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Mythologische Elemente im Iwein des Hartmann von Aue

Mitologikus elemek Hartmann von Aue Iwein-jában

Károlyi Tamás Témavezető: Balogh András


Német kiegészítő Dozent

EÖTVÖS LORÁND TUDOMÁNYEGYETEM BUDAPEST


BÖLCSÉSZETTUDOMÁNYI KAR
2006
EINLEITUNG 3
1. DIE ENTSTEHUNG DES IWEIN-STOFFES UND DIE IWEIN-BEARBEITUNGEN 6
1.1. Yvain, ou Le chevalier au lion von Chrétien de Troyes 7
1.2. Der Person des Hartmann von Aue und sein Iwein 8
1.3. ANDERE AUF CHRÉTIEN BERUHENDEN IWEIN-BEARBEITUNGEN 12
1.3.2. DER ALTSCHWEDISCHE HERR IVAN LEJON-RIDDAREN UND DER ALTDÄNISCHE
YWAN OCH GAWIAN 13
1.4. Chwedyl Iarlles y Ffynnon der kymrischen Mabinogion 14
1.5. Die auf Hartmann beruhenden Iwein-Bearbeitungen 15
2. ÜBER DAS WESEN DES MYTHOLOGISCHEN 19
2.1. Die aventiure als Initiationsreise 20
3. DAS INITIATISCHE MUSTER IM IWEIN 25
3.1. ‚Der schmale Pfad’ 25
3.2. Der verzauberte „boumgarten“ im Erec als Beispiel mythologischer Symbolik 27
4. DIE WEGE UND IRRWEGE ZU DER WUNDERQUELLE IM IWEIN 31
4.1. Die Motive der Wunderquelle 31
4.2. Der Kampf mit Ascalon 37
4.3. Die Fallen des Tores zur Burg des Ascalon 38
4.4. Auf dem Weg in die ‚Andere Welt’ 42
5. DIE DAME DER QUELLE UND DAS TERMINVERSÄUMNIS 45
5.1. Laudine und Lunete 46
5.2. Die Schuld des Iwein 48
5.3. Das Waldleben: solutio und Höllenfahrt 49
5.4. Iweins Erwachen und die Dame von Narison: coagulatio 54
6. DIE WIEDERGEWINNUNG DER HERRSCHAFT 57
6.1. Der Kampf zwischen dem Drachen und dem Löwen 57
6.1.1. DIE SYMBOLIK DES DRACHEN 59
6.1.2. DIE SYMBOLIK DES LÖWEN 62
6.2. Die Befreiung von Lunete und der Kampf mit dem Riesen Harpin 63
6.3. Die Burg zum Schlimmen Abenteuer und der Kampf mit Gawein 66
6.4. Die Versöhnung mit Laudine 69
7. SCHLUSSWORT 71
8. FORSCHUNGSLITERATUR 74
ZEICHENERKLÄRUNG 81

2
EINLEITUNG

Die Artusromane bewegen seit 800 Jahren die Phantasie der Menschen. Zwar
wurden sie immer den aktuellen ‚Zeitgeist’ angepasst, sei die Rede über hoch- oder
spätmittelalterliche Epen, über Bearbeitungen der späteren Jahrhunderten, wie die
großen Opern von Richard Wagner, über modernen Verfilmungen: in allen zeigt sich
der Einfluss der aktuellen Zeit. Was liegt aber unter diesen verschiedenen Einflüssen,
was verbirgt sich hinter diesen Fassaden, was ist das Essentielle, das uns immer
wieder zu den Geschichten der Artusrittern heranzieht?
Die meisten Artusromane, wie die Abenteuer von Parzival, von Erec, von
Lanzelot und natürlich von Iwein wurden immer wieder neu erzählt. Es sind zwar
alle Neuerzählungen selbständige literarische Werke, doch öffnet sich auch ein
anderes Blickfeld, sie nicht nur als dieses oder jenes Werk, sondern als Darstellungen
eines Stoffes zu sehen. Das ermöglicht den Stoff losgelöst vom Werk zu betrachten.
Diese Betrachtung dringt bis ins Wesen dieser Geschichten und ergründet ihre
ureigenste Bedeutung.
Mircea Eliade stellt in seinem, das Wesen der Initiation behandelnden Buch
fest 1 , dass Artusromane nach initiatischen Mustern aufgebaut sind, oder wenigstens
viele Motive der archaischen Initiation enthalten. Nicht nur Märchenelemente, wie
Feen, Drachen, Riesen, usw. verkörpern hier archaisches Gedankengut mythologi-
scher Herkunft, sondern auch andere, die oft nicht als mythologisch erkannt werden.
Jede Art von Mythologie 2 beschreibt, was in principio geschah, somit wird
das Erzählen von Mythen zum Mysterium. Alles, was die Mythen beschreiben,
gehört zur Welt des Heiligen: eröffnet die Welt des Transzendenten. Für den
archaischen, oder premodernen Menschen war die transzendentale Welt realer, als
die profane Welt, weil sie von Natur aus in dem Sein steht, während das Profane
chaotisch, ohne Qualität ist. Der Raum und auch die Zeit war qualitativ bestimmt,
geheiligt: es hat heilige Orte und heilige Zeiten gegeben. Das Leben bot also
zahlreiche Hiero- und Theophanien; und eine differenzierte, metaphysische
Kosmologie verbarg sich dahinter.

1
Eliade: Initiation, rites, sociétés secrètes. S. 263.-266.; siehe noch ders.: Histoire des croyances et
des idées religieuses 3. S. 113-117. (vollständige Titel sind unter dem Titel Forschungsliteratur
angeführt. Seitenangaben folgen den dort angegebenen Ausgaben. s. S. 72.)
2
Zum folgenden Absatz vgl. Eliade: Le Sacré et le Profane, S. 15-39., 67-74., 90-98; ders.: Le
chamanisme, S. 21-28.

3
Philosophisch gesehen könnte man sagen: es gibt nur eine Metaphysik, weil
es per definitionem nur ein Absolutes geben kann. 3 Alle Metaphysiken beschreiben
diesen einen Absoluten, natürlich in immer verschiedenen Formen, immer unter
verschiedenen Sichtweisen. Natürlich haben die spirituellen Zustände Eigenschaften,
die immer zu ähnlichen Ausdrücken, zu symbolischen 4 Beschreibungen führen. Das
ist der Grund, wieso in den verschiedensten Kulturen voneinander unabhängig
dieselben Bedeutungen in ähnlicher Form ausgedrückt werden konnten. So können
Gedanken (metaphysische Inhalte), wie ‚Zentralität’, ‚Anfänglichkeit’, aus keiner
Kosmologie fehlen und werden durch die Vorstellungen des axis mundi, des
Weltnabels (omphalos), oder des Weltbaumes ausgedrückt. Heilige Bäume sind
heilig, weil sie Repräsentanten des Weltbaumes (im Grunde des axis mundi) sind.
Ein heiliger Baum ist die Weltachse selbst, dadurch, dass er als heilig erlebt wird.
Der premoderne Mensch versuchte alles um sich zu heiligen, alles dem Chaos zu
entziehen – vor allem sich selbst. Das bezweckt die Initiation.
Zweck jeder Initiation ist es das Dualität des Profanen und des Heiligen
aufzulösen und den Menschen in seinen originalen, also primordialen Zustand zu
versetzen. Das wird oft mit einer Reise in die transzendentale Welt (Feenreich,
Totenreich, Untere oder Obere Welt, usw.) beschrieben. Diese Transgression ist
gefährlich, die Wege sind schmal und nicht für jeden begehbar: es sind Heroen die
den Weg hin und zurück wagen, und diese Abenteuer bestehen.
Die Heroen der Artusromanen wagen diesen Weg. Die Fülle der symboli-
schen Elemente bringt dafür den Beweis. Ob diese Geschichten im Mittelalter noch
als mythologisch verstanden wurden, muss bezweifelt werden. Oft ist es zu
beobachten, wie märchenhafte, symbolische Elemente rationalisiert wurden; wegen
eines besseren Verständnisses wurden die Taten des Helden psychologisiert. Auch
die „Höfisierung“ der Stoffe ist ein Zeichen dafür, ganz zu schweigen von der
Bemühung, im Grunde heidnische Geschichten in ein christliches Ethos zu
integrieren. 5 So muss man die mythologischen (kosmologisch-initiatischen)
Elemente getrennt von den geschichtlich-sozialen (höfisch-ritterlichen und
3
Das ist einfach einzusehen: das Absolute kann keine Grenzen haben, sonst wäre es nicht unendlich.
Wenn es keine Grenzen hat, so kann nirgendwo ‚ein zweites Absolute’ anfangen – wenn doch, dann
wäre keine der beiden absolut.
4
Symbol kommt etymologisch aus dem griechischen sym-boleo, was soviel, wie ‚zusammenführen’,
‚zusammenbinden’ bedeutet. Also zwei Ebenen der Wirklichkeit (physisch und metaphysisch) werden
zusammengeführt.
5
Erwähnt sei nur die Umdeutung des wahrscheinlich ursprünglich heidnischen Symbols des Grales in
ein christliches Symbol.

4
christlichen) Motiven betrachten. Man muss freilich auch beachten, dass viele
ursprünglich archaische Elemente in der mittelalterlichen Zuhörerschaft und freilich
auch im Verfasser, der die Geschichte tradieren versucht hat, auch biblische und
höfische Assoziationen aufwecken konnten.
Damit eine gründliche Untersuchung unternommen werden kann, müssen
auch die geschichtlichen Ereignisse die zum Entstehen des Iwein geführt haben, i.e.
die Quellengeschichte des Stoffes, überblickt werden. Dieser Teil der Arbeit stützt
sich im Großen und Ganzen auf den Ivainstudien von Rudolf Zenker, weiter auf der
Hartmann-Monographie von Christoph Cormeau und Wilhem Störmer. 6 Nach der
Klärung des geschichtlichen Hintergrunds wird deshalb die mythologische
Grundstruktur (die kosmologischen Grundideen und das initiatische Verlaufsmuster)
aufzudecken versucht. Dazu, also um die ursprüngliche Geschichte, besser gesagt
deren strukturbildende Stellen zu erschließen, werden mehrere verschiedene Iwein-
Fassungen und auch weitere Artusromane herangezogen, aber nicht mit dem Ziel
eine Quellengeschichte zu erstellen. Was in dieser Hinsicht für diese Arbeit
interessant und wichtig ist, sind nur die symbolischen, also kosmologischen und
Einweihungsstrukturen. Während der Arbeit werden freilich auch die Interpretati-
onsmöglichkeiten berücksichtigt, die durch das höfische Leben oder durch den
christlichen Glauben entstehen oder beeinflusst werden konnten.

6
Bilbliographische Daten s. Forschungsliteratur S. 72.

5
1. DIE ENTSTEHUNG DES IWEIN-STOFFES UND DIE IWEIN-BEARBEITUNGEN

Im 12. Jahrhundert, als die höfische Kultur in ihrer Blüte stand, sind, neben den
Heldenepen und Epen nach antiken Stoffen (‚matière de France’ und ‚matière de
Rome’), auch die Geschichten über Artus und die Ritter der Tafelrunde erschienen.
‚Matière de Bretagne’ wurden sie in Frankreich genannt, also ‚bretonischer Stoff’. Es
ist heute schwer zu beurteilen, wie und von wem diese Geschichten früher erzählt
wurden, ob sie nur in einer (bretonischen?) oralen Tradition lebten, oder ob es eine
frühere Schriftlichkeit gab (die uns schon verloren gegangen ist), wenn der Stoff
überhaupt geschichtliche Vorstufen hatte. Unsere Quellen sind nur einige kurze
Bemerkungen in Chroniken und in anderen Werken.
Die zeitlich erste überlieferte Geschichte über die Abenteuer des Iwein hat
Chrétien de Troyes in seinem Yvain, ou Le chevalier ou lion verfasst. Der Name des
Helden war trotzdem nicht unbekannt: schon Geoffrey von Monmouth erwähnt ihn
in seiner Historia regum Britanniae, als „Iwenus filius Uriani“ 7 ; den Namen finden
wir auch bei seinem französischen Bearbeiter, Wace (Roman de Brut). Das zeigt
schon, dass dieser Name, schon vor Chrétien im Kreis der Artusritterschaft erwähnt
wurde. Doch man kann hier keine Spur der im Yvain beschriebenen Abenteuer
finden. Ein Owein, Sohn des Urien ist als historische Person für das 6. Jahrhundert
nach Christus gesichert – aber er hat (nach der Ansicht der Geschichtsforschung) mit
dem Helden unserer Erzählung nur den Namen gemeinsam. Um den Namen dieses
Helden sind viele Sagen und Heldendichtungen entstanden, vermutlich gehörte auch
das Abenteuer bei der Wunderquelle dazu.
Nicht nur Iweins Person zeigt sich als historische Wirklichkeit. Der Wald von
Broceliande gibt es auch heute, und auch einige Sagen über seine Quellen. Im Roman
de Rou von Wace ist die Wunderquelle von Broceliande (Hartmanns Breziljan) mit
dem vieldeutigen Vermerk beschrieben:

La sueut l’en les fees veeir,


Se li Breton nos dient veir,
8
E altres merveilles plusors;

7
zitiert nach: Cormeau/Störmer: Hartmann von Aue, S. 197.
8
Wace: Roman de Rou, v.6409-6411. „Dort pflegte man die Feen zu sehen, wenn die Bretonen uns
die Wahrheit sagen, und manche andere Wunder“ (zitiert nach Zenker, Ivainstudien, S. 131.)

6
Aber bei ihm führt die Begießung der Steinplatte mit Brunnenwasser zu keinem
Sturm, nur labendes Regen wird erzeugt, auch das Motiv des Kampfes mit dem
Herrn des Waldes fehlt. Noch dazu kann es möglich sein, dass diese Stelle vom
Werk Chrétiens beeinflusst sei, und nicht umgekehrt, wie vermutet. Es bleibt also
weiterhin ein Rätsel, woher Chrétien seine Geschichte schöpfte, wie und wann diese
Geschichte mit dem Namen Iweins in Verbindung kam. Hat alles Chrétien
geschaffen, und dafür einen Namen aus der Artusritterschaft ausgesucht? Oder hat es
diese Geschichte schon früher gegeben, und wurde mit Iwein, dem Artusritter
verbunden? Diese Fragen sind nur schwer, oder vielleicht gar nicht zu beantworten.
Über die Beliebtheit des Yvain zeugt, dass es vier weitere Fassungen nach
Chrétiens Roman entstanden – je eine in englischer, altnordischer und altschwedi-
scher Sprache, und freilich eine auf Deutsch: Hartmanns Iwein. Auf ihn beruhen
zwei weitere Dichtugen: Ulrich Füetrers Iban im Buch der Abenteuer und Gerhard
Anton von Halems Ritter Twein aus dem 18. Jahrhundert. Es gibt noch eine Fassung
in kymrischer (altwalisischer) Sprache, die möglicherweise unabhängig vom Roman
Chrétiens entstanden ist.

1.1. Yvain, ou Le chevalier au lion von Chrétien de Troyes

Der große altfranzösische Epiker des 12. Jahrhunderts, Chrétien de Troyes schrieb
seinen Yvain, ou Le chevalier au lion am Ende des 12. Jahrhunderts; der Zeitpunkt
wird anhand einiger Einzelheiten9 zwischen 1166 und 1177 festgelegt. 10
Viel forschte man danach, woher Chrétien seine Geschichte schöpfte. Wie so
oft, bildeten sich zwei Parteien, die eine vertritt die Meinung, der Yvain sei eine freie
Schöpfung von Chrétien, als Gegenstück zum Erec et Enide gestaltet. Im Mittelpunkt
stehe das Motiv der ‚leicht getrösteten Witwe’, welche von der Geschichte der
Jokaste im Roman de Thébes herkomme. Diese These wurde von der anderen Partei,
allerdings mit Recht, stark bestritten 11 , und dagegen die Behauptung aufgestellt, das
Roman fuße auf einer Sage, die aus Motiven verschiedener irischen Sagen
zusammengestellt, und mit dem antiken Motiv des Löwen bereichert sei.

9
Wie der Bezug auf Noradin (v. 596) und vor allem die Angabe, zwischen Pfingsten und Johannistag
lägen 14 Tage (v. 668), was nur in ganz bestimmten Jahren vorkommt so 1166 und 1177.
10
Hofer: Chrétien de Troyes. Leben und Werk des altfranzösischen Epikers, S. 155-156.
11
s. Zenker: Ivainstudien, vor allem S. 84-93.

7
Die Wahrheit könnte irgendwo dazwischen liegen: der Iwein-Stoff scheint
einheitlich und keine Komposition verschiedener Elementen zu sein. Dass uns diese
ursprüngliche Form nicht überliefert ist, spricht nicht gegen seine Existenz – und
eben wegen seiner Einheitlichkeit kann das Yvain nicht auf verschiedenen Sagen
über Curoi oder Cuchulainn 12 zurückgehen: die Parallelen mögen einen ganz anderen
Grund haben. Das Motiv der ‚leicht getrösteten Witwe’ kann ebenso wenig die
Grundlage des Iwein-Stoffes bilden, weil im Mittelpunkt eigentlich der heroische
Kampf um das erringen transzendentalen Höhen steht. Diese Fragen werden später
noch weiter erläutert.
So oder so, das große Verdienst von Chrétien ist, dass er archaische,
mythologische Stoffe in die höfischen Ritterwelt transponieren konnte, und dem
neuen Ritterideal einen Spiegel schuf. Die Formulierung von Szabics Imre in seinem
Vorwort zur ungarischen Übersetzung des Yvain ist sehr treffend:
„Chrétien egész költői szemléletének és verses regényei eredetiségének
kulcsa abban a lankadatlan törekvésében rejlik, hogy a kozmikus, mitikus ‚matière de
Bretagne’-nak e világi tartalmat és értelmet adjon.“ 13

1.2. Der Person des Hartmann von Aue und sein Iwein

Alles, was man über Hartmann von Aue wissen kann, weiß man nur aus seinen
eigenen Werken und aus einigen Berichten seiner Zeitgenossen. Als Gottfried seinen
Tristan schreibt, und in seinem Werk Hartmann als den größten Autor preist, scheint
es so, als ob er von einer noch lebenden Person redete (Tn, VIII. 4621-4637). Nach
Berechnungen der Forschung schrieb Gottfried sein Werk um 1210. Wenn also die
Vermutungen stimmen, war der Autor des Iwein 1210 noch am Leben.
Es gibt noch ein anderer Hinweis: in Heinrichs von Türlin Diu Crône 14 ist
eine Textstelle zu finden, wo über den Tod des großen Meisters, Hartmann von Aue
geklagt wird. Die Entstehungszeit des Werkes legen die Forscher auf 1220. So kann
ein möglichst genaues Todesdatum für Hartmann angegeben werden: zwischen 1210
und 1220.

12
s. Zenker: Ivainstudien, vor allem S. 10-83.
13
Chrétien de Troyes: Az oroszlános lovag (Yvain), S. 10
14
Ebenfalls ein Artusroman. Der Titel des Werkes geht auf sein damaliges Empfang zurück: es wurde
als Krone aller höfischen Epen gefeiert.

8
Sein Geburtsdatum ist umso schwerer zu erforschen. Weil das Durchschnitts-
alter damals 60 Jahren betrug, wird – aus dem Todesdatum zurückgerechnet –
meistens das Jahr 1160 angegeben.
Den Geburtsort des Sängers zu bestimmen ist noch vergeblicher. Was etwa
ein Anhaltspunkt zu geben scheint, die präzisierende Bezeichnung „von Aue“, hilft
uns beim näheren Anschauen doch nicht erheblich weiter. Erstens ist es von weitem
nicht sicher, ob es Hartmann selbst ist, der „von Aue“ stammt: es wird auch
angenommen, dies wäre die Bezeichnung seines Dienstherren, so vielleicht auch
seines Dienstortes. Das bedeutet noch lange nicht, er wäre auch dort geboren.
Noch dazu ist dieser ‚Aue’ nicht zu Frieden stellend identifiziert worden. Es
war ein sehr verbreiteter Siedlungsname – ‚Aue’ bezeichnet eigentlich eine
Flussgegend –, so ist es nicht verwunderlich, dass die Forscher mehrere Siedlungen
finden, die in Frage kommen könnten.
In der – schon vorher erwähnten – Crône ist zu lesen, Hartmann sei „von der
swâbe lande“ 15 – wenn wir weiterhin annehmen, dass wir ‚Aue’ in diesem
Herkunftsort zu suchen haben, ist die Suche doch ein bisschen eingegrenzt worden.
In der Forschung wird unter mehreren möglichen Lösungen an erster Stelle Au bei
Freiburg erwähnt. Das Interessante: in dieser Ortschaft wird ab 1112(!) immer
wieder ein „Henricus de Owen“ bezeugt – und diesen Namen finden wir auch im
Armen Heinrich des Hartmann wieder!
Zuletzt bleibt noch eine Frage unbeantwortet: wer war eigentlich Hartmann?
Das kann man am einfachsten beantworten: „dienstman was er zOuwe“ 16 , „ein rîter,
der gelêret was“ 17 . „dienstman“ bedeutet im damaligen Wortgebrauch soviel, wie
Ministeriale. Ministerialen waren unfreie Ritter, die mit Waffen dienten und/oder in
der Verwaltung arbeiteten. Hartmann als gelehrter Ritter dürfte wohl das letztere
getan haben, doch es wird auch vermutet, er hätte an einer der Kreuzfahrten
teilgenommen.
Über diese Tätigkeiten hinaus war er Minnesänger und Dichter bedeutender
Romane. Er war derjenige, der die Tradition des Artusromans auf deutschem Boden
begründete und mit seinen zwei Werken dieser Gattung auch die Musterbeispiele
dafür gab. Erec entstand wahrscheinlich als sein erster Roman, Iwein als sein letzter;

15
zitiert nach: Cormeau/Störmer: Hartmann von Aue, S. 24.
16
aH v. 5
17
Iw v. 21

9
beide nach Stoffen von Chrétien de Troyes, dem großen französischen Meister, den
zu übertreffen stets eine Aufgabe der deutschen Neubearbeiter war. Zwischen Erec
und Iwein liegen zwei kürzere Romane mehr geistlichen Inhaltes. Gregorius – nicht
nur in der kongenialen Bearbeitung von Thomas Mann lesenswert – wird allgemein
als das frühere der beiden erwähnt, 18 kurz danach verfasste er den Armen Heinrich –
wahrscheinlich ohne Vorlage, frei geschaffen.
Der Iwein wurde zwar als letztes vollendet, doch heute nimmt man an,
Hartmann hätte mit dem Roman schon früher, zwischen seinem Erec und Gregorius
angefangen. Das unvollendete Werk wurde wahrscheinlich schon als Fragment
gelesen und verbreitet: die reiche fragmentarische Überlieferung (s. unten) ist ein
indirekter Beweis dafür. Beweiskräftiger ist eine andere Tatsache: die Iwein-Fresken
auf den Burgen Rodeneck und Schmalkalden, die beiden definitiv von Hartmanns
Roman inspiriert wurden, stellen nur Szenen aus dem ersten Teil des Werkes dar.

1.2.1. Überlieferung

Der Iwein wurde eines der beliebtesten Epen des Hochmittelalters. Dafür sprechen
die schon erwähnten Iwein-Fresken, sowie die reiche handschriftliche Überlieferung.
Die Verfertigung der 17 Fragmente und 15 vollständigen Handschriften erstreckt
sich auf vier Jahrhunderten. Die beiden ältesten (mit den in der Forschung üblichen
Siglen A und B gekennzeichnet) sind aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die
jüngste Abschrift ist von 1521. Als Grundlage für die modernen Ausgaben wurden
natürlich A (heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg unter cpg 397.) und B
(heute in der Universitätsbibliothek Gießen unter Hs. 97.) genommen. Letztere ist
auch als Faksimile erhältlich 19 , erste in digitalisierter Form im Internet zugänglich20 .
Die zwei Handschriften gehen an vielen Hunderten von Stellen im Wortlaut
auseinander.
Erwähnenswert ist noch eine Abschrift, das sog. Ambraser Heldenbuch (in
der Österreichischen Nationalbibliothek als Codex Vindobonensis S. N. 2663
verzeichnet), eine Sammlung verschiedener mittelalterlichen Epen, verfertigt
zwischen 1508 und 1516 von Hans Ried im Auftrag Maximilians I. In dieser

18
Einige Forscher setzen das Werk nach den angenommenen Kreuzzug Hartmanns.
19
Hartmann von Aue: Iwein. Handschrift B, hg. von Heinrich Matthias Heinrichs, Böhlau Verlag,
Köln/Graz, 1964.
20
http://www.fgcu.edu/rboggs/hartmann/Iwein/IwImages/IwImages.asp? [29. 05. 2005.]

10
wunderschön illuminierten Prachthandschrift ist auch die einzige Abschrift des Erec
des Hartmanns von Aue. So lebte Hartmanns Iwein noch in der Zeit von Erasmus
von Rotterdam, Albrecht Dürer, Hans Sachs oder Heinrich Isaac weiter.

1.2.2. Beziehung zu Chrétien

Der Iwein ist ohne Zweifel eine Übersetzung des Epos Le chevalier au lion 21 .
Übersetzung bedeutet hier (wie im Mittelalter üblich) eigentlich Interpretation: mit
dem Chrétienschen Text wird relativ frei umgegangen. Diese Freiheit realisiert sich
meistens in Akzentverschiebungen; die größten sind bei der Gestaltung der Figuren
von Laudine und Lunete zu finden. So übergeht Hartmann Motive und Kommentare,
oder ändert Stellen (z.B. die mit frauenkritischem Ansatz) in höfisch-psychologischer
Weise. Hartmann mildert die Darstellung von Laudine, die bei Chrétien eher kühl
und selbstbewusst charakterisiert ist.
Gawans Rede über die Gefährlichkeit des verheirateten Lebens auf das
ritterliche Wesen ist ebenfalls abgeändert, und wurde besonders ausgedehnt. Sogar
auf Erec als Gegenstück wird ausdrücklich verwiesen (v. 2791-94), was bei Chrétien
keine Entsprechung hat. Hier, in der Beschreibung des verheirateten Ritters, der voll
Sorgen um sein Gut ist, zeigt sich Hartmanns Humor.
Eine andere hinzugefügte Stelle, die die Forschung sehr interessiert hat, ist
die Erzählung über den Raub der Ginover 22 , die Hartmann offensichtlich nicht nach
dem Lancelot von Chrétien beschreibt, sondern nach einer uns unbekannten Quelle.
Schließlich ganzheitlich, stilistisch gesehen ist es feststellbar, dass der Stil
von Hartmann höfischer ist, als der von Chrétien, der hier und da eine eher derbe
Erzählweise begünstigt. Ein Beispiel dafür könnten die Kampfbeschreibungen sein:
der französische Epiker malt diese gern als blutige Szenen aus, bei Hartmann sind sie
zwar auch breit, doch weniger blutrünstig geschildert.
Diese interpretatorische Freiheit ist bei einer mittelalterlichen Übersetzung
nicht ungewöhnlich: die weitgehende Abhängigkeit und die Methode der Interpreta-
tion könnte jedoch für eine moderne Künstlerauffassung etwas befremdend sein; bei
einer objektiven Untersuchung und einem Vergleich der beiden Texte wird erst

21
Eine Stelle (Iw v. 260) ermöglicht auch eine Gruppe der Handschriftenüberlieferung des Yvain (G)
zu bestimmen, so ist es zu sehen, welche Redaktiongruppe Hartmann benutzt hat.
22
Im Iwein eigentlich immer nur als „wîp“ von Artus und „diu künegin“ erwähnt.

