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Yvonne Chaddé

Masterstudiengang
Angewandte Kultur- und Medienwissenschaften der Hochschule Merseburg (FH)
Prof. Dr. Matthias Ehrsam:
Modul 3/1 Medienforschung II
Leipzig, März 2009

Kulturnation Deutschland
Über eine Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler

„Die wichtigste Funktion der Kultur ist es, sich als Selbstverständnis zu geben.“
(Gürses 2003: 29)

Einleitung
Die Feierlichkeiten zum 18. Jahrestag der Deutschen Einheit, die 2008 mit einem dreitägigen
Bürgerfest in Hamburg, veranstaltet wurden, waren erstmals unter ein Motto gestellt.
Diesem Motto „Kulturnation Deutschland“ widmete sich das Staatsoberhaupt der
Bundesrepublik Deutschland Bundespräsident Horst Köhler in seiner Ansprache „Wo wir uns
finden“ beim Festakt am 3. Oktober 2008, der im „Theater am Hafen“ mit 1200 eingeladenen
Gästen abgehalten wurde. Der Festlichkeiten wurden durch einen ökumenischen Gottesdienst
eingeleitet.
Als erlebbares Event präsentierte die Stadt „Deutschland als Kulturnation (…): Wie ein roter Faden
führte das Thema Kultur durch die dreitägige Feier und wurde von allen Bundesländern auf der 1.400 Meter
langen Ländermeile aufgegriffen. (…) Berlin [war] mit dem Kabarett-Theater Distel zu Gast, im Rheinland-
Pfalz-Pavillon stellten sich die Nibelungen-Festspiele Worms vor und Bayern sorgte im Bierzelt für
Oktoberfeststimmung. Erstmals gab es zum Tag der Einheit eine Barkassenparade durch die Fleete, bei der die
einzelnen Bundesländer jeweils eine Barkasse mit regionaler Musik und modernen Inszenierungen füllten.“1

1 NDR: Festakt zum Tag der Deutschen Einheit; http://daserste.ndr.de/reportageunddokumentation/festakt100.html (Stand: März 2009)

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Gedenktage werden rituell zelebriert, weil sie Emotionen und damit Entscheidungen strategisch
steuern können. Für den Zeitraum des Rituals werden individuelle Emotionen sozial kanonisiert.
Symbolischer Ordnungsgefüge sollen mit ritueller Hilfe hergestellt und anerkannt werden.
„Insgesamt legitimieren rituelle Handlungen die zweckrationalen Handlungen, indem sie diese durch die Anrufung
einer Wertinstanz überhöhen und ihnen so die Grundlage kollektiver Verbindlichkeit geben.“ (Dücker 2007:
38) Außerdem sollen abstrakte Elemente in ihrer Präsenz sichtbar und erfahrbar gemacht
werden. Hilfreich dabei ist eine feste mediale Verankerung, durch konkrete Dateien wie Flyer,
Einladungskarten etc., damit die „Faktizität in einem entsprechenden Erinnerungssystem gespeichert“
(Dücker 2007: 59) wird. Die besondere Eigenschaft des Events als rituelle Form ist sein
langfristiges marktwirtschaftliches Interesse. Geht es den Veranstaltern um Gewinn, so steht für
die Teilnehmer Unterhaltung im Vordergrund. Zwar soll Gemeinschaft körperlich erfahrbar
gemacht werden, doch ohne verpflichtende Konsequenzen (ebd.: 27).
Bemerkenswert ist am Tag der Deutschen Einheit, dass es in der Phase der Gründung der
Bundesrepublik Deutschland bis zur Wiedervereinigung keinen nationalen Gedenktag gab.2

Wie Max Fuchs darauf hinweist, ist die „Beeinflussung der öffentlichen Aufmerksamkeit und Meinung“
(Fuchs 2008), also die diskursive Setzung von Leitformeln und Problemen im öffentlichen
Bewusstsein, ein Instrument der strategischen kulturpolitischen Steuerung.
Welche Funktion erfüllt die aktuelle Platzierung der Kulturnation?

Der Begriff Kulturnation wird heute für ethnisch oder kulturell homogene Völker ohne
territoriale oder staatliche Einheit verwendet (Weigel 2008) und drückte bei seiner Einführung
durch den Historiker Friedrich Meinecke 1907 die Inkongruenz zwischen staatlicher Verfasstheit
und kultureller Identität im Deutschen Reich aus.

Die Nation ist eine Erfindung der Moderne, die im gesellschaftlichen Wandel begriffen, für viele
Bevölkerungsgruppen einen Zusammenhalt schaffen sollte, da vorhergehende religiöse,
ständische oder monarchische Sinnzusammenhänge ihre Wirkung einbüßten. Formte sich der
Willen zur Nation aus einem bestehenden Staatsgebiet (Staatsnation), wie im Falle Englands oder
Frankreichs, halfen staatliche Institutionen bei der Vereinheitlichung. Andere beriefen sich auf
gemeinsame Abstammung und kulturelle Gemeinsamkeiten, was eine Produktion von nationalen
Kulturgütern zur Folge hatte, mit dem Ziel innerhalb der Grenzen jener Kulturgemeinschaft
einen Staat zu errichten.

2 vergleiche Lehnert und Megerle

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ERSTER TEIL
Im ersten Teil werden die geschichtlichen Bedingungen, die zum Erfolg des Konzeptes Nation
führten speziell für das neunzehnte Jahrhundert dargelegt und das Konzept in seinen
Wirkungsmechanismen erklärt. Bewusst verzichte ich darauf, die Geschichte der Kulturnation in
ihrer Vollständigkeit zu erläutern, weshalb sich der geneigte Leser mit der Existenz einer Black
Box abfinden muss, die die Zeit zwischen Meineckes Statut der Kulturnation 1907 und der
Wiederbelebung des Begriffs durch Host Köhler 20053 besetzt hält. Zum einen birgt jene Black
Box jede Menge Forschungsmöglichkeiten, die im Rahmen dieser Arbeit unangetastet gelassen
bleiben müssen4, zum anderen ist der Begriff der Kulturnation bis jetzt tatsächlich kein
Gegenstand der öffentlichen Rede gewesen.

Die geschichtliche Konstruktion der Nation


Um das Konzept der Kulturnation zu verstehen, muss die Hochphase des Konzepts Nation
näher beleuchtet werden.
Die Arbeit geht in Anlehnung an Andreas Geier davon aus, dass die Nation in einem
fortlaufenden Prozess der gesellschaftlichen Verbreitung und Verinnerlichung von Ideologie
konstruiert ist. „"Nation " und nationale Identität werden immer konstruiert, über bestimmte Symbole,
Organisationen, Institutionen und Diskurse vermittelt und in einen umfassenden Zusammenhang gestellt.“
(Geier 1997: 44)

Geier weist diese Zusammenhänge ausführlich in seinem Buch ‚Hegemonie Nation’ nach.
Die Nation als ideologisches System zu verstehen, darf seine Wirkungsmacht in der Realität nicht
unterschätzen. Das „vorausgesetzte Kollektiv“ (Bielefeld 1998: 426), welches der nationalen Idee zu
Grunde liegt, muss geschaffen werden. „Schrift, Rede, Bild und Stimme schaffen gemeinsam mit den
konkreten Organisationen und Institutionen Schule, Heer, Bildung, Wahlrecht die Vorstellung der Einheit.“
(ebd.) Wird die Nation mit Ziel der Bildung eines Nationalstaates konstruiert, so kann sie ihre
integrative Funktion erst in staatlicher Gestalt ausüben. Die Arbeit an der Nation ist somit eine
fortwährende, um eine „affektive Bindung“ (Geier 1997: 134) seiner einzelnen „Mitglieder“ durch
nationale Liturgik, symbolische Verankerung in einem Formalisierungs- und
Ritualisierungsprozess herzustellen und zu rekonstruieren. Die erfundenen Traditionen, wie
Hobesbawm treffend formuliert, werden mittels Schulbücher, Tänze, Lieder oder mit Hilfe neuer
Symbole wie Nationalflagge oder Nationalhymne praktiziert. Zusätzlich können vorhandene
Materialien für die Konstruktion eines neuen Typs (Hobesbawm 1998: 104) modifiziert und

3 Als Wiederentdecker ist hier fairerweise Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin zu erwähnen, der 2005 die Kulturnation heraufbeschwor.
4 Über nationales Empfinden der Deutschen beispielhaft Bettina Westle (1999): Kollektive Identität im vereinten Deutschland, Opladen

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instrumentalisiert werden. Dabei mögen sich die Formen, die Nation zu inszenieren, von der
Darstellung (mittels der Errichtung von Denkmälern, national agierenden Organisationen und
Feiertagen, vergleiche dazu Geier Kapitel 2.2) zur Strategie5 gewandelt haben, wie an anderer
Stelle nachzuweisen wäre. Die Inszenierung des Konzeptes Nation in Deutschland als deutsche
Kulturnation verschiebt den Fokus auf jene Merkmale, welche die Kulturnation kennzeichnen.
Nach Friedrich Meinecke, der den Begriff Anfang des 20. Jahrhunderts prägt, ist die Kulturnation
bestimmt durch „irgendwelchen gemeinsam erlebten Kulturbesitz“ (Meinecke 1902: 2) und genauer
„Gemeinsprache, gemeinsame Literatur und gemeinsame Religion“ als „die wichtigsten und wirksamsten
Kulturgüter“ 6(ebd.).

Die westeuropäische Nationalbewegung stützt sich auf die gesellschaftlichen strukturellen


Veränderungen des Übergangs von der feudalen/ merkantilistischen zur bürgerlichen
Industriegesellschaft und treibt diese auch voran. Schnelle Verkehrsverbindungen, der Übergang
von bäuerlicher Subsistenzwirtschaft zur Marktwirtschaft, die Beseitigung von Zoll- und
Handelshindernissen, die Befreiung der Bauern von Grundherrschaft und die Formierung
bürgerlicher Schichten und Intelligenz kennzeichnen diesen Wandel. Der Bildungsprozess
(Alphabetisierung) intensiviert sich und Massenbewegungen (nationale Kultur-, Sportvereine,
Parteien) werden organisiert und aufgebaut. Mit der Errichtung der kapitalistischen
Wirtschaftsweise werden neue Produktivkräfte freigesetzt und Kapital wird verstärkt akkumuliert.
Es entwickeln sich neue Bedingungen für die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und das
Bedürfnis der Besitzenden an politischer Macht. Um die Herrschaftsverhältnisse dauerhaft zu
verändern, wird das Nationskonzept als ein politisches Handlungsprogramm mit einer
zukünftigen Perspektive entworfen und durch die Annahme von gemeinsamen Merkmalen
(Sprache, Geschichte, Kultur) legitimiert. Die Nation avanciert zu einem Bezugssystem für eine
in der Modernisierung befindliche Gesellschaft, die sich noch nicht über neue gemeinsame
Praktiken miteinander identifizieren kann.

5 verstanden als Ziel-Mittel-Umwelt-Kalkulationen nach Raschke und Tils


6 Als Ausdruck der Annahme, die deutsche Nation hätte einen vergleichbar unpolitischen, also außerstaatlichen Sonderweg beschritten, erzeugt Meinecke die
konkurrierenden Modelle Staatsnation gegen Kulturnation: „Fragt man nun, von welchen Wurzeln aus dieser reichere Inhalt erwächst, so wird man sogleich zwei große
Gruppen bilden müssen. Man wird trotz aller sogleich zu machenden Vorbehalte, die Nationen einteilen können in Kulturnationen und Staatsnationen, in solche, die
vorzugsweise auf einem irgendwelchen gemeinsam erlebten Kulturbesitz beruhen, und solche, die vorzugsweise auf der vereinigenden Kraft einer gemeinsamen
politischen Geschichte und Verfassung beruhen. Gemeinsprache, gemeinsame Literatur und gemeinsame Religion sind die wichtigsten und wirksamsten Kulturgüter,
die eine Kulturnation schaffen und zusammenhalten.“ (Meinecke 1902: 2)
Georg Schmidts Kritik an Meineckes Konzept verweist auf eine bis in das 16. Jahrhundert zurückreichende Tradition konkurrierender „deutscher“ Nationalkonzepte,
die sich zum einen auf die Sprachgemeinschaft und zum anderen auf das Reich berufen. (vergleiche http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/zeitschriften/id=25;
Stand: Dezember 2008)

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Die Säkularisierung setzt einen Bewusstwerdungsprozess in Gang, den Menschen nicht mehr von
Gott und Natur abhängig wahrzunehmen, sondern als Welt gestaltendes und Natur
beherrschendes Subjekt. Mit der Aufklärung werden die bestehenden Welterklärungsmodelle in
Frage gestellt. Die Idee der Nation kann bald als "Bezugssystem zur Erklärung der Menschheitsfragen
nach Kontinuität und Sinn" (Geier 1997: 49) dienen. Auch der Sprache verhilft die Säkularisierung
zu einem Bedeutungsgewinn. Die integrative Funktion des Lateins baut sich mit der
Bibelübersetzung und der Verwendung der deutschen Sprache ab; Buchdruck erweitert den
Leserkreis und schafft eine virtuelle Gemeinschaft der Lesenden. Sprache eignet sich zudem als
ein Medium, Geschichte zu vermitteln und ein bestimmtes Geschichtsbewusstsein zu festigen.
Mit der Standardisierung der Sprache durch Verwaltung, Militär, Schulwesen, Presse und
Literatur kann das nationale Selbstbild auch im Nationalstaat systematisch verbreitet werden.

