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Das
Imperium
der
Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung
Schande
Zu den unveräußerlichen Menschenrechten gehört seit der
Amerikanischen und der Französischen Revolution auch das
»Recht auf das gemeinsame Glück«. Zur Zeit der Aufklä-
rung jedoch waren die Produktivkräfte wenig entwickelt und
das Recht auf Glück deshalb eine Utopie. Seither haben in-
dustrielle, technologische und wissenschaftliche Fortschritte
eine unglaubliche Steigerung der Produktivkräfte ermöglicht.
Nie war die Menschheit reicher. Gleichzeitig aber hat ein ra-
pide um sich greifender Prozess der Refeudalisierung einge-
setzt. Die transkontinentalen Konzerne dehnen ihre Macht
über den Planeten aus und fahren astronomische Gewinne
ein. Im Jahr 2004 kontrollierten die 500 größten Konzerne
52 Prozent aller auf der Welt produzierten Güter. Das inter-
nationale Recht, die UNO und die demokratisch gewähl-
ten Regierungen sind weitgehend geschwächt und ihrer Ge-
staltungskraft beraubt. Nie waren Elend und Hunger grö-
ßer. 100 000 Menschen sterben täglich am Hunger oder sei-
nen unmittelbaren Folgen. In den Ländern der Dritten Welt
rackern sich die Menschen buchstäblich zu Tode, um die
Schuldenberge abzutragen, die von korrupten Diktatoren in
Komplizenschaft mit den Konzernfürsten des Nordens an-
gehäuft wurden. Jean Ziegler benennt die Verantwortlichen
und zeigt, wie der Teufelskreis von Verschuldung und Hun-
ger zu durchbrechen ist. Sein Motto : »Um die Menschen zu
lieben, muss man sehr stark hassen, was sie unterdrückt«
(Jean-Paul Sartre).
Jean Ziegler fordert die Verwirklichung des Menschen-
rechts auf Glück. Er hält dem globalisierten Raubtierkapitalis-
mus den Spiegel vor. Das lähmende Gefühl der Schande, das
wir alle empfinden angesichts von Hunger und Armut, kann
umschlagen und zu einer Macht der Veränderung werden.
Jean Ziegler
DAS IMPERIUM
DER SCHANDE
Der Kampf gegen
Armut und Unterdrückung
C. Bertelsmann
Die Originalausgabe ist 2005 unter dem Titel
»L’Empire de la honte«
bei Fayard, Paris, erschienen.
1. Auflage
© 2005 by Jean Ziegler
© der deutschsprachigen Ausgabe 2005
by C. Bertelsmann Verlag, München,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe
Random House GmbH
Umschlaggestaltung :
R-M-E Roland Eschlbeck/Rosemarie Kreuzer
ISBN-10 : 3-570-00878-9
ISBN-13 : 978-3-570-00878-2
www.bertelsmann-verlag.de
Dieses Buch ist dem Gedenken an
meine Freunde gewidmet :
George L. Mauner
Reginaldo Di Piero
Sergio Vieira de Mello
Saddrudhin Aga Khan
Yves Fricker
Gérard Pierre-Charles
INHALT
VORWORT : Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 9
TEIL II : MASSENVERNICHTUNGSWAFFEN
1. Die Verschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
2. Der Hunger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
1. Lula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
2. Programa fome zero . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
3. Das Gespenst Salvador Allendes . . . . . . . . . . 238
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
VORWORT
Aufklärung
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Im französischen Wörterbuch Petit Robert kann man zu
dem Worte »Schande« Folgendes lesen : »Demütigende
Unehre. Peinliches Gefühl der Minderwertigkeit, der Un-
würdigkeit oder der Erniedrigung gegenüber einem ande-
ren, der Herabsetzung in der Meinung der anderen (Ge-
fühl der Entehrung). […] Gefühl des Unbehagens auf-
grund von Gewissensskrupeln.«
Im Deutschen unterscheidet man zwischen Scham und
Schande. Ich empfinde Scham über die Schmach, die dem
andern angetan wird, und Schande über meine davon be-
fleckte Ehre, ein Mensch zu sein …
Diese Gefühle und die von ihnen ausgelösten Emoti-
onen sind den Hungernden im bairo von Pela Porco in
Salvador de Bahia bestens bekannt : »Precio tirar la ver-
gonha de catar no lixo …« (»Ich muss meine Scham über-
winden, um in den Mülltonnen zu wühlen …«)
Wenn es dem Hungernden nicht gelingt, seine Scham
zu überwinden, dann stirbt er. Es kommt vor, dass bra-
silianische Kinder sich in der Schule aufgrund von Blut-
armut nicht auf den Beinen halten können. Auf den Bau-
stellen erleiden Arbeiter Schwächeanfälle infolge von Un-
terernährung. In den Elendsvierteln Asiens, Afrikas und
Lateinamerikas, die von den Vereinten Nationen scham-
haft als »ungesunde Behausungen« bezeichnet werden,
dort, wo 40 % der Weltbevölkerung leben, machen Rat-
ten den Hausfrauen die magere Kost der Familie strei-
tig. Ein quälendes Gefühl der Minderwertigkeit peinigt
die Bewohner.
Die Hungergestalten, die auf den Straßen der Riesen-
11
städte Südasiens und Schwarzafrikas umherirren, verspü-
ren ebenfalls die Pein der Schande.
Das Gefühl der Ehrlosigkeit verbietet es dem Arbeits-
losen in Lumpen, die Viertel der Reichen zu betreten, wo
er vielleicht doch eine Arbeit finden könnte, um sich und
seine Familie zu ernähren. Die Scham hält ihn davon ab,
sich den Blicken der Passanten auszusetzen.
In den favelas im Norden Brasiliens kommt es häufig
vor, dass die Mütter abends in einem Topf Wasser zum Ko-
chen aufsetzen und Steine hineinlegen. Ihren vor Hunger
weinenden Kindern sagen sie : »Das Essen ist gleich fer-
tig …«, in der Hoffnung, dass die Kinder bald einschlafen
werden. Kann man die Scham ermessen, die eine Mutter
gegenüber ihren vom Hunger geplagten Kindern empfin-
det, die sie nicht ernähren kann ?
Massenvernichtungswaffen
1
Die Verschuldung
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Zwei Kategorien von Personen profitieren von der Schuld :
die Kosmokraten (die ausländischen Gläubiger) und die
Mitglieder der einheimischen herrschenden Klassen. Wer-
fen wir zunächst einen Blick auf die Gläubiger.
Sie stellen den verschuldeten Ländern drakonische Be-
dingungen. Die Regierungen der Dritten Welt müssen
nämlich für ihre Anleihen Zinsen bezahlen, die fünf bis
siebenmal höher sind als diejenigen, die auf den Finanz-
märkten üblich sind. Diese Wucherzinsen tragen den schö-
nen Namen : »Risikoprämien«. Die Kosmokraten diktie-
ren noch weitere Bedingungen : Privatisierung und Ver-
kauf der wenigen rentablen Unternehmen (an ebenjene
Gläubiger), Bergwerke und öffentlichen Dienste (Telekom-
munikation etc.), horrende Steuerprivilegien für die trans-
kontinentalen Konzerne, aufgezwungene Waffenankäufe
für die einheimische Armee, usw.
Doch auch die herrschenden Klassen der Schuldnerlän-
der profitieren massiv von der Verschuldung. Zahlreiche
Regierungen der südlichen Erdhälfte vertreten auch nur
die Interessen einer dünnen Schicht ihres Volkes, näm-
lich der Klassen, die als Compradores bezeichnet werden.
Was ist darunter zu verstehen ? Zwei Arten von sozialen
Formationen.
Der erste Typus : Zur Zeit der Kolonisierung war der
ausländische Patron auf einheimische Handlanger ange-
wiesen. Er hat ihnen Privilegien gewährt, manche Ämter
anvertraut und ihnen ein (entfremdetes) Klassenbewusst-
sein gegeben. In den meisten Fällen hat diese Klasse den
Abgang der Kolonialherren überlebt und ist zur neuen
89
Führungsschicht des postkolonialen Staates aufgestiegen.
Der zweite Typus : Die meisten Staaten der südlichen
Erdhälfte werden heute ökonomisch vom ausländischen
Finanzkapital und von den transkontinentalen Privatge-
sellschaften beherrscht. Die ausländischen Mächte beschäf-
tigen vor Ort lokale Direktoren und Führungskräfte, die
wiederum örtliche Wirtschaftsanwälte, Journalisten usw.
finanzieren und die (wenn auch diskret) die wichtigsten
Generäle und die Polizeichefs in ihren Diensten haben.
Sie bilden eine zweite Comprador-Schicht.
Comprador ist ein spanisches Wort und bedeutet »Käu-
fer«. Die Comprador-Bourgeoisie ist die von den neuen
Feudalherren »gekaufte« Bourgeoisie. Sie verteidigt die
Interessen dieser neuen Feudalherren und nicht die des
Volkes, aus dem sie stammt.
Hosni Mubarak, der Rais von Ägypten, steht einem
käuflichen und korrupten Regime vor. Seine Innenpoli-
tik wie auch seine Regionalpolitik werden voll und ganz
von den Erlässen und Interessen seiner amerikanischen
Beschützer diktiert. Pervez Mucharraf regiert in Pakistan.
Die amerikanischen Geheimdienste schützen und halten
ihn. Er nimmt seine Befehle tagtäglich von Washington
entgegen. Und was soll man zu den Großgrundbesitzern
in Honduras und Guatemala sagen, zu den Führungs-
schichten in Indonesien und Bangladesch ? Ihre Interes-
sen sind eng verknüpft mit denen der transkontinentalen
Gesellschaften, die in ihren Ländern tätig sind. Sie sche-
ren sich nicht um die elementaren Interessen und die le-
benswichtigen Bedürfnisse ihrer Völker.
90
Im Sudan werden verschiedene Teile der herrschenden
Comprador-Klasse finanziell von diversen Erdölkonzernen
ausgehalten. Omar Bongo in Gabun und Sassu N’Guesso
in Brazzaville würden nicht lange an der Macht bleiben
ohne den Schutz, den ihnen ELF gewährt, die transkon-
tinentale Erdölgesellschaft französischer Herkunft.
Die kulturelle Entfremdung der Eliten mancher Länder
der Dritten Welt ist so tief, dass man oft aus dem Stau-
nen nicht herauskommt.
Ich erinnere mich an einen Abend in einer prachtvollen
Villa am Kwame N’krumah Crescent im Viertel Asokoro in
Abuja. Ich war dort zum Abendessen der Gast des General-
direktors eines der wichtigsten Ministerien der Föderation
Nigeria. Der Mann stammte aus der Ethnie Haussa, er war
gebildet, sympathisch und redegewandt. Er gehörte zum
engeren Kreis um den Präsidenten Olusegon Obasanjo.
Der Generaldirektor beklagte sich – wahrscheinlich zu
Recht – darüber, wie sehr er mit Arbeit überlastet sei.
Plötzlich unterbrach ihn seine Gattin, die ebenfalls aus der
Region Kano kam : »… Ja, es stimmt, du arbeitest zu viel !
Aber zum Glück werden wir bald auf home leave sein.« Im
Klartext : In einigen Tagen werden wir »bei uns zu Hause«
sein, in aller Ruhe auf Urlaub, in unserer Wohnung am
Montagu Place im Herzen von London. Die Dame konnte
nicht aufhören zu schwärmen davon, wie schön der Aus-
blick von ihrem Balkon in London auf den kleinen Park
und die Bäume sei, von der Vielfalt der Kinoprogramme
in Soho und von der Aufregung, die sie bei den Pferde-
rennen in Derby verspüre …
91
Home leave ist ein typischer Kolonialausdruck, der in
den Kreisen der britischen Beamten des Colonial Office
mehr als ein Jahrhundert lang sehr in Mode war. Bei man-
chen Führungskräften in Nigeria ist der Ausdruck heute
noch durchaus üblich.2 Marbella, Algeciras, Cannes oder
Cap Saint-Jacques sind die bevorzugten Aufenthaltsorte
der Comprador-Klassen von Marokko, einem der ärmsten
und korruptesten Länder in Nordafrika. Manche der lu-
xuriösesten Viertel von Miami werden fast ausschließ-
lich von den Familien reicher Wirtschaftsanwälte oder
Direktoren von multinationalen ausländischen Konzer-
nen aus Kolumbien oder Ecuador bewohnt. Am Brickell
Bay Drive haben die Comprador-Klassen der Karibik ihre
Restaurants, ihre Clubs und ihre Bars, in denen sie un-
ter sich sind.
Man muss manche Konversationen der Damen aus den
großen gualtemaltekischen oder salvadorianischen Fami-
lien gehört haben, die sich über ihre indianischen Dome-
stiken oder über die Peones ihre fincas an der Küste un-
terhalten ! Aus jedem ihrer Sätze schlägt einem abgrund-
tiefe Verachtung für das eigene Volk entgegen.
Die Comprador-Klassen, die rein formal in ihrem Land
an der Macht sind, sind geistig und ökonomisch völlig von
den transkontinentalen Gesellschaften und den auslän-
dischen Regierungen abhängig. Was sie nicht daran hindert,
glühende patriotische Reden zu schwingen, die ausschließ-
lich für die Ohren des eigenen Volkes bestimmt sind.
Die Welthandelsorganisation (WTO) hat ihren Sitz in
der Rue de Lausanne Nr. 157 in Genf. Aus beruflichen
92
Gründen muss ich an manchen ihrer Sitzungen teilneh-
men. Der Repräsentant von Honduras spricht dort gern
vom »heiligen Recht« der Nation Honduras auf die Ex-
portquoten hondurianischer Bananen. Georges Danton
würde keine ergreifenderen Töne finden. Die Wirklichkeit
sieht so aus, dass praktisch die gesamte Bananenindustrie
von Honduras in den Händen der nordamerikanischen
Firma Chiquita (früher United Fruit Company) ist und
der Botschafter vermutlich einen Text liest – ich gebe zu,
mit Talent –, den ihm die PR-Abteilung im New Yorker
Hauptquartier vorbereitet hat …
Honduras ist eines der bedürftigsten Länder der Welt :
77,3 % seiner Einwohner leben in absoluter Armut.3 Zwi-
schen Februar 2003 und August 2004 wurden mehr als 700
Straßenkinder von den Todesschwadronen in der Haupt-
stadt Tegucigalpa und in San Pedro Sula getötet.4
Innerhalb der Comprador-Klassen spielt die Kaste der
einheimischen Offiziere gewöhnlich eine wichtige Rolle.
Honduras ist auch dafür ein gutes Beispiel. General Gu-
stavo Alvarez, in den achtziger Jahren Chef des General-
stabs, ein Rohling mit Schnauzbart, war nach den Quel-
len der demokratischen Opposition in dieser Zeit auch
der geheime Chef des Bataillons 316. Dieses Bataillon gilt
als verantwortlich für die gezielte Ermordung von etwa
200 Hondurianern, die nicht wollten, dass ihr Land als
»Flugzeugträger« der Vereinigten Staaten gegen das sandi-
nistische Nicaragua verwendet wurde. In dieser Zeit stand
Alvarez in engem Kontakt mit John D. Negroponte – ge-
nannt »der Prokonsul« –, der zwischen 1981 und 1985 ame-
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rikanischer Botschafter in Tegucigalpa war. Die Verwal-
tung Reagan hat Alvarez 1983 das Verdienstkreuz verlie-
hen, weil er »die Demokratie gefördert hat«. John D. Ne-
groponte hingegen wurde im Juni 2004 zum Botschafter
in Bagdad ernannt und ist heute oberster Geheimdienst-
chef der USA.
Auslandsschuld
2400 Milliarden
Dollar
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rakesch, Agadir, Tanger oder Fes. Im Königreich Marokko
können 42 % der Erwachsenen weder lesen noch schreiben.
32 % der Kinder zwischen 6 und 15 Jahren sind von jeder
Form der schulischen Ausbildung ausgeschlossen.
Die UNICEF hat folgende Berechnung angestellt : 14 al-
len Kindern zwischen 6 und 15 Jahren auf der Welt Zu-
gang zur Schule zu ermöglichen, würde die betroffenen
Staaten zusammen ungefähr 7 Milliarden Dollar zusätzlich
pro Jahr und auf zehn Jahre kosten. Dieser Betrag ist ge-
ringer als das, was die Einwohner der Vereinigten Staaten
jährlich für Kosmetikprodukte ausgeben. Oder : Er ist ge-
ringer als das, was die Europäer (Einwohner der fünfzehn
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vor dem 1. Mai
2004) jährlich für Eiscreme ausgeben.
Die Republik (und der Kanton) von Genf ist ein wunder-
schönes Gebiet an beiden Ufern eines Sees gelegen, der
von der Rhône und von den Gletschern der Walliser Al-
pen gespeist wird. Die Republik wurde 1536 gegründet.
1814 wurde sie ein Kanton der Schweizerischen Eidgenos-
senschaft. Heute hat sie ungefähr 400 000 Einwohner, die
184 verschiedene Staatsbürgerschaften besitzen. Ihr Ter-
ritorium erstreckt sich über knapp 247 Quadratkilome-
ter. Ich lebe hier und mache hier oft angenehme Bekannt-
schaften. Vor kurzem aber hatte ich eine Begegnung, die
ziemlich beunruhigend war.
Es ist Freitag, der 7. Mai 2004, am späten Nachmittag.
Georges Malempré, der Direktor des Verbindungsbüros
zwischen UNO und UNESCO, feiert im Erdgeschoss der
106
Villa Moynier seine Pensionierung. Blumen, Reden, eine
herzliche Atmosphäre …
Hinter den hohen Glastüren jagt der Wind schwarze
Wellen über den Genfer See. Malempré ist ein zutiefst sym-
pathischer und mutiger Mensch : Vierzig Jahre lang hat er
sich mit Leib und Seele für die Förderung der Schulaus-
bildung der Kinder in den ärmsten Ländern eingesetzt.