11
ersichtlich, dass in einer noch nicht individualisierten Gesellschaft der Künstler sich
als Kettenglied in der Tradition sah.

1.3. Andere auf Chrétien beruhenden


Iwein-Bearbeitungen

Wie oben (Kapitel 1.) schon erwähnt wurde, genoss Chrétiens Yvain-Roman eine
große Beliebtheit und ihm folgend entstanden in mehreren europäischen Sprachen
Iwein-Romane. Im Folgenden werden die altnordische, altschwedische und
altdänische und die altenglische Bearbeitungen kurz behandelt.

1.3.1. Die altnordische Ívens saga artuskappa 23

Im Norwegen des 13. Jahrhunderts wurden mehrere französische höfische Romane in


die altnordische Sprache übersetzt, so auch Tristan des Thomas (Tristrams saga),
Chrétiens Erec et Enide (Erex saga) und Le chevalier au lion mit dem Titel Ívens
saga artuskappa. Wie der Titel schon zeigt, handelt es sich um eine Saga, also um
ein prosaisches Werk. Der Verfasser ist unbekannt. Die Saga ist in drei isländischen
Handschriften (in der Forschung mit den Siglen A, B, C gekennzeichnet) vollständig
überliefert, zwei davon sind aus dem frühen 15. Jahrhundert, der jüngste aus 1690
aber mit stark abweichendem und weiter kürzendem Text.
Der Stoff weicht nur an wenigen Stellen wesentlich vom Original ab, und es
wird hier und da gekürzt, vor allem die höfischen Diskurse werden übergangen.
Wegen seiner prosaischen Form wurde Ívens saga meist als eine Variante für
nichthöfische Kreise gehalten (im Gegensatz zum in Versen abgefassten Herr Ivan
Lejon-riddaren, s. unten), doch heute vertritt man die These, die norwegische
übersetzerische Praxis am königlichen Hof habe auch eine Adaptation in die
skandinavische Tradition, so auch in die Tradition der Sagas bedeutet. 24

23
Folgende zwei Kapitel stützen sich hauptsächlich auf: Barnes: The lion-knight legend in old norse
romance, Liffman/Stephens: Inledning und Prolegomena zur Textausgabe des Herr Ivan
Lejonriddaren, Blaisdell: Introduction zur Textausgabe der Ívens saga.
24
Barnes: The lion-knight legend in old norse romance, S. 385.

12
1.3.2. Der altschwedische Herr Ivan Lejon-riddaren
und der altdänische Ywan och Gawian

Das altschwedische Versepos, Herr Ivan Lejon-riddaren ist eines der drei Werken,
die um 1303 in dem Hof von König Hákon Magnússon (reg. 1299-1319) aus dem
Französischen ins altschwedische übertragen wurden 25 . Die Geschichte von Iwein
wurde wahrscheinlich auch in Skandinavien sehr beliebt: nicht nur, dass das Werk in
mehreren Handschriften zu finden ist, es wurde sogar auch ins altdänische übersetzt
mit dem Titel Ywan och Gawian.
Die Geschichte stimmt weitgehend mit Chrétiens Yvain überein, lediglich mit
tausend Versen wurde gekürzt 26 . Einige Besonderheiten zeigen, dass der Übersetzer
auch die Ívens saga gekannt haben muss. 27
Neben den drei erwähnten Bearbeitungen gibt es in Skandinavien noch einen
Zeugen der Wirkung des Yvain: die Darstellungen am Val\jófsstaðir Tor. Der
kreisförmige obere Panel ist in zwei Hälften geteilt: die untere zeigt die Szene mit
der Befreiung des Löwen von dem Drachen, oben in der zweiten Hälfte links ist der
Ritter in der Begleitung des Löwen abgebildet, rechts davon liegt der Löwe bei einer
Kapelle, oder auf einem Grab 28 .

1.3.3. Das altenglische Epos Ywaine and Gawain 29

Weniger bekannt als Hartmanns Übersetzung ist das altenglische Ywaine and
Gawain, eine, auch auf Chrétiens Werk basierende Interpretation. Überliefert wurde
es nur in einem einzigen Manuskript (in der British Library unter Cotton Galba E. ix.
verzeichnet), aus dem frühen 15. Jahrhundert. Das Werk entstand wahrscheinlich
schon früher; ein genaues Datum kann nicht festgestellt werden, meistens wird die
Mitte des 14. Jahrhunderts angegeben.
Die Geschichte weicht nicht sonderlich von dem Le chevalier au lion ab, die
Hauptbemühung des unbekannten Verfassers stand ersichtlich darin, den Stoff
25
Die anderen sind: Hertig Fredrik af Normandie (dessen französisches Original verschollen ist) und
Flores och Blanzeflor (nach Floire et Blancheflor). vgl. Barnes: The lion-knight legend in old norse
romance, S. 392.
26
5754 Verse gegen Chrétiens 6745 Verse.
27
vgl. Barnes: The lion-knight legend in old norse romance, S. 392-394.
28
vgl. Barnes: The lion-knight legend in old norse romance, S. 384.
29
Der Kapitel fußt hauptsächlich auf: Berger: Chrétiens Löwenritter und der mittelenglische Ywain
and Gawain.

13
straffer wiederzugeben. Davon werden Schilderungen, sowie Monologe und Dialoge
betroffen, sie erleiden starke Kürzungen, höfische Exkurse werden meistens getilgt.
So ist Ywaine and Gawain mit 2774 Versen kürzer und im Stil einfacher, als seine
altfranzösische Quelle.
Früher war es allgemein, das englische Epos als ‚flach’ und ‚uninteressant’
bei Seite zu legen, heute ist man schon eher in der Ansicht, Ywaine and Gawain nicht
im Vergleich mit Le chevalier au lion zu bewerten. Das Werk entstand für ein
englisches Publikum, das offensichtlich an handlungsreiche Geschichten gewöhnt
war, und die subtile Ironie der französischen Dichtung nicht verstand. Ywaine and
Gawain erfüllt so sein Zweck, wurde ein spannendes und provokatives Werk zur
Unterhaltung.

1.4. Chwedyl Iarlles y Ffynnon der kymrischen Mabinogion 30

Die elf Prosaerzählungen, die heute unter dem Titel Mabinogion bekannt sind, sind
in zwei Kodices vollständig und in einigen anderen fragmentarisch überliefert. Die
zwei vollständige Abschriften entstanden im 14. Jahrhundert: das Weiße Buch von
Rhydderch (Llyfr Gwyn Rhyderch) um die Zeit 1300-1325, das Rote Buch von
Hergest (Llyfr Coch Hergest) um die Zeit 1375-1425.
Die drei Artusromane (romances), Die Dame von der Quelle, Peredur Sohn
von Efrawg und Gereint, Sohn von Erbin sind wahrscheinlich die Spätesten der
Geschichten, und sie zeigen deutliche franko-normannische Einflüsse. Es wird
diskutiert, ob sie unter Wirkung der Chrétienschen Werken (Yvain, Perceval, Erec et
Enide) entstanden sind, oder auf eine gemeinsame Vorstufe beider Zyklen
zurückgehen. Hier ist es aber nicht möglich, näher auf die verschiedenen Thesen
einzugehen, es sei nur erwähnt, was als Voraussetzung für die Folgenden als wichtig
erscheint.
Ungeachtet, ob das walisische Werk unabhängig von dem Chrétienschen ent-
stand oder nicht, weist es mehr archaische Züge auf, als das französische (und das
deutsche). Diese könnten auf einer archaischeren Weltanschauung, anders formuliert,
auf einer noch lebend wirkenden vorchristlichen Tradition beruhen, die den Stoff

30
Der Kapitel stützt neben Zenker: Ivainstudien auf: Jones: Introduction zur Ausgabe der
Mabinogion; Thompson: Owain: Chwedl Iarles y Ffynnon.

14
auch nachträglich auf einen ‚archaischeren’ 31 Standpunkt zurückgeführt haben muss.
Als Endergebnis hat man also in beiden Fällen eine Fassung, die einem vermuteten
‚Original’ näher steht, als Chrétiens Werk. Deshalb ist bei der Interpretation des
Iwein (und auch des Erec und des Parzival) die Erzählung über die Dame von der
Quelle (bzw. Gereint und Peredur) eine unentbehrliche Hilfe. Gerade die
abweichenden Stellen ermöglichen einen tieferen Einblick in die Logik dieser
Geschichten. Einige dieser Unterschiede werden bei der Suche nach mythischen
Elementen im Iwein-Stoff behandelt.
R. L. Thompson wirft ein wirklich einschlagendes Argument neben der
Abhängigkeit der Romanzen in den Mabinogion mit den Chrétienschen Romanen
auf 32 : es sei nämlich bedenklich, wieso nur diese drei Romane von Chrétien eine
walisische Fassung haben. Eine Antwort darauf könnte sein, dass der große Erfolg
des französischen Dichters die schriftliche Fixierung der bis dahin nur mündlich
überlieferten Geschichten gefördert haben dürfte, also dass ein erhöhtes Interesse
nach diesen Geschichten die Beweggrund gewesen sein könnte, sie in ihrer
ursprünglichen Form niederzuschreiben. So wären viele Eigenartigkeiten des Owein
(und die anderen beiden Artusromanzen) zu erklären: die späte Überlieferung, die
französischen Einflüsse, usw. Vielleicht wird es in einer späteren Arbeit möglich sein
auf diese Frage noch zurückzukommen.

1.5. Die auf Hartmann beruhenden Iwein-Bearbeitungen

Die beiden letzten Werke, die noch erwähnt werden müssen, sind auch die zeitlich
am spätesten entstandenen. Während das eine sozusagen das letzte der mittelalterli-
chen Iwein-Bearbeitungen ist, ist das andere schon eine moderne Neudichtung. So ist
der Unterschied zwischen diesen beiden Fassungen gewaltig, und in diesem
Unterschied kann man leicht die Verschiedenheit der Epochen sehen, in denen diese
Bearbeitungen gedichtet worden sind.

31
Hier in der wortwörtlichen Bedeutung als ‚anfänglich’ und „prinzipiell“ (vgl. lat. principio)
verstanden.
32
vgl. Thompson: Owain: Chwedl Iarles y Ffynnon, S. 168.

15
1.5.1. Von Iban in Ulrich Füetrers Buch der Abenteuer 33

Am Anfang der Renaissance erfolgt ein neues Interesse an der höfischen Kultur des
Mittelalters, das die Abschrift höfischer Epen und auch Neubearbeitungen veranlasst.
Der Münchner Maler Ulrich Füetrer bearbeitet zwischen 1467 und 1487 mehrere
höfische Epen neu. In seinem Buch der Abenteuer versucht er die Geschichten um
Artus zyklisch zusammenzustellen. Der erste Teil des Werkes beinhaltet die
Vorgeschichte des Grals und der Artuswelt. Im zweiten Teil werden die Abenteuer
der Ritter der Tafelrunde erzählt, darunter auch die von Iban.
Das in der Titurelstrophe verfasste Werk beruht auf Hartmann, doch kürzt
den Stoff weitgehend: der Iban ist nur ein drittel so lang, als der Iwein 34 . Den Iban
macht für diese Arbeit besonders die zenkersche Behauptung interessant. Er meint
nämlich, dass Füetrer auch eine andere Iwein-Quelle benutze – an einigen Stellen
weiche er nämlich verblüffend stark von Hartmann ab –, die mit der Version der
Mabinogion Ähnlichkeiten aufweise. 35
Weiterhin soll man nicht vergessen, dass der Iban Teil eines größeren Ganzen
ist. So erscheinen Motive aus Hartmanns Iwein auch an anderen Stellen des Buchs
der Abenteuer, oder Ibans Abenteuer werden mit anderen Heldentaten verglichen.36
So weiß der strophische Lannzilet des Buchs der Abenteuer auch von Ibans
Tod: wie es auch der deutsche Prosa-Lanzelot (und dessen französische Quelle)
beschreibt, findet „Ywan … konig Urgins sone“ 37 auf der Gralssuche durch Gawans
Hand seinen Tod. Füetrer beschreibt ebenfalls den Zweikampf zwischen den zwei
Freunden, Iban und Gaban, die sich zu spät erkennen. Wie man aber so schön sagt,
ist das eine andere Geschichte.

1.5.2. Gerhard Anton von Halems Ritter Twein

In der Zeiten der Aufklärung, unter dem Einfluss der beginnenden Rezeption der
mittelalterlichen Literatur verfasste Gerhard Anton Halem seinen Ritter Twein,

33
Der Kapitel fußt neben Zenker: Ivainstudien und Cormeau/Störmer: Hartmann von Aue auf Voss:
Die Iwein-Rezeption Ulrich Füetrers.
34
297 Strophen, also 2079 Verse gegen die 8166 Verse Hartmanns.
35
s. Zenker: Ivainstudien, S. 209-212. Andere Forscher bestreiten die Möglichkeit einer zweiten
Quelle, vgl. Mertens: Laudine, S. 74.
36
s. Voss: Die Iwein-Rezeption Ulrich Füetrers, S. 343-344.
37
zitiert nach Voss: Die Iwein-Rezeption Ulrich Füetrers, S. 346.

16
erschienen 1789. Die Dichtung beruht auf einer damaligen Ausgabe höfischer Epen
von Heinrich Myller (Müller). Freilich ist diese Sammlung deutscher Gedichte aus
dem XII. XIII. und XIV. Jahrhundert noch keine textkritische Ausgabe; im 18.
Jahrhundert war ja diese Methode noch nicht mal ansatzweise entwickelt. Henrici hat
folgendermaßen darüber geurteilt: „es sind ausgaben mit dem zwecke, den lesern des
18. jhs. die alten gedichte geniessbar zu machen. zu dem zwecke wurden die alten
sprachformen durch neue ersetzt, unverstandene vocabeln mit geläufigeren
vertauscht und fehlende worte einfach ergänzt: alles freilich sehr mangelhaft.“ 38
Schon in der müllerschen Ausgabe kommt der Name Iwein in der Form von
Twein (neben Twen) vor – offensichtlich als Ergebnis eines Lesefehlers – und wird
auch von Halem so übernommen 39 .
Die Bearbeitung von Halem steht schon im Zeichen der Aufklärung:
vielleicht nicht im Sinne von Rationalismus (obgleich auch das nicht auszuschließen
ist), sondern von einem aufklärerischen Künstler-Ethos. Die epische Struktur wird
durch eingefügte strophische Lieder aufgelockert, die Erzählweise in einem naiven
Stil gehalten, gemäß der Vorstellung des 18. Jahrhunderts, mittelalterliche Dichtung
sei eigentlich Volksdichtung.
Auch der Stoff wird stark verändert: in einer Weise, wo man schon über
Missverstehen des Inhaltes des Iwein-Stoffes sprechen möchte. Nicht nur, dass
wichtige, aber märchenhafte Elemente, wie der unsichtbar machende Ring, der
helfende Löwe, die Kämpfe mit den Riesen einfach ausfallen, sondern auch andere
Motive, wie die schnelle Heirat von Iwein und Laudine, und das Terminversäumnis,
werden stark verändert. So möchte bei Halem Laudine nur ein Jahr später Twein
heiraten, und verbannt ihn für diese Zeitspanne aus ihrem Land. Später bereut sie
aber ihre Tat und schickt einen Zwerg zum König Artus. Twein hat aber schon
seinen Hof verlassen, seiner Sinne beraubt wegen der Trennung von seiner Liebsten.
Das typische bei dieser Neubearbeitung ist, dass die erzählerische Haltung
schon eine moderne ist, während die Verfasser des Mittelalters, sogar noch Ulrich
Füetrer eine premoderne Haltung vertreten. Gerhard Anton von Halem verfasst
seinen ‚eigenen’ Iwein, fühlt sich nicht mehr als ein Teil einer Tradition, und deshalb
auch nicht verpflichtet, die Geschichte möglichst treu wiederzugeben. Damit geht

38
zitiert nach: H. Beutin/W. Beutin: Der Löwenritter in der Zeiten der Aufklärung, S. 58.
39
Allerdings nicht ohne Kritik: in einer Fußnote zum Werk macht er folgende Bemerkung: „Nach
einem Altschwäbischen Gedichte Twein (vielleicht Iwein) in Müllers Samml. deutscher Gedichte aus
dem 12. 13. und 14. Jahrh. 2. B.“ von Halem: Ritter Twein, S. 107. (233.) [Hervorhebung von mir.]

17
aber die innere Kohärenz des Iwein-Stoffes verloren, er büßt sein mythologisches
Wesen ein, und wird zu einer zwar mythologisierenden (es kommen ja immer wieder
Nixen und Zwerge im Werks Halems vor), aber doch durch und durch modernen
Dichtung.

18
2. ÜBER DAS WESEN DES MYTHOLOGISCHEN

Der Begriff ‚Mythologie’ wird hier und im Folgenden als eine Fülle von kosmologi-
schen und Initiationselementen aufgefasst, die in einem symbolischen und narrativen
Kontext ausgedrückt werden. Diese Motive – als Teil einer zusammenhängenden
Kosmologie – stehen in enger Verbindung miteinander, haben eine gewisse Logik,
die mit der rationalistischen Denkweise von Natur aus nichts zu tun hat.
Oft wurde schon von der Seite der Religionswissenschaft die Aufmerksam-
keit an die initiatische Motivik der Artusromanen gelenkt, doch blieb das bisher von
der Literaturwissenschaft nicht (oder nicht tiefgreifend genug) beachtet. Die
Literaturforschung suchte meistens nur nach literarischen Quellen, und auch wenn –
im Falle von Yvain – die aricianische Dianaquellenkult 40 herangezogen wurde,
spielte die Auffassung mit, dass sich die Entstehung auf literarischer Ebene
abgespielt hat; weil aber so die Erforschung des ursprünglichen Inhaltes nicht
erfolgte, konnten nur äußerliche Übereinstimmungen festgestellt werden, die inneren
Zusammenhänge blieben unberücksichtigt.
Loomis und Brown haben gezeigt, dass eine Ähnlichkeit, möglicherweise
auch eine Verwandtschaft zwischen den Stoffen der Artusromane und der irischen
Sagenwelt besteht. 41 Freilich ist es übertrieben, wegen dieser Verwandtschaft eine
direkte Abstammung des Iwein von Cuchulainn zu vermuten.
Mythologische Geschichten, Sagen basieren immer auf einer lebenden
Tradition, die als kosmologisches und religiöses Wissen erscheint. Der Mensch hat
also immer Erkenntnisse über den Aufbau der Welt und über seine Beziehung zu den
göttlichen Kräften. Entstehungsgeschichten und Pantheone haben die Aufgabe den
Menschen Orientierungsmöglichkeiten zu geben. So weiß der premoderne Mensch
nicht nur über die materielle Welt Bescheid, sondern steht auch mit dem Transzen-
denten in Verbindung. Diese Verbindung ist aber den Menschen nicht mehr offen,
wie in illo tempore, kann nur durch Rituale wiederhergestellt werden. 42 Die Rituale

40
Durch Nitze: A new sorce of the Yvain. vgl. Zenker: Ivainstudien, S. 95-111.
41
vgl. Zenker: Ivainstudien, S. 10-41. und Ó Riain-Raedel: Untersuchungen zur mythischen Struktur
der mittelhochdeutschen Artusepen, a.m.O.
42
Den Menschen in principio, den ‚Ahnen’, war dieser Verbindung von Natur aus gegeben. Doch mit
der Zeit entfernten sich die Menschen vom Transzendenten, so ist es nicht mehr Jedem die Fähigkeit
gegeben den Göttern zu ‚begegnen’. Dieser universale Gedanke findet sich überall: als bekannter
Beispiel seien nur die griechische Lehre über die fünf Zeitalter, die germanische Erzählung der
Ragnarök und die jüdisch-christliche Glaube von Adams Fall erwähnt. vgl. Eliade: Le Sacré et le
Profane, S. 103. ff.

19
entfalten ihre reale Kraft dadurch, dass sie nach den kosmologischen Prinzipien
gerichtet sind, und dass sie nichts anderes sind, als ‚Wiederholungen’ der Taten der
Götter und Heroen der Zeit in principio. Die Riten haben also oft die Struktur, wie
die Geschichten, die den Weg eines Heroen zeichnen, der durch symbolischen
Abenteuer den ‚gefährlichen Pfad’ zum Transzendenten geht. Die Helden, Halbgötter
repräsentieren das Typus, das die Aufgabe hat, den Weg ins Transzendente (in die
‚Andere Welt’) zu wagen. Mit dieser heroischen Tat macht er die Initiation
‚zukünftiger Generationen’ möglich 43 . Ähnliche Geschichten sind in jeder Religion,
bei jedem Volk zu finden. 44
Das Interessante ist, dass einige Artusromane, so auch Erec et Enide/Erec,
Yvain/Iwein, Perceval/Parzival 45 , an gewissen Stellen Verwandtschaft mit der
Auffassung über die initiatische Reise zeigen. In der folgenden Interpretation wird
versucht diese Beziehung im Falle von Iwein zu zeigen.

2.1. Die aventiure als Initiationsreise

Hildebrant und Hadubrant treffen sich zwischen ihren zwei Heeren, Siegfried geht
nach Worms mit ausgewählten Rittern – die Ritter der Tafelrunde gehen dagegen
immer allein auf aventiure-Suche. Es ist bekannt, dass es so etwas nie in der
Wirklichkeit gab: hier taucht ein Muster auf, das eine grundlegende Aussage über die
Artusritterschaft macht.
Sie sind auf sich gestellt, ihre Reisen und ihre Abenteuer haben mit der Erfor-
schung ihrer Selbst zu tun. „Das Erwachen des Menschen aus Blindheit, Traum und
Torheit ist ein Motiv aus einer umfassenden Thematik der Artusromane und der
höfischen Dichtung überhaupt: Selbstentfremdung, Sich-selbst-zur-Frage-Werden,
Zu-sich-selber-Kommen, Sich-selber-Suchen“ 46 – sagt Max Wehrli im Zusammen-
hang mit Iwein. Dieses Sich-selber-Suchen wird oft mit dem Motiv ausgedrückt, dass
der Ritter die Aufgabe hat, seinen eigenen Namen zu erfahren. Parzival weiß, als er
auf die Reise geht, über seine eigene Identität nicht Bescheid. Er erfährt seinen

43
Es wäre an der initiatischen Tradition von Orpheus zu denken.
44
Um einen Beispiel zu nennen: wie bekannt, ist ein Teil der ungarischen Volksmärchen – die sog.
Táltos-Märchen – als Beschreibungen der Einweihung des Táltos (= Schamane) zu verstehen.
45
Der wolframsche Parzival ist auch in einem anderen Gesichtspunkt zu verstehen.
46
Wehrli: Iweins Erwachen, S. 496.

20
Namen vor seiner Aufnahme in die Tafelrunde von Sigune (Pz v. 140,16-17). Es ist
noch bezeichnender, dass ihm bei Chrétien nur nach dem ersten Besuch auf der
Gralsburg seine wahre Identität bekannt wird (Pc v. 3572-82). Im Lanzelot des
Ulrichs von Zatzikhoven erfährt der Held von einer Botin der Wasserfee seinen
Namen und seine Herkunft (L v. 4705-37.) fast in der genauen Mitte des Werkes
(9406 Verse). Selbst im Iwein kommt dieses Motiv vor, verbunden mit der Befreiung
des Löwen, davon aber erst später.
Während aber dieses Motiv für den Artusroman typisch ist, ist es für das
Heldenepos unbekannt. Außer in Stellen, die möglicherweise ebenfalls auf
mythologisch-initiatischen Traditionen beruhen – wie Siegfrieds Drachenkampf, und
die Episode mit dem Erwerb des Nibelungenhortes – tauchen parallele Motive auf.
Als typisch und immer wiederkehrend sind folgende Elemente zu erachten:
1. die obligate Einsamkeit des Helden;
2. die Fülle von märchenhaften Elementen;
3. das Motiv der Stellvertretung: wenn im Kampf der Held einen stärkeren
Gegner besiegt (meistens auch tötet), tritt er in seine Stelle. So wird Parzival nach
dem Töten des Ithers selbst zum Roten Ritter (Pz v. 383,24., v. 388,08., u.A.) Iwein
wird der neue Beschützer der Quelle (Iw v. 2421-2450.);
4. das überaus wichtige Motiv des Schlafes, der Krankheit oder des Scheintodes,
andererseits der Entrückung und des Wahnsinns, welchen Zustand das Erwachen
folgt (typische Beispiele sind Parzivals Entrückung, Pz v. 480,25-301,30., Tristans
zweimalige Heilung durch Isolde, nach dem Kampf mit Morold und nach dem
Drachenkampf, Tt v. 931-1219. und v. 1800-1865, Tn v. 7257-7961. und v. 9369-
9460, Erecs Verwundung und Heilung, E v. 6921-7236., Iweins Wahnsinn und
Erwachen, Iw v. 3201-3596.);
5. die Namenfindung (für Beispiele s. oben);
6. das Erreichen und die Befestigung eines erhöhten Seinszustandes, nach
mehreren aventiuren am Ende des Romans.
Alle diese Erscheinungen kann man in dem Ablauf der Initiation wiederfinden:
1. Die initiatische Einsamkeit bezweckt, dass hier der Mensch als Individuum
sich verändern soll. Dieses Motiv kann in vielen verschiedenen Formen der
Einweihungsritualen vorkommen: in vielen Einweihungsriten, so in der Schamanen-

21
initiation spielt die Einsamkeit eine große Rolle 47 : der Auserwählte wird ins Wald
getrieben und darf nur nach bestimmter Zeit oder nach Erlangen bestimmter Kräften
wiederkehren. 48 Die Einsamkeit des Weihenden ist so struktural, dass es auch in der
Ritual der Schwertleite noch zu finden ist: die Knappen müssen eine Nacht hindurch,
stehend in einer Kirche wachen 49 .
2. Viele der als märchenhaft eingestuften Elemente gehen auf den initiatischen
Symbolismus zurück: ja die Märchen selbst sind oft Überreste von initiatischen
Erzählungen. Es ist bekannt, dass die meisten (Volks-)Märchen, sog. ‚gesunkenes
Kulturgut’ sind, also durch Degeneration mythologischer Stoffe oder literarischer
Werke der höheren gesellschaftlichen Schichten entstanden. Märchen erzählt man,
wenn die Mythen nicht mehr als wahr und real angesehen werden. Eine der großen
Unterschiede zwischen Mythos und Märchen liegt eben da, dass Mythen vom
Zuhörer als wahr eingestuft werden, während Märchen fiktional sind. 50 Die
„märchenhaften“ Elemente in Artusromanen erscheinen in einem Kontext, wie es für
Heldenmythen typisch ist, sind also im Endeffekt eher mythologisch zu nennen, statt
sie mit Märchen in Verbindung zu bringen.
3. Im Egyptischen Totenbuch, das freilich auch zur Einweihungsliteratur gehört,
reist der Tote zwischen spirituellen ‚Stationen’ oder ‚Ebenen’, wo er sich – oft nach
einem Kampf – als gleich mit den Kräften oder Göttern der ‚Station’ oder ‚Ebene’
erkennen muss. Auch bei den schamanistischen Völkern ist dieser Motiv der
‚Stellenübernahme’ 51 zu finden: nachdem Fehérlófia Péter, im berühmten
ungarischen Táltos-Märchen, die Drachen der silbernen, goldenen und diamantenen
Palasten tötet, wird er Herr über all diesen Reichen und gewinnt auch die Frauen der
drei Drachen. 52
4. Im Grunde besteht die Initiation aus drei Stufen:
i. Einweihungstod;
ii. Gewinnung von transzendenten Kräften;
iii. Befestigung in einer neuen ontologischen Qualität.

