01

JANUAR 2021
8 ,9 0 EU RO
Österreich, Benelux: 10,50 Euro
Schweiz: 14,20 sFr.
Italien, Spanien: 11,50 Euro

DAS
BESTE
NEUE SERIE
Pionierinnen der
Wirtschaft

CHECK24

FÜR
Die unheimliche
Macht des Portals

CHINA
Das große
Comeback

IHR GELD
2021
01

208908

Ein turbulentes Börsenjahr voller

Extreme endet besser als erwartet. Das sind
190205

die Strategien für das kommende Jahr

4
Die neue S-Klasse by Mercedes-Benz
Die neue S-Klasse by Mercedes-Benz

Wenn sehr viel und vor allem Außergewöhnliches
passiert in einem Jahr, dann sollte man sich noch
mal fragen, was eigentlich passiert ist. Und wenn
Sie jetzt sagen: Na ja, was wohl, eine Pandemie eben,
die die Welt in Chaos und Elend, in Stille und
Starre gestürzt hat, dann ist das na-
türlich richtig. Aber wenn wir etwas
größer Bilanz ziehen und den Blick
ins neue Jahr richten, geht es doch
eher um das: um die Bewältigung
einer Pandemie in Rekordzeit. Ich
möchte hier nichts vorwegnehmen,
abhaken oder schönreden, was noch
unerreicht ist, zumal Sie diese Zeilen
vermutlich eher in angespannten als
in besinnlichen Tagen lesen.
Die Stille bedeutet am Ende
dieses schweren Jahres nicht nur In-
nehalten und Einkehr, sondern noch
einmal Rückzug und Bedrohung.
Aber schauen wir nach vorn: Wir se-
hen inzwischen viel Licht im Dun-
kel und mehr Auswege als Abgrün-
de. Die Menschheit könnte schneller
und besser diese globale Pandemie
hinter sich lassen, als die schlimms-
ten Szenarien im Frühjahr befürch-
ten ließen. Und weitaus besser als
historische Pandemien von der Pest
bis zur Spanischen Grippe.
Wenn bis Ende 2021 tatsäch-
lich einige Milliarden Impfstoffdo-
sen produziert werden, werden viele
Menschen schon in wenigen Mona-
ten wieder ein halbwegs norma-
Coverfoto: Brian Finke/Gallery Stock  Foto diese Seite: Gene Glover
les Leben führen – ohne Angst, sich
zu bewegen, ohne Sorge, Freunde
oder Verwandte anzustecken. Der
Menschheit ist es gelungen, dank ei-
ner historischen Kooperation und
Fähigkeit, Allianzen zu bilden, sehr
schnell einen Impfstoff zu finden.
Es gibt Schätzungen, dass Co-
vid-19 bis Ende 2021 fünf Millionen
Tote fordern wird – das ist erschre-
ckend viel, aber im historischen Maß-
stab weniger als befürchtet: Es wären
0,06 Prozent der Weltbevölkerung –
die Spanische Grippe dauerte 26 Mo-
nate und forderte zwischen 17  und
H O R S T VO N B U T T L A R
Chefredakteur
100 Millionen Tote (bis zu sechs Pro-
zent der damaligen Bevölkerung –
nach heutigem Maßstab zwischen
80 und 400 Millionen Toten).
Die sozialen und ökonomi-
schen Folgekosten dieser Krise sind
gigantisch. Allein für die USA werden
sie laut einer Analyse der Ökonomen
David Cutler und Larry Summers auf
bis zu 16 Billionen Dollar geschätzt,
alle Hilfsprogramme, Wachstums-
verluste, Gesundheitsschäden und
zu frühen Tode einberechnet.
Die unmittelbare Rezession ist
indes milder verlaufen als erwartet.
Ich erinnere ein Papier des Bundes-
innenministeriums aus dem Früh-
jahr, in dem ein Szenario „Abgrund“
durchgespielt wurde, eine Depressi-
on mit einem Einbruch von 30 Pro-
zent. Es ist anders gekommen, es
werden eher minus fünf bis sechs.
Das Krisenmanagement hat alles in
allem funktioniert, eingedenk der
Tatsache, dass unsere Gesellschaften
unvorbereitet waren und es keine
EDITORIAL
Blaupause gab. Die Notenbanken ha-
ben souverän ihren Job gemacht,
zahlreiche Regierungen von Taiwan
über Neuseeland bis Finnland und
auch Deutschland ihre Bevölkerun-
gen durch die Krise gesteuert, stets
suchend in dieser furchtbaren Abwä-
gung, das Leben zu schützen, ohne
zu viele Existenzen zu vernichten.
Warum aber ist diese Krise so
teuer? Der „Financial Times“-Kolum-
nist Martin Wolf hat darauf eine ver-
blüffend simple Antwort gegeben:
weil diese Kosten möglich waren.
Wir haben diese Schulden in Kauf
genommen, die Stilllegung von Wert-
schöpfung und ihren Ersatz durch
staatliche Programme. Dadurch sind
die Schulden explodiert, das Elend
aber konnte eingedämmt werden.
Klingt immer noch wie der Ro-
man von Joachim Meyerhoff „Wann
wird es endlich wieder so, wie es nie
war“. Am Ende des Jahres ringen wir
Deutschen vor allem um unsere Ent-
schlossenheit und Selbstgewissheit.
Wir ahnen, dass der Preis in dieser
zweiten Welle in jeder Hinsicht zu
hoch ist. Wir müssen fürchten, dass
es noch Wochen so weitergeht.
Das ist aber kein Grund, ohne
Hoffnung ins neue Jahr zu starten.
Wir sollten das Beste aus dieser Zeit
der Stille (weniger Hetze, weniger
Reisen, mehr Freiheit) mit in jene
Zeit nehmen, die wir „neue Norma-
lität“ nennen – was im besten Fall
eine Untertreibung ist angesichts
der Chancen, die auf uns alle warten.
5
 Inhalt   JANUAR 2021
26  GRAPHIC NOVEL
START
12 BRIEFING
Nach Hackerangriff: Daten von Scalable-
Kunden kursieren im Darknet // Wire-
card-Prüfer EY profitiert im Corona-Jahr
von Staatsaufträgen
18 MARKENMOMENT
Coffee to go ist in aller Munde. Nun gibt
es auch Meßmer-Tee für unterwegs
20 CRASHKURS
2020 war ein Horrorjahr für die
Globalisierung. Vier Bücher analysieren
die Zukunft des Welthandels
22 WIEDERVORLAGE
Was haben Gesetze bewirkt? Diesen
­Monat: das Verpackungsgesetz
24  WESTERN VON GESTERN
Der Unternehmer Anno August Jagdfeld
sorgte mit glanzvollen Immobilien für
Aufsehen. Viele Projekte endeten in einem
Desaster für Anleger
26  GRAPHIC NOVEL
Rund um den Covid-19-Impfstoff ist
eine hoch spezialisierte mittelständische
Zulieferindus­trie entstanden
6 Capital Ausgabe 01/2021
5 EDITORIAL/ 8 LESERBRIEFE/ 28 IMPRESSUM UND MARKENINDEX/
32 CHINABOOM
WELT DER WIRTSCHAFT
32  CHINAS COMEBACK
Ausgerechnet das Land, in dem die
Pandemie begann, geht als Gewinner
aus diesem Jahr hervor: In China
hat sich das Leben normalisiert, die
Wirtschaft boomt
40 AUTOZULIEFERER
Webasto-Chef Holger Engelmann wur-
de zum Pionier im Kampf gegen Co-
vid-19. Im Interview spricht er über die
wichtigsten Lektionen des Jahres
und seine Hoffnung auf das E-Auto
48  GIPFEL DER PROFITE
Die Zeit sprudelnder Gewinne für
Konzerne ist endgültig vorbei, zeigt
eine Langzeituntersuchung
der Unternehmensberatung Bain
60  CORONA UND DEMOKRATIE
Wie überstehen liberale Demokratien
den Doppelangriff von Populismus und
Pandemie? Ein Gespräch mit dem
Po­litikwissenschaftler Herfried Münkler
66 VERGLEICHSPORTALE
Check24 ist eine Erfolgsgeschichte –
doch die Marktmacht wird vielen
Banken, Stromanbietern und Versiche-
rungen unheimlich
74 FLUGVERKEHR
Kaum eine Branche wurde härter
ge­troffen als die Luftfahrt: Wie viel Ge-
schäft kommt 2021 zurück? Airlines
und Flughäfen bleiben im Überlebens-
modus – aber es gibt auch Optimismus
 
90  VEUVE CLICQUOT
82 JUNGE-ELITE-GIPFEL
Erstmals trafen sich die „Top 40 unter
40“ nur virtuell. Für das Netzwerken er-
öffneten sich ganz neue Möglichkeiten
84  ZUKUNFT DER CDU
Die CDU ist die letzte Volkspartei Europas.
Was aber passiert nach Angela Merkel?
Capital lud vier prominente CDU-Mitglie-
der zum Streitgespräch
90  NEUE HISTORY-SERIE:
PIONIERINNEN DER WIRTSCHAFT
In einer neuen Serie beleuchtet Capital
die größten Unternehmerinnen und
Gründerinnen durch mehrere Jahrhun-
derte. Erster Teil: Wie die „Witwe Clic-
quot“ aus einem kleinen Weingeschäft
ein Champagner-Imperium schuf
58 DÉJÀ-VU
In den USA lassen sich CEOs bei
Firmenübernahmen ihren Abschied oft
exzessiv vergüten. Hierzulande
sollten wir uns davor hüten, schreibt
Bernd Ziesemer
164  MEINE ERSTE MILLION
Los ging es mit Kopfkraulern, heute
­betreibt Martin Menz ein Online-Handels-
haus für Haus- und Freizeitartikel
 INVEST
106  DAS BESTE FÜR IHR GELD

108 MARKTAUSBLICK
Für die Wirtschaft wirkt der Corona-
Impfstoff wie ein Aufputschmittel

114  ZEHN REGELN

Illustration: Katharina Noemi Metschl; Fotos: Zhao Jun/VCG via Getty Images, Léon Cogniet/Sammlung Rauch/Interfoto, Reinier Gerritsen/De Beeldunie, Ernesto Benavides/AFP via Getty Images

Neuer Dax, Comeback-Branchen und

Immobilien – ein Wegweiser

122 INTERVIEW
106  GELDANLAGE 2021 Pimco-Chefvolkswirt Joachim Fels über 148  MACHU PICCHU
Chancen und unruhige Zeiten

TITEL
106  DAS BESTE FÜR IHR GELD
Das Börsenjahr war turbulent und ex­
trem – es gab einen Blitzcrash und am
Ende eine Rally, dank der Aussicht
auf einen Impfstoff. Doch die Folgen der
Pandemie wird die Wirtschaft noch
lange spüren – der Umbruch in vielen
Branchen hat an Tempo gewonnen.
Capital erklärt, wie Anleger sich auf die
neue Welt nach Corona einstellen,
ihr Vermögen mehren und es absichern
128 DAX-PROGNOSE
Capital schaute hinter die Kulissen
der Analysewerkstätten der Frankfurter
Banken
132  WAS DIE PROFIS ERWARTEN
Die wichtigsten Prognosen für Aktien,
Anleihen und Rohstoffe
134 IMMOBILIEN
Corona treibt die Preise weiter, beson­
ders im Umland der Metropolen
138 CRASHTEST
Viele Anleger fürchten das Auf und Ab
der Börse – drei Strategien dagegen
LEBEN
148  MACHU PICCHU
Einmal allein zu den entlegensten
Ruinen der Welt: Unser Autor hat das
Abenteuer unternommen
154 TRAUMZIELE
Reisen, die (fast alle) noch
möglich sind
156 MODE
Siems Luckwaldt macht Lust auf ein
feines Silvester daheim

158  CAPITAL WATCH AWARD

Rückblick auf die Kür der besten Uhren

104 VERMÖGENSKOLUMNE  160 AUTOBIOGRAFIE
Nadine Oberhuber erklärt, wie man vom Staranalyst Arndt Ellinghorst über
Trend Nachhaltigkeit profitiert ­seinen Rennporsche

144 LESERFRAGE 162  HENKERSFLASCHE XXL

Werden auf Betriebsrenten eigentlich Was drei Kenner trinken würden, wenn

„Die
immer Steuern fällig? es ihre letzte Flasche wäre

Lebenslust
bricht
sich wieder
Bahn“
JÖRG KRÄMER
Chefvolkswirt der Commerzbank
 Betr. Capital
ZU LARS VOLLMERS GASTBEI-
TRAG ÜBER DIE GRENZEN DES
HOME­O FFICE (CAPITAL.DE)
„Die Schwierigkeit ist: Alle Aktivi-
täten, die im Unternehmen auf der
Hinterbühne laufen, kommen
nahezu vollständig zum Erliegen“,
schreibt der Autor. Wenn das der
Fall ist, hat das Unternehmen ganz
andere Probleme als Homeoffice!
Im Homeoffice kann man genauso
innovativ sein wie im Büro – wenn
nicht noch besser. Dieser Artikel
spiegelt aber gut das extrem ver-
staubte Denken vieler Entschei-
dungsträger wider, die nicht be-
griffen haben, dass die Arbeitswelt
einem stetigen Wandel unterliegt.
R E I N E R M Ü L L E R , via Xing
Digitalisierung bedeutet nicht nur,
dass man Meetings durch Video-
Chats ersetzt. Man sollte auch Pro-
zesse anpassen. Beispiel: Mit einem
virtuellen Coffee-Talk, bei dem Mit-
arbeiter per Zufall vernetzt wer-
den, spricht der Nerd aus der IT mit
dem Anzugträger aus dem Marke-
ting. Im Büro laufen sie eher stumm
aneinander vorbei und erfahren so
nie, dass sie zusammen ein enormes
Kreativpotenzial entfalten können.
F R A N K F U H R M A N N , via Xing
Viele Arbeitnehmer wünschen sich
regelmäßig Homeoffice – bezie-
hungsweise: Eine gesunde Home­
office-Regelung ist für viele ein
entscheidendes Kriterium, den Ar-
beitgeber zu wechseln. Diesen An-
forderungen werden sich Arbeitge-
ber künftig stellen müssen, wenn
sie Mitarbeiter halten oder neue
gewinnen möchten. Viele deutsche
Unternehmen aber können sich
das aktuell „nicht leisten“, weil sie
die Digitalisierung verschlafen
oder sich dieser verweigert haben.
O L I V E R H U T H , via Xing
Das langsame Einschlafen der Hin-
terbühne erlebe ich auch. Es wird
auch mit virtuellen Breaks nur mi-
8 Capital Ausgabe 01/2021
DIE STORY HINTER
DER STORY
Schlapphut
im Zug
Das Ziel war klar:
Machu Picchu – einmal
ohne Touristen. Nach
Peru zu kommen
war nicht leicht, aber
auch im Land macht
Corona das Reisen
schwierig: Der einzige
Weg zu den Ruinen
ist derzeit ein Zug,
den Ausländer nicht
nutzen dürfen. Mit
meinen blonden
Haaren wäre ich dort
aber sofort aufgefallen.
Netterweise hat
mir ein Händler dann
seinen Schlapphut
geliehen, zum
Verkleiden. Den Zug
hab ich gekriegt.
A N D R Z E J RY B A K , Reporter.
Ob er es auch tatsächlich
bis Machu Picchu geschafft hat,
­lesen Sie ab Seite 148
nimal gepäppelt, es fehlt das unmit-
telbare Menscheln. Das Gute liegt
in der Mitte: Einige Tage im Home­
office für reine Entwicklungstätig-
keit und ein paar Tage im Büro für
den Umgang mit den Kolleg(inn)en.
H E R B E RT H E N G M I T H , via Xing
ZUM INTERVIEW MIT ÖKONOMIN
STEPHANIE KELTON ZUR MODERN
MONETARY THEORY (12/2020)
Das wäre die märchenhafte wun-
dersame Geldvermehrung. Nur, wa­
rum hat sich das Modell nicht längst
durchgesetzt? Japan als Vorbild?
Trotz einer Verschuldung von 260
Prozent ist dort bisher alles gut ge-
gangen. Die Zentralbank kauft einen
Großteil der Schulden zu null Pro-
zent Zinsen und behält sie in den
Büchern. Kostet ja nichts. Wenn all
das so funktionieren würde, wäre
das ein nobelpreiswürdiges Modell,
das Keynes in den Schatten stel-
len würde. Das Modell ist aber eine
Kopfgeburt. Glaube dran, wer will,
ich gehöre nicht dazu.
CHRISTOPH SCHÖNBERGER,
via E-Mail
Schreiben Sie uns!
leserbriefe@capital.de
Die Redaktion behält sich vor,
­Leserbriefe gekürzt und auch
­elektronisch zu veröffentlichen.
IN EIGENER SACHE
Capital-Redakteur Thomas Steinmann
ist beim Journalismuspreis des Graven-
brucher Kreises mit dem zweiten Platz
ausgezeichnet worden. Die Jury würdig-
te Steinmanns Analyse der jahrelangen
Krise und Insolvenz des westfälischen
Familienunternehmens Kettler (Capital
12/2019). Beim Gravenbrucher Kreis
handelt es sich um den Zusammen-
Foto: privat
schluss der führenden Insolvenzverwal-
ter Deutschlands.
 Der Touareg
eHybrid.
Mit bis zu 47 km elektrischer Reichweite.

Kraftstoffverbrauch, l/100 km: kombiniert 2,6; Stromverbrauch, kWh/100 km: kombiniert 24,2;
CO₂-Emission, g/km: kombiniert 59; Effizienzklasse: A+.
Elektrische WLTP-Reichweite von 47 km für den Touareg eHybrid.
WLTP-Richtwerte für Serienfahrzeuge können ausstattungsbedingt abweichen.
MEHRZUGANG.
Das Plus an Wirtschaft und Finanzen.

JETZT NEU: Das digitale Abo

von Deutschlands renommiertestem
Wirtschaftsmagazin. JETZT 3
0
TAGE
KOSTEN
L
TESTEN OS
capita
l.
!
de/plu
s

Täglich Exklusive Dossiers zu Monatlich die

das Beste für Analysen von Capital- Versicherung und digitale Aus­gabe
Ihr Geld Experten Geldanlage des Magazins

CAPITAL.DE/PLUS
IN DIESEM MONAT BEKOMMEN SIE:

einen Tee, den Sie ohne heißes

Wasser zubereiten können
SEITE 18

eine Idee davon, wie wir die

Globalisierung retten können
SEITE 20

die Geschichte vom Scheitern

luxuriöser Investments
SEITE 24
 S TA RT

Briefing 2,2
Mrd. Euro ver-
waltet Scalable
Capital an Kun-
denvermögen
DATENKLAU

ROBO-KUNDEN ALARMIERT
Kriminelle bieten Daten von Scalable-Kunden an // Ein
Kunde berichtet von Erpressung // Umfang umstritten
Nach dem Datenangriff auf den größ-
ten deutschen Robo-Advisor Sca­
lable Capital verdichten sich Hin-
weise, dass die Diebe die erbeuteten
Kundenprofile für kriminelle Ge-
schäfte nutzen. So zirkulieren nach
­Capital-Informationen Kundendaten
im Netz. Capital konnte selbst einen
Datensatz einsehen und überprü-
fen, ein Kunde gab dabei sogar an,
erpresst worden zu sein.
Mit Scalable
Capital hat
Erik Podzuweit
Deutschlands
größten
Robo-Advisor
aufgebaut. Der
Marktführer
zählt heute
80 000 Kunden
Mitte Oktober hatte Scalable öffent-
lich gemacht, dass 30 000 Kunden
von einem Datenklau betroffen sei-
en, und Anzeige erstattet. Erbeutet
wurden demnach Ausweiskopien,
Gesichtsfotos, Kontaktdaten, Kon-
tonummern und Steuer-Identifika-
tionsnummern. Solche Daten kön-
nen im Netz dazu genutzt werden,
um weitere Daten und Passwörter zu
stehlen oder Waren zu bestellen. Vor
genau solchen Risiken hatte Scalable
nach dem Vorfall gewarnt – und be-
tont, dass Depotdaten nicht betrof-
fen gewesen seien. Gegenüber Capi-
tal erklärte Scalable, es arbeite „in
enger Abstimmung mit den Behör-
den und externen Beratern an der
Aufklärung des Vorfalls“.
Unterschiedliche Versionen
gibt es aber zum Ablauf und Umfang
des Angriffs. Nach Capital-Informa-
tionen gibt ein selbst erklärter Ha-
cker an, über eine von außen nutz-
bare technische Sicherheitslücke an
die Daten gelangt zu sein. Dem wi-
derspricht das Unternehmen, viel-
mehr habe sich ein früherer Mitar-
beiter mit internem Wissen Zugriff
verschafft. Während der mutmaß-
liche Hacker von 58 000 betroffe-
nen Kunden spricht, davon rund ein
Drittel aus Großbritannien, nennt
Sca­lable rund 30 000 Betroffene und
erklärt, man zähle britische Kunden
im „niedrigen vierstelligen Bereich“.
Unstrittig ist, dass mehre-
re Kunden „unter Verwendung der
Daten kontaktiert“ wurden, räumt
auch Scalable ein. Das Erpressungs-
opfer etwa erhielt die Aufforderung,
10 000 Euro zu zahlen – inklusive ei-
nes Fotos seines Personalausweises.
Der Kunde weigerte sich und melde-
te den Fall schließlich der Polizei.
J O H N S TA N L E Y H U N T E R

PHRASENPRÜFER

„Die Deutschen haben sich durch den Lockdown getrunken“

Alle erzählen, in der Corona-Krise hätten die Deutschen deutlich mehr Alkohol getrunken. Die Statistik bildet das aber nur
zum Teil ab. Sicher ist, dass in Kneipen und Restaurants wegen des Lockdowns weniger Wein und Bier ausgeschenkt wurde.
Ob die Menschen dafür nun zu Hause mehr getrunken haben, ist unklar. Die Zahlen aus dem Haushaltspanel von Nielsen,
das rund 20 000 Haushalte erfasst, zeigen deutliche Aufs und Abs beim Weinkonsum. Während die Zahl der Käufer und die
Foto: Anna Szkoda

Absätze in den ersten drei Monaten deutlich zurückgingen, stiegen sie im zweiten Quartal stark an, während der Konsum
im dritten Quartal nur mehr leicht über dem des Vorjahres lag. „Anhaltspunkte für einen erhöhten Konsum von Alkohol in
Zeiten von Corona“ sieht die Gesellschaft für Konsumforschung unterm Strich darin nicht.

12 Capital Ausgabe 01/2021
 S TA RT
VIRUSKRISE
MEHR ALS 30 MILLIONEN
FÜR CORONA-BERATER
Bund setzt in der Pandemie auf externe Unter­
stützung // Größtes Auftragsvolumen für EY
Zur Bewältigung der Corona-Pande­
mie hat die Bundesregierung bislang
mindestens 33 Mio. Euro an Honora­
ren für Berater bezahlt. Das geht aus
der Antwort auf eine Anfrage der
Linksfraktion hervor, die Capital vor­
liegt. Darüber hinaus hat der Bund
weitere Leistungen beauftragt, bei
denen die Rechnungen noch ausste­
hen: Insgesamt beträgt das Vertrags­
volumen laut Gesundheitsministeri­
um 41,5 Mio. Euro. Dabei seien aber
eventuell nicht alle Aufträge erfasst.
Tatsächlich ergibt sich be­
reits aus einigen publik gewordenen
Großaufträgen, dass die Gesamtaus­
gaben für sogenannte Beratungs-
und Unterstützungsleistungen in
der Corona-Krise noch größer ausfal­
len dürften als angegeben. Schon im
April hatte das Gesundheitsressort
die Prüf- und Beratungsfirma EY
ohne Ausschreibung eingeschaltet,
In der Corona-Krise erhielt der Berater
und Prüfer EY Aufträge des Bundes –
trotz Kritik an seiner Rolle bei Wirecard
14
um den Einkauf von Schutzmasken
in den Griff zu kriegen. Dafür fielen
bis zum Herbst knapp 10 Mio. Euro
Honorar an. Kürzlich erhielt EY auch
den Folgeauftrag bis Ende 2021 für
18 Mio. Euro. Damit fließt der größte
Anteil der Pandemie-Beratungsaus­
gaben ausgerechnet an die Firma, die
wegen ihrer Rolle im Wirecard-Skan­
dal schwer in der Kritik steht.
Ein weiterer Großauftrag ent­
fällt auf den Wirtschaftsstabilisie­
rungsfonds des Bundes, der wanken­
de Großunternehmen stützen soll.
Der Fonds verfügt über einen Honor­
artopf von 26,5 Mio. Euro, um für die
Analyse von Krisenkonzernen Spezi­
alisten einzuschalten. Dafür stehen
eineinhalb Dutzend Investmentban­
ken und Beratungsfirmen bereit.
Nach Angaben der Bundesre­
gierung unberücksichtigt blieb in
ihrer Antwort zudem ein Auftrag
für die Entwicklung und den Betrieb
einer IT-Lösung, mit der die Coro­
na-Hilfen für Unternehmen verwal­
tet werden. Dafür erhielt im Juli der
IT-Dienstleister Init den Zuschlag
für 9,5 Mio. Euro. Bis zuletzt war die
Software jedoch nicht einsatzbereit
– weshalb auch die Novemberhilfen
noch nicht regulär fließen können.
„Die Bundesregierung hat sich
mit ihrer Beraterarmee nicht mit
Ruhm bekleckert“, sagte Linken-Frak­
tionsvize Fabio De Masi. Das gelte vor
allem für die freihändige Beauftragung
von EY, um das vom Bund verursach­
te Maskenchaos zu beseitigen. Ange­
sichts des fehlenden Überblicks über
sämtliche Berateraufträge sagte De
Masi: „Die Bundesregierung muss hier
dringend für Transparenz sorgen.“
THOMAS STEINMANN
AUFBRECHER
Gute Ideen und die
Köpfe dahinter
M I C H A E L C A S SAU
zeigt mit Grover, dass man Tech-
produkte nicht immer neu
kaufen muss: Das Start-up verleiht
Unterhaltungselektronik
DAS PROBLEM
Im Durchschnitt alle zweieinhalb Jahre
kaufen sich Verbraucher ein neues
Smartphone – besonders nachhaltig
ist das nicht. Dass dafür der volle
Kaufpreis gezahlt oder sogar ein Konsu­
mentenkredit aufgenommen wird, fin­
det Michael Cassau unverständlich.
DIE LÖSUNG
Der Ex-Rocket-Internet-Manager hat
dafür 2015 ein flexibleres Modell
entwickelt: Bei Grover kann man Un­
terhaltungselektronik mieten, für
eine monatliche Gebühr, die günstiger
wird, je länger man ein Produkt
ausleiht. Ein Gerät wird dabei nachein­
ander an bis zu zehn Kunden vermie­
tet. Aktuell laufen 120 000 Mieten
über das Berliner Start-up: von Handys
über Spielkonsolen bis zu E-Bikes.
DER MARKT
Der deutsche Markt für Unter­
haltungselektronik umfasst etwa
80 Mrd. Euro, der europäische ist fast
Fotos: imago, PR
viermal so groß. Das Unternehmen,
das 150 Mitarbeiter beschäftigt, ist ne­
ben Deutschland bereits in Österreich
und den Niederlanden präsent.
Capital Ausgabe 01/2021
GOLDENE
ZEITEN FÜR
ANLEGER
Jetzt Münzen und Barren
im Depot verwalten