Freunde in großer Zahl sind aus fast allen Teilen der Erde
gekommen. Federico Mayor, der ehemalige Generaldirek-
tor der UNESCO, ist quicklebendig wie eh und je und hält
eine kluge Rede. Der belgische Botschafter Michel Adam
und seine Frau sind ebenfalls anwesend.
Ein wenig abseits der Menge erblicke ich einen eleganten,
schlanken jungen Mann mit vage amüsiertem Blick. Of-
fenkundig sind ihm die Bräuche und Gewohnheiten der
Genfer Kreise nicht vertraut. Ich trete auf ihn zu.
Der Mann ist Europäer, um die vierzig. Er ist vor ei-
nigen Tagen aus Washington hier eingetroffen. An seiner
Art zu sprechen, sich zu kleiden und in Gesellschaft zu
bewegen, erkennt man sofort den hohen Technokraten.
Sein Mandat : die Vertretung der Interessen des IWF bei
den internationalen Organisationen in Genf.
Er warnt mich von vornherein : »Eigentlich interessiere
ich mich nur für die WTO.« 15 Der Kampf gegen die Epi-
demien, der von der WHO 16 geführt wird ? Gegen den
Hunger vom WPF 17 ? Der Kampf der ILO 18 und ihres
Direktors Juan Sommavia, um anständige Arbeitsbedin-
gungen durchzusetzen ? Die IMO 19, die für das Wohlbe-
finden der Migranten kämpft ? Das Hochkommissariat
107
für Menschenrechte gegen die Folter ? Das Schicksal der
Flüchtlinge, die vom Hohen Flüchtlingskommissariat ver-
teidigt werden ?
Offenkundig kaum von Belang. Worauf es in den Au-
gen des eleganten Söldners in erster Linie ankommt, das
ist die Privatisierung der öffentlichen Güter, das heißt die
Liberalisierung der Märkte, die freie Zirkulation des Kapi-
tals, der Waren und der von den transkontinentalen Kon-
zernen entwickelten Patente im Rahmen der WTO.
C. ist intelligent, kompetent und brillant in seinen Ana-
lysen. Allmählich verliert er – der Genfer Weißwein tut
das Seine dazu – die in Washington eingeübte Zurück-
haltung. Er hat von mir gehört, vielleicht hat er sogar das
eine oder das andere meiner Bücher überflogen. Es stellt
sich heraus, dass wir einen gemeinsamen Freund haben im
Betonbunker in Washington, 1818 H Street, Northwest.
Plötzlich hält er inne und blickt mich ohne Sympathie
an. Er hebt die Hände gegen die Decke. Seine braunen
Augen schauen vorwurfsvoll. Er sagt zu mir : »Sehen Sie
…. was Sie machen, ist nicht in Ordnung … Alle diese
jungen Burschen und Mädchen, die Ihnen zuhören, sind
voller Begeisterung. Sie wollen die Welt verändern … Ich
kann das verstehen … Aber das ist gefährlich … vor allem
wenn sie Leuten in die Hände fallen, die keine Ahnung
haben von der Weltwirtschaft und ihren Zwängen … Sie
glauben Ihnen … Und dann ?«
Ich mache einige freundliche Einwände.
Daraufhin dreht er sich zu den offenen Glastüren und
zum See. Der Tag neigt sich, es riecht nach nassem Laub,
108
und er sagt : »Die Gesetze des Marktes sind unumgehbar,
unwandelbar. Träumen nutzt nichts.«
Der Mann war völlig ehrlich. Ich war entsetzt über seine
Arroganz. Und vor allem über die blinde und taube Macht,
die er, wenn auch in einem Team, über das Leben hun-
derter Millionen Menschen, Kinder und Frauen in Asien,
Afrika und Südamerika ausübt.
Der IWF verwaltet nicht nur die Verschuldung mithilfe
von Absichtsbriefen, Strukturanpassungsplänen, Refinan-
zierungen, Moratorien und Finanzumstrukturierungen. Er
ist auch der Garant der Profite der ausländischen Speku-
lanten. Wie geht er vor ?
Nehmen wir Thailand als Beispiel. Im Juli 1997 atta-
ckierten die internationalen Spekulanten die nationale
Währung, den Bath, und hofften, mit dieser schwachen
Währung schnelle und hohe Gewinne zu erzielen. Die
Zentralbank in Bangkok machte hunderte Millionen Dol-
lar aus ihren Reserven locker und kaufte Bath auf dem
Markt. Sie versuchte, die Währung zu retten.
Vergebliche Mühe. Nach dreiwöchigem Ringen wirft
die Zentralbank erschöpft das Handtuch und wendet sich
an den IWF, der der Regierung neue Anleihen aufzwingt.
Doch mit diesen neuen Krediten musste Bangkok vor-
rangig die ausländischen Spekulanten vergüten. Auf diese
Weise hat kein einziger der ausländischen Spekulanten
(Immobilienhaie und Börsenjobber) auch nur einen Cent
in Thailand verloren.
Gleichzeitig zwang der IWF die Regierung, hunderte
Spitäler und Schulen zu schließen, seine öffentlichen Aus-
109
gaben zu senken, die Ausbesserung der Straßen einzu-
stellen und die Kredite rückgängig zu machen, die öf-
fentlichen Banken den thailändischen Unternehmern ge-
währt hatten.
Das Resultat ? Innerhalb von zwei Monaten verloren
hunderttausende Thailänder und Fremdarbeiter ihre Ar-
beit. Tausende Fabriken mussten schließen.
Es wird Nacht über dem Mon-Repos-Park. Die letzten
Schwäne schwimmen majestätisch auf das Ufer zu. Mein
Söldner bleibt unerschütterlich : »Fahren Sie doch heute
nach Thailand … die Wirtschaft dort floriert !«
Und die Leiden und die Ängste, die hunderttausende
Menschen neun Jahre lang auszustehen hatten ?
C. antwortet nicht. Ich kann jedoch an seiner Stelle die
Antwort formulieren, die ihm sicherlich auf der Zunge lag :
Die menschliche Angst ist nicht quantifizierbar, sie ist kein
Element der makroökonomischen Analyse. Da sie nicht
messbar ist, existiert sie für den IWF nicht.
Ich gehe zu Fuß durch den dunklen Park in der Über-
zeugung, dass der Kampf lang sein wird gegen einen Geg-
ner, der mächtiger ist als je zuvor. Für hunderte Millio-
nen Menschen kommen schwere Zeiten der Demütigung,
aber auch des Widerstands.
Man sage mir nicht, dass die Annullierung der Schuld
unmöglich sei, weil sie das gesamte Bankensystem der
Welt in Todesgefahr bringe ! Jedes Mal, wenn ein von sei-
ner Verschuldung erdrücktes Land (vorübergehend) in
das Loch der Zahlungsunfähigkeit fällt (wie Argentinien
im Jahr 2002), kündigen das Wall Street Journal und die
110
Financial Times die Apokalypse an …. falls das System,
das zur Katastrophe geführt hat, infrage gestellt werden
sollte. Sind diese Erscheinungen der psychischen Labili-
tät der Journalisten zuzuschreiben ?
Natürlich nicht. Sie folgen einer geschickten Strategie.
Die europäischen Fernsehzuschauer mögen noch so pas-
siv sein, sie konstatieren dennoch tagtäglich die Ausmaße
der Verheerungen, die von der Verschuldung verursacht
werden. Sie sind empört und besorgt. Sie stellen Fragen.
Die Männer, Frauen und Kinder der Dritten Welt spüren
die Auswirkungen am eigenen Leib. Also muss man die
Verschuldung »legitimieren«. Wie soll man das anstellen ?
Man muss sie als »unausweichlich« hinstellen. Daher das
Argument der Söldner des Kapitals, das ad nauseam wie-
derholt wird : Wer immer den Schuldendienst verweigert,
bringt die Weltwirtschaft in Todesgefahr.
Analysieren wir diese angebliche Unausweichlichkeit
ein des Schuldendienstes. Die neoliberalen Beutejäger von
heute stoßen auf ein Problem, mit dem sich ihre Vorläufer
im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht
auseinander zu setzen brauchten. In der Zeit der trium-
phierenden Kolonialmacht war das rassistische Argument
durchaus ausreichend : »Die Schwarzen sind Faulpelze, mit
der Güte kommt man bei ihnen nicht weit … Die Araber
sind rückständig und unfähig, selbst und für sich selbst
eine moderne Wirtschaft zu organisieren … Und die In-
dianer in Honduras oder im guatemaltekischen Urwald ?
Wilde, die von Glück reden können, dass wir uns um ih-
ren Kaffee kümmern.« Heute hat sich die Lage jedoch ge-
111
ändert. Ein Cyberspace vereint die Welt. Telekommuni-
kation ist überall. Und funktioniert in Echtzeit ! Das In-
ternet bietet synchron Zugang zu Milliarden Informati-
onen auf der Welt. Überdies sendet das Fernsehen trotz
all seiner Mängel andauernd Bilder aus aller Welt. Der
Massentourismus bringt es mit sich, dass hunderte Mil-
lionen Weiße (und Japaner), wenn auch nur kurz, dafür
aber oft, die exotischsten Gegenden bereisen. Sie begeg-
nen dort dem Elend, der Demütigung und dem Hunger.
Unter diesen neuen Bedingungen ist der Rassismus nicht
mehr voll wirksam. Er kann den Nationen des Nordens
die ungleiche Verteilung von Reichtum und Kapital auf
der Erde nicht mehr als legitim verkaufen.
Also musste etwas anderes gefunden werden. Und so
haben die Beutejäger die Theorie der »natürlichen Ge-
setze« in Umlauf gebracht, die angeblich den Kapitalfluss
bestimmen. Doch diese angebliche Theorie, die auf die Un-
möglichkeit schließt, das Verschuldungssystem der Län-
der der Dritten Welt infrage zu stellen, hält der Analyse
nicht stand. Blicken wir etwas genauer hin.
Die Zahlungen, die in den letzten zehn Jahren von den
122 Ländern der Dritten Welt im Rahmen des Schulden-
dienstes an die Staaten und Banken des Nordens getätigt
wurden, beliefen sich auf weniger als 2 % des gesamten
Volkseinkommens der Gläubigerländer.
Zwischen 2000 und 2002 hat eine heftige Finanzkrise
so gut wie alle Finanzplätze der Welt erschüttert und Ver-
mögenswerte in der Höhe von mehreren hundert Milli-
arden Dollar vernichtet. Innerhalb von zwei Jahren ha-
112
ben die meisten an der Börse notierten Wertpapiere bis
zu 65 % ihres Werts verloren. Bei den am Nasdaq no-
tierten Wertpapieren des Neuen Marktes hat der Kurs-
abschlag manchmal 80 % betragen. Letzten Endes waren
die im Laufe dieser Periode vernichteten Werte siebzig-
mal höher als der Gesamtwert der Wertpapiere der Aus-
landsschuld aller 122 Länder der Dritten Welt.
Trotz des Ausmaßes des vernichteten Kapitals ließ die
Börsenkrise von 2000 bis 2002 das internationale Ban-
kensystem nicht zusammenbrechen : Die Finanzplätze ha-
ben sich in einer relativ kurzen Zeitspanne wieder erholt.
Und das Bankensystem hat die Krise vollkommen ver-
daut, anstatt die Wirtschaften, die Arbeitsmärkte und die
Spargelder der Nationen des Nordens in seinem hypothe-
tischen Untergang mitzureißen. Kein einziges Land des
Nordens – um hier nicht von der Weltwirtschaft insge-
samt zu sprechen – ist in Schwierigkeiten geraten.
Warum wird also dann die Schuld nicht annulliert ?
Die bedingungslose, unilaterale und vollständige An-
nullierung der Auslandsschuld der armen Länder würde
– ganz sicher – keine westliche Wirtschaft ruinieren oder
den Zusammenbruch der Gläubigerbanken herbeiführen,
aber es ist nicht auszuschließen, dass die eine oder andere
öffentliche oder private Institution in Europa oder Ame-
rika einigen Schaden erleidet. Diese Schäden würden je-
doch durchaus beschränkt bleiben und wären folglich voll-
kommen akzeptabel für das gesamte System.
In seinen »Wesentlichen Bemerkungen zur Wahl un-
serer Delegierten für die Nationalversammlung«, die am
113
1. Oktober 1789 veröffentlicht wurden, schreibt Jean-Paul
Marat : »Was sind einige an einem einzigen Tag vom Volk
geplünderte Häuser im Vergleich zu der Veruntreuung, die
die ganze Nation fünfzehn Jahrhunderte hindurch vonsei-
ten unserer drei Königsgeschlechter erlitten hat ? Was sind
einige ruinierte Personen im Vergleich zu einer Milliarde
Menschen, die von den öffentlichen Steuerpächtern, Vam-
piren und Vergeudern ausgeraubt worden sind ? […] Legen
wir unsere Vorurteile ab, und öffnen wir die Augen.« 20
115
1. Die Anführer der sozialen Bewegungen der unterjoch-
ten Völker können sich mit den mächtigen Solidaritätsbe-
wegungen der nördlichen Erdhälfte verbünden, vor allem
mit der Organisation Jubilé 2000, deren energische Akti-
onen insbesondere in England und Deutschland manche
Gläubigergruppen und sogar den IWF gezwungen ha-
ben, einige winzige Konzessionen zu machen. So sind die
Debt Reduction Strategy Papers entstanden. Worum han-
delt es sich ?
Vor mehr als dreißig Jahren haben die Vereinten Natio-
nen den Begriff least developed countries (LDC) geprägt.
Die Einwohner dieser Länder sind diejenigen mit dem
niedrigsten Einkommen. Eine Reihe komplexer Kriterien
definiert die LDCs. 49 Länder (1972 waren es nur 27, ein
Zeichen der Zeit) gehören heute in diese Kategorie. Sie
umfassen eine Bevölkerung von 650 Millionen Menschen,
das heißt knapp mehr als ein Zehntel der Weltbevölkerung.
Diese 49 Länder produzieren alle zusammen weniger als
1 % des Welteinkommens. 34 dieser Länder liegen in Afrika,
9 in Asien, 5 im Pazifik und eines in der Karibik.
Es gibt Länder, die diese Kategorie verlassen, und an-
dere, die darin neu sind. Ein Beispiel : Dank seiner In-
vestitionspolitik und landwirtschaftlicher Reformen hat
Botswana vor kurzem diese Gruppe verlassen. Der Sene-
gal hingegen ist neu dazugekommen.
Die Kampagne von Jubilé 2000 beruht auf der Feststel-
lung, dass die Gesamtauslandsschuld der fraglichen 49
Staaten 124 % der Gesamtsumme ihrer Bruttosozialpro-
dukte darstellt.21 Diese Länder geben also viel mehr für
116
den Schuldendienst aus als für die Aufrechterhaltung ih-
rer Sozialleistungen : Die meisten von ihnen wenden jähr-
lich mehr als 20 % ihrer Haushaltsausgaben für den Schul-
dendienst auf.22 Seit 1990 liegt überdies das Wachstum des
Bruttoinlandsprodukts in jedem der LDCs durchschnitt-
lich unter 1 %, während sich die Bevölkerungswachstums-
rate auf 2,7 % beläuft, wodurch natürlich jede interne Ka-
pitalanhäufung und jede Sozialpolitik vereitelt wird. Diese
Länder treiben wie trunkene Schiffe in der Nacht davon
und versinken im Ozean des Elends.
Die Debt Reduction Strategy Papers antworten auf diese
Kampagne und verlangen von den LDCs, die beim IWF
eine Verringerung ihrer Schuld beantragen, dass sie gleich-
zeitig ein oder mehrere Projekte der Rückinvestition der
durch die Reduktion gesparten Summen in ihrem Land
vorlegen. Doch das System funktioniert auf sehr unbefrie-
digende Weise. Zum einen weckt es in den betroffenen
Ländern ein Gefühl der Demütigung, weil der IWF zum
direkten Herren der nationalen Entwicklungspläne wird.
Zum anderen stimmt der IWF nur Umstellungsplänen zu,
die mit seiner eigenen Vorstellung von der notwendigen
»Öffnung der Märkte« und der ebenso unverzichtbaren
»Wahrheit der Preise« konform gehen. Wenn das antrag-
stellende Land einen Teil der »befreiten« Summen dazu
verwenden möchte, die Grundnahrungsmittel zu subven-
tionieren und damit für die Armen zugänglicher zu ma-
chen, dann wird der IWF mit Sicherheit ablehnen.
Wenn sich hingegen das Schuldnerland verpflichtet,
eine neue Autobahn zwischen dem Flughafen und der
117
Hauptstadt zu bauen, wird der IWF zweifellos bereit sein,
ihm eine debt reduction zu gewähren, die die Kosten für
den Bau der Autobahn abdeckt.
Kurz, es gibt noch viel zu tun, wenn man auf diesem
Weg wirklich vorankommen will.
Der Hunger
Hier nun ein Beispiel für das, was die FAO als strukturel-
len Hunger bezeichnet.
Als ich am 4. Februar 2003 spätabends das Büro des
129
brasilianischen Staatspräsidenten im Planalto in Brasilia
verlasse, versperrt mir auf der Esplanade ein fröhlicher
blonder Riese den Weg. Seine Lebensfreude ist ansteckend.
Wir sind alte Freunde und fallen einander in die Arme.
João Stédilé, ein Mann von übersprudelnder Vitalität
und Intelligenz, ist der Enkel von Tiroler Bauern, die nach
Santa Catarina ausgewandert sind. Unter den neun natio-
nalen Anführern der Bewegung der Landarbeiter ohne
Land 35 ist er heute der einflussreichste. Seine Wortge-
fechte mit Präsident Lula und dem Landwirtschaftsmi-
nister sind legendär.
»Was machst du morgen früh ?«, fragt er mich.
