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Zentrum für Medien und soziale Arbeit

in Mittweida
NS-Dokumentationszentrum in München

Blick in eine noch unbe-


stückte Ausstellungsebene
Die Stadt München hat sich viel
des NS-Dokumentations-
zentrums in München
Foto: Stefan Müller
Zeit gelassen. Am 30. April, siebzig
Jahre nach Kriegsende, eröffnet
am Königsplatz das NS-Dokumen-
tationszentrum. Gründungsdirek-
tor Winfried Nerdinger reagiert
schlagfertig auf die Frage, warum
sich das Haus, ähnlich wie die
Topographie des Terrors in Berlin,
so neutral und nahezu eigen-
schaftslos präsentiert Friederike Meyer

„Ja, wie schaut


ein NS-Dokumen-
tationszentrum
12 THEMA Bauwelt 16.2015
denn aus?“
Bauwelt 16.2015 THEMA 13
Störenfried
1 NS-Dokumentationszentrum teils umgenutzt, teils abgerissen und durch Neu-
12 2 Sockel Ehrentempel Nord bauten ersetzt. Noch vor der entscheidenden
(gerodet) Reichstagswahl im März 1933 begann der Aufkauf
3 Sockel Ehrentempel Süd der Häuser im Kreuzungsbereich von Arcisstraße
4 Hochschule für Musik und und Brienner Straße, welche die Ostflanke des
7 4 Theater, ehem. Führerbau
10 Königsplatzes gebildet hatten; hier entstand,
5 Haus der Kulturinstitute,
ehem. NSDAP-Verwaltung ebenfalls nach Plänen von Troost, das Parteizen-
2 1
6 Königsplatz trum mit dem „Führerbau“ im Norden und dem
9 6 11
3 7 Glyptothek „Verwaltungsbau“ im Süden. Dazwischen scho-
8 Staatliche Antikensammlung ben sich, die Einmündung der Brienner Straße
8
9 Propyläen in den Königsplatz markierend, die sogenannten
Das NS-Dokumentationszentrum am Königsplatz in München will ein Zeichen 5
10 Lenbachhaus Ehrentempel mit den Sarkophagen der „Gefal-
gegen das Vergessen sein. Weißbeton bildet den Hintergrund zum Erinnern 1 1 Karolinenplatz lenen der Bewegung“, also jener NSDAP-Kämp-
12 Ägyptisches Museum, Hoch- fer, die 1923 bei Hitlers gescheitertem Putsch-
schule f. Fernsehen u. Film
versuch ums Leben gekommen waren. Die auch
noch von Troost verantwortete Pflasterung des
Kritik Hubertus Adam Fotos Stefan Müller Königsplatzes mit Granitplatten schuf für die
Parteibauten einen gigantischen Vorplatz und
degradierte die Gebäude aus der Epoche Lud-

Links: Der plattenbelegte


Königsplatz, 1935, als Auf-
marschplatz, im Hinter-
grund Führerbau, Ehren-
tempel und „Braunes Haus“
Foto: Bayerische Staats-
bibliothek/Bildarchiv (hoff-
11893); Lageplan im Maß-
stab 1:7500

Vom Königsplatz aus gut sichtbar, erhebt sich


hinter dem unlängst von camouflierendem
Bewuchs befreiten Sockel des einstigen NS-
„Ehrentempels“ an der Brienner Straße ein enig-
matisches Gebäude: Es ist kubisch in der Form,
mithin abstrakt, und wahrt damit Distanz zur
klassizistischen und neoklassizistischen Bebau-
ung; es ist etwas höher als seine baulichen
Nachbarn; und es besteht aus weißem Sicht-
beton, nicht aus Naturstein. Das Gebäude zele-
briert seine Andersartigkeit nicht, es zeigt sie
schlicht; es verstört mit subtiler Irritation.
Das NS-Dokumentationszentrum München
steht an einem historisch „belasteten“ Ort. 1930
erwarb die NSDAP das zwischen Karolinen- und
Königsplatz auf der Nordseite der Brienner Stra-
ße gelegene Palais Barlow, das gut ein Jahrhun-
dert zuvor von dem Klenze-Mitarbeiter Johann
Baptist Métivier errichtet worden war. Paul Lud-
wig Troost (1878–1934) erhielt den Auftrag, es zu
einem „Parteiheim“ umzubauen und zu erwei-
tern. Das nunmehr „Braune Haus“ wurde zum
Nukleus einer sich schrittweise vollziehenden
nationalsozialistischen Umgestaltung der Max-
vorstadt. Seit 1933 erwarb die NSDAP zwischen
Gabelsbergerstraße, Barer Straße, Karlstraße
und Arcisstraße mehr als fünfzig Grundstücke.
Für diverse Organisationen und Gliederungen
der Partei wurden die bestehenden Gebäude

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Architekten
Georg Scheel Wetzel
Architekten, Berlin

Mitarbeiter
Inge Günther, Antje Utpatel,
Karin Drexler, Andreas
Gülzow, Diego Peña Jurado