• Individuell: Es stehen 10 verschiedene Goldmünzen

und Goldbarren zur Auswahl, unter anderem die
renommierte Münze „Krügerrand“.
• Bequem: Einfacher Kauf und Verkauf über Ihr
TARGOBANK Depot.
• Sicher: Lagerung des Goldbestandes bei pro aurum
im Tresor. Kostenpflichtige Auslieferung möglich.
Mehr Informationen zum Thema
Gold als Geldanlage erhalten Sie
unter targobank.de
Oder vereinbaren Sie einen
persönlichen Termin unter der
kostenlosen Telefonnummer
0800 - 011 33 55 56.
 DIGITALE VORREITER #01
ANZEIGE
NEW INDUSTRY IM MITTELSTAND
Einfach einen
Fortschritt voraus
Eben noch Vision, heute Realität: Die Kommunikation
zwischen Menschen und Gegenständen eröffnet Unter-
nehmen völlig neue Chancen
Intelligente
Netze transpor-
tieren riesige
Datenmengen
mit höchster
Geschwindig-
keit
# N E W I N D U S T RY, # Ne w -
w o r k , # Ne w n o r m a l : Was
manchem noch wie überambitio-
niertes Buzzword-Bingo vorkommt,
ist für einige Unternehmen in
Deutschland bereits gelebte Realität.
Eine Realität, in der sie viel unge-
nutztes Potenzial erschließen. Denn
oft verbergen sich hinter diesen Be-
griffen disruptive Geschäftsmodel-
le, die ganze Märkte aufmischen
können. So wurden die digitalen
Kommunikations- und Kollabora-
tionslösungen des „New Work“ in
vielen mittelständischen Firmen zur
Basis erfolgreichen Arbeitens. Und
disruptive Umbrüche bezeichnen
längst mehr als einen zukunftswei-
senden Prozess – sie sind schon Teil
des „New Normal“.
Wie aber kann der Mittelstand in
diesem dynamischen Umfeld dem
Wettbewerb immer einen Fortschritt
voraus sein? Genau hier punkten
New-Industry-Unternehmen, die ihr
gesamtes Business neu denken. „New
Industry“ steht für die intelligente
Vernetzung von Personen, Standor-
ten, Maschinen und Gegenständen –
und das nicht nur in produzierenden
Firmen. Quer über alle Branchen
hinweg und in allen Arten von Un-
ternehmen liefern intelligente Netz-
werke wertvolle Erkenntnisse und
ermöglichen datenbasiertes Agieren
bis hin zur Optimierung und Auto-
matisierung betrieblicher Prozesse.
Das Ergebnis: effizientere Abläufe,
zufriedenere Kunden und Vorteile
gegenüber dem Wettbewerb.
Wichtige Voraussetzung, um zum
New-Industry-Unternehmen zu
werden, ist das passende Mindset:
ausgeprägte Wandlungsbereitschaft
in allen Unternehmensbereichen
und der Wille, Geschäftsprozesse
Folge 2 unserer Serie über Digitale Vorreiter
und -modelle stetig zu hinterfragen.
Das Kernstück von New-Industry-
Unternehmen ist ein intelligentes,
datenbasiertes Ökosystem, das aus
vier Elementen besteht:
• HARDWARE
Zunächst werden Gegenstände mit-
einander vernetzt, um Daten aus-
tauschen und speichern zu können.
Hier kommen Hardwarekomponen-
ten wie etwa Sensoren zum Einsatz.
• LEISTUNGSFÄHIGE NETZE
Intelligente hochleistungsfähige Net-
ze wie Narrowband-IoT, Kabel-Glas-
faser und 5G sind Voraussetzung
für den zuverlässigen und sicheren
Transport riesiger Datenmengen mit
höchster Geschwindigkeit.
• TECHNOLOGIEN
Data Analytics, künstliche Intelli-
genz und Machine Learning können
New-Industry-Unternehmen in ver-
schiedenen Berei-
chen unterstützen,
zum Beispiel um Das Kernstück
Kundenanforde-
rungen proaktiv zu von New-
ermitteln.
• SMART SER- Industry-
VICES
Die Anwendungen
reichen schon heu-
Unternehmen
te vom ressourcen- ist ein intelli-
schonenden Ener-
gentes, daten-
g i e m a n a g e m e nt
über das Tracken
oder Sichern von
Assets bis hin zu basiertes
intelligenten Park-
leitsystemen auf Ökosystem
Basis von IoT. In-
dividuelle 5G-Mobilfunknetze für
Unternehmen – sogenannte Cam-
pus-Private-Netze – eröffnen mit
performanter und hochsicherer
Vernetzung in Echtzeit weitere Di-
mensionen für smarte Lösungen.
Augmented und Virtual Reality fan-
gen gerade erst an, ihre Vielfalt im
Businessbereich zu entwickeln.
Mehr Informationen, wie Ihr Unter-
nehmen mit New Industry einfach
einen Fortschritt voraus sein kann,
finden Sie unter:
vodafone.de/newindustry

So sieht die Zukunft der
Autowäsche aus
Clever Waschen: Die Vernetzung digitalisierter Anlagen könnte das Geschäft mit der
Autowäsche revolutionieren – eine App und das Internet der Dinge machen es möglich
DAS PROJEKT
Innerhalb der Axel Springer Gruppe
entsteht ein neuer Service: Clever
Waschen digitalisiert gemeinsam
mit Vodafone die Autowäsche. Mit-
hilfe einer mobilen App und eines
Netzes intelligenter Waschanla-
gen finden Autofahrer überall die
nächstgelegene Waschanlage und
können in der App eine Fahrzeug-
wäsche buchen, bezahlen und ihr
Auto waschen, ohne dass sie dazu
das Fahrzeug verlassen müssen.
Das beschleunigt und vereinfacht
die Autowäsche für jedermann.
Waschanlagenbetreiber können
über den Service ihre Kunden bin-
den sowie mit Aktionspreisen neue
Kunden dazugewinnen. Zusätzlich
bietet Clever Waschen weitere Ser-
vices an, von denen Autofahrer und
Waschanlagenbetreiber profitieren.
Perspektivisch soll das digitale
Waschanlagennetz auf ganz Europa
ausgeweitet werden.
CleanCar AG ist bereits
Partner von Clever Waschen
DAS LEISTUNGSVERSPRECHEN
Waschanlagenbetreiber buchen
den Dienst von Clever Waschen in
Form verschiedener Pakete. Das
kostenlose Basispaket beinhaltet
das Anzeigen der Waschanlage auf
der Karte der App. Die Buchung
eines der verschiedenen Monats-
Abos bietet die Möglichkeit, sämt-
liche Prozesse der Waschanlage zu
digitalisieren. So können Betreiber
lesen Sie in der nächsten Ausgabe
zum Beispiel die Auslastung ihrer
Anlagen besser über den Tages-
ablauf verteilen, mit Marketingan-
geboten in der App das Kunden-
erlebnis optimieren und innovative
„
Geschäftsmodelle einführen.
Vodafone Business
ist für Clever Wa-
schen der absolut
beste Partner, den
man sich wünschen
kann. Unsere An-
sprechpartner waren
für das Konzept so-
fort Feuer und Flam-
me. Die Zusammen-
arbeit macht einfach
nur Spaß!
“
NICOLAS MEIBOHM,
Head of Connected Car
bei Axel Springer
DIE TECHNOLOGIE
Als exklusiven Partner entschied
sich Clever Waschen beim Auf-
bau der Infrastruktur für Vodafone
Business. Der Kommunikationsan-
bieter installiert in die Waschanlage
eine IoT-Box, über die Anlagen ins
„Internet of Things“ (IoT) einge-
bunden und miteinander vernetzt
werden. Zusätzlich kommt ein
Scannersystem zum Einsatz, das
die Nummernschilder an Front
und Heck des einfahrenden Fahr-
zeugs erkennt und mit den per
App vorgenommenen Buchungen
ANZEIGE
Clever
Waschen
ermöglicht
die Auto-
wäsche per
App
abgleicht. Die Internet-Konnektivi-
tät für das System stellt Vodafone
über sein Mobilfunknetz her. Die
IoT-Vernetzung erlaubt es darüber
hinaus, dass die Autofahrer über
die App künftig auch mit aktuellen
Informationen zu voraussichtlichen
Wartezeiten an den Waschanlagen
versorgt werden.
DER KUNDENNUTZEN
„Die Vernetzung unserer Wasch-
anlagen macht Autowaschen
komfortabler: Die Kunden können
Wartezeiten vermeiden, ihr Auto
kontaktlos waschen und dafür be-
quem bezahlen“, fasst
Holger Dörner, CEO
der CleanCar AG,
seine Erfahrungen
zusammen. Zudem
öffnet sich für Clean-
Car ein ganz neuer
Vertriebskanal und
somit auch die Chan- Sie möchten mehr zu
ce, neue Kunden zu dem Case erfahren?
gewinnen und in Zu- Dann hören Sie in den
kunft neue Services Vodafone Business-Pod-
anbieten zu können. cast „Digitale Vorreiter“
Weitere Informationen unter:
vodafone.de/business-cases
 S TA RT
MARKENMOMENT
Tee verkauft sich vor allem in den kaltenden Monaten. MESSMER will das
ändern: mit einem Eistee zum Aufgießen für unterwegs
Auf dem Weg zur Arbeit oder nach
der Mittagspause – ein schneller
Coffee to go ist für viele Kaffeetrin-
ker im Alltag nicht mehr wegzuden-
ken. Doch wer Tee bevorzugt, der
konsumiert in der Regel lieber zu
Hause oder im Café statt unterwegs.
Tea to go – das sei eine Trinkgewohn-
heit, die in Deutschland bislang noch
nicht so verbreitet sei, sagt Anne-
marie Leniger, Chefin der Ostfriesi-
schen Tee Gesellschaft (OTG).
Mit der traditionsreichen Tee-
marke Meßmer, auf die bei der OTG
der größte Teil der Jahresprodukti-
on von zehn Milliarden Aufgusstee-
beuteln entfällt, will Leniger das än-
dern. Dafür wurde im Frühjahr eine
neu entwickelte Produktlinie na-
mens „Cold Tea“ auf den Markt ge-
bracht: ein Teebeutel, der Wasser
in Eistee verwandelt, ohne es auf-
kochen zu müssen. Bei der OTG ha-
ben sie beobachtet, dass insbesonde-
re Frauen gerne Flaschen mit stillem
Wasser ins Büro oder zum Sport mit-
nehmen. Der selbst gemachte, kalo-
rienfreie Früchtetee soll laut Leniger
eine Alternative zu Wasser oder dem
Trendgetränk Infused Water sein –
stilles Wasser mit einer leichten Ge-
schmacksnote von frischen Früchten.
Dazu passt eine auffüllbare Trinkfla-
sche, die Meßmer gleich mitverkauft.
Für die OTG trägt die neue Pro-
duktlinie gleich doppelt dazu bei, die
Marke Meßmer breiter aufzustellen
und aufzufrischen. Weil Tee hierzu-
lande vor allem ein Wintergetränk
sei, gleiche die Umsatzentwicklung
bei allen Herstellern im Jahresver-
lauf normalerweise der Form einer
„Badewanne“, sagt Leniger. Der ur-
sprüngliche Plan: Der Cold Tea soll-
te dabei helfen, den üblichen Absatz-
knick im Sommer abzufedern.
Tatsächlich sei die Nachfrage
aber so hoch, dass die Neuheit nun
18
1930ER-JAHRE
Meßmer hat sich als eine der
bekanntesten deutschen Tee­
marken etabliert
1996
Das Sortiment wird kontinu­
ierlich erweitert: Jetzt gibt es
auch grünen Tee im Beutel
2019
Mit einer neuen Biolinie will
die Marke vom Wachstum in
diesem Segment profitieren
2020
Meßmer entwickelt
einen Eistee zum Selber­
machen für unterwegs
das ganze Jahr über verkauft wer-
de, sagt Leniger. Nach ihren Angaben
machte Meßmer mit dem Eistee seit
April aus dem Stand einen siebenstel-
ligen Umsatz. Gemessen am Stamm-
geschäft ist das zwar noch kein riesi-
ger Erlös – aber ein zusätzlicher: Mit
der neuen Produktlinie erschließt
Meßmer Zielgruppen wie jüngere
Frauen oder Familien, die ihren Kin-
dern den Eistee mit in die Schule ge-
ben. Beides Gruppen, die weniger
zum klassischen Tee greifen.
Damit fügt sich der Einstieg ins
Eistee-Segment ein in die langfristige
Markenstrategie, die die OTG-Chefin
vor vier Jahren ausgegeben hat: zu-
nächst das etwas verstaubte Erschei-
nungsbild modernisieren, dann be-
hutsam Innovationen auflegen – etwa
eine Reihe neuer Bio-Tees, die die-
ses wachsende Marktsegment abde-
cken. Das wichtigste Ziel sei es aber,
zusätzliche „Verzehrgelegenheiten“
zu schaffen, sagt Leniger. Bestes Bei-
spiel: der neue Cold Tea to go.
Eine 170 Jahre alte Marke wie
Meßmer zu steuern sei wie Tanker
fahren, sagt die Geschäftsführerin.
„Mal muss man langsamer fahren,
mal schneller, aber immer mit ei-
nem festen Kurs.“ Bei Meßmer wird
Leniger nach den jüngsten Verände-
rungen erst einmal vom Gas gehen.
Als Nächstes will sie ein anderes Mit-
glied aus dem OTG-Portfolio auffri-
schen: die Teemarke Milford.
UNTERNEHMEN
1852 eröffnete Eduard Meßmer in Ba-
den-Baden ein Kolonialwarengeschäft,
das bald für schwarzen Tee bekannt
war; 1895 wurde die Marke eingetragen.
1990 übernahm die Ostfriesische Tee Ge-
sellschaft die Marke und holte sie nach
Fotos: PR (4)
Hamburg. Die OTG ist eine Tochter der
Laurens Spethmann Holding, die 2019
einen Umsatz von 660 Mio. Euro machte.
Capital Ausgabe 01/2021
 Renault ZOE
Jetzt mit 10.000 €
Elektrobonus *

Jetzt ab 99,– € mtl. inkl. Batterie und 10.000 € Elektrobonus*

Renault ZOE LIFE R110 Z.E. 40 (41-kWh-Batterie): Fahrzeugpreis: 25.019,– € (inkl. 3.900 € Renault Anteil im Rahmen des Elektrobonus)*
inkl. Antriebsbatterie. Bei Finanzierung: nach Anzahlung von 2.100,– € (inkl. 6.100 €, beinhaltet 6.000 € Bundeszuschuss und 100 € AVAS-
Förderung im Rahmen des Elektrobonus)* Nettodarlehensbetrag 16.819,– €, 24 Monate Laufzeit (23 Raten à 99,– € und eine Schlussrate:
15.493,– €), Gesamtlaufleistung 15.000 km, eff. Jahreszins 2,99 %, Sollzinssatz (gebunden) 2,95 %, Gesamtbetrag der Raten 17.770,– €.
Gesamtbetrag inkl. Anzahlung 25.970,– €, zzgl. Überführungskosten. Ein Finanzierungsbeispiel der Renault Bank, Geschäftsbereich der
RCI Banque S.A. Niederlassung Deutschland, Jagenbergstraße 1, 41468 Neuss. Angebot gültig bis 31.12.2020 und Fahrzeugübergabe bis
28.02.2021. Angebot inkl. 16 % MwSt. bei Fahrzeugübergabe bis zum 31.12.2020. Bei einer Fahrzeugübergabe ab dem 01.01.2021 gilt der
Steuersatz von 19 % MwSt., was zu einer entsprechenden Erhöhung des Gesamtbetrages führt. Bei allen teilnehmenden Renault Partnern.

Renault ZOE LIFE R110 Z.E. 40 (41-kWh-Batterie), Elektro, 80 kW: Stromverbrauch kombiniert (kWh/100 km): 17,2; CO2 -Emissionen kombi-
niert: 0 g/km; Energieeffizienzklasse: A+ (Werte gemäß gesetzl. Messverfahren). Renault ZOE: Stromverbrauch kombiniert (kWh/100 km):
17,7–17,2; CO2 -Emissionen kombiniert: 0–0 g/km; Energieeffizienzklasse: A+–A+ (Werte gemäß gesetzl. Messverfahren).

* Der Elektrobonus i. H. v. insgesamt 10.000 € umfasst 6.000 € Bundeszuschuss sowie 3.900 € Renault Anteil gemäß den Förderrichtlinien
des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) zum Absatz von elektrisch betriebenen Fahrzeugen. Der Elektrobonus enthält
auch die Förderung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle für den Einbau eines akustischen Warnsystems (AVAS) bei neuen
Elektrofahrzeugen in Höhe von 100 €, www.bafa.de. Die Auszahlung des Bundeszuschusses und der AVAS-Förderung erfolgt erst nach
positivem Bescheid des von Ihnen gestellten Antrags bei der BAFA: Diese Beträge sind bereits in die Anzahlung einkalkuliert. Ein
Rechtsanspruch besteht nicht. Nicht mit anderen Aktionen kombinierbar. Abb. zeigt Renault ZOE INTENS mit Sonderausstattung. Renault
Deutschland AG, Postfach, 50319 Brühl.
 S TA RT
CRASHKURS
Die Globalisierung stagniert. Wieso? Und wie könnte ihre
Zukunft aussehen? Vier Bücher geben Antworten
ZUKUNFT DES WELTHANDELS
Dani Rodrik
DA S G L O B A L I S I E R U N G S - PA R A D OX
Die Regeln des Freihandels werden auf globaler
Ebene gemacht. Das entmachtet die Wähler in den
Nationalstaaten – sie können so kaum noch
mit­entscheiden, wie etwa Arbeitsbedingungen aus-
sehen sollen. Der Harvard-Ökonom Rodrik folgert,
dass Nationalstaat, Demokratie und Globalisierung
sich beißen. So lieferte er schon 2011 Erklärungen,
die die späteren Entscheidungen für Donald
Trump oder den Brexit nachvollziehbar machen. Ein
kritischer, cleverer Blick auf die Globalisierung.
Philip Coggan
MORE: THE 10,000-YEAR RISE
O F T H E WO R L D E C O N O M Y
Warum handeln Menschen miteinander? Welche
Vorteile haben sie davon? Coggan, Journalist beim
„Economist“, beantwortet die Fragen anhand zahl-
reicher Beispiele und erzählt die Geschichte des
Welthandels von 7 000 v. Chr. bis heute. Das Buch ist
eine Ode an den Freihandel, behält aber auch dessen
Nebenwirkungen im Auge. Auf jede Debatte kann
Coggan auf 480 Seiten natürlich nicht eingehen. Die
Stärken des Buches liegen vielmehr in seiner Detail-
fülle und dem packenden, erzählerischen Stil.
20
Michael Hüther, Matthias Diermeier
und Henry Goecke
DIE ERSCHÖPFTE GLOBALISIERUNG
Die Volkswirtschaften der Welt wachsen immer
langsamer, längst nicht alle Menschen können von
der aktuellen Globalisierung profitieren. Ihr Potenzi-
al hat sich erschöpft, resümieren die Wissenschaft-
ler vom Institut der deutschen Wirtschaft – und
ziehen einen Vergleich zur ersten Globalisierungs-
welle bis 1915. Dazu geben sie einen Ausblick, wie
eine dritte Globalisierung gestaltet werden könnte,
damit sie diesmal allen nutzt. Empfehlenswert für
Leser, die einen wissenschaftlichen Stil schätzen.
Michael O’Sullivan
THE LEVELLING
Der ehemalige Banker beschreibt, warum die Ära
der Globalisierung sich ihrem Ende nähert, und
richtet den Blick in die Zukunft. Die hält er für wenig
rosig: Die Weltwirtschaft wird langsamer wachsen,
internationale Institutionen ihre Macht verlieren.
Stattdessen, glaubt er, werden sich die Staaten an
mindestens drei verschiedenen Polen orientieren,
die jeweils nach ihren eigenen Regeln funktionieren
– den USA, der EU und China. Ein spannendes, le-
senswertes Buch mit einer gewagten Vorhersage.
Fotos: PR (4)
Capital Ausgabe 01/2021
 Gerd Silberbauer
als „Arthur Bauer“
SOKO München, ZDF

Friederike Sturm
Präsidentin
LOTTO Bayern

Werbeinsel-
Marktführer
bei den Performern
(nach Sinus-Milieus®)*

SOKO München
montags | 18:00 Uhr

Kommen Sie zu uns. Das ZDF

ist mit 22 Mio. Zuschauern täglich Marktführer beim Gesamtpublikum in Deutschland.1

erreicht mit den Werbeinseln von "SOKO München" die höchste Reichweite bei den Performern und bietet
zugleich einen halb so teuren TKP im Vergleich zu ARD, RTL, SAT.1, PRO7 und VOX in dieser Zielgruppe.*

Vergleichen Sie hier: www.zdf-werbung.de/leistungsdaten

* Quelle: AGF Videoforschung in Zusammenarbeit mit GfK; videoSCOPE 1.3, Gesamtjahr 2019, Sehbet. Mio., Werbung Gesamt (TA 01-30), Marktstandard: TV,
Sendungsformat Serie. Milieu der Performer nach Sinus-Milieus®: Die multi-optionale, effizienz-orientierte Leistungselite: globalökonomisches Denken; Selbstbild
als Konsum- und Stil-Avantgarde; hohe Technik und IT-Affinität. Stand: 2.3.2020. 1Sendetag 3-3 Uhr, Zuschauer gesamt, Seher (Mio.), MA (%), Gesamtjahr 2019.
 ?
S TA RT

WIEDERVORLAGE
Was haben Gesetze tatsächlich bewirkt? ­
Diesmal: DAS VERPACKUNGSGESETZ

Die Deutschen gefallen sich als Weltmeister im Recyceln –

ein Selbstbild, das trügerisch ist. Beispiel Plastikmüll:
Von fünf Millionen Tonnen, die private und gewerbliche
Endverbraucher im Jahr produzieren, wird mehr als die
Hälfte „energetisch verwertet“, also verbrannt. Ein knap-
pes Drittel wird auf andere Länder abgewälzt. Als Kunst-
stoff neu nutzbar sind am Ende nur 16 bis 17 Prozent. Kei-
ne gute Bilanz, zumal die Verpackungsberge aktuell noch
wachsen: In der Corona-Ära werfen der Versandboom
und die To-go-Gastronomie noch eine Schippe drauf.
Um des Problems Herr zu werden, trat 2019 das
Verpackungsgesetz in Kraft. Es verpflichtet Herstel-
ler, Onlinehändler und sonstige Unternehmen, die
­Verpackungen in Umlauf bringen, Mengen und Material
bei der Zentralen Stelle Verpackungsregister (ZSVR) zu
melden und je nach Umfang Lizenzen zur Entsorgung
und Verwertung zu erwerben. Das Geld kassieren An-
bieter des Dualen Systems, die den Kunststoff ins Recy-
cling einspeisen.
So weit, so gut. Laut Umweltbundesamt (UBA) ka-
men Stand November 200 000 Hersteller den Pflichten
nach, mehr als dreimal so viel wie vor vier Jahren, als
statt des Gesetzes lediglich die Verpackungsverordnung
von 1991 galt. Drei von vier Behältern aus Kunststoff, Glas,
Metall, Aluminium, Papier oder Karton seien inzwischen
lizenziert, so das UBA.
Vorläufige Anerkennung zollt dafür sogar der WWF.
Für eine Bilanz sei es allerdings noch zu früh, sagen die
Umweltschützer, die schon jetzt auf Schwachpunkte hin-
weisen: Zwar stiegen dank strengerer Vorgaben die Recy-
clingquoten, doch das Gesetz leiste zu wenig für die Redu-
zierung des Müllaufkommens. Vor allem zeigt sich das bei
Getränken: Der angestrebten Mehrwegquote von 70 Pro-
zent stehen hier reale 40 Prozent gegenüber, Tendenz sin-
kend. Auch mache das Gesetz zu wenig Vorgaben für gut
zu recycelnde Materialien.
Eine Schwachstelle bleiben zudem Onlinemarkt-
plätze. Deren Händler sind eigentlich auch verpflichtet,
ihre Versandverpackungen beim Register zu melden,
tun das bisher aber zu wenig. UBA-Präsident Dirk Mess-
GUTE FRAGE
Stimmt es, dass der
Corona-Impfstoff zu
95 Prozent wirkt?
Die Impfstoffentwickler Biontech
und Pfizer beziffern die Wirksamkeits-
rate ihres Covid-19-Impfstoffs mit
95 Prozent, weit mehr, als viele Ex-
perten erwartet hatten. Die meisten
„(…) soll das Menschen dürften damit annehmen,
Gesetz das dass nach einer Impfung, wie sie in
Verhalten der den nächsten Wochen Hunderttau-
Verpflichteten sende Menschen erhalten sollen,
so regeln, dass 95 von 100 Personen geschützt sind.
Verpackungs­ Doch die Impfforscher meinen etwas
abfälle vorran­ anderes. Im Fall von Biontech/Pfizer
gig vermieden geht die Rechnung so: Sie verab-
und darüber reichten der einen Hälfte von 43 661
hinaus einer Freiwilligen den Impfstoff, der anderen
Vorbereitung ein Placebo. Dann warteten sie darauf,
zur Wieder­ bis 170 Menschen Covid-Symptome
verwendung entwickelten und positiv auf das Virus
oder dem Recy­ getestet wurden. Von diesen 170 hat-
cling zugeführt ten 162 ein Placebo erhalten und acht
werden.“ den Impfstoff. Damit hatte die Impfung
nur in fünf Prozent der Fälle eine
§1 (1), Gesetz Covid-Erkrankung nicht verhindern kön-
über das Inver­ nen, gewirkt hatte sie bei 95 Prozent.
kehrbringen, Allerdings wissen wir, dass Menschen
die Rücknahme mit dem Virus infiziert sein können,
und die hoch­ ohne Symptome zu zeigen. Ob und in
wertige Ver­ welchem Umfang es diese Fälle gab,
wertung von sagt die Studie nicht. Wichtig ist das,
Verpackungen weil diese Menschen eventuell auch
nach einer Impfung ansteckend sind.
In der realen Welt könnte sich der
Impfstoff auch als etwas weniger ef-
fektiv herausstellen, weil meist mehr
Menschen mit Gesundheitsproblemen
geimpft werden als in der Studie.

1,3 MRD.
ner würde die Plattformen gerne gesetzlich verpflichten,
sich von Händlern die Registrierung ihrer Verpackungen
nachweisen zu lassen. Mal sehen, was daraus wird.
Dosen Impfstoff will Bion­tech

TESTURTEIL:  Zufriedenstellend 2021 herstellen. Momentan gibt es

für die Produktion sechs Werke.

22 Capital Ausgabe 01/2021
How do you
recycle CO2 to make
stronger concrete?
CARBON CURING
PATENT NO. US 10,688,686 B2

Concrete is the most used man-made material on earth.1

But before it can be used, it must first be cured.

We’ve developed a new curing method, storing up to

200kg of CO2 in every ton of cement. Making it as strong
as regular concrete in 3 days instead of 28, for faster,
more efficient construction.

