HO BR 64 VON Märklin
Der Bubikopf
Nach über 50 Jahren die Wiederauferstehung: Erschien 1948 in Göppingen die
TP 800 als archaischer Bubikopf für Menschen mit viel Fantasie, so präsentiert
der Branchenführer aktuell eine absolut zeitgemäße Baureihe 64.
A
uf diese Lok haben
die eingefleischten
Märklinisten sehn-
süchtigst gewartet.
Mit der BR 64 – auch liebevoll
Bubikopf genannt – erhält der
Wechselstrombahner eine
vielseitig einsetzbare Tender-
lok. Denn der Bubikopf be-
währte sich sowohl vor Güter-
als auch vor Reisezügen. We-
gen seiner niedrigen Achslast
durfte er auf Haupt- und Ne-
benbahnen verkehren und
das mit einer Höchstge-
schwindigkeit von respektab-
len 90 km/h. Kurzum: das ide-
ale Vorbild für den Modell-
bahner.
Märklins Neuerscheinung
kostet „geräuschlos“ 250 Eu-
ro bzw. als Soundversion 300
Euro, setzt sich also vom
Preis her deutlich von den ei-
genen Hobby-Modellen ab.
Dabei muss sie allerdings
Fotos: Peter Wagner
nicht nur mit dem noch tau-
frischen Bubikopf von Roco
konkurrieren, der ebenfalls
für das Wechselstromsystem
16 Modellbahn Illustrierte 07/08 | 2008
a ngeboten w ird, sonder n
bald auch mit der eigenen
BR 24. Dieser „Bubikopf mit
Schlepptender“ wird bereits
f ür 130 Euro über die La-
dentheke wa nder n. Zwa r
muss die 24-er ohne den ak-
tuellen Softdrive-Sinus-Mo-
tor über die Gleise rattern,
doch wie soll der Fachhänd-
ler den enormen Preisunter-
schied dem Kunden anders
plausibel machen?
Technik
Gut geschützt ruht der 250
Gramm schwere Bubikopf in
einer Kunststoff-Umverpa-
ckung, die von einer Karton-
sc h ac hte l u m hü l lt w i rd .
Märklinüblich liegt eine gu-
te, mehrsprachige Betriebs-
anleitung bei, die keine Fra-
gen offen lässt und eine Er-
satzteilliste beinhaltet. Die
Lok ist spielfertig montiert;
led igl ic h Kolbensta ngen-
schutzrohre und Schlauch-
kupplungen können bei Be-
darf nachgerüstet werden.
Das macht allerdings nur
Sinn, wenn man die 64-er
auf Radien von über 45 Zen-
timetern einsetzen möchte.
Interessiert man sich für die
Innereien, so outet sich der
Bubikopf als Toupet-Träger.
Schon nach dem Lösen einer
Schlitzschraube (diese befin-
det sich gut versteckt im ers-
ten Dom) und dem Abziehen
der vier Griffstangen lässt
sich das Gehäuse nach oben
abnehmen. Prima – so muss
es sein! Zur Wartung bzw.
zum Ölen öffnet man die Lok
erst nach 40 Betriebsstunden.
Ansonsten ist der kleine Ein-
griff nur zum Einbau eines
Seuthe-Rauchentwicklers er-
forderlich.
Fast mittig unter dem Lang-
kessel ruhen die Platine, die
21-polige Schnittstelle, der
Decoder und der kleine, aber
feine Softdrive-Motor, der be-
sonders beim Bubikopf für
ein ausgesprochen kontrol-
lierbares Langsam-Fahrver-
halten sorgt. Insgesamt ist die
Modellbahn Illustrierte 07/08 | 2008
Fahrdynamik – bei stets de-
zenter Geräuschkulisse – als
sehr gutmütig zu bezeichnen.
Selbst den Mittelschleifer
hört man kaum.
