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VL: Sprache und Kultur des Nahen und

Mittleren Ostens

Modul: Der Nahe und Mittlere Osten in der


Gegenwart
25.6.2018
Prof. Dr. Stefan Weninger
DIE WIEDERBELEBUNG EINER
‚TOTEN‘ SPRACHE: NEUHEBRÄISCH

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Eine Begriffsklärung

• Neuhebräisch = Modernhebräisch = Israelisches Hebräisch = Ivrith

• ‚Neuhebräisch‘: Im 19. Jh. auch für frühes nachbiblisches Hebräisch


der Mischna (abgeschlossen im 3. Jh. n. Chr.) verwendet.
• ‚Ivrith‘ ist der hebräische Name der hebräischen Sprache (‫)עברית‬.
(Im hebräischen Kontext kann damit natürlich auch eine andere
Sprachstufe gemeint sein).

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Gliederung

• Hebräisch als Sprache der Judenheit


• Die ‚Wiederbelebung‘, ihre Mythen und ihr Held
• Woher all die neuen Wörter?
• Und was ist mit der Grammatik?
• „… in durchsichtiger hebräischer Verkleidung.“ – Die Debatte um
den semitischen Charakter der neuhebräischen Sprache

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Hebräisch als Sprache der Judenheit

• Nordwest-semitische Sprache
• 12. Jh. v. Chr.: Sprache von seminomadischen
Stammesföderationen im N und im S des Hochlandes zwischen der
Grenze zum Libanon im N und dem Sinai im S
• Sprache des Königreichs Israels im 10. Jh. v. Chr. (David und
Salomo)
• Starke Vereinheitlichung durch die königliche Kanzlei in Jerusalem
• Größere Teile des Alten Testaments (10.-6. Jh.): Pentateuch (= 5
Bücher Mose) und ‚historische Bücher‘ (Josuah, Richter) betonen
und aktualisieren die enge Verbindung des Volkes Israel mit ihrem
Gott YHWH
• Inschriften
5
Siloah-Inschrift in Jerusalem (ca. 700 v.Chr.)

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Hebräisch als Sprache der Judenheit

• Teilung des Reiches


• Zerstörung des Nordreichs durch die Assyrer 722; Deportationen;
Ausbreitung der aramäischen Sprache; Hebräisch jetzt nur noch im
Südreich (Juda)
• Eroberung Jerusalems und des Südreichs durch Nebuchadnezzar
(Neubabylonisches Reich) 586
• ‚Babylonisches Gefangenschaft‘ (586-538): Jüdische Eliten nach
Babylonien deportiert; im aramäisch-sprachigen Umfeld
weitgehender Verlust des Hebräischen als Umgangssprache
• Eroberung Babylons 539 v. Chr. durch den Perserkönig Kyros II
• Rückkehr eines Teils der jüdischen Bevölkerung nach Judäa

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Hebräisch als Sprache der Judenheit

• Nachexilische Situation (Perserzeit; Hellenismus; römische Zeit):


• Hebräisch geht auch im ländlichen Umfeld immer weiter zurück;
Alltagssprache wird immer mehr Aramäisch; Verwaltungssprache
zunächst ebenfalls Aramäisch, später (seit Alexander d. Gr.)
Griechisch
• Resultat: Als Alltagssprache (mündliche Sprache) war Hebräisch
spätestens im 1. Jahrhundert ausgestorben.
• Aber: Hebräisch bleibt Sakralsprache und Literatursprache!
• Weitere Bücher des Alten Testaments auf Hebräisch (mit wenigen
aramäischen Anteilen)

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Hebräisch als Sprache
der Judenheit

Fragment aus den Höhlen am


Toten Meer (Qumran)
Ca. 2. Jh. v. Chr.
Text: 1Sam 23, 9-13

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Hebräisch als Sprache der Judenheit

• Diaspora (wö.: ‚Zerstreuung‘):


