Sie sind auf Seite 1von 67

Liebes Kind, totes Kind Roxann Hill

Visit to download the full and correct content document:


https://ebookmass.com/product/liebes-kind-totes-kind-roxann-hill/
ROXANN HILL
_________________

Liebes Kind, totes Kind


Thriller

Der sechzehnte Fall für Steinbach und Wagner


Copyright © 2023 Roxann Hill

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder


auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Sämtliche Namen, Charaktere und Handlungen sind frei erfunden und
reine Fiktion der Autorin.
Alle Ähnlichkeiten mit Personen, lebend oder tot, sind Zufall.
© Coverdesign: Alexios Saskalidis a.k.a. 187designz
Korrektorat: SW Korrekturen e.U.
https://www.roxannhill.com
http://www.facebook.com/Roxann.Hill.Autorin
https://www.instagram.com/roxann_hill/
INHALT

VORWORT

1 Er

2 Einen Monat später

6 Austin

10

11 Kai

12 Nächster Tag

13

14

15

16 Kai

17

18

19

20
21

22 Kai und Austin

23 Nächster Tag

24

25

26

27

28

29 Kai und Austin

30

31 Nächster Tag

32

33

34 Kai

35 Nächster Tag

36 Kai

37 Ralf

38

39 Nächster Tag

40

41

42 Kai

43

44
45

46 Nächster Tag

47

48

49

50 Nächster Tag

51

52

53 Nächster Tag

54

55

56

57 Nächster Tag

58

59 Kai

60

61

62

63

64

65

66

67 Eine Woche später

68 Fünf Tage später


ANNE UND PAUL KOMMEN WIEDER!

Leseprobe: Wo die toten Kinder leben (Steinbach und Wagner 1)

Leseprobe: Die blutige Stadt (Storm und Partner 1)

Die Fälle von Steinbach und Wagner – Was bisher geschah

Weitere Romane von Roxann Hill

Die Autorin
VORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Romane von Anne Steinbach und Paul Wagner sind in sich
abgeschlossen und können völlig problemlos einzeln gelesen werden.
Allein die Hauptcharaktere entwickeln sich im Verlauf der Kriminalfälle
weiter. Von daher bietet es sich an, chronologisch mit Band 1 zu
beginnen.

Für alle Quereinsteiger habe ich – wie man es von Fernsehserien kennt
– ein »Was bisher geschah« verfasst. Sie finden die Zusammenfassung
am Ende des Buches.

Ich wünsche Ihnen spannende Stunden mit Anne und Paul.

Ihre

Roxann Hill
VERRAT TRENNT ALLE BANDE.

Friedrich von Schiller (1759 – 1805), aus Wallenstein


1
Er

Einer dieser Wolkenbrüche, die im wahrsten Sinne des Wortes wie aus
heiterem Himmel alles und jeden überfallen und in Sekundenschnelle
pitschnass zurücklassen. Gut, dass sie beide im Auto sitzen.
Die Scheibenwischer haben Mühe, mit den Wassermassen fertig zu
werden. Letztendlich verteilen sie sie nur, schieben sie quietschend von
links nach rechts und wieder zurück, statt sie zu beseitigen. Die Sicht ist
nahezu gleich null, aber das ist kein Problem, denn er kennt sich hier
aus.
Er setzt den Blinker, lässt seinen Wagen bis zur Kurve rollen und biegt
in Holgers Straße ein. Bis vor vielleicht zwanzig Jahren war sie die
einzige Verbindung zu einem größeren Kaff, welches etwa zehn
Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt. Mittlerweile hat sich vieles
geändert. Das Dorf ist eingemeindet worden und zu einem beliebten
Ortsteil aufgestiegen, in dem sich besser betuchte Familien ihren Traum
vom Eigenheim erfüllen. Für diese Neubürger musste eine schicke
breite Trasse her, und Holgers Straße hat mehr und mehr an Bedeutung
verloren. Heutzutage nutzen sie lediglich die Lkws aus der Sandgrube
weiter hinten. Und Holger natürlich. Er wohnt in dem einzigen Haus,
das an dieser Strecke steht. Eine ehemalige, winzige Pension –
heruntergekommen und vergessen.
»Mann, das schüttet ja wie aus Eimern«, murmelt Holger neben ihm
auf dem Beifahrersitz. »Ich hoffe bloß, dass mein Keller nicht wieder
vollläuft. Die Kanalisation ist viel zu klein. Trotzdem haben sie das
Neubaugebiet einfach mit drangehängt. Das packen die Röhren nicht,
wenn es mal richtig gießt.«
Er sieht ihn an. »Hast du denn kein Rückstauventil?«
Holger verzieht das Gesicht. »Klar habe ich eins. Aber sobald ich das
Ding zudrehe, drückt es mir die Scheiße aus dem Klo im Erdgeschoss.
Irgendwo muss die Brühe ja hin! Dann doch lieber eine
Überschwemmung im Keller.«
Auf der rechten Seite taucht die frühere Frühstückspension auf. An
ihrer Fassade befindet sich noch das Schild von damals: eine
überdimensional große, grüne Heuschrecke. Der Lack ist abgeblättert,
aber das Bild ist trotzdem deutlich zu erkennen.
Er bremst. Der Wagen hält an.
»Bitte schön!«, sagt er. »Deine Bude. Wir sind da.«
Holger löst den Sicherheitsgurt, macht jedoch keine Anstalten,
auszusteigen.
Er wirft ihm einen prüfenden Blick zu. »Was ist los? Brauchst du
vielleicht einen Schirm? Ich fürchte, ich habe keinen im Auto.«
»Nein, das ist es nicht.« Holger schüttelt den Kopf.
»Was dann?«
»Ich muss mit dir reden. Ich wollte das schon die ganze Zeit, aber
…« Holger zuckt mit den Schultern.
»Reden? Klar. Schieß los.«
»Okay … Weißt du … bitte, ich bin mir nicht sicher, wie ich es
ausdrücken soll. Aber … ich kann nicht mehr.«
»Was kannst du nicht mehr?«
Holger holt tief Luft. »Noch länger mitmachen. Das packe ich einfach
nicht.«
Er bleibt einen Moment still. »Hm. Ganz ehrlich? Ich habe mir so was
schon fast gedacht.«
Holger dreht sich ihm zu, sein Ausdruck verzweifelt. »Das geht
bereits Monate so. Ich höre ständig ihre Stimmen. Ich sehe ihre
Gesichter, ihre Augen. Wenn ich schlafe, schrecke ich schweißgebadet
hoch, weil ich sie wieder … Ich schaffe das nicht länger.«
»Du solltest nicht so viel trinken.«
»Das mit dem Alkohol habe ich im Griff«, beteuert Holger. »Aber das
andere … Ihre Schreie. Und wenn sie weinen, jammern und wimmern
…«
Er macht eine abfällige Handbewegung. »Ist doch nur Ware.«
»Ja. Für dich. Du kannst das so sehen. Aber mich nimmt das
inzwischen irre mit. Es sind zu viele.«
»Dann willst du wirklich einen Schlussstrich ziehen und aussteigen?«
»Ich habe lange hin und her überlegt. Ich bin fest entschlossen.«
Er mustert ihn. »Das ist nicht so easy. Du weißt über alles Bescheid.«
Holger nickt deutlich. »Niemals würde ich … Damit würde ich mich
nur selbst belasten. Ich bin kein Idiot und auch kein Verräter. Ich würde
dich nie auffliegen lassen.«
»In Ordnung.« Er nickt ebenfalls. »Aber da sind unsere
Auftraggeber.«
»Ich kenne nur einen.«
»Du kennst mehr.«
»Höchstens zwei oder drei. Das andere hast immer du erledigt.«
Er schnaubt. »Diese zwei, drei Namen … wenn du die der Polizei
gegenüber nennen würdest, könnte ein geschickter Anwalt Straferlass
für dich erwirken. Und dann wäre es möglich, dass du plauderst und
uns alle ans Messer lieferst – obwohl ich persönlich dir das nicht
zutraue. Aber die anderen. Die haben jede Menge zu verlieren. Die
wollen kein Risiko eingehen.«
Holger wird bleich. »Hör mal«, sagt er eindringlich. »Du kannst dich
auf mich verlassen. Hundertprozentig.«
Er holt tief Luft. »Na gut. Ich kann mich auf dich verlassen.«
»Ja«, beeilt sich Holger, zu versichern. »Wie immer. Du kannst mir
vertrauen, wie du mir stets vertraut hast.«
Er seufzt und lächelt Holger wehmütig an. »O Mann! Nun muss ich
mir wohl oder übel jemand anderen suchen und ihn einarbeiten. Du
wirst mir echt fehlen! Was machst du jetzt mit der ganzen Freizeit?«
»Keine Ahnung.« Holger grinst erleichtert. »Wird sich schon was
finden … Wir sind noch Freunde?«
Er grinst ebenfalls. »Nach all dem, was wir zusammen erlebt haben?
Aber hallo!«
»Waren auch gute Zeiten«, meint Holger.
»Das kannst du laut sagen.«
Holger klopft ihm auf die Schulter. »Danke, Alter!«
»Nichts zu danken.« Er schüttelt einmal den Kopf.
»Kommst du noch mit auf ein Bier rein?«
»Ein Bier?«, wiederholt er und lächelt. »Ist es kalt?«
»Direkt aus dem Kühlschrank«, erwidert Holger.
»Da sage ich nicht Nein.«
Sie steigen aus.
Er folgt Holger, der geduckt zum Eingang der alten Pension rennt.
Unter dem breiten Vordach kramt Holger ein Ledermäppchen aus seiner
Tasche und sucht mit gebeugtem Kopf nach dem richtigen Schlüssel.
Auf diesen Augenblick hat er gewartet. Während Holger abgelenkt ist,
bückt er sich und greift sich einen der moosbewachsenen Granitsteine,
die als eine Art Beeteinfassung dienen. Er schlägt den kantigen Brocken
gegen Holgers Hinterkopf. Hart.
Holger ächzt und geht in die Knie.
Er schlägt noch einmal zu.
Holger bricht zusammen. Sein Nacken ist blutig.
Er packt Holgers Beine und schleift ihn zum Auto zurück. Dort
angekommen, öffnet er die Heckklappe und hievt den Körper ächzend
hinein. Holger stöhnt, sein Mund steht halb offen, seine Augen sind
verdreht, sodass man fast nur das Weiß sieht.
Er schlägt den Kofferraum zu, setzt sich ans Steuer und fährt ein
kurzes Stück. Bei einem runden Gullydeckel, der sich in der Mitte der
Straße befindet, hält er an. Er steigt aus.
Der Regen hat noch immer nicht nachgelassen. Wütend trommeln die
Wassermassen mit dicken kalten Tropfen auf ihn herab. Doch das
kümmert ihn nicht. Erneut öffnet er den Kofferraum, zerrt Holger nach
draußen und nimmt das Stemmeisen, das er für den Fall der Fälle gleich
mitgebracht hat. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Sein
Bauchgefühl hat mal wieder hundertprozentig richtiggelegen.
Er geht zum Kanaldeckel, setzt die Brechstange an, stemmt sich mit
seinem gesamten Gewicht dagegen. Zunächst rührt sich nichts, dann
hebt sich die schwere Metallplatte. Nach weiteren fünf Minuten hat er
sie beiseitegezogen. In der Fahrbahn klafft nun ein beachtliches, rundes
Loch. Es ist beinahe randvoll mit dreckig-braunem Wasser gefüllt. Ein
Rauschen dringt aus der Tiefe der Kanalisation bis zu ihm. Holger hat
nicht übertrieben. Die Abwasserrohre sind wirklich zu klein
dimensioniert.
Und nun zurück zu Holger. Der hat inzwischen die Augen offen und
blinzelt in den Regen hinein. Aus seinem Mund tropft blutige Flüssigkeit.
»Was ist los?«, stammelt Holger.
»Nichts«, erwidert er, greift sich wieder Holgers Beine und schleift ihn
bis zum Loch.
Holger richtet sich halb auf. »Was ist das für ein Rauschen?« Sein
Blick fällt auf den Gullydeckel. Er schaut auf die Öffnung und beginnt zu
zittern. »Das kannst du doch nicht machen!«
»Und wie ich das kann«, murmelt er.
»Bitte!«, fleht Holger. » Ich will nicht wie eine Ratte in Scheiße und
Pisse ersaufen! Tu das nicht! Ich habe meine Lektion gelernt! Ich will
nicht mehr aussteigen! Ich mache alles, was du möchtest!«
»Zu spät«, erwidert er.
»Dann bringe es anders zu Ende. Bitte! Einen letzten Gefallen unter
Freund…«
Er versetzt Holger einen wuchtigen Tritt. Holgers Körpers rutscht über
den Rand in den dunklen, stinkenden Schacht und versinkt sofort.
Er schaut Holger hinterher.
Eine fahlweiße Hand taucht aus der schmutzigen Brühe auf und
klammert sich an den obersten Metallbügel – der Anfang der Leiter, auf
der man bei Trockenheit in die Tiefe hinabsteigen kann.
Holgers Finger krallen sich um das rostige Eisen.
Er bückt sich und biegt bedächtig zuerst Holgers Zeigefinger, dann
den Mittelfinger, dann den Ringfinger um. Das reicht. Holgers Hand
lässt los, verschwindet in dem stinkenden Fäkalienwasser.
Er wartet noch eine Weile, nur um sicherzugehen. Dann zerrt er den
Kanaldeckel an seinen Platz zurück, überprüft den korrekten Sitz in der
eisernen Fassung. Alles bestens.
Er hebt das Brecheisen auf, schlendert pfeifend zu seinem Wagen
und klettert hinter das Steuer.
Die Metallstange legt er auf den Beifahrersitz. Dort, wo bis vor nicht
einmal einer halben Stunde Holger gesessen hat.
»So schnell kann’s gehen. Gerade noch quietschfidel und schwupps …
weg«, murmelt er, grinst und startet den Motor.
Um Holger ist es nicht schade. Er war nie ein besonders guter
Zuarbeiter. Ständig hat Holger die Ware verhätschelt. Und dann diese
ewigen Skrupel.
Morgen wird er sich auf die Suche nach einem neuen Hiwi begeben.
Gibt genug, die sich um diesen Job reißen.
2
Einen Monat später

