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Deutsche

Forschungsgemeinschaft

Beiträge zur
bibliographischen Lage in der
germanistischen
Literaturwissenschaft

Referate eines Kolloquiums


der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N .
5.-7. März 1980

Im Auftrag der Ständigen Arbeitsgruppe


für germanistische Bibliographie herausgegeben
von Hans-Henrik Krummacher

Kommission für
Germanistische Forschung
Mitteilung III
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Beiträge z u r bibliographischen Lage i n der


germanistischen Literaturwissenschaft: Referate
e. K o l l o q u i u m s d . D t . F o r s c h u n g s g e m e i n s c h a f t ,
D t . L i t e r a t u r a r c h i v M a r b a c h a. N . , 5.-7. M ä r z
1980 / D t . F o r s c h u n g s g e m e i n s c h a f t . I m A u f t r . d .
S t ä n d i g e n A r b e i t s g r u p p e für G e r m a n i s t . B i b l i o g r .
hrsg. v o n H a n s - H e n r i k Krummacher. - B o p p a r d :
B o l d t , 1981.
( M i t t e i l u n g / K o m m i s s i o n für Germanistische
F o r s c h u n g ; 3)
I S B N 3-7646-1805-1

N E : Krummacher, H a n s - H e n r i k [Hrsg.); Deutsche


Forschungsgemeinschaft; Deutsche Forschungs-
gemeinschaft / K o m m i s s i o n für Germanistische
Forschung: Mitteilung

Harald Boldt Verlag


P o s t f a c h 110, 5407 B o p p a r d
I S B N : 3 7646 1805 1

© 1981
Deutsche Forschungsgemeinschaft
K e n n e d y a l l e e 40, 5300 B o n n 2
T e l e f o n (02 28) 8 8 5 - 1
Telegrammanschrift: Forschungsgemeinschaft
H e r s t e l l u n g : boldt druck b o p p a r d g m b h
INHALTSVERZEICHNIS

Seite
Vorwort 5

Tagungsprogramm 9

Teilnehmerverzeichnis 11

Günter Gattermann (Düsseldorf)


Bibliographien — Referatenorgane — Datenbanken . . . 13

Clemens KötteJruesch (Frankfurt a. M.)


Die „Bibliographie der deutschen Sprach- und
Literaturwissenschaft" 29

Tilman Krämer (Tübingen)


Die „Germanistik" 37

Valentin Schroeiger (Tübingen)


Das Projekt „Germanistische Literaturdokumentation:
GERDOK" 43

Hans-Gert R o l o f f (Berlin)
Die deutsche Literatur — ein biographisches und
bibliographisches Lexikon 59

Georg Jäger (München)


Der Forschungsbericht. Begriff — Funktion — Anlage . . 73

Franz Josef Worstbrock (Berlin)


Spätmittelalter und Humanismus. Zur Lage ihrer
bibliographischen Erschließung . 93

Elisabeth Stopp (Cambridge)


Zur bibliographischen Erschließung der Romantik . . . 111

3
R e i n h a r d T g a h r t (Marbach a. N.)
Zur bibliographischen Erschließung der deutschen
Literatur von 1880-1945 121

Hans-Albrecht Koch (Berlin]


Personalbibliographien 155

R e i n h a r d Wittmann (München)
Die bibliographische Situation für die Erforschung des
literarischen Lebens im 19. Jahrhundert (1830-1880) . . 171

Dieter Breuer (Aachen)


Die bibliographische Situation der historischen
Rhetorikforschung 199

Johannes J a n o t a (Siegen)
Geschichte der Germanistik als bibliographisches
Problem 211

Wulf S e g e b r e d i t (Mainz)
Die bibliographische Erschließung der Gelegenheits-
dichtung des 16.-18. Jahrhunderts 223

Ernst Weber (Regensburg)


Wechselwirkungen zwischen Gattungsbibliographie und
Literaturwissenschaft am Beispiel einer Bibliographie
zum Roman des 18. Jahrhunderts 257

Nachwort 281

4
DER F O R S C H U N G S B E R I C H T
BEGRIFF - F U N K T I O N - A N L A G E

V O N G E O R G JÄGER (MÜNCHEN)

„Die Forschung in Referaten zu überblicken, ist ein nützlicher Brauch" , 1

der aber in den letzten Jahren nicht mehr überall geübt wird. Die in
der Forschungsberichterstattung zeit ihres Bestehens maßgebliche
.Deutsche Vierteljahrs schrift' brachte nach dem Referatenheft von 1973
nur noch wenige Berichte; der .Deutschunterricht', der die Forschung
für die Fachdidaktik fruchtbar machen sollte, hat im gleichen Jahr mit
Forschungsberichten Schluß gemacht. Im .Euphorion', der bei seiner
Neugründung nach dem Krieg die „Aufgabe kritischer Berichterstattung
über den Gang der wissenschaftlichen Arbeit" „besonders wichtig" neh- 2

men wollte, erscheinen schon ab 1960 Forschungsberichte eher zufällig.


Dagegen ist das .Wirkende Wort' seiner Absicht treu geblieben, Einzel-
rezensionen der breiteren Information und kritischen Gewichtung we-
gen durch „zusammenhängende Berichte" zurückzudrängen, und der
3

.Philosophische Literaturanzeiger' hat aus mutmaßlich ähnlichen M o -


tiven 1978 „problembezogene Vergleichende Bücherberichte" einge- 4

richtet. Während wichtige ältere Organe Forschungsberichte links liegen


lassen und die Mehrzahl sie ohne erkennbare Redaktionspolitik von
Fall zu Fall aufnimmt, pflegen einige Neugründungen die Gattung mit
besonderer Sorgfalt. So erscheint sie in .Literatur in Wissenschaft und
Unterricht' (ab 1968), die darin den .Deutschunterricht' ablöst, als
stehende Rubrik. .Geschichte und Gesellschaft' (ab 1975) hat die „Ver-

1 Bernhard Gajek, Die Brentano-Literatur 1973-1978. E i n Bericht, i n :


Euphorion 72, 1978, S. 439-502, hier: S. 439.
2 Euphorion 45 1950, Geleitwort, S. 4.
;

3
Wirkendes Wort 21, 1971, Red. Notiz „ F o r s c h u n g s b e r i c h t e " auf S. 112.
4
Philosophischer Literaturanzeiger. Richtlinien für die Mitarbeit der Re-
zensenten, Ausgabe M ä r z 1978, mit genauen Angaben zur Anlage. A n -
hand von sachlich z u s a m m e n g e h ö r i g e n drei bis vier Neuerscheinungen
und zwei bis drei ä l t e r e n Büchern wird „der Problembereich als solcher"
herausgearbeitet, „so wie die einzelnen Gesichtspunkte der Autoren ein-
ander widersprechend oder sich e r g ä n z e n d zu dessen Gesamtinterpreta-
tion beitragen".

73
bindung von Forschungsergebnissen und Literaturdiskussion" — letz- 5

tere sowohl als „Diskussionsforum" wie auch als „Literaturbericht" —


zu einem bereits eingelösten Programm gemacht. Wie diese Zeitschrift
hat sich auch das .Internationale Archiv für Sozialgeschichte der deut-
schen Literatur' (ab 1976) vorgenommen, durch Forschungsberichte den
Transfer von Wissen und Methoden zwischen benachbarten Disziplinen
zu fördern.
Zu einem Zeitpunkt, da der Nutzen von Forschungsberichten unter-
schiedlich eingeschätzt und mit ihnen auch zu experimentieren begon-
nen wird, kann eine Reflexion auf ihre Funktion und die Möglichkeit
ihrer Anlage hilfreich sein. Es ist, soweit die Kenntnis des Verfassers
reicht, das erste M a l in der Germanistik, möglicherweise in den Geistes-
wissenschaften, daß über die Gattung als bibliographisches Dokumen-
tationsverfahren und Forschungsinstrument zusammenhängend nach-
gedacht wird. Das Interesse gilt den Gegenwartsproblemen, doch bietet
die noch ungeschriebene Geschichte des Forschungsberichts einen lehr-
reichen, in exemplarischen Fällen hier herangezogenen Erfahrungsraum.

