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Religion forum 252

Wie der Koran wirklich


entstand
Neue Thesen besagen: Das heilige Buche der Muslime fußt auf einer frühen christlich-
syrischen Theologie. Eine Chance für den Dialog der Religionen

Karl-Heinz Die Anfänge des Islam liegen offen zu Tage. Das Großreichs. Erst in diesen Quellen aber, biografi-
ist jedenfalls die Meinung der islamischen Theo- sche Werke und Sammlungen so genannter Hadithe
Ohlig logie und auch der westlichen Islamwissenschaft: (mündliche Überlieferungen neben dem Koran),
Da gibt es den Propheten Mohammed, der von 570 wird ein Leben Mohammeds geboten. Und erst in
bis 632 lebte, der die Offenbarungen Allahs ver- diesen Quellen wird der Koran auf Mohammeds
kündete, die von seinen Zuhörern aufzeichnet und Verkündigung in Mekka und Medina zurückge-
kurz nach seinem Tod zum heutigen Koran zusam- führt. Der legendarische Charakter dieser Quellen
mengestellt wurden. Genauer: Der schriftliche drängt sich schon bei einem unvoreingenommenen
Koran entstand unter dem dritten Kalifen Osman, Lesen auf. So werden zum Beispiel Fragestellungen
18 bis 24 Jahre nach dem Tod Mohammeds. Mit thematisiert, die zur möglichen Lebenszeit des Pro-
dem Koran begann sofort eine beispiellose kriege- pheten noch keine Rolle gespielt haben konnten. Es
rische und religiöse Erfolgsgeschichte der jungen legt sich die Schlussfolgerung nahe: Die Gestalt des
Religion. Sie führte unter den vier „rechtgeleiteten arabischen Propheten bleibt historisch völlig im
Kalifen“ (632-661), den Omaiyaden-Herrschern Dunkeln. Härter formuliert: Mohammed steht also
mit Sitz in Damaskus (661-750) und schließlich historische Figur in Frage. „Mohammed ist keine
den Abbasiden (ab 749) mit der Hauptstadt Bagdad historische Gestalt, seine offizielle Biografie ist das
zur Bildung islamischer Großreiche. In diesem Sinn Produkt der Zeit, in der sie geschrieben wurde“,
wird immer wieder die Biografie Mohammeds, sagt der jüdische Islamwissenschaftler Y. D. Nevo.
die Entstehung des Koran und die frühe islami- Ebenso wird erst im 9. Jahrhundert behauptet, dass
sche Geschichte in fast der gesamten Fachliteratur die Verkündigungen Mohammeds unter dem drit-
dargestellt. ten Kalifen Osman von einer Kommission dreier
Die Anfänge des Mekkaner unter der Leitung des Zaid ibn Thabit
Islam sind nur So schreibt der namhafte Islam-Forscher Rudi Paret aus Medina zur heutigen Ganzschrift des Koran
zu verstehen, in der Einleitung zu seiner Koranübersetzung: zusammengestellt worden seien.
„Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass auch
wenn sie nicht nur ein einziger Vers im ganzen Koran nicht von Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Ent­
von späteren Mohammed stammen würde.“ Aber wieso eigent- stehung und frühen Geschichte des Islam: So heißt
Rückprojektionen lich? Woher weiß Paret das? Auf welche Quellen der Sammelband zu diesem brisanten Thema, den
her, sondern stützt er sich? Dabei sind doch die vielfältigen der Autor in Zusammenarbeit mit Gerd-Rüdiger
Spannungen im Koran überdeutlich, ebenso das Puin herausgegeben hat. In dem Buch finden sich
auf der Basis Beiträge unter anderem von: Christoph Luxenberg
Nebeneinander unterschiedlicher, sich teilweise
der historischen widersprechender Traditionen und die offensicht- (pseudonymer Autor, Deutschland), Karl-Heinz
Quellen samt lichen redaktionellen Überarbeitungen. Es ist bei- Ohlig (Universität des Saarlandes), Mondher
der sich darauf nahe unglaublich, wie über alle literarischen Pro- Sfar (Paris) und Ibn Warraq (pseudonymer Autor,
stützenden bleme hinweggegangen wird. USA). Die Texte bieten eine Fülle neuer und bis-
her in der Forschung nicht genügend oder gar nicht
historischen und Bei einer historisch-kritischen Untersuchung der berücksichtigter Fragestellungen und Thesen. Viele
philologischen Quellenlage wird dagegen verblüffend deutlich: stützen und vertiefen die zentralen Thesen, die im
Fragestellungen Alle diese „Informationen“, der klassischen Islam- Folgenden auf knappstem Raum dargelegt werden.
untersucht wissenschaft entstammen erst Schriftzeugnis-
sen aus dem 9. Jahrhundert, also einer Zeit rund
werden. 200 Jahre nach dem Tod Mohammeds. Dieser war Karl-Heinz Ohlig ist Professor für Religionswissenschaft und
damals die Identifikationsfigur eines mächtigen Geschichte des Christentums an der Universität Saarbrücken.
Dezember 2005 Religion 63