»Ich fliege nach Rio zurück und dann nach Genf.«
»Kommt nicht infrage !«, erwidert João. »Morgen gehst
du zum lixo.36 Sonst wirst du nie etwas von dieser Regie-
rung oder von dem, was hier los ist, begreifen … Du musst
im Morgengrauen hinfahren … ohne deinen Dienstwa-
gen und ohne deine Begleiter von der UNO … im Taxi
… ganz allein.«
Das Morgengrauen habe ich verpasst. Als ich aufwachte,
stand die Sonne bereits hoch am Himmel, ich stürzte mei-
nen Kaffee hinunter und sprang in ein Taxi. In Brasilia ist
der Vormittagsverkehr höllischer als in Paris. Die Hitze
senkte sich aus einem grauen, bedeckten Himmel herab.
Da das Hotel Atlantica, in dem ich untergebracht war, in
den westlichen Vierteln liegt, habe ich mehr als zwei Stun-
den gebraucht bis zur städtischen Mülldeponie, die sich
am östlichen Rand der Hauptstadt befindet.
Über zwei Millionen Männer, Frauen und Kinder leben
130
in Brasilia. Eine nie abreißende Kette von Lastwagen trans-
portiert rund um die Uhr ihre Abfälle hierher. Auf mehr
als drei Quadratkilometern wachsen Pyramiden von Un-
rat gen Himmel. Der Zugang zur Mülldeponie ist streng
geregelt. Eine Metallschranke wird von einem Wachpo-
sten der Militärpolizei bewacht. Die Männer in dunkel-
blauer Uniform sind mit Maschinenpistolen und langen
schwarzen Gummistöcken bewaffnet.
Eine favela, in der offiziell an die 20 000 Familien
wohnen, erstreckt sich zwischen den letzten Hochhäu-
sern und der Schranke. Ein Ozean von Hütten aus Karton,
von Holzbaracken, von Verschlagen mit Wellblechdächern
… Hierher fliehen die Flüchtlinge des Hungers, die Op-
fer des Latifundiums und der Lebensmittelkonzerne, die
den fruchtbaren Boden in Goiás monopolisieren, und die
Pächter, die Tagelöhner und ihre Familien verjagen.
Von den Männern und Jugendlichen, die in der favela
wohnen, erhalten ungefähr 600 täglich eine Zugangser-
laubnis zur Deponie. Nach welchen Kriterien ? Es wird
mir nicht gelingen, es herauszufinden. Da ich die Ge-
wohnheiten und Bräuche der Militärpolizei kenne, ver-
mute ich, dass die Korruption bei der Zuteilung eine be-
trächtliche Rolle spielt.
Unzählige Scharen von fröhlichen, aber sichtlich unter-
ernährten Kindern mit großen, schwarzen Augen laufen
auf den Gassen des Slums umher, zwischen den Abwas-
serrinnen, den dürren Hunden und den Pappkartonhüt-
ten. Sie umringen das Taxi. Sie lachen, klatschen in die
Hände. Ich bahne mir meinen Weg durch den Kreis und
131
gehe auf den Wachposten zu. Der Hauptmann erwartet
mich auf der Türschwelle. Er lächelt breit. Stédilé hat ihn
am Vortag angerufen.
»Wir haben Sie ein bisschen früher erwartet«, sagt er.
Mütter tragen Säuglinge, deren Mund, Nase und Augen
von schwirrenden violetten Fliegen bedeckt sind. Über-
all liegen Exkremente herum. Die Fliegenschwärme flie-
gen zwischen den Exkrementenhaufen und den Augen
der Säuglinge hin und her.
In Brasilien erfüllt die Militärpolizei die Aufgaben, für
die bei uns die Gendarmerie zuständig ist. Sie ist dem
Gouverneur des jeweiligen Mitgliedsstaats der Union un-
terstellt. Der ungefähr dreißigjährige Hauptmann hat ein
Gesicht mit feinen Zügen und die kohlschwarzen Augen
eines Mulatten. Er ist aufgeweckt und wirkt kompetent.
Aber er verhehlt nur mühsam seine Verachtung für die
»armen Teufel«, die um den Wachposten herumschlur-
fen und sich auf dem schlammigen Gelände hinter der
Schranke zu schaffen machen.
Seine Rede ist klar, und er ist auf die Fragen des Be-
suchers perfekt vorbereitet. Aber mein Besuch verwun-
dert ihn.
»Ihr in Europa, ihr seid reich ! Ihr verbrennt alles ! …
Wir machen das anders, wir sind ein armes Land … Die
Mülldeponie gibt einigen dieser armen Schlucker Arbeit
… Wir verbrennen nichts … alles kann noch gebraucht
werden … Und Sie würden staunen, wenn Sie sähen, was
unsere favelados alles aus einem Stück Holz oder Alumi-
nium machen können ! … Der Karton wird an Großhänd-
132
ler verkauft … die Aludosen und die Bierdosen werden
geplättet und verkauft … auch das Glas wird verkauft …
Ein geschickter lixeiro kann bis zu 5 Reals pro Tag verdie-
nen …37 Mit den Lebensmittelabfällen, dem Gemüse, dem
Obst, den tierischen Abfällen füttern sie ihre Schweine …
Das ganze Viertel, das Sie hier sehen, lebt vom lixo.« Sein
Arm deutet in einer ausholenden Geste auf den gesamten
Raum zwischen der Mülldeponie und den fernen weißen
Silhouetten der Hochhäuser.
Die Militärpolizei betritt niemals das riesige Gelände,
auf dem die Müllpyramiden stehen. »Wir sind nur da, um
morgens die Karten auszuteilen, um den Zugang zur De-
ponie zu kontrollieren und um zu verhindern, dass die
Kinder sie betreten. Das wäre ungesund für sie.«
Der Hauptmann stellt mir einen zahnlosen, sehr kor-
pulenten, ungefähr sechzigjährigen Mann vor, der eine
braune Jacke und eine braune Hose trägt, die mit Fettfle-
cken übersät sind. Der Mann stützt sich auf eine Krücke.
Er hat nur ein Bein. Auf seinem Kopf sitzt ein Strohhut
von undefinierbarer Farbe. Sein Teint ist blass. Schweiß-
tropfen rinnen über seine Stirn. Er riecht schlecht. Sein
ganzer Gesichtsausdruck wirkt verschlagen. Er ist mir so-
fort unsympathisch.
»Das ist der feitor …38 Der Herr ist verantwortlich für
die lixeiros. Er weist jedem Mann die Stelle zu, an der er
arbeiten kann. Ohne Autorität geht es nicht, wissen Sie !
Raufereien gibt es oft …« Der Mann mit dem Strohhut
ruft zwei pistoleiros, zwei Schwarze, die ihm offensicht-
lich als Leibwächter dienen. Zusammen gehen wir über
133
die Piste auf die Müllberge zu. Wegen des traurigen Ein-
beinigen, der mit seiner Krücke mühsam dahinhumpelt,
kommen wir unter der glühend heißen Sonne nur lang-
sam voran und brauchen für die Distanz ungefähr zwan-
zig Minuten.
Der Fäulnisgeruch nimmt mir den Atem.
Ich schwitze literweise Wasser.
Durch das ständige Hin und Her der Lastwagen gleicht
die doch breite und von Abwassergräben gesäumte Fahr-
bahn einer Schlucht. Sie ist mit Löchern übersät, von den
tiefen Spuren der riesigen Räder zerfurcht. Die Lastwa-
gen schwanken, so überladen sind sie.
Ausgerüstet mit langen Stöcken, an deren Spitze eiserne
Haken befestigt sind, klettern die Männer und die Halb-
wüchsigen auf die Pyramiden. Die älteren Männer tra-
gen schwarze Plastikstiefel und rote Schirmmützen, die
der am Eingang zur Deponie postierte Coca-Cola-Ver-
käufer verteilt. Ratten, groß wie Katzen, laufen zwischen
den nackten Beinen der Halbwüchsigen. Viele Jugendliche
sind spindeldürr und zahnlos. Sie tragen Kautschuksan-
dalen und verletzen sich häufig. Sie sortieren mit bloßen
Händen den Abfall und häufen ihn an bestimmten Stel-
len auf. Ein Bruder, ein Vater, ein Cousin bringen den von
einem Esel gezogenen Karren. Es sind flache Karren auf
zwei Rädern mit abgenutzten Reifen.
Jeder Karren wird mit einem anderen Material bela-
den : Die einen biegen sich unter Bergen von Pappe und
Papier. Die nächsten sind überladen mit Metall. Viele
transportieren Flaschen und Glasscherben. Die Zwischen-
134
händler warten am Ausgang, auf dem Gelände hinter der
Schranke.
Die meisten Karren transportieren Nahrung. Auf ih-
nen stehen Bottiche aus grauem Plastik, in denen eine
übel riechende Brühe von undefinierbarer Farbe schwappt.
In den Bottichen ist ein Gemisch von Mehl, Reis, verfau-
lendem Gemüse, Fleischstücken, Fischköpfen, Knochen –
und manchmal einem toten Karnickel oder einer toten
Ratte. Von den meisten dieser Bottiche geht ein entsetz-
licher Geruch aus.
Schwärme von violetten Fliegen bedecken die Kar-
ren. Ihr unaufhörlicher Tanz erzeugt ein dumpfes Brum-
men. Viele Fliegen hängen auf den infizierten Augen der
Halbwüchsigen oder an den aufgeschürften Beinen der
Älteren.
Ich frage den feitor, für wen der Inhalt der Bottiche
bestimmt ist.
»Das ist für die Schweine«, sagt er. Es klingt nicht über-
zeugend. Ich stecke ihm einen Zehn-Reais-Schein zu.
»Ich bin kein Tourist. Ich bin Sonderberichterstatter
der Vereinten Nation für das Recht auf Nahrung … Ich
will wissen, was hier vor sich geht«, sage ich mit lächer-
lich feierlicher Stimme. Meine Mission ist dem feitor völ-
lig egal. Für den Geldschein hingegen ist er empfänglich.
»Unsere Kinder haben Hunger, verstehen Sie«, sagt er zu
mir, als wolle er sie entschuldigen. Der verschlagene Ein-
beinige mit seinen zwei pistoleiros als Leibwächter wird
mir beinahe sympathisch.
135
Gravierende und chronische Unterernährung zerstört
langsam den Körper. Sie schwächt ihn und beraubt ihn
seiner Lebenskräfte. Die geringste Krankheit wirft ihn
dann nieder. Das Gefühl des Mangels wird permanent
empfunden.
Doch die schlimmsten Leiden, die von der Unterer-
nährung verursacht werden, sind die Angst und die De-
mütigung. Der Hungernde führt einen verzweifelten und
ständigen Kampf um seine Würde. Ja, der Hunger erzeugt
Scham. Der Vater kann seine Familie nicht mehr ernäh-
ren. Die Mutter steht mit leeren Händen vor dem hun-
gernden Kind, das weint.
Nacht für Nacht, Tag für Tag schwächt der Hunger
die Widerstandskräfte des Erwachsenen. Er sieht den Tag
herannahen, an dem er nicht einmal mehr imstande sein
wird, auf den Straßen umherzuirren, in den Mülltonnen
zu stöbern, zu betteln oder diese kleinen Gelegenheitsar-
beiten auszuführen, die es ihm erlauben, ein Pfund Ma-
niok zu kaufen, ein Kilo Reis, etwas, um seine Familie –
wenigstens halbwegs – durchzubringen. Die Angst nagt
an ihm. Er geht in Lumpen, mit ausgetretenen Sandalen
und fiebrigem Blick. Er kann in den Augen der anderen
lesen, dass er verachtet wird. Oft sind er und seine Ange-
hörigen gezwungen, die Abfälle aus den Mülltonnen der
Restaurants oder der bürgerlichen Häuser zu essen.
Ist die Mongolei ein basket case nach den Kriterien von
Henry Kissinger ? Lässt sich das Leid der mongolischen
Kinder durch eine mysteriöse »Fatalität« erklären ?
Natürlich nicht. Dieses Leid hat einen Namen : die Aus-
landsschuld.
Im Jahr 2004 belief sie sich auf 1,8 Milliarden Dollar.
Diese Zahl entspricht fast genau dem Bruttoinlandspro-
dukt, das heißt der Summe aller Reichtümer, die inner-
halb eines Jahres in der Mongolei produziert werden.
Die Mongolei wird erwürgt. Alle Gefahren, die sie be-
drohen, alle Katastrophen, die sie erleidet, könnten mit ei-
ner geeigneten Technologie verhindert oder bekämpft wer-
den. Diese Technologie gibt es auf den westlichen Märk-
ten. Aber sie kostet Geld. Und praktisch wird das ganze
Geld, über das die Mongolei verfügt, vom Schuldendienst
verschluckt.
TEIL III
Alem Tsehaye
Von Norden bis Süden, von Osten bis Westen wird das
weite Äthiopien immer wieder von Malaria, Tuberkulose,
Typhus und Gelbfieber heimgesucht.
Die Tabletten gegen Malaria werden von den »Entwick-
lungsagenten«, den örtlichen Beamten der Regionalregie-
175
rungen, in ungenügender Menge verteilt. Die Tuberku-
lose ist eine Auswirkung der Unterernährung. Die Ver-
breitung von Typhus erklärt sich aus der Verschmutzung
der Flüsse, aus der Infizierung der Tümpel, an denen so-
wohl das Vieh seinen Durst stillt als auch diejenigen Men-
schen, die keine Brunnen haben.
Praktisch jeden Hof des Dorfes hat die Malaria heim-
gesucht. Außer bei Alem. Mit glänzenden Augen sagt sie
zu mir : »Ich habe niemanden verloren … kein einziges
Kind.« Der Kleine in ihren Armen strampelt fröhlich.
Im Februar beginnt die Fastenzeit, auf die das ortho-
doxe Osterfest folgt. Dieses prächtige Fest ist das wichtigste
im Jahreszyklus der Christen in Äthiopien. Die Hälfte der
Bevölkerung besteht aus orthodoxen Christen, die an-
dere aus Muslimen. Die Bauern halten die Fastenzeit ein.
Was in einem Gebiet, in dem chronische Unterernährung
herrscht, wirklich ein Paradox ist. In den Ortschaften, in
denen wir Halt machen, bieten die kleinen Restaurants
regelmäßig zwei Menüs an – das übliche (es besteht aus
einem Teffladen mit Fleischsauce, Huhn oder Eiern) und
das andere, das in fetteren Buchstaben auf die moralische
Verpflichtung hinweist, und Fasten-food (Fastenessen) ge-
nannt wird. Das Fastenessen schließt jedes tierische Pro-
dukt aus. Fast alle Tigreer, die wir auf den Matten dieser
Restaurants trafen, wählten das zweite Menü.
Äthiopien lebt nach dem Mondkalender. Im Jahr 2004
dauerte die Fastenzeit 55 Tage vom 16. Februar bis zum
14. April.
Während der Fastenzeit werden in bunten Farben be-
176
malte – gelbe, grüne, rote – Metalldosen auf Dreifüßen an
den Wegkreuzungen aufgestellt. Diese Dosen sind ein Si-
gnal für die Christen, sollen Besorgnis über ihr ungewisses
Seelenheil wecken und sie zu Fastenspenden anregen.
Wieviel Birrs 5 spendet Alem ? Sie weigert sich zu ant-
worten. Doch an ihrem Lächeln kann ich ablesen, dass
sie die List der Geistlichen durchschaut hat.
26. Februar 2004 : Am Eingang der Universität von Ad-
dis-Abeba werden alle Besucher gründlich durchsucht.
Wegen der »terroristischen Bedrohung«. Ich kaufe den
Ethiopian Herald. Eine Nachricht auf der ersten Seite sticht
mir ins Auge. Von diesem Tag an wird das WFP die in
den Flüchtlingslagern auf äthiopischem Boden verteilten
Tagesrationen um 30 % kürzen. 126 000 Flüchtlinge aus
dem Sudan, aus Eritrea und Somalia vegetieren dort vor
sich hin. Die neue Tagesration wird sich auf 1500 Kalo-
rien pro Person belaufen. Das ist eine Ration, die unter-
halb der Schwelle liegt, die von der UNO als Existenzmi-
nimum eingestuft wird.6
Es versteht sich von selbst, dass die neuen Normen, die
in den Lagern zur Anwendung kommen, bald auf die ge-
samte von der UNO in Äthiopien durchgeführte Ernäh-
rungshilfe ausgedehnt werden wird.
Wie lässt sich diese brutale Kürzung erklären ? Das WFP
hat im Februar 2004 einen neuen Spendenaufruf getätigt :
Von den erforderlichen 142 Millionen Dollar konnten nur
37 Millionen aufgebracht werden. Die Antwort der wich-
tigsten westlichen Staaten : Wir müssen unserer Sicherheits-
politik gegen den Terrorismus den Vorrang einräumen.
177
Das obsessive Sicherheitsdenken, das durch den »Krieg
gegen den Terrorismus« ausgelöst wurde, lenkt die mei-
sten Mitgliedsstaaten der UNO vom Kampf gegen das
Elend ab. Das Geld wird knapp. Mangels finanzieller Mit-
tel kann die UNO den Hunger in Äthiopien nicht mehr
zurückdrängen.
2
Der Widerstand
Wann wird das äthiopische Volk endlich ein Recht auf ein
bisschen Glück haben ?
Solange die Auslandsschuld aufrechterhalten bleibt das
gemeinsame Glück eine bittere Illusion.
TEIL IV
Lula
Was für ein Paradox ! Der Präsident des Staates, der mehr
als die Hälfte des lateinamerikanischen Kontinents bedeckt
und über die elftmächtigste Wirtschaft des Planeten ver-
fügt, fühlt sich keiner eindeutigen politischen Tradition
verpflichtet !
Auf meine Frage lacht Lula schallend : »Meine politische
Herkunft ? Ich erinnere mich nicht daran. Ich bete gern.