Exkurs: Integration und Abgrenzung oder das Kulturelle als Substrat der Nation
Die konstruierten Nationen beruhen alle auf einem Mechanismus: etwas Eigenes, das die Nation
nach innen verbindet und nach außen abgrenzt, zu betonen. Die Idee der Nation basiert auf der
Annahme, dass eine bestimmte Eigenheit, die eine Nation von der anderen unterscheidet, durch
bestimmte Merkmale nachgewiesen und ausgedrückt werden könne. Fast jede Nation versucht,
durch bestimmte kulturelle Formen, geschichtliche Ereignisse oder gemeinsame Sprache,
ihre Existenz nachzuweisen. Je weiter sich diese Existenz in die Vergangenheit verfolgen ließe,
desto glaubwürdiger sei sie bestätigt. Sodann kann die Forderung nach politischer
Selbstbestimmung in Form des Nationalstaates nach außen gerechtfertigt werden. Nach innen
muss gleichermaßen ein Zugehörigkeitsgefühl zur Nation ausgebildet werden, so dass die
politischen und gesellschaftlichen Veränderungen von allen Gesellschaftsteilen mitgetragen
werden. Die Idee der Nation muss so in das Bewusstsein der Menschen verpflanzt werden, dass
sie ihnen als etwas ganz Natürliches und Selbstverständliches erwachsen würde. Eine kulturelle
Einheit nach scheinbar objektiven Kriterien vermittelt den Eindruck, eine Nation sei nicht nur
anhand dieser Merkmale bestimmbar, sondern auch zugleich Ergebnis dieser objektiven
Einflüsse. Sie entbindet den Einzelnen aus der subjektiven Entscheidung einer Zugehörigkeit.

Für die ideengeschichtliche Grundlage der Unterscheidung in Kulturnation versus Staatsnation


nach Friedrich Meinecke werden Herder mit seiner Vorstellung eines vorpolitisch, ethnisch-
kulturellen Konstruktes des Volkes herangezogen und für die Staatsnationsidee der französische
Vertreter eines universalistischen Vernunftsprinzips Jean Jacques Rousseau mit dem Konzept
eines politisch gestaltenden Bürgers. Nach dem „französischen Modell“, Nation als
Willengemeinschaft, entspricht der Nationalstaat dem Ergebnis freiwilliger Beitrittsakte seiner

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Bürger zum Staat, auf der Grundlage eines „sozialen Vertrages“ (Giordano 2000: 386).
Die Definition der Nation entspricht „subjektiven“ Kriterien, die kollektiv oder individuell
wahrgenommen werden (Estel 1994: 24; Hobesbawm 1991: 18). Die Einheit entsteht auf
willentlicher Grundlage. Das „deutsche Modell“ der Nationalstaatenbildung verweist auf das
Abstammungsprinzip (rechtlich verankert in Deutschland ab 1913 als jus sanguinis) und die
romantische Prägung des Begriffes „Volk“ bei Johann Gottfried Herder und der deutschen
Romantik. Jede Kultur bewahre gemäß Johann Gottfried Herder „den Mittelpunkt seiner
Glückseligkeit in sich selbst“ (Herder 1994, zitiert nach Bausinger 1999: 31) und jedes Volk stelle eine
einzigartige Einheit dar. „Dieser Volksgeist war in Leidenschaft und Gefühl und nicht in Vernunft
verankert, und er war in Kunst, Tradition und Sprache wiederzufinden.“7 (Wolf 1993: 341)
Mittels kultureller Zeugnisse, wie Volkslieder, Märchen und Sagen soll die Existenz des Volkes
als ursprüngliche Gemeinschaft in vor-geschichtliche Zeit verlegt werden. Grundlegend ist die
These, dass sich eine bestimmte Wesenheit der Völker aus Urzeiten und –umständen innerhalb
kultureller Formen bewahrt hätte (vergleiche Niedermüller 2001: 176). Ästhetische Objekte
dienen als Beweis der Geschichte. Gemäß dessen erfolgt eine Inszenierung der Nationalkultur als
„objektive Erinnerung einer mythischen Vergangenheit“ (ebd.). Der symbolische Raum wird mit
kulturellen Formen angefüllt, die soziale und kulturelle Wirklichkeit darstellen, obwohl sie auf
erfundener Vergangenheit beruhen. Die Mythologisierung des Ursprungs, den Bezug auf das
Vergangene als vollkommen, wie es Jakob Grimm 1881 vornimmt, suggeriert so eine
geschichtliche Kontinuität, andererseits werden die sozialen Widersprüche des 19. Jahrhunderts
in einem ahistorischen Erklärungsmodell harmonisiert. Der Begriff Volk wird für die Idee der
Nation grundlegend. In einem Prozess der Integration im Inneren und der äußeren Abgrenzung
wird das „Deutschtum“ in seiner Eigenart erkannt/ erfunden, hervorgehoben und beworben.
"Der gemeinsame Nenner des Deutschtums bezog sich auf Blut, Sprache und Kultur" (Geier 1997: 66) in
Ermangelung einer Staatsidee und parlamentarischer Tradition.

"Kulturnation - Gemeinschaft von Menschen, die sich aufgrund ihrer Lebensweise, Sprache, Geschichte, Kunst,
Religion o.ä. einander zugehörig fühlen, auch unabhängig von Staatsgrenzen und Herkunft. Der Gedanke einer
deutschen Kulturnation kam Mitte des 18. Jh. auf; lange bevor der erste deutsche Gesamtstaat 1871 gegründet
wurde." (Bundeszentrale für politische Bildung 2008: 31), lautet die lexikalische Definition heute
und entschärft das ethnozentrische Prinzip.

7 Wolf macht darauf aufmerksam, dass das Konzept des „Volksgeistes“ durch die Faszination des deutschen Bildungsbürgertums an der griechischen Antike angeregt
war, vornehmlich durch J. J. Winckelmanns Propagierung des hellenistischen Volksgeistes („paideia“). In dieser Betrachtung wurde Hellas als ganzheitliche,
vollkommene Kultur wahrgenommen und als Vorbild für die deutsche Kulturentwicklung. Wolf bezeichnet die „Leitidee eines ideellen Holismus“ (Wolf 1993: 341) als
konstitutiv für das Kulturverständnis deutscher Intellektueller des 19. Jahrhunderts. (ebd.)

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"Kulturnation meint seither in der Tat ganz überwiegend Kulturgemeinschaft (...)"
(Estel 2002: 63)

Kulturnation als bürgerliches Konzept


Jene Kulturgemeinschaft ist im 19. Jahrhundert vornehmlich als auf kulturelle Werte bezogenes
Bürgertum normativ geprägt. Die Kultur sollte jene Orientierungsfunktion übernehmen, die der
Staat in Frankreich oder England erfüllt. In Wechselwirkung der philosophischen
Denkbewegungen mit der Dichtung und Wissenschaften wird ein gemeinsamer
(bildungsbürgerlichen) Identifikationsraum erschaffen, der kulturelle Werte wie „Bildung und
Selbständigkeit“ (Weichlein 2002: 18) mit Forderung an Teilnahme einschließt und einen Stolz auf
kulturelle Leistungen kultiviert. Der nationale Diskurs schlägt sich in literarischen Produkten
nieder und wirkt in Wechselwirkung von Aneignung und Distribution mit Hilfe der Presse und
des Buchmarktes sowie der Schulpflicht in alle Gesellschaftsschichten vergemeinschaftend.

„Die kulturelle Kommunikation verdichtete sich in dem Maße, wie sie sich verschriftlichte.“
(Weichlein 2002: 19)
Literarische Produkte bewerben eine "Imagination der Gesellschaft" (Geier 1997: 66) wie sie von
einer gesellschaftlich isolierten gebildeten Elite entworfen wird, die ihre politische Isolation zum
Ideal der Individualität stilisiert und politische Gestaltungskraft im Sinne "patriotischen
Tugenddienstes" (ebd.) entbehrt8. Georg Schmidts Kritik an Meineckes unpolitischer Fundierung
der Kulturnation verweist auf eine bis in das 16. Jahrhundert zurückreichende Tradition
konkurrierender Nationalkonzepte, die sich zum einen auf die Sprachgemeinschaft und zum
anderen auf das Reich berufen.9 Die Rückverlagerung der nationalen Bewegung in die Zeit der
Religionskriege wird auf dem Wartburgfest der Burschenschaften angeregt.
"(...) 1817 [zur 200 Jahrfeier der Thesenanschläge; Anmerkung der Autorin], da jetzt Luther zum
deutschen Helden und zum bürgerlichen Idealtypus avancierte – oft prachtvoll inszeniert in Festumzügen und

8 Kallscheuer und Leggewie versuchen das Dreiphasenmodell der Nationalbewegung von Miroslav Hroch auf Deutschland zu übertragen:
Es gilt allgemein:
Träger dieser Bewegung sind Intellektuelle, die Sprache, Volkslieder, Bräuche, und Sitten einer ethnischen Gruppe in einem bestimmten Gebiet studierten und
popularisierten. (A)
Die Ausweitung der Kulturgemeinschaft zur nationalen Gemeinschaft mit Ziel der Vermittlung eines Nationalbewusstseins. (B) Breite Verankerung der
Nationalbewegung in Massenorganisationen. Nationale Unabhängigkeit in Form des Nationalstaates wird gefordert. Besitzbürgertum und Akademiker stoßen zur
Führungsschicht. (C)
(vergleiche Weichlein 2006: 50)
Es gilt für Deutschland:
"Das vergessene beziehungsweise durch französische Aufklärung und Mode überfremdete deutsche Kulturgut muss von den Wortführern wieder erinnert
(“wiederentdeckt”) werden (A), um als lebendige Grundlage des Programms der nationalen Erhebung zu dienen (B), dem sich schließlich die durch diese authentische
kulturelle message “wieder erweckten” Volksmassen anzuschließen" (Kallscheuer; Leggewie 1994: 122)
9 vergleiche: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/zeitschriften/id=25 (Stand: Dezember 2008)

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Stadtilluminationen, nicht zuletzt auch auf dem Wartburgfest (18./19. Oktober 1817), auf dem Luther ganz
nahtlos zum Kronzeugen zeitgenössischer Anliegen wurde – als Begründer der deutschen Sprache im Sinne
nationaler Einigung oder als Archeget eines andauernden Prozesses zunehmender Glaubens- und
Gewissensfreiheit. Luther als Bürger und Patriot (...)" (Rhein 2008: 5)
Martin Luther gilt als "Begründer innerer Freiheit als Prinzip deutscher Einheit" (Kallscheuer; Leggewie
1994: 119). Religionszugehörigkeit war darüber hinaus alle sozialen Schichten verbindend,
auch wenn die Kirche ihren Machtanspruch eines religiösen Weltbildes schlecht abtreten wollte
(Weichlein 2006: 20).
Stephan Dogerloh bemerkt den Zusammenhang zwischen Reformation und Bildung. Der Christ
sollte nicht nur gläubig, auch mündig gemacht werden. Die Reformatoren begrüßen die
Befähigung zum Lesen und Schreiben, allen voran Melanchton, der das Leben als durch Bildung
zu Formendes begreift und die allgemeine Schulbildung initiiert (Dogerloh 2008: 6).
In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts werden anti-französische Ressentiments zu nationalen
Argumenten umgedeutet. Die Wahrnehmung der Befreiungskriege 1813/14 ist bereits national
gefärbt. Feindbilder des 19. Jahrhunderts, vornehmlich die Franzosen zur Zeit der Rheinkrise
1840 und des deutsch-französischen Kriegs von 1870/71, werden national untermauert und
erlangen integrative und emanzipatorische Funktion.

"Seit Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt schließlich auch die politische Karriere der Kultur: »Deutsche Kultur«
wird zum Synonym für einen Nationalismus, der darin vorerst Ersatz für seine fehlende staatlich-politische
Gestalt findet." (Kaschuba 2003: 118)

Die Idee der „Schicksalsgemeinschaft“ (Kaschuba 1999: 26) des deutschen Bürgertums,
die romantische und mythische Überhöhung deutscher Geschichte gegen die „Überfremdung“
(ebd.) durch die napoleonische Fremdherrschaft, wird mit dem Konzept der
„Abstammungsgemeinschaft“ durch Ludwig Jahn verkettet. Das „ethnozentrische Grundmotiv“ (ebd.: 27)
hält Einzug den „bürgerlichen Kulturnationalismus“ (ebd.: 26).10

Otto Dann zeichnet die Karriere des Kulturnationsbegriffs nach. Seit der Errichtung des Staates
1871 wird die Sprachzugehörigkeit zum Argument, eine großdeutsche Lösung über die
Reichsgrenzen hinaus zu rechtfertigen. (vergleiche Dann 1996: 49)
Unter nationalsozialistischer Herrschaft werden rassische und ethnische Zuschreibungen zum
Konzept des Volksdeutschen verknüpft.

10 Ist bis zum späten 18. Jahrhundert die Idee der Kulturgemeinschaft auch immer gestützt auf die Reichszugehörigkeit, so verlagert sich der Fokus im Zuge der
Reichskrise von 1798 – 1806 auf die Kultur als Legitimation einer Einheit gegenüber dem zerfallenden Reich (vgl. Dann 1996)

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Bei der Errichtung der beiden deutschen Staaten kommt der Idee einer Kultur- und
Sprachgemeinschaft erneut politische Bedeutung zu.

