönliches Menü therapeutischer Faktoren zusammen. Die folgende keineswegs untypische klinische Schilderung vermittelt einen anschauli­
Im vorliegenden Kapitel wird darauf hingewiesen, dass einige therapeutische Fak­ chen Eindruck davon, wie schwer sich in der Praxis feststellen lässt, welcher therapeu­
toren manchmal nicht unabhängig als Mechanismen der Veränderung fungieren, son- tische Faktor in einer konkreten Behandlungssituation ausschlaggebend ist.

106 1 07
Barbara, eine 36-jährige chron isch depressive Frau, die neu i n die Gru ppe gekom men chen verglichen, die sich an anderen Ansätzen orientierten - etwa Gruppen, in denen
wa r, berichtete schl uchzend, i h r Arbeitgeber habe sie gerade entlassen. Die Arbeit hat­ Selbstsicherheit trainiert wurde, sowie interaktionsorientierten Gruppen, die sich in
te i h r zwar n icht besonders gefa l len, u nd sie hatte auch n icht viel verdient, a ber sie ihrer Arbeit auf das Geschehen im Hier und Jetzt konzentrierten (als ob solche inter­
glaubte, die E ntlassung beweise, dass sie fü r andere Menschen generell nicht a kzepta­ aktionsorientierte Gruppen ihren Mitgliedern nicht zu Einsicht verhelfen würden!) . 5
bel sei und dass es i h r desh a l b i h r Leben lang sch lecht gehen u nd sie nie glücklich sein Die Forscher maßen die erzielte Einsicht, indem sie die Einsicht vermittelnden Äuße­
werde. Andere Gruppe n m itglieder versuchten vergeblich, ihr U nterstützu ng anzu bie­ rungen des Therapeuten zählten oder indem sie Beobachter die »Einsichtsorientiert­
ten. Gail, eine andere Teilneh merin, die fünfzig Jahre a lt wa r u nd sel bst u nter Depres­ heit« des Therapeuten einschätzen ließen. Doch bleiben bei einem solchen Vorgehen
sion gel itten hatte, beschwor Ba rbara, sich nicht in einem Dickicht von depressiven die entscheidenden Aspekte des Erlebens von Einsicht unbeachtet - beispielsweise: Wie
Geda n ken und Sel bsthera bsetzu ngen zu verfa ngen. Auch i h r sei es erst nach einem treffend war die Einsicht? Wie günstig war der Zeitpunkt, zu dem sie sich manifestier­
J a h r harter Arbeit in der Gruppe gel u ngen, eine positivere Grundstim m ung zu sta bili­ te? War der Klient bereit, die Einsicht an sich heranzulassen? Was war für die Bezie­
sieren u n d negative Ereignisse a l s sch l icht enttä u schend z u e m pfinden, a lso n icht hung des Klienten zum Therapeuten charakteristisch? (Ist die Atmosphäre zwischen
mehr als verdammenswerte persön l iche Verfe h l u ngen. beiden feindselig? Lehnt der Klient wahrscheinlich jede Deutung des Therapeuten ab?
Barbara nickte und erklä rte der Gruppe, sie habe u n bed i ngt m it jema ndem sprechen Ist die Beziehung von Abhängigkeit geprägt? Nimmt er unterschiedslos alle Deutungen
wollen und sei desha l b frü her zur Gru ppensitz u ng gekommen; doch sei niemand da­ an?) Einsicht ist ein zutiefst subjektives Erlebnis, das sich mit objektiven Maßstäben
gewesen, u nd desh a l b h a be sie gegla u bt, der Termin sei a bgesagt worden, u n d der nicht einschätzen lässt (eine einzige zutreffende und zeitlich gut plazierte Deutung ist
Gruppen leiter habe es versäu mt, i h r d ies m itzuteilen. Wä hrend sie dies sagte, lächelte so viel wert wie zwanzig sachlich und zeitlich weniger geglückte). Vielleicht sind des­
sie wissend und zeigte so, dass sie sich über i h re depressionsbedingte Gewohn heit i m halb schon seit längerem keine neuen Studien über Einsicht und Resultate in der Grup­
Klaren wa r, immer d i e für sie negativste Möglich keit zu u nterstellen u n d d iesen ver­ pentherapie veröffentlicht worden. Bei praktisch jeder Form von Psychotherapie muss
zerrten Folgerungen gem ä ß zu handeln. der Therapeut den gesamten Kontext der Therapie einbeziehen, um in einer konkreten
Nach kurzem Nachsi n nen fielen i h r Deta ils aus i h rer Kind heit ein: die Angst i h rer Mut­ Situation sinnvolle therapeutische Interventionen entwickeln zu können.6
ter u nd das Motto i h rer Fa m i lie: »Die Katastrophe lauert i m mer h i nter der nächsten Da die empirische Psychotherapieforschung uns wohl niemals die ersehnte Sicher­
Ecke. « Als bei i h r im Alter von acht Jahren eine Tuberku l i n probe positiv ausgefa l len wa r heit verschaffen wird, müssen wir lernen, mit der Unsicherheit zu leben und das Beste
u n d sie a ufgrund dessen gründ lich auf Tu berku lose u ntersucht werden sol lte, sagte aus ihr zu machen. Wir müssen uns anhören, was die Klienten uns zu sagen haben,
i h re Mutter: »Mach d i r kei n e Sorgen. Wen n du ins Sa natoriu m m usst, komme ich dich und die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie intelligente klinische Beobach­
besuchen. « Der Tuberku loseverdacht bestätigte sich zwar nicht, a ber was i h re Mutter tungen in unsere Erwägungen einbeziehen. Letztendlich müssen wir ein wohldurch­
zu i h r gesagt hatte, erfüllte sie noch als Erwachsene mit Schrecken. Sie erklärte: »Ich dachtes therapeutisches Vorgehen entwickeln, das uns die Flexibilität ermöglicht, die
ka n n euch ga r nicht sagen, wie es fü r m ich ist, statt der Art, wie meine Mutter m it mir wir brauchen, um mit der unendlichen Vielfalt menschlicher Probleme sinnvoll um­
umgegangen ist, heute von euch dieses Feed back u nd Bestätigung zu bekommen. « zugehen.

In diesem Fallbeispiel sind verschiedene therapeutische Faktoren zu erkennen: Univer­ Der Wert der einzel nen thera peutischen Fa ktoren
salität des Leidens, Hoffnung-Wecken, Sich-selbst-Verstehen, Mitteilen von Informa­
a u s der Sicht des Klienten
tionen, Reinszenierung der Familiensituation, Interpersonales Lernen und Katharsis.
Doch welcher dieser therapeutischen Faktoren ist vorrangig? Wie können wir das mit Wie beurteilen die Gruppenmitglieder die verschiedenen therapeutischen Faktoren?
Sicherheit feststellen? Welche Faktoren sind nach ihrer Auffassung für die angestrebte Besserung besonders
Es wurde mehrfach versucht, subjektiv eingeschätzte therapeutische Faktoren in Er­ wichtig? In den ersten beiden Ausgaben des vorliegenden Buches konnte ich die weni­
gebnisstudien als unabhängige Variablen zu benutzen. Doch werfen solche Versuche gen zu diesem Thema verfügbaren Studien relativ leicht zusammenfassen: Ich setzte
schwerwiegende methodische Probleme auf: Generell steht die Genauigkeit, mit der mich mit den beiden damals existierenden Studien auseinander, die sich ausdrücklich
Variablen gemessen werden können, in direkter Relation zu ihrer Trivialität. Eine um­ mit der subjektiven Einschätzung therapeutischer Faktoren durch Klienten beschäf­
fassende Übersichtsstudie, die sich mit entsprechenden empirischen Untersuchungen tigten, und beschrieb anschließend ausführlich die Resultate meiner eigenen ersten
beschäftigte, kam zu dem Ergebnis, dass nur bei sehr wenigen der geprüften Untersu­ Studie zum Thema therapeutische Faktoren. 7 Zu diesem Zweck befragte ich zusammen
chungen die Untersuchungsanlage akzeptabel und dass die klinische Relevanz der Er­ mit Kollegen zwanzig Klienten, die eine Gruppentherapie mit zufriedenstellendem Er­
gebnisse generell sehr beschränkt war.4 Beispielsweise versuchten vier Studien, Einsicht gebnis abgeschlossen hatten, welche therapeutischen Faktoren nach ihrer Einschätzung
zu quantifizieren und zu evaluieren, indem sie einsichtsorientierte Gruppen mit sol- in ihrem Fall die wirksamsten gewesen waren. Der Fragebogen bezog sich auf die elf in

108 109
Kapitel 1 beschriebenen therapeutischen Faktoren und verglich deren jeweilige Be­ en wurden fünf Items formuliert, also insgesamt 60 (siehe Tabelle 4.1). Diese wurden
deutung. auf kleine Karteikarten geschrieben, und nachdem diese Karten gut gemischt worden
Mittlerweile hat sich die empirische Grundlage stark verändert, da in den letzten waren, wurden die Klienten gebeten, jeweils eine bestimmte Zahl von Karten auf eines
vier Jahrzehnten eine gewaltige Zahl von Untersuchungen über die Einschätzung the­ von sieben wie folgt bezeichneten Häufchen zu legen:
rapeutischer Faktoren durch Klienten veröffentlicht wurde. (Einige dieser Untersu­
chungen beschäftigen sich auch damit, wie Therapeuten die Wirkung dieser Faktoren Für mich in der Gruppe am nützlichsten (2 Karten)
beurteilen.) Aus neuesten Untersuchungen geht hervor, dass die Konzentration auf die äußerst nützlich ( 6 Karten)
therapeutischen Faktoren für Therapeuten bei der Entwicklung gruppentherapeuti­ sehr nützlich (12 Karten)
scher Strategien, die den Zielen ihrer Klienten gerecht werden, sehr nützlich ist.8 Die nützlich (20 Karten)
bereits erwähnte Flut wissenschaftlicher Untersuchungen liefert uns eine gewaltige kaum nützlich (12 Karten)
Menge an Daten und ermöglicht uns überzeugendere Schlüsse über die therapeuti­ eher nicht nützlich ( 6 Karten)
schen Faktoren, als wir sie vorher ziehen konnten. Unter anderem hat sich heraus­ am wenigsten nützlich (2 Karten) 14.
gestellt, dass der Wert eines therapeutischen Faktors in starkem Maße von der Art der
Gruppe, vom Stadium einer Therapie und vom intellektuellen Niveau des einzelnen Nach dem Sortiertest, der 30 bis 45 Minuten beanspruchte, wurde jeder Testteilnehmer
Klienten abhängt. Aus diesen Gründen ist es wesentlich schwieriger geworden, die eine Stunde lang von den drei Forschern befragt. Dabei wurde darüber gesprochen,
existierende Literatur zu beurteilen und die Ergebnisse der zahlreichen vorliegenden nach welchen Kriterien die Probanden die nützlichsten und die am wenigsten nütz­
Untersuchungen auf einen plausiblen Nenner zu bringen. lichen Faktoren ausgewählt hatten, und es wurden einige andere für die therapeu­
Doch weil den meisten Studien dieser Art eine Variante jener therapeutischen Fak­ tischen Faktoren relevante Aspekte thematisiert (etwa nicht therapiespezifische thera-
toren und des Instrumentariums zugrunde legen, die ich in meiner Untersuchung im
Jahre 1970 beschrieben habe,9 werde ich diese Studie im Folgenden ausführlich dar­ beten, die Liste zu kommentieren und eventuell Ergänzungen oder Streichungen vorzuschlagen. Ei­
stellen und anschließend die Resultate neuerer Untersuchungen über therapeutische nige Items sind fast identisch, doch war es aus methodischen Gründen erforderlich, für jede Katego­
rie therapeutischer Faktoren die gleiche Anzahl von Items zu formulieren. Die zwölf Kategorien sind:
Faktoren in meine Darstellung einbeziehen. 10
Altruismus, Gruppenkohäsivität, Universalität des Leidens, Interpersonales Lernen - Input, Interper­
Ich habe zusammen mit Kollegen die therapeutischen Faktoren untersucht, die 20 sonales Lernen - Output, Anleitung, Katharsis, Identifikation, Reinszenierung der Familiensituation,
erfolgreich behandelte Teilnehmer von Therapiegruppen als relevant bezeichneten. 1 1 Sich-selbst-Verstehen, Hoffnung-Wecken und existenzielle Faktoren. Diese Liste ist mit den Faktoren,
Wir baten Gruppentherapeuten, jeweils ihren erfolgreichsten Klienten für unsere Stu­ die in diesem Buch beschrieben werden, nicht völlig identisch. Beispielsweise haben wir erfolglos ver­
sucht, Interpersonales Lernen - Input und Output zu unterteilen. Eine Kategorie, Sich-selbst-Verste­
die auszuwählen. Die Mitglieder der Gruppen, denen diese Klienten angehört hatten, hen, wurde aufgenommen, um die Untersuchung von Depression und genesischer Einsicht zu er­
stammten aus der Mittelschicht, sie wurden ambulant behandelt, und sie litten unter möglichen.
Neurosen oder charakterologischen' Problemen. Die ausgewählten Gruppenteilneh­ Aufgrund des mithilfe der Q-sort-Technik gewonnenen Ergebnisses wurden die in Kapitel 1 beschrie­
mer waren acht bis 22 Monate in der Gruppentherapie gewesen (im Durchschnitt 16 benen therapeutischen Faktoren entwickelt. Mitteilen von Informationen ersetzt Anleitung. Korri­
gierende Rekapitulation des Geschehens in der primären Familiengruppe (bzw. Ursprungsfamilie)
Monate) und hatten diese kürzlich beendet oder standen kurz davor, sie zu beenden. 1 2 ersetzt Reinszenierung der Familiensituation. Entwicklung von Techniken mitmenschlichen Um­
Alle 20 Probanden wurden aufgefordert, die therapeutischen Faktoren im Sinne der Q­ gangs tritt an die Stelle von Interpersonales Lernen - Output. Und Interpersonales Lernen ersetzt In­
sort-Technik nach ihrer Wertigkeit für sie persönlich zu ordnen; außerdem wurden sie terpersonales Lernen - Input sowie Sich-selbst-Verstehen. Und schließlich ersetzt Imitationsverhalten
von den Forschern, die die Untersuchung durchführten, befragt. die vorherige Kategorie Identifikation.
Die Anwendung der Q-sort-Technik zur Ermittlung therapeutischer Faktoren war als a priori auf­
Aufgrund des im vorliegenden Buch erläuterten Grundlagenmaterials wurden grund klinischer Intuition (meiner eigenen und derjenigen erfahrener Kliniker) entwickeltes Explo­
zwölf Kategorien therapeutischer Faktoren entwickelt; 13" und zu jeder dieser Kategori- rationsinstrument gedacht; es bestand nie die Absicht, dieses Verfahren als fein kalibriertes For­
schungsinstrument hinzustellen. Doch wurde dieses Mittel in so vielen Untersuchungen benutzt, dass
* Zum Begriff »characterological« gibt es im Deutschen kein gebräuchliches Äquivalent. Er bezeichnet viele Diskussionen über die Konstruktvalidität und die Test-Retest-Reliabilität entbrannt sind. Gene­
im amerikanischen psychotherapeutischen Sprachgebrauch tief in der Persönlichkeit bzw. im Lebens­ rell kann die Test-Retest-Reliabilität als gut bezeichnet werden. Faktorenanalytische Untersuchungen
stil verankerte Störungen, die in den gängigen Klassifikationssystemen nicht immer als Persönlich­ kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen: Einige Studien deuten auf eine mäßige Korrelation zwi­
keitsstörungen erfasst sind. Eine möglichst enge Anlehnung der deutschen Übersetzung an das Ori­ schen Item und Einzelskala hin, andere auf eine gute. Bei einer umfassenden faktorenanalytischen
ginal empfiehlt sich, um zu verdeutlichen, dass es sich hier um eine Spezialität der amerikanischen Studie ergaben sich 14 Item-Cluster, die meinen ursprünglichen zwölf Kategorien therapeutischer
psychiatrischen Terminologie handelt. Deshalb die Übersetzung »charakterologisch«. Anm. d. Faktoren stark ähneln. Sullivan und Sawilowsky haben gezeigt, dass Unterschiede zwischen verschie­
übers. denen Untersuchungen in manchen Fällen mit den Widersprüchen in gekürzten und modifizierten
Formen des von uns entwickelten Fragebogens zusammenhängen. Stone, Lewis und Beck haben eine
** Die 60 Faktoren-Items wurde mehrmals verändert, und erfahrene Gruppentherapeuten wurden ge- modifizierte Kurzform mit recht hoher innerer Konsistenz entwickelt.

1 10 111
peutische Einflüsse im Leben der Klienten, wichtige Ereignisse im Therapieverlauf, Ta bel le 4.1 : Thera peutische Faktore n : Kategorien u n d Bewert u n ge n der 60 ltems
Zieländerungen, der Zeitpunkt, zu dem eine Besserung eingetreten war, und therapeu­ (Je nied riger die Rangord n u ngszahl, desto höher die Bewertung d u rch den Klienten.
tische Faktoren, die die Klienten in eigenen Worten formulierten). G bezeichnet die gleich hohe Bewertung verschiedener ltems in der Gesa mtliste)
Rang
Ergebnisse
1. Anderen zu helfen, hat meine Sel bstachtung gestärkt. 40 G
Das Resultat eines Q-Sortiertests, bei dem 20 Testteilnehmer 60 Items sieben Katego­ 2. Die Bed ü rfnisse a nderer vor meinen eigenen erfü l len. 52 G
rien zuordnen, ist komplex. Die vielleicht anschaulichste Möglichkeit, die Ergebnisse 3. Mich sel bst vergessen und darü ber nachdenken,
darzustellen, besteht darin, eine Rangfolge der 60 Items zu erstellen. (Diese ergibt sich, 1. Altruismus wie ich anderen helfen ka n n . 37 G

j
wenn man aus den 20 Zuordnungen [ entsprechend der Zahl der Testteilnehmer] jedes 4 . E i n e n Tei l von mir anderen geben. 17 G
Items zu den 12 Häufchen einen Durchschnittswert errechnet.) Schauen Sie sich bitte 5. Anderen helfen und in i h rem Leben
eine wichtige Rolle spielen.
die Liste der 60 Items in Tabelle 4.1 an. Die jeweils hinter dem Item vermerkte Zahl
gibt dessen Platz in der Rangordnung an. Beispielsweise wurde Item 48 (Entdecken und 6. Zu einer Gru ppe gehören u nd von ihr akzeptiert werden. 16 G
Akzeptieren von Anteilen meiner Person, die mir früher unbekannt waren oder als unan­ 7. Stä ndiger enger Konta kt z u a nderen Menschen. 20 G
nehmbar erschienen) von den Testteilnehmern übereinstimmend als wichtigster thera­ 8. Dinge offenba ren, die mir pei n l ich sind, u nd trotzdem
2. Gru ppen-
peutischer Faktor bezeichnet, Item 38 (übernehmen von Angewohnheiten oder Eigen­

l
kohäsivität von der Gruppe a ngenommen werden. 11 G
arten eines anderen Gruppenmitglieds) als der am wenigsten wichtige usw. 9. Mich nicht mehr a l lein fü hlen. 37 G
Die zehn Items, die von den Testteilnehmern als die nützlichsten bezeichnet wur­ 10. Zu einer G ruppe gehören, deren Mitglieder
den, waren in der Reihenfolge der geschätzten Nützlichkeit: m ich versta nden und akzeptierten. 20 G
1. Entdecken und Akzeptieren von Teilen meiner Person, die mir früher unbekannt
11. Erkennen, dass ich nicht der einzige Mensch bin,
waren oder die ich nicht akzeptiert habe. der die Probleme hat, u nter denen ich leide.
2. Sagen können, was mich quält, statt es für mich zu behalten. »Wir sitzen a l le i m gleichen Boot.«
3. Dass andt;re Gruppenmitglieder mir ehrlich sagen, was sie über mich denken. 12. Erkennen, dass es m i r gena uso gut ging wie a nderen.
4. Lernen, meine Gefühle auszudrücken. 13, Erkennen, dass auch andere einige der »schlechten«
5. Dass die Gruppe mich darüber aufgeklärt hat, wie ich auf andere wirke. 3. Un iversal ität Ged a n ken u nd Gefü hle haben, die mich plagen. 40 G
6. Gegenüber einem anderen Gruppenmitglied negative und/oder positive Gefühle des Leidens 14. Erkennen, dass auch andere keine opti malen Eltern

j
hatten oder in einer problematischen U mgebung
ausdrücken.
aufgewachsen sind.
7. Mir darüber klar werden, dass ich letztlich selbst dafür verantwortlich bin, wie ich
15. Als mir klar wurde, dass ich m ich von a nderen Menschen
lebe, auch wenn ich von anderen noch so viel Rat und Unterstützung erhalte. nicht sehr u nterscheide, hatte ich das Gefü hl, ich würde
8. Herausfinden, wie ich auf andere wirke. in die mensch liche Gesellschaft aufgenommen.
9. Zu sehen, dass auch andere Peinlichkeiten, die sie betrafen, zugaben und Risiken
anderer Art eingehen konnten und dass ihnen dies zugute kam, half mir, mich 16. Dass die Gruppe m ich darü ber a ufgeklä rt hat,
ebenso zu verhalten. wie ich a uf andere wi rke. 5G
l 17. Hera usfi nden, wie ich auf andere wi rke. 8
10. Gegenüber Gruppen und einzelnen anderen Menschen mehr Vertrauen zu ent­ 4- l nterpersona les 18. Dass a ndere G ru ppen m itglieder mir ehrlich sagen,
wickeln. Lernen - was sie ü ber m ich denken. 3
I n put 19. Dass G ruppenm itglieder m ich auf einige meiner
Interessant ist, dass sieben der acht höchstplatzierten Items irgendeine Form von Ka­ Gewohn heiten oder Ma rotten hinweisen,
tharsis oder Einsicht beinhalten. Auch hier verwende ich den Begriff Einsicht im um­ die andere Menschen stören. 18 G
fassendsten Sinn. Die Items beziehen sich größtenteils auf die erste Ebene der Einsicht, 20. Erkennen, dass ich andere Menschen manch m a l verwirre,
die darin besteht, eine objektive Sicht des eigenen interpersonalen Verhaltens zu entwi­ indem ich nicht sage, was ich wi rklich denke.
ckeln, wie es in Kapitel 2 beschrieben wird. Dieses interessante Resultat unterstreicht
das ebenfalls in Kapitel 2 beschriebene Prinzip, nach dem Therapie ein dualer Prozess
ist, der einerseits im emotionalen Erleben und andererseits im Nachdenken über das
so Erlebte besteht. Damit werde ich mich später noch sehr viel gründlicher befassen.

1 12 1 13
Ta belle 4.1 (Fortsetzu ng) Ta belle 4.1 (Fortsetzu ng)

(Je niedriger die Rangord n u ngsza hl, desto höher die Bewertung d u rch den Klienten. (Je niedriger die Rangord n u ngszahl, desto höher die Bewertung d u rch den Klienten.
G bezeichnet die gleich hohe Bewertung versch iedener ltems in der Gesamtliste) G bezeichnet d ie gle ich hohe Bewertu n g verschiedener ltems in der Gesamtliste)
Rang Rang
21. Besser lernen, m it anderen Menschen zurechtz u kommen. 25 G 41 . I n der Gruppe wa r es, a ls würde sich mein Leben i n meiner
22. Gege n ü ber Gru ppen und einzel nen anderen Menschen U rsprungsfa m i lie noch einma l wiederholen, u nd ich würde
mehr Vertra uen entwickel n. 10 es diesmal verstehen. 51
5. l nterpersona les 23. Hera usfi nden, wie ich zu anderen Gruppen m itgliedern 42. An der Gru ppe teilzunehmen hat m i r geholfen,
Lernen - in Kontakt trete. Schwierigkeiten zu verstehen, die ich früher mit E ltern,
Ort 24. Dass die Gruppe mir die Möglichkeit gab hera uszufi nden, Geschwistern und anderen für m ich wichtigen
wie ich m ich anderen nähern ka nn. 27 G Menschen hatte. 30
25. Durcha rbeiten meiner Schwierigkeiten mit einem 9. Reinszenierung 43. In der Gru ppe wa r es i m Grur,de wie in einer Fa mi lie,
besti m mten Gruppenmitglied. der Fa m il ien- nur a kzeptierte m ich d iese Fam ilie, u nd sie wa r mir
situation gegenüber verständn isvoller. 44
26. Der Vorsch lag oder Rat des Arztes, ich sol lte etwas 44. Die Situation in der Gruppe hat mir irgendwie geholfen,
Besti m mtes tu n . 27 G meine S ituation in meiner U rsprungsfa m i l ie zu verstehen. 45 G
27. D e r Vorsch lag oder Rat von Gru ppen m itgliedern, 45. Die Gru ppe ä h nelte meiner Fa m i lie - ein ige Mitglieder
ich sol lte etwas Bestimmtes tu n . 55 oder die Therapeuten verhielten sich wie meine Eltern und
6. Anleitung 2 8 . Dass Gruppenmitglieder mir gesagt haben, andere wie andere Fa m i l ien m itgl ieder. Aufgrund meiner
was ich tun sol lte. 56 Erlebnisse in der Gru ppe verstehe ich meine früheren
29. Dass e i n G ruppen m itglied m i r bezüglich ei nes Problems Beziehu ngen zu meinen Eltern und zu anderen
geraten hat, was genau ich tu n sol lte. 48 G Fa m il iena ngehörigen (Brüdern, Schwestern usw.) besser. 48 G
30. Dass Gruppen m itgl ieder mir geraten haben, mich gegen­
ü ber einem Menschen, der für m ich sehr wichtig war, 46. Hera usfinden, dass ich einen besti m mten Menschen mag oder
anders zu verha lten. 52 G nicht mag - aus Grü nden, die nicht viel m it der betreffenden

1
Person zu tu n zu haben bra uchen, sondern eher m it früheren
31. Mir etwas von der Seele reden. 31 G Erlebnissen mit anderen Menschen sowie m it den Problemen,
32. Gege n ü ber einem anderen Gruppen m itglied negative die ich m it i h nen gehabt ha be, zusa m menhä ngen. 15
u nd/oder positive Gefü hle ausdrücken. 5G 47. Hera usfi nden, wa rum ich so denke und fü hle, wie ich es tue

l
7. Katharsis 33. Gege n ü ber dem Gruppen leiter negative und/oder 1 0. Sich-sel bst- (ei n ige der Grü nde fü r meine Probleme u nd deren U rsachen zu
positive Gefü hle ä u ßern. 18 G Verstehen erkennen). 11
34. Lernen, meine Gefüh le auszud rücken. 4 48. Entdecken u nd Akzeptieren von Teilen von m i r, die mir früher
35. Sagen kön nen, was m ich q u ä lt, statt es fü r m ich zu behalten. 2 u n beka n nt waren oder die ich früher nicht akzeptiert ha be.
49. Erken nen, dass ich auf bestimmte Menschen oder S ituationen
36. Versuchen, wie e i n Gruppe n m itglied zu sein, das besser unrea listisch reagiere (m it Gefühlen, d ie m it früheren
a ngepasst wa r als ich. 58 Situationen in meinem Leben zusammenhä ngen). 20 G
37. Zu sehen, dass auch andere Pei n lichkeiten, die sie betrafen, 50. Hera usfi nden, dass mein heutiges Em pfi nden und Verha lten
zuga ben u nd Risiken eingehen konnten und dass i h nen dies m it meiner Kind heit u nd Reifezeit zusa m menhängt
8. Identifikation manchmal zugute ka m, ha lf m i r, m ich ebenso zu verha lten. 8G (dass ich so bin, wie ich bin, ist teilweise ein Resu ltat
38. ü bernehmen von Gewohnheiten oder Marotten eines mei nes Lebens in der Vergangenheit). 50
anderen Gruppe n m itglieds. 59
39. Meinen Therapeuten zu bewundern und m ich wie er
zu verhalten. 57
40. Ein Gruppe n m itglied finden, das ich zu meinem Vorbild
machen kon nte. 60

114 115
Ta belle 4.1 (Fortsetzu ng) 1. Interpersonales Lernen - Input
2. Katharsis
(Je nied riger die Rangord n u ngsza hl, desto höher die Bewertung d u rch den Klienten.
3. Koliäsivität
G bezeichnet die gleich hohe Bewertung verschiedener ltems in der Gesamtliste)
Rang 4. Sich-selbst-Verstehen
51. Zu sehen, wie sich die Situation anderer besserte,
5. Interpersonales Lernen - Output
hat m ich inspiriert. 42 G 6. Existenzielle Faktoren
52. Wissen, dass andere Probleme gelöst hatten, 7. Universalität des Leidens
die den meinen ä h n l ich waren. 37 G 8. Hoffnung-Wecken
11. Hoffn u ng­ 53. Sehen, dass andere Probleme gelöst haben, 9. Altruismus
Wecken die den meinen ä h n l ich waren. 33 G 10. Reinszenierung der Familiensituation
54. Das Miterleben der Fortsch ritte anderer Gru ppen m itgl ieder 11. Anleitung
hat mir Mut gemacht. 27 G
12. Identifikation*
55. Das Wissen, dass die G ruppe anderen Mitgliedern
bei der Lösung von Problemen geholfen hat, die meinen
eigenen ä h n lich waren, hat m i r Mut gemacht. 45 G Auch einige andere Replikationsstudien befassen sich mit den von ambulant behandel­
ten Gruppenteilnehmern vorgenommenen Einstufungen der therapeutischen Fak­
56. Erkennen, dass das Leben manchmal u nfa i r u nd u ngerecht toren.16 Die Resultate dieser Studien stimmen in erstaunlichem Maße überein: Die
ist. 54 höchsten Ränge nehmen in allen Fällen die therapeutischen Faktoren Katharsis, Sich­
57. Erken nen, dass es manchmal letztendlich u n möglich ist, selbst-Verstehen und Interpersonales Lernen - Input ein, denen Kohäsivität und Univer­
Schmerzen, die das Leben m it sich bringt, zu entfl iehen,
salität des Leidens unmittelbar folgen. über die Vorrangigkeit des gleichen Trios nütz­
12. Existenzielle und ebensowenig dem Tod. 42 G
58. Erkennen, dass ich a nderen Menschen noch so nahe
lichster therapeutischer Faktoren (Interpersonales Lernen - Input, Sich-selbst- Verstehen
Faktoren
sei n ka n n, aber m it dem Leben trotzdem a l le i n fertig werden und Katharsis) berichten auch Studien über Gruppen zur persönlichen Entwicklung. 1 7
m uss. 23 G Ein Forscher ist der Auffassung, dass sich die therapeutischen Faktoren in drei Haupt­
59. Mich den Gru ndfragen meines Lebens und mei nes Todes gruppen gliedern lassen: die Gruppe Ermutigung (der Cluster Hoffnung- Wecken, Uni­
stel len und dad u rch eh rlicher leben und mich weniger versalität des Leidens und Akzeptiertwerden), die Gruppe Selbstöffnung (Selbstoffenba­
in U nwichtigem verstricken. 23 G rung und Katharsis) und die Gruppe spezifisch psychologische Arbeit (Interpersonales
60. Mir darü ber klar werden, dass ich letztl ich sel bst dafü r
Lernen und Sich-selbst-Verstehen). 18 Diese Clusterbildung ähnelt einer Faktorenanaly­
verantwortlich bin, wie ich lebe, auch wen n ich von anderen
5G
se" der therapeutischen Faktoren, die aus Untersuchungen über Selbsterfahrungsgrup­
noch so viel Rat und Unterstützung erha lte.
pen des American Group Psychotherapy Association Institute extrahiert wurden. Dem­
nach lassen sich die für die Gruppentherapie wichtigen therapeutischen Faktoren fol­
Mit einem 60 Items umfassenden Q-Sortiertest zu arbeiten ist so aufwändig, dass die genden drei Hauptkategorien zuordnen: frühe Faktoren, die Zugehörigkeit und Ermu­
meisten Forscher statt dessen in späteren Studien eine Kurzform benutzt haben, wobei tigung betreffen und die in allen therapeutischen Gruppen eine Rolle spielen; Faktoren
die Testteilnehmer meist aufgefordert wurden, statt der 60 Items die zwölf Arten the­ der Anleitung und Unterweisung; und schließlich Faktoren, die die Entwicklung spezi­
rapeutischer Faktoren nach ihrer Bedeutung für sie persönlich zu ordnen. Allerdings fischer Kompetenzen fördern. Trotz ihrer terminologischen Unterschiedlichkeit lässt
gelangten vier Studien, die den Q-Sortiertest mit 60 ltems in der ursprünglichen Form sich aus diesen beiden Clusterbildungsansätzen ableiten, dass die für die Gruppenthe­
benutzten, zu erstaunlich ähnlichen Resultaten. 15 rapie wichtigsten therapeutischen Faktoren universelle Mechanismen, vermittelnde
Wenn wir die zwölf allgemeinen Kategorien* analysieren, ergibt sich folgende Rang­ Mechanismen und spezifische veränderungsfördernde Mechanismen bestehen. 1 9
ordnung ihrer Bedeutung:
* Wenn wir uns mit diesen ResuJtaten beschäftigen, müssen wir bedenken, dass die Testteilnehmer ge­
* Diese zwölf Kategorien werden nur für Analyse und Deutung verwendet. Den Klienten waren sie zwungen waren, alle Items in eine Rangordnung zu bringen. Deshalb sind die am niedrigsten ein­
natürlich nicht bekannt; sie befassten sich ausschließlich mit den 60 Items. Der Rang der einzelnen gestuften Items nicht unbedingt unwichtig, sondern nur weniger wichtig als die übrigen.
Kategorien wurde durch Summierung des mittleren Rangs von fünf Kategorien (beurteilt von allen
** Eine Faktorenanalyse ist eine statistische Methode, mit deren Hilfe sich feststellen lässt, wie viele hy­
20 Testteilnehmern) festgestellt. Einige Forscher benutzten kürzere Fragebögen zu den therapeu­
pothetische Konstrul1:e mindestens erforderlich sind, um einen Datenbestand mit einem Höchstmaß
tischen Faktoren, wobei die Klienten aufgefordert wurden, die verschiedenen Kategorien in eine be­
an Konsistenz zu erklären. Auf diese Weise lassen sich große Datenmengen zu kleineren, konzeptuell
stimmte Reihenfolge zu bringen. Da die beiden Ansätze an die Testteilnehmer unterschiedliche An­
und praktisch konsistenten Datengruppen komprimieren.
forderungen stellen, sind sie schwer vergleichbar.

1 16 117
Welche therapeutischen Faktoren werden am wenigsten geschätzt? Alle Untersu­ Erleben und Ausdrücken von (positiven und negativen) Gefühlen. Doch stand dieses
chungen über Therapiegruppen und Gruppen, die sich der Förderung der Persönlich­ für sie wichtige Ereignis in keiner Beziehung zum positiven Therapieresultat. Von Grup­
keitsentwicklung widmen, gelangen diesbezüglich zum gleichen Ergebnis: Die letzten penmitgliedern mit schlechtem Therapieresultat wurden kathartische Vorfälle ebenso
Plätze belegen in allen Fällen Reinszenierung der Familiensituation, Anleitung und Iden­ oft als wichtig bezeichnet wie von Probanden, die die Gruppenarbeit erfolgreich zum
tifikation. Demnach ist für den therapeutischen Prozess in Therapiegruppen dieser Art Abschluss gebracht hatten. Allerdings stand die Katharsis durchaus in einer Beziehung
die affektgeladene, sich selbst reflektierende interpersonale Interaktion in einer unter­ zum Resultat der therapeutischen Arbeit: Sie war notwendig, aber allein nicht ausrei­
stützenden und vertrauensfördernden Umgebung entscheidend.20 Vergleiche zwischen chend. Bei Gruppenmitgliedern, die auf die gestellte Frage hin nur ein kathartisches
den für die Einzel- und die Gruppentherapie vorrangigen therapeutischen Faktoren Erlebnis erwähnten, war das Therapieresultat mit leicht erhöhter Wahrscheinlichkeit
bestätigen diese Erkenntnis21 und stützen die Bedeutung der grundlegenden theoreti­ negativ. Teilnehmer mit gutem Therapieresultat bezeichneten die Katharsis in Verbin­
schen Vorstellungen, die ich in Kapitel 2 erläutert habe - des korrigierenden emotio­ dung mit irgendeiner Form von kognitivem Lernen als wichtig. Die Fähigkeit, über das
nalen Erlebnisses und der Auffassung, dass die Konzentration auf das Hier und Jetzt in eigene emotionale Erleben zu reflektieren, ist eine wichtige Komponente des Verände­
der Therapie eine erlebensbasierte und eine kognitive Komponente umfasst. rungsprozesses. ;,,
In Untersuchungen über die relevanten therapeutischen Faktoren, die mithilfe der
Ich werde diese Forschungsergebnisse im Folgenden in eine umfassendere Erörterung Q-sort-Technik durchgeführt werden, sind die beiden am höchsten bewerteten Items,
der zu Beginn dieses Kapitels gestellten Fragen über die Wirkkraft der einzelnen thera­ die sich auch bei Faktorenanalysen als für die Kategorie »Katharsis« besonders charak­
peutischen Faktoren und über ihre Wechselwirkungen einbeziehen. Bei dieser gesamten teristisch erwiesen haben: Item 34 (Lernen, meine Gefühle auszudrücken) und Item 35
Darstellung ist zu bedenken, dass sich die beschriebenen Resultate auf eine bestimmte (Sagen können, was mich quält, statt es für mich zu behalten). Beide beinhalten etwas
Art von Therapiegruppe beziehen, nämlich auf eine interaktionsbasierte Gruppe mit anderes als den bloßen Gefühlsausdruck oder als eine bloße Abreaktion: ein Gefühl der
der ehrgeizigen Zielsetzung, Symptome zu lindern und Verhalten und Charakterzüge Befreiung und die Aneignung von Kompetenzen, die für die Zukunft wichtig sind. Ein
zu verändern. Später in diesem Kapitel berichte ich über Anhaltspunkte dafür, dass weiteres häufig gewähltes Item, das sich auf die Katharsis bezieht - Item 32 (Gegenüber
Gruppen mit anderer Zielsetzung, die für kürzere Zeitspannen zusammenkommen, einem anderen Gruppenmitglied negative und/oder positive Gefühle äußern) -, weist
aus anderen Clustern therapeutischer Faktoren Nutzen ziehen. darauf hin, welche Rolle die Katharsis im laufenden interpersonalen Prozess spielt.
Item 31, in dem am deutlichsten der Abbau von Spannungen zum Ausdruck gelangt
Katharsis (Mir etwas von der Seele reden), wurde von den Gruppenmitgliedern nicht hoch einge­
Katharsis spielt im therapeutischen Prozess seit langem eine wichtige Rolle, wobei die stuft.24
Begründung für ihre Nutzung sich im Laufe der Zeit gewandelt hat. Jahrhundertelang Gespräche mit den Klienten, die dazu dienten, ihre Gründe für die Auswahl be­
gab man Leidenden Abführmittel, um ihren Körper von überschüssiger Gallenflüssig­ stimmter Items herauszufinden, bestätigten die hier dargestellte Sicht. Die Katharsis
keit, bösen Geistern und ansteckenden und giftigen Stoffe zu reinigen (die Wurzel des wurde als Bestandteil eines interpersonalen Prozesses gesehen; niemand profitiert dau­
Wortes Katharsis ist das griechische Wort für »reinigen«). Seit Breuer und Freud im erhaft davon, seine Gefühle im leeren Raum auszudrücken. Und wie ich bereits in Ka­
Jahre 1895 ihre Abhandlung über Hysterie22 veröffentlichten, haben viele Therapeuten pitel 3 erwähnte, ist Katharsis eng mit Kohäsivität verbunden. Sie ist nützlicher, nach­
versucht, Klienten zu helfen, sich von unterdrücktem Affekt zu befreien. Doch nach dem innerhalb der Gruppe Verbindungen entstanden sind, die die einzelnen Mitglie­
einer Weile wurde Freud (und später auch allen Anhängern der dynamischen Psycho­ der dazu bringen, einander zu unterstützen. Dies bedeutet, dass die Katharsis während
therapie) klar, dass Katharsis allein nicht reicht. Schließlich kommt es bei uns allen im der Zeit, in der eine Gruppe zusammenkommt, eher später als früh für wertvoll halten
Laufe unseres Lebens zu (manchmal sehr starken) Entladungen emotionaler Energie, wird. 25 Andererseits fördert starker Gefühlsausdruck die Entwicklung von Kohäsivität:
ohne dass sich dadurch irgendetwas verändern würde. Wenn Mitglieder einer Gruppe im Umgang miteinander starke Gefühle zum Ausdruck
Uns vorliegende Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen bestätigen diese bringen und sich ehrlich mit diesen Gefühlen auseinandersetzen, entstehen zwischen
Auffassung. Zwar geht aus Untersuchungen über die Einschätzung therapeutischer ihnen enge Verbindungen. Es gibt Studien, aus denen hervorgeht, dass in Gruppen für
Faktoren durch Klienten hervor, dass diese der Katharsis eine gewisse Bedeutung bei­ Menschen, die unter Verlusterlebnissen leiden, eine Korrelation zwischen dem Aus­
messen, doch gilt dies nur mit bestimmten wichtigen Einschränkungen. Die Untersu­ druck positiven Affekts und positiven Arbeitsergebnissen besteht. Hingegen wirkt der
chung von Lieberman, Yalom und Miles zeigt klar, wie beschränkt die Wirkung der Ausdruck negativen Affekts nur im Rahmen des ehrlichen Bemühens, sich selbst oder
Katharsis allein ist.23 Die Autoren der Studie forderten 210 Teilnehmer einer 30 Stun­ andere Gruppenmitglieder zu verstehen, therapeutisch.26
den dauernden Encountergruppe auf, das wichtigste Ereignis zu beschreiben, das sie Emotionaler Ausdruck ist direkt verbunden mit Hoffnung und einem Gefühl per­
im Laufe der Gruppenarbeit erlebt hatten. Vielfach berichteten die Probanden über das sönlicher Wirksamkeit. Und emotionale Öffnung wird mit der Fähigkeit, Probleme zu

118 119
bewältigen, assoziiert: Der Ausdruck der eigenen Bedürfnisse ermöglicht es den Betref­ akzeptiert habe, ist unter allen 60 Items das am höchsten bewertete. Zwei andere Items
fenden und den Menschen in ihrer Umgebung, auf die Herausforderungen, mit denen ( 46 und 47), die sich auf das Verstehen der Ursachen von Problemen und auf das Er­
das Leben uns alle konfrontiert, produktiv umzugehen. Wenn Frauen, die früh an kennen interpersonaler Verzerrungen beziehen, erreichen ebenfalls einen hohen Rang.
Brustkrebs erkranken, emotional ausdrucksfähig sind, ist ihre Lebensqualität wesent­ Item 50, das sich am deutlichsten auf die genesische Einsicht bezieht, erscheint den
lich besser, als wenn sie versuchen, mit ihrem Leid fertig zu werden, indem sie es ver­ Mitgliedern von Therapiegruppen als nicht besonders wertvoll.
meiden und unterdrücken.27 Bei HIV-positiven Männern, die kürzlich einen schwer­ Dieses Resultat wurde von anderen Forschern bestätigt. Eine Untersuchung, die die
wiegenden Verlust erlitten hatten und darüber trauerten, blieb die Immunfunktion Q-sort-Studie über die therapeutischen Faktoren replizierte, unterteilte die Einsicht
erheblich stärker, wenn sie in der Lage waren, Emotionen auszudrücken, ihre Trauer aufgrund einer Faktorenanalyse in zwei Kategorien: Sich-selbst-Verstehen und genesi­
auszuleben und ihrem Verlust einen Sinn zu geben, und die Betreffenden lebten deut­ sche Einsicht. Die Stichprobe; die aus 72 Mitgliedern von Therapiegruppen bestand,
lich länger als Leidensgenossen, die ihr Leid zu überspielen und den Trauerprozess zu ordnete dem Sich-selbst-Verstehen den vierten und der genesischen Einsicht den ach­
unterdrücken versuchten.28 ten von 14 möglichen Rängen zu.29 Eine andere Studie gelangt zu dem Schluss, dass
Generell ist der offene Ausdruck von Affekt für den gruppentherapeutischen Pro­ Deutungen, die sich auf die Entstehungsgeschichte eines Problems beziehen (genesi­
zess sehr wichtig. Unterbleibt er, degeneriert das Geschehen in der Gruppe zu einer sche Deutungen], wesentlich weniger zum Erreichen positiver Therapieresultate bei­
sterilen akademischen Betätigung. Andererseits ist der Gefühlsausdruck nur ein Teil tragen als auf das Hier und Jetzt bezogenes Feedback. Abgesehen davon, dass die Kli­
des gesamten Gruppenprozesses, und er muss durch andere Faktoren ergänzt werden. enten von genesischen Deutungen nicht sonderlich profitierten, hielten sie entspre­
Zum Schluss möchte ich noch da'rauf hinweisen, dass die Intensität des Gefühlsaus­ chende Bemühungen des Gruppenleiters für unproduktiv. Hingegen wurde das Feed­
drucks sehr unterschiedlich eingeschätzt werden kann und dass dabei nicht die Auffas­ back anderer Gruppenmitglieder als sinnvoll eingeschätzt: Ihre Versuche, von der Ge­
sung des Gruppenleiters die Hauptrolle spielt, sondern das Erleben jedes einzelnen genwart eine Verbindung zur Vergangenheit herzustellen, waren weniger durch psy­
Gruppenmitglieds. Einen auf Außenstehende sehr schwach wirkenden Gefühlsaus­ chotherapeutischen Jargon belastet und unmittelbarer mit tatsächlichem Erleben ver­
druck kann ein emotional stark gehemmter Mensch als sehr intensiv empfinden. Ich bunden als die abstrakteren und weniger dem realen Leben verbundenen Erklärungen
habe immer wieder erlebt, dass Studenten sich eine Videoaufnahme von einer Grup­ des Therapeuten.30
pensitzung ansahen und die betreffende Sitzung anschließend als verklemmt und lang­ Als wir die Teilnehmer unserer Studie befragten, um mehr darüber zu erfahren, wie
weilig bezeichneten, obwohl die Gruppenmitglieder selbst die Sitzung als sehr intensiv ihre Einschätzungen zustande gekommen waren, stellten wir fest, dass das allgemein
und affektgeladen erlebt hatten. beliebteste Item - 48, Entdecken und Akzeptieren von Teilen von mir, die mir früher un­
bekannt waren oder die ich nicht akzeptiert habe - für die Gruppenmitglieder eine ganz
Sich-selbst- Verstehen bestimmte Bedeutung hatte. In den meisten Fällen entdeckten sie nämlich positive
Aus der Q-Sortierung der therapeutischen Faktoren geht auch hervor, welche Bedeu­ Aspekte von sich: die Fähigkeit, füreinander zu sorgen, zu anderen in eine enge Be­
tung die intellektuelle Komponente im therapeutischen Prozess hat. Unter den zwölf ziehung zu treten und Mitgefühl zu empfinden.
Kategorien wurden die beiden, die sich auf die intellektuelle Arbeit beziehen (Interper­ Hier ist eine wichtige Lektion zu lernen. Nur zu oft wird Psychotherapie, insbeson­
sonales Lernen - Input und Sich-selbst-Verstehen), allgemein sehr hoch bewertet. Die dere in naiven, populären oder älteren Darstellungen, als eine Art Detektivspiel be­
Kategorie Interpersonales Lernen - Input, mit der wir uns in Kapitel 2 ausführlich be­ schrieben, als Freilegen oder Enthüllen. Doch Carl Rogers, Karen Horney, Abraham
fasst haben, beinhaltet, dass dem Klienten in der Therapie klar wird, wie andere Men­ Maslow und nicht zuletzt unsere Klienten erinnern uns daran, dass Therapie außer­
schen ihn wahrnehmen. Dies ist der entscheidende erste Schritt der Entfaltung des the­ dem eine horizontale und aufwärtsgerichtete Exploration ist; das Freilegen oder Aus­
rapeutischen Faktors Interpersonales Lernen. graben kann sowohl unsere Reichtümer und Schätze zutage fördern als auch unsere
Die Kategorie Sich-selbst-Verstehen ist problematischer. Ihre Einführung sollte er­ Scham und Angst erzeugenden oder primitiven Aspekte.31 Unsere Klienten wollen von
möglichen, die Bedeutung der De-Repression und des intellektuellen Verstehens der pathogenen Oberzeugungen befreit werden; sie möchten ihre Persönlichkeit weiterent­
Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart (genesische Einsicht) zu untersu­ wickeln und ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten. Wenn es ihnen ge­
chen. Schauen Sie sich in Tabelle 4.1 noch einmal die fünf der Kategorie Sich-selbst­ lingt, sich einen größeren Teil von sich selbst zu erschließen, wirkt dies ermutigend auf
Verstehen zugeordneten Items an. Diese sind sehr unterschiedlich, und die Kategorie sie, und ihr Autonomiegefühl wird gestärkt. Die Psychotherapie ist mittlerweile da­
umfasst sehr widersprüchliche Elemente. Zwischen den verschiedenen Items besteht rüber hinausgewachsen, in erster Linie das »Pathologische« zu eliminieren oder zu
eine sehr schlechte Korrelation, da einige von den Mitgliedern von Therapiegruppen überwinden; heute steht für sie im Vordergrund, das Spektrum positiver Emotionen
als sehr wichtig und andere eher als unwichtig eingeschätzt werden. Item 48, Entdecken und Kognitionen des Klienten zu erweitern. Ein gruppentherapeutischer Ansatz, der
und Akzeptieren von Teilen von mir, die mir früher unbekannt waren oder die ich nicht die Gruppenmitglieder in ihrem Bemühen unterstützt, eine stärkend wirkende und

120 121
fürsorgliche Umgebung zu schaffen und zu bewohnen, ist dem Erreichen der heute all­ Wenn wir die Motive unserer Neugier und unseres Bestrebens, unsere Umwelt zu
gemein präferierten Therapieziele sehr förderlich. .71 32 erforschen, untersuchen, können wir einiges über den Veränderungsprozess herausfin­
Somit begünstigt das Sich-selbst-Verstehen Veränderung unter anderem, indem es den. Zu diesen Motiven zählen das Streben nach Wirksamkeit (effectance - der Wunsch,
Menschen dazu ermutigt, früher verborgene Teile von sich zu erkennen, zu integrieren etwas zu meistern und Macht zu haben), nach Sicherheit (der Wunsch, das Unerklärte
und frei auszudrücken. Wenn wir bestimmte Aspekte von uns leugnen oder unter­ durch Verstehen unschädlich zu machen) und nach reiner Erkenntnis (pure cognizance
drücken, zahlen wir dafür einen hohen Preis: Wir empfinden dann ein tiefes und un­ - der Wunsch, zu wissen und zu erforschen um des Wissens und Erforschens willen).35
greifbares Gefühl der Einschränkung, wir sind ständig auf der Hut, und oft werden wir Der besorgte Familienvater, der untersucht, woher ein geheimnisvolles und beängsti­
durch scheinbar fremdartige innere Impulse, die zum Ausdruck drängen, beunruhigt gendes Geräusch in seinem Haus stammt; der Schüler, der zum erstenmal durch ein
und verwirrt. Wenn es uns gelingt, uns diese abgeleugneten Anteile wieder zu eigen zu Mikroskop schaut und begeistert ist, weil er plötzlich den Aufbau eines Insektenflügels
machen, erleben wir Ganzwerdung und Befreiung. versteht; der mittelalterliche Alchimist oder der Forschungsreisende in der Neuen Welt,
So weit, so gut. Doch wie verhält es sich mit den übrigen Komponenten der intel­ die sich mit bisher unbekannten Bereichen beschäftigen, obwohl dies verboten ist - sie
lektuellen Arbeit in der Therapie? Welchen Anteil hat etwa das als besonders wichtig alle erhalten ihren Lohn: ein Gefühl der Sicherheit, der persönlichen Scharfsichtigkeit
eingestufte Item 47, Herausfinden, warum ich so denke und fühle, wie ich es tue, an der und Befriedigung sowie das Gefühl, etwas gemeistert zu haben, das sich in Form von
therapeutischen Veränderung? Wissen oder Reichtum niederschlägt.
Zunächst müssen wir uns klarmachen, dass intellektuelles Verstehen in der psycho­ Unter diesen Motiven ist das Streben nach reiner Erkenntnis für den Veränderungs­
therapeutischen Arbeit ein dringendes Bedürfnis ist - vonseiten des Klienten wie des prozess am unwichtigsten. Zu wissen um des Wissens willen hat Menschen zu allen
Therapeuten. Unser Bemühen um Verstehen ist tief verwurzelt. Abraham Maslow ver­ Zeiten angetrieben. Die Verlockung des Verbotenen als Motor des Handelns ist in der
tritt in seinem Buch über Motivation die Auffassung, die kognitiven Bedürfnisse des volkstümlichen Literatur ein sehr beliebtes Thema und von der Geschichte von Adam
Menschen seien ebenso elementar wie seine Bedürfnisse nach Sicherheit, Liebe und und Eva im Paradies bis zum Märchen vom Marienkind der Gebrüder Grimm immer
Selbstachtung.33 Die meisten Kinder sind überaus neugierig, und wir machen uns Sor­ wieder zu finden. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass das Streben nach Wissen und
gen, wenn Kinder ihrer Umwelt nicht mit Neugier entgegentreten. Forscher, die sich Erkenntnis auch im Bereich der Psychotherapie eine Rolle spielt. Allerdings gibt es
mit Primaten beschäftigen, beobachten auch bei diesen eine starke Neugier. So hat kaum Anhaltspunkte dafür, dass Verstehen allein zu Veränderungen führt.
man festgestellt, dass Affen, die sich in einem umschlossenen Raum befinden, beträcht­ Hingegen spielen das Streben nach Sicherheit und nach der Entwicklung von Kom­
liche Mühen auf sich nehmen, um durch ein Fenster sehen zu können, was draußen petenz in der Psychotherapie eine wichtige und deutlich sichtbare Rolle, und sie sind,
geschieht; außerdem sind sie bereit, intensiv an der Lösung von Rätseln zu arbeiten, wie White plausibel erklärt hat, eng miteinander verbunden.36 Wir Menschen können
ohne dafür eine andere Belohnung zu erhalten als die Befriedigung, das Rätsel gelöst das Unerklärte - und insbesondere das beängstigende Unerklärte - nicht lange ertra­
zu haben. gen. Alle Kulturen versuchen, mithilfe entweder einer wissenschaftlichen oder einer
Auch unsere Klienten bemühen sich automatisch um Verstehen, und mit Thera­ religiösen Erklärung chaotische und bedrohliche Situationen in der physischen und
peuten, die intellektuelle Bemühungen ohnehin schätzen, verhält es sich genauso. Oft sozialen Umwelt und sogar der Existenz selbst einen Sinn zuzuschreiben. Eines unserer
erscheint uns dies alles als so selbstverständlich, dass wir Sinn und Zweck der Therapie wichtigsten Mittel der Einflussnahme ist die Sprache. Wenn wir chaotischen, wider­
aus dem Blick verlieren. Schließlich geht es dabei doch um Veränderung, nicht darum, spenstigen Kräften einen Namen geben, haben wir das Gefühl, sie bezwungen zu haben
sich selbst zu verstehen. Oder etwa doch? Könnte beides ein und dasselbe sein? Führt oder sie zu beherrschen. In der psychotherapeutischen Situation verringert Informa­
jede Art von Sich-selbst-Verstehen automatisch zu Veränderung? Oder ist das Bemü­ tion die Angst, indem sie die Unklarheit einschränkt. Zahlreiche Untersuchungen be­
hen darum, sich selbst zu verstehen, für den Klienten und den Therapeuten nur eine stätigen diese Beobachtung.37
interessante, anregende und sinnvolle Übung, die beide wie Mörtel zusammenhält, übrigens trifft auch das Umgekehrte zu: Angst vergrößert die Unklarheit, indem sie
während etwas anderes - eine »Beziehung« - entsteht? Vielleicht ist diese Beziehung die Wahrnehmungsschärfe verringert. Bei ängstlichen Versuchspersonen ist die Orga­
die eigentliche verändernde Kraft in der Therapie. Tatsächlich gibt es zahlreiche Belege nisation der visuellen Wahrnehmung gestört; sie können schnell aufeinanderfolgende
dafür, dass eine unterstützende psychotherapeutische Beziehung in einer nicht deuten­ visuelle Signale weniger gut wahrnehmen und organisieren, und sie sind deutlich lang­
den Therapie das interpersonale Verhalten stark verändern kann.34 Diese Fragen auf­ samer, wenn sie in einer kontrollierten Experimentalsituation unvollständige Bilder
zuwerfen ist wesentlich leichter, als sie zu beantworten. Ich werde im Folgenden einige vervollständigen und wiedererkennen sollen.38 Wenn Menschen nicht in der Lage sind,
Vorüberlegungen zu ihrer Beantwortung anstellen und in Kapitel 6, nachdem ich eini­ die Welt kognitiv zu ordnen, empfinden sie möglicherweise Angst, die, wenn sie stark
ges zum Deuten und zu den Techniken des Therapeuten gesagt habe, versuchen, eine ist, die Funktionsfähigkeit des Wahrnehmungsapparats beeinträchtigt. So erzeugt
schlüssige These zu formulieren. Angst weitere Angst: Die entstehende Verwirrung und das bewusste oder unterschwel-

122 1 23
lige Erkennen einer Wahrnehmungsverzerrung werden zu einer starken sekundären Imitationsverhalten (Identifikation)
Ursache von Angst. 39 Klienten; die an Gruppentherapien teilnehmen, schätzen Imitationsverhalten als einen
In der Psychotherapie wirkt der Glaube, dass das innere Chaos, das Leiden und die der am wenigsten nützlichen unter den zwölf therapeutischen Faktoren ein. Allerdings
schwierigen interpersonalen Beziehungen erklärbar und somit auch regulierbar sind, stellten wir im Rahmen von Abschlussgesprächen mit den Testteilnehmern fest, dass
ungeheuer beruhigend auf die Klienten. Maslow schreibt der Vergrößerung des Wis­ die fünf Items dieser Kategorie nur einen Teil dieser Art therapeutischer Wirkung ab­
sensfundus eine transformierende Wirkung zu, die über das Streben nach Sicherheit, deckten (siehe Tabelle 4. 1 ). Sie unterschieden nicht zwischen rein äußerlicher Nach­
die Reduzierung von Angst und die Meisterung von Problemen weit hinausgeht. Nach ahmung (Mimikry), die für die Klienten von nur sehr begrenztem Wert ist, und der
seiner Auffassung entstehen psychische Krankheiten durch Mangel an Wissen.40 Dem­ Aneignung eines ganzen Verhaltensstils und bestimmter Verhaltensstrategien, die für
nach müsste er der moralphilosophischen These zustimmen, dass wir, wenn wir das sie sehr wertvoll sein können. Das bewusste Nachahmen äußerlichen Verhaltens ist bei
Gute kennen, stets in seinem Sinne handeln. Angeblich folgt daraus, dass wir wissen, Klienten als Begleiterscheinung einer Therapie besonders unbeliebt, weil sie es als Ver­
was letztendlich gut für uns ist, dass wir stets im Sinne unserer wohlverstandenen In­ zicht auf Individualität auffassen - wovor viele Gruppenteilnehmer große Angst
teressen handeln.41• haben.
Auch Therapeuten sind weniger von Angst geplagt, wenn sie angesichts starken Lei­ Andererseits übernehmen Klienten von anderen Teilnehmern zuweilen eine umfas­
dens und einer großen Menge chaotischen Materials in der Lage sind, sich an Prinzi­ sende Strategie, die ihnen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen nützlich sein
pien zu orientieren, die es ihnen ermöglichen, das auf sie Einstürmende schlüssig zu kann. Die Mitglieder von Gruppen für Patienten mit bestimmten körperlichen Krank­
erklären. Häufig jedoch klammern sie sich, wenn sie mit einer großen Menge von Fak­ heiten profitieren oft davon, dass sie miterleben, wie andere Gruppenmitglieder mit
ten konfrontiert werden, die ihrer Auffassung widersprechen, hartnäckig an ein be­ dem ihnen allen gemeinsamen Problem durch effektives Handeln fertig werden.42 Die­
stimmtes System - wobei es, falls sie nicht nur Kliniker, sondern gleichzeitig auch For­ ser Prozess findet übrigens gleichzeitig auf der offensichtlichen Ebene und auf unter­
scher sind, sogar sein kann, dass die Fakten, die ihrer Ansicht widersprechen, sich aus schwelligen Ebenen statt. Die Klienten setzen sich mit Problemen auseinander, indem
den Resultaten ihrer eigenen Untersuchungen ergeben. So nachteilig ein derart hart­ sie sich bewusst oder unbewusst vergegenwärtigen, was ein anderes Gruppenmitglied
näckiges Beharren auf früher entwickelten überzeugungen sein mag, erfüllt es doch oder der Therapeut in dieser Situation denken oder tun würde. Ist der Therapeut tole­
auch eine wichtige Funktion: Es ermöglicht dem Therapeuten, trotz des starken Af­ rant und flexibel, entwickeln möglicherweise auch die Gruppenmitglieder diese Eigen­
fekts, der in der Übertragung und in der Gegenübertragung zutage treten kann, gleich­ schaften . Ist der Therapeut bereit zur Selbstoffenbarung und dazu, die Tatsache zu ak­
mütig zu bleiben. zeptieren, dass er bestimmte Dinge nicht kann, ohne unsicher zu werden oder in eine
An dem bisher Gesagten ist kaum etwas umstritten. Selbstkenntnis ermöglicht uns, Defensivhaltung zu verfallen, lernen wahrscheinlich auch die Klienten, die er betreut,
alle unsere Anteile zu integrieren, sie verringert die Uneindeutigkeit, sie lässt ein Ge­ eher, ihre persönlichen Unzulänglichkeiten zu akzeptieren.43 Doch Gruppenmitglieder
fühl, selbst etwas zu bewirken und etwas zu können, entstehen, und sie ermöglicht uns, eignen sich nicht nur bestimmte Eigenarten und den Verhaltensstil ihres Therapeuten
im Einklang mit unseren wohlverstandenen Interessen zu handeln. Außerdem ermög­ an, sondern manchmal sogar sein gesamtes Wertesystem. 44
licht ein [psychotherapeutisches] Erklärungsschema die Generalisierung und den Zu Anfang der Gruppenarbeit entspringt Imi tationsverhalten teilweise dem Bemü­
Transfer des in der Therapie Gelernten auf neue Situationen im Alltagsleben. hen, sich Anerkennung zu sichern; doch ist das nicht sein einziger Sinn und Zweck.
Zu erheblichen Kontroversen kommt es, wenn wir uns nicht dem Prozess oder den Weniger stark gestörte Klienten, deren Fähigkeit zur Realitätsprüfung und deren Fle­
Zweck oder den Wirkungen von Erklärungen, sondern deren Inhalt zuwenden. Ich xibilität erhalten geblieben ist, merken bald, dass sie von anderen in stärkerem Maße
hoffe, in Kapitel 6 plausibel machen zu können, weshalb ich solche Kontroversen für akzeptiert werden, wenn sie ihr Verhalten verändern. Dieses stärkere Akzeptiertwerden
unerheblich halte. Wenn wir uns nicht auf das Sich-selbst-Verstehen, sondern auf die wiederum verändert auf die in Kapitel 3 beschriebene Weise Selbstbild und Selbstwert­
Veränderung konzentrieren, können wir nur zu dem Schluss gelangen, dass eine Erklä­ gefühl und initiiert so eine spiralförmig verlaufende adaptive Entwicklung. Es kommt
rung dann korrekt ist, wenn sie zur Veränderung führt. Das letztendliche Resultat aller auch vor, dass Klienten sich mit Aspekten von zwei oder mehr anderen Personen iden­
unserer intellektuellen Anstrengungen in einer Therapie ist Veränderung. Alles Klären, tifizieren, wodurch eine neuartige Verbindung von Eigenschaften und Verhaltenswei­
Erklären und Deuten des Therapeuten dient letztlich dazu, den Veränderungswillen sen entsteht. Obwohl bestimmte Aspekte von anderen Menschen imitiert werden, han­
des Klienten nutzbar zu machen. delt es sich in solchen Fällen um eine kreative Leistung: eine Synthese, durch die eine
völlig neue individuelle Identität entsteht.
* Neue Untersuchungen über die Reaktion des Menschen auf Stress und über die Wirkung des Erlebens
potenziell traumatischer Ereignisse haben ergeben, dass die psychischen und physiologischen An­
Wie verhält es sich mit der »Zuschauertherapie«? Können Klienten viel lernen, in­
zeichen für Stress verringert werden, wenn wir dem, was in unserem Leben geschieht, einen Sinn zu­ dem sie beobachten, wie andere Gruppenmitglieder, die ähnliche Probleme wie sie
schreiben und wir es als sinnvoll erleben können. selbst haben, zu Lösungen gelangen? Ich zweifle nicht daran, dass diese Art von Lernen

124
125
in Therapiegruppen stattfindet. Jeder erfahren e Gruppentherapeut kann mindestens Populationen, die diesem Faktor einen sehr hohen Wert beimessen, nämlich Gruppen
eine Geschichte über ein Gruppenmitglied erzählen , das monatelang regelmäßig die von Inzestüberlebenden46 und von Sexualstraftätern.47 Für sie ist die Tatsache, dass ihre
Gruppensitzungen besuchte, völlig passiv war und von der Therapie trotzdem stark Familie sie nicht geschützt und sich nicht genug um sie gekümmert hat, ein sehr wich­
profitierte. tiges Thema.
Ich erinnere mich noch genau an Rod, der so schüchtern und isoliert war und so Andererseits sollte es uns nicht überraschen, dass nur wenige Klienten, die an Grup­
e­ pentherapien teilnehmen, diesem therapeutischen Faktor größere Bedeutung beimes­
starke Angst vor sozialem Kontakt hatte, dass er in seinem ganzen Leben als Erwachs
ner noch nie auch nur mit einem anderen Menschen zusammen gegessen hatte. Als ich sen, weil er auf einer anderen Ebene des Bewusstseins wirkt als Faktoren wie Katharsis
ihn in eine ziemlich zügig arbeitende Gruppe hineinnahm, befürchtete ich, er würde oder Universalität des Leidens, deren Bedeutung leichter nachvollziehbar ist. Vergli­
mit der für ihn so ungewohnten Situation nicht fertig werden. Und einerseits war das chen damit ist die Reinszenierung ( und damit das Wiederdurchleben) der Situation in
auch tatsächlich so. Er saß monatelang einfach nur da, hörte schweigend zu und staun­ der Ursprungsfamilie eher dem Hintergrund zuzurechnen, vor dem die Klienten die
te darüber, wie intensiv die übrigen Gruppenmitglieder interagierten. Doch in dieser Gruppe erleben. Kaum ein Therapeut wird abstreiten, dass die Ursprungsfamilie bei
Zeit lernte Rod sehr viel. Die Möglichkeiten vertrauter Interaktion zwischen Menschen allen Gruppenmitgliedern einem ständig gegenwärtigen und im Gruppenraum he­
als Beobachter kennenzulernen war für ihn eine ungeheure Bereicherung. Doch dann rumgeisternden Gespenst gleicht. Natürlich hat das, was Klienten in ihrer Ursprungs­
veränderte sich die Situation ! Die Gruppe forderte von ihm sehr nachdrücklich, aktiver familie erlebt haben, starken Einfluss auf die Art ihrer interpersonalen Verzerrungen,
am Geschehen in den Sitzungen teilzunehmen. Das wurde Rod allmählich so unange­ ihre Rolle innerhalb der Gruppe, ihre Einstellungen den Gruppenleitern gegenüber
nehm, dass er sich schließlich, unterstützt von mir, entschloss, die Gruppe zu verlassen . und dergleichen mehr.
Da er an der Universität arbeitete, an der auch ich tätig war, liefen wir uns in den fol­ Dass für die Mitglieder einer Therapiegruppe in der Gruppenarbeit die Ursprungs­
genden Jahren gelegentlich über den Weg, und er versäumte es dann nie zu beteuern , familie wiederauflebt, ist kaum zu bezweifeln. Sie fungiert als Zeitmaschine, die die
dass die Teilnahme an den Gruppensitzungen für ihn sehr wichtig gewesen sei und ihm Klienten mehrere Jahrzehnte zurückversetzt und bei ihnen tief verwurzelte Erinnerun­
sehr geholfen habe. In der Gruppe hatte er miterlebt, was zwischen Menschen möglich gen und Gefühle reaktiviert. Dieses Phänomen ist eine der wichtigsten Quellen, aus
war und wie sie miteinan der umgehen konnten. Aufgrund dessen verfügte er nun über denen eine Therapiegruppe Kraft schöpfen kann. In meiner letzten Sitzung mit einer
einen inneren Bezugspunkt, der ihm jederzeit erreichbar war, wenn er sich während Gruppe, bevor ich die Arbeit mit ihr wegen eines Sabbatjahrs unterbrach, erzählte ein
seiner Versuche, Kontakte zu anderen Menschen aufzubauen, rückversichern wollte. Klient folgenden Traum: »Mein Vater brach zu einer langen Reise auf. Ich war mit einer
Klienten lernen nicht nur, indem sie andere Gruppenmitglieder, die ihnen ähneln, Gruppe von Menschen zusammen. Mein Vater hinterließ uns ein zehn Meter langes
bei der Arbeit an ihren Problemen beobachten, sondern auch durch das Miterleben des Boot, aber er vertraute nicht mir das Steuer an, sondern einem meiner Freunde. Da­
Arbeitsprozesses selbst. In diesem Sinne ist der therapeutische Faktor Imitation sver­ rüber war ich sehr wütend.« Ich kann auf diesen Traum hier nicht ausführlich einge­
halten vorübergehend wichtig, da er es den Klienten ermöglicht, sich im weiteren Ver­ hen, möchte aber Folgendes erläutern: Der Vater des Mannes hatte seine Familie ver­
lauf der Arbeit stärker auf andere Aspekte der Therapie einzulassen. Diese Auffassung lassen, als der Klient noch sehr klein gewesen war, woraufhin ein älterer Bruder ihn
wird bestätigt durch die Tatsache, dass eines der fünf Items zum Imitationsverhalten tyrannisiert hatte. Der Klient erklärte, in diesem Traum habe er das erste Mal seit vie­
(Item 3 7, Zu sehen, dass auch andere Peinlichkeiten, die sie betrafen, zugaben und Risi­ len Jahren an seinen Vater gedacht. Die Ereignisse in der Gruppe - mein Abschied, die
ken eingehen konnten und dass ihnen dies manchma l zugute kam, half mir, mich ebenso Übernahme der Leitung durch einen anderen Therapeuten, die positiven Gefühle des
zu verhalten ) von den Klienten in der Rangliste der 60 therapeutischen Faktoren auf Klienten gegenüber der Co-Therapeutin, seine Antipathie einem dominanten anderen
Platz 8 gesetzt wurde. Eine groß angelegte Untersuchung, die in den Niederlanden Gruppenmitglied gegenüber - all dies hatte seine seit langem schlummernden Erinne­
durchgeführt wurde, ergab, dass die Klienten die Identifikation in der Anfangsphase rungen geweckt. Klienten reinszenieren in der Gruppe frühe Familienskripts, und bei
einer Therapie für wichtiger halten, in der Phase, in der neu hinzukommende Grup­ erfolgreichem Verlauf der Therapie experimentieren sie mit neuen Verhaltensweisen
penmitglieder nach erfahreneren Ausschau halten, um sich mit diesen zu identifizie­ und befreien sich von starren familiären Rollen, auf die sie lange fixiert waren.
ren.45 Obwohl ich diese Phänomene, die im Laufe des Therapieprozesses auftreten, für
wichtig halte, bin ich nicht unbedingt der Meinung, dass die Gruppe sich explizit da­
Reinszenierung der Familiensituation rauf konzentrieren sollte. Ich sehe diesen Prozess eher als einen Teil der inneren und
Die Reinszenierung der Situation in der Ursprungsfamilie oder die korrigierende Re­ gewöhnlich stillschweigenden häuslichen Arbeit der Gruppenmitglieder an. Unsere
kapitulation des Geschehens in der Ursprungsfamilie, die von vielen Therapeuten als Sicht der Vergangenheit verändert sich deutlich durch die Lebendigkeit der Arbeit in
therapeutischer Faktor besonders hoch geschätzt wird, erscheint den Gruppenmitglie­ der Gegenwart, nicht durch das ausdrückliche und direkte Beschwören und Befragen
dern selbst in der Regel nicht als nützlich. Allerdings gibt es einige spezielle klinische der Geister der Vergangenheit. Wie ich in Kapitel 6 erläutern werde, gibt es viele trifti-

1 26 127
der Veränderung wie Univ ersalität des Leidens, Altruismus, Reinszenierung der Fami­
ge Gründe dafür, dass eine Gruppe sich b ei ihrer Arbeit um einen ahistorischen Fokus
bemühen sollte. Wenn man sich zu stark auf nicht anwesende Personen konzentriert, liensituation, A nleitung, Identifikation und Hoffnung-Wecken. ltem 60, Mir darüber
beispielsweise auf Eltern und Geschwister sowie auf ödipale Tendenzen, Geschwister­ klar werden, dass ich letztlich selbst dafür verantwortlich bin, wie ich lebe, auch wenn ich
rivalität o der Mordwünsche dem eigenen Va ter gegenüber, vermeidet und leugnet man von anderen noch so viel Rat und Unterstützung erhalte, erreichte im Mittel den fünften
eben dadurch die reale Situation der Gruppe und der an de ren Grupp enmitglieder als Rang von all en 60 Items.
ein Erleb en im Hier und J etzt.
Das Gleiche stellten auch andere Forscher f est. In allen Studien, bei denen die exi­
stenzielle Kategorie einbezogen wurde, wiesen die Testteilnehmer dieser zumindest einen
Existenzielle Faktoren Platz in der oberen Hälfte der Rangordnung zu. In einigen Studien, die sich beispielswei­
D er Q­ se mit Therapiegruppen im Gefängnis, Tage skliniken und psychiatrischen Kranken­
Die Kategorie Existenzielle Faktoren basiert auf einem nachträglichen Einfall.
m ine Koll g twick lt , berücks ichtig häusern sowie mit der Behandlung Alkoholabhängiger befassen , belegte die Kategorie
Sor tiertest, de n ich zusammen mit e n e en en e e te

n. Di s s R sultat u s er gem i ­ Existenzielle Faktoren einen der ersten drei Ränge.48 Auch bei vielen gruppentherapeu­
zunächst elf grundlegende therap eutische Faktor e e e e n er e n

f hlte u s och i g ­ tischen Behandlungsmaßnahmen mit Patienten, die unt er bestimmten körperlichen
samen Bemühungen erschien u ns als sauber und präzise, doch e n n r end

geäußerte wichtige G fühl ari K rankheiten leiden, spielen die existenziellen Faktoren eine zentrale Rolle.49 Eine Grup­
etwas daran. Weil von Kli enten und Therap euten
e e d n

n wir schli ßlich och och einen Faktor hinzu, der folgende pe älterer Frauen setzte die existenziellen Faktoren in ihrer Einschätzung an die erste
keinen Platz hatten, fügte e d n
Stelle,50 ebenso eine Stichprob e vo n 66 Klient en, die in einer Einrichtung für Alko­
fü nf Items umfasst:
holkranke betreut wurden.51 Diesen ansonsten so unt erschiedlichen Populationen ist
das Bewusstsein g emeinsam, dass es im Leben unverrückbare Grenzen gibt - Z eitgren­
1. Erkennen, dass das Leben manchmal unfair und ung erecht ist.
2. Erkennen, dass es manchmal letztendlich u nmöglich ist, Schmerzen, die das L eb en zen, Grenzen der Macht und Grenzen der Gesundheit. Sogar wenn Therapeuten Exi­
mit sich bringt, zu entfliehen und ebenso wenig dem Tod. stenzielle Faktoren für unwichtig halten, kommt es vor, dass die Mitglieder ihrer
3. Erkennen, dass ich anderen Menschen noch so nahe sein kann, aber mit dem Leben Therapiegruppen diesen Faktoren eine n hohen Wert beimessen.52
trotzdem allein fertig werden muss. Wir müssen uns genau anhören, was die uns vorliegenden Informationen uns zu
4. Mich den Grundfragen meines Lebens u nd m eines To des stellen und dadurch ehr- sagen haben. Offenbar verdienen die existenziellen Faktoren in einer Therapie eine viel
licher leben und mich weniger in Unwichtig em verstricken. größere Beachtung, als ihnen gewöhnlich geschenkt wird. Es ist sicher nicht nur ein
5. Mir darüber klar werden, dass ich letztlich selbst dafür verantwortlich bin, wie ich Zufall, dass die Kategorie Existenzielle Faktoren erst nachträglich in den Q-Sortiertest
einbezogen wurde, sich jedoch für die Kli enten t rotzdem als so wichtig er wies. Sie spi e­
lebe, auch wenn ich von an deren noch so viel Rat und Unterstützung er halte.
len in der Psychotherapie eine wichtige, aber weitgehend unerkannte Rolle. Es gibt kei­
ne spezi elle Schule existenzieller Psychotherapie, keine maßgebliche existenzielle Theo­
In diesem Item-Cluster klingen verschiedene Themen a n: Verantwortlichkeit, grund­
ri e und keine entsprechenden richtungsweisenden Techniken. Trotzdem versteht sich
sätzliche Isoliertheit [Isoliertheit als unausweichliches Merkmal der menschlichen Si­
ein erstaunlich großer Anteil der amerikanischen Psychotherape uten (in einer im Jah­
tuation, Anm. d. übers.) , Unvorhersehbarkeit, Launenhaftigkeit des Lebe ns, Anerken­
nen unserer Sterblichkeit un d der Konsequenzen, die sich daraus für unsere L eb ens­ re 1983 durchgeführten Studie ist von 16 Prozent die Rede, also von einer Größen ord­
führung ergeben. Wie könnt en wir diese Kategorie b enennen? Nach einigem Zögern nung, die dem Anteil der psychoanalytisch arbeitenden Therapeuten entspricht) als
existenziell oder »existenziell-humanistisch« orientiert. Ein ähnlicher P rozentsatz er­
53
entschied ich mich schließlich für den Aus druck Existenzielle Faktoren, was beinhaltet,
dass sich alle diese Faktoren auf die Existenz be zie h en - auf unsere Konfrontation mit
fahrener Gruppentherap euten b ezeichnet e in einer 1992 durchgeführten Unt ersu­
unserem Menschsein -, die Auseinandersetzung mit den harten existenziellen Tatsa­ chung das existenziell-humanistische Modell als das beste Abbild der zeitgenössischen
chen des Lebens: mit unserer Sterblichkeit, unserer Freiheit und unserer Verantwor­ gruppentherapeutischen Praxis.54
tung für die selbstständige Gestaltung unserer Lebenssituation. Mit unserer grundsätz­ Selbst Therapeuten, die sich mit einer anderen theoretischen Orientierung identi­
lichen Isoliertheit, die darauf beruht, dass wir alle in in die Existenz hineing ewo rf en fizieren, sind oft erstaunt, wenn sie sich die Techniken, die sie anwenden, und ihre ei­
worden sind, und mit unserer Suche nach einem Lebenssinn, obwohl wir uns unglück­ gene grundsätzliche Sicht der Situation des Menschen einmal gründlich an schauen
licherweise in e inem Un iversum befinde n, das keinen ihm eigenen Sinn hat. und fe ststellen, dass auch sie existe nzielle Positionen vertret en.55 Viel e psychoanaly­
Dass die existenziellen Items bei den Klienten Anklang fanden, ist nicht weiter ver­ tisch ausgebildete Therapeuten beispielsweise meid en die Auseinandersetzung mit den
wunderlich, u n d viel e bezeichnen ein ige davon sogar als fü r sie p ersönlich außer­ Grundlagen der analytischen Theorie weitgehend oder ignorieren sie und setzen statt­
dessen darauf, dass die authentische Beg eg nung zwischen Klient und Therapeut das
ordentlich wichtig. Oft messen Klienten sogar der g esamten Kategorie Existenzielle
entscheidende verändernde Element der Therapie ist.
56
Faktoren einen höheren Wert bei als in der Regel ebenfalls hoch g eschätzten Faktoren

129
128
Die klassische psychoanalytische Theorie basiert ausdrücklich auf einer sehr mate­ kere Vertrautheit mit Grenzen, Krieg, Tod und der Ungesichertheit der Existenz haben
rialistischen Sicht der menschlichen Natur. Freud wird nicht völlig verständlich, solan­ die Ausbreitung existenzialistischen Gedankenguts begünstigt. Der für Amerika cha­
ge man ignoriert, dass er Anhänger der Helmholtz-Schule war, einer wissenschafts­ rakteristische Zeitgeist [im Original deutsch, Anm. d. übers.] der Überschwänglichkeit,
theoretischen Orientierung, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Westeuropa spezi­ des Optimismus, der unbegrenzten Horizonte und des Pragmatismus neigte hingegen
ell die medizinische und allgemein die naturwissenschaftliche Forschung prägte.57 jenem wissenschaftlichen Positivismus zu, den eine mechanistische freudianische Me­
Nach dieser Lehre sind wir als Menschen nichts anderes als die Summe unserer Teile; taphysik und ein hyperrationaler empirischer Behaviorismus (höchst merkwürdige
sie ist deterministisch, antivitalistisch und materialistisch (d. h., sie versucht, das Hö­ Bettgenossen!) boten.
here durch das Niedrigere zu erklären). In den letzten vier Jahrzehnten hat sich in der amerikanischen Psychotherapie die
Freud hat sich von dieser Position und ihren Implikationen für die menschliche sogenannte dritte Kraft der amerikanischen Psychologie (nach Freuds Psychoanalyse
Natur niemals völlig gelöst. V iele seiner schwerfälligeren Erklärungsmodelle (beispiels­ und Watsons Behaviorismus) entwickelt. Diese oft auch als »existenziell« oder »huma­
weise die Theorie von der Dualität der Triebe sowie die von der Bewahrung und Um­ nistisch« bezeichnete Richtung hat die moderne psychotherapeutische Praxis sehr
wandlung libidinöser Energie) sind aufgrund seines unablässigen Bemühens entstan­ stark beeinflusst.
den, das menschliche Verhalten gemäß den Lehren von Helmholtz zu erklären. Diese Wir Amerikaner haben die europäische existenzielle Tradition jedoch nicht nur im­
bilden zur Definition des existenziellen Ansatzes eine Art Negativ. Falls Sie sich durch portiert, sondern auch amerikanisiert. Deshalb ist die Syntax der humanistischen Psy­
die Helmholtzsche Wissenschaftstheorie eingeengt fühlen, falls Sie meinen, irgendet­ chologie europäisch, ihre Art der Akzentuierung jedoch unverkennbar ein Ausdruck
was werde in ihr nicht berücksichtig, wir Menschen seien letztendlich doch mehr als der Neuen Welt. Der europäische Existenzialismus konzentriert sich auf die tragischen
eine Ansammlung von Bestandteilen, und die Helmholtzsche Doktrin habe einige ent­ Aspekte der Existenz, auf Grenzen, auf die Auseinandersetzung mit der Angst vor Un­
scheidende Aspekte unserer Menschlichkeit übersehen - beispielsweise Zielgerichtet­ gewissheit und Nichtsein und deren Verinnerlichung. Amerikanische humanistische
heit, Verantwortlichkeit, die Fähigkeit zu fühlen, den Willen, die Wertvorstellungen, Psychologen hingegen sprechen weniger von Grenzen und Ungewissheit als von den
den Mut und den menschlichen Esprit oder die Beseeltheit des Menschen -, dann sind Möglichkeiten des Menschen, weniger vom Akzeptieren als vom Bewusstmachen, we­
Sie in dem Maße, wie Sie solche Vorstellungen bevorzugen, existenzialistisch orien­ niger von Angst als von Gipfelerlebnissen und ozeanischem Einssein, weniger vom
tiert. Sinn des Lebens als von Selbstverwirklichung, weniger von Getrenntsein und grund­
An diesem Punkt meiner Darstellung befinde ich mich in akuter Gefahr, von der sätzlicher Isolation als von der Ich-Du-Beziehung und von Begegnung.
Oberfläche dieser Seiten abzurutschen und unversehens in einem anderen Buch zu Nun besteht natürlich bei einer Lehre, die auf einer Anzahl von Axiomen basiert,
landen. In unserem momentanen Rahmen ist es nicht möglich, das existenzielle Be­ wenn diese Axiome systematisch in einer bestimmten Weise verändert werden, die Ge­
zugssystem in der Psychotherapie eingehend zu erläutern. Interessierten empfehle ich fahr eines starken Abweichens vom Inhalt der ursprünglichen Lehre. Tatsächlich ist ge­
deshalb mein Buch Existenzielle Psychotherapie58 sowie andere meiner Bücher, die den nau dies geschehen, und einige humanistische Psychologen haben dadurch die Verbin­
existenziellen klinischen Ansatz in Aktion beschreiben, nämlich Die Liebe und ihr Hen­ dung zu ihren existenziellen Wurzeln verloren. Ihre umfassende Zielsetzung ist die
ker,59 Und Nietzsche weinte,60 Der Panamahut, 6 1 Die Reise mit Paula62 und Die Schopen­ Selbstverwirklichung, der sie ihre Klienten mithilfe spezieller Techniken näher zu brin­
hauer-Kur.63 Im Augenblick muss der Hinweis genügen, dass die moderne existenzielle gen versuchen. Diese Entwicklung ist sehr bedauerlich. Charakteristisch für den exi­
Therapie zwei philosophische Traditionen miteinander verbindet und nutzt: Die erste stenziellen therapeutischen Ansatz sind nicht bestimmte technische Verfahrensweisen,
beschäftigt sich mit dem Wesenhaften: die Lebensphilosophie [im Original deutsch, sondern eine Einstellung, eine Sensibilität den Tatsachen des menschlichen Lebens
Anm. d. übers.] (oder philosophische Anthropologie); die zweite ist methodisch ori­ gegenüber.
entiert: die Phänomenologie, eine erheblich jüngere, von Edmund Busserl begründete Existenzielle Psychotherapie ist ein dynamischer Ansatz, der auf bestimmten grund­
Tradition. Letzterer vertritt die Auffassung, entscheidend bei der Untersuchung des sätzlichen Problemen basiert, die in der menschlichen Existenz wurzeln. Ich erwähnte
Menschseins sei das Bewusstsein. Aus phänomenologischer Sicht findet Verstehen von bereits, dass ein therapeutischer Ansatz als »dynamisch« bezeichnet wird, wenn er von
innen statt; deshalb müssen wir die natürliche äußere Welt ausklammern und uns der Prämisse ausgeht, dass in den Tiefenstrukturen der Persönlichkeit widerstreitende
stattdessen mit dem inneren Erleben befassen, das jene innere Welt hervorbringt. Kräfte wirken, und dass ( dies ist sehr wichtig) sich diese Kräfte auf verschiedenen Ebe­
Der existenzielle therapeutische Ansatz - der das Gewahrsein der Sterblichkeit, die nen des Bewusstseins manifestieren, wobei sich einige der bewussten Wahrnehmung
Freiheit, die Isolation und den Lebenszweck in den Vordergrund stellt - spielte für eu­ entziehen. Doch was ist der Inhalt des inneren Kampfes zwischen diesen Kräften?
ropäische Therapeuten lange eine wesentlich wichtigere Rolle als für amerikanische. Die existenzielle Sicht des Inhalts unterscheidet sich stark von der Art, wie andere
Die europäische philosophische Tradition, die Dichte der Besiedlung Europas sowie dynamische Systeme diesen sehen. Ein klassisch analytischer Ansatz beispielsweise be­
das dadurch entstehende Gefühl räumlicher Enge und Eingeschränktheit und die stär- fasst sich mit dem Kampf zwischen den grundlegenden menschlichen Trieben (haupt-

130 131
sächlich dem Sexual- und dem Aggressionstrieb) und einer Umwelt, die die Befriedi­ perlich davon profitieren, dass die Gruppe ihnen hilft, mit der Herausforderung, vor
gung dieser Triebe verhindert. Hingegen befasst sich ein Anhänger der Selbstpsycholo­ die das Leben sie gestellt hat, sinnvoll umzugehen (siehe hierzu Kapitel 15). 67
gie mit den Anstrengungen des Klienten, im Kontext positiv resonierender oder ent­ Der Verlauf der Therapie von Sheila veranschaulicht vieles von dem, was im Voran­
täuschender Beziehungen zwischen Selbst und Objekt ein stabiles Empfinden seiner gegangenen theoretisch erläutert wurde. Die Klientin, die nach Abschluss ihrer Be­
selbst als lebendig und wertvoll aufrechtzuerhalten. handlung den Q-Sortiertest ausführte, bezeichnete die Items, die sich auf die existen­
Im Sinne des existenziellen Ansatzes kämpft der Mensch in erster Linie mit den ziellen Faktoren bezogen, als die für ihre Besserung entscheidenden.
»Gegebenheiten« der Existenz, den letztendlich entscheidenden Aspekten der mensch­
lichen Situation: Tod, Isolation, Freiheit und Sinnlosigkeit. Angst entsteht durch fun­ Shei la, eine 25-jäh rige Studentin, die schon etwas länger als normal studierte, klagte
damentale Konflikte in diesen Bereichen: ( 1 ) Wir wollen weiterleben und sind uns ü ber Depression, E i ns a m keit, Ziellosigkeit u n d starke Magen beschwerden, die sich
doch der Unvermeidlichkeit des Todes bewusst; (2) wir sehnen uns nach Struktur und orga nisch n icht erklären ließen. In e i n e r vorbereitenden Ei nzelsitz u n g erklärte sie
müssen uns doch mit der Wahrheit auseinandersetzen, dass wir selbst die Gestalter un­ wiederholt: »Ich weiß a bsol ut n icht, was da i m Ga nge ist!«
seres Leben sind und dass unsere Überzeugungen und unser Nervensystem für die Ich ka m nicht dahinter, was sie meinte, u nd da i h re Klage in einer langen Lita nei von
Form der [von uns wahrgenommenen] Realität verantwortlich sind: Unter uns ist Selbstbesch u l d igu ngen u ntergi ng, vergaß ich sie bald wieder. Aber sie versta nd auch
Nichts [ im Original deutsch; Anm. d. übers.] , bodenloser Abgrund; ( 3) wir sehnen uns nicht, was sie in der Gru ppe erlebte. Ihr wa r völ l ig u n klar, weshalb a ndere sich ka u m fü r
nach Kontakt und Schutz und danach, einem größeren Ganzen anzugehören, und sie interessierten, weshalb sie eine Konversionslähmung entwickelt hatte, weshalb sie
doch erleben wir die unüberbrückbare Kluft zwischen uns selbst und anderen; und ( 4) sich auf masochistische sexuelle Beziehu ngen e i n l ieß und wa rum sie den Therapeuten
wir sind Geschöpfe, die nach einem Sinn suchen und die in eine Welt geworfen sind, so sta rk idea lisierte.
die keinen immanenten Sinn hat. In der Gru ppe wirkte Sheila la ngweil ig, und i h r Verhalten wa r völlig vorherseh ba r. Be­
Die ltems des Q-Sortiertests, die von den Testteilnehmern als bedeutsam empfun­ vor sie etwas sagte, versuchte sie aus dem Gesichtsa usd ruck der ü brigen Gru ppen mit­
den wurden, bezogen sich auf einige dieser schmerzlichen Wahrheiten über die Exis­ glieder zu sch l ießen, was d iese von i h r wollten u nd erwa rteten. Um a ndere nicht zu
tenz. Den Gruppenmitgliedern war klar geworden, dass andere Menschen sie nur in verärgern und sie dadurch von sich wegzutreiben, wa r sie bereit, fast jede erdenkliche
begrenztem Maße anleiten und unterstützen konnten und dass letztlich allein sie für Rol le zu spielen. (Natürl ich vertrieb sie a ndere trotzdem, u nd zwa r n icht, weil d iese
ihre Art zu leben verantwortlich waren. Sie wussten nun, dass alle Nähe zu anderen wütend auf sie waren, sondern weil sie sich in ih rer Gegenwart zu Tode langweilten.)
nichts daran ändert, dass es einen Punkt gibt, über den hinaus andere uns nicht beglei­ Sheila hatte sich dauerhaft a us dem aktiven Geschehen im Leben z u rückgezogen, und
ten können: Eine grundsätzliche Einsamkeit, der wir uns stellen müssen, ist ein We­ die Gruppe versuchte im mer wieder, diesem Rückzug entgegenzua rbeiten, u m i n dem
sensmerkmal unserer Existenz. Viele Klienten lernen, der Begrenztheit ihres Seins und Kokon der Fügsam keit, den Sheila u m sich gesponnen hatte, sie sel bst zu finden.
Tuns und ihrer Sterblichkeit aufrichtiger und mutiger ins Auge zu sehen. Die ehrliche Doch änderte sich a n dieser Situation so la nge n ichts, bis die Gru ppe Sheila n icht mehr
Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod ermöglicht ihnen, die Sorgen des Alltags­ d rängte oder gar zu zwingen versuchte, m it anderen Menschen soziale Konta kte zu
lebens in einem anderen Licht zu sehen. Sie sind dann in der Lage, mit den Belanglo­ pflegen, zu stud ieren, Referate zu schreiben, Rech n u ngen zu beza h len, sich Kleider zu
sigkeiten des Lebens so umzugehen, wie es ihrem niedrigen Stellenwert entspricht. kaufen und sich besser z u pflegen, sondern sie stattdessen dazu a n regte, ü ber die Vor­
Oft ignorieren wir diese existenziellen Tatsachen, bis in unserem Leben etwas ge­ teile von Misserfolgen nachzudenken. Was a m Versagen wa r so verfü hrerisch u nd at­
schieht, das uns ihnen gegenüber aufgeschlossener macht. Zunächst reagieren wir auf traktiv? Wie sich hera usstel lte, ga r nicht so wenig! Aufgrund i h rer Misserfolge konnte
Krankheit, Verlusterlebnisse und Traumata häufig, indem wir sie leugnen, doch letzt­ sie sich weiter fü r j u ng ha lten, sie konnte in einer geschützten Situation bleiben, und
lich entstehen durch solche Ereignisse, die das Leben verändern, therapeutische Chan­ sie brauchte keine Entscheid u ngen zu treffen. Die Idealisierung des Therapeuten d ien­
cen für konstruktive Veränderungen der Klienten selbst, ihrer engeren Beziehungen te dem gleichen Zweck: Es gab jemanden, der ihr helfen konnte. Er ka n nte die Antwor­
und ihrer sozialen Kontakte generell. .71 64 ten auf alle fü r sie wichtigen Fragen. Sie sel bst bra uchte in der Therapie n u r so schwach
Nach zehn Gruppentherapiesitzungen im Sinne des integrativen Ansatzes fühlten zu wirken, dass der Therapeut i h r seine helfende Hand guten Gewissens nicht mehr
sich Frauen mit Brustkrebs im Frühstadium nicht nur optimistischer und weniger von vorenthalten konnte.
Depression und Angst geplagt, sondern sie waren auch zu der überzeugung gelangt, Die E ntdeckung eines vergrößerten Achsellym phknotens bei i h r ma rkierte einen wich­
dass ihre Krankheit sich positiv auf ihr Leben ausgewirkt hatte, weil der Krebs sie dazu tigen Wendepu n kt. Am Tag der Biopsie sa ß sie in der Gru ppe und sah ängstlich dem
veranlasst hatte, ihre Prioritäten im Leben neu festzulegen.65 Außerdem war bei diesen U ntersuchungsergebnis entgegen. (Wie sich herausstellte, hatte sie keinen bösartigen
Klientinnen der Spiegel des Stresshormons Kortisol deutlich gesunken.66 Die Mitglie­ Tu mor.) Sie wa r ih rem Tod noch n i e so nahe gewesen, und wir ha lfen i h r, sich a uf die
der derartiger Unterstützungsgruppen können psychisch, emotional und sogar kör- beängstigende Einsamkeit, die sie erlebte, einzulassen. Es gibt zwei Arten von Einsam-

1 32 133
keit: die u rsprüngliche, existenzielle Einsamkeit, mit der Sheila in jener Gruppensitz u ng leben, in dem wir des Seins gewahr sind, in einem Zustand, in dem wir nicht darüber
konfrontiert war, u n d eine soziale E i n s a m keit, d i e aus der U nfä higkeit, m it anderen staunen, wie die Dinge sind, sondern darüber, dass sie sind. Wir leben dann authen­
Menschen zusammen z u sein, resu ltiert. tisch, akzeptieren unsere Möglichkeiten und Grenzen und sind uns unserer Verantwor­
An sozialer Einsamkeit wird in Gru ppenthera pien häufig und in der Regel erfolgreich tung für unser Leben bewusst. (Mir gefällt Sartres Definition der Verantwortung: »Ver­
gearbeitet. Existenzielle E i n s a m keit wird meist d u rch die a l ltäglichen Ablen kungen antwortlich zu sein bedeutet, der unbestreitbare Urheber von Ereignis oder Gegen­
ü berdeckt, und Menschen setzen sich generell seltener mit ihr a usei nander. Manchmal stand zu sein«.)7°
verwechseln G ru ppen d iese beiden Arten von E in sa m keit und versuchen d a n n, d i e Wenn wir uns im authentischen Zustand der Wahrnehmung des Seins der Tatsache
grundsätzl iche, existenzielle E i n s a m keit eines Mitglieds a ufz u lösen oder zu heilen. bewusst sind, dass wir uns selbst schaffen, gibt uns dies die Macht, uns zu verändern,
Doch wie Sheila a n d iesem Tag kla r w u rde, ka n n kei n Mensch von sei n er grundsätzli­ und lässt uns hoffen, dass unsere Aktivitäten Früchte tragen werden.?1 Deshalb sind für
chen Einsamkeit befreit werden; es ist n icht möglich, sie a ufzu lösen; m a n ka n n sie nur den Therapeut insbesondere die Faktoren wichtig, die einen Menschen aus dem alltäg­
a l s das erken nen, was sie ist, und s ie letzten d l ich als festen Besta n dtei l des Lebens lichen in den authentischen Modus der Existenz versetzen. Man kann einen solchen
a kzeptieren. Wechsel nicht erzwingen, indem man sich »zusammenreißt« und die Zähne zusam­
Nach d iesem Erlebnis änderte Sheila sich ziemlich sch nell. Es gelang ihr, weit verstreu­ menbeißt. Doch befördern bestimmte erschütternde Erlebnisse (die in der philosophi­
te Tei l e von sich zu i ntegrieren. Sie fing a n , E ntscheidu ngen zu treffen u n d in i h rem schen Literatur oft als »Grenzerlebnisse« bezeichnet werden) Menschen in den Zu­
Leben sel bst das Steuer i n die Hand zu nehmen. Sie erklärte: »Ich glau be,jetzt weiß ich, stand der »Wahrnehmung des Seins«.7 1
was los ist« (ich hatte i h re a nfängliche Klage schon längst vergessen). In erster Li nie Das Erleben einer Extremsituation - so Sheilas plötzliche Konfrontation mit der
hatte sie versucht, das Gespenst der Ei nsa m keit zu meiden. Nach meiner Auffassung Möglichkeit, einen bösartigen Tumor im Körper zu haben - ist ein gutes Beispiel für
hatte sie dies zu erreichen versucht, indem sie i h ren Studenten status u nd d a m it i h re ein »Grenzerlebnis«: ein Ereignis, das Menschen brutal in die Wirklichkeit zurückver­
J ugendlichkeit n icht a ufgegeben, E ntschei d u ngen gemieden u n d den Mythos auf­ setzt und ihnen hilft, ihre Sorgen in eine angemessene Relation zur Gesamtsituation zu
rechtzuerha lten versucht hatte, dass es immer jemanden geben werde, der fü r sie ent­ bringen. Doch da solche extremen Erlebnisse im Laufe der Arbeit von Therapiegrup­
scheide, sie begleite u nd fü r sie da sei. E ntscheid ungsfä higkeit u nd Frei heit sind stets pen natürlicherweise nur selten vorkommen, müssen erfahrene Gruppenleiter die exis­
m it Einsamkeit verbu nden, u nd wie Erich Fromm schon vor la nger Zeit in seinem Buch tenziellen Faktoren auf andere Weise ins Spiel bringen. Die zunehmende Bedeutung
Die Furcht vor der Freiheit gesagt hat, ersch reckt Freiheit u ns mehr als Tyra n nei.68 der Kurzzeittherapie bietet in dieser Hinsicht ausgezeichnete Möglichkeiten: Der The­
rapeut kann das sich abzeichnende Ende der Gruppenarbeit (aber auch einer Einzel­
Wenden wir uns nun wieder Item 60 des Q-Sortiertests zu, das in Tabelle 4.1 zu finden therapie) nutzen, um die Klienten aufzufordern, sich auch über andere Abschluss- und
ist und das so viele Testteilnehmer für wichtig hielten: Mir darüber klar werden, dass ich Endsituationen einschließlich des Todes Gedanken zu machen und sich zu überlegen,
letztlich selbst dafür verantwortlich bin, wie ich lebe, auch wenn ich von anderen noch so wie sie die ihnen verbleibende Zeit genießen und in ihr zufriedener leben können. In
viel Rat und Unterstützung erhalte. Dies ist ein recht zweischneidiger Aspekt der Grup­ diesem Bereich überschneiden sich die existenzielle und die interpersonale Sicht, wenn
pentherapie. Die Gruppenmitglieder lernen sehr viel darüber, wie sie ihre Beziehungen die Klienten anfangen, sich grundlegendere Fragen zu stellen: Welche Entscheidungen
zu anderen Menschen verbessern können, wie sie anderen näher kommen, ihnen hel­ treffe ich hinsichtlich meiner Beziehungen und meines Verhaltens? Wie möchte ich,
fen und selbst andere um Hilfe bitten können. Aber sie lernen auch die Grenzen der dass andere mich erleben? Bin ich in dieser Beziehung wirklich präsent und engagiert,
Nähe kennen: Sie finden heraus, was sie von anderen nicht bekommen können. Das ist oder »manage« ich die Beziehung unauthentisch, um meine Angst zu verringern?
eine harte Lektion, die Verzweiflung erzeugt, aber auch stark macht. Man kann nicht Kümmere ich mich darum, was dieser Mensch von mir braucht, oder motivieren mich
allzulange direkt in die Sonne schauen, und Sheila schaute oft weg und mied so ihre meine beschränkten Eigeninteressen?
Furcht. Doch gelang es ihr immer wieder, auf sie zurückzukommen, und am Ende der Einige Gruppenleiter versuchen, extreme Erlebnisse mithilfe einer Art von existen­
Therapie hatte sich in ihr vieles verändert. zieller Schocktherapie zu provozieren. Sie führen ihre Klienten mithilfe der verschie­
Nach den Vorstellungen der existenziellen Therapie können wir Menschen mit den densten Techniken an den Rand des Abgrundes der Existenz heran. Beispielsweise ken­
tiefsten Fragen unserer Existenz auf zweierlei Art umgehen. Wir können die Situation, ne ich Gruppenleiter, die ihren Klienten zu Beginn einer Gruppe, in der es um die Wei­
in der wir leben, entweder ignorieren und in einem Zustand leben, den Martin Hei­ terentwicklung der Persönlichkeit ging, den Auftrag gaben, eine Inschrift für ihr eige­
degger als Vergessenheit des Seins69 bezeichnet hat. In diesem für unser Alltagsleben nes Grab zu formulieren. Andere fordern die Gruppenteilnehmer auf, ihre Lebenslinie
charakteristischen Modus leben wir in der Welt der Dinge, in alltäglichen Ablenkun­ zu zeichnen und auf dieser zu markieren, wo sie sich im Augenblick befinden: Wie weit
gen; wir ergehen uns in Geschwätz, sind ruhiggestellt, verlieren uns im »sie«, und uns von der Geburt? Wie nah am Tod? Doch unsere Fähigkeit zu leugnen ist erstaunlich
interessiert ausschließlich, wie die Dinge sind. Wir können aber auch in einem Zustand stark, und nur wenige Gruppen schaffen es, sich im Laufe ihrer Arbeit nicht wieder in

134 1 35
die Auseinandersetzung mit weniger bedrohlichen Themen hinüberzuretten. Natür­ heuer offen und entschlossen mit ihrem Schicksal auseinandersetzten, in einen erfüll­
liche Ereignisse im Laufe der Zusammenarbeit - beispielsweise Krankheiten, der Tod teren Modus der Existenz wechselten.75 Ihre Sicht änderte sich radikal; sie sahen die
eines Gruppenmitglieds, das vorzeitige Ausscheiden eines Mitglieds aus der Gruppe banalen und unwichtigen Ablenkungen des Lebens als das, was sie waren. Ihre neuro­
und Verlusterlebnisse - können eine Gruppe aufrütteln, aber auch solche Vorfälle wir­ tischen Phobien verloren an Gewicht. Sie schätzten in stärkerem Maße das Elementare:
ken immer nur für eine begrenzte Zeit aktivierend. den Wechsel der Jahreszeiten, den vergangenen Frühling, die fallenden Blätter und die
Ich habe im Jahre 1974 angefangen, Gruppen zu leiten, deren Mitglieder sich stän­ Freude, andere Menschen zu lieben. Einige Mitglieder dieser Gruppe empfanden keine
dig in einer Extremsituation befanden.72 Sie alle litten unter unheilbaren Krankheiten, Resignation und kein Gefühl der Machtlosigkeit und der Einschränkung ihrer Mög­
im allgemeinen Krebserkrankungen in der Phase der Metastasenbildung, und sie alle lichkeiten, sondern ein starkes Gefühl der Befreiung und Autonomie.
waren sich völlig über die Unheilbarkeit ihrer Erkrankung und über alles, was dies im­ , Einige bezeichneten den Krebs sogar als Geschenk. Und manchen erschien nicht ihr
plizierte, im Klaren. Ich habe von diesen Gruppen sehr viel gelernt, insbesondere über bevorstehender Tod an sich als tragisch, sondern dass sie erst durch ihre unheilbare
die grundlegenden, aber in der Regel verborgenen Aspekte des Lebens, die in der tra­ Krankheit gelernt hatten, das Leben voll und ganz zu leben. Sie fragten sich, ob es mög­
ditionellen Psychotherapie so oft vernachlässigt werden. (Kapitel 15 enthält eine aus­ lich sei, den Menschen, die ihnen nahestanden, diese wichtige Lektion schon früher zu
führliche Beschreibung einer solchen Gruppe und aktueller Arten der Anwendung des vermitteln, oder ob man sie generell nur in einer Extremsituation wie der ihren lernen
unterstützend-expressiven Ansatzes psychotherapeutischer Gruppenarbeit.) könne. Es könnte sein, dass der drohende Tod dem Leben neue Energie zuführt: So
Wenn ich an jene erste Therapiegruppe für Krebskranke zurückdenke, kommen wird der Tod zum Co-Therapeuten, der die psychotherapeutische Arbeit vorantreibt.
mir viele ihrer Eigenarten in den Sinn. Die Mitglieder unterstützten einander sehr in­ Was können Sie als Therapeut angesichts des Unvermeidlichen tun? Ich sehe die
tensiv, und dieses Verhalten war auch für diejenigen, die Unterstützung gaben, von Antwort auf diese Frage in dem Verb sein. Sie handeln, indem Sie sind - indem Sie mit
großem Nutzen. Zu helfen und Hilfe zu erhalten war nur eine der positiven Wirkungen dem Klienten »da sind«. Präsenz ist in allen Formen von Therapie der verborgene
gegenseitiger Unterstützung und nicht die wichtigste. Indem die Klienten anderen Wirkstoff. Wenn Klienten auf ihre Therapie zurückblicken, erinnern sie sich selten an
nützlich waren, gelang es ihnen, sich aus ihrer morbiden Selbstversunkenheit zu befrei­ eine bestimmte Deutung ihres Therapeuten, aber klar vor Augen steht ihnen immer
en, sodass sie das Gefühl entwickelten, dass ihr Leben noch Sinn und Zweck hatte. Fast Ihre Präsenz - dass Sie mit ihnen zusammen »da« gewesen sind. Es verlangt dem The­
alle unheilbar Kranken, mit denen ich gesprochen habe, brachten die tiefe Angst zum rapeuten eine Menge ab, sich auf eine solche Gruppe wirklich einzulassen, doch wäre
Ausdruck, sie könnten völlig bewegungsunfähig werden - nicht nur, weil sie dann es feige, dies nicht zu tun. Die Gruppe besteht nicht aus Ihnen, dem Therapeuten, und
nicht mehr für sich selbst sorgen könnten und für ihre Mitmenschen nur noch eine »ihnen«, den Sterbenden, sondern wir sind es, die sterben, und wir scharen uns an­
Last wären, sondern auch, weil sie für andere keinerlei Wert mehr hätten. Das Leben gesichts der uns alle vereinenden Gewissheit, dass wir sterben werden, zusammen. In
reduziert sich dieser Sicht gemäß auf ein letztlich sinnloses überleben um seiner selbst meinem Buch Der Panamahut habe ich die Auffassung vertreten, dass der vielleicht ge­
willen - was dazu führt, dass die Betroffenen noch eifriger tief in ihrem Inneren nach naueste oder treffendste verbale Ausdruck für die therapeutische Beziehung die Be­
einem Sinn suchen. Die Gruppe eröffnete den Frauen die Möglichkeit, außerhalb von zeichnung »Reisegenossen« ist. Vor zweihundert Jahren hat Schopenhauer vorgeschla­
sich einen Sinn zu finden: Indem sie anderen Gruppenmitgliedern Hilfe anboten und gen, wir sollten einander als »Leidensgenossen« bezeichnen.76
indem sie sich um andere kümmerten, gelangten sie zu eben jenem Sinn, der allein Die Gruppe veranschaulicht sehr überzeugend den doppelten Sinn des englischen
durch Introspektion so oft nicht zu finden ist: Wortes apartness, nämlich dass wir getrennt oder einsam (apart from) sind, aber auch
All diese Möglichkeiten, die eigene begrenzte Sicht zu überwinden, können, sinn­ ein Teil von etwas (a part of). Eine Frau, die Mitglied einer von mir geleiteten Gruppe
voll genutzt, das Gefühl, dass das eigene Leben Sinn und Zweck hat, und die Fähigkeit, war, hat dies sehr anschaulich formuliert, indem sie sich als einsames Schiff im Dun­
zu ertragen, was sich nicht verändern lässt, verbessern. Angesichts einer sehr schwer keln bezeichnete. Obwohl sie keinen festen Ankerplatz finden konnte, empfand sie es
erträglichen Situation einen Sinn zu finden, kann transformierend wirken. Vor langer als sehr tröstlich, die Lichter anderer Schiffe zu sehen, die im gleichen Gewässer
Zeit hat Friedrich Nietzsche geschrieben: »Hat man sein warum? des Lebens, so ver­ fuhren.
trägt man sich fast mit jedem wie?« 74
Mir war klar (und es wurde auch durch empirische Untersuchungen bestätigt), dass
U ntersch iede i n der E i n schätz u n g t h e ra peutischer Fa ktoren
die Mitglieder dieser Gruppe, die in ihr tiefstes Inneres hinabstiegen und sich unge-
d u rch Klienten u n d Thera pe uten
* Wie zeitlos und universell diese existenziellen Fragen sind, spiegelt sich in den Worten des jüdischen
Weisen Hillel, der vor zweitausend Jahren zu seinen Schülern sagte: »Wenn ich nicht für mich selbst Sind Klienten und Therapeuten sich darüber einig, was in einer Gruppenpsychothera­
da bin, wer ist dann für mich da? Und wenn ich nicht nur für mich da bin, was bin ich dann? Und pie nützlich ist? Untersuchungen, in denen die Einschätzungen von Therapeuten und
wenn nicht jetzt, wann dann?«
Klienten miteinander verglichen werden, sind sehr aufschlussreich. Zunächst ist dabei

136
137
zu bedenken, dass die publizierten Ansichten anderer Therapeuten über therapeu­ Klienten, die die Bedeutung dieser Elemente in der Therapie und manchmal sogar de­
tische Faktoren im Großen und Ganzen den von mir beschriebenen entsprechen.77 Na­ ren Existenz abstreiten; stattdessen stellen die Klienten die persönlichen Aspekte der
türlich messen die Anhänger verschiedener theoretischer Schulen den einzelnen thera­ Beziehung zu einer neuen, akzeptierenden Autoritätsfigur und der Begegnung mit ihr
peutischen Faktoren einen unterschiedlichen Wert bei, auch wenn sie ähnliche Auf­ in den Vordergrund.
fassungen über die therapeutische Beziehung haben.78 Die Schilderung eines Wendepunkts in der Behandlung eines Klienten veranschau­
Die vorliegenden Untersuchungen zeigen, dass Therapeuten und Klienten die für licht die soeben beschriebenen Unterschiede sehr prägnant. Während der Arbeit be­
die Arbeit in Gruppen wichtigen therapeutischen Faktoren unterschiedlich einschät­ kam der Klient einen akuten Angstanfall, und der Therapeut ermöglichte ihm eine
zen. Eine Studie, an der hundert Mitglieder von Gruppen für stationär behandelte Notfallsitzung. Sowohl der Therapeut als auch der Klient hielten den Vorfall für sehr
Akutpatienten und ihre dreißig verhaltenstherapeutisch orientierten Gruppenleiter wichtig, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Aus der Sicht des Therapeuten
teilnahmen, zeigte deutliche Unterschiede in der Rangordnung der therapeutischen wurde dadurch der Zugang zu vorher verdrängten Erinnerungen an frühe inzestuöse
Faktoren bei Therapeuten und Klienten. Die Therapeuten maßen dem Imitationsver­ Sexspiele und die Durcharbeitung wichtigen ödipalen Materials möglich. Der Klient
halten der Klienten sowie Verhaltensexperimenten eine große Bedeutung bei, während hingegen hielt den Inhalt der Notfallsitzung für völlig unwichtig, doch schätzte er die
die Gruppenmitglieder Faktoren wie Selbstverantwortung, Sich-selbst-Verstehen und Implikationen der Sitzung für die therapeutische Beziehung als besonders wichtig ein:
Universalität des Leidens als wichtiger bezeichneten.79 Eine andere Studie zeigt, dass die liebevolle Zuwendung und die Sorge, die der Therapeut durch seine Bereitschaft
Klienten, die an Gruppen für Alkoholiker teilnahmen, den existenziellen Faktoren zum Ausdruck gebracht hatte, ihm mitten in der Nacht eine Einzelsitzung zu ermög­
einen erheblich höheren Wert beimaßen als ihre Therapeuten.80 Wenn Klienten, die lichen.
Probleme mit Substanzmissbrauch haben, Zuverlässigkeit und persönliche Verantwor­ Eine ähnliche Diskrepanz zwischen der Sicht einer Klientin und ihres Therapeuten
tung besonders hoch einschätzen, sollte uns dies nicht überraschen; diese Faktoren schildert das Buch Jeden Tag ein bißchen näher, das ich zusammen mit einer Klientin
spielen auch in Zwölf-Schritte-Gruppen eine wichtige Rolle. (Ginny Elkin) verfasst habe.85 Während der gesamten Behandlung fassten wir unab­
15 HIV-positive Männer, die wegen Depression in zeitlich begrenzten kognitiv-be­ hängig voneinander unsere Eindrücke von jeder Sitzung in erzählerischen Protokollen
havioralen Gruppen behandelt wurden, hielten andere therapeutische Faktoren für zusammen und übergaben diese Texte in verschlossenen Umschlägen meiner Sekretä­
vorrangig als ihre Therapeuten. Die Mitglieder dieser Gruppen maßen der sozialen rin. Jeweils nach einigen Monaten lasen wir einander unsere Beschreibungen vor und
Unterstützung, der Kohäsivität, der Universalität des Leidens, dem Altruismus und den entdeckten so, dass wir sehr unterschiedliche Aspekte des therapeutischen Prozesses
existenziellen Faktoren die größte Bedeutung bei, wohingegen ihre Therapeuten (im für besonders wichtig hielten. Meine eleganten Deutungen? Sie hatte sie nicht einmal
Einklang mit der Auffassung ihrer theoretischen Schule) die kognitive Umstrukturie­ gehört! Hingegen erinnerte sie sich an die leisen, subtilen persönlichen Dialoge, die sie
rung als den entscheidenden Faktor der Veränderung ansahen.8 i sehr schätzte und als Anzeichen für mein Interesse und meine Anteilnahme verstand.
Eine große Übersichtsstudie, in der die Arbeit von Therapiegruppen in Gefängnis­ Aus Übersichtsstudien über Prozess- und Ergebnisuntersuchungen geht hervor,
sen untersucht wurde, gelangte zu dem Resultat, dass sowohl die Gefängnisinsassen als dass die Einschätzungen von Klienten bezüglich des Engagements und der Empathie
auch ihre Gruppenleiter den Faktor Interpersonales Lernen für besonders wichtig hiel­ ihrer Therapeuten zuverlässiger den Erfolg der therapeutischen Behandlung voraussa­
ten, dass Erstere jedoch die existenziellen Faktoren wesentlich höher bewerteten als gen als die Einschätzung der gleichen Variablen durch die Therapeuten selbst.86 Des­
ihre Therapeuten.82 Und wie bereits früher erwähnt, geben Inzestüberlebende, die an halb sollten wir uns intensiv damit auseinandersetzen, welche therapeutischen Fak­
einer Gruppentherapie teilnehmen, den therapeutischen Faktor Reinszenierung der toren Klienten für die entscheidenden halten. In der Forschung wie in der klinischen
Familiensituation einen hohen Rang.83 Arbeit gilt es, dem Rat zu folgen: Höre dem Klienten zu.
Therapeuten sollten sich über solche Divergenzen der Einschätzung im Klaren sein,
weil Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Therapieziele und der anstehenden Zusammenfassung
Aufgaben sich negativ auf die therapeutische Allianz auswirken können . .71 Dies gilt Therapeuten und ihre Klienten sind unterschiedlicher Auffassung darüber, welche the­
nicht nur für die Gruppentherapie, sondern spielt auch in der Einzeltherapie eine Rol­ rapeutischen Faktoren besonders wichtig sind: Bei den Klienten stehen in der Regel die
le. Eine umfassende Studie über psychoanalytisch orientierte Psychotherapie ergab, therapeutische Beziehung und die persönlichen, menschlichen Qualitäten des Thera­
dass die Klienten ihren Erfolg in der Therapie Beziehungsfaktoren zuschrieben, wohin­ peuten im Vordergrund, wohingegen Therapeuten ihren Erfolg gewöhnlich auf die von
gegen ihre Therapeuten technische Kompetenzen und Techniken als vorrangig be­ ihnen bevorzugten therapeutischen Techniken zurückführen. Ist die Diskrepanz zwi­
zeichneten.84 Generell schätzen analytisch orientierte Therapeuten das Bewusstwerden schen den Auffassungen des Therapeuten und des Klienten zu groß und der Therapeut
unbewusster Inhalte und die anschließende Herstellung einer Verbindung zwischen schätzt therapeutische Faktoren als besonders wichtig ein, die mit den Bedürfnissen
Kindheitserlebnissen und aktuellen Symptomen als wesentlich wichtiger ein als ihre und Fähigkeiten der Mitglieder seiner Gruppe nicht vereinbar sind, wird jeder sinn-

138
139
vollen therapeutischen Arbeit der Boden entzogen: Die Klienten reagieren dann ver­ äußeren Ressourcen waren erschöpft; ihre Familienangehörigen, Freunde und Thera­
wirrt und mit Widerstand, und die Therapeuten werden entmutigt und verärgert. Die peuten konnten ihnen nicht mehr helfen; sie hatten den absoluten Tiefpunkt erreicht
Fähigkeit von Therapeuten, auf die Verletzlichkeit eines Klienten sanft und mit und mussten feststellen, dass sie sich letztendlich einzig und allein auf sich selbst ver­
menschlicher Wärme einzugehen, ist von zentraler Bedeutung und könnte für die lassen konnten. (In einer mit stationär behandelten Patienten durchgeführten Q-sort­
transformierende Kraft der Therapie entscheidend sein. .71 Studie wurde das übernehmen von Verantwortung, Item 60, als das erste von insge­
samt sechzig Items eingestuft.)88
Heutzutage gibt es die unterschiedlichsten Arten homogen zusammengesetzter
Kräfte, d i e die Wi rku ng the ra peutischer Fa ktoren verä ndern Gruppen. Schauen wir uns einmal an, welche therapeutischen Faktoren die Mitglieder
Eine absolut gültige Hierarchie therapeutischer Faktoren zu erstellen ist nicht möglich, einiger dieser Gruppen ausgewählt haben.
da diese zahlreichen Einflüssen unterliegen - der Art der Gruppentherapie, der kon­
• Mitglieder der Anonymen Alkoholiker und von Recovery, Inc. halten Hoffnung­
kreten Phase der Therapie, Kräften außerhalb der Gruppe und individuellen Unter­
schieden. Wecken, Vermittlung von Informationen, Universalität des Leidens, Altruismus und
einige Aspekte der Gruppenkohäsivität für besonders wichtig.
Die therapeutischen Faktoren in unterschiedlichen Gruppentherapien • Mitglieder von Gruppen, die Psychiatriepatienten auf ihre Entlassung aus der stati­
In unterschiedlichen Arten von Gruppentherapie sind jeweils unterschiedliche Kons­ onären Behandlung vorbereiten, stellen die Vermittlung von Informationen und die
tellationen therapeutischer Faktoren besonders wirksam. Schauen wir uns einmal die Entwicklung von Kompetenzen für den sozialen Umgang in den Vordergrund.
• Mitglieder ergotherapeutischer Gruppen schätzten die Faktoren Kohäsivität, Hoff­
Situation einer Therapiegruppe in einer psychiatrischen Station für Akutpatienten
daraufhin an. Die Mitglieder von Gruppen für stationär behandelte Patienten bezeich­ nung-Wecken und Interpersonales Lernen als besonders wichtig ein.89
• Mitglieder von Psychodramagruppen in Israel bezeichneten ungeachtet kultureller
nen nicht die gleichen therapeutischen Faktoren (Interpersonales Lernen, Katharsis
und Sich-selbst-Verstehen) als besonders wichtig wie die meisten Mitglieder von Grup­ Unterschiede und verschiedenartiger Behandlungsformen therapeutische Faktoren
pen für ambulant behandelte Patienten,87 sondern nennen stattdessen ein großes Spek­ als wichtig, die auch ambulant behandelte Patienten anderer Kulturkreise bevor­
trum therapeutischer Faktoren. Darin spiegelt sich nach meiner Auffassung sowohl die zugen: Interpersonales Lernen, Katharsis, Gruppenkohäsivität und Sich-selbst-Ver­
in der Regel heterogene Zusammensetzung von Therapiegruppen für stationär behan­ stehen.90
• Mitglieder von Selbsthilfegruppen (z. B. Frauengruppen, Gruppen für trauernde
delte Patienten als auch die sogenannte »Cafeteria-Theorie« der Besserung in einer
Gruppentherapie. Klienten, die sich hinsichtlich ihrer Ichstärke, ihrer Motivation, ihrer Eltern, Witwen und Witwer, Herzoperierte und Mütter) bezeichnen im Allgemei­
Ziele und der Art und Schwere ihrer Psychopathologie stark voneinander unterschei­ nen in der angegebenen Reihenfolge Universalität des Leidens, Anleitung, Altruis­
den, treffen in einer Gruppe für stationäre Patienten zusammen und schätzen auf­ mus und Kohäsivität als vorrangig.9 1
• Die Mitglieder einer auf 1 8 Monate begrenzten Gruppe für Ehepartner von Men­
grund der Diversität ihrer Situationen unterschiedliche Aspekte der Gruppenarbeit als
wichtig ein. schen, die an einem Gehirntumor erkrankt waren, entschieden sich für Universalität
Weitaus mehr stationär als ambulant behandelte Patienten bezeichnen den thera­ des Leidens, Altruismus, Hoffnung-Wecken und die Vermittlung von In­
peutischen Faktor Hoffnung-Wecken und die existenziellen Faktoren (insbesondere formationen.92
• Psychotiker mit intrusiven und einflussnehmenden auditorischen Halluzinationen,
das übernehmen von Verantwortung) als vorrangig: Hoffnung-Wecken rangiert bei
den Mitgliedern von Gruppen für stationär behandelte Klienten besonders hoch, weil die in einer kognitiv-behavioral orientierten Gruppentherapie erfolgreich behan­
so viele der Patienten, die in eine psychiatrische Klinik aufgenommen werden, zum delt worden waren, bezeichneten Universalität des Leidens, Hoffnung-Wecken und
Zeitpunkt ihrer Aufnahme völlig mutlos sind. Und solange ein Klient nicht die Hoff­ Katharsis als besonders wichtige therapeutische Faktoren. Über die Stimmen, die
nung und Motivation entwickelt, die für die aktive Mitarbeit an seiner Behandlung er­ sie hörten, endlich reden zu können und von Menschen, die Ähnliches erlebt hat­
forderlich sind, erzielt er keine Fortschritte. Oft ist das wirksamste Mittel gegen Ent­ ten, verstanden zu werden, war für sie ungeheuer wertvoll.93
• Klienten, die ihre Ehepartner misshandelt hatten und in psychoedukativ orien­
mutigung die Gegenwart anderer Menschen, die sich vor nicht langer Zeit in ähnlichen
Notlagen befunden und ihre Verzweiflung überwunden haben. Existenzielle Faktoren tierten Gruppen betreut wurden, bezeichneten die Vermittlung von Informationen
( die in Forschungsinstrumenten im Allgemeinen als »Übernehmen der letztendlichen als den für sie wichtigsten therapeutischen Faktor.94
• Jugendliche in Gruppen für Lernbehinderte bezeichneten die Effektivität der »ge­
Verantwortung für mein eigenes Leben« bezeichnet werden) sind für stationär behan­
delte Patienten von besonderer Bedeutung, weil ihr Klinikaufenthalt häufig ein Indiz genseitigen Anerkennung« - sich in anderen wiederzuerkennen und sich geschätzt
dafür ist, dass sie mit den Grenzen anderer Menschen konfrontiert worden sind: Ihre und weniger isoliert zu fühlen - als für sie entscheidend. 95

141
1 40
• Mitglieder von Gruppen für alte Menschen, die sich mit ihren Grenzen, ihrer Sterb­ zuweisen, weil sie den Eindruck hatten, dass in verschiedenen Therapiephasen unter­
lichkeit und dem Vergehen der Zeit konfrontiert sehen, bezeichnen die existen­ schiedliche Faktoren wirksam seien. Zu Beginn der Therapie sehr wichtige Aspekte
ziellen therapeutischen Faktoren als für sie ausschlaggebend.96 können im weiteren Behandlungsverlauf an Bedeutung verlieren. In der Anfangsphase
ihrer Arbeit ist die Gruppe hauptsächlich mit ihrem überleben, mit der Festlegung von
Wenn Therapeuten in einem bestimmten Zusammenhang oder für eine spezielle kli­ Grenzen und mit der Stabilisierung der Mitgliedschaft befasst. In dieser Phase spielen
nische Population eine neue Therapiegruppe gründen, ist der erste Schritt, wie ich in Faktoren wie Hoffnung-Wecken, Anleitung und Universalität des Leidens eine wich­
Kapitel 15 ausführlich erläutern werde, geeignete Therapieziele zu formulieren und tige Rolle. ?i 98 Die besondere Bedeutung der Universalität des Leidens zu Beginn der
sich anschließend zu überlegen, welche therapeutischen Faktoren für diese spezielle Gruppenarbeit hängt damit zusammen, dass die Klienten nach Ähnlichkeiten ihrer
Gruppe wahrscheinlich am nützlichsten sind. Alle Fragen der therapeutischen Technik Situation mit derjenigen anderer Gruppenmitglieder suchen und Symptome und
ergeben sich aus diesem zuerst abgesteckten Rahmen. Deshalb sind die wissenschaft­ Problemkonstellationen miteinander vergleichen.
lichen Belege dafür, dass verschiedenartige Gruppen unterschiedliche therapeutische Während des ersten Dutzends Gruppensitzungen ist die Gefahr, dass einige Mit­
Faktoren nutzen, so wichtig. glieder die Arbeit vorzeitig abbrechen, besonders hoch, und es ist oft notwendig, in der
Schauen wir uns als Beispiel eine zeitlich begrenzte psychoedukativ orientierte Gruppe Hoffnung zu wecken, um sie in dieser Phase »bei der Stange zu halten«. Fak­
Gruppe für Klienten mit Panikattacken an, deren Mitglieder von den Instruktionen toren wie Altruismus und Gruppenkohäsivität wirken während der gesamten Grup­
des Gruppenleiters über kognitive Strategien zur Verhinderung und Minimierung der pentherapie, doch verändert sich je nach Phase der Arbeit ihr Charakter. Zu Beginn der
destruktiven Wirkung solcher Attacken (Anleitung) sehr profitieren. Das Erlebnis, mit Therapie manifestiert sich Altruismus in Form von Empfehlungen oder von Hilfe beim
einer Gruppe von Menschen zusammen zu sein, die unter dem gleichen Problem lei­ verbalen Ausdruck durch förderliches Fragen sowie in Form der gezielten Widmung
den (Universalität des Leidens), wirkt wahrscheinlich ebenfalls sehr positiv. Obwohl von Aufmerksamkeit; später kann dieser therapeutische Faktor als tiefer reichende Art
vermutlich auch Beziehungsprobleme zur Entstehung der Symptome beitragen, unter von Mitgefühl und Präsenz in Erscheinung treten.
denen die Gruppenmitglieder leiden, wäre eine unverhältnismäßig intensive Kon­ Die Gruppenkohäsivität erfüllt ihre Funktion als therapeutischer Faktor zunächst
zentration auf den therapeutischen Faktor Interpersonales Lernen aufgrund des Zeit­ in Form von Unterstützung durch die Gruppe, des Gefühls, von den anderen Mitglie­
rahmens nicht sinnvoll. dern akzeptiert zu werden, und der Förderung der Teilnahme am Geschehen. Später
Wenn Therapeuten klar ist, wie ihre Klienten die therapeutischen Faktoren erleben, spielt sie eine Rolle beim Interpersonalen ·Lernen in Form der Wechselwirkung zwi­
kann sie dies zur Entwicklung sinnvoller und produktiver Innovationen der therapeu­ schen dem Ansehen des einzelnen Mitglieds innerhalb der Gruppe und dessen Selbst­
tischen Gruppenarbeit anregen. Beispielsweise ist auf diese Weise ein wirksamer mul­ wertgefühl. Therapeuten müssen diese notwendige Entwicklungssequenz akzeptieren,
timodaler gruppentherapeutischer Behandlungsansatz für Bulimia nervosa entstanden, um zu verhindern, dass einige Gruppenmitglieder die therapeutische Arbeit vorzeitig
der drei unabhängig voneinander wirkende Behandlungsverfahren integriert und in abbrechen. In einer Untersuchung über eine in Deutschland durchgeführte Langzeit­
einer bestimmten Sequenz nutzt. Die auf zwölf Wochen angelegte Gruppe beginnt mit gruppentherapie für stationär behandelte Patienten wurde die klinische Besserung des
einem Psychoedukationsmodul über Bulimia nervosa und Ernährung; dem folgt ein Zustandes der Untersuchungsteilnehmer mit dem frühen Erleben von Kohäsivität und
kognitiv-behaviorales Modul, das verzerrte Kognitionen über Essen und das Körper­ Zugehörigkeit in Verbindung gebracht. Die Kohäsivität schuf die Voraussetzung für
bild untersucht; den Abschluss bildet ein interpersonal orientiertes Segment, das sich eine umfassende persönliche Selbstoffenbarung, die den Klienten wiederum zu dem
mit Beziehungsproblemen der Gruppenmitglieder im Hier und Jetzt und deren Wir­ interpersonalen Feedback verhalf, durch das Verhaltensänderungen und Veränderun­
kung auf das Essverhalten befasst.97 gen der psychischen Situation möglich wurden.99 Eine Untersuchung mit ambulant
behandelten Klienten zeigte, dass Gruppenmitglieder Kohäsivität, Sich-selbst-Verste­
Therapeutische Faktoren und Therapiephasen hen und interpersonalen Output umso höher schätzten, je länger sie in der Gruppe
Intensive interaktionsorientierte Gruppentherapie entfaltet ihre therapeutische Kraft waren. 100 Studenten, die an elf Sitzungen umfassenden Beratungsgruppen teilnahmen,
hauptsächlich durch Interpersonales Lernen ( unter Einbeziehung von Katharsis, Sich­ schätzten während der ersten Hälfte der Gruppenarbeit Universalität des Leidens und
selbst-Verstehen sowie Interpersonalem ·Input und Output) und durch Gruppenkohä­ in der zweiten Interpersonales Lernen höher ein. 101
sivität; doch auch die übrigen therapeutischen Faktoren spielen beim intensiven The­ In einer Studie über Gruppen, die sich die Förderung des inneren Wachstums zum
rapieprozess eine unentbehrliche Rolle. Um die Wechselwirkung zwischen den thera­ Ziel gesetzt hatten und 26 Sitzungen lang zusammenkamen, nahm die Bedeutung, die
peutischen Faktoren adäquat einschätzen zu können, müssen wir uns den gesamten die Mitglieder den Faktoren Universalität des Leidens und Hoffnung-Wecken beima­
Gruppenprozess von Anfang bis Ende vergegenwärtigen. ßen, im Laufe der Gruppenarbeit ab, wohingegen die Bedeutung des Faktors Katharsis
Viele Klienten empfanden es als schwierig, den therapeutischen Faktoren Ränge zu- zunahm. 102 In einer Studie über eine Gruppe für Männer, die ihre Frauen misshandelt

142 143
hatten, bezeichneten die Mitglieder Universalität des Leidens zu Beginn der Arbeit als akuten Problem auf angemessene Weise fertig zu werden. An früherer Stelle in diesem
wichtigsten Faktor, und im Laufe der Zeit nahm allmählich die Bedeutung des Faktors Buch habe ich für einen Prozess, bei dem eine einzige Veränderung weitere Verände­
Gruppenkohäsivität zu. 103 Dass dem Faktor Universalität des Leidens erhöhte Bedeu­ rungen nach sich zieht, den Begriff »adaptive Spirale« eingeführt. Gemeint ist das Ge­
tung beigemessen wird, könnte für Klienten charakteristisch sein, die sich beschämt genteil jenes Teufelskreises, in dem so viele Klienten gefangen sind - eine Folge von
oder stigmatisiert fühlen. Veränderung fördernde Kohäsivität hingegen entwickelt sich Ereignissen, in denen interpersonale Manifestationen von Dysphorie die interpersona­
am besten aufgrund von Respekt vor persönlichen Unterschieden und von Akzeptieren len Verbindungen schwächen oder auflösen und den dysphorischen Zustand dadurch
derselben, Eigenschaften, die längere Zeit brauchen, um heranzureifen. In einer ande­ weiter verstärken.
ren Studie gaben stationäre Psychiatriepatienten anfangs Universalität des Leidens, Dass derartige Faktoren existieren, wird deutlich, wenn wir Klienten über andere
Hoffnung-Wecken und Akzeptiertwerden als die therapeutischen Faktoren mit den für therapeutisch wirkende Einflüsse oder Ereignisse in ihrem Leben befragen, die zur
sie höchsten Rängen an, doch als sie später an einer nicht stationären psychothera­ gleichen Zeit wie die Therapie aktiv waren. Von einer 20 Klienten umfassenden Stich­
peutischen Gruppe teilnahmen, bewerteten sie Sich-selbst-Verstehen höher. 104 probe beschrieben 18 die unterschiedlichsten außerhalb des Gruppengeschehens wirk­
samen therapeutischen Faktoren. Am häufigsten wurde eine neue oder verbesserte in­
Zusammenfassung terpersonale Beziehung zu einer oder mehreren unterschiedlichen wichtigen Bezugs­
Welche therapeutischen Faktoren Klienten für die wichtigsten halten, hängt von der personen (Angehörigen des anderen Geschlechts, Eltern, dem Ehepartner, einem Leh­
Phase der Gruppenentwicklung ab. Dass der Therapeut sich darüber im Klaren ist, ist rer, Pflegeeltern oder neuen Freunden) genannt. 105 Zwei Klienten berichteten, sie hät­
ebenso wichtig wie die im vorigen Abschnitt untersuchte Einhelligkeit zwischen The­ ten vom letztendlichen Abschluss einer lange hinausgezögerten Scheidung profitiert.
rapeut und Klient hinsichtlich der therapeutischen Faktoren. Bedürfnisse und Ziele Viele andere erklärten, beruflicher oder akademischer Erfolg habe ihr Selbstwertgefühl
des Klienten verändern sich im Laufe der Therapie. In Kapitel 2 habe ich eine häufig gestärkt, weil sie auf diese Weise einen »Vorrat« an echten Erfolgen aufgebaut hätten.
zu beobachtende Sequenz beschrieben, derzufolge Gruppenmitglieder zunächst eine Andere hatten mit einer neuartigen sozialen Aktivität begonnen (indem sie beispiels­
Linderung ihrer Symptome anstreben und später, nach den ersten Monaten ihrer The­ weise Mitglieder einer organisierten Jugendgruppe oder einer lokalen Bürgerinitiative
rapie, neue Ziele formulieren, und zwar oft interpersonale, etwa tiefere Beziehungen geworden waren).
zu anderen Menschen aufzubauen, lieben zu lernen und anderen gegenüber ehrlich zu Möglicherweise spielen außer der Gruppenarbeit auch solche eher zufälligen, un-
sein. Ebenso wie die Bedürfnisse und Ziele der Gruppenmitglieder müssen sich im abhängigen Faktoren für den positiven Abschluss einer Therapie eine Rolle. Sicherlich
Laufe der Therapie auch die erforderlichen therapeutischen Prozesse verändern. Die verstärkt das äußere Ereignis die in der Therapie geleistete Arbeit. Doch andererseits
moderne aufgeklärte Psychotherapie wird oft dynamische Psychotherapie genannt, beinhalten solche äußeren Ereignisse oft nichts wirklich Neues oder Besonderes, son­
weil sie der psychischen Dynamik gerecht zu werden versucht, den motivationalen As­ dern die Therapiegruppe hat ihre Mitglieder lediglich dazu gebracht, Ressourcen aus
pekten des Verhaltens, die dem Bewusstsein oftmals nicht zugänglich sind. Man kann ihrer Umgebung zu nutzen, die sie schon lange hätten nutzen können.
die dyn amische Therapie als eine sich verändernde und sich entwickelnde Therapie Ein Beispiel hierfür ist Bob, ein einsamer, schüchterner und unsicherer Mann, der
charakterisieren: Die Klienten verändern sich, die Gruppe durchläuft eine bestimmte an einer auf 25 Sitzungen begrenzten Gruppe teilnahm. Obwohl er ziemlich ausführ­
Entwicklungssequenz, und auch die Vorrangigkeit der therapeutischen Faktoren sowie lich über seine Angst davor, auf Frauen zuzugehen, sprach und die Gruppe sich große
ihr Einfluss verändern sich im Laufe der Therapie. Mühe gab, ihm zu helfen, schien sich an seinem äußeren Verhalten nicht viel zu ver­
ändern. In der letzten Sitzung übergab Bob der Gruppe dann breit lächelnd ein Ab­
Therapeutische Faktoren außerhalb der Gruppe schiedsgeschenk: ein Exemplar einer Lokalzeitung, in der er eine Kontaktanzeige auf­
Obgleich stärkere Veränderungen des Verhaltens und der Einstellungen ein gewisses gegeben hatte!
Maß an Interpersonalem Lernen erfordern, gelingen Gruppenmitgliedern solche Ver­ Zeitungen, Ehepartner, Online-Sites, Verwandte, potenzielle Freunde, soziale Orga­
änderungen manchmal, ohne dass dem eine entsprechende Anstrengung im therapeu­ nisationen und akademische und berufliche Möglichkeiten gibt es immer; der Klient
tischen Prozess vorangegangen wäre. Dies lenkt unsere Aufmerksamkeit auf ein wich­ muss sie nur nutzen. Vielleicht hat ein kleiner Anstoß in der Gruppe ihm ermöglicht,
tiges Prinzip der therapeutischen Arbeit: Weder der Therapeut noch die Gruppe muss die von solchen zuvor vernachlässigten Ressourcen endlich Gebrauch zu machen. Oft sind
gesamte Arbeit allein erledigen. Eine völlige Umstrukturierung der Persönlichkeit ist als sich die Gruppenmitglieder und der Therapeut nicht darüber im Klaren, wie wichtig
Therapieziel ebenso unrealistisch wie vermessen. Unsere Klienten verfügen über zahl­ solche Faktoren sind, und sie stehen der für sie unerklärlichen plötzlichen Verbesse­
reiche Möglichkeiten, mit Problemen fertig zu werden, die ihnen in der Vergangenheit rung der Situation skeptisch oder ungläubig gegenüber. Und häufig gibt es am Ende
oft schon gute Dienste geleistet haben, und ein Anstoß durch ein einziges Ereignis in der Zusammenarbeit einer Gruppe nicht das geringste deutliche Anzeichen dafür, dass
der Therapie kann ausreichen, um einen Klienten in die Lage zu versetzen, mit einem sich die gemeinsame Arbeit auf das Leben der Gruppenmitglieder tatsächlich nennens-

144 145
wert ausgewirkt hat. Wenn ich mich später mit Möglichkeiten kombinierter Behand­ für vorrangig hielten, wohingegen Gruppenmitglieder mit höherer Funktionsfähigkeit
lungen beschäftige, werde ich auch darauf eingehen, dass Therapeuten, die ihre Klien­ die Faktoren Universalität des Leidens, stellvertretendes Lernen ( vicarious learning
ten noch lange nach dem Ende der Gruppenarbeit in einer Einzeltherapie betreuen, oft [Bandura] ) und Interpersonales Lernen höher einstufen. 108
feststellen dass die Betreffenden die verinnerlichte Gruppe Monate oder sogar Jahre Zahlreiche Studien beschreiben Unterschiede zwischen einzelnen Gruppenmitglie­
später nutzen. dern (beispielsweise zwischen Teilnehmern, die in Encountergruppen viel lernen, und
Eine Studie über Teilnehmer von Encountergruppen, die sehr gute Therapieresul­ solchen, die nur wenig lernen; zwischen dominanten und nicht dominanten Klienten;
tate erzielt hatten, gelangt zu ähnlichen Erkenntnissen. 106 Meist sahen die Probanden zwischen übermäßig verantwortungsbewussten und wenig verantwortungsbewussten
nicht die Gruppe als den wichtigsten Grund dafür an, dass sie sich verändert hatten, Klienten; zwischen Klienten, die sich selbst in starkem Maße akzeptieren, und solchen,
sondern sie schrieben den Wandel den positiven Auswirkungen neu aufgebauter Be­ die dies nicht tun; sowie zwischen stark affiliativen und wenig affiliativen Schü­
ziehungen, neu gegründeten Bekanntenkreisen, Freizeit-Clubs, denen sie sich an­ lern).109
geschlossen hatten, oder der Tatsache, dass ihre berufliche Situation befriedigender ge­ Nicht jeder Mensch braucht in einer Gruppentherapie das Gleiche oder reagiert auf
worden war, zu. Bei genauerer Untersuchung stellte sich natürlich regelmäßig heraus, die Arbeit in der Gruppe gleich. Viele therapeutische Pfade führen durch das Erlebnis
dass die Beziehungen, die neuen Bekanntenkreise, die Freizeit-Clubs und die befriedi­ der Gruppentherapie. Wenn wir beispielsweise die Katharsis betrachten, profitieren
gendere Arbeitssituation nicht wie aus heiterem Himmel und auf völlig mysteriöse einige besonders gehemmte Menschen von Erleben und Ausdruck starken Affekts, wo­
Weise aufgetaucht waren. Die Betreffenden hätten diese Ressourcen vielmehr schon hingegen andere, denen es schwerfällt, ihre Impulse zu kontrollieren, und die ihren
lange nutzen können, und die Erlebnisse in der Gruppe hatten sie lediglich dazu ani­ Gefühlen oft freien Lauf lassen, von einer Katharsis nicht unbedingt profitieren und
miert, dies endlich zu tun und so zufriedener zu werden und ihr inneres Wachstum zu besser an der Zügelung ihres emotionalen Ausdrucks und an der Fähigkeit, problema­
fördern. tische Situationen intellektuell zu strukturieren, arbeiten. Narzisstische Klienten müs­
An mehreren Stellen in diesem Buch gehe ich darauf ein, wie die Kompetenzen, die sen lernen, mit anderen zu teilen und zu geben, wohingegen es für passive, zur Selbst­
Klienten sich in Therapiegruppen aneignen, sie auf neue soziale Situationen in der Zu­ verleugnung neigende Menschen wichtiger ist, ihre Bedürfnisse auszudrücken und sich
kunft vorbereiten. Tatsächlich eignen sie sich nicht nur extrinsische Fertigkeiten an, in stärkerem Maße für ihre eigenen Interessen zu engagieren. Vielleicht müssen man­
sondern ihnen werden auch intrinsische Fähigkeiten zugänglich. Die psychothera­ che Klienten umfassendere oder zumindest rudimentäre soziale Kompetenzen ent­
peutische Arbeit entfernt neurotische Blockaden, die sie daran gehindert haben, eigene wickeln, und andere müssen an subtileren Problemen arbeiten - beispielsweise müssen
Ressourcen zu entwickeln. Wird die Psychotherapie als ein Entfernen von Hindernissen einige männliche Klienten sich abgewöhnen, alle Frauen zu sexualisieren und in ihrem
verstanden, verringert dies die Bürde, die auf dem Therapeuten lastet, und ihm wird Wert herabzusetzen oder ständig zu allen anderen Männern in Konkurrenz zu treten.
geholfen, Respekt vor den vielfältigen und nie völlig erschließbaren Fähigkeiten des
Klienten zu bewahren. Zusammenfassung
Die Wirkkraft der verschiedenen therapeutischen Faktoren lässt sich schwer angemes­
Individuelle Unterschiede und therapeutische Faktoren sen beschreiben. Verschiedene Arten von Therapiegruppen schreiben unterschied­
Die im vorliegenden Kapitel referierten Studien berichten natürlich über nichts ande­ lichen Faktoren einen hohen Rang zu, ein und dieselbe Gruppe sogar in unterschied­
res als die Mittelwerte der Rangordnung, die eine bestimmte Population den verschie­ lichen Phasen des Gruppenprozesses und die einzelnen Gruppenmitglieder je nach
denen therapeutischen Faktoren gibt. Die individuelle Einschätzung des Rangs der ein­ individuellen Bedürfnissen und persönlichen Stärken. Doch geht aus der überwie
­
zelnen Faktoren hingegen variiert beträchtlich, und einige Forscher haben herauszu­ genden Zahl der vorliegenden Untersuchungen hervor, dass sich die Wirkung interak­
finden versucht, welche individuellen Eigenschaften bei den einzelnen Klienten die tionsorientierter Therapiegruppen für ambulant behandelte Klienten aus den inter­
Auswahl der therapeutischen Faktoren beeinflussen. Zwar wirken sich demografische personalen Eigenschaften der Gruppenarbeit ergibt. Interpersonale Interaktion und
Variablen wie Geschlecht und Bildungsstand kaum aus, doch spricht einiges dafür, Exploration (unter Einschluss von Katharsis und Sich-selbst-Verstehen) und Gruppen­
dass die mental-psychische Funktionsfähigkeit die Einschätzung der Bedeutung der kohäsivität sind unverzichtbare Voraussetzungen für eine wirksame Gruppentherapie,
einzelnen therapeutischen Faktoren beeinflusst - dass beispielsweise Menschen mit und fähige Gruppentherapeuten müssen ihre Bemühungen darauf richten, diese the­
besserer Funktionsfähigkeit Interpersonales Lernen (den aus den therapeutischen Fak­ rapeutischen Ressourcen so gut wie möglich zur Entfaltung zu bringen. In den nächs­
toren interpersonaler Input und Output, Katharsis und Sich-selbst-Verstehen zu­ ten Kapiteln geht es um die Rolle des Gruppentherapeuten und seine Techniken, aus
sammengesetzten Cluster) höher einschätzen als Mitglieder der gleichen Gruppe mit der Perspektive der therapeutischen Faktoren betrachtet.
schlechterer allgemeiner Funktionsfähigkeit. 107 Außerdem wurde festgestellt, dass Mit­
glieder von Gruppen für stationär behandelte Psychiatriepatienten Hoffnung-Wecken

146 147
Mit der ersten dieser drei Aufgaben befasse ich mich im Folgenden nur kurz; ausführ­
licher setze ich mich damit auseinander, nachdem ich in den Kapiteln 8 bis 10 wichtige
Hintergrundinformationen zu diesem Punkt vermittelt habe. Im vorliegenden Kapitel
Ka pite l s konzentriere ich mich auf die zweite der drei Aufgaben, den Aufbau einer Gruppenkul­
tur. Im nächsten Kapitel wende ich mich der dritten zu, der Aktualisierung und Aus­
leuchtung des Hier und Jetzt.

Der Thera pe ut: G ru nd lege n d e Aufga ben Zusammenstellung und Erhaltung der Gruppe
Einzig und allein der Gruppenleiter ist für den Aufbau und das Zusammenkommen
Nachdem ich mich damit beschäftigt habe, wie Menschen sich in einer Gruppenthera­ der Gruppe verantwortlich. Die sachkundige Hilfe, die Sie Ihren Klienten anbieten, ist
pie verändern, ist es nun an der Zeit, die Rolle des Therapeuten im Therapieprozess zu der Grund für die Entstehung der Gruppe, und Sie sind auch die Person, die Zeit und
untersuchen. In diesem Kapitel befasse ich mich mit den grundlegenden Aufgaben des Ort der Gruppensitzungen festlegt. Ein erheblicher Teil der Arbeit, die die Erhaltung
Therapeuten und mit den Techniken, die ihm helfen, diese Aufgaben zu lösen. der Gruppe ermöglicht, wird vor dem ersten Treffen erledigt, und wie ich in späteren
In den ersten vier Kapiteln wird die Gruppentherapie als ein komplexer Prozess Kapiteln näher erläutern werde, beeinflusst die Erfahrung des Gruppenleiters bei der
dargestellt, dessen grundlegende Faktoren stark miteinander verflochten sind. Der Auswahl der Klienten und ihrer Vorbereitung auf die Gruppenarbeit das Schicksal der
Gruppentherapeut hat die Aufgabe, den therapeutischen Prozess zu planen, ihn zu Gruppe in starkem Maße.
initiieren und dafür zu sorgen, dass er ständig mit maximaler Effektivität verläuft. Sobald die Gruppensitzungen beginnen, übernimmt der Therapeut die Aufgabe des
Manchmal stelle ich mir die Therapiegruppe wie einen riesigen Dynamo vor, wobei Türhüters und bemüht sich insbesondere, ein frühes Ausscheiden von Gruppenmit­
sich der Therapeut oft tief im Inneren des Generators befindet (und selbst durch das gliedern zu verhindern. Manchmal fühlt ein Klient sich in einer Gruppe so unwohl,
Energiefeld des Dynamos beeinflusst wird), wohingegen er in anderen Situationen die dass er die Therapie vorzeitig abbricht - was im Rahmen der gesamten Therapiehisto­
Arbeitskleidung eines Mechanikers anzieht und äußerlich an der Maschine arbeitet, rie des Betreffenden durchaus sinnvoll und nützlich sein kann. Beispielsweise kann ein
indem er sie ölt und fettet, Schrauben und Muttern festzieht und schadhafte Teile Misserfolg in einer Gruppe oder das Erleben einer Zurückweisung oder Ablehnung
ersetzt. durch die übrigen Gruppenmitglieder einen Klienten derart erschüttern, dass er da­
Bevor ich mich bestimmten Aufgaben und Techniken zuwende, möchte ich auf et­ durch veranlasst wird, sich einen anderen Therapeuten zu suchen. Doch generell sollte
was eingehen, wovon auf den folgenden Seiten immer wieder die Rede sein wird. Die man die Tatsache, dass ein Klient eine Gruppe verfrüht verlässt, als einen therapeuti­
Grundlage aller Überlegungen hinsichtlich der therapeutischen Technik ist eine solide, schen Misserfolg verstehen. Der Klient zieht dann aus der Gruppenarbeit nicht nur
positive Beziehung zwischen Therapeut und Klient. Die Grundhaltung eines Thera­ keinen Vorteil, sondern auch die Fortschritte der restlichen Gruppe werden ungünstig
peuten einem Klienten gegenüber muss von aufrichtiger Anteilnahme, Akzeptieren, beeinflusst. Die regelmäßige Teilnahme an allen Gruppensitzungen ist eine unverzicht­
Echtheit und Empathie geprägt sein. Nichts, keine technische Erwägung, ist wichtiger als bare Voraussetzung für einen erfolgreichen Therapieverlauf. Wenn Gruppenmitglieder
diese Grundeinstellung. Natürlich gibt es Situationen, in denen der Therapeut den Kli­ aufgeben, muss der Therapeut - es sei denn, es handelt sich um eine geschlossene
enten mit Unannehmlichkeiten konfrontiert, in denen er sich frustriert zeigt oder er Gruppe (siehe hierzu Kapitel 10) - neue Mitglieder in die Gruppe aufnehmen, damit
dem Klienten sogar sagt, wenn er nicht bereit sei mitzuarbeiten, solle er die Gruppe die Idealgröße der Gruppe erhalten bleibt.
besser verlassen. Doch sind solche Bemühungen (die unter günstigen Voraussetzungen Zu Beginn der gemeinsamen Arbeit sind die Klienten einander fremd. Sie alle ken­
die Therapie positiv beeinflussen) nur dann wirksam, wenn zwischen Therapeut und nen nur den Therapeuten, der zunächst allein für die Erhaltung der Struktur sorgt. Die
Klient eine von Akzeptieren und aufrichtiger Anteilnahme geprägte Beziehung be­ Mitglieder treten anfangs aufgrund ihrer gemeinsamen Beziehung zum Therapeuten
steht. zueinander in Beziehung, und diese Therapeut-Klient-Allianzen bilden die Vorstufe
Meine Auseinandersetzung mit den Techniken des Therapeuten bezieht sich auf für die Entstehung von Gruppenkohäsivität.
drei grundlegende Aufgaben: Der Therapeut muss Kräfte, die die Gruppenkohäsivität in Gefahr zu bringen dro­
hen, erkennen und unschädlich machen. Wiederholte Verspätung zu den Gruppensit­
1. Zusammenstellung und Erhaltung der Gruppe, zungen, Fehlen bei den Treffen, Cliquenbildung innerhalb der Gruppe, die Gruppen­
2. Aufbau einer Gruppenkultur und arbeit beeinträchtigende private Verabredungen zwischen Gruppenmitgliedern und
3. Aktualisierung und Ausleuchtung des Hier und Jetzt. die Suche nach einem Sündenbock bedrohen allesamt die funktionale Integrität der
Gruppe und machen das Eingreifen des Therapeuten erforderlich. Auf alle diese As-

148 149
pekte gehen spätere Kapitel ausführlicher ein. Im Moment reicht es aus, wenn wir uns tionellen I ntegrität der Gru ppe. Ich hatte zwei neue weibliche Gru ppenmitgl ieder i n
mit der Verantwortung des Therapeuten für supra-individuelle Bedürfnisse befassen. eine G ruppe hineingebracht, in d e r weibl iche Mitglieder mehrfach vorzeitig a u sge­
Ihre erste Aufgabe als Therapeut besteht darin, eine physische Wesenheit, eine kohäsi­ schieden waren. Und wie hatten die G ruppe n m itglieder auf d iese Situation reagiert?
ve Gruppe, zu schaffen. In bestimmten Situationen werden Sie deshalb die Auseinan­ Jedenfa l l s n icht gut! Sie hatten d i e Neuen praktisch entrechtet. Nachdem einer der
dersetzung mit drängenden Bedürfnissen eines einzelnen Gruppenmitglieds aufschie­ Männer wegen des Parfüms einen N iesanfa l l bekommen hatte, hatte Mitch die Anwe­
ben müssen, und es kann sogar notwendig werden, ein Gruppenmitglied um des Wohls senheit der Fra uen n icht einmal registriert, sondern gleich seinen E röffn u ngszug lan­
der anderen willen aus der Gruppe zu entfernen. ciert. So wichtig dieser fü r Mitch persön lich sein mochte, grenzte er die neu i n d ie
Die folgende klinische V ignette veranschaulicht einige der soeben erwähnte G r u ppe aufgenom menen Frauen d u rch d ie Bezugna h m e auf die vorherige Sitzung
Punkte: aus.
Deshal b wa r es wichtig, auf diese Situation u nd möglichst gleichzeitig auf die Themen,
Ich habe einmal zwei neue Mitglieder, beide Frauen, in eine Gru ppe fü r a m bulant be­ die Mitch a ngeschn itten hatte, ei nzugehen. In Kapitel 2 habe ich erklärt, dass in einer
h a n delte Klienten a ufgenom men. Die Gruppe, deren sta bilen Kern vier m ä n n l iche Therapie möglichst a l le Probleme zu Problemen im H ier und Jetzt umgewa n delt wer­
Gruppe n m itglieder bildeten, hatte Probleme, weibliche M itglieder i n der G ru ppe zu den sollten. Es wäre u n s i n n ig gewesen, expl iz it a uf M itchs Auseinandersetzung m it
ha lten, u nd i m Vormonat hatten zwei Fra uen die Arbeit m it der Gru ppe abgebrochen. seiner Frau e i nzugehen. Seine Angaben über sie wären tendenziös gewesen, u n d er
Die im Folgenden geschilderte Sitzung bega n n fü r eine der beiden neu h i nzukommen­ hätte die Gruppe m it unzähl igen »Ja-Abers « nerven können.
den Fra uen etwas ungl ücklich: Ihr Parfüm hatte bei einem der m ä n n lichen G ru ppen­ Doch glücklicherweise ga b es eine Möglichkeit, sich m it beiden Problemen gleichzeitig
m itglieder einen Niesanfa l l a usgelöst. Der Betreffende hatte sich d a ra ufh i n von der a u se i n a n d e rz usetze n. Wi e M itch die beiden neuen weiblichen G ru ppen m itglieder
Fra u weggesetzt, energisch und demonstrativ die Fenster geöffnet, sie d a rü ber i nfor­ beha ndelt hatte, ä h nelte in vielerlei H i nsicht seinem Umgang m it sei ner Fra u beim
miert, dass er u nter einer Parfü m a l lergie leide, u nd i h r a ußerdem d i e Gruppenregel Abendessen. E r hatte sich gege n ü ber den Bed ü rfnissen der beiden Neuen ebenso un­
erlä utert, dass der Gebrauch von Parfüm in der Gru ppe verboten sei. sensibel gezeigt wie gegen über den Bed ü rfn issen seiner Fra u . Und mit dieser fü r i h n
I m nächsten Moment traf Mitch, ein a nderes m ä n n l iches G ruppen mitglied, m it eini­ typischen ma ngelnden Sensibilität hatte d i e G ruppe i h n i n der vorigen S itz u n g kon­
gen M i n uten Verspätu ng e i n u nd verkündete, o h ne d i e Neuankö m m l inge a u ch n u r frontiert.
ei nes ei nzigen Blickes zu würd igen: »Ich brauche heute in d e r G ru ppe etwas Zeit. Nach Deshalb lenkte ich Mitchs Aufmerksa mkeit etwa eine halbe Stunde nach Sitzungsbe­
der vorigen Sitzung war ich ziemlich fertig. Auf dem Weg nach Ha use war ich verstört, ginn von seiner Fra u und der vorigen Sitz u ng weg, indem ich sagte: »Mitch, ich frage
weil i h r gesagt hattet, ich würde Zeit stehlen. Diese Bemerku ngen von euch und a uch mich, ob S ie sich vorstellen kön nen, wie sich unsere beiden neuen Mitgl ieder heute i n
von I h nen [er wandte sich an mich] haben mir überhaupt nicht gefa l len. Am gleichen d e r Gru ppe fü hlen. «
Abend hatte ich au ßerdem einen heftigen Streit m it meiner Fra u. Sie regte sich da rü ber Dad u rch sah Mitch sich gezwungen, sich a l lgemein m it E m pathie zu beschäftigen so­
auf, dass ich beim Essen eine medizinische Fachzeitsch rift las [Mitch wa r Arzt]. Seither wie m it seiner häufig mangel nden Fäh igkeit oder Bereitschaft, sich i n die Erlebenswelt
haben wir nicht mehr m iteinander geredet. « a n derer Menschen h ineinzuversetzen. G l ückl icherweise wurde d u rch d ieses Manöver
Nun ist solch eine Eröffn ung fü r die meisten Gru ppenthera piesitzu ngen ein guter An­ nicht n u r die Aufmerksa m keit aller Gruppe n m itglieder auf die Tatsache gelenkt, dass
fa ng. Aus meiner Sicht sprach vieles dafür, dara n anzuknüpfen. Der Klient hatte gesagt, sie a l le die beiden Frauen ignoriert hatten, sondern a u ßerdem h a lf die I ntervention
er brauche in dieser S itzung etwas Zeit. (Je m e h r Gruppe n mitglieder i n einer Sitzung M itch, auf sinnvolle Weise an seinem zentralen Problem zu a rbeiten: seiner U nfä h ig­
u m Zeit bitten u n d je m e h r bereit sind z u a rbeiten, umso m e h r Energie steht in der keit, die Bed ü rfnisse und Wünsche anderer zu erken nen und darauf einz ugehen. Sel bst
betreffenden Sitz u ng z u r Verfügung.) Au ßerdem wollte Mitch a n Problemen a rbeiten, wen n es nicht möglich gewesen wäre, an ein igen von Mitchs zentra len Problemen z u
um d ie es a uc h schon in d e r vorigen S itzu n g gega ngen war. (Generell gilt: Je m e h r a rbeiten, hätte i c h m ich dafür entschieden, m ich vorrangig u m d i e Integration d e r
Mitglieder i n mehreren a ufeinanderfolgenden Sitzu ngen a n d e n gleichen Themen a r­ neuen Gruppenmitglieder z u · bem ü hen. D a s physische ü berleben d e r G ru ppe ist i n
beiten, u m so wirksamer ist die Gruppena rbeit.) Au ßerdem hatte Mitch gleich zu Be­ jedem Fal l wichtiger als d i e Arbeit an a l len anderen Aufga ben.
gi n n der Sitzung den Thera peuten a ngegriffen - was ebenfa l ls ein gutes Zeichen wa r,
weil die G ruppe vorher viel zu sa nft m it m i r umgegangen wa r. Ich wa r m i r sicher, dass Der Aufbau einer Gruppenkultur
Mitchs Angriff, so u n a ngenehm er fü r m ich sein mochte, der Arbeit der G ru ppe sehr Sobald die Gruppe zusammengestellt ist, muss der Therapeut seine Energie darauf
zugutekommen würde. konzentrieren, sie zu einem therapeutisch wirkenden sozialen System zu formen. Er
Somit sta nden mir in der bevorstehenden Sitzung viele Möglich keiten offen, wobei ich muss einen ungeschriebenen Kodex von Verhaltensregeln und Normen festlegen, an
a l lerdi ngs einer Aufgabe höchste Priorität einrä u men musste: der Wa h rung der fu n k- denen sich die Interaktion in der Gruppe orientiert. Welche Normen sind für eine psy-

150 151
chotherapeutische Gruppe sinnvoll? Sie ergeben sich logisch aus der Auseinander­
setzung mit den therapeutischen Faktoren.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die in den ersten vier Kapiteln beschriebe­
nen therapeutischen Faktoren: Akzeptiertwerden und Unterstützung, Universalität des
Leidens, Anleitung, Interpersonales Lernen, Altruismus und Hoffnung-Wecken: Wer
bietet dem Klienten all dies? Natürlich die anderen Gruppenmitgl ieder! Somit ist gro­
ßenteils die Gruppe das Agens der Veränderung.
Dies ist ein entscheidender Unterschied zwischen der Rolle des Einzeltherapeuten
und des Gruppentherapeuten. In der Einzeltherapie fungiert einzig der Therapeut als
Agent der Veränderung. Gruppentherapeuten hingegen wirken wesentlich indirekter.
Wenn die Gruppenmitglieder in ihrer Interaktion die vielen therapeutischen Faktoren
wirksam werden lassen, besteht die Aufgabe des Gruppentherapeuten in der Schaffung gliedern gegenüber, eine freizügige Selbstoffenbarung, der Wunsch der Mitglieder, sich
einer Gruppenkultur, die die therapeutisch wirksame Interaktion innerhalb der Gruppe selbst zu verstehen, und der Drang, die augenblicklichen Verhaltensweisen zu verän­
optimal fördert. dern. Normen können besti mmte Verhaltensweisen vorschreiben oder verbieten, und
Hier bietet sich ein Vergleich mit dem Schachspiel an: Erfahrene Schachspieler ver­ si e können implizit oder explizit sein. Im Allgemeinen sind sich die Mitglieder einer
suchen zu Beginn des Spiels nicht, unbedingt gleich ein Schachmatt zu erreichen oder Gruppe der gültigen Gruppennormen nicht bewusst. Deshalb ist es nicht sinnvoll,
eine wichtige gegnerische Figur gefangen zu nehmen, sondern sie bemühen sich, stra­ wenn ein Wissenschaftler Gruppenmitglieder bittet, eine Liste der in ihrer Gruppe gel­
tegisch wichtige Positionen zu besetzen und dadurch die potenzielle Wirkkraft aller tenden ungeschriebenen Normen zusammenzustellen. Besser ist es, den Befragten eine
ihrer Figuren zu erhöhen. Auf diese Weise nähern sie sich dem Erfolg indirekt, denn im Liste von Verhaltensweisen vorzulegen und sie aufzufordern, sich darüber zu äußern,
weiteren Verlauf des Spiels ermöglicht eine strategisch überlegene Position einen effek­ wel che davon sie für im Rahmen der Gruppe für angemessen bzw. unangemessen
tiven Angriff und letztlich einen deutlichen Erfolg. Ebenso arbeitet der Gruppenthera­ halten.
peut systematisch am Aufbau einer Gruppenkultur, die der Gruppe eine starke thera­ Normen entstehen in jeder Art von Gruppe, ganz gleich, ob es sich um eine infor­
peutische Wirkung ermöglicht. melle soziale, eine berufsbezogene oder eine therapeutische Gruppe handelt.1 Keines­
Ein Jazzpianist, der Mitglied einer meiner Gruppen war, hat sich einmal in einem wegs entwickelt eine therapeutische Gruppe zwangsläufig Normen, die dem therapeu­
Vergleich über die Rolle des Gruppenleiters geäußert. Er sagte, ganz zu Anfang seiner tischen Prozess förderlich sind. Die systematische Beobachtung von Therapiegruppen
Musikerlautbahn habe er vor allem die großen Instrumentalvirtuosen bewundert. Erst hat ergeben, dass viele von ihnen durch Normen in ihrer Arbeit behindert werden. Bei­
viel später sei ihm klar geworden, dass die wirklich großen Jazzmusiker diejenigen sei­ spielsweise kann ei ne Gruppe eine von Feindseligkeit geprägte Katharsis für so wichtig
en, die das Spiel ihrer Kollegen optimal unterstützten - die wüssten, wann es ratsam halten, dass ihre Mitglieder positive Empfindungen generell meiden; oder eine Gruppe
sei, ihr Instrument schweigen zu lassen, und wie sie etwas zur Verbesserung der Ge­ entwickelt ein Kommunikationsschema, das vorsieht, dass alle ihre Mitglieder der Rei­
samtleistung der Gruppe beitragen könnten. he nach ihre Probleme beschreiben; und eine Gruppe kann zur Norm erheben, dass die
In einer Therapiegruppe gelten Normen, die sich von den ansonsten gültigen Re­ Mitglieder alles, was der Therapeut tut, nicht infrage stellen und kritisieren dürfen. Ich
geln und Etiketten sowie vom konventionellen sozialen Umgang stark unterscheiden. werde mich im Folgenden mit einigen Normen beschäftigen, die eine Therapie behin­
Anders als in fast jeder anderen Art von Gruppe müssen die Mitglieder in einer The­ dern oder fördern können. Doch zunächst geht es nun um die Entstehung von Nor­
rapiegruppe das Gefühl haben, dass sie sich frei über ihre aktuellen Gefühle gegenüber men.
der Gruppe, einzelnen Gruppenmitgliedern oder dem Therapeuten äußern können.
Deshalb müssen in der Gruppe Aufrichtigkeit und Spontaneität des Ausdrucks geför­ Wie Normen entstehen
dert werden. Die Gruppe kann sich nur dann zu einem echten sozialen Mikrokosmos Die Normen einer Gruppe entstehen sowohl durch die Erwartungen der Mitglieder
entwickeln, wenn ihre Mitglieder frei interagieren. In schematischer Form dargestellt, gegenüber der Gruppe als auch durch die expliziten und impliziten Einflussnahmen
sollten die Interaktionspfade innerhalb einer Gruppe eher dem ersten der beiden fol­ des Therapeuten und angesehener Gruppenmitglieder. Wenn die Mitglieder nicht mit
genden Diagramme ähneln als dem zweiten, das eine Art der Kommunikation ver­ konkreten Erwartungen an die Gruppe herantreten, kann der Gruppenleiter in noch
anschaulicht, bei welcher der Therapeut im Mittelpunkt steht. stärkerem Maße auf die Entwicklung einer Gruppenkultur hinarbeiten, von der er an­
Weitere für eine Gruppe sinnvolle Normen sind die aktive Teilnahme an der Grup­ nimmt, dass sie die therapeutischen Ziele optimal fördert. Die Äußerungen des Grup­
penarbeit, eine nicht verurteilende, akzeptierende Haltung den anderen Gruppenmit- penleiters gegenüber der Gruppe spielen bei der Festlegung der Gruppennormen eine

152
153
wichtige, wenn auch in der Regel implizite Rolle. ?1 Im Rahmen einer Studie beobach­ Verhaltensweisen, die sich etabliert haben, zu verändern, ist immer sehr schwer und
teten die Forscher, dass ein Gruppenmitglied, dessen Handlungen der Gruppenleiter erfordert viel Zeit, und oft führen derartige Versuche in Gruppen zu einer starken Mit­
unmittelbar kommentierte, ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit rückte und gliederfluktuation.
oft auch in späteren Sitzungen eine wichtige Rolle spielte. Außerdem erwiesen sich In­
terventionen des Gruppenleiters als umso wirksamer, je seltener sie erfolgten.2 Wissen­ Zusammenfassung
schaftler, die sich in einer Studie mit intensiven Selbsterfahrungstrainingsgruppen für Jede Gruppe entwickelt eine Anzahl ungeschriebener Regeln oder Normen, die das
Gruppentherapeuten beschäftigten, gelangten ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Grup­ Verhalten in der Gruppe prägen. In der idealen Therapiegruppe ermöglichen die be­
penleiter, die ihren Gruppenmitgliedern gegenüber menschliche Wärme und fachliche stehenden Normen den therapeutischen Faktoren, optimal ihre Wirkung zu entfalten.
Kompetenz zeigten, häufiger positive Therapieresultate erzielten: Die Mitglieder ihrer Normen werden sowohl durch die Erwartungen der Gruppenmitglieder als auch durch
Gruppen entwickelten ein stärkeres Selbstvertrauen und wurden sich in stärkerem das Verhalten des Therapeuten beeinflusst. Dieser prägt die Herausbildung der Grup­
Maße sowohl der für die Gruppe charakteristischen Dynamik als auch der Rolle des pennormen sehr stark, und er kann gar nicht verhindern, dass dies geschieht. Normen,
Gruppenleiters bewusst. 3 Gruppenleiter, die durch die von ihnen propagierten Nor­ die zu einem frühen Zeitpunkt des Gruppenlebens entstehen, halten sich sehr hartnä­
men die Mitglieder ihrer Gruppen zu stärkerem Engagement animieren und sie davon ckig. Deshalb ist der Therapeut gut beraten, diese wichtige Funktion des Etablierens
abbringen, Konflikte auszutragen, erzielen im Allgemeinen bessere klinische Resul­ von Normen so sachgerecht und überlegt wie möglich zu erfüllen.
tate.4
Wenn ich den Gruppenleiter als denjenigen bezeichne, der die in einer Gruppe gel­
Wie beeinflu sst d e r G r u ppenleiter d ie Entsteh u ng
tenden Normen festlegt, beschreibe ich damit keine wirklich neuartige Aufgabe, denn
von G ru ppennorm e n ?
absichtlich oder unabsichtlich beeinflussen Gruppenleiter die Normen ihrer Gruppen
immer, und sie müssen sich dessen bewusst sein, dass sie diese Funktion erfüllen. So Der Therapeut kann sich i n seinem Verhalten i n einer Gruppe a n zwei unterschied­
wie es nicht möglich ist, nicht zu kommunizieren, kann ein Gruppenleiter nicht verhin­ lichen Rollen orientieren: an der des Experten und der des Teilnehmers, der den ande­
dern, dass er die in seiner Gruppe gültigen Normen beeinflusst. Praktisch sein gesamtes ren Gruppenmitgliedern durch sein Verhalten als Vorbild dient. In beiden Rollen be­
Verhalten zu Beginn der Gruppenarbeit hat Einfluss auf die Gruppennormen. Außer­ einflusst der Therapeut die Entstehung von Gruppennormen.
dem ist das, was er nicht tut, für die Entstehung bestimmter Normen oft wichtiger als
das, was er tut. Der psychotherapeutische Experte
Ich habe einmal eine Gruppe beobachtet, die von einem britischen Gruppenanaly­ In der traditionellen Rolle des psychotherapeutischen Experten nutzen Gruppenleiter
tiker geleitet wurde. Ein Gruppenmitglied hatte an den vorherigen sechs Gruppensit­ eine Vielzahl von Techniken, um die Gruppe in eine bestimmte Richtung zu lenken, die
zungen nicht teilgenommen und war zu der hier geschilderten Sitzung ein paar Minu­ sie für erstrebenswert halten. In diesem Fall bemühen sie sich in der Phase der Vorbe­
ten zu spät gekommen. Der Therapeut zeigt keinerlei Reaktion auf das zu späte Ein­ reitung der Klienten auf die Gruppentherapie ganz bewusst darum, bestimmte Nor­
treffen des Gruppenmitglieds. Nach der Sitzung erklärte er den Beobachtern, er habe men zu etablieren. Bei diesem Prozess, der in Kapitel 10 ausführlich beschrieben wird,
sich entschieden, die Gruppe nicht zu beeinflussen, weil es ihm lieber sei, dass sie be­ klärt der Therapeut die Gruppenmitglieder gründlich über die in der Gruppe gelten­
züglich der Begrüßung zu spät kommender oder ganze Sitzungen versäumender Grup­ den Regeln auf, und er verstärkt diese Instruktion erstens, indem er sie mit dem ganzen
penmitglieder selbst Regeln entwickelten. In meinen Augen jedoch war die Nichtbe­ Gewicht seiner Fachautorität und Erfahrung verbindet, und zweitens, indem er den
grüßung des Therapeuten ein Akt der Beeinflussung und eine ziemlich massive norm­ Grund für die gewählte Verfahrensweise erläutert, um sich die Unterstützung der
bildende Botschaft. Seine Gruppe hatte aufgrund vieler vorheriger ähnlicher Aktionen Klienten zu sichern.
einen ganz bestimmten Charakter entwickelt: Die Mitglieder wirkten gefühllos und Zu Beginn der Gruppenarbeit können Therapeuten zum Aufbau der Gruppenkul­
unsicher, und sie versuchten, sich bei ihrem Gruppenleiter so gut wie möglich einzu­ tur zahlreiche Techniken nutzen - angefangen von expliziten Instruktionen und Emp­
schmeicheln. fehlungen bis hin zu subtilen Verstärkungstechniken. Beispielsweise muss der Grup­
Normen entstehen relativ früh im Leben einer Gruppe, und nachdem sie entstan­ penleiter - wie ich schon früher beschrieben habe - versuchen, ein Interaktionsnetz zu
den sind, ist es schwer, sie wieder zu verändern. Man denke beispielsweise an die Klein­ schaffen, innerhalb dessen die Gruppenmitglieder frei miteinander kommunizieren
gruppe in einem Produktionsbetrieb, die Normen dafür festlegt, was ihre einzelnen können, statt sich mit allen ihren Äußerungen an den Therapeuten oder über diesen
Mitglieder leisten müssen; oder an eine Bande Krimineller, die einen speziellen Verhal­ an andere Gruppenmitglieder zu wenden. Therapeuten können die Gruppenteilneh­
tenskodex entwickelt; oder an eine Station in einem psychiatrischen Krankenhaus, in mer vor Beginn der Gruppenarbeit in Einzelgesprächen implizit in diesem Sinne in­
der festgelegt wird, welches Verhalten von Mitarbeitern und Patienten erwartet wird. struieren, oder sie tun dies in den ersten Gruppensitzungen; sie können die Mitglieder

154 155
auch im Laufe der Sitzungen wiederholt auffordern, sich zu einem in der Gruppe auf­ Zahlreiche Untersuchungen bestätigen, dass Techniken der operanten Konditionie­
tauchenden Problem zu äußern; sie können die Frage aufwerfen, weshalb beim Ge­ rung das Gruppenverhalten sehr stark beeinflussen.7 Setzt man diese Techniken be­
spräch innerhalb der Gruppe immer der Gruppenleiter im Mittelpunkt steht; sie kön­ wusst ein, kann man dadurch die Phasen des Schweigens verringern8 oder die Zahl der
nen sich weigern, Fragen der Gruppenmitglieder zu beantworten; sie können die Mit­ Kommentare des Therapeuten und der Gruppe oder den Ausdruck von Feindseligkeit
glieder auffordern, Übungen zur Schulung ihrer Interaktionsfähigkeit auszuführen. dem Gruppenleiter gegenüber, und man kann die akzeptierende Haltung zwischen den
Eine solche Übung ist beispielsweise, dass jedes Gruppenmitglied seinen ersten Ein­ Gruppenmitgliedern verstärken. Obwohl es eindeutige Belege dafür gibt, dass Psycho­
druck von jedem anderen Gruppenmitglied schildert. Der Therapeut kann aber auch therapeuten ihren Erfolg großenteils diesen Lernprinzipien verdanken, scheuen sie sich
auf eine wesentlich unaufdringlichere Weise auf das Verhalten in der Gruppe einwir­ davor, sich dies einzugestehen, und zwar oft infolge ihrer unbegründeten Furcht, bei
ken, nämlich indem er Mitglieder, die direkt zueinander in Kontakt treten, dafür be­ einer so mechanistischen Sicht komme der menschliche Anteil des Therapieerlebnisses
lohnt - indem er nickt oder den Betreffenden zulächelt, sich besonders herzlich an sie zu kurz.9 Doch die Fakten sind nun einmal überzeugend, und Therapeuten verlieren
wendet oder in eine Offenheit signalisierende Körperhaltung wechselt. Ebenso kann er ihre Spontaneität nicht, weil sie ihr eigenes Verhalten verstehen. Schließlich geht es bei
mit vielen anderen Normen verfahren, denen er in der Gruppe Geltung verschaffen der Anwendung der operanten Konditionierung darum, ein authentisches und sinn­
will: mit der Selbstoffenbarung, dem offenen Ausdruck von Emotionen, der Pünktlich­ volles Engagement innerhalb der Gruppe zu fördern. Wenn Therapeuten klar wird,
keit und noch vielen anderen. dass sie durch soziale Verstärkung starken Einfluss ausüben, und wenn sie für ihre Ar­
Therapeuten arbeiten sehr unterschiedlich. Zwar ziehen viele es vor, die in der beit ein zentrales Organisationsprinzip der Therapie formuliert haben, sind sie in der
Gruppe gültigen Normen explizit zu beeinflussen, doch nutzen alle - und zwar oft Lage, wirksamere und stimmigere therapeutische Interventionen zu entwickeln und
stärker, als sie selbst glauben - bei der Erfüllung ihrer Aufgabe die subtile Technik der auszuführen.
sozialen Verstärkung. Das menschliche Verhalten wird ständig durch eine Folge äuße­
rer Ereignisse (Verstärker) mit entweder positiver oder negativer Valenz beeinflusst, die Der Therapeut als vorbildlicher Teilnehmer
auf bewusster oder unterschwelliger Ebene wirken. Gruppenleiter beeinflussen die Gruppennormen nicht nur durch explizites oder im­
Werbung und politische Propaganda sind nur zwei Bereiche, in denen systematisch plizites Einwirken auf die soziale Struktur, sondern auch durch das Beispiel ihres eige­
Verstärker genutzt werden. Auch die Psychotherapie nutzt subtile soziale Verstärker, nen Verhaltens innerhalb der Gruppe. 10 Die in einer Therapiegruppe gültigen Regeln
und zwar oft, ohne dies bewusst zu wollen. Obwohl Psychotherapeuten mit intaktem unterscheiden sich sehr stark von den sozialen Regeln, an denen die Gruppenmit­
Berufsethos sich kaum als Agenten sozialer Verstärkung verstehen, beeinflussen sie ihre glieder sich in ihrem Alltagsleben orientieren müssen. Sie sollen sich in der Gruppe
Klienten doch unablässig auf diese Weise, unbewusst oder absichtlich. Sie können Ver­ von den ansonsten gültigen sozialen Konventionen lösen. Sie sollen neue Verhaltens­
halten durch zahlreiche verbale und nonverbale Handlungen positiv verstärken, bei­ weisen erproben und Risiken eingehen. Wie können Therapeuten ihren Klienten am
spielsweise durch Nicken, Lächeln, Vorbeugen des Rumpfes, indem sie ein interessier­ besten vermitteln, dass die neuen Verhaltensweisen nicht die befürchteten nachteiligen
tes »Hmm« ertönen lassen oder indem sie einen Klienten direkt auffordern, sie über Auswirkungen haben werden?
einen Sachverhalt genauer zu informieren. Andererseits versuchen Therapeuten, Ver­ Eine Methode, deren Wirksamkeit viele Untersuchungen bestätigt haben, ist Mode­
halten, das sie für nicht heilsam erachten, abzuschwächen, indem sie es nicht kommen­ ling - die Nachahmung eines Vorbildes. Die Klienten werden aufgefordert, ihre Verhal­
tieren, indem sie nicht zustimmend nicken, indem sie es schlicht ignorieren, indem sie ten so zu verändern, wie sie es bei ihren Therapeuten beobachten, bei denen, wie sie
ihre Aufmerksamkeit einem anderen Klienten zuwenden, indem sie durch ihren Blick mit eigenen Augen sehen, die befürchteten nachteiligen Wirkungen nicht eintreten.
Skepsis ausdrücken, indem sie ihre Augenbrauen hochziehen und dergleichen mehr. Bandura hat in vielen gut kontrollierten Studien gezeigt, dass man Menschen zu adap­
Uns liegen Untersuchungen vor, nach denen Therapeuten, die bei ihren Klienten der tiverem (beispielsweise wenn sie spezifische Phobien überwinden) 11 oder weniger ad­
Gruppenarbeit förderliche Verhaltensweisen verstärken, damit oft erfolgreicher sind aptivem Verhalten (wenn sie ihre Aggressivität ungehemmt ausleben) bringen kann, 1 2
als Kollegen, die ihre Klienten direkt verbal zu solchen Verhaltensweisen auffordern.5 indem man sie auffordert, das Verhalten anderer zu beobachten und zu kopieren.
Wird diese indirekte Art der Beeinflussung bevorzugt, wirkt jede darüber hinaus erfol­ Indem der Gruppenleiter als Vorbild für eine von Nichtverurteilen und Akzeptieren
gende verbale Direktive des Therapeuten umso stärker, weil solche Interventionen und vor der Würdigung der Stärken und Probleme anderer Menschen geprägten Hal­
dann nur sehr selten erfolgen. tung fungiert, trägt er zur Entwicklung einer gesunden Gruppenkultur erheblich bei.
Jede Art von Psychotherapie ist ein Lernprozess, der teilweise auf operanter Kondi­ Versteht er seine Rolle hingegen als die eines Detektivs für Psychopathologie, verhalten
tionierung beruht. Dass es eine Therapie geben soll, und sei es die Psychoanalyse, bei sich die Gruppenmitglieder entsprechend. Beispielsweise hatte eine Klientin monate­
welcher der Therapeut nicht in irgendeiner Form verstärkend oder manipulierend lang aktiv an der Lösung der Probleme anderer Gruppenmitglieder mitgearbeitet, sich
wirkt, ist eine Fata Morgana, die sich bei genauerem Hinschauen in nichts auflöst.6 aber kategorisch geweigert, über ihre eigenen zu sprechen. Schließlich erklärte sie dann

156 157
rbracht.
doch in einer Sitzung, sie h ab e zwei Monate in einer psychiatrischen Klinik ve
gl ied zu werden. Au ßerdem trug die Co-Therapeutin d u rch i h re Demonstration eines
mit d r Fr g : »Warum em pathischen u nd nicht verurteilenden Verhaltens z u r E ntwicklung einer von Sa nft­
De r The rapeut reagierte auf dies e Offenb arung reflexhaft e a e
heit und Akzeptieren geprägten Gruppenkultur bei.
haben Sie uns das nicht schon frühe r gesagt?«
noch
Diese B emerkung empfand die Klientin als strafend. Weil ihre Angst dadurch
richten. Um diese wirksame Intervention ausführen zu können, musste die Co-The rapeutin
verstärkt wurde , sah sie davon ab, mehr über ihre persönliche Situation zu b e
n v r l ssen a nd e re M e nsch e n dazu, zunächst die negative Wirkung des Verhaltens dieses Gruppenmitglieds erkenne n und
B estimmte Arten von Fragen und B emerkung e e an a
, sich zu öffn . D e r Thera­ dann auf unterstützende Weise die Verletzlichkeit zum Ausdruck bringen, die sich un­
sich zu verschließen, und andere Äußerungen helfen ihnen en
n zag ter dem offensiven Verhalten verbarg. l 4
peut in unserem B eispiel hatte durchaus Möglichkeiten, die Klientin in ihr e haften
: »Ich Um mit ihrer Gruppe als Gruppenmitglie der inte ragieren zu können, müssen
Ansätzen, sich zu öffnen , zu unterstützen. B eispielsweise hätte er sagen können
Gruppentherapeuten unter anderem in der Lage sein, ihre p ersönliche Fehlbarkeit ein­
finde es großartig, dass Sie der Gruppe nun so vertrauen , dass Sie uns diese Episod
e

s hr schw r für Si e gew e s en s e i n , d er zugestehen. Ein Ther ap eut, der es nötig hat, als unfehlbar zu erscheinen, ist für seine
aus Ihrem Leben b erichtet haben«, oder: »Es muss e e
rs its so groß Angst da - Klienten ein verwirrendes und hinderliches B eispiel. Manchmal we igern sich die B e ­
Gruppe diese Dinge einerse its mitte ilen zu wollen und andere e e
treffende n so h artnäckig, einen Irrtum oder F ehler einzugestehen, dass sie in ihrer B e ­
vor zu haben. «
a- ziehung zur Gruppe verschlagen und unaufrichtig werden. Ein B eispiel hierfür ist ein
Der Gruppenleiter fungiert als Vorbild für interpersonale Ehrlichkeit und Spont
B dürfniss d r Grupp e nmitgli e d e r im Aug e Therapeut, dem sehr daran lag, immer als allwissend zu erscheinen. Als er einmal eine
neität, ab er er muss auch die aktuell en e e e
s n i Einkl a ng bri n g e n. Es wär e Gruppe nsitzung absagen musste, we il e r verre ise n wollte , schlug e r de r Gruppe vor,
b ehalten un d se in Verhalte n mit die sen B edürfnis e n
u g h mmt zum Aus­ sich in seiner Abwesenheit ohne ihn zu treffen und die Sitzung auf B and aufzunehmen.
falsch zu glauben, dass Gruppentherap euten alle ihre Gefühle n e e
enso Er versprach, sich das B and vor der nächsten Sitzung anzuhören . Prompt vergaß er,
druck bringen sollten. Totale Hemmungslosigkeit ist in einer Therapiegruppe eb
h äss­ sich das Band anzuhören, gab dies jedoch der Gruppe gegenüber nicht zu. Die Sitzung,
wenig he ilsam wie bei anderen Arten menschlicher B egegnung, und sie kann zu
n führ n. D e r T he r ap e ut muss V e r an twortun g in der er sein Versäumnis zu verschleiern versuchte , indem er auf das Treffen in s einer
lichen und destruktiven Interaktione e
l ft demo stri e ren wi e Ehrlic h k e it. Abwes enheit gar nicht einging, erwies sich als diffus, verwirrend und entmutigend.
und angemessene Zurückhaltung eb enso beispie ha n
und Ein anderes B eispiel dieser Art betrifft einen noch sehr unerfahrenen Therapeuten
Wir möchten unsere Klienten zur aktiven Teilnahme am Therapieprozess anregen
t ist i s ehr mit ähnlichen B edürfnissen. Ein Gruppenmitglied warf ihm vor, er drücke sich zu
uns von ihnen anrühren lassen. »Diszipliniertes persönliches Engagemen
« e n
nicht weitschweifig und verwirrend aus. Da dies die erste Konfrontation eines Gruppenmit­
wertvoller B estandteil des Handwerkszeugs von Gruppenleitern . t Es wirkt sich
3

Kli t aus, w nn wir zulass en , dass sie u n s et­ glieds mit dem Therapeuten in einer gerade erst beginnenden Gruppe war, reagierten
nur therapeutisch positiv auf unsere en en e
li f rn uns uch w e rtvoll e I nform a­ die übrigen Mitglieder sehr angespannt, und sie rutschten nervös auf der Stuhlkante
was bedeuten, sondern unsere Reaktionen auf si e e e a
ug. 71 herum. Der Therapeut parierte den Vorwurf des Klienten, indem er diesen fragte, ob
tionen über sie - vorausgesetzt, wir kennen uns selbst gut gen
er sich durch ihn an eine Person aus sein er Vergangenhe it erinn ert fühle . D e r Klient
Als B eispiel folgt die B eschreibung einer therapeutisch wirksamen I ntervention :
ließ sich auf diesen Deutungsversuch ein und nannte den Vater als möglichen Verur­
In der ersten Sitzung einer Gruppe fü r Manager, die fü nf Tage lang gemeinsam dara n sacher der Reaktion . Die Krise ging vorüber, und die anderen Gruppenmitglieder ent­
a rbeiten wollten, ihre Beziehu ngen zu anderen Menschen zu verbessern, bega n n ein spannten sich auf ihren Stühlen . Alle rdings war dieser Therapeut vorher s elbst Mit­
25 Jahre a lter angeberisch u n d aggressiv a uftretender Tei l ne hmer, der offensichtlich glied e ine r Gruppe von Psychotherapiestudenten gewe sen , und seine Kollege n hatten
ziem l ich viel Alkohol getru n ken hatte, die Kom m u n i kation i n der Gruppe zu dominie­ wiederholt seinen Hang zu langatmigen und verwirrenden Kommentaren moniert.
ren u nd sich z u m Na rren zu machen. Der Ma n n pra h lte m it seinen Erfolgen, ä u ßerte D er Klient hatte ihn also ziemlich richtig eingeschätzt, sich dann aber dazu bringen
sich negativ ü ber d i e Gruppe, riss die gesa mte Aufmerksam keit an sich u nd unterbrach, lassen, seine Wahrnehmungen zu verwe rfen. Wenn eines der Ziele einer Psychothera­
ü berschrie u nd beleidigte alle anderen Anwesenden. Alle Bemühu ngen, die Situation pie ist, Klienten zu helfen, ihre Wahrn ehmungen zu überprüfen und Klarheit in ihre
zu entschärfen - Feedback darüber, wie wütend er andere gemacht und wie sehr er sie interpersonalen B eziehungen zu bringen, dann war die geschilderte Transaktion anti­
verletzt hatte, sowie a l l e Versuche, S i n n u nd Ursache sei nes Verhaltens zu deuten -, therapeutisch, weil den B edürfnissen des Therape uten Vorrang eingeräumt wurde . 71
fü hrten zu n ichts. Da n n wandte sich meine Co-Therapeutin a n i h n und sagte: »Wissen Eine weitere Konsequenz des B edürfnisses nach Vollkommenheit äußert sich darin,
Sie, was ich an Ihnen mag? I h re Angst u nd Ihren Mangel an Selbstvertrauen. Sie sind i n dass Therapeuten übertrieb en vorsichtig werden. Weil sie Angst haben, einen Fehler zu
d ieser Gruppe genauso verängstigt w i e ich. Wir a l l e haben Angst vor dem, was wir i n machen, wägen sie ihre Worte so sorgsam ab und interagie ren so b edächtig, dass ihre
der bevorstehenden Woche erleben werden. « Diese Äu ßeru ng ermögl ichte e s d e m Kli­ Spontaneität auf der Strecke bleibt und auch in der Gruppe eine gestelzte und leblose
enten, sich von seiner Fassade zu lösen u nd später ein fü r die Gruppe wertvolles Mit- Atmosphäre entsteht. Oft strahlt ein Therap eut, der sich als allmächtig hinstellt und

159
158
sich distanziert verhält, eine Botschaft aus wie: »Ihr könnt tun, was ihr wollt; ihr könnt Obgleich der Einsatz eines speziell für diesen Zweck ausgebildeten Agenten eine
mich weder verletzen noch anrühren. « Diese Haltung kann kontraproduktiv wirken, Form von Täuschung ist und deshalb mit dem gruppentherapeutischen Prozess ei­
wenn sie bei den Gruppenmitgliedern das Gefühl interpersonaler Unfähigkeit ver­ gentlich nicht vereinbar, eröffnet die Möglichkeit, solche Personen einzusetzen, der kli­
stärkt und so die Entwicklung von Autonomie behindert. nischen Arbeit faszinierende Perspektiven. Beispielsweise könnte in eine neu entste­
hende Therapiegruppe ein ideales Gruppenmitglied aus einer anderen Gruppe hinein­
I n einer Gruppe war e i n ju nger Mann namens Les trotz i ntensiven Engagements des genommen werden, das dann die Therapie in zwei Gruppen fortsetzen würde. Oder
Gruppenleiters monatelang keinen Sch ritt weitergekommen. In praktisch jeder Sitzung ein Gruppenmitglied, das kürzli<;h eine Gruppentherapie zufriedenstellend abgeschlos­
hatte der Thera peut ve rsucht, Les i n das Gespräch e i n z u beziehen, doch vergeblich. sen hat, könnte in der Anfangsphase der Gruppenarbeit als Hilfstherapeut eine Vor­
Stattdessen wurde Les a ufsä ssig und noch verschlossener a l s vorher, und der Thera­ bildrolle erfüllen.
peut m ü hte sich noch beharrlicher m it i h m a b. Schließl ich sagte Joan, ein anderes Und eine fortlaufende Gruppe könnte sich entschließen, vor dem Ausscheiden
Gruppen m itglied, a n den Therapeuten gewandt, er komme ihr vor wie ein störrischer älterer Gruppenmitglieder neue Mitglieder aufzunehmen, um die Vorbildfunktion der
Vater, der Les wie einen störrischen Sohn beha ndle und sich fest vorgenommen ha be, erfahrenen und erfolgreichen älteren Mitglieder zu nutzen.
diesen zu zwingen, sich zu verä ndern. Und Les gen ieße offe n ba r die Rol le des rebelli­ Abgesehen von diesen Möglichkeiten fungiert der Therapeut für die Gruppe in je­
schen Soh ns, der es darauf an lege, seinen Vater fertigzu machen. Der Therapeut konnte dem Fall wissentlich oder unwissentlich als wichtigstes Vorbild. Und um diese Funk­
m it Joans Äußerung etwas a nfa ngen, weil sie sei nem in neren Erleben entsprach. E r tion erfüllen zu können, sollte er genügend Selbstvertrauen haben. Wenn Therapeu­
gab dies d e r Gruppe gegen ü ber zu und dankte Joan für ihre Ste l l u ngnahme. ten sich hinsichtlich dieser Aufgabe unwohl fühlen, geraten sie mit diesem Aspekt
ihrer Arbeit wahrscheinlich in Schwierigkeiten, und sie verfallen in ihrem persönli­
Das Verhalten des Therapeuten in diesem Beispiel war für die Gruppe ungeheuer wich­ chen Engagement in der Gruppe oft in eine von zwei Extremhaltungen: Entweder sie
tig. Im Grunde beinhaltete das, was er sagte: Ich schätze euch, die Gruppenmitglieder, flüchten sich in die bequeme und geschützte Rolle des Fachmanns, oder sie versu­
diese Gruppe und diese Art zu lernen. Außerdem verstärkte er durch sein Verhalten die chen, der mit der Rolle des Gruppenleiters verbundenen Angst und Verantwortung
Normen der Selbsterforschung und der ehrlichen Interaktion mit dem Therapeuten. zu entfliehen, indem sie praktisch ihr Amt niederlegen und sich mit der Gruppe »ge­
Die Transaktion war für den Therapeuten sehr nützlich (Therapeuten, die nicht mehr mein machen « . .71 17
in der Lage sind, in ihrer therapeutischen Arbeit etwas über sich selbst zu lernen, sind Angehende Therapeuten sind für ein solches übertriebenes Maß an Aktivität oder
zu bedauern) und ebenso für Les, der anschließend untersuchte, was seine aufsässige für Inaktivität angesichts der emotionalen Anforderungen, die mit der Leitung einer
Haltung gegenüber dem Therapeuten ihm einbrachte. Therapiegruppe verbunden sind, besonders anfällig. Beide Extreme wirken sich auf die
Manchmal ist die Vorbildrolle des Therapeuten in einer Gruppe nicht so wichtig, Entwicklung der Gruppennormen ungünstig aus. Ein sehr verschlossener Gruppen­
weil es in der Gruppe ideale Gruppenmitglieder gibt, die diese Funktion erfüllen. Es leiter fördert in der Gruppe Vorsicht und Auf-der-Hut-Sein. Ein Therapeut, der seine
gab sogar Studien, in denen Klienten, die sich als Vorbilder eigneten, in eine Gruppe Autorität aufgibt, nimmt sich dadurch die Möglichkeit, die vielen Methoden zu nut­
eingeschleust wurden. 1 5 In einer dieser Untersuchungen brachten Wissenschaftler so­ zen, mit deren Hilfe er die Gruppennormen beeinflussen kann. Außerdem kann eine
gar eigens für diesen Zweck ausgebildete Verbündete (keine Klienten, sondern fortge­ so beeinflusste Gruppe wahrscheinlich nicht konstruktiv an wichtigen Übertragungs­
schrittene Psychologiestudenten) in zwei Gruppen für ambulant behandelte Klien­ problemen arbeiten.
ten. 16 Die »Agenten« verhielten sich, als seien sie normale Gruppenmitglieder, trafen Die Transparenz des Therapeuten hat Auswirkungen, die über die Entwicklung von
sich aber regelmäßig zu Diskussionen mit den Therapeuten und ihren Supervisoren. Gruppennormen weit hinausgehen. .71 Wenn Therapeuten sich in der Gruppe selbst of­
Sie sollten durch ihr persönliches Beispiel in der Gruppe die Selbstoffenbarung, den fenbaren, demonstrieren sie dadurch nicht nur beispielhaft neues Verhalten, sondern
freien Ausdruck von Affekt und Konfrontationen mit den Therapeuten fördern, Klien­ ihre Handlung ist für den therapeutischen Prozess auch in anderer Hinsicht sehr be­
ten, die die Kommunikation in der Gruppe zu stark dominierten, zum Schweigen brin­ deutsam. Da viele Klienten dem Therapeuten gegenüber widersprüchliche und ver­
gen, die Cliquenbildung unterbinden und dergleichen mehr. Die beiden Gruppen wur­ zerrte Gefühle entwickeln, hilft die Transparenz des Therapeuten den Gruppenmitglie­
den 20 Sitzungen lang beobachtet ( den Teilnehmern wurden Fragebögen zur Messung dern, ihre übertragung durchzuarbeiten. Mit den Auswirkungen einer transparenten
der Kohäsivität vorgelegt, und es wurden soziometrische Untersuchungen durchge­ Haltung des Therapeuten werde ich mich in Kapitel 7 ausführlich beschäftigen. Nach
führt). Die Ergebnisse zeigten, dass die Agenten zwar nicht die beliebtesten Gruppen­ diesen allgemeinen Oberlegungen zur Entwicklung von Gruppennormen wenden wir
mitglieder waren, von den anderen aber als für die therapeutische Arbeit nützlich ein­ uns nun konkreten Normen zu, die sich auf eine Gruppentherapie günstig aus­
geschätzt wurden. Aus den Fragebögen ging hervor, dass die anderen Gruppenmitglie­ wirken.
der der Ansicht waren, die Agenten hätten die Kohäsivität der Gruppe gefördert.

1 60 161
Beispiele fü r thera peutisch wirksa me G ru ppennormen zung waren die ersten zehn Minuten - danach haben wir 45 Minuten lang praktisch
nur gequatscht«, dann antworte ich: »Warum haben Sie das zugelassen? Wie hätten Sie
Die Selbstüberwachung der Gruppe (self- monitoring) es unterbinden können?« Oder: »Mir scheint, dass Sie alle dies gewusst haben. Was hat
Die Gruppe muss sich daran gewöhnen, Verantwortung für ihre Aktivitäten zu über­ Sie gehindert, etwas daran zu ändern? Warum bleibt es immer an mir hängen, Dinge
nehmen. Gelingt es nicht, diese Norm zu etablieren, entsteht eine passive Haltung, und zu tun, die Sie alle tun könnten?« Aufgrund dieses Vorgehens wird schon bald weitge­
die Gruppenmitglieder verlassen sich darauf, dass der Gruppenleiter ihnen stets eine hende Einigkeit darüber herrschen, was produktive und was unproduktive Gruppen­
Richtung weist und den Anstoß gibt, sich in Bewegung zu setzen. Der Leiter einer sol­ arbeit ist. (Und produktive Gruppenarbeit findet praktisch immer dann statt, wenn die
chen Gruppe, der sich aufgrund der drückenden Last, ständig alle Aktivitäten initiieren Gruppe auf das Hier und Jetzt fokussiert bleibt - womit wir uns im nächsten Kapitel
zu müssen, erschöpft und gereizt fühlt, ist sich darüber im Klaren, dass zu Beginn der beschäftigen.)
Gruppenarbeit irgendetwas fehlgeschlagen ist. Mir kommen die Mitglieder häufig wie
Kinobesucher vor. Es wirkt so, als kämen sie jede Woche zu den Gruppensitzungen, um Selbstoffenbarung
zu schauen, welcher Film gespielt wird; interessiert der »Film« sie zufällig, engagieren Gruppentherapeuten mögen hinsichtlich vieler Aspekte der Arbeit in Gruppen unter­
sie sich in der Sitzung. Wenn nicht: »Wie schade, Irvin! Ich hoffe, nächste Woche ist schiedlicher Meinung sein, doch in einem Punkt besteht erstaunliche Einigkeit:
die Show besser!« In solchen Gruppen besteht meine Aufgabe darin, den Mitgliedern Selbstoffenbarung ist für den gruppentherapeutischen Prozess absolut unverzichtbar. Kli­
klarzumachen, dass sie der Film sind. Wenn sie nichts »vorführen«, gibt es keinen enten profitieren von einer Gruppentherapie nur, wenn sie bereit sind, sich umfassend
»Film«, und die Leinwand bleibt weiß. über ihre persönliche Situation zu äußern. Ich persönlich ziehe es vor, Gruppen, die ich
Ich versuche von Anfang an, die Verantwortung für die Gruppe den Gruppenmit­ leite, Normen zu vermitteln, die beinhalten, dass die Selbstoffenbarung der Klienten in
gliedern zu übergeben. Dabei ist mir natürlich klar, dass ich zu Beginn der Gruppenar­ der Gruppe unverzichtbar ist - wobei jedem Mitglied zugestanden wird, sich dafür die
beit der einzige Anwesende bin, der weiß, was die Qualität einer guten Arbeitssitzung aus­ Zeit zu nehmen, die es persönlich braucht, um sich zu öffnen. Ich versuche zu verhin­
macht. Es ist meine Aufgabe, dies den Gruppenmitgliedern zu vermitteln. Deshalb er­ dern, dass der �indruck entsteht, die Gruppe sei eine Art Zwangsbeichte, bei der sämt­
wähne ich am Ende einer Sitzung ausdrücklich, wenn die Arbeit besonders gut war. lichen Mitgliedern nacheinander tiefe Offenbarungen abgerungen werden. 1 8
Beispielsweise sage ich dann: »Wir kommen jetzt zum Ende unserer heutigen Sitzung. Während der vorbereitenden Einzelgespräche mit den Klienten vor Beginn der
Das finde ich eigentlich schade, denn eine so gute Sitzung beende ich nicht gern.« Eine Gruppenarbeit gehe ich auf diesen Sachverhalt gründlich ein, sodass alle Teilnehmer
besonders gelungene Sitzung erwähne ich auch später immer wieder. Wenn eine Grup­ von vornherein wissen, dass sie nur dann von der Therapie profitieren können, wenn
pe noch nicht sehr lange zusammen ist, folgt auf eine Sitzung, in der besonders inten­ sie den anderen Gruppenteilnehmern früher oder später sehr vertrauliche Informatio­
siv gearbeitet wurde, häufig eine Sitzung, in der die Gruppenmitglieder von der vorhe­ nen über sich mitteilen.
rigen intensiven Interaktion ein wenig Distanz zu gewinnen versuchen. In solch einer Dabei ist zu bedenken, dass der subjektive Aspekt der Selbstoffenbarung besonders
Folgesitzung sage ich manchmal nach einer halben Stunde: » Ich frage mich, wie Sie alle wichtig ist. Manchmal gewinnen Therapeuten fälschlich den Eindruck, eine Gruppe
die heutige Sitzung empfinden. Wenn Sie einmal an die Sitzung in der vorigen Woche öffne sich nicht ausreichend, oder die stattfindende Öffnung sei zu oberflächlich oder
zurückdenken: Was haben wir vorige Woche anders gemacht?« beinhalte nur Unwichtiges. Oft besteht zwischen subjektiver und objektiver Selbstof­
Außerdem kann man Gruppenmitgliedern helfen, selbst ein Gespür dafür zu ent­ fenbarung eine riesige Diskrepanz - die übrigens den Resultaten von Untersuchungen
wickeln, wann eine Sitzung gut war, indem man sie auffordert, die einzelnen Sitzungs­ widerspricht, die Selbstoffenbarung mithilfe einer standardisierten Skala messen. Vie­
phasen zu untersuchen und zu beurteilen. Beispielsweise unterbreche ich manchmal le Mitglieder von Therapiegruppen haben in ihrem Leben nur wenige Vertraute ge­
in den ersten Treffen einer Gruppe das Gespräch und werfe ein: »Ich sehe gerade, dass habt, und was im Rahmen der Gruppe als eine relativ unwichtige Offenbarung persön­
schon eine Stunde vorüber ist. Ich würde gern von Ihnen wissen, wie die Gruppe nach licher Informationen erscheinen mag, kann für einzelne Mitglieder sehr wichtig sein,
Ihrer Meinung heute läuft. Sind Sie zufrieden? Welcher Teil der heutigen Sitzung hat weil sie das allererste Mal überhaupt mit anderen Menschen über diese Dinge spre­
Sie am stärksten angesprochen? Und welchen Teil fanden Sie am uninteressantesten?« chen. Die Bedeutung einer Selbstoffenbarung lässt sich nur dann angemessen einschät­
Grundsätzlich geht es mir natürlich darum, die Gruppenmitglieder zu animieren, das zen, wenn der Kontext einbezogen wird, in dem ein bestimmter Klient sich dazu
Geschehen selbst zu beurteilen, und ihnen so die Aufgabe des Beurteilens zu überlas­ durchgerungen hat, etwas von sich preiszugeben. Kontextbewusstheit ist ein wichtiger
sen. Was ich zu ihnen sage, beinhaltet im Grunde: »Sie sind in der Lage - und dafür Aspekt der Entwicklung von Empathie, wie das folgende Beispiel veranschaulicht.
verantwortlich - festzustellen, wann die Gruppe effektiv arbeitet und wann sie Zeit
vergeudet.« Ein Gruppen mitgl ied, Ma rk, sprach la ngsam u nd sehr systematisch ü ber seine starke
Klagt beispielsweise ein Gruppenmitglied, der »einzig interessante Teil dieser Sit- Soziala ngst und sei ne Tendenz zum Vermeiden. Marie, eine j u nge, verbitterte u nd ch ro-

162 163
n isch depressive Fra u, wa r wegen der Schwerfälligkeit u nd La ngatmigkeit von Marks besondere wollte er zu den Menschen, die für ihn persönlich besonders wichtig waren,
Besch reibung ziemlich genervt. An einem besti m mten Pu nkt wa rf sie in der G ru ppe die eine engere Beziehung aufbauen. Weil mir dies ein geeignetes Ziel für eine Gruppen­
Frage a uf, wa ru m a ndere Mark so seh r erm utigten u nd wa ru m s ie so begeiste rt da­ therapie zu sein schien, ließ ich ihn an einer regelmäßig zusammenkommenden Grup­
rüber wa ren, dass er sich ä u ßerte, woh ingegen s ie sel bst a ngesichts des Schnecken­ pe für ambulant behandelte Patienten teilnehmen. (Den Verlauf der Behandlung dieses
tempos der G ru ppenarbeit immer u ngeha ltener wu rde. Sie fürchtete, a ufgrund dessen Klienten habe ich andernorts ausführlich beschrieben. t9 )
n icht zu dem zu kom m en, was i h r persönlich wichtig wa r: Sie wünschte sich Rat, wie Beide Klienten zogen es vor, viele Sitzungen lang über ihre Geheimnisse zu schwei­
sie a uf andere Menschen sym pathischer wirken kön nte. Das Feed back, das sie da ra uf­ gen. Inzwischen wurde ich nervös und ungeduldig. Ich warf ihnen wissende Blicke zu
h i n erhielt, überraschte sie: Die a nderen Gru ppenm itglieder em pfa nden Dista nz zu i h r, und versuchte, sie durch subtile einladende Signale zu Äußerungen zu bewegen.
weil sie n icht i n der Lage war, sich i n a ndere Menschen ei nzufüh l en. Sie sa hen das, was Schließlich waren beide gut in die Gruppe integriert, sie hatten tiefes Vertrauen zu den
i n der Sitzu ng geschehen war, i n der Mark i m Mittel pu n kt stand, als typi sch für Maries anderen Gruppenmitgliedern entwickelt, und nach etwa einem Dutzend Sitzungen
Situation a n . Nach i h rer Mein u n g wa r die Sel bstoffen ba ru ng fü r Mark ei n wichtiger entschieden sie sich zu einer umfassenden Selbstoffenbarung. Inzwischen hatten die
Schritt gewesen . Was h inderte Marie da ran zu sehen, was a ndere sa hen ? Das wa r die anderen Gruppenmitglieder die beiden als Menschen, als John und Charles, kennen­
entscheidende Frage. Der » Rat«, den die G ru ppe ih r ga b, besta nd i n der Aufforderung, gelernt, die in ihrem Leben mit großen Problemen konfrontiert waren, nicht als einen
d i ese Schwierigkeit zu erforschen. Cross-Dresser' und einen Krebskranken. John und Charles hatten berechtigterweise
Sorgen, dass man sie in eine »Schublade« einordnen würde, wenn sie der Gruppe ihre
Wie steht es mit dem »großen Geheimnis«? Manchmal kommen Gruppenmitglieder Geheimnisse zu früh mitteilten, und dass die so entstehende stereotype Sichtweise die
mit einem für sie besonders wichtigen Geheimnis zur Therapie, das einen zentralen anderen Gruppenmitglieder hindern würde, sie wirklich kennenzulernen.
Aspekt ihres Lebens betrifft - beispielsweise dem Zwang, in Läden zu stehlen, insge­ Wie kann ein Gruppenleiter feststellen, ob die Verzögerung der Selbstoffenbarung
heimem Substanzmissbrauch, einer früher im Leben abgesessenen Gefängnisstrafe, eines Klienten der Situation des Betreffenden angemessen oder der therapeutischen
Bulimie, Transvestismus oder Inzest. Sie befinden sich in einer Zwickmühle. Sie wür­ Zielsetzung abträglich ist? Entscheidend ist der Kontext. Findet trotz Ausbleibens einer
den sich zwar gern mit diesem Problem auseinandersetzen, haben aber andererseits zu umfassenden Selbstoffenbarung eine - wenn auch langsame - Bewegung in Richtung
große Angst, um ihr Geheimnis in einer so großen Gruppe zu lüften. Offenheit und Vertrauen statt? Wird es den Betreffenden zu einem späteren Zeitpunkt
In meinen Vorbereitungssitzungen mit angehenden Gruppenmitgliedern mache leichter fallen, sich zu offenbaren, so wie es bei John und Charles der Fall gewesen war,
ich solchen Klienten klar, dass sie ihr Geheimnis den übrigen Teilnehmern früher oder oder werden Anspannung und Vermeiden zunehmen?
später mitteilen müssen. Ich betone ausdrücklich, dass sie dies tun können, wenn der Ein zu langes Festhalten am großen Geheimnis kann manchmal kontraproduktiv
Zeitpunkt dafür nach ihrer Meinung gekommen ist, und dass sie damit warten kön­ sein. Dazu folgendes Beispiel:
nen, bis sie der Gruppe gegenüber mehr Vertrauen entwickelt haben. Doch müssten sie
das Geheimnis letztendlich offenlegen, weil die Therapie nur dann ihre Wirkung ent­ Lisa, ei ne Kl ienti n, die an ei ner a uf sechs Monate begrenzten G ru ppe tei l n a h m u nd die
falten könne. Wenn Gruppenmitglieder sich entschließen, ihr großes Geheimnis der ein ige Ja hre lang als Psychologi n gearbeitet hatte (nachdem sie vom Leiter der G ru ppe
Gruppe nicht mitzuteilen, verurteilen sie sich selbst dazu, in der Gruppe zu anderen a usgebildet worden war!), hatte i h re psychologische Praxis vor fünfzehn Ja hren a ufge­
Menschen auf die gleiche heuchlerische Art in Beziehung zu treten, wie es in der Welt geben und in der Wi rtschaft bald ei ne glä nzende Karriere gemacht. Sie hatte sich zu r
außerhalb der Gruppe üblich ist. Um ihr Geheimnis wahren zu können, müssen sie al­ Teil na hme a n der Gru ppe entsch lossen, wei l s ie m it i h ren privaten Kontakten seh r un­
les kontrollieren, was zu seiner Erschließung führen könnte. Wachsamkeit und Vor­ zufrieden wa r. Lisa füh lte sich ei n sa m u n d entfremdet. Sie wusste, dass si e a nderen
sicht werden verstärkt, die Spontaneität versiegt, und diejenigen, die ihr Geheimnis gege n ü ber zwa r herzlich wa r u nd ih nen gut z u hörte, a ber zu d ista nziert bl ieb. Dies
nicht preisgeben wollen, umspinnen sich mit einem ständig dichter werdenden Netz sch rieb sie ih rem enormen Reichtum zu, den sie gla u bte gehei m halten zu m üssen, um
der Selbsthemmung. keinen Neid und Ärger zu wecken.
Manchmal ist es allerdings auch sinnvoll, ein Geheimnis nicht sogleich zu lüften. I m fünften Mon at der G ru ppenarbeit hatte Lisa i n der G ru ppe i m mer noch n icht viel
Dies wird im folgenden Beispiel deutlich, in dem es um die beiden Gruppenmitglieder über sich offenbart. Aufgru nd i h rer psychotherapeutischen Kom petenz vermochte sie
John und Charles geht. John zieht seit seinem zwölften Lebensjahr häufig, aber stets vielen a nderen G ru ppe n m itgliedern zu helfen, u nd sie wu rde wegen ih rer u ngewöh n-
heimlich, Frauenkleidung an. Als Charles in die Gruppe kam, hatte er Krebs. Er hatte
erklärt, er habe viel getan, um mit seinem Krebs zurechtzukommen. Er wusste, wie es
* Im amerikanischen Original ist von »Transvestit« die Rede. Was jedoch tatsächlich beschrieben wird,
um ihn stand: Er würde noch zwei bis drei Jahre leben. Mit der Gruppentherapie hatte wird heute differenzierend als Cross-Dressing bezeichnet und unterscheidet sich von Transvestismus
er begonnen, weil er aus der Zeit, die ihm noch verblieb, das Beste machen wollte. Ins- in wichtigen Merkmalen. Anm. d. übers.

164 165
lieh ausgeprägten Wa hrnehmu ngsfä h igkeit und ihrer Sensi bilität a l lgemein sehr ge­ Nachdem John daraufhin bestimmte Gruppenmitglieder genannt hatte, forderte ich
schätzt. Doch hatte sie in der Gruppe die Art ihrer sozialen Beziehu ngen im Alltagsle­ ihn auf, seine Annahmen zu überprüfen. Indem der Therapeut die verspätete Offen­
ben reinszeniert, d e n n sie füh lte sich a u ch von den Gruppe n m itgliedern d i sta nziert barung begrüßt, statt die Verzögerung zu kritisieren, unterstützt er den Klienten und
und nicht gesehen. Sie bat den Gruppen leiter u m eine Ei nzelsitzu ng, um m it i h m ü ber stärkt er die Zusammenarbeit mit ihm im Rahmen der therapeutischen Allianz. Fast
ihre Tei l na h me i n der Gruppe zu sprechen. Während dieser Sitzung erm a h nte der Gru p­ immer ist es nützlich, von allgemeinen Äußerungen über »die Gruppe« zu persönli­
penleiter sie, i n der Gru ppe ü ber i h re Sorgen wegen i h res Reichtu ms u n d über i h re cheren Äußerungen überzugehen - die Klienten aufzufordern, zwischen den verschie­
psychotherapeutische Ausbi l d u ng zu sprechen. Er warnte sie, wenn sie damit zu la nge denen Gruppenmitgliedern zu differenzieren.
warte, werde womöglich irgendjemand einen Stu h l nach ihr werfen, fa lls sie der Grup­ Selbstoffenbarung ist immer ein interpersonaler Akt. Wichtig ist nicht, dass man
pe sch l ießlich gestehen würde, dass sie e i n m a l Therapeutin gewesen sei. Sch ließlich sich offenbart, sondern dass man im Rahmen einer Beziehung zu anderen etwas Wich­
ging Lisa das Wagnis ein u nd kon nte da nach in den wenigen noch verbleibe n d e n tiges von sich preisgibt. Der Akt der Selbstoffenbarung ist aufgrund seiner Implikatio­
Sitzu ngen mehr thera peutische Arbeit leisten a l s i n a l len vorherigen S itzu ngen z u ­ nen für das Wesen der bestehenden Beziehungen besonders wichtig; noch wichtiger als
sa mmen. die Selbstentlastung ist die Tatsache, dass die Beziehung zu anderen Menschen durch
die Öffnung tiefer, reicher und komplexer wird. (Deshalb verstehe ich die Selbstoffen­
Wie sollte ein Therapeut sich verhalten, wenn ein Gruppenmitglied sein großes Ge­ barung im Gegensatz zu anderen Forschern?! nicht als separaten therapeutischen Fak­
heimnis offenbart? Um diese Frage beantworten zu können, muss ich zunächst eine tor, sondern ich rechne sie dem Interpersonalen Lernen zu.)
wichtige Differenzierung erläutern. Wenn ein Gruppenmitglied sein großes Geheimnis In einer Gruppe sexuellen Missbrauch oder Inzest einzugestehen, ist besonders
offenbart, muss der Therapeut ihm nach meiner Meinung helfen, die Selbstoffen­ problematisch. Oft sind diejenigen, die solche Dinge erlebt haben, nicht nur durch den
barung zu vervollständigen, aber nicht im vertikalen, sondern im horizontalen Sinne. Missbrauch selbst traumatisiert, sondern auch durch die Art, wie andere Menschen auf
Unter vertikaler Offenbarung verstehe ich die Offenlegung von Inhalt, die umfassende das Eingeständnis des Missbrauchserlebnisses reagiert haben. Nicht selten begegnet die
Äußerung über das Geheimnis selbst. Als beispielsweise John der Gruppe sein Cross­ Familie des Opfers entsprechenden Äußerungen mit Leugnen, Schuldzuweisung und
Dressing gestand, machten die anderen Gruppenmitglieder Anstalten, das Geheimnis Ablehnung. Deshalb weckt die Aufforderung, sich in der Therapiegruppe zu offen­
im vertikalen Sinne eingehender zu erforschen, indem sie nach Einzelheiten fragten: baren, Angst vor erneuter schlechter Behandlung und sogar vor erneuter Traumatisie­
»Wie alt warst du, als es anfing?« - »Wessen Unterwäsche hast du zuerst getragen?« - rung, also keineswegs Hoffnung darauf, dass der Missbrauch endlich durchgearbeitet
»Welche sexuellen Fantasien hast du, wenn du dich wie eine Frau kleidest?« - »Wie wird.2 1
kannst du mit diesem Schnauzbart in der Öffentlichkeit als Frau auftreten?« Doch Wird ein Gruppenmitglied in unverhältnismäßiger Weise unter Druck gesetzt, sich
John hatte im vertikalen Sinne schon eine Menge über sein Geheimnis preisgegeben, zu offenbaren, reagiere ich je nach den Problemen des betreffenden Klienten und je
und es war für ihn wichtig, dass darauf nun eine horizontale Enthüllung folgte: eine nach Phase der Therapie unterschiedlich. Beispielsweise verringere ich manchmal den
Enthüllung über die Enthüllung (eine Meta-Enthüllung - insbesondere über die inter­ Druck, indem ich sage: »Anscheinend gibt es ein paar Dinge, die John noch nicht mit­
aktionsbezogenen Aspekte der Enthüllung).20 teilen möchte. Die Gruppe möchte John unbedingt möglichst schnell ins Boot holen,
Deshalb stellte ich John, nachdem er die Gruppe über seine besondere Vorliebe in­ aber John hat noch nicht genug Vertrauen entwickelt oder fühlt sich in der Gruppe
formiert hatte, Fragen wie: »John, Sie haben nun schon ungefähr an zwölf Gruppen­ noch nicht wohl genug.« (Dabei ist das Wort »noch« besonders wichtig, weil es die Er­
sitzungen teilgenommen und waren bisher nicht in der Lage, uns dies zu sagen. Wie wartungshaltung adäquat zum Ausdruck bringt.) Anschließend schlage ich möglicher­
war es für Sie, jede Woche hierherzukommen und über Ihr Geheimnis zu schweigen?« weise vor, dass wir untersuchen, was in der Gruppe verunsichernd wirkt, und zwar
- »Wie unwohl haben Sie sich aufgrund der Erwartung gefühlt, dass Sie uns dies mit­ nicht nur aus Johns Sicht, sondern auch aus der aller anderen Mitglieder. Dadurch ver­
teilen sollten?« - »Bisher hatten Sie nicht genug Vertrauen zur Gruppe, um uns dies lagere ich den Akzent von der Fixierung auf das Herauspressen von Geheimnissen zur
mitzuteilen. Heute haben Sie sich dazu entschieden. Ist in der Gruppe etwas passiert, Erforschung dessen, was die Selbstoffenbarung behindern könnte. Was erzeugt Angst?
aufgrund dessen Sie sich heute in der Lage fühlten, dies zu tun?« - »Welche Befürch­ Welche Konsequenzen werden befürchtet? Wessen Missbilligung sehen die Klienten
tungen haben Sie bisher daran gehindert, uns dies zu sagen? Was haben Sie geglaubt, kommen?
hätte passieren können? Wer hätte wie reagieren können?« Niemand sollte jemals wegen einer Selbstoffenbarung bestraft werden. Eines der
John antwortete, er habe befürchtet, verspottet, ausgelacht oder noch schlimmer schädlichsten Ereignisse in einer Gruppe ist, dass Gruppenmitglieder im Konfliktfall
behandelt zu werden. Im Sinne der Erforschung des Hier und Jetzt geleitete ich ihn tie­ vertrauliche persönliche Informationen gegen diejenigen verwenden, die diese Dinge
fer in den interpersonalen Prozess, indem ich ihn fragte: » Wer in der Gruppe, glauben aufgrund der in der Gruppe entstandenen Vertrauensgrundlage offenbart haben.
Sie, hätte Sie verspotten können?« - » Wer, glauben Sie, hätte Sie für seltsam gehalten?« Wenn so etwas passiert, muss der Therapeut energisch einschreiten, denn dies ist nicht

1 66 167
nur ein Kampf mit unlauteren Mitteln, sondern unterminiert außerdem die Gültigkeit stattdessen auf vielen für sie wichtigen Gefühlen sitzen bleiben. Ich frage mich, wie die­
der Gruppennormen. Eine solche energische Intervention kann in vielen Formen statt­ ses Verhalten entstanden ist und ob es uns jemals gelingen wird, es zu verändern.« Eine
finden. Dabei muss der Therapeut auf die eine oder andere Weise die Aufmerksamkeit Äußerung dieser Art kann auf die Gruppe befreiend wirken. Der Therapeut hat nicht
auf den Vertrauensbruch lenken. Oft unterbinde ich solche Versuche einfach, indem nur etwas formuliert, von dem alle Anwesenden wissen, dass es zutrifft, sondern er hat
ich den Konflikt unterbreche und darauf hinweise, dass in der Gruppe soeben etwas auch die Möglichkeit aufgezeigt, mit der betreffenden Situation anders umzugehen als
sehr Schwerwiegendes geschehen ist. Dann frage ich das Mitglied, das Ziel des destruk­ bisher.
tiven Verhaltens war, wie es sich nach dem Vorfall fühlt, frage auch andere nach ihren Manche Gruppen entwickeln eine formelle »Check-in«-Prozedur: Jedes Mitglied
Empfindungen, stelle die Frage in den Raum, ob andere Mitglieder Ähnliches erlebt erhält reihum die Möglichkeit, über wichtige Ereignisse in der Woche seit der letzten
haben, weise darauf hin, dass dieser Vorfall es anderen erschwert, offen über sich zu Sitzung oder über bestimmte besonders belastende Augenblicke in der Zwischenzeit zu
sprechen, und dergleichen mehr. Jede andere Arbeit muss in solchen Situationen zu­ sprechen. Insbesondere wenn die Gruppenmitglieder sehr stark gestört und ängstlich
rückstehen. Entscheidend ist, dass durch die Art, wie der Therapeut mit einem solchen sind, ist eine solche formelle Regelung für den Sitzungsbeginn notwendig und förder­
Vorfall umgeht, unterstrichen wird, dass Selbstoffenbarung nicht nur wichtig, sondern lich, doch begünstigt sie nach meinen Erfahrungen in den meisten Gruppen ein un­
auch ungefährlich ist. Erst nachdem diese Norm bekräftigt worden ist, sollten andere effektives, auf formalistisch korrekte Verteilung der Aufmerksamkeit zielendes, inter­
Aspekte des Vorfalls untersucht werden. aktionsbehinderndes und eher dem »Dort und Später« als dem »Hier und Jetzt« ver­
pflichtetes Vorgehen. Mir persönlich ist es lieber, Gruppenmitgliedern, die sich unwohl
Verfahrensnormen fühlen oder die Probleme haben, die Möglichkeit zu geben, zu Beginn einfach zu sagen:
Optimal wäre in einer Gruppentherapie, dass die Gruppe in der Lage ist, unabhängig »Ich möchte heute etwas Zeit für mich«, und die anderen Mitglieder und der Therapeut
von vorgegebenen Strukturen spontan und frei zu interagieren. Doch eine solche Situ­ versuchen dann, sich im Laufe der natürlichen Entwicklung des Gruppenprozesses mit
ation entsteht nie völlig von selbst, sondern der Therapeut muss nachdrücklich an einer diesen Mitgliedern zu beschäftigen.
entsprechenden Gestaltung der Gruppenkultur arbeiten. Dabei muss er zahlreichen Ten­ In speziellen Gruppen, und insbesondere solchen, die nur für kurze Zeit zusam­
denzen entgegenwirken. Eine neu entstehende Gruppe neigt gewöhnlich dazu, allen menkommen und deren Mitglieder schwerwiegendere Probleme haben, sind oft ande­
Mitgliedern nacheinander jeweils eine ganze Sitzung lang Zeit für die Darstellung ihrer re Vorgehensweisen erforderlich. In solchen Fällen muss man, um die Zeit möglichst
Situation zu geben. Oft gelingt es dem Ersten, der sich in einer Sitzung zu Wort meldet, sinnvoll zu nutzen; Kompromisse machen, und der Gruppenleiter muss speziell für
oder dem Mitglied, das von einer besonders bedrückenden Lebenskrise berichtet, sich solche Zwecke eine klare Struktur entwickeln. Mit derartigen Modifikationen der tech­
die Aufmerksamkeit der Gruppe für eine vollständige Sitzung zu sichern. Manchen nischen Verfahrensweise werde ich mich in Kapitel 15 beschäftigen; im augenblickli­
Gruppen fällt es sehr schwer, den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit von einem chen Zusammenhang möchte ich nur generell darauf hinweisen, dass der Gruppenlei­
Mitglied auf ein anderes zu verlagern, weil auf irgendeine Weise eine Norm entstanden ter bemüht sein muss, die Gruppe so zu strukturieren, dass die therapeutischen Nor­
ist, die den Wechsel zu einem anderen Thema als schlechtes Benehmen, als unhöflich men, mit denen ich mich in diesem Kapitel auseinandergesetzt habe, ihre Wirkung
oder als Ausdruck einer Zurückweisung erscheinen lässt. Die Mitglieder verstummen entfalten können: Unterstützung und Konfrontation, Selbstoffenbarung, Selbstüber­
in solchen Situationen: Sie haben das Gefühl, das Geschehen auf keinen Fall unterbre­ wachung, Interaktion, Spontaneität und die Bedeutung der übrigen Gruppenmitglie­
chen und um Zeit für sich bitten zu dürfen; doch sie verweigern sich, indem sie das der als Helfer.
Gruppenmitglied, das die Aufmerksamkeit für sich okkupiert hält, nicht durch Fragen
unterstützen, weil sie insgeheim hoffen, es werde dann bald zu reden aufhören. Die Bedeutung der Gruppe für ihre Mitglieder
Solche Muster behindern die Entwicklung effektiver therapeutischer Gruppenarbeit Je wichtiger die Gruppe für ihre Mitglieder ist, umso effektiver kann sie ihren Zweck
und wirken letztendlich frustrierend und entmutigend. Wenn ich mit solchen der the­ erfüllen. Nach meiner Auffassung ist die Situation in einer Gruppe für die therapeu­
rapeutischen Arbeit hinderlichen Normen konfrontiert werde, versuche ich damit fer­ tischen Ziele dann ideal, wenn die Gruppensitzung für die Mitglieder jede Woche das
tig zu werden, indem ich die Aufmerksamkeit auf sie lenke und darauf hinweise, dass wichtigste Ereignis in ihrem Leben ist. Der Therapeut tut gut daran, diese Überzeu­
die Gruppe, da sie selbst diese Norm entwickelt hat, auch die Macht hat, sie zu verän­ gung auf jede erdenkliche Weise zu verstärken. Wenn ich an einer Sitzung nicht teil­
dern. nehmen kann, informiere ich die Gruppenmitglieder vorher darüber und versuche,
Beispielsweise sage ich: »Mir ist aufgefallen, dass in den letzten Sitzungen immer die ihnen mein Bedauern darüber, dass ich keine Zeit habe, zu vermitteln. Ich komme stets
gesamte Zeit von einem einzigen Teilnehmer beansprucht wurde, und zwar oft vom pünktlich zu allen Sitzungen. Wenn ich in der Zwischenzeit an die Gruppe gedacht
Ersten, der am betreffenden Tag das Wort ergriff; außerdem habe ich bemerkt, dass die habe, teile ich den Mitgliedern diese Gedanken manchmal mit. Alle Selbstoffenba­
anderen in solchen Fällen nicht bereit sind, in das Geschehen einzugreifen, sondern rungen meinerseits erfolgen im Dienste der Gruppe. Obwohl einige Kollegen solche

168 169
persönliche Offenbarungen scheuen, halte ich es für wichtig, dass Therapeuten ihrer nant und bedrohlich verhält, antworte ich in der Regel etwas wie: »Ken, in diesem
Gruppe gegenüber ausdrücklich erklären, wie wichtig die Gruppe ihnen ist. Raum befinden sich viele Menschen, die Sie sehr gut kennen. Warum fragen Sie sie
Ich bestätige Mitglieder, wenn sie sich über die Nützlichkeit der Gruppe für sie per­ nicht?«
sönlich äußern oder wenn sie berichten, sie hätten im Laufe der vergangenen Woche Ereignisse, die die Verbindung zwischen den Gruppenmitgliedern verstärken, kom­
über andere Gruppenmitglieder nachgedacht. Wenn ein Mitglied Bedauern darüber men auch der therapeutischen Wirkkraft der Gruppe zugute. Es ist ein gutes Zeichen,
äußert, dass die Gruppe in der Weihnachtszeit zwei Wochen lang nicht zusammen­ wenn Gruppenmitglieder nach der gemeinsamen Sitzung zusammen irgendwo Kaffee
kommen wird, fordere ich alle Gruppenmitglieder auf, ihre Verbundenheit zur Gruppe trinken gehen, wenn sie lange zusammen auf einem Parkplatz stehen oder wenn sie
zum Ausdruck zu bringen. Was bedeutet es für sie, wenn sie sagen, dass ihnen die einander in Krisensituationen, die sie im Laufe der Woche erleben, anrufen. (Aller­
Gruppe wichtig ist? Wollen sie nur gegen die Unterbrechung der Arbeit protestieren? dings können solche Kontakte der Mitglieder außerhalb der Gruppe auch nachteilige
Oder brauchen sie einen Ort, an dem sie offen über ihre Sorgen sprechen können, statt Auswirkungen haben, wie ich in Kapitel 11 ausführlich erläutern werde.)
ihre Sehnsüchte zu unterdrücken?
Je stärker die Kontinuität zwischen den einzelnen Sitzungen ist, umso besser. Eine Gruppenmitglieder als Helfende
Gruppe, die ihre Aufgabe gut erfüllt, arbeitet auch in der Zeit zwischen den einzelnen Eine Gruppe erfüllt ihre Aufgabe dann am besten, wenn ihre Mitglieder die wertvolle
Gruppensitzungen weiter an den Problemen, über die in der Sitzung gesprochen wor­ Hilfe, die sie einander gewähren können, zu schätzen wissen. Wenn die Gruppe nie
den ist. Der Therapeut sollte diese Kontinuität unbedingt fördern. Mehr als jedes an­ aufhört, den Therapeuten als die einzige Person anzusehen, die helfen kann, wird sie
dere Mitglied ist er der Historiker der Gruppe, der eine Verbindung zwischen den Er­ mit ziemlicher Sicherheit keine optimale Autonomie entwickeln und ihre eigenen Res­
eignissen herstellt und Erlebnisse in die zeitliche Matrix der Gruppe einpasst. »Das sourcen nicht adäquat nutzen. Um die Norm der gegenseitigen Selbsthilfe zu verstär­
klingt so ähnlich wie das, woran John vor zwei Wochen gearbeitet hat«, oder: »Ruthel­ ken, kann der Therapeut die Aufmerksamkeit der Gruppenmitglieder auf Vorfälle len­
len, mir ist aufgefallen, dass Sie, seit sie vor drei Wochen mit Debbie zusammengesto­ ken, die zeigen, dass sie einander durchaus helfen können. Hat beispielsweise ein Klient
ßen sind, noch depressiver und verschlossener wirken. Was empfinden Sie jetzt Debbie in einer Sitzung lange an einem bestimmten Problem gearbeitet, kann der Therapeut
gegenüber?« sagen: »Reid, könnten Sie sich noch einmal vergegenwärtigen, was in den letzten 45
Es kommt nur selten vor, dass ich mich als Erster zu Beginn einer Gruppensitzung Minuten geschehen ist? Welche Kommentare waren für Sie besonders nützlich und
äußere, doch wenn ich es tue, geht es mir immer um die Kontinuität zwischen den Sit­ welche am wenigsten nützlich?« Oder: »Viktor, ich weiß, dass Sie über dieses Thema
zungen. Wenn es mir als angebracht erscheint, eröffne ich eine Sitzung manchmal wie schon sehr lange in der Gruppe sprechen wollten, doch bis heute war Ihnen das nicht
folgt: »Die letzte Sitzung war sehr intensiv! Ich frage mich, mit welchen Gefühlen Sie möglich. Irgendwie hat Eve Ihnen geholfen, sich zu öffnen. Was hat sie getan? Und wo­
von der Gruppe nach Hause gegangen sind und was mittlerweile aus diesen Gefühlen durch hat Ben Sie dazu gebracht, sich eher zu verschließen als sich zu öffnen?« Ein
geworden ist.« Gruppentherapeut sollte nicht zulassen, dass Verhalten, das die Norm der gegensei­
In Kapitel 14 werde ich die Technik des Gruppenresümees beschreiben, die dazu tigen Hilfe unterminiert, unbemerkt bleibt. Wenn beispielsweise ein Gruppenmitglied
dient, das Erleben einer Kontinuität zwischen den einzelnen Sitzungen zu verstärken. ein anderes wegen seines Verhaltens einem dritten Mitglied gegenüber zur Rede stellt
Ich schreibe jede Woche einen ausführlichen Bericht über die letzte Gruppensitzung und sagt: »Fred, woher nimmst du das Recht, mit Peter darüber zu reden? Du bist in
(eine zusammenfassende erzählerische Darstellung des Inhalts der Sitzung und des dieser Hinsicht erheblich schlimmer dran als er«, könnte ich wie folgt intervenieren:
Prozesses, der in ihr stattgefunden hat) und schicke diesen allen Gruppenmitgliedern »Phil, ich glaube, Sie haben heute Peter gegenüber negative Gefühle ausgedrückt, die
im Laufe der Woche vor der nächsten Sitzung zu. Eine der vielen wichtigen Funktionen möglicherweise nicht mit ihm zusammenhängen, sondern eine andere Ursache haben.
dieses Resümees ist, den Gruppenmitgliedern einen weiteren wöchentlichen Kontakt Vielleicht sollten wir uns damit beschäftigen, woher sie stammen. Ich kann Ihnen al­
mit der Gruppe zu ermöglichen, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Arbeit an lerdings nicht zustimmen, wenn Sie sagen, dass Fred, weil er Peter ähnelt, diesem nicht
den in der vorigen Sitzung behandelten Themen in der folgenden fortgesetzt wird. sonderlich helfen kann. Denn hier in der Gruppe zumindest war genau das Gegenteil
Die Gruppe gewinnt für die Mitglieder an Bedeutung, wenn ihnen klar wird, dass der Fall.«
sie in ihr eine Fülle von Informationen und Unterstützung erhalten, in deren Genuss
sie andernfalls nicht kämen. Wenn Mitglieder zum Ausdruck bringen, dass sie neugie­ Unterstützung und Konfrontation
rig auf sich selbst sind, versuche ich, ihnen auf die eine oder andere Weise die Überzeu­ Wie ich in Zusammenhang mit der Kohäsivität erwähnt habe, ist es wichtig, dass die
gung zu vermitteln, dass sie jede Information, die sie über sich selbst zu erhalten wün­ Mitglieder einer Therapiegruppe ihre Gruppe als sicher und unterstützend erleben. Im
i
schen, im Gruppenraum fnden können, sofern sie lernen, sich diese Information zu er­ Laufe einer Therapie müssen viele unangenehme Themen angesprochen und unter­
schließen. Wenn beispielsweise Ken sich fragt, ob er sich anderen gegenüber zu domi- sucht werden. Viele Klienten haben Probleme mit Wut, oder sie sind arrogant und he-

170 171
rablassend oder unsensibel oder einfach übellaunig. Eine Therapiegruppe kann nie­ »Estelle, es sieht ganz so a u s, a l s ob Sie Recht hätten. Sie h a ben die Gruppe beleidigt.
mandem helfen, ohne dass in der Interaktion ihrer Mitglieder solche unangenehmen U n d m i r schei nt, Sie ha ben gewusst, dass das wa h rscheinlich so sein würde. Allerd i n gs
Eigenschaften zutage treten. Tatsächlich besteht guter Grund, es als Chance für die the­ ist m i r nicht klar, welchen Vortei l Sie aus I h rem Verha lten ziehen. «
rapeutische Arbeit zu verstehen, wenn sie sich manifestieren. Letztlich sind Konflikte Estel l e na n nte zwei Möglichkeiten. Zuerst sagte sie: »Mir ist es liebe r, a bgeleh nt zu
in Therapiegruppen nicht zu vermeiden, und wie ich in Kapitel 1 2 erläutern werde, ist werden, wei l ich andere Menschen beleidigt ha be, als des h a l b, wei l ich i h n e n gegen­
dies für die therapeutische Arbeit unerlässlich. Andererseits kann ein zu hohes Maß an ü be r nett bin. « Das klang zwa r etwas u n logisch, wa r a ber vorstel l ba r. I h re zweite Äu­
Konflikten gleich zu Beginn der Gruppenarbeit die Entwicklung der Gruppe insgesamt ßerung la utete: »Zu m i ndest stehe ich so im Zentru m der Aufmerksamkeit. « Ich fragte
behindern. Bevor die Mitglieder sich frei genug fühlen, um sich zur Formulierung ab­ sie: »So wie jetzt? « Sie n ickte. Ich fragte weiter: »Wie füh lt sich das im Augen blick a n ?«
weichender Meinungen in der Lage zu fühlen, müssen sie genug Sicherheit empfinden Estelle a ntwortete: »Es fü hlt sich gut an. « Ich fragte: »U nd wie wirkt es sich in I h rem
und die Gruppe so sehr schätzen, dass sie bereit sind, unangenehme Sitzungen in Kauf Alltagsleben aus? « Sie a ntwortete fre i m ütig: »Ich bin ziem lich einsam. Das hier ist der
zu nehmen. ga nze Konta kt, den ich ha be. Diese eineinhalb Stu nden sind die ei nzige Zeit i n meinem
Folglich muss der Therapeut beim Aufbau einer Gruppe darauf achten, dass die Leben, i n der ich m it Menschen zusa mmenkom me. « - »Da n n ist d iese Gru ppe fü r Sie
Gruppennormen das Ausfechten von Konflikten zulassen - wenn auch erst nachdem ziemlich wichtig? « Estel l e n ickte. Dara ufh i n sagte ich: » Estel le, Sie h a be n m e h rfach
eine starke, Sicherheit und Unterstützung gewährende Basis entstanden ist. Oft muss gesagt, einer der Gründe fü r I h re kritische H a ltung den anderen G ru ppen m itgliedern
der Gruppenleiter intervenieren, um ein zu frühes Ausufern zu vieler Konflikte zu ver­ gege n ü ber sei, dass es fü r Sie nichts Wichtigeres gebe als völ lige E h rl ich keit. Aber wen n
hindern. Das folgende Beispiel veranschaulicht dies treffend. S i e uns gege n ü be r völ l ig e h rl ich sei n wol len, m ü ssten Sie, s o meine ich, uns a u c h m it­
teilen, wie wichtig wir fü r Sie sind und wie gern Sie h ie r sind. Das h a be n Sie a ber noch
In einer neu gebildeten Therapiegruppe gab es zwei Mitglieder, die einander besonders nie geta n, und ich frage mich, ob Sie versuchen könnten hera uszufi nden, wa rum Sie es
feindselig gege n ü bersta nden, u nd schon in der d ritten Sitzu n g fla m mten zwischen fü r so sch merzlich oder gefä h r l ich h a lten, den a nderen hier zu zeigen, wie wichtig sie
den beiden i m me r wieder Nörgeleien, sa rkastische Bemerkunge n u nd offene Konfl i kte fü r Sie sind. «
a uf. Die vierte Sitzung eröffnete Estelle (eine der beiden Streitenden), indem sie erklär­ Mittlerweile wa r Estelle wesentlich versö h n l icher geworden, und es gelang m i r, mei­
te, die Gru ppe hätte i h r bisher nicht sonderlich geholfen. Die Klientin hatte die Eigen­ nen Einfl uss auf sie zu vergrößern, indem ich sie dazu brachte zu bestätigen, dass i h r
a rt.jede positive Bemerkung, d ie i rgendjemand ihr gege n ü be r machte, ins Negative zu Fei ndsel igkeit und i h r beleidigendes Verhalten d e n anderen Gruppe n m itgliedern ge­
wenden und z u m Anlass fü r e i n e Stichelei zu n e h me n . Beispielsweise klagte sie, es gen ü be r fü r sie problematisch wa r und dass es i h r helfen würde, wen n wi r sie a uf sol­
fa l l e ihr schwer, i h re Probleme verba l a u szud rücken, u nd es gebe viele Di nge, die sie che Verha ltensweisen h i nwiesen - we n n wir sie a ugen blicklich auf jedes beleidigende
gern sagen wolle, doch h a be sie große Schwierigkeiten, sie in Worte zu fassen. Als e i n Verhalten a ufmerksam machen würden. Mit Gru ppen m itgliedern zu vereinba ren, dass
anderes weibl iches G ruppe n m itglied d ieser Darste l l u n g widersprach u n d d i e Auffas­ der Therapeut sie in kü nftigen Sitzungen auf eine bestim mte Eigenart i h res Verhaltens
sung vertrat, Estelle sei seh r woh l in der Lage, i h re Anl iegen verbal a uszud rücken, griff a ufme rksa m machen da rf, ist i m mer n ützlich. Wei l die Betreffenden sich i n d iesem
Estelle die Kritikerin an, weil d iese i h r U rteil übe r sich sel bst a ngezweifelt hatte. Später Erku n d u ngs- und Konfrontationsprozess als Verbündete verstehen, ist die G efa h r, dass
in der gleichen Sitzung machte sie einer a n deren Fra u gege n ü ber ein Kom pliment, in­ sie a ufgrund der I ntervention in eine Defensivha ltung wechseln, wesentlich geri nge r.
dem sie sagte: » l lene, d u bist die E i nzige hier, die m i r jema ls e i n e i ntell igente Frage
gestel lt hat. « Natürl ich bereitete d ieses eigena rtige Kom p l iment llene ziemliches Un­ Viele der geschilderten Beispiele für das Verhalten des Therapeuten mögen als geküns­
behagen. telt, pedantisch oder gar dogmatisch erscheinen. Tatsächlich sind sie nicht mit den
I n d ieser Situation hatte ich das Gefü hl, dass es zwi ngend n otwendig sei, die Normen nicht verurteilenden, nicht direktiven, spiegelnden oder klärenden Kommentaren ver­
der Fei ndseligkeit und Kritik, die sich in der Gru ppe hera usgebildet hatten, i nfrage zu gleichbar, die für das Verhalten eines Therapeuten hinsichtlich anderer Aspekte des
stellen. Deshalb interve n ierte ich seh r best i mmt und fragte Estelle: »Was glaube n S ie, therapeutischen Prozesses typisch sind. Es ist jedoch unerlässlich, dass der Therapeut
wie sich die a nderen G ru p pe n m itgl ieder a ufgrund I h re r Äußeru ng l l e n e gege n ü be r sich bewusst der Aufgabe widmet, die Gruppe und eine Gruppenkultur aufzubauen.
fü hlen? « Diese Aufgaben zu erfüllen ist die Grundlage seiner übrigen Arbeit und geht dieser
Estelle d ruckste eine Weile herum, gab a ber sch l ießl ich doch zu, dass die anderen G ru p­ voraus.
pen m itglieder sich beleid igt fü h l e n kön nten. Ich sch l ug i h r vor, m it i h n e n da rüber zu Nun ist es an der Zeit, dass wir uns der dritten grundlegenden Aufgabe des Thera­
sprechen. Das tat sie und stellte fest, dass i h re Anna h me richtig gewesen wa r. Abgese­ peuten zuwenden: der Aktivierung und Ausleuchtung des Hier und Jetzt.
hen davon, dass sich a l l e Gruppenmitglieder beleidigt fü h lten, fü h lte l lene sich a uf­
grund des merkwürdigen Kompliments i rritiert und a bgestoßen. Dara ufh i n sagte ich:

172 1 73
tersuchen, muss über das reine Erleben hinausgelangen und sich um seine Integration be­
mühen.
Die wirksame Nutzung des Hier und Jetzt erfordert also zwei Schritte: Die Gruppe
Kapitel 6 lebt im Hier und Jetzt, und sie bezieht sich auch auf sich selbst; sie wendet sich der Selbst­
reflexion zu und untersucht das Hier-und-Jetzt- Verhalten, das soeben geschehen ist.
Wenn die Gruppenarbeit wirksam sein soll, sind beide Aspekte des Hier und Jetzt
Der Therapeut: Arbeiten im H ier un d Jetzt wesentlich. Wenn nur der erste - das Erleben des Hier und Jetzt - vorhanden ist, ist das
Gruppenerleben dennoch intensiv, die Mitglieder fühlen sich zutiefst beteiligt, und der
Gefühlsausdruck kann stark sein. Am Ende der Gruppenarbeit werden die Mitglieder
Der Hauptunterschied zwischen einer ambulanten Therapiegruppe, in der wesentliche übereinstimmend sagen: »Mensch, das war eine eindrucksvolle Erfahrung!« Doch die­
und bleibende Veränderungen des Verhaltens und des Charakters erreicht werden sol­ ses Erlebnis wird sich als flüchtig erweisen: Die Mitglieder haben dann keinen kognitiven
len, und Gruppen wie den Anonymen Alkoholikern (AA), psychoedukativ sowie Rahmen, der es ihnen ermöglicht, das Gruppenerlebnis zu bewahren, von ihm aus­
kognitiv-behavioral orientierten Gruppen, Gruppen zur Förderung des Persönlich­ gehend zu verallgemeinern, ihr interpersonales Verhalten zu identifizieren und zu ver­
keitswachstums oder Unterstützungsgruppen für Krebspatienten ist der, dass in der ändern und das in der Gruppe Gelernte auf Situationen zu Hause zu übertragen. Eben
ambulanten Therapiegruppe das Erleben im Hier und Jetzt von besonderer Bedeutung hier lag der Fehler, den viele Leiter von Encountergruppen in früheren Jahrzehnten ge­
ist. Doch alle Gruppentherapien, also auch stark strukturierte Gruppen, profitieren macht haben.
von der Fähigkeit des Gruppentherapeuten, das Hier und Jetzt zu erkennen und zu Wenn andererseits nur der zweite Aspekt des Hier und Jetzt - die Untersuchung des
verstehen. Nehmen Therapeuten die Nuancen der Beziehungen zwischen allen Grup­ Prozesses - beachtet wird, verliert die Gruppe ihre Lebendigkeit und Bedeutung. Sie
penmitgliedern wahr, sind sie besser in der Lage, mit der Gruppe zu arbeiten, selbst wird zu einer sterilen intellektuellen Übung. Diesen Fehler begehen übermäßig for­
wenn eine tiefer gehende Untersuchung oder Deutung der Vorgänge innerhalb der melle, distanzierte, starre Therapeuten.
Gruppe und zwischen den einzelnen Mitgliedern nicht Gegenstand der Therapie ist. 1 Der Therapeut hat also zwei unterschiedliche Funktionen wahrzunehmen, die das Hier
In Kapitel 2 habe ich einige der theoretischen Grundlagen für die Arbeit mit dem und Jetzt betreffen: Die Gruppe ins Hier und Jetzt zu steuern und die Selbstreflexion (oder
Hier und Jetzt dargestellt. Im Folgenden werden wir uns mit der klinischen Anwen­ den Prozesskommentar) zu fördern. Einen Großteil der Steuerung können die Gruppen­
dung des Hier und Jetzt in der Gruppentherapie befassen. Zunächst muss man sich mitglieder selbst übernehmen; aber aus Gründen, die ich später erörtern werde, bleibt
dabei folgendes wichtige Prinzip vergegenwärtigen, den vielleicht wichtigsten Punkt der Prozesskommentar weitgehend die Aufgabe des Therapeuten.
überhaupt in diesem Buch: dass die Arbeit im Hier und Jetzt, wenn sie ihren Zweck er­ Den meisten Gruppentherapeuten ist klar, dass der Schwerpunkt ihrer Arbeit auf
füllen soll, aus zwei symbiotisch miteinander verbundenen Ebenen besteht, von denen kei­ dem Hier und Jetzt liegen muss. Eine große Übersichtsstudie mit erfahrenen Gruppen­
ne ohne die andere therapeutisch wirkt. therapeuten ergab, dass die Aktivierung des Hier und Jetzt eine zentrale Kompetenz
Die erste ist die Erlebensebene: Die Gruppenmitglieder leben im Hier und Jetzt; sie heutiger Gruppentherapeuten ist.2 Eine kleinere, aber sehr sorgfältige wissenschaftliche
entwickeln starke Gefühle gegenüber den anderen Mitgliedern, dem Therapeuten und Untersuchung in jüngster Zeit brachte die Interpretationen von Gruppentherapeuten
der Gruppe. Diese Hier-und-Jetzt-Gefühle werden zum Hauptthema der Gruppe. Die in ein System und entdeckte, dass über 60 Prozent der Interpretationen sich auf das
Hauptrichtung, in welche sich die Therapie bewegt, ist ahistorisch: Die unmittelbaren Hier und Jetzt konzentrierten (entweder Verhaltensmuster oder Wirkung von Verhal­
Ereignisse in der Sitzung haben Vorrang vor denjenigen im realen Leben der Gruppenmit­ ten), während etwa 20 Prozent sich auf Ursachen in der Vergangenheit und 20 Prozent
glieder sowie auch vor allem, was sie in der Vergangenheit erlebt haben. Diese Fokussie­ auf Motivationen bezogen.3
rung fördert die Entstehung und Entwicklung des sozialen Mikrokosmos jedes einzel­
nen Mitglieds. Sie fördert Feedback, Katharsis, sinnvolle Selbstoffenbarung und die
Defi n ition von Prozess
Aneignung von Techniken des sozialen Umgangs. Die Gruppe wird lebendiger, und
alle ihre Mitglieder (nicht nur diejenigen, die in einer Sitzung direkt an etwas arbeiten) Der Ausdruck Prozess wird in diesem ganzen Buch sehr großzügig gebraucht; er hat
nehmen intensiv am Geschehen teil. aber in vielen anderen Disziplinen eine höchst spezialisierte Bedeutung, z.B. in der Ju­
Doch die Fokussierung auf das Hier und Jetzt erreicht ohne die zweite Ebene, die risprudenz, der Anatomie, der Soziologie, der Anthropologie, der Psychoanalyse und
Klärung des Prozesses, rasch die Grenzen ihres Nutzens. Um den wirksamen therapeu­ in der beschreibenden Psychiatrie. Auch in der interaktionsorientierten Psychotherapie
tischen Faktor Interpersonales Lernen zu aktivieren, muss die Gruppe den »Prozess« hat Prozess eine besondere Fachbedeutung: Der Ausdruck bezieht sich auf die Art der
erkennen, untersuchen und verstehen. Sie muss sich selbst und ihre Transaktionen un- Beziehung zwischen interagierenden Einzelnen - Mitgliedern und Therapeuten. Und wie

174 175
wir noch sehen werden, muss ein umfassendes Verständnis des Prozesses eine große <lern, zwischen den Gruppenmitgliedern und dem Leiter oder schließlich zwischen der
Zahl von Faktoren einbeziehen, darunter die innerpsychische Situation jedes einzelnen Gesamtgruppe und ihrer Hauptaufgabe verrät . .71
Mitglieds, interpersonale Interaktionen, auf die Gruppe als Ganzes (und in ihr) wir­ Einige praktische Beispiele mögen das Konzept noch klarer machen.
kende Kräfte und die klinische Umgebung der Gruppe. .71 4
Es ist nützlich, dem Prozess den Inhalt gegenüberzustellen. Stellen Sie sich zwei Zu Begi nn einer Gru ppenthera piesitzung rief Burt, ein zäher, von starken Spannu ngen
Menschen vor, die miteinander diskutieren. Der Inhalt dieser Diskussion besteht aus erfül lter, fortgesch rittener Student m it dem Gesicht einer Bulldogge, der Gru ppe al lge­
den Wörtern, die ausgesprochen werden, den Fragen, um die es geht, und den Argu­ mein und insbesondere Rose {einer na iven Kosmetikerin m it astrologischen Neigu ngen
menten, die vorgebracht werden. Der Prozess ist etwas völlig anderes. Wenn es um ihn und vier Kindern) zu: »E lternschaft ist ern iedrigend ! « Die provokante Äu ßerung rief bei
geht, lautet die Frage: »Was sagen diese Wörter, der Stil der Teilnehmer, das Wesen der den G ruppe n m itgliedern starke Reaktionen hervor; schließlich hatten a l l e E ltern, und
Diskussion, über die interpersonale Beziehung der Gesprächsteilnehmer aus?« viele waren d ies auch sel bst. Die dara uffolgende a l lgemeine hitzige Diskussion nahm
Einern prozessorientierten Therapeuten geht es nicht in erster Linie um den verba­ den Rest der Gruppensitzung i n Anspruch.
len Inhalt der Äußerung eines Klienten, sondern um das »Wie« und das »Warum« die­
ser Äußerung, besonders insoweit, als das Wie und das Warum Aspekte der Beziehung Man kann Burts Äußerung ausschließlich im Hinblick auf ihren Inhalt betrachten. Tat­
des Klienten zu anderen Menschen beleuchten. Der Therapeut konzentriert sich also sächlich geschah in der Gruppe genau dies; die Mitglieder zogen Burt in eine Debatte
auf die metakommunikativen' Aspekte der Mitteilung und fragt sich, warum der Kli­ über die guten Seiten der Elternschaft im Vergleich zu ihren entmenschlichenden As­
ent unter dem Aspekt der Beziehung eine bestimmte Äußerung zu einem bestimmten pekten - eine Diskussion, die affektgeladen, aber intellektualisiert war und keines der
Zeitpunkt auf bestimmte Art und Weise gegenüber einer bestimmten Person macht. Mitglieder dem Ziel seiner Therapie näher brachte. Daraufhin fühlte sich die Gruppe
Die Wirkung der Botschaft wird teilweise verbal und direkt übermittelt; ein anderer entmutigt, und die Mitglieder waren wütend auf sich selber und auf Burt, weil eine Sit­
Teil gelangt paraverbal (durch Nuancierung, Tonfall, Tonlage und Stimmcharakter) zung vergeudet worden war.
zum Ausdruck; und ein weiterer Anteil schlägt sich im Verhalten nieder. .71 Die Verbin­ Andererseits hätte der Therapeut den Prozess der Äußerung Burts unter jedem der
dung zwischen der tatsächlichen Wirkung der Kommunikation und der Absicht des folgenden Aspekte betrachten können:
Kommunikators zu erkennen steht im Zentrum des Therapieprozesses.
Man betrachte beispielsweise folgende Transaktion: Während einer Vorlesung hob 1. Warum griff Burt Rose an? Welcher Art war der interpersonale Prozess zwischen
eine Studentin die Hand und fragte: »In welchem Jahr ist Freud gestorben?« Der Vor­ ihnen? Tatsächlich hatte es seit vielen Wochen zwischen den beiden einen schwelen­
tragende antwortete: »1 938«; worauf die Studentin fragte: »Aber war es nicht 1939?« den Konflikt gegeben, und in der vorhergehenden Sitzung hatte Rose gefragt, wa­
Da die Studentin eine Frage stellte, auf die sie die Antwort ohnehin wusste, ging es ihr rum Burt, wenn er so brillant sei, mit 32 Jahren immer noch Student sei. Burt hatte
offenbar nicht darum, eine bestimmte Information zu erhalten. (Eine Frage ist keine Rose als ein primitives Wesen angesehen, das vor allem als Brustdrüse fungierte;
Frage, wenn man die Antwort kennt.) Der Prozess dieser Transaktion? Wahrscheinlich einmal, als sie nicht da war, bezeichnete er sie als Zuchtstute.
wollte die Studentin ihr Wissen zur Schau stellen, oder sie wollte den Vortragenden de­ 2. Warum war Burt so kritisch und so intolerant gegen Nichtintellektuelle? Weshalb
mütigen oder überflügeln! musste er seine Selbstachtung immer dadurch aufrechterhalten, dass er auf einem
Häufig ist es schwieriger, den Prozess einer Gruppe zu verstehen, als dies beim Pro­ besiegten oder gedemütigten Gegner herumtrat?
zess einer Transaktion zwischen zwei Personen der Fall ist; wir müssen nämlich im Fall 3. Wenn wir annehmen, Burt habe hauptsächlich Rose angreifen wollen, warum ist er
der Gruppe nicht nur nach dem Prozess hinter einer einfachen Äußerung forschen, so indirekt vorgegangen? Ist dies charakteristisch für Burts Aggressionsäußerung?
sondern auch nach dem Prozess, der einer Folge von Äußerungen eines oder mehrerer Oder ist es charakteristisch für Rose, dass es aus irgendwelchen unklaren Gründen
Klienten zugrunde liegt. Der Gruppentherapeut muss sich bemühen zu verstehen, was niemand wagt, sie direkt anzugreifen?
eine bestimmte Sequenz über die Beziehungen zwischen einem Klienten und den an­ 4. Warum hat sich Burt durch eine offensichtlich provokante und unhaltbare Äuße­
deren Gruppenmitgliedern, zwischen Grüppchen oder Cliquen von Gruppenmitglie- rung einem allgemeinen Angriff der Gruppe ausgesetzt? Wenn auch die Worte je­
weils andere waren, war dies doch ein vertrautes Thema für die Gruppe und für
* Als Metakommunikation bezeichnet man die Kommunikation über die Kommunikation. Man ver­ Burt, der sich schon bei vielen früheren Gelegenheiten in diese Lage gebracht hatte.
gleiche beispielsweise: »Mach das Fenster zu! Würdest du nicht gern das Fenster schließen? Du musst War es möglich, dass Burt sich am wohlsten fühlte, wenn er auf diese Weise zu an­
doch frieren.« »Mir ist kalt, würdest du bitte das Fenster zumachen?« »Warum steht dieses Fenster hier
offen?« In jeder dieser Äußerungen ist sehr viel mehr enthalten als eine einfache Bitte oder ein ein­
deren in Beziehung trat? Er sagte einmal, er habe Kämpfe immer gern gehabt; tat­
facher Befehl; jede übermittelt eine Metakommunikation - eine Mitteilung über die Art der Beziehung sächlich pflegte er regelrecht aufzublühen, wenn in der Gruppe ein Streit ausbrach.
zwischen den beiden interagierenden Personen. Seine frühe Familiensituation war eine ausgesprochene Kampfarena. War der

176 177
Kampf also für Burt eine (vielleicht die einzige verfügbare) Form, sich in eine Be­ sion gefragt hätte. Wenn er den indirekten Charakter der Kommunikation innerhalb
ziehung einzulassen? der Gruppe für ein wichtiges Problem hielt, hätte er über Burts indirekte Angriffe spre­
5. Man kann den Prozess auch unter dem weiteren Aspekt der Gesamtgruppe betrach­ chen oder die Gruppe bitten können, das zwischen Burt und Rose Geschehene durch
ten. Man muss andere relevante Ereignisse im Leben der Gruppe in Betracht ziehen. Feedback aufzuklären. Falls er das Gefühl hatte, ein äußerst wichtiges Gruppenereignis
Während der letzten zwei Monate waren die Gruppensitzungen von Kate beherrscht (Kates Abschied) werde von der Gruppe strikt gemieden, hätte er sich mit diesem Er­
worden, einem fehlangepassten, zersetzenden und halbtauben Gruppenmitglied, eignis und dem damit zusammenhängenden Verschweigen auseinandersetzen kön­
das vor zwei Wochen aus der Gruppe ausgeschieden war unter dem (das Gesicht nen.
wahrenden) Vorwand, sie werde zurückkommen, sobald sie ein Hörgerät habe. War Kurzum, der Therapeut muss entscheiden, was nach seiner Ansicht die Gruppe zu
es möglich, dass die Gruppe eine Kate brauchte, und spielte Burt nur die Rolle des diesem Zeitpunkt am meisten braucht, und ihr dann helfen, sich in dieser Richtung zu
notwendigen Sündenbocks? bewegen.

Wollte die Gruppe durch das beständige Streitklima, durch ihre Bereitschaft, eine gan­ I n einer a n deren Gru ppe wa r S a u l in die Therapie gekommen, wei l er sich zutiefst iso­
ze Sitzung damit zuzubringen, vielleicht auf unpersönliche Weise ein einziges Thema liert füh lte. Er interessierte sich besonders fü r eine gruppentherapeutische Erfa h ru ng,
zu diskutieren, etwas vermeiden - möglicherweise eine ehrliche Diskussion der Ge­ weil er nie zuvor Tei l einer Primärgru ppe gewesen wa r. Sel bst in seiner eigenen Fa milie
fühle der Gruppenmitglieder bezüglich der Ablehnung Kates durch die Gruppe oder hatte er sich als Au ßenseiter gefü h lt. E r wa r sein Leben lang ein Zuschauer gewesen,
ihrer Schuldgefühle oder ihrer Angst vor einem ähnlichen Schicksal? Mieden sie viel­ der sei ne Nase gegen die kalte Fensterscheibe d rückt und sehnsüchtig zu frö h l ichen,
leicht die geahnten Gefahren der Selbstoffenbarung und der Nähe? Teilte die Gruppe geselligen Gru ppen h i neinschaut.
vielleicht durch Burt (und durch Kate) dem Therapeuten etwas mit? Burt hatte viel­ In Sauls vierter Thera piesitzung bega n n Barbara, die verkündete, sie h a be sich gerade
leicht die Wucht eines Angriffs zu ertragen, der von den Co-Therapeuten auf ihn ver­ von einem Mann getren nt, der ihr seh r wichtig gewesen sei. Ba rbaras H a u ptgrund fü r
schoben worden war. Die Therapeuten - distanzierte Gestalten mit einer Neigung zu die Therapie war i h re U nfä h igkeit gewesen, eine Bezieh u n g zu einem M ann a ufrecht­
rabbinerartigen Aussprüchen - waren von der Gruppe noch nie angegriffen oder in­ zuerhalten, und sie wa r in d ieser Sitzung in großen Nöten. Barbara s Art, i h ren Sch merz
frage gestellt worden. Sicherlich gab es starke, abgewehrte Gefühle ihnen gegenüber, zu besc h reiben, wa r besonders i ntensiv, u nd die G ru ppe ließ sich von i h re n Gefü h len
die möglicherweise noch weiter dadurch angefacht wurden, dass sie Kate nicht unter­ m itreißen. Alle waren sehr bewegt; ich stellte fest, dass a uch Sa u l Trä nen i n den Augen
stützten und dass sie durch Untätigkeit mitschuldig an ihrem Ausscheiden aus der hatte.
Gruppe wurden. Die G ruppe n m itgl ieder (Sa u l a u sgenom men) taten a l l es, was in i h rer Macht sta nd, u m
Welche dieser vielen Prozessdeutungen ist richtig? Welche hätte der Therapeut als Ba rbara zu u nterstützen . Sie reichten i h r Pa piertaschentücher; s i e erinnerten s i e a n a l l
wirksame Intervention benutzen können? Die Antwort lautet natürlich, dass alle richtig i h re guten Eigenschaften u n d i h re Vorzüge; s i e versicherten Ba rba ra beru h igend, sie
sein können. Sie schließen einander nicht aus; jede sieht die Transaktion unter einem h a be sowieso die fa lsche Wa h l getroffen, der Ma n n sei n icht gut genug für sie, und sie
etwas anderen Blickwinkel. Entscheidend ist jedoch, dass die Fokussierung auf den kön n e von G l ück reden, ihn los zu sein.
Prozess mit der Reflexion des Therapeuten über die zahlreichen Faktoren, die bei einer Plötzlich warf Saul ein: »Es gefä l lt mir n icht, was h ier heute i n der G ru ppe ablä uft, u nd
Interaktion eine Rolle spielen können, beginnt. Wenn der Therapeut diese Deutungen es gefä l lt m i r n icht, wie d i e G ru ppe geleitet wird« (ich e m pfa nd d ies a l s einen n u r
eine nach der anderen klären würde, könnte er für die Gruppe viele verschiedene As­ schwach verschleierten Angriff a uf m ich). E r fuh r fort u n d erklärte, d i e Gruppe n m it­
pekte ihres Lebens in den Brennpunkt rücken. Welche hätte der Therapeut also wählen glieder hätten kein Recht, Barbaras Exfreu nd zu kritisieren. Sie wüssten ja ga r n icht, wie
sollen? er wirklich sei. Sie könnten i h n n u r m it Barbaras Augen sehen, und wahrsche i n l ich stel­
Die Entscheidung des Therapeuten sollte einen Gesichtspunkt in den Vordergrund le sie i h n verzerrt dar. (In dieser H i n s icht h atte Saul ein privates Süppchen zu kochen,
rücken: die unmittelbaren Bedürfnisse der Gruppe. Wo war die Gruppe zu diesem Zeit­ da er vor ein paar Jahre n geschieden worden wa r. Seine Frau wa r i n eine Fra uen-Sel bst­
punkt? Wenn er das Gefühl hatte, das Geschehen habe sich in der letzten Zeit zu stark h ilfegru ppe gega ngen, u nd er wa r in d ieser Gru ppe der » B u h m a n n « gewesen .)
auf Burt konzentriert, sodass sich die anderen Gruppenmitglieder langweilten, nicht S a u l s Bemerku ngen verä nderten natü rlich den Ton der ga nzen Sitz u ng. Weichheit und,
beteiligten und ausgeschlossen fühlten, dann hätte er die Frage aufwerfen können, was H ilfsbereitschaft verschwa nden. Es wu rde k ü h l im Zim mer; die wa rme Gemeinschaft
die Gruppe wohl vermeiden mochte. Er hätte die Gruppe an frühere Sitzungen er­ u nter den Mitgliedern hatte a ufgehört. Alle waren nervös. Ich fü h lte m ich m it Recht
innern können, die sie mit ähnlichen unbefriedigenden Diskussionen zugebracht hat­ getadelt. S a u l s Stel l u ngna h m e wa r tech nisch richtig: Die Gruppe h atte keine ü berzeu­
te, oder er hätte einem Gruppenmitglied helfen können, dies auszusprechen, indem er gende Rechtfertigung, Ba rbaras Exfreund auf so bei l ä ufige und u n kritische Weise zu
es nach der Untätigkeit oder scheinbaren Unbeteiligtheit der Mitglieder an der Diskus- verdammen.

