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Das Fundament 2/2005

„Ich lebe und ihr sollt auch leben!“


Von Pfr. i.R. Siegfried Kettling, Schwäbisch Gmünd

Vorüberlegungen:
Die „zwei-einige“ Heilstat

Wie eine Ellipse...


 „Am Kreuz hängt alles“! Dies
zugespitzte Thema wurde mir
einmal gestellt und von mir gern
aufgenommen. Es meint doch: Bei
Karfreitag muss man den Zirkel
einstecken und von daher die Kreise
ziehen. Hier – in der „Kreuzesthe-
ologie“ bewährt und bewahrheitet
sich alles. Letztlich gibt es nur ein
Thema: „Das Wort vom Kreuz“ (1.
Korinther 1,18). Nichts will Paulus
wissen „als Christus, und zwar den genannt, das „große Gottesurteil“
Gekreuzigten“ (1. Korinther 2, 2). (Seite 340), die „Gutheißung“,
Aber gilt nicht zugleich: „ist Chris- die In-Kraft-Setzung. Von Ostern
tus nicht auferstanden, so ist euer her ist der Scheck gedeckt, wird
Glaube nichtig ...“ (1. Korinther ausgezahlt und abgehoben. So sind
15, 17)? Steht nicht neben dem „Am Karfreitag und Ostern miteinander
Kreuz hängt alles!“ das „Auf Ostern die eine, die „zwei-einige“ Heilstat
drängt alles!“? Karl Barth hat Ostern Gottes, beide einander bedingend
die „Validierung“ (Kirchliche Dog- und rufend – wie eine Ellipse durch
matik IV.1; Seite 337) des Karfreitag ihre zwei Brennpunkte definiert ist.

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Ich lebe und ihr sollt auch leben!

Wie bei einem Prisma ...


„Auf Ostern drängt alles!“, „Ostern
lenkt alles!“. Solche konzentrierten
Sätze wollen entfaltet werden. Sie
sind wie ein weißer Strahl, der auf
ein Prisma fällt und sich dabei in
die bunten Farben des Regenbogens
bricht. Einigen von diesen „Bre-
chungen“ gehen wir im Folgenden
nach.

Farbige Brechungen:
Vielfalt der
Osterwirklichkeit

Ostern löst die Schuldfrage


Jesus ist der festen Gewissheit ge-
wesen, seine Hingabe in den Kreu- Albert Schweitzer hat jedoch
zestod sei der Sinn seiner Sendung, gemeint, Jesus habe diesen Weg,
der volle Gehorsam gegen den „die Leiden des Messias“ auf sich
Willen des „Abba“ (Markus 14,36). zu nehmen, am Ende als Irrtum,
Er gibt sich als „Lösegeld (Markus Einbildung, Illusion durchschaut.
10,45), das „die vielen“ (die ganze Deshalb stehe am Ende der alle
Menschheit) befreit. Er, der Eine, Hoffnung zerreißende Verzweif-
tritt sühnend, unendliche Schuld lungsschrei: „Mein Gott, warum
bewältigend, Zukunft erschließend hast du mich verlassen?“ – Ohne
an die Stelle aller. So bringt er den das Eingreifen Gottes, ohne das
Heiligen und die Verlorenen auf österliche Ja (die „Gutheißung“)
ewig zusammen. – hätte der kritische Gelehrte Recht:
Wäre Jesus im Grabe geblieben