ZWEITER TEIL
Wie sich an den folgenden Ausführungen zeigen wird, verschieben sich die Kategorien Sprache,
Geschichte, Religion und kultureller Besitz, die die Kulturnation zu Zeiten Meineckes definieren
im aktuellen Diskurs verstärkt auf die Kategorien kulturelles Erbe und kulturelle Bildung.

In einer Hochphase des Kulturpessimismus, die im Zerstörungswahn des Ersten Weltkriegs


beispielhaft nach einer kritischen Reflexion der Errungenschaften der Moderne verlangt und sich
in holistische und lebensphilosophische Erklärungsversuche ergießt, erhält das Konzept der
kulturbegabten deutschen Dichter und Denker noch einmal Impulse, indem irrationale Momente
integriert werden11. Mittels einer bestimmten Innerlichkeit soll der deutsche Kulturbürger, da er
sich in seinem Selbstbild12 darauf einigte, als ‚verspätete Nation’, die Krise der Moderne besser
meistern zu können, schöpferische Antriebe zur Erneuerung der krisengeplagten Gesellschaft
geben. Die sich selbst in den (re-) konstruierten Traditionszusammenhang einer ‚Deutschen
Bewegung’ stellenden Dichter und Denker der Weimarer Republik erzeugen
nationalpädagogische Programme, die den Ideologien des Nationalsozialismus zuarbeiten.
Der Zusammenhang zwischen Kultur und Barbarei, der daraus folgt, wird in der
Nachkriegsgeschichte teils integriert, teils ausgeblendet.
Wenn Friedrich Meinecke die Vereinigung von Kultur und Macht in der historischen
Zielvorstellung einer ‚Kulturnation mit Staat’ propagierte, die in einem quasi religiösen Prozess
entstünde und damit Kritik am herz- und kulturlosen wilhelminischen Staatsapparat übte (Gretz
2007), mag eine Analogie zu Horst Köhlers Ermahnung Deutschlands nicht als
Versicherungsverein, so doch als Kulturnation, gezogen werden können.
Nicht zu unterschlagen ist jedoch der Fakt, dass das herkömmliche Konzept der Kulturnation
nach Meinecke sich an dem Umstand scheidet, dass inzwischen von einer ‚Staatsnation mit
Kultur’ gesprochen werden muss. Wirkungsmechanismen der Vergesellschaftung wie Religion
und Sprache und Nationalkultur sind selbstverständlich nur noch Randerscheinungen, weil die
staatliche Realität Deutschlands spätestens seit 18 Jahren verwirklicht ist und sich das deutsche
Volk auch nicht in ideologischer Einheit wiegen muss, weil das staatliche, wirtschaftliche und

11 Vorzüglich als Erfindung der ästhetischen Nation diskutiert und reflektiert in Daniela Gretz Dissertation zur Deutschen Bewegung, München 2007
12 In einem Prozess der Idealisierung sollte das Sonderwegsbild der Deutschen, sich durch bestimmte Eigenschaften besonders von anderen Staaten abzusetzen, durch
Zuhilfenahme von deutschtümelnden Geistesströmungen wie Romantik, Idealismus und Historismus zur Sonderwegsideologie avancieren.(Gretz 2007)

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eben auch kulturelle Zusammenleben die Wirklichkeit viel wirkungsvoller determiniert.
„Mittlerweile also existiert das Volk bereits viermal: als Beschreibung einer Beziehung zwischen wirklichen
Menschen, Territorium und Kultur, als Beschreibung einer sozialen Wirklichkeit, als territoriale Phantasie von
Einheit (und Expansion) und als soziale Phantasie von ewiger Natürlichkeit (und Regression). Jede dieser
Bedeutungen steht im Grunde zur anderen in unlösbarem Widerspruch, aber um die Welt einigermaßen heil und
geordnet erscheinen zu lassen, müssen mindestens jeweils zwei zueinander gebracht werden. Die Technik dazu ist
die Schöpfung von Mythen. Der Mythos ist weder Beschreibung der Wirklichkeit noch freie Phantasie, er ist eine
Aussage in Sprache, Bild, Kult etc., die das Widersprüchliche als Einheit erscheinen läßt.“ (Seeßlen 1993: 137)

Mythenbildung resultiert nun darin, dass die Mythen frei zur Vereinnahmung unterschiedlicher
Interessensgruppen gegeben sind. Die Konstruktion einer Einheit, die so stark ist, dass die
Widersprüche nicht ihr Wesen berühren, also Handlungs- und Bedeutungsmodelle zugleich
angeboten werden, diese Differenzen zu vereinnahmen und zu synthetisieren, ist gefährlich.
Der Mythos bietet nicht mehr Erklärung für unvereinbare Phänomene, sondern fordert als
Ideologie Konsequenzen, die Unvereinbarkeit abzuspalten und zu entfernen.

Für die nachfolgende Untersuchung der Rede sollen also Hakan Gürses Worte mahnen:
„Es gibt, wie schon angesprochen, auch gute politische Gründe, dem Kulturbegriff mit Skepsis zu begegnen:
Der kolonialistische oder kulturalistisch-rassistische Stellenwert des Begriffs blieb in den letzten 300 Jahren
unverändert, ja er stieg sogar. Wer heute über kulturelle Identität redet, die Multikulturalistät preist oder für den
Kulturerhalt plädiert, ohne auf die problematischen Funktionen des Kulturbegriffs zu verweisen, macht sich
gewissermaßen »verdächtig«.“ (Gürses 2003: 28)

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Analyse der Rede von Bundespräsident Horst Köhler (H.K.) beim Festakt zum Tag der
Deutschen Einheit am 3. Oktober 2008 in Hamburg

„Wo wir uns finden“13

Das Zitat entstammt dem Lied „Kein schöner Land“ von Anton Wilhelm Florentin von
Zuccalmaglio, einem Volksliedsammler und Heimatdichter des 19. Jahrhunderts. Interessant für
den Zusammenhang Kulturnation sind in „Wo wir uns finden“ die Kategorien Ort,
Gemeinschaft und Geschichte.
Der Ort repräsentiert sich konkret durch das Fragepronomen und metaphorisch durch das Verb
finden, was Identität, und eine gewisse Qualität ausdrückt, weil, „Wo wir uns finden“ voraussetzt,
dass wir uns auf einer Suche befänden, die nun erfolgreich beendet werden kann.
Die Gemeinschaft spiegelt sich im Personalpronomen wir und seiner Reflexion uns und
vermittelt dahin Ganzheitlichkeit. Der geschichtliche Bezug wird durch das Format Volkslied, als
Gegenstand nationaler Dichtung, vollzogen.

Der erste einleitende Absatz thematisiert an einem Beispiel das Wesen und das Problem der
Kulturnation. Anekdotisch erzählt Horst Köhler von seiner Begegnung mit „Bürgern und
Bürgerinnen“ in Sachsen-Anhalt, die die Dorfkirche vor dem Verfall gerettet hätten, was kein
singuläres Phänomen sei.

H.K: Neulich bin ich in Sachsen-Anhalt unterwegs gewesen, im Burgenlandkreis, entlang der Unstrut.
Wir sind durch ein paar kleine Orte gewandert, die haben alle eines gemeinsam: Überall hatten sich Bürgerinnen und Bürger
zusammengetan, um ihre Kirche zu retten, die vom Verfall bedroht war.
Das fing schon Mitte der 80er Jahre an; die DDR gab es noch.
Der SED-Staat hatte weder Geld noch Sinn dafür, es in kleine Kirchen zu stecken, und die evangelische Kirche war zu arm dafür. Also
halfen sich die Leute selbst. Mitglieder der Kirchengemeinde setzten sich mit Menschen zusammen, die gar nicht mehr in der Kirche sind.
Gemeinsam sagten sie: „Die Kirche bleibt im Dorf.“
„Warum haben Sie das eigentlich gemacht?“, habe ich gefragt. Und die Antwort war: „Wir können doch unsere Kirche nicht einfach
verfallen lassen. Die gehört zu uns. Das ist doch unsere Heimat, unsere Geschichte.“

13 „Kein schöner Land in dieser Zeit / Als hier das uns're weit und breit / Wo wir uns finden / Wohl unter Linden / Zur Abendszeit./ Da haben wir so manche
Stund’ / Gesessen da in froher Rund / Und taten singen / Die Lieder klingen / Im Eichengrund. / Daß wir uns hier in diesem Tal / Noch treffen so viel hundertmal
/ Gott mag es schenken / Gott mag es lenken / Er hat die Gnad./ Nun Brüder eine gute Nacht / Der Herr im hohen Himmel wacht / In seiner Güte / Uns zu
behüten / Ist Er bedacht.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Anton_Wilhelm_von_Zuccalmaglio; Stand: März 2009) Auffällig auch hier schon die Bezüge Ort,
Gemeinschaft, Natursymbolik, Gott

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1. Horst Köhler wandert an der Unstrut – das klingt schon verdächtig nach einem
Volksliedattribut. Vielleicht hat es aber auch persönliche Gründe. Nach der Flucht seiner Familie
aus der polnischen Geburtsstadt Skierbieszów 1944, siedelt diese bis sie die DDR 1953 verlassen,
in Markkleeberg bei Leipzig und somit in der Nähe des Burgenlandkreises an.
2. Sachsen-Anhalt ist traditionell mit Martin Luther und dem Protestantismus verbunden.
3. Die DDR arbeitete an der Säkularisierung.
Die Gemeinsamkeit von Bürgern, wird im Gemeinwohl und im bürgerschaftlichen Engagement
hergestellt, da sich die Bürger über Unterschiede (konfessionelle Gebundenheit) hinweg, für eine
Sache engagieren, die „Rettung“ der Kirche.

Der Begriff Kirche ist hier natürlich mehrfach bedeutet: das Gebäude, das vom realen Verfall
bedroht ist, das symbolische Gebäude als Behausung Gottes, das symbolische Gebäude als
kulturelles Gedächtnis und die Institution.
Entgegen einer „Kultur ohne Zentrum“ (nach Richard Rorty14), also dem postkulturellen Phänomen,
das Kultur nicht mehr in seiner Wirkungsmacht aus einem örtlichen und geistigen Zentrum in
Richtung Peripherie und damit auch Marginalität verläuft, sondern Pluralität und Gleichzeitigkeit
die Gegenwart bestimmen, wird die regionale und rurale kulturelle Deutungsmacht der sich
traditionell im Dorfkern befindlichen (und das Dorf strukturierenden) Kirche zugewiesen.
Das Kulturgut Kirche stiftet also über Geschichte und Folklore (wo Heimat, Wandern, Kirche
und Unstrut ländliches Idyll versprechen) Identität und wirkt verbindend.

H.K.: Die Menschen aus dem Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt haben mehr bewahrt als Mauern, Steine und Türme. Sie haben etwas
bewahrt, was das Leben lebenswert macht und Zuversicht stiftet. Zu wissen:
Da waren welche vor uns, und wir kümmern uns um das, was sie hinterließen; zu wissen: da kommen welche nach uns, und die sollen
auch unsere Spuren finden und bewahren – das ist schon der Kern
dessen, was es braucht, damit unsere Kulturnation lebendig bleibt.

Die Überleitung zur symbolischen Bedeutung der Kirche fällt Köhler nicht schwer.
Das Kulturgut Kirche mit seiner geschichtlichen und folkloristischen Dimension birgt in Köhlers
Argumentation Lebensqualität und vermittelt Sinn und Halt. Die deutsche Kulturnation, die sich
im Kern über geschichtliches Bewusstsein (und kulturelles Erbe) definiert, funktioniert ähnlich
wie die Religion über ein emotionales Identifikationsangebot, dass weiter als das bloße
persönliche Leben reicht, indem es in den Fluss der Geschichte eingeordnet wird, in den „wir“
und nachfolgende Generationen über das Gebäude eintauchen. Geschichtliches Bewusstsein
(über geschichtliche „leblose“ Artefakte abrufbar) soll also der Kulturnation Leben einhauchen.