178 179
So viel z u m I n h a lt. Jetzt wol len wir den Prozess d ieser I nteraktion u nters uchen. Zu­ In einer anderen Gru ppe eröffnete Kevin, ein a rroganter leitender Angestellter, die Sit­
nächst ist zu beachten, dass Sauls Bemerku ng dazu füh rte, i h n der Gru ppe gege n ü ber z u ng, indem er die anderen G ruppe n m itglieder - Ha usfra uen, Leh rer, Sekretä rinnen
z u m Außenseiter z u machen. Die übrige Gru ppe steckte i n einer warmen, u nterstüt­ u nd Laden besitzer - u m H ilfe bei einem Problem bat: E r hatte die Weisung erhalten,
zenden Atmosphäre, aus der er sich a usschloss. Man erinnere sich, was sein Hauptthe­ seinen Mitarbeiterstab sofort u m 50 Prozent zu vermi ndern - von 40 Personen 20 zu
ra piegrund wa r - dass er nie zu einer Gru ppe gehört hatte, sondern immer der Außen­ entlassen.
seiter gewesen war. Die Sitzung zeigte a nsch a u l ich, wie das z usta nde ka m . I n seiner Der I n ha lt des Problems wa r spa n nend, und die G ruppe brachte 45 Minuten damit zu,
vierten Gruppensitz u ng hatte Sa u l todesm utig a ngegriffen und sich freiwi l l ig a u s Aspekte wie Gerechtigkeit kontra Mitleid zu erörtern - d. h., ob man die tüchtigsten
einer Gruppe hinauskatapu ltiert, zu d e r er doch gehören wollte. Leute beha lten sol lte oder die Mä nner m it den größten Fa milien oder diejen igen, die
Ein zweites Problem hatte nicht mit dem zu tun, was Saul sagte, sondern m it dem, was die größten Schwierigkeiten haben würden, eine andere Arbeit zu finden. Obwohl sich
er nicht sagte. Am Begi n n der G ruppensitzung hatten a l l e versucht, Barbara zu u nter­ die meisten G ruppenmitglieder lebhaft an der Diskussion betei l igten, die wichtige
stützen - n u r Saul n icht. Ich zweifelte nicht daran, dass auch S a u l Mitgefü h l mit i h r Probleme zwischenmenschlicher Bezieh u ngen betraf, hielt der Co-Therapeut die Sit­
hatte. D i e Trä nen in seinen Augen waren e i n Zeichen dafü r. Wa rum hatte er beschlos­ zung für unprod u ktiv: Sie blieb u n persönlich, die Mitglieder blieben auf sicherem Ter­
sen, nichts zu sage n ? Wa rum entsch ied er sich i m mer dazu, von seinem kritischen ritorium, und die Diskussion hätte ohne Weiteres auf einer Din nerpa rty oder bei i rgen­
Sel bst a u s zu sprechen u n d n icht von seinem wä rmeren, u nte rstütze nderen Sel bst deiner anderen gesell igen Zusam menkunft stattfi nden können. Au ßerdem wurde m it
aus? der Zeit deutlich, dass Kevin schon sehr viel Zeit darauf verwendet hatte, a l le Aspekte
Die U ntersuchung dieses Aspekts des Prozesses fü hrte zu einigen fü r Saul sehr wichti­ dieses Problems zu d u rchdenken, und keiner kon nte i h m neue Wege oder Vorsch läge
gen Problemen. Offensichtl ich fiel es i h m schwer, seine weichere, zärtliche Seite z u m liefern. Die Sitzung wa r im Grunde keine Arbeitssitzung, sondern eher eine Fl ucht vor
Ausdruck kommen zu lassen. E r fürchtete, verletzlich zu sein, s e i n e Sehnsucht nach einer Arbeitssitzung.
Abhängigkeit zu zeigen. E r fü rchtete, seine Einziga rtigkeit zu verlieren, indem er Mit­ Ein so starkes E ngagement bezüglich des I n h a lts ist fü r die Gru ppe zwa ngsläufig frust­
glied einer Gru ppe wurde. H i nter dem aggressiven, stets wachsa men, unsenti menta­ rierend, u nd die Therapeuten fi ngen an, sich über den Prozess Geda nken zu machen -
len Verteid iger der E h rl ichkeit (a l lerdi ngs einer selektiven Eh rlichkeit: Ehrl ich keit im darü ber, was dieser I n h a lt über die Art von Kevins Bezieh u ng zu den anderen Mitglie­
Ausdruck negativer, jedoch nicht positiver Gefü h le) verbirgt sich oft das weichere, dern offenbarte. I m Verlauf der S itzu n g ließ Kevin zweimal die Höhe seines Geha lts
nachgiebige Kind, das sich da nach sehnt, a ngenommen und geliebt zu werden. d u rchblicken (es wa r mehr als doppelt so hoch wie das aller a nderen G ruppenm itglie­
der). Tatsächlich lag die gesamte i nterpersonale Wirkung der Da rstellung Kevins darin,
In einerT-Gruppe (einer erlebensorientierten Trainingsgruppe) von Assistenzärzten, die anderen seine Macht und seinen Reichtum klarzumachen.
sich i n einer Ausbi ldung fü r klin ische Psychologie befanden, bemerkte Robert, ein Mit­ Der Prozess wu rde noch deutlicher, als sich die Thera peuten a n die vorhergehenden
gl ied, er verm isse wirklich die Beiträge e i n iger Mitglieder, d i e i m Allgemeinen sehr Sitzungen erin nerten, in denen Kevi n vergeblich versucht hatte, zu einem der Thera­
schweigsam gewesen waren. E r wa ndte sich a n zwei von i h nen und fragte, ob er oder peuten eine besondere Beziehung herzustellen (er hatte um fach l iche I nformationen
die a nderen i rgendetwas tun kön nten, das ihnen helfen kön nte, sich mehr zu betei l i ­ ü ber psychologische Tests fü r Personal gebeten). Außerdem wa r Kevin in früheren Sit­
gen . D i e beiden Gruppe n m itgl ieder und die übrige Gru ppe reagierten m it e i n e m ver­ zungen wegen seiner fu ndamentalistischen religiösen Ü berzeugu ngen von der G rup­
n ichtenden Angriff auf Robert. Man erinnerte ihn, dass seine eigenen Beiträge n ichts pe heftig angegriffen worden; er ben utzte sie, u m das Verha lten a nderer zu kritisieren;
Wesentliches gebracht hatten, dass er sel bst oft wä hrend ganzer Sitzu ngen nichts sag­ m it seiner eigenen Neigung zu a u ßerehelichen Affä ren und zwanghaftem Lügen kon­
te, dass er in der G ru ppe seine Gefü hle nie wirkl ich z u m Ausd ruck gebracht hatte frontierte er sie nicht. Man hatte i h n auch in d ieser Sitzung als »dickfe l l ig« bezeichnet,
usw. weil er anderen gege n ü ber a nscheinend u nsensibel war. Doch trotz der Kritik, die er
U nter dem i n h a ltlichen Gesichtspu n kt ist d iese Tra nsaktion verwirrend: Robert ä u ßer­ gehört hatte, wa r Kevin ein dominierendes G ruppe n m itgl ied : E r wa r bei fast jedem
te seine echte Ante i l n a h me fü r die schweigenden Mitglieder u nd wurde fü r seine Be­ Treffen der aktivste Tei l nehmer und die Zentra lfigur.
sorgtheit kräftig gebeutelt. U nter dem Blickwi n kel des Prozesses - d. h. der Bezie h u ng Mit diesen I nformationen über den Prozess werden wir u ns n u n da mit beschäftigen,
- ist sie jedoch völlig verstä ndlich: Die G ruppenm itglieder steckten in einem Ka m pf u m welche Alternativen die Therapeuten hatten. Sie hätten sich a uf Kevi ns Streben nach
d ie F ü h ru ng, u n d i h re i n nere Reaktion a u f Roberts I n itiative war: »Wie kom m st d u Prestige konzentrieren kön nen, besonders nachdem er in der vora ngega ngenen Sit­
dazu, jemanden z u m Reden einzuladen? Bist d u hier d e r Gastgeber oder d e r Leiter? zung angegriffen worden wa r und so sta rk an Ansehen verloren hatte. Nicht an klagend
Wen n wir dir erlauben, Bemerku ngen über u nser Schweigen und Lösu ngsvorschläge zu formuliert, hätte eine Kla rste l l u ng dieser Sequenz Kevin vielleicht helfen kön nen, sich
machen, dann erkennen wir an, dass du u n s beherrschst. « seines verzweifelten Bed ü rfnisses bewusst zu werden, von den G ruppen m itgl iedern
respektiert u nd bewu ndert zu werden. Zugleich hätte man a uf die sel bstzerstöreri-

180 181
sehen Aspe kte sei nes Verhalten s hi nweisen kön nen . Trotz sei ner Bem üh u ngen u m Ak­ nierte Unternehmungen, bei denen man Gefühle zum Ausdruck bringen, Rat geben
zeptanz em pfa nd d ie Gruppe jetzt Ressentiments gegen ih n; ma nch mal verachtete sie und annehmen, Ähnlichkeiten zwischen einem selbst und anderen eingestehen und
ih n soga r. Viel leicht wollte Kevi n auch versuchen, d ie Bezeich n u ng »d ickfel l ig« z u wi­ entdecken kann. Aber wo sonst ist es erlaubt, ja sogar erwünscht, dass man das Verhal­
de rlegen, i nde m er d ie Quale n sei n er Entscheid u ng m elod ra m atisch i n d ie G ru ppe ten im Hier und Jetzt, das Wesen der aktuellen Beziehung zwischen Menschen, eingehend
trug. kommentiert? Möglicherweise nur in der Eltern-Kleinkind-Beziehung, und selbst dann
Der Sti l der I ntervention wä re vom Grad der Abweh r Kevins a bhä ngig gewesen. Wen n fließt die Information nur in eine Richtung. Den Eltern, nicht jedoch dem Kind, sind
er besonders spröde oder stachlig erschienen wä re, hätte ma n u nterstreichen kön nen, Prozesskommentare erlaubt: »Schau nicht weg, wenn ich mit dir rede! « ; »Halt den
wie verletzt er auf der vorigen Sitzu ng gewesen sei n m üsse. Wen n Kevin offener ge­ Mund, wenn jemand anders spricht «; »Hör endlich auf mit deinem ewigen >ich weiß
wesen wä re, hätten die Therapeuten ih n d irekt fragen kön nen, welche Art von Rea kti­ nicht<.«
on er gern von den a nderen geha bt hätte. Stellen Sie sich die Cocktailparty vor: Sie reden mit einem narzisstischen, egozent­
Andere Thera pe uten hätten es viel leicht vorgezogen, d ie I n ha ltsd iskussion zu u nte r­ rischen Gast, der durch Sie hindurchschaut, während er mit Ihnen redet und offen­
brechen u nd die Gruppe ei nfach z u fragen, was Kevi ns Proble m m it der S itzu ng der sichtlich schon nach jemandem sucht, der ihm als attraktiver oder interessanter er­
verga ngenen Woche zu tu n ha be. Noch eine Alternative wä re, auf eine ga nz a ndere Art scheint. Statt zu sagen, was wir wirklich denken, beschränken wir uns in solchen Fällen
von Prozess aufmerksa m zu machen, indem er Ü berlegu ngen ü ber die schei n bare Be­ wahrscheinlich auf etwas wie: »Es war interessant, mit Ihnen zu reden . .. « oder: »Ich
reitschaft der G ruppe a ngestel lt hätte, Kevi n zu erla u ben, sich Woche fü r Woche i n den muss mir noch etwas zu trinken holen . . . « Eine Cocktailparty ist kein Ort für Äuße­
Mittelpu n kt der Gruppe zu stel len. Wen n der Thera peut die Gruppen mitglieder ermu­ rungen über den Prozess. Wenn wir es uns zur Gewohnheit machen würden, bei sol­
tigt hätte, i h re Rea ktionen auf Kevin s Monopola nspruch zu besprechen, hätte er der chen Anlässen authentisch und prozessorientiert zu kommunizieren, würden wir
Gruppe helfen kön nen, ei ne Erforschu ng i h rer Bezieh u ng zu Kevin i n Ga ng zu setzen . wahrscheinlich bald kaum noch zu Partys eingeladen werden.
Prozesskommentare unter Erwachsenen gelten als tabu; sie werden als unverschämt
Therapeuten brauchen nicht zu warten, bis sie alles über die Gruppe wissen, bevor sie oder frech angesehen. Positive Kommentare über das aktuelle Verhalten eines anderen
eine Frage über den Gruppenprozess stellen. Sie können die Gruppenmitglieder bei­ Menschen weisen oft auf eine Verführ- oder Flirt-Beziehung hin. Wenn jemand die
spielsweise einfach fragen: »Wie erleben Sie alle, jeder und jede Einzelne von Ihnen, die Manieren, die Gestik, die Redeweise, die physische Erscheinung eines anderen negativ
laufende Sitzung bisher? « Er kann aber auch ein wenig von seiner eigenen Sicht zu er­ kommentiert, können wir sicher sein, dass der Kampf erbittert geführt wird und die
kennen geben, indem er beispielsweise sagt: »Sie sehen so aus, als hätten Sie diesbezüg­ Möglichkeit einer Versöhnung sehr unsicher ist.
lich etwas zu sagen. « In anderen Fällen lässt der Therapeut seine eigenen Schlüsse noch Warum ist das so? Welche Ursachen hat dieses Tabu? Miles deutet in einem instruk­
deutlicher erkennen und formuliert präzisere und stärker deutende Interventionen: tiven Essay5 folgende Gründe für die Vermeidung von Prozesskommentaren im gesel­
»Kevin, ich habe das Gefühl, Sie sehnen sich danach, hier in der Gruppe respektiert zu ligen Verkehr an: Sozialisationsangst, soziale Normen, Angst vor Vergeltung und
werden; und ich frage mich, ob die Bemerkung, die vorige Woche gemacht wurde - Machterhaltung.
dass Sie >dickfellig< seien -, nicht irgendwie Einfluss darauf hatte, dass Sie Ihr Dilemma
bezüglich Ihrer Arbeit zur Sprache gebracht haben. «
Sozialisationsangst
Prozesskommentare wecken frühe Erinnerungen und Ängste, die mit elterlicher Kritik
am Verhalten des Kindes zusammenhängen. Eltern kommentieren das Verhalten von
Die Kon ze ntration a uf d e n Prozess: Die Kraftq u e l l e der Gru ppe
Kindern. Zwar ist ein Teil dieser Kommentare positiv, aber ein viel größerer ist kritisch
Die Konzentration auf den Prozess - auf das Hier und Jetzt - ist nicht nur eine der vie­ und dient zur Lenkung und Veränderung des kindlichen Verhaltens. Prozesskommen­
len möglichen Verfahrensweisen; im Gegenteil, sie ist unentbehrlich und der gemein­ tare unter Erwachsenen wecken oft alte Ängste, die auf der Sozialisation beruhen, und
same Nenner aller wirksamen Interaktionsgruppen. Oft hört man etwa Folgendes: sie werden als kritisch und einengend erlebt.
»Man kann ja alles Mögliche über Selbsterfahrungsgruppen sagen (Therapiegruppen,
Encountergruppen usw.), aber man kann nicht leugnen, dass sie etwas bewirken - sie
Soziale Normen
bieten den Teilnehmern ein unvergessliches Erlebnis. « Warum sind diese Gruppen Wenn sich die Menschen frei fühlten, jederzeit das Verhalten anderer zu kommentie­
wirksam? Eben weil sie zu einer Untersuchung des Prozesses ermutigen! Die Konzentra­ ren, würde das soziale Leben unerträglich belastet, übermäßig komplex und mit Kon­
tion auf den Prozess ist die Antriebskraft der Gruppe! flikten beladen. Der Interaktion von Erwachsenen liegt ein unausgesprochener Kon­
Die Konzentration auf den Prozess ist ein einzigartiges Kennzeichen der Selbst­ trakt zugrunde, der gebietet, dass ein Großteil des aktuellen Verhaltens den Beteiligten
erfahrungsgruppe (experiential group); es gibt schließlich viele gesellschaftlich sanktio- unsichtbar bleibt. Jeder handelt in dem sicheren Wissen, dass das eigene Verhalten von

182 183
den anderen weder wahrgenommen noch kontrolliert wird; diese Sicherheit sorgt für gabe auf als später; denn wenn die Gruppe sich weiterentwickelt, übernehmen die Mit­
eine Autonomie und eine Freiheit, die unmöglich wäre, wenn jeder ständig mit der glieder allmählich einen Großteil dieser Aufgabe selbst, und die Konzentration auf das
Tatsache beschäftigt wäre, dass andere das eigene Verhalten beobachten und die Mög­ Hier und Jetzt wird oft zu einem zwanglosen und natürlichen Teil des Geschehens. Tat­
lichkeit haben, es zu kommentieren. sächlich fördern viele der Normen, die ich im letzten Kapitel beschrieben habe und die
der Therapeut in der Gruppe etablieren muss, diese Konzentration. Zum Beispiel ver­
Angst vor Vergeltung stärkt der Leiter die Wirklichkeit des Hier und Jetzt, indem er die Normen der inter­
Wir können einen anderen Menschen nicht zu genau überwachen oder anstarren, personalen Konfrontation, des Gefühlsausdrucks, der Selbstbeobachtung, der Wert­
denn (sofern die Beziehung nicht äußerst eng ist) ein so aufdringliches Verhalten ist schätzung der Gruppe als wichtige Informationsquelle hervorhebt. Auch die Mitglieder
fast immer gefährlich, weil es Ängste weckt und das Bedürfnis nach Vergeltung auf­ lernen allmählich das Hier und Jetzt schätzen, konzentrieren sich von selbst darauf
kommen lässt. Abgesehen von absichtlich konstruierten Systemen wie einer Thera­ und ermutigen auf vielerlei Weise die anderen Mitglieder, dasselbe zu tun.
piegruppe gibt es kein Forum für interagierende Personen, in dem sie die Beobach­ Mit der zweiten Phase der Ausrichtung auf das Hier und Jetzt ist es ganz anders.
tungen, die sie aneinander machen, prüfen und korrigieren können. Wir nennen sie Klärung des Prozesses. Es gibt Gründe, warum Mitglieder diese Aufgabe
nie ganz mit dem Therapeuten teilen. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die an frü­
Machterhaltung herer Stelle präsentierte T-Gruppen-Vignette, in der Robert den Prozess kommentier­
Ein Prozesskommentar untergräbt willkürliche Autoritätsstrukturen. Industrieberater te und sich dadurch von den übrigen Gruppenmitgliedern distanzierte und deshalb
für die Organisationsentwicklung wissen seit langem, dass die offene Untersuchung mit Misstrauen gesehen wurde, als jemand, der »keiner von uns« ist. Wenn ein Grup­
von Struktur und Prozess einer Organisation zu Machtausgleich führt - d.h. einer Ab­ penmitglied Bemerkungen darüber macht, was in der Gruppe geschieht, reagieren die
flachung der Hierarchiepyramide. Gewöhnlich sind Menschen, die auf der Pyramide anderen oft mit Ressentiments wegen der Anmaßung, sich über sie zu erheben.
hoch angesiedelt sind, nicht nur im fachlichen Bereich besser informiert; sie haben Wenn ein Gruppenmitglied beispielsweise die Bemerkung macht, »heute ist ja
auch Organisationsinformationen, die ihnen Einfluss und Manipulation erlauben. Sie nichts los «, oder »die Gruppe steckt fest«, oder »niemand gibt etwas von sich preis«,
haben nicht nur die Fähigkeiten, die sie in eine Machtposition gebracht haben, son­ oder »auf den Therapeuten scheinen sich starke Gefühle zu richten«, so begibt es sich
dern auch, sobald sie einmal an der Macht sind, eine so zentrale Stellung im Informa­ in Gefahr. Die Reaktion der anderen Mitglieder ist vorhersehbar. Sie fordern das he­
tionsfluss, dass sie ihre Position ständig stärken können. Je starrer die Autoritätsstruk­ rausfordernde Mitglied ihrerseits heraus: »Lass du heute etwas geschehen«, oder: »Gib
tur einer Institution ist, desto strenger sind die Vorsichtsmaßnahmen gegen offene du doch etwas von dir preis«, oder: »Sag du etwas über deine Gefühle gegenüber dem
Kommentare über den Prozess (wie zum Beispiel beim Militär oder in der Kirche). Wer Therapeuten. « Nur der Therapeut bleibt von solchen Vorwürfen relativ verschont; nur
eine Stellung willkürlicher Autorität behalten möchte, tut gut daran, der Entwicklung er hat das Recht vorzuschlagen, andere sollten »arbeiten « oder sich offenbaren - ohne
von Regeln, die wechselseitige Prozessbeobachtung und Kommentierung erlauben, dass er sich persönlich an dem beteiligen muss, was er vorschlägt.
entgegenzuwirken. Während des gesamten Verlaufes der Gruppe stehen die Mitglieder in einem Kampf
In der Psychotherapie erfordern Kommentare über den Prozess vom Therapeuten um günstige Positionen in der Dominanzhierarchie. Manchmal sind die Streitigkeiten
ein hohes Maß an Transparenz, Bereitschaft zur Selbstoffenbarung und sogar zur Ver­ um Kontrolle und Dominanz ganz offensichtlich, zu anderen Zeiten finden sie in der
traulichkeit; aufgrund ihres eigenen Unbehagens oder ihrer Angst lehnen viele Thera­ Stille statt. Doch sie verschwinden nie völlig und sollten in der Therapie untersucht
peuten diesen Ansatz ab. Auf den Prozess einzugehen bedeutet, dass man sich der E r ­ werden, weil sie einerseits eine ergiebige Informationsquelle sind und andererseits um
kenntnis öffnet, dass Beziehungen von beiden beteiligten Seiten geschaffen werden und zu verhindern, dass sie sich zu einer Ursache für ständige hartnäckige Konflikte ent­
dass beide Seiten eine Wirkung auf die jeweils andere haben. wickeln.
Manche Mitglieder streben hemmungslos offen nach Macht, andere auf subtile
Weise; andere wünschen sich Macht, haben aber Angst, sich durchzusetzen; wieder an­
Die Aufga ben des Thera peute n i m H i e r u nd Jetzt
dere zeigen sich immer unterwürfig. Aussagen von Mitgliedern, die zu verstehen geben,
Im ersten Stadium der Konzentration auf das Hier und Jetzt - der Aktivierungsphase dass sie sich über die Gruppe oder außerhalb stellen, lösen gewöhnlich Reaktionen aus,
- hat der Therapeut die Aufgabe, die Gruppe ins Hier und Jetzt zu ziehen. Mithilfe die sich auf den Kampf um die Vorherrschaft beziehen und den Inhalt der Aussage
vielfältiger Techniken, von denen ich manche später besprechen werde, lenkt der Grup­ nicht berücksichtigen. Selbst Therapeuten sind nicht ganz immun dagegen, eine solche
penleiter die Gruppenmitglieder weg von der Erörterung äußerer Dinge und Gegeben­ Reaktion hervorzurufen; manche Klienten sind außergewöhnlich empfindlich gegen
heiten und konzentriert sie stattdessen auf ihre Beziehungen zueinander. Am Anfang Kontrolle oder Manipulation vonseiten des Therapeuten. Sie befinden sich in der pa­
der Gruppenarbeit wendet der Gruppentherapeut mehr Zeit und Mühe für diese Auf- radoxen Lage, bei dem Therapeuten Hilfe zu suchen und dennoch keine Hilfe anneh-

184 185
men zu können, weil sie alle Aussagen des Therapeuten durch die Brille des Misstrau­ Ein angehender Therapeut, der eine Sei bsterfa h rungsgru ppe von Kinderkran kenschwes­
ens betrachten. Dies rührt von der spezifischen Art der Störung mancher Klienten her tern in der On kologie leitete (ei n e r U nterstützu n gsgruppe, welche den Mitgl iedern
( und es ist natürlich Wasser auf die Mühle des Therapeuten); es ist jedoch keine all­ helfen sol lte, den in ih rer Arbeit erfa h renen Stress zu verrin gern), merkte d u rch die
gemeine Reaktion der ganzen Gruppe. verstohlenen Bl icke, die die G ruppe n m itglieder bei der ersten Sitzu n g m iteinander
Der Therapeut ist in der Gruppe ein teilnehmender Beobachter. Der Beobachtersta­ ta uschten, dass eine erhebliche u na u sgesprochene S pa n n u n g zwischen den j u ngen
tus gibt ihm die Objektivität, die er braucht, um Informationen zu sammeln, um Ver­ fortsch rittlichen Schwestern und den ä lteren konservativen Lehrschwestern in der
haltenssequenzen oder Verhaltenszyklen zu beobachten, um Ereignisse zu verknüpfen, Gru ppe herrschte. Der Therapeut hatte das Gefü h l, dieses Problem, das tief in tabuier­
die in einem längeren Zeitraum geschehen sind. Der Therapeut ist der Gruppenhisto­ te Bereiche des von a utoritärem Denken geprägten Schwesternberufs hineinre ichte,
riker. Nur er darf eine zeitliche Perspektive behalten, nur er wird ausgenommen von sei zu heikel u n d könnte beim A n r ü h ren gleich explod ieren. Sein Kontrollanalyti ker
der Beschuldigung, er sei nicht Teil der Gruppe oder erhebe sich über die anderen. Nur versicherte i h m , dieses Problem sei z u wichtig, u m es u nerforscht zu lassen, u n d er
der Therapeut behält die ursprünglichen Ziele des Gruppenmitglieds im Gedächtnis, solle es ruhig a ngehen, denn es sei höchst u nwah rscheinlich, dass sonst jemand in der
ebenso wie die Beziehung zwischen diesen Zielen und den Abläufen, die sich allmählich Gruppe das tun könne, was er nicht zu tun wage.
in der Gruppe entfalten. Der Gruppentherapeut ist der wichtigste Hüter der Gruppen­ In der nächsten Sitzung tat der Therapeut es in einer Weise, die oft die Abwehr wirk­
kultur, der die Gruppe unterstützt und erhält und sie in ihrer Arbeit vorantreibt. .71 6 sam auf ein Mindestmaß red uziert: Er beschrieb sein eigenes Dilemma bezüglich die­
ses Problems. E r sagte der Gru ppe, er habe einen hiera rchischen Ka mpf zwischen den
Zwei Gruppenmitgl ieder, Ti m u nd Marjorie, hatten eine sexuelle Affä re m ite i n a nder, neu ausgebildeten Schwestern u nd den mächtigen ä lteren Schwestern gespü rt, habe
die sch ließlich in der Gruppe ans Licht ka m. Die a nderen Mitglieder reagierten u nter­ a ber gezögert, das Thema a n z usch neiden aus Angst, die jüngeren Schwestern würden
schiedlich, a ber niemand reagierte so verd a m mend u nd heftig wie Diana, eine 45-J ä h­ es entweder leugnen oder aber die Lehrschwestern so a ngreifen, dass d iese verletzt
rige, die beiden vorwa rf, sie hätten Gruppenregeln gebrochen. Tim sei »zu intelligent, wären und deshalb beschl ießen würden, die Gruppe zu verlassen. Seine Erklärung wa r
um sich so blöd zu benehmen«, mei nte sie. Marjorie kritisierte sie wegen i h rer »u nver­ ä u ßerst n ützlich und brachte die Gru ppe dazu, e i n lebenswichtiges Problem offen und
a ntwortl ichen Rücksichtslosigkeit gegen i h ren Mann und i h r Kind«, den Luzifer-Thera­ konstruktiv zu erforschen.
peuten {mich), wei l er ei nfach n u r »dagesessen habe u nd es habe geschehen lassen«.
Ich wies sie sch ließlich d a rauf hin, dass d u rch i hre furchtbare moralistische Breitseite Eine ausgewogene, nicht beschuldigende Darstellung des Dilemmas ist häufig die wirk­
Menschen vernichtet worden seien, dass Marjorie u n d Tim m it a l l i h ren Kä m pfen, samste Möglichkeit, die Spannung zu verringern, welche die Arbeit in der Gruppe be­
Zweife l n u n d Ängsten, die Diana schon so la nge geka n nt h a be, plötzlich d u rch ge­ hindert. Gruppenleiter brauchen keine erschöpfende Antwort auf das Dilemma zu ha­
sichtslose, eindi mensionale Stereotype ersetzt worden seien. Au ßerdem wa r ich der ben - doch sie müssen in der Lage sein, es zu identifizieren und zu thematisieren. .71
Einzige, der sich a n die Gründe Dianas fü r den Begi n n einer Therapie (die Diana in der Ich meine nicht, dass nur der Gruppenleiter Prozesskommentare abgeben sollte. Ich
ersten G ru ppensitzu ng gen a n nt hatte) erinnerte u n d sie der Gruppe ins Gedächtnis werde später noch darüber sprechen, dass auch andere Mitglieder sehr gut dazu in der
zu rückrief: näm lich dass sie H i lfe bra uchte, u m m it ih rer Wut auf eine 19-jäh rige, rebel­ Lage sind; tatsächlich werden ihre Beobachtungen manchmal bereitwilliger angenom­
l ische, sexuell erwachende Tochter fertig zu werden, die m itten in der S uche nach i hrer men als die des Therapeuten.
Identität und Autonomie steckte! Von da aus wa r es fü r die Gru ppe u nd d a n n auch fü r Eine umfassendere Fähigkeit, in I1:teraktionen den Prozess zu erkennen, vielleicht
Diana selber n u r noch e i n kleiner Schritt, u m z u begreifen, dass der Konfli kt m it i hrer in Form von emotionaler Intelligenz, ist ein wichtiges Resultat einer Gruppentherapie,
Tochter im Hier u nd Jetzt der Gru ppe a usagiert wurde. das den Gruppenmitgliedern in ihrem weiteren Leben gute Dienste leistet . .71 (Oft sind
Ausbildungskandidaten, die eine reife Gruppe bei ihrer Arbeit beobachten, erstaunt
Bei vielen Gelegenheiten ist der Prozess für alle Gruppenmitglieder offensichtlich, aber über das hohe Niveau, auf dem die Gruppenmitglieder sich über psychologische Prob­
sie können ihn nicht kommentieren, weil die Situation zu kritisch ist. Sie sind selbst zu leme auseinanderzusetzen vermögen.) Deshalb ist es für die Gruppenmitglieder wich­
sehr Teil der Interaktion, um sich von ihr abzugrenzen. Tatsächlich empfindet auch der tig, dass sie lernen, den Prozess zu erkennen und sich über ihn zu äußern. Allerdings
Therapeut dies, selbst aus der Distanz, und er hütet sich, das Kind beim Namen zu sollten sie diese Funktion nicht aus defensiven Gründen erfüllen - beispielsweise um
nennen. Manchmal glaubt ein unerfahrener Therapeut, es sei das Beste, ein Thema, das die Klientenrolle zu vermeiden oder um sich auf andere Weise von der Arbeit der
zu behandeln er selbst zu große Angst hat, von einem Gruppenmitglied zur Sprache Gruppe zu distanzieren.
bringen zu lassen. Gewöhnlich ist dies ein Fehler, weil der Therapeut fast in jedem Fall In dieser Erörterung habe ich bis jetzt aus didaktischen Gründen zwei grundlegen­
eher in der Lage ist, das Unaussprechliche auf akzeptable Weise zu thematisieren. Die de Dinge übertrieben, die ich nun einschränken muss. Erstens habe ich gesagt, der An­
Sprache ist für den Therapeuten, was für den Chirurgen das Skalpell ist. satz des Hier und Jetzt sei ahistorisch, und zweitens, es bestehe ein scharfer Unter-

186 187
schied zwischen dem Erleben des Hier und Jetzt und der Klärung des Hier-und-Jetzt­ zu der Tatsache, dass die Gruppe sich scheute, eingehendere Fragen nach Johns Erleben
Prozesses. zu stellen. Die Intervention des Leiters schien nützlich: Die Gruppenmitglieder enga­
Streng genommen ist ein ahistorischer Ansatz unmöglich: Jeder Prozesskommentar gierten sich gefühlsmäßig stärker, und mehrere sprachen über ihre Angst vor Selbst­
bezieht sich auf einen Akt, der schon der Vergangenheit angehört. (Sartre hat einmal offenbarung.
gesagt: »Introspektion ist Retrospektion«). Der Prozesskommentar bezieht sich nicht Bald danach erhoben jedoch einige Mitglieder, die Probleme mit Abhängigkeit hat­
nur auf Verhaltensw�isen, die gerade abgelaufen sind, sondern häufig auf Verhaltens­ ten, Einwände gegen die Intervention des Leiters. Sie hatten das Gefühl, der Leiter sei
zyklen oder Wiederholungen, die in der Gruppe wochen- oder monatelang stattgefun­ mit ihrem Engagement in der Gruppe unzufrieden, er kritisiere sie und manipuliere
den haben. Die vergangenen Ereignisse in der Therapiegruppe sind also ein Teil des Hier auf seine übliche subtile Weise die Gruppe so, dass seine vorgefasste Meinung bestätigt
und Jetzt und ein integraler Bestandteil der Daten, aufdenen ein Prozesskommentar be­ werde, wie eine Gruppensitzung ablaufen sollte. Andere Mitglieder widersprachen und
ruht. wiesen darauf hin, dass einige offenbar das zwanghafte Bedürfnis hätten, jede Hand­
Es ist oft nützlich, Klienten zu bitten, ihre früheren Erlebnisse in der Gruppe noch lung des Therapeuten infrage zu stellen. Die Prozesskommentare des Leiters wurden
einmal zu überdenken. Wenn eine Klientin das Gefühl hat, sie werde jedesmal aus­ also Teil der Ebbe und Flut des Gruppenerlebens. Die Kritik der Gruppenmitglieder
genutzt, wenn sie jemandem vertraut oder sich offenbart, frage ich oft, wann sie denn am Gruppenleiter war zunächst Prozesskommentar, wurde dann jedoch ebenfalls zu
dieses Gefühl in der Gruppe erlebt habe. Andere Klienten werden, je nach den relevan­ einem Teil des Gruppenerlebens und war damit ebenfalls Prozesskommentaren unter­
ten Problemen, vielleicht ermutigt, über Erlebnisse zu sprechen wie z.B. Situationen, worfen.
in denen sie sich anderen sehr nahe fühlten, in denen sie besonders wütend waren, in
denen sie sich am stärksten angenommen oder am stärksten übergangen fühlten. Zusammenfassung
Meine Einschränkung des ahistorischen Ansatzes geht noch weiter. Ich werde später Die effiziente Verwendung der Konzentration aufs Hier und Jetzt erfordert zwei
in einem besonderen Abschnitt besprechen, dass keine Gruppe total im Hier und Jetzt Schritte: Erleben im Hier und Jetzt und Klärung des Prozesses. Die Kombination dieser
bleiben kann. Es gibt immer wieder Abstecher in das »Damals und Dort«, d.h. in die beiden Schritte verleiht einer Selbsterfahrungsgruppe zwangsläufig Wirksamkeit.
persönliche Lebensgeschichte und in aktuelle Lebenssituationen. Tatsächlich sind die­ Der Therapeut hat bei jedem dieser Schritte verschiedene Aufgaben. Erstens muss
se Ausflüge so unvermeidlich, dass man sich wundert, wenn sie ausbleiben. Der Punkt er die Gruppe in das Erleben des Hier und Jetzt hineinführen; zweitens muss er ihr hel­
ist jedoch nicht, dass die Gruppe sich nicht mit der Vergangenheit befasst; wichtig ist, fen, den Prozess des Hier-und-Jetzt-Erlebens zu verstehen, d.h. das, was die Interakti­
was mit der Vergangenheit gemacht wird: Die wesentliche Aufgabe liegt nicht in der Auf­ on über das Wesen der Beziehungen unter den Mitgliedern vermittelt.
deckung, der Zusammensetzung und dem Begreifen der Vergangenheit, sondern darin, Der erste Schritt, die Aktivierung des Hier und Jetzt, wird ein Teil der Normstruktur
die Vergangenheit als Hilfsmittel zu benutzen, um die Art zu verstehen ( und zu ver­ der Gruppe; die Gruppenmitglieder helfen dem Therapeuten schließlich bei dieser Auf­
ändern), wie der Einzelne in der Gegenwart zu anderen Beziehungen aufnimmt. gabe.
Die Unterscheidung zwischen dem Hier-und-Jetzt-Erleben und dem Hier-und­ Der zweite Schritt, die Klärung des Prozesses, ist schwieriger. Im alltäglichen gesell­
Jetzt-Prozesskommentar ist nicht scharf; es gibt viele Überschneidungen. Zum Beispiel schaftlichen Verkehr stehen dem Prozesskommentar mächtige soziale Verbote entge­
ist Feedback (ein Kommentar ohne große Folgen) sowohl eine Erfahrung als auch ein gen, die der Therapeut überwinden muss. Die Aufgabe, Prozesskommentare abzuge­
Kommentar. Wenn eine Klientin bemerkt, dass ein anderer sich weigere, sie anzuschau­ ben, bleibt weitgehend (jedoch nicht ausschließlich) in der Verantwortung des Thera­
en, oder dass sie wütend auf jemanden sei, weil sie sich ständig von ihm herabgesetzt peuten und besteht, wie ich gleich besprechen werde, aus einer Vielfalt komplexer Ver­
fühlt, gibt sie zugleich einen Prozesskommentar ab und ist beteiligt an dem affektiven haltensweisen - vom Benennen einzelner Verhaltensformen bis zum Nebeneinander­
Hier-und-Jetzt-Erleben der Gruppe. Ein Prozesskommentar hat wie frei werdender stellen und Kombinieren von mehreren Verhaltensweisen, die im Laufe der Zeit zu
Sauerstoff nur eine kurze Lebensdauer; er wird rasch dem Erlebnisfluss der Gruppe einem Verhaltensmuster werden, über das Hinweisen auf die unerwünschten Folgen
einverleibt und wird Teil der Daten, die die Grundlage für spätere Prozesskommentare der Verhaltensmuster eines Klienten, das Identifizieren von Hier-und-Jetzt-Verhaltens­
bilden. weisen, die dem Verhalten der Gruppenmitglieder im normalen Alltagsleben entspre­
Zum Beispiel begann in einer Selbsterfahrungsgruppe von Lehrgangsteilnehmern chen, bis hin zu komplexeren, auf Rückschlüssen basierenden Erklärungen oder Deu­
aus dem Psychohygienebereich (eine Gruppenerfahrung, die Teil ihrer Ausbildung in tungen des Sinns solchen Verhaltens und der ihm zugrunde liegenden Motive.
Gruppentherapie war, s. Kapitel 17) ein Mitglied, John, die Sitzung mit einem Bericht
über Gefühle äußerster Depression und Depersonalisation. Statt die Dysphorie dieses
Mannes zu erforschen, bot die Gruppe ihm viele praktische Ratschläge bezüglich sei­
ner Lebenssituation an. Der Gruppenleiter machte eine Bemerkung zu dem Prozess -

188 189
Tec h n i ke n der Aktivierung des H i e r u n d Jetzt Wenn ein Klient sich beklagt, er habe geheimnisvolle Wutanfälle oder Selbstmord­
gedanken, kann der Therapeut dem Klienten nahelegen, diese Regungen der Gruppe
In diesem Abschnitt möchte ich einige Techniken beschreiben (aber nicht vorschrei­ in dem Augenblick bekannt zu geben, in dem sie während der Sitzung auftreten, sodass
ben): Jeder Therapeut muss Techniken entwickeln, die mit seinem persönlichen Stil die Gruppe diese Erlebnisse aufspüren und mit Ereignissen in der Sitzung verknüpfen
übereinstimmen. Therapeuten haben natürlich eine viel wichtigere Aufgabe, als eine kann.
Technik zu beherrschen: Sie müssen die Strategie und die theoretischen Grundlagen, Wenn eine Frau sagt, ihr Problem sei es, zu passiv zu sein, sich zu leicht von anderen
auf denen jede wirksame Technik beruhen sollte, von Grund auf verstehen. beeinflussen zu lassen, kann der Therapeut sie direkt damit konfrontieren, indem er sie
Erster Schritt: Ich schlage vor, dass Sie das Hier und Jetzt denken. Wenn Sie sich da­ fragt: »Wer in der Gruppe könnte Sie am meisten beeinflussen? Wer am wenigsten? «
ran gewöhnen, werden Sie die Gruppe automatisch ins Hier und Jetzt lenken. Manch­ Wenn ein Teilnehmer kommentiert, die Gruppe sei zu höflich und zu taktvoll, kann
mal fühle ich mich wie ein Schäfer, der seine Herde in ein sich ständig verengendes Tal der Therapeut fragen: »Wer führt denn in der Gruppe diese Bewegung für Frieden und
hineintreibt. Ausreißer fange ich ein - Ausflüge in persönliches historisches Material, Takt an? « Wenn ein Klient schreckliche Angst vor Selbstoffenbarung hat und sich vor
Diskussionen gegenwärtiger Lebensumstände, Intellektualisierungen - und führe sie einer Demütigung fürchtet, kann der Therapeut dies in das Hier und Jetzt bringen, in­
wieder zur Herde zurück. Immer, wenn in der Gruppe eine Frage auftaucht, denke ich, dem er den Klienten auffordert, jene Gruppenmitglieder zu benennen, von denen er
»Wie kann ich dies mit der primären Aufgabe der Gruppe verknüpfen? Wie kann ich meint, sie würden ihn am wahrscheinlichsten verspotten. Geben Sie sich nicht mit Ant­
es im Hier und Jetzt zum Leben erwecken? « In diesem Bemühen lasse ich nie nach, und worten zufrieden, in denen von »der ganzen Gruppe « die Rede ist, sondern zwingen
ich fange schon in der allerersten Gruppensitzung damit an. Sie das betreffende Mitglied, sich spezifischer zu äußern. Oft ist es nützlich, die Frage
Man stelle sich eine typische erste Sitzung einer Gruppe vor. Nach einer kurzen Ver­ etwas sanfter zu formulieren, beispielsweise: »Bei welchem Gruppenmitglied ist es am
legenheitspause stellen die Mitglieder sich meist selber vor und erzählen dann, oft mit­ wenigsten wahrscheinlich, dass es Sie lächerlich machen würde? «
hilfe des Therapeuten, etwas von ihren Lebensproblemen, warum sie in die Therapie In jedem dieser Fälle kann der Therapeut die Interaktion vertiefen, indem er ande­
gekommen sind und vielleicht, unter welcher Art von Kummer sie leiden. Gewöhnlich re zu weiterem Reagieren auffordert. Zum Beispiel: »Was empfinden Sie bei seiner
greife ich zu einem passenden Zeitpunkt später in der Sitzung ein und bemerke etwa: Angst oder seiner Voraussage, Sie würden ihn verspotten? Können Sie sich vorstellen,
»Wir haben hier heute schon ziemlich viel getan. Jeder von Ihnen hat ziemlich viel dass Sie das tun? Haben Sie in der Gruppe manchmal das Gefühl, andere zu verurtei­
über sich selbst, seine Leiden, die Gründe, aus denen er Hilfe sucht, mitgeteilt. Aber es len? « Selbst einfache Techniken wie die an die Gruppenmitglieder gerichtete Aufforde­
kommt mir so vor, als ob noch etwas anderes vor sich gehe, nämlich, dass Sie einander rung, direkt miteinander zu sprechen, Pronomina in der zweiten Person statt in der
zu beurteilen versuchen, wobei jeder bestimmte Eindrücke vom anderen hat und sich dritten zu benutzen und einander beim Sprechen anzusehen, sind sehr nützlich.
fragt, wie er wohl zu den anderen passen wird. Vielleicht könnten wir nun etwas Zeit Das ist allerdings leichter gesagt als getan! Diese Vorschläge werden nicht immer
dafür erübrigen, über die Gedanken zu sprechen, die sich jeder so gemacht hat. « Dies befolgt. Für manche Gruppenmitglieder sind sie geradezu bedrohlich, und der Thera­
ist natürlich keine besonders tiefsinnige, kunstvolle Intervention, sondern eine ziem­ peut muss hier (wie immer) ein gutes Gefühl für den richtigen Zeitpunkt haben und
lich einfache, explizite Anweisung. Doch nach meiner Erfahrung reagieren die meisten versuchen, sich in das Erleben des Klienten einzufühlen. Man suche nach Methoden,
Gruppen günstig auf solche klaren Anweisungen und wissen die Hilfestellung des The­ die die Bedrohung verringern. Beginnen Sie, indem Sie sich auf positive Interaktionen
rapeuten zu schätzen. konzentrieren: »Welchem Gruppenmitglied gegenüber empfinden Sie die größte Sym­
Der Therapeut verlagert den Brennpunkt von außen nach innen, vom Abstrakten pathie?«, »Wer ist Ihnen in der Gruppe am ähnlichsten?« oder »Offensichtlich geht
aufs Spezifische, vom Allgemeinen aufs Persönliche. Wenn ein Klient eine feindselige zwischen Ihnen und John ziemlich viel hin und her, positiv und negativ. Ich wüsste
Konfrontation mit dem Partner oder einem Zimmergenossen beschreibt, fragt der gern, worum Sie ihn am meisten beneiden. Was können Sie an ihm am schwersten ak­
Therapeut vielleicht an irgendeinem Punkt: »Wenn Sie auf irgendjemanden in der zeptieren? «
Gruppe so wütend wären, wer wäre das? « oder »Von wem in der Gruppe können Sie
sich vorstellen, dass Sie mit ihm einen ähnlichen Streit bekommen könnten? « Wenn E i n e Gru ppensitz u ng von ä lteren Kl ienten, die wegen Depression i n e i n er psych iatri­
ein Klient sagt, eines seiner Probleme sei, dass er lüge, oder dass er alle Leute über schen Tageskli n i k behandelt wu rden, war von Gefü hlen der Isolation und Verzweifl u ng
einen Leisten schlage, oder dass er Gruppen zu manipulieren pflege, kann der Thera­ geprägt. Zu Begi nn der S itzung stand Sara, eine So-jä h rige Holocaust-ü berlebende, i m
peut fragen: »Was ist die größte Lüge, die Sie bis jetzt in der Gruppe vorgebracht ha­ Mittel p u n kt. Sie klagte d a rü ber, dass i n d e n Sch lagzeilen d e r Zeitu ngen Vorurteilen,
ben? « oder »Können Sie beschreiben, welche stereotypen Vorstellungen Sie sich von Hass u nd Rassismus so viel Raum gegeben werde. Verä ngstigt u nd m it einem Ausdruck
einigen von uns gemacht haben? « oder »In welchem Maß haben Sie bis jetzt die Grup­ der H i lflosigkeit sprach sie ü ber i h re E ri n neru ngen d a ra n, wie sie i m Krieg von Men­
pe manipuliert?« sch en, d i e sie h assten, oh n e i rgendetwa s ü ber sie a l s rea le Person zu wissen, i h re r

190 191
menschlichen Würde beraubt worden war. Auch andere Gruppenmitglieder, unter de­ ren Gefühlen zu sein, wie in der Sitzung letzte Woche, als Sie sagten, Sie fühlten sich
nen sich weitere Holocaust-ü berlebende befa nden, berichteten ü ber ihre qualvollen von Mary angezogen, hätten aber Angst, sie würde Sie verachten. Am wenigsten nah
Erinnerungen. fühle ich mich Ihnen, wenn Sie unpersönlich sind und anfangen, die Bedeutung jedes
Der G ruppenleiter versuchte, die starke Fixieru ng der Gruppe auf die Vergangen heit Wortes zu analysieren, das man zu Ihnen sagt, wie Sie es am Anfang der Sitzung heute
a ufzubrechen und sie wieder a uf das H ier und Jetzt zu fokussieren. Was hatte Sara getan haben. « (Diese Kommentare sind wie die meisten in diesem Buch aufgeführten
heute erlebt, während sie zur Gruppe sprach? Hatte sie das Gefühl, dass die anderen Therapeutenkommentare in einer Einzeltherapie ebenso adäquat.)
G ruppenmitglieder sie a ls rea le Person ansa hen? Warum hatte sie sich entschieden, Widerstand erscheint in vielen Formen. Oft nimmt er die listige Verkleidung totaler
sich heute anders zu verhalten - i h re Stimme zu erheben, statt wie vorher so oft zu Gleichmacherei an. Besonders bei den ersten Sitzungen reagieren Klienten oft auf das
schweigen? Vermochte sie dies als ihr Verdienst zu sehen? Wie e m pfa nden a ndere, Drängen des Therapeuten, im Hier und Jetzt zu bleiben, indem sie behaupten, sie hät­
dass Sara in dieser Sitzung so vehement das Wort ergriffen hatte? ten gegenüber allen Gruppenmitgliedern genau die gleichen Gefühle; d. h., sie sagen,
Allmählich verlagerte sich der Fokus der Sitzung von Berichten über schreckliche sie mögen alle gleich gern, sie hätten auf niemanden eine Wut oder sie fühlten sich von
Erinnerungen a uf eine lebendige Intera ktion, U nterstützung fü r Sara und intensive allen beeinflusst oder bedroht. Lassen Sie sich nicht irreführen. Solche Behauptungen
Verbundenheitsgefühle zwischen den Gru ppenmitgliedern. sind niemals wahr. Lassen Sie sich von Ihrem Gefühl für die Wahl des richtigen Zeit­
punkts leiten, treiben Sie die Befragung weiter voran und helfen Sie den Mitgliedern,
Manchmal fällt es den Gruppenmitgliedern auch leichter, in Zweiergruppen oder die anderen voneinander zu unterscheiden. Schließlich werden Sie zugeben, dass die
kleineren Gruppen zu arbeiten. Wenn ich beispielsweise erfahre, dass es ein weiteres Gefühle für manche Mitglieder ein wenig anders sind. Diese geringen Unterschiede
Mitglied mit ähnlichen Ängsten oder Sorgen gibt, dann kann diese Untergruppe aus sind wichtig und ermöglichen oft den Einstieg in die volle Teilnahme an der Interakti­
zwei (oder mehr) Mitgliedern ihre Sorgen im Hier und Jetzt unter geringerer Bedro­ on. Ich untersuche die kleinen Unterschiede (niemand hat je gesagt, sie müssten enorm
hung erörtern.7 Dies kann spontan geschehen oder dadurch, dass der Therapeut direkt sein); manchmal schlage ich vor, der Klient solle diese Unterschiede durch ein Vergrö­
eingreift und eine Brücke zwischen bestimmten Gruppenmitgliedern herstellt - bei­ ßerungsglas betrachten und beschreiben, was er dann sieht und fühlt. Oft hat der Wi­
spielsweise indem er darauf hinweist, dass die Sorgen, die ein Mitglied soeben zum derstand tiefe Wurzeln. Oft ist Widerstand tief verwurzelt, und der Klient hat großes
Ausdruck gebracht hat, auch schon von einem anderen erwähnt worden sind. .71 Interesse daran, eine Position aufrechtzuerhalten, die ihm bekannt und vertraut ist,
Die konditionale Verbform bieten Sicherheit und Distanz und wirkt oft wunderbar obgleich sie unterminierend wirkt und ihm persönlich schadet.
fördernd. Ich benutze sie oft, wenn mir anfänglicher Widerstand begegnet. Wenn ein Widerstand ist in der Regel kein bewusster Starrsinn, sondern entspringt häufiger
Klient zum Beispiel sagt: »Mary lässt mich heute vollkommen kalt, ich reagiere nicht Quellen außerhalb des Bewusstseins. Manchmal erscheint die im Hier und Jetzt anste­
und fühle nichts. Ich bin heute zu abgestumpft und distanziert« , sage ich oft etwas wie: hende Aufgabe dem Klienten als so unbekannt und unangenehm, dass sie ihm so vor­
»Wenn Sie heute nicht so abgestumpft und distanziert wären, was könnten Sie Mary kommt, als ginge es darum, eine neue Sprache zu erlernen: Man muss ein Maximum
gegenüber dann empfinden? « Der Klient antwortet im Allgemeinen bereitwillig: Die an Konzentration aufbringen, um nicht wieder in die eigene lieb gewonnene Zurück­
neue Position bietet eine Zuflucht und ermutigt den Klienten, ehrlich und direkt zu gezogenheit zu verfallen. Wie die folgende Fallstudie deutlich zeigt, wird dem Thera­
antworten. Der Therapeut könnte auch fragen: »Wenn Sie auf jemanden in der Grup­ peuten dabei ein erheblicher Scharfsinn abverlangt.
pe wütend wären, wer wäre das? « oder »Wenn Sie sich mit Albert (einem anderen
Gruppenmitglied) verabreden würden, was für eine Art von Erfahrung wäre das Claudia widersetzte sich während vieler Sitzu ngen der Teilnahme a uf der Hier-und­
wohl? « Jetzt-Ebene. Gewöhnlich brachte sie in den Gru ppensitzungen irgendein dringliches
Der Therapeut muss den Gruppenmitgliedern oft durch explizite Instruktion, Problem aus ihrer a ktuellen Lebenssituation zur Sprache, wobei es häufig um eine so
durch Modeling oder durch Verstärkung effektiven Feedbacks beibringen, wie man schwerwiegende Krise ging, dass die ü brigen Gruppenmitglieder das Gefü hl hatten,
sich Feedback verschafft und wie man Feedback gibt.8 Ein wichtiger Grundsatz ist die sie hätten gar keine andere Wahl, als darauf einzugehen. Erstens fühlten sich die Mit­
Vermeidung umfassender Fragen und Bemerkungen. Fragen wie »Langweile ich Sie?« glieder gezwungen, das Problem sofort a nzugehen, das Claudia ihnen vorlegte, und
oder »Mögen Sie mich? « führen gewöhnlich nicht weiter. Ein Klient lernt sehr viel zweitens mussten sie behutsam vorgehen, weil sie ihnen ausdrücklich sagte, sie brau­
mehr, wenn der Therapeut fragt: »Was tue ich, das Sie zum Aussteigen veranlasst?«, che alle ihre Kräfte, um mit der Krise fertig zu werden, und könne es sich nicht leisten,
»Wann schenken Sie mir die meiste und wann die geringste Aufmerksamkeit? « oder sich durch interpersonale Konfrontation aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen. Sie
»Was oder welche Verhaltensweisen mögen Sie an mir am liebsten und am wenigsten? « sagte etwa: »Gerade jetzt d ü rft i h r mich nicht d rä ngen, ich ka nn mich gerade noch
Ähnlich ist Feedback wie »Sie sind schon richtig « oder »Sie sind ein netter Kerl« weit aufrecht halten. « Bemühungen, dieses Verhaltensmuster zu ändern, hatten keinen Er­
weniger nützlich als »Ich fühle mich Ihnen näher, wenn Sie bereit sind, ehrlich mit Ih- folg, und die Gruppenmitglieder fühlten sich in ihrem Umgang mit Claudia entmutigt.

192 193
Sie duckten sich schon, wen n sie in der Sitzung e i n Problem z u r Sprache brachte. vertrauenswürdigen berichteten »Dann-und-Dort«-Schwierigkeiten erwies sich in
Ei nes Tages eröffnete sie die Sitzu n g m it einem typischen Schachzug. Nach Wochen Claudias Fall als der Schlüssel zum therapeutischen Prozess.
des S uchens hatte sie eine neue Stelle gefunden, war a ber ü berzeugt, sie werde versa­ Ich bin immer wieder von dem reichen, unter der Oberfläche liegenden Material
gen und entlassen werden. pflichtschu ldig, a ber vorsichtig u ntersuchte die Gru ppe die beeindruckt, das in jeder Gruppe und in jeder Sitzung vorhanden ist. Unter jedem Ge­
Situation. Die U ntersuchung begegnete vielen der beka n nten, tückischen Hindern isse, fühl, das dort zum Ausdruck kommt, liegen Gebirge von anderen, unsichtbaren, die
d i e gewö h n l ich der Bearbeitung ä u ßerer Probleme im Wege stehen. Es schien kei n e nicht zur Sprache kommen. Wie kann man an diese Schätze herankommen? Manch­
objektiven Beweise dafü r zu geben, dass Claudia b e i d e r Arbeit versagte. S i e schien sich mal, wenn in einer Sitzung lange geschwiegen worden ist, äußere ich genau diesen Ge­
eher zu viel Mühe zu geben - sie a rbeitete 80 Stu nden in der Woche. Claudia bestand danken: »Es gibt so viele Informationen, die heute für uns alle wertvoll sein könnten,
dara uf, niemand, der nicht in der Arbeit bei ihr sei, könne i h re Beweise wirkl ich richtig wenn wir sie nur ausgraben könnten. Könnten wir nicht alle der Gruppe von einigen
ei nschätzen: d ie Blicke i h res Vorgesetzten, die s u btilen Anspie l u n gen, die Miene der Gedanken berichten, die uns während dieses Schweigens gekommen sind, die wir viel­
U nzufrieden heit, die man ihr zeige, das a l lgemeine Klima i m Büro, i h r Scheitern, die leicht gern geäußert hätten, was wir aber nicht taten?«
(selbst auferlegten und u nrea listischen) Verka ufsziele zu erreichen. Es wa r schwierig zu Die Übung ist übrigens wirksamer, wenn Sie selbst daran teilnehmen oder sogar
beu rteilen, wa s sie sagte, wei l sie kei n e z uverlässige Beobachterin war, sich meist damit anfangen. Uns liegen überzeugende empirische Belege dafür vor, dass Therapeu­
sel bst herabsetzte und ih re Erfolge heru nterspielte. ten, die zu maßvoller und disziplinierter Selbstoffenbarung bereit sind, welche im Hier
Der Therapeut zog die ganze Tra nsa ktion ins Hier u nd Jetzt, indem er fragte: »Claudia, und Jetzt der therapeutischen Beziehung zentriert ist, bessere therapeutische Resultate
. fü r uns ist es schwer festz uste l len, ob Sie bei I h rer Arbeit tatsächlich versagen. Aber erzielen und die Bereitschaft ihrer Klienten zur Exploration und zur Offenheit för­
lassen Sie m ich Ihnen eine andere Frage stellen: Was gla u ben Sie, welche Zen s u r ver­ dern. 9 Beispielsweise könnte man sagen: »In dieser Stille habe ich mich unbehaglich
dienen Sie für I hre Arbeit in der Gru ppe, und welche Zensuren würden Sie den anderen gefühlt, ich wollte sie unterbrechen, wollte keine Zeit verlieren, aber andererseits war
geben?« ich gereizt, dass immer ich es sein muss, der diese Arbeit für die Gruppe macht.« Oder:
Wie n icht anders z u erwarten wa r, gab Claudia sich sel bst e i n »Mangelhaft« u nd be­ »Mich, ich habe mich wegen unseres Streits in der Gruppe unwohl gefühlt. Mir ist un­
hauptete, sie werde m i ndestens noch acht Jahre in der Gru ppe bleiben m üssen. Allen behaglich bei so viel Spannung und Wut, aber ich weiß noch nicht, wie ich dazu bei­
anderen Mitgliedern ga b sie wesentlich bessere Zensuren. Der Therapeut a ntwortete tragen kann, sie zu verstehen und sie aufzulösen.«
dara uf, i ndem er Claudia ein »Gut« fü r i h re Arbeit in der G ruppe gab, und d a n n begrü n­ Wenn ich das Gefühl hatte, in einer Sitzung sei besonders viel unausgesprochen ge­
dete er seine Zens u r: Claudias Treue zur Gru ppe, ihr regelmäßiges Erscheinen, i h re Be­ blieben, hat sich oft folgende Technik als nützlich erwiesen: »Es ist jetzt sechs Uhr, und
reitschaft, a n deren zu helfen, i h re Bemühu ng, trotz i h rer Ängste u n d oft l ä h mender wir haben noch eine halbe Stunde übrig, aber ich bitte Sie alle, sich vorzustellen, die
Depressionen zu arbeiten. Sitzung sei zu Ende, und Sie seien auf dem Heimweg. Was würden Sie bezüglich der
Claudia setzte sich lachend ü ber d iesen Austa usch hi nweg; sie versuchte, den Vorfa ll heutigen Sitzung als enttäuschend empfinden?«
als Gag oder als therapeutischen Kunstgriff abzutu n. Aber der Therapeut blieb fest u nd Viele Schlussfolgerungen des Therapeuten können verfehlt sein. Doch es geht nicht
versicherte beharrlich, es sei ihm ganz ernst. Claudia besta nd d a ra uf, dass der Thera­ um objektive Korrektheit; solange Sie die Gruppe vom Irrelevanten, vom Damals und
peut U n recht habe, u nd wies auf i h re Mängel in der Gru ppe h i n (von denen einer i ro­ Dort zum Hier und Jetzt hinführen, sind Sie auf dem richtigen Weg. Wenn eine Gruppe
n ischerweise das Vermeiden des H ier u nd Jetzt war). Claudias U n e i n i gkeit m it dem beispielsweise in einer unproduktiven Sitzung über langweilige Partys spricht und der
Therapeuten war jedoch u nvere i n ba r mit i h re m schon lange bestehenden, häufig ge­ Therapeut die Frage aufwirft, ob die Mitglieder indirekt über die aktuelle Gruppensit­
ä u ßerten tota len Vertra uen zu d iesem. (Claudia hatte oft das Feed back von anderen zung sprechen, kann er niemals mit Sicherheit feststellen, ob dies tatsächlich der Fall
G ruppenmitgliedern zurückgewiesen und behauptet, sie vertra ue allein dem U rtei l des ist. Richtigkeit muss in diesem Fall relativistisch und pragmatisch definiert werden. In­
Therapeuten.) dem die Aufmerksamkeit der Gruppe vom Material des Damals und Dort auf das des
Hier und Jetzt gelenkt wird, leistet der Therapeut der Gruppe einen Dienst, der, wenn
Die Intervention war außerordentlich nützlich und brachte den Vorgang der Selbstbe­ er konsequent verstärkt wird, letzten Endes zu einer kohäsiven Interaktionsatmosphä­
wertung Claudias aus einer geheimen Kammer, die voll von Zerrspiegeln ihrer Selbst­ re führt, die dem Therapieziel optimal dient. Gemäß diesem Modell sollte die Wirk­
wahrnehmung war, in die lebendige Arena der Gruppe. Nun brauchten die Mitglieder samkeit einer Intervention danach beurteilt werden, wie erfolgreich sie die Gruppe auf
Claudias Wahrnehmung der strafenden Blicke und der subtilen Anspielungen ihres sich selbst hinlenkt.
Vorgesetzten nicht mehr zu akzeptieren. Der »Vorgesetzte« war in der Gestalt des The­ Nach diesem Grundsatz kann der Therapeut eine Gruppe, die ausführlich über
rapeuten in der Gruppe anwesend. Die gesamte Transaktion war für die Gruppe ganz Krankheitsanfälligkeit oder die Schuldgefühle eines Mitglieds spricht, das während
und gar zugänglich. Die Entdeckung der erlebensbasierten Gegenstücke zu ihren nicht einer Krankheit das Bett gehütet hatte, fragen: »Geht es der Gruppe vielleicht in Wirk-

1 94 195
lichkeit um die Krankheit, die ich (der Therapeut) vor einiger Zeit hatte?« In einer men, war das nicht so. Haben Sie eine Ahnung, warum es jetzt passiert?« Oder: »Le­
Gruppe, die sich plötzlich vorwiegend mit dem Tod und den Verlusten beschäftigt, die nore, ich habe zweierlei empfunden, als Sie zu sprechen anfingen. Erstens bin ich sehr
jedes Mitglied schon einmal erlitten hat, könnte gefragt werden, ob es den Mitgliedern froh, dass Sie sich jetzt in der Gruppe wohl genug fühlen, um mitzumachen, aber an­
vielleicht auch um den bevorstehenden vierwöchigen Sommerurlaub gehe. In solchen dererseits habe ich das Gefühl, die Gruppe wird es schwer haben, auf das zu reagieren,
Fällen versucht der Gruppenleiter, Verbindungen zwischen dem oberflächlichen Inhalt was Sie sagen, weil es so sehr abstrakt und so weit weg von Ihnen selbst ist. Mich wür­
und den darunter verborgenen, nicht zum Ausdruck gebrachten, die Gruppe betref­ de mehr interessieren, wie Sie sich während der letzten Sitzungen bezüglich der Grup­
fenden Themen herzustellen. pe gefühlt haben. Gab es Ereignisse oder Interaktionen, die Sie in besonderem Maße
Diese Interventionen wären natürlich sinnlos, wenn die Gruppe schon alles durch­ angesprochen haben? Welche Reaktionen hatten Sie den anderen Mitgliedern gegen­
gearbeitet hätte, was die Abwesenheit des Therapeuten oder die bevorstehende vierwö­ über?«
chige Sommerpause nach sich zöge. Das technische Verfahren ist dem Ausleseprozess Es gibt natürlich noch viele Aktivierungsverfahren. (In Kapitel 14 werde ich einige
in der herkömmlichen Psychotherapie nicht unähnlich. Angesichts eines riesigen, un­ grundlegende Modifikationen der Gruppenstruktur und des Verfahrens beschreiben,
geordneten Datenberges wählt der Therapeut jene Aspekte aus, verstärkt und interpre­ die der Interaktion im Hier und Jetzt in spezialisierten Kurzzeitgruppen zugute kom­
tiert sie, die er zu diesem Zeitpunkt als die nützlichsten für den Klienten ansieht. Der men.) Aber ich will in diesem Kapitel kein Handbuch der Techniken anbieten. Ich be­
Therapeut widmet sich nicht allen Träumen und nicht allen Teilen eines Traums, je­ schreibe Techniken nur, um das zugrunde liegende Prinzip der Aktivierung des Hier
doch wird ein Traumthema, das ein besonderes Problem beleuchtet, an dem der Klient und Jetzt zu beleuchten. Diese Gruppentechniken oder Gruppenkunstgriffe sind Die­
gerade arbeitet, nachdrücklich verfolgt. ner, keine Meister. Sie dürfen nicht unüberlegt angewandt werden, um Leerstellen zu
Hierbei geht man stillschweigend von der Annahme aus, dass der Therapeut weiß, füllen, um die Gruppe aufzumuntern, um auf die Forderungen der Mitglieder einzu­
welche Richtung für die Gruppe in einem bestimmten Augenblick die günstigste ist. gehen, der Leiter solle auch leiten. Das ist verführerisch, aber nicht konstruktiv. 1 0
Noch einmal sei darauf hingewiesen, dass sich diese Richtung nicht ganz präzise be­ Insgesamt korreliert die Aktivität des Gruppenleiters mit dem Therapieergebnis
stimmen lässt. Am wichtigsten ist, dass der Therapeut grundsätzlich weiß, welche nicht linear (zu viel oder zu wenig Aktivität führt zu mangelhaften Ergebnissen). Zu
Richtung letztlich für die Gruppe und ihre Mitglieder nützlich ist - hier kommt es wenig Aktivität des Leiters erzeugt eine unsichere Gruppe. Zu viel Aktivierung durch
darauf an, dass man die therapeutischen Faktoren genau und richtig beurteilen kann. den Leiter führt zu einer abhängigen Gruppe, die vom Leiter beharrlich zu viel Unter­
Wenn der Therapeut die Gruppe aktiviert, tut er oft zweierlei zur gleichen Zeit: Er stützung erwartet.
lenkt die Gruppe ins Hier und Jetzt und unterbricht zugleich den inhaltlichen Fluss Bedenken Sie, dass eine bloße Beschleunigung der Interaktion nicht der Sinn dieser
der Gruppenkommunikation. Nicht selten nehmen einige Mitglieder die Unterbre­ Techniken ist. Der Therapeut, der zu rasch fortschreitet, der Tricks verwendet, um In­
chung übel, und der Therapeut muss auf diese Gefühle eingehen, denn auch sie sind teraktion, Gefühlsausdruck und Selbstoffenbarung zu sehr zu forcieren, geht an der
Teil des Hier und Jetzt. Oft ist es für den Therapeuten schwierig einzugreifen. Bei un­ Sache vorbei. Widerstand, Angst, Vorsicht, Misstrauen - kurzum alles, was die Ent­
serer Sozialisation lernen wir früh, nicht zu unterbrechen, nicht abrupt das Thema zu wicklung befriedigender interpersonaler Beziehungen verhindert - müssen zum Aus­
wechseln. Außerdem scheinen oft alle Gruppenmitglieder größtes Interesse an dem be­ druck kommen dürfen. Es ist nicht das Ziel, ein reibungslos funktionierendes, strom­
sprochenen Thema zu haben. Obwohl der Therapeut sich sicher ist, dass die Gruppe linienförmiges soziales Gebilde zu schaffen, sondern eines, das gut genug funktioniert
nicht arbeitet, ist es nicht leicht, sich der Gruppenströmung entgegenzustellen. Wie in und genügend Vertrauen erzeugt, damit sich der soziale Mikrokosmos jedes Mitglieds
Kapitel 3 erwähnt wurde, liefert die sozialpsychologische Kleingruppenforschung entfalten kann. Das Durcharbeiten der Widerstände gegen Veränderung ist der Schlüs­
überzeugende Beweise für die zwingende Kraft des Gruppendrucks. Sich dem wahr­ sel zur Veränderung.
genommenen Konsens der Gruppe zu widersetzen, erfordert erheblichen Mut und Der Therapeut will also Hindernisse nicht umgehen, sondern durch sie hindurch.
eine starke Überzeugungskraft. Ormont drückt das schön aus, wenn er hervorhebt, dass wir die Klienten zwar drän­
Nach meiner Erfahrung kann der Therapeut, der sich diesem sowie auch vielen an­ gen, sich ganz auf das Hier und Jetzt einzulassen, aber dennoch erwarten, dass sie ver­
deren Arten von Dilemmata gegenübersieht, die Aufnahmebereitschaft der Klienten sagen, dass sie einen Fehler begehen. Tatsächlich wollen wir ihr Versagen sogar, weil wir
erhöhen, indem er der Gruppe seine zwiespältigen Gefühle mitteilt. Zum Beispiel: hoffen, durch die Art ihres Fehlers den speziellen Widerstand eines jeden Mitglieds ge­
»Lily, mir ist sehr unbehaglich, wenn ich Ihnen so zuhöre. Ich bin hin- und hergerissen. gen Intimität zu erkennen und schließlich auszuräumen - einschließlich des Wider­
Zum einen habe ich das Gefühl, dass Sie an einem Thema sind, das für Sie sehr wichtig stands der Mitglieder gegen Vertraulichkeit - einschließlich des speziellen Wider­
und schmerzlich ist, zum anderen denke ich daran, dass Jason (ein neues Mitglied) sich standsstils (z. B. Distanziertheit, Streitlust, Ablenkung, Selbstversunkenheit, Miss­
in den letzten Sitzungen so sehr bemüht hat, in die Gruppe hineinzukommen, und trauen) und der tiefer liegenden Ängste vor Nähe (z. B. Impulsivität, Preisgegebensein,
dass die Gruppe sich gegen ihn sträubt. Als andere neue Mitglieder in die Gruppe ka- Verschmelzung, Verletzlichkeit) . 1 1

196 197
Tech n i ken z u r Klärung des Prozesses te er sich fragen, wa rum es unter allen Mitgliedern im mer Alana ist, die a ls Erste etwas
offenbart, und dann gleich so viel. Warum spielt Alana so oft die Rolle des Gruppenmit­
Sobald die Klienten erfolgreich in ein Interaktionsmuster des Hier und Jetzt gelenkt glieds, das alle anderen Mitglieder pflegen müssen? Warum muss Alana sich immer als
wurden, muss sich der Gruppentherapeut bemühen, sich diese Interaktion therapeu­ verwundbar darstellen? Wa rum gerade heute? Und die letzte Sitzung! So viel Konflikt!
tisch zunutze zu machen. Dies ist eine komplexe Aufgabe, die aus mehreren Stadien Nach einer solchen Sitzung hätte man erwarten können, dass Alana wütend ist. Statt­
besteht: dessen bietet sie den anderen ihre Kehle dar. Vermeidet sie es, ihre Wut zu ä u ßern?
• Die Klienten müssen zunächst erkennen, was sie mit anderen machen (von ein­
fachen Handlungen bis zu komplexen Mustern, die sich über einen längeren Zeit­ Am Ende einer Sitzung in einer anderen G ruppe hatte Jay, ein junger, ziemlich zarter
raum entwickeln). Klient, der bis zu diesem Zeitpu n kt sehr inaktiv gewesen war, seine Homosexualität
• Sie müssen dann die Wirkung dieses Verhaltens auf andere richtig einschätzen, eingestanden - sein erster Schritt aus dem Dunklen. Bei der nächsten Sitzung d rängte
ebenso müssen sie richtig beurteilen, wie es die Meinung anderer von ihnen und ihn die Gruppe fortzufah ren. Er versuchte es auch, war aber so überwältigt von seinen
infolgedessen ihre eigene Selbsteinschätzung beeinflusst. Gefühlen, dass er stockte und zögerte. Gena u in diesem Augenblick sprang Vicky mit
• Sie müssen entscheiden, ob sie mit ihrem gewohnten interpersonalen Stil zufrieden ungebührlicher Eilfertigkeit in die Bresche und sagte: "Also, wenn kein anderer reden
sind. will, ich habe ein Problem.«
• Sie müssen den Willen, sich zu verändern, trainieren.
• Sie müssen Absichten in Entscheidungen und Entscheidungen in Handlungen um­ Vicky war eine aggressive 40-jährige Taxifah rerin, die wegen sozialer Einsa m keit und
wandeln. Verbitterung in die Thera pie gekommen war. Sie begann damit, umständlich eine kom­
• Und schließlich müssen sie die Veränderung verfestigen und sie von der Gruppen­ plizierte Situation zu beschreiben, in der eine unwillkommene, bei ihr zu Besuch wei­
situation auf ihr gesamtes Leben übertragen. lende Tante eine Rolle spielte. Für den erfahrenen, prozessorientierten Therapeuten hat
der Satz »Ich habe ein Problem« einen doppelten Sinn. Viel eindeutiger als ihre Worte
Jedes dieser Stadien kann durch einen spezifischen kognitiven Input des Therapeuten sagt Vickys Verhalten »Ich habe ein Problem«, und ihr Problem manifestiert sich in ih­
gefördert werden, und ich werde eine Stufe nach der anderen beschreiben. Zunächst rem Mangel an Sensibilität gegenüber Jay, der nach Monaten des Schweigens endlich
muss ich jedoch einige grundlegende überlegungen besprechen: Wie erkennt der The­ den Mut aufgebracht hatte, etwas zu sagen.
rapeut den Prozess? Wie kann der Therapeut den Gruppenmitgliedern helfen, sich eine
Prozessorientierung anzueignen? Wie können Therapeuten die Empfänglichkeit der Es ist nicht leicht, dem angehenden Therapeuten zu sagen, wie man den Prozess er­
Gruppenmitglieder für den Prozesskommentar steigern? kennt; der Erwerb dieses Grundgefühls ist eine der Hauptaufgaben in der Ausbildung
eines jungen Therapeuten. Und die Aufgabe nimmt niemals ein Ende: Während Ihrer
Das Erkennen des Prozesses ganzen Laufbahn steigern Sie ständig Ihre Fähigkeit, tief in den Untergrund des Grup­
Bevor der Therapeut Klienten helfen kann, den Prozess zu verstehen, muss er offen­ pengesprächs einzudringen. Dieser tiefer gehende Einblick steigert das Interesse des
sichtlich selbst lernen, diesen zu erkennen: Mit anderen Worten müssen sie in der Lage Therapeuten an der Sitzung. Im Allgemeinen finden Anfänger, die Sitzungen beobach­
sein, inmitten der Gruppeninteraktion zu reflektieren und sich zu fragen: »Warum ge­ ten, diese sehr viel weniger bedeutsam, komplex und interessant als der erfahrene The­
schieht das in dieser Gruppe, auf diese spezielle Art und zu diesem konkreten rapeut.
Zeitpunkt?«;, Für einen erfahrenen Therapeuten ist dies zur Selbstverständlichkeit ge­ Gewisse Leitlinien können es jedoch dem Jung-Therapeuten erleichtern, den Pro­
worden, und er beobachtet das Geschehen in der Gruppe aus unterschiedlichen Per­ zess zu erkennen. Man beachte die einfachen nonverbalen Zeichen, die zur Verfügung
spektiven gleichzeitig, einschließlich der spezifischen individuellen Interaktionen und stehen: ;, Wer sucht sich welchen Platz aus? Welche Mitglieder sitzen zusammen? Wer
der Entwicklungsprobleme innerhalb der Gruppe (siehe Kapitel 11). Diese diffe­ sucht sich einen Platz in der Nähe des Therapeuten? Wer weit von ihm weg? Wer sitzt
rierenden Perspektiven beinhalten den wichtigsten Unterschied zwischen der Rolle des in der Nähe der Tür? Wer kommt pünktlich zur Sitzung? Wer kommt gewohnheitsmä­
Klienten und der des Therapeuten. Hierzu folgen nun einige klinische Illustrationen: ßig zu spät? Wer schaut wen an, wenn er spricht? Schauen Teilnehmer, während sie mit
einem anderen Mitglied sprechen, den Therapeuten an? Wenn es so ist, nehmen sie
Alana offenbart viele sehr persönliche Dinge. Die Gruppe ist von i h rer Schilderung be­ nicht untereinander Kontakt auf, sondern stattdessen zum Therapeuten. Wer schaut
wegt und verbringt viel Zeit damit, ihr zuzuhören, i h r zu helfen, etwas a usfüh rlicher auf die Uhr? Wer lümmelt sich in seinen Stuhl? Wer gähnt? Ziehen die Mitglieder ihre
darzustellen und sie zu u nterstützen. Der Gruppentherapeut nimmt an diesen Aktivi­ Stühle vom Zentrum zurück, während sie zugleich verbal großes Interesse an der
täten teil, stellt jedoch gleichzeitig viele andere Überlegungen an. Beispielsweise könn- Gruppe zeigen? Behalten die Teilnehmer den Mantel an? Wann wird er im Verlauf

198 199
einer Sitzung oder mehrerer Sitzungen ausgezogen? Eine Veränderung der Kleidungs­ senheit den Hier-und-Jetzt-Prozess in der Gruppe beobachten. Wenn beispielsweise
gewohnheiten oder der Pflege zeigt häufig an, dass sich bei einem einzelnen Klienten das abwesende Gruppenmitglied eine aggressive, wetteifernde Persönlichkeit ist, wird
oder in der Atmosphäre der Gesamtgruppe etwas verändert hat. Ein aalglatt und ab­ sich die Gruppe vielleicht befreit fühlen, und andere Klienten, die sich von dem feh­
hängig wirkender Mann bringt das erste Aufflackern von Rebellion gegen den Grup­ lenden Mitglied bedroht oder eingeschränkt fühlten, entwickeln plötzlich Aktivität.
penleiter möglicherweise zum Ausdruck, indem er in Jeans und Turnschuhen zu den Wenn sich andererseits die Gruppe darauf verlassen hat, dass das fehlende Mitglied die
Gruppensitzungen erscheint statt in seiner vorherigen formellen Kleidung. Last der Selbstoffenbarung trägt oder die anderen zum Reden bringt, dann fühlt sie
Eine große Vielfalt von Veränderungen der Körperhaltung kann Unbehagen signa­ sich in seiner Abwesenheit hilflos und bedroht. Sehr oft bringt ein solcher Vorfall in­
lisieren; die Flexion des Fußes z.B. ist ein besonders untrügliches Zeichen von Angst. terpersonale Gefühle ans Licht, die vorher den Gruppenmitgliedern gar nicht bewusst
Es ist ja allgemein bekannt, dass das nonverbale Verhalten oft Gefühle ausdrückt, deren waren. Der Therapeut sollte die Gruppenmitglieder ermutigen, diese Gefühle gegen­
sich der Betreffende noch nicht bewusst ist. Wenn der Therapeut nonverbales Verhal­ über dem Abwesenden sowohl sofort als auch später, wenn der Betreffende wieder an­
ten beobachtet und die Gruppe lehrt, ihr Augenmerk darauf zu richten, kann er den wesend ist, zu besprechen. Ein verbreiteter Mythos, dem der möglicherweise entgegen­
Prozess der Selbsterforschung beschleunigen. treten muss, besagt, dass das Reden über ein Gruppenmitglied, das bei einer bestimm­
Gehen Sie grundsätzlich davon aus, dass jede Kommunikation innerhalb des inter­ ten Sitzung nicht anwesend ist, politisch und sozial unkorrekt sei. Dies zu tun, ist nicht
personalen Schemas eines Menschen signifikant ist, solange nicht das Gegenteil erwie­ automatisch gleichbedeutend mit »hinter dem Rücken von jemandem über ihn re­
sen ist. Nutzen Sie Ihre eigenen Reaktioneri auf jeden einzelnen Klienten als Informa­ den«, und der Betreffende wird auch nicht zwangsläufig zum Sündenbock, sofern die
tionsquelle über den Prozess.12 Achten Sie ständig darauf, wie die einzelnen Gruppen­ Gruppe es sich zur Regel macht, das Gruppenmitglied in der folgenden Sitzung über
mitglieder aufeinander reagieren. Welche von diesen Reaktionen erscheinen Ihnen als das Gespräch in Kenntnis zu setzen.
konsensuelle, die bei den meisten Gruppenmitgliedern auftreten könnten, und welche Ähnlich kommt oft eine Menge Material über die Gefühle gegenüber dem Thera­
sind für ein bestimmtes Mitglied einzigartig? 13 peuten in einer Sitzung zum Vorschein, an welcher der Therapeut oder der Co-Thera­
Manchmal wird der Prozess dadurch klar, dass man nicht nur aufdas achtet, was ge­ peut nicht teilnimmt. Ein Leiter führte z.B. eine Selbsterfahrungstrainingsgruppe für
sagt wird, sondern auch aufdas, was weggelassen wird: Bei der Klientin, die den männ­ Psychotherapeuten und Psychiater, die aus einer Frau und zwölf Männern bestand. Die
lichen Patienten Anregungen, Rat oder :Feedback anbietet, niemals aber den anderen Frau wählte zwar gewöhnlich den Stuhl, der der Tür am nächsten war, aber sie fühlte
Frauen in der Gruppe; bei der Gruppe, die nie eine Konfrontation mit dem Therapeu­ sich in der Gruppe einigermaßen behaglich, bis der Therapeut eines Tages abwesend
ten sucht oder ihn infrage stellt; bei den Themen, die nie angegangen werden (z. B. die war und eine Sitzung ohne Leiter angesetzt wurde. Auf dieser Sitzung besprach die
drei Tabus Sex, Geld und Tod); bei dem Klienten, der niemals angegriffen wird; bei Gruppe sexuelle Gefühle und Erfahrungen viel offener als je zuvor, und die Frau hatte
dem, der nie unterstützt wird; oder bei dem, der andere nie unterstützt oder nie Fragen erschreckende Fantasien, dass die Gruppe die Tür verschließen und sie, die Gruppen­
stellt - all diese Meidungen sind ein Teil des Transaktionsprozesses in der Gruppe. teilnehmerin, vergewaltigen würde. Sie erkannte, dass die Gegenwart des Therapeuten
ihr Sicherheit gegen ihre Ängste geboten hatte, die anderen Gruppenmitglieder könn­
I n einer G ru ppe sagte z u m Beispiel Sonja, sie h a be das Gefü hl, manche hätten eine ten ihr gegenüber ungehemmtes Sexualverhalten zeigen, und ihre eigenen sexuellen
Abneigung gegen sie. Als m a n sie fragte, wer das sein könnte, wäh lte sie unter den Fantasien könnten ans Licht kommen. (Sie erkannte auch, was es bedeutete, dass sie
anderen Mitgl iedern Eric, e i n dista nzierter, a rroganter Mann, der gewöhnlich n u r m it immer den Platz wählte, der der Tür am nächsten war!)
jenen Menschen i n Bezi e h u ng trat, d ie n ützlich für i h n sei n kon nten. Eric ging i n Ab­ Versuchen Sie, auf jede nur mögliche Weise die Botschaften bezüglich der Bezie­
weh rstellung: »Warum ich? Nennen Sie m i r eine einzige Sache, die ich zu Ihnen gesagt hungen zu verstehen, die in jeder Kommunikation enthalten sind. Achten Sie darauf,
habe und derentwegen Sie a uf mir herum hacken. « Sonja sagte: » Das ist es ja gerade. ob Unstimmigkeiten zwischen dem verbalen und dem nonverbalen Verhalten beste­
Sie haben n i e a uch n u r i rgendetwas zu mir gesagt. Kei ne Frage, kei n e Begrü ßu ng. hen. Seien Sie besonders neugierig, wenn eine Transaktion arrhythmisch ist: Wenn
Nichts. Ich existiere fü r Sie ei nfach n icht. « Nach Absch l uss der Therapie füh rte Eric d ie­ zum Beispiel die Intensität einer Reaktion auf eine auslösende Aussage nicht angemes­
ses Ereignis a n lässl ich einer Debriefi ng-Sitzung als eine besonders wirksame und er­ sen zu sein scheint oder wenn eine Reaktion unzutreffend oder unsinnig wirkt. Bei sol­
hellende Belehrung a n . chen Gelegenheiten kommen mehrere Möglichkeiten infrage: Zum Beispiel parataxi­
sche Verzerrung (der Reagierende nimmt den Sender unrealistisch wahr) oder Meta­
Physiologen untersuchen gewöhnlich die Wirkungsweise eines Hormons, indem sie kommunikationen (der Reagierende reagiert richtig, aber nicht auf den manifesten In­
die endokrine Drüse entfernen, die es produziert, und die Veränderungen in dem Or­ halt, sondern auf eine andere Ebene der Kommunikation) oder Verschiebung (der Rea­
ganismus beobachten, dem nun das Hormon fehlt. Ähnlich können wir in der Grup­ gierende reagiert nicht auf die aktuelle Transaktion, sondern auf Gefühle, die von frü­
pentherapie sehr viel über die Rolle eines Mitglieds erfahren, wenn wir in seiner Abwe- heren Transaktionen herrühren). Eine unverhältnismäßig heftige emotionale Reaktion

200 201
- das, was ein Gruppenmitglied »ein großes Gefühl« genannt hat - kann die Spitze Wie ich in Kapitel 11 ausführlicher erläutern werde, schwankt der Kampf um die Do­
eines Eisbergs tiefer, lebensgeschichtlich verankerter Probleme sein, die in der Gegen­ minanz in der Gruppe im Laufe der Gruppenarbeit in seiner Stärke. Am Anfang der
wart reaktiviert werden. Gruppe fällt er stark auf, weil die Gruppenmitglieder sich ihren Platz in der Hackord­
nung erkämpfen wollen. Sobald die Hierarchie errichtet ist, kann das Problem ruhen,
Häufige Gründe für Spannungen innerhalb von Gruppen wenn es auch periodisch wieder aufflammt, z. B. wenn ein Mitglied im Lauf seiner the­
Denken Sie daran, dass Spannungen in jeder Therapiegruppe zu jeder Zeit vorhanden rapeutischen Arbeit selbstsicherer wird und anfängt, die etablierte Ordnung infrage zu
sind. Nehmen Sie z. B. Spannungen wie den Kampf um Vorherrschaft, den Widerstreit stellen.
zwischen Gefühlen der wechselseitigen Unterstützung und der Geschwisterrivalität, Wenn neue Mitglieder in die Gruppe eintreten, insbesondere aggressive Mitglieder,
zwischen Gier und selbstlosen Bemühungen, dem anderen zu helfen, zwischen dem die nicht wissen, welcher Platz ihnen zusteht, die nicht respektvoll nach den Gruppen­
Wunsch, in dem beruhigenden Strom der Gruppe unterzutauchen, und der Angst, die regeln forschen und sie befolgen, können Sie sicher sein, dass der Kampf um die Vor­
eigene kostbare Individualität zu verlieren, zwischen dem Wunsch, gesund zu werden, herrschaft wieder an die Oberfläche kommt.
und dem, in der Gruppe zu bleiben, zwischen dem Wunsch, dass es anderen besser
gehe, und der Angst, zurückgelassen zu werden. Manchmal treten diese Spannungen In einer G ru ppe füh lte sich ein »altes« M itglied, Betty, d u rch den E intritt einer aggres­
monatelang nicht zutage, bis irgendein Ereignis sie anfacht und sie kraftvoll an die siven Frau namens Rena stark bed roht. E i n ige Sitzu ngen später sprach Betty ü be r wich­
Oberfläche kommen. tiges Material bez üglich i h rer Unfä h igkeit, sich d u rchzusetzen. Rena versuchte i h r zu
Der Therapeut darf diese Spannungen nicht vergessen. Sie sind immer da und lie­ h elfen, indem sie sagte, a uch sie selbst sei so gewesen, und d a n n stellte s ie verschiede­
fern ständig den Brennstoff für den verborgenen Motor der Gruppeninteraktion. Die ne Methoden dar, die sie a ngewa ndt hatte, u m diese U nfähigkeit zu ü berwinden. Rena
Kenntnis dieser Spannungen bildet oft die Grundlage, von der aus der Therapeut den versicherte Betty, auch sie werde, wenn sie weiter h i n offen in der Gru ppe ü ber i h re
Prozess durchschaut. Man denke zum Beispiel an eine der mächtigsten Ursachen von U n sicherheit spräche, beträchtliches Sel bstvertra uen gewin nen. Bettys Reaktion war
Gruppenspannungen: den Kampf um die Vorherrschaft. Ich habe in diesem Kapitel be­ schweigender Zorn ü be r solche Anmaßung, u nd mehrere Sitzu ngen gi ngen vorbei, be­
reits eine Intervention beschrieben, bei der der Therapeut eine Klientin, um sie ins vor sie ü ber i h re Gefü h l e sprechen u nd sie d u rcha rbeiten konnte. Für einen a h n u ngs­
Hier und Jetzt zu lenken, für ihre Arbeit in der Gruppe benotete. Die Intervention war losen Beobachter wäre Bettys Reaktion u nverstä n d l ich, a ber a ngesichts der längeren
wirksam bei der betreffenden Klientin. Aber das war noch nicht alles: Sie hatte auch Zugehörigkeit Bettys zur Gru ppe u nd Renas kräftiger Hera u sforderung d ieses Status
Folgen für die übrige Gruppe. In der nächsten Sitzung baten zwei Klienten den Thera­ wa r i h re Reaktion d u rch a u s vorhersehbar. Sie reagierte nicht a uf Renas m a n ifestes
peuten, eine Bemerkung zu erklären, die er bei einer früheren Sitzung ihnen gegenüber H i lfsa ngebot, sondern stattdessen auf i h re i m pl izite Kom m u n i kation: » Ich b i n schon
gemacht hatte. Die Bemerkungen waren so unterstützend und so aufrichtig formuliert weiter als du, reifer, ei ngeweihter i n den Prozess der Psychotherapie u nd mächtiger in
gewesen, dass der Therapeut sich über die Bitte um Erklärung wunderte. Eine ein­ d ieser G ru ppe, obwohl du schon so lange hier bist.«
gehende Nachforschung brachte zutage, dass die beiden Klienten, und später auch an­
dere, vom Therapeuten Zensuren haben wollten. In einer a nderen G ru ppe war Bea, eine selbstsichere, redegewa ndte Frau, monatela ng
das a ktivste und einflussreichste Mitglied gewesen. Dann ka m ein neues Mitglied, Bob,
I n einer a ndere n Sel bsterfa h ru ngsgruppe fü r Psych iater u nd Psychothera peuten, die e i n psychiatrischer Soziala rbeiter (der seinen Beruf in der Gru ppe n icht n a n nte), in d ie
sich i n versch iedenen Phasen i h re r Ausbildu n g befanden, war der G ru ppen leiter tief Gru ppe. Bob war m i ndestens ebenso selbstsicher u n d redegewandt wie Bea. In seiner
beeind ruckt von den »Gru ppenfertigkeiten« Stewa rts, eines der jü ngsten, u nerfa h rens­ ersten Sitzu ng besch rieb er seine Lebenslage so a ufrichtig und klar, dass die a ndere n
ten Mitglieder. Der Leiter ä u ßerte seine Fantasievorstel l u ng, dass Stewart ein »Spion« Mitglieder beeind ruckt und gerührt waren. Beas Reaktion wa r jedoch: »Wo ha ben S i e
sei, e r kön ne u nmöglich erst am Anfa n g seiner Ausbil d u ng stehen, d a er sich wie ein I h re Gruppentherapiea u s b i l d u ng bekom m e n ?« (Ma n beachte, d a s s sie n icht fragte:
a ltgedientes M itglied mit zeh n J a h re n G ru ppenerfa h rung verha lte. Der Kom mentar » H a ben Sie schon e i n m a l an einem G ru ppentherapietra i n ing tei lgenommen?« oder:
weckte eine Flut von Spa n n u ngen. Die G ru ppe kon nte ihn ga r nicht vergessen, u nd er »Es kli ngt so, als hätten Sie E rfa h rung i n der Sel bstreflexion.«) Die Wortwa h l der Be­
wurde noch ü ber viele Sitzu ngen i m mer wieder neu belebt und wütend d iskutiert. Mit merkung Beas zeigte deutlich den Ka m pf um die Vorherrschaft, denn i m pl izit sagte sie:
seiner Bemerkung versetzte der Therapeut Stewart gleichsam den »Todesstoß«, denn »Ich bin d i r a uf die Sch liche gekommen. G l a u b n u r nicht, dass du m ich m it d iesem
von nun an stellte ihn d i e Gru ppe systematisch i nfrage u nd »entkleidete ihn sei n e r Ja rgon i n die I rre fü h re n ka n n st. Du hast noch einen la ngen Weg vor d i r, bevor du mich
Fertigkeiten«. E i n Thera peut, der e i n e m G ru ppen m itglied gege n ü ber einen positiven ein holst!«
Kom mentar oder eine positive Wertung a bgibt, ruft d a d u rch u nter den ü brigen Mit­
gliedern wa h rschei n l ich Geschwisterrival ität hervor.

202 203
Primäre Aufgabe und sekundärer Gewinn Einige kurze Falldarstellungen mögen dieses Paradox veranschaulichen:
Die Begriffe primäre Aufgabe und sekundärer Gewinn und die dynamische Spannung
zwischen beiden liefern dem Therapeuten nützliche Anhaltspunkte für das Erkennen Cal, e i n j u nger M a n n, legte es dara uf an, d i e Frauen i n der Gruppe z u verfü h ren. Er
des Prozesses und, wie ich später besprechen werde, auch solche für die Faktoren, die verhielt sich so, dass er gewinnend u nd charmant erschien. Er verbarg seine Gefü hle
dem Widerstand eines Klienten gegen Prozesskommentare zugrunde liegen. der U n beholfenheit, seinen verzweifelten Wu nsch, »cool« zu erscheinen, seine Angst
Zunächst einige Definitionen: Die primäre Aufgabe des Klienten ist, sein ursprüng­ vor Frauen und seinen Neid auf e i n ige Männer in der Gru ppe. Er konnte nie ü ber sein
liches Ziel zu erreichen: die Befreiung von Leiden, bessere Beziehungen zu anderen zwanghaftes Masturbieren u nd seinen gelegentlichen Voyeurismus sprechen. Als ein
und ein produktiveres und erfüllteres Leben. Doch wenn wir die Situation eingehender a nderer Mann in der Gruppe ü ber seine Geri ngschätzu ng fü r die Frauen in der Gru ppe
untersuchen, stellt sich oft heraus, dass die Aufgabe komplizierter ist. Gewöhnlich ver­ sprach, lobte Cal (hocherfreut ü ber den Rückzug eines Konku rrenten) i h n wegen seiner
ändert sich das Bild von der primären Aufgabe erheblich, wenn man in der Therapie Ehrlichkeit. Als ein anderer Mann mit großer Angst ü ber seine homosexuellen Fantasi­
Fortschritte macht. Manchmal haben Klient und Therapeut sehr verschiedene Ansich­ en sprach, hielt Cal absichtlich den Trost zu rück, den er ihm hätte geben können, wen n
ten von der primären Aufgabe. Ich kenne z. B. Klienten, die sagen, ihr Ziel sei es, von er ü ber seine eigenen, ä h n l ichen Fantasien gesprochen hätte. Er wagte e s n ie, ü ber d ie
Leiden befreit zu werden (z.B. von Angst, Depression oder Schlaflosigkeit), die in Grü nde zu reden, deretwegen er i n d i e Therapie gekom men war; nichts wa r i h m so
Wirklichkeit aber ein tiefer liegendes und problematischeres Ziel haben. Eine Klientin wichtig wie »cool« zu sein.
wünschte sich, sie würde durch die Therapie so vital werden, dass sie »psychisch gesün­
der« würde als andere und ihren Gegnern dadurch in noch höherem Maße überlegen. Eine Kl ientin verwendete ihre gesamte Energie dara uf, den Eind ruck von geistiger Be­
Ein anderer Klient wollte eigentlich lernen, andere noch wirksamer zu manipulieren; weglich keit u nd Tiefgründigkeit zu erwecken. Sie ä u ßerte, oft ka u m merkl ich, stä ndig
ein Dritter wollte ein noch erfolgreicherer Verführer werden. Diese Ziele können un­ Mein u ngen, die von meinen abwichen. Sie m issachtete jede H ilfe, die ich ihr a n bot, und
bewusst sein oder, selbst wenn sie bewusst sind, vor anderen gut versteckt werden. Sie wa r sehr beleidigt, als ich versuchte, i h r Verhalten zu deuten. Schließlich dachte ich laut
sind nicht Teil des anfänglichen Vertrags, den der Klient mit dem Therapeuten schließt, darüber nach, dass mir die Arbeit m it ihr das Gefüh l gebe, ihr n ichts von Wert a n bi eten
aber sie üben dennoch in der therapeutischen Arbeit einen alles durchdringenden Ein­ zu können. Das war i h re schönste Stunde! Stra h lend bemerkte sie: »Vielleicht sollten
fluss aus. Tatsächlich findet bei manchen Klienten ein großer Teil der therapeutischen Sie in eine Therapiegruppe gehen und an I h ren Problemen a rbeiten .«
Arbeit statt, bevor die betreffenden eine geeignete primäre Aufgabe formuliert ha­
ben.w E i n a nderer M a n n hatte i n der G ruppe eine beneidenswerte Stel l ung wegen seiner
Obwohl die primäre Aufgabe im Verlauf der Therapie entstehen kann, haben die Freu ndin, einer schönen Schauspielerin, deren Bild er mit Vergn ügen i n der G ruppe
Klienten anfänglich eine klare Vorstellung von einer primären Aufgabe - im Allgemei­ herumgehen l ieß. Sie wa r sei n Scha ustück, e i n lebender Beweis für seine natürliche
nen die Befreiung von irgendeiner Art von Unbehagen. Mithilfe von Methoden, die in Überlegen heit. Als sie ihn ei nes Tages plötzl ich und endgültig verließ, wa r er z u ge­
Kapitel 10 erläutert werden, macht der Therapeut in der Vorbereitung der Klienten vor krän kt, u m sich der Gruppe zu stellen, und er brach die Therapie a b.
der Gruppe und in den ersten Gruppensitzungen jedem Klienten klar, was er in der
Gruppe tun muss, um seine individuelle primäre Aufgabe zu erfüllen. Und doch pfle­ Was ist diesen Beispielen gemeinsam? In allen Fällen haben die Klienten nicht ihrer er­
gen, sobald die Gruppe anfängt, sehr eigenartige Dinge zu geschehen: Dem bewussten klärten primären Aufgabe die Priorität gegeben, sondern einem sekundären Gewinn, den
Wunsch der Klienten, sich zu verändern, entgegengerichtet, existiert ein tieferes Be­ ihnen die Gruppe verschaffte: eine Beziehung zu einem anderen Mitglied, ein Selbstbild,
dürfnis, Veränderung zu vermeiden - ein Festhalten an alten und vertrauten Verhal­ wie sie gern von anderen gesehen werden wollten, oder eine Gruppenrolle, in der sie
tensweisen. Oft entsteht durch die Erkenntnis dieses Festhaltens am Vertrauten (also als sexuell besonders begehrenswert, einflussreich, klug oder überlegen erschienen. In
von Widerstand) die erste wirkliche Chance zur Verbesserung der Situation. ?! allen geschilderten Fällen hinderte das krankhafte Verhalten die Klienten daran, ihr
primäres Ziel zu verfolgen. Die Klienten zogen ihre Energie von der anstrengenden
therapeutischen Arbeit ab und verwendeten sie, um sich innerhalb der Gruppe ir­
* Diese Phänomene wirken sich verheerend aus auf Untersuchungsstrategien zur Erforschung von The­
rapieergebnissen, die sich auf anfängliche Zielsymptome oder Ziele konzentrieren und dann einfach gendeine Art von Befriedigung zu verschaffen. Wenn dieses Hier-und-Jetzt-Verhalten
die Veränderung des Klienten an diesem Maß abschätzen. Aus genau demselben Grund sind erfahrene für die Untersuchung verfügbar wäre, wenn man die Klienten gleichsam aus der Grup­
Therapeuten betrübt über die naive zeitgenössische Vorsorge zur Aufrechterhaltung der psychischen penmatrix herausziehen und ihre Handlungen leidenschaftsloser beobachten könnte,
Gesundheit, die darauf besteht, die Therapie auf der Grundlage von anfänglichen Zielen nach jeweils
dann könnte die ganze Sequenz Teil einer guten therapeutischen Arbeit werden. Doch
ein paar Sitzungen zu bewerten. Wenn stattdessen ein umfassenderer Fragebogen wie der Outcome
Questionnaire 45 benutzt wird, kann dies Therapeuten wichtiges Feedback geben und ihnen ermög­ in allen geschilderten Fällen bekam die Befriedigung den Vorrang vor der Arbeit, die ge­
lichen, einen produktiven Austausch mit ihren Klienten zu pflegen. tan werden sollte. Die Gruppenmitglieder hielten Informationen zurück, stellten sich

204 205
falsch dar, lehnten die Hilfe des Therapeuten ab und weigerten sich, einander zu Mitglieds zu jedem anderen, zum Therapeuten und zu der Gruppe insgesamt zu un­
helfen. tersuchen und zu entwickeln. Der Therapeut und später auch die Gruppenmitglieder
In der Einzeltherapie ist dies eine wohlbekannte Erscheinung. Schon vor langer Zeit spüren ganz genau, wann die Gruppe arbeitet, wann sie mit ihrer primären Aufgabe
hat Freud von dem Klienten gesprochen, dessen Wunsch, in der Therapie zu bleiben, beschäftigt ist und wann sie dieser Aufgabe aus dem Wege geht.
stärker war als sein Wunsch, geheilt zu werden. Der Einzeltherapeut kommt den Wün­ Manchmal ist der Therapeut sich nicht darüber im Klaren, was eine Gruppe tut,
schen des Klienten entgegen, unterstützt es, gehört und gehätschelt zu werden. Es be­ doch er weiß, wann sie sich nicht darauf konzentriert, die Beziehungen zwischen den
steht jedoch in dieser Hinsicht ein großer quantitativer Unterschied zwischen Einzel­ Mitgliedern weiterzuentwickeln oder zu untersuchen. Wenn er der Gruppe ihre primä­
und Gruppentherapie. Die Einzeltherapie ist relativ stark abgeschottet; die Gruppen­ re Aufgabe klar erläutert hat, muss er in solch einer Situation zu dem Schluss gelangen,
situation bietet ein weitaus größeres Spektrum von Möglichkeiten, in den Genuss von dass die Gruppe das primäre Ziel aktiv meidet - entweder aufgrund eines Unbehagens
sekundärem Gewinn zu gelangen und soziale Bedürfnisse zu befriedigen. Außerdem an der Aufgabe selbst oder wegen eines sekundären Gewinns, der als so erstrebenswert
ist die gebotene Befriedigung oft durchaus adäquat; unsere sozialen Bedürfnisse, zu erscheint, dass die Gruppenmitglieder ihn der therapeutischen Arbeit vorziehen.
herrschen, bewundert, geliebt und verehrt zu werden, sind tatsächlich sehr stark. Eini­
gen Klienten ermöglicht die Psychotherapiegruppe selbst befriedigende Beziehungen, Die Gefühle des Therapeuten
statt dass sie die Entwicklung besserer Beziehungen in ihrem persönlichen Lebenszu­ All diese Anleitungen für den Therapeuten, die ihn den Prozess erkennen und verste­
sammenhang stimuliert. Dies muss bei der Arbeit mit bestimmten Populationen vom hen lassen, sind auf die eine oder andere Weise von Nutzen. Doch es gibt einen noch
Therapeuten berücksichtigt werden, beispielsweise bei Gruppen von alten Menschen, wichtigeren Hinweis: die eigenen Gefühle des Therapeuten in der Sitzung. Sich auf
die außerhalb der Gruppe nur eingeschränkte Möglichkeiten haben, zu anderen Men­ diese Gefühle zu verlassen hat der Therapeut gelernt, nachdem er ähnliche Vorfälle in
schen Kontakt aufzunehmen. In solchen Fällen ist nach einer kürzeren intensiven Ar­ der Gruppentherapie immer wieder erlebt hat. Der erfahrene Therapeut hat gelernt,
beitsphase das Angebot weniger häufiger, beispielsweise monatlicher, Auffrischungssit­ seinen Gefühlen zu vertrauen; sie sind für den Therapeuten ebenso nützlich wie das
zungen vielleicht die beste Möglichkeit, der Abneigung, die Therapie zu beenden, zu Mikroskop oder eine DNS-Aufzeichnung für einen Mikrobiologen. Wenn er sich un­
begegnen. 15 geduldig, frustriert, gelangweilt, verwirrt oder entmutigt fühlt - oder irgendein ande­
Ist die Spannung, die zwischen der primären Aufgabe und der sekundären Befrie­ res der zahlreichen Gefühle verspürt, die Menschen haben können -, sollte er dies als
digung besteht, nichts weiter als eine etwas andere Bezeichnung für den vertrauten Be­ wichtigen Hinweis verstehen und lernen, es in seine Arbeit einzubeziehen.
griff des Widerstands und besonders des Agierens? Insofern das Streben nach sekun­ Das heißt nicht, dass Therapeuten ihre Gefühle verstehen oder sie zu einer hüb­
därem Gewinn die therapeutische Arbeit behindert, kann man sie als Widerstand be­ schen Gesamtdeutung arrangieren müssen. Gefühle auszudrücken reicht oft aus, wenn
zeichnen. Allerdings möchte ich diesbezüglich auf einen wichtigen Unterschied hin­ man einem Klienten helfen will, mit seiner eigenen Arbeit weiterzukommen.
weisen: Widerstand bezieht sich gewöhnlich auf das Vermeiden von Unlust. Natürlich
ist Widerstand in diesem Sinne in der Gruppentherapie häufig zu beobachten, sowohl E i nern Therapeuten ka m eine 45-jäh rige Frau sehr rätsel haft vor, wei l sie sich in raschen
auf individueller als auch auf Gruppenebene. Ich möchte jedoch betonen, dass die The­ Wechseln stä ndig a nders präsentierte. S c h l i e ß l ich sagte er: » S h a ro n, ich e m pfi nde
rapiegruppe sekundären Gewinn im Überfluss ermöglicht. Oft entgleist die therapeuti­ I h nen gege n ü ber ganz verschiedene Gefü h le, die ich I h ne n mitteilen möchte. Wen n Sie
sche Arbeit in einer Gruppe nicht deshalb, weil die Gruppenmitglieder zu starke Ab­ sprechen, erlebe ich S ie oft als tüchtige, reife Frau, aber manchmal erlebe ich Sie auch
wehr in Form von Angst gegen die Arbeit an sich zeigen, sondern weil sie nicht bereit als prä pu bertäres Ki n d, das sich seiner Sex ualität n icht bewusst ist, das z u kusche l n
sind, auf Befriedigung zu verzichten. versucht und jedem gern gefa l l e n möchte. I c h g lau be, ich ka n n das jetzt nicht weiter
Wenn der Gang der Dinge in der Therapiegruppe den Therapeuten verwirrt, ist oft a usfü h ren, a ber ich möchte wissen, ob das fü r Sie irgendeine Bedeutung hat.« Die Be­
die Unterscheidung zwischen primärer Aufgabe und sekundärem Gewinn sehr nütz­ obachtung beeind ruckte die Kl ientin sehr tief und half i h r, i h re konfliktbeladene sexu­
lich. Oft hilft es dem Therapeuten, sich zu fragen, ob der Klient an seiner primären e l l e Identität u nd i h r Bed ü rfnis, von a l len Menschen ge li ebt zu werden, zu u nter­
Aufgabe arbeitet. Und wenn das Streben nach sekundärem Gewinn die primäre Auf­ suchen.
gabe erst einmal nachhaltig verdrängt hat und die Interventionen des Therapeuten an
ihm abprallen, steht Letzterem keine wirksamere Technik zur Verfügung, als die Grup­ Es hilft der Gruppe oft sehr, wenn Sie ihr mitteilen, dass Sie sich von einem Klienten
penmitglieder an ihre primäre Aufgabe zu erinnern - die Gründe, aus denen sie sich ausgeschlossen fühlen. Eine solche Bemerkung ruft selten Abwehr hervor, weil sie im­
auf eine Therapie eingelassen haben. mer zu verstehen gibt, dass Sie dem Klienten näher kommen möchten. In solchen Äu­
Dieses Prinzip gilt auch für die Gruppe als Ganzes. Man kann sagen, die gesamte ßerungen kommen wichtige Gruppentherapienormen zum Ausdruck: Risikobereit­
Gruppe habe eine primäre Aufgabe, nämlich alle Aspekte der Beziehung eines jeden schaft, Zusammenarbeit und das Ernstnehmen von Beziehungen.

206 207
Wenn der Therapeut im therapeutischen Prozess Gefühle zum Ausdruck bringen sam, Jack ist mit seinem Stuhl einen Meter zurückgewichen, und Mary sieht mich seit
will, sollte er sich einigermaßen sicher sein, dass sie angemessen sind. Je eher Sie auf ein paar Minuten immer wieder auffordernd an. Was denken Sie über das, was heute
einen Klienten unrealistisch reagieren (auf Grund von Gegenübertragung oder mög­ vor sich geht?«
licherweise wegen eigener drängender emotionaler Probleme), desto weniger hilfreich Bei einer stark »geladenen« Sitzung ist es oft notwendig, den Prozess noch einmal
( umso antitherapeutischer) ist es, wenn Sie diese Gefühle so vorbringen, als seien sie zu überblicken. Der Therapeut muss demonstrieren, dass starker Gefühlsausdruck
das Problem des Klienten und nicht Ihr eigenes. Das feine Instrument Ihrer eigenen Material darstellt, an dem Wichtiges gelernt werden kann. Manchmal können Sie eine
Gefühle müssen Sie einsetzen, und zwar häufig und spontan. Aber es ist äußerst wichtig, solche Sitzung in zwei Teile teilen: die Erfahrung und die Analyse der Erfahrung. Ein
dass dieses Instrument so zuverlässig und genau funktioniert wie möglich. andermal kann man die Analyse des Prozesses auf die folgende Sitzung verlagern; man
Gegenübertragung ist, allgemein ausgedrückt, die Reaktion von Therapeuten auf kann nach den Gefühlen fragen, die die Mitglieder nach der vorigen Sitzung mit nach
ihre Klienten. Dabei muss unterschieden werden zwischen objektiver Gegenübertra­ Hause genommen haben, oder einfach nach weiteren Gedanken, die ihnen seither zu
gung, welche die für einen bestimmten Klienten charakteristische interpersonale Wir­ dem Geschehenen gekommen sind.
kung auf Sie und andere Menschen spiegelt, und subjektiver Gegenübertragung - für Natürlich lenken Sie sie, indem Sie durch Ihre eigene Prozessorientierung ein Bei­
Sie charakteristische Reaktionen, die in erster Linie spiegeln, was Sie persönlich in Ihre spiel geben. Sie haben nichts zu verlieren und viel zu gewinnen, indem Sie, wann im­
Beziehungen und Interaktionen mitbringen. 16 Erstere ist eine ausgezeichnete Quelle mer es sich ergibt, Ihre Ansicht über den Gruppenprozess mitteilen. Manchmal kann
für interpersonelle Informationen über den Klienten, wohingegen Letztere mehr über das geschehen, indem Sie sich bemühen, die Sitzung zu klären: »Folgendes ist mir heu­
den Therapeuten selbst aussagt. Um beide voneinander unterscheiden zu können, te aufgefallen.« Manchmal werden Sie auch eine Sitzung für einen Zuspätkommenden
braucht man nicht nur Erfahrung und eine entsprechende Ausbildung, sondern auch zusammenfassen - gleichgültig, ob es ein Co-Therapeut oder ein Mitglied ist - und
eine tief reichende Selbstkenntnis. Deshalb glaube ich, dass sich jeder T herapeut selbst diesen Vorgang als Werkzeug benutzen. Eine Technik, die ich benutze, um meine Pro­
einer Psychotherapie unterziehen sollte. (Mehr dazu in Kapitel 17.) zessbeobachtungen systematisch mit den Gruppenmitgliedern zu teilen, besteht darin,
dass ich nach jeder Gruppensitzung eine ausführliche Zusammenfassung der gemein­
Wie m a n Klienten zu e i n e r Prozessorientieru n g verhilft samen Arbeit schreibe, einschließlich einer vollständigen Wiedergabe meiner während
der Sitzung ausgesprochenen und nicht ausgesprochenen Prozessbeobachtungen. Die­
Seit langem ist bekannt, dass Menschen Beobachtungen, Ansichten und Einsichten, die sen Bericht sende ich allen Gruppenmitgliedern vor der nächsten Sitzung zu (siehe Ka­
sie durch eigene Bemühung erlangen, höher schätzen als diejenigen, die andere ihnen pitel 14). Auf diese Weise fördert der Therapeut die Gruppenarbeit durch eine be­
aufzudrängen versuchen. Der reife Gruppenleiter widersteht der Versuchung, brillante, trächtliche Offenlegung seiner persönlichen und professionellen Eindrücke, was sich
virtuose Deutungen zu geben; er sucht nach Methoden, die es den Klienten ermögli­ insbesondere auf die Fähigkeit der Mitglieder, den Gruppenprozess zu verfolgen, posi­
chen, durch eigene Bemühung zu Selbsterkenntnis zu kommen. Foulkes und Anthony tiv auswirkt.
drücken es so aus: »Es gibt Zeiten, in denen der Therapeut auf seinem Wissen hocken, Es ist nützlich, die Klienten zu einer Beschreibung ihrer Sichtweise des Prozesses bei
fehlerhafte Erkenntnisse dulden und auf die Gruppe warten muss, bis sie Lösungen Gruppensitzungen zu ermutigen. Viele Gruppentherapie-Ausbilder, die unterrichten,
findet.« 17 indem sie eine Selbsterfahrungsgruppe ihrer Studenten führen, beginnen jede Sitzung
Der Therapeut hat also die Aufgabe, die Mitglieder so zu beeinflussen, dass sie die mit einem Bericht über den Prozess in der vorangegangenen Sitzung, der von einem
Prozessperspektive annehmen und schätzen. V iele der in Kapitel 5 beschriebenen damit beauftragten Studenten vorbereitet wurde. Manche Therapeuten lernen, sich an
normsetzenden Tätigkeiten des Gruppenleiters dienen diesem Zweck. Der Therapeut bestimmte Gruppenmitglieder zu wenden, die eine ungewöhnliche intuitive Fähigkeit
unterstreicht z.B. den Prozess, indem er von Zeit zu Zeit die Mitglieder aus dem Hier zeigen, den Prozess zu erkennen. Ormont beschreibt z. B. einen am Rand stehenden
und Jetzt reißt und sie einlädt, die Bedeutung wichtiger Transaktionen distanzierter zu Klienten in seiner Gruppe, der über eine ungewöhnliche Sensibilität für die Körper­
betrachten. Die Techniken sind zwar je nach dem Stil des Therapeuten verschieden, der sprache der anderen verfügte. Der Therapeut machte es sich zum Prinzip, dieses Talent
Zweck dieser Interventionen besteht jedoch immer darin, die Selbstreflexion hervor­ im Dienst der Therapie einzusetzen. Eine Frage wie »Michael, was hat Pam mit dieser
zuheben. Der Therapeut kann z. B. die Gruppe in angemessenen Abständen unterbre­ Handbewegung Abner mitgeteilt? « diente einem doppelten Zweck: den Prozess zu
chen und bemerken: »Wir sind für heute etwa bei der Halbzeit, und ich wüsste gern, klären und Michael zu helfen, einen Platz in der Gruppenmitte und Respekt zu ge­
was Sie bis jetzt von der Sitzung halten.« Noch einmal sei gesagt, dass Sie den Prozess winnen. 1 8
keineswegs schon verstanden zu haben brauchen, um die Mitglieder nach ihren Ana­
lysen zu fragen. Sie können einfach sagen: »Ich bin mir nicht sicher, was in der Sitzung
geschieht, aber es fällt mir einiges auf, was ungewöhnlich ist. Bill war z.B. sehr schweig-

208 209
Wie m a n Klienten h i lft, k l ä rende Prozessko m m e nta re zu a kzeptiere n bekommen. Vielleicht könnten Sie eine Weile einen anderen Kurs einschlagen und sich
die Frage stellen, ob von dem, was Jamie sagt, irgendetwas auf Sie zutrifft? (Später fra­
F. Scott Fitzgerald schrieb einmal: »Ich wurde gezwungen zu denken. Gott, war das gen Sie Jamie dasselbe.) Was löst in Ihrem Inneren eine Resonanz aus? Könnten Sie
schwierig! Große geheime Kisten mussten umhergeschoben werden. « Während der einen Augenblick lang die Dinge vergessen, die nicht wahr sind, und bei denen bleiben,
ganzen Therapie fordern wir unsere Klienten auf zu denken, innere Arrangements zu die es sind?«
verändern, die Folgen ihres Verhaltens zu untersuchen. Das ist Schwerarbeit und oft Manchmal machen Gruppenmitglieder in einem Augenblick ungewöhnlicher Of­
auch unangenehm und erschreckend. Es genügt nicht, Klienten einfach Informationen fenheit eine Aussage, die dem Therapeuten irgendwann in der Zukunft einen großar­
oder Erklärungen zu geben; man muss auch die Assimilation der neuen Information tigen Hebel an die Hand gibt. Der haushälterische Therapeut unterstreicht diese Kom­
fördern. Es gibt Strategien, die Klienten bei dieser Arbeit helfen. mentare in der Gruppe und bewahrt sie für spätere Verwendung auf. So sagte einmal
Deutungen und Feedback müssen sehr sorgfältig formuliert werden. Kein Kom­ ein Mann, der einerseits stolz war auf seine Fähigkeit, die Gruppe mit seinem sozialen
mentar, auch nicht der brillanteste, kann einen Wert haben, wenn er nicht ankommt, Charme zu manipulieren, und der andererseits von ihr beunruhigt war, in einer Grup­
wenn der Klient das Paket ungeöffnet und ungesehen zurückgehen lässt. Die Bezie­ pensitzung: »Hören Sie, wenn Sie mich lächeln sehen wie eben jetzt, bin ich in Wirk­
hung, die Art, wie ein Kommentar lanciert wird, und die Wahl des Zeitpunkts sind lichkeit innerlich von Schmerz erfüllt. Lassen Sie mich nicht immer damit durchkom­
ebenso wichtig wie der Inhalt der Botschaft. men. « Eine Klientin, die die Gruppe mit ihren Tränen tyrannisierte, verkündete eines
Klienten sind für unterstützend formulierte Bemerkungen immer aufgeschlossener. Tages: »Wenn ich so weine, bin ich wütend. Ich falle nicht auseinander, also hören Sie
Selten lehnen Klienten die Beobachtung ab, dass sie anderen weit voraus seien oder auf, mich zu trösten und mich wie ein Kind zu behandeln. « Behalten Sie solche Augen­
diese überflügelt hätten, dass sie zu selbstlos seien und nie etwas für sich behielten, dass blicke der Wahrheit im Gedächtnis. Sie können später einmal sehr wertvoll sein, wenn
sie mit ihren Gefühlen hinter dem Berg hielten oder viel von dem, was sie zu bieten der betreffende Klient sehr verschlossen ist und eine starke Abwehr hat. Im vorigen
hätten, zurückhielten. All diese Beobachtungen enthalten eine unterstützende Bot­ Beispielfall könnten Sie das Gruppenmitglied einfach an seine Äußerung ein paar Sit­
schaft: dass die Betreffenden viel zu geben haben und dass der Beobachter ihnen näher zungen früher erinnern und es fragen, ob dies (das Lächeln, das der Überdeckung des
sein, ihnen helfen und sie näher kennenlernen möchte. Schmerzes dient, oder das als Selbstschutz fungierende Weinen) im Augenblick ge­
Hüten Sie sich vor kategorisierenden oder einschränkenden Formulierungen; sie schieht.
sind kontraproduktiv, sie bedrohen, sie lösen Abwehr aus. Globale Beschuldigungen Oft ist es nützlich, den Klienten zu aktivieren, Verträge zu schließen. Wenn eine Kli­
lehnen die Klienten ab - z.B. Abhängigkeit, Narzissmus, Ausnutzungsverhalten, Arro­ entin z.B. in einer Sitzung hart an einer wichtigen Eigenschaft gearbeitet hat, könnte
ganz. Sie tun dies mit gutem Grund, denn ein Mensch ist immer mehr, als man mit ei­ ich sagen: »Jane, Sie haben heute hart gearbeitet und waren sehr offen für unser Feed­
nem Etikett oder einer Reihe davon ausdrücken kann. Es ist viel annehmbarer (und back über die Art, wie Sie andere bemuttern und wie Sie dieses Bemuttern benutzen,
zutreffender), wenn man von Zügen oder Anteilen eines Menschen spricht. Zum Bei­ um sich Ihren eigenen Bedürfnissen und Ihrem Schmerz nicht zu stellen. Wie haben
spiel: »Ich spüre oft, dass Sie sehr gern anderen näher wären. Das ist mir aufgefallen, Sie sich dabei gefühlt? Haben wir Ihnen zu sehr zugesetzt?« Wenn die Klientin zu­
als Sie letzte Woche Debbie Hilfe angeboten haben. Aber es gibt auch Zeiten wie heute, stimmt, dass die Arbeit hilfreich war (wie die Klienten es fast immer tun), dann kön­
wo ich Sie als distanziert, als fast verächtlich gegenüber den anderen empfinde. Was nen Sie einen Vertrag für die Zukunft schließen, indem Sie fragen: »Es ist also in Ord­
wissen Sie von diesem Teil Ihrer selbst?« nung, wenn wir Sie auch weiterhin bedrängen und Ihnen Feedback geben, sobald wir
Oft schleudern die Mitglieder inmitten starker Gruppenkonflikte einander bedeut­ in zukünftigen Sitzungen merken, dass Sie wieder damit anfangen?« Diese Art von
same Wahrheiten an den Kopf. Unter diesen Bedingungen kann man die Wahrheit »Vereinbarung« stärkt die therapeutische Allianz und den auf Austausch basierenden,
nicht anerkennen; man würde sich unter Missachtung des eigenen Schutzbedürfnisses kollaborativen Charakter der Psychotherapie. 1 9
dem Aggressor ausliefern. Um die durch den Konflikt deutlich gewordenen Wahrhei­
ten verwertbar zu machen, muss der Therapeut die Abwehrhaltung der Streitenden Der Prozessko m menta r: e i n theoretischer Ü berbl ick
richtig einschätzen und neutralisieren.
Beispielsweise können Sie an eine höhere Macht appellieren ( den Wunsch des Es ist nicht leicht, die tatsächliche Praxis der Prozessklärung systematisch zu erörtern.
Gruppenmitglieds nach Selbsterkenntnis) oder die Aufnahmebereitschaft steigern, in­ Wie kann man fest umrissene grundlegende Leitlinien für ein Verfahren von derartiger
dem Sie das Ausmaß der Beschuldigung einschränken. Zum Beispiel: »Farrell, ich sehe, Komplexität und Reichweite, von so heikler Wahl des Zeitpunkts und mit so vielen
dass Sie jetzt ganz verschlossen sind, sich bedroht fühlen und alles abwehren, was Ja­ sprachlichen Nuancen vorschlagen. Ich bin versucht, der Frage auszuweichen, indem
mie sagt. Sie haben sehr geschickt auf die Schwäche ihrer Argumente hingewiesen; aber ich behaupte, hierin liege die Kunst der Psychotherapie: Prozessklärung lernt man mit
was dabei herauskommt, ist, dass Sie ( und auch Jamie) schließlich nichts für sich selbst wachsender Erfahrung; man kann sie nicht systematisch erwerben. In gewissem Maße

210 211
glaube ich dies. Ich glaube aber auch, dass es möglich ist, grobe Schneisen zu schlagen nahe sein, aber irgendwie verwechseln Sie Nähe und Erotik, und Sie stoßen mich
und dem Kliniker allgemeine Prinzipien zu liefern, die das Lernen beschleunigen, ohne immer wieder fort.
die therapeutische Kreativität einzuschränken. 10. Sie sind hier einsam, fühlen sich unerwünscht und meinen, niemandem liege etwas
Der Ansatz, dessen ich mich in diesem Abschnitt bediene, ist dem Ansatz sehr ähn­ an Ihnen. Dadurch werden so viele Ihrer Gefühle der Wertlosigkeit wieder ge­
lich, den ich am Anfang dieses Buches benutzt habe, um die grundlegenden therapeu­ weckt.
tischen Faktoren in der Gruppentherapie zu klären. Ich habe an jener Stelle gefragt: 11. Sie haben sich von allen Männern in der Gruppe distanziert und entfremdet. Sind
Wie hilft die Gruppentherapie den Klienten? Was gehört im gruppentherapeutischen Sie damit zufrieden? (Erinnern Sie sich, dass eines Ihrer Hauptziele zu Beginn der
Prozess zum Kern und was ist Fassade? Dieser Ansatz führt zur Darstellung mehrerer Therapie darin bestand herauszufinden, warum Sie niemals enge Männerfreund­
grundlegender therapeutischer Faktoren und erlegt dem Therapeuten, wie ich glaube, schaften gehabt haben, und dass Sie etwas daran ändern wollten?)
keinerlei Zwang auf bei der Wahl der Methoden, jene anzuwenden.
In diesem Abschnitt gehe ich ähnlich vor. Hier lautet die Frage nicht, wie die Grup­ Man beachte zunächst, dass die Kommentare eine fortschreitende Entwicklung durch­
pentherapie hilft, sondern wie der Vorgang der Prozessklärung zu Veränderungen laufen: Sie beginnen mit einfachen Beobachtungen einzelner Handlungen und gehen
führt. Das Problem ist komplex und bedarf großer Aufmerksamkeit, aber die Länge zu einer Beschreibung von Gefühlen über, die durch eine Handlung hervorgerufen
dieser Erörterung soll kein Hinweis darauf sein, dass die Deutungsfunktion des The­ werden, und weiter zu Bemerkungen über Handlungen in einem gewissen Zeitraum,
rapeuten Vorrang vor anderen Aufgaben hat. zur Nebeneinanderstellung verschiedener• Handlungen, zu Spekulationen über Ab­
Lassen Sie mich zunächst leidenschaftslos das gesamte Spektrum der Interventio­ sichten und Motive des Klienten, zu Bemerkungen über die bedauerlichen Folgen sei­
nen eines Therapeuten betrachten. Ich konfrontiere jede dieser Interventionen mit der nes Verhaltens, zur Einbeziehung spekulativerer Daten (Träume, subtile Gesten), zur
simplen, aber grundlegenden Frage: »Wie hilft diese Intervention, dieser prozessklä­ Hervorhebung der Ähnlichkeit zwischen den Verhaltensmustern des Klienten im Hier
rende Kommentar dem Klienten, sich zu verändern?« Dieser Ansatz basiert auf einer und Jetzt und in seiner sozialen Umgebung außerhalb der Gruppe. Unerfahrene Grup­
Reihe grundlegender operationaler Muster, die allen heute aktuellen interpersonal ori­ pentherapeuten wissen manchmal nicht weiter, weil sie sich über die Bedeutung dieser
entierten Therapiemodellen gemeinsam sind.20 progressiven Sequenz von Interventionen nicht im Klaren sind.2 1
Ich beginne mit der Untersuchung einiger Prozesskommentare, die ein Therapeut Je weiter die Entwicklung voranschreitet, desto abgeleiteter werden die Kommenta­
im Lauf einer mehrmonatigen Gruppentherapie einem Klienten gegenüber abgab: re. Sie beginnen mit Beobachtungen von Sinnesdaten und gehen allmählich zu kom­
plexen Verallgemeinerungen über, die auf Verhaltensabläufen, interpersonalen Mus­
1. Sie unterbrechen mich. tern, Fantasie und Traummaterial beruhen. Je komplexer und abstrakter die Kommen­
2. Ihre Stimme klingt angespannt, und Ihre Fäuste sind geballt. tare werden, desto weiter entfernt sich ihr Urheber von den anderen Menschen - er
3. Immer, wenn Sie mit mir reden, sind Sie anderer Meinung. wird also mehr zu einem Therapeuten, der Prozesskommentare abgibt. Auch die Mit­
4. Wenn Sie das tun, fühle ich mich bedroht, und manchmal habe ich Angst. glieder machen oft untereinander einige der ersteren Bemerkungen, aber aus Gründen,
5. Ich frage mich, ob Sie mir gegenüber starke Konkurrenzgefühle haben und ver­ die ich bereits genannt habe, machen sie selten Kommentare, wie sie am Ende der Se­
suchen, mich abzuwerten. quenz formuliert sind.
6. Es ist mir aufgefallen, dass Sie dasselbe mit allen Männern in der Gruppe gemacht übrigens besteht zwischen den Kommentaren 4 und 5 eine außerordentlich schar­
haben. Selbst wenn sie versuchen, sich Ihnen helfend zu nähern, schlagen Sie auf fe Grenze. Die ersten vier Aussagen entstammen der Erfahrung des Kommentators. Sie
sie ein. Infolgedessen sehen sie Sie als feindselig und bedrohlich an. basieren auf seinen Beobachtungen und Gefühlen; der Klient kann sie abwerten oder
7. In den drei Sitzungen, in denen keine Frauen in der Gruppe anwesend waren, wa­ nicht zur Kenntnis nehmen, aber er kann sie nicht leugnen, für nichtig erklären oder
ren Sie zugänglicher. dem Kommentator wegnehmen. Bei der fünften Aussage ist die Wahrscheinlichkeit viel
8. Ich glaube, Ihre sexuelle Attraktivität für Frauen ist Ihnen so wichtig, dass Sie in größer, dass sie Abwehr hervorruft und den konstruktiven Interaktionsfluss beendet.
Männern nur Konkurrenten sehen. Sie berauben sich selbst der Möglichkeit, je­ Diese Art von Kommentar ist zudringlich; sie ist eine Vermutung bezüglich der Absicht
mals einem Mann näher zu kommen. und der Motivation des anderen und wird oft abgelehnt, wenn nicht vorher schon eine
9. Obwohl Sie sich mit mir immer zu streiten scheinen, gibt es wohl auch noch eine bedeutsame, vertrauensvolle, unterstützende Beziehung hergestellt worden ist. Wenn
andere Seite. Oft bleiben Sie nach der Sitzung noch hier, um ein Wort mit mir zu Mitglieder einer jungen Gruppe viele Kommentare dieser Art austauschen, entwickelt
sprechen; in der Gruppe sehen Sie mich oft an. Und dann ist da noch dieser Traum, sich bei ihnen wahrscheinlich kein konstruktives therapeutisches Klima.22 Natürlich
den Sie vor drei Wochen erzählt haben, wo wir beide miteinander kämpfen und macht die Formulierung »Ich frage mich . . . « die Aussage etwas erträglicher. Wie könn­
dann einander umarmend zu Boden fallen. Ich glaube, Sie möchten mir sehr gern te ein Therapeut ohne dieses »Ich frage mich« zurechtkommen?

212 213
Doch zurück zu unserer grundlegenden Frage: Wie hilft diese Serie von Prozess­ Leslie Farber, Allen Wheelis und Irvin Yalom24 ) beziehen den Begriff des Willens ex­
kommentaren (oder irgendeine andere) dem Klienten, sich zu ändern? Die Antwort pressis verbis in ihre Formulierungen ein; er wird jedoch, wie ich glaube, in den meisten
lautet, dass der Gruppentherapeut durch diese Prozesskommentare Veränderungen Deutungssystemen stillschweigend vorausgesetzt. Ich erörtere die Rolle des Willens in
initiiert, indem er den Klienten durch die folgende Sequenz geleitet: der Psychotherapie ausführlich in meinem Buch Existenzielle Psychotherapie25 und
möchte interessierte Leser hiermit darauf verweisen. Es folgt eine sehr grobe Skizze des
1. So ist Ihr Verhalten. Durch Feedback und später durch Selbstbeobachtung lernen dort Beschriebenen.
die Mitglieder, sich so zu sehen, wie andere sie sehen. Die intrapsychische Instanz, die eine Handlung in Gang setzt, die Absicht und Ent­
2. Diese Gefühle ruft Ihr Verhalten in anderen hervor. Die Mitglieder erfahren etwas schluss in Handlung verwandelt, ist der Wille. Der Wille ist der primäre verantwortli­
über die Wirkung ihres Verhaltens auf die Gefühle anderer Mitglieder. che Bewegungsmechanismus im Menschen. Zwar hat die moderne analytische Meta­
3. So beeinflusst Ihr Verhalten die Meinung, die andere von Ihnen haben. Die Mitglieder psychologie beschlossen, die nicht verantwortlichen Bewegungsmechanismen unseres
lernen, dass andere sie infolge ihres Verhaltens nicht mögen, unangenehm finden, Verhaltens zu betonen ( d. h. unbewusste Motivationen und Triebe), aber wir kommen
respektieren, meiden usw. bei unserem Verständnis der Veränderung nur schwer ohne die Berücksichtigung des
4. So beeinflusst Ihr Verhalten Ihre Meinung von sich selbst. Aufbauend auf den Infor­ Willens zurecht.26 Wir können das nicht umgehen in der Annahme, es sei zu nebulös
mationen, die sie durch die ersten drei Stufen gewonnen haben, formulieren Kli­ und zu schwer fassbar, und es infolgedessen in die Blackbox des seelischen Apparats
enten Urteile über sich selbst; sie schätzen ihren eigenen Wert und ihre Liebens­ verweisen, zu welcher der Therapeut keinen Zugang hat.
würdigkeit ein. (Man erinnere sich an Sullivans Aphorismus, die Auffassung eines Bewusst oder unbewusst nimmt jeder Therapeut an, dass jeder Klient die Fähigkeit
Menschen von sich selbst werde großenteils aus reflektierten Selbsteinschätzungen hat, sich durch eine Willensentscheidung zu ändern. Mit vielen Strategien und Takti­
konstruiert.) ken versucht er, ihn an eine Weggabelung zu begleiten, wo er wählen kann, und zwar
frei im Interesse seiner eigenen Integrität. Es ist nicht die Aufgabe des Therapeuten,
Sobald sich diese Sequenz entwickelt hat und vom Klienten ganz verstanden worden Willen zu schaffen oder ihn dem Klienten einzuflößen. Das kann niemand. Man kann
ist, sobald er tief innerlich eingesehen hat, dass sein Verhalten gar nicht in seinem ei­ aber helfen, den gefesselten oder erstickten Willen des Klienten zu befreien.27
genen Interesse liegt, dass seine Beziehungen zu anderen und deren Beziehung zu ihm Das Konzept des Willens stellt uns ein nützliches Konstrukt zur Verfügung, um das
selbst Folgen seiner eigenen Handlung sind, ist er in der Therapie an einem entschei­ Verfahren der Prozessklärung zu verstehen. Die deutenden Bemerkungen des Thera­
denden Punkt angekommen: Er ist in das »Vorzimmer« der Veränderung eingetreten. peuten können alle unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, wie sie auf den Willen
Der Therapeut kann nun eine Frage stellen, die die entscheidende Phase der Thera­ des Klienten einwirken. Der am meisten verbreitete und simpelste therapeutische An­
pie in Gang setzt. Die Frage wird vom Therapeuten auf mehrerlei Weise gestellt, wenn satz ist der der Ermahnung: »Ihr Verhalten ist, wie Sie selbst nun wissen, Ihrem eigenen
auch selten direkt. Sie lautet: »Sind Sie zufrieden mit der Welt, die Sie geschaffen haben? Interesse entgegengesetzt. Sie sind nicht zufrieden. Dies ist es doch nicht, was Sie für
Dies bewirken Sie bei anderen, hinsichtlich der Meinung, die andere von Ihnen haben, sich wollen. Bleiben Sie nicht länger bei einem solchen Verhalten!«
und bezüglich Ihrer Meinung von sich selbst - sind Sie zufrieden mit Ihrem Han­ Die Erwartung, der Klient werde sich ändern, ist einfach eine Erweiterung der mo­
deln?« 23• ralphilosophischen Überzeugung, dass man, wenn man das Gute kennt (das was im
Wenn die unvermeidliche negative Antwort kommt: (»Nein, ich bin mit meinen tiefsten Sinn im eigenen Interesse des Menschen liegt), auch entsprechend handelt.
Handlungen zufrieden«, beginnt der Therapeut eine vielschichtige Bemühung, das Ge­ Nach den Worten des Thomas von Aquin handelt der Mensch insofern, als er willkür­
fühl der persönlichen Unzufriedenheit in den Entschluss, sich zu ändern, und anschlie­ lich handelt, gemäß einem vorgestellten Guten.28 Tatsächlich sind für manche Men­
ßend in den Akt des Sich-Änderns zu verwandeln. Die deutenden Bemerkungen des schen dieses Wissen und diese Ermahnung genug, um Veränderung herbeizuführen.
Therapeuten sollen auf die eine oder andere Weise den Akt der Veränderung fördern. Klienten jedoch, die schwerwiegende und festgefahrene psychische Erkrankungen
Nur einige Theoretiker der Psychotherapie (z. B. Otto Rank, Rollo May, Silvano Arieti, haben, brauchen viel mehr als Ermahnungen. Durch deutende Kommentare geht der
Therapeut dann dazu über, eine von mehreren anderen Möglichkeiten einzusetzen, die
* Eine exemplarische Multisite-Untersuchung, an der über 700 Klienten mit chronischer Depression dem Klienten helfen, seinen Willen von Einengendem zu befreien. Es ist Ziel des The­
teilnahmen, zeigt deutlich, wie wichtig therapeutische Ansätze sind, die Klienten helfen, interperso­ rapeuten, den Klienten an einen Punkt zu führen, wo er eine, mehrere oder alle der
nale Fähigkeiten zu entwickeln und sich die persönliche Verantwortung für ihre interpersonalen Ak­ folgenden fundamentalen Prämissen akzeptiert:
tivitäten wieder anzueignen. Eine Grundannahme dieses psychotherapeutischen Modells, der Cogni­
tive Behavioral Analysis System Psychotherapy (CBASP), ist, dass chronische Depression mit dem
Verlust des Empfindens für »Ursache und Wirkung« im persönlichen Leben des Patienten in un­ 1 . Nur ich kann die Welt ändern, die ich mir geschaffen habe.
mittelbarem Zusammenhang steht. 2. In der Veränderung liegt keine Gefahr.

214 215
3. Um das zu erreichen, was ich w irklich w ill, muss ich mich änd ern. chen, verstärkt er seine Bemühungen, indem er de m Klienten hilft, sich dem Paradox
4. Ich kann m ich ändern, ich bin dazu in der Lage. zu stellen, dass er weiterhin gegen sein e fundamental en Interessen handelt. Auf die eine
od er andere Ar t muss der T herapeut fragen: »Warum bereiten Sie sich selbst immer
tier t wird, ein wieder Niederlagen?«
Jede dieser Prämissen kann, wenn sie vom Klienten vollständig akzep
eigen e Art Eine verbreitete Erklärung für dieses Warum ist die Annahme, den Willensentschei­
mächtiger Anreiz für w illentliches Handeln sein. Jede übt ihren Einfluss auf
pr ch n, ab r ich m ch damit n cht zu ver­ dungen des Klienten stünden gewaltige Hindernisse entgegen, die den Klienten davon
aus . Ich werde sie zwar nacheinander b es e e e ö te i

handel . J d Prämi kann, je abhielten, ernsthaft eine Veränderung seines Verhalt ens zu erwägen. Das Vorhanden­
steh en geb en, dass es sich um ein Muster der Abfolg
e t e e sse

n, unab äng g von d n sein des Hinderniss es wird im Allgemeinen nur v ermutet; der T herapeut macht eine
nach dem Bedürfnis des Klienten und dem Stil des T herapeute h i e
Als-ob-Annahme: »Sie benehm en sich, als ob Sie das Gefühl hätten, es sei sehr gefähr­
anderen wirksam werden.
lich, sich zu ändern. Sie fürchten sich, anders zu handeln, denn sonst könnte Sie ja ein
»Nur ich kann die Welt ändern, die ich mir geschaffen habe. « Unglück heimsuchen.« Der Therapeut hilft dem Klienten, die Natur der Gefahr, die er
ten wahrne h­ sich vorst ellt, zu klären, und geht dann dazu über, auf vielerlei Art und Weise die Rea­
Hinter der einfachen Sequenz in der Gruppentherapie ( das eigene Verhal
ein chätzen ), die ich lität dieser Gefahr infrage zu stellen.
men und seine Wirkung auf andere und auf einen selbst richtig s
n jed en Teil Man kann die Vernunft des Klienten als Verbündeten heranziehe n. Eine eingebilde­
beschrieben habe, steht ein großes übergreifendes Konzept, dessen Schat
te
zwar selten te Ge fahr zu identifizieren und zu nennen kann an sich schon dem Klienten verstehen
des therapeutischen Prozesses berührt. E s ist die Verantwortung. Sie wird
n das Geweb d r m st n psychot herapeu­ helfen, w ie weit seine Ängste von der Realität entfernt sind. Eine andere Methode be­
ausdrücklich er örtert, ist aber trotzdem i e e ei e

B d utungen - l gale, religiöse, steht darin, den Klienten in sorgfältig b emessenen Dosen zu ermut igen, die gefürchtete
tischen Syst eme eingefügt. Verantwortung hat viele e e e

dass ein Mensch »v ran wortl ich für« Handlungsweise in der Gruppe zu praktizieren. Das imaginierte Unglück tritt natürlich
ethische. Ich v erwende den Begriff in dem Sinn,
e t
r von« etwas nicht ein, und die Angst schwindet allmählich. D ieses Element ist oft entscheidend für
etwas ist, indem er »die Grundlage von«, die »Ursache von«, der »Urheb e
die Effek tivität einer Therapie. Wahr scheinlich ist Veränderung nicht mö glich, ge­
ist.
Ein besonders faszinierend er Aspekt der Gruppentherapie ist, dass jeder neu
geboren ��hweige denn von Dauer, wenn der Klient die direkte Widerlegung seiner pathogenen
Wort n: All M tgli der haben Uberzeugungen nicht persönlich erlebt. Bloße Einsicht reicht dazu wohl nicht aus.
wird, in der Gruppe und durch die Gruppe. Mit anderen e e i e

d r Th rap u t gut e Dieses Prinzip stellt die Vorgehensweis e verschiedener Therapierichtungen drastisch
gleiche Startbedingungen. Vor den Augen der anderen ( und wenn e e e

s ich in d er in Frage?). .71


Arbeit l eistet, auch in seinen eigenen Auge n) taucht jeder auf und schafft
es , verant­ Nehmen wir z. B. an, ein Klie nt vermeidet jedes aggressive Verhalten, w eil er zutiefst
Gruppe einen Lebensraum. J edes Mitglied ist, im tiefsten Sinne des Begriff
be- fürchtet, ein aufgestautes Reservoir an mörderischer Wut in sich zu haben, und ständig
wortlich für diesen Raum und für die Abfolge von Ereignissen, die ihm in der Gruppe
wachsam sein muss, damit er sie nicht loslässt und am Ende der Vergeltung von ande­
gegnen.
hat, ren ausgesetzt ist. Die angemessene therapeutische Strategie ist, dem Klienten zu hel­
Der Klient, der diese Verantwortung mit der Z eit richtig einzuschätzen gelernt
, fen, Aggression in de r Gruppe in geringen Dosen zum Ausdruck zu bringen: Ärger,
muss dann auch akzeptiere n, dass es keine Hoffnung auf Veränderung gib
t wenn er
erände­ wenn er unterbrochen wird; Gereiztheit gegenüber Mitgliedern, die gewohnheit smäßig
sich nicht selbst verändert. Andere k önnen keine Veränderung herbeiführen; V
t für n früh re und g g nwärtig e s Leben zu spät kommen; Wut auf den Therapeuten, weil er ihm Geld abverlangt, usw. Allmäh­
rung passiert auch nicht von allein. Jeder is sei e s e e

t v ran wortlic . lich wird dem Klienten dazu verholfen, sich offen mit den anderen Mitgliedern in Be­
in der Gruppe (wie in der Außenwelt) und für seine Zukunf e t h
in ziehung zu setzen und den Mythos von sich selbst als einem Menschen mit mörderi­
So hilft der Therapeut dem Klienten zu verstehen, dass die Welt der Beziehungen
ist. E g schen Neigungen abzuschaffen. Obwo hl hier Sprache und Anschauung von der Natur
einer im Allgemeinen vorhersehbaren und geordneten Weise eingerichtet
s eht

sich n ch ändern kann, ond rn darum, dass er sich nicht des Menschen and ers sind, ist dies derselbe Ansatz zur Veränd erung, wie er in der
nicht darum, dass der Klient i t s e
und de s­ systematischen D esensibilisierung zur Anwendung kommt - einer Haupttechnik der
ändern will, dass er die Verantwortung für die Erschaffung seiner Welt trägt
wi d r n Gefühl für e ne inter­ Verhaltenstherapie.
halb auch für ihre Verwandlung. D er Klient mu ss
e e ei s i

personale Wirksamkeit in der Welt entwickeln. » Um das zu erreichen, was ich wirklich will, muss ich mich ändern. «
»In der Veränderung liegt keine Gefahr. « Bei Klienten, die auf Verhaltensweisen beharren, die im Gegensatz zu ihren eigenen In­
teressen stehen, kann man ein en anderen, erklärenden Ansatz verwenden. Er be steht
Diese wohlmeinenden Bemühungen reichen nicht immer aus. Wenn der Therap eut
diesen Akkord immer wieder angeschlagen hat und dann feststellt, dass Klienten trotz darin, sich klarzumachen, welchen Gewinn die Klienten aus ihrem Verhalten ziehen.
dieser erhellenden Erklärungen immer noch k eine therap eutischen For tschrit te ma- Das Verhalten eines Klienten sabotiert zwar viele seiner reifen Bedürfnisse und Ziele,

217
216
Erklärung liefert ein System, mit dessen Hilfe wir die Ereignisse unseres Lebens in
zugle ich befriedigt es aber eine andere Gruppe von Bedürfnissen und Zielen. Mit anderen
ein zusammenhängendes und vorhersehbares Muster einbringen können. Wenn man
Worten, der Klient hat einander widerstreitende Motive , die nicht gleichzeitig be frie ­
etwas ben ennen und in eine Kausalfolge einordnen kann, hat man das Gefühl, es zu
digt werden können. Ein Klient kann z. B. wünschen, reife hete rosexuelle Bezie hungen
beherrschen. Unser Verhalten oder unse r inneres Erleben ist nicht länger erschreckend,
einzugehen; auf einer anderen, oft unbewussten Eb ene j edoch mag er wünschen, ge­
unvollkommen, unserer Steuerung entzogen; stattdessen verhalten wir uns (ode r ha­
päppelt und ständig gehätschelt zu werden, um nicht verlassen zu werden - was er sich
ben ein bestimmtes inneres Erlebnis), weil . .. Das »Weil« verschafft uns B eherrschung
als Strafe für seine Bestrebungen als Erwachsene r ausmalt - oder, um eine existenzielle
oder ein Gefühl der B eherrschung, das phänomenologisch der B eherrschung gleich­
Ausdrucksweise zu be nutzen, um vor der schre ckenerregenden Fre iheit des Erwach­
kommt. Es bietet uns Freiheit und S elbstwirksamkeit.;, Wenn wir uns von der Aus­
senseins geschützt zu werden. Natürlich kann der Klie nt nicht Be frie digung für seine
gangssituation, in der wir durch unbekannte Kräfte motiviert werden, in die Lage be ­
beiden Grupp en von Wünschen erlangen: Er kann keine erwachsene heterosexuelle
geben, jene Kräfte zu identifizieren und zu beherrschen, bewegen wir uns von e iner
B eziehung zu einer Frau herstellen, wenn er zugleich ( und noch viel lauter) sagt: »Sor­
passiven, reaktiven Haltung hin zu einer aktiven, handelnden, sich verändernden Hal­
ge für mich, b eschütze mich, pflege mich, lass mich ein Teil von dir se in.«
tung.
Es ist wichtig, dieses Paradox für den Klienten zu klären. Beispielsweise könnte man
Wenn wir diese Grundvoraussetzung akzeptieren, dass eine Hauptfunktion der Er­
sagen: »Ihr Verhalten bekommt ein en Sinn, wenn wir annehmen, dass Sie die tie feren,
klärung in der Psychotherapie darin besteht, dem Klienten ein Gefühl der persönlichen
früheren, primitiveren Bedürfnisse befriedigen möchten.« Wir versuchen, dem Klien­
ten verstehen zu helfen, welcher Art seine widersprüchlichen Wünsche sind, leiten ihn B eherrschung zu verschaffen, folgt daraus, dass der Wert einer Erklärung an diesem
Kriterium gemessen werden muss. In dem Grad, in dem sie ein Gefühl der Potenz ver­
an, zwischen ihnen zu wählen und auf die zu verzichten, die nur unter enormen Ver­
lusten für seine Integrität und Selbstständigkeit erfüllt werden können. Sobald der Kli­ mittelt, ist eine kausale Erklärung gültig, richtig oder »wahr«. Eine derartige Definition
ent erkennt, was er (als Erwachse ner) wirklich will und dass se in Verhalten darauf an­ von Wahrheit ist völlig relativistisch und pragmatisch. Sie argumentiert, kein Erklä­
rungssystem habe ein Vorrecht oder ausschließliche Rechte ; kein System sei das rich­
gele gt ist, e ntge gengesetzte, entwicklungshe mmende B e dürfnisse zu befriedigen,
tige, fundamentale oder das »tiefere« (und daher bessere).
kommt er allmählich zu dem Schluss: Um das zu erreichen, was ich wirklich will, muss
Therapeuten können dem Klienten mehrere aus einer Reihe von Deutungen anbie ­
ich mich ändern.
ten, um ein und dieselbe Frage zu klären; jede kann von einem ande ren B ezugssystem
»Ich kann mich ändern; ich bin dazu in der Lage. « a�s gegeben werden, und jede kann »wahr« sein. Freudianische, selbst-psychologische,
bmdungstheoretische, existenzielle, transaktionsanalytische, jungianische, gestaltthe­
Viell eicht der wichtigste therap eutische Ansatz zur Beantwortung der Frage »Warum
rapeutische , transpersonale , kognitive Erklärungen und solche, die sich auf interper­
handeln Sie gegen Ihr eige nes Interesse?« b esteht darin, eine Erklärung anzubieten. Der
sonale � bjektbeziehungen oder auf das Verhalten richten - sie alle können gleichzeitig
The rapeut sagt etwas im Sinne von: »Sie verhalten sich so und so, weil. . . «, und der
wahr sem. Obwohl nachdrücklich das Gegenteil behauptet wird, hat keine von ihnen
»Weil«-Satz betrifft im Allgemeinen Motivationsfaktoren, die dem Klienten nicht be­
allein das Recht auf Wahrheit. Sie beruhen schließlich alle auf imaginären, auf Als-ob­
wusst sind. Zwar bieten die beiden Möglichkeiten, die ich schon besprochen habe, auch
Strukturen. Sie sagen all e: »Sie verhalten sich (oder: Sie fühlen), als ob dies und jenes
eine Erklärung an, ab er - und dies werde ich gleich verdeutlichen - de r Zweck der Er­ _
wahr wäre.« Das Über-Ich, das Es, das Ich; die Archetypen; der männliche Protest; die
klärung ( die Art des Einflusses, der auf den Willen ausge übt wird) ist bei jedem die ser
internalisierten Obj ekte ; das Selbstobj ekt; das grandiose Selbst und das omnipotente
Ansätze ganz verschieden.
Obj ekt; das Ich nach Art der Eltern, nach Art des Kindes und das erwachsene Ich -
Was für eine Art von Erklärung bietet der Therapeut dem Klienten an? Und welche
nichts von alledem existiert wirklich. Das alles sind Fiktionen, psychologische Konstruk­
Erklärungen sind richtig, welche falsch? Welche gehen in die Tie fe ? Welche sind ober­
te, die um de r sprachliche n Handhabbarkeit willen g eschaffe n worden sind. Ihre
flächlich? Hier entstehen die großen metapsychologischen Streitigkeiten auf dem Fach­
Existenz ist nur durch ihre Erklärungskraft gerechtfertigt. 29
gebiet, da die Art der Erklärungen des Therap euten von de r ideologischen Schule ab­
Geb en wir darum unsere Versuche auf, genaue, wohldurchdachte D eutungen zu
hängig ist, der er sich zugehörig fühlt.
fi��en? Keineswegs! Wir erkennen nur den Zweck und die Funktion der Deutung.
Ich glaube, wir können den ideologischen Streit umgehen, indem wir die Funktion
Em1ge Deutungen mögen ande ren überlegen sein, nicht weil sie tiefer sind, sondern
der Deutung fest im Auge behalten, indem wir uns auf die Beziehung zwischen der Er­
weil sie stärker erklärend wirken, glaubwürdiger sind, eine größere Meisterschaft ver­
klärung und dem Endprodukt konzentrieren: Veränderung. Unser Ziel ist schließlich
mitteln und dahe r nützlicher sind. Offensichtlich müssen die De utungen auf den
Veränderung. Selbsterkenntnis, Aufhebung der Verdrängung, Analyse der Übertragung
Empfänger zugeschnitten sein. Im Allgemeinen sind therapeutische Interventionen
und Selbstverwirklichung - sie alle sind lohnende, aufgeklärte Ziele; sie alle sind ver­
wirksamer, wenn sie diesem verständlich sind, wenn sie logisch mit vernünftigen, un­
wandt mit Veränderung oder mit Vorstufen der Veränderung, und doch sind sie nicht
terstützenden Argumenten übereinstimmen, wenn sie durch empirische Beobachtung
dasselbe wie Veränderung.

219
218
bestätigt werden, wenn sie zum Bezugssystem eines Klienten passen, sich »richtig an­ setzung dafür geschaffen hat. Beispielsweise kann man einem Gruppenmitglied, das
fühlen«, sich irgendwie in das innere Erleben einfügen und wenn sie verallgemeinert sich vom Therapeuten bedroht fühlt oder diesem gegenüber starke Konkurrenzgefüh­
und auf viele ähnliche Situationen im Leben des Klienten angewendet werden kön- le hat, kaum durch irgendeine Deutung helfen (es sei denn, sie klärt die übertragung).
nen. Selbst eine noch so gut durchdachte Deutung versagt, weil der Klient sich aufgrund des
Deutungen höherer Ordnung bieten gewöhnlich dem Klienten eine neuartige Er- Beweises der überlegenen Scharfsicht des Therapeuten gedemütigt fühlt. Eine Deutung
klärung für irgendein übergreifendes Verhaltensmuster (im Gegensatz zur einzelnen wirkt nur dann optimal, wenn sie in einer Atmosphäre der Annahme und des Vertrau­
Eigenschaft oder Handlung) . Neuartig ist die Erklärung des Therapeuten aufgrund ens gegeben wird.
seines objektiven Blickwinkels und seines ungewöhnlichen Bezugssystems, das eine Manchmal akzeptiert ein Klient eine Deutung von einem anderen Gruppenmit­
originäre Synthese des Materials ermöglicht. Tatsächlich ist meist gerade das, was der glied, die er vom Therapeuten nicht annehmen würde. (Klienten sind natürlich fähig,
Klient übersehen hat oder was ihm nicht bewusst war, besonders erhellend. Deutungen zu geben, die ebenso nützlich sind wie die der Therapeuten, und Mitglie­
Inwieweit bin ich bereit, diese relativistische These zu verteidigen? Wenn ich Stu­ der sind empfänglich für diese Deutungen, vorausgesetzt, das andere Mitglied hat seine
denten diese Einstellung vortrage, reagieren sie mit Fragen wie: Bedeutet das, dass auch Klientenrolle angenommen und bietet nicht Deutungen an, um Ansehen, Macht oder eine
eine astrologische Erklärung in der Psychotherapie gültig ist? Solche Fragen sind mir Günstlingsstellung beim Gruppenleiter zu erlangen.)
unangenehm, aber ich muss bejahend antworten. Wenn eine astrologische oder scha­ Eine umfassende Darstellung der verschiedenen Arten von effektiven Deutungen
manistische oder magische Erklärung das Gefühl der Beherrschung verstärkt und zu würde es erforderlich machen, die riesige Zahl der deutenden Schulen und der Grup­
innerer, persönlicher Veränderung führt, dann ist sie eine brauchbare Erklärw1g. Die pentherapiemodelle zu beschreiben, eine Aufgabe, die den Rahmen dieses Buches bei
intrakulturelle psychiatrische Forschung liefert viele Beweise, die diese Einstellung un­ weitem sprengen würde.33 Drei ehrwürdige Begriffe sind jedoch so eng mit der Deu­
terstützen; die Erklärung muss mit den Wertvorstellungen und dem Bezugssystem der­ tung verknüpft, dass sie hier eine besondere Behandlung verdienen:
jenigen Gemeinschaft übereinstimmen, in der der Klient lebt. In den meisten primiti­
ven Kulturen ist oft nur die magische oder die religiöse Erklärung annehmbar - und 1. Die Nutzung der Vergangenheit
daher gültig und wirksam. 30 2. Kommentierung der Gruppe als Ganzes
Psychoanalytische Revisionisten bringen eine analoge Erklärung vor, indem sie ar­ 3. Übertragung
gumentieren, dass Versuche, durch Rekonstruktion die historische »Wahrheit« einzu­
fangen, vergebens seien; für den Prozess der Veränderung sei es weit wichtiger, plau­ Mit den ersten beiden genannten Punkten werde ich mich im weiteren Verlauf dieses
sible, bedeutungsvolle, persönliche Erzählungen zu entwerfen. 31 Die Vergangenheit ist Kapitels befassen. Die Übertragung spielt in so vielen Deutungssystemen eine Rolle
nicht statisch: Jeder erfahrene Therapeut weiß, dass der Prozess der Exploration und ( tatsächlich behauptet die traditionelle analytische Theorie, nur die übertragungsdeu­
des Verstehens die Erinnerung an die Vergangenheit verändert. Die neurobiologische tung könne wirksam sein), dass ich das ganze folgende Kapitel der Frage von Über­
Forschung hat uns darauf hingewiesen, dass wir jedesmal, wenn wir eine ältere Er­ tragung und Transparenz gewidmet habe.
innerung aktivieren, diese unserem aktuellen Kontext entsprechend automatisch ver­
ändern. Diese revidierte Erinnerung wird dann anstelle der ursprünglichen Erinne­ Die N utzung der Verga ngen heit
rung im Langzeitgedächtnis gespeichert.32
Selbst die eleganteste Deutung ist nutzlos, wenn der Klient sie nicht aufnimmt. Der Allzu oft wird Erklärung mit der Untersuchung der Ursprünge verwechselt. Obwohl,
Therapeut sollte sich bemühen, seine Erkenntnisse mit dem Klienten zu besprechen wie ich bereits erörtert habe, ein Erklärungssystem unter einer großen Zahl von Ge­
und die Erklärung deutlich vorzutragen. (Machen Sie sich nichts vor: Wenn Sie nicht sichtspunkten effektiv eine »Ursache« des Verhaltens erklären kann, glauben viele The­
kristallklar sein können, hat die Deutung wahrscheinlich keinen Bestand, oder Sie ver­ rapeuten weiterhin, dass die »wirklichen«, die »tiefsten« Ursachen des Verhaltens nur
stehen sie selbst nicht. Der Grund ist nicht, wie oft behauptet wurde, dass der Thera­ in der Vergangenheit gefunden werden können. Diese Position hat Freud unerschüt­
peut direkt zum Unbewussten des Klienten spricht.) terlich vertreten; er war ein überzeugter Psychosozial-Archäologe. Bis zum Ende seines
Erwarten Sie nicht, dass der Klient eine Deutung jedesmal annimmt. Manchmal Lebens gab er weder seine Suche nach der primordialen ( d. h. der frühesten) Erklärung
hört er dieselbe Deutung viele Male, bis sie eines Tages »ankommt«. Warum kommt sie auf noch sein zähes Beharren auf dem Grundsatz, dass erfolgreiche Therapie von der
an diesem Tag an? Vielleicht sind dem Klienten irgendwelche unterstützenden Einzel­ Freilegung der frühesten Schichten von Lebenserinnerungen abhängig ist. Die Vorstel­
heiten aus neuen Ereignissen in der Umgebung begegnet, oder sie sind in Fantasien lung, dass die Gegenwart nur ein kleiner Teil des menschlichen Lebens ist und dass das
oder Träumen aus früher unbewusstem Material aufgetaucht. Zu bedenken ist auch, Leben in der Gegenwart durch die gewaltigen Beiträge der Vergangenheit geformt
dass die Deutung erst verstanden wird, wenn die Beziehung zum Therapeuten die Voraus- wird, ist in starkem Maße in das Zeitverständnis der westlichen Welt eingebettet.34

220 221
m asochistischer sexueller Befried igung - sie war bei beiden tatsächlich der H a u pt­
Diese Sicht führt verständlicherweise zu einer B etonung der Vergangenh eit in traditi­
grund für die Therapie.) In einer Sitzung sprachen sie d i rekt ü ber die I n h a lte i h rer sexu­
onellen psychodynamischen Lehrbüchern der Gruppentherapie . Doch die mächtig
35 en

V rhalt n b ee in fluss e n, si n d keines­ ellen Fantasien, die m it dem Therapeuten zu tun hatten. Ellen stellte sich vor, i h r Ma n n
und unbewussten Faktoren, die das menschliche e e
e macht werde getötet; s i e sel bst h a be e i n e n psychotischen Zusa m me n bruch; d e r Therapeut
wegs auf die Vergangenheit beschränkt. Die zeitgenössische analytische Theori
enheit (dem Kind im Er­ bri nge sie i n die K l i n i k und pflege sie höchstpersön lich, wiege sie u nd sorge fü r all i h re
einen Unterschied zwische n dem Unbewussten der Vergang
unbe­ körperlichen Bed ü rfnisse. Bei Carol sahen die Fantasien a n ders aus. Sie fragte sich, ob
wachsenen) und dem Unbewussten der Gegenwa rt ( die gegenwärtig existierenden
, di u s r G e fühl e und Ha n dlung e n be ­ der Therapeut zu Ha use auch gut versorgt werde. Sie fa ntasierte hä ufig, seiner Fra u
wussten Gedanken, Fantasien und Impulse e n e e
och darl ge werd e , eb e nso wie passiere etwas, u nd d a n n würde sie fü r i h n sorgen, i ndem sie i h m das H aus putze und
einflussen). 36 üb erdies ist auch die Zukunft, wie ich n e n
t d s V rhalt e ns. das Essen koche.
die Vergangenheit und die Gegenwart, eine wichtige Determinan e e e
­ Die gemeinsame sexuelle Attra ktion (die, wie d ie Fantasien zeigen, n icht genital-sexu­
Die Vergange nheit kann unser Verhalten auf Wegen b eeinflussen, die von traditio
erntheoretiker n ausführlich b e ­ eller Art war) hatte fü r Ellen u nd Carol sehr u ntersch iedl iche E rkläru ngen. Der Thera­
nelle n psychoa nalytische n Th eoretikern und vo n L
). Das »Noch-n icht«, die Zukunft, ist j edoch peut erklärte E l len, sie h a be wä h re n d der gesa mten Zeit der G ru ppena rbeit h ä ufig
schrieben wurde ( eigenartige Bettgenossen
ns, und das Konzept des Zu­ u nter körperlichen Kra n kheiten oder psych ischen Rückfällen gel itten. E r frage sich, ob
eine nicht weniger mächtige D etermin ante des Verhalt
e
der sie a uf einer tieferen E bene viel leicht das Gefü h l ha be, sie kön ne seine Liebe und die
kunftsdeterminismus ist durchaus vertretbar. Zu allen Zeiten haben wir ein Gefühl
be n, der anderen Mitglieder n u r d u rch eine Art Sel bstaufopferung gewin nen. Wen n dies der
Zielstrebigkeit, e in idealisie rtes Selbst, eine Reihe von Zielen, nach denen wir str
e

wie unbewusste , schlagen Fa l l gewesen sei, h a be es n i e seinen Zweck erfü l lt. Vie l m e h r habe sie meist a n dere
einen Tod, dem wir un s n äh ern . All diese Faktoren, b ewusste
zuti fst u ser Verhalten . Und natürlich entm utigt und frustriert. Noch wichtiger sei die Tatsache, dass sie, sola nge sie sich so
einen Bogen in die Zukunft und b eeinfluss en e n
n ser verhalte und i m mer wieder schämen m ü sse, sich sel ber n icht l ieben kön ne. E r betonte,
wirkt das Wissen um unsere Isoliertheit auf unser Schicksa und unseren Tod, u
l
d n Möglich k iten es sei entscheidend fü r sie, i h r Verha ltens m u ster zu ä ndern, sonst würd e i h re Therapie
Verhalten und unser inneres Erleben zutiefst ein. Die erschrecken e e
ihren scheitern: Sie h a be Angst, ges ü nder z u werden, d e n n sie h a be das Gefüh l , das würd e
unserer Existenz üben, obwohl wir sie meist nicht wahrnehmen wollen, ständig
el en einen u nvermeidlichen Verlust von Liebe u n d Ante i l n a h m e mit sich bri ngen.
Einfluss auf uns aus. Entweder versuchen wir, sie abzutun, indem wir uns den vi
wir v rsuche , durch d e n Glaub en an ein I n dem, was er Ca rol sagte, stellte der Thera peut mehrere Aspekte i h res Verha ltens
Zerstreuungen des Lebens hingeben, oder e n
str b n nach symboli sch er nebeneina nder: i h re Sel bstherabsetzu ng, i h re Weigerung, i h re Rechte zu vertreten, i h re
Leben nach dem Tode den Tod zu b esiegen, oder aber wir e e
d Produkt kr a­ U nfä h igkeit, Männer fü r sich zu i nteressieren. I h re Fantasie, den Therapeuten zu ver­
Unsterblichkeit in Form von Kindern, materiellen Monumenten un en e
gibt sorgen , veranscha u l iche i h re Motive: Sie glaube, wen n sie sich gen ügend selbst auf­
tiven Ausdrucks. Zusätzlich zur Erklärungskraft von Vergangenheit und Zukunft
opferne, wen n es i h r gelänge, den Therapeuten tief in i h re Schu l d zu bringen, m üsse sie
es noch ein drittes zeitliches Konzept, das unser Verhalten zu erklären sucht: der gali­
g die Liebe bekommen, nach der sie sich so seh nte. Doch Carols Streben nach Liebe sei
leische Kausalitätsbegriff, der sich auf die Gegenwart konzentriert - auf die Wirkun
ebenso wie E l lens Bem ü h u ngen nie von Erfolg gekrönt gewesen. I h r ewiges Sich-Ein­
aktueller Feldkräfte .
schmeichel n, i h re Angst vor Sel bstbe h a u ptung, i h re ständige Sel bstentwertung fü h r­
Die Erklärung ergibt sich somit aus de r Untersuchung de r konzentrischen Ringe
n. ten n u r dazu, sie denen fade und geistlos erscheinen zu lassen, nach deren Beachtung
b ewusster und unb ewusster aktueller Motivationen , die unsere Klienten umgebe
s sie sich am meisten seh ne. Carol d rehe sich wie Ellen i n einem Teufe lskreis, den sie
Hierzu nur ein B eispiel: Klienten haben vielleicht das B edürfnis anzugreifen; dies e
schen, die sie nicht zum Ausdruc k brin­ sel bst geschaffen habe: Je weniger es ihr geli nge, Liebe z u bekom men, desto verzwei­
überdeckt eine Schicht von Abhängigkeitswü n

gen, um nicht abgewiesen zu werden. Wir brauchen sie nicht zu fragen, wie sie so abhän­
felter wiederhole sie dasselbe sel bstzerstörerische Muster - die einzige Verha ltenswei­
wer­ se, die sie ken ne u nd a u szuleben wage. Es wa r e i n in sich gesch lossener, sich sel bst
gig geworden sind. Tatsächlich spielt die Zukunft (die Erwartung, abgewiesen zu
verstä rkender u nd sel bstschäd igender Teufelskreis.
den) in der D eutung eine wichtigere Rolle. Während wir also durch den Weltraum
treiben, kann man sich uns ere verhaltensmäßige Flugbahn als dreifach beeinflusst vor­
Wir haben es hier also mit zwei Klientinnen mit einem ähnlichen Verhaltensmuster zu
stellen: von der Vergangenheit - der Art und Richtung des ursprünglichen Anstoßes;
tun : »sexuellem« Schwärmen für den Therapeuten . Doch der Therapeut bot zwei un ­
von der Zukunft - dem Ziel, dem wir zustreben; und von der Gegenwart - den aktuel­
terschiedliche Deutunge n an, in denen sich zwei dynamische Wege zum psychischen
len Feldkräften, die gegenwärtig darauf einwirken. I n diesem Zusammenhang möchte
Masochismus spiegelten. In beiden Fällen fasste er mehrere Aspekte des Verhaltens der
ich folgendes klinische B eispiel anführen:
Klientinnen in der Gruppe und Fantasiematerial zusammen, und er wies darauf hin,
Zwei K lientin nen, Ellen u nd Carol, brachten dem Gruppentherapeuten gege n ü ber star­ dass die anderen Verhaltensweisen nachvollziehbar würden, wenn man von gewissen
ke sexuelle Gefü hle z u m Ausdruck. (Beide Fra uen hatten übrigens eine Vorgeschichte Als-ob-Annahmen ausgeh e, beispielsweise dass Ellen so handle, als ob sie die Liebe des

223
222
Therapeuten nur erlangen könne, indem sie sich selbst als schwer geschädigt darstelle; Die Einbeziehung der Vergangenheit ist oft für die Lösung von Konflikten von un­
und dass Carol so handle, als könne sie seine Liebe nur bekommen, indem sie ihm schätzbarem Wert. Wenn beispielsweise zwei Gruppenmitglieder in einen scheinbar
Dienste leiste, die ihn in ihre Schuld brächten. unversöhnlichen Kampf verstrickt sind, wobei jeder irgendeinen Aspekt des anderen
Beide Deutungen waren wirksam und hatten einen bedeutenden Einfluss auf das abstoßend findet, kann oft ein vollständiges Verstehen des Entwicklungsprozesses,
zukünftige Verhalten. Aber in keinem Fall wurde die Frage gestellt: »Wie sind Sie so ge­ durch den jeder zu seinem besonderen Standpunkt gelangt ist, den Kampf wieder ver­
worden? Was ist in Ihrer Kindheit geschehen, dass so ein Muster entstanden ist?« Beide menschlichen. Ein Mensch mit königlichem Gebaren, das Arroganz und Herablassung
befassten sich stattdessen mit aktuellen Verhaltensmustern: der Sehnsucht nach Liebe, spüren lässt, kann plötzlich verstehbar, sogar gewinnend erscheinen, wenn man von
der Überzeugung, man könne sie nur auf gewisse Weise gewinnen, der Aufgabe der seinen Einwanderer-Eltern erfährt und von seinem verzweifelten Bemühen, die Er­
Selbstständigkeit, der darauf folgenden Beschämung, mit dem wiederum gesteigerten niedrigung einer Kindheit im Elendsviertel zu überwinden. Dem Einzelnen kommt es
Bedürfnis nach einem Zeichen der Liebe usw. zugute, wenn die anderen in der Gruppe ihn ganz kennen und ganz akzeptieren; den
Ein fast unüberwindbares Problem bei Erklärungen, die sich auf ferne Vergangen­ Werdegang eines anderen Menschen zu kennen, ist ein reicher und oft unentbehrlicher
heit beziehen, liegt darin, dass in ihnen ein Keim therapeutischer Resignation liegen Zusatz zur Kenntnis der Person.
muss. Daher das Paradox: Wenn wir völlig durch die Vergangenheit determiniert sind, Ein ahistorischer, auf das Hier und Jetzt gerichteter Interaktionsfokus ist niemals
woher kommt dann die Fähigkeit zur Veränderung? Aus Spätwerken wie Die endliche ganz erreichbar. Gespräche über Dinge in der Zukunft, die man fürchtet oder wünscht,
und die unendliche Analyse wird deutlich, dass Freuds kompromisslose deterministi­ und Gespräche über frühere und aktuelle Erlebnisse gehören untrennbar zum mensch­
sche Anschauung ihn zu diesem gordischen Knoten führte, aber nicht hindurch. lichen Leben. Wichtig ist in der Gruppentherapie die Akzentuierung. die Vergangenheit
Die Vergangenheit bestimmt außerdem die Gegenwart und die Zukunft nicht mehr, ist Diener, nicht Meister. Sie ist insofern wichtig, als sie die aktuelle Realität des Klien­
als sie umgekehrt von diesen bestimmt wird. Die reale Vergangenheit existiert für uns ten erklärt, die sich in der Beziehung zu den anderen Gruppenmitgliedern eröffnet.
nur, wie wir sie in der Gegenwart angesichts der Zukunft konstituieren. Jerome Frank Rycroft sagt dazu: »Es ist vernünftiger zu sagen, dass der Analytiker Ausflüge in die Ver­
erinnert uns, dass sich Klienten selbst in einer längeren Therapie nur einen winzigen gangenheit des Klienten macht, um etwas zu verstehen, das seine gegenwärtige Kom­
Bruchteil ihrer früheren Erlebnisse ins Gedächtnis zurückrufen; sie erinnern sich munikation mit ihm stört (in derselben Weise, wie ein Obersetzer sich der Entste­
manchmal selektiv und synthetisieren die Vergangenheit, um eine Übereinstimmung hungsgeschichte zuwendet, um einen unklaren Text zu klären), als zu sagen, er nehme
mit ihrer gegenwärtigen Ansicht von sich selbst herzustellen.37 Auf dieselbe Art, wie ein Kontakt mit dem Klienten auf, um Zugang zu biografischen Daten zu gewinnen.«39
Klient (als Folge der Therapie) sein Selbstbild ändert, kann er auch die Vergangenheit Will man die Vergangenheit in dieser Weise einbeziehen, braucht man eine anam­
wiederherstellen. Er kann sich zum Beispiel an lange vergessene positive Erfahrungen nestische Technik, die anders ist als die in der Einzeltherapie. Der Gruppentherapeut
mit Eltern erinnern; er kann sie menschlicher machen; anstatt sie solipsistisch zu er­ versucht nicht, einen sorgfältigen globalen historischen überblick zu gewinnen; er ver­
leben (als Gestalten, die kraft ihrer Dienste, die sie einem geleistet haben, existierten), sucht vielmehr von Zeit zu Zeit, einen bestimmten Sektor zu analysieren, um die Ent­
fängt er vielleicht an, sie als geplagte, wohlmeinende Menschen zu begreifen, die mit wicklung eines bestimmten interpersonalen Zustandes zu untersuchen. Deshalb blei­
denselben überwältigenden Problemen der menschlichen Existenz gekämpft haben, ben viele andere Aspekte der Vergangenheit eines Klienten in der Gruppentherapie
denen er sich selbst gegenübersieht. Sobald er seine eigene Vergangenheit rekonstruiert unbesprochen. Beispielsweise kommt es häufig vor, dass Gruppentherapeuten eine
hat, kann sie die Selbsteinschätzung beeinflussen; entscheidend ist jedoch die Re­ Therapie erfolgreich abschließen, ohne viele wichtige Aspekte der Kindheit des Klien­
konstruktion, nicht nur die Ausgrabung der Vergangenheit. Ich möchte auch auf ein ten zu kennen. Das Fehlen des ausdrücklichen Eingehens auf die Vergangenheit in der
anderes, verwandtes Untersuchungsergebnis hinweisen: Eine effektive Therapie führt fortlaufenden Therapiegruppe spiegelt nicht genau wider, welche Bedeutung die Ver­
zu einer erneuten Erinnerung an frühere Ereignisse, wodurch die Darstellung der gangenheit während der Therapie bei jedem einzelnen Klienten im Inneren bekommen
Vergangenheit im Gedächtnis ein weiteres Mal verändert wird.38 kann. Die starke Konzentration auf Unmittelbarkeit, auf das Hier und Jetzt hat natür­
Wenn Erklärungen nicht unter dem Gesichtspunkt des Ursprungs gesucht werden lich nicht letztendlich zum Ziel, zwischen den Gruppenmitgliedern dauerhafte Bezie­
sollen und wenn der wichtigste Brennpunkt der Gruppe das ahistorische Hier und hungen entstehen zu lassen. Vielmehr ist dies eine Art Generalprobe für die Arbeit, die
Jetzt ist, spielt dann die Vergangenheit im gruppentherapeutischen Prozess überhaupt der Klient mit seiner Familie und seinen Freunden - den tatsächlich wichtigen Men­
keine Rolle? Keineswegs! Die Vergangenheit ist in der Gruppe ständig zu Gast, und schen in seinem Leben - vollbringen muss.
noch präsenter ist sie im Laufe der Therapie in der Innenwelt jedes Gruppenmitglieds. Am Ende der Therapie berichten Klienten gewöhnlich von wesentlichen Besserun­
Nicht selten z. B. spielt eine Diskussion über die Vergangenheit eine wichtige Rolle bei gen der Einstellung in Beziehungen, die kaum jemals ausdrücklich in der Gruppe be­
der Entwicklung der Gruppenkohäsivität, indem sie das Verstehen und das Akzeptie­ sprochen worden sind. Viele davon betreffen Familienmitglieder, mit denen sie schon
ren unter den Mitgliedern fördert. eine sehr lange Beziehung haben. Die Vergangenheit spielt also im Prozess der Durch-

224 225
arbeitung eine Rolle, und der Therapeut sollte diese wichtige stillschweigende »Haus­ in der Zweierbeziehung. (Ein Faktor, der die Auswahl von Teilnehmern für die Grup­
arbeit« beachten. Es ist jedoch eine implizite Rolle. Die Gruppensitzung wiederholt pentherapie, wie in Kapitel 9 besprochen wird, durcheinanderbringt.) Man ist sich
dafür zu verwenden, um die Vergangenheit explizit zu erörtern, würde bedeuten, die auch weitgehend einig darüber, dass man das Verhalten eines Menschen nicht völlig
therapeutische Wirkung des Interaktionsbrennpunkts im Hier und Jetzt zu opfern. verstehen kann, wenn man den sozialen Kontext des Betreffenden und seine Um­
gebung nicht kennt. Zu klären bleibt jedoch die Frage, wie sich dieses Wissen im Laufe
Kom menta re z u m Prozess der Gru ppe a l s Ga nzes der Therapiegruppe am besten nutzen lässt. Die Untersuchung der Grundlagen des
Gesamtgruppenkommentars liefert hierzu einige Anhaltspunkte.
Einige Gruppenleiter konzentrieren sich in starkem Maße auf Phänomene der Ge­
samtgruppe. Die Betreffenden sprechen von der »Gruppe« von »uns« oder von »wir Die G ru n d lagen von Kom menta ren z u m Ges a mtgru ppenprozess
alle«. Sie versuchen, die Beziehung zwischen der Gruppe und ihrer primären Aufgabe
oder zwischen der »Gruppe« und dem Leiter oder einem Mitglied, einer Untergruppe, Gesamtgruppenphänomene beeinflussen den klinischen Verlauf der Gruppenarbeit in
dem Gruppenleiter, oder einem gemeinsamen Problem zu klären. Vergegenwärtigen zweifacher Hinsicht: Sie können im Dienste der Gruppe wirken, und sie können eine
wir uns für einen Moment das erste in diesem Kapitel dargestellte Beispiel, in dem ein effektive Gruppentherapie behindern. Wir haben bereits viele therapeutische Nut­
Gruppenmitglied ausrief: »Elternschaft ist erniedrigend!« In jener Situation hatte der zungsmöglichkeiten von Gesamtgruppenphänomenen besprochen: Z. B. viele der
Therapeut viele Möglichkeiten zu Prozesskommentaren, von denen einige die ganze wichtigsten therapeutischen Faktoren wie Kohäsivität - der Gruppengeist der gesam­
Gruppe betrafen. Er hätte zum Beispiel die Frage stellen können, ob die »Gruppe« ten Gruppe - stehen offensichtlich zu Gesamtgruppenmerkmalen in Bezug, und The­
einen Sündenbock brauche und ob Burt nun, da Kate fort sei, diese Rolle spiele; oder rapeuten machen sich tatsächlich Gesamtgruppenkräfte nutzbar, wenn sie die Ent­
ob die »Gruppe« aktiv einer wichtigen Frage ausweiche, d. h. ihren von Schuldgefühlen wicklung von Kohäsivität fördern. Daraus folgtjedoch nicht, dass der Leiter Kommentare
überlagerten Freuden und Ängsten bezüglich des Fortgangs von Kate. zur Gesamtgruppe machen muss.
In diesem ganzen Buch füge ich immer wieder Kommentare ein, die mit Phänome­ Gesamtgruppenkräfte, welche die T herapie behindern. Manchmal behindern Ge­
nen der Gesamtgruppe zu tun haben, z. B. die Ausbildung von Normen, die Rolle des samtgruppenprozesse die Therapie erheblich. In diesen Fällen müssen derartige Vor­
Abweichlers, das Sündenbockphänomen, die Gefühlsansteckung, den Rollendruck, die gänge kommentiert werden. Mit anderen Worten: Es gibt Situationen, in denen Kom­
Bildung von Untergruppen, Gruppenkohäsivität, Gruppendruck, die regressive Ab­ mentare zum Prozess der Gesamtgruppe notwendig sind. Mit anderen Worten: Der
hängigkeit, die durch Gruppenmitgliedschaft gefördert wird, die Reaktion der Gruppe Zweck eines Kommentars zum Geschehen in der Gesamtgruppe besteht darin, ein Hinder­
auf das Ende der Gruppenarbeit, auf die Einführung neuer Mitglieder, auf die Abwe­ nis zu beseitigen, das den Fortschritt der gesamten Gruppe aufhält. 4 1 Die beiden häu­
senheit des Gruppenleiters usw. Abgesehen von diesen verbreiteten Gruppenphänome­ figsten Arten von Hindernissen sind angstbesetzte Probleme und antitherapeutische
nen wurden in früheren Ausgaben dieses Buches einige umfassende, die Gruppe als Gruppennormen.
Ganzes betreffende Ansätze beschrieben, insbesondere die Arbeitsweise von Wilfred
Bion, welche die Psychologie von Gruppen und die unbewussten Kräfte, die eine effek­ Angstbesetzte Probleme
tive Funktionsweise der Gruppe beeinträchtigen, eingehend beschreibt.40 Sein Ansatz, Oft taucht ein Problem auf, das der Gruppe als so bedrohlich erscheint, dass ihre Mit­
der auch unter dem Namen Tavistock-Ansatz bekannt ist, spielt auch heute noch als glieder sich weigern, sich damit auseinanderzusetzen. Stattdessen reagieren sie aus­
Modell für das Verständnis von Gesamtgruppendyn amiken eine wichtige Rolle. Doch weichend. Dieses Vermeiden kann viele Formen annehmen, die man alle gewöhnlich
l
da dieser Ansatz auf der Rolle eines undurchschaubaren, distanzierten Gruppenleiters als Gruppenfucht bezeichnet - ein Rückzug von den normalen Funktionsweisen in­
beharrt, der als »Leiter« der Gruppe fungiert und sich in seiner aktiven Teilnahme am nerhalb der Gruppe. Es folgt ein Beispiel für die Flucht vor einem angstbesetzten
Geschehen auf Deutungen von Prozessen, welche die Gruppe als Ganzes betreffen, be­ Problem:
schränkt, wird der Tavistock-Ansatz in der gruppentherapeutischen Arbeit heute nicht
mehr genutzt. Hingegen werden sogenannte Tavistock-Konferenzen auch heute noch Bei der 25. Gruppensitzung waren sechs Mitglieder anwesend; ein M itglied, John, fehl­
benutzt, um Gruppenteilnehmer über das Wesen von Gruppenkräften, die Führungs­ te. Zum ersten Mal, u n d ohne vorher etwas gesagt zu h a ben, brachte Mary, e i n s der
rolle und Autorität benutzt. (Siehe hierzu www.yalom.com, wo Erläuterungen zu Bions Gruppe n m itglieder, i h ren Hund z u r Sitzung m it. Die gewöh n l ich lebhafte u nd a ktive
Leistungen aus der vierten Auflage dieses Buches wiedergegeben werden.) Gruppe wa r u ngewöh n lich gedä m pft und u n prod u ktiv. Was gesagt wurde, wa r ka u m
Dass die Gesamtgruppe betreffende Phänomene wichtig sind, steht völlig außer Frage. zu hören; wä h rend d e r ga nzen Sitzu n g wurden u n gefä h rl iche Themen besprochen,
Alle Gruppenleiter würden zustimmen, dass einer Gruppe Kräfte innewohnen, die das und zwar auf einem u n persön lichen N iveau, das einer geselligen Zusa m menkunft oder
Verhalten wesentlich beeinflussen; Menschen verhalten sich in einer Gruppe anders als einer Cockta ilpa rty angemessen gewesen wä re. E i n Großteil des Inhalts d rehte sich um

226 227
Studiergewohn heiten {drei der Mitglieder wa ren fortgesch rittene Studenten), u m Prü­ welcher sich wahrscheinlich den »anderen« ( den Beobachtern) enger verbunden fühl­
fu ngen u nd um Leh rer {besonders um ih re U n zuverlässigkeit u nd i h re Fehler). Au ßer­ te als den Gruppenmitgliedern?
dem sprach das »dienstä lteste« Gruppe n m itglied, das schon am längsten in der Gru p­ Trotz - oder vielmehr wegen - der Tragweite dieser schmerzlichen Gruppenproble­
pe wa r, ü ber frü here Teilnehmer, die schon vor la nger Zeit aus der Gru ppe ausgeschieden me lehnte es die Gruppe ab, sich der Sache zu stellen. Stattdessen legten die Mitglieder
waren - das Phänomen der »guten a lten Zeit«. Marys H u nd {eine jämmerl iche, ru he­ ein Fluchtverhalten an den Tag, das jetzt verständlich zu werden begann. Die Gruppe
lose Kreatur, die die meiste Zeit d a m it z u brachte, sich gerä uschvoll die Genita lien zu war einer äußeren Drohung ausgesetzt und schloss sich zu ihrem Schutz eng zusam­
lecken) wurde nicht erwä h nt. men. Man sprach leise über gefahrlose Themen, um die Drohung von außen ( die Be­
Sch ließlich brachte der Thera peut, in der Mei n u ng, er spreche fü r alle Gruppen m itgl ie­ obachter und damit auch den Therapeuten) an nichts teilhaben zu lassen. Der Thera­
der, das Gespräch auf die Tatsache, dass Ma ry i h ren Hund z u r Sitzung m itgebracht hat­ peut bekam keine Unterstützung, als er über das offensichtlich ablenkende Verhalten
te. Sehr zu r Überrasch u ng des Therapeuten wurde Ma ry - e i n höchst u n beliebtes, nar­ von Marys Hund diskutieren wollte. Die »gute alte Zeit« bezog sich auf die Sehnsucht
zisstisches Gruppe n m itglied - ei nsti m m ig verteid igt; jederm a n n leugnete, dass der nach vergangenen Sitzungen, in denen die Gruppe noch rein und naiv war und wo
H u nd i n i rgendei ner Weise ablenke, und damit nahmen die Teilnehmer dem protestie­ man dem Therapeuten noch trauen konnte. Die Diskussion über Prüfungen und un­
renden Therapeuten den Wind aus den Segeln. zuverlässige Lehrer war ebenfalls ein nur wenig verhüllter Ausdruck der Einstellung
zum Therapeuten.
Der Therapeut sah die ganze Sitzung als eine »Fluchtsitzung« an und gab entspre­ Die genaue Art und das Timing der Intervention ist weitgehend eine Frage des in­
chende Gruppendeutungen, mit denen wir uns gleich befassen werden. Aber zunächst: dividuellen Stils. Manche Therapeuten (auch ich) neigen zum Intervenieren, wenn sie
Woran erkennt man, dass eine solche Sitzung eine Flucht ist? Und eine Flucht wovor? spüren, dass die Gruppe auf der Flucht ist, auch wenn sie die Ursache noch nicht deut­
Zunächst müssen wir das Alter der Gruppe berücksichtigen. Bei einer jungen Gruppe, lich erkennen. Ich sage z.B., dass ich mich in Bezug auf die Sitzung verwirrt oder un­
die, sagen wir, zum dritten Mal zusammenkommt, kann eine solche Sitzung nicht eine behaglich fühle, und frage: »Gibt es etwas, worüber die Gruppe heute nicht spricht?«
Manifestation von Widerstand sein, sondern von Unsicherheit der Gruppe bei ihrer oder »Vermeidet die Gruppe heute irgendetwas?« oder »Ich habe das Gefühl, es gibt
Hauptaufgabe und ihren tastenden Versuchen, Verfahrensnormen aufzustellen. Doch heute eine >verborgene Tagesordnung<; könnten wir darüber reden?«
diese Gruppe war bereits viele Monate lang zusammengekommen und hatte ständig Ich kann meine Frage nachdrücklicher machen, indem ich die Gründe für meine
auf einer reiferen Ebene agiert. Schlussfolgerung nenne - z. B. das Flüstern, das Umschwenken auf neutrale Themen,
Dass die Gruppe sich in einem Fluchtmodus befindet, wird sehr deutlich, wenn wir die nicht interaktive, unpersönliche Kommunikation, mein Gefühl, von den anderen
die vorherige Gruppensitzung untersuchen. Bei dieser Sitzung war John, das Mitglied, abgewiesen oder im Stich gelassen worden zu sein, als ich die offensichtliche Ablen­
das bei der gerade erörterten Sitzung fehlte, zwanzig Minuten zu spät gekommen und kung durch den Hund erwähnte. Außerdem könnte ich sagen, dass die Gruppe jede
zufällig in dem Augenblick den Korridor entlanggegangen, als ein Student die Tür des Erörterung der vorigen Sitzung und der Abwesenheit Johns an diesem Tag merkwür­
angrenzenden Beobachtungsraums öffnete, um einzutreten. Ein paar Sekunden lang, digerweise vermeide. Auf die eine oder andere Weise müssen die Probleme der Gruppe
während die Tür offen stand, hörte John die Stimmen der anderen Gruppenmitglieder als Ganzes jedoch angesprochen werden, bevor irgendwelche sinnvolle Arbeit mit ein­
und sah ein ganzes Zimmer voller Beobachter, die der Gruppe zusahen; außerdem ki­ zelnen Gruppenmitgliedern fortgesetzt werden kann.
cherten die Beobachter zufällig gerade über irgendeinen eigenen Witz. Obwohl allen Wären wir in diesem konkreten klinischen Beispiel damit zufrieden, wenn es uns
Mitgliedern gesagt worden war, dass die Gruppe von Studenten beobachtet werde, gelungen wäre, die Gruppe dazu zu bringen, über wichtigeres persönliches Material zu
wurde John dennoch durch die respektlose Bestätigung schockiert. Als John in den sprechen? Nein! Es wäre mehr erforderlich: Die vermiedenen Fragen sind für die Exis­
letzten Minuten der Sitzung schließlich fähig war, mit den anderen Mitgliedern da­ tenz der Gruppe zu wichtig, als dass man sie unter der Oberfläche lassen könnte. Die­
rüber zu sprechen, waren sie ebenso niedergeschmettert. Wie ich bereits erwähnt habe, se Überlegung war bei dieser Gruppe besonders relevant, weil die Mitglieder ihre Be­
tauchte John in der nächsten Sitzung nicht auf. ziehung zu mir noch ungenügend erforscht hatten. Darum lenkte ich wiederholt die
Dieses Ereignis war für die gesamte Gruppe eine gewaltige Katastrophe - und wäre Aufmerksamkeit der Gruppe auf das Hauptproblem (ihr Vertrauen zu mir) und ver­
es zweifellos für jede Gruppe gewesen. Jedes Mitglied stellte sich insgeheim schwerwie­ suchte, mich nicht durch Ersatzhandlungen - zum Beispiel das Angebot der Gruppe,
gende Fragen. Konnte man dem Therapeuten überhaupt vertrauen? Lachte er viel­ ein anderes Thema zu erörtern, vielleicht sogar ein etwas »geladenes« - irreführen zu
leicht, wie seine Kollegen im Beobachtungsraum, heimlich über sie? War alles, was er lassen. Es war nicht nur meine Aufgabe, einfach den Widerstand zu umgehen, die
sagte, wirklich so gemeint? War die Gruppe, die man früher als zutiefst menschliche Gruppe wieder auf Bereiche der echten Arbeit zurückzulenken, sondern ich musste die
Begegnung empfunden hatte, in Wirklichkeit ein steriler, künstlich geschaffener Labo­ Mitglieder in die Ursache des Widerstands hineinstoßen - nicht um die Angst herum,
ratoriumsgegenstand, der leidenschaftslos von einem Therapeuten beobachtet wurde, sondern durch sie hindurch.

228 229
Ein weiterer Hinweis auf das Vorhandensein und die Stärke von Widerstand ist die seh r u ngl ücklich. Die Gesichtsmasken irritierten nicht n u r körperl ich, sondern verhin­
Reaktion der Gruppe auf den Kommentar des Therapeuten, der den Widerstand derten auch das Aufkommen von Gefü hlen der Nähe zu anderen Gruppenmitgliedern.
durchbrechen soll. Wenn die Kommentare des Therapeuten selbst bei Wiederholung Außerdem wa r den Teilnehmern kla r, dass die a l lgemein ä rge rl iche St i m m u ng in der
auf taube Ohren stoßen, wenn er das Gefühl hat, die Gruppe ignoriere ihn, wenn er es Gruppe ihr eigentliches Ziel verfeh lte; n u r wussten sie nicht, was sie mit i hren heftigen
äußerst schwierig findet, die Gruppe in dieser Sitzung zu beeinflussen, dann ist klar, Gefühlen stattdessen a nfangen sollten.
dass der Widerstand sehr groß ist und die »Gruppe« als Ganzes ebenso angesprochen Der Thera peut form u l ierte eine auf die Gruppe als Ga nzes bezogene Deutung: »Heute
werden muss wie die einzelnen Mitglieder. Das ist kein leichtes Unterfangen und in haben wi r es h ier m it einer Art Pa radox zu t u n : Es ist völlig klar, d ass Sie a l l e d iese
solchen Sitzungen kann es leicht passieren, dass der Therapeut sich seiner Fähigkeiten Gruppe sehr schätzen u nd dass Sie sich darü ber ä rgern, d ieses Erlebnis n icht gen ießen
beraubt fühlt. zu können. Doch a ndererseits bedroht der Ärger, den Sie empfi nden u nd zum Ausd ruck
Die Gruppe kann auch buchstäblich durch Flucht - durch Fehlen oder Zuspätkom­ bri ngen, die wa rmherzige u nd u nterstützende Gruppenatmosphä re, d ie Ihnen so wich­
men - die Arbeit vermeiden. Welche Form die Flucht auch annehmen mag, das Ergeb­ tig ist. « Auf diese Deutung d es Thera peuten hin folgte a l lgemei nes Kopfnicken, u nd
nis ist immer dasselbe: In der Sprache der Gruppendynamik heißt das, die Bewegung Ärger u nd Zwietracht verschwa nden schon bald .
in Richtung auf die Gruppenziele wird behindert, und die Gruppe befasst sich nicht
mehr mit ihrer primären Aufgabe. Antitherapeutische Gruppennormen
Nicht selten wird das Problem, das den Widerstand ausgelöst hat, in verschlüsselter Eine andere Art von Gruppenhindernis, das eine Deutung für die Gesamtgruppe recht­
Form besprochen. Ich habe erlebt, dass Gruppen sich mit ihrem Unbehagen über au­ fertigt, ist dann gegeben, wenn die Gruppe antitherapeutische Gruppennormen ent­
ßenstehende Beobachter metaphorisch auseinandersetzten, indem sie lang und breit wickelt. Sie kann zum Beispiel eine Methode der »Reihum-Stellungnahmen« (taking
über andere Arten von Vertrauensbrüchen diskutierten: Sie können sich etwa in ein turns) einführen, bei der in jeder Sitzung ein Mitglied nach dem anderen an die Reihe
langes Gespräch über andere Arten des Vertrauensbruchs stürzen: zum Beispiel über kommt. Diese sind zwar ein naheliegendes und bequemes Verfahren, aber andererseits
öffentlichen Aushang von Zensuren oder über Familienmitglieder, die die Briefe der nicht wünschenswert, weil sie die freie Interaktion im Hier und Jetzt in den Hinter­
anderen öffnen, oder über nicht datengeschützte Bankcomputer. Unbehagen über die grund drängt. Außerdem werden Gruppenmitglieder oft zu verfrühter Selbstoffenba­
Abwesenheit des Therapeuten kann Gespräche über elterliche Unnahbarkeit oder Tod rung gezwungen, und wenn sie an die Reihe kommen, kann es sein, dass sie extrem
oder Krankheit auslösen. Im Allgemeinen kann der Therapeut etwas darüber erfahren, ängstlich werden oder sogar beschließen, die Therapie zu beenden. Eine Gruppe kann
wogegen sich der Widerstand richtet, indem er sich fragt: »Warum wird über dieses auch ein Schema entwickeln, nach dem die ganze Sitzung dem ersten Problem gewid­
Thema gesprochen, und warum jetzt?« met wird, das jeweils aufgebracht wird; gegen einen Themawechsel werden starke un­
Ein Erlebnis in einer Therapiegruppe auf dem Höhepunkt der SARS-Epidemie (Se­ sichtbare Schranken errichtet. Oder man orientiert sich an dem Motto »Wer hat noch
vere Acute Respiratory Syndrome) im Jahre 2003 kann uns dies veranschaulichen. mehr zu bieten?«, wobei die Mitglieder sich in eine Orgie der Selbstoffenbarung hi­
neinsteigern. Oder die Gruppe entwickelt ein Muster der festen Geschlossenheit, wo
Eine Gru ppe i n einem Tei l hospita lisieru ngsprogra m m fü r depressive Senioren wu rde Neuankömmlinge nicht willkommen sind und Außenseiter ausgeschlossen werden.
mehrere Wochen lang a bgesagt, bevor sie schl ießl ich wieder stattfi nden sollte.jedoch Um in solchen Fällen effektiv zu intervenieren, müssen Therapeuten möglicherwei­
m it der Auflage, dass a l l e Tei l nehmer u n bequeme u nd drückende Gesichtsmasken trü­ se eine auf die Gruppe als Ganzes bezogene Deutung formulieren, in welcher der Pro­
ge n (um de n zum betreffenden Zeitpunkt verschärften 'Em pfe h l u nge n zur I nfektions­ zess und die destruktiven Wirkungen des »Reihum«-Verfahrens auf die einzelnen Mit­
vermeid u ng Genüge zu tu n), du rch welche die nonverbale Kom m u n i kation n icht meh r glieder oder auf die gesamte Gruppe klar beschrieben werden und erklärt wird, dass es
genau zu erken nen wa r. I n der Sitz u ng hä uften sich u ngewöh nlich fei ndselige Bemer­ zu dieser Art, eine Sitzung zu beginnen, durchaus sinnvolle Alternativen gibt.
k u ngen ü ber Deprivationsempfi nd u nge n : ü ber d ie Lieblosigkeit de r erwachsenen Oft überspringt eine Gruppe im Verlauf ihrer Entwicklung gewisse wichtige Phasen
Kinder, die U nfä h igkeit von Vertretern des staatlichen Gesund heitssystems, d ie Ver­ oder nimmt bestimmte Normen niemals in ihre Kommunikation auf. Eine Gruppe
nachlässigu ng d u rch n icht erreichba re Thera peuten. Schon ba ld bega n nen d ie Grup­ kann sich z. B. entwickeln, ohne jemals eine Periode durchzumachen, in der sie den
pen mitglieder, einander anzugreifen, u nd die Gruppe wirkte, als stehe sie kurz vor dem Therapeuten herausfordert oder ihn angreift. Eine Gruppe kann sich auch ohne jede
Zerfa ll. Uneinigkeit unter den Gruppenmitgliedern, ohne Statuskämpfe oder Kämpfe um
Der Thera peut, der ebenfa lls m it der hinderl ichen Gesichtsmaske kämpfte, bat u m eine Herrschaft entwickeln. Wieder eine andere Gruppe kann über lange Zeit zusammen­
»Prozessprüfu ng« : Er forderte d ie Gruppe auf, einen Augenbl ick i n nezuhalten u nd da­ treffen, ohne dass auch nur eine Spur echter Nähe zwischen ihren Mitgliedern entsteht.
rü ber nachzudenken, was i n der la ufenden Sitzu ng bisher geschehen wa r. Alle G rup­ Ein solches Vermeidungsverhalten ist das kollaborative Resultat dessen, dass die Grup­
pen m itglieder wa ren ü ber die Auswirkungen der SARS-Krise auf i h re G ruppe einhellig penmitglieder implizit Normen entwickeln, die dieses Vermeiden vorschreiben.

230 231
Wenn der Therapeut spürt, dass die Gruppe ihren Mitgliedern eine einseitige oder
unvollständige Erfahrung verschafft, kann er den Fortschritt der Gruppe oft fördern,
indem er über den Aspekt des Gruppenlebens spricht, der in dieser Gruppe fehlt. (Bei
einer solchen Intervention geht der Therapeut natürlich davon aus, dass es regelmäßig Ka pite l 7
auftretende, vorhersagbare Phasen geringer Weiterentwicklung in der Gruppe gibt, mit
denen er vertraut ist - ein Thema, über das ich in Kapitel 1 1 sprechen werde.)

Die Wahl des richtigen Zeitpunkts für Gruppeninterventionen Der Th e ra pe ut: Ü be rtragu n g u nd Tra n s pa re n z
Aus didaktischen Gründen habe ich interpersonale Phänomene und Gesamtgruppen­
phänomene erörtert, als ließen sie sich gut voneinander unterscheiden. In der Realität Nachdem ich die Mechanismen der therapeutischen Veränderung in der Gruppenthe­
überschneiden sie einander natürlich oft, und der Therapeut steht vor der Frage, wann rapie, die Aufgaben des Therapeuten und die Techniken, mit denen er diese Aufgaben
er die interpersonalen Aspekte der Transaktion und wann er die Gesamtgruppen­ bewältigt, besprochen habe, werde ich mich in diesem Kapitel von dem, was der The­
aspekte betonen soll. Dies ist eine Frage des klinischen Urteilsvermögens, und es gibt rapeut in der Gruppe tun muss, abwenden und mich dem zuwenden, wie er sein muss.
dafür keine klaren Vorschriften. Wie in jeder Art von Therapie entwickelt sich das Ur­ Spielen Sie als Therapeut eine Rolle? Wie weit sind Sie frei, Sie selbst zu sein? Wie »ehr­
teilsvermögen aus Erfahrung (besonders Erfahrung unter anleitender Aufsicht) und lich« können Sie sein? Wie viel Transparenz können Sie sich selbst zugestehen?
Intuition. Wie Melanie Klein sagte: »Es ist eine höchst kostbare Qualität eines Analyti­ Jede Diskussion um die Freiheit des Therapeuten sollte mit der Übertragung begin­
kers, wenn er fähig ist, in jedem Augenblick den dringlichsten Punkt aufzugreifen. «42 nen, die entweder ein wirksames therapeutisches Werkzeug sein kann oder eine Fessel,
Der Punkt der größten Dringlichkeit ist in der Gruppentherapie noch viel schwerer die einen bei jeder Bewegung hemmt. In seiner ersten und außerordentlich weit­
zu fassen als in der Einzelbehandlung. In der Regel jedoch hat ein Problem, das für die blickenden Abhandlung über Psychotherapie ( dem Schlusskapitel der Studien über Hy­
Existenz oder die Funktionsfähigkeit der ganzen Gruppe entscheidend ist, gegenüber sterie, 1895) hat Freud mehrere mögliche Behinderungen der Bildung einer guten Ar­
einem engeren interpersonalen Problem immer Vorrang. Zur Veranschaulichung kehren beitsbeziehung zwischen Klient und Therapeut aufgeführt. 1 Die meisten von ihnen
wir zu der Gruppe zurück, die sich in Flüstern, Erörterung neutraler Themen und an­ waren einfach zu beseitigen, aber eine stammte aus tieferen Quellen und widerstand
deren Formen der Gruppenflucht erging, nachdem bei der vorhergehenden Sitzung der Bemühung, sie aus der therapeutischen Arbeit zu verbannen. Freud nannte dieses
ein Gruppenmitglied zufällig die taktlosen Beobachter der Gruppe entdeckt hatte. Bei Hindernis Übertragung, da es aus Einstellungen zum Therapeuten bestand, von denen
der Sitzung, von der hier die Rede ist, hatte Mary, die in der vorhergegangenen Sitzung er glaubte, sie seien von früheren Einstellungen zu wichtigen Gestalten im Leben des
gefehlt hatte, ihren Hund mitgebracht. Unter normalen Umständen wäre diese Hand­ Klienten »übertragen« worden. Diese Gefühle gegenüber dem Therapeuten waren »fal­
lung natürlich zu einem wichtigen Gruppenproblem geworden: Mary hatte weder den sche Verbindungen«, Neuauflagen alter Impulse.
Therapeuten noch andere Gruppenmitglieder informiert, dass sie vorhatte, einen Schon bald erkannte Freud, dass die Übertragung die Therapie keineswegs behin­
Hund mit in die Gruppe zu bringen; sie war wegen ihres ausgeprägten Narzissmus ein derte. Vielmehr konnte sie, richtig genutzt, zum wirksamsten Werkzeug des Therapeu­
unbeliebtes Gruppenmitglied, und ihre Handlungsweise war bezeichnend für ihre Un­ ten werden. 2 Wie konnte man dem Klienten besser helfen, die Vergangenheit wieder
sensibilität gegenüber anderen. In der besprochenen Sitzung gab es jedoch ein viel einzufangen, als ihm die Möglichkeit zu bieten, alte Gefühle gegenüber den Eltern
dringlicheres Problem - ein Problem, das die ganze Gruppe bedrohte -, und über den durch die aktuelle Beziehung zum Therapeuten wiederzuerleben und zu reaktivieren?
Hund wurde nicht unter dem Aspekt gesprochen, wie durch ihn Marys interpersonales Außerdem war die intensive und konfliktträchtige Beziehung, die der Klient oft zum
Lernen gefördert werden könnte, sondern er wurde von der Gruppe bei ihrer Flucht Therapeuten entwickelt und die Freud als Übertragungsneurose bezeichnete, der Rea­
benutzt. Erst später, nachdem das Hindernis für den Fortschritt der Gruppe durchge­ litätsprüfung zugänglich; der Therapeut konnte sie behandeln und damit gleichzeitig
arbeitet und beseitigt worden war, kehrten die Mitglieder zu einer sinnvollen Betrach­ auch den Kindheitskonflikt. Obgleich einige dieser Begriffe als überholt erscheinen
tung ihrer Gefühle bezüglich der Tatsache zurück, dass Mary den Hund mitgebracht mögen, erkennen viele der heute aktuellen psychotherapeutischen Ansätze einschließ­
hatte. lich desjenigen der kognitiven Therapie ein Konzept an, das dem der Übertragung
Zusammenfassend können wir feststellen, dass Kräfte, die sich in der Gruppe als ähnelt, das sie jedoch als das »Schema« des Klienten bezeichnen.3
Ganzem manifestieren, in einer Therapiegruppe ständig wirksam sind. Der Therapeut Obgleich sich die psychoanalytische Technik in den letzten 50 Jahren beträchtlich
muss sich über ihre Existenz im Klaren sein, um die Gruppenkräfte für die Therapie zu weiterentwickelt hat, sind bis vor Kurzem gewisse Grundprinzipien bezüglich der Rol­
nutzen und um ihnen entgegenzutreten, wenn sie die Therapie behindern. 71 le der Übertragung in der psychoanalytischen Therapie relativ unverändert ge­
blieben:4

232 233
1. Die Übertragungsdeutung ist die wichtigste behandlungstechnische Aufgabe des des Therapeuten in der Therapie eine aufschlussreiche Quelle für Informationen über
Therapeuten. den Klienten. Wie man von diesen Informationen auf intelligente Weise nutzen kann,
2. Weil die Entwicklung (und später die Auflösung) der Übertragung von entschei­ wird in Kürze erläutert werden. Nur wenige würden die Wichtigkeit der Entwicklung,
dender Wichtigkeit ist, muss der Therapeut darauf achten, sie zu fördern, indem er Anerkennung und Auflösung der Übertragung in der dynamisch orientierten Therapie
undurchschaubar bleibt, sodass der Klient den Therapeuten mit übertragenen Ge­ bestreiten.'
fühlen und Einstellungen bekleiden kann, ähnlich wie man vielleicht ein Manne­ Psychoanalytiker sind sich bezüglich dessen, in welchem Maße Offenbarungen des
quin nach eigenem Belieben anziehen würde. (Dies ist die wissenschaftliche Be­ Therapeuten zulässig seien, uneins - wobei das Spektrum der Auffassungen von weit­
gründung dafür, dass der Analytiker die Funktion eines »leeren Spiegels« überneh­ reichenden Offenbarungen9 bis hin zu völliger Undurchschaubarkeit 10 reicht. Einig
men soll - eine Rolle, die heutzutage auch bei Traditionalisten unter den Analytikern sind sie sich allem Anschein nach darüber, dass Übertragung »unangemessen, stark,
kaum noch wahrgenommen wird. ambivalent, unberechenbar und hartnäckig« 1 1 ist, und darüber, dass die Übertragung
3. Die wichtigste Art der Deutung, die der Therapeut geben kann, ist diejenige, die und ihre Deutung in der analytischen Behandlung von zentraler Bedeutung ist. Unter­
einen Aspekt der Übertragung klärt. (In der Anfangszeit der Psychoanalyse hat schiedliche Auffassungen der verschiedenen analytischen Schulen scheinen sich auf die
James Strachey die Übertragungsdeutung als »mutative Deutung« bezeichnet.) Frage zu beschränken, ob die übertragung alles ist oder fast alles. 12
In der Gruppentherapie ist nicht die Zentralität der übertragungsarbeit die ent­
In den letzten Jahrzehnten jedoch haben viele Analytiker ihre Grundannahmen deut­ scheidende Frage, sondern die Priorität dieser Arbeit verglichen mit anderen therapeu­
lich verändert, da ihnen klar wurde, wie wichtig andere Faktoren im therapeutischen tischen Faktoren im Behandlungsprozess. Der Therapeut kann sich nicht ausschließ­
Prozess sind. Beispielsweise nahm Judd Marmor, ein bekannter amerikanischer Ana­ lich auf die Übertragung konzentrieren und gleichzeitig den vielfältigen Aufgaben ge­
lytiker, diese Entwicklung in einem Artikel, den er 1 973 schrieb, vorweg, in dem er recht werden, die er erfüllen muss, um die Gruppe in die Lage zu versetzen, die für den
schrieb: »Im Allgemeinen haben die Psychoanalytiker begonnen, sich freier in aktive Gruppenprozess wichtigen therapeutischen Faktoren zu nutzen.
Kommunikation mit Klienten zu begeben, anstatt sich weiterhin an das Modell des Der Unterschied zwischen Gruppentherapeuten, die die Auflösung der Übertra­
>neutralen Spiegels< mit seinem relativen Schweigen und seiner Unbeweglichkeit ge­ gung zwischen dem Klienten und dem Therapeuten als den überragenden therapeuti­
bunden zu fühlen.« 5 In neuerer Zeit hat Stephen Mitchell, einer der wichtigsten Be­ schen Faktor13 ansehen, und jenen, die dem interpersonalen Lernen, das sich aus Be­
fürworter eines relationalen Ansatzes in der Psychoanalyse, geäußert: ziehungen zwischen Gruppenmitgliedern und aus anderen therapeutischen Faktoren
ergibt, eine ebenso große Bedeutung zuschreiben, ist mehr als theoretisch: praktisch
Bei vielen Patienten geht man heute davon a us, dass sie nicht u nter konflikthaften resultieren daraus ausgeprägte behandlungstechnische Unterschiede. Die folgenden
infantilen Triebregungen leiden, die sich mithilfe von Erkennen und Verstehen trans­ zwei Kurzdarstellungen aus einer Gruppe, die von einem orthodoxen britischen Ana­
formieren lassen, sondern dass es u m Hem m u ngen der persönlichen E ntwickl ung lytiker geleitet wurde, der nur Übertragungsdeutungen gab, veranschaulichen dies:
geht. Mängel in der elterlichen Betreuung während der ersten Lebensjahre werden für
Beeinträchtigu ngen i n der Hera usbildung eines vollstä ndig zentrierten, integrierten In der 20. Gruppensitzung sprachen die Mitglieder sehr ausfü hrlich über die Tatsache,
Selbstempfindens, der Subjektivität des Patienten, verantwortlich gemacht. Demnach dass sie untereinander ihre Vornamen nicht kannten. Dann wandten sie sich dem all­
braucht der Patient weniger Klärung oder Einsicht als vielmehr das anhaltende Erleb­ gemeinen Problem der Nähe zu; sie sprachen zum Beispiel darüber, wie schwierig es
nis, gesehen zu werden, persönlich angesprochen u nd ganz generell geschätzt und
* In der psychoanalytischen Literatur gibt es unterschiedliche Definitionen der Übertragung (siehe C.
u msorgt zu werden.6
Rycroft, Critical Dictionary ofPsychoanalysis [New York: Basis Books, 1 968], und J. Sandler, G. Dave
und A. Holder, »Basic Psychoanalytic Concepts: III. Transference«, British Journal of Psychiatry 1 16
Mitchell und viele andere vertreten die Auffassung, dass der »heilende« Faktor sowohl [ 1970]: 667-672). Die strengere Definition von übertragung lautet: Geisteszustand, in dem sich der
in der Einzel- als auch in der Gruppentherapie die Beziehung ist, die dem Therapeuten Klient gegenüber dem Therapeuten befindet; entsteht durch die Verschiebung von Gefühlen, Vorstel­
lungen usw., die von früheren Gestalten im Leben des Klienten herrühren, auf den Therapeuten. Nach
authentisches Engagement und empathische Einführung in die inneren emotionalen der Meinung anderer Psychoanalytiker bezieht sich Übertragung nicht nur auf die Beziehung zwi­
und subjektiven Erlebnisse des Klienten abfordert. 71 7 Diese neue Hervorhebung des schen Analytiker und Analysand, sondern auch auf andere interpersonale Situationen. Im momen­
Wesens der Beziehung lässt erkennen, dass die Psychotherapie dabei ist, ihren Fokus tanen Rahmen und an anderen Stellen in diesem Buch benutze ich den Ausdruck Übertragung in
von einer Einpersonenpsychologie (welche die Pathologie des Klienten in den Vorder­ einem freieren Sinne, um auf die irrationalen Aspekte jeder Beziehung zwischen zwei Menschen hin­
zuweisen. In ihren klinischen Manifestationen entspricht die Übertragung Sullivans Begriff der »pa­
grund stellt) hin zu einer Zweipersonenpsychologie ( die das gegenseitige Aufeinander­ rataxischen Verzerrung«. Ich werde noch darauf eingehen, dass die übertragung neben der simplen
Einwirken von Therapeut und Klient und die gemeinsame Verantwortung für die Be­ Verschiebung von Gefühlen von einem früheren auf ein aktuelles Objekt auch noch andere Ursachen
ziehung hervorhebt) zu verlagern. 71 8 Diesem Modell gemäß ist das emotionale Erleben haben kann.

234 235
h e ute sei, Leute zu treffen u n d wi rklich kennenzulernen. Wie schließt m a n eine wirk­ In diesem Kapitel möchte ich bezüglich der Übertragung folgende Punkte er­
lich enge Fre u ndschaft? N u n hatte zwe i m a l wä h rend d i eser Diskussion ein Gru ppen­ läutern:
m itgl ied sich i m Nachnamen ei nes anderen getä u scht oder i h n vergessen. Dara u s
machte d e r Gruppen leiter e i n e Ü bertragungsdeutung: Indem s i e die Namen d e r a nde­ 1. Übertragung kommt in Therapiegruppen tatsächlich vor; sie ist allgegenwärtig und
ren vergä ßen, d rückten die Mitglieder den Wunsch aus, a l le anderen G ru ppenm itglie­ beeinflusst die Natur des Gruppengesprächs.
der sollten verschwinden, sodass jeder die Aufmerksamkeit des Therapeuten ganz a l ­ 2. Ohne eine richtige Einschätzung der Übertragung und ihrer Manifestationen kann
l e i n fü r s i c h h a ben kön nte. der Therapeut den Gruppenprozess oft nicht völlig verstehen.
3. Der Therapeut, der die Übertragung außer Acht lässt, läuft Gefahr, manche Trans­
In einer anderen Sitzu n g fehlten zwei m ä n n l iche Gruppe n m itglieder, u n d vier weib­ aktionen völlig misszuverstehen und die Gruppenmitglieder eher zu verwirren als
liche Mitglieder kritisierten den einzigen anwesenden Mann, einen Homosexuellen, zu führen; der Therapeut, der nur den Übertragungsaspekt der Beziehungen zu den
heftig wegen seiner Distanziertheit und seines Narzissm us, der jedes I nteresse a m Le­ Gruppenmitgliedern sieht, setzt sich möglicherweise nicht authentisch zu ihnen in
ben oder an den Problemen anderer a u sschließe. Der Therapeut verm utete, die Frauen Beziehung.
griffen den m ä n n lichen K lienten an, weil er sie n icht sexuell begeh re. A u ßerdem sei er 4. Bei einigen Klienten ist die Therapie von der Auflösung der Übertragungsverzer­
eine n u r indire kte Zielscheibe; i n Wirklichkeit wol lten die Frauen den Therapeuten a n ­ rung abhängig; bei anderen hängt die Besserung vom interpersonalen Lernen ab,
greifen, weil er s i c h weigert, s i c h sexuell m it i h nen zu befassen. das nicht in der Arbeit mit dem Therapeuten, sondern in der mit anderen Mitglie­
dern erfolgt; es geht dabei um Probleme wie Konkurrenz, Ausbeutung oder Kon­
In beiden Fällen widmete der Therapeut sich den Daten selektiv und gab unter dem flikte, die Sexualität oder Nähe betreffen. Viele Klienten wählen sich in der Gruppe
Gesichtspunkt seiner speziellen Auffassung vom wichtigsten therapeutische Faktor - einen anderen therapeutischen Weg und haben ihren Hauptnutzen von ganz ande­
der Lösung der Übertragung - eine Deutung, die pragmatisch richtig war, da sie die ren therapeutischen Faktoren.
Aufmerksamkeit der Gruppenmitglieder auf ihre Beziehung zum Leiter konzentrierte. 5. An Übertragungsverzerrungen zwischen Gruppenmitgliedern kann ebenso effektiv
Jedoch sind diese auf den Therapeuten zentrierten Deutungen meiner Ansicht nach gearbeitet werden wie an Übertragungsreaktionen dem Therapeuten gegenüber -
unvollständig, da sie die Realität der Beziehungen unter den Mitgliedern verleugnen. und vielleicht sogar noch effektiver. 1 5
In dem ersten Beispiel waren die Mitglieder, zusätzlich zu ihrem Wunsch, die Aufmerk­ 6. Nicht alle Einstellungen zum Therapeuten beruhen auf Übertragung: Viele grün­
samkeit des Therapeuten für sich allein zu haben, ziemlich stark miteinander in Kon­ den in der Realität, und die Übrigen entspringen gewissen Quellen der Irrationali­
flikte verstrickt, die sich auf Nähe und auf ihre Wünsche und Ängste vor dem Umgang tät, die der Gruppendynan1ik eigen sind. (Schon Freud erkannte, dass sich nicht alle
miteinander bezogen. Im zweiten Fall war der männliche Klient in seiner Beziehung zu Gruppenphänomene aufgrund der Individualpsychologie erklären lassen.)16
den anderen Gruppenmitgliedern tatsächlich ichbezogen und distanziert gewesen, und 7. Diese irrationalen Haltungen Ihnen gegenüber nutzen Sie therapeutisch am besten,
es war äußerst wichtig für ihn, sein Verhalten zu erkennen und zu verstehen. wenn Sie flexibel bleiben, ohne Ihre vielen anderen Funktionen in der Gruppe zu
Jeder Auftrag, der die Flexibilität des Gruppentherapeuten einschränkt, behindert vernachlässigen.
seine Wirksamkeit. Ich habe schon Therapeuten erlebt, denen ihre Überzeugung zum
Hindernis wurde, sie müssten immer völlig anonym und neutral bleiben, andere wur­
Die Ü bertragung i n der Thera piegruppe
den von ihrem Kreuzzug behindert, immer total »ehrlich« und transparent zu sein,
und wieder andere waren durch den Leitspruch geknebelt, dass sie nur Übertragungs­ Jeder Klient nimmt den Therapeuten aufgrund von Übertragungsverzerrungen mehr
deutungen oder nur Deutungen von Phänomenen der Gesamtgruppe oder, noch oder minder unkorrekt wahr, manchmal sogar schon vor Beginn der Therapie. Ein
strenger, nur von Übertragungen der gesamten Gruppe machen dürften. Psychiater berichtete, als er einen neuen Klienten im Warteraum abgeholt habe, habe
Der Ansatz, den der Therapeut der Gruppe gegenüber verfolgt, kann den Ausdruck dieser angezweifelt, dass er derjenige sei, der er zu sein behauptete, weil er sich äußer­
von Übertragungsgefühlen der Mitglieder verstärken oder mäßigen. Betont er seine lich so stark von dem Bild unterschied, das der Klient von ihm entwickelt hatte. 1 7
zentrale Rolle, verhält sich die Gruppe regressiver und abhängiger. Lässt er hingegen Kaum ein Klient ist in seiner Haltung gegenüber Themen wie Autorität der Eltern, Ab­
erkennen, dass er den interaktiven Austausch zwischen den Gruppenmitgliedern hängigkeit, Gott, Selbstständigkeit und Auflehnung völlig konfliktfrei - sie alle perso­
schätzt und Übertragungsgefühle anderen Gruppenmitgliedern gegenüber als primä­ nifizieren sich oft in der Person des Therapeuten. Diese Übertragungsprozesse sind
ren Ausdruck akzeptiert, statt sie als von ihrem eigentlichen Ziel, dem Therapeuten, unter der Oberfläche des Gruppengesprächs ständig wirksam. Tatsächlich vergeht
auf andere Gruppenmitglieder verschoben zu verstehen, wird die Intensität der Über­ kaum eine Sitzung ohne Anzeichen für die starken Gefühle, welche durch den Thera­
tragungserlebnisse innerhalb der Gruppe besser moduliert. 14 peuten hervorgerufen wurden.

236 237
Man beachte, was beim Eintritt des Therapeuten geschieht. Oft mag die Gruppe in tadelt, ich sei zu wissenschaftlich und nicht menschlich genug!) Einige schlugen vor,
ein angeregtes Gespräch vertieft gewesen sein, um beim Anblick des Therapeuten je­ wenn ich mehr Zeit mit meinen Klienten verbrächte als auf dem Tennisplatz, würde es
doch in ein lastendes Schweigen zu verfallen. (Jemand hat einmal gesagt, die Gruppen­ allen besser gehen. Eine Klientin, die mich immer idealisierte, sagte, sie habe Anzeigen
therapiesitzung beginne offiziell, wenn plötzlich nichts passiert!) Die Ankunft des The­ für Kupferarmbänder in einem lokalen Magazin gesehen, aber sie nehme an, meines
rapeuten erinnert die Gruppe nicht nur an ihre Aufgabe, sondern weckt auch in jedem sei etwas Besonderes - vielleicht etwas, das ich in der Schweiz gekauft hätte!
Mitglied frühe Gefühlskonstellationen bezüglich des Erwachsenen, des Lehrers, des Be­ Manche Mitglieder richten typischerweise all ihre Bemerkungen an den Therapeu­
wertenden. Ohne den Therapeuten ist die Gruppe unbefangen und kann sich amüsie­ ten oder sie sprechen mit anderen Mitgliedern und werfen am Ende dem Therapeuten
ren; die Gegenwart des Therapeuten wird als strenger Hinweis auf die mit dem Er­ einen verstohlenen Blick zu. Sie sprechen gleichsam mit anderen, um den Therapeuten
wachsensein verbundene Verantwortung erlebt. zu erreichen; sie wollen für all ihre Gedanken und Handlungen eine Bestätigung. Sie
Sitzordnungen offenbaren oft komplexe und mächtige Gefühle gegenüber dem vergessen gewissermaßen die Gründe, warum sie in Therapie sind: sie suchen fortwäh­
Gruppenleiter. Oft versuchen die Mitglieder möglichst weit weg von ihm zu sitzen. rend verschwörerischen Augenkontakt; sie wollen die Sitzung als Letzte verlassen; sie
Wenn die Mitglieder nach und nach zur Sitzung eintreffen, besetzen sie gewöhnlich die wollen auf vielfältige Weise das Lieblingskind des Therapeuten sein.
entferntesten Plätze und lassen die Plätze auf beiden Seiten des Therapeuten frei als Eine Frau mittleren Alters träumte, dass der Gruppenraum in mein Wohnzimmer
Strafe für Zuspätkommende; ein paranoider Klient wird sich Ihnen häufig direkt ge­ verwandelt war; dieses war kahl und unmöbliert. Statt der übrigen Gruppenmitglieder
genüber setzen, vielleicht, um Sie besser beobachten zu können; ein abhängiger Klient waren Familienangehörige von mir zugegen, nämlich mehrere Söhne. Ich stellte sie ihr
setzt sich im Allgemeinen in Ihre Nähe, oft rechts neben Sie. Wenn Co-Therapeuten vor, und sie hatte ein starkes Gefühl der Wärme und Freude. Ihre Assoziation zu dem
nahe beieinandersitzen, sodass zwischen ihnen nur ein Stuhl frei ist, kann man darauf Traum war, dass sie überglücklich sei bei dem Gedanken, in meinem Haus sei ein Platz
wetten, dass dieser Platz als letzter besetzt wird. Nach monatelanger Gruppentherapie für sie. Sie könnte nicht nur mein Haus möblieren und dekorieren (sie war von Beruf
sprach ein Mitglied immer noch von einem Gefühl starker Bedrückung, das auftrete, Innenarchitektin), sondern, da ich nur Söhne habe (in ihrem Traum), sei auch Platz
wenn es zwischen den Therapeuten sitze. für eine Tochter.
Zu Forschungszwecken habe ich mehrere Jahre lang Gruppenmitglieder aufgefor­
dert, nach jeder Sitzung einen Fragebogen auszufüllen. Eine Aufgabe war dabei, jedem Übertragung ist so mächtig und so allgegenwärtig, dass die Maxime »der Gruppenlei­
Mitglied für seine Aktivität (gemessen an der Zahl von Wörtern, die jeder sprach) ei­ ter darf keine Günstlinge haben« wesentlich für die Stabilität jeder arbeitenden Grup­
nen Platz in der Rangordnung zu geben. Die Bewertung der anderen Gruppenmitglie­ pe zu sein scheint. Freud nahm an, die Gruppenkohäsivität rühre seltsamerweise von
der stimmte bei den Befragten sehr gut überein, die Bewertung des Therapeuten hin­ dem universellen Wunsch her, der Liebling des Gruppenleiters zu sein. 1 8 Man betrach­
gegen kaum. Manche Patienten beurteilten den Therapeuten in einer Sitzung als das te die prototypische menschliche Gruppe: die Geschwistergruppe. Sie wird von starken
aktivste Gruppenmitglied, während andere ihn in derselben Sitzung als am wenigsten Rivalitätsgefühlen beherrscht: Jedes Kind möchte der Liebling sein und nimmt allen
aktiv einstuften. Die mächtigen und unrealistischen Gefühle der Mitglieder gegenüber Rivalen ihre Ansprüche auf die Liebe der Eltern übel. Das ältere Kind möchte dem jün­
dem Therapeuten verhinderten eine richtige Einschätzung selbst bei dieser relativ geren Vorrechte wegnehmen oder das Kind ganz und gar beseitigen. Dennoch ist jedem
objektiven Dimension. Kind klar, dass die Rivalen von den Eltern gleichermaßen geliebt werden; darum kann
Als ich einmal einen Klienten aufforderte, über seine Gefühle mir gegenüber zu man seine Geschwister nicht vernichten, ohne sich den Zorn der Eltern zuzuziehen
sprechen, sagte er, er hege eine große Abneigung gegen mich, weil ich kalt und distan­ und sich so selbst zu zerstören.
ziert sei. Auf diese Offenbarung reagierte er sofort mit starkem Unbehagen. Er stellte Es gibt nur eine einzige mögliche Lösung: Gleichheit. Wenn man nicht der Liebling
sich mögliche Rückwirkungen vor: Ich könnte durch seinen Angriff so aus der Fassung sein kann, dann darf es überhaupt keinen Liebling geben. Jedem wird ein gleicher Anteil
geraten, dass ich der Gruppe nicht mehr helfen könnte; ich könnte Vergeltung üben, am Gruppenleiter garantiert, und aus dieser Forderung nach Gleichheit wird das ge­
indem ich ihn aus der Gruppe hinauswürfe; ich könnte ihn demütigen, indem ich ihn boren, was wir als Gruppengeist kennen. Hier erinnert uns Freud daran, dass die For­
wegen einiger grässlicher Sexualfantasien verspottete, die er in der Gruppe mitgeteilt derung nach Gleichheit nur für die anderen Mitglieder gilt. Sie wollen nicht dem Leiter
hatte, oder ich könnte meine psychiatrischen Zauberkünste nutzen, um ihm in der Zu­ gleich sein. Ganz im Gegenteil: Sie haben ein Verlangen nach Gehorsam - eine »Unter­
kunft zu schaden. werfungslust«, wie Erich Fromm es nannte. 19 (Darauf werde ich bald zurückkommen.)
Bei einer anderen Gelegenheit vor vielen Jahren bemerkte eine Gruppe, dass ich ein Wir haben bedauerlicherweise oft Verbindungen zwischen schwachen, kraftlosen und
Kupferarmband trug. Als sie erfuhren, dass der Grund ein »Tennisarm« war, reagierten demoralisierten Anhängern und charismatischen und oft in bösartiger Weise narzissti­
sie extrem. Sie waren wütend über die Vorstellung, dass ich abergläubisch sein oder schen Gruppenleitern miterlebt.20
mich Kurpfuscher-Behandlungen unterziehen sollte. (Sie hatten mich monatelang ge- Freud war sehr sensibel für die kraftvolle und irrationale Art, wie Gruppenmitglie-

238 239
der ihren Leiter sehen, analysierte dieses Phänomen systematisch und wandte es auf sich den Hieben des Fei ndes a ussetzt, denn u nser Sieg m uss ein zweifel loser sein, zu­
die Psychotherapie an.2 1 Natürlich gibt es die Psychologie von Gruppenmitglied und mal a n einem Tag, wo es sich u m die E h re der fra n zösischen I nfa nterie handelt, die fü r
Gruppenleiter seit der Bildung der frühesten menschlichen Gruppen, und Freud war den R u h m der gesamten Nation so u nentbeh rlich ist.«'l
nicht der Erste, der von ihr gesprochen hat. ?1 Um nur ein Beispiel zu nennen: Im
19. Jahrhundert war sich Tolstoi der subtilen Verflechtungen der Beziehungen zwi­ Infolge der Übertragung kann die Therapiegruppe ihren Leitern übermenschliche
schen Führern und Geführten in den beiden wichtigsten Gruppen seiner Zeit deutlich Kräfte zuschreiben. Die Worte des Therapeuten erhalten mehr Gewicht und Weisheit,
bewusst: der Kirche und dem Militär. Auf seiner Erkenntnis der Überbewertung des als sie wirklich besitzen. Ebenso scharfsinnige Beiträge anderer Mitglieder werden
Führers beruht ein Großteil des Pathos und des Reichtums von Krieg und Frieden. Se­ übergangen oder verzerrt. Jeglicher Fortschritt in der Gruppe wird Ihnen, dem Thera­
hen wir uns das Verhältnis Rostows zum Zaren an: peuten, zugeschrieben. Ihre Fehler, Missgriffe und Abwesenheiten werden als absicht­
liche Techniken angesehen, die Sie verwenden, um die Gruppe zu ihrem eigenen Bes­
»{Er) wa r ganz ü berwä ltigt von dem Gefü h l des G l ücks, das d i e Nähe sei nes Za re n i n ten anzuregen oder zu provozieren. Gruppen, sogar solche, die aus professionellen
i h m hervorrief. Schon a l lein d iese Nähe e m pfa nd er als Belo h n u ng fü r den ga nzen ver­ Therapeuten bestehen, überschätzen Ihre Macht und Ihr Wissen. Sie glauben, dass jede
lorenen heutigen Tag. Er wa r glücksel ig wie ein Liebha be r, der nach la ngem Warten vor Ihrer Interventionen eine große kalkulierte Tiefe hat und dass Sie alle Ereignisse in der
dem ersehnten Wiedersehen steht. Er wagte nicht, den Kopf zu d rehen oder sich u m­ Gruppe vorhersehen und beherrschen. Selbst wenn Sie zugeben, dass Sie verwirrt sind
zudrehen, da er ja i n Reih u nd G l ied sta nd, a ber er fü h lte mit i nsti n ktiver Begeisterung oder etwas nicht wissen, wird auch dies als Bestandteil Ihrer raffinierten Technik an­
das Hera n nahen seines Zaren. Das ka m ihm nicht a l lein d u rch das Getra ppel der Pfer­ gesehen, als etwas, das eine bestimmte Wirkung auf die Gruppe ausüben soll.
deh ufe der i m mer näher kommenden Reitergruppe z u m Bewusstsein, nein, er fü h lte Ach, das Lieblingskind der Eltern, des Gruppenleiters zu sein! Vielen Gruppen­
es auch i nsofern, wei l es, je näher sie ka men, u mso heller, freud iger, bedeutsa mer und mitgliedern dient diese Sehnsucht als innerer Hintergrund, vor dem sich alle anderen
feiertäglicher u m i h n herum wurde. I m mer näher und näher ka m i h m d iese Son ne, die Gruppenereignisse abzeichnen. Gleichgültig, wie viel jedem Einzelnen an den anderen
einen solchen Stra h len kra nz sanften u nd majestätischen Lichtes a ussa ndte, und plötz­ Gruppenmitgliedern liegt, gleichgültig, wie sehr sich jeder freut mit anzusehen, wie an­
lich füh lte er sich von d iesen Stra h le n erfasst, hörte seine Sti m me, d iese fre u n d l iche, dere arbeiten und Hilfe bekommen - es ist ein Hintergrund von Neid, von Enttäu­
r u h i ge, majestätische u nd d a bei doch so schlichte Sti m me . . . U nd Rostow sta nd auf, schung darüber vorhanden, dass man sich nicht allein im Glanz des Gruppenleiters
schlenderte zwischen den Wachtfe uern herum und trä u mte davon, was fü r ein G l ück sonnt. Die Nachforschungen des Leiters in diesen Bereichen - wer erhält die meiste
es wäre zu sterben, n icht etwa a l s Retter des Zaren - davon wagte er n icht e i n m a l zu Aufmerksamkeit? Wer die wenigste? Wen scheint der Leiter am meisten zu bevorzugen?
trä u men -, sondern n u r e i nfach vor seinen Augen. Er wa r tatsächlich i n seinen Zaren, - lässt die Mitglieder sich unweigerlich in eine gewinnbringende Untersuchung des In­
in den Ruhm der russischen Waffen u nd in die Hoffn u ng auf den kü nftigen Sieg ver­ nersten der Gruppe stürzen.
liebt. U nd nicht er a l lein e m pfa nd jenes Gefü h l in d iesen denkwürd igen Tagen vor der Dieser Wunsch, den Leiter allein zu besitzen, und der Neid und die Gier, die daraus
Sch lacht bei Austerlitz, nein, neun Zeh ntel des ganzen russischen Heeres waren da­ folgen, sind in die Substruktur jeder Gruppe fest eingebaut. In der amerikanischen
mals, wen n auch nicht mit der gleichen Begeisteru ng, i n den Zaren und den Ru h m der Umgangssprache werden die Genitalorgane »privates« genannt. Heute sprechen jedoch
russischen Waffen verliebt. « 22 viele Therapiegruppen sehr freimütig, sogar mit Genuss, über Sexualität. Das »private
Problem« einer Gruppe ist mit größerer Wahrscheinlichkeit die Honorarstruktur: Geld
Es scheint tatsächlich, als sei das Versinken in der Liebe zu einem Führer eine Voraus­ dient oft als Elektroden, an denen sich ein Großteil des Gefühls gegenüber dem Grup­
setzung des Krieges. Es ist doch wirklich paradox, dass unter der Ägide der Liebe wahr­ penleiter kondensiert. Die Honorarfrage ist ein besonders geladenes Problem in vielen
scheinlich mehr getötet worden ist als unter der des Hasses! Mental-Health-Kliniken, in welchen den Gruppenmitgliedern je nach deren Einkom­
Napoleon, dieser vollendete Menschenführer, war nach Tolstoi nicht unwissend be­ men verschiedene Honorare berechnet werden. Wie viel jeder bezahlt, ist oft eines der
züglich der Übertragung, er zögerte auch nicht, sie im Dienst des Sieges einzusetzen. am besten gehüteten Geheimnisse in der Gruppe, denn unterschiedliche Honorarsätze
In Krieg und Frieden lässt Tolstoi ihn am Vorabend der Schlacht folgende Ansprache an (und damit die stillschweigende, heimtückische Folgerung: unterschiedliche Rechte,
seine Truppe halten: unterschiedlicher Grad des Eigentums) bedrohen gerade das, was die Gruppe zusam­
menhält: Gleichheit aller Mitglieder. Therapeuten fühlen sich häufig sehr unwohl,
»Soldate n ! Ich sel bst werde eure Batail lone fü h ren. Ich werde m ich vom Feuer fernhal­ wenn sie über Geld sprechen müssen: Eine Diskussion innerhalb der Gruppe über
ten, wen n ihr m it eurer gewo h nten Ta pferkeit U nord n u n g und Verwirru ng i n die feind­ Geld und Teilnahmegebühren kann für den Therapeuten schwierige Themen wie sein
lichen Reihen h i ne i ntragen werdet; wen n aber der Sieg auch nur e i n en Auge n b l ick Einkommen, von den Teilnehmern wahrgenommene Gier oder die Frage des An­
zweifelhaft werden sollte, so werdet i h r sehen, dass euer Kaiser der Erste sein wird, der spruchs auf sein Honorar berühren. ;,

240 241
Gruppenmitglieder erwarten häufig, dass der Gruppenleiter ihre Bedürfnisse spürt. tisch jede meiner Interventionen wurde mit Kritik bedacht. Mein Schweigen wurde als
Ein Gruppenteilnehmer schrieb eine Liste der größten Probleme, die ihn plagten. Die­ Desinteresse ausgelegt; meine Unterstützung wurde misstrauisch beäugt. Wenn ich
se Liste brachte er zu Sitzung um Sitzung mit und wartete geduldig darauf, dass der mich nicht gründlich genug nach der Art des Missbrauchs erkundigte, wurde ich man­
Therapeut die Existenz dieser Liste intuitiv erahnen und ihn auffordern würde, sie vor­ gelnder Empathie beschuldigt. Wenn ich nachfragte, wurde ich beschuldigt, ein »heim­
zulesen. Natürlich war der Inhalt der Liste kaum von Bedeutung. Wenn der Klient licher Perverser« zu sein, der sich sexuelle Kicks verschaffe, indem ich den Erzählungen
wirklich an den auf der Liste aufgeführten Problemen hätte arbeiten wollen, hätte er sexueller Notzucht lauschte. Obwohl ich gewusst hatte, dass Übertragungswut von
selbst die Gruppe von ihrer Existenz in Kenntnis setzen können. Vielmehr ging es in einer Gruppe weiblicher Missbrauchsopfer unvermeidlich und dem Therapieprozess
diesem Fall in erster Linie um den Glauben des Klienten an das Vorherwissen und die nützlich war und dass die Angriffe gegen meine Rolle - was ich personifizierte - ge­
Präsenz des Therapeuten. Die Übertragung dieses Gruppenmitglieds war so beschaf­ richtet waren und nicht gegen meine Person, fand ich die Angriffe schwer zu ertragen.
fen, dass er sich nicht völlig vom Therapeuten separiert hatte. Die Ichgrenzen beider Ich begann die Sitzungen zu fürchten und fühlte mich ängstlich, meiner Fertigkeiten
waren [aus der Perspektive des Klienten betrachtet] verschwommen, und etwas zu wis­ beraubt und inkompetent. Die Übertragung wurde nicht nur empfunden oder sprach­
sen oder zu fühlen beinhaltete aus seiner Sicht, dass auch der Therapeut es wusste und lich zum Ausdruck gebracht, sondern auch sehr nachdrücklich in Szene gesetzt.25 Ich
fühlte. Viele Klienten tragen ihren Therapeuten ständig mit sich herum. Der Therapeut wurde nicht nur als Ebenbild des prototypischen Mannes im Leben dieser Gruppen­
befindet sich sozusagen in ihnen, er beobachtet ihre Handlungen von einem Platz über mitglieder angegriffen, sondern mir wurde in einer Art Rollenumkehr auch selbst »Ge­
ihrer Schulter aus, und er beteiligt sich an imaginären Gesprächen mit ihnen. walt angetan«. Dies verschaffte mir einen nützlichen Einblick in das Erleben der Grup­
Wenn mehrere Gruppenmitglieder diesen Wunsch nach einem allwissenden, allsor­ penmitglieder, die sich in der Vergangenheit nur zu oft gefürchtet, tyrannisiert und
genden Gruppenleiter teilen, bekommen die Sitzungen eine charakteristische Tönung. unzulänglich gefühlt hatten. Das Wesen der Übertragung zu verstehen und nicht mit
Die Gruppe wirkt hilflos und abhängig. Die Mitglieder berauben sich ihrer Fähigkeiten Gegenübertragungsärger darauf zu reagieren, erwies sich als entscheidend für die
und scheinen unfähig, sich selbst oder anderen zu helfen. Dieser Verzicht auf die eige­ Wahrung einer therapeutischen Haltung.
nen Fähigkeiten ist besonders dramatisch in einer Gruppe, die aus praktizierenden In einer anderen Gruppe brachte eine paranoide Klientin, in deren Vorgeschichte
Therapeuten besteht, die plötzlich unfähig zu sein scheinen, einander die einfachsten es viele gebrochene Mietverträge und Prozesse gab, die Vermieter gegen sie angestrengt
Fragen zu stellen. Zum Beispiel wird in einer Sitzung über Verlusterlebnisse gespro­ hatten, ihre Streitsucht auch in der Gruppe zum Ausdruck. Sie weigerte sich, ihre ge­
chen. Ein Mitglied spricht zum ersten Mal davon, dass vor kurzem seine Mutter gestor­ ringe Klinikrechnung zu bezahlen, weil sie behauptete, dass ein Abrechnungsfehler
ben sei. Dann schweigt alles. Plötzlich herrscht Sprachlosigkeit in der Gruppe. Nie­ vorliege. Sie konnte jedoch nicht die Zeit finden, zu kommen und mit dem Klinikver­
mand kann auch nur sagen: »Erzählen Sie uns mehr darüber.« Sie warten alle - auf ein walter zu sprechen. Als der Therapeut sie mehrfach an die Rechnung erinnerte, ver­
Wort des Therapeuten. Keiner will einen anderen zum Reden ermutigen aus Angst, sei­ glich sie ihn mit einem jüdischen Mietwucherer oder einem gierigen Kapitalisten, der
ne Chance zu vermindern, die Hilfe des Gruppenleiters zu erlangen. es gern gesehen hätte, wenn sie sich ihre Gesundheit durch Sklavenarbeit in einer Um­
Doch zu anderer Zeit und in anderen Gruppen kommt auch das Gegenteil vor. Mit­ weltgifte ausstoßenden Fabrik dauerhaft ruiniert hätte.
glieder stellen den Gruppenleiter ständig infrage. Man misstraut dem Therapeuten, Eine andere Klientin erkrankte regelmäßig und bekam Grippesymptome, wenn sie
missversteht ihn, behandelt ihn wie einen Feind. Beispiele für eine solche negative in eine Depression verfiel. Der Therapeut fand keine Möglichkeit, mit ihr zu arbeiten,
Übertragung sind sehr verbreitet. Ein Klient, der in der Gruppe neu war, bemühte sich ohne dass sie das Gefühl hatte, er beschuldige sie zu simulieren - eine Wiederholung
sehr, die anderen Mitglieder zu beherrschen. Immer, wenn der Therapeut versuchte des Anschuldigungsprozesses in den Beziehungen in ihrer Familie. Als ein Therapeut
darauf hinzuweisen, betrachtete der Klient seine Absichten als bösartig: der Therapeut von einer Frau in der Gruppe mehrmals einen Pfefferminzbonbon angenommen hat­
störe seine Weiterentwicklung; der Therapeut fühle sich von ihm bedroht und versu­ te, reagierte ein anderes Mitglied stark darauf und beschuldigte ihn, zu schnorren und
che, ihn in der Unterwürfigkeit zu halten, oder schließlich, der Therapeut blockiere ab­ die Frauen in der Gruppe auszunutzen.
sichtlich seine Fortschritte, damit er sich nicht zu rasch bessere und so die Einkünfte Für solche Angriffe auf den Therapeuten gibt es viele irrationale Gründe, aber man­
des Therapeuten vermindere. Beide Extrempositionen - sklavische Idealisierung und che rühren von denselben Gefühlen hilfloser Abhängigkeit her, die auch den anbeten­
ständige Herabsetzung - spiegeln destruktive Gruppennormen und repräsentieren den Gehorsam verursachen, den ich beschrieben habe. Manche Klienten (»kontra­
eine gegen die Gruppe gerichtete Haltung, auf die der Therapeut eingehen muss.24 dependente«) reagieren kontraphobisch auf ihre Abhängigkeit, indem sie dem Grup­
In einer Gruppe erwachsener weiblicher Inzestüberlebender wurde ich, der einzige penleiter unaufhörlich trotzen. Andere bestätigen sich ihre Integrität oder Potenz, in­
Mann in der Gruppe, ständig angegriffen. Im Gegensatz zu meiner Co-Therapeutin dem sie versuchen, über den großen Feind zu triumphieren; man fühlt sich froh und
konnte ich einfach nichts richtig machen. Meine Erscheinung wurde kritisiert - meine mächtig, wenn man den Tiger in den Schwanz kneift und ungeschoren davonkommt.
Krawattenwahl, dass meine Socken nicht perfekt zur übrigen Kleidung passten. Prak-

242 243
Die Beschuldigung, die Gruppenmitglieder am häufigsten gegen Gruppenleiter er­ Die Sorgen bezüglich der »großen Leute« gingen in zwei entgegengesetzte Richtun­
heben, lautet, diese seien zu kalt, zu distanziert, zu unmenschlich. Dieser Vorwurf hat gen, und beide waren gleichermaßen besorgniserregend: Die »großen Leute« waren
eine reale Grundlage. Aus beruflichen und persönlichen Gründen, über die ich gleich real, sie verfügten über überlegenes Wissen und überlegene Kenntnisse und würden an
sprechen werde, halten sich viele Therapeuten tatsächlich vor der Gruppe verborgen. den jungen, anmaßenden Hochstaplern, die versuchten, sich unter sie einzureihen,
Auch erfordert ihre Rolle des Prozesskommentators eine gewisse Distanz von der ehrliche, aber schreckliche Gerechtigkeit üben; oder die »großen Leute« waren selbst
Gruppe. Aber es gehört noch mehr dazu. Obwohl die Mitglieder darauf bestehen, dass Betrüger und die Mitglieder waren alle Dorothys, die dem Zauberer von Oz gegen­
sie sich einen menschlicheren Therapeuten wünschen, haben sie zugleich den Gegen­ überstanden. Die zweite Möglichkeit war bedrohlicher als die erste: Sie stellte die Grup­
wunsch, er solle übermenschlich sein. Dieser Vorwurf ist durchaus in der Realität be­ penmitglieder ihrer Einsamkeit und Isoliertheit erbarmungslos gegenüber. Es war, als
gründet. (In meinem Roman Die Schopenhauerkur wird dieses Phänomen beschrie­ würden ihnen für kurze Zeit die Illusionen des Lebens genommen und als bliebe das
ben.) nackte Gerüst des Daseins übrig - ein erschreckender Anblick, den wir vor uns verber­
Freud hat diese Feststellung wiederholt gemacht. In seinem Buch von 1927, Die Zu­ gen. Die »großen Leute« sind einer unserer wirksamsten Vorhänge. So erschreckend ihr
kunft einer Illusion, hat er seine Erklärung des religiösen Glaubens auf die Grundlage Urteil sein mag, es ist viel weniger schrecklich als die andere Alternative - dass _es näm­
gestellt, der Mensch sehne sich nach einem Überwesen.26 Er glaubte, die Gruppen­ lich keine »großen Leute« gibt und dass man endgültig und vollkommen allein ist.
integrität hinge von der Existenz einer übergeordneten Gestalt ab, die, wie ich weiter Die Gruppenmitglieder sehen also den Leiter aus vielen Gründen unrealistisch. Ei­
oben erklärt habe, die Illusion fördert, sie liebe alle Gruppenmitglieder in gleichem ner ist eine echte übertragung oder Verschiebung von Affekten von einem früheren
Maß. Solide Gruppenbindungen werden zu Staub, wenn der Führer verloren geht. Objekt; widersprüchliche Einstellungen gegenüber Autorität (Abhängigkeit, Misstrau­
Wenn der General in der Schlacht fällt, muss die Nachricht geheim gehalten werden, en, Rebellion, Kontradependenz), die der Therapeut verkörpert, eine andere; eine wei­
weil sonst eine Panik ausbrechen könnte. Das gilt auch für den Kirchenführer. Freud tere Ursache ist die Tendenz, den Therapeuten mit übermenschlichen Zügen aus­
war fasziniert von einem Roman aus dem Jahre 1 903, When It Was Dark, in dem die zustatten, damit er als Schutzschild gegen Existenzangst genutzt werden kann.
Göttlichkeit Christi bezweifelt und schließlich widerlegt wurde.27 In diesem Roman Eine weitere, allerdings rein rationale Ursache für die starken Gefühle dem Grup­
wurden die katastrophalen Wirkungen dieses Umstands auf die abendländische Kultur pentherapeuten gegenüber liegt darin, dass die Mitglieder mehr oder weniger bewusst
geschildert; vorher stabile soziale Institutionen zerfielen eine nach der anderen und die große und reale Macht des Gruppentherapeuten richtig einschätzen. Präsenz und
hinterließen nur soziales Chaos und ideologischen Schutt. Unparteilichkeit des Gruppentherapeuten sind, wie ich schon gesagt habe, für überle­
Somit ist der Wunsch der Gruppenmitglieder, der Leiter solle »menschlicher« sein, ben und Stabilität der Gruppe wesentlich. Man kann ihn nicht absetzen. Er hat enorme
äußerst ambivalent. Sie klagen, er erzähle ihnen nichts von sich selbst, doch fragen sie Macht: Er kann Mitglieder ausschließen, neue Mitglieder einführen und gegen jedes
selten ausdrücklich nach solchen Informationen. Sie fordern, er solle menschlicher beliebige Gruppenmitglied Gruppendruck mobilisieren.
sein, tadeln ihn aber, wenn er ein Kupferarmband trägt, ein Pfefferminzbonbon an­ Tatsächlich sind die Ursachen starker irrationaler Gefühle gegenüber dem Thera­
nimmt oder der Gruppe zu berichten vergisst, dass er mit einem Gruppenmitglied peuten so vielfältig und so mächtig, dass auf jeden Fall eine Übertragung eintritt. Er
telefoniert hat. Sie ziehen es vor, einem nicht zu glauben, wenn man zugibt, dass man braucht keine besondere Anstrengung zu unternehmen - indem er beispielsweise eine
verwirrt ist oder etwas nicht weiß. Krankheit oder Unwohlsein eines Therapeuten ruft unnachgiebig neutrale und anonyme Haltung einnimmt -, um die Entwicklung von
bei den Mitgliedern erhebliches Unbehagen hervor, als sollte der Therapeut irgendwie Übertragung zu verursachen oder zu fördern. Ein deutliches Beispiel von übertragung,
jenseits aller biologischen Grenzen sein. Die Gefolgschaft eines Gruppenleiters, der sei­ die sich bei gegebener Transparenz des Therapeuten entwickelte, kam bei einem Kli­
ne Rolle aufgibt, ist in großer Not. (Als Shakespeares Richard IL seine »hohle Krone« enten vor, der mich oft wegen Distanziertheit, Unaufrichtigkeit und Versteckspiel an­
beklagt, seine Entmutigung äußert und sagt, er brauche Freunde, fordern ihn die Höf­ griff. Er beschuldigte mich der Manipulation, ich würde immer alle Fäden in der Hand
linge auf zu schweigen.) halten, um das Verhalten jedes einzelnen Mitglieds zu steuern, ich sei nicht klar und
Eine Gruppe von Assistenzärzten der Psychiatrie, die ich einmal geleitet habe, for­ offen, ich sei nie wirklich aufrichtig und sage der Gruppe nicht genau, was ich in der
mulierte das Dilemma sehr deutlich. Sie sprachen oft über die »großen Leute« in der Therapie verwirklichen wolle. Doch eben dieser Klient war Mitglied einer Gruppe, in
Welt draußen: ihre Therapeuten, Gruppenleiter, Supervisoren und die Gemeinschaft der ich sehr klare, sehr aufrichtige, sehr transparente Gruppenzusammenfassungen ge­
der älteren praktizierenden Psychiater. Je näher diese Assistenzärzte dem Ende ihrer schrieben und den Mitgliedern jeweils vor der nächsten Sitzung geschickt hatte (siehe
Ausbildung rückten, desto wichtiger und problematischer wurden diese großen Leute. Kapitel 14). Ein ernsterer Versuch, den therapeutischen Prozess zu entmystifizieren, ist
Ich dachte laut, ob sie nicht auch bald »große Leute« sein würden. Konnte es sein, dass kaum vorstellbar. Als er von einigen Gruppenmitgliedern gefragt wurde, ob er meine
es selbst für mich »große Leute« gab? Selbstoffenbarungen in den Sitzungsberichten kenne, gab er zu, sie nicht gelesen zu ha­
ben - die Briefe waren ungeöffnet auf seinem Schreibtisch liegen geblieben.

244 245
Solange ein Gruppentherapeut die Verantwortung der Führerschaft auf sich nimmt, der Wechselwirkung zwischen dem Therapeuten und dem Gruppenmitglied ver­
tritt auch Übertragung ein. Ich habe niemals eine Gruppe ohne einen tief reichenden, tieft.28
komplexen Unterbau von Übertragung gesehen. Das Problem ist also nicht, wie man Während des Gruppenlebens macht der Gruppentherapeut allmählich eine Meta­
Übertragung hervorruft, sondern im Gegenteil, wie man sie auflöst. Der Therapeut, morphose durch. Am Anfang sind Sie eifrig mit den vielen Funktionen beschäftigt, die
der die Übertragung therapeutisch nutzen soll, muss den Klienten helfen, ihre verzerr­ zur Bildung der Gruppe notwendig sind, mit der Entwicklung eines sozialen Systems,
ten Einstellungen zum Gruppenleiter zu erkennen, zu verstehen und zu ändern. in dem die vielen therapeutischen Faktoren wirken können, und mit der Aktivierung
Wie löst die Gruppe Übertragungsverzerrungen auf? Die Auflösung wird in einer und Klärung des Hier und Jetzt. Allmählich beginnen Sie stärker mit jedem einzelnen
Therapiegruppe durch zwei Vorgänge gefördert: durch konsensuelle Validierung und Mitglied zu interagieren. Im Laufe des Gruppenprozesses beginnen Sie, persönlicher
durch stärkere Transparenz des Therapeuten. mit jedem der Gruppenmitglieder zu interagieren, und wenn auf diese Weise allmäh­
lich deutlich wird, dass Sie ein lebendiger Mensch sind, fällt es den Gruppenmitglie­
Konsensuelle Validierung dern schwerer, bei den zu Beginn auf Sie projizierten Stereotypen zu bleiben.
Der Therapeut kann einen Klienten ermutigen, seine Eindrücke vom Therapeuten mit Dieser Vorgang zwischen Ihnen und jedem einzelnen Mitglied unterscheidet sich
denen anderer Mitglieder zu vergleichen und sie so zu validieren. Wenn viele oder alle qualitativ nicht von dem interpersonalen Lernen, das zwischen den Gruppenmitglie­
Gruppenmitglieder die Ansicht des Klienten vom Therapeuten oder die Gefühle ihm dern stattfindet. Schließlich haben Sie kein Monopol auf Autorität, Vorherrschaft,
gegenüber teilen, dann ist klar, dass die Reaktion der Gruppenmitglieder von umfas­ Weisheit oder Distanziertheit, und viele Mitglieder arbeiten ihre Konflikte in diesen
senden Gruppenkräften herrührt, die mit der Rolle des Therapeuten in der Gruppe Bereichen nicht mit dem Therapeuten durch (oder nicht nur mit dem Therapeuten),
zusammenhängen, oder dass die Reaktion überhaupt nicht unrealistisch ist: Die Kli­ sondern mit anderen Mitgliedern, die diese Eigenschaften haben.
enten nehmen den Therapeuten richtig wahr. Wenn andererseits keine Übereinstim­ Diese graduelle Veränderung der Transparenz des Therapeuten ist keineswegs auf
mung besteht, wenn nur eines von allen Gruppenmitgliedern eine besondere Auffas­ die Gruppentherapie beschränkt. Jemand hat einmal gesagt, wenn der Analytiker dem
sung vom Therapeuten hat, kann man diesem Mitglied helfen, die Möglichkeit zu Analysanden einen Witz erzählt, kann man sicher sein, dass die Analyse ihrem Ende
überprüfen, ob es den Therapeuten ( und vielleicht auch andere Menschen) durch eine entgegengeht. Tempo, Grad und Art der Transparenz des Therapeuten und die Bezie­
verzerrende Brille sieht. In diesem Prozess muss der Therapeut sich um vorurteilsfreies hung zwischen ihr und den anderen Aufgaben des Therapeuten in der Gruppe sind je­
und unparteiisches Untersuchen bemühen, damit nicht am Ende die Ansicht der doch problematisch und müssen gut überlegt werden. Mehr als jedes andere Merkmal
Mehrheit ausschlaggebend ist. Sogar eine sehr eigenwillige Reaktion eines einzelnen unterscheiden Art und Grad der Selbstoffenbarung des Therapeuten die verschiedenen
Gruppenmitglieds kann ein Körnchen Wahrheit enthalten. Schulen der Gruppentherapie. Eine maßvolle Selbstoffenbarung des Therapeuten ist
ein wichtiges Merkmal des Modells der interpersonal orientierten Gruppenpsycho­
Stärkere Transparenz des Therapeuten therapie.29
Die andere wichtige Methode ist auf die therapeutische Nutzung des Selbst begründet.
Der Therapeut hilft dem Klienten, seine Ansichten über den Therapeuten bestätigt Der Psychothera peut u nd d ie Tra nspa renz
oder widerlegt zu bekommen, indem dieser allmählich immer mehr von sich offen­
bart. Der Klient wird gedrängt, sich mit dem Therapeuten als einem realen Menschen Psychotherapeutische Neuerungen kommen und gehen mit erstaunlicher Geschwin­
im Hier und Jetzt auseinanderzusetzen. Sie, der Therapeut, reagieren also auf den Kli­ digkeit. Nur ein wirklich unerschrockener Beobachter könnte es auf sich nehmen, in
enten; Sie teilen ihm Ihre Gefühle mit; Motive oder Gefühle, die Ihnen zugeschrieben dem diffusen, heterodoxen Bereich der amerikanischen Psychotherapie schnell ver­
werden, erkennen Sie an oder leugnen sie; Sie schauen sich Ihre eigenen blinden Fle­ gängliche von potenziell wichtigen und dauerhaften Tendenzen zu unterscheiden.
cken an und Sie zeigen Respekt für das Feedback, das die Gruppenmitglieder Ihnen Trotzdem gibt es Beweise dafür, dass sich die grundlegende Selbstdarstellung des The­
geben. Angesichts der wachsenden Fülle von Material aus dem wirklichen Leben wird rapeuten an den verschiedensten therapeutischen Schauplätzen kaum verändert. Man
der Klient dazu getrieben, das Wesen und die Grundlage seiner mächtigen fiktiven betrachte die folgenden Kurzdarstellungen:
Meinungen über den Therapeuten zu untersuchen.
Wir nutzen unsere Transparenz und Selbstoffenbarung, um gegenüber unseren Kli­ Thera peuten, d ie i h re Gru ppen d u rch einen Ei nwegspiegel beobachten lassen, ta u­
enten eine therapeutische Haltung zu wahren, die es uns ermöglicht, eine Position in schen mit diesen a m E nde der Sitzung die Rollen. Die Klienten d ü rfen zuschauen, wä h­
der Mitte zwischen der Übertragungsreaktion des Klienten und ihrer Entkräftung rend der Therapeut u n d d i e Stu denten d i e S itzu n g besprechen oder reka pit u l ieren.
durch die Therapie einzunehmen. ,71 Ihre Offenbarung darüber, welche Wirkung der Oder bei Gru ppen stationäre r Klienten kom men die Beobachter zwa nzig M i n uten vor
Klient auf Sie hat, ist eine besonders wirksame Intervention, weil sie das Verständnis dem E nde der Sitzung in den Thera piera u m, um die Beobachtungen zu besprechen, die

246 247
sie wä h rend der Sitz u n g gemacht h a ben. I n den letzten zehn Min uten reagieren die mählich wird der therapeutische Prozess entmystifiziert und der Therapeut seines
Gruppen m itglieder a uf die Kommentare der Beobachter.30 Nimbus beraubt. In den letzten vier Jahrzehnten konnte man beobachten, wie sich das
Konzept der Psychotherapie als ausschließliche Angelegenheit der Psychiatrie gewan­
Im Ausbildu ngszentru m einer U n iversität hat man eine Leh rtechnik mit Tutoren ein­ delt hat. Früher einmal war die Therapie eine nach außen hin streng abgegrenzte An­
gefüh rt, bei der vier Assistenzä rzte der Psychiatrie regelmä ßig m it einem erfa h renen gelegenheit einer geschlossenen Gesellschaft. Psychologen standen unter der Beobach­
Kliniker zusa m m en kom men, der vor einem Ei nwegspiegel e i n I nterview d u rchfü h rt. tung von Psychiatern, damit sie nicht in Versuchung kamen, Therapie zu praktizieren,
Oft wird der Kl ient eingeladen, die Diskussion nach dem I nterview zu beobachten. anstatt zu beraten; Sozialarbeiter konnten Einzelfallhilfe (casework) geben, aber keine
Psychotherapie durchführen. Schließlich schlossen sich alle drei Berufsgruppen -
Tom, einer von zwei Co-Therapeuten, d i e gemeinsam eine Gruppe leiteten, eröffnete Psychiatrie, Psychologie und Sozialarbeit - zu ihrem Widerstand gegen das Auftauchen
eine Sitzung, i ndem er einen Kl ienten, der bei der vorhergehenden Sitzung ä u ßerst neuer Psychotherapieberufe zusammen: Psychologen mit Magisterabschluss, Ehe- und
n iedergeschlagen gewesen wa r, fragte, wie es i h m gehe u nd ob i h m d i e Thera piesit­ Familienberater, Psychiatrie-Schwestern, Seelsorger, Körpertherapeuten, Bewegungs­
zung geholfen ha be. Der Co-Thera peut sagte d a n n zu i h m : »Tom, ich glau be, du tust und Tanztherapeuten, Kunsttherapeuten. Die Ära der Therapie - in welcher der Klient
genau das, was ich vor e i n paar Wochen geta n habe - du d rängst den Patienten, d i r zu als so gebrechlich und die Mysterien der Technik als so unauslotbar galten, dass nur ein
sagen, wie wi rksam deine Therapie ist. Wir scheinen beide stä ndig nach Bestätigung Mensch mit dem höchsten Diplom es wagen durfte, ihn zu behandeln - ist für immer
zu suchen. Ich glaube, darin spiegelt sich ein Tei l der al lgemeinen Entm utigu ng wider, vorbei. ?!
die in der G ru ppe herrscht. Ich frage m ich, ob die Mitglieder sich vielleicht u nter dem Die Neubewertung der Rolle und der Autorität des Therapeuten ist auch kein neu­
Druck fü hlen, Fortschritte machen zu m üssen, damit wir guter La une bleiben.« es Problem. Andeutungen solcher Experimente waren schon bei den frühesten dyna­
mischen Therapeuten vorhanden. Zum Beispiel hat schon Sandor Ferenczi, ein enger
I n mehreren Gru ppen a n einer Klinik fü r a m b u la nte Klienten schreiben die Therapeu­ Kollege Freuds, der mit den therapeutischen Erfolgen der Psychoanalyse unzufrieden
ten nach jeder Sitz u n g eine a usfü h rl iche Zusa m menfassung (siehe Kapitel 14) u nd war, fortwährend die distanzierte, allwissende Rolle des klassischen Psychoanalytikers
schicken sie den Klienten vor der nächsten Sitzung zu. Die Zusam menfassung enthält infrage gestellt. Ferenczi und Freud gingen übrigens schließlich getrennte Wege, weil
n icht n u r einen Bericht ü ber d i e Sitz u ng, einen fortla ufenden Prozesskom mentar und Ferenczi überzeugt war, dass die ehrliche und für beide Seiten transparente, auf Aus­
die Beiträge jedes Mitgl ieds zu der Sitzung, sondern a uch viel Sel bstoffenbarung des tausch basierende Beziehung, die Therapeut und Klient gemeinsam aufbauen, also
Therapeuten: die Vorstel l u ngen des Therapeuten darüber, was wä hrend der Sitzung in nicht die rationale Deutung, die entscheidende verändernde Kraft der Therapie sei.3 1
jedem einzelnen Gruppen mitglied vor sich gega ngen ist; eine Deutung des Geschehe­ Mit seinem bahnbrechenden Beharren auf der Bedeutung der interpersonalen Be­
nen nach den Theoremen der Gru ppentherapie; einen genauen Aufschluss darüber, ziehung beeinflusste Ferenczi die amerikanische Psychotherapie durch seine Wirkung
was der Therapeut in der Sitzung zu erreichen versuchte; Verwirrung oder Unwissen­ auf zukünftige wichtige Persönlichkeiten in diesem Bereich wie William Alanson
heit des Therapeuten in Bezug a uf E reignisse in der Gruppe; die persö n l ichen Gefühle White, Harry Stack Sullivan und Frieda Fromm-Reichmann. Auch hinsichtlich der
des Therapeuten, sowohl d i e in der S itzung ausgesprochenen als auch die u n a usge­ Entwicklung der Gruppentherapie hat Ferenczi eine wichtige, häufig übersehene Rolle
sprochenen. Diese Zusam menfassu ngen sind praktisch von denen nicht zu u nterschei­ gespielt, indem er die relationale Grundlage praktisch aller gruppentherapeutischer
den, die die Therapeuten frü her für ihre eigenen Zwecke geschrieben hatten. Faktoren unterstrich.32 In seinen letzten Lebensjahren gab er Klienten gegenüber seine
Fehlbarkeit offen zu und konnte, wenn er auf eine gerechtfertigte Kritik reagierte, frei­
Die Vor- oder Nachteile der in diesen Kurzdarstellungen gezeigten Methoden sollen mütig sagen: »Ich glaube, hier haben Sie einen Bereich berührt, in dem ich selbst nicht
hier nicht erörtert werden, aber es ist vorläufig festzuhalten, dass eine Untergrabung ganz frei bin. Vielleicht können Sie mir helfen zu erkennen, wo es bei mir fehlt.« 33
der therapeutischen Beziehung oder der therapeutischen Situation nicht bewiesen Foulkes, ein britischer Pionier der Gruppentherapie, sagte schon vor 60 Jahren, der rei­
werden konnte. In der psychiatrischen Station verloren die Gruppenmitglieder nicht fe Gruppentherapeut sei wahrhaft bescheiden - er sei jemand, der aufrichtig zu einer
das Vertrauen zu ihren allzu menschlichen Therapeuten, sondern bekamen mehr Zu­ Gruppe sagen könne: »Hier stehen wir zusammen der Realität und den Grundproble­
trauen zu einem Prozess, dem die Therapeuten selbst sich willig unterwarfen. Die Kli­ men des menschlichen Daseins gegenüber. Ich bin einer von Ihnen, nicht mehr und
enten, die ihre Therapeuten in ihrer Uneinigkeit beobachteten, lernten, dass es zwar nicht weniger.« 34
keinen einzig wahren Weg gibt, dass die Therapeuten sich aber trotzdem hingebungs­ Die Transparenz des Therapeuten untersuche ich in anderen literarischen Formen
voll darum bemühen, Methoden zu finden, um ihren Klienten zu helfen. ausführlicher, nämlich in zwei Büchern, die auf meiner psychotherapeutischen Arbeit
In jeder dieser Darstellungen wird deutlich, wie die Therapeuten ihre traditionelle basierende Geschichten enthalten - Die Liebe und ihr Henker und Die Reise mit Paula
Rolle aufgeben und einige ihrer vielen Ungewissheiten mit den Klienten teilen. All- - sowie in Romanen - Und Nietzsche weinte, worin Klient und Therapeut die Rollen

248 249
tauschen, und Die rote Couch, worin der Protagonist, ein Therapeut, Ferenczis Experi­ sich, ohne sich um den Verfall seiner Rolle zu sorgen, unmittelbar um die Erhaltung
ment in mutu eller A nalyse wiederholt, indem er sich einer Klientin vollständig offen­ der Gruppe und die Gestaltung der Gruppennormen (die Forschung liefert beachtliche
bart.35 Nach der Veröffentlichung dieser Bücher erhielt ich eine Flut von Briefen so­ Beweis e, dass Selbstenthüllung des Therapeut en eine größ ere Offenheit zwischen
wohl von Klienten als auch von Therapeuten, die bestätigten, dass ein starkes Interesse Gruppenmitgliedern37 eb enso wie i n der Familientherapie zwischen Familienmitglie ­
an einer menschlicheren Beziehung in der therap eutischen Arbeit und eine starke dern38 förd ert) sowie um die Aktivierung des Hier und Jetzt und die Klärung des Pro­
Sehnsucht danach besteht. Mein neuester Roman, Die Schopenhauerkur 36, spielt i n zesses kümmern. Indem er seine Stellung in der Gruppe nicht als zentrale festschreibt,
einer Therapiegruppe, in der sich der Therapeut heldenhaft um Transparenz bemüht. beschl eunigt er die Entwicklu ng von Gruppenautonomie und -kohäsivität. Bestäti­
Therapeuten, die sich um mehr Transparenz b emühen, begründen dies mit dem gende B eweise hierfür finden wir aus dem Bereich der Einzeltherapie: Die Selbstoffen­
Argument, dass eine Therapie ein rationaler, erklärbarer Prozess sei. Man nimmt der barung von Therapeuten wird von Klienten häufig als unterstützend und normalisie­
Therapie gegenüber einen humanistischen Standpunkt ein; der Klient wird als vollwer­ rend erlebt. Sie ermutigt den Klienten zu einer tiefer gehenden Unt ersuchung.?! Die
tiger Mitarbeiter beim Unternehmen der Therapie angesehen. Der Therapeut und das Selbstoffenbarung des Therapeuten ist besonders effektiv, wenn sie dazu dien t, den
therapeutische Verfahren brauchen nicht von einem Geheimnis umgeben zu sein; au­ Klienten auf authentische Weise in die Arbeit einzubeziehen, und nicht dazu, die the­
ßer der Besserungswirkung, die daher kommt, dass der Klient von einem magischen rapeutische Beziehung zu beeinflussen oder zu lenken. .71 39
Wesen Hilfe erwartet, ist wenig zu verlieren und vielleicht viel zu ge winnen, wenn die Die persönliche Offenbarung des Leiters kann eine machtvolle und unauslöschliche
Therapie entmystifiziert wird. Eine Therapie, die auf einem echten Bündnis zwischen Wirkung haben. In ei ner kürzlich erschienen en Publikation berichtet ein Mitglied
dem Therapeuten und dem aufgeklärten Klienten basiert, zeigt größeren Resp ekt vor einer Gruppe, die von d em b ekannt en Grupp entherap euten Hugh Mullan geleitet
den Fähigkeiten des Klienten; damit geht auch einher, dass man sich mehr auf Selbst­ wurde, ei ne Episode aus dem Gruppenprozess, die vor 45 Jahren stattgefunden hatte.
erkenntnis stützt als auf den billigere n, aber gefährlichen Trost der Selbsttäuschung. Der Gruppenleiter saß mit geschlossenen Augen in einer Gruppensitzung, und ein
Der Wunsch nach größerer Transparenz des Therapeuten ist zum Teil eine Reaktion Gruppenmitglied sagte zu ihm: »Sie sehen aus, als ob Sie sich sehr wohlfühlen würden,
auf den früheren autoritären ärztlichen Heiler, der jahrhu ndertela ng den Ruf der ge­ Hugh. Warum ist das so?« Hugh antwortete sofort: »Weil ich neben einer Frau sitze.«
plagten Menschen nach Hilfe von ein em höheren Wesen b eantwortet hat. Die Heiler Das Gruppenmitglied vergaß diese merkwürdige Antwort nie. Sie wirkte ungeheuer
haben sich dieses Bedürfnis zunutze gemacht und es als ein hochwirksames Hilfsmittel befreiend und ermöglichte es ihm, sehr wichtiges persönliches Material zu erleben und
der Behandlung sogar kultiviert. Durch unzählige Methoden haben sie den Glauben zum Ausdruck zu bringen. Er erklärte, er habe sich danach in seiner »Merkwürdigkeit«
an ihre Allwissenheit ermutigt und gefördert: lateinische Rezepte, Fachsprache, Ge­ nicht m ehr allein gefühlt.40
heiminstitute mit langer und schwieriger L ehrzeit, eindrucksvolle Praxisräume und Ei n Einwand gegen die Selbstoffenbarung, den ich für grundlos halte, ist die Furcht
eine Flut von Diplomen. Dies hat alles zum Bild des H eil ers als einer mächtigen, ge­ vor einer Schraub e ohne Ende - die Angst, die Gruppe werde, wenn der Therapeut sich
heimnisvollen und vorherwissenden Gestalt beigetragen. erst einmal offenbart, unersättlich immer mehr verlangen. Man darf nicht vergessen,

Indem der heutige Therapeut sich von seiner herkömmlichen Rolle lossagt, opfert dass mächtige Kräfte in der Gruppe dieser Tendenz entgegenwirken. Die Mitglieder
er manchmal sein e Wirksamkeit auf dem Altar der Selbstoffenbarung. Ab er die aus sind außerordentlich neugierig in Bezug auf den Therapeuten, möchten aber zugl eich,
einer wahllosen Transparenz d es Therapeute n entstehend en Gefahren (über die wir dass er unbekannt und mächtig bleibt. Einige dieser Punkte wurden vor vielen Jahren
gleich sprechen werden) sollten uns nicht davon abhalten, den wohlüberlegten Einsatz in einer Sitzung off ensichtlich, als ich eben angefangen hatte, Therapiegruppen zu lei­
der Selbstoffenbarung des Therapeuten zu untersuchen. ten. Ich war gerade von einer einwöchigen Selbsterfahrungsgruppe mit Assistenzärzten
(intensive T-Gruppe, siehe Kapitel 1 6) zurückgekommen, die ich geleitet hatte. Da eine
Die Transparenz des Therapeuten und ihre Wirkung auf die Therapiegruppe größere Transparenz des Leiters in diesen Gruppen die Regel ist, kehrte ich auf eine
Der erste allgemeine Einwand gegen die Transparenz des Therapeuten ergibt sich aus größere Selbstoffenbarung vorbereitet zu meiner Therapiegruppe zurück.
der traditionellen A nsicht der Analytiker, der entscheidende therapeutische Faktor sei
die Auflösu ng der Übertragung des Klienten auf den Therap euten. Dieser Sichtweise Vier Mitglieder wa ren bei der 29. G ru ppensitz u n g a nwesend, Don, Russel, J a n ice und
gemäß muss der Therapeut relativ anonym od er undurchsichtig bleiben, damit die Ma rth a . E i n G ru ppen m itgl ied u n d der Co-Therapeut feh lten; e i n weiteres Mitglied, Pe­
Entwicklung unrealistischer Gefühle ihm gegenüber gefördert wird. Ich stehe jedoch ter, war bei d er vorhergehenden Sitzung a u s d er G ruppe a u sgeschieden. Das erste The­
auf dem Standpunkt, dass andere therapeutische Faktoren ebenso wichtig oder wich­ ma, das angeschnitten wurde, wa r die Reaktion der G ru ppe a uf Peters Ausscheiden. Die
tiger sind und dass der Therapeut, der seine eigene Person wohl bedacht einsetzt, die G ru ppe sprach vorsichti g und m it großer Dista n z d arüber, und ich machte die Bemer­
therapeutische Kraft der Gruppe steigert, wenn er die Entwicklung dieser Faktoren för­ k u n g, wir hätten, so schien es m i r, u n sere Gefü hle Peter gege n ü ber in seiner Anwesen­
dert. Er gewinnt eine beträchtliche Rollenflexibilität und Handlungsfreiheit und kann heit niemals e h rl ich besprochen u nd vermieden sie selbst jetzt nach seinem Ausschei-

250 251
den. Zu den Reaktionen gehörte Marthas Bemerkung, sie sei froh, dass er fort sei, sie widerruflich meine Führungsrolle aufgegeben und sei ein Gruppenmitglied geworden;
h a be das Gefü h l geha bt, man könne nicht an i h n heran kom men, und sie habe gemeint, die Gru ppe werde nie wieder sein wie vorher, und außerdem hätte ich meinen Co-The­
es lohne sich nicht, es auch n u r zu versuchen. Da nn sprach sie ü be r seinen Mangel a n rapeuten, der in der folgenden Woche zu rückkommen werde, in eine unhaltba re Lage
B i l d u n g u n d ä u ßerte i h r E rsta u nen d a r ü ber, d a s s m a n i h n ü be r h a u pt i n die G ru ppe gebracht.
aufgenommen h a be - ein n u r schwach verh ü l lte r Hieb gegen die Therapeuten. I n Wi rklich keit erfü l lte sich keine d ieser Vora ussagen. In späteren Sitzu ngen stü rzte
Ich fa nd, die Gru ppe h a be es nicht nur vermieden, ü ber Peter z u sprechen, sondern sie sich die Gru ppe tiefer in d ie Arbeit; es dauerte meh rere Wochen, bis das Material, das
habe sich auch geweigert, a uf Marthas Neigung einzugehen, andere stä ndig zu beu r­ diese eine Sitz ung hervorgebracht hatte, verarbeitet wa r. Außerdem gingen d i e G r u p­
teilen u n d zu kritisieren. Ich meinte, ich könnte Martha u n d der Gru ppe helfen, dieses pen m itglieder nach dem Beispiel des Therapeuten viel u n m ittel ba re r mitei n a nder u m
Problem zu u ntersuchen, indem ich Ma rtha a ufforderte, in der Gru ppe die Runde z u als vorher und stel lten keine Forderung a n m ich oder m e i n e n Co-The rapeuten nach
machen und bei jedem die Wesenszüge z u beschreiben, die sie nicht a kzeptieren konn­ gesteigerter Sel bstoffenbaru ng.
te. Diese Aufga be erwies sich als sehr schwierig fü r sie, und sie wich i h r meist a us, in­
dem sie i h re E i nwä nde i m I m pe rfekt for m u l ierte - etwa : »Früher mochte ich e i n ige Je nach dem persönlichen Stil des Therapeuten und je nach den Zielen, die er zu einer
Züge an I h n e n nicht, aber heute ist das anders. « Als sie m it a l len Klienten fertig wa r, bestimmten Zeit verfolgt, gibt es viele verschiedene Arten der Transparenz des Thera­
wies ich sie d a rauf h i n , dass sie mich a usgelassen h atte - tatsächlich h atte sie i h re peuten. Therapeuten können sich offenbaren, um die Auflösung der Übertragung zu
Gefüh l e m i r gege n über, a bgesehen von indirekten Angriffen, noch nie geä ußert. Sie fördern oder um beispielhaft therapeutische Normen umzusetzen oder um das inter­
fing an, mich zu meinen Ungunsten mit dem Co-Therapeuten zu vergleichen, wobei sie personale Lernen der Gruppenmitglieder, die an ihrer Beziehung zum Gruppenleiter
sagte, ich zöge mich zu sehr z u rück und sei zu wenig effektiv; sofort versuchte sie d a n n arbeiten wollten, zu unterstützen oder um Mitglieder zu bestätigen und zu akzeptie­
i h re Bemerkungen wieder rückgängig zu machen, i n d e m s i e sagte, sti l le Wasser seien ren, indem sie praktisch sagen: »Ich schätze und respektiere Sie und demonstriere dies,
tief; sie rief sich Gelegen heiten ins Gedächtnis, bei denen ich ihr gege n ü be r besonders indem ich etwas von mir selbst preisgebe.«
feinfüh lig gewesen war.
Plötzlich erboten sich die a nderen G ruppe n m itglieder, die gleiche Aufga be d u rchzu ­ Ein a nscha u l iches Beispiel fü r eine Sel bstoffenbarung ei nes Therapeuten, welche d i e
fü h ren, und brachten d a bei v i e l e a lte Gru ppengeheimn isse ans Licht: Dons U n m ä n n­ thera peutische Arbeit förde rte, ka m in einer Sitz u n g vor, i n d e r a l l e d rei weiblichen
lichkeit, J a nices Sch l a m pigkeit u n d i h re Entsexua l isierung in Aufmach u ng u n d Klei­ Mitglieder darüber sprachen, wie stark sie sich von mir sexuell angezogen fü h lten. Wi r
d u ng sowie Russels Ma ngel an E m pathie gege n ü ber den Fra uen in der G ru ppe. Martha a rbeiteten viel an d e n Übertragu ngsaspekten d e r Situation, d a ran, dass d i e Frauen sich
wu rde mit einem Golfb a l l verglichen: »fest zusammengepresst und m it einer d icken von einem Man n angezogen füh lten, d e r offensichtl i ch beruflich off l i m its und u n e r­
Emai lschicht ü berzogen « . Don griff mich a n wegen meiner Weitschweifigkeit und mei­ reichbar, ä lter und in einer Autoritätsste l l u ng wa r, usw. Da nn wies ich d a rauf hin, dass
nes ma ngelnden I nteresses a n i h m . die Sache a uch noch eine andere Seite h a be. Keine der Frauen h a be meinem (ebenfa l l s
Da n n forderten die G ru ppenmitgl ieder m ich a uf, s i e auch a uf d iese Weise e i n e n nach m ä n n l ichen) Co-Thera peuten gege n ü be r ä h n liche Gefü h l e beka n nt, u nd a u ßerdem
dem anderen aufs Korn z u nehmen. Da ich frisch von einer siebentägigen T-G r u ppe hätten auch a ndere Klienti n nen, die vorher i n der G ru ppe gewesen seien, d a ssel be
zu rückgekom men wa r und kei n Bewunderer von Generälen bin, die i h re Armee a u s der e m pfu nden. Ich kon nte n icht leugnen, dass es m i r Vergn ügen bereitete, wenn d iese
Etappe füh ren, erklärte ich m ich dazu bereit. Ich sagte Martha, dass i h re rasche Bereit­ Gefü hle geä u ßert wurden, und ich forderte sie auf, mir zu h elfen, meine blinden Flecke
schaft, andere zu beurteilen u n d zu verdam men, m ich zögern lasse, mich i h r z u offen­ zu erken nen: Was tat ich u nwissentlich, um i h re positive Reaktion zu fördern?
baren, d a m it n icht auch ich gewogen und zu leicht befu nden wü rde. Ich erklä rte, ich D u rch meine Bitte ka m eine la nge und fruchtba re Diskussion ü ber d ie Gefü h l e d e r
sei m it dem Bild vom Golfba l l ei nversta nden, u n d fügte hinzu, ihr H a ng, ü be r andere Gruppen m itglieder beiden Therapeuten gege n ü ber in G a n g . G roße Ü bereinstim m u ng
zu richten, mache es m i r schwer, m ich i h r anders als in der Rolle ei nes erfa h renen Tech­ herrschte darü ber, dass wir sehr versch ieden waren: Ich sei eitler, sei viel m e h r auf mei­
nikers zu nähern. Ich sagte Don, ich spürte seinen B l ick stä ndig a uf m i r; ich wisse, er ne physische Erschei nung und meine Kleid ung bedacht und ich hätte eine Genauigkeit
wolle ganz d ri ngend etwas von m i r; die I ntensität seines Bed ü rfnisses und meine Un­ in meinen Aussagen, die m i r eine attraktive Aura gewinnender Perfektion verleihe. Der
fähigkeit, es zu befried igen, bereite m i r oft großes U n behagen. Janice sagte ich, bei i h r andere Therapeut sei u nordentl icher i n E rschei n u ng und Verhalte n : Er spreche öfter,
vermisste i c h einen Oppositionsgeist; s i e neige dazu, a l les, was ich i h r sage, s o u n kri­ wenn er noch u nsicher sei, was er sagen wol l e ; er sei risikofreud iger, sei bereit, sich ins
tisch a nzu n e h men u n d z u preisen, dass es manchmal schwierig werde, sie wie einen U n recht zu setzen, und h elfe d a m it öfter dem Klienten. Dieses Feed back ka m mir rich­
sel bststä nd igen, erwachsenen Menschen zu behandeln. tig vor. Ich hatte das a l les schon einmal gehört und sagte d ies der Gru ppe. Ich dachte
Die Sitzung ging a uf einer E bene des starken Engagements weite r, und nachher ä u ße r­ wä h rend der Woche ü ber i h re Kommentare nach, und auf der folgenden Sitzu n g d a n k­
ten die Beobachter sta rke Beden ken gegen mein Verhalten. Sie gla u bten, ich hätte un- te ich der G ruppe und sagte, sie hätten mir geholfen.

