Donnerstag, 08.03.2018
Die Summerhill School in England beruft sich auf demokratische Grundsätze des Lernens. Sie
wurde 1921 von A.S. Neill gegründet. (Deutschlandradio / Friedbert Meurer)
Summerhill School
[http://www.summerhillschool.co.uk/] -
Internestseite der Schule
Im Musikgebäude nebenan übt ein Schüler Schlagzeug, ein anderer experimentiert mit
Klängen am Synthesizer. Henry Redhead ist ein Enkel von A. S. Neill, jenes Mannes,
der die 68er-Bewegung mit seinem antiautoritären Konzept mitgeprägt hat. Seit drei
Jahren ist Redhead in der Schulleitung.
"Wir wollen, dass die kleineren Kinder ihre Freiheit und Abenteuer finden. Sie können
ihrer Fantasie folgen und machen, was immer sie möchten. Wenn sie wollen, können
sie in die Klassenräume gehen. Aber die Kinder sind völlig frei darin, zu kommen und
zu gehen, wie sie möchten."
Es ist schwer zu sagen, wie viele Kinder gerade keine Lust haben oder doch, am
Unterricht teilzunehmen. Henry Redhead weiß es auch nicht und fügt belustigt hinzu,
über so etwas führe man hier in Summerhill auch keine Statistik.
Hinter der Eingangstür zum Blockhaus liegt der Chemie- und andere
naturwissenschaftliche Klassenräume. Hier herrscht reger Unterrichtsbetrieb mit
Glaskolben und Reagenzgläsern.
"Wir haben hier Acid. Wir machen hier Farben. Wir versuchen, die ganzen Farben vom
Regenbogen zu kriegen. Da muss man ziemlich aufpassen, es kann halt verbrennen.
Das verändert dann die Farbe."
Jedes Kind bekommt ab neun Jahren seinen individuellen Stundenplan, der dann doch
weitgehend eingehalten wird. Denn in Summerhill herrscht mitnichten grenzenlose
Freiheit. Es gibt etwa 140 Schulregeln. Sie wurden alle demokratisch von den
Schülerinnen und Schülern selbst in Meetings beschlossen.
Zoe Redhead sitzt in einem Sessel in ihrem Büro. Sie ist die Schulleiterin und Tochter
des Schulgründers. A.S. Neill. Ein Schwarz-Weiß-Foto an der Wand hinter ihr zeigt sie,
wie sie als Siebenjährige auf dem Schoß ihres Vaters sitzt. Dessen berühmtes
Standardwerk trug den deutschen Titel "Theorie und Praxis der antiautoritären
Erziehung. Das Beispiel Summerhill".
"Ich bin nicht gegen Autoritäten. Es kommt darauf an, wo sie herrühren. Nur weil
jemand eine machtvolle Position hat, macht ihn das nicht zu einer schlechten Person."
Zoe Redhead wirkt bodenständig. Sie ist mit einem Farmer verheiratet und wohnt auf
dem Bauernhof etwa eine Meile entfernt hier in Leiston, im Nordwesten Englands.
Liebe- und verständnisvoll mit Kindern umgehen, das ja. Sie sollten sich gemäß ihrer
Neigungen entwickeln können, aber auch respektieren, wo die Freiheit des anderen
beginnt, sagt Redhead Eltern ließen sich heutzutage zu oft von ihren Kindern
tyrannisieren.
".... Da kommt die Behauptung her, wir hätten jetzt Disziplin eingeführt. In Summerhill
sagen wir zu den Schülern: Du kannst hier nicht einfach herumlaufen und dir alles
erlauben. Das ist nicht okay!"
Der 14-jährige Phil bohrt jetzt in der Werkstatt an einem Holzstück. Phil wirkt höflich,
überlegt, und weil er ein Faible für Mathe hat, steht auf seinem Stundenplan von
Montag bis Freitag jeden Morgen erst einmal Mathe.
"In einer normalen Schule hat man 20 Stunden, nur für fünf interessierst du dich aber.
Bei den anderen sitzt du nur sinnlos in der Klasse herum. Das ist einfach
Zeitverschwendung."
"Es ist so befreiend. Ich kann mich so ausdrücken, wie ich das will. Es erlaubt dir, du
selbst zu sein. Du wirst in keiner Weise kontrolliert."
Keine Kontrolle, freut sich die 14-jährige Amy. Fast wäre Summerhill deswegen von
der britischen Schulaufsichtsbehörde geschlossen worden. Man konnte aber vor
Gericht nachweisen, dass die Kinder am Ende doch ihren Abschluss schaffen und
ihren Karriereweg gehen.
Zuspruch begrenzt
Aber Summerhill ist in England nicht zum Erfolgsmodell geworden. Henry Redhead,
der Enkel des Schulgründers, wird zwar zu Kongressen eingeladen. Gerade englische
Eltern aber sind fixiert auf Schul-Rankings, Tabellen, nur die Topschulen, auch unter
den staatlichen, zählen. Es sind vor allem die Eltern, viele Deutsche darunter, die
selbst als Schüler in Summerhill waren, die jetzt ihre Kinder in das private Internat
schicken, das mit seinem antiautoritärem Konzept Furore machte. Aber auch immer
mehr Eltern aus Asien schicken ihre Kinder, solche, die das rigide System zuhause
ablehnen.
Zoe Redhead, Schulleiterin und Tochter von A.S. Neill und ihr Sohn
Henry Redhead (Deutschlandradio / Friedbert Meurer)
"Lernen, lernen! Erfolgreich sein! Und dann entstand da diese kleine Schule hier in
Suffolk, die sagt: Nein, lass dein Kind in Ruhe. Lasst sie so, wie sein möchten."
Zoe Redhead ist heute 70 und sagt, nur ihre eigenen Söhne könnten die Schule
einmal fortführen – sonst niemand. Summerhill ist eine kleine, verschworene
Community mit gut 70 Schülern. Amira, 14 Jahre alt aus Birmingham, erzählt, wie sie
sich am Ende in ihrer alten Schule nur noch verweigert habe. Summerhill sei genau
richtig für sie. Die weit übergehende Mehrheit der englischen Eltern will ihr darin aber
nicht folgen.
"Meine Noten wurden schlechter. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Mein Gehirn war
vollgestopft mit Dingen, die mich nicht interessierten. Ich mochte keinen meiner Lehrer.
Aber hier kann ich mich ihnen immer anvertrauen. Das macht diese demokratische
Schule aus: Schüler und Lehrer bewegen sich auf demselben Level."
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