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Kommentar zu Prop.

4,4

1 Einleitung

Nachdem sich Properz in den letzten beiden Elegien des 3. Buches von der Liebes-
dichtung verabschiedet hatte,1 beginnt das 4. Buch mit der Ankündigung eines neuen
Themas (V. 1–70): Nach dem Vorbild der kallimacheischen Aitia (der Darstellung des
Ursprungs von Kulten und Festen) will der Dichter nun römische Altertümer besingen
(Präsentation). Und dieses Vorhaben setzt Properz in die Tat um: Die 2. Elegie handelt
von dem Gott Vertumnus, der in Gestalt einer Statue von seiner Herkunft erzählt, die
4. Elegie behandelt die Sage von der Römerin Tarpeia, die 9. Elegie die Stiftung der Ara
Maxima durch Hercules und die 10. Elegie den Ursprung des Tempels des Iuppiter Fere-
trius; in der der 6. Elegie wird Augustus’ Sieg bei Actium gefeirt. Doch der zweite Teil
der Eingangselegie (V. 71–150) scheint diesem Vorsatz gewissermaßen entgegenzuwirken.
Der Astrologe Horos mahnt den Dichter, sich nicht von der Liebesdichtung abzuwenden
(Präsentation). Und tatsächlich geht es in den anderen Elegien des 4. Buches irgendwie
um Liebe: In der 3. Elegie beschreibt eine Ehefrau in einem Brief ihre Sehnsucht nach
ihrem Gatten, der fern im Krieg weilt, die 5. Elegie ist eine Art Schmähgedicht auf
eine lena (Kupplerin) und in der 7. und 8. Elegie kehrt sogar Cynthia zurück, erst als
Geist der Verstorbenen, dann als eifersüchtige Furie (Präsentation). In der letzten Elegie
spricht schließlich Cornelia, eine Nichte des Augustus, aus ihrem Grab zu ihrer Familie
und legt Rechenschaft über ihr Leben ab (Präsentation). Das 4. Buch enthält also in der
überlieferten Zusammensetzung sowohl römische Elegien als auch Liebesdichtung. Es
stellt sich jedoch die Frage, wie die Warnung des Horus zu deuten ist? Bezieht sie sich
allein auf den Vorsatz, römische Altertümer besingen zu wollen, dann bleibt unverständ-
lich, warum dennoch Gedichte dieser Art im Buch vorkommen. Fedeli meint, der Horus

1
Vgl. Prop. 3,24; 3,25.

1
sei eine lächerliche Figur; demnach sei auch seine Warnung nicht ernst zu nehmen2 . Der
Dichter selbst verpotte auf diese Weise die Kritiker, die sagten, dass sein Vorhaben, zum
Scheitern verurteilt sei; das Vorhaben sei daher vollkommen ernst gemeint. Nun bleibt
die Frage, warum es also nicht im ganzen Buch umgesetzt wurde? Vermutlich, weil Pro-
perz starb, bevor er es vervollständigen konnte. Das 4. Buch sei also eine Sammlung von
Gedichten, die zunächst unveröffentlicht blieben und dann von Freunden oder anderen
Herausgebern in der gegenwärtigen Folge angeordnet und nach seinem Tod veröffentlicht
worden seien. Fedeli vermutet die nicht-aitiologischen Gedichte relativ früh: Es sind nur
wenige Daten über das 4. Buch bekannt: Die Unterwerfung der Sugambrer3 in der 6. Ele-
gie und das Konsulat des P. Cornelius Scipio4 in der 11. Elegie deuten auf das Jahr 16 v.
Chr. hin; das sind die spätesten Ereignisse, die im Buch erwähnt werden. Die 3. Elegie
kann noch während des Partherkrieges geschrieben worden sein, das heißt vielleicht vor
20 v. Chr. Da die restlichen aitiologischen Elegien (2, 4, 9, 10) nicht datierbar sind, sei
anzunehmen, dass diese vielleicht zuletzt entstanden sind und eine Serie eröffneten, die
jedoch von Properz nicht mehr vollendet werden konnte. Andernfall kann man in der
Warnung des Horos nur eine Einschränkung des Vorsatzes, nur römsiche Aitiendichtung
zu betreiben, sehen. In dieser Hinsicht ist die Eingangselegie zweifach programmatisch:
Im ersten Teil wird aitiologische Dichtung angekündigt, im zweiten Teil Liebesdichtung.
Um einen tieferen Einblick in das 4. Buch zu erlangen, betrachten wir zum Beispiel die
4. Elegie (Text!).