47
Eliade: Le chamanisme, S. 67.
48
Dieses Motiv steht auch mit dem sog. ‚Einweihungstod’ in Verbindung (s. unten).
49
Bumke: Höfische Kultur, S. 326.
50
Ó Riain-Raedel: Untursuchungen zur mythologischen Struktur, S. 43-49.
51
Gemeint ist hier, dass der Held die Stelle des Besiegten übernimmt.
52
Ortutay: Nyiri és rétközi parasztmesék, S. 58-78. (n.b.: die leicht verstehbare Symbolik der
Edelmetalle und -Steine ist auch bedeutungsvoll.)

22
Der Einweihungstod ist das grundlegendste Element in allen Initiationen. Es
repräsentiert, dass der Mensch durch die Einweihung in eine andere Welt
hinübergeführt werden soll, also er muss für ‚diese Welt’ sterben. In allen Arten der
Einweihungsliteratur kommt dieses Motiv vor. Als Fehérlófia Péter in der Unterwelt
sitzen bleibt („»Er wird aber nie wieder heraufkommen«“ 53 wird über ihn gesagt),
wird er von einem Griffen gefressen, doch später wieder herausgespuckt, siebenmal
schöner als zuvor. Sein Einweihungstod und sein Auferstehen in einem erhöhten
Seinszustand werden dadurch besonders deutlich ausgedrückt.
5. Bei der Initiation erwirbt der Geweihte fast immer einen neuen (oft gehei-
men) Namen; die Logik ist offensichtlich: im Einweihungstod stirbt das alte
Individuum und ist mit dem Auferstehenen nicht identisch. Eliade beschreibt, dass
bei dem Volk der Wiradjuri, die Mütter ihre Söhne nach deren Einweihung als
Fremde betrachten, und trauern regelrecht nach ihnen. 54 Damit im täglichen Leben
ausgedrückt werden kann, dass der Auferstehene nicht mit dem Gestorbenen
identisch ist, erhalten die Initiierten oft einen neuen Namen. 55 Das ist noch heute im
Ritus der Priesterweihe zu finden.
6. Die Initiation hat den Zweck, den Menschen in die befestigte ontologische
Qualität des Heiligen, also des Immerwährenden zu übersetzen. Das wird oft durch
eine Heirat mit einer überirdischen Frau symbolisiert. Dieses bezeichnende ‚happy
ending’ beschreibt also das Erreichen eines befestigten spirituellen Seinszustandes.
Die berühmte Struktur des doppelten Zirkels – den auch der Iwein aufweist – ist auch
in diesem Sinne zu verstehen: der Held erreicht scheinbar mit Leichtigkeit eine
erhöhte Position, doch verliert auch bald auf irgendeiner Weise diesen Status und hat
diesmal schon lange Kämpfe auszufechten, so mit Mühsal die vorherige Position
wieder zu erreichen und diesmal auch zu befestigen. Das erinnert an ein oft
beschriebenes Erlebnis der Mystiker: in mystischer Ekstase erreichen sie eine
spirituelle Höhe, die sie aber nicht beherrschen können und es wird ihnen erst nach
langem innerem Kampf möglich, sich in Gottes stetiger Nähe zu befestigen. Das
wird zum Beispiel in der Vita des Heinrichs Seuse beschrieben, Juan de la Cruz

53
„»De ő nem jön fel sose!«”, Ortutay Gyula, Nyiri és rétközi parasztmesék, S. 72. Ich zitiere nur
deshalb so gern immer und wieder das Märchen von Fehérlófia Péter, weil dieses auf keiner Weise
mit den europäischen zusammenhängt, so kann durch ihm besonders deutlich gezeigt werden, wie
ähnliche Motive mit ähnlichen Bedeutungen in verschiedenen Kulturen entstehen können.
54
Eliade: Initiation, rites, sociétés secrètes. S. 35-36.
55
Eliade: Le chamanisme, S. 67.

23
widmet dem Thema ein ganzes Buch (Die finstre Nacht der Seele), und darüber
spricht Eckhart wenn er meint:

Daz der mensche got enpfæhet in im, daz ist guot, und in der enpfencli-
cheit ist er maget. Daz aber got vruhtbærlich in im werde, daz ist bezzer;
wan vruhtbærkeit der gâbe daz ist aleine dankbærkeit der gâbe, und dâ ist
der geist ein wîp in der widerbernden dankbærkeit, dâ er gote widergebirt
56
Jêsum in daz veterlîche herze.

Nämlich die Seele muss nicht nur Gott als eine Jungfrau empfangen, muss ihn auch
in sich gebären lassen, Frucht tragen lassen. Die mystische Literatur, wie es schon oft
gezeigt wurde, basiert auch auf einer Einweihungsstruktur.

Damit wäre gezeigt, dass es mindestens Parallelen zwischen initiatischen Traditionen


und Artusromanen gibt. Zunächst wird erforscht, wie diese Struktur im Iwein zu
finden und zu deuten ist.

56
Meister Eckhart: Deutsche Predigt Q 2, S. 10.

24
3. DAS INITIATISCHE MUSTER IM IWEIN

Das Problematische im Erforschen mythologischer Strukturen des Iwein ist, wie die
christlichen und die vermeintlich vorchristlichen Züge voneinander zu trennen sind.
Weil auch das Christentum – nicht nur die zwei Testamente, sondern auch das
christliche Brauchtum – viele Initiationselemente enthaltet, ist es schwer zu
unterscheiden, ob diese Züge:
1. gänzlich Zusätze sind, und die kosmologische Bedeutung christlich ist;
2. vorchristlich sind, wurden aber später durch den Christentum beeinflusst;
3. gänzlich vorchristlich sind.
Meistens ist diese Frage nicht eindeutlich zu beantworten, doch ist es möglich eine
kohärente Einweihungsstruktur aufzuweisen, die nicht ursprünglich christlich,
sondern nur vom Christentum beeinflusst zu sein scheint.

3.1. ‚Der schmale Pfad’

Von vielen Forschern wurde schon die These vertreten, dass die Gegend der im
Iwein beschriebenen Wunderquelle ursprünglich in die ‚Andere Welt’ zu denken
ist. 57 Diese These wird einerseits von derer paradiesischer Beschaffenheit bekräftigt,
andererseits zeigt der Weg, der ins Reich von Laudine führt, Züge auf, die diese
Deutung weiter unterstützen.
Auch hier muss man aber sehr vorsichtig sein: die Züge, die nämlich auch
durch christlichen Einfluss hätten entstehen können – sei es durch Chrétien
geschehen, oder noch früher –, sind nicht als direkte Beweise zu nehmen.
Das biblische Motiv des ‚schmalen Pfades’ (Iw v. 265-267) ist zu diesen
Zügen zu rechnen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass viele dieser Motive,
wenn auch nicht alle, eigentlich nicht ausschließlich in dem Christentum bekannt
sind, sondern in mehreren verschiedenen Kulturen vorkommen. Wenn man also
diese Motive ganz außer Acht ließe, und sie von vornherein als späteren christlichen
Zusatz abgetan wären, könnte man in die Falle treten, dass möglicherweise
ursprüngliche – wenn nicht die ursprünglichsten – Motive unbeachtet blieben.

57
So auch Zenker: Ivainstudien, unter anderen S. 204-208.
Es ist durchaus denkbar – wie oben schon angedeutet –, dass Züge, die im
vorchristlichen Stadium mindestens ähnlich waren, eben rückläufig eine christliche
Deutung erhielten.
Als der ‚schmale Pfad’ wird, auch im christlichen Sinne, der Weg ins
Himmelreich beschrieben, und undurchdringliche Pfaden führen auch in anderen
Traditionen oft in die ‚Andere Welt’. Der Gedanke, der sich dahinter verbirgt, ist
eindeutig: viele Mythen berichten über den anfänglichen ‚Goldenen Zeitalter’, als
noch viele Wege ins göttliche Reich führten, doch mit der Zeit wurden sie versperrt,
die spirituelle Welt wurde nicht mehr zugänglich. Der Heroe hat die Aufgabe, die
versperrten Wege passierbar zu machen, damit das Heilige ungehindert in die
profane Welt eindringen kann.
Wie auch in der mittelalterlichen Kosmologie, hat die ‚Andere Welt’58
verschiedene Schichten oder Ebenen (manchmal ist von ‚Stationen’ die Rede) – die
der Held zu überwinden hat – das heißt, er muss einen Kampf bestehen, oder eine
friedliche, gastfreundliche Landschaft hinter sich lassen, deren Gefahr eben darin
besteht, dass der Held dort ‚haften’ bleibt, und keine weiteren spirituellen Höhen zu
erringen versucht. 59
Der Weg führt letztendlich in die ‚Mitte der Welt’. Die Mitte repräsentiert
immer auch den ‚Anfang’. Den Punkt, wo Zeit und Raum eins werden, also
eigentlich den Moment der fiat lux. Das ist einfach einzusehen, wenn wir an
verschiedene Darstellungen traditioneller Kosmologien denken: in der Mitte des
germanischen Weltbildes steht der Weltbaum Yggdrasil als axis mundi; in der Mitte
der buddhistischen Mandalas sitzt immer Buddha, der über Zeit und Raum in seinem
fortwährenden Anfänglichkeit ist. Christus (oder die Trinität) wird auch in der Mitte
eines kreisförmigen allegorischen Weltbildes vor- und dargestellt, ebenso wie das
Paradies – nehmen wir nur das Weltbild der Divina Comedia von Dante, oder die
Illuminationen zu den Visionen der Hildegard von Bingen zum Beispiel.
Iwein (und vor ihm Kalogrenant) geht genau diesen Weg. Wenn es gelingt zu
zeigen, dass die Beschreibung der Wunderquelle Züge von der Vorstellung der Mitte

58
Eigentlich die ‚Anderen Welten’, nämlich die Untere und die Obere.
59
Hier wäre z.B. auf den Insel der Sirenen aus der Odyssee zu denken, oder auf Ebenen des
schamanistischen Weltbaumes, wo wunderschöne Frauen das Weitergehen des Schamanen hindern
wollen (Eliade: Le chamanisme, S. 79.). Weitere Beispiele könnten noch aus den verschiedenen
Totenbücher, oder aus der mystischen Literatur zitiert werden.

26
der Welt aufweist, ist auch selbstverständlich den Weg selbst, der da hinführt, auch
als ein Pfad ins Transzendente aufzufassen.
Artusromane sind keineswegs arm an paradiesischen Orten. Bevor die
Zauberquelle im Iwein untersucht wird, soll ein ‚anderer’ oft erwähnter Ort gedeutet
werden, der von mehreren Autoren als Teil mythologischer Herkunft eingestuft
wird 60 , damit später auch ein Vergleich möglich wird. Die Rede ist über den
Zaubergarten im Erec.

3.2. Der verzauberte „boumgarten“ im Erec als Beispiel mythologischer Symbolik

Die letzte aventiure von Erec im Garten von „Joie de la curt“ 61 , zeigt bekanntlich
auch einige mit dem Iwein parallele Züge auf, die einige Forscher dazu veranlasst
hat, die beiden aufeinander zu beziehen.62 Wo diese Verwandtschaft fußt, ist
offensichtlich: beide sind als Abenteuer in die ‚Andere Welt’ anzusehen.
Dieser verzauberte (und verzaubernde) Garten hat außergewöhnliche
Eigenschaften, die wichtigsten sollen hier aufgezählt werden: 63
1. er ist nur an einer verborgenen Stelle, durch einen schmalen Pfad passierbar
(E v. 8698-8714., E&E v. 5765-67. GsE S. 224 64 );
2. eine Dichte Wolke oder Nebel umgibt ihn (E v. 8745-8753., E&E v. 5740-
5745 65 ; GsE S. 223);
3. er ist immer grün, seine Obstbäume blühen immer (E v. 8715-8738., E&E v.
5746-5749., GsE S. 224 66 ).

60
vgl. Ó Riain-Raedel: Untersuchungen zur mythologischen Struktur mittelhochdeutschen Artusepen,
S. 248 ff.
61
E v. 8002
62
Zenker: Ivainstudien, S. 35.
63
Dieser Analyse liegt Hartmanns Text zu Grunde, aber Chrétiens Erec et Enide und der kymrische
Mabinogi, Gereint Son of Erbin werden auch herangezogen.
64
Aus Gereint Son of Erbin scheint dieses Motiv zu fehlen, es wird jedenfalls nicht direkt erwähnt,
doch ist die Rede über eine „hedge of mist“ (S. 223), die wahrscheinlich dass passieren – außer dem
Auserwählten – unmöglich macht, S. 224: „«In what direction» asked Gereint, «does one proceed
here?» «I know not,» said Ywein «but in the direction most easy for thee to go, go thou.»” Der
Unterschied zur Chrétienschen Überlieferung ist offensichtlich: hier weiß König Ywein nicht, wo der
verborgene Eingang ist – es ist dem Auserwählten allein bestimmt, ihn zu finden, während bei
Chrétien bzw. Hartmann Erec von Evrains bzw. Ivreins den Weg in den Garten gezeigt bekommt.
65
Bei Chrétien wird der Garten nur „von Luft“ umgeben („de l’er“ v. 5741).
66
Aus der kurzen Beschreibung der Mabinogion fehlt eigentlich das Motiv des immergrünen Gartens,
doch erscheint ein Apfelbaum in der Mitte des Gartens, auf den der Horn hängt, den Gereint nach dem
Sieg ertönen lassen soll.

27
4. An den Bäumen wächst wunderbares Obst, das man nicht aus dem Garten
heraustragen kann, der Ausgang verschließt sich jenem, der das versucht (E
v. 8739-8744., E&E v. 5748-5754., GsE 67 );
Mabonagrin meint sogar „wir haben hie besezzen/das ander paradîse“ 68 .
Bemerkenswert sind noch weitere zwei Züge:
5. der Garten wird von einem riesenhaften Ritter ganz in rot verteidigt (E v.
9011-9020., E&E v. 5898-5905, GsE S. 224 69 );
6. der Sieger (i.e. Erec) muss am Ende dreimal in einen Horn blasen um sein
Sieg zu verkünden (E v. 8793-8809., E&E v. 6140-6155. 70 , GsE S. 225).
Schon diese knappe Aufzählung fördert einige Züge zum Tageslicht, die offenbar auf
einen Ort hindeuten, der jenseits der profanen Welt liegt. Das Wort ‚Absolut’
bedeutet soviel, wie ‚das Abgetrennte’; ‚profan’ bezieht sich auf dem ‚Vorhof’, der
außer des Sanktuarium steht – zwei Welten zeigen sich in diesen Ausdrücken: eine
göttliche und eine menschliche. Die göttliche Welt ist nicht für jeden zugänglich,
ebenso wie der Zaubergarten im Erec: nur der den schmalen Weg kennt, darf in
dieses Reich eintreten. Der Garten selbst scheint für alle außer ihm stehenden
unsichtbar zu sein: ein dickes „Wolkenwand“ trennt die zwei Welten voneinander.
Das Verblüffende an diesem Motiv ist das Irrationale in der undurchdringbaren
„Wolkenwand“ (bei Chrétien nur „Wand aus Luft“ E&E v. 5741!), die Zauberei. Die
‚Andere Welt’ ist – wie schon mehrmals erwähnt – nicht mehr (wie im ‚Goldenen
Zeitalter’) frei zugänglich, sondern ist verborgen und die Wege dahin sind versperrt.
Ihre ‚Unzugänglichkeit’ ist also ein Zeichen ihrer Heiligkeit – philosophisch
formuliert ist das Transzendente nicht gegeben, es ist nicht vorhanden (im
heideggerschen Sinne), sondern eine Herausforderung, die entdeckt und bewältigt
werden muss. Diese Formulierung macht die Sinnverwandtschaft der ‚Unzugäng-
lichkeit der Anderen Welt’ mit dem Symbol des ‚Schleiers der Isis’ klar.
Der Garten ist der Ort des in principio – deshalb steht es außer profaner Zeit
und Raum. Die gewöhnlichen Gesetze gelten hier nicht: es herrscht ewiger Frühling
– mit dem ständigen Grünen wird vermutlich gemeint, dass die Jahreszeiten hier
keinen Einfluss haben. Die Zeit ist stehen geblieben. Damit wird nicht bloß das Bild

67
Das Mabinogi weiß über das nicht entfernbare Obst nichts.
68
E v. 9542-42.
69
Aus den Mabinogion fehlt eine detaillierte Beschreibung des Ritters. Gesagt wird nur, dass sein
Umhang aus zwei Hälften besteht, und er reichlich Waffen darunter hat.
70
Bei Chrétien fehlt die Dreimaligkeit bei das Hornblasen.

28
des biblischen Edens hervorgerufen, sondern auch die archetypische Vorstellung von
paradiesischen Gärten, die überall auf der Welt zu finden ist: erwähnt seien nur der
Garten der Hesperiden, der Garten von Freya, und die paradiesischen Gärten im
Gilgamesh-Epos – alle diese Gärten verbindet noch ein Motiv: das des Apfelbaumes.
Im Gereint Son of Erbin, dem walisischen Gegenstück des Erec, befindet sich
in der Mitte des Zaubergartens, vor dem Eingang in das prächtige Zelt des Ritters,
ein Apfelbaum 71 ; an diesem Baum hängt der Horn, den Gereint nach seinem Sieg
dreimal ertönen lassen soll. Magische Bäume sind immer als axis mundi zu
verstehen, ebenso wie in der germanischen Kosmologie der Yggdrassil 72 . Der axis
mundi symbolisiert die transzendentale schöpferische Kraft, die essentia, oder Form
(im aristotelischen Sinne), die die substantia durchdringt und ins Werden ruft. 73
Das Motiv, dass das Obst, das der wundersame Garten hervorbringt, nicht
entfernt werden kann, ruft wieder die Erinnerung an die Gärten der Hesperiden, des
Gilgamesh-Epos und natürlich des biblischen Edens hervor. Die göttliche Frucht
(meistens als Apfel beschrieben) in die profane Welt zu bringen ist eine ‚titanische’
Tat und ist zu bestrafen. So geschah es mit Prometheus, mit Atlas (der die Äpfel aus
dem Garten der Hesperiden für Herakles herausbrachte), mit Gilgamesh, mit Adam
und Eva.
Diese Motive können also nicht nur aus biblischer Sicht verdeutlicht werden,
sondern ebenso aus allgemein mythologischer Sicht. Wenn der Garten im Erec
wirklich nur unter der Wirkung des Garten Edens entstand, ist die oben angeführte
Deutung noch nicht ungültig; die Archetypen können auch ohne literarische
Vorstufen neu entstehen. Den Garten aber für eine Allegorie des Garten Edens zu
halten, kann sich nicht der unbequemen Frage ausweichen, die, wenn Joie de la court
auf das christliche Paradies zurückgehen würde, nur schwierig zu beantworten wäre:
Wie wäre es denkbar, dass im „Paradies“ ein blutrünstiger Ritter mit ihrer Gattin
sitzt, der alle Eindringlinge tötet? Wäre das keine Blasphemie?
Der Rote Ritter kommt immer wieder in Artusromanen vor. Er ist derjenige,
den der Held mit großer Mühe überwinden muss. Meistens (so im Parzival) ist das

71
GsE, S. 224
72
Es ist kein Widerspruch, dass die Apfelbäume von Freya und der Baum Yggdrassil beide den axis
mundi verkörpern: Vervielfachungen kommen oft in Mythen vor. Die verschiedenen Bilder betonen
verschiedene Aspekte des beschriebenen Gedankeninhaltes – Yggdrassil ist der Baum, die drei Welten
verbindet, Freyas Bäume sind die lebensschöpfenede Kraft des in principio –, mit der Wiederholung
und Häufung von Motiven wird der Sinngehalt gestärkt, nicht geschwächt.
73
vgl. Eliade: Le Sacré et Profane, S. 126-129.

29
das erste Abenteuer des Artusritters. Ob die Farbe hier symbolisch sei, und was sie
symbolisiere, ist schwer zu entscheiden. Rot – oder purpurn - ist immer Farbe der
Heiligkeit, so auch Farbe der Könige. Mit dem Besiegen des Roten Ritters erlangt
also der Held die höchste Ebene des Heiligen. Der besiegte Rote Ritter – der
Verteidiger, der Herr des Gartens – übergibt die Herrschaft über den paradiesischen
Ort seinem Bezwinger (hier wirkt der Regel der ‚Stellenübernahme’).
Dass ein Horn – nachdem alles beendet ist – dreimal zu blasen ist, kann nicht
nur, wie doch sehr nahe liegend, auf den Gepflogenheiten im Turnier ruhen. Nicht
nur die magische Zahl drei, Zahl der Heiligkeit, ist hier auffallend: dieses Blasen
erscheint als Evokation, nachdem der Garten für alle Menschen zugänglich wird. Der
Held hat die Pforten der Anderen Welt geöffnet und für immer zugänglich gemacht.
Dieser archetypische Akt ist mit der Heilsgeschichte zu vergleichen, und bedeutet,
dass es den profanen Menschen möglich wird, die Welt um sich und sich selbst in ihr
zu heiligen.
Es kann nicht bewiesen werden, dass die oben angeführte Deutung das einzig
Richtige ist – aber eine mögliche Erklärung gibt sie. Es ist auch unbestimmbar, aus
welcher Mythologie die Geschichte über Joie de la court kommt – zwar liegt die
keltische Herkunft nahe –, doch ist es mehr als nur eine Annahme, dass sie
mythologische Wurzeln hat.

30
4. DIE WEGE UND IRRWEGE ZU DER WUNDERQUELLE IM IWEIN

Der Ausgangspunkt und der eigentliche Mittelpunkt – man könnte sagen ‚das
Problem’ – in der Geschichte des Iwein ist die wundersame Quelle von Breziljan
(Broceliande). Es ist kein Wunder, dass dieser Ort so viele Deutungstheorien
hervorgerufen hat. Die meisten aber, wenn nicht alle, haben die eigentliche Deutung
außer Acht gelassen. Wenn Foerster das Brunnenabenteuer als ein Märchenelement
auffasst 74 , oder wenn Brown die Ähnlichkeit zu einem Mabinogi 75 oder zu anderen
keltischen Erzählungen feststellt, sogar wenn von Nitze die aricianische Dianakult
herangezogen wird 76 , vergessen sie eines: sie untersuchen nur die äußerlichen
Übereinstimmungen, nie unternehmen sie zu hinterfragen, wieso diese übereinstim-
men können, genauer: was ist der Kontext, in dem diese Elemente immer wieder
vorkommen. Die Einstellung, die – unausgesagt – nur geschichtliche Kontakte für
möglich hält, und Kontakte, die ohne geschichtliche Berührung, wegen immanenter
Verwandtschaft bestehen, ausschließt, muss stark bezweifelt und entschieden
hinterfragt werden.

4.1. Die Motive der Wunderquelle

Die Gedanken der ‚Anderen Welt’, der ‚Mitte der Welt’, der ‚Anfang der Welt’ sind
archetypisch und können nicht als ‚antik’, ‚keltisch’ oder ‚christlich’ oder sonst was
abgestempelt werden. Wenn also im Folgenden gezeigt wird, dass genau diese
Gedanken den Grundriss des Brunnenabenteuers bilden, kann damit nicht gesagt
werden, wie die Quellenlage ausschaut.
Es seien die Hauptmotive der Wunderquelle zusammengezählt 77 :
1. Es gibt dort ein Brunnen oder eine Quelle (Iw v. 553 ff.; Yv v. 371 ff.; Ow S.
132; Is S. 13; YaG v. 320 ff.; Ib Str. 4135/24.4 ff.);

74
vgl. Zenker, Ivainstudien, S. 86-89.
75
zu Manawydan Son of Llŷr; vgl. Zenker: Ivainstudien, S. 20. und 144-145.
76
vgl. Zenker: Ivainstudien, S. 95-111.
77
Für diese Aufzählung dient Hartmanns Iwein als Grundlage, aber auch Chrétiens Yvain, die
kymrische Dame von der Quelle, die nordische Ívens saga, der altenglische Ywaine and Gawain und
Füetrers Iban werden herangezogen. Der Herr Ivan Lejon-riddaren war mir aus sprachlichen Gründen
nicht zugänglich. Ritter Twein wird, als neuzeitliche Bearbeitung, nicht berücksichtigt, während Iban
vor allem wegen Zenkers These herangezogen wird, dem Werks liege, außer Hartmanns Iwein, noch
eine andere, ursprünglichere Version zugrunde (vgl. Zenker: Ivainstudien, 209-212). Die
verschiedenen Motive sind aus der Ersterwähnung der Wunderquelle, der Erzählung des Kalogrenant
(und die entsprechenden Stellen) gewonnen.

