Sie sind auf Seite 1von 27

Weder Sozialtechnologie

noch Aufklarung?
Analysen zur Verwendung
sozialwissenschaftlichen Wiss�ns

Herausgegeben von
Ulz:ich Beck und Wolfgang Bonfs

Frankfurt/M.:Suhrkamp 1989
Wolfgang Kroner/Stephan Wolff 1982) abzubilden und die Rolle sozialwissenschaftlicher Begriff-
'I lichkeiten in dieser Diskussion zu eruieren bzw. nach deren
Pädagogik am Berg I
Bedeutung bei der Begründung anderer gesellschaftlicher Ent-
Verwendung sozialwissenschajtlichen Wissms schcidullösprozesse zu fahnden. Die Bestandsaufnahme der Dis-

als Handlungsproblem vor Ort' I kussion über den Bedarf bzw. über den Nutzen von sozialwissen-
I schaftlichen .Begrifflichkeiten, Ergebnissen und Kompetenzen,
i
führt aber nur indirekt an das gesellschaftliche Phänomen »Ver-
I wendung« selbst heran. Was »Verwendung« als sozialer Tatbe-
Ein wesentliches Desiderat der bisherigen soziologischen Ver- stand ist, genauer, was die soziale Erkennbarkeit dieses Phäno-
wendungsforschung besteht in dem Umstand, daß sie sich bisher mens - die ja niemand bestreitet - ausmacht, bleibt ungeklärt. Der
noch keinen rechten Begriff von ihrem eigentlichen Gegenstand, gesellschaftliche Tatbestand der »Verwendung« geht als selbst-
nämlich von» Verwendung« bilden konnte. In der soziologischen verständliche und unanalysierte Ressource in das verwendungs-
Literatur wird »Verwendung« typischerweise als theoretisches soziologische Unternehmen ein. Verwendung ist auf diese Weise
Konstrukt verstanden, als eine Funktion des Verhältnisses von zwar in aller Munde, keinesfalls aber als ein in sich sozial organi-
Wissenschaft und Anwendungsfeld, wobei sich dieses Verhältnis siertes Phänomen nachgewiesen, das heißt als eines, das von den
in verschiedenen Graden der »Nicht-Identität« bzw. Transfor- Beteiligten vor Ort als gesellschaftlich organisierte Praxis konsti-
mation manifestiert. Damit ist »Verwendung« als eigenständiger tuiert werden muß. Dieser praktisch -methodischen Grundlagen
soziologischer Gegenstand etabliert. Die Frage, ob und wie sich von» Verwendung« als eines eigenständigen sozialen Tatbestan-
die Gesellschaftsmitglieder selbst dem Verwendungsproblem des kann sich nur versichern, wer die Art und Weise unter die
stellen und wie sie es gegebenenfalls lösen, braucht sich die Ver- Lupe nimmt, in der Verwendung praktisch vollzogen wird. Dazu
wendungssoziologie dann nicht mehr zu stellen. Im Extremfall muß man sich die konkreten Handlungen ansehen, die unter den
können sogar die »Versozialwissenschaftlichung der Praxis« und Augen aller kompetenten Beteiligten in der jeweiligen Situation
das Verschwinden des sozial wissenschaftlichen Charakters von .Verwendung« als objektiven gesellschaftlichen Tatbestand ent-
Wissensbeständen im Zuge ihrer Verwendung nicht nur als mit- stehen lassen. Nicht durch die Interaktion von analytisch bzw.
einander kompatible, sondern sogar als zwei notwendig mitein- mathematisch extrahierten Variablen oder Faktoren, sondern
ander verbundene Phänomene betrachtet werden. Beck/Bonß durch jargonhafte Unterhaltungen und ganz gewöhnliche körper-
(1984, S. 395) haben zum Beispiel die These aufgestellt, daß er- lich ausgeführte Routinen konstituiert sich» Verwendung«.
folgreiche Verwendung sich dann letztendlich am Grad der Wir betrachten» Verwendung« demzufolge nicht als ein Problem
»Nicht-Identifizierbarkeit« des sozialwissenschaftlichen Wissens von Sozialwissenschaftlern (d. h. methodisch: "als eine Frage der
bemesse. Codierung), sondern in erster Linie als ein Mitgliederproblem:
Was hier als historisches Phänomen präsentiert wird, ist - so Wie sollen sie vor Ort ihr Handeln so organisieren, daß es als
glauben wir - zu einem wesentlichen Teil ein Kunstprodukt einer Merkmal von» Verwendung«, und zwar einer ganz bestimmten
wissenschaftszentrierten Herangehensweise an das Phänomen Art von» Verwendung«, Sinn ergibt; bzw. umgekehrt: wie ge-
»Verwendung«. »Verwendung« entschwindet damit nicht nur lingt es den Mitgliedern in der Organisation lokal sichtbarer Sze-
den Gesellschaftsmitgliedern aus dem Blick, sondern - und hier nen und Handlungsabläufe, »Verwendung« als sozialen Tatbe-
beginnt es für die Verwendungssoziologie problematisch zu wer- stand zu entdecken.
den - auch der empirischen Forschung. Dies ist vermutlich nur Wir wollen versuchen, eine Beschreibung unseres Gegenstandes
deshalb bisher unbeachtet geblieben, weil die empirische Verwen- von innerhalb des Phänomens zu entwickeln und uns nicht mit
dungsforschung genug damit zu tun hatte, die gesellschaftliche einem soziologischen Blick auf das Phänomen bzw. darauf, was
Diskussion über Verwendung (beispielhaft in Badura 1976; Beck daran an soziologischen Merkwürdigkeiten auffällt, zufrieden zu
72 73
geben. Daß Gesellschaftsmitglieder ein wie auch immer explizier- ren immer wichtiger geworden seien. Auch wenn bei solchen
bares, aber gleichwohl sicheres Gespür für das Phänomen" Ver- Einlassungen einzelne sozialwissenschaftliche Fächer genannt
wendung wissenschaftlichen Wissens« besitzen, setzen wir bei werden, so bedeutet dies in aller Regel keine Bezugnahme auf
den folgenden Rekonstruktionsversuchen voraus. disziplinäre Differenzierungen im akademischen Sinne, zumal die
Das besondere empirische Untersuchungs feld unserer Fallstudie Vorstellungen darüber, was im Wissenschafts betrieb in diesen
über "Verwendung« sind Ausbildungen für Jugendgruppenleiter Sparten abläuft, sehr unklar und variierend sind. Daß zwischen
OL) im Deutschen Alpenverein (DAV).' . den verschiedenen Sozialwissenschaften nicht besonders scharf
Der DAV stellt eine der größten Freizeitorganisationen der BRD dar. unterschieden wird, zeigt die gewisse Beliebigkeit der Rekrutie-
1986 besaß er über 450000 Mitglieder. In der Verbandszentrale befassen rung von Absolventen sozialwissenschaftlicher Studiengänge, wie
sich drei Abteilungen mit Aus- und Fortbildungen: das Jugend-, Natur- wir sie seit dem In-Mode-Kommen der Sozialwissenschaften im
schutz- und Ausbildungsreferat. Letzteres ist für die alpintechnische DAV vor etwa '5 Jahren bei den Stellenbesetzungen und Be-
Weiterbildung von Mitgliedern zuständig. Jährlich werden hier rund stellungen von ehrenamtlichen Ausbildungsleitern beobachten
2000 Personen in entsprechenden Veranstaltungen aus- und fortgebildet. können. Man sucht hier in aller Regel nicht nach besonderen
wobei ein Großteil der betreuten Personen als »Multiplikatoren« gelten. Fachvertretern, sondern nach Leuten, die »halt eine Ahnung von
die innerhalb ihrer Sektionen die erworbenen Kenntnisse weitergeben Pädagogik« haben und sich dadurch von den alpinistischen Si-
und eigenständig Gruppenausbildungen organisieren. Neben neun haupt-
cherheitsexperten und Technikern unterscheiden.
beruflich beschäftigten Personen, die als Soziologen, Pädagogen, Ökolo-
gen und sportdidaktisch gesch1.1lte Bergführer für die Durchführung ein- Es gehört folglich durchaus zum Selbstverständnis der Beteilig-
schlägiger Programme verantwortlich sind, werden vom Hauptverein al- ten, daß in Jugendleiter-Ausbildungen so etwas wie »Verwen-
lein (ohne die Sektionen) rund 60 weitere pädagogisch und alpinistisch dungsprozesse sozialwissenschaftlichen Wissens« stattfinden,
qualifizierte Personen eingesetzt. . wenn auch meist allgemein von "Pädagogik« gesprochen wird. Es
Neben dem DA V gibt es noch eine Fülle weiterer Freizeitverbände, die geht hier offensichtlich nicht nur um die Vermittlung bzw. Um-
alpintechnische Fortbildungen oder einzelne Programmteile aus solchen setzung von Wanderregeln oder Klettertechniken, sondern um
Kursen anbieten. sich dazu sozialwissenschaftlicher Ergebnisse bedienen eine bestimmte Form der Gestaltung von Bergsteigen, und zwar
bzw. spezifisch ges·chultes Personal einsetzen. Dazu gehören etwa .der von Bergsteigen in Gruppen. Es würde in diesem Zusammenhang
Deutsche Skiverband, die Naturfreunde. die »Kurzschulen« oder Pfadfin-
niemand in den Sinn kommen, eine gruppendynamische Selbster-
derorganisationen.
fahrungsveranstaltung zu erwarten bzw. anzubieten, geht es doch
In den Jugendleiter-Ausbildungen des DAV geht es für alle Betei- . letztlich immer" um Bergsteigen, und zwar um Bergsteigen nicht
ligten anerkanntermaßen um die Vermittlung von Fähigkeiten, in der Vorstellung oder am "grünen Tisch«, sondern ganz kon-
die die Kursteilnehmer in die Lage versetzen sollen, in einer si- kret im Gelände bzw. am Fels. Diesem von allen Teilnehmern
cherheitsbewußten und erlebnis bezogenen Weise Bergfahrten in offensichtlich identifizierbaren Sachverhalt von »Verwendung«
bzw. für Jugendgruppen organisieren und durchführen zu kön- bzw. seiner besonderen Realisierung in 'diesem Handlungsfeld
nen. Die konzeptuell dahinterstehenden Vorstellungen vom gilt unser analytisches Interesse. Als Kürze! für dieses komplexe
Bergsteigen haben wir in einem anderen Aufsatz als " Metapher »Etwas« dient uns der Begriff der »Pädagogik am Berg«.
vom sozialen Bergsteigen« (KroneriWolff '984) beschrieben. Wir beginnen unsere Darstellung mit zwei Geschichten aus der
Fragt man danach, wo diese Vorstellungen vom sozialen Bergstei- Ausbildungsarbeit des Verbands, wie sie von' Ausbildern öfter
gen herkommen bzw. was ihre Besonderheit im Vergleich zum erzählt und als typische Beispiele für »mißlungene Wissensver-
herkömmlichen Kletterverständnis ausmacht, so wird von den mittlung« oder »schlechte Pädagogik« eingestuft werden.
Ausbildern wie von Teilnehmern relativ pauschal auf pädagogi- Auf einer Jugendleiter-Fortbildung im Kaisergebirge sollten die Teilneh-
sche, psychologische und soziologische Einflüsse und Anregun- mer die Führung kleiner Gruppen in leichtem Klettergelände üben. Dazu
gen verwiesen, die eben auch für den DAV in den siebziger Jah- war die gesamte Kleuerausrüstung mitzunehmen. Beim Abmarsch von

74 75
der Hütte bemerkte der pädagogische Ausbilder, daß die Teilnehmer ver- der Fall des· alpinistischen Ausbilders, daß offenbar Grenzen für
gessen hatten, Kletterseile einzupacken. Er machte sie aber nicht darauf eine richtige Dosierung des »Alpinistischen« bei derartigen Klet-
aufmerksam, sondern wartete, bis die Jugendleiter dies selbst feststellten. terausbildungen existieren. Diese Geschichten bringen aber auch
Erst am Einstieg fiel den Kursteilnehmern auf, daß sie die Seile auf der zum Ausdruck, daß die Beteiligten ein Gespür für kompetentes
Hütte zurückgelassen hatten. Da das Holen zwei Stunden beansprucht »pädagogisches Bergsteigen« in Fortbildungsveranstaltungen ent-
und die gepiante Tour nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit hätte
beendet werden können, war dieser Programmpunkt geplatzt. Die Teil-
wickeln. Was genau die richtige Kalibrierung des Pädagogischen
nehmer gerieten in einen heftigen Streit, wer für die Mitnahme der Seile bzw. des Alpinistischen bei solchen Ausbildungen am Berg aus-
verantwortlich zu machen wäre. Schließlich griff der pädagogische Aus- macht und wie dies von den Beteiligten in der Situation sicherge-
bilder ein: Es sei jetzt genug gestritten, und man sollte sich nun überlegen, stellt werden kann, wird üblicherweise allerdings nicht themati-
wie man eine solche Situation in Zukunft vermeiden könnte. Schließlich siert.
sei das Vergessen von Ausrüstung ebenso typisch für Gruppenunterneh- Wir werden die Anforderungen, welche die Beteiligten bei der
mungen wie anschließende Streitereien. Er schlug nun vor, den aktuellen Realisierung einer solchen "Pädagogik am Berg« zu bewältigen
Streit zum Anlaß zu nehmen, um an Ort und Stelle über Konflikte in der haben, auf drei (nur) analytisch unterscheidbaren Ordnungsebe-
Gruppe und deren mögliche Lösung gemeinsam zu diskutieren. Eine
nen darstellen, die sich in folgenden Fragen reformulieren lassen:
Gruppendiskussion - so wird berichtet - sei aber in dieser Situation nicht
zustande gekommen; vielmehr hätten sich die Teilnehmer nicht nur wei-
- Wie gelingt es den Beteiligten, sicherzustellen, daß das, was in
ter Vorwürfe gemacht, es sei auch zum Streit zwischen dem pädagogi- solchen Ausbildungen abläuft, als im weitesten Sinne pädago-
schen Ausbilder und einem alpinistischen Kursleiter gekommen, der mit gisch erlebt werden kann (Kap. ,)?
seiner Gruppe in der Nähe gewesen war. Wie kann gleichwohl gewährleistet werden, daß es sich letzt-
endlich um eine Ausbildung im Klettern in Gruppen handelt,
Geht es in der ersten Geschichte darum, daß man in einer derarti-
die ihrerseits aber nicht mit einer »oor'malen Kletterunterneh-
gen Ausbildung am Berg nicht allzu "pädagogisch« handeln soll,
mung« zu verwechseln sein sollte (Kap. 2)?
macht die zweite Geschichte deutlich, daß man sich in einer
Wie beziehen sich die Beteiligten schließlich auf die Besonder-
gleichwohl pädagogischen Situation nicht allzu »alpinistisch« ver-
heit dieser Ausbildung, die darin besteht, daß sie nicht (nur) in
halten darf.
irgendwelchen Unterrichtsräumen, sondern in einem besonde-
Gegen Ende eines Eiskurses in den Ötztaler Alpen sollten die Teilnehmer ren Setting, nämlich am Berg, stattfindet (Kap. 3)?
zeigen, daß sie gelernt hatten, mit Pickel und Steigeisen, Eisschrauben und
Seil nicht nur im Übungsgelände umzugehen. Dazu sollte eine 800 m
hohe Eiswand, deren Durchstiegszeit im Kletterführer mit 6-8 Stunden
angegeben ist, in Zweierseilschaften durchklettert werden. Beim Anseilen 1. Pädagogische Ausbildl1ngssituationen
am Einstieg habe der alpinistische Ausbilder sich den Leistungsstärksten
aus der Gruppe ausgewählt und sei mit diesem dem Rest der Teilnehmer Ausbildungssituationen lassen sich als solche fokussierte Interak-
davongeklettert. Die beiden seien derart schnell gewesen, daß sie am Aus- tionen des Lehrens und Lernens beschreiben, in denen sich die
stieg zwei Stunden gewartet hätten, bis die anderen Kursmitglieder dort Beteiligten zeitlich begrenzt zu einem gemeinsamen Zweck ver-
angekommen seien. Der alpinistische Ausbilder habe dort die Teilnehmer sammeln (Goffman '963, S. 83). In einer ethnomethodologischen
mit einem Grinsen und dem Hinweis empfangen, daß sich gerade' bei Perspektive ist nun die Frage zu stellen, wie derartige Interaktio-
Eiswänden die Klettersicherheit mit einem zügigen Durchstieg erhöhe.
nen für alle Beteiligten erkennbar und nachvollziehbar zu »päd-
Für den unbeteiligten Zuhörer erscheinen beide Geschichten wi- agogischen Situationen« werden und nicht zu bloßem Spiel oder
dersprüchlich. Auch wenn die pädagogischen Intentionen richtig einfach zu einer alltäglichen Unterhaltung geraten bzw. dahin
sind und didaktische Regeln der Ausbildung eingehalten werden, abgleiten. Aus unserem Material glauben wir, zwei Gruppen von
gibt es, wie der erste Fall des pädagogischen Ausbilders zeigt, dafür einschlägigen Praktiken isolieren zu können: einmal Merk-
Situationen, in denen "Pädagogik« nicht paßt. Andererseits zeigt male der besonderen Form des sprachlichen Austauschs (didakti-

