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Wurmstichig und turteltaub
Beethoven, Ludwig van (L770-1827)

Natürlich hat sich Ludwig van wie alle hier vertretenen Musikschaffenden
hauptsächlich durch seine Kompositionen in die Köpfe nachfolgender Generatio-
nen eingeschlichen. Wir alle kennen seine Symphonien, wenn nicht vom Hören,
dann vom Hörensagen: die Eroica, die Schicksalssymphonie, etliche davor und
dazwischen, die Unvollendete.Letztere wurde von zahlreichen Stümpern kopiert,
die alle der Mode folgten und ihr Lebensziel darin erblickten, ihre eigene Unvoll-
endete zuPapier zu bringen, nur um dann zufrieden und erfüllt über ihr sterben zu
dürfen. Aber Ludwig vans Symphonie blieb die unvollendetste von allen und
erweckte noch dazu den Eindruck, völlig fertig zu sein; das konnte dem Meister
natürlich niemand nachmachen. Böse Zungen behaupten gar, die Symphonie sei
tatsächlich ordnungsgemäß durch Ludwig van beendet und erst nachträglich zur
Halbheit erklört worden (denn schließlich kriegt mit dem passenden Bauplan
jeder Dilettant eine ganze Symphonie zustande). Diese Sache hat man nie zufrie-
denstellend beleuchtet, und auch hier interessiert sie höchstens ganz an Rande.
Wichtiger wdre da schon - nicht nur musikalisch betrachtet - seine einzige Oper
Fidelio, die einen riesigen Schatten über Ludwig vans ohnehin sehr schattiges
Leben wirft. Tatsächlich bilden Fidelio und die Eroica die beiden großen Eck-
pfeiler, die sein Dasein, statt es mannhaft tragen zu helfen, auf perfideste Weise
zum Einsturz brachten.
Jedoch faszinieren den durchschnittlichen hörenden Menschen an Ludwig van
zunächst zwei Dinge weitaus mehr als seine Musik. Das ist zum einen sein tragi-
sches Handicap, wie man Verkrtippelungen aller Art heute taktvoll nennt.
Während die Musikwissenschaft munkelt, daß Ludwig van erst im Laufe seines
Lebens zu der tauben Nuß wurde, die wir heute kennen und vielleicht auch lieben,
deuten diverse Quellen auf einen schon in seiner Kindheit auftretenden Schaden
hin. Aussprüche seiner Mutter wie >>Ludwig van, du garstiger Bub, kannst du nicht
hören?<< oder >Du hast wohl wieder auf deinen Ohren gesessen, was?<< weisen uns
die Richtung seines Leidens. Frühzeitig buchstäblich ergrffine Gegenmaßnah-
men der Mutter wie das Ohrenlangziehen wirkten kaum, doch zumindest nach-
haltiger als die Kuren der vielen Arzte, die Ludwig van später konsultieren sollte.
Allerdings behielten die Beethovenschen Ohrmuscheln ihre längliche Form bei
und veranlaßten Ludwig van letztendlich dazu, sich zwecks Muschelverbergung
die extravagante Salatgabel-Sturmfrisur zuzulegen, die uns von Abbildungen
geläufig sein dürfte. Die zweite Angelegenheit, die den Pauschalkonsumenten

