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@ HEROES

Neun Kinder, ein Campingwagen und zwei Jahrzehnte Sommer:


ITZ
Die unglaubliche Geschichte von "Doc" Paskowitz, der berühmtesten Surfer-
Familie der Welt und einer Utopie, die zu schön war f ür die Wirklichkeit.
Text: Alex Lisetz

Wenn Dorian ..Doe" Paskowitz spricht, spiegelt sich per. "Gesundheit gibt es nicht in Flaschen, man muss
Name der Ozean in seinem Gesichr. Faltentäler brechen für sie arbeiten", dozierte Doc, der promovierte Arzt,
Dorian H Doc ~ Paskowitz sich dann an pazifikblauen Augen, und sein Rede- Tag für Tag . • In einer normalen Familie hieß es: Geh
Geburtsdatum/-ort fluss reißt mit, was nicht fest genug vertäut ist. Geld? zur Schule, aber sei vorsichtig beim Schwimmen, das
3. Marz 1921 in ..Wurzel allen Übels." Erfolg? "Was leiehtfallt, ist ist gefahrlieh. Bei uns hieß es: Sehwimm ruhig mit
Galveston, Texas niehes wert." Krieg? "Folge von schlechtem Sex." den Haien, aber halt dich von der Schule fern, die
Familienstand Paskowitz ist 89, Surfer, Jude, Träumer, Despot, ist gefahrlieh", sagt Salvador, heute 43. Der Ruf der
Verheiratet mit Juliette, Revolutionär, Samariter, alles gleichzeitig und mit Paskowitz-Familie verbreitete sich übers ganze Land.
neun Kinder,
Leidenschaft. Vor allem aber ist Doc der Ehemann Ihr Beispiel wurde für die Surf·Community zum Ideal
siebzehn Enkelkinder
von Julien e und Vater von David, Jonathan, Abra- eines kompromisslosen Lebens in Freiheit und Aben-
Berufe
ham, Izzy, Moses, Adam, Salvador Daniel, Navah und teuer, "Wir führten ein Leben, um das uns andere
Arzt:
Profisurfer; Joshua Ben. Zwei Jahrzehnte lang zog er mit ihnen in Kinder beneideten", sagt Navah, "es verging kaum
Buchautor (~ Surfing einem winzigen Campingwagen durch Amerika, im- ein Tag, an dem wir nicht irgend was Aufregendes
and Health
M
); mer auf der Suche nach guten Wellen. Wo es ihm ge- gemacht hätten."
GrOnder des Paskowitz fiel, brachte er seinen Kids Surfen bei - so gründlich,
Surf Camp dass die Paskowitz' in den 1970er Jahren nicht nur Dorian Paskowitz war Anfang dreißig, als sich sein
Web die be rühmteste Surferfamilie der Welt waren, son- Freiheitsdrang, seine Abscheu vor einem bürgerlichen
www.paskowitz.com dern auch landesweit die Nachwuchs-Contests domi- Leben nicht länger unterdrucken ließen. Man schrieb
www.alohadoc.com
nierten. Sonst gab es nicht viel zu tun. Docs Tochter die 1950er Jahre: Doc hane eine Karriere als Arzt vor,
Navah und die acht Söhne erlebten eine Kindheit zwei gescheiterte Ehen hinter und tiefe Unzufrieden-
ohne Schule, ohne Hausaufgaben, ohne Stress. Ein heit in sich, Dann passierten drei Dinge. Als Erstes
endloses Sommercamp. Doc schenkte seinen Kindern fuhr er nach Israel und ging "wie Jesus von Nazareth
das Paradies auf Erden, Oder zumindest: seine Vor- und all die anderen durchgeknallten Spinner" in die
stellung vom Paradies auf Erden. Wüste, um ein paar Wochen lang "wie ein Tier zu
leben". Dann entdeckte erdas Surfen, Und schließ-
"Wir waren glücklich, als wir nichts hatten. Erst als wir lich den Cunnilingus, "der mein Leben massiv verän-
anfingen, etwas zu wollen, begann die Misere", sagt derte", Den Entschluss, seine bislang kaum entfaltete
Doc in der ersten Einstellung von "Surfwise", der bril- Sexualität fortan enthusiastisch auszuleben, setzte
lanten Filmdoku über sein Leben. Eilige haben damit er ähnlich gewissenhaft um wie alle seine anderen
schon die Inhaltsangabe seiner Biografie erhalten, Vorhaben: Doc, damals Rettungsschwimmer und
Denn Dorian "Doc" Paskowitz erklärte das Nichts- Frauenschwarm, wollte hundert Frauen erobern und
haben-Wollen zur Lebensmaxime. Die sechziger und deren Qualitäten kühl-objektiv wie ein Wissenschaft-
siebziger Jahre verbrachten die Paskowitz' als Surf- ler evaluieren. Nach Nummer 25, die er in seinen
nomaden, fernab von Bankkonten, Hypothekenzah- Aufzeichnungen mit der maximal möglichen Punkte-
lungen und Nachbarschaftsstreits. Nachts war ihre anzahl bewerten musste, war Schluss: Juliette wurde
Wohnadresse ein 7,2 Meter langer Camper, der ein- Ehefrau Nummer drei, verbrachte die nächsten zehn
mal in Waikiki Beaeh parkte, dann wieder in Malibu. Jahre "pausenlos schwanger oder stillend" und ist
Tagsüber war sie der Ozean, Statt zur Schule schickte noch heute Docs große Liebe.
Doc seine Kinder in das, was er Lebensschule nannte:
Die acht Jungs und ihre Schwester lernten Surfen, Das lebhafte Liebesleben der Eltern war nur eihe von
Respekt vor anderen, Respekt vor dem eigenen Kör- vielen Prüfungen, die der zwanzig Jahre währende

