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Die eiskalte Wiederkehr des IM

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Von 1949 bis 1989, also von der Gründung der DDR bis zu ihrem dramatischen Ende, gab
es etwa 620.000 „inoffizielle Mitarbeiter“, die für das Ministerium für Staatssicherheit
(MfS) tätig waren; mal kürzer und mal länger, die einen freiwillig, die anderen, weil sie
erpresst wurden oder sich etwas dazuverdienen wollten. Sie observierten und
denunzierten ihre Arbeitskollegen und Nachbarn, Freunde und Verwandte, Mitstreiter
und Konkurrenten, die ihnen im Weg standen.

Zu dem Zeitpunkt, als die DDR implodierte, waren noch 189.000 „Kundschafter“ für das
MfS unterwegs. Setzt man diese Zahl ins Verhältnis zur Population der DDR, kommt man
zu einem erstaunlichen Ergebnis. Auf etwa 90 DDR-Bürger kam ein Inoffizieller
Mitarbeiter der Staatssicherheit. Eine solche Spitzel-Dichte dürfte in der Geschichte
einmalig sein. Man kann sie natürlich auch als Beleg dafür nehmen, dass die DDR eine
partizipatorische Gesellschaft war, die jedem und jeder die Gelegenheit bot, sich
einzubringen.

Je länger die DDR tot ist, umso öfter frage ich mich, was aus diesen Menschen geworden
ist und was sie heute machen. Natürlich nur diejenigen, die noch am Leben und
berufstätig sind. Von zweien weiß ich, dass sie als Abgeordnete im Bundestag sitzen, wohl
versorgt und von keinerlei Gewissensbissen verfolgt. Sie haben sich perfekt in die
freiheitlich-demokratische Grundordnung integriert und machen das, was sie schon zu
DDR-Zeiten gemacht haben – eine bessere und gerechtere Gesellschaft herbeireden.

Erst Stasi, dann Stiftung

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Eine ehemalige Stasi-Informantin hat schon früh die Zeichen der Zeit erkannt und eine
Stiftung gegründet, mit der sie gegen Antisemitismus, Rassismus, Hass und Hetze im
Internet ankämpft, großzügig gefördert von anderen Stiftungen und Mitteln aus dem
„Demokratie leben!“-Programm der Bundesregierung. Derzeit klärt sie über die
Gefährlichkeit der Corona-Skeptiker und Corona-Leugner auf, die mit Rechtsradikalen
und Nazis gemeinsam demonstrieren, was natürlich alle Kritik an der amtlichen Corona-
Politik gegenstandslos macht.

Und wenn der zuständige aber glücklos agierende Gesundheitsminister an alle


„Bürgerinnen und Bürger“ appelliert, „aufeinander aufzupassen“, dann meint er das
vermutlich so harmlos, wie er es sagt, dennoch sollte man den niederschwelligen
Unterton nicht überhören. Auch die Bürger der DDR waren aufgerufen, „aufeinander
aufzupassen“ und dem ABV („Abschnittsbevollmächtigten“) Auffälligkeiten im Verhalten
der Bewohner zu melden. Für etliche führte diese Art der Fürsorge direkt in die
Haftanstalt Bautzen oder das Zuchthaus in Zwickau.

Zu den Nebenerscheinungen der Pandemie gehört auch, dass bestimmte Begriffe


Erinnerungen wecken. Wenn der bayerische Ministerpräsident erklärt, man brauche
„eine große staatliche Kampagne zur Förderung der Impfbereitschaft, an der sich
Vorbilder aus Kunst, Sport und Politik beteiligen“, derweil es nicht einmal genug
Impfstoff gibt, um diejenigen zu versorgen, die sich freiwillig impfen lassen möchten,
dann lebt die DDR wieder auf, wo es an allem mangelte – außer an den Appellen, sich
solidarisch zu verhalten.

„Aufeinander aufpassen“ bedeutet „sich gegenseitig denunzieren“

In den Lokalteilen der Tageszeitungen findet man immer öfter Berichte über
Polizeieinsätze, die von „besorgten Nachbarn“ initiiert wurden, weil im Haus nebenan
oder in der Wohnung gegenüber Kindergeburtstag gefeiert wurde, was derzeit ebenso
verboten ist wie der Erwerb von Böllern und Krachern. „Aufeinander aufpassen“ ist in
Deutschland ein Synonym für „sich gegenseitig denunzieren“, natürlich im Dienst des
Allgemeinwohls. Das steht auch auf dem Spiel, wenn ein paar Jugendliche in einem Park
ein Iglu aus Schnee bauen und sich darin eine Auszeit von der Enge des elterlichen
Hauses gönnen. Dann rückt die Polizei in einer Stärke aus, als ginge es darum, einen
Drogentransport abzufangen. Von den fünf Iglu-Bauern schaffen es vier, der Festnahme
durch Flucht zu entkommen.

Es geht bei solchen Aktionen nicht darum, Hygiene-Konzepte durchzusetzen. Wäre dem
so, müsste als erstes der öffentliche Personennahverkehr eingestellt werden. Es geht
darum, Disziplin und Gehorsam zu erzwingen. Und eine Gemeinschaft herzustellen, die
bereit ist, Freiheit zugunsten von Sicherheit aufzugeben, vorübergehend natürlich, im
Vertrauen darauf, dass der Staat die Grundrechte, die er einkassiert hat, irgendwann als
„Privilegien“ für die Guten zurückgeben wird. Was früher der Klassenfeind war (und noch
früher das internationale Finanzkapital), das ist heute Corona, eine das Bewusstsein
lähmende Substanz, die den freien Willen deaktiviert.

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Ich weiß immer noch nicht, was die ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiter des
Ministeriums für Staatssicherheit heute machen. Eines aber halte ich für sicher:

Das Personal für die nächste Diktatur ist schon da.

Zuerst erschienen in Die Weltwoche

Foto: Henyk M. Broder

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