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(rbgesehen von des Meisters Ohdäppchen, Mittel- und Innenohr) noch enorn
irrteressiert, ist das Rätsel des Ewigen Wanderers, der er war bzw. wurde. Nirgends
krrnnte er es lange aushalten. Nirgends konnte man ihn lange aushalten. Gott sei
l)rnk ließ er sich sowieso nur ungern aushalten, wie man weiß. Nicht von unge-
lllhr fallen sein stetig wachsender Wandertrieb und seine nicht minder fortschrei-
lcnde Hörschwäche zeitlich exakt zusammen. Hinter beiden verbirgt sich ein gar
schröcklicher Zusammenhang, der schlechterdings das Lebensrätsel des Ludwig
vrrn darstellt. Allerhöchste Zeit, mit den Heimlichkeiten kurzen Prozeß zu
ttrachen!
Schon in dem noch kleinen Ludwig vereinigten sich voll und ganz sämtliche
gcnetischen Vorzüge und Nachteile seiner Sippschaft. Der Opa war sehr musika-
lisch gewesen, desgleichen der Vater; nur komponiert hat keiner von beiden. An
l,udwig vans beiden Brüdern dagegen ging das Genialische achtlos vorbei, ohne
rtuch nur einen Seitenhieb auszuteilen. Kaspar Karl war ein begnadeter Kassenbe-
rrnrter mit Sinn für das Eheleben. Johann machte eine ausgedehnte Apothekerleh-
t'c und brachte es immerhin auf einen eigenen Laden inklusive Landgut; seine
llegabung für das Apothekarische erklärt eventuell auch den Umstand, daß der
(iute seine Brüder so mühelos zu überleben imstande war. Klein Ludwig war
schon als Kind das älteste seiner Geschwister; so blieb alles Unangenehme, Talent
wie auch Erziehung, unweigerlich an ihm kleben, ohne auf die musisch unbegab-
lcn Brüder abzufdrben. Und diese Erziehung, planlos und scheinbar chaotisch wie
sie war, hatte es in sich. Vater Beethoven erkannte noch im Suff die außerordent-
liche, geradezu in die Ohren springende Begabung seines Erstlings. Zu solchen
lccht häufig sich ergebenden Gelegenheiten sah er des Sprößlings Talent mögli-
cherweise sogar doppelt und dreifach und im rosigsten Lichte. Obwohl er ein, wie
cs heißt, >schlechter Haushalter< war (also im Klartext chronisch pleite), der kei-
rrcrlei geregelten Unterricht seitens kompetenter Lehrer bezahlen konnte, schlug
cr in der Förderung Klein Ludwig vans ganz extreme Wege ein und scheute vor
lcin gar nichts zurück, galt es doch immerhin, den Knaben als staatlich geprüftes
Wunderkind unter die Leute zu bringen.
Genau hier, in dieser Epoche seines miserablen Lebens, liegt der Grundstein zu
l,udwig vans Krankheit herum. Seit dem kometenhaften Aufstieg des dynami-
schen Duos >Wolferl und Nannerl< n?imlich galt das sogenannte Wunderkindertum
nicht nur als chic, sondem als obligatorisch. Sobald ein armes Hascherl von Kind
'piep< sagen oder besser noch singen konnte, wurde es unbarmherzig in die höfi-
schen Salons und die von Fürst Mettemich oder Pückler gesponserten Konzertsdle
geschleift, wo es zeigen mußte, was der stolze Vater geleistet hatte. (Nicht selten
gab es sonst einen unsanften Klaps mit dem Hammerklavier.) Man bedenke dabei
tlen unpraktischen Umstand, daß damals noch gänzlich ohne Playback gearbeitet
wurde! Der gestrenge Wunderkindervater steckte den kleinen Mann oder die klei-

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ne Miss in das feinste Halbseidene, stülpte dem widerstrebenden Etwas eine Rie-
senperücke über die Nase, und ab ging's zu Fürschtens. Und wehe, wenn der
Wurm die umstehende Gesellschaft nicht vollends bezauberte ... Wie man sich
beinahe denken kann, benahm sich der kleine Ludwig van genauso unbändig und
widerborstig wie seine Haare. Er wollte sich nicht dressieren lassen, der sture
junge Hund. Aber da biß er bei seinem ihn liebenden Erzeuger auf reinstes Gra-
nit.
Der Vater befand sich nämlich in einer Zwangslage. Sohnemanns Talent ward
früh erkannt. Jedoch hatte sich die Erkenntnis in des Vaters ständig alkoholumne-
beltem Gehirn nicht rechtzeitig ausgebreitet (genauer gesagt: Es hatte nicht >klick<
bei ihm gemacht). Einmal gab es unvermittelt einen nüchtemen Augenblick; Vater
Johann schaute auf die Uhr - und was sah er zu seinem Entsetzen? Es war bereits
1778, mitteleuropäische Sommerzeit, somit zwei Jahre zu spät für die Karriere
seines achtjährigen Filius. In panikartiger Hast meldete man Ludwig van als
sechsjäihriges achtes Weltwunder an, nicht ohne vorher Familienstammbuch und
Taufregister geändert zu haben. (Noch als Vierzigjähriger glaubte der Komponist,
er sei zwei Jahre jünger als andere Knaben.) Der solcherart künstlich kleinge-
machte und -gehaltene Ludwig wurde sodann einer schnellen, unorthodoxen und
äußerst radikalen Schulung unterzogen. Und die ging so:
Ein mit Johann (der übrigens Tenor war) befreundeter Sänger und Flötist mit
dem passenden Namen T.F. Pfeifer sollte Ludwig van nicht die Flöten-, sondem
die fortgeschrittenen Klaviertöne beibringen. Um sich Mut anzutrinken, begleite-
te Pfeifer Vater Beethoven regelmäßig in die Eckkneipe, wo beide bis Mitternacht
hocken blieben, um alsdann im weinseligen Zustande Klein Ludwig aus dem tief-
sten Schlaf und Bett zu treiben und mit ihm die fruchtbarste Zeit des Tages, also
die Stunden zwischen halb eins und halb fünf, am Klavier zu verbringen. Kleine
Jungs brauchen bekanntlich nicht so viel Schlaf; begabte Kinder brauchen gar kei-
nen. (Die stets betrunkene Flöte Pfeifer hatte Ludwig van angeblich auch mit der
Orgel bekannt gemacht: >Hallo Orgel - das ist Ludwig. Ludwig - das ist Orgel.<)
Pfeifer und Vater saßen dem bitterlich weinenden Ludwig wie zwei Dämonen im
Nacken. Sie wollten sein Bestes und kannten keine Gnade. Vater witterte Geld;
Pfeifer witterte die Unmengen von Freibier, die Beethoven senior ihm verspro-
chen hatte. Die Situation spitzte sich zu. Klein Ludwig, der garstige Bengel, blieb
verstockt und wollte sich um drei Uhr früh partout wieder schlafen legen. Das ließ
der Vater ihm nicht durchgehen. Zuerst versuchte er es mit guten Worten; er lag
ihm buchstäblich in den Ohren, obwohl dort nicht viel Platz war. Dann aber gab's
was hinter die LöffeI, und wenn wir heutzutage lesen, daß Ludwig van es faust-
dick hinter den Ohren hatte, ist damit zweifellos die Faust des Vaters gemeint. Der
hat ihn oft machtig übers Ohr gehauen, besonders übers linke (interessanterweise
dasselbe Ohr, das kurz darauf als erstes nicht mehr hören wollte). Die väterlichen