76 77
sehe Gesprächspraktiken) und zum anderen bestimmte sequen- kombiniert (JO/3 I). Dort, wo ihn ein Teilnehmer unterbricht (38), wird
tielle Kennzeichen der pädagogischen Behandlung von Themen dies zwar zur Kenntnis genommen (42), doch bleibt dieser Beitrag un-
(Organisation von Unterrichtseinheiten). kommentiert. '
Auch ohne zu wissen, daß AI der alpinistische Ausbilder iSt, wird
1. Didaktische Gesprächspraktiken sein Teilnehmerstatui allein durch die Art und Plazierung seiner
Außerung bzw. die Reaktion der übrigen Gesprächsteilnehmer
Didaktische Gespräche heben sich durch einige besondere M erk- deutlich. Durch ihre spezifische Reaktionsweise und die Einhal-
male von alltäglichen Konversationen ab, von denen wir hier nur lUng besonderer konditioneller Relevanzen J machen sich umge-
die wichtigsten darstellen wollen: die spezifische Vorverteilung kehrt die anderen Anwesenden in der Situation als »Lernende«
von Rederechten, das sogenannte »didaktische Design« von Äu- erkennbar, und zwar unabhängig von ihrem »wirklichen« Kom-
ßerungsfolgen und das Vorkommen von Formulierungen. Einige petenzgtad hinsichtlich des Bergsteigens. Hörbar ist es der Aus-
dieser Merkmale finden auch außerhalb didaktischer Gespräche bilder und nicht ein Kursteilnehmer, der (insbesondere durch
Verwendung (z. B. in Beratungen - vgl. Wolff 1986). Wir stießen Fragen, die die Aufmerksamkeit aller Anwesenden erheischen)
auf diese gesprächsgestaltenden Techniken (»Gesprächsmaschi- das Rederecht verteilt. Indem die Auszubildenden erst antwor-
nen« im konversationsanalytischen Sinne) nicht nur bei Veran- ten, wenn sie gefragt werden, zeigen sie an, daß die aktuelle Situa-
staltungen in als solchen definierten Unterrichtsräumen, sondern tion keine Plauderei, sondern eine formale Situation darstellt, in
auch in alpintechnischen Ausbildungen des DAV am Fels. der es zwei Gesprächsparteien mit asymmetrischen und vorgän-
Beginnen wir mit dem folgenden Datenfragment 'aus einer Ju- gig verteilten Beteiligungsrechten gibt (vgl. Atkinson 1982).
gendlciter-Fortbildung, das mehrere dieser Techniken in Aktion Daß es sich bei dieser Asymmetrie um eine pädagogische und
zeigt: nicht etwa um eine vor Gericht oder eine therapeutische handelt,
wird dadurch gewährleistet, daß die Äußerungen in einem be-
Fragment 1
stimmten Äußerungsformat, dem didaktischen Design (Mehan
30 AI: Was wär a grobfahrlässiger (.) Fall.
31 (3. 0 )
1979; 1985) organisiert werden. Dies geschieht etwa im folgenden
32 T,: Da oin neischicke der ( ) der dem; Fragment:
33 also. (.) der dem Grad nicht gwachse wär. Fragment 2
34 (.) 35 AI: (Du),
35 AI: (Du), 36 T2: Der hat kein Helm uff ( )
36 T2: Der hat kein Helm uff ( ) 37 AI: Kein Helm auf. zum Beispiel in so em Gelände
37 AI: Kein Helm auf. zum Beispiel in so em Gelände
( )
Dieses didaktische Design von Äußerungen kann bei Ausbil-
38 T): oder er secht er hats dungssituationen in Unterrichtsräumen wie bei Unterweisungen
39 oder er täts sich zutraue und (1.0) meint er kommt fluH im Felsgelände immer wieder beobachtet werden. Dabei zeigt
40 aber er packts doch net im Endeffekt. (1.0) weil er vor sich beigenauerer Inspektion, daß sich dieses Äußerungsformat
4I die andre vielleicht net irgendwie dumm doschtande wet. aus zwei miteinander verkoppelten Paarsequenzen (vgl. Berg-
42 ( ): % (Mhm) % mann '98o, S. 89 H.; Sacks 1972) zusammensetzt:
43 (1.)
Sprecher I: Initiierung
44 AI: Fass mer des amal zsamm. « ... ))
Der alpinistische Ausbilder (A I) zeigt den Kursteilnehmern (T) an, wann Sprecher 2:
h
Antwort -----I I
und wo er ihre Beiträge erwartet. Er kann dies mit einer Frage tun (30),
mit einer Aufforderung (35), dadurch, daß er erkennbar nach seinem Sprecher I: Bewertung
Redezug schweigt (31) oder aber solche Gesprächsereignisse miteinander

79
Wesentlich für den Vollzug des didaktischen Designs ist, daß der Weise, wie in Kursen ein Leiter das jeweilige Gespräch zusam-
(obligatorische) dritte Redezug des ersten Sprechers nicht nur als menfaßt und seinen Zuhörern Aufschluß darüber gibt, worum
Empfangsbestätigung der Antwort (z.B. »Mhm« oder »Danke«), es in seinen Ausführungen geht und was als nächstes zu tun an-
sondern als ihre Bewertung gehört werden kann. Mit einer derar- steht.
tigen Gestaltung zeigt der erste Sprecher, daß seine Eingangsäu- In Fragment I findet sich eine solche Formulierung am Ende einer Reihe
ßerung nicht durch eine »Informationssuche« motiviert war. Die von Fragen und Antworten, die von AI initiiert wurden (44). Verfolgt
Ausgangsfrage wird so retrospektiv zur Initiierung einer didakti- man das Gespräch von der ersten Frage (30) ab, dann sieht man, daß die
schen Sequenz. Die Antwort des zweiten Sprechers kann damit anstehende Unterrichtsaufgabe sich von einer Frage-Antwort-Sequenz
behandelt werden, als ob sie (bzw. die letztlich richtige Antwort) zur nächsten ändert, bis schließlich im Anschluß an die deutlich initiierte
dem ersten Sprecher schon bekannt war, bevor sie geäußert wor- Formulierung (»Fass mer des amal zsamm. Mir harn also amal gsagt«; 44)
von A I festgestellt wird, es gehe grundsätzlich ,um Sicherungstechniken
den ist. Durch die Einhaltung dieses Formats wird die Asymme-
(5 I). Schien es anfangs, als stehe die Frage einer juristischen Klärung von
trie der Beziehung zwischen Wissensvermittler und jenen eta- grober Fahrlässigkeit zur Debatte, hätte man dann meinen können,
bliert, die sich das jeweilige Wissen erst aneignen. Wendet ein Thema sei eigentlich die richtige Ausrüstung im Fels (»Helm«; 37). Wäh-
Ausbilder im Kursgespräch dieses Format an bzw. kann er dies rend AI in diesen Frage-Antwort-Sequcnzen signalisiert, daß die Klärung
unangefochten tun, dann ist er in der Lage, jede denkbare Ant- solcher Frag'en irgendwie wichtig ist, wenn man keine Fehler im Gelände
wort seines Gegenüber als .Schülerantwort« zu kennzeichnen, begehen wolle, wird ihre letztendliche Relevanz erst durch seine abschlie-
unabhänigig davon, ob die Antwort auswendig gelernt wurde ßende Formulierung etabliert: Helmgebrauch, Vertrautheit der Beteilig-
oder spontan erfolgte, ob er als Ausbilder selbst die Antwort im ten untereinander und mit dem Setting (»Gelände«; 49) sind demnach
nicht für sich allein wichtig, sondern nur insofern sie in Verbindung mit
voraus gekannt hat oder nicht. Er kann dies auf ökonomische
»Sicherungstechniken« stehen.
Weise tun, das heißt, ohne daß er in jedem Fall ausführlich erklä-
ren.müßte, was an einer Antwort falsch oder richtig war. 4 Dieser Erst durch seine Formulierung, die als »vorläufige Zusammenfas-
Mechanismus wirkt auch dann, wenn der Kursleiter »nichts« sung« gehört werden kann, bringt der Ausbilder bisherige The-
sagt, sondern nur hörbar sein Rederecht nicht wahrnimmt. Dies men des Gesprächs miteinander in Verbindung (Heyman 1986).
läßt sich in Fragment 3 an der Reaktion von AI auf die Antwort Gerade weil er als Ausbilder Rechte der Redezuteilung besitzt
von T I beobachten. und zur Gestaltung des Unterrichts nutzt, kann er bei seinen
Fragment} Formulierungen auf geringen Einspruch der Adressaten bauen
30 AI: Wer isch Jurischt. (1.0) Was wär a grobfahrlässiger (.) Fall. und auf diese Weise derartige Zusammenfassungen als »Pro-
31 (3. 0 ) grammpunkte« bzw. Teil des »Curriculums« markieren.
32 TI: Da oin neischicke der ( ) der dem; Damit kommen wir zur nächst höheren Stufe der Organisation
also. (.) der dem Grad nicht gwachse wär. von Ausbildungssituationen, der Gestaltung des sequentiellen
33 (.) Aufbaus ganzer Unterrichtseinheiten,
34 AI: (Du),
Seine Bewertung der Antwort von TI vollzieht AI hier dadurch, daß er
nichts dazu sagt, sondern einen anderen Teilnehmer zur Antwort auffor- 2. Die Organisation von Unterrichtseinheiten
dert. Auch dort, wo er nach mehreren Antworten »fischt«, didaktische
Rätsel stellt oder mehrmals hintereinander »falsche« Antworten erhält, Mit Hilfe der geschilderten pädagogischen Interaktionsformate
steht am Ende der Einschübe immer die Bewertung durch den Kursleiter .
können Themen als Lerninhalte erzeugt und einzelne Äußerun-
Ein drittes Merkmal, das für die Markierung einer Situation als gen als (sokratische) Frage, als Information für Schüler und als
Ausbildungsgespräch Verwendung findet, sind schließlich For- Bewertung von Lernleistungen gekennzeichnet werden. Diese
mulierungen. 5 Mit diesem Ausdruck bezeichnen wir die Art und grundlegenden Äußerungsformate werden sequentiell verknüpft
80 81
und dazu verwendet, größere Abschnitte eines Unterrichts als Frag11l ent 5
»Lerneinheiten« bzw. »Themenblöcke« sichtbar zu machen 109 AI: « .. ;» Toure aussuchen. die sicher sind; des isch ganz
(Mehan 1979; Cazden 1986). 110 wichtig. keine brüchigen Toure. keine Toure wo mer
Drei Phasen der Instruktion lassen sich gerade im Fortbildungs- 11 1 vielleicht oft aufschlägt undsoweiter. (1.0) So.
112 T4: %oft%,
bereich immer wieder beobachten. Mit der Einteilung von Unter-
II} xT: (}.o) «Gemurmel))
richtseinheiten in Einführung, Kleingruppenarbeit und Plenum
114 Tj' Was?
wird Lehren und Lernen pädagogisch organisiert. Durch diese IIj T4: (Es) reicht blous eimal aufschlougen hha 'hh
Einführung bzw. deren sequentielle Abarbeitung unterscheiden 116 AI: Ja. Sicherungstechnik. « ... ))
sich derartige Situationen in charakteristischer Weise von Gele-
Der Partikel »so« macht hier mehr, als nur Aufmerksamkeit herzustellen
genheiten sporadischer und fall weiser Handlungsanweisungen
(w~e z. B. »ja«). Der Ausbilder markiert damit einen Wendepunkt· (vgl.
(beim Klettern etwa das Vorzeigen und Übenlassen von Seilkno- Bergmann 1980, S. 226ff.):
ten), traditioneller Formen der Belehrung (z. B. ein Referat) oder - A I signalisiert die Erledigung pisherigcr Anliegen und kündigt neue
gruppendynamischer Erbauung (z. B. Gesellschaftsspiele). Aktivitäten an;
Ein kompetenter Ausbilder sollte in der Lage sein, die Übergänge - Darüber hinaus zeigt er an, daß das spezifische Kategorienpaar Ausbil-
zwischen den Phasen so zu organisieren, daß die Situation als der/Auszubildender - wie er es bisher durch Gebrauch pädagogischer
geplanter Unterricht erkennbar wird. Der folgende Gesprächs- Gesprächspraktiken kenntlich machte - für den neuen Unterrichtsab-
ausschnitt zeigt, wie eine »AufgabensteIlung« entwickelt und schnitt der Kleingruppe nicht mehr das zentrale Ordnungselement dar-
dann als »Aufgabe« markiert werden kann. stellt.
Darauf orientieren sich auch die Teilnehmer. Anders als während der
In seiner Einführung gibt der Ausbilder (AI) den Teilnehmern (T) die bisherigen Ausführungen des Ausbilders beschränken sie sich nicht mehr
Aufgabe bekannt, mit der sie sich zu beschäftigen haben. nur. auf das schweigende Zuhören, paralinguistische Laute (»hh«) oder
Karabinerklimpern 7, sondern beginnen sich untereinander zu unterhalten.
Fragment 4 T 4 nimmt etwa diesen Wendepunkt zum Anlaß, deutlich hörbar eine
II6 AI: Ja. Sicherungstechnik. Wer baut jetzt da uns amal cn Ironie in den Ausbilderäußerungen zu explizieren: Am Berg gilt es zu
117 schöne Standplatz, « ... )) vermeiden, daß überhaupt jemand stürzt und kein einziges Mal auf-
Es soll ein Standplatz 6 gebaut werden. Mit dem betonten »Ja« fokussiert schlägt; eine Bemerkung, die innerhalb einer Unterrichtssituation als Stö-
AI die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf seine folgende Äußerung. Eine rung behandelt werden könnte.
Aufgabe wird nicht einfach dahingesagt, sondern als etwas gekennzeich- Mit der Markierung des Wendepunkts (t I I) und der Erwähnung
net, dem die Anwesenden in besonderer Weise zuhören sollen. Vor der
von Sicherungstechnik (II 6) werden die bisher angesprochenen
Anweisung findet sich jedoch noch eine weitere Äußerung. Es soll ein
Standplatz unter dem Aspekt .Sicherungstechnik« gebaut werden. Und Themen zu einem Themenblock zusammengefaßt.
eben weil dies vor der Anweisung erwähnt wird, macht AI jedermann Mit dem Hinweis auf »SIcherheitstechnik« an diesem Punkt seiner Aus-
deutlich, daß der Standplatz so gebaut werden soll, wie es Normen der führungen macht AI deutlich, daß alle bisherigen Themen als »Unterthe-
Standplatz bereitung vorschreiben. men« zu behandeln sind, die sich auf ein »Hauptthema« beziehen. Auf-
gabe der Teilnehmer ist es dann herauszufinden. was sich an einem sol-
In der Folge wenden sich die Teilnehmer ihren. Rucksäcken zu, cherart markierten »Unterthema« auf »Sicherheitstechnik« bezieht.
holen das Material heraus und beginnen sich an der Felswand zu Nunmehr können Aufforderungen und Prozeduranleitungen ei-
verteilen. Der Ausbilder hat· durch die gekonnte Plazierung seiner nes Ausbilders als »Unterrichtsaufgabe« und nicht nur als spon-
Äußerungen in dem Gesprächsablauf deutlich gemacht, daß es tane Hilfestellungen oder Handlungsanweisungen gehört wer-
sich um eine »Aufgabe« handelt. Dies geschieht so, daß seine den. Einen Standplatz bauen stellt dann nicht nur eine unter-
Aufforderung als das Ende der Einführung und als Übergang zur geordnete Aktivität zur Gestaltung des Unterrichtsthemas dar,
Kleingruppenarbeit gehört werden kann. sondern ist als Kursinhalt oder Lernstoff erkennbar.
82
Am Ende einer Unterrichtseinheit, in der Plenumsphase, ist es die II. Klettern in der Kleingruppe
Aufgabe eines Ausbilders, die Aufgabenlösungen der Teilnehmer
zu prüfen und zu beurteilen. Pädagogische Bewertungen werden Am empirischen Material der von uns untersuchten JL-Fortbil-
(wie Formulierungen innerhalb eines Unterrichtsgesprächs) als dungen läßt sich rekonstruieren, wie durch den Gebrauch be-
abschließend behandelt. Im Unterricht wäre es im Gegensatz zu stimmter Interaktionsformate die Beteiligten sich füreinander das
Bewertungen in alltäglichen Gesprächen ungebührlich, wenn der Einhalten von Bergsteigermaximen (»sicher«, »rasch«, »kamerad-
Bewertete noch etwas hinzufügen würde. In Alltagsgesprächen schaftlieh«) sicht- und nachvollziehbar machen. Für den Zweck
besteht eine Präferenz, auf ein Lob oder ein Kompliment, aber unserer Darstellung werden wir dabei den obligatorischen Auf-
auch eine Mängelfeststellung oder Rüge mit einer Gegenbewer- takt eines gemeinsamen Kletterunternehmens, die Standplatzbe-
tung des Adressaten zu reagieren (Pomerantz '975). Im Unter- reitung und dort die Suche, Auswahl und Akzeptierung von Fix-
richt hat der Gerügte oder Belobigte zu schweigen, solange er punkten im Gestein als empirischen Referenzpunkt nehmen.
nicht zu weiteren Erklärungen aufgefordert wird. Wir greifen drei Konstellationen heraus, deren Bewältigung sich
Wir haben bisher gezeigt, wie durch das Handeln des Ausbilders offenbar dazu eignet, zwischen einem »erfahrenen Kletterer« und
wie der Teilnehmer eine Interaktion in besonderer Weise als einem »Bergneuling« Unterschiede deutlich zu machen: den Um-
»pädagogische« erkennbar gemacht wird. Die Aktivitäten der gang mit der Ausrüstung, die Einteilung in Führer und Seilpartner
Teilnehmer waren dabei für uns nur insoweit von Bedeutung, als sowie die Bewältigung von Schwierigkeiten im Gelände.
sie die Initiativen eines Ausbilders akzeptierten und sich an der
Erledigung anstehender Aufgaben beteiligten, sei es im Einlassen
auf bestimmte Äußerungsformate oder in der kooperativen Mit- 1. Der Umgang mit der Ausrüstung
gestaltung einzelner Phasen des Unterrichts. Wir haben darüber
hinaus bisher pädagogische Formen der Wissensvermittlung ge- Jeder Bergsteiger ist für seine Ausrüstung selbst verantwortlich.
zeigt, die für alle möglichen Ausbildungssituationen gelten. Eine Was er für eine Tour mitnimmt, ist von den praktischen Erfor-
Fortbildung im »sozialen Bergsteigen« kann sich jedoch nicht dernissen des Geländes (Eis, Fels etc.) sowie davon abhängig, was
umstandslos dieses Arsenals bedienen. Sie hat es mit einer beson- unter Bergsteigern als »richtig« zur Vermeidung von Unfällen
deren Klasse von Kursteilnehmern und einem spezifischen Wissen angesehen wird.
zu tun. Was in solchen (alpinistischen) Ausbildungen vermittelt So gibt es in der Bergsteigergemeinde immer wieder Debatten um das
wird, darf sich nicht in Selbsterfahrung oder in Freizeitvergnügen richtige Schuhwerk oder die geeignete Kopfbedeckung" im Gebirge. Auf
erschöpfen, sondern muß sich darauf beziehen, daß Teilnehmer der Tour selbst dient den Beteiligten die Ausrüstung zur Beurteilung der
Bergsteiger im weitesten Sinne sind. Deshalb muß sich die Päd- »Klettererfahrung«. Gerade »Anfänger« sind oft nicht in der Lage, sich
agogik erkennbar den Bergsteigermaximen anpassen und nicht wie ein »richtiger Bergsteiger« auszustatten. Ihre Ausrüstung ist nicht nur
umgekehrt. augenscheinlich »neu«, sondern oft auch zu »üppig« (z. B. ein umgehäng-
Es stellt sich also die Frage, wie die Ausbildungsteilnehmer sich tes Seil für eine einfache Bergwanderung). Bergerfahrene ziehen es in der
Regel vor, ihre Ausrüstung im Rucksack zu verbergen und erst dann
nicht nur als Kursleiter und Fortzubildende, sondern gerade auch
"auszupacken, wenn sie benötigt wird. 8
als kompetente Personen im Felsgelände erkennbar machen, das
heißt, in und durch ihr Handeln sicherstellen, daß sie als »Klette- Von den Beteiligten wird' die Ausrüstung nicht nur als Ausdruck
rer« statt als »Halbschuhtouristen« identifizierbar sind. Wichtig ihres Kletterkönnens behandelt, sondern auch dazu hergenom-
in unserem Zusammenhang ist noch eine weitere Qualifizierung, men, Feststellungen über die moralische und juristische Verant-
nämlich daß es sich hier nicht um eine Ausbildung für Soloklette- wortlichkeit eines einzelnen Bergsteigers zu treffen. Mitanwe-
rer, sondern eindeutig um eine zum Klettern in Gruppen handelt. sende haben im Falle entdeckter Mängel die Pflicht, den einzelnen
darauf aufmerksam zu machen.
auristisch einklagbare) Verpflichtungen von Gruppenleitern zur Ausrü- 6 SI: Ne: geht wahrscheinlich au net (
stungskontrolle beruhen auf konventionellen Erwartungen an die Führer
einer Kletterpartie. Die Prüfung muß keineswegs ausführlich, doch expli-
I, 7 (-z-)