252
253
Fehler werden überall gemacht: Entscheidend für eine Therapie ist, wie mit einem sol­ Punkt a n trat die Gru ppe in eine weit gewin n bri ngendere Arbeitsphase ein. Außerdem
chen Fehler anschließend umgegangen wird. Therapeuten sind nicht allwissend, und warf der Kom mentar »Jetzt wissen Sie, wie sich das a nfü h lt« Licht auf einen der ver­
am besten erkennt man einfach an, dass das so ist. borgenen G ründe fü r die Angriffe a uf den Therapeuten. Dies wa r ein Beispiel dafü r, wie
ein Gruppen mitgl ied, eine Fra u, ihr Missha n d l u ngserlebnis sowohl demonstrierte als
Nach einem wütenden Wortwechsel zwischen zwei Gruppenmitgliedern, Barba ra u nd a uch meisterte, indem sie nicht a l s d i e Missh a ndelte, sondern a l s der Aggressor auf­
Susan, fiel es der Gru ppe schwer, den Schaden, den Barbara erlitten hatte, zu beheben. trat.
O bgleich es ihr sch l ießlich gelang, die Differenzen, die sie m it Susan geh a bt hatte,
d u rchzuarbeiten, wurde sie weiterhin n icht damit fertig, dass der Gru ppenthera peut Für den Therapeuten war es sehr aufschlussreich, diese Gefühle offen einzugestehen
sie nicht gesch ützt hatte. Trotz za h l reicher Erkläru ngsversuche gela ng es i h m n icht, und mit ihnen zu arbeiten, statt sie einfach weiter zu erleben.41 So stark im eigenen
diese schwierige Situation zu ü berwinden, bis ich sch ließlich erklärte: »Ich bedauere Wert herabgesetzt zu werden, ist für fast alle Therapeuten verunsichernd, und dies gilt
sehr, was geschehen ist. Ich m uss gestehen, dass Susans Kritik a n I h nen mich völlig insbesondere für den öffentlichen Raum der Gruppe. Doch gleichzeitig entsteht da­
ü berru m pelt hat - sie war wie e i n tropisches U nwetter blitzsch nell da, u nd m i r sind durch eine außerordentliche therapeutische Chance, wenn es den betreffenden Thera­
ei nfach die Worte weggeblieben. Ich habe einige Zeit gebraucht, u m m ich wieder zu peuten gelingt, ihre Würde zu bewahren und über das, was sie erlebt haben, in der
fassen, u nd als ich sch l ießlich so weit war, wa r das Malheur schon passiert. Wen n ich Gruppe ehrlich zu berichten. .71
damals gewusst hätte, was ich jetzt weiß, hätte ich anders reagiert. Es tut mir leid, dass Diese Fallbeispiele verdeutlichen einige nützliche allgemeine Prinzipien für den
m i r das nicht möglich war. « Therapeuten, der Feedback, insbesondere negatives Feedback, bekommt:
Statt m ich für in kompetent zu h a lten, weil ich etwas fü r sie sehr Wichtiges nicht ge­
schafft hatte, fü hlte Ba rbara sich erleichtert u nd sagte, genau dies habe sie hören müs­ 1. Nehmen Sie es ernst. Hören Sie es sich an, überdenken Sie es und reagieren Sie da­
sen. Ba rbara brauchte m ich nicht als a l l mächtiges Wesen, sondern als Menschen - dass rauf. Respektieren Sie die Klienten und lassen Sie sich von dem Feedback beein­
ich in der Lage war, meinen Fehler einzugestehen u nd aus dem, was geschehen wa r, zu drucken; wenn Sie es nicht tun, vermehren Sie bei der Gruppe nur das Gefühl der
lernen, auf dass es in Zukunft wa h rsche i n l ich n icht mehr geschehen würde. Ohnmacht.
2. Verschaffen Sie sich konsensuelle Validierung: Finden Sie heraus, wie andere Mit­
Ein weiteres a nscha u l iches k l i n isches Beispiel sta m mt aus der Gru ppe wei b licher glieder die Sache sehen. Ist das Feedback in erster Linie eine übertragungsreaktion
l nzestopfer, die ich weiter oben i n d iesem Kapitel bereits erwä h nt h a be. Die vernich­ oder entspricht es weitgehend der Realität? Wenn es so ist, müssen Sie das bestäti­
tende Wut mir (und in etwas geri ngerem Ausmaß a u ch meiner Co-Thera peutin) ge­ gen, sonst schaden Sie der Realitätsprüfung des Klienten mehr, als dass Sie sie för­
gen ü ber hatte u n s zugesetzt, u n d z u m Ende einer Sitzung h i n erörterten wir offen dern.
u nsere E rfahru ngen in der Gruppe. Ich erklärte, dass ich mich demoralisiert und meiner 3. Überprüfen Sie Ihr inneres Erleben: Passt das Feedback? Stimmt es mit Ihrem
Fä higkeiten bera u bt fü h le, dass alles, was ich in der G ruppe aus probiert hatte, nicht inneren Erleben überein?
hilfreich gewesen sei, u nd ü berdies, dass ich m ich i n der G ruppe ängstl ich und verwirrt
fü hle. Meine Co-Leiterin besprach ä h n l iche Gefühle: i h r U n behagen ü ber die von Wett­ Wenn der Therapeut diese Prinzipien als Leitlinien nimmt, bietet er Reaktionen wie:
bewerb geprägten Bezieh u ngen der Frauen zu ihr und ü ber den stä ndig auf ihr lasten­ »Sie haben recht. Manchmal bin ich ärgerlich über Sie, aber keinesfalls möchte ich Ih­
den Druck, i rgendeinen Missbra uch zu ent h ü l len, den sie erlebt haben könnte. Wir rer Weiterentwicklung im Wege stehen, Sie verführen, voyeuristisches Vergnügen aus
sagten den Fra u en, dass i h r erbarmu ngsloser Zorn u n d i h r Misstra uen i m Licht i h res Ihren Berichten von Ihrem Missbrauch ziehen ·oder Ihre Therapie verlangsamen, da­
Missbra uchs in der Verga ngenheit vol l kommen verstä nd lich fü r uns war, dass wir a ber mit ich mehr Geld von Ihnen bekomme. Das gehört einfach nicht zu meinen Erfah­
trotzdem am l iebsten beide hera usgeschrien hätten: »Was euch zugestoßen ist, war rungen mit Ihnen.« Oder: »Es trifft zu, dass ich einigen Ihrer Fragen ausweiche. Aber
schrecklich, a ber wir haben es n icht geta n. « oft kann ich sie einfach nicht beantworten. Sie halten mich für weiser, als ich bin. Ich
Diese Episode erwies sich a l s Wendepu n kt fü r die Gru ppe. Ein Mitglied {das berichtete, fühle mich unbehaglich bei Ihrer Unterwürfigkeit. Ich habe immer das Gefühl, dass Sie
es sei als Kind brutal rituell m issbraucht worden) machte in derselben Richtung weiter. sich sehr klein machen und immer zu mir aufschauen.« Oder: »Ich habe es noch nie
{»Oh, Sie fühlen sich u n behaglich u nd verwirrt! Was fü r e i n Jam mer! Aber n u n wissen erlebt, dass Sie mich so direkt infrage stellen. Obwohl es mir ein wenig Angst macht,
Sie wenigstens, wie sich das a nfü h lt. « ) Doch die anderen waren tief von u nserem Ge­ ist es auch sehr erfrischend.« Oder: »Bei Ihnen fühle ich mich sehr eingeschränkt, sehr
stä n d n i s bee i n d ruckt. Sie waren ersta u nt, von u nserem U n behagen und von i h rer unfrei, weil Sie mir so viel Macht über sich einräumen. Ich habe das Gefühl, ich muss
Macht ü ber u ns zu hören, u n d d a n kbar, dass wir bereit wa ren, Autorität a ufzugeben jedes Wort abwägen, das ich zu Ihnen sage, weil Sie allem, was ich sage, so viel Gewicht
und auf offener, gleich berechtigter E bene zu ihnen in Bezie h u ng zu treten. Von diesem geben.«

254
255
Man beachte, dass diese Selbstoffenbarungen des Therapeuten alle zum Hier und schieht völlig unabsichtlich und lässt sich nicht vermeiden - dazu zählen beispielswei­
Jetzt der Gruppe gehören. Ich befürworte, dass Therapeuten sich im Hier und Jetzt der se Informationen über eine Schwangerschaft, über Trauerfälle und über berufliche Er­
Therapiestunde authentisch zu ihren Klienten in Beziehung setzen, nicht dass sie ihre folge.46 In manchen Gruppen, und dies gilt speziell für besonders homogene Gruppen,
Vergangenheit und Gegenwart in Einzelheiten preisgeben - obwohl es meiner Ansicht die aufgrund einer Thematik wie Substanzmissbrauch, einer speziellen sexuellen Ori­
nach nicht schaden kann, wenn der Therapeut so allgemeine persönliche Fragen be­ entierung oder einer bestimmten Krankheit zusammenkommen (siehe Kapitel 1 5 ) ,
antwortet wie die, ob er verheiratet ist und Kinder hat, wo er seinen Urlaub verbringt, werden die Gruppenleiter von den Teilnehmern wahrscheinlich nach ihrer persönli­
wo er aufgewachsen ist usw. Manche Therapeuten gehen wesentlich weiter und wollen chen Beziehung zum Gegenstand der Gruppenarbeit befragt: Ob sie persönlich Erfah­
vielleicht irgendein ähnliches persönliches Problem beschreiben, das sie belastete und rungen mit Substanzmissbrauch haben? Ob sie selbst homosexuell sind? Ob sie die
das sie überwunden haben. Ich persönlich habe dies nie nützlich oder notwendig ge­ Krankheit, die im Mittelpunkt der Gruppenarbeit steht, selbst gehabt haben? Thera­
funden.42* peuten müssen in solchen Fällen die entsprechenden Informationen über sich mittei­
Eine Studie über die Wirkungen der Selbstoffenbarung des Therapeuten auf eine len, weil dies den Gruppenmitgliedern zu begreifen hilft, dass der Therapeut das, was
Gruppe während eines Zeitraumes von sieben Monaten ergab, dass Transparenz des die Klienten erlebt haben, versteht und dass er ihnen gegenüber Empathie zu empfin­
Therapeuten sich in vielerlei Hinsicht positiv auswirkt.43 Erstens kam die Selbstoffen­ den vermag. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Therapeut ausführlich Einzelheiten
barung des Therapeuten mit größerer Wahrscheinlichkeit vor, wenn die therapeutische aus seiner Lebensgeschichte enthüllen muss. Solche Offenbarungen sind für die thera­
Kommunikation unter den Mitgliedern nicht stattfand. Zweitens hatte die Selbstoffen­ peutische Arbeit in der Regel nicht von Nutzen, weil sie die unterschiedlichen Rollen
barung des Therapeuten die Wirkung, das Muster der Gruppeninteraktion in eine kon­ und Funktionen von Therapeut und Gruppenmitgliedern verwaschen.
struktivere, sensiblere Richtung zu verschieben. Schließlich führte die Selbstoffenba­ Zwar drängen Gruppenmitglieder einen Therapeuten nur selten zu einer unange­
rung des Therapeuten sofort zu einer Steigerung der Gruppenkohäsivität. Viele Thera­ messenen Selbstoffenbarung, doch taucht gelegentlich eine ganz bestimmte persön­
peuten schrecken jedoch vor der Selbstoffenbarung zurück, ohne sich über ihre Gründe liche Frage auf, die viele Gruppentherapeuten fürchten. Sie wird illustriert im Traum
im Klaren zu sein. Vielleicht rationalisieren sie sie allzu oft, indem sie ihre persönlichen eines Gruppenmitglieds ( dem gleichen, das den Therapeuten mit einem Miethai ver­
Neigungen fachlich übertünchen. Es dürfte kaum zweifelhaft sein, dass die persönli­ glichen hatte): »Die ganze Gruppe sitzt um einen langen Tisch, und Sie (der Thera­
chen Qualitäten eines Therapeuten sowohl seinen Arbeitsstil als auch die Wahl seiner peut) besetzen den Platz am Kopfende. Sie haben ein Blatt Papier in der Hand, auf dem
ideologischen Richtung und der bevorzugten klinischen Modelle beeinflussen . .71 etwas geschrieben steht. Ich versuche, es Ihnen wegzuschnappen, aber Sie sitzen zu
In Debriefing-Sitzungen nach Abschluss einer Therapie habe ich mit Klienten oft weit entfernt. « Monate später, nachdem bei dieser Frau wichtige persönliche Verände­
über Selbstoffenbarungen des Therapeuten diskutiert. Die meisten Klienten erklärten rungen eingetreten waren, erinnerte sie sich an den Traum und erklärte ergänzend, sie
in solchen Situationen, sie hätten sich vom Therapeuten gewünscht, dass er offener ge­ habe immer gewusst, was ich auf das Blatt geschrieben hatte, es aber vor der Gruppe
wesen wäre und sich in der Gruppe stärker persönlich engagiert hätte. Nur sehr weni­ nicht sagen wollen. Es sei meine Antwort auf die Frage »Lieben Sie mich? « gewesen.
ge hätten sich gewünscht, dass ihre Therapeuten mit ihren Klienten mehr über ihr Pri­ Dies ist für den Gruppentherapeuten eine bedrohliche Frage. Und es gibt noch eine
vatleben oder über ihre persönlichen Probleme gesprochen hätten. Eine Studie, die damit verwandte und sogar noch beunruhigendere Anschlussfrage: »Wie sehr lieben
sich auf Einzeltherapien bezog, gelangte zu den gleichen Resultaten: Klienten ziehen es Sie jeden von uns?« Oder: »Wen lieben Sie am meisten?«
vor, dass ihre Therapeuten sich persönlich engagieren, und sie profitieren davon; in der Diese Fragen bedrohen die Essenz des psychotherapeutischen Vertrags. Sie stellen
Regel sind ihnen Therapeuten lieber, die »nicht zu still« sind. 44 Keiner der Befragten Gebote infrage, auf deren Verschleierung sich beide Parteien verständigt haben. Sie
erklärte, er bevorzuge es, dass der Therapeut sich vollständig offenbare. sind nur einen Schritt entfernt von einem Kommentar zu dem Modell »Wie gewinnt
Weiterhin gibt es Anzeichen dafür, dass Gruppenleiter transparenter sind, als ihnen man einen Freund? « , das lautet: »Wenn Ihnen wirklich etwas an uns liegt, würden Sie
selbst klar ist. Eigentlich geht es gar nicht darum, dass wir uns offenbaren - denn das uns auch dann kommen lassen, wenn wir kein Geld hätten?« Diese Fragen kommen
können wir sowieso nicht vermeiden45 -, sondern es geht darum, wie wir unsere Trans­ dem letzten, schrecklichen Geheimnis des Psychotherapeuten gefährlich nahe, dass das
parenz und unsere klinische Ehrlichkeit nutzen. Eine gewisse Selbstoffenbarung ge- intensive Drama im Gruppenraum in seinem Leben nur eine ganz kleine Rolle spielt.
Wie in Tom Stoppards Schauspiel Rosencrantz and Guildenstern Are Dead werden
* Eine kleine Untersuchung im Bereich der Einzeltherapie ergab, dass bestimmte Selbstoffenbarungen Schlüsselfiguren in dem einen Drama rasch zu Schatten in den Kulissen, wenn der
von Therapeuten, die nicht das Hier und Jetzt betreffen, die reale (nicht übertragungsabhängige) Be­ Therapeut sich sofort auf die Bühne eines anderen Dramas begibt.
ziehung zwischen Klient und Therapeut stärken könnten. Persönliche Offenbarungen des Thera­
Nur einmal war ich so blasphemisch, dies vor einer Gruppe offen zuzugeben. Eine
peuten über gemeinsame Interessen oder Aktivitäten, die auf Äußerungen des Klienten hin erfolgten,
wirkten normalisierend und unterstützend auf den Klienten und vertieften indirekt seinen Lern­ Therapiegruppe von Assistenzärzten der Psychiatrie befasste sich mit meiner Abreise
prozess. (ich hatte ein Sabbatjahr vor mir). Mein persönliches Erleben während dieser Zeit war

256 257
ein Abschiednehmen von einer Reihe von Klienten und von mehreren Gruppen, bei se Anweisungen und das dahinterstehende Gefühl auf die therapeutische Beziehung
denen ich emotional stärker engagiert war als bei den Assistenzärzten. Die Arbeit des zutiefst zersetzend. Die Therapeuten müssen sich ihr Feld wiedererobern und dürfen
Therapieabschlusses war schwierig, und die Gruppenmitglieder schrieben einen Groß­ sich in ihrer Berufsausübung von keiner anderen Überlegung leiten lassen als vom
teil der Schwierigkeiten dem Umstand zu, dass ich mich von der Gruppe nur schwer Wohl des Klienten. Zu ihrer Ehrenrettung sei erwähnt, dass die Autoren des 1993 er­
verabschieden konnte, weil ich so sehr Anteil an ihr genommen hatte. Ich erkannte dies schienenen Artikels die antitherapeutische Wirkung dieser ersten Veröffentlichung er­
an, konfrontierte sie aber mit der Tatsache, die sie wussten, aber nicht wissen wollten, kannten und eingestanden und fünf Jahre später einen zweiten Aufsatz publizierten, in
nämlich, dass ich ihnen viel wichtiger war als sie mir. Schließlich hatte ich viele Klien­ dem sie die durch den ersten Artikel hervorgerufene überreaktion zu korrigieren ver­
ten; sie hatten nur einen Therapeuten. Dieses Ungleichgewicht kannten sie in ihrer suchten. Der zweite Artikel wendet sich an den gesunden Menschenverstand und plä­
psychotherapeutischen Arbeit mit ihren eigenen Klienten sehr gut; sie hatten diese Er­ diert für die Anerkennung der Bedeutung des klinischen Kontexts bei dem Bemühen,
kenntnis aber nie auf sich selbst angewendet. Die Gruppe hielt den Atem an, als diese Grenzprobleme in einer Therapie zu verstehen oder zu beurteilen. Die Autoren fordern
Wahrheit, diese Leugnung ihrer Besonderheit, diese der Psychotherapie innewohnende Therapeuten auf, sich Rat zu holen oder sich in Supervision zu begeben, wenn sie sich
Grausamkeit bei ihnen einschlug. bezüglich ihrer therapeutischen Haltung oder bezüglich bestimmter Interventionen
unsicher sind.48
Der Streitpunkt »Transparenz des Therapeuten« wird um ein Vielfaches komplizierter Doch gilt es, sich in jeder Hinsicht zu mäßigen. Es gibt einen angemessenen Platz
durch die derzeitige Epidemie von Presseberichten über Fälle sexuellen Missbrauchs für Geheimhaltung des Therapeuten, und der beste Therapeut ist keineswegs derjeni­
durch Therapeuten. Leider haben die verantwortungslosen oder von Impulsen heim­ ge, der sich am umfassendsten und beständigsten selbst enthüllt. Wenden wir unsere
gesuchten Therapeuten, die, um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, ihre beruf­ Aufmerksamkeit den Gefahren der Transparenz zu.
lichen und moralischen Grundsätze verraten, nicht nur ihren eigenen Klienten
geschadet, sondern auch eine heftige Reaktion ausgelöst, die dem Vertrauen in die Gefahren der Transparenz des Therapeuten
Beziehung zwischen Therapeut und Klient allgemein geschadet hat. Vor einiger Zeit beobachtete ich eine Gruppe, die von zwei Gruppentherapeuten ge­
Infolgedessen haben Berufsverbände überall eine höchst reaktionäre Haltung hin­ führt wurde, die gerade am Anfang ihrer Laufbahn standen und sehr viel von dem Ide­
sichtlich der beruflichen Beziehung eingenommen. Da sie sich von rechtlichen Konse­ al der Transparenz des Therapeuten hielten. Sie stellten eine Gruppe aus ambulanten
quenzen bedroht fühlen, empfehlen sie Therapeuten eine defensive Berufsausübung, Klienten zusammen und befleißigten sich unerschütterlicher Aufrichtigkeit, wobei sie
bei der sie einen möglichen Rechtsstreit ebenso im Auge haben wie den Klienten. An­ gleich in den ersten Gruppensitzungen offen ihre Unsicherheit in der Gruppenthera­
wälte und Geschworene, sagen sie, werden argumentieren, »wo Rauch ist, ist auch Feu­ pie, ihre Unerfahrenheit, ihre Selbstzweifel und ihre persönlichen Ängste äußerten.
er«, also dass menschliche Interaktionen zwischen Klient und Therapeut an sich Be­ Man mag ihren Mut bewundern, ihre Ergebnisse jedoch nicht. In ihrem Übereifer,
weise für ein Vergehen darstellen, weil jede Begegnung zwischen Therapeut und Klient Transparenz zu verwirklichen, vernachlässigten sie ihre Funktion, die Gruppe zusam­
auch leichte Grenzverletzungen enthalten kann. Folglich wird Therapeuten von Pro­ menzuhalten, und die meisten Mitglieder verließen die Gruppe im Verlauf der ersten
fessionellen nahegelegt, sich von eben der Menschlichkeit abzuwenden, die der Kern sechs Sitzungen.
der therapeutischen Beziehung ist. Beispielsweise wurde in einem Artikel in einer Aus­ Ungeübte Gruppenleiter, die versuchen, Gruppen mithilfe des monolithischen Cre­
gabe des American Journal of Psychiatry von 1993,47 der in einem äußerst viktoriani­ dos »Sei du selbst« als zentrales Organisationsprinzip für alle anderen Techniken und
schen Ton geschrieben war, eine erstickende Formalität befürwortet. Darin wurden Strategien zu führen, erreichen gewöhnlich nicht Freiheit, sondern Einengung. Das Pa­
Psychiater gemahnt, ihren Klienten weder Kaffee noch Tee anzubieten, sie nicht beim radox liegt darin, dass Freimut und Spontaneität im Extrem eine Führungsrolle schaf­
Vornamen zu nennen, ihre eigenen Vornamen nicht zu verwenden, niemals die fünfzig fen können, die ebenso eng und einschränkend ist wie die des traditionellen Leiters,
Minuten Behandlungszeit zu überschreiten, keinen Klienten in der letzten Arbeitsstun­ der nur eine leere Projektionsleinwand darbietet. Unter dem heutigen Wahlspruch »Al­
de des Tages zu sehen (weil in dieser Zeit am häufigsten Übergriffe geschehen) , niemals les ist erlaubt, wenn es nur echt ist« opfert der Gruppenleiter seine Flexibilität.49
einen Klienten zu berühren .:_ selbst eine Handlung wie einem Aids-Klienten, der sich Man bedenke nur die Frage des Timings. Die völlig offenen unerfahrenen Thera­
wie ein ausgestoßener Leprakranker fühlt, den Arm zu drücken oder auf die Schulter peuten, von denen gerade die Rede war, übersahen die Tatsache, dass ein Führungsver­
zu klopfen, sollte genau geprüft und dokumentiert werden: Offensichtlich wirken die- halten, das in einem bestimmten Stadium der Therapie angebracht sein mag, in einem
anderen ganz unangemessen sein kann. Wenn die Klienten am Anfang Unterstützung
und Struktur brauchen, um in der Gruppe zu bleiben, ist der Therapeut dazu da, diese
* Bei einem kürzlich veranstalteten Psychotherapiekongress stellten Produzenten Videosysteme vor, die
Therapeuten zur Aufzeichnung aller Sitzungen einsetzen konnten, um sich vor unseriösen Rechts­ anzubieten
streitigkeiten zu schützen. Der Gruppenleiter, der vor allem den Anschein der Gleichberechtigung zwischen

258 259
Mitgliedern und Leiter erwecken möchte, wird auf die Dauer möglicherweise gar keine ten Typen schon seit 20 Jahren im Hinterzimmer einer Bar. Die Gruppe ist äußerst sta­
Führung geben können. Es ist ein naives Missverständnis, wenn man das effektive Rol­ bil, und es gibt viele etablierte Gruppennormen. Jedermann hält sich durch eine Reihe
lenverhalten des Gruppenleiters als unveränderlich ansieht. Wenn die Gruppe sich ent­ von lliusionen (O'Neill nennt sie »Pfeifenträume«) aufrecht. Eine der am besten ein­
wickelt und reift, sind immer wieder andere Formen der Führung erforderlich. Außer­ gespielten Gruppennormen besagt, dass keiner die Pfeifenträume des anderen infrage
dem kann der ehrliche Kommentar des engagierten Leiters die pragmatisch richtige stellen darf. Dann kommt Hickey, der Eismann, ein Handlungsreisender, ein total auf­
Reaktion sein und nicht kritikloser Ausdruck dessen, was vielleicht die Verzerrungen geklärter Therapeut, ein falscher Prophet, der glaubt, jedem dieser Männer Erfüllung
oder falschen Wahrnehmungen des Therapeuten sein können.50 Schließlich trifft zu, und dauernden Frieden zu bringen, indem er ihn zwingt, seine Selbsttäuschungen auf­
was Parloff sagt: »Ein ehrlicher Therapeut ist einer, der versucht, das zu liefern, was der zugeben und die Sonne seines Lebens anzustarren, ohne mit der Wimper zu zucken.
Klient assimilieren, verifizieren und nutzen kann.«51 Ferenczi hat schon vor Jahren die Hickeys Chirurgie ist geschickt. Er zwingt Jimmy Tomorrow ( dessen Pfeifentraum da­
Notwendigkeit des richtigen Timings unterstrichen. Er schrieb, der Analytiker dürfe rin besteht, seinen Anzug aus dem Pfandhaus zu holen, nüchtern zu werden und »mor­
nicht zu früh seine Fehler und Unsicherheiten zugeben.52 Der Klient müsse sich seiner gen« eine Arbeit anzunehmen), sofort zu handeln. Er gibt ihm etwas zum Anziehen
eigenen Fähigkeiten genügend sicher sein, ehe er aufgerufen werde, die Mängel dessen und schickt ihn und dann auch die anderen Männer aus der Bar hinaus, um sich dem
zu erkennen, auf den er sich stützt: Heute zu stellen.
Forschungsberichte über die Einstellung von Gruppenmitgliedern zur Selbstoffen­ Die Wirkungen auf jeden einzelnen Mann und auf die Gruppe insgesamt sind ka­
barung des Therapeuten haben ergeben, dass die Mitglieder empfindlich auf Timing tastrophal. Einer begeht Selbstmord, andere verfallen in schwere Depressionen, der
und Inhalt der Selbstoffenbarung reagieren.53 Selbstoffenbarung des Therapeuten, die Suff macht ihnen keinen Spaß mehr, die Männer greifen jeweils die Illusionen der an­
man am Anfang des Gruppenlebens als schädlich beurteilt, werden später in einer deren an, die Gruppenbindungen lösen sich auf, und die Gruppe selbst nähert sich
reiferen Gruppe als weiterführend gesehen. Außerdem sind Mitglieder, die schon viel dem Zerfall. In einem plötzlichen Akt der Auflehnung in letzter Minute bezeichnet die
Erfahrung mit Gruppentherapie haben, viel begieriger auf Selbstoffenbarungen des Gruppe Hickey als psychotisch, wirft ihn hinaus und stellt allmählich ihre alten Nor­
Therapeuten als unerfahrene Teilnehmer. Durch Inhaltsanalyse lässt sich zeigen, dass men und ihre Kohäsivität wieder her. Diese »Pfeifenträume« oder »Lebenslügen«, wie
Gruppenmitglieder Leiter vorziehen, die positive Ziele offenbaren (zum Beispiel per­ Henrik Ibsen sie in Die Wildente nennt56 - sind oft für die persönliche und soziale
sönliche und berufliche), die sich zu normalen Gefühlen bekennen (Einsamkeit, Trau­ Integrität unentbehrlich. Man sollte sie nicht leicht nehmen oder sie im Dienste der
rigkeit, Wut, Sorgen und Ängste); sie missbilligen es, wenn ein Gruppenleiter negative Aufrichtigkeit impulsiv abschaffen wollen.
Gefühle in Bezug auf ein Einzelmitglied oder das Gruppenerleben äußert (z.B. Lange­ Die sozialen Problemen in den USA kommentierend, hat Victor Frankl einmal vor­
weile oder Frustration).54 Nicht alle Emotionen kann der Therapeut zum Ausdruck geschlagen, man solJe der Freiheitsstatue an der Ostküste als Gegengewicht eine Ver­
bringen. Der Ausdruck von Feindseligkeit beispielsweise wirkt fast in jedem Fall schä­ antwortungsstatue an der Westküste gegenüberstellen.57 In der Therapiegruppe wird
digend, und dies oft in irreparablem Maße; dies trägt zum vorzeitigen Abbruch der Freiheit nur möglich und konstruktiv, wenn sie mit Verantwortung gepaart ist. Keiner
Therapie und zu negativen Therapieergebnissen bei. 11 von uns ist frei von Impulsen oder Gefühlen, die für einen anderen destruktiv werden
Ist eine vollständige Selbstoffenbarung in der Therapiegruppe oder in der Außen­ könnten, wenn man sie äußert. Ich schlage vor, dass wir Klienten und Therapeuten er­
welt überhaupt möglich? Oder wünschenswert? Ein gewisses Maß an persönlicher und mutigen, frei zu sprechen, alle inneren Zensoren und Filter abzuschaffen bis auf einen
interpersonaler Verheimlichung scheint ein integraler Bestandteil jeder Gesellschafts­ - den Filter der Verantwortung gegenüber anderen.
ordnung, die ihren Zweck erfüllt, zu sein. Eugene O'Neill hat dies in »The Iceman Ich meine nicht, dass keine unerfreulichen Gefühle geäußert werden sollen; tatsäch­
Cometh« dramatisch veranschaulicht.55 In diesem Stück lebt eine Gruppe von kaput- lich kann kein Wachstum stattfinden, wo es keine Konflikte gibt. Ich meine jedoch,
dass Verantwortung und nicht totale Selbstoffenbarung das übergeordnete Prinzip ist. 11
• Ein aufschlussreiches Beispiel für diesen Grundsatz findet sich in Hermarm Hesses Roman Das Glas­ Der Therapeut hat eine bestimmte Art von Verantwortung -Verantwortung gegenüber
perlenspiel, in dem er ein Ereignis im Leben zweier berühmter indischer Heiler beschreibt. Joseph, ei­ den Klienten und dem Verlauf der Therapie. Die Gruppenmitglieder haben eine
ner der Heiler, leidet schwer unter Gefühlen der Wertlosigkeit und des Selbstzweifels; er macht sich
auf eine lange Reise quer durch den indischen Subkontinent, um Hilfe bei seinem Rivalen Dion zu
menschliche Verantwortung untereinander. Wenn im Laufe der Therapie die Selbst­
suchen. In einer Oase beschreibt Joseph einem Fremden, der sich dann auf wundersame Weise als bezogenheit abnimmt, wenn die Einfühlung wächst, kommt diese Verantwortung in
Dion entpuppt, sein Leiden; Joseph nimmt daraufhin Dions Einladung an, als Klient und Diener mit den Interaktionen der Klienten untereinander zum Tragen.
ihm zu gehen. Alsbald gewinnt Joseph seine frühere Heiterkeit, seinen Eifer und seine Kraft zurück; Der Therapeut ist aber nicht in erster Linie in der Gruppe, um aufrichtig zu sein
schließlich wird er der Freund und Kollege seines Meisters. Erst nach vielen Jahren gesteht Dion auf
dem Totenbett seinem Freund Joseph, dass er bei ihrer Begegnung in der Oase selbst in einer ähn­
oder sich vollständig zu offenbaren. Sie müssen sich darüber im Klaren sein, warum
lichen Sackgasse in seinem Leben angekommen und auf dem Weg gewesen war, Joseph um Hilfe zu Sie sich offenbaren. Verbinden Sie damit eine klare therapeutische Absicht, oder beein­
bitten. flusst die Gegenübertragung Ihr Vorhaben? Welche Wirkung wird Ihre Selbstoffenba-

260 261
rung nach Ihrer Vermutung haben? Wenn er sich über sein Verhalten im Unklaren ist,
kann es ihm nutzen, einen Augenblick zurückzutreten und sich noch einmal zu über­
legen, welche seine wichtigsten Aufgaben in der Gruppe sind. Die Selbstoffenbarung
des Therapeuten ist eine Hilfe für die Gruppe, weil sie den Klienten als Modell dient Kapitel 8
und ihnen bei der Realitätsprüfung ihrer Gefühle gegenüber dem Therapeuten hilft.
Fragen Sie sich: »Wo ist die Gruppe jetzt? Ist es eine verschlossene, übervorsichtige
Gruppe, die Nutzen daraus ziehen könnte, wenn der Leiter ein Beispiel der persönli­
chen Selbstoffenbarung gibt? Oder ist es eine Gruppe, die schon lebendige Normen der
Die Au swah l der Klienten
Selbstoffenbarung aufgestellt hat und andere Hilfe braucht?« Sie müssen überlegen, ob
Ihr Verhalten mit der Funktion der Erhaltung der Gruppe in Konflikt gerät, müssen Gute Gruppentherapie beginnt mit einer sorgfältigen Auswahl der Klienten. Klienten,
wissen, wann Sie in den Hintergrund treten sollten. Im Unterschied zum Einzelthera­ die einer falschen Therapiegruppe zugewiesen werden, haben von ihrer Therapieerfah­
peuten muss der Gruppentherapeut nicht die »Therapieachse« sein. Sie sind in man­ rung wahrscheinlich keinen Nutzen. Außerdem wird eine falsch zusammengesetzte
cher Beziehung die Hebamme der Gruppe: Sie müssen einen therapeutischen Prozess Gruppe nie zum Leben erwachen, da sie nie für irgendein Mitglied einen ausbaue
in Gang setzen und darauf achten, diesen Prozess nicht zu stören, indem Sie auf Ihrer fähigen Behandlungsrahmen dargestellt hat. Deshalb ist es verständlich, dass heutige
zentralen Rolle beharren. Psychotherapieforscher aktiv untersuchen, wie es sich auswirkt, Klienten aufgrund
Eine zu enge Definition der Rolle des Gruppentherapeuten - ob sie nun auf dem spezifischer Charakteristika und Eigenschaften mit bestimmten Psychotherapien zu
Kriterium der Transparenz oder auf irgendeinem anderen beruht - kann dazu führen, behandeln.
dass der Gruppenleiter die Individualität der Bedürfnisse jedes einzelnen Klienten aus In diesem Kapitel werde ich mich mit Untersuchungen befassen, die sich mit der
dem Auge verliert. Trotz Ihrer Gruppenorientierung müssen Sie auch einen gewissen Auswahl von Klienten für eine Gruppentherapie auseinandersetzen, und mich mit
Blick für die individuellen Brennpunkte behalten; nicht alle Klienten brauchen das­ praktischen Aspekten dieser Auswahl beschäftigen. In Kapitel 9, in dem es um die Zu­
selbe. Manche, vielleicht die meisten Klienten, müssen ihre Steuerungsmechanismen sammenstellung von Gruppen geht, werde ich auf eine andere Frage eingehen: Wenn
lockern; sie müssen lernen, Affekte zu äußern wie Wut, Liebe, Zärtlichkeit, Hass. An­ über die Eignung eines Klienten für eine Gruppentherapie Klarheit besteht, in welche
dere jedoch brauchen das Gegenteil; sie müssen Triebsteuerung erwerben, weil ihr Le­ konkrete Gruppe sollte er dann gehen? Diese beiden Kapitel konzentrieren sich auf die
bensstil ohnehin durch labile und sofort in Handlungen umgesetzte Affekte gekenn­ Therapie in einer bestimmten Art von Gruppe: der heterogenen Gruppe für ambulant
zeichnet ist. behandelte Klienten, welche die ehrgeizigen Ziele der Symptombeseitigung und der
Eine letzte Folge einer mehr oder weniger unbeschränkten Transparenz des Thera­ Veränderung des Charakters verfolgt. Jedoch sind viele dieser allgemeinen Prinzipien,
peuten ist die, dass möglicherweise die kognitiven Aspekte der Therapie völlig ver­ wie ich in Kürze erörtern werde, für andere Gruppentypen relevant, einschließlich der
nachlässigt werden. Wie bereits erwähnt, ist Katharsis an sich noch kein korrigierendes kürzeren, problemorientierten Gruppe. Hier, wie auch an anderen Stellen dieses Buchs,
Erlebnis. Auch ein gewisses kognitives Lernen oder eine kognitive Umstrukturierung wende ich die pädagogische Strategie an, dem Leser grundlegende Prinzipien der
(von denen der Therapeut einen Großteil bereitstellt) scheint erforderlich zu sein, um Gruppentherapie sowie zusätzliche Strategien zur Anpassung derselben an viele kon­
den Klienten zu befähigen, Gruppenerfahrungen auf sein Leben außerhalb der Gruppe krete Situationen zu vermitteln. 71 Es gibt keine andere sinnvolle Unterrichtsstrategie.
zu übertragen; ohne diese übertragung oder Überführung haben wir nur bessere, an­ Die Zahl problemspezifischer Gruppen ist so groß (siehe hierzu auch Kapitel 15), dass
genehmere Mitglieder von Therapiegruppen geschaffen. Ohne den Erwerb bestimmter man sich nicht separat auf Auswahlstrategien für jede einzelne konzentrieren kann -
allgemeiner Strukturen in interpersonalen Beziehungen muss der Klient vielleicht bei auch würde ein Lehrer das gar nicht wollen. Dies hätte eine zu eng gefasste und zu star­
jeder seiner späteren interpersonalen Transaktionen wieder von vorne anfangen. re Ausbildung zur Folge. Ein Ausbildungsteilnehmer, der nach einem solchen Lehrplan
unterrichtet worden wäre, könnte sich zukünftig neu entstehenden Formen der Grup­
pentherapie nicht anpassen. Wenn Studierende die Grundlagen der prototypischen
Psychotherapiegruppe verinnerlicht haben, verfügen sie über eine Ausgangsbasis, von
der ausgehend sie ihre Arbeitsweise so modifizieren können, dass sie mit diversen kli­
nischen Populationen und Zusammenhängen zurechtkommen.
Die Effektivität der Gruppentherapie. Wir werden uns zunächst mit der für alles Wei­
tere entscheidenden Frage bei der Auswahl der Klienten für eine Therapiegruppe be­
schäftigen: Sollte ein bestimmter Klient - und diese Frage stellt sich bei jedem Klienten

262 263
- an einer Gruppentherapie teilnehmen? Anders ausgedrückt: Wie wirksam ist eine die eine aktive klinische Betreuung benötigen oder bei denen relationale Probleme we­
Gruppentherapie? Diese Frage, die häufig von auf Einzeltherapie spezialisierten Thera­ niger wichtig sind und persönliche Einsicht und Verstehen eine besonders wichtige
peuten und immer von den Kostenträgern gestellt wird, muss erörtert werden, bevor Rolle spielen, eine Einzeltherapie zu empfehlen. I I
wir uns subtileren Aspekten der Klientenauswahl zuwenden. Die Antwort ist eindeutig: So weit, so gut! Wir können darauf vertrauen ( und sollten dieses Vertrauen über­
Gruppentherapie ist ein hochwirksames Behandlungsverfahren, von dem diejenigen, die weisenden und Kostenträgern weitervermitteln), dass die Gruppentherapie eine wirk­
i
daran teilnehmen, in signifkantem Maße profitieren. 2 same Behandlungsmodalität ist.
In vielen Untersuchungen wurde versucht, die relative Wirksamkeit der Gruppen­ Vernünftigerweise müsste man erwarten, dass die Forschungsliteratur nützliche
therapie gegenüber der Einzeltherapie festzustellen, und die Resultate zeigen ziemlich Antworten auf die Frage liefert, welche Klienten von einer Gruppentherapie am meis­
klar: Es gibt zahlreiche Beweise dafür, dass die Gruppentherapie zumindest genauso wirk­ ten profitieren und welchen mit anderen Therapieformen besser gedient ist. Schließ­
sam ist wie die Einzeltherapie. Eine ausgezeichnete frühe überblicksstudie, die 32 gut lich bräuchte man, um dies herauszufinden, nur Folgendes zu tun: eine Vielzahl von
dokumentierte Experimentaluntersuchungen berücksichtigt, in denen Einzel- und Klientenmerkmalen beschreiben und messen, bevor der Klient nach dem Zufallsprin­
Gruppentherapie' miteinander verglichen wurden, deutet darauf hin, dass die Grup­ zip einer Gruppentherapie oder einer anderen Therapieart zugewiesen wird, und dann
pentherapie in 25 Prozent der Studien wirkungsvoller war als die Einzeltherapie. In den diese Merkmale mit geeigneten abhängigen Variablen wie zum Beispiel Therapieergeb­
anderen 75 Prozent gab es keine markanten Unterschiede zwischen Gruppen- und Ein­ nis oder vielleicht einer vermittelnden Variablen wie Regelmäßigkeit der Teilnahme,
zeltherapie. 3 In keiner Studie erwies sich die Einzeltherapie als wirksamer. Eine neuere Interaktionsweise oder Kohäsivität zu korrelieren.
Überblicksstudie, die eine rigorose Meta-Analyse" nutzte, kam zu ähnlichen Resulta­ Doch wie sich herausstellt, liegen die Dinge sehr viel komplizierter! Die methodi­
ten.4 Andere Metastudien, von denen einige eine größere Anzahl von (weniger streng schen Probleme sind gravierend, und dies nicht zuletzt, weil ein Therapieergebnis
kontrollierten) Untersuchungen einbeziehen, sind zu ähnlichen Schlussfolgerungen nicht leicht zu messen ist. Die zur Voraussage des Therapieresultats benutzten Klien­
gelangt, und sie unterstreichen, dass eine Gruppentherapie außerdem effizienter ist als tenvariablen werden von einer Vielzahl anderer, die Gruppe, ihren Leiter und andere
eine Einzeltherapie (aus der Perspektive der Ressourcen des Therapeuten betrachtet), Gruppenmitglieder betreffende Variablen beeinflusst, und dadurch wird ein solches
und zwar mindestens um den Faktor zwei zu eins und eventuell sogar vier zu eins. 5 Forschungsvorhaben beträchtlich verkompliziert. ?1 12 Einige Klienten brechen die The­
Aus verschiedenen Untersuchungen geht hervor, dass die Gruppentherapie spezifi­ rapie vorzeitig ab; viele befinden sich zusätzlich in einer Einzeltherapie; Gruppenthe­
sche Vorteile hat: Beispielsweise ist sie der Einzeltherapie insofern überlegen, als sie so­ rapeuten unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Kompetenz und der Techniken, die sie
ziales Lernen und den Aufbau einer sozialen Unterstützung ermöglicht und soziale benutzen; und die zu Beginn einer Behandlung benutzte Diagnosetechnik ist unzuver­
Netzwerke verbessert, Faktoren, die für die Rückfallprävention bei Klienten, die unter lässig und häufig geradezu kapriziös. Damit für eine Untersuchung so viele Therapie­
durch Substanzmissbrauch bedingten Störungen leiden, äußerst wichtig sind. 6 Auch gruppen zusammenkommen, dass die Ergebnisse statistisch signifikant sind, ist eine
bei Fettsucht7 ist eine Gruppentherapie wirksamer als einzeltherapeutische Ansätze riesige Zahl von Klienten erforderlich. Trotz standardisierter Behandlungsverfahren,
(was teilweise auf der Verringerung des Stigmatisierungseffekts beruht), und dies gilt die sicherstellen sollen, dass jede der untersuchten Behandlungsmodalitäten eine ad­
auch für Klienten, die unter körperlichen Krankheiten leiden - sie lernen von ihres­ äquate Therapie ermöglicht, sind alle Einzelklienten und Gruppen außerordentlich
gleichen besser, ihre Selbstwirksamkeit zu stärken, als dies in einer Einzeltherapie der komplex und lassen sich nicht vereinfachen, um eine präzise Messung zu gewähr­
Fall ist. 8 Gruppentherapeutische Arbeit mit Frauen, die in ihrer Kindheit sexuellen leisten. Deshalb beziehe ich mich in diesem Kapitel einerseits stark auf relevante Un­
Missbrauch erlitten haben, bringt Vorteile mit sich, die eine Einzeltherapie nicht bieten tersuchungen, aber andererseits auch auf klinische Erfahrungen - sowohl eigene als
kann, nämlich eine umfassendere Stärkung des Selbstwertgefühls und des psychischen auch die anderer.
Wohlbefindens. 9
Die für die Effektivität der Gruppentherapie vorliegenden Beweise sind so überzeu­ Aussc h l usskriterien
gend, dass einige Experten die Auffassung vertreten, die Gruppentherapie solle als pri­
märes Modell heutiger Psychotherapie verstanden werden. 10 Allerdings ist bei Klienten, Frage: Wie wählen Gruppentherapeuten Klienten für die Gruppentherapie aus? Ant­
wort: Die meisten Kliniker wählen die Klienten für eine Gruppentherapie nicht aus,
* Diese Überprüfung schloss nur Studien ein, die zufällige Klientenzuweisung zu Behandlungssi­ sondern treffen ihre Auswahl durch Ausschluss ungeeigneter Kandidaten. Bei einer ge­
tuationen verwendeten (statt passender oder nicht zufälliger Zuweisung), wodurch die benutzten wissen Anzahl von Klienten haben erfahrene Gruppentherapeuten ein bestimmtes Ge­
unabhängigen Variablen klar spezifiziert und die abhängigen Variablen durch eines oder mehrere fühl, dass Einzelne nicht in einer Therapiegruppe arbeiten können und ausgeschlossen
standardisierte Instrumente gemessen wurden.
werden müssen. Alle anderen Klienten nehmen sie dann auf
** »Leave all hope, ye that enter. « Diese Vorgehensweise erscheint auf den ersten Blick als primitiv. Wir würden es alle

264 265
vorziehen, wenn der Auswahlprozess eleganter, feiner abgestimmt wäre. Doch in der zusam mengesch molzen wa r. Die Gru ppe wa r so stark geschrumpft, dass sie kurz vor
Praxis ist es viel leichter, Kriterien für den Ausschluss anzugeben als solche für die Auf­ der Auflösu n g stand, u n d d i e Therapeuten wollten die frü here Teil nehmerza h l wieder
nahme; um einen Kandidaten auszuschließen, reicht schon eine Eigenschaft; hingegen erreichen. I h nen wa r klar, dass Felix kein idealer Anwä rter wa r, a ber sie hatten wenig
muss man, um eine Aufnahme zu rechtfertigen, ein komplexeres Profil skizzieren. Auswa h l und beschlossen, das Risiko einzugehen. Au ßerdem waren sie neugierig we.­
Vergessen Sie nicht, dass es viele Gruppentherapien gibt und dass sich die Aus­ gen seiner erklärten Entschlossen heit, seinen Lebensstil zu ä ndern. (Viele Soziopathen
schlusskriterien immer nur auf den jeweils untersuchten spezifischen Typ beziehen. kommen ständig »an einen Wendepun kt i n ihre m Leben.«)
Fast alle Klienten ( es gibt Ausnahmen) passen in irgendeine Gruppe. Eine Eigenart, die Schon in der d ritten Sitzu n g wa r Felix z u m soz i a len u nd emotionalen Anfü h rer der
einem Klienten den Zugang zu einer bestimmten Gruppe versperrt, kann genau der Gru ppe geworden, da er fä h ig schien, stä rker zu empfi nden u nd tiefer zu leiden als d ie
Aspekt sein, der ihm die Teilnahme an einer anderen Gruppe ermöglicht. Eine ver­ anderen Gru ppen m itglieder. Er l ieferte der Gru ppe, wie er es a uch bei den Therapeuten
schlossene, psychologisch nicht sensible Klientin mit Anorexia nervosa beispielsweise geta n hatte, einen weitgehend fa ntasierten Bericht über seine Herkunft u n d seine a k­
ist für eine interaktionsorientierte Langzeitgruppe im Allgemeinen nicht besonders ge­ tuelle Lebenssituation. Bis z u r vierten Sitz u ng hatte er, wie die Therapeuten später er­
eignet, sie kann aber in einer homogenen kognitiv-behavioral orientierten Gruppe für fuhren, ei nes der weiblichen Mitgl ieder verfü hrt, und in der fü nften S itzung fu ngierte
Klienten mit Essstörungen gut aufgehoben sein. ?! er a ls Antreiber i n einer Diskussion d a rüber, dass d ie G ruppe m it der Kü rze der S itzun­
Ein ausgeprägter klinischer Konsens besteht darüber, dass Klienten sich für eine he­ gen unzufrieden wa r. Er sch lug vor, die Gruppe solle, m it oder ohne Erla ubnis des The­
terogene ambulante Therapiegruppe sehr schlecht eignen, wenn sie hirnverletzt, 13 pa­ rapeuten, hä ufiger zusammentreffen, eventuell in der Woh n u ng ei nes M itglieds, ohne
ranoid, 14 hypochondrisch, 15 drogen- oder alkoholsüchtig, 16 akut psychotisch17 oder so­ den Thera peuten. In der sechsten S itzung ta uchte Felix n icht auf, ohne dass er d ie
ziopathisch?I sind. Doch sind solche trockenen Listen von geringerem Wert als die Gruppe vorher von seinem Fernbleiben in Ken ntn is gesetzt hatte. Wie d ie Thera peuten
Identifikation der zugrunde liegenden Prinzipien. Der wichtigste Leitsatz lautet: Klien­ später erfu hren, hatte er sich plötzl ich entschlossen, eine dreita usend Kilometer la nge
ten scheitern in einer Gruppentherapie, wenn sie nicht in der Lage sind, sich an der pri­ Radtour zu u nternehmen, weil er hoffte, einen Artikel darü ber an eine Zeitung verka u­
mären Aufgabe zu beteiligen, ganz gleich, ob sie es aus logistischen, intellektuellen, psycho­ fen zu können.
logischen oder interpersonalen Gründen nicht können. Dies gilt in noch stärkerem Maße
für kurze, zeitlich beschränkte Gruppen, in denen sich eine schlechte Teilnehmeraus­ Dieses extreme Beispiel zeigt viele der Gründe, aus denen es nicht ratsam ist, einen So­
wahl noch drastischer auswirkt. ?! ziopathen in eine heterogene Gruppe ambulanter Klienten aufzunehmen: Seine soziale
Über welche Eigenschaften muss ein Klient verfügen, um sich an der primären Auf­ Fassade täuscht; er verbraucht oft ein so ungebührliches Maß an Gruppenenergie, dass
gabe einer dynamischen, interaktionsorientierten Therapiegruppe beteiligen zu kön­ sein Ausscheiden die Gruppe beraubt, verwirrt und entmutigt zurücklässt; nur selten
nen? Er muss bereit und in der Lage sein, das eigene interpersonale Verhalten zu un­ machen sich solche Klienten die Normen der Gruppentherapie zu eigen, und stattdes­
tersuchen, sich der Gruppe zu offenbaren und Feedback zu geben und anzunehmen. sen nutzen sie die anderen Mitglieder und die Gruppe als Ganzes für ihre unmittelbare
Für die Gruppenarbeit ungeeignete Klienten konstruieren für sich eine interpersonale Befriedigung aus. Ich möchte noch einmal daraufhinweisen, dass ich die Gruppenthe­
Rolle, die für sie selbst und die Gruppe von Nachteil ist. In solchen Fällen wird die rapie nicht grundsätzlich als für solche Klienten kontraindiziert ansehe. Tatsächlich
Gruppe zum Schauplatz der Neuschaffung und Bestätigung dysfunktionaler Muster, kann eine Spezialform der Gruppentherapie mit einer homogener zusammengesetzten
ohne dass die Möglichkeit besteht, aus dem Geschehen zu lernen oder sich zu ver­ Gruppe und einer geschickten Nutzung von starkem Gruppen- und Institutionsdruck
ändern. sehr wohl eine geeignete Behandlungsmethode sein. 18
Man denke an soziopathische Klienten, die für eine ambulante interaktionsorien­ Die meisten Kliniker sind sich einig, dass Klienten, die sich mitten in einer akuten
tierte Gruppentherapie äußerst schlecht geeignet sind. Typischerweise sind solche Kli­ Krisensituation befinden, als Kandidaten für Gruppentherapie nicht sehr geeignet
enten in der Gruppe destruktiv. Wenn sie auch am Anfang der Therapie wichtige und sind. Für sie ist eine Krisenintervention im Rahmen einer Einzel-, Familien- oder So­
aktive Gruppenmitglieder sein können, manifestiert sich am Ende doch ihre grund­ zialtherapie besser. 1 9 Auch schwer depressive, selbstmordgefährdete Klienten schickt
legende Unfähigkeit, Beziehungen herzustellen, oft mit sehr dramatischer und de­ man am besten nicht in eine interaktionsorientierte heterogene Therapiegruppe. Für
struktiver Wirkung, wie das folgende klinische Beispiel zeigt. die Gruppe ist es schwierig, ihnen die spezielle Aufmerksamkeit zu geben, die sie brau­
chen (es sei denn, die übrigen Gruppenmitglieder sind zu einem enormen Zeit- und
Fel ix, e i n 35-jä hriger hoc h i ntelligenter Klient m it einer Vorgeschichte von Alkohol is­ Kraftaufwand bereit). Außerdem ist die Selbstmorddrohung zu belastend und angst­
m us, hä ufigem Ortswechsel u nd verarmten i nterpersonalen Beziehungen, wurde zu­ erregend, als dass die anderen Gruppenmitglieder damit fertig werden könnten.20 Auch
sammen mit zwei a nderen neuen Klienten in eine bereits bestehende Gru ppe a ufge­ in diesem Fall sei darauf hingewiesen: Dies bedeutet nicht, dass Gruppentherapie al­
nommen, die wegen des Therapieabschlusses mehrere r Mitglieder auf dre i Personen lein (oder Gruppentherapie in Kombination mit Einzeltherapie) bei solchen Klienten

267
266
ausgeschlossen werden sollte. Es gibt eine Untersuchung über den Nutzen einer homo­ und demoralisiert fühlten. Viele Gruppenleiter berichten über einen »Welleneffekt«,
gen strukturierten Gruppe für chronisch Selbstmordgefährdete. 21 was bedeutet, dass Abbrecher weitere Therapieabbrüche nach sich ziehen. Eine Gruppe
Regelmäßige Teilnahme ist für die Entwicklung einer kohäsiven Gruppe so wichtig, kann sich nur in angemessener Weise entwickeln, wenn die Gruppenmitglieder regel­
dass man Klienten, die nicht regelmäßig an Gruppensitzungen teilnehmen können, mäßig an den Gruppensitzungen teilnehmen. Eine Welle von Therapieabbrüchen kann
grundsätzlich von dieser Art der Arbeit ausschließen sollte. Unzuverlässige Teilnahme den Reifungsprozess einer Gruppe um Monate verzögern.
kann die Folge unvorhersehbarer und kaum zu beeinflussender beruflicher Anforde­ Ein verfrühter Abbruch der Gruppentherapie ist also ein Misserfolg für den Klien­
rungen sein - oder ein Ausdruck anfänglichen Widerstands gegen die Therapie. Ich ten und ein Schaden für die übrige Gruppe. Leider ist dieses Phänomen bei allen Arten
wähle für Gruppen keine Klienten aus, die aufgrund ihrer beruflichen Situation viel von Psychotherapie sehr verbreitet. Eine neuere empirische Studie gelangt zu dem Er­
reisen und deshalb mit absehbarer Wahrscheinlichkeit jede vierte oder fünfte Grup­ gebnis, dass 47 Prozent aller Klienten ihre psychotherapeutische Behandlung (sowohl
pensitzung versäumen werden. Ich zögere auch, Klienten in eine Gruppe aufzuneh­ Gruppen- als auch Einzeltherapien) vorzeitig abbrechen.23 Selbst bei erfahrenen The­
men, die für die Fahrt zur Gruppensitzung auf andere angewiesen sind oder die eine rapeuten sind Behandlungsabbrüche nicht generell ausgeschlossen, was zweifellos auf
sehr lange Anreise haben. Besonders zu Beginn einer Gruppe fühlen sich Klienten all­ das komplexe Zusammenwirken der Klienten-, Gruppen- und Therapeutenvariablen
zu oft vernachlässigt oder unzufrieden mit einer Sitzung, weil ein anderes Mitglied den zurückzuführen ist.24 Tabelle 8.1 (Seite 269) gibt einen Überblick über Therapieab­
größten Teil der Zeit und der Aufmerksamkeit der Gruppe in Anspruch genommen hat bruchquoten verschiedener Populationen. Die Zahl der Abbrecher in Gruppenthera­
oder weil die Gruppe damit beschäftigt war, ihre Strukturen zu entwickeln - Arbeit, die pien bewegt sich zwischen 1 7 und 57 Prozent. Obwohl diese Werte nicht höher liegen
nicht unbedingt eine vordergründige, unmittelbare Befriedigung zur Folge hat. Tiefe als die entsprechenden Zahlen für Einzeltherapien, hat das Phänomen des Therapie­
Gefühle der Frustration können, wenn sie mit einer langen, anstrengenden Anfahrt abbruchs für Gruppentherapeuten eine größere Bedeutung, weil die Abbrecher eine
verbunden sind, die Motivation dämpfen und zu einer sporadischen Teilnahme demoralisierende Wirkung auf die restlichen Gruppenmitglieder haben.
führen. Eine Untersuchung über verfrüht aus Gruppen Ausgeschiedene kann helfen,
Natürlich gibt es viele Ausnahmen: Einige Therapeuten berichten von Klienten, die brauchbare Ausschlusskriterien zu entwickeln, und außerdem eine wichtige Vorgabe
einen Monat nach dem anderen zuverlässig aus abgelegenen Gegenden zu den Grup­ für den Auswahlprozess schaffen. Wenn wir beim Auswahlprozess nichts weiter tun, als
pensitzungen fliegen. Im Allgemeinen tut der Therapeut jedoch gut daran, auf diesen Klienten auszusortieren, die wahrscheinlich vorzeitig aus der Therapie ausscheiden
Faktor zu achten. Wenn ein Klient an einem weit entfernten Ort wohnt und in dessen werden, ist dies an sich schon vorteilhaft. Obwohl frühzeitiges Ausscheiden nicht der
Umgebung gleichwertige Gruppen finden kann, ist es im Interesse aller Beteiligten, einzige Anlass für das Scheitern gruppentherapeutischer Arbeit ist, handelt es sich in
ihm zu empfehlen, sich einer Gruppe anzuschließen, deren Sitzungen näher an seinem diesen Fällen doch eindeutig um Misserfolge . .71 Dass Frühabbrecher in ihrer Gruppe
Wohnort stattfinden. etwas Positives mit auf den Weg bekommen haben, das in ihrem Leben später zutage
Diese klinischen Ausschlusskriterien sind sehr allgemein und grob. Manche Thera­ treten wird, ist unwahrscheinlich. Eine wichtige Untersuchung über die von Encoun­
peuten haben versucht, durch eine systematische Untersuchung von Klienten, die von tergruppenteilnehmern erzielten Therapieergebnisse stellt fest, dass diejenigen, die in
der Gruppentherapie keinen Nutzen hatten, subtilere Kriterien zu finden. Ich werde der Gruppe eine negative Erfahrung gemacht hatten, sechs Monate später zum Zeit­
mich nun mit Studien über eine bestimmte Kategorie erfolgloser Klienten befassen: punkt einer Nachuntersuchung nicht zu verspäteter Einsicht gelangt waren und aus
den Therapieabbrechern. ihrer Gruppenerfahrung auch keinen nachträglichen Nutzen gezogen hatten. 25 Wenn
sie erschüttert oder entmutigt ausgeschieden waren, blieben sie aller Wahrscheinlich­
Therapieabbrecher keit nach auch so. (Ausgenommen Klienten, die in einer schweren Lebenskrise in eine
Es gibt Beweise dafür, dass eine vorzeitige Beendigung der Gruppentherapie für den Gruppe eintreten und die Therapie beenden, sobald sie die Krise überwunden haben.)
Klienten und für die Gruppe schlecht ist. Im Rahmen einer Untersuchung, an der Zu bedenken ist auch, dass die Untersuchung von »Abbrechern« uns wenig über die
35 Klienten teilnahmen, die nach zwölf oder weniger Sitzungen ihre heterogene inter­ in der Gruppe Verbleibenden sagt; das Weitermachen ist ein notwendiger, aber nicht
aktionsorientierte Gruppe ambulanter Klienten verließen, berichteten nur drei über hinreichender Faktor für den Erfolg einer Therapie, obwohl Beweise dafür vorliegen,
ein Gefühl der Besserung. 22 Und die Besserung bei diesen dreien war nur marginal und dass Klienten, die ihre Behandlung fortsetzen und ein vorzeitiges oder erzwungenes
betraf ausschließlich die Symptome. Keiner dieser 35 Klienten beendete die Teilnahme Ende ihrer Therapie vermeiden, die besten Therapieresultate erzielen. 26
an den Sitzungen, weil er einen zufriedenstellenden Abschluss seiner Arbeit erreicht
hatte; alle waren mit dem, was sie in der Therapiegruppe erlebt hatten, unzufrieden Gründe für vorzeitiges Beenden einer Gruppentherapie
gewesen. Außerdem hatten diese vorzeitig aus dem Gruppenprozess Ausgeschiedenen Eine Anzahl gut kontrollierter Untersuchungen über Gruppentherapien in unter­
auf die verbleibenden Gruppenmitglieder eine negative Wirkung, da diese sich irritiert schiedlichen Zusammenhängen (im Rahmen einer ambulanten Behandlung, in einer

268 269
Tabelle 8.1: Abbruchquoten in der Gruppentherapie· Tagesklinik, in Kliniken der Veterans Administration und in einer Privatpraxis, wobei
sowohl heterogene Gruppen als auch homogene Gruppen für Probleme wie Trauer
Gruppentypus Gru ppendauer Anzahl der Prozent oder Depression berücksichtigt wurden, durchgeführt auf interaktionsorientierte Wei­
Sitzungen Abbrecher se oder im Sinne eines kognitiv-behavioralen Ansatzes) gelangt zu ähnlichen Ergebnis­
sen. 27 Die Studien zeigen, dass Klienten, die eine Gruppentherapie vorzeitig abbrechen,
Ambulanzklinik einer allgemein, 12 oder weniger 50% (a)
offenes Ende wahrscheinlich beim anfänglichen Screening oder während der ersten Sitzungen eine
Universität
oder mehrere der folgenden Charakteristika erkennen lassen:
Ambulanzklinik einer Trauerfälle, 12 oder weniger 28% (b)
U niversität geschlossen
• eher geringe psychologische Sensibilität
Ambulanzklinik einer Kurzzeit 8 oder weniger 30% (c) • geringe Fähigkeit, über Emotionen nachzudenken, ohne sie aktiv auszudrücken
U niversität • geringe Motivation
Ambulanzklinik einer offenes Ende 3 oder weniger 57% (d) • eher reaktive als reflexive Tendenz
U niversität • weniger positive Emotionen
Ambulanzklinik der offenes Ende g oder weniger 51% (e) • starkes Leugnen
Veteranenverwaltung • stärkere Tendenz zum Somatisieren
Ambulanzklinik der offenes Ende 16 oder weniger 50% (f) • Substanzmissbrauch
Veteranenverwaltung • starker Ärger und starke Feindseligkeit
Ambulanzklinik einer offenes Ende 12 oder weniger 35% (g) • niedrigere sozioökonomische Klasse und soziale Effektivität
U niversität • eher geringe Intelligenz
Klinik- und private offenes Ende 3 oder weniger 30% (h) • mangelndes Verständnis der Wirkung einer Gruppentherapie
ambulante Patientengru ppen • Erleben oder Erwartung eines Mangels an kultureller Sensibilität
Ambulanzklinik und stationär und 20 oder weniger 25% (i) • eher unsympathisch
Hospital ambulant
Privatpraxis Langzeit, 12 Monate oder 35% (j) Diese Resultate deuten darauf hin, dass die Reichen unglücklicherweise tatsächlich
analytisch wen iger noch reicher und die Armen noch ärmer werden. Was für ein Paradox! Klienten, die im
Ambulanzklinik offenes Ende 12 oder weniger 17% (k) geringsten Maß über die Fertigkeiten und Eigenschaften verfügen, die sie für die Arbeit
Ambulanzklinik Kurzzeit s oder weniger 17% (1) in einer Gruppe benötigen - und das sind genau diejenigen, die das, was die Gruppe zu
bieten hat, am dringendsten brauchen -, sind auch diejenigen, bei denen die Therapie
Klinik- und private analytisch 10 oder weniger 24% (m)
ambula nte Patientengruppen am wahrscheinlichsten fehlschlägt! Eben dieses Paradox (zusammen mit ökono­
mischen Aspekten) hat zu Bemühungen angeregt, das gruppentherapeutische Erlebnis
Ambulanzklinik dynamisch 6 Monate oder 17% (n)
orientiert weniger durch unterschiedliche Strukturen zu modifizieren und auf diese Weise zu ermögli­
chen, dass eine größere Zahl stärker gefährdeter Klienten erreicht werden kann. .71
Privatpraxis dynamisch/ 6 Monate oder 27% (Ther. A) (o)
weniger Deshalb sind die zuvor genannten Charakteristika eher als Warnungen zu verste­
analytisch
38% (Ther.B) hen, weniger als absolute Kontraindikationen. Jemand, der in einer bestimmten Grup­
55% (p) pe oder in einer bestimmten Art von Gruppe nicht zurechtkommt, kann in einer an­
Privatpraxis analytisch/ 1 Jahr oder
Langzeit weniger deren durchaus ein gutes Ergebnis erzielen. Wir sollten uns nicht zum Ziel setzen, The­
rapieabbrüche völlig auszuschließen, sondern versuchen, sie zu reduzieren. Wenn wir
Beratungsstelle einer U niv. interaktiv 12 oder weniger 31% (Ther. A) (q)
45% (Ther. B) Gruppen zusammenstellen, in denen es nie zu Therapieabbrüchen kommt, sind unse­
re Teilnahmekriterien möglicherweise zu hoch angesetzt, und wir schließen dadurch
Ambulanzklinik kompliz. Trauer 8 oder weniger 23 % (r)
Depression 12 Wochen oder weniger Klienten aus, die dringend Hilfe bräuchten und denen wir auch tatsächlich helfen
Ambulanzklinik
48 % (s) könnten.
Ich möchte nun eine bestimmte Untersuchung noch etwas ausführlicher darstellen,
* s. dazu Anmerkung 28 dieses Kapitels weil sie von erheblicher Relevanz für den Auswahlprozess ist.29 Ich habe neun Thera-

270 271
piegruppen während der ersten sechs Monate in der Ambulanz einer Universitätsklinik - und dass man keinen Klienten in eine solche Therapiegruppe aufnehmen sollte,
beobachtet und alle Patienten untersucht, die innerhalb von zwölf oder weniger Sit­ wenn eine größere Wahrscheinlichkeit besteht, dass innerhalb der nächsten Monate ein
zungen die Therapie beendeten. An diesen Gruppen nahmen insgesamt 97 Patienten Abbruch unvermeidlich sein könnte. Solche Klienten sind bessere Anwärter für prob­
teil ( 7 1 ursprüngliche Mitglieder und 26 später hinzugekommene) , von denen 35 lemorientierte Kurzzeitgruppen.
schon bald ausfielen. Aus Interviews mit den Abbrechern und ihren Therapeuten und Äußere Belastung wurde beim vorzeitigen Ausscheiden mehrerer Klienten als Faktor
Fragebögen, die sie durchgearbeitet hatten, sowie aus Aufzeichnungen und Beobach­ angesehen; sie waren durch äußere Ereignisse in ihrem Leben so beeinträchtigt, dass es
tungen der Gruppensitzungen und anamnestisch und demografisch ausgewerteten ihnen schwerfiel, die Kraft für die Teilnahme an der Gruppe aufzubringen. Sie konnten
Fallgeschichten wurde eine Fülle von Untersuchungsmaterial gewonnen. ihre Beziehungen zu anderen Gruppenmitgliedern nicht erforschen, während die Be­
Eine Analyse dieses Materials ließ neun Hauptgründe für das Ausscheiden der ziehungen zu den wichtigsten Menschen in ihrem Leben zu zerbrechen drohten. Die­
Patienten aus der Therapie erkennen: sen Klienten erschien es besonders sinnlos und frustrierend, andere Gruppenmitglie­
der über ihre Probleme sprechen zu hören, während doch ihre eigenen so drängend
1. Äußere Faktoren waren. Zu den äußeren Belastungen gehörten schwere eheliche Auseinandersetzungen
2. Abweichungen von der Gruppennorm mit drohender Scheidung, Versagen im Beruf oder an der Hochschule, aufreibende Be­
3. Probleme der Nähe ziehungen zu Familienmitgliedern, schmerzliche Verluste und schwere körperliche Er­
4. Angst vor emotionaler »Infektion« krankungen. Die betroffenen Klienten sollten in Gruppen aufgenommen werden, die
5. Unfähigkeit, den Therapeuten mit anderen zu teilen speziell für die Bearbeitung derartiger Situationen entwickelt wurden: Akute Trauer,
6. Komplikationen durch gleichzeitige Einzel- und Gruppentherapie um ein Beispiel zu nennen, ist gewöhnlich ein zeitlich begrenzter Zustand, und der
7. Provokateure akut von einem Trauerfall betroffene Klient wird am besten an eine Kurzzeitgruppe für
8. Unzulängliche Ausrichtung auf die Therapie von Trauerfällen Betroffene überwiesen.30
9. Komplikationen durch die Bildung von Untergruppen Achten Sie auf den Unterschied! Wenn es das spezielle Ziel ist ( und nicht mehr als
das), den Schmerz eines Verlusts zu überwinden, dann ist eine problemorientierte
Gewöhnlich ist an der Entscheidung, die Therapie zu beenden, mehr als ein Faktor be­ Kurzzeittherapiegruppe indiziert. Wenn der Klient jedoch etwas in sich selbst ändern
teiligt. Manche Faktoren hängen enger mit äußeren Umständen oder mit festen Cha­ möchte, das ihn dazu bringt, sich wiederholt in derartige schmerzhafte Situationen zu
rakterzügen zusammen, die der Klient in die Gruppe mitbringt ( die also für den Aus­ begeben (z. B. sich immer wieder mit Frauen einzulassen, die ihn stets verlassen), dann
wahlprozess relevant sind), wohingegen andere mit dem Therapeuten zusammenhän­ ist längerfristige Gruppenarbeit notwendig.
gen oder mit Problemen, die innerhalb der Gruppe auftreten (beispielsweise mit den Die Bedeutung der äußeren Belastung als Faktor für vorzeitige Beendigung der
Fähigkeiten oder mit der Kompetenz des Therapeuten, mit den Variablen der Inter­ Gruppentherapie war schwer einzuschätzen, da es oft so aussah, als sei er gegenüber
aktion zwischen Klient und Therapeut und mit der Gruppenkultur selbst) . .71 Diese inneren Kräften sekundär. Der Aufruhr in der Seele des Klienten kann eine völlige Ver­
Letzteren sind relevanter für die Technik des Therapeuten (ihre Erörterung folgt in den änderung seiner Lebenssituation zur Folge haben, sodass eine sekundäre äußere Belas­
Kapiteln 9 und 10). Am wichtigsten für die Entwicklung von Auswahlkriterien sind tung eintritt, oder ein Klient konzentriert sich auf ein äußeres Problem und vergrößert
Klienten, die aufgrund von äußeren Faktoren, Abweichungen von der Gruppennorm und es, um einer durch die Gruppentherapie ausgelösten Angst zu entgehen. Mehrere Kli­
Problemen der Nähe ausschieden. enten hielten eine äußere Belastung für den Hauptgrund ihres Ausscheidens, aber in
jedem Fall ließ eine sorgfältige Untersuchung erkennen, dass die äußere Belastung be­
Äußere Faktoren. Logistische Gründe für die Beendigung der Therapie (zum Beispiel stenfalls ein mitwirkender, aber nicht ausreichender Grund für das Ausscheiden war.
unlösbare Terminprobleme oder Umzug in eine andere Gegend) spielten bei den Ent­ Eine unangemessene Betonung äußerer Ereignisse schien oft eine Manifestation eines
schlüssen eine unerhebliche Rolle. Wenn der Klient einen solchen Grund angab, zeigte Verleugnungsmechanismus zu sein, der dem Klienten half, etwas zu vermeiden, was er
die nähere Untersuchung gewöhnlich, dass gruppenbezogene Belastungen vorhanden in der Gruppe als gefährlich empfand.
waren, die mehr mit seinem Ausscheiden zu tun hatten. Trotzdem sollte der Therapeut Beim Auswahlprozess sollte man also eine ungebührliche Betonung äußerer Belas­
in der ersten Vorbesprechung immer fragen, ob derartige größere Veränderungen im tung als ungünstiges Zeichen für eine intensive Gruppentherapie betrachten, gleich­
Leben des Klienten wie ein Umzug bevorstehen. Vieles deutet darauf hin, dass Thera­ gültig, ob es diese gibt oder ob es eine Manifestation der Verleugnung ist.
pien, die sowohl auf Symptomlinderung als auch auf größere Veränderungen in der
zugrunde liegenden Persönlichkeitsstruktur des Klienten abzielen, keine Form der Abweichungen von der Gruppennorm. Die Untersuchung von Klienten, die vorzeitig aus
Kurztherapie ist - ein Minimum von sechs Monaten bis zu einem Jahr ist notwendig.71 der Therapie ausscheiden, weil sie von der Gruppennorm abweichen, erbringt eine

272 273
Menge von Informationen, die für den Auswahlprozess relevant sind. Zunächst müs­ Abweichung von der Gruppennorm: empirische Untersuchungen. Uns liegen viele sozial­
sen wir aber sorgfältig definieren, was wir unter Abweichung von der Gruppennorm ver­ psychologische Erkenntnisse aus Laboruntersuchungen der Gruppendynamik vor,'32
stehen. Fast jedes Gruppenmitglied weicht in irgendeiner Hinsicht von der Gruppen­ die uns das Schicksal von Abweichlern in Therapiegruppen zu verstehen verhelfen.
norm ab, zumindest in einer Hinsicht. Beispielsweise ist es das jüngste, einzige unver­ Gruppenmitglieder, die an der Gruppenaufgabe nicht teilnehmen können und die den
heiratete, kränkste, das nicht studiert, das wütendste oder das stillste oder das einzige Fortschritt der Gruppe in Richtung auf die Erledigung dieser Aufgabe behindern, füh­
Mitglied asiatischer Herkunft. len sich von der Gruppe viel weniger angezogen und sind geneigt, die Gruppe zu ver­
Doch ein Drittel der Therapieabbrecher in meiner Studie unterschied sich in Berei­ lassen.33 Menschen, deren Beitrag an der Arbeit hochgesteckten Maßstäben für die In­
chen, die für die Teilnahme an einer Gruppentherapie sehr wichtig sind, von der übrigen teraktion in Gruppen nicht entspricht, brechen ihre Therapie häufig ab, und diese Ten­
Gruppe sehr stark, und diese Unterschiede und ihre Auswirkungen wurden als Haupt­ denz ist bei Menschen mit sehr schwachem Selbstwertgefühl besonders ausgeprägt.34
grund für das vorzeitige Ausscheiden der Betreffenden angesehen. Das Verhalten dieser Die Aufgabe von Therapiegruppen besteht darin, sinnvolle Kommunikation mit
Klienten in der Gruppe reichte von schweigsamen bis zu lauten, wütenden Gruppen­ den anderen Gruppenmitgliedern zustande zu bringen, sich zu offenbaren, brauch­
brechern, doch alle waren isoliert und wurden vom Therapeuten und von den anderen bares Feedback zu geben und die verborgenen und unbewussten Ausrichtungen der
Gruppenmitgliedern als dem Fortschritt der Gruppenarbeit hinderlich angesehen. eigenen Gefühle, Verhaltensweisen und Motivationen zu untersuchen. Diese misslingt
Die Gruppe und die Therapeuten sagten über alle diese Mitglieder, dass sie »sich denjenigen, denen es am erforderlichen Maß an psychologischem Einfühlungsvermö­
einfach nicht eingepasst haben«. Und oft sagten sie dies auch über sich selbst. Diese gen fehlt. Gewöhnlich sind sie auch weniger introspektiv und neugierig, und sie neigen
Unterscheidung ist schwer in objektiv messbare Faktoren zu übersetzen. Die am häu­ in verstärktem Maße zur Nutzung von Selbsttäuschungsmechanismen. Es kann auch
figsten beschriebenen Merkmale sind ein Mangel an psychologischer Aufgeschlossen­ sein, dass ihnen die Klientenrolle ebenso widerstrebt wie das Beherzigen der Einsicht,
heit, ein Mangel an psychologischer Sensibilität und interpersonaler Einfühlung. Die dass sie sich verändern müssen.
Klienten gehörten oft einer niederen sozioökonomischen Schicht an und waren weni­ Die Forschung hat gezeigt, dass die Personen, die mit sich am zufriedensten sind
ger gebildet als die übrigen Gruppenmitglieder. Bei der Beschreibung ihres Gruppen­ und dazu neigen, die positive Meinung der anderen von sich zu überschätzen, meist
verhaltens betonten die Therapeuten, diese Klienten behinderten die Gruppe. Ihre von der Gruppenerfahrung weniger profitieren.35 Eine weitere Studie hat gezeigt, dass
Kommunikationsebene sei eine andere als die der übrigen Gruppe. Sie blieben auf der Gruppenmitglieder, die persönliche Veränderung weder schätzten noch wünschten, zu
Ebene der Symptombeschreibung, des Gebens und Forderns von Ratschlägen oder des den wahrscheinlichen Abbruchkandidaten gehörten.36 Fragebogenuntersuchungen ha­
Be- und Verurteilens und vermieden die Erörterung unmittelbarer Gefühle und die ben gezeigt, dass Mitglieder von Therapiegruppen, die nicht akkurat wahrzunehmen
Interaktion im Hier und Jetzt. Ähnliche Resultate werden auch von anderen Forschern vermögen, wie andere sie sehen, wahrscheinlich immer am Rand des Gruppengesche­
berichtet.3 t hens bleiben werden. 37
Eine wichtige Unterkategorie bildeten Abbrecher mit chronischen psychiatrischen Wie ergeht es Menschen, die nicht in der Lage sind, an der hauptsächlichen Aufga­
Erkrankungen mit geringer Anpassungsfähigkeit. Sie hatten sich verkapselt und setzten be der Gruppe teilzunehmen, und von denen die Gruppe annimmt (und manchmal
viel Verleugnung und Unterdrückung ein und unterschieden sich ganz offensichtlich sogar sie selbst auf einer gewissen Bewusstseinsebene), dass sie hinderlich sind? Sehach­
von den anderen Gruppenmitgliedern in ihrer Kleidung, ihrem Benehmen und ihrer ter hat gezeigt, dass die Kommunikation mit einem Abweichler zunächst sehr stark ist
Äußerungen. In Anbetracht der negativen psychischen Auswirkungen des vehementen und steil abfällt, sobald die Gruppe das abweichende Mitglied ablehnt.38
Ausdrucks von Emotionen auf Klienten mit chronischen psychischen Krankheiten wie Aus vielen Untersuchungen geht hervor, dass die Zufriedenheit eines Mitglieds mit
Schizophrenie ist eine intensive interaktionsorientierte Gruppentherapie für deren Be­ der Gruppe von seiner Position im Kommunikationsgeflecht der Gruppe abhängt39 so­
handlung kontraindiziert. Strukturierte, unterstützende und psychoedukativ orien­ wie auch davon, als wie wertvoll es von den übrigen Gruppenmitgliedern angesehen
tierte Gruppen sind in solchen Fällen effektiver. .71 wird.40 Es wurde auch nachgewiesen, dass die Fähigkeit der Gruppe, ein Mitglied zu
Zwei an der Studie teilnehmende Klienten, die nicht vorzeitig ausgeschieden waren, beeinflussen, teilweise davon abhängt, wie attraktiv die Gruppe für das betreffende
unterschieden sich hinsichtlich ihrer Lebensgeschichte sehr stark von den übrigen
Gruppenmitgliedern. Einer der beiden, eine Frau, war Prostituierte gewesen; der ande­ * An Laborgruppenuntersuchungen nehmen im Allgemeinen freiwillige oder, häufiger, Studenten teil,
re, ein Mann, war 4rogensüchtig gewesen und hatte mit Drogen gehandelt. Doch die die sich in einer Ausbildung für gruppentherapeutische Arbeit oder psychologische Beratung befin­
Unterschiede dieser beiden Klienten hinderten die Gruppe nicht daran, in ihrer Ent­ den. Die Betreffenden möchten durch persönliches Erleben in eigens für diesen Zweck zusaimnenge­
stellten Gruppen gruppendynamische Vorgänge kennenlernen. Weil diese Gruppen gut strukturiert
wicklung (hinsichtlich psychologischer Einsicht, interpersonaler Feinfühligkeit und ef­ und zeitlich begrenzt sind und sich aus Mitgliedern zusammensetzen, die bereit sind, Untersuchungs­
fektiver Kommunikation) weiterzukommen, und sie wichen nie von der Gruppen­ fragebögen zu beantworten, ist es natürlich naheliegend, sie für die Durchführung gruppentherapeu­
norm ab. tischer Untersuchungen einzusetzen.

274 275
Mitglied ist, sowie teilweise auch davon, wie häufig und intensiv dieses Gruppenmit­ ihre mangelnde Bereitschaft, sich durch die interpersonale Interaktion beeinflussen zu
glied mit den anderen in der Gruppe kommuniziert.41 Der Status eines Mitglieds in ei­ lassen, und ihre Tendenz, die eigene Dysphorie auf somatische Faktoren und solche der
ner Gruppe wird von der Gruppe bestimmt, nicht vom betreffenden Mitglied selbst. äußeren Umwelt zu schieben, werden in einem sorgfältig geführten Gespräch leicht
Ein niedrigerer Status wirkt sich ungünstig auf das persönliche Wohlbefinden aus und zum Vorschein kommen. Einige dieser Klienten fallen aufgrund der signifikant stärke­
hat eine negative Wirkung auf das emotionale Erleben in sozialen Gruppen.42 Dies ist ren Beeinträchtigung ihrer Funktionsfähigkeit auf. Oft empfehlen ihnen Therapeuten
eine wichtige Erkenntnis, auf die wir noch zurückkommen werden: Ein niedrigerer eine Gruppentherapie, die sich aufgrund des ausbleibenden Erfolgs der von ihnen
Status innerhalb der Gruppe verringert das persönliche Wohlbefinden - anders gesagt: durchgeführten Einzeltherapie entmutigt oder frustriert fühlen. Manchmal ist es sinn­
Er wirkt antitherapeutisch. voll, die Teilnahme an einer Gruppentherapie auf einen späteren Zeitpunkt zu ver­
Durch die Arbeiten von Sherif43 und Asch44 ist weiterhin bekannt, dass Menschen schieben, damit sich die Wirkung einer Psychopharmakabehandlung entfalten kann
oft wegen einer von der Gruppennorm abweichenden Rolle starkes Unbehagen emp­ und die betreffenden Klienten eine gewisse Stabilität entwickeln können, doch sollte
findet, und es deutet einiges darauf hin, dass solche Menschen allmählich in immer dies in jedem Fall im Rahmen einer Einzeltherapie und entsprechender Steuerung der
stärkerem Maße Angst zeigen und starkes Unbehagen ausdrücken, wenn sie nicht in Behandlung geschehen, nicht an deren Stelle.
der Lage sind, über ihre Situation zu sprechen.45 Lieberman, Yalom und Miles haben Es ist also keineswegs schwierig, diese Klienten zu identifizieren. Kliniker irren, wenn
gezeigt, dass von der Gruppennorm abweichende Mitglieder (Mitglieder, die von den sie glauben, die Betreffenden würden, selbst wenn sie nicht zur übrigen Gruppe pass­
anderen Mitgliedern als außenstehend wahrgenommen wurden, sowie solche, die die ten, von der allgemeinen Unterstützung durch die Gruppe und von der Gelegenheit
Gruppennormen grob missverstanden) praktisch keine Chance hatten, aus der Gruppe profitieren, ihre Techniken der sozialen Kontaktaufnahme zu verbessern. Nach meiner
irgendeinen Nutzen zu ziehen, und dass bei ihnen die Wahrscheinlichkeit negativer Folgen Erfahrung wird diese Erwartung nicht erfüllt. Die Einbeziehung solcher Klienten in
größer war.46 eine Gruppentherapie hat wenig Sinn; weder für sie selbst noch für die Gruppe ist dies
Fassen wir zusammen: Es gibt also experimentelle Beweise dafür, dass der von der von Nutzen. Letztendlich stößt die Gruppe den Abweichler aus. Therapeuten neigen
Gruppennorm Abweichende, verglichen mit anderen Gruppenmitgliedern, von der Grup­ auch dazu, sich von solchen Klienten offensichtlich oder insgeheim abzuwenden und
pe weniger Befriedigung erfährt, Angst empfindet, von der Gruppe weniger geschätzt wird, ihre therapeutischen Energien in diejenigen Klienten zu investieren, die derartige Be­
mit geringerer Wahrscheinlichkeit von der Gruppe beeinflusst wird oder Nutzen von ihr mühungen belohnen.48
hat und sehr viel eher dazu neigt, vorzeitig aus der Gruppe auszuscheiden. Starre Haltungen, gekoppelt mit Bekehrungswünschen, können einen Menschen
Diese Untersuchungsergebnisse entsprechen den Erlebnissen der von der Gruppen­ rasch in die Abweichlerposition treiben. Zu den bei der langfristigen Gruppenarbeit
norm Abweichenden in den Therapiegruppen, die ich selbst untersucht habe. Unter schwierigsten Klienten gehören solche Menschen, die fundamentalistische religiöse
den elf Abweichlern war nur einer, der nicht vorzeitig die Gruppe verließ - ein stark Anschauungen im Dienst der Verleugnung einsetzen. Die Abwehr dieser Klienten ist
isolierter Mann mittleren Alters mit sehr starrer Abwehr. Dieser Klient konnte weiter oft für den gewöhnlich mächtigen Gruppendruck undurchdringlich, weil sie durch die
in der Gruppe bleiben, weil er in einer gleichzeitigen Einzeltherapie massive Unterstüt­ Normen einer anderen Bezugsgruppe - der betreffenden religiösen Sekte - gestützt
zung bekam. Er blieb aber nicht nur isoliert in der Gruppe, sondern nach Meinung der wird. Die Deutung dem Klienten gegenüber, er wende gewisse Grundlehren mit unrea­
Therapeuten und der anderen Gruppenmitglieder behinderte er deren Fortschritt. Was listischer Buchstabentreue an, wird oft nicht akzeptiert, und ein Frontalangriff auf ihre
in jener Gruppe geschah, war den oben von Schachter47 beschriebenen Phänomenen Abwehr macht sie eher noch rigider.
in Versuchsgruppen erstaunlich ähnlich. Zunächst wurde auf den Abweichler beträcht­ Zusammenfassend können wirfeststellen: Es ist wichtig, dass der Therapeut es vermei­
liche Gruppenenergie verwendet, dann gab die Gruppe auf; der Abweichler wurde det, Klienten in eine Gruppe aufzunehmen, deren Ziele der Betreffende niemals erreichen
weitgehend aus dem Kommunikationsgeflecht herausgehalten, aber die Gruppe konn­ kann, weshalb er höchstwahrscheinlich als Abweichler angesehen und isoliert werden wür­
te ihn, der das Arbeitstempo verlangsamte, nie ganz vergessen. Wenn in der Gruppe de. Klienten werden aufgrund ihres interpersonalen Verhaltens in den Gruppensitzungen
etwas Wichtiges vor sich geht, über das man nicht sprechen kann, tritt immer ein ge­ zu Abweichlern, nicht aufgrund eines von der Norm abweichenden Lebensstils oder einer
wisses Maß an allgemeiner Kommunikationshemmung auf. Mit einem entrechteten entsprechenden Vorgeschichte. Wenn erst einmal therapeutische Gruppennormen aufge­
Mitglied ist die Gruppe niemals wirklich frei; in gewissem Sinn kann sie nicht viel stellt worden sind, gibt es keine Form früheren Verhaltens, die für eine Gruppe zu abwei­
schneller vorankommen als ihr langsamstes Mitglied. chend wäre, als dass sie nicht akzeptiert werden könnte. Ich habe erlebt, dass Menschen,
Nun wollen wir diese Forschungsergebnisse und klinischen Beobachtungen auf den in deren Leben Prostitution, Exhibitionismus, Inzest, Voyeurismus, Kleptomanie, Kindes­
Auswahlprozess anwenden. Klienten, die in Therapiegruppen in eine Abweichlerrolle tötung, Raub und Drogenhandel wichtige Rollen gespielt hatten, von einer Gruppe nor­
geraten werden, sind in Eingangsbefragungen relativ leicht zu identifizieren. Ihre Ver­ maler Mittelklassebürger akzeptiert wurden.
leugnung, ihr Herunterspielen der intrapsychischen und interpersonalen Faktoren,

276 277
Probleme der Nähe: Mehrere Klienten brachen ihre Gruppentherapie aufgrund von hemmungslosen Selbstoffenbarung hin und hörten ohne vorherige Ankündigung auf.
Konflikten ab, die mit Nähe zusammenhingen und sich auf unterschiedliche Weisen Wieder andere stellten an die Gruppenmitglieder so unmäßige Forderungen nach un­
manifestierten: durch (1) schizoiden Rückzug, (2) dysfunktionale Selbstoffenbarung mittelbarer, uneingeschränkter Nähe, dass sie sich selbst in eine untragbare Gruppen­
(hemmungslose Selbstoffenbarung oder generelle Furcht davor) und (3) unrealistische rolle brachten. Eine Klientin, die ihre Teilnahme an einer Gruppentherapie vorzeitig
Forderungen nach sofortiger Nähe: abbrach, beunruhigte die Gruppe gleich in der ersten Sitzung, indem sie erklärte, sie
Mehrere Klienten, bei denen schizoide Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert wor­ sei klatschsüchtig und könne nicht garantieren, dass sie in der Lage sein werde, ver­
den waren (wegen ihrer sozialen Rückzugshaltung, ihrer interpersonalen Kälte, ihrer trauliche Äußerungen für sich zu behalten.
Distanziertheit, ihrer Introversion und ihrer Tendenz zu autistischer Egozentrik), hat­ Klienten mit großen Problemen bezüglich des Umgangs mit Nähe sind für einen
ten erhebliche Schwierigkeiten bei der Herstellung von Beziehungen und in der Kom­ Gruppentherapeuten eine besondere Herausforderung, und zwar sowohl hinsichtlich
munikation innerhalb der Gruppe. Jeder von ihnen hatte die Gruppe mit dem Ent­ der Auswahl von Gruppenteilnehmern als auch hinsichtlich des Therapiemanagements
schluss begonnen, seine Gefühle zu äußern und frühere, fehlangepasste Formen der (womit sich Kapitel 13 befasst). Ironischerweise kann ausgerechnet für sie eine erfolg­
Kontaktaufnahme zu korrigieren. Dies gelang ihnen nicht; sie erlebten Frustration und reiche Gruppenerfahrung besonders lohnend sein. Eine Untersuchung über erlebens­
Angst, was wiederum ihre Bemühungen zu sprechen noch mehr blockierte. Die Thera­ orientierte Gruppen ergab, dass emotional beeinträchtigte Menschen, die sich bedroht
peuten bezeichneten solche Gruppenrollen als »isoliert«, »schweigendes Mitglied«, »gar fühlen, wenn andere Emotionen zum Ausdruck bringen, und die Schwierigkeiten ha­
nicht vorhanden«, »Randfigur« und »gibt nichts preis«. ben, ihre eigenen emotionalen Reaktionen auszudrücken, durch das Miterleben der
Die meisten dieser Gruppenmitglieder waren bezüglich der Möglichkeit, durch Gruppenarbeit mehr lernen und sich dadurch in stärkerem Maße verändern, auch
Gruppentherapie jemals Hilfe zu finden, völlig entmutigt. Ich habe es gelegentlich er­ wenn sie sich in der Gruppe wesentlich unwohler fühlen als andere Gruppenmitglie­
lebt, dass solche Klienten am Beginn einer neuen Gruppe von therapeutischen Fakto­ der.49 Deshalb profitieren solche Klienten, für deren Lebensgeschichte unbefriedigende
ren wie Universalität des Leidens, Identifikation, Altruismus und Entwicklung von So­ interpersonale Beziehungen charakteristisch sind, in starkem Maße von dem erfolgrei­
zialisationstechniken profitiert haben. Wenn diese Klienten jedoch in der Gruppe blei­ chen Verlauf eines Erlebnisses von Nähe innerhalb der Gruppe. War ihre interpersona­
ben, werden die übrigen Gruppenmitglieder oft gegenüber ihrem Schweigen ungedul­ le Vorgeschichte jedoch zu entbehrungsreich, erscheint ihnen die Gruppe als zu be­
dig, und es wird ihnen lästig, sie aus ihrer Isolation herauszuholen (eine Gruppe sagte drohlich, sie brechen die Therapie ab und fühlen sich anschließend noch demoralisier­
einmal, sie wollte nicht mehr »Zwanzig Fragen« spielen), und sie beziehen Stellung ge­ ter als vorher.so Klienten, die sich nach sozialer Verbundenheit sehnen, jedoch durch
gen die Betreffenden. ihre unzureichende interpersonale Kompetenz gehindert werden, die Ziele ihrer Sehn­
Ein anderer Klient mit Intimitätskonflikten schied aus anderen Gründen aus: Er sucht zu verwirklichen, sind besonders anfällig für psychischen Schmerz.s 1 In einer
hatte Angst vor seiner eigenen Aggression gegen andere Gruppenmitglieder. Er war ur­ Gruppe, in der sich zahllose Chancen ergeben, zu anderen Gruppenmitgliedern in Ver­
sprünglich in Behandlung gekommen, weil er das Gefühl hatte, explodieren zu müssen: bindung zu treten, ohne dass sie diese nutzen können, sind sie frustriert und leiden
» ... eine Angst, jemanden zu töten, wenn ich explodiere ... was dazu führt, dass ich sehr unter ihrer Situation.52
mich von Menschen fernhalte.« Er beteiligte sich intellektuell an den vier ersten Sitzun­ Somit besteht bei Klienten, die Probleme mit Nähe haben, gleichzeitig sowohl eine
gen, an denen er teilnahm, aber die Gefühlsäußerungen der anderen Gruppenmitglie­ spezifische Indikation als auch eine Kontraindikation für eine Gruppentherapie. Die
der erschreckten ihn. In der fünften Sitzung riss ein anderer Klient die ganze Sitzung Schwierigkeit liegt natürlich darin, frühzeitig zu erkennen, welche Klienten mit dem
mit wirren und sich zudem ständig wiederholenden Äußerungen an sich. Der Klient Gruppenprozess nicht zurechtkommen werden, und sie erst gar nicht in eine Gruppe
wurde außerordentlich wütend auf den Alleinunterhalter und auf die übrigen Grup­ aufzunehmen. Könnten wir diesen kritischen Entscheidungspunkt doch nur exakt
penmitglieder, weil sie dies zuließen, und ohne die Therapeuten vorher darüber zu in­ quantifizieren! Die Voraussage des Verhaltens von Klienten in einer Gruppe aufgrund
formieren, hörte er abrupt mit der Therapie auf. der Resultate von Screening-Sitzungen vor Beginn der Therapie ist eine komplexe Auf­
Andere Klienten empfanden eine ständige, alles durchdringende Angst vor der gabe, mit der ich mich im nächsten Kapitel ausgiebig beschäftigen werde.
Selbstoffenbarung, die sie daran hinderte, sich an der Gruppenarbeit zu beteiligen - Menschen mit schweren Charakterstörungen oder starker narzisstischer Pathologie
was schließlich dazu führte, dass sie ausschieden. Andere gaben sich einer vorzeitigen, und einer generellen Furcht vor Selbstoffenbarungen sind für eine interaktional orien­
tierte Gruppentherapie in der Regel ungeeignet. Doch wenn die Betreffenden mit ih­
* Die verschiedenen Kategorien von Abbrechern überschneiden sich stark. Viele der Klienten, die wegen
rem interpersonalen Verhaltensstil unzufrieden sind, eine starke Veränderungsmotiva­
Problemen in Zusammenhang mit Nähe ausschieden, begannen, Abweichlerrollen zu spielen, weil ihre
Näheprobleme in ihrem Verhalten zum Ausdruck gelangten. Hätte die Belastung durch den inneren tion zum Ausdruck bringen und eine deutliche Neugier bezüglich der Vorgänge in ih­
Konflikt mit der Nähe sie nicht gezww1gen auszuscheiden, wäre zweifellos durch die mit der Abweich­ rer Psyche erkennen lassen, ist die Wahrscheinlichkeit sicherlich höher, dass sie von der
lerrolle verbundenen Belastungen ein so starker Druck entstanden, dass sie aufgrund dessen aus der Mitarbeit in einer Therapiegruppe profitieren werden. Die Interaktion innerhalb der
Gruppe ausgeschieden wären.

278 279
Gruppe kann bei ihnen starke Ängste vor dem Verlust ihres Selbstgefühls und ihrer Au­ verbreitet); sie werden oft als Zeichen für durchlässige Ichgrenzen und die Unfähigkeit
tonomie erzeugen. Einerseits sehnen sie sich nach Verbundenheit, andererseits fürch­ angesehen, einen Unterschied zwischen sich selbst und wichtigen Bezugspersonen in
ten sie, sich genau durch diese selbst zu verlieren. Interpersonale Abwehrverhaltens­ der Umgebung zu machen.
weisen gegen diese Ängste wie Rückzug, Entwertung oder Selbsterhöhung können das Angst vor emotionaler Ansteckung ist, falls sie nicht außerordentlich ausgeprägt
Mitglied innerhalb der Gruppe in eine deviante Rolle treiben. 53 Leicht oder mäßig schon in den Auswahlgesprächen vor Beginn der Therapie zum Ausdruck kommt, kein
stark schizoide Klienten und solche mit vermeidender Persönlichkeitsstörung hin­ besonders brauchbarer Indikator für Aufnahme oder Nichtaufnahme in eine Gruppe.
gegen sind ausgezeichnete Kandidaten für eine Gruppentherapie, und nur selten pro­ Es ist im Allgemeinen schwierig, dieses Verhalten nach Auswahlinterviews vorherzusa­
fitieren sie nicht davon. gen. Außerdem ist die Angst vor emotionaler »Ansteckung« allein kein ausreichender
Größere Vorsicht ist geboten, wenn ein Therapeut ein Ersatzmitglied für eine be­ Grund für ein Scheitern. Wenn der Therapeut ein Gespür für das Problem hat, kann er
reits länger und mit einem gewissen Tempo arbeitende Gruppe sucht. Oft ist es in sol­ im therapeutischen Prozess recht gut damit fertig werden. Manchmal müssen Klienten
chen Fällen notwendig, Einzel- und Gruppentherapie miteinander zu kombinieren, sich schrittweise desensibilisieren: Ich habe erlebt, dass Klienten aus mehreren Thera­
um empfindliche Klienten in eine Gruppe zu integrieren oder ihnen den dauerhaften piegruppen vorzeitig ausschieden, aber immer wieder von vorn anfingen, bis sie
Verbleib darin zu ermöglichen. Durch die zusätzliche Unterstützung und Begleitung schließlich in der Lage waren, in einer Gruppe zu bleiben. Derartige Probleme schlie­
durch den Einzeltherapeuten lässt sich das Gefühl der betreffenden Klienten verrin­ ßen eine Gruppentherapie keineswegs aus. Der Therapeut kann helfen, indem er dem
gern, dass er sich einem großen Risiko aussetzt.54 Klienten erklärt, welch lähmende Wirkung seine Einstellung zu den Leiden anderer auf
ihn selber hat. Wie kann ein Mensch Freundschaften aufbauen, wenn er es nicht er­
Die Angst vor emotionaler Ansteckung: Mehrere Klienten, die vorzeitig die Gruppenthe­ trägt, von den Schwierigkeiten anderer zu hören? Wenn er sein Unbehagen aushalten
rapie beendet hatten, berichteten, das Anhören der Probleme der anderen Gruppen­ kann, kann die Gruppe durchaus für einen solchen Klienten die ideale Therapieform
mitglieder habe auf sie extrem ungünstig gewirkt. Ein Klient gab an, er sei während sem.
seiner drei Wochen in der Gruppe durch die Probleme der anderen ganz aus dem
Gleichgewicht geraten, habe jede Nacht von ihnen geträumt und auch am Tag ihre Andere Gründe für vorzeitiges Ausscheiden: Die anderen Gründe für vorzeitiges Aus­
Probleme nacherlebt. Andere berichteten, ein besonders gestörter Klient in der betref­ scheiden aus der Gruppentherapie - die Unfähigkeit, den Therapeuten mit anderen zu
fenden Gruppe habe sie aufgeregt. Sie hätten alle Angst bekommen, als sie Züge dieses teilen, Komplikationen durch gleichzeitige Einzel- und Gruppentherapie, Provoka­
Klienten an sich selber gesehen hätten, und gefürchtet, sie könnten auch so geistes­ teure, Schwierigkeiten bei der Ausrichtung auf die Therapie und Komplikationen
krank werden wie der schwer gestörte Klient, oder eine fortgesetzte Konfrontation mit durch die Bildung von Untergruppen - sind im Allgemeinen nicht so sehr auf Fehler
ihm könnte bei ihnen zu einer Regression führen. Ein anderer Klient dieser Kategorie, bei der Auswahl der Klienten, sondern auf eine mangelhafte therapeutische Technik
der die erste Gruppensitzung 30 Minuten vor deren Ende verließ und danach nie mehr zurückzuführen; sie sollen in späteren Kapiteln besprochen werden. Keine dieser Kate­
auftauchte, beschrieb seinen starken Ekel vor den übrigen Gruppenmitgliedern mit gorien gehört jedoch ausschließlich in die Rubrik »Auswahl« oder »Therapietechnik«.
folgenden Worten: »Ich konnte die Leute in der Gruppe nicht ausstehen. Sie waren ab­ Beispielsweise schieden einige Klienten vorzeitig aus, weil sie unfähig waren, den The­
stoßend. Ich geriet außer mir, wenn ich sah, wie sie versuchten, ihre Probleme auf mei­ rapeuten mit anderen zu teilen. Sie gaben nie die Vorstellung auf, der Fortschritt in der
ne zu häufen. Ich wollte ihre Probleme nicht hören. Ich hatte kein Mitleid mit ihnen Therapie hänge allein davon ab, wie viel Zeit, Aufmerksamkeit usw. sie vom Gruppen­
und konnte es nicht ertragen, sie anzusehen. Sie waren alle hässlich, dick und unattrak­ therapeuten bekämen.
tiv.« Sie hatte sich ihr ganzes Leben lang von den Krankheiten anderer abgestoßen ge­ Es mag zwar sein, dass diese Klienten übermäßig abhängig und autoritätsorientiert
fühlt und kranke Menschen gemieden. Als ihre Mutter einmal ohnmächtig wurde, waren, aber ihnen wurde auch eine ungeeignete Gruppentherapie empfohlen. Sie wa­
stieg sie über sie hinweg um wegzulaufen, anstatt zu versuchen, ihr zu helfen. Auch an­ ren zuvor alle in Einzeltherapie gewesen, und die Gruppe wurde als eine Methode zur
dere Kliniker haben darauf hingewiesen, dass Klienten dieser Kategorie in der Regel Entwöhnung von der Therapie angesehen. Natürlich ist die Gruppentherapie keine
seit langem dazu tendieren, Kranken aus dem Weg zu gehen. Sie berichteten, sie seien Methode, die man zur Förderung der Abschlussphase der Einzeltherapie verwenden
auf andere nicht neugierig, und wenn sie einen Unfall miterlebt hätten, seien sie als kann, und der Therapeut sollte in seiner Eingangsuntersuchung bei überwiesenen Kli­
erste verschwunden oder hätten die Tendenz gehabt, in die andere Richtung zu enten sorgfältig auf deren Eignung achten. Manchmal werden Klienten durch ihre star­
schauen. 55 ke Abneigung dagegen, ihre Einzeltherapie aufzugeben, daran gehindert, sich in einer
Diese Furcht vor »Ansteckung« kann durch verschiedene Dynamiken entstanden Gruppentherapie zu engagieren.?\
sein. Viele Klienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen berichten von solchen Wie wir aus früheren Kapiteln wissen, liegen überzeugende Beweise dafür vor, dass
Ängsten (in der Gruppentherapie mit stationären Klienten ist dieses Phänomen sehr die Stärke der therapeutischen Allianz zuverlässig Aufschluss über das Therapieresultat

280 281
gibt. Umgekehrt deuten Probleme bezüglich dieser Allianz - wie beispielsweise, dass Impulsive Klienten, die das Bedürfnis, jederzeit ihren Gefühlen entsprechend zu
Klient und Therapeut sich hinsichtlich ihrer Ziele und Aufgaben oder des Wesens der handeln, schwer beherrschen können, sind in einer Gruppentherapie viel besser aufge­
therapeutischen Beziehung nicht einig sind - auf die Gefahr eines vorzeitigen Thera­ hoben als in einer Einzeltherapie. 59 Bei der Arbeit mit diesen Klienten fällt es Einzel­
pieabbruchs und eines völligen Fehlschlagens der Therapie hin. In einer Studie, an der therapeuten oft schwer, gleichzeitig Teilnehmer und Beobachter zu bleiben; in einer
zehn Abbrecher teilnahmen, wurde festgestellt, dass mehrere Klienten unangemessen Gruppe werden diese Rollen auf verschiedene Mitglieder verteilt: Einige stürzen sich
auf die Gruppe vorbereitet worden waren.56 Der Therapeut war sich nicht klar gewesen in den Kampf mit den impulsiven Klienten, andere feuern sie an (»Haut euch! Wir
über die Gründe, weshalb er die Klienten einer Gruppe zuwies. Keine klaren Ziele wa­ wollen was sehen!«), und andere als unparteiische zuverlässige Zeugen handeln, deren
ren formuliert worden, und einige Klienten misstrauten den Motiven des Therapeuten Aussage der impulsive Klient oft bereitwilliger vertraut als der des Therapeuten.
- sie fragten sich, ob man sie nur einfach deshalb in die Gruppe geschickt hatte, weil Auch wenn interpersonale Probleme nicht an erster Stelle stehen (oder dem Klien­
die Gruppe voll werden musste. Einige fühlten sich verletzt, weil man sie zusammen ten nicht klar sind), kann die Gruppentherapie die Behandlung der Wahl sein. Zum
mit Klienten in eine Gruppe geschickt hatte, die stärker dysfunktional waren als sie Beispiel kommen extrem intellektualisierte Klienten oft besser mit den affektiven An­
selbst. Sie fassten dies als eine Aussage darüber auf, wie der Therapeut ihre Verfassung reizen zurecht, wie sie in einer Gruppe zur Verfügung stehen. Manchen Klienten geht
einschätzte. Einige waren gekränkt, einfach nur weil man sie der Gruppe zugewiesen es in der Einzeltherapie schlecht, weil sie mit der Übertragung schwerwiegende Prob­
hatte, als hätte man sie von einem besonderen Stand zu einem gewöhnlichen herab­ leme haben: Möglicherweise sind sie nicht in der Lage, die Intimität der dyadischen
gewürdigt. Wieder andere verließen die Gruppe wegen eines wahrgenommenen Un­ Situation zuzulassen, indem sie die therapeutische Beziehung entweder so stark ver­
gleichgewichts im Prozess des Gebens und Nehmens. Sie hatten das Gefühl, weit mehr zerren oder sich so sehr auf den Therapeuten einlassen (oder in so starke Opposition
zu geben, als sie in der Gruppe erhielten. zu ihm geraten), dass sie die Realitätsprüfung anderer Gruppenmitglieder brauchen,
damit eine Therapie möglich wird. Wieder andere werden am besten in einer Gruppe
behandelt, weil sie charakteristischerweise bei einem Einzeltherapeuten eine starke
Aufn a h mekriterien
negative Gegenübertragung hervorrufen.60
Das wichtigste Aufnahmekriterium ist auch das offensichtlichste, nämlich die Motiva­
tion.57 Der Klient muss im Allgemeinen für eine Therapie stark motiviert sein, beson­ G ra nt, einem 38-jäh rigen Mann, wa r von seiner E inzelthera peutin eine Gru ppenthera­
ders aber für eine Gruppentherapie. Es reicht nicht, eine Gruppentherapie zu begin­ pie e m pfohlen worden. E r kä m pfte m it seinem Ärger und mit einem fast phobischen
nen, weil man geschickt worden ist - ob durch den Ehepartner, den Bewährungshelfer, Vermeiden von Zärtl ichkeit oder Abhä ngigkeit, und e r glaubte, dies sei auf die körper­
den Einzeltherapeuten oder irgendeinen Menschen oder eine Institution. Während der l ic h e n M iss h a n d l ungen z u rückzufü h ren, d ie e r d u rc h seinen bruta len Vater erlitten
Vorbereitung (siehe Kapitel 10) können viele falsche Vorurteile über die Gruppe kor­ h atte. Als d i e Verspieltheit seines kleinen Sohns i h n zu beä ngstigen bega n n , hatte e r
rigiert werden, aber wenn Sie bei einem Menschen einen tief verwurzelten Unwillen sich i n e i n e Einzelthera pie begeben, weil e r fü rchtete, er werde n icht i n d e r Lage sein,
erkennen, die Behandlung zu akzeptieren, oder eine ausgeprägte Abneigung, über­ die Vaterro l le adäq uat z u e rfü llen, und möglicherweise n i c ht e i n m a l davor z u rück­
haupt in die Gruppe einzutreten, sollten Sie ihn nicht aufnehmen. schrecken, seinen Sohn zu m issha nde l n .
Die meisten Kliniker sind sich dahingehend einig, dass es ein wichtiges Aufnahme­ Anfa n gs machte er i n d e r Einzelthera pie gute Fortsch ritte, doch es dauerte nicht lange,
kriterium ist, ob ein Klient im interpersonalen Bereich offenkundige Probleme hat, bis d ie Thera peutin sich a ufgrund seiner aggressiven und rohen sexuellen Gefü hle i h r
beispielsweise Einsamkeit, Schüchternheit und soziales Rückzugsverhalten, Unfähig­ gege n ü ber s e h r unwoh l fühlte. Dies wurde fü r s i e noch unerträglicher, als G ra nt erklär­
keit zu Nähe oder zu Liebe, übertriebenes Konkurrenzverhalten, Aggressivität, auf­ te, er könne seine D a n kba rkeit i h r gege n ü ber am besten sexuell z u m Ausd ruck brin­
reizendes Verhalten, Streitsucht, Misstrauen, Autoritätsprobleme, Narzissmus, die Un­ gen. B lockiert i n i h rem Bem ü hen, dies d u rchzua rbeiten, und weil sie a ufgr u n d von
fähigkeit zu teilen, sich einzufühlen oder Kritik zu akzeptieren, ein ständiges Bedürfnis G ra nts Fortsch ritten die Therapie trotzdem n icht beenden wollte, empfa h l sie i h m eine
nach Bewunderung, das Gefühl, nicht liebenswert zu sein, Angst, sich durchzusetzen, Gru ppentherapie, weil sie hoffte, d ie gleichzeitige Arbeit i n einer Gruppe u nd in den
Unterwürfigkeit und Abhängigkeit. Außerdem müssen Klienten natürlich bereit sein, E i n zelsitzungen werde d i e I ntensität von Ü bertragung und Gege n ü bertra g u n g m i l ­
eine gewisse Verantwortung für diese Eigenschaften zu übernehmen oder sie min­ dern. Tatsächlich bot die Gru ppe dem Kl ienten s o viele Alternativen fü r d a s E rleben
destens anzuerkennen; sie müssen auch den Wunsch nach Veränderung haben. sowoh l von Bezoge n heit als a uch von Konfrontationen, dass G ra nts Beh a n d l u ng sich
Manche Therapeuten empfehlen Gruppentherapie für Klienten, die in der Einzel­ i n beiden Thera piemodi sehr z ufriedenstellend entwickelte.
therapie nicht gut arbeiten aufgrund ihrer begrenzten Fähigkeit, über Ereignisse in
ihrem Leben zu berichten (wegen blinder Stellen oder wegen einer ichsyntonen Cha­ Viele Klienten streben eine Therapie an, ohne ausgesprochene interpersonale Schwie­
rakter-Pathologie). 58 rigkeiten zu haben. Sie führen vielleicht die allgemeinen Probleme an, die den heutigen

282 283
Klienten in die Therapie treiben: ein Gefühl, in ihrem Leben etwas zu versäumen, Ge­ countergruppen teilnahmen, zu Beginn der Gruppenarbeit die Neigung jedes Mit­
fühle der Sinnlosigkeit, diffuse Ängste, keine Lebensfreude, ein verschwommenes Iden­ glieds, ein Risiko einzugehen, sowie die Erwartungen, die die Mitglieder bezüglich der
titätsgefühl, mäßige Depressionen, Selbstentwertung oder selbstzerstörerisches Verhal­ Qualität des interpersonalen Verhaltens hegten, das sie in der Gruppe zu erleben hoff­
ten, Arbeitssucht, Angst vor Erfolg, Alexithymie.6 1 Doch wenn man genauer hinschaut, ten; dann maßen sie das tatsächliche Verhalten der Mitglieder in der Gruppe (Selbst­
hat jede dieser Beschwerden einen interpersonalen Untergrund, und man kann sie alle offenbarung, Feedback, Eingehen von Risiko, verbale Aktivität, Tiefe des Engagements,
in der Gruppentherapie ebenso erfolgreich behandeln wie in der Einzeltherapie.62 Angezogensein von der Gruppe).69 Sie stellten fest, dass sowohl eine hohe Risikobereit­
schaft als auch hohe Erwartungen mit einem für die Therapie günstigen Verhalten in der
Untersuchungen über Aufnahmekriterien. Jede systematische Methode zur Definition Gruppe korrelierten.
von Aufnahmekriterien muss von der Untersuchung von Klienten, die erfolgreich an Die Feststellung, dass positive Erwartungen die Voraussage eines guten Ergebnisses
einer Gruppentherapie teilgenommen haben, ausgehen. Wie ich bereits zu Beginn ermöglichen, wird durch die Forschung fundiert bestätigt: Je mehr Nutzen ein Klient
dieses Kapitels erwähnte, ist es leider sehr schwer, eine solche Untersuchung unter kont­ von der Therapie - sowohl Gruppen- als auch Einzeltherapie - erwartet, desto besser wirkt
rollierten Bedingungen durchzuführen. Ich sollte in diesem Zusammenhang darauf sie. 71 70 Die Rolle der vorherigen Therapie ist in dieser Hinsicht wichtig: Erfahrene Kli­
hinweisen, dass eine Erfolgsvoraussage in der Einzeltherapie ebenso schwierig ist, und enten haben positivere und realistischere Erwartungen der Therapie gegenüber. Über­
Überblicksuntersuchungen aus neuerer Zeit weisen auf die geringe Zahl erfolgreicher einstimmung zwischen Therapeut und Klient bezüglich der realistischerweise an die
klinisch relevanter Untersuchungen hin. 63 Therapie zu stellenden Erwartungen stärken die therapeutische Allianz, was wiederum
Im Rahmen einer Studie mit vierzig Klienten, die ein Jahr lang an fünf Therapie­ ein besseres Therapieresultat wahrscheinlich macht.71 Diese Beziehung zwischen posi­
gruppen für ambulant behandelte Fälle teilnahmen, versuchten Kollegen und ich, Fak­ tiver Erwartungshaltung und positivem Resultat hat wichtige Implikationen nicht nur
toren zu identifizieren, die vor der Therapie schon offensichtlich waren und vielleicht für den Prozess der Gruppenmitgliederauswahl, sondern auch für die Vorbereitung der
ein erfolgreiches Ergebnis der Gruppentherapie vorhersagbar machen könnten.64 Das Klienten auf die Therapie. Aus dieser Beziehung zwischen positiver Erwartungshaltung
Ergebnis wurde ausgewertet und mit vielen Variablen korreliert, die vor Beginn der und positivem Resultat ergeben sich wichtige Folgerungen nicht nur für den Auswahl­
Therapie gemessen worden waren. Unsere Resultate zeigten, dass keiner der vor der prozess, sondern auch für die Vorbereitung von Klienten auf die Therapie. Wie ich in
Therapie gemessenen Faktoren die Voraussage eines erfolgreichen Verlaufs der Grup­ Kapitel 10 besprechen werde, kann man durch eine angemessene Vorbereitung positive
pentherapie ermöglichte - weder die psychologische Feinfühligkeit noch die Voraus­ Erwartungen wecken.
sage des Resultats durch den Therapeuten noch die Fähigkeit zur Selbstoffenbarung
vor Beginn der Therapie noch bestimmte demografische Indikatoren. Doch zwei früh Die Wirkung des Klienten auf andere Gruppenmitglieder
in der Therapie (zum Zeitpunkt der sechsten und zwölften Sitzung) gemessene Fakto­ Andere Aufnahmekriterien werden deutlich, wenn wir uns die anderen Mitglieder der
ren sagten den erfolgreichen Abschluss ein Jahr später voraus: wie stark sich der Klient Gruppe ansehen, in die der Klient aufgenommen werden soll. Bisher habe ich um der
von der Gruppe angezogen fühlte und wie beliebt er in der Gruppe war.65 Die Feststel­ didaktischen Klarheit willen das Problem übermäßig vereinfacht, indem ich versucht
lung, dass Beliebtheit für einen erfolgreichen Abschluss der Therapie sehr wichtig war, habe, nur absolute Kriterien für Ausschluss oder Aufnahme herauszustellen. Anders als
ist für die Auswahl von Gruppenteilnehmern sehr wichtig, denn die Forscher stellten bei den Überlegungen vor einer Einzeltherapie, wo wir nur zu überlegen brauchen, ob
fest, dass einige der Voraussetzungen für Beliebtheit in der Gruppe starke Selbstoffen­ der Klient von der Therapie profitieren wird und ob er mit einem bestimmten Thera­
barung, Beteiligung am Gruppengeschehen und die Fähigkeit zur Introspektion wa­ peuten eine Arbeitsbeziehung aufbauen kann, kann man vor einer Aufnahme zur
ren.66 Man erinnere sich, dass Popularität und Status in einer Gruppe Teilnehmern zu­ Gruppentherapie die übrigen Gruppenmitglieder nicht unberücksichtigt lassen.
gestanden werden, die Verhaltensweisen exemplifizieren, welche der Gruppe helfen, Beispielsweise ist es einerseits denkbar, dass ein depressiver, selbstmordgefährdeter
ihren Zielen näher zu kommen. 67 Klient oder ein Klient mit Redezwang aus einer Gruppe Nutzen zieht, doch anderer­
Die Gruppen-Untersuchung von Lieberman, Yalom und Miles (siehe Kapitel 16) seits kann die Gruppe durch seine Anwesenheit für einige andere Mitglieder unpro­
hat gezeigt, dass jene Klienten am meisten von der Gruppe profitierten, die bei der Un­ duktiver werden. Gruppentherapeuten verpflichten sich nicht nur dazu, alle Klienten,
tersuchung vor Gruppenbeginn persönliche Veränderung schätzten und wünschten; die sie in eine Gruppe hineingebracht haben, zu behandeln, sondern sie verpflichten
die von sich selbst glaubten, es mangele ihnen an Verständnis für ihre eigenen Gefühle auch alle anderen Gruppenmitglieder dazu, mit diesen Klienten zusammenzuarbeiten.
und an Sensibilität für die Gefühle anderer; die von der Gruppe viel erwarteten und Beispielsweise verursachte Grant, dessen Fall an früherer Stelle in diesem Kapitel be­
annahmen, sie würde ihnen Gelegenheit zur Kommunikation geben und ihnen helfen, schrieben wurde, in der Anfangsphase seiner Gruppentherapie bei den weiblichen
ihre Schwächen zu überwinden.68 Gruppenmitgliedern sehr heftige Reaktionen. Einmal reagierte ein weibliches Grup­
Melnick und Rose bestimmten bei einem Projekt, an dem 45 Mitglieder von En- penmitglied auf eine Serie wütender Angriffe Grants mit der Äußerung: »Ich versuche

284 285
ja wirklich, Grant zu verstehen, aber wie lange muss ich mich selbst und meinen Fort­ Ein Ü berblick ü be r das Auswa h lverfa h re n
schritt noch für seine Therapie aufopfern?«
Andererseits kommt es vor, dass Klienten von verschiedenen Behandlungsmetho­ Das bisher vorgelegte Material über die Auswahl von Klienten mag als ein wenig zu­
den profitieren würden, dass man sie jedoch in eine Gruppe schickt, damit sie be­ sammenhanglos erscheinen. Ich kann es ein wenig ordnen, indem ich ein zentrales Or­
stimmte Bedürfnisse der Gruppenteilnehmer erfüllen. Beispielsweise benötigen man­ ganisationsprinzip darauf anwende - ein einfaches Belohnungs-und-Bestrafungs-Sys­
che Gruppen ein aggressives Mitglied oder einen starken Mann oder eine sanfte Frau. tem. Klienten neigen dazu, vorzeitig aus Therapiegruppen auszuscheiden - und sind
Obwohl die Therapie von Klienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung oft aufgrund dessen schlechte Kandidaten für die Gruppenarbeit -, wenn die Strafen oder
recht stürmisch verläuft, beziehen einige Gruppentherapeuten sie absichtlich in eine Nachteile der Gruppenmitgliedschaft die Belohnungen oder erwarteten Belohnungen
Gruppe ein, weil sie den Prozess der Gruppentherapie oft vorteilhaft beeinflussen. In überwiegen. Wenn ich von »Strafen« oder »Nachteilen« der Gruppenmitgliedschaft
der Regel ist solchen Klienten klarer, was in ihrem Unbewussten vor sich geht, sie sind spreche, meine ich den Preis, den ein Klient für seine Mitgliedschaft in einer Gruppe
weniger gehemmt, sie fühlen sich sozialen Formalitäten weniger verpflichtet und sie bezahlen muss. Dazu zählen der Aufwand an Zeit, Geld und Energie sowie viele unbe­
erschließen einer Gruppe häufig einen offeneren und intimeren Umgang. Man muss hagliche Gefühle, die durch das Gruppengeschehen entstehen können, beispielsweise
jedoch sehr vorsichtig sein, wenn man ein Mitglied in die Gruppe aufnimmt, dessen Angst, Frustration, Entmutigung und Abgelehntwerden.
Ichstärke erheblich geringer ist als die der anderen Mitglieder. Wenn solche Klienten Der Klient selbst sollte beim Auswahlprozess eine wichtige Rolle spielen. Es ist bes­
sozial erwünschte Verhaltensweisen zeigen und wegen ihrer Offenheit und ihrer feinen ser, in eine Gruppe gar nicht erst einzutreten, als sich dem Unbehagen auszusetzen,
Wahrnehmungsfähigkeit von den anderen Mitgliedern geschätzt werden, kommen sie vorzeitig aus der Gruppe auszuscheiden. Der Klient kann jedoch nur dann eine wohl­
im Allgemeinen gut zurecht. Wenn ihr Verhalten andere jedoch stört und wenn die überlegte Entscheidung treffen, wenn man ihm genügend Information gibt: zum Bei­
Gruppe sich rasch vorwärtsbewegt oder für sie bedrohlich ist, sodass sie die Gruppe spiel über das Wesen der Gruppenerfahrung, die vermutliche Dauer der Therapie, die
hemmen anstatt sie zu führen, werden sie in die Rolle des Abweichlers gedrängt und Erwartungen, die in der Gruppe an ihn gestellt werden (siehe hierzu Kapitel 10).
machen wahrscheinlich Erfahrungen, die ihrer Entwicklung abträglich sind. Die Belohnungen der Mitgliedschaft in einer Therapiegruppe bestehen in den ver­
schiedenen Arten von Befriedigung, die die Mitglieder von der Gruppe bekommen.
Das persönliche Gefühl des Therapeuten gegenüber dem Klienten Wir wollen hier jene Belohnungen oder Determinanten der Gruppenkohäsivität be­
Ein letztes wichtiges Kriterium für die Aufnahme eines Klienten in eine Gruppe ist das trachten, die für die Auswahl der Klienten für die Gruppentherapie relevant sind.73
persönliche Gefühl des Therapeuten dem Betreffenden gegenüber. Wenn der Thera­ Mitglieder sind mit ihren Gruppen zufrieden (von ihren Gruppen angezogen - ge­
peut einem Klienten gegenüber aus welchem Grund auch immer eine starke Abnei­ neigt, die Mitgliedschaft in ihren Gruppen beizubehalten), wenn:
gung oder Gleichgültigkeit empfindet ( und wenn er diese Reaktion weder versteht
noch zu verändern vermag), sollte er ihn an einen Kollegen überweisen. Diese War­ 1. sie meinen, die Gruppe erfülle ihre persönlichen Bedürfnisse - d.h., sie fördere ihre
nung ist natürlich nicht absolut zu nehmen, und jeder Therapeut muss für sich fest­ Therapieziele;
legen, welche Gefühle eine effektive Therapie ausschließen würden. 2. sie aus ihren Beziehungen zu den anderen Mitgliedern Befriedigung gewinnen;
Ich habe den Eindruck, dass dieses Problem für Gruppentherapeuten nicht ganz so 3. sie aus ihrer Beteiligung an der Gruppenaufgabe Befriedigung gewinnen;
wichtig ist wie für Einzeltherapeuten. Da in der Gruppe die konsensuelle Validierung 4. sie gegenüber der Außenwelt Befriedigung aus ihrer Gruppenmitgliedschaft be­
der anderen Klienten und des Co-Therapeuten zur Verfügung steht, finden viele The­ ziehen.
rapeuten, dass sie eher fähig sind, anfängliche negative Gefühle gegenüber Klienten in
der Gruppentherapie durchzuarbeiten, als dies in der Einzeltherapie möglich wäre. Dies sind wichtige Faktoren. Jeder Aspekt kann, wenn er fehlt oder mit einem nega­
Trotzdem deutet einiges darauf hin, dass Feindseligkeit des Therapeuten in einer Grup­ tiven Vorzeichen versehen ist, den positiven Wert der anderen überwiegen und zur Be­
pentherapie häufig zu vorzeitigen Therapieabbrüchen führt. 72 Wenn Therapeuten· im endigung der Gruppentherapie führen. Wir wollen sie der Reihe nach betrachten.
Laufe der Zeit Erfahrungen und Selbsterkenntnis erwerben, entwickeln sie gewöhnlich
mehr Großzügigkeit und Toleranz und stellen fest, dass sie immer seltener Klienten ge­ Erfüllt die Gruppe persönliche Bedürfnisse?
genüber Abneigung empfinden. Oft spiegelt die Antipathie, die der Therapeut empfin­ Die expliziten persönlichen Bedürfnisse der Mitglieder von Therapiegruppen äußern
det, die charakteristische Wirkung des Klienten auf andere und liefert Ersterem des­ sich zunächst in ihrer Hauptbeschwerde, in dem Grund, aus dem sie sich in eine The­
halb nützliche Informationen für die Therapie. 71 rapie begeben haben. Diese persönlichen Bedürfnisse werden gewöhnlich als Wunsch
nach Befreiung von Leiden ausgedrückt oder, wenn auch seltener, als der Wunsch, sich
selbst zu verstehen oder sich persönlich weiterzuentwickeln. Hier sind mehrere Fak-

286 287
toren wichtig: Es muss ein wichtiges persönliches Bedürfnis vorhanden sein; die Grup­ Manche Klienten, die vor einer drängenden wichtigen Entscheidung stehen wie ei­
pe muss als ein Agens gesehen werden, das das Potenzial hat, dieses Bedürfnis zu erfül­ ner Scheidung, Abtreibung oder das Sorgerecht für ein Kind aufzugeben, sind mögli­
len; und es muss rechtzeitig gesehen werden, dass die Gruppe Fortschritte in Richtung cherweise keine guten Kandidaten für eine dynamische Gruppe. Doch später, wenn die
auf die Erfüllung dieses Bedürfnisses macht. Entscheidung gefallen ist, können sie möglicherweise von einer Gruppe profitieren,
Der Klient muss natürlich einen Leidensdruck haben, der die erforderliche Motiva­ weil diese ihnen hilft, mit den indirekten psychischen und gesellschaftlichen Folgen
tion für eine Veränderung liefert. Die Beziehung zwischen Leidensdruck und Eignung ihrer Entscheidung fertig zu werden.
für die Gruppentherapie ist nicht linear. Klienten mit zu geringem Leidensdruck (ge­ Menschen, die man verschiedentlich als psychologisch unsensibel, starke Leugner,
koppelt mit nur geringer Neugier in bezug auf Gruppen oder sich selbst) sind gewöhn­ psychologische Analphabeten und als alexithym bezeichnet, können unfähig sein, die
lich nicht bereit, den Preis für die Gruppenmitgliedschaft zu bezahlen. Gruppe als etwas zu sehen, das ihnen persönlich nutzt. Tatsächlich können sie ihre per­
Klienten mit mäßig hohem Leidensdruck können andererseits bereit sein, einen ho­ sönlichen Bedürfnisse und die Gruppenziele als unvereinbar ansehen. Psychologische
hen Preis zu bezahlen, vorausgesetzt, dass sie den Glauben oder Beweise haben, dass Sensibilität ist eine besonders wichtige Variable, weil sie Menschen hilft, sich für die
die Gruppe helfen kann und will. Woher kommt dieser Glaube? Es gibt mehrere mög­ »Arbeit« der »Therapie«75 zu engagieren, die positive Resultate hervorbringt. Ohne die­
liche Quellen: se Eigenschaft kann es sein, dass die Klienten denken: »Wie soll es meinen schwachen
Nerven helfen, mich mit meinen Beziehungen zu den anderen Gruppenmitgliedern
• Befürwortung der Gruppentherapie durch die Massenmedien, durch Freunde, die auseinanderzusetzen?«
erfolgreich Erfahrung mit Gruppentherapie gemacht haben, durch einen früheren
Einzeltherapeuten, eine betreuende Institution oder einen Arzt. Befriedigung durch Beziehungen zu anderen Gruppenmitgliedern
• Ausdrückliche Vorbereitung durch den Gruppentherapeuten (siehe Kapitel 10). Gruppenmitglieder werden gestärkt durch ihre Beziehungen zu anderen Teilnehmern,
• Glaube an die Allwissenheit von Autoritätsfiguren. und oft stellt die Anziehung durch die Gruppe andere enge Bindungen in den Schatten.
• Beobachtung oder Berichte von der Besserung anderer Gruppenmitglieder. Die Wichtigkeit der Beziehungen zwischen Mitgliedern sowohl als Quelle der Kohäsi­
• Beobachtung von Veränderungen an sich selbst schon am Anfang der Therapie. vität wie auch als therapeutischer Faktor haben wir in Kapitel 3 ausführlich bespro­
chen, und ich brauche hier nur zu erwähnen, dass ein Klient selten in der Gruppe
Klienten mit sehr starkem Leidensdruck, entweder aufgrund außerordentlicher äußerer bleibt, wenn interpersonale Befriedigung zu lange auf sich warten lässt.
Belastung, innerer Konflikte, unzureichender Ichstärke oder einer Kombination davon, Die Entwicklung interpersonaler Zufriedenheit kann viel Zeit in Anspruch neh­
können durch Angst und die Notwendigkeit, eine äußere Belastung zu bewältigen, so men. Klienten verachten sich oft selbst und tendieren deshalb am Anfang häufig dazu,
beansprucht sein, dass viele Aktivitäten der dynamischen Langzeitgruppe völlig irrele­ auch andere Gruppenmitglieder zu verachten. Meist haben sie in der Vergangenheit
vant erscheinen. Am Anfang können diese Gruppen dringende persönliche Bedürf­ nur wenige befriedigende interpersonale Beziehungen erlebt und haben nur wenig
nisse nicht erfüllen. Eine dynamische, interaktionsorientierte Gruppentherapie ist Vertrauen oder Hoffnung, aus Beziehungen zu den anderen Gruppenmitgliedern et­
nicht wirksam oder effizient, wenn es um den Umgang mit einer schweren Krise und was zu gewinnen. Oft benutzen die Klienten den Therapeuten als Übergangsobjekt.
mit akuten psychischen Belastungen geht. Indem sie zunächst zu ihm eine positive Beziehung herstellen, wird es leichter für sie,
Stark gestörte Klienten können unfähig sein, die Frustration zu ertragen, die sie er­ einander näherzukommen.76
leiden, während die Gruppe sich allmählich zu einem wirksamen therapeutischen Ins­
trument entwickelt. Sie fordern möglicherweise sofortige Linderung, die die Gruppe Befriedigung aufgrund von Beteiligung an Gruppenaktivitäten
nicht bieten kann - sie ist dafür nicht geeignet. Oder sie entwickeln angstbindende Ab­ Die Befriedigung, die Klienten aus der Beteiligung an der Gruppe gewinnen, ist un­
wehrmechanismen, die interpersonal so wenig der Anpassung dienen (zum Beispiel trennbar mit der Befriedigung durch die Beziehung zu anderen Gruppenmitgliedern
extreme Projektion oder Somatisierung), dass die Gruppe für sie sozial unerträglich verbunden. Die Aufgabe der Gruppe (eine Gruppenkultur der Nähe, des Annehmens,
wird. Noch einmal sei gesagt: Nicht die Gruppentherapie an sich istfür Klienten mit sehr der Introspektion, des Verstehens und der interpersonalen Aufrichtigkeit herzustellen)
starkem Leidensdruck kontraindiziert, sondern eine dynamische Langzeitgruppenthera­ ist im Grunde interpersonal. Untersuchungen an sehr verschiedenen Gruppen haben
pie. Diese akut gestörten Klienten können ausgezeichnete Kandidaten für eine Krisen­ jedoch gezeigt, dass eine befriedigende Teilnahme an der Gruppenarbeit, gleichgültig,
gruppe oder eine spezialisierte, problemorientierte Gruppe sein - z. B. eine kognitiv­ wekher Art diese ist, für die Gruppenmitglieder eine wichtige Quelle der Befriedigung
behaviorale Gruppe für Klienten, die unter einer Depression oder Panikstörung leiden. ist.77 Klienten, die keine Introspektion üben, sich nicht offenbaren, an anderen keinen
71 Doch auch in einer solchen Gruppe müssen sie sich an der Gruppenarbeit beteiligen; Anteil nehmen oder ihre Gefühle nicht zeigen können, werden aus ihrer Beteiligung an
der Unterschied besteht in der Art und Fokussierung der Arbeit. 74 den Gruppenaktivitäten nur wenig Befriedigung gewinnen können. Dazu gehören

288 289
viele der Typen, über die wir schon gesprochen haben, beispielsweise die schizoide Per­ Klienten sollten aus Langzeitgruppen ausgeschlossen werden, wenn sie mitten in
sönlichkeit, Klienten mit großen Problemen bezüglich der Nähe, die Leugner, die So­ einer Lebenskrise stecken, die sich in problemspezifischen Kurzzeitgruppen oder an­
matisierer, die organisch Geschädigten und die geistig Behinderten. Es ist besser, diese deren Therapieformen besser lösen lässt.
Klienten in einer homogenen, problemspezifischen Gruppe zu behandeln, deren Grup­ Konflikte im Bereich der Nähe sind sowohl Indikation als auch Kontraindikation
penarbeit ihren Fähigkeiten entspricht. für die Gruppentherapie. Die Gruppentherapie hat hier beträchtliche Hilfe anzubieten,
aber wenn die Konflikte zu extrem sind, wird der Klient sich entscheiden, die Gruppe
Befriedigung aufgrund von Stolz aufdie Gruppenmitgliedschaft zu verlassen ( oder hinausgedrängt werden). Der Therapeut hat die Aufgabe, jene Kli­
Mitglieder vieler Gruppen beziehen Befriedigung aus ihrer Mitgliedschaft, weil die Au­ enten auszuwählen, die der Grenze zwischen Notwendigkeit und Unmöglichkeit so
ßenwelt die Gruppe als hochwertig oder prestigeträchtig ansieht. Das ist bei Thera­ nahe wie möglich sind. Wenn die Kennzeichen, die einen Ausschluss erfordern, nicht
piegruppen aufgrund dessen, was ihre Mitglieder einander mitteilen, nicht so. Mit­ vorhanden sind, kann der größte Teil der Therapie-Suchenden in Gruppentherapie be­
glieder von Therapiegruppen entwickeln jedoch gewöhnlich einen gewissen Stolz auf handelt werden.
ihre Gruppe; sie verteidigen sie zum Beispiel, wenn sie von neuen Mitgliedern ange­
griffen wird. Sie fühlen sich möglicherweise Außenstehenden überlegen - den »Leug­
nenden« -, Menschen, die ebenso viele Probleme haben wie sie, aber nicht so vernünf­
tig sind, in eine Therapiegruppe zu gehen. Wenn Klienten sich ihrer Mitgliedschaft
außerordentlich schämen und es ihnen widerstrebt, nahen Freunden oder sogar Part­
nern zu sagen, dass sie an einer Gruppe teilnehmen, muss ihnen die Mitgliedschaft als
etwas erscheinen, das nicht zu den Wertvorstellungen anderer wichtiger sozialer Grup­
pen passt. Es ist nicht wahrscheinlich, dass solche Klienten sich jemals von der Gruppe
stark angezogen fühlen werden. Gelegentlich üben Außengruppen (Familie, Militär
oder, in neuerer Zeit, die Industrie) auf einen Menschen Druck aus, er solle in eine
Therapiegruppe gehen.78 Gruppen, die nur durch diesen Zwang zusammengehalten
werden, sind zu Anfang zerbrechlich, aber nicht selten schafft der sich entwickelnde
Gruppenprozess andere Quellen der Kohäsivität.

Zusa m menfass u n g

Die Auswahl von Klienten fü r die Gruppentherapie verläuft praktisch als Prozess der
Ausscheidung: Gruppentherapeuten ziehen gewisse Klienten gar nicht erst in Betracht
und akzeptieren alle anderen. Obwohl durch die empirische Untersuchung von The­
rapieergebnissen und die klinische Beobachtung kaum verlässliche Aufnahmekriterien
entdeckt wurden, hat die Erforschung des Scheiterns in der Gruppentherapie, beson­
ders bei früh ausscheidenden Klienten wichtige Ausschlusskriterien geliefert.
Man sollte Klienten nicht in eine Gruppe aufnehmen, wenn die Wahrscheinlichkeit
besteht, dass sie von den Gruppennormen abweichen werden. Abweichler haben wenig
Chancen, von der Gruppenerfahrung zu profitieren; es ist wahrscheinlicher, dass sie
ihnen schadet. Ein Abweichler von den Gruppennormen ist jemand, der an der Grup­
penaufgabe nicht teilnehmen kann. In einer heterogenen Interaktionsgruppe ist der­
jenige ein Abweichler, der sein Selbst und seine Beziehung zu anderen, insbesondere zu
den anderen Gruppenmitgliedern, nicht untersuchen kann oder will. Ebenso wenig
kann er seine Verantwortung für seine Schwierigkeiten im Leben akzeptieren. Geringe
psychologische Aufgeschlossenheit ist ein Schlüsselkriterium zum Ausschluss aus einer
dynamischen Therapiegruppe.

290 291
tion vor: Ein Aufnahmekoordinator ist der Meinung, dass ein Klient sich für eine
Gruppentherapie eignet, und in der Klinik arbeiten mehrere Gruppen, in denen jeweils
ein Platz für einen weiteren Teilnehmer frei ist. In welche Gruppe sollte der Klient in­
Ka pite l g tegriert werden? In welche Gruppe würde er am besten hineinpassen? ?I Beide geschil­
derten Situationen werfen fast die gleiche Frage auf: Gibt es eine zu bevorzugende Me­
thode, eine Gruppe zusammenzustellen oder zu ergänzen? Ergibt die richtige Mischung
Die Zusa m m e n setz u n g vo n Th e ra piegru p pe n von Einzelpersonen eine ideale Gruppe? Muss die falsche Mischung zwangläufig un­
harmonisch bleiben, und kann sie sich nie zu einer funktionsfähigen Arbeitsgruppe
verbinden?
Ein Kapitel über die Zusammensetzung von Therapiegruppen könnte auf den ersten Ich halte es für wichtig, stichhaltige Prinzipien für die Gruppenzusammenstellung
Blick als im Rahmen der heutigen Praxis der Gruppenpsychotherapie anachronistisch zu entwickeln, um Therapeuten bei der Entscheidung über die Aufnahme oder Nicht­
erscheinen. Der ökonomische Druck, der heute auf Gruppentherapeuten lastet, sowie aufnahme von Klienten in Gruppen zu unterstützen. Wenn wir beim Aufbau einer
der Einfluss des Managed-Care-Systems könnten die Vorstellung, es sei überhaupt neuen Gruppe oder bei der Aufnahme eines Ersatzteilnehmers in eine bestehende
noch möglich, eine Psychotherapiegruppe gewissenhaft auf eine bestimmte, sinnvolle Gruppe keinerlei Kenntnisse über die Organisation des Gesamtsystems haben, tappen
Weise zusammensetzen, als praxisfernen Luxus erscheinen lassen. Wie kann man sich wir im Dunkeln. Dabei steht in solchen Fällen viel auf dem Spiel: Erstens wird durch
über die ideale Methode der Zusammensetzung von Therapiegruppen Gedanken ma­ die Entscheidung, einen bestimmten Klienten in eine Gruppe aufzunehmen, eine An­
chen, wenn der Druck, das Zielsymptom zu lindern, homogene Gruppen, strukturier­ zahl anderer Gruppenmitglieder tangiert, und zweitens lässt der oft knappe Zeit­
. te Sitzungen und eine möglichst kurze Therapie an der Tagesordnung sind? Außerdem rahmen heutiger Gruppen kaum Zeit, »Fehlbesetzungen« zu korrigieren.
liegen empirische Untersuchungen vor, nach denen Fragen der Gruppenzusammenset­ Ebenso wie in früheren Kapiteln werde ich auch diesen Gruppen mit ehrgeizigen
zung umso unwichtiger werden, je kürzer der festgelegte Zeitraum der Gruppenarbeit und Zielen, die sich auf die Interaktion ihrer Mitglieder im Hier und Jetzt konzentrieren,
je strukturierter die Gruppe ist. 1 Erschwerend kommt hinzu, dass die Erforschung des besondere Aufmerksamkeit schenken. Doch P"rinzipien für die Gruppenzusammen­
Aspekts der Gruppenzusammensetzung zweifellos einer der komplexesten und verwir­ stellung spielen auch für homogene, problemspezifische, kognitiv-behaviorale und
rendsten Bereiche der Literatur zur Gruppentherapie ist. Weshalb gibt es dann in die­ psychoedukativ orientierte Gruppen eine Rolle. Man bedenke, dass selbst in solchen
sem Buch trotzdem ein Kapitel über die Zusammensetzung von Gruppen? Gruppen Homogenität in einer bestimmten Dimension, beispielsweise jener der Dia­
Ich werde im vorliegenden Kapitel zu zeigen versuchen, dass die Prinzipien der gnose, wichtige heterogene Aspekte zunächst maskieren kann (beispielsweise die Pha­
Gruppenzusammensetzungfür alle Formen von Therapiegruppen, selbstfür die struktu­ se und die Schwere einer Erkrankung), was auf die Fähigkeit einer Gruppe zur guten
riertesten und scheinbar homogensten, relevant sind. Prinzipien der Gruppenzusam­ Zusammenarbeit einen starken Einfluss haben kann.
mensetzung helfen Gruppenleitern, den Prozess innerhalb jeder Gruppe zu verstehen Zunächst möchte ich erklären, was ich unter einer richtigen und einer falschen
und ihre Arbeit auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Klienten abzustimmen. Wenn The­ »Mischung« verstehe. Mischung von was? Um welche Zutaten geht es? Welche unter
rapeuten es versäumen, sich mit Fragen der Vielfalt in der interpersonalen, kognitiven, den unendlich vielen menschlichen Eigenschaften sind für die Zusammenstellung
kulturellen und die Persönlichkeit betreffenden Dimension zu beschäftigen, fallen sie einer interaktionsorientierten Therapiegruppe relevant? Da jedes Gruppenmitglied
einem stark simplifizierenden und uneffektiven gruppentherapeutischen Ansatz zum ständig mit allen anderen Mitgliedern kommunizieren und interagieren muss, ist das
Opfer, der sich am Prinzip des »globalen Einheitsbreis« orientiert. Die Zahl der vorlie­ Schicksal der Gruppe von der Interaktion ihrer Mitglieder abhängig. Deshalb müssen
genden Untersuchungen über die Gruppenzusammensetzung ist gewaltig, und die wir, wenn wir eine Gruppe möglichst sinnvoll zusammenstellen wollen, eine Mischung
Thematik ist äußerst komplex. Leser, die sich für die Details dieser Arbeit nicht so sehr kreieren, die es den Gruppenmitgliedern ermöglicht, auf die gewünschte Weise zusam­
interessieren, sollten sich in diesem Kapitel vielleicht auf die Zusammenfassungen zu menzuarbeiten. Die gesamte Prozedur der Auswahl von Gruppenmitgliedern und der
den einzelnen Unterkapiteln und auf den abschließenden überblick konzentrieren. Gruppenzusammenstellung basiert somit auf der wichtigen Annahme, dass wir mit
Beginnen wir mit einem Gedankenexperiment. Stellen Sie sich folgende Situation einer gewissen Exaktheit das interpersonale Verhalten oder das Gruppenverhalten eines
vor: eine psychiatrische Ambulanz oder ein Beratungszentrum mit zehn Gruppenthe­ Menschen aufgrund des vor Beginn der Therapie durchgeführten Screenings voraussagen
rapeuten, die Gruppen zusammenstellen sollen, und 70 Klienten, die gemäß den im können. Sind wir tatsächlich zu einer solchen Voraussage in der Lage?
Vorangegangenen beschriebenen Auswahlkriterien für eine Gruppentherapie geeignet
sind. Gibt es eine ideale Methode, diese zehn Gruppen zusammenzustellen?
Oder stellen Sie sich die folgende häufiger vorkommende, aber vergleichbare Situa-

292 293
Die Vora ussage von G ru p penverha lten rungen der Achse I ( und zusätzlich zu diesen) Anhäufungen von Symptomen für eine
Persönlichkeitspathologie in mehr als einem Bereich auftreten können. Das DSM-IV­
Im vorigen Kapitel habe ich dem Gruppentherapeuten von der Aufnahme von Kli­ TR bemüht sich um eine schärfere Abgrenzung zwischen schweren und weniger schwe­
enten in eine Gruppe abgeraten, deren Verhalten innerhalb der Gruppe ihre eigene ren Persönlichkeitsstörungen, und im Allgemeinen ist seine empirische Grundlage zu­
Therapie zum Scheitern verurteilen und die Therapie der Gesamtgruppe behindern verlässiger als die früherer DSM-Systeme.3
würde. Im Allgemeinen sind Voraussagen über das Gruppenverhalten von Klienten mit Trotzdem weist das DSM-IV-TR ebenso wie die neueste Ausgabe der International
extremen, starren, fehlangepassten interpersonalen Verhaltensweisen (beispielsweise Classification of Disease (ICD-10) für Therapeuten, die mit Klienten arbeiten, deren
von soziopathischen und akut manischen Klienten) einigermaßen zuverlässig: Je kras­ interpersonale Probleme oft auch nicht annähernd einer der Syndrom-Definitionen
ser das Krankheitsbild, umso zuverlässiger die Verlaufsvoraussage. entsprechen, erhebliche Schwächen auf. Eine weitere Eigenart heutiger Diagnosen ist,
Im klinischen Alltag ist es gewöhnlich wesentlich schwieriger, sinnvolle Voraussagen dass sie abgrenzbares und beobachtbares Verhalten in den Vordergrund stellt, hingegen
zu treffen. Da die meisten Klienten, die zur Behandlung erscheinen, über ein großes innerpsychischen Vorgängen im Grunde wenig Aufmerksamkeit schenken.4
Repertoire von Verhaltensweisen verfügen, ist es schwieriger vorauszusehen, wie sie Insgesamt hat sich gezeigt, dass das übliche Aufnahmeinterview für die Voraussage
sich letztendlich in der Gruppe verhalten werden. Wir wollen uns nun die gebräuch­ des späteren Verhaltens in der Gruppe von nur geringem Wert ist.5 Beispielsweise ergab
lichsten Verfahren zur Voraussage des Gruppenverhaltens ansehen. eine Untersuchung, die mit 30 ambulant behandelten Klienten, die an einer Gruppen­
therapie teilnahmen, durchgeführt wurde, dass die Beurteilung der aufnehmenden In­
Das standardisierte diagnostische Interview terviewer von fünf wichtigen Faktoren - Motivatio� für die Gruppentherapie, verbale
In der Regel werden beim Screening von Klienten auf ihre Eignung für die Gruppen­ Fähigkeiten, Chronizität der Probleme, Geschichte der Objektbeziehungen und Ein­
arbeit hin gängige diagnostische Tests benutzt. Der Interviewer versucht, auf der sichtsfähigkeit - keinen Prädiktionswert für das spätere Gruppenverhalten des Klienten
Grundlage von Informationen über umgebungsbedingte Belastungen, die persönliche hatte (zum Beispiel bezüglich der verbalen Aktivität, der Beteiligung an der Arbeit und
Geschichte und seiner Schlüsse über Behandlungsmotivation und lchstärke vorauszu­ der Bereitschaft, auf andere Mitglieder und auf den Gruppenleiter zu reagieren.6 )
sagen, wie der betreffende Klient sich in der Gruppe verhalten wird. Diese Voraussa­ Dass ein diagnostisches Etikett nicht viel über menschliches Verhalten vorhersagt,
gen, die auf Beobachtungen des Verhaltens in der dyadischen Situation basieren, sind sollte uns weder überraschen noch bekümmern. Kein Etikett und kein kurzgefasstes
häufig verschwommen und ungenau. Später in diesem Kapitel werde ich einige Strate­ Urteil kann das Wesentliche über einen Menschen oder über sein gesamtes Verhaltens­
gien beschreiben, durch die sich die Treffgenauigkeit dieser Voraussagen erhöhen. repertoire aussagen.7 Jede einschränkende Kategorisierung ist nicht nur fehlerhaft,
Eines der traditionellen Resultate diagnostischer Interviews über den psychischen sondern auch kränkend und den menschlichen Grundlagen der therapeutischen Be­
Zustand ist eine Diagnose, die in komprimierter Form den Zustand des Klienten wie­ ziehung konträr. Je weniger wir ( während des Prozesses der Psychotherapie) in Begrif­
dergibt und anderen Klinikern nützliche Informationen liefert. Doch sind die durch fen diagnostischer Etiketten denken, desto besser, finde ich. (Albert Camus hat die
eine solche Diagnose gewonnenen Informationen wirklich praxistauglich? Gruppen­ Hölle einmal als einen Ort beschrieben, wo die Identitätjedes Einzelnen auf ewig fest­
therapeuten werden sicherlich bescheinigen, dass dies nicht der Fall ist! Psychiatrische gelegt ist und jeder sie gut sichtbar mit sich herumträgt: Ehebrecherischer Humanist,
Diagnosen, die auf gängigen Klassifikationssystemen basieren (beispielsweise auf dem christlicher Landbesitzer, nervöser Philosoph, charmanter Janus usw.8 Für Camus ist
DSM-IV-TR), sind als Informationsquelle über das interpersonale Verhalten eines Kli­ die Hölle dort, wo man keine Möglichkeit hat, sich selbst zu erklären, wo man fixiert
enten bestenfalls von begrenztem Wert. Die diagnostische Nomenklatur wurde nicht und klassifiziert ist - ein für allemal.)
für diesen Zweck entwickelt; sie ist im Rahmen einer krankheitsorientierten medizini­
schen Disziplin entstanden und basiert hauptsächlich auf der Beschreibung von Syn­ Gebräuchliche psychologische Tests
dromen, die aufgrund der Häufung bestimmter Zeichen und Symptome identifiziert Die gängigen diagnostischen Tests - darunter der Rorschachtest, das Minnesota Multi­
werden. Die Persönlichkeit wird im Allgemeinen auf ähnliche Weise klassifiziert, wobei phasic Personality Inventory (MMPI), der Thematische Apperzeptionstest (TAT), der
die einzelnen Kategorien des interpersonalen Verhaltens begutachtet werden, jedoch Satzergänzungstext (Sentence Completion Test - SCT) und der Draw-A-Person-Test
nicht in der integrierten Form, in der es sich tatsächlich manifestiert.2 (DAP) - vermochten Gruppentherapeuten keine brauchbaren Voraussagen über die
Das im Jahre 2000 veröffentlichte Diagnostic and Statistical Manual of Mental Dis­ Eignung von Patienten für die Gruppenarbeit zu liefern.9
orders (DSM-IV-TR) beinhaltet gegenüber früheren psychiatrischen Diagnosesystemen
sicherlich einen Fortschritt, und es schenkt der Persönlichkeit wesentlich mehr Auf­ Spezielle diagnostische Verfahren
merksamkeit, indem es sie auf einer speziellen Achse (Achse II) kodiert und der Tat­ Der geringe Wert diagnostischer Standardverfahren zwingt uns, neue Methoden der
sache Rechnung trägt, dass bei einem Menschen abgesehen von psychiatrischen Stö- Einschätzung des interpersonalen Verhaltens zu entwickeln. Allmählich setzt sich die

294 295
Überzeugung durch, dass Persönlichkeitszüge und -tendenzen genauer untersucht Heutige interpersonale Theoretiker?\ haben versucht, eine Klassifikation unter­
werden müssten, wenn wir die Methoden verbessern wollen, die wir anwenden, um schiedlicher interpersonaler Stile und Verhaltensweisen aufgrund von Informationen
Patienten die für sie am besten geeignete Therapie empfehlen zu können. w Neue kli­ zu entwickeln, die mittels interpersonal orientierter Inventare gesammelt wurden
nische Beobachtungen und wissenschaftliche Studien lassen mehrere vielverspre­ (häufig das Inventar zur Erfassung Interpersonaler Probleme - Inventory ofInterpersonal
chende Tendenzen erkennen, die sich zwei allgemeinen Kategorien zuordnen lassen: Problems, IIP).25 Anschließend werden diese Informationen auf einem multidimensio­
nalen interpersonalen Circumplex angeordnet ( einer schematischen Darstellung inter-
1. Die Formulierung eines interpersonalen nosologischen Systems. Wenn die ent­ . personaler Beziehungen, die im zweidimensionalen Raum auf einem Kreis angeordnet
scheidende Variable zur Klientenauswahl für die Gruppentherapie interpersonaler sind; siehe Abbildung 9.1 ).26
Natur ist, warum sollte man dann kein Diagnoseschema auf interpersonaler Grund­ Zwei Studien, in denen der interpersonale Circumplex im Rahmen einer zwölf
lage entwickeln? Sitzungen umfassenden Trainingsgruppe graduierter Psychologiestudenten benutzt
2. Neue diagnostische Verfahren, die gruppenrelevantes Verhalten direkt unter­ wurde, ergaben folgende Resultate:
suchen.
1. Die Gruppenmitglieder, die sich vermeidend oder abweisend verhielten, empfanden
Ein interpersonales nosologisches System. Der erste bekannte Versuch, Geisteskrankhei­ andere Gruppenmitglieder mit höherer Wahrscheinlichkeit als feindselig.
ten zu klassifizieren, geht auf die Zeit um 1700 v. Chr. zurück. 11 Seit jener Zeit ist eine 2. Gruppenmitglieder, die ängstlich waren oder mit Beziehungen beschäftigt, sahen
verwirrende Anzahl von Systemen entstanden, die alle Unstimmigkeiten aufwiesen. andere Gruppenmitglieder als freundlich an.
Die meisten Systeme klassifizierten Geisteskrankheiten entweder nach Symptomen 3. Sehr dominante Menschen entwickeln gegen ein Engagement in der Gruppe
oder entsprechend ihrer mutmaßlichen Entstehung. Mit der Entdeckung der Objekt­ Widerstand und setzen sie in ihrem Wert herab.27
beziehungen und der Entwicklung eines interpersonal orientierten Verständnisses psy­
chischer Erkrankungen, in Verbindung mit dem starken Anstieg der Zahl derjenigen,
Abbildung 9.1: l nterpersonaler Circumplex
die sich aufgrund von weniger schwerwiegenden Problemen in eine psychotherapeu­
tische Behandlung begeben, 12 wurden komplexere Versuche unternommen, Menschen
aufgrund ihrer charakteristischen Art der Aufnahme interpersonaler Kontakte zu klas­
dominant
sifizieren. 71 Frühere Generationen von Psychotherapieforschern, die sich für die Wir­
kung von Persönlichkeitsvariablen auf die Teilnahme in Gruppen interessierten, ma­
ßen Variablen wie Externalisierung und Widerstand, 13 empfundene Fähigkeit und er­
lernte Findigkeit, 14 Dogmatismus, 1 5 Vorliebe für starke oder geringe Strukturierung, 1 6
soziales Vermeiden, 1 7 Kontrollüberzeugung, 1 8 interpersonales Vertrauen19 und die Nei­
feindselig freundlich
gung, soziale Risiken einzugehen.20
Interessant ist, dass einige der heutigen empirischen Schemata über interpersonale
Beziehungen sich in starkem Maße auf frühere klinische Ansätze beziehen. Karen Hor­
neys Mitte des 20. Jahrhunderts entstandenes Modell hat bei der Entwicklung neuer
Ansätze eine besonders wichtige Rolle gespielt. Horney war der Auffassung, dass psy­
chisch gestörte Menschen sich in übertriebener und dysfunktionaler Weise auf andere u nterwürfig
zu oder von ihnen weg bewegten oder sich gegen sie stellten, und sie beschrieb inter­ Horizonta lachse = Affiliation Vertikalachse = Kontrolle
personale Profile dieser Typen und verschiedener Subformen.21
Auch Bowlbys Untersuchung der Bindung22 hat neue Impulse gegeben und dazu
angeregt, Menschen aufgrund von vier grundlegenden Arten von Bindungsbeziehun­ Ein anschauliches Beispiel für diese Art von Untersuchung ist in einer gut konstruier­
gen zu klassifizieren: (1) der sicheren und ( 2) der ängstlichen, ( 3) der distanzierten ten Studie zu finden, in der die Effektivität von zwei Arten von Gruppentherapie ver­
oder abweisenden und vermeidenden und (4) der furchtsam vermeidenden.23 Einige glichen und versucht wurde, die Auswirkung der Persönlichkeitszüge der Klienten auf
Therapeuten halten diese verschiedenen Bindungsstile für so wichtig, dass die Frage, die Resultate festzustellen.28 Die Forscher ließen Klienten, die sich wegen Verlusterleb­
ob ein Therapeut sie kennt und therapeutisch adäquat darauf eingeht, nach ihrer Auf­ nisse oder komplizierter Trauer (N = 107) in Behandlung begeben hatten, entweder an
fassung für Erfolg oder Scheitern der gesamten Behandlung ausschlaggebend ist.24 einer zwölf Sitzungen umfassenden deutenden/ausdrucksfördernden odet an einer

296 297
unterstützenden Gruppentherapie teilnehmen. Die Ergebnisuntersuchung umfasste Nachdem wir bei einem Klienten einen zentralen problematischen interpersonalen
Messungen von Depression, Angst, Selbstachtung und sozialer Anpassung. Vor der Bereich identifiziert haben, müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, ob wir uns für
Therapie wurde jedem Klienten das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-Five Factor eine Therapieart entscheiden wollen, die diesen Bereich erhöhter Verletzlichkeit ver­
Jnventory - NEO-FFI) vorgelegt, das fünf persönliche Variablen misst: Neurotizismus, meidet, oder besser eine, die auf diesen Bereich ausdrücklich eingeht? Die große
Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit.29 Zu NIMH-Studie über zeitlich beschränkte Therapie bei der Behandlung von Depression
welchen Resultaten gelangte die Untersuchung? hat gezeigt, dass Klienten nicht zwangsläufig positiv ansprechen, wenn sie im Sinne
einer Therapieform behandelt werden, die ihre spezifischen Probleme anvisiert. Bei­
1. Beide Gruppentherapien waren nachweisbar effektiv, obgleich die deutende Gruppe spielsweise erwies sich bei Klienten mit massiveren interpersonalen Problemen die
bei den Gruppenmitgliedern wesentlich mehr Affekt und Angst erzeugte. interpersonale Therapie als nicht besonders förderlich. Was könnte der Grund dafür
2. Ein Persönlichkeitsfaktor, Neurotizismus, sagte in beiden Arten von Gruppen sein?
schlechtere Therapieresultate voraus. Die Antwort lautet, dass ein gewisses Maß an interpersonaler Kompetenz die Vo­
3. Drei Faktoren sagten für beide Behandlungsarten gute Ergebnisse voraus: Extraver­ raussetzung dafür ist, dass man die interpersonale Therapie nutzen kann. Klienten mit
sion, Gewissenhaftigkeit und Offenheit. einer umfangreicheren interpersonalen Dysfunktion profitieren gewöhnlich in stärke­
4. Der fünfte Faktor, Verträglichkeit, sagte in der deutend/ausdrucksfördernden Grup- rem Maße von einer kognitiven Therapie, die weniger interpersonale Kompetenz vo­
pe Erfolg voraus, in der unterstützenden Gruppentherapie jedoch nicht. raussetzt. Umgekehrt erreichen Klienten mit stärkeren kognitiven Verzerrungen durch
eine interpersonale Therapie oft bessere Resultate als durch eine kognitive Therapie.
Die Autoren vertreten die Auffassung, dass der Faktor Verträglichkeit besonders wich­ Eine weitere aus der NIMH-Studie gewonnene Erkenntnis ist, dass perfektionistische
tig ist für die Aufrechterhaltung der Bezogenheit angesichts der mit dieser Form inten­ Klienten in zeitlich begrenzten Therapien meist schlechte Resultate erzielen und sich
siver Gruppentherapie verbundenen manchmal konfrontativen Arbeit. oft intensiv mit dem nahenden Ende der Therapie beschäftigen und mit ihrer Enttäu­
Zwei andere für Resultate einer Gruppentherapie relevante Persönlichkeitsmessun­ schung darüber, wie wenig sie im Laufe der Arbeit erreicht haben.34
gen wurden ebenfalls eingehend untersucht: psychologische Sensibilität oder Psycholo­
gical-mindedness30 und die Quality of Object Relations (QOR) Scale.31 ' Beide genannten Zusammenfassung
Messinstrumente haben den Nachteil, dass der Klient sich dabei 30-60 Minuten lang Die wissenschaftliche Untersuchung des Einflusses der Zusammensetzung von Thera­
mit einem halbstrukturierten Interview befassen muss (im Gegensatz zu einem ver­ piegruppen ist noch nicht zu besonders zuverlässigen Resultaten gekommen. Trotzdem
gleichsweise unaufwendigen Selbstberichtsinstrument wie dem NEO-FFJ). lassen sich aus den bisherigen Untersuchungsergebnissen einige Leitlinien für die kli­
Psychological-mindedness sagt bei allen Formen von Gruppentherapie ein gutes Er­ nische Praxis ableiten. Verschiedene Schlüsselprinzipien können uns bei der Zusam­
gebnis voraus. Klienten mit dieser besonderen psychologischen Sensibilität sind besser menstellung intensiv interaktionaler Psychotherapiegruppen helfen:
in der Lage, in einer Therapie zu arbeiten - zu untersuchen, zu reflektieren und zu ver­
stehen. Außerdem sind sie selbstverantwortlicher und verhalten sich anderen Grup­ • Klienten reproduzieren im Mikrokosmos der Therapiegruppe ihre typischen Be­
penmitgliedern gegenüber verantwortungsbewusster.32 Klienten mit hohen QOR- Wer­ ziehungsmuster.
ten - wobei diese ein höheres Maß an Reife in ihren Beziehungen ref lektieren - errei­ • Persönlichkeit und Bindung betreffende Variablen sind wichtigere Prädiktoren für
chen in einer deutend/ausdrucksfördernden, emotionsaktivierenden Gruppentherapie das Verhalten von Klienten innerhalb einer Gruppe als die Diagnose allein.
eher positive Resultate. Sie haben mehr Vertrauen und sind in der Gruppe besser in der • Klienten benötigen ein gewisses Maß an interpersonaler Kompetenz, um aus einer
Lage, ein großes Spektrum negativer und positiver Emotionen auszudrücken. Klienten interaktionsorientierten Gruppentherapie den größtmöglichen Nutzen zu ziehen.
mit niedrigen QOR-Werten sind weniger gut in der Lage, diese mit größeren Anforde­ • Klienten mit starkem Dominanzstreben und sehr abweisende Teilnehmer beein­
rungen verbundene Therapieform zu ertragen, und sie kommen in unterstützenden, trächtigen die Arbeit einer Therapiegruppe.
emotionsunterdrückenden Gruppen besser zurecht.33 • Mitglieder, die bereit sind, sich zu engagieren und soziale Risiken einzugehen, för­
dern die Arbeit der Gruppe.
* Psychological-mindedness (psychologische Sensibilität) ist die Fähigkeit, intrapsychische Faktoren zu • Klienten mit besonderer psychologischer Sensibilität sind für eine effektive interak­
identifizieren und zu den eigenen Schwierigkeiten in Beziehung zu setzen. Dies scheint ein dauer­ tionsorientierte Therapiegruppe unverzichtbar; weisen zu wenige der Teilnehmer
hafter Persönlichkeitszug zu sein, der sich selbst im Falle einer Therapie nicht im Laufe der Zeit ver­
ändert. Die Quality of Object Relations (QOR) Scale misst die charakteristische Art, auf die Klienten
einer Gruppe diese Eigenschaft auf, arbeitet die Gruppe langsam und uneffektiv.
• Klienten, die weniger vertrauensvoll, weniger altruistisch oder weniger kooperativ
zu anderen Menschen in Beziehung treten, und zwar anhand einer Skala, die von reif bis primitiv
reicht. sind, haben wahrscheinlich große Schwierigkeiten mit der interpersonalen Explo-

298 299
ration und mit dem Feedback, und möglicherweise sind für sie in stärkerem Maße Demnach können wir weiter folgern, dass wir uns die relevanten Daten für die Vo­
unterstützende Gruppen geeigneter. raussage späteren Gruppenverhaltens beschaffen können, indem wir das Verhalten ei­
• Klienten mit starkem Neurotizismus oder Perfektionismus erreichen eine deutliche nes Menschen in einer Gruppe beobachten, die der Gruppe, für die er geprüft wird, mög­
Veränderung ihrer Symptome und ihrer Funktionsfähigkeit wahrscheinlich nur bei. lichst ähnlich ist. Wie können wir dieses Prinzip am besten anwenden? Seine genaueste
langer Therapiedauer. Anwendung bestünde darin, ein Treffen des Kandidaten mit der Therapiegruppe, für
die er in Betracht gezogen wird, zu arrangieren und sein Verhalten in diesem Rahmen
Direkte Untersuchung gruppenrelevanten Verhaltens: Die wirkungsvollste Methode, Ver­ zu beobachten. Tatsächlich haben einige Kliniker genau das versucht: Sie laden poten­
haltensweisen in der Gruppe vorherzusagen, besteht darin, einen Menschen zu beob­ zielle Gruppenmitglieder ein, auf Probe an der Gruppe teilzunehmen, und fordern an­
achten, der mit einer mit der Gruppensituation eng zusammenhängenden Aufgabe schließend die regulären Gruppenmitglieder auf, am Auswahlprozess teilzunehmen.44
befasst ist.35 Mit anderen Worten: Je ähnlicher die Untersuchungsbedingungen denen Dieses Verfahren hat zwar mehrere Vorteile (die in Kapitel 11 besprochen werden),
einer Therapiegruppe sind, wenn wir einen Menschen beobachten, desto genauer wird un­ aber mir erscheint es aus klinischer Sicht als problematisch: Es kann die Gruppe sehr
sere Voraussage seines späteren Verhaltens in der Gruppe sein. Diese These wird durch belasten; die Teilnehmer lehnen ein potenzielles neues Mitglied kaum ab, sofern nicht
die Ergebnisse zahlreicher Studien gestützt. Das Verhalten eines Menschen in einem etwas sehr Schwerwiegendes dagegen spricht; außerdem verhält sich das potenzielle
bestimmten interpersonalen Rahmen lässt im Laufe eines längeren Zeitraums eine ge­ Gruppenmitglied in einer Art Prüfungssituation nicht unbedingt natürlich.
wisse Konsistenz erkennen, selbst wenn die Menschen, mit denen der Betreffende in­ Eine interessante Untersuchungsmethode mit weitreichenden klinischen Implika­
teragiert, wechseln; dies wurde bezüglich der Interaktion zwischen Therapeuten und tionen ist die Wartelistengruppe - eine temporäre Gruppe, die aus Menschen zusam­
Klienten und zwischen den Mitgliedern kleiner Gruppen nachgewiesen.36 Beispielswei­ mengestellt wird, die auf eine Therapie in einer Klinik warten und auf einer Warteliste
se wurde demonstriert, dass ein Klient, der von verschiedenen Einzeltherapeuten be­ stehen. Kliniker beobachten das Verhalten der Kandidaten für eine Gruppentherapie
handelt wird, in seinem eigenen Verhalten konsistent bleibt ( und außerdem erstaunli­ und weisen die einzelnen Klienten aufgrund dieser Erkenntnisse einer bestimmten
cherweise das Verhalten aller beteiligten Therapeuten verändert!).37 Therapie- oder Forschungsgruppe zu. Im Rahmen einer exploratorischen Studie bil­
Da wir Gruppenverhalten aufgrund des Verhaltens während eines Einzelinterviews dete ein Forscherteam vier Gruppen mit je 15 Klienten von einer Warteliste für Grup­
oft nicht genau voraussagen können, sollten wir darüber nachdenken, ob es möglich pentherapie, und diese Gruppen trafen dann vier bis acht Wochen einmal pro Woche
ist, Informationen über das Verhalten eines Klienten in einem Gruppenzusammenhang zu zu gemeinsamen Sitzungen zusammen.45 Das Wartelistengruppenverhalten der Klien­
gewinnen. Wirtschaftsunternehmen setzen diesen Gedanken schon seit langem in die ten sagte nicht nur ihr Verhalten in der späteren langfristigen Therapiegruppe voraus,
Praxis um. Wenn Organisationen beispielsweise Bewerber für Positionen, die Fähigkei­ sondern wirkte auch verstärkend auf ihr Engagement in der Therapiegruppe. Ebenso
ten im Umgang mit Gruppen erfordern, testen wollen, beobachten sie das Verhalten wie andere Forscher, die bei Kandidaten für eine Gruppentherapie ein gruppendiag­
der Betreffenden in vergleichbaren Gruppensituationen. So wird bei der Auswahl von nostisches Verfahren anwandten, gelangten sie zu der Überzeugung, dass Klienten
Offiziersanwärtern für die Luftwaffe, Vorarbeitern für Werften und Beamten im staat­ nicht negativ auf die Wartelistengruppe reagierten.46 Wartelistengruppen zu leiten ist
lichen Gesundheitsdienst sowie für viele Arten von gehobenen Positionen und Ma­ für einen Therapeuten eine große Herausforderung. Er muss in der Lage sein, ohne
nagementaufgaben im Staatsdienst und in der Wirtschaft ein Gruppeninterviewtest personelle Unterstützung mit verletzlichen und oft zermürbten Klienten umzuge­
verwendet. Auch Universitäten machen von Einschätzungen im Gruppenrahmen Ge­ hen.47
brauch, wenn es um die Einstellung neuer Fakultätsmitglieder geht.38 In einem gut geplanten Projekt wurden 30 Kandidaten für eine Gruppentherapie,
Dieses allgemeine Prinzip lässt sich jedoch noch weiter verfeinern: Ergebnisse grup­ die auf einer Warteliste standen, zu vier einstündigen Trainingssitzungen gebeten. Alle
pendynamischer Untersuchungen zeigen, dass das Verhalten eines Menschen in einer Sitzungen wurden nach dem gleichen Protokoll durchgeführt, das eine Erläuterung des
bestimmten Gruppe insbesondere dann mit dem Verhalten des Betreffenden in frühe­ Konzepts der Interaktion im Hier und Jetzt einschloss.48 Wie die Forscher feststellten,
ren Gruppen übereinstimmt, wenn sich die Gruppen hinsichtlich ihrer Zusammenset­ entsprachen die verbale Beteiligung und die interpersonale Reaktionsfähigkeit in den
zung, 39 der Gruppenaufgabe,40 der Gruppennormen,4 1 des erwarteten Rollenverhal­ Trainingssitzungen dem späteren Verhalten der Klienten während den ersten 16 regu­
tens42 oder hinsichtlich globaler Gruppencharakteristika (wie Klima oder Kohäsivität) lären Gruppentherapiesitzungen. Diese Erkenntnisse bestätigten sich später im Rah­
ähnlich sind.43 Mit anderen Worten: Selbst wenn das Verhalten eines Menschen in ver­ men eines größeren Projekts.49
schiedenen Gruppen im Großen und Ganzen einheitlich ist, wird das spezifische Ver­
halten des Einzelnen in einer neuen Gruppe dennoch von der Aufgabe und den struk­ Zusammenfassung.
turellen Eigenheiten der Gruppe sowie vom spezifischen interpersonalen Stil der an­ Eine Anzahl von Studien belegt den Prädiktionswert von vor Beginn einer Gruppen­
deren Mitglieder beeinflusst. therapie beobachtetem Gruppenverhalten. Außerdem gibt es aus den Bereichen der

300 301
Human-Relations-Forschung und der sozialpsychologischen Gruppenforschung zahl­ mitgliedern zu gefallen«, »wird sanft und sozial geschickt sein, mit der Neigung, die
reiche Belege dafür, dass sich das spätere Verhalten in einer Therapiegruppe recht zu­ Aufmerksamkeit des Arztes auf sich zu ziehen, wobei er die anderen Gruppenmitglie­
verlässig aufgrund des Verhaltens in vor Therapiebeginn stattfindenden Wartelisten­ der übersieht«, »wird eine abwartende Haltung einnehmen« oder »wird eine sarkasti­
und Trainingsgruppen voraussagen lässt. .71 sche, überlegene Haltung des >Zeigt's-mir-nur< einnehmen und ungern über seine Pro­
bleme sprechen«.52 Psychotherapeuten unserer Zeit haben zu diesem Ansatz wichtige
Das interpersonale Aufnahmeinterview. Praktikern und Kliniken, die unter starkem Ergänzungen beigetragen: Sie haben die Überzeugungen und Erwartungen des Klien­
Zeitdruck stehen oder unter Ressourcenknappheit leiden, wird die Idee der Probe­ ten im Hinblick auf Beziehungen hervorgehoben, die sein interpersonales Verhalten
gruppen möglicherweise als interessant, aber auch als völlig unrealisierbar erscheinen. formen. Dieses wiederum ruft bei anderen charakteristische Reaktionen hervor. 53
Eine weniger präzise, aber besser umsetzbare Möglichkeit, sich vergleichbare Informa­ Eine Sequenz dieser Art wird in der folgenden Vignette dargestellt, die auch zeigt,
tionen zu beschaffen, ist die Durchführung eines interpersonal orientierten Erst­ dass der Therapeut seine eigenen emotionalen Reaktionen und Verhaltensreaktionen
gesprächs, in dem der Therapeut die Fähigkeit der Gruppentherapiekandidaten, mit auf den Klienten genau registrieren muss.
der interpersonalen Hier-und-Jetzt-Realität umzugehen. Ist der Klient beispielsweise
in der Lage, den Prozess des Erstgesprächs zu kommentieren oder den Prozesskom­ Con nie, einer Frau i n den Vierzigern, war von i h rem Hausarzt wegen Soziala ngst, Dys­
mentar des Therapeuten zu verstehen und zu akzeptieren? Ist er offensichtlich ange­ thymie und i nterpersonaler Isolation eine Gru ppentherapie empfohlen worden. G leich
spannt, leugnet dies aber, wenn der Therapeut danach fragt? Ist er fähig und bereit an­ als sie meine Praxis betrat, erklärte sie, sie h a be m it mir »ein H ü h nchen zu rupfen«.
zugeben, welche Teile des Gesprächs für ihn am unangenehmsten oder am angenehms­ » W i e konnten Sie a uf meinem An rufbea ntworter eine Botschaft h i nterlassen, i n der
ten waren? Kann er etwas darüber sagen, wie er möchte, dass der Therapeut ihn Sie mich Con n i e nennen u nd sich sel bst a ls Doktor Sowieso vorstellen? Ist I hnen nicht
sieht? klar, dass a uf d iese Weise das Machtungleichgewicht zwischen den Geschlechtern per­
Man sollte detailliert nach den interpersonalen und Gruppenbeziehungen des Kli­ petuiert wird? H a be n S i e etwa noch n i e etwas von Fem i n i s m u s u nd E m powerment
enten fragen, nach seinen Freunden in der Kindheit, nach längerbestehenden engen gehört? Behandeln Sie a l l e Frauen, die Sie ken nen, so oder n u r I h re Klienti n nen?«
Freundschaften und nach der Art der Beziehung zu beiden Geschlechtern. Viele der Zuerst w a r i c h fassu ngslos, und d a n n füh lte i ch m ich bedroht und wütend. Nachdem
Interviewtechniken von Harry Stack Sullivan sind bei dieser Aufgabe sehr nützlich.50 ich ein paar Auge n bl icke lang nachgedacht hatte, wurde mir klar, dass an i h re m Vor­
Es ist beim Gespräch über Freundschaften beispielsweise aufschlussreich, sich nach wurf tatsächl ich etwas d ra n wa r, u n d ich ga b zu, mich ziemlich achtlos verha lten zu
den Namen der besten Freunde zu erkundigen und zu fragen, was aus ihnen geworden h a ben.
ist. Man sollte sich auch ausführlich über die Beteiligung an formellen und informellen I m la ufe der Sitzung fragte ich d i e K lientin, ob wir das Ausm a ß i h res Ärgers u ntersu­
Gruppen, über Cliquen aus der Kindheit und aus dem Erwachsenenleben, über Stu­ chen kön nten. Daraufh i n befanden wir uns bald in einer Diskussion ü ber i h re Erwar­
dentenverbindungen, Club-Mitgliedschaft, über Banden, Teams, ehrenamtliche Tätig­ tung, dass sie im la ufe des Thera pieprozesses z u m Schweigen gebracht u n d i n i h rem
keiten, informelle Rollen und prestigeträchtige Stellungen berichten lassen. Ich halte es Wert herabgesetzt werden würde, so wie es ihr i n der Vergangen heit schon viele Male
für nützlich, Klienten zu bitten, eine detaillierte Beschreibung eines typischen 24-Stun­ ergangen wa r. Ich erklärte i h r, i n einem gewissen S i n n e h a be sie m ich e i n e r sehr
den-Tages in ihrem Leben zu verfassen. Bei der Begutachtung dieses Textes sollten The­ schwierigen Prüfu ng u nterzogen - wobei sie möglicherweise ge hofft h a be, dass ich
rapeuten besonders darauf achten, in welchem Maße und in welcher Form ein Klient der Versuchung n icht erl iegen würde, dass ich i h re Erwartu ngen bezüglich dessen, wie
während dieser Zeitspanne Umgang mit anderen Menschen hat. d i e Welt sie stets beh a ndelte, n icht bestätigen würde, e i n M uster, d a s h ä ufi g dazu
Die Brauchbarkeit dieser Art der Befragung für die Voraussage muss sich noch in fü h rte, dass sie sich zurechtgewiesen, a n gegriffen und z u m Schweigen gebracht fü h l­
der Praxis bewähren, doch mir scheint, dass sie über das spätere Gruppenverhalten we­ te. Ich gesta nd ihr zu, dass sie zweifel los auf ehrl iche Weise zu i h ren Ü berzeugu ngen
sentlich Repräsentativeres enthüllt als das traditionelle klinische Aufnahmeinterview. gela ngt sei u nd dass diese i h re Erlebnisse i n der Verga nge n heit spiegelten . Viel leicht
Dieser Interviewansatz ist in der Interpersonalen Therapie (IPT) und in der Cognitive würde sie sich den a n deren Gru ppenm itgliedern gegen ü ber zunächst ä h n l ic h wie m i r
Behavioral Analysis System Psychotherapy (CBASP) zu einer Standardkomponente des gege n ü ber verhalten, doch sie würde die Möglichkeit haben, s i c h zu entscheiden. Sie
Beurteilungsprozesses geworden.51 könnte das Erlebnis der G ru ppenarbeit entweder zu einem weiteren G lied i n einer Ket­
Vor 50 Jahren entwickelten Powdermaker und Frank ein Interview für interperso­ te Ärger erzeugender Zu rückweisu ngen machen oder m it einem Prozess des Lernens
nale Beziehungen, das mehrere Muster späteren Verhaltens in einer Gruppentherapie und Versteh e n s begi n ne n und dad u rch d iese sich sel bst e rfü l lende Propheze i u n g
korrekt beschrieb, beispielsweise: »wird die Gruppe durch eine Flut von verbalen Bei­ u nterbrechen.
trägen und Ratschlägen dominieren«, »wird erhebliche Schwierigkeiten haben, Gefüh­
le zu zeigen, wird aber dem Zwang unterliegen, dem Arzt und den anderen Gruppen-

302 303
Zusammenfassung sistenzärzte leiten, die alle den gleichen Ausbildungsstand hatten und ungefähr gleich
Das Gruppenverhalten lässt sich aufgrund einer Begegnung mit dem Klienten vor der alt waren. Zum ersten Treffen kamen über 20 Teilnehmer - zu viele für die Gruppe -,
Therapie voraussagen. Von allen Voraussagemethoden scheint das herkömmliche Auf­ und ich beschloss, sie auf zwei Gruppen aufzuteilen. Zu diesem Zweck bat ich die An­
nahme-Einzelinterview mit seiner Orientierung auf die Erstellung einer Diagnose am wesenden, fünf Minuten lang völlig zufällig im Raum umherzugehen und sich nach
wenigsten genau zu sein; es ist trotzdem das am häufigsten verwendete. Das Gruppen­ Ablauf dieser Zeit eine der beiden gegenüberliegenden Seiten des Raums aufzusuchen.
verhalten eines Menschen ist unterschiedlich, je nach seinen inneren psychischen Be­ Anschließend trafen die beiden Gruppen jeweils zu einer Sitzung von eineinhalb Stun­
dürfnissen, seiner Art, sie auszudrücken, nach der Aufgabe der Gruppe, ihrer interper­ den Dauer zusammen, wobei die beid�n Sitzungen unmittelbar aufeinanderfolgten.
sonalen Zusammensetzung und den Normen der sozialen Umgebung. Ein allgemeiner Bei oberflächlicher Betrachtung konnte es so scheinen, als seien die Gruppen ähn­
Grundsatz ist jedoch, dass die Voraussage des Verhaltens eines Klienten umso genauer lich zusammengesetzt, aber die subtil unterschiedliche Vermischung von Persönlich­
sein wird, je ähnlicher die Situation bei der Aufnahmeuntersuchung der konkreten keiten führte dazu, dass jede Gruppe sich von der anderen grundlegend unterschied.
späteren Gruppensituation ist. Die vielversprechendste klinische Methode scheint die Der Unterschied trat in der ersten Sitzung zutage und blieb während der ganzen Dau­
Beobachtung des Verhaltens eines Klienten in einer Vorbereitungsgruppe oder Vorläu­ er der Gruppe erhalten. In der einen Gruppe entwickelte sich eine außerordentlich ab­
fergruppe zu sein. Wenn diese Methode aufgrund der konkreten Verhältnisse nicht an­ hängige Haltung. In der ersten Sitzung kam ich auf Krücken an; mein Bein war einge­
wendbar ist, empfehle ich, dass Gruppentherapeuten ihr Aufnahmegespräch abwan­ gipst, weil ich mir beim Fußballspielen eine Knieverletzung zugezogen hatte. Doch die
deln, um sich primär auf die interpersonalen Funktionen des Klienten zu konzen­ Gruppe fragte mich nicht nach meinem Zustand. Die Mitglieder ordneten auch ihre
trieren. Stühle nicht von selbst in einem Kreis an. (Alle waren selbst Therapeuten, und die
meisten von ihnen hatten bereits Therapiegruppen geleitet!) Sie fragten um Erlaubnis,
G ru ndsätze der Zusa m menste l l u ng von G ru ppen wenn sie das Fenster aufmachen und die Tür schließen wollten. Der größte Teil der
Gruppensitzungen verging damit, dass sie ihre Angst vor mir, die Distanz zwischen den
Kehren wir nun zu unserer zentralen Frage zurück: Wenn wir von einer idealen Situa­ Mitgliedern und mir und meine Distanziertheit und Kälte analysierten.
tion ausgehen - einer großen Zahl von Kandidaten für eine Gruppentherapie, viel Zeit In der anderen Gruppe - am gleichen Tag - war ich kaum zur Tür hereingekom­
und einer Fülle von Informationen, mit deren Hilfe wir das Verhalten der potenziellen men, als schon einige Mitglieder fragten: »Ach, was ist mit Ihrem Bein passiert?« Die
Klienten voraussagen können -, wie sollten wir dann eine Therapiegruppe zusammen­ Gruppe ging sofort zu ernsthafter Arbeit über, und alle Mitglieder setzten ihre bereits
stellen? erworbene Kompetenz konstruktiv ein. In dieser Gruppe hatte ich oft das Gefühl, dass
Vielleicht ist der Grund für das geringe Interesse an der Voraussage von späterem ich für die Arbeit eigentlich überflüssig war, und an manchen Punkten fragte ich die
Gruppenverhalten darin zu suchen, dass unser Wissen über den nächsten Schritt - die Gruppenmitglieder, weshalb sie mich eigentlich derart »links liegen ließen«.
Zusammenstellung von Gruppen - noch spärlicher ist. Warum sollte man sich auch Diese »Geschichte über zwei Gruppen« unterstreicht die Tatsache, dass die Zusam­
damit abgeben, die Mittel zur Voraussage des Gruppenverhaltens zu differenzieren, mensetzung von Gruppen die Art ihrer späteren Arbeit sehr stark prägt. Wären die
wenn man nicht weiß, wie man diese Informationen benutzen soll? Obwohl alle erfah­ Gruppen nicht zeitlich begrenzt gewesen, hätten die unterschiedlichen Klimata den
renen Kliniker spüren, dass die Zusammensetzung einer Gruppe deren Charakter zu­ Verlauf der Gruppenarbeit vermutlich kaum beeinflusst. Doch aufgrund der zeitlichen
tiefst beeinflusst, ist bisher nicht geklärt, wie dieser Einfluss ausgeübt wird.54 Ich hatte Begrenzung hatten sich die Mitglieder der ersten Gruppe angespannter, ihrer Fähigkei­
Gelegenheit, die Planung, Entstehung und Entwicklung von über 250 Therapiegrup­ ten beraubt und stärker eingeschränkt gefühlt. Wäre es eine Therapiegruppe gewesen,
pen - meiner eigenen und der meiner Schüler - genau zu studieren, und mir ist immer hätten sich einige Mitglieder wahrscheinlich so unzufrieden gefühlt, dass sie die Grup­
wieder aufgefallen, dass einige Gruppen sofort, andere langsamer zusammenfinden, pe verlassen hätten. Die Gruppe wurde von dem dominiert, was Nitsun als »Antigrup­
während wieder andere Gruppen entweder völlig scheitern oder Mitglieder vertreiben pen«-Kräfte bezeichnet hat (Elemente, die in jeder Gruppe vorhanden sind und die
und erst zu Arbeitsgruppen werden, nachdem sie mehrere Phasen der Vertreibung und Arbeit der Gruppe unterminieren).55 Wegen des engeren Erfahrungsspielraums in der
Aufnahme neuer Mitglieder hinter sich gebracht haben. Mein Eindruck ist, dass es nur Gruppe lernten die Mitglieder weniger über sich selbst als die der anderen Gruppe.
teilweise von der Kompetenz oder von den Bemühungen des Therapeuten oder von Ein ähnliches Beispiel enthält die Gruppenuntersuchung von Lieberman, Yalom
der Anzahl »guter« Klienten in der Gruppe abhängt, ob eine Gruppe zusammenfindet und Miles.56 Zwei nach dem Zufallsprinzip zusammengestellte Gruppen hatten ein
oder nicht; andernteils ist eine bisher noch ungeklärte Art des Verschmelzens der Mit­ und denselben Leiter - eine Tonbandaufnahme, auf der sich Anweisungen darüber be­
glieder der Grund. fanden, wie die Gruppe bei jeder Sitzung vorgehen sollte. Nach wenigen Sitzungen wa­
Eine klinische Erfahrung vor vielen Jahren hat mir dieses Prinzip lebhaft vor Augen ren zwei sehr unterschiedliche Gruppenkulturen entstanden. Eine Gruppe folgte zu­
geführt. Ich sollte eine sechsmonatige Selbsterfahrungsgruppe psychiatrischer As- verlässig den aufgezeichneten Anweisungen und führte alle beschriebenen Übungen
0

304 305
getreulich aus. Die andere Gruppe entwickelte der Tonbandaufnahme gegenüber eine Generell jedoch finden homogene Gruppen schneller zusammen, sie werden kohäsiver,
respektlose Haltung und nannte diese bald »George«. Ihre Mitglieder machten sich alle bieten den Gruppenmitgliedern mehr unmittelbare Unterstützung, die Teilnahme an ih­
über das Tonband lustig. Wenn das Tonband der Gruppe eine Anweisung gab, kom­ nen ist regelmäßiger, es treten weniger Konflikte in ihnen auf, und sie befreien die Teilneh­
mentierte beispielsweise ein Mitglied dies spöttisch mit: »Da_s ist eine großartige Idee, mer schneller von ihren Symptomen. Doch glauben viele Therapeuten, dass sie sich für
George!« Nicht nur die Kultur dieser Gruppen war unterschiedlich, sondern auch das eine längerfristige psychotherapeutische Arbeit mit dem ehrgeizigen Ziel der Persön­
Ergebnis ihrer Arbeit. (Nach dem 30-stündigen Gruppenexperiment - zehn Sitzungen lichkeitsveränderung nicht eignen. Die homogene Gruppe hat im Gegensatz zur hete­
- hatte die respektlose Gruppe ein deutlich besseres Ergebnis erzielt.) rogenen die Tendenz, auf einer oberflächlicheren Ebene zu bleiben, und ist ein weniger
Wir können also sicher sein, dass die Zusammensetzung Charakter und Prozess der wirksames Medium zur Veränderung der Charakterstruktur.
Gruppe beeinflusst. Wir sind jedoch noch weit davon entfernt, feststellen zu können, Problematisch wird es, wenn wir fragen: Homogen in Bezug auf was? Heterogen in
ob eine Gruppe, die nach Methode X zusammengestellt wird, besser ist als eine, die Bezug auf was? Alter? Geschlecht? Symptomkomplex? Personenstand? Bildung? Sozio­
nach Methode Y zusammengestellt wird. Untersuchungen über die Resultate von ökonomischer Status? Verbale Fertigkeiten? Psychosexuelle Entwicklung? Psychiatri­
Gruppentherapien sind sehr kompliziert, und bisher wurden noch keine strengen Un­ sche Diagnosekategorien? Interpersonale Bedürfnisse? Welche dieser Variablen sind
tersuchungen über den Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung einer Grup­ entscheidend? Ist eine Gruppe, die aus Bulimikerinnen oder depressiven Senioren be­
pe und dem letztlich entscheidenden Kriterium, dem Therapieergebnis, durchgeführt. steht, homogen, weil alle das gleiche Symptom haben, oder heterogen, weil der Charak­
Trotz einiger vielversprechender Untersuchungen, die auf die an früherer Stelle in die­ ter ihrer Mitglieder so unterschiedlich ist?
sem Kapitel erörterten Persönlichkeitsvariablen Bezug nehmen, müssen wir uns im­ Einige Autoren versuchen dieses Problem anzugehen, indem sie empfehlen, der
mer noch weitgehend auf nicht systematische klinische Beobachtungen und Studien Gruppentherapeut solle versuchen, maximale Heterogenität hinsichtlich der Konfliktbe­
verlassen, die aus nicht therapeutischen Zusammenhängen stammen. reiche und Bewältigungsmethoden der Klienten anzustreben, zugleich aber Homogenität
bezüglich der Verletzlichkeit und der Fähigkeit der Klienten, Angst zu ertragen. Beispiels­
Klinische Beobachtungen weise könnte eine homogene Gruppe von Menschen, die erhebliche Konflikte im Be­
Die Eindrücke einzelner Kliniker hinsichtlich der Wirkungen der Gruppenzusammen­ reich der Feindseligkeit habe und mit dieser durch Verleugnung fertig würde, ihren
stellung sind mit Vorsicht zu werten. Die Gültigkeit dieser Äußerungen wird ein­ Mitgliedern kaum therapeutischen Nutzen bringen. Jedoch komme eine Gruppe mit
geschränkt durch das Fehlen einer gemeinsamen Sprache zur Beschreibung von Ver­ verschieden großer Verletzlichkeit (grob definiert als Ichstärke) aus anderen Gründen
haltensweisen, durch den theoretischen Standpunkt des Therapeuten und durch die auch nur langsam voran; der verletzlichste Klient lege der Gruppe Beschränkungen
begrenzte Zahl von Gruppen, die ein Kliniker behandeln kann. auf, die die weniger verletzlichen sehr einengen würden. Foulkes und Anthony schla­
Unter Klinikern scheint allgemein die Ansicht zu herrschen, dass in der intensiven gen vor, Klienten mit verschiedenen Diagnosen und Störungen zusammenzubringen,
interaktionsorientierten Langzeitgruppentherapie heterogene Gruppen Vorteile gegen­ um eine therapeutisch wirksame Gruppe zu bilden. Je größer der Abstand zwischen
über homogenen Gruppen bieten. .71 57 Homogene Gruppen hingegen bieten viele Vor­ den polaren Typen ist, desto höher ist das therapeutische Potenzial, wenn die Gruppe
teile, wenn in kurzer Zeit Unterstützung geboten oder eine symptomatische Besserung es aushalten kann.61 Doch nur wenn Kopf und Schwanz der Gruppe mit dem Rumpf
erreicht werden soll.58 Doch selbst bei diesen Gruppen ist die Zusammensetzung nicht verbunden bleiben, kann eine positive therapeutische Wirkung eintreten.
unwichtig. Eine homogene Gruppe für HIV- positive Männer oder für Frauen mit Aus diesen klinischen Beobachtungen geht die Regel hervor, dass zwischen dem Kli­
Brustkrebs wird stark durch das Krankheitsstadium der einzelnen Gruppenmitglieder enten und der Art der interpersonalen Bedürfnisse der Gruppe ein gewisses Maß an
beeinflusst. Ein Teilnehmer, bei dem die Krankheit weit fortgeschritten ist, verkörpert Unverträglichkeit bestehen muss, wenn Veränderungen eintreten sollen. Dieser Grund­
möglicherweise die stärksten Ängste der übrigen Mitglieder, was dazu führen kann, satz - dass der Veränderung ein Zustand der Dissonanz oder der mangelnden Überein­
dass sich manche von ihnen distanzieren oder zurückziehen.59 stimmung vorangeht - wird durch viele klinische Beobachtungen und sozialpsycholo­
Selbst in hoch spezialisierten, homogenen und manualgesteuerten Gruppenthera­ gische Untersuchungen gestützt; ich werde an späterer Stelle in diesem Kapitel darauf
pien, beispielsweise Gruppen für Menschen mit einer genetischen Veranlagung für die zurückkommen. Ist jedoch keine angemessene Ichstärke vorhanden, können die Grup­
Entstehung von Brustkrebs oder Dickdarmkrebs, muss der Therapeut der Tatsache penmitglieder von der Dissonanz nicht profitieren.
Rechnung tragen, dass die Gruppenzusammensetzung möglicherweise eine wichtige Deshalb lautet für die intensive Langzeit-Therapiegruppe die Regel, die den Thera­
Rolle spielt.60 Wie die im Vorangegangenen beschriebene Gruppe für Psychologie-As­ peuten gute Dienste leisten wird: Heterogenität in Konfliktbereichen und Homogenität
sistenzärzte finden sich manche Therapiegruppen schnell zusammen, während dieser in der Ichstärke. Wir streben nach Heterogenität der Teilnehmer hinsichtlich Geschlecht,
Prozess bei anderen nur sehr zögerlich vonstatten geht, und dies sogar bei ein und des Aktivitäts- oder Passivitätsgrads, des Denkens und Fühlens und der interpersona­
demselben Gruppenleiter. len Probleme, jedoch nach Homogenität hinsichtlich der Intelligenz sowie der Fähig-

306 307
keiten, Angst zu ertragen, Feedback zu geben und anzunehmen und sich im therapeu­ raussagen, dass bestimmte Klienten in eine Gruppe schlecht hineinpassen werden, weil
tischen Prozess zu engagieren. sie darin mit hoher Wahrscheinlichkeit eine nicht förderliche Rolle spielen werden.
Die Heterogenität darf aber nicht so weit gehen, dass in der Gruppe jemand isoliert Hierzu folgendes klinische Beispiel:
wird. Denken wir an die Altersvariable; wenn sich in einer Gruppe junger Erwachsener
ein 60-Jähriger befindet, kann er freiwillig (oder gezwungenermaßen) die Rolle der Eve, eine 29-jäh rige Frau mit starken narzisstischen Problemen, wurde a uf i h re E ignung
personifizierten älteren Generation annehmen. Seine Rolle (und die Rolle der jüngeren fü r eine Gruppenthera pie h i n eva l u iert. Sie wa r beruflich erfolgreich, a ber i nterperso­
Klienten) wird stereotypisiert, und die erforderliche interpersonale Ehrlichkeit und n a l isoliert, und sie litt u nter einer chron ischen Dysthym ie, die sich d u rch Antidepres­
Nähe stellen sich nicht ein. Ein ähnlicher Prozess kann sich in einer Erwachsenengrup­ siva n u r teilweise hatte l i ndern lassen. Als sie zu einem Vorgespräch i n meine Praxis
pe mit einem einsamen Spätadoleszenten abspielen, der die Rolle des aufmüpfigen ka m, erlebte ich sie i n nerha l b weniger M i n uten a l s e i n e Person, die ä u ßerst reizbar,
Teenagers übernimmt. Aber es hat Vorteile, verschiedene Altersklassen in einer Gruppe explosiv und fordernd wa r und andere Menschen i n i h rem Wert hera bsetzte. I n man­
zu haben. In den meisten meiner Gruppen ambulanter Klienten ist der Altersspiel­ cherlei H i nsicht ä h nelten Eves Schwierigkeiten denjen igen einer andere n Fra u , Lisa,
raum zwischen 25 und 65 Jahren. Indem sie ihre Beziehungen untereinander ausarbei­ welche die Gru ppe, u m d ie es ging, gerade verlassen hatte (wod u rch jene Va kanz ent­
ten, lernen die Klienten, ihre früheren, gegenwärtigen und zukünftigen Beziehungen sta nden wa r, die Eve a usfü llen sol lte - dies wa r der G ru n d für i h re Eva l u ation). Lisas
zu einem größeren Kreis wichtiger Personen - Eltern, Altersgenossen und Kindern - starkes, domi na ntes Bed ü rfnis, im Zentrum des Gru ppengeschehens z u stehen, i n Ver­
zu verstehen. b i n d u ng m it einer a u ßerordentlichen verletzlichen Reaktion auf Feedback, hatte die
Auch die sexuelle Orientierung sowie kulturelle und ethno-rassische Faktoren müs­ G ru ppen m itgl ieder geläh mt, und als sie d i e G ruppe verlassen h atte, waren alle deut­
sen berücksichtigt werden. Gruppenmitglieder, die aus Minderheitengruppen stam­ l ich erleichtert gewesen. Zu einem früheren Zeitpunkt hätte Eve i n der gleichen G ru ppe
men, müssen darauf vertrauen können, dass andere Gruppenmitglieder bereit sind, eine d urchaus konstru ktive Rol l e gespielt. Doch so kurz nach Lisas Ausscheiden wa r es
sich mit ihrem jeweiligen spezifischen Kontext zu befassen und sie nicht als eine Ste­ seh r wa h rschei n l ich, dass die für Eve chara kteristische Art, in Bezieh u ng zu treten, i n
reotype ihrer Kultur anzusehen. .71 d e r Gru ppe einen sta rken Deja-vu-Effekt a u slösen u n d Gefü hle reaktivieren würde, die
Manche Therapeuten gehen bei der Zusammenstellung von Gruppen von einem die G ruppe n m itglieder gerade erst u nter großen Schmerzen verarbeitet hatten. Des­
anderen Konzept aus: dem der Rollenheterogenität. Wenn sie ein neues Mitglied auf­ h a l b wurde Eve empfoh len, sich einer a n deren Gruppe a nzuschließen.
nehmen, überlegen sie vor allem: »Welche Rolle ist in der Gruppe nicht besetzt?« Theo­
retisch erscheint eine solche Orientierung wünschenswert. Praktisch ist sie jedoch Eine letzte klinische Beobachtung: Als Kontrollanalytiker und Forscher hatte ich Gele­
nicht klar genug. Man hat einen außerordentlich umfangreichen Katalog von Rollen in genheit, den ganzen, 30 Monate dauernden Verlauf einer Gruppe ambulant behandel­
der Gruppentherapie aufgeführt: Anführer bei der Gruppenaufgabe, sozial-emotiona­ ter Klienten aus nächster Nähe zu studieren, die von zwei kompetenten Assistenzärzten
ler Anführer, Provokateur, Helfer des Arztes, Klagender, der die Hilfe zurückweist, der Psychiatrie geleitet wurde. Die Gruppe bestand aus sieben Mitgliedern, alle zwi­
selbstgerechter Moralist, Star, Anführer bei Kampf und Flucht, Anführer im Abhängig­ schen 20 und 30 Jahre alt, von denen sechs unter einer schizoiden Persönlichkeits­
keitsverhalten, Führer bei der Paarbildung, Gruppenhysteriker, Anführer der »techni­ störung litten. Das auffälligste Merkmal dieser homogenen schizoiden Gruppe war,
schen Exekutive«, Sozialsekretär, Gruppengeck, Gruppenkritiker, Gruppenromantiker, dass sie außerordentlich langweilig war. Alles, was mit dieser Gruppe zusammenhing,
Wächter der Demokratie, »Zeitmesser«, aggressiver Mann, Ehrlichkeitswächter, »Ge­ die Sitzungen, die Tonbandaufzeichnungen, die schriftlichen Zusammenfassungen
selligkeitsfan«, »Strukturverteidiger«, »Abweichler«, Vorsichtiger, Zweifler, Unschuldi­ und die Kontrollsitzungen, alles wirkte spannungslos und mühsam. Oft schien über­
ger, Sündenbock, Intellektualisierer, Kind, Puritaner, Reintegrator und dergleichen haupt nichts zu passieren; es gab keine erkennbare Bewegung, weder zwischen den ein­
mehr. Können wir die Liste willkürlich und unendlich erweitern, indem wir alle Kons­ zelnen Mitgliedern noch in der Gruppe insgesamt. Und trotzdem war die Teilnahme
tellationen von Verhaltensmerkmalen aufführen? Oder gibt es festgelegte und konstante fast vollkommen regelmäßig, und die Gruppenkohäsivität war ungewöhnlich hoch.
Gruppen-Rollen, die in jeder Gruppe konstant sind und die die Mitglieder überneh­ Da alle Gruppenteilnehmer in der Stanford-Clinic in dieser Zeit an Ergebnisstudien
men müssen? Solange wir kein befriedigendes Bezugssystem für diese Fragen haben, teilnahmen,62 standen gründliche Evaluationen des klinischen Fortschritts nach Ablauf
ist es bezüglich der Gruppenzusammensetzung wenig sinnvoll zu fragen: »Welche Rol­ eines Jahres wie auch nach 30 Monaten zur Verfügung. Die Mitglieder dieser Gruppe
le ist in der Gruppe nicht besetzt?« - sowohl die fünf ursprünglichen als auch die neu aufgenommenen - hatten sich au­
Die klinische Erfahrung lehrt, dass Gruppen besser dabei fahren, wenn einige ihrer ßerordentlich gut entwickelt und hatten sowohl wesentliche Charakteränderungen
Mitglieder als Musterbeispiele und Befürworter konstruktiver Gruppennormen fun­ durchgemacht als auch ein völliges Verschwinden ihrer Symptome erreicht. Tatsächlich
gieren. Einen oder zwei »Veteranen« der Gruppentherapie in eine neue Gruppe aufzu­ haben nur wenige andere der von mir untersuchten Gruppen vergleichbar gute Ergeb­
nehmen kann große Vorteile mit sich bringen. Umgekehrt können wir manchmal vo- nisse erzielt. Meine Ansichten über die Zusammenstellung von Gruppen sind durch

308 309
diese Gruppe beeinflusst worden, und ich messe heute der Gruppenstabilität, der re­ mischtgeschlechtlichen Gruppen, in denen es nur einen oder zwei Männer und meh­
gelmäßigen Teilnahme und der Kohäsivität größte Bedeutung bei. rere Frauen gibt, erzielen auch keine besonders guten Therapieresultate, weil sie sich
Zwar stimme ich theoretisch dem Konzept zu, eine Gruppe müsse aus Menschen an den Rand gedrängt und isoliert fühlen.64
mit verschiedenartigen interpersonalen Belastungen und Bedürfnissen zusammenge­
setzt werden, aber ich habe das Gefühl, das könnte sich in der Praxis als falsche Prob­ Ü berbl ick
lemstellung erweisen. Angesichts des begrenzten Voraussagewertes unseres herkömm­
lichen Ausleseinterviews übersteigen unsere Erwartungen wahrscheinlich unsere Mög­ An dieser Stelle wäre es am befriedigendsten, diese klinischen und experimentellen Er­
lichkeiten, wenn wir glauben, wir könnten die Art von diffizilem Gleichgewicht zwi­ gebnisse zu integrieren, bisher nicht gesehene Linien des Auseinanderstrebens und des
schen ineinandergreifenden Persönlichkeiten erreichen, das notwendig ist, um die Verschmelzens aufzuzeigen und mit einer neuen Theorie der Gruppenzusammenstel­
Gruppenprozesse deutlich positiv zu beeinflussen. Beispielsweise waren zwar sechs der lung hervorzutreten, die sowohl eine solide experimentelle Grundlage hätte als auch
sieben Klienten in der eberi besprochenen Gruppe als schizoide Persönlichkeiten ein­ unmittelbar praktisch anwendbar wäre. Leider erlauben die Daten eine solche Synthe­
gestuft worden, doch sie �nterschieden sich stärker voneinander, als sie sich ähnelten. se nicht. Trotzdem ist es von Wert, sich mit wichtigen Untersuchungen zur Gruppen­
Diese scheinbar homogene Gruppe blieb, im Gegensatz zu der klinischen Aussage, zusammensetzung zu befassen.
nicht an der Oberfläche und bewirkte erhebliche Persönlichkeitsveränderungen bei Kultur und Funktionsweise jeder Gruppe - ihr Ethos, ihre Werte und ihr Modus vi­
ihren Mitgliedern. Obwohl den Therapeuten und den Forschern die Interaktion müh­ vendi - werden von der Art der Mitglieder geprägt. Unsere Vorgehensweise bei der Zu­
sam vorkam, erschien sie den Klienten nicht so. Keiner von ihnen hatte je intime Be­ sammenstellung von Gruppen muss von unserem Verständnis der Aufgaben der be­
ziehungen gehabt, und bei vielen ihrer Selbstoffenbarungen, die objektiv wenig bemer­ treffenden Gruppe bestimmt sein. Die Gruppe muss auf die Bedürfnisse ihrer Mitglie­
kenswert waren, handelte es sich subjektiv um aufregende erstmalige Offenbarungen. der nach emotionaler Unterstützung und nach einer konstruktiven Herausforderung
Viele sogenannte homogene Gruppen bleiben oberflächlich, und zwar nicht auf­ eingehen können. Bei der Zusammenstellung von Psychotherapiegruppen sollten wir
grund ihrer Homogenität, sondern aufgrund der psychologischen Haltung ihrer Leiter und auf einen Ausgleich zwischen Ähnlichkeit und Unterschiedlichkeit hinsichtlich des in­
der von Einschränkungen bestimmten Gruppenkultur, die diese kreieren. Therapeuten, terpersonalen Engagements und Verhaltens, hinsichtlich der Beziehung zur Autorität,
die eine Gruppe organisieren, deren Mitglieder unter einem bestimmten Symptom lei­ der emotionalen Verbindung zwischen den Mitgliedern und der Aufgabenfokussiert­
den oder sich in einer bestimmten Lebenssituation befinden, müssen sich davor hüten, heit hinarbeiten. Außerdem sollten sich die Gruppenmitglieder bezüglich der Werte,
nicht jene machtvollen impliziten Botschaften zu verkünden, die restriktive Gruppen­ die das therapeutische Vorhaben bestimmen, einig sein.
normen fördern, die Suche nach Ähnlichkeiten begünstigen, die Individualität unter­ Die vorliegenden Untersuchungen enthalten auch bestimmte eindeutige Erkennt­
drücken und die Bereitschaft zur Selbstoffenbarung und zur Ehrlichkeit im interper­ nisse. Die Zusammenstellung der Gruppe ist von Bedeutung; sie beeinflusst viele Aspekte
sonalen Kontakt einschränken. Wie in Kapitel 5 erläutert wurde, können Normen, der Funktionsweise. 71 Sie wirkt sich auf gewisse voraussagbare kurzfristige Merkmale
nachdem sie einmal ihre Wirkung entfaltet haben, sich selbst perpetuieren und lassen aus: beispielsweise auf Kohäsivität, Konflikte, Fluchttendenzen und Abhängigkeits­
sich dann nur noch schwer verändern. Wir sollten darauf hinarbeiten, die Zahl der ne­ bedürfnisse. Außerdem können wir, wenn wir brauchbare Verfahren anwenden, in ge­
gativen Therapieresultate zu verringern, indem wir Gruppen aus Klienten bilden, die wissem Maß das Gruppenverhalten eines Menschen voraussagen.
sich umeinander kümmern, einander unterstützen, sich einander verpflichtet fühlen, Unsicher sind wir uns hingegen über die Beziehung zwischen diesen Gruppencha­
regelmäßig an den Sitzungen teilnehmen und offen sind, doch die Zusammensetzung rakteristika und dem letztendlichen Resultat der Therapie für die einzelnen Mitglieder.
der Gruppe selbst ist nicht immer schicksalhaft.71 Außerdem wissen wir nicht, in welchem Maße der Gruppenleiter in der Lage ist, diese
Was ist über das Geschlecht der Mitglieder und die Gruppenzusammensetzung zu Charakteristika der Gruppe zu verändern oder wie lange eine fortlaufende Gruppe zu­
sagen? Einige Autoren treten aus theoretischen Erwägungen oder aufgrund ihrer klini­ sammenbleiben wird. Hingegen wissen wir, dass Gruppen mit starker Kohäsivität, de­
schen Erfahrung für reine Männer- oder Frauengruppen ein, doch die wenigen empi­ ren Mitglieder sich engagieren, meist bessere Therapieresultate produzieren. 71
rischen Studien zu dieser Thematik stützen ein solches Vorgehen nicht.63 Männer in Für die Gruppenzusammenstellung gibt es zwei wichtige theoretische Ansätze: den
reinen Männergruppen sind einander weniger nahe und konkurrieren in stärkerem homogenen und den heterogenen Ansatz. Wir wollen kurz den theoretischen Unter­
Maße, wohingegen Männer in gemischtgeschlechtlichen Gruppen eher zur Selbstof­ bau. dieser beiden Ansätze zur Zusammenstellung von Gruppen untersuchen. Dem
fenbarung bereit und weniger aggressiv sind. Leider kommt der Vorteil der Heteroge­ Forschungsansatz, eine Gruppe aus heterogenen Mitgliedern zusammenzusetzen, liegen
nität den Frauen in diesen Gruppen nicht zugute: Bei Frauen in gemischtgeschlechtli­ zwei theoretische Prinzipien zugrunde, die wir als die Theorie vom sozialen Mikrokos­
chen Gruppen lässt die Aktivität nach, und sie neigen den männlichen Gruppenteil­ mos und als Dissonanztheorie bezeichnen können. Der Zusammenstellung homogener
nehmern gegenüber zu einer von Ehrerbietung geprägten Haltung. Männer in ge- Gruppen liegt die Theorie von der Gruppenkohäsivität zugrunde.

310 311
Der heterogene Modus der Gruppenzusammenstellung gebnis entscheidende Variable ist und dass es bei der Zusammenstellung von Gruppen
Die Theorie vom sozialen Mikrokosmos besagt, die Gruppe solle heterogen sein, um ma­ das höchste Ziel sein sollte, eine kohäsive, verträgliche Gruppe entstehen zu lassen.
ximale Lernmöglichkeiten zu bieten. Man betrachtet sie nämlich als ein soziales Uni­
versum im Kleinen, in dem die Klienten neue Methoden der Interaktion entwickeln. Zusammenfassung
Die Gruppe soll der wirklichen sozialen Welt darin gleichen, dass sie aus Menschen Wie können wir diese Theorien miteinander vereinbaren? Müssen wir uns für die eine
beiderlei Geschlechts, verschiedener Berufe, Altersstufen, sozio-ökonomischer Schich­ oder andere entscheiden? Beachten Sie zunächst, dass keine Forschung im Bereich der
ten und Bildungsgrade besteht; sie soll eine demografische Vielfalt repräsentieren. Gruppentherapie das Dissonanzmodell befürwortet. Unter Klinikern herrscht weitge­
Die Dissonanztheorie, wie sie auf die Gruppentherapie angewendet wird, bedeutet hend Übereinstimmung darüber (auch ich stimme bei), dass Gruppentherapie-Kli­
eine heterogene Zusammenstellung, aber aus etwas anderen Gründen. Lernen oder enten einer Vielfalt von Konfliktbereichen, Bewältigungsmethoden und einander wi­
Veränderung treten wahrscheinlich dann ein, wenn der Mensch im Zustand der Dis­ derstreitenden interpersonalen Stilen ausgesetzt werden sollten und dass ein Konflikt
sonanz handelt mit dem Ziel, diese Dissonanz zu vermindern. Dissonanz schafft einen ganz allgemein für den therapeutischen Prozess entscheidend ist. Es gibt jedoch keinen
Zustand des psychischen Unbehagens und treibt den Einzelnen an zu versuchen, einen empirischen Beweis dafür, dass absichtlich heterogen zusammengestellte Gruppen die
Zustand größerer Ausgeglichenheit herzustellen. Wenn Menschen sich in einer Gruppe Therapie fördern; ich habe gerade einige bescheidene Beweise für das Gegenteil ange­
befinden, in. der die Mitgliedschaft viele wünschenswerte Züge hat (zum Beispiel die führt.
Hoffnung auf Linderung des Leidens, Anziehung durch den Gruppenleiter und durch Andererseits gibt es Beweise aus der Kleingruppenforschung, die das Kohäsivitäts­
andere Mitglieder), aber gleichzeitig spannungserzeugende Forderungen stellt (z. B. konzept stützen. Interpersonal verträgliche Therapiegruppen entwickeln stärkere Ko­
Selbstoffenbarung oder interpersonale Konfrontation), dann erleben diese Menschen häsivität. Mitglieder kohäsiver Gruppen kommen regelmäßiger zu den Sitzungen; sie
einen Zustand der Dissonanz oder des Ungleichgewichts.65 können Feindseligkeit besser äußern und ertragen, neigen mehr zu dem Versuch, an­
Ähnlich entsteht ein Zustand des Unbehagens, wenn der Teilnehmer in einer von dere zu beeinflussen, und sind wiederum ihrerseits besser beeinflussbar. Mitglieder, die
ihm geschätzten Gruppe feststellt, dass seine interpersonalen Bedürfnisse unbefriedigt sich von ihrer Gruppe stärker angezogen fühlen, haben bessere Therapieergebnisse
bleiben oder wenn sein gebräuchlicher interpersonaler Verhaltensstil Dissonanzen er­ aufzuweisen; Klienten, die weniger gut zu den anderen Gruppenmitgliedern passen,
zeugt. Ein Mensch wird unter diesen Umständen nach Wegen suchen, sein Unbehagen haben die Neigung, verfrüht aus der Therapiegruppe auszuscheiden. Die Mitglieder
zu vermindern. Er wird beispielsweise die Gruppe verlassen oder im günstigeren Fall mit der größten interpersonalen Verträglichkeit werden die beliebtesten Gruppenmit­
anfangen, mit neuen Verhaltensformen zu experimentieren. Die Befürworter der He­ glieder, und Beliebtheit in der Gruppe korreliert hoch mit einem erfolgreichen Thera­
terogenität empfehlen, bei den Gruppenmitgliedern die Entwicklung eines adaptiven pieergebnis.
Unbehagens zu fördern, indem sie sich in der Gruppe mit anderen Menschen aus­ Die Befürchtung, eine homogene Gruppe werde unproduktiv, eingeengt oder kon­
einandersetzen müssen, die nicht durch Erfüllung interpersonaler Bedürfnisse ihre fliktfrei sein oder sich nur mit einem engen Bereich interpersonaler Probleme befassen,
neurotische Tendenzen verstärken, sondern sie stattdessen frustrieren und herausfor­ ist aus mehreren Gründen gegenstandslos. Erstens gibt es nur wenige Menschen, deren
dern, ihnen verschiedene Konfliktbereiche bewusst machen und auch andere Arten in­ Krankheit tatsächlich monolithisch ist, nur wenige, die, obwohl sie einen Haupt-Kon­
terpersonalen Verhaltens demonstrieren. fliktbereich haben, nicht auch etwa im Bereich der Nähe oder der Autorität Konflikte
Deshalb, so die Argumentation, sollen Mitglieder mit verschiedenen interpersonalen erlebt haben. Zweitens kann der Entwicklungsprozess der Gruppe erfordern, dass Kli­
Verhaltensstilen und Konflikten in einer Gruppe zusammengebracht werden. Dabei gilt enten mit bestimmten Konfliktbereichen umgehen. Zum Beispiel erfordern die Ge­
es, ein empfindliches Gleichgewicht zu wahren, denn wenn Frustration und Konfron­ setze der Gruppenentwicklung (siehe Kapitel 11), dass die Gruppe sich mit Aggressi­
tation zu stark sind und die Attraktion der Gruppe zu gering, entsteht keine echte onskonflikten, der Autorität und der Dominanzhierarchie auseinandersetzt. In einer
Asymmetrie oder Dissonanz; der Einzelne verändert sich dann nicht, sondern verlässt Gruppe, in der mehrere Menschen Konflikte mit der Gewalt haben, kann diese Phase
die Gruppe physisch und psychisch. Sind die Herausforderungen für die Gruppenmit­ früh oder sehr ausgeprägt auftreten. In einer Gruppe, in der solche Menschen fehlen,
glieder andererseits zu gering, findet kein Lernen statt; die Gruppenmitglieder »kon­ werden möglicherweise andere Mitglieder, die im Bereich der Abhängigkeit und Herr­
spirieren« dann, und die Exploration wird behindert. Deshalb tritt die Dissonanztheo­ schaft weniger Konflikte haben oder deren Schwierigkeiten weniger offenkundig sind,
rie für die Einbeziehung einer breit gestreuten Mischung von Persönlichkeiten ein. trotzdem gezwungen sein, sich mit diesem Bereich auseinanderzusetzen, wenn die
Gruppe in diese unvermeidliche Entwicklungsphase hineingerät. Wenn in der Gruppe
Der homogene Modus der Gruppenzusammenstellung bestimmte für die Entwicklung wichtige Rollen nicht übernommen werden, ändern
Die Kohäsivitätstheorie, die der Methode zugrunde liegt, homogene Gruppen zu bil­ die meisten Gruppenleiter bewusst oder unbewusst ihr Verhalten, um die Lücke zu fül­
den, postuliert ganz einfach, dass das Angezogensein von der Gruppe die für das Er- len.66 Außerdem - und das ist wichtig - kann keine richtig geführte Therapiegruppe

312 313
ausgesprochen behaglich sein oder ihre Mitglieder von Dissonanzen fernhalten, weil Jahr wächst, vielleicht weil immer mehr Psychotherapeuten aus immer mehr Fachbe­
diese unweigerlich mit der Gruppenaufgabe konfrontiert werden müssen. Vertrauen reichen in die Praxis gehen.) Je mehr Therapeuten zur Verfügung stehen, desto mehr
zu entwickeln, sich zu offenbaren, Nähe zuzulassen, sich selbst zu prüfen, sich anderen nimmt der professionelle Wettstreit um Klienten zu; desto schwerer ist es auch, Thera­
zu stellen - all dies sind für Menschen, die in interpersonalen Beziehungen chronische piegruppen in der Privatpraxis zu beginnen und aufrechtzuerhalten. Die Therapeuten
Schwierigkeiten haben, widersprüchliche Aufgaben. ziehen es vor, ihre Einzelstunden auszulasten, und verlieren nur mit Widerstreben Kli­
Viele problemspezifische Kurzgruppen können, mit der richtigen Führung durch enten durch die Überweisung in eine Therapiegruppe. Wenn Kliniker versuchen wür­
den Leiter, leicht in eine produktive Interaktionsgruppe verwandelt werden. Zwei neu­ den, Gruppenanwärter »auf Eis zu legen«, während sie darauf warten, dass sich die
ere, strenge Studien vergleichen z.B. homogene Gruppen bulimischer Klientinnen, die perfekte Mischung von Gruppenmitgliedern einstellt - angenommen, wir wüssten die
man nach dem Zufallsprinzip verhaltenstherapeutischen, kognitiv-behavioralen oder Formel für die Mischung (was nicht der Fall ist) -, könnten sie niemals eine Gruppe
interaktionsorientierten Therapiegruppen (einer Therapie, die nicht ausdrücklich das bilden. Die Klienten werden in so großen Abständen überwiesen, dass die ersten
Essverhalten ansprach, sondern sich völlig auf die interpersonale Interaktion konzent­ prospektiven Mitglieder, die man interviewt hat, des Wartens müde werden und sich
rierte) zugewiesen hatte. Diese homogenen interaktionsorientierten Gruppen haben woanders eine geeignete Therapie suchen.
nicht nur wirkungsvoll funktioniert, sondern entsprachen auch in ihren Ergebnissen Heutige Kliniker (und dazu zähle ich auch mich selbst) bilden im Allgemeinen
in jeder Hinsicht denen der kognitiven-behavioralen Gruppen, einschließlich ihrer po­ Gruppen, indem sie (innerhalb gewisser Grenzen) die ersten geeigneten sieben oder
sitiven Wirkung auf Essstörungen. 67 acht Anwärter annehmen, die untersucht und als geeignete Kandidaten für eine Grup­
Angesichts unseres aktuellen Wissensstandes empfehle ich deshalb, bei der Zusam­ pentherapie beurteilt worden sind. Hier werden nur die gröbsten Prinzipien der Grup­
menstellung von Therapiegruppen Kohäsivität als Hauptkriterium zu benutzen. Die penzusammenstellung angewandt. Man strebt beispielsweise eine jeweils gleiche An­
erhoffte Dissonanz wird in der Gruppe entstehen, vorausgesetzt, der Therapeut be­ zahl von Männern und Frauen an, eine große Altersstreuung, eine breite Berufspalette
reitet die Klienten vor der Therapie und in den ersten Gruppensitzungen effektiv vor. oder ein Spektrum von Interaktionsstilen. Wenn zwei Männer, die man schon für die
Gruppenintegrität sollte höchste Priorität genießen. Sie müssen Klienten aussuchen, Gruppe ausgewählt hat, besonders passiv sind, versucht man, einen Ausgleich zu schaf­
bei denen die Wahrscheinlichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Therapie so gering fen, indem man mehr aktive Männer aufnimmt.
wie möglich ist. Klienten, die mit großer Wahrscheinlichkeit mit der bestehenden In der Praxis gibt es allerdings auch noch andere ausgezeichnete Möglichkeiten. Zu­
Gruppenkultur oder mit mindestens einem Gruppenmitglied unvereinbar sind, sollten nächst kann der Therapeut aus Klienten seiner Praxis für Einzeltherapie eine Gruppe
nicht in die Gruppe aufgenommen werden. Noch einmal soll betont werden, dass zusammenstellen. Wie ich in Kapitel 1 5 erläutern werde, ist die gleichzeitige Behand­
Gruppenkohäsivität nicht gleichbedeutend ist mit Behaglichkeit oder Wohlbefinden in lung von Klienten in einer Einzel- und einer Gruppentherapie sehr effektiv. Zweitens
der Gruppe. Ganz im Gegenteil: Nur in einer kohäsiven Gruppe können Konflikte er­ können Kliniker, die in einer Gemeinschaftspraxis arbeiten, ihre beiderseitigen Kandi­
tragen und in produktive Arbeit umgesetzt werden. daten für eine Gruppentherapie in einer Gruppe zusammenfassen. Vielerorts haben
Gruppentherapeuten sich auf Gruppentherapien spezialisiert, indem sie sich durch
E i ne a bsch l ießende Wa rn u n g Vorträge und entsprechende Werbung bekannt gemacht haben.
Die allerwichtigste Aufgabe des Therapeuten besteht darin, eine Gruppe zu schaf­
Die Vorstellung, eine ideale Gruppe kreieren zu können, ist zweifellos verführerisch: fen, die zusammenhält. Angesichts des aktuellen Entwicklungsstandes unserer klini­
Sie ist ein Sirenengesang, der viele Forscher verlockt hat. So ist ein riesiger Berg an Un­ schen Praxis und unseres Wissens ist es nicht gerechtfertigt, Zeit und Kraft darauf zu
tersuchungen entstanden, von denen sich leider nur wenige als wirklich wertvoll, repli­ verwenden, eine Gruppe sorgfältig zusammenzustellen und auszutarieren. Ich bin der
zierbar oder klinisch relevant erwiesen haben. Und nicht nur das, sondern das ganze Meinung, dass Therapeuten ihre Zeit und Energie besser auf eine sorgfältige Auswahl
Thema der Gruppenzusammensetzung steht außerdem in keinerlei Beziehung zu den von Klienten für die Gruppentherapie und auf die Vorbereitung vor Beginn der The­
derzeitigen Alltagsrealitäten der klinischen Praxis. Wie bereits erwähnt wurde, lenken rapie ( die im nächsten Kapitel besprochen wird) verwenden sollten. Es steht außer Fra­
die Zwänge, denen die gruppentherapeutische Praxis heutzutage unterworfen ist, die ge, dass die Zusammensetzung den Charakter der Gruppe fundamental beeinflusst,
Aufmerksamkeit des Therapeuten davon ab, dass die Gruppenzusammensetzung ein aber wenn die Gruppe zusammenhält und wenn Sie die therapeutischen Faktoren
wichtiger Aspekt seiner Arbeit ist. richtig einschätzen und in Ihrer Rolle flexibel sind, können Sie alle Gegebenheiten ( au­
Viele Gruppentherapeuten, die heute in Privatpraxen und in Kliniken arbeiten, ste­ ßer dem Mangel an Motivation), die in der Gruppe entstehen, therapeutisch nutzen.
hen Probleme der Gruppenintegrität und des Überlebens der Gruppen im Vorder­
grund. Gewöhnlich haben sie Schwierigkeiten, genügend Klienten für eine Gruppe zu­
sammenzubringen. (Ich zweifle auch nicht daran, dass diese Schwierigkeit mit jedem

314 315
Wenn die Gruppensitzung auf Video aufgenommen oder durch einen Einwegspie­
gel von Studenten verfolgt werden soll, muss man dazu die Erlaubnis der Gruppenmit­
glieder im Voraus einholen und reichlich Gelegenheit zur Erörterung des Verfahrens
Ka pite l 1 0 bieten. Wenn eine audiovisuelle Aufnahme der Sitzung geplant ist, ist eine schriftliche
Einwilligung der Teilnehmer unbedingt erforderlich. Eine Gruppe, die fortlaufend be­
obachtet wird, scheint dies in der Regel nach ein paar Wochen zu vergessen, aber im

Die E ntste h u ng d e r G ru p pe: Zusammenhang mit der Durcharbeitung von Autoritätsproblemen mit dem Gruppen­
leiter machen sich die Mitglieder immer wieder von neuem Gedanken dazu. Wenn nur
Ort, Zeit, G rö ße, Vorbereitu ng ein oder zwei Beobachter zu Lernzwecken zugelassen sind, lässt man sie am besten im
gleichen Raum, wenn auch außerhalb des Gruppenkreises, sitzen. Dadurch wird die
bei der Benutzung eines Einwegspiegels unvermeidliche Verletzung der Privatsphäre
Vor ü berlegu ngen vermieden, und außerdem wirkt dieses Verfahren auf die Dauer weniger ablenkend als
die Anwesenheit unsichtbarer Zuschauer. Den Lernenden wird so ermöglicht, mehr
Bevor der Therapeut eine Gruppe zusammenkommen lässt, muss er für einen geeig­ von dem Gruppenaffekt zu erleben, der auf unerklärliche Weise durch den einseitigen
neten Raum sorgen und einige praktische Entscheidungen bezüglich der Strukturie­ Spiegel oft ausgefiltert wird. Beobachter müssen aufgefordert werden, zu schweigen
rung der Arbeit treffen: Er muss die Größe der Gruppe und die Dauer ihrer Zusam­ und jedem Versuch von Gruppenmitgliedern, sie in das Gruppengeschehen hineinzu­
menarbeit, Bedingungen, unter denen neue Mitglieder zugelassen werden, die Sit­ ziehen, zu widerstehen. (Eine ausführlichere Darstellung der Gruppenbeobachtung
zungsfrequenz und die Dauer jeder einzelnen Sitzung festlegen. Außerdem müssen enthält Kapitel 17.)
Gruppentherapeuten heute oft mit Kostenträgern (einer Krankenversicherung oder ei­
ner ähnlichen Organisation) verhandeln. 1 Die Spannung zwischen den therapeu­ Offene und geschlossene Gruppen
tischen Prioritäten und den ökonomischen bezüglich Zielsetzung und Dauer der Be­ Der Gruppenleiter bestimmt zu Anfang einer Gruppe, ob sie als offene oder geschlos­
handlung muss ebenfalls berücksichtigt werden.2 Unstimmigkeiten zwischen dem sene Gruppe geführt werden soll. Eine geschlossene Gruppe schließt, wenn sie einmal
Therapeuten und den Mitarbeitern einer Kostenträgerorganisation können sich sehr begonnen hat, ihre Pforten, nimmt nach den ersten zwei bis drei Sitzungen keine neu­
negativ auf die therapeutische Beziehung auswirken. 71 Die gesamte therapeutische en Mitglieder mehr auf und kommt gewöhnlich während einer vorher festgelegten
Praxis einschließlich der Therapeuten profitiert von besserer Partnerschaft und einem Zeitspanne zusammen. Eine offene Gruppe behält die gleiche Größe bei, indem sie
geringeren Maß an Polarisierung. ausscheidende Mitglieder durch neue ersetzt. Auch eine offene Gruppe kann eine vor­
Heute haben Kliniker die ethische Verantwortung, sich für eine effektive Therapie her festgesetzte Dauer haben - zum Beispiel können Gruppen, die ein studentischer
einzusetzen. Sie müssen die Öffentlichkeit informieren, für die Entstigmatisierung der Gesundheitsdienst eingerichtet hat, sich vornehmen, nur während des neun Monate
Gruppentherapie kämpfen, starke Organisationen für klinische Praxis mit gut aus­ dauernden akademischen Jahres zusammenzukommen. Viele offene Gruppen bleiben
gebildeten und korrekt lizenzierten Therapeuten aufbauen und die Kostenträger dazu unbegrenzt bestehen, wobei nach einigen Jahren die Mitglieder wechseln und eventu­
drängen, sich mit den fundierten empirischen Untersuchungen zu befassen, aus denen ell sogar neue Leiter die Arbeit mit der Gruppe übernehmen. Ich kenne Therapiegrup­
die Wirksamkeit von Gruppentherapien klar hervorgeht. 71 pen in psychotherapeutischen Ausbildungszentren, die seit 20 Jahren bestehen, wobei
sie alle ein oder zwei Jahre von einem mittlerweile approbierten Therapeuten an seinen
Der äußere Rahmen nachrückenden Kollegen weitergegeben werden. Offene Gruppen werden mit Teilneh­
Gruppensitzungen können in jedem Raum durchgeführt werden, in dem Ungestört­ merwechseln besser fertig, wenn die Gruppenleiter eine gewisse Kontinuität wahren.
heit und Schutz vor Ablenkung garantiert sind. In institutionellen Zusammenhängen Eine Möglichkeit, dies in der Ausbildungssituation zu erreichen, besteht darin, die
muss der Therapeut mit der Verwaltung verhandeln, um eine ausschließlich für die Gruppe von einem Therapeuten und einem Co-Therapeuten leiten zu lassen und
Gruppentherapie reservierte Zeit und einen geeigneten Raum zu bekommen. Der ers­ dann, falls der Therapeut die Gruppe verlässt, den Co-Jherapeuten zum neuen Thera­
te Schritt beim ersten Zusammentreffen der Gruppe besteht darin, einen Kreis zu bil­ peuten zu machen und einen anderen Co-Therapeuten hinzuzuholen.3
den, sodass alle Gruppenmitglieder einander sehen können. Deshalb sind ein langer Die meisten geschlossenen Gruppen sind Kurzzeittherapiegruppen, die sich wäh­
rechteckiger Tisch und die Benutzung von Sofas, auf denen drei oder vier Personen sit­ rend eines Zeitraums von sechs Monaten wöchentlich treffen. Bei längerfristigen ge­
zen können, nicht zu empfehlen. Falls in einer Sitzung Mitglieder fehlen, entfernen Sie schlossenen Gruppen ist es schwer, die Mitgliederzahl stabil zu halten. Unweigerlich
die leeren Stühle aus dem Kreis und rücken mit der Gruppe enger zusammen. gibt es Klienten, die ausscheiden, wegziehen oder unerwartet in Terminschwierigkeiten

316 317
geraten. Therapiegruppen erfüllen ihren Zweck nicht optimal, wenn sie zu klein wer­ um die Intensität der Arbeit zu erhöhen und den Gruppenprozess effektiver in Gang
den, und man muss neue Mitglieder aufnehmen, damit die Gruppe nicht ausblutet. zu bringen. 5
Das Modell der geschlossenen Langzeitgruppe kann jedoch in einem Rahmen prak­ Vermeiden Sie zu seltene Sitzungen. Gruppen, die sich weniger als einmal wöchent­
tisch durchführbar sein, der so beträchtliche Stabilität garantiert wie ein Gefängnis, ein lich treffen, haben im Allgemeinen erhebliche Schwierigkeiten, einen interaktions­
Militärstützpunkt, ein psychiatrisches Krankenhaus mit Langzeitpatienten oder gele­ orientierten Fokus aufrechtzuerhalten. Wenn im Leben der Mitglieder zwischen zwei
gentlich eine ambulante Gruppe, in der alle Mitglieder zugleich beim Gruppenleiter in Sitzungen viel geschehen ist, neigen solche Gruppen dazu, sich auf diese aktuellen Ge­
Einzeltherapie sind. Manche Therapeuten führen eine geschlossene Gruppe sechs Mo­ schehnisse und auf die Auflösung von Krisen zu konzentrieren.
nate lang; dann schätzen die Mitglieder ihre Fortschritte ein und entscheiden, ob sie
sich für weitere sechs Monate verpflichten wollen. Die längerfristige Gruppe. In ihrem Bemühen, eine »zeiteffiziente Therapie« 6 zu errei­
Einige anspruchsvolle Teilhospitalisierungsprogramme beginnen mit einer inten­ chen, haben Gruppenleiter mit vielen Aspekten des Therapierahmens experimentiert,
siven Phase, in der die Klienten in einer geschlossenen Therapiegruppe arbeiten. Dem jedoch mit keinem Aspekt mehr als mit der Sitzungsdauer. Das heutige Klima, das in
folgt eine längere Phase weniger intensiver Gruppentherapie in einer offenen Gruppe, starkem Maße von ökonomischen Erwägungen geprägt ist, drängt die Therapeuten
einer Art Nachsorge zur Sicherung des Erreichten. In der Phase der geschlossenen dazu, die Therapie abzukürzen. Hingegen galt in den 1960er- und 1970er-Jahren, der
Gruppe wird an verbreiteten Problemen und am Erwerb wichtiger Fertigkeiten ge­ Blütezeit der Encountergruppen (siehe Kapitel 16), das genaue Gegenteil: Damals ex­
arbeitet, weil dies im Rahmen einer intensiven Zusammenarbeit am besten möglich ist. perimentierten Gruppentherapeuten sehr mutig mit der Länge von Gruppensitzungen.
Die anschließende Arbeit in einer offenen Gruppe, durch welche die Rückfallgefahr Therapeuten führten Gruppen mit vier-, sechs- oder achtstündigen Sitzungen einmal
verringert werden soll, verstärkt die in der intensiven Phase erzielten Erfolge und hilft in der Woche durch. Manche Therapeuten waren dafür, weniger oft, dafür auf längere
den Klienten, ihre neuen Errungenschaften in ihrer eigenen sozialen Umgebung zu Zeit, zusammenzukommen - beispielsweise zu einer sechsstündigen Sitzung alle zwei
nutzen. Dieses Modell hat sich bei der Behandlung von Substanzmissbrauch, Traumata Wochen. Einzeltherapeuten schickten oft ihre Klienten in eine längerdauernde Wo­
und Depression bewährt.4 chenendgruppe. Manche Gruppentherapeuten überwiesen ihre ganze Gruppe für ein
Wochenende einem anderen Therapeuten oder, was häufiger vorkam, sie führten selbst
Da uer u nd Häufigkeit der Sitzu ngen irgendwann im Laufe der Therapie mit ihrer eigenen Gruppe eine Marathonsitzung
durch.
Bis Mitte der 60er-Jahre schien die Dauer der Sitzung in der Psychotherapie festzuste­ Die »Marathongruppe« wurde zu jener Zeit in vielen auflagenstarken amerikani­
hen; die SO-Minuten-Stunde in der Einzeltherapie und die 80 bis 90 Minuten dauernde schen populären Zeitschriften, Zeitungen sowie in romanhaften Beschreibungen aus­
Gruppentherapiesitzung waren Teil des festen Volksglaubens in diesem Bereich. Die führlich dargestellt. 71 Sie kam zu einer extrem langen Sitzung zusammen, 24 bis 48
meisten Gruppentherapeuten sind sich darüber einig, dass selbst in gut gefestigten Stunden lang, wobei wenig oder gar keine Zeit zum Schlafen vorgesehen war. Von den
Gruppen mindestens 60 Minuten fürs Warmwerden und für die Entfaltung und Teilnehmern wurde gefordert, die ganze festgesetzte Zeit zusammenzubleiben, die
Durcharbeitung der Hauptthemen der Sitzung notwendig sind. Es besteht unter The­ Mahlzeiten wurden im Therapieraum serviert, und wenn Schlaf nötig war, fand er in
rapeuten auch eine gewisse Einigkeit darüber, dass nach etwa zwei Stunden ein Punkt kurzen Nickerchen während der Sitzung oder während kurzer, eingeplanter Schlafpau­
erreicht ist, an dem der Nutzen nachlässt; die Gruppe wird müde, wiederholt sich und sen statt. Das Gewicht dieser Gruppenarbeit lag auf totaler Selbstoffenbarung, intensi­
wird ineffizient. Auch viele Therapeuten arbeiten offenbar in Zeiteinheiten von 90 Mi­ ver interpersonaler Konfrontation und affektiver Beteiligung und Anteilnahme. Später
nuten am besten; längere Sitzungen wirken oft erschöpfend, dadurch lässt die Präsenz wurde die Form der »Langzeitsitzungen« von kommerziellen Ansätzen wie EST und
des Therapeuten in seinen weiteren Therapiesitzungen am selben Tag nach. Lifespring aufgegriffen; mittlerweile sind diese Trainingsprogramme für Gruppen­
Zwar schwankt die Häufigkeit der Sitzungen zwischen ein- bis fünfmal pro Woche, gewahrsein im großen Rahmen praktisch verschwunden. 7
doch trifft sich die Mehrzahl der Gruppen einmal wöchentlich. Oft ist es logistisch Befürworter der Langzeitgruppe behaupteten, das Verfahren beschleunige die
schwierig, ambulante Gruppen zu planen, und die meisten Therapeuten haben noch Gruppenentwicklung, intensiviere das emotionale Erleben und komprimiere einen
nie eine ambulante Gruppe geleitet, die sich häufiger als einmal pro Woche trifft. Doch sonst langwierigen Therapieverlauf auf einen Tag oder ein Wochenende. 71 Die emotio­
wenn ich die Möglichkeit zur Wahl hätte, würde ich die Gruppentreffen zweimal wö­ nale Intensität des Gruppengeschehens und die durch den Schlafmangel hervorgeru­
chentlich leiten: Derartige Gruppen nehmen an Intensität zu, die Mitglieder setzen die fene Erschöpfung sollten angeblich ebenfalls das Aufgeben sozialer Masken beschleu­
Arbeit an Problemen, die in der vorigen Sitzung aufgetaucht sind, fort, und der ganze nigen. Die Resultate dieser Therapie in Marathongruppen, von denen in Massenmedi­
Prozess nimmt den Charakter einer fortlaufenden Sitzung an. Manche Therapeuten en wie auch in wissenschaftlichen Zeitschriften berichtet wurde, waren überwältigend
setzen zu Beginn einer zeitlich begrenzten Gruppe zwei wöchentliche Sitzungen an, und übertrafen sogar die Behauptungen, die heutzutage über die persönlichkeitsver-

318 319
ändernde Wirkung von Prozac und anderen pharmazeutischen Wundermitteln in die he Kapitel 16), die immer Wert darauf legte, Innovation und Forschung miteinander
Welt gesetzt werden: »80 Prozent der Teilnehmer durchlaufen aufgrund einer einzigen zu verbinden.
Sitzung signifikante Veränderungen.« 8 »90 Prozent von 400 Mitgliedern von Mara­ Die äußerst extravaganten Behauptungen, die ich weiter oben zitiert habe, beruhten
thongruppen betrachteten die Sitzung als eine der wichtigsten und bedeutsamsten Er­ ausschließlich auf anekdotischen Berichten verschiedener Teilnehmer oder auf Frage­
fahrungen ihres Lebens.« 9 »Die Marathongruppentherapie ist ein Durchbruch in der bogen, die kurz nach dem Ende einer Sitzung verteilt worden waren - einem äußerst
psychotherapeutischen Praxis.« 10 »Die Marathongruppe ist zu einem einzigartigen unzuverlässigen Material für die Bewertung. Tatsächlich ist jedes Untersuchungsergeb­
Agens der Veränderung geworden, das eine Geschwindigkeit des Lernens und der An­ nis, das nur auf Interviews, Zeugnissen oder Selbstbeantwortungsfragebogen beruht,
passung an neue Verhaltensweisen ermöglicht, die unter den traditionellen Bedingun­ die von den Klienten ausgefüllt wurden, von zweifelhaftem Wert. Zu keiner Zeit ist der
gen wahrscheinlich nicht eintreten.« 1 1 »Wenn alle Erwachsenen an einem Marathon Klient loyaler, dankbarer und weniger objektiv in Bezug auf eine Gruppe als an deren
teilgenommen hätten, gäbe es keinen Krieg mehr; wenn alle Jugendlichen in einem Ende; zu diesem Zeitpunkt herrscht eine mächtige Tendenz, nur positive, zärtliche Ge­
Marathon gewesen wären, gäbe es keine jugendlichen Straftäter mehr.« 12 Und der­ fühle ins Gedächtnis zurückzurufen und auszudrücken. Das Empfinden und
gleichen mehr. Ausdrücken negativer Gefühle hinsichtlich der Gruppe ist zu diesem Zeitpunkt aus
Doch trotz dieser Behauptungen ist die Marathonbewegung genauso schnell ver­ mindestens zwei Gründen unwahrscheinlich: ( 1) Bei der Beendigung herrscht starker
schwunden, wie sie aufgetaucht ist. Therapeuten, die immer noch regelmäßig oder in Gruppendruck, der auf die Abgabe positiver Zeugnisse hinwirkt - nur wenige Grup­
bestimmten Abständen Langzeitgruppensitzungen durchführen, sind unter den Prak­ penteilnehmer können, wie Asch1 5 gezeigt hat, angesichts einer scheinbaren Gruppen­
tikern eine kleine Minderheit. Obwohl es gelegentliche Berichte über intensive und einigkeit ihre Objektivität bewahren. (2) Mitglieder lehnen zu diesem Zeitpunkt kriti­
wirkungsvolle Rückzugswochenenden für vers�hiedene Probleme, von Drogenmiss­ sche Gefühle gegenüber der Gruppe ab, um einen Zustand der kognitiven Dissonanz
brauch bis Bulimie, gibt, 13 bestehen diese Unternehmungen aus einem umfassenden zu vermeiden. Der Einzelne hat sich entschieden, beträchtliche Zeit und viel Gefühl in
Programm, das Bestandteile aus der Gruppenpsychotherapie, Psychoedukation und die Gruppe zu investieren; außerdem hat er oft anderen Mitgliedern gegenüber starke
einer klaren Theorie umfasst, statt sich nur auf die Merkmale intensiver Konfrontation positive Gefühle entwickelt. Den Wert oder die Aktivitäten der Gruppe so bald in Fra­
und Erschöpfung zu verlassen, die für den Ansatz der Marathongruppe charakteris­ ge zu stellen, würde heißen, sich in einen Zustand der Dissonanz zu stürzen.
tisch waren. Dieser Ansatz wird heute auch genutzt, um die Arbeit wöchentlich zusam­ Die Forschung über Marathongruppen ist durch eine Vielzahl an Konzeptionsfeh­
menkommender Therapiegruppen für Krebspatienten durch Intensivwochenenden zu lern gekennzeichnet. 1 6 Manche Studien verzichteten auf eine adäquate Kontrollgruppe
verstärken, die der Arbeit an der Entwicklung spezieller Fertigkeiten, der Reflexion und (beispielsweise eine Vergleichsgruppe, die nicht an Marathonsitzungen teilnimmt).
der Meditation gewidmet sind. 14 Andere versäumten es, die Wirkungen von Artefakten und anderen verwirrenden Va­
Trotzdem ist es wichtig, über diese Bewegung zu schreiben und zu lesen - nicht, riablen herauszufiltern. Beispielsweise wurde von einer Gemeinschaft von Drogen­
weil sie ein aktuelles klinisches Verfahren wäre, und auch nicht, um ihr als einem Ka­ abhängigen eine jährliche Marathongruppe für Vergewaltigungsopfer angeboten. Weil
pitel in der Geschichte der Psychotherapie Ehre zu erweisen, sondern weil es uns Auf­ diese Gruppe nur einmal im Jahr angeboten wurde, schrieben die Teilnehmer ihr schon
schluss darüber gibt, wie Therapeuten Entscheidungen bezüglich ihrer klinischen Pra­ vor ihrem Stattfinden einen hohen Wert zu. 17
xis treffen. Die Psychotherapie generell und die Gruppentherapie im Besonderen sind Die streng kontrollierten Studien, die Ergebnisunterschiede zwischen Marathon­
in den letzten Jahrzehnten von einer Anzahl ideologischer und stilistischer Moden und Nicht-Marathongruppen vergleichen, gelangen zu dem Schluss, dass es keinen Be­
heimgesucht worden. Sich auf die Grundlagen und auf fundierte Untersuchungen zu weis für die Wirksamkeit der Marathonmethode gibt. Die positiven Ergebnisse, über
verlassen, ist der beste Schutz vor modischen neuen Tendenzen im Bereich der Grup­ die in einigen Untersuchungen berichtet wurde, waren unsystematisch und lösten sich
pentherapie. bei eingehenderer Betrachtung in Wohlgefallen auf. 18
Viele therapeutische Modeerscheinungen entstehen und vergehen so schnell, dass Ist es möglich, wie manchmal behauptet wird, dass eine Marathonsitzung die Rei­
die Forschung sich mit den Fragen, die sie aufwerfen, selten befasst. Dies gilt nicht für fung einer Therapiegruppe beschleunigt, dass sie Offenheit, Intimität und Kohäsivität
den Aspekt der verlängerten Sitzungen, über den zahlreiche Untersuchungen existie­ steigert und somit Einsicht und therapeutische Durchbrüche fördert? Meine Kollegen
ren. Warum? Zum einen, weil die Methode sich zum Experimentieren eignet ( es ist viel und ich haben die Wirkung einer sechsstündigen Marathonsitzung auf die Entwick­
leichter, Ergebnisforschung bei einer Gruppe zu betreiben, die beispielsweise einen hal­ lung von Kohäsivität und die Entwicklung einer interaktiven Hier- und-Jetzt-Kommu­
ben Tag dauert, als bei einer, die sechs Monate arbeitet: Es gibt weniger Abbrecher, we­ nikationsweise untersucht. 1 9 Sechs neu gebildete Gruppen in einer psychiatrischen
niger Lebenskrisen, keine Gelegenheiten für die Probanden, sich unterstützende The­ Ambulanz wurden während der ersten 16 Sitzungen untersucht. Bei drei Gruppen
rapie zu verschaffen). Ein weiterer Grund ist, dass Gruppen, die lange Sitzungen bevor­ dauerte die erste Sitzung sechs Stunden; bei den drei anderen wurde die elfte Sitzung
zugen, in einer Organisation entstanden sind (den National Training Laboratories - sie- auf sechs Stunden angesetzt.20

320 321
Wir stellten fest, dass die Marathonsitzung die Kommunikationsmuster in den nach­ Lebenssituation ist mühsam und erfordert eine bestimmte Zeitspanne, die sich durch
folgenden Sitzungen nicht günstig beeinflusste. 2 1 Tatsächlich war ein entgegengesetzter nichts verringern lässt. 23
Trend zu beobachten: Die Gruppen schienen sich nach der Sechsstundensitzung auf Sehen wir uns beispielsweise einen Patienten an, der wegen seiner Kindheitserleb­
weniger Interaktion im Hier und Jetzt einzulassen. Der Einfluss der Sechsstundensit­ nisse mit einem autoritären, distanzierten und strengen Vater alle anderen männlichen
zung auf die Kohäsivität war recht interessant. In den drei Gruppen, bei denen die erste Wesen, besonders solche in Autoritätspositionen, als mit ähnlichen Eigenschaften aus­
Sitzung sechs Stunden gedauert hatte, bestand eine Tendenz zu verminderter Kohäsi­ gestattet sieht. In der Gruppe macht er vielleicht eine ganz andere emotionale Erfah­
vität in späteren Sitzungen. Bei den drei Gruppen aber, bei denen die elfte Sitzung auf rung mit einem männlichen Therapeuten und vielleicht einigen der männlichen Grup­
sechs Stunden verlängert worden war, konnte man in den späteren Sitzungen eine penmitglieder. Was hat er gelernt? Gut, einmal hat er gelernt, dass nicht alle Männer
signifikante Zunahme der Kohäsivität feststellen. Es ist also zu überlegen, zu welchem schreckenerregende Ungeheuer sind; zumindest gibt es einen oder zwei, die es nicht
Zeitpunkt man eine Marathonsitzung ansetzt; es ist durchaus möglich, dass diese zu sind. Welchen dauernden Wert hat diese Erfahrung für den Klienten? Wahrscheinlich
einem bestimmten Zeitpunkt im Verlauf der Gruppenarbeit dazu beiträgt, das Enga­ sehr wenig, wenn die Erfahrung nicht für zukünftige Situationen zu verallgemeinern
gement der Mitglieder gegenüber der Gruppe zu steigern. Somit zeigten die Resultate, ist. Durch die Gruppe lernt der Einzelne, dass man zumindest einigen Männern in Au­
dass man die Entstehung von Kohäsivität durch längere Sitzungsdauer beschleunigen, toritätspositionen trauen kann. Aber welchen? Er muss lernen, zwischen Menschen zu
aber nicht völlig neu initiieren kann. unterscheiden und nicht alle Männer auf vorgefasste Weise wahrzunehmen. Ein neues
In den 60er- und 70er- Jahren überwiesen viele Therapeuten ihre Einzeltherapie­ Repertoire von Wahrnehmungsfähigkeiten ist erforderlich. Sobald der Klient in der
Klienten in Wochenendsmarathongruppen; in den 80er- Jahren schickten viele Thera­ Lage ist, die notwendigen Unterscheidungen zu treffen, muss er lernen, wie man auf
peuten Klienten zu Marathonsitzungen, bei denen in großen Gruppen »Awareness­ einer gleichberechtigten, verzerrungsfreien Grundlage Beziehungen knüpft. Für einen
Training« durchgeführt wurde (wie z. B. bei EST und Lifespring) . Ist es möglich, dass Menschen, dessen interpersonale Beziehungen verarmt und fehlangepasst waren, sind
eine intensive, affektgeladene Marathongruppe einem Klienten weiterhilft, dessen Thera­ dies ungeheure und langwierige Aufgaben, die oft jene fortgesetzte Erprobung und Be­
pie ins Stocken geraten ist? Ich habe mit meinen Kollegen zusammen 33 solcher Klien­ kräftigung brauchen, die in der therapeutischen Langzeit-Beziehung verfügbar sind.
ten untersucht, die von Einzeltherapeuten in eine Wochenend-Encountergruppe ge­
schickt worden waren. Wir wiesen sie einer von drei Gruppen zu: zwei affektevozieren­ Ku rzzeitthera pie m it G ru ppen
de Gestaltmarathons und einer Kontrollgruppe (einem Wochenende mit Meditation,
Schweigen und Tai Chi).22 Sechs Wochen später zeigten die Versuchspersonen in ihrer Die Kurzzeitgruppentherapie entwickelt sich rasch zu einer wichtigen und weitverbrei­
Einzeltherapie eine leichte, aber wichtige Besserung im Vergleich zu den Teilnehmern teten Therapiemethode. Die Suche nach kürzeren Formen der Gruppentherapie wird
der Kontrollgruppe. Zwölf Wochen später jedoch waren alle Unterschiede verschwun­ weitgehend durch ökonomische Zwänge vorangetrieben. In ihren Wettbewerbskämp­
den, und es blieben keine messbaren Wirkungen auf den Prozess der Einzeltherapie üb­ fen bemühen sich die Planer der Gesundheitskostenträger unablässig, kürzere, billigere
rig. und wirksamere Therapieformen zu finden: Eine überblicksstudie, an der Mitarbei­
Das Phänomen der Marathongruppe lässt uns an das Problem »Transfer des Ge­ ter von Managed-Care-Unternehmen teilnahmen, die insgesamt für die Betreuung
lernten« denken. Ohne Zweifel kann die Marathongruppe mächtige Affekte hervor­ 73 Millionen Kunden24 dieser Unternehmen verantwortlich waren, stellte fest, dass di­
locken und die Teilnehmer ermutigen, mit neuen Verhaltensweisen zu experimentie­ ese an der häufigeren Nutzung der Gruppentherapie interessiert waren, jedoch kurze,
ren. Aber bedeutet eine Verhaltensänderung in der Gruppe unweigerlich eine Verände­ strukturierte Gruppen mit Teilnehmern, deren Probleme gleichartig waren, bevor­
rung im Alltagsleben? Kliniker wissen schon seit langem, dass eine Veränderung in der zugten. Im Rahmen der gleichen Untersuchung wurde festgestellt, dass eine Thera­
Therapiesitzung nicht gleichbedeutend ist mit therapeutischem Erfolg, dass Verände­ peutenstichprobe prozessorientierte, interpersonale und psychodynamische Gruppen­
rungen nur dann dauerhaft werden, wenn sie auf wichtige interpersonale Beziehungen therapie ohne willkürliche zeitliche Beschränkung favorisierte. Andere Faktoren spre­
und Unternehmungen angewandt werden, und dass sie in dieser normalen Umgebung chen für eine Kurztherapie: Beispielsweise müssen in vielen Regionen wenige Psychia­
immer wieder geprüft werden müssen. Natürlich möchten Therapeuten den Verände­ ter einen hohen Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen abdecken; in solchen Fällen
rungsprozess beschleunigen, doch deuten nun einmal alle Anzeichen darauf hin, dass ermöglichen kurze Therapien die Betreuung einer größeren Zahl von Klienten.
die Dauer der Behandlung einen größeren Einfluss hat als die Zahl der Behandlungen. Doch wie lang ist »kurz«? Darüber gibt es die unterschiedlichsten Ansichten: Einige
Sehen wir uns zum Beispiel den Klienten an, der wegen seiner Kindheitserlebnisse mit
einem autoritären, distanzierten und strengen Vater dazu neigt, alle anderen männli­
* Man fühlt sich an jenen Bauern erinnert, der versuchte, sein Pferd dazu zu bringen, mit immer weni­
chen Wesen, besonders solche in Autoritätspositionen, als Leute anzusehen, die mit ger Nahrung auszukommen, bis er schließlich klagte: »Gerade als ich ihm beigebracht hatte, mit
ähnlichen Eigenschaften ausgestattet sind. Der Transfer des Erlernten auf die normale keinerlei Nahrung auszukommen, ist dieses verdammte Viech krepiert. «

322 323
Kliniker halten eine geringere Zahl als 20 bis 25 Sitzungen für kurz,25 andere nennen le zusammen und versuchen, auf die Erreichung dieser Ziele konzentriert zu bleiben;
16 bis 20 Sitzungen26 und wieder andere 50 bis 60.27 Bei Gruppen in stationärer Be­ sie neigen dazu, in der Gegenwart zu bleiben (entweder Konzentration auf das Hier
handlung geht man manchmal von einer Dauer von einer einzigen Sitzung aus (siehe und Jetzt oder eine problemorientierte Konzentration auf ein »Dort und Jetzt« in der
Kapitel 15). Vielleicht sollte man die Definition dessen, was eine kurze Gruppe ist, des­ jüngeren Vergangenheit); sie halten sich an die zeitlichen Einschränkungen und be­
halb besser funktional als durch Angabe einer Zeitspanne definieren: Kurz ist eine rücksichtigen das sich nähernde Ende der Therapie; sie stellen die Vermittlung von
Gruppe, wenn sie für das Erreichen eines spezifischen Ziels die kürzestmögliche Zeit­ Fertigkeiten und des Lernens von der Gruppe für die reale Welt in den Vordergrund;
spanne benötigt - deshalb der treffende Ausdruck »zeiteffiziente Gruppentherapie«.28 ihre Zusammensetzung ist oft homogen auf ein Problem, ein symptomatisches Syn­
Eine Gruppe, die sich mit akuten Lebenskrisen befasst, beispielsweise Arbeitsplatzver­ drom oder eine Lebenserfahrung ausgerichtet; sie konzentrieren sich mehr auf inter­
lust, dauert vielleicht vier bis acht Sitzungen, wohingegen eine Gruppe, die den Verlust personale als auf intrapersonale Belange. 32
wichtiger Beziehungen - wie Scheidungen und Trauer nach Todesfällen - thematisiert, Man muss eine kurze Gruppentherapie nicht als eine alle Probleme lösende Be­
12 bis 20 Sitzungen dauern kann. Eine Gruppe, die sich mit einem bestimmten Sym­ handlung verstehen. Man kann sie auch als einen ersten Einstieg in die therapeutische
ptomkomplex befasst, beispielsweise mit Essstörungen oder der Wirkung von sexuel­ Arbeit auffassen, als eine Chance, wichtige Arbeit zu tun, der möglicherweise später
lem Missbrauch, kann 18 bis 24 Sitzungen umfassen. Eine »kurze« Gruppe mit dem weitere Arbeit dieser Art folgen muss.33
Ziel, anhaltende charakterologische Probleme zu verändern, kann sechzig bis siebzig Der Gruppentherapeut muss auf eine Reihe von Dingen achten, wenn er eine Kurz­
Sitzungen dauern.29 zeittherapiegruppe leitet:
Diese Zeitangaben sind natürlich etwas willkürlich, doch neuere Untersuchungen
über den »Dosierungseffekt« der Einzelpsychotherapie hat die Frage der Therapiedau­ • Eine kurze Gruppe ist keine verkürzte Langzeitgruppe;34 vielmehr muss der Grup­
er in einem neuen Licht erscheinen lassen.30 Diese Untersuchungen versuchen, das penleiter an beide Situationen mit völlig unterschiedlichen Einstellungen heran­
Kurvenmodell für die Reaktion auf Medikamentendosierungen auf die Einzelpsycho­ gehen: Er muss Ziele klären, die Gruppe fokussieren, den zeitlichen Ablauf der Sit­
therapie zu übertragen, indem sie Studien mit großen Stichproben von Klienten zungen organisieren und ganz generell aktiv und effizient sein. Da Gruppen dazu
durchführt, die in Einrichtungen für ambulante Behandlung an einer Psychotherapie neigen, ihre Grenzen zu ignorieren, müssen die Leiter kurzer Gruppen stets auf die
teilnehmen. Gewöhnlich handelt es sich um eine eklektische Therapieform, die unter­ Zeit achten und die Gruppe hin und wieder darauf aufmerksam machen, wie viel
stützende, explorative und kognitive Therapieansätze miteinander verbindet, ohne Sitzungszeit bereits vergangen ist und wie viel noch bleibt. Sie sollten immer wieder
sich an einem bestimmten Therapiemanual zu orientieren. Zwar ist im Bereich der Feststellungen wie die folgende treffen: »Dies ist unsere zwölfte Sitzung. Zwei Drit­
Gruppentherapie bisher keine vergleichbare Untersuchung über den Dosierungseffekt tel der angesetzten Termine liegen also hinter uns, und es bleiben noch sechs wei­
bekannt geworden, doch erscheint die Annahme plausibel, dass in diesem Bereich ähn­ tere Sitzungen. Vielleicht ist es sinnvoll, wenn wir uns jetzt ein paar Minuten Zeit
liche Reaktionsmuster existieren. nehmen, um uns vor Augen zu führen, was wir bereits erreicht haben, an welchen
Forscher haben festgestellt, dass Klienten mit weniger starken Störungen im All­ Zielen wir noch arbeiten müssen und wie wir unsere verbleibende Zeit nutzen
gemeinen weniger Therapiesitzungen benötigen, um eine signifikante Besserung zu wollen.«
erzielen. Die Wiederherstellung der gewohnten Funktionsfähigkeit kann sehr schnell • Gruppenleiter müssen sich auch um den Transfer des in der Gruppe Erlernten
eintreten, sodass bei vielen Klienten acht oder sogar noch weniger Sitzungen aus­ kümmern und die Klienten dazu auffordern, es in Situationen außerhalb der Grup­
reichen, um sie wieder auf ihren Stand vor Beginn der Krise zu bringen. Die über­ pe anzuwenden. Sie müssen ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Behandlung
wältigende Mehrheit der Klienten mit eher chronischen Problemen benötigt 50 bis Veränderungen initiieren soll, dass der Veränderungsprozess jedoch nicht un­
60 Sitzungen, um eine Besserung zu erreichen, und Klienten mit schwerwiegenden bedingt während der Behandlungszeit zum Abschluss gelangen muss. Vielmehr
Persönlichkeitsstörungen brauchen eine noch längere Betreuung. Je stärker das Ver­ wird die begonnene therapeutische Arbeit noch lange nach Abschluss der Sitzungen
trauen beeinträchtigt wurde, je größer eine erlittene emotionale Entbehrung war und weitergehen.
je früher in der Entwicklung ein Mensch mit Verlusten oder Traumata fertig werden • Gruppenleiter sollten versuchen, die Nachteile der zeitlichen Begrenzung in einen
musste, umso wahrscheinlicher ist eine kurze Therapie unzureichend. Außerdem ist Vorteil umzumünzen. Seit Carl Rogers sich erstmals mit zeitlich begrenzten Thera­
das Fehlschlagen vorangegangener kurzer Therapien oft ein Zeichen dafür, dass die Be­ pien befasste, haben wir herausgefunden, dass eine zeitliche Begrenzung die Effi­
treffenden eine längere Therapie benötigen.31 zienz der Arbeit steigern und mehr Energie aktivieren kann.35 Außerdem kann der
Unabhängig von der exakten Lebensdauer sind allen psychotherapeutischen Kurz­ vorher festgesetzte Endpunkt der Therapie das Gewahrsein der existenziellen Di­
gruppen (mit Ausnahme von psychoedukativen Gruppen) viele Grundzüge gemein­ mensionen des Lebens stärken: Zeit ist nicht ewig; alles endet; es wird kein Zauberer
sam. Sie alle streben nach Wirksamkeit; sie schließen sich für festgesetzte einzelne Zie- auftauchen, der alle Probleme löst; entscheidend ist die Begegnung im Hier und

324 325
Jetzt; die letztendliche Verantwortung liegt im Inneren des Klienten selbst, nicht ren auf Fehler weniger tolerant als längerfristig konzipierte. Ist die Dauer einer
außerhalb von ihm.36 Gruppe beispielsweise auf zwölf Sitzungen beschränkt und zwei oder drei dieser
• Man bedenke, dass der offizielle Name der Gruppe die therapeutische Arbeit nicht Sitzungen müssen auf die Auseinandersetzung mit einem ungeeigneten Mitglied
determiniert. Anders ausgedrückt: Nur weil eine Gruppe aus Klienten besteht, die verwendet werden, das die Gruppe danach verlässt ( oder aufgefordert werden muss,
kürzlich eine Scheidung erlebt haben, oder aus überlebenden sexuellen Miss­ die Gruppe zu verlassen), ist das ein sehr hoher Preis, denn die Entwicklung der
brauchs, muss die Gruppenarbeit sich nicht auf »Scheidung« oder »sexuellen Miss­ Gruppe wird dadurch verzögert, Vertrauen und Kohäsivkraft entwickeln sich lang­
brauch« konzentrieren. Sinnvoller ist es, wenn die Gruppe auf die Interaktion fo­ samer, und ein erheblicher Teil der kostbaren Gruppenzeit und der Effektivität wird
kussiert und sich mit denjenigen Aspekten von Scheidungen oder sexuellem Miss­ geopfert.
brauch befasst, die Auswirkungen auf das Hier und Jetzt der Gruppe haben. Bei­ • Benutzen Sie die Einzelsitzung vor Beginn der Gruppenarbeit nicht nur für die üb­
spielsweise können Klienten, die sexuellen Missbrauch erlebt haben, an ihrer liche Vorbereitung der Klienten, sondern auch, um ihnen zu helfen, ihre Probleme
Scham, ihrer Wut, ihrem Widerwillen, um Hilfe zu bitten, ihrem Misstrauen gegen­ so zu formulieren und ihre Ziele so zu präzisieren, wie es für eine kurze Therapie
über Autoritäten (also konkret den Gruppenleitern) und ihren Schwierigkeiten da­ am besten ist. 38 Einige Gruppentherapeuten nutzen die erste Gruppensitzung, um
mit, neue vertrauliche Beziehungen aufzubauen, arbeiten. Bei Gruppen von kürz­ alle Teilnehmer aufzufordern, ihre interpersonalen Probleme und ihre Behand­
lich Geschiedenen ist es nicht am sinnvollsten, wenn sie sich ausgiebig damit aus­ lungsziele zu formulieren. 39
einandersetzen, was in ihrer Ehe nicht gut gelaufen ist; vielmehr sollten sie sich mit
interpersonalen Problemen auseinandersetzen, die sich im Hier und Jetzt der Grup­ Einige Therapeuten haben nach einer Möglichkeit gesucht, die Kluft zwischen einer
pe manifestieren. Den Gruppenmitgliedern muss geholfen werden, diese Muster zu Kurzzeitbehandlung und einer längerfristigen Behandlung zu überbrücken. Einer die­
verstehen und zu verändern, damit sie zukünftige Beziehungen nicht beeinträchti­ ser Ansätze besteht darin, der Gruppenkurzzeittherapie weitere sechs Monate lang
gen. Auffrischungssitzungen folgen zu lassen, die in größeren Abständen, beispielsweise
• Ein effektiv arbeitender Gruppentherapeut muss flexibel sein und alle verfügbaren monatlich, stattfinden.40 Ein anderer Ansatz bietet den Klienten eine kurze Gruppen­
Mittel nutzen, um die Therapie wirksamer zu machen. Techniken der kognitiven therapie an, gibt ihnen aber die Möglichkeit, sich im Anschluss daran für die Teilnah­
Therapie oder Verhaltenstherapie können in die Arbeit einer interaktionsorien­ me an einer weiteren Serie von Sitzungen zu entscheiden. Ein Programm, das primär
tierten Gruppe einbezogen werden, um die schmerzhafte Wirkung von Symptomen für Klienten mit chronischen Krankheiten durchgeführt wird, besteht aus einer Reihe
zu verringern. Beispielsweise kann der Leiter einer Gruppe für Klienten mit Essstö­ von zwölfwöchigen Segmenten, zwischen denen jeweils eine zweiwöchige Pause einge­
rungen den Gruppenmitgliedern empfehlen, die Beziehung zwischen ihrer Stim­ schoben wird.4' Bis zur sechsten Woche können Klienten jederzeit zu einem Segment
mungslage und ihren Essgewohnheiten in einem Tagebuch zu untersuchen, oder er hinzustoßen. Ab diesem Zeitpunkt wird die Gruppe zu einer geschlossenen Gruppe.
kann ihnen empfehlen, ihre Essensaufnahmen zu notieren oder zu meditieren, um Ein Klient kann an einem Segment teilnehmen und sich irgendwann später dafür ent­
die emotionale Belastung zu verringern. Doch das ist nicht das Entscheidende. scheiden, sich für ein weiteres Segment einzuschreiben. Das Programm hat den Vorteil,
Wenn eine Kurzzeittherapie mit Gruppen sich auf die interpersonalen Probleme alle Klienten, selbst die Langzeitmitglieder, auf das Ziel konzentriert zu halten, da sie
konzentriert, die hinter den mit der Nahrungsaufnahme zusammenhängenden ihre Ziele in jedem Segment neu formulieren.
Symptomen verborgen sind, ist sie ebenso wirksam wie eine Gruppenkurzzeitthera­ Sind kurze Gruppen effektiv? Die Ergebnisforschung zu kurzen Therapiegruppen
pie, die direkt auf die Essstörung eingeht.37 Mit anderen Worten können Therapeuten hat in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen. Eine Analyse von 48 Berichten
davon ausgehen, dass Symptome durch Störungen der interpersonalen Funktions­ über kurze Therapiegruppen (sowohl kognitiv-behavioral als auch dynamisch-inter­
fähigkeit entstanden sind und dass sie durch die Behebung der interpersonalen Stö­ personal orientierte) für die Behandlung von Depression hat gezeigt, dass Gruppen,
rungen gelindert werden können. .71 die durchschnittlich zwölf Sitzungen lang zusammenkommen, deutliche klinische
• Trotz der begrenzten Zeit sollten Gruppenleiter nicht den Fehler machen zu versu­ Wirkungen erzielten: der Zustand ihrer Mitglieder besserte sich verglichen mit Klien­
chen, Zeit zu sparen, indem sie die Einzelsitzung mit jedem Kandidaten vor Beginn ten auf einer Warteliste fast um das Dreifache.42 Außerdem wirkt sich die Arbeit sol­
der Gruppenarbeit abkürzen; im Gegenteil, sie sollten sich bei der Vorbereitung cher Gruppen bei der Behandlung von Depression offenbar sehr förderlich auf die
und Auswahl der Klienten für diese Arbeit besonders große Mühe geben. Der wich­ Wirkung von Psychopharmaka aus.43 Kurze Gruppen für Klienten, die Verluste erlitten
tigste Fehler, den vielbeschäftigte Kliniker und Gesundheitsdienstleister machen, hatten oder trauerten, erwiesen sich als ebenso wirksam, und sie sind deutlich wirksa­
besteht darin, neue Klienten telefonisch auf ihre Eignung für eine Gruppentherapie mer als keine Behandlung.44 Sowohl für ausdrucks- und deutungsorientierte Gruppen
hin zu befragen und sie anschließend ohne individuelles persönliches Screening als auch für unterstützende Gruppen wurden bei dieser klinischen Population signifi­
und ohne Vorbereitungssitzung in eine Gruppe zu schicken. Kurze Gruppen reagie- kante Wirkungen nachgewiesen.45

326 327
In einer Studie über interpersonal orientierte Kurzzeittherapie mit Gruppen für zweckdienlich ersetzen. Falls er keine geeigneten neuen Mitglieder findet, entscheidet
Klienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung wurde über Verbesserungen der er sich besser für die Vereinigung zweier kleiner Gruppen, als sich ständig mit der un­
Stimmungslage und des Verhaltens der Klienten nach 25 Therapiesitzungen berich­ zureichenden Größe beider zu quälen.
tet.46 Kurze Gruppentherapien haben sich auch als für die psychologische Betreuung Die Obergrenze wird durch rein ökonomische Prinzipien bestimmt; wenn die
von Klienten mit physischen Krankheiten nützlich erwiesen:47 Sie verbessern die Fä­ Gruppengröße zunimmt, steht immer weniger Zeit zur Verfügung, um die Probleme
higkeit, mit Schwierigkeiten fertig zu werden und Stress abzubauen, sie verringern af­ der Einzelnen durchzuarbeiten. Da während der ersten Sitzungen wahrscheinlich ein
fektive Symptome und Angstsymptome, und sie stärken die Fähigkeit zur Selbsthilfe. oder zwei Klienten aus der Gruppe ausscheiden, ist es ratsam, die Gruppe mit einer et­
Allerdings ist auch über einige weniger zufriedenstellende Erkenntnisse berichtet was höheren Mitgliederzahl zu beginnen, als man es eigentlich möchte. Viele Thera­
worden. Eine Vergleichsstudie zwischen den Therapieformen Kurzzeitgruppe, Lang­ peuten beginnen also eine neue Gruppe mit acht oder neun Klienten, um eine Gruppe
zeitgruppe, Kurzzeiteinzel- und Langzeiteinzeltherapie zeigte, dass die Kurzzeitgruppe mit sieben oder acht Mitgliedern zu bekommen. Wenn man in der Erwartung, dass
die am wenigsten wirksame der vier Modalitäten war.48 In einer Studie, an der 98 Per­ immer einige Teilnehmer die Gruppenarbeit vorzeitig abbrechen, mit einer Gruppen­
sonen teilnahmen, die nach dem Zufallsprinzip einer Kurzzeitgruppenbehandlung größe von weit über zehn Mitgliedern beginnt, kann sich dies zu einer sich selbst er­
oder einer Kurzzeiteinzelbehandlung zugewiesen wurden, wurden signifikante Zu­ füllenden Prophezeiung entwickeln. Einige Mitglieder werden die Gruppe dann ein­
standsbesserungen infolge beider Behandlungsmodalitäten und keine signifikanten fach deshalb verlassen, weil sie zu groß ist, als dass eine produktive Beteiligung für alle
Unterschiede zwischen ihnen festgestellt - mit der einzigen Ausnahme, dass die Klien­ Mitglieder möglich wäre. Größere Gruppen von zwölf bis 16 Mitgliedern können im
ten die Kurzzeiteinzeltherapie der Kurzzeitgruppentherapie subjektiv vorzogen.49 Rahmen von Tageskliniken produktive Arbeit leisten, weil jedes Mitglied im Laufe ei­
Generell ist die Wirksamkeit der Gruppenkurzzeittherapie durch Studien belegt. ner Klinikwoche zusätzlich viele andere Möglichkeiten zu therapeutischer Arbeit hat
Allerdings gibt es keine Beweise dafür, dass eine solche Kurzzeittherapie einer länger­ und weil nicht alle Mitglieder an jeder Gruppensitzung teilnehmen.
fristigen Therapie überlegen ist.50 Mit anderen Worten: wenn Kurzzeitgruppen not­ In einem gewissen Maße hängt die optimale Gruppengröße von der Dauer der Sit­
wendig sind, können wir sie selbstbewusst leiten. Wir wissen, dass wir den Klienten im zungen ab: Je mehr Zeit zur Verfügung steht, desto mehr Klienten können sich mit Ge­
Kurzzeitformat viel bieten können. Aber lassen Sie sich nicht von dem mächtigen der­ winn an der Gruppe beteiligen. So umfassten viele der Marathontherapiegruppen frü­
zeitigen Sog der Wirksamkeit mitreißen. Machen Sie nicht den Fehler zu glauben, ein herer Jahre bis zu 16 Mitglieder. Gruppen wie die der Anonymen Alkoholiker und die
kurzer, durchorganisierter Therapieansatz biete dem Klienten mehr als eine länger­ von Recovery Inc., in denen die Interaktion zwischen den Mitgliedern nicht im Vorder­
fristige Therapie. Einer der Entwickler der NIMH Collaborative Treatment of Depres­ grund steht, können zwischen 20 und 80 Mitglieder haben. Psychoedukative Gruppen
sion Study, eine der größten Psychotherapiestudien, die jemals durchgeführt wurden, für Klienten mit bestimmten Krankheitsbildern wie beispielsweise einer generalisier­
hat ergeben, dass die Wirksamkeit von Kurzzeittherapie wahrscheinlich allgemein ten Angststörung können auch bei 20 oder 30 Teilnehmern noch sinnvolle Arbeit lei­
überschätzt worden ist.51 sten. Diese Gruppen verhindern individuelle Offenbarungen und die Interaktion zwi­
schen Mitgliedern regelrecht und konzentrieren sich auf die didaktische Vermittlung
Die Größe der Gruppe von Informationen über Möglichkeiten, Angst und Stress zu verringern.53 Ähnliche Er­
Meine persönliche Erfahrung stimmt mit der klinischen Literatur darin überein, dass kenntnisse wurden für die Behandlung von Panikstörungen und von Agoraphobie be­
die Idealgröße einer interaktionsorientierten Therapiegruppe bei etwa sieben bis acht richtet.54
Personen liegt. Aus einer Ansammlung von Menschen wird erst dann eine interagie­ Die Form der Großgruppe ist auch bei Krebspatienten benutzt worden, wobei oft
rende Gruppe, wenn eine gewisse Mindestteilnehmerzahl erreicht wird; schrumpft ein Training in Methoden der Stressreduktion und des Umgangs mit Krankheits­
eine Gruppe auf vier oder drei Mitglieder zusammen, fungiert sie nicht mehr als Grup­ symptomen und Nebenwirkungen von Medikamenten stattfand. Solche Gruppen kön­
pe; die Interaktion zwischen den Mitgliedern nimmt ab, und die leitenden Thera­ nen 40 bis 80 Teilnehmer umfassen, die sich sechs Wochen lang wöchentlich für zwei
peuten stellen dann oft fest, dass sie im Grunde Einzeltherapie betreiben. Den Grup­ Stunden treffen.55 Wenn wir uns das Gesundheitssystem als Pyramide vorstellen, zäh­
pen mangelt es an Kohäsivität, und obwohl die Beteiligung zufriedenstellend ist, be­ len Großgruppen dieser Art zur Basis der leicht zugänglichen und kostengünstigen Be­
ruht sie häufig eher auf Pflichtgefühl als auf einer echten therapeutischen Allianz. Viele handlungsmethoden auf der Eintrittsebene. Für viele Menschen reicht eine solche Ver­
Vorteile der Gruppe - insbesondere die Möglichkeit, mit sehr unterschiedlichen Men­ mittlung von Informationen und Bewältigungstechniken aus. Klienten, die eine um­
schen zu interagieren und die eigene Interaktion zu analysieren - nehmen mit der fassendere Hilfe benötigen, können sich in der Pyramide aufwärts bewegen und sich
Größe der Gruppe ab. Außerdem werden kleinere Gruppen leicht passiv, ihre Entwick­ um spezifischere und intensivere Interventionen bemühen.56
lung wird oft gehemmt, und sie entwickeln häufig ein negatives Gruppenbild.52 Natür­ In solchen Gruppen können verschiedene therapeutische Faktoren wirksam sein.
lich muss der Leiter in solchen Gruppen ausscheidende Mitglieder schnell, aber auch Große homogene Gruppen wirken normalisierend und entstigmatisierend, sie aktivie-

328 329
ren Gefühle der Universalität des Leidens, und sie vermitteln Fertigkeiten und Wissen, der Klient in Zeiten anfänglicher Entmutigung und Enttäuschung in der Gruppe
wodurch das Selbstwirksamkeitsgefühl gestärkt wird. AA-Gruppen benutzen Inspira­ bleibt. Aus meiner klinischen Erfahrung heraus habe ich den Eindruck, dass Klienten,
tion, Lenkung und Druck, während sich die große therapeutische Gemeinschaft auf die vor dem Eintritt in die Gruppe öfter Einzelsitzungen hatten, mit geringerer Wahr­
Gruppendruck und Interdependenz stützt, um Realitätsprüfung zu fördern, Regres­ scheinlichkeit vorzeitig ausscheiden. Oft ist der erste Schritt zur Entwicklung von Bin­
sion zu bekämpfen und den Mitgliedern ein Gefühl der individuellen Verantwortung dungen unter den Mitgliedern ihre gemeinsame Identifikation mit dem gleichen Ob­
gegenüber der sozialen Gemeinschaft einzuflößen. jekt: dem Therapeuten. Man darf nicht vergessen, dass der Zweck der Einzelsitzungen
Die Gruppengröße ist umgekehrt proportional zur Interaktion. In einer Studie vor Beginn der Gruppe im Aufbau eines therapeutischen Bündnisses besteht. Es be­
wurde anhand von 55 Therapiegruppen stationärer Klienten mit fünf bis 20 Klienten deutet keine gute Nutzung der Therapiezeit, wenn diese Sitzungen in erster Linie für
die Beziehung zwischen der Gruppengröße und der Anzahl der verbalen Beziehungen anamnestische Zwecke verwendet werden; es hinterlässt bei dem Klienten den Ein­
zwischen Mitgliedern untersucht. Wie sich herausstellte, nimmt die Interaktion zwi­ druck, dass die Anamnese zentraler Bestandteil der Therapie sei.
schen den Gruppenmitgliedern stark ab, wenn deren Zahl über neun liegt; eine noch In dem Gespräch oder den Gesprächen vor Beginn der Gruppe muss noch eine
stärkere Abnahme wurde bei 17 oder noch mehr Gruppenmitgliedern beobachtet. ganz wichtige Aufgabe erledigt werden, nämlich die Vorbereitung des Klienten auf die
Daraus ergibt sich, dass im Rahmen einer stationären Behandlung Gruppen von fünf Gruppentherapie. Müsste ich einen Aspekt der Gruppentherapie-Forschung und -Pra­
bis acht Teilnehmern die besten Chancen dafür bieten, dass alle Klienten sich aktiv an xis wählen, wo sich in neuerer Zeit Aufregendes ereignet hat und in welchem Bereich
der Gruppenarbeit beteiligen. 57 die Forschung nach meiner Meinung für die Praxis am wichtigsten ist, würde ich den
Mehrere Studien über nicht therapeutische Gruppen deuten darauf hin, dass sich Bereich der Vorbereitung des Klienten auf die Gruppentherapie nennen. Es gibt äußerst
die Gruppenmitglieder mit zunehmender Gruppengröße in zunehmendem Maße ent­ überzeugende Beweise dafür, dass die Vorbereitung aufdie Gruppe vor Beginn der Grup­
rechtet fühlen und deshalb Cliquen und störende Teilgruppen bilden.58 Außerdem sind pensitzungen den Verlauf einer Gruppentherapie fördert. Gruppenleiter müssen wäh­
mit zunehmender Größe nur noch die besonders energischen und aggressiven Mitglie­ rend dieser Vorbereitung mehrere spezifische Ziele verfolgen:
der in der Lage, ihre Ideen oder Fähigkeiten zum Ausdruck zu bringen.59 Ein Vergleich
zwischen Problemlösungsgruppen mit zwölf und mit fünf Mitgliedern zeigt, dass die • falsche Vorstellungen sowie unrealistische Befürchtungen und Erwartungen müs­
Mitglieder der größeren Gruppen unzufriedener sind und weniger Obereinstimmung sen richtiggestellt werden;
zeigen.60 • Probleme, die in der Gruppentherapie auftauchen werden, müssen angesprochen
werden, um ihre Wirkung zu verringern;
• die Klienten müssen durch eine kognitive Struktur gestärkt werden, die es ihnen er­
Vorbereit u ng a uf d i e G r u ppentherapie
möglicht, effektiv an der Gruppe teilzunehmen;
Ob Klienten vor einer Gruppentherapie Einzelsitzungen erhalten sollten, wird in der • realistische und positive Erwartungen hinsichtlich der Gruppentherapie müssen
klinischen Praxis sehr unterschiedlich gehandhabt. Einige Therapeuten kommen nach generiert werden.
ein- oder zweimaligen Auswahluntersuchungen mit ihren Klienten nicht mehr zu Ein­
zelsitzungen zusammen. Andere führen so lange Einzelsitzungen durch, bis ein Klient Falsche Vorstellungen über die Gruppentherapie
in eine Gruppe eintritt. Wenn es mehrere Wochen erfordert, genügend geeignete Mit­ Gewisse falsche Vorstellungen und Befürchtungen in Bezug auf die Gruppentherapie
glieder zu versammeln, tut der Therapeut gut daran, mit allen bereits Ausgewählten treten so regelmäßig auf, dass man ihr Vorhandensein mit einiger Sicherheit als gege­
hin und wieder Einzelsitzungen zu vereinbaren, um zu verhindern, dass die Betref­ ben annehmen kann - wenn der Klient sie nicht selbst erwähnt, sollte der Therapeut
fenden schon vor Beginn der eigentlichen Arbeit das Interesse wieder verlieren. Selbst auf sie als potenzielle Probleme hinweisen. Trotz der vorliegenden überzeugenden Be­
in Zusammenhängen, in denen viele adäquate Empfehlungen zur Gruppentherapie weise für die Wirksamkeit der Gruppentherapie halten viele Menschen diese immer
vorliegen, ist es wichtig, die Bereitschaft der Klienten, sich zu engagieren, und ihr In­ noch für zweite Wahl. Viele Klienten glauben, eine Gruppentherapie sei vor allem eine
teresse zu pflegen. Eine Möglichkeit, dies zu tun, besteht in der Festlegung eines kon ° »billige Therapie« - eine Alternative für Menschen, die sich eine Einzeltherapie nicht
kreten Termins für den Beginn der Gruppenarbeit und in der anschließenden ent­ leisten könnten, oder eine Möglichkeit für Krankenversicherungssysteme, ihren Profit
schlossenen Fokussierung auf die Auswahl und Beurteilung potenzieller Gruppenmit­ zu steigern. Andere verstehen eine Gruppentherapie als eine verwässerte Therapieform,
glieder. Ein Gruppenleiter muss in der Regel etwa 20 bis 25 Stunden in die Zusammen­ weil jedes Gruppenmitglied jede Woche nur zwölf Minuten der Zeit des Therapeuten
stellung einer Gruppe investieren. für sich in Anspruch nehmen kann. Wieder andere glauben, Gruppentherapie würde
Manche Therapeuten ziehen es vor, den Klienten zunächst mehrmals in Einzel­ es nur deshalb geben, weil sie ermöglichten, eine Klientenzahl unterzubringen, die weit
sitzungen zu sehen, um eine Beziehung aufzubauen, die dann dazu beitragen mag, dass über die Zahl der betreuenden Therapeuten hinausgeht.

330 331
Wir werden uns nun mit einigen Überblicksstudien beschäftigen, die sich mit ver­ negativ einschätzten.64 Ein Mangel an persönlicher Erfahrung mit der Gruppenthera­
breiteten überzeugungen bezüglich Gruppentherapien befassen. Eine Studie, die mit pie ist sicherlich zum Teil für diese negative Einschätzung verantwortlich, doch deutet
206 College-Studenten durchgeführt wurde, die wegen einer psychologischen Bera­ die Stärke des Widerstandes gegen die Behebung dieses Mangels darauf hin, dass die
tung vorgesprochen hatten, und eine vergleichbar große Zahl von Psychologiestuden­ generell gegen Gruppenarbeit gerichteten Einstellungen tief verwurzelt und
ten identifizierten drei verbreitete falsche Vorstellungen: möglicherweise sogar unbewusst sein könnten.
Außer mit falschen Wertvorstellungen sind die Klienten gewöhnlich mit falschen
1 . Gruppentherapie sei nicht kalkulierbar oder bewirke fehlende persönliche Kontrol­ Vorstellungen über das Verfahren und unrealistischen interpersonalen Ängsten be­
le - z. B. erzwungene Offenbarungen in der Gruppe. lastet. Viele davon kommen in dem folgenden Traum zum Ausdruck, den eine Klientin
2. Gruppentherapie sei nicht so wirkungsvoll wie Einzeltherapie, weil Wirksamkeit bei der zweiten Einzelsitzung vor Beginn ihrer ersten Gruppentherapie berichtete:
proportional zur vom Therapeuten erhaltenen Aufmerksamkeit sei.
3. In einer Gruppe mit vielen anderen zu sein, die unter merklichen emotionalen Stö- Ich träu mte, jedes Gru ppen m itglied sollte Kekse zur Sitzung m itbringen. Ich ging m it
rungen leiden, sei an sich schon schädlich.61 meiner Mutter, u m d i e Kekse einzuka ufen, die ich zu der Sitz u ng m itnehmen wollte.
Die E ntscheidung, welche Art von Keksen geeignet wä re, fiel uns sehr schwer. I nzwi­
Im Rahmen einer Studie des britischen National Health Service, an der 69 mäßig stark schen bemerkte ich, dass ich zu der Sitzung viel zu spät kommen würde, und ich beka m
gestresste Klienten teilnahmen, die sich therapeutisch behandeln lassen wollten, erklär­ deswegen große Angst. Wir entschieden u n s sch ließlich fü r irgendwelche Kekse und
ten mehr als 50 Prozent der Teilnehmer, sie würden selbst dann nicht an einer Grup­ machten u ns auf den Weg z u r Sitzu ng. Ich fragte nach dem Ra um, wo d ie Gruppe sich
pentherapie teilnehmen, wenn keine andere Behandlung möglich sei. Zu den Einwän­ treffen sollte, und man sagte mir, die Sitzung finde in Zimmer 129A statt. Ich ging einen
den, die sie vortrugen, zählten die Angst, sich lächerlich zu machen und sich dann zu la ngen Flur auf und ab, in dem die Rä ume nicht fortlaufend n u m meriert waren und in
schämen, die nicht gewährleistete Vertraulichkeit und die Angst davor, der eigene Zu­ dem ich kei nen Raum m it der Bezeic h n u ng »A« finden konnte. Ich entdeckte sch ließ­
stand könnte sich durch irgendeine Form von Ansteckung sogar noch verschlechtern. lich, dass 129A h i nter einem anderen Ra u m lag, u nd ging h inein. Auf der Suche nach
Welche Gründe gibt es für diese starke Ablehnung der therapeutischen Arbeit in Grup­ dem Zim mer waren mir viele Menschen a u s meiner Verga ngenheit begegnet, viele
pen? Für viele Klienten, die sich in eine Therapie begeben, sind Probleme mit ihrer Sch u l kameraden und viele Leute, die ich seit e i n igen Ja hren ka n nte. Die Gru ppe war
Peergroup, ihrer sozialen Gruppe oder ihrer Familie das zentrale Problem. Deshalb sehr groß, und etwa 40 oder 50 Leute drängten sich i n dem Ra um. U nter den Gruppen­
bringen sie Gruppen generell Misstrauen entgegen, und sie sehen die Situation der m itgliedern waren auch Fa m i l ienangehörige von mir - genauer, zwei meiner Brüder.
Einzeltherapie als eine geschützte, sichere und vertraute Zone an. Dies gilt insbeson­ Jedes Gruppen mitglied musste sich vor eine große Zuhörerschaft h instellen und sagen,
dere für diejenigen, die vorher noch keine Erfahrungen mit einer Therapie gemacht was es für Schwierigkeiten hatte und warum es da war. Das Zuspätkommen u nd die
haben. 62 Anwesenheit so vieler Leute wa ren sehr be u n r u h igend u n d der ga nze Tra u m sehr
Generell sind Darstellungen gruppentherapeutischer Arbeit in den Medien und in furchteintlößend.
Romanen sehr unzutreffend, und oft werden Therapiegruppen darin auf spöttische,
lächerlich machende Weise dargestellt.' Auch Reality-TV-Shows könnten hier eine Rol­ In diesem Traum kommen mehrere Themen deutlich zum Ausdruck. Die Klientin sah
le spielen. Sie wenden sich an unsere unbewussten Ängste, wir könnten von unserer der ersten Gruppensitzung mit beträchtlicher Furcht entgegen. Ihre Angst, zu spät zu
Gruppe bloßgestellt und ausgestoßen werden, weil wir als unzulänglich angesehen kommen, spiegelte die Befürchtung, von der Gruppe ausgeschlossen oder abgelehnt zu
oder für das »schwächste Glied« in der Kette gehalten werden. 63 Wie solche falschen werden. Da sie außerdem in eine Gruppe hineinkommen sollte, die bereits seit mehre­
Vorstellungen und Besorgnisse auch entstanden sein mögen, ihnen muss in jedem Fall ren Wochen bestand, fürchtete sie, dass die anderen schon zu weit fortgeschritten seien,
entgegengetreten werden; andernfalls könnten diese starken negativen Erwartungen dass sie zurückbleiben würde, dass sie nie den Anschluss finden würde. (Sie konnte kei­
ein erfolgreiches Resultat einer Gruppentherapie unwahrscheinlich machen. 71 nen Raum mit der Bezeichnung »A« finden.) Sie träumte, die Gruppe bestehe aus 40
Ungünstige Erwartungen dieser Art sind keineswegs nur in der breiten Öffentlich­ oder 50 Personen. Sorgen in Bezug auf die Gruppengröße sind weitverbreitet; die Kli­
keit oder bei Klienten zu finden. Eine Studie, an der Assistenzärzte für Psychiatrie teil­ enten fürchten, ihre einzigartige Individualität werde verlorengehen, wenn sie einer
nahmen, ergab, dass die Betreffenden die Wirksamkeit einer Gruppentherapie ähnlich unter vielen würden. Außerdem wenden die Klienten fälschlicherweise das Modell von
der wirtschaftlichen Verteilung von Gütern auf die gruppentherapeutische Erfahrung
an, wobei sie annehmen, dass die Anzahl der Personen jeweils zu der Gütermenge, die
* Deshalb entschloss ich mich, einen Roman über eine Gruppentherapie zu schreiben (Die Schopenhau­
er- Kur, Berlin: btb-Verlag 2005), in dem ich mich um eine ehrliche Darstellung einer aktiven Thera­ jeder Einzelne bekommt, umgekehrt proportional ist.
piegruppe bemühe. Das Traumbild, in dem jedes Mitglied vor der Gruppe Probleme bekennt, spiegelt

332 333
eine der grundlegenden und alles durchdringenden Ängste von Menschen, die in eine Gruppentherapie führen, wenn man ihnen nicht Einhalt gebietet, können durch eine
Therapiegruppe eintreten: die Furcht, sich ganz offenbaren zu müssen und vor einer angemessene Vorbereitung des Kandidaten gemildert werden. Bevor ich ein Vorberei­
fremden Zuhörerschaft beschämende Übertretungen und Fantasien eingestehen zu tungsverfahren skizziere, möchte ich vier Probleme betrachten, denen man allgemein
müssen. Andere Fragen der Gruppen-Kandidaten offenbaren die Erwartung, man habe am Anfang der Gruppenarbeit begegnet und die man durch die Vorbereitung vor Be­
von den anderen Mitgliedern eine kritische, verächtliche, spöttische oder demütigende ginn der Therapie vermindern kann.
Reaktion zu gewärtigen. Das Erlebnis wird als ein apokalyptisches Gerichtsverfahren
vor einem strengen, mitleidlosen Gerichtshof fantasiert. Der Traum weist auch darauf Häufig vorkommende Probleme in Gruppen
hin, dass die Befürchtungen vor Beginn der Gruppe zu einem Wiederaufleben von 1. Eine wichtige Ursache für Verwirrung und Entmutigung der Klienten am Beginn
Ängsten führte, die mit einer Reihe früher Gruppenerlebnisse im Leben der Klientin der Therapie ist eine wahrgenommene Unvereinbarkeit der Zielvorstellungen. Die
verknüpft waren, darunter solchen aus Schule, Familie und Spielgruppen. Es ist, als Klienten können oft die Übereinstimmung zwischen Gruppenzielen (z.B. Grup­
würde ihr ganzes Sozialgeflecht - alle wichtigen Leute und Gruppen, mit denen sie in penintegrität, Schaffung einer Atmosphäre des Vertrauens und Konzentration auf
ihrem Leben zu tun hatte - in dieser Gruppe gegenwärtig werden. (In gewissem Sinne interaktionelle Konfrontation) und ihren eigenen Zielen (Befreiung von Leiden)
trifft dies zu: In dem Maß, in dem die Klientin durch ihre Erlebnisse mit diesen Grup­ nicht erkennen. Sie fragen sich, was für einen Bezug die Erörterung ihrer persön­
pen und Einzelnen geformt worden ist, in dem sie diese internalisiert hat, bringt sie sie lichen Reaktionen auf andere Mitglieder zu ihren Symptomen von Angst, Depres­
in die Gruppe mit, da sie Teil ihrer Charakterstruktur geworden sind; außerdem er­ sion, Phobien, Impotenz oder Schlaflosigkeit hat.
schafft sie durch parataktische Verzerrungen in der Therapiegruppe ihre wichtigen Be­ 2. Häufiger Mitgliederwechsel, der zu Beginn der Arbeit eines der Haupthindernisse
ziehungen aus Kindheit und Jugend neu.) für die Entwicklung der Gruppe ist. Schon von den ersten Kontakten mit dem Kli­
Aus der Anspielung auf Zimmer 129 (ein früheres Klassenzimmer) wird klar, dass enten an sollte der Therapeut einem unregelmäßigen Erscheinen bei den Sitzungen
die Klientin ihr bevorstehendes Gruppenerlebnis mit einer Zeit in ihrem Leben asso­ und einem vorzeitigen Ausscheiden entgegenarbeiten. Diese Frage ist dringlicher
ziiert, in der es kaum Wichtigeres gab als das Angenommenwerden und die Billigung als in der Einzeltherapie, in der Abwesenheit und Zuspätkommen mit Gewinn un­
durch eine Gruppe Gleichgestellter. Vom Therapeuten erwartete sie, er werde wie ihre tersucht und durchgearbeitet werden können. In der Anfangsphase der Gruppen­
früheren Lehrer ein distanzierter, liebloser Bewerter sein. arbeit wirkt unregelmäßiges Erscheinen demoralisierend und kann zum Auseinan­
Eng verwandt mit der Angst vor erzwungenen Geständnissen ist die Sorge um die derfallen der Gruppe führen.
Vertraulichkeit. Die Klientin befürchtete, es werde keine Gruppengrenzen geben; jede 3. Anders als die Einzeltherapie bietet die Gruppentherapie oft keinen sofortigen Trost.
von ihr preisgegebene Intimität werde allen wichtigen Personen in ihrem Leben be­ Die Klienten sind vielleicht frustriert, weil sie in den ersten Sitzungen nicht genug
kannt werden. Andere, in diesem Traum nicht auftauchende Ängste, die häufig von »Sendezeit« haben, oder ihre Angst wird noch gesteigert durch die Angst vor der
eine Gruppentherapie beginnenden Klienten geäußert werden, sind die vor psychi­ Aufforderung zu direkter interpersonaler Interaktion. Der Therapeut sollte diese
scher »Infektion«, die Furcht, durch den Kontakt mit anderen Gruppenmitgliedern Frustration und diese Angst bei der Vorbereitung antizipieren und über sie spre­
noch kränker zu werden. Oft, wenn auch nicht immer, ist dies eine Eigenart von Kli­ chen. Dies kann insbesondere für Klienten schwierig sein, die eine Einzeltherapie
enten mit instabilen Ichgrenzen, denen es an einem verlässlichen Selbstempfinden als narzisstisch befriedigend empfunden haben.
mangelt. 4. Die Bildung von Untergruppen und sozialen Kontakten zu anderen Gruppenmitglie­
Die Angst davor, in einer unstrukturierten Gruppe zu regredieren und sich dem dern außerhalb der Gruppensitzungen könnte man als die Achillesferse der Grup­
Drang, mit anderen zu verschmelzen, nicht widersetzen zu können, kann als unerträg­ pentherapie bezeichnen. Dies ist ein Problem, das in jedem Stadium der Gruppen­
lich empfunden werden. Zum Teil spiegelt diese Angst die Selbstverachtung der Klien­ entwicklung auftreten kann und das in Kapitel 12 ausführlich behandelt wird. Im
ten wider, die ihre eigenen Gefühle der Wertlosigkeit auf andere projizieren. Eine der­ Augenblick genügt der Hinweis, dass der Therapeut schon bei seinen ersten Kon­
artige Dynamik liegt der häufig gestellten Frage zugrunde: »Wie können Blinde Blinde takten mit den Klienten anfangen kann, die Gruppennormen im Hinblick auf die
führen?« überzeugt, dass sie selbst nichts von Wert anzubieten hätten, was der Mühe Vermeidung von Untergruppen zu formen.
wert wäre, halten sie es für unmöglich, von ihresgleichen profitieren zu können. Ande­
re haben Angst vor ihrer eigenen Feindseligkeit. Wenn sie ihren Zorn jemals herauslas­ Ein System zur Vorbereitung auf die Gruppenarbeit
sen, fürchten sie, wird er sie selbst und andere verschlingen. Die Vorstellung von einer Es gibt viele Methoden, Klienten auf die Gruppentherapie vorzubereiten. Die einfachs­
Gruppe, wo Wut frei zum Ausdruck kommt, erregt ihr Entsetzen, da sie insgeheim te und in der gehetzten Welt der alltäglichen klinischen Praxis am leichtesten durch­
denken: »Wenn andere wüssten, was ich wirklich von ihnen denke.« führbare besteht darin, dass man in den Gesprächen vor Beginn der Gruppenarbeit
All diese unrealistischen Erwartungen, die zu einer Ablehnung oder Vereitelung der dem Klienten gründlich und systematisch die Informationen gibt, die notwendig sind,

334 335
um einen optimalen Eintritt in die Gruppe zu ermöglichen. Ich achte darauf, mir ge­ 1. Zuerst gebe ich den Klienten eine kurze Erklärung der interpersonalen psycholo­
nug Zeit für diese Darstellung zu nehmen. Ich versuche, den Klienten mindestens zwei­ gischen Theorie; ich beginne mit der Feststellung, dass zwar jeder seine Probleme
mal zu sehen, bevor ich ihn in die Gruppe einführe. Aber selbst wenn ich einen Kli­ anders manifestiere, dass aber alle, die in der Psychotherapie Hilfe suchen, mit einer
enten nur einmal sehe, nehme ich mir mindestens die Hälfte der Gesprächszeit, um entscheidenden Gemeinsamkeit Schwierigkeiten haben, nämlich damit, enge und be­
über alle oben angeführten falschen Vorstellungen und anfänglichen Probleme in der friedigende Beziehungen zu anderen herzustellen und aufrechtzuerhalten. Ich erinne­
Gruppentherapie zu sprechen. re die Klienten daran, wie oft sie in ihrem Leben zweifellos schon gewünscht haben,
Falsche Vorstellungen sollten eingehend untersucht und durch genaue und umfas­ eine Beziehung zu klären, in ihren positiven und negativen Gefühlen gegenüber
sende Erörterung jedes einzelnen Punktes richtiggestellt werden. Ich teile meinen Kli­ einem anderen wirklich ehrlich zu sein und eine gleichermaßen ehrliche Antwort
enten meine Voraussage bezüglich der zu Beginn der Therapie auftauchenden Proble­ zu bekommen. Die allgemeine Struktur der Gesellschaft erlaube aber nicht oft eine
me mit und gebe ihnen ein begriffliches Bezugssystem sowie klare Leitlinien für sinn­ völlig offene Kommunikation; Gefühle würden verletzt; Beziehungen zerbrächen;
volles Gruppenverhalten an die Hand. Die Vorbereitung jedes Klienten muss auf seine Missverständnisse entstünden; und schließlich höre die Kommunikation ganz auf.
in dem Gespräch geäußerten Beschwerden, Fragen und Besorgnisse sowie auf den 2. Ich beschreibe die Therapiegruppe in einfacher, klarer Sprache als ein soziales La­
Grad seiner Aufgeklärtheit über den Therapieprozess abgestimmt werden. Zwei Situa­ boratorium, in dem eine derartige ehrliche interpersonale Auslotung unter den
tionen bedürfen der besonderen Aufmerksamkeit des Therapeuten: die des Thera­ Mitgliedern nicht nur erlaubt sei, sondern gefördert werde. Wenn Menschen bei ih­
pieneulings und die des Klienten mit kulturübergreifenden Problemen. Ein Klient, der ren Methoden, Beziehungen zu anderen zu knüpfen, Konflikte hätten, dann könne
noch nie an irgendeiner Form von Therapie teilgenommen hat, kann eine Gruppen­ ihnen eine soziale Situation, in der zu ehrlichem interpersonalem Austausch ermu­
therapie als besonders belastend empfinden und benötigt deshalb eine über das nor­ tigt werde, die besondere Gelegenheit geben, viele wichtige Dinge über sich selbst
male Maß hinausgehende individuelle Vorbereitung auf die Gruppenarbeit. 71 Klienten zu erfahren. Ich betone, dass die direkte Arbeit an ihren Beziehungen zu anderen
aus anderen Kulturen fühlen sich durch die für sie ungewohnte Nähe in einer Gruppe Gruppenmitgliedern nicht leicht, möglicherweise sogar sehr belastend, aber sehr
in besonderem Maße bedroht. Die Vorbereitungssitzungen auf die Gruppenarbeit ge­ wichtig sei, denn wenn es ihnen gelinge, ihre Beziehungen zu anderen Gruppenmit­
ben dem Therapeuten die Möglichkeit, die Wirkung der Kultur des betreffenden Kli­ gliedern völlig zu verstehen und durchzuarbeiten, ergäben sich dadurch enorme Mög­
enten auf seine Einstellungen, seine Überzeugungen und seine Identität zu untersu­ lichkeiten, das so Gelernte auf ihr Alltagsleben zu übertragen. Sie würden dann Wege
chen und seine Bereitschaft zu demonstrieren, in die Welt des Klienten einzutreten.65 finden, lohnendere Beziehungen zu wichtigen Menschen in ihrem augenblicklichen
Ich habe festgestellt, dass ein Vorbereitungsgespräch mit den folgenden Zielen recht Leben sowie zu Menschen, die ihnen noch begegnen würden, aufzubauen.
wertvoll ist: 3. Ich rate den Klienten, sie könnten sich selbst am meisten helfen, indem sie ihre Ge­
fühle in der Gruppe sofort ehrlich und direkt äußerten, insbesondere ihre Gefühle
1. Gewinnen Sie den Klienten als informierten Verbündeten. Geben Sie ihm eine kon­ gegenüber den anderen Gruppenmitgliedern und den Therapeuten. Diesen Punkt
zeptuelle Vorstellung von der zwischenmenschlichen Grundlage der Pathologie und unterstreiche ich mehrmals und bezeichne ihn als den Kern der Gruppentherapie.
davon, wie eine Therapie funktioniert. Ich sage den Klienten, sie könnten, wenn sie einmal zur Gruppe Vertrauen gefasst
2. Beschreiben Sie, wie die Therapiegruppe interpersonale Probleme angeht und hätten, intime Aspekte ihrer selbst offenbaren, die Gruppe sei aber kein Zwangs­
korrigiert. beichtstuhl, und die Menschen bräuchten unterschiedlich lange, um Vertrauen zu
3. Bieten Sie Richtlinien an, wie der Klient sich am besten an der Gruppe beteiligt, wie entwickeln und sich zu offenbaren. Ich betone, dass die Gruppe die Möglichkeit er­
er die Nützlichkeit der Gruppentherapie für sich maximieren kann. öffnet, Risiken einzugehen, und ich fordere die Gruppenmitglieder auf, im Rahmen
4. Sagen Sie die Frustrationen und Enttäuschungen der Gruppentherapie, besonders der Gruppe neue Verhaltensweisen auszuprobieren.
der Anfangssitzungen, voraus. 4. Ich sage bestimmte Hindernisse voraus und warne die Klienten, es werde sie in den
5. Bieten Sie Richtlinien über die Therapiedauer an. Schließen Sie einen Vertrag über ersten Sitzungen vielleicht ein Gefühl der Verwirrung und der Entmutigung erfas­
die Teilnahme an der Gruppe. sen. Es werde manchmal nicht erkennbar sein, wie die Bearbeitung von Gruppen­
6. Flößen Sie dem Klienten Vertrauen in die Gruppentherapie ein; wecken Sie Er­ problemen und Beziehungen innerhalb der Gruppe zur Lösung der Schwierigkeiten
wartungen bezüglich ihrer Wirksamkeit. beitragen könne, die sie in die Therapie geführt hätten. Ich betone aber, dass diese
7. Stellen Sie Grundregeln bezüglich Vertraulichkeit und Untergruppenbildung auf. Verwirrung im typischen Therapieprozess zu erwarten sei. Ich sage ihnen, viele Kli­
enten fänden es zu Anfang peinlich und schwierig, sich zu offenbaren oder positive
Nun werde ich auf diese Punkte der Reihe nach ausführlicher eingehen. und negative Gefühle direkt zu äußern. Ich spreche über die Tendenz mancher
Menschen, sich emotional zurückzuziehen, ihre Gefühle zu verbergen, andere für

336 337
sie Gefühle ausdrücken zu lassen und mit anderen »Verheimlichungsbündnisse« zu ren zu teilen. Vertraulichkeit, sage ich den Klienten, sei in der Gruppentherapie
schließen. Ich sage den Klienten voraus, dass sich bei ihnen wahrscheinlich Gefühle ebenso wesentlich wie bei jeder anderen Beziehung zwischen Arzt und Klient. Da­
der Frustration oder des Ärgers über den Therapeuten entwickeln und sie Antwor­ mit sich die Mitglieder frei fühlen können, müssen sie darauf vertrauen, dass ihre
ten von ihm erwarten werden, die er ihnen nicht geben kann. Hilfe werde ihnen oft Äußerungen innerhalb der Gruppe bleiben. Ich kann mich aus meiner Erfahrung
von anderen Klienten zuteil, wenn es ihnen auch schwerfalle, das zu akzeptieren. mit der Gruppentherapie kaum an einen einzigen ernstlichen Vertrauensbruch er­
5. Klienten, die vor dem Eintritt in eine Psychotherapiegruppe mit offenem Ende ste­ innern und kann deshalb die Klienten aus innerster Überzeugung beruhigen.'68
hen, erkläre ich, dass die Ziele der Gruppentherapie sehr ehrgeizig sind; sie wolle
Verhaltensweisen und Einstellungen verändern, die in vielen Jahren entstanden Es ist sehr wichtig, das Vertrauen des Klienten auf den diskreten Umgang mit Informa­
seien, erkläre ich weiter. Die Behandlung sei daher ein sukzessiver Prozess und dau­ tionen über sie nicht zu zerstören. Andererseits informiere ich die Klienten (im Sinne
ere lange. Monatelang werde es keine wesentlichen Veränderungen geben, und min­ der informierten Einwilligung in die Behandlung) über meine berufliche Pflicht, be­
destens ein Jahr Behandlung werde erforderlich sein. Ich bitte die Klienten ein­ stimmte Straftaten den zuständigen Behörden zu melden.69 In praktisch jedem Staat
dringlich, in der Gruppe zu bleiben und nicht der Neigung nachzugeben, die The­ muss der Therapeut die zuständigen Behörden informieren, wenn die Handlungen des
rapie abzubrechen. Ich sage, es sei fast unmöglich, während der ersten zwölf Sit­ Klienten für ihn selbst oder für andere Menschen schädlich sind oder in unmittelbarer
zungen zu beurteilen, welchen Nutzen die Gruppe am Ende haben werde. Ich for­ Zukunft sein werden. Manchmal erkundigen sich Gruppenmitglieder, ob sie über Din­
dere die Klienten auf, ihr Urteil aufzuschieben, sich für mindestens zwölf Sitzungen ge, die in der Gruppentherapie besprochen wurden, mit ihren Ehepartnern oder einer
zu verpflichten, bevor sie auch nur zu beurteilen versuchten, ob ihnen die Gruppe anderen Vertrauensperson sprechen dürfen. Ich rate ihnen dann, nur über das zu spre­
am Ende einen Nutzen bringen werde. Klienten, die mit einer kürzeren Gruppen­ chen, was sie selbst erlebt haben; hingegen sollten sie die Erlebnisse anderer Mitglieder
therapie beginnen, sage ich, dass die Gruppe ihnen eine besondere Chance bietet, und deren Namen streng vertraulich behandeln.
einen Teil einer wichtigen Arbeit zu erledigen, die sie später aufgreifen und zu Ende Abgesehen von den Grundregeln der Ehrlichkeit und Vertraulichkeit bringe ich
führen können. Jede Sitzung ist kostbar, und es liegt in ihrem Interesse und im In­ auch das Thema der Kontakte zwischen Gruppenmitgliedern außerhalb der Sitzungen
teresse der übrigen Gruppenmitglieder, an jeder der begrenzten Zahl von Sitzungen zur Sprache, die in der einen oder anderen Form in jeder Gruppentherapie vorkom­
teilzunehmen. men. Man sollte zwei besonders wichtige Punkte betonen:
6. Es ist sehr wichtig, dass der Therapeut Erwartungen weckt, den Glauben an die
Wirkung der Gruppentherapie stärkt und die falsche Vorstellung ausräumt, Grup­ 1. Die Gruppe bietet eine Gelegenheit, etwas über die eigenen Probleme in sozialen
pentherapie sei eine zweitklassige Therapie. Durch Studien ist belegt, dass Klienten, Beziehungen zu erfahren; sie ist keine gesellige Versammlung, die es erleichtert,
die mit der Erwartung in eine Therapie gehen, diese werde erfolgreich verlaufen, Freundschaften zu schließen. Im Gegenteil verliert die Gruppe ihre therapeutische
sich in der Therapie mehr Mühe geben, eine stärkere therapeutische Allianz ent­ Wirksamkeit, wenn sie als Möglichkeit, Freunde zu finden, genutzt wird. Mit ande­
wickeln und mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit einen Erfolg ernten.66 Diese ren Worten: Die Therapiegruppe lehrt Klienten, wie sie vertraute langfristige Bezie­
Wirkung der Erwartung von Klienten vor Beginn der Therapie ist sogar noch stär­ hungen aufbauen können, aber sie bietet ihnen keine solchen Beziehungen. Sie ist
ker bei weniger stark strukturierten Therapien, die bei den Klienten stärkere Ängs­ eine Brücke, nicht das Ziel. Sie ist nicht das Leben, sondern eine Generalprobe für
te und Unsicherheitsgefühle erzeugen können.67 Deshalb beziehe ich in meine Vor­ das Leben.
bereitungssitzung eine kurze Beschreibung der Geschichte und Entwicklung der 2. Wenn Gruppenmitglieder jedoch absichtlich oder zufällig außerhalb der Gruppe
Gruppentherapie ein. Deshalb beziehe ich in meine Vorbereitung eine kurze Be­ zusammentreffen, ist es ihre Verantwortung, über wichtige Aspekte dieses Zusam­
schreibung der Geschichte und Entwicklung der Gruppentherapie ein: beginnend mentreffens innerhalb der Gruppe zu sprechen.
mit ihrer Rolle im Zweiten Weltkrieg, als man sie wegen ihrer Wirtschaftlichkeit
schätzte (sie ermöglichte es Psychotherapeuten, eine größere Zahl von Klienten zu Insbesondere ist es völlig nutzlos, wenn der Therapeut versucht, Treffen zwischen
erreichen), bis hin zu ihrer heutigen Bedeutung für die klinische Arbeit, wo sie ein­ Gruppenmitgliedern außerhalb der Gruppensitzungen zu unterbinden, oder wenn er
deutig etwas Einzigartiges zu bieten hat und oft die am besten geeignete Behand­ irgendwelche Konsequenzen für bestimmte Verhaltensweisen androht. Fast ausnahms-
lungsmethode ist. Ich erkläre den Klienten, aus Psychotherapie-Ergebnisstudien
gehe hervor, dass die Gruppentherapie ebenso wirksam ist wie jede Art von Einzel­ • Die Grenzen der Vertraulichkeit in der Gruppentherapie sind ein Bereich, der in der Fachliteratur
therapie. noch nicht gründlich erforscht worden ist; allerdings tauchen gelegentlich Berichte darüber auf, dass
andere Gruppenmitglieder als Zeugen in Straf- oder Zivilprozessen vorgeladen werden. Eine Frage­
7. Es gibt ein paar Grundregeln. Nichts ist wichtiger als Beobachtungen und Gefühle, bogenuntersuchung, an der 100 erfahrene Gruppentherapeuten teilnahmen, gelangt zu dem Resultat,
sich selbst und andere Mitglieder in der Gruppe betreffend, ehrlich mit den ande- dass über die Hälfte der Respondenten einen geringfügigen Vertrauensbruch erlebt hatte.