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Ohrfeigen trafen ins Schwarze, d.h. nicht auf die Wange. Ludwig van spielte Kla-
vier und jaulte dazu wie der Schloßhund, der er bei Färstens ja erst noch werden
nollte. Es war zum Gotterbarmen - kein Marryrium mehr, sondern das reine Ohra-
Iurium. Und dann beging der Vater den für Ludwig van so verhängnisvollen Feh-
lcr - er setzte ihm einen ausgewachsenen Floh ins Ohr. Damit ward Ludwigs Kar-
riere nicht vorangetrieben, wohl aber sein Untergang.
Die genaue Spezies besagten Flohs läßt sich leider nicht mehr genau bestim-
rnen, doch wir kennen die schreckliche Wirkung seines Treibens. Zur damaligen
'leitbenutzte man regelmäßig Blutegel zum Anzapfen (Zihnlich wie der moderne
Mensch zu diesem Zweck Wanzen verwendet). Flöhe wurden für medizinische
Itelange eigentlich seltener eingesetzt - im Grunde gar nicht. Wir wissen demnach
nicht, welche Laus Vater Beethoven über die vergilbte Leber gelaufen war, um ihn
uuf so krumme Gedanken zu bringen. Sicher war er während der Tat wieder ein-
nral stockbesoffen, drastisch ausgedrückt. Daran, daß sein Sohn bald ebenso
stocktaub war, trägt der Mann große Schuld, doch keineswegs die alleinige Ver-
luntwortung hierfür. Der Floh war sozusagen der Tragödie erster, einleitender Teil.
Wie nicht jeder weiß, hatte Ludwig van es nicht nur an den Ohren, sondem
nuch im Unterleib, an dem er (streng pathologisch betrachtet) dann ja schließlich
sterben sollte. Eine vom vielen Limonadetrinken herrührende Leberzirrhose ließ
ihn ein ähnliches Ende nehmen wie den Herm Papa. Ludwig galt nie als ausge-
sprochene Schönheit: Der Mediziner spricht in seinem Fall von einem pyknischen
Habitus, klein und gedrungen, aber oho. (Und obwohl er ein kleiner Pygmäe war,
hat Vater Johann nie seine Vaterschaft angezweifelt, was ja irgendwo doch ein net-
ter Zug ist von dem Alten.) Klein Ludwig hatte zudem breite Schultern, die er
beim Laufen nach Affenart vomüberneigte, eine weitgewölbte Stim, buschige
Augenbrauen und einen kurzen Hals. Nicht einmal die von einer Pockenerkran-
kung übriggebliebenen Narben trugen emstlich zur Verschönerung bei. Wegen
seines breitausladenden Kinns, ausgeprägter Backenknochen und seiner perma-
rrent dunkelroten Gesichtsfarbe - die abwechselnd vom Sich-Argem und vom
Sich-Schämen herrührte - wurde der kleine Ludwig van in der Schule von den
Knaben gehänselt und von den Mädchen gegetelt. Viele Jahre später fanden nicht
wenige weibliche Wesen dieselben körperlichen Merkmale eher anziehend. Viel-
leicht liebten sie das Animalische an Ludwig van, dazu die tolle Wolle auf des
Maestros Kopf. Bettina Brentano beispielsweise zeigte sich entzückt von seiner
,himmlischen Stim, die von der Harmonie so edel gewölbt ist, daß man sie wie ein
herrliches Kunstwerk anstaunen möchte<. Auch die schwalzen Zotteln machten
sie ganz schwach - leider nicht schwach genug, den ihr zutiefst Geneigten zu ehe-
lichen. Statt seiner nahm sie so einen langen Lulatsch von Dichterjüngling.
Überhaupt spielten die Frauen keine sehr positive Rolle in Ludwig vans Leben.
Wenn man den weiteren Verlauf seines L,ebens nach der Grundschule betrachtet,