Zur T e r m i n o l o g i e : D e r Gebrauch Don Forschungs- und Fortschritts-


bericht in den Geistes- und Natunuissenscha/ten

Der Germanist, der sich in allgemeinen Schlag- und Stichwortkatalogen


oder -registern über Forschungsberichte orientieren will, erhält in der
Regel falsche Hinweise, die auf eine unterschiedliche Verwendung des
Begriffs in Naturwissenschaften und Technik zurückgehen. Hier ver-
steht man unter Forschungsbericht „einen Bericht über ein bestimmtes
Forschungsvorhaben" . Solche Publikationen werden von Institutionen
6

5 Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissen-


schaft 1, 1975, Vorwort der Herausgeber, S. 7. F ü r die historischen,
politologischen und soziologischen Zeitschriften insgesamt s. Friederike
Fuchs, Fortschrittsberichte als Informationsmittel in den Geistes- u n d
Sozialwissenschaften. Untersuchungen an H a n d der Titelnachweise für
die Fachgebiete Geschichte, Politologie und Soziologie im Katalog der
geisteswissenschaftlichen Fortschrittsberichte. Hausarbeit zur Prüfung für
den höheren Bibliotheksdienst. Bibliothekar-Lehrinstitut des Landes
Nordrhein-Westfalen, Köln 1979 (masch.).
6 V . Wehefritz, Wesen und Bedeutung der physikalischen Fortschrittsbe-
richte, i n : Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 11, 1964,
S. 2 1 1 - 2 2 3 . „ N o m e n k l a t u r f r a g e n " , S. 212.

74
und Arbeitsgemeinschaften aller Art herausgegeben; ihr Volumen ist
gewaltig, wie die seit 1952 bestehende und inzwischen auf fast 3 OOO
Nummern angewachsene bekannteste Reihe — „Forschungsberichte des
Landes Nordrhein-Westfalen" (früher: „Forschungsberichte des Wirt-
schafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen" ) — zeigt. Auf 7

mehrfache Weise ist diese Terminologie für die Germanistik von Be-
deutung. Die Linguistik und Nachbarwissenschaften — wie die Bil-
dungs-, Kommunikations- und Sozialisationsforschung — haben, sofern 8

sie sich an naturwissenschaftlichen Methoden und/oder Organisations-


weisen orientieren, diese Begriffsbestimmung übernommen. So sollen
die seit 1968 vorgelegten .Forschungsberichte' des Instituts für Deutsche
Sprache in Mannheim „Rechenschaft über den Stand der laufenden
Arbeiten" geben, daneben auch „Probleme, die noch nicht völlig gelöst
sind und zu denen man sich Kritik erhofft, zur Diskussion stellen" und
„kleinere Untersuchungen" der Mitarbeiter veröffentlichen . Seit 1966 9

gibt das Institut für Kommunikationsforschung und Phonetik der Uni-


versität Bonn, seit 1973 das Institut für Phonetik und sprachliche
Kommunikation der Universität München .Forschungsberichte', auch

7
V g l . Die Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen im Echo der
Fachpresse (hrsg. im Auftrage des M i n i s t e r p r ä s i d e n t e n Dr. Franz Meyers
vom Landesamt für Forschung beim M i n i s t e r p r ä s i d e n t e n des Landes
Nordrhein-Westfalen, D ü s s e l d o r f ) , Köln, Opladen 1962, mit Nummern-
register. Die Reihe dient als zentrales Veröffentlichungsforum der vom
Land u n t e r s t ü t z t e n Forschungsarbeiten.
8
Sonderforschungsbereich 22 „Sozialisations- und Kommunikationsfor-
schung". E r l a n g e n - N ü r n b e r g . Forschungsberichte (bisher 106 Nummern);
U n i v e r s i t ä t Konstanz. Zentrum I Bildungsforschung, Sonderforschungs-
bereich 23. Forschungsberichte (bisher 36 Nummern). F ü r die Geschichts-
wissenschaft vgl. Arbeitsgemeinschaft für Osteuropaforschung. For-
schungsberichte und Untersuchungen zur Zeitgeschichte, 1, 1952—24, 1970.
— Nach Katalogangaben der Bayerischen Staatsbibliothek München, A p r i l
1980.
9
Institut für Deutsche Sprache. Forschungsberichte, hrsg. v. Ulrich Engel u.
Irmgard Vogel, Bd. 1, Nachdruck T ü b i n g e n 1971, Vorwort der Heraus-
geber (Hugo Moser, gemeinsam mit Hans Glinz, Paul Grebe u. Peter
von Polenz), S. VII. „Die Forschungsberichte sind zunächst für die Unter-
richtung der Mitglieder des Wissenschaftlichen Rates bestimmt [...].
Sie wenden sich aber insofern auch an die wissenschaftliche Öffentlich-
keit, als sie in sprachwissenschaftlichen Untersuchungen zitiert werden
k ö n n e n . " (Ebd.).

75
'Working Papers' genannt, heraus . Diese zum Teil „auf nicht kommer-
10

zieller Basis" 11
hergestellten und privat vertriebenen, also nur „halb
publizierten" Schriften dienen der möglichst schnellen Unterrichtung
der Fachwissenschaft, aber auch der Rechenschaftslegung gegenüber
Aufsichtsgremien und Geldgebern und entsprechen in ihrer Funktion
somit den angelsächsischen "reports" . 12
In ähnlichem Sinn ist die Be-
zeichnung inzwischen von zahlreichen Universitäten und Gesamthoch-
schulen für die im Hochschulrahmengesetz (§ 23, A b s . 2) und teilweise
in ihren Verfassungen geforderte regelmäßige Berichterstattung über
ihre Forschungstätigkeit übernommen worden. In den .Forschungsbe-
richten' werden Forschungsplanung und -vorhaben sowie die Publika-
tionen und Aktivitäten der Mitglieder des Lehrkörpers erfaßt. Die

1 0
Die Forschungsberichte des Instituts für Kommunikationsforschung u n d
Phonetik der U n i v e r s i t ä t Bonn erschienen von 1966 bis 1969 instituts-
intern hektographiert unter dem Titel „IPK-Forschungsberichte"; seit
1970 i m Buske Verlag Hamburg mit neuer Numerierung unter der
Reihenbezeichnung „Forschungsberichte des Instituts für Kommunika-
tionsforschung u n d Phonetik der U n i v e r s i t ä t B o n n " mit dem alten U m -
schlagtitel; ab B d 51 neuer Umschlagtitel „ I K P - F o r s c h u n g s b e r i c h t e " . — In-
stitut für Phonetik u n d sprachliche Kommunikation der U n i v e r s i t ä t
München. Forschungsberichte/Working Papers 1 ff., Sommer 1973 ff.
1 1
Institut f ü r Phonetik u n d sprachliche Kommunikation der U n i v e r s i t ä t
München. Forschungsberichte 11/1979. Titelblatt, Rückseite. „Sinn der
F I P K M ist es, ü b e r die erzielten Ergebnisse u n d Zwischenergebnisse
[der laufenden Arbeiten] möglichst rasch zu informieren." (ebd.) Derzei-
tige Auflage: 230.
1 2
Z u Entwicklung und A r t der 'reports' s. Use of Reports Literature, hrsg.
v. Charles P. Auger, London, Boston 1975 (Information Sources for Re-
search and Development); Neil Brearley, The Role of Technical Reports
in Scientific and Technical Communication, i n : Directory of Canadian
Reports/Repertoire des Rapports Canadiens, Vancouver 1976, S. X V I I -
X X I ; Information W o r k with Unpublished Reports, T l . 1, W o r k i n Large
National Information Centres v o n A[rthur] H[erbert] Holloway u. Eliza-
beth H . Ridler. T l . 2, W o r k in Company-Based Information Units von
B. Yates, London 1976. — Forschungsberichten im Sinne der Geisteswis-
senschaften entsprechen nur die 'State-of-the-art-reports': "They are
essentially summaries of the State of knowledge on some topic at the
time of compilation" und vermitteln " a valuable introduction to the
recent literature on the subject and probably an indication of the
directions i n which new advances are likely to be made" (Information
W o r k with Unpublished Reports, S. 34).