Ich lese gern, was der heilige Franz von Assisi schreibt …
Bevor ich esse, mache ich das Kreuzzeichen. Ich war zu
oft hungrig, wissen Sie … Am 1. Mai versäume ich nie die
Missa do Trabalhador in der Kirche Matriz in São Ber-
nardo do Campo … Es gefällt mir, wenn ich sehe, wie der
Priester den Kelch und die Hostie über der Versammlung
erhebt und sagt : ›… dieser Wein und dieses Brot, Früchte
der Mühe und der Arbeit der Menschen‹ … Was die po-
litischen Theorien anbelangt, da müssen Sie Marco Au-
relio fragen !«
Lula blickt auf seinen Berater für internationale Ange-
legenheiten, der uns gegenüber im Lehnstuhl sitzt, und
fügt sarkastisch hinzu : »Unsere brillanten Intellektuellen
222
kennen alle diese Theorien unendlich viel besser als ich !«
Marco Aurelio, der kundige Marxist und ehemalige Pro-
fessor der Universität Vincennes in Paris, hält sich vor-
sichtig bedeckt …
Warum die Gründung der Partei der Arbeiter Anfang
der achtziger Jahre ? Lula hat eine überraschende Ant-
wort parat : »Weil in unserer ganzen Geschichte die Ar-
beiter niemals für die Arbeiter gestimmt hatten … In den
Köpfen der Bauern und Arbeiter lähmen uralte Vorur-
teile jede selbstständige gemeinsame Aktion.« In einem
im Jahr 2002 erschienenen Buch erklärt Lula : »… os pre-
conceitos de classe embutidos nos carações et mentes dos
proprios trabalhadores, induzido a não acreditar en sua ca-
pacidade de se assumir como sujeito historico« (»… Klas-
senvorurteile, die in den Herzen und Köpfen der Arbei-
ter selbst nisten, ließen uns an unserer Fähigkeit zweifeln,
uns als historische Subjekte zu verhalten«).12
Die Menschen der beherrschten Klassen bilden über
80 % der brasilianischen Bevölkerung. Doch sie haben
Jahrhunderte lang die Vorurteile verinnerlicht, welche
die herrschenden Klassen über sie ausgesprochen hatten :
Sie haben aufrichtig an ihre eigene Unfähigkeit geglaubt,
sich selbst zu regieren.
Diese Zeit ist heute vorüber : Am 27. Oktober 2002
ist Luiz Inácio Lula da Silva mit mehr als 52 Millionen
Stimmen, der höchsten Stimmenanzahl, die je ein brasi-
lianischer Präsident erhalten hat 13, zum Präsidenten der
Bundesrepublik Brasilien gewählt worden.
Die PT ist keine Partei, sondern eine Front. Sie setzt
223
sich zusammen aus sozialen Bewegungen, intellektuellen
Zirkeln, Gewerkschaften, Basisorganisationen aller Art
– Frauengruppen, regionalen Vereinen, religiösen Bewe-
gungen usw. Ein bemerkenswerter Stratege wacht darü-
ber, dass der interne Dialog demokratisch korrekt funk-
tioniert : der Ex-Kommandant der Guerilla, José Dirceú
… Im Jahr 2004 wurde José Dirceú auch noch Ministro
da Casa Civil, was im brasilianischen System etwa dem
Amt eines Premierministers in Frankreich entspricht. Er
ist ein legendärer Widerstandskämpfer, der von der po-
litischen Polizei verhaftet und dann gegen den von der
Guerilla entführten Botschafter der Vereinigten Staaten
in Brasilien ausgetauscht wurde. In Kuba unterzog er sich
einer Gesichtsoperation. Mit einer neuen Identität und
einem neuen Gesicht ist er nach Brasilien zurückgekehrt,
um im Staat São Paulo den bewaffneten Kampf wieder
aufzunehmen …
231
Dutzende Millionen Brasilianer haben keine ständige Ar-
beit. Tag für Tag, Nacht für Nacht versuchen sie zu überle-
ben, indem sie biscate ausführen, kleine Gelegenheitsjobs :
An sonnigen Tagen verkaufen sie Eis am Strand, sammeln
auf den Trottoirs und in den Parks leere Bierdosen und
verkaufen sie weiter, sammeln Altpapier, bewachen Autos
vor schicken Restaurants, verkaufen Zigaretten stückweise
und – gefährlicher : Sie erweisen den Kokain- und Hero-
inbaronen kleine Dienste …
Selbst diejenigen, die einen regelmäßigen Lohn bezie-
hen, leiden oft an Hunger. Die herrschenden Klassen in
Brasilien verstehen sich auf die Kunst der extremen Aus-
beutung der Arbeitnehmer. Und diese ertragen praktisch
jede Demütigung. Fügsam. Sie sind Millionen. Auf einen
Revoltierenden kommen zehn Unterwürfige, die bereit
sind, seine Stelle einzunehmen.
Die energische Bürgermeisterin von São Paulo, Marta
Suplicy 20, schätzt die Zahl der Einwohner im Stadtge-
biet São Paulo, die in einer favela leben, auf 4 Millio-
nen. Das entspräche ungefähr 25 % der Gesamtbevölke-
rung. Die Polizei betritt diese Viertel höchst selten. Öf-
fentliche Institutionen sind dort nur ausnahmsweise an-
zutreffen. Die Hygiene ist oft katastrophal. Ich habe ge-
sehen, wie zwölfköpfige Familien in einem Raum vege-
tieren. Das gedrängte Zusammenleben geht oft mit sexu-
ellem Missbrauch der Kinder, ehelicher Gewalt und Ge-
sundheitsproblemen einher.
Mehr als 80 % der Familien, die auf dem Land leben,
haben keinen regelmäßigen und ausreichenden Zugang zu
232
Trinkwasser, das den Kriterien der WHO entspricht. In
städtischem Milieu gilt dies für 10 % der Familien.
Unterernährung und Fehlernährung treffen jedoch die
brasilianische Bevölkerung je nach Region auf sehr unter-
schiedliche Weise. Die ärmsten Bundesstaaten sind Ma-
ranhão und Bahia. Im Jahr 2003 sind dort 17,9 % der be-
hinderten Kinder aufgrund von chronischer Unterernäh-
rung zu Invaliden geworden. In den südlichen Bundeslän-
dern war das bei 5,1 % von ihnen der Fall gewesen.
Die extreme Armut und der Hunger haben auch eine
Farbe.
Bei der letzten Volkszählung definierten sich 45 % der
Brasilianer als »Afrobrasilianer« oder als »Schwarze«. In
der Kategorie der »extrem Armen« (mit einem Einkom-
men von weniger als 1 Dollar pro Tag pro Erwachsenem)
sind die Schwarzen doppelt so zahlreich vertreten wie die
Weißen. – Bei den Analphabeten ist die Zahl der Schwar-
zen zweieinhalbmal so hoch wie die der Weißen. Die
Lohnstatistik bringt eine rassistische Diskriminierung an
den Tag : 2003 verdienten die Schwarzen, die über ein re-
gelmäßiges Einkommen verfügten, durchschnittlich 42 %
weniger als die Weißen.
Eine andere Diskriminierung trifft die Frauen – ins-
besondere die schwarzen Frauen. Die Einkommen der
Frauen, ohne Unterscheidung der Hautfarbe, liegen ge-
wöhnlich 37 % (2003) unter denen der Männer. Doch das
durchschnittliche Einkommen der schwarzen Frau be-
läuft sich nur auf 60 % des weiblichen Durchschnittsein-
kommens.
233
Die Latifundienstruktur des heutigen Brasilien ist das
direkte Erbe des lusitanischen Vizekönigtums und des
sklaventreiberischen Regimes, das 350 Jahre lang dort ge-
herrscht hat. Der König von Portugal pflegte seine fidal-
gos, Höflinge, Generäle und Bischöfe, mit capitanerias zu
beschenken.
Während des 16. und dem größten Teil des 17. Jahrhun-
derts waren nur die Küsten des Subkontinents auf den
Landkarten eingetragen. Dahinter erstreckte sich die terra
incognita. Der König gewährte seinen Getreuen einen be-
stimmten Teil der Küsten. Damit nicht genug : Alle Län-
dereien, die der Untertan des Königs im Inland erobern,
besetzen und befrieden konnte, sollten ebenfalls ihm ge-
hören. Diese Eroberungsgebiete nannte man »Kapitäne-
rien«.
Josué de Castro schreibt : »Die Hälfte der Brasilianer
schläft nicht, weil sie Hunger hat. Die andere Hälfte schläft
nicht, weil sie Angst hat vor denen, die hungern.«21
Die Strategie, die Lula umsetzt, um das Elend des
Volkes zu besiegen und die Arroganz der Mächtigen zu-
rückzudrängen, trägt den Namen Programa Fome zero.
Sie steht im Zentrum einer ganzen Politik, die von der
PT geführt wird. Sie ist das Kernstück der antikapitali-
stischen und demokratischen Volksrevolution, die in Bra-
silien im Gange ist.
Das Wort fome (Hunger) wird hier in seiner weitesten
Bedeutung gefasst. Es geht darum, alle Arten von Hun-
ger zu mildern, die den Menschen befallen – den Hun-
ger nach Nahrung natürlich, aber auch nach Wissen, nach
234
Gesundheit, nach Arbeit, nach Familienleben, nach Frei-
heit und nach Würde. Das Programa Fome zero soll Stück
um Stück die Unterdrückungsstrukturen zerbrechen und
die materiellen Voraussetzungen für die Befreiung von
Körper und Geist der Menschen schaffen. Der befreite
Mensch wird dann frei über den Gebrauch seiner Frei-
heit entscheiden. Die individuelle (und gemeinschaftliche)
Verantwortung steht im Herzen dieses Programms. Das
Opfer wird zum Handelnden. Der Arme ist der Schmied
seiner eigenen Befreiung.
Das Programm enthält 41 unmittelbare Maßnahmen.
Zwanzig Ministerien sind an seiner Verwirklichung be-
teiligt. Die Maßnahmen lassen sich in drei verschiedene
Kategorien einteilen :
– strukturelle Maßnahmen des Kampfes gegen den Hun-
ger,
– spezifische Maßnahmen des Kampfes gegen den Hun-
ger,
– lokale Maßnahmen des Kampfes gegen den Hunger.
Die strukturellen Maßnahmen verfolgen das Ziel, die
Anfälligkeit der ärmsten Familien zu verringern, indem
man ihnen ermöglicht, mit eigenen Mitteln zu einer ge-
eigneten Ernährung zu gelangen. Diese strukturellen Maß-
nahmen beinhalten die Erhöhung des Mindestlohns, ver-
mehrte Stellenangebote und die Einschränkung der Sai-
sonarbeit, die Errichtung von solidarischen Kleinstkredit-
agenturen, die Intensivierung der Agrarreform, die Ver-
allgemeinerung der sozialen Vorsorge, die Verallgemeine-
rung der bolsa escola und der renda minima für die ar-
235
men Familien sowie die Förderung der familiären Land-
wirtschaft.
Die spezifischen Maßnahmen verfolgen das Ziel, un-
mittelbar gefährdeten Personen den sofortigen Zugang
zur Ernährung zu sichern. Sie sind kurzfristig nötig, um
denjenigen zu helfen, die über keinerlei Mittel verfügen,
sich geeignete Nahrung zu verschaffen. Diese spezifischen
Maßnahmen umfassen die Verallgemeinerung der Ernäh-
rungskarte (cartão de alimentação) und der Ernährungs-
coupons (Programa cupom de alimentação) ; die Verteilung
von Haushaltskörben (cestas básicas emergenciais) ; das
Anlegen von Lebensmittelvorräten ; eine Sicherheits- und
Qualitätskontrolle der Nahrung ; die Reform des Arbeiter-
ernährungsprogramms PAT (Programa de alimentação du
trabalhador) ; den Kampf gegen die Unterernährung der
Mütter und Kinder ; die Verbreitung von Grundsätzen zur
Nahrungskunde und die Verbesserung der Schulspeisung
(merenda escolar).
Die lokalen Maßnahmen verfolgen das Ziel, das Pro-
grama Fome zero an die verschiedenen Lebensweisen auf
dem Land, in den Kleinstädten und in den Megalopolen
anzupassen. Diese Maßnahmen beinhalten die Förderung
der familiären Landwirtschaft und der Produktion, die auf
eine autonome Ernährung der Familien auf dem Land ab-
zielt ; die Organisation örtlicher Märkte und die Verbesse-
rung des Austauschs zwischen Produzenten und Konsu-
menten in den Kleinstädten, die Einrichtung von Volksre-
staurants, von Nahrungsbanken und die Dezentralisierung
der Nahrungsumschlagplätze in den Megalopolen.
236
Die Umsetzung des Programms hat im Februar 2003
in Piauí, einem nordestinischen Staat, begonnen, der an
Maranhão, Bahia, Para und Pernambuco grenzt. Doch zu
Beginn des zweiten Halbjahrs 2004 kamen nur 140 000 Fa-
milien in den Genuss einer oder mehrerer Maßnahmen
des Programa Fome zero. Warum ?
Um Wirklichkeit zu werden, benötigt das Programa
Fome zero öffentliche Investitionen in Höhe von hunder-
ten Millionen Dollar. In Brasilia sind jedoch die Staatskas-
sen leer. Die Zinsen und die Tilgung der Auslandsschuld
schlucken praktisch das ganze verfügbare Geld.
3
Brasilien muss nicht wie Ruanda den Preis für die von den
Völkermördern importierten Macheten zurückzahlen, son-
dern die astronomischen Anleihen, die den Militärdikta-
toren und den korrupten Präsidenten von der Eximbank,
vom Internationalen Währungsfonds und von den euro-
päischen, japanischen und nordamerikanischen Privat-
banken aufgezwungen wurden. Denn die Diktatoren ha-
ben nicht nur die öffentlichen Freiheiten abgeschafft und
die Demokraten gefoltert, sie haben das Land auch seiner
Reichtümer beraubt und pharaonische Bauten finanziert,
wobei sie ausschließlich die finanziellen Interessen ihres
nordamerikanischen Vormunds und ihren eigenen Vorteil
im Auge hatten. Was die nachfolgenden Präsidenten be-
traf, so haben sie (zumindest die Mehrzahl von ihnen) die
Korruption gefördert 22 und die meisten rentablen öffent-
lichen Unternehmen dem ausländischen Spekulationska-
pital überlassen. Präsident Lula muss also heute eine »wi-
derliche« Schuld zurückzahlen.
Jean-Paul Marat : »Ein guter Fürst ist das edelste unter den
Werken des Schöpfers und am geeignetsten, die mensch-
liche Natur zu ehren und die göttliche zu repräsentieren.
Doch wie viele Monster auf Erden kommen auf einen gu-
ten Fürsten !« 3
Nehmen wir die Lebensmittelkonzerne als Beispiel, um
das Ausmaß der planetarischen Dimension der Herrschaft
zu ermessen. Zehn transkontinentale Gesellschaften, da-
runter Aventis, Monsanto, Pioneer, Syngenta usw. kon-
trollierten 2004 mehr als ein Drittel des Weltmarktes für
Saatgut. Dieser Markt bezifferte sich 2003 auf 23 Milliar-
den Dollar.4
Werfen wir einen Blick auf den Markt der Schädlings-
bekämpfungsmittel : Er bringt ungefähr 28 Milliarden Dol-
lar pro Jahr. 80 % dieses Marktes werden von sieben trans-
kontinentalen Gesellschaften beherrscht (darunter wieder
Aventis, Monsanto, Pioneer, Syngenta usw.)
Bangladesch ist mit seinen 146 Millionen Einwohnern,
die auf 110 000 Quadratkilometern leben, der am dichtesten
besiedelte Staat der südlichen Hemisphäre. Dieses Land hat
eine außerordentliche Erinnerung in mir zurückgelassen :
Überall, wo ich hinkam – ob in Dacca oder in Chittagong,
269
am Ufer des Brahmaputra oder des Ganges, in den Dörfern
oder auf den Feldern – war ich ständig von einer Menge
fast immer freundlicher, lächelnder, oft sehr schöner Men-
schen umringt. Bangladesch ist laut Human Development
Index des UNDP das drittärmste Land der Welt.
Das Land erstreckt sich in einer besonders schwierigen
tropischen und subtropischen Zone : In der Monsunzeit,
zweimal pro Jahr, stehen 60 % der Landfläche unter Wasser.
Der Schlamm, der von den vier großen, aus dem Hima-
laja kommenden Strömen über tausende Kilometer trans-
portiert wird, macht den Boden fruchtbar. Doch aller-
lei Getier, das in diesem ständig feuchten Klima gedeiht,
vernichtet regelmäßig einen beträchtlichen Teil der Mais-,
Weizen- und Hirseernten.
Der Preis für Schädlingsbekämpfungsmittel entschei-
det also über Leben und Tod von Millionen Bengalen. Die
erwähnten Konzerne sind es, die alljährlich den Preis für
die an die Bengalen verkauften Pestizide festlegen. Und
sie tun es nach Maßgabe der Profitmaximierung. Ohne
die geringste öffentliche Kontrolle.
Doch was für Bangladesch gilt, gilt auch für Indien.
Im Oktober 2004 veröffentlichte die Zeitschrift Front-
line ein Interview mit dem indischen Landwirtschafts-
minister Raghuveera Reddy. Dieser gab an, dass in An-
dra Pradesh, einem der wichtigsten Mitgliedsstaaten der
Indischen Union, mehr als 3000 Bauern, die bei den ört-
lichen Filialen der einschlägigen transkontinentalen Ge-
sellschaften überschuldet waren, im Laufe der Periode
1998–2004 Selbstmord begangen hatten.
270
Werfen wir nun einen Blick auf die Getreidehändler,
die die Weltkreisläufe des Transports, der Versicherung
und der Lagerung kontrollieren und natürlich auch die
Börse für landwirtschaftliche Rohstoffe in Chicago. Auch
hier sind die Entscheidungs- und Vermögensbefugnisse
extrem konzentriert : Dreißig Konzerne beherrschen den
gesamten Weltgetreidehandel.
Von den 53 Staaten des afrikanischen Kontinents und
seiner Inseln können sich nur 15 selbstständig ernäh-
ren. Die 37 anderen sind auf den Weltmarkt angewiesen.