If the whole precast concrete industry switched to our

technology, we could recycle up to 246 million tons of
CO2 a year2 – equivalent to removing emissions from
53 million cars.3

See how we continue innovating for a better future at

aramco.com/betterfuture-carbon-curing

1
Source: Global Cement and Concrete Association
2
Annual global cement production in 2019: 4.1 billion tons. Precast industry is 30%
of total. Source: IEA.
3
Typical passenger vehicle emits around 4.6 metric tons of CO2 per year. Source: EPA.
 S TA RT
WESTERN VON GESTERN
Nach der Wende sollte der Luxus auch den Osten erobern. Mit Nobel­
bauten wie dem Berliner QUARTIER 206 blendete ein Steuerberater aus Jülich
die Republik – doch die Landschaften blühten nicht lange
Mit dem Quartier 206 setzte sich Anno Jagdfeld ein Denkmal
Es sollte die Krönung seines bishe­
rigen Lebenswerks werden. Als 1997
das Quartier 206 eröffnete, 8 000
Quadratmeter Nobel-Einkaufsfläche
im Herzen Berlins, war sein Erbauer
Anno August Jagdfeld längst reich.
Als geschäftstüchtiger Spross klein­
bürgerlicher Verhältnisse im äu­
ßersten Westen des Landes hatte er
es nach der Wende im Osten zu Geld
gebracht, mit geschlossenen Immo­
bilienfonds, gefördert durch Steuer­
sparmodelle, wie sie nach dem Mau­
erfall florierten.
Doch Jagdfeld wollte mehr als
nur Geld verdienen. Der ehemalige
Steuerberater gefiel sich als Hobby-
24
Altphilologe, der von alten Griechen
schwärmte. Statt gesichtslosen Büro­
häusern wollte er Mythen erschaf­
fen. Er legte einen Fonds auf, um das
legendäre Hotel Adlon in Berlin wie­
A N N O AU G U S T JAG D F E L D,
geb. 1946 als Sohn eines Schrei-
ners und Möbelhändlers, brüstet
sich schon als BWL-Student
damit, dass er mehr Geld verdient
als sein Professor. Er startet als
Steuerberater und Wirtschafts-
prüfer, bevor er mit geschlossenen
Immobilienfonds reüssiert.
deraufzubauen, er erweckte das Ost­
seebad Heiligendamm zu neuem Le­
ben. Jagdfeld versprach Luxus, Glanz
– und satte Gewinne. Eine Weile ging
das gut. Der Bundespräsident kam
zum Richtfest an die Ostsee, beim
G8-Gipfel in Heiligendamm führte
Jagdfeld Tony Blair über das Gelän­
de, für den Adlon-Aufbau bekam er
gar das Bundesverdienstkreuz.
Leider blieb die Rendite oft aus.
Mitunter, weil Geld in Jagdfeld-Gesell­
schaften floss statt an die Fondsanle­
ger. Mehrere Objekte endeten als To­
talverlust für die Investoren, auch im
Adlon tröpfelten die Erlöse nur zö­
gernd, das Grand Hotel an der Ostsee
ging pleite. „Natürlich habe ich was
von Felix Krull“, bekannte Jagdfeld
2012 gegenüber der „Süddeutschen“,
als der Niedergang längst begonnen
hatte: „Der liebte Hotels, der liebte
schöne Dinge.“ Später sah der geschei­
terte Immobilientycoon nur noch Nei­
der und Übelwoller am Werk. Sein ge­
schrumpftes Restgeschäft lässt er
heute von seinen Söhnen abwickeln.
Um Jagdfelds Luxuspassage
Quartier 206 kümmert sich seit Jah­
ren ein Zwangsverwalter. Der Mar­
morbau ist inzwischen so herunter­
gekommen, dass die „FAZ“ ihn als
„zentralste Deadmall Deutschlands“
beschreibt, als „totes Einkaufszen­
trum“. Als der Bau im Sommer 2020
zwangsversteigert wurde, erhielt für
240 Mio. Euro eine Gesellschaft den
Zuschlag, hinter der sich Jagdfelds
Familie verbarg. Doch der Rückkauf
scheiterte – es floss nie Geld. Der
nächste Auktionstermin, angesetzt
Illustration: Jindrich Novotny
auf Ende 2020, wurde pandemiebe­
dingt auf 2021 verschoben. Ein Gut­
achter taxierte den Koloss, dem
Jagdfeld einst eine halbe Milliarde
an Wert zuschrieb, zuletzt noch auf
39 Mio. Euro.
Capital Ausgabe 01/2021
DIE SICHERE PARTNERSCHAFT
IN UNSICHEREN ZEITEN:
UNTERSTÜTZUNG DURCH
IHRE STEUERBERATUNG.
Die Corona-Krise stellt Unternehmen aller Branchen vor
nie dagewesene Herausforderungen. Ihre Steuerberatung
hat Antworten auf Ihre betriebswirtschaftlichen Fragen
und steht Ihnen mit Rat und Tat zur Seite.

GEMEINSAM-BESSER-MACHEN.DE
Zukunft gestalten.
Gemeinsam.
 S TA RT

Nach einem beispiellosen Ren-

nen sind die ersten Impfstoffe

GRAPHIC NOVEL
gegen Covid-19 bereit für den
Einsatz. Im ersten Halbjahr
2021 dürfte weltweit die wohl
Eine Geschichte, erzählt in Zahlen: größte Impfkampagne der
Geschichte starten – wenn nach
Wie deutsche Unternehmen beim IMPFSTOFF
den britischen auch die Be­
gegen Covid-19 mitmischen hörden in den USA und in der
EU Genehmigungen erteilt
haben. Ganz vorne mit dabei
ist das Mainzer Unternehmen
­Biontech, dessen mRNA-Impf-
stoff in Großbritannien bereits
So funktioniert der gespritzt wird. Doch auch an
mRNA-Impfstoff anderen Stellen der nun an­
TEXT: laufenden Impfkette sind
MONIKA DUNKEL deutsche Firmen beteiligt:
Die mRNA (eine Art
UND NILS KREIMEIER
Bauanleitung) für
das Protein an der

1,4
GRAFIK: Oberfläche des Virus

Quellen: Weltgesundheitsorganisation, Vaccine Tracker New York Times, Robert-Koch-Institut, Verband Forschender
K AT H A R I N A N O E M I wird injiziert Milliarden Dosen
METSCHL Impfmittel von
mehreren Her-
Körpereigene Zellen stellern hat sich
können anhand der die EU gesichert
mRNA das Antigen
selbst produzieren

Die Produktion startete, bevor Die Immunzellen mRNA-Impfstoffe wie der von

Arzneimittel­hersteller, Unternehmensangaben Biontech, Moderna, AstraZeneca

klar war, ob der Impfstoff wirkt erkennen das Anti- Biontech gehören zu den Vor-
gen und bauen reitern im Rennen, auch weil
einen Schutz auf
sie sich schneller entwickeln
lassen als Impfungen in her-
kömmlichen Verfahren. In
Deutschland arbeitet neben
Biontech auch das Tübinger
BIONTECH/PFIZER MODERNA ASTRA ZENECA
Unternehmen Curevac an ei-
Dosen 2021  1,3 Mrd. Dosen 2021  1 Mrd. Dosen 2021  2 Mrd.
Start  03/2020 Start  09/2020 Start  05/2020
nem mRNA-Impfstoff. In den
Fabriken  5 Fabriken  2 Regionale Partner  20 USA gehört Moderna dazu.

–70°C –20°C 2–8°C

Biontechs Impfstoff hält sich Lagertempera-
bis zu fünf Tage in normalen turen für
Kühlschränken. Nur bei Trans- die Impfstoffe
port und monatelanger Lage-
rung sind Südpol-Minusgrade
nötig. Angesichts der Nach-
frage dürfte eine längere Lage-
rung kaum erforderlich sein.
Die Stoffe von Moderna und
Astra Zeneca sind in der Kühl-
kette einfacher zu managen. Biontech/Pfizer Moderna Astra Zeneca

26 Capital Ausgabe 01/2021
 27
Zentrallager in Deutsch-
land übernehmen die
Verteilung des Impfstoffs
2
Impfdosen sind für jeden
notwendig, um sich vor dem
Coronavirus zu schützen
8,6
Millionen Deutsche fallen
Im Januar startet die größte
Massenimpfung aller Zeiten.
Risikogruppen und medizini-
in die Gruppe, die
zuerst geimpft werden soll sches Personal haben Vorrang.

Fraport, Lufthansa und an- Infos zur 15 Mio.

dere Airlines rüsten sich in Logistik besondere
Kühlboxen
Deutschland für die Verteilung 15 000
der hochempfindlichen Impf- Flüge mit Flugzeugen,
die für den Transport ausge-
stoffe. Der Transport der klei- stattet werden müssen
nen Ampullen in alle Länder
der Welt wird ein Megaprojekt,
vor allem für Fluggesellschaf-
ten und Speditionen. Die Post-
Tochter DHL hat das kommen-
2O0 000
de Jahr schon durchgeplant: Paletten mit Impfdosen

Deutsche Standorte Spritzen und Kanülen

in der Produktionskette
Eine wichtige Rolle für die
Produktion von Impfwerkzeu-
gen wie Spritzen und Kanülen
spielt B. Braun aus Melsun-
gen, Anbieter einer Palette
von Produkten des medizini-
schen Bedarfs. Kanülen fertigt
das Unternehmen in Malaysia, Abfüllung
Einwegspritzen in Hessen
F Dermapharm aus
E  G Brehna bei Leipzig füllt
D G den Biontech-Impfstoff
ab. Auch der US-Kon-
C zern Baxter Oncology
B wird im ostwestfäli-
schen Halle Impfstoffe
Kälteexperten
von deutschen
Herstellern abfüllen
A
 E +  F

 A
Das schwäbische
Familienunter-
Deutschlandweit steuern klei- nehmen Binder Ampullen aus Spezialglas
ne und mittelständische Un- aus Tuttlingen
ternehmen zum Erfolg des Co- stellt Ultratief-

2 1,5
kühlschränke her
vid-Impfstoffs bei. Sie liefern
Zutaten für die Entwicklung,
sorgen für Gläschen, Abfül- Milliarden Milliarden
Ampullen Fläschchen
lung, Tiefkühler und Trocken- kann will Gerres­
 B
eis. Andere stellen Spritzen Schott aus heimer aus
und Kanülen her, die Werk- Va-Q-Tec aus Mainz bereit- Düsseldorf
Würzburg baut stellen liefern
zeuge, die für den Einsatz der
Thermoboxen für
Impfung gebraucht werden. den Transport C  D

27
 S TA RT

IMPRESSUM
Index Seitenangaben richten sich nach der
Startseite des jeweiligen Artikels

REDAKTION  A N Z E I G E N V E R K AU F  A Finance  138 P

Lennéstraße 3, 10785 Berlin Fabian Rother, Director Brand Solutions
A. Lange & Fraport  26, 74 Patek
(­verantwortlich für Anzeigen), G+J e|MS,
Söhne  158 Philippe  158
C H E F R E DA K T E U R  Am Baumwall 11, 20459 Hamburg. Es gilt
Horst von Buttlar Allianz  122 G Payback  66
die aktuelle Preisliste: www.gujmedia.de
Allianz Global General Pfizer  26, 104, 108
S T E L LV E RT R . S Y N D I C AT I O N  Investors  108 Atlantic  66 Pictet Asset
C H E F R E DA K T E U R Picture Press Bild- und Textagentur GmbH, Amazon  Gerresheimer  26 Management  108
Timo Pache E-Mail: sales@picturepress.de  48, 66, 74, 114 Goldman Pimco  122
AnimusX  138 Sachs  66, 122 Ping An  66
A RT - D I R E K T O R I N  L I Z E N Z E N  Apple  48, 66, 114 Google  48, 66 Pommery  90
Katharina Metschl Brand Products and Licensing: Siegel und AstraZeneca  26 Grover  14 Porsche  160
Sonderdrucke, Koordination: Petra Martens, Aurumtours  66 Prologis
F O T O C H E F  E-Mail: kamauf.isabella@guj.de Austrian H Strategy  74
Maximilian Virgili
Airlines  74 Herrenknecht  84 Prosiebensat1  66
D R U C K 
HQ Trust  108
T E X T C H E F S  Mohn Media Mohndruck GmbH
Jens Mühling, Philipp Schwenke B HUK-Coburg  66 Q
CAPITAL-SERVICE B. Braun  26 Qatar Airways  74
L E I T E N D E R E DA K T E U R E Babor  162 I
Martin Kaelble (Leitung Digital), A N F R AG E N A N D I E R E DA K T I O N Bain & Immoscout24  134 R
Nils Kreimeier, Jenny von ­Zepelin Telefon: 030/220 74-5120 Company  48, 66 Infineon  58 Relaxdays  164
E-Mail: capitalredaktion@capital.de Baxter Init  14 Riedel
R E DA K T I O N  Oncology  162 Glas  156, 158
Kai Beller (capital.de), Janina Büschking N AC H B E S T E L L E N  Bayer  58, 104 J Rituals  158
(Assistenz und Events), Monika Dunkel, Capital-Versandservice, 20080 Hamburg. Beiersdorf  58 J.P. Morgan Asset Roborock  156
Birgit Haas, John Hunter (Finance Forward), Bitte geben Sie bei Ihrer Bestellung die Binder  26 Management  108 Rocket
­Siems ­Luckwaldt (Fashion & Lifestyle), gewünschte Heftnummer an. Jedes Heft Biontech  JLL  134 Internet  14
­­Lutz Meier, Nadine Oberhuber, Charlotte kostet 8,90 Euro zuzüglich 1,79 Euro
Raskopf, Stefan Schaaf, Caspar Tobias  26, 104, 108 Joonko  66
anteilige Versandkosten je Sendung.
Schlenk (Finance Forward), Thomas Stein- BMW  32, 48, 104 Just Eat  156 S
Telefon: 030/20 17 91 90
mann, Niklas Wirminghaus, Marina Zapf Boeing  74 Salesforce  114
E-Mail: heft-service@guj.de
Braun K Sanford C.
Online: shop.capital.de
F R E I E M I TA R B E I T E R Hamburg  156 Konstantin Bernstein  160
D I E S E R AU S G A B E  ABONNEMENT UND Brilliance  32 Starke  156 Scalable
Philipp Mattheis, Guido Reinking, Andrzej K U N D E N­S E RV I C E Brinckmann & Korean Air  74 Capital  12
Rybak, Bernd ­Ziesemer Gruner + Jahr GmbH Lange  158, 162 Kredite24  66 Schott  26
Capital Kundenservice Brunello Krupp  90 Siemens  58, 114
F O T O R E DA K T I O N 20080 Hamburg, Deutschland Cucinelli  156 Kyoto Siemens
Christiane Ludeña Telefon: 030/20 17 91 90 Distillery  156 Healthineers  58
Telefon für Österreich, Schweiz und C Kyrö Slack  114
GRAFIK
restliches Ausland: +49/30/20 17 91 90 C24 Bank  66 Distillery  156 Swatch  156
Alina Jungclaus, Vanessa Leyssner,
Fax: +49/1805/861 80 02 Carmignac  108 Swiss  74
Carmen Reina
E-Mail: abo-service@guj.de Check24  66 L SWK Bank  66
Online: capital.de/kundenservice
I L L U S T R AT O R E N D I E S E R Christ  162 Landesbank Hessen- Symrise  114
AU S G A B E Commerzbank  108 Thüringen  108
C A P I TA L I M A B O N N E M E N T
Jindrich Novotny, Emma Roulette Credit Suisse  108 Latam Airlines  74 T
Preis für 12 Ausgaben (ggf. inkl. eines
Sonderhefts zum Preis von zzt. 8,90 Euro) Curevac  26 L’Occitane  156 Thyssenkrupp  48
L E K T O R AT Louis Vuitton  90 Trivago  66
inkl. MwSt. und Versand: 106,80 Euro,
Heike Barnitzke, Ludger Booms, Inger D Lufthansa 
Abo-Auslandspreise auf Anfrage.
­Hoffmann, Ole Schnoor, Ralph Schüngel
Mitglieder des MTP e. V., des BDU e. V. Daimler  48, 104  26, 74, 104 U
und ­einiger im BVH e. V. organisierten Dekabank  108, 128 Lufthansa Union
V E R A N T W O RT L I C H
IM SINNE DES PRESSERECHTS Vereine ­sowie des Hamburg Media School Dermapharm  26 Innov. Hub  74 Investment  108
Horst von Buttlar ­Alumni e. V., des Frankfurt School Alumni e. V.,­ Deutsche LVMH  90
des ESB Reutlingen Alumni e. V., des Bundes- Bank  66, 108, 82 V
verband Deutscher Kapitalbeteiligungsge- DHL  26 M Va-Q-Tec  26
VERLAG 
sellschaften e. V., des International Bankers Dr. Klein  134 Manufactum  156 Varian  58
G+J Wirtschaftsmedien Verwaltungs GmbH,
Forum e. V., des Goethe Finance Club e. V., Dresser-Rand  58 McMakler  134 Verivox  66
Am Baumwall 11, 20459 Hamburg
des Absolventum Mannheim e.V. sowie des DWS  108 Microsoft  66 Veuve
AlumniUm e.V. erhalten Capital im Rahmen
GESCHÄFTSFÜHRUNG DZ Bank  108, 128 Moderna  26 Clicquot  90
ihres Beitrags.
Horst von Buttlar, Annette von Ekesparre Moët & Virgin
© Copyright 2020 für alle Beiträge bei E Chandon  90 Atlantic  74
D I G I TA L E S & N E W B U S I N E S S  Ebay  164 Moët Vodafone  58
­Gruner + Jahr GmbH. Nachdruck, Aufnahme
Verena Hodapp Eisch  156 Hennessy  90 Volkswagen  32
in Onlinedienste und Internet sowie
Vervielfältigung auf Datenträger wie CD-ROM, Emirates  74 Moneysuper-
MARKETING
DVD-ROM etc. nur nach vorheriger Empirica  134 market  66 W
Sandra Meyer (Leitung), Ewgenia Klaschik
schriftlicher Zustimmung. Etihad Airways  74 Morgan Waterford  156
(Marketing Manager)
Etro  156 Stanley  122 Webasto  32, 40
Eurowings  74 Weinheimat
V E RT R I E B 
Expedia  66 N Württemberg  158
DPV Deutscher Pressevertrieb,
EY  14 Nobilis  158 Wirecard  121
Sales Director: Sarah Engelbrecht,
Postfach 57 04 02, 22773 Hamburg Nomos Wonder.me  82
DIE NÄCHSTE F Glashütte  158 Wüsthof  156
H E R S T E L L U N G  CAPITAL ­ Facebook  48, 66
G+J Herstellung, Heiko Belitz (Ltg.), ERSCHEINT Fidelity O Z
Matthias Richter AM 21. JANUAR International  108 Ottonova  66 Zalando  114
Finleap  66 Oxford Zara  90
Frankfurt School of Economics  48 Zumnorde  156

28 Capital Ausgabe 01/2021
Zusammenarbeit und Solidarität
sind in Zeiten von COVID-19
wichtiger als je zuvor
Deshalb arbeiten wir bei Facebook mit beinahe 100 Regierungen und
Organisationen weltweit zusammen, darunter die Weltgesundheits-
organisation und das Europäische Zentrum für die Prävention und die
Kontrolle von Krankheiten. So können wir relevante Informationen zu
COVID-19 auf unseren Plattformen veröffentlichen. Gemeinsam bauen
wir Ressourcen auf, um Menschen in Echtzeit zuverlässig zu informieren
und die Pandemie einzudämmen.

• In Spanien nutzt die Weltbank die Facebook Karten zur Prävention von
Krankheiten, um den Bedarf an COVID-19-Tests und Krankenhausbetten
vorherzusagen.

• Französische und italienische Epidemiologen und Gesundheitsexperten

prognostizieren mit unserer Technologie die Ausbreitung von COVID-19
und ermitteln die am stärksten gefährdeten Regionen.

• Gemeinsam mit europäischen Regierungen haben wir WhatsApp-

Chatbots entwickelt, die gesundheitliche Fragen zu COVID-19 schnell
und präzise beantworten.

Erfahre mehr über unsere Zusammenarbeit und Unterstützung im

COVID-19-Informationszentrum auf about.fb.com/de/europe
 Handelsblatt
Today
Der börsentägliche Podcast für die Trends und Hintergründe
aus Wirtschaft und Finanzwelt

NEU

Lena Bujak Mary-Ann Abdelaziz-Ditzow

Redakteurin Handelsblatt Redakteurin Handelsblatt

Was sind die entscheidenden News des Tages und wie wirken sie sich
auf die Finanzwelt aus? In unserem neuen Podcast Handelsblatt Today
erfahren Sie es. Montags bis freitags immer ab 17 Uhr.

Jetzt reinhören: handelsblatt.com/today

„Was wissen wir
denn in Berlin darüber,
wie die Lage in
Berchtesgaden ist?“
POLITIKWISSENSCHAFTLER HERFRIED
M Ü N K L E R B E F Ü RW O RT E T I N D E R
PA N D E M I E K L E I N ­T E I L I G E R E P O L I T I S C H E
ENTSCHEIDUNGEN: NICHT IMMER
AU F B U N D E S E B E N E , S O N D E R N VO R O RT

SEITE 60
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
China

DAS ERWACHEN
Rosiges Bild: In
Wuhan, wo die
Pandemie begann,
bestaunen im
Oktober Besucher
eines Parks die
Haargrasblüte

Foto: Zhao Jun/VCG via Getty Images

32 Capital Ausgabe 01/2021
DER MACHT

TEXT:
P H I L I P P M AT T H E I S

Während der Rest der Welt in der Rezession steckt, feiert

China den Wiederaufschwung: Die Pandemie scheint
weitgehend überwunden, die Wirtschaft läuft. Das Bild wirkt
rosig – doch wer sich im Land umsieht, erkennt Brüche

33
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
China
Auch wenn es
nicht mehr
Pflicht ist, trägt
Jack Ge lieber
noch Maske.
Der Werksleiter des Autozulieferers
Webasto in Wuhan hat die Pande-
mie kommen und gehen sehen. Von
hier aus ist Corona nach Deutsch-
land übergesprungen: Eine infizierte
Mitarbeiterin des Werks reiste im Ja-
nuar 2020 von China nach Stockdorf
bei München – der Rest ist Geschich-
te. Doch während Deutschland und
der Rest der westlichen Welt bis
heute in selbst verordneter Pande-
mie-Schockstarre sind, ist die Wirt-
schaft in Wuhan inzwischen weitge-
hend zur Normalität zurückgekehrt.
An der Werkseinfahrt wird bis
heute die Körpertemperatur gemes-
sen, und wer sich auch nur ein biss-
chen krank fühlt, soll auch künftig
lieber von zu Hause aus arbeiten. Die
Produktion aber läuft längst wieder
auf Hochtouren. „Ab April kamen
unsere Mitarbeiter schrittweise zu-
rück in die Fabrik“, sagt Ge. „Seit Juni
läuft hier alles wieder auf 100 Pro-
zent.“ Die Regierung half, indem sie
Steuern und Sozialversicherungsbei-
träge teilweise erließ und den Trans-
port von Arbeitern zum Werk organi-
sierte, erzählt Ge.
Noch keine zwei Jahre alt ist
das Webasto-Werk in Wuhan (sie-
he auch Interview mit Konzernchef
Holger Engelmann ab Seite 40). Stolz
zeigt Ge auf ein Foto, das ihn mit An-
gela Merkel zeigt, die Kanzlerin kam
zur Eröffnung nach China. Rund
1 Mrd. Renminbi, etwa 130 Mio. Euro,
setzt das Werk um. Der Automatisie-
rungsgrad ist hoch, Roboter bringen
in der Fabrikhalle Autodächer von ei-
ner Produktionsstation zur nächsten.
Dieses Jahr wird der Umsatz
pandemiebedingt unter Plan lie-
gen, aber die durch den Stillstand im
F­ebruar und März entstandenen Ver-
34
luste wird das Werk wohl wettma-
chen. Webasto produziert hier weit-
gehend für den chinesischen Markt,
auf dem sich die Nachfrage stabili-
siert hat. „Teilweise liegen wir sogar
über den Erwartungen“, sagt Ge.
In Wuhan, einer Stadt, die we-
gen ihrer heißen Sommertemperatu-
ren „Chinas Backofen“ genannt wird,
ist nun zwar der Winter eingekehrt,
womit auch hier die Furcht vor einer
zweiten Welle wächst. Deshalb bleibt
Jack Ge vorsichtshalber beim Mas-
ketragen – sicher ist sicher. „Aber
wahrscheinlich“, so fasst es der
Werksleiter zusammen, „ist China
gerade der sicherste Ort der Welt.“
DIE KRISE IST VORBEI
Die wenigen Ausländer, die dieser
Tage nach China reisen, finden tat-
sächlich ein Land vor, in dem das
­Virus kaum eine Rolle mehr zu spie-
len scheint. In Schanghai sitzen an
sonnigen Tagen junge, neureiche
Chinesen vor den Cafés der ehemali-
gen französischen Konzession, trin-
ken Kaffee und rauchen Zigaretten,
während sich ringsum die Restau-
rants und Bars füllen. Masken trägt
hier fast kaum einer mehr, auch an
Abstandsregeln hält sich niemand:
Dicht an dicht schlürfen die Chinesen
wie eh und je ihre Nudeln. Seit April
meldet Peking täglich zwischen zehn
und 30 Neuinfektionen – ein Witz bei
einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden.
Aus China mag die Pandemie in die
Welt gekommen sein, aber dank rigo-
roser Maßnahmen, so scheint es, ist
China nun auch das erste Land, das
die Pandemie überstanden hat.
Der 29-jährige Ex-Soldat Dou
Guojing ist stolz auf seine Heimat.
„Ich glaube, kein Land hätte diese
Krise besser bewältigen können als
China“, sagt er. „Im Westen kümmert
man sich zu viel um Individualrechte
und Datenschutz. In China konnten
wir alles zentral organisieren.“
Dou war in seiner Heimatpro-
vinz Gansu, als die Ausgangssper-
re begann. Kurz darauf trat er
Links: Die Sozial­
arbeiterin Guo
Jing schrieb
ein Lockdown-
Tagebuch, das
wegen Regie-
rungskritik nur
in Taiwan er-
scheinen konnte
Rechts: In den
Hallen des
Huanan-Fein-
kostmarkts in
Wuhan verbrei-
teten sich im
Dezember 2019
die ersten Covid-
Infektionen
Fotos: Dave Tacon (2)
Capital Ausgabe 01/2021
35
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
China

einer Freiwilligengruppe bei. Vom Diese Seite:

Laptop aus koordinierte er täglich
bis Mitternacht Informationen, um
Betroffenen zu helfen. Dou sagt, es
habe Hunderte solcher Gruppen ge-
geben, jede mit Tausenden Mitglie-
dern. „Dieses Gefühl der Einheit war
überwältigend. Die Pandemie hat
China geeint und stärker gemacht.“
SKEPSIS IST ANGEBRACHT
Eine Portion Skepsis ist angebracht
gegenüber den chinesischen Zah-
len. Es gibt kaum eine Statistik, die
die Regierung in Peking nicht schon
gefälscht oder manipuliert hätte,
vom BIP-Wachstum über die Luft-
verschmutzung bis zu HIV-Erkran-
kungen. Auch die Covid-Infektionen
könnten also weit höher liegen als
angegeben. Zweifellos aber reagiert
die Regierung derzeit auf jeden noch
so kleinen Ausbruch radikal. Als im
Oktober in Tianjin bei Peking ein
Cluster von 30 Infektionen auftauch-
te, wurde die gesamte Stadtbevölke-
rung – drei Millionen Menschen –
zum Corona-Test verdonnert.
Auch besteht kein Zweifel, dass
China wieder wächst. Wie auf Knopf-
druck begann die Bevölkerung nach
dem Lockdown erneut zu konsu-
mieren: Die Chinesen kaufen Autos,
Smartphones, sie verreisen, zumin-
dest im Inland. In der Goldenen Wo-
che, einer von zwei staatlichen Feri-
enwochen, tingelten 700 Millionen
Bürger kreuz und quer durchs Land.
Im dritten Quartal legte das
chinesische BIP um fünf Prozent
zu. Aufs Jahr gerechnet dürften es
Der Ex-Soldat
Dou Guojing
engagierte sich
im Lockdown in
einer Hilfsgrup-
pe. „Die Pande-
mie hat China
geeint“, sagt er
Rechts: Wo-
chenlang war
das öffentliche
Leben in Wuhan
lahmgelegt.
Jetzt gehen die
Kinder wieder
zur Schule –
ohne Mund-
schutz
„Viele Jobs sind bis heute nicht zu- Plus, Autos unter 10 000 Euro dage-
rückgekommen“, sagt Guo Jing. Die gen ein Minus von 35 Prozent. Auch
29-jährige Sozialarbeiterin hatte im Mittelsegment sieht es nicht gut
während der Pandemie Tagebuch aus. „Deshalb konnten zwar die deut-
geführt. Weil es zu viel Kritik an der schen Premiumhersteller gute Zah-
Regierung enthielt, lehnte ihr chine- len präsentieren, aber bei Volkswa-
sischer Herausgeber eine Veröffent- gen sieht es schon anders aus.“
lichung ab. Ein Verlag aus Taiwan Zu erkennen sei, dass die Sti-
publizierte es schließlich. Guo sagt mulierungspakete der Regierung vor
auch, dass die Pandemie die Priori- allem den Besserverdienenden zu-
täten der Menschen in Wuhan ver- gutekommen. „In der Mittelschicht
ändert habe. „Meine Cousins wollen und darunter sind die verfügbaren
Fotos: Dave Tacon, Xiong Lingling/Stringer/Imaginechina/laif

etwa zwei Prozent werden. Das ist
für China historisch niedrig, aber es
übersteigt das Wachstum nahezu al-
ler westlichen Volkswirtschaften, die
gerade die tiefste Rezession seit dem
Zweiten Weltkrieg durchleben.
Erst bei näherem Hinsehen
zeigt sich: Nicht alles, was Ende 2020
glänzt, ist auch Gold. Ein Taxifahrer
in Wuhan klagt, dass er maximal
70 Prozent seiner früheren Umsätze
erzielt. Reisende wagen sich kaum
nach Wuhan, Hotels stehen leer.
jetzt Jobs bei der Stadtverwaltung.
Sicherheit ist auf einmal viel wichti-
ger geworden.“
Die Pandemie treffe vor allem
untere Einkommensschichten, sagt
Jochen Siebert von der Beratung
JSC, die in Schanghai und Singapur
sitzt. Das zeige sich bei den Autover-
käufen: „Auf den ersten Blick sieht
es gut aus, aber es gibt große Unter-
schiede zwischen den Preissegmen-
ten.“ Die Klasse oberhalb von 35 000
Euro verzeichnet ein deutliches
Einkommen durch die Pandemie ge-
sunken, oder zumindest die Lohnzu-
wächse“, sagt Siebert. „Die Krise trifft
kleine Unternehmen am härtesten.“
Der Berater ist seit Monaten
nicht in Schanghai gewesen, er wird
bis auf Weiteres in Singapur bleiben.
Ähnlich geht es vielen Ausländern:
Wer derzeit nach China einreisen
will, braucht eine Aufenthaltsge-
nehmigung, einen negativen Coro-
na-Nachweis, einen Antikörpertest –
und muss trotzdem für zwei Wochen