Objektüberwachung
Wenzel + Wenzel
Freie Architekten

Landschaftsarchitekten
Weidinger Landschaftsar-
chitekten

Tragwerksplanung
Ingenieurbüro Dr. Lammel

Gebäudetechnik TGA
ZWP Ingenieur

Lichtplanung
Conceptlicht

Bauherr
Landeshauptstadt München

Hersteller
Weißzement Dyckerhoff
Dachdämmung Deutsche
FOAMGLAS
Beton Heidelberger Beton,
Wertach Fertigteilwerk
Lufträume im Inneren ver- Fliesen Villeroy & Boc
Schalter Albrecht Jung
binden je zwei Geschosse.
Sie zeichnen sich an der
Fassade durch mehrere
schmale vertikale Fenster
ab.

Die Blicke auf die umliegen- wigs I. (Glyptothek, Antikensammlung, Propylä- tungsbau, von Kriegseinwirkungen weitgehend Verdrängung hartnäckig Aufklärungsarbeit leis-
den Bauten, wie etwa auf
en) zu Kulissen. verschont, schon zur Zeit der amerikanischen teten. Ein Bürgergremium forderte 1996 einen
den ehemaligen Führerbau,
die heutige Hochschule Das Partei- und Kultzentrum der NSDAP in Besatzung für kulturelle Zwecke umgenutzt der Berliner „Topographie des Terrors“ entspre-
für Musik und Theater, sind München war das erste Großbauvorhaben des wurden, sprengte man die Ehrentempel Anfang chenden Dokumentationsort und fand beim Be-
Teil der Ausstellung
Nationalsozialismus in München und präfigu- 1947, verbarg die verbliebenen Sockel aber zu- zirkausschuss Maxvorstadt Gehör. 2001 bzw.
Schnitt im Maßstab 1:500
rierte mit dem von Troost kultivierten Monumen- nächst hinter Holzgerüsten. Zehn Jahre später 2002 sprachen sich der Münchner Stadtrat und
talklassizismus spätere repräsentative Bauvor- wurden die Relikte bepflanzt, was zu der bizar- die Bayrische Landesregierung für das Vorha-
haben, ob in Berlin oder an anderen Orten des ren Situation geführt hat, dass der südliche So- ben aus, doch mussten noch einige Jahre ins
Reiches und der besetzten Gebiete. Zugleich ckel Eingang in die Liste geschützter Grünan- Land gehen, bis die paritätische Finanzierung
zeugte es von der sich nach 1933 verstärkenden lagen gefunden hat – als Biotop. Einen späten der Baukosten (28,2 Millionen Euro) durch Bund,
Landnahme der Partei in München, jener Stadt, Widerhall hat diese Strategie des „Gras-drüber- Land und Stadt gesichert war und der Realisie-
die für die Frühgeschichte der Partei von großer wachsen-Lassen“ 1987/88 in der Entfernung rungswettbewerb für ein NS-Dokumentations-
Bedeutung war. Die Aktivitäten überformten der Granitplatten des Königsplatzes und der zentrum durchgeführt werden konnte. 2009
die Maxvorstadt und eliminierten wichtige Zeug- nachfolgenden Begrünung gefunden, mit der vor- sprach sich die Jury für den Entwurf des Berliner
nisse des Klassizismus, darunter Bauten des geblich der historische Zustand wiederherge- Büros Georg Scheel Wetzel Architekten aus
Klenze-Vorgängers Carl von Fischer. stellt wurde. (Bauwelt 12.2009); nach zwei Jahren Bauzeit wird
0 10 Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus Dass die nationalsozialistische Geschichte am 30. April das NS-Dokumentationszentrum als
begann an den Opferorten, in Bayern mit den KZ- des Ortes überhaupt in das öffentliche Bewusst- „Lern- und Erinnerungsort zur Geschichte des
Gedenkstätten Dachau und Flossenbürg. Wie sein zurückkehrte, ist einerseits dem Zentral- Nationalsozialismus“ offiziell eröffnet. Sein Stand-
auch in anderen Teilen Deutschlands tat man institut für Kunstgeschichte zu verdanken, das ort ist das Jahrzehnte brachliegende Grund-
Im Umgang mit den Täterorten tat man sich in Bayern, sich im Freistaat mit den Täterorten schwerer. im damals noch mit wildem Wein berankten ehe- stück des kriegszerstörten und anschließend ab-
wie auch in anderen Teilen Deutschlands, ungleich Das lässt sich paradigmatisch am Umgang mit
dem früheren Parteizentrum in München nach
maligen „Verwaltungsbau“ 1995 eine Ausstellung
zum Thema präsentierte; andererseits waren es
gerissenen „Braunen Hauses“.
Das Berliner Büro Georg Scheel Wetzel hat
schwerer als mit den Gedenkorten für die Opfer 1945 nachweisen. Während Führer- und Verwal- Bottom-up-Initiativen, die angesichts offizieller einen oberirdischen Würfel aus Weißbeton mit