76
Hochschulen sehen diesen Teil ihrer Informationsarbeit in erster Linie
„vor dem Hintergrund der Legitimierungspflicht" und als Selbstdar-
stellung gegenüber der Öffentlichkeit . Als weitere Ziele gelten die
13

interdisziplinäre Kommunikation zwischen den Forschern und die


Information der Studenten.
Was die Geisteswissenschaften Forschungsbericht nennen, heißt im
naturwissenschaftlichen und technischen Bereich „Fortschrittsbericht",
analog zu den über die laufenden Forschungen und Entwicklungen auf
diesen Gebieten referierenden Organen, die in der Regel das Wort
„Fortschritte" ("Advances", "Progres") im Titel führen. Der zuerst in
der DDR geprägte, dann auch hier aufgegriffene Terminus bezeichnet
„eine zusammenfassende Darlegung des derzeitigen [...] Erkenntnis-
und Erfahrungsstandes zu einem Fachproblem nebst sich abzeichnenden
Entwicklungstendenzen" in fortlaufendem Text mit Literaturangaben . 14

Im Unterschied zum geisteswissenschaftlichen Forschungsbericht gibt es


zu Funktion und Anlage von Fortschrittsberichten eigene Literatur, die
in den folgenden Kapiteln als Anregung und zum Vergleich herange-
zogen wird. Der Terminus wird sowohl von den Dokumentalisten der
DDR als auch vom Bibliotheksausschuß der Deutschen Forschungsge-
meinschaft inzwischen auf die Geisteswissenschaften ausgedehnt. Im
Rahmen der Bemühungen zur Zeitschriftenerschließung an wissen-
schaftlichen Universalbibliotheken wurde von der D F G 1962 die lau-
fende „Titelsammlung von unselbständig erscheinenden kritischen
Literaturberichten" beschlossen und für die Geisteswissenschaften
15

13 R u h r - U n i v e r s i t ä t Bochum. Forschungsbericht 1976. 2 T i e . Hier T l . 1, V o r -


wort, S. II. Die Berichte dienen als „ A u s w e i s von P r o d u k t i v i t ä t " (S. II)
und sollen damit „zur Korrektur des öffentlichen Erscheinungsbildes der
Hochschulen" (S. III) beitragen. Ü b e r den Inhalt S. V .
1 4
Lexikon des Bibliothekswesens, hrsg. v. Horst Kunze u. Gotthard Rückl,
Leipzig 1969. Art. Fortschrittsbericht (von Waltraut Guth), S. 259. Weitere
Definition A n m . 24. Zur (auch terminologischen) Entwicklung in der D D R
s. Josef Koblitz, Wissenschaftliche und technische Fortschrittsberichte, i n :
Dokumentation (Leipzig) 4, 1957, S. 5 8 - 6 5 ; Jifi Spirit, Die Bedeutung
thematischer Studien u n d die Methoden ihrer Anfertigung, i n : ebd. 8,
1961, S. 4 9 - 5 3 , 7 3 - 7 9 ; Josef Koblitz, Synthetische Formen der Informa-
tion - Fortschrittsberichte und Thematische Studien, i n : ebd. 9, 1962,
S. 9 7 - 1 0 5 .
1 5
So in der Mitteilung „ K a t a l o g geisteswissenschaftlicher Fortschritts- und
Ubersichtsberichte", i n : Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliogra-
phie 21, 1974, S. 251. „Die Absicht ist, dem Benutzer eine erste Orien-

77
unter der Bezeichnung „Geisteswissenschaftliche Fortschrittsberichte/
Research progress reports in the humanities" von der Staatsbibliothek
Preußischer Kulturbesitz in Angriff genommen. Durch die Bibliographie
der Fortschrittsberichte soll „mit einem Schlage eine kritische Auswahl
aktueller Literatur zu bestimmten Forschungsfragen oder -gebieten" 16

für die Information zur Verfügung stehen.

tierung bei Beginn einer wissenschaftlichen Arbeit zu ermöglichen und


ihm den Zugang zu der b e n ö t i g t e n Literatur zu erleichtern u n d abzu-
kürzen." Dazu s. Ursula Jentzsch, Die Katalogisierung geisteswissen-
schaftlicher Fortschrittsberichte, i n : Mitteilungen, Staatsbibliothek Preu-
ßischer Kulturbesitz IX, 1977, 3, S. 107-118 (mit „Versuch einer Definition")
und drei i n Kontakt mit der Arbeitsstelle entstandene maschinenschrift-
liche Examensarbeiten: Josef Kurr, Die k a t a l o g m ä ß i g e Erschließung von
unselbständiger Literatur in Universalbibliotheken. Unter besonderer
Berücksichtigung des Programms der Deutschen Forschungsgemeinschaft
für die Verbesserung der Literaturerschließung. Hausarbeit zur Diplom-
prüfung für den gehobenen Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken,
Berlin 1977; Sybille Braun, Die Bedeutung v o n Fortschrittsberichten für
die Bibliotheken u n d organisatorische Probleme bei der Bearbeitung.
Hausarbeit zur Diplomprüfung f ü r den gehobenen Dienst an wissen-
schaftlichen Bibliotheken, Berlin 1978; Fuchs, Fortschrittsberichte als
Informationsmittel (mit „Diskussion der Terminologie" S. 12—17). Das
Titelmaterial v o n 1965 bis 1975 liegt inzwischen gedruckt v o r : Geistes-
wissenschaftliche Fortschrittsberichte. Titelnachweise 1965—1975 / Research
Progress Reports i n the Humanities. Titles registered 1965—1975, hrsg.
v. der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. R e d . Ursula Jentzsch,
Frankfurt/M 1977, (Bibliograph. Berichte. E r g ä n z u n g s b d . ) . — Durchsicht
von ca. 1 300 (darunter 43 germanistischen) Zeitschriften; Lieferung i n
Titelkarten.
1 6
Hermann Tiemann, Der Stand der Frage der „ L i t e r a t u r e r s c h l i e ß u n g " in
U n i v e r s i t ä t s - und Hochschulbibliotheken, i n : Zeitschrift für Bibliotheks-
wesen und Bibliographie 9, 1962, S. 303-314, hier: S. 309. V g l . zum Projekt
u. a.: Katalog v o n Zeitschriftenaufsätzen i n den wissenschaftlichen Uni-
versalbibliotheken? In: Mitteilungen der Deutschen Forschungsgemein-
schaft 1963, S. 5—11; Werner Krieg, Das Programm der Deutschen For-
schungsgemeinschaft für die Verbesserung der Literaturerschließung, i n :
Nachrichten für Dokumentation 15, 1964, S. 86-89; Drsl., Die Verbesse-
rung der Literaturerschließung an den U n i v e r s i t ä t s b i b l i o t h e k e n , i n : Fünf-
zehn Jahre Bibliotheksarbeit der Deutschen Forschungsgemeinschaft
1949—1964. Ergebnisse und Probleme, hrsg. v. Wieland Schmidt u. Dieter
Oertel, Frankfurt/M. 1966, (Zeitschrift für Bibliothekswesen u. Biblio-
graphie, Sondern. 4), S. 142-152.

78
Die Verwirrung um den Begriff Forschungsbericht wird wohl nur durch
eine terminologische Umstellung in den Geisteswissenschaften gelöst
werden können. Die Termini Forschungsbericht und Fortschrittsbericht
scheinen den damit bezeichneten Sachverhalten — Bericht über ein
Forschungsvorhaben, Bericht über den Fortschritt der Forschung —
angemessen, auch ist zu vermuten, daß die geisteswissenschaftliche
Forschung in Technik und Naturwissenschaften erprobte Organisations-
weisen verstärkt übernehmen wird, so daß eine solche Unterscheidung
auch in ihrem Bereich (wie jetzt schon in der Linguistik] erforderlich
wird. Die folgenden Überlegungen belassen es beim herkömmlichen
Gebrauch.

Aufgaben und Zielsetzungen des Forschungsberichts

Funktion und Merkmale fassen zwei repräsentative Aussagen zusam-


men, die eine aus der Literatur über physikalische Fortschrittsberichte,
die andere aus der Praxis literaturwissenschaftlicher Forschungsbe-
richte:

a) Vier Merkmale:
„1. In fortlaufendem Text wird über die Entwicklung eines Fach-
gebietes oder Problems berichtet,
2. die beigegebene Bibliographie verzeichnet meist eine kritische
Auswahl des wichtigen Schrifttums,
3. die Ergebnisse einer Vielzahl von Bearbeitern des gleichen Fach-
gebietes werden in ihrer Bedeutung gewürdigt und
4. neue Tendenzen der Entwicklung des behandelten Gebietes wer-
den aufgezeigt, während bereits gesicherte Erkenntnisse als bekannt
vorausgesetzt werden ."
17

b) „Es wird in folgender Absicht gemustert:


1. wird die Primär- und Sekundärliteratur danach befragt, was neu
sei oder wo auf der Stelle getreten werde. Daß das Gute ,gut'
genannt wird, kann die Darstellung verkürzen. Das Bedenkliche oder
Fragwürdige muß erörtert oder widerlegt werden.
2. wird nach Verfahren und Methoden gefragt. Daher sind die
Arbeiten meist als ganzes besprochen. Eine Untersuchung baut ja

1 7
Wehefritz, Wesen und Bedeutung der physikalischen Fortschrittsberichte,
S. 213.

