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rs u s ru e ei em i ter ati ale Zusamme s luss slam l e eli i s isse -
s aftler i uiste u d il l e ear eitet r s ra laus ra er e lusi mit
r f Dr arl-Hei li ei em der r lierteste ertreter dieser ru e

Herr Professor Ohlig, Sie und die ›Inârah‹- der Grundthese, die sie für historisch halten,
Gruppe zeigen seit einiger Zeit für die Islamwis- dass Mohammed – sei es aufgrund einer Offen-
senschaft neue Horizonte auf. Dabei geht es um barung oder wie auch immer – die Koranverse
das genaue Verständnis dessen, wie der Koran von sich gegeben hat, die die Zuhörer alsbald
entstanden ist, und überhaupt um eine kritisch- aufschrieben. Diese Mitschriften und Nach-
historische Herangehensweise bezüglich der schriften seien dann unter dem dritten Kalifen
Frühzeit des Islam. Es heißt vom Propheten gesammelt worden zu dem heutigen Koran.
Mohammed in der einschlägigen Literatur – so
lernt man es schon in der Schule –, ihm sei Dies ist die gängige Art, es zu erklären.
der Koran vom Erzengel Gabriel offenbart wor- Es sind ja geschichtliche Aussagen, und die-
den, er habe ihn nur zu diktieren brauchen und se Aussagen müssten zu überprüfen sein. Wir
darin liege der spirituelle Ursprung des Islam. haben festgestellt, dass man vor nicht gerin-
Und er sei schließlich nach erfolgreicher Errich- gen Problemen steht, wenn man untersucht,
tung seiner neuen monotheistischen Religion welche Quellen dafür vorliegen. Zum Beispiel:
im Juni 632 gestorben. Zu welchen Ergebnissen Im Koran wird nirgendwo gesagt, dass er auf
aber sind Sie und Ihre Kollegen in der ›Inârah‹- Mohammed zurückgeht, überhaupt spielt Mo-
Gruppe gekommen? hammed im Koran keine Rolle. Er wird viermal
Die Aussage, dass da der Erzengel Gabriel tätig genannt, also deutlich seltener als Moses, Ab-
war, ist natürlich Mythos. Das erkennen auch raham, Jesus, Maria usw., und diese vier Stel-
die traditionellen Islamwissenschaftler an; alles len sind sehr schwer zu verstehen. Es ist nicht
Mythische nehmen sie weg, die Himmelfahrt einmal damit zu rechnen, dass hier ein Prophet
des Mohammed oder Wunder oder sonst was, mit diesem Namen gemeint ist, sondern etwas
natürlich auch den Engel. Aber sie bleiben bei anderes. Dazu kommt, dass es auch in der Zeit

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des nun angeblich beginnenden Islam bis ins sein, denn der Koran ist kein Buch, das im no-
neunte Jahrhundert keinerlei schriftliche Zeug- madischen Umfeld geschrieben wurde. Viel-
nisse gibt, die Mohammed nennen und ihm den mehr setzt er eine urbane Umgebung voraus.
Koran zusprechen. Das sind Fragen, die man Zum Beispiel kennt der Koran und benutzt in
klären muss. Wie kam es dazu, dass im neunten äußerst differenzierter Weise Altes und Neues
Jahrhundert auf einmal Mohammed da ist und Testament wie auch die dazugehörigen Apo-
eine Rolle spielt? kryphen. Praktisch in allen Suren sind biblische
Bezüge da. Will doch der Koran die Thora und
Die Literatur, in der er dann als Person erstma- das Evangelium richtig erklären – das ist seine
lig so bezeichnet wird, wo tritt sie auf? Auf der Aufgabe, die er immer wieder betont! Dazu:
arabischen Halbinsel? Wer den Koran genau liest, stellt fest, dass da-
Nein, da ist überhaupt nichts passiert. Das ist rin vielfältig spätantike Literatur verwendet
im mesopotamischen Raum. Es handelt sich wurde, zum Beispiel das ›Corpus Hermeticum‹,
um vier Biographien, die älteste ist die ›S ra‹ eine gnostisch-neuplatonische Schrift, oder
von Ibn-Hisham, die selbst vorgibt, eine an- meinetwegen Laktanz. Von dessen Buch ›Insti-
dere, fünfzig Jahre ältere zu benutzen. Aber tutiones‹, das noch vorhanden ist, sind große
dieser Rückgriff könnte eine Schutzbehauptung Teile in den Koran eingegangen. Ebenso einiges
darstellen. Das alles ist frühes neuntes Jahrhun- von Tertullian, dann der Alexander-Roman, der
dert. Dann gibt es drei weitere Biographien. Vor überall in der damaligen Kulturwelt verbreitet
allem die letzte, das ›Ta’rik‹ von at-Tabari ist war. Also eine Menge spätantike Literatur. Dies
sehr detailliert und geht auch in die Frühzeit kann nur von sogenannten Gebildeten geleistet
hinein; sie stammt aber aus dem zehnten Jahr- worden sein. Das ist der eine Grund, warum
hundert. Das heißt, wir haben eine Differenz der Koran nicht auf der arabischen Halbinsel
zu überbrücken von zwei-, dreihundert Jahren, entstanden sein kann.