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Erkenntnis: Wenn man
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einfada tim.
Die Welt des Doc
Paskowitz ist in klare
Sektoren unterteilt: Campingurlaub für die Paskowitz-Kinder bereithielt. tig, sonnengegerbt und trotz seiner Wehwehchen
Wichtig sind Familie,
Docs größtes Handicap: Dass andere Menschen an- topfit. Die Medikamente, die ihm verschrieben wur-
Surten, Natur und
Religion. Unwichtig dere Bedürfnisse haben könnten als er selbst, über- den, verweigert er. Und die Idee, eine Doku über sein
ist der Rest. steigt seine Vorstellungskraft. Doc würde für seine Leben zu drehen, machte ihn "stinkwütend", weshalb
Kinder sterben, ohne mit der Wimper zu zucken. er den fertigen Film auch noch immer nicht angese-
Aber ihnen zuhören? Das vertrug sich nicht mit sei- hen hat. Denn erstens sei sein Leben nichts Besonde-
ner Weitsicht - und wohl auch nicht mit dem sozia- res. Und zweitens sei es noch viel zu früh für ein der-
len Experiment eines bedürfnislosen Lebens in artiges Vermächtnis. Tatsächlich startete Paskowitz
scheinbarer Freiheit. unmittelbar nach der letzten Klappe sein nächstes
Jonathan war der Erste, dem das Paradies nicht ehrgeiziges Projekt: Mit Kelly Slater, einst sein Ange-
genug war. Mit achtzehn verließ er die Familie, ver- stellter im Paskowitz Surf Camp, heute neunfacher
suchte, in der normalen Welt Fuß zu fassen, auf die Surfwelnneister, versorgte er nach langwierigen Ver-
keiner von ihnen vorbereitet war. "Wir hanen keine handlungen mit der israelischen Regierung Kids im
Schulbildung, keine Zeugnisse. Als Karriereoptionen Gaza-Streifen mit Surfboards.
blieben uns nur Surfprofi, Rockstar oder Penner",
erkannte er. Es waren dann auch tatsächlich die "Ich habe in meinem Leben viele Fehler gemacht",
Berufswege, die jedes der Paskowitz-Kinder in unter- sagt Doc. "Ja, ich habe meinen Kindern großartige
schiedlicher Reihenfolge einschlug. Dem Einfluss- Möglichkeiten gegeben. Aber ich war zu streng, zu
bereich ihres übercharismatischen Vaters konnte sich radikal, zu engstirnig mit ihnen. Ein Mann sollte sich
dabei keines entziehen: Auch nicht Docs Erstgebore- selbst unter Kontrolle haben, nicht seine Kinder." Er
ner David, der als Geschäftsmann ein entspannteres nimmt sein Surfboard, wie an jedem Morgen seit fast
Verhältnis zu Geld, der Wurzel allen Übels, entwi- sechzig Jahren, er paddelt hinaus, er surft, ein biss-
ckelte als sein Dad. In einer beklemmenden Szene ehen wackelig schon, doch mit der Selbstverständ-
des Films zitien er, inzwischen fünfzigjährig, einen lichkeit desjenigen, der nie etwas anderes getan hat.
Songtext: "Nichts wird gut, solange es ihn gibt." Die Wellen tragen ihn Richtung Strand, behutsam
und voller Respekt.
Doc denkt freilich noch längst nicht daran abzutre-
ten. Er ist alt geworden, doch er ist noch immer drah-

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