36 Capital Ausgabe 01/2021
in strikte Hotelzimmer-Quarantäne.
Kein Land der Welt hat derzeit härte-
re Einreisebestimmungen.
Jörg Wuttke, Präsident der Eu-
ropäischen Handelskammer in Chi-
na, drängt seit Monaten die chinesi-
sche Regierung, wieder mehr Expats
ins Land zu lassen. „Brutal“ nennt
er die Hürden, die nicht nur die Ar-
beit von Unternehmen erschwe-
ren, sondern auch Familien trennen.
„Schlimmstenfalls kann das bis zum
chinesischen Frühlingsfest anhalten.“
LEICHEN IM KELLER
Nach der globalen Finanzkrise war
oft zu hören, China habe mit sei-
nem gigantischen Konjunkturpa-
ket die Weltwirtschaft gerettet. Für
über 600 Mrd. Dollar wurden damals
Brücken, Flughäfen, Hochgeschwin-
digkeitszüge gebaut, ein Programm,
das weltweit die Nachfrage ankurbel-
te. Heute ist es eher umgekehrt: „Das
chinesische BIP wächst auch, weil
die Welt noch immer auf die Fabrik
China angewiesen ist“, sagt Wuttke.
„Das wirkt sich positiv auf das her-
stellende Gewerbe aus.“ Wie nach-
haltig das ist, steht auf einem ande-
ren Blatt. „Das meiste Geld floss in
Form billiger Kredite an die großen
Staatsunternehmen. Die tun das, was
die Regierung ihnen sagt.“
Das Konjunkturpaket von 2008
hat auch ein paar Leichen im Keller
hinterlassen: Geisterstädte in der
Inneren Mongolei, Brücken, die ins
Nirgendwo führen, Kohlekraftwer-
ke, die die Luft verpesten. Wachstum
also, das auf dem Papier gut aussieht,
aber nicht wirklich die Produktivität
erhöht – und zudem die Schuldenlast
steigen lässt. Letztere habe durch die
Pandemie inzwischen „dramatische
Ausmaße“ erreicht, sagt Wuttke.
Neu ist das Problem nicht. Seit
Jahren warnen Experten vor Chinas
eskalierender Verschuldung. An-
ders als im Westen sind dabei nicht
die Schulden der Regierung oder der
Privathaushalte das Problem, die bei
je rund 60 Prozent liegen. In China
sind es die Unternehmen, die immer
mehr Geld brauchen, um immer we-
niger Wachstum zu erwirtschaften.
Addiert man ihre Schulden zu denen
von Regierung und Haushalten, liegt
die Schuldenquote bei gewaltigen 335
Prozent der Wirtschaftsleistung.
Das bringt immer mehr Unter-
nehmen in die Bredouille. So geriet
jüngst der staatliche Autobauer Bril-
liance in Zahlungsschwierigkeiten,
der örtliche Joint-Venture-Partner
von BMW. Ausländische Unterneh-
men aus Schlüsselbranchen müssen
in China mit Staatsunternehmen ko-
operieren – die Regierung will so den
Technologietransfer ankurbeln, um
heimische Unternehmen langfristig
unabhängiger zu machen. In der Au-
tobranche hat das bisher allerdings
nicht funktioniert. Immer öfter hört
man deshalb nun von Staatsunter-
nehmen, die finanziell straucheln.
Wer es positiv betrachten will,
sieht darin eine Reifung des Kredit-
markts. „Die Regierung in Peking ist
sich der Risiken bewusst“, sagt Max
Zenglein vom Mercator Institute for
China Studies in Berlin. „Dass nun
auch Staatsunternehmen für
37
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
China

ihre Schulden geradestehen müs-
sen, ist eigentlich ein gutes Zeichen.“
Die kommenden Monate und
Jahre dürften nicht einfacher, son-
dern schwieriger werden. Der desi-
gnierte US-Präsident Joe Biden mag
konzilianter sein als sein Vorgän-
ger, doch die Probleme zwischen
den beiden größten Volkswirtschaf-
ten der Welt sind strukturell. Es geht
um die Vorherrschaft im Halbleiter-
bereich, der 5G-Technologie und der
künstlichen Intelligenz. Hinzu kom-
men regionale Konflikte im Südchi-
nesischen Meer und Pekings gravie-
rende Menschenrechtsverletzungen
in Hongkong und vor allem in der
Uiguren-Provinz Xinjiang. Dass ge-
gen Chinas wachsende Dominanz et-
was getan werden muss, ist mittler-
weile Konsens in beiden US-Parteien.
Biden dürfte versuchen, alte Allian-
zen wiederzubeleben, vor allem mit
der EU, um ein stärkeres Gegenge-
wicht zu Peking zu schaffen.
„Man sieht in China wirt-
schaftlich wie politisch mit wachsen-
der Unsicherheit auf das Ausland“,
sagt Zenglein. „Unter Trump konnte
man gegenüber kleineren Ländern
der Region dominant auftreten. Das
wird sich unter Biden ändern.“
VOM EINBRUCH ERHOLT Das Bild vom sicheren und prospe-
Monatliche Autoverkäufe im chine­ rierenden China, das dem Rest der
sischen Großhandel, in Millionen Welt bei der Bewältigung der Pan-
2 demie weit voraus ist, hat also seine
Brüche. Zumal auch hier die Angst
1 vor einer zweiten Welle omniprä-
2019 sent ist. Wie angespannt die Men-
2020 schen sind, zeigte sich etwa an ei-
0 nem Sonntag Ende November am
Januar November
Flughafen Schanghai-Pudong. In der
Nacht tauchten in den sozialen Medi-
BOOM DANK KONSUM
Zusammensetzung des en Videos des Vorfalls auf. Zu sehen
chinesischen BIP, Anteile in Prozent waren Sicherheitsbeamte in Ganz-
körperschutzanzügen, die verzwei-
18 felt versuchen, eine Menschenmen-
2010 2018 ge zurückzuhalten, bis ihre Kette
45 durchbrochen wird und Scharen ins
24 76
Freie strömen. Kurz darauf tauch-
Privatkonsum Exporte Rest te die Meldung auf, dass der Flugha-
fen für zwei Wochen gesperrt wird.
NUR CHINA WÄCHST Am nächsten Tag stellte sich heraus:
Prognostiziertes BIP-Wachstum in aus- Nachdem zwei Flughafenmitarbeiter
gewählten Regionen, in Prozent positiv auf das Virus getestet worden
China Welt Euro­ USA Deutsch- waren, wollten die Behörden mit-
8,0 raum land ten in der Nacht kurzerhand 14 000
4,2 3,6 3,2 Angestellte in Quarantäne stecken.
1,8 2,8
Hunderte flohen in Panik.
Es ist nur ein Ausschnitt, doch
–4,2 –3,7
–5,5 er zeigt, wie gering im Ernstfall das
–7,5 Vertrauen in die Maßnahmen der Re-
2020
2021 Quellen: OECD, National Bureau of
gierung ist. Und die zweite Welle hat
Statistics of China, GTAI, CADA, CPCA noch gar nicht begonnen.

Verkehrte Welt:
Während Hallo-
ween in den
USA 2020 weit-
gehend flachfiel,
feierten Chi-
nesen das Fest
im Oktober in
Wuhan
Foto: Getty Images

38 Capital Ausgabe 01/2021
W E LT D E R W I RT S C H A F T
Autoindustrie

Holger Engel-
mann, hier in der
Zentrale von
Webasto in Stock­-
dorf, ist seit
Januar 2013 Vor-
standschef des
Unternehmens
 „WIR SEHEN
AUCH
DIESES V“ I N T E RV I E W:
NILS KREIMEIER

FOTOS:
B E RT H E I N Z L M E I E R

Im Januar kämpfte Webasto mit dem ersten offiziellen deutschen

Covid-19-Fall. Der Autozulieferer stand für Wochen still. Mit Capital sprach
Konzernchef Holger Engelmann über das Ausnahmejahr,
die mühsame Rückkehr zur Normalität und das Wachstum in China

Es liegt ein außergewöhnliches Jahr hinter

WEBASTO
Ende Januar 2020 geriet das
bayerische Unternehmen
Webasto ungewollt in die
weltweiten Schlagzeilen. Eine
chinesische Mitarbeiterin des
Autozulieferers hatte bei einem
Besuch in Deutschland Kolle-
gen mit dem Covid-19-Virus
angesteckt. Es waren, soweit
man heute weiß, die ersten
Fälle in Deutschland. Webasto
reagierte schnell: Vorstands-
chef Holger Engelmann ließ
die infizierten Mitarbeiter
isolieren und führte neue Hygi-
eneregeln ein. Daraus entstand
auch ein Leitfaden für andere
Unternehmen. Webasto ist mit
elf Werken allein in China und
Dutzenden weiteren Stand-
orten international stark ver-
netzt. Die Gruppe erzielte mit
Produkten wie Schiebedächern
und Heizsystemen 2019 einen
Umsatz von 3,7 Mrd. Euro. Sie
beschäftigt 14 000 Mitarbeiter.
Ihnen und Ihrem Unternehmen. In der Zen-
trale von Webasto in Stockdorf gab es im Ja-
nuar 2020 offiziell den ersten Covid-19-Fall
in Deutschland überhaupt. Was haben Sie
gedacht, als Sie davon erfahren haben?
Das Erste, was mir in den Kopf kam, war die
Sorge um die Gesundheit der Mitarbeiter. Auf
einmal geht es beim Management nicht vor-
rangig um Profitabilität, Rendite oder Produk-
te, sondern um das Wohlergehen der Mitar-
beiter. Das bedeutet ein anderes und höheres
Maß an Verantwortung.
Wie viel Unsicherheit herrschte damals bei
Ihnen?
Die war groß. Wir wussten damals noch nicht,
welche Wirkung das Virus hat, wie gefährlich es
ist und dass auch jemand ohne Symptome

41
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Autoindustrie
IMMER WENIGER AUTOS
Monatliche Pkw-Produktion in Deutschland, in Stück
600 000
500 000
400 000
300 000
200 000
100 000
0 nesischen Markt nimmt also noch zu?
Nov. 2017 Nov. 2018 Nov. 2019 Okt. 2020
Quelle: VDA; Stand: 10/2020
andere anstecken kann. Wir waren in engem
Austausch mit Instituten und Politik. Die Wis-
senschaft hat durch unsere Fälle viel gelernt.
Wie ist jetzt die Lage bei Ihnen?
Im Grunde waren wir in der damaligen Situa-
tion nach zwei Wochen durch, und wir hatten
keine positiven Fälle mehr in Stockdorf. Unse-
re Infektionskette war sozusagen gestoppt. Bis
heute haben wir die Lage im Griff, auch wenn
wir in den USA und Europa in den letzten Wo-
chen einige neue Fälle hatten. Nach unserem
Kenntnisstand stecken sich die Kollegen ver-
mehrt im privaten Umfeld an. Bisher haben
wir im Unternehmen weltweit keinen wirklich
kritischen Verlauf gehabt. Dafür sind wir sehr
dankbar, das ist ein wahnsinniges Glück.
Was bedeutet die Pandemie wirtschaft-
lich für Webasto? Das erste Halbjahr war ja
schlecht – wie für die gesamte Branche.
Die Monate Februar bis April waren gar nicht
gut. Zunächst war China stark betroffen, Eu-
10
ropa und die USA kamen etwas später. Wir
hatten zwei oder drei wirklich schlechte Mo-
nate mit einem Umsatzrückgang von bis zu
70 Prozent. Wegen des Nachfrageeinbruchs
mussten viele Autohersteller ihre Produktion
ja zwischenzeitlich schließen und wir unsere
Prozent betrug Kapazitäten entsprechend anpassen, teilweise
der Anteil auf­ kam die Produktion komplett zum Erliegen.
ladbarer Elektro­ Ist da eine Besserung in Sicht?
autos bei
Wir sehen in den letzten zwei bis drei Mona-
Neu­zulassungen
in der EU im ten, dass es wieder aufwärtsgeht. Wir h ­ olen
dritten Quartal ein Stück weit sogar das auf, was wir verlo-
2020 – dreimal so ren haben. Es gab eine starke Nachfrage im
viel wie 2019. dritten Quartal. Weltweit hat sich die Auto-
42
mobilproduktion so weit erholt, dass unsere
Werke wieder gut ausgelastet sind. Wir rech-
nen damit, dass wir den Umsatzrückgang
zum ­Jahresende einigermaßen abdämpfen
­können. Das hängt allerdings auch von der
weiteren Entwicklung des Infektionsgesche-
hens und der Maßnahmen in den einzelnen
Ländern ab.
Welche Rolle spielt China bei der Erholung
der Branche?
Unser Chinageschäft ist aktuell weitgehend
auf Vorjahresniveau. In Europa und den USA
sind wir 15 bis 20 Prozent unter Vorjahr.
Die ohnehin große Abhängigkeit vom chi-
Asien ist ein wichtiger Wachstumsmarkt. Kla-
re Nummer eins ist China, aber auch Japan
und Südkorea bieten gute Perspektiven. Wenn
wir auf die Produktionszahlen schauen, wird
deutlich, dass wir in China weiter wachsen
werden. Europa und die USA werden hingegen
eher stagnieren und kommen vielleicht in drei
bis vier Jahren auf alte Niveaus zurück.
China zeigt auf dem Automarkt eine rasan-
te Aufwärtsbewegung, ein klares V. Wie ver-
lässlich sind aus Ihrer Sicht diese Zahlen?
Ich kann nur für unser Unternehmen spre-
chen, und da sehen wir auch dieses V. Wir ha-
ben elf Werke in China, und da läuft die Pro-
duktion wie vor Corona. Wir machen realen
Umsatz mit realen Produkten. Inwieweit das
stabil ist und sich ins kommende Jahr fort-
setzt, werden wir sehen. Ist das nur eine kur-
ze, staatlich gesteuerte Erholung oder ist es
nachhaltig? Das ist eine Unbekannte. Aber
derzeit kann ich klar sagen: China ist weitge-
hend zum normalen Leben zurückgekehrt.
Auch was die Corona-Pandemie angeht?
Ja, wir hören das von unseren Mitarbeitern.
Es werden kaum noch Masken getragen. Die
Restaurants sind voll. Die Regierung geht al-
lerdings extrem fokussiert vor, wenn Fälle auf-
treten, wie unlängst in Qingdao. Da wird dann
eine ganze Stadt mit neun Millionen Einwoh-
nern getestet. Und dann wird abgeschirmt.
Da ist das Vorgehen massiv und unterscheidet
sich von dem in Europa und den USA.
Zu Beginn der Pandemie wurde diskutiert,
ob die internationalen Lieferketten halten.
Überdenken Sie Ihr Liefernetzwerk?
Das treibt uns nicht so intensiv um, weil wir
schon vorher für die jeweilige Region in der
Region eingekauft und produziert haben. Wir
haben kaum Wertschöpfungsketten zwischen
den Kontinenten. Wir werden unser Prinzip,
Capital Ausgabe 01/2021
 Die Zentrale der im Markt für den Markt zu produzieren und
Webasto Group im Komponenten einzukaufen, aber sicherlich
oberbayerischen weiter optimieren und damit noch regionaler
Stockdorf. Welt-
agieren. Das Risiko von Lockdowns wird künf-
weit hat das
Unternehmen über
tig von Unternehmen bei der Entscheidung
50 Standorte für einen Lieferanten mit einbezogen werden
müssen: Ist der transatlantische Transport
nötig? Oder lässt sich das auch lokal machen?
Aber letztendlich ist es immer eine Abwägung
zwischen Qualität und Kosten.
Also kein Rückbau der internationalen
Arbeits­teilung?
Nein, das glaube ich nicht. Der Wohlstand ist
ja gestiegen, seit wir globale Lieferketten ha-
ben. Die Globalisierung werden wir nicht zu-
rückdrehen, aber sicher viel weniger reisen
und stärker digital zusammenarbeiten.
Sie haben die klassische Produktpalette er-
weitert, vor allem in Richtung Elektromobi-
lität. Warum eigentlich? Ihr Portfolio wird
doch bei jeder Art von Auto gebraucht.
Wir haben uns schon 2015 überlegt, wie es in
der Zukunft weitergeht. Natürlich sind wir
nicht abhängig vom Verbrennungsmotor, das
ist für uns ein Vorteil. Wir sind mit unseren
Dächern und mit unseren Heizsystemen welt-
weiter Marktführer. Aber um darüber hi­naus
Wachstum zu generieren, müssen wir uns
mit Blick auf neue Mobilitätstrends weiter-
entwickeln. Wir haben uns für Batterien und
Wallboxen entschieden, also private Ladesta-
tionen. Wir glauben, dass wir in diesen Berei-
chen innovative Beiträge leisten können.
Um in diesen Markt vorzudringen, muss ja
investiert werden. Woher nehmen Sie die
Zuversicht, dass sich das lohnt, dass es also
einen relevanten E-Auto-Markt geben wird?
Erst einmal: Nichts zu tun ist auch keine Opti-
on. Unternehmerische Risiken gibt es immer.
Der Klimaschutz ist ein Megatrend, und nicht
nur in Deutschland spricht sich die Regierung
für die Elektromobilität aus, investiert, fördert
und passt Gesetze an. Dazu kommt: Webasto
hat Kernkompetenzen, die in der Elektromo-
bilität gefragt sind. Der erfolgreiche Marktein-
tritt mit Ladelösungen und Batteriesystemen
ist uns gelungen. Die Auftragslage in diesen
neuen Bereichen ist erfreulich, und die Mo-
delle kommen ja auch erst. In den nächsten
Jahren werden unsere Kunden viele neue E-
Fahrzeuge in den Markt bringen.
Der politische Einfluss ist also wichtig?
Durch die Politik ist ein gewisser Druck ent-
standen, den CO₂-Ausstoß zu senken. Wir ha-
ben sehr früh in die Elektromobilität inves-
tiert, da waren die Rahmenbedingungen noch
viel unsicherer. Die vergangenen zwei Jahre
haben uns in unserer Entscheidung bestätigt.
Die Bundesregierung hat sich ja in ihrem
Konjunkturpaket entschieden, nur Elek­
troautos zu fördern und nicht den Verbren-
ner. Halten Sie das für richtig?
Webasto wird davon profitieren. Aber abgese-
hen davon muss sich Deutschland als Autoland
weiterentwickeln und die Mobilität von morgen
mitgestalten. Und die ist elektrisch. Wenn wir
investieren, dann sollten wir das zukunftsori-
entiert tun. Wichtig ist, dass die Politik Unter-
nehmen bei ihrer Transformation unterstützt.
Aber es wäre falsch, Investitionen in Berei-
che zu fördern, die nicht zukunftsfähig sind. In
Nordrhein-Westfalen haben wir gesehen: Wenn
man zu lange an Kohle und Stahl festhält, ist die
Transformation noch schwieriger.
Wäre es nicht besser, statt einer Technik
ein Ziel zu fördern? Wie einen niedrigen
CO₂-Ausstoß, egal mit welchem Motor?
Im Grundsatz ist das Ziel entscheidend, also
eine möglichst CO₂-freie Mobilität. Wir müs-
sen technologieoffen denken, wie wir das er-
reichen können. Da geht es übrigens nicht nur
um Neufahrzeuge, sondern auch um den Be-
stand und wie wir diesen klimaschonender
betreiben können. Da sind synthetische Kraft-
stoffe sicher ein Thema. Auch wenn sie auf-
wendig herzustellen sind.
43
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Autoindustrie
Webasto will jetzt
auch in der
E-Mobilität mit-
mischen – mit
Batteriesystemen
und Ladestatio-
nen für den Haus-
gebrauch
Sie haben einmal gesagt, dass die Auto­
industrie ein Glaubwürdigkeitsproblem
hat. Wie kommt die Branche da raus?
Wir sind auf einem sehr guten Weg. Unse-
re Kunden gehen auf die neuen Trends ein.
Es fließen Investitionen in klimaschonende
Technologien. Auch bei unseren Lieferanten.
Der Wandel in den Köpfen hat stattgefunden.
Die Automobilindustrie ist die einzige wirk-
lich starke Industrie, die wir in Deutschland
noch haben. Es bringt daher nichts, wenn die
Unternehmen in die Ecke getrieben werden.
Werden sie denn in die Ecke getrieben?
Ich habe manchmal den Eindruck, dass nicht
rational, sondern ideologisch diskutiert wird.
Das gemeinschaftliche Ziel ist eine klimascho-
nende Mobilität, das hat Priorität. Dieses Ziel
haben wir vor Augen und suchen nach den
besten technischen Lösungen. Jetzt müssen
wir gucken, wie wir das als Volkswirtschaft
am effizientesten hinbekommen. Das funkti-
oniert nicht, indem wir eine Industrie unter
Generalverdacht stellen, sich nicht bewegen
zu wollen. Ich hätte gern, dass wir in Brüs-
sel und Berlin mehr Gehör dafür finden, was
technisch machbar ist und was nicht.
Das heißt konkret: Die neuen Grenzwerte
für den CO₂-Ausstoß sind zu streng?
Es ist uns ja nicht geholfen, wenn wir uns im-
mer wieder neue Ziele setzen, ohne dass wir
den Weg dahin kennen. Ich habe den Ein-
44
druck, dass es einen Wettbewerb der CO₂-
Reduktion gibt, ohne eine Idee davon, wie das
funktionieren soll.
Was fehlt Ihnen da?
Wir investieren in der Branche alle sehr viel
in die E-Mobilität. Den gleichen Enthusiasmus
wünsche ich mir hinsichtlich der Energieer-
zeugung. Was nützen uns Elektroautos fürs
Klima, wenn wir sie nicht komplett mit erneu-
erbaren Energien laden können? Ich fürchte
folgende Situation: In fünf, sechs Jahren hat
die Autoindustrie komplett auf Elektromobi-
lität umgestellt, aber wir haben nicht ausrei-
chend regenerativen Energien beziehungs-
weise keine Netze, um sie zu transportieren.
Elektroautos sind in der Herstellung aus Kli-
magesichtspunkten erst einmal schlechter
als Verbrenner. Wenn wir dann nicht ausrei-
chend erneuerbare Energien haben, dann ha-
ben wir alles falsch gemacht. Wir können
nicht Windräder und Trassenbau verdammen
und zugleich das CO₂-neutrale Auto fordern.
Was haben Sie in diesem sehr aufwühlen­
den Jahr gelernt?
Wir haben gelernt, wie wichtig der offene Aus-
tausch mit kurzen Entscheidungswegen in so
einem besonderen Fall ist. In unserem Coro-
na-Krisenstab hatte jeder das gleiche Stimm-
recht. Das waren rund 20 Kolleginnen und
Kollegen in Stockdorf, die von morgens bis
abends gearbeitet und sich immer wieder aus-
getauscht haben. Eine Erkenntnis ist: In so ei-
ner Lage braucht ein Unternehmen eine kla-
re Werteorientierung. Es war für uns alle klar,
dass die Gesundheit unserer Kolleginnen und
Kollegen oberste Priorität haben muss. Und da
haben wir dann auch drastische Entscheidun-
gen getroffen wie die Schließung eines Stand-
orts auf eigene Initiative, auch wenn das einen
Verlust für unser Geschäft bedeutet hat.
Schnelles Arbeiten im Team – muss das ein
Unternehmen nicht ohnehin können?
Wir haben diese Erfahrung zuvor natürlich in
Projekten oder in Abteilungen gemacht. Aber
es war spannend zu sehen, was wir erreichen
können, wenn wir alle Mitarbeiter, die etwas
in einer solchen Krisensituation beitragen
können, sofort zusammenschalten. Wir ver-
suchen gerade, das in unsere Standardprozes-
se zu übertragen. Das ist nicht leicht.
Corona als Treiber?
Ja. Wir haben erlebt, dass Krisenphasen eine
ganz andere Kreativität freisetzen. Wenn es
gelingt, das für die nächste Zeit zu bewahren,
wäre das ein großer Gewinn.
Capital Ausgabe 01/2021
Nach wie vor unser stärkster Antrieb:
der eigene Anspruch.
Der Panamera 4S E-Hybrid. Drive defines us.
Ein Gewinn für Ihren Vorwärtsdrang: die Zahlen des Panamera 4S E-Hybrid. Sein
2,9-Liter-V6-Biturbo-Motor bringt es im Zusammenspiel mit der E-Maschine
auf eine Systemleistung von 412 kW (560 PS). Und das bei einer gesteigerten
E-Reichweite. Beste Voraussetzungen also, Ihr nächstes Projekt voranzutreiben.
Mehr unter www.porsche.de/panamera

Kraftstoffverbrauch (in l/100 km) kombiniert 2,2–2,0; CO₂-Emissionen (in g/km) kombiniert 51–47;
Stromverbrauch (in kWh/100 km) kombiniert 18,1–17,4
 PFE
W E LT D E R W I RT S C H A F T
Unternehmensgewinne