31
a. deren Wasser ständig kocht, doch kalt ist (Iw v. 568 78 ; Yv v. 381;
Ow 79 ; Is S. 13 80 ; YaG 81 ; Ib Str. 4136/25.2 und .5 82 )
2. da steht eine kleine Kapelle (Iw v. 566 ff.; Yv v. 393 ff.; Ow 83 ; Is S. 13; YaG
v. 331; Ib Str. 4135/24);
3. über der Quelle steht ein Baum (Iw v. 572 ff. 84 ; Yv 382 ff. 85 ; Ow S. 132;
IsA/B S. 14 86 ; YaG v. 325 87 ; Ib Str. 4135/24.4 88 ):
a. der ist ewig grün und dicht; (Iw v. 578-580; Yv v. 384; Ow S. 132 89 ;
Is 90 ; YaG v. 353 ff.; Ib 91 )
b. von ihm tönt immer süßer Vogelgesang (Iw v. 612 ff; Yv v. 400 und
459 ff. 92 ; Ow S. 133 93 ; Is S. 16 94 ; YaG v. 389 95 Ib Str. 4136/25.6);
4. es gibt dort einen Stein, darauf ein Becken befestigt (Iw v. 586. ff.; Yv v. 389
ff.; Ow S. 132-133.; Is S. 13-14 96 ; YaG v. 327 ff.; Ib Str. 4135/24.5);

78
Bei Hartmann fehlt das Motiv des Kochens, das bei Chrétien beschrieben ist. Hier ist das Wasser
bloß „kalt und vil reine“ (Iw v. 568).
79
Die kymrische Erzählung weiß über das kochende, doch kalte Wasser nichts.
80
Wie bei Chrétien wird auch hier das kochende, doch kalte Wasser erwähnt. (In der Version A wird
sogar gesagt, das Wasser wäre kälter als alle anderen Wassern, aber es koche ständig, gewaltiger als
alle Kessel. IsA S. 13)
81
Im Ywaine and Gawain werden die Eigenschaften des Wassers nicht beschrieben.
82
Füetrer folgt Hartmann, indem bei ihm über „prunnen clar” (Ib Str. 4136/25.2) und über „kallten
prunnen” (Ib Str. 4136/25.5) die Rede ist. Die Eigenschaft des Kochens wird nicht erwähnt.
83
Die kymrische Erzählung weiß über die Kapelle nichts.
84
Im Iwein ist der Baum (im Gegensatz zum Chrétien) eine Linde (Iw. v. 572).
85
Im Yvain ist der Baum eine Fichte.(Yv v. 412 ff.)
86
Interessanterweise tritt in der Ívens saga anstelle des Baumes das Motiv einer Weinrebe. In den
Versionen A und B wird sie aber auch als „Baum“ erwähnt (IsA/B S. 14), in der Version C wird nur
die Weinrebe erwähnt, die neben der Quelle wächst. Möglicherweise ist das als christliche
Interpretation (Jn 15,1) anzusehen. Wie treffend diese Interpretation ist, zeigt, wenn wir die Rolle
Christi (i.e. der Weg ins Himmel) im Christentum, und die Rolle des Weltbaumes als axis mundi
vergleichen.
87
Der Baum wird als „thorne” (YaG v. 353) bezeichnet. Das lässt vermuten, dass der Dichter auf eine
Art Tanne denkt.
88
Wie bei Hartmann ist auch im Iban der Baum eine Linde.
89
Eigentlich wird hier gemeint: „a great tree with the tips of its branches greener than the greenest fir
trees” (Ow S. 132). Der Baum wird also mit einer Tanne verglichen, das bedeutet: 1. der Baum selbst
ist keine Tanne (sonst hätte es kein Sinn ihn mit den „grünsten Tannen“ zu vergleichen); 2. es wäre
möglich, dass hier auch gemeint wird, der Baum sei immergrün.
90
In den Versionen A un B der Ívens saga wird über der Weinrebe (s. Fußnote 77) gesagt, sie sei der
schönste Baum, der je auf Erden wachsen kann. Weiteres wird über die Rebe nicht berichtet.
91
Im Iban wird auch nicht gesagt, der Baum sei immer grün. Wahrscheinlich wegen der kürzenden
Bearbeitung.
92
Bei Chrétien werden die Vögel vor dem Sturm nicht erwähnt, bloß der Hirte sagt, auch die Vögel
würden wegfliegen (v. 400), über die Vogelgesang wird nur nach dem Sturm berichtet (v. 459 ff.).
93
Wie bei Chrétien berichtet auch der Mabinogi über den Vogelgesang nur nach dem Sturm. Hier
wird aber nirgendwo gesagt, dass die Tiere und die Vögel mit dem Sturm fliehen würden (Is S. 14).
94
Chrétien folgend erscheinen die Vögel auch in der Ívens saga nur nach dem Sturm. In den
Versionen A und B wird auch berichtet, die Tiere und Vögel, würden fliehen, wenn der Sturm
ausbricht.
95
Chrétien folgend erscheinen die Vögel auch im Ywaine and Gawain nur nach dem Sturm.

32
5. wenn der Stein mit dem Wasser der Quelle aus dem Becken benetzt wird, ist
das eine Herausforderung (Iw v. 594-595; Yv v. 395 ff.; Ow S. 133; Is S. 13
ff.; YaG v. 324 ff.; Ib Str. 4136/25.1 ff.), denn:
a. es wird dunkel, „die Sonne erlischt“ (Iw v. 638; Yv v. 440; Ow 97 ; Is
S. 15 98 ; YaG v. 369; Ib Str. 4137/26.4 ff.);
b. die Vögel verstummen (Iw v. 639; Yv v. 400 99 ; Ow 100 ; IsA/B S.
14 101 ; YaG 102 Ib 103 );
c. es gibt tausende Blitze (Iw v. 649-651; Yv v. 441 ff.; Ow S. 133; Is S.
14 ff.; YaG v. 339 und 370; Ib Str. 4137/26.6 ff.);
d. es hagelt (Iw v. 653; Yv v. 443 ff. Ow S. 133; Is S. 15; YaG v. 371; Ib
Str. 4138/27.5)
e. alles wird verwüstet (Iw v. 655 ff.; Yv v. 400 ff. und 441 ff.; Ow. S.
133; IsA/B S. 14 104 ; YaG v. 412 105 ; Ib Str. 4138/27.6 ff. 106 );
f. wenn alles vorbei ist, fangen die Vögel wieder an zu zwitschern (Iw v.
679ff.; Yv v. 460 ff. 107 ; Ow S. 133; Is S. 16 ff. 108 ; YaG v. 389 109 ff.;
Ib 110 );
6. ein Ritter bewacht die Quelle (Iw v. 694-695 und ff.; Yv. v. 480 ff.; Ow S.
133 ff.; Is S. 17 ff.; YaG v. 400 ff.; Ib Str. 4139/28.5 ff.).
Dass es Parallele zum Joie de la court aus dem Erec bestehen, ist offensichtlich.
Zentrale Ähnlichkeiten sind hier die Motive des Baumes und des beschützenden

96
Statt eines Steines, seht in der Ívens saga neben der Quelle eine Säule. Das Becken ist über der
Quelle befetigt, wie bei einem Brunnen üblich ist (Is S. 13).
97
Über der Dunkelheit weiß die kymrische Erzählung nichts.
98
In der Ívens saga ist über schwarze Wolken die Rede die den Himmel verdunkeln.
99
vgl. Fußnote 87.
100
vgl. Fußnote 88.
101
vgl. Fußnote 89.
102
vgl. Fußnote 90.
103
Wegen der stark kürzenden Bearbeitung fehlt dieses Moment aus Iban.
104
Die Verwüstung der Landschaft wird in der Ívens saga nur in der Erzählung des Hirten erwähnt.
105
Nur aus der Klage des Salados (= Ascalon) ist die Beschädigung des Waldes zu erfahren.
106
Im Iban wird eigentlich bloß erwähnt, die Linde über der Quelle sei des Laubes beraubt worden.
107
Es ist hier interessant, dass Chrétien eindeutig einen polyphonen Gesang beschreibt, bei dem
möglicherweise um einen literarischen Zeugen der Wirkung der Polyphonie der Notre-Dame-Schule
auf die Zeitgenossen geht.
108
In den Versionen A und B der Ívens saga hat Kalebrant (= Kalogrenant) noch Zeit den Gesang der
Vögel zu Ende zu hören, bevor der Ritter sein Angriff startet (Is S. 17), während in der Dame der
Quelle der Vogelgesang gerade dadurch eine Bedrohung ist, dass er den Helden entzückt werden lässt,
und so den Angriff nicht früh genug bemerkt (Ow S. 133).
109
Auch im Ywaine und Gawain beenden die Vögel ihren Gesang bevor der Ritter zum Angriff
ansetzt.
110
Im Gegensatz zu der Mabinogi und der Chrétienschen Überlieferung erscheinen die Vögel nach
dem Sturm im Iban nicht. Das Fehlen könnte (weil das Motiv sonst auch bei Hartmann vorhanden ist)
auf den stark kürzenden Bearbeitung liegen.

33
Ritters. Aber das wichtigste Motiv, das in beiden ‚Orten’ gemeinsam ist, dass beide
eine Herausforderung darstellen, die der Held bewältigen muss.
Werden die Motive betrachtet, die sozusagen den Ort ‚konstituieren’, also die
zauberhafte Quelle, der Baum, der Stein mit dem goldenen Becken, so sind wieder
ausdrückliche Symbole für einen paradiesischen Ort – für ‚die Mitte der Welt’ 111 –
zu finden. Die Quelle in der ‚Mitte der Welt’ symbolisiert eindeutig die Quelle
(anders gesagt den Ursprung) des Lebens, den fons vitae. Die lebendige Welt, die
durch Zeit und Raum konstituiert ist, wird archetypisch mit dem Bild des fließenden
Wassers verbunden. 112 Nicht nur Heraklits berühmter Satz wäre zu erwähnen, auch
der indische Glaube an der samsara, dem Fluss des Lebens drückt diesen Gedanken
aus. Nach der biblischen Beschreibung entspringen vier Flüsse der Mitte des Garten
Edens (wo auch der Baum des Lebens und der Baum des Wissens von Gut und Böse
stehen), die auch die vier Himmelsrichtungen, also den Raum selbst, bestimmen. Die
Quelle in der Mitte der Welt ist so mit dem schöpferischen Akt eng verbunden.
Quellen konnten für den premodernen Menschen heilig sein, eben weil sie den
Ursprung des Lebens (und der geschaffenen Welt) repräsentieren können.
Das Wasser und die Quelle symbolisieren also in diesem Zusammenhang die
substantia, die materia prima oder potentia passiva pura – die noch ungeformte 113
Materie, also alle Möglichkeiten des Seins, den khaos. 114 Der Baum, wie oben
(Kapitel 3.2.) schon erläutert, ist die bildliche Darstellung der Kraft, die diese
Möglichkeiten in das Werden ruft, der Baum – als axis – bedeutet also die
aristotelische Form, die essentia.
Ob in der Wunderquelle des Iwein wirklich dieser Glaube und metaphysi-
sches Wissen zum Vorschein tritt, ist freilich nicht unbestreitbar auszusagen. Doch
lässt es die Fülle der archetypischen Symbolik zu. Hier wäre nicht nur auf den schon
oben besprochenen immergrünen Baum zu denken, auch der magische Vogelgesang
gehört zu den Elementen, die einen transzendenten Ort symbolisch bezeichnen
können. Dieses Motiv haben Iwein und Erec nämlich auch gemeinsam.

111
vgl. Eliade: Images et symboles, S. 52-59. und S. 65-72.
112
vgl. Eliade: Images et symboles, S. 164-168. und S. 199-201. weiter ders.: Le Sacré et le Profane,
S. 110.
113
Form steht hier im aristotelischen Sinne.
114
Aus diesen Gedanken schöpft auch die Gedanke der Alchemie über der materia prima als
‚Lösungsmittel’: die Substanz, die pure Materie löst die Eigenschaften, weil diese von der Essenz
bestimmt werden.

34
Die Rolle der singenden Vöglein scheint vielleicht auf den ersten Blick albern
zu sein: was haben die Vögel mit der Zeit und Ort der Schöpfung zu tun? Doch ist
die Symbolik der Vögel sehr verbreitet und auch leicht verständlich.
Zuerst sei ein berühmtes Beispiel in Erinnerung gerufen: nachdem Sifrît den
Drachen tötet und dessen Blut kostet, wird er auf den Gesang der Vögel aufmerksam,
die auf einem nahen Baum sitzen, der natürlich der Weltbaum selbst ist 115 . Diese
Vögel scheinen also immer auf den Ästen des Weltbaumes zu zwitschern. Die Vögel
selbst waren schon immer – wegen ihres ‚himmlischen Lebensstils’ – als himmlische
Wesen betrachtet, genau gesagt wurden mit dem Bild der Vögel Vorstellungen
transzendenter Kräfte verbunden. Pico della Mirandola meint in seinem Heptaplus,
mit dem Bild der Vögel bezeichne der Genesis unter anderem die himmlischen
Heerscharen. Auch für die mohammedanische Mystik ist diese Symbolik nicht
fremd.
Die meisten Versionen des Iwein-Stoffes erwähnen diesen wunderbaren
Vogelgesang erst nachdem der Sturm zu Ende ist 116 , aber bevor der Wächter
(nämlich Ascalon) erscheint. Eine mögliche Interpretation wäre, dass sich mit dem
Sturm die Transgression in die ‚Andere Welt’ vollzogen hat – der überirdische
Vogelgesang ist der Zeichen dafür. Nur Hartmann hat die Vogelgesang-Episode
vorverlegt auf den Moment vor dem Begießen des Steines mit dem Quellenwasser,
und so gibt die Geschichte auch Ulrich Füetrer weiter. Doch essenziell gesehen, wird
dadurch die Möglichkeit, die Quellengegend als axis mundi anzusehen nicht
beeinträchtigt. Ein mehr kulturhistorischer Leckerbissen ist, dass bei Chrétien der
himmlische Vogelgesang als ein polyphoner Gesang beschrieben wird, wozu ihn die
Musik der Notre-Dame-Schule inspiriert haben dürfte.
In einer eher missgelungenen Arbeit von Helmut Gebelein117 wird der
Regenzauber der Wunderquelle folgenderweise erklärt, dem man aber nur
zustimmen kann:

115
Edda. 1. Band: Reginsmál, S. 123-124, Str. 35-42; weiterhin: Fáfnismál, S.125-126, Str. 1-5. Dass
dieser Baum den axis mundi repräsentiert, wird sofort klar, wenn in Betracht gezogen wird, dass
Drachen sich sehr gerne in der Nähe von Weltbäumen aufhalten: der Yggdrassil wird gleich von zwei
Drachen (Schlangen) geplagt, die Schlange auf den biblischen Baum des Wissens von Gut und Böse
sollte auch nicht vergessen werden, weiterhin steht der Stock des Hermes, mit den zwei Schlangen
auch für die Verbindung von Schlange und axis. Die Beispiele sind zahlreich. Man sollte auch auf die
deutsche Bezeichnung des Drachen ‚Lindwurm’ denken. Auf den Symbolismus des Drachen wird
noch später im Kapitel 6.1. weiter eingegangen sein.
116
vgl. Fußnoten 87, 88, 89, 90.
117
Gebelein: Alchemistisches im Roman Iwein, der Ritter mit dem Löwen, von Hartmann von Aue

35
Alle Wetterzauber funktionieren nach dem Analogieprinzip, das in Stol-
zenbergs Chymischen Lustgärtlein in «Deß Hermes Smaragden Tafel»
für unseren Fall folgendermaßen ausgedrückt ist: «Die Obristn Stück,
spricht Hermes reich, die seyn den Untersten ganz gleich.» 118 Und so
müssen wir uns nicht wundern, daß das Ausgießen von Wasser in einer
magischen Anordnung, wir lesen von einem goldenen Becken an einer
silbernen Kette, von einem Stein, der auf vier Marmortieren steht, ein
Gewitter hervorruft. Wer denkt bei den Tieren nicht an die vier Himmels-
richtungen, bei der silbernen Kette nicht an den silbernen Mond und bei
dem goldenen Becken nicht an die goldene Sonne? 119

Nachzufügen wäre nur, dass der Stein in diesem Zusammenhang Analogon der Erde
– als Element, nicht als Erdenkugel! – wird 120 . Alle vier Elemente sind vorhanden:
Die Erde als passive Grundlage wird durch den Stein, Luft durch Silber, Feuer durch
Gold repräsentiert. Das ungewöhnlich kalte, klare – sogar kochende Wasser 121 – ist
das elementare Lebensprinzip selbst. Diese ‚magische Anordnung’ stellt also – in
Verbindung mit den vier Himmelsrichtungen, die den Raum definieren – eine
kompakte Kosmologie dar, ein Mikrokosmos. Ob diese Fülle von Symbolen aus
älterer Zeit her tradiert worden ist, oder erst durch Chrétien und seine Nachdichter
entstand, möglicherweise unter dem Einfluss der Alchemie, ist wieder eine Frage, die
nicht so einfach zu beantworten ist, besonders wenn man die symbolische Bauweise
der romanischen und gotischen Kathedralen in Betracht zieht, die ebenso nach
kosmologischen Prinzipien entstanden.
Hier wäre noch ein Problem, die zu klären versucht werden muss. Wie schon
oben gesagt (Kapitel 1.), übermittelt Wace in seinem Roman de Rou über den
Brunnen im Wald von Broceliande (= Breziljan), es könne das Begießen einer
Steinplatte mit dem Brunnenwasser labendes Regen hervorrufen. Das Prinzip ist
nach den vorherigen schon klar. Wie ist es aber zu erklären, dass bei Wace ein
leichter Regen geweckt wird, während der Held des Iwein-Stoffes mit einem
Unwetter zu kämpfen hat?
Die Geschichte des Prometheus ist wohl bekannt. Sie stellt einen besonderen
Typ von Sagen dar, in dem beschrieben wird, wie der Heroe – hier auch einige
‚titanische’ Züge zeigend – eine unerreichbare, für die Menschheit nicht zugängliche

118
Daniel Stoltzius von Stoltzenberg: Chymisches Lustgärtlein. Francfurt 1624 (Nachdruck Darmstadt
1975), XCV. Figur. (Fußnote von Gebelein)
119
Gebelein, Alchemistisches im Roman Iwein, der Ritter mit dem Löwen, von Hartmann von Aue, S.
319-320.
120
In einem anderen Zusammenhang repräsentiert der Stein den omphalos, den Weltnabel, also die
Mitte der Welt.
121
s. oben (Kapitel 4.1.) und Fußnoten 78-82.

36
Qualität 122 erreichbar macht. Iwein könnte auch dieser Art von Heroe sein: er sei es,
der die Kräfte der Wunderquelle besänftigt und für den Menschen zugänglich
gemacht hat. Ob die Geschichte von Iwein ursprünglich mit der Wunderquelle in
dem Wald von Broceliande verknüpft war, oder erst später mit ihr verbunden wurde,
ist genauso schwer zu beantworten, wie die andere große Frage, ob die Geschichte
schon immer um die Figur des Artusritters Iwein entstand, oder erst später diese
Rolle übernahm.

4.2. Der Kampf mit Ascalon

Der Kampf mit dem Wächter der ‚Anderen Welt’ ist ein weit verbreiteter Archetyp.
Nach dem schon oben angeführten Prinzip der ‚Stellenübernahme’, wenn der Held
den Wächter besiegt, wird der Heroe Herr der ‚Anderen Welt’. Esclados wird bei
Chrétien „le Rous“, „der Rote“ genannt (Yv v. 1970), zwar wird weder seine
Rüstung ausdrücklich als rot bezeichnet, noch irgendwo näher beschrieben, doch
könnte seine Beiname ihn mit Mabonagrin und Ither verwandt machen. Im Mabinogi
Die Dame der Quelle tritt der Ritter in schwarzer Rüstung, mit einem schwarzen
Pferd auf (Ow S. 133). Welche der beiden Vorstellungen – des Roten oder des
Schwarzen Ritters – die ursprünglichste sei, ist eigentlich eine unnütze Frage: schon
der übergroße Lärm, den er verursacht (Iw v. 695 ff.; Yv v. 478 ff.; IsA/B S. 17; YaG
v. 400 ff.) zeigt sein überirdisches Wesen. Wenn die Quelle als Übergangsort zur
‚Anderen Welt’ zu verstehen ist, wird auch die Rolle des Ascalon als Wächter
festgelegt. Ähnliche Wächterfiguren kommen natürlich in jeder Mythologie vor.
Nicht nur die Drachen der ‚Unteren Welt’ im Fehérlófia Péter, auch die Cherubim
vor dem Tor im Garten Eden sind Wächter des Transzendenten. Sie verkörpern nicht
nur negative Kräfte, sondern auch den Umstand selbst, dass der Mensch vom
Heiligen abgetrennt lebt und dagegen zu kämpfen hat. Wer diesen Kampf besteht,
erlangt die Einheit mit dem Heiligen, die sehr oft als Heirat mit einer überirdischen
Frau beschrieben wird. Bevor aber diese übernatürliche Frau in Angriff genommen
werden kann, muss noch ein rätselhafter Tor durchquert werden.

122
Im Falle von Prometheus die Herrschaft über das göttliche (!) Feuer.

37
4.3. Die Fallen des Tores zur Burg des Ascalon

Iwein kommt den verwundeten Ascalon jagend zu der Burg seiner Gegner. Zwar ist
das Tor „haute et lee“ (Yv v. 907), doch ist der Eingang schmal, so dass zwei Reiter
nebeneinander nur schwer hindurchreiten können. Über dem Tor sind zwei
Schlagfallen angebracht, und wenn darunter jemand vorbeireitet, schlägt der eiserne
Tor zu, und er wird getroffen und zerschnitten. Iwein reitet Ascalon nach, sein Pferd
wird in zwei Teilen geschnitten, er aber bleibt unversehrt. Doch dann schlägt das
zweite Falltor zu, und er wird ein Gefangener. (Iw v. 1056-1134)
Die „Fallen“ im Titel dieses Kapitels sind zweideutig zu verstehen: das
Torverließ, mit dem Iwein zu kämpfen hat, hat einige Rätsel auch den wissenschaft-
lichen Forschung geboten. Der Grund dafür ist, dass die Geschichte so, wie es von
Chrétien erzählt – und von Hartmann getreu nacherzählt – worden ist, einige
Unstimmigkeiten in Hinsicht auf die Beschreibung des Tores enthält. Die
verschiedenen Iwein-Versionen setzen die Szene folgender Weise fort: 123
1. Yvain findet sich in einem Saal – „sale“ (Yv v. 963) – eingeschlossen, dessen
Decke mit goldenen Nägeln beschlagen und mit großer Farbenpracht bemalt
ist (Yv v. 964-966). Plötzlich kommt ein kleines Fräulein, nämlich Lunete,
durch eine Seitentür hinein – zwar sollen es dort weder Türe noch Fenster
geben (Yv v. 1112) – und sie will versuchen Yvain zu retten. Sie gibt ihm
einen Ring, der die Kraft besitzt, den Träger unsichtbar zu machen. Dann
geht sie auf ihr Zimmer und bringt Yvain reichlich zu essen, der sich auf ein
Ruhebett niederlässt, das mit einer kostbaren Decke bedeckt ist. Er hat noch
Zeit in Ruhe zu essen und trinken bevor nach ihm gesucht wird. (Yv v. 964-
1059).
Hier sind die Unstimmigkeiten schon leicht erkennbar: wie ist es zu erklären,
dass zwischen zwei Falltüren ein so kostbarer Saal zu finden ist, oder dass
Yvain nicht durch die kleine Tür fliehen kann – obwohl er ja unsichtbar ist –
und stattdessen auf die ihn suchenden Soldaten wartet, ganz zu schweigen
davon, ob es diese Tür jetzt gibt (Yv v. 970) oder nicht gibt (Yv v. 1112).
Weiter verwunderlich ist es, wie er genug Zeit für ein vergnügliches Mahl
findet, und wie ein so kostbarer Decke, „Qu’ains n’ot tel li dus d’Osteriche“

123
Auch hier werden Le chevalier au lion von Chrétien de Troyes, Iwein des Hartmann von Aue, The
Lady of the fountaine der Mabinogion, Ívens saga, Ywaine and Gawain und Ulrich Füetrers Iban
untersucht.

38
(Yv v. 1042), in einen Teil der Burg kommen kann, der als Stelle ständiges
Verkehrs zu denken ist.
2. Bei Hartmann wird die Szene – Chrétien treu folgend – ebenso verwirrend
geschildert. So betont er schon gleich nachdem Iwein in Gefangenschaft ge-
rät, dass der Gefangene „envant venster noch tür / dâ er ûz möhte“ (Iw v.
1146-1147), doch wird „ein türlin ûf getân“ (Iw v. 1151); möglicherweise
eines, durch das Iwein nicht in seiner Rüstung hinaus kann? Auch das Bett
steht da, schön hergerichtet „daz nie künec bezzer gewan“ (Iw v. 1215).
3. Die Fassung der Ívens saga folgt im Großen und Ganzen auch Chrétien, bloß
wollen die Versionen A und B wissen, dass Luneta das kleine Türchen hinter
sich gleich schließt (Is S. 31). Wieso, wenn sie doch Íven retten will, wird
nicht erklärt. Auch davon ist keine Rede, dass der Saal keine Türen oder
Fenster hätte, bloß dass nur fliegende Eichhörnchen und Wiesel ihn verlassen
könnten. (Is S. 35)
4. Die altenglische Version folgt ebenfalls Chrétien, aber auch hier erscheint der
Versuch einige Unstimmigkeiten zu eliminieren – während andere zugefügt
werden. So fehlt die Beschreibung der goldenen Decke „Bytwene tha gates”
(YaG v. 691). Weder Türen noch Fenster gibt es dort: „Dore ne window was
thare nane, / Whare he myght oway gane.” (YaG v. 799-800). Ein weiterer
verwirrender Zusatz ist, dass das Bett Lunet gehöre („And did him sit opon
hir bed.” YaG v. 750), weil das den Anschein macht, der Platz zwischen den
zwei Toren sei das Zimmer von ihr.
5. Im Mabinogi über die Dame der Quelle wird die Szene entscheidend anders
und logischer aufgebaut dargestellt. Das hat Zenker dazu verleitet, in dieser
Version die originale, oder dem vermutlichen Original am meisten nahe ste-
hende Fassung zu sehen. 124 Nachdem Owein zwischen den zwei Toren
gefangen bleibt, kann er zwischen den Gittern hinein in die Burg sehen. Er
sieht eine Straße und Häuser auf beiden Seiten. Ein Mädchen nähert sich ihm,
Luned, sie gibt ihm den Ring. So unsichtbar gemacht, öffnet Owein das Tor
und geht mit Luned auf die Burg in einen Saal, der ähnlich prachtvoll be-
schrieben wird, wie es auch bei Chrétien zu finden ist. Er wird mit Speisen
und Getränk reichlich versorgt (Ow S.136-137). Hier bleibt die Szene aus, wo

124
vgl. Zenker: Ivainstudien, S. 255-268

39
die Soldaten und Ritter den Mörder des Schwarzen Ritters (= Ascalon) su-
chen, so auch die Probe, die der Held auf dem geschmückten Bett
auszustehen hat.
6. Interessanterweise beschreibt Ulrich Füetrer die Szene in Iban ähnlich wie es
im Mabinogi zu lesen ist. Hier kommt Fraw Lunet durch eine kleine Tür in
das Torverließ, gibt den Ring Iban, dann führt sie den Unsichtbaren mit sich
in eine Kemenate (Ib Str. 4160/49-4165/54) fort. Zenker sieht darin den Be-
weis, dass Füetrer neben den hartmannschen Text auch eine andere Iwein-
Quelle hätte besitzen können. Freilich wäre das vorstellbar, doch ist die ande-
re Möglichkeit nicht auszuschließen, nämlich dass Füetrer von einer
natürlichen Logik geleitet auf dieselbe – besser gesagt auf eine ähnliche –
Lösung gekommen ist.
Die Tendenz, das Chrétiensche Original ein wenig logischer zu bearbeiten, ist in
allen Texten spürbar, die nach dem französischen Roman entstanden. Wenn die zwei
verschiedene Fassungen der Szene (die Chrétiensche und die Mabinogi-Fassung)
näher betrachtet werden, fällt etwas sofort in Auge: die beiden Versionen können
nicht aufeinander beruhen. Die Version der Mabinogion kann nicht auf Chrétien
fußen, weil, wie das auch Zenker beobachtet hat 125 , sie an dieser Stelle ursprüngli-
chere Züge beinhaltet. Doch wäre auch, gegen Zenkers Vorstellungen, zu vermuten,
dass auch Chrétiens Version nicht aus dem Mabinogi kommen kann: das durchaus
wichtige Motiv des Bettes fehlt da nämlich.
Man könnte vielleicht meinen, dieses Bett sei eine unwichtige Addition von
Chrétien, wenn dieses Motiv – das Motiv des ‚gefährlichen Schlafes’ – nicht immer
und wieder in Artusromanen auftauchen würde. Als Beispiel kann Gawans aventiure
in Schastel marveil (Pz. v. 566,2-573,24) erwähnt werden. Der Schlaf – und so seine
Allegorie, das Bett – wird oft als Transgression in eine andere (Traum-) Welt
aufgefasst. Eine Schule der Yoga versucht im Schlaf die ‚Befreiung von der Maya’
zu finden. Der Schlaf wird zusätzlich – eben aus diesen Gründen – auch als ‚kleiner
Tod’ bezeichnet. Der ‚gefährliche Schlaf’, oder das ‚gefährliche Bett’ steht deshalb
für den Einweihungstod: für eine Transgression, die den Tod des Individuums, und
die Neugeburt auf einer anderen Ebene (als Erwachsene, als Schamane oder gar als
Halbgott, usw.) bedeutet.

