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Das Fundament 5/2009
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Die christlichen Wurzeln der Wissenschaft
christlichen Mönchen, Naturphi- als letzte Ursache der Welt und als
losophen und Theologen war der „unbewegten Beweger” auf. Im
Glaube an die deduktive Methode Hintergrund lebte die heidnische
als einzige Möglichkeit zur Erlan- Vorstellung vieler Gottheiten weiter,
gung von Wissen weit verbreitet die mit der Natur verschränkt
– bis Grosseteste, Ockham und oder verwoben seien – ein panthe-
Roger und Francis Bacon kamen. istisches, panemanationistisches
Doch auch noch nach diesen Weltbild. 508 Die Planeten zum
Pionieren der induktiven Metho- Beispiel sollten eine ihnen innewoh-
de hielt die Welt der Gelehrten in nende Intelligenz (anima) haben,
ihrer Mehrzahl an dem System der die sie erst ihre Bahnen beschreiben
Aristoteliker fest. ließ. Diese pantheistische Sicht der
Eine zweite entscheidende Planetenbahnen wurde erstmals
Grundannahme im Christen- von Jean Buridan (um 1300 - 1358)
tum ist, dass Gott, der Schöpfer infrage gestellt, einem Philosophen
der Welt, dieser Welt als von ihr an der Universität Paris. 509 Ebenfalls
separate Person gegenübersteht. Die in Widerspruch zu der christlichen
griechische Philosophie dagegen Sicht vom Schöpfergott („Am An-
sah Gott als Intellectus (Nous), fang schuf Gott Himmel und Erde”,
nicht als Person an und fasste ihn 1. Mose 1, 1) stand Aristoteles’
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Theorie, dass die Welt ohne Anfang dem Bacon selbst gehörte, warf ihn
und unerschaffen war (siehe sein 1278 für 14 Jahre ins Gefängnis.510
„Vom Himmel” 279 - 284). Die Dieser anhaltende Widerstand
Urkirche hatte den Pantheismus gegen die induktive Methode und
verurteilt, doch während des ganzen die Blindheit gegenüber dem anti-
Mittelalters waren die christlichen ken Pantheismus bedeutete einen
Naturphilosophen und Scholastiker ausgesprochenen Hemmschuh für
blind für die pantheistischen Züge den wissenschaftlichen Fortschritt,
in der antiken Philosophie, die sie denn der Pantheismus ist seiner
sich angeeignet hatten und mit der Natur nach forschungsfeindlich; er
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er: „Es ist nicht nur unmöglich, es und die Motivation zur Erforschung
ist auch nutzlos, Gott ohne Jesus der Welt der Natur gaben, die
Christus zu kennen.”553 für die Genese der neuzeitlichen
William Thomson Kelvin (1824- Wissenschaft unumgänglich sind.
1907), besser bekannt als Lord Lassen wir zum Schluss dieses
Kelvin, war einer der Begründer der Kapitels Stanley Jaki noch einmal zu
Thermodynamik und entwickelte Wort kommen. Er schreibt, dass die
eine von der jeweiligen Substanz alten Ägypter ihre gewaltigen Py-
unabhängige Definition der Tempe- ramiden und ein hoch entwickeltes
ratur. Die absolute Temperatur wird Schriftsystem schufen, „aber wenn
heute nach der Kelvin-Skala ange- es um Quantitäten, Messungen
geben. Als Christ sah Kelvin keinen und Berechnungen ging, die doch
Widerspruch zwischen Religion und an sich leichter zu bewerkstelligen
Wissenschaft – eine Position, die bei hätten sein müssen als die Umset-
denjenigen seiner Zeitgenossen, die zung des gesprochenen Wortes in
von einem Konflikt zwischen Religion abstrakte Symbole, schafften sie
und Wissenschaft ausgingen, auf Wi- keinen vergleichbaren Durchbruch.
derspruch stieß. Kelvin sagte einmal: Die ägyptische Mathematik und
„Wer stark genug denkt, der wird von Geometrie verharrte auf dem Niveau
der Wissenschaft gezwungen werden, eines Hilfsmittels für den Alltag.”589
an Gott zu glauben.”558 ... Doch in den heutigen Schulen,
Universitäten und Lehrbüchern er-
fährt man für gewöhnlich wenig bis
nichts über die christlichen Wurzeln
8.8 Schluss der modernen Wissenschaft. Diese
Unterschlagung der christlichen
Dieses Kapitel begann mit der Wurzeln begann im 18. Jahrhundert
Behauptung, dass die moderne Wis- mit „der Hochzeit der Wissenschaft
senschaft ihre Wurzeln in der christ- mit dem philosophischen Materi-
lichen Theologie des Mittelalters alismus”.592 Mit der Zeit wurde sie
hat. Wir haben daraufhin dargelegt, institutionalisiert, so dass heute der
wie es die Werte des Christentums Normalbürger nicht mehr weiß,
waren, die seinen gebildeten Anhän- dass praktisch alle Wissenschaftler
gern (die man heute Wissenschaftler (darunter ausgesprochene Pioniere)
nennen würde) das nötige Weltbild vom Mittelalter bis tief ins 18. Jahr-
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Anmerkungen:
503
Whitehead, Wissenschaft und moderne Welt, S. 16.
504
Thomas Goldstein, Dawn of Modern Science: From the Arabs to Leonardo da Vinci (Boston:
Houghton Mifflin, 1980), S. 171.
505
Roger Bacon, Opus majus, transl. Robert Belle Burke (New York: Russell and Russell, 1962),
S. 584.
506
Magnus Magnusson (ed.), „Bacon, Francis, Baron Verulam of Verulam, Viscount St. Albans”,
Cambridge Biographical Dictionary (New York: Cambridge University Press, 1990), S. 88.
507
Herbert Butterfield, The Origins of Modern Science, 1300-1800 (London: G. Bell and Sons,
1951), S. 79.
508
Stanley L. Jaki, The Savior of Science (Edinburgh: Scottish Academic Press, 1990), S. 41.
509
Butterfield, Origins of Modern Science, S. 7f.
510
Andrew Dickson White, Geschichte der Fehde zwischen Wissenschaft und Theologie in der
Christenheit (übers. von C.M. v. Unruh, Leipzig: Theod. Thomas Verlag, o.J.), Bd. 1, S. 333.
511
D. James Kennedy und Jerry Newcombe, What If Jesus Had Never Been Born? (Nashville:
Thomas Nelson, 1994), S. 95.
512
White, „Significance of Medieval Christianity”, S. 96.
513
Lynn White Jr., Dynamo and Virgin Reconsidered: Essays in the Dynamism of Western
Culture (Cambridge, Mass.: MIT Press, 1968), S. 89.
553
Blaise Pascal, Über die Religion und über einige andere Gegenstände (Frankfurt/M: Insel
Verlag, 1987), S. 241 (= Nr. 549).
558
Zitiert in: Kneller, Christianity and the Leaders of Modern Science, S. 38.
589
Jaki, Savior of Science, S. 23.
590
Ebd., S. 28.
591
Ebd., S. 33.
592
Jacques Barzun, From Dawn to Decadence: 500 Years of Western Cultural Life, 1500 to the
Present (New York: Harper Collins, 2000), S. 365.
593
Zitiert in: Koestler, Die Nachtwandler, S. 281.
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