DAS
WAR
DER

GI TEXT: LUTZ MEIER

L
Nach drei Jahrzehnten mit üppigen Gewinnzuwächsen müssen sich
Unternehmen mit sinkenden Profiten begnügen. Eine Studie der Beratung Bain &
Company, die Capital exklusiv auswertet, sieht das Ende einer Ära
Wie glücklich die glücklichen Zeiten
waren, erschließt sich meist erst im
Nachhinein. Nehmen wir Daimler
und BMW, zwei Muskeln im Herzen
der deutschen Industrie.
Über Jahre ging es nach oben,
von Rekord zu Rekord, von 4, 6, 8 bis
über 10 Mrd. Euro Gewinn bei Daim-
ler, in den Jahren 2010 bis 2017. Und
von 3,2 auf 8,7 Mrd. Euro bei BMW im
gleichen Zeitraum. Danach: Gewinn-
rückgang, Gewinn­e inbruch. Und
nun: Corona. Und sowieso: Mobili-
tätswende, Transformation, die übli-
chen Schlagworte.
Die beiden Autobauer sind nur
ein kleiner Ausschnitt, ein Symp-
tom für den Eindruck, dass die sat-
ten Gewinne in vielen Unternehmen
zurückgehen. Dass wir weniger von
Rekorden lesen als von Warnungen.
Aber stimmt das Gefühl?
Eine Studie mit dem Titel
„Peak Profit“ der Berater von Bain
& Company und der Wirtschaftsfor-
scher von Oxford Economics hat die-
ses Thema in einer Tiefenbohrung
untersucht – und die Profitabilität
von 13 000 börsennotierten Unter-
nehmen in 26 Ländern analysiert,
und zwar über einen Zeitraum von
drei Jahrzehnten.
Der Befund ist eindeutig: Die
fetten Jahre sind vorbei. Eine Ära
geht zu Ende.„Die goldenen Profita-
bilitätsjahre sind sicher vorbei“, sagt
Bain-Deutschlandchef Walter Sinn
(siehe Interview Seite 54). „Unter-
nehmen müssen sich nach Jahren
des Rückenwinds eher auf Gegen-
wind einstellen.“ Die Corona-Krise
dürfte diesen Trend beschleunigen.
Der Niedergang des Gewinn-
wachstums, so der überraschen-
de Befund, setzte aber schon früher
ein – schon vor dem Jahrzehnt zwi-
schen 2010 und 2019, was zumindest
in Deutschland oft als „goldene De-
kade“ beschrieben wird. Der echte
Peak waren die Jahre 2003 bis 2007.
Der Kernbefund der Studie:
Um sieben Prozent pro Jahr sind in
den vergangenen 30 Jahren die Ge-
winne der Unternehmen gewachsen,
damit wuchsen sie nahezu doppelt so
UNTERNEHMENSGEWINNE GRÖSSER ALS DAS BIP
Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und der Profite börsen­notierter
Großunternehmen im Zeitraum 1990–2018, in Prozent
Wachstum BIP
7,6
7,0
4,5
3,6
alle USA
Industrie-
staaten
Quellen: Bain & Company, Refinitiv, EIU
stark wie die Volkswirtschaften (no-
minal 3,6 Prozent pro Jahr). Das Phä-
nomen lässt sich in allen Ländern
beobachten, auch in Asien – wobei in
Europa sowohl Wachstum als auch
Profitabilität am schwächsten aus-
geprägt waren (siehe Grafik oben).
Die 13 000 betrachteten Unter-
nehmen stehen für fast drei Viertel
aller weltweit erwirtschaften Gewin-
21
Prozent Kapitalrendite
hatten die größten
US-Konzerne von 2010
bis 2018 – die kleineren
nur 16,5 Prozent
Wachstum Unternehmensgewinne
8,3
7,7
5,6
4,5
3,3
2,7
europäische asiatische andere
Industrie- Industrie- Industrie-
staaten staaten staaten
ne. Die Autoren schauten dabei in
erster Linie auf die Eigenkapitalren-
dite, nicht auf die Umsatzrendite. Au-
ßerdem analysierten sie die Rendite
auf das investierte Kapital (Return
on Invested Capital, ROIC), was eine
wichtige Kennzahl für die Leistungs-
fähigkeit eines Unternehmens ist. Bi-
lanzielle Effekte wie der sogenannte
Goodwill (die Differenz zwischen ei-
nem für eine Akquisition gezahlten
Preis und dem fairen Marktwert)
wurden nicht betrachtet.
Die Corona-Pandemie ist eine
Zäsur, die alles verstärkt – Impfstoff
hin, Aufschwung her. „Selbst wenn
sich die Weltwirtschaft schnell wie-
der erholen sollte, der Druck auf die
Unternehmensgewinne ändert sich
nicht“, sagt Bain-Manager Sinn. Der
„schleichende Langfristtrend“ wür-
de durch die Krise nur beschleunigt.
Zwei wesentliche Gründe nennt die
Studie: den Rückzug der Globalisie-
rung – Stichwort Handelskriege –
und Reorganisation von Lieferketten
sowie den demografischen Wandel,
was in vielen Ländern zu einem Man-
gel an Fachkräften führt.
49
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Unternehmensgewinne
In den 30 Jahren zuvor gab es ein
Überangebot an Fachkräften, es wa-
ren die Jahrgänge der Babyboomer –
gut für die Unternehmensgewinne,
schlecht für die Verhandlungsmacht
der Belegschaft.
Diese Entwicklung nennt die
Studie als eine von sechs „Wellen des
Wandels“, die die Gewinne ab 1990
steigen und sprudeln ließen. Dazu
zählten die Deregulierung der Fi-
nanzmärkte, die Globalisierung, der
„Superzyklus“ der Rohstoffe sowie
die Automatisierung der Produktion
und die Digitalisierung.
Die letzten beiden Megatrends
wirken der These vom „Peak Profit“
auch entgegen, aber nicht alle Unter-
nehmen profitieren davon – hier zäh-
len Größe und Agilität. Die „Winner
takes it all“-Ökonomie lässt grüßen.
Die Entwicklung ist für die
Volkswirtschaften nicht nur ein
Rückschlag, so die Studienautoren.
Es ereigne sich vielmehr eine Berei-
nigung und überfällige Korrektur
nach Übertreibungen von drei wil-
den Dekaden – hervorgerufen durch
die seltene Zusammenballung güns-
EUROPAS STARKER ABSTIEG
Eigenkapitalrendite börsennotierter Großunternehmen im Vergleich
unterschiedlicher Wirtschaftsräume, in Prozent
Europa USA Deutschland
25
Rezession
Rezession
20
15
10
5 neuen Branchen gebraucht, in de-
0 Deglobalisierung wird zum neuen
–5
1990
Quellen: Refinitiv, Bain & Company
50
74
Prozent der Profite in
den USA wurden laut der
Studie von fünf Prozent
der größten Unternehmen
erwirtschaftet
tiger Konstellationen. „Die Unter-
nehmen der entwickelten Welt“, bi-
lanzieren die Autoren, „haben in
einer historischen Geschwindig-
keit Gewinne ausgestoßen, und das
trotz massiver wirtschaftlicher Ver-
werfungen wie dem Platzen der Dot-
comblase im Jahr 2000 oder der glo-
balen Finanzkrise acht Jahre später“.
Sie zählen auf, was alles in die Jah-
Japan restl. Asien
Rezession
2018
re fiel: Terroranschläge wie 9/11, die
Migrationskrise, der Brexit, geopoli-
tische Erschütterungen. „Nichts da-
von konnte jene Entwicklung stop-
pen, die das goldene Zeitalter der
Unternehmensgewinne darstellte.“
In jenen Jahren vernetzte
sich die Wirtschaft, Fabriken wur-
den rund um die Welt verlagert, Ma-
nager wurden zu Optimierern und
­Effizienzaposteln: Die Arbeitskosten
sanken, die ungleiche Verteilung von
Vermögen und Einkommen wuchs.
Begünstigt wurde die Entwick-
lung zudem dadurch, dass fast über-
all der Staat auf dem Rückzug war,
Deregulierung war schick. Hinzu
kamen die Tech-Revolution und der
Siegeszug der Plattformökonomie:
Google, Apple, Facebook und Ama-
zon eroberten die weltweiten Märk-
te, das Kapital jagte nahezu unge-
stört um den Globus, floss in immer
neue Deals und Megadeals. Wie ge-
sagt: im Rückblick glückliche Zeiten.
Heute werden die meisten Ent-
wicklungen nicht nur gestoppt, son-
dern in ihr Gegenteil verkehrt. Die
Globalisierung schwächelt, und die
Nationalstaaten melden sich mit vol-
ler Macht als wirtschaftliche Akteure
zurück. Die demografische Entwick-
lung hat in nahezu allen Industrie-
ländern einen Wettbewerb um Ta-
lente entfacht, der den Faktor Arbeit
teurer werden lässt. Der Trend zu
lokaler oder regionaler Produktion
wächst, weil Kunden, Gesetzgeber
und Anleger nachhaltigere Produkte
verlangen, aber geopolitische Gefah-
ren die Produktionssicherheit wich-
tiger machen als die Kostenoptimie-
rung. „Die Flut der Globalisierung
zieht sich zurück“, konstatieren die
Autoren der Studie.
Und nun auch noch Corona:
Staatliche Hilfen werden in ganz
nen eben noch Gewinne sprudelten,
Schlagwort, Arbeitnehmer entde-
cken ihre Verhandlungsmacht, wie
es sich derzeit etwa bei Essensliefer-
diensten oder bei Amazon beobach-
ten lässt.
Capital Ausgabe 01/2021
Es war vor der Jahrtausendwende,
als Wirtschaftswissenschaftler den
Begriff „Turbokapitalismus“ präg- ACHTERBAHNFAHRT IN EUROPA
ten, für eine Marktwirtschaft, in Entwicklung der durchschnittlichen Eigenkapitalrendite börsennotierter
der alles auf Teufel komm raus opti- Unternehmen in ausgewählten Ländern, in Prozent
miert wird. Die Kritik an diesem Ka-
pitalismus gab es schon vor Corona, 1983–1989 1993–2000 2003–2007 2010–2018
die Forderung nach mehr „inklusi-
vem Wachstum“, von dem breitere
17,9 17,5
Schichten profitieren, gehörte zum
Standardmantra jeder Konferenz.
Die Pandemie hat auch hier die- 14,9
13,7 14,0
se Sichtweisen bestätigt oder befeu- 12,8
12,3
ert: Ein System, das auf Kante genäht
10,9
ist, will derzeit niemand mehr. Statt 10,5
9,9
von Effizienz reden viele nun von Re-
silienz. Wenn aber der Turbo out ist, 7,9 8,1
was folgt nach der erhofften schnel-
len Erholung? Das ist noch offen.

SPREU UND WEIZEN

Die Studienautoren verbreiten kei-
ne Untergangsfantasien. Gewinne UK Deutschland Frankreich
könnten auch künftig noch wachsen
– nur eben nicht bei allen und nicht
so schnell wie bisher. „Es wird sich 21,3
die Spreu vom Weizen trennen“, pro-
phezeit Bain-Experte Sinn. „Und das
ist auch dringend nötig.“
Das Zuwachs bei den Gewin-
nen werde sich künftig wieder stär-
13,5
ker dem Wachstum der Volkswirt-
schaften annähern. Damit wäre eine 11,6
Umverteilungsdynamik, die bisher
zugunsten der Unternehmen ge-
8,2 8,0
wirkt hat, vorerst angehalten. Oh- 7,4
nehin prognostizieren die Forscher, 6,3
5,5
dass einzelne Gewinnmaschinen
auch weiter funktionieren.
Das „Peak Profit“-Phänomen
ist global, die Studie zeigt aber enor-
me regionale Unterschiede zwischen
den Wirtschaftsräumen. In allen un- Spanien Italien
tersuchten Regionen waren zwar die Quellen: Refinitiv, Bain & Company
Jahre 2003 bis 2007 – die Zeit zwi-
schen Dotcomcrash und Finanzkrise
– im Rückblick die Blütezeit für die lich stärker als in den USA. Das liegt len Wettbewerbsvorteile noch voll
Kapitalrenditen der Unternehmen, nicht nur an der Flaute in Europas ausspielen. Seitdem aber drückten
während der letzte Zyklus – zwi- Peripherie und den Strukturproble- die Transformation der Wirtschaft,
schen Finanzkrise und Pandemie – men in Spanien, Italien und Frank- der Angriff der Plattformgiganten
etwas schwächer ausfiel. Aber in Eu- reich. Die Zahlen für Deutschland se- auf Traditionsunternehmen sowie
ropa sackten die Werte im jüngsten hen kaum besser aus. Eine mögliche die wachsende Konkurrenz aus Asi-
Boomzyklus schon auffällig stark Erklärung: Bis 2007 konnten die hie- en hierzulande die Gewinne beson-
ab (siehe Grafik S. 50) – und deut- sigen Unternehmen ihre traditionel- ders merklich nach unten.

51
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Unternehmensgewinne

DEUTSCHLAND IST ABHÄNGIG VON SEINER INDUSTRIE

Anteile von Branchen an den Gewinnen börsennotierter Großunternehmen in
unterschiedlichen europäischen Ländern im Jahr 2018, in Prozent

Industrie Finanzdienstleistungen Konsumgüter Energie und Rohstoffe Handel

Telekom, Medien Gesundheit Technologie andere

100

75

50

25

andere
UK

Deutschland

Frankreich

Schweiz

Schweden

Spanien

Belgien
Niederlande

Italien

Quelle: Bain & Company

Auch innerhalb Europas zeigt die
Studie starke Unterschiede auf. Bei
deutschen Unternehmen sprudel-
ten die Gewinne in Relation zum Ei-
genkapital ohnehin nie so ausgiebig
wie in Großbritannien, Frankreich
oder Spanien (siehe Grafik auf Sei-
te 51). Dafür ist der Wert in der letz-
ten Periode aber auch nicht ganz so
spürbar gefallen wie bei den europä-
ischen Nachbarn.
Dieser Unterschied könnte al-
lerdings mit den strukturellen Un-
terschieden innerhalb der europä-
ischen Volkswirtschaften zu tun
2–3
haben. So ist Deutschland bei den
Unternehmensgewinnen vor allem
abhängig von seiner Industrie (siehe
Grafik oben). Frankreich und Groß-
britannien haben eine ausgegliche-
nere Struktur, in der die Finanzbran-
che eine stärkere Rolle spielt. Dort
flossen Gewinne vor der Krise von
2008 noch in viel größerem Umfang.
Jahre dauerte Klar wird, dass Europa als Gan-
es in Rezessionen, zes seine Rolle in der Weltwirtschaft
neu betrachten muss. Im Jahr 2000
bis vormalige stammten noch 40 Prozent der in der
Gewinnlevel wieder entwickelten Welt erwirtschafteten
erreicht wurden Gewinne vom alten Kontinent,

52 Capital Ausgabe 01/2021
CUPRA L E O N S P O R T S TO U R E R E - H Y B R I D

SPO RTLI CH E G RÖSSE.

ELEK TR ISI ERT.
Sie zeigt sich als Kampfgeist. Leistung. Oder als Fairplay. Der Plug-in-Motor
stellt zwei Antriebe zur Wahl: klassisch rennsportlich inspiriert. Elektrisch,
emissionsfrei auf Kurzstrecken bis zu 67 km*. Und entfaltet eine Systemleistung
von bis zu 245 PS. Sportliche Freiheit. Im Zeitgeist.

CUPRA Leon Sportstourer e-HYBRID 1.4 TSI, 180 kW (245 PS): Kraftstoff­
verbrauch Benzin: kombiniert 1,6 l/100 km; Stromverbrauch: kombiniert
11,9 kWh/100 km; CO 2-Emissionen: kombiniert 35 g/km.
CO 2-Effizienzklasse: A+.

* Wert im WLTP-Testzyklus ermittelt, umgerechnet in NEFZ-Wert. Tatsächliche Reichweite abhängig

von individuellen Faktoren deiner Fahrt.

CUPRAOFFICIAL.DE
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Unternehmensgewinne
dieser Anteil hatte sich 2018 nahezu
halbiert, auf knapp über 20 Prozent.
Mit Blick auf Deutschland
muss man die Zahlen allerdings
mit Vorbehalt betrachten: Der Fo-
kus allein auf börsennotierte Unter-
nehmen könnte bedeuten, dass die
Aussagen für die stark von Mittel-
ständlern in Familienhand gepräg-
te deutsche Wirtschaft nur einge-
schränkt zutreffen.
Bain-Chef Sinn erwartet al-
lerdings, dass die Gewinnschwä-
che auch sie trifft: „ Die Rahmen-
bedingungen, die wir beschreiben
und die hier bremsend wirken, gel-
ten natürlich besonders auch für
den deutschen Mittelstand“, sagt er.
„Deutschland hängt als Exportwelt-
meister sehr stark an der Frage, was
aus der Globalisierung wird.“
NICHT MACHTLOS AUSGELIEFERT
Die gute Nachricht ist, dass die Un-
ternehmen dem Siechtum nicht
machtlos ausgeliefert sind. Auf viele
Rahmenbedingungen hätten Mana-
ger Einfluss, so der Befund der Stu-
die. Die Unternehmen müssten der
Entwicklung voranschreiten, anstatt
sich gegen sie zu stemmen: Automa-
tisierung nutzen, Produkte indivi-
dualisieren, die Konkurrenz aus-
spielen.
Zudem müssten auch Traditi-
onsfirmen lernen, Neugeschäft auf-
zubauen, anstatt nur hier und da mal
ein Start-up dazuzukaufen. Ein drit-
ter Ratschlag der Studienautoren be-
trifft die Resilienz: Wer jetzt mit den
Rezepten der abgelaufenen Ära re-
agiere, also mit mehr Effizienz, op-
timierten Lieferketten, reduzierten
Kosten – der werde verlieren.
Langfristdenken für langfristig
orientierte Anleger hingegen könne
Stabilität bringen. Der vierte Impe-
rativ schließlich lautet Nachhaltig-
keit: Unternehmensführer müssten
lernen, auf soziale und ökologische
Ansprüche ehrlich zu reagieren.
Der Gewinnrausch der deut-
schen Traditionskonzerne bleibt al-
lerdings Vergangenheit. Die Chefs
54
von Thyssen­k rupp etwa, die einst
20 Prozent Kapitalrendite bejubel-
ten, sitzen zwar immer noch hinter
den Glanzfassaden ihrer 2010 bezo-
genen Zentrale. Dort aber verwalten
sie einen langen Abstieg und kämp-
fen um die Existenz. Ähnlich wie sie
durchleben derzeit einige in Deutsch-
„JETZT KOMMT NATÜRLICH
VIELES ZUSAMMEN“
Walter Sinn, Deutschlandchef von Bain & Company,
über die Zukunft des Profits
Herr Sinn, wenn die Prognosen
Ihrer Studie wahr werden, wird
das Wirtschaften dann schwierig?
Ich sehe es eher gelassen und posi-
tiv. Das ist keine scharfe Korrektur.
Wenn 30 Jahre lang die Profitabili-
tät deutlich stärker gewachsen ist
als das BIP, dann muss klar sein,
dass das kein Dauerzustand ist. Die
Entwicklung der Rahmenbedingun-
gen macht es natürlich aus Unter-
nehmenssicht herausfordernder.
Das bedeutet insbesondere, dass
sich die Spreu vom Weizen trennt.
Hatten es die Unternehmen zu be-
quem in den vergangenen Jahren?
In Deutschland dauerte es lange,
bis alle verstanden haben, dass wir
es mit Umbrüchen zu tun haben, auf
die man reagieren muss: Digitalisie-
rung, Industrie 4.0, künstliche Intel-
ligenz. Wenn es Unternehmen sehr
gut geht, dann tun sie sich schwer,
aus der Komfortzone herauszuge-
hen. Ich würde heute sagen: Firmen
in Deutschland haben erkannt, dass
man sich den Herausforderungen
stellen muss, dass es etwa bei der
Digitalisierung schon fünf nach
zwölf ist. Aber jetzt, zumal mit
Corona, kommt natürlich vieles
zusammen. In solchen Krisenpha-
sen ist die Profitabilität gebremst,
gleichzeitig müssen Einzelunter-
nehmen erheblich investieren.
Macht es die Wirtschaft stabiler,
wenn sich Gewinne nun wieder im
Takt mit dem BIP entwickeln?
Wir spüren den Trend von Share-
holder-Value hin zu Stakeholder-
Value, zu mehr Nachhaltigkeit und
land bedeutende Branchen – Auto-
bau, Maschinenbau, Chemie – ihre
individuellen Krisen und Transfor-
mationen. So ist das mit glücklichen
Zeiten: Hätte man damals schon be-
griffen, dass es goldene Zeiten waren
– man hätte vorgesorgt, und es wäre
jetzt nicht ganz so schwer.
sozialer Verantwortung. Wir haben
Diskussionen über die nachhaltigen
ESG-Kriterien in allen Top-Manage-
ments. Diese Entwicklung ist ele-
mentar wichtig, und sie wirkt stabi-
lisierend. Ein neues Thema, das mit
Corona hinzukommt, ist Resilienz:
Wie steht ein Unternehmen Krisen
besser durch? Wie wappnet man
sich gegenüber geopolitischen Risi-
ken? Das sind Themen, die Manager
heute beschäftigen. In den Zahlen
bedeuten sie: etwas weniger Profit,
dafür etwas mehr Widerstands­
fähigkeit und weniger Risiko.
Gerade nach der Finanzkrise ha-
ben sich die großen Wirtschafts-
regionen stark unterschiedlich
entwickelt, vorher waren sie eher
im Gleichklang. Woran liegt das?
Wir haben schon seit der Jahrtau-
sendwende eine Verschiebung der
Profit-Pools zulasten von Europa.
Gewinner waren die Tech-Unterneh-
men, die auf der Digitalisierungs-
welle schwammen, die haben den
USA und Asien einen klaren Vorteil
gebracht. Dazu kommen die gene-
rellen Strukturprobleme Europas.
Ich bin aber vorsichtig optimistisch,
dass wir das drehen können mit
der nächsten Themenwelle, etwa
Industrie 4.0, wo wir in Deutschland
und Europa Akzente setzen. Zudem
verstärkt sich in puncto Gewinn der
Gegensatz zwischen großen und
kleinen Unternehmen. Bei Investitio-
nen und Skaleneffekten gibt es ei-
nen natürlichen Vorteil der großen.
Auch hier wird spannend sein, ob
sich das weiter verschärft.
Capital Ausgabe 01/2021
 FEINPORIG UND
CREMIG:
I n t e l l i g e n t e Te c h n i k s o r g t
beim neuen
C M 6 M i l k Pe r f e c t i o n f ü r
perfekten Milchschaum –
ohne Kompromisse.

Wer perfekten Kaffeegenuss schätzt, Die Bedienung ist dabei intuitiv – und auch
der weiß: Beim Cappuccino ist nicht bequem aus der Ferne möglich: Die CM6
nur die Qualität der Bohnen und MilkPerfection-Modelle sind vernetzungsfä-
die Crema entscheidend – hig und per Smartphone oder Tablet steuerbar.
auch auf den Milch- Nehmen Sie komfortabel Einstellungen vor,
schaum kommt es an. starten Sie den Getränkebezug mit Mobi-
Hier setzt der CM6 leStart aus der Ferne oder bestellen Sie Kaf-
MilkPer fection feebohnen und Reinigungsmittel mit wenigen
neue Maßstäbe. Klicks nach.
Wählen Sie ganz nach Wunsch zwischen vier
Die zweifache voreingestellten Modi wie dem energiesparen-
Dampf zugabe den Eco-Mode, dem verkostungsnahen Barista-
im Doppelven- Mode, dem schnellen Party-Mode oder dem
turi-Ver fahren Latte-Mode für Liebhaber von Kaffeespeziali-
ermöglicht ein täten mit Milch.
doppeltes Auf-
schäumen der Der CM6 liefert neben 13 köstlichen Kaffee-
Milch und erhöht spezialitäten ebenso die ideale Wassertempe-
somit nicht nur die ratur für 6 Teesorten.
Temperatur des
Milchschaums, son- Aber auch in puncto Reinigung bietet der CM6
dern sorgt zugleich für MilkPerfection innovative Lösungen: Durch
eine besonders feinpori- den Einsatz eines doppelten Milchschlauchs
ge Textur. mit Kugelventilen erfolgt das Spülen der Milch-
leitung automatisch und ohne Umstecken. Die Ob in der Küche, im Büro oder im Wintergar-
Und die Funktion OneTouch for entnehmbaren und größtenteils spülmaschi- ten: das Standgerät kann praktisch überall
Two ermöglicht die zeitgleiche Zuberei- nengeeigneten Komponenten sorgen zusam- aufgestellt werden, wo immer Sie auf Knopf-
tung von zwei köstlichen Kaffeespezialitäten men mit effizienten Reinigungsprogrammen druck Kaffeespezialitäten wie vom Barista
per einfachem Knopfdruck. für maximale Hygiene und hohen Komfort. genießen wollen.

AUF DEN GESCHMACK GEKOMMEN? m i e l e . d e / c m

ANZEIGE

Geldanlegen neu gedacht

Mit fast 65 Jahren Erfahrung im Fondsgeschäft und einem verwalteten Vermögen
von über 360 Milliarden Euro zählt Union Investment zu den führenden Fondsgesell­
schaften in Deutschland. Der Vorstandsvorsitzende der genossenschaftlichen Fonds­
gesellschaft, Hans Joachim Reinke erklärt, wie sich im Niedrigzinsumfeld zeitgemäß
sparen lässt und welche Rolle Nachhaltigkeit dabei spielt.

Hans Joachim Reinke,

Vorstandsvorsitzender von
Union Investment

Herr Reinke, wer vor einigen

Monaten noch gehofft hat,
dass die Zinsen wieder steigen
werden, sieht sich nach den
Erfahrungen der Corona-
Pandemie ernüchtert. Die
Zinsen bleiben niedrig. Was
bedeutet das für Sparer?

Null- und Negativzinsen werden

zum Alltag. Selbst wenn die
Inflation geringfügig steigen
sollte, wird das Sparern Kauf­
kraftverluste bescheren. Die
Ära der Zinsjäger ist vorbei.
Sparen steht dennoch weiter­
hin hoch im Kurs. 6,6 Billionen
Euro betrug laut DZ Bank das
Geldvermögen privater deut­
scher Haushalte im Jahr 2019.
Bei etwa einem Drittel davon
(1,8 Billionen) handelt es sich
um Sichteinlagen oder Bargeld.
Leider parken immer noch viel
zu viele Sparer ihr Geld in
zinsbasierten Anlageformen,
weil sie keine Alternativen
sehen. Wer sein Geld erhalten
und langfristig vermehren will,
muss jedoch neue Wege be­­-
schreiten. Rentier­liche Substanz­-
werte wie Aktienfonds sind
das Gebot der Stunde.
Wie gut kommen Sie dabei
voran, die Menschen von der
Alternative zu überzeugen?
Stichwort Nachhaltigkeit:
Ist das ein Thema, dass die
Fondsbranche noch länger
begleiten wird?
Union Investment beschäftigt
das Thema Nachhaltigkeit
schon seit über 30 Jahren.
Wir verwalten mittlerweile
mehr als 55 Milliarden Euro in
rein nachhaltig gemanagten
Investmentfonds. Das heißt:
Statt kurzfristig Gewinne zu-
lasten kommender Genera­
tionen zu maximieren, achten
wir auf eine fortwährend
stabile Wertentwicklung.
Wir verankern nachhaltige
Aspekte in unseren Geschäfts­
prozessen und machen uns
stark für ein nachhaltiges
Finanzsystem.

