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richtig-machen.html

Die Welt
10.03.2019

AKK antwortet Macron

Europa jetzt richtig machen


Von Annegret Kramp-Karrenbauer

Annegret Kramp-Karrenbauer antwortet auf das Europa-Manifest von Emmanuel Macron. In


der Sicherheits- und Migrationspolitik stellt sich die CDU-Vorsitzende hinter die Vorschläge
des Präsidenten. Einen europäischen Superstaat lehnt sie jedoch ab.

Der französische Präsident Emmanuel Macron wandte sich vor wenigen Tagen mit einem
Appell an die Bürger Europas. Es müsse dringend gehandelt werden. Er hat damit recht, denn
uns stellen sich drängende Fragen: Wollen wir künftig durch strategische Entscheidungen in
China oder den USA bestimmt werden, oder wollen wir die Regeln des künftigen globalen
Zusammenlebens selbst aktiv mitgestalten? Wollen wir eine gemeinsame Antwort geben auf
eine russische Regierung, die ihre Stärke augenscheinlich aus der Destabilisierung und
Schwächung von Nachbarn beziehen will?

Wollen wir uns letztlich gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen anderer


unterwerfen, oder wollen wir den „European Way of Life“ aus repräsentativer
Parteiendemokratie, Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit, individueller Freiheit und sozialer
Marktwirtschaft offensiv für uns selbst und in der ganzen Welt vertreten? Darauf kann es nur
eine Antwort geben: Unser Europa muss stärker werden.

Europa ist bisher eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Ich gehöre zu der glücklichen
Generation, die keinen Krieg erlebt hat. Das verdanken wir einer europäischen Gemeinschaft,
die ihre Lehren aus der Vergangenheit gezogen hat und ihren Blick entschlossen nach vorn
richtet. Wir Europäer leben in einer der reichsten und sichersten Regionen der Welt, weil wir
unsere Konflikte am Verhandlungstisch miteinander austragen und durch das enge
transatlantische Bündnis einen sicheren Schutzwall gegen äußere Bedrohungen aufgebaut
haben.

Dennoch blicken viele mit Unruhe auf Europa. Wir sollten die Bürgerinnen und Bürger
Europas aber nicht missverstehen. Die Zustimmung zur europäischen Idee ist derzeit so hoch
wie nie. Was die EU in den Augen der Bürger jedoch vermissen lässt, sind Klarheit,
Orientierung und Handlungsfähigkeit zu wesentlichen Fragen der Zeit.

Sie vermissen Klarheit, wenn die EU beispielsweise eine gefühlte Ewigkeit benötigt, um zu
einer gemeinsamen Auffassung zu den Ereignissen in Venezuela zu kommen. Sie vermissen
Orientierung, wenn sie mit der Zukunft der digitalen Wirtschaft und des digitalen
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Arbeitsmarkts konfrontiert sind. Sie vermissen Handlungsfähigkeit im Umgang mit


Migration, Klimawandel, Terrorismus und internationalen Konflikten.

Bei den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament kann es daher gar nicht darum
gehen, den unvollkommenen Status quo der heutigen EU gegen Anwürfe von Populisten zu
verteidigen. Die Frage des „für“ oder „gegen“ Europa stellt sich für die meisten Bürger gar
nicht. Wir müssen stattdessen mit unterschiedlichen Konzepten darüber streiten, wie die EU
künftig zu den großen Fragen handlungsfähig werden kann und ihre beispiellose
Erfolgsgeschichte unter geänderten globalen Rahmenbedingungen auch in Zukunft fortsetzen
wird.

Gemeinsamer Binnenmarkt für Banken

Dabei geht es zuerst um die Sicherung der Grundlagen unseres Wohlstands. Auch im
Europäischen Binnenmarkt steht das Erwirtschaften vor dem Verteilen. In der Wirtschafts-
und Währungsunion und mit der Stabilisierung der Eurozone haben wir einen richtigen Pfad
eingeschlagen. Wenn wir wollen, dass unsere Unternehmen in Europa auch in Zukunft von
europäischen Banken finanziert werden, müssen wir einen gemeinsamen Binnenmarkt für
Banken schaffen.

Gleichzeitig müssen wir konsequent auf ein System von Subsidiarität, Eigenverantwortung
und damit verbundener Haftung setzen. Europäischer Zentralismus, europäischer Etatismus,
die Vergemeinschaftung von Schulden, eine Europäisierung der Sozialsysteme und des
Mindestlohns wären der falsche Weg. Aber Konvergenz im Sinne gleichwertiger
Lebensverhältnisse innerhalb der Mitgliedstaaten und zwischen den Mitgliedstaaten müssen
wir anstreben. Deshalb brauchen wir eine Strategie zur Förderung von Konvergenz, die
nationale und europäische Ansätze intelligent miteinander verknüpft.