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und verwest, so wäre er nicht nur Lebens“ ist. Letztlich läuft alles
selbst als Fantast entlarvt, unsere Sein und alles Denken zu auf die
Schuld wäre, höchst real, vital und Alternative: Gott oder der Tod. Der
lebendig geblieben (1. Korinther Tod wäre „Gott“; Gott-Jahwe, „der
15, 17). Zu Ostern wird der von der da ist“, der lebendig wirkende, wäre
Menschheit Exkommunizierte (ein entthront, wenn Jesus im Grabe
Gekreuzigter war für einen Römer verwest wäre. In der Jesusgeschichte
ein Nicht-Mensch), ja, der vom hat Gott seine Gottheit aufs Spiel
Gesetz Gottes Verfluchte (Galater gesetzt. – Zugleich ist der Tod Got-
3, 13) von Gott „gerechtfertigt“ tes „Büttel“, sein Gerichtsdiener ge-
(1 .Timotheus 3, 16). Die Auferwe- genüber der Sünde. Sünde ist mehr
ckung ist das alles als ewig gültig als moralisches Versagen, sie ist das
stempelnde Ja Gottes! Nun darf ich grundsätzliche Nein gegen den, der
es „bis zum Schwören wissen“, dass das Leben in Person ist (vergleiche
der „Schuldbrief“ zerrissen (Ko- Johannes 11,25). Gottes tödliches
losser 2,14), dass Vergebung gilt: Gericht ist das Nein zu diesem
Vergebung ist nicht weniger als Nein. – Die Gottesfrage ist nur
Umkehrung der Schöpfung: Macht positiv beantwortet, wenn der Tod
Gott dort aus nichts etwas, so hier bewältigt wird. Das eben geschieht
aus dem Etwas – aus meiner realen zu Karfreitag (der Rechtsgrund des
Schuld – nichts! Das gilt nun – je- Todes – „der Sünde Sold“, Römer
dem ängstlichen Zweifel zu Trotz. 6, 23) – wird ausgeräumt) und zu
Punktum und basta! Ostern: Jesu Auferweckung ist ja
nicht „ein privates Ostern für ei-
nen privaten Karfreitag“ (nach J.
Moltmann): Jesus ist nicht „für sich
Ostern ist „des Todes Tod“ selbst“ gestorben noch auferstan-
den. Ostern ist ein Menschheit und
Der Tod ist für das biblische Den- Kosmos ergreifendes Geschehen
ken nicht einfach ein natürlicher („Wär er nicht erstanden, so wär
Vorgang, ein „integrierender Teil“ die Welt vergangen ...“). Das ganze
unseres Lebens. Er ist zutiefst wi- alte Weltprogramm ist abgesetzt,
dergöttlich, ist „der letzte Feind“ abgestürzt. Alles ist „neu program-
(1. Korinther 15, 26) dessen, der miert“ auf Gottes neuen Himmel
als Schöpfer ein „Liebhaber des und seine neue Erde zu. Das hat

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auch ganz persönliche Konsequen- dürfen uns als prinzipiell davon


zen – hinein in unser Lebensgefühl. Befreite entdecken, als immer wie-
Der Theologe Wilhelm Lütgert hat der konkret Getröstete. So reicht
die Freude als die spezifische „Le- Ostern bis in unsere Stimmungen,
benstemperatur“ der ersten Chris- ist Quelle aller Lebensfreude, allen
ten erkannt. Wieso? Von Hause Lebensmuts, allen Humors.
aus sind wir alle Sklaven der Furcht
vor dem Tod (Hebräer 2, 15), sind

Ostern gibt Hoffnung


für die Welt
Ich muss gestehen: Von allen Ar-
gumenten für den Atheismus ist
für mich die sogenannte „Theo-
dizeefrage“ das stärkste, das nicht
nur mein Gehirn berührt, sondern
mir ans Herz greift. Wie kann
unser (!) Gott (von „Schicksal“
oder „Zufall“, bloßer „Naturge-
setzlichkeit“ können wir Christen
ja nicht schwätzen!) – wie kann der
„Vater Jesu Christi“ zusehen, wenn
sechs Millionen Juden vergast,
alle traumatisiert in unendlichen 100.000 Inder bei einem Erdbeben
Spielarten – zwischen wahnwitziger erschlagen werden? Wo ist da der
Lebensgier und tiefenpsychologisch Gott der Liebe wiederzuerkennen?
zu beschreibenden Ängsten. Theo- – Wir wissen um das „sehr gut“
dor Storm zum Beispiel setzte, wo der Schöpfung, das die Psalmen so
irgend möglich, ein Komma; der herrlich variieren. Und so glauben
Punkt widerstrebte ihm, war zu wir aus all dem Schrecklichen, das
endgültig, dem Tode zu verwandt! wir neben dem strahlend Schönen
(So kann die Furcht vor dem Tod in der Welt wahrnehmen, die Lie-
bis in Rechtschreibung und Inter- be, die Herrlichkeit, die Schönheit
punktion kriechen!). Wir Christen Gottes heraus! Jeder Tierfilm stellt