79
einen Beweisgang auf und gründet ihn auf die besondere Behand-
lung der Texte. Das Verfahren, das der Verfasser wählt, kann so in
die Kritik einbezogen werden, daß die Abhängigkeit des Ergebnisses
von der Methode sichtbar wird. [...]
3. wird gesagt, wo größere oder kleinere Forschungen nützlich wären
und wie sie anzusetzen seien ." 18

Forschungsberichte verstehen sich meist als „kritischer F ü h r e r " durch 19

die im Zeitraum der Berichterstattung erschienene Literatur zu einem


Forschungsgebiet, als „kritisch wertende Ü b e r s c h a u " oder „kritische 20

A u s w a h l " im pragmatischen Sinn: „Gesichtspunkte einer sinnvollen


21

Vorauswahl von Literatur zu liefern in einer Situation, wo kaum der


Spezialist noch alles selber lesen k a n n . " Aus diesen Zitaten ergeben
22

sich als Hauptzüge: Überschau durch Kompression, S e l e k t i o n d u r c h


K r i t i k , S y n t h e s e des G e l e i s t e t e n und F o r m u l i e r u n g der Forschungsauf-
gaben. Nach den Bibliographien und Referatenorganen stellen For-
schungsberichte, als „Forschung über die Forschung" „Tertiärdoku- 23

18
Gajek, Brentano-Literatur, S. 440. Zuletzt wird „der Rückblick i n V o r -
schau ü b e r s e t z t " (S. 494).
19
Friedrich] Ranke, M ä r c h e n f o r s c h u n g . E i n Literaturbericht (1920-1934),
in: DVjs 14, 1936, S. 246-304, hier: S. 247.
2 0
Harry Bergholz, Weinheber-Schrifttum. E i n Forschungsbericht, i n : DVjs
31, 1957, S. 557-79, hier: S. 558.
21
Erich Loos, Die französische Literatur des 17. Jahrhunderts. E i n For-
schungsbericht (1937-1957), i n : D V j s 32, 1958, S. 448-469, hier: S. 448.
„Das Referat will die wesentlichen Problemstellungen, Ansatzpunkte
und Ergebnisse der neueren Forschung hervorheben u n d kann deshalb
nicht den Anspruch bibliographischer Vollständigkeit [bei ü b e r 1500
Titeln] geltend machen w o l l e n . " (ebd.).
2 2
Hermann Kurzke, Thomas-Mann-Forschung 1969—1976. E i n kritischer
Bericht, Frankfurt/M. 1977, S. 8/9. - V g l . Hans-Peter Kubach (Zur synthe-
tisierenden themenspezifischen L i t e r a t u r e r s c h l i e ß u n g . Funktionen, K o n -
zepte, Versuche, i n : Informationen zur Raumentwicklung 1975, H . 2/3,
S. 111—116) zum „ G r u n d g e d a n k e n synthetisierender Dokumentation":
„ p r o b l e m o r i e n t i e r t e Sammlung, Reduktion, Systematisierung, Zuordnung,
Vergleich und kritische Wertung v o n Texteinheiten" (S. 112).
2 3
Erik Lunding, Probleme u n d Ergebnisse der Stifterforschung 1945—1954,
in: Euphorion 49, 1955, S. 203—244, hier: S. 204; „eine ordnende und
kritisch sichtende Berichterstattung".

80
mente" , die dritte und höchste Stufe der bibliographischen Bericht-
24

erstattung dar. Forschungsberichte müssen sich auf eine umfassende


25

bibliographische Sammeltätigkeit stützen können, doch ersetzen sie


selbst keine Bibliographie und brauchen Vollständigkeit nicht anzustre-
ben. Ihre Aufgabe liegt vielmehr darin, „die Kategorie der Quantität
[. . .] in die Kategorie der Q u a l i t ä t " zu verwandeln. Meist zwingt schon
26

die Fülle der Literatur „zu einer strengen Auswahl", die freilich „durch
weitgehende Kenntnis des [...] nicht Aufgenommenen" abgesichert 27

sein sollte. Referatenorgane können ihrer Anlage nach die geforderte


Synthese nicht leisten, da die Veröffentlichungen einzeln und oft von
verschiedenen Autoren besprochen werden. Deshalb sind auch For-
schungsberichte, die aus einer Addition von Einzelrezensionen zu einem
Thema bestehen, als wenig glückliche Mischform zu betrachten. Der
Wert der Forschungsberichte liegt zudem darin, daß sie die unselb-
ständige Literatur, in der sich der Forschungsfortschritt besonders früh
ausprägt, zur Geltung bringen k ö n n e n , während Organe wie die
28

.Germanistik' Zeitschriftenaufsätze grundsätzlich nicht referieren.

2 4
Josef Koblitz, Begriffliche Interpretation wichtiger Termini der Dokumen-
tation und Information, i n : Konferenz der Dokumentations- und Infor-
mationszentren der sozialistischen L ä n d e r . Prag, 2 3 . - 2 5 . M ä r z 1961, T l . 1,
Berlin 1961 (Bücherei des Dokumentalisten 15], S. 6 - 1 9 , hier: S. 9, 15.
Definition von Fortschrittsbericht: „ein T e r t i ä r d o k u m e n t , das das Ergeb-
nis einer auf das Progressive orientierten Analyse des [...] Entwick-
lungsstandes und der Entwicklungstendenzen bezüglich eines bestimmten
Fachproblems [.. .] darstellt" (S. 15).
2 5
Dazu Wilhelm Totok, Die bibliographische Situation auf dem Gebiete
der Philosophie, i n : Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 5,
1958, S. 2 9 - 4 3 , hier: S. 37.
2 6
Hans Rothfels, Ideengeschichte u n d Parteigeschichte. E i n Forschungs-
bericht, in: DVjs 8, 1930, S. 753-786, hier: S. 753.
2 7
Herbert Seidler, Die Forschung zu A r t h u r Schnitzler seit 1945, i n : ZfdPh
95, 1976, S. 567-595, hier: S. 569. V g l . Richard Brinkmann, Expressionis-
mus. Internationale Forschung zu einem internationalen Phänomen.
Sonderband der „Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft
und Geistesgeschichte", Stuttgart 1980, S. X : „Das Recht zur A u s w a h l
hat indessen nur, wer das Ganze kennt, aus dem es a u s z u w ä h l e n gilt".
- Die vor 1945 häufige Unsitte, die A u s w a h l nach dem Zufallseinlauf
von Rezensionsexemplaren zu richten, scheint inzwischen selten zu sein.
28 V g l . etwa Karl S. Guthke, Lessing-Forschung 1932 bis 1962, i n : DVjs 38,
1964, Sondern., S. 6 8 * - 1 6 9 * . Wichtigkeit von Zeitschriftenaufsätzen und

81
Die genannten Bestimmungen über Aufgaben und Zielsetzungen von
Forschungsberichten gehen auf die einflußreichen Jahresberichte der
Geschichtswissenschaft' und Jahresberichte für neuere deutsche Litte-
raturgeschichte' zurück, die in ihrer ersten Phase — für die Berichtsjahre
1878 bis 1913 bzw. 1890 bis 1914 — als laufende systematische For-
schungsberichte eingerichtet waren. Uber den „Sammeldienst" hinaus,
„der den ganzen Stoff ungeschieden auf eine Stelle trägt", hatten die
Jahresberichte „die wichtigere Aufgabe zu erfüllen, einerseits das Wert-
lose als solches zu kennzeichnen und dem Arbeitenden viele unfrucht-
bare Mühe zu ersparen, andrerseits in kritischem Referate das Neue
und Fördernde der behandelten Schriften und Aufsätze scharf heraus-
zuheben" . Ihr Stolz bestand darin, „in abgerundeten Aufsätzen nach
29

großen Gesichtspunkten die Bilanz der Jahre zu ziehen" . Obwohl 30

ihrer Natur nach rezeptiv, sollten sie sich darin produktiv erweisen,
daß „der Sammelpunkt früherer Forschung fort und fort den Ausgangs-
punkt für neue Forschung" bildet. In den Jahresberichten hat sogar
31

die von Gajek — in der zweiten Formulierung zu Anfang des Kapitels —


angesprochene unterschiedliche Behandlung guter und schlechter Lite-

Detailforschungen, die in umfassenden Studien oft erst s p ä t berücksich-


tigt werden. Der Bericht sucht „angesichts dieser Sachlage vor allem auch
die kleineren und weithin ü b e r s e h e n e n Arbeiten ü b e r Lessing auszu-
werten, in denen die eigentlichen Fortschritte der Forschung zu beobach-
ten sind" (S. 69*). Ähnlich Lunding, Stifterforschung, S. 204.
2 9
Jahresberichte für neuere deutsche Literaturgeschichte, B d . 1 (1890),
Stuttgart 1892, S. IV. Der „Jahresbericht der Geschichtswissenschaft"
galt den Neugermanisten „als wegweisendes Vorbild" (ebd.). A u f die
Schwierigkeiten u n d Unzulänglichkeiten bei der Verwirklichung des
Programms ist hier nicht einzugehen.
30 Dass. Bd. 13 (1902), Berlin 1906, Vorbemerkung (des Verlags), 2. U m -
Schlagseite. V g l . den Prospekt der „Jahresberichte der Geschichtswissen-
schaft" (I. Jg. 1878. Berlin 1880, Vorwort, S. IV), der es als ihre Aufgabe
bezeichnet, „nicht die Schriften an sich zu besprechen, was Sache der
einzelnen L i t e r a t u r b l ä t t e r sei, sondern aus ihnen alles, was sich im
Vergleich zu der bisherigen Forschung in Hinsicht der Thatsadien, der
Auffassung oder der Methode als neu ergab, herauszuheben und dieses
Neue [...] dem Leser in z u s a m m e n h ä n g e n d e r Darstellung vorzuführen,
derart, d a ß Schrift und Autor nur in den Anmerkungen genannt w ü r d e n
und nur zum Beiege des i m T e x t M i t g e t h e i l t e n dienten".
31
Jahresberichte für neuere deutsche Literaturgeschichte, Bd. 1, S. IV.