– Jüdische Gemeinden in Babylonien seit exilischer Zeit
– Jüdische Gemeinde in Alexandria schon in hellenistischer Zeit
– Diaspora-Gemeinden im ganzen Mittelmeergebiet besonders
seit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem (70 n. Chr.)
während des ‚jüdischen Kriegs‘ (66-74 n.Chr.) und der
Vertreibung der Juden aus Jerusalem unter Hadrian (135 n.
Chr.) nach dem Bar-Kochba-Aufstand (132-135 n.Chr.)
– Proselyten (wö.: ‚Hinzugekommene‘)
• Hebräisch weiterhin einigende religiöse Sprache (Mishna, Midrash,
Piyyut)

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Hebräisch als Sprache der Judenheit

• Hebräisch im Mittelalter (bis 1492):


• Bis z. Ende des Mittelalters: Mehrzahl der jüdischen Gemeinden
unter islamischer Herrschaft
– Blüte der hebräischen Grammatik (auf Arabisch!) unter dem
Einfluss arabischer Grammatiker und Korangelehrter
– Profanliteratur, Poesie (insbesondere in al-Andalus)
• Juden in Italien, Frankreich und Deutschland (Ashkenaz)
– Liturgische Dichtungen
– Aufnahme lokaler literarischer Formen (z.B. hebr. Sonette in
Italien)

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Hebräisch als Sprache der Judenheit

• In der Aufklärung (Haskalah) des 18. Jahrhunderts in Europa:


– Verstärkte Zuwendung zum Hebräischen als Sprache der
Literatur und Wissenschaft
– „Reinigung“ von Aramaismen und anderen wahrgenommenen
‚Verunreinigungen‘

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Hebräisch als Sprache der Judenheit

• Fazit:
• Hebräisch war und ist die heilige Sprache der Judenheit und ist auf
diese Weise Teil der jüdischen Identität. Darüber hinaus war
Hebräisch ein wichtiges Kommunikationsmittel zwischen den
jüdischen Gemeinden.

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Die Wiederbelebung, ihre Mythen und ihr Held

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Die Wiederbelebung, ihre Mythen und ihr Held

• Zionismus: Jüdische Nationalbewegung in der zweiten Hälfte des


19. Jh.
• Quellen:
– Messianismus (Hoffen auf den Messias als Erlöser und die
Rückkehr ins gelobte Land)
– Europäische Nationalismen (Volk / Territorium / Sprache)
– Wachsender Antisemitismus in Europa
– Massive gesellschaftliche Benachteiligung von Juden in O-
Europa; Verfolgungen und Ausschreitungen gegen Juden
(Pogrome)
• Erste Einwanderungen ins osmanische Palästina um 1880

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Die Wiederbelebung, ihre Mythen und ihr Held

• Erste Einwanderungen ins osmanische Palästina um 1880


• Begriff ‚Zionismus‘ 1893: Schaffung einer nationalen Heimstätte für
die Judenheit
• Begriff ‚Zionismus‘ abgeleitet vom Berg Zion (‫ )ציון‬in Jerusalem

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„Zionismus“

• Benannt nach dem Berg Zion (‫ )ציון‬in Jerusalem


– Sitz des salomonischen Tempels
– Sehnsuchtsort der Exilszeit
– z.B.:
– 13 Denn der Herr hat den Zion erwählt, ihn zu seinem Wohnsitz
erkoren: 14 «Das ist für immer der Ort meiner Ruhe; hier will ich
wohnen, ich hab ihn erkoren. 15 Zions Nahrung will ich reichlich
segnen, mit Brot seine Armen sättigen. 16 Seine Priester will ich
bekleiden mit Heil, seine Frommen sollen jauchzen und jubeln.
17 Dort lasse ich Davids Macht erstarken und stelle für meinen
Gesalbten ein Licht auf. 18 Ich bedecke seine Feinde mit
Schande; doch auf ihm erglänzt seine Krone.» Ps. 132

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Die Wiederbelebung, ihre Mythen und ihr Held

• Erste Einwanderungen ins osmanische Palästina um 1880


• Begriff ‚Zionismus‘ 1893: Schaffung einer nationalen Heimstätte für
die Judenheit
• Begriff ‚Zionismus‘ abgeleitet vom Berg Zion (‫ )ציון‬in Jerusalem
• Yishuv: Jüdische Siedlungen in Palästina