Und das auch in Zeiten »normaler« Ernten, anders aus-
gedrückt : auch dann, wenn das Land von keinem Krieg,
keiner Dürre, keiner Heuschreckeninvasion oder irgendei-
ner anderen naturbedingten (oder von Menschenhand ver-
ursachten) Katastrophe verheert wird. Das Nahrungsmit-
teldefizit dieser Länder entspringt der Tatsache, dass ihre
eigene Ernte objektiv nicht ausreicht, um die »Überbrü-
ckung« zu gewährleisten, das heißt die je nach Land und
je nach Jahr unterschiedlich lange Periode, in der die Vor-
räte der vergangenen Ernte aufgebraucht sind und die neue
Ernte noch nicht eingebracht ist. In Sambia ist Mais das
Nationalgericht. Die Sambier essen ihn morgens, mittags
und abends. In Form von Brei, Fladen, gerösteten Kör-
nern, Suppe oder Porridge. Um sich während der Über-
brückung zu ernähren, muss Sambia Lebensmittel auf dem
Weltmarkt kaufen. Doch die Regierung in Lusaka verfügt
nur über bescheidene finanzielle Mittel. Wenn die von
den Kosmokraten diktierten Preise hoch sind, kann die
Regierung einfach nicht die erforderliche Anzahl Maissä-
271
cke importieren – und tausende Sambier sterben wie be-
reits in den Jahren 2001 und 2002.
Die Straffreiheit
292
Dow Chemical ist bei Weitem nicht die einzige transkon-
tinentale Privatgesellschaft, die sich – bislang erfolgreich –
ihrer sozialen Verantwortung zu entziehen versucht. Neh-
men wir Monsanto als ein weiteres Beispiel.
Wer Vietnam heute bereist und mit lokalen katho-
lischen oder buddhistischen NGOs ins Gespräch kommt,
wird häufig zu einem Besuch eines der Agent-Orange-
Heime eingeladen. Tran Anh Kiet ist ein 21 Jahre junger
Mann. Er ist verkrüppelt. Aus einem angstverzerrten Ge-
sicht blickt er dem Besucher mit großen braunen Augen
entgegen. Seine Pfleger sagen, er habe das mentale Al-
ter eines sechsjährigen Kindes. Sprechen kann er nicht.
Selbstständig essen auch nicht. Er muss vom Pfleger mit
einem Löffel gefüttert werden. Periodisch stößt er Töne
aus, die dem Grunzen eines Tieres gleichen.
Kiet lebt in Cu Chi, rund 45 Kilometer von Ho-Chi-
Minh-Stadt entfernt. Er ist eines von über 150 000 ver-
krüppelten, vollinvaliden Agent-Orange-Kindern. 800 000
weitere Vietnamesen leiden an chronischen Krankheiten,
verursacht durch die Einnahme von Wasser und Nahrung,
die mit Dioxin verseucht sind.
Die amerikanische Luftwaffe hat zwischen 1961 und 1971
über 79 Millionen Liter Pestizide vom Typ Agent Orange
über den Wasserläufen, Feldern und Wäldern von Viet-
nam ausgeschüttet.
Im Februar 2004 deponierte die VAVA (Vietnamese
Association of Victims of Agent Orange) mit Unterstüt-
zung mutiger amerikanischer NGOs und Anwälte bei
der New Yorker Justiz eine so genannte class action ge-
293
gen Monsanto und 36 andere Hersteller des chemischen
Gifts.
Die class action verlangte Schadenersatz für die ver-
krüppelten Menschen und für tausende von Medizinern
attestierte Fälle von Krebs und anderen schweren Krank-
heiten, die durch das abgeworfene Gift ausgelöst wurden.
Der Klage wurden gute Chancen prognostiziert, weil zu-
vor bereits über 10 000 amerikanische Kriegsveteranen,
die durch das gleiche Gift schwere Gesundheitsschäden
davongetragen hatten, entschädigt worden waren.
Am 10. März 2005 wurde vom Bundesrichter des US-
District-Court in Brooklyn, New York, das Urteil verkün-
det. In seinem mit einer 233 Seiten langen Begründung
versehenen Verdikt wies Bundesrichter Jack B. Weinstein
die vietnamesische Klage ab.
3
Eine Reissorte, der man ein Gen aus einer anderen Spe-
zies einsetzt (einer Tomate, einer Kartoffel usw.), kann Äh-
ren entwickeln, die resistenter gegen Klimaschwankungen
sind, Ähren, die auf trockenem Boden gedeihen oder mehr
Körner produzieren, Ähren, bei denen womöglich auf Pe-
stizide verzichtet werden kann. Gleichzeitig aber wird aus
diesen gentechnisch modifizierten Pflanzen eine Nahrung
erzeugt, deren mittel- und langfristige Auswirkungen auf
den menschlichen Organismus kein Mensch kennt. Äußer-
ste Vorsicht ist also geboten. Die Kreutzfeld-Jacob-Krank-
heit, die des »Rinderwahns« beziehungsweise der BSE-Rin-
der, sollte uns als Warnung dienen.
Die genetische Modifikation einer Pflanze ist das Ergeb-
nis des Einsetzens fremder Gene in eine Gattung … da-
bei wissen wir so gut wie nichts über die Funktionsweise
des Genoms. Doch die gentechnisch veränderte Pflanze
ist für die Kosmokraten eine Quelle astronomischer Ge-
winne. Weil sie durch ein Patent geschützt ist. Entweder
legt der Bauer, der gentechnisch verändertes Saatgut ver-
wendet, von der Ernte des Vorjahres das nötige Saatgut
für das kommende Jahr beiseite, dann muss er der Gesell-
schaft, die das Patent besitzt, Gebühren bezahlen. Oder er
kauft gentechnisch verändertes Saatgut, dessen geerntete
Körner sich nicht für die Reproduktion verwenden las-
295
sen (Patent Terminator), und muss also alljährlich bei der
Gesellschaft neues Saatgut kaufen.13
Die Entdeckung und die Verbreitung gentechnisch ver-
änderter Organismen ist die Verwirklichung eines alten
Traums der Kapitalisten. Des Traums, die unlautere Kon-
kurrenz des Lebendigen zu eliminieren. Die Natur, das Le-
ben produziert und reproduziert kostenlos Pflanzen, Men-
schen, Nahrung, Luft, Wasser und Licht. Für den Kapita-
listen ist dies ein unerträglicher Sachverhalt. Für ihn kann
es keine öffentlichen Güter im strengen Sinn des Wortes
geben. Die Kostenlosigkeit ist ihm ein Gräuel.
Mein Großvater mütterlicherseits und alle meine Vor-
fahren dieser Linie waren Bauern in Bangerten, einem
kleinen Schweizer Dorf im Kanton Bern zwischen dem
Jura und den Voralpen. Schon als Kleinkind habe ich ge-
sehen, wie mein Großvater und mit ihm seine Frau, meine
Mutter und seine Knechte das Getreide mähten, droschen,
in Säcke füllten und auf Karren (die mir damals riesig
groß vorkamen) zum Müller brachten. Jedes Jahr legte er
im August auf den sonnenverbrannten Hochebenen des
Berner Landes die Körner für die Wintersaat beiseite. Für
die Kosmokraten von Monsanto ist eine solche Vorstel-
lung heute ganz einfach ein Albtraum.
Heute sind über 60 % der berufstätigen Bevölkerung
auf der Welt Bauern. Wie kann man sie davon überzeu-
gen, dass ihr Heil darin liegt, das patentgeschützte und
gentechnisch veränderte Saatgut zu kaufen ?
Das anfechtbarste Argument, das die neuen Despoten
einsetzen, besteht darin, zu behaupten, die gentechnisch
296
modifizierten Organismen (die GMOs) seien die abso-
lute Waffe gegen den Hunger. Wer dem Massaker durch
den Hunger ein Ende bereiten möchte, müsste sich zu
den gentechnischen Manipulationen der Pflanzen (der
Kühe, der Ziegen, der Schafe und der Hühner) bekehren,
lautet ihre Behauptung. Das glatte Gegenteil einer Wahr-
heit, aber dennoch wird diese Behauptung tagtäglich in
allen Ländern der Welt von den Propagandaapparaten
der Kosmokraten verbreitet, die dafür Milliarden Dol-
lar aufwenden.
Zur Erinnerung : Der 2003 publizierte »Bericht über
die Nahrungsunsicherheit« der FAO weist, auf Zahlen ge-
stützt, nach, dass die Weltlandwirtschaft beim derzeitigen
Entwicklungsstand ihrer Produktivkräfte problemlos (und
vor allem ohne GMOs) 12 Milliarden Menschen ernäh-
ren könnte. »Problemlos« bedeutet, dass jede erwachsene
Person täglich eine Nahrungsration von 2700 Kalorien er-
hält. Dabei sind wir heute bloß 6,2 Milliarden Menschen
auf der Erde.
Die gentechnisch modifizierten Pflanzen sind, wie ich
bereits sagte, durch Patente geschützt. Genau das macht
sie attraktiv. Monsanto kassiert jährlich Millionen Dollar
an Gebühren. Seine Bosse verfolgen die Schuldner mit ei-
ner außerordentlichen Aggressivität.
Einer dieser Prozesse hat kürzlich besondere Aufmerk-
samkeit erregt, nämlich der von Pery Schmeiser.
Schmeiser ist ein dreiundsiebzigjähriger kanadischer
Landwirt, der mit seiner Familie in der kleinen Ort-
schaft Bruno in der Provinz Saskatchewan lebt. Green-
297
peace begleitete ihn auf seiner Informationstour durch
Europa. Anfang Juni 2004 war er in Genf. Er trägt eine
dünne, metallgefasste Brille, das graue Haar ist sorgfäl-
tig gekämmt.
Schmeiser ist weder wütend noch verzweifelt. Er er-
zählt. 1998 verlangen die Rechtsanwälte von Monsanto-
Kanada von ihm eine hohe Geldsumme für die »betrü-
gerische« Verwendung von gentechnisch modifiziertem
Raps-Saatgut, für das die Gesellschaft ein Patent besitzt.
400 000 Dollar. Nicht mehr und nicht weniger.
Schmeiser weigert sich.
Die Rechtsanwälte reichen eine Klage wegen »Patentver-
letzung« ein. Sie beschuldigen Schmeiser, Raps der Marke
Roundup Ready gekauft und ohne Patent weiterverkauft
zu haben. Diese Art von gentechnisch modifiziertem Raps
hat hauptsächlich die Eigenschaft, gegen das Unkrautver-
tilgungsmittel der Marke Roundup resistent zu sein, das
ebenfalls von Monsanto produziert wird !
Die Agenten von Monsanto präsentieren triumphierend
das Inventar der wenigen modifizierten Rapspflanzen, die
sie bei ihren nächtlichen Besuchen auf den Feldern geor-
tet haben. Schmeiser streitet nicht ab, dass einige gentech-
nisch modifizierte Rapspflanzen auf seinem Feld gewach-
sen sind. Doch der Wind sei es, sagt er, der die Samen
herbeigeweht habe. Sieben seiner Nachbarn verwenden in
der Tat modifiziertes Raps-Saatgut … Schmeiser sagt, er
hingegen sei Opfer einer passiven Verschmutzung.
Der Richter in erster Instanz schert sich nicht darum.
Schmeiser hätte das patentgeschützte Saatgut nicht ver-
298
wenden dürfen, und zwar unabhängig davon, auf welche
Weise es auf sein Feld gelangt sei.
Schmeiser ist ein genauer, ehrlicher und gewissenhafter
Mensch, ein echter kanadischer Bauer. Er selbst hatte lange
vor den Spionen der Gesellschaft das Vorhandensein dieser
Samen erkannt. Wie ? Am Saum seines Feldes, am Rand
eines Grabens, blieben manche Rapshalme unglaublich
resistent, als er das Unkrautvertilgungsmittel der Marke
Roundup auf seinem Feld gestreut hatte.
Nach dem ersten Urteil bekommt Schmeiser es mit der
Angst zu tun. Er ist nicht reich. Wie soll er den Schaden-
ersatz bezahlen und den »Rückstand« von Gebühren für
das Patent, zu dem er verurteilt worden ist ? »Ich hatte
kein Geld, mir drohte die Pleite. Ich wollte meine Fami-
lie und meine Farm retten«, sagt er.
Er legt also Berufung ein.
Am 21. Mai 2004, nach sechs Jahren Verfahren (und
Anwaltskosten), gelangt die Angelegenheit endlich vor den
Obersten Gerichtshof. Schmeiser wird mit fünf Stimmen
gegen vier verurteilt. Monsanto triumphiert.
Schmeiser sagt : »Seit fünfzig Jahren hebe ich Körner
aus meinen Feldern für das Saatgut des nächsten Jahres auf
… Ein Landwirt sollte niemals das Recht verlieren, seine
Körner erneut zu säen … Die Körner sind das Ergebnis
von hunderten Jahren der Arbeit und Selektion durch die
Bauern der ganzen Welt … Das Gericht segnet den Ver-
lust eines Jahrhunderte alten Grundrechts ab.«
299
Auf seiner Reise nach Genf wurde er von Tom Wiley be-
gleitet, der seinerseits Landwirt in den Vereinigten Staaten
ist. Wie tausende seiner nordamerikanischen Kollegen ist
Wiley Opfer von Unterstellungen, wird in eine Zwangssi-
tuation gebracht und ist den Angriffen der Rechtsanwälte
von Monsanto ausgesetzt.
Postskriptum
Die Patente auf die Natur sind nicht das Vorrecht der Le-
bensmittelgesellschaften. Die Herrscher der Weltpharma-
zeutik gehen auf die gleiche Weise vor.
Das zeigt ein Fall, der im August 2004 die Öffentlichkeit
in der Schweiz beschäftigte. Die Säuglinge, die an ernsten
Atembeschwerden leiden, werden gewöhnlich mit einem
besonderen Gas behandelt, dem Stickoxid, das in der Na-
tur vorkommt. Eine solche Behandlung kostet ungefähr
310
100 Euro und dauert vier bis fünf Tage. Das Gas hat eine
zufrieden stellende und rasche therapeutische Wirkung.
In der Schweiz wird dank dieser Behandlung ungefähr 150
Neugeborenen pro Jahr das Leben gerettet.
Seit 2004 ist eine transkontinentale Gesellschaft deut-
scher Herkunft, Inotherapeutics, im Besitz des Exklusiv-
patents auf das Heilverfahren unter Anwendung dieses
Gases einschließlich spezieller Applikationsvorrichtung.
Es wird unter der Bezeichnung Inomax vermarktet. Ino-
max ist also jetzt ein Medikament, dessen Anwendung im
Rahmen eines Heilverfahrens durch ein europäisches Pa-
tent geschützt ist. Kein Kinderarzt hat mehr das Recht, das
natürliche Gas außerhalb eines solchen Heilverfahrens zu
verwenden. In den Kinderkliniken der Schweiz kosten die
Behandlungen für Säuglinge mit schweren Atembeschwer-
den nunmehr durchschnittlich 20 000 Euro …1S
4
Hier nun ein Einschub über das Wasser. Überall auf dem
Planeten wird das Trinkwasser knapp. Jeder dritte Mensch
ist gezwungen, verschmutztes Wasser zu trinken. 9000 Kin-
der unter zehn Jahren sterben tagtäglich an der Einnahme
von Wasser, das nicht für den Konsum geeignet ist.
Von den 4 Milliarden alljährlich in der Welt verzeich-
neten Durchfallerkrankungen sind 2,2 Millionen tödlich.
Vor allem die Kinder und die Säuglinge sind betroffen.
Die Diarrhö ist nur eine der zahlreichen Krankheiten, die
durch minderwertiges Wasser übertragen wird : das Tra-
319
chom, die Bilharziose, Cholera, Typhus, Ruhr, Hepatitis
und das Sumpffieber gehören ebenfalls dazu. Eine große
Anzahl dieser Krankheiten ist durch krankheitserregende
Organismen im Wasser bedingt (Bakterien, Viren und
Würmer). Laut WHO sind in den Entwicklungsländern
bis zu 80 % der Krankheiten und mehr als ein Drittel der
Todesfälle dem Konsum verseuchten Wassers zuzuschrei-
ben. Laut Riccardo Petrella und der WHO hat ein Drit-
tel der Weltbevölkerung noch immer keinen Zugang zu
gesundem Wasser zu einem vernünftigen Preis, und die
Hälfte der Weltbevölkerung hat noch keinen Zugang zu
Sanitäranlagen.23 Ungefähr 285 Millionen Personen leben
in Afrika südlich der Sahara, ohne regelmäßig Zugang zu
unbedenklichem Wasser zu haben, 248 Millionen in Süd-
asien sind in der gleichen Lage, 398 Millionen in Ostasien,
180 Millionen in Südostasien und im Pazifik, 92 Millio-
nen in Lateinamerika und in der Karibik und 67 Millio-
nen in den arabischen Ländern.
Und selbstverständlich leiden die Mittellosesten am här-
testen unter dem Wassermangel.
Das Westjordanland ist bekanntlich seit 1967 von der
israelischen Armee besetzt. Im Jahr 2004 wurden 85 % des
Wassers dieser Region (Grundwasser, Flüsse und Quellen)
von der Besatzungsmacht nach Israel oder in seine Sied-
lergebiete umgeleitet. Zehntausende palästinensische Fa-
milien mussten also zu einem horrenden Preis das für den
täglichen Konsum erforderliche Wasser bei israelischen
Privatgesellschaften kaufen, die es per Lastwagen in die
Städte und Dörfer der besetzten Gebiete transportierten.
320
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist im Inneren
der Länder sehr ungleich. Im Jahr 2003 verbrauchten zum
Beispiel in Südafrika 60 000 weiße Farmen zu Bewässe-
rungszwecken 60 % der Wasserreserven des Landes, wäh-
rend 15 Millionen Schwarze über keinen direkten Zugang
zu Trinkwasser verfügten. Die ärmsten Haushalte in In-
dien wenden bis zu 25 % ihrer Einkommen für die Wasser-
versorgung auf. In Peru kaufen die benachteiligten Schich-
ten von Lima, die nicht vom städtischen Wassernetz ver-
sorgt werden, bei privaten Lieferanten Eimer mit häufig
verseuchtem Wasser und bezahlen bis zu drei Dollar pro
Kubikmeter. In den bürgerlichen Vierteln von Lima ge-
ben die Wohlhabenden hingegen nur 30 Cent pro Kubik-
meter aus für Wasser, das vom städtischen Netz gereinigt
und geliefert wird24.