338 339
los nehmen Mitglieder im Verlauf der Gruppentherapie gruppenexterne soziale Kon­ Obwohl dieses Gespräch auf eine längerfristige interaktionsorientierte Gruppe aus­
takte miteinander auf, und wenn es verboten ist, widerstrebt es ihnen vielleicht, dies in gerichtet ist, können die grundlegenden Merkmale an jede andere Art der Gruppenthe­
der Gruppe zuzugeben. Wie ich im nächsten Kapitel näher ausführen will, sind grup­ rapie angepasst werden. Für eine Kurzzeittherapiegruppe oder für Gruppen, die sich
penexterne Beziehungen nicht an sich schädlich (tatsächlich können sie für den thera­ auf andere therapeutische Faktoren stützen - z . B. kognitiv-behaviorale Gruppen -,
peutischen Prozess äußerst wichtig sein); was die Therapie behindert, ist die Mauer des müss�e man die relevanten Einzelheiten der Darstellung verändern, doch jede Thera­
Schweigens, die derartige Zusammenkünfte oft umgibt. piegruppe profitiert von einer Vorbereitung der Klienten,;,, Wenn die klinischen An­
Ein »Du-sollst-nicht« drängt den Klienten lediglich in das Problem des Aufstellens forderungen eine gründliche Vorbereitung ausschließen, dann ist eine kurze Vorberei­
und Brechens von Regeln. Es ist viel wirksamer, wenn man ausführlich erklärt, warum tung besser als gar keine. In Kapitel 15 werde ich eine drei Minuten dauernde Vorbe­
die Bildung von Untergruppen die Therapie stören kann. Ich erkläre deshalb, dass reitung beschreiben, die ich am Anfang einer Gruppe mit stationären Akutpatienten
Freundschaften unter Gruppenmitgliedern diese oft daran hindern, in der Gruppe of­ durchführe.
fen miteinander zu sprechen. Die Mitglieder entwickeln vielleicht ein Gefühl der Loya­
lität in einer Zweierbeziehung und zögern daher, den anderen zu verraten, indem sie Andere Vorbereitungsmethoden
ihre Gespräche in der Gruppe offenlegen. Doch dieses Heimlichtun ist jener Offenheit Manchmal genügt es nicht, einen Klienten in einer einzigen Sitzung vorzubereiten. In
und Aufrichtigkeit entgegengerichtet, die für den Therapieprozess so wesentlich sind. den Interviews vor der Therapie sind die Klienten ängstlich, und oft erinnern sie sich
Ich erinnere die Klienten, dass ihre wichtigste Aufgabe darin besteht, so viel wie möglich nur an erstaunlich wenig vom Inhalt dessen, was der Therapeut ihnen gesagt hat, oder
darüber zu lernen, wie jeder von ihnen zu allen anderen in der Gruppe in Beziehung tritt. sie missverstehen wichtige Punkte. Einige Klienten zum Beispiel, die ich aufgefordert
Alles, was diesen Vorgang behindert, behindert letztlich die Therapie. Manchmal äu­ hatte, zwölf Sitzungen mitzumachen, bevor sie sich entscheiden, hatten mich so ver­
ßern Gruppenmitglieder den Wunsch, dem Gruppenleiter persönlich ein Geheimnis standen, als solle die Gruppentherapie insgesamt zwölf Sitzungen umfassen.
zu offenbaren. Fast immer ist es am besten, ein solches Geheimnis der Gruppe mitzu­ Infolgedessen muss man viele wichtige Details der Vorbereitung sowohl in den Sit­
teilen. Gruppenleiter sollten sich nie im Voraus auf die Geheimhaltung solcher Äuße­ zungen vor Beginn der Therapie als auch während der ersten Gruppensitzungen wie­
rungen festlegen, sondern stattdessen versprechen, ihrem besten klinischen Urteil ge­ derholen und unterstreichen. Für meine Gruppen von ambulanten Klienten, die ein­
mäß Diskretion zu wahren. mal in der Woche zusammenkommen, fertige ich jede Woche eine schriftliche Zusam­
Diese Strategie, den Mitgliedern volle Information über die Wirkungen von Unter­ menfassung an, die ich nach jeder Sitzung allen Gruppenmitgliedern zuschicke (siehe
gruppen zu geben, verschafft dem Therapeuten weit stärkeren Einfluss als die Verkün­ Kapitel 14). Diese Zusammenfassungen sind eine ausgezeichnete Gelegenheit, wichtige
dung eines »Du sollst nicht«. Wenn Klienten dann heimlich Untergruppen bilden, Teile des Vorbereitungsverfahrens schriftlich zu wiederholen. Wenn ein neuer Klient in
braucht man nicht auf das unwirksame, unangebrachte »Warum habt ihr meine Re­ eine bereits arbeitende Gruppe eintritt, bereite ich ihn zusätzlich vor, indem ich ihn
geln gebrochen?« zurückzugreifen, sondern kann sich mitten in den Widerstand hinein­ bitte, die Zusammenfassungen der vorangegangenen sechs Gruppensitzungen durch­
begeben, indem man fragt: »Wie kommt es, dass Sie Ihre eigene Therapie sabotie­ zulesen.
ren?« Viele Therapeuten haben andere Methoden beschrieben, wie man das Vorberei­
tungsverfahren wirksamer machen kann. Manche haben ein anderes Gruppenmitglied
Zusammenfassung eingesetzt, um für ein neues Mitglied als Pate und Vorbereiter zu dienen.70 Andere ha­
Diese kognitive Methode der Vorbereitung auf die Gruppentherapie hat also mehrere ben für den Klienten ein Schriftstück vorbereitet, das er lesen muss, bevor er in eine
Ziele: Sie soll dem Klienten eine rationale Erklärung des Therapieprozesses geben; sie Gruppe eintritt. Der Anhang zu diesem Buch enthält ein Beispiel für einen Text, den
soll beschreiben, was für Verhaltensweisen vom Klienten erwartet werden; es soll ein man Klienten zur Vorbereitung auf den Eintritt in eine Gruppe geben kann. Der Text
Vertrag über die regelmäßige Teilnahme zustande kommen; die Erwartungen bezüg­ weist auf die Bedeutung des Fokussierens auf das Hier und Jetzt hin, auf das Überneh­
lich der Wirkung der Gruppe sollen gesteigert werden; Probleme und Unbehagen in men persönlicher Verantwortung, auf das Vermeiden von Beschuldigungen anderer,
den ersten Sitzungen werden vorhergesagt (und damit verringert). Allem, was der The­ das Vermeiden von an andere gerichtete Empfehlungen und der Förderung von Ab­
rapeut sagt, liegt die Absicht zugrunde, die Gruppentherapie zu entmystifizieren. Der hängigkeit, auf die Bedeutung des Zuhörens in der Gruppe, des Gewahrwerdens so­
Therapeut vermittelt dem Klienten den Eindruck, dass er sein Urteilsvermögen und wohl der eigenen Gefühle als auch der eigenen Gedanken und des Experimentierens
seine Intelligenz respektiert, dass die Therapie eine Sache der Zusammenarbeit ist, dass mit Vertrautheit und neuartigen Verhaltensweisen. Auch auf die Bedeutung des Feed­
der Therapeut ein Fachmann ist, der auf einer rationalen Grundlage arbeitet und be­ backs weisen wir hin und bieten potenziellen Gruppenmitgliedern an, ihnen spezifi­
reit ist, sein Wissen mit dem Klienten zu teilen. Schließlich befähigt eine umfassende sche Anweisungen über das Äußern und Annehmen von Feedback zu vermitteln, bei­
Vorbereitung den Klienten, bewusst zu entscheiden, ob er in eine Therapiegruppe ein­ spielsweise: »Sagen Sie genau, was Sie meinen, geben Sie Ihr Feedback so bald wie
treten will.

340 341
möglich, seien Sie direkt, meiden Sie weder positives noch negatives Feedback, teilen ist im Rahmen der Behandlung von Suchtproblemen entstanden und wurde später er­
Sie mit, was für Gefühle der andere in Ihnen weckt, kümmern Sie sich nicht um das folgreich bei Klienten mit Essstörungen und Sexualtätern angewandt - klinischen Po­
Warum, sondern darum, was Sie sehen und empfinden, bestätigen Sie das Feedback, pulationen, deren Tendenz zum Leugnen und deren Widerstand gegen Veränderung
gebrauchen Sie keine Ausreden, bitten Sie um Klarstellung, denken Sie über das Feed­ wohlbekannt sind. 78
back nach, hüten Sie sich davor, in eine Abwehrstellung zu geraten. <<71 Für die Zukunft dürfen wir erwarten, dass mithilfe der interaktionellen Computer­
Andere Vorbereitungstechniken greifen auf das Anhören oder das Anschauen einer technologie noch wirkungsvollere Vorbereitungsprogramme geschaffen werden. Doch
Tonband- oder Videoaufnahme von Sitzungen zurück. 71 Aus Gründen der Vertraulich­ auch jetzt schon können die bestehenden Ansätze, einzeln oder kombiniert angewandt,
keit müssen dies professionell produzierte Aufnahmen sein, die der Allgemeinheit zu­ höchsteffektive Vorbereitungsmodi sein; viele Forschungsergebnisse, denen ich mich
gänglich sind, oder Aufnahmen einer simulierten Gruppensitzung, bei denen Klinik­ nun zuwenden werde, bestätigen die allgemeine Wirksamkeit dieser Techniken.
mitarbeiter oder Schauspieler die Rollen von Gruppenmitgliedern spielen. Die ent­
sprechenden Drehbücher können so angelegt sein, dass sie demonstrieren, was in der Forschungsergebnisse
Vorbereitungsphase wichtig ist. In einem kontrollierten Versuch habe ich mit Kollegen die Wirksamkeit einer kurzen
Eine noch wirksamere Art, Klienten vorzubereiten, besteht darin, ihnen ein persön­ kognitiven Vorbereitungssitzung untersucht.79 Von 60 Klienten, die auf eine Gruppen­
liches Training in dem erwünschten Gruppenverhalten zu verschaffen. 71 72 Mehrere therapie warteten, wurde mit der Hälfte eine halbstündige Vorbereitungssitzung
Verfahrensmuster sind beschrieben worden. Beispielsweise wendet ein Team, das sich durchgeführt, während mit der anderen Hälfte ein gleich langes herkömmliches Inter­
auf Kurzzeitgruppentherapien spezialisiert hat, eine zweiteilige Vorbereitungsprozedur view durchgeführt wurde, das in erster Linie der Anamnese diente. Es wurden sechs
an. Zunächst erhält jedes angehende Gruppenmitglied eine Einzelsitzung, um den Fo­ Therapiegruppen organisiert (drei mit vorbereiteten Klienten, drei mit unvorbereite­
kus und die Ziele für die Therapie festzulegen. Anschließend nehmen die Kandidaten ten) und von Therapeuten geleitet, die nichts davon wussten, dass eine experimentelle
an einem erlebensbasierten Workshop von nur einer einzigen Sitzung teil, in der 1 8 bis Manipulation stattgefunden hatte. (Die Therapeuten glaubten, alle Klienten hätten an
20 Klienten eine Anzahl sorgsam ausgewählter strukturierter Interaktionsübungen einer gewöhnlichen Aufnahmesitzung teilgenommen.) Eine Untersuchung der ersten
ausführen, teilweise mit einem Partner, teilweise in Dreiergruppen und teilweise mit zwölf Sitzungen zeigte, dass die vorbereiteten Gruppen mehr Zutrauen zur Therapie
der Gesamtgruppe.73 hatten (was wiederum das Ergebnis positiv beeinflusst) und sich signifikant stärker auf
Im Rahmen einer Studie wurden vier Vorbereitungssitzungen durchgeführt, von interpersonale Interaktion einließen als die nicht vorbereiteten Gruppen und dass die­
denen sich jede auf ein bestimmtes Konzept konzentriert, das im Vorgruppentraining ser Unterschied in der zwölften Sitzung ebenso ausgeprägt war wie in der zweiten.80
eine wichtige Rolle spielt: ( 1 ) die Nutzung des Hier und Jetzt, (2) der Ausdruck von Die Anlage des Versuchs erforderte, dass jeder Klient die gleiche Vorbereitung bekam.
Gefühlen (bzw. das Erlernen desselben) , (3) das Entwickeln einer größeren Bereit­ Die Wirksamkeit hätte vermutlich noch erhöht werden können, wenn die Vorberei­
schaft zur Selbstoffenbarung und ( 4) das Bewusstmachen der Wirkung, die man auf tung gründlicher und auf jeden Klienten individuell abgestimmt gewesen wäre.
andere hat und zu haben wünscht. Die Forscher übergaben den Teilnehmern das Der grundlegende Plan und die Ergebnisse dieses Projekts - eine Stichprobe mit
kognitive Material vor Beginn der Arbeit und entwickelten strukturierte Gruppen­ entsprechender Vorbereitung vor Beginn der Gruppe, die dann während ihrer ersten
übungen, um den Teilnehmern die Möglichkeit zu geben, jedes der Konzepte durch Gruppentherapiesitzungen untersucht wird und bei der sich erweist, dass ihr Thera­
persönliches Erleben kennenzulernen. 74 Im Rahmen anderer Projekte wird die Inter­ pieverlauf besser ist als bei einer Stichprobe, die entweder nicht oder anders vorberei­
aktion in einer Gruppentherapie mithilfe von Rollenspielen simuliert. 75 tet wurde - ist viele Male repliziert worden. Die klinischen Populationen waren dabei
Generell gilt: Je emotional lebendiger und relevanter die Vorbereitung ist, umso unterschiedlich, und bestimmte Arten der Vorbereitung, insbesondere prozess- und
stärker ist ihre Wirkung. Einige Forscher sind der Ansicht, die aktive, erlebensbasierte ergebnisabhängige Variablen, wurden immer weiter verfeinert. Doch die Ergebnisse,
Komponente der Vorbereitungsphase, nicht die kognitive oder passiv-beobachtende, welche die positive Wirkung der Vorbereitung vor Beginn der Gruppenarbeit sowohl
habe die stärkste Wirkung.76 auf die Gruppenprozesse als auch auf die Therapieergebnisse der einzelnen Teilnehmer be­
Ein großer Anteil der zur Zeit stattfindenden Untersuchungen beschäftigt sich mit stätigen, sind in ihrer Zahl eindrucksvoll.8 1 Und nur sehr wenige Studien ließen keine
Motivation und Veränderungsbereitschaft der Klienten:77 Die Konzentration auf die positiven Wirkungen der Vorbereitungsaktivitäten erkennen.82
Motivation als Ziel für Interventionen (statt als Voraussetzung für eine Behandlung) Die Vorbereitung vor Beginn der Gruppenarbeit verbessert die Anteilnahme83 am
Geschehen, die Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstoffenbarung und Selbsterfor­
* Das transtheoretische Modell der Veränderung postuliert, dass Menschen im Veränderungsprozess
schung sowie die Kohäsivität84 der Gruppe, wobei anzumerken ist, dass die vorliegen­
fünf Stadien durchläuft. Eine Therapie ist dann wirksamer, wenn sie dem Stadium der Verän­
derungsbereitschaft des Klienten entspricht. Die Phasen sind die der Präkontemplation, die der den Beweise für eine geringere Zahl von Therapieabbrüchen nicht einheitlich sind.85
Kontemplation, die der Vorbereitung, die der Aktion und die der Erhaltung. Vorbereitete Probanden zeigen mehr Gefühle;86 übernehmen in einer Gruppe mehr

342 343
persönliche Verantwortung;87 offenbaren mehr von sich;88 zeigen eine verstärkte verba­ Ein gewisses Maß an Angst verstärkt die Motivation und steigert die Wachsamkeit,
le, arbeitsorientierte Teilnahme;89 sind bei den anderen Mitgliedern beliebter;90 berich­ doch übermäßige Angst vermindert die Fähigkeit, mit Belastungen fertig zu werden.
ten seltener über Angst;91 sind stärker für Veränderung motiviert;92 lassen eine sig­ White bemerkt in seinem meisterhaften überblick über die Hinweise, die für die Exis­
nifikante Verminderung von Depression erkennen;93 verbessern ihre partnerschaftliche tenz eines Forschungstriebs sprechen, übermäßige Angst und Furcht seien die Feinde
Beziehung und ihre Fähigkeit zur Kommunikation;94 erreichen in der Therapie wahr­ der Erforschung der Umwelt; sie verlangsamten das Lernen und führten zu verminder­
scheinlicher ihre wichtigsten Ziele95 und haben zutreffendere Vorstellungen über den tem forschenden Verhalten in einem Maß, das der Intensität der Angst entspricht. 102 In
Gruppenprozess.96 Untersuchungen haben gezeigt, dass die kognitive Vorbereitung von der Gruppentherapie kann lähmende Angst die Introspektion, die interpersonale Er­
Klienten, die niedrigeren sozioökonomischen Klassen angehören, zu einem stärkeren forschung und das Ausprobieren neuer Verhaltensweisen verhindern, die für den Pro­
Engagement in der Gruppe, zu stärkerer Aktivität und zu einer stärkeren Selbsterfor­ zess der Veränderung so wesentlich sind.
schung führt.97 Selbst notorisch schwer zu aktivierende Populationen wie die Täter fa­ Ein Großteil der von den Klienten am Anfang der Gruppe erlebten Angst kommt
miliärer Gewalt reagieren sehr positiv auf Maßnahmen, die der Verstärkung des Enga­ nicht vom Wesen der Gruppenarbeit selbst, sondern ist unnötig, von außen bestimmt
gements und der Teilnahme dienen.98 und manchmal iatrogen. Diese Angst ist eine natürliche Folge davon, dass ein Mensch
in eine Gruppensituation versetzt wird, in der das von ihm erwartete Verhalten, die
Zusammenfassung Gruppenziele und ihre Relevanz für die eigenen persönlichen Ziele äußerst unklar
Zusammenfassend können wir feststellen, dass sich die Forscher über den Wert von sind. Untersuchungen an Experimentalgruppen zeigen, dass sie, wenn die Gruppenzie­
Vorbereitungssitzungen auf die Gruppenarbeit weitgehend einig sind. Die meisten Un­ le, die Methoden zu ihrer Erlangung und das erwartete Rollenverhalten unklar bleiben,
tersuchungsergebnisse bestätigen die positive Wirkung der Vorbereitung auf die Inter­ weniger kohäsiv und weniger produktiv sind und dass ihre Mitglieder defensiver,
ventionsvariablen; eine unmittelbare Wirkung auf die globalen Behandlungsresultate ängstlicher, frustrierter und eher bereit sind, die Therapie vorzeitig zu beenden.1 03
der Klienten hingegen lässt sich schwieriger nachweisen, weil die Auswirkungen ande­ Eine wirksame Vorbereitung auf die Gruppe vermindert die von außen kommende,
rer wichtiger Therapievariablen die Wirkung der Vorbereitung überlagern.99 durch Ungewissheit entstehende Angst. Indem man die Gruppenziele klärt und das
Zusammenfließen von Gruppenzielen und persönlichen Zielen erklärt, indem man
Warum Klienten auf die Gruppentherapie vorbereitet werden sollten unzweideutige Leitlinien für effektives Verhalten anbietet und dem Klienten eine ge­
Sehen wir uns kurz an, aus welchem Grund eine Vorbereitung auf die Gruppenthera­ naue Formulierung des Gruppenprozesses liefert, vermindert man die Ungewissheit
pie sinnvoll ist. Die ersten Sitzungen einer Therapiegruppe sind heikel und zugleich und die damit verbundene Angst.
entscheidend wichtig: Viele Gruppenmitglieder werden unnötig entmutigt und be­ Eine systematische Vorbereitung auf rue Gruppentherapie bedeutet keineswegs eine
enden die Therapie, und die Gruppe ist noch sehr formbar und reagiert maximal auf rigide Strukturierung der Gruppenerfahrung. Ich trete nicht für einen didaktischen
den Einfluss des Therapeuten - der, wenn er sensibel ist, die Gruppe bei der Aufstel­ oder direktiven Ansatz in der Gruppentherapie ein, sondern schlage im Gegenteil eine
lung von therapeutischen Normen sehr stark beeinflussen kann. Die ersten Sitzungen Technik vor, die die Bildung einer frei interagierenden, autonomen Gruppe fördert.
sind für die Klienten eine Zeit beträchtlicher Angst, sowohl von innen kommender un­ Wenn man langwieriges ritualistisches Verhalten in den Anfangssitzungen abwendet
vermeidlicher Angst als auch von außen kommender unnötiger Angst. und die anfängliche, auf Ungewissheit beruhende Angst vermindert, befähigt man die
Die innere Angst liegt im Wesen der Gruppe begründet. Ein Mensch, der sein Leben Gruppe, sich rasch in die Gruppenarbeit zu stürzen.
lang mit seinen Schwierigkeiten in interpersonalen Beziehungen zu kämpfen gehabt Obwohl manche Gruppentherapeuten eine systematische Vorbereitung für die
hat, steht in einer Therapiegruppe unverändert unter Druck. Die Gruppe fordert nicht Gruppe unterlassen, sieht man bei näherer Betrachtung, dass alle Gruppentherapeuten
nur, dass er versucht, zu anderen Mitgliedern eine tiefgehende Beziehung herzustellen, versuchen, den therapeutischen Prozess und das vom Klienten erwartete Verhalten zu
sondern auch, dass diese Beziehungen mit großer Offenheit besprochen werden. Tat­ klären; Unterschiede zwischen Therapeuten oder Therapierichtungen bestehen gro­
sächlich weisen sowohl die allgemeine klinische Übereinstimmung als auch die Ergeb­ ßenteils in der unterschiedlichen Wahl des Zeitpunkts und des Stils der Vorbereitung.
nisse der Gruppenforschung (wie ich schon in Kapitel 9 berichtet habe) darauf hin, Selbst die am wenigsten direktiven Therapeuten versuchen, durch subtile oder sogar
dass Angst eine wesentliche Bedingung dafür ist, dass Veränderungen in Gang kom­ unterschwellige verbale und nonverbale Verstärkung die Gruppe zu »überreden«, ihre
men. 100 In der Gruppentherapie entsteht rue Angst nicht nur aufgrund interpersonaler Wertvorstellungen darüber anzunehmen, was im Gruppenprozess wichtig ist oder
Konflikte, sondern aus einer Dissonanz, die daher rührt, dass der Betreffende gern in nicht. 104
der Gruppe bleiben möchte, während er sich zur gleichen Zeit von der Gruppenaufga­ Aufgrund bürokratischer Erwägungen ist der Vorbereitung eine weitere Kompo­
be stark bedroht fühlt. Eine beeindruckende Zahl von Forschungsergebnissen zeigt je­ nente hinzugefügt worden: die sogenannte »informierte Einwilligung« (informed con­
doch, dass der anpassungsfordernde Wert der Angst in der Therapie Grenzen hat. 101 sent). Heutige Therapeuten stehen in zunehmendem Maße unter Druck, ihren Klien-

344 345
ten über die möglichen positiven Wirkungen einer Behandlung, über ihre etwaigen
Nebenwirkungen, ihre Kosten und über Alternativen ausreichende Informationen zu
vermitteln (und schriftlich zu dokumentieren und vom Klienten per Unterschrift be­
stätigen zu lassen, dass dies geschehen ist), sodass die Klienten sich aufgrund einer Ka pite l 1 1
gründlichen Vorinformation für ihre Therapie entscheiden können. 105 überdies reicht
es nicht, diese Information in einem einzigen Gespräch zu vermitteln, sondern dies
muss von Zeit zu Zeit wiederholt werden. Sich die »informierte Einwilligung« des Kli­ Z u Begi n n
enten bestätigen zu lassen entwickelt sich zu einer Standardprozedur, die in die Ethik­
richtlinien der American Psychological Association 106 und der American Psychiatrie As­
sociation 107 eingegangen ist. Dieses Verfahren mag als lästig erscheinen, doch wir müs­ Die Arbeit des Gruppentherapeuten beginnt lange vor der ersten Gruppensitzung. Ein
sen uns damit abfinden, dass wir es in Zukunft anwenden müssen, und anpassungs­ erfolgreiches Ergebnis der Gruppentherapie ist, wie ich bereits hervorgehoben habe,
fähige Therapeuten versuchen, eine Möglichkeit zu finden, es in etwas Nützliches zu weitgehend davon abhängig, wie effektiv der Therapeut die vor dem Therapiebeginn
verwandeln: Periodische freizügige Diskussionen über den Verlauf der Therapie ver­ liegenden Aufgaben erledigt. In den vorangegangenen Kapiteln habe ich die entschei­
mitteln dem Klienten das Gefühl, dass er respektiert wird, und sie stärken außerdem dende Bedeutung der richtigen Auswahl von Klienten, der Zusammenstellung, des
die therapeutische Allianz. Rahmens und der Vorbereitung der Gruppe besprochen. In diesem Kapitel werde ich
Noch eine letzte praktische Bemerkung zur Vorbereitung: Gruppentherapeuten se­ Geburt und Entwicklung der Gruppe betrachten: Zuerst werde ich die verschiedenen
hen sich oft in Verlegenheit, überhaupt Gruppenmitglieder zu finden. Ein plötzlicher Stadien der Entwicklung einer Therapiegruppe beschreiben, dann Probleme der regel­
Verlust von Mitgliedern kann Therapeuten in eine hastige Geschäftigkeit hineintrei­ mäßigen Teilnahme, der Pünktlichkeit, der wechselnden Mitgliedschaft und der
ben, um die Gruppe neu aufzubauen, was oft zur Auswahl ungeeigneter, unzureichend Aufnahme neuer Mitglieder - wichtige Probleme im Leben der sich entwickelnden
vorbereiteter neuer Mitglieder führt. Der Therapeut muss dann dem potenziellen Gruppe.
Gruppenmitglied die Gruppe gut verkaufen - eine Position, die für den Klienten meist
durchschaubar ist. Der Therapeut tut besser daran, die Gruppe mit verminderter Mit­ Die E ntste h u ngsphasen d e r G ru ppe
gliederzahl weiterzuführen, neue Mitglieder sehr sorgfältig auszusuchen und dann die
Gruppe so darzustellen, dass der Klient den ausgeprägten Wunsch hat, sich ihr anzu­ Jede Therapiegruppe macht mit ihrem einzigartigen Ensemble von Charakteren und
schließen. Tatsächlich belegen Untersuchungsergebnisse, dass ein Klient später die ihren komplizierten Interaktionen eine einzigartige Entwicklung durch. Alle Mit­
Gruppe umso mehr schätzt, je schwieriger es für ihn war, in die Gruppe hineinzukom­ glieder beginnen, sich interpersonal zu offenbaren und ihren jeweils eigenen sozialen
men, und je stärker sein Wunsch war, Mitglied zu werden. 108 Dies ist das allgemeine Mikrokosmos zu schaffen. Wenn der Therapeut, der die Gruppe leitet, effektiv arbeitet,
Prinzip, das den Initiationsriten in Studentenverbindungen oder den strengen Aus­ beginnt jedes Mitglied irgendwann, den eigenen interpersonalen Stil zu analysieren
wahl- und Zulassungskriterien für viele Organisationen zugrunde liegt. Der Bewerber und mit neuen Verhaltensweisen zu experimentieren. Angesichts des Reichtums der
kann nicht umhin zu schließen, dass eine Gruppe, in die man so schwer hineinkommt, menschlichen Interaktionen, dazu der fehlangepasste Stil dieser in einer Gruppe zu­
wirklich sehr großen Wert haben muss. sammengefasster Menschen, ist klar, dass der Verlauf der Gruppe über viele Monate
oder Jahre hin komplex und in hohem Maße unvorhersehbar bleibt. Trotzdem sind in
allen Gruppen Massenkräfte wirksam, die den Verlauf ihrer Entwicklung beeinflussen
und die uns ein grobes, aber trotzdem nützliches Schema der Entwicklungsphasen
liefern.

Eine bekannte Theorie über die Entwicklung von Gruppen geht von fünf Stadien aus:
forming, storming, norming, performing und adjourning (in etwa: Entstehung, »Sturm
und Drang«, Regelbildung, Aktivwerden, Vertagen/Rückzug). 1 Diese einfache, in der
englischen Form leicht merkbare Aufzählung erfasst sehr gut den Inhalt von Gruppen­
entwicklungsmodellen verschiedener Forscher, und sie ist sowohl für zeitlich be­
schränkte als auch für fortlaufende Gruppen mit offenem Ende gültig. .71 2
Im Allgemeinen geht es in Gruppen zunächst darum, dass die Mitglieder sich mit-

346 347
einander vertraut machen und beginnen, sich für die gemeinsame Aufgabe zu engagie­ pensitzung noch einmal anzurufen, um den Kontakt zu ihnen aufzufrischen und sie an
ren. Dieser Phase folgt eine, in der Kontrolle, Macht, Status, Konkurrenz und individu­ den bevorstehenden Beginn der Gruppe zu erinnern. Die Gruppenmitglieder vor der
elle Unterschiede in den Vordergrund rücken. Daran schließt sich eine lange produk­ ersten Sitzung außerhalb des Gruppenraums zu begrüßen und im Eingangsbereich so­
tive Arbeitsphase an, für die vertrauter Umgang der Mitglieder, Engagement und ech­ wie im Flur Wegweiser zum Gruppenraum aufzuhängen, sind einfache und doch sehr
te Kohäsion charakteristisch sind. Die letzte Phase ist der Abschluss der Gruppenarbeit. vertrauensfördernde Maßnahmen.
Modellen dieser Art ist die Prämisse gemeinsam, dass die Gruppenentwicklung epi­ Manche Therapeuten beginnen die Sitzung gern mit einer kurzen Einführung in
genetisch verläuft - dass jede Phase auf dem erfolgreichen Verlauf der vorherigen auf­ Zweck und Methode der Gruppe (besonders, wenn sie die Klienten im Voraus nicht
baut. Demnach wirken sich Fehlentwicklungen zu Beginn der Gruppenarbeit während gründlich vorbereitet haben); andere erwähnen vielleicht einfach nur ein oder zwei
der gesamten Lebenszeit der Gruppe aus. Eine weitere Prämisse bezüglich der Grup­ Grundregeln - beispielsweise Ehrlichkeit und Vertraulichkeit. Der Therapeut kann
penentwicklung lautet, dass Gruppen in Situationen, in denen ihre Integrität bedroht vorschlagen, die Mitglieder sollten sich einander vorstellen. Wenn der Therapeut nichts
ist, wahrscheinlich regredieren. 71 sagt, schlägt gewöhnlich ein Gruppenmitglied vor, dass alle sich einander vorstellen
Während der Gruppenentwicklung sind Veränderungen des Verhaltens und der sollten. In Nordamerika wird in dieser Situation gewöhnlich innerhalb weniger Minu­
Kommunikation zwischen den Gruppenmitgliedern zu beobachten. Mit zunehmender ten die Benutzung der Vornamen in den Gruppensitzungen eingeführt. Danach ent­
Reife wird die Kommunikation empathischer und positiver. Die Mitglieder beschrei­ steht ein sehr tiefes Schweigen, das wie die meisten Schweigepausen in der Psycho­
ben ihre Erlebnisse persönlicher und affektiver und intellektualisieren weniger. Sie therapie ewig erscheint, in Wirklichkeit aber nur ein paar Sekunden dauert.
konzentrieren sich stärker auf das Hier und Jetzt, vermeiden produktive Konflikte in Gewöhnlich bricht der Klient das Schweigen, der die Frühstadien der Gruppe be­
geringerem Maße, geben anderen konstruktives Feedback, offenbaren mehr von sich herrschen wird; er sagt: »Na, dann will ich mal den Anfang machen« oder etwas Ähn­
und zeigen sich kollaborativer. Statt anderen Mitgliedern Ratschläge zu geben, enga­ liches. Dann erzählt er häufig seine Gründe für den Eintritt in die Therapie, was oft bei
gieren sie sich bei der Untersuchung von deren Problemen; außerdem ist die Gruppe anderen Klienten ähnliche Schilderungen hervorlockt. Einen anderen Verlauf nehmen
insgesamt stärker interaktionsorientiert, sie steuert sich zunehmend selbst und ist die Ereignisse, wenn ein Gruppenmitglied (vielleicht angespornt durch die Spannung
weniger stark auf den Gruppenleiter fixiert als zu Beginn der Arbeit. 3 Dieser entwick­ der Gruppe während des anfänglichen Schweigens) über sein soziales Unbehagen oder
lungsbedingte Wechsel zu einer tiefergehenden Arbeitsweise wurde mehrfach in zuver­ seine Angst vor Gruppen spricht. Dies regt oft andere Gruppenmitglieder, die Ähnli­
lässigen Studien über aufgabenorientierte Gruppen und Arbeitsgruppen nachgewie­ ches empfinden, dazu an, vergleichbare Bemerkungen zu machen.
sen, und er steht in signifikanter Korrelation zur Produktivität und Leistungsfähigkeit Wie ich in Kapitel 5 betont habe, beginnt der Therapeut, ob er will oder nicht, von
der Gruppe.4 Anfang an die Normen der Gruppe zu gestalten. Außerdem lässt sich diese Aufgabe
Es gibt für Sie, den Therapeuten, zwingende Gründe, sich mit dem Entwicklungs­ effizienter lösen, wenn die Gruppe noch jung ist. In der ersten Sitzung kann sich der
ablauf von Gruppen vertraut zu machen. Wenn Sie Ihre Aufgabe erfüllen wollen, der Therapeut daher keine Untätigkeit leisten;5 in Kapitel 5 wird eine Reihe von Techniken
Gruppe bei der Aufstellung therapeutischer Normen zu helfen und die Entstehung von beschrieben, wie zu Anfang der Gruppe Normen gebildet werden können.
therapiebehindernden Normen zu vermeiden, dann müssen Sie eine klare Vorstellung
von der optimalen Entwicklung einer Therapiegruppe haben. Sie müssen eine gute Die Anfangsphase: Orientierung, zögernde Beteiligung,
oder schlechte Entwicklung in der Gruppe erspüren, um eine Blockierung feststellen Suche nach Sinn, Abhängigkeit
und zugunsten des Gruppenfortschritts eingreifen zu können. Darüber hinaus ver­ Die Mitglieder jeder neu gebildeten Gruppe sehen sich zwei Aufgaben gegenüber: Ers­
schafft Ihnen eine fundierte Kenntnis der Entwicklungsphasen des Gruppenprozesses tens müssen sie eine Methode festlegen, um ihre primären Probleme in der Gruppe zu
ein Gefühl der Souveränität und die Gewissheit, die Gruppe jederzeit steuern zu kön­ bearbeiten. Zweitens müssen sie sich um ihre sozialen Beziehungen in der Gruppe
nen; ein verwirrter und ängstlicher Gruppenleiter erzeugt bei den Mitgliedern seiner kümmern, um eine Nische für sich zu schaffen, die nicht nur die notwendige Gebor­
Gruppe ähnliche Gefühle. genheit zur Problembewältigung gibt, sondern auch den zusätzlichen Rückhalt auf­
grund ihrer bloßen Gruppenmitgliedschaft gewährt. In vielen Gruppen wie Sport­
Die erste Sitzung mannschaften, College-Klassen und Arbeitsteams sind Hauptaufgabe und soziale Auf­
Die erste Gruppensitzung ist per se immer ein Erfolg. Klienten ( ebenso wie angehende gabe deutlich getrennt. 6 In Therapiegruppen fließen diese Aufgaben zusammen, auch
Therapeuten) sehen der ersten Sitzung gewöhnlich mit so großer Angst entgegen, dass wenn die Gruppenmitglieder dies oft zunächst nicht richtig erkennen - ein Umstand,
sie immer erleichtert sind, wenn sie endlich stattfindet. Alles, was ein Therapeut unter­ der die Gruppenerfahrung sozial desorientierter Menschen erheblich kompliziert.
nimmt, um Angst und Unbehagen der Klienten zu verringern, wirkt sich positiv aus. In den ersten Sitzungen kommen jeweils mehrere Sorgen gleichzeitig zum Aus­
Oft ist es nützlich, die zukünftigen Gruppenmitglieder einige Tage vor der ersten Grup- druck. Die Gruppenmitglieder suchen, besonders wenn sie vom Therapeuten nicht gut

348 349
vorbereitet wurden, nach dem Sinn der Therapie; sie können über die Relevanz der die Gruppenarbeit vor; und Sie nehmen für Ihre Dienste ein Honorar. All dies ver­
Gruppenaktivitäten für ihre persönlichen Therapieziele in Verwirrung geraten. In den stärkt die Erwartung der Teilnehmer, dass Sie die Dinge für sie »richten« werden. Man­
ersten Sitzungen werden oft Fragen gestellt, die diese Verwirrung spiegeln. Selbst nach che Therapeuten tragen, ohne es zu merken, zu dieser Ansicht bei durch ein Verhalten,
Monaten fragen sich Mitglieder noch laut: »Wie soll das helfen? Was hat das alles mit das ein unerfüllbares Hilfeversprechen beinhaltet. 1 0
der Lösung meiner Probleme zu tun?« Die anfängliche Abhängigkeit lässt sich somit auf viele Ursachen zurückführen: auf
Zugleich taxieren die Mitglieder einander wie auch die Gruppe insgesamt. Sie su­ die therapeutische Situation, das Verhalten des Therapeuten, einen Zustand krankhaf­
chen nach einer tragbaren Rolle für sich selbst und fragen sich, ob man sie gern haben ter Abhängigkeit vonseiten der Klienten und, wie ich in Kapitel 7 erläutert habe, die
und achten oder ignorieren und ablehnen wird. Wenn auch die Klienten vorgeblich vielen irrationalen Ursachen für die starken Gefühle der Gruppenmitglieder dem The­
zur Behandlung in eine Therapiegruppe kommen, zwingen sie doch soziale Kräfte, rapeuten gegenüber. Zu den stärksten dieser Gefühle gehört das Bedürfnis des Men­
mehr von ihrer Energie darauf zu verwenden, Billigung, Annahme, Respekt oder Do­ schen nach einem allmächtigen, allwissenden, allsorgenden Elternteil oder Retter - ein
minanz zu suchen. Manchen Klienten erscheinen Angenommenwerden und Billigung Bedürfnis, das mit der unendlichen Fähigkeit des Menschen zur Selbsttäuschung zu­
so unwahrscheinlich, dass sie defensiv die Gruppe ablehnen oder abwerten, indem sie sammenwirkt und eine Sehnsucht nach einem und den Glauben an ein überwesen
im Geist die anderen Mitglieder »heruntermachen« und sich daran erinnern, dass die erzeugt . .71
Gruppe unwirklich und künstlich ist, oder dass sie selbst etwas zu Besonderes sind, um In jungen Gruppen wirken die Fantasien der Mitglieder alle in die falsche Richtung,
Wert auf eine Gruppe zu legen, die von ihnen fordert, einen Teil ihrer kostbaren Indi­ um das zu erzeugen, worüber Freud gesagt hat: »Die Gruppe will beherrscht und un­
vidualität zu opfern. V iele Gruppenmitglieder sind zu diesem Zeitpunkt besonders terdrückt werden . . . stellt sich instinktiv unter die Autorität eines Oberhauptes ... hat
verletzlich. .71 7 einen Durst zu gehorchen. « 1 1 (Aber wer ist Gottes Gott? Ich habe schon oft gedacht,
Zu Beginn ist der Therapeut gut beraten, wenn er mit einem Auge die Gruppe ins­ dass die hohe Selbstmordrate unter Psychiatern ein tragischer Kommentar zu diesem
gesamt im Blick behält und mit dem anderen die subjektiven Erlebnisse der einzelnen Dilemma ist. 1 2 Psychotherapeuten, die zutiefst deprimiert sind und die wissen, dass sie
Mitglieder in dieser neuen Gruppe. Sie fragen sich, was die Gruppe mit sich bringt. ihr eigenes Überwesen, letztlich ihr eigener Erlöser sein müssen, verfallen mit größerer
Was sind die Zugangsvoraussetzungen? Wie viel muss man von sich preisgeben oder Wahrscheinlichkeit als viele ihrer Klienten in eine endgültige Verzweiflung.)
wie viel muss man von sich hergeben? Welche Art von Verpflichtung muss man einge­ Die Inhalte und der Kommunikationsstil der Anfangsphase sind relativ stereotyp
hen? Auf bewusster oder fast bewusster Ebene suchen sie die Antworten auf solche Fra­ und beschränkt. Der soziale Kodex entspricht etwa dem einer Cocktailparty oder ähn­
gen und schauen wachsam nach den Verhaltensweisen aus, die die Gruppe erwartet lich flüchtiger gesellschaftlicher Begegnungen. Problemen nähert man sich rational;
und billigt. Die meisten Mitglieder haben sowohl eine tiefe und vertrauliche Verbin­ die irrationalen Aspekte des Klienten, der ein Problem vorbringt, werden im Interesse
dung zu den einzelnen anderen Gruppenmitgliedern als auch eine Verbindung zur ge­ von Formwahrung, Etikette und Gruppenruhe unterdrückt. Gruppen diskutieren zu­
samten Gruppe. .71 8 Manchmal jedoch fürchtet ein Mitglied mit einem sehr fragilen nächst endlos Themen, die offensichtlich für keinen der Teilnehmer von wesentlichem
Selbstgefühl, durch das Aufgehen in der Gruppe seine Identität zu verlieren. Ist diese Interesse sind; diese Cocktailpartyfragen fungieren jedoch als Vehikel für die ersten
Furcht besonders stark ausgeprägt, kann sie das Engagement des betreffenden Mit­ Streifzüge der interpersonalen Erforschung. Deshalb ist der Inhalt der Gespräche we­
glieds in der Gruppe behindern. Für solche Klienten ist Abgrenzung wichtiger als Zu­ niger wichtig als der nicht zur Sprache kommende Prozess: Die Mitglieder schätzen
gehörigkeit.9 einander ein, sie achten auf Details wie etwa, wer positiv auf sie reagiert, wer die Dinge
Wenn die neue Gruppe verwirrt, tastend und zögernd ist, so ist sie auch abhängig. so sieht wie sie selbst, vor wem sie sich fürchten und vor wem sie Respekt haben. Die
Offen und heimlich suchen die Mitglieder beim Gruppenleiter Struktur und Antwort Teilnehmer sind von der Vorstellung gefesselt, dass ihr Leiden nicht einzigartig ist, und
wie auch Billigung und Annahme. Viele der Bemerkungen in der Gruppe werden an die meisten Gruppen wenden viel Energie darauf zu demonstrieren, inwiefern die Mit­
den Therapeuten oder durch ihn an jemand anderen gerichtet; verstohlen wirft man glieder einander ähneln. Dieser Prozess bietet den Gruppenmitgliedern oft erhebliche
ihm Anerkennung heischende Blicke zu, wenn man ein Verhalten zeigt, dem früher die Linderung (siehe die Erörterung der Universalität des Leidens in Kapitel 1) und ist ein
Autorität Beifall gespendet hat. Die Bemerkungen des Gruppenleiters in der Anfangs­ Teil des Fundaments, auf dem die Gruppenkohäsivität aufbaut. Diese ersten Schritte
phase werden sorgfältig geprüft, ob sie nicht Richtlinien für erwünschtes oder uner­ bereiten den Boden für ein späteres tiefer reichendes Engagement, das eine Voraus­
wünschtes Benehmen enthalten. Die Klienten scheinen sich so zu verhalten, als komme setzung für eine wirksame Therapie ist. 1 3
das Heil einzig oder hauptsächlich vom Therapeuten und sie müssten nur entdecken, Ratgeben und Ratsuchen ist ein weiteres Merkmal der noch jungen Gruppe; Klien­
was seinem Wunsch entspreche. Für diese überzeugung gibt es durchaus verständliche ten legen der Gruppe die Probleme vor, die sie im Umgang mit Ehepartnern, Kindern,
Gründe: Ihre berufliche Identität weist Sie als Heiler aus; Sie ermöglichen die Gruppe, Arbeitgebern usw. haben, und die Gruppe versucht, irgendeine Art von praktischer Lö­
indem Sie einen Raum zur Verfügung stellen; Sie bereiten die Gruppenmitglieder auf sung vorzuschlagen. Wie wir schon im ersten Kapitel gesehen haben, hat diese Bera-

350 351
tung selten einen funktionellen Wert, aber sie dient als ein wichtiges Medium, durch Der Kampf um die Macht ist Teil der Infrastruktur jeder Gruppe. Er ist immer vor­
das Gruppenmitglieder gegenseitiges Interesse und gegenseitige Anteilnahme ausdrü­ handen, manchmal stillschweigend, manchmal schwelend, manchmal lodert er auf.
cken können. Außerdem ist diese Art zu kommunizieren den Teilnehmern bereits ver­ Wenn Mitglieder in der Gruppe sind, die starke Dominanzbedürfnisse haben; kann
traut, und sie kann, bevor die Gruppenmitglieder verstehen, wie man völlig im Hier Herrschaft das Hauptthema der ersten Sitzungen sein. Der schlummernde Macht­
und Jetzt arbeitet, gute Dienste leisten. kampf bricht häufig offen aus, sobald neue Mitglieder in die Gruppe aufgenommen
Zu Beginn braucht die Gruppe Anleitung und Strukturierung. Ein schweigender werden, insbesondere solche, die nicht »wissen, wo sie hingehören«, und schon früh
Gruppenleiter verstärkt Ängste und fördert die Regression. 71 Dieses Phänomen tritt anfangen, nach Dominanz zu streben, anstatt sich den älteren Mitgliedern zu beugen,
selbst in Gruppen auf, deren Mitglieder über ein hohes Maß an psychologischem Wis­ wie es diesen wegen ihrer Seniorität »zukommt«.
sen und Verständnis verfügen. Beispielsweise entwickelte eine Ausbildungsgruppe für Es ist unvermeidlich, dass im Leben der Gruppe Feindseligkeit gegen den Thera­
Psychiatrie-Assistenzärzte mit einem stillen, nicht direktiven Leiter in der ersten Grup­ peuten auftaucht. V iele Beobachter haben betont, es gebe ein frühes Stadium der Am­
pensitzung Ängste bezüglich möglicher Entwicklungen des Gruppengeschehens, und bivalenz gegenüber dem Therapeuten, gekoppelt mit Widerstand gegen Selbstprüfung
die Teilnehmer sorgten sich, dass die Gruppenarbeit für einige von ihnen verhängnis­ und Selbstoffenbarung. Feindseligkeit gegenüber dem Gruppenleiter hat ihre Ursache
voll werden könnte. Ein Mitglied erwähnte, einem kürzlich veröffentlichten Zeitungs­ in den unrealistischen, ja magischen Eigenschaften, die manche Klienten den Thera­
bericht zufolge habe eine scheinbar »normale« Gruppe von Highschool-Studenten ei­ peuten insgeheim zuschreiben. Ihre Erwartungen sind so grenzenlos, dass sie von dem
nen Obdachlosen zu Tode geprügelt. Die Angst der Teilnehmer ließ nach, als der Grup­ Therapeuten, so tüchtig er auch sein mag, enttäuscht werden müssen. Allmählich,
penleiter erklärte, sie alle hätten die potenziell schädlichen Kräfte im Blick, die infolge wenn seine Grenzen sichtbar werden, setzt sich die Realität durch, und die Feindselig­
des Zusammentreffens dieser Gruppe scheinbar »normaler« Assistenzärzte entfesselt keit dem Leiter gegenüber verschwindet.
werden könnten. Dies ist keineswegs ein klar bewusster Prozess. Die Mitglieder befürworten viel­
leicht verstandesmäßig eine demokratische Gruppe, die sich auf ihre eigenen Möglich­
Die zweite Phase: Konflikt, Dominanz, Rebellion keiten verlässt, sehnen sich aber in tieferen Schichten vielleicht trotzdem nach Abhän­
Wenn die erste Sorge der Gruppenmitglieder die Frage betrifft, ob sie »drinnen oder gigkeit und versuchen zunächst, eine Autoritätsfigur zu schaffen, um sie dann zu zer­
draußen« sind, dann geht es bei der nächsten um »oben oder unten«. 14 Eine bekannte stören. Gruppentherapeuten weigern sich, die traditionelle Rolle der Autorität zu spie­
Theorie über die Gruppenentwicklung postuliert vier Stadien: sich formen, stürmen, len; sie führen nicht auf die übliche Weise; sie liefern keine Antworten und Lösungen;
Normen bilden und die anliegende Arbeit erledigen (forming, storming, norming and sie drängen die Gruppe, ihre eigenen Möglichkeiten zu erforschen und einzusetzen.
performing). Im zweiten Stadium - dem »Stürmen« - geht die Gruppe von einer vor­ Der Wunsch der Gruppenmitglieder bleibt jedoch bestehen, und gewöhnlich erkennen
wiegenden Beschäftigung mit Angenommenwerden, Billigung, Hingabe an die Grup­ sie erst nach mehreren Sitzungen, dass der Therapeut ihre Sehnsucht nach einem
pe, Definition des akzeptablen Benehmens und Suche nach Orientierung, Struktur idealen Führer frustrieren wird.
und Sinn zu einer Beschäftigung mit Dominanz, Steuerung und Macht über. Der diese Eine weitere Ursache des Grolls gegen den Gruppenleiter liegt darin, dass alle Mit­
Phase kennzeichnende Konflikt spielt sich zwischen Mitgliedern oder zwischen ihnen glieder allmählich erkennen, dass sie nicht der Liebling sein werden. Während der Vor­
und dem Gruppenleiter ab. Jedes Mitglied versucht, das für die eigene Person jeweils bereitungssitzung beginnt jedes Mitglied, die Vorstellung zu entwickeln, dass der The­
wünschenswerte Maß an Initiative und Macht zu etablieren. Allmählich bildet sich rapeut ganz allein sein Therapeut sei, brennend interessiert an den winzigsten Einzel­
eine Hierarchie der Dominanz, eine soziale Hackordnung heraus. heiten seiner Vergangenheit, seiner Gegenwart und seiner Fantasiewelt. In den ersten
Negative Bemerkungen und Kritik unter den Mitgliedern werden häufiger; die Mit­ Gruppensitzungen beginnt jedoch jedes Mitglied zu erkennen, dass der Therapeut an
glieder geben sich oft so, als fühlten sie sich zu einseitiger Analyse und Beurteilung an­ ihm nicht mehr interessiert ist als an den anderen; hier wird der Same rivalisierender,
derer berechtigt. Wie in der ersten Phase werden Ratschläge gegeben, aber aufgrund feindseliger Gefühle gegenüber den anderen Mitgliedern gesät. Jedes Gruppenmitglied
eines anderen sozialen Kodex; soziale Konventionen werden aufgegeben, und die Mit­ fühlt sich auf irgendeine unklare Weise vom Therapeuten verraten. Echos von früheren
glieder fühlen sich frei, persönliche Kritik an dem Verhalten oder den Einstellungen Problemen mit Geschwistern können zutage treten, und die Gruppenmitglieder fan­
dessen zu üben, der sich beklagt. Frühere und gegenwärtige Lebenserfahrungen wer­ gen möglicherweise an, die Bedeutung der Interaktion mit den anderen Teilnehmern
den beurteilt, ebenso Lebensstile. Es ist eine Zeit des »Sie müssten, Sie sollten« in der für die Gruppenarbeit zu verstehen und zu schätzen. 71
Gruppe, eine Zeit, in der der »Gerichtshof der Gleichgestellten« 15 tagt. Gruppenmit­ Die unrealistischen Erwartungen gegenüber dem Gruppenleiter und die daraus fol­
glieder geben Rat oder machen Vorschläge, aber nicht als Manifestation von tiefem gende Enttäuschung entstammen keineswegs einer kindlichen Mentalität oder psycho­
Annehmen und Verstehen - Gefühle, die sich in der Gruppe erst noch entwickeln logischer Unerfahrenheit. Dieselben Phänomene kommen z. B. bei Gruppen von Psy­
müssen -, sondern als Teil der Positionskämpfe in der Gruppe. chotherapeuten vor. Tatsächlich können Ausbildungskandidaten die Neigung von

352 353
Gruppen, ihren Leiter sowohl auf einen Sockel zu stellen als ihn auch anzugreifen, die Kunst darin, zunächst zu begreifen, dass ihr kontradependentes Verhalten häufig
kaum besser zu verstehen lernen, als wenn sie dies als Mitglieder einer Trainings- oder den Tadel und die Zurückweisung anderer hervorruft, bevor sie ihren Wunsch nach
Therapiegruppe persönlich erleben und die damit verbundenen starken Gefühle selbst Zuwendung und Schutz erleben oder zum Ausdruck bringen können.
spüren. Einige Theoretiker16 verstehen Freuds »Totem und Tabu«71 17 extrem wörtlich Andere Mitglieder stellen sich ausnahmslos auf die Seite des Therapeuten. Man
und sehen im Schema der Beziehung zwischen der Gruppe und dem Leiter eine Wie­ muss ihnen helfen, ihr Bedürfnis zu untersuchen, den Therapeuten um jeden Preis zu
derkehr des Vatermordes bei der Urhorde. Freud deutet tatsächlich an einer Stelle an, verteidigen, gleichgültig, worum es geht. Gelegentlich verteidigen Klienten den Thera­
dass heutige Gruppenphänomene ihre prähistorischen Analogien in den nebulösen Er­ peuten, weil sie bereits einer Reihe von unzuverlässigen Objekten begegnet sind und
eignissen bei der Urhorde haben: »Die Masse erscheint uns so als ein Wiederaufleben ihn irrtümlich als außerordentlich zerbrechlich wahrnehmen; andere müssen ihn ret­
der Urhorde. So wie der Urmensch in jedem Einzelnen virtuell erhalten ist, so kann ten, weil sie in der Fantasie auf ein Bündnis mit ihm gegen andere mächtige Gruppen­
sich aus einem beliebigen Menschenhaufen die Urhorde wiederherstellen; soweit die mitglieder spekulieren. Man nehme sich in Acht, damit man nicht wirklich versteckte
Massenbildung die Menschen habituell beherrscht, erkennen wir den Fortbestand der Signale des persönlichen Leidens aussendet, auf die die Retter angemessen reagieren.
Urhorde in ihr.« 18 Die Urhorde ist, ähnlich wie der Chor in Sophokles' Oedipus Rex, Viele dieser widerstreitenden Gefühle kristallisieren sich in der Frage, wie man den
erst fähig, sich von einschränkenden entwicklungshemmenden Bindungen zu befreien Gruppenleiter nennen soll. Soll man ihn mit seinem Titel ansprechen (Dr. Jones, oder
und zu einer befriedigenderen Existenz fortzuschreiten, nachdem der furchteinflößen­ noch unpersönlicher, »Doktor«) oder mit dem Vornamen? Manche Klienten verwen­
de Führer beseitigt worden ist. den sofort den Vornamen des Therapeuten oder sogar einen Diminutiv davon, ohne
Die Gruppenmitglieder sind in ihrem Angriff auf den Therapeuten niemals alle ei­ auch nur zu fragen, wie es der Therapeut gern hätte. Andere können, selbst nachdem
nig. Ausnahmslos erheben sich aus der Gruppe einige, die für ihn kämpfen. Der »Auf­ der Therapeut von ganzem Herzen zugestimmt hat, nur Vornamen zu verwenden, sich
marsch« der Angreifer und der Verteidiger kann als wertvoller Hinweis für das Verste­ nicht überwinden, eine solche Unehrerbietigkeit zu begehen, und fahren fort, den The­
hen charakterlicher Tendenzen dienen, der für zukünftige Arbeit in der Gruppe nütz­ rapeuten per Titel zu distanzieren. Ein Klient, ein erfolgreicher Geschäftsmann, der
lich sein kann. Im Allgemeinen haben in dieser Phase die Anführer, jene Gruppenmit­ von seinem dominanten Vater ständig beschämt und gedemütigt worden war, bestand
glieder, die zuerst und am lautesten angreifen, schwere Konflikte im Bereich der Ab­ darauf, den Therapeuten als »Doktor« anzusprechen, weil er behauptete, dadurch
hängigkeit; sie haben ihre unerträgliche Sehnsucht nach Abhängigkeit durch Reakti­ werde sichergestellt, dass er für sein Geld eine faire Gegenleistung erhalte.
onsbildung überwunden. Diese Menschen, die manchmal kontradependent 19 genannt Ich habe zwar gesagt, Enttäuschung und Wut über den Gruppenleiter sei ein Zug
werden, neigen dazu, auf den ersten Blick alle Äußerungen des Therapeuten abzuleh­ kleiner Gruppen, der überall auftritt, aber der Prozess ist keineswegs bei allen Gruppen
nen und zu fantasieren, sie würden den Gruppenleiter absetzen und an seine Stelle tre­ in gleicher Form oder gleichem Maß zu beobachten. Das Verhalten des Therapeuten
ten. kann sowohl die Erfahrung als auch die Äußerung von Rebellion potenzieren oder
Ein Beispiel: Als eine erste Gruppensitzung für Bulimikerinnen etwa zu drei Vier­ mildern. So berichtet ein prominenter Soziologe, der viele Jahre lang mit College-Stu­
teln vorbei war, bat ich die Mitglieder, mir etwas über die Sitzung zu sagen: Wie hatten denten Sensitivity-Trainings-Gruppen durchgeführt hat, dass unweigerlich eine mäch­
Sie sie erlebt? Enttäuschungen? Überraschungen? Ein Mitglied, das während der nächs­ tige Auflehnung gegen den Gruppenleiter zustande kommt, die darin gipfelt, dass er
ten Wochen die Richtung der Gruppe bestimmen sollte, stellte fest, die Sitzung sei ge­ von den Mitgliedern physisch aus dem Gruppenraum hinausbefördert wird.20 Ande­
nau so verlaufen, wie sie, die Teilnehmerin, es erwartet habe; die Sitzung sei tatsächlich rerseits habe ich selbst mehr als ein Jahrzehnt lang ähnliche Gruppen geleitet und bin
fast enttäuschend vorhersagbar gewesen. Die Teilnehmerin fügte hinzu, das stärkste nie einer derart heftigen Rebellion begegnet, dass ich aus dem Gruppenraum hinaus­
Gefühl, das sie bisher empfunden habe, sei Wut auf mich, weil ich einem der Mitglie­ geworfen worden wäre. Ein solcher Unterschied kann nur auf verschiedene Führungs­
der eine Frage gestellt hätte, die ein kurzzeitiges Weinen hervorgerufen habe. Da habe stile und Verhaltensweisen der Gruppenleiter zurückgehen. Stärkere negative Reaktio­
sie gespürt, »mich werden sie niemals so kleinkriegen «. Ihre ersten Eindrücke sagten nen rufen jene Therapeuten hervor, die zweideutig oder absichtlich rätselhaft sind, die
sehr viel über das Verhalten dieses Mitglieds in der nächsten Zeit voraus. Die Teilneh­ autoritär sind, den Klienten aber keine Struktur und keine Leitlinien anbieten und am
merin blieb auf der Hut und war bestrebt, immer selbstbeherrscht und auf der Höhe Anfang der Therapie der Gruppe unausgesprochen unerfüllbare Versprechungen
zu sein. Sie sah mich nicht als Verbündeten, sondern als Gegner an und war stark ge­ machen. 2 1
nug, die Gruppe zu veranlassen, während der ersten Sitzungen hauptsächlich über Dieses Stadium ist oft für den Gruppentherapeuten schwierig und persönlich un­
Machtfragen zu sprechen. angenehm. Der angehende Therapeut sollte jedoch bedenken, dass er für das Weiterle­
Wenn die Therapie erfolgreich sein soll, müssen kontradependente Mitglieder ir­ ben der Gruppe unentbehrlich ist: die Mitglieder können es sich nicht erlauben, ihn zu
gendwann die andere Seite ihrer »Medaille« erleben und ihre tiefe Sehnsucht nach Ab­ »liquidieren«, und er wird immer auch von irgendwem verteidigt werden. Um seiner
hängigkeit erkennen und durcharbeiten. Bei der Behandlung solcher Klienten besteht Seelenruhe willen muss er jedoch lernen, zwischen einem Angriff auf seine Person und

354 355
einem Angriff auf seine Rolle in der Gruppe zu unterscheiden. Die Reaktion der Grup­ in der Gruppe bezüglich der Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit des Ärztestandes.
pe auf den Gruppenleiter ähnelt einer Übertragungsverzerrung in der Einzeltherapie In einer Gruppe griff ein Mitglied das ganze Gebiet der Psychotherapie an, indem es
insofern, als sie nicht direkt mit dem Verhalten des Therapeuten zusammenhängt. Ihre einen Artikel aus Psychology Today mitbrachte, der angeblich bewies, dass Psychothe­
Ursache muss jedoch sowohl unter dem Aspekt der individuellen Psychodynamik als rapie unwirksam sei. Ein andermal wurden die Polizei, die Lehrer und andere Autori­
auch unter dem der Gruppendynamik verstanden werden. tätspersonen einer ähnlichen Beurteilung unterworfen.
Therapeuten, die von einem Angriff der Gruppe besonders bedroht sind, schützen Andere Mitglieder zum Sündenbock zu machen, ist eine weitere Art des indirekten
sich auf verschiedene Weise. .71 22 Einmal wurde ich aufgefordert, bei zwei Therapiegrup­ Angriffs. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass in einer Gruppe ein Sündenbock aus­
pen als Berater zu fungieren; jede Gruppe hatte etwa 25 Sitzungen hinter sich und es erkoren wird, wenn der Therapeut dies nicht verursacht. Die Ursache für die Suche
hatten sich ähnliche Probleme entwickelt: Beide Gruppen schienen ein Plateau erreicht nach einem Sündenbock ist ein Gruppenleiter, der nicht offen kritisiert werden darf.
zu haben, mehrere Wochen lang bildete sich kein neues Thema heraus, und die Klien­ Angriffe auf andere Gruppenmitglieder sind eine relativ ungefährliche Art, Aggression
ten schienen kein Interesse mehr an ihren Gruppen zu haben. Eine Untersuchung von und Rivalität auszudrücken und die eigene Position in der Gruppe zu verbessern. Die­
aktuellen Sitzungen und früheren Protokollen zeigte, dass keine der beiden Gruppen se Dynamik wird verstärkt durch das unbewusste Bedürfnis der Gruppenmitglieder,
sich bisher direkt mit irgendwelchen negativen Gefühlen gegenüber den Therapeuten unakzeptable Aspekte ihrer selbst auf ein anderes Gruppenmitglied zu produzieren,
befasst hatte. Der Grund für diese Hemmung war jedoch jeweils ganz verschieden. In um das Risiko, selbst von der Gruppe zurückgewiesen zu werden, zu verringern.
der ersten Gruppe hatten die beiden Therapeuten (die zum erstenmal eine Gruppe Schlimmstenfalls kann die Gruppe das als Sündenbock ausgewählte Mitglied opfern,
leiteten) der Gruppe eindeutig »die Kehle dargeboten« und durch ihre offenkundige wodurch die stillschweigende und irrige überzeugung zum Ausdruck gelangt, wenn
Angst, ihre Unsicherheit und ihr Vermeiden von Fragen, die mit Feindseligkeit geladen dieses eine Mitglied nicht wäre, sei die Gruppe ein Paradies.24
waren, auf Zerbrechlichkeit plädiert. Außerdem wollten beide von allen Mitgliedern Eine weitere Konfliktquelle entspringt aus dem inneren Prozess der Veränderung.
geliebt werden und waren immer so wohlwollend und so bemüht, dass ein Angriff der Tief eingewurzelte Einstellungen und Verhaltensmuster werden von anderen Mitglie­
Klienten unangebracht und undankbar erschienen wäre. dern herausgefordert, und jeder Einzelne muss sich dem Unbehagen stellen, alte Mus­
Die Therapeuten der zweiten Gruppe hatten einem Angriff auf ganz andere Weise ter aufzugeben. Ein nützliches Paradigma von Veränderung in der Gruppenarbeit be­
vorgebeugt: Sie waren distanzierte olympische Figuren geblieben, die ihre seltenen, steht aus der Sequenz Auftauen, Verändern und Wiedereinfrieren.25 Das Stadium des
vorgeblich tiefgründigen Interventionen auf autoritäre Art und Weise vorbrachten. Am »Auftauens« beinhaltet natürlich ein gewisses Maß an Herausforderung und Konflikt.
Ende jeder Sitzung fassten sie, oft in unnötig komplizierter Sprache, die vorherrschen­ Die einzelnen Mitglieder halten an ihren Beziehungen betreffenden Überzeugungen
den Themen und die Beiträge jedes Gruppenmitglieds zusammen. Diese Therapeuten fest und klammern sich so an das, was ihnen vertraut ist. Zunächst sind viele Klienten
anzugreifen wäre sowohl respektlos als auch gefährlich gewesen. nicht in der Lage, sich selbst zu untersuchen und Feedback anzunehmen. Allmählich
Die Gegenübertragung des Therapeuten behinderte in diesen beiden Fällen die entwickeln sie dann die Fähigkeit, am Geschehen teilzunehmen, ihre Emotionen zu
Gruppenarbeit. Wenn der Therapeut seine eigenen emotionalen Bedürfnisse den Be­ spüren und über das Erlebte zu reflektieren. Sobald dies möglich ist, können schäd­
dürfnissen der Gruppe vorzieht, wird er ziemlich sicher scheitern.23 Jeder dieser beiden liche Gewohnheitsmuster des Verhaltens verändert werden.26
Führungsstile trägt dazu bei, eine Gruppe zu hemmen; die Unterdrückung wichtiger
ambivalenter Gefühle gegenüber den Therapeuten führt zu einem kontraproduktiven Die dritte Phase: Entwicklung von Kohäsivität
Tabu, das der erwünschten Norm interpersonaler Aufrichtigkeit und der Ausdrucksbe­ Die dritte Phase in der Entstehungszeit einer Gruppe ist nach verbreiteter Meinung die
reitschaft von Gefühlen entgegensteht. Außerdem wird eine wichtige Gelegenheit ver­ Entstehung der Gruppenkohäsivität. Nach der vorangegangenen Konfliktperiode ent­
säumt, ein Beispiel zu geben. Der Therapeut, der einen Angriff übersteht, ohne zerstört wickelt sich die Gruppe allmählich zu einer zusammenhängenden Einheit. Um diese
zu werden oder auf destruktive Weise Vergeltung zu üben, stattdessen mit dem Versuch Phase zu beschreiben, hat man viele verschiedene Ausdrücke mit ähnlicher Bedeutung
reagiert, die Ursachen und Wirkungen des Angriffs zu verstehen und durchzuarbeiten, verwendet: In-Group-Bewusstsein,27 gemeinsames Ziel und Gruppengeist,28 konsensu­
demonstriert der Gruppe, dass Aggression nicht unbedingt zum Tode führt und dass elle Gruppenaktion, Kooperation und gegenseitige Unterstützung,29 Gruppenintegra­
man sie in der Gruppe ausdrücken und verstehen kann. tion und Gegenseitigkeit,30 Einheit des Wir-Bewusstseins,31 Unterstützung und Freiheit
Eine der Folgen der Unterdrückung der auf den Therapeuten gerichteten Wut war der Kommunikation32 und Herstellung von Nähe und Vertrauen unter Gleichgestell­
bei den beiden fraglichen Gruppen (wie bei den meisten) das Auftreten von verscho­ ten.
benen, indirekten Aggressionen. Eine Gruppe griff beispielsweise mehrere Wochen In dieser Phase nehmen Gruppenmoral, gegenseitiges Vertrauen und Selbstoffen­
lang Ärzte an. Frühere ungünstige Erfahrungen mit Ärzten, Krankenhäusern und Ein­ barung zu.33 Manche Gruppenmitglieder geben den wahren Grund preis, warum sie
zeltherapeuten wurden ausführlich beschrieben, oft mit erheblicher Übereinstimmung sich in Behandlung begeben haben: sexuelle Geheimnisse werden gelüftet, längst be-

356 357
grabene Verfehlungen ans Licht gebracht. Man arrangiert vielleicht eine Kaffeerunde spiel des Reifenwechsels beim Auto vergegenwärtigen: Man zieht eine Mutter nach der
nach der Gruppe. Die Mitglieder kommen regelmäßiger, und die Klienten machen sich anderen an, gerade so viel, dass das Rad an der richtigen Stelle sitzt; dann wird der Vor­
erhebliche Sorgen über abwesende Mitglieder. gang wiederholt und wieder jede Mutter angezogen, bis das Rad ganz festgeschraubt
Die Hauptsorge der Gruppe gilt der Intimität und der Nähe. Schutz, der, wie bereits ist. Ebenso treten in der Gruppe verschiedene Phasen auf, die zunächst dominant wer­
zuvor erwähnt, die Anliegen der Klienten in der ersten Phase mit »drinnen oder drau­ den und dann wieder abklingen; später kommt die Gruppe allerdings auf die gleichen
ßen« und in der zweiten mit »oben oder unten« bezeichnet, charakterisiert die dritte Probleme wieder zurück und behandelt sie noch gründlicher. Daher ist es zutreffender,
Phase als »nah oder fern« - die Hauptängste der Gruppenmitglieder haben damit zu von Entwicklungsaufgaben statt von Entwicklungsphasen oder einem Entwicklungs­
tun, nicht gemocht zu werden, anderen nicht nah genug oder umgekehrt mit ihnen zu ablauf zu sprechen. Beispielsweise könnten wir eine Sequenz von starkem Engagement
vertraut zu sein.34 und geringen Konflikten, gefolgt von einem geringeren Engagement und stärkeren
Zwar mag in dieser Phase eine größere Freiheit der Selbstoffenbarung herrschen, Konflikten, gefolgt von einer Rückkehr zu starkem Engagement beobachten.40 Ham­
aber es kann zugleich Kommunikations-Beschränkungen anderer Art geben: Oft un­ burg schlägt zur Bezeichnung dieses Prozesses der Rückkehr zu denselben Problemen,
terdrückt die Gruppe im Interesse der Kohäsivität jede Äußerung negativer Affekte. Im die jedesmal aus einer anderen Perspektive und tief greifender erfasst werden, den Aus­
Vergleich zur vorhergehenden Phase des Gruppenkonflikts ist jetzt alles hell und druck Zyklotherapie vor.4 1 Eine Therapiegruppe verbringt oft viel Zeit mit der Erörte­
freundlich, die Gruppe sonnt sich im Glanz ihrer neu entdeckten Einheit.35 Am Ende rung von Dominanz, Vertrauen, Intimität, Honoraren, der Beziehung zwischen den
erlischt jedoch die Glut, und die »Gruppenumarmung« wirkt wie ein Ritual, falls man Co-Therapeuten, und kehrt dann, Monate später, zu demselben Thema unter einem
Differenzierung und Konflikt nicht gestattet, sich zu äußern. Nur wenn alle Affekte völlig anderen Blickwinkel zurück.
zum Ausdruck kommen können und in einer kohäsiven Gruppe konstruktiv durch­ Der Gruppenleiter ist gut beraten, nicht nur die Kräfte im Auge zu behalten, die sich
gearbeitet werden, wird die Gruppe zu einer reifen Arbeitsgruppe - dieser Zustand positiv auf die Entwicklung der Gruppe auswirken, sondern auch jene, die gegen die
bleibt so lange erhalten, wie es die Gruppe gibt; von Zeit zu Zeit lebt jede der früheren Gruppe gerichtet sind.42 Dazu zählen individueller und gesellschaftlicher Widerstand
Phasen noch einmal kurzfristig auf. So kann man sich das Stadium der wachsenden gegen das Zusammenkommen in Gruppen - die Angst vor der Aufgabe der eigenen
Kohäsivität als aus zwei Phasen bestehend vorstellen: Ein frühes Stadium großer ge­ Identität; die Angst vor dem Verlust des Gefühls der Unabhängigkeit; vor dem Verlust
genseitiger Unterstützung (Gruppe gegen Außenwelt) und ein fortgeschrittenes Stadi­ der eigenen Fantasie darüber, etwas Besonderes zu sein; und die Angst davor, Nähe zu
um der Gruppenarbeit bzw. der echten Teamarbeit, in dem die Spannung nicht aus suchen, jedoch abgewiesen zu werden.
dem Kampf um die Vorherrschaft entsteht, sondern aus dem Kampf jedes einzelnen
Gruppenmitglieds mit seinen eigenen Widerständen.
Der E i nfl uss der Klienten a uf d i e E ntwickl u ng der Gru ppe
überblick Die von mir skizzierten Entwicklungsphasen beschreiben den Ablauf der Ereignisse in
Nachdem ich die Anfangsphasen der Gruppenentwicklung skizziert habe, möchte ich einer theoretischen, ohne reale Menschen durchgeführten Therapiegruppe vielleicht
auf einige Aspekte etwas präziser eingehen, damit der Anfänger die dargelegte Ent­ völlig richtig; sie sind aber der hochabstrakten Systematik einer avantgardistischen
wicklungsabfolge nicht allzu wörtlich nimmt. Denn diese Entwicklungsphasen sind Symphonie sehr ähnlich, die dem ungeübten Zuhörer unverständlich bleibt. In der
schließlich Konstrukte - Einheiten, mit denen die Gruppenleiter sich ihre seman­ Gruppe kommt die Verunklarung von der Fülle und Unvorhersehbarkeit der mensch­
tischen und begrifflichen Probleme erleichtern. Obgleich Untersuchungen mit unter­ lichen Interaktionen, die den Behandlungsverlauf komplizieren und ihn zugleich so
schiedlichen Messinstrumenten und Klientenpopulationen auf der Grundlage unter­ erregend und herausfordernd machen.
schiedlich strukturierter Theorien der Veränderung überzeugend nachweisen, dass in Meiner Erfahrung nach wird die Entwicklung von Therapiegruppen stark und aus­
Gruppen eine Entwicklung stattfindet, ist weniger klar, ob die Entwicklung in einer nahmslos vom Zufall beeinflusst - durch die besondere und einzigartige Zusammen­
generell gültigen Sequenz verläuft. Zuweilen entsteht der Eindruck, die Entwicklung setzung der Gruppe. Oft wird der Verlauf der Gruppe von einem einzigen Mitglied
verlaufe linear; in anderen Fällen wirkt sie eher zyklisch und von Wiederholungen festgelegt, gewöhnlich demjenigen mit der lautesten interpersonalen Störung. Mit der
geprägt. 36 Die Grenzen zwischen den Phasen sind also nicht deutlich gezogen, und eine lautesten Störung meine ich nicht die Schwere der Erkrankung, sondern die Störung,
Gruppe überwindet eine Phase auch niemals endgültig. die sich in der Gruppe am unmittelbarsten manifestiert. Beispielsweise machte in einer
Ein weiterer Ansatz in der Erforschung der Gruppenentwicklung ist, den Verlauf Erstsitzung einer Gruppe von Inzestopfern eine Teilnehmerin einige Bemerkungen, die
bestimmter Variablen wie Kohäsivität, 37 Emotionalität 38 oder Vertraulichkeit39 über dahin gingen, dass sie enttäuscht sei, weil so viele Mitglieder anwesend wären, deren
den zeitlichen Verlauf der Gruppe hinweg zu verfolgen. Ein linearer Verlauf existiert Heilung umso viel weniger weit fortgeschritten sei wie die ihre. Dies rief bei den ande­
nicht. Wenn man über die Gruppenentwicklung nachdenkt, kann man sich das Bei- ren natürlich eine Menge Ärger hervor, und sie griffen die Teilnehmerin wegen ihrer

358 359
herablassenden Bemerkung an. über Monate hinweg entwickelte diese Gruppe sich mahnten die Gruppe, es ihnen gleichzutun. Wenn auch die »frühen Provokateure« ge­
zur zornigsten und am wenigsten fürsorglichen, die mir je begegnet ist. Wir können wöhnlich behaupteten, die Ansichten und Urteile anderer berührten sie gar nicht, wa­
nicht behaupten, dass dieses eine Mitglied den Ärger in die Gruppe gebracht hätte. Zu­ ren sie ihnen in Wahrheit doch sehr wichtig, und sie bedauerten in jedem Fall zutiefst,
treffender ließe sich sagen, dass sie als Blitzableiter handelte, um die Wut, die in jedem dass sie für sich selbst in der Gruppe eine so unerträgliche Rolle geschaffen hatten.46
der Mitglieder bereits vorhanden war, herauszulocken. Doch wäre diese Teilnehmerin Der Therapeut muss diese Erscheinung schon am Anfang der Gruppenarbeit er­
nicht in der Gruppe gewesen, hätte der Zorn sich wahrscheinlich langsamer offenbart, kennen und durch Erklärung und Deutung ihrer Rolle verhindern, dass diese Klienten
vielleicht in einem Kontext größerer Sicherheit, Vertraulichkeit und Kohäsivität. Grup­ sozialen Selbstmord begehen. Noch wichtiger ist vielleicht, dass der Therapeut seine
pen, die nicht gut beginnen, müssen mit größeren Schwierigkeiten fertig werden als eigene versteckte Unterstützung von des frühen Provokateurs Verhalten erkennen und
solche, die der in diesem Kapitel beschriebenen Entwicklungssequenz folgen. korrigieren muss. Es ist nicht ungewöhnlich, dass der Therapeut bestürzt ist, wenn der
Vielen Menschen, die sich in eine Gruppentherapie begeben, fällt es schwer, zu an­ frühe Provokateur vorzeitig ausscheidet. Das Verhalten dieser Klienten mag dem The­
deren Menschen in Beziehung zu treten und sich auf sie einzulassen. Genau deshalb rapeuten so willkommen sein, dass er weder ihre Not richtig einschätzt noch erkennt,
haben sie sich oft entschlossen, an einer Therapie teilzunehmen. Viele sagen über sich: dass er sich auf sie verlässt, weil sie die Gruppe zum Pulsieren bringen.
»Ich bin kein Gruppenmensch.«43 Eine Gruppe, in der es mehrere Klienten dieser Art Es ist nützlich, wenn der Therapeut seine Reaktionen auf das Fehlen der verschie­
gibt, hat mit den Gruppenaufgaben zweifellos größere Schwierigkeiten als eine Grup­ denen Gruppenmitglieder beachtet. (Wenn einige Klienten nie fehlen, können Sie sich
pe, in der mehrere Mitglieder konstruktive und effektive Erlebnisse mit Gruppen ge­ deren Abwesenheit und Ihre Reaktion darauf in der Fantasie vorstellen.) Denken Sie
habt haben. 44 darüber nach, welche Gedanken, Gefühle, Fantasien und Handlungen diese Klienten
Andere Menschen, die sich über typische Entwicklungstendenzen hinwegsetzen, bei Ihnen evozieren und wodurch sie diese Wirkung hervorrufen.47 Wenn Sie das Feh­
sind beispielsweise diejenigen mit Neigungen zu monopolistischem Verhalten, verba­ len bestimmter Klienten fürchten, weil Sie das Gefühl haben, an dem Tag würde kein
lem Exhibitionismus, promiskuöser Selbstoffenbarung oder dem ungezügelten Drang, Leben in der Gruppe sein, dann tragen diese Klienten wahrscheinlich eine zu große
andere zu beherrschen. Nicht selten erfahren diese Klienten vom Therapeuten und von Last und so viel sekundäre Befriedigung davon, dass sie unfähig sind, ihre primäre Auf­
anderen Gruppenmitgliedern versteckte Unterstützung. Therapeuten schätzen diese gabe in der Therapie zu erfüllen. Angesichts der Verantwortung, die auf sie projiziert
Klienten, weil sie in der Gruppe einen Irritationsherd schaffen, die Äußerung von Af­ wird, kann man sie durchaus als eine Art Sündenbock verstehen, wenn auch als eine
fekten anregen und so die Sitzung interessanter und aufregender machen. Die anderen - zumindest anfangs - positive Version dieses Phänomens:
Klienten begrüßen oft anfänglich die Gelegenheit, sich hinter dem Protagonisten zu Ich glaube, ein Großteil der Verwirrung über die Gruppenentwicklung liegt daran,
verstecken, während sie zögernd das Gelände erforschen. dass jede Gruppe gleichzeitig wie alle Gruppen, wie manche Gruppen und wie keine an­
In einer Untersuchung von Klienten aus neun Ambulanzgruppen, die die Therapie dere Gruppe ist! Natürlich durchlaufen alle Therapiegruppen gewisse Veränderungen,
vorzeitig abgebrochen hatten, stellte ich fest, dass in fünf der Gruppen ein bestimmter während sie voranschreiten. Natürlich gibt es eine gewisse anfängliche Verlegenheit,
Kliententyp mit einem charakteristischen Verhaltensmuster innerhalb der ersten zwölf während eine Gruppe sich mit dem Grund ihrer Existenz und ihren Grenzen befasst.
Sitzungen aus der Therapiegruppe floh.45 Diese Klienten (»frühe Provokateure«) spiel­ Natürlich wird dies von einer gewissen Spannung und von wiederholten Versuchen,
ten, obwohl sie sich dynamisch voneinander unterschieden, in den Gruppen jeweils Nähe zu entwickeln, gefolgt. Und natürlich müssen alle Gruppen sich ihrem Ende stel­
eine ähnliche Rolle: Sie stürmten herein, versetzten die Gruppe in wilde Aktivität und len - der Schlussphase. Und gelegentlich, aber nur sehr selten, begegnet man einer
verschwanden dann wieder. Die Therapeuten beschrieben deren Rolle in der Gruppe Gruppe, die »planmäßig« verläuft.
mit Ausdrücken wie »Katalysatoren«, »Zielscheiben«, »feindselige Deuter« oder »die Vor einiger Zeit habe ich bei einem zweiwöchigen Gruppenworkshop nach A. K.
einzigen Aufrichtigen«. Manche von diesen frühen Provokateuren waren aktive »Kon­ Rice an einer Übung für Gruppen untereinander teilgenommen; die 60 Teilnehmer
traabhängige« und forderten den Therapeuten schon am Anfang der Gruppenarbeit wurden aufgefordert, nach Belieben vier Gruppen zu bilden und dann die sich entwi­
heraus. Einer z. B. forderte den Leiter in der dritten Sitzung in verschiedener Hinsicht ckelnden Beziehungen zwischen den Gruppen zu untersuchen. Die 60 Teilnehmer has-
heraus: Er schlug vor, dass die Mitglieder längere Sitzungen abhielten, ebenso wie re­
gelmäßige Treffen ohne Leiter. Außerdem versuchte er, nur halb im Spaß, eine Unter­ * In einem klassischen Aufsatz zum Phänomen des Sündenbocks erinnert Scheidlinger an die biblischen
suchung der persönlichen Probleme des Gruppenleiters in Gang zu bringen. Andere Ursprünge des Sündenbocks. Eine Ziege wurde zum Träger der Sünden aller gemacht und aus der Ge­
Provokateure bildeten sich etwas auf ihre Ehrlichkeit und Unmittelbarkeit ein; sie leg­ meinschaft verbannt. Eine zweite Ziege wurde zum Träger aller positiven Eigenschaften der Men­
schen auserkoren und auf dem Altar geopfert. Ein Sündenbock der einen wie der anderen Art zu sein
ten ihre Worte nicht auf die Goldwaage, wenn sie den anderen Mitgliedern freimütig
ist dem überleben gleichermaßen wenig förderlich (S. Scheidlinger, »Presidential Address: On
Feedback gaben. Wieder andere, die im Bereich der Nähe schwere Konflikte hatten, sie Scapegoating in Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 32 ( 1982 ) :
sowohl suchten als auch fürchteten, übten beträchtliche Selbstoffenbarung und er- 13 1-43).

360 361
teten fast in Panik aus dem großen Saal auf die vier Räume zu, die für die jeweiligen werden, so zerstörerisch. In der Mitte der Siebzigerjahre begann ich meine erste Grup­
Gruppen bestimmt waren. Die Panik, ein unvermeidlicher Teil dieser Übung,48 rührte pe für Krebsklienten mit Katy Weers, einer bemerkenswerten Frau mit Brustkrebs im
wahrscheinlich von primitiven Ängsten her, aus einer Gruppe ausgeschlossen zu wer­ fortgeschrittenen Stadium. Sie schimpfte oft über den Schaden, den Elisabeth Kübler­
den. In der Gruppe, der ich angehörte, waren die ersten Worte, die gesprochen wurden, Ross' »Phasen« des Sterbens im Fach angerichtet hatte, und träumte davon, ein Buch
nachdem etwa 16 Personen hereingekommen waren: »Macht die Tür zu! Lasst nie­ zu schreiben, um dieses Konzept zu widerlegen. Die Klienten vor einer Schablone von
manden mehr herein!« Die erste Handlung der Gruppe bestand darin, einen offiziellen Stadien zu erleben kollidiert mit genau dem, was sterbende Klienten sich so sehnlich
Türhüter zu ernennen. Sobald die Grenzen der Gruppe definiert und ihre Identität ge­ wünschen: »therapeutische Präsenz«. Katy und ich vermuteten beide, dass sich die
genüber der Außenwelt etabliert war, wandte die Gruppe ihre Aufmerksamkeit der Therapeuten in die Mythologie der »Phasen« hüllten, um ihre eigene Angst vor dem
Machtverteilung zu, indem sie rasch, bevor das Führungsbegehren mehrerer Mitglie­ Tod zu dämpfen.
der die Gruppe lähmen konnte, einen Vorsitzenden wählte. Erst später wurden in der
Gruppe Gefühle des Vertrauens und der Nähe erlebt und erörtert, und dann, viel spä­
P robleme d e r G ru ppen m itgl iedschaft
ter, Gefühle der Traurigkeit, als die Gruppe sich ihrem Ende näherte.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es einige bescheidene Vorteile für den Der Ablauf der frühen Entwicklung der Gruppe wird durch Probleme der Mitglied­
Gruppentherapeuten hat, wenn er ein grobes Schema vom Ablauf der Gruppenent­ schaft stark beeinflusst. Wechsel der Mitglieder, Zuspätkommen und Fehlen sind im
wicklung besitzt: Er kann leichter seine Objektivität wahren und den Kurs einer Grup­ Leben der sich entwickelnden Gruppe Tatsachen, die oft ihre Stabilität und Integrität
pe trotz erheblicher Abweichungen besser steuern, und er kann es besser erkennen, bedrohen. Wenn häufig Mitglieder fehlen, wendet sich die Aufmerksamkeit und Ener­
wenn die Gruppe über ein bestimmtes Stadium niemals hinauskommt oder bestimm­ gie der Gruppe von ihrer Entwicklungsaufgabe ab und dem Problem der Erhaltung des
te Stadien auslässt. Manchmal fordern Therapeuten vielleicht etwas, wofür die Gruppe Mitgliederbestandes zu. Der Therapeut hat die Aufgabe, unregelmäßiges Kommen ab­
noch nicht bereit ist: Gegenseitige Anteilnahme und Fürsorge entwickelt sich erst spät zustellen und, wenn nötig, ausgeschiedene Mitglieder durch neue zu ersetzen.
in der Gruppe; am Anfang mag Fürsorge eher pro forma sein, während die Mitglieder
sich gegenseitig als Eindringlinge oder als Nebenbuhler um die heilende Berührung Mitgliederwechsel
des Therapeuten sehen. Der Therapeut, der sich an einer bestimmten Sicht der Grup­ Bei normalem Verlauf scheidet innerhalb der ersten zwölf bis 20 Sitzungen eine be­
penentwicklung orientiert und das Gruppengeschehen in diesem Sinne einordnet, ver­ trächtliche Anzahl der Mitglieder von langfristigen Gruppen auf interaktionsorien­
mag die Entwicklungen besser zu spüren und zu verfolgen. tierter Grundlage aus (siehe Tabelle 8. 1 ) . Wenn zwei oder mehr Mitglieder ausschei­
Doch die Anwendung der Gedanken zur Gruppenentwicklung in der Praxis hat den, werden gewöhnlich neue aufgenommen - doch von diesen fällt oft ein ähnlicher
auch ihre Kehrseite! Der Neuling könnte diese Ideen zu ernst nehmen und sie als Schab­ Prozentsatz in den ersten zwölf Sitzungen aus. Erst danach festigt sich die Gruppe und
lone für die klinische Praxis benutzen. Ich habe angehende Therapeuten erlebt, die En­ beginnt sich mit Dingen zu befassen, die anderes betreffen als die Gruppenstabilität.
ergie darauf verwendeten, eine Gruppe im Gänsemarsch gewaltsam zum Fortschritt Im Allgemeinen haben Klienten, wenn sie etwa 20 Sitzungen lang in der Gruppe ge­
durch festgelegte Phasen zu zwingen. Eine derart formelhafte Therapie - und sie wird blieben sind, sich auf die notwendige Langzeitverpflichtung eingelassen. Bei einer Un­
in dieser Zeit der standardisierten Therapie via Behandlungshandbuch immer häufiger tersuchung über die Teilnahme in fünf Gruppen von ambulanten Klienten gab es im
- verringert die Möglichkeit einer wirklichen Verbindung zwischen Klient und Thera­ Lauf der ersten zwölf Sitzungen einen erheblichen Wechsel unter den Mitgliedern; zwi­
peut. Die Opferung von Echtheit, von Authentizität in der therapeutischen Beziehung schen der 12. und 20. Sitzung fand eine Konsolidierung statt; zwischen der 20. und 45.
ist kein geringer Verlust. Es ist der Verlust des innersten Kerns der Psychotherapie. Sitzung (dem Ende der Studie) war die Teilnahme kontinuierlich, die Pünktlichkeit
Gewiss haben die ersten Generationen von Psychotherapiemanualen durch ihre war ausgezeichnet und kein Mitglied schied mehr aus.50 Die meisten Untersuchungen
sklavische Fixierung auf das zugrunde liegende Modell die Authentizität der Therapie gelangen zu den gleichen Resultaten.5 1 Es ist ungewöhnlich, dass die Zahl der Abbre­
verringert. Neuere Manuale hingegen sehen davon ab, uneffektive Vorschriften über cher in späteren Phasen die derjenigen in früheren Phasen übersteigt.52 In einer Studie,
Einzelheiten der Behandlung zu machen, und ermöglichen dem Therapeuten so eine in welcher sich der Mitgliederschwund in späteren Phasen als höher erwies als in den
flexiblere und natürlichere Vorgehensweise.49 Anfangsphasen, führten die Forscher die hohe Zahl späterer Therapieabbrüche auf
Psychotherapie, ob mit einer Gruppe oder mit einem einzelnen Klienten, sollte eine wachsendes Unbehagen infolge zunehmender Vertrautheit innerhalb der Gruppe zu­
gemeinsame Entdeckungsreise sein. In jedem System von »Stadien« - wenn der The­ rück. In einigen Fällen kam es zu einer regelrechten Abbruchswelle, wobei ein Abbre­
rapeut in irgendeiner Art von wachstumsorientierter Therapie feste, vorgefasste Vor­ cher den nächsten anzustecken schien. Wie bereits in Kapitel 8 erwähnt wurde, verrin­
stellungen und Verfahrensprotokolle hat - liegt Gefahr. Genau aus diesem Grund sind gert eine vorher oder gleichzeitig stattfindende Einzeltherapie das Risiko vorzeitiger
die Trends, die unserem Fach durch die gelenkte Gesundheitsfürsorge aufgezwungen Therapieabbrüche erheblich.53

362 363
Generell berichten Kurzzeittherapiegruppen über eine geringere Zahl von Abbrü­ als das Reden vor den falschen Zuhörern und das Besprechen und Beklagen von un­
chen. 54 In geschlossenen, zeitlich begrenzten Gruppen ist es sinnvoll, mit einer so gro­ regelmäßigem Erscheinen vor den anwesenden Gruppenmitgliedern - den regelmäßig
ßen Mitgliederzahl zu beginnen, dass die Gruppe einen gewissen Mitgliederschwund und pünktlich erscheinenden Klienten. Gruppen verhalten sich gegenüber Mitglie­
verkraften kann und trotzdem während der gesamten Zeit der Zusammenarbeit stark dern, die sich echte Mühe geben, regelmäßig an den Sitzungen teilzunehmen, denen
genug bleibt. Allerdings kann eine zu hohe Mitgliederzahl zu Beginn bewirken, dass dies aber nicht immer gelingt, im Allgemeinen verständnisvoll, wohingegen sie sich ge­
sich einige Teilnehmer in der Gruppe isoliert und an den Rand gedrängt fühlen und genüber Mitgliedern unduldsam zeigen, die nicht regelmäßig an den Sitzungen teil­
deshalb schnell wieder ausscheiden. Mit neun bis zehn Mitgliedern zu beginnen ist nehmen, weil sie sich der Gruppe nicht verpflichtet fühlen.
wahrscheinlich ideal. Therapeuten wenden verschiedene Methoden an, um das regelmäßige Erscheinen
zu beeinflussen. Viele betonen in Vorbereitungsgesprächen vor der Therapie die Wich­
Regelmäßige Teilnahme und Pünktlichkeit tigkeit des regelmäßigen Besuchs. Klienten, die voraussichtlich Schwierigkeiten mit
Wenn auch der Therapeut von Anfang an auf ein regelmäßiges Erscheinen und auf Terminen oder mit Verkehrsmitteln haben könnten, werden am besten für Einzelthe­
Pünktlichkeit dringt, entstehen in den Frühstadien der Gruppenarbeit gewöhnlich rapie vorgesehen, ebenso Klienten, die einmal pro Monat verreisen müssen oder ein
Schwierigkeiten. Manchmal, wenn er von einem Schwall von Absagen überschwemmt paar Wochen nach Gruppenbeginn eine längere Urlaubsreise planen. Es ist allgemein
wird (Probleme mit dem Babysitter, Ferien, Anreiseschwierigkeiten, dringliche Arbei­ üblich, für versäumte Sitzungen das volle Honorar zu verlangen, es sei denn, ein Klient
ten, Gäste von außerhalb usw.), resigniert er und hält es für unmöglich, die Zeitpläne habe einen außerordentlichen Entschuldigungsgrund, der dem Therapeuten lange
von acht viel beschäftigten Menschen zu synchronisieren. Wehren Sie sich gegen diese vorher mitgeteilt worden ist. In der Privatpraxis ist wohl die häufigste Vorgehensweise,
Fehleinschätzung! Zuspätkommen und unregelmäßiges Erscheinen bedeuten gewöhn­ ein monatliches Honorar festzusetzen, das nicht herabgesetzt wird, auch wenn der Kli­
lich Widerstand gegen die Therapie und sollten genauso betrachtet werden, wie man ent Sitzungen versäumt, aus welchem Grund auch immer.
diese Phänomene in der Einzeltherapie betrachtet. Wenn mehrere Mitglieder oft zu Es gibt wesentlich mehr Gruppenteilnehmer mit starkem Widerstand als Männer,
spät kommen oder fehlen, muss man nach der Ursache des Gruppenwiderstands su­ die ihre Partnerinnen körperlich misshandeln. Andererseits liegen uns aussagekräftige
chen; aus irgendeinem Grund ist die Kohäsivität begrenzt, und die Gruppe ist dem Belege dafür vor, dass Interventionen im Rahmen von Therapiegruppen bei der ge­
Scheitern nahe. Wenn eine Gruppe sich zu einer intensiv arbeitenden, kohäsiven Ein­ nannten Population wirksam sind, sofern die betreffenden Männer die Behandlung
heit gefestigt hat, verschwinden - oh Wunder über Wunder - Babysitter- und Termin­ nicht abbrechen. Allerdings sind bei dieser Population Therapieabbrüche in Höhe von
probleme, und Teilnahme und Pünktlichkeit bleiben viele Monate lang vorbildlich 40 bis 60 Prozent innerhalb von drei Monaten nicht ungewöhnlich. Therapeuten, die
stabil. mit ihr arbeiten, sprechen das Problem der schlechten Motivation in intensiven Trai­
Ein andermal ist der Widerstand beim Einzelnen und nicht bei der Gruppe zu su­ nings vor Beginn der eigentlichen Gruppenarbeit direkt an und führen unter anderem
chen. Ich bin stets von neuem verblüfft über die Verwandlung, die bei manchen Men­ psychoedukative Videos vor, die das Mitgefühl gegenüber den Opfern stärken und die
schen zu beobachten ist, die über lange Zeit »absolut zwingende« Gründe - z. B. peri­ Täter über die physiologischen und psychologischen Hintergründe von Gewalt infor­
odische Geschäftskonferenzen, Umbau des Stundenplans in der Schule oder Notfälle mieren sollen.55 Eine noch einfachere Intervention hat sich ebenfalls als erstaunlich
in der Kinderbetreuung - für ihr Zuspätkommen angaben. Diese Klienten können, wirksam erwiesen. Im Rahmen einer Studie, an der 1 89 Männer teilnahmen, berichte­
nachdem sie den Widerstand erkannt und durchgearbeitet haben, auf Monate hinaus ten Gruppenleiter, die den Kontakt zu den Klienten mittels Telefonanrufen aktiv auf­
die pünktlichsten Mitglieder werden. So zögerte ein regelmäßig zu spät kommendes rechterhielten, ihre Besorgnis zum Ausdruck brachten und auf den jeweiligen Klienten
Gruppenmitglied, sich in der Gruppe zu engagieren, weil es sich wegen seiner Impo­ persönlich abgestimmte Maßnahmen zur Stärkung der therapeutischen Allianz ergrif­
tenz und seiner homosexuellen Fantasien schämte. Nachdem der Klient sich offenbart fen, über ausgezeichnete Erfolge. Diese einfachen, unaufwendigen Interventionen ver­
und seine Scham durchgearbeitet hatte, stellte er fest, dass sich die wichtigen Geschäf­ besserten sowohl die Bereitschaft der Betreffenden, an den Sitzungen teilzunehmen, als
te, die an seiner Verspätung schuld waren - Verpflichtungen, die, wie er später gestand, auch ihre Teilnahmedauer in interpersonalen und kognitiv-behavioralen Gruppenthe­
im Durchlesen seiner Nachmittagspost bestanden -, plötzlich in Luft auflösten. rapien und verringerte die Häufigkeit von Vorfällen häuslicher Gewalt signifikant.56
Welche Ursache der Widerstand auch haben mag, er ist eine Verhaltensweise, die Es ist außerordentlich wichtig, dass auch der Therapeut ganz und gar von der Wich­
aus verschiedenen Gründen geändert werden muss, bevor sie verstanden und durch­ tigkeit der Therapiegruppe und des eigenen regelmäßigen Erscheinens überzeugt ist.
gearbeitet werden kann. Einmal ist unregelmäßiges Erscheinen oder Eintreffen für die Der Therapeut, der nach dieser überzeugung handelt, überträgt sie auf die Klienten.
Gruppe zerstörerisch. Es ist ansteckend und führt zu einer Demoralisierung der Grup­ Der Therapeut sollte also pünktlich kommen, der Gruppe in seinem eigenen Zeitplan
pe und weiterem Wegbleiben. Natürlich ist es unmöglich, ein Problem in Abwesenheit höchste Priorität geben, und wenn er bei einer Sitzung einmal nicht dabei sein kann,
der betreffenden Klienten zu bearbeiten. Es gibt kaum vergeblichere Unternehmungen sollte er der Gruppe seine Abwesenheit schon einige Wochen vorher mitteilen. Es

364 365
kommt nicht selten vor, dass die Teilnahme der Gruppenmitglieder an den Sitzungen Zorn mitten in der Sitzung. Die anderen Mitgl ieder füh lten a uch sich äußerst bedroht
sich verschlechtert, nachdem der Therapeut eine Zeit lang abwesend war oder die und sta nden Dan so weit bei, dass sie fragten, ob die Therapeuten überhaupt berech­
Gruppensitzung einmal abgesagt hat. tigt seien, ein Mitglied z u m Verlassen der G ruppe aufzufordern.
Trotz d ieser ersten, heftigen Reaktion der Gruppe wurde bald klar, dass die Therapeu­
Als ich zu einer Therapiesitzung m it einer Gruppe fü r ä ltere Männer kam, stellte ich ten richtig eingegriffen hatten. Einer der Co-Therapeuten rief Dan an, füh rte zwei Ein­
fest, dass die Hä lfte der i n sgesamt acht Gruppenmitglieder n icht erschienen wa r. zelsitzungen mit ihm d u rch und ü berwies i h n dann zur Einzeltherapie an einen kom­
Kra n kheit, Fa m i l ienbesuche und u n u mgä ngl iche anderweitige Termine zusa m men petenten Therapeuten . Dan begriff ba ld, dass d ie Thera peuten i h n n icht bestrafen
hatten die Teilneh merza h l bei d iesem Termin so stark verri ngert. Als ich meinen Blick wollten, sondern in seinem Interesse gehandelt hatten: U n regelmäßige Tei l na h me an
d u rch den Ra u m mit den verwaisten Stü hlen schweifen ließ, meldete sich ein Mann zu einer Therapiegruppe hätte für i h n keine wirksa me Thera pie bedeutet. Die Gruppe war
Wort und schlug mit resignierter Stimme vor, die Sitzung n icht stattfi nden zu lassen, u n m ittelbar betroffen: Die Regelmä ßigkeit des Erscheinens steigerte sich sch laga rtig
da so viele Mitgl ieder n icht ersch ienen seien. Meine erste Rea ktion auf d iesen Vor­ und blieb in den nächsten Monaten fast vol l kommen. Als die Mitglieder sich von i h rer
schlag wa r insgeheime E rleichterung a ufgrund der unerwa rteten Aussicht a uf ein we­ Furcht erholt hatten, a uf ä h n l iche Weise verba n nt zu werden, ga ben sie a ll m ä h lich zu
nig freie Zeit in meinem anstrengenden Arbeitstag. Doch mein nächster Geda n ke wa r, erken nen, dass s ie d ie Handlungsweise der Therapeuten billigten und dass sie einen
dass eine Absage der Sitzung fü r d iejen igen, die gekom men waren, eine schreckliche starken G roll gegen Da n und in geringerem Ma ß auch gegen ein ige der anderen Mit­
Botschaft wäre. Eine solche Entscheid ung würde wie eine Bestätigung jener Ma rgina­ glieder gehegt hatten, wei l diese die Gruppe so rücksichtslos behandelt hatten.
l is ieru ng, Isolation und U nerwünschtheit wirken, die d iese M ä n ner in i h re m Leben
stä ndig e m pfa nden. Deshalb erklärte ich, dass es i n der a ktuellen Situation viel leicht Manche Therapeuten versuchen, das regelmäßige Erscheinen dadurch zu fördern, dass
sogar noch wichtiger als sonst sei, die Sitzung stattfi nden zu lassen. Die Mä n ner be­ sie sich des Gruppendrucks bedienen, indem sie sich z. B. weigern, eine Sitzung abzu­
grüßten meine Äußerung ebenso wie meinen Vorschlag, die n icht benötigten Stü h l e halten, wenn nicht eine vorher bestimmte Anzahl von Mitgliedern (gewöhnlich drei
aus d e m Kreis zu entfernen und enger zusa m menzu rücken, da mit w i r einander besser oder vier) anwesend ist. Selbst wenn man ihn nicht auf diese Weise formalisiert, ist der
verstehen kön nten. Druck, den die restliche Gruppe ausübt, der wirksamste Hebel, den man bei weniger
verlässlichen Mitgliedern ansetzen kann. Die Gruppe wird oft durch die Wiederho­
Ein Gruppenmitglied, das unregelmäßig an den Sitzungen teilnimmt (aus welchem lungen und Fehlstarts, die durch unregelmäßiges Erscheinen bedingt sind, frustriert
Grund auch immer), hat wahrscheinlich keinen Nutzen von der Gruppe. Im Rahmen und verärgert. Der Therapeut sollte die Mitglieder ermutigen, ihre Reaktionen gegen­
einer Studie mit 98 Gruppenteilnehmern stellten Stone und Kollegen fest, dass eine über verspäteten oder fehlenden Mitgliedern zu äußern. Man bedenke jedoch, dass die
schlechte Teilnahmemoral zu Beginn der Arbeit einer Gruppe in einer linearen Bezie­ Sorge des Therapeuten um die regelmäßige Teilnahme von den Mitgliedern nicht
hung zur Zahl der Therapieabbrecher (in der Zeit zwischen dem sechsten und zwölften immer geteilt wird: Eine junge oder unreife Gruppe begrüßt oft die kleine Sitzung und
57
Monat der Behandlung) steht. Deshalb muss man dem Problem der unzuverlässigen sieht sie als Gelegenheit an, mehr individuelle Aufmerksamkeit vom Gruppenleiter zu
Teilnahme mit entschiedenen Interventionen entgegentreten. bekommen. Ebenso sollten Sie sich davor hüten, die regelmäßig teilnehmenden Grup­
penmitglieder zu bestrafen, indem Sie eine Sitzung ausfallen lassen, um die abwesen­
I n einer neuen G ru ppe kam ein Mitglied namens Dan stä ndig zu spät oder gar n icht. den Mitglieder unter Druck zu setzen.
Wa n n i m m e r die Co-Therapeuten ü ber seine Tei l n a h m e sprachen, war klar, dass D a n Wie alles, was sich in der Gruppe ereignet, sind auch Wegbleiben oder Zuspätkom­
h ieb- u nd stichfeste E ntschuld igu ngen hatte: S e i n Leben und s e i n Geschäft wa ren i n men Verhaltensweisen, die charakteristische Muster eines Menschen widerspiegeln, wie
e i n e r solchen Krise, d a s s i m mer wieder u nerwa rtete U mstä nde ei ntraten u n d sein er zu anderen in Beziehung tritt. Wenn Mary zu spät kommt, entschuldigt sie sich?
Kom m e n u n m öglich machten. Die ganze Gruppe war noch n icht z u sa m mengewach­ Kommt Joe gedankenlos mit exhibitionistischer Attitüde herein? Kommt Sally zu spät,
sen; trotz der Bem ü h u ngen der Thera peuten ka men a uch andere Mitglieder oft zu spät weil sie sich für ein Nichtwesen hält, das nie einen Beitrag zum Gruppenprozess leistet?
oder feh lten, und wä h rend der Sitzungen wa r ein ausgeprägtes Fl uchtverha lten zu be­ Kommt Ralph nur dann zu den Sitzungen, wenn er Lust dazu hat, weil er glaubt, dass
obachten. In der zwölften Sitzung beschlossen die Therapeuten, es m üsse etwas E nt­ ohne ihn in der Gruppe sowieso nichts Wichtiges passiert? Möchte Peg die Ereignisse
scheidendes geschehen. Sie rieten Dan, die Gru ppe zu verlassen, und erklärten, Dans der Sitzung noch einmal wiederholt haben? Ist ihre Beziehung zu der Gruppe so, dass
Zeitplan sei dergestalt, dass die Gruppe fü r i h n nur wenig Wert haben kön ne. Sie boten die Mitglieder ihr diesen Wunsch erfüllen? Wenn Stan verreist ist, ruft er im Voraus an
an, Dan zu helfen, eine Ei nzelthera pie zu begi n nen, die eine flexiblere Zeiteintei l u ng und lässt es die Gruppe wissen? Bietet er komplexe, übermäßig ausführliche Entschul­
ermöglichen würde. Die Thera peuten wol lten zwar n icht strafen, und i h re Erklärung digungen an, als sei er überzeugt, man werde ihm nicht glauben? Nicht selten ist die
wa r nachvollziehbar, a ber Dan wa r zutiefst beleidigt und verließ den Gru ppenra u m im Psychopathologie eines Klienten verantwortlich für sein unregelmäßiges Erscheinen.

366 367
Zum Beispiel kam ein Klient häufig zu spät, weil er nicht den Mut aufbrachte, ein Ge­ die beide aggressive Persönlichkeiten waren, gewöh nt, sich durchzusetzen. Er hatte
spräch oder eine Konferenz mit einem Geschäftspartner zu unterbrechen. Er hatte sich schon l ange ein jede Initiative lähmendes Gefühl von sozialer und sexueller Impotenz
wegen seiner lähmenden Furcht vor Autoritätsfiguren und seiner generellen Unfähig­ gehabt, verstärkt d u rch seine Ansicht, er habe noch nie eine bedeutsame Wirkung auf
keit, sich in zwischenmenschlichen Situationen durchzusetzen, in Therapie begeben. eine G ruppe von Menschen ausgeübt, insbesondere nicht auf eine Gruppe von Frauen.
Ein Klient mit einer Zwangsstörung"kam zu spät, weil er sich gezwungen fühlte, seinen In den folgenden Wochen leistete Albert in Bezug auf diese Fragen eine Menge wert­
Schreibtisch immer wieder säubern zu müssen, bevor er sein Büro verließ. voller Arbeit - Fragen, die vielleicht noch viele Monate lang nicht zugänglich geworden
Abwesenheit und Zuspätkommen sind also Teil des sozialen Mikrokosmos eines wären, wenn nicht zufällig die anderen Männer gefehlt hätten.
Klienten, und wenn man richtig mit ihm umgeht, kann man es in den Dienst des
Selbstverständnisses stellen. Sowohl um der Gruppe als auch um des Einzelnen willen In der Praxis ziehe ich es vor, das regelmäßige Erscheinen zu fördern, aber niemals eine
muss dieses Verhalten jedoch zur Debatte gestellt werden, bevor man es analysiert. Ein Sitzung abzusagen. Es liegt erheblicher therapeutischer Wert darin, dass der Klient
abwesender Klient kann eine Deutung nicht hören. Tatsächlich muss der Therapeut weiß: Die Gruppe ist immer da, stabil und zuverlässig; ihre Konstanz wird mit der Zeit
den Zeitpunkt für Kommentare, die er an den zurückkehrenden Klienten richten will, auch eine Konstanz der Teilnahme hervorrufen. Ich habe viele kleine Gruppensit­
sorgfältig wählen. Oft kommen Klienten, die gefehlt haben oder zu spät gekommen zungen, manchmal mit nur zwei Mitgliedern, geleitet, die sich für die betreffenden Kli­
sind, mit abwehrenden Schuldgefühlen wieder zur Sitzung und haben nicht die opti­ enten als entscheidende Sitzungen erwiesen haben. Das technische Problem bei sol­
male Aufnahmefähigkeit für Bemerkungen über ihr Verhalten. Der Therapeut tut oft chen Sitzungen, besonders mit drei oder weniger Mitgliedern, liegt darin, dass der
gut daran, sich zunächst um Aufgaben der Gruppenerhaltung und der Bildung von Therapeut ohne vorhandene Interaktion vielleicht dazu übergeht, sich auf intrapsy­
Normen zu kümmern und erst später, wenn der Zeitpunkt richtig erscheint und die chische Prozesse in einer Weise zu konzentrieren, wie sie für die Einzeltherapie kenn­
Abwehrbereitschaft abgenommen hat, zu versuchen, dem Klienten zu helfen, die Be­ zeichnend ist, wobei er Gruppenprobleme und interpersonale Probleme beiseite lässt.
deutung seines Verhaltens zu erforschen. Das Timing von Feedback ist besonders wich­ Es ist aber therapeutisch viel konsequenter und technisch weniger anstrengend, sich
tig für Mitglieder, deren psychische Verletzlichkeit größer ist und die weniger reife Be­ selbst in der kleinsten Sitzung auf Gruppenprozesse und interpersonale Prozesse ein­
ziehungen haben. 58 gehend zu konzentrieren. Man betrachte das folgende klinische Beispiel aus einer zehn
Ein Gruppenmitglied, das eine Sitzung versäumen oder zu spät kommen wird, soll­ Monate alten Gruppe:
te, wie man ihm in der Vorbereitung auf die Gruppe geraten hat, den Therapeuten vor­
her anrufen, um es der Gruppe zu ersparen, Zeit mit der Äußerung von Neugier oder Aus versch iedenen Gründen - Urlaub, Krankheit, Widerstand - wa ren (außer dem The­
Besorgnis über das fehlende Mitglied zu verschwenden. Bei fortgeschrittenen Gruppen rapeuten) nur zwei Gruppenmitglieder anwesend: Wanda, eine 38-jährige depressive
liefern die Fantasien der Klienten über die Gründe, aus denen ein Mitglied fehlt, wert­ Klientin mit Borderline-Persönlichkeitsstörung, die früher schon zweimal hatte statio­
volles Material für den therapeutischen Prozess; in neuen Gruppen sind solche Speku­ när behandelt werden müssen, und Martin, ein 23-jäh riger schizoider, psychosexuell
lationen jedoch meist oberflächlich und unfruchtbar. unreifer Mann mit einer mä ßig schweren Colitis ulcerosa.
Eine wichtige Beobachtung in der interaktionellen Gruppentherapie, die ich in die­ Wa nda brachte fast den ganzen ersten Teil der Sitzung da m it zu, d ie Tiefe ihrer Ver­
sem Buch immer wieder unterstreiche, besagt, dass jedes Ereignis in der Gruppe inter­ zweiflung zu beschreiben, die wä hrend der vergangenen Woche solche Ausmaße an­
personale Probleme zum Vorschein bringen kann. Selbst das Fehlen eines Mitglieds genommen hatte, dass sie an Selbstmord gedacht hatte und, da der Gruppentherapeut
kann wichtiges Material zutage fördern, das noch nie untersucht worden ist. verreist gewesen war, in die Notaufnahmestation des Krankenhauses gekommen war.
Dort hatte sie heimlich ihre Karteikarte gelesen und einen Vermerk entdeckt, den der
In der achten Sitzung einer Gruppe, die aus vier weiblichen und drei männlichen Mit­ Gruppentherapeut ein Jahr zuvor geschrieben hatte. Er hatte bei ihr eine Borderline­
gliedern bestand, feh lten zwei der Männer. Albert, der dritte Mann, hatte sich in der Persönlichkeitsstörung d iagnostiziert. Sie sagte, sie habe diese Diagnose geahnt und
Gruppe vorher zurückha ltend und unterwürfig gezeigt, in dieser Sitzung jedoch trat wolle jetzt, dass der Therapeut sie ins Kra n kenhaus einweise.
eine dramatische Veränderung ein. Albert wurde plötzlich aktiv, sprach ü ber sich, stell­ Dann erinnerte sich Martin an ein Bruchstück eines Traumes, den er mehrere Wochen
te den anderen Gru ppenmitgliedern Fragen, sprach laut und nachdrücklich und forder­ zuvor geträumt, aber damals nicht besprochen hatte: Der Therapeut sitzt an einem
0
te ein paarmal den Thera peuten heraus. Sein nonverbales Verhalten war voll von Qua­ großen Schreibtisch und führt ein Interview m it ihm d urch; er, Martin, steht und blickt
si-Werbungsgebaren, das an die Frauen gerichtet war: Beispielsweise brachte er häufig auf das Pa pier, auf das der Therapeut etwas schreibt. Dort sieht er in riesigen Buchsta­
seinen Krawattenknoten in Ordnung und strich sich über die Schläfen haare. Später im ben ein einziges Wort, das das ganze Blatt bedeckt: IMPOTENT. Der Therapeut half so­
Verlauf der Sitzung konzentrierte sich die Gruppe auf Alberts Veränderung, und er er­ woh l Wanda als auch Martin, über ihre Gefühle der Scheu, der hilflosen Abhängigkeit
kannte und ä ußerte seine Angst und seinen Neid auf die beiden abwesenden Männer, und des Ressentiments zu sprechen, die sie ihm gegenüber empfanden, wie auch über

368 369
i h re Neigung, die Verantwortung abzuschieben und die negativen Gefüh le, die sie sich ter fü r Wa nda als eine Bemerkung von großer therapeutischer Bedeut ung erweisen
sel bst gege n ü ber hatten, auf i h n zu projizieren. sol lte), ihr Interesse an Martin u nd ihr Wunsch, sich ihm sexuell a n zu bieten, entkräfte
Wa nda fuhr fort, ihre H ilflosigkeit zu u nterstreichen, indem sie i h re U nfä h igkeit, für viele der Punkte in ihrer Inventurl iste: ihre Sel bstsucht, ihre Gier u nd ihre al lgemeine
sich sel bst zu kochen, und i h re Sch l a m pigkeit bei m Beza h le n von Rech n u ngen be­ Fei ndsel igkeit gegen ü ber anderen.
schrieb, die so extrem war, dass sie n u n fü rchtete, man werde i h r die Polizei ins Haus
schicken. Sowohl der Thera peut a l s auch Martin besprachen i h re beharrliche Abnei­ Obwohl bei dieser Sitzung nur zwei Klienten anwesend waren, kamen sie als Gruppe
gu ng, auch e i n m a l etwas ü ber i h re positiven Leistu ngen z u sagen - etwa ü ber ihre zusammen und nicht als zwei einzelne Klienten. Die anderen Mitglieder wurden in Ab­
fortgesetzte Hochleistung als Leh rerin. Der Therapeut fragte, ob ihre Da rste l l u ng ihrer wesenheit besprochen, und vorher nicht preisgegebene interpersonale Gefühle zwi­
eigenen Hilflosigkeit n icht d a ra uf a ngelegt sei, Rea ktionen der Fü rsorge u nd Anteil­ schen den beiden Klienten und gegenüber dem Therapeuten wurden ausgedrückt und
nahme bei den anderen Gruppe n m itgliedern und beim Therapeuten hervorzulocken, analysiert. Es war eine wertvolle Sitzung, für beide Teilnehmer zutiefst bedeutsam. In
wei l sie meine, a uf keine andere Weise kön ne sie solche evozieren. diesem Zusammenhang sollte darauf hingewiesen werden, dass die Auseinanderset­
Martin erwähnte dann, er sei a m Vortag in die Ärztebibl iothek gega ngen, um e i n ige zung mit nicht anwesenden Gruppenmitgliedern nicht gleichbedeutend mit »über an­
der Fachabhand l u ngen des Therapeuten zu lesen. Auf dessen Frage, was er d e n n i n dere hinter deren Rücken reden« ist. Die Abwesenheit eines Gruppenmitglieds kann
Wirklichkeit habe herausbekommen wollen, antwortete Ma rtin, e r glaube, tatsächlich nicht ausschlaggebend dafür sein, womit die Anwesenden sich befassen; allerdings ist
habe er wissen wollen, was der Thera peut von i h m ha lte; später beschrieb er z u m es wichtig, dass die Abwesenden bei ihrer Rückkehr in die Gruppe auf den aktuellen
ersten M a l sein Verlangen da nach, die Aufmerksa m keit und Liebe d e s Therapeuten fü r Diskussionsstand gebracht werden. Die regelmäßige Zusendung von Sitzungsproto­
sich al lein zu haben. kollen (siehe Kapitel 14) ist eine gute Möglichkeit, dies zu gewährleisten.
Des Weiteren brachte derTherapeut seine Bestürzung d a r ü ber zum Ausd ruck, dass
Wa nda seine Bemerku ng i n i h rem Kra n ke n bericht gelesen hatte. Da die Angst des Verfrühtes Ausscheiden aus einer Gruppe
Klienten angesichts der Diagnose Borderli ne-Fa l l eine rea l istische Kom ponente hat, Für den angehenden (und auch für viele erfahrene) Gruppentherapeuten gibt es kein
sprach der Therapeut ganz freimütig ü ber sein eigenes U n behagen, diagnostische Eti­ bedrohlicheres Problem als das des verfrühten Ausscheidens aus der Gruppe. Solche
ketten fü r Kra n ken berichte verwenden zu müssen, und ü ber das Durchei nander, das i n Fälle machten mir große Sorgen, als ich anfing, Gruppen zu leiten, und meine erste
der nosologischen psychiatrischen Terminologie herrscht. E r rief sich, so gut e r konnte, Untersuchung über Gruppentherapie befasste sich mit allen Klienten, die in einer
die Gründe ins Gedächtnis, wa rum er diese besondere Bezeichnung verwendet hatte, großen psychiatrischen Klinik verfrüht aus Therapiegruppen ausgeschieden waren.59
und erklärte ihre Bedeutung. Man darf das Problem nicht unterschätzen. Ich habe schon darüber gesprochen, dass
N u n sprach Wa nda ü ber die abwesenden Mitglieder und fragte sich, ob sie sie aus der die demografische Gruppentherapieforschung zeigt, dass eine ansehnliche Zahl von
Gruppe vertrieben habe (ei n e hä ufige Reaktion). Sie beha rrte a uf i h rer Wertlosigkeit Klienten die Gruppe verfrüht verlässt, ganz gleich, was der Therapeut tut. Tatsächlich
und machte a uf Vorschlag des Therapeuten eine I nventur i h rer u nheilvollen Chara kter­ meinen manche Kliniker, solche Ausfälle seien nicht nur unvermeidlich, sondern not­
züge, wobei sie i h re Schlampigkeit, Sel bstsucht, Gier, ihren Neid und ihre fei ndseligen wendig für den Ausleseprozess, der zum Aufbau einer kohäsiven Gruppe gehört.60
Gefü hle gegen alle Menschen in ihrer sozialen U mwelt anfü h rte. Martin u nterstützte Man bedenke auch, dass die Existenz einer Fluchtmöglichkeit für einige Teilnehmer
Wa nda u nd identifizierte sich m it i h r, da er viele d ieser Gefü h l e a uch bei sich sel bst wichtig sein kann, die aufgrund dessen in der Lage sind, einen ersten Versuch zu wa­
feststellte. Er sprach darüber, wie schwer es ihm falle, sich in der Gruppe zu offe n bare n gen, am Gruppengeschehen teilzunehmen. Die Gruppe muss irgendeinen Mechanis­
(Ma rtin hatte vorher i n d e r Gru ppe sehr wenig ü ber sich sel bst gesprochen). Später mus haben, um Dampf abzulassen. Fehler in der Auswahl sind unvermeidlich, im Le­
sprach er ü ber seine Angst, sich zu betrin ken oder auf andere Weise die Kontrolle ü ber ben der neuen Mitglieder treten unerwartete Ereignisse ein, und in der Gruppe entwik­
sich zu verlieren; vor a l lem könnte er sexuell leichtsinnig werden. Er sprach dann zum keln sich unvorhergesehene Unverträglichkeiten. Bei manchen intensiven, über Wo­
ersten Ma l ü ber sei ne Angst vor Sex u a lität, seine I m potenz, seine U nfä h igkeit, eine chen gehenden Experimentalgruppen für zwischenmenschliche Beziehungen oder En­
Erektion aufrechtzuerhalten, u nd seine Weigerungen i m letzten Augenblick, sexuelle countergruppen, die irgendwo in der Einsamkeit zusammenkommen, fehlt es an einer
Gelegenheiten auszun utzen. Wa nda ä u ßerte tiefes Mitgefü h l fü r Martin, und obwohl Fluchtmöglichkeit, und ich habe bei mehreren Gelegenheiten psychotische Reaktionen
sie eine Zeit lang Sex als etwas Abscheu liches angesehen hatte, ä ußerte sie den star­ beobachtet, die daher rührten, dass ein Klient gezwungen war, in einer Gruppe zu blei­
ken Wunsch (ei nen Wunsch, keine Absicht), sie würde i h m gern helfen, i ndem sie sich ben, die nicht zu ihm passte.
ihm sexuell an böte. Martin beschrieb dann, wie stark er sich sexuell von Wa nda a nge­ Für vorzeitige Therapieabbrüche gibt es verschiedene Gründe (siehe Kapitel 8). In
zogen fühlte, u nd später besprachen er u nd Wa nda ihre sexuellen Gefü hle gegenüber vielen Fällen ist es nützlich, über dieses Phänomen aus der Perspektive des Zusammen­
den anderen Gru ppen m itgl iedern. Der Therapeut machte die Bemerku ng (die sich spä- wirkens dreier Faktoren nachzudenken: des Klienten, der Gruppe und des Therapeu-

370 371
ten.61 Im Allgemeinen beruht der Anteil, der von Klienten verursacht wird, auf Abwei­ wa h rscheinlich ein Klient beschließen werde, vorzeitig a uszuscheiden, und da n n werde
chen von der Gruppennorm, der Bildung von Untergruppen, Konflikten bezüglich die G ru ppe a l les liegen u nd stehen lassen und wä h rend ein iger Sitzungen versuchen
Nähe und Selbstoffenbarung, der Rolle des frühen Provokateurs, äußeren Belastungen, m üssen, den betreffenden Klienten z u m Bleibe n zu ü berreden. Die a lten Mitglieder
Komplikationen durch gleichzeitige Einzel- und Gruppentherapie, der Unfähigkeit, sagten dann voraus, welches der neuen Mitgl ieder als erstes beschl ießen werde a ufzu­
den Gruppenleiter mit anderen zu teilen, einer unzureichenden Vorbereitung und höre n . Diese Art der Vora ussage ist eine höchst wi rksame Methode, dafü r z u sorgen,
emotionaler Ansteckung. Alle diese Gründe haben mit dem beträchtlichen Stress am dass sie sich n icht erfü l lt.
Beginn der Gruppe zu tun. Klienten mit dysfunktionalen interpersonalen Verhaltens­
mustern werden ungewohnten Forderungen nach Aufrichtigkeit und Nähe ausgesetzt; Auch bei noch so sorgfältiger Vorbereitung werden viele Klienten den Ausstieg erwä­
sie wissen oft nicht über das Verfahren Bescheid; sie vermuten, die Gruppenaktivitäten gen. Wenn ein Klient dem Therapeuten mitteilt, er wünsche die Gruppe zu verlassen,
seien für ihr Problem wenig relevant, und schließlich fühlen sie in den ersten Sitzungen ist es üblich, den Klienten dringlich aufzufordern, an der folgenden Sitzung noch ein­
zu wenig Unterstützung, um ihre Hoffnung aufrechtzuerhalten. mal teilzunehmen, um mit den anderen Gruppenmitgliedern darüber zu sprechen.
Zu den Faktoren, die von der Gruppe verursacht werden, zählen die Folgen von Cli­ Dieser Praxis liegt die Annahme zugrunde, die Gruppe werde dem Klienten helfen, sei­
quenbildungen innerhalb der Gruppe, ein schlechtes Zusammenpassen der Mitglieder, nen Widerstand durchzuarbeiten, und ihn so von seinem Entschluss abbringen. Diese
die Tendenz, einen Sündenbock zu finden, Pattsituationen zwischen bestimmten Mit­ Methode hat jedoch äußerst selten Erfolg. In einer Untersuchung von 35 Abbrechern
gliedern und unaufgelöste Konflikte. Auch der Therapeut kann eine Rolle spielen, in­ aus neun Therapiegruppen (die ursprünglich 97 Mitglieder hatten) stellte ich fest, dass
dem er die Gruppenmitglieder übereilt auswählt, sie nicht adäquat auf die Gruppen­ jeder der Abbrecher dringlich aufgefordert worden war, noch einmal zu einer Sitzung
arbeit vorbereitet, es versäumt, auf die Entwicklung von Kohäsivität innerhalb der zu kommen, doch kein einziges Mal konnte diese letzte Sitzung die vorzeitige Beendigung
Gruppe hinzuarbeiten, und indem er es versäumt, Übertragungsreaktionen aufzulö­ der T herapie abwenden. 62 Außerdem gab es unter denjenigen, die weiterhin mit der
sen, und deshalb weiterhin deren Einfluss unterliegt. Gruppe arbeiteten, niemanden, der zuvor mit dem Abbruch gedroht hatte und auf­
grund der genannten Technik umgestimmt worden war, obwohl ein beträchtlicher Teil
Wie man vorzeitiges Ausscheiden verhindert: Wie ich bereits besprochen habe, sind die der Arbeitszeit der Gruppe darauf verwendet worden war, ihn dazu zu bringen. Kurz
beiden wichtigsten Methoden, die Abbrecherzahl zu verringern, eine ordentliche Aus­ gesagt: Einen Klienten, der sich entschlossen hat, die Gruppe zu verlassen, aufzufor­
wahl und Vorbereitung auf die Therapie. Besonders wichtig ist, dass der Therapeut in dern, dass er ein letztes Mal an einer Sitzung teilnehmen soll, ist uneffektiver Umgang
der Vorbereitung vor der Therapie dem Klienten klarmacht, dass im Therapieprozess mit der verfügbaren Sitzungszeit.
Perioden der Entmutigung zu erwarten sind. Zu einem Therapeuten, der ein Vo­ Im Allgemeinen tut der Therapeut gut daran, mit einem potenziellen Abbrecher
rauswissen zu haben scheint, das aus der Erfahrung stammt, verlieren die Klienten eine Reihe von Einzelgesprächen zu führen, um mit ihm über seine Anforderungs­
nicht so leicht das Vertrauen. Je spezifischer die Voraussage des Therapeuten ist, umso probleme zu sprechen. Gelegentlich kann eine richtige, eindringliche Deutung einen
stärker ist ihre Wirkung. Beispielsweise kann es einem Klienten, der unter sozialen Klienten in der Therapie halten:
Ängsten und Phobien leidet, Sicherheit geben, wenn er sich im Voraus darüber im Kla­
ren ist, dass er damit rechnen muss, im Laufe der Gruppenarbeit den Wunsch zu flie­ Josef, ein entfremdeter K l ient m it schizoider Persö n l ich keitsstörung, verkündete i n der
hen zu verspüren, oder dass er sich einmal fürchten wird, an der nächsten Sitzung teil­ achten Sitzu ng, er h a be das Gefü h l , er erreiche n ichts in der Gruppe, und er h a be be­
zunehmen. Der Therapeut kann die Teilnehmer darauf hinweisen, dass die Gruppe ein sch lossen a ufzu h ören. I n einer Ei nzelsitzung sagte der Klient dem Gru ppent herapeu­
soziales Laboratorium ist und dass sie die Wahl haben, die Gruppe zu einem weiteren ten etwas, das er i n der Gru ppe nie hatte sagen können, n ä m l ich dass er gege n ü ber
Erlebnis des Misserfolgs und des Vermeidens zu machen, oder zum ersten Mal in sei­ ein igen Gru ppen m itgl iedern viele positive Gefü h l e ha be. Trotzdem besta nd er d a ra uf,
nem Leben nicht zu fliehen und in einer relativ sicheren und geschützten Situation mit dass die Therapie u nwirksam sei und dass er sich eine sch neller wirkende und präzise­
neuen Verhaltensweisen zu experimentieren. In manchen Gruppen gibt es erfahrene re Form der Therapie wü nsche. Der Therapeut deutete die i ntellektuelle Kritik des Kli­
Gruppenmitglieder, die einen Teil dieser Voraussagefunktion übernehmen wie im fol­ enten a n der Methode der Gru ppentherapie richtig a l s Rationa l isieru ng; i n Wirkl ichkeit
genden Fallbeispiel: floh der Klient vor der Nä he, d ie er i n der Gru ppe e m pfu nden hatte. Der Therapeut er­
klä rte noch e i n m a l das Phä nomen des sozialen Mikrokosmos u nd stellte fü r den Klien­
E i ne Gru ppe, i n der me h rere Mitglieder i h re Therapie beendet hatten und in der noch ten klar, dass er i n der Gru ppe seinen lebenslang gewo h nten Stil der Aufn a h m e von
d rei ehemal ige Mitgl ieder verblieben waren, wurde m it fünf neuen Mitgliedern wieder Bez i e h u ngen zu andere n wiederhole. Er sei i m mer vor Nähe geflohen oder h a be sie
a ufgefü l lt. In den ersten beiden S itzu ngen bereiteten die a lten Mitglieder die neuen verm ieden und würde es zweifel los auch i n Zukunft i m mer tun, falls er n icht a ufhöre
vor und sagten i h nen u nter a n derem, dass etwa i n der sechsten oder siebten Sitzung wegzula ufen und sich nicht selbst Gelegenheit gebe, seine i nterpersonalen Probleme

372 373
i n vivo zu u ntersuchen. Josef kehrte i n die Gruppe zurück und hatte schließlich erheb­ Haltung erreicht haben, lassen Sie diese alle Ihre Klienten direkt und indirekt spüren.
l ichen Gewi n n von der Thera pie. Sie vermitteln Ihr Vertrauen zu der Therapieform und Ihre Erwartung, dass der Klient
die Gruppe für effektive Arbeit nutzen wird.
Im Allgemeinen kann der Therapeut die Zahl der vorzeitigen Therapieabbrüche ver­
ringern, indem er sich gewissenhaft mit Problemen befasst, die in den Anfangsphasen Wie man ein Gruppenmitglied aus einer Gruppe entfernt. Einen Klienten aus einer The­
der Arbeit auftreten. Ich werde später in diesem Buch wesentlich mehr über die Selbst­ rapiegruppe zu entfernen, ist ein höchst bedeutsamer Akt sowohl für den betreffenden
offenbarung sagen, doch an dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass sowohl bei Klienten als auch für die Gruppe. Man muss ihn sich daher sehr gut überlegen. Wenn
besonders aktiven als auch bei besonders stillen Gruppenmitgliedern eine erhöhte Ge­ der Therapeut zu dem Schluss gekommen ist, dass ein Klient nicht effektiv arbeitet, ist
fahr des Therapieabbruchs besteht. Bemühen Sie sich, die Selbstoffenbarung zu steu­ sein nächster Schritt, alle möglichen Hindernisse zu erkennen und zu beseitigen, die
ern. Es kann notwendig sein, einen Klienten zu bremsen, der zu schnell sehr persön­ dem produktiven Engagement dieses Klienten in der Gruppe im Wege stehen. Wenn
liche Dinge offenbart, bevor sein Engagement gefestigt ist. Andererseits können Grup­ der Therapeut alles Mögliche getan hat, die Situation aber nicht ändern konnte, darf
penmitglieder, die eine Sitzung um die andere schweigend verbringen, dadurch ent­ man mit Recht eines der folgenden Ergebnisse erwarten: ( 1 ) Der Klient wird schließ­
mutigt werden und sich in immer stärkerem Maße vor jeder Selbstoffenbarung fürch­ lich ohne Gewinn (oder ohne weiteren Gewinn) aus der Gruppe ausscheiden; (2) der
ten. Klient kann durch weitere Teilnahme an der Gruppe Schaden nehmen (wegen nega­
Negative Gefühle, Befürchtungen und Vorahnungen bezüglich der Gruppe oder der tiver Interaktionen und/oder der schädlichen Folgen der Abweichlerrolle - siehe
therapeutischen Allianz dürfen nicht überspielt, sondern müssen angesprochen wer­ Kapitel 8); oder (3) der Klient wird die Gruppenarbeit für die übrigen Klienten stark
den. Außerdem sollte der Ausdruck positiver Affekte wann immer möglich gefördert behindern. Laissez-faire-Haltung wäre also töricht: Die Zeit ist einfach gekommen, dass
werden, wobei der Therapeut als Vorbild fungieren kann. 63 der Klient aus der Gruppe ausgeschlossen werden muss.
Ein unerfahrener Therapeut fühlt sich von dem Klienten verunsichert, der den Wie macht man das? Es gibt keine besonders geschickte oder dezente Möglichkeit,
Wunsch äußert, auszuscheiden. Er bekommt Angst, dass seine Klienten einer nach dem ein Mitglied aus einer Gruppe zu entfernen. Oft wird man mit dieser Aufgabe in einer
anderen fortgehen werden und dass er eines Tages zur Gruppensitzung kommen wer­ Einzelsitzung mit dem betreffenden Klienten besser fertig als in der Gruppe. Die Situa­
de und sich allein (vielleicht mit seinem Co-Therapeuten) im Zimmer befindet. (Und tion ist für die anderen Mitglieder so beängstigend, dass der Therapeut im Allgemei­
was sagen Sie dann Ihrem Gruppen-Supervisor?) Therapeuten, die von dieser Phanta­ nen nur wenig konstruktive Gruppendiskussion erwarten kann. Außerdem verringert
sie völlig ergriffen werden, können in ihrer Gruppe nicht mehr therapeutisch wirken. eine Einzelsitzung beim ausscheidenden Gruppenmitglied das Gefühl, gedemütigt zu
Das Gleichgewicht der Macht verschiebt sich. Der Therapeut fühlt sich erpreßt. Er werden. Ebenso wenig ist es von Nutzen, den Klienten noch einmal zu einer letzten
fängt an, sich verführerisch, schmeichlerisch zu benehmen - Sie tun alles, um die Kli­ Gruppensitzung einzuladen, um die ganze Angelegenheit mit der Gruppe durchzuar­
enten in weitere Sitzungen zu locken. Wenn das passiert, geht die therapeutische Wirk­ beiten. Wäre der betreffende Klient in der Lage, sich mit Problemen offen, also nicht
samkeit natürlich ganz und gar verloren. defensiv, auseinanderzusetzen, hätte man ihn gar nicht zum Verlassen der Gruppe auf­
Nachdem ich mich während vieler Jahre in meiner klinischen Arbeit mit dem Prob­ zufordern brauchen. Nach meinen Erfahrungen verlaufen solche letzte Sitzungen zum
lem des verfrühten Ausscheidens aus der Gruppe herumgeschlagen habe, ist mir Zweck des »Durcharbeitens« ausnahmslos verklemmt, unproduktiv und frustrierend.
schließlich eine Lösung eingefallen. Durch eine Veränderung meiner persönlichen Ein­ Wenn Sie einen Klienten aus der Gruppe entfernen, müssen Sie mit einer starken
stellung habe ich keine Abbrecher der Gruppentherapie mehr. Aber ich habe Leute, die Reaktion vonseiten der übrigen Gruppe rechnen. Die Ausstoßung eines Gruppenmit­
aus der Gruppentherapie »hinausgeworfen« werden! Damit will ich nicht sagen, dass glieds weckt tiefe archaische Ängste, die mit der Ausstoßung aus der Primärgruppe
ich häufig Klienten aus einer Therapiegruppe hinauswerfe, aber ich bin durchaus be­ oder mit Verlassenwerden von der Primärgruppe zusammenhängen. Von der Gruppe
reit, dies zu tun, wenn ein Klient in der Gruppe nicht arbeitet. Ich bin überzeugt ( durch werden Sie möglicherweise wenig Unterstützung erhalten, selbst wenn sich alle Mit­
meine eigene Praxis und durch die empirische Forschung), dass die Gruppentherapie glieder einig sind, dass es richtig war, den Klienten zum Verlassen der Gruppe aufzu­
eine sehr wirksame Psychotherapiemethode ist. Wenn ein Klient nicht fähig ist, von ihr fordern. Selbst wenn der Klient zum Beispiel eine manische Reaktion entwickelt und
zu profitieren, möchte ich ihn nicht in der Gruppe haben, suche eine für ihn geeignete­ die ganze Gruppe gesprengt hat, werden sich die Mitglieder durch Ihre Entscheidung,
re Therapie und nehme statt seiner jemanden in die Gruppe auf, der in der Lage ist, das den Klienten zu entfernen, bedroht fühlen.
Angebot zu nutzen. Es gibt zwei Möglichkeiten für die Mitglieder, die Tatsache zu deuten, dass Sie den
Diese Methode, Therapieabbrüche zu reduzieren, ist mehr als eine bestechende Klienten weggeschickt haben. Eine Deutung ist Ablehnung und Verlassen, d. h., dass Sie
Form der verschleiernden Buchführung; sie spiegelt vielmehr eine Einstellung des The­ den Klienten nicht mögen, dass Sie einen Groll gegen ihn haben, dass Sie wütend sind
rapeuten, die die Hingabe an die Arbeit steigert. Wenn Sie erst einmal diese psychische und ihn aus der Gruppe haben wollen. Wer könnte der Nächste sein?

374 375
Die andere Deutung (hoffen wir, die richtige) ist, dass Sie ein verantwortungsbe­ abgelehnt wurde? Prinzipiell ist es nützlich, den Klienten unter dem Blickwinkel seiner
wusster Psychotherapeut sind, der im wohlverstandenen Interesse dieses Klienten han­ ganzen Therapielaufbahn zu betrachten. Wenn der Klient sehr wahrscheinlich noch
delt - sowie auch im Interesse der übrigen Gruppenmitglieder. Jeder Klient braucht einmal eine Therapie anfängt, wird eine Konfrontation diese, langfristig gesehen, wir­
einen anderen Behandlungsplan, und Sie haben eine verantwortliche Entscheidung kungsvoller machen. Wenn andererseits die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass der Kli­
darüber getroffen, dass diese Form der Therapie für einen bestimmten Klienten nicht ent weiterhin eine dynamisch orientierte Therapie machen wird, hat es wenig Sinn,
geeignet war. Außerdem haben Sie in einer professionell verantwortlichen Weise ge­ ihm eine letzte Deutung vorzulegen, die er nie wird verwenden oder erweitern können.
handelt, wenn Sie dafür gesorgt haben, dass der Klient eine andere Art der Therapie Man teste den Grad der Verleugnung: Wenn sie tief sitzt, lassen Sie sie in Ruhe. Es
erfährt, die ihm mit größerer Wahrscheinlichkeit helfen wird. bringt nicht viel, wenn man Abwehrhaltungen untergräbt, auch wenn sie der Selbst­
Die verbleibenden Gruppenmitglieder machen sich im Allgemeinen die erste, die täuschung dienen, solange man keinen befriedigenden Ersatz zu bieten hat. Versuchen
Ablehnungsdeutung, zu eigen. Es ist nun Ihre Aufgabe, ihnen letztlich dazu zu verhel­ Sie nicht, einen Schaden mithilfe von Einsicht zu mildern.64
fen, dass sie die zweite Qeutung akzeptieren. Sie können den Prozess fördern, indem
Sie erklären, weshalb Sie �o gehandelt haben, und Sie können außerdem über Ihre Ent­ Die Aufnahme neuer Mitglieder
scheidungen bezüglich der weiteren Behandlung des ausgeschlossenen Mitglieds be­ Wenn die Zahl der Gruppenmitglieder zu gering wird (fünf oder weniger), sollte der
richten, beispielsweise dass die betreffende Person in einer Einzeltherapie behandelt Therapeut neue Mitglieder einführen. Dies kann zu jedem Zeitpunkt im Verlauf der
oder von einem Kollegen übernommen werden soll. Manchmal nimmt eine Gruppe Therapie geschehen, aber oft gibt es bei den Langzeitgruppen ganz bestimmte Zeiten,
eine solche Entscheidung mit,Erleichterung oder sogar beifällig auf. Eine Frau, die zu denen neue Klienten üblicherweise aufgenommen werden: während der ersten 12
sexuellen Missbrauch erlebt hatte, bezeichnete den Ausschluss eines sadistischen und Sitzungen (um früh Ausgeschiedene zu ersetzen) und nach etwa 12 bis 18 Monaten
destruktiven Mannes aus der Gruppe als die erste Situation, in der sie erlebe, dass die (um Mitglieder zu ersetzen, die ihre Therapie erfolgreich beendet haben). Bei geschlos­
»Verantwortlichen« ihrem Leiden gegenüber nicht hilflos oder blind seien. senen, zeitlich begrenzten Gruppen besteht nur in einem engen Zeitfenster, den ersten
3 bis 4 Wochen, die Möglichkeit, neue Mitglieder aufzunehmen, wenn man ihnen eine
Das ausscheidende Gruppenmitglied. T herapeutische Überlegungen: Wenn ein Klient sinnvolle Therapiedauer bieten will.
aufgefordert wird, eine Gruppe zu verlassen, oder sich selbst dafür entscheidet, muss
der Therapeut versuchen, diesen Vorgang so konstruktiv wie möglich zu gestalten. Kli­ Timing: Der Erfolg dieser Maßnahme ist zum Teil vom richtigen Timing abhängig; es
enten dieser Art sind gewöhnlich recht demoralisiert und neigen dazu, die Gruppen­ gibt günstige und ungünstige Zeiten für die Einführung neuer Mitglieder in die Grup­
erfahrung als »wieder einmal einen Misserfolg« anzusehen. Selbst wenn der Klient pe. Im Allgemeinen ist eine Gruppe in der Krise, eine Gruppe, die aktiv einen Kampf
dieses Gefühl leugnet, sollte der Therapeut sein Vorhandensein dennoch annehmen der gegenseitigen Vernichtung ausficht oder plötzlich in eine neue Entwicklungsphase
und dem Klienten in einem Gespräch unter vier Augen andere Möglichkeiten vor­ eingetreten ist, für die Aufnahme neuer Mitglieder ungünstig. Oft lehnt sie die Neuan­
schlagen, diese Erfahrung zu betrachten. Der Therapeut kann zum Beispiel den Begriff kömmlinge ab, oder sie weicht der Konfrontation mit dem drängenden Gruppenprob­
der »Bereitschaft« oder der »Gruppeneignung« ins Spiel bringen. Manche Klienten lem aus und richtet stattdessen ihre Energie auf die neuen Mitglieder.
können von der Gruppentherapie erst nach einer Zeit der Einzeltherapie profitieren; Ein Beispiel hierfür ist eine Gruppe, die sich zum ersten Mal mit feindseligen Ge­
andere können aus Gründen, die uns unklar sind, niemals erfolgreich in Therapiegrup­ fühlen gegenüber einem kontrollierend und monopolisierend auftretenden Mitglied
pen arbeiten. Es ist auch durchaus möglich, dass der Klient in einer anderen Gruppe auseinandersetzt, oder eine Gruppe, die erstmals eine so starke Kohäsionskraft und ein
einen erfolgreicheren Therapieverlauf erlebt; dieser Möglichkeit sollte man nachgehen. solches Maß an gegenseitigem Vertrauen entwickelt hat, dass eines ihrer Mitglieder ein
Auf jeden Fall sollte man dem Klienten nahebringen, dass nicht er versagt hat, sondern äußerst wichtiges Geheimnis offenbart hat. Manche Therapeuten verschieben die Auf­
dass sich aus einem von mehreren möglichen Gründen diese Therapieform als erfolg­ nahme neuer Mitglieder, auch wenn die Gruppe nur noch vier oder fünf Klienten hat,
los erwiesen hat. wenn diese gerade intensiv arbeiten. Ich selber ziehe es vor, nicht zu zögern, und be­
Möglicherweise ist es sinnvoll, dass der Therapeut das abschließende Gespräch ginne sofort, mir potenzielle Gruppenmitglieder anzusehen. Kleine Gruppen werden,
nutzt, um die Erfahrungen des Klienten in der Gruppe noch einmal zu rekapitulieren. selbst wenn sie stark kohäsiv sind, am Ende durch Fehlen oder Beendigung der Thera­
Manchmal ist sich ein Therapeut nicht sicher, ob es nützlich oder ratsam ist, den Kli­ pie immer noch kleiner, und bald fehlt es an der Interaktion, die für effiziente Arbeit
enten, der die Therapie beendet, noch einmal mit seinen Erlebnissen zu konfrontieren. notwendig ist. Die günstigste Zeit für die Aufnahme neuer Mitglieder ist eine Phase der
Sollte man zum Beispiel einen Klienten, der sich entzieht und sein Ausscheiden aus der Stagnation in der Gruppe. Viele Gruppen, besonders ältere, ermutigen den Therapeu­
Gruppe seiner Schwerhörigkeit zuschreibt, damit konfrontieren, dass er in Wirklich­ ten ganz konkret, neue Mitglieder anzunehmen, da sie spüren, dass die Gruppe neue
keit extrem von den Gruppennormen abgewichen ist und von der Gruppe eindeutig Anreize braucht.

376 377
In Gruppen für Frauen mit metastasierendem Brustkrebs65 wussten die Mitglieder der bemerkten, die Therapeuten stünden als »Lernassistenten« im Krankenhausver­
sehr genau, wann sie neue Mitglieder in die Gruppe aufnehmen wollten. Wenn die zeichnis, und vermuteten, dass sie vielleicht ihre erste Gruppe leiteten. Dieses Problem
Gruppe sich mit einem sehr kranken, sterbenden oder kürzlich verstorbenen Mitglied - ein echtes, das besprochen werden muss - war trotzdem höchst bedrohlich für die
auseinandersetzte, zog sie es vor, keine neuen Mitg lieder aufzunehmen, weil sie ihre neuen Mitglieder. Es ist interessant, dass mehrere Gruppenmitglieder diese Tatsache
gesamte Energie und Zeit brauchte, um sich mit den Verlusten und der Trauer aus­ schon kannten, dass sie aber bis zu dieser Sitzung in der Gruppe niemals erwähnt wor­
einanderzusetzen. den war.
Es kann natürlich auch ausgeprägte Zeichen des Willkommens und der Unterstüt­
Die Reaktion der Gruppe: Ein britischer Gruppentherapeut wies einmal auf eine Kari­ zung geben, wenn die Gruppe nach neuen Mitgliedern gesucht hat. D ie M itglieder
katur hin, in der eine geplagte Mutter und ihr Kind versuchen, sich in ein voll besetztes können im Umgang mit der anfänglichen Angst oder Abwehrhaltung neuer Mitglieder
Eisenbahnabteil hineinzudrängen. Das Kind schaut zu seiner Mutter auf und sagt: sehr sanft und geduldig sein. Die Gruppe kann tatsächlich in vieler Hinsicht dazu bei­
»Mach dir nichts draus, Mutter, bei der nächsten Haltestelle sind wir an der Reihe zu tr�gen, dass sie für den Neuankömmling attraktiv wird. Oft berichten Gruppenmit­
hassen!«66 Die Parallele zum Eintritt neuer Klienten in die Gruppe ist augenfäll ig. glieder unaufgefordert von ihren guten Erfahrungen und beschreiben die verschiede­
Feindseligkeit gegenüber Neuankömmlingen ist selbst in Gruppen zu beobachten, die nen Arten der Besserung, die sie erlebt haben. In einer solchen Gruppe fragte der Neu­
den Therapeuten gebeten haben, neue Mitglieder aufzunehmen, und dieses Gefühl ling ein mürrisches, von Widerstand erfülltes weibliches Gruppenmitglied nach seinen
kann sehr stark sein. Aufgrund ihres Ausmaßes sind diese Antipathien sogar als »Kin­ Fortschritten; bevor diese Klientin antworten konnte, unterbrachen zwei andere Mit­
destötung« bezeichnet worden.67 glieder den Dialog, da sie spürten, dass sie die Gruppe abwerten würde, und beschrie­
Ich habe viele Male beobachtet, dass an den Tagen, an denen neue Mitglieder ein­ ben ihre eigenen Fortschritte. Obgleich Gruppen unbewusst den Wunsch hegen mö­
geführt werden sollen, die alten Mitglieder zu spät kommen; oft bleiben sie ein paar gen, neue Mitglieder zu entmutigen, sind die M itglieder im Allgemeinen nicht bereit,
Minuten in angeregtem Gespräch im Wartezimmer, während die Therapeuten und die ihre eigene Gruppe in ein schlechtes Licht zu rücken, um dies zu erreichen.
neuen Klienten im Therapieraum warten. Eine Inhaltsanalyse der Sitzung, in der ein Für die ambivalente Reaktion der Gruppe auf neue M itglieder gibt es mehrere
neues Mitglied oder mehrere neue Mitglieder eingeführt werden, bringt viel Unter­ Gründe. Manche Mitglieder, die die Solidarität und Kohäsivität der Gruppe besonders
schwelliges ans Li cht, die mit wohlwollender Gastfreundschaft kaum vereinbar sind. schätzen, fühlen sich vielleicht durch jede vorgeschlagene Änderung des Status quo be­
Die Gruppe verbringt plötzlich viel mehr Zeit als in vorhergehenden Sitzungen damit, droht. Werden die neuen Mitg lieder di e Gruppe unterminieren? Aufgrund der
über »die gute alte Zeit« zu reden. Man erinnert sich eifrig an schon lange ausgeschie­ befürchteten zusätzlichen Belastung der gemeinsamen Ressourcen können starke
dene Mitglieder und an Ereignisse aus früheren Sitzungen und er innert die neuen Mit­ Geschwisterrivalitäten ausbrechen: Die Mitglieder können in den Neuen potenzielle
glieder, falls sie es vergessen haben sollten, arglos an ihren Novizenstatus. Alte Kämpfe Rivalen im Wettstreit um die Aufmerksamkeit des Therapeuten und der Gruppe
werden reinszeniert, um die Gruppe so unangenehm w ie mög lich erscheinen zu sehen; ihre eigene Fantasierolle als Lieblingskind wird durch sie gefährdet.68
lassen. Wieder andere Mitglieder, besonders jene mit Konflikten im Bereich der Dominanz
Manchmal weisen Mitglieder bei solchen Gelegenheiten auf vermeintliche Ähnlich­ und der Steuerung, sehen das neue Mitglied vielleicht als eine Bedrohung ihrer Stel­
keiten zwischen dem neuen und einem aus der Gruppe ausgeschiedenen Mitglied hin. lung in der Machthierarchie. In einer Gruppe verwendeten, als ein neues weibliches
Ebenso können Neuankömmlinge »in die Mangel genommen« werden. Ich habe ein­ Mitglied eingeführt wurde, die beiden schon vorhandenen Frauen (in dem verzweifel­
mal eine Sitzung beobachtet, bei der zwei Mitglieder eingeführt wurden; die Gruppe ten Versuch, ihre Stellung zu schützen) viele prestigesteigernde M ittel bis hin zum Zi­
bemerkte eine Ähnlichkeit zwischen einem der Neuen und einem Klienten, der (wie tieren von Lyrik. Wenn in einer Therapiegruppe als Teil des Begrüßungsrituals Goethe
der Neuankömmling alsbald erfuhr) ein Jahr zuvor Selbstmord begangen hatte; die an­ zitiert w ird, geschieht dies wohl kaum aus ästhetischen Gründen.
dere Klientin wurde mit jemandem verglichen, der nach drei Monaten entmutigt und Eine weitverbreitete Sorge der Gruppe ist, dass neue Mitglieder, selbst wenn sie ge­
ohne Besserung ihres Zustands aus der Therapie ausgeschieden war. Diese Mitglieder, braucht werden, den Fortschritt der Gruppe verlangsamen könnten. Man fürchtet, ver­
die sich über die Boshaftigkeit ihrer Begrüßung nicht im Klaren waren, hatten auf der trautes Material müsse für die Neulinge w iederholt werden; die Gruppe müsse gleich­
bewussten Ebene das Gefühl, die Neuen willkommen zu heißen, wohingegen sie tat­ sam ihren Zyklus noch einmal von vorn beginnen und die Stadien der allmählichen
sächlich äußerst unangenehme Emotionen auf sie projizierten. sozialen Einführung und der ritualisierten Etikette noch einmal durchleben. Diese Er­
Eine Gruppe kann auch dadurch ihre Ambivalenz ausdrücken, dass sie in der ersten "':'artung erweist sich als unrealistisch; neue Klienten, die in eine fortlaufende Gruppe
Sitzung eines Neulings bedrohliche, das Selbstvertrauen erschütternde Probleme erör­ emgeführt werden, begeben sich gewöhnlich rasch auf die vorherrschende Stufe der
tert. Zum Beispiel sprach eine Gruppe in der 17. Sitzung, in der zwei neue Mitglieder Gruppenkommunikation und überspringen die frühen Versuchsphasen, di e für die
eintraten, zum ersten Mal über die Kompetenz der Therapeuten. Die Gruppenmitglie- Mitglieder einer neu gebildeten Gruppe kennzeichnend sind. Eine weitere, wenn auch

379
378
weniger häufige Ursache der ambivalenten B egrüßung des Neuankömmlings ist, dass - etwa: »Sara, dies ist j etzt Ihre erste Sitzung g ewesen. Was hatten Sie für Gefühle da­
Gruppenmitglieder, deren Zustand sich b ereits gebessert hat, sich gelegentlich durch bei? Sieht es für Sie so aus, als werde es schwierig sein , in die Gruppe hinein zukom­
den Kontrast zu den neuen Klienten bedroht fühlen, in denen sie sich selbst sehen, wie men? Welche Anliegen sind Ihnen bis j etzt b ewusst geworden ?« Oft ist es n ützlich, dem
sie am Anfang ihrer eigenen Therapie waren. Sie meiden oft ne ue Klienten, die ihnen Klienten zu h elfen, seine Teilnahme etwas zu steuern. B eispielsweise könnte der The ­
wie eine Reinkarn ation ihres früh eren S elbst erschei nen, um nicht noch ei nmal rapeut sagen: »Sara, Ihn en sind vorhin ei nige Fragen gestellt worden. Wie haben Sie
schmerzlichen früheren Perioden ihres eigenen Lebens gegenübergestellt zu werden. das empfund en? Zu viel Druck? Oder waren Ihnen die Fragen willkommen?« Oder:
In der Regel haben die ne uen Gruppenmitglieder ei ne einzigartige un d konstruk­ »Sara, ich habe gemerkt, dass Sie heute nichts gesagt haben. Die Gruppe war sehr mit
tive Sicht der »Veteranen«. Sie sehen diese, wie sie zur Zeit sind, und verstärken so die Dingen b eschäftigt, die aus Sitzun gen übrig geblieben waren, in denen Sie n och nicht
Realität der bereits erreichten Veränderungen. Oft bewundern sie das Wahrnehmungs­ bei uns waren. Wie war das für Sie ? War es eine Erleichterung? Oder hätten Sie es lieber
vermögen der Älteren sowie ihre soziale und interpersonale Kompetenz. Dies e Art von gehabt, wenn man Ihnen Fragen gestellt hätte?« Man beachte, dass alle diese Fragen auf
Feedback kann auf den Wert der bereits geleisteten therape utischen Arbeit hinweisen. das Hier und Jetzt zentriert sind.
Dadurch wird gleichzeitig die Moral der neuen als auch die der alten Mitglieder ge ­ Viel e Therapeuten zieh en es vor, zwei neue Mitglieder zusammen einzuführen. Die ­
stärkt. se Praxis kann für die Gruppe und für di e neuen Mitglieder Vorteile haben. Gelegent­
lich, wenn ein Klient sich erh eblich leichter in die Gruppe einfügt als der andere, kann
Therapeutische Leitlinien: Klienten, die in eine laufende Grupp e eintreten, brauchen dies ins Gegenteil umschlagen und bei ei nem Neuling ein noch größeres Unbehagen
nicht nur die übliche Vorbereitung auf die Gruppentherapie, die ich in Kapitel 10 be ­ h ervorrufen. Trotzdem hat die paarweise Einführung viel für sich: Die Gruppe spart
sprochen habe, sondern auch eine Einweisung, die ihnen hilft, mit den einzigartigen Z eit und Kraft, wenn sie zwei Neuzugänge gleichzeitig assimiliert; die beiden Klienten
B elastungen fertig zu werden, die den Eintritt in eine bereits besteh ende Gruppe b e ­ können sich zusamm entun un d fühlen sich dadurch weniger fremd.
gleiten. Der Eintritt in eine etablierte Kultur - s ei es eine neue Leb e nssituation, eine Die A nzahl neuer Kli enten, die in die Grupp e eingeführt werden , beeinflusst das
neue Arbeit, Schule , Klinik usw. - erzeugt Angst und erfordert, wie eine ausgedehnte Tempo der Eingliederung merklich. Eine Gruppe von sechs oder sieben Klienten kann
Forschun g gezeigt hat, Orientierung und Unterstützung. .71 69 Eine Auseinandersetzung im Allgemeinen ein neues Mitglied aufnehmen, ohne dass man viel davon merkt. Die
mit vorangegangenen Erlebnissen des Sich-Einfügens kann aufschlussreich sein und Gruppe setzt ihre Arb eit mit nur gan z kurzen b erücksichtigenden Pausen fort un d
auf möglicherweise auch im aktuellen Fall zu erwartende Probleme hinweisen. zieht das neue Mitglied rasch mit sich. Andererseits, wenn einer Gruppe von vier Per­
Ich weise Klienten darauf hin, dass sie beim Eintritt in eine ungewohnte Kultur mit son en drei neue Mitglieder zugemutet werden, kreischen leicht die Bremsen; alle lau­
Gefühlen des Ausgeschlossenseins und der Verwirrtheit rechnen müssen, und ich ver­ fende Arb eit hört auf, und die Gruppe verwendet all ihre Kraft auf die Aufgabe , sich
sichere ihnen, dass es ihnen möglich sein wird, sich in dem für sie richtigen Tempo in di e neuen Mitgli eder ei nzuverleiben. Die alten Mitglieder fragen sich, wie weit sie den
die Gruppe einzufügen un d sich ihr zu öffnen. Neue Klienten, die i n eine etablierte n euen trauen können. Können sie es wagen, mit demselben Grad von Selbstoffenba­
Gruppe eintre ten, we rden vielleicht eingeschüchtert von der Aufgeklärtheit, der Offen­ rung und Risikobereitschaft fortzufahren? Wird ihre vertraute, behagliche Gruppe für
h eit, der Leichtigkeit des interpersonalen Umgangs und der Kühnheit, die sie bei den immer verändert werden? Die neuen Mitglieder suchen nach Leitlinien für ihr Verhal­
erfahreneren Mitgliedern beobachten. Vielleicht haben sie auch Angst oder fürchten ten. Was wird in di eser Gruppe akzeptiert? Was ist verboten? Wenn die etablierten Mit­
sich vor emotionaler Ansteckung, da sie sofort mit Klienten konfrontiert sind, die in glieder sie nicht lieb enswürdig aufnehmen, suchen sie vielleicht Trost in einem Bün d­
größere m Maße sich selbst offenbaren und über ihre kranken Seiten spreche n, als das nis d er Neulinge. Ein Therape ut, de m auffällt, dass häufig Worte wie »wir« und »sie «
in den ersten Sitzungen einer neuen Grupp e üblich ist. Dies e Möglichkeiten sollten ode r »alte Mitgli eder« und »neue Mitglieder« fallen, sollte diese Spaltungszeich en
deshalb mit dem neuen Klienten besprochen werden. Im Allgemeinen ist es nützlich, beachten. Solange die Verschmelzung n och nicht stattgefunden hat, kann nur wenig
ihm die Hauptereignisse der letzten Sitzungen zu beschreiben. Wenn die Grupp e be ­ weitere therapeutische Arbeit geleistet werden .
sonders intensive oder stürmische Ereignisse hinter sich hat, ist es angezeigt, den Ne u­ Ei ne ähnliche Situation entsteht oft, wenn der Therape ut versucht, Reste von zwei
aufgenommenen noch gründlicher ins Bild zu setzen. Wenn die Gruppensitzungen auf Gruppen zu verschmelzen , die zu klein geworden sind. Dieser Prozess vollzieht sich
Video aufgezeichnet werden oder die Therapeuten schriftliche Zusammenfassungen selten bruchlos. Allzu oft bl eibt ein Zwiespalt zwischen Kulturen und Cliquen, die sich
erstellt hab en (siehe Kapitel 14), kann man den neuen Klienten auffordern, natürlich
in den früheren Gruppen gebildet haben, bemerkenswert lange erhalten, und der The­
mit Zustimmung der Gruppe , sich die Bänder anzusehen oder die Zusammenfassun­ rape ut muss seine Klienten auf die Zusammenlegung dezidiert vorbereiten. In dieser
gen der letzten Sitzungen durchzulesen. Situation ist es am b esten, beide Gruppen zu beenden und sie anschließend zu einer
Ich bemühe mich, den Neuling scho n i n den ersten Sitzungen dazu zu bringen, dass völlig ne uen Einheit zusammenzufassen und mit der Arbeit neu zu beginnen.
er sich engagiert. Oft genügt es, lediglich danach zu fragen, wie er die Sitzung erlebt hat
Die Einführung neuer Klienten kann, wenn sie sorgfältig geplant ist, den therapeu-

380
381
tischen Prozess der alten Gruppenmitglieder intensivieren, da diese auf einen Neuan­ 23-Jäh riger, der wegen Depressionen nach ei ner abgeb rochenen Liebesbeziehung i n
kömmling höchst idiosynkratisch reagieren können. Ein wichtiges Prinzip der Grup­ d i e Therapie gekommen wa r. Er hatte seine Mutter in d e r frü hen Ki nd heit verloren und
pentherapie, das ich bereits erörtert habe, besteht darin, dass jeder intensivere Reiz, wa r von ein igen E rzieheri nnen aufgezogen worden; zu seinem distanzierten, sta rken
dem man die Gruppe aussetzt, bei den Gruppenmitgliedern eine Vielfalt von Reaktio­ Vater, vor dem er große Angst empfa n d, hatte er n u r gelegentlich Kontakt. Seine Lie­
nen auslöst. Die Untersuchung der Gründe hierfür lohnt sich gewöhnlich sehr und besaffä ren, immer mit viel ä lteren Fra uen, waren ausna hmslos wegen der u nersättli­
klärt Aspekte der Charakterstruktur. Wenn Gruppenmitglieder beobachten, wie ande­ chen Forderu ngen gescheitert, die er a n d ie Beziehung stellte. Die anderen Fra uen in
re auf eine Situation merklich anders reagieren als sie selbst, so ist dies ein eindrucks­ der Gruppe hatten sich i n den letzten Sitzu ngen auf ä h n liche Weise von ihm zurückge­
volles Erlebnis, das ihnen viel Einsicht in ihr eigenes Verhalten vermitteln kann. Eine zogen und hatten i h n mit wachsender Offenheit damit konfrontiert, dass er sich, wie
solche Gelegenheit hat man in der Einzeltherapie nicht; sie stellt jedoch eine der sie es n a n nten, wie ein H undeba by präsentiere. Alice wa r Bria n a lso will kommen, weil
Hauptstärken der Gruppentherapie-Methode dar. Ein anschauliches klinisches Bei­ er hoffte, er werde i n i h r eine neue Quelle der U nterstütz u ng fi nden. Al ice erwies sich
spiel mag dies verdeutlichen. in späteren Sitzungen als recht h i lfreich fü r Bria n, als sie offenbarte, sein flehendes
Lächel n h a be ihr wä h rend der ersten Sitz u n g extremes U n behagen bereitet, und sie
Ein neues Mitglied, Alice - eine 40-jährige, attraktive geschiedene Frau - wurde bei der habe immer noch das Gefü h l, er erwarte etwas Wichtiges von i h r. Sie sagte, obwohl sie
18. Sitzung einer Gru ppe ei ngeführt. Die drei Männer in der Gruppe begegneten ihr i n nicht wisse, was er wollte, wisse sie doch, dass es mehr sei, als sie geben kön ne.
a uffa llend verschiedener Weise.
Peter ka m 15 Minuten zu spät u nd versäumte so die Vorstel l u ng. Während der nächsten Freud hat einmal die Psychotherapie mit dem Schachspiel verglichen: man wisse und
Stu nde wa r er in der Gru ppe sehr a ktiv u n d erörterte sowohl d i e a u s der vorigen S it­ schreibe auch dort viel mehr über die Eröffnung und das Endspiel als über die mittlere
zung ü brig gebliebenen Probleme als auch seine eigenen Erlebnisse aus der vergange­ Phase. Entsprechend kann man die Eröffnungsstadien und die Endphase der Therapie
nen Woche. Er ignorierte Alice vollstä ndig; er vermied es sogar, sie a n z usehen - eine mit einem gewissen Grad von Genauigkeit erörtern, aber den größten Teil des Verlaufs
ersta u n l iche Leistung i n einer G ruppe von sechs Leuten in großer physischer N ä he. der Therapie kann man nicht systematisch beschreiben. Deshalb sind die folgenden
Später in der Sitzung, als a ndere versuchten, Alice die Tei lnahme zu erleichtern, bom­ Kapiteln nicht chronologisch entsprechend der Gruppenentwicklung geordnet, son­
bardierte er sie wie ein strenger Staatsa nwalt mit Fragen, immer noch, ohne sich vor­ dern in ihnen werden die wichtigsten Aspekte und Probleme späterer Therapiestadien
zustellen. Peter, e i n 28-jähriger from mer Kathol i k, Vater von vier Ki ndern, wa r i n die sowie einige spezielle therapeutische Techniken dargestellt.
Therapie gekommen, weil er, wie er sagte, »die Frauen zu sehr liebte« u nd eine Reihe
a u ßerehelicher Affä ren geh a bt hatte. I n späteren S itzu ngen ben utzte die Gru ppe d ie
E reignisse bei Alices erster Sitzu ng, um Peter zu helfen, das Wesen seiner »Liebe« zu
den Frauen zu u ntersuchen. Allmä h l ich erka n nte er, dass er Frauen - ei nsch l ießlich sei­
ner eigenen - als Sexua lobjekte ben utzte, d ie e r n u r wegen i h re r Gen italien schätzte
und fü r deren Gefühle u nd Erlebniswelt er u nempfä nglich blieb.
Die beiden anderen Männer in der Gruppe, Arthur und Brian, waren dagegen wä h rend
Alices erster Sitzung ausschließlich mit ihr beschäftigt. Arth u r, ein 24-Jähriger, der we­
gen sei ner massiven sexuellen Gehemmtheit in die Therapie gekommen wa r, reagierte
sta rk a uf Alice u nd stellte fest, dass er sie nicht a nsehen konnte, ohne heftige Verlegen­
heit zu empfinden. Sein U n behagen und sein Erröten fielen den anderen Mitgliedern
auf, die i h m halfen, sei ne Bezie h u ng zu den Frauen in der G ru ppe viel tiefer zu erfor­
schen, a ls er es vorher jemals geta n hatte. Arth u r hatte d ie beiden a nderen Fra u e n in
der Gru ppe entsexualisiert, indem er i n seiner Fantasie ein geschwisterliches Verhä lt­
nis zu ihnen hergestellt hatte. Alice, d i e sexuell attraktiv und »zu haben« wa r und zu­
gleich a lt gen u g, um in ih m affektgeladene Gefühle in Bezug a uf seine Mutter zu we­
cken, stellte fü r Arth u r, der sich vorher in der Gru ppe in einer allzu beq uemen Nische
niedergelassen hatte, ein speziel les Problem dar.
Brian andererseits d u rchbohrte Alice mit sei nen Blicken und bot i h r d i e ga nze Sitzung
h i n d u rch ein stetiges, breites Lächeln dar. Bria n war e i n a u ßerordentlich abhä ngiger

382 383
Individuelle Faktoren

Die Entstehung von Untergruppen ist häufig durch die Anliegen der einzelnen Grup­
penmitglieder bezüglich ihrer persönlichen Verbundenheit mit der Gruppe und ihres
Ka pite l 1 2 Status motiviert . .71 Eine Untergruppe entsteht in einer Therapiegruppe aufgrund der
Überzeugung von zwei oder mehr Mitgliedern, dass sie von ihrer Beziehung zueinan­
der mehr profitieren können als von der Beziehung zur gesamten Gruppe. Mitglieder,
Die fo rtgesch ritten e G ru p pe die durch geheime Kontakte gegen die Gruppennormen verstoßen, geben dem Bedürf­
nis nach Befriedigung den Vorzug vor der Arbeit an der persönlichen Veränderung -
Wenn die Gruppe ihre ersten Monate überlebt hat, kann man keine bekannten Ent­ dem eigentlichen Grund für ihre Teilnahme an der Therapie (siehe hierzu auch die
wicklungsstadien mehr beschreiben. Der lange Prozess des Durcharbeitens beginnt, Auseinandersetzung mit dem Problem der primären Aufgabe und der sekundären Be­
und die in den früheren Kapiteln beschriebenen wichtigen therapeutischen Faktoren friedigung in Kapitel 6). Zur Frustration von Bedürfnissen kommt es schon früh in der
wirken mit zunehmender Kraft und Effizienz. Die Mitglieder entwickeln in der Grup­ Therapie: Beispielsweise spüren Mitglieder mit einem starken Bedürfnis nach vertrau­
pe allmählich ein tiefer reichendes Engagement, und sie benutzen die Interaktion in licher Nähe, Abhängigkeit, sexuellen Eroberungen oder Dominanz schon sehr schnell,
der Gruppe, um die Probleme anzusprechen, derentwegen sie sich in Therapie befin­ dass es in der Gruppe unmöglich ist, diese Bedürfnisse zu befriedigen - was oft zur
den. Charakteristisch für die fortgeschrittene Gruppe ist, dass die Mitglieder in stärke­ Folge hat, dass die Betreffenden versuchen, diese Bedürfnisse außerhalb der formellen
rem Maße in der Lage sind, zu reflektieren, sich authentisch zu verhalten, sich selbst zu Gruppentreffen zu befriedigen.
offenbaren und Feedback zu geben. 1 Deshalb ist es unmöglich, spezifische Verfahrens­ In einem gewissen Sinne kann man davon sprechen, dass diese Gruppenmitglieder
richtlinien für alle Eventualfälle zu formulieren. Deshalb ist es unmöglich, für jeden »aus-agieren«: Sie widmen sich außerhalb der Therapiesituation Verhaltensweisen,
denkbaren Fall spezifische Verfahrensrichtlinien anzubieten. Allgemein muss der The­ durch die innere Spannungen gelindert werden und der direkte Ausdruck oder die Er­
rapeut danach streben, die Entwicklung und das Wirken der therapeutischen Faktoren forschung von Gefühlen oder Emotionen verhindert wird. Manchmal ist es erst nach­
zu fördern. Der richtige Einsatz der Therapeutenrolle und der therapeutischen Technik träglich möglich, solches »Ausagieren« vom Agieren oder Partizipieren im Rahmen der
auf spezifische Gruppenereignisse und auf die Therapie jedes einzelnen Klienten (wie Therapiegruppe zu unterscheiden. Das möchte ich nun erklären.
wir sie in den Kapiteln 5, 6 und 7 besprochen haben) stellt die Kunst der Psychothera­ Man vergegenwärtige sich, dass der Verlauf der Arbeit in der Therapiegruppe ein
pie dar, und darin sind Erfahrung, Supervision urid Intuition durch nichts zu er­ ständiger Zyklus von Aktion und anschließender Analyse dieser Aktion ist. Der soziale
setzen. Mikrokosmos der Gruppe ist davon abhängig, dass die Gruppenmitglieder ihre ge­
Bestimmte Fragen und Probleme kommen jedoch so regelmäßig vgr, dass eine Er­ wohnten Verhaltensmuster benutzen, die dann von den Einzelnen selbst und von der
örterung gerechtfertigt erscheint. In diesem Kapitel werde ich die Bildung von Unter­ Gruppe untersucht werden können. Ausagieren wird nur dann zu Widerstand, wenn
gruppen, Konflikte, Selbstoffenbarung und die Beendigung der Therapie erörtern. Im jemand sich weigert, ein Verhalten zu untersuchen. Verhalten außerhalb der Gruppe, das
nächsten Kapitel befasse ich mich mit bestimmten, sich wiederholende Verhaltenskon­ in der Gruppe nicht untersucht wird, wird zu einer besonders machtvollen Form von
figurationen bei Klienten, die für den Therapeuten und die Gruppe eine besondere Widerstand, wohingegen Verhalten außerhalb der Gruppe, das anschließend in der
Herausforderung darstellen. Gruppe durchgearbeitet wird, einen hohen therapeutischen Wert entfalten kann.2

Gruppenfaktoren
Die B i ld u ng von U nterg r u p pe n Untergruppenbildung kann eine Manifestation starker unaufgelöster Feindseligkeit in­
Zur Abspaltung kleinerer Einheiten innerhalb eines Ganzen kommt es i n jedem sozi­ nerhalb der Gruppe sein, die insbesondere auf den Gruppenleiter gerichtet ist. Unter­
alen Gefüge. Der Prozess kann vorübergehen oder andauern; er kann nützlich oder suchungen über verschiedene Stile der Leitung von Gruppen haben gezeigt, dass sich
schädlich für den größeren Organismus sein. Therapiegruppen sind keine Ausnahme. innerhalb einer Gruppe mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Spaltung zwischen einer
Die Bildung von Untergruppen ist ein unvermeidliches und häufig zersetzendes Ereig­ Ingroup und einer Outgroup entwickelt, wenn der Gruppenleiter einen autoritären
nis im Leben der Gruppe, aber auch hier kann der Prozess, wenn man ihn richtig ver­ und restriktiven Leitungsstil bevorzugt.3 Gruppenmitglieder, die nicht in der Lage sind,
steht und geschickt lanciert, die therapeutische Arbeit fördern. Wie können wir uns Ärger und Frustration dem Gruppenleiter direkt zum Ausdruck zu bringen, befreien
mit dem Phänomen der Untergruppenbildung auseinandersetzen? Dazu müssen wir sich von diesen Gefühlen indirekt, indem sie sich zusammenschließen und ein anderes
uns sowohl mit individuellen Faktoren als auch mit Gruppenfaktoren befassen. Mitglied oder sogar mehrere »mobben« oder zum Sündenbock machen.

384 385
In anderen Fällen ist die Bildung von Untergruppen ein Zeichen für Probleme in ein Vertrauen bricht, das insgeheim zwischen ihm und einem anderen Mitglied ent­
der Gruppenentwicklung. Ein Mangel an Kohäsivität der Gruppe ermutigt die Mitglie­ standen ist?
der dazu, sich von der umfassenden und komplexen Beziehung zur Gesamtgruppe in
einfachere, kleinere und für sie »übersichtlichere« Untergruppen zurückzuziehen. Christine und J erry trafen sich nach der Therapiesitzung oft z u la ngen, intensiven Ge­
sprächen. Jerry wa r in der G ruppe zu rückha ltend geblieben u nd hatte sich privat a n
Das klinische Erscheinungsbild von Untergruppen Ch ristine gewandt, wei l er, wie er i h r sagte, d a s Gefü h l hatte, n u r sie kön ne i h n verste­
Soziale Kontakte außerhalb der Gruppe sind oft die erste Stufe der Bildung von Unter­ hen. Nachdem sie i h m Vertra u l ichkeit versprochen hatte, kon nte er ihr bald seine pä­
gruppen. Es kann so anfangen, dass eine Clique von drei oder vier Mitgliedern anfängt, dophilen Zwä nge u nd sein tiefes Misstra uen dem G ruppen leiter gegenüber eingeste­
miteinander zu telefonieren, Kaffee zu trinken und zum Essen zu gehen, sich unter­ hen. In der Gru ppe füh lte sich Ch ristine d u rch i h r Versprechen gebu nden u n d vermied
einander zu Hause zu besuchen oder sogar Geschäftskontakte zu knüpfen. Gelegent­ die offene Interaktion mit Jerry, der sch l ießl ich ohne Besserung seines Zusta nds aus der
lich lassen sich auch zwei Mitglieder sexuell miteinander ein. Eine Untergruppe kann Gruppe ausschied. l ron ischerweise wa r gerade Christine ein u ngewö h n l ich sensibles
aber auch völlig innerhalb der Grenzen des Therapieraums bleiben, wenn Mitglieder, Gruppen m itglied und hätte Jerry besonders n ützlich sei n können,wen n sie ihn z u r
die Gemeinsamkeiten entdecken, Bündnisse eingehen. Bete i l igung a n d e r Gru ppe erm utigt hätte, woran s i e sich jedoch d u rch die a ntithera­
Es kann alle möglichen Gemeinsamkeiten geben: vergleichbares Bildungsniveau, peutischen Normen der Untergruppe (nä m l ich d u rch i h r Versprechen der Gehei mhal­
ähnliche Wertvorstellungen, dieselbe Altersgruppe, derselbe Personenstand oder Grup­ tu ng) geh i ndert sah.
penstatus (zum Beispiel die altgedienten, ursprünglichen Mitglieder). Soziale Organis­
men entwickeln typischerweise, besonders wenn sie größer sind als eine Therapiegrup­ Der restlichen Gruppe mitzuteilen, was man von anderen Gruppenmitgliedern anläss­
pe, gegeneinander opponierende Fraktionen - zwei oder mehr Untergruppen, die lich von Kontakten außerhalb der Gruppensitzungen erfahren hat, ist eine heikle An­
dann verschiedene Konflikte austragen. In Therapiegruppen ist dies jedoch nicht oft gelegenheit. Wenn der Gruppenleiter auf einen solchen Fall zu sprechen kommt, muss
der Fall; es bildet sich zwar eine Clique, aber die von ihr ausgeschlossenen übrigen er Situationen vermeiden, in denen sich Beteiligte gedemütigt oder verraten fühlen.
Gruppenmitglieder besitzen meist keine durchschlagenden sozialen Fertigkeiten und
finden daher gewöhnlich nicht zu einer zweiten Untergruppe zusammen. Ein ä lterer, väterlicher Mann n a h m zwei a ndere Gruppe n m itgl ieder oft im Auto m it.
Man kann die Mitglieder solcher Fraktionen an einem allgemeinen Verhaltensko­ E i n ma l lud er sie ein, sich in sei nem Haus eine Fernsehsend u ng a n zuschauen. Die Be­
dex erkennen: Sie stimmen miteinander überein, um welches Problem es auch gehen sucher wurden Zeugen einer Auseinandersetzung zwischen ihm u nd seiner Fra u, u nd
mag, und vermeiden Konfrontationen untereinander; wenn ein Gruppenmitglied bei einer späteren G ru ppensitzung sagten sie i h m, nach i hrer Ansicht behandle er sei­
spricht, das nicht zur Clique gehört, wechseln sie möglicherweise wissende Blicke; oft ne Fra u schlecht. Der ä ltere Kl ient füh lte sich von den beiden Gruppe n m itgl iedern, die
kommen sie gleichzeitig zur Sitzung und verlassen sie auch gemeinsam; ihr Bedürfnis er als sei ne Freunde a ngesehen hatte, verraten, u nd er fing an, sich i n i m mer stärkerem
nach Freundschaft ist stärker als ihr Engagement für die Untersuchung ihres Ver­ Maße vor der G ruppe zu verbergen, bis er die Therapie sch l ießlich a bbrach.
haltens.4
Schwerwiegende klinische Probleme entstehen, wenn Gruppenmitglieder sexuelle Be­
Wie sich die Bildung von Untergruppen auswirkt ziehungen zueinander aufnehmen; sie zögern oft, eine intime Beziehung dadurch zu
Die Bildung von Untergruppen kann eine außerordentlich zersetzende Wirkung auf »besudeln« (wie ein Klient es nannte), dass sie öffentlich darüber sprechen. Freud, der
die Therapiegruppe haben. Bei einer Untersuchung an 35 Klienten, die vorzeitig aus niemals klinische Gruppentherapie praktiziert hat, verfasste schon 1921 einen voraus­
der Gruppentherapie ausschieden, stellte ich fest, dass elf (31 Prozent) vorwiegend auf­ schauenden Essay über Massenpsychologie, indem er die Unvereinbarkeit einer sexu­
grund von Problemen ausgeschieden waren, die mit der Bildung von Untergruppen ellen Liebesbeziehung mit dem Zusammenhalt der Gruppe hervorhob.6 Wir stimmen
zusammenhingen.5 Es gibt immer Komplikationen, ob der Klient nun einer Unter­ zwar vielleicht mit dem Hauptinhalt seiner Beweisführung nicht überein (dass zielge­
gruppe zugehörig ist oder außerhalb steht. hemmte Geschlechtstriebe zur Kohäsionskraft der: Gruppe beitragen), aber seine Fol­
gerungen sind zwingend: keine Gruppenbindung - sei es Rasse, Nationalität, gesell­
Zugehörigkeit. Wer einer dyadischen oder größeren Untergruppe angehört, empfindet schaftliche Schicht oder religiöser Glaube - kann unbedroht bleiben von der über­
das Geschehen innerhalb der Gesamtgruppe häufig als wesentlich komplizierter und ragenden Bedeutung, die zwei Menschen, die sich lieben, füreinander haben können.
weniger lohnend. Wenn ein Klient sich den Gruppenzielen nicht mehr verpflichtet Natürlich sind die Bindungen der Therapiegruppe keine Ausnahme. Mitglieder, die
fühlt, wird Loyalität für ihn zu einem großen Problem. Soll er die Verfahrensregeln der eine sexuelle oder eine Liebesbeziehung miteinander eingehen, geben fast unvermeid­
Gruppe beachten und seine Gefühle frei und ehrlich besprechen, auch wenn er damit lich ihrer Zweierbeziehung Priorität gegenüber ihrer Beziehung zur Gruppe. Indem sie

386 387
dies tun, opfern sie den Wert, den sie in der Gruppe füreinander als Helfer haben kön­ zes betrachtet, erscheint die Bildung von Untergruppen als notwendige Komponente
nen; sie weigern sich, Vertrauliches mitzuteilen; in ihrem Bestreben, einander zu be­ des Entdeckens, Erfassens und Integrierens von Konflikt- oder Leidensbereichen
zaubern, nehmen sie in der Gruppe Posen ein; sie spielen einander etwas vor, wobei sie innerhalb der Gruppe (und wird vom Therapeuten gefördert). Klienten, denen es
die Therapeuten, die anderen Gruppenmitglieder und, was am wichtigsten ist, ihre pri­ schwerfällt, sich zu offenbaren, wird dies erleichtert, wenn sie spüren, dass sie nicht al­
mären Therapieziele ausblenden. Oft nehmen die anderen Gruppenmitglieder undeut­ lein sind. Daher kann der Therapeut aktiv funktionelle, aber wechselnde, Untergrup­
lich wahr, dass etwas Wichtiges geschieht, das jedoch absichtlich aus der Gruppendis­ pen aufzeigen von Mitgliedern, die ein grundlegendes intra- oder interpersonelles An­
kussion herausgehalten wird - was gewöhnlich eine starke Behinderung der Gruppen­ liegen gemeinsam haben, und diese Untergruppe drängen, in der Gruppe gemeinsam
arbeit zur Folge hat. Ein ungewöhnlicher Zufall lieferte die Bestätigung für diese Auf­ zu arbeiten und die Risiken der Offenbarung ebenso zu teilen wie die Erleichterung,
fassung.7 die mit dem Gewahrwerden der Universalität des Leidens verbunden ist.

E i n Forscherteam u ntersuchte zufä l l i g eine Thera piegru ppe, i n der zwei Mitglieder Ausgeschlossensein: Auch das Ausgeschlossensein von der Untergruppe kompliziert das
hei m l ich eine sexuelle Bezie h u n g m ite i nander ei ngega ngen wa ren. Da d i e U ntersu­ Gruppenleben. Es wird eine alte Angst geweckt, die mit früheren Erlebnissen des Iso­
chung mehrere Monate vor dem Begi n n d ieses Verhä ltnisses anfi ng, stehen uns gute liertseins verbunden ist; wenn sie nicht mittels Durcharbeiten entschärft wird, kann sie
Ausgangsdaten zur Verfügung. Meh rere Beobachter (wie auch d i e Klienten sel bst i n lähmend wirken. Oft fällt es Gruppenmitgliedern außerordentlich schwer, über ihre
Fragebogen, d i e nach der Sitz u ng a usgefüllt wurden) bewerteten jede Sitzung nach Gefühle des Ausgeschlossenseins zu sprechen. Oft ist es für Mitglieder außerordentlich
einer Sieben-Pu n kte-Ska la hinsichtlich der Menge der ausgedrückten Affekte, des G ra­ schwierig, über ihr Gefühl, ausgeschlossen zu werden, zu sprechen: Entweder wollen
des der Sel bstoffe n barung und des a l lgemeinen Werts der Sitzung. Außerdem wurde sie ihren Neid über die besondere Beziehung nicht offenbaren, oder sie fürchten, die
das System des Kom m u n i kationsflusses a ufgezeichnet; dabei wurden Anza h l und Rich­ beteiligten anderen Mitglieder zu verärgern, indem sie die Existenz der Untergruppe
tung der Äußerungen jedes Klienten a uf einer »Wer-an-wen«-Matrix a ufgezeichnet. in der Gruppensitzung zugeben.
Wäh rend der Beobachtun gszeit began n e n Bruce und Gera ld i n e eine sexuelle Bezie­ Therapeuten sind auch nicht immun gegen dieses Problem. Ich erinnere mich, dass
h u ng, die d rei Wochen l a ng vor dem Therapeuten und der restlichen Gru ppe geheim­ ein Gruppentherapeut, der bei mir in Supervision war, zwei seiner Gruppenmitglieder
geha lten wurde. Wä h rend dieser d rei Wochen zeigten die Daten (a ls m a n sie i m Nach­ (beide verheiratet) auf der Straße Arm in Arm hatte gehen sehen. Der Therapeut sah
h i nein auswertete) einen sta rken Abfa l l in der Bewertung der Qual ität der Sitzungen, sich aus mehreren Gründen nicht in der Lage dazu, in der Gruppe über diese Beobach­
wobei besonders die verba le Aktivität, der Ausdruck von Affekten und d i e Sel bstoffen­ tung zu sprechen. Weshalb? Er gab mehrere Gründe an:
ba rung e i ngesc h rä n kt waren. Außerdem w u rden ka u m verba le Kom m u n i kationen
• Er wolle in den Augen der Gruppe nicht
zwischen Gera l d i n e und Bruce a ufgezeich net! die Position des Spions oder der missbilli­
genden Eltern einnehmen.
Diese letzte Feststellung zeigt den eigentlichen Grund, warum die Bildung von Unter­ • Er arbeite im Hier und Jetzt und sei nicht
frei, Nicht-Gruppenmaterial zur Sprache
gruppen die Therapie behindert. Das wichtigste Ziel der Gruppentherapie ist, die zu bringen.
Gruppenmitglieder bei der Erkundung ihrer interpersonalen Beziehungen zu unter­ • · Die beteiligten Gruppenmitglieder würden,
wenn sie psychisch bereit seien, schon
stützen. Hier waren zwei Menschen, die einander gut kannten, die das Potenzial hat­ von allein über das Problem sprechen.
ten, einander wirklich zu helfen, und die doch in der Gruppe kaum miteinander
sprachen. Dies sind jedoch Rationalisierungen. Es gibt kein wichtigeres Problem als die Bezie­
Das Paar löste das Problem, indem es beschloss, einer von beiden solle aus der hungen zwischen Gruppenmitgliedern. Alles, was zwischen Gruppenmitgliedern ge­
Gruppe ausscheiden (diese Form der Lösung ist nicht selten). Geraldine schied vorzei­ schieht, ist Teil des Hier und Jetzt der Gruppe. Der Therapeut, der nicht bereit ist, alles
tig aus der Gruppe aus, und in der folgenden Sitzung erörterte Bruce den ganzen Vor­ Material in der Gruppe zu besprechen, das mit Beziehungen zwischen Mitgliedern zu
fall mit Erleichterung und großer Offenheit. (Die Bewertungen sowohl durch die tun hat, kann kaum erwarten, dass die Gruppenmitglieder es tun. Wenn Sie das Gefühl
Gruppenmitglieder als auch durch die Beobachter ließ diese Sitzung als wertvoll er­ haben, in einem Dilemma zu stecken - einerseits solche Beobachtungen vorbringen zu
scheinen; die Interaktion war aktiv, die Affektäußerungen waren stark, und Selbstof­ müssen und andererseits nicht wie ein Spion dastehen zu wollen -, ist es gewöhnlich
fenbarung gab es nicht nur bei Bruce, sondern auch bei anderen. die beste Methode, das Dilemma mit der Gruppe zu teilen, sowohl Ihre Beobachtungen
Die positiven, verbindenden Wirkungen der Bildung von Untergruppen innerhalb als auch Ihr persönliches Unbehagen und Ihr Widerstreben, darüber zu sprechen. .71
der Therapiegruppe kann in einen therapeutischen Vorteil verwandelt werden, wie
Agazarian gezeigt hat.8 Wird die Gruppe aus der Perspektive eines systemischen Ansat-

388
389
Therapeutische Erwägungen Die Kurzda rste l l u ng des Mannes, der Robin Hood vereh rte (siehe Kapitel 2), ist e i n wei­
Die Bildung von Untergruppen - ganz gleich, ob es dabei zu geselligen Treffen außer­ teres Beispiel für die Bildung einer U ntergruppe, die die therapeutische Arbeit förderte.
halb der Gruppe kommt oder nicht - wirkt keineswegs immer zersetzend. Wenn die Der Klient versuchte, m it jedem einzelnen Mitgl ied der Gruppe ein gruppenexternes
Ziele der Untergruppe mit den Zielen der Gesamtgruppe übereinstimmen, kann die Bünd nis zu schließen, u nd gelangte sch l ießlich i nfolge dieser Aktivitäten zu wichtigen
Bildung von Untergruppen letzten Endes die Gruppenkohäsivität stärken. Beispiels­ Einsichten ü ber seine manipu lative Art, Beziehungen zu Gleichgestellten e i nzugehen,
weise kann ein Kaffeekränzchen oder ein Kegelclub erfolgreich innerhalb einer größe­ und ü ber seine Fei ndsel igkeit gegenüber Autoritätspersonen.
ren sozialen Organisation existieren. In Therapiegruppen ereignen sich manche der
wichtigsten Ereignisse in der Therapie als Folge davon, dass Kontakte zwischen Mit­ Das Prinzip ist klar: Jeder Kontakt außerhalb einer Gruppe kann sich als nützlich er­
gliedern außerhalb der Gruppe stattfanden, die dann in der Therapie vollständig weisen, wenn deren Ziele nicht aufgegeben werden. Damit solche Zusammenkünfte als
durchgearbeitet wurden. Teil des Verhaltensrhythmus der Gruppe betrachtet und der späteren Analyse zugäng­
lich gemacht werden können, müssen die beteiligten Mitglieder die Gruppe über alle
Zwei weibliche G r u ppen m itgl ieder, d i e nach einer Sitzu n g gemei nsam z u m Ta nzen wichtigen gruppenexternen Ereignisse informieren. Wenn sie es nicht tun, treten die
gingen, besprachen, was sie i n der geselligen U mgebung aneinander beobachtet hat­ bereits beschriebenen negativen Wirkungen auf die Gruppenkohäsivität ein. Das
ten. Eine von beiden hatte dort weit mehr gefl i rtet a l s in der G ruppe u n d war soga r Grundprinzip ist: Nicht die Bildung von Untergruppen an sich ist zerstörerisch für die
offen verfüh rerisch gewesen; a ußerdem war ihr dieser Umstand nur sehr vage bewusst Gruppe, sondern die Mauer des Schweigens, die sie im Allgemeinen umgibt.
- gleichsam ein Verha lten, bei dem sie einen »blinden Fleck« hatte. In der Praxis erleben Gruppen, die nur einmal in der Woche zusammenkommen,
mehr die zersetzenden und weniger die potenziell nützlichen Wirkungen solcher Frak­
E i ne andere Gru ppe plante eine Bierpa rty für e i n Mitglied, das seine Therapie a bge­ tionierung. Ein Großteil des gruppenexternen geselligen Umgangs wird der Gruppe
schlossen hatte. Beda uerlicherweise m u sste der Betreffende u nerwa rtet d i e Stadt ver­ niemals direkt mitgeteilt, und das Verhalten der beteiligten Mitglieder wird niemals der
lassen, worauf die Pa rty a bgesagt wurde. Die Mitgl ieder wurden benach richtigt, dass Analyse innerhalb der Gruppe zugänglich gemacht. Wie erwähnt, wurde jene Bezie­
das Fest ausfa l len m usste, nur ein Mitglied, Jim, erfu h r nichts davon. Am vorgesehenen hung zwischen Christine und Jerry, in der Jerry vertraulich über seine pädophilen
Abend wa rtete Jim vergebens dort, wo es hätte stattfi nden sollen, und erlebte zwei Zwänge sprach, der Gruppe niemals mitgeteilt. Christine offenbarte diesen Vorfall erst
Stu nden lang woh l bekannte Gefühle des Abgeleh ntwerdens, des Ausgeschlossenseins über ein Jahr später einem Psychiater, der sie bei einer Ergebnisuntersuchung der
und bitterer Einsamkeit. Die Besprechung d ieser Reaktionen und der Tatsache, dass Jim Psychotherapie interviewte.
gar n icht ä rgerlich oder wütend war, vielmehr das Gefü h l hatte, es sei ganz natürlich, Der Therapeut sollte sich für ein offenes Gespräch über die Kontakte außerhalb der
dass er ausgeschlossen worden sei, er habe das erwa rtet, es sei ga nz richtig so, leitete Gruppe sowie auch über alle Koalitionen innerhalb der Gruppe und für deren Analyse
eine Menge fruchtbarer thera peutischer Arbeit für i h n ein. Als d i e Pa rty sch ließl ich einsetzen und immer wieder darauf hinweisen, dass die Gruppenmitglieder dafür ver­
stattfa nd, kamen zahlreiche I nformationen ü ber die Gru ppe dazu. Die Mitglieder zeig­ antwortlich sind, über Kontakte außerhalb der Gruppe in der Gruppe zu berichten.
ten andere Seiten i h rer sel bst als sonst. Zum Beispiel spielte das Mitglied, das wegen Wenn der Therapeut aus Blicken zwischen zwei Mitgliedern in der Gruppe oder aus
seiner emotionalen Isolierung und seiner U nfä higkeit oder m a ngelnden Bereitschaft, ihrem gemeinsamen Auftreten außerhalb der Gruppe schließt, dass zwischen ihnen
sich zu offenba ren, i n der Gruppe am wen igsten Einfl uss hatte, wegen sei nes H u mors, eine besondere Beziehung besteht, sollte er nicht zögern, vor der Gruppe darüber zu
sei nes Vorrats a n guten Witzen u nd seiner zwa nglosen U mgä nglichkeit eine völ l ig sprechen. Das impliziert weder Kritik noch Anklage, da die Untersuchung und das Ver­
ü berraschende Rol le. Ein anderer, ein geistig anspruchsvolles u nd erfahrenes Gruppen­ stehen einer möglichen zärtlichen Beziehung zwischen zwei Gruppenmitgliedern the­
m itglied, begegnete auf der Pa rty erneut seiner Angst vor soz i a len S ituationen und rapeutisch ebenso lohnend sein kann wie die Erforschung einer verfahrenen, feindse­
seiner Unfä h igkeit, Konversation zu machen; er fl üchtete sich in d i e Rol le des Gast­ ligen Beziehung. Der Therapeut muss versuchen, dem Missverständnis entgegenzutre­
gebers und brachte seine Zeit damit zu, geschäftig leere Gläser zu füllen. ten, der Psychotherapie sei ein reduktionistisches Ethos eigen, jede Erfahrung werde
auf ein fundamentales Motiv reduziert. Außerdem müssen andere Gruppenmitglieder
In einer weiteren Gruppe ereignete sich e i n dra matischer Fa l l von ausgeprägterer Un­ ermutigt werden, über ihre Reaktionen auf die Beziehung zu sprechen, ob es sich nun
tergruppe n bi ld u ng, als d i e Klienten sich ü ber e i n weibliches G ruppenm itglied Sorgen um Neid, Eifersucht, Ablehnung oder nachempfundene Befriedigung handelt.9
machten, das so verzweifelt war, dass es sich um bringen wollte. Meh rere Gru ppen mit­ Eine praktische Warnung: Klienten, die eine Beziehung außerhalb der Gruppe pfle­
glieder hielten wochenlang eine Telefonwache, die sich sowohl fü r d i e Klienti n als auch gen, über die sie in der Therapiegruppe um keinen Preis sprechen wollen, ersuchen
fü r den Zusa m men halt der ga nzen Gru ppe als vorteilhaft erwies. den Therapeuten möglicherweise um eine Einzelsitzung und bitten, das besprochene
Material solle der Gruppe nicht mitgeteilt werden. Wenn Sie ein solches Versprechen

390 391
geben, werden sie bald feststellen, dass Sie in einer unhaltbaren Komplizenschaft ste­ auch nicht fördern. Es ist sehr nützlich, die Ansicht über dieses Problem den Klienten
cken, aus der Sie sich nur schwer herauswinden können. Ich empfehle Ihnen, niemals in den Vorbereitungs- oder Anfangssitzungen klarzumachen. Ich sage ihnen, dass
Geheimhaltung zu versprechen; versichern Sie dem Klienten stattdessen, dass Sie sich gruppenexterne Aktivitäten oft die Therapie behindern, und beschreibe deutlich die
von Ihrem fachlichen Urteil leiten lassen und in jedem Fall im Sinne der therapeuti­ Komplikationen, die die Bildung von Untergruppen erzeugen kann. Ich unterstreiche,
schen Ziele handeln werden. Dies wird die Betreffenden zwar nicht in allen Fällen be­ dass Mitglieder, die zufällig oder absichtlich außerhalb der Gruppe r_nit anderen zu­
ruhigen, doch schützt es Sie selbst davor, sich auf nicht sachdienliche Bündnisse ein­ sammentreffen, den übrigen Mitgliedern gegenüber eine Informationspflicht haben.
zulassen. Wie bereits in Kapitel 10 erwähnt wurde, muss der Therapeut den Klienten helfen zu
Es kommt vor, jedoch nicht sehr oft, dass Mitglieder von Therapiegruppen unter­ verstehen, dass die Gruppentherapieerfahrung eine Generalprobe fürs Leben ist, eine
einander sexuelle Beziehungen anknüpfen. Die Therapiegruppe ist kein Ort des Sin­ Brücke, nicht das Ziel. Sie soll ihnen die Fertigkeiten verschaffen, die notwendig sind,
nenkitzels; die Klienten haben oft schwere sexuelle Konflikte, die zu Schwierigkeiten um dauerhafte Beziehungen herzustellen; sie kann aber nicht die Beziehungen selbst
wie Impotenz, Ausbleiben der Erregung, sozialer Entfremdung und sexuellen Schuld­ arrangieren. Wenn Gruppenmitglieder das Gelernte nicht auf die Außenwelt übertra­
gefühlen führen. Ich bin überzeugt, dass in einer Therapiegruppe weit weniger sexuel­ gen, beziehen sie ihre soziale Befriedigung ausschließlich aus der Therapiegruppe, und
le Beziehungen vorkommen als in einer ebenso lange bestehenden sozialen oder beruf­ die Therapie gelangt nie zum Abschluss.
lichen Gruppe. Nach meiner Erfahrung ist es unklug, in eine ambulante Gruppe zwei Mitglieder
Der Therapeut kann nicht durch eine Verfügung die Entstehung von sexuellen Be­ aufzunehmen, die schon eine lange bestehende besondere Beziehung haben: Eheleute,
ziehungen oder anderen Formen von Untergruppen verhindern. Sexuelles Ausagieren Menschen, die zusammen wohnen, Geschäftspartner usw. Gelegentlich kommt es vor,
und sexuelles Zwangsverhalten sind häufig Symptome für die Beziehungsprobleme, dass zwei Gruppenmitglieder ahnungslos zur ersten Gruppensitzung erscheinen und
derentwegen sich die betreffenden Klienten in eine Therapie begeben haben. Das Auf­ dort entdecken, dass sie sich aufgrund einer mehr oder weniger weit zurückliegenden
tauchen des Phänomens sexuellen Ausagierens in der Gruppe bietet eine einzigartige ( und möglicherweise sogar noch bestehenden) persönlichen oder beruflichen Bezie­
therapeutische Chance zur Untersuchung dieses Verhaltens. hung kennen. Das ist zwar nicht die günstigste Situation für den Beginn der Gruppen­
Rufen Sie sich an das in Kapitel 2 beschriebene klinische Beispiel von der »großen arbeit, doch sollte dies den Therapeuten nicht davon abhalten, die Situation offen und
Dame« ins Gedächtnis zurück. Erinnern Sie sich, dass Valerie Charles und Louis im sorgfältig zu untersuchen. Besteht die Beziehung noch? Sind Probleme bezüglich der
Verlauf ihres Kampfes mit dem Gruppentherapeuten um die Macht verführte? Die Vertraulichkeit zu erwarten? Wie wird sich die Tatsache, dass die beiden einander gut
Episode war in gewissem Sinne zersetzend für die Gruppe; Valeries Ehemann erfuhr kennen, auf die übrigen Gruppenmitglieder auswirken? Gibt es eine bessere oder sinn­
von dem Vorfall und bedrohte Charles und Louis, die zusammen mit anderen Grup­ vollere Möglichkeit? In solch einer Situation geht es darum, schnell gemeinsam zu ent­
penmitgliedern Valerie gegenüber so misstrauisch wurden, dass eine Auflösung der scheiden, wie mit der Situation umgegangen werden soll.
Gruppe unmittelbar bevorzustehen schien. Wie wurde diese Krise aufgelöst? Die Grup­ Man kann sich im Rahmen einer Gruppentherapie durchaus mit aktuell bestehen­
pe schloss Valerie aus, und diese setzte ihre Therapie, etwas ernüchtert und klüger ge­ den langfristigen Beziehungen beschäftigen, doch erfordert dies eine andere Art von
worden, in einer anderen Gruppe fort. Trotz dieser katastrophalen Komplikationen Therapiegruppe als die in diesem Buch beschriebene - beispielsweise eine Gruppe für
gab es auch einige beachtliche Vorteile. Die Episode wurde innerhalb der Gruppe verheiratete Paare, eine Familientherapie, an der eine ganze Familie teilnimmt, oder
gründlich untersucht, und den Beteiligten konnte bei ihren sexuellen Problemen we­ eine Familientherapie mit mehreren Familien. ;,
sentlich geholfen werden. Zum Beispiel wusch Charles, der ein Don-Juan-Verhältnis In Psychotherapiegruppen für stationär behandelte Patienten und in Therapiepro­
zu Frauen gehabt hatte, zunächst seine Hände in Unschuld, indem er darauf hinwies, grammen von Tageskliniken ist das Problem der Beziehungen außerhalb der Gruppen­
Valerie habe sich ihm genähert und, wie er sich ausdrückte: »Ich lehne ein Bonbon sitzungen noch komplexer, da die Gruppenmitglieder den ganzen Tag relativ nah zu­
nicht ab, wenn es mir angeboten wird.« Auch Louis neigte dazu, die Verantwortung für sammen verbringen. Der folgende Fall vermittelt einen guten Eindruck von den Impli­
seine Beziehungen zu Frauen abzulehnen; er sah sie gewöhnlich nur als Sexualobjekte. kationen dieser Situation.
Sowohl Charles als auch Louis wurden mit den offenkundigen Folgen ihrer Hand­
lungsweise konfrontiert - den Wirkungen auf Valeries Ehe und auf ihre eigene Gruppe I n einer psych iatrischen K l i n i kgru ppe fü r Kriminelle h atte e i n Problem der U ntergrup­
- und lernten so, ihre persönliche Verantwortung für ihr Handeln richtig einzuschät­ pen bild u ng große Zwietracht gesät. Zwei m ä n n l iche G ru ppenmitglieder - bei weitem
zen. Valerie erkannte zum ersten Mal die sadistische Natur ihrer Sexualität; sie verwen­ die intell igentesten, sprachgewa ndtesten u nd gebildetsten der Gru ppe - hatten enge
dete die Sexualität nicht nur als Waffe gegen den Therapeuten, sondern, wie ich schon Freundschaft geschlossen u nd verbrachten den größten Tei l des Tages miteinander. Die
beschrieben habe, als Mittel, um Charles und Louis abzuwerten und zu demütigen. G r u p pensitzu n gen wa ren von einer u ngewöh nlichen S p a n n u n g u n d fei n d seligem
Zwar kann man die Bildung von Untergruppen nicht verbieten, doch sollte man sie Za n k geken nzeich net, von denen e i n G roßte i l sich gegen d iese zwei Männer richtete,

392 393
d i e m ittlerweile gar kei n e getren nte Identität mehr hatten, i n erster Li n i e a l s Dyade Eine Gruppe ambulant behandelter Klienten, die ich leitete, kam zweimal wöchent­
angesehen wurden u n d sich sel bst a u�h so sahen. E i n Großtei l der Angriffe ging a m lich zusammen. Die Gruppenmitglieder waren zwischen 25 und 35 Jahre alt. Ich begin­
Z i e l vorbei, u nd d i e thera peutische Arbeit d e r Gruppe wurde von dem Versuch ü ber­ ne meinen Bericht mit dem Zeitpunkt, in dem gerade zwei Frauen ihre Therapie abge­
schattet, d iese Dyade zu zerstören. schlossen hatten, sodass nur vier männliche Klienten übrig blieben. Bill, der männliche
Als die Spa n n u n g eska l ierte, regte der Therapeut die Gru ppe recht wi rksam an, e i n ige Protagonist in dem sich anbahnenden Drama, war ein großer, gutaussehender 32-jäh­
Themen zu u ntersuchen. Erstens sol lte d i e Gruppe ü berlegen, dass m a n d i e beiden riger geschiedener Zahnarzt; er war seit etwa acht Monaten in der Gruppe, ohne dass
Mitglieder ka u m fü r die B i l d u ng der U ntergruppe bestrafen konnte, da ja alle die glei­ er nennenswerte Fortschritte gemacht hätte. Er hatte ursprünglich um Therapie nach­
che Gelegen heit gehabt hatten, eine solche Bezie h u n g a n z u k n ü pfen. So wurde d i e gesucht, weil er unter chronischer Angst und immer wiederkehrenden Depressionen
Frage des Neides ei ngefüh rt, und a l l m ä h l ich bega nnen die Gru ppen mitglieder, ü ber i h r litt. In Gesellschaft war er so befangen, dass ihn einfache Handlungen - zum Beispiel,
e igenes Verlangen u nd i h re eigene U nfä h igkeit zu sprechen, eine Fre u n d schaft z u sich bei einer Party zu verabschieden - große Mühe kosteten. Hätte ihm eine wohlwol­
sch l ießen. Au ßerdem sprachen s i e ü ber i h r Gefü hl d e r i ntel lektuellen U nterlegen heit lende therapeutische Muse einen einzigen Wunsch erfüllen können, hätte er sich ge­
gege n ü ber den zweien wie auch ü ber i h re Empfindung, von den beiden ausgeschlos­ wünscht, »cool« zu sein. Er war unzufrieden mit seiner Arbeit, hatte keine männlichen
sen u nd a bgelehnt zu werden. Die beiden Männer hatten jedoch d iese Reaktion d u rch Freunde und sexualisierte seine Beziehungen zu Frauen in hohem Grade. Obwohl er
i h re Hand l u ngsweise verstärkt; beide hatten ja h relang i h re Sel bstachtung d a d u rch seit einigen Monaten mit einer Frau zusammenlebte, empfand er ihr gegenüber weder
aufrechterha lten, dass sie i h re i ntellektuelle Ü berlegenheit demonstrierten, wa n n im­ Liebe noch Verpflichtung.
mer es möglich wa r. I m Gespräch m it a nderen Gruppe n mitgliedern gebrauchten s ie Während die Gruppe auf neue Mitglieder wartete, kam sie zu mehreren Sitzungen
absichtlich vielsil bige Wörter und befleißigten sich einer konspirativen Haltung, die bei zu viert zusammen, und es entstand jene ausschließlich männliche Subkultur von der
den anderen die Gefü hle der U nterlegen heit und des Abgelehntwerdens verschä rfte. Art eines Samstagabend-Stammtischs. Probleme, die selten zur Sprache gekommen
Beide profitierten davon, dass i h re fortgesetzten Abweisungen u n d Sch m ä h ungen von waren, solange Frauen zur Gruppe gehörten, traten in den Mittelpunkt: Masturbati­
der Gru ppe z u r Sprache gebracht wurden, u nd sie erkan nten a l l m ä h l ich, dass andere onspraktiken und -fantasien, Angst vor Rüpeln und Gefühle der Feigheit vor Prügelei­
u nter i h rem Verha lten sehr gelitten hatten. en, Sorgen wegen ihrer körperlichen Erscheinung und die Gefühle, die der große Bu­
sen einer Frau, die einmal zur Gruppe gehört hatte, in ihnen geweckt hatte, sowie
Wohlgemerkt beziehen sich meine Äußerungen zu den potenziellen Gefahren der Un­ Fantasien über eine Gruppenorgie mit ihr.
tergruppenbildung auf Gruppen, die sich stark auf den therapeutischen Faktor des in­ Dann kamen zwei neue weibliche Mitglieder in die Gruppe, und wohl noch nie hat
terpersonalen Lernens stützen. In anderen Arten von Gruppen, beispielsweise kogni­ sich eine etablierte Gruppenkultur so rasch wieder aufgelöst. Die Samstagabend-Kum­
tiv-behavioral orientierten Gruppen für Klienten mit Essstörungen, hat sich geselliges pelschaft wurde von einer Flut männlichen Balz-Gehabes fortgeschwemmt. Bill warb
Zusammensein der Gruppenmitglieder außerhalb der Gruppensitzungen als für die frech und unverschämt nicht nur um eine, sondern um beide Frauen. Die anderen
Veränderung von Essverhaltensmustern förderlich erwiesen. 10 Zwölf-Schritte-Grup­ Männer in der Gruppe reagierten auf das erste Zusammentreffen mit den zwei Frauen
pen, Selbsthilfegruppen und Unterstützungsgruppen nutzen Kontakte ihrer Mitglieder gemäß ihrer dynamischen Muster.
außerhalb der Gruppe ebenfalls zu ihrem Vorteil. In Unterstützungsgruppen beispiels­ Rob, ein 25-jähriger Student, kam in kurzen Hosen (Lederhosen!) zur Sitzung; in
weise für Krebspatienten sind Kontakte zwischen den Mitgliedern außerhalb der Grup­ 1 8 Monaten der Therapie war dies das einzige Mal, dass er sich so schmückte, und in
pensitzungen ein wichtiger Bestandteil des Prozesses, und die Teilnehmer werden oft der Sitzung sprach er ohne Vorgeplänkel ausführlich über seine Ängste vor und seiner
ausdrücklich aufgefordert, zueinander zwischen den Sitzungen Kontakt aufzunehmen Zuneigung zu anderen Männern. Ein anderer appellierte an die mütterlichen Instink­
und einander zu helfen, mit der Krankheit und ihrer medizinischen Behandlung fertig te der neuen Klientinnen, indem er sich als gerade erst flügge gewordener Vogel mit
zu werden. 1 1 einem gebrochenen Flügel darstellte. Der vierte Mann zog sich aus dem Rennen zu­
rück, indem er nach den ersten 40 Minuten bemerkte, er habe nicht vor, bei dem alber­
Ein klinisches Beispiel nen Spiel der anderen, um die Gunst der Frauen zu konkurrieren, mitzumachen; au­
Ich beende diesen Abschnitt mit einem ausführlichen klinischen Beispiel - dem längs­ ßerdem habe er die neuen Mitglieder beobachtet und sei zu dem Schluss gekommen,
ten klinischen Bericht in diesem Buch. Ich nehme ihn auf, weil er auf profunde Weise sie hätten ihm nichts zu bieten, was für ihn von Wert wäre.
nicht nur viele der Probleme veranschaulicht, die mit der Bildung von Untergruppen Eine der Frauen, Jan, war eine attraktive 28-jährige geschiedene Frau mit zwei Kin­
einhergehen, sondern auch andere Aspekte der Gruppentherapie nennt, einschließlich dern. Sie war Sprachlehrerin und aus vielen Gründen in die Therapie gekommen: De­
der Unterscheidung zwischen primärer Aufgabe und sekundärer Befriedigung sowie pression, Promiskuität und Einsamkeit. Sie beklagte, zu einem attraktiven Mann kön­
der Übernahme von Verantwortung in der Therapie. ne sie nicht Nein sagen. Die Männer nutzten sie sexuell aus: sie würden sie abends auf

394 395
ein oder zwei Stunden zum Sex besuchen, wären aber nicht bereit, sich bei Tageslicht Gruppe geleistet worden war, kam Jan aber zu dem Schluss, es wäre nicht in ihrem In­
mit ihr sehen zu lassen. Doch war sie ihrerseits auch aktiv und bereit dazu, denn sie teresse, es anzunehmen. Zum ersten Mal sagte sie zu einem attraktiven, interessierten,
prahlte, mit den meisten Leitern der Abteilungen an dem College, an dem sie unter­ aufmerksamen Mann »Nein« und bekam für ihre Haltung viel Unterstützung von der
richtete, sexuelle Beziehungen gehabt zu haben. Sie konnte nicht mit Geld umgehen Gruppe.
und war in großen finanziellen Schwierigkeiten. Sie hatte mehrere ungedeckte Schecks (Mich erinnert dies an eine Episode, die Viktor Frankl mir einmal von einem Kli­
ausgeschrieben und begann, mit dem Gedanken an Prostitution zu liebäugeln: Wenn enten erzählt hat, der ihn am Vorabend seiner Hochzeit konsultiert hatte. Eine auffal­
die Männer sie sexuell ausnutzten, warum sollte sie dann nicht für ihre Gunst Geld lend schöne Frau, die beste Freundin seiner Verlobten, hatte ihm ein sexuelles Angebot
verlangen? gemacht, von dem er meinte, er könne es nicht ausschlagen. Wann würde sich eine sol­
In den Interviews und Vorbereitungssitzungen vor der Gruppe war mir klar gewor­ che Gelegenheit jemals wieder ergeben? Er bestand darauf, dass es eine einzigartige Ge­
den, dass ihre Promiskuität sie zu einer potenziellen Kandidatin für selbstzerstöreri­ legenheit sei, etwas, das einem nur einmal im Leben passiert. Dr. Frankl wies ihn -
sches sexuelles Ausagieren in der Gruppe machte. Darum gab ich mir ganz besondere recht elegant, finde ich - darauf hin, dass er tatsächlich eine einzigartige Gelegenheit
Mühe zu betonen, dass soziale Kontakte mit anderen Gruppenmitgliedern außerhalb habe und dass es wirklich eine sei, die nie wiederkommen werde. Es sei die Gelegen­
der Gruppe weder in ihrem Interesse noch im Interesse der Gruppe sein würden. heit, im Dienste seiner Verantwortung für sich selbst und seine erwählte Partnerin
Nachdem also die zwei Frauen eingetreten waren, änderte sich Bills Gruppenverhal­ »Nein« zu sagen!)
ten radikal: Er gab weniger von sich preis, er gab an, spielte den Siegertyp und über­ Bill fand das Leben in der Gruppe mittlerweile immer komplizierter. Er stellte nicht
nahm die Rolle des charmanten Verführers und wurde in seinen Handlungen viel ent­ nur Jan nach, sondern auch Gina, die mit Jan zusammen in die Gruppe eingetreten
schiedener und selbstbewusster. Kurzum, bei seinem Streben nach sekundärer sexuel­ war. Am Ende jeder Sitzung hatte Bill mit Schwierigkeiten zu kämpfen; wie sollte er
ler Befriedigung schien er jedes Gefühl dafür zu verlieren, dass er in einer Therapie­ nur zur gleichen Zeit mit jeder der beiden Frauen allein hinausgehen. Jan und Gina
gruppe war. Meine Kommentare waren ihm nicht willkommen, er verübelte sie mir waren einander zunächst sehr nahe, sie schmiegten sich fast aneinander, um Trost zu
vielmehr, weil er das Gefühl hatte, sie setzten ihn vor den Frauen herab. Seine Bezie­ suchen, als sie in die nur aus Männern bestehende Gruppe hineinkamen. Bill sah sei­
hungen zu den Männern in der Gruppe warf er über Bord und verhielt sich ihnen ge­ nen Vorteil darin, sie zu trennen, und auf vielerlei Weise gelang ihm das auch. Bill hat­
genüber von da an unaufrichtig. Als zum Beispiel in der ersten Sitzung einer der Män­ te nicht nur die Strategie »trenne und verführe«, sondern er fand auch Vergnügen an
ner den Frauen erklärte, er habe das Gefühl, sie hätten ihm nichts zu bieten, was für dem Prozess der Spaltung an sich. Er hatte in der Vergangenheit häufig Zimmergenos­
ihn von Wert sei, beeilte sich Bill, ihn für seine Aufrichtigkeit zu loben, obwohl er zu sinnen auseinandergebracht und verführt, und in seiner Kindheit hatte er sich mit viel
diesem Zeitpunkt in Wirklichkeit vor allem froh darüber war, dass der andere seine Energie zwischen seine Mutter und seine Schwester zu drängen versucht.
Zelte abgebrochen hatte und ihm bei den Frauen das Feld allein überließ. In diesem Gina hatte mithilfe vorangegangener Therapie eine Zeit der Promiskuität überwun­
Stadium leistete Bill jeder Intervention Widerstand. Ich versuchte viele Male, ihm sein den, die derjenigen Jans ähnlich war. Verglichen mit Jan sehnte sie sich jedoch dringen­
Verhalten zu erklären, aber genausogut hätte ich versuchen können, mitten im Mon­ der nach Hilfe und ließ sich mehr auf die Therapie ein als Jan; außerdem lag ihr sehr
sunregen ein Streichholz anzuzünden. viel an der Beziehung zu ihrem Freund. Infolgedessen war sie nicht erpicht auf eine se­
Nach etwa drei Monaten machte Jan Bill einen kaum verblümten sexuellen Antrag, xuelle Beziehung mit Bill. Aber im Lauf der Gruppenarbeit fühlte sie sich doch stark
von dem ich auf seltsame Weise erfuhr. Bill und Jan kamen zufällig verfrüht in den von ihm angezogen. Noch entschiedener beharrte sie aber auf dem Standpunkt, wenn
Gruppenraum, und während ihrer Unterhaltung lud Jan Bill in ihre Wohnung ein, um sie ihn schon nicht haben konnte, solle Jan ihn auch nicht kriegen. Eines Tages kündig­
einige pornografische Filme anzuschauen. Beobachter, die der Gruppe durch einen te Gina unerwartet in der Gruppe an, sie werde in drei Wochen heiraten, und lud die
Einweg-Spiegel zusahen, waren gleichfalls zu früh gekommen, hatten den Vorschlag Gruppe zur Hochzeit ein. Sie beschrieb ihren zukünftigen Ehemann als einen ziemlich
mitangehört und berichteten mir nach der Sitzung davon. Mir war unbehaglich dabei, passiven, anhänglichen Taugenichts; erst viele Monate später erfuhr die Gruppe, dass
wie ich zu der Information gekommen war, brachte den Vorfall aber dennoch in der er ein begabter Mathematiker war, der zwischen Berufungen an verschiedene führende
nächsten Sitzung zur Sprache; Jan und Bill leugneten allerdings, dass eine sexuelle Ein­ Universitäten wählen konnte.
ladung ausgesprochen worden sei. Die Diskussion endete damit, dass Jan mitten in der Somit strebte auch Gina nach sekundärer Befriedigung und nicht nach der Lösung
Sitzung wütend hinausstapfte. ihrer primären Aufgabe. In ihrer Bemühung, sich Bills Interesse zu erhalten und hierin
In den folgenden Wochen führten sie und Bill nach jeder Sitzung auf dem Parkplatz mit Jan zu konkurrieren, stellte sie ihre Beziehung zu einem anderen Mann falsch dar
lange Gespräche und umarmten sich. Jan berichtete über diese Vorfälle in den Sitzun­ und spielte die Ernsthaftigkeit ihres Engagements herunter, bis ihre Heirat sie zwang,
gen, zog sich aber dadurch Bills Wut zu, weil sie ihn verriet. Schließlich machte Bill sei­ die Karten auf den Tisch zu legen. Selbst dann stellte sie ihren Mann absichtlich in ein
nerseits Jan ein eindeutiges Angebot; aufgrund der therapeutischen Arbeit, die in der ungünstiges Licht, um Bills Hoffnungen zu nähren, er habe immer noch die Chance zu

396 397
einem Verhältnis mit ihr. Damit opferte Gina die Gelegenheit, in der Gruppe an ihrer Außerdem hatte die Sache auch eine rachsüchtige Komponente: Sie hatte schon frü­
Beziehung zu ihrem Verlobten zu arbeiten - eine der dringenden Aufgaben, derent­ her durch sexuelle Verführung über einflussreiche Männer (Abteilungsleiter und meh­
wegen sie in die Therapie gekommen war. rere Arbeitgeber) triumphiert. Wahrscheinlich fühlte sich Jan im Umgang mit mir
Nachdem sie mehrere Monate zusammen in der Gruppe gewesen waren, beschlos­ machtlos; ihre Hauptwährung bei Männern - Sex - ermöglichte ihr keinen wesentli­
sen Jan und Bill definitiv, eine Liebesbeziehung miteinander zu beginnen, und verkün­ chen Einfluss auf mich, aber einen indirekten Sieg auf dem Umweg über Bill. Viel spä­
deten diesen Plan zwei Wochen später der Gruppe. Die Mitglieder reagierten heftig. ter erfuhr ich, dass sie und Bill vergnügt im Bett herumzutoben pflegten und den Ge­
Die beiden anderen Frauen (inzwischen war eine weitere in die Gruppe eingetreten) danken genossen, dass sie mir ein Schnippchen geschlagen hatten. Bill wiederholte in
waren wütend. Gina fühlte sich insgeheim verletzt, weil Bill sie abgelehnt hatte, äußer­ der Gruppe nicht nur seine Sexualisierung von Beziehungen, seine Bemühungen,
te jedoch nur große Wut darüber, dass seine Liaison mit Jan die Integrität der Gruppe durch noch eine Verführung seine Potenz zu beweisen, sondern er fand besonders die
bedrohen würde. Die neue Klientin, die eine Beziehung zu einem Mann hatte, der Bill Gelegenheit unwiderstehlich, sich erfolgreich als Odipus zu betätigen - dem Gruppen­
ähnlich war, identifizierte sich mit Bills Freundin. Einige der Männer gaben Zuschau­ leiter die Frauen wegzunehmen.
er-Kommentare; sie sahen in Jan ein Sexualobjekt und feuerten Bill an, »Punkte zu Bill und Jan stellten also in einem reichhaltigen Verhaltensgewebe ihre Dynamiken
sammeln«. Ein anderer sagte (und mit der Zeit wurden solche Gefühle noch öfter ge­ dar und erschufen im Mikrokosmos der Gruppe ihre soziale Umwelt neu. Bills Narziss­
äußert), er wünschte, Bill würde sich beeilen und endlich mit ihr schlafen, damit man mus und seine uneigentliche Art, zu Frauen in Beziehung zu treten, bildeten sich deut­
in der Gruppe wieder über etwas anderes sprechen könne. Er war ein ängstlicher, lich ab. Er machte oft Andeutungen, dass sich seine Beziehung zu der Frau, mit der er
schüchterner Mann, der überhaupt keine heterosexuellen Erfahrungen hatte. Die se­ zusammenlebe, verschlechtere; dadurch schuf er die Voraussetzungen für Jans Fantasie
xuellen Angelegenheiten in der Gruppe waren, wie er sich ausdrückte, so wenig »sein über eine Heirat. Bills Andeutungen wirkten mit Jans enormer Fähigkeit zur Selbsttäu­
Bier«, dass er überhaupt nichts beitragen könne. schung zusammen: In der ganzen Gruppe sah allein sie eine Ehe mit Bill ernstlich als
Roh, der Mann in der Gruppe, der bei Jan und Ginas erster Sitzung Lederhosen ge-· eine Möglichkeit an. Als die anderen Gruppenmitglieder versuchten, ihr zu helfen, Bills
tragen hatte, wünschte sich insgeheim, dass die Gruppe ihre heterosexuelle Thematik primäre Botschaft zu hören - nämlich, dass sie ihm nichts bedeute, dass sie lediglich
ändere. Er hatte sich zunehmend Gedanken wegen seiner homosexuellen Zwangsvor­ eine weitere sexuelle Eroberung war -, reagierte sie abwehrend und wütend.
stellungen gemacht, schob es aber viele Wochen lang auf, in der Gruppe darüber zu Allmählich erzeugte die Dissonanz zwischen Bills privaten Äußerungen und den
sprechen, weil er das Gefühl hatte, die Gruppe werde seine Bedürfnisse gar nicht hören Deutungen seiner Absichten durch die Gruppe so viel Unbehagen in Jan, dass sie er­
wollen und er werde die Achtung der Mitglieder verlieren, die heterosexuelles Helden­ wog, die Gruppe zu verlassen. Ich erinnerte sie so eindringlich wie möglich, dass ich sie
tum so außerordentlich hoch schätzten. genau davor gewarnt hatte, bevor sie in die Gruppe eingetreten war. Wenn sie die The­
Am Ende sprach er jedoch mit einiger Erleichterung über diese Probleme. Es ist rapie vorzeitig verlasse, wäre alles, was in der Gruppe geschehen sei, umsonst gewesen.
wichtig zu beachten, dass Bill Rob sehr wenig zu bieten hatte, abgesehen von guten Sie habe schon früher viele kurze und wenig lohnende Beziehungen gehabt. Die Grup­
Ratschlägen und Besorgnis. Etwa zehn Monate später, nachdem Roh die Gruppe ver­ pe biete ihr die einzigartige Gelegenheit, endlich einmal bei einer Beziehung zu bleiben
lassen hatte, und nachdem die Paarbildung zwischen Bill und Jan durchgearbeitet wor­ und das Drama bis zum Ende durchzuspielen. Letztendlich entschied Jan sich, in der
den war, offenbarte Bill seine eigenen homosexuellen Sorgen und Fantasien. Hätte Bill, Gruppe zu bleiben.
den Roh sehr bewunderte, diese zur rechten Zeit mit ihm geteilt, wäre dies für Roh sehr Die Beziehung zwischen Jan und Bill war exklusiv: Keiner von beiden trat zu
hilfreich gewesen. Bill wollte aber zu dieser Zeit nichts offenbaren, das seinen Versuch irgendeinem anderem in der Gruppe in eine wirklich wichtige Beziehung, abgesehen
behindert hätte, Jan zu verführen - ein weiterer Fall von sekundärer Befriedigung, der davon, dass Bill versuchte, sich den erotischen Weg zu Gina freizuhalten (»sein Bank­
die Gruppenarbeit behinderte. konto offenzuhalten«, wie er sich ausdrückte). Gina und Jan verharrten nun im Zu­
Nachdem die sexuelle Liaison begonnen hatte, wurde die Beziehung zwischen Jan stand einer unerbittlichen Feindschaft, die so extrem war, dass jede Mordfantasien ge­
und Bill für eine genauere Untersuchung durch die Gruppe und für die therapeutische genüber der anderen hatte. (Als Gina heiratete, lud sie alle Gruppenmitglieder außer
Arbeit noch unzugänglicher. Sie sprachen nun von sich als »wir« und widersetzten sich Jan zur Hochzeit ein. Erst als die anderen mit einem Boykott drohten, lud sie ziemlich
allen Ermahnungen durch mich oder durch andere Mitglieder, sie sollten etwas über frostig auch Jan ein.) Für Bill war seine Beziehung zu mir vor Jans Eintritt in die Grup­
sich lernen, indem sie ihr Verhalten analysierten. Zunächst war nur schwer zu erken­ pe sehr wichtig gewesen. Während der ersten Monate seines Verhältnisses mit Jan
nen, was außer starker Lust zwischen den beiden vor sich ging. Ich wusste, dass Jans schien er meine Anwesenheit zu vergessen, doch allmählich kehrte sein Interesse an
Selbstwertgefühl außerhalb ihrer selbst lag. Sie hatte das Gefühl, sie müsse anderen - mir zurück. Eines Tages zum Beispiel erzählte er einen Traum, in dem ich alle Grup­
besonders sexuelle - Geschenke machen, damit diese ihr Interesse an ihr nicht ver­ penmitglieder außer ihm in eine Gruppe für Fortgeschrittene geleitete, wohingegen er
lören. in eine Anfängergruppe befördert wurde, eine »Verlierergruppe«.

398 399
Die Beziehung zwischen Jan und Bill verbrauchte ungeheure Mengen von Gruppen­ »Es stimmt übrigens nicht, dass ich nie geliebt habe. Ich habe in meinem Leben z u m i n ­
energie und Gruppenzeit. Nur wenige Themen wurden in der Gruppe bearbeitet, die dest e i n e große Liebe geka n nt, und i h r Gegensta nd wa r jederzeit ich . . . die S i n n lich keit,
nichts mit dieser Beziehung zu tun hatten, aber alle Mitglieder bearbeiteten persönli­ u nd n u r sie a l lein, beherrschte mein Liebesleben . . . . Wie dem a uch sei, meine Sinn lich­
che Probleme, die mit der Paarbildung zusammenhingen: Sex, Eifersucht, Neid, Kon­ keit, um nur von ihr zu sprechen, war so mächtig, dass ich soga r um eines Abenteuers
kurrenzangst, Sorgen um die physische Attraktivität. Die Wellen der Gefühle in der von zehn M i n uten willen Vate r und Mutter verleugnet hätte, auf die Gefa h r h i n, es
Gruppe schlugen ständig hoch. Dies wirkte sich sehr positiv auf die Teilnahmefrequenz nachträglich bitter zu bereuen. Aber was sage ich! Vor a l lem um ei nes Abenteuers von
aus: Im Lauf von 30 Sitzungen fehlte nie jemand! zehn Min uten willen, und erst recht, wenn ich die Gewissheit hatte, dass es keine wei­
Allmählich begann die Beziehung zwischen Jan und Bill Verfallserscheinungen zu teren Konseq uenzen haben werde. «12
zeigen. Jan hatte immer behauptet, alles, was sie von Bill wolle, sei seine rein physische
Gegenwart - eine Nacht alle zwei Wochen mit ihm sei alles, was sie brauche. Nun muss­ Wenn der Gruppentherapeut Bill helfen wollte, musste er dafür sorgen, dass Bills
te sie erkennen, dass sie viel mehr wollte. Sie fühlte sich in ihrem Leben unter Druck: Handlungsweise Folgen hatte.
Sie hatte ihre Arbeit verloren und wurde von finanziellen Sorgen gequält; sie hatte ihre Bill wollte mit Jans Depression nicht belastet werden. Er hatte Frauen im ganzen
Promiskuität aufgegeben, empfand aber sexuellen Druck und sagte sich nun: »Wo ist Land, die ihn liebten ( und deren Liebe ihm das Gefühl gab, lebendig zu sein); aber für
Bill, wenn ich ihn wirklich brauche?« Sie wurde depressiv, aber anstatt die Depression ihn hatten diese Frauen keine selbstständige Existenz. Er zog es vor zu glauben, seine
in der Gruppe zu bearbeiten, bagatellisierte sie sie. Wieder einmal bekamen sekundäre Frauen würden nur lebendig, wenn er bei ihnen erschien. Auch hier spricht Camus es
Überlegungen die Priorität vor primären, therapeutischen Erwägungen, denn es wi­ für ihn aus:
derstrebte ihr, Gina und den anderen Mitgliedern die Befriedigung zu verschaffen, sie
niedergeschlagen zu sehen: Sie hatten sie schon vor Monaten gewarnt, ein Verhältnis »Ich kon nte also z ugegebenermaßen n u r u nter der Bedingung leben, dass a uf dem
mit Bill werde sich letzten Endes als selbstzerstörerisch erweisen. ganzen Erdenrund a l le oder doch möglichst viele Menschen mir zugeke h rt waren, un­
Und wo war Bill tatsächlich? Diese Frage brachte uns zum Kernproblem von Bills wa ndelbar frei fü r m ich, des Eigenlebens bera u bt, a l lzeit bereit, meinem Ruf Folge zu
Therapie: Verantwortung. Als Jan immer depressiver wurde ( eine Depression, die sich leisten, der U nfruchtbarkeit a n hei mgegeben in E rwa rtung des Tages, da ich geruhen
zeitweise in Unfallneigung äußerte, einschließlich eines Autounfalls und einer schmerz­ w ü rde, ihnen mein Licht z utei l werden z u lassen. Kurz u m , d a m it ich glücklich sei n
haften Brandwunde von einem Küchenunglück), konfrontierte die Gruppe Bill mit kon nte, d u rften die von m i r erwä h lten Geschöpfe kei n Leben besitzen. Sie sol lten i h r
einer erschreckenden Frage: Wenn er das Ende des Abenteuers im Voraus gewusst hätte, Leben n u r von Zeit z u Zeit nach meinem Belieben von m i r empfa ngen. «13
hätte er irgendetwas anders gemacht?
Bill sagte: »Nein! Nichts hätte ich anders ·gemacht! Wenn ich nicht für mein Vergnü­ Jan rückte Bill unnachgiebig auf den Leib. Sie sagte ihm, es gebe einen anderen Mann,
gen sorge, wer soll es dann tun?« Die anderen Gruppenmitglieder und nun auch Jan der sich ernsthaft für sie interessiere, und bat ihn dringend, ihr die Wahrheit zu sagen,
griffen ihn wegen seiner Genusssucht und seines Mangels an Verantwortungsgefühl für ihr seine Gefühle für sie ehrlich zu beschreiben, sie freizugeben. Mittlerweile war Bill
andere an. Bill dachte über diese Angriffe nach, aber nur um in der folgenden Sitzung sich ganz sicher, dass er Jan nicht mehr begehrte. (Tatsächlich hatte er, wie wir später
eine Reihe von Rationalisierungen vorzubringen. erfahren sollten, sein Engagement für die Frau, mit der er zusammenlebte, allmählich
»Verantwortungslos? Nein, ich bin nicht verantwortungslos! Ich bin lebhaft, eine gesteigert.) Aber er konnte es nicht zulassen, dass die klaren Worte über seine Lippen
Art Kobold, ein Peer Gynt, der das Leben liebt. Das Leben bietet so wenig Vergnügen«, kämen - Bill hatte also einen seltsamen Begriff von Freiheit, wie er allmählich selber
meinte er, »weshalb habe ich nicht das Recht zu nehmen, so viel ich kann? Wer stellt verstand: die Freiheit, zu nehmen, aber nicht die Freiheit, zu verzichten. (Noch einmal
diese Regeln auf?« Er behauptete steif und fest, die Gruppenmitglieder und der Thera­ Camus: »Glauben Sie mir, es gibt nichts Schwierigeres auf der Welt, zumindest für ge­
peut würfen sich listig in die Robe der Verantwortlichkeit und versuchten in Wahrheit wisse Menschen, als nicht zu nehmen, was man nicht begehrt.«) 14 Er bestand darauf,
nur, ihn seiner Lebenskraft und Freiheit zu berauben. Viele Sitzungen lang beschäftig­ man solle ihm die Freiheit gewähren, seine Vergnügungen zu wählen, aber, wie er
te sich die Gruppe mit den Fragen von Liebe, Freiheit und Verantwortung. Mit wach­ schließlich einsah, hatte er nicht die Freiheit, für sich selbst zu wählen. Seine Entschei­
sender Direktheit stellte Jan sich Bill entgegen. Sie erschreckte ihn mit der Frage, wie dung führte fast ausnahmslos dazu, dass er in seiner eigenen Achtung sank. Und je
viel genau ihm an ihr liege. Er wand sich und spielte sowohl auf seine Liebe zu ihr an größer sein Selbsthass wurde, desto zwanghafter, desto weniger frei war sein achtloses
als auch auf seinen Mangel an Bereitschaft, mit irgendeiner Frau eine Dauerbeziehung Streben nach sexuellen Eroberungen, die ihm nur flüchtige Linderung brachten.
einzugehen. Tatsächlich stoße ihn jede Frau ab, die eine längere Beziehung wolle. Jans Pathologie war ebenso offenkundig. Sie gab ihre Freiheit an Bill ab ( ein logi­
Ich fühlte mich an eine vergleichbare Einstellung zur Liebe in dem Roman Der Fall sches Paradox); nur er hatte die Macht, sie freizugeben. Ich konfrontierte sie mit ihrer
erinnert, wo Camus Bills Dilemma mit niederschmetternder Klarheit ausdrückt: allumfassenden Weigerung, ihre Freiheit anzunehmen: Warum könne sie zu keinem

400 401
Mann »Nein« sagen? Wie könnten Männer sie sexuell ausnutzen, wenn sie es nicht sel­ niskriterien - verblüffend. In Interviews neun Monate nach Beendigung ihrer Therapie
ber zuließ? Es war auch offensichtlich, dass sie Bill auf unwirksame, selbstzerstöreri­ zeigten sich bei beiden eindrucksvolle Veränderungen. Jan war nicht mehr depressiv,
sche Art bestrafte: Sie versuchte, durch Unfälle, Depression und Klagen, dass sie einem selbstzerstörerisch und promiskuitiv. Sie hatte die stabilste und befriedigendste Bezie­
Mann vertraut habe, der sie dann verraten habe, und dass sie nun fürs ganze Leben rui­ hung zu .einem Mann aufgebaut, die sie jemals gehabt hatte, und sie hatte eine andere,
niert sei, Schuldgefühle in ihm zu wecken. für sie lohnendere berufliche Laufbahn eingeschlagen. Als Bill begriffen hatte, dass er
Bill und Jan umkreisten diese Fragen monatelang. Von Zeit zu Zeit nahmen sie ihre die Beziehung zu seiner Freundin geschwächt hatte, nur um zu suchen, was er in Wirk­
alte Beziehung wieder auf, aber immer mit etwas mehr Nüchternheit und etwas weni­ lichkeit gar nicht wollte, konnte er sich selbst tiefere Gefühle zugestehen. Kurz bevor er
ger Selbsttäuschung. Während einer Zeit, in der sie überhaupt nicht arbeiteten, spürte die Gruppe verließ, heiratete er seine Freundin. Seine angsterfüllten Depressionen, sei­
ich, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war, und trat ihnen energisch entgegen. Jan ne quälende Befangenheit, sein durchdringendes Gefühl der Leere waren jeweils durch
war zur Sitzung zu spät gekommen und klagte über das Durcheinander in ihren Finan­ ihr lebensbejahendes Gegenteil ersetzt worden.
zen. Sie und Bill kicherten, als er bemerkte, ihre verantwortungslose Art, mit Geld um­ Ich kann auf diesen wenigen Seiten nicht all das zusammenfassen, was in der The­
zugehen, mache sie umso liebenswürdiger. Ich verblüffte die Gruppe durch die Bemer­ rapie von Jan und Bill wichtig war. Es gab noch viel mehr, darunter viele wichtige In­
kung, Jan und Bill leisteten so wenig therapeutische Arbeit, dass ich mich fragte, ob es teraktionen mit anderen Mitgliedern und mit mir. Die Entwicklung ihrer Beziehung
sinnvoll sei, dass sie weiterhin an der Gruppe teilnähmen. außerhalb der Gruppe und deren Durcharbeitung waren nach meiner Ansicht keine Kom­
Jan und Bill beschuldigten mich, übermäßig moralisch zu sein. Jan sagte, seit Wo­ plikation ihrer Therapie, sondern ein unentbehrlicher Teil von ihr. Es ist unwahrschein­
chen sei sie nur in die Gruppe gekommen, um Bill zu sehen und nach der Sitzung mit lich, dass Jan motiviert gewesen wäre, in der Therapie zu bleiben, wenn Bill nicht in der
ihm zu sprechen; wenn er die Gruppe verlasse, glaube sie nicht, dass sie allein weiter­ Gruppe gewesen wäre. Es ist unwahrscheinlich, dass ohne Jans Anwesenheit Bills
machen würde. Ich erinnerte sie, dass die Gruppe kein Vermittlungsbüro für Bekannt­ zentrale Probleme deutlich zutage getreten und der Therapie zugänglich geworden
schaften sei; es gebe hier für sie sicher weit wichtigere Aufgaben, denen sie sich widmen wären.
könne. Ich fuhr fort, Bill werde auf die Dauer in ihrem Leben keine Rolle spielen und Der Preis, den die Gruppe dafür bezahlte, war jedoch enorm. Unendlich viel Grup­
bald aus ihrer Erinnerung verschwinden. Bill fühle sich ihr nicht verpflichtet, und penzeit und Gruppenkraft wurden von Jan und Bill aufgezehrt. Andere Mitglieder
wenn er auch nur ein bisschen ehrlich wäre, würde er ihr dies auch sagen. Jan erwider­ wurden vernachlässigt, und viele wichtige Fragen blieben unberührt. Meist entsteht
te, Bill sei der Einzige in der Gruppe, dem wirklich etwas an ihr liege. Ich widersprach durch solche Untergruppenbildungen eine Sackgasse, die sich auf die therapeutische
und sagte, Bills Interesse für sie nutze ihr nicht wirklich. Arbeit mit der Gruppe sehr destruktiv auswirken kann.?1 Höchstwahrscheinlich hätte
Als Bill die Sitzung verließ, war er wütend auf mich (besonders über meine Bemer­ eine neue Gruppe oder eine, die seltener als zweimal in der Woche zusammengekom­
kung, er werde bald aus Jans Erinnerung verschwinden). Einen Tag lang erging er sich men wäre, den Preis nicht_bezahlen wollen. Es ist auch unwahrscheinlich, dass Jan und
in der Fantasie, sie zu heiraten, um mich ins Unrecht zu setzen, kam aber in die Grup­ Bill bereit gewesen wären, kontinuierlich bei ihrer therapeutischen Arbeit in dieser
pe zurück und begann ernsthaft zu arbeiten. Als seine Aufrichtigkeit mit sich selbst zu­ Gruppe zu bleiben, wenn sie sich nicht schon vor ihrer Liebesaffäre in ihr engagiert
nahm, als er sich einem alles überragenden Gefühl der Leere gegenübersah, die jeweils gehabt hätten.
nur vorübergehend durch die Liebe einer Frau ausgefüllt worden war, arbeitete er sich
mühsam durch eine schmerzliche Depression, die er zuvor durch sein Ausagieren in
Konfl i kte i n de r Thera pieg ru p pe
Schach gehalten hatte. Jan, die nach der Sitzung zwei Tage lang sehr verzweifelt gewe­
sen war, traf dann unvermittelt weitreichende Entscheidungen in Bezug auf ihre Ar­ Konflikte lassen sich in Gruppen von Menschen generell nicht vermeiden, ganz gleich,
beit, Geld, Männer und die Therapie. ob es sich um Dyaden, Kleingruppen, Großgruppen oder Megagruppen wie Nationen
Nun trat die Gruppe in eine produktive Phase ein, die sich noch weiter vertiefte, als und Machtblöcke handelt. Wenn man offene Konflikte verleugnet oder unterdrückt,
ich eine viel ältere Klientin in die Gruppe einführte, die viele Themen einbrachte, die manifestieren sie sich ohne Ausnahme auf indirekte, quälende und oft hässliche Weise.
bisher in der Gruppe vernachlässigt worden waren: Eltern, Tod, Ehe, physischer Verfall. Wenn auch unsere unmittelbaren Assoziationen zu »Konflikt« negativ sind - Zerstö­
Jan und Bill waren nicht mehr ineinander verliebt. Sie begannen, ihre Beziehungen zu rung, Bitterkeit, Krieg, Gewalt -, bringt schon ein Augenblick des Nachdenkens posi­
anderen in der Gruppe, einschließlich den Therapeuten, zu untersuchen. Bill hörte auf tive Assoziationen ans Licht: dramatische Spannung, angenehme Aufregung, Verände­
zu lügen, erst Jan, dann Gina gegenüber, schließlich auch den anderen Mitgliedern und rung und Entwicklung. Therapiegruppen sind in dieser Hinsicht keine Ausnahme.
zu guter Letzt sich selbst gegenüber. Jan blieb sechs weitere Monate in der Gruppe und Manche Gruppen werden »zu nett« und vermeiden sorgsam Konflikte und Konfron­
Bill ein weiteres Jahr. tationen, wobei sie häufig die Tendenz des Therapeuten, Aggression zu vermeiden,
Das Ergebnis war sowohl bei Jan als auch bei Bill - gemessen an beliebigen Ergeh- spiegeln. Konflikte sind im Verlauf der Gruppenentwicklung so unvermeidlich, dass

402 403
ihr Fehlen auf eine Störung im Entwicklungsablauf hinweist. Außerdem lassen sich gegen ein anderes Mitglied ita lien ischer Absta m m u ng, das jedoch die Wertvorstel l u n ­
Konflikte zum Nutzen der Gruppe einspannen, vorausgesetzt, ihre Intensität übersteigt g e n , d i e M i m i k u n d Gestik s e i n e r eth n ischen G ru ppe bei beha lten hatte. D u rch d i e
nicht die Toleranz der Gruppenmitglieder, und angemessene Gruppennormen wurden Erforschung seiner, Vincents, Abneigung gegen diesen Ma n n ka m Vincent z u vielen
etabliert. Zu lernen, wie man mit Konflikten effizient umgehen kann, ist ein wichtiger wichtigen Einsichten über sich sel bst.
Schritt in der Therapie, der die individuelle Reifung und die emotionale Resilienz för­
dert. 1 5 Der nun folgende Abschnitt ist den Konflikten in der Therapiegruppe gewidmet I n einer Gruppe von Assistenzä rzten in der Psychiatrie q u ä lte sich Pat m it der Frage, ob
- ihren Ursachen, ihrer Bedeutung und ihrem Wert in der Therapie. er woa nders, wo m a n stärker a kademisch orientiert war, eine Assistenten stelle a nneh­
men sol lte. Die Gru ppe, mit einem Mitglied namens Clem als Anführer, missgön nte Pat
Ursachen von Feindseligkeit die Gru ppenzeit, die er m it diesem Problem beanspruchte, und tadelte i h n wegen sei­
In einer Therapiegruppe gibt es viele Ursachen für Feindseligkeit und eine ebenso ner Schwäche u nd U nentschlossenheit. Sie beha rrte dara uf, er sol le end lich eine E nt­
große Zahl relevanter Sichtweisen und Modelle zur Erklärung dieses Phänomens, die scheid ung treffen. Als der Therapeut die Gruppenm itgl ieder vera n l asste, die U rsachen
von der Ichpsychologie über die Objektbeziehungstheorie bis zur Selbstpsychologie i h rer Wut auf Pat zu u nters uchen, wurden viele Arten der Dynamik deutlich (ei n ige
reichen. 1 6 Es ist ungeheuer wichtig, dass der Gruppenleiter in der Lage ist, den Anteil davon werde ich in Kapitel 17 bespreche n): E i ne der wichtigsten Quel len w u rde von
individueller, interpersonaler und gruppendynamischer Faktoren an der Entstehung Clem entdeckt, der ü ber sein e eigene l ä h mende U nentschiedenheit sprach. Er hatte
von Feindseligkeit in der Gruppe zu erkennen. t7 sich ein J a h r zuvor m it derselben E ntscheid u ng herumgesch lagen wie Pat u n d hatte,
Manche Antagonismen sind Projektionen der eigenen Selbstverachtung der Klien­ da er zu entschlossenem Handeln u nfähig wa r, das Dilemma passiv gelöst, indem er es
ten. Es vergehen oft Monate, bevor einige Mitglieder ernsthaft beginnen, die Meinun­ u nterdrückte. Pats Verha lten erweckte das ga nze schmerzliche Szenario für Clem wie­
gen anderer Mitglieder anzuhören und zu respektieren. Sie haben so wenig Selbstach­ der z u m Leben, der es n u n dem anderen n icht n u r übelnahm, dass er i h n aus seinem
tung, dass es zunächst unvorstellbar erscheint, andere ihnen ähnliche Menschen könn­ u n behaglichen Sch l ummer weckte, sondern a uch, dass er sich m it dem Problem e h rli­
ten etwas Wertvolles zu bieten haben. Entwertung führt zu neuer Entwertung, und auf cher und m utiger auseinandersetzte, als er es sel bst getan hatte.
diese Weise kann leicht ein destruktiver interpersonaler Teufelskreis entstehen.
übertragung oder parataktische Verzerrungen erzeugen in der Therapiegruppe oft J. Frank hat eine nachhallende doppelte Spiegelreaktion beschrieben:
Feindseligkeit. Ein Klient reagiert auf andere vielleicht nicht auf realer Basis, sondern
auf der Grundlage eines Bildes vom anderen, das durch seine eigenen früheren Bezie­ In einer Gruppe entsta n d eine langwierige Fehde zwischen zwei Juden, von denen der
hungen und seine aktuellen interpersonalen Bedürfnisse und Ängste verzerrt ist. Ist die eine sein J udentum zur Schau stel lte, während der andere versuchte, es zu verbergen.
Verzerrung mit einem negativen Vorzeichen versehen, entsteht leicht eine wechselsei­ Beide erkan nten sch ließlich, dass jeder von ihnen in der Person des anderen eine Hal­
tige Feindseligkeit. Die Gruppe kann die Funktion eines »Spiegelsaals« .71 18 überneh­ tung bekämpfte, die er bei sich sel bst verd rä ngte. Der orthodoxe Jude verstand schließ­
men, der feindselige und zurückweisende Gefühle und Verhaltensweisen verstärkt. l ich, dass ihn die vielen Nachteile der Zugehörigkeit zum J udentum beunruhigten, u nd
Manche Menschen mögen jahrelang oder sogar ihr ganzes Leben lang Züge oder Wün­ der Mann, der seine Herkunft verbarg, beka n nte, dass er i nsgeheim einen gewissen
sche unterdrückt haben, deren sie sich sehr schämen; wenn sie einem anderen begeg­ Stolz auf sie empfand.19
nen, der genau diese Züge aufweist, meiden sie meistens den Betreffenden oder emp­
finden eine starke, unerklärliche Abneigung gegen ihn. Der Prozess kann dem Bewusst­ Eine weitere Ursache für Konflikte in Gruppen ist die projektive Identifikation. Ein un­
sein nahe und mithilfe anderer leicht erkennbar oder auch tief vergraben sein und erst bewusster Prozess, der an der Spiegelung beteiligt ist, besteht darin, dass man einige
nach vielen Monaten der Bearbeitung verstanden werden. Eigenschaften (die man aber leugnet) von sich auf einen anderen projiziert, von dem
man sich von nun an unheimlich angezogen oder abgestoßen fühlt. Ein scharf umris­
Der Klient Vincent, ein i n Amerika geborener Sohn ita l ienischer Ei nwa nderer, der i n den senes literarisches Beispiel für projektive Identifizierung kommt in Dostojewskis un­
Slums von Boston aufgewachsen wa r u nd mit großen Schwierigkeiten eine gute Sch ul­ heimlicher Erzählung Der Doppelgänger vor. In ihr begegnet der Protagonist einem
bildung erworben hatte, hatte sich seit langem von seinen Wu rze l n losgesagt. E r war Mann, der sein körperlicher Doppelgänger ist und zugleich die Personifizierung aller
stolz auf seinen I ntellekt u nd sprach sehr gewä h lt, u m m it kei n er N ua nce eines Ak­ undeutlich wahrgenommenen, gehassten Seiten seiner selbst.20 Die Erzählung schildert
zents sei ne Herku nft zu verraten. Tatsächlich wa r ihm der Geda n ke an sei ne bescheide­ erstaunlich lebendig die unheimliche Anziehung, den Schrecken und den Hass, die sich
ne Herku nft unerträglich, und er fü rchtete, man kön nte die Wahrheit ü ber i h n erfah­ zwischen dem Protagonisten und seinem Doppelgänger entwickeln.
ren. Andere könnten h i nter seiner Fassade den wa hren Kern sehen, den er für hässl ich, Die Projektive Identifikation umfasst intrapsychische und interpersonale Kompo­
dreckig und abstoßend hielt. In der Gru ppe empfand Vincent eine extreme Abneigung nenten.2 1 Sie ist sowohl ein Abwehrmechanismus (primitiver Art, weil sie die Realität

404 405
polarisiert, verzerrt und fragmentiert) als auch eine Form interpersonaler Beziehung. Während die Gruppe fortschreitet, kann es vorkommen, dass die Mitglieder immer
71 22 Nicht anerkannte Elemente des Selbst werden nicht nur auf eine andere Person ungeduldiger und wütender werden gegenüber anderen, welche die Verhaltensnormen
projiziert, sondern sogar in sie hinein. Das Verhalten des anderen verändert sich in der der Gruppe nicht übernommen haben.Wenn sich beispielsweise ein Gruppenmitglied
laufenden Beziehung, weil die offene und verdeckte Kommunikation des Projizieren­ hinter einer Fassade verbirgt, versuchen die übrigen möglicherweise eine Zeit lang, die
den das psychische Erleben und das Verhalten des Empfängers beeinflusst. Man könn­ Betreffende zur Teilnahme zu bewegen. Doch nach einiger Zeit ist ihre Geduld er­
te die projektive Identifikation mit zwei verzerrenden Spiegeln vergleichen, die einan­ schöpft, und sie fordern die Teilnehmerin verärgert auf, sich selbst und ihnen gegen­
der gegenüberstehen und deren Bilder durch das Hin- und Herfallen immer stärkere über ehrlicher zu sein.
Verzerrungen erzeugen.23 Manche Klienten geraten aufgrund ihrer Charakterstruktur immer wieder in Kon­
In einer Gruppentherapie gibt es noch viele andere Ursachen für Ärger. Teilnehmer flikte und schaffen in jeder Gruppe weitere Konflikte. Ein Beispiel hierfür ist ein Mann
mit einem schwachen Selbstwertgefühl reagieren verärgert auf Erlebnisse der Beschä­ mit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung, der stets glaubt, er sei von Gefahren um­
mung, der Abweisung, des Empathieversagens oder der Zurückweisung und versuchen ringt: Er ist ständig misstrauisch und auf der Hut. Alle Gegebenheiten überprüft er
dann, sich durch Vergeltungsmaßnahmen oder durch interpersonalen Zwang Genug­ nochmals mit außerordentlicher Skepsis, während er nach Anzeichen für Gefahren
tuung zu verschaffen. Manchmal ist Ärger eine verzweifelte Reaktion auf das Gefühl, sucht. Er ist angespannt und jederzeit bereit, auf eine Notlage zu reagieren. Er verhält
mit einer interpersonalen Zurückweisung nicht fertig zu werden, und stellt einen Ver­ sich nie spielerisch und betrachtet derartiges Verhalten anderer mit großem Misstrau­
such des Klienten dar, einen völligen emotionalen Zusammenbruch zu vermeiden. 24 en, weil er annimmt, dahinter verberge sich ein Versuch, ihn auszunutzen. Natürlich
Rivalität kann ebenfalls eine Ursache von Konflikten sein. Klienten können in der macht sich das Gruppenmitglied durch solches Verhalten bei den anderen nicht be­
Gruppe miteinander um den größten Anteil an der Aufmerksamkeit des Therapeuten liebt. Früher oder später reagieren alle in seiner Umgebung verärgert; und je aus­
oder um eine besondere Rolle wetteifern, die Rolle der mächtigsten, geachtetsten, sen­ geprägter und starrer die Charakterstruktur des Betreffenden ist, umso extremer spitzt
sibelsten, gestörtesten oder bedürftigsten Person in der Gruppe. Die Mitglieder suchen sich der Konflikt zu. Die Therapie kann nur erfolgreich sein, wenn der Klient zu den
(möglicherweise angetrieben von unbewussten Überbleibseln der Geschwisterrivalität) unter dem feindseligen Misstrauen verborgenen Gefühlen der Verletzlichkeit Kontakt
nach Anzeichen, dass der Therapeut das eine oder andere Mitglied bevorzugt. In einer herstellt und sie untersucht.
Gruppe beispielsweise fragte ein Mitglied den Therapeuten, wo er seinen Urlaub ver­ In Kapitel 11 habe ich eine weitere Ursache von Feindseligkeit in der Gruppe be­
bringen werde, und dieser antwortete mit untypischer Freimütigkeit. Dies rief die er­ sprochen: die wachsende Ernüchterung und Enttäuschung über den Therapeuten,
bitterte Reaktion einer Teilnehmerin hervor, die sich erinnerte, wie ihre Schwester im­ wenn er die unrealistischen Erwartungen der Klienten nicht erfüllt. 71 Wenn die Grup­
mer Dinge von den Eltern bekommen hatte, die man ihr versagt hatte. 71 25 pe die direkte Konfrontation mit dem Therapeuten nicht zuwege bringt, schafft sie sich
Auch die Einführung neuer Gruppenmitglieder weckt häufig Konkurrenzgefühle: möglicherweise einen Sündenbock - eine höchst unbefriedigende Lösung für das Op­
fer wie für die Gruppe. Tatsächlich kann sich die Gruppe mithilfe eines Sündenbocks
I n der 50. Sitzung einer Gruppe ka m G i n ny; ein neues Mitglied, dazu. I n vieler Hinsicht von Wut befreien, die aus irgendeiner dunklen Quelle stammt; die Ernennung von
wa r sie Douglas, einem »dienstälteren« Mitglied, ä h n l ich: Beide waren Künstler, in ihrer Sündenböcken kommt in allen Therapiegruppen häufig vor. Der Sündenbock wird
Haltung dem Leben gegen ü ber mystisch orientiert, oft i n Fa ntasien vers u n ken und a l l­ natürlich nicht willkürlich gewählt. Manche Menschen sind in vielen Arten sozialer
zu vertraut m it ihrem U n bewussten. Bald entwickelte sich zwischen den beiden aber Situationen prädestiniert für die Rolle des Sündenbocks. Ein Therapeut sollte sich
Gegnerschaft, kei n e Affin ität. G i n ny stellte sich sofort in ihrer chara kteristischen Rolle darüber im Klaren sein, dass der Sündenbock von den Gruppenmitgliedern und der
dar, indem sie sich i n der G ruppe wie e i n verwirrtes Gespenst benahm, i rrational und als Sündenbock ausgewählten Person gemeinsam geschaffen wird.26
desorganisiert. Douglas, der m itansehen m usste, wie seine Rolle als kränkstes und kon­ Feindseligkeit in einer Gruppe kann man auch aus der Perspektive der verschiede­
fusestes Gruppen m itglied usu rpiert wurde, reagierte a uf sie m it I ntolera n z und Ärger. nen Phasen der Gruppenentwicklung verstehen. In der Frühphase fördert die Gruppe
Erst nach a ktiver Deutung des Rollenkonflikts und nachdem Douglas e i n e neue Rolle Regression und das Auftauchen von irrationalen, unzivilisierten Teilen der Einzelnen.
ü bernommen hatte {»das Gruppe n m itglied, dessen Zusta nd sich am meisten gebes­ Auch die junge Gruppe ist von Angst (Furcht vor Bloßstellung, Scham, Fremdenangst,
sert hat«), kam ein B ü n d n i s zwischen den beiden Mitgliedern zustande. Machtlosigkeit) heimgesucht, die sich als Feindseligkeit ausdrücken kann. Vorurteile
( eine Methode, Angst durch die falsche Oberzeugung zu verringern, man kenne den
anderen) können in einer Gruppe sehr früh auftauchen, und natürlich erzeugen sie bei
anderen als Reaktion Ärger. Im Laufe einer Therapie werden häufig narzisstische Ver­
* Dies ist dieselbe Ginny, mit der zusammen ich ein Buch über unsere Psychotherapie geschrieben habe:
Every Day Gets a Little Closer: A Twice-Told Therapy (New York: Basic Books, 1975, neu aufgelegt letzungen (Verletzungen der Selbstachtung durch Feedback oder weil man übersehen,
1992); dt.: Jeden Tag ein bisschen näher. nicht wertgeschätzt, ausgeschlossen oder missverstanden wird) erlitten und in Beglei-

406 407
tung starken Ärgers vergolten. Später in der Therapie hat der Ärger gewöhnlich andere Kommunikation zwischen Gruppenmitgliedern wie Augenrollen in Reaktion auf Bei­
Ursachen: projektive Tendenzen, Geschwisterrivalität, Übertragung, die vorzeitige Be­ träge des »Maskottchens« sind ein bedenkliches Anzeichen. Wird ein Gruppenmitglied
endigung der Therapie durch einige Mitglieder. .71 als nicht ernst zu nehmend abgestempelt, gefährdet dies die Kohäsivität der Gruppe:
Niemand kann sich dann mehr sicher fühlen, insbesondere das nächstperiphere Mit­
Über den Umgang mit Feindseligkeit glied nicht, das gute Gründe hat, eine ähnliche Behandlung zu fürchten.
Wenn die Zwietracht erst einmal angefangen hat, zeigt sie, gleichgültig, was die Ursa­ Die kohäsive Gruppe, in der jeder ernst genommen wird, stellt alsbald Normen auf,
che ist, einen vorhersagbaren Ablauf. Die Gegner entwickeln die Überzeugung, sie hät­ die die Mitglieder verpflichten, von bloßen Beschimpfungen Abstand zu nehmen. Die
ten recht und die anderen unrecht, sie seien gut und die anderen böse. Außerdem wer­ Mitglieder müssen abfälligen Etikettierungen nachgehen und sie untersuchen, sie müs­
den diese Ansichten, wenn es auch im akuten Stadium nicht erkannt wird, im ty­ sen bereit sein, tiefer in sich selbst zu forschen, um ihre Abneigung zu verstehen und
pischen Fall von beiden gegnerischen Parteien mit derselben Überzeugung und Ge­ jene Seiten des anderen ganz deutlich .zu machen, die ihnen missfallen. Es müssen Nor­
wissheit vertreten. Solche gegenläufigen Ansichten schaffen die Voraussetzung für eine men aufgestellt werden, die gewährleisten, dass die Mitglieder in der Gruppe sich selbst
tiefe und anhaltende Anspannung bis hin zu einem Zustand völliger Stagnation. zu verstehen versuchen und nicht andere besiegen oder lächerlich machen wollen. Be­
Meist folgt ein Abbruch der Kommunikation. Die beiden Parteien hören auf, sonders nützlich ist es, wenn die Mitglieder versuchen, die Tendenzen und Impulse, die
einander auch nur mit einem minimalen Grad an Verständnis zuzuhören. Befänden sie sie bei anderen stören, in sich selbst zu finden. Terenz, ein Dramatiker des zweiten
sich gemeinsam in einer sozialen Situation, würden die beiden Opponenten ihre Be­ Jahrhunderts vor Beginn der christlichen Zeitrechnung, hat uns einen wertvollen Hin­
ziehung an diesem Punkt wahrscheinlich völlig beenden, und sie könnten ihre Diffe­ weis geliefert, indem er erklärte: »Ich bin ein Mensch, und nichts Menschliches ist mir
renzen nie mehr korrigieren. fremd. «28
Die Opponenten hören einander nicht nur nicht mehr zu, sondern ihre gegenseiti­ Sobald ein Gruppenmitglied sich von den anderen akzeptiert und verstanden fühlt,
ge Wahrnehmung wird möglicherweise, ohne dass sie es merken, verzerrt. Die Wahr­ ist es weniger darauf angewiesen, sich starr an sein Selbstbild zu klammern; es ist viel­
nehmungen gehen durch einen selektiven Filter der Stereotypisierung. Worte und Ver­ leicht eher bereit, früher verleugnete Seiten seiner selbst zu erforschen. Allmählich
halten des Gegners werden umgeformt, sodass sie einer vorgefassten Meinung von ihm können derartige Mitglieder Einsicht in ihre Motivationen gewinnen und erkennen,
entsprechen. Gegenbeweise werden übersehen oder verzerrt; Versöhnungsgesten wer­ dass nicht alle Motive wirklich so lauter sind, wie sie vorgegeben haben, und einige
den oft als Betrugsmanöver interpretiert. (Die Analogie zu gewissen internationalen ihrer Haltungen und Verhaltensweisen nicht so uneingeschränkt gerechtfertigt, wie sie
Beziehungen ist nur allzu offensichtlich.) Kurz gesagt, das Interesse an der Bekräfti­ behauptet haben. Wenn dieser wichtige Punkt erreicht ist, nehmen die Beteiligten eine
gung der eigenen Überzeugungen ist stärker als das Interesse daran, den anderen zu Neueinschätzung vor und erkennen, dass das Problem auf unterschiedliche Weisen ge­
verstehen.27 sehen werden kann.
Misstrauen ist die Grundlage für diese Sequenz. Die Gegner sehen ihre eigenen Empathie ist ein wichtiges Element in der Konfliktlösung und fördert die Humani­
Handlungen als ehrenwert und vernünftig und das Verhalten der anderen als intrigant sierung der Auseinandersetzung. Oft spielt bei der Entwicklung von Einfühlungsver­
und bösartig an. Wollte man diese Sequenz, die unter Menschen so häufig vorkommt, mögen das Verstehen der Vergangenheit eine wichtige Rolle: Sobald ein Mensch Ein­
sich in Therapiegruppen entwickeln lassen, hätten die Gruppenmitglieder wenig Mög­ blick gewinnt in das Vorleben seines Gegners, das zu dessen aktueller Haltung bei­
lichkeiten zu Veränderungen und zum Lernen. Schon ganz am Anfang der Gruppen­ getragen hat, wird die Position des anderen nicht nur verständlich, sondern sie kann
arbeit müssen ein Gruppenklima und Gruppennormen geschaffen werden, die von sogar als für ihn durchaus gerechtfertigt erscheinen. »Alles verstehen, heißt alles ver­
vornherein eine solche Entwicklung ausschließen. zeihen, « so sagte - und befürchtete - George Sand.
Gruppenkohäsivität ist die wichtigste Voraussetzung für die Bewältigung von Kon­ Eine Konfliktlösung ist oft unmöglich, wenn man es mit zielverschobener oder
flikten. Die Gruppenmitglieder müssen ein Gefühl des gegenseitigen Vertrauens und mittelbarer Feindseligkeit zu tun hat:
der gegenseitigen Achtung entwickeln, und sie müssen dahin gelangen, die Gruppe als
ein wichtiges Mittel zur Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse anzusehen. Die E i n Gruppenm itglied, Maria, bega n n die S itzu ng, indem sie um die Erlaubnis des The­
Klienten müssen begreifen, dass die Kommunikation erhalten bleiben muss, wenn die rapeuten bat, einen Brief vorzu lesen, den sie im Zusa m menhang m it einer Gerichtsver­
Gruppe lebendig bleiben soll; alle Parteien müssen immer direkt miteinander umge­ h a n d l ung ü ber i h re bevorstehende Scheid u n g geschrieben hatte. Darin ging es u m
hen, gleichgültig, wie wütend sie aufeinander sind. Außerdem muss jeder ernst genom­ komplizierte Fragen der Besitzregelung und der Vorm u ndschaft für die Kinder. Das Vor­
men werden. Wenn eine Gruppe einen Klienten als »Maskottchen« behandelt, als je­ lesen des Briefes, das der Therapeut gestattet hatte, n a h m viel Zeit in Anspruch; es
manden, dessen Meinung und Wut nicht ernst genommen werden, kann man die wurde sch l ießl ich immer wieder d u rch die anderen G ruppen m itglieder u nterbrochen,
Hoffnung auf wirksame Behandlung für diesen Klienten praktisch aufgeben. Indirekte die über den Briefi n halt stritten. Der Angriff der Gru ppe und a bwehrende Gegenangrif-

408 409
fe der Betroffenen setzten sich fort, bis die Gru ppenatmosphäre vor a llgemeiner Ge­ dem die Situation interessant zu werden begann. Eine andere Teilnehmerin äußerte
reiztheit knisterte. Die G ru ppe machte keine konstru ktiven Fortschritte, bis der Thera­ daraufhin, sie hätte ein noch größeres Maß an Anspannung kaum noch ertragen kön­
peut mit den M itgliedern z u sa m me n den Prozess u ntersuchte, der wä h rend der nen und sei dem Therapeuten deshalb dankbar dafür, dass er die Gruppe durch sein
Sitz u ng a bgela ufen wa r. Der Therapeut ä rgerte sich ü ber sich selbst, weil er das Vorle­ Eingreifen in eine andere Verfassung versetzt habe. Es kann nützlich sein, den Wechsel
sen des Briefes erla u bt hatte; er ärgerte sich a ber auch über Ma ria, weil sie i h n in diese in eine reflektierende, die Verarbeitung fördernde Haltung als Schaffung eines Raumes
Lage gebracht hatte. Die Gru ppen m itglieder waren wütend auf den Therapeuten, weil für Reflexion zu verstehen - einen Raum, in dem die Gruppenmitglieder ihren jewei­
er die E rlau b n is gegeben h atte, und auf die Klientin , wei l sie so viel Zeit bea nsprucht ligen eigenen Anteil an dem Konflikt untersuchen können. Einen solchen Raum für die
hatte und d u rch die frustrierende, u n persön liche Methode des Briefvorlesens zu i h nen Reflexion über das Geschehen zu schaffen kann äußerst wichtig sein - sie kann sogar
i n Beziehung getreten war. Als erst einmal d ie Wut von dem m ittelba ren Ziel des Brief­ über Scheitern oder Erfolg der therapeutischen Bemühungen entscheiden. 29
i n h a lts auf d i e richtigen Ziele - den Therapeuten u nd Maria - zurückgelenkt worden Es tut weh, negatives Feedback zu bekommen; wenn es jedoch angebracht ist und
wa r, konnte man Sch ritte zur Lösu ng des Konfli kts u nternehmen. sensibel vorgebracht wird, ist es hilfreich. Der Therapeut kann es dem Klienten erleich­
tern, das negative Feedback anzunehmen, wenn er ihm die daraus entstehenden Vor­
Die dauerhafte Abschaffung von Konflikten ist wohlgemerkt nicht das vorrangige Ziel teile klarmacht. Auf diesem Weg kann er den Klienten als Verbündeten in den Prozess
der Therapiegruppe. Konflikte werden in der Gruppe immer wieder vorkommen, auch einbeziehen. Sie können diesen Vorgang fördern, indem Sie ihn an die ursprünglichen
wenn frühere Konflikte erfolgreich gelöst und beträchtliche gegenseitige Achtung und interpersonalen Schwierigkeiten erinnern, welche ihn in die Therapie b rachten, oder
Wärme vorherrschend sind. Es ist jedoch auch kein Ziel der Therapiegruppe, den Aus­ indem Sie schon am Anfang der Therapie einen verbalen Vertrag mit den Klienten
druck von Wut uneingeschränkt zuzulassen. schließen, auf den Sie dann bei negativem Feedback zurückgreifen können.
Zwar genießen manche Teilnehmer Konflikte, doch die meisten ( und auch die meis­ Wenn beispielsweise eine Klientin zu Beginn der Therapie sagt, ihr Verlobter habe
ten Therapeuten) fühlen sich sehr unwohl, wenn Wut geäußert wird. Der Therapeut sie (ebenso wie andere Männer in der Vergangenheit) beschuldigt, ihn niederzuma­
hat die Aufgabe, Konflikte in den Dienst der Weiterentwicklung zu stellen. Ein wichti­ chen, und sie wolle in der Gruppe an diesem Problem arbeiten, können Sie durch eine
ges Prinzip besteht darin, das richtige Maß zu finden: Zu viel oder zu wenig Konflikt Äußerung wie die folgende einen Vertrag schließen: »Carolyn, ich glaube, es würde
ist kontraproduktiv. Der Gruppenleiter stellt die Feinabstimmung auf der Konflikt­ Ihnen nutzen, wenn wir ähnliche Tendenzen in Ihren Beziehungen zu anderen in der
skala ständig neu ein. Wenn es hartnäckige Konflikte gibt, wenn sich die Gruppe über Gruppe feststellen könnten. Was halten Sie davon, wenn wir Sie von nun an auf so
nichts einigen kann, sucht der Leiter nach einer Lösung und fragt sich, weshalb die etwas hinweisen, sobald wir merken, dass es passiert?« Nachdem über diesen Vertrag
Gruppe jegliche Gemeinsamkeit verweigert; ist sich die Gruppe hingegen ständig in Einigkeit erzielt worden ist, sollten Sie ihn im Gedächtnis bewahren und, sobald eine
jeder Hinsicht einig, sucht der Leiter nach Ungleichheit und Differenzierung. Sie müs­ entsprechende Situation entsteht, die Klientin (beispielsweise wenn sie von Männern
sen also die Konfliktmenge sorgfältig dosieren, besonders nach oben hin. Gewöhnlich in der Gruppe relevantes ähnliches Feedback erhält) daran erinnern, dass dieses präzi­
ist es unnötig, absichtlich Konflikte herbeizuführen: Wenn die Gruppenmitglieder o f ­ se Feedback trotz des Unbehagens, das es erzeugt, für das Verständnis ihrer Beziehung
fen und ehrlich miteinander interagieren, treten immer Konflikte zutage. Öfter muss zu ihrem Verlobten außerordentlich nützlich sein könnte.
der Therapeut aktiv eingreifen, um die Konflikte innerhalb der Grenzen zu halten, in Fast immer ist es so, dass zwei Gruppenmitglieder, die sehr heftige Konflikte mit­
denen sie konstruktiv wirken . .71 einander haben, füreinander von großem Wert sein können (in meinem Roman Die
Denken Sie daran, dass der therapeutische Umgang mit Konflikten, wie alles ande­ Schopenhauerkur beschreibe ich ein dramatisches Beispiel für dieses Phänomen),;,, Im
re Verhalten im Hier und Jetzt, ein zweistufiger Prozess ist: Erleben (Affektausdruck) Allgemeinen gibt es viel Neid und viel wechselseitige Projektion, in der Folge aber auch
und das Verstehen dieses Erlebens. Sie können den Konflikt steuern, indem Sie die die Gelegenheit, verborgene Anteile seiner selbst zu entdecken. In der Wut sagt einer
Gruppe von der ersten auf die zweite Stufe »umschalten«. Oft hilft ein einfacher direk­ dem anderen wichtige (wenn auch unangenehme) Wahrheiten. Die Selbstachtung der
ter Appell, beispielsweise: »Heute haben wir hier intensive Gefühle ausgedrückt, eben­ Kampfhähne kann durch den Konflikt gesteigert werden. Wenn Menschen eine Wut
so wie in der letzten Woche. Damit wir uns nicht zu sehr strapazieren, wäre es vielleicht aufeinander bekommen, kann man das an sich schon als Zeichen dafür ansehen, dass
gut, hier einen Punkt zu machen. Wir wollen nun zu verstehen versuchen, was gesche­ sie einander wichtig sind und einander ernst nehmen. Einige haben solche von Ärger
hen ist und woher all diese heftigen Gefühle kommen.« Die einzelnen Gruppenmit­ geprägten Beziehungen treffend als tough love ( »rauhe Liebe«) bezeichnet (der Begriff
glieder sind in unterschiedlichem Maße in der Lage, Konflikte zu ertragen. Ein Klient ist in den Synanongruppen für Süchtige entstanden) . Menschen, die einander wirklich
reagierte auf die Intervention des Therapeuten, »das Bild e rstarren zu lassen« ( die nichts bedeuten, ignorieren einander. Doch Menschen können auch noch eine andere
Gruppe in eine reflektierende Haltung zu befördern) , indem er kritisierte, der Thera­ wichtige Lektion lernen: dass andere negativ auf einen ihrer Charakterzüge, ihrer An­
peut habe ausgerechnet in dem Augenblick »den Wind aus den Segeln genommen«, in gewohnheiten oder ihrer Einstellungen reagieren und sie trotzdem schätzen.