Wir brauchen jetzt eine europäische Herangehensweise an die Fragen, mit welchen
Technologien wir unser Klima schützen und gleichzeitig gut wirtschaften wollen, mit welchen
intelligenten Systemen wir Milliarden von Menschen ernähren und die Schöpfung bewahren
wollen, welche unserer Forschungsergebnisse zu neuen Medikamenten und Behandlungen
führen, um Krankheiten zu besiegen, wie unsere Antwort auf eine klimaverträgliche und
trotzdem individualisierte Mobilität aussieht.

Gemeinsame Forschungen, Entwicklungen und Technologien sollten aus einem EU-


Innovationsbudget finanziert werden und das Label „Future made in Europe“ tragen. Eine
neue europäische Strategiefähigkeit bei Zukunftstechnologien soll dabei nicht unsere Regeln
für fairen Wettbewerb außer Kraft setzen. Sie muss aber Europa in die Lage versetzen, global
wettbewerbsfähig agieren zu können, wenn gleichzeitig andere protektionistisch oder mit
Staatsmonopolen den Wettbewerb verzerren.

Europa hat eine herausgehobene Verantwortung für den weltweiten Klimaschutz. Wie bei der
finanziellen Stabilität geht es um die Lebensbedingungen kommender Generationen. Mit
ambitionierten Festlegungen europäischer Ziele und Grenzwerte ist allerdings noch nichts
erreicht. Dieser Weg wird nur dann auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stoßen, wenn
es uns gelingt, auch die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte so zu berücksichtigen, dass
Beschäftigung und Wirtschaftskraft erhalten bleiben und neue Entwicklungschancen
entstehen.
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Deshalb brauchen wir für die weitere Umsetzung einen europäischen Pakt für Klimaschutz,
der unter Einbindung europäischer und nationaler, demokratisch legitimierter Akteure
gemeinsam zwischen Wirtschaft, Beschäftigten und Gesellschaft ausgehandelt wird.

Steuerschlupflöcher schließen

Umsetzen müssen wir auch endlich unsere gemeinsamen Bemühungen, eine Verzerrung des
Wettbewerbs in Europa durch Steuervermeidung zu beenden. Dazu müssen wir
Steuerschlupflöcher in Europa schließen und eine an dem OECD-Modell orientierte digitale
Besteuerung einführen. Nur so werden international tätige Konzerne genauso einen fairen
Beitrag zu unserer sozialen Marktwirtschaft in Europa leisten wie unsere kleinen und
mittelständischen Unternehmen.

Ich stimme Emmanuel Macron ausdrücklich zu: Unser Gefühl der Gemeinschaft und der
Sicherheit in Europa braucht sichere Außengrenzen. Wir müssen Schengen vollenden. Dafür
brauchen wir in der EU eine Vereinbarung über einen lückenlosen Grenzschutz. Dort, wo die
Außengrenze nicht mit nationalen Mitteln allein geschützt werden kann oder soll, muss
Frontex zügig als operative Grenzpolizei aufgebaut und eingesetzt werden.

Bereits an den Schengen-Grenzen muss geprüft werden, ob ein Asylanspruch, ein


Flüchtlingsstatus oder ein anderer Einreisegrund vorliegt. Dazu sind ein elektronisches Ein-
und Ausreiseregister nötig und ein Ausbau des Schengen-Informationssystems damit die
Behörden, national und europäisch ein einheitliches, gemeinsames Datensystem nutzen
können.

Europa steht zu seinem humanitären Anspruch, politisch Verfolgten und


Bürgerkriegsflüchtlingen Schutz zu gewähren. Die von uns angestrebten europäischen
Lösungen für die Aufnahme von Flüchtlingen und Abweisung von Wirtschaftsmigranten
waren bisher nicht umsetzbar. Nationale Lösungsversuche werden aber nicht erfolgreich sein
können, ohne Schengen letztlich prinzipiell infrage zu stellen.

Wir müssen also die gemeinsame Migrationspolitik der EU künftig nach dem Prinzip
kommunizierender Röhren neu organisieren. Jeder Mitgliedstaat muss seinen Beitrag für
Ursachenbekämpfung, Grenzschutz und Aufnahme leisten. Aber je stärker er dies in einem
Bereich tut, umso weniger groß muss sein Beitrag auf den anderen Feldern sein.

Die Europäische Union muss ihre außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit


dringend verbessern. Wir müssen transatlantisch bleiben und gleichzeitig europäischer
werden. Die EU sollte künftig mit einem gemeinsamen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen vertreten sein. Gleichzeitig sollten wir in einem Europäischen
Sicherheitsrat unter Einbeziehung Großbritanniens über gemeinsame außenpolitische
Positionen entscheiden und das gemeinsame Handeln in der Sicherheitspolitik organisieren.