82
ratur eine explizite Regelung erfahren . Ausgegangen wurde von dem 32

Zweck, den Lesern nicht die eigene Lektüre zu ersetzen, sondern ihnen
nur ein Urteil darüber zu ermöglichen, „ob sie ein Werk lesen sollen".
Dies ist „bei bedeutenden Werken in der Regel mit wenigen Worten",
bei kleinen oder diffus geschriebenen Abhandlungen nur mit größerer
Ausführlichkeit zu erreichen, „weil es nur so möglich ist, die verschie-
denen Gesichtspunkte anzugeben, unter denen das Werk für verschie-
dene Leser in Betracht kommt". Kürzer hat man sich zu fassen, wenn
es sich „um ein schnell bekannt gewordenes Buch" — dessen wichtigste
Besprechungen nachgewiesen werden — oder „um eine weitverbreitete
und allgemein zugängliche Zeitschrift" handelt. Mit diesen Kriterien
wird verhindert, daß der „Umfang des Berichts" zu dem „Umfang des
Buches" in einem mechanischen Verhältnis steht; der Forschungsbericht
wird dadurch knapper und nützlicher.

T r a d i t i o n und Neuorientierung im Forschungsbericht

„Forschungsberichte zeichnen sich häufig durch eine unerträgliche


Langeweile aus." Denn sie wirken „wie systematisch ausgeschüttete
Zettelkästen", wo sie sich „auf das rein Referierende" und „die größt-
mögliche Vollständigkeit" beschränken . Insofern Forschungsberichte 33

der fünfziger und sechziger Jahre zu diesem noch jetzt wirksamen


negativen Eindruck führten, orientierten sie sich an einem problemati-
schen Selbstbild: A n die Stelle der wertenden Bilanzierung trat die

32 H a n d b u c h z u L i t t e r a t u r b e r i c h t e n . I m A n s c h l u ß a n d i e „ J a h r e s b e r i c h t e d e r
Geschichtswissenschaft" bearb. v . I[gnaz] Jastrow, Berlin 1891. Z i t a t e
S. 98. Ursprünglich „bloß für die Mitarbeiter u n d Benutzer" (S. III)
geschrieben, gibt das W e r k e i n e n h e r v o r r a g e n d e n E i n b l i c k i n O r g a n i s a -
tionsweise u n d G e s t a l t u n g . A d a p t i e r t v o n d e n „Jahresberichten für neue-
re deutsche L i t e r a t u r g e s c h i c h t e " ( B d . 1, S. 196).
3 3
Jost Hermand, Streitobjekt Heine. E i n Forschungsbericht 1945-1975,
F r a n k f u r t / M . 1975, ( F A T ) , S. 9. „ W a s m a n i n i h n e n [ d e n F o r s c h u n g s -
berichten] aufgetischt b e k o m m t , s i n d oft g e n u g W i s s e n s c h a f t s h u b e r e i e n ,
die sich l e d i g l i c h a n d i e b e r ü c h t i g t e n . F a c h i d i o t e n * w e n d e n - u n d s e l b s t
v o n d i e s e n k a u m m i t d e m n ö t i g e n G u s t o v e r s c h l u n g e n w e r d e n . " (ebd.) -
H . gibt k e i n e B e i s p i e l e . D o c h v g l . e t w a d i e S e l b s t a u s s a g e von Wolfgang
F . M i c h a e l (Das d e u t s c h e D r a m a u n d T h e a t e r v o r d e r R e f o r m a t i o n . E i n
F o r s c h u n g s b e r i c h t , i n : D V j s 31, 1957, S. 1 0 6 - 1 5 3 , h i e r : S. 153): „Ein F o r -
schungsbericht ist gewiß k e i n e sehr r e i z v o l l e u n d unterhaltende Lektüre.
W i r m ö g e n oft d u r c h u n b i l l i g e H ä u f u n g d e r T i t e l g e l a n g w e i l t h a b e n .
U n d doch s c h i e n m ö g l i c h s t e V o l l s t ä n d i g k e i t g e b o t e n . "

83
Sammeltätigkeit, anstelle der ordnenden Kritik das Referat in den Vor-
dergrund. Nach dem Zweiten Weltkrieg dienten solche Literaturberichte
der Vergewisserung über die Basis, auf der die Forschung neu aufgebaut
werden konnte. Auch drückt sich in ihnen eine Reaktion auf häufig
kritisierte Züge der Germanistik vor 1945 aus: die Vernachlässigung
philologischer Grundlagen, die Verflüchtigung der Probleme in Begriffs-
konstruktionen und die Verflechtung in die Ideologie der Zeit. Dabei
hatte die alte .Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft
und Geistesgeschichte' (ab 1923), die die Gattung der Forschungsberichte
maßgebend prägte, durchaus den richtigen Weg gewiesen: Den mehr-
fach als „Problem- und Literaturschau" bezeichneten Berichten ging es
zumeist um eine geistesgeschichtliche Zusammenschau, um eine synthe-
tisierende Epochenbetrachtung, deren Berechtigung „aus der kritischen
Begegnung mit der einschlägigen Fachliteratur" hergeleitet wurde . 34

Übergreifende „Grundfragen" wurden dabei sowohl vom Forschungs-


stand wie von der zeitgenössischen „geistigen Lage" her motiviert . 35

3 4
Wilhelm Bietak, Zwischen Romantik, Jungem Deutschland und Realismus.
Eine Literatur- u n d Problemschau v o m Standpunkt der Biedermeierfor-
schung, i n : DVjs 13, 1935, S. 163-206, hier: S. 163. W ä h r e n d in der
Literatur häufig „ E i n z e l p r o b l e m e zu totalem u n d absolutem Kriterium"
(S. 164) erhoben werden, will der Bericht die Synthese im Epochenbild
von P. Kluckhohn, R. Majut, G . Weydt u n d W . Bietak b e s t ä t i g e n . U m
die „Idee einer Epoche" geht es Benno v o n Wiese (Dichtung und Geistes-
geschichte des 18. Jahrhunderts. Eine Problem- u n d Literaturschau, i n :
ebd. 12, 1934, S. 430-478 u. 13, 1935, S. 311-355; hier 12, S. 430): „Denn
jede Forschung verliert ihren lebendigen Sinn, wenn sie die Idee eines
solchen Ganzen aufgibt, zu der jede einzelne Leistung nach besten
K r ä f t e n beizutragen b e m ü h t ist." Der Untertitel zuerst bei Rudolf Unger,
V o m Sturm und Drang zur Romantik. Eine Problem- u n d Literaturschau,
i n : ebd. B d . 2, 1924, S. 616-645; 4, 1926, S. 784-797; 6, 1928, S. 144-178,
356-390.
3 5
Heinz Kindermann, M e h r Goethe? Kritische Bemerkungen zur Goethe-
Literatur der letzten Jahre, i n : D V j s 8, 1930, S. 558-608. „Zwei Grund-
fragen": „ W i e und inwieweit haben diese Arbeiten [ca. 150 Publikationen
in Buchform „aus den letzten fünf oder sechs Jahren"] wissenschaftlid
Fragen beantwortet, die zu stellen aus unserer geistigen Lage hera
innere Notwendigkeit war?" und „ w o liegen denn jene offenen Frage
auf die wir von unserem heutigen Wissen um Goethe und von unser
heutigen Geisteshaltung her noch brennend gern Antworten erhielten
(S. 558-559) Die hermeneutisch kurzschlüssige Funktionalisierung v i
Literatur für Gegenwartsinteressen wird schon v o n der Fragerichtu:
angedeutet.