zit sein. Es reicht beispielsweise aus, die Sorgfaltspflicht (wie auch die In diesem Fragment wird SI von S2 und 53 durch die Art ihrer Reaktion
Führung) zu demonstrieren, wenn eine Person beim Abmarsch von der als Führer anerkannt. Er ist damit beschäftigt, Keile unterschiedlicher
Hütte fragt »Harn mia alls?« und die anderen nicken. Wichtig ist hier die Größe in einem Gesteinsriß zu verklemmen. Wahrend die anderen beob-
Plazierung einer solchen Frage. Sie muß so frühzeitig erfolgen, daß even- achten, werden sie nicht selbst tätig. Als SI vermutet, daß ein Keil der
tuelle Mängel rechtzeitig entdeckt und behoben werden können. Größe vier (I) passen könnte, fordert er die anderen zur Mitarbeit auf. S2
und 53 liefern nun dem Führer nicht'nur Material zu, sondern zeigen im
Am Kletterort selbst gilt es, den gekonnten Umgang mit der seIhen Arbeitsgang, daß sie über die an Ort und Stelle passende Ausrü-
Ausrüstung zu demonstrieren. Das Klettern in Gruppen ist auf stung Bescheid wissen, also fur die anstehenden praktischen Zwecke
diese Weise kein bloßes Ergebnis der Anwendung alpinen Wis- kompetente Kletterer sind. S2, der S I die ganze Zeit beobachtet hat, zeigt
dies dadurch an, daß er nicht nach irgendeinem Keil der Größe vier,
sens oder der Demonstration von Fingerfertigkeit eines einzel-
sondern nach einem sechskantigen »Hexentric« (4) sucht. Die Bemerkung
nen. Die Beteiligten müssen einander zeigen, daß sie als Kletter- von 53 ist kein bloßes Echo. Er faßt die Äußerungen von 5r und Sz
partie zusammengehören und in der Gruppe bzw. für die gemein- zusammen. SI ratifiziert durch sein Schweigen den Bedarf an einem Hex-
samen Zwecke mit Kletterutensilien umzugehen verstehen. Ihr entric Größe vier und seine Rolle als Führer. Als S3 ihn aushändigt,
Wissen zeigen sie dadurch, daß sie als Gruppenmitglieder nicht versucht SI, diesen Keil einzupassen.
auf dem privaten Gebrauch ihrer Ausrüstung beharren, sondern
sie ausleihen und gegenseitig ergänzen; aber auch dadurch, daß Mitglieder einer Kletterpartie machen sich zu Seilpartnern, indem
sie besondere Materialgegenstände genau dann verwenden und sie einem Führer zuarbeiten, sich auf Kommentare beschränken
nachfragen, wenn es jedem als »passend« erscheint. und in ihren Äußerungen die Fähigkeit und Bereitschaft zur
Übernahme von Führungsaufgaben verdeutlichen. Sie unterschei-
den sich dadurch von solchen Personen, die als Unerfahrene oder
2. Führer und Seilpartner Geführte nicht wie ein Führer handeln können (z. B. beim Mate-
rialgebrauch), das he.ißt, sich hier nicht zu einJ'ffi Statustausch
Es gehört zu den konstitutiven Merkmalen von Klettergruppen, bereithalten müssen. Diese Reversibilität bei grundsätzlich einge-
daß unter ihren Mitgliedern eine Asymmetrie beobachtbar ist. haltener Asymmetrie unterscheidet normale Klettergruppen von
Für die Mitglieder selbst ist es notizwürdig, wenn dies nicht der geführten Touren. Führungsrechte erstrecken sich nicht allein auf
Fall ist, das heißt, nicht angegeben werden kann, wer im Gelände die Berechtigung, einen Standplatz zu bauen, sondern beziehen
gerade »Führer« und wer »Gefährte« ist. Die jeweils vorhande- sich gleichfalls auf die Akzeptierung und Ablehnung von Ein-
nen Unterschiede im Teilnehmerstatus (der unter den Personen sprüchen der Mitglieder einer Kletterpartie. Die letzteren müssen
wechseln kann) werden unter anderem in der räumlichen Position sich in ihren Handlungen zu Gefährten machen: Ein Seil partner
der Anwesenden zueinander, in der Art und Weise von Handgrif- muß Einwände gegen das Vorgehen des Führers so formulieren,
fen bzw. im Umgang mit der Ausrüstung wie auch in besonderen daß die Schlußfolgerungen daraus in der Souveränität des Führers
Gesprächssequenzen wahrnehmbar. verbleiben, Sein Wissen hat er erkennbar demjenigen des Führers
zuzuordnen.
Fragment 6
Wissen ist in Klettergruppen nur insofern akzeptabel und vermit-
I SI: (A) Kannsch mer mol en Vierer gä.
2 (-2-) telbar, als in den jeweiligen Äußerungen bzw. Aktivitäten der
3 52: An vierer Hex asymmetrische Teilnehmerstatus erhalten bleibt. Es reicht nicht,
4 53: Vierer Hex daß eine Person zeigt, daß sie »mehr weiß« oder eine Sache »bes-
5 (-2-) ser erledigen« kann als andere. Sie muß sich für alle erkennbar
86 87
und von allen akzeptiert zum »Führer« einer Seilschaft machen pointierte und kunstvoll belassene Ambiguität von Äußerungen,
oder warten, bis sie als Seilpartner vom Führer zu einem Beitrag mit denen die Beteiligten einander Erfahrung und Wissen anzei-
(Rat, Hilfe etc.) aufgefordert bzw. bis sie als Publikum zur Teil- gen.
nahme eingeladen wird. Solange die Beteiligten einen Standplatz I;>auen oder eine Seilsi-
Die Kletteraktivitäten wie der Umgang mit Ausrüstung, Stand- cherung im Gestein anbringen, können sie dies wortlos bzw. mit
platzbau sind keineswegs allein vom Gelände (sogenannten »ob- einem Minimum an sprachlichen Äußerungen leisten. Es reicht
jektiven Faktoren«) abhängig, sondern davon, wie die Beteiligten dann etwa aus, auf einen Fleck am Fels zu deuten, damit dort ein
diese Aktivität als soziale Unternehmung (»Gruppenfahrt«, Klemmkeil gelegt werden kann oder eine Bemerkung als »guter
»Ausbildung«, "Tour« etc.) gestalten! In einer alltäglichen Situa- Rat« gehört werden kann.
tion des Bergsteigens machen sich die Beteiligten ihren jeweiligen Die Wortkargheit wird von Kletterern selbst zumeist mit funktionalen
Teilnehmerstatus an Ort und Stelle durch ihr Handeln sichtbar. Erfordernissen der Tätigkeit begründet. Beim Bergsteigen gehe es darum.
Als Kletterer oder Nicht-Kletterer bzw. Führer, Seilpartner und rasch und deutlich miteinander zu kommunizieren. Verständigungspro-
Geführter stellen sie situativ ihre Identität her und machen da- bleme können in dieser Sicht durch eine möglichst große Standardisierung
durch bestimmte Erwartungen und Verpflichtungen füreinander und Knappheit der Sprache (z. B. Seilkommandos) vermieden werden. In
relevant. Für Kletterer, die nicht allein als Führer oder Gefährten, Felsklettereien reicht es auf diese Weise völlig aus, zu hören, daß ein
sondern auch als Unterrichtsbeteiligte bzw. als Teilnehmer päd- .Beteiligter ein Kommando gibt. um aus der Plazierung im Ablauf zu
schließen, was damit gemeint ist und was nun zu tun ansteht.
agogischer Kletterunternehmungen auftreten, gelten - wie wir
sehen werden - zusätzliche Erwartungen an die jeweiligen Akti- Am folgenden Beispiel einer etwas heiklen Klettersituatio~ läßt
vitäten im Vergleich zum alltäglichen Klettern. Bevor wir in sich ansatzweise rekonstruieren, welche Voraussetzungen erfüllt
Abschnitt III darauf näher eingehen, werden wir kurz noch ein sein müssen, damit das Setting'O als unproblematisch gegeben gilt
drittes Merkmal vorstellen, das zur spezifischen Eigenheit des und demzufolge Äußerungen der Beteiligten so behandelt werden
Kletterns in Gruppen beiträgt: den Umgang mit Indexikalität im können, daß - in Goffmans Worten - »what is ,said< is obscure;
Felsgelände. what is ,meant< is obvious and clear« (1981, S·7)·
Der zweite Ausbilder (A2) sollte für die Kursteilnehmer an einer Fels-
kante in 20 m Höhe ein Seil einhängen (» Toprope«). Dabei war er ungesi-
3. Erreichbarkeit und Hilfe chert in die Wand eingestiegen und fünf Meter unterhalb der Felskante an
einem Überhang sichtlich in Schwierigkeiten geraten. Dies wird von ei-
Gespräche unter Bergsteigern sind im Gelände auffallend einsil- nem Teilnehmer (T) bemerkt, der die Umstehenden darauf aufmerksam
big. In kurzen Worten und knappen Sätzen verständigen sie sich, macht.
wobei jeder Beteiligte mühelos den Sinn solcher lakonischen Äu- Fragment 7
ßerungen entschlüsseln kann. Das Gesagte wird als selbstver- 8J T: % öh %
ständlich behandelt, und nur einem Außenstehenden oder Hörer 84 Az: Hey ((AI» da paß i ja itt durch. Hey.
von Tonbandaufzeichnungen würde die Frage in den· Sinn kom- 85 xT: haha
men, was denn mit .dahintn« oder dem »Ding« gemeint sei. Der- 86 AI: Zieh dei Wampe ci.
artige Äußerungen sind nicht allein in dem Sinne indexikal, daß 87 xT: haba
88 A2: Wo hasch en du mi (.) wieder hingschiekt. Hey.
sie nur an Ort und Stelle verstehbar wären. Sie sind nicht allein
89 AI: Geh amal weiter nei in des Ding
elliptisch, sofern sie nicht vollständig ausformuliert sind und sich 90 A2: Was?
weitgehend auf Andeutungen beschränken. Sie verweisen viel- 91 AI: Geh amal weiter nei oder naus.
mehr auf ein Phänomen, das Goffman ,,,normatively residual< 92 A2: Du nei. Da geht mei Helm
ambiguity« (1981, S. II) genannt hat. Er versteht darunter eine 93 ja scho itt durch
88
94 xT: hhahha Kletterpartie wechselseitig die Geordnetheit der Aufgabenlösung
95 Az: Du Witzbold hey am Ort demonstrieren und beurteilen können.
96 xl: haha Der Umgang mit dem Setting, aber auch das Phänomen der alpi-
A2 und AI unterhalten sich hier wie zwei Kletterer untereinander. Ihre nistischen Sicherheit werden damit als soziale H erstellungsleistun-
Redeweise ist lakonisch und Hinweise auf das Setting sind pointiert dop- gen identifizierbar gemacht und zum Teil auch ausdrücklich
pelsinnig. Dadurch, daß Al keine präziseren Hinweise auf den Weiterweg angesprochen. In einer Ausbildung am Fels sind die Beteiligten
anfordert (z. B. Wie gehts jetzt weiter?), gibt er seine Klettererfahrung zu gezwungen, sich mehr als nur lakonisch miteinander zu verstän-
erkennen und markiert seine Schwierigkeiten nicht als »Notfall«, sondern digen. Sie dürfen sich nicht nur auf das Setting und das Klettern
als »gewöhnlichen Ärger«, der Kletterern immer wieder begegnet, wenn allein beziehen, sondern müssen auch sichtbar auf den Umstand
sie keine Griffe oder Tritte zum Weiterkommen finden. Deshalb können
Bezug nehmen, daß sie »Ausbilder« und »Auszubildende« sind.
die Anwesenden die Bemerkungen VOn A2 auch als scherzhaft behan-
deln.
Indem er sich zugleich an AI wendet, behandelt er diesen (und nicht
andere Teilnehmer vor Ort) als kompetenten Kletterer, der ihm helfen III. Pädagogisches Klettern
kann. Nicht der Inhalt, wohl aber die Plazierung der ersten Äußerung von ,.
Az (84) indiziert mehr als einen üblichen Ärger beim Klettern. Az zwingt In unseren bisherigen Ausführungen haben wir zweierlei metho-
damit nämlich seinen Kollegen zum Unterbrechen des Unterrichts. Ein dische Anforderungen an die Realisierung einer »Pädagogik am
Hinweis wird dringend benötigt. Berg« herauszuarbeiten versucht: Zunächst muß von den Betei-
Dieses Fragment macht einen weiteren Aspekt der Besonderheit ligten kooperativ vor Ort sichergestellt sein, daß die Bestimmung
von Klettergruppen deutlich. Im Felsgelände müssen die Beteilig- der grundlegenden Strukturmerkmale pädagogischer Interaktio-
ten in besonderer Weise dafür sorgen, daß sie wechselseitig ko- nen eingehalten werden; dabei sind wir auf die Verwendung be-
präsent sind: Die erforderliche Form der Kopräsenz in diesem stimmter Äußerungsformate, die Aufeinanderbezogenheit der
Setting beschränkt sich in den meisten Fällen nicht auf bloßen verschiedenen Teilnehmerkategorien und dazugehörigen Aktivi-
Blickkontakt oder eine Distanz in Hörweite. Sie müssen fürein- täten sowie auf die Vorverteilung von Rederechten in einer »päd-
ander unmittelbar erreichbar sein, sei es durch einen Zug am agogischen Beziehung« gestoßen. Zudem haben wir Anhalts-
Verbindungsseil, einen Zuruf oder eine Handreichung. punkte dafür gefunden, daß die Erkennbarkeit pädagogischer
Die Verpflichtung auf die unmittelbare Erreichbarkeit gilt auch dann,
Interaktionen mit einer bestimmten Periodisierung einzelner In-
wenn von einzelnen Beteiligten angenommen werden kann, daß sie »er- teraktionsphasen zusammenhängt. Dann versuchten wir zu re-
fahren« und ~~geübt« sind. Deshalb war es ein deutliches Fehlverhalten des konstruieren, welcher Praktiken und Handlungsformen sich Per-
alpinistischen Ausbilders in der zweiten Geschichte, der seinen Kursteil- sonen bedienen können, damit sie füreinander und für jeden
nehmern davongekletten war. Er hatte zwar gezeigt. daß er ein guter kompetenten Beobachter als Bergsteiger, und zwar als Kletterer
Kletterer ist, sich selbst aber als Gruppenführer (wie auch als Ausbilder) in Gruppen, erkennbar sind. Dazu gehören die besondere De-
disqualifiziert. Er hatte die übrigen Mitglieder der Unternehmung sich monstration passender Ausrüstung und das Wissen um ihren lo-
selbst überlassen.
kal angemessenen Gebrauch; zudem sollten die Beteiligten inder
Der geringe Grad der Verbalisierung von Aufgaben, der üblicher- Lage sein, ihre Beziehungen so zu gestalten, daß an Ort und Stelle
weise in Klettergruppen herrscht, kontrastiert mit der Ausführ- deutlich wird, wer als Führer, Seilpartner und wer als Außenste-
lichkeit und Ausdrücklichkeit, die pädagogische Erklärungen hender anzusehen ist. Kompetente Kletterer erkennt man auch
auszeichnet. Ausbildungssituationen für Klettergruppen schaffen daran, daß ihre Gespräche während des Kletterns in bestimmter
also stärkere Verpflichtungen für die Kopräsenz aller Beteiligten. Weise lakonisch sind, wobei gerade dadurch der Fels als »natür-
Dabei geht es nicht nur darum, Vorsorge für einen möglichen lich« und anstehende Aktivitäten als »jedem kompetenten Klette-
Notfall zu treffen, sondern auch darum, daß die Mitglieder der rer verständlich« hergestellt werden.

