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Andreas Richter
Einleitung
Der Begriff "Multimedia" wird in der heutigen Zeit sehr häufig verwendet, leider
jedoch nur ungenau definiert. Allgemein versteht man unter diesem Begriff die
Integration von Text, Graphik, Video, Audio usw. Aus psychologischer und
medienwissenschaftlicher Sicht ist dieses Verständnis jedoch inkonsistent und
theorielos. Bei genauerer Betrachtung der oben genannten Bezeichnungen wird eine
Konfundierung verschiedener Dimensionen deutlich, die im folgenden definiert
werden.
Definitionen
Sinnesmodalität, Sinneskanal:
Mediale Angebote werden über Sinnesorgane wahrgenommen und verarbeitet.
Medium:
Im technischen Sinne handelt es sich hierbei um ein Vehikel kommunikativer Inhalte.
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das technische Medium (z. B. ein Buch)
die Codierungsart (Graphiken, Zeichen ect.) und
die entsprechende Modalität (visuelles, auditives System usw.)
Mediales Angebot:
Botschaften, Codierungen und Strukturierungen werden in Form von Medien
kommuniziert.
Einer sehr populären Darstellung (und niemals verifizierte) aus der Medienwelt zufolge
verhält sich die Behaltensleistung gegenüber den Sinnesmodalitäten und
Lernaktivitäten gemäß der folgenden Abbildung:
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Sinnesmodalität und
Codierungsformen werden als
eindimensionale Konstrukte
behandelt und im Stile einer naiven
Summierungstheorie verrechnet.
Weiterhin hat die Abbildung
gewisse Ähnlichkeit mit dem
Erfahrungskegel von Dale, (1946).
Dessen Basis bildet die direkte
Erfahrung mit dem Lernobjekt
(beste Behaltensleistung), die
Spitze bezeichnet verbale Symbole
(schlechteste Behaltensleistung).
Kennzeichnend ist ein einfaches
Realismusprinzip, da mit steigender Realitätsnähe auch die Behaltensleistung steigt.
Mit zwei nachfolgend aufgeführten Theorien ließe sich eine solche popularistische
Annahme integrieren:
Diese Theorie postuliert, daß die Präsentation von Bildern zum einen in Form von
Vorstellungen, jedoch auch in Form von Bezeichnungen im Gedächtnis kodiert wird.
Wörter hingegen werden nicht automatisch in bildhaften Vorstellungen codiert. Diese
Theorie erklärt auch den empirisch belegten Bildüberlegenheitseffekt (Nelson, 1979,;
Nelson u.a., 1976). Diesem Effekt zufolge werden Listen mit Abbildungen bekannter
Objekte besser behalten als Listen mit Namen derselben Objekte.
Der Neocortex des Menschen ist funktionell so organisiert, daß die mentalen
Präsentationen einer topographischen Aufteilung folgen. Die Verarbeitung von Sprache
wird dabei von anderen Hirnarealen geleistet als die Verarbeitung von Bildern. Für den
Bereich Multimediales Lernen wird oft vereinfacht angenommen, daß eine
gleichzeitige Reizung verschiedener Hirnareale im Gegensatz zur einfachen Reizung
lediglich eines Areals die Lern - und Behaltensleistung erhöht.
Einige empirische Befunde für und gegen die Verwendung von Multimedia:
Ein empirisch gut belegter Befund ist die positive Wirkung von Illustrationen auf das
Behalten von Text. Metaanalysen ergaben Effektstärken von ungefähr 0.75. Nach Mayer
(1993) liegt die Ursache dafür in referentiellen Verknüpfungen, die im Gedächtnis
zwischen verbalen und visuellen Elementen unter der Bedingung raumzeitlicher
Kontiguität zu einem mentalen "mapping" führen. Dieser Begriff steht für die mentale
Integration undVerknüpfung dieser Elemente. Mit der Annahme eines mapping könnte
man ebenfalls erklären, weshalb ein Behaltensvorteil bei multicodal präsentierter
Information nach einem längeren Zeitintervall besteht. Auch dieser Befund ist
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empirisch gut gesichert. Voraussetzung für diesen Behaltensvorteil ist natürlich eine
gewisse Vertrautheit mit dem Codesystem (Jemand, der gerade erst Lesen gelernt hat,
wird wahrscheinlich mehr Aufwand für die Entschlüsselung der Schrift als für den
Inhalt verwenden.).