125
Zenker: Ivainstudien, S. 264.

40
Auch das Motiv des hohen und breiten, jedoch schmalen Tores kann man
nicht nur geschichtlich auffassen, durch Schutzvorrichtungen verdeutlichen und
erörtern 126 : die symbolische Bedeutung ist nämlich genauso wichtig und dem Motiv
eigen. Schwer passierbare Passagen – die meist in Burgen, Täler, Gärten, etc. führen
– werden als Versinnbildlichung der Transgression aufgefasst. 127 Die Welt, die
betreten wird, steht über der profanen und wurde, wie aus dem Lauf und aus der
Symbolik ersichtlich ist, durch die magische Quelle erreicht. Dieser Burg ist
sozusagen das Herz der Quellengegend.
Das Bett-Motiv fügt sich reibungslos in diese Symbolik, scheint also
archaisch zu sein; Chrétien dürfte es aus anderen Geschichten übernommen oder
selbst zugedichtet haben, man müsste dann aber meinen, Chrétien habe die
mythologisch-initiatische Symbolik verstanden. Da das aber für das christliche
Mittelalter eher unwahrscheinlich – doch wahrlich nicht ganz auszuschließen – ist,
muss man annehmen, dieses Motiv war schon im vermuteten Original enthalten. Wie
sind aber so die Wirrungen in der Beschreibung des Torverließes zu klären?
Möglicherweise gab es zwei unabhängige Versionen:
1. eine wie im Mabinogion beschrieben,
2. und eine andere, die das Motiv des ‚gefährlichen Bettes’ enthielt, vielleicht
auch schon mit der Szene der Blutprüfung. Bei Chrétien vermischen sich die-
se beiden Varianten, so kann leider weiteres über diese zweite Version nicht
ermittelt werden.
Ein anderes Motiv, das eine Transgression in eine fremde Welt ausdrückt, ist das des
magischen Ringes. Unsichtbar-Werden bedeutet, ins Reich des Unsichtbaren, des
Transzendenten zu übertreten. Eine Kumulation von symbolischen Elementen ist hier
zu sehen, die alle in eine Richtung weisen: ein Tor, das schwer zu passieren ist, der
Held muss unsichtbar werden, und das Abenteuer des ‚gefährlichen Bettes’
überstehen. Hier vollzieht sich dieselbe Transgression, welche mit dem Brunnen-
abenteuer angefangen hat. Alle drei Abschnitte: das Brunnenabenteuer, der Kampf
mit Ascalon und der Torverließ gehören organisch zusammen, sie bilden ein Ganzes
und beschreiben, wie der Held die ‚Andere Welt’ betritt.

126
vgl. Bumke: Höfische Kultur, S. 137-149. und Zenker: Ivainstudien, S. 255. ff.
127
vgl. Eliade: Le Sacré et le Profane, S. 152-157. und ders: Images et symboles, S. 59-65.

41
4.4. Auf dem Weg in die ‚Andere Welt’

Wenn also überdeutlich ist, dass Iweins Reise in die ‚Andere Welt’ führt, müssen
auch die in dieses Reich führenden und weisenden Wege und Stationen danach
interpretiert werden. Welche sind die wichtigsten Motive?
1. der ‚schmale Pfad’ „nâch zeswen hant“ 128 (oben im Kapitel 3.1. schon kurz
behandelt) (Iw v. 265-267; Yv v. 180-185; Ow S. 130 129 ; IsA/B S. 7 130 ; YaG
v. 157-159 131 ; Ib Str. 4127/16.5);
2. der freundliche Burgherr (Iw v. 277-395; Yv v. 190-268; Is S. 7-10; YaG v.
163-234; Ib Str. 4128/17.4-4131/20.3);
3. der schreckliche Hirte (Iw v. 403-599; Yv v. 288-409; Ow S. 132-133; Is S.
10-14; YaG v. 239-348; 4131/20.4-4136/25.4).
Alle drei Stationen sind einerseits als Hindernisse aber auch als Wegweiser zu sehen.
Hindernis bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Held es überwinden muss,
kämpferisch oder seelisch, um weitergehen zu können.
Die Herausforderung im ‚schmalen Pfad’ liegt darin, ihn wandern zu können.
In den meisten Versionen wird betont, dass er undurchdringlich ist. Im Mabinogi
wird geschrieben, Cynon wandere in den Grenzen der Welt und in deren Wildernis
(Ow S. 130). Der Ausdruck, ‚Grenzen der Welt’, kann natürlich auf mehrere Weise
interpretiert werden, und eine davon – nicht gerade die unlogischste – ist, ihn als
‚Grenzen unserer Welt, zum Anderen Welt’ zu verstehen. Wie es schon vorher
erläutert wurde, ist der ‚schmale Pfad’ als Weg in die ‚Andere Welt’ zu deuten. Die
beiden Symbole – die ‚Grenzen der Welt’ und der ‚schmale Pfad’ – beschreiben also
denselben Gedankeninhalt: die Möglichkeit einer Transgression ins Transzendenten.
Im Kapitel 3.1. war schon die Möglichkeit von Stationen erwähnt, die in der
Weise Herausforderung bedeuten, dass sich der Held von denen loslösen muss, sonst
wird ihm das Weitergehen unmöglich. Die Sirenen der Odyssee sind dafür ein
wohlbekanntes Beispiel. Auch in schamanistischen Kosmologien werden Stationen
erwähnt, die der Schamane hinter sich lassen muss, ohne in diesen haften zu bleiben.
Andererseits bedeuten diese Stationen auch Hilfe und spielen als Wegweiser eine
wichtige Rolle. Im Iwein ist die herausfordernde Funktion der Station des
128
Iw v. 265.
129
Die Dame von der Quelle erwähnt den schmalen Pfad nicht direkt: es wird nur über das Wandern
in den Grenzen der Welt und in deren Wildnis (Ow S. 130).
130
Dass der Pfad auf dem rechten liegt, hat nur die Fassung B.
131
Im Yvaine and Gawain ist der Weg mit Dickicht voll.

42
freundlichen Burgherrn nicht eindeutig betont, doch scheint dieser Gedanke latent
eine Wirkung auszuüben. Gerade Elemente, wie die bezaubernde Tochter und die
großzügige Verpflegung deuten darauf hin. Es gibt aber ein anderes Motiv, das diese
Annahme unterstützen sollte: es ist unverstehbar, weshalb der Held keine Nacht beim
Burgherrn verbringt. „und dô ich niene wolde / noch belîben solde“ (Iw v. 385-386),
meint er nachdem des Schlafens Zeit kam.
Warum aber? Wieso verabschiedet er sich schon am Abend und bleibt nicht
eine Nacht in dieser hervorragenden Burg, bei seinem Gastgeber? Dieses Problem
wird noch unverständlicher, wenn man bedenkt, dass Iwein später erst am Morgen
weiterreist (Iw v. 978-979). Bei Chrétien ist zu lesen, dass Calogrenant am frühen
Morgen die Burg verlässt (Yv v. 269-273). Im Mabinogi verbringt Cynon auch eine
Nacht in der Burg, bricht dann am frühen Morgen auf (Ow S.132). Es wäre jedoch
falsch die zitierte Textstelle nur als Missverständnis Hartmannns anzusehen: das
Wichtige an dieser Stelle ist, dass das Bleiben als gefährlich angesehen wird; minder
betont aber bemerkbar ist das auch im Motiv vertreten, dass der Held (Cynon,
Calogrenant, etc.) am frühesten Morgen wegfährt, und keine weiteren Tage bleibt.
Dieses Motiv, auf der aventiure nie lange auf einem Ort zu verweilen, kommt immer
wieder in Artusromanen vor, und könnte von der behandelten Idee herrühren.
Weder die Wegweiserfunktion, noch die bedrohliche Herausforderung des
riesigen Hirten ist zu übersehen. Schon nach seinem Aussehen ist diese Kreatur ein
Wesen der ‚Anderen Welt’. Im Mabinogi wird offensichtlich, das auch er eine
Herausforderung darstellt. Der freundliche Burgherr macht Cynon – und später
Owein – zur Aufgabe, ihn um weitere Auskunft zu bitten (Ow S. 132). Der Hirte hat
große Macht über die Tiere des Waldes: im Mabinogi wird er ‚Wächter des Waldes’
genannt (Ow S. 132). Die Tier- und Pflanzenwelt wurde in kosmologischen
Kontexten, wie in der Alchemie, aber auch in der mittelalterlichen Theologie, oft mit
dem Unbewussten, dem Unmenschlichen verglichen. Der Hirte verkörpert also ein
Prinzip, das über diesen Kräften wacht. In diesem Sinne steht er mit den Kräften der
Auflösung und des Todes in Verbindung. Thomas Cramer meint: „Dass der
Waldmann sagengeschichtlich auf einen Wächter des keltischen Totenreiches
zurückgeht, ist ziemlich eindeutig“ 132 .

132
Cramer: Stellenkommentar zum v. 425ff. Hartmann von Aue: Iwein. (1981)

43
Nach diesen Erwägungen muss klar sein, dass wenn Zenker 133 oder Ó Riain-
Raedel 134 neben der mythologischen Herkunft des Iwein plädieren und das aufgrund
Ähnlichkeiten zu keltischen Erzählungen unterstützen wollen, sie schon von
vornherein falsch herangehen. Die Aufgabe ist nicht den Iwein aus anderen
Geschichten herzuleiten, sondern die inhärente mythologische Logik aufzudecken.
Der riesenhafte Hirt ist nicht deshalb mythologisch, weil in irischen Sagen ähnliche
Gestalten vorkommen, sondern weil seine Gestaltung essentiell eine mythologische
ist.

133
Zenker: Ivainstudien, S. 229-248.
134
Ó Riain-Raedel: Untersuchungen zur mythischen Struktur der mhd. Artusepen, S. 104-176.

44
5. DIE DAME DER QUELLE UND DAS TERMINVERSÄUMNIS

Für das Mittelalter ist der archaische Gedanke nicht fremd, dass die Frau die
himmlischen Kräfte verkörpern kann, sozusagen ein Tor des Ewigen darstellen kann.
In der Minnelyrik sind zahlreiche Beispiele für diese mystische Auffassung der Liebe
zu finden:

Sî gebiutet und ist in dem herzen mîn


vrowe und hêrer, danne ich selbe sî.
hei wan muoste ich ir alsô gewaltic sîn,
daz si mir mit triuwen waere bî
Ganzer tage drî
unde eteslîche naht!
sô verlür ich niht den lîp und al die maht.
135
jâ ist si leider vor mir alze vrî.

In dieser Strophe Heinrichs von Morungen sind mehrere Anspielungen, die auch
symbolisch zu deuten sind. Weil aber das zu weit führen würde, seien nur einige
wichtige Motive gezeigt. Bedeutend ist das Motiv der mystischen Verschmelzung
von Mann und Frau in v. 2,1-2, das auch im Parzival des Wolfram vorkommt (Pz v.
370,25-30), und dem Iwein auch nicht fremd ist, wie später deutlich gezeigt wird.
Die Dreizahl der Tage und Nächte in v. 2,5-6 unterstützt auch diese mystische
Interpretation. In diesem Sinne berichte die vorletzte Zeile über die Erlangung des
ewigen Lebens.
Diese Auffassung der Liebe ist nicht nur für das Mittelalter typisch, sie
kommt in den verschiedensten Kulturen vor, von Indien bis zur muslimischen Welt
(letztere hat auch einen großen Einfluss auf die Minnelyrik gehabt). Aber auch im,
schon oft zitierten, ungarischen Táltos-Märchen Fehérlófia Péter kommt sie vor.
Fehérlófia Péter erlangt die Herrschaft über den Königreichen der ‚Anderen Welt’,
indem er die Königstochter von ihren Drachengatten befreit und zur Frau nimmt. 136
Ulrichs von Zatzikhoven Lanzelot hat mit dem ungarischen Märchen
gemeinsam, dass es auch hier keine Rolle spielt, dass der Held mehrmals hinterein-
ander verschiedene Frauen heiratet. Dieses Motiv ist nicht nur ein Überbleibsel der
archaischen Polygamie, sondern zeigt auch, dass diese Frauen Verkörperungen
bestimmter aufeinander folgenden spirituellen Ebenen symbolisch darstellen, die der
Held zu erringen hat.

135
Deutscher Minnesang, S. 54. Heinrich von Morungen: Minnezauber (Von den elben), Str. 2.
136
Ortutay: Nyíri és rétközi parasztmesék, S. 65-73.
5.1. Laudine und Lunete

Dass Laudine auch diese mystische Frauengestalt verkörpert, ist schon deshalb
überdeutlich, weil sie die Königin der ‚Anderen Welt’ ist. Sie wird im Mabinogi nur
als „die Dame der Quelle“ bezeichnet, sonst bleibt sie unbenannt. Diese Benennung
durch einen – wie schon früher gezeigt – mythischen Objekt, und auch die
grundsätzliche Namenlosigkeit weist ihre Person in eine übernatürliche Region des
Seins. Ihre Person hängt mit der magischen Quelle so eng zusammen, dass sie als
gleichbedeutend erscheinen. Die Dame der Quelle ist die Personifizierung der
Quelle, die Quelle selbst. Die Weiblichkeit ist in traditionellen Kosmologien oft mit
dem Symbol des Wassers verbunden, so ist eine Identifikation nicht verwunderlich.
Sie vertritt eine transzendentale Macht 137 , die mit den Kräften der Schöpfung im
Zusammenhang steht. Max Wehrli drückt das folgendermaßen aus:

Was die Wunderquelle am Fuß des herrlichen immergrünen Lin-


denbaums bedeutet, darüber ist kein Wort zu verlieren: ein
elementares Bild des Ursprungs, der Offenheit, der Tiefe, des Le-
benselements selbst; ihre Berührung läßt die Elemente toben und
führt zum Kampf auf Tod und Leben; sie beherrschen heißt sich
selbst besitzen. Die zu gewinnende Herrin der Quelle, Laudine, the
Lady of the Fountain, scheint nur die Verkörperung dieses Quell-
wesens zu sein. 138

In der Figur der Laudine ist so keine menschliche Person zu sehen, sondern
die symbolische Darstellung eines Prinzips. 139 Wenn aber Peter Wapneski meint,
„Laudine entstammt ursprünglich dem Geschlecht der Wassernixen (und hat von
derer Kälte ein gut Teil bewahrt)“ 140 – geht er sicherlich zu weit, und verwechselt die
oben schon angeführte symbolische Entsprechung des Frauenprinzips mit dem
Wasserelement mit einer oberflächlich ‚mythologisierten’ Darstellung. Die „Kälte“,
die er verspüren mag, ist vor allem deshalb unverständlich, weil es sofort ins Auge
fallen muss, dass weder Iwein, noch Laudine personifiziert und psychologisch
dargestellt werden. Iwein ist ‚bloß’ als ‚der Heroe’ charakterisiert, Laudine als ‚die
Königin des zauberhaften Reiches’.

137
Die Macht und die Kraft werden oft als feminin verstanden, so in der hinduistischen und
buddhistischen Lehre der sakti, die einerseits die transzendente Macht der Götter bedeutet,
andererseits als ihre Frau dargestellt wird.
138
Wehrli: Iweins Erwachen, S. 506.
139
vgl. Wehrli: Iweins Erwachen, S. 507.
140
Wapnewski: Hartmann von Aue, S. 68

46
Die einzige Figur, die in einigen Zügen personifiziert wird, ist Lunete. Sie ist
aber als die Kraft zu verstehen, die dem Helden den Zugang zu Laudine ermöglicht.
Anders gesagt ist sie der aktive Aspekt der passiven Laudine: deshalb trägt sie
stärker ausgearbeitete Charaktermerkmale. Kurt Ruh formuliert diese ‚Gespaltenheit’
folgendermaßen:

Das Zusammensehen von Laudine und Lunete mag dem heutigen


Leser eine Verständnishilfe sein. Lunete kann als das «andere» Ich
ihrer Herrin aufgefaßt werden, das was deren Hoheit nicht darzustel-
len vermag: Liebenswürdigkeit, Kameradschaftlichkeit, ‚Laune’ (im
Sinne des 18. Jahrhunderts), spezifisch weibliche Intellektualität. So
wäre im Grunde das listige Manöver der Lunete nicht Intervention
einer Dritt- und Mittelperson, sondern der Laudine selbst. 141

Diese Dualität in der Person der Laudine rührt auch von der Auffassung des
Frauenprinzips her. Die Entstehung der Frau wird immer als Entstehung einer
Dualität aufgefasst, nicht nur in der Genesis aber auch im von Plato tradierten
Mythos des Androgynos’.
Ein Zeichen dieser Zweiteilung eines Prinzips ist, dass beide Frauen Iwein
mit einem Ring beschenken. Diese beiden Ringe sind eigentlich ein einziger Ring,
der als Symbol einer erreichten Einheit mit Kräften der ‚Anderen Welt’ und ihrer
Beherrschung funktioniert. Diese Funktion wird vor allem deutlich, als Lunete von
Iwein den Ring zurückfordert (Iw v. 3193).
Die Funktion von Lunete ist Laudine erreichbar zu machen. Ihre Aktivität
macht ihre Vermittlerfunktion zwischen dem Helden und der passiven Königin
möglich. Diese Passivität der Königin ist aber keinesfalls als negative Eigenschaft zu
nehmen – es ist eigentlich nicht mal eine Eigenschaft. Laudine personifiziert ihr
Land, ihre Quelle – sie wartet sozusagen nur darauf, beherrscht zu werden. 142 Iwein
wird ihr Herr. Er ist der Held, der über der Kraft, die Laudine darstellt, Besitz
ergreift. Wie es in der Schuldfrage um Iwein sichtbar wird, ist diese Stellung aber
erst legitim, wenn der Held sie bewahren kann.

141
Ruh: Höfische Epik des deutschen Mittelalters I., S. 161.
142
zum Thema der Weiblichkeit und der Initiation vgl. Eliade: Le chamanisme, S. 78.

47
5.2. Die Schuld des Iwein

Über Iweins Schuld hat man eine lange Diskussion geführt. Meistens wurde sie aus
historisch-soziologischer Sicht betrachtet 143 , ihre historisch-literarischen Quellen
wurden als Legitimation gesucht 144 , oder man hat versucht sie trotz angenommenen
mythischen Inhalts zu bagatellisieren 145 . Max Wehrli drückt das Problem auf den
Punkt genau aus:
„Die gelehrten Debatten über Schuld und Charakter, sowohl Iweins
wie Laudines, sind letzten Endes gegenstandslos, weil diese Figuren
keine individuellen Privatpersonen sind und weil es um elementare
Mächte des Lebens und des Heils geht“ 146 .

Iwein und Laudine (oder gar alle andere Personen des Iwein) dürfen und
können nicht unter einem moralisch-ethischen Aspekt untersucht werden. Die Frage
bleibt trotzdem stehen: was hat das Terminversäumnis des Iwein zu bedeuten? Es
verursacht ja Geschehnisse, die der Geschichte einen völlig neuen Lauf geben. Die
Schuldfrage – zwar nicht aus moralischer Sicht – bleibt weiterhin die Grundfrage
des Werkes.
Max Wehrli hat vollkommen Recht, wenn er gegen die Auffassung seine
Stimme erhebt, Iweins Schuld sei ein Vergehen einer Privatperson. Doch ist die
Frage der Schuld nicht zu umgehen. Iweins Schuld ist Verfehlen, aber nicht im
üblichen, ethischen Sinne. Iweins Schuld, die mit Ausstoßung und Vertreibung
bestraft werden muss, ist vom biblischen Ausmaß.
Der Vergleich mit Adams und Evas Schuld scheint überhaupt nicht
unangebracht zu sein. Gerade im Gegenteil: wenn Laudine als Verkörperung der
transzendenten Kräften gesehen wird, ist die Schuld von Iwein das Zurückkehren in
die Welt und das Verlieren des Kontakts mit der ‚Anderen Welt’. Die Schuld von
Adam und Eva ist die gleiche: sie wenden sich von Gott.
Ist die Quelle der Geschichte über Iweins Verschuldung also die Bibel?
Keineswegs. Zwar wird in beiden Fällen der gleiche Prozess beschrieben, doch sind
die beiden Auffassungen derartig verschieden, dass man nicht mal eine Beeinflus-
sung annehmen kann. Wie könnte der christliche Gott mit der Figur der Laudine in
Einklang gebracht werden? Oder die Vorstellung des christlichen Paradieses mit dem
143
z.B. in Mertens: Laudine
144
vgl. Zenker: Ivainstudien
145
Wapnewski: Hartmann von Aue, S. 74-82.
146
Wehrli: Iweins Erwachen, S. 507.

48
zauberhaft-mythischen Reich der Quelle? In keinem der hier untersuchten Varianten
ist eine Anspielung auf eine Parallelität zu finden. Das ist zwar kein Beweis dafür,
dass diese – jedoch bestehenden – Parallelitäten nicht gefühlt wurden, jedoch muss
man sehen, dass die Verfasser – wenn sie sie gespürt haben – für unangebracht
hielten, diese zu thematisieren.
Andererseits ist diese Art von Verschuldung nicht nur in der christlichen
Literatur zu finden. Es gibt unzählige Märchen, in denen der Held – nachdem er vom
Heimweh gequält das Feenreich verlassen hat – nicht mehr, besser gesagt erst nach
schweren Prüfungen die Feenkönigin finden kann.
Das Terminversäumnis bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Iwein nicht
mehr im Stande ist, ins Reich der Laudine zurückzukehren, er ist kein Herr seines
Selbst und seiner frouwe, er verliert sich in der Welt.
Man könnte Iweins Treulosigkeit mit dem Argument zurückweisen, dass
Iwein – eben vor dem Eintreffen von Lunete – „in einen senenden gedanc“ 147 an
Laudine kam. Er erinnert sich daran, dass er zu lange schon von ihr weggegangen sei
(Iw v. 3084-3087). Wenn er also an sie denkt, sei er nicht treulos gewesen, er habe
sie nicht vergessen. Doch gerade seine Sehnsucht zeigt, dass er nicht mehr mit ihr
verbunden ist. Lunetes Eintreffen fällt mit Iweins Sehnsucht zusammen, diese beiden
Szenen – Iweins Selbstvorwürfe und seine Bestrafung bilden also die beiden Seiten
der Folgen des Sich-in-der-Welt-Verlierens.
An diesem Punkt beginnt die wahre Initiation, Iweins wahre Erhöhung. Der
Weg, den er geht, führt wieder in die ‚Andere Welt’, er wird aber diesmal wissentlich
gegangen. Die ‚Andere Welt’ ist nicht geographisch zu denken, das Transzendente
kann nämlich nicht außer dem Menschen vorgestellt werden. Im Gegenteil, das
Heilige ist die wahre Natur seines Selbst – der Weg führt also nach innen. Das Motiv
des Sich-selber-Suchens (s. oben Kapitel 2.2) bekommt in diesem Zusammenhang
seine wahre Bedeutung.

5.3. Das Waldleben: solutio und Höllenfahrt

Wenn Iweins Schuld im Sich-in-der-Welt-Verlieren (s. oben) festgelegt wird, ist es


auch nicht zu weit, die Symbolik für den Irrsinn des Iwein zu sehen. Jedoch ist sie
147
Iw v. 3083

49
nicht bloß als Darstellung dieses Sich-Verlierens zu verstehen, erst diese ermöglicht
ja die weiteren Schritte, noch mehr: Iweins Irrsinn ist der erste Schritt, der gewagt
werden musste. Um diese Symbolik besser zeigen zu können, ist es unumgänglich
diese Episode näher zu untersuchen. Die wichtigsten Motive sind:
1. der Wahnsinn selbst (Iw v. 3214-3216; Yv v. 2804-2805; Ow 148 ; Is A/B S.
86 149 ; YaG v. 1640; Ib Str. 4225/114.4);
2. das Leben im Wald (Iw v. 3237-3260; Yv v. 2827-2728; Ow S. 144 150 ; Is S.
86; YaG v. 1651; Ib Str. 4225/114.7-4426/115.2);
3. die Nacktheit Iweins (Iw v. 3235; Yv v. 2806; Ow S. 144 151 ; Is S. 87; YaG v.
1674 152 ; Ib Str. 4226/115.5 153 );
4. das tierische Dasein des Helden (Iw v. 3348; Yv 154 ; Ow S. 114 155 ; Is 156 ; YaG
v. 1654 157 ; Ib Str.4226/115.6 158 ).
Alle Motive tragen den Stempel des Untergehens und des Auflösens. Iwein verliert
etwas zentrales, ohne dass es ihm möglich schiene sich zu bewahren. „er verlôs sîn
selbes hulde” (Iw v. 3221.) – schreibt Hartmann. Wehrli übersetzt: „Er verlor das
Vertrauen zu sich selbst” 159 , Thomas Cramer: „Er begann, sich selbst zu hassen” 160 .
Mhd. hulde bedeutet soviel wie ‚Huld’, ‚Gunst’, ‚Wohlwollen’, aber auch ‚Gnade’,
‚Wille’ 161 und ‚Treue’ 162 . Der Satz hat also auch eine tiefere Bedeutung, die
ausdrückt, Iwein habe seine Kraft verloren, sich von oben nach unten zu bestimmen
(vgl. ‚Wille’, ‚Gnade’, ‚Treue’), eigentlich seine Selbstkontrolle. In seinem Artikel

148
In der Dame von der Quelle wird Owein nicht irrsinnig, er wandert bloß so lange, bis seine Kleider
zerfetzen, und es wächst ihm langes Haar auf der Haut.
149
In der Version C der Ívens saga wird der Irrsinn des Iven nicht erwähnt.
150
Die kymrische Erzählung berichtet, Owein mache sich nach „den Grenzen der Welt und trostlosen
Bergen“. Über die Symbolik der Grenzen s. oben Kapitel 2.4.5.
151
In der Dame von der Quelle wandert Owein so lange, bis ihm die Kleider in Fetzen runterfallen
(Ow S. 144), im Gegensatz zu Chrétien, bei dem Yvain selbst seine Kleider zerreißt (Yv v. 2806).
152
Im Ywaine ande Gawain kommt das Motiv der Nacktheit erst vor, als der Eremit ihn als einen
„nackten Mann mit einem Bogen“ sieht (YaG v. 1674)
153
Ähnlich wie in der Dame von der Quelle im Iban ist nicht Iban selbst, der seine Kleider zerreist, sie
verfaulen von der langen Wanderung in der Wildnis (Ib Str. 1226/115.5).
154
Die äußerliche Vertierung des Helden fehlt bei Chrétien.
155
In der walisischen Erzählung wächst langes Haar auf Owains Körper, „and he would keep
company with wild beasts and feed with them till they were used to him.”
156
Die äußerliche Vertierung des Helden fehlt in der Ívens saga.
157
Im Ywaine and Gawain wird bloß geschrieben, Ywaine läufe als eine wilde Bestie in den Wald
(„Als it wore a wilde beste“ YaG v. 1654). Die Beschreibung der äußerlichen Vertierung fehlt.
158
„von der sunn ward er moren var” (Ib Str. 4226/226.6) bezieht sich auf Iw v. 3348, doch wird die
Beschreibung Ibans als Moren rationalisiert durch die Erwähnung der Sonne.
159
Hartmann von Aue: Iwein (1988/2004), S. 211.
160
Hartmann von Aue: Iwein (2001), S. 60.
161
nach Hennig: Kleines mittelhochdeutsches Wörterbuch
162
nach Lexer: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch

50
über Iweins Erwachen übersetzt Wehrli denselben Satz: „[er] vergisst seiner
selbst“ 163 . Auch in diesem Sinne steht der Satz: „in hete sîn selbes swert erslagen“
(Iw v. 3224.)
Im altenglischen Ywaine and Gawain sagt der Held zu sich, er sei sein
eigener Vernichter – „Allas, I am myne owin bane” (YaG v. 1644.) „Bane” bedeutet
übrigens soviel, wie „das Böse“, „Teufel“, „Gift“. YaG v. 1649 drückt die
Besessenheit von einer fremden, bösen Kraft noch pointierter aus: „An evyl toke him
als he stode”.
Die Sätze des Ywaine and Gawain leiten uns zum ersten Punkt der oben
angeführten Motive, zum Irrsinn Iweins. Sein Irrsinn erscheint einerseits als Sich-
Verlieren, andererseits als Besessenheit von einer fremden, bösen Kraft. Freilich sind
diese nur die beiden Seiten eines einzigen Prozesses.
Das zweite Motiv – der Wald, das Wildnis – kann durchaus dasselbe
chaotische Element symbolisieren, das auch durch den Irrsinn ausgedrückt wird.
Sozusagen ist das Bild des Waldes die Exteriorisation und Verbildlichung der
inneren Prinziplosigkeit und Verirrung.
Iweins Nacktheit und sein tierisches Dasein stehen in demselben Zeichen:
beide zeigen ein Zurückfallen in vor- und unmenschliche Zustände, und stehen so
mit dem erwähnten chaotischen Element in enger Verbindung.
Wie schon in den Kapiteln 4.2. und 5.2. erwähnt, kann die Quelle von
Breziljan mit der Auffassung des Lebenswassers zusammenhängen, über das die
Alchemie auch als ‚Universales Lösungsmittel’ spricht. Wenn die Begegnung mit
dieser Kraft nicht beherrscht wird, kann sie auch ‚Gift’ 164 sein, und nicht nur die
gewollten Elemente, sondern auch den Alchemisten selbst auflösen.
Es gibt aber zwei Motive, die den bisher Angeführten entgegengesetzt zu
wirken scheinen. Diese drücken eine anagogische Wirkung aus, anders formuliert
ein, dem Sich-Verlieren entgegengesetztes, nach oben gerichtetes Sich-doch-
Bewahren. Diese Motive sind:
1. der Bogen und die Pfeile (Iw v. 3261-3282; Yv v. 2814-2826; Ow 165 ; Is S.
87 166 ; YaG v. 1657-1670; Ib Str. 44229/118.1-4 167 );

163
Wehrli: Iweins Erwachen, S. 492.
164
vgl. auch mit den oben angeführten Bedeutungen von aengl. ‚bane’
165
Aus der Dame von der Quelle fehlt das Motiv des Bogens.
166
In Version B schießt sich Iven, nicht Waldtiere, sondern Vögel. Hier könnte auch deren
symbolische Bedeutung eine Rolle spielen (vgl. Kapitel 4.2).

