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rabel (Vv. 32-53) von zwei Bauern, um die chen, in allgemein verständlicher Form
Allmacht Gottes zu verdeutlichen. Die Ver- vorstellen.
se 52-59 stellen die Mitte der Erzählung Fangen wir mit der Mosegestalt an. Wie
dar, und haben die Funktion eines Schar- erwähnt, entstammt die hier gebotene
niers, eine Ermahnung zum Glauben an- Wandersage nicht dem biblischen Erzähl-
hand „jenes“ Korans (wohl unmöglich der stoff. Obwohl hier Mose als Hauptfigur auf-
uns vorliegende Koran), sowie der von tritt, finden sich die auffallendsten Paralle-
Gott in der Vergangenheit einst entsandten len bei manchen Überlieferungen der Ale-
Verkünder und die bevorstehende Strafe xanderlegende, die seine Reise durch das
für Ungläubige. Danach (Vv. 60-82) folgt Land der Finsternis auf der Suche nach
eine Erzählung von Mose, die keine bibli- dem Lebensbrunnen ausführen. Dies wie-
schen Parallelen aufweist: Mose reist in die derum erinnert an die Zwölf-Tafel-Fassung
Ferne (V. 60: „Ich lasse nicht ab, bis ich des babylonischen Gilgamesch-Epos (aus
die Stelle erreicht habe, an der die Meere älteren sumerischen Wurzeln wohl um
zusammenkommen, und sollte ich lange 1.800 v.Chr.): Nach dem Tod seines treuen
Zeit weitergehen“), um Wissen von einem Begleiters Enkidu in Tafel 8, ist der trau-
namentlich nicht genannten Gottesknecht ernde Held entsetzt über das Todeslos. Der
(in der späteren Tradition mit al-Khidr, Held will jetzt das Geheimnis des ewigen
„dem grünen Mann“, gleichgesetzt) zu er- Lebens entdecken und hört von Utnapisch-
langen (V. 66): „Darf ich dir folgen, damit tim, dem dies als einzigem Sterblichen ge-
du mich (etwas) von dem rechten Weg lungen ist, weil er bei der Sintflut den Göt-
lehrst, den du gelehrt worden bist“, worauf tern geopfert hat. Gilgamesch macht sich
der Diener Gottes antwortet: „Du wirst [es] auf die Reise: Nach verschiedenen An-
bei mir nicht aushalten können, wie willst strengungen, erreicht er die Zwillingsgipfel
du denn etwas durchhalten, wovon du kei- des Berges Maschu am Ende der Erde, da-
ne Kenntnis hast?“ In den Versen 83-98 nach passiert er zwei Wächter, um dann
wird von dhū al-Qarnajn, „der [Besitzer] unter den Bergen für „zwölf Doppelstun-
der zwei Hörner“, erzählt. Dieser wird zu- den“ den Weg der Sonne in die Finsternis
mindest seit Ibn Hišām (frühes 9. Jahr- zu nehmen. Im Garten der Götter ange-
hundert) mit Alexander dem Großen kommen, schickt ihn die dortige Schank-
gleichgesetzt (vgl. auch z.B. Tafsīr al- wirtin Siduri zum Fährmann Urschanabi
Jalalayn z.St.); er reist ebenfalls weit (V. (vgl. Charon in der griechischen Mytholo-
86, bis zum Ort des Sonnenunterganges). gie), der ihn über die Wasser des Todes
Von seinem Mauerbau gegen die Unheils- fahren soll. Beide raten ihm übrigens von
stifter Gog und Magog, Vorboten der End- seinem Vorhaben ab – allein er will „nicht
zeit, wird erzählt. Zum Schluss, eine inclu- ablassen“ –, das ihn zu Utnapischtim jen-
sio, wird das Thema des Anfanges und des seits der Wasser des Todes führen soll
Mittelteiles wieder erörtert: Horcht auf die (sumerisch „Ich habe mein Leben gefun-
Kunde Gottes, und seht seine Zeichen, den“; vgl. Noah, der für seine Verdienste
wenn man gerettet werden will, andern- mit dem ewigen Leben belohnt wird). Bei
falls droht als Lohn eine Zugehörigkeit zu ihm angekommen, will er ihm das ersehn-
der Höllenbewohnerschaft. te Geheimnis des einzig ewig lebenden
In der Koranwissenschaft ist bisher viel Menschen entlocken. Dieser fordert ihn
spekuliert worden über die Quellen und auf, sechs Tage und Nächte wach zu blei-
Textgrundlagen dieser Sure, besonders was ben, was er jedoch nicht aushalten kann.