Draußen jagte ein kalter Herbstwind rostrote Blätter vor sich her. Der
bleigraue Himmel versprach Regen. In der Küche war es trotzdem
warm, obwohl die Zentralheizung noch nicht lief. Bislang hatte der
offene Kamin in der Bibliothek ausgereicht. Doch wie es aussah, war
damit eindeutig Schluss.
Satorius, Lorenzo, Paul und ich hatten uns zum Frühstück um den
Küchentisch versammelt. Prinz lag darunter. Er war mit einem
Kauknochen beschäftigt. Das rhythmische Schaben und Knabbern
seiner Zähne war deutlich zu vernehmen.
Lorenzo trank von seinem Kaffee und schielte dabei möglichst
unauffällig auf eine Zeitung, die er halb zugeklappt direkt neben seinen
Teller geschoben hatte.
»Was liest du denn da die ganze Zeit?«, erkundigte sich Satorius.
»Ich? Ich lese doch nicht beim Essen!« Lorenzos Ausdruck wirkte
schuldbewusst.
»Doch, mein Lieber. Genau das tust du.« Satorius lächelte. »Was gibt
es für spannende Neuigkeiten?«
Lorenzo stellte seine Tasse ab, ergriff die Zeitung und schlug sie auf.
Er blickte in die Runde. Seine blauen Augen leuchteten. »Erinnert ihr
euch? Vor zwei oder drei Wochen habe ich euch von einer Leiche
erzählt, die man aus dem Abwasserkanal gefischt hat.«
»In der Nähe des Klärwerks, richtig?«, fragte Paul.
»Richtig! Stark angefressen …« Lorenzo beugte sich über den Artikel.
»Im Zustand fortgesetzter Verwesung steht hier.«
»Oje!«, murmelte ich. »Ich weiß leider zu genau, was das bedeutet.
Den Toten hätte ich nicht finden wollen.«
»Mittlerweile haben sie den armen Kerl identifizieren können. Hat
lange gedauert«, fuhr Lorenzo fort.
»Jemand, den wir kennen?« Satorius biss in sein Brötchen.
»Kann ich mir nicht vorstellen. Sie schreiben, es handelt sich um
einen gewissen Holger K., siebenundvierzig Jahre alt.«
»Sagt mir nichts.« Ich blickte Paul an. »Und dir?«
»Nie gehört«, meinte er.
»Wieso hat die Identifizierung so lange gedauert?«, fragte Satorius.
»Ist er nicht von hier?«
Lorenzo setzte seine Lesebrille auf und vertiefte sich erneut in den
Bericht. »Er wohnte in unserer Stadt, lebte allein. Der Verstorbene hatte
keine Angehörigen mehr und scheint auch nicht gearbeitet zu haben.«
»Offenbar hat ihn niemand vermisst«, sagte Satorius.
Paul seufzte. »Das ist doch irgendwie traurig.«
»Stimmt«, gab ich ihm recht. »Voll deprimierend.«
»Woran ist er denn gestorben?«, wollte Satorius wissen.
Lorenzo warf ihm einen Blick zu. »Na, das ist doch offensichtlich. Der
Tote wurde in der Kanalisation gefunden, Friedrich. Er wird ertrunken
sein.«
»Wäre auch gut denkbar, er ist zuvor ums Leben gekommen und
jemand hat seine Leiche einfach da reingeschmissen«, sagte ich.
Lorenzo widmete sich erneut seinem Artikel. Ȇber die Todesursache
kann noch keine Aussage getroffen werden.« Er sah Satorius an. »Wie
ist das möglich, Friedrich? Die hatten jetzt Wochen für die Obduktion.
Etwas konkreter müssten sie da schon werden können.«
»Na ja.« Satorius schürzte die Lippen. »Wenn ein Körper längere Zeit
gewissen schädlichen Substanzen und widrigen Umweltbedingungen
ausgesetzt ist …«
Lorenzo blinzelte. »Schädliche Substanzen?«
»Nun … Abwasser eben.«
»Fäkalien und Ratten«, konkretisierte ich und fing mir einen
empörten Blick Lorenzos ein.
»Mia cara. So genau wollte ich das gar nicht wissen.« Lorenzo schob
seinen halb vollen Teller von sich weg.
»Es ist schwierig, die Todesursache bei einem solchen Leichenfund zu
bestimmen«, sagte Satorius. »Es sei denn, der Tote wäre zum Beispiel
erschossen worden. Dann gäbe es spezifische Verletzungen oder sogar
eine Kugel im Gewebe. Das scheint aber hier nicht der Fall zu sein.«
»Leute! Es muss sich nicht immer um Mord handeln!«, warf Paul ein.
»Vermutlich gibt es eine ganz logische Erklärung für den Tod des
Mannes.«
»So was wie einen Unfall meinst du?«, fragte ich.
»Er könnte irgendwie in den Kanal geraten sein. Beim Säubern…«
»War er denn Kanalputzer oder wie man die nennt?«, unterbrach ich
Paul.
»Im Artikel steht nichts davon«, sagte Lorenzo.
»Also … wer fällt schon in einen Kanalschacht und ertrinkt?« Ich
schüttelte den Kopf. »So was habe ich noch nie gehört. Für mich klingt
das sehr nach einem Gewaltverbrechen.«
Lorenzo machte ein enttäuschtes Gesicht. »Schade, dass das kein Fall
von Ralf ist. Von ihm würden wir nähere Einzelheiten erfahren.«
»Apropos Ralf«, sagte Satorius. »Kommt er heute Abend zum
Essen?«
»Hat er fest vor«, bestätigte ich.
»Ich habe auch schon fast alles vorbereitet«, beeilte sich Lorenzo, zu
versichern.
»Oh, das klingt ja vielversprechend.« Paul lächelte. »Worauf dürfen
wir uns heute freuen?«
»Das ist ein Geheimnis«, erwiderte Lorenzo übertrieben flüsternd.
»Ich habe es noch nicht einmal Friedrich verraten.«
Ich blickte auf meine Uhr.
»Du musst los«, stellte Satorius fest.
»Ja.« Ich verzog den Mund. »Um halb elf habe ich einen Termin beim
Direktor von Julias Schule.«
»Worum geht’s?«, fragte Lorenzo.
Ich zog die Schultern hoch. »Es gibt da wohl einige Probleme mit
ihren Noten. Näher wollten sie sich am Telefon nicht äußern.«
»Kommt dein Ex-Mann mit? Ist ja schließlich auch seine Tochter.«
»Yannick hatte es fest vor. Aber er hat einen Gerichtstermin in
München.«
»Den konnte er nicht verschieben?« Lorenzo runzelte die Stirn.
»Als Anwalt kannst du doch nicht beliebig Gerichtsverhandlungen
vertagen«, brummte Satorius.
»Aber er hätte einen Vertreter schicken können«, protestierte
Lorenzo. »Kinder gehen vor. Immer.«
Ich musste lächeln. »Das sehen du und ich so. Aber du weißt ja, wie
Yannick drauf ist. Und insgesamt betrachtet ist es mir lieber, ich kann
das allein erledigen und muss mich nicht auch noch mit ihm
auseinandersetzen.« Ich sah Paul an. »Wenn du willst, dass ich dich
vorher zur Villa kutschiere, sollten wir jetzt aufbrechen.«
»Hat der Leiter der Villa, dieser Sozialarbeiter, um das Gespräch
gebeten?«, fragte Satorius.
»Eigentlich nicht«, erwiderte Paul. »Es handelt sich um einen
normalen Jour fixe. Herr Meixner wird mir berichten, wie sich die Arbeit
mit den Sektenaussteigern entwickelt. Und dann müssen wir über den
Haushalt für nächstes Jahr reden. Er braucht ein größeres Budget, das
will gut begründet sein, sonst kann er das vergessen.«
»Jeder möchte Geld«, stellte Lorenzo seufzend fest.
»Du sagst es«, gab ihm Paul recht.
Ich erhob mich. »Okay. Geld hin oder her. Lass uns fahren.«
3

Vor mir erschien der Parkplatz des Supermarkts. Ich bog ein und fuhr
an den abgestellten Autos vorbei bis zum hinteren Ende. Dort führte
eine enge Zufahrt zwischen einem Lagerhaus und einem Autohändler
bis zu einem imposanten, wenn auch leicht in die Jahre gekommenen
Backsteinhaus. Eine ehemalige stattliche Fabrikantenresidenz. Jetzt
diente sie als kirchliche Rehabilitationsstätte und Rückzugsort für
Suchtkranke, aber vor allem für Sektenaussteiger. Früher hatte Paul die
Villa – wie sie der Einfachheit halber meist genannt wurde – mehr
nebenbei geleitet. Inzwischen hatte er den Posten an Herrn Meixner,
seines Zeichens Sozialpädagoge, abgegeben. Trotzdem blieb Paul mit
seiner alten Wirkungsstätte verbunden. Wann immer Meixner
Unterstützung brauchte, war er zur Stelle, um zu helfen.
Ich stellte den Motor ab und blickte durch den Regen auf die roten
Mauern des Hauses. Ich atmete tief durch. Drei Fünfer und ein Sechser.
Und das nach nicht einmal eineinhalb Monaten Schule. Außerdem
beklagten sich die Lehrkräfte über Julias Verhalten, hatte mir der
Direktor mit anklagendem Ton berichtet. Sie sei nicht einsichtig,
störrisch und würde ihre Aufgaben nicht regelmäßig erledigen.
Shit, dachte ich. Das konnte ich unmöglich unter den Teppich kehren.
Das musste ich mit Yannick besprechen. Vielleicht hing Julias Verhalten
mit Ben zusammen, ihrem kleinen Halbbruder. Seitdem er auf der Welt
war, beanspruchte der Knirps zwangsläufig einen großen Teil der
Aufmerksamkeit von Yannick und seiner neuen Frau Steffi. Julia stand
nicht mehr allein im Mittelpunkt. Die wenigen Wochenenden, die meine
Tochter bei mir verbrachte, machten das allem Anschein nach nicht
wett.
Seit dem letzten Schuljahr wusste ich, dass Julia insbesondere mit
Latein auf dem Kriegsfuß stand, doch dieser plötzliche Leistungsabfall
kam für mich völlig überraschend. Offenbar hatte Yannick von den
schulischen Problemen Julias ebenfalls nichts mitbekommen, sonst
hätte er auf alle Fälle darauf bestanden, bei dem Termin mit dem
Direktor anwesend zu sein. Julia musste ihre schlechten Noten vor
ihrem Vater verschwiegen haben. Eine andere Erklärung gab es nicht.
Inzwischen schüttete es wie aus Eimern. Passte zu meiner
gegenwärtigen Laune.
Die Tür der Villa öffnete sich. Paul trat ins Freie, blieb unter dem
Vordach stehen und spannte einen Regenschirm auf. Suchend blickte er
sich um, entdeckte mich und eilte schnellen Schrittes zu mir. Er machte
die Beifahrerseite auf und beugte sich in den Innenraum.
»Willst du nicht einsteigen?«, fragte ich ihn.
Er musterte mich, sein Ausdruck wurde besorgt. »Alles okay bei dir?«
Ich schnaubte. »Erzähle ich dir später.«
Er zögerte und meinte dann: »In der Villa ist gerade ein Kollege von
mir. Er hat mich um unsere Hilfe gebeten.«
»Ein Kirchenfall?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Es scheint sich um etwas
Persönliches zu handeln.«
»Du weißt noch nichts Näheres?«
Ein erneutes Kopfschütteln. »Aber er wirkt sehr bedrückt und
mitgenommen. Um welche Sache es sich auch dreht, sie belastet ihn
sichtlich.«
»Okay.« Ich zog den Zündschlüssel und schnallte mich ab. Was
immer Pauls Kollege auf dem Herzen hatte, es würde mich zumindest
für eine Weile von meinen trüben Gedanken ablenken.
»Warte«, sagte Paul. »Ich komme mit dem Schirm auf deine Seite,
sonst wirst du klatschnass.«
4