84
In den siebziger Jahren hat der Forschungsbericht diese alte Lebendig-
keit teilweise wiedergewonnen. Neue Forschungsinteressen und
-richtungen bedienen sich der Gattung, und angesichts der Mißachtung,
der sie anheimzufallen droht, finden sich Überlegungen zu ihrer Funk-
tion und Gestaltung.

Neben einer stärkeren Systematisierung und Problemorientierung fallen


an den neuen Forschungsberichten vor allem folgende Tendenzen auf:
Forschungsberichte (a] zum Zweck der Konstituierung und Strukturie-
rung eines neuen Forschungsfeldes, (b) als Forum der Methodendiskus-
sion und (c) als Forschungsgeschichte. Forschungsberichte über ein
neues Arbeitsgebiet (wie z. B. bei der Rokoko-Dichtung, dem Jugendstil
in der Literatur, der Satire oder der Leichenrede ) sind an der Auswei-
36

tung und Spezialisierung der Forschung beteiligt. Meist begründen die


Verfasser das Interesse am Gegenstand und entwickeln aufgrund der
Quellen und Sichtweisen, die er in der vorwissenschaftlichen Literatur
erfahren hat, das Problemfeld. Weil sich in diesem Fall von Forschun-
gen im strengen Sinn noch kaum sprechen läßt, gehen diese Berichte
teilweise in Darstellungen und Bibliographien über. Dabei entspricht es
der geistesgeschichtlichen Tradition der .Deutschen Vierteljahrsschrift',
daß sie bei Neuansätzen oder Korrektur von Forschungen weiterhin
auf die „Konstituierung des Begriffs" größtes Gewicht legt. Nach dem
37

36 Alfred Anger, Deutsche Rokoko-Dichtung. E i n Forschungsbericht, in:


DVjs 36, 1962, S. 430-479, 6 1 4 - 6 4 8 . „Vorgeschichte, Geschichte und Haupt-
probleme der Rokokoforschung" (S. 430). — Jost Hermand, Jugendstil.
E i n Forschungsbericht (1918-1962), i n : ebd. 38, 1964, S. 70-110, 2 7 3 - 3 1 5 .
— Jürgen Brummack, Z u Begriff und Theorie der Satire, i n : ebd. 44, 1970,
Sonderh., S. 2 7 5 * - 3 7 7 * . — Rudolf Lenz, Leichenpredigten. Eine bislang
vernachlässigte Quellengattung. Geschichte, Forschungsstand, methodo-
logische Probleme, Bibliographie, i n : Archiv für Kulturgeschichte 56, 1974,
S. 296-312. In all diesen F ä l l e n gab es vorher kein entsprechendes
Referat.
37 Ulf Eisele, Realismus-Problematik. Ü b e r l e g u n g e n zur Forschungssituation,
i n : DVjs 51, 1977, S. 148-174, hier: S. 148; „eine betont selektive, die
Problematik als solche in den Vordergrund rückende und diskutierende
Darstellung", wobei „der aufs Detail gerichtete referierende Aspekt"
zugunsten einer Strukturierung des Forschungsproblems auf dem Wege
der Begriffsanalyse zurücktritt (ebd.). — V g l . Brummack, Z u Begriff und
Theorie der Satire. 1. T l . Zur Begriffsgeschichte, 2. T l . Forschungsbericht;
Lothar Köhn, Entwicklungs- und Bildungsroman. E i n Forschungsbericht,
in: DVjs 42, 1968, S. 427-473, 5 9 0 - 6 3 2 . 1. T l . Gebrauch der Begriffe.

85
Einsetzen der Methodendiskussion lag es vom Interesse der jüngeren
Forscher her nahe, Berichte „als Forum methodischer Diskussionen
innerhalb der Literaturwissenschaft" 88
anzulegen. Dies wird auch vom
Gegenstand her gerechtfertigt, wenn wechselnde Methoden zu erheb-
lichen „Problemverschiebungen" 39
geführt haben oder widersprüchliche
Methoden konkurrieren, so daß ein „Konsens in der Sache" am ehesten
dadurch erreicht wird, daß „der jeweilige methodische Ansatz auf seine
Leistung und Grenze und damit auf seine Relativierbarkeit und Kom-
patibilität mit anderen Ansätzen und Resultaten hin reflektiert w i r d " . 40

Eine kritische Hinwendung zur Geschichte des Faches ging mit der
Methodendiskussion einher. Da sich Referate als Forschungsbilanzen
anbieten, um methodische und ideologische Entwicklungen zu studieren,
wurden sie selbst mehrfach Objekte einer an der Fachgeschichte interes-
sierten Berichterstattung . 41

Im Sinne bestimmter Methoden haben am deutlichsten Deubel und


Hermand ihre Forschungsberichte gestaltet und sind darin bis heute

38 M a n f r e d B r a u n e c k , D e u t s c h e L i t e r a t u r d e s 17. J a h r h u n d e r t s — R e v i s i o n
e i n e s E p o c h e n b i l d e s . E i n F o r s c h u n g s b e r i c h t 1945-1970, i n : D V j s 44, 1970,
S o n d e r n . , S. 3 7 8 * - 4 6 8 * , h i e r : S. 380*.
3 9
E b d . , S. 379*. E r s t A k t u a l i s i e r u n g d e r B a r o c k l i t e r a t u r a u s d e r E r f a h r u n g
einer verwandten Zeitmisere, dann werkimmanente Analysen und
e x i s t e n t i e l l a u s d e u t e n d e L i t e r a t u r b e t r a c h t u n g , schließlich R e z e p t i o n s - u n d
Traditionsforschung.
4 0
H a n s - G e o r g K e m p e r , T r a k l - F o r s c h u n g d e r sechziger J a h r e . K o r r e k t u r e n
über Korrekturen, i n : DVjs 44, 1970, S o n d e r n . , S. 4 9 6 * - 5 7 1 * , hier:
S. 4 9 7 * - 4 9 8 * ; „ S c h w e r g e w i c h t a u f d e r M e t h o d e " (S. 498*). - B e i Elisa-
beth Gössmann (Typus der Heilsgeschichte oder O p f e r m o r b i d e r G e s e l l -
schaftsordnung? E i n Forschungsbericht z u m Schuldproblem i n H a r t m a n n s
G r e g o r i u s . 1950-1971, i n : E u p h o r i o n 68, 1974, S. 4 2 - 8 0 , h i e r : S . 42) w e r -
den die Veröffentlichungen „gesondert nach i h r e m methodischen A n s a t z -
p u n k t " d a r g e s t e l l t , „um s o d e n W e g n a c h z u z e i c h n e n , d e n d i e m e d i a e v i -
stische G e r m a n i s t i k seit K r i e g s e n d e g e n o m m e n h a t " .
4 1
V g l . z . B . T h o m a s H o l l w e c k , T h o m a s M a n n , M ü n c h e n 1975 ( L i s t T a s c h e n -
b ü c h e r d e r W i s s e n s c h a f t . L i t e r a t u r a l s Geschichte 1467), „Die Thomas-
Mann-Kritik i m Spiegel d e r Forschungsberichte", S. 51—56. D i e R e i h e
„Literatur als Geschichte" steht stellvertretend f ü r d i e V e r b i n d u n g v o n
k r i t i s c h e m m e t h o d i s c h e m u n d f a c h h i s t o r i s c h e m I n t e r e s s e . S. 5 b e z e i c h n e t
sich d a s W e r k s e l b s t a l s F o r s c h u n g s b e r i c h t ; z u s e i n e m W e r t v g l . K l a u s
S c h r ö d e r ( L i t e r a t u r z u T h o m a s M a n n u m 1975, i n : M o n a t s h e f t e 69, 1977,
S. 66—75, h i e r : S . 73): „ein s e m i n a r i s t i s c h e s Privatissimum, kein For-
schungsbericht".

86
Ausnahmen geblieben. Deubel versteht sein Friedrich-Schlegel-Referat
als strukturalistisches Problemlösungsverfahren. Durch „das systemati-
sche Relationsgefüge der in der wissenschaftlichen Literatur produzier-
ten Einsichten" soll die „ .Struktur' des Forschungsgegenstandes" er-
kennbar werden . Mit Hilfe der Strukturierung des Gegenstandes nach
42

„Hauptproblemen", seiner „Segmentierung" und des Aufweises ver-


schiedener Argumentationsebenen bei divergenten Erklärungsversuchen
werden „Lösungsvorschläge" für umstrittene Forschungsprobleme
entwickelt. Für Hermands aus der Studentenbewegung stammenden
gesellschaftskritischen Elan ist „die Frage nach dem Nutzen, die zu-
gleich die Frage nach dem Engagement in sich einschließt", „die einzig
wichtige Frage". Da der Autor Literatur „als lebendige Operativkraft"
im Gegenwartsgeschehen und die Literaturwissenschaft als „Verwer-
tungswissenschaft" betrachtet, betreibt er — in Aufnahme einer For-
mulierung von Bloch — seinen Forschungsbericht „als .Veränderungs-
Wissenschaft an der Front des Geschehens, in der Aktualität der
jeweiligen Entscheidung, in der Tendenz-Beherrschung auf die Zukunft'
h i n " , ohne daß über die Erkenntnisweisen und den Status von Wis-
43

senschaft weiter nachgedacht wird. Da in der Germanistik eine Vielzahl


methodischer Richtungen nebeneinander besteht und einzelne methodi-
sche Zugriffe zudem rasch an Aktualität verlieren und wechseln können,
wird ein Forschungsbericht, der sich einer bestimmten Methode ver-
schreibt, seiner Brauchbarkeit selbst Grenzen setzen.