Das International Nestlé Boycott Committee ist der Mei-
nung, dass Nestlé weder den internationalen Kodex für die
Vermarktung von Säuglingsnahrung noch den neuen Ko-
dex von 2002 befolgt, und hat folglich in den USA seine
Tätigkeit wiederaufgenommen. In Europa sind ebenfalls
verschiedene Aktionen im Gang, wie aus dem Beispiel
Italien hervorgeht.
Dieses Land besitzt eine besonders lebendige und ent-
schlossene Zivilgesellschaft, die immer wieder beeindru-
ckende Aktions- und Organisationsfähigkeiten unter Be-
weis stellt. Auf großen Plakaten vor den Supermärkten al-
ler großen Städte ist die komplette, einschlägige Produkt-
palette von Nestlé abgebildet. Jedes Produkt wird nach
der Kategorie, der es angehört, bezeichnet. Hier Auszüge
321
aus dieser Liste : Dolciarf 25 ; Dolci da forno 26 ; Caffè ; Pa-
sta, Condimenti.
Dann kommen die Marken, die zu folgenden Nah-
rungsmittelkategorien gehören : Tiefkühlkost, Eis, Fitness-
getränke, Säuglingsnahrung, Milchprodukte usw. In Ver-
bindung mit einer großen Zahl von Bewegungen ruft das
italienische Nationalkomitee der UNICEF zum Boykott
all dieser Erzeugnisse auf.
Ein anderer Text wurde im Sommer 2004 an den Mau-
ern der größten Städte Italiens angeschlagen. Ich zitiere : Vi
rigraziamo per questo gesto concreto di solidarieta, anche a
nome di tutti quei bambini sacrificati ogni anno sull’altare
del profito, di poche imprese dai comportamenti eticamente
inacceptabili e scandalosi 27 (»Wir danken Ihnen für diese
konkrete Geste der Solidarität [den Boykott] im Namen
all dieser Kinder, die alljährlich auf dem Altar des Profits
geopfert werden von wenigen Unternehmen mit einem
inakzeptablen und skandalösen Verhalten.«)
Wer hat das geschrieben ? Gefährliche Linke ? Die Partei
für die kommunistische Neubegründung des großartigen
und unermüdlichen Sandro Bertinotti ? – Nein.
Die Verfasser dieses Textes sind katholische Missionare
in weißer Soutane, die Comboniani.28
5
»Was tun gegen die Schliche der Schurken ?«, fragte Jac-
ques Roux. Seine Antwort : »Sich versammeln.« 29
Die gewerkschaftliche Freiheit ist eine der schönsten
Errungenschaften der Französischen Revolution. Wie die
meisten großen transkontinentalen Gesellschaften findet
sich auch Nestlé nur schlecht damit ab, auch wenn es in
seinen offiziösen Verlautbarungen anders klingen mag.
Brabeck ist der Verfasser der Hausbibel, die die 275 000
Angestellten von Nestlé in der ganzen Welt lesen und be-
herzigen müssen. Sie trägt den Titel »Die grundlegenden
Management-und Führungsprinzipien von Nestlé«.30 Als
oberste Quelle seiner Inspiration bezieht sich der Autor
darin auf Henri Nestlé, den 1862 nach Vevey ausgewan-
derten deutschen Apotheker. Über die Unterernährung
und das Elend der Kinder im waadtländischen Hinter-
land gerührt, hatte er, so heißt es, ein Wundermittel ent-
wickelt, das »Milchmehl Henri Nestlé«.
Laut Brabeck bilden die 275 000 Angestellten den wert-
vollsten Schatz von Nestlé. Und bei Nestlé ist jeder für
seine Taten verantwortlich.
Nestlé ist in 86 Ländern tätig, aber die verschiedenen
Gesellschaften der verschiedenen Länder (und in jeder
dieser Gesellschaften die verschiedenen Filialen) arbeiten
auf nahezu autonome Weise. Die Bibel von Vevey soll je-
323
doch alle Geschäftsführer leiten wie der Stern von Beth-
lehem die Heiligen Drei Könige.
Das Jesuskind, das ihnen als Ziel vorschwebt, ist aus
massivem Gold.
Hier nun die Eigenschaften, die vom Nestlé-Mann und
von der Nestlé-Frau gefordert werden : Mut, die Fähigkeit
zu lernen, seine Mitarbeiter zu motivieren und seine Ab-
sichten zu kommunizieren ; Schaffung eines anregenden
Arbeitsklimas ; die Fähigkeit, die Dinge in ihrer Totalität
zu denken ; Ehrlichkeit ; Bereitschaft, unerlässliche Verän-
derungen zu akzeptieren, und die Fähigkeit, diese Verän-
derungen zu lenken ; internationale Erfahrung, körperliche
und geistige Gesundheit.
Vor allem aber möchte Nestlé, dass die Männer und
Frauen, die für die eine oder andere seiner Gesellschaften
arbeiten, empfänglich sind für die Kulturen der ganzen
Welt und insbesondere für »die der Völker, für die sie ar-
beiten«, schreibt Brabeck, von seiner eigenen Begeiste-
rung mitgerissen.
Das III. Weltsozialforum, das im Januar 2003 in Porto
Alegre stattfand, hat eine Entscheidung getroffen, die
vom Weltsozialforum in Bombay im Januar 2004 bestä-
tigt wurde : Die Kämpfer für die planetarische soziale Ge-
rechtigkeit werden aufgefordert, eine ständige Überwa-
chung der Strategien und der Praktiken der transkonti-
nentalen Gesellschaften vorzunehmen, deren Hauptquar-
tier in ihrem eigenen Herkunftsland liegt. Unterstützt von
ATTAC, Greenpeace, IBFAN und anderen NGOs, hat sich
in der Schweiz ein Kollektiv gebildet, um weltweit die fi-
324
nanziellen, industriellen, kommerziellen und politischen
Praktiken eines Konglomerats zu überwachen, das heute
gemeinhin die »Krake von Vevey« genannt wird. Das Kol-
lektiv hat am Samstag, dem 12. Juni 2004, in Vevey ein
Forum organisiert. Das Motto : »Dem Nestlé-Imperium
widerstehen«.31
Auf diesem Forum haben Gewerkschafter, die aus der
ganzen Welt gekommen waren, aber alle in einer Nestlé-
Fabrik arbeiteten, recht befremdliche Tatsachen berich-
tet.
Nicht selten, wenn sich in der einen oder anderen die-
ser Produktionseinheiten ein gewerkschaftlicher Kern or-
ganisiert, eine nachdrückliche Forderung gestellt wird oder
ein Streik in der Luft liegt, werden die im Unternehmen
arbeitenden Gewerkschafter von paramilitärischen Mi-
lizen oder der Polizei eingeschüchtert, und gelegentlich
auch physisch angegriffen. Ein kolumbianischer Gewerk-
schafter, Carlos Olaya, hat von seinen Erfahrungen erzählt,
die sich in vielen Punkten mit denen von Eca Olaer Fera-
ren aus Mindanao oder von Franklin Frederick aus Bra-
silien deckten.
In Kolumbien sind sieben Mitglieder von Sinaltrainal
(der Anfang der achtziger Jahre gegründeten Gewerkschaft
des Lebensmittelsektors), die in den Fabriken von Nestlé
arbeiteten, unter ungeklärten Umständen getötet worden.
Gewiss ist Nestlé in keiner Weise in diese Morde verwi-
ckelt, aber da seine sehr aggressive Haltung gegenüber al-
len in den Betrieben aktiven sozialen Organisationen be-
kannt ist, scheut sich Carlos Olaya nicht, Nestlé eine Mit-
325
verantwortung für das allgemeine Klima zuzuschreiben,
in dem diese Gewalttaten gedeihen.32
Ende des Jahres 2001 hat der Direktor einer der Nest-
lé-Filialen in Kolumbien, Comestibles La Rosa 33, damit
gedroht, die Arbeiter, die Mitglied von Sinaltrainal wa-
ren, zu entlassen. Bei Cicolac, einer anderen seiner ko-
lumbianischen Filialen, brachte es Nestlé fertig, ein Tarif-
abkommen zu brechen, das mehr als 400 Arbeitern zu-
gute kam ; 96 Arbeiter wurden entlassen, die Verträge von
weiteren 58 auf andere Weise verletzt. Im November 2002
sind 13 Arbeiter – gemäß den Angaben des Forums – al-
lein deshalb entlassen worden, weil sie der Gewerkschaft
angehörten.
Nach der CISL (Confederation internationale des syndi-
cats libres – Internationale Konföderation der freien Ge-
werkschaften) haben 1998 bei Tedaram, einem Zuliefe-
rer von Nestlé in Thailand, 15 Arbeiter eine Gewerkschaft
gebildet, um gemeinsam ihre Rechte zu verteidigen. Es
geschah dies zum ersten Mal, seit Nestlé sich in diesem
Land niedergelassen hatte. Weil er befürchtete, das Bei-
spiel könnte rasch Schule machen, reagierte Brabeck so-
fort. Laut den Gewerkschaftern drohte die zentrale Di-
rektion von Nestlé in Vevey Tedaram postwendend da-
mit, seine Investitionen zu reduzieren, falls 22 Beschäftigte
nicht auf unbestimmte Dauer suspendiert würden. Un-
ter den 22 Beschäftigten befanden sich, denselben Quel-
len zufolge, natürlich die 15 Arbeiter, die hinter der Grün-
dung der Gewerkschaft standen. Die Direktion von Te-
daram hat sie entlassen.
326
Auf den Philippinen prangert die Gewerkschaft Paman-
tik-KMU ähnliche Praktiken an, die auf die Personalver-
treter zielen. Laut den Gewerkschaftern schreckte Nestlé
auch nicht davor zurück, 67 Beschäftigte der Fabrik in
Cabuyaon zu entlassen. Diese Maßnahme, die im Rah-
men eines Umstrukturierungsplans präsentiert worden
war, zielte in Wirklichkeit darauf ab, so sagen sie, die dor-
tigen Löhne und die Sozialleistungen zu reduzieren und
sie an die weitaus geringeren der Fabrik in Cagayan an-
zupassen.
Einer der aufschlussreichsten Zeugenberichte ist der
von Franklin Frederick, Mitglied der CUT in Brasilien.
In diesem Land bedienen die Erzeugnisse von Nestlé vor
allem den beschränkten, aber hinsichtlich der Kaufkraft
soliden Markt der Oberschichten und der Oligarchie.
Als Eigentümer riesiger Farmen im Norden und im
Zentrum des Landes ist Nestlé das Paradebeispiel für ein
landwirtschaftliches Modell der zunehmenden Monopo-
lisierung des Agrarbodens.
Dieses Modell, das von Nestlé forciert wird, bedeutet
das Todesurteil für die kleinen und mittleren landwirt-
schaftlichen Familienbetriebe – und damit für die unab-
hängige Ernährung des Landes. Ganz zu schweigen da-
von, dass die extensive, exportorientierte Landwirtschaft
die Umwelt zerstört. In seinen »Managementprinzipien«
zählt der »Prälat« jedoch den Umweltschutz – gleichran-
gig mit einer gesunden Ernährung für alle – zu seinen he-
rausragenden Anliegen ! Mit seinem opportunistischen In-
stinkt liegt Brabeck tatsächlich immer richtig. Ist Nestlé-
327
Brasilien heute nicht einer der wichtigsten Beitragszahler
zum Programm Fome zero von Präsident Lula ?
Was für ein großartiges Doppelspiel !
Wenn Brabeck wirklich daran läge, das Martyrium der
44 Millionen Brasilianer, die an schwerer und permanenter
Unterernährung leiden, auch nur ein bisschen zu lindern,
so hätte er schon lange die Preise der 839 Nahrungspro-
dukte gesenkt, die er in den brasilianischen Supermärk-
ten vertreibt.
Ein Schweizer Journalist, Jean-Claude Péclet, analysiert
die Brasilienstrategie der Krake von Vevey folgenderma-
ßen. Die Gewinnmaximierung ist ihr Kompass. In Bra-
silien gibt es ein kompliziertes System der Verbraucher-
preiskontrolle, das vom Rat für wirtschaftlichen Schutz
eingerichtet wurde.34 Die Gewinnspannen für Lebensmit-
tel sind einer gewissen Kontrolle unterworfen. Ausgenom-
men ist Nahrung, die für Haustiere bestimmt ist. Brabeck
investiert seit kurzem beträchtliche Mittel in die Entwick-
lung, Herstellung und Vermarktung zahlreicher Marken
von Haustierfutter. Jean-Claude Péclet kommt zu dem
Schluss : »Der dynamischste Sektor ist nicht mehr jener der
menschlichen Ernährung, sondern der für Haustiere.«35
Um die Gewerkschaften zu schwächen, greift Brabeck
in Europa und insbesondere in Frankreich zu den gleichen
radikalen Methoden wie in Asien und Lateinamerika.
2002 beschließt er, eine in Beauvais angesiedelte Pro-
duktionseinheit für Tiefkühlkost »gesundzuschrump-
fen«, wie es so schön heißt. Ein Umstrukturierungsplan
kommt zur Anwendung. Dieser Plan zielte, wie die Zei-
328
tung L’Humanite berichtet, darauf ab, »Arbeitnehmer, die
für ihren unnachgiebigen Charakter bekannt waren«, los-
zuwerden. Auf der Liste standen natürlich die sieben Ver-
treter der Gewerkschaft CGT. Ein entlassener Arbeiter er-
zählt : »Es war an einem Mittwoch um 13 Uhr, ich hatte
meinen Arbeitstag beendet. Mein Name stand auf der Pla-
nung für den nächsten Tag. Der Direktor ließ mich zu
sich kommen. Er sagte mir, dass ich am nächsten Tag
nicht mehr zu kommen brauchte, er bezahle mir die zwei
Monate Kündigungsfrist. So behandelt zu werden, nach
21 Jahren Betriebszugehörigkeit …« Diese harten Ent-
lassungen hätten vermieden werden können, wenn man
die Frührentenregelung ausgeweitet hätte. Die Direktion
hat also schlicht und einfach beschlossen, diese Personen
loszuwerden. Als die Endassungsbriefe eintrafen, legten
70 % des Personals die Arbeit nieder. Doch die Direktion
schlug zurück und setzte die Hälfte der Streikenden auf
Kurzarbeit.
»Wir haben unsere Pläne geändert und am 5. Oktober
eine Demonstration vor dem Werk und in der Stadt or-
ganisiert«, erzählt der Gewerkschafter. »Es waren 150 Per-
sonen da, was nicht schlecht ist, wenn man den Druck des
Direktors bedenkt, der den Streikenden androhte, sie auf
die Liste der Entlassenen zu setzen … Am 17. Oktober hat
unsere Delegation an der Demonstration aller Arbeitneh-
mer der bedrohten Betriebe vor dem Sitz von Nestlé-Fran-
kreich in Noisiel (Seine-et-Marne) teilgenommen.«
»Nestlé fühlt sich stark, es respektiert nicht einmal die
Verfahrensregeln«, erklärt Marys Treton, eine Arbeiterin.
329
»Jetzt werden wir zwei gerichtliche Klagen einreichen, um
den Umstrukturierungsplan annullieren zu lassen, dessen
Regeln nicht eingehalten wurden, und die Wiedereinstel-
lung der ohne gültigen Grund entlassenen Arbeitnehmer
zu verlangen.«
»Eine Unterschriftenaktion gegen die Entlassungen
im Betrieb ist im Gang. Die Arbeitnehmer schauen nach
rechts und nach links, bevor sie unterschreiben«, bedau-
ert Jocelyne Onésime, die Personalvertreterin der CGT.
»Manche sagen, wenn sie unterschreiben, werden sie ge-
feuert. Es herrscht ein Klima der Angst. Es gibt kein Ver-
trauen mehr unter den Arbeitnehmern.«
»Gegen Nestlé Front zu machen, ist hart«, bestätigt der
Gewerkschafter Joel Deliens. »Als Gewerkschafter wird
man niedergemacht. Man behandelt uns im Betriebsrat
schlecht, unter lächerlichstem Vorwand kriegen wir Ver-
weise aufgebrummt, man hetzt die Arbeitnehmer gegen
uns auf. Diejenigen, die bei der CGT sind, haben Angst.
Wir sind gezwungen, die Versammlungen außerhalb des
Betriebs am Samstag abzuhalten. Nestlé mag die CGT
nicht, das steht fest.« 36
In seinem unermüdlichen Kampf gegen die Gewerk-
schaften überall auf der „Welt zeigt Brabeck ein großes
taktisches Geschick und eine Geringschätzung für das lo-
kale Arbeitsrecht. Seine Ziele verfolgt er mit bewunderns-
werter Zähigkeit.
Bleiben wir beim Beispiel Frankreich. Nachdem der
entschlossene Widerstand der Arbeitnehmer des Mine-
ralwasserproduzenten Perrier die Reorganisation und vo-
330
raussichtliche Liquidierung dieser Nestlé-Firma verzögert
hatte, ließ Brabeck einen neuen, noch energischeren Pro-
konsul aus Mexiko einfliegen. Eugénio Mivielle, General-
direktor von Nestlé-France, ließ die Perrier-Front ruhen
und griff die CGT in Marseille an.
In der Schokoladefabrik Marseille-Saint-Menet arbeiten
427 Menschen. Am 1. Juli 2005 ließ Prokonsul Mivielle
die Fabrik schließen. Gegen die aufgebrachten Arbeit-
nehmer, die, dem Aufruf ihres CGT-Delegierten Patrick
Candela folgend, das Gelände besetzten, schickte Mivielle
die Polizei.