die Identität der Höhlenschläfer, die Quelle Als Trostpreis bekommt er, auf Bitten der
der Moseserzählung und die des Zweihör- Gattin Utnapischtims, Urschanabi, eine
nigen betrifft. Dass dieser Koranabschnitt Pflanze (Bocksdorne?). Diese kann ihm
literarische Vorlagen hat, steht außer zwar keine Unsterblichkeit bringen, aber
Zweifel. Im textkritischen Eifer wird aber sie soll denen, die davon essen, immer
scheinbar der Zusammenhang der Erzäh- neue Jugend schenken. Gilgamesch will
lung als Ganzes vergessen: was ist der Zu- sie in die Stadt zu den dort wohnenden
sammenhang der Geschichten dieser Sure? Menschen mitnehmen. Als er unterwegs
Im Folgenden wollen wir ansatzweise eini- badet, wird sie ihm von einer Schlange
ge Gedanken, ohne aber die Intertextuali- weggenommen (weswegen sich die Schlan-
tät und Vorlagen ausführlich zu bespre- gen immer häuten können).
Schilfmeer (Erythaeum Mare),8 waren für In der Vulgata liest man es aber etwas an-
ihre Lieder bekannt (Ex 15,1; Deut 32,1- ders:
43), schlugen Wasser aus Steinen (z.B. Ex „cumque descenderet Moses de monte Si-
17,6), verwandelten ihren Stab zu Schlan- nai tenebat duas tabulas testimonii et ig-
gen; Milch und Honig spielen bei beiden norabat quod cornuta esset facies sua ex
eine Rolle, und Bacchus-Dionysus war der consortio sermonis Dei videntes autem
Gott des Weines – die Kundschafter des Aaron et filii Israhel cornutam Mosi faciem
heiligen Landes „kamen bis an den Bach timuerunt prope accedere.“
Eskol und schnitten daselbst eine Rebe ab Also: Moses kam gehörnt (cornuta) vom
mit einer Weintraube und ließen sie zwei Berge Gottes herunter,9 wie schon Mi-
auf einem Stecken tragen, dazu auch Gra- chelangelo wusste, s. seine berühmte
natäpfel und Feigen“ (Num 13,23). Dio- Skulptur des Mose in der Kirche S. Pietro
nysos, wie Mose (und Jesus), ist eigentlich in Vincoli zu Rom (s. Abb.). Natürlich war
der Gott all jener, die außerhalb der Ge- der Grund seiner gehörnten Wiederkehr
sellschaft stehen. Zudem spielt der Berg vom Berg Gottes seine Apotheose, vgl.