9° 9'
Im nächsten Kapitel wird uns die Frage beschäftigen, wie Klette- serer (vorsichtigen) Schätzung - weniger als die Hälfte der Zeit
rer sich auf das Pädagogische einer Situation so orientieren, daß ausgereicht hätte.
sie zugleich ihre Vertrautheit mit dem Felsgelände demonstrieren. Deutlich wird, daß hier nicht allein ein Fixpunkt, sondern ein
Fixpunkt in einer Ausbildung eingerichtet wird.
S6 und S7 stellen beide fest, daß sie keinen Ankerpunkt im Gestein ent-
1. »Lernen« am Fels decken können. Dies führt nicht zum Abbruch der Bemühungen. Sie
beginnen heide zu' suchen. Als 58 bzw. S9 hinzukommen und doch einen
Ein erfolgreicher Ausbildungsteilnehmer ist einer, der erkennbar Fixpunkt finden, stellt S6 dieses Ergebnis in Frage. Sein Einwand wird
»(dazu-)lernt. bzw. sich sichtbar bemüht - um einen gern be- von S5, S8 und S9 abgewiesen. Es scheint, daß der Fixpunkt damit .end-
gültig« ausgewählt ist. Die Fortsetzung dieses Gesprächs zeigt das Gegen-
nutzten Begriff aus der (Schul-)Pädagogik zu gebrauchen -, »re-
teil:
flexiv. Wissen zu verarbeiten. Die besondere Anforderung an
Fragment 8
Ausbildungsteilnehmer in unserem Falle besteht darin, daß sie
I S9: Schau her. Des geht;
dabei nachvollziehbar auch auf die gegebene physikalische Um-
2 (-4-)
gebung, das Setting Fels, Bezug nehmen müssen. Wir werden ) S6: ( ) zum Teil da nicht. ne,
(wiederum am Beispiel des Standplatzbaus) im folgenden fragen, 4 S5: % chh % da kannst was schnitzen
inwiefern sich Aktivitäten von Bergsteigern in einer Ausbildung )(
von jenen außerhalb einer solchen Situation (z. B. vom normalen doch wieso net,
Klettern) wie von pädagogischen Interaktionen in den Unter- (
richtsräull1en der Ausbildungsstätte dadurch unterscheiden, daß 6 S8: ahahahaha 'hh 'hh h-hh jetza
sie in diesem besonderen Setting stattfinden. 7 hebt der Stoa da so guat chcha haha
8 (S5): haha
-> 9 S8: Ja. Scheiße is des a ( )
->10 ( ): Vielleicht muaßt höher naufgeh
LI Die Revidierbarkeit von Entscheidungen
Eine immer wiederkehrende Beobachtung in Aus- und Fortbil- Was als Lachen über den Einwand von 56 und als Ablehnung seines
Vorschlags durch,55 und 58 interpretiert werden könnte, erweist sich im
dungen ist es, daß die Bewältigung von Arbeitsaufgaben in der
Licht nachfolgender Äußerungen (9-10) als Lachen über das bis dahin
pädagogischen Situation nur lose an die .»Erfahrung« gebunden erreichte Ergebnis. Der Fixpunkt gilt als nicht ausreichend. Die Beteilig-
ist, welche die Teilnehmer für solche Aufgaben mitbringen, ja oft ten suchen weiter. Erst später einigen sie sich doch noch auf diesen Anker-
didaktisch zu dieser in Kontrast gestellt wird. Unabhängig vom punkt und können auf diese Weise ihren Standplatz bauen, bevor der
Inhalt einer Ausbildung wie auch unabhängig vom Grad der ein- Ausbilder das Kleingruppenergebnis prüft.
schlägigen Vorbildung der Beteiligten gilt, daß sie sich an Pro- Als Teilnehmer an einer Ausbildung behandeln die Anwesenden
gramm punkte und Arrangements der einzelnen Veranstaltung zu ihre Entscheidungen als revidierbar. Es reicht dabei aus, daß einer
halten haben. Besonders auffällig war dies für uns im alpintechni- der Anwesenden einen Zweifel am Ergebnis geäußert hat. Eine
schen Teil einer JL-Fortbildung. Die Ausbildungsteilnehmer, die besondere Begründung dafür ist nicht notwendig. Erst wenn nie-
ja durchaus als »erfahrene Kletterer« (zum Teil sogar als Extrem- mand Einspruch erhebt, wird der nächste Arbeitsschritt unter-
kletterer) gelten konnten, das heißt anerkanntermaßen Übung in nommen oder die Aufgabe für (vorläufig) gelöst erklärt.
der Anlage eines Sicherungsplatzes besaßen, benötigten in der Doch auch dann konnten :wir des öfteren beobachten, wie ein »Stand-
Ausbildung ungleich mehr Zeit für dieselbe Aufgabe, als üblich- platzbauer« an den Keilen rüttelte oder kurz an der Schlingenverbindung
erweise in einem vergleichbaren Terrain bei einer Tour aufgewen- der beiden Fixpunkte zog, um deren Festigkeit bzw. Verkeilung im Ge-
det werden müßte. Mehr als zehn Minuten vergingen für die stein zu prüfen. In einer »Ausbildung« kann auch der Seilpartner eine
Einrichtung eines Standplatzes, wofür normalerweise - nach un- solche Kontrolle vornehmen, ohne daß dies als »Mißtrauensvotum« gegen

93
den Führer aufgefaßt werden müßte. Er zeigt dann im Gegenteil an, daß ders gleichzeitig lösen. Jede Gruppe arbeitet für sich und im Ge- .,
auch er um eine gute Lösung der Aufgabe bemüht ist. lände nebeneinander. Erst wenn eine Gruppe ihre Aufgabe »ge-
Die Teilnehmer einer Ausbildung signalisieren unabhängig von löst« hat (ein eingerichteter Standplatz), ist es möglich, daß sie
ihrem (zum Teil außerordentlichen) Können außerhalb der Ver- anderen Gruppen »helfen«. Im Verzicht auf einen Ortswechsel
anstaltung ihre »Lernbereitschaft« ebenso wie ihr »unvollkom- oder eine andere Reihenfolge der Aktivitäten als alle anderen
menes Wissen«. Dies tun sie etwa dadurch, daß sie »Lösungen« (z. B. Warten-Standplatzbau statt Standplatz bau-Warten) geben
bergsteigerischer Aufgaben als die ihrigen markieren und für den die Teilnehmer zu erkennen, daß sie die Raumaufteilung und
Ausbilder als »Angebote« (sozusagen als »Lösungskandidaten«) Zeitvorgaben des Ausbilders respektieren. Auf diese Weise kön-
kenntlich machen. Als »Lernende« (im Gegensatz zu »Klette- nen sich allerdings auch Irritationen ergeben, wenn etwa kein
rern«) halten sie ihre Entscheidungen in der Schwebe und stellen Fixpunkt gefunden wird, obwohl einer am besonderen Ort ver-
sich erkennbar auf Korrekturen ein. Dies gilt unabhängig davon, mutet wird,
ob sich eine Entscheidung später als »falsch« oder »richtig« her- Diese Orientierung auf die besondere Ökologie des Ausbildungsortes
ausstellt oder ob ein Teilnehmer beabsichtigt, sich »vor der Ver- muß keineswegs verbal explizit sein. Sie ist jedoch auch außerhalb von
antwortung zu drücken«. Er muß in jedem Falle irgendeine Ent- Kleingruppenarbeit sichtbar, wenn sich Auszubildende trotz ausreichen-
scheidung fällen, doch geht es einem Ausbilder dabei nicht um den Platzes bzw. ausreichender Akustik eng um einen Ausbilder gruppie-
den Inhalt des Ergebnisses (also »richtiges Klettern«), sondern ren und durch ihre Körperhaltung deutlich machen, daß sie ihm ;zuhö-
ren«. Mit anderen Worten, Personen zeigen durch das. was sie tun, was
darum, daß ein bestimmtes Handeln als kritisierbare Wahlent-
sie denken bzw. ob sie »lernen« (vgl. Williamson 1982 und Coulter 198)).
scheidung für die Anwesenden sichtbar wird. Die »Aufmerksamkeit« von Kursteilnehmern ist für alle beobachtbar,
wenn mehrere Personen einen Fleck fokussieren. sich um einen Anwesen-
1.2 Die Verpflichtbarkeit auf den Ausbildungsort den scharen, ihre Hände verschränken und so zeigen, daß sie nichts ande-
Einer der Gründe, warum Teilnehmer in der untersuchten Fort- res tun, als diesem zuzuhören.
bildung lange Zeit brauchten, um einen Fixpunkt für einen Stand-
platz im Gestein ausfindig zu machen, bestand darin, daß sie bei Als »Lernende« sind Personen dazu verpflichtet, das Setting der
ihrer Suche keinen Ortswechsel vornahmen, sondern an einem Ausbildung und seine Requisiten zum Teil nicht so zu benützen,
einzigen Fleck (ca. 0,5-1 m nach beiden Seiten) verharrten. Dort wie dies konventionellerweise erwartbar und machbar wäre. Aus-
wurde so lange gesucht, bis ein Fixpunkt gefunden war. Wir zubildende müssen vielmehr darüber hinaus aktiv nach besonde-
konnten keine Kleingruppe beobachten, die den Platz verließ, der ren Benutzungsanweisungen des Settings fahnden, die für eine
ihr vom Ausbilder angewiesen worden war bzw. den die Mitglie- pädagogische Situation relevant sein könnten. Erst durch das
der selbst ausgewählt hatten. Es schien so, als seien die Beteiligten Auffinden solcher Benutzungsanweisungen bzw, ihrer Zurschau-
»Gefangene« jenes Platzes geworden, an dem sie begonnen hat- stellung im Handeln werden Aktivitäten (z. B. die Einrichtung
ten, die Aufgabe auszuführen. eines Standplatzes) als »Ausbildung« von »Freizeit« unterscheid-
bar und das Setting als pädagogisches erkennbar gemacht. Die
Dabei wäre es durchaus denkbar - und dies geschieht üblicherweise wäh-
rend Klettereien auch -, daß eine Seilschaft einen Ortswechsel vornimmt, Beteiligten stellen durch die besondere Nutzung des Settings den
wenn eine Route nicht (durch den Kletterführer, einen Standhaken oder Tatbestand der »Pädagogik am Berg« aktiv her, und zwar so, daß
Platzmangel) »definiert« ist oder für die Beteiligten an Ort und Stelle sie die Differenz zur »normalen Nutzung« dieses Geländes einan-
ungangbar erscheint. Darüber hinaus bestünde die Möglichkeit t an jenem der sichtbar und erfahrbar machen,
Ort zu warten, an dem eine vorherige Seilschaft einen Standplatz bereits
Fragment 9
eingerichtet hat. .
120 AI: Verteil mer uns da von do drüb bis da herüb,
Als »Lernende« sind die Teilnehmer zudem darauf bedacht, ihre (1.0)
Aktivitäten so zu koordinieren, daß sie eine Aufgabe des Ausbil- hh «Räuspern)) Mit oder ohne Haken schlougen,

94 95
123 AI: Ohne Haken schlagen Demgemäß lenken die Lehrbücher (wie auch die Ausbilder - vgl. Kap.
--> 124 T6: Ja (da wähl i en) Baum hahahahahaha IIU)die Aufmerksamkeit der Leser bzw. Auszubildenden auf das Ergeb-
-->125 T: haha nis, das »Kräftedreieck«. Übereinstimmend nennen die Autoren fünf
---.; 126 T7: Ohne Botaniksicherung. (Mindest-)Anforderungen an ein »richtiges Kräftedreieck«, die alle rein
technisch-physikalischer Natur sind.
Fragment 10
I 55: Oder du machst as an Baum. Die Frage, in welcher Reihenfolge diese Anforderungen verwirklicht wer-
2 (1.0) den sollen, wird in den Lehrbüchern nicht behandelt. Die Übersetzbar-
--> 3 58: Ja. Der gilt net. ahhaha keit der Regeln in praktisches Handeln bleibt dabei offen bzw. wird offen-
bar als selbstverständlich machbar behandelt."
In beiden Gesprächsausschnitten schließen die Teilnehmer (T) die Ver-
wendung eines Baumes, der sich unmittelbar an der Felswand befindet. als Unsere bisherige Diskussion des Vorgehens bei der Suche und
Sicherungs punkt aus. Festverwurzelte Bäume werden ansonsten gerne für Auswahl von Fixpunkten hat gezeigt, daß sich in der konkreten
den Standplatzhau genommen, sofern sie sich in günstiger Position im
Ausbildungssituation die Kletterer systematisch Beschränkungen
Gelände befinden. Ohne daß ein Ausbilder explizit ein solches Verbot
gegeben hätte - wie etwa im Falle der Hakenverwendung (Fragment 9, auferlegen hinsichtlich der Nutzung des besonderen Settings für
12 3) _, erkennen bzw. demonstrieren die Kursteilnehmer, daß dies in
ihre Zwecke. Sie wechseln nicht einfach den Fleck, an dem sie
dieser Situation ein »illegitimer« Gebrauch des Settings wäre. nach Fixpunkten suchen, sondern verpflichten sich auf den spezi-
fischen Ort. Ein Baum wird nicht als Sicherungsplatz genommen,
Für einen »Lernenden« in einer Unterrichtssituation geht es of- auch wenn er so fest wie ein einzementierter Bohrhaken wäre. 12
fenbar nicht darum, allgemeingültige und eindeutige Entschei- Dies bedeutet, daß die Teilnehmer damit beschäftigt sind, einan-
dungen zu fällen. Vielmehr müssen die Auszubildenden dafür der (und natürlich dem Ausbilder) zu zeigen, daß sie die Regel
sorgen, daß das, was sie sagen und tun, an Ort und Stelle als kennen und daß die gefundene Lösung als »Kräftedreieck« (und
»vernünftig«, »überlegt. und »regelgerecht. behandelt werden nicht als Baumsicherung) darstellbar undbeurteilbar wird.
kann. Kletterer stellen in der Praxis ihre Kräftedreiecke nicht nach den
Lehrbuchregeln her. Auffallend an den von uns beobachteten
I. 3
Die Sicherung - der settingsspezifische Gelegenheiten des Standplatzbaus war es, daß während der Aus-
Umgang mit Regeln wahl eines Fixpunktes entsprechende Lehrbuchanweisungen von
Als Ausbildungsteilnehmer sind die Kletterer der untersuchten. keinem der Beteiligten angesprochen werden. Sie werden augen-
JL-Fortbildung damit beschäftigt, einen Standplatz rege/gerecht scheinlich nicht benötigt. Erst nach der Auswahl und Einrichtung
einzurichten. eines Ankerpunkts ist dies gelegentlich zum Thema gem·acht wor-
Eine Durchsicht ein~chlägiger Lehrbücher des Felskletterns (Sturm/Zintl den. Auch Bergsteigerregeln dienen offenbar eher der Rekon-
1979; Fuchs 1981; Schubert 1982) zeigt, daß dem Ablauf der Standplatz- struktion von Ereignissen als der Anleitung konkreter Hand-
einrichtung wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Standplatz wird lungsvollzüge (dazu allgemein Zimmerman/Pollner 1971).
nur als klettertechnisches, nicht auch als besonderes soziales Herstel-
lungsproblem oder gar als ein pädagogisch relevantes Phänomen betrach- Dies ist im folgenden Ausschnitt der Fall. 55 hat zunächst einen Keil in
tet. Die Autoren behandeln als selbstverständlich, daß ein Kletterer bei einen Riß gelegt und stellt erst hinterher fest, daß sich von einem solchen
Fixpunkt aus kein geeignetes Kräftedreieck bauen läßt.
der Anlage eines Standplatzes
_ erst beginnt, wenn er einen Fleck vor der Felswand ausgesucht hat, von Fragment 11
dem aus er hochklettern will; I 5'5: Des werd net gscheit
_ seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf das Gestein richtet und andere 2 55: (-2-)
Möglichkeiten ausblendet, zu einem Fixpunkt zu gelangen; 3 S8: Na. Fallt der nach unten? Hat der en Zug nach unten?
_ das Gestein als »unveränderbar~ und »gegeben« behandelt, das heißt 455: = Na: eben ( )
Risse, Ösen und Wülste im Fels »entdeckt«, statt sie auszuwählen. (