14 Rorty, Richard (1993): Eine Kultur ohne Zentrum. Vier philosophische Essays, Stuttgart

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Dass Kultur im deutschen Verständnis erst mal an ein Produkt, hier den Kirchenbau, gekoppelt
ist, als sichtbares Ergebnis einer besonderen (unsichtbaren) inneren Qualität, hat Norbert Elias
über das Begriffspaar Kultur und Zivilisation nachgewiesen:
„Hier, im deutschen Sprachgebrauch, bedeutet »Zivilisation« wohl etwas Nützliches, aber doch nur einen Wert
zweiten Ranges, nämlich etwas, das nur die Außenseite des Menschen, nur die Oberfläche des menschlichen
Daseins umfaßt. Und das Wort, durch das man den Stolz auf die eigene Leistung und das eigene Wesen in erster
Linie zum Ausdruck bringt, heißt »Kultur«.“ (Elias 1998: 90)
Elias begründet diese deutsche ‚Eigenart’ geschichtlich: im Gegensatz zum französischen
(und französisch geprägten) Adel, der neben politischer Macht auch Status innehatte, musste sich
das Selbstwertgefühl des der Aristokratie ‚dienenden’ deutschen Bürgertums über seine
Leistungen herstellen (und erinnert da auch an die protestantische Arbeitsethik). In der folgenden
nationalen Konstruktion der deutschen Eigenheit in Abgrenzung zu den politischen geeinten
Nachbarstaaten, die nicht durch den dreißigjährigen Krieg zerschlagen und verarmt waren und
daher ihre Staatsmacht über koloniale Bestrebungen auszuweiten trachteten, wurden nun
vermeintlich innere und geistige Werte und mittelständische Tugenden zu nationalen stilisiert und
von Zivilisationsleistungen „den politischen, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fakten“ (ebd.)
unterschieden.
Die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert zieht dann einen durch zeitgenössische Dichter und
Denker motivierten geisteswissenschaftlichen Diskurs nach sich, den „deutschen Sonderweg“ 15(Gretz
2007: 9), den die Dichter und Denker nach der Französischen Revolution in der nationalen
Identitätsbildung beschritten, als besonders gelungenen Übergang in die Moderne zu etablieren
(Gretz 2007). Seitdem besteht die These vom auf deutschem Sonderbewusstsein basierenden
Sonderweg in zweierlei Ausführung:
a) positiv, als unpolitische Nation der Dichter und Denker
b) negativ, als Sonderweg der „deutschen Katastrophe“ (ebd.) von 1933 - 1945
Die öffentliche Debatte um den Gründungsmythos der deutschen kulturellen Identität ist nach
Gretz nach wie vor bestimmt vom Leitgedanken dieses Sonderwegs, grenzt jedoch an den Fakt,
dass ein Normalfall der Modernisierung nach dem Muster einer bürgerlichen Revolution,
die das Nationalbewusstsein innerhalb staatlichen Territoriums ausbildete, nicht existiert.
Die Idee einer gesonderten stellt eine besondere Form des Diskurses dar, die These von der
poetischen und schöpferischen Erneuerung der Gesellschaft als Weg aus der Krise so zu
konstruieren, dass sie in einen Traditionszusammenhang gestellt wird.

15 Die Besonderheit bestünde darin, dass sich nicht Bürgertum vom Adel emanzipiert hätte, sondern dass die Abgrenzung unter Betonung sprachlicher und kultureller
Eigenheiten gegenüber anderen europäischen Staaten erfolgt wäre (Westle 1999)

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Die soziale und historische Tatsache, dass sich das Selbstbild des deutschen Bürgertums im
sozialen und politischen Aufstieg stark an ihrer kulturellen Leistung und Produktivität orientierte,
weil es sich von den führenden Schichten abgrenzen wollte, wurde in der kulturpessimistischen
Phase des Fìn de siecle bis zu den rassistischen Argumenten der Nationalsozialisten als
Gründungsmythos konstruiert: die Kulturfähigkeit der Deutschen sei eine Eigenschaft des
Volkscharakters. Auch dort wurde mit Metaphern und Gegensatzpaaren, die der Mode
geschuldet waren, Aufklärung mit Mechanisierung und Rationalisierung und Romantik mit
Innerlichkeit und Ganzheitlichkeit gleichzusetzen, gearbeitet (Gretz 2007; Elias 1998).
Das Bild Host Köhlers von der Lebendigkeit der Kulturnation, also der Vorstellung eines
Organismus, bietet reichhaltige Vergleichsmöglichkeiten auf der Ebene der Organe und seiner
Funktionen und der Ordnung der Gesellschaft danach (Herz, Hirn, Bauch), ebenso wie die
Möglichkeit der Beseelung. Redet Köhler später davon, dass die Gemeinschaft der Deutschen
mehr als eine Versicherungsgemeinschaft sein sollte, wird genau dieser Unterschied zwischen
seelenlosem technischem Apparat und beseeltem Körper (und Geist) aufgerufen.

H.K.: Heute vor 18 Jahren haben wir die Teilung Deutschlands endgültig hinter uns gebracht. Das Unrechtsregime DDR war
überwunden, denn seine Bürgerinnen und Bürger hatten die Mauer zum Einsturz gebracht.
Bei allem, was danach geschah; bei allem, was gelang, was schiefging: Was für ein Glück ist und bleibt diese friedlich und mutig
erkämpfte Einheit, was für ein Segen für unser Vaterland!
Die DDR ist Vergangenheit. Dabei vergessen wir nicht, dass die einzelnen Geschichten der Menschen in der DDR nicht nur vom
System und seinem Unrecht geprägt waren. Die meisten haben hart gearbeitet,
viel geleistet, sie haben sich umeinander gekümmert, miteinander gelebt, gelitten und gefeiert. Es gab in der DDR Glück, Erfolge und
Erfüllung.
Nicht wegen, sondern oft trotz der SED-Diktatur. Deshalb bitte ich um Anerkennung und Respekt für die Menschen, die in der DDR
ihren Weg gegangen sind, ohne sich schuldig zu machen. Dann kam die Wende, und vieles stürzte auf uns ein. Ich war mittendrin und
im Rückblick sage ich: Praktisch war es unmöglich, im Vereinigungsprozeß immer genau zu wissen, was die richtige Entscheidung ist.
Und deshalb wollen wir nicht länger so tun, als sei alles immer nur richtig gewesen.
Ich stoße heute in Ostdeutschland auf viel Freude am Erreichten, auf Stolz an der eigenen Leistung und auf Selbstbewusstsein. Sicher:
Manches dauert länger als gedacht, es gab und gibt Härten und Enttäuschungen.
Doch wer die Augen aufmacht, der sieht: Wir haben viel erreicht. Vielleicht ist es weniger, als manche in der ersten Euphorie erhofft
haben. In Wirklichkeit ist es sehr viel mehr, als manche sehen –
oder sehen wollen. Und ich denke: Wir sind auf dem gemeinsam zurückgelegten Weg erwachsener geworden.

Horst Köhler arbeitet hier teleologisch in der Weise, dass es zur Einheit Deutschlands keine
Alternative gegeben hätte. Ich will diese Frage nicht berühren, aber jede Kontingenz wird
ausgeschlossen und die staatliche Einheit wird (endgültig und somit als Wert unantastbar) als
gottgewolltes Produkt nationaler Einheit zelebriert. Das Einheitsprodukt wird als gut intendiert
(„friedlich und mutig erkämpft“), wobei dem Prozess seiner Fertigung Zugeständnisse gemacht

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werden, nicht fehlerfrei gearbeitet zu haben. Bilanziert wird dieser Prozess als Periode des
Erwachsenwerdens, was vielleicht nicht zufällig der Volljährigkeit zusammenfällt.
Nicht nur die staatliche Einheit, auch die Gemeinschaft wird angesprochen. Einerseits in der
Gegenüberstellung mit dem „Unrechtsregime DDR“, dass über unschuldige DDR Bürger verfügte,
andererseits, wie ich meine, in der weiteren Metaphorisierung des Körperbildes. Das „wir“ ist die
politische Entscheidungsinstanz, die, indem sie auf äußere Umstände reagiert, auch Fehler macht,
das „wir“ ist zugleich, polemisch gesagt, der Volkskörper, der den Entscheidungen Folge leistet.
Auffällig ist die doppelte Bedeutung der Mauer – einmal die Kirchenmauer, die es zu bewahren
gilt und die Grenze, die überwunden werden musste.
Auch hier stehen das Produkt und die Leitung im Fokus der Rede.

Ich möchte Ihnen berichten von Regionen, die vor großen Schwierigkeiten standen – in Ost und West. Ich war in Rostock, in Bitterfeld
und in Gotha, ich habe Selb und Zweibrücken besucht. An all diesen Orten habe ich erfahren, was es bedeutet, wenn der größte
Arbeitgeber von heute auf morgen wegfällt. Akademisch heißt das Strukturwandel, für die Menschen bedeutet es tiefe Verunsicherung, oft
Arbeitslosigkeit und Abwanderung. Doch diese Städte stehen auch dafür, dass die Menschen die Herausforderungen tatkräftig anpacken.
Im Rostocker Hafen werden heute mehr Güter umgeschlagen als zu Zeiten der DDR. Bitterfeld ist wieder ein wichtiger Standort der
Chemieindustrie. In der Gothaer Fahrzeugtechnik sind die Auftragsbücher für die nächsten zwei Jahre gefüllt, vor allem dank der
Schweißer dort, die sind einfach Spitze. Das oberfränkische Selb fängt den Niedergang der Porzellanindustrie mit dem Aufbau einer
modernen Kunststoffverarbeitung auf. Und im rheinland-pfälzischen Zweibrücken hat man nach dem Abzug der amerikanischen
Streitkräfte aus der Not eine Tugend gemacht: Auf den frei gewordenen Flächen sind eine Fachhochschule und Unternehmen angesiedelt
worden, die florieren und neue Arbeitsplätze schaffen. Die Leute sagen überall: Es war hart, es war schwer, aber jetzt geht’s wieder
aufwärts. Diese Beispiele stehen für eine messbar positive Entwicklung: Die deutsche Wirtschaft hat Kraft bewiesen, hat sich erholt und
kann im internationalen Wettbewerb wieder gut mithalten, was uns auch in der aktuellen Finanzkrise hilft. Der Lohn der Anstrengung
in den letzten Jahren ist nicht zuletzt ein erfreulicher Rückgang der Arbeitslosigkeit. Keine Frage: Manche Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer mussten harte Anpassungen und zum Teil auch prekäre Beschäftigungsverhältnisse akzeptieren. Unser Ziel ist natürlich
gute Arbeit für alle. Und unser Ziel bleibt es, besonders energisch die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland abzubauen, die noch immer
doppelt so hoch ist wie im Westen. Ostdeutschland wird darum weiter unserer besonderen Unterstützung bedürfen. Ich freue mich, dass es
darüber einen parteiübergreifenden Konsens gibt.

Köhler leitet nun von der Kultur und der Vereinigung auf die Wirtschaft über und belegt den
positiv umgesetzten Strukturwandel an einigen Beispielen. „Am Anfang war die Tat“16 sagt Faust
sinnierend über dem neuen Testament, das er gerade ins Deutsche übersetzen will.
Anhand der Beispiele wird suggeriert, dass durch genügend Tatendrang dem von außen
einwirkenden Wandel begegnet werden kann. Dass diese „gesamtgesellschaftlichen und auch
international neoliberalen ökonomischen und politischen Umstrukturierungsprozesse“ (Lorey 2007: 80) also
auch genügend Handlungsmöglichkeiten bereithielten, nicht an ihnen zu scheitern. Nach Isabell
Lorey fungiert hier die Verantwortung für das eigene Schicksal, dessen Schmied man sei,

16 http://www.wissen-im-netz.info/literatur/goethe/faust/1teil/03.htm (Stand: März 2009)

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als neues politisches Paradigma (Lorey 2007). Erfolg oder Scheitern auf dem Markt wird auf die
Person als allein verantwortlich zurückgeworfen. Erfolgsdruck und Existenzangst avancieren zu
einem individuellen Problem. Bei der Projektion sämtlicher Lebensäußerung auf sich selbst
werden Schuldgefühle erzeugt, die als Schwäche wahrgenommen werden. Die gesellschaftliche
und soziale Auseinandersetzung damit wird daher gescheut. Somit werden Unsicherheiten und
Ängste, die zwangsläufig Begleiterscheinung von gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozessen
und Modernisierungen sind, als selbstverschuldet und nicht als strukturell gesellschaftlich
problematische Phänomene wahrgenommen.

H.K.: Es bleibt also weiß Gott noch viel zu tun in unserem Land, doch wir sind gut vorangekommen. Und wir haben erlebt: Gegen
Wandel, den wir nicht aufhalten können, hilft der Wandel, den wir gemeinsam klug und beherzt ins Werk setzen. Dafür brauchen wir
weiterhin Aufbauwille, Tatkraft, Engagement, alles das, was ungezählte Menschen in unserem Land Tag für Tag beweisen.

In erster Linie gibt in Umbruchzeiten doch hier nicht die Kultur, sondern eine stabile Wirtschaft
Halt als auch die Erfahrung, dem Wandel nicht hilflos ausgesetzt zu sein. Die Wirkungsmacht des
Einzelnen ist quasi nichtexistent, weshalb hier die Gemeinschaft angerufen wird. Da sich aber in
wirtschaftlich prekären Zeiten die sozialen Gegensätze wahrscheinlich vergrößern17, muss die
Gemeinschaft auf einer höheren symbolischen Ebene hergestellt werden. So zum Beispiel am
Bild der Kulturgemeinschaft, die sich traditionell in Deutschland als Schicksalsgemeinschaft
stilisiert.

H.K.: Aber diese Kraft braucht auch Anker, sie muss sich erneuern können, sie braucht Orientierung, Maßstäbe für Qualität und
manchmal sogar Trost. Alles das finden wir in unserer Kultur. Sie ist ein Speicher an Erinnerungen, Erfahrungen und Gelerntem.
Immerfort sind wir in diesem Speicher beschäftigt, wir räumen auf, finden Vergessenes, legen anderes wieder beiseite. Wir prüfen, was
bewahrenswert bleibt, was veraltet ist, was vergessen werden darf. Wir fragen: Haben wir etwas dazugelernt? Haben wir etwas Wichtiges
vergessen? Was führt weiter?