um im Koran Mohammed, ja um Mohammed Ein zweiter Grund ist philologisch-sprachlich
überhaupt auftreten zu lassen. und bezieht sich auch auf die Schrift. Auf der
arabischen Halbinsel gab es zahlreiche Spra-
chen, aber keine arabische Sprache, die als
es tamis e Her u ft Vorläufer des Koran-Arabisch bezeichnet wer-
In Ihren Veröffentlichungen ist die Rede von der den kann. Solche Vorläuferstadien finden sich
Stadt Merw im heutigen Turkmenistan. Dort nur im syrisch-palästinischen Raum. Auch das
habe es Jahrhunderte vor Entstehung des Is- Schriftsystem, das im Koran – es ist ja das erste
lam – Sie sprachen jetzt über die zwei bis drei Buch in dieser Schrift – verwendet wurde, war
Jahrhunderte seit dem legendären Mohammed auf der arabischen Halbinsel nicht gebräuch-
− eine in der damaligen spätantiken Welt ein- lich, denn dort schrieb man seit Jahrhunderten
flussreiche Gruppe von unitarischen Christen die jemenitische Schrift, die südarabische. Die-
mit syro-aramäischem Idiom gegeben, aus se hat den Vorteil, das Arabische viel besser
deren Umkreis gewisse Mahnreden stammen, wiedergeben zu können, weil sie ein Repertoire
die den Glauben an nur einen einzigen Gott an Buchstabenzeichen hat, die dem Arabischen
fordern, schriftlich festgehalten wurden und entsprechen. Nicht so im Koran: Dort hat man
schließlich die älteste Textschicht des späteren eine Schrift, die äußerst defektiv und ganz of-
Koran lieferten. Wie kann man sich vorstellen, fensichtlich übernommen ist von einem ara-
dass derartige Wirkungen über solche Distan- mäischen Alphabet, das dort im Umlauf war.
zen hinweg möglich waren? Denn der Legende Dieses syrische Alphabet war für die Schrei-
nach ist der Islam ja auf der arabischen Halb- bung des Arabischen nicht geeignet, sodass
insel entstanden. es für manche arabischen Buchstaben keine
Gehen wir auf das Letztere ein: Der Islam kann Zeichen gab. Die Autoren der frühen Koran-
nicht auf der arabischen Halbinsel entstanden fragmente mussten sich mit wenigen Zeichen

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KARL-HEINZ OHLIG, geb. 1938 in Koblenz-Kessel-


heim, studierte Philosophie, Katholische Theolo-
gie und Geschichte in Trier, Innsbruck, München,
Münster und Saarbrücken und promovierte 1969
bei Karl Rahner in Katholischer Theologie. Von
1970-78 war er Professor für Katholische Theolo-
gie und Religionspädagogik an der Pädagogischen
Hochschule des Saarlandes und von 1978-2006
Professor für Religionswissenschaft und Geschichte
des Christentums an der Universität des Saarlandes,
wo er 1996-98 und 2004-06 als Dekan der Philoso-
phischen Fakultät wirkte. Außerdem war er 2006-10
Mitglied der Commission Consultative Scientifique
der Université de Luxembourg. Zur Zeit ist er Leiter
der Arbeitsstelle Religionswissenschaft an der Philo-
sophischen Fakultät der Universität des Saarlandes
sowie von ›Inârah – Institut zur Erforschung der
frühen Islamgeschichte und des Koran‹.

begnügen, die mehrdeutig waren – ein Zeichen deuten auf den mesopotamischen und sogar
kann B, T, N usw. bedeuten, fünf bis zwei ver- ostmesopotamischen Raum hin. Da ist Merw
schiedene Varianten. Im Koran sind in den alten eine Hypothese, die dadurch angeregt oder ver-
Handschriften nur sieben Konsonanten eindeu- stärkt wird, dass der Kalif, der dann eine brei-
tig. Die wurden dann später, noch nicht in den te Arabisierung seines Reiches eingeleitet hat,
alten Handschriften, durch die sogenannten Abd al-Malik, aus Marw oder Merw kommt. Er
diakritischen Punkte eindeutig gemacht. Es ist ein »Marwan«, ein Mann aus Marw.
wurden über oder unter die Zeichen ein bis
drei Punkte gesetzt, die die sichere Zuordnung Derjenige, der auch den Felsendom erbauen
ermöglichen. Das ist heute noch so. Dieses Sys- ließ, Ende siebtes Jahrhundert?
tem deutet ebenfalls auf eine Herkunft aus dem Ja. Er hat auf seinem Zug aus Merw nach Wes-
mesopotamischen Raum. ten, nach Palästina, überall, wo er in große
Wenn man sucht, wo solche urbanen Zentren Städte gekommen ist, die er eroberte, Münzen
existierten, kommt das Gebiet der Margiana prägen lassen, d.h. wir können seinen Weg aus
oder Baktrien in Frage, wo damals hellenistische Merw verfolgen bis nach Palästina – dokumen-
Einflüsse vorherrschten und hellenistische Rei- tiert durch die Münzen.
che bestanden hatten. Merw war damals eine
der größten Städte. Sind das Münzen, die die Buchstabenzeichen
für M H M T aufweisen?
An der Seidenstraße gelegen oder in deren Ein- Die spielen erstmals bei Abd al-Malik eine Rol-
zugsbereich? le. Es ist meistens M H M T abgebildet oder
Im Einzugsbereich. Es sieht so aus, als ob aus aufgeprägt, woraus später der Name »Moham-
diesen Gegenden die Anfänge des Koran stam- med« entstanden sein dürfte. Die ganze Ikono-
men. Darauf weisen auch die Untersuchungen graphie dieser Münzen ist christlich. Da sind
Christoph Luxenbergs, der feststellt, dass sich immer Kreuze drauf oder bestimmte Szenen
im Koran vielfach syrische Aussagen finden, aus der Bibel, die Taufe Jesu, die Enthauptung
wenn auch in arabischer Schrift. Auch diese des Täufers u.a. Es gibt auch alttestamentliche,
syrischen Aussagen, die manche sonst dunklen z.B. einen siebenarmigen Leuchter, aber die
Stellen überhaupt erst verständlich machen, Hauptmasse ist christlich-neutestamentlich.