Empirisch nicht deutlich genug belegen läßt sich eine Kategorisierung von Lernern in
auditive oder visuelle Typen, die nach Ausrichtung ihrer Verschaltungen im Hirn
auditive bzw visuelle Informationen besser und schneller verarbeiten. Hier müßte man
zuerst die Frage klären, ob Personen nicht lediglich Präferenzen hinsichtlich
bestimmter Modalitäten haben. Weiterhin ist ungeklärt, ob es sich um Vorlieben
hinsichtlich des Informationsangebotes oder der mentalen Prozesse handelt. Letzteres
wäre nämlich aus kognitionspsychologischer Sicht für das Lernen und Verstehen
ausschlaggebend, da die "interne Codierung", nicht die externe die entscheidende
Variable darstellt.
Weitere Befunde zeigen auf, daß die Sinne anfällig für Überlastung sind. Diesem
Problem kann eine geeignete multimodale Präsentation entgegenwirken, was in einem
Experiment von Pyter (1994) gezeigt wurde. Einer Versuchsgruppe wurde ein Text
visuell und akustisch dargeboten (multimodal, unicodal), ein anderer Text nur visuell
(unimodal, unicodal). Die bimodale Darbietung erwies sich als weniger anstrengend
und verständlicher.
In einem weiteren Experiment (Rinck & Glowalla, 1994) wurde beobachtet, daß Bilder
länger betrachtet wurden, wenn Zusatzinformationen akustisch dargeboten wurden.
Entscheidend bei der Verwendung multimedialer und multicodaler Medien scheint also
u.a. die funktionelle Synchronisation der Information zu sein. Die vorhandene
Aufmerksamkeit des Lerners soll optimal genutzt werden ("split - attention - effect").
Einer Studie über die Auswirkungen medialer Codierungen auf die Motivation, sich
Wissen anzueignen (Salomon, 1984), und einem darauf aufbauenden Modell zufolge
lassen sich zwei Postulate ableiten:
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2. Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen der investierten mentalen
Anstrengung und der Einstellung des Lerners gegenüber den verwendeten
Medien und medialen Präsentationsweisen.
Was ist wichtiger für den Lernprozess: Die Zahl und Art der technischen
Medien oder die instruktionale Strategie?
Clark (1983, 1994) vertritt die Position, daß das technische Transportmittel des zu
Lernenden, also das Medium, für den Lernprozeß lediglich eine zweitrangige
Bedeutung hat, da es sich im Vergleich zu anderen Medien höchstens als
ökonomischer oder komfortabler erweist. Den entscheidenden Einfluß hat hingegen
die Strukturierung des Inhalts im jeweiligen medialen Angebot. Diese Ansicht Clarks
findet sich in einigen konstruktivistischen Lernprinzipien wieder, von denen
nachfolgend einige erläutert werden.
Struktur - Prinzip "Multiple Kontexte und Perspektiven": Ziel dieses Prinzips ist es, das
Gelernte in vielfältiger Weise kognitiv zu speichern und zu repräsentieren. Dadurch
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wird eine "kognitive Flexibilität" erzeugt, die sich durch vielfätige Verknüpfungen des
Gelernten mit anderen Wissensinhalten auszeichnet: Das Wissen ist strukturierter,
klarer definiert und vielfältiger verwendbar und erleichtert somit den Transfer.
Struktur - Prinzip "Lernen im sozialen Kontext": Entscheidend für dieses Prinzip ist die
soziale Interaktion. Multimedia ist hierfür nicht erforderlich, da die entsprechende
Lernumgebung auch ohne aufwendige mediale Hilfsmittel diesem Prinzip gerecht
werden kann. Multimedia kann aber auch hier dienlich sein, da sich durch neuere
Technologien (z.B. Internet) vielfältigere Kommunikationsmöglichkeiten ergeben.
1. Zeigefunktion:
Weidemann beschreibt, daß viele Lehrbücher vor allem zwei Bedingungen erfüllen
sollen: Zum einen soll eine möglichst vollständige Vorstellung der Materie entwickelt
werden, zum anderen sollen Schwerpunkte deutlich werden, also Wichtiges von
Unwichtigem unterschieden werden und Charakteristika herausgearbeitet werden.