2 Prop. 4,4

Das Anfangsdistichon gibt den Gegenstand an, der die Veranlassung zu dem Gedicht
gegeben hat: Tarpeium nemus et Tarpeiae turpe sepulcrum (Der Tarpeische Hain und
das schändliche Grab der Tarpeia) (V. 1). Mit den Worten limina capta Iovis wird schon
die Einnahme eines Hauses des Jupiter auf dem Kapitol erwähnt (V. 2). Properz bezieht
sich hier offenbar auf die Sage von Tarpeia. Nach den Berichten von Dion. Hal. 2,38–40
fanden sich schon Erzählungen bei Fabius Pictor und L. Calpurnius Piso. Der römische
Geschichtsschreiber Livius erzählt ihre Geschichte wie folgt: Tarpeia war die Tochter des
Kommandanten der römischen Garnison auf dem Kapitolshügel. Sie ließ sich im Krieg
von dem Sabinerkönig T. Tatius bestechen, bewaffnete Truppen in die Burg des Kapitols
2
Fedeli, P.: Properzio. Elegie. Libro IV. Testo critico e commento, Bari 1965, 69ff.
3
Vgl. Prop. 4,6,77
4
Vgl. Prop. 4,11,66

2
hineinzulassen. Nachdem die feindlichen Truppen die Burg genommen hatten, warfen sie
ihre Schilde auf Tarpeia und töteten die Verräterin auf diese Weise. Denn die Bedingung
war, sie erhielte für ihre Dienste, was die Sabiner an ihren linken Armen trügen; doch
die trugen nicht nur den goldenen Schmuck, den sie begehrte, sondern eben auch ihre
Schilde.5 . Properz beschreibt in seiner Erzählung zunächst den Ort des Geschehens. Ein
bewachsener Grund befand sich unterhalb des Berges, in dem sich eine reiche Quelle
befand. Dorthin führte ein Hirt die Schafe, die er in der Nähe weiden ließ (V. 3–6).
Hier schlägt der Sabinerkönig Tatius nun ein Lager auf; er umgibt es mit Palisaden
und einem Erdwall (V. 7f). nemus (V.1) und lucus (V. 3) einerseits und aquis (V. 4)
und fons (V. 7, 14, 15) andrerseits sind wahrscheinlich gleichbedeutend, (der Hain und
die Quelle). Dann vergleicht Properz die damaligen Verhältnisse mit denen seiner Zeit:
Wie unbedeutend damals Rom gewesen sein musste, als feindliche Kriegshörner vor den
Kapitolsfelsen erklangen. Auf dem Forum Romanum standen Sabinische Speere und an
dem Ort, wo sich zu seiner Zeit der Senat in der Kurie versammelte, befand sich das
Lager der Feinde, die ihre Pferde aus der erwähnten Quelle tränkten (V. 9–14). Von hier
holte Tarpeia das für den Vestadienst erforderliche Wasser (V. 15f). Es wird voraussge-
setzt, dass Tarpeia Zugang zu der Quelle hatte. Das bedeutet, entweder wurde ihr der
Zugang als Priesterin von den Feinden gewährt, oder die Quelle befand sich so dicht
am Steilhang des Kapitols, dass sie nur auf der einen Seite eingezäunt war, und auf der
anderen über einen steilen, schlüpfrigen Pfad, von dem später die Rede ist (V. 49f.), er-
reicht werden konnte. In Vers 15 steht in den Handschriften fontem, das vermutlich aus
fonte (V. 14) eingedrungen ist; denn beide Wörter sind in der Versmitte. Es bietet sich
daher die Konjektur laticem an. Dadurch entsteht die Alliteration laticem libavit. Eine
Frage unterbricht plötzlich die Erzählung: et satis una malae potuit mors esse puellae,
|quae voluit flammas fallere, Vesta, tuas? (Und konnte ein Tod für ein übles Mädchen
ausreichen, dass deine Flammen, Vesta, betrügen wollte?) (V. 17f.). Es wird deae (V.
15) hier offensichtlich mit Vesta identifiziert und zugleich wird schon der Verrat an ihr
vorweggenommen, bevor er sich überhaupt andeutet. Properz führt wieder in das Ge-
schehen ein: Tarpeia erblickt Tatius bei seinen Reiterübungen (V. 19f.) und sie verguckt