51
2. der helfende Eremit (Iw v. 3283-3344; Yv v. 2827-2887; Ow 168 ; Is S. 87-88;
YaG v. 1671-1708; Ib Str. 4227/116.1-4230/119.7).
Erstens muss bemerkt werden, dass diese zwei Motive nur in der Chrétienschen
Tradition zu finden sind. In der kymrischen Erzählung, die von ihr unabhängig sein
könnte, findet man über diese beiden Motive nichts. Hier nimmt die Geschichte
einen völlig anderen Lauf: Owein lebt unter den Tieren, ernährt sich wie das Wild es
tut (vgl. Ow S. 144) – wahrscheinlich wird Grasfressen gemeint. Der Held wird so
schwach, dass er aus den „trostlosen“ Bergen (vgl. Ow S. 144) in den Tälern zieht.
Hier wird ihn der Gräfin des Tales finden und heilen. Die ganze Geschichte mit der
Jagd auf Wild mit Pfeil und Bogen, und die Freundschaft des Eremiten fehlt also.
Welche der beiden Versionen einem – freilich nur vermuteten – Original näher steht,
kann nicht gesagt werden. Es wäre aber durchaus möglich, dass beide Varianten auf
frühere Versionen zurückgehen.
Diese beiden Motive waren bisher kaum beachtet. In seiner Interpretation
meint Zenker: „Es liegt nahe, auch hier [dass bei Chrétien Yvains Lebenshaltung „als
eine menschenwürdigere geschildert wird als im Mabinogi“] in Chrétiens
Darstellung die Hand des höfischen Dichters zu sehen, dem es darum zu tun ist,
seinen Held nicht allzutief zu erniedrigen.“ 169
Dass in der Darstellung von Chrétien und den ihn folgenden Autoren auch der
Wille arbeitet, den Helden nicht in das völlig tierische untertauchen zu lassen, ist
unbestreitbar. 170 Die beiden Motive der Chrétienschen Tradition haben aber auch
eine klare Symbolik. Der Bogen – als eine Waffe, die nach oben gerichtet wird, und
auf entfernte (symbolisch: auf transzendente) Ziele schießen kann – wurde immer als
Waffe und Attribut des solaren Helden verstanden. Solarität bedeutet in diesem
Zusammenhang die Kraft, die sein Prinzip – das Licht – in sich trägt, im Gegensatz
zum Mond, der diese Kräfte nur spiegeln kann. Das mhd. Wort für Pfeil, ‚strâle’ 171 ,
hängt auch mit dieser Symbolik zusammen.
Hier wäre noch ein interessanter Zusammenhang zu erwähnen: Im Gegensatz
zu Hartmann – wo Iwein „strâlen gnuoc”(Iw v. 3266) vorfand – bekommt Yvain bei
Chrétien nur „cinc saietes barbelees” (Yv v. 2817). Im Ywaine and Gawain wird

167
Im Iban wird der Bogen nur nach der Begegnung mit dem Eremiten erwähnt.
168
Aus der walisischen Erzähnlung fehlt das Motiv des Eremiten.
169
Zenker: Ivainstudien, S. 282.
170
Bei Hartmann bekommt Iwein immer besseres Brot und besser zubereitete Speisen vom Eremiten.
171
vgl. Hennig: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch

52
noch über Ywaine berichtet: „of his arows lost he nane” (YaG v. 1666). Eben dieser
Satz des altenglischen Epos’ drückt deutlich aus, dass sich Ywaine im Besitz seines
Bogens und seiner Pfeile auch im Sich-Verlieren bewahren konnte.
Der Eremit, als ein mit Gott verbundener Mensch, scheint hier eine Art von
Wegweiser zu sein, der immer bessere Speisen (unter Anderem auch Brot!) Iwein
zugänglich macht. 172 In seinem Artikel Iweins Erwachen deutet Wehrli Iweins
Waldleben folgendermaßen:

Ganz im allgemeinen könnte man Iweins Schicksal, seine Erniedrigung


zum tierhaften, mohrenschwarzen Wesen, zum Bewusstseinslosen Wald-
toren, der immerhin von einem Mann Gottes, einem Einsiedler,
betreutwird, als eine Art Passion oder Höllenfahrt ansprechen, die der
Auferstehung vorangehen müssen. […] Es ist gewiß eine Art Höllenfahrt,
ein Descendus, was Iwein durchzumachen hat, aber das würde weniger
mit einer Nachfolge Christi zusammenhängen, als mit den Fahrten ins To-
tenreich,in die Jenseitswelt überhaupt, für welche die Mythologie der
Völker, und insbesondere die keltische, zahlreiche Beispiele liefert. 173

Eine Höllenfahrt ist aber nur dann berechtigt, wenn sich der Held nicht in der Hölle
verliert. Der Höllenfahrt – der auf der ganzen Welt in den verschiedensten
Mythologien vorkommt – beschreibt ein Gegenüberstehen mit den untersten
Möglichkeiten, die in diesem Gegenüberstehen aufgelöst werden müssen. Die
Höllenfahrt erscheint in der Alchemie als solutio, als Auflösen der ‚Erde’ oder des
‚Mistes’, also derer Elementen, die das Transzendieren hindern. Die solutio wird
durch den ‚philosophischen Merkur’ vollzogen, der auch als aqua vitae oder prima
materia beschrieben wird. Genau durch die Kräfte also, mit denen die magische
Quelle von Breziljan zu identifizieren ist.
Aus dieser neu gewonnenen Sicht wäre also Iweins Irrsinn und Waldleben,
sogar das Terminversäumnis eine logische Folge des Erringens der Herrschaft über
Laudines Reich, also über den Kräften der solutio. Die Höllenfahrt – und die
scheinbare Trennung von Heroe und Königin – muss getan werden. Der Held hat nun
die Aufgabe, die gewonnenen Kräfte im Sinne eines Transzendierens einzusetzen.

172
vgl. Ó Rian-Raedel: Untersuchungen zur mythologischen Struktur mhd. Artusepen, S. 226.: „Mohr
hat erkannt, daß die fortschreitende Verbesserung von Yvains Speisezettel und die damit parallel
gehende Partnerschaft mit dem Einsiedler die Stufen darstellen, über die Yvain nach und nach wieder
in ein menschliches Dasein aufsteigt. (Mohr, Iweins Wahnsinn, S. 77 – Fußnote von Ó Riain-Raedel)
Die Frage muß offen bleiben, in wieweit hier eine Analogie vorliegt zu der besonderen Nahrung, die
der Held oft in den entsprechenden irischen Texten einnimmt. Die Speisen und Getränke, die er zu
sich nimmt, sind zumeist von heilender oder Reinigender Natur und ihr Spender ist oft ein ‚sacerdos’.
(Ó Riain: Wild Man, S. 201 f. – Fußnote von Ó Riain-Raedel)
173
Wehrli: Iweins Erwachen, S. 494-495.

53
5.4. Iweins Erwachen und die Dame von Narison: coagulatio

Der Gegenbegriff zur solutio ist in der Alchemie coagulatio genannt und drückt die
Befestigung deren Kräften aus, die nach oben führen, oder – wie es in der
alchemistischen Sprache oft ausgedrückt wird – unter dem Zeichen der ‚Sonne’
stehen.
Das Erscheinen der ‚Sonne’ – eigentlich schon im Bild des Bogens immanent
und latent gegeben (vgl. Kapitel 5.3.) – ruft auch die Vorstellung des Erwachens
nach einer langen Nacht hervor. Iweins Irrsinn, das Sich-Verlieren löst sich in dem
Sich-doch-Bewahren auf. Die Heilung wird in der Geschichte durch die Salbe der
Dame von Narison bewirkt.
Max Wehrli bringt das Motiv der Einsalbung mit der Einsalbung Christi von
Magdalena in Verbindung – gerade die Verschwendung der Salbe macht diese
Interpretation glaubhaft. Andererseits haben diese zwei Einsalbungen ein ganz
anderes Ziel und eine ganz andere Ausgangssituation: im Falle des Neuen
Testamentes bildet die Grundlage ein Brauch, der Verehrung ausdrücken sollte. Im
Iwein geschieht die Salbung wegen einer Heilkraft, die mit der sonst heidnisch
anmutenden überirdischen Frau, Feimorgân, in Verbindung gebracht wird (Iw v.
3424). Wenn die Vermutung von Wehrli vollkommen richtig wäre, wieso ist dann
keine direkte Anspielung auf diese allegorische Interpretation im Text zu finden? So
ist eher festzustellen, dass zwar diese Ähnlichkeit wirklich besteht, doch an die
inhärente, ursprüngliche Bedeutung nicht heranreicht. Das bemerkt auch Wehrli,
wenn er hier nur von „christlichen Reminiszenzen“ 174 spricht, und festlegt: „ein
Artusroman ist keine Allegorie“ 175 .
Über der Herkunft von Feimorgan ist bei Ó Riain-Raedel 176 genügend Stoff
zu finden. Was aber hier wirklich wichtig ist, ist ihre eindeutige Zuordnung zur
‚Anderen Welt’. Die Salbe ist sozusagen ein Elixier, das seine Heilungskraft aus
transzendenten und okkulten 177 Dimensionen gewinnt.
Diese Dimensionen werden verstärkt, als der erwachende Iwein aufseufzt:

bistûz Îwein, ode wer?


hân ich geslâfen unze her? 178

174
Wehrli: Iweins Erwachen, S. 502.
175
Wehrli: Iweins Erwachen, S. 503.
176
Ó Riain Raedel: Untersuchungen zur mythischen Struktur der mhd. Artusepen, S. 29 ff.
177
Hier in der eigentlichen Bedeutung des Wortes als ‚verborgen’ aufgefasst.
178
Iw v. 3509-3510.

54
Das Erwachen selbst hat eine transzendente, symbolische Bedeutung, die auch hier
eine Rolle zu spielen scheint. Wenn Wehrli meint:

Das Erwachen, das Aufstehen ist wieder voller Assoziationen zum christ-
lichen Bereich. Auch antike Helden können aus menschlicher Blindheit
und Verblendung erwachen, doch es ist da eher ein Erwachen zum tragi-
schen Schicksal als zur christlichen Freiheit des Gläubigen. 179

scheint er zu vergessen, dass eben im Zusammenhang des Sich-Erkennens, nicht nur


das abendländische Altertum – gnothi seauton –, aber auch das alte Osten über
Selbsterkenntnis und ‚Erwachen’ sprach. Wenn er die hier im Grunde legende
Problematik mit den Worten ausdrückt: „Es geht hier um das Ipsum des Menschen
und die Notwendigkeit, es zu erkennen und zu werden“, hat das mehr mit den
hinduistischen und buddhistischen Lehren zu tun, als mit dem christlichen Glauben,
jedoch wäre diesem Satz vollkommen zuzustimmen, es muss aber weiter präzisiert
werden. Das Ipsum muss der Mensch, in sich selbst als das transzendentale und alles
schöpfende Absolute erkennen und befestigen. Die christliche Freiheit hat damit
wenig zu tun, nur bei einigen Mystikern, wie bei Meister Eckhart, Tauler, Suso oder
Bernhard kann man Gedanken finden, die in diese Richtung hinweisen. Diese
Gedanken waren aber nie die offizielle Lehre des Katholizismus.
Im Mabinogi steht, dass nachdem Owein mit der Salbe eingerieben wurde,
seine hässlich mit Haar bewachsene Haut herunterfiel, und weißer als zuvor wurde
(Ow S. 145). Auch im Fehérlófia Péter ist dieses Motiv zu finden: nachdem der
Griffe ihn verschluckt, spuckt er ihn dreimal so schön heraus. 180 Dieses Motiv
symbolisiert den Einweihungstod: der Held ‚stirbt’ und wird auf einer höheren Ebene
‚wiedergeboren’. 181 Iwein muss sich, nachdem er ‚erwacht’ oder ‚wiedergeboren’ ist,
wieder als Heroe behaupten, und die Kräfte befreien, die ihn ‚geheilt’ haben. Nach
dem Sich-Verlieren kommt die Aufgabe des Sich-Behauptens.
Max Wehrli erwähnt in seinem oben schon zitierten Artikel das Epos
Wigalois, wo der Held nach dem Drachenkampf sich selbst verloren glaubt:

allez min leben ist ein troum.


Ich bin gesetzet an disen boum

179
Wehrli: Iweins Erwachen, S. 497.
180
Ortutay: Nyíri és rétközi parasztmesék, S. 74.
181
Hier wäre auch Erecs Scheintod zu erwähnen (E v. 5730-6595), der natürlich auch einen
intiatischen Tod darstellt. Ihn, wie auch Iwein heilt ein Heilmittel, „daz dâ von Fâmurgân/hâte
gemachet mit ir hant.” (E v. 7227-7228.) vgl. auch: Ó Riain-Raedel: Untersuchungen zur mythischen
Struktur der mhd. Artusepen, S. 102-103.

55
rehte als ich wilde si.
Herre got, nu wis mir bi. 182

Wie es gleich noch deutlicher gezeigt wird, steht der Symbolik des Drachen mit
denselben Kräften in Verbindung, die oben als solutio beschrieben wurde. Der Sieg
über den Drachen symbolisiert also den coagulatio. In diesem ‚Zustand’ ist alles,
was von Zeit und Raum bestimmt ist, aufgelöst, aber das transzendente Bewusstsein
vollkommen bewahrt, befestigt und beherrscht. Wer diesen ‚Zustand’ erreicht, ist
sein eigenes Prinzip und steht über dem Augenblick des Schöpfens 183 .
Auch Iwein steht vor einem Drachenkampf, der – zusammen mit den bisher
erwähnten, symbolischen Elementen (der Bogen, das Erwachen als Heroe) – ihn
weiter in seiner Qualität als solarer Held befestigt.

182
Wirnt von Grafenberg: Wigalois der Ritter mit dem Rade, v. 5808 ff. zitiert nach: Wehrli: Iweins
Erwachen, S. 497.
183
In dem oben zitierten Auszug aus Wigalois könnte das „boum“, das Wigalois neben sich erkennt
ebenso den axis mundi symbolisieren und so den Ort als ‚Mitte der Welt’ kennzeichnen.

56
6. DIE WIEDERGEWINNUNG DER HERRSCHAFT

Mit dem Irrsinn hat Iwein den Tiefpunkt erreicht, mit seinem Erwachen öffnet sich
der Weg zu der Restauration der verlorenen Herrschaft. Die Abenteuer, die er nun
unternimmt, stehen alle im Zeichen eines Kampfes, der ins Transzendente führt und
dieses zu beherrschen versucht.
Der Unterschied dieser Kämpfe zum ersten Erringen der Herrschaft über der
Wunderquelle besteht nicht nur darin, dass Iwein jetzt aus „güete“ kämpfe und keine
Gegenleistung verlange 184 , der „Demut“ von Iwein ist ja schwer zu erfassen.
Begriffe, wie humilitas und caritas setzen ja eine christliche Deutung vor. 185 Aber
wenn der Fall von Iwein mit dessen von Adam in Verbindung gebracht wird – was ja
aus christlicher Sicht sehr nahe liegt (vgl. Kapitel 5.3.) –, wäre ein erneuter Versuch
das Paradies (bzw. Laudines Reich) zu erlangen – sogar beherrschen – wollen, als
luziferischer Drang anzusehen. Ein Kampf, dessen Ziel es ist das Prinzip der
Herrschaft und des Königtums zu erreichen, kann nicht als religiös gelten, noch
mehr: er hat nichts mit einer christlichen Moral zu tun. Andererseits, wenn Wehrli in
der Haltung von Iwein eine unpersönliche, den Ego ausschließende Qualität erblickt,
geht das nicht unbedingt auf eine religiöse Ethik zurück: Heldentum ist immer auch
ein Sich-Überwinden, das freilich das ‚Vernichten der Persönlichkeit’ mit sich zieht.

6.1. Der Kampf zwischen dem Drachen und dem Löwen

Das Brunnenabenteuer, das Terminversäumnis mit dem folgenden Waldleben und


der Drachenkampf bzw. Löwenbefreiung bilden die Eckpunkte des Iwein. Die ganze
Geschichte wird durch diese Elemente konstituiert, so dass das eine das andere mit
sich zieht. 186 Nur Motive sind als Konstituenten aufzufassen, die die Handlungen der
Helden voraus wie nachhinein bestimmen.
Interessanterweise wurden zwei von diesen Motiven, das Brunnenabenteuer
und die Löwenepisode, nur sehr spärlich in der Forschung thematisiert. Das erstere
scheint in den Augen der Forscher fast gar keine Interpretation zu bedürfen, das

184
vgl. Wehrli: Iweins Erwachen, S. 500.
185
vgl. Wehrli, Ebd.
186
Die These Foersters (vgl. Zenker: Ivainstudien, S. 84-95) der Roman fuße auf das Motiv der ‚leicht
getrösteten Witwe’ ist vor allem aus dem Grund unhaltbar, weil dieses Motiv auf gar keiner Weise im
Roman zentriert oder gar problematisiert erscheint.
zweite wird meistens auf das Motiv des ‚dankbaren Löwen’ reduziert. Aber
Interpretationen, die den Sinn und den Platz dieser Motive zu erfragen versuchen,
sind nur wenige zu finden.
Rudolf Zenker 187 bemüht sich in seinen Ivainstudien nur darum, dieses Motiv
aus antiken Geschichten und aus alten irischen Sagen herzuleiten, vergisst aber die
eigentliche Interpretation. Wenn aber die Bedeutung nicht ermittelt wird, ist die
ganze quellengeschichtliche Forschungsarbeit ungültig. Nur aus äußeren Ähnlichkei-
ten kann man nämlich nicht auf Verwandtschaft folgern. Andererseits trägt es zum
Verständnis in keiner Weise bei, wenn antike Erzählungen als Grundlage ermittelt
werden. 188
In diesen Geschichten wird der Löwe von einem quälenden Dorn oder von
einem im Hals steckenden Knochen befreit, nicht von einem tödlichen Drachen.
Zenker meint jedoch: „Der einzige wesentliche Unterschied zwischen der Geschichte
des Plinius und der des Damianus ist der, dass an Stelle des das Tier quälenden, im
Halse stecken gebliebenen Knochens [Plinius] der Drache [Damianus] getreten
ist.“ 189 Weiter meint er: „die Vorstellung des den Löwen im Halse würgenden
Knochens ist von eines ihn zu erdrosseln bemühten Drachens doch nicht so sehr
verschieden, während zwischen dem Dorn im Fuße und dem Drachen gar keine
Beziehung besteht.“ 190 Nur eines wäre hinzuzufügen: auch zwischen einem Knochen
und dem Drachen ist es unmöglich eine Beziehung zu finden. Das Motiv des
Kampfes zwischen dem Löwen und dem Drachen kann man nicht auf Geschichten
zurückführen, die dieses Motiv nicht beinhalten.
Und gerade dieses Motiv wird nie tiefgreifend genug behandelt, wenn die
Frage aufkommt, was für eine Bedeutung man dem Löwen beimessen könne. In
seinem Artikel über die Deutungsmöglichkeiten des Löwen versucht Dietmar
Rieger 191 diesen Kampf zu deuten, doch bleibt er in der Gegenüberstellung, die
Schlange/der Drache sei das Böse, der Löwe sei das Gute, haften. Was aber hier
richtig erkannt ist, ist „die Antithese Löwe-Schlange“ 192 .

187
Zenker: Ivainstudien, S. 145-169.
188
Zenker: Ivainstudien, S. 145-149.
189
Zenker: Ivainstudien, S. 156.
190
Zenker: Ivainstudien, S. 156.
191
vgl. Rieger: „Il est moi et je a lui”
192
Rieger: „Il est moi et je a lui”, S. 280

58
Helmut Gebelein legt in seinem Artikel über alchemistischen Symbolen im
Iwein 193 eine alchemistische Abbildung eines Kampfes zwischen dem Drachen und
Delius, dem Helden dar, wobei oben im Bild ein ruhender Löwe zu sehen ist.
Gebelein zitiert folgende zum Bild gehörende Zeilen:

Unser Drach.
Delius mit sein warmem Pfeil
Erlegt den rauen Drachen in eyl:
Auff dass er ja das leben sein
Im Feuer hab und brings darein.
Wenn jemand möchte fragen frey
Wer doch derselbig Drach nur sey
Sih, also spricht der alte fein,
Dass dieses sey der Schwefel fein.
Wiltu nun wissen wo Delius
Sein Bogen und Pfeil nehmen muß:
Der ruhende Lew (merck yich ebn)
Wird dir solchs zuverstehen geben 194

6.1.1. Die Symbolik des Drachen

Um die tiefe Bedeutung des Kampfes zwischen den beiden Bestien ergründen zu
können, müssen die einzelnen ‚Teilnehmer’ gedeutet werden. Wie oben schon in
einer Fußnote (S. 37) erwähnt, halten sich Drachen offensichtlich sehr gerne in der
Nähe von Weltbäumen auf. Diese Verbindung zwischen Baum und Schlange ist weit
verbreitet (in der oben genannten Fußnote wurden auch einige Bespiele genannt),
und scheint eine symbolische Bedeutung zu haben.
Der Drache stellt per se eine tötende, auflösende Kraft dar 195 . In diesem
Zusammenhang steht die Zuweisung des Drachens zu den negativen Kräften, zum
Feind, zum satanas. Den Drachen töten, wie in der Beschreibung des Jüngsten
Gerichtes oder in der Legende vom Heiligen Georg, bedeutet also das Aufheben
dieser Kräfte. Aufheben im Sinne vom Beseitigen, aber auch vom Transzendieren,

193
Gebelein: Alchemistisches im Roman Iwein, der Ritter mit dem Löwen, von Hartman von Aue, S.
325.
194
Daniel Stolzius: Chymisches Lustgärtlein, XXXVI. Figur. Zitiert nach: Gebelein, Alchemistisches
im Roman Iwein, der Ritter mit dem Löwen, von Hartman von Aue, S. 323-326.
195
In dieser Deutung wird nur der im Westen verbreitete negative Aspekt des Drachen behandelt, und
wird von der im Osten verbreiteten Vorstellung des Drachen als positive Kraft abgesehen. Diese
andere Sichtweise widerspricht eigentlich der anderen Auffassung nicht. Im Osten (wie stellenweise
auch im Westen) werden die ‚khtonischen Drachen des Unteren Wassers’ von den ‚solaren Drachen
des Himmels’ unterschieden. Interessanterweise tritt an Stelle des khtonischen oder sublunaren
Drachen oft das Tiger-Weibchen als auflösende, tötende, negative Kraft (vgl. die buddhistischen
Abbildungen des Kampfes zwischen dem Tiger und dem Drachen.)

59
nämlich vom Ins-Positive-Verwandeln. Das kann nur durch den vollzogen werden,
der diese Kräfte beherrscht, also dem diese Kräfte keinen Schaden mehr zufügen
können, weil er nicht mehr ihr Objekt, sondern ihr Subjekt ist.
Wenn noch in Betracht gezogen wird, dass Drachen oft mit Wasser in
Verbindung gebracht werden – es wäre nur auf die Hydra zu denken, den Herakles
zu besiegen hat – ist es nicht verwunderlich, dass die Alchemie die aqua vitae auch
als den Drachen Ouroboros bezeichnet. Diese Darstellung des sich in den Schwanz
beißenden Drachen bedeutet ebenso das unendliche Drehen des Werdens, wie das in
der Symbolik des Wassers so oft erscheint.
Andererseits wird mit dem Drachen die Eigenschaft der Feurigkeit
(Feuerspeien, ätzende Haut oder Blut) verbunden. Das steht natürlich auch mit der
oben schon erwähnten, alles auflösenden Kraft in Verbindung, die der ‚Giftigkeit’
der materia prima zugeordnet wird. So gesehen symbolisiert der Drache die
negativen Aspekte des Schöpfungsprinzips, jene alles auflösenden Kräfte, die mit der
ständigen Vernichtung zu tun haben, jene Kräfte, die der Held besiegen und
beherrschen muss. 196 Hier seien noch einige weitere Drachenepisoden aus der
mittelhochdeutschen Literatur erwähnt und gedeutet. Erstens sei der Drachenkampf,
den Tristan auszufechten hat, näher betrachtet.
König Gurmun verspricht dessen Helden die Hand seiner Tochter, Isolde, der
den Drachen besiegen kann (Tn v. 8909-8913; Tt v. 1603-1607). Dieses Motiv ist
weltweit bekannt: dem wird die Königstochter als Frau gegeben, der die Herausfor-
derung besteht. Diese Herausforderung bedeutet meistens, das Reich aus einem
negativen Zustand zu erlösen. Auch im Parzival-Stoff schimmert dieses Motiv durch:
Parzival, als Heroe, muss das Gralkönigtum und den Gralkönig, Anfortas, erlösen.
Fast als zwingende Folge erscheint dann, dass der Heroe damit auch die Vorherr-
schaft und das Königtum gewinnt.
Die Gewinnung der Königstochter bedeutet also die Qualität zum Königwer-
den zu erreichen. Dieser Gedanke sollte nicht als selbstverständlich betrachtet
werden, die heutige Sicht der königlichen Qualität unterscheidet sich nämlich
vollkommen von der mittelalterlichen. 197 Hier wird die Königlichkeit als Prinzip
ausgedrückt: der König steht über den Gesetzen, er ist das Gesetz selbst. Er steht an

196
In diesem Zusammenhang ist es auch zu verstehen, wieso Sîvrit, nachdem er im Drachenblut
gebadet hat, unverwundbar wird (NL v. 100): der Sieger beherrscht schon die Kräfte, die der Drache
zu verkörpern hat, und kann sie auch Transzendieren und in ihrer Gegenteil verwandeln
197
In diesem Zusammenhang vgl. Bumke: Höfische Kultur, S. 33-45.