D i e Anlage uon Forschungsberichten


Die Anlage hängt wesentlich vom Nutzerkreis, dessen Problemsituation
und Informationsbedürfnissen, sowie von der Publikationsform (un-
selbständig/selbständig; wenn unselbständig: in Folgen, als Ganzes) ab.
Während zu den Adressaten mehrere Äußerungen vorliegen, sind die
ebenso wichtigen Gebrauchsweisen nur indirekt erschließbar. Für alle
Aspekte bildet das Verhältnis zur Bibliographie ein zentrales Problem.

4 2
V o l k e r D e u b e l , D i e F r i e d r i c h - S c h l e g e l - F o r s c h u n g 1945-1972, i n : D V j s 47,
1973, S o n d e r n . , S. 48*—181*, h i e r : S. 5 1 * . D a z u i n s g e s a m t „Überlegungen
z u r D a r s t e l l u n g w i s s e n s c h a f t l i c h e r L i t e r a t u r " , S. 49* ff. D i e P r o b l e m a t i k
dieses Versuchs liegt m . E . i n d e m H i a t u s z w i s c h e n „historischer" u n d
„systematischer D a r s t e l l u n g " .
4 3
H e r m a n d , S t r e i t o b j e k t H e i n e , S. 10. D a r u m a r b e i t e t d e r B e r i c h t „gerade
d i e i d e o l o g i s c h e n F r o n t s t e l l u n g e n " (S. 11) h e r a u s .

87
Hierbei stehen sich zwei Meinungen gegenüber: A u f der einen Seite
wird aufgrund der Menge und Unübersichtlichkeit des durch Bibliogra-
phien dargebotenen Schrifttums „die Forderung nach kritischer Prüfung
und Sichtung des Stoffes" erhoben, auf der anderen Seite meinen
44

manche Literaturwissenschaftler „aus Erfahrung" zu wissen, „daß


Forschungsberichte immer auch — manchmal sogar vorwiegend — als
Spezialbibliographien benützt werden". Im Falle einer übergroßen
Titelzahl entscheiden sie sich dann, den „Kondensierungseffekt" nicht
„durch eine Beschränkung der Titelmitteilung", sondern „nur durch
eine Verknappung des kritischen Referats" zu erzielen . Wurde schon 45

oben hervorgehoben, daß letztere Auffassung der selektiven und


synthetischen Aufgabe des Forschungsberichts widerspricht, so gilt dies
auch umgekehrt: Ein Forschungsbericht kann nicht zugleich „umfas-
send", „auf dem aktuellsten möglichen Stand" und „leicht benutzbar"
sein, wie es von einer Spezialbibliographie verlangt w i r d . Bibliogra-46

phien und Forschungsberichte sind verschiedene, in ihrer Funktion sich


ergänzende Berichterstattungsformen, wobei die wertende und ordnen-
de Aufgabe von Forschungsberichten um so nötiger wird, je größer
und disparater das bibliographisch zu erfassende Material ist. Da
Referate auf einer möglichst vollständigen bibliographischen Sammel-
tätigkeit aufbauen, sollte auf die zur Verfügung stehenden biblio-
graphischen Auskunftsmittel verwiesen werden; wo nötig kann auch
ein bibliographischer Anhang, gegebenenfalls zur Ergänzung oder
in Fortführung von abgeschlossenen Spezialbibliographien , dem 47

Bericht beigegeben werden. Mit einer darstellerischen Trennung und


symbiotischen Verknüpfung von Forschungsbericht und Bibliographie
haben zeitweilig die Jahresberichte für neuere deutsche Literaturge-
schichte' und die Jahresberichte für deutsche Geschichte' (Berichtsjahre
1902 bis 1914 bzw. 1925 bis 1938) zwecks schnellerer und übersicht-

4 4
Totok, Bibliographische Situation, S. 37.
4 5
Johannes Janota, Neue Forschungen zur deutschen Dichtung des Spät-
mittelalters (1230-1500) 1957-1968, i n : DVjs 44, 1970, Sondern., S. 1 * -
242*. hier: S. 3*.
4 8
Helmut Peter Schwake, Ü b e r Notwendigkeit, Aufgaben und Nutzen einer
Spezialbibliographie, i n : Zeitschrift für Romanische Philologie 85, 1969,
S. 511-526, hier: S. 516.
4
? So Volker Hoffmann, Die Arnim-Forschung 1945-1972, i n : DVjs 47, 1973,
Sondern., S. 270*-342*. „Weiterführendes Literaturverzeichnis zu den
Romanen, E r z ä h l u n g e n und zum Wunderhorn", S. 337*-342*, im Anschluß
an die Bibliographien von Mallon, Goedeke und Migges Ausgabe.

88
licherer Berichterstattung gearbeitet. Eine Schwierigkeit stellt in jedem
Fall die Information über das besprochene Material dar: Eine Zitierung
in fortlaufenden Fußnoten ist für die erstmalige Lektüre bequem,
hindert aber die spätere nachschlagsweise Benutzung; Titellisten zu
Anfang oder Ende sind übersichtlicher und können durchnumeriert
werden, so daß im Text Verweise genügen . Neuerdings werden selbst
48

zu unselbständigen Referaten (Namen-, Werk-, Sach-]Register mitge-


liefert . Wo knappe Berichte sich mit einer Bibliographie und Registern
49

verbinden, entwickelt sich die Gattung dann in Richtung einer „Ge-


dankenbibliographie". Analog zum Forschungsbericht versteht sich die
Gedankenbibliographie „als Mittler zwischen dem bereits Erforschten
und der neu entstehenden Forschung" . Sie erschließt die Inhalte der
50

48 V g l . Else Buddeberg, Probleme u m Gottfried Benn, i n : D V j s 34, 1960,


S. 107-161 (Nummernliste vor dem Bericht; Verweis i m Text mittels
Anmerkungsziffern); Victor G . Doerksen, Die M ö r i k e - L i t e r a t u r seit 1950.
Literaturbericht u n d Bibliographie, i n : E b d . 47, 1973, Sondern., S. 343*-
397* (am Ende systematisch angelegte Bibliographie v o n 434 Nummern,
Verweis im Text). Die meisten Referate im „Deutschunterricht" besitzen
eine durchnumerierte Literaturliste, z. B. Herbert Seidler, Deutsche Dich-
tungswissenschaft i n den letzten Jahren. E i n Forschungsbericht 1946—
1962, i n : Der Deutschunterricht (Stuttgart), Jg. 15, 1963, H . 3, Beil. F ü r die
durchdachte Anlage eines s e l b s t ä n d i g e n Berichts v g l . Kurzke, Thomas-
Mann-Forschung, S. 255 (alphabetische Ordnung der Bibliographie bei
systematischem A u f b a u des Referats, Kurzangabe i m Text; Durchnume-
rierung nach Texteinheiten zwecks Verweisen).
4 9
Namen- u n d Werkregister z. B. bei Wolfgang F r ü h w a l d , Stationen der
Brentano-Forschung 1924-1972, i n : DVjs 47, 1973, Sondern., S. 182*-269*
(„erst die Summe der E i n z e l e r w ä h n u n g e n " , die ü b e r die Register er-
schlossen werden, geben i m systematisch gegliederten Referat „ein zu-
treffendes Bild des jeweiligen A u t o r s " , S. 183*) u n d Gajek, Brentano-
Literatur.
so J ü r g e n Voerster, 160 Jahre E . T . A . Hoffmann-Forschung 1805-1965. Eine
Bibliographie mit Inhaltserfassung und Erläuterungen, Stuttgart 1967.
„Grundsätzliche Probleme bei der Gestaltung moderner Literatur-Biblio-
graphien", S. 13-14, hier: S. 14 (i. O . gesperrt); „ A n r e g u n g e n für die
künftige Hoffmann-Forschung", S. 15—17. Dazu die Besprechung von
E . Zimmermann, i n : Zeitschrift f ü r Bibliothekswesen u n d Bibliographie
14, 1967, S. 343—345. Z u m Grundsätzlichen einer Gedankenbibliographie
(mehrdimensionale Erschließung) s. Elisabeth Reimelt, Raettigs „Bak-
teriophagie". E i n Vorschlag zur Dokumentation wissenschaftlicher Lite-
ratur, i n : E b d . 6, 1959, S. 113-125.