18
Jüdische Siedlungen
in Palästina 1855-1914
Quelle:
J. Fellman: The Revival of a
Classical Tongue (1973)

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Die Wiederbelebung, ihre Mythen und ihr Held

• Sprachliche Situation im Yishuv:


• Ashkenazische (Europäische) Gemeinden: Jiddisch, Russisch,
Bulgarisch ...
• Sephardische und orientalische Gemeinden: Ladino (Judäo-
Spanisch) und Arabisch

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Eliezer ben Jehuda
‫יהודה‬-‫אליעזר בן‬

1858-1922

„Hebrew writer and lexicographer,


generally considered the father of
modern Hebrew and one of the first
active Zionist leaders.“

J. G. Klausner in Encyclopedia
Judaica

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Eliezer ben Jehuda

• Geb. 1858, Luzhky


(Litauen)
• Traditionelle religiöse
Ausbildung / früh Kontakt
mit Aufklärern
• Seit 1878 Idee des
historischen Landes und
der historischen Sprache
des jüdischen Volkes

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Eliezer ben Jehuda

• Studium in Paris; Kontakt


mit Joseph Halevy
(Assyriologe); Vor-
bereitung auf den Lehrer-
beruf
• 1881 Heirat und
Übersiedelung nach
Palästina
• In der Familie nur noch
Hebräisch gesprochen.
• Söhne mit Hebräisch als
Erstsprache
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Eliezer ben Jehuda

• Zunächst Anschluss an
orthodoxe Gemeinde
• Unterrichtssprache
Hebräisch an der Schule
• Umfangreiche
publizistische Tätigkeit in
hebräischer Sprache;
prägt dabei viele neue
Begriffe

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Eliezer ben Jehuda

• Bruch mit den


Orthodoxen (‚Jude ohne
Glaube‘)
• 1894 von den
osmanischen Behörden
für ein Jahr inhaftiert
• Danach Arbeit am
Wörterbuch (17 Bände;
erschienen 1910-1959)

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Eliezer ben Jehuda

• Gründung des
‚Sprachkommittees‘
(va‘ad ha-lashon)
• Opposition gegen den
Plan Deutsch als
Unterrichtssprache in
höheren Schulen
einzuführen

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Eliezer ben Jehuda

• Während WK I in USA,
1919 Rückkehr nach
Palästina
• Kann Herbert Samuel
(British High
Commissioner) davon
überzeugen, Hebräisch
als eine der drei
Sprachen des
Mandatsgebiets zu
erklären (neben Englisch
27 und Arabisch)
Eliezer ben Jehuda

• Mitbegründer der Hebrew


University
• 1922: Tod

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Die Wiederbelebung, ihre Mythen und ihr Held

• Eliezer ben Jehudah: Symbolfigur der Wiederbelebung

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Ben Yehuda Street - Jerusalem

"Ben Yehuda Street pedestrian mall" by Yoninah - Own work. Licensed under CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
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Die Wiederbelebung, ihre Mythen und ihr Held

• Eliezer ben Jehudah legendäres Symbol der Wiederbelebung


• Aber: Der Prozess war teilweise auch unabhängig von ihm und zog
sich viel länger hin.
• 1903: Nur 60 Lehrer und 5% der Kinder in hebräischen Schulen
• 1904-14: Große Einwanderungswelle (‚zweite Aliya‘)
– Hebräische Schriftsteller: Samuel Agnon, Josef Chaim Brenner,
Mosche Smilansky, David Shimoni, Jakob Fichmann
• 1916-1918: 53 % der Kinder sprechen Hebräisch
• 1918-1948: Konsolidierung und Standardisierung; teilweise geplant,
teilweise spontan

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Die Wiederbelebung, ihre Mythen und ihr Held

• Faktoren für den Erfolg:


– Ideologische Faktoren: Sprache als Mittel des kulturellen
Wiederaufstiegs; Jiddisch als Sprache des Ghettos stigmatisiert;
Hebräisch als Sprache der Judenheit
– Modernisierung des Hebräischen in der Haskalah; Hebräisch
jetzt als Mittel der Modernisierung verwendbar
– Vielsprachiger Hintergrund der Einwanderer
– Keine andere Sprache als Konkurrenz

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Die Wiederbelebung, ihre Mythen und ihr Held

• Heute: Lebende Sprache mit zahlreichen Soziolekten (wenig


dialektale Differenzen)
• Offizielle Sprache des Staates Israel (daneben: Englisch und
Arabisch)
• Beispiel erfolgreicher Sprachplanung (Status- und Korpus-Planung)
• Beständige Debatte über ‚richtiges‘ bzw. ‚gutes‘ Hebräisch

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Woher all die neuen Wörter?

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Woher all die neuen Wörter?

• Grundwortschatz identisch mit älteren Sprachformen des


Hebräischen
• 40% des modernen Wortschatzes neugeprägt oder entlehnt
(Schätzung O. Schwarzwald)

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Woher all die neuen Wörter?

• Sprachplanung durch das Sprachkomittee:


1) Übernahme und Anpassung arabischer Wörter
• z.B. arab. maḫzan ‫‚مخزن‬Lager‘ -> hebr. maḥsān ‫‚מחסן‬Lager,
Lagerraum‘
2) Neue Bedeutungen für obsolete Wörter (z.B. biblische hapax
legomena), die oft unklare Bedeutungen haben

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‚Hapax legomenon‘

• Gr.: ‚einmal zu lesendes‘, Pl. Hapax legomena; Kurzform: Hapax


• Definition: Als h.l. wird ein sprachlicher Ausdruck bezeichnet, der
nur an einer einzigen Stelle in einem gegebenen Text oder Korpus
belegt ist.

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Woher all die neuen Wörter?

• Sprachplanung durch das Sprachkomittee:


1) Übernahme und Anpassung arabischer Wörter
• z.B. arab. maḫzan ‫‚مخزن‬Lager‘ -> hebr. maḥsān ‫‚מחסן‬Lager,
Lagerraum‘
2) Neue Bedeutungen für obsolete Wörter (z.B. biblische hapax
legomena), die oft unklare Bedeutungen haben
z.B. ‫ שמיכה‬śmiḵā in Jdc 4,18; Bedeutung unklar;
Deutungsvorschläge: ‚Vorhang (aus Tierhäuten) als Zeltverschluss;
Decke; Teppich‘.
‫ שמיכה‬smixa im Modern-Hebräischen: ‚Bettdecke‘

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Woher all die neuen Wörter?

• Sprachplanung durch das Sprachkomittee:


3) Neubildungen mit vorhandenen dreiradikaligen Wurzeln und
vorhandenen Nominal- und Verbalschemata
• z.B. ‫( מטבח‬miṭbāḥ) ‚Küche‘: Arab. Wurzel ṭbḫ ‚kochen‘; Lautgesetz:
Arabisch ḫ = hebr. ḥ. Hebr. Nominalform miKKāK (unspezifische
Semantik). [Bibl.-Hebr. ‫( טבח‬ṭāḇaḥ) ‚schlachten‘!]
• Aber: Vorschläge oft nicht angenommen

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Woher all die neuen Wörter?

• Weitgehend spontane Hauptstrategien:


1) Ableitung neuer Verben von vorhandenen Nomina mit den
herkömmlichen morphologischen Mitteln
– Z.B. maqom ‫‚ מקום‬Platz, Ort‘ (Wurzel: qwm); Anwendung des
Schemas pi‘el (entspricht II. Stamm im Arabischen): miqem ‫מקם‬
‚lokalisieren‘ (neue ‚Wurzel‘: mqm)

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Woher all die neuen Wörter?