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es eiterte Helle isieru Ja. Und um diese zu integrieren, wurde auf der
Synode in Seleukia Ktesiphon in der großsy-
Und das nestorianische oder das syrische Chris- rischen Kirche das Konzil von Nizäa anerkannt.
tentum war damals dort in Merw ebenfalls von Da war dann Jesus Sohn des Vaters. Es dau-
Bedeutung? erte aber einige Zeit, bis das in der syrischen
Man muss ja beim Christentum jener Zeit vor Theologie richtig ankam. Es blieben Probleme
allem zwei Ausprägungen unterscheiden – ein- bestehen und diese versuchte man im Sinne
mal das hellenistische, vom Euphrat an nach der antiochenischen Theologie zu bewältigen.
Westen rund ums Mittelmeer, und dann das Es wird bis heute von der nestorianischen Kir-
semitische. Syrisch ist eine spätere Variante. che gesprochen; das ist allerdings schief, weil
Semitisch heißt, es ist sehr stark judenchrist- Nestorius eigentlich nicht die wichtigste Rolle
lich geprägt und wurde von Semiten vertreten. spielte. Den Schritt nun zur Hellenisierung der
Diese haben nun eine andere Theologie als der syrischen Kirche haben manche Gruppen nicht
hellenistische Raum, auch eine andere Christo- mitgemacht. Und genau da scheint der Anfang
logie. Für sie ist Gott einer, und Jesus ist Mes- der koranischen Bewegung zu liegen.
sias, Gesandter oder irgendetwas, aber nicht
Sohn Gottes. So wird in den Schriften Jesus Das ist dann fünftes Jahrhundert?
immer »Sohn der Maria« genannt, wie im Koran Fünftes, sechstes Jahrhundert. Diese Bewegung
auch; er ist nicht Gottes Sohn. Diese Variante war offensichtlich bald in dem ganzen Raum
scheint die Basis gewesen zu sein bis hin nach verbreitet, und dazu gehörten auch die soge-
Merw. Wahrscheinlich kommt das auch daher, nannten arabischen Stämme, die überall ansäs-
dass im Lauf der sassanidischen Herrschaft öf- sig waren.
ters große Umsiedlungen von Bevölkerungstei-
len stattfanden, also von Westen nach Osten. Und Abd al-Malik, der diese Bewegung zu sei-
Einmal hat man die gesamte Stadt Antiochien ner Zeit anführte, war der fünfte Omayyaden-
mit Bischöfen und allem, was dazugehört, ganz Kalif, also der neunte insgesamt?
weit in den Osten verpflanzt. Die Sassaniden Wenn man die ersten vier überhaupt rechnet …
setzten da Christen hin, weil die Gegenden nur Von denen gibt es ja keine historischen Zeug-
dünn besiedelt, aber sehr fruchtbar waren. Die nisse. Wahrscheinlich ist Mu’awija der erste,
brachten natürlich auch ihre Theologie mit. den man dingfest machen kann, dann kam spä-
Dann kam eine entscheidende Zäsur, im Jahr ter Abd al-Malik. Er hat genetisch mit Mu’awija
410. Da wurde ein erstes allgemeines Konzil nichts zu tun, zählt aber zu den Omayyaden.
der syrischen Kirche einberufen, übrigens noch
vom Sassaniden-Herrscher, der kein Christ war, Sie sehen es so, dass Abd al-Malik zu denen
wie auch Konstantin nicht getauft war. Das war zählte, die das Konzil von Seleukia Ktesiphon
in Seleukia Ktesiphon – in der Nähe des heu- nicht annahmen, dass er ein Vertreter dieses
tigen Bagdad. Auf diesem Konzil wurde ver- nicht hellenisierten Christentums war?
sucht, die Einheit der syrischen Kirche institu- Des semitischen Christentums – natürlich nicht
tionell und im Glauben zu regeln. Dabei war nur. Es gibt in jener Zeit auch persische Einflüs-
ein Hauptproblem, dass im mesopotamischen se usw., aber die Hauptaussage, die Basis ist
Raum nicht nur Semiten und Perser ansässig das semitische Christentum. Das hat er im Fel-
waren, sondern – seit den Städtegründungen sendom dokumentiert in der dortigen Inschrift1
Alexanders und der Diadochenreiche – auch und auch auf den Münzen.
viele hellenistische Gemeinden. Diese hatten
mit den Semiten ihre Probleme und umgekehrt. 1 Da heißt es u.a.: »Zu loben ist (muhammad[un])
der Knecht Gottes (’abd-allah) und sein Gesandter.
Die hellenistischen Gemeinden vertraten das […] Denn der Messias Jesus, Sohn der Maria, ist der
byzantinische Christentum? Gesandte Gottes und sein Wort.«

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Man spricht üblicherweise von der frühen is- her gehörten und nun zurückerobert waren,
lamischen Expansion, gleich in den ersten dem byzantinischen Reich bewusst nicht ein.