4 10 41 1
Einigen Klienten, die früher unfähig waren, Wut zu äußern, kann die Gruppe als e i n Tauge n ichts sind . . . E ntweder Sie arbeiten m it u n s zusammen, oder Sie fliegen aus
Probierfeld zum Eingehen von Risiken und für die Erfahrung dienen, dass derartiges der G ruppe! « Seine Reaktion erstaunte uns. Ohne ein Wort zu mir z u sagen, wandte er
Verhalten weder gefährlich noch unbedingt destruktiv sein muss. In Kapitel 2 habe ich sich Miriam zu und entschuld igte sich bei i h r. Später erzä h lte er uns, wie er sich dabei
Vorfälle beschrieben, die von Klienten als Wendepunkte in ihrer Therapie bewertet gefü hlt hatte . . . Meine Fä higkeit, G renzen z u setzen, ga b ihm Sicherheit. Jemand hatte
wurden. In der Mehrzahl dieser kritischen Vorfälle ging es um die erstmalige Äußerung die Kontrolle.
starker negativer Affekte. Es ist auch wichtig für Klienten zu erfahren, dass sie Angrif­
fen und Druck vonseiten anderer widerstehen können. Emotionale Resilienz und ge­ Eine der häufigsten indirekten und zur eigenen Niederlage führenden Arten des Kämp­
sunde Isolation können Produkte der Arbeit an Konflikten sein. .71 fens ist jene, die Jan einsetzte in dem klinischen Beispiel für die Bildung von Unter­
übermäßig aggressive Klienten können etwas über die interpersonalen Folgen gruppen. Diese Strategie erfordert, dass der Patient sich auf die eine oder andere Weise
rücksichtsloser Unverblümtheit lernen. Feedback hilft ihnen, ihre Wirkung auf andere selbst Schaden zufügt in der Hoffnung, beim anderen Schuldgefühle hervorzurufen.
richtig einzuschätzen, und können allmählich das Verhaltensmuster, durch das sie sich Gewöhnlich ist viel therapeutische Arbeit notwendig, um dieses Verhaltensmuster zu
selbst Niederlagen bereiten, in den Griff bekommen. Vielen können wütende Kon­ ändern. Meist ist es sehr eingefahren, und seine Ursachen gehen bis in die früheste
frontationen wertvolle Chancen verschaffen, etwas zu begreifen, denn Mitglieder von Kindheit zurück (wie in der verbreiteten Kinderfantasie, in der man bei seiner eigenen
Therapiegruppen lernen, trotz ihrer Wut wechselseitig nützliche Kontakte aufrecht­ Beerdigung zusieht, wie Eltern und andere Peiniger sich mit Schuldgefühlen an die
zuerhalten. Brust schlagen).
Man kann Klienten helfen, Wut direkter und angemessener zum Ausdruck zu brin­ Gruppenleiter sollten sich bemühen, Widerspruch ins Positive zu wenden - in eine
gen. Selbst bei einem totalen Konflikt gibt es ungeschriebene Kampfregeln; sie zu ver­ Lernsituation, welche die Gruppenmitglieder dazu ermutigt, die Ursprünge ihrer Auf­
letzen bedeutet, eine befriedigende Lösung so gut wie unmöglich zu machen. Zum Bei­ fassung zu untersuchen und Ansichten, deren Grundlage irrational ist, aufzugeben.
spiel verwenden in Therapiegruppen die kämpfenden Parteien gelegentlich Informa­ Außerdem muss den Klienten geholfen werden zu verstehen, dass ihre Art des Aus­
tionen, die früher vertrauensvoll preisgegeben worden waren, um diese Person nun drucks unabhängig vom Ursprung ihres Ärgers in jedem Fall ihnen selbst schadet. Bei
verächtlich zu machen oder,zu demütigen. Oder sie weigern sich, den Konflikt zu un­ diesem Prozess ist Feedback von Nutzen. Beispielsweise kann den Betreffenden auf­
tersuchen, indem sie behaupten, ihnen läge an dem anderen so wenig, dass sie keine grund von Feedback klar werden, dass sie, ohne es zu merken, Verachtung, Gereiztheit
Zeit mehr verlieren möchten. Diese Stellungnahmen erfordern eine energische Inter­ oder Missbilligung zum Ausdruck bringen. Unsere Empfindlichkeit für mimische Ges­
vention des Therapeuten. Wenn Therapeuten klar wird, dass ein früheres Eingreifen ten und Schattierungen des Ausdrucks übersteigt bei Weitem unsere propriozeptive
oder eine andere Intervention nützlich gewesen wäre, sollten sie eingestehen - wie (auf uns selbst gerichtete) Empfindsamkeit.32 Nur durch Feedback lernen wir, dass un­
Winnicott es einmal formuliert hat -, dass der Unterschied zwischen guten Eltern und sere Kommunikation zum Teil aus unabsichtlichen Äußerungen besteht, zum Teil aber
schlechten Eltern nicht darin bestehe, wie viele Fehler sie machten, sondern darin, wie auch aus Mitteilungen, die sehr bewusst erlebt sind. Die Auseinandersetzung mit der
sie mit diesen Fehlern weiter umgingen. 30 Divergenz zwischen der Absicht eines Klienten und seiner tatsächlichen Wirkung kann
Manchmal muss der Gruppenleiter in destruktiven Situationen, die sich unge­ das Selbstgewahrsein des Betreffenden erheblich verbessern. .71 33
wöhnlich lange hinziehen, gewaltsam die Kontrolle übernehmen und Grenzen setzen. Der Therapeut sollte auch versuchen, den im Konflikt stehenden Mitgliedern zu
Er kann die Auflösung solcher Situationen nicht der Gruppe überlassen, wenn dies helfen, mehr über die Position ihres Gegners zu erfahren. Therapeuten, die gern struk­
einem der Teilnehmer eine Art Erlaubnis zum Ausleben seines destruktiven Verhaltens turierte Übungen benutzen, stellen vielleicht fest, dass Rollentausch eine nützliche
gibt. Hierzu die Beschreibung eines Beispiels für das Setzen von Grenzen von Or­ Intervention sein kann. Die Mitglieder werden gebeten, für ein paar Minuten die Rol­
mont.31 le ihres Gegners zu übernehmen, um seine Gründe und Gefühle zu erfassen. Gruppen,
deren Arbeit sich auf den Umgang mit Ärger konzentriert, sind in verschiedenen Zu­
Er ließ niemanden sprechen, ohne i h n niederzubrüllen. Als d i e Mitglieder von m i r for­ sammenhängen und bei unterschiedlichen klinischen Populationen mit Erfolg durch­
derten, i h n h i n a uszuwerfen, wandte ich mich scharf an ihn: »Schauen Sie, Ga briel, ich geführt worden, wobei das Spektrum von überlasteten Familienangehörigen, die de­
verstehe, was Sie empfi nden. Ich w ü rde vielleicht das G leiche sagen, n u r mit etwas mente Alte pflegten, bis hin zu Kriegsveteranen, die unter einer Posttraumatischen Be­
mehr Fei ngefü hl. Der U nterschied ist, dass Sie a u ßer Kontrolle geraten. Sie haben eine lastungsstörung litten, reichte. In diesen Gruppen wird gewöhnlich Psychoedukation
bl ühende Fantasie. Aber Sie bringen in der G ruppe n ichts voran - Sie kritisieren ei nfach (die sich auf die Verbindungen zwischen Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen
und verletzen Gefüh le. « konzentriert) mit Skill-Building kombiniert. .71
Da ich den Eind ruck hatte, dass er z u hörte, wagte ich eine Deutu ng: »Sie sagen u ns, Viele Gruppenmitglieder haben das gegenteilige Problem: Sie unterdrücken und
Miriam tauge nichts. Ich habe den Eind ruck, Sie sagen, dass Sie n ichts taugen, dass Sie vermeiden Ärger und Wut. In Gruppen lernen sie, dass andere in ihrer Situation wü-

412 413
tend werden oder sich ärgern würden; sie lernen, ihre eigene Körpersprache zu lesen demütigt und zurückgewiesen zu werden, fühlen sich sicherer, wenn sie wissen, dass
(»Meine Fäuste sind geballt, also muss ich wütend sein«); sie lernen das Aufflackern die Zuhörer einfühlsam reagieren werden und dass sie selbst bereits sehr persönliche
von Wut eher zu vergrößern, als es zu unterdrücken; sie lernen, dass es ungefährlich, Dinge offenbart haben. 71 34
erlaubt und in ihrem eigenen Interesse ist, Wut zu empfinden und zu äußern. Am
wichtigsten jedoch ist, dass ihre Angst vor solchem Verhalten gelöscht wird: Die Ka­ Die Sequenz der Selbstoffenbarung
tastrophe, die sie aufgrund ihrer Fantasie erwartet haben, tritt nicht ein, ihre Äußerun­ Selbstoffenbarungen verlaufen in einer voraussehbaren Sequenz. Wenn der Empfänger
gen haben keine zerstörerische Wirkung, es entstehen keine starken Schuldgefühle, sie der Offenbarung eine auch nur ansatzweise fundierte Beziehung zum Offenbarenden
werden aufgrund ihres Verhaltens nicht zurückgewiesen, und der Ärger eskaliert nicht unterhält ( und nicht nur rein zufällig aufgrund einer Cocktailparty mit ihm bekannt
unabsehbar. ist), fühlt der Empfänger sich wahrscheinlich verpflichtet, auf das Geständnis mit einer
Geteilte starke Affekte können die Bedeutung der Beziehung steigern. In Kapitel 3 eigenen persönlichen Offenbarung zu reagieren. Ist dies geschehen, haben sich sowohl
habe ich beschrieben, wie die Gruppenkohäsivität wächst, wenn die Mitglieder einer der Empfänger der ersten Offenbarung als auch der ursprünglich Offenbarende ver­
Gruppe zusammen intensive Gefühlserlebnisse durchmachen, gleichgültig, welcher letzlich gezeigt. Gewöhnlich hat dies zur Folge, dass die Beziehung zwischen beiden
Art die Gefühle sind. In dieser Hinsicht sind die Mitglieder einer erfolgreichen Thera­ tiefer wird. Danach fahren die beiden Beteiligten fort, sich allmählich immer tiefer rei­
piegruppe wie Angehörige einer fest zusammenhaltenden Familie, die vielleicht unter­ chende Offenbarungen zu machen, bis eine Art optimales Niveau von Vertraulichkeit
einander streiten, aber aus ihrer Familienloyalität viel Unterstützung erfahren. Auch erreicht ist. So zieht in einer kohäsiven Gruppe eine Selbstoffenbarung weitere Offen­
eine Zweierbeziehung, die viele Belastungen ausgehalten hat, ist meistens besonders barungen nach sich, und es entsteht eine positive Spiralbewegung von Vertrauenszu­
befriedigend. Eine Situation, in der zwei Menschen in der Gruppentherapie intensiven wachs, weiteren Selbstoffenbarungen, Feedback und interpersonalem Lernen.35
gegenseitigen Hass empfinden und dann mithilfe einiger der von uns beschriebenen Zur Veranschaulichung folgendes Beispiel:
Mechanismen den Hass aufl ösen und zu wechselseitigem Verständnis gelangen, ist
immer von großem therapeutischen Wert. Nachdem die Hä lfte der Zeit einer auf 30 S itzungen begrenzten Gru ppentherapie vor­
ü ber wa r, eröffnete Cam, e i n 30-jäh riger, z u m Vermeiden neigender, sozial isolierter
Ingenieur eine Sitzung, indem er verkündete, er wol l e der G ruppe ein Gehe i m n i s m it­
Sel bstoffe n ba ru n g
teilen: In den vergangenen Ja h ren habe er im mer wieder Stri ptease-Clu bs besucht und
Selbstoffenbarung, von den Teilnehmern ebenso gefürchtet wie geschätzt, spielt in sich m it Stripperinnen a ngefre u ndet. E r hatte d ie Fantasie, er werde eine Stripperin
allen Gruppentherapien eine wesentliche Rolle. Die Therapeuten glauben ohne Aus­ retten, und d iese werde sich dara ufhi n aus Dan kba rkeit in ihn verl ieben. Ca m berichte­
nahme, dass es für Klienten wichtig ist, in der Gruppe persönliches Material zu offen­ te, er habe Ta usende von Dol l a r für seine » Rettungsmission« a usgegeben. Die G ru p­
baren - Material, über das der Therapeut auf andere Weise nichts erfahren könnte und pe n m itgl ieder begrüßten seine Offe n ba ru ng, i nsbesondere weil es seine erste nen­
das der Klient anderen Menschen kaum mitteilen würde. Selbstoffenbarungen können nenswerte persönl iche Offenbarung i n der Gruppe wa r. Ca m erklärte seinen E ntschl uss
frühere oder aktuelle Ereignisse im Leben des Gruppenmitglieds betreffen, Fantasien d a m it, dass d ie Zeit der G ru ppena rbeit a l l m ä h l ich knapp werde und dass er zu den
oder Träume, Hoffnungen oder Bestrebungen und aktuelle Empfindungen gegenüber übrigen G ruppenm itgliedern a uf authentische Weise in Beziehung treten wolle, bevor
anderen Menschen. In einer Gruppentherapie spielen Gefühle gegenüber anderen die G ru ppe zu E nde gehe. Dad urch fü h lte sich Marie, eine genesende Alkoholikerin, zu
Gruppenmitgliedern oft eine so wichtige Rolle, dass der Therapeut Energie und Zeit einer wichtigen Offe n barung erm utigt: Vor vielen Ja h ren hatte sie als Exot i ktän zerin
darauf verwenden muss, die Voraussetzungen für entsprechende Offenbarungen zu u n d Prostituierte gearbeitet, und sie versicherte Cam, i n diesem M i l ieu b ra uche er
schaffen: Vertrauen und Kohäsivität. 71 n ichts als Ausbeutung und E nttä uschung zu erwarten. Sie hatte nie etwas ü ber i h re
Verga ngenheit verraten, wei l sie gefü rchtet hatte, von der G ru ppe deswegen verurteilt
Risiko zu werden; doch sie h ielt es fü r i h re Pflicht, sich zu Cams Offenba rung zu ä u ßern: Sie
Jede Selbstoffenbarung beinhaltet für denjenigen, der sich offenbart, ein gewisses Risi­ empfand es als unerträglich, dass e i n so anständ iger Ma n n sich i n so selbstzerstöreri­
ko. Wie groß es ist, hängt teilweise vom Inhalt der Offenbarung ab. Wenn man über sche Beziehu ngen verstrickte. Die wechselseitige Offe n baru ng, U nterstützung und
Material spricht, das bisher geheimgehalten wurde, das äußerst persönlich und emoti­ Zuwendung besch leunigte i n der folgenden Sitzung die Arbeit der gesamten Gru ppe.
onal geladen ist, so bringt dies natürlich ein größeres Risiko mit sich. Mit erstmaligen
Offenbarungen ist immer ein besonders großes Risiko verbunden. Anpassungsfunktionen der Selbstoffenbarung
Als wie hoch das Risiko empfunden wird, hängt auch von der Zuhörerschaft ab. Die Selbstoffenbarungen innerhalb einer Gruppe verstärken die Bereitschaft aller Mit­
Gruppenmitglieder, die sich offenbaren und die vermeiden wollen, beschämt, ge- glieder, sich an der Arbeit zu beteiligen, Verantwortung zu übernehmen und sich

414 415
einander verpflichtet zu fühlen. Wenn der Zeitpunkt richtig gewählt ist, gibt es nichts, Oft entwickeln Klienten starken Widerstand gegen Selbstoffenbarungen. Und viel­
was einen Menschen einer Gruppe mehr verpflichtet als das Empfangen oder Preisge­ fach fürchten sie sich einerseits davor, zurückgewiesen oder lächerlich gemacht zu wer­
ben eines intimen Geheimnisses. Es gibt für ein Gruppenmitglied nichts Befreienderes, den, und gleichzeitig hoffen sie, akzeptiert und verstanden zu werden.48 Gruppenmit­
als zum ersten Mal über Probleme zu sprechen, die es jahrelang belastet haben, und glieder entwickeln zuweilen eine Unheilsfantasie über Selbstoffenbarungen; diese
verstanden und voll akzeptiert zu werden. ?! Interpersonal orientierte Psychologen wie Fantasie zu enthüllen und sie zu widerlegen wirkt in hohem Maße therapeutisch.
Sullivan und Rogers haben die Auffassung vertreten, dass ein Mensch sich selbst nur In einem gewagten Lehrexperiment teilten Studenten ihren Kommilitonen ein tie­
annehmen kann, wenn er zuvor von anderen angenommen worden ist - dass man, um fes Geheimnis mit. Es wurden umfangreiche Vorkehrungen getroffen, die Anonymität
sich selbst annehmen zu können, anderen die Möglichkeit geben muss, einen so zu zu wahren. Die Geheimnisse wurden auf gleiches Papier geschrieben und vom Ver­
kennen, wie man wirklich ist. suchsleiter im abgedunkelten Unterrichtszimmer vorgelesen, um Erröten oder andere,
Forschungsergebnisse bestätigen die Bedeutung der Selbstoffenbarung in der Grup­ Unbehagen vermittelnde Mienen zu verbergen, und Geständnisse wurden anschlie­
pentherapie.36 In Kapitel 3 habe ich die Beziehung zwischen Selbstoffenbarung und ßend sofort vernichtet. Die Geheimnisse umfassten verschiedene sexuelle Vorlieben,
Beliebtheit in der Gruppe beschrieben. Beliebtheit (durch Soziometrie bestimmt) kor­ illegale oder unmoralische Handlungen (einschließlich sexuellen Missbrauchs, Be­
reliert positiv mit dem Therapieergebnis.37 Klienten, die in den ersten Sitzungen schon trugs, Diebstahls, Drogenhandels), psychische Störungen, in Alkoholikerfamilien erlit­
viel von sich preisgeben, erreichen oft in ihren Gruppen große Beliebtheit.38 Menschen tene Misshandlung usw. Direkt nach dem Verlesen der Geheimnisse war im Unter­
offenbaren sich leichter jemandem, den sie gern mögen; umgekehrt ist die Wahrschein­ richtszimmer eine mächtige Reaktion zu spüren: »eine schwere Stille . . . die Atmosphä­
lichkeit, von anderen gemocht zu werden, bei denen größer, die sich bereitwilliger of­ re schien greifbar . . . die Luft warm, schwer und elektrisiert ... man schien die Span­
fenbaren.39 Mehrere wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass ein hohes Maß an nung mit einem Messer zerschneiden zu können.« Die Studenten berichteten von ei­
(entweder natürlich auftretenden oder experimentell induzierten) Offenbarungen in nem Gefühl der Erleichterung, als sie hörten, wie ihre Geheimnisse vorgelesen wurden
einer Gruppe die Kohäsivität der Gruppe steigert.40 Allerdings ist die Beziehung zwi­ - als hätte man ihnen eine Last abgenommen. Doch noch größere Erleichterung ent­
schen Sympathie und Selbstoffenbarung nicht linear. Jemand, der zu viel von sich of­ stand in der anschließenden Diskussion, in der die Studenten ihre Reaktionen auf die
fenbart, weckt bei den Empfängern der Information eher Ängste als Zuneigung.4 1 Mit verschiedenen Geheimnisse mitteilten, ähnliche Erfahrungen austauschten und sich
anderen Worten: Sowohl der Inhalt als auch der Prozess der Selbstoffenbarung sind zu nicht selten dazu entschlossen, das von ihnen aufgeschriebene Geheimnis zu identifi­
berücksichtigen. Selbstoffenbarung sollte als Mittel, nicht als Selbstzweck verstanden zieren. Die Unterstützung von den anderen Studenten war ausnahmslos positiv und
werden.42 stark beruhigend.49
Es gibt zahlreiche Untersuchungen über die entscheidende Rolle der Selbstoffenba­
rung für einen erfolgreichen Therapieabschluss.43 Klienten, die erfolgreich in einer Dysfunktionale Selbstoffenbarung
Gruppentherapie behandelt wurden, hatten im Verlauf der Therapie fast doppelt so Die Selbstoffenbarung steht zur optimalen sozialen und psychischen Anpassung in
viele selbstoffenbarende persönliche Aussagen gemacht wie erfolglos behandelte Kli­ einem nichtlinearen Verhältnis: Zu viel und zu wenig Selbstoffenbarung bedeuten
enten.44 Lieberman, Yalom und Miles stellten fest, dass Menschen, die nach Encounter­ fehlangepasstes interpersonales Verhalten.
gruppen ein negatives Ergebnis aufwiesen, weniger von sich preisgaben als die anderen Zu wenig Selbstoffenbarung führt gewöhnlich zu einer stark eingeschränkten Mög­
Teilnehmer.45 lichkeit der Realitätsprüfung. Wenn ein Mensch sich in einer Beziehung nicht offen­
Hier spielt der Aspekt des Transferlernens eine entscheidende Rolle: Die Klienten bart, versäumt er meistens eine Gelegenheit, für seine Entwicklung hilfreiche Reaktio­
werden nicht nur von den anderen Gruppenmitgliedern für ihre Selbstoffenbarung be­ nen zu erleben. Außerdem hindert er die Beziehung daran sich weiterzuentwickeln;
lohnt, sondern das auf diese Weise bekräftigte Verhalten wird in die Beziehungen des Kli­ wenn die Gegenpartei nicht Gleiches mit Gleichem vergilt, wird derjenige, der sich
enten außerhalb der Gruppe integriert, wo es wieder in ähnlicher Weise belohnt wird. Oft zuerst offenbart hat, es entweder nicht weiterführen oder die Beziehung ganz ab­
ist der erste Schritt, dem Ehepartner oder einem potenziellen guten Freund etwas zu brechen. Gruppenmitglieder, die sich nicht offenbaren, haben wenig Chancen, von den
offenbaren, die erstmalige Offenbarung in der Therapiegruppe. anderen Mitgliedern wirklich akzeptiert zu werden, und deshalb auch wenig Aussicht,
Somit wird die Wirkung der Selbstoffenbarung durch den Beziehungskontext, in eine Steigerung ihrer Selbstachtung zu erfahren.50 Wenn ein Mitglied aufgrund einer
dem sie stattfindet, signifikant geformt. Besonders günstig wirkt es sich auf den Klien­ falschen Vorstellung akzeptiert wird, führt dies nicht zu einer dauerhaften Stärkung
ten aus, sich zu offenbaren und dann akzeptiert und unterstützt zu werden. In solchen des Selbstwertgefühls; außerdem wird die Wahrscheinlichkeit noch geringer, dass die­
Fällen erlebt der Klient ein echtes Gefühl der Verbundenheit und des Verstandenwer­ ses Mitglied sich wirklich selbst offenbart, weil es sich dann noch zusätzlich der Gefahr
dens.46 Dabei hat eine Offenbarung über das Hier und Jetzt eine wesentlich stärkere aussetzt, die aufgrund der falschen Selbstdarstellung gewonnene Akzeptanz wieder zu
Wirkung auf die Kohäsivität als eine Offenbarung über das »Dann und Dort«.47 verlieren.5 1

416 417
Manche Menschen fürchten die Selbstoffenbarung nicht in erster Linie, weil sie sich der Klientin empfand, wirkten mit ihren Schuldgefühlen zusammen, sodass sie in der
schämen oder befürchten, nicht akzeptiert zu werden, sondern weil sie schwere Kon­ Gruppe schwieg. In der folgenden Sitzung genügte eine ganz sanfte Frage des Thera­
flikte im Bereich der Kontrolle haben. Für sie ist Selbstoffenbarung gefährlich, weil sie peuten, um der Klientin die Zunge zu lösen und den ganzen Charakter der Gruppe zu
sich dadurch den anderen ausliefern. Erst wenn sich mehrere andere Gruppenmitglie­ verändern.
der durch Selbstoffenbarung extrem exponiert haben, sind sie bereit, dies ebenfalls zu In manchen Gruppen wird die Selbstoffenbarung durch ein allgemeines Klima der
tun. Neigung, andere zu verurteilen, behindert. Es widerstrebt den Gruppenmitgliedern,
Eine Blockierung der Selbstoffenbarung behindert sowohl die einzelnen Mitglieder beschämende Aspekte ihrer selbst zu offenbaren, aus Angst, die anderen könnten die
als auch ganze Gruppen. Wenn jemand ein wichtiges Geheimnis hat, das er der Grup­ Achtung vor ihnen verlieren. In Ausbildungs oder Therapiegruppen für Psychothera­
pe nicht preiszugeben wagt, wird er die Teilnahme auf allen nicht oberflächlichen Ebe­ peuten ist diese Frage noch drängender. Da in unserem Beruf die eigene Person das
nen sehr schwierig finden, denn er muss nicht nur das Geheimnis verbergen, sondern wichtigste Instrument ist, besteht die Gefahr, dass man nicht nur die persönliche, son­
auch alle Wege versperren, die möglicherweise zu ihm hinführen könnten. In Kapitel 5 dern auch die berufliche Achtung der anderen verliert. In einer Gruppe von Assistenz­
habe ich ausführlich erörtert, wie der Therapeut in den Anfangsstadien der Therapie ärzten der Psychiatrie beispielsweise berichtete ein Mitglied, Joe, über sein mangelndes
am besten an einen Klienten mit einem großen Geheimnis herankommen kann. Zu­ Vertrauen zu seiner Kompetenz als Arzt und über seine Panik in klinischen Situatio­
sammenfassend gesagt tut er gut daran, dem Klienten zu raten, sein Geheimnis mit der nen, in denen es um Leben oder Tod ging. Ted, ein anderes, sehr freimütiges und stäm­
Gruppe zu teilen, wenn er von der Therapie Nutzen haben will. Wie schnell er dies tut miges Gruppenmitglied, erklärte, Joes Angst vor dieser Offenbarung sei durchaus be­
und welchen Zeitpunkt er wählt, bleibt dem Klienten überlassen, aber der Therapeut gründet, denn er habe nun den Respekt vor ihnen verloren und sei sich nicht sicher, ob
kann anbieten, dem Klienten die Preisgabe seines Geheimnisses auf jede Weise zu er­ er in Zukunft noch Klienten zu Joe schicken werde. Die übrigen Gruppenmitglieder
leichtern, die der Klient wünscht. Wenn das lange verschwiegene Geheimnis schließlich unterstützten Joe und verurteilten Ted wegen seiner Haltung, was sie noch durch die
mitgeteilt wird, ist es häufig höchst aufschlussreich herauszufinden, was seine Offen­ Aussage unterstrichen, dass sie nun ihrerseits zögern würden, ihm Klienten zu schi­
legung zu diesem konkreten Zeitpunkt ermöglichte. Vielfach sage ich dann etwas in cken. Auf diese Weise kann es leicht zu einer unendlichen Folge von Verurteilungen
der folgenden Art: »Sie sind nun schon viele Wochen in dieser Gruppe und wollten uns kommen, weshalb Therapeuten energisch intervenieren müssen.
schon lange dieses Geheimnis erzählen. Was hat sich in Ihnen oder in der Gruppe ver­ Der Therapeut muss auch zwischen einem gesunden Bedürfnis nach Geheimhal­
ändert, sodass Sie sich nun in der Lage fühlen, Ihr Geheimnis zu offenbaren? Weshalb tung und einer neurotischen, zwanghaften Geheimniskrämerei unterscheiden. Einige
können Sie uns heute mehr vertrauen?«.71 Ein sehr anschauliches Beispiel hierzu ent­ Menschen, die selten in Gruppen zu finden sind, behalten ihr Privatleben auf angepas­
hält mein Roman Die Schopenhauerkur. ste Art für sich: Sie teilen persönliche Geheimnisse mit nur wenigen engen Freunden
Manchmal verhindern Therapeuten, ohne sich darüber im Klaren zu sein, Selbst­ und schaudern beim Gedanken an eine Selbstoffenbarung in einer Gruppe. Außerdem
offenbarungen. Das erschreckendste Geheimnis, das mir jemals bei einem Klienten be­ genießen sie besinnliche und auf sich selbst bezogene Aktivitäten. Das ist etwas ganz
gegnet ist, kam in einer neu gebildeten Gruppe vor, die von einem jungen, unerfahre­ anderes als Zurückhaltung aus Angst, Scham oder wegen lähmender sozialer Hem­
nen Gruppentherapeuten geleitet und von mir supervisiert wurde. Diese Klientin hat­ mungen. Männer scheinen mit Selbstoffenbarungen größere Schwierigkeiten zu haben
te ein Jahr zuvor ihr zweijähriges Kind umgebracht und dann einen erfolglosen Selbst­ als Frauen: Sie sehen Beziehungen eher aus der Perspektive der Konkurrenz und Do­
mordversuch gemacht. (Das Gericht hielt sie für unzurechnungsfähig und ließ sie un­ minanz, als dass sie Zärtlichkeit und Verbundenheit in den Vordergrund stellen.52
ter der Voraussetzung straffrei ausgehen, dass sie sich einer Therapie unterzog.) Nach Zu viel Selbstoffenbarung kann ebenso fehlangepasst sein wie zu wenig. Unter­
14 Wochen Therapie hatte die Klientin nicht nur nichts von sich erzählt, sondern sie schiedslose Selbstoffenbarung ist weder ein Ziel der geistig-seelischen Gesundheit,
hatte durch ihre impertinente Verbreitung von Verleugnungs- und Unterdrückungs­ noch ist sie ein Weg zu ihr. Manche Menschen machen den schweren Fehler, dass sie
strategien (wie die Beschwörung von Astrologie und mystische Sektiererei) die ganze denken, wenn Selbstoffenbarung wünschenswert sei, müsse totale, fortwährende
Gruppe behindert. Trotz größter Anstrengungen des Therapeuten und viel mit mir als Selbstoffenbarung etwas ganz Vorzügliches sein. Das urbane Leben würde unerträg­
seinem Supervisor verbrachter Zeit konnte der Gruppentherapeut keine Methode fin­ lich, wenn es bei jedem Kontakt zwischen zwei Menschen zum Austausch persönlicher
den, der Klientin (oder der Gruppe) einen Weg in die Therapie zu bahnen. Ich verfolg­ Sorgen und Geheimnisse käme. Natürlich sollte die Art der Beziehung, die zwischen
te dann mehrere Gruppensitzungen durch den Beobachtungsspiegel und stellte zu dem Mitteilenden und dem Empfänger besteht, der Hauptfaktor sein, der die Art der
meiner Überraschung fest, dass die Klientin dem Therapeuten viele Gelegenheiten bot, Selbstoffenbarung bestimmt. In mehreren Untersuchungen hat man experimentell
ihr zu helfen, über das Geheimnis zu sprechen. Eine produktive Kontrollsitzung wurde Folgendes belegt: Menschen geben verschiedene Arten von Material preis, jeweils
der Gegenübertragung des Therapeuten gewidmet. Seine Gefühle gegenüber seinem abhängig davon, ob der Empfänger Mutter, Vater, bester gleichgeschlechtlicher Freund,
eigenen zweijährigen Kind und das Entsetzen, das er (gegen seinen Willen) über die Tat bester andersgeschlechtlicher Freund, Arbeitskollege oder Ehepartner ist.53

418 419
Manche Menschen, die mit ihren Offenbarungen undifferenziert umgehen, neh­ - Gefühle der Bewunderung, Betroffenheit, Empathie, körperlichen Anziehung und
men keine Rücksicht auf ihre Beziehung zum Zuhörer und gefährden dadurch das Ver­ Liebe?
hältnis zu ihm. Wer bei seiner Selbstoffenbarung nicht zwischen engen Freunden und Ein Gruppenmitglied, das soeben viel von sich offenbart hat, erlebt eine Phase der
entfernteren Bekannten unterscheidet, verwirrt die Empfänger. Ich bin sicher, wir ha­ Verletzlichkeit und braucht Unterstützung von den Mitgliedern und/oder dem Thera­
ben alle schon einmal ein Gefühl der Verwirrung oder des Düpiertseins gehabt, als wir peuten. Unter keinen Umständen sollte man einen Klienten wegen einer wichtigen
erfuhren, dass angebliche Geheimnisse, die uns anvertraut wurden, auch vielen ande­ Selbstoffenbarung angreifen. Zur Veranschaulichung folgt ein klinisches Beispiel.
ren bekannt waren. Außerdem kann eine umfangreiche Selbstoffenbarung einen un­
vorbereiteten Empfänger abschrecken. Nur wenn zwischen beiden keine zu goße Kluft Bei der Sitzung einer seit einem Jahr bestehenden Gruppe waren fü nf Mitglieder a n ­
besteht, kann in einer dyn amischen und lebendigen Beziehung ein Partner den ande­ wesend. (Zwei Mitg l ieder waren verreist u n d eines war kra n k.) Joe, der Protagon ist
ren zur Selbstoffenbarung führen. d ieser Episode, bega n n d ie Sitzung m it einer la ngen, ausfüh rl ichen Darste l l u ng seines
Gruppenmitglieder, die in den Therapiesitzungen schon früh, und insbesondere Gefü h l s des U n behagens in einer kleineren Gruppe. Seitdem Joe in der G ruppe a nfi ng,
unbedacht, Geheimnisse preisgeben, beenden die Behandlung oft vorzeitig. Man sollte hatte seine Art zu reden die a nderen Mitglieder a ngewidert. Alle fa nden es schwierig,
die Klienten zwar ermutigen, in der Gruppe Risiken einzugehen; eine entsprechende i h m zuzuhören, u nd seh nten sich da nach, dass er aufhörte. Aber niemand hatte sich
Verhaltensänderung hat positive Reaktionen anderer und damit Verstärkung zur Folge bis zu dieser Sitzung ehrlich m it d iesen u n bestim mten Gefühlen des U n behagens ge­
und fördert weitere Wagnisse. Aber wenn sie zu früh zu viel preisgeben, schämen sie gen ü ber Joe befasst, als Betsy i h n nach e i n igen M i n uten u nterbrach : »Ich fa n ge an z u
sich anschließend möglicherweise so sehr, dass sie den potenziellen interpersonalen sch re ien - oder ich platze! Ich kan n m ich n icht l änger z urückhalten! Joe, ich wünschte,
Gewinn einer solchen Offenbarung nicht realisieren können; außerdem wirken sie d u würdest aufhören zu reden. Ich ka n n es n icht ertragen, d i r z u z u hören . Ich weiß
möglicherweise auf andere bedrohlich, die zwar bereit sind, sie zu unterstützen, es nicht, mit wem d u redest - vielleicht m it der Zim merdecke, viel leicht m it dem Fußbo­
ihnen aber noch nicht gleichtun können. 54 Derjenige, der sich zu früh zu stark offen­ den, aber ich weiß, dass du n icht zu m i r sprichst. Mir liegt an a l len anderen in d ieser
bart, fühlt sich in der Gruppe dann so verletzlich, dass er oft die Flucht ergreift. Gru ppe. Ich denke an sie. Sie bedeuten mir viel. Ich sage das n icht gern, Joe, aber aus
All diese Beobachtungen weisen darauf hin, dass Selbstoffenbarung ein komplexer irgendeinem Grund bist d u mir gleichgü ltig.«
sozialer Akt ist, der situations- und rollenabhängig ist. Man offenbart sich nicht in der N iedergeschmettert versuchte Joe, die G ründe für Betsys Gefühle zu begreifen. Andere
Einsamkeit: Zeit, Ort und Person müssen immer berücksichtigt werden. Was beispiels­ M itglieder stim mten m it Betsy ü berein und gaben zu verstehen, dass Joe niemals et­
weise in einer Therapiegruppe angemessene Selbstoffenbarung ist, kann in anderen was Vertra u liches erzä h le. Es wa r a l les Füll material, a lles Zuckerwatte - nie offen bare
Situationen katastrophal unangemessen sein. Und was in einem bestimmten Stadium er etwas Wichtiges ü ber sich sel bst; nie nehme er eine persönliche Beziehung zu einem
einer Therapiegruppe angemessene Selbstoffenbarung ist, kann in einem anderen der Gruppen mitglieder auf. Gedrä ngt und betroffen nahm Joe es a uf sich, von einem
Stadium unangemessen sein. Mitglied z u m anderen zu gehen u nd jedem zu schildern, was fü r persön l iche Gefü h le
Das wird besonders deutlich, wenn es um die Offenbarung von Gefühlen gegenüber er i h m gegenüber hatte.
anderen Mitgliedern, um Feedback geht. Ich bin der Ansicht, der Therapeut sollte den Obwohl Joe dabei mehr preisgab a l s zuvor, fa nd ich, dass er sich im mer noch auf ziem­
Gruppenmitgliedern helfen, sich ebenso sehr von der Verantwortung gegenüber ande­ lich sicherem Terrai n bewegte. Ich fragte: »Joe, wenn es eine Zehn-Punkte-Ska la fü r die
ren leiten zu lassen wie von der Freiheit, sich zu äußern. Ich habe böse, zerstörerische Bewertung von Sel bstoffenbarung gäbe, auf der ,1, fü r Dinge steht, die man auf einer
Kollisionen in Gruppen miterlebt, die die Folge vorgeblicher Ehrlichkeit und Selbst­ Cocktai lpa rty sagen würde, u nd ,10, das U ngeheuerlichste darstellt, was d u jemals ei­
offenbarung waren: »Sie haben uns doch gesagt, wir sollten unsere Gefühle ehrlich nem anderen Menschen über dich a nvertra uen würdest, wie wü rdest d u das bewerten,
äußern, nicht wahr?« Aber in Wirklichkeit offenbaren wir unsere Gefühle immer selektiv. was d u in den letzten zehn Min uten i n der G ru ppe getan hast?« Joe dachte einen Au ­
Es gibt auch solche Verhaltensebenen anderen gegenüber, die wir selten offenbaren - gen bl ick da r ü ber nach u n d sagte, er würde sich woh l mit ,3, oder ,4, bewerten. Ich
Gefühle in Bezug auf unveränderliche Eigenschaften, körperliche Merkmale, Miss­ fragte: »Joe, was wü rde passieren, wen n du e i n oder zwei Stufen höher gehen wür­
bildungen, berufliche oder intellektuelle Mittelmäßigkeit, soziale Schicht, Mangel an dest?«
Charme usw. Joe ü berlegte e i nen Augen blick u nd sagte d a n n : »Wenn ich ein paar Stufen höher ge­
Für manche Menschen ist die Offenbarung offenkundig feindseliger Gefühle »ehr­ hen würde, würde ich der Gru ppe sagen, dass ich Al koholiker bin.«
lich«. Doch sie finden es schwieriger, die darunterliegenden meta-feindseligen Gefühle Das wa r e i n verblüffendes Stück Sel bstoffe n b a ru ng. Joe war seit einem J a h r in der
- Gefühle der Angst, des Neides, der Schuld, des sadistischen Vergnügens am rachsüch­ G ru ppe, und niemand - ich n icht, mein Co-Therapeut und auch die G ru ppen m itglieder
tigen Triumph - zu offenbaren. Und wie viele Menschen empfinden es zwar als leicht, nicht - hatte etwas davon gea h nt. Au ßerdem war es eine höchst wichtige I nformation.
negative Gefühle einzugestehen, vermeiden es jedoch, positive Gefühle auszudrücken Zum Beispiel hatte Joe seit Wochen darüber geklagt, dass seine schwa ngere Fra u sich

420 421
zu einer Abtreibung entschlossen hatte, anstatt sein Kind auszutragen. Die Gruppe wa r ihre Ziele erreicht haben; sie können die Arbeit auch vorzeitig abbrechen, die gesamte
verwirrt von i hrem Verhalten u n d wurde i m Verlauf der Wochen seiner Frau gege n ü ber Gruppe kann zu Ende gehen; und der Therapeut kann die Gruppe verlassen. Außer­
höchst kritisch - ma nche Mitglieder fragten sogar, weshalb Joe in dieser Ehe bl ieb. Die dem müssen Gefühle, die in Zusammenhang mit dem Ende der Gruppenarbeit auftau­
neue Information, dass Joe Alkoholiker war, l ieferte ein entscheidendes Verbindu ngs­ chen, aus verschiedenen Perspektiven untersucht werden: aus der des einzelnen Mit­
stück. N u n beka m das Verha lten seiner Frau S i n n ! glieds, der des Therapeuten und derjenigen der Gruppe als einem Ganzen.
Zuerst reagierte i c h m it Wut. I c h eri n nerte mich an a l l diese vergeblichen Stunden, in Selbst das Wort Beendigung (engl.: termination) hat unvorteilhafte Konnotationen:
denen Joe d ie Gru ppe in die Irre gefü h rt hatte. Ich wa r i n Versuchung auszurufen: »Ver­ Es wird häufig in negativen Kontexten benutzt wie beispielsweise einer ungewollten
d a m mt noch mal, Joe, a l l d iese Sitzu ngen, die wir m it dem Gerede ü ber d e i ne Frau Schwangerschaft oder eines Angestellten, der schlechte Arbeit leistet.58 Hingegen ist ein
verschwendet haben! Wa rum hast d u uns das n icht frü her gesagt?« Aber das wa r ge­ auf allgemeinem Einvernehmen basierendes, geplantes Ende einer Therapie ein posi­
nau einer jener Augenblicke, in denen m a n sich auf die Zunge beißen m uss. Wichtig ist tiver, integraler Bestandteil der therapeutischen Arbeit, der einen Rückblick auf das
nicht, dass Joe uns d iese I nformation nicht frü her gegeben hat, sondern dass er es u n s Geschehene, Trauer und die Begrüßung des Beginns der nächsten Lebensphase um­
heute gesagt hat. M a n sol lte i h n n icht fü r sei n e frü here Verh e i m l i c h u n g bestrafen, fasst. Das Ende sollte klar und fokussiert sein - also kein »Versickern« oder »Versan­
sondern i h m Bestätigu ng dafü r geben, dass er einen D u rchbruch geschafft hat u n d den«. Sich mit dem Ende einer Therapie auseinanderzusetzen ist ein Grenzerlebnis,
bereit wa r, e i n enormes Risiko einzugehen. Die richtige Tech n i k bestan d dari n, J o e z u eine Konfrontation mit Grenzen. 59 Es erinnert uns an die Kostbarkeit unserer Bezie­
u nterstützen u n d weitere »horizonta le« Offenbaru ngen zu fördern (siehe Kapitel 5). 11 hungen und an das Erfordernis, wegen noch unerledigter Arbeit, nicht ausgedrückter
Emotionen oder uneingestandener Gefühle so wenig Bedauern wie möglich zu ent­
Nicht selten halten Gruppenmitglieder Informationen zurück, so wie Joe es tat, mit der wickeln.
Folge, dass die Gruppe ihre Arbeitszeit auf ineffiziente Weise nutzt. Offensichtlich
bringt dies eine Reihe unglücklicher Begleiterscheinungen mit sich, von denen der Wenn der Klient die Therapie beendet
Preis, den das zurückhaltende Mitglied, das um seine Falschheit weiß - den anderen Richtig verstanden und gehandhabt, kann das Beendigen einer Therapie dem Ver­
Mitgliedern gegenüber in schlechter Absicht zu handeln -, an Selbstachtung zahlt, änderungsprozess einen wichtigen Impuls geben. Ich habe immer betont, dass die
nicht der geringste ist. Oft weiß ein Gruppenleiter nie genau, in welchem Grade ein Gruppentherapie ein höchst individueller Prozess ist. Jeder Klient tritt in die Gruppe
Mitglied sich zurückhält, doch, wie ich in Kapitel 14 erörtere, sobald er eine kombi­ ein, nimmt an ihr teil, nutzt sie und erlebt sie auf seine einzigartige persönliche Art
nierte Therapie beginnt (d. h. denselben Klienten sowohl in Einzel- wie auch in Grup­ und Weise. Das Ende der Therapie ist keine Ausnahme.
pentherapie zu behandeln), ist er erstaunt, wie viel neue Informationen über den über die Länge der Therapie und ihre allgemeinen Ziele kann man nur pauschale
Klienten offenbart werden. Vermutungen anstellen. Die staatliche Gesundheitsfürsorge bestimmt, dass die meisten
In Kapitel 7 habe ich einige der Eigenheiten der Selbstoffenbarung des Gruppenlei­ Gruppentherapien kurz und problemorientiert sein sollen, und es gibt auch tatsächlich
ters besprochen. Die Transparenz des Therapeuten, insbesondere im Hier und Jetzt, Beweise, dass Kurzzeitgruppen effektiv symptomatische Linderung verschaffen kön­
kann eine effektive Möglichkeit sein, auch die Gruppenmitglieder zur Selbstoffenba­ nen. Es gibt allerdings auch Hinweise darauf, dass eine Gruppentherapie dann am
rung zu bewegen. .71 Doch die Transparenz des Gruppenleiters muss immer im Kontext wirksamsten ist, wenn über das Behandlungsende gemeinschaftlich entschieden wird,
dessen bleiben, was für die Funktionen einer bestimmten Gruppe zu einem bestimm­ statt dass es von Außenstehenden willkürlich festgelegt wird. 60 Das Managed-Care-Sy­
ten Zeitpunkt nützlich ist. Der General, der nach einer wichtigen taktischen Entschei­ stem ist am stärksten an dem interessiert, was für die meisten in einer großen Gruppe
dung händeringend herumläuft und seine Unsicherheit äußert, untergräbt mit Sicher­ von Klienten am nützlichsten ist. Psychotherapeuten hingegen interessieren sich in ge­
heit die Moral seiner ganzen Truppe. 55 Ebenso sollte der Leiter einer Therapiegruppe ringerem Maße für Statistiken und Klientenaggregate als für einzelne leidende Klien­
keine Gefühle offenbaren, die die Bemühungen der Gruppe untergraben würden, bei­ ten, die sich in ihrer Praxis eingefunden haben.
spielsweise Ungeduld, Sorgen um einen Klienten oder eine Gruppe, mit denen er frü­ Wie viel Therapie ist genug? Diese Frage lässt sich nicht leicht beantworten. Ob­
her am Tag zu tun gehabt hat, und vieler anderer zutiefst persönlicher Sorgen.56 wohl die Remoralisierung und die Genesung vom akuten Leiden oft schnell vonstatten
gehen, erfordert eine erhebliche Veränderung der Charakterstruktur im Allgemeinen
Das Beendigen der Thera pie zwölf bis 24 Monate oder mehr an therapeutischer Arbeit. .71 61
Die Ziele einer Therapie hat niemand bündiger zusammengefasst als Freud: » . . . lie­
Die letzte Phase der Gruppentherapie ist der Abschluss, ein sehr wichtiger, aber häufig ben und arbeiten können.«62 Freud glaubte, dass eine Therapie enden sollte, wenn kei­
vernachlässigter Teil der Behandlung. 57 Das Ende einer Gruppentherapie ist ein viel­ ne Aussicht auf weitere Verbesserungen bestand und die Pathologie des Patienten ent­
schichtiges Phänomen: Die Gruppenmitglieder können die Gruppe verlassen, weil sie wurzelt worden war. Einige würden dem von Freud genannten Ziel noch andere hin-

422 423
zufügen: die Fähigkeit, sich selbst zu lieben, und zuzulassen, dass man von anderen Manche Therapeuten sind der Meinung, der Abschluss einer Gruppentherapie sei
geliebt wird, flexibler zu sein, zu spielen zu lernen, die eigenen Werte zu entdecken und weniger problematisch als die Beendigung einer Langzeit-Einzeltherapie, in der die
ihnen zu vertrauen und ein größeres Selbstgewahrsein zu erreichen, größere interper­ Klienten oft extrem abhängig von der therapeutischen Situation werden. Gruppenthe­
sonale Kompetenz und reifere Abwehrmechanismen. 63 rapieklienten sind sich meist deutlicher bewusst, dass die Therapie keine Lebensweise
Einige Klienten erreichen in wenigen Monaten viel, wohingegen andere eine jahre­ ist, sondern ein Prozess mit Anfang, Mitte und Ende. In der offenen Therapiegruppe
lange Gruppentherapie brauchen. Manche haben wesentlich anspruchsvollere Ziele als gibt es viele lebendige Mahnungen, die einem den therapeutischen Ablauf bewusst ma­
andere; es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass manche Klienten mit ihrer Therapie chen. Die Klienten sehen, wie neue Mitglieder in die Gruppe eintreten und wie Mit­
zufrieden sind und sie etwa in dem Zustand beenden, in dem andere mit der Therapie glieder, deren Zustand sich gebessert hat, sie beenden; sie beobachten, wie der Thera­
anfangen. Manche Klienten haben sehr spezifische Therapieziele und entscheiden sich, peut den Prozess immer wieder von vorn beginnt, um den Neulingen über schwierige
weil ein Großteil ihrer psychischen Störungen ichsynton ist, den Grad der Veränderung Phasen der Therapie hinwegzuhelfen. Sie nehmen also die bittersüße Tatsache zur
zu begrenzen, den sie auf sich nehmen wollen. Andere sind möglicherweise durch Kenntnis, dass der Therapeut, obwohl er jemand ist, zu dem sie eine reale und bedeu­
wichtige äußere Umstände in ihrem Leben behindert. Jeder Therapeut hat schon ein­ tungsvolle Beziehung gehabt haben, auch ein Fachmann ist, dessen Aufmerksamkeit
mal die Erfahrung gemacht, dass er einem Klienten zu einer Besserung verholfen hat, sich anderen zuwenden muss und der für sie nicht eine dauernd vorhandene und un­
über die hinaus eine Veränderung antitherapeutisch wäre. Wenn er sich weiter verän­ erschöpfliche Quelle der Befriedigung bleiben kann.
derte, könnte ein Klient zum Beispiel gleichsam über seine Partnerin hinauswachsen; Es kommt nicht selten vor, dass eine Gruppe sanften Druck auf ein Mitglied ausübt,
eine weitergeführte Therapie würde eine unersetzliche Beziehung zerbrechen, falls sich damit es seine Therapie nicht beendet, weil die zurückbleibenden Mitglieder diese Per­
nicht auch die Partnerin in gleicher Richtung verändert. Wenn das nicht möglich ist son und ihre Beiträge vermissen würden. Ohne Zweifel erwerben Klienten, die mona­
(wenn sich der Ehepartner beispielsweise unnachgiebig weigert, sich im Veränderungs­ te- oder jahrelang in einer Therapiegruppe gearbeitet haben, interpersonale Fertigkei­
prozess zu engagieren), mag der Therapeut gut daran tun, sich mit den positiven Ver­ ten und Gruppenfertigkeiten, die sie für die anderen Mitglieder besonders wertvoll
änderungen, die eingetreten sind, zufriedenzugeben, obwohl deutlich ist, dass ein per­ machen. (Dies ist ein wichtiger qualitativer Unterschied zwischen dem Ergebnis der
sönliches Potenzial zur Weiterentwicklung vorhanden ist. Gruppentherapie und der Einzeltherapie: Mitglieder von Therapiegruppen erleben in
Der Abschluss einer Therapie ist in der Entwicklung eines Menschen nur eine fik­ der Regel einen Zuwachs an emotionaler Intelligenz, und sie werden zu Experten in der
tive Zäsur. Klienten verändern sich weiter, und eine wichtige Wirkung erfolgreicher Diagnose von Prozessen und zu vorzüglichen Helfern. ) .71
Therapie besteht darin, dass sie Klienten befähigt, die Möglichkeiten, die sich ihnen in
ihrer persönlichen Umgebung bieten, konstruktiv zu nutzen. Außerdem kann die Wir­ E i n Klient wies in seiner letzten Therapiesitzung darauf h i n, dass in vier der letzten fünf
kung einer Behandlung erst nach längerer Zeit erkennbar werden: Ich habe viele er­ Sitz u ngen Al derjen ige wa r, der die Sitzung eröffnet habe; dass d iese Rolle d a n n a ber
folgreiche Klienten bei Nachuntersuchungsgesprächen nach langer Zeit gesehen, die auf Donna ü bergega ngen sei, die u nterhaltsa mer wa r. Er bemerkte a u ßerdem, Al sei
sich nach der Beendigung ihrer Behandlung nicht nur weiterentwickelt hatten, son­ danach, a bgesehen von gelegentlichen E i nwürfen, fü r den Rest der Sitzung in Schwei­
dern die sich auch noch nach dem Verlassen der Gruppe an eine Bemerkung oder eine gen versunken. Er stellte auch fest, dass zwei weitere Mitglieder niemals d i rekt m itei n­
Deutung eines anderen Mitglieds oder des Therapeuten erinnerten, die erst dann - ander kom m u n izierten, sie ben utzten stattdessen i m mer einen Dritten als Verm ittler.
Monate oder gar Jahre später - für sie einen Sinn bekommen hatte. Eine andere Kl ientin, die kurz vor dem Absch luss i h rer Thera pie sta nd, bemerkte, sie
Auch Rückschläge können nach dem Therapieende auftreten: Manch ein erfolg­ habe die ersten Zeichen des Zusa m me n bruchs einer schon la nge d a uernden "Ver­
reich behandelter Klient gerät von Zeit zu Zeit in eine ernsthafte Stresssituation und schwöru ng« zwischen zwei Klienten festgestel lt, die dem S i n n e nach besagte, einer
braucht vorübergehend Hilfe. Außerdem erleben fast alle Klienten nach dem Ausschei­ werde niemals etwas Herausforderndes oder U nangeneh mes z u m anderen sagen. In
den aus einer Gruppe Angst und Depressionen. Eine Zeit der Trauer ist ein unvermeid­ derse l ben Sitzung scha lt sie die Gruppe n m itglieder, die u m eine Klärung der Grund­
licher Teil des Abschlussprozesses. Aktuelle Verluste können Erinnerungen an frühere regeln der Gruppe bezüglich der Bildung von U ntergru ppen baten : "Bea ntworten Sie
Verluste wecken, und dies kann so schmerzhaft sein, dass der Klient die Arbeit am Ab­ sich d i e Frage sel bst. Es ist I h re Therapie. Sie wissen, was Sie von der Gru ppe haben
schluss der Therapie abbricht. Einige können diesen Prozess nicht ertragen und brin­ wollen. Was würde die Bild u ng von U ntergruppen fü r Sie bedeuten? Würde sie I h nen
gen deshalb die unterschiedlichsten Entschuldigungen vor, um sich zurückzuziehen. i m Weg sein oder n icht?« All d iese Kom mentare zeugen von großer Erfa h ru n g und
Dies muss hinterfragt werden: Der Klient muss die positiven Erlebnisse in der Gruppe, interpersonellem Scharfsinn - sie würden jedem erfahrenen Gru ppentherapeuten gut
die Gruppenmitglieder und den Gruppenleiter internalisieren; eine inadäquate Tren­ anstehen.
nung beeinträchtigt diesen Prozess und behindert das weitere Wachstum des Klien­
ten.64 Manchmal schätzen Therapeuten die Beiträge eines derartigen Mitglieds so sehr, dass

424 425
auch sie es nicht eilig haben damit, diesen Klienten zu ermuntern, die Therapie abzu­ als Therapeut ausgebildet wird, oder er hat dem Therapeuten etwas vorgemacht und
schließen - es gibt natürlich keine Rechtfertigung für eine solche Haltung, und die sein Zustand hat sich in Wirklichkeit gar nicht gebessert (und sollte daher in der G rup­
Therapeuten sollten dies in der Gruppe untersuchen, sobald sie es merken. Ich habe pe bleiben). Jn beiden Fällen braucht der Klient nicht a ufzuhören.
übrigens festgestellt, dass zu solchen Zeiten eine Art »Rollensog« wirksam wird: Sobald
das »älteste« Mitglied die Gruppe verlässt, beginnt ein anderes, die Fertigkeiten zu Der Zustand mancher Klienten bessert sich langsam und stetig, während sie in der
praktizieren, die es in der Gruppe erworben hat. Therapeuten spüren wie andere Grup­ Gruppe sind. Bei anderen verläuft die Besserung schubweise. Ich habe viele Klienten
penmitglieder den Verlust ausscheidender Teilnehmer. Indem sie ihre Gefühle offen gekannt, die sich zwar in der Gruppe engagierten und hart arbeiteten, dabei sechs,
zum Ausdruck bringen, fungieren sie für die Gruppe als wichtiges Vorbild, und sie de­ zwölf, sogar 18 Monate lang überhaupt keine sichtbaren Fortschritte machten, sich
monstrieren, dass diese Therapie und diese Beziehungen wichtig sind, nicht nur für die dann aber plötzlich, in ganz kurzer Zeit, zu verwandeln schienen. (Was sagen wir un­
Klienten, sondern auch für sie. seren Ausbildungskandidaten? Wir sagen ihnen, dass Veränderungen oft langsam vor
Sozial isolierte Klienten schieben vielleicht die Beendigung ihrer Therapie auf, weil sich gehen und dass sie von ihren Klienten keine sofortige Besserung erwarten sollten.
sie die Therapiegruppe eher aus sozialen Gründen benutzt haben denn als Mittel zur Wenn sie stattdessen solide, tief reichende therapeutische Fundamente errichteten,
Entwicklung der Fertigkeiten, sich in ihrer Umgebung ein geselliges Leben zu schaffen. würden Veränderungen ganz sicher folgen. Dies halten wir selbst oft für eine Platitüde,
Der Therapeut muss diesen Mitgliedern helfen, sich auf die übertragung des Gelern­ die dazu da ist, die Moral des Therapieneulings zu stützen - wir vergessen, dass es wahr
ten auf den Alltag zu konzentrieren, und den Betreffenden ermutigen, außerhalb der ist.)
Gruppe Risiken einzugehen. Andere Klienten verlängern ihren Aufenthalt in der Grup­ Dieselbe schubweise Besserung kann man oft auch bei einer Gruppe insgesamt be­
pe möglicherweise deshalb ungebührlich, weil sie auf eine Garantie hoffen, dass sie obachten. Manchmal mühen und quälen sich Gruppen monatelang ohne sichtbare
wirklich gegen zukünftige Schwierigkeiten gefeit sind. Sie schlagen vielleicht vor, noch Veränderung bei auch nur einem Mitglied, und dann treten sie plötzlich in eine Phase
ein paar Monate in der Gruppe zu bleiben, bis sie eine neue Stelle antreten, heiraten ein, in der alle miteinander sich zu bessern scheinen. Rutan benutzt die gut gewählte
oder ihre Ausbildung am College abschließen. Wenn die Besserungsgrundlage ge­ Metapher vom Erbauen einer Brücke während einer Schlacht.65 Der Therapeut strengt
sichert erscheint, sind diese Aufschübe im Allgemeinen unnötig. Man muss den Mit­ sich mächtig an, die Brücke zu bauen, und erleidet in der Anfangsphase vielleicht Ver­
gliedern helfen, die Tatsache anzunehmen, dass man nie sicher sein kann, dass man luste (Abbrecher) . Doch wenn die Brücke erst einmal steht, gelangen viele an einen
immer verletzlich ist. besseren Ort.
Nicht selten erleben Klienten ein kurzes Wiederaufleben ihrer ursprünglichen Symp­ Für bestimmte Klienten ist selbst die überlegung, ob die Therapie beendet werden
tomatik, kurz bevor sie die Therapie beenden. Anstatt ihren Aufenthalt in der Gruppe soll, problematisch. Sie sind besonders sensibilisiert gegen das Verlassenwerden: Ihre
zu verlängern, sollte der Therapeut dem Klienten helfen, dieses Ereignis als das zu ver­ Selbstachtung ist so niedrig, dass sie ihre Krankheit für die einzige Valuta im Umgang
stehen, was es ist: Protest gegen das Ende der Therapie. Es gibt jedoch Situationen, in mit dem Therapeuten und der Gruppe halten. In ihrem Geist ist Wachstum mit Furcht
denen diese Regression vor dem Ende der Therapie eine letzte Chance bietet, sich mit assoziiert, weil eine Besserung ihres Zustandes dazu führen würde, dass der Therapeut
den Problemen auseinanderzusetzen, derentwegen die Klienten zur Behandlung ge­ sie verlässt. Deshalb sehen sie sich gezwungen, so geringe Fortschritte wie möglich zu
kommen waren; außerdem ermöglichen sie, an der Rückfallsprävention zu arbeiten. machen oder diese völlig zu verbergen. Natürlich entdecken sie den Schlüssel zu die­
Durch Therapieende wird die geleistete gute Arbeit nicht hinfällig, doch diese Situa­ sem absurden Paradox erst viel später: Sobald sich ihr Zustand wirklich gebessert hat,
tion bietet die Gelegenheit, den Beginn dieser Arbeit auf nutzbringende Weise noch brauchen sie den Therapeuten nicht mehr. .71
einmal zu untersuchen. Ein brauchbares Zeichen, das auf die Bereitschaft hinweist, die Therapie zu be­
enden, liegt darin, dass die Gruppe für den Klienten weniger wichtig wird. Eine Klien­
Ein Klient erlebte in den d rei Sitzungen vor dem Ende seiner Therapie noch einmal viel tin, die dabei war, ihre Therapie zu beenden, bemerkte, Montage (der Tag der Grup­
von der Depression und Sinn leere, die ihn in die Therapie geführt hatten. Die Sympto­ pensitzungen) seien nun Tage wie alle anderen in der Woche. Am Anfang ihrer Thera­
me verschwanden rasch, als der Therapeut ihm die Deutung gab, er suche nach Grün­ pie habe sie für die Montage gelebt, während die übrigen Tage nur unwichtiges Füllm­
den, die Gruppe nicht zu verlassen. Am selben Abend träumte der Klient, dass der The­ aterial zwischen den Sitzungen gewesen seien.
rapeut i h m einen Platz in einer anderen G ru ppe ange boten hätte, in der er a l s Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, das erste Gespräch vor Beginn der The­
Therapeut a usgebildet werden sol lte: » I c h hatte d a s Gefü hl, i c h hätte I h n e n vorge­ rapie mit dem Klienten aufzuzeichnen. Nicht selten sind diese Bandaufnahmen nütz­
macht, mein Zustand habe sich gebess�rt.« Der Traum stellt eine erfindungsreiche List lich, wenn über die Beendigung der Therapie entschieden werden soll. Indem sie viele
dar, die Beendigung der Beha ndlung zu konterkarieren; er bietet zwei Möglichkeiten Monate später noch einmal ihre erste Sitzung anhören, können Klienten ein klareres
an: Entweder der Klient geht in eine andere Gruppe desselben Therapeuten, in der er Bild von dem gewinnen, was sie erreicht haben und was noch zu tun bleibt.

426 427
Die Gruppenmitglieder sind füreinander eine unschätzbare Hilfe bei der Entschei­ bringen. Der Abschied eines Gruppenmitglieds ist oft ein geeigneter Zeitpunkt für an­
dung über die Beendigung der Behandlung, und eine einseitig von einem Klienten ge­ dere, sich einen Überblick über ihren eigenen Fortschritt in der Therapie zu verschaf­
fällte Entscheidung, bei der die anderen Mitglieder nicht befragt werden, ist oft ver­ fen. Mitglieder, die zur gleichen Zeit wie der ausgeschiedene Klient in die Gruppe ein­
früht. Im Allgemeinen wird eine zeitlich gut geplante Entscheidung in der Gruppe ein getreten sind, verspüren vielleicht einen gewissen Druck, rascher voranzukommen.
paar Wochen lang diskutiert; während dieser Zeit arbeitet der Klient seine Gefühle Manche Mitglieder sehen im Fortgang des anderen vielleicht einen erzwungenen
über den Abschied durch. Manchmal entschließen Klienten sich ganz plötzlich, die Abschied und haben das Bedürfnis, sich ihren sicheren Platz in der Gruppe zu bestäti­
Gruppe zu verlassen. Ich habe oft festgestellt, dass solche Klienten es schwierig finden, gen - falls nötig, sogar durch regressive Mittel. Konkurrenzfreudigere Mitglieder eilen
Dankbarkeit und positive Gefühle auszudrücken; deshalb versuchen sie, den Tren­ unter Umständen vorzeitig auf einen Therapieabschluss zu. Ältere Gruppenmitglieder
nungsprozess so weit wie möglich abzukürzen. Diesen Klienten muss man helfen, ihre empfinden möglicherweise Neid, oder sie reagieren mit Scham, weil der Erfolg des aus­
unbefriedigende Methode der Beendigung von Beziehungen zu verstehen und zu kor­ scheidenden Mitglieds sie an ihre eigenen Mängel und Misserfolge denken lässt. .71 In
rigieren. Tatsächlich bestimmt die Angst vor dem Therapieende bei einigen Klienten extremen Fällen kann ein von Scham und Neid getriebener Klient versuchen, die Er­
das gesamte Muster des Vermeidens von Verbindungen und von Vertraulichkeit. Wenn folge des ausscheidenden Mitglieds zu entwerten oder herabzuwürdigen. Neuere Grup­
man diese Phase der interpersonalen Beziehungen übergeht, vernachlässigt man einen penmitglieder hingegen fühlen sich möglicherweise inspiriert oder eingeschüchtert,
wichtigen Bereich. Das Beendigen ist ein Bestandteil fast jeder Beziehung, und man und sie fragen sich zweifelnd, ob sie jemals in der Lage sein werden, das zu erreichen,
muss während des ganzen Lebens immer wieder von wichtigen Menschen Abschied was sie miterlebt haben.
nehmen. Sollte die Gruppe irgendeine Art von Ritual vollziehen, um dem Ausscheiden eines
Viele Klienten, die vor dem Abschluss der Therapie stehen, versuchen, den Schock Mitglieds einen Rahmen zu geben? Manchmal schenken ein oder mehrere Mitglieder
des Abschieds zu vermindern, indem sie Brücken zu der Gruppe herstellen, die sie in dem Scheidenden etwas, oder sie bringen Kaffee und Kuchen mit in die Sitzung - was
der Zukunft benutzen können. Sie verschaffen sich die Beruhigung, dass sie zurück­ angemessen und sinnvoll sein kann, sofern es, wie alles, was in der Gruppe geschieht,
kommen können, sie lassen sich Telefonnummern von den anderen Mitgliedern geben untersucht und verarbeitet wird. Beispielsweise kann die Gruppe die Bedeutung des
oder arrangieren gesellige Zusammenkünfte, damit sie sich über wichtige Ereignisse in Rituals untersuchen; wer schlägt es vor, und wer plant es? Dient es dazu, notwendige
der Gruppe auf dem Laufenden halten können. Diese Bemühungen sind zu erwarten, und angemessene Traurigkeit zu vermeiden?67
und dennoch darf der Therapeut das Leugnen des Endes der Therapie nicht unterstüt­ Wir Therapeuten müssen auch auf unsere eigenen Gefühle während des Abschluss­
zen. Klienten, die eine Einzeltherapie abschließen, können zu ihrem Therapeuten zu­ prozesses achten, denn gelegentlich verzögern wir auf unverantwortliche und unnötige
rückkehren; doch Klienten, die eine Gruppe verlassen, können niemals zu ihr zurück­ Weise den Therapieabschluss eines Klienten. Manche perfektionistischen Therapeuten
kehren. Sie verlassen die Gruppe wirklich: die Gruppe wird sich unumkehrbar verän­ erwarten vielleicht unrealistischerweise zu viel Veränderung bei ihren Klienten und
dern; neue Mitglieder werden in sie eintreten; die Gegenwart lässt sich nicht einfrieren; weigern sich, etwas anderes als totale Genesung zu akzeptieren. Außerdem fehlt es ih­
die Zeit fließt grausam und unerbittlich weiter. Diese Tatsachen sind auch den zurück­ nen möglicherweise an Vertrauen zu der Fähigkeit des Klienten, sich nach Beendigung
bleibenden Mitgliedern ganz klar - es gibt keinen besseren Anreiz als ein Mitglied, das der formellen Therapie weiterzuentwickeln.68 Andere Klienten lassen in uns den Stolz
aufhört, um die Gruppe zu ermutigen, sich mit Fragen zu befassen, bei denen es um des Pygmalion entstehen: Wir finden es schwierig, uns von jemandem zu trennen, der
das rasche Verstreichen der Zeit, um Verlust, Trennung, Tod, Altern und die Wechsel­ zum Teil »unser Geschöpf« ist; der Abschied von manchen Klienten bedeutet einen Ab­
fälle des Daseins geht. Der Therapieabschluss ist also mehr als ein äußerliches Ereignis schied von einem Teil unseres eigenen Selbst. Außerdem ist es ein Abschied für immer.
in der Gruppe. Er ist das mikroskopische Abbild einiger der entscheidendsten und Wenn wir unsere Arbeit gut gemacht haben, braucht der Klient uns nicht mehr und
schmerzlichsten Probleme des Lebens. bricht alle Kontakte ab.
Manchmal braucht die Gruppe einige Sitzungen, um ihren Verlust zu verarbeiten
und um mit vielen Aspekten des Abschlusses fertig zu werden. Der Verlust eines Grup­ Wenn der Therapeut die Gruppe verlässt
penmitglieds eröffnet Klienten, die für Verlust und Verlassenwerden sensibel sind, eine In Ausbildungsprogrammen ist es übliche Praxis, dass die Studenten eine Gruppe sechs
ungewöhnliche Chance. Da sie Leidensgenossen haben, die ebenfalls über ihre Verluste Monate bis ein Jahr lang leiten und dann an einen neuen Studenten übergeben, wenn
trauern, findet das Trauern in einem Gemeinschaftsrahmen statt, und die Betroffenen ihre eigene Ausbildung sie anderswohin führt. Für die Gruppenmitglieder ist dies ge­
können andere dabei beobachten, wie diese mit dem Verlust fertig werden und wie sie wöhnlich eine schwierige Zeit, und sie reagieren oft mit wiederholter Abwesenheit und
weiter wachsen und gedeihen. 66 angedrohtem Therapieabbruch. Es ist eine Zeit, in welcher der scheidende Therapeut
Im Allgemeinen ist es ratsam, neue Gruppenmitglieder erst nach einer Pause von sich unerledigten Dingen widmen muss, die er bei den Mitgliedern noch ausstehen
einer oder mehreren Sitzungen nach dem Fortgang des Vorgängers in die Gruppe zu hat. Manche Mitglieder haben das Gefühl, dies sei ihre letzte Gelegenheit und offen-

428 429
baren bisher verborgenes Material. Andere erleiden eine neuerliche Verschlimmerung Mitglieder sie nun kennen - in diesem Raum, in ihrer gegenwärtigen Form, mit den
ihrer Symptome, als wollten sie sagen: »Sehen Sie, was Ihr Abschied mir angetan hat!«69 Gruppenleitern -, für immer der Vergangenheit an.
Der Therapeut darf keiner dieser Angelegenheiten ausweichen. Es ist eine ausgezeich­ Der Therapeut muss die Aufmerksamkeit wiederholt auf schlecht angepasste Um­
nete Gelegenheit zur Rollenfestlegung sowie dazu, den Mitgliedern zu helfen, ihre gangsweisen mit der bevorstehenden Beendigung lenken. Manche Menschen sind mit
eigenen Ressourcen zu schätzen. dem Trennungsschmerz, den der Abschied von ihnen lieben Menschen hervorruft,
Die gleichen Prinzipien gelten für Situationen, in denen ein alteingesessener Grup­ schon immer so umgegangen, dass sie wütend wurden oder die anderen entwertet ha­
penleiter seine Leitungsrolle aufgrund eines Umzugs, einer Krankheit oder einer be­ ben. Manche verleugnen und vermeiden das Problem lieber völlig. Wenn Wut oder
ruflichen Veränderung aufgeben muss. Wenn die Gruppenmitglieder sich dafür ent­ Ausweichen extrem sind - wenn sie sich beispielsweise durch häufigeres Zuspätkom­
scheiden, die Gruppenarbeit fortzusetzen, ist der Gruppenleiter dafür verantwortlich, men oder Fehlen von Mitgliedern manifestieren -, muss der Therapeut die Gruppe mit
einen neuen geeigneten Leiter zu finden und einzuführen. Der Übergangsprozess er­ diesem Verhalten konfrontieren. Bei einer reifen Gruppe ist gewöhnlich die direkte
fordert ziemlich viel Zeit und Planung, und der neue Gruppenleiter muss so rasch wie Methode die beste; man kann die Mitglieder daran erinnern, dass es ihre Gruppe ist
möglich beginnen, die Leitung zu übernehmen. Eine Möglichkeit besteht in dieser Si­ und dass sie entscheiden müssen, wie sie enden soll. Mitgliedern, die andere in ihrem
tuation darin, dass der neue Leiter sich mit jedem einzelnen Gruppenmitglied indivi­ Wert herabsetzen oder die unregelmäßig an den Sitzungen teilnehmen, muss geholfen
duell trifft, ähnlich wie in der in Kapitel 9 beschriebenen Vorbereitungsphase, während werden, ihr Verhalten zu verstehen. Haben sie das Gefühl, ihr Verhalten oder ihr Fehlen
der bisherige Leiter weiter Gruppensitzungen leitet. Nachdem der bisherige Leiter sei­ mache den anderen nichts aus, oder weichen sie einer Konfrontation aus, weil sie sich
ne Arbeit zum Abschluss gebracht hat, beginnt der neue, die Gruppensitzungen zu lei­ davor fürchten, positive Gefühle gegenüber der Gruppe oder vielleicht negative Ge­
ten, und zwar entweder zur gewohnten Zeit oder zu einer im allgemeinen Einverneh­ fühle gegenüber dem Therapeuten zu äußern, wenn dieser die Gruppe auflöst?
men festgelegten neuen Zeit.70 Der Schmerz über den Verlust der Gruppe wird zum Teil dadurch überwunden,
dass man frühere gemeinsame Erlebnisse noch einmal wachruft; man erinnert sich an
Wenn die Gruppe endet aufregende und bedeutungsvolle Gruppenereignisse von früher;"die Klienten erinnern
Gruppen enden aus verschiedenen Gründen. Kurzzeittherapiegruppen haben natür­ einander daran, wie sie früher waren; persönliche Bekundungen sind in den letzten
lich ein vorher festgelegtes Datum für ihr Ende. Oft schreiben äußere Umstände die Sitzungen ohne Ausnahme zu hören. Es ist wichtig, dass der Therapeut die Gruppe
Beendigung der Gruppe vor: Gruppen von Studenten an einer psychotherapeutischen nicht zu früh beendigt, sonst muss er mit mehreren ineffektiven »Lahme-Enten-Sit­
Universitätsklinik bestehen gewöhnlich acht bis neun Monate lang und lösen sich mit zungen« rechnen. Man muss eine Möglichkeit finden, der Gruppe das Problem des
Beginn der Sommerferien auf. Offene Gruppen hören in der Regel nur auf, wenn der Abschlusses vor Augen zu halten, und ihr dennoch helfen, bis zur letzten Minute zu
Therapeut fortzieht, allerdings nicht unvermeidlich, denn wenn es einen Co-Thera­ arbeiten.
peuten gibt, kann dieser die Gruppe weiter leiten. Manchmal beschließt ein Therapeut Manche Leiter effektiver, zeitlich begrenzter Gruppen haben versucht, die Vorteile
auch, eine Gruppe ganz zu beenden, weil die meisten Gruppenmitglieder in ihrer Ar­ der Gruppe weiterzuführen, indem sie der Gruppe geholfen haben, in eine weiterlau­
beit so weit gekommen sind, dass ein gleichzeitiger Abschluss der Therapie sinnvoll fende, leiterlose Form überzugehen. Der Leiter kann den Übergang erleichtern, indem
ist. er regelmäßig, aber immer seltener als Berater an den Sitzungen teilnimmt, z. B. alle
Oft gehen die Gruppenmitglieder der schwierigen und unangenehmen Arbeit der zwei Wochen oder einmal im Monat. Meiner Erfahrung nach ist es besonders wün-
Therapiebeendigung aus dem Weg, indem sie die Beendigung leugnen oder ignorieren; sehenswert, derartige Vorkehrungen zu treffen, wenn die Gruppe vor allem eine Un­
dann muss der Therapeut ihr Augenmerk auf diese Aufgabe lenken. Wie ich in Kapitel terstützungsgruppe ist und einen bedeutenden Teil im geselligen Leben der Mitglieder
10 bereits erörtert habe, ist es tatsächlich sogar absolut notwendig, dass der Leiter der darstellt - z.B. Gruppen für ältere Menschen, die durch den Tod von Freunden und
Kurzzeittherapiegruppe diese regelmäßig an das sich nähernde Ende erinnert und sie Bekannten vereinsamt sind. Andere haben mir von der erfolgreichen Gründung fort­
die Erreichung von Zielen nicht aus den Augen verlieren lässt. Gruppen hassen es aus­ laufender leiterloser Gruppen für Männer, für Frauen, für Aids-Infizierte, für Betreuer
einanderzufallen, und die Mitglieder versuchen gewöhnlich, das Ende zu vermeiden. von Alzheimerkranken und für Trauernde berichtet.
Beispielsweise können sie so tun, als ginge die Gruppe in einer anderen Umgebung - Vergessen Sie nicht, dass auch der Therapeut das Unbehagen der Beendigung er­
z.B. bei Zusammenkünften oder regelmäßigen, planmäßigen geselligen Treffen - wei­ fährt. Während des letzten Stadiums der Gruppe müssen wir uns an der Diskussion
ter. Doch der Therapeut tut gut daran, die Gruppe mit der Realität zu konfrontieren: beteiligen. Wir fördern die Gruppenarbeit, indem wir unsere eigenen Gefühle bezüg­
Das Ende der Gruppe ist ein wirklicher Verlust. Sie kann nie wieder zusammengerufen lich der Trennung mitteilen. Engagierte Therapeuten vermissen ihre Gruppe ebenso
werden, und selbst wenn Beziehungen zu dem einen oder anderen Gruppenmitglied sehr wie die Gruppenmitglieder. Wir sind gegen Verlustgefühle und Trauer nicht un­
oder zu einem Teil der Gruppe fortgesetzt werden, gehört die ganze Gruppe, wie die empfindlich. Wir sind den Gruppenmitgliedern nahegekommen, und wir werden sie

430 431
ebenso vermissen wie sie uns. Wie für die Klienten ist auch für uns der Abschluss der
Arbeit eine erschütternde Erinnerung an die dem psychotherapeutischen Prozess
innewohnende Grausamkeit. Eine solche Offenheit vonseiten des Therapeuten macht
es den Gruppenmitgliedern in jedem Fall leichter, voll und ganz Abschied zu nehmen. Ka pitel 1 3
Auch für uns war sie ein Ort der Qualen, der Konflikte und der Ängste, aber auch
großer Schönheit: Einige der echtesten und schmerzlichsten Augenblicke des Lebens
ereignen sich in dem kleinen, aber grenzenlosen Mikrokosmos der Therapiegruppe. Arbeit m it schwierigen G ru p pen m itgliedern

Ich habe noch keinen Klienten gesehen, dessen Therapieverlauf ähnlich ist wie bei
einem frisch getauften Schiff, das sanft von der Helling ins Wasser gleitet. Jedes Grup­
penmitglied muss ein Problem sein: Der Erfolg der Therapie hängt davon ab, dass jeder
einzelne im Hier und Jetzt der Gruppe grundlegenden Lebensproblemen begegnet und
sie meistert. Jedes Problem ist komplex und einzigartig: Dieses Buch ist nicht als Kom­
pendium der Problemlösungen zu verstehen, sondern es beschreibt Strategie und
Techniken, die es dem Therapeuten ermöglichen, seine Arbeit auf jedes Problem ab­
zustimmen, das in der Gruppe auftritt.
Der Ausdruck »problematischer Klient« (wie auch »Problempatient«) ist in sich
problematisch. Der »problematische Klient« existiert nicht in einem Vakuum, sondern
ist als ein Amalgam aus mehreren Komponenten anzusehen: seiner eigenen Psycho­
dynamik, der Gruppendynamik und seiner Interaktionen mit anderen Gruppenmit­
gliedern und mit dem Therapeuten. Im Allgemeinen überschätzen wir, wie wichtig der
Charakter eines Klienten ist, wohingegen wir die Rolle des interpersonalen und sozi­
alen Kontexts unterschätzen. 1
Bestimmte markante Verhaltenskonstellationen verdienen besondere Aufmerksam­
keit, weil sie gehäuft auftreten. Ein Fragebogen, den die American Group Psychothera­
py Association an praktizierende Gruppentherapeuten versandte, beschäftigte sich
damit, welche Probleme Gruppentherapeuten unbedingt meistern müssten. Mehr als
50 Prozent der Empfänger antworteten: »Arbeit mit schwierigen Patienten«.2 In diesem
Sinne werden wir uns im vorliegenden Kapitel mit schwierigen Klienten beschäftigen
und uns dabei spezifisch mit acht problematischen klinischen Typen befassen: dem Al­
leinunterhalter, dem schweigenden Klienten, dem Langweiler, dem Hilfe ablehnenden
» Jammerer«, dem psychotischen oder bipolaren Klienten, dem schizoiden Klienten,
dem Borderline-Klienten und dem narzisstischen Klienten.

Der A l l e i n u nterha lte r

Das schwarze Schaf für viele Gruppentherapeuten ist der gewohnheitsmäßige Allein­
unterhalter, ein Mensch, der unter dem Zwang zu stehen scheint, unaufhörlich zu
plappern. Diese Klienten haben Angst, wenn sie schweigen; wenn andere das Wort ha­
ben, schalten sie sich mit den verschiedensten Techniken wieder ein: Sie beeilen sich,
auch das kürzeste Schweigen auszufüllen; sie reagieren auf jede Äußerung in der Grup­
pe; ständig stellen sie Ähnlichkeiten zwischen den Problemen des gerade Sprechenden

432 433
und ihren eigenen fest, mit der immer wiederkehrenden Phrase: »Ich bin genauso!« terstützung - sogar 'Beifallklatschen habe ich schon erlebt. Der Alleinunterhalter
Der Alleinunterhalter mag darauf beharren, Gespräche mit anderen in endlosen schmollt dann vielleicht, erlegt sich ein oder zwei Sitzungen lang völliges Schweigen
Einzelheiten zu beschreiben (oft übernimmt er dabei mehrere Rollen) oder Berichte auf (»Sollen sie doch sehen, wie sie ohne mich fertig werden«), oder er verlässt die
über Zeitungs- oder Zeitschriftenartikel zu geben, die mit dem Gruppenproblem viel­ Gruppe. In jedem Fall ist wenig Therapeutisches für irgendjemanden dabei heraus­
leicht nur entfernt zu tun haben. Manche beherrschen den Schauplatz, indem sie die gekommen.
Rolle des Fragestellers übernehmen. Ein Mitglied bombardierte die Gruppe mit so vie­
len Fragen und »Beobachtungen«, dass die anderen Mitglieder keine Möglichkeit mehr Therapeutische Überlegungen
hatten, zu interagieren oder auch nur nachzudenken. Als sie die Teilnehmerin schließ­ Wie kann der Therapeut Alleinunterhalter auf therapeutisch wirksame Weise unter­
lich bezüglich der Wirkung ihres Verhaltens zur Rede stellten, erklärte diese, sie könne brechen? Obwohl die Provokation und die Versuchung, den Klienten niederzuschreien
Stille nicht ertragen, weil sie dadurch an die »Stille vor dem Sturm« in ihrer Familie oder ihm das Wort zu verbieten, sehr stark sein können, hat ein solcher Angriff wenig
erinnert werde - das allgemeine Schweigen, das den Wut- und Gewaltausbrüchen ihres Nutzen außer einer vorübergehenden Katharsis für den Therapeuten. Dem Klienten
Vaters vorausgegangen sei. In anderen Fällen fesseln einzelne Klienten die Aufmerk­ wird nicht geholfen; es findet kein Lernprozess statt. Die Angst, die dem zwanghaften
samkeit aller, indem sie ihnen bizarres, verwirrendes oder sexuell »pikantes« Material Reden des Alleinunterhalters zugrunde liegt, bleibt und wird wieder als Redezwang
präsentieren. ausbrechen oder, wenn kein Ventil vorhanden ist, den Klienten zwingen, aus der Grup­
Labile Klienten mit einem dramatischen Flair können die Gruppe mit Hilfe der pe auszuscheiden. Der Gruppe wird ebenso wenig geholfen. Gleichgültig, wie die Um­
»Krisenmethode« beherrschen: Sie berichten der Gruppe regelmäßig von größeren stände sein mögen: Auch die anderen Gruppenmitglieder werden bedroht, wenn der
Umbrüchen in ihrem Leben, die immer intensive und lang anhaltende Aufmerksam­ Therapeut eines von ihnen grob zum Schweigen bringt. Die Therapie wird als poten­
keit zu erfordern scheinen. Andere Mitglieder werden eingeschüchtert, sodass sie ziell gefährlich erlebt, und ein Kern von Vorsicht und Furcht wird in die Seele aller
schweigen, da ihre Probleme vergleichsweise trivial wirken. (»Es ist nicht leicht, Vom Gruppenmitglieder eingepflanzt: auch sie könnten von einem ähnlichen Schicksal be­
Winde verweht zu unterbrechen« , brachte ein Gruppenmitglied dies auf den Punkt.) troffen werden.
Trotzdem muss man dem Verhalten des Alleinunterhalters Einhalt gebieten, und im
Wirkungen aufdie Gruppe Allgemeinen ist es die Aufgabe des Therapeuten, dies durchzusetzen. Oft tut der The­
In der ersten Sitzung wird die Gruppe den Alleinunterhalter zwar willkommen heißen rapeut zwar gut daran zu warten, bis die Gruppe ein Gruppenproblem angeht; ein die
und vielleicht ermutigen, aber die Stimmung schlägt bald in Frustration und Wut um. Gruppe monopolisierender Klient ist jedoch ein Problem, das insbesondere eine junge
Andere Gruppenmitglieder sind oft abgeneigt, jemanden zum Schweigen zu bringen, Gruppe oft nicht handhaben kann. Der Alleinunterhalter scheint die Verfahrensgrund­
weil sie Angst haben, sie seien dann verpflichtet, die eintretende Stille auszufüllen. Sie lagen zu bedrohen: Gruppenmitglieder werden zwar ermutigt zu sprechen, aber dieser
erwarten die einleuchtende Erwiderung: »Na gut, ich halte den Mund. Jetzt reden Sie. « Klient, der sehr viel spricht, muss zum Schweigen gebracht werden. Der Therapeut
Und natürlich ist es nicht möglich, in einem Klima der Anspannung und des Misstrau­ muss dieses Problem zur Diskussion stellen, die Ausbildung von therapiebehindernden
ens frei zu sprechen. Mitglieder, die sich schlecht durchsetzen können, gehen den Al­ Normen verhindern und außerdem eingreifen, um den Alleinunterhalter am »sozialen
leinunterhalter eine Zeit lang nicht direkt an; stattdessen schwelt der Groll im Stillen Selbstmord« zu hindern. Am wirksamsten ist ein Vorgehen auf zwei Ebenen: Der The­
oder man ergeht sich in indirekten feindseligen Andeutungen. In den meisten Fällen rapeut muss sowohl den entnervenden Klienten als auch die Gruppe selbst berücksich­
wird durch indirekte Angriffe auf einen Alleinunterhalter das Problem nur noch ver­ tigen, die diese Eskalation zugelassen hat. Diese Vorgehensweise verringert die Gefahr
schlimmert, und ein Teufelskreis wird in Gang gesetzt. Sein Redezwang ist ein Versuch, der Sündenbocksuche und hebt hervor, welche Rolle die Gruppe für das Verhalten je­
Angst zu bewältigen; wenn der Klient die steigende Gruppenspannung und den stei­ des Mitglieds spielt.
genden Groll spürt, nimmt auch seine Angst zu; dadurch wird seine Tendenz zum Aus der Perspektive der Gruppe ist zu bedenken, dass die Psychologie des Einzelnen
zwanghaften Reden gesteigert. Manche Alleinunterhalter sind sich in diesen Momenten und die der Gruppe unentwirrbar miteinander verwoben sind. Kein Alleinunterhalter
bewusst, dass sie einen Schwall von Wörtern ausstoßen, um die Gruppe von einem existiert in einem Vakuum. Der betreffende Klient lebt immer in einem dynamischen
direkten Angriff abzubringen. Gleichgewicht mit einer Gruppe, die sein Verhalten zulässt oder fördert.3 Deshalb kann
Am Ende hat diese Quelle ungelöster Spannung eine schädliche Wirkung auf die der Therapeut untersuchen, warum die betreffende Gruppe erlaubt oder fördert, dass
Kohäsivität - sie manifestiert sich in folgenden Anzeichen: indirekte, am Ziel vorbei­ ein Mitglied die Last der ganzen Sitzung trägt. Eine solche Frage mag die Gruppenmit­
gehende Streiterei, Nichterscheinen, vorzeitige Therapieabbrüche und Bildung von glieder überraschen, die sich nur als passive Opfer des Alleinunterhalters gesehen hat­
Untergruppen. Wenn die Gruppe dem Alleinunterhalter sein Verhalten vorhält, tut sie ten. Nachdem die Anfangsproteste durchgearbeitet worden sind, können die Gruppen­
es oft explosiv und brutal; der Gruppensprecher findet gewöhnlich einstimmige Un- mitglieder mit Gewinn untersuchen, wie sie den Alleinunterhalter ausgenutzt haben;

434 435
sie können zum Beispiel erleichtert gewesen sein, dass sie sich nicht verbal an der sen die Gruppe in der Regel irgendwann, und zwar oft verwirrt oder ärgerlich. Ob­
Gruppenarbeit zu beteiligen brauchten. Die Mitglieder haben dem Klienten vielleicht gleich dies ein beunruhigendes Ereignis ist, sind wesentlich gravierendere Folgen zu
erlaubt, alle Selbstoffenbarung zu leisten oder sich zum Narren zu machen oder als erwarten, wenn der Therapeut untätig bleibt. Zwar mögen die in der Gruppe verblei­
Blitzableiter für die Wut der Gruppe zu dienen, selbst jedoch wenig Verantwortung für benden Mitglieder angesichts des Ausscheidens eines Teilnehmers ein gewisses Bedau­
die therapeutischen Aufgaben der Gruppe übernommen. Wenn die Mitglieder erst ein­ ern zum Ausdruck bringen, doch sind nicht selten auch Eingeständnisse zu hören, de­
mal die Gründe für ihre Untätigkeit offenbaren und besprechen, wird ihre persönliche nen zufolge andere selbst die Gruppe verlassen hätten, wenn der Therapeut dem nicht
Hingabe an den therapeutischen Prozess gesteigert. Sie sprechen vielleicht über ihre durch seine Intervention zuvorgekommen wäre.
Angst, sich durchzusetzen oder dem Alleinunterhalter zu schaden, oder von der Furcht Abgesehen von seinem stark von den Gruppennormen abweichenden Verhalten lei­
vor einem Vergeltungsangriff durch ein bestimmtes Mitglied oder den Therapeuten. det der Alleinunterhalter unter einer starken Schädigung seines sozialen Empfindungs­
Sie möchten vielleicht vermeiden, die Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich zu zie.hen, vermögens. Seine Wirkung auf andere scheint ihm kaum bewusst zu sein; außerdem
damit ihre Gier danach nicht zum Vorschein kommt. Sie weiden sich vielleicht ins­ fehlt ihm die Fähigkeit oder Neigung, sich in seiner Lebensumwelt in andere einzufüh­
geheim an der Situation des Alleinunterhalters und genießen es, ein Mitglied der ge­ len. Ergebnisse einer Untersuchung bestätigen diese Schlussfolgerung.4 Klienten und
quälten und missbilligenden Mehrheit zu sein. Die Aufdeckung irgendeines dieser Beobachter (Studenten) wurden am Ende jeder Gruppensitzung aufgefordert, Frage­
Probleme durch einen bisher unbeteiligten Klienten bedeutet Fortschritt und größeres bogen auszufüllen. Einer der untersuchten Bereiche war die Aktivität; die Teilnehmer
Engagement in der Therapie. wurden aufgefordert, die Gruppenmitglieder, sie selbst eingeschlossen, nach der Ge­
In einer Gruppe beispielsweise explodierte eine unterwürfige und chronisch de­ samtzahl der von ihnen während der Sitzung geäußerten Sätze in eine Reihenfolge zu
pressive Frau, Sue, als ein anderes Gruppenmitglied den Alleinunterhalter spielte, und bringen. Die Aktivitätsbewertungen der Klienten und der Beobachter stimmten ausge­
brachte ihre überschäumende Wut in einer für sie ganz und gar untypischen Flut von zeichnet überein, mit zwei Ausnahmen: Erstens klafften die Bewertungen der Aktivität
Schimpfwörtern zum Ausdruck. Als sie ihren Ausbruch anschließend untersuchte, des Therapeuten durch die Klienten weit auseinander (eine Funktion der Übertra­
wurde ihr schnell klar, dass ihre Rage im Grunde nach innen gerichtet gewesen war gung; siehe Kapitel 7), und zweitens gaben sich monopolistische Klienten in Bezug auf
und dass sie durch ihre Selbstunterdrückung, ihre Passivität und ihr Vermeiden der ei­ die Aktivität einen viel niedrigeren Rangplatz, als sie ihn von den anderen Mitgliedern
genen Emotionen bedingt war. »Mein Wutausbruch ist 20 Jahre lang gereift«, erklärte zuerkannt bekamen, die oft einstimmig den Alleinunterhalter als das aktivste Mitglied
Sue, als sie sich entschuldigte und ihrem erschrockenen Gegenspieler dafür dankte, in der Sitzung einordneten.
dass er ihr Gelegenheit gegeben habe, dieses Gewahrsein auf den Punkt zu bringen. Der Therapeut muss also dem Alleinunterhalter helfen, seine Selbstbeobachtung zu
Die Arbeit an diesem Problem im Rahmen der Gruppe muss durch Arbeit mit dem entwickeln, indem er die Gruppe auffordert, diesem Mitglied ständig empathisches
zum Monopolisieren neigenden Klienten ergänzt werden. Das Grundprinzip ist einfach: Feedback über seine Wirkung auf andere zu geben. 5 Ohne Ermutigung durch den
Sie wollen den Alleinunterhalter nicht zum Schweigen bringen, wollen nicht weniger Gruppenleiter liefert die Gruppe, wie erwähnt, vielleicht nur zusammenhanglose, ex­
von dem Klienten hören - sondern mehr. Der scheinbare Widerspruch löst sich, wenn plosive Reaktionen, die bei dem Alleinunterhalter nur Abwehr hervorrufen. Ein solcher
wir uns klarmachen, dass der Alleinunterhalter sich hinter seinem Redezwang ver­ Verlauf hat wenig therapeutischen Wert und wiederholt lediglich ein Drama und eine
steckt. Die Probleme, die er der Gruppe vorlegt, spiegeln keine tief empfundenen per­ Rolle, die der Klient schon viel zu oft gespielt hat:
sönlichen Probleme wider, sondern werden aus anderen Gründen zelebriert: um zu
unterhalten, um die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen, um seine Position Im Erstgespräch beklagte sich Matthew, ein Alleinunterhalter, ü be r die Beziehung z u
zu rechtfertigen, um Beschwerden zu äußern usw. Der Alleinunterhalter opfert also die seiner Frau, die, wie er beha uptete, o ft plötzl ich zu Holzham mermethoden greife, wo­
Gelegenheit zur Therapie dem unersättlichen Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und bei sie i h n öffentlich demütige oder i h n vor seinen Kindern der U ntreue beschuld ige.
Dominanz. Wenn auch jeder Therapeut seine Intervention individuell gestaltet, muss Der » Holzham mer« leistete fü r d iesen Klienten n ichts Dauerhaftes; soba ld seine Wun­
die wesentliche Botschaft für den Alleinunterhalter doch besagen, er halte sich durch den geheilt waren, bega nnen er u nd seine Fra u den Zyklus wieder von neuem. I nner­
seinen Redezwang die Gruppe vom Leibe und hindere andere daran, bedeutungsvolle h a l b der ersten Sitzu ngen der Gru ppe entwickelte sich e i n ä h n l iches Dra m a : Wegen
Beziehungen zu ihm herzustellen. Sie lehnen ihn also nicht ab, sondern laden ihn viel­ seines monopolisierenden Verha ltens, seiner Neigu ng, über a ndere zu u rteilen, u nd
mehr ein, sich mehr auf die Gruppe einzulassen. Wenn der Therapeut nur das eine Ziel sei ner U nfäh igkeit wa h rzunehmen, wie d i e G r u ppen m itglieder a uf i h n reagierten,
hat, den Klienten zum Schweigen zu bringen, dann hat er in Wirklichkeit das Thera­ schlug die Gru ppe i m mer härter auf i h n ein, bis die Botschaft, die er sch l ießlich zu hö­
pieziel aufgegeben und könnte den Klienten ebenso gut aus der Gruppe entfernen. ren gezwu ngen war, grausam und destruktiv kla ng.
Manchmal hört der Klient trotz intensiver Bemühungen des Therapeuten weiterhin
nur die Botschaft: »Sie wollen also, dass ich den Mund halte!« Solche Klienten verlas- Oft muss der Therapeut einem Klienten helfen, seine Empfänglichkeit für Feedback zu

436 437
steigern. Sie müssen unter Umständen sehr bestimmt und lenkend eingreifen und bei­ sie die Hoffn u ng verloren hätten, Walt jemals zu erreichen, und von dem Eindruck, dass
spielsweise sagen: »Charlotte, ich glaube, es wäre am besten, wenn Sie jetzt aufhörten er zu ihnen n u r wie zu Strich män nchen ohne Substa nz in Bezieh u ng trete. Wieder an­
zu reden, weil ich spüre, dass hinsichtlich Ihrer Person in der Gruppe Emotionen auf­ dere sprachen von ihrer Angst vor dem Reden und der Sel bstoffenbaru ng in der G ru p­
gestiegen sind, die zu kennen für Sie sehr nützlich sein würden. « Sie sollten auch den pe; darum sei i h nen Walts Redemonopol wil lkommen gewesen. Ei nige Mitglieder ä u­
Mitgliedern helfen, ihre Reaktionen auf Charlotte zu offenbaren, statt deren Motive zu ßerten, in Bez ug a uf die Thera pie fehle es ihnen a bsol ut an I nteresse u nd Vertra uen;
deuten. Es ist viel nützlicher und akzeptabler, wenn gesagt wird: »Wenn Sie so reden, deshalb hätten sie a us Apathie Watt nicht in seinem Monolog u nterbrochen.
habe ich das Gefühl . . . « , als wenn jemand sagt: »Sie verhalten sich so, weil . . . « Der Kli­ Der Prozess wa r a lso mehrfach determ i n iert; eine Menge ineinandergreifender Fakto­
ent empfindet Motivationsdeutungen oft als anklagend, muss aber die Gültigkeit der ren füh rte zu einem dynam ischen Gleichgewicht, das Redemonopol hieß. Indem er den
subjektiven Reaktionen anderer auf ihn anerkennen. .71 »d urchgega ngenen« Prozess a ufhielt, die Faktoren a ufdeckte u nd d u rcharbeitete, ge­
Allzu oft verwechseln wir die Begriffe interpersonale Manifestation, Reaktion und Ur­ wa n n der Therapeut maxi male therapeutische N utzanwend u ngen aus der Gru ppen­
sache, oder wir benutzen sie, als seien sie identisch. Die Ursache monopolisierenden Ver­ lähm ung. Jedes Mitglied ka m dem Engagement in der Gruppe näh er. Man gestattete
haltens kann bei verschiedenen Klienten völlig unterschiedlich sein: Manche Men­ Walt nicht mehr, in einer Weise teilzu nehmen, die weder fü r i h n noch fü r d i e G ru ppe
schen reden, um andere zu beherrschen; viele fürchten so sehr, von anderen beeinflusst irgendwie n ützlich sei n kon nte, geschweige denn, dass m a n i h n dazu erm utigte.
oder durchdrungen zu werden, dass sie zwanghaft jede ihrer Äußerungen verteidigen;
andere überschätzen ihre eigenen Ideen und Beobachtungen dermaßen, dass ihnen Alleinunterhalter müssen in der Therapie zur Selbstreflexion angeleitet werden. Ge­
kein Aufschub möglich zu sein scheint und alle Gedanken sofort ausgedrückt werden wöhnlich fordere ich solche Klienten auf, darüber nachzudenken, welche Art von
müssen. Meistens wird erst viel später in der Therapie richtig verstanden, welche Ur­ Reaktion sie von der Gruppe erwartet hätten, und diese dann mit dem tatsächlich
sache das Verhalten des Alleinunterhalters hat; eine Deutung dieser Ursache hilft also Geschehen zu vergleichen. Wie erklären sie diese Diskrepanz? Und wie haben sie
wenig bei der anfänglichen Bändigung des gruppenspaltenden Verhaltens. Es ist viel selbst zu dieser von ihnen nicht erwarteten Entwicklung beigetragen?
wirksamer, sich auf die Selbstmanifestation des Klienten in der Gruppe und auf die Re­ Oft spielen Alleinunterhalter herunter, welche Bedeutung die Reaktion der Gruppe
aktion der anderen Mitglieder auf das Verhalten des Alleinunterhalters zu konzentrie­ für sie hat. Sie tun so, als sei es nicht so wichtig, etwas über die Reaktionen der Gruppe
ren. Sanft, aber wiederholt muss der Klient mit dem Paradox konfrontiert werden, dass auf sie zu erfahren; sie deuten an, die Gruppe bestehe ja aus gestörten Menschen. Viel­
er auf einem Verhalten beharrt, das nur Gereiztheit, Ablehnung und Frustration her­ leicht protestieren sie auch: »Das ist das erste Mal, dass mir so etwas passiert. « Wenn es
vorruft, so sehr er sich auch wünschen mag, von anderen akzeptiert und beachtet zu dem Therapeuten gelungen ist, die Wahl eines Sündenbocks zu verhindern, ist diese
werden. Aussage immer unwahr: Der Klient ist an einem sehr vertrauten Ort. Was in der Grup­
Ein klinisches Beispiel für viele dieser Probleme ergab sich in einer Therapiegruppe pe anders ist, sind Normen, die es den anderen erlauben, das Verhalten des Alleinun­
in einem psychiatrischen Krankenhaus/Gefängnis für Sexualverbrecher: terhalters offen zu kommentieren.
Der Therapeut kann die Wirkung der Therapie verstärken, indem er die Klienten
Walt, der seit sieben Wochen i n der Gru ppe war, stürzte sich i n e i n e seiner wohl­ auffordert, interpersonale Probleme, die sie in ihrem Leben haben, zu untersuchen
beka n nten la ngen Tiraden ü ber die bemerkenswerte Besseru ng, die er erlebt ha be. Er und zu besprechen: Einsamkeit, Mangel an engen Freunden, das Gefühl, andere hörten
erzä hlte in a l len E i n zel heiten, sein Ha u ptproblem sei gewesen, dass er die schädl iche ihm nie zu, grundloses Gemiedenwerden - all die Gründe, aus denen sich Menschen
Wirku ng seines Verhaltens auf andere n i cht begriffen h a be; da er dies n u n zu verste­ in eine Therapie begeben. Sobald diese Konflikte deutlich geworden sind, kann der
hen gelernt habe, kön ne er das Kra n kenha u s verlassen. Therapeut dem Klienten überzeugender demonstrieren, wie wichtig und relevant es
Der Therapeut bemerkte, dass einige Gruppenmitglieder u nru hig wurden. Ei ner schl ug ist, sein Verhalten in der Gruppe zu untersuchen. Hier ist gutes Timing erforderlich. Es
sich leise m it der Fa ust in d i e Ha ndfläche der anderen Hand, wä h rend andere eine ist sinnlos zu versuchen, diese Arbeit mit einem verschlossenen, defensiven Klienten zu
Haltu ng der Gleichgü ltigkeit u nd Resignation a n na h men. Er brachte den Allein u nter­ tun, der mitten in einem Gewitter steht. Erforderlich sind wiederholte, sanfte und zum
ha lter zu m Schweigen, i ndem er d i e Gru ppe n m itglieder fragte, wie oft sie von Walt rechten Zeitpunkt eingesetzte Interventionen.
diese Gesch ichte schon gehört hätten. Alle sagten ein hellig, sie hätten sie in jeder Sit­
zu ng gehört - sogar schon in Walts erster Sitzu ng. Au ßerdem hätten sie Walt niemals
Der schwei g ende Klient
ü ber irgendetwas anderes reden hören u nd würden von ihm n u r die eine Gesch ichte
kennen. Die Mitglieder sprachen ü ber ihre Gereiztheit gege n ü ber Walt, i h r Widerstre­ Das schweigende Gruppenmitglied ist zwar für eine Gruppe weniger gefährlich, ist je­
ben, i h n anzugreifen, a us Angst, i h n ernsthaft zu verletzen, die Sel bstbeherrsch u ng zu doch für den Therapeuten oft ein ebenso schwieriges Problem. Sind schweigende Mit­
verl ieren, oder au s Angst vor schmerzhafter Vergeltu ng. Manche sprachen davon, dass glieder in Gruppen generell ein Problem? Es könnte doch sein, dass ein Klient trotz

438 439
seines Schweigens von der Gruppenarbeit profitiert. Eine recht apokryphe Geschichte, ringeres als Perfektion fordern, sprechen niemals, weil sie Angst haben, dass sie jedes­
die seit Jahrzehnten unter Gruppentherapeuten die Runde macht, ist der Bericht über mal, wenn sie den Mund aufmachen, ihrem eigenen Anspruch nicht genügen. Andere
den Klienten, der ein Jahr lang an einer Gruppe teilnahm, ohne ein Wort zu sagen. Am halten Abstand von der Gruppe oder beherrschen sie, indem sie ein distanziertes, über­
Ende der 50. Sitzung verkündete er der Gruppe, er werde nicht wiederkommen; seine legenes Schweigen bewahren. Manche Klienten fühlen sich besonders durch ein be­
Probleme seien gelöst; am nächsten Tag werde er heiraten; und er wünsche, der Grup­ stimmtes Mitglied der Gruppe bedroht und sprechen gewohnheitsmäßig nur, wenn
pe seinen Dank für die Hilfe auszusprechen, die sie ihm gewährt habe. dieses Mitglied nicht anwesend ist. Wieder andere beteiligen sich nur in kleineren
Manche schweigsame Klienten können Nutzen daraus ziehen, dass sie sich sozusa­ Sitzungen oder in alternierenden (leiterlosen) Sitzungen. Einige schweigen aus Furcht
gen an einer Behandlung aus zweiter Hand beteiligen, indem sie sich mit aktiven Kli­ davor, sie könnten als schwach, geistlos oder rührselig erscheinen. Und andere schmol­
enten identifizieren, die ähnliche Probleme haben wie sie selbst. Es ist möglich, dass sie len still, um andere Gruppenmitglieder zu bestrafen oder um die Gruppe zu zwingen,
sich im gruppenexternen Bereich allmählich auf Verhaltensänderungen und auf die ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. 10
Anbahnung von Beziehungen einlassen können, obwohl sie in der Gruppe schweigsam Auch hierbei kann die Gruppendynamik eine Rolle spielen. Die Angst der Gruppe
und scheinbar unverändert bleiben. Das Forschungsprojekt von Lieberman, Yalom vor potenzieller Aggression oder vor mangelnder Verfügbarkeit emotionaler Zuwen­
und Miles mit Encountergruppen hat gezeigt, dass einige der Teilnehmer mit der auf­ dung in der Gruppe kann ein besonders verletzliches Gruppenmitglied dazu bringen,
fälligsten Veränderung eine besondere Fähigkeit hatten, ihre Lernmöglichkeiten in in Schweigen zu verfallen, um die Anspannung oder die Konkurrenz um Aufmerksam­
einer Kurzzeitgruppe (30 Stunden insgesamt) dadurch zu steigern, dass sie am Grup­ keit zu verringern. Hierbei ist es nützlich, zwischen einem vorübergehenden »Zustand«
penerleben anderer Mitglieder intensiv Anteil nahmen.6 (stait) der Stille und einem entsprechenden dauerhafteren »Charakterzug« (trait) zu
Generell jedoch deuten die vorliegenden Untersuchungen darauf hin, dass ein unterscheiden.
Gruppenmitglied umso mehr von einer Gruppentherapie profitiert, je aktiver und ein­ Wichtig ist jedoch festzuhalten, dass solches Schweigen niemals ohne Ausdruck ist;
flussreicher es innerhalb der Gruppenmatrix ist. Die Forschung an Selbsterfahrungs­ es ist ebenfalls Verhalten und hat, wie jede andere Verhaltensweise in der Gruppe, so­
gruppen hat gezeigt, dass die positive Veränderung im Selbstbild der Teilnehmer umso wohl im Rahmen des Hier und Jetzt eine Bedeutung als auch als repräsentatives Muster
größer war, je mehr Worte sie sprachen, gleichgültig, was die Teilnehmer sagten.7 Ande­ der typischen Art des Klienten, zu seiner interpersonalen Welt in Beziehung zu treten.
re Untersuchungen haben gezeigt, dass vikariierendes Erleben im Gegensatz zu direk­ Die therapeutische Aufgabe besteht daher nicht nur in einer Veränderung des Verhal­
ter Teilnahme bei einer Kombination von vikariierendem und direktem Erleben inef­ tens (die unerlässlich ist, wenn der Klient in der Gruppe bleiben soll), sondern darin,
fektiv war, also weder signifikante Veränderung noch Anziehung durch den Gruppen­ dem Klienten zu helfen, aus seiner Verhaltensweise etwas über sich zu erfahren.
prozess hervorrief. 8 Eine richtige Behandlung hängt zum Teil von der spezifischen Dynamik des Schwei­
Gruppenmitglieder, die sich nur sehr langsam öffnen, holen die restliche Gruppe in gens ab, die der Therapeut aus den Einzelgesprächen vor Beginn der Gruppe und aus
ihrer Entwicklung möglicherweise nie ein und erzielen bestenfalls minimale Erfolge.9 den nonverbalen Hinweisen des Klienten wie auch aus seinen wenigen verbalen Bei­
Je stärker die verbale Teilnahme, umso stärker ist das Gefühl, am Gruppenprozess teil­ trägen ermittelt. Man muss einen Mittelweg finden: Einerseits darf man auf den Klien­
zuhaben, und umso mehr werden Klienten von anderen geschätzt und schätzen sie ten keinen zu starken Druck ausüben, andererseits darf man nicht zulassen, dass er
letztendlich auch sich selbst. Die Selbstoffenbarung ist nicht nur für die Entwicklung sich in der Rolle eines extrem Isolierten einrichtet. Der Therapeut kann den schwei­
von Gruppenkohäsivität wichtig, sondern sie hängt auch direkt mit einem positiven genden Klienten von Zeit zu Zeit einbeziehen, indem er sein nonverbales Verhalten
Therapieresultat zusammen - was übrigens auch für die »Arbeit« des Klienten in der kommentiert - beispielsweise wenn der Klient durch Gesten oder Verhaltensweisen In­
Therapie gilt. Wir sollten uns durch die legendäre Geschichte vom schweigenden teresse, Anspannung, Traurigkeit, Langeweile oder Amüsement erkennen lässt. Nicht
Klienten, der wieder gesund wurde, nicht den Blick verstellen lassen. Ein schweigender selten ist ein stiller Klient, der in eine bereits bestehende Gruppe aufgenommen wird,
Klient ist ein problematischer Klient und zieht selten in nennenswertem Maße Nutzen beeindruckt von der Klarheit, der Direktheit und dem Verständnis erfahrenerer Grup­
aus der Gruppe. penmitglieder. In solchen Fällen ist es nützlich, wenn der Therapeut den Neuen darauf
Klienten können aus vielen Gründen schweigen. Manche empfinden vielleicht eine hinweist, dass viele der von ihm bewunderten »Veteranen« zu Beginn der Gruppen­
alles durchdringende Angst vor Selbstoffenbarung; sie haben das Gefühl, jede Äuße­ arbeit ebenfalls mit Schweigen und Selbstzweifeln gekämpft haben. Häufig kann der
rung könne sie zu immer mehr Selbstoffenbarung verpflichten. Andere haben mögli­ Therapeut die Bereitschaft schweigender neuer Mitglieder zur Teilnahme auch da­
cherweise so große Konflikte im Bereich der Aggression, dass sie es nicht wagen, sich durch fördern, dass er die übrigen Gruppenmitglieder auffordert, über ihren eigenen
im Sprechen selbst durchzusetzen. Andere warten darauf, durch einen idealisierten Be­ Hang zum Schweigen nachzudenken. 1 1 Selbst wenn wiederholte Anstöße und über­
treuer aktiviert und zum Leben erweckt zu werden, weil sie die kindliche Hoffnung auf redungsversuche erforderlich sind, sollte der Therapeut durch wiederholte Prozess­
eine magische Rettung noch nicht aufgegeben haben. Andere, die von sich nichts Ge- kontrollen die Autonomie und Verantwortlichkeit des Klienten fördern. »Möchten Sie

440 441
in dieser Sitzung etwas angestachelt werden?« »Wie haben Sie es empfunden, als Mike schaftlich erwünscht ist - bevor er spricht, forscht er in den Mienen der anderen Mit­
Ihnen auf die Schliche gekommen ist?« »Ist er zu weit gegangen?« »Können Sie uns glieder, um zu erraten, was für eine Äußerung sie wohl von ihm erwarten; jedes gegen­
wissen lassen, wenn wir Ihnen Unbehagen bereiten?« »Welche ideale Frage könnten läufige Gefühl, das von innen kommt, wird erstickt. Die sozialen Verhaltensweisen der
wir Ihnen heute stellen, um Ihnen zu helfen mitzumachen?« Der Therapeut sollte jede einzelnen Langweiler unterscheiden sich stark. Der eine schweigt vielleicht meistens,
Gelegenheit ergreifen, um die Aktivität des Klienten zu fördern und zu unterstreichen, ein anderer drückt sich gestelzt und überrational aus, ein Dritter ist schüchtern und
dass es wichtig ist, gegen die eigenen Ängste anzugehen (indem er beispielsweise auf tritt in den Hintergrund, wieder ein anderer ist abhängig, fordernd oder hilfehei­
das Gefühl der Erleichterung und des Erfolgs hinweist, das dem Eingehen eines Risikos schend.
folgt). 12 Manche gelangweilte Klienten sind Alexithymiker: Sie leiden unter einem Aus­
Wenn ein Klient sich trotz all dieser Bemühungen nach drei Monaten immer noch drucksproblem, das nicht nur auf einer neurotischen Hemmung beruht, sondern auf
sehr wenig am Geschehen beteiligt, besteht nach meinen Erfahrungen kaum Aussicht kognitiven Defiziten hinsichtlich der Fähigkeit, Gefühle zu erkennen und mitzuteilen.
auf eine Besserung seiner Situation. Die Gruppe wird es allmählich müde werden, ein Einern unter Alexithymie leidenden Klienten mangelt es an Imaginationsfähigkeit, und
schweigendes, blockiertes Mitglied zur Teilnahme zu animieren. Und wenn sich diese er konzentriert sich auf operationale Details, nicht auf das emotionale Erleben. 13 Eine
ablehnende Haltung der Gruppe erst einmal verfestigt hat, wird die Wahrscheinlichkeit Einzeltherapie mit solch einem Klienten kann quälend langsam und fruchtlos verlau­
immer geringer, dass der schweigende Klient jemals am Gruppengeschehen teilhaben fen, ähnlich der Arbeit mit Klienten, die unter einer schizoiden Persönlichkeitsstörung
wird. Möglicherweise helfen gleichzeitige Einzelsitzungen dem Klienten in solchen leiden. Gruppentherapie allein oder in Verbindung mit einer Einzeltherapie erweist
Situationen weiter. Doch wenn auch diese zu nichts führen, sollte der Therapeut sich oft als besonders nützlich für die Förderung der emotionalen Ausdrucksfähigkeit,
ernsthaft darüber nachdenken, ob es besser ist, den betreffenden Klienten aus der des Modell-Lernens, des Erlebens von Unterstützung und für die Möglichkeit, mit Ge­
Gruppe zu entfernen. Manchmal ist es sinnvoll, solche Klienten an einer weiteren The­ fühlen und deren Ausdruck zu experimentieren. 14
rapiegruppe teilnehmen zu lassen, weil sie die Gefahren des Schweigens dann nur zu Die Unfähigkeit dieser Klienten, ihre eigenen emotionalen Signale zu lesen, macht
gut kennen. sie zudem oft anfällig für physische und psychosomatische Krankheiten. 15 Eine Grup­
pentherapie kann Alexithymie durch die Förderung des emotionalen Gewahrseins und
Der La n gweiler
des Emotionsausdrucks lindern, und es hat sich erwiesen, dass sie auch physische
Krankheiten beispielsweise des Herzens oft sehr günstig beeinflusst. 16
Selten kommt jemand in die Therapie, weil er sich für einen Langweiler hält. Das Gruppenleiter und Gruppenmitglieder müssen oft hart arbeiten, um die Sponta­
Symptom ist jedoch nicht selten, tritt allerdings meist in verkleideter Form auf. Kli­ neität von Gruppenmitgliedern, die unter ihrer Langeweile leiden, zu wecken. Sie for­
enten klagen, sie wüssten anderen nie etwas zu sagen; auf Partys lasse man sie allein dern die Betreffenden auf mitzuteilen, welche Fantasien sie über andere Mitglieder
herumstehen; niemand gehe mehr als einmal mit ihnen aus; allenfalls benutzten ande­ entwickelt haben, animieren sie zu schreien, zu fluchen - sie tun alles, um solche Kli­
re sie als Sexualobjekt; sie seien gehemmt, schüchtern, im Kontakthalten unbeholfen, enten zu einer nicht vorausgeplanten Äußerung zu verleiten.
leer oder geistlos. Wie das Schweigen, das monopolisierende Verhalten oder die Selbst­
sucht muss auch Langweiligkeit ernst genommen werden. Sie ist ein äußerst wichtiges Nora, eine meiner Klient i n nen, trieb d ie G r u ppe m it i h ren stä nd igen Kl ischees u nd
Problem, ob der Klient es nun ausdrücklich so nennt oder nicht. sel bstherabsetzenden Bemerkungen z u r Verzweifl u ng. Nachdem sie viele Monate i n
Im sozialen Mikrokosmos der Therapiegruppe erzeugen langweilige Klienten die­ der G ru ppe gewesen war, began n sich i h r Leben a u ßerh a l b z u m Besseren z u wenden,
selben Probleme und langweilen natürlich die Gruppenmitglieder - und den Thera­ aber jeder Erfolgsbericht war begleitet von der u nvermeidlichen sel bstherabsetzenden
peuten. Der Therapeut fürchtet sich vor einer kleinen Sitzung, bei der nur zwei oder Neutra l isierung. Sie wurde von einer berufl ichen Vereinigung als ehrenamtliches Mit­
drei Langweiler anwesend sind. Wenn sie die Gruppe verließen, würden sie einfach gl ied aufgenommen (,,Das ist gut«, sagte sie, ,,denn das ist ein C l u b, der m ich n icht
nicht mehr vorhanden sein und kaum eine Spur hinterlassen. ra usschmeißen ka n n«); sie beka m i h ren akadem ischen Grad (,,aber ich hätte früher
Langeweile ist ein höchst individuelles Empfinden. Weil sich nicht jeder Mensch in fertig werden sol len«); sie hatte la uter Ei nser bekom men (,,aber es ist doch kindisch,
einer bestimmten Situation gelangweilt fühlt, sind Verallgemeinerungen kaum mög­ dass ich d a m it pra h le«); sie sah besser aus (,,da ka n n m a n sehen, was eine gute UV­
lich. In der Regel ist der Langweiler ein stark gehemmter Mensch, dem es an Sponta­ La m pe ausrichtet«); mehrere neue Männer waren in i h rem Leben aufgeta ucht u n d
neität fehlt und der nie Risiken eingeht. Was er äußert, ist immer »ungefährlich« (und waren mit i h r ausgega ngen (,,das Angebot a uf dem Markt m uss gering sei n«); sie be­
leider auch immer vorhersehbar). Er ist unterwürfig und vermeidet sorgfältig jedes ka m eine gute Ste l l u ng (,,die ist m i r in den Schoß gefa l len«); sie hatte ihren ersten
Zeichen der Aggressivität; oft ist er masochistisch (er beeilt sich, sich selbst zu geißeln, vaginalen Orgasmus erlebt (,,das lag bloß am Marih uana«).
bevor jemand anderer ihm etwas antun kann) . Er sagt, was seiner Ansicht nach gesell- Die Gru ppe versuchte, Nora auf i h re Sel bsta uslösch u n g a ufmerksa m zu machen: E i n

442 443
Ingenieur in der G ru ppe schlug vor, eine elektrische Klingel zu installieren, die jedesmal gelangweilt sind, wenn Sie es sind. Sie müssen Ihrer Langeweile mit Neugier entgegen­
sch rillen sol lte, we n n Nora sich a ufs H a u pt schl ug. E i n a nderes Mitglied ve rsuchte, wirken. Fragen Sie sich: »Was macht den Klienten so fade? Wann bin ich am stärksten
Nora zu m e h r Sponta n eität zu bewegen, u n d machte eine Bemerku ng über i h ren und wann am wenigsten gelangweilt? Wie kann ich den Menschen - den wirklichen,
Büstenha lter, von dem er meinte, er sei nicht gut gen ug. (Dies war Ed, von dem i n Ka­ lebhaften, spontanen, kreativen Menschen - in dieser langweiligen Schale finden?«
pitel 2 die Rede war; er bezog sich gewöhn lich n u r a uf die sexuellen Merkmale von Hier ist keine drängende Technik angezeigt, die zum »Durchbruch« führen soll. Weil
Fra uen.) Er sagte, er werde i h r i n der nächsten Sitzung ein Geschenk m itbringen, einen Langweiler von einer Gruppe eher toleriert werden als zermürbende und narzisstische
neuen Büste n h a lter. Tatsäch l ich kam er i n der nächsten Sitz u n g m it e i n e r riesigen Klienten oder Alleinunterhalter, haben Sie viel Zeit.
Schachtel a n , von der Nora sagte, sie würde sie l ieber zu Ha use öffnen. Da wa r n u n also Schließlich dürfen Sie nicht vergessen, dass der Therapeut diesen Klienten gegen­
d iese Schachtel, machte sich in der Gru ppe breit u nd verd rä ngte natü rlich jedes a nde­ über eine sokratische Haltung einnehmen muss. Unsere Aufgabe ist nicht, irgendetwas
re Thema. Nora wurde aufgefordert, wenigstens zu raten, was die Schachtel enthielt, in den Klienten hineinzugeben, sondern ganz im Gegenteil, etwas herauszulassen, das
und sie verm utete: »Künstl iche Brüste. « schon die ganze Zeit über da war. Wir versuchen also nicht, den Langweiler anzufeuern,
Man brachte sie sch ließlich dazu, die Geschenkpacku ng zu öffnen, was sie umstä nd lich ihm Farbe, Spontaneität oder Reichhaltigkeit einzuflößen, sondern vielmehr seine
u nd a u ßerordentlich verlegen bewerkstelligte. In der Schachtel wa r nichts weiter a l s erstickten kreativen, vitalen, kindhaften Anteile zu erkennen und dem Klienten zu
Scha umstoff. E d erklärte, seine Idee fü r Noras neuen Büstenhalter s e i d ie, dass s i e über­ helfen, die Hindernisse zu beseitigen, welche deren freien Ausdruck hemmen.
haupt keinen tragen solle. Nora entsc h u ldigte sich prompt bei Ed (weil sie verm utet
hatte, er habe i h r einen fa lschen Busen schenken wol len) und dankte ihm fü r die Mühe,
Der jede H i lfe a bl e h nende »Ja m merer«
die er sich gemacht hatte. Der Vorfa l l setzte viel Arbeit fü r d iese beiden Mitglieder in
Ga ng. (Ich werde hier n icht ü ber das sprechen, was fü r Ed folgte.) Die Gru ppe machte Der Hilfe ablehnende Jammerer, eine Spielart des Alleinunterhalters, wurde erstmals
Nora den U msta nd deutlich, dass Ed sie gedemütigt u nd in Verlegen heit gebracht hat­ 1952 von J. Frank als spezifisches Erscheinungsbild identifiziert und benannt. 1 9 Seither
te, u nd doch habe sie m it E ntschu ldigungen dara uf reagiert. Sie hatte sich höflich bei haben viele Gruppentherapeuten das Verhaltensmuster erkannt, und die Bezeichnung
jemandem beda nkt, der i h r gerade ein Nichts zum Gesche n k gemacht hatte! Der Vor­ taucht in der psychiatrischen Literatur immer wieder auf.20 In diesem Abschnitt werde
fa l l ließ den ersten kräftigen Funken von Sel bstbeobachtung i n Nora entstehen. I n der ich mich mit dem selten vorkommenden voll ausgeprägten, jede Hilfe ablehnenden
nächsten Sitzung bega n n sie: » Ich habe gerade den Weltrekord i m Ei nschmeicheln auf­ Jammerer beschäftigen. Dieses Verhaltensmuster ist kein deutlich abgrenzbares kli­
gestellt. Gestern Abend habe ich einen obszönen An ruf bekommen u nd mich bei dem nisches Syndrom. Klienten gelangen aufgrund unterschiedlicher psychischer Voraus­
Mann entschuldigt! « (Sie h atte gesagt: »Es tut mir leid, Sie m üssen d ie falsche N u m­ setzungen zu diesem Interaktionsstil und sind dann in der Lage, dieses Verhalten ohne
mer gewä hlt haben. « ) äußeren Anlass in Extremform zu manifestieren. Einige zeigen vielleicht nur eine Spur
dieses Verhaltensmusters, während andere nur in Zeiten besonderer Belastung zu
Die untergründige Dynamik des Langweilers kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich Jammerern werden. In enger Beziehung zum Hilfe zurückweisenden Klagen steht der
sein. Bei vielen steht die Abhängigkeit im Mittelpunkt; sie fürchten so sehr, abgelehnt Ausdruck emotionalen Leidens in Form von somatischen Beschwerden. Klienten mit
und verlassen zu werden, dass sie vor jeder aggressiven Bemerkung zurückscheuen, die medizinisch nicht erklärbaren Symptomen sind für die Ärzte eine große und frustrie­
eine Vergeltung herausfordern könnte. Sie verwechseln irrtümlich gesunde Selbst­ rende Belastung.2 1
durchsetzung mit Aggression, und indem sie sich weigern, erwachsen zu werden und
sich als vollständige, differenzierte Individuen mit eigenen Wünschen, Interessen und Beschreibung
Meinungen zu präsentieren, führen sie, indem sie andere langweilen, gerade die Ableh­ Der Hilfe ablehnende Jammerer (von nun an HAJ genannt) zeigt in der Gruppe ein
nung und das Verlassenwerden herbei, das sie hatten verhindern wollen. 71 17 deutlich ausgeprägtes Verhaltensmuster: Implizit oder explizit fordert er Hilfe von der
Wenn Sie als Therapeut sich von einem Klienten gelangweilt fühlen, ist diese Lan­ Gruppe, indem er Probleme und Klagen vorbringt, um dann jede angebotene Hilfe ab­
geweile eine wichtige Information. (Die therapeutische Arbeit mit schwierigen Klien­ zulehnen. Der HAJ berichtet in der Gruppe unablässig über Probleme und beschreibt
ten jeder Art erfordert einen sorgsamen Umgang des Therapeuten mit seiner Gegen­ sie oft, als seien sie unüberwindlich. Man gewinnt den Eindruck, dass er auf die Unlös­
übertragung.) 18' Gehen Sie immer davon aus, dass andere ebenfalls von dem Klienten barkeit seiner Probleme stolz ist. Oft konzentrieren sich HAJs ausschließlich auf den
* Die Gegenübertragung des Therapeuten ist immer eine Quelle wertvoller Informationen über den werden. Alle Reaktionen und Verhaltensweisen des Therapeuten, die von den Basiswerten abweichen,
Klienten. Dies gilt in ganz besonderem Maße für provozierende Klienten, deren Verhalten die Wirk­ signalisieren, dass interpersonale Spannungen erzeugt werden. Therapeuten müssen vor Reaktionen
samkeit unserer therapeutischen Bemühungen infrage stellt. Gruppenleiter sollten sich über ihre Rol­ stets ihre Gefühle untersuchen. Diese unterschiedlichen Perspektiven beeinflussen, wie der Therapeut
le bei der gemeinschaftlichen Erzeugung der Schwierigkeiten problematischer Klienten genau klar- die empathische Verarbeitung und Konfrontation und empathisches Feedback nutzt.

444 445
Therapeuten und bemühen sich, diesen zu immer neuen Interventionen und Ratschlä­ Leitlinien für die Behandlung
gen zu veranlassen, wobei sie die Reaktion der Gruppe nicht zu bemerken scheinen. Es Ein schwerer Fall von HAJ ist eine extrem schwierige klinische Herausforderung, und
macht ihnen offenbar nichts aus, lächerlich zu wirken, solange sie ihre Suche nach Hil­ viele solcher Klienten haben durch ihr Scheitern in der Therapie einen zweifelhaften
fe fortsetzen können. Er gründet seine Beziehung zu den anderen Mitgliedern auf der Sieg über den Therapeuten und die Gruppe davongetragen. Es wäre also anmaßend
Prämisse, er brauche Hilfe dringender als die anderen. Der HAJ zeigt selten Konkur­ und irreführend, wollte man versuchen, einen sorgfältigen Therapieplan vorzuschrei­
renzgefühle, es sei denn, ein anderes Gruppenmitglied versucht, seinerseits die Auf­ ben; man kann aber bestimmte allgemeine Regeln aufstellen. Gewiss ist es ein Irrtum,
merksamkeit des Therapeuten oder der Gruppe auf sich zu lenken, indem es ein gra­ wenn der Therapeut die geforderte mit der benötigten Hilfe verwechselt.71 23 Der HAJ
vierendes Problem vorbringt. In einem solchen Augenblick versucht der HAJ oft, die sucht Rat nicht um dessen potenziellen Wertes willen, sondern um ihn zurückzuwei­
Beschwerden anderer zu bagatellisieren, indem er sie mit seinen viel schlimmeren ver­ sen. Letzten Endes werden Rat, Vorschläge und Medikamente des Therapeuten abge­
gleicht. Häufig neigen sie dazu, ihre Probleme zu übertreiben und andere zu beschul­ lehnt und vergessen; wenn sie angenommen werden, erweisen sie sich als unwirksam;
digen, vielfach Autoritätsfiguren oder Menschen, von denen sie in irgendeiner Weise falls sie wirken, wird dies verheimlicht. Der Therapeut darf dem Klienten gegenüber
abhängig sind. Wenn die Gruppe und der Therapeut auf die Klage des HAJ reagieren, weder Frustration noch Groll zeigen. Vergeltung schließt nur den Teufelskreis: Die Er­
verwirrt sich die Situation zur Groteske, da der Klient die ihm angebotene Hilfe ab­ wartung des HAJ, er werde schlecht behandelt und im Stich gelassen, erhält neue Nah­
lehnt, wenn auch die Zurückweisung viele verschiedene und subtile Formen annimmt: rung. Er fühlt sich in seinem feindseligen Misstrauen bestätigt und kann wieder einmal
Manchmal wird der Rat offen abgelehnt, manchmal schlicht ignoriert, manchmal wird feststellen, dass niemand ihn je verstehen wird.
er verbal angenommen, aber nie befolgt, oder er führt, falls er befolgt wird, nie dazu, Welcher Weg steht dem Therapeuten also offen? Er behauptet vielleicht aus Ver­
dass die schlimme Lage des Klienten sich bessert. zweiflung, um den Teufelskreis zu unterbrechen, er »verstehe nicht nur die Gefühle der
Hoffnungslosigkeit des Klienten angesichts seiner Situation, sondern er teile sie auch«.
Wirkungen auf die Gruppe Das bedeutet: Er weigert sich, seine Rolle in einer vergeblichen Beziehung immer wei­
Die Wirkungen auf die Gruppe sind offenkundig: Die anderen Mitglieder langweilen ter zu spielen. Zwei tapfere Co-Therapeuten, die eine Gruppe leiteten, die nur aus HAJ
sich oder werden gereizt, schließlich frustriert und verwirrt. Der HAJ erscheint ihnen bestand, warnen davor, mit einem solchen Klienten in eine mitleidige, zugewandte Be­
wie ein saugender Wasserstrudel, der die Energie der Gruppe in sich hineinzieht. Noch ziehung einzutreten. Sie schlagen vor, man 'solle jeden Ausdruck von Optimismus, Er­
schlimmer ist, dass die Forderungen der HAJ nicht abzunehmen scheinen. Das Ver­ mutigung oder Rat vermeiden und stattdessen eine ironische Haltung einnehmen, in
trauen in den Gruppenprozess leidet, während die Mitglieder ein Gefühl der Ohn­ der der Therapeut dem vom Klienten geäußerten Pessimismus beipflichtet, während
macht empfinden und daran verzweifeln, die Gruppe veranlassen zu können, ihre ei­ er emotionale Distanz wahrt. Eric Berne, der das HAJ-Muster für das am weitesten ver­
genen Bedürfnisse richtig einzuschätzen. Die Gruppenkohäsivität wird dadurch unter­ breitete unter allen Spielen ansah, die in sozialen und psychotherapeutischen Gruppen
graben, dass Mitglieder fehlen oder Klienten in der Bemühung, die HAJ auszuschlie­ praktiziert werden, nannte es »Warum tust du nicht - Ja aber«. Zwar macht der Ge­
ßen, Untergruppen bilden. brauch so leicht verständlicher beschreibender Bezeichnungen den Prozess für die
Gruppenmitglieder oft transparenter, doch ist andererseits InterventioIJ.en, die in
Dynamik irgendeiner Weise ins Scherzhafte gehen, äußerste Vorsicht geboten, weil zwischen the­
Das Verhaltensmuster des HAJ scheint ein Versuch zu sein, höchst konfliktbeladene rapeutisch nützlichem spielerischen Ausdruck des Verstehens und Spott und De­
Gefühle der Abhängigkeit aufzulösen. Einerseits fühlt sich der Klient hilflos und unbe­ mütigung eine feine Grenze verläuft.24
deutend und erlebt sich nach seinem persönlichen Wertgefühl als vollkommen abhän­ Unabhängig von solchen Detailfragen sollte der Therapeut versuchen, die wichtigen
gig von anderen, besonders vom Therapeuten. Wenn dieser ihn bemerkt und ihm Auf­ therapeutischen Faktoren im Dienst des Klienten zu mobilisieren. Sobald sich eine ko­
merksamkeit schenkt, nimmt das Selbstwertgefühl des HAJ vorübergehend zu. Sein häsive Gruppe gebildet hat und er (durch Universalität des Leidens, Identifizierung
allumfassendes Misstrauen und eine jederzeit präsente Feindseligkeit gegen Autoritäts­ und Katharsis) gelernt hat, seine Mitgliedschaft in der Gruppe zu schätzen, kann der
figuren stehen mit seiner abhängigen Lage jedoch in Widerstreit. Von Not verzehrt, Therapeut interpersonales Lernen fördern, indem er ständig sein Augenmerk auf das
wendet er sich um Hilfe an eine Person, von der er von vornherein annimmt, sie sei Feedback und den therapeutischen Prozess lenkt, ganz ähnlich, wie wir es beim »Al­
nicht bereit oder nicht fähig, ihm zu helfen; die Vorwegnahme der Weigerung be­ leinunterhalter« besprochen haben. HAJs sind sich ihres Mangels an Empathie ande­
stimmt den Stil, um Hilfe zu bitten, sodass die Prophezeiung sich erfüllt; der HAJ sam­ ren gegenüber in der Regel nicht bewusst. Ihnen zu helfen, ihre interpersonale Wir­
melt immer weitere Beweise für seinen Glauben an die Böswilligkeit des potenziellen kung auf andere Gruppenmitglieder zu erkennen, ist für sie ein wichtiger Schritt auf
Helfers.22 Dadurch entsteht ein Teufelskreis, der den Klienten bereits einen Großteil dem Weg zur Untersuchung ihrer charakteristischen Beziehungsmuster.
seines Lebens in seiner Gewalt hat.

446 447
Der psychotische oder bi pola re Klient Sandy war eine 37-jährige Hausfrau, die viele Jahre zuvor schon einmal u nter einer
behand lungsresistenten Major Depression gelitten hatte, welche den Aufenthalt in
Viele Gruppen sind speziell darauf ausgerichtet, mit Klienten zu arbeiten, die unter einem psychiatrischen Krankenhaus und die Behandlung mit Elektroschocks erforder­
signifikanten Störungen der Achse eins leiden. Wenn man die Gruppen in psychi­ lich gemacht hatte. Sie kam in die Gru ppentherapie auf Drängen ihres Einzeltherapeu­
atrischen Abteilungen, Tageskliniken, Kliniken der Veterans Administration und in ten, der glaubte, ein Verstehen ihrer interpersonalen Beziehungen würde ihr helfen,
Nachsorgeprogrammen betrachtet, ist die Gesamtzahl von Therapiegruppen für auch die Beziehung zu i h rem Ma nn besser zu gestalten. I n den ersten Gruppensitzun­
schwer gestörte Klienten weit höher als die für Klienten mit höherer Funktionsfähig­ gen war sie ein aktives Mitglied, das dazu neigte, weit intimere Einzelheiten aus seiner
keit. Mit homogenen Gruppen für psychotische Klienten werde ich mich in Kapitel 15 Vorgeschichte zu offenbaren als die a nderen G ruppenmitglieder. Gelegentlich äußerte
beschäftigen (mehr zu dieser Thematik ist in meinem Buch Inpatient Group Psycho­ Sandy Wut a uf ein a nderes Mitglied u nd erging sich da nach in ä ußerst wortreichen
therapy, Basic Books 1 983, [ dt.: Im Hier und Jetzt] nachzulesen). Im momentanen Zu­ Entschuldigungen, verbunden mit selbstherabsetzenden Bemerkungen. I n der sechs­
sammenhang jedoch geht es darum, wie es sich auf den Verlauf einer interaktionsori­ ten Sitzung wurde ihr Verhalten noch unangemessener. Sie sprach zum Beispiel sehr
entierten Therapiegruppe von Klienten mit höherer Funktionsfähigkeit auswirkt, ausfü hrlich über die Schwierigkeiten, d ie ihr Sohn beim Urinieren hatte, und beschrieb
wenn bei einem Gruppenmitglied während der Gruppenarbeit eine Psychose auftritt. bis in die letzte Einzelheit die Operation, die vorgenommen worden war, um eine Harn­
Das Schicksal des psychotischen Klienten, die Reaktionen der anderen Mitglieder röhrenverengung zu beheben. In der folgenden Sitzung bemerkte sie, ihre Katze habe
und die Möglichkeiten des Therapeuten, wirksam einzugreifen, hängen partiell davon auch einen Harnröh renverschluss bekommen; dann d rängte sie die anderen Mitglie­
ab, zu welchem Zeitpunkt im Verlauf der Therapie die Psychose eintritt. Im Allgemeinen der, ihre Haustiere zu beschreiben.
sind die Gruppenmitglieder wahrscheinlich toleranter und haben die Krisensituation In der achten Sitzung wurde Sandy zunehmend manisch. Sie benah m sich bizarr, irra­
besser im Griff, wenn es sich um eine ältere und reife Gruppe handelt, in welcher der tional, beleid igte andere Gruppenmitglieder, flirtete offen mit den Männern, wobei sie
psychotische Klient bereits eine zentrale, hochbewertete Rolle gespielt hat. so weit ging, sie zu streicheln; schließlich verfiel sie in seichte Wortspiele, Klangasso­
ziationen, unangemessenes Lachen u nd Weinen. schließlich führte einer der Therapeu­
In der Anfangsphase der Gruppenarbeit ten sie aus dem Zimmer, rief ihren Mann an und sorgte dafü r, dass sie sofort in ein
In Kapitel 8 habe ich betont, der erkennbar psychotische Klient sollte schon beim Aus­ psychiatrisches Kra n kenhaus aufgenommen wurde. Sandy blieb dort einen Monat
wahlverfahren von der ambulanten interaktionellen Gruppentherapie ausgeschlossen lang in einem manischen, psychotischen Zusta nd und erholte sich da n n a l l m ählich
werden. Doch ist es allgemein üblich, Klienten mit einer allem Anschein nach stabilen wieder.
bipolaren Störung in eine Gruppentherapie einzubeziehen, um die interpersonalen Während jener Sitzung fühlten die G ru ppenm itglieder sich offensichtlich ä ußerst u n­
Folgen ihrer Krankheit zu behandeln. behaglich; ihre Gefüh le reichten von Verwirrung u nd Erschrecken bis zu Ärger. Nach­
Manchmal kommt es trotz sorgfältigen Screenings zur Dekompensation eines Pa­ dem Sa ndy fort war, brachten einige Sch u ldgefüh le zum Ausd ruck, dass sie etwa auf
tienten zu Beginn einer Therapie, manchmal aufgrund einer unerwarteten Belastung irgendeine u n bekannte Weise ihr Verha lten a usgelöst hätten. Andere sprachen von
in der Lebenssituation oder vonseiten der Gruppe, manchmal aufgrund unzureichen­ ihrer eigenen Angst, und einer erinnerte sich an jemanden, der sich ähnlich benommen
der oder unregelmäßiger Einnahme der verschriebenen Medikamente. Dies ist für eine hatte, außerdem aber mit einer Schußwaffe herumgefuchtelt hatte.
neu entstehende Gruppe ein wichtiges Ereignis, das stets große Probleme erzeugt (na­ In der folgenden Sitzung besprachen die Gruppenmitglieder viele mit dem Vorfall ver­
türlich auch für den Klienten, der durch einen solchen Vorfall in der Gruppe wahr­ bundene Gefüh le. Ein Mitglied ä u ßerte seine Ü berzeugung, man könne niemandem
scheinlich zum Außenseiter wird und aufgrund dessen oft vorzeitig die Behandlung tra uen: Er habe Sandy zwa r seit sieben Wochen geka n nt, ihr Benehmen habe sich je­
abbricht, wobei sich sein Zustand durch dieses Erlebnis häufig verschlimmert). doch als völlig u nvorhersehbar erwiesen. Andere ä ußerten ihre Erleichterung darüber,
Ich habe in diesem Buch wiederholt betont, dass die Frühstadien der Gruppe eine dass sie sel bst psychisch vergleichsweise gesu nd seien; a ndere reagierten a uf i h re
entscheidungsträchtige Zeit sind, in der alles noch im Fluss ist. Die junge Gruppe ist Angst vor einem ähnlichen Kontrollverl ust m it erheblichen Verd rä ngungsmecha nis­
leicht zu beeinflussen, und früh etablierte Normen sind oft höchst dauerhaft. Wenn men und scheuten davor zurück, d iese Probleme zu besprechen. Man.ehe befürchteten,
sich eine Ansammlung ängstlicher, misstrauischer Fremder in wenigen Wochen zu Sandy könnte zurückkommen und die Gruppe zerstören. Wieder andere äußerten ihr
einer intimen Gruppe untereinander hilfreicher Mitglieder entwickelt, folgt ein ein­ verm indertes Zutra uen zur Gru ppentherapie; ein Mitglied verlangte nach Hypnose,
drucksvolles Erlebnis auf das andere. Jedes Ereignis, das zu Beginn unangemessen viel wäh rend ein anderer Teilnehmer einen Artikel aus einer wissenschaftlichen Zeitschrift
Zeit in Anspruch nimmt und Energie von den Aufgaben dieser Entwicklungsphase mit in d ie Sitzung brachte, in dem behauptet wurde, Psychotherapie sei unwirksam. Ein
abzieht, ist für die Existenz der Gruppe potenziell gefährlich. Einige der relevanten Verlust des Vertrauens zu den Therapeuten drückte sich im Traum eines Mitglieds aus,
Probleme seien durch das folgende klinische Beispiel veranschaulicht: in dem der Therapeut im Kra n kenhaus lag u nd vom Klienten gerettet wurde.

448 449
I n den nächsten Sitz u ngen verschwa nden a l le diese Themen u nter der Oberfläche. Die und psychotisch wird. Die Sorge der anderen Gruppenmitglieder gilt dann in erster
Sitzu ngen wurden träge, seicht oder intel lektuell verspielt. Es fehlten i m mer mehr Mit­ Linie dem Klienten und nicht der eigenen Person oder der Gruppe. Da sie den jetzt
glieder, u nd d i e Gru ppe schien sich mit i h rer eigenen O h n macht a bz u fi n d e n . I n d e r psychotischen Klienten als kommunikative Person gekannt und verstanden haben,
1 4 . Sitzung verkündeten d i e Therapeuten, Sandys Zusta nd habe sich gebessert, u nd sie reagieren sie oft mit großer Sorge und großem Interesse; die Wahrscheinlichkeit ist
werde i n der nächsten Woche wiederkommen. Eine lebhafte, hitzige Diskussion folgte. geringer, dass der Klient nun als seltsames und bedrohliches Objekt angesehen wird,
Die Mitglieder fürchteten: das man meiden muss.w
Obwohl das Wahrnehmen von Ähnlichkeiten bei manchen Klienten die Fähigkeit
1. Sie würden Sandy aus der Fassung bringen. Eine i ntensive Sitzung werde sie wieder verstärken mag, zu einem stark leidenden anderen Gruppenmitglied weiterhin in Be­
kra n k machen, u nd um d ies zu vermeiden, wäre die Gru ppe gezwu ngen, sich la ng­ ziehung zu treten, führt dies bei anderen zu einem inneren Aufruhr, weil sie fürchten,
sam und ohne Tiefga ng vorwä rtszu bewegen. auch sie könnten die Kontrolle verlieren und in einen ähnlichen Abgrund rutschen.
2. Sa ndy werde u n berechenbar sein. Sie kön ne jederzeit wieder die Kontrolle verl ieren Deshalb tut der Therapeut gut daran, diese Angst gegenüber den anderen Gruppen­
und ein gefährl iches, bed rohl iches Verha lten an den Tag legen. mitgliedern zum Ausdruck zu bringen.
3. Sandy werde wegen ihres Mangels an Selbstbeherrschung unzuverlässig sein. N ichts Angesichts eines psychotischen Klienten in der Gruppe kehren viele Therapeuten
in der Gru ppe werde vertra u lich bleiben. zum »Arztmodell« zurück und entlassen symbolisch die Gruppe, indem sie energisch
und wie in einer Zweierbeziehung intervenieren. Sie sagen gleichsam zur Gruppe:
zugleich ä u ßerten d i e Mitglieder erhebliche Angst u n d Schu ldgefü hle wegen i h res »Dies ist ein zu ernstes Problem, als dass ihr es handhaben könntet.« Ein solches Vor­
Wunsches, Sandy aus der G ru ppe auszuschließen, u nd bald herrschten Gespa n ntheit gehen ist jedoch oft antitherapeutisch: Der Klient ist verstört, und die Gruppe wird
und d rückendes Schweigen. Die extreme Reaktion der Gru ppe vera n lasste den Thera­ infantilisiert.
peuten, die Wiedereinfüh rung Sandys in die Gru ppe ein paar Wochen h i n a u szuschie­ Meiner Erfahrung nach ist eine reife Gruppe sehr wohl in der Lage, mit einem
ben (Sandy wa r übrigens gleichzeitig in Einzeltherapie). psychiatrischen Extremfall fertig zu werden, und wenn es auch Fehlentwicklung geben
Als sie schließlich in die Gru ppe zu rückkehrte, wurde sie wie ein zerbrechl icher Gegen­ mag, ist die Gruppe doch fähig, jede Möglichkeit zu erwägen und jeden Weg ein­
stand behandelt, u nd die gesamte G ru ppeni nteraktion wurde vorsichtig u n d a bweh­ zuschlagen, dem auch der Therapeut hätte nachgehen können. Man sehe sich das fol­
rend. Bis z u r 2 0 . Sitz u ng waren fünf der sieben Mitglieder aus der G ru ppe a u sgeschie­ gende klinische Beispiel an:
den, sodass n u r Sandy u nd ein a nderes Mitglied übrig blieben.
Die Therapeuten stellten die G ru ppe wieder neu zusam men, indem sie fünf Mitglieder In der 45. Sitz u ng ka m Rhoda, eine 43-jährige geschiedene Frau, in zerzaustem, offen­
neu aufnahmen. Es ist i nteressant, dass die a lte Gruppen kult u r weiterhin bestehen sichtlich gestörtem Zustand ein paar Min uten zu spät. I n den letzten Wochen wa r sie
blieb, obwohl von der ursprünglichen G ruppe nur zwei Mitglieder und die Therapeuten a l l m ä h l ich i n eine Depression geglitten, a ber der Prozess hatte sich offenbar plötzl ich
übrig geblieben waren - ein sehr anschaul iches Beispiel fü r die bleibende Macht von besch leun igt. Sie brach in Trä nen aus, wa r verzagt, ä u ßerte Sel bstmordabsichten und
Normen, selbst wen n n u r wenige Personen die Erhaltung einer zuvor eta blierten Ku l­ ließ eine gewisse psychomotorische Verla ngsa m u ng erkennen. Am Anfang der Sitzung
tur ermöglichen.25 Die G ru ppendyna m i k hatte die G ru ppe u nd Sa ndy auf sta rk ei nge­ wei nte sie fortwä h rend u nd ä u ßerte Gefühle großer Einsamkeit u nd Hoffn u ngslosig­
schrä nkte Rollen u nd Fu nktionen festgelegt. Sa ndy wurde von den neuen Mitgliedern keit sowie die U nfä h igkeit, zu l ieben, zu hassen oder ü berhaupt tiefere Gefühle zu ha­
so vorsichtig behandelt, dass d ie G ru ppe, h ilflos im Netz ihrer eigenen Höflichkeit u n d ben. Sie besch rieb i h r Gefü h l, von a l le n Menschen einschließlich der G ru ppe fern z u
d e r gesel lschaftlichen Konventionen zappelnd, n u r la ngsam vora nka m . Erst als die The­ sein, u n d a u f Befragen g a b s i e z u , s i e denke an Sel bstmord.
ra peuten d i eses Problem offen a n packten u nd in der G ru ppe über i h re eigenen Be­ Die G ruppen mitglieder reagierten m it großer Einfü h l u ng u nd Besorgnis auf Rhoda. Sie
fürchtungen sprachen, Sa ndy aus dem G leichgewicht zu bringen und sie wieder in eine fragten nach Ereignissen i n der verga ngenen Woche und ha lfen ihr, ü ber zwei wichtige
Psychose zu stürzen, konnten die Gruppenmitglieder sich m it ihren Gefühlen und Ängs­ Erlebn isse zu sprechen, die m it der depressiven Krise zusa m menzuhä ngen sch ienen:
ten i h r gegen über a usei nandersetzen. Von da an bewegte sich die Gru ppe rascher vor­
wärts; Sandy blieb ein Jahr lang i n der neuen Gruppe und machte entscheidende Fort­ * Beispielsweise haben Moos und ich gezeigt, dass Medizinstudenten, die zum erstenmal einer Psychi­
schritte in ihrer Beziehu ngsfä higkeit und in ihrer Einste l l u ng zu sich sel bst. atriestation zugeteilt wurden, die psychotischen Klienten als extrem gefährliche, bedrohliche, unbere­
chenbare Wesen ansahen, als ganz anders als sie selbst. Am Ende ihres fünfwöchigen Praktikums hat­
In einem späteren Stadium der Gruppenentwicklung te sich ihre Einstellung erheblich gewandelt; die Studenten distanzierten sich nicht mehr so sehr von
ihren Klienten und fürchteten sich weniger vor ihnen, während sie lernten, dass Psychotiker nichts
Vor einer völlig anderen Situation steht man oft, wenn ein Klient, der viele Monate weiter als verwirrte und zutiefst verängstigte Menschen waren, ihnen selbst ähnlicher, als sie früher
lang ein engagiertes, aktives Gruppenmitglied gewesen ist, plötzlich dekompensiert gedacht hatten.

450 451
Erstens hatte sie monatelang Geld gespart für eine Reise nach E u ropa i m Sommer; i n Aus diesem Fallbeispiel lassen sich einige wichtige und in ihren Auswirkungen weitrei­
d e r vorangegangenen Woche hatte n u n i h r 17-jäh riger Sohn beschlossen, d i e Arbeit in chende Prinzipien ableiten. Schon ziemlich früh in der Sitzung hatte der Therapeut die
einem Som merlager a bzuleh nen, u nd weigerte sich, eine andere Tätigkeit zu suchen Dynamik erkannt, die in Rhodas Depression zum Ausdruck kam, und wenn er gewollt
- eine Wende der Ereignisse, die i n Rhodas Augen i h re Reise gefährdete. Zweitens hat­ hätte, hätte er die angemessenen Deutungen geben können, um es der Klientin und der
te sie sich nach Monaten des Zögerns entschlossen, eine Ta nzvera n sta ltung fü r Ge­ Gruppe zu ermöglichen, viel rascher zu einem kognitiven Verstehen des Problems zu
schiedene m ittleren Alters zu besuchen, die sich als Katastrophe erwiesen hatte: N ie­ gelangen, doch wären dadurch Bedeutsamkeit und Wert der Sitzung für Rhoda und die
m a n d hatte sie z u m Ta n z a ufgefordert, u nd sie hatte den restlichen Abend von anderen Mitglieder erheblich gemindert worden. Einmal wäre der Gruppe eine Gele­
Gefü hlen vollstä nd iger Wertlosigkeit erfü l lt verbracht. genheit genommen worden, ihre eigene Potenz zu erleben; jeder Erfolg steigert die Ko­
Die G ru ppe h a lf i h r, i h re Beziehung zu i h rem Sohn zu u ntersuchen, u n d sie ä u ß erte häsivität der Gruppe und erhöht das Selbstwertgefühl jedes einzelnen Mitgliedes. Man­
zum erstenmal i h re Wut ü ber seine mangelnde Rücksicht auf sie. Mithilfe der Gru ppe chen Therapeuten fällt es schwer, auf die Deutung zu verzichten, und doch muss man
versuchte sie, d i e G re nzen i h rer Vera ntwortu n g fü r i h n zu defi n ieren. Es fiel Rhoda lernen, eine Weisheit für sich zu behalten. Es gibt Zeiten, in denen es dumm ist, weise
schwer, ü ber die Ta nzveranstaltung zu sprechen, weil sie sich so beschämt u nd gede­ zu sein, und in denen es weise ist, zu schweigen.
m ütigt fü hlte. Zwei a ndere Fra uen aus der Gruppe, von denen eine u nverhei ratet, die Manchmal, beispielsweise in dieser Episode, wählt die Gruppe selbst die richtige
andere geschieden wa r, zeigten ihr tiefes Mitgefüh l u nd teilten i h re eigenen E rfa h run­ Handlungsweise und praktiziert sie; ein andermal wird sie vielleicht entscheiden, der
gen u nd ihre Reaktionen auf den Ma ngel a n geeigneten Män nern m it. Die Gru ppe er­ Therapeut müsse handeln. Es ist jedoch ein großer Unterschied zwischen einem hasti­
i n nerte Rhoda auch d a ran, wie oft sie in den Sitzu ngen jede leichte Zurücksetzung als gen Entschluss, der auf infantiler Abhängigkeit und unrealistischer Einschätzung der
totale Ablehn u n g u n d Verd a m m u ng i h rer Person gedeutet hatte. Schl ießlich, nachdem Fähigkeiten des Therapeuten beruht, und einer Entscheidung, die auf einer gründli­
man Rhoda viel Aufmerksam keit, Ante i l n a h me und Wä rme geboten hatte, wies eines chen Untersuchung der Situation und einer reifen Einschätzung des Sachverstands des
der Mitglieder darauf hin, die E rfa h ru ng des Ta nzabends werde h ier in der Gru ppe ent­ Therapeuten beruht.
kräftet: Meh rere Menschen, d i e sie gut kennen würden, seien um sie besorgt u n d i h r Diese Punkte führen uns zu einem wichtigen Prinzip der Gruppendynamik, das
eng verbunden. Rhoda wies d ies z u rück und behauptete, die Gru ppe sei, i m Gegensatz durch viele Untersuchungen bestätigt worden ist. Eine Gruppe, die durch eine gründ­
zu der Ta nzvera nsta ltu ng, eine kü nstl iche Situation, in der die Menschen u n natürliche liche Erforschung der relevanten Probleme zu einer selbstständigen Entscheidung gelangt,
Verhaltensregeln befolgten. Die G ruppe n m itglieder wiesen sofort darauf hin, gerade wird zur Unterstützung ihrer Entscheidung alle Mittel einsetzen, die ihr zur Verfügung
das Gegentei l treffe zu: Die Ta nzvera n stalt u ng - die gepla nte Zusa m m e n ku nft von stehen; eine Gruppe, der eine Entscheidung aufgedrängt wird, leistet möglicherweise sogar
Fremden, die Anziehung, die auf oberflächlichen, in Sekundenbruchteilen gewonnenen Widerstand und wird in der Zukunft weniger in der Lage sein, die richtigen Entscheidun­
Eind rücken beruhe - sei die kü nstliche Situation und die Gru ppe die reale. I n der G rup­ gen zu fällen.
pe kenne man sie sch l ießlich vol lstä ndiger. An dieser Stelle möchte ich aus einem bestimmten Grund ein wenig abschweifen
Rhoda, vol l von Gefühlen i hrer Wertlosigkeit, tadelte sich n u n selbst wegen i hrer U n­ und eine Geschichte über eine wohlbekannte gruppendynamische Studie erzählen.
fä h igkeit, i h rerseits gege n ü ber den G ru ppen mitgl iedern Wä rme und Anteil n a h me zu Forscher führten in einer Fabrik, in der Schlafanzüge hergestellt wurden, eine Unter­
empfinden. E i nes der Mitglieder vereitelte rasch d ieses Manöver, indem es darauf hin­ suchung durch. Aufgrund technischer Weiterentwicklungen waren dort von Zeit zu
wies, Rhoda habe ein vertrautes u nd sich wiederholendes Verhaltensmuster: Sie hege Zeit Veränderungen des Arbeitsablaufes notwendig. Viele Jahre lang wehrten sich die
Gefü hle gege n ü ber den a nderen Gruppe n m itgliedern, die sich in i h rem Gesichtsa us­ Beschäftigten gegen diese Veränderungen; bei jeder Veränderung gab es eine höhere
d ruck und i n i hrer Körperhaltung zeigten. Aber d a n n l ieße sie i h re Vorstel l u ngen von Ausfallquote und eine größere Fluktuation der Arbeitskräfte, Aggression gegen die Fir­
dem, was sie tun sollte, ü berhandnehmen und sie quälen, indem sie darauf bestü nde, menleitung sowie abnehmende Leistungen und verminderte Produktion.
sie sol lte mehr Wä rme u nd Liebe empfinden als a l l e a nderen. Als Ergebnis werde das Die Forscher entwickelten ein Experiment, mit dessen Hilfe sie verschiedene Me­
wirkliche Gefühl, das sie habe, von i hren u nmöglichen Forderunge n an sich selbst rasch thoden zur Überwindung des Widerstandes der Arbeiter gegen Veränderungen unter­
erstickt. Die Folge wa r, dass Rhoda a l l mä h l ich die Diskrepanz zwischen i h rer offen ge­ suchen wollten. Als entscheidende Variable erwies sich, in welchem Maße die Arbeiter
äußerten und i h rer heimlichen Selbsteinschätzung erka n nte (wie in Kapitel 3 beschrie­ an der Planung der Veränderung beteiligt wurden. Sie wurden in drei Gruppen unter­
ben). Am Ende der Sitz u n g brach Rhoda in Trä nen a u s und wei nte mehrere Min uten teilt, und man erprobte drei Varianten der Beteiligung. Die erste Variante erlaubte den
la ng. Die Gruppe n m itgl ieder zögerten wegzugehen, wagten es a ber, nachdem sie sich Beschäftigten keine Teilnahme an der Planung der Veränderungen, obschon ihnen eine
a ll e ü berzeugt h atten, dass R hoda nicht mehr ernsthaft an Sel bstmord dachte. Die Erklärung gegeben wurde. Bei der zweiten Variante waren gewählte Vertreter der Ar­
ga nze nächste Woche h i n d u rch hielten die G ru ppen m itgl ieder informel l Wache; jeder beiter an der Planung der Arbeitsumstellungen beteiligt. Bei der dritten Variante waren
rief Rhoda m indestens e i n ma l an. alle Mitglieder der Gruppe an der Planung der Veränderungen beteiligt. Die Ergebnis-

452 453
se zeigten eindeutig, dass hinsichtlich aller untersuchten Faktoren (Aggression gegen die Klienten m it schwerwiegenden cha ra kterol ogischen Störu ngen
Betriebsleitung, Fehlen von Arbeitskräften, Effizienz, Anzahl der Kündigungen) die Ver­
änderungen in dem Maße akzeptiert wurden, wie die Betroffenen an der Planung beteiligt Die letzten drei Arten schwieriger Klienten in der Gruppentherapie, die ich besprechen
wurden. 27 will, sind der schizoide, der narzisstische und der Borderline- Klient. Diese Klienten
Die Implikationen dieser Studie für die Gruppentherapie liegen auf der Hand: Mit­ werden in der klinischen Literatur häufig unter der Rubrik der charakterologisch
glieder, die persönlich an der Planung eines Handlungsablaufs beteiligt sind, werden schwierigen Achse-II-Klienten aufgeführt.29 Die traditionellen Diagnosekriterien des
sich der Durchführung des Plans mehr verpflichtet fühlen. Sie setzen sich beispiels­ DSM werden der Komplexität dieser Klienten nicht gerecht, und sie erfassen ihr psy­
weise bei der Behandlung eines psychotischen Gruppenmitglieds stärker ein, wenn sie chisches Erleben nicht angemessen.30
erkennen, dass es ihr Problem ist und nicht allein das des Therapeuten. Die meisten charakterologisch schwierigen Klienten haben Probleme mit der Af­
Manchmal, wie in dem oben angeführten Beispiel, fördert das gemeinsame Erleben fektregulierung, mit dem interpersonalen Austausch und mit dem Selbstempfinden.
tiefer Gefühle die Bindung zwischen den Mitgliedern. Eine Gefährdung der Gruppen­ Man nimmt an, dass ihre Pathologie durch schwerwiegende Probleme in den ersten
entwicklung kann dann eintreten, wenn der psychotische Klient über längere Zeit eine Lebensjahren entstanden ist. Ihnen mangelt es an beruhigenden oder tröstenden elter­
große Menge Energie bindet. Dann scheiden vielleicht andere Mitglieder vorzeitig aus, lichen Repräsentationen, und ihre innere Welt ist stattdessen von Repräsentationen des
oder die Gruppe geht mit dem gestörten Klienten vorsichtig und nivellierend um bzw. Verlassenwerdens, der Vorenthaltung und der Enttäuschung geprägt. Oft sind sie nicht
versucht, ihn zu ignorieren; durch derartige Reaktionen wird das Problem unweiger­ in der Lage, ambivalente Gefühle und interpersonale Reaktionen zu integrieren, sie
lich verschlimmert. In derart kritischen Situationen steht dem Therapeuten immer spalten die Welt in schwarz und weiß, gut und böse, lieben und hassen, Idealisierung
eine wichtige Möglichkeit zur Verfügung: den Klienten während der Dauer der Krise und Entwertung. Sie erinnern sich in keinem Augenblick an andere Gefühle als die
zusätzlich in Einzelsitzungen zu behandeln (wir werden hierüber bei der Erörterung machtvollen, die sie im betreffenden Moment empfinden. Herausragende Schwierig­
der kombinierten Therapie ausführlicher sprechen). Auch hier sollte jedoch die Grup­ keiten umfassen Rage, Anfälligkeit für das Gefühl, verlassen zu werden, und narziss­
pe die Folgerungen gründlich untersuchen und an der Entscheidung beteiligt wer­ tische Verletzungen sowie eine Tendenz zur projektiven Identifikation. Außerdem
den. mangelt es solchen Klienten häufig an einem Gefühl dafür, wie sie selbst zur Entste­
Eine der größten Katastrophen, die sich in einer Therapiegruppe ereignen können, hung ihrer Schwierigkeiten beigetragen haben und wie sie auf andere wirken.3 1
ist, dass ein Mitglied manisch wird. Ein Klient mitten in einem schweren hypomani­ Weil sich diese Schwierigkeiten im Allgemeinen in problematischen und beunruhi­
schen Schub strapaziert eine Gruppe wohl am stärksten. (Im Gegensatz dazu ist eine genden Beziehungen manifestieren, spielt die Gruppentherapie sowohl bei der ambu­
ausgewachsene manische Episode weniger problematisch, weil klar ist, dass es in sol­ lanten Behandlung dieser Krankheit als auch im Falle einer Teilhospitalisierung eine
chen unumgänglich ist, den Betreffenden in eine Klinik einzuweisen.) wichtige Rolle. Gruppentherapie kann für Klienten dieser Art eine Chance sein, sie for­
Einen Klienten mit einer akuten bipolaren affektiven Störung sollte man am besten dert ihnen aber auch sehr viel ab; allerdings ergibt sich ein sehr günstiges Kosten-Nut­
pharmakologisch behandeln. Er ist für eine interaktionsorientierte Behandlung nicht zen-Verhältnis bezüglich der psychischen Situation der Klienten und der Beanspru­
geeignet. Es wäre nicht sachdienlich, eine Gruppe viel Energie und Zeit auf den Um­ chung der Kostenträger, insbesondere wenn eine ausreichend lange Behandlungszeit
gang mit einem Klienten verwenden zu lassen, dessen Arbeit in einer Gruppe praktisch veranschlagt wird.32
zur Erfolglosigkeit verurteilt ist. Allerdings häufen sich mittlerweile Hinweise, denen Dass charakterologisch problematische Klienten schon früh in ihrem Leben zusätz­
zufolge spezifische Interventionen in homogenen Gruppen für Klienten mit bipolaren lich traumatische Missbrauchs- oder Misshandlungserlebnisse gehabt haben, macht
Störungen sinnvoll sein können. Diese Gruppen bieten Psychoedukation über die die Behandlung für den Therapeuten noch schwieriger. In manchen Stichproben liegt
Krankheit an, und sie weisen ausdrücklich darauf hin, dass die regelmäßige Einnahme die Komorbidität von Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) und Borderline­
der verschriebenen Medikamente sowie ein gesunder Lebenswandel und die Beherzi­ Persönlichkeitsstörung über 50 Prozent. Wenn die traumatischen Erlebnisse und die
gung von Selbstregulierungsbemühungen unverzichtbar sind. Solche Gruppen werden durch sie hervorgerufenen Symptome - hauptsächlich intrusives Wiedererleben des
am besten in Verbindung mit einer Psychopharmakabehandlung durchgeführt, und Traumas, Vermeiden von allem, was an das Trauma erinnert, und generelles Hyper­
zwar in der Stabilisierungsphase der chronischen Krankheit, nachdem alle akuten arousal - zusammen eine starke Wirkung auf den betreffenden Klienten haben, wird
Probleme behoben sind. Solche Gruppentherapien haben sich als sehr nützlich erwie­ für diesen Zustand häufig der Begriff »komplexe PTBS« verwendet. Dieser Begriff er­
sen, da sie die Bereitschaft zur regelmäßigen Medikamenteneinnahme erhöhen, die fasst, wie die traumatischen Ereignisse und die psychologischen Reaktionen auf sie die
Stimmungsschwankungen der Klienten verringern, die Rückfallgefahr reduzieren, den Persönlichkeit der Betroffenen formen.33
Substanzmissbrauch einschränken und die psychosoziale Funktionsfähigkeit ver­ Charakterologisch schwierige Klienten sind in den meisten klinischen Settings zu
bessern.28 finden. Sie werden von Einzeltherapeuten oft an Gruppen überwiesen, wenn (1) die

454 455
Übertragung für eine dyadische Therapie zu stark geworden ist; (2) der Klient so de­ was m a n will. Dort u nten geschah etwas Fü rchterliches und Tragisches, das einen z u m
fensiv isoliert geworden ist, dass Gruppeninteraktion notwendig ist, um den Klienten Mitleiden hera u sforderte. I c h ka n n n icht, i c h b i n nicht am Zug. 35
zu ermutigen; (3) die Therapie gut vorangeschritten ist, aber ein Plateau erreicht wur­
de und interaktive Erfahrung notwendig ist, um weitere Fortschritte zu erreichen. Schizoide Klienten befinden sich in einer Therapiegruppe oft in einer ähnlichen
Zwangslage. In praktisch jeder Gruppensitzung wird ihnen bescheinigt, dass sich Art
Der schizoide Klient und Intensität ihres emotionalen Erlebens erheblich von dem der übrigen Gruppen­
Vor vielen Jahren, in einer früheren Ausgabe dieses Buches, habe ich diesen Abschnitt mitglieder unterscheiden. Verwundert über diese Diskrepanz gelangt er leicht zu dem
mit dem folgenden Satz begonnen: »Der schizoide Zustand, die Krankheit unserer Zeit, Schluss, die anderen Mitglieder seien melodramatisch, übermäßig labil, oberflächlich,
führt vielleicht mehr Klienten in die. Therapie als jeder andere Formenkreis der Psy­ übertrieben stark mit Belanglosigkeiten beschäftigt, oder sie hätten einfach ein anderes
chopathologie.« Das klingt nicht mehr wahr. Die Moden psychischer Krankheiten än­ Temperament. Irgendwann jedoch beginnen schizoide Klienten, wie Sartres Held Ma­
dern sich: Heute begeben sich Klienten häufiger wegen Drogenmissbrauchs, Essstö­ thieu, zu vermuten, dass irgendwo in ihnen ein riesiges gefrorenes Gefühlsreservoir
rungen und Folgeerscheinungen sexuellen Missbrauchs sowie körperlicher Misshand­ liegt.
lung in Therapie. Doch obwohl der schizoide Zustand nicht mehr die Krankheit un­ Auf die eine oder andere Weise vermittelt der schizoide Klient durch das, was er sagt
serer Zeit ist, sind schizoide Klienten immer noch häufig Teilnehmer von Thera­ oder nicht sagt, den anderen Mitgliedern seine emotionale Isolation. In Kapitel 2 habe
piegruppen. Sie sind emotional blockierte, isolierte und distanzierte Menschen, die oft ich einen Klienten beschrieben, der nicht verstehen konnte, warum sich die Mitglieder
aus dem vagen Gefühl heraus, es fehle ihnen etwas, eine Gruppentherapie anstreben: um eine vorübergehende Abwesenheit des Therapeuten von der Gruppe Sorgen mach­
Sie können nicht fühlen, nicht lieben, nicht spielen, nicht weinen. Sie sind Zuschauer ten, und der die zwanghaften Ängste einer Frau nicht begreifen konnte, die fürchtete,
ihrer selbst, bewohnen ihren eigenen Körper nicht, erleben ihr eigenes Erleben nicht. ihr Freund könne umkommen. Er sah Menschen als austauschbar an. Er hatte allen­
Oberflächlich betrachtet ähneln der schizoide und der vermeidende Klient einander. falls ein Bedürfnis nach einem täglichen Mindestmaß an Zuneigung (ohne sich, wie es
Allerdings gibt es zwischen ihnen auch deutliche Unterschiede. Der vermeidende Kli­ schien, wirklich um die Quelle dieser Zuneigung zu kümmern). Er fühlte sich durch
ent ist ängstlich und gehemmt, befangen und in der Lage, sich zu engagieren, wenn er die Reise des Therapeuten »genervt«, weil sie seine Therapie verzögern würde, und
sich relativ sicher ist, dass ihm keine Zurückweisung droht. Hingegen leidet der schi­ vielleicht ärgerte er sich über sich selbst, weil er den Therapeuten nicht genug genutzt
zoide Klient unter einem Mangel an zentralen emotionalen Fähigkeiten und Reflexi­ hatte. Aber die von den anderen geäußerten Gefühle, den Schmerz über das Entbehren
onsfähigkeiten.34 der Person, die der Therapeut ist, teilte er nicht. Er verteidigte sich folgendermaßen:
Niemand hat die Erlebniswelt des schizoiden K lienten anschaulicher beschrieben »Es hätte nicht viel Sinn, wenn ich starke Gefühle wegen der Abreise des Therapeuten
als Sartre in Zeit der Reife: hätte, da ich ja nichts daran ändern kann.«
Ein anderer Klient, den die Gruppe schalt, weil er gegenüber zwei Mitgliedern, die
Er faltete die Zeitung wieder zusam men. u nd las auf der ersten Seite das Telegra m m in großer Not waren, kein Mitgefühl empfand, erwiderte: »Sie sind also voller Schmerz.
d e s Sonderberichterstatters. Man zä h lte schon 5 0 Tote und 3 0 0 Verwundete, a be r es Es gibt in diesem Moment auf der ganzen Welt Millionen von Menschen, die Schmerz
waren noch n icht alle, sicher l agen noch Leichen u nter den Trü mmern. Tausende von empfinden. Wenn ich es zuließe, mich wegen eines jeden, der Schmerz empfindet, mies
Menschen in Fran kreich hatten heute Morgen i h re Zeitung n icht lesen kön nen, o h n e zu fühlen, wäre das eine Vollzeitbeschäftigung.« Die meisten von uns spüren plötzlich
dass i h ne n ein gewa ltiger Zorn hoc h kam, Ta usende von Menschen hatten die Fä u ste Gefühle in sich aufsteigen, und anschließend versuchen wir manchmal, die Bedeutung
geba l lt u nd »Schwe i n e h u n d e ! « gem u rmelt. Mathieu ba l lte d i e Fäuste, er m u rmelte dieser Gefühle zu begreifen. Beim schizoiden Klienten kommen die Gefühle später -
»Schwei n e h u nde«, u nd er fü h lte sich noch mehr sch uldig. Wen n er wen i gstens eine ihnen wird nach Maßgabe des Verstandes stattgegeben. Gefühle müssen pragmatisch
lebhafte, kleine, bescheidene, d u rchaus begrenzte Erregung i n sich h ätte s pü ren kön­ gerechtfertigt sein: Wenn sie keinem Zweck dienen, warum soll man sie dann haben?
nen. Nein : er wa r leer, vor i h m sta nd ein gewa ltiger Zorn, ein verzweifelter Zorn, er sah Die Gruppe bemerkt die Diskrepanz zwischen den Worten, dem Erleben und der
i h n, er h ätte i h n a n rü h re n können. Der wa r a ber innen d r i n und wartete d a rauf zu le­ emotionalen Reaktion eines Klienten oft sehr deutlich. Ein Klient, der kritisiert worden
ben, a uszu brechen, zu leiden, wen n er i h m seinen Körper zur Verfügung stel lte. Es war war, weil er der Gruppe über seine Beziehung zu einer Freundin nichts gesagt hatte,
der Zorn der a nderen. Schweine! Er ba l lte die Fä u ste, er machte große Sch ritte, aber es fragte frostig: »Würden Sie gern Ihren Fotoapparat mitbringen und mit uns ins Bett
ka m n icht, der Zorn blieb d ra u ßen. I rgendwas wa r im Entstehen, e i n sch üchternes Er­ steigen?« Auf Befragen leugnete er jedoch, irgendein Gefühl der Wut zu empfinden,
wachen des Zorns. Da ist's! Aber es n a h m a b, fiel wieder zusa m men, wa r leer, er ging und konnte seinen sarkastischen Ton nicht erklären.
gemessenen Sch ritts, a nstä ndig wie einer, der einem Begrä b n i s folgt, ging i n Paris. E r Bei anderen Gelegenheiten liest die Gruppe die Gefühle schizoider Klienten von
fuh r sich m it dem Taschentuch ü ber die Stirn, er dachte: Man ka n n n icht fü r das leiden, ihrer Körperhaltung oder ihrem Verhalten ab. Tatsächlich kommt es vor, dass derartige

456 457
Klienten mit sich selbst ähnlich umgehen und sich der Untersuchung anschließen, Ermutigen Sie den Klienten, seinen Körper zu beobachten. Möglicherweise erlebt
indem sie zum Beispiel kommentieren: »Ich habe Herzklopfen, also muss ich Angst er seinen Affekt oft nicht, bemerkt aber die entsprechenden Reaktionen des autono­
haben « , oder: »Meine Faust ist geballt, also muss ich wütend sei�. « Hinsichtlich men Nervensystems: Spannung im Bauch, Schwitzen, eingeschnürte Kehle, Erröten
dieses Problems ähneln sie den zuvor beschriebenen Alexithymikern. usw. Allmählich beginnt die Gruppe vielleicht, dem Klienten zu helfen, diese Empfin­
Die Reaktion der anderen Mitglieder ist vorhersehbar und geht von Neugier und dungen in ihren psychologischen Sinn zurückzuübersetzen. Vielleicht bemerken die
Verwirrung bis hin zu Ungläubigkeit, Besorgnis, Gereiztheit und Frustration. Sie fra­ Mitglieder zum Beispiel den Zeitpunkt der Reaktionen des Klienten im Zusammen­
gen den Klienten immer wieder: »Was empfinden Sie bei ... ?« und erkennen viel später hang mit irgendeinem Ereignis in der Gruppe.
erst, dass sie von ihm verlangt haben, er solle rasch lernen, eine fremde Sprache zu Therapeuten müssen sich davor hüten, Ereignisse nur im Sinne ihres eigenen Erle­
sprechen. Zuerst werden die Mitglieder sehr aktiv, bei der Lösung dessen zu helfen, was bens zu beurteilen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass Klienten ein Ereignis völ­
ihnen zunächst als geringfügiges Leiden erscheint, indem sie anfangen, dem schizoiden lig anders als andere Menschen erleben können: Etwas, das Ihnen oder einem anderen
Klienten zu sagen, was sie empfinden würden, wenn sie in seiner Lage wären. Schließ­ Gruppenmitglied als unwichtig erscheint, ist für sie äußerst wichtig. Eine leichte Ge­
lich werden die Gruppenmitglieder dessen müde. Frustration setzt ein. Sie verdoppeln reiztheit, die ein in seinem Ausdruck eingeschränkter schizoider Klient zeigt, kann für
ihre Anstrengungen - fast immer ohne merkliche Erfolge. Die Gruppe macht noch eif­ den Betreffenden ein wichtiger Durchbruch sein. Es kann sein, dass der Klient hier
rigere Anstrengungen in dem Versuch, dadurch eine affektive Reaktion zu erzwingen, zum ersten Mal in seinem Erwachsenenleben Wut geäußert hat, was ihn weiter befähi­
dass sie die Reizstärke erhöht. Schließlich wird die Holzhammermethode verwendet. gen kann, neue Verhaltensweisen in der Gruppe und außerhalb auszuprobieren.
Der Therapeut muss es vermeiden, sich an dem Streben nach einem Durchbruch In der Gruppe sind diese Klienten ein großes Risiko oder aber auch sehr entwick­
zu beteiligen. Ich habe es nie erlebt, dass ein schizoider Klient sich durch einen drama­ lungsfähig. Diejenigen, die in der Gruppe durchhalten und sich nicht entmutigen las­
tischen Vorfall wesentlich geändert hätte; Veränderung ist ein prosaischer Vorgang sen durch ihre Unfähigkeit, den Stil ihrer Beziehungen rasch zu ändern, werden ziem­
mühsamer Arbeit, wiederholter kleiner Schritte und fast unmerklichen Vorankom­ lich sicher von der Gruppentherapieerfahrung erheblich profitieren.
mens. Es ist verlockend und häufig nützlich, aktivierende, nonverbale oder Gestalt­
Techniken zu verwenden, um einen Klienten voranzutreiben. Diese Methoden be­ Klienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung
schleunigen vielleicht die Erkenntnis und Äußerung entstehender oder verdrängter Psychotherapeuten kennen seit Jahrzehnten ein großes Konglomerat von Klienten, die
Gefühle durch den Klienten; man darf aber nicht vergessen, dass die Gruppe, wenn ungewöhnlich schwierig zu behandeln und mit den diagnostischen Hauptkriterien der
man im Übermaß lenkende einzeltherapeutische Arbeit leistet, weniger potent, weni­ Schwere der Störung nicht zu erfassen sind: Sie sind desorganisierter als neurotische
ger selbstständig, abhängiger und mehr leiterzentriert wird. (Ich werde über diese Prob­ Klienten, aber integrierter als psychotische. Ihre äußere Fassade der Integration ist
leme in Kapitel 14 ausführlich sprechen.) Weiterhin benötigen schizoide Klienten nicht dünn und verbirgt eine primitive Persönlichkeitsstruktur. Unter Stress sind diese Bor­
nur neue Fertigkeiten, sondern noch wichtiger ist, dass sie ein neues internalisiertes derline-Klienten sehr instabil: bei ihnen entwickeln sich Psychosen, die der Schizo­
Erleben der Welt der Beziehungen brauchen - und dies zu entwickeln, erfordert Zeit, phrenie ähneln, aber begrenzt, kurzlebig und episodenhaft sind.
Geduld und Ausdauer. Im DSM-IV-TR heißt es, die Borderline-Persönlichkeitsstörung sei ein »tief greifen­
In Kapitel 6 habe ich mehrere Techniken zur Aktivierung im Hier und Jetzt be­ des Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und
schrieben, die für die Arbeit mit schizoiden Klienten nützlich sein können. Arbeiten in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität« , das vorliege, wenn mindestens fünf
Sie mit Energie im Hier und Jetzt. Ermutigen Sie den Klienten, zwischen den Mitglie­ der folgenden neun Kriterien erfüllt seien: ( 1 ) verzweifeltes Bemühen, tatsächliches
dern zu differenzieren; obwohl er es behauptet, empfindet der Klient nicht gegenüber oder erwartetes Verlassenwerden zu vermeiden; (2) instabile und intensive interperso­
jedem in der Gruppe genau gleich. Helfen Sie derartigen Klienten, sich in Gefühle hin­ nale Beziehungen, für die ein ständiger Wechsel zwischen den Extremen der Idealisie­
einzubegeben, die sie als unwichtig abtun. Wenn der Klient zugibt: »Na ja, vielleicht rung und der Entwertung charakteristisch ist; (3) Identitätsstörungen und ein deutlich
bin ich etwas gereizt oder ein wenig gekränkt . . . «, schlagen Sie ihm vor, bei diesen Ge­ gestörtes, verzerrtes oder instabiles Selbstbild oder Selbstgefühl; ( 4) Impulsivität in
fühlen zu bleiben; niemand hat jemals gesagt, nur über große Gefühle lohne es sich zu mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen wie Substanzmissbrauch,
sprechen. »Schauen Sie sich das Gekränktsein unter einem Vergrößerungsglas an« , unverantwortlichen Geldausgaben, risikoreichem Sexualverhalten, Fressanfällen und
könnten Sie vorschlagen, »beschreiben Sie genau, wie es ist.« Versuchen Sie, die übli­ rücksichtslosem Autofahren; (5) wiederholte Selbstmorddrohungen oder Selbstmord­
chen Vermeidungsmethoden des Klienten zu unterbinden: »Irgendwie haben Sie sich verhaltensweisen oder Selbstverstümmelung; (6) affektive Instabilität aufgrund einer
von etwas entfernt, das wichtig schien. Können wir dahin zurückgehen, wo wir vor ausgeprägten Stimmungsreaktivität; (7) chronische Gefühle der Leere; (8) unangemes­
fünf Minuten waren? Als Sie mit Julie gesprochen haben, kam es mir vor, als seien Sie sen starker Ärger oder Mangel an Kontrolle über Ärger; (9) stressverursachte parano­
den Tränen nahe. Irgendetwas ist in Ihnen vorgegangen.«71 ide Vorstellungen oder schwerwiegende dissoziative Symptome.36

458 459
In den letzten Jahren ist man, besonders dank der Arbeit von Otto Kemberg, zu Man bedenke, dass die Pathologie der Klienten den behandelnden Therapeuten viel
größerer Klarheit über Borderline-Klienten gelangt. Er hat die allbeherrschende Insta­ abverlangt, denn sie werden manchmal frustriert sein, weil es ihnen nicht gelingt, in
bilität des Borderline-Klienten unterstrichen - Instabilität der Stimmung, des Denkens der Therapie beständige Verbesserungen zu erzielen, und in anderen Situationen wer­
und der interpersonalen Kontakte.37 Dennoch mangelt es dieser Kategorie immer noch den sie den starken Wunsch verspüren, die Klienten zu retten oder ihretwegen sogar
an Präzision, ihre Reliabilität ist unbefriedigend,38 und fungiert dient sie als Sammel­ die traditionellen Verfahrensweisen und Grenzen der Therapiesituation zu verändern.
becken für Persönlichkeitsstörungen, die Kliniker diagnostisch nicht anderweitig ein­ Man bedenke weiterhin, dass viele Therapeuten _für Borderline-Klienten eine Grup­
zuordnen vermögen. Deshalb ist zu erwarten, dass der Borderline-Persönlichkeitsstö­ pentherapie nicht deshalb vorschlagen, weil diese Klienten in Therapiegruppen gut oder
rung in zukünftigen Klassifikationssystemen weitere Veränderungen bevorstehen. leicht arbeiten, sondern weil es außerordentlich schwierig ist, sie in Einzeltherapie zu be­
Obwohl über die Psychodynamik und den entwicklungsgeschichtlichen Ursprung handeln.
der Borderline-Persönlichkeitsstörung viel debattiert worden ist,39 ist diese Diskussion Einzeltherapeuten stellen häufig fest, dass Klienten mit einer Borderline-Persön­
für die Gruppentherapie nicht besonders relevant und muss deshalb hier nicht behan­ lichkeitsstörung die Intensität und Nähe, die mit einer Einzelbehandlung verbunden
delt werden. Für Gruppentherapeuten wichtig ist, wie ich immer wieder betont habe, sind, nur schwer ertragen können. In der Therapie treten ausnahmslos lähmende
nicht die schwer fassbare und noch schwerer beantwortbare Frage, wie man so gewor­ Übertragungs- und Gegenübertragungsprobleme auf. Den Therapeuten fällt es oft
den ist, wie man ist, sondern das Wesen der aktuell wirksamen Kräfte, sowohl der be­ schwer, mit den Forderungen und der undifferenzierten Wut des Borderline-Klienten
wussten als auch der unbewussten, die Einfluss darauf haben, wie Klienten charakte­ fertig zu werden, insbesondere, weil der Klient sie so oft »ausagiert« (zum Beispiel
rologischen Problemen zu anderen Menschen in Beziehung treten. durch Fortbleiben, Zuspätkommen, Drogenmissbrauch oder Selbstverstümmelung).
Oft tritt eine starke Regression ein, und viele Klienten fühlen sich durch das Auftau­
Nicht nur das Interesse an der Diagnose, der Psychodynamik und der Einzeltherapie chen schmerzlicher primitiver Aspekte so bedroht, dass sie sich dem therapeutischen
des Borderline-Klienten ist in neuerer Zeit stark angestiegen, sondern auch ein Groß­ Engagement entziehen oder den Therapeuten dazu bringen, sie zurückzuweisen. Ob­
teil der gruppentherapeutischen Literatur hat ihr Augenmerk auf die Borderline-Per­ gleich die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse dafür sprechen, dass die Grup­
sönlichkeitsstörung gerichtet. Gruppentherapeuten haben aus zwei Hauptgründen be­ pentherapie für diese Klienten sehr nützlich sein kann, stellen sie für den Gruppenthe­
gonnen, sich für diese Klienten zu interessieren. Erstens: Es ist schwierig, Borderline­ rapeuten eine außerordentliche Herausforderung dar: Ihre primitiven Affekte und ihre
Klienten in einer einzigen Vorbereitungssitzung zu diagnostizieren. Daher nehmen Tendenz zu einer stark verzerrten Wahrnehmung beeinflussen den Verlauf einer Grup­
viele Kliniker ungewollt Borderline-Klienten in Therapiegruppen auf, die aus Mitglie­ pentherapie enorm und stellen die Ressourcen der Gruppe auf eine harte Probe. Die
dern auf höherer Integrationsebene bestehen. Zweitens häufen sich Hinweise, denen Therapie dauert bei solchen Klienten lange: Es besteht ein breiter klinischer Konsens
zufolge eine Gruppentherapie in solchen Fällen eine wirksame Behandlungsform ist. darüber, dass Klienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen viele Jahre therapeu­
Einige der eindrucksvollsten Untersuchungsergebnisse stammen aus homogenen und tisch betreut werden müssen und dass sie in Gruppen in der Regel länger bleiben als
intensiven Teilhospitalisierungsprogrammen, in denen Therapiegruppen Klienten mit alle anderen Gruppenmitglieder.
Borderline-Persönlichkeitsstörungen Halt und emotionale Unterstützung bieten und Trennungsangst spielt in der Dynamik des Borderline-Klienten eine entscheidende
ihnen interpersonales Lernen ermöglichen, während sie gleichzeitig persönliche Zu­ Rolle. Eine drohende Trennung ( der Urlaub des Therapeuten beispielsweise, und
verlässigkeit von ihnen fordern, und dies in einer Umgebung, die regressiven Ten­ manchmal sogar das Ende einer Sitzung) ruft in der Regel starke Angst hervor und ak­
denzen und einer ungesunden Intensivierung von übertragungsreaktionen entgegen­ tiviert die für dieses Syndrom charakteristischen Abwehrmechanismen: Abspaltung,
wirkt. Verschiedene Studien berichten über signifikante und dauerhafte Verbesse­ projektive Identifikation, Entwertung, Flucht.
rungen der Stimmungslage, der psychosozialen Stabilität und der Tendenz zu selbst­ Die Therapiegruppe kann die Trennungsangst möglicherweise auf zwei Arten mil­
schädigendem Verhalten.40 dern. Erstens halten ein oder (besser) zwei Gruppentherapeuten in das Leben des Kli­
Die meisten Borderline-Klienten werden jedoch wahrscheinlich in heterogenen enten Einzug, wodurch er vor der starken Dysphorie bewahrt wird, die auftritt, wenn
ambulanten Gruppen behandelt. Diesbezüglich häufen sich die Belege dafür, dass eine ein Einzeltherapeut nicht erreichbar ist. Zweitens wird die Gruppe selbst zu einer zu­
kombinierte und gleichzeitige einzel- und gruppentherapeutische Behandlung bei Kli­ verlässigen Institution im Leben des Klienten, die auch dann weiter existiert, wenn ei­
enten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen die beste Strategie ist. Manche Exper­ nige Gruppenmitglieder bei einer Sitzung nicht anwesend sind. Wiederholte Verluste
ten sind zu dem Schluss gelangt, dass die bevorzugte Behandlung eine kombinierte Be­ ( d. h. die Beendigung der Therapie durch Mitglieder) im Rahmen des gesicherten Wei­
handlung mit zwei Gruppensitzungen und einer Einzelsitzung wöchentlich ist. Außer­ terexistierens der Gruppe helfen den Klienten, sich mit ihrer extremen Sensibilität ge­
dem zeigen Forschungsergebnisse, dass diese Klienten ihre Gruppentherapieerfahrung genüber Verlusten auseinanderzusetzen. Die Therapiegruppe bietet eine einzigartige
sehr schätzen - oft mehr als ihre Einzeltherapieerfahrung.41 Gelegenheit, den Verlust einer wichtigen Beziehung in der tröstlichen Gegenwart an-

460 461
derer zu betrauern, die sich gleichzeitig mit ähnlichen Verlusten auseinandersetzen. Wut a us. Vielleicht, schlug ein Mitglied vor, hasste sie i h n so sehr, weil sie i h m näher
Reale Beziehungen können den starken Hunger auslösen, den Borderline-Klienten ver­ sein wolle u n d ü berzeugt wa r, dass dies niemals geschehen kön ne. D ieses Feedback
spüren, doch geschieht dies im Rahmen einer Gruppe in einer Situation, die in stärke­ hatte eine dramatische Wirkung a uf Marge. Es traf n icht nur ihre Gefü h le bezüglich des
rem Maße durch gleichberechtigten Austausch gekennzeichnet ist, und es geschieht auf Therapeuten, sondern auch tiefe, konfl iktreiche Gefü hle ihrer Mutter gegenü ber. Nach
weniger intensive Weise.42 Wenn ein Borderline-Klient Vertrauen zur Gruppe fasst, und nach legte sich ihr Zorn, u nd sie besch rieb i h re Sehnsucht nach einer andersgear­
kann er einen wichtigen stabilisierenden Einfluss ausüben. Weil diese Klienten eine so teten Bezie h u ng zu dem Therapeuten. Sie ä u ßerte ebenfa l l s Tra uer ü ber i h re lsoliert­
starke Trennungsangst haben und sie so sehr darauf bedacht sind, sich die ständige An­ heit i n der Gruppe und beschrieb ihren Wunsch nach mehr Nähe zu anderen Mitglie­
wesenheit wichtiger Personen in ihrer Umgebung zu sichern, tragen sie dazu bei, die dern. Einige Wochen nach der Rückkehr des »schlechten« Therapeuten hatte sich ihre
Gruppe zusammenzuhalten; oft nehmen sie am regelmäßigsten an den Sitzungen teil, Wut gen ügend gelegt, dass sie m it ihm a uf eine sanftere, produ ktivere Art und Weise
und sie machen anderen Gruppenmitgliedern Vorhaltungen, wenn diese Sitzungen a rbeiten konnte.
versäumen oder zu spät kommen.
Einer der wichtigsten Vorteile, die eine Therapiegruppe für die Behandlung eines Dieses Beispiel veranschaulicht, wie die Situation in der Gruppentherapie auf vielerlei
Borderline-Klienten bietet, ist die wirksame Realitätsprüfung, die durch den dauern­ Arten intensive und lähmende Übertragungsverzerrungen reduzieren kann. Erstens
den Strom von Feedback und Beobachtungen der anderen Gruppenmitglieder erfolgt. boten andere Mitglieder andere Sichtweisen des Therapeuten, was Marge schließlich
Die Regression des Borderline-Klienten ist also viel weniger ausgeprägt. Der Klient half, ihre eigene verzerrte Sicht zu korrigieren. (Marges Schwanken zwischen Entwer­
kann verzerren, agieren oder primitive, chaotische Bedürfnisse und Ängste äußern, tung und Idealisierung der Therapeuten ist übrigens typisch für Borderline-Klienten
aber die ständige Erinnerung an die Realität in der Therapiegruppe hält diese Gefühle in einer Gruppentherapie.) Zweitens sind Borderline-Klienten, die starke negative
in Grenzen. Übertragungsreaktionen entwickeln, in der Lage, in der Gruppe weiterzuarbeiten, weil
sie so oft gegensätzliche, ausgleichende Gefühle gegenüber dem Co-Therapeuten oder
Die 42-jäh rige Marge hatte von i h rem erfolglosen Einzeltherapeuten die Empfeh l u ng gegenüber anderen Gruppenmitgliedern entwickeln.43 Ebenso kann man einem Kli­
erha lten, es einmal m it einer Gru ppenthera pie zu versuchen. Ma rges schwa n kte zwi­ enten gestatten, an den Gruppensitzungen zeitweise nicht oder auf eine weniger inten­
schen starker Wut auf i h ren Therapeuten und H u nger nach ihm. Ihre Gefü hle waren so sive Weise teilzunehmen. Eine solche zeitweilige Erholung von intensiver Arbeit ist in
intensiv, dass es nicht möglich wa r, an ihnen zu arbeiten. Der Einzeltherapeut wa r n icht einer Einzeltherapie kaum möglich.
weit davon entfernt gewesen, d i e Therapie ei nfach abzu brechen; i h r einen Platz in Die psychotherapeutische Berufsethik ist in einer Gruppe oft klarer zu erkennen. In
einer Therapiegruppe zu verschaffen war sein letzter Ausweg gewesen. einer Einzeltherapie mit einem Borderline-Klienten kann es vorkommen, dass nie eine
Bei m Ei ntritt in d ie Gru ppe weigerte sich Marge ü ber mehrere Sitzu ngen h i nweg zu therapeutische Allianz entsteht.44 Manche dieser Klienten verlieren das Ziel der persön­
sprechen, wei l sie hera usfi nden wol lte, wie die Gruppe lief. Nach vier Sitzu ngen, in de­ lichen Veränderung aus dem Blick und verwenden ihre Energie stattdessen darauf, sich
nen sie geschwiegen hatte, griff sie plötzlich einen der beiden Gruppen leiter vehement für erlittenen Schmerz zu rächen oder vom Therapeuten Genugtuung zu verlangen.
an und n a n nte i h n kalt, mächtig u nd z u rückweisend. Außer i h rem Gefü h l a u s dem Das Miterleben der Arbeit anderer Gruppenmitglieder an Therapiezielen fungiert häu­
Bauch heraus ga b sie keine Gründe oder H i nweise fü r ihre Bemerku ngen an. Außerdem fig als wichtiges Korrektiv einer von ihrer Zielsetzung abgekommenen Therapie.
ä u ßerte sie Verachtung für jene M itglieder der Gru ppe, die d iesem Co-Therapeuten Weil die zentralen Probleme von Borderline-Klienten im Bereich der Nähe liegen,
gegenüber Zuneigung empfanden. ist der therapeutische Faktor Kohäsivität bei ihnen oft entscheidend. Wenn diese Kli­
Ihre Gefü hle dem a nderen Leiter gegen ü ber waren entgegengesetzter Art: Sie erlebte enten in der Lage sind, die Realitätsprüfung, die ihm die Gruppe bietet, anzunehmen,
i h n a l s weich, warm u nd fü rsorglich. Andere Klienten waren e rschrocken ü ber i h re und wenn ihr Verhalten nicht so störend ist, dass sie sich selbst in die Rolle des ständi­
schwa rz-weiße Sicht des Co-Therapeuten und d rängten sie erfolglos, a n i h rer sta rken gen Regelverletzers oder des Sündenbocks befördern, kann die Gruppe für sie eine po­
Neigung zu Verurteilung u nd Wut zu a rbeiten. I h re positive Bindung an den einen Lei­ sitive, haltende Umgebung werden - eine ungeheuer wichtige Zuflucht vor den Belas­
ter zügelte sie gen ügend, um e i n Verbleiben in der Gruppe zu erl a u ben, u nd machte es tungen, denen sie im Alltagsleben ausgesetzt sind. Das Zugehörigkeitsgefühl des Bor­
ihr möglich, die i ntensiven feindlichen Gefü hle dem anderen Leiter gege n ü ber a uszu­ derline-Klienten wird durch den Umstand gesteigert, dass er für die Therapiegruppe
halten u nd in der G ru ppe an a nderen Problemen zu a rbeiten - obwohl sie zeitweise oft ein wichtiges Mitglied ist. Weil er einen leichten Zugang zu Affekten, unbewussten
wieder darauf verfiel, den verhassten Leiter anzugreifen. Bedürfnissen, Fantasien und Ängsten hat, kann seine Anwesenheit auf eine Gruppe
E i ne merkliche Verä nderung trat m it dem Urla u b des »sch lechten« Therapeuten ein. auflockernd wirken und die therapeutische Arbeit fördern, insbesondere die Therapie
Als Marge einer Fa ntasie Ausdruck verlieh, i h n u m bri ngen oder z u m i ndest leiden se­ schizoider und stark gehemmter Klienten. Natürlich kann dies ein zweischneidiges
hen zu wol len, drückten andere Mitglieder i h r Ersta u nen ü ber den G rad von Ma rges Schwert sein. Es kann sein, dass sich einige Gruppenmitglieder aufgrund der starken

462 463
Wutanfälle und der allgemeinen Negativität des Borderline-Klienten sehr unwohl füh­ Die Essenz der Probleme narzisstischer Persönlichkeiten wird durch die diagnosti­
len; dies kann die Arbeit von Gruppenmitgliedern beeinträchtigen, die Opfer von schen Kriterien des DSM-IV-TR für diese Persönlichkeitsstörung recht gut erfasst. Eine
Missbrauch, Misshandlungen oder Traumata sind.45 Diagnose der narzisstischen Persönlichkeitsstörung setzt voraus, dass mindestens fünf
Verletzlichkeit und Verzerrungstendenz des Borderline-Klienten sind so extrem, der folgenden neun Kriterien erfüllt sind: (1) übertriebene Einschätzung der eigenen
dass im Allgemeinen kombinierte oder gleichzeitige Einzel- und Gruppentherapie er­ Bedeutung; (2) starke Beschäftigung mit Fantasien über grenzenlosen Erfolg, Macht,
forderlich ist. Viele Therapeuten nehmen an, dass der häufigste Grund für ein Schei­ Glanz, Schönheit oder ideale Liebe; (3) die Überzeugung, etwas Besonderes zu sein
tern der Behandlung von Borderline-Klienten in Therapiegruppen die Unterlassung und nur von anderen herausragenden oder hoch angesehenen Persönlichkeiten ver­
unterstützender Einzeltherapie ist.46 Falls sie gleichzeitig eine Einzeltherapie erhalten, standen werden zu können; (4) Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung; (5) An­
ist es wichtig, dass ihre Therapeuten sich ständig austauschen. Weil die Gefahr einer spruchsdenken; (6) ausbeuterisches Verhalten im Umgang mit anderen Menschen; (7)
Spaltung groß ist, muss der Klient die Therapeuten als verlässliches Team erleben. Mangel an Empathie; (8) häufiger Neid auf andere; (9) arrogantes, herablassendes Ver­
Trotz der heroischen diagnostischen Bemühungen des DSM-IV stellt die Border­ halten.49
line-Persönlichkeitsstörung keine homogene diagnostische Kategorie dar. Ein Border­ Vielfach zeigen Menschen mit narzisstischen Problemen Merkmale von Größen­
line-Klient kann sich von einem anderen deutlich unterscheiden. Der häufig hospita­ wahn, das Bedürfnis, von anderen bewundert zu werden, und einen Mangel an Empa­
lisierte chaotische Klient unterscheidet sich stark (und hat einen ganz anderen Thera­ thie. Außerdem ist ihre Emotionalität oft sehr oberflächlich, sie haben wenig Freude
pieverlauf) von dem weniger schwer gestörten Klienten mit einem unverankerten am Leben, es sei denn, andere zollen ihnen Anerkennung, und sie neigen dazu, die­
Selbst.47 Die Entscheidung, ob man einen Borderline-Klienten in eine Gruppe aufneh­ jenigen, von denen sie keine Bestätigung ihres Narzissmus erwarten, herabzusetzen.50
men soll, hängt also von den Eigenschaften dessen ab, der in Erwägung gezogen wird, Ihr Selbstwertgefühl ist fragil und schrumpft leicht, was bei ihnen häufig Empörung
und nicht von der weitgefassten diagnostischen Kategorie. Der Therapeut muss nicht gegenüber dem Urheber der Beleidigung erzeugt.
nur die Fähigkeit eines Klienten, die Intensität der Therapiegruppe zu ertragen, richtig Ein adäquater Narzissmus, eine gesunde Eigenliebe, ist für die Entwicklung von
beurteilen, sondern auch die Fähigkeit der Gruppe, den Forderungen des betreffenden Selbstachtung und Selbstvertrauen unerlässlich. übermäßige Eigenliebe nimmt die
Klienten gewachsen zu sein. Die meisten heterogenen Gruppen für Klienten in ambu­ Form des Narzissmus an - die Liebe zu anderen ist nicht mehr möglich; man übersieht
lanter Behandlung können möglicherweise einen, jedoch höchstens zwei Klienten mit dabei die Tatsache, dass andere fühlende Wesen sind, dass auch andere ein Ich haben,
einer Borderline-Persönlichkeitsstörung verkraften. Die Hauptüberlegungen, die den von denen jedes eine einzigartige Welt aufbaut und erlebt. In der Extremform sind
Auswahlprozess beeinflussen, sind die gleichen wie die in Kapitel 8 beschriebenen. Es Narzissten Solipsisten, welche die Welt und andere Menschen so erleben, als seien sie
ist besonders wichtig, die Wahrscheinlichkeit richtig einzuschätzen, dass der Klient in nur für sie da.
der Gruppe zum Abweichler wird. Eine Starrheit der Verhaltensmuster, besonders sol­
cher, die dem Betreffenden andere zum Feind machen könnten, sollten sorgfältig un­ Allgemeine Probleme: Der narzisstische Klient hat in der Gruppe im Allgemeinen einen
tersucht werden. Klienten, die sich auffallend grandios, verächtlich und hochmütig ge­ stürmischeren, aber produktiveren Behandlungsverlauf als in der Einzeltherapie. Tat­
ben, haben in einer Gruppe wahrscheinlich keine gute Zukunft vor sich. Ein Klient sächlich liefert die Einzeltherapie dem Klienten so viel Befriedigung, dass sein Kern­
muss fähig sein, geringe Mengen von Frustration oder Kritik zu ertragen, ohne zu agie­ problem viel langsamer zutage tritt: Jedes Wort des Klienten wird gehört, jedes Gefühl,
ren. Wenn er früher unregelmäßig gearbeitet und viele wechselnde Beziehungen ge­ jede Fantasie und jeder Traum wird untersucht; dem Klienten wird alles gegeben, und
habt hat oder immer wieder rasch von einer Situation in eine neue geflüchtet ist, weil nur wenig wird von ihm gefordert.
er in einer alten leicht frustriert war, so wird er in einer Therapiegruppe wahrschein­ In der Gruppe jedoch wird von dem Klienten erwartet, sich die Zeit mit anderen zu
lich ähnlich reagieren. teilen, sie zu verstehen, sich in sie einzufühlen, ihnen zu helfen, Beziehungen zu ihnen
herzustellen, sich um die Gefühle anderer zu kümmern und auch konstruktives,
Der narzisstische Klient manchmal jedoch kritisches Feedback zu akzeptieren. Narzisstische Klienten fühlen
Man kann den Begriff narzisstisch auf unterschiedliche Weisen anwenden. Es ist sinn­ sich oft erst dann lebendig, wenn sie im Rampenlicht stehen: Die Nützlichkeit der
voll, sich narzisstische Klienten nicht als eine enge diagnostische Kategorie, sondern als Gruppe für sich beurteilen sie nach der Zeit, die sie in der Gruppe für sich beanspru­
ein ganzes Spektrum und eine Dimension von Beschwerden vorzustellen.48 Zwar exis­ chen können. Sie verteidigen ihre Besonderheit nachdrücklich und erheben oft Ein­
tiert eine formelle Diagnose, die narzisstische Persönlichkeitsstörung, mit der wir uns wände, wenn jemand auf Ähnlichkeiten zwischen ihnen und anderen Mitgliedern hin­
in Kürze befassen werden, doch gibt es andererseits auch viele Menschen mit narziss­ weist. Aus demselben Grund wehren sie sich dagegen, bei Gesamtgruppendeutungen
tischen Eigenschaften, die im Laufe einer Gruppentherapie bestimmte charakteristi­ mit den anderen Mitgliedern zusammengefasst zu werden.
sche interpersonale Probleme erzeugen. Möglicherweise reagieren sie auf einen wichtigen therapeutischen Faktor negativ

464 465
- beispielsweise auf Kohäsivität und Universalität des Leidens. Einer Gruppe anzuge­ ligte sich an der Gruppena rbeit auf eine sehr eigenwillige Weise: Sie bestand darauf,
hören, wie andere zu sein, erleben sie manchmal als gleichmacherisch und entwertend. den anderen Gruppenm itgliedern jede Woche ausführlich über sämtliche Einzelheiten
Die Gruppensituation bringt die Schwierigkeiten narzisstischer Klienten in Beziehun­ ihres Lebens und besonders ü ber ihre Männerbeziehungen, ihr drückendstes Problem,
gen schnell ans Licht. Andere Gruppenmitglieder fühlen sich ihnen gegenüber wenig zu berichten. Viele d ieser Einzelheiten waren marginal, a ber in ihrem Anspruch auf d ie
mitfühlend, weil sie kaum jemals die Verletzlichkeit sehen, die unter dem grandiosen Gruppe war sie beharrlich (ganz ähnlich wie in der Phase der frühen Kindheit, die man
und exhibitionistischen Verhalten verborgen ist, ein verletzlicher Kern, den narzissti­ überschreiben könnte: »Schau mal, was ich kann«). Es schien für die Gruppe keine Mög­
sche Klienten oft gut verborgen halten. 5 1 lichkeit zu geben, sich zu Ruth in Beziehung zu setzen, als ihr »zuzuschauen«, sonst
füh lte sie sich völ l ig a bgelehnt. Sie bestand darauf, dass Freundschaft darin bestehe,
Die Klientin Vicky ü bte oft Kritik an der Gruppentherapie, indem sie Bemerkungen über intime Details des Lebens miteinander zu teilen; wir erfuh ren jedoch durch ein Ge­
ihre Vorliebe für die Einzeltherapie machte. Sie verlieh ihrer Einstellung häufig dadurch spräch mit einem inzwischen aus der Gruppe ausgeschiedenen Mitglied, dass Ruth sie
Nachdruck, dass sie psychoanalytische Literatur zitierte, in der man sich kritisch gegen­ regelmäßig zu abendlichen Geselligkeiten einlud - doch sagte diese Klientin, sie könne
ü ber der Methodik der G ruppentherapie geäuße rt hatte. Sie war verbittert darüber, es nicht mehr ertragen, mit Ruth zusammen zu sein, weil d iese dazu neige, Freunde
dass sie die Zeit in der Gruppe mit a nderen teilen musste. Eines Tages zum Beispiel, a ls ähnl ich zu benutzen wie einen Analytiker: a ls i m mer geduldiges, immer besorgtes,
die Sitzung schon zu d rei Vierteln vorüber war, bemerkte der Thera peut, er sehe, dass immer a ufna hmebereites Ohr.
Vicky und John stark unter Druck stünden. Beide gaben zu, dass sie an dem Tag Zeit in
der Sitzung brauchten und wollten. Nach einem Augenblick des Unbehagens gab John Einige narzisstische Klienten, die zutiefst das Gefühl haben, etwas Besonderes zu sein,
nach und sagte, sein Problem könne wohl bis zur nächsten Sitzung warten. Vicky nahm meinen, sie verdienten nicht nur ein Maximum an Aufmerksamkeit der Gruppe, son­
den Rest der Sitzung in Anspruch und fuhr beim nächsten Mal fort, wo sie aufgehört dern diese solle sich ihnen auch zuwenden, wenn sie selbst sich in keinerlei Hinsicht
hatte. Als klar wurde, dass sie die Absicht hatte, wieder die gesamte Sitzung für sich zu darum bemühten. Sie erwarten Geschenke, Überraschungen, Komplimente, obwohl
nutzen, merkte eines der Mitglieder an, man habe John in der letzten Sitzung »hängen sie selbst nichts geben. Sie erwarten Anteilnahme, obwohl sie selber keine zeigen. Sie
lassen«. Es gab a ber keinen einfachen Ü bergang, da der Therapeut darauf hinwies, dass rechnen damit, dass sie Wut und Verachtung äußern dürfen, von Vergeltung aber ver­
nur Vicky die G ruppe freigeben könne und sie keinerlei Anzeichen dafür gebe, d ies frei­ schont bleiben. Sie erwarten, dass man sie liebt und bewundert, nur weil sie da sind.
willig zu tun. (Vicky war in schmollendes Schweigen verfallen.) Besonders ausgeprägt habe ich diese Haltung bei schönen Frauen gesehen, die ihr
Trotzdem wandte sich d ie Gru ppe John zu, der inmitten einer heftigen Lebenskrise Leben lang einfach wegen ihrer Erscheinung und ihrer Anwesenheit gelobt worden
steckte. John stellte seine Lage dar, a ber es kam keine gute Arbeit zustande. Ganz am sind.
Ende der Sitzung begann Vicky still zu weinen. Die Gruppenmitglieder wandten sich ihr In der Gruppe ist deutlich zu sehen, dass diese Klienten andere weder bemerken
zu in der Meinung, sie weine um Johns willen. Aber sie weine, sagte sie, um all die Zeit, noch gar Mitgefühl mit ihnen haben. Nach einigen Sitzungen stellen die Mitglieder all­
die für John verschwendet worden sei - Zeit, die sie so viel besser hätte nutzen können. mählich fest, dass der Klient in der Gruppe zwar persönliche Arbeit leistet, aber nie­
Mindestens ein Jahr lang konnte Vicky nicht begreifen, dass ein Vorfall dieser Art nicht mals andere fragt, unterstützt oder ihnen beisteht. Der narzisstische Klient kann seine
bedeutete, dass sie mit einer Einzeltherapie besser fah ren würde. Ganz i m Gegenteil: Lebenserfahrungen begeistert beschreiben, ist aber ein miserabler Zuhörer und lang­
Die Tatsache, dass solche Schwierigkeiten in der G ruppe a uftauchten, war genau der weilt sich oder wird schläfrig, wenn andere sprechen. Ein narzisstisch veranlagter Kli­
Grund, weshalb die Gruppenmethode für sie besonders a ngebracht war. ent schlief in Gruppensitzungen häufig ein, wenn die Themen, über die gesprochen
wurde, für ihn nicht unm ittelbar relevant waren. Als er auf diese Eigenart angespro­
Obgleich narzisstische Klienten durch ihr Betteln um Aufmerksamkeit, das sowohl in chen wurde, bat er die Gruppe um Nachsicht, weil er einen so langen und harten Ar­
der Gruppe als auch in ihrem normalen Lebenszusammenhang so oft unerfüllt bleibt, beitstag hinter sich hätte (obwohl er oft arbeitslos war - was er wiederum darauf zu­
frustriert sind, stellt eben dieses Aktivieren der Frustration für eine Gruppentherapie rückführte, dass seine Arbeitgeber seine besonderen Fähigkeiten nicht hätten erkennen
einen wichtigen Vorteil dar. Außerdem wird auch die Gruppe katalysiert: Andere Kli­ können). Manchmal ist es nützlich, auf die Tatsache hinzuweisen, dass es im Leben nur
enten profitieren davon, dass sie sich gegen die Gier des Narzissten nach Aufmerksam­ eine einzige Beziehung gibt, in der ein Mensch ständig etwas empfangen kann, ohne
keit massiv zur Wehr setzen müssen und dass wenig selbstbewusste Klienten die Mög­ selbst etwas geben zu müssen - die Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem
lichkeit haben, sich Aspekte seines Verhaltens zum Vorbild zu nehmen. Baby.
In Kapitel 1 2 habe ich in dem langen Bericht über die Beziehung zwischen Bill und
Ruth, eine andere narzisstische Klientin, die in die Therapiegruppe gekommen war, wei l Jan viele von Bills narzisstischen Attitüden beschrieben, sich zu anderen in Beziehung
sie nicht in der Lage war, eine tiefer reichende Beziehungen aufrechterzuhalten, betei- zu setzen. In einer Bemerkung, die er an Gina, die andere Frau in der Gruppe, nach

466 467
16 Monaten gemeinsamer Sitzungen richtete, kam sein Unvermögen zum Vorschein, Zorns, sowohl des eigenen a l s auch des Gegners, ä u ßerst bed roht. Viele der anderen
die Welt vom Standpunkt eines anderen aus zu betrachten. Er sagte wehmütig, er be­ G ruppen m itglieder äu ßerten Beobachtu ngen und boten U nterstützung an. Va ls Reak­
dauere, dass zwischen ihnen niemals etwas gewesen sie. Gina korrigierte ihn scharf: tion war, dass sie nicht wisse, was es m it der ganzen Aufregung auf sich habe und dass
»Du meinst, nichts Sexuelles, aber für mich ist viel passiert. Du hast versucht, mich zu die beiden »Trottel « seien, weil sie sich wegen n ichts so aufregten.
verführen. Endlich einmal habe ich mich geweigert. Ich habe mich nicht in dich ver­ Ein paar M i n uten später sah Fa rre II, ein Mitglied, das i m mer sehr verschlossen und sti l l
liebt, und ich bin nicht mit dir ins Bett gegangen. Ich habe weder mich verraten noch gewesen war, sich genötigt, etwas meh r von sich zu erzä h len. Mit ziemlicher Entschlos­
meinen Mann. Ich habe dich kennen- und schätzen gelernt, mit all deinen Vorzügen sen heit offenbarte sie z u m erstenmal intime Ei nzel heiten von einer Beziehu ng, die sie
und Nachteilen. Heißt das, dass nichts passiert ist?« ein ige Zeit zuvor mit einem Mann eingega ngen wa r. Sie sprach von i h rer Angst, dass
Mehrere Monate nach dem Ende der Therapie bat ich Bill in einem Nachuntersu­ die Beziehung auseinanderbrechen würde, wei l sie sich verzweifelt Kinder wünschte
chungsgespräch, sich an einige der wichtigsten Ereignisse oder Wendepunkte in der u nd sie wieder einmal eine Beziehung begonnen hatte m it einem Mann, der deutlich
Therapie zu erinnern. Er beschrieb dann eine Sitzung gegen Ende der Therapie, bei der m achte, dass er keine Kinder wolle. Vie le Gruppe n m itglieder reagierten einfü h lsa m
die Gruppe eine Video-Aufnahme der vorangegangenen Sitzung angeschaut hatte. Bill u nd u nterstützend auf diese Offenba ru ng. Va l schwieg und bemerkte, als man sie frag­
war verblüfft, als er merkte, dass er den größten Teil der Sitzung völlig vergessen hatte te, sie kön ne erkennen, dass es Fa rre l l schwerfiele, darü ber zu sprechen, sie verstehe
und sich nur an die wenigen Stellen erinnerte, wo er im Zentrum gestanden hatte. Sei­ jedoch nicht, weshalb. »Mir schien das kei n e großartige Offenbarung zu sein.« Fa rrell
ne Egozentrik wurde ihm schlagartig klar, und es bestätigte sich, was die Gruppe ihm erwiderte: »Vielen Da n k, Va l, das gibt m i r ein tol les Gefü h l � es lässt m ich wünschen,
schon seit Monaten vergeblich zu vermitteln bemüht war. n ichts m it dir zu tun zu haben. Am l iebsten würde ich so viel Absta nd wie möglich
Viele Therapeuten unterscheiden zwischen dem überbefriedigten Narzissten, wie zwischen u ns bringen. «
Bill, und dem unterbefriedigten Narzissten, der eher depriviert und wütend, sogar ex­ Die Reaktion der Gru ppe auf Val wa r bei beiden E reign issen a ugenbl ickl ich u nd d i rekt.
plosiv ist. Das Gruppenverhalten des Letzteren wird von den anderen Mitgliedern Die beiden, denen Va l vorgeworfen hatte, sich wie Trottel zu beneh men, ließen sie wis­
missverstanden, die den Zorn als Angriff auf die Gruppe interpretieren statt als einen sen, dass sie sich von ihren Bemerku ngen hera bgewürdigt fü h lten. Der eine bemerkte:
letzten Versuch, das ansonsten ungeschützte Selbst zu verteidigen. Folglich wird diesen »Wenn jemand ü ber ein Problem redet, das du n icht hast, d a n n schiebst du es als un­
Klienten wenig Pflege für ihre unausgesprochenen Wunden und Defizite zuteil, und sie wichtig oder a l bern beiseite. Schau, ich habe n icht d i e Probleme, d ie d u d a m it hast,
schweben in der Gefahr, aus der Gruppe zu fliehen. Es ist sehr wichtig, dass ein Grup­ n icht genügend Komplimente von den Thera peuten oder den anderen Gruppe n m it­
pentherapeut die empathische Verbindung zu solchen Klienten aufrechterhält und gl iedern zu bekommen. Das ist fü r mich ga nz ei nfach kei n Problem. Wie wü rdest d u
sich auf ihre subjektive Welt konzentriert, insbesondere wenn sie sich herabgewürdigt d i c h fü hlen, w e n n i c h dich jedes mal e i n e n Trottel schim pfen würde, wen n d u dich
oder verletzt fühlen. In manchen Fällen muss er sogar als Anwalt auftreten, der den üb­ darüber beklagst?«
rigen Teilnehmern das emotionale Erleben solcher provokativer Gruppenmitglieder zu
erklären versucht.52 Hierzu ein Fallbeispiel. Diese Sitzung verdeutlicht mehrere Merkmale der Gruppenarbeit mit einem charakte­
rologisch schwierigen Klienten. Val war übermäßig feindselig und hatte in mehreren
Va l, eine narzisstische Klienti n, wa r beleidigend, wenig einfü h lsam u nd sel bst der lei­ früheren Versuchen zu einer Einzeltherapie eine intensive und lähmende negative
sesten Kritik gege n ü ber ä u ßerst e m pfi n d l ich. In einer Sitzung klagte sie a usfü h rlich Übertragung entwickelt. In dieser Sitzung äußerte sie verzerrte Wahrnehmungen der
darü ber, dass sie niemals U nterstützu n g oder Komplimente von i rgendjemandem in Therapeuten (dass sie ihr in 70 Sitzungen nur drei Komplimente gemacht hätten,
der G ru ppe erha lte, a m a l lerwenigsten von den Thera peuten. Tatsäch lich kön n e sie während sie die Klientin tatsächlich stark unterstützt hatten). In einer Einzeltherapie
sich n u r a n d rei positive, a n sie gerichtete Kommentare in den 70 Sitzu ngen, a n denen hätte Vals Verzerrung in eine Sackgasse führen können, da ihre übertragungsverzer­
sie tei lgenommen hatte, erinnern. E i n Mitglied a ntwortete sofort u nd d i rekt: »Ach, rungen so ausgeprägt waren, dass sie den Therapeuten nicht zutraute, eine genaue
kom m schon, Va l, hör auf d a m it. Letzte Woche haben dich beide Thera peuten ganz Sicht der Realität zu liefern. Therapiegruppen sind bei der Behandlung solcher Kli­
schön u nterstützt. Tatsäch lich bekommst du sogar mehr Stre ichelein heiten i n d ieser enten stark im Vorteil, weil Gruppentherapeuten, wie die vorangegangene Fallvignette
Gru ppe als sonst i rgendjemand. « Alle a nderen Gru ppe n m itglieder sti m mten zu u nd gezeigt hat, nicht als Verfechter der Realität auftreten müssen, denn diese Rolle über­
gaben mehrere Beispiele für positive Bemerku ngen, die Va l gege n ü ber i n den vergan­ nehmen die übrigen Gruppenmitglieder, und in der Regel ermöglichen sie dem Kli­
genen Sitzungen geä ußert worden waren. enten eine hochwirksame und akkurate Realitätsprüfung.
Später i n dersel ben Sitzung reagierte Va l auf zwei Ereignisse auf sehr sch lecht ange­ Wie viele narzisstische Klienten reagierte Val übermäßig sensibel auf Kritik. (Sol­
passte Art und Weise. Zwei Mitglieder waren in einen sch merzlichen Machtka m pf ver­ che Menschen gleichen Blutern, die bei der geringsten Verletzung bluten und denen
wickelt. Beide wa ren erschüttert u nd füh lten sich von dem G rad des a usgedrückten die Hilfsmittel fehlen, um das Blut zum Stillstand zu bringen.)53 Die Gruppenmitglie-

468 469
der waren sich bewusst, dass Val äußerst verletzlich war und Kritik schlecht vertrug.
Dennoch zögerten sie nicht, sie direkt und beharrlich mit ihrem Verhalten zu konfron­
tieren. Obwohl Val in dieser Sitzung, wie schon in so vielen anderen, verletzt wurde,
hörte sie doch auch die umfassendere Botschaft: Die Gruppenmitglieder nahmen sie Ka pitel 14
ernst und respektierten ihre Fähigkeit, die Verantwortung für ihre Handlungen zu
übernehmen und ihr Verhalten zu ändern. Ich finde, es ist von entscheidender Bedeu­
tung, dass die Gruppe dem verletzlichen Klienten gegenüber diese Haltung einnimmt. Der Thera pe ut: s pez i e l l e Be h a n d l u n gsfo r m e n
Dies kann als eine starke Bestätigung empfunden werden. Wenn eine Gruppe anfängt,
einen narzisstischen Klienten zu ignorieren, herablassend zu behandeln oder zum u n d An leitu n ge n fü r d ie N utz u n g speziel l e r
Maskottchen zu machen, scheitert die Therapie für diesen Klienten. Die Gruppe bietet Tech n i ke n u n d Ressou rce n
dann nicht mehr die Funktion der Realitätsprüfung, und der Klient übernimmt die
schädliche Rolle des Außenseiters.
Die übliche Form der Gruppentherapie, in der ein Therapeut eine Gruppe von sechs
Die wichtigste Aufgabe von Gruppentherapeuten, die mit all diesen problemati­
bis acht Klienten leitet, wird oft durch andere Faktoren kompliziert: Der Klient ist viel­
schen Klienten arbeiten, ist weder das Erstellen einer präzisen Diagnose noch das Ent­
leicht in gleichzeitiger oder kombinierter Einzeltherapie; es gibt eventuell einen Co­
wickeln einer Theorie über die ursächliche frühe Dynamik. Ganz gleich, ob die Diag­
Therapeuten in der Gruppe; gelegentlich kommt die Gruppe vielleicht ohne den The­
nose auf eine schizoide, Borderline- oder narzisstische Persönlichkeitsstörung lautet,
rapeuten zusammen. In diesem Kapitel werde ich derartige Möglichkeiten besprechen
in allen Fällen geht es letztlich um das Gleiche: die therapeutische Betreuung eines sehr
und außerdem einige Spezialtechniken und -methoden des Therapeuten beschreiben,
verletzlichen Klienten in einer Therapiegruppe.
die zwar nicht unentbehrlich sind, aber manchmal den Verlauf der Therapie fördern.

G leichzeitige E i nzel- u n d G ru p penthera pie

Zuerst einige Definitionen. Gleichzeitige Therapie bezieht sich auf eine Behandlungs­
form, bei welcher der Klient bei einem Therapeuten in Einzeltherapie ist und bei einem
anderen ( oder bei zwei anderen, falls es sich um Co-Therapeuten handelt) in Grup­
pentherapie. Im Fall einer kombinierten Therapie wird der Klient vom gleichen Thera­
peuten im gleichen Zeitraum in einer Einzel- und einer Gruppentherapie behandelt.
Uns liegen keine zuverlässigen Erkenntnisse darüber vor, wie wirksam diese beiden
Kombinationsmöglichkeiten tatsächlich sind. Deshalb müssen wir aufgrund unseres
klinischen Urteils und unseres im Einklang mit den zuvor postulierten therapeutischen
Faktoren deduktiv gewonnenen Wissens Leitlinien formulieren.
Wenn wir zwei Behandlungsmodalitäten integrieren wollen, müssen wir uns zu­
nächst damit befassen, ob sie miteinander vereinbar sind. Mehr ist nicht immer besser!
Wirken die beiden Behandlungen gegeneinander, oder verstärken sie einander? Falls
sie miteinander vereinbar sind, ergänzen sie einander dann? Arbeiten sie auf das glei­
che Ziel hin, befassen sich jedoch mit unterschiedlichen Aspekten der therapeutischen
Bedürfnisse des Klienten? Oder unterstützen und verstärken sie einander in ihrer Wir­
kung? 1
Wie häufig die genannten beiden Arten der Verbindung von Einzel- und Gruppen­
therapie genutzt werden, ist unbekannt, doch wahrscheinlich wird in Privatpraxen die
kombinierte Therapie häufiger genutzt als die verbundene.2 In institutionellen (ambu­
lanten wie stationären) Zusammenhängen scheint das Gegenteil der Fall zu sein.3 Auf
keinen Fall sollten wir die gleichzeitige und die kombinierte Therapie als äquivalent

471
470
erachten. Sie haben äußerst unterschiedliche Merkmale und klinische Indikationen, Jim, ein a n derer Klient, wurde von einem Analytiker, der i h n seit sechs Jahren beha n­
und ich werde sie einzeln erörtern. delt hatte und die Analyse n u n beendete, in eine Gru ppe ü berwiesen. 6 Trotz erhebl i­
cher Besserung hatte d ieser Klient das Symptom, dessentwegen er ursprünglich in die

Gleichzeitige Therapie Beha n d l u ng gekom men wa r, n ä m l ich seine Angst vor Fra uen, i m mer noch nicht ü ber­
en, für
Nach meiner Meinung ist die gleichzeitige Einzeltherapie, mit einigen Ausnahm
wunden. Es fiel ihm sogar schwer, seiner Sekretä rin etwas zu diktieren. In einer seiner
sorg­
die Praxis der Gruppentherapie nicht wesentlich. Wenn Mitglieder einigermaßen
ersten Gruppen sitzu ngen w u rde ihm ä u ßerstes U n behagen verursacht d u rch eine

fältig ausgewählt werden, reichen ein bis zwei wöchentliche Sitzungen einer Thera­
Frau, die ihm e i n Kompl iryient machte. Für den Rest der Sitzung sta rrte er auf den Fuß­
mit
piegruppe bei den meisten Klienten aus. Es gibt allerdings Ausnahmen. Klienten
boden, und nach der Sitzung rief er seinen Ana lytiker an, u m i h m zu sagen, er wolle aus
n, die ich im vorigen Kapitel be­ der Gru ppe ausscheiden und wieder i n die Analyse kommen. Sein Ana lytiker besprach
charakterologischen Störungen müssen aus Gründe
schrieben habe, zusätzlich regelmäßig Einzelsitzungen erhalten - entwede r vom Grup­ die Situation m it dem Gru ppentherapeuten und erklärte sich bereit, die Ei nzelbehand­
Ver­
pentherapeuten oder von einem anderen Therapeuten. Das früheste Modell einer
lung u nter der Bed i ngung wieder aufz u neh men, dass der Kl ient auch wieder i n die
isse
bindung von Gruppen- und Einzeltherapie entstand in Reaktion auf die Bedürfn
Gru ppe zurückkehre. In den nächsten Monaten hatte der Kl ient nach jeder Gru ppensit­
.4
Auch Mensche n, die in ihrer Kindhei t sexu­ zung eine Einzelstunde. Die beiden Therapeuten berieten sich regelmä ßig m iteinander,
dieser schwer zu behandelnden Klienten
e
ellen Missbrauch erlitten haben oder für die mit Scham zusammenhängende Problem
und der Gruppentherapeut kon nte die schädlichen Momente in der Gruppe gen ügend
5
wichtig sind, brauchen oft gleichzeitig eine Gruppen- und eine Einzelth erapie. mildern, um es dem Klienten zu ermögl ichen, d ie Therapie fortzusetzen. I nnerha l b we­

Nicht selten durchleben Gruppenmitglieder eine schwerwiegende Lebenskrise (bei­


niger Monate konnte er z u m ersten Mal in der G ruppe gefü h lsmäßig a uf Fra uen ein­

spielsweise Trauer oder eine Scheidung), die zeitweilige einzeltherapeutische Unter­


gehen, u n d a l l m ä h l ich gelang i h m das auch in der realen Welt leichter.

stützung erfordert. Manche Klienten sind aufgrund von Angst oder Furcht vor Aggres­
der Bisher habe ich erörtert, wie eine Einzeltherapie den Verlauf einer Gruppentherapie
sion so anfällig oder blockiert, dass erst eine Einzeltherapie ihnen die Teilnahme an
um zu verhinde rn, für einen Klienten fördern kann. Doch auch das Umgekehrte trifft zu: Eine Gruppen­
Gruppe ermöglicht. Hin und wieder ist Einzeltherapie erforderlich,
­ therapie kann den Verlauf einer Einzeltherapie verbessern oder fördern. ;, 7 Tatsächlich
dass ein Klient vorzeitig aus der Gruppe ausscheidet oder um einen selbstmordgefähr
kommen die meisten Klienten, die sich gleichzeitig in Einzeltherapie befinden, auf
deten oder impulsiven Klienten besser zu überwachen.
Empfehlung ihres Einzeltherapeuten in eine Gruppe. Der Therapeut hat dann meist
Joan, eine ju nge Frau mit einer Borderline-Persön l ichkeitsstörung, die das erste Mal a n festgestellt, dass der Klient stark gehemmt, starr und zu produktiver Arbeit nicht in der
einer Gru ppe teilnahm, füh lte sich i n d e n ersten Sitz ungen sehr bedroht. S ie hatte sich Lage ist. Oft verhilft die vielfältige und zahlreiche Affekte freisetzende interpersonale
zunehmend entfremdet gefü h lt, weil i h re biza rre Fa ntasie- und Tra u mwelt so weit Interaktion in der Gruppe zu genügend Material sowohl für die Einzel- als auch für die
vom Erleben der übrigen Gruppen m itglieder entfernt zu sein schien. In der vierten Sit­ Gruppenarbeit. In anderen Fällen bestehen bei Klienten starke »blinde Flecken«, die sie
zung griff sie eines der Mitglieder verbal an und wurde i h rerseits angegriffen. I n den daran hindern, akkurat oder objektiv über die Vorgänge in ihrem Leben zu berichten.
folgenden Nächten hatte sie sch reckliche Albträ u me. I n einem wurde ihr Mund zu Blut, Ein Einzeltherapeut hatte einem älteren Mann eine Gruppentherapie empfohlen,
was m it i h rer Angst vor verbaler Aggression, wei l sie so weltzerstörerische Fantasien weil die Arbeit in der Einzeltherapie aufgrund starker väterlicher Übertragung stag­
hatte, zusa m menzuhä ngen schien. In einem anderen ging sie am Strand entla ng und nierte. Der Therapeut konnte dem Klienten gegenüber nichts äußern, ohne dass er
wurde von einer riesigen Woge versch l u ngen - das hing mit i h rer Angst zusa mmen, in wegen angeblicher Ungenauigkeit oder Unvollständigkeit angegriffen und seine Aus­
der Gru ppe i h re Persönlichkeitsgrenzen und i h re Identität zu verlieren. In einem dritten sage zwanghaft zerpflückt wurde. Obwohl sich der Klient durchaus darüber im Klaren
Tra um wurde sie von mehreren Männern n iedergehalten, welche die Hände des Thera­ war, dass die Situation in der Therapie von einer Reinszenierung der Beziehung des
peuten lenkten, wä h rend d ieser eine Operation a n i h rem Gehirn d u rchfü h rte - das Klienten zu seinem tyrannischen Vater geprägt war, gelangen keinen nennenswerten
hing offensichtl ich m it ihren Ängsten vor der Therapie zusammen sowie m it der Angst, Fortschritte, bis der Klient in der demokratischeren, auf Gleichheit basierenden Grup­
der Therapeut kön ne von den m ä n n l ichen Mitgl iedern ü berwä ltigt werden. pensituation in der Lage war, sich Feedback anzuhören, das von väterlicher Autorität
Ihr Realitätsbezug wurde i m mer schwächer, und es erschien unwa h rscheinlich, dass sie klar getrennt war.
ohne z usätzliche U nterstützu ng in der Gruppe blei ben könnte. Man sorgte dafü r, dass Anderen Klienten wird eine Gruppentherapie empfohlen, weil sie in der geschütz­
sie gleichzeitig Einzelthera pie bei einem anderen Therapeuten bekam; dies half ihr, ihre ten Situation der Einzeltherapie zwar Fortschritte erzielt haben, jedoch nicht in der
Angst einzugrenzen, was i h r ermögl ichte, i n der Gruppe zu blei ben und Fortsch ritte zu Lage sind, das Erlernte in ihrem Leben anzuwenden. In solchen Fällen kann die Grup­
erzielen. pensituation als wichtiger Zwischenschritt für die nächste Phase der Therapie fungie­
ren: für das Experimentieren mit Verhaltensweisen in einer risikoarmen Umgebung,

473
472
welche die Fantasien des Klienten über die mutmaßlich verhängnisvollen Konse­ Gruppe durch pseudo-altruistische Rationalisierungen wie die folgende widersetzen:
quenzen des neuen Verhaltens wirksam widerlegen. »Ich überlasse die Zeit in der Gruppensitzung den anderen Gruppenmitgliedern, denn
Manchmal entstehen bei der Behandlung von Klienten mit schwerwiegenden Cha­ ich habe ja meine Einzelsitzungen.« Eine weitere Form von Widerstand besteht darin,
rakterstörungen in einer Einzeltherapie nahezu unlösbare Übertragungsprobleme; wie sich mit wichtigem Material jeweils im anderen Zusammenhang auseinanderzusetzen,
ich in dem Abschnitt über Borderline-Klienten im vorigen Kapitel erläutert habe, kann die Gruppe für die Auseinandersetzung mit der eigenen Übertragung dem Einzelthe­
eine Therapiegruppe in solchen Fällen die Übertragung verringern und die Realitäts­ rapeuten gegenüber zu benutzen und in der Einzeltherapie die eigenen Reaktionen auf
prüfung fördern (siehe hierzu Kapitel 13). Der Einzeltherapeut profitiert möglicher­ andere Gruppenmitglieder zu untersuchen. Wenn dieses Verhaltensmuster stark aus­
weise auch von einer Verringerung der Intensität von Gegenübertragungen. Die Grup­ geprägt ist und jeder anderen Intervention widersteht, kann der Gruppentherapeut im
pe und der Einzeltherapeut können wirksam als gleichberechtigte Berater in der Be­ Zusammenwirken mit dem Einzeltherapeuten darauf bestehen, dass entweder die
handlung besonders anstrengender Klienten fungieren, die Spaltung und projektive Gruppen- oder die Einzeltherapie beendet wird. Ich weiß von mehreren Klienten, de­
Identifikation in einer Art und Weise verwenden, die für den Therapeuten ziemlich er­ ren Engagement in der Gruppe sich dramatisch verstärkte, nachdem die begleitende
drückend sein kann. Im Grunde profitiert eine Therapie, die Einzeltherapiesitzungen Einzeltherapie eingestellt worden war.
und Gruppensitzungen miteinander verbindet, von der Möglichkeit, verschiedenartige Meiner Erfahrung nach ergänzen sich die Methoden der Einzel- und der Gruppen­
Situationen und damit auch verschiedene Übertragungen zu nutzen, weiterhin von therapie besonders gut, wenn zwei bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Erstens muss
der Beteiligung mehrerer Beobachter und Deuter des Geschehens sowie von der Ein­ zwischen Einzel- und Gruppentherapeut eine gute Arbeitsallianz bestehen. Sie müssen
beziehung einer Vielzahl von Faktoren und Personen, die die Reifung des Klienten sich häufig miteinander in Verbindung setzen, und es muss dem Klienten völlig klar
fördern.8 sein, dass die Therapeuten alle Informationen austauschen. Beide Therapeuten sollten
der Zusammenarbeit gleichermaßen verpflichtet und sich hinsichtlich der Begrün­
Komplikationen. Trotz dieser Vorteile der gleichzeitigen Therapie kann auch eine dung für die Empfehlung einer Gruppentherapie einig sein. Der Einzeltherapeut sollte
Reihe von Komplikationen auftreten. Wenn in der Grundeinstellung des Einzel- und die Empfehlung, der Klient möge zusätzlich zur Einzeltherapie noch an einer Grup­
des Gruppentherapeuten ein ausgeprägter Unterschied besteht, können die beiden pentherapie teilnehmen, kein Deckmantel sein, der es ihm ermöglicht, sich aus der
Therapien einander entgegenwirken. Verantwortung zu stehlen, weil er die Arbeit mit dem betreffenden Klienten im Grun­
Wenn beispielsweise die Einzeltherapie darauf ausgerichtet ist, die genetische Kau­ de beenden möchte.9 Außerdem ist wichtig, dass beide Therapeuten einander respek­
salität zu verstehen, und tief in frühere Erlebnisse hineintaucht, während man sich in tieren - hinsichtlich ihrer Kompetenz wie auch hinsichtlich des jeweiligen therapeuti­
der Gruppe auf Hier-und-Jetzt-Material konzentriert, wird der Klient leicht verwirrt schen Ansatzes.
und neigt dazu, die eine Methode auf der Basis der anderen zu beurteilen. Eine Syn­ Ein gutes Einvernehmen zwischen dem Einzel- und dem Gruppentherapeuten kann
these der Gruppenarbeit und einzeltherapeutischer Arbeit ist nur möglich, wenn der sich als unverzichtbar erweisen, wenn die Klienten - was praktisch unvermeidlich ist
Klient das Gefühl hat, dass beides miteinander in Einklang steht. und mit Sicherheit Spannungen hervorruft - ihren Gruppentherapeuten und ihren
Nicht selten sind Klienten, die mit einer Gruppentherapie beginnen, von den ersten Einzeltherapeuten miteinander vergleichen und dabei gelegentlich den einen idealisie­
Sitzungen entmutigt und frustriert, weil diese weniger Unterstützung bieten als die ren und sich über den anderen abfällig äußern. Besonders unangenehm kann diese
Einzeltherapie. Manchmal verteidigen sich solche Klienten, wenn sie von der Gruppe Thematik für weniger erfahrene Gruppentherapeuten werden, die mit älteren Einzel­
angegriffen oder unter Druck gesetzt werden, indem sie ihre Gruppenerfahrung un­ therapeuten zusammenarbeiten, deren unsichtbare grollende Präsenz in der Gruppe
vorteilhaft mit ihrer Erfahrung in der Einzeltherapie vergleichen. Ein solcher Angriff den Gruppentherapeuten behindern und das Vertrauen der Gruppenmitglieder unter­
auf die Gruppe hat ausnahmslos weitere Angriffe auf den Einzelnen und eine weitere graben kann, weshalb der Gruppentherapeut sich sorgt, wie der Klient ihn dem Ein­
Verschlechterung seiner Lage zur Folge. Es ist jedoch nicht ungewöhnlich, dass Klien­ zeltherapeuten gegenüber darstellt. 10 Erwägungen dieser Art spielen insbesondere bei
ten später in der Therapie die einzigartigen Vorteile der Gruppenarbeit zu schätzen der Behandlung schwierigerer Klienten eine Rolle, die Dissoziation als Abwehrmecha­
lernen und dass ihre Bewertung der beiden Therapiearten dann zugunsten der Grup­ nismus nutzen. Es ist sehr schwierig, in einer gleichzeitig einzel- und gruppenthera­
pentherapie ausfällt. peutischen Behandlung der herabgewürdigte Therapeut zu sein. Die Position des idea­
Eine weitere Komplikation, die durch gleichzeitige Einzel- und Gruppentherapie lisierten Therapeuten ist vermutlich etwas leichter zu ertragen, doch ist sie nur wenig
auftreten kann, besteht darin, dass Klienten ihre Einzeltherapie benutzen, um den Af­ ungefährlicher und nicht weniger uneffektiv.
fekt aus der Gruppe abzuziehen. Es kann sein, dass sie in der Gruppe das Feedback an­ Somit ist die erste Bedingung für eine effektive gleichzeitige Einzel- und Gruppen­
derer wie einen Schwamm aufnehmen und es dann in der ihnen sichererer erscheinenden therapie, dass der Klient und der Gruppentherapeut eine offene und verlässliche
Situation der Einzeltherapie durcharbeiten. Klienten können sich der Arbeit in der Arbeitsbeziehung haben, in der beide Beteiligten einander respektieren. Die zweite

474 475
Bedingung ist, dass die Einzeltherapie die Gruppenmethode ergänzen muss - sie muss Gelernten konzentrieren, nämlich darauf, dem Klienten zu helfen, das in der Gruppe
sich am Hier und Jetzt orientieren und muss Zeit dafür aufwenden, die Gefühle des Erlernte auf neue Situationen anzuwenden - zum Beispiel auf die Beziehung des
Klienten gegenüber den Gruppenmitgliedern und hinsichtlich der Vorfälle und The­ Klienten zum Einzeltherapeuten und auch zu anderen wichtigen Personen in seiner
men aktueller Gruppensitzungen zu erforschen. Eine solche Untersuchung kann als sozialen Umgebung.
Probe für ein tieferes Engagement im Leben der Gruppe dienen. Obgleich es häufiger vorkommt, dass eine Einzeltherapie durch eine Gruppenthe­
Einzeltherapeuten, die Erfahrung in der Anwendung gruppentherapeutischer Me­ rapie ergänzt wird, kann auch das Umgekehrte der Fall sein. Die Arbeit in der Gruppe
thoden haben, können ihrem Klienten ( und dem Rest der Gruppe) sehr helfen, indem führt manchmal zu Veränderungen oder aktiviert Erinnerungen, die erforderlich ma­
sie ihn zur Mitarbeit in der Gruppe anleiten. Ich selbst habe kürzlich einem jungen chen, dass der betreffende Klient mit einem Maß an Zeit und Aufmerksamkeit bedacht
Mann, den ich in einer Einzeltherapie betreute, die Teilnahme an einer Gruppenthera­ wird, das die Gruppe nicht bereitzustellen vermag. 1 1 Um Klienten nicht zu verwirren
pie empfohlen. Er war häufig sehr wütend und brachte dies in Form explosiver Aus­ oder zu überfordern, ist es im Allgemeinen ratsam, zunächst mit einer Behandlungs­
brüche gegenüber seiner Frau und beim Autofahren zum Ausdruck (und war dadurch form zu beginnen und nötigenfalls später die zweite hinzuzunehmen, statt gleich mit
mehrmals in gefährliche Situationen geraten). beiden zu starten.
Nach einigen Wochen Gruppentherapie berichtete er in seiner Einzeltherapiesit­
zung, er empfinde gegenüber vielen Gruppenmitgliedern in mehr oder weniger star­ Kombinierte Therapie
kem Maße Ärger. Als ich ihn fragte, ob er dies in der Gruppe zum Ausdruck bringe, Weiter oben habe ich gesagt, die nebeneinanderher laufende Therapie sei nicht wesent­
erbleichte er: »In dieser Gruppe greift niemand jemand anderen direkt an - so funk­ lich für die Gruppentherapie. Dasselbe finde ich bezüglich der kombinierten Therapie.
tioniert diese Gruppe nicht . . . Ich würde mich schrecklich fühlen ... Die anderen wür­ Jedoch stimme ich auch mit den vielen Therapeuten überein, die der Meinung sind,
den nicht damit fertig werden . . . Ich könnte ihnen nicht mehr ins Gesicht blicken . . . dass die kombinierte Therapie eine außergewöhnlich produktive und wirkungsvolle
Man würde mich aus der Gruppe werfen.« Daraufhin probten wir, wie er seinen Ärger Therapieform ist. Immer wieder bin ich beeindruckt von den Ergebnissen, wenn ich
in der Gruppe ausdrücken könnte. Manchmal stellte ich stellvertretend für ihn dar, wie einem meiner Einzelklienten einen Platz in einer Gruppe zugewiesen habe: beinah aus­
ich, wenn ich er wäre, in der Gruppe mit meinem Ärger umgehen würde. Außerdem nahmslos wird die Therapie beschleunigt und bereichert.
demonstrierte ich ihm an Beispielen, wie er Feedback geben könnte, ohne Vergeltung In der klinischen Praxis beginnt eine kombinierte Therapie gewöhnlich mit der
zu provozieren. Ein Beispiel hierfür war folgende an die Gruppe gerichtete Äußerung: Einzeltherapie. Nach mehreren Wochen oder Monaten Einzeltherapie gibt der Thera­
»Ich habe ein Problem, über das ich hier bisher noch nicht habe reden können. Ich bin peut dem Klienten einen Platz in einer seiner Therapiegruppen - gewöhnlich eine, die
sehr ärgerlich. Ich bekomme oft Wutanfälle, unter denen meine Frau und meine Kin­ vollständig aus Klienten zusammengestellt ist, welche sich ebenfalls bei dem Leiter in
der leiden, und häufig werde ich beim Autofahren sehr wütend. Ich möchte die Grup­ Einzeltherapie befinden. Homogenität in dieser Hinsicht - dass alle Gruppenmitglie­
pe wegen dieses Problems um Hilfe bitten, und ich weiß noch nicht, wie ich daran ar­ der beim Gruppenleiter gleichzeitig in Einzeltherapie sind - ist nützlich, aber nicht un­
beiten könnte. Vielleicht könnte ich einen Anfang machen, indem ich darüber berich­ verzichtbar. Infolge der Sachzwänge, denen Therapeuten heute ausgesetzt sind, sind
te, wie sich mein Ärger manchmal während der Gruppensitzungen äußert.« Wenn ein manchmal einige Klienten beim Gruppenleiter in einer Einzeltherapie, wohingegen
Klient so etwas sagt, wäre jeder Gruppentherapeut, den ich kenne, begeistert und wür­ dies für ein oder zwei nicht möglich ist. Nicht selten werden dann bei denjenigen, die
de den Betreffenden ermutigen, über seinen Ärger zu berichten. in der Einzeltherapie nicht vom Gruppenleiter betreut werden, auf die anderen
Der Klient könnte dann fortfahren: »Nehmen wir beispielsweise dich, John (eines neidisch.
der anderen Gruppenmitglieder): Ich bewundere dich in vielerlei Hinsicht - deine In­ In der Regel nimmt der Klient wöchentlich an einer Gruppensitzung und einer Ein­
telligenz, dein Engagement für rechtschaffene Ziele -, aber vorige Woche habe ich bei zelsitzung teil. Andere, kostengünstigere Varianten sind beschrieben worden, zum Bei­
mir einen Anflug von Gereiztheit bemerkt, als du gegen Ende unserer Sitzung über dei­ spiel die Form, in der jedes Gruppenmitglied alle paar Wochen eine Einzelsitzung er­
ne Einstellung gegenüber den Frauen, mit denen du ausgehst, gesprochen hast - habe hä1t. t2 Obgleich einiges für eine solche Regelung spricht, ist das Resultat etwas völlig
ich das als Einziger so empfunden, oder ging es anderen Gruppenmitgliedern ähnlich?« anderes als eine kombinierte Einzel- und Gruppentherapie, weil die gelegentliche Ein­
Mein Klient machte sich während unserer Einzelsitzung Notizen, und nach einigen zeltherapiesitzung wie ein Zusatz zur Gruppentherapie fungiert: Die Einzelsitzung ist
Wochen berichtete einer der Gruppentherapeuten mir, dieser Klient arbeite in der darauf ausgelegt, im Dienst der Gruppe zu stehen - die Normenbildung zu fördern
Gruppe nicht nur gut mit, sondern habe auch die Entwicklung der gesamten Gruppe und den Nutzen der Mitglieder aus der Gruppe zu optimieren.
sehr positiv beeinflusst: Die Gruppensitzungen seien für alle Beteiligten lebendiger ge­ In der kombinierten Therapie hat die Gruppe gewöhnlich ein offenes Ende, wobei
worden, und es finde mehr Interaktion statt. die Klienten monatelang, sogar jahrelang, in beiden Therapien verbleiben. Doch eine
Der Einzeltherapeut kann sich auch mit großem Gewinn auf die Übertragung des kombinierte Therapie kann es auch in Verbindung mit einem zeitlich begrenzten

476 477
Gruppenformat geben. Oft schon habe ich eine sechsmonatige Gruppe aus meinen Dieses Beispiel hebt einen weiteren Vorteil der kombinierten Behandlung hervor: Die
langfristigen Einzelklienten gebildet. Nach dem Ende der Gruppe fahren die Klienten inhaltsreiche und unvorhersagbare Interaktion in der Gruppe erschließt gewöhnlich
mit der Einzeltherapie fort, die durch das von der Gruppe hervorgebrachte Material Bereiche, die in der Einzeltherapie ansonsten möglicherweise nie zutage getreten wä­
reich befruchtet wurde. ren. In seiner Einzeltherapie fühlte David sich nie »nicht dazugehörig« - schließlich
lauschte ich auf jedes seiner Worte und bemühte mich, ständig präsent zu sein.
Vorteile. Es besteht kein Zweifel, dass die kombinierte Therapie ( wie auch die
gleichlaufende) die Zahl der abbrechenden Klienten verringert. ?1 13 Meine eigene nicht Ein weiteres Beispiel handelt von Steven, einem Mann, der jahrelang viele au ßereheli­
formelle Begutachtung von zehn kombinierten Therapiegruppen - meine eigenen so­ che Sexua l kontakte hatte, Safer-sex-Vorsichtsmaßnahmen jedoch ablehnte: I n der Ein­
wie die von Supervisanden und Kollegen - über einen Zeitraum von mehreren Jahren zeltherapie diskutierte ich dies m it Steven monatelang von jedem möglichen Sta nd­
zeigt, dass frühe Abbrecher äußerst selten sind. Tatsächlich brach von Klienten, die sich p u n kt a u s: seine Gra n d ios ität und sein Gefü h l der I m m u n ität gegen ü be r e i n e m
bereits in Einzeltherapie befanden, bevor sie eine von ihrem Einzeltherapeuten gelei­ biologischen Gesetz, s e i n e Sel bstsucht, seine Angst, m it Kondom i m potent zu s e i n . Ich
tete Gruppe besuchten, kein einziger während der ersten zwölf Sitzungen die Gruppen­ ä u ßerte meine Sorgen um i h n , um sei n e Fra u u nd um seine Sexualpartneri n nen. Ich
therapie ab. Dies steht natürlich in heftigem Kontrast zu der sehr hohen Abbrecherfre­ erlebte väterl iche Gefü hle und verlieh i h nen a uch Ausdruck: zorniges Aufgebrachtse i n
quenz bei Gruppentherapien ohne nebenher laufende Einzeltherapie (siehe Tabelle ü ber sein egoistisches, Tra urigkeit ü ber s e i n sel bstzerstörerisches Verhalten. Al les ver­
8 . 1 ) . Die Gründe sind offensichtlich. Erstens kennt der Therapeut seine Einzelklienten geblich. Als ich Steven in eine Therapiegruppe einfü h rte, sprach er nicht ü ber sein ris­
sehr gut und kann die Klienten für die Gruppentherapie somit sorgfältiger wählen. kantes Sexualverhalten, doch machte er den noch einige relevante Erfahru ngen.
Zweitens hat der Therapeut die Möglichkeit, drohendes Abbrechen in der Einzelthera­ Bei mehreren Gelegenheiten ga b er wei b lichen Mitgliedern a uf grausa me, gefü h l lose
pie zu verhindern, indem er die Schwierigkeiten anspricht und löst, welche die Arbeit Weise Feedback. Nach u nd nach konfrontierte die Gru ppe ihn damit und äu ßerte sich
des Klienten in der Gruppe verhindern. negativ ü ber seine gleichgültige, soga r strafende Ha ltung Fra uen gegen ü ber. Seine
Gru ppena rbeit d rehte sich ü berwiegend u m seine m a ngelnde Einfü h l u ng. Nach und
Nach sieben Sitzungen sta nd David, e i n peda ntischer 50-jähriger ü berzeugter J u ng­ nach begriff er es u nd lernte la ngsam, sich die Erlebenswelt anderer vorzustellen. Die
geselle, kurz davor, die Therapie abzubrechen. Die Gru ppe hatte i h m u mfa ngreiches Gru ppe wa r zeitlich begrenzt (sechs Monate), und viele Monate später, als wir uns i n
Feedback zu mehreren seiner u n a ngenehmen Eigenschaften gegeben : seine hä ufige d e r Ei nzeltherapie wieder tief greifend m it Stevens Sexualverhalten beschäftigten, er­
Verwe n d u n g von E u p h e m i s m e n ; sei n Sichve rbergen h i nter l a n ge n , l a n gwei l ige n i n nerte er sich m it z i e m l icher Betroffen heit d a ra n , wie d ie Gruppenmitgl ieder i h m
Anekdoten, die er oft wiederholte; sei n Beha rren, a b lenkende Cockta i l pa rtyfragen zu vorgeworfen hatten, gleichgü ltig zu sein. D a n n erst wa r e r in der Lage, seine Wa hl mög­
stellen. Wei l David d u rch das Feed back nicht beeinfl ussbar schien, zog sich die Gruppe lich keiten u nter dem Gesichtspu n kt seiner ma ngelnden Liebe abz uwägen, u nd d a n n
schließlich z u rück und bega n n, i h n z u m Maskottchen zu machen (ihn auf gutm ütige erst lockerte sich sei n Verhaltensmuster.
Weise zu tolerieren, allerdings ohne ihn ernst zu neh men).
In einer Einzelsitzung klagte er mir gegenüber, in der Gru ppe nicht dazuzugehören, und Ein drittes Beispiel ha ndelt von Roger, einem j u ngen Ma nn, der mich während eines
fragte, ob er weitermachen sollte. Er erwäh nte a uch, dass er sei n Hörgerät in der Grup­ J a hres i n Ei nzelthera pie stä ndig kritisiert hatte. Roger erkan nte a n , dass er g ute Fort­
pe n icht getragen habe (was mir nicht aufgefa l len war), wei l er befürchtet hatte, m a n schritte gemacht hatte - doch war dies sch l ießl ich das, wofü r er mich bezah lte, und,
würde sich ü ber i h n lustig machen oder i h n stereotypisieren. U nter norma len Umstän­ wie er nie hinzuzufügen vergaß, eine beträchtl iche S u m me. Wo waren seine positiven,
den hätte David die G ru ppe verlassen, doch kon nte ich mich i n seiner Ei nzeltherapie zärtlichen Gefü h le? In der E i n zeltherapie ka men sie nie an die Oberfl äche. Als er a n
auf die Ereignisse in der Gruppe konzentrieren u nd konnte die Bedeutung seiner Aus­ meiner sechsmonatigen kom binierten Therapiegruppe tei l n a h m , setzte sich d a s Mus­
sage, nicht dazuzugehören, erforschen. Dies erwies sich a ls ein Kern problem Davids. ter fort, und die Mitgl ieder nahmen ihn als kalt, gefü h l los und oft fei ndselig wa h r - sie
Wäh rend seiner Kind heit und J ugend hatte er sich gesellschaftlich gem ieden gefü h lt nannten ihn den »Granatwerfer «. So geschah es zu jedermanns Ü berraschung, als Ro­
u n d hatte sich sch l ießl ich d a m it a bgefu nden. Er wurde ein Einzelgänger u nd ergriff ger am Ende der Gru ppe dem größten Beda uern Ausd ruck verlieh. Auf Drä ngen h i n
einen Beruf (fre i berufl iche Computerberatung), der den Lebensstil e i nes »Einzelkämp­ beschrieb er kna pp. er werde die G ruppe sowie den Kontakt m it einigen der Mitgl ieder
fers« ermöglichte. Auf mein Drängen hin schloss er seine Hörhi lfe wieder a n u nd dis­ verm issen. »Mit welchen besonders?«, wol lte die Gru ppe wissen. Bevor er antworten
kutierte in der Gru ppe sei n Gefü hl, »n icht dazuzugehören «. Diese Sel bstoffenbarung kon nte, fragte ich d ie Gru ppe, ob sie es erraten kön ne. Niemand hatte a uch n u r d i e
und, noch wichtiger, die Erforsch u ng seiner Rol le, sich sel bst a u ßerha l b zu stellen, ge­ leiseste Ahnu ng. A l s Roger zwei M itglieder hervorhob, waren diese ersta u nt, da s i e
n ügten, um den Prozess u m zu kehren u nd i h n in die Gru ppe h i neinzu bri ngen. Er blieb kei nerlei Anzeichen dafü r erhalten hatten, dass Roger sie mögen könnte.
ein Jahr lang i n kom binierter Therapie u nd zog großen Nutzen daraus. Die beiden Therapien wirkten zusa m men. Meine Erfahrungen m it Roger in der Einzel-

478 479
thera pie brachten mich dazu, mich mit der affektiven Blockierung des Klienten zu be­ Sams Fall zeigt einige der Fallstricke auf, die es bei kombinierter Therapie geben kann.
schäftigen; doch die Reaktion der Gruppenmitglieder- ihre Unfähigkeit, ihn zu »lesen« oder Zum einen verändert sich die Rolle des Therapeuten signifikant und nimmt an Kom­
seine Gefühle ihnen gegenüber zu erkennen - hatte eine wesentlich stärkere Wirkung plexität zu. Es hat etwas erfrischend Einfaches, eine Gruppe zu leiten, wenn der Leiter
auf Roger. Deren Gefühle kon nte er schließlich nicht wegrationalisieren - zu ihrer Ar­ genauso viel über jedes Mitglied weiß wie alle anderen auch. Doch der kombinierte
beit gehörte das nicht. Therapeut weiß so viel, dass das Leben kompliziert wird. Ein Mitglied bezog sich ein­
mal auf meine Rolle als die des Magus: Ich wusste alles: Was die Mitglieder gegenseitig
Sam, ein Klient, der sich wegen seiner Hemmungen und mangelnder Lebensfreude in voneinander hielten, was sie zu sagen geruhten und, vor allem, was sie für sich be­
Thera pie begab, ging mit seiner übermäßigen Vorsicht und Starrheit in der Therapie­ hielten.
gruppe weit eindrucksvoller um a ls in der Einzeltherapie. Er enthielt der G ru ppe d rei Der Gruppentherapeut, der keine Mitglieder seiner Gruppe in Einzeltherapie behan­
besonders wichtige Geheimnisse vor: dass er zum Therapeuten a usgebildet worden delt, kann sorgloser sein: Er kann nach Informationen fragen, kann raten, kann breit
war und dass er diesen Beruf einige Jahre ausgeübt hatte; dass er ihn nicht mehr aus­ gefächerte, allgemeine Fragen stellen, kann Mitglieder auffordern, ihre Gefühle ande­
übte, nachdem er eine große Erbschaft gemacht hatte; und dass er sich überlegen fühl­ ren Mitgliedern oder einem Vorfall in der Gruppe gegenüber zu beschreiben. Doch der
te und andere verachtete. I n der Gruppe (wie auch in seinem sonstigen gesellschaft­ Gruppentherapeut, der zugleich Einzeltherapeut ist, weiß zu viel! Es wird peinlich, den
lichen Leben) Geheimnisse zu haben, rationa lisierte er m it dem Glauben, dass eine Mitgliedern Fragen zu stellen, wenn man die Antwort bereits weiß. Folglich stellen vie­
Selbstoffenbarung zu noch größerer Distanz zu den anderen führen würde: Man wür­ le Therapeuten fest, dass sie in Gruppen mit ihren eigenen Einzelklienten weniger aktiv
de ihn stereotypisieren, »benutzen«, beneiden, verehren oder hassen. sind, als wenn sie andere Gruppen leiten.
Nach d reimonatiger Teilnahme an einer neu gebildeten G ruppe wurde ihm schmerz­ Beiträge von Gruppenmitgliedern eröffnen oft reichhaltige Gebiete zur Er­
lich bewusst, dass er sich in der Gruppe dieselbe Zuschauerrolle geschaffen hatte, die forschung, Bereiche, in die der Einzeltherapeut vielleicht nie Einblick gewonnen hat.
er auch im wirklichen Leben einnahm. Alle Mitglieder hatten gemeinsam begonnen, Irene, eine Frau mittleren Alters, hatte Monate zuvor ihren Mann verlassen und lebte
alle a nderen hatten sich selbst offenbart und auf persönliche, ungehemmte Art und in einem Zustand großer Unentschlossenheit in einer kleinen Mietwohnung. Andere
Weise teilgenommen - nur er hatte sich dafür entschieden, außerhal b zu bleiben. Gruppenmitglieder fragten sie, wie sie das Appartement eingerichtet hatte, und nach
In unserer Einzelarbeit d rängte ich Sam, sich in der Gru ppe zu offenbaren. Einzelsit­ und nach kam heraus, dass sie praktisch nichts unternommen hatte, um ihre Umge­
zung für Einzelsitzung kam ich mir vor wie ein Sekundant im Boxring, der Sam ermahn­ bung gemütlich und angenehm zu machen. Eine Untersuchung ihres Bedürfnisses,
te, etwas zu riskieren. Während die Gruppensitzungen so verstrichen, sagte ich ihm sich selbst zu berauben, ein härenes Gewand zu tragen, erwies sich als äußerst wertvoll
sogar, dass die Verzögerung die Dinge nur noch schlimmer machte. Wen n er noch viel für sie.
länger wartete, bis er der Gruppe erzählte, dass er einmal Therapeut gewesen sei, wür­ Manchmal werden Ereignisse in der Gruppe erst Monate oder gar Jahre nach Beendi­
de ihm jemand einen Stuh l nachwerfen. {Sam hatte ständig Komplimente wegen sei­ gung der Gruppe erst richtig wertgeschätzt. In einer sechsmonatigen kombinierten The­
nes Wahrnehmungsvermögens und seiner Sensibilität erhalten.) rapiegruppe (in welcher die Klienten ihre Einzeltherapie nach Ende der Gruppe fort­
Endlich wagte Sam den entscheidenden Sprung und enthüllte seine d rei Geheimnisse. führten) erlebte eine Klientin nach Jahren der Affektverdrängung endlich tiefe Trauer
Augenblicklich begannen er und die anderen Mitglieder auf ehrlichere Art und Weise über den Tod ihrer Mutter ( die gestorben war, als die Klientin drei Jahre alt gewesen
miteinander in Beziehung zu treten. Er befähigte andere Mitglieder dazu, an verwand­ war). Erst dann begriff sie viele der Ereignisse in der Gruppe wirklich: Ihre Weigerung,
ten Problemen zu arbeiten. Ein Mitglied, eine Studentin in Ausbildung zur Therapeutin, andere um Hilfe zu bitten; ihre fehlende Bereitschaft zuzulassen, dass andere ihr etwas
sprach ü ber ihre Angst, wegen oberflächlicher Bemerkungen verurteilt zu werden; ein bedeuteten; ihre enormes, aber hohles Gehabe, sich selbst zu genügen.
anderes wohlhabendes Mitglied offenbarte seine Sorgen bezüglich des Neids anderer; In kombinierter Einzel- und Gruppentherapie kämpft der Therapeut oft mit dem
wieder eine a ndere Teilnehmerin offenbarte, dass sie insgeheim ein Snob war. Wieder Problem der Grenze. (Dies gilt manchmal auch bei einer gleichzeitigen Einzel- und
andere erörterten starke, zuvor verborgene Gefühle gegenüber Geld - einschließlich Gruppentherapie, wenn der Gruppentherapeut vom Einzeltherapeuten über wichtige
ihres Zorns ü ber das Honorar des Therapeuten. Nach Ende der Gruppe fuhr Sa m in der Gefühle des Klienten oder über Ereignisse in seinem Leben informiert wurde, die der
Einzeltherapie fort, ü ber diese Interaktionen zu sprechen und neue Risiken beim The­ Betreffende in der Gruppe noch nicht zur Sprache gebracht hat.) Ist der Inhalt der Ein­
rapeuten zu wagen. Die Akzeptanz der Mitglieder nach seinen Offenbarungen war eine zeltherapie des Klienten Gemeingut der Gruppe? Als allgemeine Regel ist es fast immer
wirkungsvolle bestätigende Erfahrung. Zuvor hatten sie ihn wegen seiner hilfreichen wichtig, die Klienten zu drängen, gruppenrelevantes Material in der Gruppe aufzubrin­
Einsichten a kzeptiert, doch diese Akzepta nz hatte wenig bedeutet, weil sie auf gen. Wenn beispielsweise der Klient in der Einzeltherapiestunde zornige Gefühle gegen­
falschem Glauben beruht hatte: wegen seiner falschen Selbstdarstellung und des Ver­ über einem anderen Mitglied aufbringt, muss der Therapeut den Klienten drängen,
bergens seiner beruflichen Ausbildu ng, seines Reichtums und seiner Charakterzüge. diese Gefühle in die Gruppe zurückzutragen.

480 48 1
Angenommen, der Klient widersetzt sich? Wieder werden die meisten Therapeuten zen fernzuhalten. Vieles deutet darauf hin, dass eine Gruppentherapie für die Heilung
die am wenigsten aufdringliche Möglichkeit verfolgen: zuerst den Klienten wiederholt von Alkoholikern eine wichtige Rolle spielen kann, indem sie ihnen hilft, trocken zu
drängen und den Widerstand untersuchen; dann wird er sich auf den Konflikt in der bleiben, und indem sie ihre Widerstandskraft gegen drohende Rückfälle stärkt. 16
Gruppe zwischen den beiden Mitgliedern konzentrieren, selbst dann nur mit milder Außerdem gibt es deutliche Hinweise darauf, dass Zwölf-Schritte-Gruppen einer­
Intensität; dann wird er dem Klienten wissende Blicke zuwerfen; und, als letzten seits wirksam sind und andererseits von den Klienten geschätzt werden. 17 (Die Grup­
Schritt, wird er den Klienten um Erlaubnis bitten, das Material in der Gruppe zur pen der Anonymen Alkoholiker sind unter den Zwölf-Schritte-Gruppen am weitesten
Sprache zu bringen. Dabei muss natürlich sorgfältig abgewogen werden. Kein techni­ verbreitet, doch gibt es insgesamt mehr als hundert verschiedene Arten solcher Grup­
sches Grundprinzip rechtfertigt die Demütigung eines Klienten. Wie bereits früher er­ pen, beispielsweise solche, die sich an Süchtige wenden, welche Kokain oder andere
wähnt wurde, können Therapeuten kaum jemals absolute Vertraulichkeit garantieren, Drogen konsumieren, weiterhin Gruppen für Spielsüchtige, Sexsüchtige und Esssüch­
ohne die therapeutische Arbeit zu behindern. Sie können nur versprechen, sich nach tige.) Es ist naheliegend, dass ein Teil der vielen Millionen Mitglieder der AA allein in
bestem fachlichem Urteilsvermögen um Diskretion zu bemühen. Unterdessen müs­ den USA, die an Tausenden von wöchentlich tagenden Zwölf-Schritte-Gruppen teil­
sen sie den Klienten dazu anleiten, wichtiges Material aus der einen Therapie­ nehmen, sich außerdem in einer Gruppentherapie befinden. Außerdem häufen sich
situation in die andere zu transferieren. Hinweise, nach denen es durchaus möglich ist, die Arbeit einer Zwölf-Schritte-Gruppe
Kombinierte Gruppen- und Einzeltherapie kann für unerfahrene Gruppenthera­ effektiv mit einer konventionellen psychotherapeutischen Betreuung zu verbinden.
peuten spezielle Probleme mit sich bringen. Manche finden es schwierig, den gleichen .71 1 8

Klienten in zwei Formen zu behandeln, da sie in den beiden Arten der Therapie ver­ Gruppentherapie und AA- Gruppen können einander ergänzen, sofern bestimmte
schiedene Rollen zu spielen pflegen; in der Gruppe neigen sie dazu, informeller zu sein, Hindernisse beseitigt werden. Zunächst müssen die Gruppenleiter über die Arbeit der
sich offener und aktiver mit den Klienten zu befassen; in der Einzeltherapie bleiben sie Zwölf-Schritte-Gruppe informiert werden, und sie müssen die Weisheit des Zwölf­
leider meist unpersönlicher und distanzierter. Therapeuten in der Ausbildung halten Schritte-Prograrnms sowie die enorme Unterstützung, die es mit ihren Süchten kämp­
es oft für besser, dass Klienten eine reine Behandlungserfahrung machen - d. h. nur fenden Menschen bietet, zu schätzen lernen. Zweitens gilt es, verschiedene verbreitete
Gruppentherapie ohne gleichzeitige Einzeltherapie bei ihnen selbst oder einem ande­ falsche Vorstellungen aufzulösen - und zwar sowohl bei den Gruppentherapeuten
ren Therapeuten, damit sie selbst entdecken können, was sie von der jeweiligen Art als auch bei den Mitgliedern der Zwölf-Schritte-Gruppen. Dazu zählen: 19
der Therapie zu erwarten haben.
1 . Zwölf-Schritte-Gruppen sind gegen Psychotherapie und medikamentöse Behand­
Kom b i n ieren e i n e r G r u ppenthera pie m it e i n e r Zwölf-Sch ritte-G ru ppe lungen.
2. Zwölf-Schritte-Gruppen fordern ihre Mitglieder auf, ihre persönliche Verantwor-
Ein Nebeneinander zweier Therapieformen, das immer mehr Verbreitung findet, ist tung aufzugeben.
die gleichzeitige Behandlung von Klienten, die einer Zwölf-Schritte-Gruppe angehö­ 3. Zwölf-Schritte-Gruppen sind gegen den Ausdruck starker Affekte.
ren, in einer Gruppentherapie. Zwischen den Befürwortern dieser beiden Behand­ 4. Die konventionelle Gruppentherapie vernachlässigt die Spiritualität.
lungsmodalitäten gab es von Anfang an gewisse Antipathien, wobei subtile und manch­ 5. Die konventionelle Gruppentherapie ist auch ohne Zwölf-Schritte-Gruppen wirk­
mal auch offene Verunglimpfungen der jeweils anderen Seite keine Seltenheit waren. 14 sam genug.
Seit einiger Zeit wird es zunehmend als sinnvoll angesehen, durch Substanzmissbrauch 6. Die konventionelle Gruppentherapie sieht die Beziehungen zwischen AA-Mitglie­
bedingte Störungen mit psychotherapeutischen Methoden zu behandeln. Aufgrund dern und die zwischen Sponsoren und Gesponserten von ihnen Betreuten als
der gewaltigen volkswirtschaftlichen Kosten und der psychosozialen Bedeutung von regressiv an.
Suchtkrankheiten, der hohen Zahl mit ihnen verbundener anderweitiger psychischer
Probleme und des sozialen und relationalen Kontexts von Suchterscheinungen ist die Zunächst ist zu bedenken, dass man nur schwer Pauschalaussagen über die AA-Treffen
Gruppentherapie ein in diesem Bereich besonders geeigneter Behandlungsmodus. 71 15 machen kann, weil diese Treffen nicht immer gleich verlaufen. Vielmehr gibt es von
Zu Substanzmissbrauch neigende Menschen erleben außerdem gewöhnlich in jeder Gruppe zu Gruppe starke Unterschiede. Generell jedoch unterscheiden sich die Ar­
Phase ihrer Krankheit starke interpersonale Beeinträchtigungen: Erstens bestehen bei beitsweise der AA und die gruppentherapeutische Arbeit in zwei wichtigen Punkten.
ihnen prädisponierende interpersonale Probleme, die emotionalen Schmerz erzeugen, Die AA baut in starkem Maße auf die Beziehung ihrer Mitglieder zu einer höheren
welchen die Betroffenen durch den Substanzmissbrauch zu lindern versuchen; zwei­ Macht, auf die Unterordnung gegenüber dieser höheren Macht und auf ein Selbst­
tens haben sie aufgrund des Substanzmissbrauchs Beziehungsprobleme; und drittens verständnis, das sich auf diese höhere Macht bezieht.
erschweren ihre interpersonalen Schwierigkeiten es ihnen, sich von den Suchtsubstan- Hingegen fördert die Gruppentherapie die Interaktion zwischen den Gruppenmit-

482 483
gliedern, insbesondere im Hier und Jetzt, und sieht sie als das Lebenselixier der Grup­ eher Hinsicht sogar überlegen. 22 Kliniker sind unterschiedlicher Meinung.23 Meine
pe an. Hingegen verbietet die AA die direkte Interaktion zwischen ihren Mitgliedern eigene klinische Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Gruppentherapie mit zwei The­
(»crosstalk«) während eines Treffens ausdrücklich. Dies gilt für jede Art von Frage, rapeuten sowohl besondere Vorteile als auch potenzielle Gefahren in sich birgt.
Empfehlung, Rat, Feedback oder Kritik. (Allerdings ist auch diese Darstellung zu pau­ Sehen wir uns zuerst die Vorteile an: Co-Therapeuten ergänzen und unterstützen
schal, da es durchaus AA-Gruppen gibt, in denen ein beträchtliches Maß an Interak­ einander; ihr kognitiver und ihr Beobachtungshorizont sind größer, wenn sie zu zweit
tion stattfindet.) Das Verbot von »crosstalk« bewirkt keineswegs, dass die AA-Ver­ sind; ihre zwei Standpunkte erzeugen mehr Vermutungen und mehr Strategien. Wenn
sammlungen einen unpersönlichen Charakter annehmen. AA-Mitglieder haben mir ein Therapeut zum Beispiel intensiv an den Äußerungen eines Mitgliedes Anteil
erklärt, die Gewissheit, nicht verurteilt oder kritisiert zu werden, wirke befreiend auf die nimmt, behält der Co-Therapeut die Reaktionen der übrigen Mitglieder auf die Inter­
Teilnehmer der Treffen und ermutige sie zu sehr tiefreichenden Offenbarungen. Da es aktion sehr viel besser im Auge und ist deshalb möglicherweise besser in der Lage, die
in diesen Gruppen keinen festen und ausgebildeten Gruppenleiter gibt, der die Inter­ Interaktion und Exploration zu erweitern.
aktion im Hier und Jetzt und ihre Verarbeitung steuert, erscheint mir die Entscheidung Außerdem lösen Co-Therapeuten übertragungsreaktionen aus, und Art und Stärke
der AA, intensive interpersonale Interaktion zu meiden, als sinnvoll und zweck­ der auf Übertragung beruhenden Verzerrungen werden deutlicher, weil die Klienten
dienlich. die Co-Therapeuten und auf die Beziehung zwischen den Co-Therapeuten unter­
Leiter von Therapiegruppen, die ein AA-Mitglied in ihre Gruppe aufnehmen, müs­ schiedlich reagieren. In Gruppen, in denen starke Gegenübertragungsreaktionen des
sen bedenken, dass diesem Feedback innerhalb der Gruppe völlig unbekannt ist. Des­ Therapeuten zu erwarten sind (beispielsweise Gruppen für Klienten mit Aids oder
halb sollten sie in den Einzelsitzungen zur Vorbereitung auf die Gruppenarbeit beson­ Krebs oder Gruppen für Traumatisierte), ist die unterstützende Funktion des Co-The­
deren Wert darauf legen, die Unterschiede zwischen dem AA-Modell und dem Modell rapeuten sowohl für die Klienten als auch für den Therapeuten besonders wichtig. 71 24
der Therapiegruppe, was die Nutzung des Hier und Jetzt angeht, gründlich zu er­ Die meisten Therapeutenteams spielen absichtlich oder häufiger unabsichtlich un­
klären. terschiedliche Rollen: Ein Therapeut nimmt die Rolle des Provokateurs an - ähnlich
Ich empfehle Gruppenleitern, an einigen AA- Treffen teilzunehmen und sich gründ­ wi_e eine sokratische Stechfliege -, während der andere mehr gibt und die Harmonie in
lich mit dem Zwölf-Schritte-Programm vertraut zu machen. Zeigen Sie, dass Sie das der Gruppe aufrechterhält. 71 Wenn die Co-Therapeuten verschiedenen Geschlechts
Zwölf-Schritte-Programm verstehen und als sinnvoll ansehen, und versuchen Sie Kli­ sind, übernehmen sie gewöhnlich (aber nicht ausnahmslos) die entsprechenden Rol­
enten zu vermitteln, dass die meisten der zwölf Schritte auch im Kontext einer Thera­ len. In gut funktionierenden Co-Therapeuten-Teams wird die Rollenverteilung flie­
piegruppe ihren Sinn haben und dass sie, wenn sie befolgt werden, die therapeutische ßend gehandhabt; es gibt also keine starren Rollen. Beide Gruppenleiter sollten die
Arbeit bereichern können. Möglichkeit haben, das gesamte Spektrum therapeutischer Haltungen und Interven­
In Tabelle 1 4. 1 (Seite 486) werden die zwölf Schritte aufgeführt, und ihnen werden tionen zu nutzen.
jeweils Entsprechungen zu ihnen aus dem Bereich der Gruppentherapie gegenüberge­ Viele Kliniker sind der Auffassung, dass ein Co-Therapeuten-Team, das aus einem
stellt. Dabei geht es mir nicht darum, die zwölf Schritte auf meine eigene Weise zu deu­ Mann und einer Frau besteht, besondere Vorteile haben kann. Das Paradigma der
ten, sondern ich versuche, die in den zwölf Schritten enthaltenen Ideen in verwandte Gruppe als Primärfamilie kann stärker zutage treten; es entstehen viele Fantasien und
Konzepte interpersonaler Gruppenarbeit zu übersetzen. Dieser Verständnisrahmen falsche Vorstellungen über die Beziehungen zwischen den beiden Therapeuten, die
vermag Gruppenleitern zu helfen, eine Sprache zu entwickeln, die beiden Ansätzen ge­ man mit Gewinn untersucht werden können. Viele Klienten ziehen Nutzen daraus,
recht wird und welche die Idee stützt, dass eine Therapie und der in den Zwölf-Schrit­ dass ein beispielgebendes Paar mit gegenseitigem Respekt und ohne die destruktive
te-Programmen anvisierte Genesungsprozess einander fördern und unterstützen kön­ Konkurrenz wechselseitiger Abwertung und Ausbeutung zusammenarbeitet, ebenso
nen. wie ohne eine alles überlagernde Sexualität, die für die Klienten möglicherweise mit
einer Mann-Frau-Kombination verbunden ist. Bei Opfern früher Traumata und
Co-Thera p euten sexueller Missbrauchserlebnisse vergrößert ein Co-Therapeuten-Team, dem eine Frau
und ein Mann angehören, den therapeutischen Handlungsspielraum, da es den
Manche Gruppentherapeuten kommen lieber allein mit der Gruppe zusammen, aber Klienten die Möglichkeit gibt, sich mit Problemen wie Misstrauen, Machtmissbrauch
die meisten ziehen es vor, mit einem Co-Therapeuten zu arbeiten. 21 Uns liegen nur we­ und Hilflosigkeit auseinanderzusetzen, die in den frühen Paradigmen von Männer­
nige Untersuchungen vor, in denen die Wirksamkeit der beiden Möglichkeiten ver­ Frauen-Beziehungen verwurzelt sind. Klienten aus Kulturen, in denen Männer domi­
glichen wird, allerdings haben Untersuchungen über Co-Therapie bei der therapeu­ nant und Frauen unterwürfig sind, erleben ein Co-Therapeuten-Team, das aus einer
tischen Arbeit mit Familien und Paaren ergeben, dass sie in diesen Fällen mindestens starken, kompetenten Frau und einem sanften, kompetenten Mann besteht, als
so wirksam ist wie eine Behandlung durch nur einen Therapeuten, und dieser in man- ungeheuer förderlich.25

484 485
Ta bel l e 14.1 Para l lelen zwischen d e m Zwölf-Sch ritte-Ansatz ren m it neuen Verha ltensweisen. Bitte
und der Arbeit i nterpersonal orientierter Thera piegru ppen u m Feedback und nimm es an, u m dein
l nterpersonale Repertoire an i nterpersonalen Verhal­
G ruppen psychothera pie tensweisen zu erweitern. Obgleich die
Die Zwölf Schritte
G ru ppe die Mögl ichkeit eröffnet, a n
1. Wir ga ben zu, dass wi r dem Alkohol G i b G rand iosität u n d Gegenabhängig­ Problemen zu arbeiten, bist d u sel bst
gegen über machtlos sind - und un­ keit auf. Fa ng an, dem Gru ppen prozess dafü r verantwortlich, dass diese Arbeit
ser Leben nicht mehr meistern konn­ und der Macht der G ru ppe zu ver­ tatsächl ich getan wird.
ten. trauen.
8. Wir machten eine Liste a l ler Per­ E rken ne, fü r welche interpersonalen
2. Wir ka men zu dem G l a u ben, dass Sel bsthei l u ng d u rch Beziehu ngen und sonen, denen wir Schaden zugefügt Verletzu ngen d u verantwortlich bist;
eine Macht, größer als wir sel bst, uns Verbunden heit mit a nderen Menschen. hatten, und wurden wi l l ig, ihn bei entwickle Empathie den Gefühlen an­
unsere geistige Gesund heit wieder­ Umdeutung der »höhere n Macht« i n a l len wiedergutzu machen. derer gegen ü ber. Versuche, die Wirkung
geben ka nn. e i n e Quelle der Beruh ig ung, Zuwen­ deiner Handlu ngen auf a ndere zu er­
d u ng und Hoffn ung, welche den Dro­ kennen, u nd entwickle die Bereitschaft,
gen- bzw. Alkoholkonsu m zu ersetzen Schaden wiedergutzu machen.
vermag.
9. Wir machten bei diesen Menschen Ben utze die G ruppe a ls Testsituation
3. Wir fassten den Entsch l u ss, unseren Vertra ue auf den Prozess der Therapie a l les wieder gut - wo im mer es mög­ fü r die Seq uenz des Erkennens und der
Willen und u nser Leben der Sorge und auf den guten Willen der ü brigen l ich wa r -, es sei denn, wir hätten Wiedergutmach ung. Beginne m it der
Gottes - wie wir i h n versta nden - Gruppenmitglieder. dadurch sie oder a ndere verletzt. Arbeit am neu nten Sch ritt, indem d u
a nzuvertra uen. anderen G ruppenmitgl iedern Genugtu­
4. Wir machten eine gründliche u n d Sel bstentdecku ng. S uche in d i r. Finde so ung l eistest, die du auf irgendeine Wei­
furchtlose I nventur i n unserem I n ne­ viel wie möglich ü ber d ich hera u s. se geh indert oder a ngegriffen hast.
ren. 10. Wir setzten die I nventur bei uns fort, I nterna l isiere den Prozess der Sel bstre­
5. Wir gaben Gott, u ns sel bst und Sel bstoffenbaru ng. Teile anderen mit, und wenn wir Unrecht hatten, ga­ flexion, des Ü bernehmens von Verant­
einem anderen Menschen gegenü­ was in d i r geschieht - d ie Erlebnisse, die ben wir es sofort zu. wortung und der Sel bstoffenbaru ng.
ber u nverh ü l lt unsere Feh ler zu. dich mit Scham- u n d Sch uldgefühlen Mache diese Eigenschaften zu Bestand­
erfü l len, sowie deine Trä u me und Hoff­ teilen dei nes Seins in der Thera piegrup­
n u ngen. pe und im normalen Leben.

