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Von
Wilhelm Waetzoldt.
1.
Als eine solche unter den deutschen Dichtern nennt man an erster
Stelle Kleist. Wie seine Formsprache alle Merkmale des dramatischen
Stiles in der angegebenen Bedeutung aufweist, soll im folgenden zu
zeigen versucht werden. —
2.
Die Normannentragödie »Robert Guiskard« war Kleists Schmerzens-
kind. Mit ihr wollte er seinen größten Wurf tun, »Goethe den Kranz
von der Stirne reißen«. Nicht um Bewältigung eines besonders ge-
waltigen und weitschichtigen Stoffes handelte es sich für ihn, son-
dern um die Lösung eines Formproblems, in der er seine künstlerische
Lebensaufgabe sah. Dies Problem der Form, an dem Kleist scheiterte,
lautet: Wie läßt sich in einer neuen großen dramatischen Form Shake-
speare und die Antike vereinigen? Das erste Beispiel für die Durch-
führbarkeit dieses Stilprinzipes sollte der Guiskard werden. Aus der
Antike übernahm Kleist die Verlegung der, den zermalmenden Stein
des tragischen Geschickes ins Rollen bringenden Handlung vor das
Stück und damit als dramatischen Einsatzpunkt die beginnende Kata-
strophe, die alles Vergangene nur in seinen Nachwirkungen und den
Reaktionen der Handelnden darauf bringt. Von Einzelformen dankte
er der griechischen Dichtung gewisse sprachliche Bestandteile und
den Chor, der mit Shakespeares »Volk« zu einem großen musikalischen
Ganzen verschmilzt. Der Reichtum bunter Handlung, die Bewegtheit
und Lebendigkeit des Dialoges und die Naturnähe des Empfindens
sollten ebenfalls auf das britische Vorbild hinweisen.
Nur die Exposition der Tragödie, der erste Akt, ist uns auf unbe-
kannte Weise erhalten. Vielleicht, weil der Dichter selbst nicht mehr
auf die Nachwelt kommen lassen wollte, denn, so gewaltig, so ge-
schlossen (als eine kleine Tragödie für sich) diese Handvoll Szenen
wirkt, so wirkt sie eben zu geschlossen, d. h. mir scheint dieses Bruch-
stück zu beweisen, daß das ganze Gebilde verfehlt war. Die Lösung
des gestellten formalen Problems war eine Unmöglichkeit, wie es auch
die des ähnlichen malerischen Problems ist: Michelangelos Zeichnung
mit Tizians Farbe zu vereinigen. Im Euphorion hat Goethe das Ge-
schick einer Verschmelzung antiken und germanischen Geistes sym-
bolisiert; auch ihm war der Gedanke, zwei Hauptströmungen des
menschlichen Geisteslebens in einen einzigen gewaltigen Strom der
Kultur zusammenzuleiten, ans Herz gewachsen; hatte doch seine
künstlerische Entwickelung den Weg zurückgelegt von der einen
Empfindungs- und Ausdruckswelt zur anderen.
Die Gründe für Kleists Scheitern liegen aber nicht nur in der un-
möglichen ästhetischen Fundamentierung des Guiskardplanes, sondern
auch in der eigenartigen Form seines ersten Aktes. Man denke sich
das Guiskardfragment als plastisches Gebilde, derart, daß den Stellen
stärkster Wirkung, also den Höhen dramatischer Eindruckskraft, die
Höhen des gedachten Körpers entsprechen, und daß das Wachsen
der Spannung durch den schwächeren bezw. stärkeren Anstieg zu
diesen Wirkungsgipfeln dargestellt wird. Ein Längsabschnitt durch
dieses, einer Gebirgskette ähnliche Raumgebilde zeigt dann graphisch
wiedergegeben eine derartig steile Erregungskurve, daß einem eine
Steigerung der Wirkung, wie sie die folgenden Akte doch verlangt
haben, fast unmöglich erscheint. Schon dieser erste Akt reißt den
Zuschauer auf die überhaupt erreichbare Höhe ästhetischen Anteils.
Aber auch ein stoffliches Thema wird in diesem Bruchstück schon
völlig erschöpft: das Ringen Guiskards mit der Pest. Die Tragödie
des Kampfes zwischen dem Genie und der rohen Urkraft der Natur
Und als ihm dann der Versuch, den Ida dramatischer Kunst auf den
Ossa zu wälzen »und auf die Spitze ruhig bloß« sich zu stellen, miß-
lungen ist, läßt er wieder Penthesilea für sich sprechen:
Penthesilea ist eine einzige große Klage um Guiskard; und nicht nur
das Persönliche verbindet beide Tragödien, auch formal haben sie
unendlich viel Gemeinsames. —
Ein Bündel von 24 Szenen, auch hier nur ein Akt, in dessen engen
Rahmen das Bild eines tragischen, formal wie stofflich restlos auf-
gehenden Geschickes gespannt ist. Wie im Guiskard soll der Zu-
schauer nicht eher zur Besinnung kommen, als bis die Lawine der
Katastrophe beide Helden unter sich begraben hat. Durch die Er-
wähnung einer möglichen Teilung des Stückes in drei Akte wurde
sein streng symmetrischer Bau schon angedeutet. Eine mittlere Szenen-
gruppe (6—18) umfaßt die wichtigsten Auftritte: die Begegnungsszenen
zwischen Achill und Penthesilea und deren Erzählung vom Frauenstaat
in Themiscyra. Diesen Mittelakt leitet ein lyrisches Zwischenspiel ein:
das Winden der Rosenkränze — zugleich mit den Kampfszenen kon-
trastierend und als stimmender Akkord die große glänz- und glutvolle
Liebesszene vorbereitend. Dann geht es hinweg über die Szenen der
Amazonenniederlage zur Begegnung Achills und Penthesileas, die inner-
halb des Stückes künstlich so lange hingezögert worden ist, wie das
endliche Auftreten Guiskards in der letzten Szene des nach ihm be-
nannten Aktes. Ganz plötzlich, in jäher Kurve steigt dann die dra-
matische Welle am Schluß der 15. Szene auf den Gipfelpunkt: Pen-
thesilea muß über das Spiel aufgeklärt werden, das man mit ihr
getrieben hat. Umfaßt wird dieser Mittelakt von einem Expositions-
aufzuge und dem Akt der Katastrophe, die einander entsprechend
gebaut sind. Beide Szenengruppen (1—6 und IQ—24) zerfallen näm-
lich in je zwei Untergruppen gemäß den beiden Handlungssträngen: der
Griechen- und der Amazonenhandlung. Botenberichte und Schlachten-
schilderungen verknüpfen hier wie dort Auftritte und Geschehnisse
miteinander. Ähnlich klar gliedert Kleist die Exposition der Familie
Schroffenstein, indem er auch hier dem Spiel und dem Gegenspiel je
eine Hälfte des ersten Aktes anweist. Die Komposition der Penthesilea
läßt sich am leichtesten der eines Triptychons vergleichen: ein großes
Mittelbild: die Liebesszene, wird flankiert von zwei kleineren Seiten-
bildern: den Kampfszenen.