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stellt man im Gegenteil zur größten Bestürzung fest, daß das weibliche Geschlecht
konsequent seinen eigentlichen Untergang vorantrieb, den Vater Johann lediglich
einzuleiten die Ehre und das Vergnügen besessen hatte. Der Floh in Ludwig vans
Ohr repräsentierte im Grunde nichts weiter als die Vorhut des Verderbens, den
Ein-Mann-Spähtrupp, der schon mal das Gebiet in des Komponisten Gehirnwin-
dungen strategisch sondieren sollte. Wäre ihm nichts und niemand mehr nachge-
folgt, hätte es nicht zwangsläufig zu den späteren Kampftrandlungen innerhalb des
Beethovenschen Charakterkopfes kommen müssen. Es ist wahr, daß der Floh so
manchen Schabernack mit Ludwig van trieb - war er doch ein äußerst renitentes
Exemplar und erst kürzlich einem Bonner Zirkus entlaufen -; und bereits hier ist
ein erster direkter Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und Wohnungs-
wechselwut des Meisters zu erblicken. Der Floh war ein Springinsfeld, und Lud-
wig van, der mußte halt mit. Nur so ist es zu erkldren, daß der zweiundzwanzig
Lenze zählende Ludwig van, der sich damals noch einbildete, alles ordnungs-
gemäß hören zu können und den festen Vorsatzhatte, sich in der Wienör Donau-
metropole niederzulassen, dort nicht weniger als dreilSigmal umzog. Innerhalb der
Stadtgrenzen wohlgemerkt. Und doch hafte diese erste Wiener Städtetour mit
Kurzaufenthalten einen vergleichsweise harmlosen Hintergrund.
Dann schlug das Schicksal zu, und zwar in Gestalt einer Frau. Viele sollten ihr
folgen wlihrend des Meisters Lebenslauf, obwohl nicht eine von ihnen namentlich
genannt wird in den ach so zahllosen Biographien. Die einzigen weiblichen Men-
schen, die tatsächlich dort Erwähnung finden, sind o.g. Bettina mit ihrer Vorliebe
für schöne Stim, eine gewisse Theresa Malfatti, die den unschönen Rest von Lud-
wig ebenfalls verschmähte, sogar nachdem er ihr das Angebot gemacht hatte, ihr
seinen Taufschein zn zeigen (was ja wohl nicht halb so schlimm gewesen wäre
wie seine Briefmarkensammlung). Dann gab's da noch die Frauen der Brüder
Kaspar Karl und Johann, die Ludwig van so wenig zusagten, daß er den Kontakt
abbrach, denn trotz seiner Ratschläge wollten sich beide Geschwister keinesfalls
von ihren Ehefrauen trennen. Solch ein Mangel an Solidarität im Angesicht Lud-
wig vans ungewünschter Ehelosigkeit scheint auch dem heutigen Betrachter in
höchstem Maße verdammenswert. Klar, daß die Brüder zunächst für ihn gestor-
ben und begraben waren, zumindest so lange, bis er wieder Geld brauchte.
Man kann leider nicht mit Sicherheit sagen, ob Ludwig van in jungfräulichem
Zustande verblich, ja nicht einmal, ob man bei chronischer Gelbsucht überhaupt
von >Verbleichen< sprechen darf. Über keines dieser Themen klärt uns die aus-
führliche Autopsie auf, die am Meister Sekunden nach dessen Ableben von zahl-
reichen Chirurgen, unpraktischen Arzten und Salbadem durchgeführt wurde.
Viele Köche verderben den Brei, wie man weiß, und auf einmal standen Ludwig
vans Hörorgane in einem Gläschen Spiritus auf dem Nachttisch des Sektionsdie-
ners Anton Dotter herum - niemand weiß, wie das geschah, und wie sie dann

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gtlnzlich verschwanden. Die Ohren werden heute noch gesucht, aber eine Beloh-
rrung gibt es unglücklicherweise nicht, sonst wziren inzwischen bestimmt etliche
llur wieder aufgetaucht. Sollten Sie zufällig auf die Dinger stoßen, senden Sie sie
f'rcundlichst an Ihr nächstgelegenes Beethovenhaus (aber Vorsicht: nicht überall,
wo außen Beethoven dransteht, war auch Beethoven drin!), vorzugsweise an das
irr Bonn, wo man bereits die modischen aus Klavierdraht gefertigten Augengläser
rlcs Kurzsichtigen sowie seine Hörrohrsammlung aufbewahrt.
Obwohl Ludwig van niemals vor sogenannten hohen Herrschaften katzbuckel-
lc, fühlte er sich irgendwie an Wien und seine Fürsten gebunden, nicht zuletzt weil
e in gewisser Erzherzog Rudolf ihn sehr gern mochte und sich freiwillig für die

