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26 Tages-Anzeiger – Mittwoch, 24.

Februar 2010

Bellevue
B-Side
EVA
von
Radio Bellevue
Meisel sah, was Gott sah – und
Jaermann/ ein bisschen Traffic-Poesie
Schaad Aufgehört haben wir den letzten Manue-
la-Special-Beitrag just in dem Moment,
als der renommierte Musikmanager Pe-
ter Meisel im Ufer-Eck rumlümmelte
und in dieser Kneipe (inoffiziellen Anga-
ben zufolge bereits dezent beschwipst)
den Auftritt unserer singenden Löterin
bestaunte. Das war in den Sixties, und
Meisel sah, was laut Bibel viele Hundert
Jahre zuvor auch Gott mal gesehen
hatte: Meisel sah nämlich, dass es gut
war. Dass diese Doris Inge Wenger, die
später zu Manuela wurde, das Zeugs zur
Zeitgeist-Ikone hatte. Er nahm mit ihr
rasch zwei Lieder auf, die aber nie ver-
öffentlicht wurden. Dann schickte er sie

Seelenlufts Feuertaufe an einen Gesangswettbewerb der Plat-


tenfirma Ariola, den sie gewann – und
dann ging es ab.
Mehr dazu am Samstag, nun wechseln
Heute feiert der Dokfilm «Being Azem» Weltpremiere. Eindrücklich ist nicht nur die Story, sondern auch wir zum B-Seiten-Wettbewerb. Der heu-
tige Vorschlag – und das freut uns ganz
der Soundtrack. Komponiert hat ihn der Schweizer Klubmusik-Star Beat Solèr alias Seelenluft. besonders, denn wir alle sind Fans die-
ser Wiediker Kleinbuchhandlung –
kommt von Daniel Nufer, dem Inhaber
Von Thomas Wyss Wie hat dein Kreativprozess für von Pile Of Books. Seine persönliche
Vor Jahrzehnten gab es im Schweizer «Being Azem» ausgesehen? Song-Anekdote ist – man hat es bei ei-
Fernsehen mal eine Jugendsendung mit Wenn ich eine Szene vor mir hatte, legte nem Belletristiker irgendwie erahnen
dem Titel «Was man weiss und doch ich einfach mal Musik darunter. Und können – ein grosser Lesegenuss; aus
nicht kennt». Moderiert wurde sie von zwar Songs, die nicht von mir sind. Mal Platzgründen können wir leider nur ei-
Heidi Abel. Es ging um «Dinge», von wel- waren es Filmscores, mal Reggae, mal nen Ausschnitt davon präsentieren.
chen man eine Ahnung hatte, im Detail schwedische Knabenchöre. Ich machte Hier erst mal die Fakten. Band: Traffic.
aber nicht kapierte, wie sie funktionier- das so lange, bis emotional etwas pas- A: «Here We Go
ten. Zum Beispiel Automotoren. Glüh- sierte. Dann überlegte ich mir, warum es Round The
birnen. Oder Mädchen. Nein, gelogen, passierte und wie ich dieses Gefühl mit Mulberry
Mädchen waren nicht dabei, da mussten eigenen Sounds generieren kann. Dann Bush». B: «Co-
wir selbst rausfinden, wie die ticken und arbeitete ich das Thema aus, unterlegte loured Rain».
weshalb sie zicken und so. damit den Film, mistete aus, was zu viel Label: Fontana.
Zurück zum Thema. Und damit zum war, bis es irgendwann stimmte. Jahr: 1968. Und
Musiker Beat Solèr. Der war nämlich nun Mikrofon
kürzlich in einer ähnlichen Situation. Hat es irgendwann immer gepasst? auf für Dani Nu-
Zwar hatte der 38-Jährige in den letzten (Lacht.) Ich hoffe es. Bei einigen Szenen fer: «Putzmun-
zwei Jahren immer wieder mal Tonspu- habe ich jedoch bewusst auf Musik ver- ter schepperte einem damals Seite A aus
ren für Werbespots oder Kurzfilme ein- zichtet. Stille wirkt nämlich bisweilen der Lenco-Boxe entgegen. Dem damals
gespielt, hatte also eine Ahnung, wie ein genauso stark wie Klang. Frühlingserwachenden kam der bunte
Soundtrack «funktioniert». Reigen um den Maulbeerbusch aber als-
Doch ein Kurzfilm ist keine 90-minü- Gab es auch Momente des Zweifelns? bald allzu unbedarft daher. Er war sich
tige Kinodokumentation wie «Being Kreativ arbeiten ist für mich ein steter dann aber blitzartig einig mit dem da-
Azem» von Nicolò Settegrana und To- Akt des Zweifelns. Das war bereits bei mals knapp 20-jährigen Ausnahmesän-
mislav Mestrovic. Zudem hat sich Solèr meinen Seelenluft-Alben so. Entweder ger Steve Winwood, der ihm in den Ein-
sein eindrückliches Renommee als Klub- ich finde etwas genial oder den letzten gangszeilen (zu «Coloured Rain», der
musik-Produzent erarbeitet. Unter dem Mist, oft treffen auf ein Lied auch beide B-Seite) ‹Yesterday I was a young boy /
Pseudonym Seelenluft hat er Jahre vor Varianten zu. Irgendwie gilt es dann, et- Searching for my way / Not knowing