Ohne Nationalstaaten geht es nicht

Übrigens wäre auch bei uns in Deutschland ein Nationaler Sicherheitsrat zur Entwicklung
strategischer Leitlinien und zur Koordinierung der Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs-,
Entwicklungs- und Außenwirtschaftspolitik eine sehr bedenkenswerte Idee. Bereits jetzt
arbeiten Deutschland und Frankreich gemeinsam am Projekt eines europäischen
Kampfflugzeugs der Zukunft, andere Nationen sind zur Teilnahme eingeladen. Im nächsten
Schritt könnten wir mit dem symbolischen Projekt des Baus eines gemeinsamen europäischen
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Flugzeugträgers beginnen, um der globalen Rolle der Europäischen Union als Sicherheits-
und Friedensmacht Ausdruck zu verleihen.

Gleichzeitig müssen wir eine zusätzliche neue Perspektive mit und für Afrika schaffen. Wir
brauchen im Interesse der Menschen dort, aber auch in unserem eigenen Interesse eine
strategische Partnerschaft auf Augenhöhe. Die kann dann aber auch konkret bedeuten, dass
die Öffnung unseres Marktes für afrikanische landwirtschaftliche Produkte und der Abbau
unserer umfangreichen Regulierungen und Subventionen in diesem Bereich dabei keine
Tabus mehr sein dürfen. Dem Ziel eines handlungsfähigen Europas wird kein europäischer
Superstaat gerecht.

Die Arbeit der europäischen Institutionen kann keine moralische Überlegenheit gegenüber der
Zusammenarbeit der nationalen Regierungen beanspruchen. Eine Neugründung Europas geht
nicht ohne die Nationalstaaten: Sie stiften demokratische Legitimation und Identifikation. Es
sind die Mitgliedstaaten, die ihre eigenen Interessen auf europäischer Ebene formulieren und
zusammenbringen. Daraus erst entsteht das internationale Gewicht der Europäer.

Europa muss auf Subsidiarität und die Eigenverantwortung der Nationalstaaten setzen und
gleichzeitig im gemeinsamen Interesse handlungsfähig sein. Unser Europa sollte daher auf
zwei gleichberechtigten Säulen der intergouvernementalen Methode und der
Gemeinschaftsmethode stehen. Gleichzeitig sollten wir auch lange überfällige
Entscheidungen treffen und Anachronismen abschaffen. Dazu gehört die Konzentration des
Europäischen Parlaments auf den Standort Brüssel und die Besteuerung der Einkommen der
EU-Beamten.

Viele Mitgliedstaaten stehen vor der Herausforderung, eine durch Zuwanderung heterogener
gewordene Gesellschaft zusammenzuhalten. Dies gilt gerade mit Blick auf Strömungen des
Islams, die mit unseren Vorstellungen einer offenen Gesellschaft nicht vereinbar sind. Eine
der großen Zukunftsfragen ist es deshalb, ob aus Europa heraus Impulse für eine mit unseren
Wertevorstellungen kompatible Ausprägung des Islams gegeben werden können. Dazu sollten
wir in Anlehnung an die Tradition von Aufklärung und Toleranz europäische „Nathan-
Lehrstühle“ einrichten, an denen wir eigene Imame und Lehrkräfte in diesem Geist ausbilden.

Nach dem Fall der Mauer vor fast dreißig Jahren sind Millionen Mitteleuropäer neue
Mitglieder dieser Gemeinschaft geworden, weitere wollen gern dazukommen. Mit Blick auf
die Mitgliedstaaten Mittel- und Osteuropas ist Respekt vor ihren Herangehensweisen und
ihrem spezifischen Beitrag zu unserer gemeinsamen europäischen Geschichte und Kultur
geboten. Und trotzdem darf es keinen Zweifel am unverhandelbaren Kern von Werten und
Prinzipien geben.

„European Way of Life“

Wenn wir den Mut haben, jetzt konkret über Änderungen der Europäischen Verträge zu
sprechen, darf weder die „Brüssel-Elite“ noch die „West-Elite“, noch die vermeintlich
„proeuropäische“ Elite unter sich bleiben. Wir werden die demokratische Legitimation für
unser neues Europa nur erhalten, wenn wir alle einbeziehen.

Wir müssen vor diesen Diskussionen keine Angst haben. Wie attraktiv unser „European Way
of Life“ überall auf der Welt ist, das zeigen globale Touristenanstürme auf europäische
Metropolen, das zeigen die Beitritts- und Annäherungsbemühungen in unserer Nachbarschaft,
das zeigen internationale Studenten und Start-ups, die in Europa gründen wollen. Europa ist
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Sehnsuchtsort für viele in der Welt. Auch in Putins Russland wollen die Menschen übrigens
nach „Euro-Standard“ leben.

Die Welt ist im Fluss, und Europa steht vor der Wahl. Meine ist klar: Wir müssen Europa jetzt
richtig machen. Wir brauchen strategische Stärke für unsere Industrie, Technologie und
Innovationen, ein Gefühl der Sicherheit für unsere europäischen Bürger und gemeinsame
außen- und sicherheitspolitische Fähigkeiten, die unseren Interessen Geltung verschaffen.

Wir sollten jetzt selbstbewusst an die Arbeit gehen und uns nicht von ständigem ängstlichem
Gefrage nach „den Populisten“ kleinmütig davon abhalten lassen.

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