Dafür sind gezielte Hinweise wichtig, die beim Leser bildhafte Vorstellungen eines
Gegenstandes erzeugen. Dabei kann es sein, daß sich weniger realistische Abbilder als
wirkungsvoller erweisen als Originalbilder. Karikaturen beispielsweise sind aus diesem
Grunde sehr einprägsam (Oscar Lafontaine als Zeichnung mit einer übertrieben langen
Nase ist gewiss einprägsamer als ein Originalfoto.).
2. Situierungsfunktion:
Erfüllt ein Abbild diese Funktion, so ermöglicht es dem Betrachter, sich ein
entsprechendes Szenarium, einen kognitiven Rahmen, "vorzustellen." Jeder Mensch
hat spezifische Vorstellungen über gewisse Abläufe oder Situationen, so genannte
Skripte, die es ihm ermöglichen, Lebenssituationen so zu interpretieren, wie es in
seinem sozialen Kontext der Situation angemessen ist. Diese von einer Gesellschaft
geteilten Vorstellungen vereinfachen das Zusammenleben enorm (Jeder, der schon
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einmal in einem Restaurant gegessen hat, weiß, daß ein Kellner kommt, eine
Speisekarte überreicht, nach dem Essen die Rechnung bringt usw.). Skripte kann man
sich nun auch in Abbildungen zunutze machen, indem man mithilfe weniger
Detaillinformationen einen solchen Rahmen schafft, den jeder in ähnlicher Weise
interpretiert.
3. Konstruktionsfunktion:
Komplexere Realitätsausschnitte, beispielsweise die Funktion des Herzens, können mit
Hilfe von Analogiebildern verdeutlicht werden. Vorausgesetzt, jemand besitzt ein
mentales Modell über die Funktion einer Pumpe, so wird es ihm nicht schwerfallen, die
Herzfunktion anhand eines Abbildes eines Armes mit integrierter Pumpe (anstelle des
Herzens) zu verstehen, obwohl der anatomische und funktionelle Aufbau des Herzens
extrem komplex ist. Die Konstruktion eines mentalen Modells des Herzens wird somit
sehr erleichtert. Dieser Funktion können Abbilder auch durch Sequenzen von Bildern,
beispielsweise bei Bedienungsanleitungen, gerecht werden.
Die Verwendung von Multimedia erweist sich vor allem in drei Bereichen als vorteilhaft
hinsichtlich der Gestaltung von Abbildern.
1. Audio
Durch die Einbeziehung auditiver Informationen lassen sich ergänzende Informationen
mit Hilfe eines zusätzlichen Sinnessystems (zusätzlich zu dem visuellen) darstellen.
Der Bildschirm kann dabei von Text entlastet werden und es können gleichzeitig
Informationen visuell unmd auditiv verarbeitet werden. Außerdem können z.B. Bilder
durch Originalgeräusche einprägsamer und authentischer dargestellt werden.
2. Bewegtbilder
Dynamische Abläufe, beispielsweise Bewegungsbilder beim Sport, sind oft schwer
vorstellbar durch bloße Text - oder Standbildaufnahmen. Durch Bewegtbilder können
diese Abläufe realistischer präsentiert werden.
3. Interaktivität
Multimedia bietet die Möglichkeit, Zusatzinformationen zu einem Thema nach
Belieben abzurufen. dadurch kann der Lernende nach Interesse und Vermögen selbst
entscheiden, wie detailliert und wie präzise er Informationen aufnehmen möchte.
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Schlußbemerkungen
Abschließend läßt sich vermerken, daß Multimedia sich auf die Motivation und den
Wissenserwerb bei zweckmäßigem Einsatz positiv auswirken kann. Bei unvorteilhafter
Verwendung multimedialer Hilfsmittel kann sich der Einsatz beispielsweise
verschiedener Medien jedoch auch als hinderlich erweisen. Ausschlaggebend für den
Erfolg des Einsatzes von Multimedia für Lernzwecke scheint also die Funktionalität zu
sein und nicht die bloße Verwendung eines multimodalen und multicodalen
Angebotes. In diesem Sinne läßt sich auch die Verwendung von Abbildern bewerten,
die im Gegensatz zu wahrheitsgetreuen Bildern unter funktionellem Gesichtspunkt
konstruiert werden sollten. Bei effektivem Einsatz bietet Multimedia aufgrund der
technischen Vorteile durch die multimodale und multicodale Präsentation auf jeden
Fall einige Möglichkeiten, das Lernangebot zu verbessern.
Literatur
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