6. Wir waren völ l ig bereit, a l l diese Erforsche und erhelle i m Hier und Jetzt 11. Wir suchten d u rch Gebet und Besin­ Kei n direkter psychotherapeutischer Fo­
Charakterfeh ler von Gott beseitigen der Behand l u n g a l l e destru ktiven i nter­ n u ng die bewusste Verbindung zu kus, sondern die Therapiegru ppe könnte
zu lassen. personalen Handlungen, die Rückfä l l e Gott - wie wir ihn versta nden - zu med itative Geistesberuhigung und spi­
hervorrufen können. D i e G ru ppe hat d i e vertiefen. Wir baten ihn n u r, uns sei­ rituelle U ntersuchung u nterstützen.
Aufga be, ihren Mitgl iedern zu helfen, i n nen Wi llen erkennbar werden zu las­
sich sel bst Ressourcen zu finden, u m sen und uns die Kraft zu geben, ihn
sich darauf vorzu bereiten, a ktiv zu wer­ auszufü hren.
den. 12. Nachdem wir d u rch diese Sch ritte Kü mmere dich a ktiv u m andere und be­
7. Demütig baten wir i h n, u nsere Män­ Nehme i nterpersona le E m pfindu ngen ein spirituel les Erwachen erlebt hat­ ginne damit bei den a nderen Mitglie­
gel von uns zu nehmen. und Verha ltensweisen zur Kenntnis, ten, versuchten wir, diese Botschaft dern der Thera piegru ppe, der d u a nge­
welche befried igende Bezieh u ngen zu an Alkohol iker weiterzugeben und hörst. Eine a ltru istische Art, in der Welt
anderen Menschen unmöglich machen. u nser tägliches Leben nach d iesen zu sein, wi rd deine Liebe und deinen Re­
Modifiziere d iese d u rch Experimentie- G rundsätzen auszurichten. spekt d i r selbst gege n ü ber stärken.
Adaptiert von Matano und Yalom.20

486 487
Aufgrund meiner Beobachtungen in über 80 Therapiegruppen, die von angehen­ erha lte. Die Frage ü berraschte mich. Zunächst erklä rte ich, mi r sei dies erst d u rch i hren
den Therapeuten geleitet wurden, betrachte ich die Methode der Co-Therapie als be­ H i nweis a ufgefa l len . Da n n forderte ich a ndere Gru ppen m itgl ieder a uf zu sagen, was
sonders vorteilhaft für den Anfänger. Viele Therapeuten sehen das Erleben der Zusam­ sie darüber dächten, woraufhi n sie d i e Beobachtung der Co-Therapeuti n bestätigten.
menarbeit mit einem Co-Therapeuten rückblickend als eine ihrer wichtigsten Lern­ Bald wu rde m i r kla r, dass ich Rob tatsäch lich in übertriebenem Maße zu besch ützen
erfahrungen an. Wo sonst in einer Therapeutenausbildung haben zwei angehende The­ versuchte, und ich erklä rte, er habe zwar deutliche Fortschritte in der Kontrolle seines
rapeuten die Möglichkeit, gleichzeitig an ein und derselben Therapiesituation teilzu­ Ärgers und sei ner Wuta usbrüche erzielt, erscheine m i r a ber immer noch als seh r ver­
haben und die gleiche Supervision zu erhalten?26 Die Anwesenheit eines Co-Thera­ letzlich, wesha l b ich das Gefü h l hätte, dass ich ih n vor Ü berrea ktionen u n d vor der
peuten verringert die anfängliche Angst und ermöglicht den Therapeuten größeren Zun ichtemachung des bereits Erreichten schützen m üsse. Rob dan kte m ir und meiner
Gleichmut und größere Objektivität bei ihren Bemühungen, die Sitzung zu überschau­ Co-Therapeutin fü r unsere Offenheit und fügte hinzu, er habe zwar in der Vergangen­
en. Im Gespräch nach der Sitzung können die Co-Therapeuten einander wertvolles heit besondere Betre u u ng gebra ucht, doch sei d ies jetzt n icht meh r der Fa l l . Er hatte
Feedback über ihr Verhalten geben. Solange Therapeuten noch nicht erfahren genug recht!
sind, um genau zu wissen, wie sie sich vor der Gruppe darstellen, ist ein derartiges
Feedback wesentlich, um sie zu der Unterscheidung zu befähigen, was an den Wahr­ In solchen Fällen erleben die Gruppenmitglieder ihre Therapeuten als Menschen, die
nehmungen real und was Übertragungverzerrung ist. Ähnlich können sich Co-Thera­ trotz ihrer Unvollkommenheiten ehrlich versuchen, den Klienten zu helfen. Ein solcher
peuten gegenseitig beim Erkennen und Durcharbeiten von Gegenübertragungsreak­ Vermenschlichungsprozess wirkt einer irrationalen Stereotypisierung entgegen, und
tionen verschiedenen Klienten gegenüber helfen. die Klienten lernen, andere aufgrund ihrer individuellen Merkmale und nicht nach ih­
Für junge Therapeuten ist es besonders schwierig, angesichts massiven Gruppen­ ren Rollen zu unterscheiden. Leider nutzen Co-Therapeuten die�e wundervolle Mög­
drucks objektiv zu bleiben. Eine der unangenehmeren und schwierigeren Aufgaben des lichkeit, als Vorbilder zu fungieren, viel zu wenig. Eine Untersuchung der Kommuni­
Therapieneulings besteht darin, einen Gruppenangriff zu überstehen, der sich gegen kationsmuster in Therapiegruppen zeigt äußerst wenige Bemerkungen von Therapeut
ihn selbst richtet, und der Gruppe zu helfen, diesen konstruktiv zu nutzen. Wenn Sie zu Therapeut.28
unter Feuer stehen, fühlen Sie sich vielleicht zu bedroht, um den Angriff zu klären oder Obwohl sich manche Klienten unwohl fühlen, wenn sie Meinungsverschiedenhei­
weitere Angriffe herauszufordern, ohne abweisend oder herablassend zu erscheinen. ten zwischen Co-Therapeuten miterleben, weil sie sich dadurch an Konflikte zwischen
Nichts ruft tieferes Schweigen hervor als ein Mensch, der unter Beschuss zu behaupten ihren Eltern erinnert fühlen, doch stärken solche Situationen in den meisten Fällen die
wagt: »Es ist wirklich großartig, dass Ihr mich angreift - nur weiter so!« Ein Co-The­ Ehrlichkeit innerhalb einer Gruppe und die Wirkkraft ihrer Arbeit. Ich habe beobach­
rapeut kann hier unschätzbare Dienste leisten, indem er den Mitgliedern hilft, ihre tet, wie viele stagnierende Gruppen zu neuem Leben erwachten, wenn die beiden The­
Wut auf den anderen Therapeuten zu äußern und schließlich Ursache und Bedeutung rapeuten sich als Individuen differenzierten.
dieser Wut zu untersuchen. Die Nachteile der Co-Therapie entstehen aus Problemen in der Beziehung zwischen
Ob Co-Therapeuten während der Gruppensitzungen Uneinigkeiten offen ausdrü­ den beiden Co-Therapeuten. Die Zusammenarbeit der Co-Therapeuten prägt den Ver­
cken sollen, ist eine umstrittene Frage. Ich habe im Allgemeinen festgestellt, dass eine lauf der Gruppenarbeit entscheidend. Dies ist eines der wichtigsten Argumente, die
Meinungsverschiedenheit zwischen den Therapeuten in den ersten Sitzungen meistens gegen die Nutzung der Co-Therapie außerhalb von Ausbildungssituationen vorge­
für die Gruppe keine Hilfe ist. Die Gruppe ist noch nicht stabil oder kohäsiv genug, um bracht werden.29 Warum noch eine weitere Beziehung ( und dazu eine, die die thera­
einen solchen Dissens in der Führung zu ertragen. Später jedoch kann eine Uneinigkeit peutischen Ressourcen schmälert) zu der ohnehin schon komplexen Gruppensituation
unter den Therapeuten sehr viel zur Therapie beitragen. In einer Untersuchung fragte hinzufügen?30
ich 20 Klienten, die eine Langzeit-Gruppentherapie abgeschlossen hatten, nach den Deshalb ist es wichtig, dass sie sich miteinander wohlfühlen und offen zueinander
Wirkungen von Meinungsverschiedenheiten unter den Therapeuten auf den Verlauf sein können. Sie müssen lernen, jeweils die Stärken des anderen auszunutzen: Einer
der Gruppenarbeit und auf ihre eigene Therapie.27 Sie waren einhellig der Meinung, kann vielleicht besser Zuwendung und Unterstützung geben, der andere kann fähiger
die Wirkung sei nützlich gewesen. Für manche Klienten war es eine beispielgebende zu Konfrontationen und zum Ertragen von Wut sein. Wenn die Co-Therapeuten mit­
Erfahrung: Sie waren Zeugen, wie von ihnen respektierte Menschen offen uneins waren einander konkurrieren und ihren eigenen Star-Deutungen nachgehen, anstatt die Un­
und ihre Differenzen mit Würde und Takt bereinigten. tersuchungsrichtung zu unterstützen, die der andere begonnen hat, wird die Gruppe
Hierzu folgendes klinische Beispiel: irritiert und instabil. Ebenso wichtig ist, dass Co-Therapeuten dieselbe Fachsprache
sprechen. Eine Untersuchung an 42 Co-Therapie-Teams brachte ans Licht, dass die
Wä hrend einer Gruppensitzung fragte mich meine Co-Therapeutin, warum ich i mmer häufigste Quelle der Unzufriedenheit mit der Co-Therapie unterschiedliche theoreti­
so schnell bei der Hand sei, einen der Mä nner, Rob, zu unterstützen, wen n er Feedback sche Orientierungen waren.3 1

488 489
In manchen Ausbildungsprogrammen wird ein angehender Therapeut mit einem eingebunden sind. Wenn Sie als Teil Ihrer Ausbildung Mitglied in einer Selbsterfah­
erfahrenen Kollegen zusammengebracht - eine Form von Co-Therapie, die zwar einer­ rungsgruppe werden, haben Sie eine ideale Gelegenheit, Daten über das Gruppenver­
seits viele Vorteile bietet, aber andererseits auch mit zahlreichen Problemen belastet ist. halten der anderen Studenten zu sammeln. Ich schlage meinen Studenten immer vor,
Die erfahrenen Kollegen müssen in diesem Fall durch ihr Vorbild und ihre Ermutigung Entscheidungen über die Wahl von Co-Therapeuten so lange aufzuschieben, bis sie
lehren, wohingegen die jungen Co-Therapeuten lernen müssen, ihre persönliche Ei­ sich in einer derartigen Gruppe begegnet sind. Sie tun gut daran, sich einen Co-The­
genart zu entwickeln und dabei gleichzeitig Mangel an Selbstsicherheit und destrukti­ rapeuten auszusuchen, dem Sie sich nahe fühlen, der Ihnen aber in seinen Persönlich­
ves Konkurrenzverhalten zu vermeiden. Am wichtigsten jedoch ist, dass sie bereit sein keitsmerkmalen unähnlich ist: Eine solche sich ergänzende Gegensätzlichkeit be­
müssen, als Gleichgestellte ihre Beziehung zu untersuchen - nicht nur für sich selbst, reichert das Erleben der Gruppe.
sondern auch, um in dieser Hinsicht für die Gruppenmitglieder als Vorbilder fungie­ Wie ich schon gesagt habe, hat es Vorteile, wenn das Team aus Mann und Frau be­
ren zu können. 71 Die Wahl eines Co-Therapeuten sollte man also nicht auf die leichte steht, aber Sie tun besser daran, eine Gruppe zusammen mit einer Person ihres Ge­
Schulter nehmen. Ich habe in vielen Kursen für Psychotherapeuten miterlebt, wie Co­ schlechts zu führen, mit der Sie sich vertragen, als mit Kollegen des anderen Ge­
Therapeuten gewählt wurden; dabei hatte ich Gelegenheit, das Fortschreiten dieser schlechts, mit denen Sie nicht harmonieren. Ehepaargruppen werden häufig auch von
Gruppen zu verfolgen. Ich bin überzeugt, dass letzten Endes Erfolg oder Scheitern Ehepaaren geleitet (es handelt sich meist um Kurzzeitgruppen, die sich auf die Verbes­
einer Gruppe von der Richtigkeit dieser Wahl abhängt. Wenn die beiden Therapeuten serung von Zweier-Beziehungen konzentrieren). Die gemeinsame Leitung einer tradi­
einander nicht sympathisch sind und verschlossen bleiben, miteinander konkurrieren tionellen Langzeitgruppe erfordert jedoch eine ungewöhnlich reife und stabile eheliche
oder bezüglich des Stils und der Strategie sehr verschiedener Meinung sind ( und wenn Beziehung. Therapeuten, die miteinander eine neue romantische Beziehung eingegan­
diese Differenzen in der Supervision nicht auflösbar sind), ist die Wahrscheinlichkeit gen sind, rate ich, keine Gruppe gemeinsam zu leiten; es ist besser zu warten, bis die
gering, dass sich ihre Gruppe zu einer effizienten Arbeitsgruppe entwickeln kann.32 Beziehung Stabilität und Dauerhaftigkeit gewonnen hat. Ein ehemaliges Liebespaar,
Unterschiede hinsichtlich des Temperaments und des natürlichen Rhythmus sind das sich einander entfremdet hat, ergibt kein gutes Co-Therapeuten-Team.
unvermeidbar. Doch müssen derartige Unterschiede nicht so festgeschrieben sein, dass Klienten mit schwierigen Charakterpathologien (siehe Kapitel 13), die nicht in der
die Rollen und Aufgaben beider Co-Therapeuten dadurch eingeschränkt werden. Lage sind, Gefühle der Liebe und des Hasses zu integrieren, projizieren manchmal Ge­
Manchmal kann das Feedback der Gruppe erhellend wirken und zu wichtigen Resul­ fühle auf die Therapeuten, die das Co-Therapeuten-Team »spalten«. Der eine Co-The­
taten führen. So war es in einer Gruppe für Männer, die ihre Frauen misshandelt hat­ rapeut wird in solchen Fällen zum Fokus des positiven Anteils der Spaltung und somit
ten: Sie warfen die Frage auf, warum der männliche Co-Therapeut das Teilnahmeho­ idealisiert, wohingegen sich auf den anderen Hassgefühle konzentrieren, weshalb er
norar einsammelte und die weibliche Co-Therapeutin die »Aufräumarbeit« erledigte. angegriffen oder gemieden wird. Oft führen überwältigende Ängste von Klienten vor
Wenn Berater oder Supervisoren herbeigerufen werden, um einer Gruppe zu hel­ dem Verlassenwerden oder Verschlungenwerden zu solchen Spaltungen.
fen, die keine befriedigenden Fortschritte macht, ist diese Hilfe oft am wirksamsten, Manche Gruppen spalten sich in zwei Parteien, wobei jeder Therapeut sein »Team«
wenn die Beziehung zwischen den Co-Therapeuten sorgfältig untersucht wird. (Da­ von Klienten hat, zu denen er eine besondere Beziehung pflegt. Manchmal hat diese
rüber wird in Kapitel 17 ausführlich gesprochen.) Eine Untersuchung, die mit ange­ Spaltung ihren Ursprung in der Beziehung, die der Therapeut vor Beginn der Gruppe
henden Gruppenleitern durchgeführt wurde, ergab, dass alle Ausbildungsteilnehmer, mit dem Klienten aufgebaut hat, als er sie in Einzeltherapie oder zur Beratung bei sich
die über ein enttäuschendes Erlebnis in der klinischen Praxis berichteten, in der The­ hatte. (Aus diesem Grund ist es ratsam, dass beide Therapeuten - vorzugsweise gleich­
rapiesituation nicht untersuchte und nicht aufgelöste Spannungen erlebt hatten.33 Eine zeitig - die Einführungsgespräche vor Beginn der Gruppe mit den einzelnen Klienten
frustrierte und entmutigte Co-Therapeutin berichtete in der Supervision, kurz nach­ führen. Ich habe Klienten erlebt, die während des ganzen Verlaufs ihrer Gruppenthe­
dem ihr arroganter und inkompetenter Co-Therapeut aus dem Ausbildungsprogramm rapie eine besondere Bindung zu dem Mitglied des Therapeuten-Teams empfanden,
ausgeschieden war, über einen aufschlussreichen Traum. Darin hatte sie als Hockey­ mit dem sie zuerst gesprochen hatten.) Andere Klienten stellen sich auf die Seite des
Torhüterin das Tor ihrer Mannschaft verteidigt, und ein Spieler ihrer eigenen Mann­ einen Therapeuten, weil ihnen seine persönlichen Eigenschaften gefallen oder weil sie
schaft (na wer wohl?) hatte immer wieder den Puck auf ihr Tor geschossen. meinen, er sei intelligenter, erfahrener, sexuell attraktiver als der andere Therapeut
Man sollte also einen Co-Therapeuten nicht blind wählen: Führen Sie eine Gruppe oder ihnen selbst in ethnischer oder persönlicher Hinsicht ähnlicher. Was auch die
nie mit jemandem gemeinsam, den Sie nicht gut kennen oder nicht mögen. Treffen Sie Gründe für die Bildung von Untergruppen sein mögen, man sollte den Prozess auf jeden
die Wahl nicht aufgrund von Arbeitsdruck oder der Unfähigkeit, eine Einladung aus­ Fall beachten und offen besprechen.
zuschlagen. Eine solche Beziehung ist viel zu wichtig und zu bindend.·
Sie sind in einer weit besseren Situation, wenn Sie unter guter Supervision eine Grup­ * In dem Roman »Wiedersehen mit Brideshead« von Evelyn Waugh bekommt der Held den Rat, wenn
er nicht umsichtig sei, werde er einen großen Teil seines zweiten College-Jahres damit zubringen müs­
pe allein leiten, als wenn Sie in eine inkompatible Beziehung zwischen Co-Therapeuten sen, sich von unerwünschten Freunden zu befreien, die er im ersten Jahr kennengelernt habe.

490 49 1
Ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit eines guten Co-Therapeuten-Teams ist ge­ Diskussionen würden zunehmend flauer werden: »Wir würden immer in Sackgas­
nügend Zeit für Besprechungen. Die Beziehung zwischen den Co-Therapeuten braucht sen laufen, wenn der Doktor uns nicht bei der Stange hielte!« - »Ohne die Ermuti­
Zeit, um sich entwickeln und reifen zu können. Co-Therapeuten müssen sich Zeit neh­ gung des Therapeuten könnte ich meine feindseligen Gefühle niemals äußern.«
men, um miteinander zu reden und ihre Beziehung zu pflegen. 34 Sie brauchen mindes­ »Er muss da sein, damit immer wieder alles aufgerührt wird.« - »Wer würde sonst
tens einige Minuten vor jeder Sitzung, um über die letzte Sitzung zu sprechen und die schweigenden Mitglieder hereinziehen?« - »Wer würde die Regeln aufstellen?
mögliche Vorhaben für die Sitzung des Tages miteinander zu diskutieren, ebenso 15 bis Wir würden die ganze Sitzung nur mit dem Versuch zubringen, Regeln aufzustel­
20 Minuten am Ende, um den Verlauf der Sitzung gemeinsam abzuklären und um sich len.«
ihre Eindrücke vom Verhalten des jeweils anderen zu vermitteln. Falls die Gruppe kont­ 2. Die Gruppe würde die Kontrolle über ihre Gefühle verlieren. Die Wut wäre un­
rolliert wird, ist es unerlässlich, dass beide Therapeuten die Supervisionssitzung besu­ gehemmt, und es wäre niemand da, um entweder den geschädigten Gruppenmit­
chen. Viele geschäftige Kliniken begehen im Namen der Effizienz und Wirtschaftlich­ gliedern Rückendeckung zu geben oder den Aggressiven zu helfen, die Beherr­
keit den schlimmen Fehler, keine Zeit für Diskussionen zwischen den Co-Therapeuten schung nicht zu verlieren.
einzuplanen. 3. Die Gruppe wäre unfähig, ihre Erfahrungen zu integrieren und sie konstruktiv zu
nutzen: »Der Therapeut ist derjenige, der aufpasst, wo noch etwas in der Luft hängt,
Die Sitz u ng o h n e G ru ppen leiter und der für uns Zusammenhänge herstellt.« - »Er hilft, die Atmosphäre zu klären,
indem er zeigt, wo die Gruppe gerade steht.« Die Gruppenmitglieder sahen den
Anfang der 1950er-Jahre experimentierten einige Kliniker mit Gruppensitzungen ohne Therapeuten als den Wächter über die Zeit an - er gilt als der Gruppenchronist, der
Leiter. Beispielsweise trafen sich die Gruppenmitglieder, wenn der Leiter in Urlaub war, Verhaltensweisen im Längsschnitt sieht und darauf hinweist, dass das, was ein Mit­
oder die Gruppe traf sich mehr als einmal wöchentlich und setzte regelmäßig Termine glied heute, letzte Woche und vor einem Monat getan hat, insgesamt ein kohärentes
ohne den Gruppenleiter an. In den letzten beiden Jahrzehnten hat das Interesse an Verhaltensmuster ergibt. Die Mitglieder sagen damit in Wirklichkeit, sie könnten
Gruppensitzungen ohne Leiter stark abgenommen. Fast keine Artikel sind über dieses zwar ohne den Therapeuten viel Aktion und Engagement erleben, aber sie wären
Thema erschienen, und meine eigenen informellen Übersichtsarbeiten deuten darauf unfähig, diese auch therapeutisch umzusetzen.
hin, dass heute nur noch wenige Therapeuten regelmäßige Sitzungen ohne Gruppen­
leiter in ihrer Praxis vorsehen.35 V iele Bedenken der Mitglieder sind natürlich unrealistisch und spiegeln eine hilflose,
Heutzutage ist es üblich, dass Therapeuten hin und wieder eine Gruppensitzung abhängige Haltung wider. Gerade aus diesem Grund kann eine Sitzung ohne Leiter im
ohne Leiter organisieren; allerdings geschieht dies in der Regel nur, wenn die betreffen­ Therapieprozess eine wichtige Rolle spielen. Die alternierende Sitzung hilft den Grup­
den Gruppenleiter den Termin sonst wegen Verhinderung absagen müssten. Dies ist penmitgliedern, sich als selbstständige, verantwortliche und auf fremde Hilfe nicht
eine der Möglichkeiten, mit solchen Situationen umzugehen. Natürlich kann man die unbedingt angewiesene Erwachsene zu erleben, die zwar vom Fachwissen des Thera­
betreffende Sitzung auch absagen, sie auf einen anderen Termin verlegen, die Arbeits­ peuten profitieren mögen, aber trotzdem ihre Gefühle beherrschen, die primäre
zeit in der nächsten Sitzung verlängern und einen Ersatzleiter mit der Leitung be­ Aufgabe der Gruppe verfolgen und ihre Erfahrungen integrieren können.
auftragen.36 Es ist oft sehr interessant zu beobachten, welche Art und Weise die Gruppe sich aus­
Die Mitglieder sind gewöhnlich am Anfang vom Vorschlag einer Sitzung ohne sucht, um dem Therapeuten die Ereignisse der alternierenden Sitzung mitzuteilen.
Gruppenleiter nicht begeistert. Viele unrealistische Befürchtungen über die Folgen der Versuchen die Mitglieder, ihm Informationen vorzuenthalten oder sie zu >frisieren<,
Abwesenheit des Therapeuten werden wachgerufen. In einer Untersuchung fragte ich oder unterrichten sie ihn zwanghaft von allen Einzelheiten? Manchmal ist die Fähig­
einige Klienten, die mindestens acht Monate in Gruppentherapie gewesen waren, was keit einer Gruppe, dem Therapeuten Informationen vorzuenthalten, ein an sich schon
in der Gruppe geschehen wäre, wenn die Gruppentherapeuten nicht da gewesen wä­ ermutigendes Zeichen von Gruppenreifung, obgleich es dem Therapeuten gewöhnlich
ren.37 (Das ist eine andere Art zu fragen, was für eine Funktion die Gruppentherapeu­ unbehaglich ist, ausgeschlossen zu werden. In der Gruppe wie in der Familie müssen
ten in der Gruppe haben.) Die Antworten waren unterschiedlich. Zwar sagten einige die Mitglieder nach Selbstständigkeit streben, und die Gruppenleiter müssen dieses
Klienten, sie hätten solche Sitzungen begrüßt, aber die meisten äußerten, in der Rei­ Bestreben fördern. Oft ermöglichen die Sitzung ohne Gruppenleiter und die darauf
henfolge ihrer Häufigkeit, folgende allgemeine Bedenken: folgenden Ereignisse dem Therapeuten, seine eigenen Herrschaftswünsche und seine
Gefühle der Bedrohung zu verstehen, wenn seine Klienten zunehmend unabhängig
1. Die Gruppe würde von der Hauptaufgabe abweichen. Es würde eine Atmosphäre werden.
wie bei einer Cocktailparty entstehen, und die Mitglieder würden es vermeiden,
Probleme zu besprechen, es würde zu langen Schweigepausen kommen, und die

492 493
Trä u m e I n einer Gruppensitzung unmittelbar vor dem H i nzukommen zweier neuer Gruppen­
mitglieder berichtete ein gewöhnlic h sehr m it sich selbst beschäftigter Mann, Jeff,
Zahl und Art der Träume, die Gruppenmitglieder i n die Therapie einbringen, sind nach mehrmonatiger Teilnahme der Gru ppe seinen ersten Traum. »Ich poliere meinen
weitgehend vom Verhalten des Therapeuten abhängig. Ihre Reaktion auf die ersten neuen BMW-Roadster auf Hochglanz. Kurz nachdem ich den I nnenraum des Wagens
Träume, die von Klienten berichtet werden, beeinflusst die Auswahl der Träume, die perfekt gereinigt habe, tauchen sieben als Clowns Verkleidete auf, setzen sich m it al­
später erzählt werden. Die intensive, ausführliche, personalisierte Traumerforschung, lem möglichen Essen in mein Auto und sauen es völ l ig ein. Ich stehe dabei und koche
die in der analytisch orientierten Einzeltherapie praktiziert wird, lässt sich in der Grup­ innerlich vor Wut. «
pentherapie kaum durchführen. Bei Gruppen, die einmal in der Woche zusammen­ Sowohl er selbst als auch andere Gruppenmitglieder entwickelten Assoziationen zu
kommen, würde ein solches Verfahren unverhältnismäßig viel Zeit für einen einzelnen d iesem Traum, d ie a lle um ein Jeff altbekan ntes Thema kreisten: sein frustrierendes
Klienten erfordern; der Prozess wäre außerdem für die übrigen Mitglieder nur von Streben nach Perfektion und sein Bedürfnis, der Welt ein perfektes Bild zu präsentie­
minimalem Nutzen; sie würden zu reinen Zuschauern werden. ren. Die Frage des Gruppenleiters, wa rum er diesen Tra u m zum a ktuellen Zeitpunkt
Welche nützliche Rolle können Träume in der Gruppentherapie überhaupt spielen? gehabt habe, führte zu weiteren wichtigen Erkenntnissen. Jeff erklärte, im laufe der
In der Einzelanalyse oder in der analytisch orientierten Behandlung werden dem The­ vergangenen Monate habe er angefangen, die Gruppe in seine ganz und gar nicht per­
rapeuten gewöhnlich viele Träume und Traumfragmente vorgelegt. Die Therapeuten fekte »innere « Welt hineinzulassen. Vielleicht spiegele der Traum seine Angst davor,
streben niemals eine vollständige Analyse aller Träume an, sondern wählen Träume dass neu hinzukommende Gruppenmitglieder die Gruppe verderben könnten.
oder Aspekte von Träumen aus, die ihnen für die aktuelle Therapiephase relevant er­
scheinen. (Freud hat immer gesagt, eine totale Traumanalyse sollte der Forschung vor­ Zur Veranschaulichung nun einige Beispiele für Träume von Teilnehmern einer Grup­
behalten bleiben, nicht der Therapie.) Therapeuten können manche Träume überge­ pentherapie.
hen und bei anderen um ausführliche Assoziationen bitten. ,71 Wenn beispielsweise eine
trauernde Klientin einen Traum mitbringt, der voller Zorn gegenüber ihrem verstor­ In der 20. Sitzung erzählte eine Frau folgenden Traum:
benen Ehemann ist sowie mit stark verschleierten Symbolen, die mit einer Verwirrung
bezüglich ihrer geschlechtlichen Identität zusammenhängen, wird der Therapeut im Ich gehe mit meiner jüngeren Schwester. Während wir gehen, wird sie i mmer kleiner.
Allgemeinen das erste Thema zur Bearbeitung auswählen und das zweite ignorieren Schließlich muss ich sie tragen. Wir kom men im Gruppenra u m a n, wo die Mitglieder
oder auf später verschieben. Der Prozess verstärkt sich außerdem selbst. Es ist bekannt, herumsitzen und Tee trinken. Ich m uss der Gruppe meine Schwester zeigen. Mittler­
dass Klienten, die in der Therapie intensiv arbeiten, träumen oder sich an Träume er­ weile ist sie so klein, dass sie in einem Päckchen untergebracht ist. Ich wickle das Päck­
innern oder vielmehr sogar Träume gleichsam hervorbringen, die den aktuellen Zug chen aus, a ber von ihr ist nur noch ein winziges Bronzeköpfchen übrig.
der Therapie verstärken und das theoretische Bezugssystem des Therapeuten bestäti­
gen (Freud nannte sie »nachhinkende« Träume). Die Untersuchung dieses Traumes beleuchtete mehrere vorher unbewusste Sorgen der
Wenn man »Gruppenarbeit« an die Stelle von »Einzelarbeit« setzt, kann der Grup­ Klientin. Die Träumerin war außerordentlich einsam gewesen und hatte sich in der
pentherapeut Träume in der gleichen Weise benutzen. Die Analyse bestimmter Arten Gruppe sofort stark engagiert - tatsächlich stellte diese ihren einzigen wichtigen sozi­
von Träumen beschleunigt die gruppentherapeutische Arbeit. Am wertvollsten sind alen Kontakt dar. Zugleich fürchtete sie jedoch ihre starke Abhängigkeit von der Grup­
Gruppenträume, d. h. Träume, in denen die Gruppe als Einheit eine Rolle spielt, oder pe; sie war ihr gar zu wichtig geworden. Sie änderte sich rasch, um den Erwartungen
solche, die die Gefühle des Träumers gegenüber einem oder mehreren Gruppenmit­ der Gruppe zu entsprechen, und verlor dabei ihre eigenen Bedürfnisse und ihre eigene
gliedern widerspiegeln. Jeder dieser Traumtypen kann nicht nur die Besorgnisse des Identität aus den Augen. Die rapid schrumpfende Schwester symbolisierte sie selbst,
Träumers, die bis dahin noch nicht voll bewusst waren, ans Licht bringen, sondern die immer infantiler, immer undifferenzierter und schließlich leblos wurde, während
auch diejenigen anderer Gruppenmitglieder. Manche Träume können Material in ver­ sie sich in ihrem besinnungslosen Streben nach Billigung der Gruppe opferte. In dem
kleideter Form einführen, das zwar bewusst ist, über das die Mitglieder aber aus ver­ Bild von der »Tee trinkenden« Gruppe lag vielleicht auch Wut. Bedeutete sie, die Kli­
schiedenen Gründen bisher in der Gruppe nicht haben sprechen mögen. Deshalb ist es entin, der Gruppe wirklich etwas? Das leblose, winzige Bronzeköpfchen - war es das,
oft nützlich, die Gruppenmitglieder aufzufordern, den Traum zu kommentieren und was die Gruppenmitglieder wollten? Träume können spiegeln, wie das Selbstgefühl des
Assoziationen zu ihm oder zu seiner Wirkung auf sie zu entwickeln. Außerdem ist es Träumenden beschaffen ist. Ein Traum sollte mit großer Sorgfalt und mit großem Re­
wichtig, den Kontext zu untersuchen, in dem der Traum offenbart wird: Warum hat spekt behandelt werden, da er ein Ausdruck des Selbst ist, also nicht wie eine geheime
der Klient diesen Traum zum betreffenden Zeitpunkt geträumt oder offenbart?38 Botschaft, deren Code aggressiv »geknackt« werden muss.39
Ein Teil des manifesten Trauminhalts wird klarer, wenn man den Inhalt der Sitzung

494 495
vor dem Traum heranzieht: Die Gruppe hatte ziemlich viel Zeit damit verbracht, über hen von ein paar Bemerkungen in der ersten Sitzung hatten die Gruppenmitglieder
den Körper der Klientin zu sprechen (sie war etwas korpulent). Schließlich hatte eine niemals ihre Gefühle hinsichtlich der Beobachter ausgedrückt. Eine Besprechung des
andere Frau ihr eine Diät empfohlen, auf die sie kürzlich in einer Zeitschrift gestoßen Traums führte die Gruppe zu einer wichtigen Unterhaltung über die Beziehung des
war. Deshalb verwandelten sich ihre Sorgen, sie könne ihre persönliche Identität ver­ Therapeuten zu seiner Gruppe und zu seinen Studenten. »Stahlen« die Beobachter der
lieren, im Traum in den Vorgang des Schrumpfens. Gruppe etwas? War der Therapeut in erster Linie seinen Studenten verpflichtet, und
Am folgenden Traum möchte ich zeigen, wie der Therapeut das Material ver­ waren die Gruppenmitglieder lediglich ein Werkzeug, um den Studenten eine gute
schieben und sich selektiv auf Aspekte konzentrieren kann, die die Gruppenarbeit Show beziehungsweise Demonstration zu bieten?
fördern:
Aud iovisuelle Tech n i k
Mein Mann sperrt mich a us unserem Gemischtwarenladen aus. Ich mache mi r große
Sorgen um die verderblichen Waren. Er sucht sich Arbeit in einem anderen Laden, wo Die audiovisuelle Technik hat bei Gruppentherapeuten großes Interesse geweckt. Vi­
er den Mü l l wegschafft. Er lächelt und genießt es, aber es ist klar, dass er sich zum deoaufnahmen scheinen der Praxis und Lehre sowie dem Verständnis der Gruppen­
Na rre n macht. I m Lade n ist e i n junger, attraktiver Verkäufer, der mir zuzwin kert, therapie sehr vorteilhafte Möglichkeiten zu eröffnen. Wünschen wir uns nicht, dass die
woraufhin wir zusammen zum Tanzen gehen. Klienten ein richtiges Bild von ihrem Verhalten bekommen? Suchen wir nicht nach
Methoden zur Förderung der Selbstbeobachtung, und wollen wir nicht den Selbst­
Diese Klientin ist eine Frau mittleren Alters, die in eine Gruppe mit jüngeren Mitglie­ reflexionsaspekt des Hier und Jetzt ebenso hervorheben wie den Erlebnisaspekt? Wol­
dern eingeführt wurde, von denen zwei, Jan und Bill, eine sexuelle Beziehung zueinan­ len wir nicht die blinden Flecken in der Selbstwahrnehmung der Klienten ( und auch
der hatten (wurde in Kapitel 13 besprochen). Unter dem Blickwinkel ihrer persönlichen der Therapeuten) beleuchten?41 Die audiovisuelle Technik erschien wie ein großer Se­
Dynamik war der Traum höchst bedeutsam. Ihr distanzierter und ganz auf seine Arbeit gen für den praktizierenden Gruppentherapeuten, und die gruppentherapeutische
ausgerichteter Ehemann sperrte sie aus seinem Leben aus. Sie hatte das Gefühl, ihr Le­ Fachliteratur Ende der 1960er und in den 1970er Jahren spiegelte anfänglich eine Wel­
ben verstreiche ungenutzt (die verderblichen Waren, die schlecht werden). Zuvor hat­ le der Begeisterung von den neuen Möglichkeiten,42 doch in den folgenden Jahren fing
te sie ihre eigenen sexuellen Fantasien in der Gruppe einmal als »Müll« bezeichnet. Sie die Zahl der Artikel und Bücher über die klinische Nutzung der audiovisuellen Technik
hatte beträchtliche Wut auf ihren Mann, die sie nicht äußern konnte (im Traum mach­ stark zurück - und von den Publikationen, die noch erschienen, konzentrierten sich
te sie ihn zur grotesken Figur). die meisten auf Populationen, für die Probleme mit dem Selbstbild eine besondere
Dies waren verführerische »Traum-Häppchen«, doch der Therapeut beschloss, sich Rollen spielen, beispielsweise Jugendliche und Klienten mit Ess- oder Sprachstörun­
nicht auf sie, sondern auf die gruppenrelevanten Themen zu konzentrieren. Die Klien­ gen. Die Nutzung audiovisueller Techniken in Forschung und Lehre hat sich hingegen
tin machte sich Sorgen, von der Gruppe ausgeschlossen zu werden: Sie war älter als die als dauerhafter erwiesen.
anderen Mitglieder, fühlte sich weniger attraktiv und sehr isoliert. Demgemäß konzen­ Es ist schwer, das nachlassende Interesse an der klinischen Anwendung der audio­
trierte sich der Therapeut auf das Thema des Ausgesperrtwerdens und auf ihren visuellen Technologie zu erklären. Vielleicht hängt es mit dem allgemeinen Streben
Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit von den anderen in der Gruppe, besonders von nach Effizienz und mit dem Zweckmäßigkeitsdenken zusammen: Audiovisuelle Gerät­
den Männern (einer von ihnen ähnelte dem zwinkernden Verkäufer in ihrem Traum). schaften in klinischen Situationen einzusetzen ist oft schwierig und umständlich.
Träume offenbaren häufig Probleme der Gruppe, über die noch nicht gesprochen Trotzdem habe ich das Gefühl, dass dieser Technologie immer noch ein großes Poten­
wurde, oder sie werfen Licht auf Blockierungen der Gruppenarbeit.40 Der im Folgenden zial innewohnt und dass es zumindest angebracht ist, einen kurzen Überblick über
geschilderte Traum veranschaulicht, wie bewusstes, aber vermiedenes Gruppenmate­ Formen ihrer Nutzung in der Gruppentherapie zu geben.
rial durch Träume zur Überprüfung in der Gruppe gebracht werden kann. Einige Kliniker haben jede Sitzung aufgenommen und während der Sitzungen die
Möglichkeit genutzt, bestimmte Szenen sofort wiederzugeben (»fokussiertes Feed­
In meinem Haus befinden sich zwei mit einem Spiegel versehene Räume. Ich habe das back«). Natürlich müssen entweder die Gruppenmitglieder selbst oder muss der Grup­
Gefühl, dass sich im Nebenraum ein Einbrecher befindet. Ich denke, ich kann den Vor­ penleiter hierzu eine gezielte Auswahl treffen.43 Einige Therapeuten setzten Aushilfs­
hang beiseite ziehen und eine Person mit einer schwarzen Maske sehen, d ie meine therapeuten ein, deren wichtigste Aufgabe darin besteht, die Aufnahmeapparatur zu
Besitztümer stiehlt. bedienen und geeignete Sequenzen zum späteren Vorführen auszuwählen. Andere
Therapeuten nahmen Gruppensitzungen auf, führten der Gruppe in der folgenden Sit­
Dieser Traum wurde in der 20. Sitzung einer Therapiegruppe vorgebracht, die durch zung bestimmte wichtige Situationen vor und forderten die Gruppenmitglieder auf,
einen Einwegspiegel von den Studenten des Therapeuten beobachtet wurde. Abgese- dazu Stellung zu nehmen.44

496 497
Manche Therapeuten setzen eine Extrasitzung für das Playback an, in der der größ­ destruktiv Alkohol auf ihn selbst und andere wirkt, aber wirklich gewusst hatte er es
te Teil der letzten Aufzeichnung angeschaut wird; andere zeichnen die erste Hälfte der eigentlich nicht.
Sitzung auf und schauen in der zweiten Hälfte die Video-Aufnahme an. Wieder andere Ein andermal kam in einer Gruppe von Alkoholikern ein Klient betrunken und in
Therapeuten benutzen eine Serien-Technik: Sie zeichnen jede Sitzung auf und suchen tiefer Verzweiflung zur Sitzung. Er verlor das Bewusstsein und lag auf dem Sofa, wäh­
kurze repräsentative Abschnitte der einzelnen Sitzungen aus, die sie der Gruppe zu rend die Gruppe um ihn herumstand und verschiedene Möglichkeiten des Handelns
einem späteren Zeitpunkt der Therapie vorführen.45 Andere Therapeuten machen die besprach. Einige Zeit später sah sich der Klient die Aufnahme an und war zutiefst da­
Bänder einfach den Klienten zugänglich, die zwischen den Sitzungen kommen wollen, von berührt. Man hatte ihm schon oft gesagt, dass er selbstzerstörerisch sei, dass er sich
um sich irgendeinen Abschnitt der Sitzung noch einmal anzusehen. Die Bänder kön­ mit Alkohol umbringe. Doch der Anblick seiner selbst auf Video, als er ausgestreckt
nen auch Klienten zugänglich gemacht werden, die sich eine versäumte Sitzung an­ wie auf einer Bahre dalag, ließ ihn sich an seinen Zwillingsbruder erinnern, der an
schauen wollen. Alkoholismus gestorben war.
Die Reaktionen der Klienten sind vom Timing des Verfahrens abhängig. Die Reak­ In einem anderen Fall hatte eine phasenweise manische Klientin, die nie hatte ak­
tion der Klienten auf die erste Playback-Sitzung wird sich von ihrer Reaktion auf spä­ zeptieren können, dass ihr Verhalten ungewöhnlich war, Gelegenheit, sich selbst in
tere Sitzungen dieser Art unterscheiden. Bei der ersten Vorführung achten die Klienten einem besonders überreizten, desorganisierten Zustand zu sehen. 47 In jedem dieser
vor allem auf ihr eigenes Bild und kümmern sich relativ wenig um den Gruppenpro­ Fälle ermöglichte die Videoaufzeichnung ein eindrucksvolles Erlebnis der Selbstbeob­
zess. Später beobachten sie vielleicht mehr ihre Art, auf andere zu reagieren und ein­ achtung - einen notwendigen ersten Schritt im therapeutischen Prozess.
zugehen. Aus diesem Grund ist es später in der Therapie viel effizienter, bestimmte Videoaufnahmen werden auch dazu benutzt, Langzeit-Klienten auf den Übergang
wichtige Abschnitte für die Vorführung auszuwählen, anstatt einfach nur eine ganze bei der Entlassung aus dem Krankenhaus vorzubereiten. Ein Team berichtet von einer
Sitzung anzuschauen. Meiner eigenen Erfahrung sowie der anderer nach sind die Kli­ strukturierten, zwölf Sitzungen umfassenden Gruppe, in der sich die Mitglieder einer
enten im Anfangsstadium der Therapie möglicherweise stark daran interessiert, sich Reihe nicht bedrohlicher Übungen unterziehen und Videobänder anschauen, um ihre
Videobänder anzuschauen, verlieren dieses Interesse jedoch vielleicht, wenn die Grup­ kommunikativen und sozialen Fertigkeiten zu verbessern.48
pe kohäsiv und stark interaktiv wird, und bedauern die Zeit, die von der tatsächlich Vielen Therapeuten widerstrebt es, einer Gruppe eine Videokamera zuzumuten. Sie
stattfindenden Gruppensitzung abgezogen wird. 46 So kann es notwendig werden, glauben, dies hemme die Spontaneität der Gruppe, und die Gruppenmitglieder wür­
Zeit zum Anschauen der Videos außerhalb der regelmäßigen Gruppensitzungen ein­ den sich gegen den Eingriff zur Wehr setzen - wenn auch nicht unbedingt offen. Nach
zuplanen. meinen Erfahrungen empfindet häufig der Therapeut selbst das größte Unbehagen.
Oft wird das liebgewonnene Selbstbild von Gruppenmitgliedern durch das erste Die Angst davor, insbesondere in der Supervision bloßgestellt und beschämt zu wer­
Playback einer Videoaufzeichnung radikal infrage gestellt. Die Betreffenden erinnern den, ist die Hauptursache für den Widerstand von Therapeuten, und die Supervision
sich aufgrund dessen an Feedback, das sie zuvor von anderen Gruppenmitgliedern er­ muss darauf eingehen (siehe Kapitel 17).49
halten hatten, und sie nehmen dieses nun ernster. Sich selbst zu beobachten ist ein sehr Klienten, denen das Playback vorgeführt werden soll, sind gewöhnlich empfänglich
effektives Mittel; nichts wirkt so überzeugend wie Information, die man selbst ent­ für den Vorschlag, Videoaufzeichnungen zu machen. Jedoch machen sie sich natürlich
deckt. Sorgen um die Wahrung der Vertraulichkeit und müssen diesbezüglich beruhigt wer­
Die ersten Reaktionen auf das Playback betreffen vielfach die physische Attraktivi­ den. Wenn die Aufzeichnung von anderen als den Gruppenmitgliedern (zum Beispiel
tät und Eigenheiten, während die Klienten in späteren Playback-Sitzungen auf ihre In­ Studenten, Forschern oder Supervisoren) angeschaut werden soll, muss der Therapeut
teraktionen mit anderen, ihr Zurückweichen, ihre überwiegende Beschäftigung mit genau erklären, welchen Zweck dies haben soll und wer die Betrachter sind. Außerdem
sich selbst, ihre Feindseligkeit oder Distanziertheit achten. Sie können sich viel besser muss er von allen Gruppenmitgliedern eine schriftliche Erlaubnis einholen, in der jede
selbst beobachten und objektiv sein, als wenn sie wirklich in der Gruppeninteraktion Art der beabsichtigten Nutzung spezifiziert wird: ob sie sich auf klinische Zwecke, auf
stecken. Ausbildungs- und/oder auf Forschungszwecke bezieht. Auch an der Entscheidung über
Ich habe festgestellt, dass Videoaufzeichnungen auch in Krisensituationen sehr die sichere Speicherung oder Vernichtung der Videoaufnahmen sollten die Klienten
wertvoll sein können. Zum Beispiel kam in einer Gruppe für Alkoholiker einmal ein uneingeschränkt beteiligt werden.
Klient betrunken zur Sitzung und verhielt sich monopolisierend, ungehobelt und be­
leidigend. Ein betrunkener Klient profitiert offensichtlich nicht von der Sitzung, da ihn Videoaufnahmen für Unterrichtszwecke
sein Zustand unfähig macht, die Ereignisse der Sitzung zu behalten und zu integrieren. Die Videoaufzeichnung hat ihren Wert in der Lehre aller Psychotherapieformen be­
Die Sitzung wurde jedoch auf Video aufgenommen, und die spätere Betrachtung der wiesen. Sie ermöglicht es Lernenden und Kontrollanalytikern, eine Sitzung mit einem
Sitzung war für den Klienten sehr aufschlussreich. Man hatte ihm zwar gesagt, wie Minimum an Verfälschungen noch einmal anzusehen. Wichtige nonverbale Aspekte

498 499
des Verhaltens von lernenden Therapeuten und Klienten, die bei der herkömmlichen Kameras und Auswählen von Videoausschnitten, um sie der Gruppe wieder vorzufüh­
Form der Kontrolle völlig übersehen werden können, werden der Untersuchung zu­ ren? Wer hat Zeit für auch nur kurze Besprechungen mit einem Co-Therapeuten vor
gänglich. Der lernende Therapeut hat reichlich Gelegenheit, seine eigene Selbstdarstel­ und nach den Sitzungen? Oder zum Austausch mit den Einzeltherapeuten der Grup­
lung und seine Körpersprache zu beobachten. Was in der traditionellen Supervision penmitglieder? Die Antwort lautet natürlich, dass geplagte Therapeuten eine Wahl
häufig übersehen wird, sind nicht die »Fehler« der Supervisanden, sondern sehr wirk­ treffen müssen und leider oft potenziell wirksame aber zeitraubende Zusätze zur The­
same Interventionen, die sie intuitiv anwenden, ohne dies selbst bewusst zu registrie­ rapie opfern müssen, um ökonomisch zu überleben. Jeder Therapeut ist ungehalten
ren. Verwirrende Aspekte der Sitzung können mehrmals angeschaut werden, bis über Zeitverlust und die Mühe beim Fertigstellen von Bergen an Schreibarbeit.
irgendeine Ordnung deutlich wird. Brauchbare Lehrsitzungen, die Grundprinzipien Managed-Care-Organisatoren glauben, dass man durch eine stromlinienförmige
deutlich veranschaulichen, können konserviert werden, und man kann eine Studien­ Therapie Zeit sparen kann - sie soll glatter, kürzer, einheitlicher werden. Doch ist in
Videothek einrichten. Diese Möglichkeit ist zu einer wichtigen Stütze für die Ausbil­ der Psychotherapie Einheitlichkeit nicht mit Wirksamkeit gleichbedeutend. Der The­
dung von Psychotherapeuten geworden, und zwar sowohl für die klinische Praxis als rapeut opfert das Herz der Therapie, wenn er seine Erfindungsgabe und die Fähigkeit
auch für die Leitung manualgesteuerter Gruppen in klinischen Versuchen . .71 50 opfert, auf ungewöhnliche klinische Situationen mit kreativen Mitteln zu reagieren.
Daher widme ich in diesem Text derartigen Techniken wie der schriftlichen Zusam­
Videoaufnahmen in der Forschung menfassung Zeit, auch wenn sie derzeit in der Praxis nicht verbreitet sind. Ich glaube,
Die Möglichkeit, Videoaufnahmen zu nutzen, ist der gruppentherapeutischen Arbeit dass die schriftliche Zusammenfassung eine wirkungsvolle Technik zur Förderung der
auch insofern sehr zugute gekommen, als Forscher mit ihrer Hilfe sicherstellen kön­ Therapie ist. Meiner Erfahrung nach haben alle Gruppentherapeuten, die es damit ver­
nen, dass eine psychotherapeutische Behandlung im Rahmen eines klinischen Ver­ sucht haben, festgestellt, dass sie einen positiven Verlauf der Gruppentherapie fördert.
suchs kompetent und im Sinne der Zielsetzung der betreffenden Studie durchgeführt .71 überdies schneidet eine Beschreibung der Technik des Zusammenfassens viele äu­
53

wird.st In einer Psychotherapiestudie ist es nicht weniger wichtig als in einer pharma­ ßerst wichtige Sachverhalte in der Ausbildung des jungen Therapeuten an. .71 54
kologischen Studie, die Durchführung der Behandlung zu überwachen und zu doku­ Eine schriftliche Zusammenfassung kann sogar in doppelter Hinsicht gute Dienste
mentieren, dass die Klienten die richtige Art von Behandlung und die richtige (Be­ leisten, da sie einerseits den Therapieverlauf dokumentiert und andererseits Forderun­
handlungs-)Dosis erhalten. In der pharmakologischen Forschung geschieht dies mit­ gen der Kostenträger erfüllt, wodurch der gewöhnlich unerquickliche und trockene
hilfe von Blutproben. In der Psychotherapieforschung erfüllen Videoaufzeichnungen Prozess der Protokollierung des Behandlungsverlaufs zu einer funktionalen Interven­
diesen Zweck ausgezeichnet. tion wird.55 Wir tun gut daran, uns zu erinnern, dass die Aufzeichnungen über einen
Klienten diesem zustehen und ihm jederzeit zugänglich sein müssen. In jedem Fall ist
Sch riftliche Zusa m menfass u n gen es sinnvoll, Notizen von vornherein im Hinblick darauf abzufassen, dass der Klient sie
später einmal lesen könnte. Deshalb sollten solche Aufzeichnungen einen transparen­
In den letzten 20 Jahren habe ich bei meinen ambulanten Gruppen regelmäßig eine ten, therapeutischen, entpathologisierenden, wohlüberlegten und empathischen Be­
Hilfstechnik verwendet. Ich diktiere nach dem Ende jeder Sitzung eine ausführliche richt über den Behandlungsverlauf beinhalten (und keine Nachnamen von Gruppen­
Zusammenfassung der Gruppensitzung.52 Die Zusammenfassung ist in lockerer Form mitgliedern enthalten).
geschrieben und beschreibt den Gang der Sitzung, den Beitrag jedes Mitglieds und Meine erste Erfahrung mit der schriftlichen Zusammenfassung habe ich bei einer
meine Kommentare, darüber hinaus aber auch das, was ich gern gesagt hätte, aber Einzeltherapie gemacht. Ginny, eine junge Frau, war sechs Monate lang in einer The­
nicht gesagt habe, oder was ich gesagt habe und dann bereute, sowie alle Vermutungen rapiegruppe gewesen, hatte aber aufhören müssen, weil sie aus der Stadt fortzog und
oder Fragen, die nach der Sitzung in mir aufsteigen. Dieses Diktat wird vervielfältigt es nicht einrichten konnte, rechtzeitig zur Gruppe zu kommen. Außerdem hatten es ihr
und den Mitgliedern am folgenden Tag zugeschickt. Das Diktat der Zusammenfassung eine ungewöhnliche Schüchternheit und Gehemmtheit schwergemacht, sich an der
(zwei bis drei Seiten, einzeilig beschrieben) erfordert etwa 20 bis 30 Minuten und wird Gruppe zu beteiligen. Ginny war auch in ihrer Arbeit gehemmt: Sie war eine begabte
am besten sofort nach der Sitzung gemacht. Bis jetzt haben meine Schüler, Kollegen Schriftstellerin, aber durch eine schwere Schreibhemmung behindert.
und ich Tausende von Gruppenzusammenfassungen geschrieben und an Gruppenmit­ Ich erklärte mich bereit, sie in Einzeltherapie zu behandeln, aber unter einer unge­
glieder geschickt. Ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Verfahren die Therapie er­ wöhnlichen Bedingung: Nach jeder Therapiestunde musste sie eine Zusammenfassung
heblich unterstützt. ihrer spontanen Eindrücke ohne jede Selbstzensur zu Papier bringen - alles, was sie
Doch wer hat in dieser Zeit ökonomischen Drucks Muße für ein Verfahren, das wei­ wirklich gedacht und gefühlt, aber nicht verbal geäußert hatte. Ich hoffte, dass diese
tere 30 Minuten Ihrer Zeit und eine oder zwei Stunden Zeit einer Sekretärin erfordert? Aufgabe dazu beitragen würde, die Schreibhemmung zu lockern und sie zu größerer
Was das betrifft, blättern Sie zurück in diesem Kapitel: Wer hat Zeit zum Aufstellen von Spontaneität zu ermutigen. Ich war bereit, eine ebenso aufrichtige Zusammenfassung

500 501
zu schreiben. Ginny verfuhr nach einem ausgeprägt positiven übertragungsmuster. Sie kommentiert Fortschritte der Klienten; sagt unerwünschte Entwicklungen voraus (und
idealisierte mich in jeder Hinsicht, und ich hoffte, eine schriftliche Zusammenfassung, verhindert sie damit meistens); bringt schweigende Mitglieder ins Spiel; steigert die
die meine ehrlichen Gefühle - Vergnügen, Entmutigung, Verwirrung, Erschöpfung - �ohäsivität (indem sie Ähnlichkeiten und Anteilnahme in der Gruppe unterstreicht);
enthielte, würde ihr ermöglichen, eine echte Beziehung zu mir aufzubauen. liefert Deutungen (entweder werden Deutungen wiederholt, die in der Gruppe ge­
Eineinhalb Tahre lang schrieben Ginny und ich allwöchentlich Zusammenfassun­ macht worden sind, oder es tauchen neue Deutungen auf, die dem Therapeuten später
gen. Sie wurden verschlossen meiner Sekretärin übergeben, und alle paar Monate las einfallen) und gibt den Klienten Hoffnung (sie verhilft ihnen zu der Erkenntnis, dass
jeder von uns die Zusammenfassungen des anderen. Das Experiment erwies sich als die Gruppenarbeit ein geordneter Prozess ist und dass die Therapeuten ein kohärentes
sehr erfolgreich: Ginny machte in der Therapie gute Fortschritte, und die Zusammen­ Gespür für die Langzeitentwicklung der Gruppe haben). Tatsächlich kann man die
fassungen trugen erheblich zu diesem Erfolg bei.' Diese Unternehmung machte mir Zusammenfassung benutzen, um jede einzelne Aufgabe des Gruppenleiters in einer
genügend Mut (und Mut ist notwendig: Es ist zunächst schwierig für einen Thera­ Gruppe besser zu lösen. In der folgenden Erörterung der Funktionen einer Zusam­
peuten, so offen seine Gedanken darzulegen) , mir zu überlegen, die Technik für eine menfassung werde ich Auszüge aus Zusammenfassungen zitieren und cliesen Abschnitt
Therapiegruppe abzuwandeln. Die Gelegenheit ergab sich bald bei zwei Gruppen mit einer kompletten Zusammenfassung abschließen.
alkoholkranker Klienten. 56
Meine Co-Therapeuten und ich hatten versucht, diese Gruppen als Interaktions­ Wiederbelebung und Kontinuität
gruppen zu führen. Die Gruppen waren insofern gut angelaufen, als die Mitglieder of­ Die schriftliche Zusammenfassung wird zu einem zweiten Gruppenkontakt während
fen und produktiv interagierten. Die Interaktion im Hier und Jetzt bringt jedoch im­ der Woche. Die Sitzung lebt für die Mitglieder wieder auf, und die Kontinuität bleibt
mer Angst mit sich, und alkoholkranke Klienten können bekanntermaßen Angst gewahrt. In Kapitel 5 habe ich schon gesagt, dass Gruppen wirksamer werden, wenn
schlecht binden. Als die achte Sitzung herangekommen war, hatten Klienten, die mo­ die Arbeit kontinuierlich ist, wenn Themen, die in der einen Woche angefangen wor­
natelang trocken gewesen waren, wieder zu trinken angefangen (oder sie drohten, wie­ den sind, nicht fallengelassen, sondern in späteren Sitzungen immer weiter erforscht
der zu trinken, wenn sie »jemals wieder eine solche Sitzung erleben müssen wie in der werden. Die Zusammenfassung verstärkt diesen Prozess. Nicht selten beginnen Kli­
letzten Woche«). Wir suchten eilig nach Methoden, um clie Angst zu regulieren: ver­ enten eine Sitzung damit, dass sie sich auf die letzte Zusammenfassung beziehen - ent­
stärkte Struktur, einen (schriftlichen) vorläufigen Plan für jede Sitzung, Video-Play­ weder auf ein Thema, das sie untersuchen möchten, oder auf eine Feststellung, mit der
back und schriftliche Zusammenfassungen, die nach jeder Sitzung verteilt werden soll­ sie nicht einverstanden sind.
ten. Die Klienten sahen in der schriftlichen Zusammenfassung die bei weitem wirk­
samste Methode, und sie trat bald an die Stelle aller anderen. Verstehen des Prozesses
Ich glaube, dass die Zusammenfassungen am wertvollsten sind, wenn sie in Bezug Die Zusammenfassung hilft den Klienten, wichtige Ereignisse einer Sitzung wieder zu
auf den Therapieprozess ehrlich und offen sind. Sie sind praktisch identisch mit den erleben und zu verstehen. In Kapitel 6 habe ich festgestellt, das Hier und Jetzt bestehe
Zusammenfassungen, die ich für meine eigenen Unterlagen mache (diese liefern den aus zwei Phasen: dem Erleben und dem Verstehen dieses Erlebens. Die Zusammenfas­
Hauptteil des klinischen Materials für dieses Buch); ich gehe dabei von der Annahme sung erleichtert die zweite Phase, das Verstehen und Integrieren des affektiven Erlebens.
aus, dass der Klient im therapeutischen Prozess voll mitarbeitet und dass Psychothera­ Manchmal können Gruppensitzungen so bedrohlich oder beunruhigend sein, dass
pie durch Entmystifizierung gestärkt, nicht geschwächt wird. sich die Mitglieder verschließen und sich in eine Abwehrposition begeben, in der sie
Die Zusammenfassung dient mehreren Zwecken: Sie ermöglicht das Verstehen der nur noch überleben wollen. Erst später ( oft mithilfe der Zusammenfassung) können
Ereignisse der Sitzung; weist auf gute (oder von Widerstand erfüllte) Sitzungen hin; sie sich wichtige Ereignisse noch einmal vergegenwärtigen und konstruktive Lern­
erfahrungen aus ihnen machen. Die Deutungen des Therapeuten (besonders komplexe
* Aus diesem Versuch habe ich sehr viel über Psychotherapie gelernt. Einmal wurde mir die »Rasho­ Deutungen), die inmitten eines Durcheinanders gegeben werden, treffen oft auf taube
mon«-Natur der therapeutischen Unternehmung klar. Die Klientin und ich hatten außerordentlich Ohren. Deutungen, die in der Zusammenfassung wiederholt werden, sind oft wirk­
verschiedene Ansichten von den gemeinsamen Stunden. Alle meine wunderbaren Deutungen? Sie samer, weil der Klient sie in Ruhe anschauen kann, weit weg von der Intensität des
hatte sie nicht einmal gehört! Statt dessen nahm Ginny ganz andere Teile der Therapiestunde wahr
und schätzte sie - den zutiefst menschlichen Austausch, die flüchtigen Blicke, welche Unterstützung
Engagements.
und Annahme ausdrückten, die kurzen Momente realer Nähe. Der Austausch der Zusammenfas­
sungen gab interessanten Aufschluss über die Psychotherapie, und ich verwendete die Zusammenfas­ Gestaltung von Gruppennormen
sungen in meinem Unterricht. Jahre später beschlossen die Klientin und ich, eine Vorrede und ein Die Zusammenfassungen können verwendet werden, um sowohl implizit als auch ex­
Nachwort zu schreiben und die Zusammenfassungen als Buch zu veröffentlichen: Every Day Gets a
Little Closer: A Twice-told Therapy (New York, Basic Books 1975, neu aufgelegt 1992; dt.: Jeden Tag plizit Gruppennormen zu verstärken. Der folgende Auszug zeigt, wie die Norm des
ein bisschen näher). Hier und Jetzt verstärkt wurde:

502 503
Phils Bezieh ung zu seinem Chef ist im Augen blick sehr wichtig, aber auch sehr schwie­ gibt Zeiten, in denen zu viel Erkenntnis das emotionale Erleben ersticken könnte) ,
rig für ihn und bietet daher Material fü r die Gru ppe. Die Mitglieder ken nen jedoch den oder e s stand i n der Sitzung einfach keine Zeit zur Verfügung, oder ein Klient war so
Chef n icht; sie wissen n icht, wie er ist, was er denkt u n d fü h lt, u nd können a lso n u r sehr in Abwehr, dass er jede Bemühung um Klärung abgelehnt hätte. Die Zusammen­
beschrä n kt H i lfe a n bieten. S i e fa ngen jedoch a n , sich gegenseitig zu ken nen; s i e wer­ fassungen geben dem Therapeuten eine erneute Chance, wichtige Gedanken zu ver­
den sich i h rer eigenen Reaktionen auf die anderen Gruppe n m itglieder im mer sicherer mitteln. In diesem Auszug wird etwas mitgeteilt, das in der Diskussion der Co-Thera­
sein. Es ist sin nvoller, wenn die Gruppen m itglieder Ph i l Feed back geben bezüglich der peuten nach der Sitzung zur Sprache kam. In der Zusammenfassung werden uner­
Gefü h le, die er bei ihnen evoziert, als ü ber die m utma ßl ichen Geda n ken des Chefs zu wünschte Entwicklungen in der Sitzung beschrieben, und man versucht, ihnen entge­
spekulieren. genzuwirken - die Bildung kontratherapeutischer Normen und das Suchen nach
einem Sündenbock:
Im folgenden Auszug werden die Klienten ermutigt, Prozesskommentare zu machen
und sich dem Therapeuten als Gleichgestelltem zu nähern: El len und Len haben heute besonders vehement darauf hingewiesen, dass Cynthia ge­
genüber Ted besonders kritisch u nd u nsensibel gewesen sei u n d dass sie, wie Len sich
Jed hat heute i n der Gruppe etwas ganz Ungewöhnliches gemacht, nä m lich eine Be­ ausd rückte, sehr, sehr streng m it Menschen u mgehe. Ist es möglich, dass das, was
merkung über die Zwa ngslage, in der l rv [der Therapeut] sich befand. Er bemerkte ganz heute in der Gru ppe abgela ufen ist, a uch u nter einem anderen Blickwi n kel gesehen
richtig, dass l rv einerseits nicht wollte, dass das Thema » D i n a h « gewechselt würde, werden könnte, n ä m l ich: welche Arten von Botschaften die Gru ppe den neuen Mitglie­
weil er D i n a h s Ängsten keine N a h r u n g ge ben wol lte, sie würde in der Gru ppe a b­ dern ü berm itteln wollte, n ä m l ich wie sie in der G ruppe sein sollten? Ist es möglich,
gelehnt oder im Stich gelassen, a ndererseits aber wollte er sehr gern hera usfi nden, dass die Gru ppe Rick und Carla [neue Mitglieder] na helegen wol lte, sie sollten darauf
was m it Pete passiert wa r, der offensichtlich heute voller Schmerz wa r. achten, nicht zu kritisch zu sein, weil offene Kritik hier i n dieser Gruppe verpönt sei? Es
ka n n a u ch sein, dass Cynthia in gewissem Maße »eingesetzt« wurde, dass sie z u m
Therapeutische Wirksamkeit »Sündenbock « f ü r d iese Tra nsaktion gemacht w u rde, d. h.: Ist es mögl ich, dass die
Der Therapeut kann in der Zusammenfassung das Eingehen von Risiken verstärken G ru ppe irgendwie u n bewusst folgerte, sie sei stark genug, d ies auszuhalten, u n d die
und die Klienten auf ihre primäre Aufgabe verweisen, den Grund, aus dem sie sich Gruppe könnte den neuen Mitgl iedern d u rch Kritik an Cynthias Verhalten eine Bot­
überhaupt erst entschlossen haben, sich auf eine Therapie einzulassen: schaft übermittel n ?

l rene war über J i ms Äußerung gekrä n kt, dass sie das Leben n u r beobachte, und schwieg übermittlung der Zeitperspektive des Therapeuten
wä h rend der näch sten 45 M i n uten. Später sagte sie, sie fü hle sich beklommen u n d Weit mehr als jedes Gruppenmitglied behält der Therapeut eine Langzeit-Perspektive;
denke daran, die Gru ppe zu verlassen. Es ist wichtig, l rene zu erinnern, dass ihr Haupt­ er ist sich der Veränderungen bewusst, die im Laufe von vielen Wochen oder Monaten
grund fü r die Therapie wa r, dass sie sich anderen entfremdet fü hlte u n d u nfä hig war, sowohl in der Gruppe als auch in jedem einzelnen Mitglied stattfinden. Die Mitteilung
engere, dauerhafte Beziehu ngen herz ustellen, insbesondere zu Män nern. I n d iesem dieser Beobachtungen bietet häufig den Mitgliedern Hoffnung, Unterstützung und
Zusa m menhang ist es wichtig fü r sie, i h re Neigung zu verstehen, sich in Reaktion auf Verständnis. Zum Beispiel:
ein Feed back zu verschließen und zurückzuziehen.
Seymour hat heute i n der Gruppe sehr offen darübe r gesprochen, wie verletzt er war,
Der Therapeut sollte auch darauf achten, Aussagen von Klienten festzuhalten, die ihm als Jack und Burt das Thema wechselten, als es gerade um i h n ging. Wir [die Co-Thera­
in der Zukunft einen Ansatz bieten können. Zum Beispiel: peuten] waren verbl üfft, m it welcher Leichtigkeit er ü ber d iese Gefühle sprechen konn­
te. Wir kön nen u n s deutlich a n sei n verletztes, passives Schweigen erin nern, das er
In diesem Augenblick bega n n Nancy zu wei nen, a ber als Ed versuchte, sie zu trösten, früher i n ä h n lichen Situationen a n den Tag legte, u nd wir s i nd beeindruckt, wie be­
gab sie u nwirsch z u rück: » Hör auf, so freund l ich zu sein. Ich wei ne n icht, weil m i r elend achtlich sich seine Fä higkeit entwickelt hat, seine Gefü hle offen auszudrücken.
ist, ich weine, wen n ich wütend bin. Wen n d u mich wegen meiner Trä nen tröstest oder
m ich schonst, hä ltst du mich jedesmal davon a b, meine Wut z u spüren. « Die Zusammenfassungen liefern auch noch auf eine andere Weise eine Zeitperspektive.
Da fast alle Klienten diese Berichte aufheben, haben sie somit eine umfassende Schil­
Neue Gedanken derung ihrer Therapiefortschritte, eine Schilderung, auf die sie sich mit großem Nut­
Oft versteht der Therapeut ein Ereignis erst nachträglich. Ein andermal findet sich zen in der Zukunft beziehen können.
während einer Sitzung nicht der richtige Zeitpunkt für eine klärende Bemerkung (es

504 505
Selbstoffenbarung des Therapeuten Allgemeine Eindrücke

Im Dienst der Therapie der Klienten kann der Therapeut die Zusammenfassung als Ich glaube, dass die schriftliche Zusammenfassung die Therapie unterstützt. Klienten
Mittel benutzen, um persönliche Hier-und-Jetzt-Gefühle (Verwirrung, Entmutigung, haben sie einhellig positiv bewertet: Die meisten lesen diese Zusammenfassungen auf­
Gereiztheit, Vergnügen) und seine Ansichten über die Theorie und das Grundprinzip merksam und beschäftigen sich ernsthaft mit ihnen; viele lesen sie mehrere Male; fast
zu offenbaren, die seinem eigenen Verhalten in der Gruppe zugrunde liegen. Beachten alle bewahren sie für späteren Gebrauch auf. Die therapeutische Perspektive und das
Sie die Selbstoffenbarungen des Therapeuten in den folgenden Auszügen: therapeutische Engagement des Klienten werden vertieft; die Beziehung zwischen dem
Klienten und dem Therapeuten wird gestärkt, und es entstehen keine schwerwie­
l rv und Louise [d ie Therapeuten] fü h lten sich in der Sitzung sehr angestrengt. Wir fü hl­ genden Übertragungsprobleme. Der Dialog über Zusammenfassungen und Meinungs­
ten u n s ei ngekl e m mt zwischen zwei Gefü hlsrichtu ngen: E i nerseits wollten wi r m it verschiedenheiten darüber sind in jedem Fall von Nutzen, und durch sie entwickelt
D i n a h fortfa h ren, a ndererseits wa r uns aber auch Als offenkundiger Schmerz i n der sich ein Prozess der Zusammenarbeit. Eine Zusammenfassung sollte vom Therapeuten
S itzung sehr deutlich. Da ru m lag u ns, a uch auf die Gefa h r h in, D i n a h das Gefü h l zu nie dazu benutzt werden, das »letzte Wort« zu einer Thematik zu sagen.
geben, wir ließen sie im Stich, viel daran, Al vor dem Ende der Sitzung noch einzubezie­ Negative Folgen habe ich nicht festgestellt. Viele Therapeuten haben gefragt, wie es
hen. mit der Vertraulichkeit sei, aber mir sind auf diesem Gebiet keine Schwierigkeiten be­
gegnet. Die Klienten werden aufgefordert, die Zusammenfassung mit dem gleichen
Bei Seymour füh lten wir uns sehr u nter Druck. Er schwieg in der Sitzu ng. Wir wollten Maß der Vertraulichkeit zu behandeln wie jedes Ereignis in der Gruppe. Als besondere
ihn so gern in die G ru ppe integrieren und ihm helfen zu reden, i nsbesondere da wir Vorsichtsmaßnahme benutze ich nur Vornamen, vermeide die ausdrückliche Identifi­
wussten, dass der Grund fü r sein verfrühtes Ausscheiden aus seiner vorigen Gruppe kation besonders heikler Fragen (zum Beispiel einer außerehelichen Liebesaffäre) und
sein Gefü hl wa r, man i nteressiere sich nicht für das, was er zu sagen hatte. Andererseits schicke die Zusammenfassung in einem einfachen Briefumschlag ohne Absenderanga­
entschieden wir uns heute, dem Wunsch zu widerstehen, i h n hereinzuziehen, wei l wir be ab. Übermittlung per E-Mail ist eine Möglichkeit der besonders schnellen Über­
wussten, dass wir Seymour i nfa nti lisieren, wenn wir ihn fortwährend auffordern, und mittlung, sofern unberechtigter Zugriff auf die Informationen ausgeschlossen werden
dass es viel besser ist, wen n er frü her oder später sel ber fä hig wird sich ei nzu bringen. kann.
Der einzige ernstliche Einwand, den ich jemals gehört habe, wurde in einer sechs­
l rv war m it seinem eigenen Verhalten i n der Sitzung heute entschieden unzufrieden. monatigen Pilotstudiengruppe von erwachsenen Inzestopfern vorgebracht. In jener
Er hatte das Gefühl, er h a be zu sehr domin iert, sei zu a ktiv, zu richtunggebend gewe­ Gruppe befand sich ein Mitglied mit einer Geschichte extremen Missbrauchs, das im­
sen. zweifellos beruht dies weitgehend auf seinem Schuldgefühl, weil er die vorigen mer wieder in paranoides Denken verfiel. Die Frau war überzeugt, dass diejenigen, die
beiden S itzungen versäumt hatte und d ies heute a usgleichen wollte, indem er so viel sich an ihr vergangen hatten, immer noch hinter ihr her waren und dass die schriftli­
wie möglich gab. che Zusammenfassung irgendwie eine papierene Spur darstellen würde, welche ihre
Peiniger zu ihr führen würde. Sie wollte nicht, dass ihr irgendwelche Zusammenfas­
Das Füllen von Lücken sungen zugeschickt wurden. Kurz darauf brachten auch zwei andere Gruppenmitglie­
Eine auf der Hand liegende wichtige Funktion der Zusammenfassung besteht darin, der ihr Unbehagen über schriftliche Sitzungsprotokolle zum Ausdruck, weil der erleb­
dass sie für Klienten, die wegen Krankheit oder Urlaub Sitzungen versäumt haben, Lü­ te Inzest bei ihnen starke Schamgefühle hervorgerufen hatte. Deshalb erklärten mein
cken ausfüllen. Die Zusammenfassungen halten sie auf dem Laufenden über das, was Co-Therapeut und ich, dass wir mit den schriftlichen Zusammenfassungen aufhören
sich ereignet hat, und befähigen sie, schneller in die Gruppenkontinuität zurückzufin­ würden. Darüber drückten die anderen Mitglieder jedoch so viel mürrische Enttäu­
den. schung aus, dass wir uns schließlich auf einen Kompromiss einigten: Während der
letzten zehn Minuten jeder Sitzung führten mein Co-Therapeut und ich in der Gruppe
Neue Gruppenmitglieder ein Gespräch, in dem wir unsere Eindrücke und Erfahrungen in der vorangegangenen
Man kann einem neuen Gruppenmitglied den Eintritt in die Gruppe erleichtern, in­ Sitzung zusammenfassten. Obwohl die mündliche Zusammenfassung nicht alles bie­
dem man ihm Zusammenfassungen der letzten Sitzungen zu lesen gibt. Ich fordere ten konnte, was eine schriftliche bietet, erwies sich dies dennoch als zufriedenstellender
neue Gruppenmitglieder routinemäßig auf, derartige Zusammenfassungen zu lesen, Kompromiss.
bevor sie zur ersten Sitzung kommen. Wie jedes Ereignis in der Gruppe rufen auch die Zusammenfassungen unterschied­
liche Reaktionen hervor. Klienten mit ausgeprägter Sehnsucht nach Abhängigkeit bei­
spielsweise hängen an jedem einzelnen Wort; jene mit einer schwerwiegenden Kontra-

506 507
abhängigkeit stellen jedes Wort infrage - gelegentlich finden sie nicht einmal die Zeit, Terri feh lte wegen Kran kheit. La u ra eröffnete die Sitzu ng, indem sie eine fü r sie wich­
alle Zusammenfassungen zu lesen. Zwanghafte Klienten grübeln über die genaue Be­ tige Frage stellte, die von der letzten Woche übrig geblieben wa r. Wä hrend i h res Wort­
deutung der Wörter nach, und paranoide Klienten suchen nach verborgenen Bedeu­ wechsels m it Edith h atte sie gemeint, einen wissenden Blick Pauls z u Kathy h i n gese­
tungen. Somit bieten die Zusammenfassungen zwar eine Klärung, aber sie hintertrei­ hen zu ha ben. Pa u l versicherte La u ra, das sei wirklich nicht der Fa l l gewesen. Er habe
ben nicht die Bildung von Verzerrungen, wie sie in einer Therapie notwendig sind. Kathy angeschaut - aber aus einem ganz a nderen Grund: näm lich wegen seiner tiefen
Anteilnahme für ihre Depression in der Woche zuvor, in der Hoffn u ng, eine Möglichkeit
Zusammenfassung der 20. Sitzung einer Gruppe zu fi nden, Kathy mehr in d i e Gruppe einzu beziehen. Die Angelegen heit wurde h ier
Die im Folgenden wiedergegebene vollständige Zusammenfassung einer Gruppensit­ fa l len gelassen, aber es schien, als habe La ura eine besonders nützliche Methode gefu n­
zung wurde bis auf leichte stilistische Verbesserungen und Namensänderungen nicht den, d ie G ruppe z u n utzen. Es kom mt n icht selte n vor, dass einzelne Leute meinen,
bearbeitet. Ich diktierte sie in etwa 20 Minuten auf ein Diktiergerät (auf der Heimfahrt andere wechselten Bl icke, wä h rend sie reden, und es schien, als habe La ura e i n gewis­
von einer Sitzung). Man benötigt ein paar Wochen, bis man lernt, Sitzungen einiger­ ses Gefühl, ausgeschlossen zu werden, oder vielleicht, Pa u l achte sie gering, oder Pa u l
maßen gut und rasch zu diktieren, doch ist es keine schwierige Angelegenheit. Meine habe möglicherweise kein I nteresse an dem, was zwischen i h r u n d Edith abl ief.
Co-Therapeuten, meist Assistenzärzte der Psychiatrie, wechseln sich mit mir wöchent­ Das nächste Problem, das auftauchte, nahm einen großen Tei l der Sitzung i n Anspruch
lich beim Diktieren ab, und nach wenigen Wochen können die Klienten nicht mehr und war in mancher Hinsicht für viele Mitgl ieder langwei l ig; es wa r a ber zugleich ein
unterscheiden, ob mein Co-Therapeut die Zusammenfassung gemacht hat oder ich. Es au ßerordentlich wertvol les Stück Arbeit. Pa u l verschaffte sich Gehör u nd bega n n über
ist das Beste, tatsächlich sogar wesentlich, dass man sofort nach der Sitzung diktiert und, gewisse Arten der Einsicht zu sprechen, die er i n den letzten Wochen geha bt hatte. Er
im Fall einer Leitung durch zwei Therapeuten, direkt nach der Kurzbesprechung mit bra uchte sehr la nge, um zu beschre i ben, was er empfu nden hatte, und er tat dies auf
dem Co-Therapeuten nach der Gruppensitzung. Das ist überaus wichtig! Man vergisst höchst intell igente, aber intel lektua l isierende und letztlich vage Art. Die Leute i n der
den Ablauf der Ereignisse in der Gruppe schnell. Schieben Sie nicht einmal ein Gru ppe bem ühten sich nun entweder, bei Pa u l zu bleiben u nd zu verstehen, worauf er
Telefonat zwischen die Sitzung und Ihre Zusammenfassung. h i n a u swollte, oder sie hatten, wie Bill u n d Ted, angefa ngen, nicht mehr a uf Pa u l zu
Beim Diktieren schlage ich folgende Vorgehensweise vor: Versuchen Sie zuerst, das hören. Sch ließlich wurde deutlich, dass Pa u l der G ruppe seine quälenden Zweifel über
Gerüst der Sitzung aufzubauen, indem Sie sich die wichtigsten zwei bis vier Problem­ sein abgebrochenes J urastud i u m m itteilen wollte.
punkte wieder ins Gedächtnis rufen. Wenn das festgehalten ist, versuchen Sie sich als Pa u l sch ien sich wä h rend seiner ganzen Da rstel l u n g auf i rgendeiner E bene klar da­
Nächstes der Obergänge zwischen den Punkten zu erinnern. Dann kehren Sie zu jedem rüber zu sein, dass er sich u ndeutlich a usd rückte, u n d dass er das, was er zu sagen
Problem zurück und versuchen, den Beitrag jedes Mitglieds zu der Erörterung jedes hatte, höchst indirekt m itteilte. Er fragte mehrmals, ob die Gru ppe ihm folgen könne
dieser Problempunkte zu beschreiben. Achten Sie besonders auf Ihre eigene Rolle, ein­ und ob er sich klar a usd rücke. Am Ende seiner Ausfü h ru ngen verwirrte er E i nzelne i n
schließlich dessen, was Sie gesagt (oder nicht gesagt) haben und was an Sie gerichtet d e r Gru ppe, indem er bemerkte, er habe e i n seh r gutes Gefü h l bezüglich dessen, was
war. in der Gru ppe geschehen sei, u n d er habe a u ßerdem das Gefü hl, er sei genau an dem
Seien Sie nicht perfektionistisch: Man kann sich nicht an alles erinnern. Versuchen Platz, an dem er sein wol le. Kathy bezweifelte dies. Sie fragte sich, wie es auch a ndere
Sie nicht, Ihre Erinnerung aufzufrischen, indem Sie sich ein Band von der Sitzung an­ G ruppen m itglieder taten, was um a l les auf der Welt Pa u l von dieser ga nzen Seq uenz
hören - das macht die Aufgabe viel zu zeitintensiv. Ich verschicke die Protokolle, ohne gehabt haben sollte.
sie auch nur korrigiert zu haben; die Klienten sehen über Fehler und Auslassungen Aber offenbar hatte Paul der G ruppe m itteilen können, wie er sich m it seiner E ntschei­
hinweg. Die neue Möglichkeit, Texte mittels eines Diktierprogramms auf einem Com­ d ung heru mschlagen m usste, und gleichzeitig hatte er u nausgesprochen der Gru ppe
puter gleich in geschriebenen Text umzuwandeln, beschleunigt diese Arbeit noch bedeutet, dass er bezüglich des I n h a lts seiner E ntscheid ung keine aktive H i lfe wolle.
mehr. Als wir fragten, warum Pa ul das, wofü r er so la nge Zeit gebraucht hatte, nicht ei nfach
Die vorliegende beispielhafte Zusammenfassung stammt aus einer offenen Lang­ in einem oder zwei Sätzen hatte sagen können - a lso: »Ich schlage m ich m it der Ent­
zeitgruppe für ambulant behandelte Klienten. Sie ist besser geschrieben ( da sie für den scheidung heru m, ob ich wieder J u ra stud ieren soll, u nd ich bin m i r nicht sicher, ob ich
vorliegenden Band stilistisch überarbeitet wurde) und klarer als die Mehrzahl meiner es will« mei nte er, er wäre sehr erschrocken, wen n er das gesagt hätte. Als wir dies
Zusammenfassungen. Lassen Sie sich nicht abschrecken, die Technik der Zusammen­ a n a lysierten, schien es, dass er davor erschrak, dass die Gru ppe wie früher seine Fa milie
fassung zu probieren, nachdem Sie diese hier gelesen haben. Erschrecken Sie auch i h m i rgendwie d i e Entsche i d u n g hätte a bnehmen u n d ihm seine Sel bstständ igkeit
nicht über die Länge dieser Zusammenfassung. Weil ich die Gelegenheit nutzen will, hätte ra u ben können, dass sie sich i rgendwie in seine E ntscheidung h i nei ngedrängt
um meinen Lesern eine Sitzung ausführlich zu beschreiben, habe ich eine Zusammen­ u n d sie für ihn getroffen hätte.
fassung gewählt, die etwa 25 Prozent länger ist als die meisten. Da n n schl ugen wir Pa u l einen anderen Ansatz vor. Wäre es i h m vielleicht möglich ge-

508 509
wesen, die Sitzung d a m it zu begin nen, dass er den ga nzen Prozess deutlich gemacht, lrv versuchte, Ted i n die Sitzung h i nei nzuziehen, weil jeder schon gemerkt hat, dass Ted
a lso etwa gesagt hätte: » Ich schlage m ich m it einem wichtigen Entschluss heru m . Ich in den Sitzu ngen zu rückgezogen u n d schweigsam war; seine Tei l n a h m e wurde sehr
wei ß n icht, ob ich wirklich J u ra stud ieren will. Ich möchte, dass ihr alle dies wisst, u nd vermisst. Ted sprach wieder e i n m a l ü ber sein Gefü h l , die Gruppe sei n icht gefa h rlos,
ich möchte euch d ies mitteilen können, a ber ich will n icht, dass irgendjemand aus der und er habe Angst zu sprechen, wei l er immer wieder angegriffen werde für das, was
Gru ppe mir wirklich beim Fassen dieses Entschlusses hilft. « Pa ul dachte darüber nach er sage. Aber das sti m mt ja ga r nicht, sagte d i e Gruppe ! Wir sprachen d a n n ü ber die
und bemerkte, das kli nge d u rchaus möglich - es sei tatsächl ich etwas, das er hätte Tatsache, dass er, wie La ura u nterstrich, ü berha upt nicht angegriffen wurde, wen n er
machen kön nen. Das m üssen wir u ns fü r die Zuku nft merken: Wen n Pa u l a nfä ngt zu ü ber Fragen sprach, die persönl ich u nd i h m selbst nahe waren - wie seine E i nsa m keit
intellektualisieren und sich vage auszud rücken, sol lten wir i h m helfen, Möglichkeiten oder seine Schwierigkeiten, Freunde zu finden.
zu fi nden, seine Ged a n ken und Bed ürfnisse kurz und direkt m itzuteilen; d. h., wenn er Die Gru ppe bega n n mit dem Versuch, differenzieren z u helfen - es gebe Dinge, die Ted
von anderen etwas möchte und sie dennoch nicht verwirren oder entm utigen will. tue und die Angriffe auslösten, a ber es gebe viele andere Möglichkeiten fü r ihn, in der
Ganz a m Ende d ieser Sequenz schien die Gru ppe Schwierigkeiten zu ha ben, Pa u l wie­ Gru ppe zu i nteragieren, die tatsäch l ich n icht in i rgendeiner Art von Angriff gipfe l n
der loszulassen, und m a n stellte i h m noch mehr Fragen. Besonders Al wol lte von Pa u l würden. Welche Möglichkeiten?, fragte Ted.
noch ein iges ü ber d e n I n halt seines Entschlusses wissen, bis Ed ith sch ließlich a n merk­ l rv wies darauf hin, Ted könne z u m Beispiel positive Kommentare ü ber Leute a bgeben
te, sie würde gern das Thema wechsel n. Es war klar, dass Pa u l mehr als froh war, dies oder sich auf ein ige der Aspekte konzentrieren, die i h m an Leuten in der Gru ppe gefie­
geschehen zu lassen. len, und es wu rde vorgeschlagen, er solle dies tun. Edith bat i h n um positives Feedback;
Über die Fragen Als an Pau l haben wir heute in der Gruppe nicht gesprochen; die Situa­ ein ige Augenblicke lang wa r Ted blockiert und bemerkte d a n n sch ließl ich, Edith habe
tion ist ä h n l ich wie in ei nigen anderen Sitzungen in der Verga ngen heit, wo Al sich sta rk »eine angenehme Persönlichkeit . . . i m Allgemeinen«.
fü r inhaltliche Details der Pläne i nteressierte. Wir haben eine Vermutung (die zweifel­ Die Form u lierung d ieses Satzes führte sogleich zu ein igen feindseligen Wortwechseln,
los auf der Stelle zu rückgewiesen werden würde!); sie besagt, dass Al versucht, die und bald wa r Ted wieder in einer sehr vertra uten, aber nicht ungefäh rl ichen Gru ppen­
Gruppenzeit auszufü l len, u m die Gru ppe davon a bzuha lten, ihm Fragen ü ber den Kum­ rol le. La ura u nd andere wiesen d a ra uf hin, er habe dieses Kom pl i ment so form u l iert,
mer in seinem Leben zu stellen. dass er es implizit wieder aufgehoben ha be; es wirke n u n weniger wie ein Kom pliment,
Es ga b einen sehr kurzen Wortwechsel zwischen Edith u n d La u ra. Edith sagte, nach sondern fast mehr wie etwas Negatives. Al u nd andere wiesen d a ra uf h i n, dass die
i h rer Konfrontation in der verga ngenen Woche sei La u ra nach der Sitzung z u ihr ge­ Hinzufügung des Wortes »im Allgemeinen « die Aussage eher i ron isch erscheinen lasse
kommen u nd habe ihr klargemacht, sie sol le sich nicht ü ber etwas a ufregen, das z u ­ denn als echtes Kompli ment. Ted verteidigte sich, indem er sagte, er müsse ehrlich sein
mi ndest teilweise a u c h i h r eigenes Problem sei. Edith wa r d a n kbar dafür gewesen und und er müsse genau sein . Er meinte a uch, wen n er einfach sagen würde, Edith sei intel­
hatte es La u ra wissen lassen. zugleich konnte La u ra jedoch zu Edith sagen, dass sie, als l igent oder sensibel, würde sie sofort folgern, er meine, sie sei die intel l igenteste Per­
Edith heute i n der Sitz ung angefangen ha be, m it ihr zu reden, wieder ein Gefü h l der son im Ra um.
Fu rcht empfunden h a be. Edith sagte, das sei n u n wirklich nicht so u nd es hätte ihr gefa l len, d ieses oder ü ber­
Wir gi ngen darauf n icht näher ein, aber wir fragen u ns, ob das n icht ein wichtiges Er­ haupt i rgendein Kom plime nt von i h m zu hören. Ted wäre vielleicht weniger in der
eignis ist. Viel leicht ist es ja n icht n u r fü r La u ra wichtig, sondern a uch für Edith, zu Klem me, wie B i l l sagte, wenn er ein etwas begrenzteres Kompl iment gemacht hätte.
wissen, dass La ura d iese Angst vor i h r hat - eine Angst, von der auch Pa u l gesagt hat, An statt ü ber etwas so U mfassendes wie d i e Persönlichkeit zu reden, hätte er etwas
er teile sie manchmal. Dies könnte deswegen wichtig sein, weil Edith gesagt hat, dass Begrenzteres wählen sol len. Ted hätte z u m Beispiel ü ber i rgendeinen Aspekt von Edith
sie a n dieser Angriffshaltung a rbeiten möchte, die sie so oft e i n n i m mt. etwas sagen kön nen, der i h m gefiele, ü ber eine ei nzelne Handlu ng, über etwas, das sie
Der Ma n n, m it dem sie sich öfter trifft, hat ä h n l iche Bemerku ngen ihr gegen ü ber ge­ gesagt hatte, sogar ü ber ihr Kleid oder ihr Haar oder eine besondere Eigenheit.
macht. Könnte es sein, dass der Aspekt von La u ras Angst, der fü r Edith wichtig sein Als wir Ted fragten, wie er in der Gruppe wieder in d iese Lage geraten und ob er i rgend­
ka n n, darin besteht, dass La u ra früher schon mehrmals von Ed ith angegriffen worden wie dafür verantwortlich sei, wies Ted sehr schnell darauf h i n, er sei wirklich dafü r ver­
ist, dass Lau ra sich d a ra n eri n nert u nd (verstä n d licherweise) vorsichtig ist? Edith a nde­ a ntwortl ich; e i n Großteil der Last der Vera ntwortu ng fü r die Lage des Angegriffenen, i n
rerseits hat das Gefü hl, weil sie den früheren Angriff vergessen oder als u nwichtig ab­ der er sich befi nde, teile er. W i r versuchten, Ted klarzumachen, sein Gefü hl, d i e Gruppe
getan hat, dass La ura das natürlich a u ch tun sollte - u nd da begi n nt die Diskrepanz. sei nicht ungefährl ich, sei für ihn ein ä u ßerst wichtiges Problem, das er bea rbeiten
Tatsächlich sch ien Edith in der vorigen Sitz u ng ziemlich ersta u nt zu sein, dass La ura m ü sse, denn d ies sei der Art sehr ä h n l ich, wie er die Au ßenwelt erlebe, und je mehr
d iese Fu rcht immer noch empfand. Dies ka n n ein wichtiges Thema sein, das wir in zu­ Arten er u ntersuchen kön ne, so in der Gru ppe z u leben, dass sie weniger gefä h rl ich
künftigen Sitzungen u ntersuchen sollten. Die Menschen vergessen verschiedene Di nge erscheine, desto mehr werde er fä hig werden, seine Erkenntnisse a uf das Leben drau­
m it u ntersch ied licher Geschwi ndigkeit. ßen zu ü bertragen.

5 10 511
I n den letzten Min uten der Gruppensitzung ka m B i l l i n den Bren n p u n kt. Ed ith u nd der Gruppe geleistete Arbeit und andererseits separate Protokolle für jedes Gruppen­
andere kommentierten, sie hätten seine Bete i l igung vermisst. Bill sagte, er habe seine mitglied erstellen sollten.57 Schriftliche Zusammenfassungen der Gruppenarbeit soll­
I n a ktivität bemerkt und sei enttäuscht gewesen, dass er so wenig von sich sel bst m it­ ten in die Dokumentation einbezogen werden. In Ausbildungen kann das Gruppen­
getei lt ha be. Sein Schweigen wa r etwas anders als das Teds; er erlebt die G ruppe nicht protokoll auch für die Supervision genutzt werden. Dokumentiert werden sollten die
als gefä h rl ich, sondern ist eher geneigt, die Di nge vorbeiziehen zu lassen. Wen n er Fra­ Teilnahme der einzelnen Mitglieder, Terminfragen, wichtige Themen der Gruppen­
gen oder Mei n u ngen hat, ist er d u rchaus bereit, sie vorübergehen zu lassen, ohne sie arbeit, die Beschaffenheit der Gruppenkohäsivität, wichtige Interaktionen, übertra­
zu ä u ßern. Diese Haltung, das Leben in der G ruppe vorüberziehen zu lassen, ka n n fü r gungs- und Gegenübertragungsphänomene, woran gearbeitet und was vermieden
Bill höchst wichtig sein, wei l sie ein Abbild dessen ist, wie er a l lgemein in der Welt lebt wurde, und es sollte ein Ausblick darauf gegeben werden, womit die Gruppe sich in der
- wo er einen G roßteil des Lebens vorübergehen lässt und sich sel bst oft als Beobach­ folgenden Sitzung wird beschäftigen müssen. Der Gruppentherapeut sollte sich diese
ter und n icht a l s Tei l nehmer erlebt. E i n e Verä nderung d ieser H a ltung in der Gru ppe Aufzeichnungen immer unmittelbar vor der nächsten Sitzung durchlesen.
wäre der erste Schritt zu seiner Verä nderung im weiteren Leben. Außerdem muss für jedes einzelne Gruppenmitglied der Therapieverlauf doku­
Kathy wa r heute in der G ruppe ziemlich still, aber die Kom mentare, die sie früher in der mentiert werden. Dabei werden die persönlichen Fortschritte des Klienten, seine an­
Sitzung a bgegeben hat, gaben zu erkennen, dass sie, zumindest dem ä u ßeren Anschein fänglichen Ziele und Symptome, Sicherheitsprobleme (falls sie bestehen), das Engage­
nach, wen iger niedergesch lagen und u ngl ücklich als in der vorigen Sitzung wa r. ment im psychotherapeutischen Prozess und das Erreichen der Therapieziele auf­
geführt. Während das Gruppenprotokoll nach jeder Gruppensitzung weitergeführt
Diese Zusammenfassung veranschaulicht einige der Funktionen, die ich bereits be­ werden sollte, können die Fortschritte der einzelnen Mitglieder seltener, wenn auch
schrieben habe. Sie klärt den Prozess. Ein Großteil der Sitzung wurde von Pauls zwang­ in regelmäßigen Abständen, festgehalten werden, wobei die Eintragungen häufiger
haftem, verwirrendem Monolog in Anspruch genommen ( der durch Pauls Bemerkung werden sollten, wenn die klinische Situation dies als ratsam erscheinen lässt.
noch verwirrender wurde, dass er von seinem Vortrag viel gehabt habe). Die Zusam­
menfassung erklärt den Prozess dieser Transaktion. Auch verstärkt sie Normen (zum Str u ktu rie rte Ü b u ngen
Beispiel dadurch, dass sie Laura darin unterstützt, sich zu vergewissern, warum ver­
stohlene Blicke zwischen zwei Gruppenmitgliedern gewechselt wurden). Die Zusam­ Ich benutze den Ausdruck strukturierte Übungen, um eine Aktivität zu bezeichnen, bei
menfassung verstärkt die therapeutische Wirksamkeit, indem sie Verhalten in der der eine Gruppe eine Reihe spezifischer Anweisungen befolgt. Sie ist ein in der Gruppe
Gruppe mit Problemen außerhalb der Gruppe verknüpft (zwei Beispiele: Ediths Be­ durchgeführtes Experiment, das gewöhnlich vom Gruppenleiter vorgeschlagen wird,
ziehung zu ihrem Freund und Bills Beobachterhaltung im Leben) . gelegentlich aber auch von einem erfahrenen Mitglied. Die genaue Wirkweise der
Sie enthält einige nachträgliche Einfälle ( den a n Al gerichteten Kommentar über strukturierten übungen ist unterschiedlich, doch gelten sie im Allgemeinen als Mittel
das Ausfüllen der Zeit mit Inhaltsfragen, um die Gruppe davon abzuhalten, ihm essen­ zur Beschleunigung. Daher kann man diese Techniken, im Gegensatz zu einigen der in
zielle Fragen zu stellen). In der Zusammenfassung wird versucht, Verhaltensmuster diesem Kapitel beschriebenen, zeitaufwendigeren, als effizienzorientiert betrachten.
und dynamische Muster herauszustellen (beispielsweise Ediths narzisstisches Gefühl Deshalb sind sie möglicherweise von besonderem Interesse für Therapeuten und Ent­
der Berechtigung - d. h., dass sie angreifen dürfe, wenn sie wütend sei, und dass die an­ scheidungsgremien der staatlichen Gesundheitsfürsorge.
deren es vergessen sollten, wenn es ihr wieder besser gehe). Letztendlich blieb niemand Mithilfe von strukturierten Übungen wird versucht, die Gruppe aufzuwärmen, so­
unerwähnt, sodass alle daran erinnert wurden, dass jemand sich um sie kümmerte. dass die zögernden, unsicheren ersten Schritte der Gruppe übersprungen werden; die
Interaktion wird dadurch beschleunigt, dass die Interagierenden Aufgaben bekommen,
mit deren Hilfe das anfänglich ritualisierte Sozialverhalten umgangen wird. Die Ein­
Protokol l iere n von G ru p penthe ra p iesitz u ngen
zelarbeit wird durch Techniken beschleunigt, die dazu gedacht sind, den Mitgliedern
Therapiedokumentationen müssen die Vertraulichkeit wahren, und sie müssen ver­ zu helfen, rasch in Fühlung mit unterdrückten Emotionen, mit unbekannten Anteilen
schiedenen Zielsetzungen gerecht werden: Sie müssen dokumentieren, dass eine ange­ des eigenen Selbst und mit dem physischen Selbst zu kommen . .71 In einigen Zusam­
messene Betreuung erfolgt ist; der Prozess und die Effektivität der Behandlung müssen menhängen und bei einigen klinischen Populationen bilden strukturierte Übung das
beschrieben werden; die Weiterführung der Betreuung durch einen anderen Thera­ Zentrum der Arbeit in der Gruppe. Einige verbreitete Modelle sind handlungs- und
peuten zu einem späteren Zeitpunkt muss möglich sein; es muss dokumentiert wer­ aktivitätsorientierte Gruppen für ältere Menschen (beispielsweise Kunstgruppen,
den, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Tag eine ab­ Tanzgruppen und Bewegungsgruppen), die Klienten wieder mit einem Gefühl der Ef­
rechenbare Dienstleistung erbracht wurde. fektivität, Kompetenz und sozialen Interaktion verbinden sollen, weiterhin struktu­
Aus diesen Gründen empfehlen viele, dass Gruppentherapeuten einerseits die in rierte Aktivitätsgruppen sowie Körpergewahrseinsgruppen für Traumatisierte.58

512 513
Achtsamkeitsbasierte Stressreduktionsgruppen (mindful-based stress reduction - penkursen zur Bewusstseinserweiterung mit großen Teilnehmerzahlen (zum Beispiel
MBSR), die ihre Mitglieder in Meditations-, Tiefenatmungs- und Entspannungstech­ ES T und Lifespring). Diese Kurse bestehen ausschließlich aus einem Potpourri
niken unterrichten und ihre Aufmerksamkeit auf den Zustand in jedem einzelnen Au­ strukturierter, didaktischer und inspirierender übungen über zwei bis vier Tage.60
genblick lenken, sind sehr verbreitet und mit erstaunlichem Erfolg bei der Behandlung Dieser unbesonnene Einsatz strukturierter Übungen führte die Absichten der je­
von physischen Krankheiten, Angststörungen und für die Rückfallprävention bei weiligen Richtungen ad absurdum, in deren Arbeit diese Techniken entstanden sind.
Depressiven eingesetzt worden.59 Diese Techniken können auch als Bestandteile von Im Bereich der T-Gruppen wurden Übungen entworfen, die die Prinzipien der Grup­
Gruppeninterventionen mit umfassenderer Zielsetzung genutzt werden, pendynamik (sowohl zwischen Gruppen als auch innerhalb von Gruppen) zeigen und
Die strukturierte Übung kann nur wenige Minuten erfordern, sie kann aber auch die Entwicklung von Gruppen beschleunigen sollten. Da die typische T-Gruppe wäh­
eine ganze Sitzung ausfüllen. Sie kann überwiegend verbal oder nonverbal sein (fast rend einer eng begrenzten Zeit zusammenkam, brauchten die Leiter Methoden, die
alle nonverbalen Verfahren haben jedoch eine verbale Komponente; im Allgemeinen Gruppe aus der anfänglichen Zurückhaltung und dem traditionellen ritualisierten So­
bringt die erfolgreiche strukturierte Übung Material ans Licht, das in der Folge bespro­ zialverhalten herauszulocken. Sie wollten, dass die Mitglieder der Kleingruppe so weit
chen wird). Solche übungen, die in Encountergruppen sehr gebräuchlich sind, in The­ wie möglich im Entwicklungsprozess vorankamen.
rapiegruppen jedoch wesentlich seltener benutzt werden, können die ganze Gruppe als Die Gestalttherapie, eine weitere Hauptquelle strukturierter Übungen, beruht als
solche umfassen (man kann die Gruppe zum Beispiel auffordern, etwas zu bauen oder Therapierichtung auf existenziellen Wurzeln. Fritz Perls (der Begründer der Gestalt­
einen Ausflug zu planen); ein Mitglied kann der ganzen Gruppe gegenüberstehen (der therapie) hat viele Aufzeichnungen von Sitzungen mit Klienten hinterlassen, die eben­
»Vertrauensfall« - ein Mitglied steht mit geschlossenen Augen in der Mitte und lässt so wie seine theoretischen Abhandlungen zeigen, dass es ihm vor allem um Daseins­
sich fallen und ermöglicht so der Gruppe, es zu stützen und hin und her zu wiegen); probleme ging, um Probleme des Selbstgewahrseins, der Verantwortung, der Bedingt­
die ganze Gruppe kann als Summe von Individuen beteiligt werden (man kann jedes heit und der Ganzheit sowohl beim Einzelnen als auch innerhalb seines sozialen und
Mitglied auffordern, seine ersten Eindrücke von allen anderen Gruppenmitgliedern zu physischen Universums.6 1 Der Ansatz Perls' war neuartig, aber seine Auffassung vom
äußern); die ganze Gruppe kann in Dyaden aufgeteilt werden (beim »Blinde führen« - fundamentalen Dilemma des Menschen teilt er mit einer langen Reihe von Lebens­
die Gruppe teilt sich in Paare, und jedes Paar geht herum, wobei einem die Augen ver­ philosophen, die bis zu den Anfängen des aufgezeichneten Denkens zurückreicht.
bunden werden und er vom anderen geführt wird); oder ein besonders ausgewähltes Paradoxerweise wird die Gestalttherapie mittlerweile von einigen Klinikern als eine
Paar führt eine übung aus (zwei Mitglieder, die sich in einen Zweikampf verbissen ha­ »schnelle« Therapie angesehen, die sich mechanischer Tricks bedient, während sie in
ben, können aufgefordert werden, sich abwechselnd zu Boden zu werfen und einander Wirklichkeit eine ehrgeizige und durchdachte Unternehmung ist. Sie versucht, Ver­
dann wieder aufzuheben), oder ein ausgewähltes Mitglied allein führt eine Übung aus leugnungssysteme zu durchdringen und Klienten einen neuen Blick auf ihre Stellung
(»Stühle tauschen« - ein Mitglied kann aufgefordert werden, zwei oder mehr in Kon­ in der Welt zu verschaffen. Obwohl sie einen übermäßig technologischen, »fertig ab­
flikt stehenden inneren Rollen Ausdruck zu verleihen, wobei er sich von einem Stuhl gepackten« Ansatz ablehnt, kommen einige Gestalttherapeuten nicht über die Tech­
auf den anderen setzt, während er die eine oder andere Rolle übernimmt). Mit jeder nik hinaus; sie erfassen die theoretischen Annahmen nicht, auf denen jegliche Technik
vorgegebenen übung, bei welcher die Teilnehmer in physischen Kontakt zueinander beruhen muss.
treten, muss sorgsam umgegangen werden. Falls dabei die sonst geltenden Grenzen der Wie ist es gekommen, dass bei der Gestaltmethode das äußere Bild so oft mit dem
therapeutischen Situation überschritten werden - und selbst wenn dies in bester Ab­ eigentlichen Wesen verwechselt worden ist? Den Grundstein für den Irrtum hat, ohne
sicht und mit einer klaren therapeutischen Zielsetzung geschieht - ,müssen die Grup­ es zu merken, Fritz Perls selbst gelegt; seine kreative technische Virtuosität wirkte so
penmitglieder zuvor umfassend darüber informiert werden, was auf sie zukommt, und sehr mit seinem Gespür für »Showmanship« zusammen, dass viele Menschen verleitet
sie müssen in Kenntnis dessen in das Beabsichtigte einwilligen. wurden, das Medium für die Botschaft zu halten. Perls hatte mit der Überbetonung des
Strukturierte übungen wurden zunächst in T-Gruppen und später in Encounter­ Intellekts zu kämpfen, die die frühe analytische Bewegung kennzeichnete, und er zeig­
gruppen häufig benutzt (siehe hierzu Kapitel 16), und in den 1960er- und 1970er- Jah­ te oft eine Überreaktion dagegen und übertrieb seine Abneigung gegen die Theorie. Er
ren wurden sie durch die Gestalttherapie noch bekannter. Eine Zeit lang benutzten vie­ proklamierte: »Verlier' den Kopf und komm' zu Sinnen.« Infolgedessen hat er nicht
le Gruppenleiter und zahlreiche Trainingsprogramme diese übungen in großem Um­ sehr viel geschrieben, sondern hat überwiegend durch seine Praxis gelehrt; er vertrau­
fang. Manche Ausbildungsprogramme für Gruppenleiter stützen sich stark auf Anwei­ te darauf, dass seine Schüler durch Erfahrung ihre eigenen Wahrheiten entdecken wür­
sungen für strukturierte Übungen und bilden technikorientierte Gruppenleiter aus, den und nicht durch den intellektuellen Verstehensprozess. Beschreibungen der der­
die ihre Gruppe so leiten, als griffen sie immer dann, wenn nichts vorwärtsgeht, in eine zeitigen Praxis der Gestalttherapie betonen einen ausgewogeneren Ansatz, in dem
Wundertüte mit Tricks. In den Achtzigerjahren setzten große Teile der Öffentlichkeit strukturierte Übungen (oder »therapeuteninduzierte Experimente«) auf besonnenere
die Gruppentherapie mit strukturierten Übungen gleich; dies war die Folge von Grup- Weise eingesetzt werden.62

514 515
Wie nützlich sind strukturierte Übungen? Was berichtet uns die Forschung über die glied auf einem Stuhl in der Mitte sitzt und bei der sich besonders der Gruppenleiter,
Wirkungen dieser Verfahren auf den Gruppenprozess und das Gruppenergebnis? Im aber auch die anderen Mitglieder lange Zeit ausschließlich und erschöpfend auf dieses
Encountergruppen-Projekt von Lieberman, Yalom und Miles (siehe Kapitel 16) wurde Mitglied konzentrieren).
die Wirkung der strukturierten Übung eingehend untersucht, und man kam zu folgen­ Doch wurde diese Methode von den am wenigsten wirksamen Gruppen/eitern ebenso
den Schlüssen:63 Gruppenleiter, die viele Übungen machen ließen, waren bei ihren sehr geschätzt wie von den wirksamen. Offensichtlich sind die Erfolge der effizienten
Gruppen beliebt. Sofort nach Beendigung einer Gruppe sahen die Mitglieder sie als Gruppenleiter durch andere Aspekte des Leiterverhaltens zu erklären, aber wenn sie
tüchtiger, effizienter und aufnahmefähiger als andere Gruppenleiter an, die diese Tech­ ihre Wirksamkeit irrtümlich der strukturierten Übung zuschreiben, bekommt diese
niken sparsam verwendeten. Jedoch hatten die Mitglieder von Gruppen, in denen die eine Bewertung, die sie nicht verdient (leider wird sie auch an die Studenten als zent­
meisten Übungen durchgeführt wurden, signifikant schlechtere Ergebnisse als die Mitglie­ rales Merkmal des Veränderungsprozesses weitergegeben).
der von Gruppen mit den wenigsten Übungen. (In den Gruppen mit den meisten übun­ Das Encountergruppen-Projekt von Lieberman, Yalom und Miles hat auch gezeigt,
gen hatten sich weniger Mitglieder stark oder ganz und gar positiv verändert und mehr dass es nicht nur die Interaktionen des Leiters mit einem Mitglied waren, die einen
Mitglieder negativ. Außerdem war bei den stark veränderten Mitgliedern der Encoun­ Wandel herbeiführten. Von noch größerer Bedeutung waren im Veränderungsprozess
tergruppen mit den meisten Übungen die Wahrscheinlichkeit, dass die Veränderung psychosoziale Kräfte: Die Veränderung wurde stark von der Rolle beeinflusst, die je­
längere Zeit erhalten blieb, geringer.) mand in der Gruppe spielte (Zentralität, Grad des Einflusses, Kongruenz der Wert­
Kurzum,- die Moral dieser Untersuchung lautet: Wenn Sie wollen, dass Ihre Gruppen­ vorstellungen, Aktivität), ebenso von Eigenschaften der Gruppe (Kohäsivität, Klima
mitglieder glauben, Sie seien tüchtig und Sie wüssten, was Sie tun, dann sollten Sie eine der starken Intensität, Harmonie und Normstruktur). Anders ausgedrückt: die For­
Fülle strukturierter Interventionen verwenden; wenn Sie dies tun, wenn Sie führen, aus­ schungsdaten bestätigten nicht die Wichtigkeit der direkten therapeutischen Inter­
drückliche Anweisungen geben, eine totale Leiterfunktion annehmen, erfüllen Sie die aktion des Gruppenleiters mit jedem Mitglied.
Fantasien der Gruppenmitglieder hinsichtlich dessen, was ein Gruppenleiter tun sollte. Diese Ergebnisse stammen zwar von Kurzzeitencountergruppen, sie sind aber auch
Das Therapieergebnis Ihrer Gruppenmitglieder wird dadurch jedoch nicht verbessert; für die Therapiegruppe sehr relevant. Was die Geschwindigkeit betrifft, beschleunigen
tatsächlich wird die Gruppe weniger effizient, wenn man sich zu sehr auf diese Techniken strukturierte Übungen tatsächlich die Interaktion, indem sie frühe, langsame Stadien
verlässt. der Gruppeninteraktion überspringen und die Gruppenmitglieder rasch zur Äuße­
Die Forschung hat sich auch noch andere Unterschiede zwischen den Gruppen mit rung positiver und negativer Gefühle veranlasst werden. Ob sie jedoch auch den The­
den meisten und den wenigsten übungen angesehen. Die Bereitschaft zur Selbstoffen­ rapieprozess beschleunigen, ist eine völlig andere Frage.
barung und das emotionale Klima in beiden Arten von Gruppen waren gleich. Unter­ In Kurzzeitgruppen - T-Gruppen oder Kurzzeittherapiegruppen - ist es oft legitim,
schiede gab es hinsichtlich der Hauptthemen: In Gruppen, in denen mehr Übungen aus­ bestimmte Techniken anzuwenden, um schwierige Stadien zu überspringen und um
geführt wurden, konzentrierte man sich auf das Äußern positiver und negativer Gefühle; der Gruppe zum Weiterkommen zu verhelfen, wenn sie in einer Sackgasse steckt. In
in denjenigen, in denen weniger Übungen ausgeführt wurden, war der thematische Spiel­ Langzeit-Therapiegruppen ist das Überspringen weniger angebracht; der Gruppenlei­
raum größer: das Setzen von Zielen, die Wahl von Verfahrensmethoden, Nähe im Gegen­ ter möchte die Gruppe oft lieber durch Angst, durch Sackgassen oder schwierige Stadi­
satz zu Distanz, Vertrauen im Gegensatz zu Misstrauen, Echtheit im. Gegensatz zu Auf­ en lenken anstatt um sie herum. Widerstand ist kein Therapiehindernis, sondern der
gesetztheit, Zuneigung und Isolierung. Stoff, aus dem Therapie gemacht ist. Die frühen Psychoanalytiker sahen das analyti­
Demnach scheinen sich Gruppen, die im Rahmen ihrer Arbeit in starkem Maße sche Verfahren als etwas an, das in zwei Stufen verläuft: der Analyse des Widerstands
strukturierte Übungen nutzen, sich mit einigen wichtigen Gruppenthemen nie und dann der wahren Analyse ( die darin besteht, nach und nach die infantilen,
auseinandersetzen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die strukturierten übun­ unbewussten Wurzeln des Verhaltens freizulegen). Später erkannten sie, dass die Wi­
gen das Ausdrucksvermögen der Gruppenmitglieder rasch verbessern; doch bezahlt die derstandsanalyse, wenn man sie gründlich betreibt, für sich allein schon genügt.
Gruppe für diesen Zuwachs an Geschwindigkeit einen Preis: Sie umgeht viele Aufgaben Die interaktionsorientierte Gruppentherapie funktioniert ganz ähnlich: Man ge­
der Gruppenentwicklung und entwickelt kein Gefühl der eigenen Autonomie und winnt mehr durch das Erleben und Erforschen großer Schüchternheit oder großen
Wirksamkeit. Misstrauens oder jeder einzelnen von einer großen Zahl von Dynamiken, die der an­
Gruppentherapeuten fällt es nicht leicht, ihre eigene Verwendung strukturierter fänglichen Zurückhaltung eines Mitglieds zugrunde liegen, als dadurch, dass man dem
Techniken zu bewerten. In dem Encountergruppen-Projekt benutzten fast alle Grup­ Gruppenmitglied eine Technik anbietet, die es, ob es will oder nicht, zu weitgehender
penleiter strukturierte Übungen. Einige der effizienteren Leiter schrieben ihren Erfolg Selbstoffenbarung oder Gefühlsäußerung veranlasst. Eine Beschleunigung, die dazu
in hohem Maße diesen Techniken zu. Ein Beispiel: Viele Gruppenleiter benutzten die führt, dass einem Klienten zur Unzeit Material entrissen wird, kann kontraproduktiv
Technik des »hot seat« (eine durch Perls bekannt gewordene Methode, bei der ein Mit- sein, wenn der richtige Kontext des Materials nicht hergestellt worden ist.

516 517
Ein weiterer Grund, bezüglich des Gebrauchs zahlreicher strukturierter Übungen in bilden oder die Gruppe ins Hier und Jetzt zu steuern oder den Prozess zu erklären,
Therapiegruppen zur Vorsicht zu mahnen, ist, dass Gruppenleiter, die dies tun, Gefahr können sie von Wert sein. In der Kurzzeittherapie können sie unschätzbare Werkzeuge
laufen, die Gruppe zu infantilisieren. Mitglieder einer hochstrukturierten, auf den sein, um die Gruppe zu ihrer Aufgabe hinzulenken und sie rascher die Arbeit an ihrer
Gruppenleiter zentrierten Gruppe bekommen das Gefühl, dass (alle) Hilfe vom Leiter Aufgabe beginnen zu lassen. Wenn man sie verwendet, sollten sie zum richtigen Zeit­
ausgeht; sie warten darauf, dass sie an die Reihe kommen, mit dem Leiter zu arbeiten; punkt eingesetzt werden; nichts ist beunruhigender als die richtige Idee an der falschen
sie berauben sich ihrer eigenen Fertigkeiten und hören auf, sich die Hilfe und die Res­ Stelle und zur falschen Zeit. Es ist falsch, Übungen als Füllmittel für emotionale Lük­
sourcen zunutze zu machen, die in der Gruppe verfügbar sind. Sie berauben sich selbst ken zu benutzen - d. h. als interessante Beschäftigung, wenn die Gruppe nicht recht
der Verantwortung. weiß, was sie tun soll.
Mit meinen Einwänden gegen den Gebrauch strukturierter Übungen will ich nicht Eine strukturierte übung sollte auch nicht benutzt werden, um Affekte in der Grup­
übertreiben. Sicher gibt es einen Mittelweg dazwischen, einerseits einer Gruppe zu er­ pe zu wecken. Eine angemessen geführte Therapiegruppe sollte keine Energiezufuhr
lauben, sich nutzlos einer nutzlosen Sequenz hinzugeben, oder aber andererseits, eine von außen benötigen. Wenn in der Gruppe nicht genug Energie vorhanden zu sein
wild-aktive, übermäßig strukturierende Führungsrolle zu spielen. Zu dieser Überzeu­ scheint, wenn die Treffen ereignislos verlaufen, wenn der Therapeut es immer wieder
gung ist die Studie von Lieberman, Yalom und Miles gelangt.64 Sie hat gezeigt, dass die für notwendig hält, die Gruppe durch Interventionen unter Spannung zu setzen, be­
Funktion eines aktiven, ausführenden, managerartigen Führungsstils in einer nicht­ steht höchstwahrscheinlich ein signifikantes Entwicklungsproblem, das sich allein
linearen Beziehung zum Ergebnis stand: d. h. zu viel Struktur und zu wenig Struktur durch die Nutzung beschleunigender Mittel nicht beheben lässt. Man muss in solchen
korrelierten negativ mit einem guten Ergebnis. Zu viel erzeugte die Arten von Proble­ Situationen die Hindernisse erforschen, ebenso die Normenstruktur, die passive Ein­
men, die ich im vorigen Abschnitt besprochen habe (leiterzentrierte, abhängige Grup­ stellung der Mitglieder gegenüber dem Gruppenleiter, die Beziehung der einzelnen
pen); zu wenig (eine Methode des Laissez-faire) führte zu Gruppen, die sich mühsam Mitglieder zu ihren primären Aufgaben usw. Nach meiner Erfahrung gibt es keinen
dahinschleppten, wenig Energie hatten und viele Abnutzungserscheinungen zeigten. Mangel an Aktivität und Energie in der Gruppe, wenn der Therapeut die Klienten an­
Wir brauchen uns keinen ungewöhnlichen Arten von Gruppen zuzuwenden, um gemessen vorbereitet und auf die Art, wie ich sie in Kapitel 5 beschrieben habe, aktiv
strukturierte übungen zu finden - viele der Techniken, die ich in Kapitel 5 beschrieben Normen der Äußerung, der Interaktion und der Selbstoffenbarung gestaltet.
habe und welche der Gruppenleiter beim Setzen von Normen, bei der Aktivierung des Strukturierte Übungen spielen oft in spezialisierten Kurzzeittherapiegruppen eine
Hier und Jetzt und bei der Prozessklärung verwendet, haben die Qualität von Vor­ wichtigere Rolle als in der Langzeitgruppe mit ambulanten Klienten. Im nächsten
schriften. (»Wem in der Gruppe fühlen Sie sich am nächsten?« - »Können Sie Mary Kapitel werde ich Nutzungsmöglichkeiten strukturierter übungen in mehreren spezi­
ansehen, während Sie mit ihr sprechen?« - »Wenn Sie für Ihre Arbeit in der Gruppe alisierten Therapiegruppen beschreiben.
eine Note bekämen, welche wäre das?« usw.) Therapeuten können während einer Sit­
zung auch eine strukturierte Fantasieübung durchführen. Beispielsweise fordern sie
dann die Gruppenmitglieder auf, ihre Augen zu schließen, und beschreiben ihnen
dann eine entspannende Szene (etwa einen Spaziergang am Strand, bei dem warme,
sanfte Wellen über ihre nackten Füße plätschern), bitten sie anschließend, sich vorzu­
stellen, dass sie eines oder mehrere der anderen Gruppenmitglieder oder die Gruppen­
leiter treffen, und diese Fantasievorstellung weiterzuentwickeln. Später werden die
Teilnehmer aufgefordert, in der Gruppe über ihre Fantasien zu berichten und sie dann
zu untersuchen.
Jeder erfahrene Gruppenleiter verwendet strukturierte übungen. Wenn zum Beispiel
eine Gruppe angespannt ist und ein oder zwei Minuten lang schweigt (ein Schweigen
von einer Minute Dauer streckt sich in einer Gruppe sehr lang), bitte ich oft um eine
Runde, in der jedes Mitglied rasch sagt, was es während dieses Schweigens empfunden
hat oder vielleicht gern gesagt hätte. Diese übung bringt gewöhnlich viele brauchbare
Daten ans Licht. 71
Bei der Arbeit mit strukturierten Übungen ist wichtig, welcher Intensitätsgrad, wel­
cher Akzent und welcher Zweck mit ihnen verbunden werden. Wenn strukturierte In­
terventionen als Vorschlag helfen sollen, eine selbstständig arbeitende Gruppe zu

518 519
selbst. Der Lernende muss sich zunächst die grundlegende Theorie der Gruppenthera­
pie aneignen, um anschließend die ursprüngliche, prototypische Therapiegruppe von
Grund auf zu verstehen. Aber welche Gruppentherapie ist der gemeinsame Vorfahre?
Ka pite l 1 5 Die Gruppentherapien haben sich so üppig entwickelt, dass es großer Umsicht bedarf,
in diesem Dickicht den Urstamm dieser Therapieform zu finden.
Aber wenn es eine primäre oder altehrwürdige Gruppentherapie gibt, ist es die of­
Spez i a l is i e rte T h e ra piegru ppe n fene Langzeittherapie mit ambulanten Klienten, die in diesem Buch beschrieben wird.
Sie war die erste Gruppentherapie und ist nach wie vor die am eingehendsten unter­
suchte, da die Klienten genügend motiviert, kooperativ und stabil sind, um systemati­
Methoden der Gruppentherapie haben sich in so vielen verschiedenen klinischen Mi­ sche Forschung zu ermöglichen. Außerdem hat sie im Verlauf der letzten 50 Jahre zu
lieus als nützlich erwiesen, dass man korrekterweise nicht mehr generell von der Grup­ einer eindrucksvollen Fülle an Fachliteratur angeregt, die die Beobachtungen und Fol­
pentherapie sprechen kann. Stattdessen müssen wir von den Gruppentherapien spre­ gerungen reflexiver Kliniker enthält.
chen. Und wie man selbst bei einem flüchtigen Durchblättern von Fachzeitschriften Nachdem Sie nun mit diesem Text so weit gekommen sind, nachdem Sie sich mit
sehen kann, ist die Anzahl und das Spektrum der Gruppentherapien irritierend groß. den grundlegenden Prinzipien und Techniken der ursprünglichen Therapiegruppe
Es gibt Gruppen für Inzestüberlebende, HIV-Infizierte und Aids-Kranke, für Klien­ vertraut gemacht haben, sind Sie zum nächsten Schritt bereit: der Anpassung der fun­
ten mit Essstörungen oder Panikstörungen, für Selbstmordgefährdete, Alte, Eltern von damentalen Prinzipien der Gruppentherapie an jede spezielle klinische Situation. Dieser
sexuell missbrauchten Kindern, Eltern ermordeter Kinder, Spielsüchtige und Sex­ Schritt ist das Ziel dieses Kapitels. Zuerst werde ich die grundlegenden Prinzipien be­
süchtige, Herpeskranke, Frauen mit nachgeburtlicher Depression, Männer mit sexuel­ schreiben, nach denen man fundamentale Bestandteile der Gruppentherapie unter­
ler Dysfunktion und homosexuelle Männer mit sexueller Dysfunktion. Weiterhin gibt schiedlichen klinischen Situationen anpasst. Anschließend werde ich dazu ein klini­
es Gruppen für Menschen mit erhöhten Cholesterinwerten, für überlebende von sches Beispiel vortragen - die Anpassung der Gruppentherapie für eine Station mit
Scheidungen, für Kinder von Alzheimerkranken, Ehepartner von Alzheimerkranken, akuten Psychiatriepatienten und die weitverbreitete Nutzung von Gruppen für Klien­
Alkoholiker, Kinder von Alkoholikern, gewalttätige Männer, Mütter von Drogensüch­ ten, die mit physischen Krankheiten fertig zu werden versuchen. Das Kapitel endet mit
tigen, Familien psychisch Kranker, Väter von straffälligen Töchtern, depressive ältere einer Darstellung wichtiger Entwicklungen in der Gruppentherapie: strukturierten
Frauen, zu Wutanfällen neigende Jungen in der Adoleszenz, überlebende terroristi­ Gruppentherapien, Selbsthilfegruppen und Online-Gruppen.
scher Angriffe, Kinder von Holocaust-überlebenden, Frauen mit Brustkrebs, Dialyse­
patienten, Menschen mit multipler Sklerose, Leukämie, Asthma, Sichelzellenanämie, Die Abwa n d l u n g der tra d itionel l e n G ru ppenthera pie
Gruppen für Taube, Agoraphobiker und geistig Retardierte, Gruppen für Transsexuel­
fü r speziel l e k l i n ische Situationen: G ru nd legende Sch ritte
le und für Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung, mit Störungen des Ver­
dauungssystems oder Reizdarm, für Amputierte, Querschnittsgelähmte, Schlaflose, Für die Planung einer speziellen Therapiegruppe schlage ich folgende drei Schritte vor:
Kleptomanen, Asthmatiker, anorgasmische Frauen, College-Abbrecher, Opfer eines 1. Beurteilung der klinischen Situation; 2. Formulierung angemessener klinischer Ziele;
Herzinfarkts oder Schlaganfalls, Adoptiveltern, blinde Diabetiker, Klienten in Krisen­ 3. Modifizierung der traditionellen Technik, um auf diese beiden Punkte einzugehen
situationen, trauernde Witwen oder Witwer, trauernde Eltern, Gruppen für Sterbende - die neue klinische Situation und die neuen klinischen Ziele.
und noch viele, viele andere. 71 1
Natürlich kann keine Abhandlung auf jede dieser Spezialgruppen eingehen. Selbst Einschätzung der klinischen Situation
wenn es möglich wäre, so wäre es doch kein intelligenter Ansatz, etwas zu lehren. Wür­ Es ist wichtig, alle Bedingungen des Lebens in der Klinik sorgfältig zu untersuchen, die
de denn beispielsweise ein vernünftiger Dozent der Zoologie die anatomische Struktur auf die Therapiegruppe voraussichtlich Einfluss nehmen werden. Achten Sie sorgfältig
der Wirbeltiere lehren wollen, indem er den Studenten auffordert, sich die Anatomie darauf, die intrinsischen einschränkenden Faktoren von den extrinsischen Faktoren zu
jeder Unterart einzeln einzuprägen? Natürlich nicht! Stattdessen unterrichtet der Leh­ unterscheiden. Die intrinsischen Faktoren (zum Beispiel die Pflichtteilnahme bei Kli­
rer die grundlegenden und allgemeinen Prinzipien der Form, der Struktur und der enten, die auf Bewährung verurteilt sind, die vorgeschriebene Dauer der Gruppenbe­
Funktion und geht dann dazu über, die Anatomie eines prototypischen Exemplars zu handlung in einer HMO-Klinik oder häufige medizinisch bedingte Krankenhausauf­
lehren, die als Modell für alle anderen Wirbeltiere fungiert. In der Regel benutzen die enthalte bei einer Gruppe von Krebsklienten) sind Bestandteile der Kliniksituation
Lehrer hierfür eine repräsentative Amphibie. und können nicht verändert werden.
Wie diese Analogie auf die Gruppentherapie zu erweitern ist, versteht sich von Außerdem gibt es die extrinsischen einschränkenden Faktoren (die zu Tradition

520 521
oder zu Politik geworden sind), die willkürlich sind und vom Therapeuten verändert In zeitlich limitierten Spezialgruppen müssen die Ziele begrenzt und hinsichtlich
werden können - z. B. eine Psychiatriestation, welche die Gruppenleitung turnusmäßig Fähigkeiten und Potenzial der Gruppenmitglieder auch erreichbar sein. Es ist wichtig,
auswechselt, sodass jede Gruppe einen anderen Leiter hat; oder eine Inzestgruppe, die dass die Gruppe zu einem Erfolgserlebnis wird; die Klienten treten mit einem Gefühl
gewohnheitsmäßig mit einem langen »Check-in« beginnt (das den größten Teil der in die Therapie ein, gescheitert und demoralisiert zu sein; ein weiteres Scheitern wäre
Sitzung in Anspruch nehmen kann), in dem jedes Mitglied von den wichtigen Ereig­ wohl das Letzte, was sie verkraften könnten. In der Besprechung der Gruppe stationä­
nissen der vergangenen Woche berichtet. rer Klienten, die bald folgen wird, gebe ich ein detailliertes Beispiel des Prozesses der
In gewisser Hinsicht ist das Gelassenheitsgebet der Anonymen Alkoholiker hier Zielsetzung.
zweckdienlich: der Therapeut muss akzeptieren, was er nicht ändern kann (intrinsi­
sche Faktoren), das ändern, was verändert werden kann (extrinsische Faktoren), und Modifizierung der Technik
klug genug sein, um den Unterschied zu erkennen. Allerdings ist zu bedenken, dass Wenn Sie sich über die klinischen Bedingungen im Klaren sind und wenn Sie ange­
Therapeuten, wenn sie erfahrener werden, oft feststellen, dass zunächst als intrinsisch messene, realisierbare Ziele formuliert haben, müssen Sie als Nächstes die Folgen er­
angesehene Faktoren in Wahrheit extrinsisch und somit veränderbar sind. Beispiels­ wägen, die diese Bedingungen und diese Ziele für Ihre therapeutische Technik nach
weise kann man, indem man den Leiter eines Behandlungsprogramms oder einer In­ sich ziehen. Bei diesem Schritt ist es wichtig, die therapeutischen Faktoren zu überle­
stitution über Sinn und Effektivität der Gruppentherapie informiert, eine günstigere gen und zu bestimmen, welche zur Erreichung der Ziele die größte Rolle spielen wer­
Atmosphäre für eine Therapiegruppe kreieren. 2 den. Es ist eine Phase disziplinierten Experimentierens, in der Sie Technik, Stil und -
wenn nötig - die Grundform der Gruppe ändern, um sie der klinischen Situation und
Formulieren von Zielen den neuen Therapiezielen anzupassen.
Wenn Sie ein klares Bild von den Lebensbedingungen in der Klinik haben - Anzahl der Um ein kurzes, hypothetisches Beispiel zu geben, stellen Sie sich vor, man bittet Sie,
Klienten, Länge der Therapie, Dauer und Häufigkeit der Gruppensitzungen, Art und eine Gruppe zu leiten, für die es relativ wenig Präzedenzfälle gibt - sagen wir, ein Sui­
Schweregrad der Pathologie, Verfügbarkeit eines Co-Therapeuten - , besteht Ihr nächs­ zidvermeidungszentrum bittet Sie, eine zwölfmonatige Gruppe für ältere, unter Hemi­
ter Schritt darin, eine vernünftige Reihe klinischer Ziele aufzustellen. parese leidende, suizidgefährdete Klienten zu leiten. Ihr erstes und wichtigstes Ziel ist
Vielleicht haben Sie Vorbehalte gegen die klinische Situation, vielleicht fühlen Sie natürlich, Suizid zu vermeiden, und alle Modifikationen der Technik müssen auf dieses
sich eingeschränkt durch die vielen internen Hemmnisse, die Sie hindern, die ideale Ziel hin ausgerichtet sein. Ein Selbstmord während der Monate, in denen die Gruppe
Gruppe zu leiten. Erschöpfen Sie sich aber nicht, indem Sie gegen eine kaum veränder­ zusammenkommt, wäre nicht nur eine persönliche Tragödie, sondern wäre auch für
bare Situation protestieren! (Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als die Dunkelheit die erfolgreiche Entwicklung der Gruppe eine Katastrophe.
zu verfluchen.) Wenn Sie Ziele und Technik angemessen modifizieren, werden Sie im­ Bei den Vorgesprächen entwickeln Sie einige zusätzliche Ziele: Sie entdecken, dass
mer irgendeine Form der Hilfe anbieten können. viele Klienten nachlässig mit ihrer Medikamenteneinnahme umgehen und sie außer­
Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig es ist, klare und angemessene Zie­ dem alle unter schwerwiegender gesellschaftlicher Isolation, unter einem alles durch­
le zu setzen: Es kann der wichtigste Schritt sein, den Sie in Ihrer therapeutischen Arbeit dringenden Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Bedeutungslosigkeit leiden. Wenn Sie
machen. Nichts führt so unweigerlich zum Scheitern wie unangemessene Ziele. Die Zie­ sich nun mit der Notwendigkeit konfrontiert sehen, auch an diesen zusätzlichen
le der Langzeitgruppe für ambulante Klienten, die ich in diesem Buch beschreibe, sind Problemen zu arbeiten, wie modifizieren Sie dann die Standardmethode der Gruppen­
ehrgeizig; es soll Befreiung von Symptomen und auch eine Veränderung der Charakter­ therapie so, dass Sie diese Ziele möglichst effektiv erreichen?
struktur stattfinden. Wenn Sie versuchen, solche Ziele etwa bei einer Nachsorgegruppe Zuerst einmal ist das Risiko offensichtlich so hoch, dass Sie Intensität und Schwan­
für chronisch schizophrene Klienten anzustreben, dann werden Sie rasch zum thera­ kungen der Suizidalität überwachen müssen. Dazu könnte zum Beispiel eine gleichzei­
peutischen Nihilisten werden und sich selbst und die Gruppentherapie als hoffnungslos tige Einzeltherapie erforderlich sein, und/oder Sie können die Mitglieder bitten, wö­
unwirksam brandmarken. Es ist unerlässlich, eine Reihe von Zielen zu formulieren, die chentlich eine kurze Depressionsskala auszufüllen. Vielleicht könnten Sie ein kurzes,
der klinischen Situation angemessen und in der verfügbaren Zeit erreichbar sind. Die Zie­ fokussiertes Check-in zu Beginn jeder Sitzung einführen. Wegen des hohen Suizidrisi­
le müssen nicht nur dem Therapeuten klar sein, sondern auch den Klienten. In meiner kos und des Ausmaßes an gesellschaftlicher Isolation möchten Sie zu gruppenexternen
Erörterung der Gruppenvorbereitung (in Kapitel 10) habe ich betont, wie wichtig es ist, Kontakten unter den Mitgliedern ermuntern statt die Klienten davon abzuhalten. Viel­
den Klienten ganz für die Mitarbeit in der Behandlung zu gewinnen. Sie erleichtern die leicht wollen Sie sogar eine gewisse Anzahl von Telefonanrufen der Klienten bei den
Mitarbeit, indem Sie die Ziele und das Gruppenverfahren deutlich machen und beide Therapeuten und der Klienten untereinander wöchentlich vorschreiben. Sie können
miteinander verknüpfen, d. h., indem Sie den Mitgliedern verdeutlichen, wie das Ver­ beschließen, zu einer zusätzlichen Kaffeestunde nach der Sitzung oder, wenn möglich,
fahren der Therapiegruppe dem Klienten hilft, jene Ziele zu erreichen. zwischen den Sitzungen zu ermuntern. Oder Sie können sowohl die Isolation als auch

522 523
das Gefühl der Nutzlosigkeit ansprechen, indem Sie den therapeutischen Faktor des wachsende Abhängigkeit; Verlust der gesellschaftlichen Rolle; Bedürfnis nach neuen
Altruismus anzapfen - zum Beispiel, indem Sie mit einem »Kumpelsystem« experi­ Quellen zur Bestätigung des Selbstwertgefühls, verringertes Einkommen und verrin­
mentieren, in dem neue Klienten einem der erfahrenen Mitglieder zugeteilt werden. gerte Erwartungen, Aufgabe des Gefühls fortlaufenden Aufstiegs und Veränderungen
Der erfahrene Klient würde während der Woche nach dem neuen Klienten sehen, um in der ehelichen Beziehung als Folge von mehr gemeinsam verbrachter Zeit.3
sicherzustellen, dass dieser seine Medizin nimmt, und um den Klienten in der Sitzung Gruppen für belastete Familienmitglieder von Alzheimerkranken konzentrieren sich
zu unterstützen - d. h. sicherzustellen, dass das neue Mitglied während der Sitzung ge­ oft auf die Erfahrung des Verlusts, auf das schreckliche Erlebnis, für einen Ehepartner
nügend Zeit und Aufmerksamkeit erhält. oder einen Elternteil sorgen zu müssen, der nur noch ein Schatten seiner selbst und
Es gibt kein besseres Gegenmittel gegen die Isolation als tiefes, therapeutisches En­ nicht in der Lage ist, die Anstrengungen der Pflegeperson anzuerkennen oder auch
gagement in der Gruppe, weshalb Sie danach streben müssen, in jeder Sitzung eine po­ nur, den Pflegenden beim Namen zu nennen. Sie konzentrieren sich auf die Isolation
sitive Interaktion im Hier und Jetzt zu schaffen. Nachdem das Einflößen von Hoffnung der Teilnehmer, auf das Verständnis der Ursachen einer Demenz und der Ausarbeitung
so wichtig ist, wollen Sie vielleicht einige genesene Klienten in die Gruppe mit aufneh­ von Strategien, um mit der kräftezehrenden Last fertig zu werden, auf Schuldgefühle
men - Klienten, die nicht mehr suizidgefährdet sind und Möglichkeiten entdeckt ha­ wegen des Wunsches nach einer Befreiung von der Last oder deren Durchführung.4
ben, um ihre Hemiparese zu kompensieren. Auch Scham wegen einer physischen Un­ Gruppen für Inzestopfer werden wahrscheinlich viel Scham, Angst, Wut gegenüber
fähigkeit ist eine isolierende Kraft. Der Gruppentherapeut möchte der Scham vielleicht männlichen Autoritäten ( und männlichen Therapeuten) entwickeln und Sorgen, ob
durch Körperkontakte entgegenwirken - zum Beispiel, indem er die Gruppenmitglie­ man ihnen glaubt, mitbringen.
der bittet, sich gegenseitig an den gelähmten Händen und Armen zu berühren oder Gruppen für Menschen, die psychische Traumata erlitten haben, beschäftigen sich in
sich daran festzuhalten, oder indem er die Sitzungen damit beendet, die Mitglieder zu der Regel mit einem Spektrum von Themen, möglicherweise in Form einer Sequenz
bitten; sich zu einer kurzen gelenkten Meditation an den Händen zu fassen. Im Ideal­ unterschiedlicher Gruppeninterventionen. Sicherheit, Vertrauen und Geborgenheit
fall gelingt es Ihnen, eine Unterstützungsgruppe zu gründen, die sich nach dem Ende sind zunächst am wichtigsten. Das Zusammensein mit anderen, die ein ähnliches Trau­
der Gruppentherapie zu einer autarken Selbsthilfegruppe entwickelt, für die Sie als Be­ ma erlebt haben, und Psychoedukation bezüglich der Wirkung des Traumas auf Geist
rater tätig sind. und Körper können Gefühle der Isolation und Verwirrung verringern. Später können
An diesem Beispiel wird deutlich, dass der Therapeut eine Menge über die speziel­ solche Gruppen zur Behandlung spezifischer Traumasymptome strukturierte Verhal­
len Probleme der Klienten wissen muss, die in seiner Gruppe sein werden. Und das gilt tensinterventionen nutzen. Anschließend können sie sich damit auseinandersetzen,
für jede Art von Klientenpopulation, die der Gruppentherapeut behandelt. Es gibt kein wie das Trauma die Grundüberzeugungen des Klienten und seine Annahmen über die
Allheilmittel. Der Therapeut muss seine Hausaufgaben machen, um die einzigartige Welt verändert hat. Im Idealfall sind solche Gruppen für Traumatisierte für die anfäng­
Problemstellung und Dynamik zu verstehen, die sich während des Gruppenverlaufs liche Arbeit homogen, wohingegen für die spätere Arbeit eine heterogene Gruppe mit
wahrscheinlich entwickeln wird. Somit muss der Therapeut, der eine Langzeitgruppe Teilnehmern beiderlei Geschlechts erforderlich sein kann, um den Prozess des Wieder­
von Alkoholikern leitet, darauf vorbereitet sein, sich mit Problemen in Zusammenhang eintritts des Klienten in die Welt nach dem Trauma zum Abschluss zu bringen.5
mit Trockenbleiben, Teilnahme an den AA-Treffen, heimlichem Trinken, Betrügen, Ich fasse zusammen: Um eine spezielle Therapiegruppe zu entwickeln, empfehle ich
Oralität, Abhängigkeit, mangelnder Fähigkeit, mit Angst fertig zu werden, und einem folgende Schritte:
Hang zum Ausagieren auseinandersetzen zu müssen.
Gruppen für Trauernde müssen sich oft auf das Thema Schuld konzentrieren (nicht l. Beurteilung des klinischen Rahmens. Bestimmen Sie die unveränderlichen klinischen
mehr getan zu haben, mehr geliebt zu haben, ein besserer Ehepartner gewesen zu sein); Grenzen.
auf die Themen Einsamkeit; wichtige Lebensentscheidungen, auf Dinge in ihrem Le­ 2. Formulierung der Ziele. Entwickeln Sie Ziele, die im Rahmen der vorhandenen
ben, welche die Mitglieder bereuen, darauf, sich an eine neue, ungeliebte Rolle im Le­ klinischen Grenzen angemessen und erreichbar sind.
ben anzupassen, auf das Gefühl, sich bei alten Freunden wie ein »fünftes Rad am Wa­ 3. Modifizierung der traditionellen Technik. Behalten Sie die Grundprinzipien und die
gen« zu fühlen, auf den Kampf zwischen dem »Loslassen« des toten Ehepartners und therapeutischen Faktoren der Gruppentherapie bei, aber verändern Sie die Tech­
dem Gefühl, dass man ihn verraten habe. Viele Witwen und Witwer haben das Gefühl, niken, um die festgelegten Ziele zu erreichen; der Therapeut muss sich der
wenn sie ein neues Leben begännen, zeugte dies von mangelnder Liebe ihrem toten klinischen Situation und der Dynamik der speziellen Klientenpopulation anpas­
Partner gegenüber, und sie empfänden dies als Verrat. Gruppen müssen sich auch mit Da­ sen.
ting beschäftigen (und mit den daraus resultierenden Schuldgefühlen), auf die Bildung neu­
er Beziehungen sowie, wenn der Therapeut geschickt ist, auf persönliches Wachstum. Man bedenke, dass in allen Gruppen, auch in den strukturiertesten, ein Gruppenprozess
Gruppen für Rentner müssen sich Themen widmen wie wiederkehrende Verluste, stattfindet, der sich auf die Gruppe auswirken kann. Sie mögen zu der überzeugung

524 525
gelangen, dass es im Rahmen der Gruppenarbeit nicht möglich ist, diesen Prozess Ist diese Situation ein intrinsisches, nicht veränderbares Problem? Ganz und gar
gründlich zu erforschen, doch Sie müssen in der Lage sein, seine Existenz zu erkennen nicht! Vielmehr ist es ein extrinsisches, einstellungsbedingtes, das eine Reihe von Ur­
und ihn auf die bestmögliche Weise zu nutzen, zu steuern oder einzugrenzen. 71 sachen hat. Erstens ist es eng verknüpft mit der Berufsausbildung der Stationsleiter.
Diese Schritte sind klar, aber zu abstrakt, als dass sie von unmittelbarem klinischen Viele Ausbildungsprogramme für Psychiatriemitarbeiter und Pfleger bieten keine um­
Nutzen sein könnten. Ich gehe nun dazu über, die ganze Abfolge zu veranschaulichen, fassende Information über Gruppentherapie ( und praktisch in keinem Programm
indem ich die Entwicklung einer Therapiegruppe auf einer psychiatrischen Station mit wird vernünftige Unterweisung in der Gruppenpsychotherapie mit stationären Klien­
Akutkranken ausführlich beschreibe. ten angeboten) . Deshalb ist es durchaus verständlich, dass leitende Ärzte für ein Be­
Ich habe die Therapiegruppe mit akut kranken stationär behandelten Klienten aus handlungsprogramm, über das sie wenig wissen und dem sie wenig zutrauen, keine
zwei Gründen als Beispiel gewählt. Erstens bietet sie Gelegenheit, viele Grundsätze der Klinikmittel und Arbeitskräfte aufwenden möchten. Ohne wirksame psychosoziale
strategischen und technischen Anpassung zu demonstrieren. Die klinische Herausfor­ therapeutische Interventionen verlassen sich stationäre Behandlungen in psychiatri­
derung ist schwerwiegend; wie ich zeigen werde, ist das Milieu der akut kranken Klien­ schen Kliniken ausschließlich auf Psychopharmaka, und die Arbeit des Personals be­
ten für die Gruppentherapie so wenig gastlich, dass radikale Abwandlungen der Technik schränkt sich auf die Beaufsichtigung der Patienten. Aber ich glaube, dass sich diese
erforderlich sind. Zweitens kann dieses Beispiel für viele Leser wertvoll sein, weil die Einstellungen verändern werden. Ober die rasch wachsende Zahl von Studien, welche
Gruppe mit Klienten die am weitesten verbreitete Spezialgruppe ist: In den USA werden die Wirksamkeit der Gruppentherapie mit stationären Klienten belegen, kann man nur
in den meisten psychiatrischen Akutstationen Therapiegruppen zusammengestellt, schwer hinweggehen. 8 Die Entwicklung eines Gruppenprogramms kann erstaunliche
und über 50 Prozent der akuten stationären Psychiatriepatienten im ganzen Land neh­ Auswirkungen haben. Ein gut funktionierendes Gruppenprogramm kann die gesamte
men an Psychotherapiegruppen teil, wie eine kürzlich durchgeführte Untersuchung Atmosphäre innerhalb einer psychiatrischen Institution zum Positiven verändern, und
dokumentiert.6 Da es für viele die erste Erfahrung mit Gruppen überhaupt ist, halten man sollte die Kleingruppe als Ressource für das gesamte System ansehen. 9
wir es für erforderlich, diese Erfahrung so konstruktiv wie möglich werden zu lassen. Manchmal hat der Disput über die Rolle der Gruppentherapie bei stationären Kli­
enten nichts mit der Wirksamkeit der Therapie zu tun, sondern ist im Grund ein Ge­
Die Thera piegru ppe fü r a kut kra n ke, hospita l isierte K l i e nten rangel um professionelle »Territorien«. Die Therapiegruppe mit stationären Klienten
ist z. B. jahrelang von den Angehörigen der Pflegeberufe in der Psychiatrie organisiert
Der klinische Rahmen und geleitet worden. Aber was geschieht, wenn die Station einen ärztlichen Leiter hat,
Die Gruppe ambulanter Klienten, von der in diesem Buch hauptsächlich die Rede ist, der nicht glaubt, dass Psychiatrie-Krankenschwestern ( oder Beschäftigungstherapeu­
ist eine freie Gruppierung; alle wichtigen Transaktionen finden zwischen dem/den ten, »Aktivitätstherapeuten« oder Kunsttherapeuten) Psychotherapien durchführen
Gruppentherapeuten und den sieben oder acht Gruppenmitgliedern statt. Bei der sollten? In diesem Fall wird das Gruppentherapieprogramm abgeschafft, nicht weil es
Gruppe stationärer Klienten ist dies anders. Wenn Sie eine solche Gruppe leiten, sehen unwirksam ist, sondern um das eigene berufliche Territorium zu verteidigen.
Sie sich als Erstes der Tatsache gegenüber, dass Ihre Gruppe niemals eine unabhängige, Die interdisziplinären Kämpfe um die Psychotherapie - die nun ebenfalls eine Rei­
selbstständige Einheit ist. Sie hat immer eine komplexe Beziehung zur größeren Grup­ he nichtmedizinischer Disziplinen umfassen: Psychologie, Krankenpflege, Seelsorge -
pe: der psychiatrischen Station, zu der sie gehört. 71 7 Was in der kleinen Therapiegruppe müssen in Ausschüssen, die sich mit der Klinikpolitik befassen, oder in Mitarbeiter­
zwischen den Mitgliedern geschieht, findet unvermeidlich seinen Niederschlag in dem, konferenzen ausgetragen werden. Die kleine Therapiegruppe darf nicht zum Schlacht­
was innerhalb der großen Gruppe der Institution geschieht. feld professioneller Eigeninteressen herabgewürdigt werden.
Die Effizienz der stationären Therapiegruppe ( oft sogar deren schiere Existenz) ist Abgesehen von diesen extrinsischen, programmatischen Problemen hat die Station
stark abhängig von Unterstützung durch die Klinikverwaltung. Wenn Klinikdirektion der akut kranken, hospitalisierten Klienten für den Therapeuten mehrere bedeutsame
und Pflegedienstleitung nicht überzeugt sind, dass die Gruppentherapie eine wirksame intrinsische Probleme. Jeder Gruppentherapeut für Klinikklienten sieht sich zwei be­
Methode ist, unterstützen sie das Gruppenprogramm wahrscheinlich nicht, sondern sonders schwerwiegenden Problemen gegenüber: dem raschen Klientenwechsel und der
unterminieren dessen Ansehen, indem sie keine Mitarbeiter für die Leitung der Grup­ Heterogenität der psychischen Erkrankungen.
pen einplanen, keine Supervision ermöglichen oder sogar nicht einmal die Gruppen­
sitzungen zu einer günstigen Zeit ansetzen. Auf solchen Stationen werden Therapie­ Rascher Klientenwechsel: In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Dauer von Aufenthal­
gruppen nutzlos gemacht. Die Gruppenleiter sind nicht ausgebildet und werden rasch ten in psychiatrischen Kliniken immer kürzer geworden. Sie beträgt in den meisten
demoralisiert. Sitzungen werden unregelmäßig angesetzt und oft dadurch unterbro­ Stationen im Durchschnitt ein paar Tage bis zu einer oder zwei Wochen. Das bedeutet
chen, dass Klienten zur Einzelbehandlung oder zu den verschiedensten anderen natürlich, dass die Zusammensetzung der kleinen Therapiegruppe höchst instabil ist.
Klinikterminen herausgerissen werden. 71 Ich habe fünf Jahre lang eine täglich stattfindende Gruppe in einer Psychiatriestation

526 527
geleitet und hatte selten in zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen und fast niemals in Zusätzlich zu den wichtigsten widrigen Faktoren des raschen Klientenwechsels und
drei dieselben Klienten. der Spannbreite der psychischen Störungen gibt es noch mehrere andere intrinsische
Dagegen kann man anscheinend nichts machen. Der Gruppentherapeut hat wenig klinische Faktoren, die sich in starkem Maße auf die Effizienz einer Psychotherapie­
Einfluss auf die Aufnahme- und Entlassungspolitik der Station. Tatsächlich breitet sich gruppe mit stationären Klienten auswirken.
immer weiter die Praxis aus, dass Entlassungsentscheidungen auf finanziellen und
nicht auf klinischen Erwägungen beruhen. Wir haben auch keinerlei Anlass zu vermu­ Zeit: Die Zeit des Therapeuten ist sehr begrenzt. Im Allgemeinen hat er keine Zeit, vor
ten, dass sich diese Situation in Zukunft ändern wird. Die Drehtürpsychiatrie wird Beginn der Gruppe mit einem Klienten ein vorbereitendes Gespräch zu führen, um
nicht verschwinden, und selbst wenn sich die Tür schneller dreht, müssen Kliniker sich eine Beziehung aufzubauen und ihn für die Gruppe vorzubereiten. Es ist auch wenig
primär auf die Behandlung der Klienten konzentrieren und innerhalb der ihnen auf­ Zeit vorhanden, um neue Mitglieder in die Gruppe zu integrieren, um die Beendigung
erlegten Grenzen so viel wie möglich zu erreichen versuchen. 1 0 der Therapie zu bearbeiten (fast in jeder Sitzung beendet einer der Klienten die The­
rapie), Probleme durchzuarbeiten, die in der Gruppe auftauchen, oder sich auf die
Heterogenität der Psychopathologie: Ein weiterer wichtiger Umstand, der das Leben auf Übertragung des Gelernten ins normale Leben zu konzentrieren.
der Psychiatriestation bestimmt, ist die große Heterogenität der psychischen Erkran­
kungen. Auf der typischen Psychiatriestation (die sich oft in einem kommunalen All­ Gruppengrenzen: Oft verschwimmen die Gruppengrenzen. Klienten sind gewöhnlich
gemeinkrankenhaus befindet) werden Klienten mit einer großen Vielfalt von Krank­ auf der Station mit einigen oder vielen ihrer Mitglieder zugleich in anderen Gruppen.
heitsbildern aufgenommen: akute schizophrene Psychosen, dekompensierte Border­ Gesellige Zusammenkünfte außerhalb der Gruppe sind natürlich eher die Regel als die
linezustände oder Neurosen, Missbrauch von Suchtstoffen, starke affektive Störungen, Ausnahme: Die Klienten verbringen den ganzen Tag zusammen. Ebenso verwischt sind
Essstörungen, posttraumatische Stresstörungen sowie Extremreaktionen auf be­ die Grenzen der Vertraulichkeit. In der Kleingruppe mit stationären Klienten kann es
stimmte Situationen. keine echte Vertraulichkeit geben: Die Klienten teilen oft Ereignisse aus der Kleingrup­
Es gibt nicht nur eine große Vielfalt von Diagnosen, sondern auch große Unter­ pe anderen Klienten auf der Station mit, und Angehörige des Mitarbeiterstabes geben
schiede in Einstellungen und Fähigkeiten zur Psychotherapie: Viele Klienten sind we­ einander auf der Visite, bei Pflegeberichten und bei Mitarbeiterkonferenzen freimütig
nig motiviert; sie haben kaum psychologische Kenntnisse; sie sind vielleicht ungern in Informationen. Es ist unverzichtbar, dass die Grenze der Vertraulichkeit bei einer sol­
der Klinik oder sind selbst nicht überzeugt, dass sie Hilfe brauchen. Sie zahlen häufig chen Kleingruppe überaus elastisch ist und die ganze Station umfasst, statt sich inner­
nicht für die Therapie. Vielleicht haben sie auch keine Neigung zur Introspektion und halb dieser auf eine bestimmte Gruppe zu beschränken. Andernfalls wird die Klein­
sind nicht auf ihre innere Welt neugierig. Sie suchen Linderung, nicht Wachstum. gruppe von der Station als Ganzem isoliert. ;,
Allein schon diese beiden Faktoren - die kurze Behandlungsdauer und die Vielfalt
der psychischen Störungen - machen deutlich, dass für die Therapiegruppe stationärer Die Rolle des Gruppenleiters: Die Rolle des Gruppenleiters ist komplex, da er vielleicht
Klienten eine radikale Modifizierung der Technik erforderlich ist. den ganzen Tag lang in verschiedenen Rollen mit Klienten zu tun hat. Ihre Anwesen­
Beachten Sie, wie diese beiden intrinsischen klinischen Bedingungen einigen der heit ist oft unregelmäßig. Die Gruppenleiter sind häufig Psychiatriekrankenschwes­
notwendigsten Bedingungen der Gruppentherapie entgegenstehen. In Kapitel 3 habe tern, die, weil auch am Wochenende sowie abends und nachts gearbeitet werden muss,
ich betont, wie entscheidend wichtig die Stabilität der Mitgliedschaft ist. Im Laufe von Schichtdienst machen und häufig nicht mehrere Sitzungen hintereinander in der
Wochen und Monaten entwickelt sich allmählich das Gefühl der Zusammengehörig­ Gruppe sein können.
keit (Kohäsivität), ein wichtiger therapeutischer Faktor. Klienten ziehen oft großen Die Selbstständigkeit der Therapeuten ist auch noch auf andere Weise einge­
Nutzen aus der Erfahrung, ein geschätztes Mitglied einer kontinuierlichen, stabilen schränkt. Sie haben zum Beispiel, wie ich gleich besprechen werde, nur begrenzt über
Gruppe zu sein. Wie soll man dann eine »Karussell«-Gruppe leiten, die praktisch in die Zusammenstellung der Gruppe mitzureden, und sie können sich oft Co-Therapeu­
jeder Sitzung neue Mitglieder aufnehmen oder entlassen muss? ten nicht aussuchen; diese werden ihnen gewöhnlich über einen Schichtdienstplan zu­
In Kapitel 9 über die Gruppenzusammensetzung habe ich auch betont, wie wichtig geteilt. Jeder Klient hat gleichzeitig mehrere Therapeuten. Therapeuten, die Gruppen
es ist, eine Gruppe sorgfältig zusammenzustellen und besonders darauf zu achten, die für stationär behandelte Patienten leiten, fühlen sich gewöhnlich exponierter als ihre
Aufnahme von »Abweichlern« zu vermeiden und Mitglieder auszuwählen, die etwa Kollegen, die mit ambulanten Patienten arbeiten. Probleme, die innerhalb der Gruppe
denselben Grad der Ichstärke haben. Wie soll man dann eine Gruppe leiten, bei der auftreten, werden sehr schnell allgemein bekannt. Schließlich ist das Tempo auf einer
man die Mitgliedschaft fast überhaupt nicht steuern kann, eine Gruppe, in der viel­ Station für Akutpatienten so gehetzt, dass nur wenig Gelegenheit für Supervision oder
leicht Menschen mit einer »blühenden« Psychose Seite an Seite mit besser angepassten auch nur für Besprechungen zwischen den Therapeuten nach der Sitzung vorhanden
und integrierten Mitgliedern sitzen? ist.

528 529
Die Formulierung von Zielen 2. Zeigen, dass Gespräche helfen
Sobald Sie diese klinischen Fakten erfasst und interne von äußeren Faktoren abgegrenzt Die stationäre Therapiegruppe hilft den Klienten zu begreifen, dass es hilfreich ist,
haben, ist es an der Zeit, sich folgende Frage zu stellen: Was kann eine Gruppe angesichts über ihre Probleme zu sprechen. Sie lernen, dass es erleichternd wirkt, Schmerz und
der vielen verwirrenden, aus der inneren Betriebsstruktur stammenden Faktoren, die den Kummer mitzuteilen, von anderen angehört, verstanden und akzeptiert zu werden.
Verlauf der Gruppe stationärer Klienten beeinflussen (und behindern), überhaupt errei­ Wenn der Klient anderen zuhört, erfährt er auch, dass sie an den gleichen behin­
chen? Was sind vernünftige Therapieziele - Ziele, die die stationär behandelten Kli­ dernden Nöten leiden wie er selbst - man ist in seinem Leiden nicht einzigartig. An­
enten in der verfügbaren Zeit erreichen können? ders ausgedrückt: Die Gruppe stationärer Klienten macht diese mit den therapeu­
Lassen Sie uns mit der Feststellung beginnen, dass die Ziele der Gruppe mit statio­ tischen Faktoren der Kohäsivität und der Universalität des Leidens bekannt.
nären Akutpatienten nicht identisch sein können mit denen der durchgängigen Behand­
lung von Akutpatienten in der Klinik. Das Ziel der Gruppe ist nicht, eine psychotische 3. Einkreisen von Problemen
Depression zu beheben, nicht, die psychotische Panik zu vermindern, nicht, einen ma­ Die Dauer der Therapie in der Therapiegruppe für stationäre Klienten ist viel zu kurz,
nischen Klienten zu bremsen, nicht, Halluzinationen oder Wahnzustände abzubauen. um ihnen die Durcharbeitung von Problemen zu ermöglichen. Die Gruppe kann
Gruppen können keines dieser Ziele erreichen. Das ist die Aufgabe anderer Ansätze des jedoch Klienten wirksam helfen, Probleme aufzufinden, an denen sie mit Gewinn in
Behandlungsprogramms auf der Station - primär die der Behandlung mit Psycho­ einer fortlaufenden Einzeltherapie arbeiten können, sowohl während ihres Klinikauf­
pharmaka. Einer Therapiegruppe diese Ziele zu setzen, ist nicht nur unrealistisch, son­ enthalts als auch in ihrer Therapie danach. Indem sie einen spezifischen Fokus für die
dern verurteilt die Gruppe zum Scheitern. Therapie definieren, was die Klienten sehr schätzen, 1 3 steigern Gruppen für stationäre
So viel zu dem, was die Gruppe stationärer Klienten nicht kann. Was kann sie bie­ Patienten die Wirksamkeit anderer Therapien.
ten? Ich werde sechs erreichbare Ziele beschreiben: Es ist wichtig, dass die Gruppen Probleme aufzeigen, die eine therapeutische Hand­
habe bieten - Probleme, die der Klient als eng umschrieben und konkret erkennt (kei­
1. Einbindung des Klienten in den therapeutischen Prozess ne allgemeinen Probleme - wie Depression oder Selbstmordneigung - , die dem Kli­
2. Zeigen, dass Gespräche helfen enten schon bewusst sind und die keinen Anhaltspunkt für die Therapie bieten). Am
3. Einkreisen von Problemen nützlichsten ist die Gruppe beim Auffinden von Beziehungs- und Interaktionsproble­
4. Vermindern der Isolation men. Sie schafft eine ideale Situation, in der die Klienten etwas über dysfunktionale inter­
5. Gegenseitige Hilfe der Klienten personale Verhaltensweisen lernen können. Emilys Geschichte zeigt diese Tatsache sehr
6. Linderung der klinikbezogenen Ängste. gut auf.

1 . Einbindung des Klienten in den therapeutischen Prozess E m i ly wa r e i n e ä u ßerst isolierte j u nge Fra u . S i e beklagte sich, i m m e r m üsse sie auf
Der heutige Umgang mit Akutpatienten in der Psychiatrie - die kurzzeitige, aber wie­ a ndere zugehen, u m sie zu gemeinsamen U ntern e h m u ngen zu bewegen. Sie erha lte
derholte Aufnahme in psychiatrische Stationen von Allgemeinkrankenhäusern - hat nie Einladu ngen und h a be keine Freund i n nen, die sich um sie bemü hten. I h re Verabre­
sich gegenüber der längeren Hospitalisierung als nutzbringender erwiesen, wenn ( und d u ngen m it Mä n nern fü h rten a l lenfa l ls zu einer gemeinsamen Nacht. Sie versuche,
nur wenn) auf die Hospitalisierung eine angemessene Nachbehandlung folgt. 1 1 Außer­ i h nen zu gefa l len, indem sie m it i h nen i n s Bett gehe, a ber sie verabredeten sich n ie ein
dem gibt es überzeugende Beweise dafür, dass Nachbehandlung in Form von Grup­ zweites Mal m it i h r. Die Leute schienen sie sofort wieder zu vergessen, nachdem sie sie
pentherapie besonders wirksam ist - sie ist wirksamer als in Form von Einzel­ gerade kennengelernt hätten . I n den d rei Gruppensitzu ngen, bei denen sie a nwesend
therapie.12 wa r, ga b die Gru ppe i h r bestä ndig Feedback ü ber die Tatsache, dass sie i m me r l iebens­
Aus diesen Forschungsergebnissen erschließt sich ein primäres Ziel der Gruppen­ würdig wa r, i m mer ein Lächeln auf den Lippen trug und i m mer das zu sagen bem ü ht
therapie mit stationären Klienten: den Klienten in einen Prozess einzubinden, den er wa r, von dem sie mei nte, es würde anderen gefa l le n . Bei d iesem Vorgang verlor man
als konstruktiv und unterstützend wahrnimmt und den er nach der Entlassung aus der jedoch bald a u s den Augen, wer E m i ly eigentl ich war. Was wa r i h re eigene Mein u ng?
Klinik fortzusetzen wünscht. Bedenken Sie, dass für viele Klienten die Erfahrung mit Was wa ren i h re eigenen Wünsche u n d Gefü h le? I h r Bed ü rfn is, stä ndig zu gefa l len,
der Psychotherapie auf der Station ihre erste Begegnung mit Therapie ist. Wenn ihre fü h rte zu tota lem Misserfolg: Ma n fa nd sie la ngweilig und ihr Verha lten leicht vorher­
Erfahrung mit der Gruppentherapie positiv und unterstützend genug ist, um sie zu er­ sehbar.
mutigen, eine Nachsorgegruppe zu besuchen, wird die Therapiegruppe für stationäre Ein d ra matisches Beispiel ereignete sich i n i h rer' zweiten Sitzu ng, a l s ich i h ren Namen
Klienten - abgesehen von allen anderen Faktoren - einen sehr wichtigen Zweck erfüllt vergessen hatte u nd mich bei ihr entsc h u l d igte. I h re Reaktion war: »Das ist okay, es
haben. macht mir n ichts aus. « Ich wies darauf h i n , die Tatsache, dass es i h r nichts a u smache,

530 531
sei wahrscheinlich einer der Gründe, wa rum ich ihren Namen vergessen hätte. Mit an­ Spannungen innerhalb des Mitarbeiterstabs und über Spannungen, die von akut
deren Worten: Wenn sie eine Person von der Art gewesen wäre, der es etwas ausge­ gestörten Klienten ausgehen.
macht oder die ihre Bedürfnisse offenkundiger gemacht hätte, so wäre mir i h r Name Viele dieser sekundären Auslöser desolater Gefühle verstärken die primäre Dyspho­
wahrschein lich nicht entfallen. Im la ufe ihrer d rei G ru ppensitzungen fa n d Emily ein rie des Klienten und müssen in der Therapie angesprochen werden. Die kleinen The­
wichtiges Problem heraus, das weitreichende Kon sequenzen für i h re sozialen Bezie­ rapiegruppen (ebenso wie die Gruppe der therapeutischen Gemeinschaft) bieten ein
hungen in der Außenwelt hatte, nämlich ihre Tendenz, in dem verzweifelten Versuch, Forum, wo Klienten diese Probleme äußern können und oft auf sehr einfache Weise
die Zuneigung anderer zu gewinnen, sich selbst zunichte zu machen. beruhigt werden, indem sie erfahren, dass andere Gruppenmitglieder ihre Sorgen tei­
len. Beispielsweise können sie lernen, dass ihr Zimmergenosse ihnen gegenüber nicht
4. Vermindern der Isolation feindselig eingestellt ist und sie nicht absichtlich zurückweist, sondern dass er in Ge­
Die Gruppe stationärer Klienten kann dazu beitragen, die bestehende Isolation der danken ist und außerdem ängstlich.
einzelnen Mitglieder zu durchbrechen. Die Gruppe ist eine »Laboratoriumsübung«,
die die Fertigkeiten der Kommunikation verbessern soll: Je besser die Kommunikation, Modifizierung der Technik
desto geringer die Isolation. Die Gruppe hilft den Individuen, sich und ihre Kümmer­ Wir haben nun die ersten beiden Schritte zur Bildung einer Gruppe in einer Station für
nisse einander mitzuteilen, und sie ermöglicht es ihnen, Feedback darüber zu erhalten, Akutpatienten getan: 1. das Einschätzen des klinischen Milieus der Gruppe stationärer
wie andere sie wahrnehmen, und ihre blinden Flecken zu entdecken. Klienten, einschließlich des Erkennens von intrinsischen Faktoren des Kliniklebens,
Die Verminderung der Isolation zwischen stationären Gruppenmitgliedern hat zwei und 2. die Formulierung einer Reihe angemessener und realistischer Ziele. Nun sind
deutlich positive Auswirkungen. Erstens helfen bessere Kommunikationsfähigkeiten den wir so weit, dass wir uns dem dritten Schritt zuwenden können: (auf der Basis kli­
Klienten in ihren Beziehungen zu anderen Menschen außerhalb der Klinik. Praktisch nischer Einschränkungen und Ziele) einen Plan für die klinische Strategie und Technik
jeder Klient, der in einer Krise in eine Psychiatriestation aufgenommen wird, leidet an zu entwerfen. is
einem Zusammenbruch oder dem Fehlen wichtiger, unterstützender Beziehungen zu
anderen Menschen. Sobald der Klient fähig ist, kommunikative Fertigkeiten von der Der zeitliche Rahmen des Therapeuten: Bei der Therapiegruppe ambulanter Klienten
Gruppe auf sein Leben draußen zu übertragen, hat die Gruppe ein sehr wichtiges Ziel (das Kernthema dieses Buches) umfasst der zeitliche Rahmen viele Wochen oder Mo­
erreicht. nate, manchmal Jahre. Therapeuten müssen geduldig sein, müssen im Laufe vieler Sit­
Eine zweite vorteilhafte Folge des Abbaus von Isolation zeigt sich im Verhalten des zungen Kohäsivität aufbauen, müssen von Sitzung zu Sitzung Probleme wiederholt
Klienten auf der Station. Wenn die Isolation abnimmt, ist es dem Patienten in zuneh­ durcharbeiten (sie erkennen, dass Psychotherapie oft Zyklotherapie ist, weil sie in der
mendem Maße möglich, die verfügbaren therapeutischen Ressourcen zu nutzen, ein­ therapeutischen Arbeit immer wieder zu den gleichen Problemen zurückkehren müs­
schließlich Beziehungen zu anderen Patienten. t4 sen). Der Therapeut der Gruppe stationärer Klienten sieht sich einer ganz anderen Situ­
ation gegenüber: Die Zusammensetzung der Gruppe ändert sich fast jeden Tag; die Mit­
5. Gegenseitige Hilfe der Mitglieder glieder haben eine sehr kurze Therapiedauer zur Verfügung - tatsächlich nehmen viele
Dieses Ziel, der therapeutische Faktor des Altruismus, hängt eng mit dem vorigen zu­ nur an einer einzigen Gruppensitzung teil. Es ist klar, dass der Therapeut hier von ei­
sammen. Den Klienten wird nicht nur von ihresgleichen geholfen, sondern auch durch nem radikal verkürzten Zeitrahmen ausgehen muss. Meiner Meinung nach kann der
das Wissen, dass sie selbst für andere nützlich sein können. Gewöhnlich kommen sie Gruppentherapeut bei stationären Klienten lediglich eine Sitzung als Lebensdauer der
in einem zutiefst demoralisierten Zustand in die psychiatrische Klinik. Sie haben das Gruppe ansehen. Vielleicht wird es eine gewisse Kontinuität von einer Sitzung zur
Gefühl, nicht nur sich selbst nicht helfen zu können, sondern anderen auch nichts zu nächsten geben; vielleicht werden Sie »Gruppenkulturträger« haben, die in mehreren
bieten zu haben. Wenn sie erleben, dass sie anderen Klienten auf der Station nützlich aufeinanderfolgenden Sitzungen anwesend sein werden, aber rechnen Sie nicht damit.
sein können, ist das eine enorme Bestätigung für ihr Selbstwertgefühl. Die konstruktivste Haltung, die Sie einnehmen können, ist die, dass Ihre Gruppe nur
eine einzige Sitzung lang bestehen wird und dass Sie danach streben müssen, während
6. Linderung klinikbezogener Ängste dieser Sitzung so vielen Klienten wie möglich etwas Brauchbares anzubieten.
Der Prozess der psychiatrischen Hospitalisierung kann starke Ängste wecken. Viele Kli­
enten empfinden große Beschämung; sie sind vielleicht besorgt, stigmatisiert zu wer­ Effizienz und Aktivität: Der zeitliche Rahmen einer einzigen Sitzung erfordert Effizienz.
den, und fürchten die Wirkung der Hospitalisierung auf ihre Arbeitssituation und ihre Sie haben keine Zeit, die Dinge sich entwickeln zu lassen und sie langsam durchzuar­
Freundschaften. Auch sind viele Klienten schockiert über Dinge, die auf der Station beiten. Sie haben keine Zeit zu verlieren; Sie haben nur eine einzige Gelegenheit, einen
geschehen: über das eigenartige und beängstigende Verhalten anderer Klienten, über Klienten zu interessieren, und dürfen sie nicht versäumen.

532 533
Effizienz erfordert vom Therapeuten Aktivität. In der Gruppenpsychotherapie für Psychotherapeuten für stationäre Gruppen müssen lernen, rascher und direkter
stationäre Klienten ist kein Platz für den passiven, nachdenklichen Gruppentherapeu­ Unterstützung zu geben. Unterstützung ist nicht etwas, das Therapeuten gleichsam re­
ten. Hier ist ein sehr viel höheres Aktivitätsniveau erforderlich als in Gruppen mit am­ flexartig liefern. Tatsächlich vernichten viele Ausbildungsprogramme der Psychothera­
bulanten Klienten. Sie müssen die Gruppe aktivieren, die Mitglieder fordern, aktiv un­ pie, ohne dass sie es merken, die natürliche Neigung des Therapeuten, Klienten zu un­
terstützen und persönlich mit ihnen interagieren. Das erforderliche erhöhte Aktivitäts­ terstützen. Die Therapeuten werden dazu ausgebildet, »Pathologieschnüffler« zu wer­
niveau setzt bei dem Therapeuten, der in Langzeitgruppentherapie ausgebildet worden den, Experten im Aufspüren von Schwächen. Sie sind oft so sensibilisiert für Probleme
ist, eine absolut unerlässliche Modifizierung der Technik voraus. der Übertragung und der Gegenübertragung, dass sie sich scheuen, mit ihren Klienten
sich auf ein grundlegend menschliches, unterstützendes Verhalten einzulassen.
Unterstützung. Halten Sie sich vor Augen, dass es eines der Hauptziele der Therapie­ Unterstützung kann auf vielfältige Weise geboten werden. ;, Die direkteste, die von
gruppe mit stationären Klienten ist, diese in einen therapeutischen Prozess hineinzu­ gut ausgebildeten Berufstherapeuten am häufigsten übersehen wird, besteht darin, die
ziehen, den sie nach dem Verlassen der Klinik möglichst fortzusetzen wünschen. Es ist also Bemühungen, Absichten, Stärken, positiven Beiträge und Risiken des Klienten offen
dringend notwendig, dass der Therapeut in der Gruppe eine Atmosphäre schafft, die anzuerkennen. 16 Ein Beispiel: Wenn ein Mitglied sagt, es finde ein anderes Gruppen­
die Mitglieder als unterstützend, positiv und konstruktiv erleben. Die Mitglieder müs­ mitglied sehr attraktiv, ist es wichtig, diesen Klienten wegen des Risikos, das er ein­
sen sich geborgen fühlen; sie müssen lernen, der Gruppe zu vertrauen, und sie als ei­ gegangen ist, zu unterstützen. Sie können sich fragen, ob er früher fähig war, seine Be­
nen Ort erleben, wo sie verstanden und akzeptiert werden. wunderung für jemand anderen so offen auszudrücken, und dazu anmerken (wenn es
Die Therapiegruppe stationärer Klienten ist nicht der Ort für Konfrontation, für zutrifft), dass dies für ihn in der Gruppe einen wirklichen Fortschritt bedeute. Oder,
Kritik, für den Ausdruck und die Untersuchung von Wut. Es wird oft Klienten in der angenommen, Ihnen fällt auf, dass einige Mitglieder mehr von sich preisgegeben ha­
Gruppe geben, die zu betrügen oder zu manipulieren versuchen und denen man ben, nachdem ein bestimmtes Mitglied ein Risiko eingegangen ist und heikles und
eigentlich entgegentreten sollte, aber es ist vielleicht besser, sie unbehelligt zu lassen, als wichtiges Material offenbart hat - machen Sie eine Bemerkung dazu! Gehen Sie nicht
Gefahr zu laufen, der Mehrzahl der Klienten das Gefühl zu geben, die Gruppe sei ein von der Annahme aus, Klienten würden automatisch erkennen, dass ihre Selbstoffen­
gefährlicher Ort. Gruppenleiter müssen sowohl die Bedürfnisse der Gruppe als auch barung anderen hilft, Risiken einzugehen. Identifizieren und verstärken Sie die adap­
die des einzelnen Gruppenmitglieds erkennen und in ihre Interventionen einbeziehen. tiven Anteile dessen, wie der Klient sich darstellt. 17
Ich möchte dies am Beispiel Joes erläutern, eines ärgerlichen Mannes mit einer bipo­ Versuchen Sie, eher die positiven als die negativen Aspekte einer abwehrenden Hal­
laren Störung, der in die kleine Gruppe kam, nachdem er am Tag zuvor einer Kranken­ tung zu betonen. Denken Sie zum Beispiel an den Klienten, der beharrlich den Hilfs­
schwester gedroht hatte, weil diese sich geweigert hatte, ihm eine Genehmigung zum therapeuten spielt. Treten Sie ihm nicht entgegen, indem Sie ihn darauf aufmerksam
Verlassen einer geschlossenen Abteilung zu geben, und er deswegen in eine Isolierzelle machen, dass er sich weigert, Klient zu sein und eigene Probleme zu bearbeiten, son­
gebracht worden war. Joe saß provokant außerhalb des Kreises und wandte den übri­ dern kommentieren Sie vielmehr positiv die Tatsache, dass der Klient anderen geholfen
gen Gruppenmitgliedern den Rücken zu. Auf sein Verhalten einzugehen war unver­ hat; machen Sie dann eine sanfte Bemerkung über seine Selbstlosigkeit und sein Wi­
zichtbar; es zu ignorieren wäre zu gefährlich gewesen. Doch andererseits war es auch derstreben, von der Gruppe etwas für sich zu fordern. Nur selten widersetzt sich ein
riskant, Joe gegen seinen offensichtlichen Wunsch ins Geschehen einzubeziehen. Der Klient dem Vorschlag des Therapeuten, er solle lernen, selbstsüchtiger zu sein und
Gruppenleiter entschied sich, zum Ausdruck zu bringen, dass er Joes Anwesenheit zur mehr von anderen zu erbitten.
Kenntnis genommen hatte und er sich vorstellen könne, wie schwierig es für ihn sei, Der Therapeut unterstützt auch dadurch, dass er Klienten hilft, Zustimmung von
nach dem, was er am Vorabend erlebt habe, zur Gruppe zu kommen. Er könne sich je­ der Gruppe zu erlangen. Manche Klienten bekommen zum Beispiel sehr wenig Unter­
derzeit intensiver am Geschehen in der Gruppe beteiligen, doch falls er dies nicht wol­ stützung, weil sie sich meist in einer Weise darstellen, dass sie bei allen Anstoß erregen.
le, werde auch seine bloße Anwesenheit als ein Schritt in Richtung seiner späteren ak­ Ein egoistischer Klient, der unablässig über seinen somatischen Krankheitszustand sin­
tiveren Beteiligung akzeptiert. Joe blieb bei seinem Schweigen, doch die Gruppe war niert, erschöpft rasch die Geduld jeder Gruppe. Wenn Ihnen ein solches Verhalten auf­
durch diese Intervention wieder freier geworden und konnte mit ihrer Arbeit fort­ fällt, ist es wichtig, rasch einzugreifen, bevor Feindseligkeit und Ablehnung aufsteigen
fahren. können. Dazu steht Ihnen eine Vielzahl an Taktiken zur Verfügung - z. B. den Klienten
In der Langzeitgruppe mit ambulanten Klienten geben die Therapeuten sowohl unmittelbar über andere Möglichkeiten des Verhaltens in der Gruppe zu belehren oder
direkt als auch indirekt Unterstützung: Direkte Unterstützung geben sie durch persön­ ihm die Aufgabe zuzuweisen, neue Mitglieder in die Gruppe einzuführen, anderen
liches Engagement, durch mitfühlendes Zuhören, Verständnis, das Annehmen von Mitgliedern Feedback zu geben oder zu erraten, wie jeder Einzelne an diesem Tag die
Blicken, Nicken und Gesten; indirekte Unterstützung geben sie, indem sie eine kohäsive Gruppe bewertet.
Gruppe aufbauen, die dann zu einem kräftigen Unterstützungsmedium wird. Stellen Sie sich eine Klientin vor, die unaufhörlich von ihren vielen Operationen

534 535
sprach. 18 Wenn man hörte, wie diese Frau ihre Lebenslage beschrieb, wurde klar, dass zu viel von sich preisgegeben zu haben? « - »War ich zu zudringlich, als ich Ihnen heu­
sie das Gefühl hatte, ihren Kindern alles gegeben und nichts dafür bekommen zu ha­ te so direkte Fragen gestellt habe?«
ben. Sie äußerte auch ein tiefes Gefühl der Wertlosigkeit und der Unterlegenheit gegen­ Wenn Sie Gruppen leiten, die aus schwer gestörten, regredierten Klienten bestehen,
über den anderen Gruppenmitgliedern. Ich deutete an, wenn sie über ihre Operatio­ müssen Sie noch mehr Unterstützung noch direkter geben. Untersuchen Sie das Ver­
nen spreche, sage sie eigentlich: »Ich habe auch einige Bedürfnisse, aber es fällt mir halten der Klienten und finden Sie positive Aspekte darin. Loben Sie den stummen Kli­
schwer, um das zu bitten, was ich möchte. Meine dauernde Beschäftigung mit meinen enten dafür, dass er während der ganzen Sitzung dageblieben ist; beglückwünschen Sie
Operationen ist eine Art Bitte: >Schenkt mir ein wenig Aufmerksamkeit. «< Am Ende den Klienten, der vorzeitig geht, dass er zwanzig Minuten geblieben ist; loben Sie den
erklärte sie sich mit meiner Formulierung einverstanden, ebenso mit meiner Bitte, dass Klienten, der zu spät kommt, dass er überhaupt gekommen ist; loben Sie inaktive Kli­
ich, wann immer sie über ihre Operationen spreche, die Erlaubnis haben wolle, sie in enten dafür, dass sie während der ganzen Sitzung aufmerksam zugehört haben. Wenn
die eigentliche Botschaft zu übersetzen: »Schenkt mir mehr Aufmerksamkeit. « Die so Gruppenmitglieder versuchen, Ratschläge zu geben, belohnen Sie sie, auch wenn der
ausgedrückte Bitte um Hilfe war wirksam, und die Mitglieder reagierten nun positiv Rat unpassend war, für ihre Unterstützung. Falls solche Äußerungen unverständlich
auf sie - was nie der Fall gewesen war, als sie noch ihre Litanei somatischer Beschwer­ oder merkwürdig klingen, registrieren Sie sie trotzdem als Kommunikationsversuche.
den herleierte. Ein Gruppenmitglied, Jake, der wegen einer psychotischen Dekompensation stationär
Eine andere Möglichkeit der Unterstützung besteht darin, dafür zu sorgen, dass in behandelt wurde, platzte in der Gruppe wütend heraus, er wolle Satan dazu bringen,
der Gruppe ein Klima der Sicherheit besteht, indem man Konflikte wann immer mög­ »Höllenfeuer und Schwefel auf dieses gottverdammte Krankenhaus« regnen zu lassen.
lich voraussieht und vermeidet. Wenn Klienten reizbar sind oder wenn sie lernen wol­ Die Gruppenmitglieder verstummten. Der Therapeut warf die Frage auf, was diesen
len, sich besser durchzusetzen oder eine abweichende Meinung zu vertreten, so kana­ Wutanfall ausgelöst habe. Ein anderes Gruppenmitglied erklärte, Jake sei seit einer Sit­
lisieren Sie diese Arbeit am besten über sich selbst: Sie sind (hoffentlich) in einer weit zung, in dem Regelungen für seine Entlassung besprochen worden seien, sehr aufge­
besseren Position, mit Kritik umzugehen, als alle Gruppenmitglieder. regt. Jake selbst fügte dem hinzu, er wolle nicht in das Wohnheim ziehen, das man ihm
Wenn zwei Klienten sich in einem Konflikt festgefahren haben, intervenieren Sie empfohlen habe, sondern wieder zurück in die Pension, in der er vor dem Klinikauf­
am besten rasch und suchen Sie nach positiven Aspekten des Konflikts. Bedenken Sie enthalt gewohnt hatte, weil er dort vor Diebstahl und Angriffen sicherer sei. Für diesen
zum Beispiel, dass oft wegen des Gruppenphänomens der Spiegelung zwischen zwei Wunsch hatten alle anderen in der Gruppe Verständnis, und sie unterstützten ihn. Das
Menschen Funken fliegen: Man sieht Aspekte seiner selbst (besonders negative Aspek­ Erkennen der zugrunde liegenden und verständlichen menschlichen Sorge brachte
te) an einem anderen, den man aufgrund eines Aspekts ablehnt, den man an sich selbst Jake und die übrigen Gruppenmitglieder wieder zusammen - eine wesentlich bessere
nicht erträgt. Sie können also Konflikte entschärfen, indem Sie die Kontrahenten auf­ Situation als Jakes Selbstisolierung aufgrund seines unverständlichen Verhaltens.
fordern, die verschiedenen Arten zu erörtern, in denen sie ihrem Gegner ähnlich
sind. Der Fokus der Gruppe mit stationären Klienten: das Hier und Jetzt. In diesem ganzen
Es gibt noch viele andere Strategien der Konfliktvermeidung. Neid ist oft ein we­ Buch habe ich wiederholt die Wichtigkeit der Hier-und-Jetzt-Interaktion im gruppen­
sentlicher Bestandteil interpersonaler Konflikte, weshalb es oft konstruktiv ist, Kontra­ therapeutischen Prozess betont. Ich habe unterstrichen, dass die Arbeit im Hier und
henten zu bitten, über die Wesenszüge des jeweils anderen zu sprechen, die sie bewun­ Jetzt das Herz des gruppentherapeutischen Prozesses ist, die Batterie, die der Thera­
dern oder auf die sie neidisch sind. Manchmal ist der Rollentausch eine brauchbare piegruppe die Energie liefert. Bei meinen Besuchen auf psychiatrischen Stationen in
Technik: Fordern Sie Gegner auf, die Plätze zu tauschen und jeweils die Ansicht des an­ den gesamten USA habe ich jedoch festgestellt, dass die dortigen Gruppen sich nur sel­
deren zu vertreten. Oft ist es nützlich, die Gruppe daran zu erinnern, dass Gegner sich ten auf die Interaktion im Hier und Jetzt konzentrieren. Dieses Vermeiden des Hier
im Allgemeinen als sehr hilfreich füreinander erweisen, während jene, die gleichgültig und Jetzt ist meiner Ansicht nach genau der Grund, warum so viele Gruppen mit
sind, einander selten bei der Weiterentwicklung helfen. Manchmal ist Feindschaft eine stationären Klienten erfolglos sind.
Variante der Anteilnahme. .71 Wenn sich eine derartige Gruppe nicht auf das Hier und Jetzt konzentriert, was für
Ein Grund, warum manche Mitglieder die Gruppe als gefährlich erleben: Sie fürch­ andere Möglichkeiten hat sie dann? Die meisten Gruppen konzentrieren sich auf das
ten, die Dinge würden zu weit gehen, die Gruppe könnte sie zwingen, die Beherr­ Damals und Dort, folgen den Hinweisen des Therapeuten, stellen abwechselnd ihre
schung zu verlieren, Dinge zu sagen, zu denken oder zu fühlen, die zur interpersonalen Probleme zu Hause dar - welche zur Klinikeinweisung geführt haben -, während die
Katastrophe führen würden. Sie können diesen Klienten helfen, sich in der Gruppe restliche Gruppe versucht, diesen Problemen mit Ermahnungen und Ratschlägen zu
sicher zu fühlen, indem Sie ihnen erlauben, den Grad ihrer Teilnahme zu steuern. Kon­ Leibe zu rücken. Dieser Ansatz fur die Gruppentherapie mit stationären Klienten ist die
trollieren Sie Klienten wiederholt mit Fragen wie: »Haben Sie das Gefühl, wir setzen am wenigsten wirksame Art, eine Therapiegruppe zu leiten, und verurteilt die Gruppe fast
Ihnen zu sehr zu?« - »Ist Ihnen dies zu unbehaglich?« - »Haben Sie das Gefühl, heute immer zum Scheitern.

536 537
Die Probleme, die einen Klienten ins Krankenhaus gebracht haben, sind komplex bereits implizit enthalten. Ich kann gar nicht genug betonen, dass das Hier und Jetzt
und überwältigend. Im Allgemeinen haben sie die größten Bemühungen geschickter nicht gleichbedeutend ist mit Konflikt, Konfrontation oder kritischem Feedback. Ich bin
Fachleute zunichte gemacht, und sie werden ohne Frage die Therapiegruppenmitglie­ sicher, dass sich im stationären Bereich gerade wegen dieser irrigen Annahme nur
der in Verlegenheit setzen. Einmal ist der Klient gewöhnlich ein unzuverlässiger Selbst­ wenige Gruppentherapeuten den Wert der Interaktion im Hier und Jetzt zunutze
Berichterstatter: Die Informationen, die er der Gruppe gibt, sind immer von Voreinge­ machen.
nommenheit geprägt und angesichts der knappen Zeit sehr begrenzt. Der Dann-und­ Konflikt ist nur eine Facette der Hier-und-Jetzt-Interaktion und keineswegs die
Dort-Fokus hat auch noch viele andere Nachteile. Unter anderem führt er dazu, dass wichtigste. Die Konzentration auf das Hier und Jetzt hilft den Klienten, viele unschätz­
die Zeit sehr ungerecht aufgeteilt wird. Wenn ein Großteil der Sitzung oder gar eine bar wichtige interpersonale Fertigkeiten zu erlernen: sich klarer zu äußern, anderen
ganze Sitzung einem Klienten gewidmet wird, werden sich viele der übrigen Klienten näherzukommen, positive Gefühle zu äußern, sich persönlicher Eigenheiten bewusst
betrogen oder gelangweilt fühlen. Anders als Klienten in ambulanten Gruppen können zu werden, die andere Menschen abstoßen, außerdem zuzuhören, Unterstützung an­
sie nicht einmal darauf bauen, dass sie in der Gruppe Kredit haben, dass also die Grup­ zubieten, sich zu offenbaren und Freundschaft zu schließen.
pe ihnen Zeit und Aufmerksamkeit schuldet. Da sie wahrscheinlich bald entlassen wer­ Der Gruppentherapeut für stationäre Klienten muss besonders auf die Frage der
den oder sich in einer Gruppe wiederfinden, die sich aus völlig anderen Mitgliedern Relevanz des Hier und Jetzt achten. Die Mitglieder einer Klinikgruppe sind in der Kri­
zusammensetzt, werden die »Schuldscheine« der Klienten rasch wertlos. se. Sie sind vor allem mit ihren Lebensproblemen beschäftigt und durch Dysphorie
Einige Gruppen stationärer Klienten konzentrieren sich auf Probleme der Station - oder Verwirrung gelähmt. Anders als viele Klienten ambulanter Gruppen, die sich für
Spannungen auf der Station, Konflikte zwischen Mitarbeitern und Klienten, Streiterei­ die Selbsterforschung interessieren, sich persönlich weiterentwickeln und ihre Fähig­
en um die Hausarbeiten usw. Im Allgemeinen ist es unbefriedigend, die Kleingruppe keiten, mit zukünftigen Krisen fertig zu werden, verbessern wollen, sind stationäre
so zu benutzen. Die durchschnittliche Psychiatriestation hat etwa 20 Klienten, und in Klienten verschlossen, wollen nur noch überleben und können wahrscheinlich die Be­
jeder Gruppensitzung sind nur die Hälfte der Mitglieder und ein oder zwei Mitarbeiter deutung des Hier-und-Jetzt-Fokus für ihre Probleme nicht richtig einschätzen.
anwesend. Ausnahmslos sind die Gruppenmitglieder oder die Mitarbeiter, über die ge­ Darum müssen Sie sie diesbezüglich ausdrücklich informieren. Ich beginne jede
sprochen wird, jeweils in der anderen Gruppe. Eine viel bessere Arena für die Erörte­ Sitzung mit einer kurzen Orientierung für die neuen Klienten, in der ich betone, dass
rung von Problemen der Station ist die Zusammenkunft der therapeutischen Gemein­ sie zwar aus verschiedenen Gründen in die Klinik kommen, dass es aber für jeden
schaft, an der alle Klienten und alle Mitarbeiter teilnehmen. nützlich sein kann zu untersuchen, wie er sich zu anderen Menschen in Beziehung
Andere Gruppen stationärer Klienten konzentrieren sich auf allgemeine Themen setzt. Das kann jedem helfen zu lernen, wie er aus Beziehungen zu anderen mehr ma­
- zum Beispiel Selbstmordvorstellungen, Halluzinationen oder Nebenwirkungen von chen und mehr gewinnen kann. Ich betone, dass ich mich auf Beziehungen konzent­
Medikamenten. Derartige Sitzungen können für einige Mitglieder wertvoll sein, aber riere, weil das in der Gruppentherapie am besten geht. .71 In der Gruppe gibt es andere
selten für alle. Oft dienen solche Sitzungen hauptsächlich dazu, den Patienten In­ Klienten und zwei Fachleute für psychische Gesundheit, die bereit sind, darüber Aus­
formationen zu vermitteln, die man ihnen problemlos auch auf andere Weise geben kunft zu geben, wie sie einen jeden in der Gruppe Beziehungen aufnehmen sehen. Ich
könnte. Dies ist nicht die wirkungsvollste Art und Weise, die der Kleingruppe inne­ gebe auch zu, dass die Mitglieder wichtige und schmerzliche Probleme haben, die nicht
wohnende Kraft zu nutzen. interpersonaler Art sind, sage aber auch, dass diese Probleme mit anderen Therapiefor­
Die Klinikverhältnisse der Gruppe stationärer Klienten machen die Konzentration men behandelt werden müssen: mit Einzeltherapie, mit Gesprächen im Rahmen des
auf das Hier und Jetzt nicht weniger wichtig und nicht weniger ratsam. Tatsächlich ist Sozialdienstes, mit einer Paartherapie oder mit einer medikamentösen Therapie.
die Konzentration auf das Hier und Jetzt bei der T herapie mit stationären Klienten eben­
so wirksam wie bei der mit ambulanten Klienten. Die Klinikbedingungen der Arbeit mit Arten von Struktur
stationären Klienten (insbesondere die kurze Dauer der Behandlung und die Schwere Genauso wie es in der Gruppenarbeit mit akut kranken stationären Klienten keinen
der Erkrankungen) erfordern jedoch Abwandlungen der Technik. Wie schon erwähnt, Platz für den inaktiven Therapeuten gibt, gibt es auch keinen für den nichtdirektiven
hat man nicht die Zeit, interpersonale Probleme durchzuarbeiten. Stattdessen müssen Gruppentherapeuten. Die meisten Klienten auf einer Psychiatriestation sind verwirrt,
Sie den Klienten helfen, interpersonale Probleme festzustellen, und müssen interperso­ voller Angst und desorganisiert; sie wünschen und brauchen äußere Struktur und Sta­
nale Stärken bekräftigen und sie gleichzeitig ermutigen, nach dem Klinikaufenthalt in bilität. Man stelle sich das Erleben von Klienten vor, die neu in die Psychiatrie gekom­
eine Nachsorge-Therapie zu gehen, wo sie die in der Gruppe festgestellten Probleme men sind: Sie sind umgeben von anderen verstörten Klienten, die sich irrational be­
verfolgen und durcharbeiten können. nehmen; ihr geistiger Scharfblick mag durch Medikamente getrübt sein; sie werden
Das Wichtigste, was sich über die Verwendung des Hier und Jetzt in Gruppen sta­ vielen Mitarbeitern vorgestellt, bei denen es (weil sie nach einem komplizierten
tionärer Klienten sagen lässt, ist in der Besprechung der Unterstützung (siehe oben) Schichtplan arbeiten) nicht so aussieht, als seien sie regelmäßig anwesend; sie sehen

538 539
sich (manchmal zum ersten Mal) einer Vielfalt von Therapien und Therapeuten aus­ Die Therapeuten müssen auf jede nur mögliche Weise intervenieren, um für maxi­
gesetzt. male Stabilität zu sorgen. Sie sollten bei der Klinikverwaltung darauf dringen, die
Wenn man einer deutlich wahrnehmbaren, von außen auferlegten Struktur aus­ Gruppenzeit für tabu zu erklären, sodass Klienten aus keinem Grund aus der Gruppe
gesetzt wird, ist dies häufig der erste Schritt zum Erwerb einer inneren Struktur. Wenn herausgerufen werden können (nicht, weil die Gruppenarbeit die wichtigste therapeu­
klare, eindeutige Erwartungen an einen gestellt werden, wie man sich in einer neuen tische Maßnahme ist, sondern weil derartige Störungen sie unterminieren würden und
Situation verhalten soll, wird die Angst gemildert. weil eine Gruppentherapie naturgemäß logistisch wenig flexibel ist). Sie können die
In einer Untersuchung von Abschlussgesprächen mit kürzlich entlassenen Klienten Mitarbeiter bitten, desorganisierte Klienten an die Gruppensitzung zu erinnern und
äußerte die überwältigende Mehrheit eine Vorliebe für Gruppenleiter, die der Gruppe sie zum Gruppenraum zu begleiten. Nicht nur der Gruppenleiter, sondern auch das
eine aktive Struktur gaben. 19 Sie schätzten den Therapeuten am meisten, der die Grup­ Stationspersonal sollte die Verantwortung dafür übernehmen, dass die Patienten an
pensitzung von sich aus begann und der für das Vorgehen der Gruppe kristallklare An­ den Gruppensitzungen teilnehmen. Natürlich sollten die Therapeuten selbst stets bei­
weisungen gab. Sie zogen Leiter vor, die die Mitglieder aktiv einluden, sich zu beteili­ spielhaft pünktlich sein.
gen, die die Aufmerksamkeit der Gruppe auf die Arbeit lenkten, die dafür sorgten, dass Mit dem Problem, dass einzelne Mitglieder die Gruppensitzung einfach verlassen,
die Gruppenzeit gleichmäßig verteilt wurde, und die die Gruppe an ihre grundlegende wenn ihnen danach ist, kann man auf verschiedene Arten umgehen. Klienten werden
Gruppenaufgabe und Gruppenrichtung erinnerten. Die Forschungsliteratur zeigt, dass ängstlicher, wenn sie merken, dass man ihnen nicht erlaubt, den Raum zu verlassen.
Gruppenleiter, die sich so verhalten, die besten klinischen Resultate erzielen.20 Darum ist es am besten, einfach die Hoffnung zu äußern, dass sie während der ganzen
Gruppenleiter können eine Gruppe auf viele verschiedene Weisen strukturieren: Sitzung bleiben können. Wenn sie es nicht können, schlage man ihnen vor, am nächs­
indem sie den Gruppenmitgliedern zu Beginn jeder Gruppensitzung helfen, sich zu ten Tag wiederzukommen, wenn sie sich ruhiger fühlen. Wenn ein Klient mitten in der
orientieren; indem sie den Teilnehmern vor Beginn der Arbeit eine schriftliche Be­ Sitzung versucht, den Raum zu verlassen, kann man ihn natürlich nicht physisch daran
schreibung der Gruppenarbeit geben; indem sie Klarheit und Zuversicht ausstrahlen hindern, aber es gibt noch andere Möglichkeiten. Sie können so agieren, dass Sie dem
und indem sie in der Gruppe konsequent und kohärent arbeiten. Klienten einen Grund liefern, sich mit dem Unbehagen des Dableibens abzufinden. Ei­
nen Klienten zum Beispiel, der gesagt hat, dass er unbehaglichen Situationen oft ent­
Räumliche und zeitliche Grenzen: Die ideale räumliche Anordnung für eine stationäre flieht, aber entschlossen ist, dieses Verhaltensmuster zu ändern, können Sie an diesen
Therapiegruppe (wie für jede Art von Gruppe) besteht darin, dass sich ein Kreis von Entschluss erinnern und z. B. sagen: »Eleanor, es ist erkennbar, dass Sie sich jetzt sehr
Mitgliedern in einem Raum angemessener Größe mit einer geschlossenen Tür versammelt. unbehaglich fühlen, und ich weiß, dass Sie den Raum verlassen wollen, aber ich erin­
Die räumlichen Gegebenheiten vieler psychiatrischer Stationen machen jedoch die Er­ nere mich, dass Sie vor Kurzem gesagt haben, Sie hätten sich immer isoliert, wenn Sie
füllung dieser Voraussetzung schwierig. Auf manchen Stationen gibt es zum Beispiel sich schlecht gefühlt hätten, und Sie würden gern versuchen, Wege zu finden, sich
nur einen Gruppenraum. Wenn zwei Gruppen zur selben Zeit zusammenkommen, anderen anzunähern. Ich frage mich, ob dies hier nicht ein guter Zeitpunkt wäre, daran
gibt es Schwierigkeiten. In diesem Fall muss sich vielleicht eine Gruppe in einem sehr zu arbeiten, indem Sie einfach besonders nachdrücklich versuchen, heute in der Sit­
großen, frequentierten, allgemeinen Aufenthaltsraum oder in einer offenen Halle ohne zung zu bleiben?« Sie können ihre Angst verringern, indem Sie vorschlagen, die Klien­
klare räumliche Abgrenzungen treffen. Ich glaube, dass das Fehlen klarer räumlicher tin solle einfach während der restlichen Sitzung als Beobachterin dableiben oder sie
Grenzen Intimität und Kohäsivität beeinträchtigt und die Arbeit der Gruppe gefähr­ solle sich an einen anderen Platz setzen, der ihr behaglicher wäre - vielleicht neben
det; es ist bei Weitem vorzuziehen, irgendeinen geschlossenen Raum zu suchen, selbst Sie.
wenn es ein Verlassen der Station bedeutet. Gruppen für Klienten auf einem höheren Funktionsniveau kann man z. B. durch
Struktur wird auch durch zeitliche Stabilität hergestellt. Die ideale Sitzung beginnt, einen Grundsatz stabilisieren, der den Zuspätkommenden verbietet, nach Beginn der
wenn alle Mitglieder anwesend und pünktlich sind; es erfolgt keine Unterbrechung, bis Sitzung den Raum zu betreten. Diese Regel wirkt natürlich nur bei einer freiwilligen
sie zu Ende ist. Auf einer psychiatrischen Station kann man diese Bedingungen aus Gruppe. Für Therapeuten, die nur ungern strenge »Türhüter« sind, kann sie proble­
mehreren Gründen kaum annähernd erreichen: Desorganisierte Klienten kommen zu matisch sein; sie widerspricht der traditionellen klinischen Ausbildung, nach der man
spät, weil sie Zeit und Ort der Sitzung vergessen; Mitglieder werden herausgerufen, Klienten, die Therapie wünschen, den Zugang nicht verweigern darf. Diese Taktik er­
weil sie irgendeinen Arzt- oder Behandlungstermin haben; Klienten, deren Aufmerk­ zeugt Ressentiments bei Klienten, die nur ein paar Minuten zu spät zu einer Sitzung
samkeit schnell erschöpft ist, möchten vielleicht vorzeitig gehen; stark unter Medika­ kommen, sie vermittelt ihnen aber auch den Eindruck, dass Sie Zeit und Arbeit der
menten stehende Klienten schlafen während der Sitzung ein und unterbrechen den Gruppe hochschätzen und dass Sie aus jeder Sitzung das Maximum an ununterbro­
Kommunikationsfluss der Gruppe; agitierte Klienten oder Klienten in Panik rennen chener Arbeit herausholen wollen. Die Gruppe kann für Verspätete ein Zeitfenster von
aus der Gruppensitzung. fünf Minuten festlegen und in dieser Zeit die Tür zum Gruppenraum noch offen las-

540 541
sen; doch wenn sie danach geschlossen worden ist, sollte die Sitzung nicht mehr unter­ sichert bei Gruppen mit speziellen Populationen jedoch die effektive Nutzung einer
brochen werden. Gespräche mit Klienten nach der Entlassung bringen ausnahmslos begrenzten Sitzungszahl, wie wir später sehen werden, wenn wir uns mit Gruppen be­
ans Licht, dass sie Störungen für negativ halten und alle Bemühungen des Therapeu­ fassen, die mit Methoden der kognitiv-behavioralen Therapie arbeiten. In der Gruppe
ten, für Stabilität zu sorgen, willkommen heißen.21 Verspätete Mitglieder, denen der stationärer Klienten hat ein strukturierter Plan für jede Sitzung den Vorteil, nicht nur
Eintritt in den Gruppenraum verwehrt wird, schmollen vielleicht für eine Stunde oder wirksam zu sein, sondern bei schwerkranken Klienten Angst und Verwirrung zu lin­
zwei, sind aber im allgemeinen am nächsten Tag pünktlich. dern. Ich empfehle, bei Gruppen für stationär behandelte Patienten, deren Mitglieder
schnell wechseln, folgende Form zu nutzen:
Der Verhaltensstil des T herapeuten. Auch der Therapeut trägt durch seinen persön­
lichen Verhaltensstil und seine Präsenz erheblich zum Gefühl der Gruppenmitglieder, 1. Die ersten Minuten. In dieser Zeit musst der Therapeut der Gruppe eine eindeutige
durch eine Struktur gestützt zu werden, bei. .71 Verwirrte oder verängstigte Klienten Struktur geben und die Gruppenmitglieder auf die Therapie vorbereiten. (Ich wer­
werden beruhigt, wenn der Therapeut klar, offen und entschieden ist und ihnen zu­ de anschließend eine Modellgruppe beschreiben, bei der ich wörtlich ein Beispiel
gleich die Gründe für sein Handeln mitteilt. Viele Therapeuten, die mit Langzeitgrup­ für eine vorbereitende Aussage wiedergebe.)
pen für ambulante Klienten arbeiten, lassen den Dingen ihren Lauf und fordern dann 2. Definition der Aufgabe. In dieser Phase versucht der Therapeut zu bestimmen, wel­
zur Untersuchung und Integrierung des Ereignisses auf. Gruppen stationär behandel­ che Richtung die Gruppe in der betreffenden Sitzung einschlagen soll, damit am
ter Klienten hingegen werden immer wieder durch größere Unterbrechungen gestört. meisten herauskommt. Machen Sie nicht den Fehler, sich in das erste besprochene
Ihre Mitglieder sind oft zu belastet und verletzlich, um mit störenden Ereignissen gut Problem zu sehr zu vertiefen, denn wenn Sie dies tun, können Sie andere potenziell
fertig zu werden; sie werden beruhigt, wenn die Therapeuten entschieden und be­ produktive Sequenzen versäumen. Sie können auf verschiedenen Wegen zu einer
stimmt handeln. Wenn ein manischer Klient die Beherrschung verliert und die Zeit der Definition der Aufgabe kommen, beispielsweise indem Sie einfach zuhören, um die
Gruppe allein für sich in Anspruch nimmt, ist es am besten einzugreifen und den Kli­ an diesem Tag vorhandenen dringlichen Probleme zu erspüren. Sie können auch
enten daran zu hindern, in dieser Sitzung die Arbeit der Gruppe lahmzulegen. Sie kön­ eine strukturierte Übung ausführen lassen, mit deren Hilfe Sie herausfinden, welche
nen dem Klienten beispielsweise sagen, es sei an der Zeit, ruhig zu sein und sich zu Arbeit für die Gruppe an diesem Tag am wertvollsten ist (ich werde diese Technik
bemühen, anderen zuzuhören, oder wenn der Klient unfähig ist, sich zu beherrschen, später beschreiben). .71
können Sie ihn aus dem Raum hinausbegleiten. Im Allgemeinen ist es ein ausgezeich­ 3. Erfüllen der Aufgabe. Nachdem Sie sich einen allgemeinen Eindruck davon ver­
netes Beispiel, wenn Therapeuten in einer solchen Lage ihren zwiespältigen Gefühlen schafft haben, welche Themen in der betreffenden Sitzung sinnvoll behandelt wer­
Ausdruck geben. Sie können einerseits darüber sprechen, dass sie nach ihrer Überzeu­ den könnten, versuchen Sie, diese Themen im Hauptteil der Sitzung anzusprechen
gung das Richtige für das Wohl der ganzen Gruppe getan haben, und andererseits über und so viele Klienten wie möglich in die Arbeit einzubeziehen.
ihr großes Unbehagen, weil sie eine autoritäre Haltung angenommen haben. 4. Die letzten Minuten. Die letzten Minuten sind der Zusammenfassung gewidmet. Sie
Ein andermal ergeht sich die Gruppe vielleicht in langen Diskussionen, von denen sagen, die Arbeitsphase sei vorbei, und widmen die übrige Zeit einem Rückblick
der Therapeut weiß, dass sie nichts bewirken und keine effektive Arbeit sind. Auch hier und einer Analyse der Sitzung. Dies ist die »Selbstreflexionsschleife« des Hier und
hat der Therapeut verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, einschließlich des Ab­ Jetzt, in der Sie versuchen, die Interaktion während der Sitzung zu klären. Vielleicht
wartens und der späteren Widerstandsanalyse. Bei stationären Gruppen ist es jedoch möchten Sie auch ein abschließendes »Aufwaschen« veranstalten: Sie können nach
viel wirksamer, direkt zu sein, die Gruppe zum Beispiel mit einer deutlichen Botschaft »Ecken und Kanten« oder aufgerührten Gefühlen fragen, die Mitglieder vielleicht
zu unterbrechen wie: »Ich habe das Gefühl, dass dieses Thema für mehrere, die sich in aus der Sitzung übrig behalten haben, oder Sie können sowohl die aktiven als auch
diesem Raum befinden, von großem Interesse ist, aber mir scheint andererseits, dass die schweigenden Mitglieder fragen, wie sie die Sitzung erlebt haben und wie sie sie
Sie diese Diskussion auch leicht außerhalb der Gruppe führen könnten. Gruppen sind bewerten.
viel nützlicher, wenn ihre Mitglieder mehr darüber erfahren, wie sie mit anderen Be­
ziehungen aufnehmen und mit ihnen kommunizieren können, und ich glaube, es wäre Nachteile der Struktur: Ich habe in diesem Buch mehrmals Einwände gegen über­
besser, wenn wir auf ... zurückkommen würden« (hier können Sie der Gruppe eine mäßige Strukturierung erhoben. Bei der Darstellung der Normsetzung beispielsweise
klare Alternative anbieten). habe ich dringend empfohlen, der Therapeut solle die Gruppe so selbstständig wie
möglich machen; eine Gruppe sei effektiv, wenn sie möglichst viel Verantwortung für
Ein Plan der Gruppensitzung. Eine der wirksamsten Arten, Struktur zu liefern, besteht ihre Arbeit übernehme. Außerdem habe ich erklärt, dass ein übermäßig aktiver Thera­
darin, in jede Sitzung eine konsequente, ausdrückliche Abfolge einzubauen. Dies weicht peut, der eine Gruppe sehr stark strukturiert, Abhängigkeit kreiert. Wenn der Grup­
stark von der traditionellen Art, mit Gruppen ambulanter Klienten zu arbeiten, ab, penleiter den Gruppenmitgliedern alle Arbeit abnimmt, tun sie sicherlich zu wenig für

542 543
sich selbst. Wie in Kapitel 14 dargestellt wird, belegt die empirische Forschung, dass 1. Orientierung und Vorbereitung - 3 bis 5 Minuten
Gruppenleiter, die ihrer Gruppe übermäßig starke Strukturen vorgeben, von den 2. Feststellen der aktuellen persönlichen Anliegen - 20 bis 30 Minuten
Gruppenmitgliedern positiv bewertet werden mögen, dass ihre Gruppen aber weniger 3. Arbeit an den aktuellen Anliegen - 20 bis 35 Minuten
positive Ergebnisse erzielen. Außerdem hat sich herausgestellt, dass stark strukturie­ 4. Rückblick - 10 bis 20 Minuten
rendes Gruppenleiterverhalten (die Gesamtheit verbaler Aktivitäten und der Versuch,
das Gruppengeschehen zu »managen«) steht in einem nicht linearen Verhältnis zum po­ Orientierung und Vorbereitung. Die Vorbereitung der Klienten für die Therapiegruppe
sitiven T herapieergebnis (dies wurde sowohl am Ende der Gruppe als auch anlässlich ist bei stationären Klienten nicht weniger wichtig als bei ambulanten. Der zeitliche
einer Nachuntersuchung sechs Monate später festgestellt).22 Anders ausgedrückt, es gilt Rahmen ist natürlich ganz anders. Anstatt mit der Vorbereitung eines Klienten für die
die Regel vom goldenen Mittelweg: Zu viel oder zu wenig Strukturierung durch den Lei­ Gruppentherapie in einer Einzelsitzung 20 bis 30 Minuten aufzuwenden, muss der
ter schadet der Weiterentwicklung der Klienten. Gruppentherapeut stationärer Klienten diese Vorbereitung in den ersten Minuten der
Wir sind also in einer Zwickmühle. Bei vielen spezialisierten Kurzzeitgruppen müs­ Gruppensitzung zuwege bringen. Ich empfehle, dass der Gruppenleiter in jeder Sitzung
sen wir Struktur liefern; wenn wir aber zu viel davon liefern, lernen unsere Gruppen­ eine kurze und einfache Einführung gibt, die eine Beschreibung der allgemeinen Re­
mitglieder nicht, ihre eigenen Kräfte zu gebrauchen. Dies ist ein Hauptproblem für den geln (Zeitpunkt und Dauer der Sitzung, Pünktlichkeit), eine klare Darstellung von
Gruppentherapeuten, der mit stationären Klienten arbeitet, der aus all den genannten Sinn und Zweck der Gruppenarbeit und der Grundzüge der Gruppenarbeit umfasst,
Gründen die Gruppe strukturieren und zugleich vermeiden muss, die Mitglieder zu einschließlich eines Überblicks über den Ablauf der Sitzung. Das Folgende ist eine
infantilisieren. typische Äußerung für die Orientierungs- und Vorbereitungsphase:
Es gibt einen Ausweg aus diesem Dilemma - er ist so wichtig, dass er ein Grund­
prinzip der Therapietechnik für die spezialisierte Gruppe darstellt: Der Leiter muss die »Ich b i n l rv Ya lom, u nd d ies ist Mary Cla rk. Wir leiten gemeinsam d iese Nach m ittags­
Gruppe so strukturieren, dass die selbstständige Funktionsfähigkeit jedes Mitglieds geför­ therapiegru ppe, die jeden Tag fü r eine Stu nde u nd 15 M i n uten zusa m me n ko m mt; die
dert wird. Wenn Ihnen dieses Prinzip paradox vorkommt, das folgende Modell einer Sitz u ng begi n nt u m zwei U h r. Der Zweck dieser G ru ppe besteht darin, Mitgl iedern zu
Gruppe stationärer Klienten wird es klären. helfen, mehr ü ber die Art zu erfa h ren, wie sie m it a ndere n Bezieh u ngen a ufne h men
und mit i h nen kom m u n izieren ka n n . Die Menschen kommen mit vielen versch iedenen
Die Gruppe für Klienten mit höherem Funktionsniveau - ein Arbeitsmodell Arte n großer Pro b l e m e in die K l i n i k, a be r e i n es, das die m eisten Menschen h i e r
In diesem Abschnitt möchte ich etwas ausführlicher eine Arbeitsweise für die Gruppe gemeinsam ha ben, ist d a s Ungl ücklichsein ü ber die Art, wie ein ige i h rer wichtigen Be­
stationärer Klienten auf höherem Funktionsniveau beschreiben. Vergessen Sie nicht, ziehu ngen ablaufen .
dass ich in diesem Abschnitt (wie in diesem ganzen Kapitel) nicht die Absicht habe, Natürlich gibt e s a u c h noch viele andere wichtige Probleme, a ber a n diesen ka n n m a n
einen bestimmten Plan vorzuschreiben. Ich hoffe also nicht, dass Sie versuchen wer­ besser i n einer a ndere n Thera pieform a rbeiten. Gruppen helfen Menschen a m besten
den, dieses Modell getreulich auf Ihre klinische Situation anzuwenden, sondern dass es da bei, i h re Beziehungen zu anderen Menschen zu verstehen. Eine u n serer besten Mög­
die allgemeine Strategie der Modifikation verdeutlicht und Ihnen hilft, ein wirksames Mo­ lichkeiten zu arbeiten besteht in der Konzentration auf die Bezie h u n gen zwischen den
dell für die speziellen klinischen Situationen, mit denen Sie konfrontiert sind, zu ent­ in d iesem Raum Anwesenden. Je besser sie lernen, m it d iesen Menschen zu kom m u n i ­
wickeln.23 zieren, desto besser können s i e a u c h m it den Menschen i n i h rem Leben d ra u ßen kom­
Ich schlage vor, eine fakultative Gruppe für Klienten auf höherem Funktionsniveau* m u n izieren.
abzuhalten, die fünfmal in der Woche für etwa 75 Minuten zusammenkommt. Ich Sie m üssen wissen, dass fast jede n Tag Beobachter a nwesend s i n d , die die Gru ppe
habe im Laufe der Jahre mit verschiedenen Modellen Versuche angestellt; das Modell, d u rch d iesen Ei nwegspiegel beobachten . « [Dabei deute ich a uf den Spiegel u n d das
das ich im Folgenden beschreibe, ist das wirksamste, das ich gefunden habe, und ich Mikrofon, u m den Klienten so gen a u wie möglich ü ber seine rä u m liche U mgebung zu
habe es bei mehreren Hundert Gruppentherapiesitzungen mit stationären Klienten be­ orientieren.] »Die Beobachter sind psychiatrische Fachleute, oft auch Medizi nstuden­
nutzt. Dies ist der grundlegende Sitzungsplan: ten oder Pflegekräfte in der Ausbild u ng, sowie a n dere Mitarbeiter der Station.
Wir beginnen unsere Sitzu ngen m it einer Runde i n der G ruppe, wobei wir jeden a uffor­
dern, etwas ü ber die Probleme zu sagen, die er i n seinem Leben hat u n d die er i n der
* Klienten mit höherem Funktionsniveau sind in stärkerem Maße bereit und in der Lage, sich verbal Gru ppe zu bearbeiten versuchen möchte. Das sol lte 15 bis 30 M i n uten d a uern. I n den
auszudrücken. Sie sind motiviert, in der Therapie zu arbeiten, und aufgrund ihrer Aufmerksamkeits­
ersten Sitzungen fä l lt es fast jedem sehr schwer, e i n solches Arbeitsprojekt zu benen­
spanne können sie während der gesamten Zeit einer Sitzung aktiv am Geschehen teilnehmen. An an­
derem Ort habe ich einen Gruppenplan für stärker regredierte Klienten auf niedrigerem Funktions­ nen. Aber q u ä len Sie sich nicht zu sehr. Wir werden I h nen d a bei helfen. Dafür sind wir
niveau beschrieben (Yalom, Inpatient Group Psychotherapy, S. 3 1 3 - 35; dt.: Im Hier und Jetzt). h ier. Danach versuchen wir, so viele von d iesen Problemen zu bearbeiten wie möglich.

544 545
In den letzten 15 Minuten der Gruppe werden die Beobachter hereinkommen und uns mit anderen besser bekannt sein oder spezifisches Feedback über ein Charakteristi­
mitteilen, was sie wahrgenommen haben. I n den letzten Minuten möchten wir dann kum ihres Verhaltens bekommen wollen. Therapeuten, die sich diese Beispiele merken,
von jedem hier wissen, wie er die Sitzung beurteilt und was für Gefühle bei ihm zu­ fällt es möglicherweise leichter, ihren Patienten zu helfen, einen sinnvollen Fokus zu
rückgeblieben sind, die vor Ende der Gruppe noch betrachtet werden sollten. Wir wer­ kreieren.
den nicht jedesmal zu allen Pun kten kom men, aber wir werden uns darum bemü hen. Mit den ersten beiden Aspekten haben die Klienten relativ wenig Schwierigkeiten;
Wen n nicht, gelingt es uns hoffe ntlich bei unserer nächsten Sitzung, und vielleicht beim dritten, dem Einbeziehen des Vorgehens ins Hier und Jetzt, brauchen sie erheb­
kön nen Sie auch zwischen den Sitzungen dara n arbeiten.« liche Hilfe vom Therapeuten. Der dritte Teil ist jedoch weniger kompliziert, als er aus­
sieht; der Therapeut kann jedes Anliegen ins Hier und Jetzt versetzen, wenn er einige
Achten Sie auf die Grundbestandteile dieser Vorbereitung: 1. Eine Beschreibung der grundlegende Regeln beherrscht.
Grundregeln; 2. eine Festlegung von Zweck und Zielen der Gruppe; 3. eine Beschrei­ Nehmen wir das folgende Anliegen, das häufig auftaucht: »Ich möchte lernen, bes­
bung der Vorgehensweise in der Gruppe ( einschließlich der genauen Struktur der Sit­ ser mit anderen zu kommunizieren. « Der Klient hat schon die ersten beiden Schritte
zung). Manche Therapeuten stationärer Klienten empfehlen, dass diese Vorbereitung des Plans hinter sich: 1. Er hat einen Wunsch nach Veränderung geäußert; 2. der
den Klienten teilweise außerhalb der Gruppe vermittelt werden kann und sogar noch Wunsch betraf einen interpersonalen Bereich. Nun muss das Anliegen nur noch ins
ausführlicher und ausdrücklicher sein sollte, indem beispielsweise ein Gespräch über Hier und Jetzt versetzt werden - diesen Schritt kann der Therapeut leicht mit einem
blinde Flecken, unterstützendes und konstruktives Feedback (anschauliche Beispiele Kommentar folgender Art unterstützen: »Sehen Sie sich bitte im Raum um. Mit wem
liefern) sowie über den sozialen Mikrokosmos mit aufgenommen wird.24 in dieser Gruppe können Sie gut kommunizieren? Mit wem würden Sie Ihre Kommu­
nikation gern verbessern?«
Feststellen der aktuellen persönlichen Anliegen: In der zweiten Phase der Gruppe muss Häufig wird auch folgendes Anliegen formuliert: »Ich möchte gern anderen Men­
die Zielsetzung herausgearbeitet werden. Die wichtigste Aufgabe der Gruppe (aus der schen näherkommen. « Das Verfahren des Therapeuten ist dasselbe: Er versetzt das An­
die verschiedenen Gruppenziele sich ergeben) besteht darin, jedem Mitglied zu helfen, liegen ins Hier und Jetzt, indem er fragt: »Welchem Mitglied der Gruppe fühlen Sie
seine interpersonalen Beziehungen zu untersuchen und zu verbessern. Eine effiziente sich nahe? Welchem würden Sie sich gern näher fühlen?« Häufig hört man auch: »Ich
Methode der Aufgabendefinition ist eine strukturierte Übung, bei der jeder Klient auf­ möchte über meine Bedürfnisse sprechen können, und ich möchte, dass man sie er­
gefordert wird, ein kurzes, persönliches Anliegen für die Sitzung zu formulieren. Das füllt. Ich verstecke meine Schmerzen und meine Bedürfnisse in mir und versuche, allen
Anliegen muss realistisch und in der Gruppe an diesem Tag machbar sein. Es muss auf zu gefallen. « Das kann der Therapeut ins Hier und Jetzt übersetzen, indem er fragt:
interpersonale Probleme ausgerichtet sein und möglichst auch auf solche, die in »Wären sie bereit zu versuchen, uns heute wissen zu lassen, was Sie brauchen?« oder
irgendeiner Weise mit einem oder mehreren Mitgliedern in der Gruppe zu tun »Was für einen Schmerz haben Sie? Was hätten Sie gern von uns?«
haben. Wohlgemerkt, das Anliegen ist im Allgemeinen nicht der Grund, warum der Klient
Ein angemessenes Anliegen zu formulieren, ist eine komplexe Aufgabe. Die Klien­ in der Klinik ist. Aber das Anliegen kann, oft ohne dass der Klient es weiß, ein tiefer­
ten brauchen, besonders in ihren ersten Sitzungen, erhebliche Hilfe vom Therapeuten. liegender oder partieller Grund sein. Der Klient ist vielleicht wegen Suchtmittelmiss­
Unerfahrene Therapeuten empfinden dies anfangs ebenfalls als anstrengend. Jeder Kli­ brauchs, Depressionen oder wegen eines Selbstmordversuchs eingewiesen worden.
ent wird gebeten, eine Aussage zu machen, die drei Stufen enthält: 1. den Wunsch aus­ Solchen Verhaltensweisen oder Ereignissen liegen jedoch fast immer starke Spannun­
drücken, sich zu ändern; 2. die Veränderung soll seine zwischenmenschlichen Bezie­ gen oder Störungen in interpersonalen Beziehungen zugrunde.
hungen betreffen; 3. der Änderungswunsch soll sich im Hier und Jetzt manifestieren. Denken Sie auch daran, dass der Therapeut nach Möglichkeiten des Vorgehens
Stellen Sie sich dies als eine Entwicklung vom Allgemeinen zum Besonderen, vom Un­ sucht, die sanft, positiv und nicht konfrontierend sind. Bei den Beispielen von Anlie­
persönlichen zum Persönlichen und vom Persönlichen zum Interpersonalen vor. »Ich gen, die ich zitiert habe und bei denen es um Kommunikation oder Nähe ging, habe
fühle mich unglücklich« wird zu: »Ich fühle mich unglücklich, weil ich isoliert bin«, ich Stärke und Erfolg betont, indem ich zuerst nach dem positiven Ende der Skala ge­
was zu »Ich möchte eine bessere Verbindung haben« wird, was wiederum zu »... eine fragt habe.
Verbindung zu einem anderen Gruppenmitglied« wird. Ungeachtet dessen, dass die Viele Klienten tragen ein Anliegen vor, bei dem es direkt um Wut geht, zum Beispiel:
Patienten ihre Exposition auf viele verschiedene Arten beginnen können, gibt es höchs­ »Ich möchte fähig sein, meine Wut auszudrücken. Die Ärzte sagen, ich wende meine
tens acht bis zehn grundlegende Vorstellungen, welche die meisten Sorgen von Patien­ Wut nach innen, und darum würde ich depressiv.« Dieses Anliegen muss höchst be­
ten zum Ausdruck bringen: dass sie weniger isoliert und selbstsicherer sein wollen, hutsam angegangen werden. Sie wollen nicht, dass Klienten Wut ausdrücken, die sich
besser kommunizieren können und weniger blockiert sein wollen, enger mit anderen gegen andere Klienten richtet, und Sie müssen diesem Anliegen eine konstruktivere
verbunden und besser in der Lage, mit Ärger umzugehen, weniger misstrauisch oder Form geben.

546 547
Ich habe festgestellt, dass es nützlicher ist, den Klienten folgendermaßen anzuspre­ Starker Widerstand oder Entmutigung können in Bemerkungen wie »Was soll da­
chen: »Ich glaube, dass Wut oft ein schlimmes Problem ist, weil die Menschen es zulas­ bei denn schon herauskommen?« oder »Ich will überhaupt nicht hier sein« zum Aus­
sen, dass sie sich enorm aufstaut, und dann können sie sie nicht ausdrücken. Das He­ druck gelangen. Wenn schnell klar wird, dass Sie keine Möglichkeit haben, einen Hebel
rauslassen von so viel Wut würde wie ein Vulkanausbruch wirken. Das macht Ihnen für therapeutische Arbeit anzusetzen, können Sie sich dafür entscheiden, sich mit dem
selber ebenso viel Angst wie anderen. In der Gruppe ist es viel nützlicher, mit »junger«, Widerstand zu verbünden, statt die kostbare Zeit der Gruppensitzung für einen nutz­
noch nicht >weißglühender< Wut zu arbeiten. Ich möchte Ihnen also vorschlagen, dass losen Kampf mit dem Widerstand eines einzelnen Mitglieds zu vergeuden. Sie können
Sie sich heute auf junge Wut konzentrieren - zum Beispiel Ungeduld, Frustration oder einfach sagen, es komme häufiger vor, dass sich Patienten nach ihrer Einweisung zur
sehr unerhebliche Gefühle des Ärgers. Wären Sie bereit, in der Gruppe jedes kleine stationären Behandlung so fühlten, und dem oder der Betreffenden werde es bei der
Aufflackern von Ungeduld oder Ärger zu äußern, gleich nachdem sie aufgetreten sind nächsten Gruppensitzung vielleicht anders gehen. Sie können hinzufügen, der Patient
- zum Beispiel Gereiztheit über die Art, wie ich heute die Gruppe führe?« werde vielleicht irgendwann im weiteren Verlauf der Sitzung Lust bekommen, sich an
Die Übung mit dem aktuellen Anliegen hat viele Vorteile. Einmal ist sie eine Lösung der Arbeit zu beteiligen, und falls irgend etwas sein Interesse wecke, könne er darüber
für das Paradox, dass Struktur zwar erforderlich ist, aber zugleich die Weiterentwicklung sprechen.
hemmt. Die Übung mit dem Anliegen gibt der Gruppe Struktur, fördert aber gleichzei­ Ist ein Patient nicht in der Lage, ein Anliegen zu formulieren, kann man ihm einen
tig selbstständiges Verhalten beim Klienten. Es wird von den Klienten gefordert, Ver­ Auftrag geben, der es erforderlich macht, dass er zuhört und anschließend einem
antwortung für die Therapeuten zu übernehmen und praktisch zu sagen: »Dies ist es, anderen Gruppenmitglied, das der Patient selbst auswählt, Feedback gibt. In anderen
was ich an mir ändern möchte. Dies ist es, woran ich heute in der Gruppe arbeiten Fällen ist es nützlich, andere Mitglieder zu bitten, für einen bestimmten Klienten ein
möchte.« Diese Art des Vorgehens ermutigt Klienten, in ihrer eigenen Therapie eine geeignetes Vorgehen vorzuschlagen.
aktivere Rolle einzunehmen und sich die Gruppe besser zunutze zu machen. Sie ler­ Beispielsweise brachte ein 19-Jähriger einmal ein Anliegen vor, mit dem man nicht
nen, dass aufrichtige, entschieden vorgetragene Anliegen, die ein anderes Gruppenmit­ arbeiten konnte: »Mein Vater behandelt mich wie ein Kind.« Er konnte das Konzept
glied einbeziehen, sicherstellen, dass sie in der Sitzung produktiv arbeiten. Zum Bei­ des aktuellen Wunsches in seiner ersten Sitzung nicht begreifen, und ich bat die ande­
spiel: »Ich habe heute schon einmal versucht, mich Mary zu nähern, um mit ihr zu ren Mitglieder um Vorschläge. Es wurden mehrere ausgezeichnete Vorschläge gemacht:
sprechen, und ich habe das Gefühl, dass sie mich abgewiesen hat, nichts mit mir zu tun » Ich möchte untersuchen, warum ich hier so viel Angst habe« oder » Ich möchte in der
haben wollte; ich möchte herausbekommen warum.« Gruppe weniger schweigsam sein«. Schließlich schlug ein Gruppenmitglied ein perfek­
Manchen Klienten fällt es sehr schwer, ihre Bedürfnisse explizit zu äußern. Tatsäch­ tes Anliegen vor: »Ich möchte erfahren, was ich tue, das meinen Vater veranlasst, mich
lich kommen viele in die Klinik, weil sie Selbstmordversuche unternommen haben, wie ein Kind zu behandeln. Verhalte ich mich in dieser Gruppe wie ein Kind?«
was indirekte Methoden sind, um darauf hinzuweisen, dass sie Hilfe brauchen. Die Auf­ Achten Sie darauf, weshalb dies das perfekte Anliegen war. Es sprach sein ausge­
gabe, ein Anliegen zu äußern, lehrt sie, ihre Bedürfnisse klar zu äußern und andere aus­ drücktes Problem an, weshalb sein Vater ihn wie ein Kind behandelte, es sprach sein
drücklich um Hilfe zu bitten. Mehr als jede spätere Arbeit in der Gruppensitzung wirkt Verhalten in der Gruppe an, welches es ihm schwierig machte, die Gruppe zu nutzen,
die Aufgabe, einen aktuellen Wunsch zu formulieren, bereits per se therapeutisch. Wenn und es konzentrierte sich in einer Art und Weise auf das Hier und Jetzt, die zweifellos
die Klienten lernen, verbal um Hilfe zu bitten, anstatt auf eine nonverbale, selbstzerstö­ zur Folge haben würde, dass die Gruppe für ihn nützlich war.
rerische Weise, dann wird ihnen die Einweisung in die Klinik viel genutzt haben.
Die übung mit dem aktuellen Wunsch ermöglicht auch eine Weitwinkelsicht der Arbeit an den aktuellen Anliegen. Wenn die Festlegung der persönlichen Anliegen abge­
am betreffenden Tag machbaren Gruppenarbeit. Der Gruppenleiter kann rasch ein­ schlossen ist, beginnt die nächste Phase der Gruppe. Auf vielerlei Weise ähnelt dieser
schätzen, wozu jeder Teilnehmer bereit ist und bei welchen Klienten die Ziele sich mit Abschnitt der Gruppenarbeit jeder beliebigen Gruppentherapiesitzung, die auflnter­
denjenigen anderer Gruppenmitglieder bündeln lassen. aktionen basiert und in der die Mitglieder fehlangepasstes interpersonales Verhalten
Die Übung mit der Formulierung der Anliegen ist wertvoll, man kann sie aber nicht untersuchen und zu verändern versuchen. Aber es gibt einen großen Unterschied: Die
sofort in einer Gruppe einsetzen. Oft braucht eine Therapiegruppe mehrere Sitzungen, Therapeuten haben von jedem Mitglied der Gruppe ein Anliegen vorliegen, was es
um die Aufgabe zu begreifen und ihre Nützlichkeit zu erkennen. Die Festlegung der ihnen eher ermöglicht, die Arbeit auf maßgeschneiderte und effiziente Weise durch­
persönlichen Anliegen ist keine Übung, welche die Gruppenmitglieder selbstständig zuführen. Der verfügbare Zeitraum für die Gruppe stationärer Klienten ist in der Regel
fertigbringen: Der Therapeut muss äußerst hilfreich, beharrlich, erfindungsreich und nur eine einzige Sitzung, und der Therapeut muss effizient sein, um für die größtmög­
oft bestimmend sein, damit die Übung funktioniert. Wenn ein Mitglied extremen Wi­ liche Zahl von Klienten das Beste herauszuholen.
derstand leistet, ist es manchmal angebracht, die einzelnen Klienten untersuchen zu Wenn die Gruppe groß ist - vielleicht zwölf Mitglieder - und wenn neue Mitglieder
lassen, warum es so schwierig ist, ein Anliegen zu formulieren. dabei sind, die ziemlich viel Zeit brauchen, um ein Anliegen zu formulieren, dann ste-

548 549
hen vielleicht nur 30 Minuten zur Verfügung, in denen man die zwölf Anliegen be­ formelle Beendigung der Gesamtsitzung; sie besteht aus einem Rückblick und einer
arbeiten könnte. Natürlich kann man unmöglich jedes Anliegen in der Sitzung bear­ Bewertung. Ich leite oft stationäre Gruppen an einer Lehrklinik und lasse gewöhnlich
beiten, und es ist wichtig, dass sich die Klienten darüber im klaren sind. Sie können zwei bis vier Studenten die Sitzung durch einen Einwegspiegel beobachten. Ich teile die
den Klienten ausdrücklich mitteilen, dass die Festlegung der persönlichen Anliegen Endphase der Gruppensitzung am liebsten in zwei gleiche Abschnitte ein: Eine Bespre­
kein Versprechen bedeutet, jedes Anliegen werde in der Gruppe zum Zug kommen. Sie chung der Sitzung durch den/die Therapeuten und den/die Beobachter sowie die
können dieses Problem auch durch Ihre Ausdrucksweise in der Festlegungsphase der Reaktion der Gruppenmitglieder auf diese Diskussion.
Anliegen andeuten: »Wenn es die Zeit erlaubt, was würden Sie heute gern bearbei­ Im ersten Abschnitt bilden Therapeuten und Beobachter im Raum einen kleinen
ten?« Kreis und führen eine offene Analyse der Sitzung durch, so, als wären keine Klienten
Trotzdem sollte der tüchtige und aktive Therapeut fähig sein, die meisten Anliegen im Raum, die zuhören und zuschauen. (Wenn an dem Tag keine Beobachter anwesend
in jeder Sitzung zu berücksichtigen. Die wertvollste Anregung, die ich dafür anzubie­ waren, diskutieren die Co-Therapeuten untereinander, oder sie laden die Klienten ein,
ten habe, ist die, man solle versuchen, die Anliegen zusammenzufassen, sodass man zu einer Diskussion beizutragen, in der alle versuchen, die Sitzung noch einmal zu
mehrere auf einmal bearbeitet. Wenn John zum Beispiel sagt, er sei sehr isoliert und überschauen und zu analysieren.) In dieser Diskussion vergegenwärtigen sich die Lei­
hätte gern Feedback von den Gruppenmitgliedern darüber, warum es schwer ist, ihm ter und die Beobachter die Sitzung noch einmal; dabei konzentrieren sie sich auf die
näherzukommen, dann können Sie gleichzeitig mehrere Anliegen bearbeiten, indem Gruppenleitung und auf das Erleben jedes einzelnen Mitglieds. Die Leiter fragen sich,
Sie Feedback für John von Gruppenmitgliedern erbitten, deren Anliegen etwa lautet: was sie unterlassen haben, was sie sonst noch in der Gruppe hätten tun können, ob sie
»Ich möchte lernen, meine Gefühle auszudrücken«, »Ich möchte lernen, wie ich besser bestimmte Mitglieder übergangen haben. Die Diskutanten achten darauf, Kommen­
mit anderen kommunizieren kann« oder »Ich möchte lernen, meine Meinung deutlich tare über jedes Mitglied abzugeben: die Art des formulierten Anliegens, die damit ge­
zu sagen«. leistete Arbeit, Mutmaßungen über die Befriedigung des Klienten in der Gruppe.
Ähnlich ist die Situation, wenn Sie einen Klienten in der Gruppe haben, der weint Diese Methode, die Gruppe zu beenden, ist zwar unorthodox, aber nach meiner Er­
und dem es sehr schlecht geht; warum sollten Sie, der Therapeut, die einzige Person fahrung recht fruchtbar. Einmal werden die Eindrücke der Beobachter konstruktiv ge­
sein, die diesen Klienten trösten kann, obwohl das Anliegen eines Gruppenteilnehmers nutzt. Bei der herkömmlichen Art des Lehrens bleiben die beobachtenden Studenten
lautet: »Ich möchte lernen, meine Gefühle auszudrücken« oder »Ich möchte lernen, unsichtbar und treffen mit dem Therapeuten nach der Gruppe zu einer Diskussion zu­
anderen Menschen näher zu sein«? Indem Sie diese Mitglieder aktivieren, binden Sie sammen, zu der die Klienten natürlich keinen Zugang haben. Im Allgemeinen missfällt
mehrere Anliegen zusammen. den Klienten diese Methode der Beobachtung, und manchmal entwickeln sie diesbe­
Im Allgemeinen sammelt der Therapeut bei der Festlegung der persönlichen Anlie­ züglich paranoide Gefühle. Wenn man die Beobachter in die Gruppe hineinbringt,
gen mehrere »Kreditbriefe« - Verpflichtungen von Klienten bezüglich der Arbeit, die werden sie von einer negativen Kraft zu einer positiven gewandelt. Tatsächlich bekun­
sie während der Sitzung tun wollen. Wenn eine Klientin zum Beispiel feststellt, es sei den Gruppenmitglieder oft Enttäuschung, wenn keine Beobachter anwesend sind.
wichtig, in der Gruppe zu lernen, Risiken einzugehen, tut man gut daran, sich dies zu Diese Methode erfordert Therapeuten-Transparenz und ist eine ausgezeichnete Ge­
merken und die Klientin bei passender Gelegenheit aufzufordern, ihren Vorschlag zu legenheit, ein Beispiel zu geben. Co-Therapeuten können darüber sprechen, in wel­
realisieren, indem sie zum Beispiel Feedback gibt oder die Sitzung beurteilt. Wenn ein chem Dilemma sie waren, welche Sorgen sie hatten oder was sie verwirrt hat. Sie kön­
Klient den Wunsch äußert, sich öffnen und seinen Schmerz anderen mitteilen zu kön­ nen von den Beobachtern Feedback bezüglich ihres Verhaltens erbitten. Hatten die Be­
nen, sollte man den Klienten gewissermaßen für einen stillen Vertrag gewinnen - Sie obachter zum Beispiel den Eindruck, sie seien zu aufdringlich gewesen oder sie hätten
können mit ihm sogar einen Vertrag darüber schließen, dass er sich für nur zwei oder auf einen bestimmten Klienten zu viel Druck ausgeübt? Was für einen Eindruck hatten
drei Minuten mitteilt - und dann sollten Sie dafür sorgen, dass der betreffende Klient die Beobachter von der Beziehung zwischen den beiden Gruppenleitern?
diese Zeit in der Gruppe auch bekommt. Mit solchen Verträgen kann man das über­ Im letzten Abschnitt des Rückblicks werden auch die Gruppenmitglieder zur Dis­
nehmen von Verantwortung steigern, indem man den Klienten auffordert, ein oder kussion zugelassen. Im allgemeinen geht es dann sehr lebhaft zu, da die Diskussion
zwei Mitglieder zu nennen, die ihn zur Rede stellen, wenn er bis zu einem bestimmten zwischen Therapeuten und Beobachtern viele Anstöße gegeben hat. Die letzten paar
Zeitpunkt in der Sitzung den Vertrag nicht erfüllt hat. Diese Art von »schulmeisterhaf­ Minuten können sich in zwei Richtungen entwickeln. Erstens können die Klienten auf
ter Gruppenleitung« geht angehenden Therapeuten möglicherweise völlig gegen den die Diskussion zwischen Therapeuten und Beobachtern reagieren; sie können zum
Strich und erscheint ihnen als ungeschickt; sie macht die Arbeit mit Gruppen stationär Beispiel die Offenheit oder das Fehlen der Offenheit der Therapeuten und Beobachter
behandelter Patienten jedoch effektiver. kommentieren. Sie reagieren vielleicht darauf, dass der Therapeut Zweifel oder Fehl­
barkeit eingesteht. Das, was über ihr Erleben in der Gruppe gesagt worden ist, können
Der Rückblick am Ende der Sitzung: Die Endphase der Gruppensitzung signalisiert eine sie bestätigen oder in Zweifel ziehen.

550 551
Eine andere Möglichkeit ist die, dass die Klienten ihre eigene Sitzung diskutieren infarkt bei bis zu fünfzig Prozent männlicher Patienten auftritt und das Risiko eines
und bewerten. Der Therapeut kann eine Diskussion leiten, in der er Fragen stellt wie: weiteren Herzinfarkts stark erhöht. 29 Außerdem verstärken Angst und Depression,
»Wie hat Ihnen die heutige Sitzung gefallen?« - »Haben Sie bekommen, was Sie sich wenn sie in Verbindung mit schweren körperlichen Krankheiten auftreten, häufig die
erwartet hatten?« - »Was hat Sie am meisten enttäuscht?« - »Wenn wir noch eine hal­ Neigung zu gesundheitsgefährdendem Verhalten wie Alkoholmissbrauch und Rauchen
be Stunde zur Verfügung hätten, wie würden Sie diese Zeit verwenden?« Die letzten und verringern die Bereitschaft zu gesundheitsfördernden Verhaltensweisen wie Diät,
paar Minuten sind auch die Zeit für den Therapeuten, in der er zu den schweigenden Körpertraining, Medikamenteneinnahme und Stressreduktion.30
Mitgliedern Kontakt aufnimmt und sie nach ihrem Erleben fragt: » Haben Sie einmal Paradoxerweise ist durch neueste Fortschritte der medizinischen Technologie und
in der Gruppe sprechen wollen?« - »Was hat Sie davon abgehalten?« - »Wären Sie gern Behandlungstechnik eine neue Ursache für psychischen Stress entstanden. Man
angesprochen worden, oder waren Sie dankbar, dass Sie nicht mitmachen mussten?« bedenke, wie viele früher tödliche Krankheiten heute zu chronischen Krankheiten
- »Wenn Sie etwas gesagt hätten, was wäre es gewesen?« (Diese letzte Frage wirkt oft geworden sind: Beispielsweise haben erstaunliche vier Prozent der amerikanischen Be­
wunderbar förderlich.) völkerung eine Krebserkrankung überlebt - was mit einem völlig neuartigen inhärenten
Die Endphase der Sitzung hat somit viele Funktionen: Rückblick, Bewertung, Ver­ Stress einhergeht.3 1 Man denke auch an die neuesten Errungenschaften im Bereich der
knüpfen übrig gebliebener Teile, Hinweise auf zukünftige Richtungen. Doch sie ist Prävention. Genetische Tests spielen in der medizinischen Praxis mittlerweile eine
ebenfalls eine Zeit der Besinnung und Entstimulierung, bevor die Mitglieder die Grup­ wichtige Rolle: Ärzte können heute feststellen, wie groß bei bestimmten Klienten die
pensitzung verlassen. Gefahr einer Erkrankung an Morbus Huntington oder an Brust-, Eierstock und Dick­
In einer Studie, die sich mit den Reaktionen von Klienten auf diese Methode be­ darmkrebs ist.32 Zwar ist diese Entwicklung zweifellos positiv einzuschätzen, doch zah­
schäftigte, ergab sich eine starke übereinstimmung unter den Klienten darüber, dass len wir für derartige neue technologische Möglichkeiten auch einen gewissen Preis.
die Endphase der Gruppe ein integraler Bestandteil der Gruppensitzung sei.25 Als Eine große Zahl von Menschen sieht sich heute vor die schmerzliche Notwendigkeit
Klienten gefragt wurden, welchen Prozentsatz des Gesamtertrages der Gruppe dieser gestellt, folgenschwere und Ängste weckende Entscheidungen zu treffen. Erfährt bei­
letzte Abschnitt ausmache, maßen sie ihm einen Wert bei, der die tatsächlich verwen­ spielsweise jemand, dass bei ihm eine genetische Prädisposition für eine schwere
dete Zeit weit übertraf. Manche Klienten schrieben zum Beispiel den letzten zwanzig Krankheit vorliegt, so sieht diese Person sich gezwungen, sich damit auseinanderzuset­
Minuten der Sitzung einen Wert von 75 Prozent des geistigen Ertrages der ganzen zen, ob sie eine prophylaktische Brustamputation (oder eine andere präventive chirur­
Gruppe zu. gische Operation) durchführen lassen sollte. Ist es in Ordnung, wenn sie heiraten und
Kinder bekommen will? Teilt sie die Informationen, die sie erhalten hat, Geschwistern
G ru ppen fü r K l i e nten m it physischen K ra nk heiten mit, die eigentlich lieber nichts darüber wissen wollen?
Man vergesse auch nicht das psychische Stigma, das mit vielen körperlichen Krank­
Psychosoziale Interventionen in Gruppen spielen eine immer wichtigere Rolle in einer heiten - beispielsweise mit HIV-Infektion bzw. Aids, Reizdarm und Parkinson - ver­
umfassenden medizinischen Versorgung, und sie werden in Zukunft wahrscheinlich bunden ist. In einer Situation, in der Menschen dringend soziale Unterstützung brau­
noch stärker genutzt werden, da sie äußerst wirksam sind und die Krankheitskosten chen, können die Scham darüber, unter einer bestimmten Krankheit zu leiden, und das
deutlich verringern können.26 Berichte über ihre Anwendung und Wirksamkeit bei vie­ Gefühl, ihretwegen stigmatisiert zu werden, zum sozialen Rückzug des Kranken und
len verschiedenen Krankheiten werden in der Fachliteratur immer häufiger. Gruppen­ zu stresserzeugender Isolation führen.
therapeutische Interventionen wurden schon bei vielen verbreiteten körperlichen Außerdem fürchten sich schwerkranke Menschen und ihre Familien, irgendetwas
Krankheiten angewandt, beispielsweise bei Herzkrankheiten, Fettleibigkeit, Lupus, Un­ zu sagen, das die Sorgen oder Ängste der ihnen Nahestehenden noch verstärken könn­
fruchtbarkeit, Reizdarm, chronisch entzündlicher Darmerkrankung, Schwangerschaft, te. Der Druck, »positiv zu denken«, fordert zur Oberflächlichkeit in der Kommunika­
nachgeburtlicher Depression, Transplantationen, Arthritis, chronisch obstruktiver tion auf, was wiederum das Gefühl der Isolation verstärkt.33
Lungenerkrankung, Hirnverletzungen, Parkinson, multipler Sklerose, Diabetes, HIV / Wir sind uns heute in stärkerem Maße als jemals vorher der psychischen Bedeutung
Aids und Krebs.27 der Kommunikation zwischen Patient und Arzt im Falle chronischer körperlicher
Eine psychologische Behandlung kann im Falle einer physischen Krankheit aus vie­ Krankheiten bewusst. Zusammenarbeit und vertrauensvolle Kommunikation zwi­
len Gründen angezeigt sein. Der erste Grund ist die wohlbekannte Verbindung zwi­ schen Patient und Arzt verbessern im Allgemeinen das Allgemeinbefinden und die
schen psychischen Belastungen und körperlichen Erkrankungen: Depression, Angst Entscheidungsfähigkeit.34 Doch fühlen sich viele Patienten, die mit ihrer Beziehung zu
und Stress sind häufig Folgen schwerer körperlicher Krankheiten, und sie beeinträch­ ihrem Arzt unzufrieden sind, nicht in der Lage, etwas zur Verbesserung dieser Bezie­
tigen nicht nur die Lebensqualität, sondern verstärken auch die negative Wirkung der hung zu tun.
körperlichen Krankheit.28 Beispielsweise wissen wir, dass Depression nach einem Herz- Körperliche Krankheiten zwingen uns zur Auseinandersetzung mit unserer grund-

552 553
legenden Verletzlichkeit und unseren Grenzen. Illusionen, die uns gestützt und uns solchen Gruppe nicht vorgesehen ist, muss der Therapeut in der Lage sein, sich mit
Trost gespendet haben, werden infrage gestellt. Beispielsweise verlieren wir das Gefühl, den Problemen eines solchen Patienten so zu befassen, dass das Erreichen der für die
dass wir unser Leben unter Kontrolle haben, dass wir besondere Menschen sind und Gruppenarbeit festgelegten Ziele weiterhin möglich bleibt. Grundsätzlich sollten
nicht den Naturgesetzen unterliegen, dass uns Zeit und Energie in unbegrenztem Maße Therapeuten in solchen Situationen versuchen, das Leid des Klienten einzugrenzen
zur Verfügung stehen und dass wir beliebig und jederzeit Entscheidungen treffen kön­ statt es zu verstärken, weil in der Gruppe sonst ein sehr negatives emotionales Klima
nen. Schwere Krankheiten werfen grundlegende Fragen über den Sinn des Lebens, entstehen kann. Nützlich kann beispielsweise eine psychoedukativ orientierte Vorge­
über Tod, Vergänglichkeit, Verantwortung und unseren Platz im Universum auf. 35 hensweise sein, wobei darüber gesprochen wird, dass Ärger und Feindseligkeiten für
Natürlich wirkt eine körperliche Krankheit weit über den Erkrankten selbst hinaus. das Herz ungesund sind, oder es kann über latente Gefühle der Verletztheit, Angst oder
Auch die Mitglieder seiner Familie und seine Betreuer leiden unter starken Belastun­ Traurigkeit gesprochen werden, welche der Ärger überdeckt, und der Betroffene kann
gen und unter Dysphorie. 36 Gruppen spielen bei der Unterstützung solcher Kranker aufgefordert werden, diese primären Emotionen direkter auszudrücken.
häufig eine wichtige Rolle: Beispielsweise hat die Zahl der Gruppen für Menschen, die Obgleich in Gruppen dieser Art das interpersonale Lernen nicht im Vordergrund
Alzheimer-Kranke pflegen, stark zugenommen.37 steht ( die Leiter vermeiden gewöhnlich eine Fokussierung auf das Hier und Jetzt), sind
viele andere therapeutische Faktoren in einer Gruppentherapie mit körperlich Kran­
Allgemeine Charakteristika ken besonders wirksam. Universalität des Leidens spielt ganz bestimmt eine wichtige
In der Regel werden in Gruppen für Menschen mit körperlichen Krankheiten nur Pa­ Rolle und vermag Stigmatisierung und Isolation zu verringern. Kohäsivität ermöglicht
tienten mit einer bestimmten Krankheit zusammengefasst, und sie kommen meist nur direkte soziale Unterstützung: Kontakte der Teilnehmer außerhalb der Gruppensitzun­
über einen begrenzten Zeitraum zusammen, wobei die Zahl der Sitzungen zwischen gen werden häufig gefördert und, wenn sie zustande kommen, als Erfolg angesehen,
vier und 16 liegen kann. Gruppen, die Patienten helfen, mit ihrer Krankheit fertig zu nicht als Widerstand gegen die Gruppe. Mitzuerleben, wie andere mit einer gemein­
werden (coping) und sich an sie anzupassen (adaptation),35• können in jeder Phase der samen Krankheit erfolgreich fertig werden, weckt Hoffnung, die in vielen Formen zum
Krankheit und der medizinischen Behandlung angeboten werden. Ausdruck kommen kann: als Hoffnung auf Heilung, Mut, Würde, Trost, Kamerad­
Wie ich bereits in Kapitel 1 0 erklärt habe, erfordern kurze Gruppen eine klare schaft oder Geistesfrieden. Im Allgemeinen lernen die Klienten in einer Gruppe Bewäl­
Struktur und ein hohes Maß an fokussierter Aktivität des Therapeuten. Doch auch bei tigungsfähigkeiten wirksamer durch das Beispiel anderer Gruppenmitglieder, als sie
kurzen, stark strukturierten und manualgesteuerten Gruppeninterventionen muss der diese durch Experten lernen würden.40 Das übermitteln von Informationen (Psycho­
Leiter die Gruppendynamik und den Gruppenprozess im Blick haben, nicht unbedingt edukation - insbesondere über die Krankheit und auch ganz generell über Aspekte der
um sie zu erforschen, sondern um möglichst effektiv damit umzugehen, sodass die Gesundheitspflege) spielt in diesen Gruppen eine wichtige Rolle, wobei die Informa­
Gruppe sich nicht in eine ungünstige Richtung entwickelt und ihre Arbeit kontra­ tionen nicht nur durch den Gruppenleiter übermittelt werden, sondern auch durch
produktiv wird.39 den Informationsaustausch zwischen den Gruppenm itgliedern und durch die Rat­
Obwohl homogene Gruppen meist schnell zusammenfinden, muss der Gruppen­ schläge, die sie einander geben. Altruismus ist deutlich zu erkennen und trägt aufgrund
leiter sich bemühen, Teilnehmer, die am Rande des Geschehens stehen und die sich ge­ des Gefühls, für andere nützlich zu sein, zum Wohlbefinden bei. Auch die existenziellen
gen die Umgebung der Gruppe zur Wehr setzen, einzubeziehen. Bestimmte Verhaltens­ Faktoren spielen eine wichtige Rolle, da die Gruppe ihre Mitglieder darin unterstützt,
weisen müssen mit Takt und Empathie so umgeformt werden, dass sie sich in den sich mit grundlegenden Ängsten auseinanderzusetzen, die wir vor uns selbst verber­
Gruppenrahmen einfügen. Man stelle sich beispielsweise einen polternd-feindseligen gen, bis wir gezwungen werden, uns mit ihnen auseinanderzusetzen . .71
Mann in einer auf zehn Sitzungen angelegten Gruppe für Infarktpatienten vor, der sich
ärgerlich darüber beklagt, dass er seinen Söhnen gegenüber keine Anteilnahme und Klinische fllustration
Zuneigung empfindet. Da tiefreichende interpersonale Arbeit im Rahmen einer Im Folgenden werde ich Entstehung, Struktur und Nutzen einer spezifischen Thera­
piegruppe für körperlich Kranke beschreiben: einer Gruppe von Frauen mit Brust­
* Wir können die Bewältigung als Mittel und die Anpassung als das Ziel verstehen. Eine möglichst gute
Anpassung verbessert generell die Lebensqualität. Man kann Gruppen für Patienten mit körperlichen
krebs.
Krankheiten entsprechend des grundlegenden Charakters ihrer Bewältigungsbemühungen wie folgt Die klinische Situation. Zum Zeitpunkt der ersten experimentellen Therapiegruppen
kategorisieren: für Patientinnen mit Brustkrebs Mitte der 1970er-Jahre befanden sich Frauen, die an
1 . Emotionsbasierte Bewältigung - soziale Unterstützung, Ausdruck von Emotionen Brustkrebs erkrankt waren, noch in großer Gefahr. Die chirurgischen Operationen
2. Problembasierte Bewältigung - aktive kognitiv-behaviorale Strategien, Psychoedukation, Stressre­
du.ktionsteclmiken führten zu starken Deformationen, und die Chemotherapie war noch nicht sehr ent­
3. Sinnbasierte Bewältigung - Verbesserung des existenziellen Gewahrseins, Neuausrichtung der Pri­ wickelt. Frauen, deren Tumor Metastasen gebildet hatte, hatten kaum Aussicht zu
oritäten, die man im Leben setzt. überleben, sie litten oft unter starken Schmerzen, und sie fühlten sich im Stich gelassen

554 555
und isoliert. Es widerstrebte ihnen, mit ihrer Familie und mit Freunden über ihre Ver­ Um das Gefühl der Gruppenmitglieder, das Geschehen selbst beeinflussen zu kön­
zweiflung zu sprechen, um diese nicht ebenfalls zu belasten. Und von ihren Freunden nen, so weitgehend wie möglich zu stärken, vertraute der Therapeut einen möglichst
und Familienangehörigen wurden sie oft gemieden, weil diese nicht wussten, wie sie großen Anteil der Leitungsaufgaben den Gruppenmitgliedern selbst an. Sie forderten
mit den Kranken sprechen sollten. All dies führte zu einer von beiden Seiten verstärk­ einander auf zu sprechen, ihre Erlebnisse mitzuteilen, die vielen dunklen Gefühle aus­
ten und ständig zunehmenden Isolation. zudrücken, über die sie anderswo nie sprachen. Sie verhielten sich beispielhaft empa­
Die Brustkrebspatientinnen fühlten sich hoffnungslos und machtlos: Oft hatten sie thisch, versuchten, verwirrte Gefühle zu klären, und bemühten sich, alle ihnen verfüg­
das Gefühl, niemand kümmere sich um sie, und sie würden auch von ihren Ärzten im baren Ressourcen zu mobilisieren. Beschrieben beispielsweise Mitglieder ihre Angst
Stich gelassen; doch waren sie auch nicht in der Lage, sich über ihre Situation zu bekla­ vor ihren Ärzten und ihre Unfähigkeit, dem behandelnden Onkologen Fragen zu stel­
gen oder sich anderswo Hilfe zu suchen. Häufig fühlten sie sich zudem schuldig, weil len, dann forderten die Gruppenleiter andere Mitglieder auf, über ihren Umgang mit
die Populärpsychologie jener Zeit die Auffassung verbreitete, sie seien auf irgendeine ihren Ärzten zu berichten. Manchmal schlugen die Leiter auch vor, ein Mitglied solle
Weise selbst für ihre Krankheit verantwortlich. ein Gespräch mit dem Onkologen im Rollenspiel darstellen. Nicht selten bat ein Grup­
Schließlich gab es unter den Ärzten starken Widerstand gegen die Bildung von penmitglied ein anderes, zu einem Arzttermin mitzukommen. Eine der wirksamsten
Gruppen dieser Patientinnen, weil die Ärzte der weitverbreiteten Ansicht waren, offe­ Interventionen, die die Frauen erlernten, war, einem Arzt, der einen Termin so kurz
nes Reden über eine Krebserkrankung und das Zusammentreffen mehrerer Frauen, die wie möglich abzuhandeln versuchte, zu sagen: »Ich weiß, dass Sie in Eile sind, aber
miteinander über ihren Schmerz und ihre Ängste redeten, verschlimmere die Situation wenn Sie mir noch fünf Minuten Ihrer Zeit gäben, würden Sie mir dadurch möglicher­
der Kranken noch: weise einen Monat Geistesfrieden schenken.«
Die Gruppenleiter stellten fest, dass der Ausdruck von Affekt, was er auch beinhal­
Die Ziele der Therapiegruppe. Primär ging es darum, die Isolation der Patientinnen zu ten mochte, ein positives Erlebnis war - die Gruppenmitglieder hatten außerhalb der
verringern. Meine Kollegen und ich hofften, wenn wir mehrere Frauen, die sich mit der Gruppe viel zu wenig Möglichkeiten, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Sie spra­
gleichen Krankheit konfrontiert sahen, zusammenbrächten und sie dazu bewegten, chen über alles miteinander: über all ihre makabren Gedanken, ihre Angst vor dem
miteinander über ihre Erlebnisse und Gefühle zu reden, könnten wir ein Unterstüt­ Tod und vor dem Vergessenwerden, über das Gefühl der Sinnlosigkeit, über das Di­
zungsnetzwerk schaffen, die Krankheit entstigmatisieren und den Gruppenmitgliedern lemma, was sie zu ihren Kindern sagen sollten, und darüber, welche Regelungen sie für
helfen, einander ihre Ressourcen zur Verfügung zu stellen und ihre Bewältigungsstra­ ihre Bestattung festlegen könnten. Durch derartige Gespräche gelang es, einigen dieser
tegien beizubringen. Da viele vormals enge Freunde sich von diesen Patientinnen ab­ beängstigenden Themen ihre vergiftende Wirkung zu nehmen.
gewandt hatten, verpflichteten wir uns zu ständiger Präsenz: dazu, nötigenfalls bis zu Die Therapeuten verhielten sich immer unterstützend, nie konfrontativ. Wurde auf
ihrem Tod den Kontakt zu ihnen aufrechtzuerhalten. das Hier und Jetzt fokussiert, dann nur, wenn es um positive Gefühle zwischen den
Mitgliedern ging. Die Gruppenmitglieder hatten teilweise sehr unterschiedliche Bewäl­
Modifikation der Gruppentherapietechnik. Nachdem wir eine Weile mit Gruppen von tigungsstile. Einige wollten alles über ihre Krankheit wissen, wohingegen andere es
Patienten mit verschiedenen Arten von Krebs und in unterschiedlichen Stadien der vorzogen, nicht zu genau nachzufragen. Die Gruppenleiter stellten nie Verhaltenswei­
Krankheit experimentiert hatten, gelangten wir zu der Oberzeugung, dass eine homo­ sen infrage, die Trost boten, wobei sie strikt darauf achteten, in keinem Fall den Bewäl­
gene Gruppe die beste Unterstützung bot: Wir stellten eine Gruppe von Frauen mit tigungsstil eines Gruppenmitglieds infrage zu stellen, es sei denn, sie sahen die
metastasierendem Brustkrebs zusammen, die wöchentlich zu 90 Minuten langen Möglichkeit, die betreffende Frau auf eine wesentlich bessere Möglichkeit des Um­
Sitzungen zusammenkam. Es handelte sich um eine offene Gruppe, in die immer wie­ gangs mit ihren Problemen hinzuweisen. Einige Gruppenmitglieder entwickelten Ri­
der neue Frauen aufgenommen wurden, denen völlig klar war, dass die Vorgänge­ tuale zur Stärkung der Kohäsionskraft, beispielsweise eine mehrere Minuten dauernde
rinnen, deren Platz sie einnahmen, an der Krankheit gestorben waren. schweigende Meditation, in deren Verlauf sich alle an den Händen festhielten.
Unterstützung war das wichtigste Prinzip der Arbeit. Wir wollten, dass jedes Grup­ Die Gruppenmitglieder wurden ausdrücklich dazu ermutigt, zwischen den Grup­
penmitglied »Präsenz« erlebte - das Wissen darum, dass andere sich in der gleichen pensitzungen zueinander in Kontakt zu treten, indem sie einander anriefen, gemein­
Situation wie sie selbst befanden. Ein Gruppenmitglied formulierte dies wie folgt: »Ich sam aßen und dergleichen mehr. Sogar gelegentliche Telefonwachen bei Selbstmord­
weiß, dass ich in meinem kleinen Boot völlig allein bin, aber wenn ich schaue und die gefahr waren ein Bestandteil des laufenden Gruppengeschehens. Einige Mitglieder
Lichter in all den anderen Booten im Hafen sehe, fühle ich mich nicht mehr so hielten bei Bestattungen ehemaliger Mitglieder Reden und erfüllten auf diese Weise ihr
allein.« Versprechen, einander nie zu verlassen.
Viele Mitglieder hatten Panik und Verzweiflung überwunden und erlebt, dass aus
* Eine ausführliche Beschreibung der ersten Gruppe für Krebspatientinnen enthält mein Buch Die Reise der Konfrontation mit dem Tode etwas Positives hervorgegangen war. Einige sprachen
mit Paula.

556 557
vom Eintritt in ein goldenes Zeitalter, in dem sie das Leben in stärkerem Maße würdig­ Fähigkeit der Patientinnen, mit der Situation fertig zu werden. Die unbewiesene An­
ten und zu schätzen wussten. Einige veränderten die Prioritäten in ihrem Leben und nahme vieler Ärzte, Reden über den Tod und über das Sterben verschlimmere die Si­
hörten auf, Dinge zu tun, die sie nicht tun wollten. Stattdessen wandten sie ihre Auf­ tuation der Frauen oder bringe sie dazu, sich aus der Gruppe zurückzuziehen, wurde
merksamkeit dem zu, was ihnen am wichtigsten waren: dem liebevollen Austausch mit ebenfalls widerlegt.45 Können Gruppen für Krebspatientinnen die Überlebenszeit ver­
ihrer Familie, der Schönheit des Jahreszeitenwechsels, der Entdeckung eigener kreati­ längern?46 Die erste kontrollierte Studie über Gruppen für Frauen mit metastasie­
ver Möglichkeiten. Eine Patientin bemerkte sehr weise: »Krebs kuriert Psychoneuro­ rendem Brustkrebs berichtet über eine längere Überlebenszeit, doch verschiedene an­
sen.« Die unbedeutenden Dinge, die sie vorher gequält hatten, spielten für sie keine dere Untersuchungen haben dieses Ergebnis nicht bestätigt. Alle zu dieser Thematik
Rolle mehr. Mehr als eine Patientin sagte, sie sei weiser geworden, doch sei es schade, vorliegenden Studien weisen ciuf signifikante psychologische Resultate einer solchen
dass sie erst zu leben gelernt habe, nachdem ihr Körper vom Krebs schon völlig zerfres­ Gruppenarbeit hin: Zwar wirkt die Gruppenintervention höchstwahrscheinlich nicht
sen worden war. Sie wünschte sich von Herzen, dass ihre Kinder diese Lektionen lern­ lebensverlängernd, doch kann kaum Zweifel daran bestehen, dass sie das Leben ver­
ten, solange sie noch gesund waren. Aufgrund dieser Einstellung erklärten sich die ändern kann.47
Frauen damit einverstanden, dass Studenten das Gruppengeschehen beobachteten.
Nachdem sie durch ihre Begegnung mit dem Tod etwas Wichtiges gelernt hatten,
Ada ptation von KVT u nd I PT a n d ie G ru ppenthera pie
konnten sie dem letzten Teil ihres Lebens einen neuartigen Sinn geben, indem sie ihre
Weisheit an andere - die Studenten und ihre Kinder - weitergaben. Es kann von großem Wert sein, in einer Gruppentherapie einen pluralistischen Ansatz
Eine solche Gruppe zu leiten ist emotional bewegend und sehr anstrengend. Co­ zu nutzen - in den eigenen Ansatz nützliche Aspekte anderer therapeutischer Ansätze
Therapie und Supervision seien dringend empfohlen. Die Gruppenleiter können nicht einzubeziehen. In diesem Abschnitt beschäftige ich mich mit zwei aktuellen Modellen
distanziert und objektiv bleiben: Die Themen, um die es geht, berühren die Leiter gruppentherapeutischer Arbeit, die in starkem Maße benutzt werden. Dabei geht es
ebenso wie die Gruppenmitglieder. Bei der Auseinandersetzung mit dem menschli­ mir darum, Methoden zu finden, die alle Therapeuten effektiv in ihre Arbeit einbezie­
chen Los gibt es kein »wir und sie«. Wir alle sind Reisegefährten oder Leidensgefährten, hen können (eine weitaus konstruktivere Haltung, als ein Konkurrenzverhältnis auf­
die sich mit den gleichen existenziellen Gefahren konfrontiert sehen.41 zubauen, das unsere therapeutische Vision einschränkt).
' Dieser spezifische Ansatz der Gruppenarbeit, der mittlerweile als unterstützend-ex­ Die kognitiv-behaviorale Therapie (KBT, auch kognitive Verhaltenstherapie - KVT)
pressive Gruppentherapie (supportive-expressive group therapy - SEGT) bezeichnet und die Interpersonale Therapie (IPT) wurden beide ursprünglich für die Anwendung
wird, wurde in verschiedenen Publikationen42 beschrieben, und zahlreiche Psycho­ in Einzeltherapien entwickelt, beschrieben und empirisch getestet,48 doch werden sie
onkologen haben gelernt, ihn anzuwenden.43 Er ist auch bei anderen, ähnlichen Pro­ heute auch im Rahmen kurzzeittherapeutischer Gruppeninterventionen genutzt. Zwei­
blemen eingesetzt worden: bei Frauen mit primärem Brustkrebs, einer Krankheit, bei fellos werden den Lesern viele Konzepte, die auf den folgenden Seiten erläutert werden,
der für die meisten Betroffenen gute Heilungschancen bestehen; sowie für Frauen mit vertraut erscheinen, auch wenn sie in einer anderen Terminologie als der ihnen be­
einer starken genetischen oder familiären Prädisposition zur Entwicklung von Brust­ kannten beschrieben werden. .7l
krebs. Berichte beschreiben effektive homogene Gruppen, die zu insgesamt zwölf wö­ Man sollte sich von Etiketten nicht irreführen lassen. In einer kürzlich veröffent­
chentlich stattfindenden Sitzungen zusammenkommen. Von diesen können die letzten lichten Studie, in der die vorliegende Literatur über Gruppentherapie für Frauen mit
vier als Auffrischungssitzungen benutzt werden, wobei die Treffen vier Monate lang Brustkrebs untersucht wurde, wird konstatiert, dass viele als kognitiv-behavioral be­
nur noch monatlich stattfinden, wodurch die Gesamtdauer der Gruppenarbeit auf zeichnete Gruppen in Wahrheit integrative Modelle seien, welche Elemente vieler ver­
sechs Monate verlängert wird. Der wichtigste Fokus dieser Gruppen ist nicht so sehr schiedener therapeutischer Ansätze miteinander verbänden.49 Diese wichtige Entdeck­
der eigene Tod, sondern das Fertigwerden mit den Unsicherheiten des Lebens, die Fra­ ung ist keineswegs eine Ausnahme; vielmehr ist es oft so, dass wirksame und gut durch­
ge der prophylaktischen Brustamputation und die zerstörten Illusionen der Unverletz­ geführte Therapien, die angeblich von unterschiedlichen theoretischen Modellen aus­
barkeit sind die zentralen Themen. Auch Trauer und Verlustempfindungen von Men­ gehen, mehr miteinander gemeinsam haben als auf ein und demselben theoretischen
schen, deren Mütter oder andere Familienmitglieder an Brustkrebs gestorben sind, Modell basierende gute und schlechte Therapien. Eine der wichtigsten Schlussfolge­
sind von besonderer Bedeutung.44 rungen aus der Encountergruppenstudie, über die in Kapitel 16 berichtet wird, war ge­
nau dies: Das Verhalten effektiv arbeitender T herapeuten unterschiedlicher Provenienz
Effektivität. Ergebnisuntersuchungen, die im Laufe der letzten fünfzehn Jahre durch­ wies wesentlich mehr Ähnlichkeiten auf, als diese Therapeuten anderen, weniger effektiv
geführt wurden, haben die Wirksamkeit dieser Gruppen eindeutig bestätigt. SEGT für arbeitenden Kollegen ihrer eigenen theoretischen Schule ähnelten. 50
Frauen mit Brustkrebsrisiko, mit primärem Brustkrebs und mit metastasierendem
Brustkrebs verringert erwiesenermaßen den Schmerz und verbessert die psychische

558 559
Kognitiv-behaviorale Gruppentherapie Welche Arten von zentralen Überzeugungen werden auf diese Weise enthüllt? Zent­
rale Überzeugungen lassen sich grundsätzlich in zwei Hauptkategorien unterteilen:
Kognitiv-behaviorale Therapie für Gruppen (auch KBT-G genannt) ist aus dem Be­ Die eine betrifft Beziehungen, die andere die Kompetenz. »Bin ich es wert, geliebt zu
mühen um ein höheres Maß an klinischer Effizienz entstanden. Kognitiv-behavioral werden? und: »Kann ich erreichen, was ich brauche, um meinen Wert zu bestätigen?«
orientierte Therapeuten benutzten die Gruppensitzung, um einer großen Zahl von Interpersonal orientierte Therapeuten vertreten die Auffassung, beide Arten von zent­
Klienten gleichzeitig eine individuelle kognitiv-behaviorale Therapie zugute kommen ralen Überzeugungen seien in ihrem Wesen stark interpersonal.54 Nachdem die dys­
zu lassen. Dies ist ein wichtiger und grundlegender Unterschied. KBT- Therapeuten funktionalen zentralen Oberzeugungen (beispielsweise »Ich bin absolut nicht liebens­
nutzten die Gruppenstruktur, um die Effizienz der KBT für Einzelklienten zu erhöhen, wert«) identifiziert worden sind, müssen sie in adaptivere und stärker selbstbestätigen­
nicht, um die einzigartigen Vorteile der Gruppensituation zu nutzen, aufdie ich im Laufe de Überzeugungen umgewandelt werden. Gruppen-KBT ist bei vielen Arten von klini­
dieses Buches immer wieder hingewiesen habe. Zunächst hatten die KBT-Therapeuten schen Störungen erfolgreich eingesetzt worden: bei akuter Depression, 55 chronischer
eine sehr enge Zielsetzung: Sie wollten die Klienten mit Psychoedukation und kogni­ Depression,56 chronischer Dysthymie,57 für die Rückfallsprävention bei Depressiven,58
tivem und behavioralem Skill-Training behandeln. Wie schätzten sie die Wirkung von bei Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS),59 bei Essstörungen, 60 Schlaflosig­
Peer-Unterstützung, Universalität des Leidens, Imitationsverhalten, Altruismus, Ent­ keit,6 1 Somatisieren und Hypochondrie,62 Misshandlung des Ehepartners,63 Panikstö­
stigmatisierung, Vermittlung sozialer Fertigkeiten und interpersonalen Lernens ein? rung,64 Zwangsstörungen,65 generalisierter Angststörung,66 Sozialphobie,67 Ärger-Ma­
All dies hielten sie für bloße Randerscheinungen. Wie verstanden sie die Präsenz des nagement,68 Schizophrenie (sowohl bezüglich der Behandlung negativer Symptome
Gruppenprozesses, die Kohäsivität oder die Phasen der Gruppenentwicklung? Diese wie Apathie und Rückzug als auch bei positiven Symptomen wie Halluzinationen)69
Dinge verstanden sie als »Geräusche im System«, die häufig die kognitiv-behaviorale sowie anderer Probleme einschließlich körperlicher Krankheiten.
Arbeit behinderten: Einige Therapeuten gingen sogar so weit, sich besorgt darüber zu Deutliche und dauerhafte Erfolge sind in allen genannten Anwendungsbereichen
äußern, dass die Form der Gruppe die kognitiv-behaviorale Therapie verwässern festgestellt worden. Gruppen-KBT hat sich in Studien als nicht weniger wirksam als
könne.5 t Einzel-KBT erwiesen, und die Zahl der vorzeitigen Therapieabbrüche lag bei der An­
Mittlerweile ist eine zweite Generation von KBT-Anwendungen für Gruppen ent­ wendung dieser Methode im Gruppenrahmen nicht höher als bei ihrer Anwendung in
standen, innerhalb derer die Therapeuten wichtige Elemente des Gruppenlebens an­ der Einzeltherapie. Allerdings wurde bei expositionsbasierten Gruppenbehandlungen
erkennen und produktiv nutzen.52 Heute werden die Aufgabe der Gruppe und die Be­ von PTBS-Fällen eine höher_e Therapieabbruchszahl festgestellt. Die erneute Konfron­
ziehungen der Gruppenmitglieder zueinander innerhalb der Gruppe nicht mehr als tation mit traumatischen Erinnerungen setzt den Gruppenmitgliedern häufig so stark
konträr wirkend angesehen. zu, dass eine Kurzzeitbehandlung in diesem Rahmen als nicht ratsam erscheint und
Nach dem KBT-Ansatz entsteht psychisches Leiden durch eine Beeinträchtigung die Desensibilisierung über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden muss.70
der Informationsverarbeitung und durch die Störung von Mustern sozialer Verhaltens­ Die Anwendung von KBT in Gruppen hängt von den speziellen Bedürfnissen der
verstärkung.53 Obwohl bekannt war, dass Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen in Klienten in den verschiedenen Spezialgruppen ab; allerdings sind allen bestimmte
einer Wechselbeziehung zueinander stehen, hielt der KBT-Ansatz die Gedanken für wohlbekannte Merkmale gemeinsam.71 Gruppen-KBT ist homogen, zeitlich begrenzt
den zentralen Faktor des gesamten Prozesses. Die Gedanken eines Menschen, die sich und relativ kurz - sie umfasst im Allgemeinen acht bis zwölf Sitzungen von zwei- bis
häufig automatisch manifestieren und die unter dem Radar des eigenen Gewahrseins dreistündiger Dauer. 72 Gruppen-KBT stellt Struktur, Fokus und den Erwerb kognitiver
fliegen, rufen häufig Veränderungen der Stimmung und des Verhaltens hervor. KBT­ und verhaltensbezogener Fertigkeiten in den Vordergrund. Die Therapeuten weisen
Therapeuten versuchen, diese Gedanken durch Untersuchung, sokratisches Fragen von vornherein darauf hin, dass jedes Gruppenmitglied für Fortschritte in der eigenen
und die an den Klienten gerichtete Aufforderung zur Selbsterforschung und Selbst­ Therapie selbst verantwortlich ist, und sie geben den Teilnehmern für die Zeit zwi­
beobachtung zu erschließen und zu erhellen. schen den Gruppensitzungen Hausaufgaben, die den individuellen Bedürfnissen der
Sind die automatischen Gedanken, welche Verhalten, Stimmungslage und Selbstge­ einzelnen Klienten angepasst sind. Beispielsweise wird einem Klienten aufgetragen,
fühl eines Klienten formen, identifiziert worden, beginnt der Therapeut mit der Erfor­ Tagebuch über seine automatischen Gedanken zu führen sowie darüber, in welcher
schung seiner konditionalen Überzeugungen - »Wenn dies geschieht, wird jenes fol­ Verbindung diese Gedanken zu seinen aktuellen Stimmungen stehen; es kann sich aber
gen«. Diese Überzeugungen werden anschließend in Hypothesen umgewandelt, die auch um Verhaltensaufgaben handeln, mit deren Hilfe dem Vermeiden entgegen­
der Klient systematisch überprüft, indem er sich um echte Beweise bemüht, welche die gewirkt werden soll.
Oberzeugungen entweder widerlegen oder bestätigen. Durch diese Prüfung werden die Die Auseinandersetzung mit den Hausaufgaben ist ein zentraler Bestandteil jeder
zentralen Oberzeugungen des Klienten identifiziert, die das Zentrum der Selbstsicht Gruppensitzung und einer der wichtigsten Unterschiede zwischen Gruppen-KBT und
des Betreffenden bilden. interaktionsorientierter Gruppentherapie: Statt der für interaktionsorientierte Grup-

560 561
pen typischen »heißen Verarbeitung« bevorzugt die KBT eine »kalte Verarbeitung« der • zu lernen, sich zu entspannen. Verringern der emotionalen Anspannung durch pro­
Funktionsweise des Klienten in der häuslichen Umgebung.73 Die Gruppe konzentriert gressive Muskelentspannung, geführte Imagination, Atemübungen und Meditation.
sich also darauf, wie die Klienten ihr häusliches Verhalten beschreiben, nicht auf ihre Im Allgemeinen werden ein bis zwei Sitzungen auf die Vermittlung solcher Tech­
Funktionsweise in der Interaktion im Hier und Jetzt. niken verwendet.
Die Messung des Belastungsniveaus des Klienten und seiner Fortschritte mithilfe • eine Gefahrenabschätzung durchzuführen. Identifizieren der Ursachen des Bedro­
von Selbstberichtsfragebögen findet laufend statt und liefert regelmäßig Feedback, das hungsgefühls und der Ressourcen, die dem Klienten zur Verfügung stehen, um die­
den eingeschlagenen therapeutischen Kurs entweder bestätigt oder die Notwendigkeit sen Gefahren standzuhalten. Zu diesem Zweck kann man beispielsweise die Über­
signalisiert, die therapeutische Arbeit neu auszurichten. zeugung des Klienten untersuchen, dass sein Panikanfall in Wahrheit ein Herz­
Wenn ein Gruppentherapeut mit KBT arbeitet, nutzt er eine Anzahl von Strategien infarkt ist, und ihn daran erinnern, dass er sich durch tiefes Atmen selbst wirksam
und Techniken in verschiedenen Kombinationen, welche die Klienten anwenden und beruhigen kann.
über die sie anschließend in der Gruppe sprechen.74 Diese Interventionen zerlegen die • Wissen durch Psychoedukation zu erwerben. Dazu kann beispielsweise eine Informa-
Schwierigkeiten der Klienten in leichter zu bearbeitende Teileinheiten. Sie wenden sich tion über die physiologischen Grundlagen von Angst zählen.
gegen die Tendenz, übertrieben zu verallgemeinern, Dinge übertrieben groß darzustel­
len und sie zu verzerren. Beispielsweise werden die Klienten aufgefordert, Die Behandlung einer Sozialphobie mit Gruppen-KBT veranschaulicht diese Arbeits­
weise sehr repräsentativ.75 Jede Gruppe besteht aus fünf bis sieben Mitgliedern, die zu
• automatische Gedanken zu notieren. Offenzulegen, was verborgen ist; Gedanken mit zwölf Sitzungen von jeweils zweieinhalb Stunden Dauer zusammentreffen. Manchmal
Stimmungen und Verhaltensweisen in Verbindung zu bringen. Beispielsweise: »Ich kann zusätzlich eine Einzelsitzung vor Gruppenbeginn oder nach Abschluss der Grup­
werde nie jemandem begegnen können, der mich für attraktiv hält. « penarbeit durchgeführt werden. Jede Sitzung besteht aus einer sich wiederholenden
• automatische Gedanken zu hinterfragen. Hinterfragen negativer Überzeugungen; Anfangsprozedur, einer Arbeitsphase in der Mitte und einem Überblick über das Ge­
Identifizieren von Verzerrungen des Denkens; Untersuchen der tieferen persön­ schehene am Ende der Sitzung.
lichen Annahmen, die den automatischen Gedanken zugrunde liegen. Beispielswei­ In den ersten beiden Sitzungen geht es um die automatischen Gedanken der Klien­
se: »Wie kann ich andere Menschen kennenlernen, wenn ich ständig Einladungen ten im Hinblick auf Situationen, die bei ihnen Angst erzeugen, beispielsweise: »Wenn
ausschlage, nach der Arbeit irgendwo etwas trinken zu gehen? « ich meine Auffassung vertrete, werde ich mich ganz sicher zum Narren machen, und
• Stimmungen zu beobachten. Erforschen der Beziehung zwischen Stimmungen sowie ich könnte ausgelacht werden.« Es werden spezielle Fertigkeiten vermittelt, die es den
Gedanken und Verhaltensweisen; Beispiel: »Ich glaube, dass ich mich schlecht fühle, Klienten ermöglichen, diese automatischen Gedanken und logischen Irrtümer zu hin­
weil mich heute niemand zum gemeinsamen Lunch eingeladen hat. « terfragen. Beispielsweise: »Sie gehen vom schlimmstmöglichen Resultat aus, doch
• eine Hierarchie der Erregungszustände zu entwickeln. Eine Rangfolge angsterzeu­ wenn Sie Ihre Sorgen hier zur Sprache bringen, haben andere Gruppenmitgliedern Sie
gender Situationen, mit denen man sich dann nach und nach auseinandersetzen wiederholt darauf hingewiesen, dass Sie sich klar und deutlich ausdrücken.« Alter­
kann, anfangend mit den leichtesten bis hin zu den schwierigsten. Beispielsweise native Arten, die Situation zu verstehen, werden gefördert.
würde ein Klient, der unter Agoraphobie leidet, die Orte, die bei ihm Ängste we­ Im mittleren Teil der Sitzungen wird an den Zielen der einzelnen Gruppenmitglie­
cken, von den am wenigsten bis zu den am meisten Angst erzeugenden ordnen. Bei­ der gearbeitet; dies geschieht mithilfe von spezifischen Hausaufgaben, Rollenspielen in
spielsweise könnte der sonntägliche Kirchgang mit dem Ehepartner zu den am we­ der Gruppe und Konfrontation mit der Ursache der Angst. In den letzten Sitzungen
nigsten Angst erzeugenden Situationen zählen, und abendliches Einkaufen ohne wird das Erreichte gefestigt, und es wird darüber gesprochen, welche Situationen in
Begleitung in einem großen Einkaufszentrum könnte die stärkste Angst erzeugen. Zukunft einen Rückfall auslösen könnten. Die gesamte Sequenz besteht also im Iden­
Letztendlich desensibilisiert die abgestufte Exposition den Klienten und löscht seine tifizieren dysfunktionaler Gedanken, im Hinterfragen dieser Gedanken, in ihrer
Angst- und Vermeidungsreaktionen. Neustrukturierung und in der Modifikation des Verhaltens.
• die Aktivität zu beobachten. Feststellen, worauf Zeit und Energie verwendet werden.
Beispielsweise beobachten, wie viel Zeit man tatsächlich auf Grübeleien über die Interpersonale Therapie für Gruppen
berufliche Kompetenz verwendet und wie dies den Abschluss wichtiger Aufgaben Die individuelle Interpersonale Therapie (IPT), die Klerman und Kollegen als Erste
behindert. beschrieben haben,76 ist kürzlich für die Arbeit mit Gruppen adaptiert worden. So wie
• Probleme zu lösen. Lösungen zu Alltagsproblemen finden. Der Therapeut bekämpft die KBT psychische Dysfunktion als ein Problem der Informationsverarbeitung und
den Glauben des Klienten an seine eigene Unfähigkeit, indem er das Problem in der Verhaltensverstärkung versteht, basiert nach dem Konzept der IPT psychische Dys­
zweckdienliche und besser zu bewältigende Komponenten aufteilt. funktion auf den interpersonalen Beziehungen eines Menschen. Wenn die soziale

562 563
Funktionsfähigkeit des Klienten und seine interpersonale Kompetenz sich bessern, Psychoedukation, interpersonales Problemlösen, Ratschläge und Feedback erhält jeder
geht seine Störung - beispielsweise Depression oder Heißhungerattacken - zurück. Klient sowohl von den anderen Gruppenmitgliedern als auch vom Therapeuten. Die
Dies wird erreicht, ohne dass an der eigentlichen Störung in anderer Form gearbeitet ideale Haltung des Therapeuten ist eine des aktiven Interesses, der Unterstützung und
wird als mithilfe von Psychoedukation über ihr Wesen, ihren Verlauf und ihre Wir­ der Ermutigung. Übertragungsprobleme werden nicht erforscht, sondern mit dem ge­
kung . .71 ringstmöglichen Aufwand bewältigt. Die Klienten werden aufgefordert, ihre Kommu­
IPT für Gruppen (die manchmal als IPT-G bezeichnet wird) stellt den Erwerb in­ nikationsmuster mit Personen aus ihrem Lebensumfeld zu klären, sich jedoch nicht
terpersonaler Fertigkeiten und von Strategien für den Umgang mit sozialen und inter­ aktiv um die Auflösung von Spannungen in ihrem Verhältnis zu anderen Gruppen­
personalen Problemen in den Vordergrund.77 Die Anwendung von IPT in Gruppen mitgliedern zu bemühen.
ergibt sich nicht nur aus dem Bemühen um effizientere Behandlungen, sondern auch Welche Unterschiede bestehen zwischen Gruppen-IPT und dem in diesem Buch
aus der Erkenntnis der therapeutischen Möglichkeiten, welche Gruppenmitglieder beschriebenen interaktionsorientierten interpersonalen Modell? Im Dienste einer kür­
einander bei der Auseinandersetzung mit ihrer interpersonalen Dysfunktion eröffnen zeren Therapie und begrenzterer Ziele misst die Gruppen-IPT sowohl dem Hier und
können. Die erste IPT-Gruppenanwendung wurde für Klienten entwickelt, die unter Jetzt als auch der Funktion der Gruppe als sozialem Mikrokosmos in der Regel weniger
Heißhungerattacken litten; doch existieren auch Anwendungsmöglichkeiten bei De­ Bedeutung bei. Diese Modifikationen verringern die interpersonalen Spannungen und
pression, Sozialphobie und Traumata.78 Die Methode wurde sowohl als alleinige Be­ die Gefahr explosiver Meinungsverschiedenheiten. (Derartige Konflikte mögen weit­
handlungsmodalität als auch in Verbindung mit einer medikamentösen Behandlung reichende Veränderungen fördern, doch den Verlauf einer Kurzzeittherapie behindern
- gleichzeitig oder nacheinander - eingesetzt.79 Ihre Möglichkeiten sind auch in einer sie.) Trotzdem wird die Gruppe aufgrund ihrer unterstützenden Wirkung und ihrer
anderen Kultur (Uganda) demonstriert worden, und man kann sie Menschen beibrin­ Vorbildfunktion zu einem wichtigen sozialen Netzwerk. In sorgsam ausgewählten
gen, die kaum psychologische oder psychotherapeutische Vorkenntnisse haben.80 Fällen kann die Interaktion der Gruppe im Hier und Jetzt für den Fokus und die Ziele
IPT für Gruppen orientiert sich an der !PT-Arbeit mit Einzelklienten. Eine positive, eines Klienten benutzt und mit diesen verbunden werden.
transparente und kollaborative Beziehung zwischen Klient und Therapeut wird nach­
drücklich gefördert. Die konkreten interpersonalen Probleme jedes einzelnen Klienten
Sei bsth i lfegru ppen u n d I nternet-U nterstützu ngsgru ppen
werden vor Beginn der Gruppenarbeit in Form einer intensiven Beurteilung von Be­
ziehungsmustern festgestellt und einer oder zwei von vier Hauptkategorien zugeord­ Ein zeitgemäßer Überblick über spezialisierte Gruppenformen wäre unvollständig,
net: Trauer, Rollenkonflikte, interpersonale Konflikte und soziale Defizite. Selbstbe­ würden darin die Selbsthilfegruppen und ihre neueste Spielart, die Internet-Unter­
richtsfragebögen können benutzt werden, um die Fokussierung des Klienten zu verfei­ stützungsgruppen, nicht erwähnt werden.
nern und seine Fortschritte zu messen. Die am häufigsten benutzten Selbstberichts­
messinstrumente beschäftigen sich mit den Bereichen, in denen bei Klienten die meis­ Selbsthilfegruppen
ten Probleme auftreten: Stimmung, Essverhalten und interpersonale Muster. .71 Zwecks Die Zahl der Personen, die an Selbsthilfegruppen teilnehmen, ist atemberaubend. Eine
Fokussierung der Arbeit werden für jeden Klienten ein bis drei Ziele festgelegt, was Studie aus dem Jahre 1 997, also vor dem Auftauchen der Internet-Unterstützungs­
eine Initialzündung für die Gruppenarbeit ermöglicht. gruppen, berichtete, dass 10 Millionen Amerikaner im vorausgegangenen Jahr an einer
Eine typische Therapie besteht in der Regel aus ein bis zwei Einzelsitzungen und Selbsthilfegruppe teilgenommen hatten und dass schon insgesamt 25 Millionen Ame­
acht bis 20 Gruppensitzungen von jeweils 90 Minuten Dauer, denen drei bis vier Mo­ rikaner irgendwann einmal Mitglieder einer solchen Gruppe gewesen waren. Die Stu­
nate nach Abschluss der Gruppenarbeit eine individuelle Nachsorge-Sitzung folgt; ei­ die befasste sich ausschließlich mit Selbsthilfegruppen ohne therapeutische Leitung.
nige !PT-Praktiker führen mit den Gruppenmitgliedern auch in der Mitte der Periode Da jedoch über 50 Prozent der Selbsthilfegruppen irgendeine Art von professioneller
der Gruppenarbeit eine Einzelsitzung durch. Weiterhin können in den Monaten nach Leitung haben, dürfte die Zahl der Teilnehmer solcher Gruppen bei 20 Millionen im
der intensiven Phase der Therapie in regelmäßigen Abständen Gruppensitzungen Jahr vor der Studie und bei 50 Millionen seit der Entstehung dieser Gruppen liegen -
durchgeführt werden. also wesentlich höher als die Zahl sämtlicher Klienten, die bei Psychotherapeuten oder
Die Gruppentherapie besteht in einer Einführungs- und Orientierungsphase, einer Psychiatern Hilfe suchen.82
Arbeitsphase und einer Konsolidierungs- und Revisionsphase. 81 Schriftliche Zusam­ Obwohl es schwierig ist, die Wirksamkeit auf sich gestellter Selbsthilfegruppen zu
menfassungen der einzelnen Sitzungen (siehe Kapitel 14) können den Gruppen­ beurteilen, weil die Mitgliedschaft in ihnen häufig anonym ist, sich Entwicklung ihrer
mitgliedern vor der nächsten Sitzung zugesandt werden. Teilnehmer oft schwer verfolgen lässt und ihre Arbeit in der Regel auch nicht protokol­
Die erste Phase der Gruppenarbeit, in der die Gruppenmitglieder ihre persönlichen liert wird, bestätigen einige systematische Studien ihren Erfolg. Die Mitglieder schät­
Ziele darlegen, trägt zur Förderung von Kohäsivität und Universalität des Leidens bei. zen sie und berichten über die Verbesserung ihrer Fähigkeit, mit Problemen fertig zu

564 565
werden, und ihres Wohlbefindens, über einen deutlichen Zugewinn an Wissen über Therapiegruppen insofern, als in ihr weniger Deutungen persönlicher Eigenarten vor­
ihre Situation und über eine geringere Notwendigkeit, konventionelle Hilfsangebote in genommen werden, seltener Konfrontationen stattfinden und positive, unterstützende
Anspruch zu nehmen.83' Aussagen wesentlich wichtiger sind.86
Diese Erkenntnisse haben einige Forscher dazu veranlasst, eine aktivere Zusam­ Die meisten Selbsthilfegruppen nutzen einen sinnvollen und in sich stimmigen kog­
menarbeit zwischen Psychiatern und Psychotherapeuten und Selbsthilfegruppen zu nitiven Rahmen, den ältere Gruppenmitglieder, die als inoffizielle Leiter fungieren, neu
fordern. Könnten Selbsthilfegruppen zur überwindung der größer werdenden Kluft hinzukommenden Mitgliedern leicht erklären können. Obgleich alle Mitglieder von
zwischen den gesellschaftlichen Bedürfnissen und den therapeutischen Ressourcen der Universalität des Leidens und vom Wecken von Hoffnung profitieren, haben diejeni­
sinnvoll beitragen?84 Ein wichtiger Fortschritt sind die Vermittlungsstellen für Selbst­ gen unter ihnen, die sich aktiv an der Arbeit beteiligen und die in stärkerem Maße Ko­
hilfegruppen, die entweder über das Internet oder telefonisch zu erreichen sind und häsivität erleben, wahrscheinlich das meiste von der Arbeit.87
die Interessierten helfen, unter den mittlerweile fast 500 unterschiedlichen Arten von Wie lässt sich die starke Nutzung und die offensichtliche Wirksamkeit von Selbst­
aktiven Selbsthilfegruppen die für sie geeigneten zu finden. Beispiele hierfür sind das hilfegruppen erklären? Diese Gruppen sind offen und leicht zugänglich, und sie bieten
American Self-Help Clearinghause und das National Mental Health Consumers Self­ allen, die den für die Gruppenzugehörigkeit definierten Charakteristika entsprechen,
Help Clearinghause. psychologische Unterstützung. Sie bevorzugen innere Kompetenz gegenüber der äuße­
Selbsthilfegruppen werden so stark wahrgenommen, dass es unnötig ist, ihre ver­ ren - also die innerhalb der Gruppe verfügbaren Ressourcen gegenüber der Hilfe, die
schiedenen Formen hier aufzulisten. Man kann sich kaum eine Not, einen verhaltens­ außenstehende Experten zu geben vermögen. Das allen Gruppenmitgliedern gemein­
mäßigen Irrweg oder ein umweltbedingtes Unglück vorstellen, für das es nicht irgend­ same Erleben macht sie sowohl zu Gleichgestellten als auch zu vertrauenswürdigen Ex­
eine passende Gruppe gibt. Das Verzeichnis ist weit umfassender als die im DSM-IV­ perten. Konstruktive Vergleiche der eigenen Situation mit derjenigen anderer Grup­
TR beschriebenen Psychopathologien und umfasst so weitgestreute Gruppen wie die penmitglieder können in einem Maße nützlich sein und inspirierend wirken, wie dies
Anonymen Alkoholiker, Recovery Inc. (Gesellschaft für Genesung), Compassionate beim Kontakt mit außenstehenden Experten niemals der Fall wäre. Die Gruppenmit­
Friends (für Eltern, deren Kind gestorben ist), Smoke Enders (Raucherentwöhnung), glieder geben und genießen gleichzeitig Unterstützung, und sie profitieren von beiden
Weight Watchers, Overeaters Anonymous (anonyme Esssüchtige) und so hoch speziali­ Rollen - ihr Selbstwertgefühl wird durch Altruismus gestärkt, und durch ihren Kon­
sierte Gruppen wie Spouses of Head Injury Surviviors (Ehegatten von überlebenden takt zu anderen, die mit ihren eigenen ähnlichen Problemen fertig geworden sind, wird
einer Kopfverletzung), Gay Alkoholics (Homosexuelle Alkoholiker), Late-Deafened bei ihnen Hoffnung geweckt. Die Pathologie tritt in den Hintergrund, und Abhängig­
Adults (spät gehörlos gewordene Erwachsene), Adolescent Deaf Children ofAlcoholics keit wird verringert. Es ist wohlbekannt, dass Passivität und vermeidendes Bewälti­
(jugendliche gehörlose Kinder von Alkoholikern), Moms in Recovery (genesende Müt­ gungsverhalten sich negativ auf funktionale Resultate auswirken. Hingegen begünsti­
ter), Senior Crime Victims (ältere Kriminalitätsopfer), Circle of Friends (Freunde von gen aktive Strategien wie diejenigen, die Selbsthilfegruppen anwenden, funktionale
Suizidopfern), Parents ofMurdered Children (Eltern ermordeter Kinder), Go-go Strake Resultate.88
Club (Opfer eines Schlaganfalls), Together Expecting a Miracle (Unterstützung bei Ad­ Leiden, die vom offiziellen Gesundheitssystem nicht erkannt oder behandelt wer­
option). Einige Selbsthilfegruppen haben sich in Gruppen für soziale Aktivitäten und den, führen mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Entstehung entsprechender Selbsthilfe­
in Interessengruppen verwandelt, so beispielsweise Mothers Against Drunk Driving - gruppen. Weil diese Gruppen ihren Mitgliedern effektiv helfen, ihre Krankheit zu ak­
MADD. zeptieren und als Normalität zu begreifen, sind sie besonders nützlich für Menschen,
Obgleich Selbsthilfegruppen Therapiegruppen ähneln, gibt es einige bedeutsame die unter stigmatisierenden Krankheiten leiden.89
Unterschiede. Die Selbsthilfegruppe nutzt beinah alle therapeutischen Faktoren - vor Gruppen für Menschen, die unter Störungen leiden, welche durch Substanzmiss­
allem Altruismus, Gruppenkohäsivität, Universalität des Leidens, Nachahmungslernen brauch entstanden sind, sind zweifellos unter den Selbsthilfegruppen am weitesten
sowie Hoffnung-Wecken und Katharsis. Es gibt jedoch eine wichtige Ausnahme: Der verbreitet. Auf der ganzen Welt existieren in über 150 Ländern mehr als 100 000 AA­
therapeutische Faktor interpersonales Lernen spielt in einer Therapiegruppe eine we­ Gruppen.90 Das Zwölf-Schritte-Modell wird nicht nur von den Anonymen Alkoholi­
sentlich wichtigere Rolle als in einer Selbsthilfegruppe.85 Es ist selten, dass eine Gruppe kern benutzt, sondern Varianten desselben wenden auch viele andere, professionelle
sich ohne Anwesenheit eines gut ausgebildeten Leiters bedeutsam und konstruktiv auf Hilfsdienste und viele andere Selbsthilfegruppen an, beispielsweise Narcotics Anony­
das Hier und Jetzt konzentriert. Generell unterscheiden sich Selbsthilfegruppen von mous, Overeaters Anonymous, Sex Addicts Anonymous und Gambiers Anonymous. Zwar
sind einige Mitglieder mit der spirituellen Orientierung der AA nicht einverstanden,
* Die Autoren einer großen Meta-Analyse gelangten zu dem Ergebnis, dass Menschen mit Suchtproble­
me zwar von Selbsthilfegruppen sehr profitieren, bei Klienten mit körperlichen Krankheiten hingegen
doch haben Untersuchungen ergeben, dass eine mangelnde Bereitschaft, sich auf die­
keine objektiven positiven Auswirkungen zu erkennen sind, welche zu ihrer Wertschätzung dieser sen spirituellen Aspekt einzulassen, sich nicht negativ auf die Effektivität der Arbeit
Gruppenarbeit in einem angemessenen Verhältnis stünde. auswirkt.91

566 567
Obwohl Zwölf-Schritte-Gruppen nicht von Fachleuten geleitet werden, ist dies bei einmal eine einzige Zehe ins Wasser stecken, um sich auf das vollständige Eintauchen
vielen anderen Selbsthilfegruppen (wahrscheinlich bei etwa der Hälfte) der Fall. Solche in eine Therapie vorzubereiten. Schließlich existiert kein anderes Unterstützungs­
Leiter beteiligen sich aktiv an den Gruppensitzungen, oder sie fungieren als Berater. system, das seinen Mitgliedern die Möglichkeit gibt, ihre Geschichten so zu proben,
Manchmal organisieren auch Psychotherapeuten oder Psychiater Selbsthilfegruppen zu entwickeln und zu verfeinern, dass das Resultat eine ideale und manchmal sogar
und ziehen sich zurück, nachdem diese ihre Arbeit aufgenommen haben, und überlas­ über-lebensgroße Geschichte ist.95
sen die weitere Gruppenleitung den Mitgliedern selbst.92 Wenn Psychotherapeuten als Ein Erlebnis, das ich kürzlich als Fakultätsmitglied in einem einmonatigen Online­
Berater von Selbsthilfegruppen fungieren, müssen sie sich über die potenziellen Gefah­ Trainingssymposium der American Group Psychotherapy Association hatte, war für
ren einer zu energischen Demonstration ihres Expertentums hüten: Für eine Selbsthil­ mich äußerst aufschlussreich. Das Programm war als asynchrone, moderierte virtuelle
fegruppe ist es besser, wenn ihre Mitglieder die Expertenrolle selbst übernehmen. Gruppe für Kliniker organisiert und befasste sich mit der Behandlung von Traumata.
Noch eine Bemerkung zum Schluss: Gruppentherapeuten sollten die Selbsthilfe­ Mehr als 2000 Teilnehmer aus aller Welt meldeten sich zur Teilnahme an, von denen
gruppenbewegung nicht als ihren Kontrahenten sehen, sondern sie als Ressource ver­ allerdings nur ein Bruchteil sich aktiv beteiligte, indem sie aktiv Botschaften zusandten.
stehen. Wie ich bereits in Kapitel 14 erläutert habe, profitieren viele Klienten von der Dieses Erlebnis war äußerst aufschlussreich, und die Fakultät dachte - wie übrigens
gleichzeitigen Teilnahme an beiden Arten von Gruppenarbeit. auch viele andere Teilnehmer - im Laufe des Tages viel über die übermittelten Bot­
schaften nach und war jeden Abend begierig darauf, die neuesten informativen und
Internet- Unterstützungsgruppen engagierten neuen Mitteilungen zu lesen. Obwohl wir Teilnehmer uns nie von Ange­
Vor einigen Jahren noch erschien uns die Vorstellung einer virtuellen Gruppentherapie sicht zu Angesicht kennenlernten, wurden wir tatsächlich zu einer engagierten Gruppe,
über das Internet als Fantasievorstellung oder Satire. Heute erleben Millionen von die gemeinsam eine wichtige Arbeit leistete und sich schließlich wieder trennte.
Menschen auf der ganzen Welt genau dies. Man vergegenwärtige sich folgende Daten: Internet-Unterstützungsgruppen ringen mit verschiedenen für sie spezifischen Prob­
165 640 00 Amerikaner benutzen das Internet; 63 000 000 von ihnen haben sich im lemen. Die für diesen Zweck verfügbare Technologie ist noch nicht besonders ausge­
Internet Informationen über Gesundheitsfragen beschafft; 1 4.907.000 haben zu reift, und es mangelt ihr an Zuverlässigkeit und einem wirksamen Schutz der Privat­
irgendeinem Zeitpunkt an einem Online-Symposium teilgenommen, und einer sphäre; Mitglieder können absichtlich oder versehentlich fehlerhafte Botschaften über­
kürzlichen Umfrage zufolge haben erstaunliche 1.656.400 am vorangegangenen Tag an mitteln; Identitäten und Geschichten können fiktionalisiert werden; die Kommunika­
einer Internet- Unterstützungsgruppe teilgenommen!93 tion emotionaler Zustände kann durch die fehlende Möglichkeit, nonverbale Signale
Internet-Unterstützungsgruppen finden entweder wie eine Chat-Line in real-time, zu übermitteln, eingeschränkt oder verzerrt werden; und einige Experten fürchten,
also synchron, statt oder asynchron, was bedeutet, dass die Mitglieder sich Botschaften Kontakte über das Internet könnten Menschen davon abbringen, benötigte kompetente
und Kommentare zusenden wie bei einem elektronischen »Schwarzen Brett«. Die Unterstützung zu suchen, oder die Internet-Kontakte könnten die reale Unterstützung,
Gruppen können zeitlich beschränkt sein oder nicht. Sie befinden sich in vielerlei Hin­ die zumindest einige der Teilnehmer erhalten, verdrängen.96 All diesen Einwänden ist
sicht in starkem Maße im Fluss: Weil sie noch nicht lange genug existieren, haben sich jedoch entgegenzuhalten, dass eine Gruppe eine Gruppe ist und dass auch in Internet­
noch keine klaren Strukturen oder Verfahrensweisen entwickelt. Internet-Unterstüt­ gruppen ein Gruppenprozess stattfindet. Sie sind keineswegs immun gegen destruktive
zungsgruppen können aktiv geleitet, moderiert oder ohne jede fachmännische Leitung Gruppennormen, gruppenschädigende Verhaltensweisen, ungesunden Gruppendruck,
oder auch nur selbstorganisierte Leitung durchgeführt werden. Falls es Moderatoren überstimulation der einzelnen Klienten und die Suche nach einem Sündenbock.97
gibt, sind sie dafür verantwortlich, die Botschaften der Teilnehmer zu koordinieren, zu Auch wurden ethische Bedenken bezüglich des Engagements von Klinikern in In­
überarbeiten und sie den übrigen Teilnehmern so zugänglich zu machen, dass die the­ ternet-Unterstützungsgruppen vorgebracht: Therapeuten, die als Moderatoren fun­
rapeutischen Chancen und die Funktionsfähigkeit der Gruppe maximiert werden.94 gieren, müssen klarstellen, was ihre Aufgabe beinhaltet, wie sie für ihre Dienste bezahlt
Wie lässt sich die explosive Verbreitung dieser Art von Gruppen erklären? Die Teil­ werden und inwiefern ihre Online-Reaktionen auf Notfälle welcher Art auch immer
nehmer und Organisatoren von Internet-Unterstützungsgruppen haben über viele beschränkt sind. Sie müssen die Teilnehmer über ihre Aktivität informieren und sich
Vorteile derartiger Gruppen berichtet. Beispielsweise würden viele Menschen gern an ihres Einverständnisses versichern, und sie müssen eine Plattform für sichere Kommu-
einer Selbsthilfegruppe teilnehmen, doch ist es ihnen aufgrund der Abgelegenheit ihres
Wohnorts, einer körperlichen Behinderung oder ihres Krankheitszustandes nicht * Die American Counseling Association hat spezielle Ethikrichtlinien für Online-Therapeuten entwickelt
möglich, an normalen Gruppensitzungen teilzunehmen. Weiterhin ziehen Klienten (American Counseling Association, »Ethical Standards for Internet Online Counseling« ( 1999]; er­
hältlich bei www.counseling.org). Andere Organisationen wie die American Psychological Association
mit stigmatisierenden Krankheiten oder Sozialangst die starke Anonymität einer Inter­ machen noch keinen Unterschied zwischen herkömmlichen Therapiearten und Online-Therapie. Mit
net-Unterstützungsgruppe manchmal vor. Für viele Menschen, die auf der Suche nach Sicherheit sind in Zukunft Stellungnahmen von Lizensierungsgremien und Berufsorganisationen zu
Hilfe sind, ist die Teilnahme an solchen Veranstaltungen so, als würden sie zunächst erwarten, die sich mit dieser Problematik befassen.