97
5 58: net ziehen auch andere Regeln angeführt bzw. diesbezüglich als »veraltet«
6 (- 1 -) oder »technisch überholt« gekennzeichnet werden können.
7 55: eben net. Gerade der Standplatzbau bzw. die besonderen Anseiltechniken bei der
8 58: weil wenn er n Zug nach unten hat, na wars net schlecht
Sicherung des Kletterpartners sind gute Beispiele dafür, wie sich Regeln
9 ( .. ) für »richtigen« und )falschen« Umgang mit der Zeit, dem Setting und der
55 zeigt an, daß er den gewählten Fixpunkt als nicht angemessen betrach- Situation ändern können. Während in früheren Jahrzehnten Änderungen
tet, Dies führt er nicht weiter aus. 58 - sein Seilpartner - lehnt dies ab recht langsam und meist als Folge (spektakulärer) Unfälle erfolgten, wird
("Na.« - 3), doch beginnt er erst jetzt nach Gründen für die vorangegan- mittlerweile die Entdeckung von Sicherheitsregeln routinisiert. Im DAV
gene Äußerung von S5 zu suchen. Durch Ziehen am Keil macht S5 deut- beispielsweise werden von einer eigenen Abteilung, dem »5icherheits-
lich, daß S8 den Grund seiner Selbstkritik (I) gefunden hat. S8 ist aller- kreis«, systematisch Sturzversuche unternommen und dabei das verwen-
dings überzeugt, daß der Keil trotzdem festsitzt, weswegen er S 5 - den dete Material geprüft. Ein hauptamtliches Team von Bergführer-Ausbil-
Führer - auffordert, den Keil so zu belassen, wie er ist (5). Erst als ihm dern ist unter anderem mit dem Austüfteln neuer (bzw. der Systematisie-
dieser widerspricht (6-7), beruft sich 58 auf eine Regel des 5tandplatzbaus, ~~mg bereits bekannter) Sicherungstechniken beschäftigt. Die Folge ist die
ohne diese allerdings vollständig auszubuchstabieren (8): Ein Sicherungs- Ubertragung von DIN-Normen auf die Produktion von Bergsteigeraus-
keil muß im Gestein in der Richtung verklemmt werden, in der eine rüstu.~g (und damit ihre mögliche Durchsetzung im' Rahmen der EG mit
Belastung im Falle eines Seilsturzes zu erwarten ist. der Ubernahme durch andere Bergsteigerverbände). Daraus folgt aber
Es muß nicht nur die passende Regel für das jeweilige Hand- auch, daß sich Ausbildungsrichtlinien rasch ändern und z. B. in einer
Fortbildung Regelungen für »veraltet« oder »risikoreich« erklärt werden
lungsergebnis gefunden werden; zugleich müssen andere mögli-
können, mit welchen die Teilnehmer bis dahin »sicher« und »relativ risi-
che Erklärungen und Regeln ausgeblendet werden. Die Auswahl kolos« im Gebirge ausgekommen sind oder aber mit denen sie außerhalb
einer Regel ist keine einsame Führerentscheidung, sondern bedarf der Ausbildung weiterhin gut auskommen.
der Zustimmung der Seilpartner, damit das Ergebnis als geordnet,
verbindlich und sachlich notwendig behandelt werden kann. Der Durchsetzung neuer Regeln sind allerdings vor Ort durch
Durch die wechselseitige Ratifizierung wird die »Regel« erst als das spezifische Setting Fels und die normative Verpflichtung auf
geltende konstituiert und zugleich als Beurteilungskriterium der unmittelbare Erreichbarkeit Grenzen gesetzt. Ein Ausbilder, der
Richtigkeit bisherigen Handelns bestätigt. nicht eindeutig an Ort und Stelle zeigen kann, daß andere als die
In einer Ausbildung werden die Aufgabenlösungen wie ihre ein- bisher bekannten Regeln zum Standplatz bau »richtiger« sind,
zelnen Schritte für die Teilnehmer begründungspflichtig. In einer kann einen Verzicht auf den gewohnten Umgang mit dem Setting
solchen Situation genügt es dann nicht, daß auf die Frage an einen nicht erreichen. .
Standplatzbauer, ob ein Fixpunkt »hält«, eine Antwort erfolgt
»Ich mein scho«. Es müssen gute Gründe - und dazu zählen
eventuell Lehrbuchregeln - angegeben werden können, warum 2. »Lehren« am Fels
ein Fixpunkt gerade so und nicht anders eingerichtet wurde. Al-
lerdings führt dies nicht dazu, daß einschlägige Regeln »vollstän- Nicht allein an das Lernen und seinen praktischen Vollzug wer-
dig« wie eine Checkliste zur Ergebnisprüfung herangezogen wer- den im Fels andere Anforderungen gestellt; die Methodizität des
den. Es genügt auch für pädagogische Situationen im allgemeinen Lehrens verändert sich ebenfalls. Die Schwierigkeit eines Ausbil-
durchaus, wenn eine »gute Gestalt« (das »Kräftedreieck«) de- ders außerhalb von Unterrichtsräumen besteht darin, daß er nicht
monstriert und dokumentiert werden kann bzw. daß dafür ir- nur von der Interaktionsstruktur her, sondern auch im Hinblick
gendeine der einschlägigen Regeln in Frage kommt. auf das Setting die Situation als pädagogische kenntlich machen
In diesem Zusammenhang wird ein weiterer Aspekt der schon muß. Während didaktische Diskussionen um das richtige Vorge:
erwähnten Revidierbarkeit von Entscheidungen relevant. Es zeigt hen in der Ausbildung stets vom »Lerninhalt«, den »Methoden«
sich nämlich, daß für die Produktion einer guten Gestalt immer und der Gestaltung einer Situation als Unterricht ausgehen, wird

98 99
das Setting, in dem dies geschieht, als selbstverständliche »Rand- Das Verschwimmen der Grenzen zwischen Wissensvermittlung,
bedingung« für pädagogische Intentionen betrachtet bzw. uner- Gruppendynamik und Spaß ist in solchen Fällen nicht nur ein
wähnt gelassen. Problem der Bestimmung des pädagogischen Ertrags durch den
Ausbilder allein. Vielmehr lassen sich diese Irritationen hinsicht-
2.1 Die settingspezifische Nutzbarkeit lich des unpädagogischen Gebrauchs der Pädagogik angesichts
von Rollenspielen gegebener praktischer Umstände bei allen Beteiligten in der Si-
Anerkannte pädagogische Methoden können in bestimmten Set- tuation selbst beobachten: Kursteilnehmer beginnen dann Pro-
tings fehl am Platz sein. Unabhängig von irgendwelchen Lernin- grammpunkte einzuklagen, Ausbilder pochen auf die Ernsthaf-
halten oder verfügbaren Lehrmaterialien darf ein Kursleiter nicht tigkeit der Situation, fordern Unwillige zum Mitmachen auf oder
unberücksichtigt lassen, was üblicherweise von kompetenten Be- bremsen Übereifrige.
nutzern dieser Orte (hier: Kletterer) erwartbar und normativ ein- Angesichts dessen haben wir das folgende Fallbeispiel einer JL-
klagbar ist. Fortbildung des DA V nicht deshalb ausgewählt, weil es beson-
Diese Ortsabhängigkeit des Methodengebrauchs wird gerade in ders repräsentativ wäre für die Jugendarbeit dieses Verbandes,
einem besonders modernen Feld »praxisnaher pädagogischer Me- sondern weil es exemplarisch zeigt, wie eine Situation umkippen
thoden«, der Gruppendynamik, übersehen. Entsprechende Vor- kann und was geschieht, wenn eine Methode rein nach dem Lehr-
gehensweisen gelten als überall einsetzbar. Ihr Einsatz wird auch buch angewendet wird.
außerhalb der angestammten Orte (z. B. Seminarräume und ande-
In einer Kurseinheit »Konflikte in der Gruppe« sollten sich die Teilneh-
rer pädagogisch arrangierter Räume) propagiert. Kursteilnehmer
mer einer JL-Fortbildung Gedanken machen über ihre Rolle als Leiter,
sollen in Fortbildungen »Erfahrung mit der Wirklichkeit« sam- unterschiedliche Interessen von Jugendgruppenmitgliedern und einen ty-
meln und lernen, solche Methoden in ihrem Alltag bzw. den pischen »Konflikt« unter Sportkletterern: Gute Kletterer steigen in der
Routinegeschäften »praktisch anzuwenden« und ihre »Probleme Regel als Seilerste voraus, während weniger Geübte die Rolle von »Siche-
in und mit der Gruppe« zu lösen." rungsknechten« (wie es im Jargon heißt) übernehmen. Das heißt, Seil-
Während sich Ausbilder im DA V und in anderen Freizeitorgani- zweite erhalten vom Kletterbesten wenig Chancen, vorzusteigen und da-
sationen programmatisch darum bemühen, derartige wissen- bei selbständiges Klettern zu üben. Neulinge erhalten oft erst gar nicht die
schaftlich abgesicherte Erkenntnisse, Vorgehensweisen und ein- Gelegenheit, zum »Sicherungsknecht« aufzusteigen. Innerhalb des Ver-
schlägige Hinweise auf Ausbildungserfolge in ihre »Praxis«' bandes verstößt ein solches Verhalten gegen das erklärte verbandliehe
Anliegen der Integration neuer Mitglieder in die Aktivitäten bestehender
umzusetzen, »wissen« sie doch wie jeder Bergsteiger, daß Ken-
Gruppen (»keine Cliquenwirtschaft«) und gegen das Ziel, Lernbedingun-
nenlern-, Aufwärm- und Rollenspiele im Eisbruch oder am Fels gen für eigenverantwortliches Klettern (»Vorsteigen«) zu schaffen.
»irgendwie« fehl am Platze sind und besser in Unterrichtsräumen Eine der Kleingruppen bereitete dazu auf Anregung des pädagogischen
stattfinden sollten. Ausbilders ein Rollenspiel vor. Das Stück sollte über den Ausschluß eines
An mißglückten Versuchen, außerhalb von Unterrichtsräumen Kletterneulings aus einer vierköpfigen Sportkletterclique gehen. Drei
derartige Methoden pädagogisch einzusetzen, läßt sich zeigen, Rollen wurden festgelegt (der »Anfänger«, der .Kletterbeste« und der
inwiefern im besonderen Setting Gruppendynamik Jehlplaziert »Jugendleiter«). Während der »Anfänger« versuchen sollte, an der jeweili-
sein kann. In solchen Fällen kommen Gruppenprozesse in Gang, gen Gruppenunternehmung wie alle anderen teilzunehmen,der »Kletter-
ohne daß genau angegeben werden könnte, ob es sich noch um beste« diese Versuche zu vereiteln hatte, sollte der »Jugendleiter« eine
vermittelnde Position zwischen beiden einnehmen. Die übrigen Kursteil-
»Ausbildung« oder schon um ein »Freizeitvergnügen« handelt.
nehmer erhielten vom Ausbilder die Anweisung, das Verhalten der Rol-
Ein Rollenspiel um »Konflikte in der Gruppe« geht daneben, weil lenspieler zu beobachten, um in einer anschließenden Gruppendiskussion
am besonderen Ort eben doch nicht alle gleich behandelbar sind darüber Auskunft zu geben, was ihnen aufgefallen sei, worum es den
und die Teilnehmer am Berg ihre Aktivitäten nicht so koordinie- Akteuren gegangen sei, welchen »Konflikt« sie gesehen hätten und welche
ren, w:e es ein »demokratischer Führungsstil« erfordern würde. »Lösungen« es dazu gebe. '