natürlich eine überaus wichtige Funktion schon Ex 7,1: „Und der Herr sprach zu
– Νῦσα für Dionysos, Σινά bei Moses (Sep- Mose: Siehe, ich habe dich dem Pharao
tuaginta), Anagramm oder Zufall? zum Gott gesetzt, und dein Bruder Aaron
Als Mose vom Berge Sinai herabkam (Ex soll dein Prophet sein“ – der Prototyp des
34,29-30), steht in den gängigen Bibel- islamischen Glaubensbekenntnis, der
übersetzungen (hier geben wir die Über- Schahâda („Es gibt keinen Gott außer Gott,
tragung Schlatters wieder): Mohammad ist der Gesandte Gottes“). Die
„… und die beiden Tafeln des Zeugnisses Ikonographie eines vergöttlichten Men-
in der Hand hielt, als er vom Berge herab- schen am Berge ist sehr alt, im Alten Ori-
stieg, da wusste er nicht, dass die Haut ent schon bezeugt auf der Siegesstele des
seines Angesichts strahlte davon, dass er akkadischen Königs Naram-Sîn (herrschte
mit dem Herrn geredet hatte. Und Aaron in der zweiten Hälfte des 23. Jh. v. Chr.!;
und alle Kinder Israel sahen Mose, und im Übrigen hat sein Großvater Sargon, der
siehe, die Haut seines Angesichtes strahl- Gründer der ersten semitischen Dynastie
te; da fürchteten sie sich, ihm zu nahen.“ in Mesopotamien, eine Geburtslegende
ähnlich der des Mose), vgl. Abb., in der
der gehörnte, d.h. göttliche, König den
sich sehr ob seiner Größe und Schönheit. Denn Berg zum Sonnengott (vgl. Bacchus!) be-
mit so großer Huld beschirmte Gott den Mose, steigt – so dass er schon während seiner
dass er sogar von denen ernährt und erzogen Herrschaftszeit vergöttlicht wurde, was
werden musste, die aus Furcht vor seiner Geburt
den grausamen Befehl erlassen hatten, alle hebrä-
eindeutig aus der Verwendung des Götter-
ischen Knaben zu töten“ (Übersetzung nach der determinativs bei seinem Namen hervor-
Ausgabe von H. Clementz, Halle, 1900, 111). geht; die altsemitischen Götter werden
8
Vgl. Nonnos, Dionisiaka, xx 352ff. Anderswo teil- häufig gehörnt abgebildet, wie z.B. der
te er die Wasser des Orontes und des Hydaspes Sonnen-ott Utu/ Schamasch (vgl. Abb.).
(heute Jhelum im Punjab, wo Alexander 326 eine
entscheidende Schlacht gewann) mit seinem Stabe
(vgl. Jos 3,15-17; II Kön 2,8). Dies gilt natürlich
auch für den Alexander, vgl. Josephus, Ant., II
9
16.5 (a.a.O. 134), der die Geschichtlichkeit des Im Hebräischen steht hierfür das Verbum qåran
Durchzugs des Mose und der Kinder Israels un- ()קָ ַרן, eine verbale Ableitung von qéren ()ק ֶרן
ֶ ֶ֫
termauern will: „Niemand aber möge sich darüber „Horn“ (von *qarnu; vgl. Arabisch, Akkadisch,
verwundern und es für unglaublich halten, dass Äthiopisch usw.; verwandt mit griechisch κέρας,
die damaligen Menschen, die in Schlechtigkeiten lateinisch cornu und deutsch Horn). Im gängigen
noch nicht so bewandert waren, einen Weg zu ih- hebräischen Handwörterbuch von Gesenius (16.
rer Errettung, sei es nach Gottes Willen oder von Auflage, bearbeitet von Fr. Buhl, Leipzig, 1915,
selbst, durch das Meer gefunden haben sollen. 729) steht „strahlen, v. Antlitz des Mose Ex 34,
Denn es ist noch nicht so lange Zeit verstrichen, 29f., 35. So die meisten Verss., nur Aq[uila]. und
da auch vor dem Heere Alexanders, des Königs Vu[ulgata].: gehörnt sein.“ Jedoch s. das partizi-
von Mazedonien, das Pamphylische Meer zurück- pium causativum maqrin ( )מַ קְ ִרןPs 69,32 (eben-
wich und ihm, da es keinen anderen Weg zu Gebo- falls Schlatter): „Das wird dem Herrn angenehmer
te hatte, einen solchen eröffnete. Gott bediente sein als ein Stier, als ein Jungstier, der Hörner
sich nämlich seiner Hilfe, um die Herrschaft der und gespaltene Hufe hat.“ Wir erinnern hier, bei-
Perser zu stürzen. Das bezeugen alle, welche die läufig, daran, dass auch Dionysos-Bacchus ein Ge-
Kriegstaten Alexanders beschrieben haben. Doch setzgeber war, der mit zwei steinernen Tafeln zu-
möge hierüber jeder denken, wie ihm beliebt.“ rückkehrte.
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10
So z.B. im Althebräischen, wo ba‘al ()ב ַעל
ַ ֶ֫ den Ei-
gentümer angibt, dann im übertragenen Sinne
auch einen Grundbesitzer/Adeligen bzw. den
Ehemann, vgl. die Wörterbücher.