Die Evolution des Sparens ist in
vollem Gange: Selbst während
der Kapitalmarktturbulenzen
im Frühjahr stieg die Anzahl
unserer klassischen Fonds­
spar­pläne und überschritt im
Laufe des Jahres die 3-Milli­­
onen-Marke. Immer mehr
Anleger bleiben bei kurzfristi­
gen Schwankungen gelassen,
weil sie den langfristigen
Vermögensaufbau im Blick
haben. Da sind Fonds­sparpläne
insbesondere für Sparer ohne
Erfahrung ein guter Einstieg,
auch weil man bereits ab 25,–
Euro monatlich am Kapital­
markt teilnehmen kann.
Bemerkenswert ist, dass nach­
haltige Fonds immer beliebter
werden. Bei dieser Anlage
werden neben funda­mentalen
wirtschaftlichen auch ethische,
soziale und ökologische Aspekte
berücksichtigt.
Das dient nicht nur der Ge­
sellschaft, sondern auch dem
Sparer: Wenn wir bei unserer
Wertpapierselektion nachhal­
tige Kriterien berücksichtigen,
verbessert sich die Qualität un­
serer Anlageentscheidungen
noch einmal. Wir erkennen
frühzeitig ökonomische Risiken
und identifizieren wegweisen­
de Zukunftstechnologien. Das
hilft der Performance. Zudem
ist es unser Ziel, für den Kunden
eine optimale Mischung aus
Verfügbarkeit, Ertrag und
Sicherheit zu gewährleisten.
Dafür ist der Fonds das ge­
eignete Instrument, denn
unsere Fondskonzepte bieten
je nach Kundenbedarf das
ideale Maß an Nachhaltigkeit,
Ertrag und Risiko. Eine quali­
fizierte Beratung hilft, das
bestmögliche Anlagekonzept
zu ermitteln.
Was leiten Sie aus all Ihren
Empfehlungen für Sparer mit
Blick auf das Jahr 2021 ab?
Der Finanzierungsbedarf im
Zuge der Corona-Pandemie ist
groß, sodass sich die Noten­
banken auf nicht absehbare
Zeit gezwungen sehen, die
Zinsen niedrig zu halten. Das
Niedrigzinsumfeld bleibt uns
also auch in den kommenden
Jahren erhalten. Sparer müs­
sen ihr bisheriges Anlagever­
halten überdenken. Ob nach­
haltig oder nicht, entscheidet
jeder selbst, nach seinen
eigenen Überzeugungen.
Doch für alle gilt: zeitgemäß
zu sparen bedeutet, rentierlich
anzulegen.
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
DÉJÀ-VU
Schwarz-rot-goldener
Fallschirm
US-Chefs profitieren
immer wieder gewaltig,
wenn deutsche Kon­
zerne ihre Unter­
nehmen kaufen. Ihre
hiesigen Kollegen
holen nur langsam auf
TEXT:
BERND ZIESEMER
Bernd Ziesemer war
Chefredakteur des
„Handelsblatt“. In
der Kolumne „Déjà-
vu“ greift er jeden
Monat Strategien,
Probleme und Pläne
von Unternehmen
auf – und durch-
leuchtet sie bis in
die Vergangenheit.
58
Dow R. Wilson muss in seinem Le-
ben nie wieder arbeiten. Der Chef
des amerikanischen Medizintech-
nikkonzerns Varian zieht sich mit
stolzen 82 Mio. Dollar aus seinem
Unternehmen zurück. Das Geld
kommt aus good old Germany, vom
Konkurrenten Siemens Healthi-
neers. In den USA nennen sie es „gol-
dener Fallschirm“, wenn ein CEO bei
der Übernahme durch einen ande-
ren Konzern so kassiert. Und weil
die Deutschen für Varian insgesamt
16 Mrd. Dollar bezahlen, fällt das Ab-
schiedsgeschenk mit gerade 0,5 Pro-
zent der Summe auch gar nicht mal
groß ins Gewicht. Jedenfalls nicht
bei einer rein betriebswirtschaftli-
chen Betrachtung der Dinge.
82 Mio. Dollar – das ist nicht
einmal ein Rekordwert in der deut-
schen Statistik überteuerter Über-
nahmen. Vincent Volpe verabschie-
dete sich bei Dresser-Rand nach der
Übernahme durch Siemens vor eini-
gen Jahren mit 113 Mio. Dollar, die
er zum Teil in den Fußballclub Le
Havre AC in Frankreich steckte. Den
bisherigen Allzeitrekord aber hält
der frühere Monsanto-Chef Hugh
Grant, der fantastische 123 Mio. Dol-
lar von Bayer bekam. Es war, wie wir
heute wissen (Glyphosat!), kein leis-
tungsgerechter Lohn. Bescheiden
nehmen sich dazu im Vergleich die
knapp 19 Mio. Dollar aus, die sich der
Cypress-CEO Hassane El-Khoury im
letzten Jahr nach der Übernahme
durch Infineon aufs Sparkonto le-
gen konnte.
In den USA gelten solche Sum-
men als mehr oder weniger normal.
Und weil die amerikanischen Spit-
zenmanager ihre „goldenen Fall-
schirme“ schon vorher in ihren
Arbeitsverträgen genau ausverhan-
deln, können die deutschen Kon-
zerne meist auch nichts an den üp-
pigen Einmalzahlungen ändern. Die
inte­res­sierte deutsche Öffentlich-
keit mag sich erregen, an der Praxis
in den USA ändert das gewiss nichts.
Immerhin sollten wir dafür
sorgen, dass sie nicht auch noch nach
Deutschland selbst überschwappt.
Die 30 Mio. Euro, die Mannesmann-
Chef Klaus Esser vor 20 Jahren bei
der Übernahme des Konzerns durch
Vodafone für sich selbst herausschla-
gen konnte, sorgten für einen Auf-
schrei und beschäftigten lange die
Gerichte. Sie blieben vielleicht des-
halb bis heute die Ausnahme. In sel-
tenen Fällen bedarf es allerdings gar
keiner Übernahmen, um sich selbst
den Abschied mit hohen Millionen-
beträgen zu versüßen. Der frühere
Beiersdorf-Chef Stefan Heidenreich
kassierte 2018 immerhin schöne
23,5 Mio. Euro zum Karriereende im
Hautpflege- und Tesafilm-Konzern.
Abschiedsexzesse wie in den
USA erleben wir in Deutschland nach
wie vor selten, obwohl sich die Chefs
der großen Konzerne inzwischen in
vielen Fällen auf das Gehaltsniveau
ihrer amerikanischen Kollegen hoch-
gearbeitet haben. Die Aufsichtsräte
fürchten den Druck der Öffentlich-
keit mehr noch als ihre Aktionäre,
wenn es um Geld für die Vorstände
geht. Deshalb versorgen sie ihre Ma-
nager zwar mit Bonusbeträgen aller
Art und üppigen Pensionszahlun-
gen bis ans Ende ihrer Tage, scheuen
aber vor den ganz großen dreistelli-
Illustration: Jindrich Novotny
gen Millionen-Euro-Zahlungen zu-
rück. Es dient dem sozialen Frieden
im Lande – und schadet der Perfor-
mance unserer Unternehmen nicht,
wie man in der Corona-Krise erneut
sehen konnte.
Capital Ausgabe 01/2021
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Interview Herfried Münkler
„Unser
System ist
verwundbar“
Herr Münkler, die Corona-Pande-
mie hat viele Deutungen erfahren:
Für die einen ist sie eine tiefe Zä-
sur, für die anderen die erste kol-
lektive Erfahrung einer globali-
sierten Welt, für manche läutete
sie auch ein Comeback des Staates
ein. Welche dieser Thesen hat Sie
am meisten überzeugt?
Wenn das Ganze nur den ersten
Lockdown gedauert hätte, und im
Sommer wäre alles wieder nor-
mal gewesen, dann hätte man sa-
gen können: Na ja, letztlich war das
eine kurze, starke Abwechslung in
unserem Alltagstrott – aber jetzt ist
alles wieder gut. Heute wissen wir:
Es dauert doch sehr viel länger, wir
entwickeln Verhaltensänderungen,
die bleiben werden. Also eine tie-
fe Zäsur.
An was denken Sie?
Drei Aspekte sind wichtig: Ers-
tens, die Krise ist ein Weckruf im
Hinblick auf sicherheitspoliti-
sche Herausforderungen. Pande-
mien standen immer auf den Zet-
teln der Experten, aber doch ganz
hinten, weil man sie nicht für so
wahrscheinlich gehalten hat. Und
zweitens, wir haben ein anderes Be-
wusstsein dafür, vorbereitet sein zu
müssen, zum Beispiel wenn es um
60
Ein Kampf an
zwei Fronten, zwischen
Populismus und
Pandemie – 2020 war
ein harter Test für
liberale Demokratien.
Wie geht der Wett­-
streit der Systeme aus?
Ein Gespräch mit dem
Politikwissen­schaftler
Herfried Münkler
I N T E RV I E W:
H O R S T VO N B U T T L A R
U N D T I M O PAC H E
die Verletzlichkeit globaler Liefer-
ketten geht. Und letzten Endes se-
hen wir, wie die Pandemie eine ganz
tiefgreifende Frage noch mal neu
befeuert: Welches politische Modell
ist eigentlich am erfolgreichsten ge-
genüber solchen Herausforderun-
gen? Das chinesische Modell, das
deutsche oder das angloamerikani-
sche Modell von Zickzack-Boris bis
Donald Trump – wobei Letzterer ja
schon klar der große Verlierer ist?
Im Frühjahr waren Sie optimis-
tisch, dass die Demokratien West-
europas stabil genug seien, um so
eine Krise unbeschadet zu über-
stehen. Glauben Sie das noch, oder
machen Sie sich mehr Sorgen?
Ich mache mir größere Sorgen. Die
Pandemie ist wie eine dauerhafte
Evaluation unseres politischen Sys-
Foto: Lengemann/WELT/ullstein bild via Getty Images
tems: Ganz viele Menschen schau-
en, welches Modell wie gut funkti-
oniert, und sie werden sich daran
orientieren. Das Krisenmanagement
in Deutschland folgt einem sehr be-
sonderen Modell: Es fußt nicht wie
in China auf einer immensen Macht-
konzentration bei der Regierung,
sondern arbeitet mit anspruchsvol-
len Annahmen über die Vernünf-
tigkeit der Bürger. Das ist großar-
tig – wenn es ­funktioniert. Aber
Capital Ausgabe 01/2021
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Interview Herfried Münkler
es funktioniert nur, wenn die Leute
­ihrer Führung vertrauen. Im Augen­
blick bin ich mir nicht sicher, wie
das Ganze ausgeht.
Mit den Corona-Protesten sieht
man, wie viele Menschen der Re-
gierung, den Virologen, aber auch
uns Medien misstrauen. Wie sehr
besorgen Sie solche Proteste?
Zunächst einmal haben wir eine ei­
gentümliche Mischung aus libertä­
ren Verschwörungstheoretikern,
Impfgegnern und Rechtsradikalen
gesehen. Das ist eine Koalition, die
sich von kurzfristigem Missmut bis
hin zu sehr tiefsitzender Ablehnung
des Staates zusammengefunden
hat. Diese Leute sind sich einig in
dem, was sie ablehnen. Aber wenn
62
HERFRIED MÜNKLER
Seine Professur für Politische
Theorie und Ideengeschichte
an der Berliner Humboldt-Uni
hat der Politikwissenschaftler
Herfried Münkler, 69, vor zwei
Jahren aufgegeben. Dennoch
bleibt der Autor großer Bestseller
(zuletzt 2017 über den Dreißig­
jährigen Krieg) ein gefragter Rat­
geber – auch bei Kanzlerin
Angela Merkel. Sein jüngstes Buch
veröffentlichte er im September
2019 mit seiner Frau Marina
Münkler: „Abschied vom Abstieg“.
man sie fragen würde, was jetzt zu
tun sei, würden sie sich vermutlich
schnell zerstreiten. Das ist nicht
akut bedrohlich, deswegen würde
ich auch nicht sagen, dass wir uns
analog zur Schlussphase der Wei­
marer Republik befinden. Aber man
sollte auch nicht leichtfertig da­
rüber hinweggehen. Denn je länger
die Einschränkungen dauern, desto
stärker wächst bei den Leuten das
Gefühl, der Staat mische sich in Din­
ge ein, in denen er eigentlich nichts
zu suchen hat. Und so wird diese
Gruppe weiterwachsen.
Drohen uns irgendwann Verhält-
nisse wie in den USA, wo die Ge-
sellschaft ja inzwischen fast in der
Hälfte gespalten zu sein scheint?
Von solchen Verhältnissen sind wir
noch weit entfernt. Wir sehen hier
die Konkurrenz zweier Freiheits­
begriffe: Die Amerikaner hängen
stark der Idee einer individualisti­
schen Freiheit an, nach dem Motto
von Max Stirner: Ich bin der Einzi­
ge, was zählt, das ist mein Wille. De­
mokratie ist dann die Aggregation
von Millionen einzelner Willen – das
ist auch ein Stück weit das Plebis­
zitäre, das es in den USA schon im­
mer gab. Unser Freiheitsbegriff in
Europa und gerade in Deutschland
ist ungleich komplexer und von Im­
manuel Kant geprägt: Der Gebrauch
meiner Freiheit muss mit dem Ge­
brauch der Freiheit eines jeden an­
deren zusammen bestehen können.
Dabei muss ich immer die mögli­
chen Folgen meines Tuns nicht nur
im Hinblick auf mich, sondern auch
im Hinblick auf andere im Auge be­
halten. Aber das ist anspruchsvoll
Foto: Lengemann/WELT/ullstein bild via Getty Images
und setzt Vertrauen, Urteilskraft
und Augenmaß voraus.
Nun beklagen viele Demonstran-
ten, die Politik entziehe sich jeder
demokratischen Kontrolle und
verstecke sich hinter Experten.
Ich finde nicht, dass die Regierung
Entscheidungen an Experten ab­
gegeben hat, sondern sie lässt sich
beraten – mal stärker von Virolo­
gen, dann mehr von Ökonomen, an­
schließend von Jugendpsychologen,
Capital Ausgabe 01/2021
danach melden sich die Alters­
psychologen – und am Ende ent­
scheiden die dafür vorgesehenen In­
stitutionen respektive die gewählten
Vertreter: die Bundesregierung, die
Länder, die Parlamente. Aber ja, der
Prozess ist komplex und manchmal
unwägbar, es ist mehr ein Tasten
unter großer Unsicherheit und im­
mer mit der Frage verbunden: Wie
lange noch? Es ist quasi eine Kultur
des Ausprobierens, die wir alle of­
fensichtlich noch lernen müssen.
Aber Sie finden diesen Ansatz der
Entscheidungen auf Sicht richtig?
Ich habe sogar früh dafür plädiert,
im Grunde noch kleinteiliger auf der
Ebene der Landkreise zu entschei­
den. Was wissen wir denn in Berlin
darüber, wie die Lage in Berchtes­
gaden ist? Wir brauchen quasi Mi­
kroregime für die Pandemie. Aber so
etwas ist erklärungsbedürftig und
kompliziert. Schon die unterschied­
lichen Regelungen von Bundesland
zu Bundesland haben in einer un­
geduldigen Bevölkerung zu Irritatio­
nen und neuem Protest geführt.
Kann es sein, dass der deutsche
Ansatz mit seiner Komplexität
viele Menschen überfordert?
Das kann gut sein. Jedenfalls habe
ich von den Demonstranten bis­
her keinen einzigen Satz gehört,
wie sie das Virus bekämpfen wol­
len. Sondern eher eine Sehnsucht
nach einfachen Antworten, gepaart
mit einem merkwürdigen, etwas po­
pulistischen Heroismus, nach dem
Motto: Wir halten das aus, wir brau­
chen keine Maske, ist ja nur eine
Erkältung. Aber letztlich findet sich
hinter diesem Gestus kein einziger
Gedanke darüber, dass man Viren
nicht heroisch bekämpfen kann.
In Frankreich ist mit „En Marche“
eine gestaltende Protestbewegung
in der Mitte der Gesellschaft ent-
standen. Warum werden Protes-
te gegen den Staat in Deutschland
eigentlich immer von Radikalen
und Neonazis gekapert?
Es gibt auch viele linke Protestbe­
wegungen, gegen den Klimawan­
del etwa. Aber es stimmt schon. Ich
denke, es liegt daran, dass unsere
politische Kultur sehr stark auf die
Mitte hin zentriert ist.
Bei uns sind alle Mitte …
Eine entschiedene demokratische
Rechte und eine entschiedene de­
mokratische Linke, die an ihren
Rändern Strömungen auffangen
können, gibt es bei uns so nicht
mehr. Die Union, die SPD, die FDP,
die Grünen, sie alle sagen heute, sie
seien Parteien der Mitte. Das heißt,
wenn man dieses System und sein
Personal ablehnt, dann geht man
entweder ziemlich nach links oder
aber nach rechts. Und rechts ga­
rantiert auf jeden Fall die höhere
Aufmerksamkeit, weil man damit
gleich Tabus der Erinnerungskultur
bricht. Wenn man Skandalisierung
als eine Aufmerksamkeitsbewirt­
schaftungsstrategie begreift, dann
geht man fast zwangsläufig nach
rechts. Im Grunde besteht die Ver­
wundbarkeit des relativ komplexen
und stabilen politischen Systems in
Deutschland darin, dass rechtsra­
dikale Äußerungen mit ungeheuer
viel Aufmerksamkeit belohnt wer­
den. Das ist die politische Währung,
die die Gaulands und Höckes von
der AfD für sich zu nutzen wissen.
Sie klingen etwas defätistisch mit
Ihren Sorgen um die Demokra-
tie. Dabei ist die deutsche Bilanz
2020, wenn wir auf die Zahlen und
den Rest der Welt schauen, doch
recht beeindruckend.
Das würde ich auch nie bestreiten.
Die Zahlen sind eine Belohnung
„Die Kultur
des Aus­
pro­bierens
müssen
wir alle noch
lernen“
für dieses komplexe Krisenmana­
gement. Meine Sorge gilt vielmehr
der Frage, wie lange die Bevölkerung
noch mehrheitlich bereit und in der
Lage ist, einen solchen Kurs des Auf-
Sicht-Fahrens mitzutragen. Wann
rebelliert sie dagegen?
In dieser Krise ging es auch oft um
den Begriff der Resilienz. Darun-
ter kann man alles Mögliche ver-
stehen, von Lieferketten über ro-
buste Gesundheitssysteme bis zu
Vorräten gegen Pandemien. Was
halten Sie bei der Stärkung der
Widerstandskräfte für wichtig?
Entscheidend für die Resilienz un­
serer Demokratie ist zunächst die
Urteilskraft der Bevölkerung, also
ihre Fähigkeit, sich aus sehr unter­
schiedlichen Stimmen von Exper­
ten, die sich auch noch widerspre­
chen, ein eigenes Urteil zu bilden.
Diese Fähigkeit, Expertenwissen zu
handhaben und nicht den Streit ge­
wissermaßen als Lizenz zum ex­
zessiven Ausleben ihrer Freiheits­
bedürfnisse zu missbrauchen, ist
immens wichtig. Darüber hinaus
gibt es Basisverwundbarkeiten,
etwa die Abhängigkeit vom Welt­
markt und von Importen aus China.
Früher hätten wir die unter sicher­
heitspolitischen Gesichtspunkten
diskutiert, heute wissen wir: Auch
eine Pandemie kann diese Handels­
wege bedrohen. Ich bin seit Langem
der Auffassung, dass es im 21. Jahr­
hundert nicht mehr sinnvoll ist,
über Bedrohungen als identifizierte
konkrete Herausforderungen nach­
zudenken, sondern eher über Ver­
wundbarkeiten der Gesellschaft.
Was bedeutet das konkret?
Die Frage, die wir uns stellen müs­
sen, lautet: Wie viel Verwundbarkeit
können wir uns leisten? Für jeden
Bereich, Medikamente, Lieferket­
ten, und dann müssen wir Mittelwe­
ge suchen zwischen just in time und
großen Lagern, die teuer sind. Das
bedeutet etwa regionale Vorräte an
Schutzmasken für ganz Europa.
Es gibt nun mehrere Impfstoffe,
diese Krise ist endlich. Können Sie
sagen, wo wir diese ­Pandemie
63
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Interview Herfried Münkler
zwischen Pest und Spanischer
Grippe einordnen werden?
Dafür ist es noch zu früh, aber eines
ist schon klar: Frühere Pandemi-
en sind in der Regel im Zusammen-
hang mit großen Kriegen aufgetre-
ten – durch Truppenbewegungen,
Flüchtlingsströme und schlechte
hygienische Verhältnisse. All dies
war diesmal nicht der Fall. Die Trei-
ber der Pandemie waren eher der
Handel und der Tourismus. Der Su-
perspreader war der perfekt glo-
balisierte, friedliche Bürger, der
um die Welt reist, das Leben ge-
nießt und eher zur Elite einer li-
beralen Weltordnung gehört. Die
­interessante Frage ist jetzt: Werden
wir deshalb die Globalisierung zu-
rückfahren?
Die Abkehr von der Globalisie-
rung bringt uns zu den USA: Do-
nald Trump wird das Weiße Haus
räumen, aber seinen Geist wird
das Land nicht mehr los, oder?
Trump bleibt das Sprachrohr ei-
ner sehr relevanten Gruppierung
in der Gesellschaft, nicht wirk-
lich der Hälfte, aber sie haben den
Anspruch, mindestens die Hälf-
te zu sein. Diese Wähler sind mit
dem Wahlsieg Joe Bidens nicht ver-
schwunden. Auf der anderen Sei-
te werden Bidens Handlungsmög-
lichkeiten durch die Verhältnisse
im Kongress und die Besetzung des
Supreme Court sehr eingeschränkt
sein. In so einer Situation hat man
ganz schlechte Karten, wenn man
auf Versöhnen setzt.
Warum? Das Ziel ist doch richtig.
Ja, aber man verärgert die eigenen
Anhänger, wenn man auf die ande-
ren zugeht und für die eigenen Wäh-
ler nicht viel bewirken kann. So pas-
siert es schnell, dass man zwar in
der Mitte steht, aber keiner mehr
bei einem ist. Wenn es einen Hei-
lungsprozess gibt, dann wird er
nicht in einer Amtszeit abgeschlos-
sen sein. Insofern wird die Vizeprä-
sidentin Kamala Harris diese Aufga-
be auch übernehmen müssen. Doch
sie tritt anders auf und wird eine an-
dere Glaubwürdigkeit haben.
64
„Es bedarf
nur eines
einzigen
Mannes, um
das gesamte
System zu
gefährden“
Die USA taumelten nach der Wahl
zwischen Triumph und Trauma
der Demokratie. Man hatte Angst,
Trump werde das System nach-
haltig beschädigen, aber dieses
System – Wahlleiter, Richter und
Gouverneure – hat widerstanden.
Was war diese Wahl nun?
Die Demokratie hat sicher Schaden
genommen. Denn was bleiben wird
von Trump, ist das Vorbild, dass die-
ses Zündeln funktioniert. Wir ha-
ben gesehen, dass es letzten Endes
nur eines einzigen Mannes in einer
bestimmten Position bedarf, um das
gesamte politische System zu ge-
fährden. Das haben wir uns zuvor
nicht vorstellen können.
Und trotzdem hat das System der
„Checks and Balances“ gehalten.
Das stimmt. Trump konnte tatsäch-
lich zu keinem Zeitpunkt wirklich
durchregieren, er hat das System
nicht überrannt, sondern sich wie
die Prinzen, die Dornröschen besu-
chen wollten, im Gestrüpp verhakt.
Wir haben hier eine tiefe Verteidi-
gungsfähigkeit gesehen, eine innere
Ordnung, die nicht bei dem Überren-
nen der ersten Linie gleich in sich zu-
sammenbricht. Aber das hat seinen
Preis: nämlich die Unzufriedenheit
von Leuten damit, dass dieses Sys-
tem in seiner Flexibilität eine ultra-
hohe Stabilität aufweist. Diese Stabi-
lität haben die Gründerväter der USA
gewollt. Der Wunsch nach grundle-
gend anderem wird indes so immer
größer. Hier zeigt sich die Schwäche
eines so differenzierten Systems für
populistische Versuchungen – nicht
unähnlich zur Lage hier in Deutsch-
land. Ich bin gespannt, wer in vier
Jahren die Rolle Trumps bei den Re-
publikanern übernehmen wird.
Die USA sind aus vielen Krisen ge-
stärkt hervorgegangen. Könnte
das diesmal anders sein und den
Wachwechsel im Wettstreit der
Systeme beschleunigen?
Zunächst einmal ist das eine Fra-
ge des Narrativs. Ihr Narrativ wird
von vielen der 73 Millionen Trump-
Wähler nicht geteilt. Nach deren
Lesart befindet sich das Land in ei-
nem permanenten Niedergang, aus
dem man nur herauskommt, wenn
man das Ruder ganz energisch he-
rumreißt. Die andere Sicht ist qua-
si unsere Mitte-Erzählung über die
amerikanische Gesellschaft und
vielleicht generell unsere Sicht auf
Krisen. In der Summe, da haben Sie
Recht, ist Amerika aus Krisen ge-
stärkt hervorgegangen, dennoch hat
es im Innern Verschiebungen und
Verlierer gegeben.
So ist der eigentliche Gewinner
der Krise China, oder?
Absolut. Diese Krise hat in China be-
gonnen, und sie hätte in China zur
großen Katastrophe führen können.
Aber wenn die Zahlen nur einiger-
maßen stimmen, dann haben die
Chinesen diese Pandemie bravourös
gemeistert.
Werden die Chinesen damit ein
neues Vorbild?
Im Sinne einer Softpower, also Vor-
bildlichkeit und Orientierung, ist
China vermutlich der klare Gewin-
ner des Jahres 2020. Und dies umso
mehr, als die USA massiv an Soft­
power verloren haben.
Und Europa dazwischen: in
Zukunft als Museum oder als ein
eigener Player?
Das wird sich in den nächsten zehn
Jahren entscheiden. Das Museum
ist nicht ganz unwahrscheinlich. Als
selbstständiger Player kann Europa
nur bestehen, wenn es der technolo-
gisch-wissenschaftlichen Entwick-
lung wieder mehr Freiräume gibt.
Capital Ausgabe 01/2021
 Wenn Europa bei Digitalisierung
und künstlicher Intelligenz Schwer-
punkte setzt. Das kriegen die EU-
Staaten aber nur hin, wenn wir en-
ger zusammenarbeiten.
Ist das realistisch, wenn man die
Konflikte in der EU sieht?
Man wird sehen. Schaffen es die Eu-
ropäer nicht, dann werden sie nicht
das Subjekt bei der Gestaltung der
neuen politischen und ökonomi-
schen Weltordnung sein, sondern
das Objekt. Das muss keine Kata­
strophe sein, man kann auch in so
einem ruhigen Wetterwinkel gut le-
ben, das macht die Schweiz vor. Ich
fürchte nur, Europa ist zu groß da-
für, um diese kommode Rolle der
Schweiz spielen zu können. Und vor
allen Dingen müssen wir dann ak-
zeptieren, dass andere die Regeln
machen, nach denen gespielt wird.
Und das passt mit dem Selbstbe-
wusstsein der Europäer nicht gut
e h m e
te r n
U n
i c klu n g u
Ent w
Christian und Luisa Rinn,
Rinn Beton- und Naturstein GmbH & Co. KG
Werden auch Sie UnterstützerIn:
allianz-entwicklung-klima.de/kampagne
zusammen. Selbst in der Schweiz
gibt es ja Widerstand, wenn die Re-
geln und Vorgaben der EU über-
nommen werden sollen.
Angesichts all der Bedrohung und
des Niedergangs durch Klimawan-
del und Pandemie: Wie werden
wir das permanente Gefühl der
Apokalypse wieder los?
Ich glaube, dass die Antwort auf die-
se Frage viel mit unserer Interpreta-
tion von Ereignissen zu tun hat, also
mit Narrativen. Wir erleben heute,
dass wir mit vielen dieser Erzählun-
gen in eine Spirale des Untergangs
und Niedergangs kommen. Es gibt
dabei sogar einen Point of no Re-
turn, nämlich dann, wenn der Poli-
tikbetrieb durch diese Narrative in
Hysterie verfällt und deshalb Kom-
promisse und Abwägen nicht mehr
möglich werden. Das gilt für die Kri-
tiker der Umweltverschmutzung
und Klimaveränderung genauso wie
rIn f ür
K li m a
nd
w ir in
„W eil en
ra t ion
Gen e
k e n.“
den Rinn Beton- und Naturstein kompensiert nicht vermeidbare
Emissionen u. a. über Windkraftprojekte in Indien.
für die Kritiker der Migration, die
gleich von Umvolkung sprechen.
Narrative, die keine Kompromisse
zulassen, gefährden die Demokratie.
Und wie kommen wir da raus?
Zum Beispiel, indem wir mehr Leu-
te am praktischen politischen Ge-
schäft beteiligen, sodass sie eine Er-
fahrung machen, wie Kompromisse
aussehen und wie man langfris-
tig denkt. Oder indem Europa wie-
der handlungsfähiger wird – indem
man nicht mehr zulässt, dass ein-
zelne Länder wie gerade Polen und
Ungarn alles blockieren, weil ih-
nen etwas nicht in den Kram passt.
Sondern, dass man einzelne Länder
notfalls auch rausschmeißt, wenn
es nicht mehr anders geht. Oder Lö-
sungen ohne sie findet. Oder einen
inneren Kern bildet, der stärker in-
tegriert ist. Hier muss Europa in sei-
ner Konfliktfähigkeit wirklich ro-
buster werden.
STIFTUNG
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Vergleichsportale

SCHRECK
24
T E X T : C A S PA R
TOBIAS SCHLENK UND NIKLAS
W I R M I N G H AU S

I L L U S T R AT I O N :
EMMA ROULETTE

Wer im Netz Versicherungen, Finanz­

produkte, Strom- oder Handyverträge
verkaufen will, kommt an Check24 kaum
vorbei. Ein Erfolg – einerseits. Doch
die Macht des deutschen Marktführers
ist vielen längst unheimlich

