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Kurzgeschichten
von Raphael Herzog
Einsicht
\ ch ging eine Strasse entlang. Sie war so lang, dass man das Ende
derer nicht sehen konnte. Auf der Strasse herrschte reger
Verkehr. Alle Menschen liefen schnell in die gleiche Richtung.
Jeder hatte eine Aufgabe oder einen Gedanken, den er sofort
erledigt haben wollte. Und ich war in diesem menschlichen
Strom eingeschlossen. Auch ich hatte eine Sache, die ich sofort
erledigt haben wollte. - Ich ging in Eile diese Strasse entlang.
Diese Sache musste sofort zu Ende gebracht werden.
unendlich viel Zeit. Und die Stimme des alten Mannes klingt in
meinem Herzen noch nach wie er zu mir sagte: "Mein Junge, wer
liebt kann warten, und lieben heisst Geduld haben".
Geschenk
X in junger Mann war auf einer Reise, weitab von der Zivilisation,
dem Lärm und dem Autogestank. So trottete er über die Erde,
über Wiesen und durch Wälder. Er war alleine, und lebte davon
was er am Wegrand fand.
an. "Womit kann ich dir dienen junger Mann" entgegnete der
alte Mann. "Ich möchte den schönsten Stein kaufen den sie
haben" antwortete der Wanderer. "Kennst du dich denn mit
Steinen aus" fragte der alte Mann. Ein bejahendes Nicken war
die Antwort. Also zog der alte Mann eine Schublade unter dem
Tisch hervor, griff hinein und nahm zwei faustgrosse Steine heraus.
Der eine war wüst und verschmutzt. Ohne Farbe und ohne
jegliche Pracht. Der andere war ein Bergkristall.
"Diesen kaufe ich" rief begeistert der junge Mann. Doch der alte
Mann schüttelte nur den Kopf und sagte: "Nein, nein. Diesen
Stein kriegst du nicht. Du bekommst diesen hier" und streckte
dem Wanderer den schmutzigen Klumpen hin. Als dieser zögerte,
stand der alte Mann auf und trat zum Schleiftisch. Dort reinigte er
den Stein und begann ihn dann am Schleifteller zu bearbeiten.
Die Arbeit dauerte lange, sehr lange, und der Wanderer fragte
sich schon was das werden sollte.
Aber nach einigen Stunden war die Arbeit fertig und der alte
Mann stand auf. In seiner Hand hielt er einen Diamanten von
unglaublicher Grösse und atemberaubender Schönheit. Das
Licht der alten Öllampe brach sich in diesem Stein zu einer
Farbenpracht von vollkommener Reinheit und Harmonie. Dem
jungen Wanderer blieb vor Staunen der Mund offen stehen.
Tränen der Freude und des Glückes liefen über sein Gesicht. Der
alte Mann sah ihn an, blickte ihm ganz tief in die Augen und
sagte: "Diesen Diamant will ich dir schenken. Denn kaufen kannst
du ihn nicht. Dazu ist er viel zu wertvoll. Sein Wert steht über allem
Gold der Erde. Also, nimm diesen Stein und gib gut auf ihn acht".
Rettung
Die Frauen sind soeben mit dem Einkaufen fertig geworden und
schwatzen noch vor dem Laden, als die Schulglocke läutet. Die
Schule ist aus. Schon fliegt die Türe auf, und die fünf Schüler
springen heraus. Wie immer am letzten Schultag der Woche
haben sie es besonders eilig. Eigentlich nicht mal weil die Schule
fertig ist, nein. Aber an diesem Tag dürfen die Kinder immer zu
einem alten Mann gehen, der ihnen jeweils interessante
Geschichten erzählt.
Die Sonne scheint, der Himmel zeigt sein schönstes blau und die
Luft ist warm. Die Dorfstrasse aber ist noch nass vom
morgendlichen Regen.
Zuvorderst rennt Karl mit seiner roten Jacke. Diese Jacke ist sein
Markenzeichen. Die trägt er immer, auch wenn es eigentlich zu
heiss wäre um eine Jacke zu tragen. Sie hat ihm auch den
Beim Haus des alten Mannes angekommen, müssen sie erst mal
kurz verschnaufen. Dann ziehen sie an der Hausglocke. Erst lange
nachdem die Glocke verklungen ist, hören die Fünf die vertraute
tiefe Stimme des alten Mannes. Wie immer wecken sie ihn um
diese Zeit vom Mittagsschlaf. So verstreicht nochmals einige Zeit
bis der Mann seine Hausschuhe angezogen hat und zur Türe
schlurft.