Slellung als Ludwig vans Goldesel und Tischleindeckdich beworben hatte. Lud-
wig hatte das Angebot großmütig angenornmen. Er hielt ein recht strenges Regi-
rttent über seinen unbegabten Klavierschüler Rudolf; jedoch trug der lebenslange
l.interricht entsprechende Früchte: Der Laienmusiker lemte mit Beethovens Hilfe,
scin Banausentum zu höchsten Höhen zu treiben und erntete prompt begeisterte
Mißfallensstürme aus edelsten Kreisen. Ludwig van war sehr stolz auf seine Lei-
slung, die ihn bisweilen fast seine Wunderkinderzeit vergessen ließ, als er nur in
tlcs Vaters Schwitzkasten zu einem >Diener<, durch des Vaters Tritt vors Knie zu
cinem Knicks überredet werden korurte. Allerdings hatte der überschwengliche
l'inanzielle Dank des Erzherzogs eine unangenehme Nebenwirkung - Ludwig van
sah sich mehr oder minder gezwungen, in den Grenzen Wiens wohnen zu bleiben.
Llrsprünglich war das sein größter Wunsch, seine Erfüllung gewesen, und daran
hätte sich ohne die Frauen nichts ändem müssen. Aber dann wurde Wien zu Lud-
wigs Kerkerzelle, letztendlich gar zur tödlichen, fleischfressenden Falle.
Apropos Kerker. Nicht von ungef?ihr spielt Ludwig vans einzige Oper in einem
Kerker, einem tiefen, wo die eingesperrten Männer nur einmal vor die Tür in den
llof gelassen werden, um ungesiebte Morgenluft zu wittern, sich als Gefangenen-
chor aufzustellen, ein Liedchen zu frällem (>>Oooo we-he-helche Lu-hu-hust, i-hin
liei-hei-her Lu-hu-huft -<<) und brav sofort wieder in ihre Stübchen zurückzumar-
schieren. Nur einer haust allein und unterirdisch, wegen seiner Sonnenallergie,
rrnd bei Wasser und Brot, wegen seines Übergewichts. Die zu g:utet Letzt an füm
praktizierte Null-Diät schlägt besonders gut an, so gut, daß schon sein Grab
geschaufelt werden soll. Das alles ist dem Opernfreund verständlich. Die Tatsache
jedoch, daß des hungrigen Mannes Gattin sich als Mann und Türschließer bewor-
hen hat, sich in beiden Eigenschaften sogar mit des Oberschließers Töchterlein
verlobt, bloß um den Ehemann einmal richtig leiden sehen zu können - pfui Teu-
l'cl. Und das Schlimmste an der Sache ist: Sie tut alles in ihren Kräften Stehende,
rum diejenige zu sein, die das besagte Grab ausheben darf! Die Oper wurde zu
Ludwig vans Lebzeiten in drei verschiedenen Versionen aufgeführt und jedesmal
cin Reinfall; kein Wunder, kann man da nur sagen. Die Leute wußten halt nicht,

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was Ludwig wußte über das wahre Wesen der Frau, der barmherzigen und
mildtätigen.
Ludwig vans eigentlicher Opfergang begann um das Jahr 1798 herum, als er
das Häuschen der Wiener Würstchenbraterswitwe Eleonore W bewohnte. (Merk-
würdig ist, daß Fidelio, das grausame Mannweib, vor seiner Verlobung mit Mar-
zelline Oberschließer ebenfalls Leonore hieß.) Die Witwe schien dem Meister von
Anfang an außerordentlich gewogen; sie ließ jedenfalls keine Gelegenheit aus, mit
ihm herumzukokettieren. Offensichtlich wollte sie mit Ludwig van ihren zweiten
Frühling verleben, während dieser nicht einmal Lust auf einen ersten verspürte -
zumindest nicht mit Eleonore. Schade eigentlich, denn der Witwe Warzen und
Pusteln harmonierten so vollkommen mit Ludwigs Pockennarben, daß es eine
Pracht war. Sie besaß auch fast so viele Haare wie ihr Mieter, nur nicht unbedingt
auf dem Kopf. Ludwig van bastelte damals bereits an seiner dritten Symphonie
herum, einem Machwerk in Es-Dur. Die Notenblätter ließ er immer in seinem
Stübchen herumliegen, auf dem Klavier. Er ahnte ja nicht, was die Witwe für ihn
in petto hatte ...
Eleonore W. hegte also Frühlingsgefühle für Ludwig, besonders im Hochsom-
mer jenes schicksalentscheidenden Jahres. Ihr Blut geriet darob schrecklich in
Wallung, und jeder Anflug von gesundem Menschenverstand, den sie vielleicht
einmal besessen hatte, machte sich unwidemrflich auf und davon. Ihre eindeuti-
gen Anspielungen überhörte der Maestro geflissentlich - offenbar haffen seine
Ohren bereits größeren Schaden genommen, als er wahrhaben wollte. Eleonore
ließ sich von ihrer vermeintlich leichten Beute nicht abbringen. Sie zwängte ihren
drallen Oberbau in das knappste verfügbare Mieder, zeigte so wenig Bein wie
möglich (in ihrem Fall eine durchaus weise Entscheidung) und stratrlte Ludwig
van mit ihrem himmelblauen Auge an wie ein Halogen-Scheinwerfer.
Bei allem Übersehen bzw. -hören der offensichtlichen Anzeichen wurde es
Ludwig doch zunehmend mulmig zumute. Er schrieb weiter an seiner Symphonie
und spielte den Gleichgültigen, trotz der Schokoladen-Betthupferl, die Eleonore
ihm Abend für Abend aufs von ihr aufgeschüttelte Kissen legte, trotz der parfü-
mierten Briefchen mit den durchbohrten Herzchen und den Initialen E und L.
Solange sie ihrer Zuneigwg so vagen Ausdruck verlieh, bestand sicherlich keine
Gefatr, geschweige denn Veranlassung zum Handeln, sagte sich der Meister.
Doch dann, eines Tages im Mai oder August, kehrte Ludwig van aus der Schenke
zurück ins Häuschen, setzte sich ans Klavier und - erstarrte. Was stand dort quer
auf dem Deckblatt seiner Symphonie in Es-Dur, in ekliger, spinnenartiger Hand-
schrift? Welch infames Wort war dort gekrakelt, graffitigleich hinter >sinfonica<,
als sei's eine illegitime Nachgebun, geflossen aus des Meisters eigner Feder?
EROTICA stand dort, ein garst'ger Wechselbalg, der sich mit der Hand des
Ludwig van aufs innigste verband zu >Sinfonica EROTICA<.