11
Vielleicht ist dann hier die Heimat des Bacchus,
wenn dieser Name, wohl ursprünglich als Epithe-
ton verstanden, von semitisch *bakaya „weinen“
abzuleiten ist, also „der Beweinte“ im Sinne eines
verstorbenen Gottes, vgl. Eze 8,14-15 zu suchen.
Dass möglicherweise ein semitischer Gott hier zu-
grunde läge ist vielleicht aus dem späteren Syn-
kretismus mit Liber Pater herauszulesen – der ‚pu-
nische‘ Kaiser Septimius Severus hat dessen Kult
in seiner Heimatstadt sehr befördert, im Punischen
vielleicht „El, Schöpfer der Erde“ (vgl. Gen 14,19).
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verweilen, so dass nicht nur ihre Körper, Inârah, Institut zur Erforschung der frü-
sondern auch ihre Kleider unversehrt hen Islamgeschichte und des Koran, hat
blieben, so dass sie nur, weil sie ohne zu einen achten Sammelband mit unter-
verwesen für so viele Jahren verbleiben, schiedlichen Beiträgen von Islamwissen-
von diesen unwissenden und barbarischen schaftlern aus aller Welt veröffentlicht. Sie
Völkern verehrt werden. Diese werden kreisen um zwei Problembereiche: I. Zur
dann, was ihre Kleidung angeht, für Rö- Vor- und Frühgeschichte des Islam, II.
mer angesehen. Als ein gewisser Mann, Zum Koran und seiner Sprache.
von Gier angeregt, einen entkleiden wollte, Ihre gemeinsame Leitlinie ist die Verpflich-
wie erzählt wird, verdorrten seine Arme, tung, sich ausschließlich auf nachprüfbare
und seine Strafe hat die Übrigen so er- zeitgenössische Quellen und eine kritische
schrocken, dass niemand es wagt, sie wei- Analyse des Koran zu stützen. Der Band
ter anzurühren. Nur die Zukunft wird leh- (900 Seiten) hat den Titel „Die Entstehung
ren, mit welchem Sinn die göttliche Vorse- einer Weltreligion IV. Mohammed – Ge-
hung sie für so lange bewahrt. Vielleicht, schichte oder Mythos?“ und ist erschienen
weil es nicht anders sein kann als dass im Verlag Hans Schiler, Berlin.
diese Christen sind, werden diese Stämme Statt einer Rezension soll im Folgenden als
irgendwann durch ihre Predigten be- Exempel einer der Beiträge (S. 71-97),
kehrt.“14 Auch hier wird ein Ort am Ende stark gekürzt und ohne Fußnoten, vorge-
der Welt beschrieben. stellt werden.
In jedem Fall aber haben wir es hier nicht
mit unzusammenhängenden, losen und Karl-Heinz Ohlig
willkürlich zusammen getragenen Erzähl-
gütern zu tun, sie passen nämlich zueinan- Zum Einfluss des Juden-
der und erzählen synergetisch von einan- christentums auf Koran und
der – nicht nur in der Mathematik ist das
Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Islam – Einige Beobachtun-
Hier konnten nur einige der vielen The- gen und Fragen
men in Sure 18 al-kahf „die Höhle“ behan-
delt werden. Deutlich ist nur, dass sie kei- _______________________________________
nen islamischen Inhalt im eigentlichen
Sinn bieten. Da sie eine über zweitausend-
jährige Intertextualität voraussetzen, 1. Vorbemerkung
gleichgültig wie oder von wo der Erzähl- ...
stoff in den Koran gelangte, können sie Die Fragen betreffen zum einen
(1) die
kaum – wer’s glaubt, wird selig – die Of- Umschreibung des Begriffs Judenchristen-
fenbarung eines Engels an einen analpha- tum, der genauer gefasst werden müsste;
betischen Propheten in der arabischen auf diesem Hintergrund ergibt sich dann
Wüste sein.