5
Vgl. Liv. 1,11,6–9 Consilio etiam additus dolus. Sp. Tarpeius Romanae praeerat arci. Huius filiam
virginem auro corrumpit Tatius ut armatos in arcem accipiat; aquam forte ea tum sacris extra
moenia petitum ierat. Accepti obrutam armis necavere, seu ut vi capta potius arx videretur seu
prodendi exempli causa ne quid usquam fidum proditori esset. Additur fabula, quod volgo Sabini
aureas armillas magni ponderis brachio laevo gemmatosque magna specie anulos habuerint, pepigisse
eam quod in sinistris manibus haberent; eo scuta illi pro aureis donis congesta. Sunt qui eam ex
pacto tradendi quood in sinistris manibus esset derecto arma petisse dicant et fraude visam agere
sua ipsam peremptam mercede.

3
sich auf der Stelle in ihn, vor Staunen fällt ihr der Wasserkrug aus den Händen (V.
21f.). Oft erfindet sie einen Anlass, von der Höhe hinabzusteigen und den Sabinerkönig
zu sehen. Sie behauptete, sie müsse sich vor den Omen des Mondes schützen, indem sie
ihre Haare unten am Fluss reinwäscht; aber der Mond hatte nichts zu verschulden. Oder
sie brachte den Nymphen Blumen zum Opfer, eigentlich, damit Tatius im Kampf gegen
Romulus gefeit sei (V. 23–26). Das anaphorisch gebrauchte saepe zeigt die Heftigkeit
ihres Verlangens (Seitenwechsel!). Als Tarpeia in der Morgendämmerung vom Kapitol
herabstieg, zerkratzten auf dem Weg Dornen ihre Arme und sie setzte sich auf der Höhe
des Berges (V. 27–30); Tarpeia ab arce ist eine Anticipation des später nach ihr be-
nannten Tarpeischen Bergs in Vers 93. Nun beginnt sie einen langen Monolog, in dem
sie ihre Leidenschaft zum Ausdruck bringt. Schön ist in ihren Augen der Anblick der
Schwadron des Tatius; sie wünscht sich sogar im feindlichen Lager gefangen zu sein, um
in Tatius’ Nähe sein zu können (V. 31–34): o utinam ad vestros sedeam captiva Penatis,|
dum captiva mei conspicer esse Tati!. Das in den Handschriften überlieferte esse kann
schwerlich richtig sein; die Konjunktion dum verbände dann zwei Sätze gleichen Inhalts;
das ist merkwürdig. Aus diesen Gründen scheint Gronovius’ Konjektur ora passender zu
sein. Von ihrer Heimat, den Bergen Roms und der Göttin Vesta will sich Tarpeia verab-
schieden (V. 35f.). Dann stellt sie sich vor, wie Tatius’ Pferd sie ins Sabinerlager bringt,
nachdem der Verrat begangen wurde (V. 37f.). Sie erinnert an Skylla und Ariadne, die
aus Liebe zu einem Fremden die Heimat verrieten; sie versteht das (V. 39–42). Zwar ist
sie sich bewusst, dass ihre Tat ein Verbrechen und ein Verrat an Vesta bedeutet, doch sie
ist ihrer Leidenschaft hilflos ausgeliefert (V. 43–46). Tarpeia schafft in Gedanken einen
Plan und teilt ihn scheinbar Tatius mit: Morgen, während die ganze Stadt an den Parilia
(V. 73) säumt, bietet sich die Gelegenheit, den steilen, tückischen Pfad auf dem Ber-
grücken zu besteigen, um auf das Kapitol zu gelangen (V. 47–50). Housmans Konjektur
pigrabitur ist gegenüber dem überlieferten pugnabitur vorzuziehen. Von einem Kampf
kann noch gar nicht die Rede sein; denn Tarpeia plant ihren Verrat gerade erst. Wenn sie
nur die zauberhafte Stimme einer Muse hätte, würde sie Gesänge zur Hilfe aussprechen
(V. 51f.). Außerdem stehe Tatius die königliche Kleidung besser an als Romulus, der
von einer ehrlosen Wölfin gesäugt worden sei (V. 53f.) (Seitenwechsel!). Sie hofft, die
Königin am Hofe des Fremden sein zu dürfen; dabei wäre Rom keine geringe Mitgift für
ihn (V. 55f.). Diese Stelle ist textkritisch schwierig. Die hier gegebene Lesart stammt von
der Handschrift N, dem Neapolitanus; Übersetzung: ’Soll ich so Kinder gebären, Frem-
der, als Königin an deinem Hofe?’. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass Tarpeia als
Vestalin bereits an Mutterschaft denkt. Der ursprüngliche Wortlaut ist jedoch aufgrund