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erfaßten Veröffentlichungen und kann — wie Voersters E. T . A . Hoff-
mann-Bibliographie verdeutlicht — teilweise zusammenhängend über
die Forschungslage referieren und Anregungen für künftige Arbeiten
geben.

Während sich das Verhältnis von Forschungsbericht und Bibliographie


von Fall zu Fall pragmatisch lösen läßt, liegt im Zusammenhang von
Publikationsform, Funktion und Adressat ein grundsätzlich schwie-
riges Problem. Forschungsberichte tendieren, obschon sie zumeist in
Zeitschriften erscheinen, zu erheblichem Umfang. So brachte die .Deut-
sche Vierteljahrsschrift' von 1923 bis 1944 vier und von 1949 bis 1979
sieben Referate von über 100 Seiten, bei insgesamt größerer Länge und
kompresserem Satz der Berichte in der neuen Folge. Bei der Vermeh-
rung der Wissenschaftler und demzufolge der Publikationen, wie der
herrschenden "publish or perish"-Mentalität, dürften die Referate
künftig kaum kürzer werden. Eine erste Hilfe, die jedoch auf Kosten
der Benutzbarkeit geht, liegt in der Veröffentlichung auf Raten; der
Vorschlag einer Redaktion, sich die Teile „zum vollen V e r s t ä n d n i s " 51

zu kopieren, schätzt die Benutzersituation richtig ein. Im Extremfall


eines Hegel-Referats , das in dreizehn Folgen, von 1962 bis 1976, auf
52

269 Seiten über 243 Bücher berichtet und ca. 330 weitere Bücher und
Aufsätze anzeigt, dürften Kopien sogar unumgänglich werden. Der
bessere Weg begleitender Publikationen ist von Redaktionen beschrit-
ten worden, die die Erstellung von Forschungsberichten betreiben und
dabei doch ihre Organe für die originäre Forschung offenhalten wollen.

51
Herbert Voitl, Die englische Personennamenkunde. Ein Forschungsbericht,
in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen,
Bd. 199, 1963, S. 158-167; 200, 1964, S. 108-118, 436-450. (Forts.:) Die
englischen Personennamen. Der Fortgang ihrer Erforschung in den letzten
zwölf Jahren, Bd. 213, 1976, S. 47-60, 251-268; Redaktionsnotiz S. 47.
5 2
Walter Kern, Neue Hegel-Bücher. Ein Literaturbericht für die Jahre 1958
bis 1960 (zuletzt: Hegel-Bücher 1961-1971. Ein Auswahlbericht), in:
Scholastik 37, 1962, S. 85-114, 550-578; 38, 1963, S. 62-90; Theologie
und Philosophie (Forts, von Scholastik) 42, 1967, S. 79-88, 402-418; 44,
1969, S. 245-267; 46, 1971, S. 71-87; 47, 1972, S. 245-276; 48, 1973, S. 398-
409; 49, 1974, S. 72-92; 50, 1975, S. 565-581; 51, 1976, S. 93-114, 559-570
(Register, Statistik). „Das Schicksal dieses Literaturberichts ist selbst
schon ein noch so peripheres Symptom der etwas diffusen, weithin sich
diffundierenden Hegel-.Renaissance' der Gegenwart" (1972, S. 245).

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Die .Deutsche Vierteljahrsschrift' ist 1937 und dann wieder 1964, als
die Sekundärforschung über 30 °/o hinaus anstieg (1936: 31 °/o, 1960:
37%), zu eigenen Referatenheften übergegangen und gibt Forschungs-
berichte auch als Sonderdrucke mit zusätzlichen Registern heraus.
Ähnlich hat der .Deutschunterricht' Forschungsberichte als Beilagen
publiziert, und von .Geschichte und Gesellschaft' liegt jetzt ein ent-
sprechendes Beiheft vor . Forschungsberichte kommen als eigene Ver-
63

öffentlichungen wohl deshalb selten auf den Markt, weil sie von ihrer
primären Funktion her nur auf eine quantitativ und zeitlich begrenzte
Verbreitung rechnen können. Mit ihrer Hilfe wird die bisherige in die
künftige Forschung transferiert und die Wissenschaftlergemeinde über
54

den Forschungsfortschritt informiert. In Referaten liegt darum das


Schwergewicht „auf den jüngsten Ergebnissen", bei den für das brei-
tere Publikum und die Studenten berechneten Einführungen eher „auf
den Grundlagen und gesicherten Erkenntnissen" . Forschungsberichte 55

werden nur in den Fällen „zwei Herren" dienen, Forschungskritik lei-

53 D e r D e u t s c h u n t e r r i c h t (Stuttgart) 1952, H . 2, S. 4: Z u r B e i l a g e . „Die F o r m


der Beilage ermöglicht jedem, nach seinen Arbeitsgewohnheiten den
einzelnen Bericht abzulegen u n d auszunutzen." — D i e moderne deutsche
Geschichte i n d e r i n t e r n a t i o n a l e n F o r s c h u n g 1945—1975, h r s g . v . H a n s -
U l r i c h W e h l e r , G ö t t i n g e n 1978 (Geschichte u n d G e s e l l s c h a f t , S o n d e r h . 4).
I n d e n r e g u l ä r e n H e f t e n k a n n d i e I n f o r m a t i o n , d i e „zu d e n w i c h t i g s t e n
F u n k t i o n e n d e r Z e i t s c h r i f t " g e h ö r t , „aus P l a t z g r ü n d e n n u r b e g r e n z t v e r -
m i t t e l t " w e r d e n (S. 10).
54 F ü r d e n n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h - t e c h n i s c h e n B e r e i c h s. d a z u M a r g a r e t E g a n
u. H e r m a n H . H e n k l e , W a y s and M e a n s i n W h i c h Research Workers,
Executives, and Others Use Information, i n : Documentation i n A c t i o n ,
h r s g . v . Jesse H [ a u k ] S h e r a , A l l e n K e n t u . J a m e s W [ h i t n e y ] P e r r y , N e w
Y o r k , L o n d o n 1956, S. 1 3 7 - 1 5 9 . I n s b e s o n d e r e : " T h e U s e of R e c o r d e d
K n o w l e d g e i n the Research S i t u a t i o n " (S. 139-149). I n f o r m a t i o n e n z u
Funktion, Bedarf u n d R e z e p t i o n v o n Fortschrittsberichten i n den Fach-
gebieten Geschichte, P o l i t o l o g i e u n d S o z i o l o g i e b e i F u c h s , F o r t s c h r i t t s -
berichte a l s I n f o r m a t i o n s m i t t e l , S. 122—142. V e r g l e i c h b a r e U n t e r s u c h u n g e n
zur Nutzung der Dokumentation i n der literaturwissenschaftlichen For-
schungssituation s i n d m i r nicht bekannt.
55 W e h e f r i t z , W e s e n u n d B e d e u t u n g d e r p h y s i k a l i s c h e n F o r t s c h r i t t s b e r i c h t e ,
S. 213.

91
sten und zugleich eine „Einführung in die Wissenschaft und ihre Pro-
bleme" 56
geben können, wo es sich um neue, erst sich entwickelnde
Forschungsrichtungen handelt.

5 6
M a x Wehrli, Allgemeine Literaturwissenschaft, Bern 1951 (Wiss. For-
schungsberichte. Geisteswiss. R. 3), Vorbemerkung, S. 4. Die v o m selben
Herausgeber betreute ältere Reihe „Wissenschaftlicher Forschungs-
berichte" (Geisteswiss. R., hrsg. v. Karl Hönn, 9 Bde., Gotha 1919-1923)
wollte „die durch die Kriegszeit ihrem Arbeitsgebiet entfremdeten
geistigen Arbeiter [...] wieder Anschluß an die Aufgaben u n d den Stand
ihrer Wissenschaft" finden lassen (Bd. 3, Reihenprogramm, 2. Umschlag-
seite). - Der Katalog der Fortschrittsberichte ist „vor allem als Hilfe
für Studienanfänger" gedacht, „die hier leichter Literatur zu einem
bestimmten Fachgebiet finden, als ü b e r systematische Kataloge oder
Bibliographien" (Braun, Bedeutung v o n Fortschrittsberichten, S. 21).

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