Köhler weist der Kultur – unserer Kultur, welche bisher in der Rede nur durch die „Rettung der
Kirche“ definiert ist – eine Orientierungsfunktion zu, die dazu verhelfe, den Wandel tatkräftig
mitzugestalten. Der Halt in der bewegten Zeit, so die Metaphorik, biete die Verankerung in etwas
Grundsätzlichem, das neben der Orientierungsfunktion auch die Aufgaben der
Qualitätssicherung und des Trostes erfülle. Allegorisch stehe Anker für Treue, christlich für
Hoffnung.18 Die haltende Funktion der Kultur wird innerhalb Köhlers Reden schon tradiert, wie
dieses Zitat von 2005 belegt: „Gerade in Zeiten des Umbruchs, der auch für die individuellen Biografien

17 „die sich vertiefende Spaltung in zwei deutsche Gesellschaften, eine Verschärfung sozialer Ungleichheit, Ausgrenzung von sozialen Gruppen und Milieus, Rückzug
aus Institutionen, Fragmentierung von Lebenszusammenhängen, Zerstörung sozialer Beziehungen“ (Fuchs 2006: 66)
18 http://de.wikipedia.org/wiki/Anker (Stand: März 2009) und http://www.kath.de/kurs/symbole/anker.php (Stand: März 2009)

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zutiefst spürbar ist und immer mehr spürbar sein wird, brauchen wir eine kulturelle Selbstverständigung.“
(Köhler 2005: 5)
Das Bild wird ausgebaut durch den Speicher, hier, örtlich gesehen, nicht des Hauses, sondern wie
der Erdboden mit seinen geologischen Schichten als Ort der Aufbewahrung vergangener Zeiten.
Ist die Funktionsweise von Kultur also die eines Speichers?
Wie Aleida Assmann hinweist, birgt das kontrollierte, eher wissenschaftliche Verfahren des
Speicherns etwas Mechanisches und entspricht dem Auswendiglernen. Das Erinnern, für Köhler
Teil des Speichers, dagegen sei auf Erfahrung gestützt und ein Transformationsprozess in den
Zeit und Identität eingreifen und ihn bestimmen. (Assmann 2001: 1)
Ein „Strukturwandel des kollektiven Gedächtnisses“ (ebd.: 2) wurde systematisch im neunzehnten
Jahrhundert mit der Errichtung nationaler Museen und wissenschaftlicher Archive
vorangetrieben. „Ältere kulturelle Institutionen wie der Kanon der Klassiker, Museum und Denkmal wurden
neu besetzt als Medien eines nunmehr nationalen Gedächtnisses, das der Fülle des abstrakten, unübersehbaren
und relevanzlosen Wissens ein anschauliches, und persönlich anzueignendes Identitätswissen entgegensetzen sollte.
Auch wenn sich ihre Form und Funktion seit dem 19. Jahrhundert tief greifend geändert hat, sind der Kanon der
Klassiker, Museum und Denkmal weiterhin zentrale Medien des kulturellen Gedächtnisses geblieben.“
(Assmann 2001: 4) Kulturelle Institutionen nationaler Relevanz schreiben eine bestimmte Form
des Erinnerns fest – nicht in ihrer Sammlung, so doch in ihrem gesellschaftlichen Diskurs
(Weigel 2008). „Die kulturelle Überlieferung in Bibliotheken, Archiven und Museen ist eine geistige Heimat für
die Nation.“ (Köhler 2007: 7) Aleida Assmann geht von einer ko-evolutionären Entwicklung aus:
je stärker sich das Wissen in Archiven speichert, desto stärker wird das kulturelle Gedächtnis auf
einen bestimmten Kanon enggeführt: wo sich Wissen verwissenschaftlicht, sakralisiert sich
Erinnerung.19 Die Musealisierung der Kultur schreibt sich als ‚eindeutige’ Erinnerung in das
kulturelle Erbe ein, da diese Erinnerung an Besitz und dessen Herkunft geheftet ist.
Der Diskurs um das kulturelle Erbe entspricht der Wiederbelebung des Konzeptes der
Kulturnation. 2005 gelang es dem Philosophen und Politiker Julian Nida-Rümelin, ehemaliger
Staatsminister für Kultur und Medien in der Regierung Schröder bis 2002 in einem Artikel der
ZEIT „Das hat Humboldt nie gewollt“, als Gegenpol zur Nutzenorientierung und allgemeinen
Berechenbarkeit die Kulturnation zur Sprache zu bringen.

19 „Das Speichergedächtnis nimmt die ungeheuren Informationsmassen des anwachsenden wissenschaftlichen und historischen Wissens geduldig in sich auf, so
geduldig, wie es die materialen Speicher des Gedächtnisses eben zulassen, während das Funktionsgedächtnis aus dieser indifferenten Masse eine Auswahl herstellt, die
für lebendige Gedächtnisse erinnerbar ist, ein Identitätsangebot macht und Orientierungsfunktion besitzt. Das sich im Speichergedächtnis kumulierende Wissen ist
standpunkt- und perspektivenlos, unbewertet und in keine hierarchische Ordnung gebracht. All das sind umgekehrt Eigenschaften des Funktionsgedächtnisses. Mit
anderen Worten: Die im 19. Jahrhundert mit Historismus und Positivismus verbundenen problematischen Folgen der Relativierung, der Standpunktlosigkeit, der
Beliebigkeit von Wissen wurden gleichzeitig durch neue Institutionen beantwortet, welche umgekehrt Werte wie Verbindlichkeit, Identitätsbildung und
Orientierungskraft in den Mittelpunkt stellten. Die Ausweitungen und Entgrenzungen des Speicher-Gedächtnisses und die Verengungen des Funktionsgedächtnisses
sind dialektisch aufeinander bezogen.“ (Assmann 2001: 4)

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Horst Köhler stimmt in diese Rede ebenfalls 2005 ein:
„Wir sollten vielmehr diesen Begriff der Kulturnation neu prüfen. Wir sollten uns überlegen, wie wir ihn neu
produktiv erschließen können. Ich glaube, er taugt noch etwas. Er kann uns einerseits an ein sehr kostbares Erbe
erinnern. Vor allem aber kann er uns zu eigener Kreativität herausfordern. Vielleicht kann er uns auch aus einer
selbstvergessenen Verschlafenheit aufwecken und uns eine Aufgabe vor Augen führen, der wir alle uns zu stellen
haben.“ (Köhler 2005:3)
2005 zum Schillermatinee, dem dieses Zitat entstammt, steht Schiller Pate für den positiven
Dichter und Denker Mythos, zum einen in seinen pädagogischen Schriften und zum anderen für
seinen Kosmopolitismus. Köhler fordert auf, die Klassiker zu lesen. „Das (re-) konstruierte Erbe soll
erzieherisch qua Bildung in ureigenen Besitz der Gegenwart verwandelt werden.“ (Gretz 2007: 19)
Nach dem der kulturelle Hoheitsanspruch (für das kulturelle Erbe Verantwortung zu tragen)
beider deutscher Staaten sinnbildlich über Weimar ausgetragen wurde, wurde der klassische
Kanon nach der Wiedervereinigung als deutsche Gemeinsamkeit umgenutzt. (Weigel 2008)

So ruft Köhler anlässlich des Festaktes zur Wiedereröffnung der Herzogin Anna Amalia
Bibliothek am 24. Oktober 2007 in Weimar einen „Freudentag für die Kulturnation Deutschland“
(Köhler 2007: 2) aus, weil sich dort in Weimar die „geistige Heimat“ und das „kulturelle Herz
Deutschlands“ (Köhler 2007: 4) befänden. Nach der These von Sigrid Weigel wird die
Kulturnation, die sich über das kulturelle Erbe identifiziert, beworben20 auch in Hinblick auf die
Europäische Union, deren Identität nur schwer kulturell zu untermauern ist, weil „Ökonomie und
Kultur im System EU“ (Weigel 2008) als Wirtschaftsgemeinschaft angedacht, auseinandertreten.
Der Kultur wird nun mit der europäischen Verfassungskrise, ein höherer Stellenwert zugerechnet
und mit der „Metaphorik vom kulturellen Herzen und der geistigen Heimat ein Zeichen [gesetzt] für den
Versuch, eine Art gefühlter Nation zu befördern. […] Diese metaphorische Erwärmung wird offensichtlich auch
gegen den Eindruck eines erkalteten Herzens aufgeboten, an dem der Verfassungs- und Versicherungsstaat
erkrankt scheint.“ (Weigel 2008: 2) Unter Anrufung des kulturellen Erbes, so Weigel, offenbart sich
der „Traum eines an-ökonomischen, moralisch unanfechtbaren, geistigen Reichtums“ (ebd.), sozusagen als
moralisches Gewissen gegen die Ökonomisierung.

Horst Köhler fährt fort, Kultur zu definieren:


H.K.: Kultur stärkt das Schöpferische in unserem Leben, die Fantasie, das Schöne, die überraschenden Ideen. In ihr sind Kreativität und
Energie lebendig. Sie weckt Möglichkeitssinn und führt uns vor Augen, wie unterschiedlich und eigensinnig die Menschen doch gottlob

20 „Im Programm ‚Kulturnation‘ soll nun das kulturelle Erbe eine emotionale Bindung an die Nation garantieren, ohne doch Xenophobie zu schüren.“ (Weigel 2008)

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sind und dass sie sich immer wieder Neues einfallen lassen. Da kann der Einzelne Ausdrucksmöglichkeiten für sich selbst finden, in
Bildern, Worten, Musik; da können neue Sichtweisen auf die Welt ausprobiert und zur Diskussion gestellt werden, ob im Theater oder
im Film oder im Roman; da können Freude und Leid, Kummer und Glück, Konflikte und Versöhnung zum Gedicht, zum Stück, zum
Bild, zum Lied werden. Wer solche Angebote einer Kultur nicht – und zwar möglichst von Kindesbeinen an – kennen lernt, dem fällt es
viel schwerer, seine Gedanken und Gefühle auszudrücken, seinen eigenen Stil zu entwickeln; der wird sich viel eher allein und ohne
Freunde finden und im schlimmsten Fall viel weniger in der Lage dazu sein, anderen Menschen und Kulturen mit Respekt zu begegnen.

Der Kulturbegriff in seinem Wesen kann nicht eindeutig bestimmt werden, jedoch weist er
historisch abgeleitet nach Klaus P. Hansen21 vier Grundbedeutungen auf:
In der ersten Bedeutung betrifft Kultur vor allem die hergestellen Gegenstände der Kultur – er ist
also an die Kreativität gekoppelt und lagert Institutionen, in den kulturelles Schaffen ermöglicht
wird, an. Der Kulturbegriff nimmt einen beschreibenden Charakter an.
In der zweiten Bedeutung hat Kultur normativen Charakter: Kultur wird als Lebensart betrachtet.
In ihrem habituellen Wesen schwingt sogleich eine Höherwertung von Kultur gegenüber Natur,
von der sie sich absetzt, mit. Dort ordnet sich die deutsche Präferenz des Kulturbegriffs
gegenüber dem Zivilisationsbegriff ein. Der dritte Kulturbegriff ist weiter gefasst und enthält die
lebensbestimmenden Praktiken von Gemeinschaften, sozusagen die Gesamtheit von Sitte und
Brauchtum. Gegenüber den ersten beiden Grundbedeutungen, ist er neutral-integrativ. Die vierte
Bedeutung leitet sich aus der Quelle des Wortes Kultur ab: die lateinischen Worte colo und cultus
bedeuten pflegen und erbauen im agrarischen Sinne und zugleich anbeten, als einer spezifisch
menschlichen Tätigkeit. Viertens und ältestens bedeutet Kultur also die Erzeugnisse pflegerischer
Tätigkeit. Diese Grundbedeutung ist nicht-metaphorisch. (Hansen 2003: 14; Gürses 2003: 31)
Auch Hubertus Busche22 bietet ein hinreichend orientierendes Konzept eines historisch
abgeleiteten Kulturbegriffes:
Erstens: Kultur, die man betreibt – wobei sich ein Prozess der Verinnerlichung abgezeichnet hat,
der letztlich auf die Kultivierung des Geistes abzielt.
Zweitens: Kultur, die man hat, als Ergebnis eines kulturellen Prozesses der Vervollkommnung.
Drittens: Kultur, in der man lebt als Traditionszusammenhang von Normen, Institutionen,
Werten und Bräuchen
Viertens: Kultur, die man schafft und als Besitz ehrt.
Kultur im weiteren Sinne zielt also auf Naturbeherrschung und geregeltes Zusammenleben.
Inwieweit die Kultivierung des Natürlichen einer Bekämpfung der Unkultur Vorschub leistet, sei
dahingestellt, liefert aber den ideologischen Überbau für die Wertschätzung des Kulturellen.