66
Roman Rittweger ist eigentlich kein
Typ, der schnell den Mut verliert. Als
der gelernte Mediziner 2017 das Ver-
sicherungs-Start-up Ottonova star-
tete, wagte er damit die erste deut-
sche Neugründung eines privaten
Krankenversicherers seit 17 Jah-
ren. Doch als Ottonova ein Jahr nach
dem Start gerade einmal 400 Kunden
beisammenhatte, sah sich Rittweger
gezwungen, sich von einem seiner
wichtigsten Vorsätze zu verabschie-
den: Er gab seine Unabhängigkeit
auf. Das Unternehmen listete sei-
ne Tarife fortan auf Check24, einem
Vergleichsportal mit enormer Reich-
weite. „Wir hatten mal die Idee, das
ohne die Checks dieser Welt zu ma-
chen“, bilanziert Rittweger. „Aber ein
gutes Produkt zu haben reicht nicht.“
Inzwischen hat sich der Grün-
der mit Check24 arrangiert. Rittwe-
ger hat seine Tarife sogar so umbau-
en lassen, dass sie nach den Kriterien
des Vergleichsportals möglichst weit
oben landen. Mit einem Beamtenan-
wärtertarif hat er kürzlich eine Poli-
ce gelauncht, die nur über Check24
verkauft wird – offenbar höchst er-
folgreich: „Da hätten wir wie sonst
was auf Facebook oder im Fernsehen
Werbung schalten können, das hät-
te nicht den gleichen Effekt gehabt.“
Mit der Einsicht, dass an
Check24 kein Weg vorbeiführt, ist
Rittweger nicht allein. Nicht nur für
Versicherer, auch für Telekommu-
nikationsanbieter, Stromkonzerne
oder Banken sind Vergleichsportale
die entscheidenden Gatekeeper beim
Zugang zu online erreichbaren Kun-
den geworden. Das Bundeskartell-
amt schätzt, dass je nach Branche
zwischen fünf und 25 Prozent des
Umsatzes über die Plattformen ab-
gewickelt werden, Tendenz steigend.
Check24 ist dabei in Deutschland der
mit Abstand wichtigste Player, teil-
weise mit monopolähnlicher Stel-
lung dank der Konzentrationslogik,
die Plattformmärkten eigen ist.
Beispiel Versicherungen:
Knapp 40 Prozent der einfachen Poli-
cen für Haushalt, Hausrat oder Autos
werden laut den Marktforschern von
Heute & Morgen über Vergleichspor-
tale abgeschlossen. Brancheninsider
schätzen, dass die Plattformen allein
mit Provisionen etwa 300 Mio. Euro
jährlich verdienen. Ein Großteil da-
von dürfte an Check24 gehen – bei
Kfz-Versicherungen etwa liegt der
Anteil des Münchner Unternehmens
laut der Beratung Sirius Campus bei
70 Prozent.
In Summe dürfte Check24 die
Milliardengrenze beim Umsatz vor
einigen Jahren überschritten ha-
ben. Das Unternehmen arbeitet da-
bei hochprofitabel, die Gewinnmar-
ge soll zweistellig sein. Als Marke ist
das Portal inzwischen den meisten
Verbrauchern ein Begriff, vor allem
dank der allgegenwärtigen Fernseh-
werbung, die sich Check24 laut Niel-
sen mehr als 150 Mio. Euro pro Jahr
kosten lässt.
Öffentlich kaum bekannt ist
dagegen, welche Strategie eigentlich
70
Prozent
der über Portale
ver­kauften
Kfz-Versiche­
run­gen
ent­­fallen auf
Check24
hinter dem Primus der Vergleichs-
branche steckt – und wie weit des-
sen Marktmacht inzwischen reicht.
Capital konnte für diese Recher-
che mit dem seit 2015 amtieren-
den CEO Christoph Röttele spre-
chen und dazu ein gutes Dutzend
Kenner des Unternehmens befra-
gen: Geschäftspartner, Konkurren-
ten, ­D ienstleister und ehemalige
Mitarbeiter, die zumeist lieber ano-
nym bleiben, um nicht den Zorn der
Münchner auf sich zu ziehen. Mit ih-
rer Hilfe lässt sich das Bild einer äu-
ßerst mächtigen Plattform zeich-
nen, die um ihren Erfolg beneidet,
aber für ihr Geschäftsgebaren auch
gefürchtet wird.
VERSCHWIEGENER CHAMPION
Dass man öffentlich wenig über
Check24 weiß, ist durchaus im Sin-
ne des Unternehmens. Wird in
Deutschland über Techmonopole
diskutiert, geht es in der Regel um
US-Konzerne wie Google, Amazon,
Facebook, Microsoft und Apple. Dass
in München ein Plattformunterneh-
men entstanden ist, das seine erheb-
liche Marktmacht skrupellos aus-
spielt, haben dagegen nur wenige auf
dem Schirm.
Auch deshalb setzt Check24
auf absolute Verschwiegenheit.
Zahlen sind ein streng gehütetes
Geheimnis, der letzte ausführ-
liche Geschäftsbericht ist meh-
rere Jahre alt. Das sei nötig, um
sich vor Angriffen der US-Techgi-
ganten zu schützen, heißt es vom
Unternehmen. Nicht einmal die
genaue Anzahl der Mitarbeiter will
man verraten, es sollen aber mehr
als 1 000 sein.
„Wenn man als Unterneh-
men extrem erfolgreich ist, hat
man wenig Interesse, darüber zu
sprechen“, sagt einer, der mit
67
W E LT D E R W I RT S C H A F T
Vergleichsportale
Check24 zu tun hat. „Das weckt nur
­Begehrlichkeiten.“ Während man-
cher deutsche Tech-CEO vor der Co-
rona-Pandemie fast wöchentlich auf
Konferenzbühnen stand, sah man
Check24-Manager so gut wie nie bei
den einschlägigen Branchentreffs.
Der Architekt des Unterneh-
mens ist Henrich Blase, ein Vollju-
rist, promovierter Betriebswirt und
passionierter Tennis- und Fußball-
spieler. Bei der Beratungsfirma Bain
lernte Blase Ende der 90er-Jahre
den Wirtschaftsingenieur Eckhard
Juls kennen, mit dem er 1999 ein
Vergleichsportal für Kfz-Versiche-
rungen gründete. Die Anfangszeit
lief schleppend, kaum jemand woll-
te Versicherungen im Netz kaufen.
2004 drohte gar die Pleite. Erst als
sich schnelles Internet in der Brei-
te durchsetzte, gewann auch der
Online-Versicherungsvertrieb an
Fahrt, und Check24, wie die Firma
seit 2008 heißt, war ganz vorne mit
dabei. In der Folge expandierten Bla-
se und Juls in immer diversere Ver-
sicherungsbereiche, später folgten
Finanzprodukte, Strom- und Gas-
verträge und vieles mehr.
ALLE ANGRIFFE ABGEWEHRT
„Sehr hart“ sei der Wettbewerb ge-
wesen, sagte Blase 2015 bei einem
seiner seltenen öffentlichen Auf-
tritte. Im blütenweißen Hemd und
ohne Sakko tigerte er über die Büh-
ne einer Berliner Investorenkonfe-
renz und dozierte zehn Minuten lang
in deutsch gefärbtem Englisch über
Check24. Eine Folie überschrieb er
mit „Deads along the road“: Gemeint
waren die zahlreichen namhaften
Konkurrenten, die sich an Angriffen
gegen Check24 versucht hatten und
allesamt gescheitert waren, von der
Deutschen Bank und HUK-Coburg,
die jeweils dreistellige Millionenbe-
träge in eigene Vergleichsportale in-
vestiert hatten, über Goldman Sachs
bis zum britischen Marktführer Mo-
neysupermarket. Im Jahr 2020 wirkt
der Spitzenplatz von Check24 na-
hezu unangreifbar. Joonko, ein
ambitioniertes Konkurrenzprojekt
des Berliner Fintech-Inkubators
ABHÄNGIGE ANBIETER Finleap und des chinesischen Ver-
So bedeutend ist der Vertrieb über
Digitalplattformen für gewerbliche
sicherungsriesen Ping An, musste
Kunden: Antworten in Prozent gerade nach nur einem Jahr schon
sehr
wieder aufgeben. Der ärgste Kon-
keine
Angabe bedeutend kurrent Verivox, hinter dem Prosie-
16 56 bensat1 und der Finanz­investor Ge-
neral Atlantic stehen, schwächelt
gering
5
seit Längerem, schraubte zuletzt
seine Investitionen zurück und will
mittel bedeutend sich nun auf den Bereich Energie
6 17 konzentrieren.
Verantwortlich für den Erfolg
ist auch die besondere Konstruk-
KLARER MARKTFÜHRER tion des Unternehmens. Blase hat
Diese Vermittlungsplattformen haben
Verbraucher zuletzt genutzt:
Check24 so aufgesetzt, dass jeder
Antworten in Prozent Teil des Geschäfts von einer eigenen
Firma mit eigener Führung und ei-
andere
29 Check24 gener Gewinn- und Verlustrechnung
38 gesteuert wird. Nach Capital-Recher-
chen ist das Mutterunternehmen an
keine
Angabe insgesamt 70 solcher Töchter betei-
9 ligt, um schnell auf neue Themen re-
Verivox Booking.com agieren zu können – darunter auch
11 13 Vorratsgesellschaften für zukünftige
Themen. „Das sind unsere Schnell-
boote, die machen uns so agil“, sagt
DOMINANTE GRÜNDER Christoph Röttele. Im dezentralen
Anteile an der Check24 GmbH,
in Prozent
Check-Universum kann niemand die
Schuld auf einen anderen Geschäfts-
Samwer-Brüder bereich schieben – im Gegensatz zur
1,2
Check24 Welt der Versicherungskonzerne,
Christoph 0,6
Altnöder wie ein hochrangiger Manager be-
1,2 dauernd zugibt: „Der Vertriebsvor-
Henrich stand sagt dann, es liege am Produkt,
Georg Blase
43,6 und der verantwortliche Vorstand
Heusgen
6,0 schiebt es auf die Technik. Das pas-
Accel Eckhard Juls siert bei Check nicht.“
9,2 38,2 Doch die unternehmerische
Quellen: Bundesnetzagentur, Freiheit ist mit enormem Erfolgs-
Verbraucherzentrale Bayern,
Handelsregister
druck gepaart. Die jeweiligen Ge-
schäftsführer treten teilweise wö-
chentlich zum Rapport an, um
ihre Zahlen vor den Chefs zu ver-
teidigen, erzählt ein Insider. Die
Führungsetage bestehe aus „Kon-
trollfreaks“, meint ein anderer. Pas-
se den Chefs etwas nicht, werde hart
durchregiert, sagt einer, der mit
Check24 zusammenarbeitet.
Deutschlandweit ist Check24 auf
insgesamt 19 Standorte verteilt:
noch ein Hebel, um träge Konzern­
atmosphäre gar nicht erst aufkom­
men zu lassen. Eher herrscht spür­
bare Konkurrenz, eine „interne
Ellenbogengesellschaft“, wie es ein
ehemaliger Mitarbeiter nennt. Zwi­
schen den einzelnen Bereichen gebe
es nur wenig Kontakt, sagt ein In­
sider. Die Geschäftsführer, die die
Gründer vorwiegend aus Top-Bera­
tungen rekrutieren, stünden teilwei­
se in „unsinniger“ Konkurrenz zuei­
nander, klagt ein anderer.
Check24 erneut an der Provision ver­
diene. „Auf Dauer“, sagt der Manager,
„ist das nicht durchzuhalten.“
Gleichzeitig erwartet Check24
von den Anbietern, dass sie auf ih­
ren eigenen Websites den gleichen
Preis wie auf der Plattform anbie­
ten – eine Praxis, die auch Hotelpor­
tale pflegen. Die Anbieter können
dann nicht mit Preismodellen ex­
perimentieren, sondern müssen ihr
komplettes Angebot nach dem Ver­
gleichsportal ausrichten. Andere
Verträge untersagen es den Versiche­
rern, ihre Kunden überhaupt zu kon­
taktieren, ohne das mit Check24 ab­
zusprechen. Ein Anbieter bestätigt
diese Praxis. Röttele v
­ erteidigt

KUNDENKONTAKT VERBOTEN
Den Kampf mit harten Bandagen
pflegt Check24 auch im Verhältnis
zu Geschäftspartnern. Seine Markt­
position nutzt das Unternehmen
skrupellos aus – etwa gegenüber Ver­
sicherern, die auf das Vergleichspor­
tal angewiesen sind. Großen Spiel­
raum habe es beim Aushandeln der
Provision nicht gegeben, berichtet
ein Manager aus den Verhandlungen.
Etwa 100 Euro müsse sein Unterneh­
men pro abgeschlossener Kfz-Police
bezahlen.
Ein Großteil seines Geschäfts
komme mittlerweile über Check24,
erklärt der Manager weiter. „Und die
Verträge haben es in sich.“ So habe er
dem Vergleichsportal das Recht ein­
räumen müssen, seine Kunden jedes
Jahr über neue Angebote zu „infor­
mieren“. Folgt der Kunde den Hin­
weisen und wechselt bereits nach ei­
nem Jahr die Versicherung, mache
sein Unternehmen Verlust, während

69
W E LT D E R W I RT S C H A F T
Vergleichsportale
das Vorgehen: Die Kontaktpflege
zum Kunden gehöre zur Aufgabe
von Check24, da gebe es „keinen Un-
terschied zu anderen Versicherungs-
maklern“.
Was Röttele nicht sagt: Durch
den digitalen Zugang zum Kunden
kann die Vergleichsplattform ihre
Macht extrem effizient einsetzen.
Die Drohkulisse in den Verhand-
lungen mit Partnern ist dabei stets
die gleiche: Wem die Bedingun-
gen nicht schmecken, der müsse ja
nicht auf der Plattform sein. Doch
auf den Kundenstrom, der über das
Vergleichsportal fließt, sind die An-
bieter angewiesen. Viele Finanzun-
ternehmen „hängen an der Nadel
von Check24“, sagt ein Versiche-
rungsmanager. Kurzfristig bekom-
men sie ohne das Portal kein Wachs-
tum, doch langfristig machen sie
sich abhängig.
Irgendwann könnten sie so-
gar zu einer Art Zulieferer degra-
diert werden. Denn Check24 arbei-
tet da­rauf hin, dass Kunden die App
und das Portal möglichst gar nicht
mehr verlassen müssen. Alle neu-
en Verträge lassen sich unabhän-
gig vom Anbieter dort organisieren.
Der blaue Hintergrund brennt sich
ins Gedächtnis ein. Ob ein Kunde ir-
gendwann noch weiß, bei welchem
Anbieter er seinen Handyvertrag
gekauft, von welcher Bank er seinen
Kredit erhalten oder bei welchem
Versicherer er Policen abgeschlos-
sen hat, ist fraglich.
Gehört also der Kunde ir-
gendwann nur noch Check24?
Röttele wiegelt ab, betont das
partnerschaftliche Verhältnis zu
den Anbietern: „Wir funktionieren
nur zusammen.“ Allerdings, fügt er
hinzu, stiegen die Kundenerwartun-
gen an digitale Produkte – und da vie-
le Partner wegen mangelhafter Res-
sourcen oder träger Konzernlogik
nicht hinterherkämen, sei Check24
quasi gezwungen, immer mehr
selbst zu entwickeln.
So bietet Check24 zunehmend
Eigenprodukte an. Unter der Mar-
ke Kredite24 werden beispielswei-
se Konsumentendarlehen in Koope-
ration mit der Bingener SWK Bank
vergeben – die im Vergleichsportal
oft ganz oben in der Liste landen.
Auch im Shoppingbereich verkauft
Check24 Waren teilweise direkt. Mit
Aurumtours betreibt das Unterneh-
men zudem einen Veranstalter für
Pauschalreisen.
HINKEN DIE VERGLEICHE?
Doch wie neutral kann eine Ver-
gleichsplattform noch agieren, wenn
sie ihre eigenen Produkte bewertet?
Es ist eine Frage, die sich nicht nur
bei US-Plattformgiganten wie Ama-
zon oder Google stellt, sondern auch
bei Check24 aus München.
Den bedeutendsten Schritt
tiefer in die Wertschöpfung geht
das Unternehmen mit der C24 Bank:
Für das im Oktober gestartete Insti-
tut, das Bankkonto und App anbie-
tet, wurde 2019 sogar eine eigene
Banklizenz beantragt. Den C24-Kun-
den will man künftig noch einfacher
Kredite vermitteln oder Versiche-
rungen verkaufen. Das Konto ist da-
bei ein Hebel, um Nutzer noch länger
in der Check24-Welt zu halten und
Geschäft auf den übrigen Portalsei-
ten zu generieren.
Es sei gar nicht das oberste
Ziel, bei Nutzern das Primärkonto
mit Gehaltseingang zu werden, gibt
Röttele offen zu. Er setzt eher da­
rauf, dass viele Kunden ihre anderen
Bankkonten über eine sogenann-
te Multibanking-Schnittstelle ein-
binden. Auch als Zweitbank erhielte
Check24 damit Einblick in die wich-
tigsten Finanzdaten seiner Nutzer.
Der Vorstoß hat massive Kri-
tik provoziert. Mit der C24 Bank ent-
stehe ein „Datenkrake, der sich Un-
mengen von Nutzerdaten aneignen
möchte“, kritisiert etwa die Verbrau-
cherzentrale Baden-Württemberg.
Vertreter genossenschaftlicher Ban-
ken beklagten sich jüngst bei der
Bundesregierung, der Check24-
Vorstoß in den Finanzmarkt stelle
die Objektivität des Vergleichspor-
tals „massiv in Frage“ und verzer-
re „in unzulässiger Weise die Wett-
bewerbssituation“. Eine Doppelrolle
als Bank und Vergleichsportal müs-
se untersagt werden.
Check24 ist ein Unternehmen
im permanenten Unruhezustand,
ständig auf der Suche nach Neuge-
schäft. Selbst die eigenen techni-
schen Dienstleister bekommen das
70
Tochter­-
firmen
gehören zum
Check24-
Reich – für
jedes Geschäft
eine eigene
GmbH
zu spüren, die etwa im Reisebereich
oder bei der Kundenidentifizierung
für Check24 arbeiten. „Sie haben
schon bei den Vertragsverhandlun-
gen klargemacht, dass sie sich mit-
telfristig offenhalten wollen, den
Dienst selbst anzubieten“, heißt es
von einer Partnerfirma. Immer wie-
der lasse Check24 durchblicken,
dass mit der Zusammenarbeit bald
Schluss sein könnte.
Das Unternehmen dementiert
solche Drohgebärden: Man arbeite
„mit vielen technischen Dienstleis-
tern seit Jahren zusammen“, und es
gebe „in den meisten Fällen keinen
Anlass, daran etwas zu ändern“. Ein
anderer Dienstleister berichtet je-
doch, er lebe ständig mit der Befürch-
tung, dass das Vergleichsportal selbst
den von ihm betreuten technischen
Schritt übernehmen könnte. „Man
weiß nicht mehr, wie viel Informati-
onen man noch teilen kann“, sagt er.
Dass Check24 im Zweifel Kon-
kurrenten und Partner kopiere,
sei „weltbekannt“, sagt ein Berliner
Gründer. Die Münchner machen das
mit Liebe zum Detail: So ähneln La-
bels und Bezeichnungen im Shop-
pingbereich frappierend denen von
Amazon. Das Check24-eigene Punk-
tesystem erinnert an Payback. Ver-
boten ist das nicht, aber es veran-
schaulicht, dass das Unternehmen
ständig Grenzen austestet: Wie weit
können wir gehen?
Konflikte mit Verbraucher-
schützern oder Branchenvertretern
sind schon mehrfach eskaliert, regel-
mäßig trifft man sich vor Gericht. Das
Landgericht Köln etwa verbot dem
Vergleichsportal die Werbung mit ei-
ner „Nirgendwo-günstiger-Garantie“.
Die Aussage sei irreführend, urteilten
die Richter, weil sie nicht in allen Fäl-
len zutreffe. Das Portal hat die Werbe-
aussage bereits vor Längerem von der
Website getilgt. „Wir werden angegrif-
fen, weil wir so erfolgreich sind“, sag-
te Check24-Gründer Blase dazu im
Frühjahr der „Süddeutschen Zeitung“.
DER DRAHT ZUR POLITIK
Im Unternehmen ist man sich durch-
aus bewusst, dass die eigene Mar-
ke Schaden nehmen könnte, wenn
die Verbraucher Check24 mit ruch-
losem Geschäftsgebaren assoziieren
und nicht mehr als neutralen Pro-
dukthelfer wahrnehmen.
Hinzu kommt, dass der Draht
in die politische Welt offenbar ver-
besserungswürdig ist. „Aus der Poli-
tik würden wir uns mehr Unterstüt-
zung wünschen“, heißt es dazu vom
Unternehmen. „Denn wenn wir die-
ses Geschäft nicht erfolgreich betrei-
ben, dann werden es Google, Amazon
oder Facebook tun. Dann gefährden
wir einmal mehr den Digitalstandort
Deutschland.“
Auch deshalb behält das Unter-
nehmen die aktuellen Anti-Monopol-
Bestrebungen in Brüssel und Berlin
genau im Blick – vor allem das soge-
nannte GWB-Digitalisierungsgesetz,
das dem Bundeskartellamt bessere
Handhabe gegen Digitalplattformen
mit „überragender marktübergrei-
fender Bedeutung“ geben soll. Zwar
heißt es aus dem Bundeswirtschafts-
ministerium, die Gesetzesnovel-
le solle sich eher gegen die großen
US-Konzerne richten, doch auch für
Check24 könnten die Regeln einmal
relevant werden.
Um Image und politische Kontak-
te besser zu pflegen, beschäftigt
das Unternehmen nun eine eigene
Cheflobbyistin, die nicht nur poten-
ziell gefährliche Anti-Monopol-Ge-
setzgebung im Blick haben, sondern
Check24 auch auf Klimaneutralität
umstellen soll – auch das ein Ver-
such, am Image zu arbeiten.
Gefahr droht Check24 der-
zeit allerdings noch am ehesten
durch eine eigene Abhängigkeit.
„Gegenüber Primärbanken mögen
sie machtvoll sein“, sagt der Digi-
talexperte Christoph Bornschein.
„Wenn man sich aber die Wert-
schöpfungsschicht darüber ansieht,
dann sind Player wie Check24 ge-
genüber G ­ oogle geradezu ohnmäch-
tig.“ Google bestimmt, wie teuer für
Check24 die Akquisition von Kun-
den ist. Wenn der US-Konzern nur
ein wenig an seinem Suchalgorith-
mus dreht oder gar entscheidet, in
ein Segment mit eigenen Produkten
vorzustoßen, kann das Aggregatoren
und Vergleichsplattformen extreme
Probleme bereiten. Im Reisesegment
haben Portale wie Expedia und Tri-
vago diese Lektion bereits schmerz-
haft lernen müssen.
D e r e i n z i ge Au s weg f ü r
Check24: die eigene Marke zu stär-
ken, um unabhängiger von Google-­
Treffern zu werden – und gleich-
zeitig die Nutzer länger im eigenen
Universum zu halten, mit neuen
Produkten und mehr Stufen in der
Wertschöpfung. Zu wessen Lasten
das gehen dürfte, ist klar: der Anbie-
ter auf der Plattform. Wehren kön-
nen sie sich dagegen kaum.

Gierig: Wie mit

Krakenarmen zieht
Check24 immer
neue Geschäftsbe-
reiche an sich

71
Reshape your reality
 Das weltweit erste
faltbare Notebook

Erleben Sie das Notebook

völlig neu.

Das elegante und kompakte

Lenovo ThinkPad X1 Fold
ist eine bahnbrechende
Innovation - ohne Kompro-
misse bei Robustheit und
Qualität.

Jetzt erleben unter

www.lenovo.com/x1fold

Intel® Core™ i5 Prozessor mit

Intel® Hybrid-Technologie
 SCH U
W E LT D E R W I RT S C H A F T
Luftfahrt

Wenige Branchen
wurden so von Corona
getroffen wie die
B
Luftfahrt. Das Geschäft
der Airlines und Flughäfen
wird sich radikal
ändern – doch in manchen
Unternehmen
gibt es kämpferischen
Optimismus

TEXT:
J E N N Y VO N Z E P E L I N
FOTOS:
TOM HEGEN

XXXX

Capital Ausgabe 01/2021
UMKEHR
Stillstand am
Flughafen Frank-
furt. Das Jahr
2020 war nicht
nur hier ein
wirtschaftliches
Desaster

75
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Luftfahrt

Luftverkehrsdrehscheibe in Frank-
furt noch 30 weitere Flughäfen
weltweit managt, auf die Baustelle
schauen. 4 Mrd. Euro soll das Ganze
kosten. Viel Geld in einer Zeit, in der
von den zwei bestehenden Terminals
des Flughafens einer schon geschlos-
sen ist und Schulte Mitte Dezember
wieder eine Landebahn dichtmachen
wird. Tausende Mitarbeiter schickt
er 2021 erneut in die Kurzarbeit, an-
dere wird er entlassen.
Es ist ein Desaster, nicht nur
hier, sondern für die ganze Branche.
Der seit Jahrzehnten kräftig brum-
mende Luftverkehr ist durch die
Pandemie komplett lahmgelegt wor-
den, Reiseverbote, Reisewarnungen
und Einreisebeschränkungen haben
ihre Wirkung voll entfaltet. Betroffen
sind alle: Flughäfen und traditionel-
le Airlines, Billiganbieter, Hersteller,
Zulieferer, Reiseveranstalter, Hotels
und Dienstleister. Eine Vollbrem-
sung bei hohem Tempo. Schubum-
kehr würde man im Cockpit sagen.
Vor allem dämmert vielen
langsam, dass selbst der sehnlichst
erwartete Impfstoff für diese Bran-
che zu spät kommen wird. Der Flug-
verkehr ist seit einem Dreivierteljahr
auf ein Minimum reduziert  – viel
länger und drastischer als befürch-
tet. Ohne Reisende kein Umsatz,
und je höher die Fixkosten für Ge-
bäude, Crews oder Maschinen, des-

Die Kräne auf 19 Millionen Passagiere jährlich sol-

len dort einmal an drei Flugsteigen
to tiefer steckt man in der Verlustzo-
ne. Die Fluggesellschaften weltweit

der Baustelle abgefertigt werden. Einer davon hät-

te schon Ende 2021 in Betrieb gehen
werden 2020 nach Prognosen des
internationalen Luftverkehrsver-
drehen sich sollen, der Rest 2024. Der Haken ist
nur: Es sieht derzeit nicht so aus, als
bands IATA voraussichtlich Verluste
in Höhe von 118 Mrd. Dollar anhäu-
weiter, fast würden sie gebraucht, die Passagier-
zahlen in Frankfurt sind 2020 um
fen, dazu 651 Mrd. Dollar Schulden.
Im Schnitt reichen die flüssigen
un­gerührt. Im mehr als 70 Prozent eingebrochen.
„Aktuell gehen wir davon aus, dass
Mittel noch für die nächsten acht-
einhalb Monate. Die Zahl der Insol-
Süden des wir im Jahr 2025 die entsprechende
Nachfrage sehen werden“, sagt Ste-
venzen liegt Ende 2020 schon bei
42, darunter sind bekannte Airlines
Frankfurter fan Schulte, Chef des Flughafenbe-
treibers Fraport. „Aber es kann auch
wie Latam aus Chile und die briti-
sche Virgin Atlantic (siehe Grafik
Flughafens 2026 werden.“
Gebaut wird trotzdem, aber
Seite 78). Unter den Überlebenden
zählen Konzerne wie Boeing schon
wächst langsamer, um Kosten zu sparen. zu jenen berüchtigten Zombiefir-

Terminal 3.
Von seinem Büro aus kann Schulte, men, die die Zinsen für ihre Schul-
der neben der größten deutschen den kaum mehr bedienen können.