(2) die Möglichkeit, dass in vielen Fällen
*** allgemeiner von einem semitischen Chris-
tentum und seinem Einfluss auf den Ko-
14
Historia Langobardorum I.4, vom Verfasser über- ran zu sprechen wäre. Zum Dritten
(3)
tragen. Ursprünglicher Text: In extremis circium ist der Frage nachzugehen, wie weit zur
versus Germaniae finibus, in ipso Oceani litore,
Zeit der Entstehung des Koran noch le-
antrum sub eminenti rupe conspicitur, ubi sep-
tem viri, incertum ex quo tempore, longo sopiti bendige judenchristliche Gemeinden oder
sopore quiescunt, ita inlaesis non solum corpori- Bewegungen nachgewiesen werden kön-
bus, sed etiam vestimentis, ut ex hoc ipso, quod nen oder ob aufzeigbare judenchristliche
sine ulla per tot annorum curricula corruptione Einflüsse nicht vor allem auf judenchrist-
perdurant, apud indociles easdem et barbaras na-
tiones veneratione habeantur. Hi denique, quan- liche Literatur zurückzuführen sind.
tum ad habitum spectat, Romani esse cernuntur.
E quibus dum unum quidam cupiditate stimulatus 2. Judenchristentum – eine viel-
vellet exuere, mox eius, ut dicitur, brachia a- schichtige Größe – Aramäisches
ruerunt, poenaque sua ceteros perterruit, ne quis
eos ulterius contingere auderet. Videris, ad quod und hellenisiertes Judenchris-
eos profectum per tot tempora providentia divina tentum im frühen Christentum
conservet. Fortasse horum quandoque, quia non
aliter nisi Christiani esse putantur, gentes illae An dieser Stelle müssen die christlichen
praedicatione salvandae sunt. Anfänge dessen, was Judenchristentum
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war, reflektiert werden. Deswegen ist ein ersten Jüngerkreise, weithin in ihrer jüdi-
kleiner Rückgriff in diese Vergangenheit schen und aramäischen Tradition verblei-
erforderlich. ben. Neu war „nur“, dass sie Jesus als ih-
Das Christentum insgesamt, in all seinen ren religiösen Orientierungspunkt an-
Spielarten, basiert auf dem Judenchristen- nahmen (er ist der Messias, der die Zei-
tum. Jesus war Jude und hat in seinem tenwende herbeiführt, der von Gott Ge-
jüdischen Umfeld gewirkt. Seine Jünger zu sandte, der große Prophet u.ä.), was dann
Lebzeiten und nach seinem Tod waren Ju- für die nicht mehr alleinige Geltung der
den, die sich zunächst auch weiterhin als Thora Folgen hatte. Daneben aber konnten
solche fühlten, in den Tempel gingen und sie ihre ererbten jüdischen Traditionen
an Synagogengottesdiensten teilnahmen. weiter praktizieren, z.B. die Beschneidung,
Bald aber nach dem Tod Jesu ergab sich die Reinheitsgesetze, die Speisetabus usw.
wegen der normativen Bedeutung Jesu für Die in der Apostelgeschichte (Apg) des un-
die Jüngerkreise ein Bruch mit ihrer Her- ter dem Namen Lukas überlieferten „Ge-
kunftsreligion, und das Bewusstsein setzte schichtswerks“, wenn auch mit legendari-
sich durch, dass ihre Gruppen eine neue schen Zügen, vorgestellte Urgemeinde in
Richtung, nicht bloß eine Reformvariante Jerusalem mag hier als Modell dienen
des Judentums bildeten; die Trennung (Apostelgeschichte, Kapitel 1-5).