100 101
Alle Kursteilnehmer versammelten sich um die Spielgruppe und konnten Die Kurseinheit hatte keinen »guten Schluß« gefunden. Obwohl
so die Szene »Anseilen am Einstieg« aus unmittelbarer Nähe miterleben. der Ausbilder erreichen konnte, daß sich die Kursteilnehmer
Kurz nachdem einer der Akteure angekündigt hatte, man werde sich nun spontan auf ein Rollenspiel eingelassen und dieses mit Begeiste-
anseilen, hatte der »Kletterbeste« schon seinen Klettergurt angelegt und rung geplant und gespielt hatten, wobei auch das Publikum inter-
das Ausrüstungsmaterial umgehängt. Er begann nun in die Runde zu
essiert zusah, war das Lernziel (Einsicht in Gruppenkonflikte
fragen, wer mit wem sich zu einer Seilschaft zusammenschließ~ und wer
ihn sichern könne. Man einigte sich darauf, daß der »Jugendleiter« noch und Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten) irgendwie nicht er-
einen und der »Kletterbeste« die zwei anderen einschließlich des »Anfän- reicht worden. Die Diskussion war nicht richtig in Gang gekom-
gers« ans Seil nehmen sollte. Daraufhin teilte der »Kletterbeste« zur ~i­ men, die dargestellte Situation war nicht eindeutig von den Teil-
cherung einen aus der »Clique« und als Seilletzten d:n »Anfänger« e.m. nehmern als »Konflikt« identifiziert worden, obwohl alle Betei-
Dieser erhob dagegen Einwände: Er wolle gern vorsteigen und traue sIch ligten das gewählte Beispiel als »exemplarisch« für Beziehungen
dies auch hier zu. Der »Kletterbeste« lehnte kategorisch ab, worauf der in Klettergruppen anerkannten. Die WIrklichkeitsnähe der Bühne
»Jugendleiter« eingriff und darauf hinwies, jeder soll~. einmal.Gelege~~eit und des Stücks hatte ein Paradox erzeugt: Je mehr das Rollenspiel
zum Vorsteigen erhalten. Der »Kletterbeste« schwachte seme Position Praxisnähe simulierte, desto mehr erschien das Lernziel (Integra-
etwas ab: Der »Anfänger« könne schon einmal das Vorsteigen versuchen,
tion von Anfängern in die Gruppe bzw. Lehren des Vorausklet-
müßte sich aber dazu auf ein andermal gedulden. Der so Eingeteilte prote-
stierte und forderte nun, daß man ihm Gelegenheit zum Vorsteigen gebe, terns) als wirklichkeitsfremd. Die Spielanweisung »einen Kon-
was wiederum abgelehnt wurde. Diese Szene dauerte etwa IO Minuten flikt darstellen« beinhaltete zugleich eine ganz besondere Form
und wurde von den Akteuren abgebrochen, nachdem sich die Forderun- der Verfremdung: Die Akteure sollten sich so verhalten, wie sie
gen des »Anfängers«, die Ablehnungen des »Kletterbesten« und die Ver- dies bei normalen Klettereien in der Gruppe tun; sie sollten dies
mittlungsversuche des »Jugendleiters« mehrmals wiederholt hatten. jedoch als »ungleiche Behandlung« verstehen und als »Konflikt«
In der anschließenden Diskussionsrunde, die am selben Ort stattfand, lud inszenieren. Die »Konfliktlösung« sollte dann darin bestehen,
der Ausbilder die Umsitzenden dazu ein, sich reihum zum Rollenspiel zu daß sich die Spieler nicht mehr so wie üblich, sondern als Gleiche
äußern. Alle hatten verstanden, daß es um den Ausschluß eines Anfängers am Berg behandeln. Im Felsgelände stellte sich jedoch der gegen-
aus einer Gruppe guter Kletterer gegangen war. Viele erinnerten sich, daß
teilige Fall ein.
es ähnliche Vorfälle in ihren Gruppen schon einmal gegeben habe, doch
konnte sich keiner entsinnen, daß dies oder auch das Rollenspiel ein
»Konflikt« in der Jugendgruppe oder für einen JL sein sollte. Einige Vergleicht man das Verhalten der Rollenspieler mit Jenem, das
meinten, eine solche Situation könne für einen einzelnen schon manchmal üblicherweise beim Anseilen gezeigt wird, dann läßt sich verste-
einen Konflikt darstellen; in einem solchen Fall sollte ein JL versuchen, hen, warum» Verfremdungseffekte« hier nicht den gewünschten
»darüber zu reden«. Andere bezweifelten, ob man dies überhaupt als Lerneffekt hervorrufen: Rollenspiele, wie gruppendynamische
»Konflikt« bezeichnen könne oder ob nicht die Diskussion über andere Methoden generell, sind auf die Entfernung von »Störvariablen«
Dinge viel ergiebiger wäre. Einer weigerte sich, überhaupt zu einem sol- angelegt und damit auf signalisierte Differenz zur Ernstsituation.
chen Thema etwas zu sagen. Er schwieg trotz mehrmaliger Anfragen.
Rollenspiele stellen geradezu pädagogische Mittel dar, um das
Rund eine Stunde dauerte die Gruppendiskussion, und sie zog sich nach
Setting zu eliminieren bzw. durch den Bühnenbau und die Requi-
unseren Beobachtungen überaus zäh dahin: Je weiter die Runde vor-
rückte, desto mehr bestätigte der Angesprochene seinen Vorredner. sitenwahl dieses der intendierten Spielsituation anzupassen. Erst
Lange Pausen entstanden zwischen den einzelnen Redeheiträgen, u~d dadurch erhalten sie ihre Plausibilität und Relevanz. Teilnehmer
immer größer schienen die Zweifel zu werden, was denn unter »Konfltkt müssen ihre »Beziehungen« und ihre .Persönlicheit«, nicht das
in der Gruppe« zu verstehen sei und ob man eine solche Situation, wie sie Setting zum Thema machen. Ein Unterrichtsraum und seine Aus-
eben gespielt worden war, tatsächlich »anders« gestalten. sollte. <;iege.n stattung kann vielleicht zur Überbrückung von Schweigen bzw.
zwölf Uhr wiesen einige Teilnehmer den Pädagogen auf dIe Uhrzeit, die in der Anwärmphase von den Anwesenden thematisiert werden,
Möglichkeit einer Mittagspause bzw. die anstehend"e alpine Kurseinheit nicht jedoch dann, wenn explizit .Selbsterfahrung« (»50zialtrai-
hin, die für den Nachmittag anberaumt war. ning« etc.) auf dem Programm steht.
102
Umgekehrt bleiben beim normalen Klettern typischerweise sol- kompetenten Bergsteigern nicht »Beziehungen« diskutiert werden, son-
che Themen ausgeklammert, in denen es um Beweggründe für em dern sich auch nicht den Anforderungen des Settings gemäß verhalten
Handeln (»Warum kletterst du?«), Persönlichkeitsfragen (»Was (» Wie lange dauert das Holen der Seile«, .Ist die Tour noch bei Tageslicht
zu schaffen« etc.). Er hatte sich vielleicht als Pädagoge, aber nicht als
macht das mit dir, wenn du vor so einer Felswand stehst?«) oder pädagogischer Alpinist ausgewiesen und war so zum »Fachidioten.« ge-
Beziehungsprobleme (»Warum bist du jetzt so aggre~siv z? mir«) worden. Eine» Verwendungssituation«< war nicht zustande gekommen.
geht. Kletterer beziehen sich d~rchaus .auf »P~rsönhch~elt« un.d Unabhängig davon, ob er das Fehlen der Seile beim Abmarsch von der
»Beziehung« (»soziales Bergsteigen«), sie tun dies aber, mdem Sie Hütte bemerkt hatte oder nicht, kann es einem Ausbilder angelastet wer-
sich erkennbar auf das Setting hin orientieren. Die Situation wird den, daß er es versäumt, die Ausrüstung der Auszubildenden zu kontrol-
hier sozusagen dem Felsgelände angepaßt, nicht umgekehrt, was lieren. Selbst wenn selbstverantwortliches Rucksackpacken oder Ausrü-
übrigens auch eine gewisse Wortkargheit bzw. einen Wechsel von stungskontrolle das Lernziel einer Ausbildung sein sollte, bleibt der Aus-
verbalen zu nonverbalen Verständigungsmodi nahelegt (vgl. Kap. bilder für den reibungslosen Ablauf eines Kurses verantwortlich.
I!. 3). . . Offenbar sind (pädagogische) Rollenspiele nur unter drei Bedin-
Ein Kletterbester, der sich weigert, einen Anfänger vorsteigen zu gungen im Felsgelände ·realisierbar: wenn »Beziehungen« insze-
lassen, macht deutlich, daß er das Setting ernst nimmt und einen niert werden, die nichts mit Aktivitäten zu tun haben, die in
möglichen Unfall verhindern will. Das Gegenteil zeigt ein Anfän- einem solchen Gelände üblicherweise erwartbar sind; wenn expli-
ger an, wenn er auf dem Vorsteigen gegen den Rat des Kletterbe- zite Anweisung gegeben wird, in der Inszenierung die settingspe-
sten beharrt. Am Fels hat sich der weniger Erfahrene am Geübte- zifischen Maximen (z. B. Vorkehrungen für die Sicherheit der
ren zu orientieren. Ein Jugendleiter, der sich in einer solchen Anwesenden) zu mißachten, oder wenn Aktivitäten, die am be-
Situation zum Fürsprecher des Anfängers macht, schafft einen sonderen Ort üblicherweise beobachtbar sind, von Leuten ge-
Konflikt statt ihn zu lösen. Seine Intervention markiert ihn selbst spielt werden, die sich kaum im Gebirge auskennen (wie es etwa
als jema~d, der nicht richtig weiß, welche Rangordnung die Tour bei Teilnehmern der »Kurzschulen« und der dort propagierten
erfordert. Er weckt zugleich Irritationen im Hinbhck auf solche »Erlebnispädagogik« der Fall ist - vgl. Händel 1986).
Bergsteigermaximen, die sich auf die ~Sic?erheitsauflage~« Wie ein Ausbilder in einer Unterrichtssituation sein Vorgehen als
(Standplatzbereitung, Ausrüstung, Kletteremteilung etc.) bezie- »Pädagogik« identifizierbar macht und zugleich das vermittelte
hen und die jeder Bergsteiger in einem solchen Gelände zu beach- Wissen als Teil des gemeinsamen Wissensvorrats der Bergsteiger-
ten hat will er nicht als fährlässig oder unerfahren erscheinen. Ein gemeinde markiert bzw. bei den Kursteilnehmern durchsetzt,
Rollen~piel trotzdem im Felsgeländ~ durchfüh;en zu I~ssen h~e.ße stellen wir abschließend an drei zumindest für unser Material
dann, sich der paradoxen InterventiOn zu bedienen: die Betelhg- typischen Verfahren dar, mit denen ein Kursleiter eine formale
ten erhalten nämlich die Aufgabe, sich genau gegenteilig zu dem Unterrichtssituation an das Felsgelände anpaßt: Das besondere
zu verhalten, wie sie es bisher gewohnt waren. Um dem zu ent- Setting wird pädagogisch arrangiert und durch die jeweiligen Ver-
sprechen, hätten sie 'sich dann beispielsweise ausschließlich am fahrensanweisungen als kletterbar formuliert; schließlich wird
»Erlebnis« oder am »Spaß« statt an der »Unfallfreiheit« zu orien- das Klettern selbst als moralische Aktivität gekennzeichnet.
tieren. Dadurch droht ein solches Vorgehen aber die realistische
Grundintention jeder pädagogischen Bemühung - eben auch der
verfremdeten - zu gefährden. 2.2 Das pädagogische Arrangement des Geländes
Noch bevor ein Kurs im Fels beginnt, treffen die jeweiligen Leiter
Die Normativität des Ortes hatte nicht nur der pädagogische Ausbilder Vorkehrungen gegen mißliebige Überraschungen bei der Wis-
mit seinem Rollenspiel zu »Konflikten in der Gruppe«, sondern auch der
Ausbilder aus unserer ersten Geschichte übersehen, als er am Einstieg zu
sensvermittlung, gegen mögliche Gefährdungen der Ausbil-
einer Klettertour eine Gruppendiskussion zu einem Ausbildungsthema dungsteilnehmer und damit gegen eine Thematisierung des Si-
veranstalten wollte. Er hatte nicht nur übersehen, daß am Einstieg von cherheitsaspekts, die nicht im Lehrplan vorgesehen ist.

1°4 1°5
Für Kletterkurse gibt es auf diese Weise einige Faustregeln für die Aus- det, arrangiert er diese SteHe für die Teilnehmer. Regelgerecht handeln
wahl eines Übungsortes: Das Gelände muß Gelegenheit für schwierige, kann im Felsgelände auch heißen, daß am jeweiligen Ort (z. B. für die
aber gefahrlose Klettereien kurz über dem Erdboden (»Bouldern«) bieten. Anlage eines Kräftedreiecks) eine »Ausnahme« von einer zu explizieren-
Die wohl wichtigste Maxime ist jedoch, daß ein Ausbilder alle Teilnehmer den Kletterregel gemacht wird. Dadurch wird die Gültigkeit der Regeln
im Blick haben und für sie sichtbar präsent sein muß. wiederum reflexiv bestätigt. Ein Ausbilder, der nicht am Ausbildungsort
Die Auswahl des besonderen Ausbildungsortes muß im Fels von den Auszubildenden umstandslos erreichbar ist, besitzt diese Mög-
lichkeit der kompetenten Regelverletzung nicht.
sichtbar der Maxime genügen, wonach ein Ausbilder für die Si-
cherheit der Teilnehmer zu sorgen hat. Durch die Auswahl des Felsgeländes sorgt ein Fortbilder dafür,
Rollenspiele im Felsgelände verletzen die Maxime, daß für die »Sicher- daß die Teilnehmer seinen Ausführungen ungeteilte Aufmerk-
heit« der Beteiligten zu sorgen ist. Solange Rollenspiele in Unterrichtsräu- samkeit schenken können, ohne - wie unter Bergsteigern üblich-
men stattfi~den, behandeln die Beteiligten die »Sicherheit« dieser Orte als zugleich ein ständig wachsames Auge auf die Umgebung zu ha-
selbstverständlich. ben. Er trifft Vorkehrungen gegen Unterbrechungen, die als
Die Teilnehmer müssen zwar sehen, daß es sich nicht um eine »Notfall« behandelt werden müssen und die Thematisierung ganz
Gartenmauer handelt, an der sie üben, sondern um eine Fels- anderer als der vorgesehenen Lehrinhalte erfordern (vgl. Merritt
wand, sie müssen jedoch zugleich 'den Eindruck gewinnen, daß '982). Demonstrationsstandplätze oder Kletterstellen werden
für ihre Sicherheit Sorge getragen ist. Gängige Indizien sind die deshalb vor Kursbeginn eingerichtet.
erwähnte sichlbare Präsenz des Ausbilders, ein Gelände, das es
Zufällig erlebten wir in der untersuchten JL-Fortbildung, wie die Einrich-
erlaubt, um ddn Kursleiter herumzustehen und seine Erläuterun- tung des Ausbildungsortes während eines Kurses unliebsame Überra-
gen zu verfolgen, sowie ein offensichtlich festes Gestein, das kei- schungen für Ausbilder mit sich bringen kann und wie dies die Vermitt-
nen Steinschlag erwarten läßt. lung eines Stoffs gefährden kann (vgl. Fragment 7).
Das pädagogische. Arrangement des Felsgeländes durch einen Einer der Ausbilder (A2) war mit der Einrichtung eines Toprope nicht
Ausbilder ist für die Auszubildenden normativerwartbar, das ganz fertig geworden, so daß der andere (AI) mit der Einführung in die
heißt, es wäre für sie notizwürdig, wenn sich in einer Unterrichts- Programmeinheit begann, ohne den Abschluß der Vorbereitung abzuwar-
situation das Gegenteil herausstellen würde. Die Teilnehmer ori- ten. A2 kam nun - unbeabsichtigt - gerade in dem Moment in Kletter-
entieren sich in ihren Aktivitäten erkennbar auf ein solches Ar- schwierigkeiten, als AI Ausführungen zum Thema »Sicherungstechnik«
rangement. So konnten wir beobachten, wie ein Großteil der machte und die Notwendigkeit betonte, auch bei (kurzen) Toprope-Tou-
ren besonderes Augenmerk auf die Einrichtung von (weiteren) Sicherun-
anwesenden Jugendleiter zu Beginn der Unterrichtseinheit keinen
gen zu legen.
Helm trug. Das Wirken solcher institutioneller Erwartungen In der Art und Weise, wie AI seinem Kollegen offensichtlich keine Hilfe
macht auch verständlich, warum die Teilnehmer bei der Suche mehr anbieten konnte, nachdem er schon 15m über dem Erdboden unan-
nach einem Fixpunkt (vgl. Kap. n) nicht den einmal gewählten geseilt nach einem Ausweg suchte, wurde der Ernstcharakter der Ausfüh-
Platz ani Fels wechseln und statt dessen weiter nach Ankerpunk- rungen zum Lerninhalt unterstrichen und zugleich widerlegt. Mit der
ten suchen. Verletzung der Siche,rheitsmaximen durch einen Ausbilder wird nämlich
Sie alle stellen ihr Handeln auf jene Prämisse der Ausbildungssi- ein Kontrast zwischen dem intendierten Lernstoff erzeugt, wonach »Si-
tuation ab, daß ein Kursleiter bestimmte Verpflichtungen für die cherungstechniken« wesentlich sind, um am besonderen Ort klettern zu
Einrichtung des Settings übernimmt und eben deshalb eine Auf- üben, und dem, was ein »guter Kletterer« macht, wenn er »schnell noch
ein Toprope legen« will. Die bisherige Praxis wird bestätigt und die päd-
gabe (Einrichtung eines Standplatzes) am besonderen Ort grund- agogische Intention ironisiert.
sätzlich lösbar ist.
Eine solche Lösbarkeit kann auch an Ort und Stelle vom Ausbilder selbst Die Unterbrechung hatte - unbeabsichtigt - vor Augen geführt,
demonstriert werden. Indem er eine scheinbar gar nicht oder nur um- daß das Gelände nicht gänzlich pädagogisch vorarrangiert war,
ständlich zu bewältigende Kletterstelle elegant und regelgerecht überwin- sondern grundsätzlich als »gefährlich« behandelt werden mußte.
106
2.3 Alpinistische Pädagogen dann, wenn Ausbilder für ihre Adressaten im Zeitlupentempo
als praktische Theoretiker klettern bzw. einzelne Bewegungen wie im Zeitraffer besonders
Kursleiter müssen innerhalb einer Fortbildung am Berg den Teil- herausheben.
nehmern deutlich machen, daß ihre Erklärungen nicht nur Alpinistische Ausbilder bedienen sich darüber hinaus in ihren
»Theorie« und daß sie selbst eben auch »Praktiker« sind. Sich als Kursen eines rhetorischen Stilmittels, um den übrigen Anwesen-
»praktischer Theoretiker« zu erweisen mag wissenschaftstheore- den ihre Klettererfahrung anzuzeigen. Wie andere Bergsteiger
tisch eine schwer lösbare Aufgabe sein, als praktisches Vollzugs- formulieren sie den besonderen Ausbildungsort, seine Eigenart
problem aber ist es offenbar sehr wohl methodisch zu bewältigen. und Beschaffenheit als ein anderes Gelände in Relation zu ver-
Wir greifen hier nur drei Aktivitäten heraus, die von Bergsteigern gleichbaren Kletterorten, deren Kenntnis von jedem Beteiligten
(wie Kursleitern) immer wieder dazu verwendet werden, ihre ent- erwartbar ist, sofern er als praktizierender Bergsteiger gelten
sprechende Kompetenz zu signalisieren: das Klettern vor Ort, die will. '4
Formulierung des Kletterortes und das Erzählen von Bergsteiger-
Fragment I2
geschichten. Allerdings bedienen sich alpinistische Pädagogen in
I A I: Es isch halt immer wieder die Gefahr, daß ma irgendwo (.) auf-
besonderer Weise solcher Praktiken. Sie reproduzieren nicht nur 2 schlägt. (I .. ) Mia harn zum Beispiel in Prunn, Konstein, (.) dene
settingübliche Aktivitäten, sondern markieren in deren jeweili- 3 Klettergebiete kaum Schwierigkeite, weils da Toure gibt die sin
gem Vollzug für ihre Adressaten zugleich immer die Differenz 4 alle zwei Meter mit irgendoam sicheren (1.0) Hake auch versehen
ihres Tuns zum normalen Klettern. 5 und ( .. ) da kann eigentlich nix passieren; da kansch die neihetzen
In entsprechenden Fortbildungen gibt es für den Ausbilder genü- 6 (.) oder (1.0) neigehen lassen in was se Luscht und Laune ha(bn).
gend Gelegenheiten, um zu zeigen, wie »gut« er klettern kann, 7 Die fliegen dann halt amal zwei Meter durchd Luft und s passiert
etwa wenn er von Teilnehmern aufgefordert wird, die (be- 8 nix. Und da schaut die Sache ganz andersch aus. (I .. )
hauptete). Kletterbarkeit einer Wandstelle unter Beweis zu stellen. 9 «... »
Auch im untersuchtenJL-Kurs ergaben sich vielfach solche Situa- »Prunn« und »Konstein« sind in Sportkletterkreisen Süddeutschlands ein
tionen. Dabei konnten wir beobachten, daß sogar dann, wenn Begriff. Jeder »Eingeweihte« weiß, daß es dort Routen in den schwierig-
diese als» Time-out«, das heißt als »Pause« oder »Nicht-Unter- sten Graden, festes Gestein und kurze- Seillängen gibt. Beide Gebiete sind
richt«, deklariert wurden, immer noch deutlich blieb, wer Kurs- durch kurze Zugänge zum Fels und ihre Lage im Altmühltal das ganze
leiter und wer Auszubildender war. Ein Beispiel dafür ist etwa die Jahr kletterbar und gelten als ideales Trainingsgelände für Kletterer.
Insofern AI diese Orte erwähnt, ohne danach zu fragen, ob einer der'
unterschiedliche Körperhaltung beim Klettern. Anwesenden sie nicht kennt, macht er sich selbst und seine Adressaten zu
Die Identifizierbarkeit als alpinistischer Pädagoge kann und muß einge- Kennern und »erfahrenen Kletterern«.
denk der Wortkargheit - wie sie den zünftigen Bergsteiger kennzeichnet -
weitgehend wortlos geschehen durch die Art und Weise, wie sich eine Typisch für die Formulierung von Kletterorten und ihrem Ver-
Person während des Kletterns auf die Umstehenden orientiert. Während gleich untereinander ist, daß sich daraus keine detaillierte Lösung
sich zum Beispiel der Teilnehmer ausschließlich auf die Felswand konzen- eines besonderen Kletterproblems prognostizieren läßt. Dagegen
triert, wendet der Ausbilder im Klettern sein Gesicht den übrigen Anwe- erlauben solche Orts beschreibungen Aussagen über die »Erfah-
senden zu. Er bleibt pädagogisch, gleichzeitig aber erkennbar am Berg, rung« des Sprechers und - als Vergleich mit einem aktuellen Klet-
während der Auszubildende allein mit seiner Rolle als Kletterer beschäf-
terort - eine Aussage über die generelle Kletterbarkeit einer
tigt ist.
Wandstelle. Ar indiziert (wie ein normaler Kletterer) in solchen
Die Besonderheit des pädagogischen Kletterns besteht also darin, Äußerungen nicht nur seine eigene bergsteigerische Praxis, son-
daß nicht nur geklettert wird, sondern daß in der Körperhaltung dern zugleich die grundsätzliche Bearbeitbarkeit anstehender
oder im Bewegungsablauf Verfremdungen sichtbar sind, die deut- Aufgaben für die übrigen Anwesenden, ohne Auskunft über das
lieh didaktischer Art sind: Besonders auffällig wird dies etwa besondere Vorgehen für die Lösung geben zu müssen. Damit
108 1°9
macht ein Kletterer die Umrisse einer »Gestalt« (kletterbarer schnitt malt AI auf diese Weise seine Erfahrungen mit Ausbil-
Fels) kenntlich, deren Auffüllung die Kletterpartie (durch Über- dungsteilnehmern an einem anderen (ungenannten) Ort aus:
windung der Wandstelle) zu leisten hat. Fragment [3
Ortsformulierungen können knapp gehalten sein (vgl. Kap. 11.3). 8 AI:« ... » Und da schaut die Sache ganz andersch aus. (I .. ) Recht-
Aussagen wie »da oin neischicke (( ... )) der dem Grad nicht 9 lieh isch des natürlich au itt so oifach; i hab letztschtes Jahr an
gwachse wär« (Fragment I: 32-33) oder "in so em Gelände« (I: 10 Kurs gmacht. (.) allerdings muß i sagen bei sehr viel Regen, hats a
37) sind den Beteiligten mühelos verständlich. Niemand braucht II ganze Woche lang gschüttet. (1.) Da ha i s fascht bloß Toprope
nachzufragen, was denn das Besondere am derart bezeichneten 12 gehe lasse; ja; weils (dort halt itt) möglich war vorzuschteige. Die
Gelände sei (die geologische Schichtung, die Anzahl von Griffen, 13 leichte waren alle naß, und die schwere Toure warn ene z schwer
14 ( .. ) und abissle schmierig und alles (1.0) Na harn mer sehr viel
die Steilheit der Wand etc.). Die Verstehbarkeit ergibt sich dabei
q Toprope gmacht, na kommt natürlich hinterher, da Vorwurf, ja;
nicht (wie dies etwa die Beteiligten selbst erklären) aus einer be- 16 Mir sind zuwenig vorgschtiegen (1.0) Laß i s vorschteigen und s
sonderen Anschaulichkeit eines Geländes, sondern gerade da- 17 fällt oiner nunter, (.) war da Bua vom «führender Verbandsfunk-
durch, daß die jeweiligen Sprecher ganz besondere Aspekte des 18 tionär» 0 no dabei, na heißts, ja ja wie kann der; gell, hh (1.0) Ja,
jeweiligen Ortes hervorheben und so ihren Zuhörern Kontextua- 19 und grad von dem isch zum Beispiel der Vorwurf komme. (.) Die
lisierungshinweise geben, wie indexikale Ausdrücke bzw. die 10 paar Tag wo mer vorgschtiege sind isch er no am letzschte Hemd
Ortsformulierung entschlüsselt werden sollen. Dies kann explizit 21 daghängt und hat Karabiner hänge lasse müasse und Keile weil er
geschehen (»Setzt mal eure Helme auf«) oder auch durch die 22 'hh vor lauter Zittern (1.0) nimmer weiterkomme ischj gell. 'hh
Kombination von Aktivitäten ohne ausdrücklichen Bezug. 23 Problematik. Was mach i. (2.0) S isch für uns itt ganz oifach.
24 «...»
In Fragment I macht ein Fortbilder das Heimtragen für die Auszubilden-
Derartige Geschichten stellen für Bergsteiger eine (häufig verwendete)
den durch die Plazierung einer Ortsformulierung innerhalb einer Rede
über juristische Verantwortlichkeit verpflichtend. In der Einführung zur Lösung dar, trotz der unauflöslichen Kontextgebundenheit und des lako-
nischen Charakters von Entscheidungen im Gelände dennoch über die
untersuchten Programmeinheit fragt er, was grobfahrlässiges Verhalten
eines Felskletterers sei (28-30). T2 meint, dies sei der Fall, wenn er keinen besondere Situation hinaus Handlungsanweisungen geben zu können.
Helm trage (36). Nun bewertet AI seine Antwort nicht nur als »richtig«, Die Beteiligten konstruieren in solchen Äußerungen die moralische Ord-
sondern fügt hinzu, daß dies »zum Beispiel in s.o em Gelände« (37) eben- nung (vgl. Baruch 1981), die im Setting gilt bzw. gelten soll.
falls gelte. ~ie er dies macht (nämlich implizit), zeigt zugleich, daß er Es kennzeichnet gerade Ausbilder, daß sie über einen reichen
nicht »pädagogische Ratschläge« oder »Ausbilderanweisungen« verteilt,
Schatz an »wüsten Kletterstories« verfügen oder auch Klatschge-
sondern in sensibler Weise Maximen des Bergsteigens berücksichtigt, wo-
schichten über bekannte Bergsteiger oder Vereins mitglieder zu
nach es jedem Bergsteiger selbst zu überlassen sei, wie er sich im Gebirge
bewegt und sich selbst vor Gefährdungen schützt. Bis zu diesem Punkt in erzählen wissen (vgl. Dingwall 1977). Freilich sollte jeder Anwe-
der Ausbildung trugen nur die Kursleiter und einige wenige Teilnehmer sende in der Lage sein, solche Erzählungen nicht einfach als einen
einen Helm. Unmittelbar im Gefolge der Äußerung von AI konnten wir »Erlebnisbericht« oder eine »Anekdote« zu hören, das 'heißt als
beobachten, wie ein Großteil der Auszubildenden nach dem Helm griff kleine Auflockerung oder Unterrichtspause. Er sollte sie als Schil-
und ihn aufsetzte. Ohne daß AI eine Erklärung dafür abgegeben hatte, derung der moralischen Ordnung und Normalität beim »pädago-
warum er selbst einen Helm trug, und ohne daß er die Teilnehmer, die gischen Bergsteigen« verstehen. Derartige Geschichten enthalten
dies nicht taten, zurechtgewiesen hätte, hatte er sie auf die Einhaltung der typischerweise ein zentrales Ordnungsprinzip, dem sich alle Er-
Maxime für }}Sicherheit« verpflichtet. ,Die Auszubildenden hatten nicht
eignisse unterordnen; sie lassen sich dann auf ganz bestimmte
nur den Lernstoff bzw. den »Inhalt« der Äußerungen von AI verstanden,
sie hatten auch sichtbar seine Anwendung gelernt.
"Plots« (z. B. der Führer hat immer recht) zurückführen.
Die (pädagogische) Moral der Geschichte in Fragment '3 bestand
Ortsformulierungen sind expandierbar. Sie können zum Aus- beispielsweise darin, daß ein Ausbilder immer das letzte Wort bei
gangspunkt für Klettergeschichten werden. Im folgenden Aus- Entscheidungen zu haben hat und - :mders als beim normalen