Wir durchquerten das weitläufige Foyer mit dem prominenten


Treppenhaus und betraten linker Hand Meixners Büro. Jede Menge
Grünpflanzen in bunt zusammengewürfelten Blumentöpfen. Ein
Schreibtisch mit Stand-PC. Regale voller Aktenordner. In der Luft der
durchdringende Geruch nach Pfefferminztee.
Meixner saß an seinem Arbeitsplatz, ihm gegenüber ein Mann,
vielleicht in meinem Alter. Ich schätzte ihn auf Anfang bis Mitte dreißig.
Er trug eine schwarze Jeans und ein graues Sweatshirt. Seine Füße
steckten in Doc Martens. Er war hellblond, mit wasserblauen Augen.
Seine Wimpern und Augenbrauen waren nahezu weiß, und seine Haut
schimmerte durchsichtig. Fast schon ein Albino.
Er erhob sich, als Paul und ich eintraten.
Meixner, wie meist in Cordhose und gestricktem Schlabberpulli, rückte
sich die runde Brille zurecht und stand ebenfalls auf.
»Hallo«, begrüßte ich ihn.
»Hi«, gab er zurück.
Anfänglich hatten er und ich uns nicht sonderlich gut leiden können.
Inzwischen kamen wir prima miteinander zurecht.
»Anne, darf ich dir Herrn Leitner vorstellen?«, begann Paul. »Er ist,
wie ich, ein Pfarrer.«
»Ah! Ein Kollege von dir«, erwiderte ich. »Schön, Sie
kennenzulernen.«
Pfarrer Leitner und ich schüttelten uns die Hände.
Meixner deutete auf das hintere Regal. »Dort findet ihr weitere
Tassen. Bestimmt wollt ihr allein sein. Wenn was ist, ich bin oben im
Aufenthaltsraum.« Er nickte in die Runde, schlurfte mit seinen
Filzpantoffeln nach draußen und schloss die Tür hinter sich.
Wir drei nahmen Platz.
Leitner räusperte sich und deutete zum Fenster. »Schreckliches
Wetter, nicht wahr?«
»Für die Jahreszeit zu kalt und viel zu viel Regen«, stimmte ihm Paul
zu.
Smalltalk war nicht unbedingt eine meiner Stärken. »Herr Wagner
meinte, Sie hätten ein Anliegen, bei dem wir vielleicht helfen
könnten?«, fragte ich geradeheraus.
Eine Röte, eher ein Rosarot, überzog Leitners fahle Wangen.
»Anliegen … das ist gut ausgedrückt.«
»Worum geht es denn?«, erkundigte sich Paul.
Leitner atmete tief durch. »Wie Sie wissen, Herr Wagner, arbeite ich
in der Jugendstätte Straußenhof.«
»Als Leiter«, bestätigte Paul. Er wandte sich zu mir. »Das ist eine
Einrichtung für schwer erziehbare Kinder und Jugendliche, und auch
solche, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht in ihrer Familie
bleiben können.«
»Ein Internat?«, hakte ich nach. »Die Kids wohnen dort?«
»Ja. Wir haben aber auch Tagesgruppen mit Kindern, die nach
Schulschluss heimgehen«, erklärte Leitner.
»Sicher kein leichter Job«, sagte ich.
Leitner schmunzelte. »Jedes Kind ist eine Herausforderung. Aber der
stelle ich mich immer wieder gern.«
»Schön, dass es solche Leute wie Sie gibt«, sagte ich
wahrheitsgemäß.
Er wurde ernst. »Ich bin aber auch seelsorgerisch tätig.«
Ich nickte. Das kannte ich von Paul.
»Einer meiner früheren Mitarbeiter hat Krebs im Endstadium. Ich war
vergangene Woche auf seinen Wunsch hin bei ihm und habe eine Art
Beichtgespräch mit ihm geführt.«
»Sie haben ihm die letzte Ölung gegeben?«, vergewisserte sich Paul.
»Letztendlich schon. Wir haben es nur nicht so genannt. Uwe – so
heißt er – wird zu Hause von seiner Frau gepflegt. Er ist austherapiert
und hat vielleicht noch einen Monat zu leben.«
»Das ist hart«, murmelte ich.
»Ja.« Leitner neigte leicht den Kopf. »Seine Frau hat uns allein
gelassen. Wir haben erledigt, was zu erledigen war. Und danach habe
ich ihn mit seinem Rollstuhl auf den Balkon geschoben. Er wollte etwas
frische Luft schnappen und eine Zigarette rauchen.« Leitner stockte.
»Uwe hat Lungenkrebs. Aber eine Zigarette mehr oder weniger … das
macht auch keinen Unterschied. Er hat sich eine angesteckt und hat es
sehr genossen.«
»Als Raucher kann ich das gut verstehen«, meinte Paul.
»Wir haben uns im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die
Welt unterhalten. Trotz allem war es ein unbeschwerter, friedlicher
Moment.«
Das war nicht die gesamte Geschichte. Paul und ich warteten
schweigend, bis Leitner so weit war, fortzufahren.
»Uwe wohnt in einem Hochhaus. Direkt gegenüber steht ein anderes
Hochhaus. Wie wir da so redeten, wurde ich von einem Sonnenstrahl
geblendet, der von einer sich öffnenden Terrassentür widergespiegelt
wurde und auf mein Gesicht fiel. Ich habe zum Nachbargebäude
geblickt. Dort trat ein Mann auf seinen Balkon. Er zündete sich ebenfalls
eine Zigarette an.«
Wieder eine Pause.
»Daran ist nichts Ungewöhnliches«, bemerkte Paul.
»Sicher nicht«, erwiderte Leitner. »Aber der Mann … er kam mir
bekannt vor. Ich wusste nur nicht, woher.«
»Okay«, sagte ich.
»Die Sonne verschwand hinter einer Wolke. Und dann, plötzlich, mit
einem Mal, kam sie mit Macht wieder hervor und strahlte ihn direkt an.
Da habe ich ihn erkannt. Auch wenn er nicht mehr so aussah wie
früher. In dem Moment wusste ich, er ist es.«
»Wer?« Ich runzelte die Stirn und warf Paul einen schnellen Blick zu.
Er verstand ebenfalls nicht, worauf Leitner hinauswollte.
»Matteo. Matteo Westphal. Er war es. Ich bin mir hundertprozentig
sicher.«
Paul räusperte sich verhalten. »Entschulden Sie bitte, ich komme
gerade nicht ganz mit. Sie haben einen Mann gesehen, von dem Sie
glauben, dass Sie ihn von früher kennen?«
»Ja. Genau. Matteo.«
Der hellblonde Kerl war irgendwie seltsam.
»Jeder trifft mal jemanden, den er früher gekannt hat«, bemerkte
ich.
»Sicher«, gab mir Leitner recht. Seine wasserblauen Augen hefteten
sich auf mich. »Aber bei Matteo verhält es sich anders. Er ist nämlich
schon lange tot.«
5

»Ich fange am besten ganz von vorn an«, sagte Leitner. »Es gibt einen
Grund, warum ich mit schwer erziehbaren Kindern und Jugendlichen
arbeite: Meine eigene Familie war selbst alles andere als ideal. Es gab
ständig Konflikte, und nicht nur verbal.« Er räusperte sich. »Mein Vater
… nun, er hatte wohl das, was man ein gravierendes Alkoholproblem
nennt. Und meine Mutter war mit ihren vier Kindern heillos überfordert,
nahm Tabletten und … sie trank. Viel.«
»So eine Kindheit ist nicht einfach«, sagte Paul.
»Ja. Leider. Mit elf, zwölf ging ich nur noch unregelmäßig heim. Ich
vermied es, wo ich konnte, meine Eltern zu treffen. Ich hing mit
anderen Kids am Bahnhof ab, schlief mal hier, mal dort, wurde öfters
aufgegriffen und nach Hause gebracht. Daheim lief es dann immer nach
dem gleichen Muster ab: Ich kassierte Prügel, wurde eine Zeit lang ins
Zimmer gesperrt, und bei der erstbesten sich bietenden Gelegenheit
riss ich wieder aus. Ich habe Automaten aufgebrochen. Ich habe
gestohlen, gebettelt und gelogen – alles, was man als Jugendlicher auf
der Straße tun kann, um an ein wenig Geld zu kommen, habe ich
gemacht.«
Ich betrachtete den Pfarrer mit neuem Interesse. Nichts an seiner
äußeren Erscheinung deutete auf seine Vergangenheit hin. Er war
salopp, aber gepflegt gekleidet. Sein Ausdruck wirkte intelligent und
hellwach, ohne eine Spur von Verschlagenheit oder Härte, die ein
solches Leben normalerweise hinterlässt.
»Eine Zeit lang bin ich mit Matteo zusammen gewesen. Matteo war
mehrere Jahre älter als ich. Er stammte aus Stuttgart.« Er stockte.
»Und dann passierte der Brand in dem Haus. Dabei ist Matteo ums
Leben gekommen.«
»Ähm.« Paul runzelte die Stirn. »Welches Haus?«
»Das Gebäude, in dem wir eine Zeit lang gelebt haben. Ich war nicht
da, als das Feuer ausbrach.« Erneut hielt er inne. »Ich war stets der
Überzeugung, Matteo ist tot. Aber wenn er jetzt doch noch lebt … Das
käme einem Wunder gleich. Ich wäre unendlich erleichtert und
glücklich.« Er blickte zu Boden.
»Sie fühlen sich schuldig am Tod Matteos?«, sprach ich das
Offensichtliche aus.
»Ja«, flüsterte er und hob den Kopf. »Ich bin mir hundertprozentig
sicher. Wenn ich dageblieben wäre, wäre nichts passiert. Deshalb bitte
ich Sie, Matteo ausfindig zu machen. Ich möchte ihm nur einmal in die
Augen sehen, mit ihm reden, ihm erklären, warum ich weg bin. Ihm
sagen, wie froh ich bin, dass es ihm gut geht.«
Leitners Verhalten erinnerte mich in gewisser Hinsicht an das von
Paul, der es als Pfarrer nicht über sich brachte, bewusst zu lügen.
Lieber ließ er einige Fakten weg und blieb ansonsten bei der reinen
Wahrheit. Deshalb war ich felsenfest davon überzeugt, dass uns Leitner
gerade nur einen Teil der Geschichte erzählt hatte, und ich rätselte
insgeheim, was er vor uns verbarg und warum.
Kurz überlegte ich, ihn direkt darauf anzusprechen, doch ich ließ es
bleiben. Stattdessen fragte ich: »Matteo stand auf dem Balkon des
Nachbargebäudes. Warum sind Sie nicht einfach rüber und haben bei
der entsprechenden Wohnung geklingelt? Dann hätten Sie sich gleich
selbst davon überzeugen können, ob es sich bei dem ominösen Raucher
um Matteo handelte oder nicht.«
»Habe ich doch! Ich bin sofort zum Nachbarhaus. Aber das Ehepaar,
das in dem Appartement lebt, hat bestritten, einen Matteo zu kennen
oder jemanden, der aussieht wie Matteo. Sie meinten, sie hätten
gerade niemanden zu Besuch. Bei dem Raucher habe es sich um den
Ehemann selbst gehandelt.«
»Sieht der Ehemann Ihrem Freund ähnlich?«
Ȇberhaupt nicht. Das ist es ja. Der Mann ist ziemlich klein, rundlich
und hat hellbraunes Haar. Matteo ist groß, hat dunkle Augen und
schwarze Locken, das genaue Gegenteil von mir.«
»Vielleicht war das Ganze nur eine optische Täuschung«, meinte
Paul. »Hervorgerufen durch das Sonnenlicht, das Sie geblendet hat.«
Ein deutliches Kopfschütteln. »Nein. Niemals. Und Uwe hat ihn ja
auch gesehen.«
»Wie lange ist das jetzt her?«, fragte Paul.
»Was? Das mit dem Raucher? Das war vor einer knappen Woche.«
»Nein. Ich meinte den Brand, bei dem Matteo gestorben sein soll«,
konkretisierte Paul.
»Ach so…« Leitner holte tief Luft. »Im Frühjahr werden es zwanzig
Jahre. Dieses Feuer hat mein ganzes Leben verändert.«
Paul blickte mich fragend an und ich nickte leicht.
»In Ordnung«, sagte er. »Frau Steinbach und ich versuchen unser
Bestes. Wir benötigen Uwes Adresse, um ihn zu fragen, was er gesehen
hat … wenn das noch geht.«
»Doch, das ist bestimmt möglich«, erwiderte Leitner. »Er nimmt zwar
Schmerzmittel, aber er ist klar im Kopf.«
»Gut. Und die Anschrift des anderen Hochhauses sowie den Namen
der Mieter, falls Sie die Angaben haben.«
»Habe ich. Natürlich.« Leitner sah von Paul zu mir und wieder zurück.
»Danke. Ich hätte nicht gewusst, an wen ich mich sonst wenden soll.
Es ist ja keine Sache für die Polizei, und ich selbst komme nicht weiter.«
»Sie müssen aber auch damit rechnen, dass wir möglicherweise nicht
den Erfolg haben werden, den Sie sich wünschen«, gab ich zu
bedenken.
Ein leises, trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Selbstverständlich. Zumindest weiß ich dann aber, dass ich einem
Trugbild aufgesessen bin und es sich nur um Wunschdenken gehandelt
hat.«
6
Austin