vom Judentum und das Empfinden der
Zugehörigkeit zu einer neuen religiösen
1.1 Das hellenisierte Diasporaju-
Bewegung, bald: der „Kirche“, setzte sich denchristentum
immer mehr durch. Aber schon in den ersten Jahren nach
Palästina gehörte damals zum Römischen dem Tod Jesu schlossen sich auch Dias-
Reich, dessen Kulturen und Religionen porajuden der neuen Bewegung an. Zu den
trotz aller regionalen und lokalen Beson- ersten Gruppen gehörten wohl Diaspora-
derheiten hellenistisch geprägt waren. In juden, die sich damals in Jerusalem und
Judäa und Umgebung war diese Prägung Judäa aufhielten. Reminiszenzen finden
aber nicht so stark wie jenseits dieser sich bei Lukas in der Apostelgeschichte,
„Grenzen“. Begünstigt von den Möglichkei- weil die Diasporajudenchristen in Jerusa-
ten, die das Römische Reich bot, hatten lem bald in Konflikt mit den einheimi-
zahlreiche Juden in den Städten rund um schen Judenchristen gerieten:
das Mittelmeer eine neue Heimat gefunden „In diesen Tagen, als die Zahl der Jünger
und sich in Synagogengemeinden organi- zunahm, begannen die Hellenisten (= grie-
siert. Besonders stark war der jüdische chisch sprechende Diasporajudenchristen)
Bevölkerungsteil – schon aus älteren gegen die Hebräer (= aramäisch sprechen-
Traditionen – in Ägypten, vor allem in Un- de einheimische Judenchristen) zu mur-
terägypten und seiner bedeutendsten Stadt ren, weil ihre Witwen bei der täglichen
Alexandria, wo auch die griechische Über- Versorgung übersehen wurden“ (Apg 6,1).
setzung der hebräischen Bibel, die Septu- Laut Apostelgeschichte führte dies zu einer
aginta (LXX), geschaffen wurde. Diese so- gewissen organisatorischen Verselbständi-
genannten Diasporajuden blieben den gung der griechisch sprechenden Juden-
Überzeugungen und Bräuchen ihrer ererb- christen (Apg 6,2-6), wobei Stephanus ei-
ten Jahwereligion verpflichtet, sprachen ne Art Sprecherrolle zukam, die mit seiner
zu Hause weitgehend noch aramäisch, im Steinigung endete.
Geschäftsleben und im täglichen Umgang Nur wenige Jahre später begann aus den
übernahmen sie zugleich die griechische Kreisen der (auch) griechisch sprechen-
Sprache und auch viele Vorstellungen aus den Diasporajudenchristen eine engagierte
der hellenistischen Kultur. Mission, die von Anfang an über die jüdi-
Das Christentum verbreitete sich nach schen Siedlungsgebiete in Palästina aus-
dem Tod Jesu relativ schnell, wenn auch griff. Ihr Horizont war nicht mehr auf Ju-
zunächst vor allem – nicht ausschließlich – däa und Samaria beschränkt, sondern
in der einfachen Bevölkerung. Dies ge- richtete sich auf die ganze (damals be-
schah in zwei „Richtungen“: zum einen kannte) Welt, also das Römische Reich.
schlossen sich kleinere Gruppen von Ju- Eine Reihe von Namen der Missionare
den in Palästina der neuen Bewegung an. („Apostel“) sind noch überliefert, der
Sie konnten, wie Jesus selbst und seine wichtigste unter ihnen wurde Paulus.
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Diese Mission in den Städten rund um das und vorwiegend wohl auf die Unterschicht
Mittelmeer nahm ihren Ausgang vor allem und untere Mittelschicht beschränkt wa-
in den jeweiligen Synagogengemeinden in ren. Erst seit der Mitte des 2. Jahrhun-
der Diaspora und richtete sich zunächst derts scheinen auch Gebildete und Men-
an die dortigen Juden und Proselyten. Im schen aus der Oberschicht zum Christen-
Umfeld dieser Gemeinden gab es auch tum gestoßen zu sein. Um diese Zeit auch
nicht wenige „gottesfürchtige Griechen“ wurde in den Gemeinden das heidenchrist-
(Apg 17,4), also Männer und Frauen aus liche Element prioritär und dominant. Ein
dem „Heidentum“, die von der jüdischen lebendiges Judenchristentum trat zurück
Religion und vor allem ihrem Monotheis- und bestimmte nicht mehr die theologi-
mus angezogen waren, aber das Judewer- schen Diskussionen oder die gemeindli-
den, somit die Beschneidung, also die chen Aktivitäten.