2) Komposition (Wortzusammensetzung)
• Komposition ist ein in den meisten semitischen Sprachen (inklusive
klassisches Hebräisch) weitgehend unübliches morphologisches
Mittel.
– Z.B. kaddur ‫‚ כדור‬Ball; Kugel‘ (biblisch nur einmal bezeugt: Jes.
18, 22) + régel ‫‚ רגל‬Fuß‘ = kaduregel ‫כדורגל‬
(zusammengeschrieben) ‚Fußball‘

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Woher all die neuen Wörter?

3) Wortbildungssuffixe
– ‫ איש‬ʾiš ‚Mann‘ + Ableitungssuffix –i (für Zugehörigkeit) -> ‫אישי‬
ʾiši ‚persönlich‘
– Z.B. qibbuṣ ‫‚ קבוץ‬kollektive landwirtschaftliche Siedlung‘ +
(russ.) -nik (drückt Zugehörigkeit aus) = qibbuṣnik
‫‚קבוצניק‬Angehöriger eines Kibbuz‘

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Woher all die neuen Wörter?

4) Fremdwörter aus Russisch, Polnisch, Ukrainisch, Arabisch,


Jiddisch, Englisch, …
– ‫ בלגן‬balagán ‚Durcheinander‘ < russ. балаган ‚Chaos‘;
– ‫ בננה‬banána
– ‫ אמבולנס‬ʾámbulans
– ‫ נורמה‬nórma
– ‫ מג'נון‬madžnun ‚verrückt‘ < arab. maǧnūn ‫( مجنون‬Sub-Standard)

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Und was ist mit der Grammatik?

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Und was ist mit der Grammatik?

• Grundsätzlich wie Biblisch-Hebräisch


• In manchen Bereichen Vereinfachungen

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Und was ist mit der Grammatik?

• Biblisch-hebräische Tempussystem hoch komplex


– z.B. augenscheinliche Gegenwartsformen für die Vergangenheit
in bestimmten Kontexten; augenscheinliche
Vergangenheitsformen für die Zukunft in bestimmten Kontexten;
Neueinsatz vs. Fortsetzung usw.
• Modern-hebräisches Tempussystem einfach
– Vergangenheit: ‫ כתב‬katav ‚er schrieb‘ – Gegenwart ‫ כותב‬kotev –
Zukunft ‫ יכתוב‬yixtov

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Und was ist mit der Grammatik?

• Genusunterscheidung bei Zahlwörtern fast ganz aufgegeben


• Klassisch: ‫ שלושה ספרים‬šloša sfarim ‚drei Bücher‘ (mit fem. Zahlwort
zu mask. Gezählten‘
• Heute allgemein: ‫ שלוש ספרים‬šloš sfarim ‚drei Bücher‘ (mask.
Zahlwort für beide Genera)

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Und was ist mit der Grammatik?

• Grundwortstellung im biblischen Hebräisch: VSO (Verb-Subjekt-


Objekt)
• Grundwortstellung im modernen Hebräisch: SVO (wie in vielen
europäischen Sprachen)

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„… in durchsichtiger (…) Verkleidung“

• Die Debatte über den ‚semitischen Charakter‘ des modernen


Hebräisch

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„… in durchsichtiger (…) Verkleidung“

„Die gegenwärtige Neubelebung des Hebräischen steht unter dem


Druck der Notwendigkeit alles auf Hebräisch zu sagen, und der sich
so aufdrängenden Aufgabe, den Ausdrucksbereich des Hebräischen
so zu erweitern, daß es dem ungeheuren Ausdrucksbedürfnis des
modernen Kulturlebens gewachsen ist. Die Lösung dieser Aufgabe
könnte mit Aussicht auf vollen Erfolg erst dann in Angriff genommen
werden, wenn ein sicheres hebräisches Sprachgefühl neu
aufgebaut worden wäre; selbst dann wären die Gefahren groß, wie
das Beispiel anderer orientalischer Sprachen, die mit lebendigem
und festem Sprachbewußtsein vor der gleichen Aufgabe stehen,
beweist. Der Versuch, jene Aufgabe ohne diese Vorbereitung zu
lösen, mußte zu einer Scheinlösung führen: …