110 III
Klettern - kein Rollentausch FühreriSeilpartner in Kursen statt- Der »autochthone« Charakter dieser Kompetenzsysteme (zu die-
finden darf. sem Begriff vgl. Lynch u. a., '985, S. ,85) kann sich in unter-
Ein besonderes Merkmal alpinistischer Ausbildungen, sozusagen schiedlichen »stofflichen» Oberflächenstrukturen ausdrücken; in
ihre »raison d'hre«, ist es, daß ein Leiter nicht allgemein bloß unserem Beispiel etwa in bestimmten Gesprächsformen (»lakoni-
über Materialkunde referiert oder den Gebrauch von Ausrüstung sche Rede«), in räumlichen Verteilungen von Personen (die auf
praktisch trainieren läßt. Er vermittelt nicht irgendeinen Stoff den Ausbilder vor der Felswand zentrierte Halbkreisordnung ei-
oder begründet allein Inhalte, sondern macht dies für den einzel- ner Teilnehmergruppe) oder auch in bestimmten Formen der
nen bzw. dessen Handeln in der Gruppe an Ort und Stelle rele- zeitlichen Koordination und Rhythmik von Aktivitäten (gleich-
vant. Nichtwissen wird als Risiko konstruiert, für das der einzelne mäßiges Steigen, harmonisches Klettern etc.).
Teilnehmer moralisch haftbar ist. Die Vermeidung von Unfällen Die »quiddity« (Garfinkel) einer »Pädagogik am Berg«, das heißt
durch die Anwendung der Lerninhalte (z. B. Sicherungstechnik) das, was» Verwendung« hier ausmacht und was man mit noch so
wird auf diese Weise zur zentralen interpretativen Ressource für vielen Worten nicht abschließend beschreiben kann, ergibt sich -
die Gestaltung der (pädagogischen) Kletteraktivitäten, Ortsfor- wie wir gesehen haben - als Resultat der parallelen Bearbeitung
mulierungen und Geschichten eines Kursleiters. unterschiedlich gelagerter Handlungsprobleme: nicht nur gilt es,
Mit Hilfe des Einsatzes derartiger Praktiken (Klettern, Ortsfor- für die Beteiligten eine Situation als grundsätzlich pädagogische
mulierung, Geschichten erzählen) kann es sich ein Ausbilder er- zu etablieren; die dort ablaufenden interaktiven Prozesse sollten
sparen, ins Detail zu gehen, wenn er Teilnehmern Handlungsan- zugleich auch als alpinistische Unternehmung, und zwar als eine
weisungen und Maximen vermitteln möchte. Dadurch werden die solche in und von Gruppen identifizierbar bleiben. Dieser Ver-
Auszubildenden nämlich darauf verpflichtet, ihre eigene bergstei- mittlungsprozeß hat darüber hinaus in einer solchen Weise zu
gerische Kompetenz unter Beweis zu stellen und selbst den Hin- erfolgen, daß alle Handlungen erkennbar auf das spezifische Set-
tersinn solcher Hinweise bzw. Aktivitäten herauszufinden. Im ting (»Berg«) Bezug nehmen.
Unterschied zu einem Unterrichtsraum kann im Felsgelände der Erst wenn und insoweit alle drei Problemebenen in den und
Lehrstoff nicht ortsneutral behandelt werden. Was an einem Aus- durch die Tätigkeiten der Gruppenmitglieder und Ausbilder be-
bildungsplatz »richtig« ist, kann am anderen »falsch« sein. '5 In- arbeitet werden, wird die »Pädagogik am Berg« als ein objektives
dem ein Ausbilder zeigt, daß er klettern kann und dabei zugleich gesellschaftliches Phänomen erfahrbar. Diese Bearbeitung erfolgt
noch Unterricht zu halten vermag, indem er den besonderen Aus- in der Regel implizit und vielfach kondensiert in einem Arbeits-
bildungsort mit anderen vergleichbar macht und seine Ausfüh- gang. Das heißt beispielsweise, daß durch eine einzige Hand-
rungen hörbar den Lerninhalten unterordnet, zeigt er, daß er in lungsweise, etwa die Plazierung einer Äußerung (»so«) oder
der Lage ist, »pädagogisch« und »praktisch« zugleich zu handeln. Geste (ein Fingerzeig) an einer bestimmten Stelle einer Aktivitäts-
sequenz, Schlußfolgerungen im Hinblick auf alle drei Ebenen
nahegelegt werden. Andererseits sind die geschilderten Anforde-
Implikationen:
IV. rungen an die »Pädagogik am Berg« grundlegend auch in dem
Verwendung als Herstellung von Differenz Sinne, als sie permanente Handlungsprobleme darstellen, die sich
nicht durch einmalige Situations definitionen oder durch norma-
Eine ethnomethodologische Verwendungsforschung, wie wir sie tive Vorgaben erledigen bzw. neutralisieren lassen.
in diesem Beispiel vorgestellt haben, beschäftigt sich mit der em- Auch wenn wir in der Darstellung die Problemebenen nacheinan-
pirischen Rekonstruktion von Kompetenzsystemen, die bei der der abgehandelt haben, bedeutet dies nicht, daß die jeweiligen
praktisch-interaktiven Arbeit vor Ort von den Beteiligten zur Bewältigungspraktiken als singuläre Merkmale zu betrachten wä-
Etablierung und Reproduktion dieser Handlungsform unter den ren, die sich additiv zum Phänomen einer »Pädagogik am Berg«
gegebenen praktischen Umständen eingesetzt werden (können). zusammenfügen. Um ZU verdeutlichen, wie das Verhältnis der
II2 "3
einzelnen Praktiken zueinander, aber auch in Relation zur »Päd- besonderen Situation (z. B. einer Jugendleiterfortbildung im
agogik am Berg« zu denken ist, möchten wir uns einer gestaltheo- DA V) in Abgrenzung zu anderen denkbaren alltäglichen Situa-
retischen Metaphorik bedienen. Nicht additiv, sondern erst in tionen.(zu normalem Klettern) zu etablieren, sich an dieser Diffe-
und durch ihre wechselseitige Aufeinanderbezogenheit werden renz zu orientieren und sich daran abzuarbeiten.
diese Praktiken zu Elementen einer erkennbaren »Gestalt«. Sie Zugleich wird auf diese Weise die andere Seite der Differenzbe-
identifizieren sich sozusagen gegenseitig als aufeinander verwei- ziehung, also die» Wissenschaft«, als objektives soziales Phäno-
sende Elemente eines Ganzen, welches gegenüber einem Hinter- men in der Situation konstituiert. Die Situiertheit und Teilneh-
grund anderer Handlungsformen (des Kletterns, des Unterrichts, merbezogenheit von »Verwendung«, das heißt ihr indexikaler
des alltäglichen Gesprächs usw.) abheb bar wird. Die Aufrechter- Charakter, führt also keineswegs - wie die positivistische Ver-
haltung einer »guten Gestalt« bzw. die Sicherstellung ihrer be- wendungsforschung befürchtet - zu einer Einschränkung der
sonderen Identität relativ zu anderen grundsätzlich präsenten, Objektivität. von Wissenschaft im Zuge ihrer Verwendung. Ge-
aber zeitweise in den Hintergrund verwiesenen Möglichkeiten rade im Gegenteil: die sensible Bezugnahme auf die gegebenen
stellen reflexiv aufeinander bezogene und unabschließbare Hand- praktischen Umstände ist eine notwendige Bedingung dafür, daß
lungsprobleme der Beteiligten dar. »Wissenschaft« überhaupt als soziale Tatsache für alle Beteiligten
Diese Relationierungsprozesse der verschiedenen Anforderungs- erfahrbar und in ihrer konkreten Relevanz verständlich wird.
ebenen bzw. Praktiken folgen keinem eindeutigen Muster und Ganz unabhängig vom eigentlichen Wissenschaftsbetrieb - dem
zeitigen auch kaum eindeutige und vorhersehbare Resultate, analytischen Ansatzpunkt dei Verwendungssoziologie - sind so
schon weil» Verwendung« in jedem einzelnen Fall Verwendung gesehen die Gesellschaftsmitglieder tagtäglich mit» Verwendung«
vor Ort ist, deren Identifizierbarkeit und Rationalität nicht zu- wie mit Produktion von »Wissenschaft«, aber auch mit der
letzt von der Art der Bezugnahme auf die praktischen Umstände Grenz.ziehung zwischen der so konstituierten Wissenschaft und
ihres Vollzugs abhängen. Alle Beteiligten an solchenVerwen- dem, was für sie in der Fortbildungsveranstaltung zu tun ansteht,
dungsprozessen sollten von daher in der Lage und willens sein, beschäftigt.
zumindest zeitweise auch weniger prägnante »Gestalten« von Diesen Umstand der praktischen Konstituiertheit von» Verwen-
Verwendung als »so in Ordnung« durchgehen zu lassen; nur dung« übersehen alle verwendungstheoretischen Modelle, die
wenn sie Vertrauen in den Ablauf bzw. die dafür Verantwort- Wissenschaft als unabhängige Variable konzipieren, die auf ein
lichen investieren, können »Umkipp-Phänomene« vermieden Praxisfeld in welcher Form auch immer einwirkt. Werin Wissen-
werden, also Situationen, in denen unklar wird, was eigentlich los schaft aber nun als eines der Ergebnisse von Verwendungsprozes-
ist und was zu tun ansteht (nicht vielleicht doch ein gruppendy- sen und nicht als deren analytischer bzw. empirischer Ausgangs-
namisches Training oder ein Kurs für Solokletterer). punkt behandelt werden muß, dann folgt daraus notwendig eine
Eine "Pädagogik am Berg« kann nur glücken, wenn alle Beteilige Dezentrierung der Wissenschaft in der Verwendungsforschung.
ten an der Etablierung und Aufrechterhaltung einer Differenz der Darauf verweist auch der Umstand, daß zur Sicherstellung des (in
konkreten Abläufe zu anderen Situationen nicht-pädagogischen unserem Falle) »pädagogischen Charakters« von Ausbildungssi-
Kletterns bzw. nicht-alpinistischen Unterrichts beitragen. Der tuationen nicht auf im engeren Sinne soziahvissenschaftliche Ar-
praktische Vollzug von »Verwendung« besteht somit zu einem gumente und Verfahren rekurriert werden muß, sondern auf
wesentlichen Teil in der permanenten Herstellung einer doppelten Praktiken zurückgegriffen wird, die grundsätzlich jedem Gesell-
Differenz von Wissenschaft und Praxisfeld und zugleich von Pra- schaftsmitglied zur Verfügung stehen.
xisfeld und alltagsweltlichen Handlungsformen. Der Bezugs- Es wird bei Verwendungsprozessen demnach weniger an der
punkt der Differenzerfahrung bleibt dabei immer - und dies ist möglichst genauen Übernahme von Begriffen, Theoremen oder.
wesentlich - das besondere Handlungsfeld (hier: die Bergsteige- Wissensbeständen aus dem Wissenschaftssystem gearbeitet als an
rei). Eine solche Kontrastierung ermöglicht es, die Identität dieser der Feineinstellung der Unterschicdlichkeit von Wissenschaft
"4 I I 5
(aber auch dem gesellschaftlichen Alltag) zu dem, was hier vor der eigentliche gesellschaftliche Ort von» Verwendung« .zu sein.
Ort richtig und zu tun ist. Erfolgreiche »Verwendung« ist im Die Identifizierung solcher hybriden Kontexte und die Rekon-
verwendungssoziologischen Sinne qualifizierte »Nicht-Verwen- struktion ihrer internen Methodizität am empirischen Material
dung«, ein Paradox, das viele der praktischen Probleme der empi- wären wichtige neue Herausforderungen an die Verwendungs so-
rischen Verwendungsforschung bei der »Suche nach der verlore- ziologie und nicht allein lohnende Aufgaben für eine ethnome-
nen Soziologie« (vgl. Kroner/Wolff 1984) in einem neuen Licht thodologische Verwendungsforschung. Damit könnten wesentli-
erscheinen läßt. che Voraussetzungen geschaffen werden zur Untersuchung ver-
»Verwendung« als Etablierung von Differenz ist aber keineswegs wendungssoziologischer Fragestellungen wie: wann und warum
gleichzusetzen mit dem »Unsichtbarwerden« oder dem »Verlo- sich solche hybriden Kontexte herausgebildet haben; durch wel-
rengehen« von Soziologie im Zuge ihrer Verwendung. In der che strukturellen Asymmetrien zwischen den Beteiligten sie sich
Differenzerfahrung bleibt nämlich die Wissenschaft im Verwen- jeweils auszeichnen; wie sich das Verhältnis des Wissenschaftssy-
dungssystem als Horizont immer präsent und sichtbar, wenn stems - speziell der Sozialwissenschaften - zu solchen hybriden
auch sozusagen negativ und in Begriffen eben dieses Verwen- Kontexten darstellt; welche historischen Variationen hier zu kon-
dungssystems. Unsichtbar wird bzw. verloren geht Wissenschaft statieren sind; und worin der konkrete Nutzen sozialwissen-
demnach nur aus dem Blickwinkel einer wissenschaftszentrierten schaftlicher Forschung und Ausbildung im Hinblickauf derartige
Verwendungsforschung. Verwendungsprozesse zu suchen ist. Dies wären möglicherweise
Statt sich auf die Suche nach Beispielen mehr oder weniger identi- auch Fragestellungen, die die verwendungssoziologische Diskus-
scher Reproduktion sozialwissenschaftlicher Bestände in nicht- sion aus dem traditionellen Zwiespalt zwischen Allmachtsphanta-
wissenschaftlichen Handlungssystemen zu begeben, scheint es sien (» Versozialwissenschaftlichung der Gesellschaft«) und Lar-
uns daher sinnvoller, die Erforschung der Formen der Differenz- moyanz (»Trivialisierung und Versickern der Soziologie im Zuge
herstellung und Kontrasterfahrung im Verwendungsprozeß ihrer Verwendung«) herausführen und der Soziologie als Refle-
selbst zum Bezugspunkt empirischer Analysen zu machen. xionswissenschaft einen neuen Akzent geben könnten.
Die Reichweite unserer These von der» Verwendung als Herstel-
lung von Differenz« wird deutlicher, wenn man in Rechnung
Anmerkungen
stellt, daß» Verwendung« zumindest eine doppelte Distanzierung
impliziert: eben nicht nur von Wissenschaft, sondern ebenso vom
I Wir danken Ulrich Beck, Heinz Bude und insbesondere Wolfgang
gesellschaftlichen Alltag. Die Verständigung der Beteiligten im Bonß für die hilfreichen Anregungen. Als Mit-Herausgeber dieses
Verwendungsprozeß beruht ja gerade auf der gemeinsamen Auf- Bandes wurde er nicht müde, Kürzungen einzuklagen und unser Be-
rechterhaltung einer erkennbaren Differenz zu den jeweiligen ge- harren auf der Explizierung des konversationsanalytischen Vorgehens
sellschaftlichen Bezugssystemen, was übrigens ein interaktives subversiv zu unterlaufen. Dies ist ihm dann auch öfter gelungen, als es
und kein kognitives Problem darstellt. »Verwendung« ist also uns lieb war.
nicht mit kognitiver Übereinstimmung (auf welchem Niveau 2 Weil die Relevanz der jeweiligen Abläufe und ihrer Verknüpfungen
auch immer) gleichzusetzen, sondern entsteht als Ergebnis der für die Beteiligten und nicht den soziologischen Beobachter iin Zen-
Abarbeitung bestimmter Handlungsformen. trum des Interesses steht, verlangt die Durchführung solcher Beschrei-
bungen eine gewisse Eigenkompetenz der Untersucher (wie der Leser)
Wie die Beispiele der »Fortbildung« und »Beratung« nahelegen,
im Hinblick auf die Gegebenheiten, wie sie im un'tersuchten Feld
sind diese gesellschaftlichen Handlungsformen relativ autonome anzutreffen sind. Unsere Eigenkompetenz bezüglich des Untersu-
Interaktionssysteme, die sich durch eigene sachliche, soziale und chungsfeldes beruht darauf, daß wir beide in Gebirgsnähe aufgewach-
zeitliche Strukturen auszeichnen.'6 Derartige hybride Kontexte, sen sind, der eine (sw) vielfältige Erfahrungen im Bergwandern sam-
wie man diese Handlungsformen von ihrer Scharnierfunktion meln konnte, während der andere (wk) über eine langjährige Kletter-
zwischen Wissenschaft und Alltag her nennen könnte, scheinen erfahrung verfügt, die ihn auch in den Augen der Leute im Feld als
,,6 "7
Fast-Extremkletterer ausweist. Darüber hinaus ist er seit langem Mit- 8 Dagegen bezieht sich eine besondere Gruppe von Bergsteigern - die
glied des DAV. Sportkletterer - in ganz besonderer Weise auf den Umstand, daß die
3 Mit dem Begriff der »konditionellen Relevanz« (Sacks' 1966, S.89) Ausrüstung zur Beurteilung von »Können« und »Erfahrung« heran-
Wlrd eme besondere Art beobachtbarer und erwartbarer Verknüpfung gezogen wird. In leichter Bekleidung, papageifarbenen Stoffen, in
aufem~derfolgender Außerungen verschiedener Sprecher bezeichnet: Turnschuhen und mit Stirnband verletzen solche Bergsteiger offen-
Nach Außerungen, die als erste Teile einer Paarsequenz (z. B. eine sichtlich konventionelle Ausrüstungsnormen und diskreditieren be-
Frage) gehört werden können, sind ganz bestimmte Folgeäußerungen wußt Verhaltenszuschreibungen, die üblicherweise mit der Feststel-
(hier: eine Antwort) für einen Adressaten verpflichtend. Dies bedeutet lung fehlender Kletterutensilien gemacht werden (»unerfahren«,
nicht, daß entsprechende zweite Teile einer Paarsequenz automatisch »leichtsinnig« etc.). Mit dem subversiven Gebrauch der Ausrüstung
folgen müssen, sondern nur, daß sie in unmittelbarer Folge erwartbar und der demonstrativen Ignorierung von Normen distanzieren sich
sind und ihr Ausbleiben notizwürdig ist bzw. zur Suche nach Gründen Sportkletterer in ganz besonderer Weise von »Normalbergsteigern«.
für das Ausbleiben Anlaß gibt (vgl. Bergmann 1980, S. 89 ff.). Sie schaffen sich nämlich einen zusätzlichen Verhaltensspielraum. In-
4 Zumindest fallweise braucht ein Ausbilder nicht einmal selbst zu wis- dem sie allgemeinverbindliche Bestimmungen über »richtige« und
sen, inwieweit eine Schülerantwort richtig oder falsch ist. Solange er »falscher« Ausrüstung außer Kraft setzen, können sie diese Normen
sich (mit Hilfe.der Akzeptierung durch die Adressaten) des didakti- nach Bedarf für ihre eigenen praktischen Zwecke manipulieren.
schen Designs bedient, kann er »Ausbildung« betreiben, ohne »Aus- 9 Die Implikationen dieser Einsicht beziehen sich nicht allein auf die
bilder« im Sinne eines Trägers von Sonderwissen zu sein. Untersuchung, sondern auch die Prävention von Bergunfällen in al-
5 Formulierungen sind nicht gleichbedeutend mit Erklärungen von pintechnischen Ausbildungen. Eine Unterweisung in Sicherungsme-
Sachverhalten, sondern erfüllen eine ganz spezifische Aufgabe in Ge- thoden oder in »Führungstechnik« kann gerade solche Phänomene
sprächen, indem sie zusammenfassen, worüber es bis zu diesem Punkt nicht behandeln, in denen sich eine Person zum Führer macht bzw. als
der Rede gegangen ist. Formulierungen stehen also nicht für sich, solcher anerkannt wird und (nach klassischem Verständnis) einen Feh-
sondern sind eingehettet in ein Gespräch und werden dort als reflexi- ler begeht, den die -anderen zwar bemerken, aber nicht zum Thema
ver Kommentar über die vorangehenden Äußerungen (nicht über de- machen. Typische Fälle sind etwa Skitauren, bei denen ein (Berg-)
ren Gegenstand) hörbar. Insofern Formulierungen immer nur Zusam- Führer die Schneelage nur nach Augenschein (bzw. falsch) beurteilt
menfassungen für die praktischen Zwecke des anstehenden Gesprächs und die Gefährten daraufhin kein Schneeprofil anfertigen, obwohl sie
darstellen, das heißt Mittel, mit denen sich die Beteiligten ihr Ver- grundsätzlich wissen, daß dies in der Situation richtig wäre. Eine ei-
ständnis der aktuellen Situation anzeigen, sind sie selbst wiederum genständ.ige Prüfung durch andere Gruppenmitglieder gilt nämlich in
Quelle möglicher Irrtümer, Verbesserungen, Ablehnung etc. bzw. solchen Fällen vor Ort nicht als zusätzliche Sicherheitsvorkehrung,
Anlaß zum Gesp.räch. Sie werden auf diese Weise interaktiv herge- sondern primär als Mißtrauensvotum gegen den Führer. Solange si~h
stellt und können nur insofern Geltung beanspruchen, als sie vom dieser jedoch so verhält, wie es von einem »Führer~( erwartbar ist,
Adressaten ratifiziert werden (GarfinkellSacks 1970; Heritagel besteht eine Präferenz der Gefährten, keine unabhängigen Prüfungen
WalSon 1979). seiner Beurteilungen vorzunehmen. In Ausbildungssituationen sind
6 Ein Standplatz stellt jenen Ort im Gelände dar, von dem aus die solche Restriktionen teilweise außer Kraft gesetzt. Dort kann es als
Sicherung einer Seilschaft erfolgt. Zugleich wird damit die Sicherungs. »aufmerksam« und als »Mitarbeit« gewertet werden, wenn ein Auszu-
anlage selbst, deren Verbindung mit dem Kletterseil bzw. der Kletter- bildender einen »Fehler« anspricht, der Ausbilder kann im Gegensatz
partie bez~ichnet. ~rst ~enn ein Standplatz gefunden und eingerichtet zu einer normalen Klettersituation sein Gesicht dadurch wahren, daß
l~t. darf mit dc~ eigentltchen Klettern begonnen werden. Die Anlage er seinen »Fehler.:· als didaktisch motiviert darstellt und den Kritiker
emer solchen SIcherung gilt für Bergsteiger als Grundregel zur Verhü- belobigt.
tung von. Unfällen. JO Wir gebrauchen hier den Begriff des »Setting« im Sinne von Goffman