Wer gerne rangiert, wird be-
geistert sein, wie die Lok im
Schritttempo ohne jedes Ru-
ckeln geräuschlos über die
Abstellgleise schleicht. Der
Motor treibt über ein Schne-
cken-/Stirnradgetriebe die
dritte Kuppelachse an, die
über die Kuppelstangen die
Kraft an die beiden anderen
Achsen weitergibt.
Die Durchzugskraft des Mo-
tors reicht in Verbindung mit
dem Eigengewicht und den
beiden Haftreifen völlig aus,
auch vorbildgerechte, mittel-
schwere Züge souverän zu be-
fördern. Gerade beim Mus-
tern des Fahrwerks erkennt
man, dass die Entwickler eine
wirklich neue Lok realisieren
wollten. So hat die B-Achse
für das Überfahren von Wei-
chen oder schlecht verlegten
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Hervorragend detailliert: die filigrane, voll bewegliche Heusinger-Steuerung.
Gleisen ein enormes Seiten-
und Höhenspiel.
Die kompakte Bauform des
Motors hat noch einen ganz
entscheidenden Vorteil. Da
der Antrieb komplett unter
dem Langkessel verschwin-
den kann, ragt er nicht wie
bei vielen Tenderloks in das
Führerhaus hinein. Beim Bu-
bi kopf ist a lso ein f reier
Durchblick gewä hr t, und
man hat sogar die Möglich-
keit, den Führerstand mit
Lokführer- und Heizerfigu-
ren auszustatten.
Im Analogbetrieb entwickelt
d ie L ok ei ne Sc h nel lzug-
Höchstgeschwindigkeit, aus
der die Maschine einen Aus-
lauf von etwa einer Loklänge
entwickelt.
Die mit der Fahrtrichtung
wechselnde Dreilicht-Spit-
So muss es sein: freier Blick durch das eingerichtete Führerhaus. zenbeleuchtung wird von
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wartungsfreien LEDs reali-
siert, die schon bei minima-
ler Spannung ein ausreichend
helles, recht authentisches
Licht erzeugen. Das obere
Spitzenlicht erscheint (auf-
grund des längeren Lichtlei-
ters) ein wenig dunkler, ist
allerdings auch durch den
Schlot von oben zu „bewun-
dern“. Zeitgemäß ist die Lok
mit einer beidseitigen Kurz-
kupplungskinematik (mit
Normschacht) ausgerüstet.
Den Dampf loksound kann
man nur im Digitalbetrieb ge-
nießen. Daher sollten reine
Analogbahner auf jeden Fall
die um 50 Euro billigere Vari-
ante mit der Artikelnummer
39545 wählen. Die Geräusche
scheinen durchaus von einer
„großen“ 64-er zu stammen,
denn es sind ja bekanntlich
noch einige Loks bei Muse-
umsbahnen aktiv. Die Aus-
wahl bzw. die Präsentation
des spezifischen Sounds ist –
zumindest im mfx-Betrieb –
guter Durchschnitt, vom Ho-
cker reißt er den Tester jedoch
nicht. Acht Geräusche sind di-
rekt schaltbar. Sehr gut ver-
steckt wurde der Lautspre-
cher oberhalb des Nachlauf-
drehgestells. Übrigens: Einige
der allerersten Neuausliefe-
rungen irritierten die Modell-
bahner durch Auspuffstöße,
die stark an eine Maschinen-
gewehr-Salve erinnerten. Der
Hersteller handelte jedoch
rasch und beseitigte nach
Einschicken umgehend diese
Mängel.
Optik
„Die Göppinger können kei-
ne gescheiten Dampf loks
bauen !“ – Es soll immer noch
Zeitgenossen geben, die starr-
sinnig diesen Blödsinn be-
haupten. Der neue Bubikopf
kann äußerst erfolgreich die-
se Vorurteile vom Tisch fe-
gen. Als der Tester in freudi-
ger Erwartung das neue Mo-
del l aus der Ver pac k u ng
befreite und zunächst ober-
flächlich musterte, glaubte er
spontan zu erkennen: „Das
ist der schönste Märklin-
Dampfer!“ Die „Auf-den-ers-
HO BR 64 VON Märklin
ten-Blick-Beurteilung“ hat er
bis zum Testende nicht revi-
dieren müssen.