dem Trend Punkfunk-Gitarren mit Dis- was auf eine Ebene zu bringen, wo man what I wanted / Living life from day to
cobeats kombiniert. Hat es geschafft, sagen kann: Es ist fertig . . . auch wenn es day / ’til you came along / There was
den Synthie-Pop aus den Eighties in die nie fertig ist. Als Idealist sucht man das nothing but an empty space and pain›
Moderne zu katapultieren. Hat für Ste- Ideal, das aber nicht existiert. Es ist ein den Soundtrack zu seinen halbgaren
phan Eicher als Remixer und für die Ste- ewiger Teufelskreis. Oder Engelskreis. Ausbruchsfantasien und diffusen, aber
reo MCs als Produzent gearbeitet. Und nicht weniger dringlichen Sehnsüchten
hat mit «Manila» einen Hit gelandet, der Wie lang hat die musikalische Film- lieferte.» Wunderbar, wir könnten noch
2002 in die englischen Charts einzog. arbeit insgesamt gedauert? stundenlang zuhören, doch leider ist
Fügt man diese Faktoren zusammen, Eineinhalb Jahre. Ich arbeite meist lang- die Sendezeit um. Wir danken fürs Rein-
ist es offensichtlich – «Being Azem» ist sam, weil ich glaube, dass der Teufel im lesen und bis Samstag, stay tuned! (thw)
Seelenlufts Feuertaufe als Filmmusiker. Detail hockt. Die reine Arbeitszeit belief
Dass er sie besteht, ist ihm wichtig, weil sich auf vier Monate. Ich wollte mir aber Die Vinyl-Single wurde kürzlich 60.
er sich künftig auf dieses Metier spezia- Experimentierzeit gönnen, wollte mich Aus diesem Anlass suchten wir die besten
lisieren möchte. nicht auf die erste Idee fixieren müssen. B-Sides von 1949 bis 2009. Die
Allerdings muss ich gestehen, dass ich den Vorschläge werden bis Ostern vorgestellt,
Beat Solèr, wann haben Sie . . . Arbeitsaufwand unterschätzt habe. dann folgt die Wettbewerbsauflösung.
(Unterbricht.) Machen wirs per Du?
Hat Regisseur Settegrana selbst auch
Klar. Also Beat, wann hast du «Being Inputs und Ideen gegeben? Luftiges Cidre-Fondue
Azem» zum ersten Mal gesehen? Machst du Witze? Nicolò ist ein wandeln-
Nicolò Settegrana und sein Ko-Regisseur der Input! Man muss ihn in gewissen Mo- Für 4 Portionen. 1 Knoblauchzehe, halbiert, 400 g
Tomislav Mestrovic haben mir den ers- menten auch ignorieren lernen, damit Gruyère, geraffelt, 400 g rezenter Tilsiter, geraffelt,
ten Rohschnitt im Sommer 2009 gezeigt. man eine Idee durchziehen kann und 4 TL Maizena, 3,5 dl Cidre (Apfelwein), 1 TL Zitronen-
Er hatte eine Länge von 8,5 Stunden, was nicht völlig konfus wird. Natürlich ha- saft, 1 dl Calvados, Pfeffer, Muskat, 1 TL Backpulver,
gesiebt. Beilagen: ca. 500 g Brot, in Würfel geschnit-
für Nicolò typisch ist. Er geht vom Hun- ben wir uns heftig gestritten und ge-
ten, nach Belieben mit wenig Cidre beträufelt,
dertsten ins Tausendste und wieder zu- nauso heftig versöhnt. Er ist Sizilianer. 2–3 rotschalige Äpfel, in Stücke geschnitten, in Cidre
rück. Ich mag das. blanchiert.
Dann seid ihr enger befreundet?
Hat dich der Film sofort gepackt? Ja, schon lange. Egal, ob er einen Wes- Caquelon für das Fondue mit dem Knoblauch aus-
Kampfsportarten interessieren mich tern oder Pinguin-Film drehen würde, reiben. Geraffelten Käse und Maizena mischen,
mit Cidre und Zitronensaft
nicht. Das Schöne an diesem Film ist, ich würde immer wieder seine Filmmu-
ins Caquelon geben. Bei mitt-
dass er nur sekundär vom Kampfsport sik produzieren, wenn er das wollte. lerer Hitze unter Rühren auf-
handelt. Im Zentrum stehen Träume Weil er ein intelligenter, detailverliebter kochen. Calvados zugeben,
und Hoffnungen, Erfolg und Scheitern. Regisseur ist, der keine Mühe scheut, würzen. Kurz vor dem An-
Etwas, das alle Menschen kennen. Und Harter Melancholiker: Beat Solèr mit Banjo im Berliner Winter. Foto: Melanie Rohde aus allem das Beste herauszuholen. richten Backpulver gut da-
runterrühren. Auf ein Ré-
was mich enorm interessiert. chaud stellen, mit den Beila-
Wie weit darf ein Soundtrack gehen? gen servieren.
Wo liegen die Unterschiede zwischen Er darf den Film nicht manipulieren. Der «Being Azem»-Soundtrack
einer Studioalbum-Produktion Wenn ich einen Film sehe, dessen Ge-
und der Arbeit an einer Filmmusik? schichte mich nicht berührt, die Musik Melancholie statt pathetischen Pomps Aus der