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uns ja, wenn wir wache Menschen menzuglauben (nach Carl Heinz
sind, in die Zerreißprobe: Alles Ratschow). Das ist möglich nur auf
Leben lebt vom Leben (herrlich dem Hintergrund der Karfreitags-
und schrecklich ist der Löwe): nacht, des Ostermorgens und der

überall der Kreislauf von Fressen darin eingepackten Verheißung:


und Gefressenwerden! Überall das „Ich mache alles neu!“ Von daher
„Seufzen der Kreatur“ unter dem können wir es uns leisten, nicht wie
Verhängnis der Vergänglichkeit die Asiaten die Welt für bloße Illu-
(Römer 8, 19 - 22)! Uns ist die hohe sion für Maya (Schein) zu erklären,
Aufgabe gestellt, die Herrlichkeit sondern ihre Realität in Glanz und
Gottes aus aller Furchtbarkeit der Graus wahrzunehmen, die Welt
Welt „herauszuglauben“, uns durch ernst zu nehmen, ja – im Namen
das unheimliche Weltendunkel des Auferstandenen – sie trotz allem
zu dem liebenden Angesicht des „froh“ – zu nehmen.
Vaters hindurchzuglauben“, den in
Natur und Geschichte unbegreifli-
chen „verborgenen Gott“ (Martin
Luther) mit dem vor Liebe glü-
henden „offenbaren Gott“ zusam-

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Ostern zeichnet unser Fortsetzung


Menschenbild – dringend geboten!
Meine Menschenwürde, ja mein Wir haben einige wenige bunte
ganzes Menschenverständnis ge- Brechungen aus dem reichen Spek-
winne ich von Ostern her: Der trum genannt. Ergänzungen sind
Mensch ist das Wesen, mit dem höchst dringend: Etwa „Ostern und
Gott – als seinem Gegenüber, sei- Mission“: Tritt Jesus an die Stelle
nem Partner – in Ewigkeit sprechen des Gesetzes (Beschneidung!), dann
will. Dazu ist er geschaffen! Wie lautet der § 1 göttlicher Menschen-
weit der Mensch Gott entlaufen, rechte: Jeder hat den Anspruch,
wie tief er gefallen, verloren, wie seinen Herrn kennen zu lernen!
„verdammt“ er war, enthüllt uns die „Ostern und Ethik“: Unsere „Werke“
gottgesetzte Tatsache, dass Jesus öffnen uns gewiss nicht das Him-
für ihn sterben „musste“. Von daher melstor, aber – sofern sie im Namen
wird unser Menschenbild realis- Jesu getan sind – „folgen sie nach“
tisch. Zu Karfreitag werde ich in (Offenbarung 14, 13), das heißt sie
Jesu Tod gegeben, restlos verurteilt sind „osterhaltig“, sie gehen ein in
und bedingungslos freigesprochen. die neue Welt. Darum: „eure Arbeit
Zu Ostern bin ich mit Christus ist nicht vergeblich“ (1. Korinther
rehabilitiert, ins Recht, ins Leben 15, 58). „Ostern und Gemeinde“:
gesetzt. „Du bist einen Christus Der Auferstandene ist nicht leiblos:
wert!“. Das ist mein Rang. Es ist Seine Gemeinde ist sein österlicher
auch der Rang eines jeden Mitmen- Leib in allen Gliedern (1. Korinther
schen. Wie ich ist er „Kandidat des 12). „Ostern und Vollmacht der Pre-
ewigen Lebens“! Diese göttlichen digt“; „Ostern und Schriftverständ-
„Werturteile“ scheiden Christen von nis“: Weiterdenken ist hier nicht
jeder, wie immer gearteten (mo- nur erlaubt, sondern geboten. Un-
ralisch, rassisch, gesundheitlich, abschließbar ist das nachdenkende,
bildungsmäßig...) Menschenver- anbetende Umschreiten des zweieini-
achtung! Sie ist Lästerung unseres gen Geheimnisses: „Jesus Christus ist
erstandenen Herrn, der das „Haupt um unserer Sünde willen dahingege-
voll Blut und Wunden“ ist. ben und um unserer Rechtfertigung
willen auferweckt“ (Römer 4, 25). 
Aus: gemeinsam unterwegs, 4/2001

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