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Und der Meister, kaum ward er gewahr des vulgären Sakrilegs, zerraufte sich
tlie Mähne in biblischer Verzweiflung. Er streute Asche auf sein Haupt und wein-
te bitterlich. Fast hätte er sich traditionsgemäß die Kleider zerrissen, als ihn davor
der Gedanke an seine Zimmerwirtin W. bewahrte, die auf solch eine Gelegenheit
nur spekulierte und sich flugs des schutz- und kleiderlosen Komponisten bemäch-
tigt hätte. So ergriff Ludwig van die einzige Gegenmaßnahme, die er vollendet
heherrschte, alldieweil er sie seit seiner Jugend praktizierte: Er flüchtete sich in
einen (Entschuldigung, aber man muß das Kind beim Namen nennen) ausge-
wachsenen Durchfall, der jeder Beschreibung spottete. Nun ist vielleicht nicht
,jcdermann die Tatsache geläufig, daß Ludwig van außer seinen Ohren zahlreiche
weitaus bösartigere Krankheiten sein eigen nennen durfte. Seine geschnetzelte
l,eber stellt dabei lediglich ein altes Erbteil dar, denn schon Ururgroßvater
lJeethoven war Weinhäindler in Antwerpen gewesen, der Großvater Weinhändler
und Musiker, die Großmutter anerkannte Wein ... nun ja, ... kennerin, Vater
Johann Weinkonsument en gras und en detail und Heldentenor nach jedem
Großeinkauf. Auch Ludwig van machte regelmäßig ein Faß auf und leerte es,
bevor der Inhalt sich verflüchtigte. Die Leber machte ihm schließlich zwar den
Garaus, aber schon vorher konnte Ludwig auf ein innerlich buchstäblich zutiefst
hewegtes Leben zurückblicken - dreißig Jahre Durchfall, noch dazu von der chro-
rrischen Sorte.
Es ist wahr, daß man von solchen Dingen in des Meisters hehrer geistiger
Gegenwart nicht so unverblümt sprechen sollte. Ohren sind in Ordnung, die rie-
chen nicht so stark, aber Eingeweide... Dem kann man mit Fug und Recht ent-
gegnen, daß Ludwig van selbst so häufig von seinen >Darmzufällen< und seinem
Unterleibskatarrh berichtete, daß gut die Hälfte seiner Konespondenz mit Freun-
den davon getränkt ist. Sogar den Damen gegenüber erwähnte er schonungslose
Binzelheiten, sttilpte seine Innereien nach außen und breitete sie förmlich vor
ihnen aus, und so mag sich mancher fragen, ob er die bei der Weiblichkeit einge-
heimsten Körbe nicht vielleicht seinem allzu freimütigen, wahrheitsliebenden
Charakter verdankt. Es soll Frauen geben, denen so etwas gewaltig stinkt.
Nach der Sache mit Witwe W. und der 3. Symphonie nahm der Krankheitsver-
lauf eine gänzlich neue Richtung. Der Durchfall war schon immer dagewesen,
tloch nun mußte der Meister ihn gezielt einsetzen, um sich Frau W. vom Hals und
Rest des Körpers zu halten. Ahntictr wie das gemeine Stinktier, welches seine
I)rüsen benutzt, lernte Ludwig van auf andere Art mit seiner Diarrhöe umzugehen,
nach dem Motto: Nicht immer, aber immer öfter oder Man gönnt sich ja sonst
rrichts.
Unglücklicherweise fand der Meister trotz seiner naturgegebenen Schutzme-
chanismen in der Witwe W. seine unumschränkte Meisterin, seine Dämonin, der
cr nicht entrinnen konnte. Frau W. roch den Braten bzw. den Plan ihres Mieters