Ein Album-Song steht für sich selbst. mir aber gleichwohl Emotionen diktiert, Weitere 4300 Rezepte unter
Man legt die CD ein, hört sich ein Lied an, mag ich das nicht. So erging es mir bei- «Nach Rocky Balboa wird die Filmmusik pion, der sich von Kosovo bis nach Las www.schweizerfamilie.ch
es gefällt oder nicht. Beim Soundtrack spielsweise bei «Titanic». definitiv nicht klingen.» Das sagte Beat Vegas kämpft, tatsächlich solche fragile
gibts zur Musik noch den Film und den Solèr vor Wochen am Telefon, als wir Klänge erwarten? Kaum. Da der Film
gesprochenen Ton. Ich kann also mit der Und was genau macht für dich einen ihn in Berlin kontaktierten, wo er der- aber nicht den knüppelharten Fighter, Reklame AL8715ztgA/A

Musik keine Geschichte erzählen, da sie guten Soundtrack aus? zeit lebt und arbeitet. Nun, da man viele sondern in bewegenden Bildern den
bereits existiert. Ich mag Filmmusik, die auf wenige The- Auszüge gehört hat, muss man über den sensiblen Familienmenschen Azem Speziell
men reduziert ist. Einer meiner liebsten Satz schmunzeln: Fanfaren und patheti- Maksutaj (der am Totenbett der Mutter für Mietwohnungen:
Was kann Musik im Film erreichen? Soundtracks ist jener von Georges Dele- scher Pomp sind im Soundtrack für weinend zusammenbricht) in den Fo-
Stell dir vor, du siehst im Film einen
Punk. Wenn die Szene mit Punk-Sound
rue zum Godard-Film «Le mépris». In
gute Musik muss man reinwachsen. Bei
«Being Azem» nicht ansatzweise vor-
handen. Überraschend ist das Resultat
kus rückt, passt diese musikalische Me-
lancholie perfekt. (thw)
Freistehender
unterlegt ist, sieht man den Punk als
Punk, fertig. Wenn dazu aber Klavier-
«Le mépris» wird dasselbe Thema so oft
gespielt, bis es der Betrachter am Ende
gleichwohl, denn Solèr stützt meist auf
ein dunkel malendes Klavier ab, das er «Being Azem», Weltpremiere heute, Kiwi Dampfgarer
musik läuft, beginnt man hinter die Fas- des Films als Hit empfindet. Mein Favorit mit Streichern, einem Banjo und ein Winterthur (ausverkauft). Filmstarts: Sanftes Garen
sade des Punks zu blicken, erforscht sei- unter den Filmmusikern ist jedoch Jon paar skurrilen Instrumenten begleitet. Zürich 25. 2., Schaffhausen 27. 2. zwischen 40 und 100 ˚C!
nen Charakter, wechselt auf eine neue Brion, der auch bei meinem Lieblings- Elektronik dagegen hört man selten. www.beingazem.ch. Eine auf 100 CDs
Wahrnehmungsebene. Das ist ein Bei- film «Eternal Sunshine of the Spotless Würde man bei einer Geschichte limitierte Auflage des Soundtracks kann
spiel dafür, was Musik bewirken kann. Mind» wunderbare Musik gemacht hat. über einen 14-fachen Thai-Box-Cham- man über music@pi-filme.ch bestellen.

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