Jahrzehnten nach dem Tod des Propheten. Zur Das byzantinische Reich endete somit in Klein-
Zeit der Rechtgeleiteten Kalifen, bis 661, sei Asien. 622: Da beginnt die arabische Selbstherr-
der Islam von der arabischen Halbinsel über schaft und Zeitrechnung. Später wurde dies der
den Irak, über Syrien, Palästina und Ägypten islamischen Expansion zugeschrieben.
verbreitet worden, auch unter Einsatz kriege- Es gab immer schon ein Defizit hinsichtlich je-
rischer Mittel. Wie verstehen Sie die Schlachten, ner Eroberungen, nämlich die Archäologie. Es
von denen berichtet wird, wenn es den Islam lassen sich in dem ganzen Raum keine nennens-
im siebten Jahrhundert noch gar nicht gab? werten Zerstörungen von Städten nachweisen,
Ich verweise auf die Schlacht von Heliopolis im wie sie damals mit Kriegshandlungen und Ero-
Juli 640, in der die Araber ein Heer des oströ- berungen verbunden waren. Es war eine relativ
mischen Kaisers vernichtend schlugen, oder auf friedliche Zeit. Es ging so weiter wie bisher,
den Fall Babylons im April 641. und auch nach dem, was wir von der christ-
Da ist nicht viel zu verstehen – die gab es nicht, lichen Literatur im achten Jahrhundert wissen
bzw. sie sind historisch nicht bezeugt. Zur (die Christen haben ja viel geschrieben), ging
Schlacht von Heliopolis gibt es nur ein einziges es den Menschen dort ganz gut. Das Christen-
Zeugnis von einem byzantinischen Mönch tum hat ja gerade damals eine enorme Dynamik
namens Theophanes. Ende achtes, Anfang entfaltet in diesem Raum, Klostergründungen
neuntes Jahrhundert schrieb der eine Welt- ohne Zahl, eine Ausdehnung über die Seiden-
chronik und datierte alles von Anbeginn der straße bis nach China usw. Das heißt, es war
Welt – d.h. die Datierungen sind unmöglich. keine muslimische Zeit. Zwar haben sich dort
Er benutzte alles Denkbare an Legenden und arabische Herrscher durchgesetzt. Allein, auch
sonstigem Material. Er ist der einzige Zeuge für das waren wohl noch keine Muslime.
diese Schlacht von Heliopolis, und das ist ein-
einhalb Jahrhunderte später. Ob da etwas war, Dadurch, dass sich Byzanz aus diesem ganzen
weiß keiner! Der Fall Babylons ist wohl histo- Raum wieder zurückzog, kam es zur Selbster-
risch, steht aber in anderem Zusammenhang. mächtigung der dortigen Bevölkerung?
Und zwar hatte kurz zuvor Kaiser Herakleios Das war keine rein arabische Veranstaltung,
die Sassaniden entscheidend geschlagen, ab aber oft haben sich arabische Stämme durchge-
dem Jahr 622. Vorher hatte es so ausgesehen, setzt, schon allein deshalb, weil sie sowohl bei
als sei das byzantinische Reich am Ende, die den Byzantinern als auch bei den Sassaniden
Sassaniden standen kurz vor Konstantinopel, als Hilfstruppen angestellt waren. Ähnlich wie
Palästina gehörte dazu, die arabische Halbinsel. mit den Germanen im Römischen Reich, als
Also Mohammed wäre, hätte es ihn gegeben, niemand mehr da war, der sie kontrollierte.
Untertan der Sassaniden gewesen.
Nun kam dieser junge Kaiser Herakleios, mili-
tärtechnisch und auch politisch ein Genie, auf
ia u d sis
den byzantinischen Thron. Er baute seine Trup- Nochmals zu den ersten vier, den »Rechtgelei-
pen auf, zog das Vermögen seiner Kirche ein, teten Kalifen«. Sie haben gesagt, die sind durch-
um die Soldaten zu bezahlen, schlug dann tat- aus sehr fraglich; es gibt keine Dokumente.
sächlich 622 erstmals die Sassaniden und setzte Es gibt keine historischen Zeugnisse, keine
ihnen noch bis nach Mesopotamien hinein Münzen, überhaupt nichts.
nach, auch zerstörte er z.B. das Feuerheilig-
tum. Dieser Mann traf eine kluge Entscheidung Aber jener Riss im frühen Islam, wie wir ihn
(oder sie wird ihm zugeschrieben): Er merkte, bisher kennen, in Sunna und Schia, er wird ja
dass sein Reich überdehnt war, und gliederte doch in die Zeit der vier ersten Kalifen zurück-
jetzt die Besitztümer von Byzanz, die ihm frü- verlegt. Da, wird gesagt, gab es jenen Streit um

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Ali, den Cousin des Propheten, der der Vierte l u e Hist ri ra ie


Rechtgeleitete sein soll. Haben Sie Hinweise da-
rauf, warum sich der Islam von Anfang an in Ich möchte den Blick weiterschweifen lassen in
diese zwei großen Gruppen trennte? Richtung Iberische Halbinsel. Die soll ja früh
Dazu muss man Folgendes sagen: Wir haben schon islamisiert worden sein, bereits im frü-
keine Zeugnisse von Ali. In der Literatur kommt hen achten Jahrhundert, und das Reich von
er erst im neunten Jahrhundert vor, aber es gibt al-Andalus wurde ausgerufen als Provinz des
einige Münzen, z.B. in Merw und auch anders- Omayyaden-Kalifats, keine hundert Jahre,
wo, wo zumindest das Wort »Ali« steht. Die Fra- nachdem der Prophet gestorben sein soll. Auch
ge ist: Wer war Ali? Und was hat es mit ihm für da gab es Ihrer Auffassung nach noch keinen
eine Bewandtnis? Da sieht es nun so aus, dass organisierten Islam. Spielten damals über-
in dem damaligen mesopotamischen Raum haupt Glaubensfragen eine Rolle, als Berber
neben dem Normalchristentum, wenn man so und Araber auf die Iberische Halbinsel kamen,
sagen kann, auch sehr viele gnostische Rich- oder lagen da ganz andere Motive zugrunde?