Geduldig warten die Jungen und Mädchen bis die Türe mit
lautem Quietschen aufgeht. "Ah, da seit ihr ja" brummt der alte
Mann, und schaut liebevoll auf die Kinder herab. Sie mögen
diesen warmen Blick. Auch wenn der alte Mann mit seinen
dunklen Augen, den grauen Haaren und seinem Vollbart eine
beängstigende Erscheinung ist, strahlt er trotzdem eine Wärme
und Ruhe aus, die von allen Leuten im Dorf als sehr wohltuend
empfunden wird. "Na dann kommt doch herein" lädt sie der alte
Mann ein. "Aber zieht eure schmutzigen Schuhe aus". Gehorsam
ziehen die Kinder die Schuhe aus und stellen sie auf das Holzbrett
Eines Abends, es war etwa halb elf Uhr und ich hatte meine
Schicht seit einer halben Stunde übernommen, läutete das
Notfalltelephon. Der zuständige Mann nahm das Telephon ab.
Gespannt schauten die Übrigen zu ihm hinüber. Schon nach
wenigen Sekunden gab er uns das bekannte Signal und wir
stürmten hinaus zum Hangar. Wir, das ist der Pilot, der Copilot, ein
Arzt und ich als Helfer.
Der Pilot Charles Pelman, ein erfahrener alter Kauz, hatte schon
im Vietnamkrieg gedient und so manches durchgestanden. Er
lebte mit seiner Frau Erika in der kleinen Hafenstadt Brixham. Sie
hatten damals drei Kinder und fünf Enkelkinder. Sein Copilot
Thomas Smith war ein blutiger Anfänger was die fliegerische
Laufbahn anbelangt. Frisch ab der Fliegerschule lebte er mit
seiner Freundin in Exmouth. Der Arzt David Marsh war bereits
einige Jahre beim Rettungsdienst dabei und hatte auch schon
so manches durchgemacht. Im Geschäft wie im Privaten. Er
lebte alleine in Dawlish. Ich hatte damals vor einem Jahr meine
Ausbildung beendet, und da ich keine Arbeitsstelle fand, liess ich
mich beim Rettungsdienst rekrutieren. So waren wir also ein bunt
zusammengewürfelter Haufen, aber wie Pech und Schwefel
wenn es darauf ankam.
"Plötzlich fiel ihnen auf dass der Weg unter ihren Füssen sehr
weich wurde, und ehe sie sich versahen begannen sie bereits
einzusinken. Schnell schalteten sie ihre Taschenlampe ein. Da
sahen sie, dass sie bereits gute fünfzig Meter vom Weg
abgekommen waren. Alles strampeln half nichts, sie sanken
langsam aber unaufhaltsam weiter ein. Die nackte Angst stieg in
ihnen auf und sie begannen wie wild um Hilfe zu rufen. Ein Bauer
der zufälligerweise mit dem Fahrrad auf der Hauptstrasse
unterwegs war hörte die Rufe und hielt an. Er lauschte und
nachdem er bemerkte woher die Rufe kamen machte er sich
gar nicht die Mühe irgendwie zu helfen, sondern rief ihnen zu
dass er Hilfe holen würde, schwang sich auf das Fahrrad, und
fuhr so schnell er konnte zum nächsten Haus. Von dort aus
alarmierte er die Rettungsflugwacht."
Hier brach der alte Mann ab und schaute die Kinder langsam
eines nach dem anderen an. Überall sah er angespannte
Gesichter. "Und wie geht es weiter" ruft da Fredi.
"Wir flogen mit voller Leistung zur der Stelle die uns der
Einsatzleiter durchgegeben hatte und schalteten die
Suchscheinwerfer ein. Wir hatten Glück und fanden die Zwei fast
auf Anhieb. Das Bild das sich uns zeigte war aber gar nicht
schön. Die Knaben steckten bereits bis zum Hals im Sumpf und
versuchten sich zu befreien, was natürlich misslang. Schnell band
ich mir die Sicherheitsleine um und der Pilot steuerte den
Hubschrauber ganz dicht über die Oberfläche des Moors.