Austin sitzt jetzt seit einem halben Tag an der Rückseite der
Autoraststätte. Inzwischen ist es dunkel. Zwei Meter entfernt befindet
sich der Hinterausgang der Toiletten. Er hockt einfach auf dem Boden,
auf den harten Steinen. Es stinkt nach Pisse und scharfem
Reinigungsmittel. Darunter mischt sich der Geruch von Abgasen. Von
der nahen Autobahn dringt ein ununterbrochen lautes Rauschen zu
ihm, wie von einem Wasserfall.
Ihm ist so wahnsinnig kalt. Es regnet und seine Kleidung fühlt sich
klamm an. Er ist pleite und die Kippen sind ihm auch ausgegangen.
Anschaffen gehen will er auf keinen Fall. Er kann nirgendwohin. Er kann
sich nicht mal in der Raststätte aufwärmen. Sie haben ihn vor Stunden
rausgeschmissen, weil er versucht hat, bei den Kunden zu betteln.
Ein Typ nähert sich ihm. Er trägt einen Pappbecher mit Kaffee und
eines dieser abgepackten Sandwiches. Der Mann bleibt vor ihm stehen.
Austin hebt den Blick und sieht ihn an. Um die Ende dreißig, salopp
gekleidet. Jeans, Sweater und eine Regenjacke. Alles sauber, alles
ordentlich.
Der Kerl zögert und hält ihm dann den Kaffee und das Brot hin. »Hier,
das habe ich eigentlich für mich gekauft. Aber du brauchst es
dringender, und ich kann mir ja noch mal was holen.«
Austin beeilt sich, die Sachen an sich zu nehmen, bevor es sich der
Fremde anders überlegt. Er stellt den Kaffee auf den Boden, reißt die
Plastikfolie vom Sandwich und beißt hinein. Thunfisch mit Ei und Mayo.
Etwas Besseres hat er noch nie zuvor gegessen. Der Geschmack ist
himmlisch. Er beißt ein weiteres Stück ab und kaut hastig.
»Du bist hier gestrandet?«, fragt ihn der Mann.
»Ja«, nuschelt Austin mit vollem Mund. »Der Lkw-Fahrer hat mich an
der Zapfsäule rausgeworfen.«
»Und du hast keine Kohle mehr.«
»Nein.« Austin schüttelt den Kopf.
»Warum gehst du nicht einfach heim?«
»Auf keinen Fall!« Austin schnaubt. »Die sehen mich nie wieder.«
»Was ist mit dem Jugendamt? Die helfen doch.«
Der Typ hat null Ahnung.
»Die stecken mich in irgendeine Pflegefamilie oder eine dämliche
Wohngruppe. Das ist schlimmer als Knast.«
Der Mann verzieht den Mund. »Verstehe ich gut. Kenne ich aus
eigener Erfahrung.«
Austin mustert ihn genauer. »Ach, wirklich?« Das Sandwich ist weg.
Er nimmt den Pappbecher und trinkt vom Kaffee. Er ist nur noch
lauwarm, aber süß. Und Milch ist auch drin. Klasse.
»Ja. Wirklich. Ich war ebenfalls mal in deiner Situation. Weg von zu
Hause, ohne alles«, sagt der Typ. »Wie alt bist du?«
»Achtzehn«, lügt Austin.
Der Mann sagt nichts und betrachtet ihn ruhig.
»Okay. Sechzehn.«
Der Kerl sagt wieder nichts.
»Vierzehn. Aber das stimmt.«
Der Typ nickt. »In vier Jahren bist du volljährig. Dann sieht die Welt
völlig anders aus. Du musst lediglich diese vier Jahre überbrücken und
durchstehen.«
Jetzt nickt Austin.
Der Kerl mustert ihn erneut. Diesmal nachdenklich. Er holt tief. Luft.
»Okay. Ich muss weiter.«
»Na, dann tschüss«, sagt Austin. »Und danke.«
Der Mann entfernt sich von ihm. Nach ein paar Schritten wird er
langsamer, bleibt stehen, dreht sich um und kommt zurück.
Er blickt zu Austin herunter und zieht die Augenbrauen nachdenklich
zusammen. »Ich weiß nicht, ob das das Richtige ist, aber … wenn du
magst, kannst du mitkommen.«
Er hat es doch gewusst! Einer dieser Kinderficker.
»Mitkommen?«, wiederholt Austin. »Ich gehe nicht anschaffen und
werde dir ganz bestimmt keinen blasen.«
Der Mann lacht. »Und ich stehe nicht auf Jungs. Nein. Mit Sicherheit
nicht. Ich habe eine Autowerkstatt. Da könnte ich Unterstützung
gebrauchen.«
»Wie denn?«, fragt Austin. »Ich habe nicht mal einen Perso.«
»Als Hilfsarbeiter. Wagen waschen. Die Werkstatt aufräumen. Die
Reifen wechseln. Du siehst kräftig aus. Und keiner meiner Mitarbeiter
käme auf die Idee, nachzufragen. Warum sollten sie. Sie sind froh,
wenn sie diese Arbeiten nicht selbst machen müssen.«
So etwas Ähnliches wie Hoffnung keimt in Austin auf. »Was kriege ich
dafür?«
Der Mann zuckt mit den Schultern. »Nicht viel. Ein Zimmer neben der
Werkshalle. Mit Heizung, Bett, Schrank und einem Bad, das du dir mit
den anderen teilst. Könnte man ganz nett herrichten. Dazu Essen,
etwas Kleidung und dreihundert im Monat.«
Mit einem Mal ist Austin nicht mehr kalt. Sein Herz hämmert vor
lauter Aufregung und Freude wie wild in seiner Brust. Trotzdem sagt er:
»Dreihundert ist wirklich nicht gerade viel.«
»Nein«, bestätigt der Kerl. »Aber es reicht und du kannst
untergetaucht bleiben. Bei mir macht dir niemand Vorschriften, solange
du deinen Job erledigst. Und nach ein paar Jahren … wenn du achtzehn
bist … wer weiß: Du könntest bei mir als richtiger Azubi anfangen. Dann
kennst du schon alles und machst die Ausbildung bestimmt mit links.«
Austin kann nicht mehr länger den Coolen spielen. Er springt auf,
packt seinen abgewetzten Rucksack. »Okay.«
Der Mann deutet auf die Tasche. »Ist das alles, was du hast?«
»Ja«, sagt Austin.
Sie machen sich auf den Weg zum Parkplatz.
»Vorhin war alles voll. Mein Wagen steht da vorn.« Der Mann deutet
auf einen weißen Transporter, der etwas abseits parkt.
Der Weg ist schmal, der Typ lässt Austin den Vortritt.
Ich hab einen Job, denkt sich Austin. Von jetzt an wird alles bes…
Er erhält einen wuchtigen Schlag ins Genick und sackt in sich
zusammen. Halb bewusstlos bekommt er mit, wie ihn der Fremde an
den Füßen packt, über den nassen rauen Asphalt zu dem Fahrzeug
schleift.
Austin kämpft dagegen an, aber er verliert dennoch das Bewusstsein.
7

Die Ampel vor mir sprang auf Grün. Ich gab Gas.
Paul saß schweigend neben mir, rauchte einen Zigarillo und achtete
darauf, den Qualm aus dem leicht geöffneten Seitenfenster ins Freie zu
pusten.
Nach einer Weile seufzte er und wandte sich mir zu. »Ich sollte mir
das abgewöhnen.«
»Was denn?«, fragte ich.
»Das Rauchen.«
»Habe ich schon probiert. Öfter. Ist nur nicht so einfach umgesetzt
wie ausgesprochen.«
»Hm«, machte er. »Im Gegensatz zu dir bin ich aber willensstark.«
Ich lachte. »Ich würde es schaffen, auf die Kippen zu verzichten,
wenn es nicht diese beiden Männer in meinem Leben gäbe, die mich
ständig zum Rauchen animieren.«
»Da hast du auch wieder recht.« Er sah auf seinen Zigarillo.
»Manchmal ist es eben so, dass nichts über einen guten Glimmstängel
geht, wenn man nachdenken muss.«
»Aha. Und woran denkst du?«
»Ach, an Jörg Leitner.«
»Was hältst du von ihm?«
»Er hat einen hervorragenden Ruf. Er ist überaus engagiert. Er hat
einen einmalig guten Draht zu den Kids und Jugendlichen, mit denen er
arbeitet. Außerdem gilt er als ein super Seelsorger, weil er viel
Einfühlungsvermögen besitzt.«
»Das mag sein, aber das meinte ich nicht.«
»Was dann?« Er hatte zu Ende geraucht und drückte den Stummel im
Aschenbecher aus.
»Mir geht es um das, was er uns erzählt hat.«
Paul zuckte mit den Schultern. »Das erklärt doch einiges: Er hatte
eine ganz schlimme Kindheit und Jugend. Diese Erlebnisse haben ihn zu
dem Menschen geformt, der er ist. Seine problematische Vergangenheit
stellt gleichsam seine Motivation dar, das zu tun, was er jetzt macht.«
»Das meinte ich aber auch nicht, sondern die Sache mit Matteo.«
»Puh … Matteo muss ein besonderer Freund gewesen sein. Und der
Verlust, die Trennung von ihm war wohl eine traumatische Erfahrung.«
»Das nehme ich auch an. Allerdings hat uns Leitner nur einen
Bruchteil dessen erzählt, was sich damals zugetragen hat. Das weißt du
genauso gut wie ich.«
Paul blieb eine Zeit lang still. »Ja«, sagte er schließlich. »Das
stimmt.«
»Und da frage ich mich, warum Leitner einiges weggelassen hat.«
»Nun … möglicherweise ist die Erinnerung zu schmerzhaft für ihn.«
»Oder er schämt sich.«
»Schämen? Worauf spielst du an?«
Ich zuckte unbestimmt mit den Schultern. »Ausreißer, die allein am
Bahnhof rumhängen … Sehr viele Alternativen haben sie nicht, um an
Geld zu kommen. Das sind die idealen Missbrauchsopfer.«
»Du vermutest, er könnte sich prostituiert haben?«
»Vielleicht.«
Paul atmete tief durch. »Es ist furchtbar, wenn wir immer gleich das
Schlimmste annehmen.«
»Tja, richtig. Nur die Realität ist in den seltensten Fällen angenehm
oder rosarot.«
»Leider.«
»Und die Sache mit dem Mann auf dem anderen Balkon«, fuhr ich
fort, »der so aussehen soll wie der tote Matteo … Das ist –
Entschuldigung – fast krank. Im Sinne von pathologisch, verstehst du?«
»Schon«, meinte er leise. »Was auch immer ihm vor zwanzig Jahren
widerfahren ist, belastet Leitner enorm. Eins steht für mich fest: Er
kann das nicht hinter sich lassen.«
Wir hatten die Hochhaussiedlung erreicht. Ich bog auf den Parkplatz
ein. »Jedenfalls bin ich mal gespannt, was uns sein todkranker Freund
Uwe gleich berichten wird.«
»Anne, ich glaube nicht, dass uns eine großartige Überraschung oder
Entdeckung bevorsteht. Wir werden der Sache kurz nachgehen, klären,
dass das nur eine Täuschung war. Anschließend spreche ich mit Jörg
Leitner.« Er stockte. »Möglicherweise kann ich ihm die Last ein wenig
leichter machen. Ich werde ihm anbieten, dass wir uns öfter
austauschen können, wenn er mag.«
Ich stellte den Motor ab. »Gute Idee. Vielleicht gelingt es ihm dann,
endlich abzuschließen.«
»Das würde ich ihm von Herzen wünschen«, meinte Paul.
Ich schnallte mich ab und beugte mich zu ihm hinüber, um das
Handschuhfach zu öffnen. Ich kramte darin herum. »Wo sind die denn?
Verflucht noch mal!«
»Was suchst du?«, fragte er.
»Meine Zigaretten. Wenn dieser Uwe Gorny so gerne raucht …
eventuell kann ich ihm damit eine kleine Freude bereiten.«
8