tungen verbreitet waren. Wir haben dann, wohl Bei den Zeugnissen literarischer Art waren
aus dem 9. Jahrhundert, gnostische Schriften, Glaubensfragen ohne Bedeutung. Die Quellen,
z.B. eine, die heißt ›Umm al-Kitab‹, genau wie die wir über die angeblich islamische Erobe-
der Koran genannt wird: »Mutter der Bücher«. rung haben, wurden einige Jahrhunderte später
Sie scheint in altertümlichem Stil geschrieben, geschrieben, als man über die Anfänge nichts
müsste also der Sache nach ein älterer Text sein. mehr wusste. Das heißt, es ist eine rückläufige
Da ist die Rede von einem Ali, der ist Gott. Ali Historiographie, die erklären soll, warum jetzt
heißt ja »der Erhabene«, eine Gottes-Prädikati- Südspanien – nicht ganz Spanien – muslimisch
on. So gab es einen gnostischen Ali. Es kann war. So sind diese Quellen zu erklären; es ist
sein – das ist jetzt Vermutung, dafür haben wir nicht viel Historisches an ihnen. Was aber si-
keine Zeugnisse −, dass auf dem Weg dieser cher zutrifft, ist, dass dort Anfang des achten
Ali-Verehrung Motive aus dem Christentum Jahrhunderts Invasionen stattfanden. Die Fra-
übernommen wurden, vor allem aus Jesu Le- ge ist, wie sich die Invasoren gegen die doch
ben, wo das Leiden, das Kreuz von Bedeutung halbwegs funktionierenden Germanenreiche
ist. Dies würde erklären, warum später in der durchsetzen konnten. Da gibt es wiederum ver-
Schia mit Ali auch der Leidgedanke auftritt, der schiedene Möglichkeiten (die Quellenlage ist
in der Sunna keinerlei Bedeutung hat. sehr schlecht): Es scheint so zu sein, dass es
Später aber wurde diese gnostische Richtung – damals im spanischen Raum Konflikte gab zwi-
und das ist wohl eine geniale Leistung der Ab- schen den Landesherren und dem Königshaus.
basiden gewesen – integriert in den sich formie- Das Königshaus lehnte sich – wahrscheinlich
renden Islam, also in den Sunnismus, und zwar aus außenpolitischen Gründen – sehr stark an
mittels der Biographie. Nachdem es da einen Byzanz an, es wurden auch einige Synoden
Mohammed gab, wurde Ali in diese Moham- durchgeführt, wo eine ganz byzantinische The-
med-Biographie eingebaut als Cousin und als ologie dekretiert wurde (Trinität, Gottessohn-
Schwiegersohn, wurde mit Fatima, der Tochter schaft usw.); und das haben wohl die Goten
Mohammeds (von der der Koran auch nichts nicht mitgemacht, die waren mehr arianisch.
weiß) verheiratet, bekam Söhne, die später – Das ging ihnen zu weit. Und so gab es Kon-
wie er – umgebracht wurden. So scheint also flikte, neben anderem, was da noch eine Rolle
die Schia eine islamische Bewegung geworden spielte. Es scheint so zu sein, dass es eine Art
zu sein, die sie von ihren Ansätzen gar nicht Aufstand der gotischen Fürsten gegen das Kö-
war, war sie doch ursprünglich eine gnostische nigshaus gab. Die nahmen dann wohl – sie hat-
Richtung. Allerdings fehlen zu einigen Fragen ten ja auch Ländereien in Nordafrika – Berber
noch Dokumente. Dies ist aber die plausibelste und Araber zu Hilfe und so ging das los. Wir
Erklärung, wie es zu einem Ali kam. haben immerhin noch um das Jahr 800 eine

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Synode in Córdoba, wo ganz Spanien durch Bi- Volkes Israel entworfen. Moses und das alles
schöfe repräsentiert war. Da wird geklagt über gab es ja nicht. Diese Geschichte ist gänzlich
die großen Gefahren, denen das Christentum fiktiv, hat aber Israel begründet. Und so ist es
ausgesetzt sei – da ist der Islam nicht dabei! hier wohl auch gewesen.
Gewarnt wird vor irgendeiner Bewegung, ei-
ner sozialkritischen, könnte man sagen, die
vom Mönchstum ausging. Die wurde als Ge-
si ere dreda ti
fahr bezeichnet. Und wenig später, im neunten Nach den Erkenntnissen der Inârah-Gruppe
Jahrhundert, scheint dann die Sache gekippt zu gibt es eine Endredaktion − wahrscheinlich
sein, und es verbreitete sich der Islam. wird es in der gängigen Islamwissenschaft
ähnlich gesehen: dass es eine Endredaktion des
Die Schlacht bei Poitiers mit Karl Martell, 732: Koran frühestens im zehnten Jahrhundert gibt,
Es muss doch aus westlich-fränkischer Sicht die sogenannte Ganzschrift.
irgendwelche Überlieferungen darüber geben. Die traditionelle Islamwissenschaft äußert sich
Wie vertragen die sich? Was sagen die über die kaum dazu. Es wird immer noch so getan, als
Berber und Araber? ob der heutige Koran, d.h. praktisch der Kairoer
Soweit ich weiß, ging es nicht um den Glau- Koran von 1925, eine exakte Wiedergabe des
ben. Man schlug einfach feindliche Invasoren uthmanischen Koran sei, des Korans des dritten
zurück. Was diese Berber und Araber glaubten, Kalifen. Das lesen Sie in all den Büchern. Das
die dann in Spanien ansässig wurden, ist zu- kann deswegen nicht sein, weil die Fragmente,
nächst unklar. In Nordafrika jedoch war unter die wir haben, die ältesten, davon abweichen.