7 Selbst solche scheinbar zufälligen Geräusche wie das Karabinerklim- ([974) als die materielle Umgebung einer Situation, das heißt den
pern sind immer dann besonders zu hören, wenn ein übergangsrele- besonderen Ort, seine Ausdehnung, Ausstattung und Einbettung in
vanter Punkt, das heißt ein Ort im Gespräch, an dem ein anderer andere Territorien. Im Blickpunkt stehen dabei jene konventionellen
Sprecher legitimerweise etwas dazu sagen könnte, in der Rede des Merkmale der physischen Umgebung von Situationen, 'Yelche be-
Ausbilders erreicht ist. stimmte Verhaltensweisen der dortigen Anwesenden normativ erwart-

II8 "9
bar machen und auf die sich die Benutzer dieser Räume beziehen werden. Aus diesem Grund sind es auch weniger statistische Zusam-
müssen bei der Gestaltung ihrer Interaktionen. menfassungen von Unfällen, die zur Unfallverhütung praktisch nutz-
I I Dies gilt nicht, wenn Mißerfolge oder Unfälle beim Bergsteigen unter- bar sind, als »Fallbeispiele«, wie sie etwa in »Bergsteigergeschichten«
sucht werden. Eine wesentliche Ressource der Beurteilung von »rich- oder-Zeitungsberichten erzählt werden.
tigem« und .falschem« Handeln bildet dabei die Kenntnis des Ablaufs 16 Zu ähnlichen Ergebnissen bezüglich der Fortbildung gelangen Da-
von Ereignissen. Dies gilt auch und gerade dann, wenn eigentlich heim u. a.; analog dazu für die Erziehungsberatung Schmitz u. a.; für
»gute Gestalten« (ein Kräftedreieck etwa) vorliegen. Eine interessante die Politikberatung Ronge (alle in diesein Band).
Forschungsfrage wäre dabei die Untersuchung des Zusammenhangs
zwischen der kollektiven Konstruktion von Risiko, wie sie etwa durch
Begriffe und Konzepte der Unfallforschung hergestellt bzw. befördert
wird, und der Erhöhung der Unfallgefährdung, wie sie durch das
Ausblenden sozialer Prozesse im Umgang mit dem Setting wahr-
scheinlich wird. Ein Beispiel sind Lehrbücher über das Klettern und
Unfalluntersuchungen in diesem Bereich: Wahrend in Lehrbüchern a
priori das Setting und die Einrichtung eines Standplatzes als Frage von
Naturgesetzen (Erdanziehung, Fallenergie und Energieaufnahmever-
mögen der Sicherungspunkte etc.) oder von Sachzwängen (Gesteins-
beschaffenheit) behandelt wird, wird ex post (im Falle von Unfällen)
das Setting und die Einrichtung eines Standplatzes als Frage situativer
Umstände, Eigenschaften oder Verhaltensattribute der konkreten Be-
teiligten thematisiert. Man spricht dann von »unvermeidlichem >Rest<-
Risiko des Bergsteigens«, »mangelnder Erfahrung« oder »Leichtsinn«
einzelner Personen.
1z Im Falle eines Bohrhakens braucht für einen Standplatz kein Kräfte-
dreieck errichtet werden, da ein Fixpunkt als ausreichend gilt.
13 Die einschlägige organisationspsychologische (z. B. Shtogren 1980)
und sozialpädagogische Literatur (z. B. Fritz 1977; van Ments 1985) ist
voll von derartigen Ansprüchen an den Gebrauch gruppendynami-
scher Methoden. Der ausdrückliche Bezug auf das »setting« impliziert
zwar eine besondere Orientierung auf den Einsatzort der Methode,
doch finden sich meist nur Kataloge für mögliche Beeinträchigungen
der jeweiligen Intentionen, ohne daß das »setting« und der kompe-
tente Umgang seiner Bewohner zum Thema gemacht werden würde.
14 Schegloff (197Z) hat darauf hingewiesen, daß durch Ortsbeschreibun-
gen eine Zuordnung von Personen zu Mitgliedschaftskategorien mög-
lich ist und entsprechende Aktivitätsvermutungen für diese Personen
etabliert werden können.
15 Diesen Umstand hat gerade die Sportkletterbewegung durch die
Überwindung von Wandstellen, die als nicht kletterbar galten, ins
allgemeine Bewußtsein gehoben. Je geringer etwa Griff- und Tritt-
möglichkeiten im Gelände sind, desto mehr »Regelverletzungen« sind
nötig, um überhaupt noch voranzukommen. Die Al Grenze<l( wird auf
diese Weise immer weniger mit Hilfe der Regeln prognostizierbar; sie
muß ex post aus (mißlungenen) Kletterunternehmungen rekonstruiert

120 1Z1
I
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
j
J
View publication stats

Das könnte Ihnen auch gefallen