Das typische Mattschwarz
lässt die etwas gedrungene
Lokkonstruktion ungemein
elegant erscheinen. Für das
eigentliche Aha-Erlebnis sorgt
der üppig dekorierte und
prächtig gravierte Kessel, des-
sen Leitungen größtenteils
freistehend ausgeführt sind.
Die feinen Handräder sind
selbstverständlich durchbro-
chen.
Da nicht alle 64-er identisch
aussahen, muss sich der kriti-
sche Modellbahner nicht über
die glatten, geschweißten
Wasserkästen und das hinte-
re Tellerrad wundern. Diese
Ausführung ist vorbildgetreu.
Vielmehr sollte er sich erfreu-
en an den Bremsklötzen, die
exakt auf Radebene liegen,
und an den zierlichen Sand-
fallrohren. Selbst der vordere
Träger unter dem Kessel wur-
de mit Nieten bestückt – De-
tailgenauigkeit per excel-
lence! Auch die Lampen sind
absolut vorbildgetreu; ihre
Größe stimmt fast exakt im
Maßstab 1:87.
Auch der typische Barrenrah-
men wurde teilweise nachge-
bildet und lässt sogar einen
Blick auf die Räder der ande-
ren Seite zu. Die vorderen und
hinteren Schienenräumer sit- 64 250 mit rotem Punkt: Das Vorbild hatte eine Stahlfeuerbüchse.
zen allerdings nicht am Rah-
men, sondern am Vor- bzw. enmodell kann man diesen Kommen wir zum Fahrwerk: optisch hervorragende Ge-
Nachlaufgestell. Diese Kröte Kompromiss durchaus akzep- Die filigrane Heusinger-Steu- s a m t e i n d r u c k ge w a l t i g .
muss der Bubikopf-Fan wohl tieren. Ein echter Hingucker erung wurde perfekt nach- Schade!
schlucken. Ohne diesen Trick ist das Fabrikschild „Henschel gebildet und sieht aufgrund
wäre die Lok für die modell- & Sohn“ auf den Zylindern. der dunklen Vernickelung www.maerklin.de
bahnspezifisch engen Radien leicht ölig aus.
völlig ungeeignet. Etwas zu
hoch sitzen die Pufferboh-
Die Griffstangen des Führer-
standes (und auch andere Lei- Bei so viel Lob darf auch et-
Fazit
len, optisch störender sind tungen) sind aus einem flexi- was Tadel nicht fehlen: Zwar Tatsache: Der Bubikopf ist der
a l lerdings die w uchtigen blen und daher relativ bruch- haben die Göppinger endlich schönste Göppinger Dampfer!
Schutzbleche. sicherem Kunststof f. Wie auch die Achskerne rot la- Die Baureihe 64 ist eine tolle
bereits erwähnt, erfreut sich ckiert, doch entsprechen die Neuerscheinung, die technisch
Die Bedruckung ist – wir hät- der Voyeur an einem unge- Räder immer noch nicht dem wie optisch begeistern kann.
ten es auch nicht anders er- hinderten Blick in das Reich „State of the art“. Der Tester Freuen wir uns auch darüber,
wartet – vollständig und ta- des Lokführers bzw. Heizers könnte mit der Nachbildung dass Märklin die Tenderlok noch
dellos ausgeführt. Die Lok­ und erkennt so die nachgebil- der Speichen durchaus leben, in etlichen Varianten bringen
nummern sind allerdings deten Armaturen. Schnellst- aber unter den wuchtigen kann (und wird). Selbst eine
nicht erhaben ausgeführt, möglich sollten zwei Preiser- Achskernen sowie den di- österreichische 64-er ist schon
sondern leicht schattiert dar- lein dem rußigen Arbeits- cken, unlackierten Radlauf- im Anmarsch.
gestellt. Bei einem Großseri- platz Leben einhauchen. kränzen leidet der ansonsten
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