Pflicht zur Übernahme der Thora und wei- In der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts
terer jüdischer Gebräuche, scheuten. Aus waren die Zahlen der Christen wohl so
diesen Kreisen stießen wohl die ersten weit angewachsen, dass sie die Aufmerk-
„Heiden“ zum Christentum, und im Fort- samkeit staatlicher Stellen erregten und
gang der Mission wurden diese mehr und verfolgt wurden. Aber noch zur Zeit Kon-
mehr zu den Adressaten der Missionie- stantins waren die Christen eine relativ
rung. Dies zeigt sich eindeutig z.B. bei Pau- kleine Minderheit im Römischen Reich.
lus, der sich zu den Heiden gesandt sah. Dennoch blieben judenchristliche Denk-
Dieser neue Schritt – die Bildung einer weisen – in hellenistischer Interpretation
Kirche aus Juden und Heiden – brachte oder Brechung – wirkmächtig. Das geschah
Auseinandersetzungen mit sich. Die Hei- aber vor allem durch die normative Gel-
denmission konnte nur erfolgreich sein, tung neutestamentlicher Schriften, wenn
wenn die Taufe auf den Namen Jesu nicht auch der Abschluss der Kanonbildung bis
die Beschneidung, also das vorherige in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts
Judewerden und die Übernahme der Vor- dauerte. Die neutestamentlichen Schriften
schriften des Gesetzes, voraussetzte. nun – viele von ihnen im westsyrischen
Nachdem das sogenannte Apostelkonzil Raum entstanden – sind von Judenchris-
prinzipiell das Christwerden ohne Be- ten verfasst, die oft schon in Gemeinden
schneidung gebilligt hatte, konnte Paulus, mit heidenchristlichen Anteilen beheima-
ebenso die übrigen Missionare, einen tet waren und in griechischer Sprache
Glauben unter Heiden verkünden, der die schrieben. Alle Autoren und Redaktoren
„Freiheit vom Gesetz“ mit sich brachte. der später im Neuen Testament versam-
In vielen Städten rund um das Mittelmeer melten Schriften gehörten zu den grie-
wurden bald christliche Gemeinschaften chisch sprechenden Diasporajudenchris-
gegründet. Diese Entwicklung verlief er- ten. Der früheste Autor ist Paulus, der sei-
staunlich schnell und führte auch in Rom ne insgesamt sieben (echten) Briefe zwi-
selbst zu Anfängen einer Christianisie- schen dem Jahr 49 (der Erste Thessaloni-
rung. Dies wird auch deutlich z.B. in sei- cherbrief) und rund 55-57 (Römerbrief)
nem letzten Brief, den Paulus an die Chris- verfasst hat. Die synoptischen Evangelien
ten in Rom (Römerbrief 1, 7) geschrieben sind zwischen 70 und rund 90 geschrieben
hat, mit dem er sich der dortigen „Ge- worden, die anderen Schriften meist da-
meinde“ vorstellen wollte, da er als Gefan- nach bis in die erste Hälfte des 2. Jahr-
gener nach Rom verbracht werden sollte. hunderts. Dass sie alle Judenchristen wa-
Diese Gemeinde ist also nicht von Paulus ren, lässt sich an verschiedenen Faktoren
gegründet, es gab sie schon länger, denn erkennen, von der Kenntnis des Alten Tes-
er schreibt, dass er sich schon oft vorge- taments, der Benutzung der Septuaginta
nommen habe, zu ihnen zu kommen. Und bis hin zu einem grundsätzlich geschichts-
es handelte sich hauptsächlich um Hei- orientierten Denken, das Gott als den in
denchristen: „denn wie bei allen Heiden der Geschichte Handelnden und Jesus in
soll mir meine Arbeit auch bei euch Frucht seiner heilsgeschichtlichen Rolle um-
bringen“ (Röm 1,13). schrieb (das gilt m.E. auch für den Verfas-
Diese Beobachtung darf allerdings nicht ser des dritten Evangeliums und der Apos-
darüber hinwegtäuschen, dass diese frü- telgeschichte, „Lukas“, der oft auch, wohl
hen Christen erst kleine Gruppen bildeten fälschlich, als Heidenchrist beschrieben