Trotzdem gelang es mir nicht die Knaben zu erreichen. Also stieg
ich aus dem Hubschrauber und stand auf die Kufen um so weiter
nach unten greifen zu können. Ich rief ihnen zu, sie sollen mir die
Hand geben damit ich sie rausziehen könne. Sogleich kam
langsam eine Hand hoch und ich zog mit aller Kraft daran. Der
Pilot half mit indem er den Hubschrauber langsam höher flog.
Langsam, ganz langsam gelang es uns den einen Knaben aus
dem Moor zu ziehen. Sobald er befreit war packte ich ihn an der
Hose und zog ihn noch ganz hoch, so dass die anderen ihn in
den Hubschrauber ziehen konnten. Sofort steuerte der Pilot den
Hubschrauber wieder tiefer, ganz knapp über die
Mooroberfläche. Ich rief dem anderen zu dass er mir die Hand
geben soll. Und dann geschah das, was ich bis heute nicht
begreife. Die Hand kam hoch aber er winkte ab. Dann rief er mir
zu, dass er das selber schaffen würde. Ich versuchte mit allen
Mitteln näher an ihn ranzukommen, aber es reichte einfach
nicht. Er müsste mir die Hand geben. Aber er wollte nicht. Bis
zuletzt versuchte er sich selbst zu befreien, und ich versuchte alles
um ihm zu helfen. Aber ich musste mit ansehen wie er langsam
im Moor verschwand, nur weil er sich nicht helfen lassen wollte.
An dieser Stelle hört der alte Mann auf zu erzählen, und schaut in
die bestürzten Kindergesichter. "So, jetzt müsst ihr aber nach
Hause gehen, sonst vermissen eure Eltern euch noch."
Vertrauen
X in junger Mann ist unterwegs, alleine und weit weg von der
nächsten Zivilisation. Er ist auf der Suche nach Gold, denn er hat
gehört, dass es in diesem verlassenem Gebiet, Kostbares zu
finden geben soll.
So streift er Tag für Tag, und Woche für Woche durch diese
verlassene Gegend ohne etwas zu finden.
Doch eines Tages, als er auf einen hohen Berg zu geht, auf dem
kein Baum mehr wächst, kommt ihm ein alter Mann entgegen.
Weisse Haare hat er, und einen weissen langen Bart. Aber er ist
sehr gut auf den Beinen, und kommt ihm mit sicheren Schritten
entgegen. "Wonach suchst du denn, junger Mann?" spricht der
alte Mann den Jüngling freundlich an. "Ich suche Gold"
antwortet der Gefragte. "Hmm", brummt der alte Mann. "Gold
wirst du hier wohl nicht finden. Aber ich weiss, wo du etwas sehr
Wertvolles finden kannst". Der junge Mann wird neugierig. "Ja, wo
denn"? "Gleich da, hinter mir, in diesem Berg wirst du es finden",
entgegnet der alte Mann. "Es ist ganz einfach zu finden. Geh
zum grossen Eingang der Höhle, und folge einfach dem
beleuchteten Weg. Mehr brauchst du gar nicht zu tun". "So
einfach soll das sein" fragt der junge Mann ungläubig zurück.
"Warum hast du denn dieses Wertvolle nicht rausgeholt"? "Geh,
und wenn du willst, wirst du es finden", erwidert der alte Mann
nur.
Er ist sich nicht sicher. Aber er macht sich langsam auf den Weg.
Staub wirbelt unter seinen Füssen auf. Bis zum Eingang der Höhle
ist es nicht mehr weit, und dort angekommen dreht er sich
nochmals zum alten Mann um, aber dieser ist verschwunden. So
angestrengt der junge Mann auch den Horizont mit den Augen
absucht, kann er den alten Mann doch nicht sehen.
'Tja' denkt er, 'dann geh ich da wohl mal rein'. Und tatsächlich,
vom Eingang an, sind alte Öllampen auf beiden Seiten des
Tunnels angebracht. Ihr helles Licht erleuchtet den Tunnel sehr
gut, und der junge Mann kommt zügig voran. Und kommt er an
eine Weggabelung, kann er tatsächlich einfach weiter den
Lampen folgen.