Wer die Lohnkosten immer mehr drückt, läuft am Ende
Gefahr, seine Produkte von Sklaven und politischen Ge-
fangenen produziert zu sehen. Jennifer Zeng (35 Jahre),
Mitglied der Organisation Falun Gong, von der totalitären
Macht in Peking verfolgt und derzeit als Flüchtling in Aus-
tralien, behauptet, sie habe 1999 während ihrer zwölfmo-
natigen Haft im Zwangsarbeitslager Laogai kleine blaue
Plüschhasen, das Maskottchen von Nestlé, gefertigt.
Diese Anschuldigung ist von der Direktion in Vevey na-
türlich widerlegt worden ; sie hat jedoch zugegeben, dass
sie bei einem chinesischen Spielzeugfabrikanten, MiQi
Toys Company, 110 000 Plüschtiere bestellt hat.
6
Die Arroganz
Neu beginnen
359
ANMERKUNGEN
Vorwort
Erster Teil
362
Paris 1989.
8 Die Erstausgabe erschien in Leuwen 1516. Vgl. auch Pa-
trick de Laubier, La Loi naturelle, le politique et la re-
ligion, Paris 2004, S. 31 f.
9 Henri de Lubac, La postérité spirituelle de Joachim de
Flore, 2 Bde. Paris 1979 und 1980.
10 Ernst Bloch, Geist der Utopie, Frankfurt a.M. 1964, S.
315 f.
11 Ebd. S. 338.
12 Ebd. S. 328.
13 Jorge Luis Borges, El Hacedor, in Obras completas, Bu-
enos Aires 1953.
14 Henri Lefebvre : Hegel, Marx, Nietzsche ou le Royaume
de l’ombre, Paris 1975.
15 In einem Interview, das am Freitag, dem 21. Mai 2004,
in Radio France Culture neu ausgestrahlt wurde.
16 Louis-Antoine de Saint-Just, Oeuvres completes, op.
cit.
17 Die Arbeiter erhalten keinen Lohn, sondern Gutscheine,
die sie in den vom Großgrundbesitzer geführten La-
den gegen Waren eintauschen. Da die Gutscheine nie
ausreichen, um die Familie zu ernähren, verschulden
sich die Arbeiter lebenslänglich.
18 Vgl. Roger Bastide, Anthropologie appliquée, Paris
1971.
19 Robert E. Black, »Where and Why Are 10 Millions
Children Dying Every Year ?«, in The Lancet, Sonder-
nummer mit dem Titel »The world’s forgotten child-
ren«, London, 12. Juli 2003.
363
20 Sie wurde 1964 auf Anregung lateinamerikanischer
und arabischer Wirtschaftsexperten gegründet, da-
runter der Argentinier Raoul Prebisch (der ihr erster
Generalsekretär war), und zielte darauf ab, den Län-
dern der südlichen Erdhälfte zu helfen, die Ungleich-
heit der Handelsbedingungen zu korrigieren, deren
Opfer sie auf dem Weltmarkt waren (und nach wie
vor sind). Die UNCTAD ist im Palast der Vereinten
Nationen in Genf untergebracht. Ihre jährliche Publi-
kation, der Trade and Development Report, ist maß-
gebend.
21 Am 20. Juli 2004 kündigte Microsoft an, dass es im
Zeitraum 2004 bis 2008 seinen Aktionären 75 Milli-
arden Dollar Dividenden auszahlen wird.
22 Vgl. Jean-Philippe Domecq, Robespierre, derniers temps,
Paris 1984.
23 In Le Monde, 6. September 2004.
24 Merrill Lynch und Capgemini, World Wealth Report,
New York 2004.
25 Charles Dickens, Oliver Twist. New York 1993.
26 Horkheimer verfasste diesen Essay im Exil in den
Vereinigten Staaten, wo er auch unter dem Titel The
Eclipse of Reason 1947 zum ersten Mal erschien. Nach
seiner Rückkehr nach Frankfurt hat er den Text über-
arbeitet und unter dem Titel Zur Kritik der instru-
mentellen Vernunft publiziert (Max Horkheimer, Ge-
sammelte Schriften, Bd. 6, Frankfurt am Main 1991).
27 Jean-Paul Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, Rein-
bek 1967, S. 140.
364
28 Ebd. S. 157 f.
29 Dieser Text ist in den Boden der United Nations Plaza
in New York eingraviert.
30 Nach einem Bericht, der am 9. Juni 2004 vom Interna-
tionalen Institut fur Friedensforschung in Stockholm
(SIPRI – Stockholm International Peace Research In-
stitute) veröffentlicht wurde.
31 Le Monde vom 28. August 2004.
32 Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Werke [1517],
München 1934.
33 Donald Rumsfeld, Erklärung für Associated Press, 1. Juli
2003.
34 Richard Labévière, Les Coulisses de la terreur, Paris 2003,
S. 232.
35 Vgl. die Protokolle des Seminars der Stiftung Racines
et Sources (»Wurzeln und Quellen«), Genf 2004.
36 William G. Boykin in The Los Angeles Times am 16. Ok-
tober 2003.
37 Zwischen März 2003 und September 2004 haben die
amerikanischen Streitkräfte ungefähr 100 000 Iraker
getötet, zum Großteil Frauen und Kinder. Vgl. Dr. Lee
Roberts et al. von der John Hopkins Bloomberg School
of Public Health, »Mortality Before and After 2003 In-
vasion in Irak : Cluster Sample Survey«, in The Lancet,
Bd. 364.
38 Es gibt sehr wohl einen Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte, aber seine Zuständigkeit ist regional.
39 Als Kriegsverbrechen bezeichnet man jede schwere Ver-
letzung einer der Bestimmungen, die in der einen oder
365
anderen der vier Genfer Konventionen (und ihren
zwei Zusatzprotokollen) von 1949 enthalten sind ; die
Verbrechen gegen die Menschheit werden in den 1998
in Rom unterzeichneten Statuten des Internationalen
Gerichtshofs ausführlich definiert.
40 Der Beschluss des Sicherheitsrats von 1991 verbot der
Regierung von Bagdad das Überfliegen und jegliche
militärische Intervention nördlich des 36. Breiten-
grades.
41 Boston 1957.
42 Seymour M. Hersh, Chain of Command : From Sep-
tember 11 to Abu Ghuraib, New York 2004.
43 Angeregt wurde dieses Memorandum von Alberto Gon-
zalez, dem Rechtsberater des Präsidenten. Seit dem 20.
Januar 2005 ist Alberto Gonzalez Justizminister.
44 In den Vereinten Nationen gibt es drei Klassen von
Beamten. In der untersten Kategorie, jener der Gene-
ral Services, sind alle technischen Angestellten (Sekre-
täre und Sekretärinnen, Fahrer, Polizisten, Spezialisten
der Instandhaltung usw.). Die Kategorie der Professio-
nals oder »Führungskräfte« (Wirtschaftsexperten, Ju-
risten, Wissenschaftler usw.) ist in fünf Klassen un-
terteilt, von P-1 bis zu P-5. Die siebzehn Assistenzge-
neralsekretäre, die Generaluntersekretäre, die Direk-
toren I. und II. Klasse und der Generalsekretär gehö-
ren einer dritten Kategorie an, die vom Weißen Haus
ganz besonders überwacht wird.
45 Zu den Ursprüngen des Kriegs im Kosovo vgl. Wolf-
gang Petritch, Kosovo, Kosova, Klagenfurt 2004.
366
46 Regis Debray, »Les Etats Unis d’Occident, tout va bien
…«, in dem Magazin Marianne, Paris, 14. Juni 2004.
47 Rede vor dem Jakobinerclub am 9. August 1792. Siehe
Jean-Philippe Domecq, Robespierre, derniers temps, op.
cit.
48 Die Aufzeichnungen von José Marti wurden vom Ku-
banischen Institut für das Buch in neunzehn Bänden
zusammengetragen, Havanna. Band IV ist 1980 er-
schienen.
49 La Pensée vivante de Sandino ; lettres, textes et corre-
spondances, hrsg. von Jean Ziegler, Einführung von
Sergio Ramirez, Paris 1981.
50 Ernst Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, Frank-
furt a.M. 1961.
51 Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Gesamt-
ausgabe, Preußische Akademie, 1902, Bd.II, Kap.IV
52 Ebd.
Zweiter Teil
Dritter Teil
Vierter Teil
377
Fünfter Teil
Nachwort
Personenregister
385
Brillon, Madame 10 Drotz-Jonasson, Christina 255
Brundtland, Gro Harlem 221
Bruno, Giordano 25 E
Bunch, Ralph (Friedensnobelpreis Ejigu, Belay 154, 160
1950) 41 f. Enkhmaa, Doktor 121
Bush, George W. 44, 46, 48, 197 Erasmus 25, 44
Eshente, Andreas 163
C Esmieu, Jean-Claude 160 f.
Calvin, Jean 244
Campaore, Blaise 248 F
Campos Meireless, Henrique de Favre, Luis 200, 203
203 Feraren, Eca Olaer 261
Candeia, Patrick 265 Ferber, Jutta 94
Cardoso, Fernando Henrique 193, Ferreira da Silva, José Francisco
195, 199, 203, 205 174 f.
Cassin, Rene 50 Ferreira de Melo, Euridice alias
Castro, Josué de 189 Dona Lindu 171, 173 f.
Chavez Frias, Hugo 91 Franklin, Benjamin 9 f., 16
Cheney, Dick 46 Franz von Assisi 179
Chirac, Jacques 242 Frederick, Franklin 261 f.
Choimpong, Bat 123 Friedrich Wilhelm II. (von Preu-
Chomsky, Noam 149 ßen) 281
Christo, Carlo Alberto Libano alias
Frei Betto (Dominikanerprie- G
ster) 177 Galilei 169
Collor de Mello, Fernando 199 Gandhi, Mahatma 45
Crassus, Licinius 61 Garcia, Alan 82
Gebru, Abadi Zemu 135 f.
D Godse, Naturam 45
Dallaire, Roméo (General) 96 Golay, Christophe 245
Danton, Georges 10, 73 Green (Generaldirektor von ITT)
Dash, Purev (Generalmajor) 204
124–127 Guedj, Marc Raphael (Großrabbi-
Debray, Regis 18, 60 ner) 47 f.
Deliens, Joël 264 Guevara, Che 65
Dickens, Charles 38 Gushiken (Politiker der Vierten In-
Dirceú, José 180, 208 ternationale) 203
Droste, Meike 94
386
H Lorendo (bras. Dominikanerpa-
Habyarimana, Juvenal 97 ter) 178
Hagan, Dr. Robert 126 Lula da Silva, Luiz Inácio 103, 169–
Heinrich VIII. (von England) 25 183, 192, 199 ff., 203, 209, 262,
Herrling, Paul 226 f. 287
Hersh, Seymour 56 Lumumba, Patrice 65
Holban, Boris 62 Lynch, Merrill 35 f.
Horkheimer, Max 39 f.
Hummes, Claudio (Bischof von M
São Bernardo) 177, 182 Malán, Pedro 203, 205
Hussein, Saddam 98 Malempré, Georges 84 f.
Mandat 21
J Manouchian, Missak 62
Jefferson, Thomas 9, 16 Marat, Jean-Paul 24, 33, 90, 213,
Joehr, Hans 152 216, 218 f., 286
Marighela, Carlos 178
K Marti, José 62
Kaiser, Edmond 11 f. Matter, Alex 226 f.
Kant, Immanuel 13, 66, 223, 281 f., Maucher, Helmut 268
284 Mayor, Federico 85
Kempf, Hervé 234 Menelik II. (von Äthiopien) 156 f.
Khan, Dschingis 118, 252 Mengistu, Haile Mariam (Oberst)
Khan, Kublai 118 132, 154
Kirchner (Staatspräsident Argenti- Meyer, Frank A. 252
niens) 91 Milosevič 54
Kirkpatrick, Jeane 197 Mitterrand, François 97
Kissinger, Henry 54 f., 116, 127, 204 Mivielle, Eugénio 265
Krueger, Anne 197 Mobutu, Joseph Désiré (Marschall)
79 f., 277
L Moley, Kevin E. 243 ff.
La Rosa, Comestibles 261 Morales, Evo 268
Labévière, Richard 47 More, Thomas 25
Le Boucher, Eric 34 Morelli, Mauro 185
Leclerc, General 11 Morgan, J. P. 215, 229
Lefebvre, Henri 27 Mubarak, Hosni 71
Leisinger, Klaus 226 f. Mucharraf, Pervez 71
Lindahl, Göran 277 f. Mühlemann, Lukas 277
Ljungqvist, Bjorn 142–146 Al-Mukrin, Abdelaziz 65
387
Mwanawasa, Levy 241 f. Rice, Condoleezza 46, 197
Ricupero, Rubens 31, 273
N Rivilin, Gary 222
Negessau, Endale 134, 144 Robespierre, Maximilien 33 f., 49,
Negroponte, John D. 74 62, 282
Neguesse, Simon 134 Roosevelt, Eleanor 50
Nestlé, Henri 259 Roux, Jacques 16, 22 ff. 29, 31, 33,
Neto, Delfim 206 f. 35 f., 65, 213, 259
N’Guesso, Sassu 72 Rumsfeld, Donald 45 f.
Nixon, Richard 204
S
O Sahrawi, Nabil alias Mustapha
Obasanjo, Olusegon 72 Abu Ibrahim 64 f.
Odkhuu, Uijin 124 Sai’f, Amara alias Abderrezak el-
Olaya, Carlos 261 Para 64
Onésime, Jocelyne 264 Saint-Just 23 f., 28 f., 33, 35, 65, 213,
Ospel, Marcel 215, 277 284
Sandino, Augusto César 62 f.
P Sankara, Thomas 248
Palme, Olof 58 f. Santerre 21
Palocci, António 203, 205, 209 Sarney, José 195
el-Para, Abderrezak siehe Sáif, Sartre, Jean-Paul 40 f.
Amara Scharon, Ariel 44, 57, 64
el-Para, Oleada siehe Abbi, Abde- Schmeiser, Pery 239 f.
laziz Schori, Pierre 58 f.
Paskiewitsch, Feldmarschall 61 Schröder, Gerhard 58, 242, 272
Péclet, Jean-Claude 263 Selassie, Haile 163
Pécoul, Bernard 227 Serra, José 199
Peymann, Claus 94 Shallama, Marta 144, 149
Pierer, Heinrich von 271 f. Siguera, Geraldo 182
Piot, Peter 115 Silva, Aristide Inácio da 171, 174
Powell, Colin 59 Silva, Prasanne da 122
Pury, Albert de (Pastor) 47 Siv, Sichan 246 f.
Putin, Wladimir 44, 57, 64 Soares, Airton 181
Soares de Freitas, Maria do Carmo
R 108, 110
Reagan, Ronald 197 Sommavia, Juan 85
Reddy, Raghuveera 217 Somoza, Garcia Anastasio 63
388
Souza, Herberto de alias Vasella, Daniel 12 f., 215, 226, 228, 277
Bethino 185 Venneman, Ann 248
Spartacus 60 f. Vieira de Mello, Sergio 242 f.
Stédiléjoáo 103 f. Voltaire 9
Steiner, Michael 58
Suplicy, Eduardo 200 W
Suplicy, Marta 187 Way, Sally-Anne 245
Weinstein, Jack B. 236
T Wiley, Tom 241
Tito (bras. Dominikanerpater)
178 f. Y
Toussaint, Eric 77, 98, 192, 200, Yvo (bras. Dominikanerpater) 178
209
Treton, Marys 264 Z
Tsehaye, Alem 131–141 Zarkaoui al Zarkaoui, Abu Mus-
Tuma, Romeu 183 sab 244
Zeltner, Thomas 221
V Zenaoui, Meles 136
Vargas, Getúlio 198 Zeng, Jennifer 265
Sachregister
390
C Cyberspace 88
CADTM (»Komitee für die Annul-
lierung der Verschuldung der D
Dritten Welt«) 77 DaimlerChrysler 277
Capgemini 35 f. deba, Äthiopien 161, 163
Cargill 229 Debt reduction strategy papers
Carlyle Group 47 92
CGT 263 ff. Dekolonisation 283
Chain of Command : From Sep- Demokratisierung, Förderung
tember 11 to Abu Ghuraib (Ausgaben) 43
(Seymour Hersh) 55 Demütigung, Unterernährung 107
Chase Manhattan Bank 215, 229 Dengue-Fieber 224, 227
Chevron 46 Deutsche Bank 215, 229, 277
Chile, Militärputsch 204 Dioxin 235
China 126, 278 Diplomatie, internationale
Chiprodal (Nestlé Holding) 80 – Versagen 54
siehe auch Nestlé Diskriminierung, Frauen/Mäd-
Chiquita (früher : United Fruit chen 155 f.
Company) 73 Dollarmillionäre 36
Cholera 256 – Afrika 35
Chrysler 277 DOPS (bras. Geheimdienst) 178 f.
Chuquicamata (Tagebaubetrieb) 204 Dow Chemicals 222, 233 ff. 284
CIA (Central Intelligence Agency) Dschihad (islamischer) 60, 64 f.
