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Berlin, den 15.10.

2015

Möglichkeit einer Zurückweisung von Schutzsuchenden


an deutschen Grenzen

Ausgangslage
- Die derzeitigen temporären Grenzkontrollen sehen keinen
Grenzübergangszwang an einem bestimmten Ort vor, d.h. die
Grenzen können an jeder Stelle überschritten werden. An einer
zugelassenen deutschen Grenzübergangsstelle ist ein Ausländer
erst eingereist, wenn er die Grenze überschritten und die
Grenzübergangsstelle passiert hat. Im Übrigen ist ein Ausländer
eingereist, wenn er die Grenze überschritten hat (§ 13 Abs. 2 Satz
1 und Satz 3 AufenthG).

Fallkonstellation
- Ohne Schutzersuchen wird ein Ausländer, der unerlaubt einreisen
will (z.B. fehlender Pass oder Aufenthaltstitel), an der Grenze
zurückgewiesen (§ 14 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 1 AufenthG). Ein
Ausländer kann darüber hinaus z.B. bei fehlenden Miteln für den
Lebensunterhalt oder bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes
oder einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung nach dem SIS
zurückgewiesen werden (§ 15 Abs. 2 AufenthG).
- Nach nationalem Recht ist einem Ausländer mit einem
Schutzersuchen die Einreise zu verweigern, wenn er aus einem
sicheren Drittstaat einreist oder Anhaltspunkte dafür vorliegen,
dass ein anderer Mitgliedsstaat für die Durchführung des
Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder
Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 und 2
AsylVfG). Allerdings hat die Dublin-Verordnung grds.
Anwendungsvorrang vor nationalem Recht.
- Nach der Dublin-Verordnung prüfen die Mitgliedsstaaten bei jedem
Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatenangehöriger
im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates einschließlich an der
Grenze oder in den Transitzonen stellt (Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
Dublin-VO), welcher Mitgliedsstaat zuständig ist.

Primär: Zurückweisungsrecht nach Artikel 3 Abs. 3 der Dublin-III-


Verordnung
- Nach der Dublin-III-Verordnung behält aber jeder Mitgliedsstaat
das Recht, einen Antragssteller nach Maßgabe der Bestimmungen
und Schutzgarantien der Asylverfahrens-Richtlinie (32/2013/EU) in
einen sicheren Drittstaat zurückzuweisen (Art. 3 Abs. 3 Dublin III –
VO).
- Insoweit stellt sich die Frage, ob unter Drittstaat – wie nach
deutschem Recht – auch ein Mitgliedsstaat der EU als ein solcher
sicherer Drittstaat angesehen werden kann. Dies erscheint
vertretbar, angesichts der Verwendung des Begriffs Drittstaat im
Asylrecht, ist aber mit rechtlichen Risiken behaftet. In einer
Gesamtbewertung des Ist-Zustands können damit auch
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, wie Österreich, als
sichere Drittstaaten angesehen werden (Art. 3 Abs. 3 Dublin III. –
VO, 39 Asylverfahrens-RiLi, Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG). Davon
geht auch der deutsche Gesetzgeber in § 26a Absatz 2 i. Vm. § 18
Absatz 3 und Absatz 2 Nummer 1 AsylVfG aus.
- Für eine solche weite Auslegung, die Deutschland ein
Zurückweisungsrecht nach Artikel 3 Abs. 3 der Dublin-III-
Verordnung gibt, spricht auch der Rechtsgedanke des Artikels 72
AEUV, der ein Tätigwerden des Mitgliedsstaates zum Schutz der
inneren Sicherheit akzeptiert. Aus dem derzeitigen
Systemversagen des europäischen (Außen-) Grenzschutz- und
Asylsystems mit einem anhaltenden Massenzustrom bei
mangelhaften Außengrenzenkontrollen anderer Mitgliedstaaten,
einer flächendeckenden Nichtanwendung der Dubliner
Zuständigkeitsregelungen und von Eurodac-Registrierungen sowie
der Durchleitung von tausenden Schutzsuchenden durch alle
Transitstaaten bis an die deutsche Grenze ergibt sich eine
fundamental neue Situation, die hier ein Vorgehen zum Schutz der
öffentlichen Sicherheit eröffnet.