21 Hansen, Klaus P. (2003): Kultur und Kulturwissenschaft, 3. Auflage, Tübingen


22 Busche, Hubertus (2000): Was ist Kultur?, in: Dialektik. Zeitschrift für Kulturphilosophie, Heft 1/ 2000, S. 69 - 90

Yvonne Chaddé Modul 3/2 März 2009 19


In der Kulturpolitik hat sich außerdem die Verwendung des UNESCO-Kulturbegriffs von 1982
durchgesetzt, wie er im Schlussbericht der Enquete Kommission Kultur in Deutschland
angeführt wird: „Danach umfasst Kultur einerseits die eine Gesellschaft charakterisierenden Besonderheiten und
spricht andererseits die Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen Individuums an. Kultur hat sowohl eine
gesellschaftliche als auch eine individuelle Komponente.“ (Deutscher Bundestag 2007: 52)
Hier wird schon deutlich, dass der Kulturbegriff sich kontextabhängig verhält und sich durch
Kombination mit anderen Begriffen wie Nation, Gesellschaft oder Bildung eine spezielle
Färbung aneignet, die ihn für gewisse Interessen instrumentalisierbar macht. (… vergleiche die
Kulturalismus-Diskurse als versteckte nationalistische Argumentationsmuster)
Georg Seeßlen hat dieses Phänomen der ideologischen Verbratung von mehrdeutigen,
prozessunterworfenen Begriffen, die jedoch Auswirkungen auf echte Menschen haben können,
folgendermaßen formuliert:
„So ergeben die ineinanderfließenden, miteinander korrespondierenden und einander kombinierenden Begriffe
Volk, Nation, Staat eine Transformationskette: Wirkliche Menschen werden Manövriermasse, und umgekehrt
kann jede miß- und verbrauchte Manövriermasse wieder im Volk konkretisiert und alleingelassen werden.“
(Seeßlen 1993: 138)

Horst Köhler schöpft in seinem zu vermittelnden Kulturverständnis aus allen vier


Grundbedeutungen und kombiniert sie miteinander. Kultur kann produziert werden, Kultur kann
man haben, kulturell kann man sein. Normativ gefasst, bedeutet es erst einmal etwas Positives
(Seubold 2003: 10). Aktive und passive Elemente beeinflussen sich wechselwirkend, dass heißt
ein subjektives kulturelles Bewusstsein des Einzelnen mündet in objektivierte Kultur und
bestimmt wieder das kulturelle Bewusstsein.
Die klassischen Sparten der Hochkultur werden genannt, wie sie sich in Erzeugnissen ergießen:
Theater, Film, Roman, Gedicht, Stück, Bild, Lied. In der Perspektive der kulturellen Produkte
und der kulturellen Angebote, spricht hier Köhler als der Wirtschaftswissenschaftler, der er ist
und erkennt auch richtig den Warencharakter von Kultur. Er reagiert damit auf die weit
verbreitete konsumorientierte Haltung: Der gemeine Deutsche verlange laut einer Umfrage der
Tageszeitung DIE WELT von 2005 hauptsächlich Erlebnis, Unterhaltung und Action den
Kulturangeboten ab und versteht unter Kultur erstens musikalische Darbietungen, Film und
Theater (41%) und erst später (13%) den wohltuenden Einfluss der Kultur auf Charakter und
Bildung.23

23 in: Hermann Glaser: „Bürgerrecht Kultur“ – eine geistesgeschichtliche Vignette, in: Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hrsg.): Jahrbuch
für Kulturpolitik, Bonn 2006: 127 - 134

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Wichtig scheint Köhler die gesellschaftlich relevante Funktion der Kultur, Triebe zu sublimieren
und Affekte in Kultur zu kanalisieren. Kultur scheint eine Aufgabe zu erfüllen, Emotionen zum
Ausdruck zu verhelfen. Dem affirmativen Charakter der Kultur wird da ein Schnippchen
geschlagen, wo die Kultur soziale Unterschiede und Ungerechtigkeiten nicht ausblendet, sondern
zu vermitteln wüsste. Der kulturpädagogische Ansatz schließt die Hochkultur der
gesellschaftlichen Wirklichkeit an.

Neue Schlagwörter, die mehr an den Segen der Kreativwirtschaft erinnern, als an einen
konservativen Kulturbegriff, wie ihn zum Beispiel die CDU favorisiert24, fallen: Kreativität,
Innovation, Diversität. Tugenden, die die gesellschaftliche Modernisierung begleitend
unterstützen und fördern.

H.K.: Kulturlosigkeit öffnet die Tür zur Barbarei. Aber, und das wissen gerade wir Deutschen, Kultur zu haben ist allein noch kein
Schutzschild gegen Verblendung. Wir haben zu zweifeln gelernt, und das sehe ich als eine Stärke – vorausgesetzt, wir nehmen diesen
Zweifel als Ansporn. Kultur haben bedeutet: Unterschiede erkennen und gelten lassen. Wer sich auf seine Kultur besinnt, findet sich
gebunden in das, was vor ihm da war, und in das, was um ihn herum ist, und er räumt jedem anderen Menschen auf der Welt dasselbe
Recht auf Halt in der eigenen Kultur ein: Kultur gibt innere Sicherheit und befreit dadurch auch dazu, andere auf ihre Weise leben zu
lassen, macht tolerant und frei.

Der Kulturbegriff gewinnt mit der Abgrenzung von anderen Begriffen an Schärfe und man mag
leicht in die Tradition von Gegensatzdenken verfallen. Horst Köhler löst das dialektische
Problem der Kultur, sich als Gegenteil von Barbarei zu begreifen, diese aber erstens nicht
verhindern zu können und zweitens zu erzeugen, geschickt (Seubold 2003: 12). In dieser „Krise der
Kultur“, die sich angesichts der Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts offenbart, fällt Kultur in der
Hinterfragung ihrer Grundlagen und ihres Selbstverständnisses eine kritische Rolle zu
(Konersmann 2003: 67). Die Krise der Kultur zeitigt die philosophische Reaktion auf den
hegemonialen Anspruch einer eurozentristischen Kulturauffassung mit ihrem segensreichen
Fortschrittsglauben der Aufklärung und einer totalen Berechenbarkeit der Welt (so Adorno und
Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung 2001). Die restlose Aufgeklärtheit der Welt, die sich
in der Hybris, alle Erscheinungen systematisieren zu können, mitteilt, öffnet der Barbarei ebenso
die Tür, wie etwas was Horst Köhler Kulturlosigkeit nennt, ich aber mit Sittenlosigkeit
umschreiben möchte. Da der Wandel der Verhältnisse nicht nur Sinn sondern auch pragmatische
Konsequenzen einfordert, obwohl in Zeiten der Unsicherheit die Rufe nach einem stabilen
sittlichen Korsett erschallen, fällt Horst Köhler die Verantwortung zu, diesen Wandel zu

24 Vergleiche Kulturpolitik der CDU, in: Politik und Gesellschaft, Nr. 06/07, November - Dezember 2007: 1-9

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thematisieren und selbst denen, die ihre eigene Lebensform nicht als Teil einer hochpluralisierten
Gesellschaft, sondern als unerschütterlichen Kern jeder Ordnung empfinden, mitzuteilen.
Der Verlust der sozialen Identität als Preis für den erlangten Fortschritt in der Modernisierung
mag die Alltagsbarbarei mancher bedingen. Ersatzweise muss Kultur für einen Verfall der Sitten
geradestehen. (Seeßlen 1993: 7) Kultur soll dabei magisches Mittel sein, in der Bewegung Ruhe
auszustrahlen und dadurch jene Bewegung zu leiten. Die Dialektik von Halt und Freiheit
synthetisiert sich nach Köhler im Begriff der inneren Sicherheit (einem Begriff der mich
erstaunlicherweise an die mediale Rezeption des ‚linken Terrorismus’ durch die RAF in der
Bundesrepublik erinnert – der als barbarischer Angriff auf die kulturelle Ordnung stilisiert wurde
- und allgemein als politischer Begriff auf Bedrohungsszenarien von innen verweisen).
Die geschichtliche Einordnung des Einzelnen via Kultur ermögliche erst Freiheit, wobei Bildung
und Arbeit die Grundlage der eigenen Verortung bilden. Polemisch, aber politisch korrekt, wird
das „Unrechtsregime“ der DDR auch mit unfrei assoziiert.

H.K.: Wir spüren, dass unsere Kultur zu dem gehört, was uns alle in Deutschland gemeinsam bestimmt. Wir spüren das noch einmal
neu, seit unser Land wieder vereinigt ist: Wir sind seither wieder erlebbar die eine Kulturnation, die als ganze unser Leben inspiriert.
Dazu gehören die Dresdner Frauenkirche und der Kölner Dom, das Gewandhausorchester in Leipzig und die Berliner Philharmoniker,
das Bauhaus in Dessau und die Ulmer Hochschule für Gestaltung. Goethe gehört nach Frankfurt und nach Weimar, Schiller nach
Marbach und nach Jena, und wenn wir an Martin Luther denken, der unsere gemeinsame deutsche Sprache wie kein anderer geformt und
gestaltet hat, dann gehören zur Erinnerung an ihn Wittenberg und Worms. Übrigens gab es auch in den Jahren der Teilung Projekte, die
das kulturelle Erbe der Nation bewahren halfen und in Ost und West gemeinsam weiterbetrieben wurden – auch wenn davon nicht viele
wussten: Da ist die Deutsche Akadamie der Naturforscher Leopoldina zu Halle an der Saale, eine jahrhundertealte Vereinigung von
Gelehrten aus Ost- und Westdeutschland und aus aller Welt, die jüngst zu unserer Nationalen Akademie der Wissenschaften erhoben
wurde. Da ist die Neue Bach-Ausgabe, die im letzten Jahr vollendet wurde, und da ist die Arbeit an der Schiller-National-Ausgabe, die
im kommenden Jahr vollendet sein wird.

Kultur ist etwas, was der Gemeinschaft Erfahrung ermöglicht – in ihrer Trennung und stärker in
ihrer Vergemeinschaftung. Die kulturelle Gemeinschaft - „wir“ – spürt, das heißt erlebt sinnlich
ihre kulturelle Determination. Via Inspiration, also geistiger und sinnlicher Anregung, durch die
Kulturnation können wir selbst uns als Kulturnation erleben. Diese Metapher ist, obwohl als
kulturnationaler Körper konzipiert, höchst abstrakt, weshalb zu ihrer Verbildlichung und
sozusagen sinnlicher Erlebbarkeit kulturelle Phänomene nationaler Bedeutsamkeit herangezogen
werden. Der Einheitsfeier geschuldet sind die zu nationalen Symbolen aufgestiegenen kulturellen
Güter, die längst dem Kanon des kulturellen Erbes zugeordnet sind, in Teilen beider deutscher
Staaten zu finden, beziehungsweise erinnern sie an die Zeit vor der Teilung Deutschlands, ohne
auch nur einmal Auschwitz zu erwähnen. Deutsche Helden Schiller, Goethe, Luther, Bach als
Grenzen überwindende universale Denker; Stätten der Religion, der Musik und Wissenschaft und

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dort angesiedelte Projekte sollen genug Erfahrungspotential bilden. Als Vereinigungssymbole
wollen sie den alten Kulturwettkampf zwischen Ost und West überwinden.

H.K.: Das SED-Regime hatte Stasi-Leute, die nannten sich allen Ernstes „Abwehroffiziere Kunst und Kultur“. Aber als die DDR
1976 ihr offiziöses "Deutsches Lesebuch" veröffentlichte, da stand darin als erster Text Luthers Choralgedicht nach dem 46. Psalm:
"Ein feste Burg ist unser Gott." Selbst die DDR musste zugeben: Zur Kulturnation Deutschland gehört ihre christliche Prägung. Heute
braucht es keine Verrenkungen mehr, um deutsches Kulturgut zu bewahren und zu pflegen. Und ungezählte Menschen tun das mit
Freude, begeistert und kreativ – in Schülerbands, in Literaturkursen, in Theatergruppen, in Orchestern, in Chören, in der Organisation
von Orts- und Stadtteilfesten oder in der Gestaltung von tausenden von Web-Seiten im Internet.
Die Kulturnation lebt von dieser Kreativität, vom kulturellen Erbe, sie lebt von der Hochkultur. Sie lebt aber nicht minder von der
Alltagskultur. Die Kulturnation lebt vom Selbstverständlichen und Alltäglichen, das aber auch selbstverständlich und alltäglich bleiben
sollte. Sie lebt vom respektvollen Umgang miteinander, von der Freundschaft zwischen Jung und Alt, von Höflichkeit und Achtung vor
dem anderen, von der Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensweisen, von Respekt vor öffentlichem Eigentum und ganz allgemein von
Achtsamkeit und Anstand. Ich glaube, an der Stelle müssen wir aufpassen: Da ist schon einiges eingerissen, an das wir uns besser nicht
gewöhnen.

Hier werden noch mal die entscheidenden Zutaten, der Kulturnation Leben einzuhauchen,
genannt: Geschichte – christliche Identität, Kulturgüter – objektivierte Kultur, die sich durch
gemeinschaftliches und individuelles Pflegen und Bewahren erhalten, kulturelle,
zivilgesellschaftliche Institutionen, die diese (kreative) Kulturpflege ermöglichen.
Schöpfungskraft, Erbe, Hochkultur, am Rande erwähnte Alltagskultur, sowie Sittlichkeit als
Bollwerke gegen die Unkultur – glänzende, soziale Widersprüchlichkeiten und Ungerechtigkeiten
glättende Lasur. „(…) ein Wunsch nach »Gerechtigkeit«, nach innerem Frieden und sozialer Harmonie steckt
ja in aller Lust an »Nationalbewußtsein« wie an »Volk«“ (Seeßlen 1993: 6)

H.K.: Es ist das entschiedene Interesse, die Kreativität und das Engagement er Bürger, was die Kulturnation ausmacht. Es geht darum,
Raum und Unterstützung dafür zu schaffen. Ich finde, der Schlussbericht er Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in
Deutschland“ ist eine Fundgrube praktischer Vorschläge dafür. So genau ist die kulturelle Landschaft Deutschlands noch nie vermessen
worden. Den Abgeordneten und allen beteiligten Experten sage ich dafür heute meinen herzlichen Dank.