60
der Spitze der irdischen Hierarchie, so muss er auch einen Teil des Transzendenten
beinhalten und verkörpern. 198 Das Königtum ist mit Macht und Herrschaft
gleichbedeutend. Es gab Zeiten, wo die kaiserliche Qualität sogar über die päpstliche
gehoben wurde, und sich auch die Macht des solve und coagula beanspruchte.
Die königliche Position – eben in Formen des Weltkönigtums von Presbyter
Johannes – bedeutet also nicht nur die irdische Gewaltmacht, sondern eine inhärente
Macht, die nur aus einer absoluten, vom Transzendenten durchwirkten, inneren
Qualität erwachsen kann. Der Sieg über den Drachen – also über die unteren Aspekte
des Werdens – bedeutet eben das Erreichen dieses inneren Zustandes.
Dieser Gedanke wird besonders deutlich in der Crône des Heinrichs vom
Türlin ausgedrückt. Auf der Suche nach „frowe saelde“ muss Gawein einen Drachen
besiegen. Er siegt zwar, doch brennt ihm die ganze Rüstung durch den Feuer des
Drachen vom Leib, so geht er nackt weiter (dC v. 14927-15218). Nach einem
weiteren Kampf mit einem Zauberer (dC v. 15219-15648) gelangt er zu frouwe
saelde, und ihm wird ewiges Heil und Sieg versprochen (dC v. 15649-15931).
Der ‚Erlösungsaspekt’, der mit dem oben erwähnten Aspekt des ‚Aufhebens’
die zwei Seiten des Motivs vom ‚Sieg über den Drachen’ bildet, erscheint auch in der
Drachenkussepisode des Lanzelet (L v. 7817-8040). Als der Held den Drachen küsst,
erlöst ihn damit aus dieser Form. Der Drache verwandelt sich in eine schöne Frau, in
Elidia. Sie ist die Tochter des Königs von Thile (L v. 7990-7991). Kurt Ruh
meint 199 , es dürfte hier Thule gemeint sein.

daz wizzent wol die wîse sint


und die die welt hânt erkant,
daz Thîle ist ein einlant,
ein breit insele in dem mer.
dâ ist von wunder manic her,
diu nieman kunde geahten. 200

Thule war als Reich des saturnischen ‚Goldenen Zeitalter’ bekannt, das im hohen
Norden liegt. Hier erscheint wieder das Motiv der ‚Anfänglichkeit’, der Zeit in illa
tempore. Hier werden also wieder die schon oben behandelten ‚solaren’ Kräfte aus
einer Kontamination mit den ‚khtonischen’, ‚unteren’ Kräften befreit. Der Kampf,
den der Drache mit dem Löwen im Iwein führt, steht auch im Zeichen so einer

198
Vgl. dazu Dante: De monarchia, I,iv-v., I,xii-xv., II,x-xi., und an mehreren Stellen.
199
Ruh: Höfische Epik des deutschen Mittelalters II., S. 44.
200
L v. 7992-7997.

61
Kontamination. Anders formuliert: der Löwe wartet ebenso nur darauf, von seinem
Herrn befreit zu werden.

6.1.2. Die Symbolik des Löwen

Dietmar Rieger zählt in seinem Artikel sechs Möglichkeiten auf, die als symboli-
scher Inhalt des Löwen in Frage kommen könnten 201 :
1. als Symbol des idealen höfischen Ritters;
2. als ein Symbol Jesu Christi;
3. als ein ironisches „Zitat“ Enides und Symbol der liebenden, loyalen Ehegat-
tin;
4. als Symbol der Kraft, der Macht und der Herrschaft;
5. als astrologisches Symbol und „das mythologische Emblem, das aus dem
Helden einen «héros solaire» macht“ 202 ;
6. der Löwe sei kein Symbol, „oder anders: eine Fülle von Symbolsätzen auf der
Grundlage eines «symbolisme antisymbolique»“ 203
Dass hier (wie auch anderswo oft) das vollständige Nicht-Verstehen der Symbolik,
als inhärentes Zusammengehören (vgl. Fußnote S. 4), der Fall ist, muss leider klar
festgestellt werden.
Wenn der Löwe auf Jesu Christi bezogen wird, muss man über Allegorie
sprechen. Christus kann eben deshalb als ‚Löwe’ bezeichnet werden, weil dieses Tier
symbolisch Qualitäten repräsentiert, die auch im Erlöser erkannt werden.
Ein Symbol ist immer ein Bündel von symbolischen Bezeichnungen eben
deshalb, weil mit Symbolen Inhalte ausgedrückt werden, die anders mit Worten nicht
zu fassen sind. Deswegen also kann man noch nicht vom „antisymbolischen
Symbolismus“ sprechen, was auch das bedeuten mag.
Dass der Interpret in der Figur des Löwen die Eigenschaft der Treue erkennt,
ist noch kein Grund dafür aus ihm „Enide“ zu machen, vor allem deshalb nicht, weil
eben Iwein es ist, der Treue beweisen muss, und nicht seine Gattin, Laudine.
Die in den Punkten 1, 4 und 5 thematisierten Inhalte gehören eigentlich
zusammen. Der ideale Ritter ist der ‚solare’ Heroe und ‚Solarität’ bedeutet die
königliche Position der Macht, der Kraft und der Herrschaft.

201
Rieger: „Il est a moi et je a lui”, S. 257-271.
202
Rieger: „Il est a moi et je a lui”, S. 267-268.
203
Rieger: „Il est a moi et je a lui”, S. 269.

62
Der Löwe als ‚solares’ Tier symbolisiert also die Qualitäten und Mächte, die
der Held erringen und beherrschen muss. Iwein befreit also die Kräfte, die ihn als
König qualifizieren. Es muss erneut betont werden, dass hier das Prinzip der
Königlichkeit erreicht wird, und keine weltliche Machtposition (zwar kann ersteres
das andere durchaus mit sich ziehen).
Oft wurde die Ironie problematisiert, mit der Chrétien und Hartmann die
Figur des Löwen zeichnen 204 : wie ist das mit einer symbolischen oder gar
allegorischen Bedeutung in Einklang zu bringen?
Folgendes wäre dabei wichtig klarzustellen: wer karikiert, der karikiert etwas.
Er muss einen Stoff haben, den er ironisch darstellen kann. Wenn also Chrétien mit
Ironie arbeitet, ist das ein Zeichen dafür, dass er sich auf eine Grundlage vor ihm
bezieht, die er mit Humor und Witz aufarbeitet. Wenn also die symbolische
Bedeutung unter den Witz hervorglänzt, macht es sie noch gar nicht ungültig, aber
zeigt, dass der Autor den ursprünglichen Stoff nicht verstand, oder ihn mit Absicht
verbergen wollte. Doch welche der beiden Möglichkeiten der Wirklichkeit
entsprechen solle, ändert es an der Gültigkeit der symbolistischen Deutung nicht.
Der Kampf zwischen den beiden Elementen, dem Drachen und dem Löwen,
zeichnet also den ewigen Kampf zwischen Auflösung und Bewahren. Das Spiel
dieser beiden Prinzipien ist die Kraft, die den schöpferischen Akt konstituiert, also,
wie es in der Scholastik ausgedrückt wird, das Durchdringen der substantia durch
essentia. Die Erlösung des Löwen von dem Würgen des Drachen bedeutet also die
Freilegung von den formgebenden Kräften, also von Kräften, die mit den königlichen
Qualitäten der Macht und der Herrschaft bezeichnet werden können.
Mit der Befreiung des Löwen erreicht die Geschichte des Iwein ihren
Höhepunkt. Von jetzt an erhält er seinen neuen Namen: „der rîter mittem leun“ (Iw
v. 5502). Er betont: „ich will sîn erkant / bî mînem lewen der mit mir vert“ (Iw v.
5496-5497). Ihn bezeichnet von nun an sein Löwe, also die Qualitäten, die der Löwe
zu verkörpern hat. Iwein erreichte eine neue ontologische Ebene als ‚Löwenritter’.
Alles was demnach passiert, gehört zur Bestätigung in dieser Qualität. Iwein muss
sich noch einmal bewahren, um nicht wieder ‚zurückfallen’ zu können.

6.2. Die Befreiung von Lunete und der Kampf mit dem Riesen Harpin
204
vgl. die oben zitierten Artikel von Rieger, Zenker, Wehrli und Ó Riain-Raedel.

63
Nachdem Iwein den Löwen befreit hat, führt ihn „diu geschiht“ (Iw v. 3923), also der
‚Zufall’ oder besser – weil ‚Zufälligkeit’ nur bedeutet, dass die Gründe unbekannt
sind – die ‚Schickung’, der ‚Schicksal’ „vil rehte an sîner vrouwen lant“ (Iw v.
3925). Die Art, wie Iwein das Land seiner Frau erreicht, erinnert stark an Parzivals
Reise in die Gralsburg:

mit gewalt den zoum daz ros


truog über ronen und durch das mos:
wande ez wîste niemens hant. 205

In beiden Fällen wird ausgedrückt, dass zwar weder Parzival noch Iwein ihren
individuellen Willen daran setzen, doch sozusagen ‚durch die Hand Gottes’ ins Ziel
geführt werden. Wenn man diese Ziele – die Gralsburg, Land der Laudine (die
freilich beide in die ‚Andere Welt’ gehören’) – als spirituelle Zustände betrachtet, ist
es deutlich, dass beide Helden nur so ihr Ziel erreichen können, wenn dieses in ihnen
schon vorhanden ist. Das Erreichen bedeutet eigentlich einerseits Aktualisieren,
andererseits In-sich-Entwickeln-Lassen.
Vor Iwein stehen aber noch Herausforderungen die er bestehen muss. Er
findet Lunete eingesperrt, und zum Tode verurteilt. Sie zu befreien hieße, die Kräfte
zu befreien, die zu Laudine führen können (vgl. Kapitel 2.5.2.). Zwar scheint diese
Szene als Gegenpol zum ersten Abenteuerzyklus angelegt zu sein, doch ist die
eigentliche Bedeutung dasselbe: Iwein muss seine Herrschaft über den Kräften der
‚Quelle’ wiederherstellen.
Bevor er aber für Lunete kämpfen könnte, hat er auch einen anderen Kampf
auszufechten. Der Burgherr, der vom Riesen Harpin geplagt wird, zeigt mit dem
freundlichen Burgherrn der ersten Abenteuerrunde große Ähnlichkeit, auch wenn sie
nicht direkt als identisch betrachtet werden. Zum strukturellen und kompositorischen
Aufbau des Iwein und anderer Artusepen wurde schon viel beigetragen 206 . An dieser
Stelle zeigt sich eine Wiederholung des Quellenabenteuers. Die Struktur sieht
folgendermaßen aus:
1. der ‚schmale Pfad’ „nâch zeswen hant“ 207
Abenteuer-

2. Begegnung mit dem freundlichen Burgherrn


Erste

3. der schreckliche Hirte

205
Pz v. 224,19-,21
206
vgl. Wapnewski: Hartmann von Aue, S. 70-74. [Strukturelle Analyse des Iwein]
207
Iw v. 265.

64
4. das Quellenabenteuer
5. Lunete hilft Iwein
6. Heirat mit Laudine
-
1. „diu geschiht“ 208
2a. Begegnung mit Lunete
Zweite Abenteuerrunde

2b. Begegnung mit dem Burgherrn


3. Kampf mit dem Riesen Harpin
4. Iwein hilft Lunete
5. das zweite Quellenabenteuer
6. Versöhnung mit Laudine

Obwohl die Analogie nicht perfekt ist, ist die Ähnlichkeit leicht erkennbar. Iwein
geht wieder einen Weg, der zu der Zauberquelle führt. Die Analogie zwischen dem
Riesen Harpin und dem schrecklichen Hirten muss aber noch näher untersucht
werden.
Zenker erwähnt eine These von Schoepperle 209 , die den schrecklichen Hirten,
wie er im Mabinogi erscheint (einfußig und einäugig) mit den Fomori, den
mythischen Gestalten der irischen Sagenwelt in Zusammenhang bringt. Die Fomori
sind aber auch mit den Menschen des ‚Goldenen Zeitalters’ zu identifizieren. Diese
werden auch in anderen Mythologien oft als Riesen dargestellt, die – wie bei Hesiod
– unsterblich sind und über der Menschheit ‚wachen’. Sie sind aber auch mit den
‚Titanen’ gleichzusetzen, die zu den Göttern aufsteigen wollten, doch die ‚solare’
Kraft nicht beherrschen konnten, deshalb ‚heruntergefallen sind’. In diesem Sinne
sind die ‚Titanen’ – aber auch die Riesen der germanischen Mythologie – auch mit
den gefallenen Engeln, mit Luzifer und seinem Heerschar gleichzusetzen. Der Heroe
muss diese titanische Kraft einerseits freisetzen: Herakles hat die Aufgabe
Prometheus zu befreien; andererseits auch überwinden: Thor kämpft immer und
wieder gegen die Riesen, die älter und manchmal auch weiser als die germanischen
Götter sind.
Der Riese Harpin und der schreckliche Hirte erscheinen beide als ‚Stationen’
und ‚Herausforderungen’ auf dem Weg zur Zauberquelle. Auch in der Gestaltung der
beiden lassen sich Gemeinsamkeiten finden, beide sind riesenhaft und tragen eine

208
Iw v. 3923.
209
Zenker: Ivainstudien, S. 240. f.

65
Keule als Waffe mit sich. Schon im Kapitel 2.4.5. war die Aufmerksamkeit an die
Bedrohlichkeit des schrecklichen Hirtens gelenkt. In beiden Fällen muss sich der
Held dem Riesen stellen – die Unterhaltung bzw. den Kampf wagen – und diese
Herausforderung bestehen.
Wenn im Kapitel 2.4.5. der Hirte schon als ein Prinzip der Auflösung und des
Todes gedeutet wurde, muss man auch sehen, wie diese ‚Titanenhaftigkeit’ mit
Iweins Irrsinn und seinem Drachenkampf zusammenhängt. Hier erscheint eigentlich
wieder das Motiv des Kampfes gegen die Kräfte der Auflösung, bloß auf einer
anderen Ebene. Der ‚Titan’ gleicht dem Helden sehr. Beide verfügen über eine
Macht, die dem normalen Menschen unerreichbar ist, beide versuchen den Weg
nach ‚oben’. Der Held muss also den ‚Titan’ in sich bekämpfen bevor er wirklich
ihre wahre Position erfüllen kann.
Der Sieg über den Riesen oder über den ‚Titan’ bedeutet: über den eigenen
Größenwahnsinn siegen, ein Sieg über den Ego, der dem Erreichen transzendenter
Höhen im Wege steht. Iwein kann danach die Kraft, Lunete, befreien, die ihn wieder
in seine königliche Position zurückkehren hilft.

6.3. Die Burg zum Schlimmen Abenteuer und der Kampf mit Gawein

An dieser Stelle folgt in der kymrischen Erzählung die Szene der Versöhnung mit
Laudine. Die Chrétiensche Variante hat hier noch zwei Abenteuer, die der Held
bestehen muss. In beiden kommen aber Motive vor, die auch dem Mabinogi nicht
unbekannt sind.
Der Erbstreit der Töchter des Grafen vom Schwarzen Dorn ist dem
kymrischen Erzähler unbekannt, aber das Abenteuer, zu dem er führt – der Kampf
mit Gawein – durchaus. Doch ist dieser an eine andere Stelle der Geschichte
platziert, nämlich bei der Ankunft von König Artus und seinen Rittern zu der
Wunderquelle (Ow S. 143.).
Es ist interessant, dass in der Chrétienschen Variante der Löwe bei diesem
Abenteuer nicht eingreift: es gelingt Yvain und dem Mädchen sich von dem Löwen
‚fortzustehlen’ 210 :„Si fu remés la, oi il jurent“ (Yv v. 5924.). „der lewe envuor niht
mit in zwein“ (Iw v. 6902.), betont auch Hartmann. Er fügt noch hinzu: „ern [Iwein]

210
vgl. Chrétien de Troyes: Yvain, S. 291.

66
wolt in niht zem kampfe hân“ (Iw v. 6904.). Im altenglischen Ywaine and Gawain
wird sogar gesagt, Iwein hätte den Löwen schlafend hinter sich gelassen: „On slepe
left thai his lyowne” (YaG v. 3411.) Es wäre eine interessante Frage, wie man ihn
doch als ‚Löwenritter’ erkannte, wenn sein Löwe nicht bei ihm war. Andererseits
und vor allem ist in dieser Frage deshalb wichtig klar zu sehen, weil so eine
Wendung in der Geschichte ‚das Einschlafen der solaren Kräfte’ bedeuten würde,
mit denen ja der Löwe zu identifizieren ist.
Dieses Problem könnte so gelöst werden, wie das – sich auf die Thesen von
Brown stützend – Zenker tut:

Dies erklärt sich am einfachsten durch die Annahme, das Mb [Mabi-


nogion] biete das Ursprüngliche, wenn es den Zweikampf an jener
früheren Stelle stattfinden lässt, wo Owein den Löwen noch nicht
zum Begleiter gewonnen hat; bei der Versetzung an den Schluss des
Romans wurde die Episode in ihrer ursprünglichen Fassung belassen,
die von einer Beteiligung des Löwen am Kampfe nichts wusste. 211

Doch gibt das noch immer keine Antwort darauf, wieso Chrétien die lange
Geschichte von den Tochtern des Herrn vom Schwarzen Dorn eingefügt hat. Zenker
meint, Chrétien habe die Episode nur eingefügt, „um die Geschichte in die Länge zu
ziehen“ 212 :

Dafür nun, dass die Geschichte von dem Erbschaftsstreit der beiden
Schwestern von dem französischen Dichter in der Tat nur zu dem
Zwecke eingeschoben wurde, den Roman anzuschwellen, das Ende
hinauszuschieben, spricht auch ihre maßlose Breite, sowie ein in dem
Organismus der Erzählung völlig überflüssiger Zug, den sie enthält,
der jedenfalls auch nur dazu dienen soll, die Episode in die Länge zu
ziehen. Es ist nämlich durchaus nicht einzusehen, welchen andern
Zweck als den ebengenannten es haben kann, dass der Dichter die
jüngere Schwester auf dem Schlosse auf dem sie einkehrt, erkranken
und die Suche nach Ivain durch ein anderes Fräulein fortsetzen lässt
Die Erzählung würde offenbar genau den gleichen Verlauf nehmen,
wenn die Schwester selbst die queste zu Ende führte und sich mit I-
vain zum Chastel de Pesme Avanture begeben würde. Aber die
Geschichte wäre dann eben früher aus. 213

Die andere Episode, die aus der kymrischen Erzählung fehlt, ist eben die letztge-
nannte: der Besuch in der Burg zum Schlimmen Abenteuer. Aber der Erzählung über
die Dame von der Quelle wird eine Geschichte nachgestellt, die viele Ähnlichkeiten
mit dieser aufweist, über einen Kampf mit einem Riesen in der Burg des „Schwarzen
Unterdrückers“. Die Eigenartigkeit dieser zugefügten Episode besteht darin, dass in

211
Zenker: Ivainstudien, S. 280.
212
Zenker: Ivainstudien, S. 300.
213
Zenker: Ivainstudien, S. 300-301

67
ihr nicht der Löwe das Attribut von Owain ist, sondern – wie auch in anderen
kymrischen Erzählungen, z.B. im Der Traum von Rhonabwy 214 – ein Schar von
Raben und die Dreihundert Schwertern von Cenferchyn (Ow S. 151.). 215 Anderer-
seits zeigt sie so große Ähnlichkeiten mit der Chrétienschen Episode von dem
Chastel de Pesme Avanture 216 , dass die Verwandtschaft unbestreitbar ist. Weil eine
vollständige Analyse und Interpretation zu lange wäre, werden hier nur einige
Einzelheiten erwähnt, die bei der Klärung dieses Problems hilfreich wären.
Es ist zugleich verwunderlich, dass nachdem Iwein die Burg betritt, seine
Gefährtin sozusagen verschwindet, nichts wird über sie berichtet, bloß, dass die
beiden (und der Löwe) in einem Zimmer heruntergebracht werden (Iw v. 6570-6581)
– aber gerade diese Verse fehlen aus Chrétiens Yvain 217 . Auch diese rühren also von
der Bemühung her, eine Kontinuität herzustellen, die bei dem französischen Dichter
zu verloren gegangen scheint.
Wenn die Episode in der Mabinogion archaischer ist, also den traditionellen
Vorstellungen über Owein besser entspricht, noch dazu nicht als Teil der Erzählung
über die Dame von der Quelle vorkommt, sondern als ein eigenständiges Abenteuer,
muss diese von Chrétien in den Iwein-Stoff eingearbeitet worden sein. 218 Der
Verfasser des Mabinogi könnte die Geschichte von dem „Schwarzen Unterdrücker“
den Abenteuern von Owein deshalb nachgehängt haben, weil sie unter dem Einfluss
der Chrétienschen Variante, die ihm bekannte, doch bis dahin nur mündlich tradierte
Erzählung zur Papier bringen wollte, aber auch den, aus dieser Version fehlenden
Teil, den er aus einer anderen Quelle schöpfte, nicht auszulassen gedachte.
Die Symbolik dieser Geschichten ist im Großen und Ganzen mit dem Kampf
gegen Harpin vergleichbar. Auch hier erscheinen Kreaturen, die einerseits große
Macht besitzen, andererseits aber den Kräften der Auflösung untergeordnet werden –
sie sind „des tiuvels kneht“ (Iw v. 6772). 219

214
The Mabinogion, S. 114-126.
215
Zenker: Ivainstudien, S. 303.: „Beide Motive gehören der kymrischen Artussage an (S. Loth II2,
45, Anm. I und I2, 370, Anm. I – Fußnote von Zenker). In ihr ist Owein ein Enkel des Kynvarch [=
Cenferchyn], seine dreihundert Raben werden bei den Barden öfter erwähnt, schon im 12. Jh. […]“.
216
Yv v. 5107-5811.
217
Auch im Yvain wird erwähnt, dass ihm ein Zimmer zugewiesen wurde, doch das Mädchen wird
nicht erwähnt. Vgl. Yv v. 5443-5447.
218
vgl. Zenker: Ivainstudien, S. 301-317.
219
Ó Riain-Raedel bringt sie mit den oben schon erwähnten Fomori in Verbindung. Vgl: Ó Riain-
Raedel: Untersuchungen zur mythologischen Struktur der mhd. Artusepen, S. 242. f.

68
Als letztes wäre noch das Motiv des Kampfes mit Gawein zu deuten. Das
Motiv beinhaltet folgendes: zwei Freunde, die einander nicht erkennen, kämpfen
gegeneinander. Sie können den anderen nicht besiegen, so beenden sie den Kampf
und erkennen erst jetzt, dass sie ‚zusammengehören’.
Im Parzival kommt dieses Motiv zweimal vor. Einmal im Kampf mit Gawan
(Pz v. 678,15-,30 und 688,05-690,2), ein andermal im Kampf gegen Feirefiz (Pz v.
735,5-748,9). Beide Gegner sind als ein ‚anderes’ Ich des Helden zu sehen. Gawan,
als Held der Parallelhandlung steht mit Parzival in enger Verbindung, die beiden
gehen nicht nur einen ‚ähnlichen’ Weg, sind auch eigentlich eine und dieselbe
Person. Feirefiz, der elsterfarbene Bruder ist ebenso eine Projektion des Helden.
Diese Kämpfe führt der Held gegen sich selbst. Wer am Ende gewinnt ist unwichtig:
wichtig ist nur, dass der Kampf positiv, mit der Wiederherstellung des Friedens
schließt.
Der Kampf von Iwein gegen Gawein (Iw v. 6867-7505.) steht auch in diesem
Zeichen. „Hier im Roman steht es [das Motiv des Kampfes und der Wiedererken-
nung Getrennter] – ähnlich wie in Wolframs Parzival – für die auf höherer Stufe
wiedergefundene Einheit des Helden mit sich selbst, die gelungene Selbstwer-
dung.“ 220 Dass der Held mit seinem innersten Selbst eins wird, beinhaltet auch, dass
er seiner innersten Berufung, seiner königlichen Qualität würdig erscheint. In diesem
Sinne aufgefasst ist es wirklich treffender, diesen Kampf erst vor dem Ende zu
stellen, wie es Chrétien und seine Nachfolger tun. Wie treffend auch die oben
zitierten zenkerschen Argumente auch sind, wäre es auch möglich, dass die
Chrétiensche Variante auch auf archaische Vorstufen zurückgeht, in denen der
Kampf der Freunde vor der Versöhnung mit Laudine stattfindet. Wie auch immer, ist
diese letzte Herausforderung an dieser Stelle vollkommen berechtigt, und man darf
auch die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Dichter der Symbolik der
Artusromane völlig bewusst waren. 221

6.4. Die Versöhnung mit Laudine

220
Wehrli: Nachwort zu: Hartmann von Aue: Iwein, (1988./2004.) S. 537. f.
221
Die große Rolle, die die Alchemie in dem Mittelalter gespielt hat (vgl. – wenn auch mit
Einschränkungen – auch Gebelein: Alchemistisches im Roman Iwein, der Ritter mit dem Löwen von
Hartman von Aue, S. 313-319.), sollte vor Augen haben, der diese Möglichkeit völlig ausschließen
wollte.