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a\f zwanzig Meter Entfemung. Ihn selbst übrigens auch. Sie ließ nicht von seiner
Person ab, im Gegenteil - sie roch sich frirchterlich an ihm. Er hatte nicht auf sie
hören wollen, hatte nicht die Erotica für sie geschrieben (offenbar wartete er mit
der Widmung der Dritten noch auf Aufstieg und Fall eines gewissen Napoleon).
Sie wußte, was sie zu tun hatte, um den Mieter in Wahnsinn und Ruin zu treiben.
Seine Ohren waren sein wunder Punkt: Dort mußte man den Hebel ansetzen. Frau
'W.,
zum einen Liebhaberin von Gassenhauern und Schlagern allerArt, zum ande-
ren mit absoluter Schlüsselgewalt über Ludwigs Stübchen ausgestattet, machte
dem Meister regelmäßig das Bett, wie wir wissen, ohne sich jemals hineinlegen
zu dürfen. Sie verpaßte ihm ein Ding, das er nicht wieder loswurde und den Floh
in seiner zerstörerischen Aktivität nicht bloß unterstützte, sondem hundertfach
übertraf. Einen Ohrwurm nämlich, heimlich spätnachmittags unters Kopfkissen
geschmuggelt. Sie hatte ihn sich selbst auf dem Prater eingefangen, als eine
Marschmusikkapelle vorüberzog und ihn und andere seinerArt achtlos hinter sich
ließ. Witwe W. hob ihn auf für diese spezielle Gelegenheit; welchb Ironie lag
darin, ihn einem Undankbaren zu vermachen, der, wenn schon nicht die Erotica,
nicht einmal die Schicksalsmelodie für sie komponieren wollte!
Prompt frng sich Ludwig van den Wurm ein. Das Biest verschaffte sich Zutitt
dwch das ohnehin schwächere linke Ohr und biß sich durch. Obwohl Ohrwürmer
die Angewohnheit besitzen, zum einen Ohr hinein- und zum anderen wieder hin-
auszugehen (wobei die hartnäckigeren dafür melu Z,eit brauchen), nistete sich das
soldatisch geschulte Exemplar auf Dauer in Ludwig vans Him ein und errichtete
dort ein derart ausgeklügeltes System von Tunneln und Schützengräben, wie es
höchstens noch im Ersten Weltkrieg bei Verdun seinesgleichen finden sollte. Kein
Wunder, daß während dieser Grabarbeiten der Komponist verzweifelt schrieb: >...
meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort<. Ludwig van war in der
Tat undankbar, denn immerhin hörte er doch, wie er mit eigenen Worten bezeugt,
dank des Wurms ständig etwas.
Der Meister vermutete intuitiv, daß Witwe W. etwas mit seiner Hörstörung zu
tun hatte, und verließ die gastliche Stätte. Das Klavier und die Dritte nahm er mit.
Doch längst hatte die mörderische Spinne in Frauengestalt ihr Netz über ganz
Wien und Umgebung gespannt, wo Ludwig finanziell gefangen war. Sie zog sämt-
liche Fäden seines weiteren Schicksals, denn sie kannte all seine zukünftigen Ver-
mieterinnen. Nur alleinstehende Wiener Frauen vermieteten gezwungenermaßen
ihre Häuschen, um sich ein karges regelmäßiges Einkommen zu sichern. Witwe
W. pflegte mit jeder von ihnen Umgang, sei es beim wöchentlichen Reihum-Kaf-
feekränzchen oder bei den Sitzungen des Wiener Vermieterinnen-Schutzbundes
e.V.; und nichts war leichter, als ihren Schwestern im Geiste mit prophetischem
Gehabe das Kommen des Großen Stinkers zu verheißen. Die Schamlose ver-
schwieg nicht einmal die mißratene Entstehungsgeschichte der Erotica.

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Wir alle wissen, was dann geschah: Ludwig van zog um und um und um, bis
ihm samt Floh und Wurm im Ohr ganz schwindlig wurde. Das Wohnungs-Karus-
rcll drehte sich immer schneller, bis er zum Schluß nicht mehr recht wußte, wo in
Wien er noch nicht gewohnt hatte. Zog er um, befand er selbst sich manches Mal
in der einen Behausung, das Klavier in einer anderen und die Erotica, pardon, die
Dritte Symphonie in einem Außenbezirk der Stadt. Ein Tollhaus ist rein gar nichts
tlagegen. So verschliß der Gute über sechzig Wohnungen, Kurunterbringungen
nicht mitgerechnet. Als er anno 1802 sein berühmtes, von Bruder Kaspar Karl in
(zugegeben) guter Absicht gefälschtes Heiligenstädter Testament schrieb, ver-
suchte der schwer selbstmordgeftihrdete Meister seiner Umwelt die wahre Ursa-
che seines cholerischen Benehmens zu verdeutlichen. Nur in der folgenden Urfas-
,rrng wird das Ausmaß der Tragödie versfiindlich:

>Für meinen Bruder Carl und den anderen (vermaledeiter Apotheker).