Im Zwischenbericht der vom Deutschen Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission zum


Thema Kultur als Staatsziel, wird Deutschland in der Präambel als Kulturnation definiert:
„Die Bundesrepublik Deutschland versteht sich als Kulturnation und Kulturstaat.“ (Deutscher Bundestag
2007: 43) Ferner fällt der Begriff in Bezug auf die Rolle der Kirchen in der Außenwirkung der
Kulturnation25, die Außenpolitik generell betreffend, in der Indizierung kultureller

25 „Mit den sehr vielfältig organisierten und verantworteten internationalen kulturellen Aktivitäten liefern die Kirchen wertvolle Beiträge für die Außendarstellung der
Kulturnation Deutschland, die auch staatlicherseits Anerkennung verdienen.“ (Deutscher Bundestag 2007: 148)

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Leuchtturmprojekte mit internationaler Wirkung26, die Vertreibung27 sowie das kulturelle Erbe
thematisierend28.

H.K.: Unsere Nation steht vor großen Aufgaben. Es geht um Arbeit, die wir schaffen müssen; um Bildung, die allen gerechte Chancen
gibt; um Integration, die uns zusammenhält: Stadt und Land, Ost und West, Alt und Jung, Arm und Reich, einheimisch und mit
Wurzeln von weit her.

Hier verschiebt sich die Rede, die bisher deutlich eine Volksgemeinschaft als Kulturgemeinschaft
unter Anrufung der Ahnen als „eine Reihe grüßender Denkmäler“ (Gretz 2007: 116) konstituierte,
um sich diese kulturellen Tugenden ins Gewissen zu rufen, auf die Nation, um mit ihnen sinnvoll
zu handeln. Wurde die Identität erst über das Erreichte, dann über das Wesen, das sich in
bestimmten Aktivitäten ausdrückt, definiert, so wird jetzt der Zeitstrahl in die Zukunft
fortgesetzt. Strategisch geht es hier um das Moment der Steuerung. Die Kulturnation wird
angerufen, weil sie Aufgaben erfüllen soll. Kraft ihres integrativen Potentials, soll sie die
Menschen durch Arbeit als sinn- und ordnungsgebendes Moment, Bildung als „spezifische Form des
nationalen Gedächtnisses im Kontext gesellschaftlicher Modernisierung“ (Gretz nach Assmann 2007: 136)
und innere Integration dichotomer Verhältnisse zusammenhalten.
Nun offenbart sich der problematische Charakter des Kulturbegriffs (siehe dazu Gürses 2003),
der in seiner politischen Verwendung eines ein- und ausgrenzenden Mechanismus nur bestimmte
Funktionen zulässt. Seit es dem Kulturbegriff an Abgrenzungsmöglichkeiten fehlt, spaltet er sich
in sich selbst: „Kultur ist gleichsam sichtbar und unsichtbar, sie ist das Erklärte und die Erklärungsinstanz,
Frage und Antwort zugleich. Sie wird als eine Größe ins Spiel gebracht, die von ihrem unsichtbaren Olymp aus
Handlungen, Sprache, Denken und sogar menschliche Körper durchdringt und determiniert.“ (Gürses 2003:
26). Der Kulturbegriff kann daher leicht Eigenschaften annehmen, die ihn in seinem
konstruktivistischen Wesen zweckdienlich werden lassen: Mit Possessivpronomen ausgestattet,
teilt sich Kultur in eigene und fremde und legt sich in seiner Differenzierung auf eine bestimmte
Identität fest. Sein spaltendes Potential leistet Klassifikationen und deren Bewertung Vorschub.
Innere Gegensatzpaare ersetzen die wirkliche begriffliche Abgrenzung. So tut es nicht Wunder,
dass Köhler das Land in Gegensätzen misst.

H.K.: Vor diesen Aufgaben braucht uns nicht bange zu sein. Unser Land hat ja selbst in der jüngsten Geschichte weit größere
Herausforderungen gemeistert – nach 1945, nach 1989.

26 „Ziel eines solchen Verzeichnisses ist ein verbesserter koordinierter internationaler Auftritt der Bundesrepublik Deutschland als Kulturnation.“ (ebd.: 202)
27 „Es gehört zum Selbstverständnis Deutschlands als Kulturnation, das kulturelle Erbe der früheren deutschen Siedlungsgebiete ebenso wie das Gedenken an Flucht
und Vertreibung zu bewahren.“ (ebd.: 209)
28 „Die neuen Länder haben eine alte und vielfältige Kulturlandschaft in das vereinigte Deutschland eingebracht. In den Jahren der Teilung waren Kunst und Kultur –
trotz unterschiedlicher gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – für die Menschen in Ost und West eine wichtige Brücke und verbindendes Element einer
fortbestehenden deutschen Kulturnation.“ (ebd.: 200)

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Die Rede mündet nun in Selbstbeschreibung und Selbstlob mit dem Aufruf einer Traditionslinie,
die sich als positiv wahrgenommenes Krisenmanagement gibt.
Es gilt, die Massen zu mobilisieren:

H.K.: Außerdem: Wir haben ja noch nicht einmal alle Kräfte erschlossen, die uns bei den neuen Aufgaben helfen werden. Dabei denke
ich zum Beispiel an die Vitalität und Erfahrung der Älteren unter uns, die sowohl im Arbeitsleben als auch im bürgerschaftlichen
Engagement eine viel größere Rolle spielen können und spielen sollten. Und ich denke an die Frauen in Deutschland, deren
Gleichberechtigung in Familie, Beruf und Karriere noch längst nicht völlig verwirklicht ist. Übrigens: Die Gleichberechtigung von Frau
und Mann ist eines der attraktivsten Angebote, das unsere Kultur begabten und fleißigen Menschen aus anderen Kulturkreisen überhaupt
machen kann.

Unter den Kategorien „Außerdem“ und „Übrigens“, falls noch wenige Übriggebliebene zu
überzeugen seien, werden nun die Randgruppenpotentiale „Ältere“ und „Frauen“ erschlossen.
Als Preis der gesellschaftlichen Integration wartet die Ausbeutung schlummernder Ressourcen.
Die gesellschaftliche Teilhabe gleicht einem Tauschhandel. Als Zivilisationsleitung der westlichen
Welt wird die Rolle der modernen fast gleichberechtigten Frau Menschen aus anderen Kulturkreisen
unter der Bedingung angeboten, dass die vermeintlich deutsche Tugend Fleiß gepaart mit
Begabung als willentliche Grundlage eingebracht wird. Es fragt sich, ob hiermit die Begabung
zum westlichen Lebensstil oder jene für die erfolgreiche Teilnahme am Arbeitskreis Kulturnation
gemeint ist?

H.K.: Und es gibt noch eine wichtige Quelle für Orientierung und Kraft, die wir noch nicht recht erschlossen haben: Das ist die
Überzeugung, als Nation mehr zu sein als eine Wohngemeinschaft und ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, die Überzeugung, als
Nation und als Staat eine Aufgabe zu haben, die über das Hier und Jetzt hinausweist, die groß ist und anstrengend, aber gut und
erreichbar und gerade für uns gemacht. Stellen wir uns deshalb ruhig die Frage: Was ist eigentlich gut daran, deutsch zu sein? Ich finde,
es ist vor allem, dass wir gelernt haben aus der Geschichte, und wir lernen weiter. Lernfähigkeit ist Teil unserer Kultur, unseres
Charakters, geworden.

Hier verwirklicht sich Sigrid Weigels Vermutung, die Nation, sobald sie sich auf den Staat und
seine verwaltende Tätigkeit beschränke, bereite Unbehagen. Köhler arbeitet an der
Mythenbildung der deutschen Nation, indem er sie auf eine Aufgabe vorbereitet, die über die
eigenen territorialen Grenzen und über das Jetzt hinausweist. Die deutsche Kulturnation hat
Kraft ihrer Geschichte und Prägung die kulturelle Mission zu leisten, Europa in die Moderne zu
führen. Hier wird die Geschichte des deutschen Sonderbewusstseins kontinuierlich
fortgeschrieben: Die Katastrophe des Nationalsozialismus (1945) und die Überwindung der
deutschen Teilung (1989) werden nun als pädagogische Erfahrung konzipiert.

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Diese Lernfähigkeit hat sich in den Volkscharakter integriert, soweit sie nicht schon vorhanden
war.
Bevor Köhler nun in die nationalistische Kerbe schlägt, nimmt er den Bedrohungsszenarien, die
der Motor jeder nationalistischer Bewegung darstellen, den Boden. Für die Kulturnation in ihrem
adelnden Kulturgebaren gibt es keinen Grund zur aggressiven Abgrenzung: die Offenheit und
Marktfähigkeit Deutschlands wird angepriesen.

H.K.: Wir sind auf rücksichtsvolle Weise neugierig, wenn wir uns ernsthaft in der Welt umschauen; wer draußen etwas anders macht als
wir, der weckt unser Interesse, nicht unsere Ablehnung. Wir arbeiten gern daran, hinter der Unterschiedlichkeit der Nationen das
gemeinsame Anliegen zu entdecken und uns dafür einzusetzen, dass alle etwas davon haben. Dabei gibt uns das Wissen um unsere
Leistungsfähigkeit Gelassenheit, und wir bleiben bescheiden. Das ewige Schwanken zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt
kann ein Ende haben. Wir können einfach lebenstüchtig sein und mit Vernunft und Augenmass daran arbeiten, unser Land zu
verbessern, anderen zu helfen und die Welt heiler zu machen. Unser Volk ist frei und politisch geeint. Wir leben in sicheren Grenzen,
umgeben von Freunden und Partnern. Wir genießen so großen Wohlstand wie wenige, und wir halten die Demokratie und das Recht
hoch.

Hier wird Deutschland zum Unternehmen und Nation zur Ware (vergleiche Seeßlen 1993: 5).
Der Unternehmergeist des Kapitalismus, wo der Eigennutz dem Allgemeinwohl dienlich ist,
überträgt sich auf die Nation lieber im Sinne eines positiven Fortschrittsglaubens, der sich schon
in der Beschreibung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands („aufwärts“, „messbar positive
Entwicklung“) anbot, als durch die trockene Vorsicht eines Versicherungsvereins. Das Bild des
lebendigen, beherzten aber vernünftigen Unternehmens mit dem unerschütterlichen Glauben die
Welt zu verbessern, ist bald schon antiquiert und scheint wie die Parodie einer eurozentrischen
Kulturwallfahrt. Vielleicht liegt es aber auch am prophetischen Auftreten Köhlers, dass diese
Kulturmission als Heilsversprechen via Wirtschaft seltsam anmutet. Deutschland lebt, ohne die
Welt in Lager teilen zu wollen, in Wohlstand nicht nur aufgrund seiner Leistungsfähigkeit,
Gelassenheit, seines Augenmaßes und seiner Vernunft, sondern auch, weil es in einer
geopolitisch, wirtschaftlich und geschichtlich sicheren Position ist.

H.K.: Wir finden zu uns selbst.


Freuen wir uns darüber, feiern wir es!
‚Wo wir uns finden’ …

H.K.: Wir haben keinen Grund, uns größer zu machen als wir sind. Aber auch nicht kleiner. Deshalb bin ich dafür, dass wir auch
unserer Führungsverantwortung in Europa nicht ausweichen. Unsere europäischen Partner erwarten das auch gar nicht.
Diese Führungsverantwortung verlangt von uns, dass wir sagen, was wir in der Europäischen Union als deutsche Nation selber wollen;
dass wir unser eigenes Haus in Ordnung halten und dass wir gleichzeitig jederzeit zum fairen Interessenausgleich mit unseren Partnern

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bereit sind. Trauen wir uns und Europa etwas zu. Die Welt braucht das europäische Modell gerade in diesen Zeiten des globalen
Umbruchs.