568 569
nikation anbieten. Weiterhin müssen sie jeden Teilnehmer korrekt identifizieren und Im Rahmen einer Studie, an der 60 College-Studenten teilnahmen, fügten Forscher
sich Klarheit darüber verschaffen, wie sie ihn kontaktieren können; und sie müssen dem Student-Bodies-Programm eine acht Sitzungen umfassende moderierte synchrone
deutlich machen, wie sie selbst in einem Notfall zu erreichen sind. Dabei ist zu beden­ (also in »Echtzeit« stattfindende) Internet-Unterstützungsgruppen-Komponente hin­
ken, dass eine Therapeutenlizenz und Versicherungspolicen für Behandlungsfehler zu. Sie stellten fest, dass die Klienten von dem synchronen Format der Online-Gruppe
möglicherweise nur innerhalb gewisser geografischer Grenzen gültig sind. Ein Thera­ noch stärker profitierten. 102 Eine Studie, die mit 103 Teilnehmern einer ansynchronen
peut, der in einem bestimmten Staat (oder Bundesstaat) eine Lizenz hat, kann einen fortlaufenden Internet-Unterstützungsgruppe ohne therapeutische Moderation für
Klienten, der in einem anderen Staat wohnt, in der Regel nicht legal behandeln.98 Depression durchgeführt wurde, gelangte zu dem Ergebnis, dass viele Mitglieder die
Viele Fragen über Internet-Unterstützungsgruppen erfordern dringend unsere Auf­ Gruppe sehr schätzten und im Laufe der vorangegangenen beiden Wochen mindestens
merksamkeit. Ist die Arbeit dieser Gruppen wirksam? Und wenn ja, ist dies dann auf fünf Stunden mit Online-Kontakt zu ihr verbracht hatten. Mehr als 80 Prozent der
eine bestimmte Interventionsmethode zurückzuführen oder eher allgemein auf die Teilnehmer befanden sich zusätzlich in konventioneller therapeutischer Behandlung
Unterstützung und Interaktion? Lassen sich Modelle für Gruppen physisch anwesen­ und sahen die Online-Gruppe als Unterstützung an, nicht als Ersatz für eine traditio­
der Klienten auf Online-Gruppenprozesse übertragen? Welche Auswirkungen könnte nelle Therapie. 103 Der Bericht einer Teilnehmerin über ihre Erfahrungen erfasst viele
eine solche Entwicklung auf die Gesundheitskosten haben? Welche Art von spezieller der besonderen positiven Aspekte von Internet-Unterstützungsgruppen:
Ausbildung benötigen Online-Therapeuten? Können sie Empathie in Internet-Bot­
schaften ebensogut vermitteln wie bei persönlicher Anwesenheit der Klienten? Ich empfinde den Online-Austausch mit a nderen, die unter ähnlichen Problemen lei­
Obwohl sich die Internet-Unterstützungsgruppen noch in einem frühen Stadium den, als wichtige Unterstützu ng, sofern man keiner »echten« Unterstützungsgruppe
ihrer Entwicklung befinden, zeichnen sich bereits einige bemerkenswerte vorläufige a ngehört. Ich persönlich interagiere eher mit der Online-Gemeinschaft als m it Men­
Erkenntnisse ab. In vielerlei Hinsicht eignen sich solche Gruppen sehr gut für wissen­ schen, denen ich persönlich gegenübersitze. Diese Situation ermöglicht es mir, ehrlich
schaftliche Untersuchungen. Das Fehlen der nonverbalen Interaktion mag aus klini­ und offen damit umzugehen, was wirklich m it mir los ist. Im Fa lle einer Depression
scher Sicht ein Nachteil sein, doch ist es für Forscher ein Segen, da alles, was in der spielen Scham u nd Probleme mit dem Selbstwertgefühl wichtige Rollen, und die Ano­
Gruppe vor sich geht ( 100 Prozent der Interaktion), schriftlich festgehalten wird und nymität des Online-Kontakts lindert sehr wirksa m einen Tei l der Angst, die eine Grup­
somit für eine Analyse verfügbar ist. pentherapie und sogar eine Einzeltherapie wecken kan n. Dam it meine ich nicht, dass
Ein Forscherteam adaptierte eine normale einsamkeitsreduzierende kognitiv-beha­ eine Online-Gruppe die H ilfe ersetzen kan n, die ein guter Therapeut zu geben vermag,
viorale Gruppenintervention99 für eine synchrone, von einem Therapeuten moderier­ aber diese Möglichkeit hat mir persönlich sehr geholfen und mich dazu motiviert, m ich
te Internet-Unterstützungsgruppe, die insgesamt zwölfmal zu zweistündigen Sitzun­ aktiver um meine Genesung zu bemühen. 10
4

gen zusammentraf. Bei den 1 9 Teilnehmern wurde eine signifikante Verringerung der
Einsamkeit erreicht, und dieses Ergebnis hatte zum Zeitpunkt einer vier Monate später Das Comprehensive Health Enhancement Support System ( CHESS), ein sehr ausgefeiltes
stattfindenden Nachsorgesitzung weiterhin Bestand. Die geringe Stichprobengröße Internet-Gruppenprogramm, das an der University of Wisconsin entwickelt wurde, bie­
schränkt die Validität der Schlussfolgerungen ein, doch die Forscher demonstrierten, tet Menschen mit Aids und Krebs sowie Betreuern von Alzheimer-Patienten Unterstüt­
dass es möglich ist, eine spezifische Intervention, die für physisch zusammenkommen­ zung an. Das Gruppenprogramm besteht aus drei Elementen. Zunächst vermittelt es
de Gruppen konzipiert worden war, an ein Online-Format anzupassen. über den Kontakt zu Experten und durch Frage-und-Antwort-Sitzungen wichtige In­
Student Bodies ist eine Internet-Unterstützungsgruppe, die Bestandteil eines großen formationen und gibt Auskunft über Hilfsangebote. Zweitens gibt eine von einem Ex­
Interventions- und Forschungsvorhabens im Bereich der Gesundheitspflege ist. Im perten moderierte Diskussionsgruppe den Teilnehmern die Möglichkeit, sich soziale
Prinzip handelt es sich um eine asynchrone moderierte Internet-Unterstützungsgrup­ Unterstützung zu sichern, indem sie über ihre eigene Geschichte berichten und auf die
pe, deren Ziel Präventivarbeit zur Verhinderung von Essstörungen bei Jugendlichen Geschichten der anderen Gruppenmitglieder Feedback geben. Drittens hilft das Pro­
und jungen Frauen ist. 100 Sie bietet Teilnehmern auf einer sicheren Website Psychoedu­ gramm den Klienten, einen Plan für konstruktive Veränderung zu formulieren und
kation über Essstörungen an und fordert sie auf, online über ihren Körper, ihre Essge­ anschließend in die Tat umzusetzen, indem sie beispielsweise als Betreuer von Pflege­
wohnheiten und ihre Reaktionen auf die Psychoedukation Tagebuchberichte zu pro­ bedürftigen Zeit für sich selbst reservieren. Im Laufe vieler Jahre haben Tausende von
duzieren. Außerdem können sie über den Moderator Botschaften über besondere per­ Teilnehmern mit unterschiedlichen körperlichen Krankheiten Fragebögen über die
sönliche Schwierigkeiten und über Erfolge bei dem Bemühen, ihre dysfunktionalen Wirkung dieser Interventionen ausgefüllt. Zu den berichteten positiven Resultaten
Gedanken über das Essen zu verändern, verbreiten. Diese Intervention führte zur Ge­ zählen kürzere Krankenhausaufenthalte, eine Verbesserung der Kommunikation mit
wichtsreduktion sowie zu Verbesserungen bezüglich des Körperbildes, der Einstellun­ den Kostenträgern und eine Stärkung des Gefühls, selbst etwas ausrichten zu können.
gen zum Essen und der Essgewohnheiten. 101 ,71 105

570 571
Auch über die Resultate zweier unterschiedlicher Arten von Internet-Unterstüt­
zungsgruppen für Frauen mit Brustkrebs liegen Forschungsberichte vor. Im Rahmen
des einen Programms wurden 72 Frauen mit primärem Brustkrebs in einer auf zwölf
Wochen angelegten moderierten asynchronen Internet-Unterstützungsgruppe unter­ Ka p ite l 1 6
sucht, die im Sinne des früher in diesem Kapitel beschriebenen unterstützend-expres­
siven Gruppentherapiemodells strukturiert war und in Zusammenarbeit mit Bosom
Buddies (einem Selbsthilfe-Unterstützungsnetzwerk für Frauen mit Brustkrebs) durch­ Vorfa h re n u nd Cou s i n s d e r G ru p pe nt h e ra pie
geführt wurde. Bei den Teilnehmerinnen wurden die Tendenz zur Depression und die
durch die Krebserkrankung stark erhöhten Stresswerte reduziert. In der Regel loggten
sich die Frauen dreimal wöchentlich ein und benutzten dieses Gruppenerlebnis zum In den 1960er-und 1970er-Jahren rauschte das Phänomen der Encountergruppen,
Aufbau eines informellen Unterstützungsnetzwerks, das noch lange nach dem Ende einer ungestümen sozialen Bewegung, durch unser Land. Eine riesige Zahl von Men­
der zwölfwöchigen Behandlung Bestand hatte. 106 schen nahm damals an kleinen Gruppen teil, die manchmal als »Therapiegruppen für
Das zweite Programm, eine synchrone, 16 Wochen umfassende Gruppe, die von Normale« bezeichnet wurden. Wenn ich heute Studenten gegenüber Encountergrup­
ausgebildeten Moderatoren der Wellness Community (einer internationalen gemein­ pen erwähne, ernte ich irritierte, fragende Blicke, die signalisieren: »Was soll das sein?«
nützigen Organisation, die sich um körperlich Kranke kümmert) betreut wurde und Obgleich Encountergruppen mittlerweile praktisch Vergangenheit sind, beeinflussen
32 Frauen mit primärem Brustkrebs umfasste, verringerte ebenfalls die Tendenz zur sie immer noch die Arbeit in Therapiegruppen.
Depression und von Reaktionen auf Schmerz. 107 Aus mehreren Gründen sollten Gruppentherapeuten in unserer Zeit dieses Phäno­
Alle Internet-Unterstützungsgruppen entwickelten eigene Normen und Dynami­ men zumindest in einem gewissen Maße kennen.
ken. Eine Analyse der Botschaften, welche die Frauen mit Brustkrebs austauschten,
zeigte, dass Gruppen mit ausgebildeten Moderatoren eher belastende Emotionen aus­ 1. Erstens muss, wie ich in Kapitel 17 erläutert habe, eine Ausbildung zum Gruppen­
drückten und dass dadurch ihre Depression verringert wurde. 108 Die Fähigkeit der Mo­ therapeuten eine gewisse persönliche Gruppenerfahrung einschließen. Nur wenige
deratoren, starke Emotionen zu aktivieren, einzudämmen und zu erforschen, scheint Ausbildungsprogramme bieten Ausbildungsteilnehmern eine traditionelle Thera­
bei Internet-Unterstützungsgruppen ebenso wichtig zu sein wie bei konventionellen piegruppe an; stattdessen bevorzugen sie eine Variante der Encountergruppe, die
Therapiegruppen. 109 heute häufig Prozessgruppe genannt wird. (Im Moment bezeichne ich alle Selbst­
Wir befinden uns erst am Anfang der Nutzung elektronischer Technologie für die erfahrungsgruppen zur Förderung der persönlichen Weiterentwicklung als En­
psychotherapeutische Arbeit. Wenn sich herausstellen sollte, dass sie uns hilft, auf sinn­ countergruppen; ich werde jedoch in Kürze genauere Definitionen einführen.)
volle Weise zueinander in Kontakt zu treten, wäre dies eine angenehme und willkom­ 2. Zweitens ist die Form der Gruppentherapie, so wie sie heute üblich ist, stark von der
mene Überraschung - und damit einer der leider seltenen Fälle, in denen eine Techno­ Encountergruppe beeinf lusst worden. Kein historischer Bericht über die Entwick­
logie den Austausch zwischen Menschen verbessert, statt ihn zu verringern. lung und Entfaltung der Gruppentherapie ist vollständig ohne eine Beschreibung
der gegenseitigen Befruchtung zwischen den Traditionen der Therapiegruppe und
der Encountergruppe.
3. Und schließlich - dies wird einige Leser vermutlich überraschen - ist die Encoun­
tergruppe oder zumindest die Tradition, aus der sie hervorgegangen ist, verant­
wortlich gewesen für die Entwicklung der besten, raffiniertesten Techniken der Er­
forschung von Kleingruppen. Im Vergleich dazu war die Erforschung der Gruppen­
therapie grobgestrickt und fantasielos; ein Großteil der empirischen Forschung,
die ich in diesem Buch angeführt habe, hat ihre Wurzeln in der Tradition der
Encountergruppe.

In diesem Kapitel gebe ich einen knappen Überblick über das Phänomen der Encoun­
tergruppe, an den sich eine ausführlichere Erläuterung zu den soeben aufgeführten
drei Punkten anschließt. Leser, die sich über Entstehung, Aufblühen und Verfall dieser
merkwürdigen sozialen Bewegung ausführlicher informieren möchten, können eine

572 573
erweiterte Darstellung ( das Kapitel über Encountergruppen, das in der Vorgängerver­ sehen Gruppen fertig werden und die Einstellungen der Öffentlichkeit zu den Rassen­
sion dieses Buches enthalten war) auf meiner Website, www.yalom.com, bzw. in der unterschieden verändern sollten. Kurt Lewin organisierte einen Workshop, der aus
vorangegangenen deutschen Auflage des vorliegenden Buches] nachlesen. Kleingruppen mit je zehn Mitgliedern bestand. Diese Gruppen wurden auf die damals
übliche Weise geleitet. Sie waren im Grunde Diskussionsgruppen und analysierten pri­
vate Probleme, die die Gruppenmitglieder vorbrachten.
Was i st e i n e E n cou ntergruppe ?
Lewin glaubte an die Maxime Keine Forschung ohne Praxis, keine Praxis ohne For­
»Encountergruppe« ist eine grobe, ungenaue Gattungsbezeichnung für eine Vielzahl schung. Deshalb setzte er wissenschaftliche Beobachter ein, die die Interaktionen in
von Gruppenformen, für die es auch viele andere Namen gibt: beispielsweise Gruppe den Kleingruppen aufzeichnen und enkodieren sollten. In Abendsitzungen trafen die
für zwischenmenschliche Beziehungen, Trainingsgruppe, T-Gruppe, Sensitivity-Trai­ Gruppenleiter und die wissenschaftlichen Beobachter zusammen und trugen ihre Be­
ningsgruppe, Selbsterfahrungsgruppe zur persönlichen Weiterentwicklung, Marathon­ obachtungen des Verhaltens der Gruppenleiter, der Mitglieder und der Gesamtgrup­
gruppe, Gruppe zur Entwicklung des menschlichen Potenzials, Sensory-Awareness­ pen zusammen. Bald erfuhren einige Teilnehmer von diesen Abendsitzungen und ba­
Gruppe, Basic-Encountergruppe, Selbsterfahrungsgruppe. ten, man möge sie teilnehmen lassen. Dies war eine radikale Forderung. Die Mitarbei­
· Obwohl die Benennungen von stupender Vielfalt sind, haben all diese Gruppen ter zögerten, und zwar nicht nur, weil sie sich scheuten, ihre persönlichen Unzuläng­
mehrere gemeinsame Merkmale. Ihre Größe bewegt sich zwischen acht und 20 Mit­ lichkeiten zu offenbaren, sondern auch, weil sie sich unsicher waren, wie die Teilneh­
gliedern - groß genug, um die direkte Interaktion zu fördern, aber auch klein genug, mer reagieren würden, wenn in aller Öffentlichkeit über ihr Verhalten gesprochen
um es allen Mitgliedern zu ermöglichen, miteinander zu interagieren. Die Gruppen würde.
sind zeitlich begrenzt und häufig auf wenige Stunden oder Tage beschränkt. Sie werden Schließlich gestattete man den Gruppenmitgliedern versuchsweise, an den Abend­
als experientielle Gruppen bezeichnet, weil sie sich in starkem Maße auf das Erleben sitzungen beobachtend teilzunehmen. Beobachter, die über diese Erfahrung etwas ge­
der Gruppenmitglieder, also auf das Hier und Jetzt, beziehen. Sie überschreiten die Eti­ schrieben haben, berichteten, dass die Wirkung sowohl auf die Teilnehmer als auch auf
kette und ermutigen zum Ablegen traditioneller sozialer Fassaden. In ihnen werden die Mitarbeiter »elektrisierend« gewesen sei.2 Es war erregend, eine eingehende Bespre­
Aufrichtigkeit im interpersonalen Kontakt, die Bereitschaft, Situationen zu erforschen, chung des eigenen Verhaltens mitanzuhören. Bald wurden die Abendsitzungen erwei­
sich mit Problemen auseinanderzusetzen und die eigene emotionale Ausdrucksfähig­ tert, sodass die Teilnehmer Gelegenheit hatten, auf die Beobachtungen zu reagieren,
keit zu steigern sowie die Selbstoffenbarung geschätzt. Die Gruppenziele sind oft un­ und bald darauf waren alle an der Analyse und Interpretation ihrer Interaktionen be­
bestimmt. Manchmal wird in diesen Gruppen nur eine bestimmte Erfahrung ange­ teiligt. Schon bald fanden sich alle Teilnehmer zu den oft bis zu drei Stunden dauern­
strebt - Freude, Selbstbewusstheit, Unterhaltung -, doch noch häufiger streben die den Abendsitzungen ein. Man war sich weitgehend einig, dass diese Sitzungen den Teil­
Teilnehmer implizit oder explizit eine Veränderung an - hinsichtlich ihres Verhaltens, nehmern ein neues und reichhaltiges Verstehen ihres eigenen Verhaltens ermöglich­
ihrer Einstellungen, ihrer Wertvorstellungen, ihres Lebensstils, ihrer Selbstverwirkli­ ten.
chung oder ihrer Beziehungen zu anderen, zur Umwelt und zum eigenen Körper. Die Den Mitarbeitern wurde sofort klar, dass sie ganz ohne Absicht eine höchst wirksa­
Gruppenteilnehmer werden als »Suchende« und »Normale«, nicht als »Patienten« oder me Erziehungstechnik zur Förderung zwischenmenschlicher Beziehungen entdeckt
»Klienten« bezeichnet, und das, was in der Gruppe geschieht, wird nicht als Therapie, hatten - Lernen durch Erleben. Gruppenmitglieder lernen am meisten, indem sie das
sondern als »Wachstum« (Growth) bzw. Weiterentwicklung verstanden. Interaktionsgeflecht untersuchen, dem sie selbst angehören. (Mittlerweile wird der Le­
ser die Wurzeln des »Hier und Jetzt« in der heutigen Gruppentherapie erkannt haben.)
Die Mitarbeiter entdeckten, dass die Gruppenmitglieder in ungeheurem Maße davon
Vorlä ufer u nd E ntwickl u ng der E n cou ntergru ppe
profitierten, dass sie auf objektive Weise damit konfrontiert wurden, wie andere ihr
Der Begriff »Encountergruppe« wurde Mitte der 1 960er-Jahre populär, doch gab es Verhalten wahrnahmen und wie es auf sie wirkte. Durch derartige Beobachtungen ler­
damals bereits seit 20 Jahren experientiell orientierte Gruppen, die meist als »T-Grup­ nen die Gruppenmitglieder die unterschiedlichen interpersonalen Verhaltensstile ken­
pen« bezeichnet wurden, wobei das T für »Training« (im Umgang mit menschlichen nen, ebenso wie die Reaktionen anderer auf sie, und sie werden über die Gruppe ins­
Beziehungen) stand. gesamt informiert.
Die erste T-Gruppe, die Urform der experientiellen Gruppe, fand im Jahre 1 946 Von diesem Anfang an war das Untersuchen und Erforschen ein fester Bestandteil
statt. Hier die Geschichte ihrer Geburt. 1 Der amerikanische Bundesstaat Connecticut des Gewebes der T - Gruppe - nicht nur in Gestalt formeller Forschung, sondern auch
hatte ein Gesetz über die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt (Fair Employment in Form einer forschenden Einstellung des Gruppenleiters. Zusammen mit den Grup­
Practices Act) erlassen und bat Kurt Lewin, einen prominenten Sozialpsychologen, ihm penmitgliedern wollte er ausfindig machen, wie die Teilnehmer ihr Verhalten erleben,
bei der Ausbildung von Führungskräften zu helfen, die wirksam mit Spannungen zwi- verstehen und verändern konnten. Diese wissenschaftlich orientierte Einstellung in

574 575
Verbindung mit dem Konzept der T-Gruppe als einer Ausbildungsmethode veränderte nur emotional engagieren, sondern gleichzeitig auch sich selbst und die anderen Grup­
sich im Laufe der 1950er-und 1960er-Jahre allmählich, als Rogerianische und Freudia­ penmitglieder objektiv beobachten. Das ist oft eine schwierige Aufgabe, und die Mit­
nische Kliniker anfingen, sich systematisch mit Möglichkeiten der Arbeit an der Ver­ glieder stießen sich an den Versuchen des Trainers, die Gruppe einer objektiven Ana­
besserung menschlicher Beziehungen zu befassen, und sie sich zunehmend dafür ent­ lyse zu unterwerfen. Aber die Doppelaufgabe ist unerlässlich fürs Lernen: Handeln
schieden, sich in stärkerem Maße auf die interpersonale Interaktion und die persön­ allein oder intellektuelle Untersuchung allein ergeben nur wenig Lernertrag. Camus
liche Veränderung zu konzentrieren. hat einmal geschrieben, sein größter Wunsch sei, in der Ekstase hellwach zu bleiben.
Diese klinisch orientierten Gruppenleiter stellten das Geschehen im Hier und Jetzt So ist auch die T-Gruppe (und die Therapiegruppe ebenfalls) am effektivsten, wenn
in den Vordergrund und blockten Diskussionen über Material von außerhalb der ihre Mitglieder kognitive Einschätzung mit einem emotionalen Erlebnis verbinden
Gruppensituation so weit wie möglich ab, wozu auch theoretische, soziologische und können.
pädagogische Erwägungen zählten sowie jede Art von »Dann-und-Dort«-Material,
einschließlich aktueller häuslicher Probleme und Nachwirkungen der persönlichen Auftauen
Geschichte. Ich selbst habe in den 1960er-Jahren an Encountergruppen teilgenommen Das Auftauen, ein ebenfalls der Veränderungstheorie Lewins entlehnter Ausdruck,4 be­
und selbst solche Gruppen geleitet, in denen die Gruppenleiter die Arbeit in der Regel zieht sich auf den Prozess der Entkräftung früherer Einstellungen. Bevor eine Verände­
mit einer einzigen Bitte begannen: »Versuchen wir, alle unsere Äußerungen auf das rung eintreten kann, muss die Motivation zur Veränderung erzeugt werden. Man muss
Hier und Jetzt zu konzentrieren.« Das mag simpel klingen, es war aber sehr wirksam. dem Menschen helfen, viele fest verwurzelte Meinungen über sich selbst und seine Be­
Manchmal trat eine lange Phase der Stille ein,_ und im Anschluss daran beschrieben die ziehungen zu anderen zu überprüfen. Das Vertraute muss fremd gemacht werden; viele
Gruppenteilnehmer ihre unterschiedlichen Gefühle angesichts der Stille. Oft gab es im normalen Alltag gebräuchliche Stützen, soziale Konventionen, Statussymbole und
auch unterschiedliche Reaktionen auf die Aufforderung des Leiters hin - Angst, Ver­ gewöhnliche Verfahrensregeln werden aus der T-Gruppe verbannt, und die Wertvor­
wirrung, Ungeduld oder Gereiztheit. Außer diesen unterschiedlichen Reaktionen ent­ stellungen und die Ansichten des Einzelnen über sich selbst werden infrage gestellt. Es
weder auf die Stille oder auf die Anweisungen des Gruppenleiters war nichts erforder­ war ein höchst unbehaglicher Zustand für die Gruppenteilnehmer, ein Zustand, der
lich, um die Gruppenarbeit in Gang zu setzen. nur unter bestimmten Bedingungen erträglich ist: Sie mussten die Gruppe als gefahr­
Abgesehen vom Fokussieren auf das Hier und Jetzt entstanden im Rahmen der T­ losen Zufluchtsort erleben, wo es möglich war, neue Überzeugungen anzunehmen und
Gruppe noch viele andere technische Innovationen, welche die Weiterentwicklung der ohne Furcht vor Vergeltung auch neue Verhaltensweisen auszuprobieren. Obgleich
Psychotherapiegruppe stark beeinflussen sollten. Wir werden im Folgenden vier »Auftauen« für Kliniker kein vertrauter Begriff ist, ist das generelle Konzept des Unter­
besonders wichtige dieser Errungenschaften untersuchen: Feedback, beobachtende suchens und Infragestellens vertrauter Annahmen ein zentraler Bestandteil des psy­
Teilnahme, Auftauen und kognitive Hilfen. chotherapeutischen Prozesses.

Feedback Kognitive Hilfen


Feedback, ein aus der Elektrotechnik entlehnter Ausdruck, wurde in den Verhaltens­ Kognitive Leitlinien, mit deren Hilfe T-Gruppen-Teilnehmer ihre Erfahrungen organi­
wissenschaften erstmals von Kurt Lewin (der damals am MIT lehrte) benutzt.3 Die frü­ sieren konnten, wurden oft vom T-Gruppen-Leiter in einem Kurzvortrag erläutert.
hen Gruppenleiter hielten es für einen entscheidenden Mangel der Gesellschaft, dass Diese Praxis kann als Vorform der Verwendung kognitiver Hilfen in heutigen psycho­
der Einzelne zu wenig Feedback von Menschen ihrer unmittelbaren Umgebung wie edukativ und kognitiv-behavioral orientierten Gruppentherapieansätzen verstanden
Vorgesetzten, Kollegen, Ehepartnern, Lehrern und Schülern erhielten. Feedback, das zu werden und hat diese Entwicklung sicherlich beeinflusst. Ein Beispiel, das in der frü­
einem wesentlichen Bestandteil aller T-Gruppen (und später natürlich alle interakti­ hen T-Gruppen-Arbeit verwendet wurde, möchte ich an dieser Stelle erwähnen, weil
onsorientierten Therapiegruppen) wurde, war, wie man feststellte, am wirksamsten, es auch in heutigen Therapiegruppen noch benutzt wird und nützlich ist: das soge-
wenn es auf Hier-und-Jetzt-Beobachtungen basierte und so nah wie möglich auf das
auslösende Ereignis folgte und wenn der Empfänger es mit anderen Gruppenmitglie­ Dem Dem
dern überprüfte, um seine Gültigkeit zu bestätigen und Verzerrungen der Wahrneh­ Sel bst Sel bst
beka n nt u n beka n nt
mungen zu reduzieren.
Anderen
Beobachtende Teilnahme beka n nt
A B
Die frühen T-Gruppen-Leiter hielten die beobachtende Teilnahme für die optimale Me­ Anderen
thode der Beteiligung aller Gruppenmitglieder. Diese mussten sich in der Gruppe nicht u n beka n nt C D

576 577
nannte Johari-Fenster, 5 ein aus vier Feldern bestehendes Persönlichkeitsparadigma, das Als sich das Ziel der Gruppe von der Erziehung im herkömmlichen Sinn auf die
die Funktion des Feedbacks und der Selbstoffenbarung erklärt: persönliche Veränderung verschob, wuchs die Tendenz zur Namensänderung - von T­
Das Feld A, »Dem Selbst bekannt und anderen bekannt«, ist der öffentliche Bereich Gruppe (Training in mitmenschlichen Beziehungen) oder Sensitivity-Trainings-Grup­
des Selbst; Feld B, »Dem Selbst unbekannt und anderen bekannt«, ist der »blinde pe (Training in interpersonaler Sensibilität) zu einem Namen, welcher der Orientie­
Fleck«; Feld C, »Dem Selbst bekannt und anderen unbekannt«, ist der Geheimbereich; rung der Gruppe besser entsprach. Mehrere Bezeichnungen wurden vorgeschlagen:
Feld D, »Dem Selbst unbekannt und anderen unbekannt«, ist das unbewusste Selbst. »Gruppe zur Förderung der persönlichen Weiterentwicklung« bzw. zur »Förderung
Der Trainer weist darauf hin, dass die Ziele der T-Gruppe darin bestehen, den Umfang des menschlichen Potenzials« oder der »menschlichen Entwicklung«. Carl Rogers
des Feldes A auf Kosten des Feldes B (blinde Flecken) durch Feedback und auf Kosten schließlich schlug den Begriff »Begegnungsgruppe« (encounter group) vor, der die fun­
des Feldes C ( Geheimbereich) durch Selbstoffenbarung zu vergrößern. In traditio­ damentale authentische Begegnung zwischen den Gruppenmitgliedern (sowie auch
nellen T-Gruppen wurde das Feld D (das Unbewusste) als »im Aus« betrachtet. zwischen Gruppenleiter und Mitgliedern und zwischen unvereinbaren Persönlich­
keitsanteilen jedes einzelnen Mitglieds) vor. Diese von Rogers geprägte Bezeichnung
erwies sich als die dauerhafteste, und sie wurde zur bekanntesten Bezeichnung der in
G r u p penthera pie fü r n ichtk l i n ische Tei l n e h mer
den 1 960er-und 1 970er-Jahren so beherrschenden Selbsterfahrungsgruppen, in der
In den 1960er-Jahren fingen die klinisch orientierten Encountergruppenleiter von der man vor allem »alles herauslassen« sollte.
Westküste an, ein Modell einer T-Gruppe zu propagieren, das sie als »Gruppentherapie Die dritte Kraft in der Psychologie (nach der Freud'schen Psychoanalyse und dem
für Normale« bezeichneten. Sie stellten das Persönlichkeitswachstum6 in den Vorder­ Behaviorismus nach Watson und Skinner), die eine ganzheitliche, humanistische Auf­
grund, und obgleich sie die experientiell orientierte Gruppe weiterhin als ein Werk­ fassung von der Person hervorhob, gab der Encountergruppe aus einer weiteren Rich­
zeug der Erziehung, nicht der Therapie verstanden, schlugen sie eine umfassendere, tung Anstöße und Form. Psychologen wie Maslow, Alport, Fromm, May, Perls, Rogers
stärker humanistisch begründete Definition der Erziehung vor und argumentierten, und Bugenthal (und die Philosophen, die hinter ihnen standen - Nietzsche, Sartre, Til­
Erziehung sei nicht der Prozess des Erwerbs interpersonaler Fähigkeiten und von Füh­ lich, Jaspers, Heidegger und Husserl) rebellierten gegen das mechanistische Behavio­
rungsqualitäten, nicht das Verstehen der Funktionsweise von Organisationen und rismus-Modell, gegen den Determinismus und Reduktionismus der analytischen
Gruppen, sondern nichts Geringeres als die vollständige Entdeckung der eigenen Per­ Theorie. Wo, fragten sie, ist die Person? Wo sind Gewissen, Wille, Entschlusskraft,
son, die Entwicklung des gesamten Potenzials eines Menschen. Diese Gruppenleiter Verantwortung und Erkenntnis der grundlegenden und tragischen Dimensionen des
arbeiteten mit normalen, gesunden Mitgliedern der Gesellschaft - mit Menschen, die Daseins und die Sorge um sie?
nach den meisten objektiven Maßstäben beträchtliche Erfolge errungen hatten, aber All diese Einflüsse führten zur Entstehung einer Art von Gruppenarbeit, deren Ziel­
trotzdem weiterhin Anspannung, Unsicherheit und Wertkonflikte erlebten. Sie be­ setzungen noch sehr viel weiter gefasst und ungenauer waren: Man strebte nichts Ge­
merkten, dass viele Teilnehmer ihrer Gruppen in erster Linie damit beschäftigt waren, ringeres an als die »totale Erweiterung des Individuums«. Man nahm sich Zeit in der
eine äußere Fassade aufzubauen, ein öffentliches Image, das sie dann um jeden Preis Gruppe für nachdenkliches Schweigen, für das Anhören von Musik oder Lyrik. Die
zu erhalten versuchten. Die Gruppenmitglieder schluckten ihre Zweifel bezüglich der Mitglieder wurden ermutigt, ihre tiefsten Sorgen zu äußern - die grundlegenden Le­
eigenen Fähigkeiten herunter und waren ständig auf der Hut, um zu verhindern, dass benswerte und die Diskrepanz zwischen ihnen und dem Lebensstil eines jeden zu
irgendein Anzeichen von Unsicherheit oder Unbehagen erkennbar würde. überprüfen, sich mit ihren vielfältigen falschen Selbstanteilen auseinanderzusetzen,
Dieser Prozess behinderte die Kommunikation mit anderen Menschen ebenso wie seit langem verschüttete Anteile ihrer Persönlichkeit zu untersuchen (bei Männern galt
die des Betreffenden mit sich selbst. Die Gruppenleiter waren der Auffassung, dass Er­ dies beispielsweise für die weicheren, weiblichen Anteile).
folgreiche, um einen Dauerzustand der Selbstanklage zu eliminieren, an die Realität Eine Kollision mit den Vertretern der Psychotherapie war unvermeidlich. Die En­
ihrer Fassade allmählich zu glauben beginnen und dass sie versuchen, durch unbewuss­ countergruppen behaupteten, sie böten Therapie für Normale an, doch erklärten ihre
te Mittel innere und äußere Angriffe auf ihr Selbstbild abzuwehren. Auf diese Weise Verfechter andererseits auch, »Normalität« sei eine Fiktion,jeder sei Klient. Die Krank­
entsteht ein Zustand des Gleichgewichts, für den die Betreffenden jedoch einen hohen heit? Eine entmenschlichte, sich verselbstständigende Technokratie. Das Heilmittel?
Preis zahlen: Sie müssen viel Energie aufwenden, um intra- und interpersonale Tren­ Die Rückkehr zur Auseinandersetzung mit Grundproblemen der menschlichen
nungen (bzw. Spaltungen) aufrechtzuerhalten - eine Energie, die sie andernfalls für die Existenz. Das Instrument der Heilung? Die Encountergruppe! Nach ihrer Auffassung
Selbstverwirklichung verwenden könnten. Diese Leiter setzten ihren Gruppen ambi­ ließ sich das medizinische Modell nicht mehr auf psychische Erkrankungen anwenden.
tionierte Ziele - letztendlich ging es dabei um nicht weniger als die Verringerung der Die Unterscheidung zwischen psychischer Krankheit und Gesundheit wurde ebenso
toxischen Wirkungen der vom Konkurrenzstreben bestimmten amerikanischen vage wie die Unterscheidung zwischen Behandlung und Erziehung. Leiter von En­
Kultur. countergruppen behaupteten, alle Menschen seien Klienten, Therapie sei zu gut, um

578 579
auf die Kranken beschränkt zu bleiben, und man brauche nicht krank zu sein, damit senschaftlichen Untersuchungen interessierten Lesern die in der vorigen Ausgabe die­
es einem besser gehen könne. ses Handbuchs enthaltene Version des vorliegenden Kapitels, die in englischer Fassung
auf meiner Website www.yalom.com zu finden ist; eine vollständige Beschreibung ent­
Die Rolle des Gruppenleiters hält die zu dieser Studie erschienene Monografie Encounter Groups: First Facts.)7
Trotz des Eindringens der Encountergruppen in den Bereich der Psychotherapie gab
es zwischen beiden viele deutliche Unterschiede betreffs der grundsätzlichen Rolle des Die Teilnehmer
Gruppentherapeuten und des Encountergruppenleiters. Zum Zeitpunkt der Entste­ Wir boten an der Stanford University eine Selbsterfahrungsgruppe an. 2 1 0 Teilnehmer
hung der Encountergruppe hielten viele Gruppentherapeuten es für richtig, für sich schrieben sich für den Kurs ein und wurden dann nach dem Zufallsprinzip einer von
selbst völlig andere Verhaltensregeln festzulegen als für die übrigen Gruppenmitglieder. 1 8 Gruppen zugewiesen, die alle im Laufe von zwölf Wochen insgesamt 30 Stunden
Sie übertrugen den psychoanalytischen Stil, den sie in der Einzeltherapie bevorzugt lang zusammentrafen. 69 Probanden, die den Teilnehmern ähnelten, die jedoch nicht
hatten, auf die Gruppensituation und blieben auch in dieser bewusst rätselhaft und an einer Experimentalgruppe teilnahmen, wurden als Kontrollgruppe allen für die Er­
verwirrend. Undurchsichtig, wie sie meist waren, achteten sie strikt darauf, nur ihre gebnisuntersuchung verwendeten Tests unterzogen.
professionelle Persona zu zeigen, was zur Folge hatte, dass die Gruppenmitglieder die
Aussagen und Handlungen des Therapeuten häufig als machtvoll und besonders Die Gruppenleiter
scharfsinnig verstanden, völlig unabhängig von ihrem jeweiligen Inhalt. Da eines der Hauptziele der Studie war, die Wirkung der Behandlungstechnik der
Der Verhaltenskodex der Encountergruppenleiter hingegen war ein völlig anderer. Gruppenleiter auf das Ergebnis zu untersuchen, bemühten wir uns, Gruppenleiter zu
Sie waren generell flexibler, experimentierfreudiger, eher zur Selbstoffenbarung bereit, finden, die möglichst unterschiedlich arbeiteten - weshalb wir Vertreter verschiedener
und sie sicherten sich ihr Ansehen durch ihre Beiträge zum Gruppengeschehen. Die ideologischer bzw. theoretischer Ansätze auswählten. In allen Fällen handelte es sich
Gruppenmitglieder sahen die Encountergruppenleiter wesentlich realistischer und ih­ um erfahrene und gut ausgebildete Gruppenleiter, die zehn unterschiedlichen Schulen
nen selbst ähnlicher, abgesehen von ihrer überlegenen Kompetenz und ihrem Wissen angehörten:
in einem speziellen Bereich. Weiterhin bemühten sich diese Leiter, nicht nur Wissen,
sondern auch Fertigkeiten zu vermitteln, und sie erwarteten von den Gruppenmitglie­ 1 . Traditionelle NTL-Gruppen (T-Gruppen)
dern, dass sie Methoden der Diagnose und Auflösung interpersonaler Probleme erler­ 2. Encountergruppen (Förderung der Persönlichkeitsentwicklung)
nen würden. Oft verhielten sie sich implizit wie Lehrer - indem sie beispielsweise einen 3. Gestaltgruppen
bestimmten theoretischen Aspekt erläuterten beziehungsweise verbal oder nonverbal 4. Sensory-Awareness-Gruppen (Esalen)
eine Gruppenübung erklärten, mit welcher die Gruppe experimentieren sollte. Übri­ 5. Transaktionsanalytische Gruppen (TA)
gens ist es interessant, dass bei den heutigen Gruppenleitern Flexibilität und Experi­ 6. Psychodramagruppen
mentierfreude erneut eine wichtige Rolle spielen, und zwar in Form der Entwicklung 7. Synanongruppen (eine konfrontierende »Hot-seat«-Technik)
kognitiv-behavioraler Gruppenformen, die auf eine große Zahl spezieller Probleme 8. Psychoanalytisch orientierte Selbsterfahrungsgruppen
und Populationen eingehen. 9. Marathongruppen
10. Leiterlose Encountergruppen (Leitung vom Tonband)
Die Wi r ksa m keit der E n co u ntergru ppe
Insgesamt gab es 1 8 Gruppen. Von den 2 10 Probanden, die sich zu Beginn der Studie
In der Frühzeit der T-Gruppe untersuchten Sozialpsychologen akribisch deren Prozess in diesen Gruppen befanden, schieden 40 ( 19 Prozent) aus, bevor die Hälfte der Sit­
und Ergebnis. Viele dieser Studien sind heute noch beispielhaft für fantasievolle, raffi­ zungen stattgefunden hatte, und 170 schlossen die auf 30 Stunden geplante Gruppen­
nierte Forschung. arbeit planmäßig ab.
Die umfassendste (und teuerste) kontrollierte Erforschung der Wirksamkeit von
Gruppen, die es sich zur Aufgabe machen, Verhalten und Persönlichkeit zu ändern, Was wurde gemessen?
wurde im Jahre 1973 von Lieberman, Yalom und Miles durchgeführt. Dieses Projekt ist Am meisten interessierte uns eine intensive Untersuchung des Ergebnisses und der Be­
für die Gruppentherapie von großer Bedeutung, und da ich mich im vorliegenden ziehung zwischen Ergebnis, Technik des Leiters und Variablen des Gruppenprozesses.
Buch häufig auf die Erkenntnisse beziehe, die wir dadurch gewannen, werde ich die Zur Beurteilung des Ergebnisses wurde eine umfassende psychologische Testreihe an­
dabei benutzte Methode und die erzielten Resultate kurz beschreiben. (Seine Anlage gesetzt, die bei jedem Probanden dreimal angewandt wurde - vor Beginn der Grup­
und die Methode, die wir dabei anwendeten, sind komplex, und ich empfehle an wis- penarbeit, unmittelbar nach deren Ende und sechs Monate später.8

580 581
Um den Arbeitsstil der Gruppenleiter zu messen, beobachteten Teams ausgebildeter
Rater alle Sitzungen und enkodierten anschließend alle Verhaltensweisen der Grup­
penleiter in Echtzeit. Außerdem wurden alle Äußerungen der Gruppenleiter durch
Analyse von Tonbandaufzeichnungen und schriftlichen Transkripten der einzelnen
Sitzungen enkodiert. Weiterhin steuerten die Teilnehmer durch Ausfüllen entsprechen­ +' r­
\0 O'\ 0
E <:!"
der Fragebögen Beobachtungen über die Gruppenleiter bei. Prozessdaten wurden von '1l
V,
CI.J
"'
0 \0 \0

den Beobachtern gesammelt beziehungsweise den Fragebögen entnommen, welche die tlO

Teilnehmer am Ende jeder Sitzung ausfüllten.

*� *
Ergebnisse: Was haben wir gefunden? +'
Zunächst beurteilten die Teilnehmer die Gruppen sehr positiv. Bei Beendigung der "'
oo m "' m
CI.J
·- CI.J
> -
C
...
\0 ;:
CI.J
Gruppe beurteilten die 170 Probanden, die bis zum Ende teilnahmen, sie als »an­
genehm« (65 Prozent), »konstruktiv« (78 Prozent) und als »gute Lernerfahrung« -�
-0 tlO
t'.
CI.J
tlO

·- "'O

*"' *
:::,
(61 Prozent). über 90 �rozent erklärten, Encountergruppen sollten als regelmäßiges
...
+-' C:!! C:
VI :rn :n::s t'.
tlO CI.J
freiwilliges Angebot in das College-Curriculum auf genommen werden. Sechs Monate QJ E ai 0 O'\ r- "' ·- "'O
> <:!" m C:!! C: "' 00
-0 :(1) M
später war die Begeisterung verflogen, aber die Gesamtbeurteilung war immer noch po­ C: E
:�
C: >
sitiv. ·o.o
QJ
t'.
QJ
"'O

**
t'.
So viel zur Beurteilung. Wie steht es mit der Gesamtheit der objektiveren Ergebnis­ ca C
:(1) CI.J
"'O
se der Beurteilungen durch Tests? Das Gruppenergebnis jedes Teilnehmers (beurteilt QJ
..c ai
>
C
00 �
r- <:!"
"'"' "'m C
:� <:!" O'\
<:!" m
nach allen Tests) wurde bewertet und einer von sechs Kategorien zugeordnet: hat viel ::J >
Q)

C C
gelernt; hat sich mäßig verändert; ist unverändert; hat sich negativ verändert; ist krank CI.J
..r:
:::,

*� *
u
geworden (wesentliche, dauerhafte, psychische Dekompensation aufgrund der Teil­ e
..c
t'.
QJ
-0
nahme an der Gruppe); hat abgebrochen. Die Ergebnisse von allen 206 Versuchsper­ CI.J C

sonen und aller 69 Kontrollpersonen ist in Tabelle 1 zusammengefasst. (»Meßzeit­


tlO
..c "'

"'
r­ :ro
ai
0 0
'1l >
punkt l« bedeutet: bei Beendigung der Gruppe, »Meßzeitpunkt 2« bedeutet: bei der

* *:::!
Nachuntersuchung nach sechs Monaten.) > ..:.:
·- +'
+' C
Tabelle 1 zeigt, dass etwa ein Drittel der Teilnehmer bei Beendigung der Gruppe '1l '1l
tlO ...
m r- O'\
und bei der Nachuntersuchung nach sechs Monaten sich mäßig oder erheblich positiv
Q) ..:.:
C
ai
verändert hatte. Die Versuchspersonen der Kontrollgruppe, bei denen dieselben Unter­
suchungen durchgeführt wurden, zeigten viel weniger negative oder positive Verände­
l
rungen. Die Encountergruppe hatte also einen deutlichen Einfuss auf Veränderungen,
*
00

+' +'
"'
..:.: ..:.:
C C:
::J ::J
allerdings auf positive und negative. Die Dauerhaftigkeit der Veränderungen war groß: 0.. 0..
V, V,
V, Vl
Von denen, die sich positiv verändert hatten, behielten 75 Prozent diese Veränderung CI.J QJ
::z: ::z:
mindestens sechs Monate lang bei.
Kritisch formuliert, kann man sagen: Tabelle 1 zeigt: Für etwa zwei Drittel aller Pro­
banden, die eine von einem anerkannten Fachmann geleitete 30-stündige Encounter­
gruppe begannen, war dieses Erlebnis eher negativ (sie brachen die Arbeit ab, bekamen
tatsächlich psychische Probleme, veränderten sich negativ oder blieben unverändert).
Bei einer etwas großzügigeren Betrachtung der Ergebnisse könnte man folgendes
Resümee ziehen: Das Gruppenerlebnis war ein College-Kurs. Niemand erwartet von
Studenten, die einen Kurs abbrechen, dass sie von diesem profitieren. Deshalb schlie­
ßen wir die Abbrecher aus dem Datenbestand aus (siehe Tabelle 2). Tut man dies, er­
gibt sich, dass 39 Prozent der Studenten, die diesen College-Kurs besuchten, eine wichtige

582 583
positive persönliche Veränderung erlebten, die mindestens sechs Monate lang anhielt. Das Zahl von Variablen des Gruppenleiterverhaltens ( die von Beobachtern bewertet wur­
ist wahrlich nicht schlecht für einen zwölfwöchigen Kurs mit einem Zeitaufwand von den) ergaben sich vier grundlegende Leitungsfunktionen:
30 Stunden! (Und natürlich ist dieses Ergebnis auch signifikant für die heutige Situa­
tion der Gruppentherapie - angesichts der Tatsache, dass die Manager des Gesund­ 1 . Emotionale Anregung (herausfordernde, konfrontierende Aktivität, eindring­
heitswesens sich grundsätzlich für kürzere Therapien aussprechen.) liches Beispielgeben durch das Eingehen persönlicher Risiken und weitgehende
Wenn wir jedoch der Ansicht sind, das Glas sei zu einem Drittel voll und nicht zu Selbstoffenbarung)
zwei Dritteln leer, können wir uns nur schwer der Folgerung entziehen, dass die En­ 2. Anteilnahme (Unterstützung, Zuwendung, Lob, Schutz, Wärme, Annahme, Echt­
countergruppe in diesem Projekt nicht als kraftvolles Veränderungs-Agens erscheint. heit, Besorgtheit)
Außerdem gab es einen nicht unbedeutenden Risikofaktor: 1 6 (8 Prozent) der 206 über­ 3. Sinngebung ( erklären, klarstellen, interpretieren, der Veränderung einen kognitiven
prüften Probanden erlitten eine psychische Schädigung mit Nachwirkungen, die noch Rahmen geben, Gefühle und Erlebnisse in Ideen übersetzen)
sechs Monate nach Ende der Gruppenarbeit vorhanden waren. 4. Exekutive Funktion ( Grenzen, Regeln, Normen, Ziele setzen, Zeit einteilen, das
Bei der Interpretation der Ergebnisse muss man jedoch vorsichtig sein. Würde man Tempo des Fortschreitens bestimmen, Verfahren anhalten, unterbrechen und vor­
schließen, Encountergruppen seien grundsätzlich unwirksam oder sogar gefährlich, schlagen).
täte man den Daten Gewalt an. Erstens lässt sich schwer einschätzen, inwieweit sich die
Ergebnisse dieser Untersuchung auf andere Populationen übertragen lassen, also auf Diese vier Funktionen der Leitung von Gruppen ( emotionale Anregung, Anteilnahme,
Menschen, die nicht College-Studenten in den unteren Semester sind. Noch wichtiger Sinnstiftung, Exekutivfunktion) sind für die Leitung von Therapiegruppen von großer
jedoch ist, dass die Daten in dieser Studie behandelt werden, als seien alle Probanden Bedeutung. Außerdem standen sie in einer klaren und auffälligen Beziehung zum Re­
Mitglieder einer einzigen Encountergruppe gewesen. Es gab jedoch kein Standard­ sultat. Anteilnahme und Sinngebung entsprachen dem positiven Ergebnis. Mit anderen
Encountergruppen-Erlebnis, sondern 1 8 unterschiedliche Gruppen, mit einer jeweils Worten: Je stärker die Anteilnahme und je ausgeprägter die Sinngebung war, desto höher
eigenen Kultur. Jede ermöglichte ein anderes Erlebnis, und das Ergebnis fiel in allen war das positive Ergebnis.
Fällen völlig unterschiedlich aus. In einige Gruppen trat bei fast jedem Mitglied eine Die beiden anderen Funktionen, emotionale Anregung und exekutive Funktion,
positive Veränderung ein, und niemand nahm Schaden; in anderen Gruppen hatte standen in nicht linearer Beziehung zum Ergebnis und bestätigten die Regel vom golde­
kein einziges Mitglied von der arbeit irgendeinen Nutzen, und man konnte sich glück­ nen Mittelweg: Zu viel oder zu wenig von diesem Verhalten des Leiters führte zu einem
lich schätzen, wenn man unverändert blieb. weniger positiven Ergebnis.
Die nächste Frage - eine Frage, die für die Psychotherapie sehr relevant ist - lautet Schauen wir uns die emotionale Anregung des Leiters genauer an: Zu wenig emo­
natürlich: Welche der zehn Arten von Gruppenleitern erzielten die besten Ergebnisse und tionale Anregung durch den Leiter führte zu einer kraft- und leblosen Gruppe; zu viel
welche die schlechtesten? Der T-Gruppen-Leiter, der Gestaltgruppenleiter, der transak­ Anregung (besonders bei ungenügender Sinngebung) führte zu einem stark geladenen
tionsanalytisch orientierte Leiter, der Psychodrama-Leiter und so weiter? Uns wurde emotionalen Klima, wobei der Gruppenleiter auf mehr emotionale Interaktion dräng­
jedoch bald klar, dass es nicht sinnvoll war, die Frage in dieser Form zu stellen. Das Ver­ te, als die Mitglieder verkraften konnten. Zu wenig Leitung - ein Laissez-faire-Stil -
halten der Gruppenleiter unterschied sich stark (wenn die Beobachter es differenziert führte zu einer verwirrten, richtungslosen Gruppe; zu viel führte zu einer stark struk­
bewerteten) , und es entsprach nicht den Erwartungen, die wir vor Beginn der Grup­ turierten, autoritären, arrhythmischen Gruppe, bei deren Mitgliedern sich ebenso we­
penarbeit gehabt hatten. Die ideologische Orientierung, der sich ein Gruppenleiter zuge­ nig ein Gefühl der Selbstständigkeit entwickelte wie eine frei fließende Interaktions­
hörigfühlte, sagte uns wenig über das tatsächliche Verhalten des einzelnen Gruppenleiters. sequenz.
Wir stellten fest, dass das Verhalten des Gruppenleiters einer bestimmten Richtung - Nun wenden wir uns der Exekutivfunktion des Gruppenleiters zu: Der erfolgreichste
zum Beispiel der Gestalttherapie - demjenigen des anderen Anhängers der Gestaltthe­ Gruppenleiter war demnach - und dies ist für Gruppentherapien generell höchst auf­
rapie nicht ähnlicher war als dem irgendeines der anderen 1 7 Gruppenleiter. Anders schlussreich - einer, der maßvoll anregte, seine Leiterfunktion mäßig wahrnahm, viel An­
ausgedrückt: Das Verhalten eines Gruppenleiters lässt sich nicht aus der Bevorzugung teilnahme zeigte und viel Mühe auf Sinngebung verwandte. Sowohl Anteilnahme als
einer bestimmten ideologisch-theoretischen Orientierung erschließen. Dennoch hing auch Sinngebung waren offenbar unverzichtbar: Einer dieser beiden Faktoren allein
die Effektivität einer Gruppe weitgehend vom Verhalten ihres Leiters ab. genügte nicht, um Erfolg zu garantieren.
Wie soll man die Frage nach dem wirksamsten Leitungsstil beantworten? Die ideo­ Diese aufgrund von Studien über Encountergruppen gewonnenen Resultate ent­
logische Orientierung - das, was die Leiter über ihre Aktivität sagen - ist offenbar rela­ sprechen weitgehend dem, was in Kapitel 5 über die Funktionen des Gruppenthera­
tiv unwichtig. Wir brauchten also eine genauere, empirisch fundierte Methode, um das peuten gesagt wurde. Sowohl emotionale Anregung als auch kognitive Strukturierung
Verhalten der Gruppenleiter zu beschreiben. Aus einer Faktorenanalyse einer großen sind wichtig. Die von Carl Rogers genannten Faktoren Einfühlung, Echtheit und

584 585
bedingungslose positive Beachtung sind somit unvollständig: wir müssen ihnen die Schaden zufügten, befähigten nicht zugleich andere dazu, besonders viel zu lernen.
kognitive Funktion des Gruppenleiters hinzufügen. Die referierte Studie sagt nichts Die produktiven Gruppen waren die ungefährlichen. Dass eine Gruppe, in der
darüber aus, welche Art von Sinngebung wichtig ist. Verschiedene Erklärungssysteme Teilnehmer ein hohes Risiko eingehen, auch großen Erfolg ermöglicht, ist unserer
(beispielsweise das interpersonale, das psychoanalytische, das transaktionsanalytische, Studie zufolge eine Märchen.
das gestalttherapeutische, das rogerianische und so weiter) waren offenbar nützlich. 6. » Vielleicht ist dir jetzt nicht klar, was du gelernt hast, aber wenn du später einmal
Entscheidend ist der Prozess der Erklärung, der es den Teilnehmern in verschiedener darüber nachdenken wirst, wirst du zu schätzen wissen, wie viel du gelernt hast« soll­
Hinsicht ermöglichte, ihre Erfahrung zu integrieren, zu verallgemeinern und auf te werden zu: » Wenn du jetzt vorankommen willst, dann zähle nicht auf später.« Oft
andere Lebenssituationen zu übertragen. heißt es, ein Mensch könne durch ein Gruppenerlebnis erschüttert werden, doch
Die Wichtigkeit der Sinngebung wurde noch durch etwas anderes stark bekräftigt. nach dem Ende der Gruppenarbeit werde er sein Erlebnis integrieren und danach
Als die Mitglieder (am Ende jeder Sitzung) aufgefordert wurden, das wichtigste Ereig­ stärker sein als je zuvor. In unserer Studie war es keinem Teilnehmer, der am Ende
nis der Sitzung und den Grund für seine Wichtigkeit zu nennen, stellten wir fest, dass der Gruppenarbeit ein negatives Ergebnis hatte, bei der überprüfung sechs Monate
die Mitglieder, die von der Gruppenerfahrung profitierten, mit viel größerer Wahr­ später gelungen, ein letztendlich positives Resultat zu erreichen.
scheinlichkeit Ereignisse nannten, die mit kognitiver Integration zu tun hatten. (Selbst
eine so hoch geschätzte Tätigkeit wie die Selbstoffenbarung hatte nur einen geringen
Die Bezieh u ng zwischen d e r E ncou ntergru ppe
Bezug zur Veränderung, wenn sie nicht von intellektueller Einsicht begleitet war.) Die
Ubiquität und die Häufigkeit dieser Feststellung waren sowohl eindrucksvoll als auch u n d der Thera piegru ppe
unerwartet, da wir es mit Encountergruppen zu tun hatten, deren fundamentales Ethos Nachdem ich die Entwicklung der Encountergruppe bis zu dem Punkt nachgezeichnet
anti-intellektuell ist. habe, an dem sie sich mit der Psychotherapiegruppe berührt, möchte ich mich nun der
Als man die Ergebnisse (sowohl auf der Ebene der Gruppe als auch der des Einzel­ Entwicklungsgeschichte der Therapiegruppe zuwenden, um den Austausch zwischen
nen) mit dem Ablauf der Ereignisse während des Bestehens einer Gruppe korrelierte, den beiden Disziplinen deutlich zu machen.
ergaben sich mehrere Folgerungen, die darauf hindeuteten, dass einige allgemein
akzeptierte Maximen für die Arbeit mit Gruppen neu formuliert werden mussten. Die Entwicklungsgeschichte der Gruppentherapie
Beispielsweise: Die Geschichte der Gruppentherapie ist anderswo gründlich beschrieben worden, dass
es unnötig wäre, sie hier zu wiederholen.9 Ein kurzer Überblick hier wird die Grund­
1. »Fühle - und denke nicht« sollte verändert werden zu: »Fühle, aber denke dabei. « strömungen aufzeigen. Es ist allgemein anerkannt, dass Joseph Hershey Pratt, ein Bos­
2. »Lass alles raus« sollte werden zu: »Lass mehr heraus als gewöhnlich, wenn es sich in toner Internist, im Allgemeinen als Vater der heutigen Gruppentherapie angesehen
der Gruppe >richtig anfühlt< und wenn du dir darüber klar werden kannst, was es be­ wird. Im Jahr 1905 unternahm Pratt die Behandlung einer großen Zahl von Klienten
deutet.« Im Rahmen dieser Studie erwies sich Selbstoffenbarung oder emotionale mit fortgeschrittener Tuberkulose. Pratt behandelte viele Patienten mit Tuberkulose
Ausdrucksfähigkeit (bezogen auf positive wie negative Gefühle) allein nicht als aus­ im fortgeschrittenen Stadium, und da er die Beziehung zwischen psychischer Gesund­
reichend, um eine Veränderung herbeizuführen. heit und dem Verlauf der Tuberkulose erkannt hatte, beschloss er, statt der Krankheit
3. »Es ist wichtig, Wut herauszulassen « sollte umformuliert werden zu: » Wut heraus­ die Person zu behandeln. Er entwarf einen Behandlungsplan, zu dem Hausbesuche,
zulassen kann in Ordnung sein, aber sie ständig draußen zu lassen, ist nicht in Ord­ das Führen von Tagebüchern durch die Klienten und wöchentliche Zusammenkünfte
nung.« übermäßiger Ausdruck von Wut erwies sich als kontraproduktiv: Er führte einer »Tuberkuloseklasse« von etwa 25 Personen gehörten. In diesen Unterrichtsstun­
nicht zu einem besonders starken Lernerfolg und erhöhte generell die Gefahr eines den wurden die Tagebücher begutachtet, Gewichtszunahmen wurden öffentlich an die
negativen Resultats. Wandtafel geschrieben, und erfolgreiche Klienten berichteten über ihre Heilung. Es
4. »Es gibt keine Gruppe, sondern nur Einzelpersonen « sollte abgewandelt werden zu: entwickelten sich beträchtliche Kohäsivität und gegenseitige Unterstützung, die nütz­
»Gruppenprozesse wirken sich auf das Lernen aus, ganz gleich, ob der Gruppenleiter lich erschienen, um Depression und Isolierung zu bekämpfen, die bei tuberkulösen
gerade auf sie achtet oder nicht. « Das Lernen wurde in starkem Maße durch Grup­ Klienten so weit verbreitet sind.
pencharakteristika wie Kohäsivität, Klima, Normen und die Rolle eines bestimmten In den 1920er- und 1930er- Jahren experimentierten mehrere Psychiater mit Grup­
Mitgliedes innerhalb der Gruppe beeinflusst. penmethoden. Adler verwendete in Europa Gruppenmethoden, weil er sich der sozi­
5. »Nur wer wagt, der gewinnt« sollte abgewandelt werden zu: »Das Risiko in Encoun­ alen Natur der Probleme des Menschen bewusst war und weil er den Wunsch hatte, der
tergruppen ist beträchtlich und steht in keiner verlässlichen Relation zu einem zu er ­ Arbeiterklasse psychotherapeutische Hilfe zu bieten. 1 0 Lazell hielt 1921 Zusammen­
wartenden Gewinn.« Gruppen mit besonders hohem Risiko, die vielen Mitgliedern künfte mit Gruppen von schizophrenen Klienten des St.-Elizabeth-Krankenhauses in

586 587
Washington, D.C., ab und hielt Vorträge über Schizophrenie. 11 Marsh gründete einige Programmen zur Behandlung chronisch hospitalisierter Patienten 15 regelmäßig ge­
Jahre später Gruppen zur Linderung einer ganzen Reihe klinischer Probleme, darunter nutzt. Einige Kliniker überwiesen Patienten, die bei ihnen in Einzeltherapie waren, in
Psychosen, Psychoneurosen, psycho-physiologische Störungen und Stottern. 12 Er wen­ T-Gruppen, weil sie sich davon versprachen, dass die Betreffenden dadurch offener für
dete verschiedene Techniken an, unter anderem auch didaktische Methoden wie Vor­ die Einzelarbeit würden (so wie später, in den 1 980er- Jahren, einige Kliniker ihren Pa­
träge, Hausaufgaben und Übungen, welche die Interaktion fördern sollten. Beispiels­ tienten empfahlen, an Trainingsprogrammen teilzunehmen, die in großen Gruppen
weise wurden Gruppenmitglieder aufgefordert, sich gegenseitig zu behandeln oder durchgeführt wurden, beispielsweise EST und Lifespring). 16
Themen wie ihre frühesten Erinnerungen, Bestandteile ihrer Minderwertigkeitskom­ Später jedoch entwickelten sich die T-Gruppen zur großspurigen Encountergrup­
plexe sowie Nacht- und Tagträume zu diskutieren. Wender benutzte in den 1930er­ pe, die von sich behauptete, sie biete »Gruppentherapie für Normale« an, und »jeder
Jahren analytische Gruppenmethoden bei hospitalisierten nicht psychotischen Klien­ Mensch sei psychisch krank«, was die Beziehung zwischen den beiden Seiten stark be­
ten, während Burows und Schilder diese Techniken in der Behandlung psychoneuroti­ lastete. Auf diese Weise entstanden Meinungsverschiedenheiten, die teilweise territori­
scher ambulanter Klienten verwendeten. Slavson, der mit Gruppen gestörter Kinder aler Natur waren und teilweise auf den unterschiedlichen Zielsetzungen von Encoun­
und Jugendlicher arbeitete, übte zu einer Zeit, in der die Gruppentherapie von den tergruppen und Therapiegruppen beruhten.
meisten Praktikern noch nicht als eine wirksame therapeutische Methode angesehen Die Encountergruppenleiter wurden noch anspruchsvoller und beharrten darauf,
wurde, in diesem Bereich durch seine Lehre und seine Schriften erheblichen Einfluss dass ihre Gruppenteilnehmer eine therapeutische Erfahrung gemacht hätten und dass
aus. Moreno, der als Erster den Ausdruck »Gruppentherapie« benutzte, wandte schon es in Wahrheit keinen Unterschied zwischen persönlicher Weiterentwicklung und Psy­
vor 1920 Gruppenmethoden an, doch wird er hauptsächlich mit dem Psychodrama in chotherapie gebe (zwischen »Bewusstseinserweiterung« und »Kopfklempnerei«). Au­
Verbindung gebracht, das er 1925 in Amerika einführte. 13 ßerdem wurde klar, dass es zwischen denen, die nach Psychotherapie verlangten, und
Diese tastenden Anfänge in der Anwendung der Gruppentherapie wurden durch denen, die Encounter-Erfahrungen suchten, manche Berührungspunkte gab. Viele Lei­
den Zweiten Weltkrieg stark beschleunigt; zu dieser Zeit machte die große Zahl von ter von Encountergruppen folgerten also, sie praktizierten Psychotherapie - eine
psychiatrischen Klienten beim Militär und die kleine Zahl von Psychiatern die Einzel­ schnellere und effektivere Art der Psychotherapie -, und boten entsprechend ihre
therapie undurchführbar und erforderte den Einsatz zeitsparenderer Behandlungs­ Dienste an.
methoden. Die traditionellen Therapeuten waren zutiefst beunruhigt. Die Psychotherapeuten
In den 1950er-Jahren wechselte die Gruppentherapie in die andere Richtung: zur empfanden es nicht nur als bedrohlich, dass andere in ihrem Territorium wilderten,
Anwendung in unterschiedlichen klinischen Milieus und für unterschiedliche Arten sondern sie sahen die Arbeit der Encountergruppen zudem als verantwortungslos wag­
klinischer Probleme. Theoretiker - Anhänger von Freud, Sullivan, Horney und Ro­ halsig und potenziell schädlich für die Teilnehmer an. Sie brachten Bedenken bezüglich
gers - erforschten die Anwendung ihrer begrifflichen Bezugssysteme auf Theorie und mangelnden Verantwortungsbewusstseins der Encountergruppenleiter zum Ausdruck,
Praxis der Gruppentherapie. ihrer unzureichenden klinischen Ausbildung und ihrer ethisch bedenklichen Werbe­
Die Therapiegruppe und die T-Gruppe stammen also aus verschiedenen Diszipli­ aussagen, denen zufolge sich monate- oder sogar jahrelange Therapien im Laufe eines
nen. Viele Jahre lang haben die beiden Disziplinen ihren Weg als zwei parallele Wis­ einzigen intensiven Wochenendes abhandeln ließen. Die Gegensätze verschärften sich,
sensströmungen fortgesetzt, wobei jede ihre eigene Theorie und Technik entwickelt und bald initiierten die Berufsverbände der Psychiater und Psychotherapeuten Kam­
hat, wenn auch manche Gruppenleiter in beiden Bereichen zu Hause waren und in pagnen und drängten die Regierungen der Bundesstaaten, die Durchführung von En­
verschiedenen Rahmen sowohl T-Gruppen als auch Therapiegruppen leiteten. Die T ­ countergruppen juristisch zu regulieren, sie aus Schulen fernzuhalten und ihre Leiter
Gruppe blieb immer der Forschung tief verpflichtet und identifizierte sich weiterhin für unzuträgliche Wirkungen haftbar zu machen.
mit den Bereichen der Sozialpsychologie, der Erziehung, der Organisationsentwick­ Die resolute Reaktion der Standesorganisationen war ein teilweise irrationaler Ver­
lung. such, einen vermeintlichen Einbruch in das eigene Territorium abzuwehren. Allerdings
war sie insofern angemessen, als sie bestimmten Exzessen von Teilen der Encounterbe­
Therapiegruppe und Encountergruppe: Erster Austausch wegung Einhalt gebot. Diese Exzesse resultierten aus der Anwendung einer »Crash­
In den 1 960er- Jahren fand ein gewisses Maß an konstruktivem Austausch zwischen Programme« befürwortenden Mentalität, die sich beispielsweise bei der Erforschung
Gruppentherapie und Sensitivitätstraining statt. Viele Psychiater und Psychothera­ des Weltraums und bei der Industrialisierung bewährt hatte, auf den Bereich der zwi­
peuten nahmen im Rahmen ihrer Ausbildung an einer Encountergruppe teil, führten schenmenschlichen Beziehungen - mit der Folge absurder Resultate. Wenn etwas gut
später selbst Encountergruppen und/oder wandten diese Techniken in ihrer Psycho­ ist, muss mehr davon besser sein. Wenn Selbstoffenbarung in Gruppen gut ist, muss
therapie an. Klinische Forscher lernten von den Forschungsmethoden der T-Gruppen totale, sofortige, wahllose Offenbarung im Zustand der Nacktheit noch besser sein.
eine Menge; T-Gruppen wurden bei der Ausbildung von Gruppentherapeuten 14 und in Wenn Engagement gut ist, muss lange anhaltendes, kontinuierliches, zum Marathon

588 589
erweitertes Engagement besser sein. Wenn es gut ist, Gefühle auszudrücken, müssen
Schlagen, Berühren, Fühlen, Küssen und Beischlaf besser sein. Wenn ein Gruppen­
erlebnis gut ist, ist es für jedermann gut, in allen Phasen des Lebenszyklus und in allen
Lebenslagen. Diese Exzesse brüskierten oft das Geschmacksempfinden der Öffentlich­ Kapitel 17
keit, und wie die Forschung zeigte, konnten sie manchen Teilnehmern solcher Ver­
anstaltungen auch gefährlich werden.
Seit jener Zeit der Verbitterung und der Polarisierung, die mittlerweile Jahrzehnte
zurückliegt, sind weder die etablierte Therapie noch die Encountergruppenszene noch
Die Ausbild un g d es G ru ppenth e rape uten
so, wie sie einmal waren. Obgleich von der Encountergruppenbewegung mit all ihren
Exzessen, ihrer Grandiosität und ihren extravaganten Ansprüchen kaum noch etwas Die Gruppentherapie ist eine eigenartige Pflanze im Garten der Psychotherapie. Sie ist
übrig geblieben ist,' hat sie zweifellos die heutige Gruppentherapie beeinflusst. Er­ widerstandsfähig: Die beste verfügbare Forschung hat gezeigt, dass Gruppentherapie
findungsreichtum, Forschergeist und sachliche Kompetenz, das hoch entwickelte ebenso effizient ist wie die Einzeltherapie. 1 Sie braucht jedoch ständige Pflege, denn sie
Verständnis von Gruppenleitung und die Ausbildungstechnologie der Pioniere unter hat das Schicksal, immer wieder von denselben alten Unkräutern erstickt zu werden:
den Encountergruppenleitern haben in unserem Fachbereich eine unauslöschliche Gruppentherapie sei »oberflächlich«, »gefährlich«, eine »Therapie zweiter Klasse - nur
Spur hinterlassen. anzuwenden, wenn Einzeltherapie nicht zu haben oder nicht zu bezahlen ist«.
Klienten und viele Angehörige psychotherapeutischer Berufe unterschätzen und
fürchten die Gruppentherapie immer noch, und eben diese Einstellungen beeinflussen
Ausbildungsprogramme für die Gruppentherapie nachteilig. Die Gruppentherapie hat
nicht oft akademisches Ansehen genossen. Genauso verhält es sich in Kliniken und in
den Hierarchien der Krankenhausverwaltung: Nur selten erreicht jemand, der sich für
eine Gruppentherapie engagiert, eine Position professioneller Autorität.
Warum? Vielleicht, weil sich die Gruppentherapie nicht von dem anti-intellektuel­
len Makel der Encountergruppen-Bewegung reinigen kann oder weil einer strengen,
wirklich sinnvollen Forschung ungeheure, implizite methodische Hindernisse im Wege
stehen. Vielleicht ist dies auch so, weil wir als Therapeuten ebenso wie die Klienten den
Wunsch haben, das besondere und einzigartige Objekt der Aufmerksamkeit zu sein,
das die Einzeltherapie uns zu sein verspricht. Vielleicht ziehen viele von uns es auch
vor, die Angst zu meiden, die mit der Rolle des Gruppenleiters unausweichlich verbun­
den ist - aufgrund einer stärkeren öffentlichen Zurschaustellung als Therapeut, des ge­
ringeren Gefühls, die Kontrolle zu haben, der Angst davor, vom Geschehen in der
Gruppe überrollt zu werden, und schließlich der Menge an klinischem Material, die zu
synthetisieren ist. Vielleicht wecken Gruppen bei uns auch unangenehme persönliche
Erinnerungen an frühere eigene Erlebnisse in Gruppen Gleichaltriger.2
Versuche, diese Situation zu ändern, haben immer Wirkung gezeigt - aber nur sehr
kurze Zeit.Auf eine anfängliche Welle erneuter Begeisterung für die Gruppentherapie
folgt Vernachlässigung, und bald wuchern wieder all die alten Unkräuter. Im Augen­
blick brauchen wir eine ganze neue Generation gut ausgebildeter Gärtner, und das er­
fordert von uns, dass wir uns sorgsam um die Ausbildung angehender Gruppenthera­
* Damit will ich nicht den Eindruck erwecken, dass das Ethos der Encountergruppenverfechter plötz­ peuten und um unsere eigene berufliche Weiterentwicklung kümmern.
lich verschwunden sei. Vielrriehr sind viele Aspekte der Encounterbewegung nach wie vor relevant. In diesem Kapitel lege ich meine Ansichten über die Ausbildung in Gruppenthera­
Unter anderem wurde sie transformiert zu Großgruppen-Gewahrseinstrainings wie EST und Life­
spring und in diesen Formen kommerzialisiert (von denen Varianten in verschiedenen Teilen der Welt
pie dar, nicht nur in spezifischen Empfehlungen für einen Ausbildungsplan, sondern
bis heute existieren), und ihr Einfluss ist auch deutlich zu erkennen in Programmen wie den weit ver­ auch in der Form allgemeiner Überlegungen, die eine der Ausbildung zugrunde liegen­
breiteten Judeo-Christian-National-Marriage-Encounter-Programmen. de Philosophie betreffen. Der in diesem Buch beschriebene Therapieansatz beruht auf

590 591
klinischer Erfahrung und auf der Einbeziehung der besten verfügbaren Forschungs­ Jedes Programm hat seine eigenen einzigartigen Bedürfnisse und Hilfsquellen. Ich
ergebnisse. Auch in der Ausbildung stehen eine klinische und eine forschungsorientier­ kann zwar nicht hoffen, einen Plan für ein universelles Ausbildungsprogramm anzu­
te Richtung in enger Beziehung zueinander: Zur Entwicklung des reifen Therapeuten bieten, ich werde aber im folgenden Abschnitt die vier Hauptkomponenten bespre­
ist der Erwerb einer forschenden oder hinterfragenden Einstellung zur eigenen Arbeit chen, die nach meiner Ansicht für ein umfassendes Ausbildungsprogramm über Di­
und zur Arbeit anderer notwendig. daktik und Theorie hinaus wesentlich sind: ( 1) erfahrene Gruppentherapeuten bei der
Viele Ausbildungsprogramme für Angehörige der psychotherapeutischen Berufe Arbeit zu beobachten, (2) bei der Durchführung ihrer ersten Gruppe strenge klinische
gründen sich auf das Modell der Einzeltherapie und liefern entweder nicht genug Aus­ Supervision zu erhalten, (3) selbst eine Gruppenerfahrung zu machen und ( 4) sich
bildung in Gruppentherapie oder bieten diese nur als wahlfreien Teil des Programms selbst einer Psychotherapie zu unterziehen.
an. Trotz klarer Anzeichen dafür, dass die Praxis der Gruppentherapie an Bedeutung
zunehmen wird, zeigen neueste Untersuchungen, dass die meisten akademischen Aus­ Das Beobachten e rfa h rener K l i n i ker
bildungsprogramme kein Training in Gruppentherapie anbieten. Es ist durchaus nicht
ungewöhnlich, dass Ausbildungskandidaten ausgezeichnete und intensive Supervision Ausbildungskandidaten haben enormen Nutzen davon, wenn sie einem erfahrenen
in der Einzeltherapie bekommen und dann schon am Anfang ihrer Ausbildung aufge­ Gruppentherapeuten bei der Arbeit zuschauen. 71 Es ist äußerst ungewöhnlich, dass
fordert werden, ohne jede spezielle Anleitung Therapiegruppen zu leiten. Offenbar er­ Studenten einen älteren Kliniker bei der Arbeit mit Einzelklienten beobachten können.
warten viele Ausbildungsleiter, dass die Kandidaten irgendwie fähig sein werden, ihre Die Gruppentherapie ist aufgrund ihres öffentlicheren Charakters häufig die einzige
Ausbildung in Einzeltherapie in Fertigkeiten bei der Gruppentherapie umzuwandeln, Form von Psychotherapie, die Ausbildungskandidaten jemals direkt beobachten kön­
ohne dass sie die Arbeit in Therapiegruppen in nennenswertem Maße selbst erlebt nen. Erfahrene Kliniker fühlen sich oft zunächst äußerst unwohl, wenn sie bei ihrer
oder sie in klinischen Zusammenhängen kennengelernt hätten. Dies führt nicht nur Arbeit beobachtet werden; doch wenn sie sich erst einmal dazu bereitgefunden haben,
dazu, dass die Betreffenden auf die Leitung von Therapiegruppen unzureichend vor­ wird der Vorgang nicht nur angenehm, sondern auch für alle Beteiligten lohnend: für
bereitet sind, sondern es hat außerdem zur Folge, dass die Studenten die gruppenthe­ Ausbildungskandidaten, Gruppenmitglieder und Therapeuten.
rapeutische Arbeit generell als minderwertig ansehen. 3 Es ist unverzichtbar, dass Aus­ Die Methode der Beobachtung ist natürlich von den räumlichen Möglichkeiten ab­
bildungsprogramme für Psychotherapeuten die Notwendigkeit stringenter, gut orga­ hängig. Ich lasse die Studenten meine Gruppenarbeit am liebsten durch einen Einweg­
nisierter Gruppentherapie-Ausbildung anerkennen und dass sie Seminare anbieten, spiegel beobachten, aber wenn die Zeitpläne der Auszubildenden es ihnen nicht erlau­
die den Bedürfnissen der Ausbildungskandidaten entsprechen. Die American Group ben, bei einer 90 Minuten dauernden Gruppensitzung und der anschließenden Dis­
Psychotherapy Association (AGPA) und die American Counseling Association haben kussion anwesend zu sein, lasse ich die Sitzung auch auf Video aufnehmen und Teile
Ausbildungsrichtlinien für die Zertifikation von Gruppentherapeuten entwickelt, an davon in einem kürzeren Seminar mit den Studenten wieder abspielen. Bei diesem
denen sich Ausbildungen orientieren könnten. Beispielsweise fordert die National Re­ Verfahren muss der Therapeut mehr Zeit investieren, und für die Gruppenmitglieder
gistry of Certified Group Psychotherapists der AGPA ein Minimum von zwölf Stunden bedeutet es mehr Irritation, weil die Kamera dabei ist. Wenn es nur einen oder zwei
didaktischer Unterweisung, 300 Stunden Leitung von Gruppentherapien und 75 Stun­ Beobachter gibt, können sie im Gruppenraum sitzen, ohne die Mitglieder über Gebühr
den gruppentherapeutischer Supervision durch einen Gruppentherapeuten, der selbst abzulenken, doch empfehle ich ihnen dringend zu schweigen, außerhalb des Gruppen­
die Zertifikation erlangt hat.4 kreises zu bleiben und Fragen, welche die Gruppenmitglieder ihnen möglicherweise
Die Krise in der medizinischen Ökonomie und der wachsende Einfluss von Wirt­ stellen, nicht zu beantworten.
schaftlichkeitserwägungen im Gesundheitssystem zwingen uns dazu, der Tatsache ins Gleichgültig, welcher Methode man sich bedient, müssen die Gruppenmitglieder
Auge zu sehen, dass die psychotherapeutische Behandlung von Einzelklienten dem in natürlich über die Anwesenheit von Beobachtern und deren Absicht voll informiert
der heutigen Gesellschaft bestehenden Bedarf an psychologischer Betreuung nicht ge­ werden. Ich erinnere die Klienten, dass Beobachtung für die Ausbildung notwendig ist,
recht zu werden vermag. Auch die Organisatoren von Managed-Care-Systemen sagen dass ich selbst auf diese Weise ausgebildet wurde und dass die Bereitschaft der Klien­
eine rapide Zunahme der Nutzung von Gruppentherapien voraus, insbesondere in ten, Beobachter zuzulassen, schließlich weiteren Klienten zugute kommen wird, die in
Form strukturierter und zeitlich begrenzter Gruppentherapien.5 Es ist völlig klar, dass der Zukunft von den Ausbildungskandidaten behandeln werden. Ich füge einen weite­
wir im Laufe der Zeit immer mehr auf Gruppenmethoden angewiesen sein werden. Ich ren Punkt hinzu: Die Beobachtungen, welche die Studenten mir in der Diskussion
denke, dass jedes Ausbildungsprogramm in der Psychotherapie, das dies nicht an­ nach der Sitzung anbieten, sind gewöhnlich für den Prozess der Therapie von Wert. Es
erkennt und von den Ausbildungskandidaten nicht erwartet, dass sie in der Gruppen­ gibt allerdings Möglichkeiten (auf die ich später zu sprechen kommen werde), die Kli­
therapie ebenso kompetent werden wie in der Einzeltherapie, seiner Verantwortung enten an der Diskussion mit den Beobachtern nach der Gruppensitzung zu beteiligen,
in diesem Bereich nicht gerecht wird. und in der Regel ziehen die Klienten aus solchen Gesprächen großen Nutzen.

592 593
Die Gesamtzeit, in der Ausbildungskandidaten eine Gruppe beobachten, wird im gehalten werden, die gleichen professionellen Standards hinsichtlich Vertraulichkeit
Allgemeinen durch Schicht- und Dienstpläne eingeschränkt. Wenn das Programm fle­ und ethischem Verhalten zu erfüllen wie die Therapeuten. 8
xibel genug ist, schlage ich für die Beobachtung eine Dauer von mindestens vier Mo­ Die Gruppenmitglieder reagieren unterschiedlich auf die Beobachtung durch Aus­
naten vor; dieser Zeitraum genügt gewöhnlich für das Hervortreten von Veränderun­ bildungskandidaten. Wie jedes Gruppenereignis sind die verschiedenen Reaktionen
gen in der Gruppenentwicklung, in Interaktionsmustern und für merkliche intraper­ Wasser auf die therapeutische Mühle. Wenn alle Mitglieder sich derselben Lage gegen­
sonale Weiterentwicklung. Wenn ihre Zeitpläne eine Anwesenheit bei mehr als einer übersehen (dem Beobachtetwerden durch Studenten), warum reagieren einige mit
Sitzung pro Woche ausschließen, diktiere ich eine ausführliche Zusammenfassung je­ Wut, andere mit Misstrauen und wieder andere mit Vergnügen, sogar Heiterkeit? Wa­
der Sitzung und teile sie vor der nächsten Sitzung an die Kandidaten aus. Wenn die rum so unterschiedliche Reaktionen auf ein und denselben Reiz? Die Antwort lautet
Studenten eine Gruppe verfolgen, die zweimal wöchentlich zusammentritt, werden sie natürlich, dass jedes Mitglied eine andere Innenwelt hat, und die unterschiedlichen Re­
mit größerer Wahrscheinlichkeit während der Beobachtungszeit merkliche Fortschrit­ aktionen stellen die Via regia zur Untersuchung dieser inneren Welt dar.
te sehen können (siehe hierzu Kapitel 14). Trotzdem stellt die traditionelle Beobachtung für die meisten Klienten ein un­
Eine Diskussion nach der Sitzung ist für die Ausbildung absolut notwendig, und es erwünschtes Eindringen dar. Manchmal fungieren die Beobachter als Blitzableiter für
gibt für einen Gruppenleiter/Lehrer keinen besseren Zeitpunkt, mit Beobachtern in Angst, die auf anderen Ursachen basiert. Beispielsweise fixierte sich eine Gruppe, die
der Ausbildung zusammenzutreffen, als die Zeit unmittelbar nach der Sitzung. Mir regelmäßig beobachtet worden war, irgendwann plötzlich auf die Beobachter und ent­
sind Zusammenkünfte von etwa 30 bis 45 Minuten am liebsten, und ich fülle diese Zeit wickelte die Überzeugung, dass diese sich über die Gruppenmitglieder lustig machten
auf verschiedene Weise aus: Ich lasse mir die Beobachtungen der Ausbildungskandida­ und sie verspotteten. Ein Gruppenmitglied berichtete, vor Beginn der Gruppensitzung
ten mitteilen, beantworte Fragen über die Gründe für meine Interventionen und be­ eine Person, die das Mitglied für einen Beobachter hielt, im Waschraum getroffen zu
nutze das klinische Material als Sprungbrett für die Besprechung fundamentaler Prin­ haben, die süffisant gegrinst habe. Die Gruppenmitglieder forderten daraufhin, dass
zipien der Gruppentherapie. Andere Lehrer vertagen die Diskussion lieber und geben die Beobachter in den Gruppenraum kommen sollten, um Rechenschaft zu geben.
den Kandidaten die Aufgabe, eine Schilderung der Sitzung niederzuschreiben, die sich Weil die Reaktion der Gruppe so stark war, fragte ich mich, ob irgendein Vertrauens­
vor allem auf den Prozess konzentriert (d. h. die interpersonalen Beziehungen zwi­ bruch vorgefallen war. Als wir weiter untersuchten, wie die hitzige Situation entstan­
schen den Gruppenmitgliedern). Die Supervisanden tauschen ihre Zusammenfassun­ den war, wurde allmählich klarer, dass die Gruppe ihre Vorahnungen bezüglich bevor­
gen aus und treffen später in der Woche zu einer Analyse der Sitzung zusammen.6 Ei­ stehender Veränderungen auf die Beobachter projiziert hatte: Zwei ältere Mitglieder
nige einführende didaktische Sitzungen sind zwar nützlich, aber ich finde, dass viel von hatten die Gruppe verlassen, und zwei neue Mitglieder würden sich in Kürze der Grup­
dem in diesem Buch vorgelegten Material mit den Studenten am besten im Zusam­ pe anschließen. Im Grunde ging es für die Gruppe darum, ob die Neuankömmlinge
menhang mit geeignetem klinischen Material besprochen werden kann, das im Laufe die Gruppe schätzen oder auf den Gruppenprozess und die Gruppenmitglieder ab­
mehrerer Monate bei einer beobachteten Gruppe zusammenkommt.7 Theorie wird fällig reagieren würden.
wesentlich lebendiger, wenn sie von unmittelbarer Relevanz ist. Obgleich das Höchste, was ein Gruppenleiter von Klienten erwarten kann, im All­
Die Beziehung zwischen den Beobachtern und dem Gruppentherapeuten ist wich­ gemeinen ein widerwilliges Akzeptieren und schließliches Vergessen der Gegenwart
tig. Es wird Zeiten geben, da ungewöhnlich viel Kritik (» Warum haben Sie nicht . . . ?«) von Beobachtern ist, gibt es Möglichkeiten, Beobachter so in den therapeutischen Pro­
dem Therapeuten Unbehagen bereiten und seine Wirksamkeit einschränken wird. zess einzubeziehen, dass der Vorgang der Beobachtung zum therapeutischen Vorteil
Nicht selten klagen Beobachter über Langeweile, und Therapeuten bemühen sich an­ gereicht. Ich mache die Gruppe am liebsten darauf aufmerksam, dass die Sicht der Be­
gestrengt, den »Unterhaltungs-Quotienten« der Gruppe zu steigern. Meiner Erfahrung obachter mir als dem Gruppenleiter wertvolle Hinweise liefert, und wenn es mir als
nach steht die Langeweile im Allgemeinen in umgekehrtem Verhältnis zur Erfahrung; angemessen erscheint, teile ich der Gruppe einige nützliche Kommentare von Beob­
wenn die Ausbildungskandidaten erfahrener werden und mehr Einblick bekommen, achtern nach der vorigen Sitzung mit und lasse die Gruppe außerdem wissen, dass ich
verstehen sie die vielen subtilen, faszinierenden Schichten, die jeder Transaktion zu­ oft solche Kommentare in die schriftliche Zusammenfassung einfließen lasse.
grunde liegen, besser einzuschätzen. In der Beobachtergruppe findet ein eigener Grup­ Eine andere, gewagtere Strategie besteht darin, die Gruppenmitglieder nach der Sit­
penprozess statt. Die Beobachter können sich mit dem Therapeuten identifizieren oder zung zur Diskussion zwischen den Beobachtern einzuladen. In Kapitel 15 habe ich ein
mit bestimmten Charakteristika der Klienten, was, wenn es in den Debriefing-Sitzun­ Modell einer Gruppe mit stationären Klienten besprochen, zu dem eine regelmäßige
gen untersucht wird, die Möglichkeit eröffnen kann, Empathie, Gegenübertragung zehnminütige Diskussion der Beobachter gehörte, die nun ihrerseits von den Grup­
und projektive Identifikation zu erforschen. Zuweilen bringen Beobachter den Wunsch penmitgliedern beobachtet wurden.9 Ich habe auch bei ambulanten Gruppen eine
zum Ausdruck, als Teilnehmer der Gruppe anzugehören, und sie entwickeln starke ähnliche Methode verwandt: Ich lud Mitglieder und Beobachter ein, am Ende der Sit­
Bindungen zu den Gruppenmitgliedern. In jedem Fall sollten die Beobachter dazu an- zung die Räume zu wechseln, sodass die Klienten die Diskussion der Beobachter und

594 595
der Co-Therapeuten durch den Einwegspiegel verfolgten. Meine einzige Bedingung ist einzigartigen Beitrag zur Ausbildung eines Supervisanden. Weil die Supervision in der
jeweils die, dass die ganze Gruppe sich entscheidet dabeizusein: Wenn nur einige Mit­ Ausbildung von so zentraler Bedeutung ist, ist sie zu einem der wichtigsten Themen
glieder dabei sind, kann der Vorgang spaltend wirken und die Entwicklung von Kohä­ der psychotherapeutischen Literatur geworden, obwohl nur relativ wenige empirische
sivität verzögern. Man muss ziemlich viel Zeit aufwenden: 90 Minuten Gruppenthera­ Untersuchungen zu dieser Thematik vorliegen. 11
piesitzung und 45 Minuten nachfolgende Diskussion bedeuten einen langen Nach­ Was ist charakteristisch für effektive Supervision? Zunächst erfordert Supervision
mittag oder Abend. den Aufbau einer Supervisionsallianz, welche dem Supervisanden einen Eindruck von
Diese Methode bringt interessante Folgerungen für die Lehre mit sich. Sie hat meh­ der Atmosphäre und vom Wert der therapeutischen Allianz vermittelt. Die Supervision
rere Vorteile. Sie lehrt den Ausbildungskandidaten, wie man konstruktiv durchschau­ vermittelt nicht nur behandlungstechnisches Know-how und theoretisches Wissen,
bar sein kann, und sie vermittelt ein Gefühl des Respekts für den Klienten als vollwer­ sondern vermittelt auch modellhaft die für Therapeuten wichtigen ethischen Grund­
tigen Bundesgenossen im therapeutischen Prozess, und sie nimmt der Therapie das sätze und Werte. Deshalb müssen sich Supervisoren um Kongruenz bemühen: Sie soll­
Geheimnisvolle: Sie sagt etwas darüber aus, dass die Therapie ein wirkungskräftiger, ten ihre Supervisanden mit dem gleichen Respekt und mit der gleichen Sorgsamkeit
rationaler Prozess der Zusammenarbeit ist, bei dem kein Teil jener dreifachen Drohung behandeln, mit denen die Supervisanden ihren Klienten begegnen sollten. Wenn wir
von Dostojewskis Großinquisitor erforderlich ist - Magie, Mysterium und Autorität. möchten, dass unsere Ausbildungskandidaten ihre späteren Klienten mit Respekt und
Wenn an der Diskussion nach der Gruppensitzung Klienten als Beobachter teilneh­ Mitgefühl behandeln und ihre Würde achten, müssen wir sie selbst ebenso behan­
men, muss man im Anschluss an die Beobachtungszeit oder zu einem anderen Zeit­ deln. 12
punkt im Laufe der Woche, vielleicht auch vor der folgenden Gruppensitzung, ein zu­ Der Supervisor sollte sich auf die fachliche und klinische Entwicklung des Supervi­
sätzliches Seminar einrichten. Zusätzliche Unterrichtszeit ist notwendig, weil sich die sanden konzentrieren und auf eventuell bei ihnen auftauchende Blockaden achten -
von den Klienten beobachteten Diskussionen nach der Sitzung von dem typischen in­ die entweder auf Mangel an Wissen oder auf Gegenübertragungsreaktionen basieren.
formellen Gespräch nach der Gruppe unterscheiden. Die Diskussion wird zu einem Es ist wichtig, auf eine subtile Balance zwischen Ausbildung und Therapie zu achten.
Bestandteil der Therapie, wenn Beobachter und Therapeuten durch ihr Gespräch mit­ Alonso empfiehlt Supervisoren, wie Kliniker zuzuhören und wie Lehrer zu reden. 13
einander Kommentare an die Klienten richten. Dies schränkt die für die formelle Un­ Die besten Supervisoren sind in der Lage, sich in einen Ausbildungskandidaten ein­
terrichtung in den theoretischen Grundlagen der Arbeit oder in ihren strategischen zufühlen, seine zentralen Anliegen zu erkennen, die Essenz seines Narrativs zu erfas­
Prinzipien erforderliche Zeit ein. Außerdem sind die Ausbildungskandidaten meist in sen, ihn durch klinische Dilemmata zu geleiten und persönliche Anteilnahme und Un­
ihren Fragen und Kommentaren gehemmt, und es fallen Erörterungen der Übertra­ terstützung zu zeigen. Wenn eine Supervision übertrieben kritisch, beschämend oder
gung und Gegenübertragung weniger ungezwungen aus. Ein Vorteil ist, dass im Beob­ den wichtigsten Anliegen des Studenten gegenüber verschlossen ist, erfüllt sie nicht
achtungsraum keine Langeweile aufkommt; Studenten beteiligen sich engagierter am nur ihre edukative Funktion nicht, sondern wirkt außerdem entmutigend. 14
Prozess, wenn sie wissen, dass sie später an der Sitzung teilnehmen werden. Wie persönlich und transparent sollte der Supervisor sein? Wahrscheinlich je mehr,
Eine nützliche zusätzliche Unterrichtshilfe kann ein Gruppenvideo sein, das speziell desto besser! Indem Supervisoren über ihre eigenen Erlebnisse und klinischen Prob­
dazu aufgenommen wurde, um wichtige Aspekte der Leitertechnik und der Gruppen­ leme berichten, ebnen sie die Machthierarchie ein und helfen den Auszubildenden zu
dynamik zu verdeutlichen. Ich habe zwei Videoprogramme produziert - eines für erkennen, dass es nicht beschämend ist, nicht alle Antworten zu kennen. Außerdem
Gruppen ambulanter und eines für Gruppen stationärer Klienten -, um die herum beeinflusst eine solche offenbarungsbereite und nicht defensive Haltung, welche Art
Gruppentherapie-Kurse aufgebaut werden können. 10 von klinischem Material der Auszubildende in der Supervision präsentiert. 15
Die Arbeit mit der ersten Gruppe ist für einen angehenden Gruppentherapeuten
Su pervision ein äußerst bedrohliches Erlebnis. Selbst die Durchführung psychoedukativer Grup­
pen, bei denen Inhalt und Struktur klar definiert sind, können angehenden Therapeu­
Eine klinische Erfahrung unter Supervision ist in der Ausbildung des Gruppenthera­ ten das Äußerste abverlangen. 1 6 In einer Studie wurden angehende Therapeuten, die in
peuten unentbehrlich. In diesem Buch wird ein allgemeiner Therapieansatz dargestellt, einer Gruppentherapeutenausbildung positive Erfahrungen gemacht hatten, mit
weit gefasste Prinzipien der Technik werden skizziert, und besonders bei der Erörte­ solchen verglichen, deren entsprechende Erfahrungen negativ waren. Beide Gruppen
rung der Anfangs- und der Endphase der Therapie werden spezifische Taktiken vorge­ berichteten über starke Besorgnis und äußerst unangenehme emotionale Reaktionen
schlagen. Der mühsame Durcharbeitungsprozess, der den Hauptteil der Therapie aus­ zu Beginn ihrer Arbeit als Therapeuten. Eine Variable unterschied die beiden Gruppen
macht, kann jedoch in einem Lehrbuch nicht gründlich dargestellt werden. Es entsteht jedoch voneinander: die Qualität der Supervision. Diejenigen, die eine qualitativ
eine Unzahl von Situationen, von denen jede ein vielfältiges, fantasievolles Vorgehen hochwertige Supervision erhalten hatten, standen der Gruppentherapie eher positiv
erfordern kann. Genau an diesen Stellen leistet ein Supervisor einen wertvollen und gegenüber. 17

596 597
In einer anderen Studie haben meine Kollegen und ich einmal die Arbeit von zwölf stützen; (2) Sharons Wut auf die Männer in der Gruppe; ( 3) Annabelles Gefühl, in der
nicht professionell ausgebildeten Gruppenleitern untersucht, die in einer psychiatri­ Gruppe unterlegen zu sein und von ihr nicht akzeptiert zu werden.
schen Klinik Gruppen leiteten. Die Hälfte von ihnen erhielt ständig Supervision und Wenn dieses Grundgerüst steht, füge ich die anderen wesentlichen Daten hinzu:
nahm an einem Intensivkurs für Gruppenleitung teil; die andere Hälfte erhielt keiner­ den Übergang zwischen den Themen; den Beitrag, den jedes Mitglied zu jedem Thema
lei Anleitung. Beobachter, die nicht wussten, welche Therapeuten Supervision erhiel­ geleistet hat; meine Interventionen und meine Gefühle bezüglich der Sitzung ins­
ten, bewerteten die Therapeuten am Beginn ihrer Gruppenarbeit und noch einmal gesamt und gegenüber jedem Mitglied. Andere Supervisoren schlagen vor, die Aus­
sechs Monate später. Die Ergebnisse zeigten, dass nicht nur die ausgebildeten Thera­ bildungskandidaten sollten besonders auf ausgesuchte Punkte achten - eine Reihe von
peuten sich verbessert hatten, sondern auch, dass die Therapeuten ohne Ausbildung kritischen Punkten in der Sitzung, wo der Therapeut handeln muss. 19 Wieder andere
nach dem Ablauf von sechs Monaten weniger geschickt waren als am Anfang. 18 Bloße benutzen Feedback von Klienten, das sie aus Fragebogen entnehmen, die am Ende der
Erfahrung genügt anscheinend nicht. Ohne fortlaufende Supervision und Auswertung Gruppensitzung verteilt werden.20
können anfängliche Fehler durch einfache Wiederholung verstärkt werden. Supervision Eine Gruppensitzung von 90 Minuten liefert eine reiche Fülle von Material. Wenn
ist möglicherweise für angehende Gruppentherapeuten noch wichtiger als für ange­ die Ausbildungskandidaten die Sitzung schildern, die verbalen und nonverbalen Bei­
hende Einzeltherapeuten, weil die Rolle des Gruppenleiters zwangsläufig mit starkem träge jedes Klienten wie auch ihre eigene Teilnahme erörtern und ihre Gegenübertra­
Stress verbunden ist: Viele Teilnehmer der Ausbildungen, die ich im Laufe der Jahre gung sowie ihre realistisch begründeten Gefühle gegenüber jedem einzelnen Mitglied
geleitet habe, berichteten über Angstträume unmittelbar vor Beginn der Arbeit mit und gegenüber ihrem Co-Therapeuten eingehend untersuchen, sollte mehr als genug
ihrer ersten Gruppe, in denen immer wieder Bilder darüber auftauchten, wie sie die wichtiges Material für die Supervisionsstunde vorhanden sein. Wenn nicht, geht dem
Kontrolle über das Geschehen verloren oder wie sie in der Gruppe in eine bedrohliche Supervisanden rasch der Stoff aus, und wenn der Supervisor nach Möglichkeiten su­
Situation gerieten. chen muss, sich nützlich zu machen, läuft irgendetwas im Supervisionsprozess ernst­
Die Supervision ist bei der Gruppentherapie anstrengender als bei der Einzelthera­ lich verkehrt. In solchen Momenten sollten sich Supervisoren mit ihrer Beziehung zu
pie. Zum einen ist es schon eine schwierige Aufgabe, die Verteilung der Rollen in der ihren Supervisanden beschäftigen. Sind diese zurückhaltend, misstrauisch? Haben sie
Gruppe zu erfassen. Außerdem gibt es eine solche Fülle von Daten, dass sowohl der Angst, sich vor ihrem Supervisor eine Blöße zu geben? Sind sie vorsichtig, damit der
Ausbildungskandidat als auch der Supervisor oft bei der Auswahl ihres Schwerpunkts Supervisor sie nicht drängt, in der Gruppe auf eine Weise zu arbeiten, die sie als be­
große Mühe haben. fremdlich oder jenseits ihrer Möglichkeiten liegend empfinden?
Einige praktische Empfehlungen könnten sich als nützlich erweisen. Zunächst soll­ Die Supervisionssitzung ist ebenso ein Mikrokosmos wie die Therapiegruppe, und
te die Supervisionsarbeit vor der ersten Gruppe beginnen und sich auf einem guten der Supervisor kann viel über das Verhalten des Therapeuten in der Therapiegruppe
Weg befinden, und sie sollte sich sowohl mit den Aufgaben der Auswahl von Gruppen­ erfahren, indem er auf sein eigenes Verhalten bei der Supervision beobachtet. (Manch­
mitgliedern und deren Vorbereitung auf die Gruppenarbeit als auch mit den Sorgen mal wird dieses Phänomen in der Supervision als »Parallelprozess« bezeichnet.)2 1
des Therapeuten bezüglich der Bewältigung der bevorstehenden neuen Aufgabe befas­ Wenn Lernende als Co-Therapeuten-Teams Gruppen leiten (aus Gründen, die ich
sen. Eine Supervisionsstunde pro Gruppentherapiesitzung ist nach meiner Erfahrung das in Kapitel 1 4 angegeben habe, empfehle ich diese Methode für beginnende Therapeu­
optimale Verhältnis. Man tut gut daran, die Supervisionssitzung bald nach der Grup­ ten), ist eine Konzentration auf den Prozess in der Supervisionsstunde besonders er­
pensitzung abzuhalten, vorzugsweise am folgenden Tag. Einige Supervisoren beobach­ tragreich. Wahrscheinlich entspricht die Beziehung der beiden Co-Therapeuten in der
ten mindestens 30 Minuten jeder Gruppensitzung und setzen die Supervisionssitzung Supervisionssitzung ihrer Beziehung während der Sitzungen der Therapiegruppe. Su­
unmittelbar nach der Gruppensitzung an. Zumindest muss der Supervisor anfangs pervisoren sollten auf Aspekte wie den Grad der Offenheit und des Vertrauens wäh­
eine oder zwei Sitzungen beobachten: Es erlaubt ihm, Namen mit Gesichtern in Ver­ rend der Supervisionssitzung achten. Wer berichtet über die Ereignisse der Sitzung?
bindung zu bringen und das affektive Klima der Gruppe zu erspüren. Man kann für Wer ordnet sich wem unter? Fühlt sich der Supervisor verwirrt durch zwei sehr ver­
diesen Zweck auch Videoaufnahmen verwenden (gegebenenfalls auch Tonband­ schiedene Meinungen von der Gruppe? Herrscht großer Wettstreit um die Aufmerk­
aufnahmen, wenn auch die Letzteren viel weniger befriedigend sind). samkeit des Supervisors?
Wenn zwischen der Gruppensitzung und der Supervisionssitzung viel Zeit vergeht, Die Beziehung zwischen Co-Therapeuten ist für die Therapiegruppe von entschei­
verblassen die Gruppenereignisse, und die Lernenden sind gut beraten, wenn sie sich dender Bedeutung, und oft kann der Supervisor die beste Hilfestellung leisten, indem
nach der Gruppe ausführliche Notizen machen, um ihr Gedächtnis zu stützen. Thera­ er seine Aufmerksamkeit dieser Beziehung zuwendet. Beispielsweise erinnere ich mich
peuten entwickeln ihren eigenen Stil der Aufzeichnung. Ich halte am liebsten die daran, dass ich kürzlich für zwei Assistenzärzte, deren persönliche Beziehung gespannt
Hauptthemen jeder Sitzung fest - im Allgemeinen ein bis drei. Zum Beispiel: ( 1 ) Johns war, als Supervisor fungiert habe. In der Supervisionssitzung wollte jeder von ihnen
Kummer über den Verlust .seines Jobs und die Bemühungen der Gruppe, ihn zu unter- meine Aufmerksamkeit für sich haben; die Stunde hatte eine unrhythmische Qualität,

598 599
da keiner auf die Anregungen des anderen einging; jeder kam immer wieder mit ande­ wechselnd ihre Gruppe allen Anwesenden vor. Da man Zeit braucht, um Daten über
rem Material oder stellte dasselbe Material unter einem völlig anderen Blickwinkel dar. alle Mitglieder einer Gruppe zu sammeln, ziehe ich es vor, eine Gruppe mehrere Wo­
Die Supervisionssitzung war wie ein verkleinertes Abbild der Gruppensitzung, da die chen lang vorstellen zu lassen, bevor ich zu einer anderen übergehe. Auf diese Weise
beiden in den Therapiesitzungen intensiv wetteiferten, um Stardeutungen zu geben können während des Jahres drei bis vier Gruppen verfolgt werden.
und die Klienten jeweils für sich zu gewinnen. Keiner ergänzte jemals die Arbeit des Es hat verschiedene Vorteile, die Supervision für Gruppentherapeuten in Form
anderen, indem er ein Thema verfolgte, das der andere vorgebracht hatte; stattdessen einer Gruppe anzubieten. Zum einen kann sich ein geschickter Supervisor eventuell
schwiegen sie und warteten auf die Gelegenheit, eine andere Richtung der Untersu­ auf die Interaktion und Gruppendynamik der Supervisandengruppe konzentrieren.
chung einzuschlagen. Die Gruppe zahlte den Preis für die schlechte Arbeitsbeziehung Man kann die Möglichkeiten zu lernen noch erweitern, indem man die Supervisanden
der Therapeuten: Es wurde keine gute Arbeit geleistet, viele Gruppensitzungen wurden auffordert, ihre Erlebnisse in der Supervisionsgruppe zu beschreiben und aufzuzeich­
versäumt, und die Demoralisierung war offenkundig. Die Supervision konzentrierte nen. Ein weiterer Vorteil von Gruppensupervision ist die Unterstützung durch andere,
sich in diesem Fall fast ganz auf die Beziehung der Co-Therapeuten und nahm viele die sich in der gleichen Situation befinden. Außerdem werden die Teilnehmer auf­
Merkmale der Paartherapie an, als wir die Konkurrenz dieser Therapeuten und ihren grund der Berichte von Kollegen über ihre Erlebnisse, Verständnisweisen und Techni­
Wunsch, mich zu beeindrucken, untersuchten. Die Therapeutin war gerade aus einer ken mit einer größeren Zahl gruppentherapeutischer Phänomene vertraut, und ihr
anderen Klinik gekommen und fühlte sich stark unter Druck, ihre Kompetenz zu be­ empathisches Gewahrsein wird erweitert. Weiterhin erhalten die Ausbildungsteilneh­
weisen. Ihr Kollege hatte das Gefühl, einen großen Fehler gemacht zu haben, weil er mer Gelegenheit, wie ein Supervisor oder Berater zu denken, eine Fähigkeit, die ihnen
blind eine Co-Therapeutin akzeptiert hatte und sich nun in dieser Beziehung gefangen zu einem späteren Zeitpunkt ihrer beruflichen Laufbahn zugute kommen wird.22 Feed­
fühlte. Wir erwogen eine »Scheidung« - das Co-Therapeuten-Team aufzulösen -, ent­ back über die eigene klinische Arbeit ist oft ein sehr heikler Prozess. Supervisionsgrup­
schieden aber dann, dass eine derartige Maßnahme kontratherapeutisch wäre. Was für pen erfordern Metakommunikation und demonstrieren diese beispielhaft - Arten au­
Aussichten haben wir, Klienten zu überreden, an ihren Beziehungen zu arbeiten, wenn thentischer, respektvoller und empathischer Kommunikation.
wir Therapeuten uns weigern, dasselbe zu tun? Wenn Co-Therapeuten erfolgreich an Außerdem kann das Stattfinden der Supervision in Form einer Gruppe zur an­
ihrer Beziehung arbeiten können, gibt es einen doppelten Gewinn: Der Therapie wird schließenden Beteiligung an einer Peer-Supervisionsgruppe anregen, weil erstere den
gedient (die Gruppe arbeitet besser, wenn die Beziehung unter den Leitern sich bes­ Wert von Supervision, Beratung und Unterstützung durch Kollegen veranschaulicht.23
sert), der Ausbildung wird gedient (die Supervisanden lernen einige der Grundprinzi­ Allerdings sollte die Supervisionsgruppe nicht zu einer das persönliche Wachstum för­
pien der Konfliktlösung aus erster Hand). dernden Gruppe oder einer Therapiegruppe werden - weil für derartige Gruppen­
In der fortlaufenden Arbeit muss der Supervisor die verbalen und nonverbalen In­ situationen völlig andere Normen und Erwartungen charakteristisch sind.
terventionen der Auszubildenden erforschen und feststellen, ob diese der Etablierung Einige erst vor Kurzem entstandene innovative Formen von Supervision nutzen das
nützlicher Gruppennormen förderlich sind. Zugleich muss der Supervisor es vermei­ Internet, um Therapeuten, die an isolierten oder weit entfernten Orten leben, Super­
den, den Anfänger so befangen zu machen, dass die Spontaneität Schaden leidet. Grup­ vision zu ermöglichen. Die Supervisanden und Supervisoren beginnen in solchen
pen sind nicht so empfindlich, dass eine einzige Äußerung ihre Richtung deutlich be­ Fällen mit physischen Zusammenkünften und setzen den Kontakt anschließend mit­
einflusst; es ist die Haltung des Therapeuten, die zählt. hilfe eines elektronischen Schwarzen Bretts oder einer geleiteten Online-Supervisions­
Die meisten Supervisoren sagen ihren Supervisanden manchmal, was er zu irgend­ gruppe fort.24
einem Zeitpunkt in der Gruppe selbst gesagt hätte. Allerdings neigen viele Anfänger
dazu, die Kommentare des Supervisors an einer unpassenden Stelle in der nächsten E i n e G ru ppenerfa h ru n g fü r Au s b i l d u ngska nd idaten
Gruppensitzung anzubringen, woraufhin sie die nächste Supervisionssitzung mit einer
Bemerkung einleiten wie: »Ich habe gemacht, was Sie sagten, aber . . . « Wenn ich also Eine persönliche Gruppenerfahrung wird weithin als wesentlicher Bestandteil eines
gelegentlich einem Ausbildungskandidaten mitteile, was ich gesagt hätte, schicke ich Ausbildungsprogramms akzeptiert. Eine solche Erfahrung kann viele Arten des Ler­
meiner Bemerkung voran: »Sagen Sie dies nicht in der nächsten Sitzung, aber hier ist nens ermöglichen, die anderswo nicht zur Verfügung stehen. Man kann auf emotio­
eine Möglichkeit, wie Sie hätten reagieren können . . . « Auch hierbei ist ein delikates naler Ebene etwas erfahren, was man vorher vielleicht nur intellektuell gewusst hat.
Gleichgewicht wichtig. Supervision sollte nur selten präskriptiv sein und niemals Man erlebt die Macht der Gruppe - ihre Fähigkeit zu verwunden und zu heilen. Man
plump. Allerdings ist es manchmal wichtig, eine bestimmte Vorgehensweise oder lernt, wie wichtig es ist, von der Gruppe akzeptiert zu werden; man erfährt, was Selbst­
Intervention zu empfehlen, und dies wird von Supervisanden durchaus begrüßt. offenbarung wirklich mit sich bringt, wie schwierig es ist, seine eigene geheime Welt,
Viele Lehrer haben die Supervisionsstunde mit Erfolg zu einem fortlaufenden Fall­ seine Fantasien, seine Gefühle der Verletzlichkeit, der Feindseligkeit und der Zärtlich­
Seminar für mehrere Ausbildungskandidaten erweitert. Die Gruppenleiter stellen ab- keit zu erkennen zu geben. Man lernt, seine eigenen Stärken und Schwächen richtig

600 601
einzuschätzen. Man lernt etwas darüber, welche Rolle man in der Gruppe bevorzugt, Sollte die Teilnahme an Ausbildungsgruppen freiwillig sein?
welche typischen Gegenübertragungsreaktionen man hat und welche Probleme der
Gruppe als Ganzes oder als System bei den Gruppensitzungen im Hintergrund lauern. Eine Selbsterfahrungsgruppe ist immer wirksamer, wenn die Teilnahme freiwillig ist
Besonders beeindruckend jedoch ist vielleicht, dass man etwas über die Rolle des und die Teilnehmer sie nicht als Übung zum Zweck der Ausbildung, sondern als eine
Gruppenleiters lernt, indem man sich der eigenen Abhängigkeit und der eigenen un­ Gelegenheit zur persönlichen Weiterentwicklung betrachten. Tatsächlich ist es mir am
realistischen Einschätzung von Macht und Wissen des Gruppenleiters bewusst wird. liebsten, wenn Ausbildungskandidaten eine solche Gruppe mit einer ausdrücklichen
Selbst erfahrene Therapeuten, die in der Anwendung eines neuen Modells der Formulierung dessen beginnen, was sie für sich persönlich und beruflich von dieser
Gruppentherapie ausgebildet werden, profitieren sehr, wenn ihrer didaktischen Aus­ Erfahrung erwarten. Dazu ist es wichtig, dass die Gruppe den Kandidaten so vorgestellt
bildung eine experientiell-affektive Komponente hinzugefügt wird. Persönliche Anteil­ und beschrieben wird, dass sie diese als etwas ansehen, was mit ihren persönlichen und
nahme ist die wichtigste Art, den Gruppenprozess zu lehren und etwas darüber zu beruflichen Zielen übereinstimmt. Ich ziehe es vor, die Gruppe in die Ausbildung der
lernen. 25 Lernenden einzubauen, indem ich diese auffordere, sich in ihren künftigen Aufgaben­
übersichten zeigen, dass zwischen 60 und 70 Prozent der Ausbildungsprogramme bereich hineinzuversetzen. Es ist schließlich sehr wahrscheinlich, dass Praktiker der
für Gruppentherapie irgendeine Art der persönlichen Gruppenerfahrung anbieten.26 therapeutischen Berufe immer mehr Zeit in Gruppen verbringen werden - als Leiter
In manchen Programmen gibt es eine »simulierte« Gruppe, in der ein oder zwei Aus­ von Therapiegruppen und als Mitglieder und Leiter von Behandlungsteams. Um diese
bildungskandidaten zu Co-Therapeuten ernannt werden und die anderen Kandidaten Aufgabe effektiv erfüllen zu können, müssen zukünftige Kliniker einfach wissen, wie
im Rollenspiel die Gruppenmitglieder verkörpern. Das häufigste Modell ( das gleich man mit Gruppen umgeht. Sie müssen verstehen, wie die Arbeit in Gruppen von­
eingehender besprochen wird) ist eine aus Ausbildungskandidaten zusammengesetzte statten geht, und sie müssen selbst mit Gruppen arbeiten können.
Gruppe, die man bezeichnen kann, wie man will (T-Gruppe, Unterstützungsgruppe, Wenn eine Selbsterfahrungsgruppe als regulärer Teil in ein Ausbildungsprogramm
Prozessgruppe, Selbsterfahrungs-Trainingsgruppe, Encountergruppe usw.). Diese eingeführt wird und die Lernenden zur Gruppe als einem wertvollen Hilfsmittel der
kann eine Kurzzeitgruppe sein, die etwa ein Dutzend Sitzungen umfasst, oder sie kann Ausbildung Vertrauen gefasst haben, ist es nicht mehr schwierig, sie den Ausbildungs­
die Form eines intensiven Wochenend-Marathons haben; doch das verbreitetste Mo­ anfängern schmackhaft zu machen. Man ist sich jedoch noch nicht darüber einig, ob
dell, das auch ich vorziehe, ist eine Prozessgruppe, die das ganze Jahr fortlaufend tagt. man die Teilnahme an einer Selbsterfahrungsgruppe zur Pflicht machen oder wahlfrei
Ich habe über 20 Jahre lang Gruppen von Psychologie-Praktikanten und Assistenz­ lassen soll. Nach meiner Erfahrung freuen sich die Ausbildungskandidaten, wenn eine
ärzten der Psychiatrie geleitet, und ich habe dies ausnahmslos als höchst wertvolle Gruppe richtig dargestellt wird, nicht nur sehr auf sie, sondern sie sind auch sehr ent­
Lehrtechnik empfunden. Tatsächlich haben viele Lernende bei einem Rückblick auf ihr täuscht, wenn ihnen aus irgendeinem Grund die Gelegenheit zur Gruppenerfahrung
gesamtes Ausbildungsprogramm ihre Gruppe als die wertvollste Erfahrung ihrer gan­ vorenthalten wird.
zen Ausbildung bezeichnet. Eine Gruppenerfahrung mit Gleichgestellten hat sehr viel Wenn ein Lernender sich standhaft weigert, in die Ausbildungsgruppe oder irgend­
für sich: Die Mitglieder ziehen nicht nur Nutzen aus der Gruppenerfahrung per se, eine andere Art von Selbsterfahrungsgruppe einzutreten, ist nach meiner Meinung
sondern die Gruppe fördert, wenn sie gut geleitet wird, Beziehungen und Kommuni­ eine Untersuchung eines solchen Widerstands gerechtfertigt. Gelegentlich beruht eine
kation innerhalb der Gemeinschaft der Lernenden so, dass die ganze Ausbildungs­ solche Weigerung auf falschen Vorstellungen von Gruppen im Allgemeinen, oder sie
erfahrung reicher wird. Ausbildungskandidaten lernen immer viel von ihresgleichen, spiegelt das negative Vorurteil irgendeines geachteten Lehrers gegenüber Gruppen wi­
und jede Maßnahme, die diesen Vorgang potenziert, steigert den Wert des Aus­ der. Wenn dies nicht der Fall ist, wenn also die Weigerung auf einer alles durchdringen­
bildungsprogramms. den Angst oder einem Misstrauen gegenüber Gruppensituationen beruht, und wenn
Hat eine Gruppenerfahrung außer Vorteilen auch Nachteile? Man hört oft Warnun­ der Lernende nicht flexibel genug ist, diesen Widerstand in einer Einzeltherapie, in
gen bezüglich der möglichen destruktiven Wirkungen von Selbsterfahrungsgruppen einer Unterstützungsgruppe oder in einer echten Therapiegruppe zu bearbeiten, halte
für Klinikmitarbeiter oder Ausbildungskandidaten. Diese Warnungen beruhen nach ich es für unklug, dass der Betreffende die Laufbahn eines Psychotherapeuten an­
meiner Ansicht auf irrationalen Voraussetzungen. Man fürchtet zum Beispiel, dass strebt.
enorme destruktive Feindseligkeit frei werden würde, sobald eine Gruppe die Schleu­
sen der Unterdrückung öffnet, oder dass eine Gruppe erhebliche Eingriffe in die Pri­ Wer sollte Selbsterfahrungsgruppen für Studenten leiten?
vatsphäre zur Folge haben würde, weil einem bedauernswerten Kandidaten nach dem Direktoren von Ausbildungsinstitutionen sollten den Gruppenleiter stets sehr sorgfäl­
anderen erzwungene Beichten abgerungen würden. Wir wissen mittlerweile, dass ver­ tig auswählen. Die Gruppenerfahrung ist ein außerordentlich einflussreiches Ereignis
antwortungsvoll geleitete Gruppen, in denen Klarheit über Normen und Grenzen be­ in der Ausbildung. Der Leiter wird oft als wichtiges Rollenvorbild für die Ausbildungs­
steht, die Kommunikation und konstruktive Arbeitsbeziehungen fördern. kandidaten dienen und sollte daher die höchstmöglichen professionellen Anforde-

602 603
rungen erfüllen und reichlich klinische Erfahrung und Gruppenerfahrung haben. Die Problem der »zwei Hüte« fertig werden muss. Ähnliche Dilemmata treten auch in der
wichtigsten Kriterien sind natürlich die persönlichen Eigenschaften und die Geschick­ gruppentherapeutischen Praxis auf, und es ist in jedem Fall besser, sich damit aus­
lichkeit des Leiters: Von sekundärer Bedeutung ist die Art seiner beruflichen Qualifi­ einanderzusetzen, als sie zu vermeiden oder zu leugnen.29 Was können wir durch dieses
kation (ob es sich beispielsweise um Beratung, klinische Psychologie, Sozialarbeit oder Dilemma lernen? Jeder kann darauf sehr unterschiedlich reagieren: Manche misstrau­
Psychiatrie handelt). en mir vielleicht so sehr, dass sie sich entscheiden, im Schweigen verborgen zu bleiben;
Nach meiner Überzeugung ermöglicht das Modell einer Gruppe, deren Leiter in der einige suchen meine Gunst; manche vertrauen mir völlig und nehmen mit ungeteilter
interaktionsorientierten Gruppentherapie geschult ist, die beste Ausbildung.27 Diese Hingabe an der Gruppe teil; andere stellen mich ständig infrage. All diese Haltungen
Auffassung wird durch eine Studie gestützt, in deren Rahmen 434 Therapeuten an gegenüber einem Leiter spiegeln Grundeinstellungen zur Autorität wider und sind
zweitägigen Ausbildungsgruppen der American Group Psychotherapy Association teil­ Wasser auf unsere Mühle, vorausgesetzt, es ist ein Minimum an Arbeitsbereitschaft
nahmen. Prozessorientierte Gruppen, welche die Interaktion im Hier und Jetzt in den vorhanden.
Vordergrund stellten, ermöglichten wesentlich bessere Lernerfahrungen hinsichtlich Eine weitere Vorgehensweise, die ich oft praktiziere, wenn ich in dieser Lage bin, be­
der Gruppenleitung und der Beziehungen zu Kollegen als stärker didaktisch orientier­ steht darin, ungewöhnlich selbstoffenbarend zu sein - also den Mitgliedern mehr über
te oder strukturiertere Gruppen. Die Mitglieder fanden, dass sie am meisten von einer mich zu sagen, als ich von ihnen höre. Damit gebe ich ein Beispiel für Offenheit und
Atmosphäre profitierten, in welcher die Leiter die Mitglieder unterstützten, Techniken demonstriere einerseits die Universalität menschlicher Probleme und andererseits, wie
demonstrierten und eine Atmosphäre förderten, in der die Mitglieder sich gegenseitig unwahrscheinlich es ist, dass ich mich ihnen gegenüber verurteilend verhalten würde.
unterstützten, ihre persönlichen Gefühle offenbarten, Risiken eingingen und Freude Mit anderen Worten: Wenn der Gruppenleiter sich im Dienste der Ausbildungsziele
an der Gruppe hatten.28 transparent macht, werden dadurch die wahrgenommenen Schwierigkeiten der
Ein weiterer Grund, aus dem man Gruppenleiter sehr sorgfältig auswählen sollte, Teilnehmer verringert, weil sie ihre eigenen Probleme in stärkerem Maße als normal
ist, dass es außerordentlich schwierig ist, Gruppen von Angehörigen der psychothera­ empfinden.
peutischen Berufe zu leiten, die während ihrer ganzen Ausbildung weiterhin zusam­ Nach meiner Erfahrung quälen sich Leiter, die zugleich der Verwaltung angehören,
menarbeiten werden. Es geht langsam voran; Intellektualisierung ist weit verbreitet, immer mit einem schweren Handikap, selbst wenn sie die besten Techniken verwen­
Selbstoffenbarung und Risikobereitschaft sind minimal. Das Hauptwerkzeug der Psy­ den, und ihre Gruppen sind wahrscheinlich immer eingeschränkt und zurückhaltend.
chotherapie ist die eigene Person des Therapeuten. Da er diese Wahrheit erkennt, fühlt Die Gruppe wird ein viel wirksameres Medium zur persönlichen Weiterentwicklung
sich der angehende Therapeut bei der Selbstoffenbarung doppelt verwundbar: Sowohl und Ausbildung, wenn sie von einem Leiter geführt wird, der außerhalb der Ausbil­
seine persönliche als auch seine berufliche Kompetenz stehen auf dem Spiel. dungsinstitution steht und bei der Bewertung der Kandidaten keine Rolle spielen wird.
Es fördert die Arbeit einer Gruppe, wenn ihr Leiter, welche Stellung er auch in der Ins­
Sollte der Gruppenleiter ein Mitarbeiter oder titution haben mag, deutlich ausspricht, dass er unter keinen Umständen bereit ist, je­
ein Dozent eines Ausbildungsprogramms sein? mals - günstige oder ungünstige - Beurteilungen über die Mitglieder abzugeben. Alle
Ein Leiter, der zwei Hüte trägt (Gruppenleiter und Ausbildungsleiter), macht das Prob­ diese Themen - Gruppenziele, Vertraulichkeit und Beteiligung - sollten zu Beginn der
lem für die Gruppenmitglieder noch schwieriger; sie fühlen sich durch die Gegenwart Gruppenarbeit explizit angesprochen werden.
einer Person eingeengt, die hinsichtlich ihrer Karriere eine bewertende Rolle spielen
wird. Bloße beruhigende Worte gegenüber der Gruppe, der Leiter werde strengste Ver­ Ist die Ausbildungsgruppe eine Therapiegruppe?
traulichkeit oder Neutralität bewahren, genügen nicht, um diese unabweisbare Be­ Das ist eine sehr schwierige Frage. In Ausbildungsgruppen für Therapeuten wird kein
sorgnis der Mitglieder zu beseitigen. anderes Problem so oft im Dienst des Widerstands gegen die Gruppe aufgeworfen. Es
Mir ist bei vielen Gelegenheiten diese Doppelrolle auferlegt worden; ich habe das ist klug, wenn der Leiter am Beginn der Gruppe eine deutliche Stellungnahme seiner
Problem auf verschiedene Weisen angepackt, aber nur mit begrenztem Erfolg. Eine Ansichten bezüglich Ausbildung und Therapie abgibt. Ich selbst beginne mit der Auf­
Möglichkeit besteht darin, zusammen mit der Gruppe expressis verbis sich dem Prob­ forderung an die Mitglieder, bestimmte Verpflichtungen gegenüber der Gruppe einzu­
lem zu stellen. Ich bestätige, dass ich wirklich eine Doppelrolle habe und dass ich viel­ gehen. Jeder Teilnehmer sollte sich über die Erfordernisse der Mitgliedschaft im Klaren
leicht nicht fähig sein werde, mich von allen unbewussten Resten der Zweitfunktion zu sein: die Bereitschaft, sich emotional in die Gruppe einzubringen, Gefühle über sich
befreien, obwohl ich in jeder Hinsicht versuchen werde, nur ein Gruppenleiter zu sein selbst und die anderen Mitglieder zu offenbaren und Bereiche zu erforschen, in denen
und alle administrativen Bewertungspflichten aufzugeben. Ich stelle mich auf diese er sich persönlich ändern möchte.
Weise kompromisslos dem Problem, dem sich die Gruppe gegenübersieht. Während Man kann eine nützliche Unterscheidung treffen zwischen einer Therapiegruppe
diese fortschreitet, spreche ich aber auch die Tatsache an, dass jedes Mitglied mit dem und einer therapeutischen Gruppe. Eine Ausbildungsgruppe ist zwar keine Therapie-

604 605
gruppe, aber sie ist insofern therapeutisch, als sie Gelegenheit bietet, therapeutische Arbeit gegenüber Äußerungen folgender Art gemacht: »Die Gruppe ist heute sehr langsam
zu leisten. Es wird jedoch keineswegs von jedem Mitglied erwartet, dass es umfassende vorangegangen. Als ich fragte, haben Sie mir gesagt, Sie fühlten sich >faul< oder es sei
therapeutische Arbeit leistet. noch nicht genug Zeit seit dem Mittagessen vergangen, deshalb könne man nicht ar­
Der grundlegende Vertrag der Gruppe, ja ihr Sinn und Ziel, ist Ausbildung, nicht beiten. Wenn Sie der Leiter einer Gruppe wären und dies hörten, was würden Sie da­
Therapie. Diese Ziele überschneiden sich allerdings weitgehend: Ein Leiter kann kein raus machen? Was würden Sie tun?« Oder: »Nicht nur John und Stewart weigern sich,
besseres Modell der Gruppentherapie anbieten als das einer wirksamen therapeuti­ ihre Streitigkeiten zu bearbeiten, sondern andere schließen sich ihnen an. Was für
schen Gruppe. Außerdem birgt jede intensive Gruppenerfahrung ein großes therapeu­ Möglichkeiten stehen mir als Leiter heute zur Verfügung?« In einer Ausbildungsgruppe
tisches Potenzial: Die Mitglieder können sich nicht auf lebhafte Interaktion einlassen, neige ich viel mehr als in einer Therapiegruppe dazu, den Gruppenprozess zu analy­
können kein Feedback über ihren interpersonalen Stil und ihre blinden Flecken be­ sieren. Wenn in Therapiegruppen kein therapeutischer Vorteil damit verbunden ist,
kommen, ohne dass dies eine therapeutische Wirkung erzeugt. Das unterscheidet sie den Prozess zu klären, sehe ich keinen Grund, es zu tun. In Ausbildungsgruppen gibt
jedoch von einer Therapiegruppe, die zu dem Zweck zusammenkommt, umfassende es immer das übergeordnete Ziel der Unterweisung.
therapeutische Veränderungen für jedes einzelne Gruppenmitglied zu bewirken. Oft ist ein Prozesskommentar in Kombination mit einem »Blick vom Sitz des Grup­
In einer Therapiegruppe sind das intensive Gruppenerleben, der Ausdruck und die penleiters aus« besonders nützlich. Zum Beispiel:
Integration von Affekt, das Erkennen des Hier-und-Jetzt-Prozesses lauter wesentliche
Bestandteile, aber sekundär gegenüber dem Hauptziel: der Veränderung des Einzelnen. Ich möchte Ih nen jetzt sagen, was ich heute als G ruppenleiter empfu nden habe. Vor
In einer Ausbildungsgruppe für Angehörige therapeutischer Berufe ist es umgekehrt. einer halben Stu nde wa r mir bei der massiven Erm utigung und Unterstützu ng, die a l le
In vielen Fällen nutzt ein T-Gruppen-Leiter Möglichkeiten, um Dinge zu erklären und Tom gaben, u n behaglich. Das ist schon öfter passiert, u nd obwohl es beruh igend ge­
zu lehren, die ein Gruppentherapeut nutzen würde, um die emotionale Erforschung zu dacht war, hatte ich n icht das Gefühl, dass es Tom w i rklich geholfen hat. Ich wa r i n
vertiefen. Versuch u ng, zu intervenieren d urch eine Frage nach Toms Neigu ng, sich d ieses Verhal­
ten der Gruppe z u verschaffen. Ich h a be m ich a ber d agegen entschieden - z u m Teil,
Die Technik des Gruppenleiters wei l ich i n letzter Zeit so sehr wegen ma ngelnder U nterstützung u nter Beschuss gera­
Der Leiter einer Ausbildungsgruppe von Angehörigen psychotherapeutischer Berufe ten bin. Ich habe also geschwiegen u nd gla u be, ich habe m ich richtig entsch ieden, da
hat eine schwere Aufgabe: Er liefert nicht nur ein Rollenvorbild, indem er eine wirk­ es mir so vorkommt, als habe sich d ie Sitzung sehr produ ktiv entwickelt, als seien eini­
same Gruppe gestaltet und führt, sondern er muss auch seine Technik in gewisser Wei­ ge von Ihnen tief in i h re Gefü hle hineingegangen, wei l sie Fü rsorge und U nterstützung
se abwandeln, um sie den spezifischen Bildungsbedürfnissen der Gruppenmitglieder bra uchen. Wie sehen Sie denn das, was heute geschehen i st?
anzupassen.
Der Grundansatz weicht jedoch nicht von den Leitlinien ab, die ich an anderer Stel­ In einem besonders nützlichen Essay weist Aveline, ein erfahrener Gruppenleiter von
le in diesem Buch skizziert habe. Der Leiter ist zum Beispiel gut beraten, wenn er die Studentengruppen, darauf hin, dass der Leiter fünf Hauptaufgaben hat:
Interaktion im Hier und Jetzt in den Mittelpunkt stellt. Nach meiner Ansicht ist es ein
Fehler, wenn man der Gruppe erlaubt, sich einer Art von Supervision anzunähern, wo 1. Die Angst der Gruppe zu verringern (durch Erforschung von Angstquellen inner­
Mitglieder Probleme beschreiben, die ihnen in ihrer therapeutischen Arbeit mit Klien­ halb der Gruppen und durch Anbieten einer angstlösenden Gruppenstruktur).
ten begegnen; derartige Diskussionen sollten tatsächlich der Supervisionsstunde vor­ 2. Etablieren einer therapeutischen Atmosphäre in der Gruppe - durch Einführung
behalten bleiben. Wenn eine Gruppe sich Themen hingibt, die ebenso gut in einem von Normen bezüglich Unterstützung, Akzeptanz und Gruppenautonomie.
anderen formellen Rahmen abgehandelt werden können, versäumt sie es meiner An­ 3. Etablieren geeigneter Ziele, an denen in der verfügbaren Zeit sinnvoll gearbeitet
sicht nach, ihre einzigartigen Eigenschaften und ihr volles Potenzial auszunutzen. Die­ werden kann.
se arbeitsbezogenen Probleme können die Mitglieder auf gewinnbringendere, gruppen­ 4. Das Tempo so steuern, dass die Gruppe sich weder zu schnell noch zu langsam be­
relevantere Art besprechen, indem sie zum Beispiel darüber diskutieren, wie das wohl wegt und die Mitglieder sich nicht zu erzwungener oder schädigender Selbstoffen­
wäre, bei einem bestimmten Gruppenmitglied Klient zu sein. Die Gruppe ist auch ein barung genötigt fühlen.
ausgezeichneter Ort für zwei Mitglieder, die zufällig in Therapiegruppen oder in der 5. Ein gutes Ende finden30 •
Ehe- oder Familientherapie zusammenarbeiten, ihre eigene Beziehung zu unter­
suchen.
Ein Gruppenleiter kann die Berufserfahrung der Mitglieder auf vielerlei Weise in
den Dienst der Gruppenarbeit stellen. Ich habe zum Beispiel oft der Trainingsgruppe

606 607
Persön l iche Psychothera pie digkeit bei sich selber streben. Vielleicht sind Sie übermäßig darauf bedacht, sich zu
beweisen oder ständig brillante Deutungen zu geben, und schwächen dadurch die
Eine Ausbildungsgruppe genügt selten, um den Bedarf an persönlicher Therapie zu er­ Gruppe. Vielleicht fürchten Sie die Nähe und verhindern eine offene Gefühlsäußerung
füllen, den ein angehender Therapeut hat. Nur wenige würden wohl bestreiten, dass durch vorzeitige Deutungen - oder Sie tun das Gegenteil: Sie überbetonen Gefühle,
ein angehender Gruppentherapeut gut daran tut, sich einer umfassenden Selbsterfor­ stellen zu wenige Verbindungen her und überreizen die Klienten so, dass sie in agitier­
schung zu unterziehen. Und tatsächlich setzen sehr viele Ausbildungsprogramme für ter Verwirrung zurückbleiben. Vielleicht brauchen Sie das Angenommenwerden so
Psychotherapeuten eine persönliche Therapieerfahrung voraus.31 Eine große Untersu­ sehr, dass Sie unfähig sind, die Gruppe herauszufordern, und sich wie die Mitglieder
chung, an der 318 praktizierende Psychologen teilnahmen, ergab, dass 70 Prozent von von der herrschenden Gruppenströmung mitreißen lassen. Vielleicht sind Sie auf­
diesen sich während ihrer Ausbildung einer Therapie unterzogen hatten - oft sogar grund eines Angriffs gegen Sie so aus der Fassung, und vielleicht sind Sie sich so wenig
mehr als einer Therapie: 63 Prozent hatten eine Einzeltherapie absolviert (durch­ klar darüber, wie Sie sich darstellen, dass Sie unfähig sind, die realistischen Aspekte des
schnittlich 100 Stunden), 24 Prozent eine Gruppentherapie (durchschnittlich 76 Stun­ Angriffs von den Übertragungsaspekten zu unterscheiden.
den) und 36 Prozent eine Paartherapie (durchschnittlich 37 Stunden). Aus der glei­ Mehrere Ausbildungsinstitutionen (zum Beispiel das British Group Analytic Insti­
chen Untersuchung geht hervor, dass 18 Prozent der praktizierenden Psychologen in tute und die Canadian Group Psychotherapy Association) empfehlen ihren Kandidaten,
ihrem ganzen Leben sich nie selbst einer Therapie unterzogen hatten. dass sie als echte Klienten an einer ambulanten Therapiegruppe teilnehmen, die von
Welche Faktoren hatten eine Rolle dabei gespielt, ob sich die untersuchten Psycho­ einem erfahrenen Kliniker geleitet wird und aus Laien zusammengesetzt ist, die per­
logen einer Therapie unterzogen hatten? Wahrscheinlich, ob sie während ihrer Ausbil­ sönliche Therapie brauchen.37 Befürworter eines solchen Vorgehens weisen auf die vie­
dung eine Therapieerfahrung gemacht hatten, ob sie in ihrer therapeutischen Praxis len Vorteile hin, die damit verbunden sind, ein echtes Mitglied einer Therapiegruppe
psychodynamisch orientiert waren und ob sie im Laufe der Woche viele Therapiestun­ zu sein. Dort gibt es weniger Geschwisterrivalität als in einer Gruppe Gleichgestellter,
den durchführten.32 Eine andere Untersuchung zeigte, dass mehr als die Hälfte aller man braucht nicht aufzutrumpfen, es gibt weniger Abwehr und weniger Besorgnis, ab­
Psychotherapeuten sich nach ihrer Ausbildung einer persönlichen Psychotherapie un­ geurteilt zu werden. Die zu erwartenden Probleme sind überwindbar. Wenn ein Aus­
terzog, und über 90 Prozent berichteten von beachtlichem persönlichen und berufli­ bildungskandidat versucht, den Hilfstherapeuten zu spielen, oder auf andere Weise
chen Gewinn, den sie daraus gezogen hatten.33 vermeidet, sich therapeutisch zu engagieren, kann ein kompetenter Gruppenleiter ihm
Zweifellos beeinflusst die Ausbildungssituation die Entscheidung der Ausbildungs­ den richtigen Weg weisen.
teilnehmer über eine persönliche Therapie. In der Vergangenheit wurden psychiatri­ Eine echte Therapiegruppe als normales Gruppenmitglied zu erleben, ist von un­
sche Ausbildungsprogramme sehr stark frequentiert. Zwar ist dies bei einigen immer schätzbarem Wert, und ich fordere alle Ausbildungskandidaten auf, sich einmal in eine
noch so, doch geht die Zahl generell zurück, und bedauerlicherweise entscheiden sich solche Therapie zu begeben. Leider kann es schwierig sein, die richtige Gruppe zu fin­
immer weniger Assistenzärzte dafür, sich selbst in Therapie zu begeben. 34 den. Die Befürworter persönlicher Gruppentherapie als Teil der Ausbildung stammen
Ich halte mein persönliches Erleben einer Psychotherapie, eine Psychoanalyse mit aus Großstädten und ihrem Umkreis (London, New York, Toronto, Genf). Doch im
fünf wöchentlichen Sitzungen, die sich über meine gesamte dreijährige Assistenzarzt­ Umkreis kleinerer Städte ist die Möglichkeit, an einer Gruppentherapie teilzunehmen,
zeit erstreckte, für den wichtigsten Bestandteil meiner Ausbildung zum Psychothera­ begrenzt. Es gibt einfach nicht genug Gruppen, die die erforderlichen Kriterien erfül­
peuten.35 Ich rate jedem, der beabsichtigt, den Therapeutenberuf zu ergreifen, sich len - d. h. fortlaufende Gruppen, in denen nicht zu schwer gestörte ambulante Klienten
nicht nur einmal selbst in Therapie zu begeben, sondern dies im Laufe seines Berufs­ von einem erfahrenen Kliniker mit einem anspruchsvollen dynamischen Ansatz
lebens mehrmals zu tun, weil in den verschiedenen Lebensphasen unterschiedliche behandelt werden ( der zudem auch nicht zufällig ein persönlicher Freund oder ein
Probleme in den Vordergrund treten, die zu erforschen sind. Das Aufkommen persön­ beruflicher Mitarbeiter des Studenten ist).
lichen Unbehagens ist eine Chance zu umfassenderer Selbsterforschung, durch die wir Es gibt noch eine andere Methode, sowohl zu einer Ausbildung in der Gruppenthe­
letztendlich zu besseren Therapeuten werden.36 rapie als auch zu persönlicher Psychotherapie zu kommen. Ich habe mehrere Jahre
Unsere Selbsterkenntnis spielt bei jedem Aspekt der Therapie eine Rolle. Die Un­ lang eine Therapiegruppe für praktizierende Psychotherapeuten geleitet. Es ist eine
fähigkeit, Gegenübertragungsreaktionen wahrzunehmen, eigene Wahrnehmungsver­ echte Therapiegruppe, keine Ausbildungsgruppe. Die Voraussetzung für die Aufnahme
zerrungen und blinde Flecken zu erkennen oder seine eigenen Gefühle und Fantasien in die Gruppe sind das Bedürfnis und der Wunsch nach persönlicher Therapie, und ich
in seine Arbeit einfließen zu lassen, schränkt die Korn petenz jedes Therapeuten ein. verlange von den Mitgliedern das Honorar, das ich üblicherweise den Teilnehmern von
Wenn es Ihnen zum Beispiel an Einsicht in Ihre eigenen Motivationen fehlt, vermeiden Therapiegruppen berechne. Natürlich lernen die Mitglieder - die meisten von ihnen,
Sie vielleicht Konflikte in der Gruppe, weil Sie dazu neigen, Ihre Gefühle zum Schwei­ aber nicht alle, sind ebenfalls Gruppentherapeuten - im Laufe ihrer Therapie auch eine
gen zu bringen, oder Sie fördern ungebührlich die Konfrontation, weil Sie nach Leben- Menge über den Prozess der Gruppentherapie.

608 609
Da es in jeder Ausbildungsgemeinschaft einige erfahrene Gruppentherapeuten gibt, ciation bietet in ihrem jährlichen Seminar, das regelmäßig ihrer jährlichen Konferenz
macht diese Methode einer großen Zahl von Angehörigen therapeutischer Berufe die vorausgeht, eine zweitägige Selbsterfahrungsgruppe an, die von äußerst erfahrenen
Gruppentherapie zugänglich. Da sich die Gruppe aus Menschen mit ähnlichen Ichstär­ Gruppenleitern durchgeführt wird. Anschließende Untersuchungen bestätigen den -
ken zusammensetzt, eignet sie sich für denjenigen, der sich in Gruppentherapie ausbil­ sowohl beruflichen wie persönlichen - Wert dieser Gruppen. 38
den lässt, besonders. Die Mitglieder sind sich untereinander fremd; alle sind Fachleute, Eine weitere Möglichkeit für praktizierende Psychotherapeuten besteht darin, ge­
arbeiten aber nicht zusammen. (Obwohl ich gesehen habe, wie Therapeuten mit einer meinsam eine Unterstützungsgruppe ohne Leiter zu bilden. Ich kann persönlich be­
informellen Verbindung - die sich beispielsweise die Praxisräume teilten - ohne Kom­ zeugen, dass sie von großem Wert sind. Es gibt wenig Literatur über Unterstützungs­
plikationen an derselben Gruppe teilnahmen.) Dadurch werden viele der Konkurrenz­ gruppen für Psychotherapeuten, doch kann ich persönlich ihren Wert bestätigen. Seit
probleme beseitigt, die in Gruppen von Kandidaten auftreten, die im gleichen Ausbil­ einiger Zeit profitiere ich enorm von meiner Mitgliedschaft in einer Gruppe von elf
dungsprogramm sind. Die Mitglieder sind stark motiviert, psychologisch interessiert Therapeuten meines Alters und meiner Erfahrungsstufe, die sich jede zweite Woche
und im Allgemeinen verbal aktiv. Ein sehr erfahrener Gruppentherapeut wird finden, neunzig Minuten lang trifft. Mehrere Gruppenmitglieder teilen sich eine Praxis und
dass solche Gruppen nicht schwer zu leiten sind. Es kommt gelegentlich vor, dass Mit­ hatten über die Jahre hinweg hilflos mitangesehen, wie verschiedene Kollegen unter
glieder den Leiter prüfen, beurteilen oder mit ihm konkurrieren, aber die meisten Mit­ großem persönlichen und beruflichen Stress litten und ihm manchmal sogar zum Op­
glieder sind zur ernsten Arbeit da und nutzen ihre eigenen Kenntnisse der Psycho­ fer fielen. Ihre Reaktion auf die Stützgruppe lautet einstimmig: »Warum haben wir das
therapie, um der Gruppe zur besten Wirkung zu verhelfen. nicht schon vor 25 Jahren gemacht?« Derartige Gruppen bieten nicht nur persönliche
und berufliche Unterstützung, sondern erinnern die Therapeuten auch an die Macht
Zusa m me nfassu n g der kleinen Gruppe und gestatten ihnen einen Blick auf den gruppentherapeutischen
Prozess von der Perspektive des Mitglieds aus. Wie alle Gruppen profitieren sie von ei­
Die Ausbildungserfahrungen, die ich bisher beschrieben habe - Beobachtungen eines nem klaren Konsens hinsichtlich Erwartungen, Zielen und Normen, weil dies garan­
erfahrenen Klinikers, Gruppentherapie-Supervision, Teilnahme an einer Selbsterfah­ tiert, dass sie ihrer Aufgabe gerecht werden und in der Lage sind, sich mit dem eigenen
rungsgruppe und persönliche Therapie -, stellen nach meiner Ansicht das Minimum Gruppenprozess auseinanderzusetzen. 39
an wesentlichen Komponenten eines Programms für die Ausbildung von Gruppenthe­
rapeuten dar. (Ich setzte eine vorangegangene oder gleichzeitige Ausbildung des Kan­ Ü ber d i e Tec h n i k h i n a u s
didaten in allgemeinen klinischen Bereichen voraus: in Gesprächstechnik, Psychopa­
thologie, Persönlichkeitstheorie und anderen Formen der Psychotherapie.) Die Abfol­ Das Ausbildungsprogramm für Gruppentherapie hat die Aufgabe, Ausbildungskandi­
ge der Ausbildungsschritte in der Gruppentherapie mag von den strukturellen Eigen­ daten nicht nur beizubringen, wie man etwas macht, sondern auch, wie man etwas
heiten des jeweiligen Ausbildungsinstituts abhängen. Ich empfehle, dass Beobachtung, lernt. Klinische Ausbilder dürfen nicht eine starre Sicherheit in unseren Techniken
persönliche Therapie und die Selbsterfahrungsgruppe ganz am Anfang des Ausbil­ oder in unseren grundlegenden Annahmen über therapeutische Veränderung vermit­
dungsprogramms beginnen, worauf nach einigen Monaten die Bildung einer Thera­ teln: Das Fachgebiet ist viel zu komplex und vielfältig für »Jünger mit standhaftem
piegruppe und fortlaufende Supervision folgen sollte. Ich halte es für wichtig, dass Glauben«. Deshalb halte ich es für das Wichtigste überhaupt, dass wir bezüglich einer
Ausbildungskandidaten eine klinische Erfahrung bekommen, bei der sie sich mit der fortlaufenden Ausbildung in unserem Fachgebiet ein Beispiel für eine forschende Ein­
grundlegenden Dynamik von Gruppeninteraktionen in einer nicht festgelegten Grup­ stellung geben und diese lehren. Mit forschender Einstellung meine ich keine ste­
pe von nichtpsychotischen, stark motivierten Klienten befassen, bevor sie mit Gruppen chende Effizienz mit Nickelbrille, sondern eine offene, selbstkritische, wissbegierige
hoch spezialisierter Klienten-Populationen mit begrenztem Ziel oder mit einem der Einstellung gegenüber klinischen Ergebnissen und Forschungsergebnissen und ent­
neuen spezialisierten Therapieansätze zu arbeiten beginnen. sprechenden Folgerungen - eine Einstellung zum Erfahrungshorizont, die einem sen­
Ausbildung ist natürlich ein lebenslanger Vorgang. Es ist wichtig, dass Kliniker Kon­ siblen und humanistischen klinischen Ansatz angemessen ist.
takt mit Kollegen aufrechterhalten, entweder informell oder mithilfe von Berufsorga­ Neueste Entwicklungen in der Psychotherapieforschung unterstreichen dieses Prin­
nisationen wie z. B. der American Group Psychotherapy Association in New York City. zip. Eine Zeit lang existierte eine Fantasie, derzufolge wir die klinische Ausbildung
Damit die Entwicklung weitergeht, sind fortwährend neue Impulse erforderlich. Es stark abkürzen und die Variabilität der Therapieergebnisse beseitigen könnten, indem
gibt viele Möglichkeiten für die Weiterbildung: Lektüre, die Arbeit mit verschiedenen wir es den Therapeuten auferlegten, einem Therapiemanual zu folgen. Doch hat sich
Co-Therapeuten, Lehre, Teilnahme an fachlichen Workshops und informelle Gesprä­ diese Fantasie nicht bewahrheitet: Die Manualisierung der Therapie hat die klinischen
che mit Kollegen. Persönliche Gruppenerfahrungen nach dem ersten akademischen Resultate keineswegs verbessert. Letztendlich ist der Therapeut selbst für positive Thera­
Grad sind für viele ein regenerativer Prozess. Die American Group Psychotherapy Asso- pieresultate doch wichtiger als das Modell, an dem er sich orientiert. Die strikte Orien-

610 611
tierung an einem Psychotherapiemanual ist von sachkundiger und kompetenter Arbeit Veränderung der Selbstachtung muss individuell betrachtet werden. Man hat gezeigt,
meilenweit entfernt. V iele Therapeuten fühlen sich durch Therapiemanuale in ihrer dass eine hohe Punktzahl bei der Selbstachtung nach herkömmlichen, selbstständig
Fähigkeit, spontan auf den laufenden Prozess zu reagieren, eingeschränkt, wodurch die ausgefüllten Fragebögen entweder eine wirklich gesunde Achtung vor dem eigenen
therapeutische Arbeit schlicht und einfach uneffektiv wird. Die Wirksamkeit der Ar­ Selbst oder eine Abwehrhaltung widerspiegeln kann, mittels derer der Mensch seine
beit eines Therapeuten hat viel mit der Fähigkeit zu tun, den Erfordernissen des aktu­ Selbstachtung auf Kosten der Selbstwahrnehmung aufrechterhält.42 Bei letzteren Per­
ellen Kontexts entsprechend zu improvisieren, wobei er sich sowohl neue Erkenntnis­ sonen wäre infolge einer erfolgreichen Behandlung die Selbstachtung (gemessen durch
se als auch im Laufe der Zeit angesammelte Weisheit zunutze macht. Psychotherapie­ Fragebögen) niedriger, aber richtiger.
manuale liefern diese Dinge nicht.40 Deshalb muss nicht nur die allgemeine Strategie der Ergebnisbeurteilung geändert,
Wir müssen den Lernenden helfen, ihre eigene Arbeit kritisch zu beurteilen und be­ sondern auch die Ergebniskriterien müssen neu formuliert werden. Es kann falsch
züglich der Technik wie auch ihrer Einstellung flexibel genug zu bleiben, um auf ihre sein, in der Gruppentherapieforschung Kriterien zu verwenden, die ursprünglich für
eigenen Beobachtungen reagieren zu können. Reife Therapeuten entwickeln sich kon­ das Ergebnis einer Einzeltherapie aufgestellt worden sind. Ich vermute, dass zwar
tinuierlich: Er sieht jeden Klienten, jede Gruppe - ja seine ganze Laufbahn als Lern­ Gruppen- und Einzeltherapien in ihrer Gesamtwirksamkeit etwa gleich stark sind, dass
erfahrung an. Ebenso wichtig ist es, den Ausbildungskandidaten beizubringen, syste­ aber jede Methode unterschiedliche Variablen beeinflusst und daher verschiedene Er­
matische Gruppentherapieforschung auszuwerten und die Forschungsergebnisse, falls gebnisse zeitigt. Menschen zum Beispiel, die eine Gruppentherapie abgeschlossen ha­
sie geeignet sind, in ihre klinische Arbeit einzubauen. Es ist also sehr anzuraten, Lek­ ben, werden vielleicht geschickter im zwischenmenschlichen Umgang, neigen vielleicht
türe und Seminare in klinischer Forschungsmethodik in die Ausbildung einzubezie­ in Zeiten der Belastung mehr dazu, sich zusammenzuschließen, sind besser fähig, be­
hen. Zwar werden nur wenige Kliniker jemals die Zeit, die Mittel und die Unterstüt­ deutsame Beziehungen aufrechtzuerhalten, oder können sich besser einfühlen, wäh­
zung von Institutionen haben, die erforderlich sind, um Großprojekte der Forschung rend Einzeltherapieklienten vielleicht selbstständiger, introspektiver und aufmerksa­
durchzuführen, aber viele können intensive Einzelklienten- oder Einzelgruppenfor­ mer für innere Prozesse werden.43
schung betreiben, und alle müssen die veröffentlichte klinische Forschung auswerten. Gruppentherapeuten haben die Therapie jahrelang als ein mehrdimensionales Ex­
Wenn sich das Gebiet der Gruppentherapie zusammenhängend entwickeln soll, muss perimentalfeld fürs Leben betrachtet, und es ist Zeit, diesen Faktor bei der Ergebnis­
es auf verantwortungsvolle, intelligent durchgeführte, relevante und glaubhafte For­ forschung zu berücksichtigen. Manche Klienten ändern infolge der Therapie die Hier­
schung reagieren; sonst bleibt die Gruppentherapie auf ihrem unberechenbaren, un­ archie ihrer Lebenswerte und schreiben humanistischen oder ästhetischen Zielen grö­
gestümen Kurs, und Forschung wird zu einer vergeblichen, kraftlosen Übung. ßere Bedeutung zu; andere Klienten treffen möglicherweise wichtige Entscheidungen,
Man stelle sich vor, wie man Studenten ein größeres Problem nahebringen kann, die ihr weiteres Leben beeinflussen; wieder andere werden vielleicht im zwischen­
das bei Forschungsprojekten eine Rolle spielt: die Beurteilung der Ergebnisse. Man menschlichen Umgang sensibler und fähiger, ihre Gefühle mitzuteilen. Manche den­
kann Seminare durchführen, in denen die umfangreiche Literatur über die Probleme ken unter Umständen weniger kleinkariert und interessieren sich für »Höheres«; eini­
der Ergebnisforschung studiert wird. (Mehrere ausgezeichnete neuere überblicke kön­ ge fühlen sich anderen Menschen oder Projekten stärker verpflichtet; andere empfin­
nen den Diskussionen als Grundlage dienen.)4i Zusätzlich zu den Seminaren kann je­ den eine gesteigerte Lebensenergie; einige setzen sich sinnvoll mit ihrer eigenen Sterb­
der Ausbildungskandidat an einem Forschungspraktikum teilnehmen, indem er Kli­ lichkeit auseinander, während wieder andere mehr zu Abenteuern neigen und emp­
enten befragt, die aus dem einen oder anderen Grund kürzlich ihre Gruppentherapie fänglicher für neue Ideen und Erfahrungen werden. Die Dinge werden noch mehr
beendet haben. kompliziert durch die Tatsache, dass viele dieser Veränderungen orthogonal zur Lin­
Sobald sich der Lernende auch nur in begrenztem Maße auf eine Einschätzung der derung von bestehenden Symptomen oder zur Erlangung größeren Wohlbefindens
Veränderung eingelassen hat, wird er gegenüber der Ergebnisforschung sensibler und stehen können.44
konstruktiv kritischer. Der Ausbildungskandidat versteht allmählich, dass die her­ Eine forschende Einstellung erfordert, dass Sie während Ihrer ganzen Therapeuten­
kömmlichen Forschungsansätze immer noch den Fehler einer zu extensiven Anlage karriere flexibel bleiben, auf neue Erkenntnisse reagieren und mit einem gewissen
machen, dass sie die Beurteilung des Therapieergebnisses nicht individualisieren. Grad der Unsicherheit leben können - das ist viel verlangt. Unsicherheit, die auf dem
Kliniker beachten Forschungsprojekte nicht ( oder glauben ihnen nicht einmal), bei Fehlen eines endgültigen Behandlungssystems beruht, erzeugt Angst.
denen das Ergebnis mithilfe standardisierter Verfahren nach dem Prinzip »Vorher und Viele Praktiker suchen Trost darin, dass sie sich orthodoxen Glaubenssystemen zu­
Nachher« gemessen wird. Eine Fülle klinischer Belege und wissenschaftlicher Studien wenden: Sie verpflichten sich einer der vielen ideologischen überzeugungsrichtungen,
belegt, dass Veränderung für jeden Klienten etwas anderes bedeutet. Manche Klienten die nicht nur ein umfassendes Erklärungssystem anbieten, sondern auch abweichende
müssen weniger Angst oder Feindseligkeit empfinden; bei anderen Klienten kann die Fakten ausblenden und neue Forschungsergebnisse mit Misstrauen betrachten. Diese
Besserung von einem Zuwachs an Angst oder Feindseligkeit begleitet sein. Sogar die Verpflichtung hat gewöhnlich eine lange Lehrzeit und eine umständliche Initiation zur

612 613
Folge. Wenn der Ausbildungskandidat erst einmal in dem System steckt, kommt er nur
schwer wieder heraus: Zum einen hat man gewöhnlich eine so lange Lehrzeit hinter
sich, dass ein Sichlösen von der »Schule« dem Aufgeben eines Bestandteils des eigenen An han g
Ego gleichkommt; zum anderen ist es äußerst schwierig, eine Position der Gewissheit
um einer Position der Ungewissheit willen aufzugeben. Eine solche Position der Ge­ I nformationen u n d Leit l i nien fü r die Tei l na h me
wissheit konterkariert jedoch eindeutig jede Weiterentwicklung; besonders fatal ist sie a n einer G ru ppenthera pie
für die Entwicklung des noch jungen Therapeuten.
Dem Verzicht auf Gewissheit wohnen einige Gefahren inne. Ängstliche und un­ Die Gruppentherapie hat sich in ihrer langen Geschichte als höchst effektive und nützliche Form
der Psychotherapie erwiesen. Sie ist ebenso nützlich wie eine Einzeltherapie und manchmal sogar
sichere Therapeuten können an Effizienz einbüßen. Tiefe Ungewissheit kann thera­
noch nützlicher, insbesondere wenn soziale Unterstützung und das Erlernen von Kompetenzen
peutischen Nihilismus erzeugen, und der Lernende weigert sich vielleicht, irgendeine im Bereich interpersonaler Beziehungen wichtige Behandlungsziele sind. Die meisten Menschen,
geordnete Therapietechnik beherrschen zu lernen. Lehrer müssen durch ihr persönli­ die an einer Gruppentherapie teilnehmen, profitieren von dieser in starkem Maße. Obgleich eine
ches Beispiel ein Alternativmodell anbieten und demonstrieren, dass sie (im Einklang Gruppentherapie im Allgemeinen sehr unterstützend wirkt, kann es sein, dass Klienten sie zeit­
mit den besten verfügbaren Erkenntnissen) glauben, dass eine bestimmte Methode weilig als belastend erleben.
wirksam ist, dass er aber damit rechnet, diese Methode ändern zu müssen, wenn neue
E i n ige Ziele der G ru ppen psychotherapie
Erkenntnisse verfügbar werden. Außerdem macht der Lehrer dem Lernenden deutlich,
welchen Stolz er empfindet, zu einem Fachgebiet zu gehören, das versucht, sich weiter­ Viele Menschen, die sich in eine Therapie begeben, fühlen sich in ihrer Lebenssituation isoliert
zuentwickeln, aber ehrlich genug ist, seine eigenen Grenzen zu kennen. und unzufrieden. Häufig haben sie Probleme damit, eine enge, für beide Seiten befriedigende und
bedeutsame Beziehung zu anderen Menschen aufzubauen und am Leben zu erhalten. Häufig sind
Praktikern, denen es an einer forschenden Einstellung mangelt, mit deren Hilfe sie
sie daran interessiert, mehr darüber zu lernen, wie sie zu anderen Menschen in Beziehung treten
neue Entwicklungen beurteilen könnten, befinden sich in einer schwierigen Lage. Wie können.
sollen sie beispielsweise auf die unzähligen Neuerungen in ihrem Fachbereich - bei­
spielsweise auf die starke Ausbreitung des Ansatzes der strukturierten Kurzzeitgruppen Eine Gruppentherapie bietet die Möglichkeit:
- reagieren? Leider hängt die Annahme einer neuen Methode gewöhnlich von der
Durchsetzungsfähigkeit, der Überzeugungskraft oder dem Charisma dessen ab, der sie Unterstützung und Feedback zu empfangen und selbst zu geben,
interpersonale Beziehungen und ganz allgemein die Kommunikation zu verbessern,
vertritt. Einige neue Therapiemethoden haben außerordentlich erfolgreich und rasch
mit neuen interpersonalen Verhaltensweisen zu experimentieren,
Verbreitung und Anhängerschaft gefunden. Viele Therapeuten, denen es an einer kon­ ehrlich und direkt über Gefühle zu sprechen,
sequenten und kritischen Einstellung zu Erkenntnissen fehlt, sind entweder gegenüber sich über die eigenen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen klar zu werden und sie zu ver­
allen neuen Methoden unvernünftig unempfänglich geblieben oder haben sich von stehen, indem man sich mit den Beziehungsmustern auseinandersetzt, die man sowohl inner­
irgendeiner aktuellen Methode mitreißen lassen, um dann, unzufrieden mit deren halb als auch außerhalb der Gruppe bevorzugt,
Begrenztheit, wieder zu einer anderen zu wechseln. die Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen anderer Menschen zu verstehen,
Das entscheidende Problem, dem sich die Gruppenpsychotherapie gegenübersieht, Selbstvertrauen, Selbstbild und Selbstachtung zu verbessern,
ist also ein Problem des Gleichgewichts. Traditionelle, konservative Praktiker sind we­ sich innerhalb der Gruppe zu verändern mit der Erwartung, dass diese Veränderungen später
auch auf das normale Leben übergehen werden.
niger empfänglich für Veränderungen als gut wäre; neuerungsfreudige, alles infrage
stellende Praktiker haben weniger Sinn für Stabilität als wünschenswert wäre. Die Vertra u l ic hkeit
Gruppentherapie lässt sich von Moden beeinflussen, wo sie von Erkenntnissen geprägt Alle Äußerungen von Teilnehmern einer Psychotherapiegruppe müssen mit äußerstem Respekt
werden sollte. Psychotherapie ist Wissenschaft und Kunst zugleich; in der Wissenschaft und mit Vertraulichkeit behandelt werden. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil ethisch und be­
ist kein Platz für unkritische Orthodoxie, aber auch nicht für Neuerungen um der ruflich einwandfreien Verhaltens.
Neuerung willen. Orthodoxie bietet ihren Anhängern Sicherheit, führt aber zur Stag­
a) Therapeuten
nation; das Fachgebiet wird unempfindlich für den Zeitgeist und bleibt zurück, wäh­
Gruppentherapeuten sind zu absoluter Vertraulichkeit verpflichtet - mit Ausnahme einer einzi­
rend die Öffentlichkeit sich in eine andere Richtung bewegt. Neuerungen machen gen Situation: wenn ein Gruppenmitglied oder ein anderer Mensch in unmittelbarer Gefahr
ihren Vertretern Freude und verschaffen ihnen ein augenfälliges kreatives Ventil, aber schwebt, schwerwiegend geschädigt zu werden.
wenn sie nicht kritisch gewichtet werden, führt dies zu einem zusammengewürfelten Wenn Sie sich gleichzeitig in einer Einzeltherapie befinden, bitten wir Sie um Erlaubnis, in re­
Fach ohne Substanz - einer Psychotherapie, die »wie verrückt in alle Richtungen gelmäßigen Abständen mit Ihrem Einzeltherapeuten zu kommunizieren. Ihre Therapeuten sind
gleichzeitig auseinandersprengt«.45 Ihre Verbündeten, und es ist für Ihre Therapie wichtig, dass sie miteinander kommunizieren.

614 615
b) Gruppenmitglieder aus denen sie mit der Therapie begonnen haben, in keinerlei Zusammenhang stehend erschei­
Ebenso wird auch von allen Gruppenmitgliedern Vertraulichkeit erwartet. Dies ist notwendig, um nen.
eine sichere Umgebung für die therapeutische Arbeit zu schaffen und die Entstehung von Ver­ Doch wenn Sie sich die Tatsache vor Augen führen, dass die Gruppe ein sozialer Mikrokosmos
trauen innerhalb der Gruppe zu ermöglichen. Den meisten Menschen, clie sich einer Therapie ist, werden Sie allmählich verstehen, worum es geht: dass die Probleme, die Sie in Ihrem norma­
unterziehen, ist es wichtig, dass diese ihre Privatangelegenheit bleibt, weshalb sie es vorziehen, mit len sozialen Umfeld erleben, auch in Ihren Beziehungen innerhalb der Gruppe zum Ausdruck ge­
anderen Menschen nicht darüber zu sprechen. Falls Sie jedoch in Gesprächen mit Freunden oder langen. Indem Sie alle Aspekte Ihrer Beziehungen zu anderen Gruppenmitgliedern untersuchen
Familienmitgliedern irgendwann auf Ihre Gruppentherapie zu sprechen kommen möchten, soll­ und zu verstehen lernen und dieses Wissen anschließend auf Ihr Leben außerhalb der Gruppe
ten Sie ausschließlich über das sprechen, was Sie selbst erlebt haben, nicht über die Erlebnisse an­ übertragen, beginnen Sie mit dem Aufbau befriedigender Beziehungen.
derer Gruppenmitglieder. In keinem Fall sollten Sie Außenstehenden gegenüber die Namen an­ Entwickeln Sie hingegen außerhalb der Gruppensitzungen eine enge Beziehung zu einem an­
derer Gruppenmitglieder erwähnen oder irgendetwas sagen, wodurch sich die Identität anderer deren Gruppenmitglied ( oder zu mehreren Gruppenmitgliedern), sind Sie vermutlich nicht un­
Gruppenmitglieder entschlüsseln lässt. bedingt darauf aus, alle Ihre Gefühle über diese Beziehung innerhalb der Gruppe mitzuteilen.
Warum? Weil eine solche Freundschaft Ihnen so viel bedeutet, dass es Ihnen widerstrebt, sie auf
Was ist in der G ru ppe zu t u n ? We lches Verh a lten wird von Ihnen erwa rtet? cliese Weise zu gefährden. Was geschieht in einer Therapiegruppe, wenn Offenheit und Ehrlichkeit
Es gibt keine im Voraus festgelegte Tagesordnung für die einzelnen Sitzungen. Die Teilnehmer beeinträchtigt werden? Der therapeutische Prozess gerät ins Stocken!
werden aufgefordert, über persönliche Probleme oder Beziehungsaspekte zu sprechen, die für clie Deshalb sollten Mitglieder, wenn sie sich (zufällig oder absichtlich) außerhalb der Gruppe
Probleme und Ziele, derentwegen sie sich in die Therapie begeben haben, relevant sind. treffen, alle relevanten Informationen über solche Treffen der Gruppe mitteilen. Jede Art von Ge­
Die Gruppenteilnehmer werden aufgefordert, einander zu unterstützen, Fragen zu stellen, sich heimhaltung über Beziehungen zu anderen Gruppenmitgliedern verlangsamt die therapeutische
über Dinge, die gesagt oder nicht gesagt worden sind, Gedanken zu machen und ihre Assoziatio­ Arbeit. Manchmal entwickeln Gruppenmitglieder starke Gefühle gegenüber anderen Mitgliedern.
nen und Gedanken in der Gruppe mitzuteilen. Besondere Bedeutung wird der Untersuchung der Wir fordern sie dann stets dazu auf, über derartige Gefühle in der Gruppe zu sprechen, sowohl
Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern beigemessen - das heißt, dem »Hier und Jetzt«. über positive als auch über solche wie beispielsweise Ärger oder Enttäuschung. Von den Gruppen­
Sie werden oft aufgefordert, ihre Eindrücke über die anderen Teilnehmer mitzuteilen - ihre Ge­ mitgliedern wird generell erwartet, dass sie über ihre Gefühle sprechen, ohne sie auszuagieren.
danken, Ängste und positiven Gefühle. Je stärker wir im Hier und Jetzt der Gruppe arbeiten,
Gruppentherapeuten
umso effektiver ist die Arbeit.
Ihre Gruppentherapeuten sind nicht dafür da, die Arbeit für Sie zu tun. Ihre Aufgabe ähnelt eher
Selbstoffenbarungen sind notwendig, um von einer Gruppentherapie zu profitieren, doch
der eines teilnehmenden Moderators als der eines Lehrers. Eine Therapie ist dann am produktivs­
sollten die Mitglieder sich grundsätzlich erst dann offenbaren, wenn sie das Gefühl haben, dass
ten, wenn sie eine kollaborative und gemeinschaftliche Aktivität ist. Oft sind die Äußerungen an­
sie dazu bereit sind. Wir drängen nie jemanden zu Bekenntnissen.
derer Gruppenmitglieder dabei ebenso wichtig oder sogar noch wichtiger als die des Gruppenlei­
Um eine therapeutische Umgebung zu schaffen, fordern wir die Gruppenmitglieder stets auf,
ters. Die Therapeuten können Beobachtungen über die Interaktion innerhalb der Gruppe und
sich anderen Mitgliedern gegenüber konstruktiv zu äußern. Nützliches Feedback konzentriert
über das Verhalten der einzelnen Mitglieder beisteuern oder darüber, was bestimmte Mitglieder
sich auf das, was im Hier und Jetzt geschieht; es beschuldigt nicht, ist relevant und stellt zwischen
in der Gruppe sagen oder tun. Ebenso können sie sich über Fortschritte oder Blockaden inner­
dem Mitglied, das Feedback erhält, und dem Mitglied, welches das Feedback gibt, eine Verbin­
halb der Gruppe äußern.
dung her. Diese Art von direktem Feedback und Engagement ist neuartig: In unserer Kultur spre­
Wenn Sie den Gruppentherapeuten etwas zu sagen haben, so hoffen wir, dass Sie dies mög­
chen Menschen nur selten so ehrlich und direkt miteinander. Deshalb wird dieser Umgang mög­
lichst während der Gruppensitzungen tun. Falls Sie jedoch das Gefühl haben, dass Sie in der Zeit
licherweise zunächst als riskant empfunden, doch andererseits kann er auch als zutiefst verpflich-
zwischen zwei Gruppensitzungen dringend etwas mit einem der Gruppentherapeuten bespre­
tend und bedeutsam erlebt werden.
chen müssen, so wird Ihnen <lies ermöglicht. Allerdings ist es in der Regel nützlich, über das Be­
Direkte Ratschläge vonseiten anderer Gruppenmitglieder und vom Therapeuten sind nicht
sprochene in der nächsten Gruppensitzung zu reden. Auch über wichtige Aspekte Ihrer gleichzei­
immer von Nutzen. Ebenso wenig sind allgemeine Gespräche über Themen wie Sport oder Politik
tigen Einzel- oder Paartherapie bei einem anderen Therapeuten sollten Sie in der Gruppe spre­
sinnvoll, es sei denn, irgendein Aspekt eines aktuellen Ereignisses ist für die persönlichen und
chen. Wir hoffen, dass es für Sie keine Themen gibt, über die Sie während der Gruppensitzungen
interpersonalen Probleme eines Gruppenmitglieds wichtig.
nicht reden können. Andererseits ist uns klar, dass Ihr Vertrauen zur Gruppe erst allmählich ent­
Die Therapiegruppe ist nicht der geeignete Ort, um Freundschaften zu schließen. Vielmehr ist
steht und dass Sie über manche persönlichen Dinge erst offen reden werden, wenn Sie sich inner­
sie ein soziales Laboratorium - ein Ort, an dem man Fähigkeiten entwickeln kann, die es ermög­
halb der Gruppe sicher genug fühlen.
lichen, bedeutsame und befriedigende Beziehungen aufzubauen. Therapiegruppen fördern (an­
ders als Unterstützungsgruppen oder soziale Gruppen) nicht den Kontakt zwischen ihren Mit­
gliedern außerhalb des Gruppengeschehens. Warum ist das so? Weil eine Beziehung zwischen den Anfä n gl iche Verpflicht u n g oder Probezeit
Mitgliedern einer Therapiegruppe im Allgemeinen die therapeutische Arbeit innerhalb der Grup­ Eine Gruppentherapie hat für ihre Teilnehmer nicht immer sofort positive Auswirkungen. Des­
pe behindert! halb haben diese manchmal schon früh den Wunsch, die Teilnahme zu beenden, weil sie ihnen zu
Wie wird die Therapie behindert? Um dies erklären zu können, müssen wir zunächst klarstel­ anstrengend wird. Deshalb möchten wir Sie bitten, Ihr anfängliches Urteil über die erhoffte Wir­
len, dass die primäre Aufgabe in einer Therapiegruppe darin besteht, die Beziehungen zwischen kung der Gruppenarbeit zunächst außer Acht zu lassen, die Mitarbeit fortzusetzen und über die
ihren Mitgliedern zu erforschen. Diese mögen zunächst als rätselhaft oder als mit den Gründen, für Sie damit verbundenen Belastungen und Ihre Zweifel an der Therapie zu sprechen.

616 617
Wir bitten Sie, sich zunächst zur Teilnahme an mindestens zwölf Gruppensitzungen zu ver­ Anmerku ngen
pflichten. Nach dieser Zeitspanne werden Sie sich über den potenziellen Nutzen der Gruppe kla­
rer sein. Weitere Quellenangaben und Literaturempfehlungen unter www.yalom.com. Zu welchen Passa­
gen auf der Website weitere Quellenangaben existieren, ist im laufenden Text dieses Buches durch
Tei l n a h me und Gru ppe n kohä sivität ein » 71 « markiert. Um die Zuordnung zu erleichtern, findet sich eine Seitenkonkordanz der
Die Gruppe arbeitet am wirksamsten, wenn sie kohäsiv, zuverlässig und voraussehbar ist. Da die amerikanischen und der deutschen Ausgabe auf Seite 704 dieses Buches.
regelmäßige Teilnahme aller Mitglieder eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, fordern wir Sie
auf, den Gruppensitzungen in Ihrer Terminplanung höchste Priorität zu geben. Eine Gruppen­ Kapitel 1
therapie erfüllt dann am besten ihren Zweck, wenn alle Mitglieder das Engagement und die Arbeit 1 . C. McRoberts, G. Burlingame und M. Hoag, »Comparative Efficacy of Individual and Group
aller Übrigen respektieren und schätzen. Regelmäßige Teilnahme an den Sitzungen und aktives Psychotherapy: A Meta-Analytic Perspective«, Group Dynamics: Theory, Research, and
Engagement während der Sitzungen sind eine wichtige Art, Wertschätzung und Respekt zum Aus­ Practice 2 ( 1 998): 101-1 7. M. Smith, G. Glass und T. Miller, The Benefits of Psychotherapy
druck zu bringen. Ebenso wichtig ist Pünktlichkeit bei jeder Sitzung. Wenn Sie wissen, dass Sie zu (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1980). L. Tillitski, »A Meta-Analysis of Estima­
spät kommen oder gar nicht teilnehmen können werden, sollten Sie die Gruppentherapeuten ted Effect Sizes for Group Versus Individual Versus Control Treatments«, International Jour­
möglichst lange vorher darüber informieren, damit diese die Gruppe zu Beginn der Sitzung dar­ nal of Group Psychotherapy 40 ( 1990): 2 1 5-24. G. Burlingame, K. MacKenzie und B. Strauss,
über in Kenntnis setzen können. »Small-Group Treatment: Evidence for Effectiveness and Mechanisms of Change«, in Bergin
Wenn Sie eine Woche oder länger vorher wissen, dass Sie zu einem bestimmten Termin zu spät and Garfield's Handbook of Psychotherapy and Behavior Change, 5th ed., Hg. M. Lambert
kommen oder gar nicht kommen werden, dann informieren Sie die Gruppe bei einer Sitzung vor (New York: Wiley and Sons, 2004) : 647-96.
diesem Termin darüber. Außerdem bitten wir Sie, die Gruppe über Ihre Urlaubspläne so früh wie 2. S. Bloch, » Therapeutic Factors in Group Psychotherapy«, in APA Annual Review V (Wa­
möglich zu informieren. Auch die Gruppentherapeuten werden es so halten., shington, D.C.: APA Press, 1 986), S. 679-98. D. Kivlighan, K. Multon und D. Brossart,
Es wird sicher Situationen geben, in denen die Gruppe der Ort sein wird, an dem Sie am al­ »Helpful Impacts in Group Counseling: Development of a Multidimensional Rating
lerwenigsten sein möchten, weil Sie sich sehr unwohl fühlen. Solche Situationen sind häufig be­ System«, Journal of Counseling Psychology 43 ( 1996): 347-55.
sonders produktiv für die therapeutische Arbeit. Sie können weiterhin damit rechnen, dass einige 3. M. Lieberman, I. Yalom und M. Miles, Encounter Groups: First Facts (New York: Basic
der Schwierigkeiten, die Sie in Ihrem Leben hatten, auch in der Gruppe auftreten werden. Lassen Books, 1 973).
Sie sich dadurch nicht entmutigen, denn in Wahrheit ist dies eine wichtige Chance, weil es bedeu­ 4. H. Feifel und J. Eells, »Patients and Therapists Assess the Same Psychotherapy«, Journal of
tet, dass Sie und die anderen Gruppenmitglieder sich mit für Sie sehr wichtigen Dingen beschäf­ Consulting and Clinical Psychology 27 ( 1 963) : 3 1 0-18.
tigen. 5. J. Schaffer und S. Dreyer, »Staff and Inpatient Perceptions of Change Mechanisms in Group
Durch Ihre Entscheidung, an einer Gruppentherapie teilzunehmen, haben Sie mit einem Pro­ Therapy«, American Journal of Psychiatry 139 ( 1 982): 1 27-28. S. Bloch und J. Reibstein,
zess des Gebens und Annehmens von Unterstützung begonnen sowie mit der Arbeit an wichtigen »Perceptions by Patients and Therapists of Therapeutic Factors in Group Therapy«, British
Veränderungen in Ihrem persönlichen Leben und im zwischenmenschlichen Umgang. Wir freu­ Journal of Psychiatry 137 ( 1 980) : 274-78. R. Cabral und A. Paton, »Evaluation of Group
en uns auf die Möglichkeit, in dieser Gruppe mit Ihnen zusammenarbeiten zu können. Therapy: Correlations Between Clients' and Observers' Assessments«, British Journal of
Psychiatry 1 26 ( 1975): 475-77. C. Glass und D. Arnkoff, »Common and Specific Factors in
Client Descriptions and Explanations for Change«, Journal of lntegrative and Eclectic Psy­
chotherapy 7 ( 1 988): 427-40.
6. T. Butler und A. Fuhriman, » Level of Functioning and Length of Time in Treatment Variab­
les Influencing Patients' Therapeutic Experience in Group Psychotherapy«, International
Journal of Group Psychotherapy 33 ( 1 983): 489-504.
7. J. Maxmen, »Group Therapy as Viewed by Hospitalized Patients«, Archives of General
Psychiatry 28 (March 1973): 404-08. T. Butler und A. Fuhriman, »Patient Perspective on the
Curative Process: A Comparison of Day Treatment and Outpatient Psychotherapy Groups«,
Small Group Behavior 1 1 ( 1 980) : 371-88. T. Butler und A. Fuhriman, »Curative Factors in
Group Therapy: A Review of the Recent Literature«, Small Group Behavior 14 ( 1983) : 131-
42. M. Leszcz, I. Yalom und M. Norden, »The Value of Inpatient Group Psychotherapy: Pa­
tients' Perceptions«, International Journal of Group Psychotherapy 35 ( 1 985): 4 1 1-35. E.
Rynearson und S. Melson, »Short-Term Group Psychotherapy for Patients with Functional
Complaints«, Postgraduate Medicine 76 ( 1 984): 141-50.
8. B. Corder, L. Whiteside und T. Haizlip, »A Study of Curative Factors in Group Psychothera­
py with Adolescents«, International Journal of Group Psychotherapy 3 1 ( 1981 ): 345-54. N.
Macaskill, »Therapeutic Factors in Group Therapy with Borderline Patients«, International

618 619
Journal of Group Psychotherapy 32 ( 1982): 61-73. S. Colijn et al., »A Comparison of Cura­ dow, » Process to Recovery: In Support of Long-Term Groups for Sexual Abuse Survivors«,
tive Factors in Different Types of Group Psychotherapy«, International Journal of Group International Journal of Group Psychotherapy 43 ( 1993) : 29-44. M. Sehadler, »Brief Group
Psychotherapy 41 ( 199 1 ) : 365-78. Therapy with Adult Survivors of Incest« , in Focal Group Therapy, Hg. M. McKay und K. Pa­
9. M. Lieberman und L. Borman, Self-Help Groups for Coping with Crisis (San Francisco: Jos­ leg (Oakland, Calif.: New Harbinger Publications, 1992), 292-322.
sey-Bass, 1979). M. Lieberman, »Comparative Analyses of Change Mechanisms in Group«, 2 1 . J. Kelly, »Group Therapy Approaches for Patients with HIV and AIDS«, International Jour­
in Advances in Group Therapy, Hg. R. Dies und K. MacKenzie (New York: International nal of Group Psychotherapy 48 ( 1 998): 145-62. C. Rose, L. Sekula und E. Rubenstein,
Universities Press, 1 983): 1 9 1-208. S. Bloch und E. Crouch, Therapeutic Factors in Group »Group Interventions for Widowed Survivors of Suicide«, Suicide and Life-Threatening Be­
Therapy ( Oxford: Oxford University Press, 1985): 25-67. havior 31 (2001 ) : 428-41.
10. K. MacKenzie und V. Tschuschke, »Relatedness, Group Work, and Outcome in Long-Term 2 2 . P. Tsui und G. Schultz, »Ethnic Factors in Group Process«, American Journal of Ortho­
Inpatient Psychotherapy Groups«, Journal of Psychotherapy Practice and Research 2 ( 1993 ): psychiatry 58 ( 1 988): 1 36-42.
147-55. G. Burlingame, »Small-Group Treatment«. D. Kivligham, »Helpful Impacts«. 23. N. Hansen, F. Pepitone-Arreola-Rockwell und A. Greene, »Multicultural Competence: Cri­
1 1 . A. Goldstein, Therapist-Patient Expectancies in Psychotherapy (New York: Pergamon Press, teria and Case Examples«, Professional Psychology: Research and Practice 3 1 (2000): 652-
1 962). S. Bloch et al., »Patients' Expectations of Therapeutic Improvement and Their Out­ 60. G. Nagayama Hall, »Psychotherapy Research with Ethnic Minorities: Empirical, Ethical,
comes« , American Journal of Psychiatry 133 ( 1976): 1457-59. J. Frank und J. Frank, Persua­ and Conceptual Issues« , Journal of Consulting and Clinical Psychology 69 (2001 ): 502-10.
sion and Healing: A Comparative Study of Psychotherapy, 3rd ed. (Baltimore: Johns Hop­ 24. M. Jones, »Group Treatment with Particular Reference to Group Projection Methods«, Ame­
kins University Press, 1 99 1 ) : 132-54. J. Connelly et al., »Premature Termination in Group rican Journal of Psychiatry 1 0 1 ( 1 944): 292-99.
Psychotherapy: Pretherapy and Early Therapy Predictors« , International Journal of Group 25. L. Marsh, »Group Therapy and the Psychiatrie Clinic«, Journal of Nervous and Mental
Psychotherapy 36 ( 1 986): 145-52. A. Rabin et al., »Factors Intluencing Continuation«, Be­ Diseases 82 ( 1 935): 38 1-90.
havioral Therapy 23 ( 1992): 695-98. H. Hoberman et al., »Group Treatment of Depression: 26. M. Galanter, »Zealous Self-Help Groups as Adjuncts to Psychiatrie Treatment: A Study of
Individual Predictors of Outcome « , Journal of Consulting and Clinical Psychology 56 Recovery, Inc. « , American Journal of Psychiatry 1 43 ( 1988): 1 248-53. M. Galanter, »Cults
( 1988): 393-98. M. Pearson und A. Girling, »The Value of the Claybury Selection Battery in and Zealous Self-Help Movements«, American Journal of Psychiatry 145 ( 1990): 543-5 1 . C.
Predicting Benefit from Group Therapy«, British Journal of Psychiatry 157 ( 1990): 384-88. Gartner, »A Self-Help Organization for Nervous and Former Mental Patients-Recovery, Inc.,
W. Piper, »Client Variables« , in Handbook of Group Psychotherapy, Hg. A. Fuhriman und Chicago«, Hospital and Community Psychiatry 42 ( 199 1 ) : 1 055-56.
G. Burlingame (New York: Wiley, 1994): 83-1 13. 27. P. Murray, »Recovery, Inc., as an Adjunct to Treatment in an Era of Managed Care«, Psychi­
12. M. Seligman, »The Effectiveness of Psychotherapy: The Consumer Reports Study«, Ameri­ atrie Services 47 ( 1996): 1378-8 1 .
can Psychologist 50 ( 1995): 965-74. 28. A . Low, Mental Health Through Will Training (Boston: Christopher Publishing House,
13. A. Leuchter, I. Cook, E. Witte, M. Morgan und M. Abrams, »Changes in Brain Function of 1950).
Depressed Subjects During Treatment with Placebo«, American Journal of Psychiatry 159 29. Lieberman und Borman, Self-Help Groups, 1 94-234. G. Goodman und M. Jacobs, »The
(2002): 1 22-29. Self-Help Mutual Support Group«, in Fuhriman und Burlingame, Handbook of Group Psy­
14. D. Spiegel und C. Classen, Group Therapy for Cancer Patients (New York: Basic Books, chotherapy: 484-526. D. Salem, E. Seidman und J. Rappaport, »Community Treatment of the
2000). M. Leszcz und P. Goodwin, »The Rationale and Foundations of Group Psychothera­ Mentally Ill: The Promise of Mutual Help Organizations«, Social Work 33 ( 1988): 403-08.
py for Women with Metastatic Breast Cancer«, International Journal of Group Psychothe­ Lieberman und Borman, Self-Help Groups.
rapy 48 ( 1 998): 245-74. 30. H. Fensterheim und B. Wiegand, »Group Treatment of the Hyperventilation Syndrome«,
15. Goldstein, Therapist-Patient Expectancies, 35-53. Kaul und Bednar, »Experiential Group International Journal of Group Psychotherapy 41 ( 199 1): 399-404. R. McNally, »Psycholo­
Research«, 229-63. E. Uhlenhuth und D. Duncan, »Some Determinants of Change in Psy­ gical Approaches to Panic Disorder: A Review« , Psychological Bulletin 108 ( 1990): 403-19.
choneurotic Patients« , Archives of General Psychiatry 18 ( 1968): 532-40. Frank und Frank, 31. S. Tenzer, »Fat Acceptance Therapy: A Non-Dieting Group Approach to Physical Wellness,
Persuasion and Healing. Insight and Self-Acceptance«, Women and Therapy 8 ( 1989): 39-47.
1 6. Lieberman und Borman, Self-Help Groups. 32. Moreno, »Group Treatment for Eating Disorders«.J. Mitchell et al., »A Comparison Study of
1 7. K. Lorig et al., » Evidence Suggesting That a Chronic Disease Seif-Management Program Can Antidepressants and Structured Intensive Group Therapy in the Treatment of Bulimia Ner­
Improve Health Status While Reducing Hospitalization: A Randomized Trial« , Medical Care vosa«, Archives of General Psychiatry 47 ( 1990): 149-57. J. Laube, »Why Group for Buli­
37 ( 1 999): 5-14. mia? « International Journal of Group Psychotherapy 40 ( 1 990): 1 69-88. D. Franko, »The
18. F. Fawzy, N. Fawzy und J. Wheeler, »A Post-Hoc Comparison of the Efficiency of a Psycho­ Use of a Group Meal in the Brief Group Therapy of Bulimia Nervosa«, International Journal
educational Intervention for Melanoma Patients Delivered in Group Versus Individual For­ of Group Psychotherapy 43 ( 1993) : 237-42.
mats: An Analysis of Data from Two Studies«, Psycho-Oncology 5 ( 1996): 8 1-89. A. Bandu­ 33. M. Kalb, »The Effects of Biography on the Divorce Adjustment Process«, Sexual and Marita!
ra, Self-Efficacy: The Exercise of Control (New York: Freeman, 1997). Therapy 2 ( 1987): 53-64. D. Grenvold und G. Welch, »Structured Short-Term Group Treat­
19. J. Moreno, »Group Treatment for Eating Disorders«, in Fuhriman und Burlingame, Hand­ ment of Postdivorce Adjustment«, International Journal of Group Psychotherapy 29 ( 1 979):
book of Group Psychotherapy: 416-57. 347-58.
20. S. Gold-Steinberg und M. Buttenheim, »>Telling One's Story< in an Incest Survivors' Group«, 34. S. Drob und H. Bernard, »Time-Limited Group Treatment of Genital Herpes«, International
International Journal of Group Psychotherapy 43 ( 1993): 173-89. F. Mennen und D. Mea- Journal of Group Psychotherapy 36 ( 1 986): 133-44.

620 621
35. D. Ornish, Dr. Dean Ornish's Program for Reversing Heart Disease (New York: Random 52. J. Rubin und K. Locasio, »A Model for Communication Skills Group Using Structured Exer­
House, 1 990); dt.: Revolution in der Herztherapie (Stuttgart: Kreuz, 1 992). R. Allen und S. cises and Audiovisual Equipment«, International Journal of Group Psychotherapy 35 ( 1985):
Scheidt, »Group Psychotherapy for Patients with Coronary Heart Disease«, International 569-84.
Journal of Group Psychotherapy 48 ( 1998): 187-214. 53. J. Flowers, »The Differential Outcome Effects of Simple Advice, Alternatives, and Instruc­
36. B. Mara und M. Winton, »Sexual Abuse Intervention: A Support Group for Parents Who tions in Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 29 ( 1979):
Have a Sexually Abused Child«, International Journal of Group Psychotherapy 40 ( 1990): 305-15.
63-78. 54. W. Beardslee, E. Wright, P. Rothberg, P. Salt und E. Versage, »Response of Families to Two
37. T. Poynter, »An Evaluation of a Group Program for Male Perpetrators of Domestic Vio­ Preventive Intervention Strategies: Long-Term Differences in Behavior and Attitude
lence«, Australian Journal ofMarriage and Family 12 ( 199 1 ) : 64-76. J. Edelson und R. Gruz­ Change«, Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry 35 ( 1 996):
inski, »Treating Men Who Batter«, Journal of Social Service Research 1 2 ( 1988): 3-22. B. 774-82.
Wallace und A. Nosko, »Working with Shame in the Group Treatment of Male Batterers«, 55. S. Holmes und D. Kivlighan, »Comparison of Therapeutic Factors in Group and Individual
International Journal of Group Psychotherapy 43 ( 1993 ): 45-61 . Treatment Processes«, Journal of Counseling Psychology 47 (2000): 478-84.
38. I . Yalom und S . Vinogradov, »Bereavement Groups: Techniques and Themes«, International 56. Frank und Frank, Persuasion and Healing.
Journal of Group Psychotherapy 38 ( 1 988): 41 9-46. 57. V. Frank!, The Will to Meaning (Cleveland: World Publishing, 1 969); dt.: Der Wille zum
39. S. Levine et al., »Group Psychotherapy for HIV-Seropositive Patients with Major Depressi­ Sinn (Bern u. a., Huber, 1972).
on«, American Journal of Psychotherapy 55 ( 199 1 ): 413-25. G. Tunnell, »Complication in 58. S. Folkrnan, S. Greer, »Promoting Psychological Well-being in the Face of Serious Illness:
Group Psychotherapy with AIDS Patients«, International Journal of Group Psychotherapy When Theory, Research and Practice Inform Each Other«, Psycho-Oncology 9 (2000) :
41 ( 199 1) : 481-98. A. Beckett und J. Rutan, »Treating Persons with ARC andAIDS in Group 1 1-19.
Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 40 ( 1 990): 1 9-30. Kelly, 59. L. Ormont, »The Role of the Leader in Resolving Resistances to lntimacy in the Group
»Group Therapy Approaches for Patients with HIV and AIDS«. Setting«, International Journal of Group Psychotherapy 38 ( 1988): 29-45.
40. S. Price, A. Heinrich und J. Golden, »Structured Group Treatment of Couples Experiencing 60. D. Goleman, Emotional Intelligence (New York: Bantam Books, 1 995); dt.: Emotionale
Sexual Dysfunction«, Journal of Sex and Marita! Therapy 6 ( 1981): 247-57. Intelligenz (München/Wien, Hanser, 1 996).
4 1. L. Gallese und E. Treuting, »Help for Rape Victims Through Group Therapy«, Journal of 6 1 . S. Barlow et al., »Leader Communication Style: Effects on Members of Small Groups«, Small
Psychosocial Nursing and Mental Health Services 19 ( 198 1 ) : 20-2 1 . Group Behavior 13 ( 1 982): 5 1 3-8 1 .
42. R: Kris und H. Kramer, »Efficacy of Group Therapy with Postmastectorny Self-Perception, 62. S . Borgers, »Uses and Effects o f Modeling by the Therapist in Group Therapy«, Journal for
Body Image, and Sexuality«, Journal of Sex Research 23 ( 1 986): 438-5 1. Specialists in Group Work 8 ( 1 983 ): 133-39.
43. E. Herman und S. Baptiste, »Pain Control: Mastery Through Group Experience«, Pain 1 0 63. E. Kuipers et al., »London-East Anglia Randomized Controlled Trial of Cognitive-Beha­
( 198 1) : 79-86. viour Therapy for Psychosis: I. Effects of the Treatment Phase«, British Journal of Psychiatry
44. S. Abbey und S. Farrow, »Group Therapy and Organ Transplantation«, International Journal 1 7 1 ( 1997): 3 1 9-27.
of Group Psychotherapy 48 ( 1998): 1 63-86. 64. A. Bandura, E. Blanchard und B. Ritter, »The Relative Efficacy of Desensitization and Mo­
45. Z. Segal, J. Williams und J. Teasdale, Mindfulness-Based Cognitive Therapy for Depression deling Approaches for Inducing Behavioral, Affective, and Attitudinal Changes«, Journal of
(New York: Guilford Press, 2002). Personality and Social Psychology 13 ( 1969): 1 73-99. A. Bandura, D. Ross und S. Ross, »Vi­
46. J. Kabat-Zinn, Full Catastrophe Living: Using the Wisdom of Your Body and Mind to Face carious Reinforcements and Imitative Learning«, Journal of Abnormal and Social Psycho­
Stress, Pain, and Illness (New York: Dell, 1990); dt.: Gesund und streßfrei durch Meditation logy 67 ( 1 963): 601-07.
(München, 0. W. Barth, 199 1 ). Segal et al., Mindfulness-Based Cognitive Therapy. 65. J. Moreno, »Psychodramatic Shock Therapy«, Sociometry 2 ( 1 939): 1-30.
47. V. Helgeson, S. Cohen, R. Schulz und J. Yasko, »Education and Peer Discussion Group In­ 66. S. Colijin et al., »A Comparison of Curative Factors in Different Types of Group Therapy«,
terventions and Adjustment to Breast Cancer«, Archives of General Psychiatry 56 ( 1999): International Journal of Group Therapy 41 ( 199 1 ) : 365-78.
340-47.
48. I. Yalom, P. Houts, G. Newell und K. Rand, »Preparation of Patients for Group Therapy: A Ka pitel 2
Controlled Study«, Archives of General Psychiatry 17 ( 1 967): 416-27. 1 . R. Baumeister und M. Leary, » The Need to Belong: Desire for Interpersonal Attachments as
49. F. Fromm-Reichman, Principles of Intensive Psychotherapy ( Chicago: University of Chicago a Fundamental Human Motivation«, Psychology Bulletin 1 1 7 ( 1 995): 497-529.
Press, 1950); dt.: Intensive Psychotherapie (Stuttgart, Hippokrates, 1 959). 2. J. Bowlby, Attachment and Loss, Bd. 3, Loss: Sadness and Depression (New York: Basic
50. J. Ledoux und J. Gorman, »A Call to Action: Overcoming Anxiety Through Active Coping«, Books, 1980); dt.: Verlust, Trauer und Depression (Frankfurt a. M.: Fischer TB, 1983).
American Journal of Psychiatry 158 (200 1 ) : 1953-55. 3. D. Winnicott, Through Pediatrics to Psychoanalysis (London: Hogarth Press, 1978; Erstver­
5 1 . J. Frank et al., »Behavioral Patterns in Early Meetings of Therapy Groups«, American Jour­ öffentl. 1952); dt.: Von der Kinderheilkunde zur Psychoanalyse (München: Kindler, 1976).
nal of Psychiatry 108 ( 1952): 77 1-78. C. Peters und H. Grunebaum, »lt Could Be Worse: 4. S. Mitchell, Relational Concepts in Psychoanalysis (Cambridge, Mass.: Harvard University
Effective Group Therapy with the Help-Rejecting Complainer«, International Journal of Press, 1988).
Group Psychotherapy 27 ( 1977): 471-80. E. Berne, Games People Play (New York: Grove 5. W. James, The Principles of Psychology, Bd. 1 (New York: Henry Holt, 1890, dt.: Psychologie;
Press, 1964); dt.: Spiele der Erwachsenen (Reinbek, Rowohlt, 1967). Leipzig, Quelle & Meyer, 1909), 293.

622 623
6. L. Syme, Social Support and Health (Orlando, Fla.: Academic Press, 1985). J. Hartog, J. Audy Forschung häufig eine wichtige Rolle spielen: agency (Handlungsfähigkeit) and affiliation.
und Y. Cohen, Hg., The Anatomy of Loneliness (New York: International Universities Press, Agency (womit Selbstdefinition, Selbstbehauptung und Initiative gemeint ist) umfasst ein
1980) . J. Lynch, The Broken Heart: The Medical Consequences of Loneliness (New York: Spektrum von der Beherrschung oder Dominierung bis hin zur Unterordnung. Komple­
Basic Books, 1 977). mentarität hinsichtlich der Handlungsfähigkeit beinhaltet, dass dominante Verhaltenswei­
7. J. House, K. Landis und D. Umberson, »Social Relationships and Health«, Science 241 sen Unterwerfungsreaktionen hervorrufen; umgekehrt ruft Unterwerfungsverhalten domi­
( 1 988): 540-45. nante Reaktionen hervor. Affiliation ( die Einstellung eines Menschen zu interpersonalen
8. E. Maunsell, J. Brisson und L. Deschenes, »Social Support and Survival Among Women with Verbindungen umfasst ein Spektrum von Feindseligkeit bis Freundlichkeit und zieht Ähn­
Breast Cancer«, Cancer 76 ( 1 995): 63 1-37. M. Price et al., »The Role of Psychosocial Factors lichkeit und Zustimmung an: Feindseligkeit zieht weitere Feindseligkeit an, und Freundlich­
in the Development of Breast Carcinoma, Part II: Life Event Stressors, Social Support, De­ keit zieht freundliche Reaktionen an) . Das Antizipieren und Verstehen bestimmter Arten
fense Style und Emotional Control and Their Interactions«, Cancer 9 1 (200 1 ) : 686-97. J. von interpersonalen Anziehungskräften informiert den Gruppenleiter über die tatsächli­
Leserman et al., »Impact of Stressful Life Events, Depression, Social Support, Coping, and chen und die potenziellen maladaptiven Transaktionen eines Klienten in der Therapie. Au­
Cortisol on Progression to AIDS«, American Journal of Psychiatry 157 (2000): 1 22 1-28. ßerdem kann er diese Information nutzen, um angesichts starker interpersonaler Anzie­
9. V. Schermer, »Contributions of Object Relations Theory and Self Psychology to Relational hungskräfte, die andere Gruppenmitglieder oder ihn selbst betreffen, eine therapeutische
Psychology, Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 50 Perspektive aufrechtzuerhalten. Sobald ein Therapeut die interpersonale Wirkung des Ver­
(2000): 1 99-2 12. haltens jedes Klienten erkannt hat, ist er besser in der Lage, seine eigene Gegenübertragung
1 0. S. Mitchell, Hope and Dread in Psychoanalysis (New York: Basic Books, 1993). zu verstehen, was ihm wiederum ermöglicht, zutreffendes und nützliches Feedback zu ge­
1 1 . H. Sullivan, The Interpersonal Theory of Psychiatry (New York: Norton, 1953); dt.: Die in­ ben.
terpersonale Theorie der Psychiatrie (Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1980). H. Sullivan, Concep­ 24. Mullahy, Contributions, 10.
tions of Modern Psychiatry (New York: Norton, 1940). 25. L. Horowitz und J. Vitkis, »The Interpersonal Basis of Psychiatrie Symptomatology«, Clini-
1 2. D. Kiesler, Contemporary Interpersonal Theory and Research (New York: Wiley, 1 996). cal Psychology Review 6 ( 1986): 443-69.
13. P. Mullahy, »Harry Stack Sullivan«, in Comprehensive Textbook of Psychiatry, Hg. H. Ka­ 26. Kiesler, Contemporary Interpersonal Theory.
plan, A. Freedman und B. Sadock (Baltimore: Williams & Wilkins, 1 980): 1 52-55. P. Mul­ 27. Sullivan, Conceptions, 207.
lahy, The Contributions of Harry Stack Sullivan (New York: Hermitage House, 1 952) . 28. Ibid., 237.
14. J. McCullough Jr., Treatment for Chronic Depression: Cognitive Behavioral Analysis System 29. B. Grenyer und L. Luborsky, »Dynamic Change in Psychotherapy: Mastery of Interpersonal
of Psychotherapy (CBASP) (New York: Guilford Press, 2000). D. Hellerstein et al., »Adding Conflicts«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 64 ( 1996): 4 1 1-16.
Group Psychotherapy to Medication Treatment in Dysthymia: A Randomized Prospective 30. S. Hemphill und L. Littlefield, »Evaluation of a Short-Term Group Therapy Program for
Pilot Study«, Journal of Psychotherapy Practice and Research 10 (2002): 93-103. J. Safran Children with Behavior Problems and Their Parents«, Behavior Research and Therapy 39
und Z. Segal, Interpersonal Process in Cognitive Therapy (New York: Basic Books, 1 990) . (2001): 823-41. S. Scott, Q. Spender, M. Doolan, B. Jacobs und H. Espland, »Multi-Center
1 5. D. Kiesler, Contemporary Interpersonal Theory. Controlled Trial of Parenting Groups for Childhood Antisocial Behavior in Clinical Prac­
16. Mullahy, Contributions, 22. tice«, British Medical Journal 323 (200 1): 194-97.
1 7. H. Grunebaum und L. Solomon, »Peer Relationships, Self-Esteem, and the Self«, Internatio­ 3 1 . D. Wilfley, K. MacKenzie, V. Ayers, R. Welch und M. Weissman, Interpersonal Psychotherapy
nal Journal of Group Psychotherapy 37 ( 1 987): 475-5 13. for Groups (New York: Basic Books, 2000).
18. M. Leszcz, »Integrated Group Psychotherapy for the Treatment of Depression in the Elder­ 32. I. Yalom und C. Greaves, »Group Therapy with the Terminally Ill«, American Journal of
ly«, Group 2 1 ( 1 997): 89-1 1 3. Psychiatry 1 34 ( 1 977): 396-400.
1 9. P. Fonagy, »The Process of Change and the Change of Processes: What Can Change in a 33. E. Kühler-Ross. On Death and Dying (New York: Macmillan, 1969); dt.: Reif werden zum
>Good Analysis«<, keynote address to the spring meeting of Division 39 of the American Psy­ Tode (Stuttgart: Kreuz, 1976) .
chological Association, New York, April 16, 1999. 34. F. Alexander und T. French, Psychoanalytic Therapy: Principles and Applications (New York:
20. Bowlby, Attachment and Loss ( dt.: Bindung und Verlust) . Ronald Press, 1946). Eine neuere Sicht des korrigierenden emotionalen Erlebnisses wird be­
2 1 . Safran und Segal, Interpersonal Process. Kiesler, Contemporary Interpersonal Theory. schrieben in T. Jacobs, »The Corrective Emotional Experience: Its Place in Current Techni­
22. H. Strupp und J. Binder, Psychotherapy in a New Key (New York: Basic Books, 1 984) . R. que«, Psychoanalytic Inquiry 10 ( 1 990) : 433-545.
Giesler und W. Swann, »Striving for Confirmation: The Role of Self-Verification in Depres­ 35. F. Alexander, » Unexplored Areas in Psychoanalytic Theory and Treatment«, in New Perspec­
sion, in The Interactional Nature of Depression, Hg. T. Joiner und J. Coyne (Washington, tives in Psychoanalysis, Sandor Rado Lectures 1957-1963, Hg. G. Daniels (New York: Grune
D.C.: American Psychological Association, 1999), 1 89-2 1 7. & Stratton, 1965): 75.
23. Kiesler, Contemporary Interpersonal Theory. Kiesler beschreiben diesen interpersonalen 36. P. Fonagy, G. Moran, R. Edgcumbe, H. Kennedy und M. Target, »The Roles of Mental Repre­
Teufelskreis als einen maladaptiven Transaktionszyklus (MTC) . Die aktuelle Forschung be­ sentations and Mental Processes in Therapeutic Action«, The Psychoanalytic Study of the
zeichnet die interpersonale Komplementarität - die Vorstellung, dass spezifische Verhaltens­ Child 48 ( 1993): 9-48. J. Weiss, How Psychotherapy Works: Process and Technique (New
weisen spezifische Reaktionen anderer Menschen hervorrufen - als den Mechanismus, der York: Guilford Press, 1993).
Teufelskreise maladaptiver Interaktionen initiiert und aufrechterhält. In diesem Zusammen­ 37. P. Fretter, W. Bucci, J. Broitman, G. Silberschatz und J. Curtis, »How the Patient's Plan Rela­
hang betrachte man beispielsweise zwei Verhaltensdimensionen, die in der interpersonalen tes to the Concept of Transference«, Psychotherapy Research 4 ( 1 994): 58-72.

624 625
38. Alexander, »Unexplored Areas«, 79-80. 54. P. Fonagy, H. Kachele, R. Krause, E. Jones, R. Perron und L. Lopez, »An Open Door Review
39. J. Frank und E. Ascher, »The Corrective Emotional Experience in Group Therapy«, Ameri­ of Outcome Studies in Psychoanalysis«. London: International Psychoanalytical Association,
can Journal of Psychiatry 108 ( 1951 ): 126-3 1. 1999.
40. J. Breuer und S. Freud, Studies on Hysteria, in S. Freud, The Standard Edition of the Com­
plete Psychological Works of Sigmund Freud, Bd. 2 (London: Hogarth Press, 1 955); dt.: Kapitel 3
Studien über Hysterie (Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1970). 1 . C. McRoberts, G. Burlingame und M. Haag, »Comparative Efficacy of lndividual and Group
41. M. Lieberman, I. Yalom und M. Miles, Encounter Groups: First Facts (New York: Basic Psychotherapy: A Meta-Analytic Perspective«, Group Dynamics: Theory, Research, and
Books, 1 973). Practice 2 ( 1998): 101-17. W. McDermut, I. Miller und R. Brown, »The Efficacy of Group
42. Ibid. Psychotherapy for Depression: A Meta-Analysis and Review of Empirical Research«, Clinical
43. A. Alonso und J. Rutan, »Character Change in Group Therapy«, International Journal of Psychology: Science and Practice 8 (2001 ): 98-1 16. G. Burlingame, K. MacKenzie und B.
Group Psychotherapy, 43, 4 ( 1993): 439-51 . Strauss, »Small-Group Treatment: Evidence for Effectiveness and Mechanisms of Change«,
44. B . Cohen, »Intersubjectivity and Narcissism in Group Psychotherapy: How Feedback in Bergin and Garfield's Handbook of Psychotherapy and Behavior Change, 5th ed., Hg. M.
Works«, International Journal of Group Psychotherapy 50 (2000): 1 63-79. Lambert (New York: Wiley, 2004): 647-96. L. Luborsky, P. Crits-Christoph, J. Mintz und A.
45. R. Stolorow, B. Brandschaft und G. Atwood, Psychoanalytic Treatment: An Intersubjective Auerbach, Who Will Benefit from Psychotherapy? (New York: Basic Books, 1988). H. Bach­
Approach (Hillsdale, N.J.: Analytic Press, 1987) . rach, R. Galantzer-Levy, A. Skolnikoff und S. Waldron, »On the Efficacy of Psychoanalysis«,
46. J. Kleinberg, »Beyond Emotional lntelligence at Work: Adding lnsight to Injury Through Journal of the American Psychoanalytic Association 39 ( 1991 ): 871-916. L. Luborsky, L. Di­
Group Psychotherapy«, Group 24 (2000): 261-78. guer, E. Luborsky, B. Singer, D. Dickter und K. Schmidt, »The Efficacy of Dynamic Psycho­
47. Kiesler, Contemporary Interpersonal Theory. J. Muran and J. Safran, »A Relational Approach therapy: ls lt True That Everyone Has Won and All Must Have Prizes?« Psychodynamic
to Psychotherapy«, in Comprehensive Handbook of Psychotherapy, Hg. F. Kaslow, Bd. 1 , Treatment Research: A Handbook for Clinical Practice (New York: Basic Books, 1 993 ): 497-
Psychodynamic/Object Relations, Hg. J. Magnavita (New York: Wiley, 2002): 253-8 1 . 518. M. Lambert und A. Bergin, »The Effectiveness of Psychotherapy«, in Handbook of Psy­
48. M. Leszcz und J. Malat, » The Interpersonal Model o f Group Psychotherapy«, i n Praxis der chotherapy and Behavioral Change: An Empirical Analysis, 4th ed., Hg. S. Garfield und A.
Gruppenpsychotherapie, Hg. V. Tschuschke (Frankfurt: Thieme, 2001 ): 355-69. Bergin (New York: Wiley, 1 994) : 143-89. M. Smith, G. Glass und T. Miller, The Benefits of
49. N. Jacobson et al., »A Component Analysis of Cognitive-Behavioral Treatment for Depres­ Psychotherapy (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1980). A. Bergin und M. Lam­
sion«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 64 ( 1996): 295-304. bert, » The Evaluation of Therapeutic Outcomes«, in Handbook of Psychotherapy and Be­
50. R. Dies, »Group Psychotherapies«, in Essential Psychotherapies: Theory and Practice, Hg. A. havioral Change: An Empirical Analysis, 2nd ed., Hg. S. Garfield und A. Bergin (New York:
Gurman und S. Messer (New York: Guilford Publications, 1998) : 488-522. E. Crouch und S. Wiley, 1978): 1 39-83. R. Bednar und T. Kaul, »Experiential Group Research: Can the Canon
Bloch, » Therapeutic Factors: Interpersonal and Intrapersonal Mechanisms«, in Handbook Fire? « in Garfield und Bergin, Handbook of Psychotherapy and Behavioral Change, 4th ed.:
of Group Psychotherapy, Hg. A. Fuhriman und G. Burlingame (New York: Wiley, 1994): 25- 63 1-63. C. Tillitski, »A Meta-Analysis of Estimated Effect Sizes for Group Versus Individual
87. R. Dies, »Clinical Implications of Research on Leadership in Short-Term Group Psycho­ Versus Contra! Treatments«, International Journal of Group Psychotherapy 40 ( 1 990): 215-
therapy«, in Advances in Group Psychotherapy, Hg. R. Dies und K. MacKenzie (New York: 24. R. Toseland und M. Siporin, »When to Recommend Group Therapy: A Review of the
International Universities Press, 1983 ): 27-79. J. Frank, »Some Values of Conflict in Thera­ Clinical and Research Literature«, International Journal of Group Psychotherapy 36 ( 1986):
peutic Groups«, Group Psychotherapy 8 ( 1955): 142-5 1 . J. Kaye, »Group Interaction and 17 1-20 1 .
Interpersonal Learning«, Small Group Behavior 4 ( 1 973): 424-48. A. German und J. Gustaf­ 2. W. McFarlane et al., »Multiple-Family Groups in Psychoeducation in the Treatment o f Schi­
son, » Patients' Perceptions of the Therapeutic Relationship and Group Therapy Outcome«, zophrenia«, Archives of General Psychiatry 52 ( 1 996): 679-87. M. Galanter und D. Brook,
American Journal of Psychiatry 133 ( 1976): 1290-94. J. Hodgson, »Cognitive Versus Beha­ »Network Therapy for Addiction: Bringing Family and Peer Support into Office Practice«,
vioral-Interpersonal Approaches to the Group Treatment of Depressed College Students«, International Journal of Group Psychotherapy 5 1 (2001 ): 101-23. F. Fawzy, N. Fawzy und J.
Journal of Counseling Psychology 28 ( 198 1): 243-49. Wheeler, »A Post-Hoc Comparison of the Efficiency of a Psychoeducational Intervention for
51. J. Donovan, J. Bennett und C. McElroy, »The Crisis Group: An Outcome Study«, American Melanoma Patients Delivered in Group Versus Individual Formats: An Analysis of Data
Journal of Psychiatry 1 36 ( 1979): 906-10. from Two Studies«, Psycho-Oncology 5 ( 1 996): 8 1-89.
52. L. Kohl, D. Rinks und J. Snarey, »Childhood Development as a Predictor of Adaptation in 3. H. Strupp, S. Hadley und B. Gomes-Schwartz, Psychotherapy for Better or Worse: The
Adulthood«, Genetic Psychology Monographs 1 10 ( 1 984): 97-172. K. Kindler et al., »The Problem of Negative Effects (New York: Jason Aronson, 1977). Lambert und Bergin, »Effec­
Family History Method: Whose Psychiatrie History Is Measured?« American Journal of tiveness of Psychotherapy«: 1 76-80. Luborsky et al. vertreten eine abweichende Auffassung:
Psychiatry 148 ( 1991 ): 1 501-4. P. Chodoff, »A Critique of the Freudian Theory of Infantile Im Rahmen ihrer Studie fanden sie kaum Hinweise auf negative Auswirkungen der Psycho­
Sexuality«, American Journal of Psychiatry 123 ( 1966): 507-18. J. Kagan, »Perspectives on therapie. Siehe Who Will Benefit from Psychotherapy? M. Lambert und B. Ogles, »The Ef­
Continuity«, in Constancy and Change in Human Development, Hg. J. Kagan und 0. Brim ficacy and Effectiveness of Psychotherapy«, in Bergin and Garfield's Handbook of Psycho­
( Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1980 ). J. Kagan, The Nature of the Child (New therapy and Behavior Change, 5th ed., Hg. M. Lambert (New York: Wiley, 2004): 139-93.
York: Basic Books, 1984): 99-1 1 1 . 4. D. Martin, J. Garske und M. Davis, »Relation of the Therapeutic Alliance with Outcome and
53. E. Kandel, »A New Intellectual Framework for Psychiatry«, American Journal of Psychiatry Other Variables: A Meta-Analytic Review«, Journal of Consulting and Clinical Psychology
155 ( 1 998): 457-69. 68 (2000): 438-50. A. Horvath, L. Gaston und L. Luborsky, »The Therapeutic Alliance and

626 627
Its Measures«, in Dynamic Psychotherapy Research, Hg. N. Miller, L. Luborsky und J. Do­ 10. L. Castonguay, M. Goldfried, S. Wiser, P. Raus und A. Hayes, »Predicting the Effect of Cogni­
cherty (New York: Basic Books, 1993): 297-373. L. Gaston, »The Concept of the Alliance and tive Therapy for Depression: A Study of Common and Unique Factors«, Journal of Consul­
Its Role in Psychotherapy: Theoretical and Empirical Considerations«, Psychiatry 27 ( 1990 ): ting and Clinical Psychology 65 ( 1 996): 588-98. Rector et al., »Cognitive Change and the
143-53. Therapeutic Alliance«.
5. J. Krupnick et al., »The Role of the Therapeutic Alliance in Psychotherapy and Pharmaco­ 1 1 . G. Burlingame, A. Fuhriman und J. Johnson, »Cohesion in Group Psychotherapy«, in A Gui­
therapy Outcome: Findings in the National Institute of Mental Health Collaborative Re­ de to Psychotherapy Relationships that Work, Hg. J. Norcross (Oxford, England: Oxford
search Program«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 64 ( 1 996): 532-39. D. Or­ University Press, 2002). E. Smith, J. Murphy und S. Coats, »Attachment to Groups: Theory
linsky und K. Howard, » The Relation of Process to Outcome in Psychotherapy«, in Garfield and Measurement«, Journal of Personality and Social Psychology 77 ( 1999): 94-1 10. D. For­
und Bergin, Handbook of Psychotherapy and Behavioral Change, 4th ed.: 308-76. H. syth, »The Social Psychology of Groups and Group Psychotherapy: One View of the Next
Strupp, R. Fox und K. Lessler, Patients View Their Psychotherapy (Baltimore: Johns Hopkins Century«, Group 24 (2000): 147-55.
University Press, 1969) . P. Martin und A. Sterne, »Post-Hospital Adjustment as Related to 12. Bednar und Kaul, »Experiential Group Research«.
Therapists' In-Therapy Behavior«, Psychotherapy: Theory, Research, and Practice 13 ( 1976):
13. S. Bloch und E. Crouch, Therapeutic Factors in Group Psychotherapy (New York: Oxford
267-73. P. Buckley et al., »Psychodynamic Variables as Predictors of Psychotherapy Out­
University Press, 1 985): 99-103. N. Evans und P. Jarvis, »Group Cohesion: A Review and
come«, American Journal of Psychiatry 1 4 1 ( 1984): 742-48.
Reevaluation«, Small Group Behavior 2 ( 1 980): 359-70. S. Drescher, G. Burlingame und A.
6. W. Meissner, »The Concept of the Therapeutic Alliance«, Journal of the American Psycho­
Fuhriman, »Cohesion: An Odyssey in Empirical Understanding«, Small Group Behavior 1 6
analytic Association 40 ( 1992): 1 059-87. Der Begriff therapeutische Allianz wurde zuerst
( 1 985): 3-30. G. Burlingame, J. Kircher und S. Taylor, »Methodological Considerations in
von Zetsel benutzt, um die Fähigkeit des Klienten zu beschreiben, mit dem Psychoanalytiker
Group Therapy Research: Past, Present, and Future Practices«, in Handbook of Group Psy­
bei der psychoanalytischen Arbeit zu kollaborieren. Die Objektivität und das Engagement
chotherapy, Hg. A. Fuhriman und G. Burlingame (New York: Wiley, 1994): 4 1-82. G. Bur­
des Klienten bei der Erforschung und beim Durcharbeiten der Gedanken und Gefühle, die
lingame, J. Johnson und K. MacKenzie, »We Know It When We See It, But Can We Measure?
im Laufe der Behandlung auftauchen, sind die Schlüsselaspekte dieser frühen Definition.
Neuere Ansätze definieren die therapeutische Allianz spezifischer als Einvernehmen von Kli­ Therapeutic Relationship in Group«, Referat anlässlich der Jahresversammlung der Ameri­
ent und Therapeut hinsichtlich der Therapieziele und der Therapieaufgaben in Verbindung can Group Psychotherapy Association, New Orleans, 2002.
mit den Eigenschaften des Vertrauens, des Respekts und der positiven Beachtung, die für 14. D. Cartwright und A. Zander, Hg., Group Dynamics: Research and Theory (Evanston, Ill.:
eine erfolgreiche Therapieerfahrung wichtig sind. (Bordin; Safran und Muran) Wolfe und Row, Peterson, 1962): 74.
Goldfried sehen die therapeutische Allianz als »die wichtigste integrative Variable«. Sie bil­ 15. J. Frank, »Some Determinants, Manifestations, and Effects of Cohesion in Therapy Groups«,
det das Herz jeder effektiven psychotherapeutischen Behandlung, unabhängig vom benutz­ International Journal of Group Psychotherapy 7 ( 1 957): 53-62.
ten Therapiemodell und von der spezifischen Orientierung des behandelnden Therapeuten. 1 6. Bloch und Crouch, »Therapeutic Factors«.
E. Zetsel, »The Concept of the Transference«, in The Capacity for Emotional Growth (New 17. Die Forscher mussten sich bei der Frage nach der Anziehung, welche die Gruppe auf sie aus­
York: International Universities Press, 1956): 168-8 1 . E. Bordin, » The Generalizability of the übt, oder nach entscheidenden Ereignissen entweder auf die subjektive Einschätzung der
Psychoanalytic Concept of the Therapeutic Alliance«, Psychotherapy: Theory, Research, and Mitglieder stützen, oder sie bemühten sich, in neuerer Zeit, um mehr Präzision, indem sie
Practice 1 6 ( 1 979): 252-60. J. Safran und J. Muran, Negotiating the Therapeutic Alliance: A sich bei der Einschätzung des Gesamtgruppenklimas oder von Variablen wie Fragmentie­
Relational Treatment Guide (New York: Guilford Press, 2003). B. Wolfe und M. Goldfried, rung gegenüber Kohäsion, Rückzug gegenüber Beteiligung, Misstrauen gegenüber Vertrau­
»Research on Psychotherapy Integration: Recommendations and Conclusions from an en, Störung gegenüber Zusammenarbeit, beleidigende Sprache gegenüber dem Ausdruck
NIMH Workshop«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 56 ( 1 988): 448-5 1 . von Anteilnahme, Unkonzentriertheit gegenüber Konzentriertheit völlig auf Rater verließen.
7. A. Horvath und B. Symonds, »Relation Between Working Alliance and Outcome in Psycho­ Siehe S. Budman et al., »Preliminary Findings on a New Instrument to Measure Cohe­
therapy: A Meta-Analysis«, Journal of Consulting Psychology 38 ( 1991): 1 39-49. F. Fiedler, sion in Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 37 ( 1 987):
»A Comparison of Therapeutic Relationships in Psychoanalytic, Non-directive, and Adleri­ 75-94.
an Therapy«, Journal of Consulting Psychology 14 ( 1950): 436-45. M. Lieberman, I. Yalom 18. D. Kivlighan und D. Mullison, »Participants' Perceptions of Therapeutic Factors in Group
und M. Miles, Encounter Groups: First Facts (New York: Basic Books, 1973). Counseling«, Small Group Behavior 19 ( 1 988): 452-68. L. Braaten, »The Different Patterns
8. R. DeRubeis und M. Feeley, »Determinants of Change in Cognitive Therapy for Depressi­ of Group Climate: Critical Incidents in High and Low Cohesion Sessions of Group Psycho­
on«, Cognitive Therapy and Research 14 ( 1 990) : 469-80. B. Rounsaville et al., »The Relation therapy«, International Journal of Group Psychotherapy 40 ( 1990): 477-93.
Between Specific and General Dimension: The Psychotherapy Process in Interpersonal The­ 19. D. Kivlighan und R. Lilly, »Developmental Changes in Group Climate as They Relate to The­
rapy of Depression«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 55 ( 1987): 379-84. M. rapeutic Gain«, Group Dynamics: Theory, Research, and Practice 1 ( 1 997): 208-2 1 . L.
Salvio, L. Beutler, J. Wood und D. Engle, » The Strength of the Therapeutic Alliance in Three Castonguay, A. Pincus, W. Agras und C. Hines, »The Role of Emotion in Group Cognitive­
Treatments for Depression«, Psychotherapy Research 2 ( 1992): 3 1-36. N. Rector, D. Zuroff Behavioral Therapy for Binge Eating Disorder: When Things Have to Fee! Worse Before
und Z. Segal, »Cognitive Change and the Therapeutic Alliance: The Role of Technical and They Get Better«, Psychotherapy Research 8 ( 1 998): 225-38.
Non-technical Factors in Cognitive Therapy«, Psychotherapy 36 ( 1999): 320-28. 20. R. MacKenzie und V. Tschuschke, »Relatedness, Group Work, and Outcome in Long-Term
9. J. Ablon und E. Jones, »Validity of Controlled Clinical Trials of Psychotherapy: Findings Inpatient Psychotherapy Groups«, Journal of Psychotherapy Practice and Research 2 ( 1 993 ):
from the NIMH Treatment of Depression Collaborative Research Program«, American 1 47-56.
Journal of Psychiatry 1 59 (2002): 775-83. 2 1 . G. Tasca, C. Flynn und H. Bissada, »Comparison of Group Climate in an Eating Disorders

628 629
Partial Hospital Group and a Psychiatrie Partial Hospital Group«, International Journal of 1. Wie oft sollte Ihre Gruppe nach Ihrer Meinung zusammenkommen?
Group Psychotherapy 52 (2002): 419-30. 2. Wie gut gefällt Ihnen die Gruppe, in der Sie sind?
22. R. Segalla, »Hatred in Group Therapy: A Rewarding Challenge«, Group 25 (200 1 ) : 1 2 1-32. 3. Sollten die meisten Mitglieder Ihrer Gruppe beschließen, die Gruppe zu verlassen
23. A. Roarck und H. Sharah, »Factors Related to Group Cohesiveness«, Small Group Behavior und sie somit aufzulösen, würden Sie dann gern Gelegenheit erhalten, ihnen dies aus­
20 ( 1989): 62-69. zureden?
24. Frank, »Some Determinants«. C. Marmarosh und J. Corazzini, »Putting the Group in Your 4. Glauben Sie, dass die Arbeit mit der Gruppe, in der Sie sind, Sie befähigen wird, die
Pocket: Using Collective Identity to Enhance Personal and Collective Self-Esteem«, Group meisten der Ziele, die Sie sich für Ihre Therapie gesetzt haben, zu erreichen?
Dynamics: Theory, Research, and Practice 1 ( 1997): 65-74. 5. Wenn Sie Mitglieder Ihrer Gruppe durch andere »ideale« Gruppenmitglieder ersetzen
25. H. Grunebaum und L. Solomon, »Peer Relationships, Self-Esteem, and the Self«, Internatio­ könnten, wie viele würden Sie dann austauschen (Gruppentherapeuten ausgenom­
nal Journal of Group Psychotherapy 37 ( 1987): 475-5 13. men)?
26. Frank, »Some Determinants«. Braaten, » The Different Patterns of Group Climate«. 6. In welchem Maße beteiligt die Gruppe Sie nach Ihrem Empfinden an ihren Aktivi-
27. K. Dion, »Group Cohesion: From >Field of Forces, to Multidimensional Construct«, Group täten?
Dynamics: Theory, Research, and Practice 4 (2000): 7-26. 7. Wie schätzen Sie Ihre Beteiligung an der Gruppenarbeit und Ihre Beiträge dazu ein?
28. K. MacKenzie, »The Clinical Application of a Group Measure«, in Advances in Group Psy­ 8. Was halten Sie von der Dauer der Gruppensitzungen?
chotherapy: Integrating Research and Practice, Hg. R. Dies und K. MacKenzie (New York: 9. Was halten Sie von dem (den) Gruppentherapeuten?
International Universities Press, 1 983): 159-70. Tasca et al., »Comparison of Group Cli­ 1 0. Schämen Sie sich, weil Sie sich einer Gruppentherapie unterziehen?
mate«. 1 1 . Wenn Sie Ihre Gruppe mit anderen Therapiegruppen vergleichen, wie schätzen Sie dann
29. E. Marziali, H. Munroe-Blum und L. McCleary, »The Contribution of Group Cohesion and die Qualität der Zusammenarbeit Ihrer Gruppe im Vergleich ein?
Group Alliance to the Outcome of Group Psychotherapy«, International Journal of Group 37. I. Falloon, »Interpersonal Variables in Behavioral Group Therapy«, British Journal of Medi­
Psychotherapy 47 ( 1 997): 475-99. J. Gillaspy, A. Wright, C. Campbell, S. Stokes und B. , cal Psychology 54 ( 1 98 1 ) : 133-4 1 .
Adinoff, »Group Alliance and Cohesion as Predictors of Drug and Alcohol Abuse Treatment 3 8 . J . Clark und S. Culbert, »Mutually Therapeutic Perception and Self-Awareness i n a
Outcomes«, Psychotherapy Research 12 (2002): 2 1 3-29. G. Burlingame und Kollegen haben T-Group«, Journal of Applied Behavioral Science 1 ( 1965): 1 80-94.
einen umfassenden Überblick über die zur Zeit verfügbaren Messinstrumente für Gruppen­ 39. Das Resultat wurde mithilfe einer gut validierten Bewertungsskala gemessen ( entwickelt von
beziehungen erstellt, in dem sie die Stärken und Schwächen der verfügbaren Tests beschrei­ A. Walker, R. Rablen und C. Rogers, »Development of a Scale to Measure Process Changes
ben. Siehe Burlingame et al., »We Know lt When We See lt«. in Psychotherapy«, Journal of Clinical Psychology 16 [ 1960]: 79-85 ), welche Veränderungen
30. H. Spitz, Group Psychotherapy and Managed Mental Health Care: A Clinical Guide for Pro­ hinsichtlich der Fähigkeit von Klienten, andere zu beurteilen, das eigene Erleben zu konstru­
viders (New York: Brunner Mazel, 1 996). H. Spitz, »Group Psychotherapy of Substance ieren, mit den eigenen Affekten umzugehen und sich mit den größten eigenen Problemen
Abuse in the Era of Managed Mental Health Care«, International Journal of Group Psycho­ auseinanderzusetzen und sie zu bewältigen, erfasst. Beispiele sprachlicher Äußerungen in
therapy 5 1 (2001): 2 1-41 . Form von Tonbandaufzeichnungen zu Beginn und am Ende der Gruppenzusammenarbeit
3 1 . H. Dickoff und M . Lakin, »Patients' Views o f Group Psychotherapy: Retrospections and In­ wurden mithilfe dieser Skala von unbefangenen Beurteilern eingeschätzt. Die Beziehungen
terpretations«, International Journal of Group Psychotherapy 13 ( 1963): 6 1-73. 28 Patien­ zwischen den Gruppenmitgliedern wurden mithilfe des Barrett-Lennard Relationship In­
ten, die entweder an einer von einer Klinik oder in einer privat organisierten Gruppenthe­ ventory gemessen (G. Barrett-Lennard, »Dimensions of Therapist Response as Causal Fac­
rapie für ambulante Patienten teilgenommen hatten, wurden untersucht. Der größte Mangel tors in Therapeutic Change«, Psychological Monographs 76 [43, gesamte Nr. 562] [ 1 962] ),
dieser Untersuchung ist, dass die Gruppentherapie nur von kurzer Dauer war ( die Zahl der mit dem gemessen werden kann, wie die einzelnen Gruppenmitglieder andere Mitglieder
Sitzungen, an denen die Patienten teilgenommen hatten, lag im Mittel bei elf). (und den Therapeuten) hinsichtlich »bedingungsloser positiver Beachtung, empathischem
32. I. Yalom, The Theory and Practice of Group Psychotherapy, 1 st ed. (New York: Basic Books, Verstehen und Kongruenz« einschätzen.
1970). 40. Lieberman, Yalom und Miles, Encounter Groups.
33. R. Cabral, J. Best und A. Paton, »Patients' and Observers' Assessments of Process and Out­ 41 . Zunächst sollte jedes Gruppenmitglied nach der Gruppensitzung mithilfe eines Fragebogens
come in Group Therapy«, American Journal of Psychiatry 1 32 ( 1975): 1 052-54. das nach eigenem Empfinden wichtigste Ereignis im Laufe der Zusammenkunft beschrei­
34. F. Kapp et al., »Group Participation and Self-Perceived Personality Change«, Journal of Ner­ ben. Alle Ereignisse, die für Angezogensein von der Gruppe, Gemeinschaft, Zugehörigkeits­
vous Mental Disorders 1 39 ( 1 964): 255-65. gefühl usw. relevant waren, wurden in einer Tabelle erfasst. Zweitens wurde zu Beginn und
35. I. Yalom et al., »Prediction of Improvement in Group Therapy«, Archives of General Psy­ gegen Ende der Gruppenarbeit ein Fragebogen zur Kohäsivität benutzt, der dem an früherer
chiatry 1 7 ( 1967): 1 59-68. Drei Ergebniskriterien (Symptome, Funktionsfähigkeit, Bezie­ Stelle beschriebenen (Yalom et al., »Prediction of Improvement«) ähnelte.
hungen) wurden von einem Rater-Team in einem psychiatrischen Interview und mithilfe 42. J. Hurley, »Affiliativeness and Outcome in Interpersonal Groups: Member and Leader Per­
einer Selbstbeurteilungsskala untersucht. spectives«, Psychotherapy 26 ( 1989): 520-23.
36. Die Kohäsivität wurde mithilfe eines nach der Gruppensitzung verteilten Fragebogens ge­ 43. MacKenzie und Tschuschke, »Relatedness, Group Work, and Outcome«.
messen, den jeder Patient bei der siebten und zwölften Zusammenkunft ausfüllte; der Fra­ 44. Budman et al., »Preliminary Findings on a New Instrument«. Obgleich diese Skala auf der
gebogen bestand aus elf Fragen, von denen jede mithilfe einer festgelegten fünfstufigen Ska­ Annahme basiert, dass Kohäsivität multidimensional ist, stützten die Ergebnisse einer gut
la zu beantworten war: geplanten Studie über zeitlich (auf 1 5 Sitzungen) begrenzte Therapiegruppen die Relevanz

630 631
von Kohäsivität als Einzelfaktor. Auch ein Versuch, Kohäsivität von der therapeutischen Al­ 66. M. Leszcz, E. Feigenbaum, J. Sadavoy und A. Robinson, »A Men's Group: Psychotherapy
lianz zu unterscheiden, verlief erfolglos. Die Autoren dieser Studie vertreten die Auffassung, with Elderly Males«, International Journal of Group Psychotherapy 35 ( 1 985): 177-96.
dass es für Gruppenleiter besonders wichtig sein könnte zu versuchen, in der ersten halben 67. D. Miller, »The Study of Social Relationships: Situation, Identity, and Social Interaction«, in
Stunde jeder Gruppensitzung eine starke Arbeitsbeziehung zwischen den Gruppenmit­ Koch, Psychology: A Study of a Science 3 ( 1 983): 639-737.
gliedern zu fördern. S. Budman, S. Soldz, A. Demby, M. Feldstein, T. Springer und M. 68. H. Sullivan, Conceptions of Modem Psychiatry (London: Tavistock, 1 955), 22.
Davis, » Cohesion, Alliance, and Outcome in Group Psychotherapy«, Psychiatry 52 69. Smith et al., »Attachment to Groups«.
( 1989): 339-50. 70. Miller, »Study of Social Relationships«, 696.
45. Marziali et al., »The Contribution of Group Cohesion«. 71. E. Murray, »A Content Analysis for Study in Psychotherapy«, Psychological Monographs 70
46. Budman et al., »Preliminary Findings on a New Instrument«. ( 1 3 [ 1 956] ) .
47. D. Hope, R. Heimberg, H. Juster und C. Turk, Managing Social Anxiety: A Cognitive­ 72. R. DeRubeis und M. Feeley, »Determinants o f Change in Cognitive Therapy for Depres­
Behavioral Therapy Approach (San Antonio: Psychological Corp., 200 1 ) . sion«, Cognitive Therapy and Research 14 ( 1990): 469-80. Rounsaville et al., »The Relation
48. S . Woody und R . Adesky, »Therapeutic Alliance, Group Cohesion, and Homework Comp­ Between Specific and General Dimensions« . J. Safran und L. Wallner, »The Relative Predic­
liance During Cognitive-Behavioral Group Treatment of Social Phobia«, Behavior Therapy tive Validity of Two Therapeutic Alliance Measures in Cognitive Therapy«, Psychological
33 (2002): 5-27. Assessment 3 ( 1991 ) : 188-95. Rector et al., »Cognitive Change«.
49. H. Sexton, »Exploring a Psychotherapeutic Change Sequence: Relating Process to Inter­ 73. Weiss, How Psychotherapy Works. P. Fretter, W. Bucci, J. Broitman, G. Silberschatz und J. T.
sessional and Posttreatment Outcome«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 61 Curtis, »How the Patient's Plan Relates to the Concept of Transference«, Psychotherapy
( 1993): 128-36. Research 4 ( 1 994): 58-72.
50. K. MacKenzie, R. Dies, E. Coche, J. Rutan und W. Stone, »An Analysis of AGPA Institute 74. D. Lundgren und D. Miller, »Identity and Behavioral Change in Training Groups«, Human
Groups«, International Journal of Group Psychotherapy 37 ( 1987): 55-74. Relations Training News 9 (Spring, 1 965).
5 1 . V. Tschuschke und R. Dies, »Intensive Analysis of Therapeutic Factors and Outcome in 75. Yalom et al., »Prediction of lmprovement«.
Long-Term Inpatient Groups«, International Journal of Group Psychotherapy 44 ( 1 994): 76. Vor Beginn ihrer Therapie füllten die Klienten einen modifizierten Jourard-Selbstoffenba­
185-208. rungs-Fragebogen aus (S. Jourard, »Self-Disclosure Patterns in British and American Colle­
52. Horvath und Symonds, »Relation Between Working Alliance and Outcome«. Martin et al., ge Females«, Journal of Social Psychology 54 ( 1 96 1 ] : 3 1 5-20) . Personen, die schon vorher
»Relation of the Therapeutic Alliance with Outcome«. engen Freunden oder Gruppen von Menschen gegenüber viel von sich preisgegeben hatten,
53. C. Rogers, »A Theory of Therapy, Personality, and Interpersonal Relationships«, in Psycho­ wurden später in ihrer Gruppe beliebt. S. Hurley hat in einer zehnwöchigen Beratungsgrup­
logy: A Study of a Science, Bd. 3, Hg. S. Koch (New York: McGraw-Hill, 1959): 184-256. pe gezeigt, dass Beliebtheit sowohl mit Selbstoffenbarung in der Gruppe als a.uch mit
54. F. Nietzsche, Thus Spoke Zarathustra, trans. R. Hollingsdale (New York: Penguin Books, Selbstoffenbarung vor der Gruppentherapie korrelierte ( S. Hurley, »Self-Disclosure in Small
1969); dt.: Also sprach Zarathustra. Counseling Groups«, Ph. D. diss., Michigan State University, 1967).
55. K. Horney, Neurosis and Human Growth (New York: Norton, 1 950), 15; dt.: Neurose und 77. Gemessen mit dem FIRO-B-Fragebogen (siehe Kapitel 10).
menschliches Wachstum (München: Kindler, 1975). 78. J. Connelly et al., »Premature Termination in Group Psychotherapy: Pretherapy and Early
56. J. Weiss, How Psychotherapy Works: Process and Technique (New York: Guilford Press, Therapy Predictors«, International Journal of Group Psychotherapy 36 ( 1986): 145-52.
1993) . 79. Ibid.
57. Rector et al., »Cognitive Change and the Therapeutic Alliance«. 80. P. Costa und R. McCrae, Revised NEO Personality Inventory and Five-Factor Inventory Pro­
58. C. Truax, »The Process of Group Therapy: Relationships Between Hypothesized Therapeutic fessional Manual (Odessa, Fla.: Psychological Assessment Services, 1 992) . Das NEO-PI
Conditions and Intrapersonal Exploration«, Psychological Monographs 75 ( 5 1 1 1 [ 1961 ] ) . schätzt fünf Persönlichkeitsdimensionen ein: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für E r ­
59. A. Walker, R. Rablen und C . Rogers, »Development of a Scale to Measure Process Changes fahrungen, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit.
in Psychotherapy«, Journal of Clinical Psychology 1 6 ( 1 960): 79-85. 8 1 . C. Anderson, 0. John, D. Keltner und A. Kring, »Who Attains Social Status? Effects of
60. Roarck und Sharah, »Factors Related to Group Cohesiveness«. Tschuschke and Dies, »Inten­ Personality and Physical Attractiveness in Social Groups«, Journal of Personality and Social
sive Analysis«. Psychology 81 (2001): 1 1 6-32.
6 1 . A. Bandura, Social Foundations of Thought and Action (Englewood Cliffs, N.J.: Prentice 82. R. Depue, »A Neurobiological Framework for the Structure of Personality and Emotion:
Hall, 1 986). Implications for Personality Disorders«, in Major Theories of Personality Disorders, Hg.
62. C. Rogers, persönliche Mitteilung, April 1 967. J. Clarkin und M. Lenzenweger (New York: Guilford Press, 1996): 342-90.
63. C. Rogers, »The Process of the Basic Encounter Group«, unveröffentlichtes Manuskript. 83. Lieberman, Yalom und Miles, Encounter Groups.
Western Behavioral Science Institute, La Jolla, Calif., 1966. 84. G. Homans, The Human Group (New York: Harcourt, Brace, 1950).
64. P. Schlachet, »The Once and Future Group: Vicissitudes of Belonging«, Group 24 (2000): 85. Anderson et al., »Who Attains Social Status?«
123-32. 86. Yalom et al., »Prediction of Improvement«. I. Yalom, »A Study of Group Therapy Drop­
65. I. Rubin, »The Reduction of Prejudice Through Laboratory Training«, Journal of Applied outs«, Archives of General Psychiatry 14 ( 1966): 393-414.
Behavioral Science 3 ( 1967): 29-50. E. Fromm, The Art of Loving (New York: Bantam Books, 87. E. Nash et al., »Some Factors Related to Patients Remaining in Group Psychotherapy«,
1956). International Journal of Group Psychotherapy 7 ( 1 957): 264-75.