Pfarrer Leitner hatte bei seinem ehemaligen Kollegen angerufen und


Paul und mich angekündigt. Eine Frau mittleren Alters öffnete uns die
Tür. Ihr Ausdruck war bemüht freundlich. Trotzdem merkte man ihr
deutlich an, wie schwer sie an der Erkrankung ihres Mannes trug.
Uwe Gorny selbst saß im Rollstuhl. Ein an der Rückenlehne
befestigter Alutank versorgte ihn mittels eines Katheters, der unterhalb
seiner Nase hing, mit Sauerstoff. Dennoch, für einen Todkranken wirkte
er überraschend fit. Er freute sich sichtlich, Besuch zu erhalten, und
lächelte uns mit hellwachem Blick entgegen. Lediglich beim Sprechen
konnte man heraushören, dass er Lungenkrebs hatte. Er redete
kurzatmig und seltsam gedämpft.
Er lud uns ein, mit ihm auf den Balkon zu gehen. Die frische Luft täte
ihm gut und er wolle, solange er das noch könne, etwas anderes sehen
als seine eigenen vier Wände.
Gern machten wir ihm den Gefallen.
Seine Frau lugte zu uns heraus. »Hast du deine Tropfen schon
genommen?«
»Ja«, erwiderte er. »Vorhin.«
»Gut«, sagte sie. »Dann gehe ich jetzt für einen Sprung rüber in den
Supermarkt.«
»Lass dir Zeit, Schatz«, sagte er.
»Keine Angst, ich brauche nicht lange«, erwiderte sie.
Er schnitt eine Grimasse. »Liebes, ich bin kein Kleinkind. Ich sterbe
lediglich an Krebs. Aber das ganz sicher nicht heute … Außerdem musst
du dir keine Sorgen machen. Ich habe ja Besuch und dann erscheint
bald schon der mobile Pflegedienst. Ich werde also so gut wie nicht
allein sein.«
Sie lächelte ihn liebevoll an. »Okay. Soll ich dir was Besonderes
mitbringen?«
Er überlegte kurz. »Ich hätte echt Lust auf ein Eis.«
»Walnuss?«
»Was denn sonst?«
»Kriegst du. Also, bis später.« Sie nickte in die Runde und ließ uns
allein.
Er seufzte. »Es klingt vielleicht seltsam, aber meiner Frau fällt die
Situation fast schwerer als mir.«
»Sie liebt Sie eben«, sagte ich.
»Ja, Liebe…« Seine Augen wurden feucht. Er wandte sich von uns ab
und blickte schräg am gegenüberliegenden Hochhaus vorbei auf die
Silhouette der Stadt.
»Ist doch ein wunderschöner Ausblick, nicht wahr?«, sagte er nach
einer Weile. »Wissen Sie, früher … ich habe das gar nicht richtig
wahrgenommen. Und jetzt … Jede Stunde, jede Minute ist wertvoll.«
Er wollte nicht bemitleidet werden.
»Hier haben Sie auch mit Herrn Leitner gestanden«, sagte ich
deshalb.
Er drehte sich uns zu. »Ja. Vor sechs oder sieben Tagen. Und wir
haben eine geraucht. Mensch, was würde ich für eine Zigarette geben!«
Ich lächelte. »Wie der Zufall so will, habe ich eine Packung dabei.«
»Das ist furchtbar nett von Ihnen«, gab er zurück. »Nur … meine
Frau hat das vergangene Woche mitbekommen. Ich musste ihr
versprechen, dass es die letzte Zigarette war. Aber … wenn Sie sich eine
anstecken würden, dann würde dieser würzige Geruch in der Luft
liegen. Das wäre toll.«
Ich folgte seinem Wunsch und nahm einen tiefen Zug.
»Schmeckt, nicht wahr?«, fragte er.
Ich blies den Rauch aus. »Richtig gut.«
Er nickte lächelnd. »Marlboro. War auch meine bevorzugte Marke.«
»Können Sie uns zeigen, auf welcher Terrasse Pfarrer Leitner den
Mann gesehen hat?«, erkundigte sich Paul.
»Sicher.« Herr Gorny beugte sich ein wenig vor und deutete zum
Nachbarhaus. »Dritter Stock. Und dann ist es der zweite Balkon von
links.«
»Dort, wo das Rollo unten ist?«, fragte Paul.
»Genau da.«
»Sie haben den Mann ebenfalls gesehen?«
»Ja.« Er räusperte sich. »Aber…«
»Aber?«, wiederholte ich.
»Na ja … mir geht es nicht besonders. Das beeinträchtigt jedoch
nicht mein Sehvermögen.«
»Und?«
»Nun … wir haben uns über meine Kindheitserinnerungen
unterhalten. In letzter Zeit denke ich häufig an früher. Da kommt mir
einiges wieder ins Gedächtnis, was ich glaubte, vergessen zu haben.«
Er stockte. »Ich habe Jörg ganz viel von mir erzählt. Irgendwann ist mir
aufgefallen, dass nur ich rede und er lediglich zuhören darf. Ich wollte
nicht egoistisch sein. Also habe ich ihn nach seiner Kindheit gefragt. Wir
haben zwar jahrelang zusammengearbeitet. Eng. Doch er hat nie davon
gesprochen.«
»Wie hat er reagiert?«, fragte Paul.
»Seltsam. Er wurde so … anders. Ich habe ihn gar nicht
wiedererkannt.«
»Wie … anders?«, hakte ich nach.
»Ich kann es nicht wirklich in Worte fassen … Hart. Das Gesicht, der
Ausdruck. Ein komplett fremder Mensch. Einsilbig. Ich überlegte schon,
das Thema zu wechseln, weil wir uns zuvor dermaßen gut unterhalten
hatten und ich den Nachmittag nicht so ausklingen lassen wollte. Weil
es vielleicht das letzte Mal war, dass wir uns sahen. Ich hatte vor,
abzulenken. Und ich sagte zu ihm: Guck mal, hat man von hier aus
nicht einen tollen Blick auf unsere Stadt?« Herr Gorny hielt erneut inne.
»Und er wendet seinen Kopf in die Richtung und wird stocksteif. Dann
beginnt er zu zittern.«
»In diesem Moment hat er den Mann auf dem Balkon entdeckt?«,
fragte Paul.
»Ja.« Uwe nickte. »Er stand eine Zeit lang schweigend neben mir,
bevor er von mir wissen wollte, ob ich den Mann auch sehe. Und ich
sagte ihm: Ja. Klar … Das war ziemlich seltsam. Ich hatte das Gefühl, er
würde befürchten, zu fantasieren.«
»Hatte der Mann etwas Besonderes an sich?«, übernahm ich.
Uwe zuckte mit den Schultern. »Das sind schon etliche Meter bis da
rüber. Und die Sonne hat uns geblendet. Da lehnte eben ein Kerl an der
Brüstung. Wenn Sie mich bitten würden, ihn zu beschreiben, könnte ich
Ihnen kaum weiterhelfen.«
Hier passte etwas nicht. Definitiv.
»Wie ging es weiter?«, wollte Paul wissen.
»Jörg blieb noch kurz bei mir. Er meinte, das da drüben sei eindeutig
sein lange verschollen geglaubter Freund. Sein bester Freund. Und ich
habe erwidert: Worauf wartest du? Beeil dich, geh schnell rüber und
lass mich wissen, was daraus geworden ist.«
»Und dann?«
»Jörg hat sich hastig verabschiedet und ist fast aus meiner Wohnung
gerannt. Ich habe ihn wenige Minuten später über den Rasen eilen
sehen. Er ist im Nachbarhaus verschwunden … Es fing an zu regnen.
Meine Frau rief von innen und ich ging zu ihr rein.«
»Sie wissen demnach nicht, wie lange er drüben war?«
»Leider nein.«
»Hat er sich danach noch einmal bei Ihnen gemeldet?«
»Gleich am selben Abend. Er bat mich, ihn zu verständigen, sollte ich
den Raucher wiedersehen.«
9

Wir verabschiedeten uns von Herrn Gorny, stiegen die Treppe hinunter
und begaben uns zum Nachbarhochhaus. Nach kurzem Suchen fanden
wir das Klingelschild mit dem Namen, den uns Pfarrer Leitner genannt
hatte: Kant.
Paul schellte.
Nichts geschah. Nachdem das Rollo im Appartement
heruntergelassen war, hatten wir an sich auch nichts anderes erwartet.
Dennoch entschlossen wir uns, zur Wohnung hochzugehen, um nichts
unversucht zu lassen. Wir stiegen in den dritten Stock hinauf,
durchquerten den gut ausgeleuchteten Flur und probierten unser Glück
erneut.
Wieder Fehlanzeige.
»Die werden arbeiten«, sagte Paul.
»Vermutlich«, gab ich ihm recht. »Wir versuchen es später noch
mal.«
Ein surrendes Geräusch, und die Tür des Aufzugs glitt zur Seite. Eine
Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand trat in den Gang.
Angestrengt schob sie einen Kinderwagen mit Baby vor sich her.
»Hallo«, sagte ich zu ihr. »Wir wollten zu den Kants. Wissen Sie,
wann die heimkommen?«
»Och«, machte sie und ließ die Kleine los. »Die Kants … die arbeiten.
Ich glaube, bei beiden wird es immer recht spät. Sicher bin ich mir aber
nicht.«
»Vielen Dank«, sagte ich. Sie nickte, ging zu ihrer Wohnung, sperrte
auf und verschwand mit ihren Kindern im Inneren.
Paul und ich stiegen langsam die Treppe hinunter. Es hatte keinen
Sinn zu warten. Unten angekommen, steuerten wir eine Bank an,
setzten uns, und Paul zog seine Zigarillos aus der Tasche.
Ein Martinshorn näherte sich von Weitem, wurde lauter und ein
Rotkreuz-Wagen hielt auf dem Parkplatz. Paul, mit dem noch nicht
entflammten Feuerzeug in der Hand, und ich beobachteten zwei
Sanitäter, wie sie schnellen Schrittes über die Grünfläche eilten.
»Hierher! Hallo!«, rief eine weibliche Stimme. Wir sahen in die
Richtung. Eine Frau beugte sich über die Balustrade eines der Balkone
und gestikulierte wild. Die Rettungskräfte erblickten sie und steuerten
das Hochhaus an.
»Das ist doch Frau Gorny!«, sagte Paul.
»Das ist sie«, bestätigte ich.
Wir sprangen auf und folgten den Sanitätern. Im Foyer angelangt
bekamen wir gerade noch mit, wie sie den Lift betraten. Wieder
benutzten wir die Treppe. Doch diesmal rannten wir.
Die Eingangstür zur Wohnung des Ehepaares Gorny stand weit offen.
Stimmengewirr drang zu uns. Wir gingen hinein.
Frau Gorny lehnte an einer Kommode im Flur. Sie wirkte völlig
aufgelöst.
»Frau Steinbach, Herr Wagner«, stotterte sie. »Ich kam vorhin nach
Hause … Uwe, er atmet nicht mehr!«
»Das ist doch unmöglich!«, entfuhr es mir. »Wir waren bis vor nicht
mal zwanzig Minuten bei ihm. Als wir ihn verließen, war mit ihm so weit
alles in Ordnung.«
»Nur eine Stunde war ich weg«, erwiderte sie, ohne auf meine Worte
einzugehen. Vermutlich hatte sie sie überhaupt nicht wahrgenommen –
jedenfalls nicht bewusst.
»Nicht mal eine Stunde!«, fügte sie an.
Eilige Schritte. Der Notarzt. »Lassen Sie mich durch!«, herrschte er
uns an, und wir machten ihm Platz. Er begab sich ins Wohnzimmer und
schloss die Tür hinter sich.
Frau Gorny schwankte.
Paul griff fürsorglich nach ihrem Arm. »Kommen Sie, wir setzen uns
in die Küche.«
»Nein.« Sie zog ihren Arm weg. »Ich bleibe hier. Vielleicht braucht
mich Uwe. Ich fahre dann mit ihm in die Klinik…«
Die Wohnzimmertür ging auf. Der Notarzt kam zu uns. »Frau Gorny?«
Sie nickte mit panisch aufgerissenen Augen.
Der Notarzt war jung. Er konnte noch nicht allzu lange fertiger
Mediziner sein. Mehrmals holte er Luft, um etwas zu sagen. Schließlich
räusperte er sich. »Es tut mir sehr leid …«
Frau Gorny schlug ihre Hand vor den Mund und begann
herzzerreißend zu schluchzen und zu weinen. Wieder schwankte sie.
Diesmal fragte Paul erst gar nicht bei ihr nach, sondern führte sie mit
sanfter Gewalt in die Küche und sorgte dafür, dass sie auf einem der
Stühle Platz nahm.
Ich wandte mich dem Arzt zu. »Was ist denn los?«, fragte ich leise.
Er zuckte mit den Schultern. »Herr Gorny war beim Eintreffen der
Sanitäter bereits tot.«
»Oh«, bemerkte ich. »Und die Todesursache?«
Eine vage Geste. »Er war ein Palliativpatient. Lungenkrebs im
Endstadium. Stark metastasiert. Da kann das im Prinzip jederzeit
passieren.«
»Im Prinzip?«, wiederholte ich.
»Vermutlich.«
»Vermutlich?«
Er nagte an der Unterlippe. »Die genaue Todesursache lässt sich
ohne Untersuchung nicht feststellen. Ich tippe auf eine Lungenembolie
…« Er seufzte und schwieg.
»Warum zögern Sie?«, fragte ich geradeheraus.
Er sah mich direkt an. »Ich würde es der Witwe zu gern ersparen.
Aber ich muss im Totenschein als Todesursache ungeklärt angeben,
damit sicherheitshalber eine Obduktion durchgeführt wird. Danach
wissen wir es genau.«
10