Das europäische Modell ist ein friedenssicherndes Projekt gegen nationalstaatliche Willkür mit
einem historisch gewachsenen Wertekanon (Rüsen 2007).
In diesem Absatz aber vermischt sich die strukturelle mit der kulturellen Ebene.
Die Diskrepanz, dass die Europäische Union eine politische Wirklichkeit ist, in der natürlich auch
policy und politics Aspekte miteinander um Aufmerksamkeit ringen29, bedeutet, dass eine
politische Führungsverantwortung sich aus der Geschichte der Europäischen Union, nicht aus
der Kulturnation ableitet. Es ist ein rhetorischer Trick, diese Führungsverantwortung als so
unwiderrufliche, quasi vom Schicksal gestellte, Aufgabe auszulegen, dass eine abgelehnte
charismatische Führerschaft mit Vergeltung gestraft würde, wie es das Gesetz des Mythos
vorsieht (Adorno, Horkheimer 2001). Kultur spielt im europäischen Einigungsprozess allerdings
die Rolle, jenen strukturell und institutionell durchzuführen, sozusagen als sinngebendes
Moment.
So beansprucht eine kulturelle europäische Identität mehr, als Kreativität, Hoch- und
Alltagskultur im kulturnationalen Sinne Köhlers gewährleisten:
„ (…) der auf die Polis gerichtete Gemeinsinn, der Logozentrismus der Philosophie, römische Rechtsvorstellungen
und stoischer Humanismus, durch das Christentum gesteigerte Individualität, wissenschaftliche Rationalität mit
allgemeinen Wahrheitsansprüchen, wissenschaftlich fundierte Technologie, ästhetisch verstandene und erfahrene
Kunst, hermeneutische Fähigkeit des Fremdverstehens, Rechts- und Sozialstaatlichkeit, demokratische
Organisation politischer Herrschaft, universell geltende Menschen- und Bürgerrechte.“ (Rüsen 2007: 36)
Nach Rüsen kann aber das europäische Modell nur zur vollen Entfaltung kommen, wenn das
dialektische Verhältnis von Kultur und Barbarei darin integriert wird, „indem wir uns bewusst beider
Seiten unserer Geschichte, der zivilisatorischen Erfolgsgeschichte und der desaströsen Geschichte des
Destruktionspotentials unserer Kultur vergewissern (...)“ (ebd.: 37)
Und ferner: „Wir sollten nicht in den alten ethnozentrischen Fehler verfallen und uns allein diese Errungenschaft
selbstkritischer Ambivalenz zubilligen, aber wir sollten ein neues historisches, historisch begründetes
Selbstbewusstsein in unserem Verständnis europäischer Identität genau daran festmachen, dass wir nicht mehr
einseitig unsere Errungenschaften beschwören, sondern sie in ihrer inneren Widersprüchlichkeit deutlich machen
und an uns selbst wahrnehmen.“ (ebd.: 38)

29 Problembewusstsein und Problemlösung kennzeichnen die policy-Perspektive, die Politics-Perskektive betrachtet die Funktionsweise von Politik als
Machtgewinnung innerhalb der relevanten Prozessbedingungen des politischen Feldes. Siehe dazu: Tils, Ralf (2005): Politische Strategieanalyse. Konzeptionelle
Grundlagen und Anwendung in der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. 1. Aufl. Wiesbaden

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H.K.: Aus freiem Willen füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen, nicht als Last, sondern als Erfüllung: Auf diese
Haltung stoße ich immer wieder in unserem Land. Ein Beispiel möchte ich Ihnen noch erzählen, ein Beispiel aus Westdeutschland. Es
geht um Kinder und um Zukunftsmusik: Vor kurzem half ich in Gelsenkirchen bei einer Aktion, die heißt: „Jedem Kind ein
Instrument.“ Wenn alles klappt, dann sollen alle Grundschüler im Ruhrgebiet in den kommenden Jahren die Chance erhalten, ein
Musikinstrument zu erlernen. Das ist eine der schönsten Ideen für Essen und Ruhr als Kulturhauptstadt Europas 2010. Zum neuen
Schuljahr bekamen 46 Kinder der Don Bosco- und der Martin Luther-Grundschule ein Instrument überreicht, für das sie
nichts bezahlen müssen. Mehr als die Hälfte der Kinder kamen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte. Aber die Freude und der
Lerneifer, die waren bei allen gleich.

Der Wert der kulturellen Bildung wird noch einmal als Synopsis aus Kreativität und kulturellem
Erbe an einem Beispiel manifestiert. Der verantwortungsvolle Staat schenkt mittels eines
kulturpolitischen Leuchtturmprojektes eine Bildungsmöglichkeit, um die kulturelle Tradition der
Hausmusik - aus einer bürgerlichen Bildungsidee geboren – nun demokratisch und egalitär
fortzusetzen. Hier ist das lernbereite Kind, egal mit welchem kulturellen Habitus ausgestattet, die
Hoffnung der Kulturnation.

H.K.: Wir alle wissen es: Die nächste Generation unseres Landes wird noch viel stärker von Menschen geprägt sein, deren Wurzeln fern
von Deutschland liegen. Ich sehe eine große, aber eben auch eine schöne Aufgabe darin, sie für unsere Kulturnation zu gewinnen. Das
wird diese Kulturnation verändern, weil noch mehr Traditionen, Herkünfte, Glaubensgewissheiten, Talente und Familiengeschichten in
ihr aufgehen. Unsere Liebe zur Freiheit und das Bekenntnis zur Selbstverantwortung, das Streben nach Glück und die Achtung der
Würde und der Rechte eines jeden Menschen bleiben dabei unveräußerlich. Auf die Kraft dieser Werte können wir vertrauen.
Die Menschen in Deutschland zeigen mit gemeinsamem Engagement dass sie unsere Kulturnation lebendig halten und liebenswert.
Kümmern wir uns alle um unsere Heimat.
Gott segne unser deutsches Vaterland.

Soziologisch betrachtet sind die Formen der Gesellschaft nicht naturgegeben, sondern Resultate
von Verhandlungen. Vertragliche Bindungen kommen, so Emile Durkheim, nicht aus Gründen
des Utilitarismus (Nutzenfaktor) zustande, sondern weil der Vertrag sozial reglementiert ist.
Nichtkontraktuelle Grundlagen des Vertrages sind die konsensuellen Kernpunkte des
gesellschaftlichen Zusammenlebens. Horst Köhler umrahmt diese Kerne als kulturgeschichtliche
Ergebnisse europäischer Identität, wie sie Rüsen aufgezählt hat: Freiheit und Selbstverantwortung
des Individuums (obwohl das Paradigma der Selbstverantwortung diskursiv besetzt ist),
das Streben nach Glück (das zwar in der amerikanischen Verfassung als ‚pursuit of happiness’
staatstragend ist, nach Freud aber die menschliche Gattung bestimmt) und die Menschenrechte.
Ist ein hohes Maß an Konformität gegeben, können so gesellschaftliche Unterschiede über diesen
Konsens integriert werden und das System stabilisieren.

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Im Wandel begriffen, erfordern neue Bedingungen neue Handlungsmodelle, die erprobt und zu
deren Grundlegung kulturelle und gesellschaftliche Konzepte, wie das der Kulturnation zu Rate
gezogen werden. Fühlt man dem Zeitgeist nach, so ist der Bedarf an Orientierung, nicht
unerheblich. Es fehlt an Maß, wo das Wertegerüst, da die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und
deren Reflexion und ideellen Hohlformeln augenscheinlich, brüchig wird.
„Zur Maßlosigkeit gehört, dass man nicht einmal mehr sagen kann, in welchen Dimensionen man sie sich
vorstellen soll. Daraus folgt alles Übrige, vor allem das Gefühl einer bodenlosen Werte-Inflation, die sich nicht nur
auf ökonomische Güter, sondern auf sämtliche Wertskalen bezieht. Man weiß nicht mehr, was groß und klein,
was viel und was wenig ist. Von Stabilität wagt niemand mehr zu sprechen.“ (Sloterdijk 2009: 8)
Die Auseinandersetzung mit pluralen Lebenswelten und -entwürfen und deren Ausdrucksformen
sowie „minoritäre und außereuropäische Kulturformen“ (Stüdemann 2007: 24) ersetzt den hegemonialen
Anspruch einer kulturellen bürgerlichen Elite nach moralischer und ästhetischer Bildung gemäß
des deutschen Bildungsideals. Kultur hat hier die Funktion zu vermitteln und zu versöhnen, was
die gesellschaftlichen Gegensätze und ihre ideologischen Fürsprecher auseinandertreiben.
Denn Kultur integriert dort Vielfalt, wo sie politisch nicht zu integrieren ist (Fuchs 2006).
Und da neben dem Ideal der Zweckfreiheit der Kultur (vergleiche die Freiheit der Kunst, die im
Grundgesetz verankert ist), der kulturelle Habitus dem Bürger zum besseren Menschsein verhilft,
sei das durch die Kultur transportierte Postulat der Toleranz moralisch gut.
„Diese Kultur kann aber per Definition nicht mehr der ererbte Besitz einer wie auch immer gearteten
selbsternannten Bildungselite sein, sondern muß in einer demokratisch verfassten Gesellschaft im kontinuierlichen
Prozeß einer traditionsbasierten Wertediskussion selbst liegen.“ (Gretz 2007: 326)

Schlussbemerkung
Es sollte in der Mythenbildung, bevor sie in Ideologie umschlägt, gefragt werden, was mit dem
Mythos Unvereinbaren geschieht?
„Die Einheit des manipulierten Kollektivs besteht in der Negation jedes Einzelnen, es ist Hohn auf die Art
Gesellschaft, die es vermöchte, ihn zu einem zu machen.“ (Horkheimer; Adorno 2001: 19)
Kultur wird als Mythos der Integrierbarkeit von Unterschieden zelebriert, um eine Gemeinschaft
der Gleichen zu konstruieren, die sich durch verinnerlichten und veräußerlichten Kulturbesitz
von Anderen absetzt, um eine Führungsrolle zu beanspruchen und sich einer geschichtlichen
Aufgabe zu stellen. Nach innen wird diese Gemeinschaft fortwährend an diese Aufgabe durch
rituelle Kulturpflege mittels kultureller Bildung ermahnt. Im rituellen Vorgang der Einheitsfeier
ordnet sich die Anrufung dieser Kulturgemeinschaft in die Geschichte ein und soll damit zur sich
immer wieder als Ereignis wiederholenden Natur der Sache werden. Die Kulturnation wird
Wirklichkeit in dem Moment, indem sie in das Ritual eingebettet und durch die Rede manifestiert

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wird. An dieser Stelle wird die Gesellschaft in ihrer konkreten Ausformung verdoppelt, weil ihr
ein Symbol in dem symbolischen Raum von Geschichte, Bestimmung und Schicksal zur Seite
gestellt wird. Das Symbol als Mahnung einer Idee an die Wirklichkeit kann dort angenommen
werden, wo es praktiziert wird, dass heißt, wo die kulturpolitischen Entscheidungen,
welche national relevanten Inhalte in welcher Form kollektiv geübt werden, in Lehrpläne,
Spielpläne und Ähnliches integriert werden.
Die Funktion der Rede des Staatsoberhauptes an das Volk, dieses als Gemeinschaft zu definieren
und den gesellschaftlichen Wandel als Etappensieg deutscher Einheit zu etablieren, ist jene der
Motivation und sie gleicht in ihrer Ausprägung dem Mechanismus der Bedürfniserzeugung und
– regulierung. Ob Kulturnation als sinnerzeugendes Moment seine Wirkung entfalten kann, wenn
der Eindruck erweckt wird, dass die Rede nur an den „Versicherungsverein“ Bildungsbürgertum
der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, der sich versichert sein kann, dass das Modell
Bildungsbürger die gesellschaftlichen Widersprüche zu integrieren bereit ist, ist fraglich.
Gleicht die kollektive Selbstversicherung nicht einem Konflikt von Identität und Alterität?
„Ausschlaggebend dabei ist, daß die von unserer Gesellschaft vorgeschlagene Absorption des Fremden sich für das
moderne Individuum als unannehmbar erweist; dieses ist nicht nur eifersüchtig auf seine nationale und ethische,
sondern auch auf seine wesentlich subjektive, irreduzible Different bedacht. Der Nationalismus, Abkömmling der
bürgerlichen Revolution, ist das zunächst romantische, dann totalitäre Symptom des 19. und 20. Jahrhunderts
geworden. Aber auch wenn der Nationalismus sich univeralistischen Tendenzen (…) widersetzt und dazu tendiert,
den Fremden einzukreisen, sogar zu verfolgen, so führt er doch nicht minder zu dem partikularistischen und
intransigenten Individualismus des modernen Menschen. Aber vielleicht ist es gerade die Subversion dieses
modernen Individuums, der Moment, in dem der Staatsbürger als Individuum aufhört, sich als einheitlich zu
betrachten und zu glorifizieren, und statt dessen seine Inkohärenzen und seine Abgründe, kurz: seien
„Fremdheit“, entdeckt, von wo aus die Frage sich neu stellt: Nicht mehr nach Aufnahme des Fremden in ein
System, das ihn auslöscht, sondern nach Zusammenleben dieser Fremden, von denen wir erkennen, daß wir alle es
sind.“ (Kristeva 1990:12)
Richtet sich die Strategie Köhlers vielleicht auf die Zielgruppe Kulturpolitiker als
Entscheidungsträger dessen, welches Kulturverständnis in welchem Maße gefördert wird?
Die kulturelle Wirklichkeit, nämlich die nicht zu unterschätzende Wirkung der Alltagskultur
beziehungsweise der Popkultur als Verband subkultureller Erscheinungen,
die gesellschaftliche Regulierung durch die Mechanismen des Marktes einer Sinn- und
Kulturindustrie, der Werte- und Traditionswandel und die soziale Ungleichheit geht an der
Funktion einer Sonntagsrede des Patriarchen der großen deutschen Familie, die ihre
Zwistigkeiten an der gedeckten Kaffeetafel dem lieben Schein halber unterbindet, vorbei.

Yvonne Chaddé Modul 3/2 März 2009 30


Wenn in segensreicher Gemeinschaftsgläubigkeit am Feiertag das Herz erwärmt wird, muss diese
Wärme in die Notwendigkeit des Alltags abstrahlen. Es ist die Ökonomie dieser Wärme, nur
unter der Bedingung werktätiger Selbstdisziplin zu gelten.

Anlage 1

„Wo wir uns finden“

Rede vom Bundespräsidenten Horst Köhler beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit am 3.
Oktober 2008 in Hamburg (pdf)

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