45, 204, 206, 220, 247, 253 Durchfallerkrankungen 256
Ciba-Geigy 226 Duvalier-Clan 80
Cicolac 261
CISL (Confederation internationale E
des syndicats libres) 261 Economie Suisse 277
Citibank 203 Eisenmangel 112, 185
Cirygroup 203, 222 Elend 31
»Club von Paris« 77, 98 ELF 72
Comboniani, Italien 258 11. September 1973, Putsch (Chile)
Comprador-Klasse/-Bourgeoisie/ 204
-Schicht 71–75, 81 11. September 2001, Attentate
Credit Suisse-First-Boston 277 (USA) 13
Credit Suisse Group 229 Energien, alternative – Entwick-
CUT (bras. Gewerkschaftszentrale) lungsausgaben 43
181, 208, 262 siehe auch PT Enragés 15, 17, 22, 36
391
Entwicklungshilfe, öffentliche 69 G
Entwicklungsprogramm der UNO Gama a al-Islamyya siehe GIA
siehe UNDP Gegenspionage(dienste) 222
EPFL (Eritrean People’s Liberation Geheimdienste 76, 219
Front) 61 – Brasilien 178 f., 195
Erdöl (Offshore) 227 f. Geheimpolizei 281
Erdölreserven 46 Gelbfieber 139
Eritrean Peoples Liberation Front General Electric 47
siehe EPFL Generika 223
Ernst and Young 209 Genfer Konventionen (1949) 53
Erwärmung des Planeten, Kampf Getreidehändler 217
gegen (Ausgaben) 43 Getreideproduktion, überschüssige
EU (Europäische Union) 222, 242 (Äthiopien) 138
Gewalt, strukturelle 39–488, 65
F Gewerkschaften 259–265, 271
Falun Gong 265 Gewinn(maximierung) siehe
FAO 101, 103, 238 Profit(maximierung)
FDA (Food and Drug Administra- GIA (Gama’a al-Islamyya) 60
tion) 223 Gläubiger der Dritten Welt (Ta-
Feudalherren, neue siehe Kosmo- belle) 78
kraten Global Compact (Kofi Annan) 275
Feudalsysteme (kapitalistische) 32 Glück, Recht auf 19–66
Flüchtlinge 85 GMOs (gentechnisch modifizierte
Flüchtlingshilfe, Ausgaben 43 Organismen) 237 f., 243, 245,
FNL, Algerien 61 247
Folsäure-Mangel 113 Greenpeace 233, 239, 260
Folter 55 f., 85 Großgrundbesitzer, Guatemala/
Forschungszentren 213 Honduras 72
Französische Revolution 16, 25,
259, 281 ff. H
Freiheit 21–28 Halliburton 46
Frieden 44, 47 f. Hamas 64
Front, sandinistische (Nicara- Hegel, Marx, Nietzsche ou le ro-
gua) 61 yaume de l’ombre (Henri Le-
Fronte Farabundo Marti, Salva- febvre) 27
dor 61 Heilige Jobanna der Schlachthöfe
Funktionshaushalt, ordentlicher (Theaterinszenierung) 94
– UNO 57 Hepatitis 256
392
Heroinbarone, Brasilien 187 Ruanda 95
Heuschreckeninvasion, Mongolei International Coffee Agreement
(2003) 126 siehe ICA
HIV-Virus 115 siehe auch AIDS International Coffee Organiza-
Hochzinspolitik, Brasilien 195 f. tion 149
home leave 72 f. International Nestlé Boycott
Honduras, Großgrundbesitzer 72 Committee 251, 257
Human Development Index Internationale, sozialistische siehe
(UNDP) 217 SI
Hunger 10 f., 17, 77, 89, 100–127, iqub, Äthiopien 162 f.
187 ff., 213, 229, 241 Irak, Krieg 233 siehe auch »Welt-
– Bekämpfung (Ausgaben) 43 krieg gegen den Terrorismus«
Hungersnot 246, 247 – Kosten 42, 44
– grüne (Äthiopien) 138, 142–152 ITT (International Telephone and
Hungertod 229 Telegraph Company) 204
Hutu (Ruanda) 95 ff. IWF 70, 75 f., 82, 85 ff., 91 ff., 98,
Hygiene, Brasilien 187 193 f., 196 ff., 200, 203, 205, 210,
276
I
IBFAN (International Babyfood J
Action Network) 251, 260 Jod-Mangel 113, 185
ICA (International Coffee Agree- Jubilé 2000 69 f., 92
ment) 150 f. Jubilé-Sud 208
idir, Äthiopien 161 ff.
ILO 85 K
IMO 85 Kaffee 229, 269 f.
Impfkampagnen, WHO 220 – Produktion 149 f.
Impfstoffe gegen Epidemien (Aus- – Wirtschaft 147 ff.
gaben) 43 Kaffeezeremonie, Äthiopien 147,
INCRA (Nationales Institut für Be- 161
siedlung und Agrarreform), Kapitalismus, globalisierter 222,
Brasilien 171, 193 229
Indonesien 72, 224 Kapitalrendite (ROE) 33
Infrastrukturen, soziale 83 Kapitalstrom Süd-Nord/Nord-Süd
Initiative for Drugs for Neglected 69
Diseases 227 Karibik 256
Inotherapeutics 249 Kellogg and Root 46
Interhamwe-Milizsoldaten, Kennecott (Bergwerkskonzern) 204
393
KGB 120 siehe auch Geheim- L
dienste La Roche 228
Kinder, Unterernährung/Hunger- Landarbeiter, Brasilien 174
tod 77, 100 f., 104, 112 f. Lateinamerika 251, 254 ff.
Kindersterblichkeit – Auslandsschuld 81 f.
– Brasilien 172 Latifundienstruktur, Brasilien 188 f.
– Mongolei 119 LDC (lower developed countries)
Klage des Friedens, Die (Eras- 92
mus) 44 Leben des Galilei (Bertolt Brecht)
Klimakatastrophen, Äthiopien 159 169
Kokainbarone, Brasilien 187 Lebensmittelkonzerne 215
Kolonialherrschaft 70 Letter of intent siehe »Absichts-
Kolumbien 277 brief«
»Komitee für die Annullierung lixo/lixeiro (Brasilien) 103, 105
der Verschuldung der Dritten Lizenzgebühren (Royalties) 80
Welt« siehe CADTM Lobbyismus 219
Kommune von Paris 21 lower developed countries siehe
Kommunismus 151 LDC
Konterrevolution, Nahrungsmittel-
preis 22 M
Kontrolle siehe Monitoring-Me- Malaria 224 f.
chanismus, UNO Management of Severe, Acute
Konventionen, UNO 52 f., 56 Malnutrition, a Manual for
Konzentrationslager 11 Ethiopia, The (Bjorn Ljung-
Korruption 36, 79, 94, 108, 192, 205 qvist) 145
siehe auch Bestechung Mangel, organisierter 29–38
Kosmokraten 29 f., 34, 42, 45, 70, 76, Manipulation 219
91, 99, 151, 196, 204, 206, 209, Marxismus, Äthiopien 154
215, 219, 222 ff., 228, 238, 246, »Massaker der Candelária« 37
266, 269, 271 f., 275, 279, 284 Massentourismus 88
Kraft (Konzern) 149 Massenvernichtungswaffen 67–127
Kreutzfeld-Jacob-Krankheit 237 Matanzas, Schlacht von 62
Krieg, wirtschaftlicher 15 Maul- und Klauenseuche, Mongo-
Kriegsverbrechen 56 lei 125
Kriegswaffen, Finanzierung 42 Menschenrechte 23, 49, 51, 85, 275–
Kwashiorkor 279, 283
– Brasilien 184 –, Weltkonferenz der 51
– Schwarzafrika 111 Merrill Lynch Geschäftsbank 35 f.
394
Methyl-Isocyanat (MIC) 231 f. Nigeria 278
Microsoft 34, 222 Nike 277
Mikronutrimente, Mangel 101, Nissan 277 f.
110–113 Novartis 13, 215, 226 ff., 277
Militärausgaben 43 siehe auch Rü- – Stiftung 226 f.
stungsausgaben Novartis Institute for Tropical
Militärdiktatur/-regime, Brasilien Diseases (NITD) 13, 226
175, 177f. 183, 193f. 198, 206
Militärputsch, Chile (11. September O
1973) 204 OCHA (Organisation der Koordi-
MiQi Toys Company 265 nation der humanitären Hilfe)
Mitsubishi 277 f. 243
MOI (Mouvement des ouvriers im- OECD 276
migrés) 62 Ogoni-Volk 278
Mongolei 117–127 OPEC 150
Monitoring-Mechanismus, UNO Opel 273
279 Optimo Republicae statu de que
Monopolisierung 33 Nova Insula Utopia, De (Tho-
Monsanto 216, 235, 238–241, 247 f. mas More) 25
Mouvement des ouvriers immigrés Oracle 222
siehe MOI Organismen, gentechnisch modifi-
MST (Bewegung der Bauern ohne zierte siehe GMOs
Land) 181, 208 siehe auch PT Os textos dos famintos 108
Multinationalisierung 33 Ostafrika siehe auch Äthiopien
– Seuchen 132 f.
N Ozonschicht, Schutz (Ausgaben) 43
Nahrungsmitteldefizit, Afrika 218
Namibia 224 P
Napalm 234 Pain pour le prochain, Hilfspro-
– Zivilbevölkerung 23 gramme 209
NATO 58 Pakistan 268
NBC 47 Palästina 111
Nestlé 13, 149, 152, 214 f., 228 f., 250, – Staatsterrorismus 64
258–269 Pamantik-KMU 262
Nestlé, Anatomie eines Weltkon- Pastoral de la Criança (bras. Bi-
zerns (Helmut Maucher) 268 schofskonferenz) 185
NGOs 209, 224, 226, 235, 251, 260, Pastoral Operaria, Brasilien
276, 278 f. (1980) 176 f.
395
PAT (Programa de alimentação R
du trabalhador, bras. Arbeiter- Rassismus 89
ernährungsprogramm) 190 Recht, internationales
»Patentverletzung« 239 – Agonie 49–59
PDVSA91 Redefreiheit 50
Pentagon 58, 204, 206, 233 Refeudalisierung 14, 17, 211–288
Perrier(-Vittel) 265, 267 Regen, Kampf gegen sauren (Aus-
Perulac (Nestlé Holding) 80 siehe gaben) 43
auch Nestlé Religionsfreiheit 50
PETROBAS 198 REST (Relief Society of Tigray ;
Pfizer 228 Hilfsgesellschaft von Tigre)
Pharmakonzerne 24, 225 f. 135, 137
Philip Morris 149 Revolutionen
Phosphorbomben, Zivilbevölke- – Äthiopien (1974) 154
rung 23 – Brasilien (friedliche/stille) 205
Pioneer 216 – Französische siehe Französische
Porto Alegre, Weltsozialforum Revolution
(2003) 260 »Rinderwahn« 237
Prag, Staatsstreich (1948) 50 ROE siehe Kapitalrendite
Präventivkrieg 49 Rohstoffe, Preise 79
Pressefreiheit 50 Ronal AG 274
Price Waterhouse 209 Royal Dutch Shell Company 277 f.
Privatbanken 203 Royalties siehe Lizenzgebühren
Privatisierungspolitik, Brasilien 198 Ruanda 95–98
Procter and Gamble 149 Ruhr 256
Profit/-maximierung 15, 30, 214, Rüstungsausgaben 42 siehe auch
217, 222, 228 f., 266, 269 Militärausgaben
Programa Fome zero (Brasilien) Rüstungssysteme, Abbau nuklearer
184–191, 262 (Ausgaben) 43
Propaganda, Kosmokraten 218 f.
Prostitution, Äthiopien 152 S
PT, Brasilien 180, 186, 189, 199– Saatgut 216
203, 208 f. –, gentechnisch verändertes 238,
248 siehe auch GMOs
Q Salvador 108
al-Qaida 60, 65 Sambia 218, 241 f.
Queimados, Los (Krankenhaus in Sara Lee 149 f.
Angola) 23 SARS-Epidemie, China 126
396
Säuglingsernährung 252 Sozialleistungen, Haushaltsanteil
Säuglingssterben 254 (Tabelle) 83
Schädlingsbekämpfungsmittel 216 Spekulanten 86f, 213
Schädlingsbekämpfungsmarkt 231 Spionage 222
Scham 16, 107 f. Splitterterrorismus 44
Schande 10, 12 ff., 23, 29 f., 65 Staatskassen, Plünderung 79
Schulbildung 84 f. Staatsstreich
Schuld 213, 229 – Brasilien (1964) 193
–, »widerliche« 98, 192 – Prag (1948) 50
Schulden Staatsterrorismus 44, 64
– Annullierung 87, 90 Standard and Poor’s Index 34
– Prüfung (Revision der Auslands- Straffreiheit, Kosmokraten 231–236
schuld) 93 f. Straßenkinder, Opferzahl 38
Schuldendienst 75, 89 Sudan, Comprador-Klasse 72
– Äthiopien 164 Süd(ost)asien 224, 256 siehe auch
– Brasilien 193, 195 Asien
– Haushaltsanteil (Tabelle) 83 Sumpffieber 256
– Tabelle 79 »Schuldnerkartell« 94 Syngenta 216
– Brasilien 199 Schuldnerländer
– Klassen, herrschende 70 f. T
Schwarzafrika 224, 254 siehe auch Telekommunikation 88
Afrika Terre des Hommes 12
Shell siehe Royal Dutch Shell Terrorismus siehe »Weltkrieg ge-
Company gen den Terrorismus«
SI (Sozialistische Internationale) Texaco 46
199 f. Todesursachen 101
Siemens 271 ff. Toyota 277 f.
Sinaltrainal 261 TPLF 132, 136
SIPRI (Stockholm International Trachom 256
Peace Research Institute) 42 Tretminen, Beseitigung (Ausga-
Slums 104, 110, 285 ben) 43
– Ausgaben für Beseitigung 43 Trinkwasser 255 ff., 267 f., 285
SNNPR (Southern Nations, Nati- – Äthiopien 155
onalities and People’s Region) Trinkwasserzugang für alle, Schaf-
142 fung (Ausgaben) 43
Solidarität 15 Tropenwald 194
Solidarność, Polen 61 Tschibo 149
Somalia 48 Tuberkulose 139, 225, 227
397
– Asien/Afrika 115 – Überwachung 58
– Äthiopien 139 UNO-Soldaten (Blauhelme), Ru-
Tutsi (Ruanda) 95 f. anda 96 f.
Typhus 139, 256 UNRWA, Schulen 111
Unterernährung 107, 139, 144, 185,
U 263 siehe auch Hunger
Überwachung, UNO 58 – Äthiopien 139
UBS (United Bank of Switzerland) – Bekämpfung (Ausgaben) 43
215, 277 f. UPC, Kamerun 61
UN siehe UNO Utopie 25 ff.
Unabhängigkeitserklärung, Verei-
nigte Staaten (USA) 9 V
UNAIDS 115 Var-Palmarés (Vanguardia Revolu-
UNCTAD 273 cionaria-Palmarés) 178
– Gründung 31 f. VAVA (Vietnamese Association of
UNDP (United Nations Develop- Victims of Agent Orange) 235
ment Program ; Entwicklungs- Vereine, Netzwerk (Äthiopien) 161
programm der UNO) 44 f., Vereinte Nationen siehe UNO
162 f., 217 Verfinsterung der Vernunft, Die
UNESCO 84 f. (Max Horkheimer) 39
UNICEF 84, 143, 145, 154, 156, 185, Versammlungsfreiheit 50
251, 254 f., 258 Verschuldung (der ärmsten Län-
Unilever 229 der) 17, 43, 69–99
Union Carbide 231–233 – Brasilien 192
United Bank of Switzerland siehe 40-Stunden-Woche 271, 273
UBS Vietnam 235
United Fruit Company siehe Chi- Vietnamkrieg 233
quita Vitamin-Mangel 102, 111 ff., 184f.
UNO (United Nations Organiza- Volksrevolution, antikapitali-
tion, Vereinte Nationen, UN) stische/demokratische (Brasi-
14, 41 f., 49 f., 53, 55, 58 f., 84, lien) 189, 205
92, 110, 113, 115, 135, 138, 140 f., Volkswagen (VW) 273
197, 220, 222, 243, 245, 279
– Funktionshaushalt 57 W
– Generalversammlung 52 f. Wälder, Zerstörung stoppen (Aus-
– Handlungsfähigkeit 57 gaben) 43
– Konventionen 52 f., 56 Wasser siehe Trinkwasser
– Sicherheitsrat 52 Wasserverschmutzung 31
398
Weltbank 98, 197, 206 Widerstand, Äthiopien 153–165
– Bericht (März 2003) 111 Wirtschaftskontrolle 80
Weltbevölkerung, Stabilisierung WMO (Weltmeteorologieorganisa-
(Ausgaben) 43 tion) 138
Welthandelsorganisation siehe WTO Wochenbett, Tod im 113 f.
Weltkaffeemarkt 148 f., 151 Wolof, Senegal 284
– Herrscher 149 World Food Day 241
Weltkonferenz der Menschen- World Hunger Map (WFP) 117
rechte 51 World Investment Report (UNC-
»Weltkrieg gegen den Terroris- TAD) 273
mus« 42, 44 f., 47, 141 World Restored : Metternich,
Weltpharmazeutik 249 Castlereagh and the Problems
Weltsozialforum of Peace 1812–1822, A (Henry
– Bombay (2004) 234 Kissinger) 54
– Porto Alegre (2003) 260 World Vision, Aktionen 122
Weltstrategie für die Ernährung WTO (Welthandelsorganisation)
des Säuglings und des Klein- 73, 85, 270
kinds (WHO-Kodex, 2002) 253 Würde, menschliche 38
Weltwirtschaftsforum, Davos
(1999) 275 Y
Westafrika 254 siehe auch Afrika Yirga Alem, Ernährungszentrum
WFP (Welternährungsprogramm) 143, 146
57, 117, 119, 138 ff., 241, 247
WHO 102, 112, 115, 126, 184, 188, Z
220, 224 f., 251, 255 f., 269 Zentralamerika 254 siehe auch La-
– Infiltration 221 teinamerika
– Kodex (1981) 251 Zivilbevölkerung, Napalm/Phos-
– Kodex (2002) 253 phorbomben 23
Jean Ziegler, bis 1999 Nationalrat im Schweizer Par-
lament und derzeit UNO-Sonderberichterstatter für
das Recht auf Nahrung, hat sich als Schriftsteller, der
unbequeme Wahrheiten ans Licht der Öffentlichkeit
bringt, einen Namen gemacht. Seine ebenso unbe-
stechlichen wie engagierten Bücher (z. B. »Die Schweiz
wäscht weißer« ; »Die Schweiz, das Gold und die To-
ten« ; »Die Barbaren kommen« ; »Wie kommt der
Hunger in die Welt ?«) haben immer wieder heftige
Diskussionen ausgelöst und standen monatelang auf
den Bestsellerlisten. Zuletzt ist von Jean Ziegler er-
schienen : »Die neuen Herrscher der Welt und ihre
globalen Widersacher« (2003).