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Publikation der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft e.V.

Publication of the International Erich Fromm Society


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Erich Fromm als sozialistischer Humanist

Raya Dunayevskaya

First published under the title „On the Anniversary of the Birth of Erich Fromm“ in: News and Let-
ters, March 1980. - Deutsche Erstveröffentlichung in: Lutz von Werder (Hg.), Der unbekannte
Fromm. Biographi-sche Studien (Forschungen zu Erich Fromm, Band 2), Frankfurt (Haag + Herchen)
1987, S. 55-58. Übersetzung aus dem Englischen von Michael Krahl, Berlin.

Die vielen Artikel, die 1980, als Erich Fromm am „Ich betrachte Marx als Denker von größe-
18. März starb, massenweise erschienen, lobten rer Tiefe und Reichweite als Freud. Aber obwohl
ihn nur als „hervorragenden Psychoanalytiker“. ich das sage, darf Freuds Wichtigkeit nicht über-
Die Presse versäumte nicht zufällig zu erwähnen, sehen werden. .. seine Entdeckung unbewusster
dass er ein sozialistischer Humanist war. Als er Prozesse und der dynamischen Natur des Cha-
ferner Marx’s Concept of Man schrieb (welchem rakters ist ein einzigartiger Beitrag zur Wissen-
es gelang, die humanistischen Essays von Marx schaft vom Menschen, welcher das Bild vom
einer breiten amerikanischen Öffentlichkeit zuzu- Menschen für alle Zeiten geändert hat.“
führen), das erste internationale Symposium Auf Fromms Initiative (und zu meiner gro-
über „sozialistischen Humanismus“ organisierte, ßen Überraschung, da ich mich von allen Psy-
tat er dies nicht als Akademiker, sondern als Ak- choanalytikern weit fernhielt, sogar wenn sie
tivist. Als er mich dazu einlud, an diesem Dialog Anspruch auf den Marxismus erhoben) erhielt
zwischen Ost und West sowie Nord und Süd ich von ihm einen Gratulationsbrief für die Ver-
teilzunehmen, betonte er, dass „es nicht wenig öffentlichung meines Buches Marxism and Free-
Mut von ihrer (der osteuropäischen) Seite koste- dom. Die Zeit der 50er Jahre war eine der
te, etwas für diesen Band zu schreiben, gleich, schwierigsten für Marxisten, teils durch die (Jo-
wie diplomatisch die Sprache sei, waren sie für seph) McCarthy-Ideologie sowie durch die Ent-
Angriffe auf die Sowjetunion offen.“ wicklung der Atombombe, die das Land überzo-
Erich Fromm war ein Original. Als er ver- gen. Dr. Fromm half 1957 das „National Com-
suchte, Marx und Freud zu verbinden, war es mittee for a Sane Nuclear Policy“ aufzubauen,
nicht so sehr die Kühnheit eines solchen Unter- aber nicht darüber schrieb er mir. Das Thema,
nehmens in den 20er Jahren, die betont werden das dann sein leidenschaftliches Interesse weckte,
muss, sondern die Tatsache, dass, obwohl ihn war die Wiederherstellung des Marxismus in sei-
Sozialpsychologie interessierte, er ein überaus ner ursprünglichen Form „eines neuen Huma-
orthodoxer Freudianer war; sein Gebrauch von nismus“, der von der Perversion des russischen
psychoanalytischen Mechanismen war wie eine und chinesischen Kommunismus gereinigt ist. Er
Art vermittelndes Konzept zwischen dem Indivi- war so ein großartig objektiver Mensch, dass er
duum und der Gesellschaft. Als er sich vom or- sich weigerte, sich weder von der Tatsache ab-
thodoxen Freudianismus entfernte, um seine ei- schrecken zu lassen, dass ich meine Feindseligkeit
gene Version auszuarbeiten, war es jedenfalls gegenüber Psychoanalytikern zeigte, indem ich
klar, dass er nicht nur mit Freud brach, sondern ihm mitteilte, dass Arbeiter in Geschäften von
auch mit der berühmten Frankfurter Schule und Detroit über sie als „head shrinks“ sprachen,
ihrer „Kritischen Theorie“ und dies, nicht weil er noch von der Tatsache, dass ich sein eigenes Es-
sich vom Marxismus entfernte, sondern ihm nä- say über Marx’s Concept of Man als abstrakt kri-
her kam. In seiner intellektuellen Autobiographie tisierte. Er antwortete mir folgendes:
schrieb er dies so: „Was Ihre Kritik meines Essays betrifft, wo-