Der Generalnenner heißt: Der Koran fußt auf Passagen enthalten syrische Wörter und Sätze, die
einem syrisch-arabischen Christentum, zu dem in arabischen Buchstaben geschrieben wurden. Die
sich im 7. Jahrhundert viele Stämme im Vorde- grammatische Struktur des Koran-Arabischen ver-
ren Orient bekannten. Sie haben das Christentum rät durchweg Prägungen der syrischen Grammatik.
angenommen in einer Zeit, als das Konzil von Auch ursprünglich arabische Wörter wurden bei
Nizäa im syrischen Raum noch nicht bekannt war. der bis zu zweihundert Jahre späteren Festlegung
Deswegen verstanden sie Jesus als „Knecht Got- der Konsonanten durch diakritische Punkte falsch
tes“, „Gesandten“ oder „Propheten“. interpretiert. Durch diese Untersuchungen ergeben
sich oft gänzlich neue Lesungen und Aussagen des
Anhand datierbarer Münzen aus dem 7. und Korantextes. So muss man zum Beispiel jene Verse
8. Jahrhundert und auch mittels einer Inschrift ganz anders verstehen, nach denen den Gläubigen,
im Inneren des Jerusalemer Felsendoms, einer die ins Paradies kommen, Jungfrauen zu Verfügung
christlichen Grabeskirche aus dem Jahr 692, ist stehen. Der syrische semantische Hintergrund legt
erkennbar: Hier wird eine syrisch-arabische christ- es dagegen nahe, von Weintrauben zu sprechen. All
liche Theologie dokumentiert, deren zentrales dies verweist auf einen christlichen Hintergrund
Bekenntnis lautet: Gott ist ein einziger, und geprie- des Koran.
sen (muhammad) sei sein Gesandter, Jesus. Bis gegen
Ende des 8. Jahrhunderts waren die Regionen des Hatten also arabische christianisierte Stämme
Vorderen Orients und Nordafrikas offensichtlich – natürlich entsprechend dem damaligen Brauch
beherrscht von arabisch-christlichen Stammesfüh- in syrischer Sprache – Lektionare, Vorlesebücher
rern. Die Omaiyaden-Herrscher in Damaskus und für den Gottesdienst, geschaffen, die dann später
selbst wohl noch die frühen Abbasiden in Bagdad in die arabische Sprache übertragen wurden? Spä-
waren Christen. ter: Vielleicht erst zur Zeit des Omaiyaden-Kalifen
'Abd al-Malik (gestorben 705) oder seines Nach-
Religionsgeschichtlich wird hierbei ein faszinie- folgers al-Walid, die das Arabische als neue Staats-
render Vorgang der Entstehung einer neuen Reli- sprache einführten? Bezieht sich dann die Notiz
gion erkennbar: Sie wird – ganz wie schon bei den aus dem 9. Jahrhundert über die Vernichtung aller
Redakteuren der fünf Bücher Mose – in eine kano- Korantexte außer der von Osman selbst veranlass­
nische Anfangszeit rückprojiziert, um von dorther ten Ganzschrift in Wirklichkeit nicht vielmehr auf
begründet und legitimiert zu werden. die Eliminierung der syrischen Vorlagen im frühen
Diese Interpretation stützt sich wie gesagt auf 8. Jahrhundert?
die einzigen zeitgenössischen und historisch aus- Jedenfalls ist der Koran sehr stark von einer
sagekräftigen Quellen, eben jene Münzen und die syrisch-christlichen Theologie geprägt, wie sie in
genannte Inschrift. der Zeit vor dem Konzil von Nizäa verbreitet war
Wie aber verhält es sich dann mit dem Koran? (Logos und Geist sind „Kräfte“ Gottes, Jesus ist
Seine Texte lagen zwar wohl erst im Verlauf des Knecht und Gesandter Gottes). Diese Theologie
frühen 8. Jahrhunderts vor – bis auf wenige Aus- wurde bekanntlich auf dem Konzil verurteilt. Da
nahmen vielleicht, und sicher in mangelhafter aber das Konzil in Ostsyrien erst im Jahre 410 auf
Schreibweise. Und kanonisiert, also als Sammlung einer Syno­de anerkannt wurde und es wohl noch
für abgeschlossen und unantastbar erklärt, wur- Jahrzehnte dauerte, bis sich diese Anerkennung
den sie vermutlich noch einmal rund hundert Jahre durchsetzte, müssen arabische Stämme das Chris­
später. Aber immerhin ist der Koran zu einer Zeit tentum schon recht früh angenommen haben. Die-
entstanden, wohl im Irak, als das gesamte Umfeld sen Glauben ihrer Anfangszeit behielten sie bei.
noch christlich (und jüdisch) war. Kann er dann Ihre Auffassung von der Schrift, also vom Alten
als das Gründungsdokument einer neuen Religion, und Neuen Testament, haben sie als Rechtleitung Buchhinweis:

des Islam, verfasst worden sein? Oder ist er erst betrachtet und den anderen, zeitgenössischen Karl-Heinz Ohlig, Gerd-
Schriftbesitzern entgegengehalten. Wann aber Rüdiger Puin: Die dunklen
später dazu geworden? Anfänge. Neue Forschun­
sind dann die Passagen hinzugewachsen, die ganz gen zur Entstehung und
Spätestens seit Güter Lüling findet sich die Vermu- sicher nicht auf christliche Wurzeln zurückgeführt frühen Geschichte des
tung, dass es schon vor Mohammed eine Art von werden können oder in denen auf einen arabischen Islam, Hans Schiler Verlag,
Berlin 2005.
Ur-Koran mit Hymnen aus einem durch den Chris­ Propheten hingewiesen wird?
ten Arius geprägten Milieu gegeben habe. Arius
hatte es 325 auf dem Konzil von Nizäa abgelehnt, Auch dies wird in dem genannten Sammelband
von Jesus als Gott zu sprechen. Er unterlag seinem untersucht. Er ist also eine Anregung zur Diskus-
Gegenspieler Athanasius und wurde verfolgt. Nach sion und zu weiteren Forschungen. Er ist kein Ent-
Lüling ist der arianisch geprägte Ur-Koran später wurf eines schon fertigen Konzepts. Aber der Band
von Mohammed und frühen muslimischen Gemein- kann dies eine sehr deutlich machen: Die Anfänge
den bearbeitet worden. Diese zunächst stark hypo- des Islam sind nur zu verstehen, wenn sie nicht
thetischen Aussagen wurden bestätigt, wenn auch von späteren Rückprojektionen her, sondern auf
von ganz anderen methodischen Ansätzen her, der Basis der historischen Quellen samt der sich
durch die Arbeiten von Christoph Luxenberg. Er darauf stützenden historischen und philologischen
weist nach, dass der Koran in einem arabisch-syro- Fragestellungen untersucht werden.
aramäischen Sprachumfeld entstanden ist. Viele © Publik-Forum 21, 2005

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