632 633
88. Yalom, »A Study of Group Therapy Drop-Outs«. geteilt. Die Kohäsivität wurde auf die bei Experimenten übliche Weise erzeugt: Den Mitglie­
89. I. Yalom und K. Rand, »Compatibility and Cohesiveness in Therapy Groups«, Archives of dern der Gruppen mit hoher Kohäsionskraft erklärte man vor dem ersten Zusammentref­
General Psychiatry 13 ( 1 966): 267-76. P. Sagi, D. Olmstead und F. Atalsek, »Predicting Main­ fen, ihre Gruppe bestehe aus Personen, die aufgrund der Auswertung psychologischer Fra­
tenance of Membership in Small Groups«, Journal of Abnormal Social Psychology 5 1 gebögen sorgsam ausgewählt und zusammengesteUt worden seien, um ein maximales Zu­
( 1955 ): 308-1 1 . I m Rahmen dieser Studie, an der 23 Organisationen für College-Studenten sammenpassen zu garantieren. Die Mitglieder der Gruppen mit geringer Kohäsionskraft
teilnahmen, wurde eine signifikante Korrelation zwischen Teilnahme und Gruppenkohäsi­ wurden genau gegenteilig behandelt: Ihnen wurde mitgeteilt, die Zusammenstellung der
vität festgestellt. Yalom und Rand, »Compatibility and Cohesiveness«. Diese Studie über Ko­ Gruppe sei misslungen, und wahrscheinlich würden sie mit den anderen Mitgliedern nicht
häsivität, an der 40 Mitglieder von fünf Therapiegruppen teilnahmen, ergab, dass. die Mit­ gut auskommen. Alle Gruppen wurden, während sie auf den Beginn des Experiments war­
glieder, die wenig Kohäsivität empfanden, die Gruppe im Laufe der ersten zwölf Sitzungen teten, von einem Mitglied des Forscherteams systematisch beleidigt. Nachdem diese Person
verließen. Yalom et al., »Prediction of Improvement«. J. Conelly et al., »Premature Termina­ sich entfernt hatte, waren die Mitglieder der Gruppen mit hoher Kohäsivität deutlich besser
tion«. Diese Studie, an der 66 Klienten teilnahmen, ergab, dass die 22 Abbrecher weniger in der Lage, der Autoritätsfigur gegenüber offen und intensiv Feindseligkeit zum Ausdruck
Kohäsivität zeigten - sie waren weniger engagiert, nahmen die Gruppe in geringerem Maße zu bringen (A. Pepitone und G. Reichling, »Group Cohesiveness and the Expression of
als zusammenpassend und unterstützend wahr, und sie wurden auch selbst von den anderen Hostility«, Human Relations 8 [ 1 955] : 327-37).
Gruppenmitgliedern als weniger positiv gesehen. H. Roback und M. Smith, »Patient Attri­ 101. S. Schiedlinger, »On Scapegoating in Group Psychotherapy«, International Journal of Group
tion in Dynamically Oriented Treatment Groups«, American Journal of Psychiatry 1 44 Psychotherapy 32 ( 1982): 13 1-43.
( 1987): 165-77. Die in dieser Studie untersuchten Abbrecher berichteten, sie empfänden in­ 1 02. T. Postmes, R. Spears und S. Cihangir, »Quality of Decision Making and Group Norms«,
nerhalb der Gruppe weniger gegenseitiges Verständnis. H. Roback, »Adverse Outcomes in Journal of Personality and Social Psychology 80 (2001): 9 1 8-30.
Group Psychotherapy: Risk Factors, Prevention, and Research Directions«, Journal of Psy­ 1 03. I. Janis, Groupthink: Psychological Studies of Policy Decisions and Fiascoes, 2d ed. (Boston:
chotherapy Practice and Research 9 (2000): 1 13-22. Houghton Muffin, 1982): 9.
90. Lieberman, Yalom und Miles, Encounter Groups. 104. Postmes et al., »Quality of Decision Making«.
9 1 . I. Yalom, J. Tinklenberg und M. Gilula, »Curative Factors in Group Therapy«, unveröffent­ 105. G. Hodson und R. Sorrentino, »Groupthink and Uncertainty Orientation: Personality Differ­
lichte Studie, Department of Psychiatry, Stanford University, 1 968. ences in Reactivity to the Group Situation«, Group Dynamics: Theory, Research, and Prac­
92. Braaten, »The Different Patterns of Group Climate«. K. MacKenzie, »Time-Limited Theory tice 1 ( 1997): 144-55.
and Technique«, in Group Therapy in Clinical Practice, Hg. A. Alonso und H. Swiller (Wa­ 106. Diese Erkenntnisse stehen in einer starken Korrelation - was bedeutet, dass Kohäsivität und
shington, D.C.: American Psychiatrie Press, 1 993). berichtete Gruppenvariablen gleichzeitig und zusammen ansteigen. Obwohl dies nicht un­
93. M. Sherif et al., Intergroup Conflict and Cooperation: The Robbers' Cave Experiment (Nor­ bedingt eine klare Ursache-Wirkungs-Beziehung impliziert, unterstreicht es doch die Be­
man: University of Oklahoma Book Exchange, 196 1 ) . deutung der Beziehung zwischen Kohäsivität und einer großen Zahl gewünschter Resultate.
94. R . Baumeister und M . Leary, »The Need to Belong: Desire for Interpersonal Attachments as Auch Studien über die therapeutische Allianz in der Einzelpsychotherapie sind in diesem
a Fundamental Human Motivation«, Psychology Bulletin 1 1 7 ( 1 995): 497-529. Rahmen relevant: Es besteht eine starke und dauerhafte positive Beziehung zwischen der
95. P. Evanson und R. Bednar, »Effects of Specific Cognitive and Behavioral Structure on Early therapeutischen Allianz und dem Resultat. Dies ist eine echte Erkenntnis, kein Artefakt von
Group Behavior and Atmosphere«, Journal of Counseling Psychology 77 ( 1978): 258-62. F. Klienten, die der Therapie aufgrund früher Veränderungen ihrer Zielsymptome besonders
Lee und R. Bednar, »Effects of Group Structure and Risk-Taking Disposition on Group Be­ positiv gegenüberstehen. Siehe Martin et al., »Relation of the Therapeutic Alliance with
havior, Attitudes, and Atmosphere«, Journal of Counseling Psychology 24 ( 1 977): 1 91-99. J. Outcome«.
Stokes, »Toward an Understanding of Cohesion in Personal Change Groups«, International 107. A. Goldstein, K. Heller und L. Sechrest, Psychotherapy and the Psychology of Behavior
Journal of Group Psychotherapy 33 ( 1983): 449-67. Change (New York: Wiley, 1966).
96. A. Cota, C. Evans, K. Dion, L. Kilik und R. Longman, »The Structure of Group Cohesion«, 1 08. Cartwright und Zander, »Group Cohesiveness: Introduction«, in Group Dynamics: 69-74.
Personality and Social Psychology Bulletin 2 1 ( 1995): 572-80. N. Evans und P. Jarvis, »Group 109. K. Back, »Influence Through Social Communication«, Journal of Abnormal Social Psycho­
Cohesion: A Review and Evaluation«, Small Group Behavior 1 1 ( 1 980): 357-70. S. Budge, logy 46 ( 195 1 ) : 398-405.
»Group Cohesiveness Reexamined«, Group 5 ( 198 1 ) : 1 0-18. Bednar und Kaul, »Experienti­ l lO. G. Rasmussen und A. Zander, »Group Membership and Seif-Evaluation«, Human Relations
al Group Research«. E. Crouch, S. Bloch und J. Wanless, » Therapeutic Factors: Intrapersonal 7 ( 1 954): 239-5 1.
and Interpersonal Mechanisms«, in Handbook of Group Psychotherapy, Hg. A. Fuhriman 1 1 1 . S. Seashore, »Group Cohesiveness in the Industrial Work Group«, Monograph, Ann Arbor,
und G. Burlingame (New York: Wiley, 1994): 269-3 1 7. Mich., Institute for Social Research, 1954.
97. Castonguay et al., »The Role of Emotion«. 1 12. Rasmussen und Zander, »Group Membership and Seif - Evaluation«. Goldstein et al., Psycho­
98. J. Frank, »Some Values of Conflict in Therapeutic Groups«, Group Psychotherapy 8 ( 1955): logy of Behavior Change: 329.
142-5 1 . 1 13. R. Kirschner, R. Dies und R. Brown, »Effects of Experiential Manipulation of Self-Disclo­
99. I . Yalom, The Schopenhauer Cure (New York: Harper Collins, 2005): 1 7 5 ff.; dt.: Die Scho­ sure on Group Cohesiveness«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 46 ( 1 978):
penhauerkur (München: btb, 2005). 1 1 71-77.
100. Eine Studie von Pepitoe und Reichling hat dies experimentell bestätigt. Bezahlte College­ 1 14. S. Sehachter, »Deviation, Rejection, and Communication«, Journal of Abnormal Social Psy­
Studenten wurden in jeweils 13 Laborgruppen mit hoher und mit geringer Kohäsivität auf- chology 46 ( 1 9 51): 190-207. A. Zander und A. Havelin, »Social Comparison and Intergroup

634 635
Attraction«, zitiert in Cartwright und Zander, Group Dynamics: 94. A. Rich, »An Experi­ Encounter Groups: First Facts [New York: Basic Books, 1973] ) sowie auch von Bloch und
mental Study of the Nature of Communication to a Deviate in High and Low Cohesive Crouch (Therapeutic Factors in Group Psychotherapy) verwendet wurde. Dabei werden die
Groups«, Dissertation Abstracts 29 ( 1968): 1976. Patienten aufgefordert, sich an den Vorfall in der Therapiesitzung zu erinnern, der für sie
1 1 5. Goldstein et al., Psychology of Behavior Change. Sehachter, »Deviation, Rejection, and persönlich am wichtigsten war; der Vorfall wird dann von ausgebildeten Ratern nach Grup­
Communication«. Diese Erkenntnisse wurden mithilfe experimentell zusammengestellter penkategorien enkodiert. Die folgenden Studien sind Beispiele für die Anwendung der Cri­
Gruppen und konstruierter Situationen gewonnen. Als Beispiel für die bei diesen Studien tical-incident-Methode: R. Cabral, J. Best und A. Paton, »Patients' and Observers' Assess­
angewandte Methodologie sei ein Experiment von Sehachter angeführt, der Gruppen be­ ments of Process and Outcome in Group Therapy: A Follow-up Study«, American Journal
zahlter Freiwilliger zusammenstellte, die über ein soziales Problem diskutieren sollten: über of Psychiatry 132 ( 1 975): 1052-54. R. Cabral und A. Paton, »Evaluation of Group Therapy:
die korrigierende Behandlung jugendlicher Straftäter mit starker Rückfälligkeit. Auf die be­ Correlations Between Clients' and Observers' Assessments«, British Journal of Psychiatry
reits beschriebene Weise wurden mehrere Gruppen mit geringer und starker Kohäsivität zu­ 126 ( 1975): 475-77. S. Bloch und J. Reibstein, »Perceptions by Patients and Therapists of
sammengestellt, und in jede dieser Gruppen wurden bezahlte Verbündete eingeschleust, die Therapeutic Factors in Group Psychotherapy«, British Journal of Psychiatry 1 3 7 ( l 980):
zu dem diskutierten Thema bewusst eine sehr extreme Position vertraten. Der Inhalt der 274-78. D. Kivlighan und D. Mullison, »Participants' Perception of Therapeutic Factors in
Diskussion, soziometrische Daten und nach der Gruppenzusammenkunft durchgeführte Group Counseling: The Role of Interpersonal Style and Stage of Group Development«,
Fragebogenerhebungen wurden analysiert, um beispielsweise festzustellen, wie stark sich die Small Group Behavior 19 ( 1 988): 452-68. D. Kivlighan und D. Goldfine, »Endorsement of
Gruppenmitglieder bemüht hatten, die Abweichler zu beeinflussen, und in welchem Maße Therapeutic Factors as a Function of Stage of Group Development and Participant Interper­
diese abgelehnt worden waren. sonal Attitudes«, Journal of Counseling Psychology 38 ( 1991 ): 1 50-58. G. Mushet, G. Wha­
1 16. A. Fuerher und C. Keys, »Group Development in Self-Help Groups for College Students«, lan und R. Power, »In-patients' Views of the Helpful Aspects of Group Psychotherapy: Im­
Small Group Behavior 1 9 ( 1 988): 325--41. pact of Therapeutic Style and Treatment Setting«, British Journal of Medical Psychology 62
( 1989) : 135---4 1 .
Ka pitel 4 3. K. Lese, R . McNair-Semands, »The Therapeutic Factor Inventory Development of a Scale«,
1 . B. Brown, T. Hedinger, G. Mieling, »A Homogeneous Group Approach to Social Skills Trai­ Group 24 (2000): 303-17.
ning for Individuals with Learning Disabilities«, Journal for Specialists in Group Work 20 4. R. Bednar und T. Kaul, »Experiential Group Research: Can the Canon Fire?«, in Handbook
( 1995): 98-107. D. Randall, »Curative Factor Rankings for Female Incest Survivor Groups: of Psychotherapy and Behavioral Change: An Empirical Analysis, 4th ed., Hg. S. Garfield
A Summary of Three Studies«, Journal of Specialists in Group Work 20 ( 1995): 232-39. K. und A. Bergin (New York: Wiley, 1 994): 63 1-63.
Card und L. Schmider, »Group Work with Members Who Have Hearing Impairments«, 5. H. Roback, »Experimental Comparison of Outcome in Insight and Non-Insight-Oriented
Journal for Specialists in Group Work 20 ( 1995): 83-90. K. Kobak, A. Rock und J. Greist, Therapy Groups«, Journal of Consulting Psychology 38 ( 1 972): 4 1 1-17. J. Lomont et al.,
»Group Behavior Therapy for Obsessive-Compulsive Disorder«, Journal of Specialists in »Group Assertion Training and Group Insight Therapies«, Psychological Reports 25 ( 1 969):
Group Work 20 ( 1995): 26-32. G. Price, P. Dinas, C. Dunn und C. Winterowd, »Group Work 463-70. S. Abramowitz und C. Abramowitz, »Psychological-Mindedness and Benefit from
with Clients Experiencing Grieving: Moving from Theory to Practice«, Journal of Specialists Insight-Oriented Group Therapy«, Archives of General Psychiatry 30 ( 1 974): 610-15. S. Ab­
in Group Work 20 ( 1 995): 1 59-67. J. DeLucia-Waack, »Multiculturalism Is Inherent in All ramowitz und C. Jackson, »Comparative Effectiveness of There-and-Then Versus Here-and­
Group Work«, Journal for Specialists in Group Work 2 1 ( 1996): 2 1 8-23. J. McLeod und A. Now Therapist Interpretations in Group Psychotherapy«, Journal of Counseling Psychology
Ryan, »Therapeutic Factors Experienced by Members of an Outpatient Therapy Group for 2 1 ( 1 974): 288-94.
Older Women«, British Journal of Guidance and Counseling 21 ( 1993): 64-72. I. Johnson, 6. W. Piper, A. Joyce, M. McCallum und H. Azim, »Interpretive and Supportive Forms of Psy­
T. Torres, V. Coleman und M. Smith, »Issues and Strategies in Leading Culturally Diverse chotherapy and Patient Personality Variables«, Journal of Consulting and Clinical Psycho­
Counseling Groups«, Journal for Specialists in Group Work 20 ( 1 995): 143-50. S. Bloch und logy 66 ( 1 998): 558-67. R. Wing und R. Jeffery, »Benefits of Recruiting Participants with
E. Crouch, Therapeutic Factors in Group Psychotherapy (New York: Oxford University Friends and Increasing Social Support for Weight Loss and Maintenance«, Journal of Con­
Press, 1985). E. Crouch, S. Bloch und J. Wanless, »Therapeutic Factors: Intrapersonal and sulting and Clinical Psychology 67 ( 1999): 132-38.
lnterpersonal Mechanisms«, in Handbook of Group Psychotherapy, Hg. A. Fuhriman und 7. B. Berzon, C. Pious und R. Parson, »The Therapeutic Event in Group Psychotherapy: A Stu­
G. Burlingame (New York: Wiley, 1 994): 269-3 12. R. Rugel, »Addictions Treatment in dy of Subjective Reports by Group Members«, Journal of Individual Psychology 19 ( 1 963 ):
Groups: A Review of Therapeutic Factors«, Small Group Research 22 ( l 991 ): 475-9 1 . W. 204-12. H. Dickoff und M. Lakin, » Patients' Views of Group Psychotherapy: Retrospections
Fawcett Hili, »Further Consideration of Therapeutic Mechanisms in Group Therapy«, Small and Interpretations«, International Journal of Group Psychotherapy 13 ( 1963): 6 1-73.
Group Behavior 6 ( 1 975): 421-29. A. Fuhriman und T. Butler, »Curative Factors in Group 8. J. Reddon, L. Payne und K. Starzyk, »Therapeutic Factors in Group Treatment Evaluated by
Therapy: A Review of the Recent Literature«, Small Group Behavior 14 ( 1983): 13 1--42. K. Sex Offenders: A Consumers Report«, Journal of Offender Rehabilitation 28 ( 1 999): 9 1-10 1.
MacKenzie, »Therapeutic Factors in Group Psychotherapy: A Contemporary View«, Group A. Nerenberg, »The Value of Group Psychotherapy for Sexual Addicts«, Sexual Addiction
1 1 ( 1 987): 26-34. S. Bloch, R. Crouch und J. Reibstein, »Therapeutic Factors in Group and Compulsivity 7 (2000): 1 97-200. R. Morgan und C. Winterowd, »Interpersonal Process­
Psychotherapy«, Archives of General Psychiatry 38 ( 1981 ): 5 1 9-26. Oriented Group Psychotherapy with Offender Populations«, International Journal of Offen­
2. Eine andere Methode zur Einschätzung therapeutischer Faktoren ist der Ansatz des »ent­ der Therapy and Comparative Criminology 46 (2002): 466-82.
scheidenden Ereignisses« (critical incident), der von meinen Kollegen und mir in einer um­ 9. K. Lese und R. McNair-Semands, »The Therapeutic Factors Inventory: Development of a
fassenden Untersuchung von Encountergruppen (M. Lieberman, I. Yalom und M. Miles, Scale«, Group 24 (2000): 303-17. I. Yalom, J. Tinklenberg und M. Gilula, »Curative Factors

636 637
in Group Therapy«, unveröffentlichte Studie, Department of Psychiatry, Stanford Uni­ Punkte des interpersonalen Output, und es ist nachvollziehbar, dass Mitglieder einer Sensi­
versity, 1968. tivitätstrainingsgruppe, die sich ausdrücklich auf eine Modifizierung interpersonalen Ver­
10. Angespornt durch den großen Datenbestand des NIMH Treatment of Depression Collabo­ haltens konzentrierte, diese Punkte schätzten. B. Corder, L. Whiteside und T. Haizlip (»A
rative Research Program haben Forscher, die sich mit der Einzelpsychotherapie befassen, Study of Curative Factors in Group Psychotherapy«) untersuchten 1 6 Heranwachsende aus
eine Methode benutzt, die dem in diesem Kapitel erörterten Q-Sort-Verfahren ähnelt: Sie vier verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichem klinischen Hintergrund, sowohl ambu­
entwickelten eine 100 Items umfassende Skala, Psychotherapy Process Q Set (PQS) genannt, lant als auch stationär behandelte Klienten. Den von Erwachsenen am meisten geschätzten
die von ausgebildeten Ratern benutzt wird, welche die Videoaufzeichnungen der Sitzungen Punkt (Einsicht) maßen sie keine besonders große Bedeutung bei, doch ihre nächsten vier
4 und 1 2 einer insgesamt 16 Sitzungen umfassenden Behandlung beurteilen. Die PQS-Ska­ Punkte in der Skala waren identisch mit den von den Erwachsenen gewählten. Insgesamt
la beurteilt die Therapie, den Therapeuten und die therapeutische Beziehung im Hinblick schätzten die Jugendlichen die therapeutischen Faktoren Universalität des Leidens und Ko­
auf verschiedene Prozesskriterien. Aus der Analyse der 1 00 Items ergibt sich ein Kern thera­ häsivität höher als Erwachsene. R. Marcovitz und J. Smith (»Patients' Perceptions of Cura­
peutischer Faktoren. Erfolgreiche Therapien, so die interpersonale Therapie und die kogni­ tive Factors in Short-Term Group Psychotherapy«, International Journal -0f Group Psycho­
tiv-behaviorale Therapie, ähnelten einander insofern, als bei diesen Behandlungsformen therapy 33 [ 1 983] : 2 1-37) untersuchten 30 stationär behandelte Klienten auf relativ hohem
eine Beziehung entstand, innerhalb welcher die Klienten ein positives Selbstgefühl und eine Funktionsniveau, die sich in einer psychiatrischen Klinik einer Gruppenpsychotherapie un­
sehr positive Haltung dem Therapeuten gegenüber entwickelten (J. Ablon und E. Jones, terzogen. Nur drei der zehn meistgenannten Punkte in ihrer Untersuchung entsprechen un­
» Psychotherapy Process in the National Institute of Mental Health Treatment of Depression seren Ergebnissen, jedoch bedienten sich die Forscher einer anderen Methodik: Sie baten die
Collaborative Research Program«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 67 [ 1 999] : Klienten, die Punkte von 1 bis 60 zu bewerten, statt sie die Q-Technik anwenden und sie ge­
64-75). Lese und McNair-Semands (»The Therapeutic Factors Inventory«) entwickelten das bündelt von ,am nützlichsten< bis ,am wenigsten nützlich< sortieren zu lassen. Es lohnt sich
Therapeutic Factors Inventory (TFI) für Gruppentherapie, ein Selbstberichtsinstrument. festzustellen, dass der Punkt, den sie am häufigsten wählten, die Nummer 60 (letztendlich
Das TFI, das auf dem ursprünglichen Q-Sort für therapeutische Faktoren basiert, erscheint die Verantwortung für mein eigenes Leben zu übernehmen) war. Wenn man die Ergebnisse
als Forschungswerkzeug mit einem empirisch akzeptablen Maß an innerer Konsistenz und zu einer Bewertung der therapeutischen Faktoren insgesamt zusammenfasst, waren die Er­
Test-Retest-Reliabilität vielversprechend. gebnisse den unseren recht ähnlich, wobei fünf der sechs meistgewählten Faktoren identisch
1 1 . Yalom et al., »Curative Factors in Group Therapy«. waren; den Klienten erschien jedoch Altruismus (Rangnummer 3) wichtiger, als dies bei der
12. Um sicherzustellen, dass unsere Stichprobe aus erfolgreich behandelten Patienten bestand, Stichprobe ambulant behandelter Patienten der Fall war. M. Rohrbaugh und B. Barteis
wurden vier Kontrollen durchgeführt: ( 1 ) die Bewertung des Therapeuten; (2) die Dauer der (»Participants' Perceptions of ,Curative Factors<) untersuchten 72 Personen, die sie sowohl
Behandlung; frühere Untersuchungen in der gleichen Klinik hatten gezeigt, dass bei Grup­ in psychiatrischen Behandlungszusammenhängen als auch in Wachstumsgruppen rekru­
penteilnehmern, die über diese Zeitspanne in der Therapie blieben, die Besserungsrate tierten. Ihre Ergebnisse waren ebenfalls mit unserer ursprünglichen konsistent (Untersu­
extrem hoch war (I. Yalom et al., »Prediction of Improvement in Group Therapy«, Archives chung nach der Q-Technik: Interpersonales Lernen [sowohl Input als auch Output] , Kathar­
of General Psychiatry 1 7 [ 1 967] : 1 58-68 ); (3) die unabhängigen Interviewbewertungen der sis, Kohäsivität und Einsicht waren die höchstbewerteten Faktoren, und Anleitung, Reinsze­
Besserung mithilfe einer 1 3-Punkte-Skala durch die Forscher in vier Bereichen: Symptome, nierung der Familiensituation und Identifikation die am niedrigsten bewerteten) .
Funktionsfähigkeit, interpersonale Beziehungen und Selbstbild; und (4) die Selbstbeurtei­ 1 6. M. Weiner, »Genetic Versus Interpersonal Insight«, International Journal o f Group Psycho­
lung der Patienten nach der gleichen Skala. therapy 24 ( 1 974): 230-37. Rohrbaugh und Barteis, »Participants' Perceptions«. T. Butler
13. S Freeman und J. Hurley, »Perceptions of Helpfulness and Behavior in Groups«, Group 4 und A. Fuhriman, »Patient Perspective on the Curative Process: A Comparison of Day Treat­
( 1980): 5 1-58. M. Rohrbaugh und B. Barteis, »Participants' Perceptions of ,Curative Factors< ment and Outpatient Psychotherapy Groups«, Sma11 Group Behavior 1 1 ( 1 980): 37 1-88. T.
in Therapy and Growth Groups«, Small Group Behavior 6 ( 1975): 430-56. B. Corder, L. Butler und A. Fuhriman, »Level of Functioning and Length of Time in Treatment: Variables
Whiteside und T. Haizlip, »A Study of Curative Factors in Group Psychotherapy with Ado­ Influencing Patients' Therapeutic Experience in Group Therapy«, International Journal of
lescents«, International Journal of Group Psychotherapy 31 ( 198 1 ) : 345-54. P. Sullivan und Group Psychotherapy 33 ( 1 983): 489-504. L. Long und C. Cope, »Curative Factors in a Male
S. Sawilowsky, »Yalom Factor Research: Threats to Interna! Validity«, Referat anlässlich der Felony Offender Group«, Small Group Behavior 1 1 ( 1980): 389-98. Kivlighan und Mullison,
American Group Psychotherapy Convention, San Diego, Calif., February 1 993. M. Stone, C. » Participants' Perception of Therapeutic Factors«. S. Colijn, E. Hoencamp, H. Snijders, M.
Lewis und A. Beck, »The Structure of Yalom's Curative Factor Scale«, Referat anlässlich der Van Der Spek und H. Duivenvoorden, »A Comparison of Curative Factors in Different Ty­
American Psychological Association Convention, Washington, D.C., 1 992. pes of Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 41 ( 1 99 1 ) :
14. Die Anzahl in jedem der sieben Stapel nähert sich somit einer Normalverteilungskurve und 365-78. V. Brabender, E . Albrecht, J. Sillitti, J. Cooper und E . Kramer, »A Study o f Curative
erleichtert dadurch die statistische Auswertung. Weitere Informationen über die Q-Sortier­ Factors in Short-Term Group Therapy«, Hospital and Community Psychiatry 34 ( 1993):
technik in J. Block, The Q-Sort Method in Personality Assessment and Psychiatrie Research 643-44. M. Hobbs, S. Birtchnall, A. Harte und H. Lacey, » Therapeutic Factors in Short-Term
(Springfield, Ill.: Charles C. Thomas, 1961). Group Therapy for Women with Bulirnia«, International Journal of Eating Disorders 8
15. Freedman und Hurley (»Perceptions of Helpfulness«) untersuchten 28 Teilnehmer von drei ( 1989): 623-33. R. Kapur, K. Miller und G. Mitchell, »Therapeutic Factors Within Inpatient
SO-stündigen Sensibilitätstrainingsgruppen, die in vier Colleges durchgeführt wurden. Sie­ and Outpatient Psychotherapy Groups«, British Journal of Psychiatry 1 52 ( 1 988): 229-33. I.
ben der zehn von diesen Studenten als sehr nützlich bezeichneten Punkte befanden sich un­ Wheeler, K. O'Malley, M. Waldo und J. Murphy, »Participants' Perception of Therapeutic
ter den soeben von mir aufgeführten. Die Gruppenteilnehmer nahmen drei neue Punkte Factors in Groups for Incest Survivors«, Journal for Specialists in Group Work 1 7 ( 1992):
(2 1 , 23 und 24) mit in die Top Ten auf. Diese Punkte (siehe Tabelle 4. 1 ) sind sämtliche 89-95. Viele dieser Untersuchungen (ebenso wie Untersuchungen der in Gruppen für per-

638 639
sönliche Weiterentwicklung wirksamen therapeutischen Faktoren, mit denen wir uns später Interpretation in Psychodynamic and Cognitive-Behavioral Group Psychotherapy«, Inter­
beschäftigen werden) .benutzen nicht den 60-Punkte-Q-Sortiertest, sondern eine Kurzform national Journal of Group Psychotherapy 40: 203-14.
desselben. Im Allgemeinen besteht diese Variante aus zwölf Aussagen, die jeweils einen der 3 1 . A. Maslow, »The Need to Know and the Fear of Knowing«, Journal of General Psychology
therapeutischen Faktoren beschreiben. Die Patienten sollen diese zwölf Punkte in eine Rang­ 68 ( 1963): 1 1 1-25.
ordnung bringen. Einige Studien verwenden die in Anmerkung 2 dieses Kapitels beschrie­ 32. J. Weiss, How Psychotherapy Works: Process and Technique (New York: Guilford Press,
bene Critical-incident-Methode. In der von Lieberman, Yalom und Miles stammenden Stu­ 1993).
die über Encountergruppen (Encounter Groups) erwiesen sich der Ausdruck eines (positi­ 33. A. Maslow, Motivation and Personality (New York: Harper, 1954); dt.: Motivation und Per­
ven wie negativen) Gefühls einem anderen Menschen gegenüber, das Erlangen von Einsicht, sönlichkeit {Olten: Walter, 1977).
die stellvertretende Therapie (vicarious therapy) und das Reagieren mit starken positiven 34. D. Hellerstein, R. Rosenthal, H. Pinsker, L. Samstag, J. Muran und A. Winston, »A Randomi­
und/oder negativen Gefühlen als die wichtigsten Faktoren. In der Studie von Bloch und zed Prospective Study Comparing Supportive and Dynamic Therapies: Outcome and Alli­
Reibstein (»Perceptions by Patients and Therapists«) erwiesen sich Sich-selbst-Verstehen, ance«, Journal of Psychotherapy Practice and Research 7 ( 1 998): 26 1-7 1 .
Selbstoffenbarung ( die einige der in anderen Tests der Katharsis und dem interpersonalen 3 5 . Maslow, »The Need to Know«.
Lernen zugerechneten Elemente einschließt) und Lernen aufgrund interpersonaler Hand­ 36. R. White, »Motivation Reconsidered: The Concept of Competence«, Psychological Review
lungen als die wichtigsten Faktoren. Obgleich die Struktur der Kategorien unterschiedlich 66 ( 1959): 297-333.
ist, entsprechen die Erkenntnisse aus diesen Studien denjenigen, die in Studien über die the­ 37. Dibner ließ 40 Psychiatriepatienten, nachdem er sie in zwei unterschiedlichen Experimen­
rapeutischen Faktoren mittels der Kurzform des Q-Sort-Tests gewonnen wurden. talbedingungen unterworfene Gruppen aufgeteilt hatte, einen psychiatrischen Fragebogen
17. Lieberman, Yalom und Miles, Encounter Groups. S. Freedman und J. Hurley, »Maslow's durcharbeiten. Eine der beiden Gruppen wurde auf das Interview vorbereitet, und ihnen
Needs: Individuals' Perceptions of Helpful Factors in Growth Groups«, Small Group Beha­ wurden allgemeine Hinweise bezüglich ihres Verhaltens gegeben; die Mitglieder der anderen
vior 1 0 ( 1 979): 355-67. Freedman und Hurley, »Perceptions of Helpfulness«. Kivlighan und Gruppe erhielten keine derartigen Hinweise (sie befanden sich also in einer High-ambigui­
Goldfine, » Endorsement of Therapeutic Factors«. ty-Situation). Wie mit subjektiven, objektiven und physiologischen Messtechniken festge­
1 8. MacKenzie, »Therapeutic Factors in Group Psychotherapy«. stellt wurde, erlebten die Mitglieder der zweiten Gruppe während des Interviews wesentlich
1 9. Stone et al., »The Structure ofYalom's Curative Factor Scale«. stärkere Angst (A. Dibner, »Ambiguity and Anxiety«, Journal of Abnormal Social Psycholo­
20. S. Holmes und D. Kivlighan, »Comparison of Therapeutic Factors in Group and Individual gy 56 [ 1 958 ] : 165-74).
Treatment Process«, Journal of Counseling Psychology 47 (2000): 478-84. 38. L. Postman und J. Brunner, »Perception Under Stress«, Psychological Review 55 ( 1 948):
2 1. A. Fuhriman und G. Burlingame, »Consistency of Matter: A Comparison Analysis of lndi­ 3 14-23.
vidual and Group Process Variables«, Counseling Psychologist 18 ( 1 990): 6-63. Holmes und 39. S. Korchin et al., »Experience of Perceptual Distortion as a Source of Anxiety«, Archives of
Kivlighan, »Comparison of Therapeutic Factors«. Neurology and Psychiatry 80 ( 1 958): 98-1 13.
22. J. Breuer und S. Freud, Studies on Hysteria (New York: Basic Books, 2000); dt.: Studien über 40. Maslow, »The Need to Know«.
Hysterie (Frankfurt a. M., S. Fischer, 1970). 41 . B. McEwen, »Protective and Damaging Effects of Stress Mediators«, New England Journal
23. Lieberman, Yalom und Miles, Encounter Groups. of Medicine 38 ( 1998): 17 1-79. B. McEwen und T. Seeman, »Protective and Damaging Ef­
24. Bloch und Crouch empfehlen, den Faktor Katharsis zu »reinigen«. Sie lösen die emotionale fects of Mediators of Stress: Elaborating and Testing the Concepts of Allostasis and Allosta­
Ausdrucksfähigkeit aus ihm heraus und integrieren sie in einen anderen therapeutischen tic Load«, Annals of the New York Academy of Sciences 896 ( 1999): 30-47.
Faktor, »Lernen durch interpersonales Handeln«. Außerdem spalten sie den Ausdruck un­ 42. F. Fawzy, N. Fawzy und J. Wheeler, »A Post-Hoc Comparison of the Efficiency of a Psycho­
angenehmer Gedanken ab, für den sie eine gesonderte Kategorie, »Selbstoffenbarung«, ent­ educational Intervention for Melanoma Patients Delivered in Group Versus Individual For­
wickeln. Ohne diese abgetrennten Teile bleibt von der Katharsis nur noch die »emotionale mats: An Analysis of Data from Two Studies«, Psycho-Oncology 5 ( 1 996): 8 1-89. K. Lorig et
Entladung«, was meiner Meinung nach zwar den Vorteil stärkerer Konsistenz hat, aber mit al., »Evidence Suggesting That a Chronic Disease Seif-Management Program Can Improve
der klinischen Realität kaum noch zu vereinbaren ist, weil der emotionale Ausdruck in der Health Status While Reducing Hospitalization: A Randomized Trial«, Medical Care 37
Gruppe zwangsläufig weitreichende interpersonale Konsequenzen hat. Siehe hierzu Crouch, ( 1999): 5-14.
Bloch und Wauless, »Therapeutic Factors: Intrapersonal and Interpersonal Mechanisms«. 43. F. Wright, »Being Seen, Moved, Disrupted, and Reconfigured: Group Leadership from a Re­
25. Freedman und Hurley, »Perceptions of Helpfulness«. lational Perspective«, International Journal of Group Psychotherapy 54 (2004): 235-50.
26. M. McCallum, W. Piper und H. Marin, »Affect and Outcome in Short-Term Group Therapy 44. J. Ablon und E. Jones, »Psychotherapy Process in the National Institute of Mental Health
for Lass«, International Journal of Group Psychotherapy 43 ( 1 993): 303-19. Treatment of Depression Collaborative Research Program«, Journal of Consulting and Cli­
27. A. Stanton et al., »Emotionally Expressive Coping Predicts Psychological and Physical Adju­ nical Psychology 67 ( 1999): 64-75. D. Rosenthal, »Changes in Same Moral Values Following
stment to Breast Cancer«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 68 (2000): 875-72. Psychotherapy«, Journal of Consulting Psychology 19 ( 1955) : 43 1-36.
28. J. Bower, M. Kemeny, S. Taylor und J. Fahey, »Cognitive Processing, Discovery of Meaning, 45. Colijn et al., »A Comparison of Curative Factors«.
CD4 Decline, and AIDS-Related Mortality Among Bereaved HIV-Seropositive Men«, Jour­ 46. D. Randall, »Curative Factor Ratings for Female Incest Survivor Groups: A Summary of
nal of Consulting and Clinical Psychology 66 ( 1 998): 979-86. Three Studies«, Journal for Specialists in Group Work 20 ( 1 995): 232-39.
29. Rohrbaugh und Bartels, »Participants' Perceptions«. 47. Reddon et al., »Therapeutic Factors in Group Treatment«.
30. J. Flowers und C. Booraem, »The Frequency and Effect on Outcome of Different Types of 48. M. Leszcz, I. Yalom und M. Norden, »The Value of lnpatient Group Psychotherapy and The-

640 641
rapeutic Process: Patients' Perceptions«, International Journal of Group Psychotherapy 35 65. M. Antoni et al., »Cognitive-Behavioral Stress Management Intervention Decreases Preva­
( 1985): 33 1-54. R. Rugal und D. Barry, »Overcoming Denial Through the Group«, Small lence of Depression and Enhances Benefit Finding Among Women Under Treatment for
Group Research 2 1 ( 1 990): 45-58. G. Steinfeld und J. Mabli, »Perceived Curative Factors in Early-Stage Breast Cancer«, Health Psychology 20 (200 1): 20-32.
Group Therapy by Residents of a Therapeutic Community«, Criminal Justice and Behavior 66. D. Cruess et al., »Cognitive-Behavioral Stress Management Reduces Serum Cortisol by
1 ( 1 974): 278-88. Butler und Fuhriman, »Patient Perspective on the Curative Process«. J. Enhancing Benefit Finding Among Women Treated for Early Stage Breast Cancer«, Psycho­
Schaffer und S. Dreyer, »Staff and Inpatient Perceptions of Change Mechanisms in Group somatic Medicine 62 (2000): 304-8.
Psychotherapy«, American Journal of Psychiatry 139 ( 1982): 1 27-28. Kapur et al., »Thera­ 67. I. Yalom und C. Greaves, »Group Therapy with the Terminally Ill«, American Journal of Psy­
peutic Factors Within Inpatient and Outpatient Psychotherapy Groups«. J. MacDevitt und chiatry 1 34 ( 1 977): 396-400. Bower et al., »Cognitive Processing, Discovery of Meaning,
C. Sanislow, »Curative Factors in Offenders' Groups«, Small Group Behavior 18 ( 1 987): 72- CD4 Decline«. P. Goodwin et al., »The Effect of Group Psychosocial Support on Survival in
81. Metastatic Breast Cancer«, New England Journal of Medicine 345 (2001): 1 7 1 9-26.
49. M . Leszcz und P. Goodwin, »The Rationale and Foundations o f Group Psychotherapy for 68. E. Fromm, Escape from Freedom (New York: Henry Holt, 1 995); dt.:- Die Furcht vor der
Women with Metastatic Breast Cancer«, International Journal of Group Psychotherapy 48 Freiheit (Zürich: Steinberg, 1945).
( 1998): 245-74. M. Greenstein und W. Breitbart, »Cancer and the Experience of Meaning: A 69. M. Heidegger, Being and Time (New York: Harper & Row, 1 962), 210-24; <lt.: Sein und Zeit
Group Psychotherapy Program for People with Cancer«, American Journal of Psychothera­ (Tübingen, 17. Aufl. 1 993): S. 1 75 ff.
py 54 (2000): 486-500. D. Spiegel und C. Classen, Group Therapy for Cancer Patients (New 70. J. Sartre, Being and Nothingness, trans. Hazel Barnes (New York: Philosophical Library,
York: Basic Books, 2000). 1956): 633; dt.: Das Sein und das Nichts (Hamburg: Reinbek, 1985): S. 696.
50. McLeod und Ryan, » Therapeutic Factors Experienced by Members«. 7 1 . K. Jaspers, zitiert in J. Choron, Death and Western Thought (New York: Collier Books, 1 963):
5 1 . L. Lovett und J. Lovett, »Group Therapeutic Factors on an Alcohol In-patient Unit«, British 226.
Journal of Psychiatry 1 59 ( 199 1 ): 365-70. 72. Yalom und Greaves, »Group Therapy with the Terminally III«.
52. R. Morgan, S. Ferrell und C. Winterowd, »Therapist Perceptions of Important Therapeutic 73. Bower et al., »Cognitive Processing, Discovery of Meaning, CD4 Decline«.
Factors in Psychotherapy of Therapy Groups for Male Inmates in State Correctional Faci­ 74. F. Nietzsche, Twilight of the Idols (London: Penguin Books, 1968): 33; dt.: Götzendämme­
lities«, Small Group Research 30 ( 1 999): 7 1 2-29. rung (Werke III, Hg. Karl Schlechta, Berlin, Frankfurt, Wien, 1976). Yalom, The Gift of The­
53. J. Prochaska und J. Norcross, »Contemporary Psychotherapists: A National Survey of Cha­ rapy (Der Panamahut).
racteristics, Practices, Orientations, and Attitudes«, Psychotherapy: Theory, Research, and 75. D. Spiegel, J. Bloom und I. Yalom, »Group Support for Patients with Metastatic Cancer«, Ar­
Practice 20 ( 1983): 1 6 1-73. chives of General Psychiatry 38 (May 198 1 ) : 527-34. I. Yalom, Existential Psychotherapy
54. R. Dies, »Models of Group Therapy: Sifting Through Confusion«, International Journal of (New York: Basic Books, 1 980): 36-37; dt.: Existentielle Psychotherapie (Köln: Edition Hu­
Group Psychotherapy 42 ( 1 992): 1-17. manistische Psychologie, 1 989).
55. Interessant ist, dass mein Buch Der Panamahut (The Gift of Therapy, New York, HarperCol­ 76. A. Schopenhauer, in Complete Essays of Schopenhauer, trans. T. Saunders, Book 5 (New
lins, 2002), das 85 existenzielle Tipps für Therapeuten enthält, eine große Leserschaft gefun­ York: Wiley, 1942): 18; dt.: Schopenhauer, Gesammelte Werke.
den hat, die Therapeuten der unterschiedlichsten Schulen umfasst. 77. R. Corsini und B. Rosenberg haben in einem häufig zitierten Bericht (»Mechanisms of
56. S. Mitchell, Hope and Dread in Psychoanalysis (New York: Basic Books, 1993). S. Mitchell Group Psychotherapy: Processes and Dynamics«, Journal of Abnormal Social Psychology 5 1
und M. Black, Freud and Beyond: A History of Modern Psychoanalytic Thought (New York: [ 1 955 ): 406-1 1 ) die therapeutischen Faktoren genannt, die sie aus 300 vor 1955 geschriebe­
Basic Books, 1995). nen Artikeln über Gruppentherapie extrahiert hatten; 175 Faktoren wurden neun Hauptka­
57. E. Jones, The Life and Work of Sigmund Freud, Bd. 1 (New York: Basic Books, 1 953): 40; dt.: tegorien zugeordnet, die sich weitgehend mit den von mir beschriebenen Faktoren über­
Sigmund Freud - Leben und Werk (Bern: Huber, 1 962). schneiden. Die Kategorien dieser Autoren ( und meine entsprechenden Kategorien in Klam­
58. I. Yalom, Existential Psychotherapy (New York: Basic Books, 1 980 ); <lt.: Existentielle Psycho­ mern) sind:
therapie (Köln: Edition Humanistische Psychologie, 1989). 1 . Sich-Annehmen (Gruppenkohäsivität)
59. I. Yalom, Love's Executioner (New York: Basic Books, 1989); dt.: Die Liebe und ihr Henker 2. Universalisierung (Universalität des Leidens)
(München: Knaus, 1990). 3. Realitätsprüfung (darin sind enthalten Elemente von »Rekapitulation der primären Fa­
60. I. Yalom, When Nietzsche Wept (New York: Basic Books, 1992); dt.: Und Nietzsche weinte milie« und »Interpersonales Lernen«)
(Hamburg: Kabel, 1994) . 4. Altruismus
61. I. Yalom, The Gift of Therapy (New York: HarperCollins, 2002); Der Panamahut (München: 5. Übertragung (darin sind enthalten Elemente von »Interpersonales Lernen«, »Gruppen­
Goldmann, 2002). kohäsivität« und »Nachahmungsverhalten«)
62. I. Yalom, Momma and the Meaning of Life (New York: Basic Books, 1999); <lt.: Die Reise mit 6. Therapie durch Zuschauen (Nachahmungsverhalten)
Paula (München: Goldmann, 2000). 7. Interaktion ( darin sind enthalten Elemente von »Interpersonales Lernen« und »Gruppen-
63. I. Yalom, The Schopenhauer Cure (New York: HarperCollins, 2005); dt.: Die Schopenhauer­ kohäsivität«)
kur (München: btb, 2005). 8. Intellektualisierung ( darin sind enthalten Elemente von »Mitteilung von Information«)
64. R. Tedeschi, L. Calhoun, »The Posttraumatic Growth Inventory: Measuring the Positive Le­ 9. Freier Gefühlsausdruck (Katharsis).
gacy of Trauma«, Journal of Traumatic Stress 9 ( 1 996): 455-7 1. W. Hili interviewte 1957 19 Gruppentherapeuten, wobei er ihnen die folgenden therapeuti-

642 643
sehen Faktoren zur Auswahl anbot: Katharsis, Zugehörigkeitsgefühl, Therapie durch Zu­ 82. R. Morgan und C. Winterowd, »lnterpersonal Process-Oriented Group Psychotherapy with
schauen, Einsicht, Handeln wie andere Mitglieder der gleichen Peer-group (also Universali­ Offender Populations«, International Journal of Offender Therapy and Comparative Crimi­
tät), und sozialer Umgang (W. Hili, »Analysis of Interviews of Group Therapists' Papers«, nology 46 (2002): 466-82. Morgan et al., »Therapist Perceptions of Important Therapeutic
Provo Papers 1 [ 1957] , und »Further Consideration of Therapeutic Mechanisms in Group Factors«. J. MacDevitt und C. Sanislow, »Curative Factors in Offenders' Groups«, Small
Therapy«, Small Group Behavior 6 [ 1975 ] : 421-29). Group Behavior 18 ( 1987): 72-8 1 .
78. Fiedlers Studie, die in Kapitel 3 beschrieben wurde, deutet darauf hin, dass Experten unab­ 8 3 . D . Randall, »Curative Factor Rankings fo r Female Incest Survivor Groups: A Summary of
hängig von der Schule, der sie sich zugehörig fühlen, einander hinsichtlich ihrer Beziehung Three Studies«, Journal of Specialists in Group Work 20 ( 1 995): 232-39.
zu Patienten stark ähneln (F. Fiedler, »A Comparison of Therapeutic Relationships in Psy­ 84. H. Feifel und J. Eells, »Patients and Therapists Assess the Same Psychotherapy«, Journal of
choanalytic, Nondirective, and Adlerian Therapy«, Journal of Consulting Psychology 14 Consulting Psychology 27 ( 1963): 3 10---18.
[ 1 950]: 436-45). Die Arbeit von Truax und Carkhuff, die ebenfalls in Kapitel 3 dargestellt 85. I. Yalom und G. Elkin, Every Day Gets a Little Closer: A Twice-Told Therapy (New York:
wird ( C. Truax und R. Carkhuff, Toward Effective Counseling and Psychotherapy [ Chicago: Basic Books, 1 975; Neuauflage 1992); dt.: Jeden Tag ein bisschen näher (München: Gold­
Aldine, 1967] ), und die Analyse des Depressionsversuchs der NIMH von Ablon und Jones mann, 200 1 ) .
lieferten weitere Beweise dafür, dass effektive Therapeuten einander insofern ähneln, als ihre 86. D . Orlinsky, K . Grawe und B . Parks, »Process and Outcome in Psychotherapy«, in Handbook
Beziehung zu ihren Klienten von Warmherzigkeit, Akzeptieren und Verständnis geprägt ist of Psychotherapy and Behavioral Change: An Empirical Analysis, 4th ed., Hg. S. Garfield
(Ablon und Jones, »Psychotherapy Process in the National Institute of Mental Health«, so­ und A. Bergin (New York: Wiley, 1 994): 270-370. D. Martin, J. Garske und M. Davis, »Rela­
wie J. AbIon und E. Jones, » Validity of Controlled Clinical Trials of Psychotherapy: Findings tion of the Therapeutic Alliance with Outcome and Other Variables: A Meta-Analytic Re­
from the NIMH Treatment of Depression Collaborative Research Program«, American view«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 68 (2000): 438-50.
Journal of Psychiatry 1 59 [2002] : 775-83). Strupp, Fox und Lessler gelangten in einer Studie 87. Colijn et al., »A Comparison of Curative Factors«. M. Kahn, P. Webster und M. Storck, »Cu­
mit 1 66 Patienten, die sich einer Einzeltherapie unterzogen, zu ähnlichen Schlüssen: Erfolg­ rative Factors in Two Types of Inpatient Psychotherapy Groups«, International Journal of
reiche Patienten wiesen ausdrücklich darauf hin, dass ihre Therapeuten sich ihnen gegen­ Group Psychotherapy 36 ( 1986): 579- 85. Kapur et al., »Therapeutic Factors Within Inpati­
über aufmerksam, warmherzig, respektvoll und vor allem menschlich verhalten hätten (H. ent and Outpatient Psychotherapy Groups«. V. Tschuschke und R. Dies, »Intensive Analysis
Strupp, R. Fox und K. Lessler, Patients View Their Psychotherapy [Baltimore: Johns Jopkins of Therapeutic and Outcome in Long-Term Inpatient Groups«, International Journal of
University Press, 1 969]. Ein umfassender Überblick über die schnell wachsende Zahl der Group Psychotherapy 44 ( 1994): 185-208. J. Maxmen und N. Hannover, »Group Therapy
Studien in diesem Bereich zeigt, dass die Qualitäten des Akzeptierens, der nicht besitzergrei­ as Viewed by Hospitalized Patients«, Archives of General Psychiatry 28 ( 1 973 ): 404-8. Stein­
fenden Warmherzigkeit und der positiven Beachtung von Therapeuten in starkem Maße mit feld und Mabli, »Perceived Curative Factors«. Butler und Fuhriman, »Patient Perspective on
erfolgreichen Therapieresultaten assoziiert waren. Siehe H. Conte, R. Ratto, K. Clutz und T. the Curative Process«. N. Macaskill, »Therapeutic Factors in Group Therapy with Borderli­
Karasu, »Determinants of Outpatients' Satisfactions with Therapists: Relation to Outcome«, ne Patients«, International Journal of Group Psychotherapy 32 ( 1 982): 6 1-73. Leszcz et al.,
Journal of Psychotherapy Practice and Research 4 ( 1995): 43-51 ; L. Alexander, J. Barber, L. »The Value of inpatient Group Psychotherapy«. Marcovitz und Smith, »Patients' Perceptions
Luborsky, P. Crits-Christoph und A. Auerbach, »On What Bases Do Patients Choose Their of Curative Factors«. Schaffer und Dreyer, »Staff and Inpatient Perceptions«. Mushet et al.,
Therapists«, Journal of Psychotherapy Practice and Research 2 ( 1 993): 135-46; S. Garfield, »In-patients' Views of the Helpful Aspects«.
»Research on Client Variables in Psychotherapy«, in Handbook of Psychotherapy and Beha­ 88. Marcovitz und Smith, »Patients' Perceptions of Curative Factors«.
vior Change, 4th ed., Hg. A. Bergin und S. Garfield (New York: Wiley, 1994): 1 90-228; M. 89. J. Falk-Kessler, C. Momich und S. Perel, »Therapeutic Factors in Occupational Therapy
Lambert, »The Individual Therapist's Contribution to Psychotherapy Process and Outco­ Groups«, American Journal of Occupational Therapy 45 ( 1 991 ) : 59-66.
me«, Clinical Psychology Review 9 ( 1 989): 469-85; S. Butler, L. Flather und H. Strupp, 90. P. Kellerman, »Participants' Perceptions ofTherapeutic Factors in Psychodrama«, Journal of
»Countertransference and Qualities of the Psychotherapist«, in Psychodynamic Treatment Group Psychotherapy, Psychodrama, and Sociometry 38 ( 1985): 1 23-32.
Research: A Handbook for Clinical Practice, Hg. N. Miller, L. Luborsky, J. Barber und J. Do­ 9 1 . M. Lieberman und L. Borman, Self-Help Groups for Coping with Crisis (San Francisco:
cherty (New York: Basic Books, 1993): 342-60; und S. Van Wagoner, C. Gelso, T. Hayes und Jossey-Bass, 1979): 202-5.
R. Diemer, »Countertransference and the Reputedly Excellent Therapist«, Psychotherapy 28 92. S. Horowitz, S. Passik und M. Malkin, »In Sickness and in Health: A Group Intervention for
( 1 99 1 ) : 4 1 1-2 1 . Außerdem ist, wie in Kapitel 3 dargestellt wurde, die Verbindung zwischen Spouses Caring for Patients with Brain Tumors«, Journal of Psychosocial Oncology 1 4
einer positiven therapeutischen Beziehung und einem positiven Therapieresultat eine der ( 1996): 43-56.
am besten belegten Erkenntnisse in der gesamten Psychotherapieforschung. Dass der Bei­ 93. P. Chadwick, S. Sambrooke, S. Rasch und E. Davies, »Challenging the Omnipotence of
trag des Therapeuten zu einer erfolgreichen Psychotherapie enorm wichtig ist, ist so gut be­ Voices: Group Cognitive Behavior Therapy for Voices«, Behavior Research and Therapy 38
legt, dass dies in die Praxisrichtlinien für Psychotherapeuten aufgenommen wurde (K. Mak­ (2000): 993-1003.
Kenzie et al., »Guidelines for the Psychotherapies in Comprehensive Psychiatrie Care: A 94. E. Pence und M. Paymar, Power and Control: Tactics of Men Who Batter, rev. ed. (Duluth:
Discussion Paper«, Canadian Journal of Psychiatry 44 [suppl. 1 ] [ 1 999] : 4S-1 7S). Minnesota Program Development, 1 990) .
79. Schaffer und Dreyer, »Staff and Inpatient Perceptions«. 95. F. Mishna, »In Their Own Words: Therapeutic Factors for Adolescents Who Have Learning
80. Lovett und Lovett, »Group Therapeutic Factors«. Disabilities«, International Journal of Group Psychotherapy 46 ( 1996): 265-72.
8 1 . M. Lee, L. Cohen, S. Hadley und F. Goodwin, »Cognitive Behavioral Group Therapy with 96. McLeod und Ryan, » Therapeutic Factors Experienced by Members«.
Medication for Depressed Gay Men with AIDS or Symptomatic HIV Infection«, Psychiatrie 97. H. Riess, »Integrative Time-Limited Group Therapy for Bulimia Nervosa«, International
Services 58 ( 1999): 948-52. Journal of Group Psychotherapy 52 (2002): 1-26.

644 645
98. Kivlighan, Goldfine, »Endorsement of Therapeutic Factor«. 9. M. Dinoff et al., »Conditioning the Verba! Behavior of a Psychiatrie Population in a Group
99. Tschuschke und Dies, »Intensive Analysis of Therapeutic Factors and Outcome«.V. Tschusch­ Therapy- Like Situation«, Journal of Clinical Psychology 16 ( 1960): 371-72.
ke, K. MacKenzie, B. Nasser und G. Janke, »Self -Disclosure, Feedback, and Outcome in 10. G. Burlingame, A. Fuhriman und J. Johnson, »Cohesion in Group Psychotherapy«, in A Gui­
Long-Term Inpatient Psychotherapy Groups«, Journal of Psychotherapy Practice and Re­ de to Psychotherapy Relationships That Work, Hg. J. Norcross (Oxford, England: Oxford
search 5 ( 1996): 35-44. University Press, 2002).
100. Fuhriman und Butler, »Curative Factors in Group Therapy«. 1 1 . A. Bandura, »Modelling Approaches to the Modification of Phobie Disorders«, Referat
101. Kivlighan und Mullison, »Participants' Perception of Therapeutic Factors«. anlässlich des Ciba-Foundation-Symposiums »The Role of Learning in Psychotherapy«,
102. Kivlighan und Goldfine, »Endorsement of Therapeutic Factors«. London, Mai 1968. A. Bandura, J. Grusec und F. Menlove, »Vicarious Extinction of Avoi­
103. J. Schwartz und M. Waldo, »Therapeutic Factors in Spouse-Abuse Group Treatment«, Jour- dance Behavior«, Journal of Personality and Soda! Psychology 5 ( 1967): 16-23.
nal for Specialists in Group Work 24 ( 1 999): 197-207. 12. A. Bandura, D. Ross und J. Ross, »Imitation of Film Mediated Aggressive Models«, Journal
1 04. Mushet et al., »In-patients' Views of the Helpful Aspects«. of Abnormal and Soda! Psychology 66 ( 1963): 3-1 1 .
105. Yalom et al., »Curative Factors in Group Therapy«. 1 3 . J. McCullough, Treatment for Chronic Depression: Cognitive Behavioral Analysis System of
106. Lieberman, Yalom und Miles, Encounter Groups. Psychotherapy (CBASP) (New York: Guilford Press, 2000).
107. Butler und Fuhriman, »Level of Functioning and Length of Time in Treatment«. 14. D. Morran, R. Stockton, J. Cline und C. Teed, »Facilitating Feedback Exchange in Groups:
108. Leszcz et al., »The Value of lnpatient Group Psychotherapy«. Leader Interventions«, Journal for Specialists in Group Work 23 ( 1998): 257-60.
1 09. »Besonders Lernfähige« in Encountergruppen schätzten das Modell-Lernen sehr hoch: Sie 1 5 . A. Schwartz und H. Hawkins, »Patient Models and Affect Statements in Group Therapy«,
verfügten über die Fähigkeit, durch die Arbeit anderer zu lernen (Lieberman, Yalom und
Referat anlässlich der Konferenz der American Psychological Assodation, Chicago, Septem­
Miles, Encounter Groups). Klienten, die im interpersonalen Kontakt dominant sind, schät­
ber 1965.
zen interpersonales Feedback und Altruismus gering und sind weniger offen für den Ein­
16. A. Goldstein et al., »The Use of Planted Patients in Group Psychotherapy«, American Jour­
fluss der Gruppe, und Klienten mit übertriebenem Verantwortungsbewusstsein scheinen
nal of Fsychotherapy 2 1 ( 1 967): 767-74.
Kohäsivität als unwichtig anzusehen und Altruismus zu schätzen, was daraufhindeutet, dass
17. L. Murphy, M. Leszcz, A. Collings und J. Salvendy, »The Experience of the Neophyte Group
sie sich durch die Bedürfnisse anderer belastet fühlen, sich aber gleichzeitig gezwungen füh­
Therapist«, International Journal of Group Psychotherapy 46 ( 1 996): 543-52.
len zu helfen (R. MacNair-Semands und K. Lese, »Interpersonal Problem and the Perception
18. I. Yalom, The Schopenhauer Cure (New York: HarperCollins, 2005): 2 1 3; dt.: Die Schopen­
of Therapeutic Factors in Group Therapy«, Small Group Research 3 1 [2002] : 158-79). (Kiv­
hauerkur (München: btb, 2005).
lighan und Mullison, »Partidpants' Perception of Therapeutic Factors«; Kivlighan und
19. I. Yalom, Existential Psychotherapy (New York: Basic Books, 1980): 178-87; dt.: Existentiel­
Goldfine, »Endorsement of Therapeutic Factors«).
le Psychotherapie (Köln: Edition Humanistische Psychologie, 1 989).
Ka pitel s 20. I. Yalom, The Schopenhauer Cure (New York: HarperCollins, 2005): 214-20; dt.: Die Scho­
1 . T. Postmes, R. Spears, S. Cihangir, »Quality of Decision Making and Group Norms«. Jour­ penhauerkur (München: btb, 2005).
nal of Personality and Soda! Psychology, 80 (2001): 9 1 8-30. 2 1 . S. Gold-Steinberg und M. Buttenheim, >»Telling One's Story< in an Incest Survivors Group«,
2. D. Shapiro und L. Birk, »Group Therapy in Experimental Perspective«, International Journal International Journal of Group Psychotherapy 43 ( 1993 ) : 173-89.
of Group Psychotherapy 1 7 ( 1 967): 2 1 1-24.
3. E. Cache, R. Dies und K. Goettelman, »Process Variables Mediating Change in Intensive Kapitel 6
Group Therapy Training«, International Journal of Group Psychotherapy 41 ( 199 1 ) : 379- 1 . L. Mangione und R. Porti; »The Use of the Here and Now in Short-Term Group Psychothe­
97. rapy«, in Innovation in Clinical Practice: A Source Book, Hg. L. VandeCreeke und T. Jackson
4. D. Kivlighan, J. Tarrant, »Does Group Climate Mediate the Group Leadership-Group Mem­ (Sarasota: Professional Resources Press, 200 1 ) : 241-56.
ber Outcome Relationship? A Test of Yalom's Hypothesis About Leadership Priorities«, 2. R. Dies, »Models of Group Therapy: Sifting Through Confusion«, International Journal of
Group Dynamics: Theory, Research, and Practice 3 (2001): 220-34. Group Psychotherapy 42 ( 1992) : 1-17.
5. D. Strassberg, H. Roback, K. Anchor, S. Abramowitz, »Self -D isclosure in Group Therapy 3. J. Flowers und C. Booraem, » The Effects of Different Types of Interpretation on Outcome
with Schizophrenics«, Archives of General Psychiatry 32 ( 1975): 1 259-6 1 . in Group Therapy«, Group 14 ( 1990): 8 1-88. Diese kleine (N = 24 Klienten umfassende)
6 . Shapiro und Birk, »Group Therapy in Experimental Perspective«. Siehe auch R . Nye, The intensive Studie ließ auch darauf schließen, dass Deutungen des Hier und Jetzt, die sich auf
Legacy of B. F. Skinner (Pacific Grove, Calif.: Brooks Cole, 1992). Verhaltensmuster konzentrierten, für das Erreichen eines positiven Behandlungsresultats
7. I. Goldfarb, »A Behaviora! Analytic Interpretation of the Therapeutic Relationship«, Psycho­ am wirksamsten waren, gefolgt von Deutungen der Wirkung des Verhaltens auf andere und
logical Record 42 ( 1 992): 341-54. R. Kohlenberg, »Functional Analytic Psychotherapy«, in schließlich an dritter Stelle von lebensgeschichtlichen Deutungen. Deutungen der Motivati­
Psychotherapists in Clinical Practice: Cognitive and Behavioral Perspectives, Hg. N. Jacob­ on hingegen wirkten antitherapeutisch.
son (New York: Guilford Press, 1 987), 388-443. D. Powell, »Spontaneous Insights and the 4. N. Brown, »Conceptualizing process«, International Journal of Group Psychotherapy 53
Process of Behavior Therapy: Cases in Support of Integrative Psychotherapy«, Psychiatrie (2003): 225-47. M. Ettin, »From Identified Patient to Identifiable Group: The Alchemy of
Annals 1 8 ( 1988): 288-94. the Group as a Whole«, International Journal of Group Psychotherapy 50 (2000): 137-62.
8. R. Hecke!, S. Wiggins und H. Salzberg, »Conditioning Against Silences in Group Therapy«, 5. M. Miles, »On Naming the Here-and-Now«, unveröffentlichtes Manuskript, Columbia Uni­
Journal of Clinical Psychology 18 ( 1 962): 2 1 6-17. versity, 1970.

646 647
6. B. Cohen, M. Ettin und J. Fidler, »Conceptions of Leadership: The ,Analytic Stance< of the 2 1 . L. Murphy, M. Leszcz, A. Collings und J. Salvendy, »The Experience of the Neophyte Group
Group Psychotherapist«, Group Dynamics: Theory, Research and Practice 2 ( 1 998): 1 1 8- Therapist«, International Journal of Group Psychotherapy 46 ( 1996): 543-52.
31. 22. Motivationen zu deuten ist in der Regel nicht von Nutzen. Flowers und Booraem haben
7. Y. Agazarian, »Contemporary Theories of Group Psychotherapy: A Systems Approach«, In­ nachgewiesen, dass Hier-und-Jetzt-Kommentare ( über Verhaltensmuster oder über die Wir­
ternational Journal of Group Psychotherapy 42 ( 1992): 177-202. kung von Verhalten) in einer positiven Korrelation zum Resultat einer Gruppentherapie ste­
8. D. Morran, R. Stockton, J. Cline, C. Teed, »Facilitating Feedback Exchange in Groups: Leader hen, wohingegen die Motivation betreffende Deutungen in Korrelation zu negativen Thera­
Interventions«, Journal for Specialists in Group Work 23 ( 1998): 257-60. pieresultaten standen (Flowers und Booraem, » The Effects of Different Types of lnterpreta­
9. J. McCullough, Treatment for Chronic Depression: Cognitive Behavioral Analysis System of tion«).
Psychotherapy ( CBASP) (New York: Guilford Press, 2000). S. Knox, S. Hess, D. Petersen und 23. M. Keller et al., »A Comparison of Nefazodone, Cognitive Behavioral-Analysis System of
C. Hili, »A Qualitative Analysis of Client Perceptions of the Effects of Helpful Therapist Self­ Psychotherapy, and Their Combination for the Treatment of Chronic Depression«, New
Disclosure in Long-Term Therapy«, Journal of Counseling Psychology 44 ( 1 997): 274-83. England Journal of Medicine 342 (2000): 1462-70.
M. Barrett und J. Berman, »Is Psychotherapy More Effective When Therapists Disclose In­ 24. 0. Rank, Will Therapy and Truth and Reality (New York: Knopf, 1950); dt.: Technik der Psy­
formation About Themselves?« Journal of Consulting Clinical Psychology 69 (2001 ) : 597-
choanalyse (Wien: Deuticke, 1926). R. May, Love and Will (New York: Norton, 1969); dt.:
603.
Liebe und Wille (Köln: Edition Humanistische Psychologie, 1988). S. Arieti, The Will to Be
10. M. Lieberman, I. Yalom und M. Miles, Encounter Groups: First Facts (New York: Basic
Human (New York: Quadrangle Books, 1 972); dt.: Der Wille zur Menschlichkeit (Stuttgart:
Books, 1 973). Die Gruppenforschung liefert bestätigende Beweise. In einem Gruppenpro­
Klett, 1 976). L. Farber, The Ways of the Will (New York: Basic Books, 1 966). A. Wheelis,
jekt wurden die Aktivierungstechniken (strukturierte Übungen) von 16 Gruppenleitern un­
»Will and Psychoanalysis«, Journal of the Psychoanalytic Association 4 ( 1956): 285-303. I.
tersucht und mit dem Therapieergebnis korreliert. Es gab zwei relevante Feststellungen: ( 1 )
Yalom, Existential Psychotherapy (New York: Basic Books, 1 980); dt.: Existentielle Psycho­
Je mehr strukturierte Übungen der Leiter verwendete, desto kompetenter schätzten die Mit­
therapie (Köln: Edition Humanistische Psychologie, 1989).
glieder ihn (am Ende der 30-stündigen Gruppe) ein. (2) Je mehr strukturierte Übungen der
Leiter verwendete, desto weniger positiv waren die Therapieresultate (gemessen in einer 25. Yalom, Existential Psychotherapy, 286-350; dt.: Existentielle Psychotherapie (Köln: Edition
Nachuntersuchung nach sechs Monaten) . Anders ausgedrückt: Die Gruppenmitglieder Humanistische Psychologie, 1989).
wünschen sich Gruppenleiter, die deutlich sichtbar leiten und ihnen ein beträchtliches Maß 26. Farber, Ways of the Will.
an Struktur und Anleitung bieten. Sie assoziieren eine große Zahl strukturierter Übungen 27. Psychologische Behandlungen für Suchtkrankheiten und Essstörungen haben in besonderem
mit Kompetenz. Damit verwechseln sie jedoch Form und Inhalt: Zu viel Struktur oder eine Maße davon profitiert, dass dabei der Wille des Klienten für den Veränderungsprozess ge­
zu starke Anwendung von Aktivierungstechniken ist kontraproduktiv. nutzt wird. Mehrere Forscherteams haben fünf Stufen der Motivation unterschieden und
1 1 . L. Ormont, »The Leader's Role in Resolving Resistances to Intimacy in the Group Setting«, dementsprechend Interventionen auf bestimmte Stufen der Motivation oder der
International Journal of Group Psychotherapy 38 ( 1988): 29-47. »Veränderungsbereitschaft« des Klienten abgestimmt. Die fünf Stufen sind:
12. D. Kiesler, »Therapist Countertransference: In Search of Common Themes and Empirical 1 . Die Präkontemplationsstufe (kein Bewusstsein dessen, dass ein Problem existiert)
Referents«, Journal of Clinical Psychology/In Session 57 (200 1 ) : 1 023-63. 2. Die Kontemplationsstufe ( ein gewisses Problembewusstsein, jedoch Unschlüssigkeit da­
13. D. Marcus und W. Holahan, »Interpersonal Perception in Group Therapy: A Social Relations rüber, ob man etwas dagegen tun sollte)
Analysis«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 62 ( 1 994): 776-82. 3. Die Vorbereitungsstufe (Wunsch, sich zu verändern, jedoch mangelndes Wissen darüber,
14. G. Brown und G. Burlingame, »Pushing the Quality Envelope: A New Outcome Manage­ wie sich dies erreichen ließe)
ment System«, Psychiatrie Services 52 (2001): 925-34. 4. Die Handlungsstufe ( tatsächliche Verhaltensveränderungen)
15. M. Leszcz, »Geriatrie Group Therapy«, in Comprehensive Textbook of Geriatrie Psychi­ 5. Die Erhaltungsstufe (konsolidieren des Erreichten und Verhindern eines Rückfalls)
atry, 3rd ed., Hg. J. Sadavoy, L. Jarvik, G. Grossberg und B. Myers (New York: Norton, 2004): J. Prochaska, C. DiClemente und J. Norcross, »In Search of How People Change: Applicati­
1023-54. ons to Addictive Behaviors«, American Psychologist 47 ( 1992): 1 1 02-14. R. Feld, D. Wood­
16. Kiesler, »Therapist Countertransference«. side, A. Kaplan, M. Oln,stead, J. Carter, »Pre-treatment of Motivational Enhancement The­
1 7. S. Foulkes und E. Anthony, Group Psychotherapy: The Psychoanalytic Approach, 2nd ed. rapy for Eating Disorders«, International Journal of Eating Disorders 29 (200 1 ) : 393-400.
(Baltimore: Penguin, 1 965): 1 53. W. Miller und S. Rollnick, Motivational Interviewing: Preparing People To Change Addicti­
18. Ormont, »The Leader's Role in Resolving Resistances«. ve Behavior (New York: Guilford Press, 2002).
19. D. Martin, J. Garske und M. Davis, »Relation of the Therapeutic Alliance with Outcome and 28. T. Aquinas, zitiert in P. Edwards, Hg., The Encyclopedia of Philosophy, Bd. 7 (New York: Free
Other Variables: A Meta-Analytic Review«, Journal of Consulting and Clinical Psychology Press, 1 967): 1 12.
68 (2000): 438-50. 29. Man bedenke, dass von Erklärungssystemen sowohl die Therapeuten als auch die Klienten
20. D. Kiesler, Contemporary Interpersonal Theory and Research (New York: Wiley, 1996). Mc­ profitieren: Sie liefern dem Therapeuten einen Fokus, Stabilität, Vertrauen und Durchhalte­
Cullough, Treatment for Chronic Depression. J. Muran und J. Safran, »A Relational Ap­ vermögen. B. Wampold, The Great Psychotherapy Debate: Models, Methods and Findings
proach to Psychotherapy«, in Comprehensive Handbook of Psychotherapy, Hg. F. Kaslow, (Mahwah, N.J.: Erlbau:m, 200 1). G. Burlingame, K. MacKenzie und B. Strauss, »Small-Group
Bd. 1 , Psychodynamic/Object Relations, Hg. J. Magnavita (New York: Wiley, 2002): 253-8 1 . Treatment: Evidence for Effectiveness and Mechanisms of Change«, in Bergin and Garfield's
S . Stuart und M. Robertson, Interpersonal Psychotherapy: A Clinical Guide (London: Ar­ Handbook of Psychotherapy and Behavior Change, 5th ed., Hg. M. Lambert (New York: Wi­
nold Press, 2003). ley and Sons, 2004): 647-96.

648 649
30. J. Frank und J. Frank, Persuasion and Healing: A Comparative Study of Psychotherapy, 3rd 8. P. Cohen, »The Practice of Modem Group Psychotherapy: Working with Past Trauma in the
ed. (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 199 1 ) : 2 1-5 1 . Present«, International Journal of Group Psychotherapy 5 1 (200 1 ) : 489-503.
3 1 . D. Spence, Narrative Truth and Historical Truth (New York: Norton, 1 982). 9. M. Khan, »Outrageous, Complaining, and Authenticity«, Contemporary Psychoanalysis 22
32. Sandra Blakeslee, »Brain-Updating Machinery May Explain False Memories«, New York ( 1 986): 629-50.
Times, September 19, 2000. 1 0. 0. Kemberg, »Love in the Analytic Setting«, Journal of the American Psychoanalytic Asso­
33. Siehe Dies, »Models of Group Therapy«. ciation 42 ( 1 994): 1 137-58.
34. B. Slife und J. Lanyon, »Accounting for the Power of the Here and Now: A Theoretical Re­ 1 1. R. Greenson, The Technique and Practice of Psychoanalysis (New York: International Uni­
volution«, International Journal of Group Psychotherapy 35 ( 199 1 ): 225-38. versities Press, 1967); dt.: Technik und Praxis der Psychoanalyse (Stuttgart: Klett, o. J.).
35. J. S. Rutan und W. M. Stone, Psychodynamic Group Psychotherapy, 3rd ed. (NewYork: Guil­ 12. A. Cooper, zitiert in G. Gabbard, Psychodynamic Psychiatry in Clinical Practice (Washing­
ford Press, 2001). ton, D.C.: American Psychiatrie Press, 1987).
36. J. Lichtenberg, F. Lachmann und J. Fossaghe, Self and Motivational Systems (Hillsdale, N.J.: 1 3. M. West und J. Livesley, »Therapist Transparency and the Frame for Group Therapy«, Inter­
Analytic Press, 1992). J. Sandler und A. Sandler, » The Past Unconscious, the Present Uncons­ national Journal of Psychoanalysis 36 ( 1 986): 5-20.
cious, and Interpretation of Transference«, Psychoanalytic Inquiry 4 ( 1 984): 367-99. 14. L. Horwitz, »Discussion of ,Group as a Whole«<, International Journal of Group Psychothe­
37. Frank und Frank, Persuasion and Healing. rapy 45 ( 1995): 143-48.
38. J. Weiss, How Psychotherapy Works: Process and Technique (New York: Guilford Press, 15. H. Durkin und H. Glatzer, »Transference Neurosis in Group Psychotherapy: The Concept
1993). and the Reality«, International Journal of Group Psychotherapy 47 ( 1 997): 1 83-99. Nach­
39. C. Rycroft, Psychoanalysis Observed (London: Constable, 1966): 1 8. druck aus: H. Durkin und H. Glatzer, »Transference Neurosis in Group Psychotherapy: The
40. W. Bion, Experiences in Groups and Other Papers (New York: Basic Books, 1959); dt.: Er­ Concept and the Reality«, in Group Therapy 1 973: An Overview, Hg. L. Wolberg und E.
fahrungen in Gruppen und andere Schriften, 3. Aufl. Frankfurt a. M., Suhrkamp, 199 1 . Wei­ Schwartz (New York: Intercontinental Book Corp., 1973). P. Kauff, »Transference and Re­
tere Informationen über Bions Beitrag sind in der Vorversion dieses Buches und auf meiner gression in and Beyond Analytic Group Psychotherapy: Revisiting Some Timeless Thoughts«,
Website, www.yalom.com, zu finden. International Journal of Group Psychotherapy 47 ( 1997): 201-10.
4 1. M. Nitsun, » The Future of the Group«, International Journal of Group Therapy 50 (2000): 16. S. Freud, Group Psychology and the Analysis of the Ego, in Standard Edition, Bd. 1 8 (Lon­
455-72. don: Hogarth Press, 1955): 62-143; dt.: Massenpsychologie und Ich-Analyse (GW XIII, 71-
42. M. Klein, zitiert in J. Strachey, »The Nature of the Therapeutic Action of Psychoanalysis«, 161).
International Journal of Psychoanalysis 15 ( 1934): 127-59. 1 7. G . Gabbard, »Advances i n Psychoanalytic Therapy«, presented to the Department o f Psychi­
atry, University of Toronto, May 13, 1998.
Ka pitel 7
18. S. Freud, Group Psychology and the Analysis of the Ego; dt.: Massenpsychologie und Ich­
1. J. Breuer und S. Freud, Studies on Hysteria, in S. Freud, The Standard Edition of the Com­ Analyse (GW XIII, 71-161).
plete Psychological Works of Sigmund Freud [hereafter Standard Edition], Bd. 2 (London: 1 9. E. Fromm, Escape from Freedom (New York: Holt, Rinehart and Winston, 1941): 2 1 ; dt.: Die
Hogarth Press, 1955): 253-305; dt.: Studien über Hysterie, Frankfurt a. M., S. Fischer, Furcht vor der Freiheit (Zürich: Steinberg, 1945).
1970.
20. L. Horwitz, »Narcissistic Leadership in Psychotherapy Groups«, International Journal of
2. S. Freud, Five Lectures on Psycho-Analysis, in Standard Edition, Bd. 1 1 (London: Hogarth
Group Psychotherapy 50 (2000): 2 1 9-35. M. Leszcz, »Reflections on the Abuse of Power,
Press, 1 957): 3-62; Fünf Vorlesungen zur Psychoanalyse (GW Bd. VIII, 3-60).
Control, and Status in Group Therapy and Group Therapy Training«, International Journal
3. In der zeitgenössischen Psychotherapie bezeichnet das Schema des Klienten die zentralen Über­
of Group Psychotherapy 54 (2004): 389-400. I. Harwood, »Distinguishing Between the
zeugungen, die er bezüglich seiner selbst und seiner interpersonalen Beziehungen hat, sowie
Facilitating and Self- Serving Charismatic Group Leader«, Group 27 (2004): 1 2 1-29.
auch die interpersonalen Verhaltensweisen, die sich aus diesen Überzeugungen und Kogni­
2 1 . S. Scheidlinger, »Freud's Group Psychology Revisited: An Opportunity Missed«, Psychoana­
tionen ergeben. Das Schema beinhaltet weiterhin die Art, auf die der Klient gewöhnlich
lytic Psychology 20 (2003): 389-92. Scheidlinger weist darauf hin, dass Freud seine Macht
seine Umgebung wahrnimmt und auf die er Informationen verarbeitet. Siehe J. Safran und
als Leiter der psychoanalytischen Studiengruppe genoss. Er verhielt sich unerbittlich auto­
Z. Segal, Interpersonal Process in Cognitive Therapy (New York: Basic Books, 1990).
ritär und forderte das völlige Akzeptieren seiner Theorien. Nach Scheidlingers Auffassung
4. N. Miller, L. Luborsky, J. Barber und J. Docherty, Psychodynamic Treatment Research (New
York: Basic Books, 1 993). hätte Freud einen noch größeren Beitrag zur Gruppenpsychologie und zur Entwicklung der
5. J. Marmor, »The Future of Psychoanalytic Therapy«, American Journal of Psychiatry 130 Gruppenpsychotherapie leisten können, wenn er seine Arbeit in diesem Bereich nicht wegen
( 1973): 1 197-1202. einer Streitigkeit mit Trigant Burrow aufgegeben hätte. Burrow, dessen Beziehung zu Freud
6. S. Mitchell, Hope and Dread in Psychoanalysis (New York: Basic Books, 1 993): 25. zunächst recht gut gewesen und der früh Präsident der American Psychoanalytic Association
7. V. Schermer, »Contributions of Object Relations Theory and Self Psychology to Relational geworden war, entwickelte ein Modell der Gruppenanalyse, das nach Freuds Ansicht einige
Psychology and Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 50 seiner eigenen Ideen infrage stellte. Daraufhin beendete er seine Beziehung zu Burrow und
(2000): 1 99-21 2. F. Wright, »The Use of Self in Group Leadership: A Relational Perspective«, äußerte sich in seinen Schriften nicht mehr zur therapeutischen Arbeit mit Gruppen.
International Journal of Group Psychotherapy 50 (2000): 1 8 1-98. F. Wright, »Introduction 22. L. Tolstoy, War and Peace (New York: Modem Library, Random House, 193 1 ; Erstveröffent­
to the Special Section on Contemporary Theoretical Developments and the Implications for lichung 1865-69): 2 3 1 ; dt.: Krieg und Frieden.
Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 51 (2001 ) : 445-48. 23. Ibid. (engl.): 245.

650 651
24. M. Nitsun, » The Future of the Group«, International Journal of Group Psychotherapy 50 sulting and Clinical Psychology 66 ( 1 998): 634-40. T. Eels, »What Do We Know About Ma­
(2000): 455-72. ster Therapists?« Journal of Psychotherapy Practice and Research 67 ( 1999): 314-17.
25. M. Levy, »A Helpful Way to Conceptualize and Understand Re-Enactments«, Journal of Psy­ 40. F. Wright, »Being Seen, Moved, Disrupted, and Reconfigured: Group Leadership from a Re­
chotherapy Practice and Research 7 ( 1998): 227-38. lational Perspective«, International Journal of Group Psychotherapy 54 (2004): 235-50.
26. S. Freud, The Future of an Illusion, in Standard Edition, Bd. 21 (London: Hogarth Press, 41. S. Foreman, »The Significance of Turning Passive into Active in Control Mastery Theory«,
196 1 ): 1-56; dt.: Die Zukunft einer Illusion (GW XIV, 325-80). Journal of Psychotherapy Practice and Research 5 ( 1996): 106-2 1 .
27. G. Thorne, When lt Was Dark, zitiert von S. Freud in Group Psychology and the Analysis of 42. S . Knox, S . Hess, D . Peterson und C . Hili, »A Qualitative Analysis o f Client Perceptions o f the
the Ego; dt.: Massenpsychologie und Ich-Analyse. Effects of Helpful Therapist Self-Disclosure in Long-Term Therapy«, Journal of Counseling
28. S. Knox, S. Hess, D. Petersen und C. Hili, »A Qualitative Analysis of Client Perceptions of the Psychology 49 ( 1997): 274-83.
Effects of Helpful Therapist Self-Disclosure in Long-Term Therapy«, Journal of Counseling 43. M. Allan, »An Investigation of Therapist and Patient Self-Help Disclosure in Outpatient
Psychology 44 ( 1 997): 274-83. B. Cohen und V. Schermer, »Therapist Self -D isclosure in Therapy Groups«, Dissertation Abstracts International 41 ( 1980), Nr. 802 1 155.
Group Psychotherapy from an Intersubjective and Self-Psychological Standpoint«, Group 44. H. Conte, R. Ratto, K. Clutz und T. Karasu, »Determinants of Outpatients' Satisfactions with
25 (200 1 ): 41-57. Therapists: Relation to Outcome«, Journal of Psychotherapy Practice and Research 4 ( 1995):
29. R. Dies, »Models of Group Therapy: Sifting Through Confusion«, International Journal of 43-5 1 .
Group Psychotherapy 42 ( 1992): 1-17. 45. S. Wilkinson und G . Gabbard, »Therapeutic Self-D isclosure with Borderline Patients«, Jour­
30. I. Yalom, Inpatient Group Psychotherapy (New York: Basic Books, 1 983) . E. Berne, »Staff nal of Psychotherapy Practice and Research 2 ( 1993 ): 282-95.
Patient Conferences«, American Journal of Psychiatry 125 ( 1 968): 286-88. 46. K. Ullman, » Unwitting Exposure of the Therapist Transferential and Countertransferential
31. A. Rachman, Sandor Ferenczi, The Psychotherapist of Tenderness and Passion (New York: Dilemmas«, Journal of Psychotherapy Practice and Research 1 0 (200 1 ) : 14-2 1.
Jason Aronson, 1 996). 47. T. Gutheil und G. Gabbard, »The Concepts of Boundaries in Clinical Practice: Theoretical
32. J. Rutan, »Sandor Ferenczi's Contributions to Psychodynamic Group Therapy«, Internatio­ and Risk-Management Dimensions«, American Journal of Psychiatry 150 ( 1 993 ): 188-96.
nal Journal of Group Psychotherapy 53 (2003): 375-84. 48. T. Gutheil und G. Gabbard, »Misuses and Misunderstandings of Boundary Theory in Clini­
33. S. Ferenczi, zitiert in Interpersonal Analysis: The Selected Papers of Clara M. Thompson, Hg. cal and Regulatory Settings«, American Journal of Psychiatry 155 ( 1998): 409-14. A. Elfant,
M. Green (New York: Basic Books, 1964): 70. Eine kurze Zeit widmete sich Ferenczi dem ul­ »Group Psychotherapist Self-Disclosure: Why, When, and How?« Referat anlässlich der Jah­
timativen Experiment mit der Transparanz des Therapeuten: der mutuellen Analyse. Er und resversammlung der American Group Psychotherapy Association, New Orleans, 2 1 . Febru­
ar 2003.
sein Analysand tauschten ihre Rollen: In einer Sitzung analysierte er den Klienten, in der
49, Die Selbstoffenbarung wurde in den langen Marathongruppen, die in den 1970er- Jahren so
nächsten analysierte dieser ihn. Schließlich nahm er von diesem umständlichen Verfahren
populär waren, ins Extrem getrieben (siehe Kapitel 10). Diese kamen für 24 bis 48 konseku­
wieder Abstand, doch war er auch danach nicht davon überzeugt, dass Transparenz die The­
tive Stunden zusammen und legten größten Wert auf die völlig Selbstoffenbarung aller
rapie behindere (S. Ferenczi: Ohne Sympathie keine Heilung - Das klinische Tagebuch von
Gruppenmitglieder sowie des Gruppenleiters. Die körperliche Erschöpfung zermürbte die
1 932, S. Fischer, Frankfurt a. M., 1 985).
Abwehrmechanismen und begünstigte eine maximale Selbstoffenbarung. Die ultimative
34. S. Foulkes, »A Memorandum on Group Therapy«, British Military Memorandum, ADM,
Selbstoffenbarung jedoch war Gruppentherapie ohne Kleidung. Ende der 1 960er- und An­
July, 1945.
fang der 1970er- Jahre berichteten die Massenmedien ausführlich über Marathon-Gruppen­
35. I. Yalom, Love's Executioner (New York: Basic Books, 1990) (dt.: Die Liebe und ihr Henker).
sitzungen in Südkalifornien, bei denen die Teilnehmer splitternackt waren (beispielsweise
I. Yalom, Lying on the Couch (New York: Basic Books, 1996) (dt.: Die rote Couch). I. Yalom, Time, 23. Februar 1 968, 42). Viele der wilderen Innovationen im Bereich der Psychotherapie
Momma and the Meaning of Life (New York: Basic Books, 1 999); dt.: Die Reise mit Paula sind in Südkalifornien entstanden. Dies bringt jene berühmte Szene aus Saul Bellows Ro­
(München: Goldmann, 2000). I. Yalom, When Nietzsche Wept (New York: Basic Books, man Das Geschäft des Lebens (Seize the Day) in Erinnerung, in der jemand eine große fla­
1992); dt.: Und Nietzsche weinte (Hamburg: Kabel, 1994). che Landkarte der Vereinigten Staaten nach vorn neigt und dabei beobachtet, das »alles, was
36. I. Yalom, The Schopenhauer Cure (New York: HarperCollins, 2005); dt.: Die Schopenhauer­ nicht festgeschraubt war, nach Südkalifornien rutschte«.
kur (München: btb, 2005). 50. D. Kivlighan und J. Tarrant, »Does Group Climate Mediate the Group Leadership-Group
37. D. Fromm, G. Dickey, J. Shaefer, »Group Modification of Affective Verbalization: Reinforce­ Member Outcome Relationship? A Test ofYalom's Hypothesis About Leadership Priorities«,
ments and Therapist Style Effects«, Journal of Clinical Psychology 39 ( 1983): 893-900. R. Group Dynamics: Theory, Research and Practice 3 (200 1 ): 220-34.
Dies, »Therapist Variables in Group Psychotherapy Research«, in Handbook of Group Psy­ 5 1 . M. Parloff, »Discussion of Accelerated Interaction: A Time-Limited Approach Based on the
chotherapy, Hg. A. Fuhriman und G. Burlingame (New York: Wiley, 1 994): 1 14-54. R. Dies, Brief Intensive Group«, International Journal of Group Psychotherapy 28 ( 1 968): 239-44.
»Research in Group Psychotherapy: Overview and Clinical Applications«, in Group Therapy 52. Ferenczi, zitiert in M. Green, Interpersonal Analysis.
in Clinical Practice, Hg. A. Alonso und H. Swiller (Washington, D.C.: American Psychiatrie 53. R. Dies, »Leadership in Short-Term Groups«, in Advances in Group Psychotherapy, Hg. R.
Press, 1993): 473-5 18. Dies und R. MacKenzie (New York: International Universities Press, 1983): 27-78. R. Dies,
38. M. Nichols und R. Schwartz, Family Therapy: Concepts and Methods (Needham Heights, »Group Therapist Transparency: A Critique of Theory and Research«, International Journal
Mass.: Allyn and Bacon, 1991): 265. of Group Psychotherapy 27 ( 1977): 177-200. R. Dies und L. Cohen, »Content Considerati­
39. S. Wiser und M. Goldfried, »Therapist Interventions and Client Emotional Experiencing in ons in Group Therapist Self-Disclosure«, International Journal of Group Psychotherapy 26
Expert Psychodynamic-Interpersonal and Cognitive-Behavioral Therapies«, Journal of Con- ( 1 976) : 71-88.

652 653
54. S. McNary und R. Dies, »Co-Therapist Modeling in Group Psychotherapy: Fact or Fantasy«, 6. F. de Caru�el und W. Pi�er, »Group Psychotherapy or Individual Psychotherapy: Patient
_
Group 17 ( 1993): 1 3 1-42. Charactenstics As Pred1ct1ve Factors«, International Journal of Group Psychotherapy 38
55. E. O'Neill, The Iceman Cometh (New York: Random House, 1957). ( 1 988): 169-88.
56. H. Ibsen, The Wild Duck (New York: Avon Press, 1965; orig. published 1884); dt.: Die Wild­ 13. E. Nash et al., »Some Factors Related to Patients Remaining in Group Psychotherapy«, In­
ente. ternational Journal of Group Psychotherapy 7 ( 1957): 264-75. J. Johnson, Group Psychothe­
57. V. Frank!, persönliche Mitteilung, 1975. rapy: A Practical Approach (New York: McGraw-Hill, 1963). E. Fried, »Basic Concepts in
Group Therapy«, in Comprehensive Group Therapy, Hg. H. Kaplan und B. Sadock (Balti­
Kapitel 8 more: Williams & Wilkins, 1971), 50-5 1 .
1. W. Piper, M. McCallum, A. Joyce, J. Rosie und J. Ogrodniczuk, »Patient Personality and 1 4 . L . Horwitz, »Indications and Contraindications for Group Psychotherapy«, Bulletin o f the
Time-Lirnited Group Psychotherapy for Complicated Grief«, International Journal of Group Menninger Clinic 40 ( 1 976): 505-7.
Psychotherapy 51 (200 1 ): 525-52. R. Kadden, M. Litt, N. Cooney, E. Kabela, H. Getter, »Pro­ 15. S. Slavson, »Criteria for Selection and Rejection of Patients for Various Kinds of Group The­
spective Matching of Alcoholic Clients to Cognitive-Behavioral or Interactional Group The­ rapy«, International Journal of Group Psychotherapy 5 ( 1955 ): 3-30. S. Adrian, »A Systema­
rapy«, Journal of Studies on Alcohol May (200 1 ) : 359-69. tic Approach to Selecting Group Participants«, Journal of Psychiatrie Nursing 18 ( 1980):
2. G. Burlingame, A. Fuhriman und J. Mosier, »The Differential Effectiveness of Group Psycho­ 37-41.
therapy: A Meta-Analytic Perspective«, Group Dynamics: Theory, Research, and Practice 7 16. Nash et al., »Some Factors« . Johnson, Group Psychotherapy. Fried, »Basic Con­
(2003): 3-12. G. Burlingame, K. MacKenzie und B. Strauss, »Small-Group Treatment: Evi­ cepts« . R. MacNair-Semands, »Predicting Attendance and Expectations for Group Thera­
dence fo r Effectiveness and Mechanism of Change«, in Bergin and Garfield's Hand­ py«, Group Dynamics: Theory, Research, and Practice 6 (2002): 219-28.
book of Psychotherapy and Behavior Change, 5th ed., Hg. M. Lambert ( New York: Wiley, 1 7. M. Weiner, »Group Therapy in a Public Seetor Psychiatrie Clinic«, International Journal of
2004), 647-96. Group Psychotherapy 38 ( 1988): 355-65. M. Rosenbaum und E. Hartley, »A Summary Re­
3. R. Toseland und M. Siporin, »When to Recommend Group Treatment: A Review of the view of Current Practices of Ninety-Two Group Therapists«, International Journal of Group
Clinical and the Research Literature«, International Journal of Group Psychotherapy 36 Psychotherapy 1 2 ( 1 962): 194-98. W. Friedman, »Referring Patients for Group Therapy:
( 1986): 171-201 . Some Guidelines«, Hospital and Community Psychiatry 27 ( 1 976): 12 1-23. A. Frances, J.
4 . C. McRoberts, G . Burlingame und M . Hoag, »Comparative Efficacy of Individual and Group Clarkin und J. Marachi, »Selection Criteria for Outpatient Group Psychotherapy«, Hospital
Psychotherapy: A Meta-Analytic Perspective«, Group Dynamics: Theory, Research, and and Community Psychiatry 31 ( 1 980): 245-49. M. Woods und J. Melnick, »A Review of
Practice 2 ( 1 998): 101-17. Group Therapy Selection Criteria«, Small Group Behavior 10 ( 1979): 155-75.
5. K. MacKenzie, »Where Is Here and When Is Now? The Adaptational Challenge of Mental 18. R. Morgan und C. Winterowd, »Interpersonal Process-Oriented Group Psychotherapy with
Health Reform for Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy Offender Populations«, International Journal of Offender Therapy and Comparative Crimi­
44 ( 1994): 407-28. M. Parloff und R. Dies, »Group Psychotherapy Outcome Research«, In­ nology 46 (2002): 466-82. Toseland und Siporin, »When to Recommend Group Treatment«.
ternational Journal of Group Psychotherapy 27 ( 1977): 28 1-322. W. Piper und A. Joyce, »A I. Yalom, »Group Therapy of Incarcerated Sexual Deviants«, Journal of Nervous Mental
Consideration of Factors Influencing the Utilization of Time-Limited, Short-Term Group Disorders 132 ( 1961 ): 1 58-70.
Therapy«, International Journal of Group Psychotherapy 46 ( 1 996): 3 1 1-28. 19. Friedman, »Referring Patients«. Woods und Melnick, »Group Therapy Selection Criteria«.
6. K. Graham, H. Annis, P. Brett, P. Venesoen und R. Clifton, »A Controlled Field Trial of Frances, Clarkin und Marachi, »Selection Criteria«. Horwitz, »Indications and Contraindi­
Group Versus Individual Cognitive-Behavioral Training for Relapse Prevention«, Addiction cations«.
91 ( 1996): 1 127-39. 20. Horwitz, »Indications and Contraindications«. Friedman, »Referring Patients«. H.
7. D. Renjilian, M. Peri; A. Nezu, W. McKelvey, R. Shermer und S. Anton, »Individual Versus Grunebaum und W. Kates, »Whom to Refer for Group Psychotherapy«, American Journal
Group Therapy for Obesity: Effects of Matching Participants to the Treatment Preferences«, of Psychiatry 134 ( 1977): 130-33.
Journal of Consulting Clinical Psychology 69 (2001): 717-2 1 . 2 1 . M. Linehan, »Dialectical Behavior Therapy for Borderline Personality Disorder: A Cognitive
8 . F. Fawzy, N . Fawzy und J . Wheeler, » A Post-Hoc Comparison o f the Efficiency o f a Psycho­ Behavioral Approach to Parasuicide«, Journal of Personality Disorders 1 ( 1 987): 328-
educational Intervention for Melanoma Patients Delivered in Group Versus Individual For­ 33. M. Linehan, »Naturalistic Follow-Up of a Behavioral Treatment for Chronically Para­
mats: An Analysis of Data from Two Studies«, Psycho-Oncology 5 ( 1 996): 8 1-89. suicidal Borderline Patients«, Archives of General Psychiatry 50 ( 1993 ): 971-74. E. Marziali
9. E. Westbury und L. Tutty, »The Efficacy of Group Treatment for Survivors of Childhood und H. Munroe-Blum, Interpersonal Group Psychotherapy for Borderline Personality Dis­
Abuse«, Child Abuse and Neglect 23 ( 1999): 31-44. order (New York: Basic Books, 1994).
22. I. Yalom, »A Study of Group Therapy Dropouts«, Archives of General Psychiatry 14 ( 1966):
1 0. K. MacKenzie, » Where 1s Here and When Is Now? The Adaptational Challenge of Mental
393-414.
Health Reform for Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy
23. M. Wierzbicki und G. Pekarik, »A Meta-Analysis of Psychotherapy Dropouts«, Professional
44 ( 1 994): 407-28.
Psychology: Research and Practice 24 ( 1993): 190-95.
1 1 . S. Holmes und D. Kivlighan, »Comparison of Therapeutic Factors in Group and Individual
24. W. Stone und J. Rutan, »Duration of Treatment in Group Psychotherapy«, International
Treatment Processes«, Journal of Counseling Psychology 47 (2000): 478-84.
Journal of Group Psychotherapy 34 ( 1 984): 93-109. M. Leszcz, »Guidelines for the Practice
12. G. Gazda, »Discussion of When to Recommend Group Treatment: A Review of the Clinical
of Group Psychotherapy«, in Guidelines and Standards for the Psychotherapies, Hg. P.
and the Research Literature«, International Journal of Group Psychotherapy 36 ( 1986): 203-

654 655
Cameron, J. Ennis und J. Deadman (Toronto: University of Toronto Press, 1 998): 199-227. war; (3) stark schizoide, sehr sensible und isolierte Klienten, die eine gründlichere und in­
H. Roback, »Adverse Outcomes in Group Psychotherapy: Risk Factors, Prevention, and Re­ tensivere Vorbereitung auf die Gruppentherapie gebraucht hätten. Nash et al., »Some Fac­
search Directions«, Journal of Psychotherapy Practice and Research 9 (2000): 1 1 3-22. tors«. Nash und seine Kollegen untersuchten 30 Patienten, die in einer Universitätsklinik
25. M. Lieberman, I. Yalom und M. Miles, Encounter Groups: First Facts (New York: Basic ambulant an einer Gruppentherapie teilnahmen. Die 1 7 Therapieabbrecher (im Verlaufe
Books, 1972). von drei oder weniger Gruppensitzungen) unterschieden sich signifikant von den 13 Grup­
26. M. Seligman, »The Effectiveness of Psychotherapy: The Consumer Reports Study«, Ameri­ penteilnehmern, welche die Arbeit fortsetzten, und zwar in verschiedener Hinsicht: Ihr so­
can Psychologist 50 ( 1 995): 965-74. ziales Verhalten war uneffektiver, sie erlebten ihre Krankheit als fortschreitend und dring­
27. W. Piper, A. Joyce, J. Rosie und H. Azim, »Psychological Mindedness, Work and Outcome in lich, oder sie neigten in starkem Maße zum Leugnen und beendeten die Therapie, wenn sich
Day Treatment«, International Journal of Group Psychotherapy 44 ( 1994): 291-3 1 1 . M. Mc­ ihr Leugnen aufgrund der Konfrontation vonseiten der Gruppe nicht mehr aufrechterhalten
Callum, W. Piper und A. Joyce, »Dropping Out from Short-Term Group Therapy«, Psycho­ ließ. R. MacNair und J. Corazzini, »Clinical Factors Influencing Group Therapy Dropout«,
therapy 29 ( 1992): 206-13. In einer Studie mit 109 Patienten, die unter verlängerter oder Psychotherapy: Theory, Research, Practice and Training 3 1 ( 1 994): 352-6 1 . MacNair und
pathologischer Trauer litten und in einer kurzen ( 1 2 wöchentliche Sitzungen umfassenden) Kollegen untersuchten ebenfalls zwei große Gruppen von Klienten, die von einem universi­
analytisch orientierten Gruppentherapie behandelt wurden, stellte sich heraus, dass die 33 tären Beratungsdienst 16 Sitzungen lang in einer interpersonalen Gruppentherapie behan­
Therapieabbrecher über erheblich weniger psychologische Sensibilität (psychological min­ delt wurden. Diese Studie, an der im Laufe mehrerer Jahre 155 und 3 1 0 Klienten teilnah­
dedness) verfügten als jene Teilnehmer, welche die Therapie bis zum Ende fortsetzten. Au­ men, nutzte zur Evaluierung der Gruppenmitglieder das Group Therapy Questionnaire
ßerdem hatten die Abbrecher generell stärkere psychiatrische Symptome, und ihre Ziel­ (GTQ). Therapieabbrecher und Klienten, die nicht regelmäßig an den Sitzungen teilnah­
symptome waren intensiver als die der übrigen Klienten. S. Rosenzweig und R. Folman, »Pa­ men, konnten aufgrund folgender Charakteristika vorausgesagt werden: Ärger, Feindselig­
tient and Therapist Variables Affecting Premature Termination in Group Psychotherapy«, keit und Streitsucht; soziale Hemmung (social inhibition); Substanzmissbrauch und Soma­
Psychotherapy: Theory, Research and Practice 1 1 ( 1 974): 76-79. In einer Studie, die mit 1 3 tisieren. Hingegen fungierten vorangegangene Erlebnisse mit irgendeiner Form von Psycho­
Therapieabbrechern aus Gruppen i n Kliniken der Veterans Administration durchgeführt therapie als protektive Variable. (R. MacNair-Semands, »Predicting Attendance and Expec­
wurde, unterschied eine Batterie psychologischer Tests nicht zwischen denjenigen, die in der tations for Group Therapy«, Group Dynamics: Theory, Research and Practice 6 [2002] : 2 1 9-
Gruppe blieben, und den Abbrechern, doch waren die Urteile, welche die Therapeuten vor 28.) Die letztgenannte Erkenntnis fin det ihren Widerhall in einem früheren Bericht, der
Beginn der Gruppenarbeit über die Empathiefähigkeit der Klienten sowie ihre Fähigkeit, gezeigt hatte, dass Therapieabbrüche bei Klienten wesentlich wahrscheinlicher waren, bei
eine therapeutische Beziehung aufzubauen, gefällt hatten, und der Umstand, ob und in wel­ denen die Teilnahme an der Gruppentherapie das erste psychotherapeutische Erlebnis über­
chem Maße ein Klient dem Therapeuten sympathisch war, signifikant für die Voraussage haupt war. W. Stone und J. Rutan, »Duration of Treatment in Group Psychotherapy«, Inter­
eines vorzeitigen Therapieabbruchs. B. Kotkov und A. Meadow, »Rorschach Criteria for national Journal of Group Psychotherapy 34 ( 1 984): 93-109. G. Tasca et al., »Treatment
Continuing Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 2 ( 1 952): Completion and Outcome in a Partial Hospitalization Program: Interaction Among Patient
324-3 1 . Eine Studie über Gruppen für in Kliniken der Veterans Administration ambulant Variables«, Psychotherapy Research 9 ( 1999): 232-47. Tasca und Kollegen untersuchten 102
behandelte Patienten ergab, dass Therapieabbrecher Stress schlechter zu ertragen vermoch­ Klienten, die an einem intensiven Gruppentherapieprogramm in einer Tagesklinik teilnah­
ten, dass sie außerdem in weniger starkem Maße den Wunsch hatten, Empathie zu zeigen, men. Sie berichten, dass sich Therapieabbrüche aufgrund einer verringerten psychologi­
dass ihre Fähigkeit, emotionalen Rapport herzustellen, geringer war, ihre Resultate beim schen Sensibilität in Verbindung mit Chronizität der vorliegenden Probleme voraussagen
Wechsler-Test für verbale Intelligenz schlechter ausfielen und sie aus niedrigeren sozioöko­ ließen. Hingegen wirkte eine hohe psychologische Sensibilität der negativen Wirkung der
nomischen Klassen stammten. (Auch viele andere Studien berichten, dass Therapieabbre­ Chronizität auf die Bereitschaft, die Behandlung zu einem ordnungsgemäßen Abschluss zu
cher [bei jeder Art von Psychotherapie] in unverhältnismäßig großer Zahl aus niedrigeren bringen, entgegen. M. McCallum, W. Piper, J. Ogrodniczuk und A. Joyce, »Early Process and
sozioökonomischen Klassen stammen.) R. Klein und R. Carroll, »Patient Characteristics and Dropping Out from Group Therapy for Conplicated Grief«, Group Dynamics: Theory, Re­
Attendance Patterns in Outpatient Group Therapy«, International Journal of Group Psycho­ search and Practice 6 (2002): 243-54. Von 1 39 Klienten, die an einer 12 Sitzungen umfas­
therapy 36 ( 1 986) : 1 15-32. H. Roback und M. Smith, »Patient Attrition in Dynamically Ori­ senden Gruppentherapie für Menschen mit komplexer Trauer teilnahmen, lag die Zahl der
ented Treatment Groups«, American Journal of Psychiatry 144 ( 1 987): 426-43. L. Gliedman Abbrecher bei 23 Prozent ( und zwar unabhängig davon, ob die Gruppentherapie sich an ei­
et al., »Incentives for Treatment Related to Remaining or Improving in Psychotherapy«, nem interpretierenden oder an einem unterstützenden Modell orientierte). Die Abbrecher
American Journal of Psychotherapy 1 1 ( 1 957): 589-98. M. Grotjahn, »Learning from Drop­ erlebten in den ersten Sitzungen wesentlich weniger positive Emotionen, und sie vermoch­
out Patients: A Clinical View of Patients who Discontinued Group Psychotherapy«, Interna­ ten sich wesentlich weniger gut in die Gruppe einzufügen und waren für die übrigen Grup­
tional Journal of Group Psychotherapy 22 ( 1972): 306-19. Grotjahn studierte seine analyti­ penmitglieder weniger wichtig. Die Therapeuten berichteten, sie hätten diesen Klienten ge­
schen Langzeitgruppen und stellte fest, bezogen auf einen Zeitraums von insgesamt sechs genüber von Beginn der Therapie an ein geringeres emotionales Engagement gehabt. Über
Jahren, dass 43 Gruppenmitglieder (35 Prozent) die Gruppe innerhalb der ersten zwölf Mo­ das Phänomen, dass bei Therapeuten sehr früh eine Antipathie gegenüber den Klienten ent­
nate der Therapie verließen. Rückblickend ist er der Meinung, dass ungefähr 40 Prozent der steht, die später die Behandlung vorzeitig abbrechen, haben auch andere berichtet. (L. Loth­
Therapieabbrüche voraussehbar gewesen seien und dass man sie einer der folgenden drei stein, »The Group Psychotherapy Dropout Phenomenon Revisited«, American Journal of
Kategorien zuordnen könne: ( 1 ) Klienten, bei denen ein offensichtlicher oder ein drohender Psychiatry 135 [ 1978 ] : 1492-95. 0. Stiwne, »Group Psychotherapy with Borderline Patients:
psychotischer Zusammenbruch diagnostiziert worden sei; (2) Klienten, welche die Gruppe Contrasting Remainers and Dropouts«, Group 18 [ 1994]: 37-45. T. Oei und T. Kazmierczak,
zur Auflösung einer Krise benutzten und aus ihr ausschieden, nachdem die Krise vorüber »Factors Associated with Dropout in a Group Cognitive Behavior Therapy for Mood Disor-

656 657
ders«, Behavior, Research and Therapy 35 [ 1997]: 1025-30.) Im Rahmen einer Studie, an der o) W. Stone und S. Rutan, » Duration of Treatment in Group Psychotherapy«, International
1 3 1 Klienten in KBT-Gruppen für Depressive teilnahmen, brachen 63 Klienten (48 Prozent) Journal of Group Psychotherapy 34 ( 1 984): 93-109.
die Behandlung vorzeitig ab. Die vor Therapiebeginn festgestellten Variablen einschließlich p) K. Christiansen, K. Valbak und A. Weeke, »Premature Termination in Analytic Group
der Stärke der Depression gaben keinen Aufschluss über die Gründe für die Therapieabbrü­ Therapy«, Nordisk-Psykiatrisk-Tidsskrift 45 ( 1 99 1): 377-82.
che. Hingegen erwiesen sich mangelnde Teilnahme an den Gruppenaktivitäten und an q) R. MacNair und J. Corazzini, »Clinical Factors Influencing Group Therapy Dropouts«,
Übungen als aufschlussreiche Indikatoren. Auch rassische und ethnische Aspekte sollten in Psychotherapy: Theory, Research, Practice and Training 31 ( 1 994): 352-6 1 .
diesem Zusammenhang untersucht werden. Neueste Untersuchungen haben gezeigt, dass r ) M. McCallum, W. Piper, J . Ogrodniczuk und A . Joyce, »Early Process and Dropping
die Angehörigen von Minderheiten, die aufgrund ihres Äußeren deutlich erkennbar sind, Out«.
die Gruppenarbeit häufig vorzeitig beenden, weil sie innerhalb der Gruppe nicht genügend s) T. Oei und T. Kazmierczak, »Factors Associated with Dropout in a Group Cognitive Beha­
Universalität, Trost und Vertrautheit empfinden. (S. Sue, D. Hu, D. Takevch und N. Zane, vior Therapy for Mood Disorders«, Behaviour Research and Therapy 35 (1997): 1025-30.
»Community Mental Health Services for Ethnic Minority Groups: A Test of the Cultural Re­ 29. Yalom, »Group Therapy Dropouts«.
sponsiveness Hypothesis«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 59 ( 1991]: 533- 30. W. Piper, M. McCallum und H. Azim, Adaption to Loss Through Short-Term Group Psy­
40; K. Organista, »Latinos«, in Cognitive-Behavioral Group Therapy for Specific Problems chotherapy (New York: Guilford Press, 1 992).
and Populations, Hg. J. White und A. Freeman [Washington, D.C.: American Psychiatrie 31. McCallum et al., »Early Process and Dropping Out«.
Press, 2000] : 28 1-303. H. Chang und D. Sunders, »Predictors of Attrition in Two Types of 32. W Stone, »Group Psychotherapy with the Chronically Mentally Ill«, in Comprehensive Group
Group Programs for Men Who Batter«, Journal of Family Violence 17 (2002] : 273-92.) Ne­ Psychotherapy, Hg. M. Kaplan und B. Sadock. (Baltimore: Williams und Wilkins, 1993): 419-
gative Erwartungen von Klienten, die auf negativen Erlebnissen in der Gesellschaft basieren, 29.
spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. (C. Taft, C. Murphy, J. Elliott und T. Morrel, »Atten­ 33. M. Horowitz, »The Recall of Interrupted Group Tasks: An Experimental Study of Individu­
dance Enhancing Procedures in Group Counseling for Domestic Abusers«, Journal of al Motivation in Relation to Group Goals«, in Group Dynamics: Research and Theory, Hg.
Counseling Psychology 48 [ 200 1 ] : 5 1-60.) D. Cartwright und A. Zander (New York: Row, Peterson, 1962): 3 70-94.
28. Anmerkungen zu Tabelle 8 . 1 : 34. L. Coch und J. French Jr., »Overcoming Resistance to Change«, in Cartwright und Zander,
a) R. Klein und R. Carroll, »Patient Characteristics and Attendance Patterns in Outpatient Group Dynamics, 3 1-4 1 . E. Stotland, »Determinants of Attraction to Groups«, Journal of
Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 36 ( 1 986): 1 1 5- Socia! Psychology 49 ( 1959): 71-80.
32. 35. D. Lundgren und D. Miller, »Identity and Behavioral Changes in Training Groups«, Human
b) M. McCallum und W. Piper, »A Controlled Study for Effectiveness and Patient Suitabili­ Relations Training News (Spring, 1 965).
ty for Short-Term Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 36. Lieberman, Yalom, Miles, Encounter Groups, S. 324.
40 ( 1 990): 431-52. 37. I. Yalom und P. Houts, unveröffentlichtes Datenmaterial, 1966.
c) M. McCallum, W. Piper undA. Joyce, »Dropping Out from Short-Term Group Therapy«, 38. S. Sehachter, »Deviation, Rejection, and Communication«, in Cartwright und Zander,
Psychotherapy 29 ( 1 992): 206-13. Group Dynamics: 260-85.
d) Nash et al., »Some Factors«. 39. H. Leavitt, »Group Structure and Process: Some Effects of Certain Communication Patterns
e) B. Kotkov, » The Effects of Individual Psychotherapy on Group Attendance«, Internatio­ on Group Performance«, in Readings in Social Psychology, Hg. E. Maccoby, T. Newcomb, E.
nal Journal of Group Psychotherapy 5 ( 1955): 280-85. Hartley (New York: Holt, Rinehart & Winston, 1 958): 1 75-83.
f) S. Rosenzweig und R. Folman, »Patient and Therapist Variable Affecting Premature Ter­ 40. J. Jackson, »Reference Group Processes in a Formal Organization«, in Cartwright und Zan­
mination in Group Psychotherapy«, Psychotherapy: Theory, Research and Practice 1 1 der, Group Dynamics: 120-40.
( 1 974): 76-79. 41. L. Festinger, S. Sehachter und K. Back, »The Operation of Group Standards«, in Cartwright
g) Yalom, »Group Therapy Dropouts«. und Zander, Group Dynamics: 241-59.
h) E. Berne, »Group Attendance: Clinical and Theoretical Considerations«, International 42. C. Anderson, 0. John, D. Kelter und A. Kring, »Who Attains Social Status? Effects of Perso­
Journal of Group Psychotherapy 5 ( 1955): 392-403. nality and Physical Attractiveness in Social Groups«, Journal of Personality and Social Psy­
i) Johnson, Group Psychotherapy. chology 8 (2001): 1 16-32.
j) M. Grotjahn, »Learning from Dropout Patients: A Clinical View of Patients Who Discon­ 43. M. Sherif, »Group Influences Upon the Formation of Norms and Attitudes«, in Maccoby et
tinued Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 22 ( 1 972): al., Readings in Social Psychology: 219-32.
306-19. 44. S. Asch, »Interpersonal Influence: Effects of Group Pressure Upon the Modification and Dis­
k) L. Koran und R. Costell, »Early Termination from Group Psychotherapy«, International tortion of Judgments«, in Maccoby et al., Readings in Social Psychology: 175-83.
Journal of Group Psychotherapy 24 ( 1973 ): 346-59. 45. P. Leiderman, »Attention and Verbalization: Differentiated Responsivity of Cardiovascular
1) S. Budman, A. Demby und M. Randall, »Short-Term Group Psychotherapy: Who Suc­ and Electrodermo Systems«, Journal of Psychosomatic Research 1 5 ( 1971): 323-28.
ceeds, Who Fails«, Group 4 ( 1980): 3-16. 46. Lieberman, Yalom und Miles, Encounter Groups.
m)M. Weiner, »Outcome of Psychoanalytically Oriented Group Therapy«, Group 8 ( 1984): 47. Sehachter, »Deviation, Rejection, and Communication«.
3-12. 48. McCallum et al., »Early Process and Dropping Out«.
n) W. Piper, E. Debbane, J. Blenvenu et al., »A Comparative Study of Four Forms of Psycho­ 49. R. Harrison und B. Lubin, »Personal Style, Group Composition, and Learning - Part I«,
therapy«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 52 ( 1984): 268-79. Journal of Applied Behavioral Science 1 ( 1965): 286-94.

658 659
50. Ähnliches wurde in der NIMH-Studie über die Behandlung von Depression berichtet. Kli­ Grundlage eines strukturierten Interviews (mit hoher Zuverlässigkeit) Veränderungen der
enten mit schlechter interpersonaler Funktionsfähigkeit waren nicht in der Lage, eine inter­ Symptomatik, der Funktionsweise und der Beziehungen einschätzte. Unabhängig davon be­
personale Therapie wirksam für sich zu nutzen. (S. Sotsky et al., »Patient Predictors of Re­ urteilten die Patienten ihr Ergebnis auch selbst, wozu sie die gleiche Skala verwendeten. Die
sponse to Psychotherapy and Pharmacotherapy: Findings in the NIMH Treatment of De­ psychologische Einstellung wurde durch eine Subskala des California Personality Inventory
pression Collaborative Research Program«, American Journal of Psychiatry 148 [ 1 99 1 ] : und von den Therapeuten nach einem Erstgespräch beurteilt. Die Therapeuten beurteilten
997-1008.) jeden Patienten nach dem Erstgespräch aufgrund einer siebenteiligen Skala hinsichtlich der
5 1 . R. Lee, M. Draper und S. Lee, »Social Connectedness, Dysfunctional Interpersonal Behavi­ Frage, wie gut er sich in der Therapie bewähren würde. Vorausgehende Selbstoffenbarung
ors, and Psychological Distress: Testing a Mediator Model«, Journal of Counseling Psycho­ wurde mithilfe einer Abwandlung des Jourard-Self-Disclosure-Questionnaires gemessen (S.
logy 48 (2001): 3 10-18. Jourard, »Self-Disclosure Patterns in British and American College Females«, Journal of So­
52. Klienten profitieren von intensiven Psychotherapien, wenn sie über reife Beziehungsfähig­ cial Psychology 54 [ 1961 ] : 315-20) . In welchem Maße sich die Klienten von der Gruppen­
keiten verfügen (gemessen mit der Quality of Object Relations Scale ( QOR] ) (H. Azirn et al., therapie angezogen fühlten und wie beliebt sie in der Gruppe waren, wurde mithilfe eines
»The Quality of Object Relations Scale«, Bulletin of the Menninger Clinic 55 [ 1 9 9 1 ] : 323- Gruppenkohäsivitätsfragebogens und eines soziometrischen Fragebogens ermittelt.
43) . Klienten mit auf geringere Reife hindeutenden QOR-Ergebnissen können von einer in­ 66. C. Anderson, »Who Attains Social Status?«
tensiven Therapie nicht optimal profitieren, und sie empfinden Deutungen häufig als ver­ 67. Es wird kaum überraschen, dass Forscher bei der Benutzung eines umfassenden Persönlich­
letzende Kritik. Ihnen ist mit einer unterstützenden Therapie besser gedient. (A. Joyce, M. keitsinventars feststellten, dass der Faktor Extraversion (veranschaulicht durch Menschen,
McCallum, W. Piper und J. Ogrodniczuk, »Role Behavior Expectancies and Alliance Change die voller Energie, gesellig und selbstsicher sind und positive Emotionalität zeigen) in star­
in Short-Term Individual Psychotherapy«, Journal of Psychotherapy Practice and Research kem Maße mit Popularität assoziiert ist. (R. McCrae und R. Costa, »The NEO Personality
9 (2000 ] : 2 1 3- 25.) Ein höheres Maß an psychologischer Sensibilität ist - was wohl kaum je­ Inventory: Using the Five-Factor Model in Counseling«, Journal of Counseling and Deve­
manden überraschen wird - generell ein Prädiktor für ein positives Resultat von Psychothe­ lopment 69 ( 1991 ] : 367-72.) Solche Menschen ziehen andere an, weil ihr bereitwilliges und
rapien jeder Art. ( Joyce et al., ibid.; Piper et al., »Patient Personality and Time-Limited warmherziges Eingehen auf andere diese belohnt und ihnen Möglichkeiten zum Dialog er­
Group«.) öffnet. (R. Depue, »A Neurobiological Framework for the Structure of Personality and Emo­
53. M. Pines, »The Seif as a Group: The Group as a Seif«, in Self-Experiences in Group: Objec­ tion: Implications for Personality Disorders«, in Major Theories of Personality Disorders,
tive and Self-Psychological Pathways to Human Understanding, Hg. I. Harwood und M. Pi­ Hg. J. Clarkin und M. Lenzenweger [New York: Guilford Press, 1996]: 342-90.)
nes (Philadelphia: Taylor & Francis, 1998): 24-29. A. Gray, »Difficult Terminations in Group 68. Lieberman, Yalom und Miles, Encounter Groups.
Therapy: A Self-Psychologically Informed Perspective«, Group 25 (200 1 ) : 27-39. 69. J. Melnick und G. Rose, »Expectancy and Risk-Taking Propensity«, Small Group Behavior
54. M. Leszcz, »Group Psychotherapy of the Characterologically Difficult Patient«, International 10 ( 1979): 389-401 . Messskalen: Das Jackson Risk-Taking Inventory und die Hili Interactio­
Journal of Group Psychotherapy 39 ( 1989 ) : 3 1 1-35. nal Matrix. Soziometrische Einschätzung: Depth of Involvement Scale (Evensen und Bed­
55. Nash et al., »Some Factors«. nar), Moos and Humphrey Group Environment Scale.
56. H. Bernard und S. Drob, »Premature Termination: A Clinical Study«, Group 1 3 ( 1 989): 70. J. Frank und J. Frank, Persuasion and Healing: A Comparative Study of Psychotherapy, 3rd
1 1-22. ed. (Baltimore: Johns Hopkins University Press [ 199 1 ] , pp. 132-53). W. Piper, »Client Va­
57. M. Seligman, »The Effectiveness of Psychotherapy«. riables«, in Handbook of Group Psychotherapy, Hg. A. Fuhriman und G. Burlingame (New
58. L. Bellak, »On Some Limitations of Dyadic Psychotherapy and the Role of the Group Mo­ York: Wiley, 1 994): 83-1 13.
dalities«, International Journal of Group Psychotherapy 30 ( 1 980): 7-2 1 . J. Rutan und A. 71. Joyce et al., »Role Behavior Expectancies and Alliance Change«. J. Rooney und R. Hanson,
Alonso, »Group Therapy, Individual Therapy, or Both?« International Journal of Group Psy­ »Predicting Attrition from Treatment Programs for Abusive Men«, Journal of Family Vio­
chotherapy 32 ( 1982): 267-82. lence 16 (2001): 13 1-49.
59. Grunebaum und Kates, »Whom to Refer«. 72. Lothstein, »The Group Psychotherapy Dropout Phenomenon«. McCallum et al., »Early Pro­
60. Frances, Clarkin und Marachi, »Selection Criteria«, 245. cess and Dropping Out«.
6 1 . H. Swiller, »Alexithymia: Treatment Utilizing Combined Individual and Group Psychothe­ 73. J. Frank, »Some Determinants, Manifestations, and Effects of Cohesiveness in Therapy
rapy«, International Journal of Group Psychotherapy 38 ( 1 988): 47-61 . Groups«, International Journal of Group Psychotherapy 7 ( 1 957): 53-63.
62. L. Horowitz und J. Vitkis, »The Interpersonal Basis o f Psychiatrie Symptomatology«, Clini­ 74. Oei und Kazmierczak, »Factors Associated with Dropout«.
cal Psychology Review 6 ( 1 986): 443-69. 75. Die Menge der (nach Berichten des Klienten, der übrigen Gruppenmitglieder und des The­
63. P. Crits-Christoph und M. Connolly, »Patient Pretreatment Predictors of Outcome«, in Psy­ rapeuten) erledigten »Gruppenarbeit« gibt Aufschluss über das zu erwartende Therapie­
chodynamic Treatment Research, Hg. N. Miller, L. Luborsky, J. Barber und J. Docherty (New resultat. (Piper et al., »Psychological Mindedness, Work, and Outcome«.) Piper und Kolle­
York: Basic Books, 1993): 1 85. gen definieren »Gruppenarbeit« sehr klar: »In einer Therapie bedeutet Arbeit, dass Sie ver­
64. I. Yalom, P. Houts, S. Zimerberg und K. Rand, » Predictions of Improvement in Group The­ suchen, ein Problem, mit dem Sie sich konfrontiert sehen, zu erklären versuchen, indem Sie
rapy«, Archives of General Psychiatry 1 7 ( 1 967): 1 59-68. erforschen, wie Sie selbst zur Entstehung dieses Problems beitragen.« Dies erfordert, die Ver­
65. Die 40 untersuchten Klienten waren erwachsen, gehörten der Mittelschicht an, waren gebil­ antwortung für den eigenen Anteil an der Entstehung der Schwierigkeiten, unter denen man
dete, psychologisch erfahrene ambulante Patienten, die an neurotischen oder charakterolo­ leidet, zu erkennen, und anderen Gruppenmitgliedern zu helfen, dies ebenfalls zu erkennen.
gischen Störungen litten. Das Ergebnis wurde von einem Rater-Team beurteilt, das auf der (M. McCallum, W. Piper und J. O'Kelly, »Predicting Patient Benefit from a Group-Oriented

660 661
Evening Treatment Program«, International Journal of Group Psychotherapy 47 [ 1 997] : 14. H. Hoberman, P. Lewinson und M. Tilson, »Group Treatment of Depression: Individual Pre­
29 1-314, 300.) dictors of Outcome«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 56 ( 1988 ): 393-98.
76. M. Parloff, »Therapist-Patient Relationships and Outcome of Psychotherapy«, Journal of 15. S. Joure et al., »Differential Change Among Sensitivity-Training Participants as a Function
Consulting Psychology 25 ( 1961 ): 29-38. of Dogmatism«, Journal of Psychology 80 ( 1 972): 1 5 1-56.
77. R. Heslin und D. Dunphy, »Three Dimensions of Member Satisfaction in Small Groups«, 1 6. R. Harrison und B. Lubin, »Personal Style, Group Composition, and Learning: Part 2«, Jour­
Human Relations 17 ( 1 964): 99-1 12. nal of Applied Behavioral Science 1 ( 1 965): 294-301 .
78. Frank, »Some Determinants«. E. Ends und C. Page, »Group Psychotherapy and Psychologi­ 1 7. C . Crews und J . Melnick, » The Use o f Initial and Delayed Structure i n Facilitating Group
cal Changes«, Psychological Monographs 73 ( 1 959): 480. Development«, Journal of Consulting Psychology 23 ( 1976): 92-98.
18. P. Kilmann und R. Howell, »The Effects of Structure of Marathon Group Therapy and Locus
Kapitel g
of Control on Therapeutic Outcome«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 42
1 . D. Waltman und D. Zimpfer, »Composition, Structure, and the Duration of Treatment«, ( 1 974): 912.
Small Group Behavior 19 ( 1988): 1 71-84. 1 9. R. Robinson, »The Relationship of Dimension of Interpersonal Trust with Group Cohe­
2. P. Costa und R. McCrae, »Revised NEO Personality Inventory (NEO PI-R) and NEO Five­ siveness, Group Status und Immediate Outcome in Short-Term Group Counseling«, Disser­
Factor Inventory (NEO-FFI)«, Professional Manual ( Odessa, Fla.: Psychological Assessment tation Abstracts 40 ( 1980): 501 6-B.
Resources, 1 992). 20. J. Melnick und G. Rose, »Expectancy and Risk-Taking Propensity: Predictors of Group Per­
3. M. First et al., »DSM-IV and Behavioral Assessment«, Behavioral Assessment 1 4 ( 1992): formance«, Small Group Behavior 1 0 ( 1 979): 389-401 . Melnick und Rose demonstrierten
297-306. J. Shedler und D. Westen, »Refining Personality Disorder Diagnosis: Integrating in einem gut geplanten Experiment, an dem fünf experientiell orientierte Gruppen teilnah­
Science and Practice«; American Journal of Psychiatry 1 6 1 (2004): 1 350-65. Der Chefarchi­ men, deren Mitglieder Studenten waren, das die Neigung, soziale Risiken einzugehen, signi­
tekt des DSM, Robert Spitzer, beschreibt die Probleme, die bei der Entwicklung dieses Ma­ fikante Voraussagen über therapeutisch angemessene Selbstoffenbarung, Risikobereitschaft
nuals auftraten, in einem Interview mit Alix Spiegel in der Ausgabe des New Yorker vom 3. und starke verbale Aktivität in den Gruppensitzungen ermöglicht.
Januar 2005. 2 1 . K. Horney, Neurosis and Human Growth (New York: Norton, 1 950); dt.: Neurose und
4. P. Crits-Christoph und M. Connolly Gibbon, »Review of W. Piper, A. Joyce, M. McCallum, menschliches Wachstum (München: Kindler, 1975).
H. Azim und J. Ogrodniczuk, Interpersonal and Supportive Psychotherapies: Matching The­ 22. J. Bowlby, Attachment and Loss, Bd. 1 , Attachment (New York: Basic Books, 1 969); Bd. 2, Se­
rapy and Patient Personality«, Psychotherapy Research 13 (2003): 1 17-19. paration ( 1 973); Bd. 3, Loss ( 1 980). C. George, N. Kaplan und M. Main, Adult Attachment
5. W. Piper, »Client Variables«, in Handbook of Group Psychotherapy, Hg. A. Fuhriman und Interview, 3rd ed. Unveröffentlichtes Manuskript, University of California at Berkeley, 1996.
G. Burlingame (New York: Wiley, 1 994): 83-1 13. J. Cassidy und J. Mohr, »Unsolvable Fear, Trauma, and Psychopathology: Theory, Research,
6. W. Piper und M. Marrache, »Selecting Suitable Patients: Pretraining for Group Therapy as and Clinical Considerations Related to Disorganized Attachment Across the Life Span«, Cli­
a Method for Group Selection«, Small Group Behavior 12 ( 198 1 ) : 459-74. Group behavior nical Psychology: Science and Practice 8 (200 1): 275-98.
was measured by the Hili Interaction Matrix, W. Hili, Hili Interactional Matrix (Los Angeles: 23. R. Maunder und J. Hunter, »An Integrated Approach to the Formulation and Psychotherapy
Youth Studies Center, University of Southern California, 1 965). of Medically Unexplained Symptoms: Meaning and Attachment-Based Intervention«, Ame­
7. Im DSM-IV- TR heißt es: »Eine verbreitete falsche Vorstellung beinhaltet, dass eine Klassifi­ rican Journal of Psychotherapy 58 (2004): 1 7-33. E. Chen und B. Mallinckrodt, »Attach­
zierung psychischer Störungen Menschen klassifiziert; tatsächlich jedoch werden Störungen ment, Group Attraction, and Self-Other Agreement in Interpersonal Circumplex Problems
klassifiziert, die Menschen haben« (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, and Perceptions of Group Members«, Group Dynamics: Therapy, Research and Practice 6
4th ed., rev. American Psychiatrie Association, 2000, xxxi). (2002): 3 1 1-24.
8. A. Camus, The Fall (New York: Knopf, 1956); dt.: Der Fall (Hamburg: Rowohlt, 1957). 24. C. Tyrrell, M. Dozier, G. Teague und R. Fallot, »Effective Treatment Relationships for Persons
9. J. Deer und A. Silver, »Predicting Participation and Behavior in Group Therapy from Test with Serious Psychiatrie Disorders: The Importance ofAttachment States of Mind«, Journal
Protocols«, Journal of Clinical Psychology 1 8 ( 1 962): 322-25. C. Zimet, »Character Defense of Consulting and Clinical Psychology 67 ( 1 999): 725-33. E. Smith, J. Murphy und S. Coats,
Preference and Group Therapy Interaction«, Archives of General Psychiatry 3 ( 1960) : 168- »Attachment and Group Theory and Measurement«, Journal of Personality and Social Psy­
75. E. Borgatta und A. Esclenbach, »Factor Analysis of Rorschach Variable and Behavior Ob­ chology 77 ( 1999): 94-1 1 0.
servation«, Psychological Reports 3 ( 1 955): 1 29-36. 25. L. Horwitz, S. Rosenberg, B. Baer, G. Ureno und V. Villasenor, »Inventory of Interpersonal
1 0. T. Miller, »The Psychotherapeutic Utility of the Five-Factor Model of Personality: A Problems: Psychometrie Properties and Clinical Applications«, Journal of Consulting and
Clinician's Experience«, Journal of Personality Assessment 57 ( 199 1 ) : 415-33. Clinical Psychology 56 ( 1988): 885-92. K. MacKenzie und A. Grabovac, »Interpersonal Psy­
1 1 . K. Menninger, M. Mayman und P. Pruyser, The Vital Balance (New York: Viking Press, chotherapy Group (IPT-G) for Depression«, Journal of Psychotherapy Practice and Re­
1963). search 10 (200 1 ) : 46-51 .
12. M. Seligman, »The Effectiveness of Psychotherapy: The Consumer Reports Study«, Ameri­ 26. Die zeitgenössische Methode des interpersonalen Circumplex basiert auf Learys ursprüng­
can Psychologist 50 ( 1 995): 965-74. lichem interpersonalem Kreis (T. Leary, Interpersonal Diagnosis of Personality [New York:
1 3. L. Beutler, »Predictors of Differential Response to Cognitive, Experiential, and Self-Directed Ronald Press, 1957] ) und hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Schutz' FIRO (Fundamental In­
Psychotherapeutic Procedures«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 59 ( 1991): terpersonal Relations Inventory), FIRO-B: Interpersonal Underworld (Palo Alto, Calif.: Sci­
333-40. ence and Behavior Books, 1966). Siehe M. Gutman und J. Balakrishnan, »Circular Measure-

662 663
ment Redux: The Analytical Interpretation of Interpersonal Circle Profile«, Clinical Psycho­ on: The National Institute of Mental Health Treatment of Depression Collaborative Re­
logy Science and Practice 5 ( 1 998): 344-60. Dieser Ansatz bietet ein visuelles Schema des search Program Revisited«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 63 ( 1 995): 125-
interpersonalen Stils des Klienten, das zwei entscheidende interpersonale Dimensionen syn­ 32.
thetisiert: Affiliation (in einem von feindselig bis freundlich reichenden Spektrum) und 35. A. Goldstein, K. Heller und L. Sechrest, Psychotherapy and the Psychology of Behavior
Agency (Handlungsfähigkeit) oder Kontrolle (in einem von dominant bis unterwürfig rei­ Change (New York: Wiley, 1966): 329.
chenden Spektrum) . Menschen können beschrieben werden als feindselig, feindselig-domi­ 36. R. Moos und S. Clemes, »A Multivariate Study of the Patient-Therapist System«, Journal of
nant, feindselig-unterwürfig, feindselig oder freundlich, freundlich-dominant, freundlich­ Consulting Psychology 3 1 ( 1 967): 1 1 9-30. C. Zimet, »Character Defense Preference and
unterwürfig oder unterwürfig. Group Therapy Interaction«, Archives of General Psychiatry 3 ( 1960): 1 68-75. F. Giedt,
27. Chen und Mallinckrodt, »Attachment, Group Attraction, and Self-Other Agreement«. R. »Predicting Suitability for Group Therapy«, American Journal of Psychotherapy 1 5
MacNair-Semands und K. Lese, »Interpersonal Problems and the Perception of Therapeutic ( 1961 ) : 582-9 1 .
Factors in Group Therapy«, Small Group Research 3 1 (2000): 158-74. 37. Moos und Clemes, »A Multivariate Study«.
28. J. Ogrodniczuk, W. Piper, A. Joyce, M. McCallum und J. Rosie, »NEO - Five Factor Persona­ 38. G. McEvoy und R. Beatty, »Assessment Centers and Subordinate Appraisals of Managers: A
lity Traits as Predictors of Response to Two Forms of Group Psychotherapy«, International Seven-Year Examination of Predictive Validity«, Personnel Psychology 42 ( 1 989): 37-52. H.
Journal of Group Psychotherapy 53 (2003 ): 41 7-43. Fields, »The Group Interview Test: Its Strength«, Public Personnel Review 11 ( 1950): 39-46.
29. P. Costa und R. McCrae, »Normal Personality Assessment in Clinical Practice: The NEO Per­ Z. Shechtman, »A Group Assessment Procedure as a Predictor of On-the-Job Performance
sonality Inventory«, Psychological Assessment 4 ( 1992): 5-13. Das NEO Personality Inven­ of Teachers«, Journal of Applied Psychology 77 ( 1 992): 383-87. R. Baker, »Knowing What
tory (NEO-PI) and seine kürzere Fassung, das NEO-FF!, sind Selbstberichtsfragebögen, die You're Looking For: An Outcome-Based Approach to Hiring«, Leadership Abstracts 13
leicht anwendbar, zuverlässig und in verschiedenen Kulturen gut validiert sind. Fünf Persön­ (2000), Worldwide Web Edition.
lichkeitsvariablen werden bewertet: Neurotizismus ( Schmerz, Anfälligkeit für Stress und die 39. E. Borgatta und R. Bales, »Interaction of individuals in Reconstituted Groups«, Sociometry
Neigung zu Schamgefühlen); Extraversion (redefreudig, begierig, sich zu engagieren, und 16 ( 1953): 302-20.
40. E. Borgatta und R. Bales, »Task and Accumulation of Experience as Factors in the Interac­
enthusiastisch); Gewissenhaftigkeit (zu harter Arbeit fähig und bereit, engagiert, in der Lage,
tion of Small Groups«, Sociometry 16 ( 1953): 239-52. B. Bass, Leadership, Psychology, and
Belohnungen aufzuschieben); Offenheit (nimmt Neuartiges und Unbekanntes mit Kreati­
Organizational Behavior (New York: Harper & Row, 1960) .
vität und Vorstellungskraft auf); und Verträglichkeit (vertrauensvoll, kooperationsfähig, al­
4 1 . V. Cerbin, »Individual Behavior in Social Situations: Its Relation to Anxiety, Neuroticism,
truistisch).
and Group Solidarity«, Journal of Experimental Psychology 51 ( 1 956): 161-68.
30. W. Piper, A. Joyce, J. Rosie und H. Azim, »Psychological Mindedness, Work and Outcome in 42. Ibid.
Day Treatment«, International Journal of Group Psychotherapy 44 ( 1994): 29 1-3 1 1. M. Mc­
43. R. Cattell, D. Saunders und G. Stice, »The Dimensions of Syntality in Small Groups«, Journal
Callum, W. Piper und J. Kelly, »Predicting Patient Benefit from a Group-Oriented Evening
of Social Psychology 28 ( 1948): 57-78.
Treatment Program«, International Journal of Group Psychotherapy 47 ( 1997): 29 1-3 14. W.
44. S. Foulkes und E. Anthony, Group Psychotherapy: The Psychoanalytic Approach (Har­
Piper, A. Joyce, M. McCallum, H. Azim und J. Ogrodniczuk, Interpersonal and Supportive mondsworth, England: Penguin, 1 957). G. Bach, Intensive Group Therapy (New York: Ro­
Psychotherapies: Matching Therapy and Patient Personality (Washington, D.C.: American nald Press, 1954) .
Psychological Association, 200 1 ) . W. Piper, J. Ogrodniczuk, M. McCallum, A. Joyce und J. 45. W. Stone, M. Parloff und J. Frank, »The Use of Diagnostic Groups in a Group Therapy Pro­
Rosie, »Expression of Affect as a Mediator of the Relationship Between Quality of Object gram«, International Journal of Group Psychotherapy 4 ( 1 954): 274-84.
Relations and Group Therapy Outcome for Patients with Complicated Grief«, Journal of 46. W. Stone und E. Klein, » The Waiting-List Group«, International Journal of Group Psycho­
Consulting and Clinical Psychology 71 (2003): 664-7 1 . M. McCallum, W. Piper, J. Ogrod­ therapy 49 ( 1999): 417-28.
niczuk und A. Joyce, »Relationships Among Psychological Mindedness, Alexithymia, and 47. E. Klein, W. Stone, D. Reynolds und J. Hartman, »A Systems Analysis of the Effectiveness of
Outcome in Four Forms of Short-Term Psychotherapy«, Psychology and Psychotherapy: Waiting List Group Therapy«, International Journal of Group Psychotherapy 51 (200 1 ) :
Theory, Research, and Practice 76 (2003): 133-44. 417-23.
3 1 . Piper, Joyce, Rosie und Azim, »Psychological Mindedness«. 48. W. Piper und M. Marrache, »Selecting Suitable Patients: Pretraining for Group Therapy as
32. W. Piper et al., »Expression of Affect as a Mediator«. McCallum et al., »Relationships Among a Method for Group Selection«, Small Group Behavior 12 ( 198 1): 459-74.
Psychological Mindedness, Alexithymia, and Outcome«. M. McCallum, W. Piper und J. Kel­ 49. J. Connelly und W. Piper, »An Analysis of Pretraining Work Behavior as a Composition Va­
ly, »Predicting Patient Benefit from a Group-Oriented Evening Treatment Program«, Inter­ riable in Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 39 ( 1989):
national Journal of Group Psychotherapy 47 ( 1997): 291-3 14. 173-89.
33. Piper et al., »Expression of Affect as a Mediator«. J. Ogrodniczuk, W. Piper, M. McCallum, 50. H. Sullivan, The Psychiatrie Interview (New York: Norton, 1954); dt.: Das psychotherapeu­
A. Joyce und J. Rosie, »Interpersonal Predictors of Group Therapy Outcome for Complica­ tische Gespräch. Frankfurt a. M., Fischer, 1976.
ted Grief«, International Journal of Group Psychotherapy 52 (2002): 5 1 1-35. 5 1 . G. Klerman, M. Weissman, B. Rounsaville und E. Chevron, Interpersonal Psychotherapy of
34. S. Sotsky et al., »Patient Predictors of Response to Psychotherapy and Pharmacotherapy: Depression (New York: Basic Books, 1 984). McCullough, Treatment for Chronic Depressi­
Findings in the NIMH Treatment of Depression Collaborative Research Program«, Ameri­ on.
can Journal of Psychiatry 148 ( 1 99 1 ) : 997-1008. S. Blatt, D. Quinlan, P. Pilkonis und M. 52. F. Powdermaker und J. Frank, Group Psychotherapy (Cambridge, Mass.: Harvard Universi­
Shea, »Impact of Perfectionism and Need for Approval on the Brief Treatment of Depressi- ty Press, 1953): 553-64.

664 665
53. Dieser Rahmen ist eine zentrale Komponente einer Anzahl aktueller psychotherapeutischer ( 1 993): 419-28. D. Wilfley et al., »Group Cognitive-Behavioral Therapy and Group Inter­
Ansätze. Er kann auch als der »Plan« (J. Weiss, How Psychotherapy Works: Process and personal Psychotherapy for the Nonpurging Bulimie Individual: A Controlled Compari­
Technique [New York: Guilford Press, 1993 ] ) oder als »kognitiv-interpersonales Schema« (J. son«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 61 ( 1993): 296-305.
Safran und Z. Segal, lnterpersonal Process in Cognitive Therapy [New York: Basic Books, Ka pitel 10
1990 ] ) des Klienten bezeichnet werden. M. Leszcz und J. Malat, »The Interpersonal Model
of Group Psychotherapy«, in Praxis der Gruppenpsychotherapie, Hg. V. Tschuschke (Frank­ 1. N. Taylor, G. Burlingame, K. Kristensen, A. Fuhriman, J. Johansen und D. Dahl, »A Survey
furt: Thieme, 200 1 ) : 355-69. D. Kiesler, Contemporary Interpersonal Theory and Research of Mental Health Care Providers' and Managed Care Organization Attitudes Toward Fami­
liarityWith, and Use of Group Interventions«, International Journal of Group Psychothera­
(New York: Wiley, 1996).
54. G. Burlingame, A. Fuhriman und J. Johnson, »Cohesion in Group Psychotherapy«, in A Gui­ py 5 1 (200 1 ) : 243-63. S. Rosenberg und C. Zimet, »Brief Group Treatment and Managed
de to Psychotherapy Relationships and Work, Hg. J. Norcross (Oxford, England: Oxford Health Care«, International Journal of Group Psychotherapy 45 ( 1995): 367-79. P. Cox, F.
University Press, 2002): 7 1-88. Ilfeld, B. Ilfeld und C. Brennan, »Group Therapy Program Development: Clinician-Admi­
55. M. Nitsun, » The Future of the Group«, International Journal of Group Psychotherapy 50 nistrator Collaborations in New Practice Settings«, International Journal of Group Psycho­
(2000): 455-72. therapy 50 (2000): 3-24.
56. M. Lieberman, I. Yalom und M. Miles, Encounter Groups: First Facts (New York: Basic 2. S. Green und S. Bloch, »Working in a Flawed Mental Health Care System: An Ethical Chal­
Books, 1972). lenge«, American Journal of Psychiatry 158 (2001 ) : 1 378-83.
57. A. Francis, J. Clarkin und J. Morachi, »Selection Criteria for Outpatient Group Psychothe­ 3. K. Long, L. Pendleton, B. Winter, »Effects of Therapist Termination on Group Process«, In­
rapy«, Hospital and Community Psychiatry 3 1 ( 1980): 245-50. J. Best, P. Jones und A. Paton, ternational Journal of Group Psychotherapy 38 ( 1 988): 2 1 1-22.
»The Psychotherapeutic Value of a More Homogeneous Group Composition«, International 4. B. Donovan, A. Padin-Rivera und S. Kowaliw, »Transcend: Initial Outcomes from a Post­
Journal of Social Psychiatry 27 ( 198 1 ): 43-46. J. Melnick und M. Woods, »Analysis of Group Traumatic Stress Disorder/Substance Abuse Treatment Program«, Journal of Traumatic
Composition Research and Theory for Psychotherapeutic and Growth Oriented Groups«, Stress 14 (2001 ): 757-72. S. Lash, G. Petersen, E. O'Connor und L. Lahmann, »Social Rein­
Journal of Applied Behavioral Science 1 2 ( 1976): 493-5 13. forcement of Substance Abuse Aftercare Group Therapy Attendance«, Journal of Substance
58. G. Burlingame, A. Fuhriman und J. Johnson, »Cohesion in Group Psychotherapy«. Abuse Treatment 20 (200 1 ) : 3-8. M. Leszcz, »Geriatrie Group Psychotherapy«, in Compre­
59. M. Siebert und W. Dorfrnan, »Group Composition and Its Impact on Effective Group Treat­ hensive Textbook of Geriatrie Psychiatry, Hg. J. Sadavoy, L. Jarvik, G. Grossberg und B. Mey­
ment of HIV and AIDS Patients«, Journal of Developmental and Physical Disabilities 7 ers (New York: Norton, 2004): 1 023-54.
( 1 995): 3 1 7 - 34. 5. K. MacKenzie, »Time-Limited Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psy­
60. M. Esplen et al., »A Multi-Centre Phase II Study of Supportive-Expressive Group Therapy chotherapy 46 ( 1 996): 41-60.
for Women with BRCAl and BRCA2 Mutations«, Cancer (2004): 2237-342. 6. S. Budman, Treating Time Effectively (New York: Guilford Press, 1994).
61 . Foulkes und Anthony, Group Psychotherapy, 94. 7. R. Weigel, »The Marathon Encounter Group: Vision or Reality: Exhuming the Body for a
62. I. Yalom et al., »Prediction of lmprovement in Group Therapy«, Archives of General Psych­ Last Look«, Consulting Psychology Journal: Practice and Research 54 (2002): 1 86-298.
iatry 1 7 ( 1967): 1 59-68. I. Yalom et al., »Preparation of Patients for Group Therapy: A Con­ 8. F. Steller, »Accelerated Interaction: A Time-Limited Approach Based on the Brief Intensive
trolled Study«, Archives of General Psychiatry 1 7 ( 1967): 4 16-27. A. Sklar et al., »Time-Ex­ Group«, International Journal of Group Psychotherapy 1 8 ( 1 968): 220-35.
tended Group Therapy: A Controlled Study«, Comparative Group Studies ( 1 970): 373-86. 9. G. Bach, »Marathon Group Dynamics«, Psychological Reports 20 ( 1 967): 1 147-58.
I. Yalom und K. Rand, »Compatibility and Cohesiveness in Therapy Groups«, Archives of 10. A. Rachman, »Marathon Group Psychotherapy«, Journal of Group Psychoanalysis and Pro­
General Psychiatry 13 ( 1966) : 267-76. cess 2 ( 1969): 57-74.
63. F. Rabinowitz, »Group Therapy for Men«, in The New Handbook of Psychotherapy and 1 1 . F. Stoller, »Marathon Group Therapy«, in Innovations to Group Psychotherapy, Hg. G. Gaz­
Counseling with Men: A Comprehensive Guide to Settings, Problems, and Treatment Ap­ da (Springfield, Ill.: Charles C. Thomas, 1968): 71.
proaches, Bd. 2, ed. G. Brooks und G. Good (San Francisco: Jossey-Bass, 2001 ) : 603-2 1 . L. 12. G. Bach und F. Steller, »The Marathon Group«, zitiert in N . Dinges und R. Weigel, »The Ma­
Holmes, »Women in Groups and Women's Groups«, International Journal of Group Psy­ rathon Group: A Review of Practice and Research«, Comparative Group Studies 2 ( 1 97 1 ) :
chotherapy 52 (2002): 1 7 1-88. 339-458.
64. Ibid. F. Wright und L. Gould, » Research on Gender-Linked Aspects of Group Behaviors: Im­ 13. M. Gendron, »Effectiveness of the Intensive Group Process - Retreat Model in the Treatment
plications for Group Psychotherapy«, in Women and Group Psychotherapy: Theory and of Bulimia«, Group 16 ( 1992): 69-78.
Practice, Hg. B. DeChant (New York: Guilford Press, 1 996): 333-50. J. Ogrodniczuk, W. Pi­ 14. C. Edmonds, G. Lockwood und A. Cunningham, »Psychological Response to Long-Term
per und A. Joyce, »Differences in Men's and Women's Responses to Short-Term Group Psy­ Group Therapy: A Randomized Trial with Metastatic Breast Cancer Patients«, Psycho-On­
chotherapy«, Psychotherapy Research 14 (2004): 231-43. cology 8 ( 1999): 74-91 . Weigel, »The Marathon Encounter«.
65. T. Newcomb, »The Prediction of interpersonal Attraction«, American Psychology 1 1 ( 1 956): 1 5. S. Asch, »Effects of Group Pressure upon the Modification and Distortion of Judgments«, in
575-86. Group Dynamics: Research and Theory, Hg. D. Cartwright und A. Zander (New York: Har­
66. M. Lieberman, »The Relationship of Group Climate to Individual Change«, Ph.D. Diss., per and Row, 1960): 189-20 1 .
University of Chicago, 1958. 16. T. Loomis, »Marathon vs. Spaced Groups: Skin Conductance and the Effects ofTime Distri­
67. C. Fairbairn et al., »Psychotherapy and Bulimia Nervosa«, Archives of General Psychiatry 50 bution on Encounter Group Learning«, Small Group Behavior 19 ( 1988): 5 1 6-27.

666 667
1 7. C. Winnick und A. Levine, »Marathon Therapy: Treating Rape Survivors in a Therapeutic 32. R. Klein, »Short-Term Group Psychotherapy«, in Comprehensive Group Psychotherapy, Hg.
Community«, Journal of Psychoactive Drugs 24 ( 1 992): 49-56. H. Kaplan und B. Sadock (Baltimore: Williams & Wilkins, 1993): 257-70. K. MacKenzie,
1 8. R. Page, B. Richmond und M. de La Serna, »Marathon Group Counseling with Illicit Drug »Time-Limited Group Psychotherapy«.
Abusers: Effects on Self-Perceptions«, Small Group Behavior 14 ( 1987): 483-97. N. Dinges 33. S. Budman, S. Cooley, A. Demby, G. Koppenaal, J. Koslof und T. Powers, »A Model of Time­
und R. Weigel, »The Marathon Group: A Review of Practice and Research«, Comparative Effective Group Psychotherapy for Patients with Personality Disorders«, International Jour­
Group Studies 2 ( 197 1 ): 220-35. P. Kilmann und W. Sotile, »The Marathon Encounter nal of Group Psychotherapy 46 ( 1996): 3 15-24. K. MacKenzie, »Where Is Here and When Is
Group: A Review of the Outcome Literature«, Psychological Bulletin 83 ( 1 976): 827-50. Now?« K. MacKenzie, Time-Managed Group Psychotherapy: Effective Clinical Applications
19. A. Sklar et al., »Time-Extended Group Therapy: A Controlled Study«, Comparative Group (Washington, D.C.: American Psychiatrie Press, 1 997).
Studies 1 ( 1970): 373-86. 34. Budman und Gurman, Theory and Practice of Brief Therapy.
20. Somit hatte jede Gruppe während ihrer ersten 16 Treffen eine sechsstündige Sitzung sowie 35. J. Mann und R. Goldman, A Casebook in Time-limited Psychotherapy (Washington, D.C.:
1 5 Sitzungen von normaler Länge (90 Minuten). Videoaufzeichnungen der zweiten, sech­ American Psychiatrie Press, 1987).
sten, zehnten zwölften und sechzehnten Sitzung wurden analysiert, um die verbale Interak­ 36. Budman und Gurman, Theory and Practice of Brief Therapy.
tion zu klassifizieren. Nach den genannten Sitzungen wurden den Gruppenmitgliedern au­ 37. Wilfley et al., Interpersonal Psychotherapy for Group.
ßerdem Fragebögen zum Durcharbeiten vorgelegt, um ihr Engagement für die Gruppenar­ 38. In einem HMO-Zusammenhang verwendet Budman die auf die Gruppe vorbereitende Ein­
beit und für die einzelnen anderen Mitglieder zu messen. Zur Beurteilung der Interaktion zelsitzung hauptsächlich für das Screening und für die Umdeutung der Probleme der Klien­
wurde die Hill Interaction Matrix benutzt. Die mittlere halbe Stunde der Sitzung wurde von ten, um es ihnen zu erleichtern, im Rahmen einer Kurzzeitbehandlung zu arbeiten. Ein
zwei ausgebildeten Ratern systematisch ausgewertet, denen die Anlage der Studie unbekannt Großteil der Vorbereitung auf die Gruppenarbeit findet in einem 90 Minuten dauernden
war. (Die sechsstündige Sitzung selbst wurde nicht analysiert, da wir vor allem daran inter­ Workshop mit einer größeren Gruppe ( ca. zwölf Teilnehmer) statt, der sowohl didaktische
essiert waren, ihre Wirkung auf den weiteren Verlauf der Therapie zu untersuchen.) (W. als auch experientielle Aspekte umfasst. Es hat sich herausgestellt, dass dieses Vorbereitungs­
Hill, HIM: Hill Interaction Matrix [Los Angeles: Youth Study Center, University of Southern modell die Zahl der vorzeitigen Therapieabbrüche drastisch reduziert (Budman und Gur­
California, 1965] .) man, Theory and Practice).
2 1. B. Jones berichtet über ähnliche Erkenntnisse, die im Rahmen einer Untersuchung über drei 39. K. MacKenzie, »Time-Limited Group Psychotherapy«. K. MacKenzie, Time-Managed Group
fortlaufende Therapiegruppen gewonnen wurden, von denen im Rahmen von zweien Wo­ Psychotherapy. K. MacKenzie und A. Grabovac, »Interpersonal Psychotherapy Group (IPT­
chenend-Marathons stattfanden (B. Jones, »The Effect of a Marathon Experience upon On­ G) for Depression«, Journal of Psychotherapy Practice and Research 10 (2001 ): 46-51 . S.
going Group Therapy«, Dissertation Abstracts [ 1977]: 3887-B). Budman, P. Simeone, R. Reilly und A. Demby, » Progress in Short-Term and Time-Limited
22. I. Yalom et al., » The Impact of a Weekend Group Experience on Individual Therapy«, Archi- Group Psychotherapy: Evidence and Implications«, in Handbook of Group Psychotherapy,
Hg. A. Fuhriman und G. Burlingame (New York: Wiley, 1994): 3 19-39.
ves of General Psychiatry 34 ( 1977): 399-415.
40. M. Esplen et al., »A Supportive-Expressive Group Intervention for Women with a Family
23. I. Yalom et al., ibid.
History of Breast Cancer: Results of a Phase II Study«, Psycho-Oncology 9 (2000): 243-52.
24. Taylor et al., »A Survey of Mental Health Care Providers«.
41. J. Hardy und C. Lewis, »Bridging the Gap Between Long- and Short-Term Therapy: A Viab­
25. M. Koss und J. Butchner, »Research on Brief Therapy«, in Handbook of Psychotherapy and
le Model«, Group 16 ( 1992): 5-17.
Behavioral Change: An Empirical Analysis, 3rd ed., Hg. S. Garfield und A. Bergin (New York:
42. W. McDermut, I. Miller und R. Brown, » The Efficacy of Group Psychotherapy for Depressi­
Wiley, 1986): 626.
on: A Meta-Analysis and a Review of Empirical Research«, Clinical Psychology: Science and
26. K. MacKenzie, »Where Is Here and When Is Now? The Adaptational Challenges of Mental
Practice 8 (200 1 ): 98-104.
Health Reform for Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy
43. MacKenzie und Grabovac, » Interpersonal Psychotherapy Group«. A. Ravindran et al.,
44 ( 1994): 407-20. D. Wilfley, K. MacKenzie, R. Welch, V. Ayres und M. Weissman, Interper­ » Treatment of Primary Dysthymia with Group Cognitive Therapy and Pharmacotherapy:
sonal Psychotherapy for Group (New York: Basic Books, 2000). Clinical Symptoms and Functional Impairments«, American Journal of Psychiatry 1 56
27. S. Budman und A. Gurman, Theory and Practice of Brief Therapy (New York: Guilford ( 1999): 1608-17.
Press, 1988): 248. 44. W. Piper, M. McCallum und A. Hassan, Adaptation to Loss Through Short-Term Group Psy­
28. S. Budman, Treating Time Effectively. chotherapy (New York: Guilford Press, 1 992).
29. K. Howard, S. Kopta und M. Krause, »The Dose-Effect Relationship in Psychotherapy«, 45. W. Piper, M. McCallum, A. Joyce, J. Rosie und J. Ogrodniczuk, »Patient Personality and
American Psychologist 41 ( 1986): 159-64. Time-Limited Group Psychotherapy for Complicated Grief«, International Journal of Group
30. S. Kopta, K. Howard, J. Lowry und L. Beutler, »Patterns of Symptomatic Recovery in Time­ Psychotherapy 5 1 (200 1 ): 525-52.
Limited Psychotherapy«, Journal of Consulting Clinical Psychology 62 ( 1994): 1 009-16. S. 46. E. Marziali und H. Munroe-Blum, Interpersonal Group Psychotherapy for Borderline Per­
Kadera, M. Lambert und A. Andrew, »How Much Therapy Is Really Enough? A Session-By­ sonality Disorder (New York: Basic Books, 1 994).
Session Analysis of the Psychotherapy Dose-Effect Relationship«, Journal of Psychotherapy 47. A. Sherman et al., »Group Interventions for Patients with Cancer and HIV Disease, Part I:
Practice and Research 5 ( 1996): 132-5 1. Effects on Psychosocial and Functional Outcomes at Different Phases of Illness«, Internatio­
3 1 . N. Doidge, B. Simon, L. Gillies und R. Ruskin, »Characteristics of Psychoanalytic Patients nal Journal of Group Psychotherapy 54 (2004): 29-82.
Under a Nationalized Health Plan: DSM-III-R Diagnoses, Previous Treatment, and Child­ 48. W. Piper, E. Debbane, J. Bienvenue und J. Garant, »A Comparative Study of Four Forms of
hood Trauma«, American Journal of Psychiatry 1 51 ( 1994): 586-90. Psychotherapy«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 52 ( 1984): 268-79.

668 669
49. S. Budman et al., »Comparative Outcome in Time-Limited Individual and Group Psycho­ Empirical Finds and the Law«, International Journal of Group Psychotherapy 46 ( 1 996) :
therapy«, International Journal of Group Psychotherapy 38 ( 1988): 63-86. 1 1 7-35. H. Roback, E. Ochoa, F. Bloch und S. Purdon, »Guarding Confidentiality in Clinical
50. M. Koss und J. Shiang, » Research in Brief Psychotherapy«, in Handbook of Psychotherapy Groups: The Therapist's Dilemma«, International Journal of Group Psychotherapy 42
and Behavioral Change: An Empirical Analysis, 4th ed., Hg. S. Garfield und A. Bergin (New ( 1992): 426-3 1 .
York: Wiley, 1994): 664-700. 69. J. Beahrs und T. Gutheil, »Informed Consent in Psychotherapy«, Arnerican Journal o f Psy­
51 . I. Elkin, » Perspectives on the NIMH Collaborative Treatment of Depression Study«, Vortrag chiatry 158 (2001 ): 4-10.
am Mount Sinai Hospital, Toronto, Ontario, Canada, im April 1 995. 70. R. Crandall, »The Assimilation of Newcomers into Groups«, Small Group Behavior 9 ( 1978):
52. C. Fulkerson, D. Hawkins und A. Aiden, » Psychotherapy Groups of Insufficient Size«, Inter­ 33 1-36.
national Journal of Group Psychotherapy 3 1 ( 198 1 ): 73-8 1 . 7 1 . E. Gauron und E. Rawlings, »A Procedure for Orienting New Members to Group Psychothe­
53. J. White und M. Keenan, »Stress Control: A Pilot Study of Large Group Therapy for Gene­ rapy«, Small Group Behavior 6 ( 1975) : 293-307.
ralized Anxiety Disorder«, Behavioral Psychotherapy 18 ( 1990 ): 143-46. 72. W. Piper, »Pretraining for Group Psychotherapy: A Cognitive-Experiential Approach«, Ar­
54. T. Oei, M. Llamas und L. Evans, »Does Concurrent Drug Intake Affect the Long-Term Out­ chives of General Psychiatry 36 ( 1979): 1250-56. W. Piper et al., »Preparation of Patients: A
look of Group Cognitive Behavior Therapy in Panic Disorder with or Without Agorapho­ Study of Group Pretraining for Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psy­
bia? « Behavior Research and Therapy 35 ( 1997): 851-57. chotherapy 32 ( 1982): 309-25. S. Budman et al., »Experiential Pre-Group Preparation and
Screening«, Group 5 ( 198 1): 19-26.
55. A. Cunningham, C. Edmonds und D. Williams, »Delivering a Very Brief Psychoeducational
73. S. Budman et al., »Experiential Pre-Group Preparation and Screening«, Group 5 ( 198 1 ) : 19-
Program to Cancer Patients and Family Members in a Large Group Format«, Psycho-Onco­
26. S. Budman, S. Cooley, A. Demby, G. Koppenaal, J. Koslof und T. Powers, »A Model of
logy 8 ( 1999): 1 77-82.
Time-Effective Group Psychotherapy for Patients with Personality Disorders«, International
56. A. Cunningham, »Adjuvant Psychological Therapy for Cancer Patients: Putting lt on the
Journal of Group Psychotherapy 46 ( 1 996): 3 1 5-24.
Same Footing as Adjunctive Medical Therapies«, Psycho-Oncology 9 (2000): 367-7 1.
74. J. Connelly und W. Piper, »An Analysis of Pretraining Work Behavior as a Composition Va­
57. G. Castore, »Number ofVerbal Interrelationships as a Determinant of Group Size«, Journal
riable in Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 39 ( 1989):
of Abnormal Social Psychology 64 ( 1 962): 456-57.
1 73-89.
58. A. Hare, Handbook of Small Group Research (New York: Free Press of Glencoe, 1962), 224-
75. R. Kadden, M. Litt, N. Cooney und D. Busher, »Relationship Between Role-Play Measures of
45.
Coping Skills and Alcoholism Treatment Outcome«, Addiction Behavior 1 7 ( 1992 ): 425-
59. L. Carter et al., »The Behavior ofLeaders and Other Group Members«, Journal of Abnormal 37.
Social Psychology 46 ( 1 958): 256-60. 76. W. Piper et al., »Preparation of Patients: A Study of Group Pretraining for Group Psycho­
60. A. Marc, »A Study of Interaction and Consensus in Different Sized Groups«, American So­ therapy«, International Journal of Group Psychotherapy 32 ( 1982): 309-25.
cial Review 17 ( 1 952): 261-67. 77. J. Prochaska, C. DiClemente und J. Norcross, »In Search of How People Change: Applicati­
6 1 . Y. Slocum, »A Survey of Expectations About Group Therapy Arnong Clinical and Nonclini­ ons to Addictive Behaviors«, Arnerican Psychologist 47 ( 1992 ): 1 102-14.
cal Populations«, International Journal of Group Psychotherapy 37 ( 1987): 39-54. 78. R. Feld, D. Woodside, A. Kaplan, M. Olmstead und J. Carter, » Pre-Treatment Motivational
62. M. Bowden, »Anti-Group Attitudes and Assessment for Psychotherapy«, Psychoanalytic Psy­ Enhancement Therapy for Eating Disorders: A Pilot Study«, International Journal of Eating
chotherapy 1 6 (2002): 246-58. M. Nitsun, » The Future of the Group<<, International Journal Disorders 29 (200 1) : 393-400. G. O'Reilly, T. Morrison, D. Sheerin, A. Carr, »A Group-Based
of Group Psychotherapy 50 (2000): 455-72. Module for Adolescents to Improve Motivation to Change Sexually Abusive Behavior«,
63. M. Bowden, ibid. Child Abuse Review 10 (2001 ): 1 50-69. W. Miller und S. Rollnick, Motivational Interview­
64. H. Bernard, »Patterns and Determinants of Attitudes of Psychiatric Residents Toward Group ing: Preparing People to Change Addictive Behavior (New York: Guilford Press, 2002).
Therapy«, Group 1 5 ( 1 99 1 ): 1 31-40. 79. I. Yalom et al., » Preparation of Patients for Group Therapy«, Archives of General Psychiatry
65. S. Sue, »In Search of Cultural Competence in Psychotherapy Counseling«, American Psy­ 1 7 ( 1967): 416-27.
chologist 53 ( 1998 ): 440-48. M. LaRoche und A. Maxie, »Ten Considerations in Addressing 80. Die Interaktion der Gruppen wurde gemessen, indem jede Äußerung während der Sitzung
Cultural Differences in Psychotherapy«, Professional Psychology: Research and Practice 34 auf einer 16-teiligen Matrix (W. Hill, HIM: Hill Interaction Matrix [Los Angeles: Youth Stu­
(2003): 180-86. dy Center, University of Southern California, 1965] ) vermerkt wurde. Die Bewertung wurde
66. B. Meyer, J. Krupnick, S. Simmens, P. Pilkonis, M. Egan und S. Sotsky, »Treatment Expectan­ von einem Team von Ratern vorgenommen, die nichts über die Anlage des Tests wussten.
cies, Patient Alliance, and Outcome: Further Analysis from the NIMH Treatment of Depres­ Das in die Therapie gesetzte Vertrauen wurde mithilfe von Fragebögen festgestellt, welche
sion Collaborative Research Program«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 70 die Patienten nach Ende der Gruppenarbeit selbstständig ausfüllten.
(2002): 1 051-55. C. Carver und M. Schriver, On the Self- Regulation of Bulimia (New York: 8 1 . D. Meadow, »Preparation of Individuals for Participation in a Treatment Group: Develop­
Cambridge University Press, 1998). ment and Empirical Testing of a Model«, International Journal of Group Psychotherapy 38
67. M. Connolly Gibbon, P. Crits-Christoph, C. de Ja Cruz, J. Barber, L. Siqueland und M. Gla­ ( 1988): 367 - 85. R. Bednar und T. Kaul, »Experiential Group Research: Can the Canon Fire?«
dis, »Pretreatment Expectations, Interpersonal Functioning, and Symptoms in the Predic­ in Handbook of Psychotherapy and Behavioral Change: An Empirical Analysis, 4th ed., Hg.
tion of the Therapeutic Alliance Across Supportive-Expressive Psychotherapy and Cognitive S. Garfield undA. Bergin (New York: Wiley, 1994): 63 1-63. G. Burlingame, A. Fuhriman und
Therapy«, Psychotherapy Research 1 3 (2003): 59-76. J. Mosier, » The Differential Effectiveness of Group Psychotherapy: A Meta-Analytic Perspec­
68. H. Roback, R. Moor, F. Bloch und M. Shelton, »Confidentiality in Group Psychotherapy: tive«, Group Dynamics: Theory, Research, and Practice 7 (2003): 3-12.

670 671
82. M. Wogan et al., »Influencing Interaction and Outcomes in Group Psychotherapy«, Small York: New York University Press, 1 958): 1 27-30. D. Stock und W. Hili, »Intersubgroup Dy­
Group Behavior 8 ( 1 977): 25---46. namics as a Factor in Group Growth«, Emotional Dynamics and Group Culture, Hg. D.
83. W. Piper und E. Perrault, »Pretherapy Training for Group Members«, International Journal Stock und H. Thelen (New York: New York University Press, 1958): 207-2 1.
of Group Psychotherapy 39 ( l 989): 1 7- 34. Piper et al., »Preparation of Patients«. W. Piper 1 0 1 . Piper (Piper & Perrault 1989) vertritt die Auffassung, dass Klienten aufgrund exzessiver
und J. Ogrodniczuk, »Pregroup Training«, in Praxis der Gruppenpsychotherapie, Hg. V. Angst dazu neigen, ihre Gruppentherapie abzubrechen, wenn sie nicht auf die Gruppenarbeit
Tschuschke (Frankfurt: Thieme, 200 l): 74-78. Connelly und Piper, » An Analysis of Pretrai­ vorbereitet werden: Sie haben keine Gelegenheit gehabt, ihre Angst durch kontrollierte Mo­
ning Work Behavior«. S. Budman und M. Bennet, »Short-Term Group Psychotherapy«, in dulation der Angst in Gegenwart erfahrener Gruppenleiter zu löschen. R. Curtis, »Self-Orga­
Comprehensive Group Psychotherapy, 2nd ed., Hg. H. Kaplan und B. Sadock (Baltimore: nizing Processes, Anxiety, and Change«, Journal of Psychotherapy Integration 2 ( 1992): 295-
Williams & Wilkins, 1983): 138-44. D. France und J. Dugo, »Pretherapy Orientation as Pre­ 319.
paration for Open Psychotherapy Groups«, Psychotherapy 22 ( 1985): 256-6 1 . 102. R. White, »Motivation Reconsidered: The Concept of Competence«, Psychological Review
84. J . Heitler, »Clinical Impressions o f a n Experimental Attempt to Prepare Lower-Class Patients 66 ( 1 959): 297-333.
for Expressive Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 29 103. B. Rauer und J. Reitsema, »The Effects of Varied Clarity of Group Goal and Group Path
( 1974): 308-22. K. Palmer, R. Baker und T. Miker, »The Effects of Pretraining on Group Psy­ Upon the Individual and His Relation to His Group«, Human Relations 1 0 ( 1957): 29-45.
chotherapy for Incest-Related Issues«, International Journal of Group Psychotherapy 47 A. Cohen, »Situational Structure, Self-Esteem, and Threat-Oriented Reactions to Power«, in ·
( 1997): 7 1-89. Studies in Social Power, Hg. D. Cartwright (Ann Arbor, Mich.: Research Center for Group
85. W. Piper und J. Ogrodniczuk, »Pregroup Training«. Dynamics, 1959): 35-52. A. Goldstein, K. Heller und L. Sechrest, Psychotherapy and the Psy­
86. E. Werth, »A Comparison of Pretraining Models for Encounter Group Therapy«, Disserta­ chology of Behavior Change (New York: Wiley, 1 966): 405.
tion Abstracts 40 ( 1979). 104. Goldstein et al., ibid.: 329. E. Murray, »A Content Analysis for Study in Psychotherapy«, Psy­
87. G. Silver, »Systematic Presentation of Pre-Therapy Information in Group Psychotherapy: Its chological Monographs 70 ( 1956).
Relationship to Attitude and Behavioral Change«, Dissertation Abstracts ( 1976): 448 1 -B. 1 05. Beahrs und Gutheil, »Informed Consent«.
88. Piper et al., »Preparation of Patients«. L. Annis und D. Perry, »Self-Disclosure in Unsuper­ 1 06. American Psychological Association, Ethical Principles of Psychologists and the Code of
vised Groups: Effects ofVideotaped Models«, Small Group Behavior 9 ( 1 978): 1 02-8. J. Sa­ Conduct (Washington, D.C.: American Psychological Association, 1992).
muel, »The Individual and Comparative Effects of a Pre-Group Preparation Upon Two Dif­ 107. American Psychiatrie Association, The Principles of Medical Ethics with Annotations Espe­
ferent Therapy Groups«, Dissertation Abstracts International 4 1 ( 1980): 1919-B. S. Barnett, cially Applicable to Psychiatry (Washington, D.C.: American Psychiatrie Association, 1998):
»The Effect of Preparatory Training in Communication Skills on Group Therapy with Lo­ 24.
wer Socioeconomic Class Alcoholics«, Dissertation Abstracts International 41 ( 198 1 ) : 2744- 1 08. E. Aronson und J. Mills, »The Effect of Severity of lnitiation on Liking for a Group«, Journal
B. of Abnormal Social Psychology 59 ( 1959): 1 77-8 1 . R. Cialdini, »Harnessing the Science of
89. Barnett, ibid. P. Pilkonis et al., »Training Complex Social Skills for Use in a Psychotherapy Persuasion«, Harvard Business Review 79 (200 1): 72-79.
Group: A Case Study«, International Journal of Group Psychotherapy 30 ( 1 980): 347-56.
90. Pilkonis et al., ibid. Ka pitel 11
9 1 . T. Zarle und S. Willis, »A Pre-Group Training Technique for Encounter Group Stress«, Jour­ l. B. Tuckman, »Developmental Sequences in Small Groups«, Psychological Bulletin 63 ( 1 965):
nal of Counseling Psychology 22 ( 1975): 49-53. 384-99. Tuckmans dritte Phase, von ihm norming genannt, bezieht sich auf die Entwicklung
92. T. Curran, »Increasing Motivation to Change in Group Treatment«, Small Group Behavior der Gruppenkohäsivität. Seine vierte Phase, performing, betrifft das Erscheinen von Einsicht
9 ( 1978) : 337-48. und funktionaler Rollenbezogenheit.
93. J. Steuer et al., »Cognitive Behavior and Psychodynamic Group Psychotherapy in Treatment 2. K. MacKenzie, »Clinical Application of Group Development Ideas«, Group Dynamics:
of Geriatrie Depression«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 52 ( 1984): 1 80- Theory, Research and Practice 1 ( 1997): 275-87. Y. Agazarian und S. Gantt, »Phases of
89. Group Development: Systems-centered Hypotheses and Their Implications for Research
94. 0. Farre!!, T. Cutter und F. Floyd, »Evaluating Marita! Therapy for Male Alcoholics«, Beha­ and Practice«, Group Dynamics: Theory, Research and Practice 7 (2003): 238-52. S. Whee­
vior Therapy 16 ( 1 985): 147-67. lan, B. Davidson und F. Tilin, »Group Development Across Time: Reality or Illusion?« Small
95. Curran, »Increasing Motivation to Change«. Group Research 34 (2003): 223-45. G. Burlingame, K. MacKenzie, B. Strauss, »Small-Group
96. M. Cartwright, »Brief Reports: A Preparatory Method for Group Counseling«, Journal of Treatment: Evidence for Effectiveness and Mechanisms of Change«, in Bergin und Garfield's
Counseling Psychology 23 ( 1976): 75-77. Handbook of Psychotherapy and Behavior Change, 5th ed., Hg. M. Lambert (New York:
97. A. Hare, »A Study of Interaction and Consensus in Different Sized Groups«, American So­ John Wiley & Sons Ltd., 2004): 647-96.
cial Review 17 ( 1952): 261-67. 3. D. Kivlighan und D. Mullison, »Participants' Perception of Therapeutic Factors in Group
98. C. Taft, C. Murphy, J. Elliott und T. Morrel, »Attendance Enhancing Procedures in Group Counseling: The Role of Interpersonal Style and Stage of Group Development«, Small
Counseling for Domestic Abusers«, Journal of Counseling Psychology 48 (200 1 ) : 5 1-60. Group Behavior 19 ( 1988): 452-68. D. Kivlighan und R. Lilly, »Developmental Changes in
99. Piper und Ogrodniczuk, »Pregroup Training«. Group Climate as They Relate to Therapeutic Gain«, Group Dynamics: Theory, Research,
100. I. Gradolph, »The Task-Approach of Groups of Single-Type and Mixed-Type Valency Com­ and Practice 1 ( 1997): 208-2 1 .
positions«, in Emotional Dynamks and Group Culture, Hg. D. Stock und H. Thelen (New 4 . S . Wheelan, »Group Development and the Practice o f Group Psychotherapy«, Group Dyna-

672 673
mies: Theory, Research, and Practice 1 ( 1 997): 288-93. S. Wheelan, D. Murphy, E. Tsumura Laboratory Method: Innovation in Re-Education, Hg. L. Bradford, J. Gibb und K. Benne
und S. Fried-Kline, »Member Perceptions of Interna! Group Dynarnics and Productivity«, (New York: Wiley, 1964): 248-78.
Srnall Group Research 29 ( 1 998): 371-93. Wheelan und Hochberger entwickelten und vali­ 20. T. Mills, persönliche Mitteilung, April 1968.
dierten den Group Development Questionnaire (GDQ) für die Messung der Gruppenent­ 2 1 . Tuckman, »Developmental Sequences in Small Groups«. I. Harwood, »Distinguishing Be­
wicklung und von aufgabenorientierten Gruppen (task groups). Der GDQ, ein Selbstbe­ tween the Facilitating and Self-Serving Charismatic Group Leader«, Group 27 (2003 ):
richtsfragebogen, besteht aus einer Anzahl von Fragen, die sich auf einen der folgenden vier 12 1-29.
Bereiche beziehen: ( 1) Abhängigkeit/Inklusion; (2) Kontradependenz/Flucht; (3) Vertrau­ 22. Murphy et al., »Some Observations on the Subjective Experience«.
en/Struktur und ( 4) Arbeit/Produktivität. Der GDQ ist bisher noch nicht auf Psychothera­ 23. N. Harpaz, »Failures in Group Psychotherapy: The Therapist Variable«, International Jour­
piegruppen angewandt worden, doch scheint er in dieser Hinsicht vielversprechende Mög­ nal of Group Psychotherapy 44 ( 1 994): 3-19. M. Leszcz, »Discussion of Failures in Group
lichkeiten zu eröffnen (S. Wheelan und J. Hochberger, »Validation Studies of the Group De­ Psychotherapy: The Therapist Variable«, International Journal of Group Psychotherapy 44
velopment Questionnaire«, Srnall Group Research 27 [ 1996 ] : 143-70). ( 1 994): 25-3 1.
5. L. Murphy, M. Leszcz, A. Collings und J. Salvendy, »Some Observations on the Subjective 24. S. Scheidlinger, »Presidential Address: On Scapegoating in Group Psychotherapy«, Interna­
Experience of Neophyte Group Therapy Trainees«, International Journal of Group Psycho­ tional Journal of Group Psychotherapy 32 ( 1982): 131-43. A. Clark, »Scapegoating: Dyna­
therapy 46 ( 1996): 543-52. mics and Interventions in Group Counseling«, Journal of Counseling and Development 80
6. R. Kamm, »Group Dynamics and Athletic Success«, Referat anlässlich der Jahresversamm­ (2002): 27 1-76.
lung der American Group Psychotherapy Association, New York City, 27. Februar 2004. 25. E. Schein und W. Bennis, Personal and Organizational Change Through Group Methods
7. C. Kieffer, »Phases of Group Development: A View from Self-Psychology«, Group 25 (2002): (New York: Wiley, 1965): 275.
9 1-105. 26. S. Hayes, »Acceptance, Mindfulness and Science«, Clinical Psychology: Science and Practice
8. P. Flores, »Addiction as an Attachment Disorder: Implications for Group Therapy«, Interna­ 9 (2002): 101-6. A. Wells, »GAD, Metacognition, and Mindfulness: An Information Proces­
tional Journal of Group Psychotherapy 51 (2001): 63-82. sing Analysis«, Clinical Psychology: Science and Practice 9 (2002): 95-100.
9. M. Ettin, »From Identified Patient to Identifiable Group: The Alchemy of the Group as a 27. Bennis, »Patterns and Vicissitudes«.
Whole«, International Journal of Group Psychotherapy 50 (2000): 137-62. Kieffer, »Phases 28. F. Taylor, »The Therapeutic Factors of Group-Analytic Treatment«, Journal of Mental
of Group Development«. Science 96 ( 1950): 976-97.
10. I. Harwood, »Distinguishing Between the Facilitating and Self-Serving Charismatic Group 29. R. Shellow, J. Ward und S. Rubenfeld, »Group Therapy and the Institutionalized Delin­
Leader«, Group 27 (2003): 1 2 1-29. quent«, International Journal of Group Psychotherapy 8 ( 1 958): 265-75.
1 1 . S. Freud, Group Psychology and the Analysis of the Ego, in Standard Edition, Bd. 18 (Lon­ 30. D. Whitaker urid M. Lieberman, Psychotherapy Through the Group Process (New York:
don: Hogarth Press, 1955): 67-143; dt.: Massenpsychologie und Ich-Analyse (GW XIII, 7 1- Atherton Press, 1964). M. Grotjahn, »The Process of Maturation in Group Psychotherapy
161). and in the Group Therapist«, Psychiatry 13 ( 1950): 63-67. MacKenzie und Livesley, »A De­
12. C. Rich und F. Pitts Jr., »Suicide by Psychiatrists: A Study of Medical Specialists Among velopmental Model«.
18,730 Consecutive Physician Deaths During a Five-Year Period, 1967-72«, Journal of Cli­ 3 1 . J. Abrahams, »Group Psychotherapy: Implications for Direction and Supervision of Mental­
nical Psychiatry 41 ( 1 980): 26 1-63. E. Frank, H. Biola und C. Burnett, »Mortality Rates ly III Patients«, in Mental Health in Nursing, Hg. T. Muller (Washington, D.C.: Catholic Uni­
Among U.S. Physicians«, American Journal of Preventive Medicine 19 (2000): 1 55-59. versity Press, 1949): 77-83.
13. J. Ogrodniczuk und W. Piper, »The Effect of Group Climate on Outcome in Two Forms of 32. J. Thorpe und B. Smith, »Phases in Group Development in Treatment of Drug Addicts«,
Short-Term Group Therapy«, Group Dynamics: Theory, Research and Practice 7 ( 1) : 64- International Journal of Group Psychotherapy 3 ( 1 953): 66-78.
76. 33. A. Beck und L. Peters, »The Research Evidence for Distributed Leadership in Therapy
14. W. Schutz, The Interpersonal Underworld (Palo Alto, Calif.: Science and Behavior Books, Groups«, International Journal of Group Psychotherapy 31 ( 1 98 1 ) : 43-71 . R. Josselson,
1966): 24. K. Roy. MacKenzie und W. John Livesley, »A Developmental Model for Brief »The Space Between in Group Psychotherapy: A Multidimensional Model of Relationships«,
Group Therapy«, in Advances in Group Therapy, Hg. R. Dies und K. Roy MacKenzie (New Group 27 (2003): 203-19.
York: International Universities Press, 1 983): 101-16. Tuckman, »Developmental Sequences 34. Schutz, The Interpersonal Underworld: 1 70.
in Small Groups«. 35. 1. Janis, Groupthink: Psychological Studies of Policy Decisions and Fiascoes, 2nd ed. (Bo­
15. G. Bach, Intensive Group Psychotherapy (New York: Ronald Press, 1954): 95. ston: Houghton Mifflin, 1982). G. Hodson und R. Sorrentino, »Groupthink and Uncertain­
16. P. Slater, Microcosm (New York: Wiley, 1 966). ty Orientation: Personality Differences in Reactivity to the Group Situation«, Group Dyna­
1 7. S. Freud, Totem and Taboo, in S. Freud, Standard Edition of the Complete Psychological mics: Theory, Research, and Practice 1 ( 1 997): 144-55.
Works of Sigmund Freud, Bd. 13 (London: Hogarth Press, 1 953): 1-161; dt.: Totem und 36. G. Burlingame, K. MacKenzie, B. Strauss, »Small-Group Treatment«.
Tabu (GW XI, S. 3-194). 37. S. Drescher, G. Burlingame und A. Fuhriman, »An Odyssey in Empirical Understanding«,
18. S. Freud, Group Psychology and the Analysis of the Ego, in S. Freud, Standard Edition, Bd. Small Group Behavior 16 ( 1 985): 3-30.
1 8 (London: Hogarth Press, 1955): 1 23; dt.: Massenpsychologie und Ich-Analyse (GW 38. I. Altman, A. Vinsel und B. Brown, zitiert in K. MacKenzie, »Group Development«, in Hand­
XIII, 71-161). book of Group Psychotherapy, Hg. A. Fuhriman und G. Burlingame (New York: Wiley,
19. W. Bennis, »Patterns and Vicissitudes in T-Group Development«, in T-Group Theory and 1994): 223-68.

674 675
39. D. Barker, »The Behavioral Analysis of Interpersonal Intimacy in Group Development«, 56. C. Taft, C. Murphy, J. Elliott und T. Morrel, »Attendance-Enhancing Procedures in Group
Small Group Research 22 ( 199 1 ) : 76-9 1 . Counseling for Domestic Abusers«, Journal of Counseling Psychology 48 (2001): 51-60.
40. D . Kivlighan und R . Lilly, »Developmental Changes i n Group Climate«. L . Castonguay, A. 57. Stone et al., »Late Dropouts«.
Pincers, W. Agrees, C. Hines, »The Role of Emotion in Group Cognitive-Behavioral Therapy 58. W. Piper, M. McCallum, A. Joyce, J. Rosie und J. Ogrodniczuk, »Patient Personality and
for Binge Eating Disorder: When Things Have to Feel Worse Before They Get Better«, Psy­ Time-Limited Group Psychotherapy for Complicated Grief«, International Journal of Group
chotherapy Research 8 ( 1998): 225-38. Psychotherapy 5 1 (2001): 525-52.
4 1 . D. Hamburg, persönliche Mitteilung, 1978. 59. Yalom, »A Study of Group Therapy Dropouts«.
42. M. Nitsun, The Anti-Group: Destructive Forces in the Group and Their Creative Potential 60. Lothstein, »The Group Psychotherapy Dropout Phenomenon Revisited«.
(London: Routledge, 1996). M. Nitsun, »The Future of the Group«, International Journal of 6 1 . H. Bernard, »Guidelines to Minimize Premature Terminations«, International Journal of
Group Psychotherapy 50 (2000): 455-72. Group Psychotherapy 39 ( 1989): 523-29. H. Roback, »Adverse Outcomes in Group Psycho­
43. B. Rasmussen, »Joining Group Psychotherapy: Developmental Considerations«, Internatio­ therapy: Risk Factors, Prevention and Research Directions«, Journal of Psychotherapy, Prac­
nal Journal of Group Psychotherapy 49 ( 1999): 5 1 3-28. tice, and Research, 9 (2000): 1 1 3-22.
44. D. Jung und J. Sasik, »Effects of Group Characteristics on Work Group Performance: A Lon­ 62. Yalom, »A Study of Group Therapy Dropouts«.
gitudinal Investigation«, Group Dynamics: Theory, Research and Practice 3 ( 1 999): 279- 63. M. McCallum, W. Piper, J. Ogrodniczuk und A. Joyce, »Early Process and Dropping Out
90. from Short-Term Group Therapy for Complicated Grief«, Group Dynamics: Theory, Prac­
45. I. Yalom, »A Study of Group Therapy Dropouts«, Archives of General Psychiatry 14 ( 1 966) : tice and Research 6 (2002) : 243-54. L. Samstag, S. Batchelder, J. Muran, J. Safran und A.
393-414. Winston, »Early Identification of Treatment Failures in Short-Term Psychotherapy«, Journal
46. A. Beck beschreibt ähnliche Verhaltensweisen bei Klienten, die sie als »scapegoat leaders« of Psychotherapy Practice and Research 7 ( 1 998): 126-43.
(»Sündenbock-Leiter«) bezeichnet (Beck und Peters, »The Research Evidence for Distribut­ 64. J. Weinberg, »On Adding Insight to Injury«, Gerontologist 16 ( 1976): 4-10.
ed Leadership«). 65. M. Leszcz und P. Goodwin, »The Rationale and Foundations of Group Psychotherapy for
47. D. Kiesler, Contemporary Interpersonal Theory and Research (New York: J. Wiley & Sons Women with Metastatic Breast Cancer«, International Journal of Group Psychotherapy 48
Ltd., 1 996) . ( 1998): 245-73.
48. A. Rice, Learning for Leadership (London: Tavistock Publications, 1965). 66. S. Foulkes und E. Anthony, Group Psychotherapy: The Psychoanalytic Approach (Har­
49. W. Henry, H. Strupp, S. Butler, T. Schacht und J. Binder, »Effects of Training in Time-Limi­ mondsworth, England: Penguin, 1957).
ted Dynamic Psychotherapy: Changes in Therapist Behavior«, Journal of Consulting and 67. L. Rosenthal, »The New Member: >Infanticide< in Group Psychotherapy«, International
Clinical Psychology 61 ( 1993): 434-40. J. Waltz, M. Addis, K. Koerner und N. Jacobson, »Te­ Journal of Group Psychotherapy 42 ( 1 992): 277-86.
sting the Integrity of a Psychotherapy Protocol: Assessment of Adherence and Competence«, 68. B. Rasmussen, »Joining Group Psychotherapy«. E. Shapiro und R. Ginzberg, »The Persi­
Journal of Consulting and Clinical Psychology 61 ( 1 993 ): 620-30. W. Piper, J. Ogrodniczuk, stently Neglected Sibling Relationship and Its Applicability to Group Therapy«, Internatio­
»Therapy Manuals and the Dilemma of Dynamically Oriented Therapists and Researchers«, nal Journal of Group Psychotherapy 51 (2001 ) : 327-41 .
American Journal of Psychotherapy 53 ( 1 999): 467-82. 69. R. Crandall, »The Assimilation ofNewcomers into Groups«, Small Group Behavior 9 ( 1978):
50. I. Yalom, P. Houts, S. Zimerberg und K. Rand, »Predictions of lmprovement in Group The­ 33 1-37.
rapy: An Exploratory Study«, Archives of General Psychiatry 1 7 ( 1 967): l 59-68.
5 1 . L. Lothstein, » The Group Psychotherapy Dropout Phenomenon Revisited«, American Jour­ Ka pitel 1 2
nal of Psychiatry 135 ( 1978): 1492-95. 1 . K . MacKenzie, Time-Managed Group Psychotherapy: Effective Clinical Applications (Was­
52. W. Stone, M. Blase und J. Bozzuto, »Late Dropouts from Group Therapy«, American Journal hington, D.C.: Arnerican Psychiatrie Press, 1997). A. Berrnan und H. Weinberg, »The Advan­
of Psychotherapy 34 ( 1 980): 40 1-13. ced-Stage Group«, International Journal of Group Psychotherapy 48 ( 1 998): 498-5 18.
53. W. Stone und S. Rutan, »Duration of Treatment in Group Psychotherapy«, International 2. J. Silverstein, »Acting Out in Group Therapy: Avoiding Authority Struggles«, International
Journal of Group Psychotherapy 34 ( 1984): 1 0 1-17. R. MacNair und J. Corazzini, »Clinical Journal of Group Psychotherapy 47 ( 1997): 31-45.
Factors Influencing Group Therapy Dropout«, Psychotherapy: Theory, Research, Practice 3. R. White und R. Lippit, »Leader Behavior and Member Reaction in Three >Social Climates«<,
and Training 3 1 ( 1994): 352-61 . in Group Dynamics: Research and Theory, Hg. D. Cartwright und A. Zander (New York:
54. S . Budman, A. Demby und M . Randall, »Short-Term Group Psychotherapy: Who Succeeds, Row, Peterson, 1962): 527-53.
Who Fails«, Group 4 ( 1980): 3-16. H. Roback und M. Smith, »Patient Attrition in Dynami­ 4. G. Hodson, R. Sorrentino, »Groupthink and Uncertainty Orientation: Personality Diffe­
cally Oriented Treatment Groups«, American Journal of Psychiatry 144 ( 1987): 426-43. W. rences in Reactivity to the Group Situation«, Group Dynamics 2 ( 1997): 144-55.
Piper et al., »A Comparative Study of Four Forms of Psychotherapy«, Journal of Consulting 5. I. Yalom, »A Study of Group Therapy Dropouts«, Archives of General Psychiatry 14 ( 1 966) :
and Clinical Psychology 52 ( 1984): 268-79. M. McCallum, W. Piper und A. Joyce, »Dropping 393-414.
Out from Short-Term Therapy«, Psychotherapy 29 ( 1992): 206-15. 6. S. Freud, Group Psychology and the Analysis of the Ego, in S. Freud, Standard Edition of the
55. R. Tolman und G. Bhosley, »A Comparison of Two Types of Pregroup Preparation for Men Complete Psychological Works of Sigmund Freud, Bd. 18 (London: Hogarth Press, 1955):
Who Batter<<, Journal of Social Services Research 1 3 ( 1990): 33-44. S. Stosny, »Shadows of 69-143; dt.: Massenpsychologie und Ich-Analyse (GW XIII, 7 1-161 ) . 1. Yalom, »Group Psy­
the Heart: A Dramatic Video for the Treatment Resistance of Spouse Abuse«, Social Work 39 chology and the Analysis of the Ego: A Review«, International Journal of Group Psychothe­
( 1 994): 686-94. rapy 24 ( 1 974): 67-82.

676 677
7. 1. Yalom und P. Houts, unveröffentlichtes Datenmaterial, 1965. 26. A. Clark, »Scapegoating: Dynamics and Intervention in Group Counselling«, Journal of
8. Y. Agazarian, »Contemporary Theories of Group Psychotherapy: A Systems Approach to the Counselling and Development 80 (2002): 271-76. B. Cohen und V. Schermer, »On Scape­
Group-as-a-Whole«, International Journal of Group Psychotherapy 42 ( 1 992): 1 77-204. G. goating in Therapy Groups: A Social Constructivist and Intersubjective Outlook«, Interna­
Burlingame, R. MacKenzie, B. Strauss, »Small-Group Treatment: Evidence for Effectiveness tional Journal of Group Psychotherapy 52 (2002): 89-109.
and Mechanisms of Change«, in Bergin and Garfield's Handbook of Psychotherapy and Be­ 27. R. Giesler und W. Swann, »Striving for Confirmation: The Role of Self- Verification in De­
havior Change, 5th Ed., Hg. M. Lambert (New York: Wiley & Sons, 2004): 647-96. pression«, in The Interactional Nature of Depression, Hg. T. Joiner und J. Coyne (Washing­
9. M. Duhner, »Envy in the Group Therapy Process«, International Journal of Group Psycho­ ton, D.C.: American Psychological Association, 1 999 ): 1 89-2 17.
therapy 48 ( 1 998): 5 1 9-3 1 . 28. Terence, The Seif-Tormentor, übers. v. Betty Radice (New York: Penguin, 1 965 ).
1 0. J. Kelly Moreno, »Group Treatment for Eating Disorders«, in Handbook o f Group Psycho­ 29. P. Fonagy, »Multiple Voices Versus Meta-Cognition: An Attachment Theory Perspective«,
therapy, Hg. A. Fuhriman und G. Burlingame (New York: Wiley, 1 994): 416-57. J. Bohanske Journal of Psychotherapy Integration 7 ( 1997) : 1 8 1-94. A. Wells, »GAD, Meta-Cognition,
und R. Lemberg, »An Intensive Group Process Retreat Model for the Treatment of Bulimia«, and Mindfulness: An Information Processing Analysis«, Clinical Psychology 9 (2002): 95-
Group 1 1 ( 1987): 228-37. 1 00. M. Leszcz, »Group Psychotherapy of the Characterologically Difficult Patient«, Inter­
1 1. 1. Yalom und C. Greaves, »Group Therapy with the Terminally Ill«, American Journal of Psy­ national Journal of Group Psychotherapy 39 ( 1 989): 3 1 1-35.
chiatry 1 34 ( 1977) : 396---400. M. Leszcz und P. Goodwin, »The Rationale and Foundations 30. D. Winnicott, Maturational Processes and the Facilitating Environment (London: Hogarth
of Group Psychotherapy for Women with Metastatic Breast Cancer«, International Journal Press, 1 965); <lt.: Reifungsprozesse und fördernde Umwelt (München, Kindler, 1 974).
of Group Psychotherapy 48 ( 1 998): 245-73. 3 1 . L. Ormont, »The Leader's Role in Dealing with Aggression in Groups«, International Journal
12. A. Camus, The Fall (New York: Vintage, 1 956): 58; <lt.: Der Fall (Frankfurt a. M., 1 977, of Group Psychotherapy 34 ( 1 984): 553-72.
s. 56). 32. E. Berne, Games People Play (New York: Grove Press, 1 964); dt.: Spiele der Erwachsenen
1 3. Ibid., 68; <lt. S. 65. (Reinbek, Rowohlt, 1 967).
14. Ibid., 63; <lt. S. 6 1 . 33. M. Leszcz und J. Malat, »The Interpersonal Model of Group Psychotherapy«, in Praxis der
15. L. Ormont, »Developing Emotional Insulation«, International Journal o f Group Psychothe­ Gruppenpsychotherapie, Hg. V. Tschuschke (Frankfurt: Thieme, 2001): 355-69.
rapy 44 ( 1 994): 361-75. L. Ormont, »Meeting Maturational Needs in the Group Setting«, 34. M. Livingston, »Vulnerability, Tenderness and the Experiences of Self- Object Relationship:
International Journal of Group Psychotherapy 5 1 (200 1 ) : 343-59. A Self Psychological View of Deepening Curative Process in Group Psychotherapy«, Inter­
16. B. Buchele, »Etiology and Management of Anger in Groups: A Psychodynamic View«, Inter­ national Journal of Group Psychotherapy 49 ( 1999) : 1 9-40.
national Journal of Group Psychotherapy 45 ( 1 995): 275-85. A. Alonso, »Discussant Com­ 35. V. Tschuschke und R. Dies, »Intensive Analysis of Therapeutic Factors and Outcome in
ments for Special Section on Anger and Aggression in Groups«, International Journal of Long-Term In-Patient Groups«, International Journal of Group Psychotherapy 44 ( 1994):
Group Psychotherapy 45 ( 1 995): 33 1-39. 185-208. G. Burlingame, R. MacKenzie, B. Strauss, »Small-Group Treatment«.
1 7. Meine Erörterung der Konflikte in der Therapiegruppe stützt sich weitgehend auf Jerome 36. V. Tschuschke und R. Dies, »Intensive Analysis of Therapeutic Factors and Outcome in
Frank und Carl Rogers. J. Frank, »Some Values of Conflict in Therapeutic Groups«, Group Long-Term In-Patient Groups«, International Journal of Group Psychotherapy 44 ( 1994):
Psychotherapy 8 ( 1 955): 142-5 1 . C. Rogers, »Dealing with Psychological Tensions«, Journal 185-208. G. Burlingame, A. Fuhriman und L. Johnson, »Cohesion in Group Therapy«, in A
of Applied Behavioral Science 1 ( 1965): 6-24. Guide to Psychotherapy Relationships That Work, Hg. J. Norcross ( Oxford, England: Oxford
18. S. Foulkes und E. Anthony, Group Psychotherapy: The Psychoanalytic Approach (Har­ University Press, 2002): 7 1-88.
mondsworth, England: Penguin, 1 957). 37. 1. Yalom et al., »Predictions of Improvement in Group Therapy: An Exploratory Study«,
19. Frank, »Some Values of Conflict«. Archives of General Psychiatry 1 7 ( 1967): 1 59-68.
20. F. Dostojewski, » The Double«, in Great Short Works of Fyodor Dostoevsky, Hg. R. Hingley 38. S. Hurley, »Self-Disclosure in Small Counseling Groups«, Ph.D. diss., Michigan State Uni­
(New York: Harper & Row, 1 968); <lt.: Der Doppelgänger. versity, 1 967.
2 1 . L. Horwitz, »Projective Identification in Dyads and Groups«, International Journal of Group 39. M. Worthy, A. Gary und G. Kahn, »Self-Disclosure as an Exchange Process«, Journal of Per­
Psychotherapy 33 ( 1 983): 254-79. sonality and Social Psychology 1 3 ( 1969): 59-63.
22. W. Goldstein, »Clarification of Projective Identification«, American Journal of Psychiatry 40. S. Bloch und E. Crouch, Therapeutic Factors in Group Psychotherapy (New York: Oxford
148 (199 1 ) : 1 53-6 1 . T. Ogden, Projective Identification and Psychotherapeutic Technique University Press, 1985). S. Bloch und E. Crouch, »Therapeutic Factors: Intrapersonal and
(New York: Jason Aronson, 1 982). Interpersonal Mechanisms«, in Handbook of Group Psychotherapy, Hg. A. Fuhriman und
23. L. Horwitz, »Projective Identification in Dyads«. G. Burlingame (New York: Wiley, 1 994): 269-3 18. W. Query, »Self-Disclosure as a Variable
24. M. Livingston und L. Livingston, »Conflict and Aggression in Group Psychotherapy: A Seif in Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 14 ( 1964): 107-15.
Psychological Vantage Point«, International Journal of Group Psychotherapy 48 ( 1998): D. Johnson und L. Ridener, »Self-Disclosure, Participation, and Perceived Cohesiveness in
381-9 1 . J. Gans und R. Weber, »The Detection of Shame in Group Psychotherapy: Unco­ Small Group Interaction«, Psychological Reports 35 ( 1 974): 361-63.
vering the Hidden Emotion«, International Journal of Group Psychotherapy 50 (2000): 41. P. Cozby, »Self-Disclosure, Reciprocity, and Liking«, Sociometry 35 ( 1 972): 1 5 1-60.
381-96. W. Stone, »Frustration, Anger, and the Significance of Alter-Ego Transference in 42. N. Brown, »Conceptualizing Process«, International Journal of Group Psychotherapy 53
Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 45 ( 1995): 287-302. (2003): 225-44.
25. J. Gans, »Hostility in Group Therapy«, International Journal of Group Psychotherapy 39 43. C. Truax und R. Carkhuff, »Client and Therapist Transparency in the Psychotherapeutic
( 1989): 499-5 17. M. Duhner, »Envy in the Group Therapy Process«. Encounter«, Journal of Consulting Psychology 1 2 ( 1 965): 3-9.

678 679
44. H. Peres, »An Investigation of Non-Directive Group Therapy«, Journal of Consulting Psy­ 16. S. Kadera, M. Lambert, A. Andrews, »How Much Therapy ls Really Enough: A Session­
chology 1 1 ( 1 947): 159-72. by-Session Analysis of the Psychotherapy Dose-Effect Relationship«, Journal of Psychothe­
45. M. Lieberman, I. Yalom und M. Miles, Encounter Groups: First Facts (New York: Basic rapy Practice and Research 5 ( 1996): 132-51 .
Books, 1973) . 62. S. Freud, Analysis Terminable and Interminable, in S. Freud, Standard Edition of the Com­
46. S . Wiser und M. Goldfried, »Therapist Interventions and Client Emotional Experiencing in plete Psychologkal Works of Sigmund Freud, Bd. 23 (London: Hogarth Press, 1968): 2 1 1-
Expert Psychodynamic - Interpersonal and Cognitive-Behavioral Therapies«, Journal of 53; dt.: Die endliche und die unendliche Analyse ( GW XVI, S. 59-99).
Consulting and Clinical Psychology 66 ( 1 998): 634-40. J. Ablon und E. Jones, »Psychothe­ 63. Pedder, »Termination Reconsidered«. B. Grenyer and L. Luborsky, »Dynamic Change in Psy­
rapy Process in the National Institute of Mental Health Treatment of Depression Collabora­ chotherapy: Mastery of Interpersonal Conflicts«, Journal of Consulting and Clinical Psycho­
tive Research Program«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 67 ( 1 999): 64-75. B. logy 64 ( 1996): 4 1 1-16.
Cohen und V. Schermer, »Therapist Self-Disclosure«. 64. V. Schermer und R. Klein, »Termination in Group Psychotherapy from the Perspectives of
47. R. Slavin, »The Significance of Here-and-Now Disclosure in Promoting Cohesion in Group Contemporary Object Relations Theory and Seif Psychology«, International Journal of
Psychotherapy«, Group 17 ( 1 993): 143-50. Group Psychotherapy 46 ( 1 996): 99-1 1 5.
48. S. Mitchell, Hope and Dread in Psychoanalysis (New York: Basic Books, 1993). 65. Scott Rutan, persönliche Mitteilung, 1983.
49. D. Medeiros und A. Richards, »Sharing Secrets: Where Psychotherapy and Education Meet«, 66. Leszcz, »Group Psychotherapy of the Characterologically Difficult Patient«. M. Leszcz,
in Studies in Humanistic Psychology, Hg. C. Aanstoos (Carollton: West Georgia College Stu­ »Group Psychotherapy of the Borderline Patient«, in Handbook of Borderline Disorders,
dies in the Social Sciences, Bd. 2 9, 1 99 1 ) . Hg. D. Silver und M. Rosenbluth (Madison, Conn.: International Universities Press, 1 992):
50. L. Vosen, »The Relationship Between Self-Disclosure and Self-Esteem«, Ph.D. Diss., Univer­ 435-69.
sity of California at Los Angeles, 1966, zitiert in Culbert, Interpersonal Process of Self- Disclo­ 67. J. Rutan und W. Stone, »Termination in Group Psychotherapy«, in Psychodynamic Group
sure: It Takes Two to See One (Washington, D.C.: NTL Institute for Applied Behavioral Sci­ Therapy (New York: Guilford Press, 1 993): 239-54. E. Shapiro und R. Ginzberg, »Parting
ence, 1967). Gifts: Termination Rituals in Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psy­
5 1 . Culbert, Interpersonal Process. chotherapy 52 (2002): 31 7-36.
52. J. Sternbach, »Self-Disclosure with All-Male Groups«, International Journal of Group Psy­ 68. D. Nathanson, »The Nature of Therapeutic Impasse«.
chotherapy 53 (2003): 61-8 1 . S. Bergman, Men's Psychological Development: A Relational 69. K. Long, L. Pendleton und B. Winters, »Effects of Therapist Termination on Group Process«,
Perspective (Wellesley, Mass. : The Stone Center, 1 99 1 ). International Journal of Group Psychotherapy 38 ( 1 988): 2 1 1-22.
53. E. Goffman, The Presentation of Seif in Everyday Life (Garden City, N.Y.: Doubleday Anchor 70. E. Counselman und R. Weber, »Changing the Guard: New Leadership for an Established
Books, 1959); dt.: Wir alle spielen Theater (München: Piper, 1 969) . S. Jourard und P. Lasa­ Group«, International Journal of Group Psychotherapy 52 (2002): 373-86.
kow, »Some Factors in Self-Disclosure«, Journal of Abnormal Social Psychology 56 ( 1950):
91-98. Ka pitel 13
54. D. Strassberg und Kollegen studierten 18 schizophrene Patienten zehn Wochen lang in einer 1 . F. Wright, »Discussion of Difficult Patients«, International Journal of Group Psychotherapy
Gruppentherapie für stationär behandelte Patienten und kamen zu dem Ergebnis, dass die­ 48 ( 1 998): 339-48. J. Gans und A. Alonso, »Difficult Patients: Their Construction in Group
jenigen unter den Gruppenteilnehmern, die viel von sich preisgaben, geringere therapeuti­ Therapy«, International Journal of Group Psychotherapy 48 ( 1 998): 3 1 1-26. P. Cohen, »The
sche Fortschritte machten als diejenigen, die weniger von sich offenbarten. (D. Strassberg et Practice of Modem Group Psychotherapy: Working with Post Trauma in the Present«, In­
al., »Self-Disclosure in Group Therapy with Schizophrenics«, Archives of General Psychiatry ternational Journal of Group Psychotherapy 51 (200 1): 489-503.
32 [ 1975] : 1 259-61 . ) 2. R. Dies, »Models of Group Psychotherapy: Shifting Through Confusion«, International
55. A. Maslow, unveröffentlichtes Manuskript, 1 962. Journal of Group Psychotherapy 42 ( 1992): 1-17.
56. I. Yalom, See The Schopenhauer Cure, pp. 237 ff.; dt.: Die Schopenh_auerkur (München: btb, 3. S. Scheidlinger, »Group Dynamics and Group Psychotherapy Revisited Four Decades Later«,
2005). International Journal of Group Psychotherapy 47 ( 1 997): 141-59.
57. N. Fieldsteel, »The Process of Termination in Long-Term Psychoanalytic Group Therapy«, 4. I. Yalom und P. Houts, unveröffentlichte Daten, 1965.
International Journal of Group Psychotherapy 46 ( 1 996): 25-39. R. Klein, »Introduction to 5. L. Ormont, »Cultivating the Observing Ego in the Group Setting«, International Journal of
Special Section on Termination and Group Therapy«, International Journal of Group Psy­ Group Psychotherapy 45 ( 1 995): 489-502. L. Ormont, »Meeting Maturational Needs in the
chotherapy 46 ( 1996): 1-4. Group Setting«, International Journal of Group Psychotherapy 51 (200 1 ): 343-59.
58. J. Pedder, »Termination Reconsidered«, International Journal of Psychoanalysis 69 ( 1 988): 6. M. Lieberman, I. Yalom und M. Miles, Encounter Groups: First Facts (New York: Basic
495-505. Books, 1973).
59. I. Yalom, Existential Psychotherapy (New York: Basic Books, 1980); dt.: Existentielle Psycho­ 7. D. Lundgren und D. Miller, »Identity and Behavioral Changes in Training Groups«, Human
therapie (Köln: Edition Humanistische Psychologie, 1989). Relations Training News (spring 1 965).
60. M. Seligman, »The Effectiveness of Psychotherapy: The Consumer Reports Study«, Ameri­ 8. R. Coyne und R. Silver, »Direct, Vicarious, and Vicarious-Process Experiences«, Small Group
can Psychologist 50 ( 1995): 965-74. Behavior 1 1 ( 1 980): 419-29. R. Rosner, L. Beutler und R. Daldrup, »Vicarious Emotional
6 1 . S. Kopta, K. Howard, J. Lowry und L. Beutler, »Patterns of Symptomatic Recovery in Time­ Experience and Emotional Expression in Group Psychotherapy«, Journal of Counseling Psy­
Unlimited Psychotherapy«, Journal of Clinical and Consulting Psychology 62 ( 1994): 1 009- chology 56 (2000): 1-1 0.

680 68 1
9. V. Tschuschke und R. Dies, »Intensive Analysis of Therapeutic Factors and Outcome in the Formulation and Psychotherapy of Medically Unexplained Symptoms: Meaning- and
Long-Term Inpatient Groups«, International Journal of Group Psychotherapy ( 1994): 185- Attachment-Based Intervention«, American Journal of Psychotherapy 58 (2004): 1 7-33. M.
208. V. Tschuschke, K. MacKenzie, B. Haaser und G. Janke, »Self-Disclosure, Feedback, and Berger und M. Rosenbaum, »Notes on Help-Rejecting Complainers«, International Journal
Outcome in Long-Term Inpatient Psychotherapy Groups«, Journal of Psychotherapy Prac­ of Group Psychotherapy 17 ( 1 967): 357-70. S. Brody, »Syndrome of the Treatment-Rejec­
tice and Research 5 ( 1996): 35-44. ting Patient«, Psychoanalytic Review 5 1 ( 1964): 75-84. C. Peters und H. Grunebaum, »lt
10. J. Gans und E. Counselman, »Silence in Group Psychotherapy: A Powerful Communicati­ Could Be Worse: Effective Group Psychotherapy with the Help-Rejecting Complainers«, In­
on«, International Journal of Group Psychotherapy 50 (2000): 7 1-86. J. Rutan, »Growth ternational Journal of Group Psychotherapy 27 ( 1977): 47 1-80.
Through Shame and Humiliation«, International Journal of Group Psychotherapy 50 2 1 . Maunder und Hunter, »An Integrated Approach«.
(2000): 5 1 1-16. 22. E. Shapiro, »Dealing with Masochistic Behavior in Group Therapy from the Perspective of
1 1 . L. Ormont, »The Craft of Bridging«, International Journal of Group Psychotherapy 40 the Self«, Group 25 (2002): 107-20. Maunder und Hunter, »An Integrated Approach«. S. Fo­
( 1990): 3-17. reman, »The Significance of Turning Passive into Active in Control Mastery: Theory«, Jour­
12. M. Leszcz und J. Malat, »The Interpersonal Model of Group Psychotherapy«, in Praxis der nal of Psychotherapy Practice and Research 5 ( 1 996): 106-2 1 . Die Paradigmen der Selbst­
Gruppenpsychotherapie, Hg. V. Tschuschke (Frankfurt: Thieme, 200 1 ) : 355-69. S. Cohen, psychologie und der Bindungstheorie stimmen in dieser Hinsicht überein. Aus der Bin­
»Working with Resistance to Experiencing and Expressing Emotions in Group Therapy«, dungsperspektive tritt der Klient im Sinne eines abhängigen und unsicheren Bindungsmu­
International Journal of Group Psychotherapy 47 ( 1997): 443-58. sters zu anderen Menschen in Beziehung. Die Abhängigkeit von der Betreuungsperson ist
13. M. McCallum, W. Piper, J. Ogrodniczuk und A. Joyce, »Relationships Among Psychological im Wunsch nach Verbundenheit verwurzelt. Das Beklagen erfolgt mit der Absicht, Nähe zu
Mindedness, Alexithymia and Outcome in Four Forms of Short-Term Psychotherapy«, Psy­ kreieren, indem der Betreffende die Betreuungsperson zu sich hinzieht. Gleichzeitig schürt
chology and Psychotherapy: Theory, Research and Practice 76 (2003): 133-44. G. Taylor, R. die unzuverlässige Fürsorge, die der Klient in der Vergangenheit erlebt hat, seine Wachsam­
Bagby, D. Ryan, J. Parker, K. Dooday und P. Keefe, »Criterion Validity of the Toronto Alexi­ keit gegenüber jedem Anzeichen dafür, dass er letztendlich-doch verlassen werden wird. Hil­
thymia Scale«, Psychosomatic Medicine 50 ( 1988): 500-9. fe anzunehmen und gesättigt zu werden gibt dem Schrecken angesichts eben dieses Verlas­
14. H. Swiller, »Alexithymia: Treatment Utilizing Combined Individual and Group Psychothe­ senwerdens immer neue Nahrung.
rapy«, International Journal of Group Psychotherapy 38 ( 1 988): 47-6 1 . M. Beresnevaite, 23. Versäumen Sie es nicht, über die wahre Bedeutung der Klage des Hilfe ablehnenden Klagen­
»Exploring the Benefits of Group Psychotherapy in Reducing Alexithymia in Coronary den nachzudenken. Manche Kliniker vertreten die Auffassung, dass hinter den unablässigen
Heart Disease Patients: A Preliminary Study«, Psychotherapy and Psychosomatics 69 (2000): Klagen irgendein verborgener positiver oder adaptiver Wert verborgen sei, den es zu verste­
1 17-22. hen gelte.
15. P. Sifneos, »The Prevalence of ,Alexithymic< Characteristics in Psychosomatic Patients«, Psy­ 24. Frank et al., »Behavioral Patterns in Early Meetings«. E. Berne, Games People Play (New
chotherapy and Psychosomatics 22 ( 1973): 255-62. York: Grove Press, 1964); dt.: Spiele der Erwachsenen. Peters und Grunebaum, »lt Could Be
16. Beresnevaite, »Exploring the Benefits of Group Psychotherapy«. In dieser Studie benutzten Worse«.
die Forscher ein integratives Modell der Gruppentherapie, und die Behandlungsdauer wur­ 25. Wright, »Discussion of Difficult Patients«. R. Jacobs und D. Campbell, »The Perpetuation of
de auf 16 Sitzungen festgelegt. Die Arbeit setzte sich aus der aktiven Identifikation subjekti­ an Arbitrary Tradition Through Several Generations of a Laboratory Microculture«, Journal
ver Gefühle, Rollenspiel, Empathieübungen und Stressreduzierung zusammen; behandelt of Abnormal and Social Psychology 62 ( 1961 ) : 649-58.
wurden Patienten, die unter Herzkrankheiten litten. Durch die Gruppenarbeit gelang es, die 26. R. Moos und I. Yalom, ,,Medical Students' Attitudes Toward Psychiatry and Psychiatrists«,
bei Alexithymie-Messungen festgestellten Werte stark zu reduzieren, und auch die Herz­ Mental Hygiene 50 ( 1966): 246-56.
funktion besserte sich deutlich; diese Erfolge konnten über einen Zeitraum von zwei Jahren 27. L. Coch und J. French, »Overcoming Resistance to Change«, Human Relations 1 ( 1948) :
aufrechterhalten werden. 5 1 2-32.
1 7. W. Shields, »Hope and the Inclination to Be Troublesome: Winnicott and the Treatment of 28. N. Kanas, »Group Psychotherapy with Bipolar Patients: A Review and Synthesis«, Interna­
Character Disorder in Group Therapy«, International Journal of Group Psychotherapy 50 tional Journal of Group Psychotherapy 43 ( 1993) : 32 1-35. F. Volkmar et al., »Group Thera­
(2000): 87-103. py in the Management of Manie-Depressive Illness«, American Journal of Psychotherapy 35
18. J. Kirman, »Working with Anger in Group: A Modem Analytic Approach«, International ( 1 981): 226-33. I. Patelis-Siotis et al., »Group Cognitive-Behavioral Therapy for Bipolar Dis­
Journal of Group Psychotherapy 45 ( 1995) : 303-29. D. Kiesler, »Therapist Countertransfe­ order: A Feasibility and Effectiveness Study«, Journal of Affective Disorders 65 (200 1 ) : 145-
rence: In Search of Common Themes and Empirical Referents«, In Session: Psychotherapy 53. M. Sajatovic, M. Davies und D. Hrouda, »Enhancement of Treatment Adherence Among
in Practice 57 (200 1 ) : 1053-63. G. Gabbard, »A Contemporary Psychoanalytic Model of Patients with Bipolar Disorder«, Psychiatrie Services 55 (2004): 264-69. R. Weiss, L. Najavits
Countertransference«, In Session: Psychotherapy in Practice 57 (200 1 ) : 983-9 1 . J. Hayes, und S. Greenfield, »A Relapse Prevention Group for Patients with Bipolar and Substance Use
»Countertransference in Group Psychotherapy: Waking a Sleeping Dog«, International Disorders«, Journal of Substance Abuse Treatment 16 ( 1999): 47-54. F. Colom et al., »A
Journal of Group Psychotherapy 45 ( 1995) : 52 1-35. Randomized Trial on the Efficacy of Group Psychoeducation in the Prophylaxis of Re­
1 9. J. Frank et al., »Behavioral Patterns in Early Meetings of Therapeutic Groups«, American currences in Bipolar Patients Whose Disease is in Remission«, Archives of General Psych­
Journal of Psychiatry 108 ( 1952): 771-78. iatry 60 (2003): 402-7.
20. E. Shapiro, »Dealing with Masochistic Behavior in Group Therapy from the Perspective of 29. M. Leszcz, »Group Psychotherapy of the Characterologically Difficult Patient«, International
the Self«, Group 25 (2002): 107-20. R. Maunder und J. Hunter, »An Integrated Approach to Journal of Group Psychotherapy 39 ( 1989): 3 1 1-35. L. Ormont, »The Role of the Leader in

682 683
Managing the Preoedipal Patient in the Group Setting«, International Journal of Group Psy­ 39. Kemberg, »An Ego Psychology Object Relations Theory«. Kernberg, Borderline Conditions
chotherapy 39 ( 1989): 147-7 1 . R. Klein, J. Orleans und C. Soule, »The Axis II Group: Trea­ and Pathological Narcissism; dt.: Borderline-Störungen und pathologischer Narzißmus. H.
ting Severely Characterologically Disturbed Patients«, International Journal of Group Psy­ Kohut, The Analysis of the Seif (New York: International Universities Press, 1971); dt.: Nar­
chotherapy 4 1 ( 1991 ): 97- 1 1 5. D. Silver, »Psychotherapy of the Characterologically Difficult zißmus (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1 973 ). H. Kohut, The Restoration of the Seif (New
Patient«, Canadian Journal of Psychiatry 28 ( 1983): 5 1 3-2 1 . York: International Universities Press, 1 977); dt.: Die Heilung des Selbst (Frankfurt a. M.:
30. J. Shedler und D. Westen, »Refining Personality Disorder Diagnosis: Integrating Science and Suhrkamp, 1 98 1 ).
Practice«, American Journal of Psychiatry 161 (2004): 1350-65. 40. J. Gunderson, Borderline Personality Disorder: A Clinical Guide (Washington, D.C.: Ameri­
3 1 . Gans und Alonso, »Difficult Patients«. can Psychiatrie Press, 2001 ) . Piper und Rosie, »Group Treatment of Personality Disorders«.
32. M. Leszcz, »Group Psychotherapy of the Borderline Patient«, in Handbook of Borderline Leszcz, »Group Psychotherapy of the Borderline Patient«. Marziali und Monroe-Blum, In­
Disorders, Hg. D. Silver und M. Rosenbluth (Madison, Conn.: International Universities terpersonal Group Psychotherapy for Borderline Personality Disorder. Bateman und Fona­
Press, 1992): 435-70. E. Marziali und H. Monroe-Blum, lnterpersonal Group Psychotherapy gy, »Treatment of Borderline Personality Disorder«. American Psychiatrie Association,
for Borderline Personality Disorder (New York: Basic Books, 1994). S. Budman, A. Demby, »Practice Guideline for the Treatment of Patients with Borderline Personality Disorder«,
S. Soldz und J. Merry, »Time-Limited Group Psychotherapy for Patients with Personality American Journal of Psychiatry 158 (suppl 1 1 , 2001): 1-52.
Disorders: Outcomes and Dropouts«, International Journal of Group Psychotherapy 46 41. L. Horwitz, »Group Psychotherapy for Borderline and Narcissistic Patients«, Bulletin of the
( 1996): 357-77. S. Budman, S. Cooley, A. Demby, G. Koppenaal, J. Koslof und T. Powers, »A Menninger Clinic 44 ( 1 980): 1 8 1-200. N. Wong, »Clinical Considerations in Group Treat­
Model of Time-Effective Group Psychotherapy for Patients with Personality Disorders: A ment of Narcissistic Disorders«, International Journal of Group Psychotherapy 29 ( 1979):
Clinical Model«, International Journal of Group Psychotherapy 46 ( 1996): 329-55. A. Bate­ 325----45. R. Kretsch, Y. Goren und A. Wasserman, »Change Patterns of Borderline Patients in
man und P. Fonagy, » Treatment of Borderline Personality Disorder with Psychoanalytically Individual and Group Therapy«, International Journal of Group Psychotherapy 37 ( 1 987):
Oriented Partial Hospitalization: An 18-Month Follow-Up«, American Journal of Psychiatry 95-1 12. Klein et al., »The Axis II Group«. J. Grobman, »The Borderline Patient in Group
1 58 (200 1 ) : 36-42. W. Piper und J. Rosie, »Group Treatment of Personality Disorders: The Psychotherapy: A Case Report«, International Journal of Group Psychotherapy 30 ( 1 980):
299-3 1 8. B. Finn und S. Shakir, »Intensive Group Psychotherapy of Borderline Patients«,
Power of the Group in the Intensive Treatment of Personality Disorders«, In Session: Psy­
Group 14 ( 1990): 99-1 10. K. O'Leary et al., »Homogeneous Group Therapy of Borderline
chotherapy in Practice 4 ( 1 998): 19-34. W. Piper, J. Rosie, A. Joyce und H. Azim, Time-Li­
Personality Disorder«, Group 15 ( 199 1): 56-64. S. Shakir, persönliche Mitteilung, Februar
mited Day Treatment for Personality Disorders: Integration of Research and Practice in a
1 994. M. Leszcz, I. Yalom und M. Norden, » The Value of Inpatient Group Psychotherapy:
Group Program (Washington, D.C.: American Psychological Association, 1996). M. Chiesa
Patients' Perceptions«, International Journal of Group Psychotherapy 35 ( 1985): 41 1-33. I.
und P. Fonagy, »Psychosocial Treatment for Severe Personality Disorder: 36-Month Follow­
Yalom, Inpatient Group Psychotherapy (New York: Basic Books, 1 983). N. Macaskill, »The
Up«, British Journal of Psychiatry 1 83 (2003): 356-62.
Narcissistic Core as a Focus in the Group Therapy of the Borderline Patient«, British Journal
33. J. Herman, Trauma and Recovery (New York: Harper Collins, 1 992); dt.: Die Narben der Ge­
of Medical Psychology 53 ( 1 980): 1 37-43. S. Budman, A. Demby, S. Soldz und J. Merry,
walt (Paderborn: Junfermann, 2003). M. Zanarin, F. Frankenburg, E. Dubo, A. Sicke!, A.
»Time-Limited Group Psychotherapy for Patients with Personality Disorders: Outcomes
Trikha und A. Levin, »Axis I Comorbidity of Borderline Personality Disorder«, American
and Dropouts«, International Journal of Group Psychotherapy 46 ( 1996): 357-77.
Journal of Psychiatry 155 ( 1998): 1733-39. J. Ogrodniczuk, W. Piper, A. Joyce und M. Mc­ 42. M. Leszcz, »Group Psychotherapy of the Borderline Patient«.
Callum, »Using DSM Axis IV Formulation to Predict Outcome in Short-Term Individual 43. Klein et al., » The Axis II Group«.
Psychotherapy«, Journal of Personality Disorders 15 (2001 ): 1 10-22. C. Zlotnick et al., »Cli­ 44. M. Bond, E. Banon und M. Grenier, »Differential Effects of lnterventions on the Therapeu­
nical Features and Impairment in Women with Borderline Personality Disorder (BPD) with tic Alliance with Patients with Borderline Personality Disorders«, Journal of Psychotherapy
Posttraumatic Stress Disorder (PTSD), BPD Without PTSD, and Other Personality Disor­ Practice and Research 7 ( 1 998): 301-1 8.
ders with PTSD«, Journal of Nervous and Mental Diseases 1 9 1 (2003): 706-13. 45. K. Heffernan und M. Cloitre, »A Comparison of Posttraumatic Stress Disorder with and
34. M. Leszcz, »Group Therapy«, in Treatment of Psychiatrie Disorders, Bd. 3, Hg. J. Gunderson Without Borderline Personality Disorder Among Women with a History of Childhood Se­
(Washington, D.C.: American Psychiatrie Press, 1990): 2667-78. xual Abuse: Etiological and Clinical Characteristics«, Journal of Nervous and Mental Di­
35. J. Sartre, The Age of Reason, übers. v. Eric Sutton (New York: Knopf, 1952): 144; dt.: Die Zeit seases 188 (2000): 589-95. M. Cloitre und K. Koenen, »The Impact of Borderline Personali­
der Reife (Reinbek: Rowohlt, 1986). ty Disorder on Process Group Outcomes Among Women with Posttraumatic Stress Disor­
36. American Psychiatrie Association, Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, der Related to Childhood Abuse«, International Journal of Group Psychotherapy 51 (2001):
4th ed. Text Rev. (Washington, D.C.: American Psychiatrie Association, 2000). 379-98.
37. 0. Kernberg, »An Ego Psychology Object Relations Theory of the Structure and Treatment 46. Leszcz, »Group Psychotherapy of the Characterologically Difficult Patient«. Horwitz,
of Pathologie Narcissism: An Overview«, Psychiatrie Clinics of North America 12 ( 1989): »Group Psychotherapy for Borderline and Narcissistic Patients«. Wong, »Clinical Conside­
723-29. 0. Kernberg, Borderline Conditions and Pathological Narcissism (New York: Jason rations in Group Treatment of Narcissistic Disorders«. N. Wong, »Combined Group and
Aronson, 1 975); dt.: Borderline-Störungen und pathologischer Narzißmus ( Frankfurt, Individual Treatment of Borderline and Narcissistic Patients«, International Journal of
Suhrkamp, 1983). Group Psychotherapy 30 ( 1980): 389-403. Klein et al., »The Axis II Group«.
38. J. Perry, »Problems and Considerations in the Valid Assessment of Personality Disorders«, 47. J. Kosseff, »The Unanchored Seif: Clinical Vignettes of Change in Narcissistic and Borderline
American Journal of Psychiatry 149 ( 1992): 1645-53. G. Mellsop et al., »The Reliability of Patients in Groups: Introduction«, International Journal of Group Psychotherapy 30 (1980):
Axis II of DSM-III«, American Journal of Psychiatry 139 ( 1982) : 1360-61 . 387-88.

684 685
48. Shedler und Westen, »Refining Personality Disorder Diagnosis«. nal of Group Psychotherapy 32 ( 1982): 267-82. K. Porter, »Combined Individual and Group
49. American Psychiatrie Association, Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Psychotherapy«, in Group Therapy in Clinical Practice, Hg. A. Alonso und H. Swiller (Was­
4th ed., 66 1; dt.: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (Göttingen hington, D.C.: American Psychiatrie Association Press, 1993): 309-4 1.
u. a.: Hogrefe, 1998). 8. Ormont, »Principles and Practice of Conjoint Psychoanalytic Treatment«. M. Leszcz, »Group
50. Kemberg, »An Ego Psychology Object Relations Theory«. Kemberg, Borderline Conditions Psychotherapy of the Borderline Patient«, in Handbook of Borderline Disorders, Hg. D. Sil­
and Pathological Narcissism; dt.: Borderline-Störungen und pathologischer Narzißmus. ver und M. Rosenbluth (Madison, Conn.: International Universities Press, 1 992) : 435-69. J.
5 1 . M. Livingston und L. Livingston, »Conflict and Aggression in Group Psychotherapy: A Seif Schacter, »Concurrent Individual and Individual In-a-Group Psychoanalytic Psychothera­
Psychological Vantage Point«, International Journal of Psychotherapy 48 ( 1998): 381-9 1 . J. py«, Journal of the American Psychoanalytic Association 36 ( 1988): 455-71 .
Homer, »A Characterological Contraindication for Group Psychotherapy«, Journal of Ame­ 9 . J. Gans, »Broaching and Exploring the Question o f Combined Group and Individual The­
rican Academy of Psychoanalysis 3 ( 1 975): 30 1-5. rapy«, International Journal of Group Psychotherapy 40 ( 1 990): 123-37.
52. Die Lösung der Therapieaufgaben kann durch theoretische Bezugsrahmen wie beispielswei­ 10. K. Ulman, »The Ghost in the Group Room: Countertransferential Pressures Associated with
se den selbstpsychologischen oder den intersubjektiven gefördert werden. Beide genannten Conjoint Individual and Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychothe­
Ansätze schärfen unsere Fokussierung auf das subjektive Erleben narzisstisch verletzlicher rapy 52 (2002) : 387-407. K. Porter, »Combined Individual and Group Psychotherapy«, in
Klienten. Leszcz, »Group Psychotherapy of the Characterologically Difficult Patient«. Li­ Group Therapy in Clinical Practice, Hg. A. Alonso und H. Swiller (Washington, D.C.: Ame­
vingston und Livingston, »Conflict and Aggression in Group Psychotherapy«. M. Baker und rican Psychiatrie Press, 1993): 309-41 .
H. Baker, »Self-Psychological Contributions to the Theory and Practice of Group Psycho­ 1 1 . K. Porter, »Combined Individual and Group Psychotherapy«. S . Lipsius, »Combined Indivi­
therapy«, in Group Therapy in Clinical Practice, Hg. A. Alonso und H. Swiller (Washington, dual and Group Psychotherapy: Guidelines at the Interface«, International Journal of Group
D.C.: American Psychiatrie Press, 1993): 49-68. I. Harwood, »Distinguishing Between the Psychotherapy 41 ( 1991 ): 3 1 3-27. H. Swiller, »Alexithymia: Treatment Using Combined In­
Facilitating and the Self-Serving Charismatic Group Leader«, Group 27 (2003): 1 2 1-29. W. dividual and Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 37
Stone, »Seif Psychology and the Higher Mental Functioning Hypothesis: Contemporary ( 1 988): 47-6 1 . J. Rutan und A. Alonso, »Common Dilemmas in Combined Individual and
Theories«, Group Analysis 29 ( 1996): 169-8 1 . D. Brandchaft und R. Stolorow, »The Difficult Group Treatment«, Group 14 ( 1 990): 5-12.
Patient: Intersubjective Perspective«, in Borderline and Narcissistic Patients in Therapy, Hg. 12. E. Amaranto und S. Bender, »Individual Psychotherapy as an Adjunct to Group Psychothe­
N. Slavinsky-Holy (Madison, Conn.: International Universities Press, 1 988): 243-66. rapy«, International Journal of Group Psychotherapy 40 ( 1 990): 91-101 . S. Budman, per­
53. M. Pines, »Group Analytic Therapy of the Borderline Patient«, Group Analysis 1 1 ( 1 978): sönliche Mitteilung, 1993.
1 15-26. 1 3. J. Rutan und W. Stone, »Duration of Treatment in Group Psychotherapy«, International
Journal of Group Psychotherapy 34 ( 1984): 93-109. Eine Studie, in der gleichzeitige und
Kapitel 14
kombinierte Gruppentherapie für Klienten mit Essstörungen verglichen wurde, zeigte, dass
1. E. Paykel, »Psychotherapy, Medication Combinations, and Compliance«, Journal of Clinical die kombinierte Form weit wirksamer ein vorzeitiges Abbrechen der Therapie verhinderte.
Psychiatry 56 ( 1 995): 24-30. D. Greben, »Integrative Dimensions of Psychotherapy Trai­ (Mehr als dreimal so viele Klienten verließen Gruppen vorzeitig, wenn sie gleichzeitig ein­
ning«, Canadian Journal of Psychiatry 49 (2004): 238-48. zel- und gruppentherapeutisch behandelt wurden.) K. Scheuble et al., »Premature Termina­
2. H. Bernard und S. Droh, »The Experience of Patients in Conjoint Individual and Group tion: A Risk in Eating Disorder Groups«, Group ( 1 987): 85-93.
Therapy«, International Journal of Group Psychotherapy 35 ( 1 985): 1 29-46. K. Porter, 14. R. Matano und I. Yalom, »Approaches to Chemical Dependency: Chemical Dependency and
»Combined Individual and Group Psychotherapy: A Review of the Literature, 1965-1978«, Interactive Group Therapy: A Synthesis«, International Journal of Group Psychotherapy 4 1
International Journal of Group Psychotherapy 30 ( 1980): 1 07-14. ( 1991 ): 269-93. M. Freimuth, »Integrating Group Psychotherapy and 12-Step Work: A Col­
3. K. Schwartz, »Concurrent Group and Individual Psychotherapy in a Psychiatrie Day Hospi­ laborative Approach«, International Journal of Group Psychotherapy 50 (2000): 297-3 14.
tal for Depressed Elderly«, International Journal of Group Psychotherapy 54 (2004): 1 77- 1 5. E. Khantzian, »Reflection on Group Treatments as Corrective Experiences in Addictive Vul­
20 1 . nerability«, International Journal of Group Psychotherapy 5 1 (2001 ): 1 1-20.
4 . B . Roller und V. Nelson, »Group Psychotherapy Treatment o f Borderline Personalities«, In­ 16. P. Flores, »Addition as an Attachment Disorder: Implications for Group Therapy«, Interna­
ternational Journal of Group Psychotherapy 49 ( 1999): 369-85. F. DeZuleta und P. Mark, tional Journal of Group Psychotherapy 5 1 (2001 ): 63-82. M. Litt, R. Kadden, N. Cooney und
»Attachment and Contained Splitting: A Combined Approach of Group and Individual E. Kabela, »Coping Skills and Treatment Outcomes in Cognitive-Behavioral and Interactio­
Therapy to the Treatment of Patients from Borderline Personality Disorder«, Group Analy­ nal Group Therapy for Alcoholism«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 7 1
sis 33 (2000): 486-500. E. Fried, »Combined Group and Individual Therapy with Passive (2003): 1 1 8-28.
Narcissistic Patients«, International Journal of Group Psychotherapy 5 ( 1955): 194. 1 7. Project MATCH Research Group, »Matching Alcoholism Treatments to Client Heterogenei­
5. K. Chard, T. Weaver und P. Resick, »Adapting Cognitive Processing Therapy for Child Sexu­ ty: Project MATCH Post-Treatment Drinking Outcomes«, Journal of Studies in Alcohol 58
al Abuse Survivors«, Cognitive and Behavioral Practice 4 ( 1 997): 3 1-52. N. Lutwack, »Sha­ ( 1997) : 7-29. Stephanie Brown, persönliche Mitteilung, 2004. M. Seligman, »The Effec­
me, Warnen, and Group Psychotherapy«, Group 22 ( 1998): 129-43. tiveness of Psychotherapy: The Consumer Reports Study«, American Psychologist 50 ( 1995 ):
6. L. Ormont, »Principles and Practice of Conjoint Psychoanalytic Treatment«, American Jour­ 965-74.
nal of Psychiatry 138 ( 198 1 ): 69-73. 18. P. Ouimette, R. Moos und J. Finney, »Influence of Outpatient Treatment and 12-Step Group
7. J. Rutan und A. Alonso, »Group Therapy, Individual Therapy, or Both?« International Jour- Involvement on One Year Substance Abuse Treatment Outcomes«, Journal of Studies on Al-

686 687
cohol 59 ( 1998): 5 1 3-22. S. Lash, G. Petersen, E. O'Connor und L. Lahmann, »Soda! Rein­ Dugo und A. Beck, »Significance and Complexity of Early Phases in the Development of the
forcement of Substance Abuse After Care Group Therapy Attendants«, Journal of Substance Co-Therapy Relationship«, Group Dynamics: Theory, Research, and Practice 1 ( 1997): 294-
Abuse Treatment 20 (200 1 ) : 3-8. 305. S. Wheelan, »Co-Therapists and the Creation of a Functional Psychotherapy Group: A
19. Matano und Yalom, »Approaches to Chemical Dependency«. Freimuth, »Integrating Group Group Dynamics Perspective«, Group Dynamics: Theory, Research, and Practice 1 ( 1997):
Psychotherapy and 12-Step Work«. 306-10.
20. Matano und Yalom, »Approaches to Chemical Dependency«. 35. R. Desmond und M. Seligman, »A Review of Research on Leaderless Groups«, Small Group
2 1 . Untersuchungen über die Vorlieben von Therapeuten ergaben, dass zwischen 75 und 90 Behavior 8 ( 1 977): 3-24.
Prozent die Arbeit mit einem Co-Therapeuten bevorzugen (1. Paulson, J. Burroughs und C. 36. Rutan und Stone, Psychodynamic Group Psychotherapy 3rd ed. (New York: Guilford,
Gelb, »Co-Therapy: What Is the Crux of the Relationship?« International Journal of Group 2000).
Psychotherapy 26 [ 1 976] : 2 1 3-24). R. Dies, J. Mallet und F. Johnson, »Openness in the Co­ 37. Yalom, Tinklenberg und Gilula, unveröffentlichtes Datenmaterial.
Leader Relationship: Its Effect on Group Process and Outcome«, Small Group Behavior 1 0 38. D. Derr und D. Zampfer, »Dreams in Group Therapy: A Review of Models«, International
(1 979): 523-46. H. Rabin, »How Does Co-Therapy Compare with Regular Group Therapy?« Journal of Group Psychotherapy 46 ( 1996): 501-15.
American Journal of Psychotherapy 2 1 ( 1967): 244-55. 39. M. Livingston, »Self-Psychology, Dreams, and Group Psychotherapy: Working in the Play
22. C. Hendrix, D. Fournier und K. Briggs, » Impact of Co-Therapy Teams on Client Outcomes Space«, Group 25 (2001): 1 5-26.
and Therapist Training in Marriage and Family Therapy«, Contemporary Family Therapy: 40. J. Pawlik et al., »The Use of Dreams in a Small Analytic Group«, Group Analysis 23 ( 1990):
An International Journal 23 (2001): 63-82. 1 63-71 . C. Kieffer, »Using Dream Interpretation to Resolve Group Developmental Impas­
23. H. Rabin, »How Does Co-therapy Compare«. H. Spitz und S. Kopp, »Multiple Psychothera­ ses«, Group 20 ( 1996): 273-85.
py«, Psychiatrie Quarterly Supplement 3 1 ( 1957): 295-331. Paulson et al., »Co-Therapy: 41. M. Alpert, »Videotaping Psychotherapy«, The Journal of Psychotherapy Practice and Re­
What Is the Crux«. Dies et al., »Openness in the Co-Leader Relationship«. R. Dick, K. Lessler search 5 ( 1996): 93-105.
42. M. Berger, Hg., Videotape Techniques in Psychiatrie Training and Treatment (New York:
und J. Whiteside, »A Developmental Framework for Co-Therapy«, International Journal of
Brunner/Mazel, 1978). D. Skafte, »Video in Groups: Implications for a Soda! Theory of
Group Psychotherapy 30 ( 1980): 273-85.
Seif«, International Journal of Group Psychotherapy 37 ( 1987) : 389-402.
24. M. Leszcz und P. Goodwin, »The Rationale and Foundations of Group Psychotherapy for
43. D. Miller, »The Effects of immediate and Delayed Audio and Videotaped Feedback on Group
Women with Metastatic Breast Cancer«, International Journal of Group Psychotherapy 48
Counseling«, Comparative Group Studies 1 ( 1970): 19-47. M. Robinson, »A Study of the
( 1 998): 245-74.
Effects of Focused Videotaped Feedback in Group Counseling«, Comparative Group Studies
25. I. Harwood, »Creative Use of Gender in a Co-Therapy Group Composition When Addres­
1 ( 1970): 47-77.
sing Early Attachment, Trauma, and Cross-Cultural Issues«, Psychoanalytic Inquiry 23
44. M. Berger, »Use ofVideotape in Group Psychotherapy«, in Comprehensive Group Psycho­
(2003): 697-712. L. Livingston, »Transferences Toward the Co-Therapist Couple: Dyadic
therapy, Hg. H. Kaplan und B. Sadock (Baltimore: Williams & Wilkins, 1993): 355-62.
Relationships and Self-Object Needs«, Group 25 (200 1 ) : 59-72. 45. N. Mayades und D. O'Brien, » The Use ofVideotape in Group Therapy«, in Videotape Tech­
26. B. Roller und V. Nelson, The Art of Co-Therapy: How Therapists Work Together (New York: niques in Psychiatrie Training and Treatment, Hg. M. Berger (New York: Brunner/Mazel,
Guilford Press, 1991). R. Dies, »Current Practice in the Training of Group Therapists«, In­ 1978): 2 1 6-29.
ternational Journal of Group Psychotherapy 30 (1 980): 169-85. 46. M. Ravensborg, »Debunking Video Magie«, International Journal of Group Psychotherapy
27. I. Yalom, J. Tinklenberg und M. Gilula, unveröffentlichte Daten, Department of Psychiatry, 38 ( 1988): 52 1-22.
Stanford University, 1 967. 47. M. Berger, »The Use of Video Tape with Psychotherapy Groups in a Community Mental
28. S. McNary und R. Dies, »Co-Therapist Modeling in Group Psychotherapy: Fact or Fiction?« Health Program«.
Group 15 ( 1993): 1 3 1-42. 48. J. Rubin und K. Locascio, »A Model for Communicational Skills Group Using Structured
29. J. Haley, Problem Solving Therapy, 2nd ed. (San Francisco: Jossey-Bass, 1 987); dt.: Direktive Exerdses and Audiovisual Equipment«, International Journal of Group Psychotherapy 35
Familientherapie (München: Pfeiffer, 1 977). ( 1985): 569-84.
30. B. Roller und V. Nelson, »Cotherapy«, in Comprehensive Group Psychotherapy, Hg. H. Ka- 49. M. Alpert, »Videotaping Psychotherapy«, Journal of Psychotherapy Practice and Research 5
plan und B. Sadock (Baltimore: Williams & Wilkins, 1993): 304-12. ( 1 996): 93-105.
31. Paulson et al., »Co-Therapy: What Is the Crux«. 50. C. Classen et al., »Effectiveness of a Training Program for Enhancing Therapists' Understan­
32. Roller und Nelson, »Cotherapy«. ding of the Supportive-Expressive Treatment Model for Breast Cancer Groups«, Journal of
33. L. Murphy, M. Leszcz, A. Collins und J. Salvendy, »Some Observations on the Subjective Ex­ Psychotherapy Practice and Research 6 ( 1997): 2 1 1-18.
perience of Neophyte Group Therapy Trainees«, International Journal of Group Psychothe­ 5 1 . J. Waltz, M. Addis, K. Koerner und N. Jacobson, »Testing the Integrity of a Psychotherapy
rapy ( 1996): 543-52. Protocol: Assessment of Adherence and Competence«, Journal of Consulting Clinical Psy­
34. Folgendes neun Phasen umfassendes Modell für die Entwicklung einer Co-Therapie wurde chology 6 1 ( 1994): 620-30. P. Goodwin et al., »Lessons Learned from Enrollment in the
beschrieben: Entwickeln eines Vertrags über die zu leistende Arbeit; Entwickeln einer Iden­ BEST Study: A Multicenter Randomized Trial of Group Psychosocial Support in Metastatic
tität als Team; Entwickeln eines Austauschs und von Respekt; Entwickeln von Nähe; Defi­ Breast Cancer«, Journal of Clinical Epidemiology 53 (2000): 47-55.
nieren von Stärken und Schwächen; Erforschen von Möglichkeiten; Unterstützen der Selbst­ 52. I. Yalom, S. Brown und S. Bloch, » The Written Summary as a Group Psychotherapy Techni­
konfrontation; Durchführen der Veränderungsarbeit; Abschluss oder Reorganisation. J. que«, Archives of General Psychiatry 32 ( 1 975): 605-13.

688 689
53. R. Beck, »The Written Summary in Group Psychotherapy Revisited«, Group 13 ( 1 989): 102- chotherapy«, in Comprehensive Group Psychotherapy, Hg. H. Kaplan und B. Sadock (Bal­
1 1 . M. Aveline, »The Use of Written Reports in a Brief Group Psychotherapy Training«, In­ tin;iore: Williams & Wilkins, 1993): 228-35. C. Naranjo, Gestalt Therapy: The Attitude and
ternational Journal of Group Psychotherapy 36 ( 1986): 477-82. Practice of an Atheoretical Experimentalism (Nevada City, Nev.: Gateways/IDHHB Publis­
54. Interessant ist auch, dass es in den letzten zehn bis zwanzig Jahren zu einer wahren Explosi­ hing, 1993). S. Ginger und A. Ginger, »Gestalt Therapy Groups: Why?« Gestalt 4 (2000). J.
on narrativer Ansätze in der medizinischen und psychologischen Behandlung gekommen Earley, »A Practical Guide to Fostering Interpersonal Norms in a Gestalt Group«, Gestalt
ist, welche beinhalten, dass Klienten und/oder ihre Betreuer über ihre emotionalen Erleb­ Review 4 (2000): 138-5 1 .
nisse und Reaktionen auf körperliche Krankheiten und Traumata und auf die Behandlung 63. M . Lieberman, 1 . Yalom, M . Miles, Encounter Groups: First Facts (New York: Basic Books,
derselben schreiben. Dieses Schreiben hat eine starke positive Wirkung, die sich nicht in 1 973).
subjektiven Berichten über psychisches Wohlbefinden erschöpft, sondern sich auch objektiv 64. Ibid.
anhand des Grades der körperlichen Gesundheit oder Krankheit messen lässt. (M. White
und D. Epston, Narrative Means to Therapeutic Ends [New York: Norton, 1 990] .) R. Lieb Ka pitel 15
und S. Kanofsky, » Toward a Constructivist Control Mastery Theory: An Integration with 1 . Weder der begrenzte Raum noch die rasch wachsende Zahl der Spezialgruppen gestatten es,
Narrative Therapy«, Psychotherapy: Theory, Research, Practice, Training 40 (2003): 1 87- in diesem Buch eine umfassende Liste dieser Gruppen und eine entsprechende Bibliografie
202. Es liegen auch Berichte über Therapeuten vor, die ihren Klienten in Briefen während zusammenzustellen. Literaturnachweise per Computer sind so leicht zu haben und so zu­
einer Behandlung oder kurz nach deren Ende Hindernisse für die Therapie beschreiben. (B. verlässig, dass sich Leser für jede Art von Spezialgruppe problemlos eine aktuelle Biografie
Laub und S. Hoffmann, »Dialectical Letters: An Integration of Dialectical Cotherapy and beschaffen können.
Narrative Therapy«, Psychotherapy: Theory, Research, Practice, Training 39 [2002] : 1 77- 2. P. Cox, F. Ilfeld Jr., B. Squire Ilfeld und C. Brennan, »Group Therapy Program Development:
83.) Clinician-Administrator Collaboration in New Practice Settings«, International Journal of
55. M. Chen, J. Noosbond und M. Bruce, »Therapeutic Document in Group Counseling: An Group Psychotherapy 50 (2000): 3-24. E. Lonergan, »Discussion of ,Group Therapy Pro­
Active Change Agent«, Journal of Counseling and Development 76 ( 1 998): 404-1 1 . gram Development'«, International Journal of Group Psychotherapy 50 (2000): 43-45. G.
56. S . Brown und I . Yalom, »Interactional Group Therapy with Alcoholics«, Journal o f Studies Burlingame, D. Earnshaw, M. Hoag, S. Barlow, »A Systematic Program to Enhance Clinician
on Alcohol 38 ( 1 977): 426-56. Group Skills in an Inpatient Psychiatrie Hospital«, International Journal of Group Psycho­
57. H. Spitz, Group Psychotherapy and Managed Mental Health Care: A Clinical Guide for Pro­ therapy 52 (2002): 555-87.
viders (New York: Brunner/Mazel, 1 996): 1 59-69. M. Leszcz, »Recommendations for Psy­ 3. J. Salvendy, »Brief Group Therapy at Retirement«, Group 13 ( 1 989): 43-57. H. Nobler, »It's
chotherapy Documentation«, Guidelines of the University of Toronto, Department of Never Too Late to Change: A Group Therapy Experience for Older Warnen«, Group 1 6
Psychiatry, Psychotherapy Program, 200 1 . ( 1 992): 146-55.
58. M. Leszcz, »Group Therapy«, in Comprehensive Review o f Geriatrie Psychiatry, 3rd Edition, 4. M. Leszcz, »Group Therapy«, in Comprehensive Review of Geriatrie Psychiatry, 3rd ed., Hg.
J. Sadavoy, L. Jarvik, G. Grossberg und B. Meyers, Hg. (New York: Norton, 2004): 1 023-54. J. Sadavoy, L. Jarvik, G. Grossberg und B. Meyers (New York: Norton, 2004): 1 023-54.
I. Yalom, Inpatient Group Psychotherapy (New York: Basic Books, 1 983). B. van der Kolk, 5. R. Klein und V. Schermer, »Introduction and Overview: Creating a Healing Matrix«, in
»The Body Keeps the Score: Approaches to the Psychobiology of Post Traumatic Stress Dis­ Group Psychotherapy for Psychological Trauma, Hg. R. Klein und V. Schermer (New York:
order«, in Traumatic Stress, the Effects of Overwhelming Experience on Mind, Body and Guilford Press, 2000): 3-46. J. Herman, Trauma and Recovery, rev. ed. (New York: Basic
Society, Hg. B. van der Kolk, A. C. McFarlane und L. Weisaeth (New York: Guilford Press, Books, 1997); dt.: Die Narben der Gewalt (Paderborn: Junfermann, 2003). H. Lubin, M. Lo­
1 996): 2 1 4-41 ; dt.: »Der Körper vergißt nicht. Ansätze einer Psychophysiologie der post­ ris, J. Burt und D. Johnson, »Efficacy of Psychoeducational Group Therapy in Reducing
traumatischen Belastungsstörung«, in Traumatic Stress - Grundlagen und Behandlungsan­ Symptoms of Posttraumatic Stress Disorder Among Multiply Traumatized Warnen«, Ame­
sätze (Paderborn: Junfermann, 2000). rican Journal of Psychiatry 1 55 ( 1998): 1 172-77. M. Robertson, P. Rushton, D. Bartrum und
59. J. Kabat-Zinn, Wherever You Go, There You Are: Mindfulness Meditation in Everyday Life R. Ray, »Group-Based Interpersonal Psychotherapy for Posttraumatic Stress Disorder: Theo­
(New York: Hyperion, 1994); dt.: Stark aus eigener Kraft (München u. a.: 0. W. Barth, 1995). retical and Clinical Aspects«, International Journal of Group Psychotherapy 54 (2004): 145-
Z. Segal, M. Williams, J. Teasdale, Mindfulness-Based Cognitive Therapy for Depression: a 75.
New Approach to Preventing Relapse (New York: Guilford Press, 200 1 ) . 6. A. McKarrick et al., »National Trends in the Use of Psychotherapy in Psychiatrie Inpatient
60. P. Finkelstein, B . Wenegrat und 1. Yalom, » Large Group Awareness Training«, Annual Review Settings«, Hospital Community Psychiatry 39 ( 1 988): 835-41.
of Psychology 33 ( 1 982): 5 1 5-39. 7. In der folgenden Darstellung stütze ich mich in starkem Maße auf mein Buch Inpatient
61. F. Perls, The Gestalt Approach and Eyewitness to Therapy (Ben Lomond, Calif.: Science and Group Psychotherapy (New York: Basic Books, 1 983, dt.: Im Hier und Jetzt, München, btb
Behavior Books, 1974). F. Perls, Gestalt Therapy Verbatim (Moab, Utah: Real People Press, 2005), in dem interessierte Leser eine tiefer gehende Darstellung der Thematik finden. Ob­
1969); dt.: Gestalttherapie in Aktion (Stuttgart: Klett, 1974). F. Perls, Ego, Hunger, and Ag­ wohl dieses Modell für die stationäre Behandlung entwickelt wurde, wurde es später modi­
gression (New York: Vintage Books, 1 969); dt.: Das Ich, der Hunger und die Aggression fiziert und an viele andere Zusammenhänge angepasst, unter anderem für Gruppenarbeit in
(Stuttgart, Klett-Cotta, 1 978). Tageskliniken und für zwei- bis dreiwöchige Intensivprogramme für Klienten, die unter
62. R. Harmon, »Recent Developments in Gestalt Group Therapy«, International Journal of durch Substanzmissbrauch bedingten Störungen leiden. (In Kapitel 10 habe ich eine beson­
Group Psychotherapy 34 ( 1 984): 473-83. R. Feder und R. Ronall, Beyond the Hot Seat: Ge­ ders häufig genutzte Modifikation der Gruppentherapie beschrieben: die zeitlich begrenzte,
stalt Approaches to Group (New York: Brunner/Mazel, 1 980). D. Greve, »Gestalt Group Psy- kurze und geschlossene Therapiegruppe.)

690 691
8. M. Leszcz, I. Yalom und M. Norden, »The Value of lnpatient Group Psychotherapy: Patients' Same Footing as Adjunctive Medical Therapies«, Psycho-Oncology 9 (2000): 367-7 1 . M.
Perceptions«, International Journal of Group Psychotherapy 35 ( 1985): 41 1-35. Yalom, In­ Leszcz, »Gruppenpsychotherapie fur brustkrebspatientinnen«, Psychotheraput 49 (2004):
patient Group Psychotherapy: 3 1 3-35; dt.: Im Hier und Jetzt, München, btb, 2005. 3 14-30. K. Lorig et al., »Evidence Suggesting That a Chronic Disease Self- Management Pro­
9. M. Echternacht, »Fluid Group: Concept and Clinical Application in the Therapeutic Mi­ gram Can Improve Health Status While Reducing Hospitalization«, Medical Care 37 ( 1999):
lieu«, Journal of the American Psychiatrie Nurses Association 7 (200 1 ) : 39-44. 5-14.
1 0. S. Green und S. Bloch, »Working in a Flawed Mental Health Care System: An Ethical Chal­ 27. J. Kelly, »Group Psychotherapy for Persons with HIV and AIDS-Related Illnesses«, Interna­
lenge«, American Journal of Psychiatry 1 58 (2001): 1378-83. tional Journal of Group Psychotherapy 48 ( 1998): 143-62. S. Abbey und S. Farrow, »Group
1 1 . B. Rosen et al., »Clinical Effectiveness of >Short< Versus >Long< Psychiatrie Hospitalization«, Therapy and Organ Transplantation«, International Journal of Group Psychotherapy 48
Archives of General Psychiatry 33 ( 1976): 1316-22. ( 1998): 1 63-85. R. Allan und S. Scheidt, »Group Psychotherapy for Patients with Coronary
12. A. Alden et al., »Group Aftercare for Chronic Schizophrenics«, Journal of Clinical Psychiatry Heart Disease«, International Journal of Group Psychotherapy 48 (1 998): 1 87-2 14. B. Toner
40 ( 1 979): 249-52. R. Prince et al., »Group Aftercare: Impact on a Statewide Program«, Di­ et al., »Cognitive-Behavioral Group Therapy for Patients with Irritable Bowel Syndrome«,
seases of the Nervous System 77 ( 1977): 793-96. J. Claghorn et al., »Group Therapy and International Journal of Group Psychotherapy 48 ( 1998): 2 1 5-43. M. Leszcz und P. Good­
Maintenance Therapy of Schizophrenics«, Archives of General Psychiatry 3 1 ( 1974): 36 1-65. win, »The Rationale and Foundations of Group Psychotherapy for Women with Metastatic
M. Herz et al., »Individual Versus Group Aftercare Treatment«, American Journal of Psych­ Breast Cancer«, International Journal of Group Psychotherapy 48 ( 1998): 245-73. J. Spira,
iatry 1 3 1 ( 1974): 808-12. C. O'Brien et al., »Group Versus Individual Psychotherapy with Group Therapy for Medically Ill Patients (New York: Guilford Press, 1997). The ENRICHD
Schizophrenics: A Controlled Outcome Study«, Archives of General Psychiatry 27 ( 1 972): Investigators, »Enhancing Recovery in Coronary Heart Disease (ENRICHD) Study Inter­
474-78. L. Mosher und S. Smith, »Psychosocial Treatment: Individual, Group, Family, and vention: Rationale and Design«, Psychosomatic Medicine 63 (200 1 ) : 747-55. L. Paparella,
Community Support Approaches«, Schizophrenia Bulletin 6 ( 1 980): 1 0-41. »Group Psychotherapy and Parkinson's Disease: When Members and Therapist Share the
13. Leszcz et al., »The Value of Inpatient Group Psychotherapy«. Yalom, Inpatient Group Psy­ Diagnosis«, International Journal of Group Psychotherapy 54 (2004): 401-9. A. Sherman et
chotherapy: 3 1 3-35. al., »Group Interventions for Patients with Cancer and HIV Disease: Part I. Effects on Psy­
chosocial and Functional Outcomes at Different Phases of Illness«, International Journal of
14. Yalom, Inpatient Group Psychotherapy, 34 (dt.: Im Hier und Jetzt). B. Corder, R. Corder und
Group Psychotherapy 54 (2004): 29-82. A. Sherman et al., »Group Interventions for Patients
A. Hendricks, »An Experimental Study of the Effects of Paired Patient Meetings on the
with Cancer and HIV Disease: Part II. Effects on Immune, Endocrine, and Disease Outco­
Group Therapy Process«, International Journal of Group Psychotherapy 2 1 ( 1971 ): 3 1 0-18.
mes at Different Phases of Illness«, International Journal of Group Psychotherapy 54 (2004):
J. Otteson, »Curative Caring: The Use of Buddy Groups with Chronic Schizophrenics«, Jour­
203-33. A. Sherman et al., »Group Interventions for Patients with Cancer and HIV Disease:
nal of Consulting and Clinical Psychology 47 ( 1979): 649-5 1 .
Part III. Moderating Variables and Mechanisms of Action«, International Journal of Group
1 5 . Eine Anzahl effektiver klinischer Modelle wurde beschrieben, die jeweils auf einem anderen
Psychotherapy 54 (2004): 347-87.
konzeptuellen Verständnisrahmen basieren, beispielsweise Psychoedukation, Problemlösen,
28. Sherman et al., »Group Interventions for Patients with Cancer and HIV Disease: Part I«.
Psychoanalyse, kognitiv-behaviorale Theorie. V. Brabender und A. Fallow, Models of Inpa­
29. The ENRICHD Investigators, »Enhancing Recovery in Coronary Heart Disease«. Allan und
tient Group Psychotherapy (Washington, D.C.: American Psychological Association,
Scheidt, »Group Psychotherapy for Patients with Coronary Heart Disease«.
1993).
30. Sherman et al., »Group Interventions for Patients with Cancer and HIV Disease: Part I«. Spi­
16. C. Williams-Barnard und A. Lindell, »Therapeutic Use of >Prizing< and Its Effect on Self­ ra, Group Therapy for Medically Ill Patients.
Concept of Elderly Clients in Nursing Hornes and Group Hornes«, Issues in Mental Health 3 1 . M. Hewitt, N. Breen und S. Devesa, »Cancer Prevalence and Survivorship Issues: Analyses of
Nursing 13 ( 1 992): 1-17. the 1 992 National Health Interview Survey«, Journal of the National Cancer Institute 9 1
17. W. Stone, »Seif Psychology and the Higher Mental Functioning Hypothesis: Contemporary ( 1999): 1480-86.
Theories«, Group Analysis 29 ( 1996): 1 69-8 1 . 32. M. Esplen, B. Toner, J. Hunter, G. Glendon, K. Butler und B. Field, »A Group Therapy Ap­
18. Yalom, Inpatient Group Psychotherapy: 1 34 (dt.: I m Hier und Jetzt). proach to Facilitate Integration of Risk Information for Women at Risk for Breast Cancer«,
19. Leszcz et al., »The Value of Inpatient Group Psychotherapy«. Canadian Journal of Psychiatry: Psychosomatics Edition 43 ( 1998): 375-80. M. Esplen et al.,
20. M. Leszcz, »Inpatient Group Therapy«, in APA Annual Update V (Washington, D.C.: Ame­ »A Multi-Centre Phase II Study of Supportive-Expressive Group Therapy for Women with
rican Psychiatrie Associative Press, 1 986): 729-43. BRCAl and BRCA2 Mutations«, Cancer 101 (2004): 2327-40.
2 1 . Leszcz et al., »The Value of Inpatient Group«. 33. M. Stuber, S. Gonzalez, H. Benjamino und M. Golart, »Fighting for Recovery«, Journal of
22. I. Yalom, M. Lieberman und M. Miles, Encounter Groups: First Facts (New York: Basic Psychotherapy Practice and Research 4 ( 1995): 286-96. M. Figueiredo, E. Fries und K. In­
Books, 1973). gram, »The Role of Disclosure Patterns and Unsupportive Social Interactions in the Well­
23. Ein ausgezeichnetes Beispiel für Abwandlungen meines Modells beschreiben W. Froberg Being of Breast Cancer Patients«, Psycho-Oncology 13 (2004): 96-105.
und B. Slife, »Overcoming Obstacles to the Implementation ofYalom's Model of Inpatient 34. L. Fallowfield, S. Ford und S. Lewis, »No News Is Not Good News: Information Preferences
Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 37 ( 1987): 371-88. of Patients with Cancer«, Psycho-Oncology 4 ( 1995): 197-202. M. Slevin et al., »Emotional
24. Froberg und Slife, »Overcoming Obstacles to the Implementation ofYalom's Model«. Support for Cancer Patients: What Do Patients Really Want?« British Journal of Cancer 74
25. Leszcz et al., »The Value of Inpatient Group Psychotherapy«. Yalom, Inpatient Group Psy­ ( 1 996): 1 275-79.
chotherapy, 262 (dt.: Im Hier und Jetzt) . 35. I. Yalom, Existential Psychotherapy (New York: Basic Books, 1980); dt.: Existentielle Psycho­
26. A. Cunningham, »Adjuvant Psychological Therapy for Cancer Patients: Putting lt o n the therapie (Köln: Edition Humanistische Psychologie, 1 989).

692 693
36. L. Baider, »Psychological Intervention with Couples After Mastectomy«, Support Care Can­ currence and Survival 6 Years Later«, Archives of General Psychiatry 50 ( 1 993): 68 1-89. T.
cer 3 ( 1 995): 239--43. B. Bultz, M. Speca, P. Brasher, P. Geggie und S. Page, »A Randomized Kuchler et al., »Impact of Psychotherapeutic Support on Gastrointestinal Cancer Patients
Controlled Trial of a Brief Psychoeducational Support Group for Partners of Early Stage Undergoing Surgery: Survival Results of a Trial«, Hepatogastroenterology 46 ( 1999): 322-
Breast Cancer Patients«, Psycho-Oncology 9 (2000): 303-1 3. 35. S. Edelman, J. Lemon, D. Bell und A. Kidman, »Effects of Group CBT on the Survival
37. Leszcz, »Group Therapy«. Time of Patients with Metastatic Breast Cancer«, Psycho-Oncology 8 ( 1999): 474-8 1 . A.
38. S. Folkman und S. Greer, »Promoting Psychological Well-Being in the Face of Serious Illness: Ilnyckj, J. Farber, M. Cheang und B. Weinerman, »A Randomized Controlled Trial of Psy­
When Theory, Research, and Practice Inform Each Other«, Psycho-Oncology 9 (2000): 1 1- chotherapeutic Intervention in Cancer Patients«, Annals of the Royal College of Physicians
1 9. Kaum überraschend ist, dass die Integration dieser Coping-Dimensionen besonders and Surgeons of Canada 27 ( 1 994): 93-96. Kissane et al., »Cognitive-Existential Group Psy­
machtvolle Interventionen kreiert, wie R. Lazarus in »Toward Better Research on Stress and chotherapy«.
Coping« (American Psychologist 55 (2000] : 665-73) anmerkte. 46. Spiegel weist darauf hin, dass heutige Untersuchungen möglicherweise deshalb keinen
39. D. Kissane et al., »Cognitive-Existential Group Psychotherapy for Women with Primary Bre­ Überlebenseffekt mehr erkennen lassen, weil die psychosoziale Hilfe, die mittlerweile allen
ast Cancer: A Randomized Controlled Trial«, Psycho-Oncology 12 (2003): 532--46. V. Hel­ Krebspatienten geboten wird (einschließlich der Kontrollstichprobe), im Laufe der letzten
geson, S. Cohen, R. Schulz und J. Yasko, »Education and Peer Discussion Group Interventi­ zehn bis zwanzig Jahre deutlich verbessert wurde, ein erfreulicher Fortschritt, der auf die Er­
ons and Adjustment to Breast Cancer«, Archives of General Psychiatry 56 ( 1 999): 340-47. D. kenntnis zurückzuführen ist, dass der Zustand des Geistes den Zustand des Körpers beein­
Scaturo, »Fundamental Clinical Dilemmas in Contemporary Group Psychotherapy«, Group flusst (D. Spiegel, »Mind Matters: Group Therapy and Survival in Breast Cancer«, New Eng­
Analysis 37 (2004): 201-17. land Journal of Medicine 345 (200 1 ) : 1 767-68. D. Spiegel, J. Bloom, H. Kraemer und E.
40. F. Fawzy und N. Fawzy, »A Post-Hoc Comparison of the Efficiency of a Psychoeducational Gottheil, »Effect of Psychosocial Treatment on Survival of Patients with Metastatic Breast
Intervention for Melanoma Patients Delivered in Group Versus Individual Formats: An Ana­ Cancer«, Lancet 8669 ( 1 989): 888-9 1 . A. Cunningham et al., »A Randomized Controlled
lysis of Data from Two Studies«, Psycho-Oncology 5 ( 1996): 81-89. Trial of the Effects of Group Psychological Therapy on Survival in Women with Metastatic
4 1. I. Yalom, Gift ofTherapy (New York: HarperCollins, 2003): 6-10; dt.: Der Panamahut (Mün­ Breast Cancer«, Psycho-Oncology 7 ( 1998): 508-17. P. Goodwin et al., »The Effect of Group
chen: Goldmann, 2002). Psychosocial Support on Survival in Metastatic Breast Cancer«, New England Journal of
42. Die SEGT befasst sich hauptsächlich mit folgenden Themenbereichen: ( 1 ) körperliche Medicine 345 (200 1 ): 1 7 19-26.
Krankheiten und deren Behandlung; (2) kognitive und behaviorale Bewältigung von Krank­ 47. C. Classen et al., »Supportive-Expressive Group Therapy and Distress in Patients with Me­
heiten und Behandlungsmethoden; ( 3) Familie und soziales Netzwerk der Klienten; ( 4) Be­ tastatic Breast Cancer: A Randomized Clinical Intervention Trial«, Archives of General
ziehungen zu Kostenträgern im Gesundheitswesen; (5) Werte und Prioritäten; (6) Selbst­ Psychiatry 58 (200 1 ) : 494-501. Spiegel et al., »Group Psychotherapy for Recently Dia­
bild; (7) Tod und Sterben und (8) Funktionsweise in der Gruppe hinsichtlich der Aufgaben gnosed«.
und des Engagements. Jede Gruppensitzung endet mit einer Stressreduktionsübung, bei der 48. A. Beck, Cognitive Therapy and the Emotional Disorders (New York: International Univer­
Entspannungstechniken und geführte Imagination zur Anwendung kommen. D. Spiegel sities Press, 1 976). G. Klerman, M. Weissman, B. Rounsaville und E. Chevron, Interpersonal
Psychotherapy of Depression (New York: Basic Books, 1984) .
und J. Spira, Supportive Expressive Group Therapy: A Treatment Manual of Psychosocial
Interventions for Women with Recurrent Breast Cancer (Stanford: Psychosocial Treatment 49. Leszcz, »Gruppenpsychotherapie fur brustkrebspatientinnen«.
50. M. Lieberman, I. Yalom und M. Miles, Encounter Groups: First Facts (New York: Basic
Laboratories, 199 1 ). Leszcz und Goodwin, »The Rationale and Foundations«. D. Spiegel und
Books, 1973).
C. Classen, Group Therapy for Cancer Patients: A Research-Based Handbook of Psychoso­
5 1 . N. Morrison, »Group Cognitive Therapy: Treatment of Choice or Sub-Optimal Option?«
cial Care (New York: Basic Books, 2000).
Behavioural and Cognitive Psychotherapy 29 (200 1): 3 1 1-32.
43. C. Classen et al., »Effectiveness of a Training Program for Enhancing Therapists' Understan­
52. J. White, »Introduction«, in Cognitive-Behavioral Group Therapy for Specific Problems and
ding of the Supportive-Expressive Treatment Model for Breast Cancer Groups«, Journal of
Populations, Hg. J. White und A. Freeman (Washington, D.C.: American Psychological As­
Psychotherapy Practice and Research 6 ( 1 997): 2 1 1-1 8. D. Spiegel et al., »Group Psychothe­
sociation, 2000): 3-25.
rapy for Recently Diagnosed Breast Cancer Patients: A Multicenter Feasibility Study«, Psy­
53. Beck, Cognitive Therapy and the Emotional Disorders.
cho-Oncology 8 ( 1999): 482-93. P. Goodwin et al., »Lessons Learned from Enrollment in the
54. J. Safran und Z. Segal, Interpersonal Process in Cognitive Therapy (New York: Basic Books,
BEST Study: A Multicenter, Randomized Trial of Group Psychosocial Support in Metastatic
1990).
Breast Cancer«, Journal of Clinical Epidemiology 53 (2000): 47-55.
55. T. Oei und L. Sullivan, »Cognitive Changes Following Recovery from Depression in a Group
44. Spiegel et al., »Group Psychotherapy for Recently Diagnosed«. M. Esplen et al., »A Suppor­
Cognitive-Behaviour Therapy Program«, Australian and New Zealand Journal of Psychiatry
tive-Expressive Group Intervention for Women with a Family History of Breast Cancer: Re­
33 ( 1 999): 407-15.
sults of a Phase II Study«, Psycho-Oncology 9 (2000): 243-52.
56. M. Enns, B. Coz und S. Pidlubny, »Group Cognitive Behaviour Therapy for Residual Depres­
45. I. Yalom und C. Greaves, »Group Therapy with the Terminally Ill«, American Journal of
sion: Effectiveness and Predictors of Response«, Cognitive Behaviour Therapy 3 1 (2002):
Psychiatry 1 34 ( 1977): 396-400. D. Spiegel, J. Bloom und I. Yalom, »Group Support for Pa­
31--40.
tients with Metastatic Cancer«, Archives of General Psychiatry 38 ( 1 98 1 ): 527-33. D. Spiegel
57. A. Ravindran et al., » Treatment of Primary Dysthymia with Group Cognitive Therapy and
und M. Glafkides, »Effects of Group Confrontation with Death and Dying«, International
Pharmacotherapy: Clinical Symptoms and Functional Impairments«, American Journal of
Journal of Group Psychotherapy 33 ( 1 983): 433-37. F. Fawzy et al., »Malignant Melanoma:
Psychiatry 1 56 ( 1999): 1608-1 7.
Effects of an Early Structured Psychiatrie Intervention, Coping, and Affective State on Re-

694 695
58. S. Ma und J. Teasdale, »Mindfulness-Based Cognitive Therapy for Depression: Replication 78. D. Wilfley et al., »Group Cognitive-Behavioral Therapy and Group Interpersonal Psychothe­
and Exploration of Differential Relapse Prevention Effects«, Journal of Consulting Clinical rapy for the Nonpurging Bulimie Individual: A Controlled Comparison«, Journal of Con­
Psychology 72 (2004): 3 1-40. sulting and Clinical Psychology 61 ( 1 993 ): 296-305. K. MacKenzie und A. Grabovac, »Inter­
59. C. Kutter, E. Wolf und V. McKeever, » Predictors of Veterans' Partidpation in Cognitive-Be­ personal Psychotherapy Group (IPT-G) for Depression«, Journal of Psychotherapy Practice
havioral Group Treatment for PTSD«, Journal ofTraumatic Stress 17 (2004): 157-62. D. So­ and Research 10 (2001): 46-5 1 . C. Klier, M. Muzik, K. Rosenblum und G. Lenz, »Interper­
renson, » Healing Traumatizing Provider Interaction Among Women Through Short-Term sonal Psychotherapy Adapted for the Group Setting in the Treatment of Postpartum Depres­
Group Therapy«, Archives of Psychiatrie Nursing 1 7 (2003 ): 259-69. sion«, Journal of Psychotherapy Practice and Research 10 (2001): 1 24-3 1. H. Verdeli et al.,
60. C. Wiseman, S. Sunday, F. Klapper, M. Klein und K. Halmi, »Short-Term Group CBT Versus »Adapting Group Interpersonal Psychotherapy (IPT-G-U) for a Developing Country: Expe­
Psycho-Education on an Inpatient Eating Disorder Unit«, Eating Disorders 10 (2002): 3 1 3- rience in Uganda«, World Psychiatry (Tune 2003): 1 14-20. P. Ravitz, »The Interpersonal Ful­
20. N. Leung, G. Waller und G. Thomas, »Outcome of Group Cognitive-Behavior Therapy crum: Interpersonal Therapy for Treatment of Depression«, CPA Bulletin 36 (2003 ): 1 5-19.
for Bulimia Nervosa: The Role of Core Beliefs«, Behaviour Research and Therapy 38 (2000): Robertson et al., »Group-Based Interpersonal Psychotherapy«.
145--56. 79. Y. Levkovitz et al., »Group Interpersonal Psychotherapy for Patients with Major Depression
6 1 . C. Dopke, R. Lehner und A. Wells, »Cognitive-Behavioral Group Therapy for Insomnia in Disorder: Pilot Study«, Journal of Affective Disorders 60 (2000): 19 1-95.
Individuals with Serious Mental Illnesses: A Preliminary Evaluation«, Psychiatrie Rehabili­ 80. H. Verdeli et al., »Adapting Group Interpersonal Psychotherapy«. P. Bolton et al., »Group
tation Journal 3 (2004): 235-42. Interpersonal Psychotherapy for Depression in Rural Uganda: A Randomized Controlled
62. J. Lidbeck, »Group Therapy for Somatization Disorders in Primary Care«, Acta Psychiatrica Trial«, JAMA 289 (2003): 3 1 1 7-24.
Scandinavia 107 (2003): 449-56. 8 1 . MacKenzie und Grabovac, »Interpersonal Psychotherapy Group«.
63. C. Taft, C. Murphy, P. Musser und N. Remington, »Personality, Interpersonal, and Motiva­ 82. R. Kessler, K. Mickelson und S. Zhao, »Patterns and Correlations of Self-Help Group Mem­
tional Predictors of the Working Alliance in Group Cognitive-Behavioral Therapy for Part­ bership in the United States«, Soda! Policy 27 ( 1 997): 27-47.
ner Violent Men«, Journal of Consulting Clinical Psychology 72 (2004): 349-54. 83. F. Riessman und E. Banks, »A Marriage of Opposites: Self-Help and the Health Care Sy­
64. W. Rief, S. Trenkamp, C. Auer und M. Fichter, »Cognitive Behaviour in Panic Disorder and stem«, American Psychologist 56 (200 1): 1 73-74. K. Davison, J. Pennebaker und S. Dicker­
Comorbid Major Depression«, Psychotherapy and Psychosomatics 69 (2000): 70-78. son, »Who Talks? The Soda! Psychology of Support Groups«, American Psychologist 55
65. A. Volpato Cordioli et al., »Cognitive-Behavioral Group Therapy in Obsessive-Compulsive
(2000) : 205-17. J. Kelly, »Self -H elp for Substance-Use Disorders: History, Effectiveness,
Disorder: A Randomized Clinical Trial«, Psychotherapy and Psychosomatics 72 (2003): 2 1 1-
Knowledge Gaps, and Research Opportunities«, Clinical Psychology Review 23 (2003): 639-
1 6.
63. L. Adamsen, »From Victim to Agent: The Clinical and Soda! Significance of Self -Help
66. A. Page und G. Hooke, »Outcomes for Depressed and Anxious Inpatients Discharged Before
Group Partidpation for People with Life-Threatening Diseases«, Scandinavian Journal of
or After Group Cognitive Behaviour Therapy: A Naturalistic Comparison«, Journal of Ner­
Caring Sciences (Special Issue: The Challenging Complexity of Cancer Care Research) 16
vous and Mental Disease 1 9 1 (2003): 653-59. M. Dugas et al., »Group Cognitive-Behavioral
(2002): 224-3 1 . S. Barlow, G. Burlingame, R. Nebeker und E. Anderson, »Meta-Analysis of
Therapy for Generalized Anxiety Disorder: Treatment Outcome and Long-Term Follow­
Medical Self -Help Groups«, International Journal of Group Psychotherapy 50 (2000): 53-
Up«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 71 (2003): 82 1-25.
69.
67. R. Heimberg et al., »Cognitive Behavioural Group Therapy vs. Phenelzine Therapy for Soda!
Phobia: 12-Week Outcome«, Archives of General Psychiatry 55 ( 1 998): 1 1 33-4 1 . 84. Riessman und Banks, »A Marriage of Opposites«. Davison et al., »Who Talks?«
68. R. Siddle, F. Jones und F. Awenat, »Group Cognitive Behaviour Therapy for Anger: A Pilot 85. Eine unveröffentlichte Studie eines türkischen Kollegen, in der die therapeutischen Faktoren
Study«, Behavioural and Cognitive Psychotherapy 3 1 (2003): 69- 83. von M-Gruppen und einer konventionellen Therapiegruppe miteinander verglichen wer­
69. L. Johns, W. Sellwood, J. McGovern und G. Haddock, »Battling Boredom: Group Cognitive den (N = 44 Patienten), zeigte, dass der Faktor interpersonales Lernen input und output von
Behaviour Therapy for Negative Symptoms of Schizophrenia«, Behavioural and Cognitive der Therapiegruppe signifikant höher eingeschätzt wurde, wohingegen die M-Mitglieder
Psychotherapy 30 (2002) : 34 1-46. P. Chadwick, S. Sambrooke, S. Rasch und E. Davies, Universalität, Kohäsivität und Hoffnungwecken als wichtiger ansahen (Cem Atbasoglu, per­
»Challenging the Omnipotence ofVoices: Group Cognitive Behaviour Therapy for Voices«, sönliche Mitteilung, 1994).
Behaviour Research and Therapy 38 (2000): 993-1003. 86. Ibid.
70. P. Schnurr et al., »Randomized Trial of Trauma-Focused Group Therapy for Post Traumatic 87. S. Cheung und S. Sun, »Helping Processes in a Mutual Aid Organization for Persons with
Stress Disorder: Results from a Department ofVeterans Affairs Cooperative Study«, Archives Emotional Disturbance«, International Journal of Group Psychotherapy 5 1 (200 1 ) : 295-
of General Psychiatry 60 (2003): 48 1-89. 308. Riessman und Banks, »A Marriage of Opposites«. Davison et al., »Who Talks?« M. Sal­
71. White, »Introduction«, in White und Freeman, Hg. zer, J. Rappaport und L. Segre, » Professional Appraisal of Professionally Led and Seif- Help
72. Heimberg et al., »Cognitive Behavioral Group Therapy vs. Phenelzine«. Groups«, American Journal of Orthopsychiatry 69 ( 1 999): 536-40.
73. Safran und Segal, Iriterpersonal Process in Cognitive Therapy. 88. L. Roberts, D. Salem, J. Rappaport, P. Toro, D. Luke und E. Seidman, »Giving and Receiving
74. White, »Introduction«, in White und Freeman, Hg. Help: Interactional Transactions in Mutual-Help Meetings and Psychosocial Adjustment of
75. Heimberg et al., »Cognitive Behavioral Group Therapy vs. Phenelzi�e«. Members«, American Journal of Community Psychology 27 ( 1 999): 841-68. K. Prior und
76. Klerman et al., Interpersonal Psychotherapy of Depression. M. Bond, »The Roles of Self -Efficacy and Abnormal Illness Behaviour in Osteoarthritis Self­
77. D. Wilfley, K. MacKenzie, R. Welch, V. Ayers und M. Weissman, lnterpersonal Psychotherapy Management«, Psychology, Health, and Medicine 9 (2004): 1 77-92.
for Group (New York: Basic Books, 2000). 89. Davison et al., »Who Talks?«

696 697
1 03. T. Houston, L. Cooper und D. Ford, »Internet Support Groups for Depression: A 1-Year Pro­
90. Kelly, »Self-H elp for Substance-Use Disorders« . .
Literature on Alco�ohcs Ano ny­ spective Cohort Study« , American Journal o f Psychiatry 1 59 (2002): 2062-68.
9 1 . J. Tonigan, R. Toscova und W. Miller, »Meta-Analysis of the
Journal of Stud1es on Alcohol 1 04. Ibid.: 2066.
mous: Sample and Study Characteristics Moderate Findings« ,
1 05. White und Dorman, »Receiving Social Support Online « . D. Gustafson et al., »Development
57 ( 1 996): 65-72.
revalence and M emb ersh ip Ch a- and Pilot Evaluation o f a Computer-B ased Suppo rt System for Women with Breast Cancer «,
92. M. Lieberman und L. Snowden, »Problems in Assessing P
d Behavioral S cien ce 29 Journal o f Psychosocial Oncology 1 1 ( 1 993): 69-93. D. Gustafson et al., »Impact of a Pati­
racteristics o f Self -Help Group Participants « , Jo urnal of Applie
elp Gr oups: A Support Gro up ent-Centered, Computer-Based Health Information/Support System« , American Journal of
( 1 993): 1 66-80. B. Carlsen, »Professional Support of Self - H
Journ l f Guidance and Counsel- Preventive Medicine 16 ( 1 999): 1-9
Project for Chronic Fatigue Syndrome Patients« , British
a o
1 06. Winzelberg et al., »Evaluation o f an Internet Support Group « .
ling 3 1 (2003): 289-303.
Project (www.pewinternet.org), 107. M. Liebe rman et al., »Electronic Support Groups for Breast Carcinoma: A Clinical Trial of
93. Die D aten stammen vom PEW Internet and Ame rica Life
Effectiveness«, Cancer 97 (2003): 920-25.
16. Juli 2003.
alth Treatment« , Psychothera - 1 08. M. Lieberman, persönliche Mitteilung, 2004.
94. J. Alleman, »Online Counseling: The Internet and Mental He
9. M. White und S. Dorman, »Re­ 109. Lieberman et al., »Comparisons Between Professionally Directed and Self-Directed Internet
py: Theo ry, Re search, Practice, Training 39 (2002): 199-20
tions for He lt h Edu ca ti on « , Health Education �e ­ Groups« .
ceiving Social Supp ort Online : Implica
a

rm n, M. G l nt, A. Winz elberg und F. McTav1sh,


s earch 1 6 (200 1 ) : 693-70 7. M. Lieb e a o a
S lf-Dir d Internet Group s for Wo ­ Ka pitel 1 6
»Comparisons Between Pr o fe s s io n a lly Directe d a nd e ecte
and S eif Care 2 (2004): 2 19- 1 . H. Coffey, p ersönliche Mitteilung, 1 967.A. Bavelas, p ersö nliche Mitteilung, 1 967. A . Mar­
men with Breast Can cer« , International Journal of Self-Help
row, »Events Leading to the Establishment of the National Training Laboratories« , Journal
35.
ognitive -Behavioral Group Th e- of Applied B ehavio ral Science 3 ( 1967): 144-50. L. Br adford, »Biography of an Instituti on «,
95. S. Ho pss, M. Pepin und J. Boisvert, »The Effectiveness of C
rapy for Loneliness via Inter-Relay-Chat Am o ng Peo ple wi th Physical Disabilities« , Psycho­ Journal of Applied Behavioral Science 3 ( 1 967): 127-44. K. B enne , »History of the T-Group
ti , Tr ining 40 (2003): 1 36-47. J. Walther, »Co mputer-Me ­ in the Laboratory Setting« , in T-Gro up Theory and Laboratory Method, Hg. L. Bradford, J.
therapy: Theory, Research, P rac ce a
rpersonal Interaction« , Com­ Gibb und K. Benne (New York: Wiley, 1964), 80-135.
diated Co mmunication: Impe rsonal, Interp ersonal, and Hype
eling«. White und Dorman, 2. B enne, »History of the T-Group«.
municatio n Research 23 ( 1 996): 3-43. Alleman, »Online Couns
3. E. Schein und W. Bennis, Personal and Organizational Ch ange Thro ugh Group Methods
»Receiving Social Support Online« .
vention o f Harm in Technology- (New York: Wiley, 1965): 41.
96. V. Waldron, M. Lavitt und K. Douglas, »The Nature and Pre
Mediated Self -Help Settings: T h r ee Ex empl a r s « , Jour na l of Technology in Human Services 4. Ibid.: 43.
ort Online « . R. Kraut, M. 5. J. Luft, Group Processes: An Intro duction to Gro up Dynamics (Palo Alto, Calif.: Natio nal
17 (2000): 267-93. White und D o rman, »Receiving So cial Supp
rlis, »Internet Paradox: A Press, 1 966).
Patterson, V. Lundmark, S. Kiesler, T. Mukopadhyay und S. Sche
d P y l gical Well-Being« , Ameri­ 6. I. Wechsler, F. Messarik und R. Tannenbaum, »The Seif in Process: A Sensitive Training Em­
Social Technology that Reduces Social Involvement an s cho o
phasis«, in Issues in Training, Hg. I. Wechsler und E. Schein (Washington, D.C.: National
can Psychologist 53 ( 1 998): 1 0 1 7-3 1 .
Group Analysis 3 5 (2002): 1 65- Education Asso ciation, National Training Laboratories, 1962): 33-46.
97. H. Weinberg, »Co mmunity Unconscious o n the Internet«,
7. M. Lieb erman, I. Yalom und M. Mile s, Enco unter Groups : First F acts (New York: Basic
83.
k, »Suggestions for the Ethical B ooks, 1 973). M. Lieberman, I. Yalom und M. Miles, »The Group Experience Proj ect: A
98. Alleman, »Online Counseling« . A. Ragusea und L. VandeCree
y, R rch, Practice, Training 40 Comparison of Ten Encounter Technologies«, in Encounter, Hg. L. Blank, M. Gottsegen und
Practice of Online Psychotherapy«, Psychotherapy: Theor esea
G. Gottsegen (New York: Macmillan, 1 97 1 ) . M. Lieberman, I. Yalo m und M. Miles, »The Im­
(2003): 94-102.
up Therapy« . pact of Enco unter Groups on Participants: Some Preliminary Findings«, Journal of Applied
99. Hopss et al., »The Effectiveness of Cognitive-Behavio ral Gro
und M. Zabin ki, »Int er ne t-D elivered P sychological Interventions for Behavioral Sciences 8 ( 1972): 1 19-70.
100. K. Luce, A. Winzelberg s
Theory, Research, Prac- 8. Mithilfe dieser vo n den Probanden selbst angewandten Mittel versuchten wir, alle Verände ­
Body Image Dissatisfaction and Diso rdered Eating« , Psychotherapy:
rungen zu messen, die Encountergruppen möglicherweise bewirken würden - beispielswei­
tice, Training 40 (2003): 148-54.
to Deliver a Behavioral Weight s e Veränderungen h insi chtlich der Selbstachtung, Diskrepanzen hinsichtlich des Ich -Ideals,
1 0 1 . D. Tate, R. Wing und R. Winett, »Using Internet Technology
172-77 . A. C llo und A. Winz elb erg, »Improving Com­ Veränderungen interpersonaler Einstellungen und Verhaltensmaßstäbe, Veränderungen der
Loss Program« , JAMA 285 (2001 ): 1 e

tured S lf- H elp P gr a m s : Evalu ati o n of an Eating Diso rder Pre­ Abwehrmechanismen, der emo tionalen Ausdrucksfähigke it, der Wertvorstellungen, der
pliance in On-line, Struc e ro
Freundschaftsmuster und bezüglich schwerwiegender Lebensentscheidungen. Auch von
vention Prograni« , Journal of Psychiatrie Practice 8 (2002): 14-20.
ers : Targeting At -Risk Women Dritten ließen wir die Resultate der Gruppenarbeit beurteilen: durch die Gruppenleiter, an­
102. M. Zabinski et al., »Reducing Risk Factors for Eating Disord
with a Co mputerized Psychoeducatio nal Progra m « , Jo urn a l o f Eating Diso rders 29 (200 1 ) : dere Gruppenmitglieder und durch persönliche B ekannte der einzelnen Teilnehmer. Das
401-8. M. Zabinski, D. Wilfley, K. C alfas, A . Winzel berg und C. Taylo r, »An Interactive , Ergebnis all dieser B eurteilungen entsp rach dem eines Psychotherapieprojekts in auffallen­
ati nal Interv ntion for W o m e n a t Risk of D evelop ing an Eating dem Maße - mit einem einzigen wichtigen Unterschied: Da die Probanden keine Klienten,
Computerized Psychoe duc o e
ety for B ehavioral Medici­ sondern allem Anschein nach gesund waren und sich weiterentwickeln wollten, entfiel eine
Diso rder«, Referat anlässlich der 23. Jahresversammlung der Soci
Beurteilung von Zielsymptomen oder Hauptbeschwerden.
ne , Washingto n, D.C., 2002.

699
698
9. M. Ettin, »By the Crowd They Have Been Broken, By the Crowd They Shall Be Healed: The kus und D. King, »A Survey of Group Psychotherapy Training During Predoctor�l Psycho­
Advent of Group Psychotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 38 ( 1988): logy Internship«, Professional Psychology, Research, and Practice 34 (2003): 203-9.
139-67. M. Ettin, »Come on, Jack, Tell Us About Yourself: The Growth Spurt of Group Psy­ 4. American Group Psychotherapy Association, »Guidelines for Certification: Group Psycho­
chotherapy«, International Journal of Group Psychotherapy 39 ( 1 989): 35-59. S. Scheidlin­ therapy Credentials«. Verfügbar bei www.agpa.org.
ger, »History of Group Psychotherapy«, in Comprehensive Group Psychotherapy, Hg. H. 5. N. Taylor, G. Burlingame, K. Kristensen, A. Fuhriman, J. Johansen und D. Dahl, »A Survey
Kaplan und B. Sadock (Baltimore: Williams & Wilkins, 1993): 2-10. of Mental Health Care Provider's and Managed Care Organization Attitudes Toward, Fami­
10. M. Rosenbaum und M. Berger, Group Psychotherapy and Group Function (New York: Basic liarity With, and Use of Group Interventions«, International Journal of Group Psychothera­
Books, 1963). py 5 1 (200 1 ) : 243-63.
1 1 . E. Lazell, »The Group Treatment of Dementia Praecox«, Psychoanalytic Review 8 ( 1 9 2 1 ) : 6. B. Schwartz, »An Eclectic Group Therapy Course for Graduale Students in Professional Psy­
1 68-79. chology«, Psychotherapy: Theory, Research, and Practice 18 ( 198 1 ): 417-23.
12. L. Marsh, »Group Therapy and the Psychiatrie Clinic«, Journal of Nervous and Mental Dis­ 7. Obwohl didaktische Kurse eine besonders ineffiziente Lehrmethode sind, nutzen mehr als
orders 32 ( 1935): 38 1-92. 90 Prozent aller Ausbildungsprogramme für die Facharztausbildung in der Psychiatrie diese
Art der Vermittlung: E. Pinney, »Group Psychotherapy Training in Psychiatrie Residency
13. L. Wender, »Current Trends in Group Psychotherapy«, American Journal of Psychotherapy
Programs«, Journal of Psychiatric Education 10 ( 1986): 106.
3 ( 195 1 ): 38 1-404. T. Burrows, » The Group Method of Analysis«, Psychoanalytic Review 1 9
8. J. Gans, J. Rutan und E. Lape, » The Demonstration Group: A Tool for Observing Group Pro­
( 1927): 268- 80. P. Schilder, »Results and Problems o f Group Psychotherapy in Severe Neu­
cess and Leadership Style«, International Journal of Group Psychotherapy 52 (2002): 233-
rosis«, Mental Hygiene 23 ( 1 939): 87-98. S. Slavson, »Group Therapy«, Mental Hygiene 24
52.
(1940): 36-49. J. Moreno, Who Shall Survive? (New York: Beacon House, 1 953).
9. Eine umfassende Darstellung dieser Thematik enthält I. Yalom, Inpatient Group Psychothe­
14. L. Horwitz, »Training Groups for Psychiatrie Residents«, International Journal of Group
rapy (New York: Basic Books, 1 983): 259-73 (dt.: Im Hier und Jetzt).
Psychotherapy 17 ( 1 967): 421-35. L. Horwitz, »Transference in Training Groups and Thera­
10. Bestellungen über psychotherapy.net unter der Rubrik »videotapes«. V. Brabender, »Video­
py Groups«, International Journal of Group Psychotherapy 14 ( 1964): 202-13. S. Kaplan,
tape Resources for Group Psychotherapists: A 5-Year Retrospective«, International Journal
»Therapy Groups and Training Groups: Similarities and Differences«, International Journal of Group Psychotherapy 52 (2002): 253-63. Brabender (2002) hat eine ausführliche Zusam­
of Group Psychotherapy 1 7 ( 1 967): 4 73-504. menfassung der zurzeit verfügbaren Videoaufnahmen für Ausbildungszwecke zusammen­
15. R. Morton, »The Patient Training Laboratory: An Adaptation of the Instrumented Training gestellt. Eine besonders effektive Ausbildungsmethode, die häufig in klinischen Zusammen­
Laboratory«, in Personal and Organizational Change Through Group Methods, Hg. E. hängen genutzt wird, ist ein intensiver Workshop, in dessen Verlauf die Teilnehmer sich Aus­
Schein und W. Bennis (New York: Wiley, 1965): 1 14--52. schnitte aus Videoaufnahmen von Gruppentherapiesitzungen anschauen - sowohl gut als
1 6. J. Simon, »An Evaluation of est as an Adjunct to Group Psychotherapy in the Treatment of auch schlecht geleiteten. Anschließend sprechen die Teilnehmer darüber, wie sie das, was sie
Severe Alcoholism«, Biosciences Communications 135 ( 1977): 14 1-48. J. Simon, »Observa­ gesehen haben, verstehen, was ihrer Meinung nach seinen Zweck erfüllt hat und warum; was
tions on 67 Patients Who Took Erhard Seminars Training«, American Journal of Psychiatry fehlgeschlagen ist und warum und welche Alternativmöglichkeiten hätten benutzt werden
135 ( 1978): 686-9 1 . können.
Ka pitel 1 7 1 1 . H. Bernard, »Introduction to Special lssue on Group Supervision of Group Psychotherapy«,
International Journal of Group Psychotherapy 49 ( 1 999): 153-57.
1 . C . McRoberts, G . Burlingame und M . Haag, »Comparative Efficacy o f Individual and Group 12. Murphy et al., »Some Observations on the Subjective Experience«. J. Kleinberg, »The Super­
Psychotherapy: A Meta-Analytic Perspective«, Group Dynamics 2 ( 1998): 1 01-17. G. Bur­ visory Alliance and the Training of Psychodynamic Group Psychotherapists«, International
lingame, K. MacKenzie und B. Strauss, »Small-Group Treatment: Evidence for Effectiveness Journal of Group Psychotherapy 49 ( 1 999): 1 59-79. S. Shanfield, V. Hetherly und D.
and Mechanisms of Change«, in Bergin und Garfield's Handbook of Psychotherapy and Be­ Matthews, »Excellent Supervision: The Residents' Perspective«, Journal of Psychotherapy
havior Change, 5th ed., Hg. M. Lambert (New York: Wiley, 2004): 647-96. Practice and Research 10 (200 1 ) : 23-27. M. Bowers Jr., »Supervision in Psychiatry and the
2. I. Yalom, »Problems of Neophyte Group Therapists«, International Journal of Social Psych­ Transmission ofValues«, Academic Psychiatry 23 ( 1 999): 42-45. M. Leszcz, »Reflections on
iatry 7 ( 1996): 52-59. L. Murphy, M. Leszcz, A. Collings und J. Salvendy, »Some Observati­ the Abuse of Power, Control, and Status in Group Therapy and Group Therapy Training«,
ons on the Subjective Experience of Neophyte Group Therapy Trainees«, International Jour­ International Journal of Group Psychotherapy 54 (2004): 389-400.
nal of Group Psychotherapy ( 1996): 543-52. R. Billow, »The Therapist's Anxiety and Resi­ 13. A. Alonso, »On Being Skilied and Deskilled as a Psychotherapy Supervisor«, Journal of Psy­
stance to Group Therapy«, International Journal of Group Psychotherapy 5 1 (2001): 225- chotherapy Practice and Research 9 (2000): 55-6 1 .
42. S. Scheidlinger, »Response to ,The Therapist's Anxiety and Resistance to Group Psycho­ 14. M . Leszcz und L . Murphy, »Supervision o f Group Psychotherapy«, in Clinical Perspectives
therapy,«< International Journal of Group Psychotherapy 52 (2002): 295-97. on Psychotherapy Supervision, Hg. S. Greben und R. Ruskin (Washington, D.C.: American
3. S. Feiner, »Course Design: An Integration of Didactic and Experiential Approaches to Gra­ Psychiatrie Press, 1994): 99-120. Shanfield et al., »Excellent Supervision«.
duate Training of Group Therapy«, International Journal of Group Psychotherapy 48 15. M. Hantoot, »Lying in Psychotherapy Supervision: Why Residents Say One Thing and Do
( 1998): 439-60. A. Fuhriman und G. Burlingame, »Group Psychotherapy Training and Ef­ Another«, Academic Psychiatry 24 (2000): 179-87.
fectiveness«, International Journal of Group Psychotherapy 5 (200 1): 399-416. H. Markus 16. G. Burlingame et al., »A Systematic Program to Enhance Clinician Group Skills in an Inpa­
und A. Abernethy, » Joining with Resistance: Addressing Reluctance to Engage in Group The­ tient Psychiatrie Hospital«, International Journal of Group Psychotherapy 52 (2002): 555-
rapy Training«, International Journal of Group Psychotherapy 5 1 (200 1 ): 191-204. H. Mar- 87.

700 701
17. Murphy et al., »Some Observations on the Subjective Experience«. Prochaska und J. Norcross, »Contemporary Psychotherapists: A National Survey of Charac­
18. G. Ebersole, P. Leiderman und I. Yalom, »Training the Nonprofessional Group Therapist«, teristics, Practices, Orientations, and Attitudes«, Psychotherapy: Theory, Research, and Prac­
Journal of Nervous and Mental Disorders 149 ( 1 969): 294-302. tice 20 ( 1983): 16 1-73.
19. L. Tauber, »Choice Point Analysis: Formulation, Strategy, Intervention, and Result in Group 34. D. Weintraub, L. Dixon, E. Köhlhepp und J. Woolery, »Residents in Personal Psychotherapy:
Process Therapy and Supervision«, International Journal of Group Psychotherapy 28 ( 1978): A Longitudinal Cross-Sectional Perspective«, Academic Psychiatry 23 ( 1999): 14-19.
163-83. 35. I. Yalom, The Gift of Therapy (New York: HarperCollins, 2003; dt.: Der Panamahut [Mün­
20. H. Roback, »Use of Patient Feedback to Improve the Quality of Group Therapy Training«, chen: Goldmann, 2002] ) .
International Journal of Group Psychotherapy 26 ( 1976): 243-47. 36. N. Elman und L. Forrest, »Psychotherapy in the Remediation of Psychology Trainees: Explo­
2 1 . J. Elizur, >»Stuckness< in Live Supervision: Expanding the Therapist's Style«, Journal of Fa­ ratory Interviews with Training Directors«, Professional Psychology: Research and Practice
mily Therapy 12 ( 1990): 267-80. V. Alpher, »Interdependence and Parallel Processes: A Case 35 (2004): 123-30. L. Beutler et al., » Therapist Variables«, in Bergin and Garfield's Hand­
Study of Structural Analysis of Social Behavior in Supervision and Short-Term Dynamic book of Psychotherapy and Behavior Change, 5th ed., Hg. M. Lambert (New York: Wiley,
Psychotherapy«, Psychotherapy 28 ( 199 1): 2 18-3 1 . 2004): 647-96. Untersuchungen in diesem Bereich sind problematisch. Es liegen substan­
22. A. Alonso, »Training for Group Psychotherapy«, i n Group Therapy and Clinical Practice, zielle Beweise dafür vor, dass das psychische Wohlbefinden von Therapeuten mit besseren
Hg. A. Alonso und H. Swiller (Washington, D.C.: American Psychiatrie Press, 1993): 521-32. klinischen Resultaten assoziiert ist, die persönliche Teilnahme an einer Psychotherapie hin­
Leszcz und Murphy, »Supervision of Group Psychotherapy«. gegen keine Rolle spielt. Die beste Erklärung hierfür ist vielleicht, dass es nicht gleichbedeu­
23. D. Altfeld, »An Experiential Group Model for Psychotherapy Supervision«, International tend mit psychischem Wohlbefinden ist, wenn Menschen sich einer psychotherapeutischen
Journal of Group Psychotherapy 49 ( 1 999): 237-54. E. Counselman und R. Weber, »Orga­ Behandlung unterziehen. Viele Psychotherapeuten haben möglicherweise lange an ihrer ei­
nizing and Maintaining Peer Supervision Groups«, International Journal of Group Psycho­ genen Situation gearbeitet und noch nicht erreicht, was sie in ihrer persönlichen Psychothe­
therapy 54 (2004): 125-43. rapie zu erreichen hoffen. Trotzdem macht die persönliche Teilnahme an einer psychothe­
24. D. Janoff und J. Schoenholtz-Read, »Group Supervision Meets Technology: A Model for rapeutischen Behandlung Therapeuten widerstandsfähiger angesichts der großen Anforde­
Computer-Mediated Group Training at a Distance«, International Journal of Group Psycho­ rungen, vor welche die klinische Arbeit sie stellt.
therapy 49 ( 1999): 255-72. 37. Die Canadian Group Psychotherapy Association forderte von ihren Mitgliedern im Jahre
25. C. Classen et al., »Effectiveness of a Training Program for Enhancing Therapists' Understan­ 1986 90 Stunden persönlicher Erfahrung entweder in einer Therapiegruppe oder die Teil­
ding of the Supportive-Expressive Treatment Model for Breast Cancer Groups«, Journal of nahme an einem längeren experientiellen Workshop zusammen mit Kollegen (Kent Maho­
Psychotherapy Practice and Research 6 ( 1997): 2 1 1-18. H. Verdeli et al., »Adapting Group ney, persönliche Mitteilung, 1994). J. Salvendy, »Group Therapy Trainees as Bona Fide Mem­
Interpersonal Psychotherapy for a Developing Country: Experience in Rural Uganda«, bers in Patient Groups«, in Group and Family Therapy, Hg. L. Wolberg und M. Aronson
(New York: Brunner/Mazel, 1983). R. Alnoes und B. Sigrell, »Evaluation of the Outcome of
World Psychiatry 2 (2002 ): 1 1 4-20. S. Feiner, »Course Design: An Integration of Didactic
Training Groups Using an Analytic Group Psychotherapy Technique«, Psychotherapy and
and Experiential Approaches to Graduate Training of Group Therapy«, International Jour­
Psychosomatics 25 ( 1975): 268-75. R. Dies, »Attitudes Toward the Training of Group Psy­
nal of Group Psychotherapy 48 ( 1998): 439-60.
chotherapists«, Small Group Behavior 5 ( 1 974) : 65-79. H. Mullan und M. Rosenbaum,
26. Pinney, »Group Psychotherapy Training in Psychiatrie Residency Programs«. J. Gans, J.
Group Psychotherapy (New York: Free Press, 1978): 1 15-73. M. Fines, »Group Psychothera­
Rutan und N. Wilcox, »T-Groups (Training Groups) in Psychiatrie Residency Programs:
py: Frame of Reference for Training«, in Psychotherapy: Research and Training, Hg. W. De­
Facts and Possible Implications«, International Journal of Group Psychotherapy 45 ( 1995) :
Moor, W. Wijingaarden und H. Wijngaarden (Amsterdam: Elsevier/North Holland Biome­
169-83. V. Nathan und S . Poulsen, »Group-Analytic Training Groups for Psychology Stu­
dical Press, 1980): 233-44. J. Salvendy, »Group Psychotherapy Training: A Quest for Stan­
dents: A Qualitative Study«, Group Analysis 37 (2004): 163-77.
dards«, Canadian Journal of Psychiatry 25 ( 1980): 394-402. R. Battegay, »The Value of Ana­
27. M. Aveline, »Principles of Leadership in Brief Training Groups for Mental Health Professio­ lytic Self-Experiencing Groups in the Training of Psychotherapists«, International Journal
nals«, International Journal of Group Psychotherapy 43 ( 1993 ): 107-29. of Group Psychotherapy 33 ( 1 983): 1 99-2 1 3.
28. E. Coche, F. Dies und K. Goettelmann, »Process Variables Mediating Change in Intensive 38. Coche et al., »Process Variables Mediating Change«.
Group Therapy Training«, International Journal of Group Psychotherapy 41 ( 1 99 1 ) : 379- 39. Counselman und Weber, »Organizing and Maintaining Peer Supervision Groups«.
98. V. Tschuschke und L. Greene, »Group Therapists' Training: What Predicts Learning?« 40. E. Bein et al., »The Effects of Training in Time-Limited Dynamic Psychotherapy: Changes
International Journal of Group Psychotherapy 52 (2002): 463-82. in Therapeutic Outcome«, Psychotherapy Research 10 (2000): 1 19-32. B. Wampold, The
29. D. Scaturo, »Fundamental Clinical Dilemmas in Contemporary Group Psychotherapy«, Great Psychotherapy Debate: Models, Methods, and Findings (Mahwah, N.J.: Erlbaum,
Group Analysis 37 (2004): 201-17. 2001). I. Elkin, »A Major Dilemma in Psychotherapy Outcome Research: Disentangling The­
30. Aveline, »Principles of Leadership in Brief Training Groups«. rapists from Therapies«, Clinical Psychology: Science and Practice 6 ( 1999): 10-32. S. Miller
3 1 . C. Mace, »Personal Therapy in Psychiatrie Training«, Psychiatrie Bulletin 25 (2001): 3-4. und J. Binder, »The Effects of Manual-Based Training on Treatment Fidelity and Outcome:
32. J. Guy et al., »Personal Therapy for Psychotherapists Before and After Entering Professional A Review of the Literature on Adult Individual Psychotherapy«, Psychotherapy: Theory, Re­
Practice«, Professional Psychology: Research and Practice 19 ( 1988): 474-76. search, Practice, Training 39 (2002): 184-98.
33. J. Norcross, »Personal Therapy for Therapists: One Solution, 96th annual meeting of the 41. Burlingame et al., »Small-Group Treatment«.
American Psychological Association: The Hazards of the Psychotherapeutic Practice for the 42. E. Silber und J. Tippet, »Self-Esteem: Clinical Assessment and Validation«, Psychological Re­
Clinician ( 1 988, Atlanta, Georgia)«, Psychotherapy in Private Practice 8 ( 1 990): 45-59. J. ports 16 ( 1965): 1017-71 .

702 703
43. S. Holmes und D. Kivlighan, »Comparison of Therapeutic Factors in Group and Individual
Treatment Processes«, Journal of Counseling Psychology 47 (2000): 478-84.
44. M. Lieberman und I. Yalom, » Brief Psychotherapy for the Spousally Bereaved: A Controlled
Study«, International Journal of Group Psychiatry 42 ( 1992) : 1 17-33.
45. S. Leacock, »Gertrude the Governess or Simple 1 7«, A Treasury of the Best Works of Stephen
Leacock (New York: Dodd, Mead, 1954).

Seite n kon kordanz zur ergä nzenden Literatu r (11) auf der Homepage: www.ya lom.com
-
Kapitel Seite im ame- j Seite in der Kapitel Seite im ame- Seite in der Kapitel Seite im ame- Seite in der
rikanischen deutschen rikanischen deutschen rikanischen deutschen
Originaltext Ausgabe Originaltext Ausgabe Originaltext Ausgabe
1 2 24 7 218 251 12 368 408
3 25 219 251 370 410
15 39 223 255 371 41 1
17 41 224 256 372 412
18 42 228 260/261 373 413
374 414/415
2 20 44 8 231 263 375 416
21 45 233 265 378 419
23 47 234 266 381 422
24 48 237 269 383 423
25 49 239 271 384 425
30 54 240 272 386 427
42 68 241 274
- 248 281
388 429
3 54 82 251 285 13 396 438
55 82 252 286 398 440
56 84 - 402 444
9 260 293 404 447
4 78 107 263 296 416 458

-
90 119 268 302 431 473
92 122 272 306 435 478
102 132 273 308
104 135 276 311 14 440 482/483
107 138 277 311 444 485
108 140
- 10 281 316
446
450
490
494
5 122 154 284 319 456 500
126 158 290 326 457 501
127 159 298 335 469 513
129 161 299 336 474 518
134 167 303 341 �
304 342 15 475 520'
6 143 176 480 526
144 177 11 309 347 481 526
153 186 310 348 484 529
155 187 312 350 489 535
159 192 313 351/352 491 536
165 198 315 353/354 493 539
166 199 317 356 496 542
171 204 340 380 497 543
184 217 509 555
185 219 12 345 384
346 385 512 559
199 232 516 564
- 350 389
7 203 234 354 393 517 564
208 240 363 403 523 571
209 241 364 404 17 545 593
214 246 366 406
217 249 367 407
-

Das könnte Ihnen auch gefallen