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nach es zu abstrakt sei und den Humanismus des Marx, die er in der Frankfurter Schule wahr-
Marxismus nicht konkret diskutiere, so kann ich nahm, versuchte er selber, den marxistischen
kein Argument entgegensetzen ... Was den In- Humanismus auf jede mögliche Weise auf alle
halt der Punkte betrifft, die Sie über die konkrete Gebiete zu verbreiten, sein eigenes eingeschlos-
Natur des Humanismus von Marx machen, so sen - die Psychoanalyse. Man beachte seinen
stimme ich natürlich völlig mit Ihnen überein. Versuch, mich - die ich in keiner Weise etwas mit
Auch darüber, was Sie über die Rolle der Psy- Psychoanalyse zu tun hatte - dazu zu überreden,
choanalytiker und den Standpunkt Daniel Bells etwas für eine psychoanalytische Zeitschrift zu
schreiben.“1 schreiben.
Unser Briefwechsel wurde zwei Jahrzehnte Dieser Vorschlag kam, nachdem ich ihm die
lang fortgeführt. Er gab mir auch seltene Einbli- Geschichte von Susan E. Blow - einer Hegeliane-
cke in das gesamte Gebiet der berühmten Frank- rin und eine der ersten Erzieherinnen - mitgeteilt
furter Schule, von der er schließlich eine der be- hatte, die Patient von Dr. James Jackson Putnam
rühmtesten Persönlichkeiten war, diejenige, die war, einem amerikanischen Pionier Freudscher
alle mit der „Integration“ der Psychoanalyse in Psychoanalyse. Sie weckte Putnams Interesse an
den Marxismus beeinflusste. Die langwierige, Hegelianischer Philosophie in so hohem Maße,
nicht nachlassende scharfe Debatte mit Herbert dass er seinerseits versuchte, Freud daran zu in-
Marcuse in den pages of Dissent über 1955 und teressieren. Freud jedoch war so sehr dagegen,
1956 war nicht das Hauptproblem. Er nahm zu- Philosophie in die Psychoanalyse einzufügen,
viel Rücksicht auf Herbert Marcuses Buch Ver- dass er jeden Versuch kritisierte, die Psychoana-
nunft und Revolution als einem grundlegenden lyse anders als er „in den Dienst einer besonde-
Werk. Nein, was seinen Zorn am meisten erreg- ren philosophischen Weltanschauung zu stel-
te, war die Dualität des Abwendens von Adorno len“.2
und Horkheimer vom Marxismus einerseits, und Folgendes schrieb mir Dr. Fromm: „Was Sie
die Attraktivität, die er für die „Neue Linke“ hat- mir über Dr. Putnam schrieben, - der durch seine
te. In einem Brief an mich vom 25. November Patientin Interesse an Hegelianischer Dialektik
1976 fasste er dies so zusammen: bekam, wusste ich nicht und halte es für von be-
„Ich bekomme nicht wenige Anfragen von trächtlichem historischen Interesse, und Freuds
verschiedenen Leuten, die die Geschichte der Reaktion auf Putnams philosophische Anmer-
Frankfurter Schule studieren. Es ist wirklich eine kungen ist auch eine interessante historische
lustige Geschichte; Horkheimer wird jetzt als Fußnote zu Freud und der Geschichte der psy-
Schöpfer der Kritischen Theorie bezeichnet, und choanalytischen Bewegung. Möchten Sie nicht
man schreibt über die Kritische Theorie, als etwas darüber schreiben und es irgendwo veröf-
wenn sie ein neues, von Horkheimer entdecktes fentlichen? Ich habe keine Beziehungen zu psy-
Konzept wäre. Soweit ich weiß, ist die ganze Sa- choanalytischen Zeitschriften außer zu Contem-
che ein Witz, weil Horkheimer Angst davor hat- porary Psychoanalysis, die in New York heraus-
te, von der Marxschen Theorie zu sprechen. Er gegeben wird. Ich bin sicher, dass sie sich freuen
benutzte allgemein die Aesopische Sprache und würden, etwas zu dieser historischen Tatsache zu
sprach von der Kritischen Theorie, um nicht veröffentlichen, und es sollte gleichzeitig in der
Marxsche Theorie zu sagen. Ich glaube, dass dies spanischen psychoanalytischen Zeitschrift Revista
alles ist, was hinter dieser Entdeckung der Kriti- veröffentlicht werden, deren Direktor ich formal
schen Theorie durch Horkheimer und Adorno noch bin. Wenn Sie bereit wären, dies zu tun,
steckt.“ würde ich mich freuen, es selbst der New Yorker
Im Gegensatz zu der Bewegung weg von und der spanischen Zeitschrift zuzusenden. Ich
werde auch Freuds Briefe durchsehen, um die
1 In einem anderen Brief schrieb Fromm: „Meine Be- Bemerkung zu suchen, mit der er sich zu Put-
ziehungen zu Commentary sind nicht gut. Vor Jah-
ren wies Herr Podhoretz etwas zurück, was ich ge-
schrieben hatte, weil es der Meinung der Mehrheit 2 Haie, Nathan G. (Hg), James Jackson Putnam and
der amerikanischen Juden widersprach. Ich schrieb Psychoanalysis (Harvard University Press, Cam-
ihm einen scharfen Brief über sein Freiheitskonzept.“ bridge, Mass., 1971), S. 43.

