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20.10.

2011 12:32

RUB trauert um Friedrich Kittler: Ein Nachruf von Prof. Manfred Schneider

Dr. Josef König Pressestelle


Ruhr-Universität Bochum

Die Ruhr-Universität Bochum gedenkt des Todes Friedrich Kittlers, der am 18.10.2011 in
Berlin verstorben ist. Sie ist stolz darauf, einen so kritischen wie illustren Wissenschaftler zu
ihren Mitgliedern gezählt zu haben. Kittlers erste Professur führte ihn nach Bochum, wo er
von 1987 bis 1993 geforscht und gelehrt hat. Anlässlich seines Todes veröffentlichen wir hier
einen Nachruf seines Freundes und Wegbegleiters, Prof. Dr. Manfred Schneider (Ästhetik
und Literarische Medien, Germanistisches Institut der RUB).

RUB trauert um Friedrich Kittler


Wegbereiter des Instituts für Medienwissenschaft
Ein Nachruf von Prof. Manfred Schneider aus der Fakultät für Philologie

Die Ruhr-Universität Bochum gedenkt des Todes Friedrich Kittlers, der am 18.10.2011 in
Berlin verstorben ist. Sie ist stolz darauf, einen so kritischen wie illustren Wissenschaftler zu
ihren Mitgliedern gezählt zu haben. Kittlers erste Professur führte ihn nach Bochum, wo er
von 1987 bis 1993 geforscht und gelehrt hat. Anlässlich seines Todes veröffentlichen wir hier
einen Nachruf seines Freundes und Wegbegleiters, Prof. Dr. Manfred Schneider (Ästhetik und
Literarische Medien, Germanistisches Institut der RUB). Die letzte Vorlesung von Prof.
Kittler in Bochum über „Ontologie der Medien“ hat sein Schüler, Prof. Dr. Erich Hörl
(Institut für Medienwissenschaft der RUB), auf Youtube hochgeladen:
http://www.youtube.com/watch?v=W-yV8igrfxo

Zum Tode Friedrich Kittlers

Am 18. Oktober ist Friedrich Kittler in Berlin im Alter von 68 Jahren gestorben. Mit ihm
verlor die wissenschaftliche Welt den unzeitgemäßen Denker der medialen Gegenwart und
der langen Geschichte, die sie hervorbrachte. Die Fakultät für Philologie hat Friedrich Kittler
mit einer Schweigeminute geehrt. Und dies war die Anerkennung nicht nur für die sechs Jahre
von 1987 bis 1993, als er an der Ruhr-Universität gelehrt und geforscht und einer neuen
Generation von jungen Wissenschaftlern den Weg gewiesen hat. Sie dankte ihm auch dafür,
dass er einer der treibenden Kräfte war, die das Institut für Medienwissenschaft an dieser
Fakultät möglich gemacht haben. Es sind daher auch nicht wenige seiner Schüler, die heute in
diesem Fach seine Ideen vertreten und weiter verfolgen. Eine neue Ära setzte ein, als
Friedrich Kittler auf seiner ersten Professur in Bochum dem von ihm vertretenen Fach
Neugermanistik und allen Philologien die Aufgabe nahelegte, erst einmal über die materiellen
Voraussetzungen ihrer Liebe zum Wort und zur Vernunft nachzudenken, über Buchstaben,
Papiere, Tinten, Nachrichtenwege, Waffen, Archive und zuletzt über elektronische
Schaltungen. Und wie das zu tun sei, führte er in atemberaubend gelehrten Vorlesungen,
Büchern und Vorträgen vor.

In den Geisteswissenschaften sind solche Köpfe selten, die der Forschung ganz neue
Perspektiven eröffnen. Begreiflicherweise stieß Friedrich Kittler mit seiner fröhlichen
Maxime, diesen Wissenschaften den Geist auszutreiben, auch auf erschrockene Ablehnung.
Es war für viele eine allzu schmerzliche neue Übung, den geliebten „Geist“ als ein uraltes
Wort zu lesen, das nichts anderes bezeichnet als das Wunder der Übertragungen von
Nachrichten in Zeit und Raum. In der älteren akademischen Medienwissenschaft, die sich
viele Jahre lang im Gefolge der kritischen Theorie mit dem Übel der Massenmedien
herumschlug, verursachte sein erstes großes Buch Aufschreibesysteme 1800 / 1900 ein
wahres Beben, das noch heute nachwirkt und fortwirkt, nachdem Friedrich Kittler in
zahllosen weiteren Büchern, Aufsätzen, Vorträgen und Interviews den akademischen Zeitgeist
ununterbrochen irritiert hat. Dennoch war alles Revolutionäre und Doxafeindliche dieses
Denkens getragen von einer beispiellosen Treue und Dankbarkeit gegenüber den eigenen
Lehrern und intellektuellen Vorbildern: unter ihnen Hans-Martin Lohmann, Michel Foucault,
Martin Heidegger, Jacques Lacan, Claude Shannon, Alan Turing, denen er bewegte Aufsätze
gewidmet hat. Er selbst, der so lebhaft die Materialitäten der Kommunikation, Buchstaben,
Schaltkreise, Computer, beschwor und die Welt vor ihrem Vergessen warnte, war aber ein
Meister der Sprache. Zumal seine letzten Bücher, die er der Trias von Tönen, Buchstaben und
Zahlen gewidmet hat, sind Zeugnis einer einzigartigen Sprachkunst. In der wissenschaftlichen
Prosa des deutschen Sprachraums lässt sich zur Zeit nichts Schöneres lesen als Sätze Friedrich
Kittlers. Nun musste er wie Roland Barthes sagen „Mein Körper ist kein Held“. Die Trauer
über seinen frühen Tod muss Trost suchen in einem wissenschaftlichen Werk, das höchste
Forscherleidenschaft und Gedankenmacht mit Kunst und Liebe verbindet.

Redaktion: Prof. Dr. Manfred Schneider / Dr. Josef König

https://idw-online.de/de/news446812 (08.05.2017)

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