den Berbern ein Christentum verbreitet, das Sie sind ja auch noch nicht komplett. Wir ha-
sehr stark von semitischen Einflüssen geprägt ben Handschriften, die uns zugänglich sind, in
war. Es gab dort früher schon Tendenzen, die St. Petersburg, Samarkand, zwei in Paris, zwei
byzantinische Theologie abzulehnen, nachdem in London, aus Sanaa, und diese Fragmente zei-
die römische Herrschaft beendet war. Es gab gen, dass der Koran noch nicht fertig war.
in dieser Zeit Münzen, wo auch in Nordafrika
aufgeprägt wurde: »deus unus – dem ist kein Aus welchen Jahrhunderten sind diese Frag-
anderer gleich«. In dieser Tradition haben sie mente?
wohl geglaubt, jene Berber und auch die Ara- Auch das ist die Frage. Man hat keine absolute
ber, die dort hinkamen. Gewissheit empirischer Art, und zwar deswe-
gen, weil die C14-Methode erstens noch nicht
Es ist ja doch immer wieder ein Muster, das bei allen angewandt wurde und zweitens auch
an ganz verschiedenen Stellen, also im meso- Unsicherheiten mit sich bringt. Die C14-Metho-
potamischen Raum, aber auch im westlichen de ist äußerst hilfreich, wenn Sie die Prähistorie
Maghreb, hervortritt. untersuchen. Da heißt es, ein Gräberfeld sei
Aber aus unterschiedlichen Traditionen. von 300.000 bis 350.000 v. Chr., so haben Sie
ungefähr eine Marge. Aber es sind Zeiten von
Das scheint schon einleuchtend zu machen, 10.000, 50.000, 60.000 Jahren als Spielbreite
dass diese ganzen partikulären Bewegungen drin. Wenn Sie nun das Alter eines Manuskripts
später in der Historiographie, wie Sie es nen- bestimmen wollen, geht es eigentlich um Jahr-
nen, gewissermaßen in einen islamischen Kon- zehnte. Um das zu können mit dieser Metho-
text zusammengebunden werden konnten. de, müsste man für die ganze Zeit die Aufbe-
Da niemand mehr etwas wusste von den Anfän- wahrungsbedingungen der Texte kennen, d.h.
gen, konnte man sie so schön beschreiben! Das das ist eine große Unsicherheit. Wir vertreten
sehen Sie ja auch im Alten Testament, da wurde nach Sprachanalysen einiger unserer Fachleute
im sechsten Jahrhundert v. Chr., als Israel völlig die Meinung, dass die ältesten Fragmente, die
am Boden lag, eine großartige Geschichte des wir haben, aus der zweiten Hälfte des achten

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Jahrhunderts stammen und sie sind, wie ge- er ei erter Dis urs
sagt, fragmentarisch. Jetzt gibt es neuerdings
angeblich sensationelle Funde, wo man kleine Wie ist es denn bestellt um das Gespräch? »In-
Texteinheiten fand, die zum Koran gehören, die ârah« heißt aus dem Arabischen übersetzt so
älter sind, etwa in die sogenannte Lebenszeit viel wie »Lampenladen« …
des Propheten fallen oder sogar noch aus der … oder »Aufklärung«. Das ist damit gemeint.
Zeit vorher stammen. Was auch möglich wäre,
denn es kann ja sein, dass Teile der koranischen Sie sprachen davon, Ihre Gruppe umfasse Wis-
Texte schon früher existierten und erst später in senschaftler aus verschiedenen Ländern. Sie
den Koran eingingen. stellen in den großen Inârah-Sammelbänden
Ihre Arbeitsergebnisse breit dar. Wie aber steht
Aus dem Bereich des semitischen Christentums, es um den Dialog zwischen gängiger Islamwis-
in diesem syro-aramäischen Idiom, in dieser senschaft und Ihrer Gruppe? Gibt es gemein-
frühen Form der Schrift? same Konferenzen, wo man Thesen und An-
Diese Fragmente sind schon arabisch, aber sie tithesen hart gegeneinander ausficht, etwa im
sind stark aramäisch geprägt. Auch die gan- Sinne einer mittelalterlichen disputatio?
ze theologische Begrifflichkeit des Koran geht Es wäre schön, wenn es so wäre, aber die tradi-
auf das syrische Christentum zurück. Wenn da tionelle Islamwissenschaft sperrt sich gegen alle
von Auferstehung am Jüngsten Tag die Rede ist, historisch-kritischen Untersuchungen und auch
vom Propheten, von Abraham, all diese Dinge gegen unsere philologischen Feststellungen. Sie
setzen das damalige syrische Christentum vo- werden abgelehnt. Die Islamwissenschaft gibt
raus. Es ist heutzutage unsicher, wann der Ko- es erst seit dem 19. Jahrhundert und sie hat
ran fertig war, also nicht um 900 schon, denn es im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts große
wuchsen ja noch Teile dazu. Es gibt Ansätze, di- Gestalten hervorgebracht. Das waren meistens
ese Teile späterer Art anhand bestimmter Krite- jüdische Forscher, Ignaz Goldziher zum Bei-
rien zu datieren. Zum Beispiel datiert Raymond spiel, oder auch Theologen, und die haben tat-
Dequin in einem unserer Bücher die Aussagen sächlich schon vieles vorweggenommen, was
im Koran über den Adoptivsohn des Moham- ›Inârah‹ heute mittels empirischer Nachweise
med, dessen Frau er ihm wegheiratete, auf die belegen kann. Aber diese Phase ging unter in
Zeit des al-Ma’m n (786-833), wo es solche Dis- der Nazi-Zeit. Da flohen all diese Wissenschaft-
kussionen gab. Das hat man dann mittels eines ler oder sie wurden umgebracht. Und die Wie-
koranischen Spruches so legitimiert. Hier wäre derbelebung der Islamwissenschaft nach dem
ein Zeichen z.B. für spätere Herkunft. Dann Zweiten Weltkrieg erfolgte dann etwas dürftig.