4
der starken Abweichungen unter den Handschriften kaum festzumachen. Andernfalls will
Tarpeia als Vergeltung für den Raub der Sabinerinnen entführt werden (V. 57f.). Und sie
glaubt, dass durch ihre Hochzeit mit dem Sabinerkönig, die verfeindeten Fronten aufge-
löst werden, und ein Bündnis zwischen Sabinern und Römern zustande kommen könnte.
Es sollen Weisen des Gottes Hymenaios erklingen anstatt der dröhnenden Kriegshör-
ner (V. 59–62). Am frühen Morgen will sie endlich versuchen zu schlafen. Von Tatius
erwartet sie zu träumen (v. 65f.), doch sie legt sich zu den Furien; denn Vesta quält
sie mit Schuldgefühlen (V. 67–70). Iliacae ... favillae in Vers 69 weist darauf hin, dass
das Feuer der Versta mit dem Palladium aus Troja mitgebracht worden war. Wie eine
wilde Amazonin stürzt sie sich plötzlich halbentblößt davon (V. 71–72). Properz wendet
sich kurz von Tarpeia ab: Er erzählt vom besagten Fest der Parilia, das die Gelegenheit
zum Verrat bot. Es fanden jedes Jahr Gelage der Hirten und feierliche Spiele an diesem
Tag statt zu Ehren der Stadtgründung Roms. Deshalb entschied Romulus den Wachen
an diesem Tag frei zu geben (V. 73–80). Tarpeia trifft sich also mit den Feinden und
vereinbart mit ihnen ein Abkommen (Seitenwechsel!): Unter der Bedingung, dass Tatius
sie dann heiratet, führt sie die Sabiner auf das Kapitol, den steilen Berg hinauf. Da alles
schläft, musste sie nur noch die Wachhunde ausschalten (V. 81–84); aber Jupiter wachte
ständig über das Kapitol und beschließt ihre Strafe: Als Tarpeia den Verrat begangen
hatte, fordert sie nun den Hochzeitstag ein, den sie wollte (V. 85–88). at Tatius (neque
enim sceleri dedit hostis honorem) ’Nube’ ait ’et regni scande cubile mei!’ (Doch Tatius,
denn auch der Feind ließ dem Verbrechen keine Ehre zuteil, sagt: Verschleiere dich und
besteig’ das Gemach meines Königreichs’) (V. 89f.). Und da begruben seine Soldaten
sie unter ihren Waffen. haec, virgo, officiis dos erat apta tuis. (Das, Mädchen, war eine
für deine Dienste angemessene Mitgift (V. 92). Das letzte Distichon (V.93f.) der Elegie
begründed den Namen des mons Tarpeius; der Hügel hat von Tarpeia den Namen, aber
gerade das ist eine Ungerechtigkeit, ein Lohn, der ihr für ihren Verrat nicht zustehe (V.
93f.). Sie hat ihre Pflicht als vigil, das Herdfeuer der Vesta zu behüten, verletzt. Das Mo-
tiv ist besonders verständlich an dieser Erzählung: Während in der üblichen Tradition
Tarpeia aus Harbgier handelt, begeht sie den Verrat hier aus Liebe. Und es stehen nicht
die Tat, die in wenigen Versen abgehandelt ist (V. 81–84) im Mittelpunkt des Gedichts,
sondern die Beweggründe der Tarpeia. Die 4. Elegie zeigt beispielhaft wie sich Properz
in die Gefühlswelt einer anderen Personen hineinversetzt.

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