50
„… in durchsichtiger (…) Verkleidung“

… zu einem Hebräisch, das in Wirklichkeit eine europäische Sprache


in durchsichtiger hebräischer Verkleidung ist, mit
gemeineuropäischen Zügen und einzelsprachlichen
Besonderheiten, aber nur ganz äußerlich hebräischem Charakter.“

Gotthelf Bergsträsser:
Einführung in die semitischen Sprachen (1928), p. 47

51
„… in durchsichtiger (…) Verkleidung“

The Schizoid Nature of Modern Hebrew: A Slavic Language in Search


of a Semitic Past.
Buch von Paul Wexler (1991)

52
„… in durchsichtiger (…) Verkleidung“

Diskursive Delegitimation Israels durch Verneinung des ‘semitischen


Charakters’ des Neuhebräischen:
- “The Non-Semitic Origins of Contemporary Jews”
- “The Linguistic Track Leads Biblical Hebrew to Arabia and Zionist
Hebrew to Khazaria”
- “Absolute Proof More Modern Jews Not Biblical Israelites”
etc.

(verschiedene antiisraelische und antisemitische Websites)

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„… in durchsichtiger (…) Verkleidung“

• „Hebräisch als lebende semitische Sprache“

• Artikel von Gideon Goldenberg (1996)

• These: Nichtsemitische Elemente im Modernen Hebräisch gehen


nicht über das hinaus – sind sogar manchmal sogar weniger
gravierend – als in anderen modernen semitischen Sprachen, deren
Gebrauch als Umgangssprache nicht unterbrochen war.

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„… in durchsichtiger (…) Verkleidung“

• „Auf diesem Wege entstand eine neuhebräische Muttersprache


(Ivrit), deren Unterschiede zum biblischen Hebräisch recht gering
sind – etwa im Vergleich mit den Unterschieden zwischen
Altgriechisch und Neugriechisch –, so dass in Israel gar nicht
zwischen Alt- und Neuhebräisch unterschieden wird.“

Wikipedia, Artikel ‚hebräische Sprache‘ Abruf 27.4.2010 (älterer


Artikel; dieser Satz ist mittlerweile gestrichen)

55
„… in durchsichtiger (…) Verkleidung“

• „Throughout its existence, Hebrew has been exposed to foreign


languages and has been influenced by them. Despite this influence,
Hebrew has maintained its uniformity and Semitic nature because of
its grammatical structure.“

Ora Schwarzwald: „Modern Hebrew“,


in: S. Weninger et al. (ed.):
The Semitic Languages (2011), p. 534

56
„… in durchsichtiger (…) Verkleidung“

• Gilead Zuckermann: Modernes Hebräisch hat sich von seinen


Vätern emanzipiert.
• „Die Sprachwissenschaft in Israel muss sich von veralteter
Stammbaumtheorie lösen“
– Artikel auf ILIAS

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„… in durchsichtiger (…) Verkleidung“

• Ron Kuzar — Hebrew and Zionism: A Discourse Analytic Cultural


Study
– Nicht Revival, sondern Entstehen einer neuen Sprache (ähnlich
eine Pidigin- oder Kreol-Sprache).
– Politisches Ziel des Autors: “Normalisierung" von Israel als
demokratischer, säkularer and multikultureller Staat, in dem das
Judentum ‘entpolitisiert’ ist.

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„… in durchsichtiger (…) Verkleidung“

• Frage nach dem ‚semitischen Charakter‘ des Neuhebräischen ist


eine ideologische Frage nach der Berechtigung in Israel zu siedeln,
die mit sprachwissenschaftlichen Mitteln nicht zu lösen ist.
• Sonderfall, für den es keine Kriterien gibt, die auch auf andere Fälle
anwendbar sind.
• Herkömmliches Stammbaummodell hier überfordert.

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Literatur

• J. G. Klausner: „Ben-Yehuda, Eliezer.“ In: Encyclopaedia Judaica² III


386-388.
• Y. Reshef: „The Re-Emergence of Hebrew as a National Language.“
In: S. Weninger et al. (eds.): Semitic languages: An International
Handbook (HSK 36), 546-554.

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Danke für die Aufmerksamkeit!

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