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nams Brief äußert, oder wissen Sie, wem Freud dass der Humanismus nicht nur eine Idee war,
diese Bemerkung über Putnam schrieb?“ sondern eine Bewegung gegen die vorherr-
Fromms Augen waren immer auf die Zu- schenden Zustände, ein flüchtiger Blick in die
kunft und eine neue klassenlose Gesellschaft auf Zukunft. Hören Sie, was er mir schrieb, als er
wirklich humanen Grundlagen gerichtet. Am von den drei „Teilen“ hörte, die ich in meinem
wenigsten bekannt von seinen multidimensiona- letzten Werk Rosa Luxemburg, Women’s Libera-
len Interessen war die Beziehung Mann/Frau tion, and Marx’s Philosophy of Revolution er-
und keineswegs nur psychologisch gesehen. Es zählt hatte:
war eher das Bedürfnis nach völlig neuen „Ich glaube, dass die männlichen Sozialde-
menschlichen Beziehungen im Marxschen Sinne: mokraten nie Rosa Luxemburg verstehen konn-
Eine globale Vision in die Zukunft bedeutete ten, noch konnte sie den Einfluss erlangen, für
auch einen Blick zurück in die Vergangenheit. den sie das Potential hatte, weil sie eine Frau
Deshalb waren ihm die Studien von Bachofen war; und die Männer konnten keine wahren
über matriarchalische Gesellschaften sehr sympa- Revolutionäre werden, weil sie sich nicht von
thisch, nicht weil er an die Existenz matriarchali- ihrer männlichen, patriarchalen und folglich
scher Gesellschaft glaubte, sondern weil es einem dominierenden Charakterstruktur emanzipierten.
eine Vision einer alternativen Gesellschaft zu die- Schließlich ist die ursprüngliche Ausbeutung die
ser patriarchalischen entfremdeten Klassengesell- der Frau durch den Mann, und es gibt keine so-
schaft ermöglicht, in der wir leben. Als er das ziale Befreiung, solange es keine Revolution im
Patriarchat mit Klassenherrschaft in Verbindung Krieg der Geschlechter gibt, die zu völliger
brachte, hatte er den hervorragenden Begriff da- Gleichheit führt ... Leider habe ich niemanden
für erfunden: „patricentric-acquisitive“. kennen gelernt, der sie noch persönlich kennen
Weit von der Erkenntnis entfernt, dass ver- gelernt hat. Was für ein schlimmer Bruch zwi-
gangene Dinge nur eine Frage der Erinnerung schen den Generationen.“
seien, wird dadurch die Einheit von Mann und Dieser Brief wurde am 26. Oktober 1977
Frau deutlich: der Mensch als Gesamtheit, der geschrieben. Lassen wir nicht noch einen
nicht nur quantitativ messbar ist, sondern etwas „schlimmen Bruch zwischen den Generationen“
Dialektisches, das Bewegung zeigt, eine Bewe- geschehen. Um die Zukunft vorzubereiten, muss
gung nach vorn. Dies betonte Fromm, als er bei man die revolutionäre Vergangenheit kennen.
der Gründung eines internationalen Forums für Fromm als Sozialistischen Humanisten kennen zu
seinen „Sozialistischen Humanismus“ hervorhob, lernen, ist ein guter Anfang.

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