gibt es Unsicherheiten bezüglich einiger Suren, Man nahm einfach Arabisten, also keine Leute
z.B. die Suren 113/14, die gibt es in manchen mehr, die die ganze Fülle der Sprachen, wie
alten Handschriften gar nicht, auch in anderen sie damals in Gebrauch waren, kannten. Früher
Koranen nicht. Sure 53,19-25 – die von den hat man für solch ein Studium Syrisch und alles
Göttinnen in Mekka handelt – ist ebenfalls in Mögliche lernen müssen – das ist jetzt nicht
einigen Koranen anders überliefert, so z.B. bei mehr, nur noch Arabisch. Und vor allem keine
at-Tabari. Diese Version wird dann so charakte- historisch-kritischen Leute und keine, die die
risiert, dass es da um Einflüsterung des Teufels Religionsgeschichte kennen.
geht (daher die Diskussion um Salman Rush-
die). Wann also genau der Koran fertig war, ist Das kann ich mir fast nicht vorstellen, leben wir
schwer zu sagen, und es wundert mich, dass doch in einem Zeitalter der interdisziplinären
die Islamwissenschaftler, die ja alle Möglich- Forschung und stellt die historisch-kritische Me-
keiten haben, im Orient herumzureisen, nicht thode da, wo westliche Wissenschaft betrieben
einmal den Versuch machen, die ältesten voll- wird, ein unumstößliches Paradigma dar.
ständigen Korane dingfest zu machen. So sollte es sein!

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Welche Art Gespräche finden statt zwischen Ih- Islam menschenfreundlicher darzustellen, z.
nen zum Beispiel und den Vertretern eines ›Cor- B. Mouhanad Khorchide, Navid Kermani. Sie
pus Coranicum‹ unter Frau Professor Neuwirth berufen sich auf Sure 5,32 – da heißt es, dass
und dem Islamwissenschaftler Michael Marx? Gott den Kindern Israels gesagt hat, wer einen
Nun, Letzterer wurde von Frau Neuwirth als Menschen rettet, das sei, als habe er die ganze
Leiter des ›Corpus Coranicum‹ eingesetzt. Es Menschheit gerettet. Es wird immer nur dieser
gibt keine Dialoge. Ich besuchte einmal eine Teil zitiert. Dann heißt es: Den Kindern Israels
Tagung in Münster an der Uni, die Sven Kalisch ist das befohlen worden, den Juden. Nun aber
– Muhammad Kalisch damals – organisierte. im folgenden Vers 33: »Ihr aber verfolgt die Un-
Da waren einige Leute von denen da, auch gläubigen, bringt sie um, kreuzigt sie, verstüm-
Herr Marx war da. Es gab nur Polemik. Was an melt die Beine und Hände« usw. Das heißt, für
Historisch-Kritischem und auch Philologischem die Muslime gilt etwas anderes! – Immerhin
gesagt wird, sei Unsinn, und es werden einfach gibt es den Versuch, die Gewalt etwas herauszu-
die alten Märchen weitererzählt. nehmen aus dem Islam. Das ist ja positiv. Auch
das Unterrichtsmaterial, das man jetzt für die
Ist das political correctness, ein gentlemen’s ag- Grundschulen entwickelt hat, ist sehr, wenn Sie
reement mit den muslimischen Islamgelehrten, so wollen, christlich. Es ist alles lieb und nett
um diese nicht vor den Kopf zu stoßen, weil de- und Mohammed ist auch ziemlich lieb.
ren eigenes Koran- und Islamverständnis nicht
nur auf den Koran abgestützt ist, sondern auch Da gibt es natürlich in der islamischen Welt
auf die Traditionsliteratur? Und sehen jetzt so- auch Gruppen, die ganz betont andere Akzente
zusagen diese Wissenschaftler, die Gelder von setzen…
der Deutschen Forschungsgesellschaft beziehen, Nicht nur in der islamischen Welt. Gut, der ›Is-
dies als den probaten Weg, heute Islamwissen- lamische Staat‹ ist so etwas. Aber auch hier
schaft zu betreiben? bei uns – die Islamverbände, deutsche und tür-
Als den einzig wahren. Und damit fallen sie kische, protestierten gegen Khorchide, sagten:
auch manchen muslimischen Theologen in den Das ist kein Islam! Khorchide ist in Münster
Rücken, denn wir haben jetzt an einigen Uni- Professor für islamischen Religionsunterricht.
versitäten Islam-Lehrstühle. Dort gibt es Leute, Der andere, der auch dort war, Muhammad
die feststellen, gerade in der jetzigen Diskussi- Sven Kalisch, hat nun die historisch-kritischen
on, dass man über einiges nachdenken muss, Thesen voll aufgenommen, ist auch bei uns Au-
zum Beispiel über die Gewalt in der Tradition tor – und aus dem Islam ausgetreten. Khorchide
des Islam und im Koran. Sie sagen, es reicht ist aber noch drin. Nachdem man damals die
nicht, nach ›Charlie Hebdo‹ Betroffenheitslyrik Universität und das Land so unter Druck setzte,
zu erzeugen, sondern wir müssen uns über die dass Kalisch nicht mehr Religionslehrer ausbil-
eigenen Quellen damit auseinandersetzen, und den durfte, hat man heute Mechanismen, den
die sind nun mal gewalttätig. Einfluss der Islamverbände etwas zurückzu-
drängen. Aber es gibt andere, auch in Freiburg,
Das geht ja hin bis zu der Sure, die Angela in Wien, in Paris, die fordern: Wir müssen die
Merkel vor dem Brandenburger Tor mitbetete. Chance im Westen ergreifen und Aufklärung
Die sollte darstellen, dass es keine spontanen betreiben im Islam.