Im Kamin knisterten mehrere brennende Scheite. Nach einem


phänomenalen Abendessen bestehend aus Lammbraten mit Feigen und
Mandeln und hinterher selbst gemachtem Limoneneis saßen wir
zusammen mit Ralf in der Bibliothek. Lorenzo hatte mit Pauls Hilfe eilig
eine der Stellwände aus dem Keller geholt und stand jetzt mit einem
Stoß Kärtchen in der Hand erwartungsvoll davor.
»Eigentlich sollte das zur Abwechslung ein anlassfreies Abendessen
werden«, meinte er. »Und was passiert? Wir sitzen mal wieder hier. Vor
einer noch leeren Stellwand – die muss zunächst reichen. Die anderen
hole ich dann morgen…«
»Ähm, Lorenzo«, unterbrach ihn Ralf. »Ich glaube nicht, dass wir
mehr Platz für unsere Notizen benötigen werden.«
»Nein?« Lorenzo warf ihm einen erstaunt-enttäuschten Blick zu.
»Eher nicht.« Ralf zog einmal die Schultern hoch.
»Erzähl uns doch erst mal, was du rausgefunden hast«, bat ich ihn.
»Okay.« Ralf setzte sich etwas aufrechter hin. »Euer Riecher mit Uwe
Gorny war gar nicht so verkehrt.«
»Ein Mord?«, erkundigte sich Lorenzo.
»Moment…« Ralf hob abwehrend eine Hand. »Nachdem Anne
angerufen hat, habe ich meine Beziehungen spielen lassen und mit dem
Gerichtsmediziner gesprochen. Ich habe ihn gebeten, Uwe Gornys
Obduktion auf die Schnelle reinzuschieben.«
Satorius lachte amüsiert auf. »Darf ich raten? Davon war der Kollege
sicher nicht begeistert.«
»Das trifft den Nagel auf den Kopf.« Ralf schnaubte. »Er hat zunächst
ausgiebig über den jungen Notarzt geschimpft. Dass der noch grün
hinter den Ohren sein muss. Weil jeder vernünftige Mediziner mit nur
einem Fünkchen Verstand und etwas Berufserfahrung bei einem
Palliativpatienten natürlicher Tod ankreuzt, und die Sache ist gegessen.
Er hätte wahrlich genug zu tun und bräuchte keine nutzlosen
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen von Jungärzten, die nicht die Traute
haben, eigenverantwortlich zu handeln.«
»O mein Gott!«, entfuhr es Lorenzo. »Todkranke können doch
genauso umgebracht werden wie andere Menschen. Eine solche
Einstellung ist grob fahrlässig!«
»Na ja … wenn jemand nur noch wenige Wochen zu leben hat…«
Ralf wiegte den Kopf hin und her. »Klingt jetzt sicher makaber. Aber …
warum sollte man denjenigen ermorden? Da wartet man einfach die
paar Tage ab und die Sache regelt sich ganz von selbst. Ohne jeglichen
Aufwand, ohne Zutun, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Von
daher ist es doch mehr als unwahrscheinlich, dass ein Todkranker
einem Verbrechen zum Opfer fällt.«
»Was hat die Obduktion letztlich ergeben?«, fragte Paul. »Handelte
es sich um einen natürlichen Tod?«
»Tja … da wird es interessant!« Ralf nickte Paul zu. »Uwe Gorny ist
an einer Überdosis Morphium gestorben.«
»Morphium?«, wiederholte ich.
»Tropfen. Er erhielt sie gegen seine Schmerzen. Er muss sie wohl
geschluckt haben.«
»Er hat sie aus Versehen überdosiert?«, hakte Paul nach.
»Möglich.« Ralf zuckte mit den Schultern und mied Pauls Blick.
»Du betonst das Möglich so seltsam«, sagte ich.
»Rein theoretisch wären da noch zwei andere Erklärungen.«
»Sterbehilfe durch die Frau«, warf Satorius ein.
»Genau«, bestätigte Ralf. »Denkbar, sie konnte sein Leid nicht mehr
mit ansehen. Und im gegenseitigen Einvernehmen…«
»Nein«, sagte ich. »Sorry, aber das glaube ich nicht. Die Frau ist in
den Supermarkt. Sie war gar nicht anwesend. Außerdem hatte er sich
Eis bestellt. Das wollte sie ihm mitbringen. Die beiden hatten vor, sich
einen netten gemeinsamen Abend zu machen. In dieser Situation
plötzlich Sterbehilfe?« Ich schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht. So was
plant man genau und bereitet sich darauf vor. Und die These mit der
Überdosierung passt genauso wenig.«
»Warum?«, erkundigte sich Ralf.
»Bevor Frau Gorny ging, hat sie ihn gefragt, ob er seine Tropfen
schon genommen hat. Er bejahte das.«
»Die Tropfen sind extrem potent. Die schluckt man nicht im
Halbstundentakt«, meinte Satorius. »Er wird sie ganz bewusst vor
eurem Eintreffen eingenommen haben, damit er sich mit euch
schmerzfrei unterhalten konnte.«
»Tja«, murmelte Ralf. »Dann eben Suizid.«
»Niemals«, gab Paul entschieden zurück. »Das glaube wiederum ich
nicht.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«
»Uwe Gorny hat bei Pfarrer Leitner nach der letzten Ölung verlangt
und diese auch erhalten. Jemand, der so gläubig ist, bringt sich nicht
selbst um. Vor allem nicht – und jetzt formuliere ich ebenso makaber
wie du vorhin, Ralf – kurz vor Schluss.«
»Meinetwegen«, gestand Ralf eher widerwillig ein. »Dann war das
eben ein wie auch immer geartetes Versehen. Außer euch und der
Ehefrau war doch niemand mehr in der Wohnung, oder?«
»Soweit wir wissen, nicht«, sagte Paul. »Und das Zeitfenster wäre
zudem wahnsinnig eng gewesen. Wir haben Herrn Gorny verlassen,
sind rüber zum anderen Haus. Er war höchstens eine Viertelstunde
allein, bis seine Frau vom Einkaufen zurückkam.«
Wir schwiegen.
»Friedrich«, meldete sich Lorenzo zu Wort. »Was soll ich denn jetzt
an die Wand schreiben? Das alles ist verwirrend.«
»Notiere am besten, woran Uwe Gorny gestorben ist, sowie den
Zeitpunkt. Wir entscheiden dann später, inwieweit das überhaupt
relevant ist«, erwiderte Satorius.
Lorenzo nickte, öffnete seinen Edding und beschriftete ein paar
Kärtchen, die er anpinnte.
»In Ordnung«, sprach Ralf unterdessen weiter. »Das war das eine.
Ich hatte heute ja mehrere Aufträge von euch zu erledigen.«
Ich grinste ihn entwaffnend an. »Wir sind dir extrem dankbar, dass
du unsere Anfragen immer so zuverlässig abarbeitest.«
Er lachte. »Diesmal gebührt die Ehre nicht mir, sondern meinem
derzeitigen Azubi. Ein Neunmalkluger, der mir so richtig auf die Nerven
geht. Ständig möchte er in Mordfällen mitermitteln und zitiert mir
irgendwelche abstrusen Vorschriften, von denen noch nie ein Mensch
gehört hat.«
Ich rollte mit den Augen. »Diesen Nachwuchstyp kenne ich. Eine
eigene Spezies. Wird sicher mal Polizeipräsident. Oder Innenminister.«
»Hoffentlich nicht«, brummte Ralf. »Ich habe ihn heute Nachmittag
erst mal an den Computer gesetzt und nach Matteo Westphal
recherchieren lassen.«
»Wurde er fündig?«, fragte Paul.
»Gut, dass ihr den Hinweis auf den früheren Wohnort hattet.
Stuttgart. Dort ist tatsächlich ein Matteo Westphal vor mehr als zwanzig
Jahren von seinen Eltern als vermisst gemeldet worden. Er war zu dem
Zeitpunkt fünfzehn.«
»Ist Matteo wieder aufgetaucht?«
»Leider nein. Wie viele andere vermisste Minderjährige auch. Später
wurde er für tot erklärt.«
»Mehr habt ihr nicht?« Paul wirkte enttäuscht.
»Nicht zu Matteo Westphal. Der blieb wie vom Erdboden verschluckt.
Aber, weil mein Azubi bereits eine Stunde später erneut angeschis…
ähm … wieder bei mir auf der Matte stand, habe ich ihn gebeten,
zusätzlich nach eurem Pfarrer Leitner zu recherchieren.«
»Jetzt bin ich aber gespannt«, sagte Lorenzo.
»Pfarrer Leitner ist bei uns sehr häufig im System. Immer im
Zusammenhang mit schwer erziehbaren Jugendlichen, die irgendwas
ausgefressen haben. Da ist der Pfarrer ständig präsent. Er kümmert
sich. Er fungiert als Anlaufstelle und Fürsprecher für die Kids.«
»Ganz bestimmt ist das so«, sagte Paul.
»Das ist jedoch nicht alles. Dieser kleine Mister Klugscheißer von mir
… mein Azubi … er ist bei seinen Recherchen Jahre zurückgegangen.
Schließlich ist er sogar ins Archiv marschiert und hat dort den Kollegen
den letzten Nerv geraubt. Er hat sich durch die Akten gewühlt und hat
ein paar Dokumente gefunden, die besagen, dass der Pfarrer als
Jugendlicher selbst als schwer erziehbar galt.«
»Das stimmt«, bestätigte Paul. »Das hat uns Pfarrer Leitner erzählt.«
»Und dann gibt es da noch ein Protokoll über eine Brandstiftung. In
die war der Pfarrer als Jugendlicher ebenfalls verwickelt.«
Leitner hatte uns das Feuer ein wenig anders geschildert
beziehungsweise die Sache mit der Brandstiftung völlig ausgelassen.
Langsam begann ich zu verstehen, warum ihn die Vergangenheit
derartig belastete.
»Gab es eine Leiche?«, fragte ich.
»Ach, von wegen.« Ralf schüttelte den Kopf. »Da ist ein
Nebengebäude abgebrannt. Aber … wenn es euch so sehr interessiert,
kann ich morgen genauer nachfassen. Ich denke jedoch, da wird es
nichts Spektakuläres geben. Wenn sich überhaupt noch etwas findet,
denn die Archivierungsfrist für die Akten ist längst verstrichen. Es
handelte sich mehr um einen Zufall, dass der Azubi was ausgegraben
hat.«
Lorenzo stemmte die Hände in die Hüften und starrte mit schief
gelegtem Kopf unschlüssig auf die Tafel.
»Viel konntest du jetzt nicht pinnen, mein Lieber«, stellte Satorius
das Offensichtliche fest.
»Leider«, erwiderte Lorenzo.
Paul streckte sich. »Sind wir doch froh darüber. Es muss nicht immer
alles Mord sein.«
»Das stimmt allerdings«, bekräftigte Ralf.
Lorenzo legte seinen Stift und die übrigen Kärtchen auf den
Couchtisch. Er blickte in die Runde. »Dann schlage ich vor, wir lassen
den Abend mit einem netten Absacker ausklingen.«
»Ich habe schon befürchtet, der fällt heute aus«, sagte Satorius mit
einem schelmischen Lächeln.
»Wo denkst du denn hin, Friedrich?« Lorenzo bedachte ihn mit einem
entrüsteten Blick. »Als ob ich das jemals vergessen würde!«
Another random document with
no related content on Scribd:
While he had struggled on the floor of the Exchange, he was
suddenly smitten with a fear that his patroness had abruptly
abandoned him.
He sent a confidential lad over to watch Judge Endicott’s office, and
he was soon rewarded with the reliable news that the serene
goddess of Pactolus had calmly driven away after an hour’s stay at
her trustee’s office.
“What is she up to?” he fretted. “I’ll find out if she really goes home!”
he then decided, with a growing uneasiness, as he marked the
surging tide of Sugar speculation.
He was fortunate enough to attract the personal attention of Harold
Vreeland, of Montana, for that new member of the jeunesse dorée
was held socially in eclipse, until Bell’s minions should purvey the
“robes of price” suited to the swelling port assumed by the bold
social gambler.
The hearty assent of the fancied dupe to the evening call, enabled
Hathorn to call his patroness by the private wire at the Circassia.
“By Jove! She is lucky to be out of this flurry!” he decided, when
Mrs. Willoughby’s voice closed the telephonic interview without even
a passing reference to “the market.” “She did go home after all!”
And, so lulled to security, he remembered all the vastness of her
varied moneyed interests. He knew only the magnitude of her
transactions in the past.
The hidden reasons of her Napoleonic moves he had never
penetrated, and he had vainly shadowed her visits to Washington
and sifted the guests at her summer palace. But now, his future
control was endangered.
The crowd of guests, would-be suitors, financial and political friends
hovering around her, embraced judges, generals, senators,
governors, national statesmen, and party leaders.
Every social door was open to the mistress of Lakemere—and her
smile, like the sunshine, beamed impartially upon all. So, the veiled
espionage of the past had been fruitless.
The paid revelations of Justine had so far only rewarded him with the
recurring details of the suing of many sighing gallants kneeling
before her guarded golden shrine.
In the first months of the cementing of their past friendship, he had
even dared to dream of a personal conquest, but the high-minded
frankness of her kindness had soon killed that youthful conceit.
And now, to-day, he felt that the golden chain had snapped beyond
him, and that he really had never fathomed the inner nature of the
queenly woman.
But one unreserved intimacy characterized her guarded life. The
union of interest between herself and Hiram Endicott.
Hard-hearted and mean-spirited, Hathorn clung for a year to the idea
that the wealthy lawyer was perhaps the Numa Pompilius of this
blooming woman whose roses of life were yet fragrant with
summer’s incense.
But the vastness of her transactions, and even the results of his
mean spying, left him, at last, absolutely persuaded that they were
not tied by any personal bond.
The “man who had arrived” lacked the delicacy of soul to know that
the prize might have been his, had he been true to the ideal which
Elaine Willoughby had formed of him. For, he had never been frank-
hearted enough to risk her refusal.
He had never forgotten the night, years ago, when he had boldly
avowed to her that he had not a real friend in the world. It had been
with only a coarse joy in his coming good fortune, that he had
listened to her answer, “You must come to me again.”
That night, five years before, Elaine Willoughby had whispered to her
own blushing face in her mirror, “I can make a social power of him. I
can build up his fortunes. Men shall know and honor him—and
then—”
She had never completed that sentence, framing a wish that she
dared not name in words.
But he had at last coldly passed her by, and knelt before the feet of a
mere girl, who valued him only for what the silent benefactress had
made him. It was a cruel stroke.
“She is different from all the other women I have ever met!” ruefully
sighed Hathorn, who now saw that the great Sugar intrigues were
sealed from his future ken. He had watched the artful juggling of
government bonds finally make a daring and aspiring New York
banker rise to be a rival of the Rothschilds. He knew, by gossipy
chatter, of the American Sugar Company’s alleged veiled
participation in the great New York campaign of 1892.
He saw the Sugar Trust moving on to a reported influence in national
affairs, and, keenly watching every lucky stroke of the Queen of the
Street, he was persuaded that the finest threads of the vast intrigue
in some hidden way ran through her slender jeweled hands. He saw
his fault too late.
“I might have known all—if I had married her!” he decided, as he hid
his disturbed countenance in a coupé on his way uptown.
He was conscious of that slight chill of change which is an unerring
indication of a woman’s secret resolve.
But a last brilliant thought came to the puzzled trickster. It seemed a
golden inspiration.
“Here is Vreeland, heart-free and foot-loose. I can exploit him and
get him into the best houses in a month. He is not a marrying man.
“If I can work him into our stock business, I may regain her—through
him—and I’ll keep Alida out of her sight. She may fancy him. I’ll post
Vreeland, and, perhaps, he may find the key to her hold on the
Sugar deals.
“With Justine in my pay, and Vreeland well coached, I may yet
fathom the inner arcanum of the great impending deal.
“A union of the Sugar Trust and the Standard Oil interests would
make the heaviest financial battery of modern times—and—by Jove
—they would be able to swing Uncle Sam’s policy at will. Yes! I will
push Vreeland to the front.”
With a hopeful glance at a sober banking structure, not far from the
corner of Wall and Broad, the day-dreamer murmured, “I might even
rise like him,” as he caught sight of a gray-mustached man, now
supposed to be comfortably staggering along under the weight of a
hundred brilliantly won millions.
“I have Alida VanSittart’s money—as an anchor. I will use this
Vreeland as my tool. He’s an open-hearted fellow.”
Hiram Endicott, at the corner, watched the young banker dash by.
The old lawyer’s thin form was still erect at sixty-five. His stern
cameo face, and steady frosty eye, comported with his silken white
hair.
He strode on, with the composed manner of an old French marquis.
His heart was wrung with the passionate appeal of Elaine Willoughby
to reopen an unavailing search of years. For she bore, in silence, a
secret burden.
The morning had been given to the calm discussion of new means to
unlock a mystery of the past, “to pluck out a rooted sorrow.”
Endicott’s nephew was now in sole charge of the giant battle with
loaded dice, in the ring of Sugar speculation. The lawyer alone knew
that Hathorn’s sceptre had departed from him. He cursed the
retreating gallant.
“Can it be that the marriage of this cold-hearted young trickster has
opened her eyes to the folly of educating a husband, in posse?
“Or—is it the shadow of the old sorrow, Banquo-like, returning? God
bless her. I fear it is a hopeless quest.”
And yet, with all the fond dissimulation of Eve’s family, Elaine
Willoughby was serenely radiant that night as the cautious Hathorn
led the “open-hearted fellow” into the splendors of the Circassia.
“This plan of mine will work,” mused Hathorn, who did not see the
gleam of triumph in Vreeland’s eyes when the hostess asked him to
visit her dreamy domain of Lakemere.
CHAPTER III.