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einer Kantenlänge von 22,5 Metern realisiert; den, durch vertikale Betonlamellen rhythmisierte lauf realisierte Entwurf mit seinem Edelbara-
das ungefähr gleiche Volumen findet sich noch- Fensteröffnungen ab. Das Haus ist nicht als cken-Charme sicherlich keine überzeugendere
mals auf zwei Untergeschosse verteilt, wobei Black-Box konzipiert, sondern als Ort, der es den Lösung darstellt (Bauwelt 16.2010). Dabei zeigte
das Auditorium unter dem mit Platten belegten Besuchern ermöglichen soll, sich visuell in der sich das Dilemma der Täterorte: Auch wenn
Vorplatz angeordnet ist. Vom Foyer im Erdge- historischen und aktuellen Topografie zu orien- Ästhetisierung vermieden werden muss und soll,
schoss fahren die Besucher per Aufzug in das tieren. Die Ausblicke auf die Umgebung sind für geht es bei Architektur immer um Gestaltung,
vierte Obergeschoss, wo die Dauerausstellung die Konzeption des Gebäudes konstitutiv; daher die auch im Falle dieser Bauaufgabe gut sein
beginnt, die sie bis hinab ins zweite Oberge- überragt es die klassizistischen Bauwerke eben- sollte. Die kräftige Geste einer architektonischen
schoss durchlaufen; Sonderausstellungen finden so wie den benachbarten „Führerbau“, ohne je- Intervention, wie sie Günther Domenig in Nürn-
im ersten Geschoss statt, Seminarräume und doch den Maßstab radikal zu sprengen. berg beim Dokumentationszentrum Reichspar-
die Verwaltung liegen im fünften. Sämtliche Er- Für Dokumentationszentren an Täterorten teitagsgelände ausführte, war anders gelagert:
schließungen sind in einem Kern gebündelt, gibt es keine allgemeinverbindliche architekto- Sie musste im bombastischen Torso der Kon-
der innerhalb des Grundrissquadrats leicht ex- nische Strategie – außer der Forderung, dass gresshalle ein Zeichen der Andersartigkeit set-
zentrisch angeordnet ist; beim Geschossrund- sich die Formensprache eher zurückhaltend dar- zen.
gang ergeben sich damit schmalere Raumbe- stellen sollte, auf jeden Fall nicht modisch und Georg Scheel Wetzel gehen in München un-
reiche auf der Nord- und Ostseite sowie breitere vordergründig. Das Zuviel an architektonischer gleich subtiler vor. In dieser komplexen urbanen
Richtung Süden und Westen. Lufträume im In- Ambition hatte 1995 Zumthors Projekt für die Topografie verbietet sich ein allzu eindeutiges
neren verbinden je zwei Geschosse und zeichnen „Topographie des Terrors“ in Berlin zu Fall ge- Zeichen. Das NS-Dokumentationszentrum ist
sich an der Fassade mit geschossübergreifen- bracht, wobei der schließlich in einem neuen An- das Gegenteil einer Architektur Parlante; es ist

Treppenhaus im UG OG 3 OG 4 OG 5
10

Vom Archiv im ersten


Untergeschoss kann man
seitlich ins Auditorium
schauen. Beide Räume
erstrecken sich unter dem eine Architektur, die schweigt, sich vermeintlich
Vorplatz.
neutral und ohne Eigenschaften gibt. Dabei zitiert
0

Grundrisse im Maßstab
1:500 sie in ihrer Kubatur und Haltung durchaus histo-
rische Epochen: so die frühen Villen, die unter
Carl von Fischer und dem Landschaftsarchitek-
ten Friedrich Ludwig Sckell in der Maxvorstadt
realisiert wurden, bevor Leo von Klenze die Pla-
nung des Gebiets um den Königsplatz übernahm;
EG OG 1 OG 2
oder die vereinzelten Nachkriegsbauten am Ka-
rolinenplatz, etwa die Landesbausparkasse von
Josef Wiedemann (1956) oder das Amerika-Haus
von Karl Fischer und Franz Simm (1957).
Man kann den Neubau von Georg Scheel
Wetzel wie eine Kippfigur verstehen, die je nach
Lesart im Ensemble um den Königsplatz vage
im Hintergrund bleibt oder leicht in den Vorder-
grund drängt. Er wird in seiner bewussten An-
dersartigkeit erkennbar – und fügt sich doch
In dieser komplexen urbanen Topografie auch ein. Indem die Architekten die irritierenden
Potenziale der Abstraktion nutzen, ist ihnen ein
verbietet sich ein allzu eindeutiges adäquater Ausdruck für einen Lern- und Doku-

Zeichen. Das NS-Dokumentationszentrum mentationsort an dieser Stelle gelungen: Denn


Lernen bedeutet, Differenzen zu erkennen, Ler-

UG 2 UG 1
ist eine Architektur, die schweigt nen heißt Sensibilisierung.

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