Tötungen geben darf, war aber so gekürzt, dass
es nur so aussah. Da ist im Notfall der recht- Nochmals zu Herrn Marx: In einem SPIEGEL-
gläubige Muslim durchaus gehalten, eben doch Interview verständigten sich er und sein Inter-
zum Schwert zu greifen. viewer darauf, dass man, wenn Sie und die
Das war Sure 5. Viele muslimische Theologen ›Inârah‹-Gruppe Recht hätten, von einer en-
merken, dass der Islam zu unbarmherzig und ormen Verschwörung ausgehen müsste – »und
rigide ist (Scharia usw.), und versuchen, den von dieser Verschwörung wären zudem keiner-

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lei Spuren übrig geblieben, von Marokko bis In- schreibt: »Erkennt man, dass die ›S ra‹ das
dien nicht. Wer soll das durchgesetzt haben?«2 wichtigste Textzeugnis des neuen Reichsglau-
Das geht auf Tilman Nagel zurück. Der hatte bens der Abbasiden war, und dass es sich bei
einmal zu bedenken gegeben, nur ein Super- den vorgeblich geschichtlichen Schilderungen
hirn wäre zu einer solchen Inszenierung fähig der ›S ra‹ um eine Rückprojektion handelt, so
gewesen. Dabei ist es so: Für den Historiker entwertet dies zwangsläufig die Überliefererket-
ist die Produktion solcher Geschichten nichts ten, auf die sie sich beruft.« – Aber nochmals
Erstaunliches und sie benötigen zu ihrer Er- zur heutigen Situation: Da gibt es Hamed Ab-
klärung keineswegs das Postulat eines »Super- del-Samad, der unter Polizeischutz steht, er hat
hirns«. Anfangsmythen können auch »wie von auch eine Biographie Mohammeds geschrieben
selbst« entstehen und – wenn sie einmal in An- und will vor allem Mohammed aus den Köpfen
sätzen gegeben sind – mit immer neuem Mate- der Muslime austreiben, weil mit ihm so viel
rial angereichert werden. So bildet sich dann im Inhumanes verbunden ist. Er lässt überhaupt
Lauf der Zeit eine kontinuierliche, wenn auch nichts Gutes an Mohammed. Das Buch ist
nicht in allen Aspekten stimmige »heilige Ge- sachlich richtig, nur macht er einen Fehler: Er
schichte« aus, die später lebende Gläubige zur hält an einem Mohammed fest! Wahrscheinlich
Selbstvergewisserung und zur Erklärung ihrer braucht er das für seine Emanzipation.
Vorstellungen brauchen. Hierfür mussten die
Erzähler nicht beim Nullpunkt anfangen. Es Ich schätze, wer mit den Ideen von ›Inârah‹ zum
stand ihnen schon eine »heilige Geschichte« zur ersten Mal Kontakt bekommt, der hält erst mal
Verfügung, die sie längst internalisiert hatten: den Atem an, weil man doch wirklich glaubt,
die alt- und neutestamentarische »Geschichte«. ein ganz fest gefügtes Wissensmaterial über-
Diese musste nur weiter geschrieben werden. blicken zu können, während jetzt Sie und Ihre
Gruppe daherkommen und eben historisch-kri-
tisch darauf sehen und sagen: Aber die Grund-
litis er i riff lagen sind eigentlich nicht da, sondern das zer-
Sie deuteten kürzlich an, dass Band 8 der ›Inâ- bröselt alles wie eine Sandburg, wenn der Sand
rah‹-Schriftenreihe kurz vor Drucklegung steht. zu trocken geworden ist.
Könnten Sie den Lesern unserer Zeitschrift viel- So ist es. Wir haben auch noch nicht für alles
leicht einen kleinen Vorgeschmack geben, wo- eine Lösung, weil die Quellenlage nicht erschöp-
rum es darin gehen wird? fend ist. Aber man kann sagen, wenn man sich
Das sind etwa 900 Seiten. Wir haben so viel z. B. die Münzen, die Inschriften von damals
Material, dass wir noch einen Band 9 nach- oder die zahlreiche christliche Literatur im sieb-
schieben müssen. Zum Beispiel zeigt Raymond ten und achten Jahrhundert ansieht, dass die
Dequin, dass die Mohammed-Biographien, vor traditionelle Auffassung nicht zutreffend sein
allem die ›S ra‹, auf älteres Material zurückgrei- kann. Denn Letztere sind zeitgenössische Do-
fen, das nicht von Mohammed, sondern von kumente. Das andere ist neuntes und zehntes
Abu Muslim – das war ein Heerführer – han- Jahrhundert. Gut, da kann man manches ma-
delt und dass auch viele der unsäglichen Inhu- chen, das kennen wir ja, wie gesagt, auch aus
manitäten, die in der Mohammed-Biographie der Bibel. Die großartige Rückprojektion bis zur
stehen, praktisch dem Abu Muslim zuzuschrei- Erschaffung der Welt, dann kommt Moses usw.
ben sind. Dequin zeigt übrigens – in Sachen Nichts davon ist historisch. Und mehr als zwei
Verschwörung und »Superhirn« – auf, dass die Jahrtausende war das unumstößliche Wahrheit.
Entstehung der ›S ra‹ und damit der gesamten So ist es jetzt auch beim Islam.
Traditionsliteratur auf Anordnung der abbasi-
dischen Herrscher erfolgte. Es gab also tatsäch- 2 http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/dis-
lich einen eminent »politischen« Eingriff, aber put-unter-islamwissenschaftlern-hat-mohammed-
anders als Nagel und Marx postulieren. Dequin wirklich-gelebt-a-578513.html

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