Gerade in der angewandten Umweltforschung und im Umweltmanagement setzt sich die
Erkenntnis durch, daß Expertenwissen, wissenschaftliche Methodik und die Zusammenarbeit mit einheimischen Bevölkerungen erst in ihrer Zusammenschau ein vollständiges Bild der Realität widerspiegeln und optimierte Strategien ermöglichen. „Always listen to the Locals“, wie einst Kofi Annan anmahnte. Rural appraisals etwa, darunter die Befragung einheimischer Bauern, Nomaden und Fischer, gehören heute zu den Standardmethoden der geographischen Feldforschung. Auch in Hawaii waren und sind die „Locals“ Experten ihres eigenen Landes. Es war ihnen in den Jahrhunderten nach der Besiedlung gelungen, auf abgelegenen Inseln mit teils schwierigen Lebensbedingungen eine Zivilisation zu errichten und zu erhalten, die zur Zeit der Ankunft von James Cook im Jahre 1778 weit über eine Million Einwohner umfasste [Stannard, 1989]. Ein wichtiges Schlüsselelement dieser Leistung war eine Form des integrierten Land- und Küstenmanagements, genannt Ahupua’a, dem eine umfassende Betrachtung aller enthaltenen ökologischen und wirtschaftlichen Einheiten von den Korallenriffen bis zu den Plantagen der kühlen Hochgebirgsregionen zugrunde lag. Das Ahupua’a System geht dabei in vielen Punkten noch über modernes Watershed Management hinaus, und die US- Amerikanische National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) hat das Ahupua’a Konzept bereits 2001 offiziell in ihre langfristige Planung aufgenommen, um es wieder für das integrierte Küstenzonenmanagement vor allem besonders gefährdeter Zonen – zunächst in Hawaii – einzusetzen.
Anzunehmen die Integration traditioneller Methoden in modernes Umweltmanagement würde
einen Rückschritt bedeuten, basiert auf einer falschen Wahrnehmung. Eine genauere Betrachtung des Ahupua’a etwa zeigt, daß sich hier viele Aspekte wiederfinden, die auch Teil unserer aktuellen Diskussionen über Umwelt- und Bioethik sind. Eines der pragmatischen Kernkonzepte ist aus vielen Kulturen bekannt: nicht mehr zu nehmen, als man braucht. Darüber hinaus existiert aber eine tiefe Verwurzelung in der Inselumwelt, die im Wort „Umwelt“ vollkommen verloren gegangen ist. Es geht nicht um Management, Verwaltung also, sondern um „aloha aina1“ - dem, das einen ernährt, mit einer Einstellung der Gegenseitigkeit, ja mit Liebe, begegnen, und „malama aina2“ - der Verpflichtung, diese Ressource des Lebens zu hegen und zu pflegen. Naturgemäß war man sich auf den polynesischen Inseln schon immer deutlich der Endlichkeit der Ressourcen bewußt, und trotz der spirituellen Elemente der alten Ansätze handelt es sich beim Ahupua’a um eine vom Menschen geprägte und intensiv genutzte Kulturlandschaft, die von Wäldern und Hochlandfeldern bis zu den riesigen Fischteichen der Lagunen und den Riffen selber reichte. Nur ist es den Hawaiianern über die Jahrhunderte gelungen, in diesem Rahmen mit der Natur eine symbiotische und auf Gleichgewicht beruhende anstelle einer eher parasitischen Beziehung zu finden [Taum, 2007]. Und um im Bild zu bleiben: die Erde als ganzes ist heute eine übervölkerte Insel.
1 Wörtlich: „Liebe zum lebendigen Land“, wobei Aloha selbst „Atem des Lebens“ heißen kann 2 Wörtlich: „Sich kümmern um das lebendige Land“