A FRANK DISCLOSURE.

Hathorn returned, thoroughly hoodwinked, from the introductory


evening spent at the Circassia. It had seemed strange to him that a
leading general of the regular army, and a dapper French author,
then in the brief blaze of his “lionship,” with a grave senator and a
returned Polar explorer should have been called to meet together at
the dinner table. “It’s Elaine’s incomparable way of making a
delightful olla podrida of the social menu,” he mused, as he watched
the hostess narrowly. “Caviare to the General!”
When he had found time to whisper a confidential word as to the
enormous Sugar sales of the day, the Lady of Lakemere only
laughed merrily. “I have now a soul above Sugar! I shall put my
‘Trust’ elsewhere!” And then, in her serious way, she slowly said:
“Wait here with your Western friend, till all these other people go!”
And he, with a budding hope, eagerly awaited her pleasure as of old.
Elaine’s unruffled brow bore no business shades when she drew
Hathorn aside for a moment into her boudoir, leaving the luxury-
loving Vreeland wandering around spell-bound in a frank admiration
of the queen’s jewel-box. For so, the spacious apartment was
termed in the circle of “le Petit Trianon.”
“This is only my catch-all, Mr. Vreeland,” cried Elaine, as she swept
past him. “You must see Lakemere. There you can linger—and—
admire.”
Harold Vreeland’s silent oath of obedience followed the woman, who
fixed her sweetly serious eyes on the agitated Hathorn, in the well-
remembered room where their hearts had so often throbbed with
quickened beats. “Was it to be a rapprochement?”
“It is only fair to tell you, Fred,” she simply said, “that I shall have to
avoid all excitements this summer. Doctor Hugo Alberg is not at all
satisfied with my heart action. And, a tranquil rest at Lakemere is his
sole prescription. Now, as I shall probably stay there till October first,
I shall leave my speculative stock account to be handled by Judge
Endicott, who has my sole power of attorney.”
The mystified broker stood aghast at losing his pet account for such
a long period. Was she leaving the Street forever? He faltered, “And
this means—”
“That you must hasten your marriage. There are other things in life
beside making money. Of course, I have confided only in you. Potter
can not trust himself—and so, I can not trust him with the secrets of
any of my financial movements. You are the one young Napoleon of
your firm.
“So, if you really wish to go abroad, then make Alida a June bride. I
shall avoid touching the Street till late in October—and then, when
your European tour is over, I shall be able to take up the game of
pitch and toss again.”
He was conscious that she was keenly watching him. “Of course,” he
slowly said, “it gives me all the time I want. I was really concerned
about your interests. It is a good plan, and I may be able to get
Vreeland to play amateur banker in my place for a few months.
Potter and he seem to fancy each other. I’ll talk to Alida. This will
probably suit her wishes.” It all looked fair enough, and yet—his
bosom was filled with a vague alarm.
“I have already selected my present, Fred,” merrily said the Queen of
the Street. “Take time by the forelock, and give up these lovely
summer months to young love.” The broker’s eyes were gleaming as
he said, “Can it be possible that you have gone out of Sugar on the
eve of a ten per cent surplus dividend? I heard that inside rumor to-
day. You know how dear to me all your interests are.”
He now felt that there was that behind the arras which was skillfully
veiled from him. For her eyes were shining coldly over the smiling
lips.
The dark-eyed woman simply said, “Tempt me not. I have promised
Doctor Alberg to refrain.
“So, go and make yourself Benedick, the married man. It is the time
of roses—you must pluck them as you pass. Come to me—when
you have settled this matter. I will give you a social send-off at
Lakemere worthy of ‘the high contracting parties.’”
Her voice was thrilling him now as of old, and yet, with all her
kindness, he instinctively felt that something was going out of his life
forever.
“It will be always the same between us, Elaine,” the young Napoleon
murmured. She had risen and turned toward the door.
“Did you ever know me to change?” she softly said, as she glided out
to begin a cordial tête-à-tête with Vreeland. There was no further
intimate exchange of thoughts possible between the secretly
estranged couple, and, now keenly on guard, in a disturbed state of
mind, Mr. Frederick Hathorn lingered in converse late that night at
the Old York Club, with his quondam friend.
Harold Vreeland’s conduct at his debut had been perfectly adapted
to Elaine Willoughby’s changeful mood. The deep courtesy of a
perfect self-effacement, and his coldly-designed waiting policy
soothed her strangely restless heart.
The woman who once could have married Hathorn was now
feverishly eager to see him haled to the bar of matrimony.
“Once that he is rangé—I am then sure of myself again,” she
murmured, as she saw her perfectly composed face for the last time
that night in the silver-framed mirror. And yet, she knew that it was
but a social mask. There was an anticipatory revenge, however, in
the fact that Hiram Endicott had reported the private pooling of her
enormous Sugar holdings with those of the great chief of the vast
Syndicate.
The ten per cent bonus dividend, long artfully held back, was her
assured profit now, and Hugh Conyers’ watchful loyalty had made
“assurance doubly sure.”
Endicott had already sent out a dozen agents to take up once more
the secret quest which had so often failed them—and these “legal
affairs” naturally gave him the excuse for a tri-weekly visit to
Lakemere.
“So, Mr. Frederick Hathorn, as you have locked the door of my heart
on the outside, you may now throw away the useless key!” she
mused “I will find my best defense against any weakness in the
keen-witted young wife who will surely show you yet the thorns on
the rosebud.”
Dreams of the past mingled with the shapes of the present, as the
lady of Lakemere laid her shapely head to rest.
“He has irreproachable manners, at least,” was her last thought, as
the unconscious psychology of mighty Nature brought the graceful
Vreeland back to her mind. “I wonder if he is at heart like—the
other?”
And so, all ignorant of the power of this self-confessed womanly
yearning toward the handsome young stranger, Elaine Willoughby
fell asleep, to dream of the crafty man who had not yet forgotten how
her liquid eyes had dropped under his ardent gaze.
The laws of nature are the only inviolable code of life, and blindly the
lady of Lakemere had passed on, all unwittingly, toward a turning
point in her lonely life. Her barrier of pride only fenced out the
ungrateful Hathorn, condemned for ingratitude.
Vreeland, following carefully upon Fred Hathorn’s curvilinear
conversational path, easily divined the uncertainty of the greedy
young broker’s mind.
“He wants Miss Millions, and yet, he would not lose his fairy
godmother,” thought the crafty adventurer. “I shall go slow and let
them make the game.
“But wait till I am the guiding spirit of Lakemere. She shall come
forward inch by inch, and he shall unfold to me every weak spot in
his armor.”
They had finished a grilled bone and a “bottle” before Hathorn foxily
sought to draw out his friend as to the details of the Montana
bonanza. The plan of an amateur four-months’ Wall Street
experience was quietly and deftly brought in.
“You see, Hod,” frankly said Hathorn, “Jimmy Potter drinks
occasionally. He has that pretty devil, Dickie Doubleday, on the
string, and he plays high. Now, my lawyer alone has my Power of
Attorney. I can post our confidential man.
“But, if you would open a special account of, say, a hundred
thousand dollars, why, there is Sugar! There will soon be a ten per
cent bonus dividend. You could see the Street, on the inside! I know
that you would get along with Potter.
“You always were a cool chap. What do you say? I shall marry Alida
VanSittart, and take the run over the water while I can. I don’t care,
however, to lose Mrs. Willoughby. She is the heaviest woman
operator in America. Her account is a young fortune to us. Think this
over.”
The fine “poker nerve” of Mr. Harold Vreeland was now manifest in
his quick perception of Hathorn’s trembling fingers. The smoke
curled lazily from Vreeland’s Henry Clay as he said: “I will open my
heart to you, Fred. All my money is already well invested. And I do
not care to move a small block of my funds. Besides—
“I have been cut off from all phases of womanhood save the
‘Calamity Jane’ type, or some one’s runaway wife, for long years. I
shall hurry slowly. You know the Arabic proverb: ‘Hurry is the devil’s.’
Now, by October the first, I will have had my summer fling. I will
perhaps join you then, if you can make the showing that I would like.
But, just now, I am going in for the ‘roses and raptures.’”
“You are not a marrying man, Hod?” cried Hathorn, in a sudden
alarm.
“Heavens, no!” laughed the Western man. “Omar Khayyam’s vision
of the ‘Flower Garden’ pales before the ‘embarras de richesse’ of the
New York ‘Beauty Show.’ I am as yet a free lance, and also, an old
campaigner. I will solemnly promise not to marry till I see you again.
But I’ll stand up with you and see you spliced.”
The compact was sealed over ’tother bottle, and then Hathorn
departed in high hopes. “He will drift easily into our circle,” mused
the sly broker, who, watching only his own loosening hold on Elaine
Willoughby, jumped to the conclusion that Vreeland really controlled
a vast fortune.
His friend had “called the turn” correctly.
“Bluff goes, it seems, even in cold-hearted New York,” gaily
concluded Vreeland, as he sauntered back alone to the Waldorf.
“This strangely hastened wedding will bring me at once into the best
circles. Mr. Fred Hathorn’s groomsman is a social somebody. The
Lakemere divinity will soon do the rest, and by the time you return,
my sly friend, I will be ready to kick the ladder down on your side.”
He roared with a secret glee over his own “inability to disturb his
invested funds.”
With a vulpine watchfulness, he noted all Mr. Jimmy Potter’s weak
points. “I must get up my poker practice,” he smilingly said, as he
laid his comely head down to rest.
“‘Mr. Potter of New York’ shall reinforce that slender seven thousand
dollars, or else I’m a duffer. He will never squeal, at least, not to his
partner. And so I’ll go in as a wedge between this ass and this fine
woman who has unconsciously loved him. Yes, it’s a good opening
for a young man! A mean and easy betrayal!”
The preoccupations of the splendid wedding of Miss Alida VanSittart
gave Vreeland, now “the observed of all observers,” an ample
opportunity to begin that “silent slavery” of a respectful devotion
upon which he had decided as his safest rôle at Lakemere.
His days were pleasantly passed in gaining a growing intimacy with
the club circles to which two powerful influences had now gained him
an easy access. For, Elaine Willoughby was drifting under the charm
of his apparent self-surrender to her generous leadership—another
handsome protégé.
His rising social star was fixed in its orbit by the honors of
groomsman, and in the visites de cérémonie, the rehearsals, and all
the petty elegancies of the “great social event,” Mr. Harold Vreeland
showed a perfectly good form. There was a gentle gravity in his
Waldorf life which impressed even the flâneurs of that gilded
hostelry. “There, sir,” remarked an old habitué, “is a man who holds
himself at his proper value.”
Measured and fastidious in all his ways, Mr. Vreeland neglected no
trifling detail, and he calmly went onward and upward. He well knew
that, for some as yet hidden reason, the bridegroom was assiduously
forcing his old chum forward into the glittering ring of America’s
Vanity Fair. And it exactly suited his own quiet game.
He fully appreciated the extensive influence of the Lady of
Lakemere, for her friends, moved on deftly by her, now came forward
to open the golden gates for him on every side.
Even before the wedding, Vreeland had made himself familiar with
all the glories of Lakemere. Side by side with its beautiful mistress,
he had threaded its leafy alleys, climbed its sculptured heights “when
jocund morn sat on the misty mountain tops,” and gloated secretly
upon the splendid treasures of that perfect establishment. “This shall
be mine yet,” he swore in his delighted heart.
Out upon the moonlit lake, speeding along in a fairy launch,
Mr. Harold Vreeland followed up his policy of self-abnegation. “Do
you not know that I can trace your noble kindness everywhere?” he
murmured.
“I am all alone in the world. Your veiled influence is making cold-
hearted New York smile as a blossoming paradise for me. No; do not
deny it. You are the very loveliest Queen of Friendship.” The
beautiful brown eyes dropped before his eager gaze. She was a
woman still.
Elaine Willoughby marked him as he went away with a growing
interest. “Graceful, grateful, manly, and sincere!” was her verdict,
easily reached, but one, however, not so enthusiastically adopted by
either Judge Hiram Endicott or the Conyers couple, whom the Lady
of Lakemere had captured for a visit before sending them away to
the delightful summer exile of her Adirondack cottage.
“I don’t know what that fellow is after, Hugh?” growled the old Judge
one day, as they were returning to town together; “but, he looks to
me like a fellow who would finally get it.”
Conyers uneasily said: “He is the ‘head panjandrum’ of this Hathorn
wedding—old college chum and all that.”