69
Auch der zweite Kreis schließt sich, als Iwein zum zweiten Mal die Herausforderung
der Wunderquelle wagt. Die Symbolik der ‚Solarität’ vereint sich hier mit derer der
‚Polarität’, also mit derer des axis. Hier kommen alle Bewegungen zum Stehen, alles
festigt sich in einer höheren Machtposition. Die Wiedervereinigung – selbstverständ-
lich die Vollführung der coagulatio – mit Laudine ist der Zielpunkt und Nullpunkt
der Geschichte: nichts mehr könnte vom Iwein gesagt werden. Das zeigen auch die
von den Händen der Schreiber unternommenen eigenwilligen Fortsetzungsversu-
che 222 , die dem Werk nichts mehr als die Beschreibung eines vollkommenen – und
weltlichen – Fürstenlebens zusetzen können.
Noch eine Frage wäre zu behandeln, die die Forschung heiß interessiert hat,
nämlich die von Laudines Kniefall. Es ist gerade unverständlich, wie ein Motiv, das
einerseits so zweitrangig ist, andererseits sich so leicht lösen lässt, so viele
Polemiken und Diskussionen auslösen konnte. Einige Interpreten schraken auch von
der These nicht zurück, es sei „eine Fehlkonzeption Hartmanns“ 223 . Man fühlt hier
eher die Wirkung der Buhrufe des modernen Feminismus, als eine tatsächlich
begründete Meinung.
Es ist dem modernen Leser oft schwer zu verkraften, dass es Zeiten gab, in
denen der Mann der Frau übergestellt wurde. Wenn Hartmann also auch Laudine für
Entschuldigung bitten lässt, stellt er nur diese Ordnung her. Es ist nämlich nicht
schwer einzusehen, dass wer etwas entschuldigt, höher steht, als jener, der sich bei
jemandem entschuldigt.
Auch wenn die anderen Versionen diese Szene nicht haben, bedeutet es nicht,
Iwein wäre Laudine untergeordnet. Er wird in seiner königlichen Position restauriert,
somit ist alles wiederhergestellt worden, die höchste Ebene wurde erreicht. Iweins
Königtum ist mit dem Gralkönigtum des Parzivals vergleichbar, beide repräsentieren
den vollkommenen Status des ‚solaren’ Weltkönigs, der über alles wacht. Iweins
Königtum ist nicht von ‚dieser Welt’, es steht über dem Räumlich-Zeitlichen. Iwein
erreicht also die gleiche Höhe die auch Parzival erreicht. 224 Beide gehen einen Weg,
der als Weg des Heroen bezeichnet werden könnte, den ‚schmalen Pfad’, der auf den
Olymp führt.

222
Hartmann von Aue: Iwein (2001), S. 149-152. Zusätze der Handschriften B und f.
223
vgl. Mertens: Laudine, S. 10-13. und Wapnewski: Hartmann von Aue, S. 79.: „Das wirkt zwar
versöhnend auf den Hörer, ist aber durchaus unorganisch aufgeproft und daher unwahr.”
224
vgl. Wehrli: Iweins Erwachen, S. 508.

70
7. SCHLUSSWORT

man verliuset michel sagen,


man enwellez merken unde dagen.
maneger biutet diu ôren dar:
ern nemes ouch mit dem herzen war,
sone wirt im niht wan der dôz,
und ist der schade alze grôz:
wan si verliesent beide ir arbeit,
der dâ hœret und der dâ seit. 225

Die Interpretation mittelalterlicher Stoffe ist immer eine heikle Angelegenheit. Diese
Werke stammen aus einer Zeit, die sich von unserer diametral unterscheidet. Gerade
wegen der „Entwicklung“, die sich in den vergangenen Jahrhunderten vollzogen
habe, und die vollkommene Umwälzung der Perspektiven sind es, die es fast
unmöglich machen, ein Werk dieser Epoche aus sich heraus richtig zu deuten. Die
verschiedensten modernen Vorurteile müssen beseitigt werden, angefangen von einer
wirtschaftlich-soziologischen Sicht, bis zu einer psychologisierenden und
humanisierenden Auffassung. Und auch wenn diese Vorkehrungen getroffen werden,
ist nichts mehr erwarten, als eine subjektive Deutung. Der Interpret kann nichts mehr
sagen: „mir sagt der Stoff folgendes…“ Eine Deutung, die einen absoluten Wert für
sich beansprucht, kann nicht ernst genommen werden. Doch: aus subjektiver Sicht
muss jede Interpretation eben diesen absoluten Wert für sich in Angriff nehmen.
Ohne persönliche Konsequenz bleibt die Deutung ohne Grundlage, die Sicht bleibt
ohne Sehen.
Hartmann warnt den Leser durch den oben zitierten Worten Kalogrenants, er
solle nicht nur mit den Ohren, auch mit dem „herzen“ hinhören. Für dieses Wort
nennt das Kleine Mittelhochdeutsche Wörterbuch folgende Übersetzungsmöglichkei-
ten: „Herz; Seele, Wesen, Sinn, Gemüt, Gefühl, Innerstes, Gesinnung, Wille,
Stimmung;“ 226 Hartmann versucht hier auszudrücken, man sollte diese Erzählung
verinnerlichen, den Willen daran setzen, deren Gesinnung zu vertreten, damit sie die
Seele und das Wesen des Hörers oder Lesers im positiven Sinne umformen kann.
Wie jedes wichtige Werk, ist auch Hartmanns Artusroman deshalb wichtig, weil sie
vom Leser Konsequenz verlangt, weil sie den Leser Werte zeigen kann, die es wert
sind, sie zu verfolgen.

225
Iw v. 249-256.
226
Hennig: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch
Die in dieser Arbeit angenommene symbolische Interpretation, die sich auf
den hier und da hervorglänzenden mythologischen Motiven basiert, hat versucht zu
zeigen, dass diese inhärente Ziele des Artusromans auf einer sakralen und
metaphysischen Ebene liegen. Dass Sakralität und Metaphysik für das Mittelalter
und für das Altertum allgemein die Grundlage der Weltanschauung gebildet hat, ist
gut bekannt. Im Grunde genommen muss man sagen: es gibt keine Weltanschauung
ohne Sakralität und Metaphysik.
Darüber, ob eine literarische Interpretation es wagen darf metaphysisch zu
sein, lässt sich natürlich streiten, vor allem dann, wenn man über mittelalterliche
Dichtung spricht, wo so ein Versuch – eben aus den oben genannten Gründen der
zeitlichen Entfernung – äußerst fragwürdig erscheint. Aber wenn diese zeitlichen
Barrieren durchzubrechen gewagt werden, kann eine Tiefe zum Vorschein kommen,
die eine wesentliche Grundlage für weitere Interpretationen bilden könnte.
Sei jetzt die – doch dringende – Frage noch einen Moment lang bei Seite
gelassen, ob es gerechtfertigt sei über mythologischen Elementen im Artusroman zu
sprechen, und es wird sofort deutlich, dass wenn eine metaphysische Interpretation
möglich ist, ist sie – wegen der Gesetzen der Metaphysik – auch legitim.
Die Frage, ob der Iwein mythologische Konzeptionen beinhaltet oder nicht,
darf nicht auf dem Weg einer quellengeschichtlichen Forschung beantwortet werden
(nicht zu sprechen davon, dass dies auch unmöglich ist; die Fakten lassen sich
nämlich immer auf zahlreiche Weise interpretieren). Mythologie darf man nie als
bloße literarische Tradition, ohne Sinn und Bedeutung betrachten. Das Entdecken
formaler Ähnlichkeiten bildet nie eine Grundlage, sie entsteht nur, wenn auch
Prinzipien des Verstehens da sind. Mythologische Konzeptionen kann man nur durch
Interpretation entdecken. Ein Motiv ist nicht deswegen ‚mythologisch’ zu nennen,
weil in einer mythischen Erzählung ein ähnliches vorkommt, sondern weil es die
mythologische Interpretation zulässt. Schärfer formuliert: es ist mythologisch, wenn
es mythologisch gedeutet wird.
In dieser Arbeit war genau das zum Ziel gesetzt. Es wurde versucht einer
ursprünglichen Bedeutung die Spuren zu verfolgen; „ursprünglich“ im Sinne, dem
Ursprung – spirituell, nicht geschichtlich – entspringend, anders: „symbolisch“ auf
den Ursprung, auf das Metaphysische zeigend. Diese Möglichkeit der Interpretation
schließt natürlich andere Sichtweisen nicht aus: im Gegenteil, sie bietet für weiteren
Untersuchungen – zum Beispiel aus der Sicht der höfischen oder christlichen

72
Zuhörerschaft – eine Basis, die gewisse Richtungen vorzeichnet und die Annäherung
ermöglicht.
Freilich ist eine weitere Verfeinerung der unternommenen symbolisch-
mythologischen Deutung durchaus vorstellbar und wahrlich auch wünschenswert.
Vielleicht wird es möglich sein später noch auf diese Fragen zurückzukommen, doch
im Moment wurde alles gesagt, was in diesem Zusammenhang zu einem neuen
Verständnis des Iwein gesagt werden musste.
Die Frage, wieweit diese Art von Interpretation auf anderen Artusromanen
und weiteren Texten des Mittelalters oder der Neuzeit anwendbar sei, bleibe
dahingestellt. Nur darauf, was in diesem Zusammenhang im Rahmen dieser Arbeit –
in der Interpretation der Schluss-aventiure des Erec oder in der kurzen Erörterung
des Liedes Heinrichs von Morungen – getan werden konnte, sei hingewiesen.
Im Iwein ist uns nicht nur eine Glanzleistung mittelhochdeutscher Epik
erhalten geblieben, sondern ein Werk, der die Möglichkeit in sich birgt, im
Menschen eine Disposition zu eröffnen, in der die höchsten Werte des europäischen
Mittelalters vergegenwärtigt werden. Vielleicht so wäre es zu verstehen, dass Artus
nicht gestorben ist, nur darauf wartet, wann er im Glanz wiederkehren kann.

73
8. FORSCHUNGSLITERATUR

8.1. Texte

8.1.1. Iwein-Bearbeitungen

• Hartmann von Aue: Iwein. Text der siebenten Ausgabe von G. F. Benecke, K.
Lachmann und L. Wolff. Übersetzung und Anmerkungen von Thomas Cra-
mer. Dritte, durchgesehene und ergänzte Auflage, Walter de Gruyter, Berlin,
New York, 1981.
• Hartmann von Aue: Iwein. Text der siebenten Ausgabe von G. F. Benecke, K.
Lachmann und L. Wolff. Übersetzung und Nachwort von Thomas Cramer. 4.,
überarbeitete Auflage, Walter de Gruyter, Berlin, New York, 2001.
• Hartmann von Aue: Iwein. Text der siebenten Ausgabe von G. F. Benecke, K.
Lachmann und L. Wolff. Aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt und mit
Anmerkungen und einem Nachwort von Max Wehrli. Manesse Verlag, Zü-
rich, 1988./2004.
• Chrétien de Troyes: Yvain. Übersetzt und eingeleitet von Ilse-Nolting-Hauff.
3. Auflage, Wilhelm Fink Verlag, München, 1983.
• Ywain and Gawain. Edited by Mary Flowers Braswell. Originally Published
in: Sir Perceval of Galles and Ywain and Gawain, Kalamazoo, Michigan,
Medieval Institute Publications, 1995. Auch im Internet zu finden:
http://www.lib.rochester.edu/CAMELOT/teams/ywnfrm.htm
• Herr Ivan Lejon-riddaren. En svensk rimmad dikt ifrån 1300-talet, tillhöran-
de sago-kretsen om konung Arthur och hans Runda bord. Efter Samla
Handskrifter af J. W. Liffman, och George Stephens, ESQ. P. A. Norstesdt &
Söner, Stockholm, 1849. (Samlingar utgifna af svenska fornskrift-sällskapet.)
• Ívens saga. Edited by Foster W. Blaidsell. C. A. Reitzels Boghandel A/S
Copenhagen, 1979. (Editiones Arnamagnæanæ Serises B, vol. 18. Auspiciis
præsidii arnamagnæani. Edendum curaverunt Jonna Louis-Jensen, Jón Hel-
gason, Peter Springborg)

74
• The Lady of the Fountain. in: The Mabinogion. Translated by Gwyn Jones
and Thomas Jones. 5. edition, 9. reprint, The Everyman Library, London,
Vermont, 2004. S. 129-151.
• Ulrich Füetrer, Von Iban, in: ders.: Das Buch der Abenteuer. Teil 2 Das
annder púech. Nach der Handschrift A (Cgm. 1 der Bayerischen Staatsbiblio-
thek) in Zusammenarbeit mit Berndt Basters herausgegeben von Heinz
Thoelen, Kümmerle Verlag, Göppingen, 1997. S. 220–277.
• Gerhard Anton von Halem, Ritter Twein. in: Heidi Beutin/Wolfgang Beutin,
Der Löwenritter in den Zeiten der Aufklärung. Gerhard Anton von Halems
Iwein-Version „Ritter Twein“, ein Beitrag zur dichterischen Mittelalter-
Rezeption des 18. Jahrhunderts. Im Anhang: Halems Versdichtung „Ritter
Twein“, Text der Ausgabe von 1789, Göppinger Arbeiten zur Germanistik.
Hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher, Cornelius Sommer, Kümmer-
le Verlag, Göppingen, 1994. [Die originale Seitenangaben aus Gerhard Anton
von Halem, Poesie und Prose, Hamburg, 1789. sind in runden Klammern
gesetzt auch angegeben.]

8.1.2. Weitere verwendete Texte

• Chrétien de Troyes: Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal. Übersetzt


und herausgegeben von Felicitas Olef-Krafft, Philipp Reclam jun. Stuttgart,
1991/2003.
• Chrétien de Troyes: Erec und Enide. Übersetzt und eingeleitet von Ingrid
Kasten. in: Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen
Ausgaben, herausgegeben von Hans Robert Jauss und Erich Köhler, Band 17,
Heraus Wilhelm Fink Verlag, München, 1979.
• Dante Alighieri: De monarchia. Studienausgabe. Einleitung, Übersetzung
und Kommentar von Ruedi Imbach und Christoph _Flüeler, Philipp Reclam
jun., Stuttgart, 1989/1998.
• Deutscher Minnesang. 1150-1300. Einführung sowie Auswahl und Ausgabe
der mittelhochdeutschen Texte von Friedrich Neumann. Nachdichtung von
Kurt Erich Meurer, Philipp Recalm jun. Stuttgart 1978/2002.

75
• Edda. Erster Band. Heldendichtung. 19. bis 23. Tausend. Übertragen von
Felix Genzmer. Mit Einleitungen und Anmerkungen von Andreas Heusler.
Verlegt bei Eugen Diedrichs in Jena 1923.
• Edda. Zweiter Band. Götterdichtung und Spruchdichtung. 11.-20. Tausend.
Übertragen von Felix Grenzmer. Mit Einleitungen und Anmerkungen An-
merkungen von Andreas Heusler. Verlegt bei Eugen Diedrichs in Jena 1922.
• Eilhart von Oberg: Tristrant. Herausgegegen von Franz Lichtenstein. Strass-
burg: Trübner, 1877. (Quellen und Forschungen zur Sprach- und
Kulturgeschichte der germanischen Vöker; 19). Ulrich Harsch 2001. Der
digitalen Version von Lichtensteins Tristrant-Rekonstruktion liegt die Datei
aus dem Oxford-Textarchiv zugrunde.
http://www.fh-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/12Jh/Eilhart/eil_t000.html

• Hartmann von Aue: Der arme Heinrich. Übersetzt von Siegfried Grosse.
Herausgegeben von Ursula Rautenberg, Philipp Reclam jun. Stuttgart,
1993/1998.
• Hartmann von Aue: Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung von
Thomas Cramer, Fischer Taschenbuch Verlag GnbH, Frankfurt am Main,
1972. 25. Auflage: Juli 2003.
• Heinrich von dem Türlin: Diu Crône. Eine Erzählung. Zum ersten Male
ausgegeben von Gottlob Heinrich Friedrich Scholl, Bibliothek des Liteari-
schen Vereins, Stuttgart, 1852.
• Gereint Son of Erbin. in: The Mabinogion. Translated by Gwyn Jones and
Thomas Jones. 5. edition, 9. reprint, The Everyman Library, London, Ver-
mont, 2004. S. 189-225.
• Gottfried von Staßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu
herausgegeben, ins Neuhochdetsche übersetzt mit einem Stellenkommentar
und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, Philipp Reclam jun. Stuttgart,
1980. Unveränderter Nachdruck 2001 der 6., durchgesehenen Auflage 1993.
• Meister Eckhart: Deutsche Predigten. Eine Auswahl. Auf der Grundlage der
kritischen Werkausgabe und der Reihe „Lectura Eckhardi“ herausgegeben,
übersetzt und kommentiert von Uta Störmer-Casya, Philipp Reclam jun.
Stuttgart, 2001.

76
• Das Nibelungenlied. Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor
ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse, Phi-
lipp Reclam jun., Stuttgart, 1997/2002.
• Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet. Hrsg.: K. A. Hahn/F. Norman, Berlin
1965. Digitale Version: Ulrich Harsch 2000. at: http://www.fh-
augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/12Jh/Zatzikhoven/zat_la00.html
• Wolfram von Eschenbach, Parzival. Mittelhochdeutscher Text nach der
Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung und Nachwort von Wolfgang
Spiewok, Philipp Reclam jun. Stuttgart, 1981/2001.

8.2. Wörterbücher

• Hennig, Beate: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch. In Zusammenar-


beit mit Christina Hepfer und unter redaktioneller Mitwirkung von Wolfgang
Bachofer. 4., verbesserte Auflage. Studienausgabe. Max Niemayer Verlag,
Tübingen, 2001.
• Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. Mit den Nach-
trägen von Ulrich Pretzel. 38., unveränderte Auflage. S. Hirzel
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 1992.

8.3. Sekundärliteratur zum Iwein

• Barnes, Geraldine: The lion-knight legend in old norse romance, in: in: Die
Romane von dem Ritter mit dem Löwen. Hrsg. von Xenja von Ertzdorff unter
redaktioneller Mitarbeit von Rudolf Schulz. Chloe. Beihefte zum Daphnis,
Band 20. Rodopi, Amsterdam – Atlanta, GA 1994. S. 383-399.
• Bergner, Heinz: Chrétiens Löwenritter und der mittelenglische Yvain and
Gawain, in: in: Die Romane von dem Ritter mit dem Löwen. Hrsg. von Xenja
von Ertzdorff unter redaktioneller Mitarbeit von Rudolf Schulz. Chloe. Bei-
hefte zum Daphnis, Band 20. Rodopi, Amsterdam – Atlanta, GA 1994. S.
369-381.
• Besamusca, Bart: Die Rezeption von Chrétiens Yvain in den Niederlanden,
in: in: Die Romane von dem Ritter mit dem Löwen. Hrsg. von Xenja von

77
Ertzdorff unter redaktioneller Mitarbeit von Rudolf Schulz. Chloe. Beihefte
zum Daphnis, Band 20. Rodopi, Amsterdam – Atlanta, GA 1994. S. 353-368.
• Cormeu, Christoph und Störmer, Wilhelm: Hartmann von Aue. Epoche –
Werk – Wirkung. Zweite, überarbeitete Auflage, Verlag C.H. Beck, Mün-
chen, 1998.
• Cramer, Thomas: Sælde und êre in Hartmanns ‚Iwein’, in: Hartmann von
Aue. Hrsg. von Hugo Kuhn und Christoph Cormeau. Wege der Forschung,
Band CCLIX, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1973. S. 426–
449.
• Epische Stoffe des Mittelalters. Hrsg. von Volker Mertens und Ulrich Müller,
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1984.
• Ertzdorff, Xenja von: Hartmann von Aue: Iwein und sein Löwe, in: in: Die
Romane von dem Ritter mit dem Löwen. Hrsg. von Xenja von Ertzdorff unter
redaktioneller Mitarbeit von Rudolf Schulz. Chloe. Beihefte zum Daphnis,
Band 20. Rodopi, Amsterdam – Atlanta, GA 1994. S. 287-311.
• Gebelein, Helmut: Alchemistisches im Roman Iwein, der Ritter mit dem
Löwen, von Hartmann von Aue, in: in: Die Romane von dem Ritter mit dem
Löwen. Hrsg. von Xenja von Ertzdorff unter redaktioneller Mitarbeit von Ru-
dolf Schulz. Chloe. Beihefte zum Daphnis, Band 20. Rodopi, Amsterdam –
Atlanta, GA 1994. S. 313-330.
• Hofer, Stefan: Chrétien de Troyes. Leben und Werke des altfranzösischen
Epikers, BV. Hermann Böhlaus Nachf., Graz – Köln, 1954.
• Lühr, Rosemarie: Die Herkunftsbezeichnung Leonois und das Motiv des
dankbaren Löwen im Mabinogion und bei Chrétien von Troyes, in: Die Ro-
mane von dem Ritter mit dem Löwen. Hrsg. von Xenja von Ertzdorff unter
redaktioneller Mitarbeit von Rudolf Schulz. Chloe. Beihefte zum Daphnis,
Band 20. Rodopi, Amsterdam – Atlanta, GA 1994. S. 219-243.
• Mertens, Volker: Laudine. Soziale Problematik im Iwein Hartmanns von
Aue. Beihefte zur Zeitschrift für deutsche Philologie 3. Herausgegeben von
Hugo Moser und Benno von Wiese. Erich Schmidt Verlag, Berlin, 1978.
• Ó Riain-Raedel, Dagmar: Untersuchungen zur mythischen Stuktur der
mittelhochdeutschen Artusepen. Ulrich von Zatzikhoven ‚Lanzelet’ – Hart-
mann von Aue ‚Erec’ und ‚Iwein’. Philologische Studien und Quellen, Heft

78
91. Herausgegeben von Wolfgang Binder und Hugo Moser. Erich Schmidt
Verlag, Berlin, 1978.
• Rieger, Angelica: „En esto sigo la antigua usanza de los andantes caballe-
ros“. Zur Rezeption der Geschichte des Ritters mit dem Löwen bei
Cervantes, in: in: Die Romane von dem Ritter mit dem Löwen. Hrsg. von
Xenja von Ertzdorff unter redaktioneller Mitarbeit von Rudolf Schulz. Chloe.
Beihefte zum Daphnis, Band 20. Rodopi, Amsterdam – Atlanta, GA 1994. S.
419-449.
• Rieger, Dietmar: „Il est a moi et je a lui“. Yvains Löwe – Ein Zeichen und
seine Deutung, in: in: Die Romane von dem Ritter mit dem Löwen. Hrsg. von
Xenja von Ertzdorff unter redaktioneller Mitarbeit von Rudolf Schulz. Chloe.
Beihefte zum Daphnis, Band 20. Rodopi, Amsterdam – Atlanta, GA 1994. S.
245-285.
• Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. I. Von den Anfängen
bis zu Hartmann von Aue. Grundlagen der Germanistik, Herausgegeben von
Hugo Moser und Hartmut Steinecke. Mitbegründet von Wolfgang Stammler.
Band 7. 2., verbesserte Auflage, Erich Schmidt Verlag, Berlin, 1977.
• Ruh Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. II. ‚Reinhart Fuchs’,
‚Lanzelet’, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg. Grundlagen
der Germanistik, Herausgegeben von Hugo Moser und Hartmut Steinecke.
Mitbegründet von Wolfgang Stammler. Band 25. Erich Schmidt Verlag, Ber-
lin, 1980.
• Ruh, Kurt: Zur Interpretation von Hartmanns ‚Iwein’, in: Hartmann von Aue.
Hrsg. von Hugo Kuhn und Christoph Cormeau. Wege der Forschung, Band
CCLIX, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1973. S. 408–425.
• Thompson, R.L.: Owain: Chwedl iarlles y ffynnon. in: The Arthur of the
Welsh. The Arthurian Legend in Medieval Welsh Literature, ed. Rachel
Bromwich, A.O.H. Jarman, Brynley F. Roberts, University of Wales Press,
Cardiff, 1991.
• Voss, Rudolf: Die Artusepik Hartmanns von Aue. Untersuchungen zum
Wirklichkeitsbegriff und Ästhetik eines literarischen Genres im Kräftefeld
von soziokulturellen Normen und christlicher Anthropologie. Literatur und
Leben, Neue Folge, Band 25, Böhlau Verlag, Köln Wien, 1983.

79
• Voss, Rudolf: Die Iwein-Rezeption Ulrich Füetrers – Der Iban im Kontext
des Buchs der Abenteuer, in: in: Die Romane von dem Ritter mit dem Löwen.
Hrsg. von Xenja von Ertzdorff unter redaktioneller Mitarbeit von Rudolf
Schulz. Chloe. Beihefte zum Daphnis, Band 20. Rodopi, Amsterdam – Atlan-
ta, GA 1994. S. 331-352.
• Wapneski, Peter: Hartmann von Aue. 7., ergänzte Auflage, J.B. Metzlersche
Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 1979.
• Wehrli, Max: Iweins Erwachen, in: Hartmann von Aue. Hrsg. von Hugo
Kuhn und Christoph Cormeau. Wege der Forschung, Band CCLIX, Wissen-
schaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1973. S. 491–510.
• Zenker, Rudolf: Ivainstudien. Forschungen zur Artusepik I. Beihefte zur
Zeitschrift für romanische Philologie, LXX. Heft, Halle a. S., Verlag von
Max Niemayer, 1921.

8.3. Weitere Sekundärliteratur


• Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen
Mittelalter, 10. Ausgabe, Deutscher Taschenbuch Verlag, München,
1986/2002.
• Eliade, Mircea: Le chamanisme. Et les techniques archaïques de l’extase.
Dexième edition, revue et augmentée, Payot, Paris, 1978.
• Eliade, Mircea: Histoire des croyances et des idées religieuses 3. De Maho-
met à l’âge des Réformes, Payot, Paris, 1983.
• Eliade, Mircea: Images et symbols. Essais sur le symbolisme magico-
religieux. Avant-propos de Georges Dumézil. Collection Tel, Gallimard,
1952.

80
ZEICHENERKLÄRUNG 227

Iwein = Iw (nach Versen [v.] zitiert)


Yvain, ou Le chevalier au lion = Y (nach Versen [v.] zitiert)
Owein, or The Lady of the Fountain = Ow (nach der Seitenzahlen [S.] der Ausgabe
von Gwyn Jones and Thomas Jones zitiert)
Ywaine and Gawain = Y&G (nach Versen [v.] zitiert)
Ivens saga artuskappa = Is (Version A/B = IsA/IsB; Version C = IsC) (nach den
Seitenzahlen [S.] der Ausgabe von Blaisdell zitiert)
Iban = Ib (nach Strophen [Str.] zitiert, an erster Stelle steht die Strophenzahl nach
dem ganzen Buch der Abenteuer, an zweiter, mit Schrägstrich [/] getrennt, die nach
dem Kapitel Von Iban, danach mit einem Punkt [.] getrennt, kommt die entsprechen-
de Verszahl)
Ritter Twein = Tw (nach Versen [v.] zitiert)
Erec (Hartmann) = E (nach Versen [v.] zitiert)
Erec et Enide = E&E (nach Versen [v.] zitiert)
Parzifal = Pz (nach Versen [v.] zitiert)
Perceval = Pc (nach Versen [v.] zitiert)
Tristan (Gottfried) = Tn (nach Versen [v.] zitiert)
Tristant (Eilhart) = Tt (nach Versen [v.] zitiert)
Lanzelet (Ulrich von Zatzikhoven) = L (nach Versen [v.] zitiert)
Der arme Heinrich = aH (nach Versen [v.] zitiert)
Das Nibelungenlied = NL (nach Versen [v.] zitiert)
Gereint Son of Erbin = GsE (nach der Seitenzahlen [S.] der Ausgabe von Gwyn
Jones and Thomas Jones zitiert)
Peredur Son of Efrawg = PsE (nach der Seitenzahlen [S.] der Ausgabe von Gwyn
Jones and Thomas Jones zitiert)

227
Bibliographische Daten der benutzten Textausgaben s. Verwendete Literatur, S. 74.

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