O ihr Menschen die ihr mich für feindseelig störrisch oder misantropisch haltet
usw. Den Rest spare ich mir. Ich weiß doch genau, was ihr von mir denkt, und ich
l'inde es hundsgemein, daß ihr hinter meinem Rücken über mich herzieht, wo ich
es weder hören noch sehen kann - das zumindest glaubt ihr! Ich kenne das Men-
schengeschlecht, insbesondere die Frauenzimmer, welche mich empfindlichst pie-
sacken und inkommodieren und eine rechte gottgesandte Plage sind. Doch womit,
o ihr Götter, habe ich sie verdient? Ich begehrte niemals auch nur eine von ihnen!
Meine Tage verbringe ich in Furcht, mit Heulen, Wehklagen und Durchfall, und
meine Ohren wollen nicht besser werden. Die vielen gelehrten Doctores, die
meine Klinken abwetzen, quälen mich fast so sehr, daß ich glauben könnte, auch
sie seien verkleidete Weibsbilder. Der Mechanicus Mdlzel hat mir eine Hörma-
schine gebaut; ich fürchte aber, er versteht sich besser aufs Metronom, denn jetzt
macht es in meinen Ohren nur mehr tick-tack. Also tick im linken und tack im
rechten. Das dünkt mich ein deplorabler Zustand. Auch die lauwarmen Donaubä-
der, die Einläufe, Durch- und Ausläufe schwächen meine ohnehin erbärmliche
Konstifution. Irgendwann in nächster Zeitfließt mein armer Körper einfach durch
den Abfluß im Abort, ihr werdet sehen. Man hat mich galvanisiert, electrifiziert
und magnetisiert, und die Haare stehen mir immer noch zu Berge. Und doch sind
die Frauenspersonen eine weit schlimmere Qual. Bruder Carl, und auch du, Apo-
theker, trennt euch von den euch angefrauten Furien, solange es noch Zeit istl
Denn wisset, meine Brüder: Unter Männern kann ich's euch gewiß sagen, wer
mich hier in Wien verfolget vom ersten Hahnenschrei bis zur Sperrstunde im Heu-
rigenlokal. Eine böse Verschwörung ist gegen euren Ludwig van im Gange, die
mich wohl bald ins Grab treiben muß. Doch kommt derletzte Tag, werde ich ihn
fieudig begrüßen. Meine frinfte Symphonie habe ich gerade beendet, in c-Moll;
ihre Uraufführung plane ich erst für das Jahr 1808, welches ich nicht mehr erle-

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ben möchte. Sie soll >Schicksalsmelodie<, ich meine >Schicksalssymphonie<
geheißen werden. Meine dritte Symphonie will und will nicht fertig werden,
Dabei fehlt nur noch der Titel. Man hat mir mehr als einmal einen Vorschlag
unterbreitet, aber -
Jetzt sag' ich's frank und frei heraus: Die Weibsbilder wollen mir ans Leder und
ans Leben. Bei keiner kann ich's lang ertragen, nach drei Tagen treibt es mich wie-
der fort. Es ist jedesmal dasselbe Spielchen, welches sie mit mir spielen. Meine
dritte Symphonie, meine stZindige Begleiterin in dieser Zeit der Betrübnis, pflegt
auf meinem Pianoforte herumzuliegen, wenn ich mich ins Wirtshaus begebe.
Wenn ich dann zurückkehre zu später Stunde, was finde ich aufs Papier gekritzelt?
Immer und immer dasselbe Schreckenswort, welches meine Ohren böser rauschen
macht denn sonst und meine Gedärme zus:rmmensacken, ja fast gänzlich zu
Boden fallen läßt. Und ich darf nicht fort aus Wien! Erzherzog Rudolph, dieses
arme Würstchen von Fürstchen, wollte mir weismachen, der Antonio Salieri hätte
seine Finger im Spiel, das heißt in meinen Ohren. Es ist wohl wahr, daß ich früh
Unterricht genossen bei dem Mann, und daß er Genies wie meineigleichen mit
Vorliebe ins Grab treibt, und doch - das geht zu weit!
So gehabet euch denn wohl, Bruder Carl, und auch du, Apotheker. Du magst
ein Mistkerl sein, gleichwohl, du bist ein Mann. Ich gehe itzo meine Bäder neh-
men. Dann kommt der Thee fürs Ohr. Dann Gute Nacht. Adieu. Bald ist's getan.
Euer geliebter Ludwig van.
P.S.: Bevor ich's vergesse, Carl, du denkst doch dran, mir mal wieder eine Kiste
Liebfrauenmilch vorbeizuschicken? <

Wie wir wissen, dauerte Ludwig vans Leidenszeit nach Abfassen des o.g. ergrei-
fenden Zeugnisses noch ein Vierteljahrhundert. Zum Troste sei vermerkt, daß er
nicht zerfloß, wie er meinte, sondem strenggenommen eher zerplatzte, und daß er
trotz diverser Exhumierungen nach seinem Tode nicht annähernd so oft umziehen
mußte wie vorher.
Neuerdings kursierende Gerüchte führen Beethovens (rein physisches) Ableben
auf den übermäßigen Genuß von bleiverseuchtem Donaufisch zurück - nicht etwa
auf den Alkohol, im welchem dieses Tier, dem Menschen einmal einverleibt, so
geme schwimmen möchte. Daß in der Tat solch ein vergifteter Fisch viel üblere
Konsequenzen nach sich zu ziehen vermag als selbst die schönste und üppigste
aller Zierrosen der Leber, beweist uns im nächsten Kapitel aufs überdeutlichste
Beethovens Leidensgenosse Schubert. Und das obendrein weit, weit eindringli-
cher, als es sichjede fischbratende Gerüchteküche auch nur träumen ließe ...

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