Sekundär: Begründung des Zurückweisungsrechts mit Artikel 72


AEUV
- Abgesehen von dem berufen auf Artikel 3 Abs. 3 der Dublin-III-
Verordnung könnte hilfsweise auch ein Berufen auf Art. 72 AEUV
in Betracht kommen.
- Gemäß Art. 72 AEUV berührt Titel V AEUV nicht die
Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten für die
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der
inneren Sicherheit.
- Einerseits setzt die als Ordre-public-Klausel bzw.
„Souveränitätsvorbehalt“ verstandene Norm die unionsvertragliche
Kompetenzverteilung nicht insgesamt außer Kraft. Anderer kann
die Norm auch so verstanden werden, dass die Mitgliedsstaaten
„unter Berufung auf Art. 72 im Ausnahmefall von EU-
Rechtsvorschriften abweichen (können), die auf der Grundlage von
Titel V AEUV erlassen worden sind, nämlich dann, wenn die
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit
im konkreten Fall eine Nichtanwendung einer EU-Rechtsvorschrift
bzw. Ein Abweichen von den Vorgaben einer solchen
Rechtsvorschrift erfordern.“ (So etwa mit weiterem Nachweis
Herrnfeld, in: Schwarz, EU-K, 3. A. 2012, Art. 72, Rn. 3).
- Welche Maßnahmen ein Mitgliedsstaat unter Berufung auf Art. 72
AEUV als mit dem Unionsrecht vereinbar konkret ergreifen darf, ist
schwer bestimmbar. In jedem Fall handelst es sich bei Art. 72
AEUV um eine unionsrechtliche Bestimmung, die der autonomen
Auslegung und Anwendung durch die Mitgliedsstaaten entzogen ist
und die ggf. Der EuGH im Rahmen seiner Rechtsprechung in
einem späteren Verfahren auszulegen hätte. Überdies ist zu
bedenken, inwieweit die Berufung auf Art. 72 AEUV andere EU-
Mitgliedsstaaten ermuntern könnte, dies – in einem gegen die
deutschen Interessen gerichteten Sinne – ebenfalls zu tun.

Auswirkungen
- Unabhängig davon, ob man eine Zurückweisung an der Grenze auf
Artikel 3. Abs. 3 der Dublin-Verordnung oder hilfsweise auf Artikel
72 AEUV stützt, wäre Folgendes zu berücksichtigen:
- Zu beachten wären menschenrechtliche Schutzgewährungen, die
sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergeben
(Art. 3, Verbot unmenschlicher Behandlung; Verbot der
Kollektivausweisung).
- Zu beachten wäre fern unter sonstiger Berücksichtigung des
Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und der Europäischen
Menschenrechtskonvention wie mit Schutzsuchenden nach der
Zurückweisung durch deutsche Behörden z.B. nach Österreich
weiter verfahren wird (z.B. Minderjährige, besonders
Schutzbedürftige)

Ergebnis:
- Vorstehend wird lediglich die rechtliche Möglichkeit aufgezeit, an
der Grenze zurückzuweisen. Das Ob und ggf. der Umfang (z.B.
Personen nur aus bestimmten Ländern) ist politisch zu
entscheiden.
- Dabei wäre zu beachten, dass eine mögliche Differenzierung nach
Nationalität und Familienzugehörigkeit in der Praxis zu Problemen
führen kann, da oftmals keine Dokumente vorhanden sind und
Verwandtschaftsbeziehungen nicht nachgewiesen werden können.
- Sofern Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen
Binnengrenze erfolgen sollen, wären nachstehende mögliche
Auswirkungen zu berücksichtigen:
o Politischer Widerstand seitens Österreich, anderer MS (wenn
Vorgehen nicht abgestimmt) und auch der KOM ist zu
erwarten,
o Schwierige Versorgung- und Unterbringungssituation im
Grenzgebiet,
o Öffentlichkeitswirksame Handlungen, z.B. Sitzblockaden auf
Verkehrswegen, Hungerstreiks, Überrennen von
Polizeikräften,
o Erhebliche Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden
Verkehr,
o Umgehung über die grüne Grenze (Zurückweisung wäre nur
unmittelbar an der Grenzlinie möglich, was in vollem Umfang
kräftemäßig kaum leistbar ist),
o Nur noch bedingte Möglichkeit einer strukturierten und
organisierten Verteilung der Migranten in Deutschland, da
viele Personen dann eigenständig ohne behördliche
Einflussnahme ins Inland weiterreisen werden

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