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Ein kleines Wunder: Die Kasseler Talmud-Fragmente

Als kleines Wunder bezeichnete Dr. Andreas Lehnardt, Professor an der Universität Mainz, die
Kasseler Talmud-Fragmente anlässlich ihrer Präsentation am 15. November an der Universität
Kassel. Die Entdeckung von insgesamt neun Blättern des babylonischen Talmuds im Jahr 2006
war nicht nur für die Wissenschaft eine kleine Sensation. Die außerordentlich seltenen
sephardischen Manuskripte seien vermutlich bereits etwa im 13. Jahrhundert auf der iberischen
Halbinsel entstanden, so der Judaistik-Spezialist Lehnardt. Er hatte Schriftheimat,
Entstehungszeit und Inhalt der Pergamentblätter aus der Handschriftenabteilung der Kasseler
Universitätsbibliothek bestimmt. Der Talmud gehörte zu den ersten Werken, die ab 1559 von der
Katholischen Kirche auf den Index verbotener Bücher gesetzt worden sind. Überlieferte Talmud-
Handschriften aus dem Mittelalter sind daher extrem selten. Denn sie wurden verbrannt oder als
Umschlagmaterial für neue, oft christliche, Werke genutzt. Welchen Weg die Kasseler
Fragmente nach der Vertreibung der Sepharden aus Spanien Ende des 15. Jahrhunderts
genommen haben, ist unklar. Die Ergebnisse seiner Forschung sind nachlesbar in "Die Kasseler
Talmudfragmente", Prof. Dr. Andreas Lehnardt, Kassel, Kassel University press, 2007.

Der Fund des ersten Kasseler Talmud-Fragments ist der Überprüfung eines Bandes einer
Galenus-Ausgabe aus den Rara der Kasseler Handschriftenabteilung durch deren Leiter, Dr.
Konrad Wiedemann zu verdanken. Bei dem Kasseler Band handelt es sich um die frühe Edition
der Werke des griechisch-römischen Arztes Galen (129 bis 199 n. Chr.). Er galt nach
Hippokrates als bedeutendster Arzt der Antike. Dieser Band- eine der schönsten Galenus-
Editionen Italiens im 16. Jahrhundert - war restaurierungsbedürftig: Gelegenheit, den Bezug der
Pappdeckel des Einbandes, ein Pergamentblatt mit hebräischen Schriftzeichen, genau
untersuchen zu lassen. Wegen der Bedeutung der Überlieferung dieser Version des Talmuds
wurden dann von der Kasseler Universitätsbibliothek auch die anderen historischen Einbände
erneuert, um die auch dort vorhandenen hebräischen Fragmente freizulegen. UB-Direktor Dr.
Axel Halle dankte der Jüdischen Gemeinde Kassel als Mitveranstalter und Karl-Hans Caprano
als Repräsentanten der Technoform Caprano und Brunnhofer GmbH & Co. KG, die die bis in
den Spätsommer 2007 dauernde aufwändige Restaurierung und wissenschaftliche Analyse der
in hebräischer und aramäischer Sprache verfassten Fragmente ermöglichte.

Sholomo Freishist, Rabbiner der jüdischen Gemeinde Kassel, erläuterte anlässlich der
Präsentation der Kasseler Talmudfragmente die Bedeutung des Talmuds für die jüdische
Religion und Kultur. Kernstück des Talmuds ist die Mischna. Es handelt sich hierbei um jenen
Teil der mündlich Tora, den Gott nach jüdischer Tradition Moses am Sinai offenbart habe. Er
wurde zunächst auch nur mündlich weitergegeben und im 1. und 2. Jh. n. Chr.
niedergeschrieben. Die Kasseler Fragmente schildern jüdische Festtage (Moed).

Literaturhinweis: "Die Kasseler Talmudfragmente", Prof. Dr. Andreas Lehnardt, Kassel, Kassel
University press, 2007, ISBN 978-3-89958-311-3. (Der Volltext des Buches ist abrufbar unter
http://www.uni-kassel.de/hrz/db4/extern/dbupress/publik/abstract.php?978-3-89958-311-3 )
AU/UB

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