“Arcades ambo!” shortly said the silver-haired lawyer.
“Mrs. Willoughby has a foolish fondness for picking up these
Admirable Crichtons, and then forcing them along the road to
fortune. It is only a generous woman’s weakness, a sort of self-
flattery.”
“Vreeland is immensely rich—a man of leisure. Has jumped into one
or two of the best clubs by mysterious backing, and seems to be all
right,” slowly answered Hugh, mentally contrasting his own plain
tweeds with Vreeland’s raiment of great price.
“I don’t believe a word of it,” sharply said Endicott. “Oblige me and
just keep an eye on him—about her, I mean,” and the journalist was
fain to give the required promise.
Their hands met in a silent pledge of loyalty to the lonely-hearted
mistress of Lakemere.
The elder man alone knew the silent sorrows of her anxious soul. He
alone knew of the quest of long years—a labor of love, so far
fruitless.
The younger guarded his own heart secret in his honest breast, and
yet, while hiding it from the world, he wondered why some man
worthy of her royal nature had not taken her to wife.
As the train swept along, watching a “bright, particular star” mirrored
in the flowing Hudson, Conyers sighed, “God bless her! She’s as far
above me as that star, and yet, she makes my life bright.”
It was Mr. Harold Vreeland who later carried off all the honors of the
sumptuous wedding as a proper “man-at-arms” in Cupid’s army. He
was secretly approved by even the raffinée bridesmaids. He was
also the diplomatic messenger who delivered to Mrs. Alida Hathorn
that superb diamond necklace which was Elaine Willoughby’s bridal
offering. Hathorn remembered after the ceremony how strangely
stately were his lovely patroness’ congratulations to the radiant
bride.
Vreeland’s speech at the Lakemere dinner was classic in its diction,
and when the festivities slowly crystallized into iridescent memories,
and the “happy pair” were half over to that “bourne” from whence
many American travelers do not return—gay, glittering Paris—
Mr. Harold Vreeland was soon besieged with many sweetly insidious
invitations to Lenox, Bar Harbor, Narragansett Pier, Newport, the
Hudson colony, and many other Capuan bowers of dalliance.
Larchmont, Lakewood, Irvington, and other summer mazes opened
their hospitable golden gates to him, and a swarm of biddings to
polo, golf, lawn tennis, and other youthful circles, were gladly offered
by man and maid. In other words, Vreeland was launched “in the
swim.”
In the hurried moments of the steamer parting, Vreeland would only
vouchsafe a cool but diplomatic answer to Hathorn’s final pleadings.
“I will meet and answer you on October 1st, but I’ll look in on Potter a
bit.”
He did cordially agree to give the bridegroom a friendly report of all
the doings at Lakemere, and he had fallen heir to Hathorn’s intimacy
with Justine—that spirited French maid, whose many life episodes
had only deprived her of a shadowy candidacy for the honors of “la
Rosière.” “I trust to you to look after my interests, Hod, in a general
way,” eagerly said the bridegroom.
“So I will,” heartily replied the young Lochinvar à la mode, and then
he mentally added: “After my own are safe.” And, so bride and
groom sailed away on the ocean of a newer life.
He so far kept his promise, mindful of the gap already made by a
dash into high life in his seven thousand dollars, as to closely
cement an intimacy with Potter, begun over the “painted beauties.”
Mrs. Hathorn’s bridal wreath had hardly withered before the astute
Vreeland, a good listener, had become the chief adviser of Potter in
his doubtful warfare with that bright-eyed Cossack of Love, Miss
Dickie Doubleday.
“Mr. Jimmy” now seriously contemplated a two years’ visit to Europe
on the return of the successfully married Hathorn. “The little rift within
the lute” was widening. Miss Doubleday was as exacting as she was
charming, and even “rosy fetters of ethereal lightness” were galling
to the spoiled child of fortune. Potter had secretly purchased a
Gazetteer and had made some furtive studies as to Askabad,
Astrachan, Khiva, Timbuctoo, Khartoum, and several other places
where his golden-haired tyrant could not follow him without due
premonition. He contemplated a “change of base.”
“I hope you will come in with us, Vreeland,” cordially remarked
Potter. “Hathorn tells me that you are well up in stocks and as quick
as lightning. I wouldn’t mind helping you to an interest. I must escape
this—this—”
The puzzled little millionaire paused, for the first word was a misfit,
and he was a good devil at heart. He could not abuse the tantalizing
Miss Dickie Doubleday.
With a fine discrimination, the rising social star was touched with one
pang of regret at the little man’s agony, now impaled on the hook of
Miss Dickie Doubleday’s angle. He visited that bright-eyed young
Ithuriel, and soon effected a “modus vivendi” which enabled Potter to
cruise around on his yacht for one month of blessed and unhoped for
peace.
In several sittings upon the “Nixie,” Mr. Harold Vreeland relieved his
grateful host of some fourteen thousand dollars, by the application of
the neat little Western device known as “the traveling aces.”
But, James Potter, grateful to the core, and lulled by the insidious
Pommery, never “caught on,” and cheerfully “cashed up” without a
murmur.
From this victorious encounter, Mr. Harold Vreeland gaily returned to
Lakemere, after a brief tour of inspection of the seaside resorts
sacred to the gente fina. He found everything “grist to his mill.” The
gates were widely ajar.
With the patient assiduity of a well-conceived purpose, he now
began to make the most of this “one summer.”
He was well aware, from the reports of the complacent Justine, that
the Conyers were both out of the way, and his heart bounded with
delight as he realized that Elaine Willoughby gracefully called him to
her side on those four days of the week when Hiram Endicott was
not in commune with her, in the splendid gray stone mansion
bowered in its nodding trees.
He always paid her the delicate compliment of an implicit obedience,
and in all the days of absence found the way made smooth for him
elsewhere.
The circle at Lakemere was a large one, and Mr. Harold Vreeland,
“with an equal splendor” and a touch “impartially tender,” became the
favorite ami de maison. He failed not, however, to spread the balm of
his cordial suavity on every side.
Day after day drifted happily by, the unspoken pact between the new
friends becoming a stronger bond with every week, and the watchful
vigilance of the young adventurer was never relaxed.
He was now grounded on society’s shores as a fixture, and
apparently serenely unconscious, soon became the vogue without
effort. The useless accomplishments of his college days now all
came back to vastly aid the agreeable parvenu.
He had early mastered the secret of womanhood—the vague dislike
possessed by all of Eve’s charming daughters for the strong-souled
and unyielding superior man. For, be they never so wary, “trifles light
as air” happily fill up the days of those women to whom American
luxury is both enfeebling and jading. The strong man is not needed
in the feather-ball game of high life.
That one rare art of the woman-catcher, “never to bring up, in the
faintest degree, the affairs of another woman,” victoriously carried
Vreeland on into the vacant halls of the filles de marbre. And so,
“Mr. Harold Vreeland” was universally voted “a charming man of vast
culture and rare accomplishments.”
Fortunately, Mr. Fred Hathorn had widely trumpeted abroad the
Montana bonanza, and the vulgar slavering over an easily assumed
wealth carried him on both fast and far.
In his own heart, one carefully crystallized plan had already matured.
To reach the innermost holy of holies of Elaine Willoughby’s heart,
and then, to rule at Lakemere—to secretly lord it later in the
Circassia. With a fine acumen, he refrained from making a single
enemy among her sighing swains or her fawning women parasites.
“They must not suspect my game here,” he sleekly smiled.
But one brooding shadow hung over the sunshine of these days. He
was always aware of the frequent visits of Judge Endicott. And
Justine’s recitals proved to him that a hidden sorrow had its seat in
her mistress’ soul.
There were dark days when Elaine Willoughby’s heart failed under
the burden of a past which Vreeland had never tried to penetrate.
She was inaccessible then. Guarding a perfect silence as to his own
antecedents, he trusted to her in time to unfold to him the secrets of
the heart which he had secretly sworn to dominate.
“I can be patient. I can afford to wait,” he mused, as with a faithful
assiduity he came and went, and marked no shadows on the happy
dial of those summer days.
“She is worth serving seven years for,” he mused; “and, for her
fortune—with Lakemere—seventeen.”
“When I am master here,” he secretly exulted, “I can say: ‘Soul! thou
hast much goods!’”
And so he bided his time, and yet, with keen analysis, decided to
make his coup before the fretful and intriguing Hathorn returned.
“It is the one chance of a lifetime,” he mused, as he paced the lawns
of Lakemere. “Once that her social support would be withdrawn,
once that this suspicious devil, Hathorn, would ‘drop on’ the
dangerous game I am playing, I would be soon ground between the
millstones of fate.”
And his soul was uneasy as the October days approached and the
blue haze of the golden Indian summer began to drift down the
Hudson.
He came to the conclusion at last to put his fate to the test. For
certain letters received from Hathorn at the Isle of Wight had
prepared him for the explosion of a social bomb which wrecked
forever Frederick Hathorn’s dreams of regaining the alienated heart
of the woman who had led him up the ladder of life.
And that part of the situation which was seen “as through a glass
darkly” was quickly made clear by the confidence of a fond woman
who had begun to invest Mr. Harold Vreeland with all the virtues and
many of the graces. Caught on the rebound, her heart was opening
to her artful admirer.
The thorns upon Hathorn’s rosebud were sharp enough. He already
felt the keenness of the petted Mme. Alida’s egoistic and unruly
nature. And, in a clouded present, he looked back regretfully to a
golden past, with every fear of a stormy future. It was the old story of
two women and one man, with the poisoned-tongued society
intermeddler.
There had been a little happening at the Isle of Wight which was the
direct result of the young millionaire matron displaying at a yachting
ball the diamond necklace which had been Elaine Willoughby’s
wedding gift. Then, the tongue of envy found its ready venom.
One of those sleek devils in woman form who are the social
scavengers of the world, had glowered upon those secretly coveted
gems as they rose and fell upon the bosom of the young moonlight
beauty.
She uttered lying words which sent Alida Hathorn back to her
summer cottage with pallid lips and heart aflame.
The story was soon wafted across the sea by a sister spider, who
had easily followed on the first bitter quarrel between the two parties
to the “marriage of the year.” And Harold Vreeland, now on post, a
watchful sentinel at Elaine Willoughby’s side, was the first one to
whom her own outraged heart was poured out, as Mrs. Volney
McMorris drove back to her own lair at Larchmont.
Out in the dreamy gardens, in a summer house, to the
accompaniment of falling leaves and sighing pines, the indignant
lady of Lakemere told her ardent listener the story of a shameful
jealousy and the outpouring of a maddened woman’s wrath.
It gave to Harold Vreeland the needed cue. The decisive moment
had come, and he hazarded his future upon the chance of meeting
her confidence with a fine burst of manly sympathy.
To range himself forever under her colors, and to craftily lie to her,
and not in vain.
His audacious devil sprite once more urged him to be both bold and
wise.
Elaine Willoughby’s eyes were flashing as she repeated the relation
of Mrs. Volney McMorris, who, “so anxious that her dear friend
should know all and not be exposed to the ignominy of a ‘dead cut’
from Hathorn’s headstrong wife.” “And, as he is a lâche, I would use
the ‘baby stare’ first, my dear Elaine,” was the parting shot of the
departing McMorris. The lady of Lakemere was a roused tigress
now.
Harold Vreeland listened breathlessly to the story of the bitter taunt
that the diamond necklace and parting dinner had been Elaine
Willoughby’s crafty “sop to the social Cerberus” in giving her
handsome secret lover, Hathorn, only a furlough for the honeymoon.
The insinuation that the young husband would carry on a ménage à
trois had crazed the suspicious heiress, whose new wedding bonds
burned like molten gold.
“I shall soon know if Frederick Hathorn is an unutterable craven,”
proudly said Elaine to her serpent listener.
“She has publicly boasted that he shall cease all semblance of
friendship with me, and Mrs. McMorris told me that Alida had forced
every detail of our past intimacy out of her husband, who admitted
only a confidential business relation.
“‘Break it off!’ was Alida’s ultimatum, and she has publicly declared
‘war to the knife.’
“When Hathorn referred to our business connection, so profitable to
the firm, Alida had cried: ‘I have money enough for both of us. I
married a gentleman, not a counter jumper! You shall drop all this
humbug business which has been the cloak to your amourette.’”
Elaine Willoughby saw the wonderment of Vreeland’s eyes. With a
blush reddening her pale cheek, she faltered: “The maid overheard
the quarrel, and she told Mrs. McMorris all. She was once her own
attendant.”

Das könnte Ihnen auch gefallen