76 Capital Ausgabe 01/2021

Das kräftige Wachstum der vergan­
genen Jahre, alle Expansionspläne
für die Zukunft sind verpufft. Die
Frage lautet jetzt eher: Wie kann die
angeschlagene Branche überhaupt
die Kurve kriegen?
HART UND TEUER
Schulte, ehemaliger Banker, grau
meliert, streng gescheitelt und stets
top­a kkurat im Anzug unterwegs,
lässt sich auch in diesen Tagen Un­
ruhe nicht anmerken. In normalen
Zeiten hätte man ihn in seinem Büro
getroffen, doch nun spricht er per
Videokonferenz mit Capital. Wieder
eine Dienstreise, die weggefallen ist.
„Das ist sicherlich die größte Krise,
die die Luftfahrt jemals gesehen hat“,
erklärt Schulte ohne Umschweife in
seinem gleichmäßig sonoren Tonfall.
Die kommenden Monate wer­
den selbst für abgeklärte Manager
wie Schulte die härteste Probe ihrer
Karriere. Denn alles, was sie gelernt
haben, um die Krisen nach Terror­
anschlägen, Naturkatastrophen oder
dem Kollaps des Finanzsystems zu
bewältigen, reicht jetzt womöglich
nicht aus. „Wir werden alle, Flugge­
sellschaften wie Flughäfen, deutlich
höher verschuldet aus der Krise he­
raus­kom­men“, sagt er. „Wir erwarten
eine mehrjährige Durststrecke.“
Das sieht man anderswo
ähnlich. Lufthansa-Chef Cars­
ten Spohr­ merkte jüngst bei der
Jahres­konferenz der IATA an, dass
die massiven Staatshilfen – welt­
weit bislang 173 Mrd. Dollar – mög­
licherweise nicht reichen werden.
In den kommenden Monaten war­
ten erneut ­harte und teure Entschei­
dungen auf die Staaten, die ihre na­
tionalen ­C arrier in der Regel für
system­relevant halten.
Die Bundesregierung hatte die
Lufthansa im Juni mit einem Ret­
tungspaket von 9 Mrd. Euro vor der
Insolvenz bewahrt. Spohr hat mitt­
lerweile weiteres Geld am Kapital­
markt besorgt und Anfang Dezem­
ber den lang erwarteten Verkauf des
europäischen Cateringgeschäfts ab­
89
geschlossen. Das Finanzpolster ist
dicker als bei vielen Wettbewerbern,
reicht in dieser Lage aber auch nicht
lang. Schließlich standen nach den
ersten neun Monaten 2020 schon
5,6 Mrd. Euro Verlust in der Bilanz.
Die Summe wird Ende Dezember
noch deutlich höher ausfallen, da
weiterhin pro Stunde eine halbe Mil­
lion Euro verbrannt wird. „Wir bluten Prozent ist
aus“, sagt ein Lufthansa-Manager, der der internationale
desillusioniert über die Perspektiven Flugverkehr
spricht. „In der ganzen Branche geht
eingebrochen
jede Liquidität nur noch in lebens­
erhaltende Maßnahmen.“
Wie mies die Stimmung ist,
hört man in Gesprächen mit den
sonst so optimistischen Branchen­
vertretern sofort. Die Truppenmo­
ral sei in der gesamten Industrie
auf einem Rekordtief, sagt der Ma­ Links: Präzise
nager. Der bislang unerschütterli­ positioniert –
che Glauben, dass der Reiseverkehr diese Lufthansa-
nach jeder Krise schneller und stär­ Maschine wartet
ker wieder anzieht, ist irgendwann am Frankfurter
im Herbst verflogen. Das laue Som­ Flughafen auf den
nächsten Einsatz
mergeschäft war gerade abgeschlos­
sen, die stets schwache Wintersaison Unten: Der Foto-
stand bevor. Als dann die zweite Co­ graf Tom Hegen
rona-Welle anrollte und Reiseverbote hat die Bilder
wieder verschärft wurden, war klar, während des
dass das Geschäft weiter monatelang Lockdowns aus
einem Helikopter
zum Stillstand kommen wird.
aufgenommen
Spohr nennt es „Wintermo­
dus“. In den hat der 54-jährige­
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Luftfahrt
Manager den Konzern Mitte Dezem-
ber versetzt: Für die Lufthansa sind
nur noch 80 Flugzeuge im Einsatz,
für den gesamten Konzern mit Swiss,
AUA und Eurowings nur noch rund
200 – ein Viertel der bisherigen Flot-
te. Snacks an Bord kosten nun Geld,
ein Großteil der Verwaltungsange-
stellten wird bis Ende Februar er-
neut in Kurzarbeit geschickt, Büros
geschlossen. Von 130 000 Mitarbei-
tern sollen mindestens 30 000 gehen.
Sparen, schrumpfen, stillhal-
ten. Diese Defensivstrategie fahren
derzeit viele: „Oberste Priorität hat
die Liquiditätssicherung, deshalb lo-
dern momentan alle auf Sparflam-
me und hoffen, dass sie diese Krise
irgendwie aussitzen können“, sagt
Gerd Pontius, Gründer der Luft-
fahrtberatung Prologis.
Die Branche ist in einen fata-
len Trott verfallen. Die Verluste und
Schulden aus dem Katastrophen-
jahr 2020 werden Unternehmen und
Gläubiger lange mitschleppen. Die
Perspektiven für 2021 sind verhal-
ten. Denn sie hängen vom Einsatz
und von der Wirksamkeit der Co-
rona-Impfstoffe ab und von der Be-
reitschaft der Regierungen, die Rei-
sebeschränkungen entsprechend zu
lockern und irgendwann aufzuhe-
ben. Das kann dauern. Vor dem zwei-
ten Halbjahr 2021 erwartet kaum je-
mand einen Buchungsansturm. Und
Sorgen wegen einer Rezession dämp-
fen die Hoffnung weiter: „Die Erfah-
rung zeigt, dass mit jedem Rückgang
des weltweiten Bruttoinlandspro-
dukts um ein Prozent der Luftverkehr
meist um einen doppelt so hohen Pro-
zentsatz einbricht“, sagt Pontius.
Dazu kommt die bittere Er-
kenntnis, dass ein beträchtlicher Teil
des lukrativen Geschäftsreisever-
kehrs wohl so schnell nicht wieder
zurückkommen wird. Denn die Kun-
den haben Enthaltsamkeit gelernt:
Vielfliegern ist klar geworden, dass
sie ohne Reisen viel Zeit und Nerven
sparen; Unternehmer haben festge-
stellt, dass sie Reisebudgets zusam-
menstreichen können – allein 2019
haben in Deutschland 13 Millionen
78
NÄCHSTE INSOLVENZWELLE weniger Geschäftsreisen nötig sein
TRIFFT FLUGLINIEN HART werden (siehe Grafik). Dieses Stim-
Anzahl der Airlines weltweit, mungsbild der deutschen Wirtschaft
die wegen Zahlungsunfähigkeit den fragt der Verband Deutsches Reise-
Betrieb eingestellt haben management (VDR) regelmäßig ab.
„Persönliche Kontakte werden im-
70
mer einen hohen Stellenwert behal-
ten“, sagt VDR-Präsident Christoph
Carnier. „Aber für eine Powerpoint-
35 Präsentation wird künftig niemand
mehr auf Dienstreise gehen.“
0 EIN HÖHENFLUG
2005 2020
In dieser gewaltigen Krise kennt die
Insolvenzen Prognose ¹ Branche kaum Gewinner – aber ei-
nige wenige gibt es dann doch. Qatar
1) einige Fälle verschieben Quelle: International
Airways etwa hat sich im Frühjahr
sich eventuell bis 2021 Bureau of Aviation beherzt auf die kläglichen Reste des
Flugmarkts gestürzt. Die Golf-Air-
line, bislang stets im Schatten ihrer
UNTERNEHMEN WOLLEN Nachbarn Emirates und Etihad, ist
WEITER AN GESCHÄFTS­ im ersten Quartal 2020 zur weltweit
REISEN SPAREN größten Fluglinie auf internationalen
Umfrage bei deutschen Unternehmen Strecken aufgestiegen. Im April lag
zur künftigen Entwicklung der sie bei einem Marktanteil von knapp
Geschäftsreisen im Vergleich zur Situation
18 Prozent – die Nummer zwei, Kore-
vor der Corona-Pandemie
an, gerade einmal bei 5,2 Prozent.
7,5 %
„Wir sind nicht in Panik verfal-
3,8 %
len, jeden Tag geflogen und waren er-
staunt, wie viel Geschäft möglich ist“,
28,7 %
erzählt Thierry Antinori, Vertriebs-
und Strategiechef von Qatar. Er hat
60 % sich auf Sonder-Charterflüge kon-
zentriert: für gestrandete Touristen
 ie Zahl der Geschäftsreisen wird auf das
D aus aller Welt, für Seeleute, Studen-
Niveau von vor der Pandemie zurückkehren ten und Arbeiter, etwa aus Pakistan
 ie Zahl der Geschäftsreisen wird um bis
D und Bangladesch. Dazu kam mehr
zu zehn Prozent abnehmen Fracht in die Maschinen – zu 80 bis
 ie Zahl der Geschäftsreisen wird um bis
D 100 Prozent höheren Preisen. „Ich
zu 30 Prozent abnehmen glaube, viele Airlinemanager haben
 ie Zahl der Geschäftsreisen wird um bis
D überreagiert, haben zu viele Flugzeu-
zu 50 Prozent abnehmen ge stillgelegt, zu viele Leute rausge-
Antworten von Quelle: VDR-Barometer;
schmissen“, sagt er. Seine Alternati-
80 Unternehmen Stand: 13.11.2020 ve: emsig alle Marktnischen nutzen.
Theoretisch wäre auch eine
weitere Option denkbar: in der Kri-
Geschäftsreisende 55,3  Mrd. Euro se antizyklisch investieren, in histo-
Kosten verursacht. Onlinegigant risch günstige Flottenerneuerungen
Amazon verkündete kürzlich, allein oder Übernahmen schwacher Wett-
in den ersten neun Monaten 2020 bewerber. Oder, noch mutiger, in die
1 Mrd. Dollar an Reisekosten gespart überfällige Digitalisierung und neue
zu haben. Auch deutsche Unterneh- Geschäftsfelder. „2021 wird es so viel
men denken um: 60 Prozent gehen lädierte Unternehmen im Bereich
davon aus, dass künftig 30 Prozent Travel-&-Mobility-Tech auf dem
Capital Ausgabe 01/2021
W E LT D E R W I RT S C H A F T
Luftfahrt
Flugsteig B in Markt geben wie nie zuvor“, sagt Gleb
Düsseldorf ist Tritus, Chef des Lufthansa Innova­
seit März dicht, tion Hub. „Das wäre für Fluggesell­
weite Teile des
schaften ein historischer Moment,
Airports dienen
als Parkplatz für
auf Einkaufstour zu gehen.“
Flugzeuge Sein Team analysiert seit über
sechs Jahren den Wettbewerb, und
Tritus sieht viele ideale Übernah­
mekandidaten, mit denen Flugge­
sellschaften höhere Margen erzielen
könnten als im Kerngeschäft. Etwa
durch die Kooperation mit Shuttle­
services, mit Hotels oder Event-An­
bietern. „Da würden Fluggesellschaf­
ten an die Bedürfnisse der Kunden
anknüpfen und sehr lukrative Ge­
schäftsfelder anzapfen.“ Aber nie­
mand macht sich Illusionen: Derzeit
gibt es weder das Kapital noch die Ri­
sikobereitschaft für solche Visionen.
Wichtiger ist ohnehin: erst
einmal das Schlimmste überstehen.
Klaus Froese etwa trägt die Gesamt­
verantwortung für die Lufthansa in
Frankfurt und gehört so zu den der­
zeit wichtigsten Krisenmanagern
des gebeutelten Konzerns. Er muss­
te im Frühjahr Hunderte Maschinen
stilllegen, nun aber bereitet er den
Konzern auf das ramp-up vor, wie er
es als ausgebildeter Pilot nennt: das
Wiederhochfahren.
„Wir werden nicht so schnell
auf das frühere Niveau kommen, son­
dern zunächst nur 20 bis 30 Prozent
der Vorjahreskapazität anbieten“,
sagt er. Gänzlich nehmen lassen will
er sich die Hoffnung nicht, obwohl
die Branche im Juni schon einmal zu
optimistisch war. „Wir wollen nicht
einfach nur die Krise überleben und
wie ein angeschlagener Boxer in der
Ecke des Rings liegen.“ Und tatsäch­
lich sind die Buchungen für Reisen
über Weihnachten Anfang Dezem­
ber hochgeschossen, die Lufthan­
sa konnte ihren Flugplan kurzfristig
aufstocken.
Mittelfristig setzt Froese auf
Corona-Schnelltests, die Lufthansa
erprobt das Modell bereits auf zwei
täglichen Flügen zwischen München
und Hamburg. Dabei dürfen nur Pas­
sagiere an Bord, die zuvor am Flugha­
fen den Schnelltest gemacht haben.
Die meisten Kunden fänden das An­
gebot laut Froese gut und kämen so­
gar für den kurzen Inlandsflug zwei
Stunden früher zum Flughafen. „Die
Tests werden technisch noch besser
werden und auch schneller Ergeb­
nisse liefern, sodass wir das spätes­
tens ab Frühjahr im großen Stil ma­
chen können“, sagt Froese. Er hofft
auf Dutzende, irgendwann Hunder­
te Flüge, bei denen das möglich ist.
Dann schaut er aus seinem
Flughafenbüro raus auf die Start­
bahnen, die an diesem Tag in dickem­
Nebel liegen. Sie sind leer. „Die Stil­
le ist immer noch gewöhnungs­
bedürftig“, sagt Froese. „Hier hört
man ­sogar Vögel zwitschern.“
Capital Ausgabe 01/2021
Weniger stressen
lassen.
Das Seminar Work-Life-Balancing
hilft, Lebens- und Arbeitsbereiche neu
auszubalancieren.

Wir wissen weiter. Die Techniker

dietechniker.de
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Junge-Elite-Gipfel 2020
Das Netzwerk lebt
Die Veranstaltung zur Kür der „Top 40 unter 40“
fand erstmals als multimediales Treffen statt
Wie bloß organisiert man ein Tref-
fen, bei dem man sich nicht treffen
kann? Der „Junge-Elite-Gipfel“ von
Capital, bei dem die neue Generati-
on herausragender junger Führungs-
kräfte jedes Jahr in Berlin zusam-
menkommt, war zuletzt immer ein
lebhaftes Highlight für alle Beteilig-
ten – Konferenz und Feier zugleich.
Im Herbst 2020 musste er we-
gen steigender Corona-Infektions-
zahlen ausfallen. Um aber die von
Capital gewählten „Top 40 unter 40“
trotzdem zusammenzubringen, hat
die Redaktion ein neues digitales
Format organisiert. Aus dem Netz-
werk der Preisträger 2020 und der
vergangenen Jahre nahmen 300 die
Einladung an – mehr als doppelt so
viele wie in den Vorjahren. Die Mana-
82
ger, Gründer, Politiker und Wissen-
schaftler trafen sich also virtuell – zu
Diskussionen, Workshops und Chat-
runden, die parallel auf drei digitalen
Plattformen stattfanden.
Theodor Weimer, Chef der
Deutschen Börse, die als Sponsor
beteiligt war, sendete einen Gruß
an die aus aller Welt zugeschalteten
Teilnehmer. Und der Virologe Chris-
tian Drosten machte Hoffnung auf
einen „normalen“ Gipfel 2021. Dros-
ten, der schon 2007 zu den Preisträ-
gern gehörte, erklärte im Liveinter-
view, dass er nach den Erfolgen in
der Impfstoffentwicklung gegen das
Coronavirus die Normalisierung des
Lebens für absehbar hält.
OBEN
Plausch bei der virtuellen
Kaffeepause über
Fotos: Privat, Ériver Hijano
die Plattform Wonder.me
LINKS
Der Virologe Christian
­Drosten wurde 2007 von
Capital ausgezeichnet
Capital Ausgabe 01/2021
WORAUF SIE
SICH VERLASSEN
KÖNNEN.

MIT UNSEREN SICHERHEITSLÖSUNGEN SCHÜTZEN SIE

IHRE WORKSTATIONS, SERVER UND DIGITALEN DEVICES
VOR BEDROHUNGEN ALLER ART. WWW.ESET.DE/TAKTIK
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
CDU-Streitgespräch

DIE LETZTE
VOLKSPARTEI

Mitte Januar soll die CDU einen neuen Vorsitzenden wählen. Zur Wahl stehen NRW-Ministerpräsident
Armin Laschet, der frühere Chef der Bundestagsfraktion Friedrich Merz und der Außenpolitiker Norbert
84 Röttgen. Die Wahl entscheidet auch darüber, was von der Ära Merkel bleibt
 Lassen Sie uns mit einer These
starten: Die CDU ist heute eine
der erfolgreichsten Volkspartei-
en Europas. Sie hat in den letzten
20 Jahren im Bund immer Ergeb-
nisse von mehr als 30 Prozent ge-
holt und das auch dank Stimmen
aus den unterschiedlichsten Mili-
eus geschafft. Verantwortlich da-
für war vor allem die langjährige
Chefin Angela Merkel. Dieses Mo-
dell wird implodieren, wenn Mer-
kel 2021 nicht mehr da ist.
P E T E R TAU B E R : Diese These hal-
te ich für falsch. Aber der neue Vor-
sitzende der CDU muss die Frage
beantworten, welche Bindekraft er
in der politischen Mitte entwickeln
kann. Dort gehört die CDU hin –
und das nicht erst seit Angela Mer-
kel, sondern seit Konrad Adenauer.
Auch der junge Helmut Kohl war ein
unglaublicher Reformer und Antrei-
ber. Er hat die Partei viel mehr ver-
ändert als Angela Merkel. Und das
ist die spannende Frage jetzt: Hat
der nächste Vorsitzende die Kraft,
die Partei zu führen? Und ist die
Partei bereit zu folgen? Das war ja
die Stärke der CDU, dass die Par-
tei die Führung unterstützt hat – im
Unterschied vor allem zur SPD.
M A RT I N H E R R E N K N E C H T : Da
muss ich widersprechen. Ich ­glaube,
dass die Kanzlerin die CDU sehr
wohl zu weit nach links geführt hat.
Sie hat die SPD mehr oder weniger
verdrängt und den rechten CDU-Flü-
gel vernachlässigt. Dadurch ist Platz
für die AfD entstanden. Meine The-
se ist: Wir brauchen in Deutschland
eine Agenda 2035 mit einem kla-
ren Fokus auf die Wirtschaft. Dann
bin ich überzeugt, dass die CDU die
stärkste Partei bleibt. Schauen wir
uns die Umfragen an: Als ­Nächstes
Fotos: Nikita Teryoshin, Tobias Koch/PR
könnte es eine Koalition mit den grü-
nen Tag­träumern geben. Mir ist him-
melangst bei der Vorstellung, Frau
­Baerbock oder Herr Habeck könnten
das Kanzleramt übernehmen.
Herr Herrenknecht spricht die
Entscheidungen aus der Ära Mer-
kel an, bei denen die CDU alte Po-
sitionen an neue gesellschaftliche
Die CDU wählt einen
neuen Vorsitzenden.
Doch was will die Partei
– zurück nach rechts
oder bleibt sie in der
Mitte? Capital hat diese
Frage mit vier CDU-
Größen diskutiert: Serap
Güler, Peter Tauber,
Tilman Kuban und dem
Unternehmer Martin
Herrenknecht
I N T E RV I E W:
THOMAS STEINMANN
U N D T I M O PAC H E
„DIE CDU
GEHÖRT IN
DIE MITTE,
UND DAS SEIT
ADENAUER“
Peter Tauber war von 2013
bis 2018 Generalsekretär der CDU.
Heute ist er Parlamentarischer
Staatssekretär im Verteidigungs­
ministerium
Realitäten angepasst hat. Frau Gü-
ler, fürchten Sie unter dem neuen
Parteichef eine Rückabwicklung?
S E R A P G Ü L E R : Zunächst einmal:
Auch meine Motivation ist es, bei
der Bundestagswahl nächstes Jahr
einen grünen Bundeskanzler zu
verhindern. Ich teile auch, dass die
CDU für 2035 eine Vision braucht,
ohne diese nur auf die Wirtschaft zu
reduzieren. Aber ich bezweifle, dass
man deshalb alle wichtigen Ent-
scheidungen aus den Jahren unter
Angela Merkel rückabwickeln soll-
te. Nicht nur als CDU-Mitglied hielte
ich das für einen Fehler. Ich glaube,
das sehen auch ganz viele Menschen
in diesem Land so, die zwar nicht
CDU-Mitglieder, aber sehr zufrie-
den mit Angela Merkel sind.
T I L M A N K U B A N : Man muss sagen,
dass Angela Merkel den großen Tan-
ker Deutschland und Europa sehr
sicher durch die großen Krisen ih-
rer Amtszeit gebracht hat. Auch
wenn ich dabei mit ihr nicht immer
einer Meinung war, wie etwa in der
Flüchtlingskrise. Bei manchen Ent-
scheidungen würde ich aus heutiger
Sicht sagen, die hätte man anders
machen können, etwa auch die Ab-
schaffung der Wehrpflicht. Wir re-
den jetzt über eine mögliche Dienst-
pflicht, also einen sozialen Dienst
im Sinne der Gesellschaft. Das wäre
eine kluge Weiterentwicklung der
Wehrpflicht gewesen. Für unsere
Agenda 2035 geht es darum, deutlich
zu machen, dass wir auf eine Innova-
tionsagenda setzen – und nicht auf
eine Verbotsagenda wie die Grünen.
TAU B E R : In der Geschichte der
Bundesrepublik gab es wahrschein-
lich wenige Kanzlerschaften mit so
vielen großen Krisen wie die von
Angela Merkel. Dadurch mussten
wir Entscheidungen treffen, die
vorher nicht in den Wahlprogram-
men standen. Das sage ich ganz
selbstkritisch: Wir haben manch-
mal so viel zu tun gehabt, dass das
Er­klären und das Bemühen, die
Leute mitzunehmen und ihnen zu­
zuhören, zu kurz gekommen ist.
Eben die Abschaffung der
85
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
CDU-Streitgespräch
Wehrpflicht zum Beispiel …
TAU B E R : Richtig, aber: Ich bin ja
Offizier der Reserve und Staatsse­
kretär im Verteidigungsministeri­
um, ich weiß, wovon ich spreche.
Mit der Wehrpflicht könnten wir
heute unsere sicherheitspolitischen
Verpflichtungen nicht mehr leis­
ten. Auslandseinsätze und die neu­
en Waffensysteme brauchen eine
viel längere Ausbildung. Daher war
es richtig, die Wehrpflicht auszuset­
zen. Aber Tilman Kuban hat in ei­
nem Punkt recht: Das Konservati­
ve an der Wehrpflicht war nicht der
Dienst in der Armee, sondern die
Überzeugung, dass ein Staat nicht
funktioniert, wenn jeder nur seine
Steuern zahlt und an sich denkt. Die
Wehrpflicht war ein Symbol für die
Idee, dass sich ein Volk als Schick­
salsgemeinschaft begreift und für­
einander einsteht. Wir haben es
nicht geschafft, dafür einen adäqua­
ten Ersatz zu schaffen.
Wahrscheinlich wäre eine Dienst-
pflicht nichts, womit Sie Wechsel-
wähler verschrecken. Aber wie
steht es um den Punkt von Frau
Güler: die Offenheit der CDU für
liberale und grüne Wähler?
TAU B E R : Ja, die Grünen sind un­
ser Hauptgegner im nächsten Wahl­
kampf. Aber die Idee, wir könnten
die Wahl gegen die Grünen gewin­
nen, indem wir sie verteufeln, wird
in die Hose gehen. Bei uns in Hessen
sehen die Leute doch, dass Schwarz-
Grün funktioniert. Der Ausbau der
A49, das neue Terminal am Frank­
furter Flughafen, das verantwortet
ein grüner Minister. Gegen die Grü­
nen brauchen wir etwas Besseres als
die Erzählung, sie seien der Unter­
gang des Abendlandes.
K U B A N : Nein, es gibt Unterschie­
de bei den Grünen. Sie sind nicht
klar und müssen sich bei den The­
men Rechtsstaat und Wissenschaft
entscheiden. Stehen Sie beim Aus­
bau der A49 im Dannenröder Forst
auf der Seite der Polizisten, die zu
­Hause Familie haben, oder auf der
Seite der Aktivisten, die Polizisten
mit Leuchtfeuerwaffen beschießen?
86
Beim Klimawandel verweisen sie be­
rechtigterweise auf Wissenschaft­
ler. Bei der Landwirtschaftspolitik
folgen sie nur ihrer Ideologie und
wischen alle Studien beiseite. Wir
dürfen nicht sagen: Wir greifen die
Grünen nicht an. Sondern wir müs­
sen sie da stellen, wo sie in ­ihren
Aussagen nicht klar und mit ihrer
Doppelmoral unterwegs sind.
TAU B E R : Absolute Zustimmung.
H E R R E N K N E C H T : Ich glaube, die
Serap Güler sitzt seit Grünen träumen von einer schö­
2012 im Bundesvorstand der CDU. nen Welt, die wir in Zukunft aber
2017 wurde die Kölnerin nicht mehr bezahlen können. Wenn
Staats­sekretärin im Integrations­
wir CO₂-frei werden möchten, dann
ministerium von NRW
reicht es nicht, zig Windrädchen im
Schwarzwald aufzustellen, wo es
keine durchgängige Windlast gibt.
Damit schafft man keine zuverläs­
sige Energiewende. Die Aufgabe der
CDU muss es sein, einen Plan auf­
zustellen und der Bevölkerung zu
erklären, wie wir eine realistische
Energiewende hinkriegen, damit
wir 2035 oder 2050 CO₂-frei sind.
Dafür brauchen wir die Windkraft
und Geothermie. Aber wir müssen
auch darüber nachdenken, die Lauf­
zeiten der verbliebenen Atomkraft­
werke zu verlängern. Sonst kriegen
wir ein großes Problem.
G Ü L E R : Wehrpflicht oder Atom­
ausstieg werden immer genannt
als Symbole dafür, dass die CDU zu
sehr nach links gerückt sei. Ich will
das so nicht stehen lassen. Diese
Entscheidungen wurden nicht allein
von Merkel getroffen. Die Ausset­
zung der Wehrpflicht war die Idee
von Karl-Theodor zu Guttenberg,
seinerzeit der Shootingstar der Kon­
servativen. Beim Atomausstieg woll­
te die CSU die Speerspitze bilden.
„EINE VOLKS­
Das Argument, die CDU habe sich
unter Merkel stark verändert, lässt
völlig außer Acht, dass sich die Ge­
PARTEI MUSS sellschaft insgesamt verändert hat,
dass sich gesellschaftliche Prozesse
MIT DER
Foto: Michael Kappeler/dpa
und Einstellungen verändert haben.
Eine Volkspartei, die eine Volks­
VERÄNDERUNG partei bleiben möchte, darf diese
Veränderungen nicht ignorieren.
MITGEHEN“ H E R R E N K N E C H T : Aber Sie wer­
den mir doch zustimmen, dass die
Capital Ausgabe 01/2021
CDU die SPD mehr oder weniger ge-
schluckt hat. Gerade in einer schwe-
ren Krise, wie wir sie jetzt mit Co-
rona erleben, brauchen wir eine
Politik, die die Wirtschaft unter-
stützt. Wenn wir hier nicht das Pen-
del von links nach rechts schwen-
ken, dann gute Nacht.
G Ü L E R : Die CDU war nie nur eine
konservative Partei, sondern immer
auch sozial und liberal. Deshalb ist
unsere Position nicht rechts oder
links, sondern die Mitte. In den 15
Jahren der Kanzlerschaft von An-
gela Merkel gab es drei große Kri-
sen: Finanz- und Eurokrise, Flücht-
lingskrise und jetzt die Pandemie.
Ein Urteil zur Pandemie ist noch zu
früh. Aber die anderen beiden Kri-
sen haben die Wirtschaft in unse-
rem Land nicht geschwächt, im Ge-
genteil – und das unter Merkel.
K U B A N : Über die Entscheidungen
in der Flüchtlingskrise lässt sich
­sicher streiten. Aber lassen wir die
Vergangenheit mal beiseite. Mich
beunruhigt eine andere Kernfrage
für unsere Gesellschaft: Wie viel Ei-
genverantwortung wollen wir noch?
Die Pandemie hat uns gezeigt, dass
es keine Garantien gibt. Wir haben
immer gedacht, wir können arbei-
ten und reisen, wohin wir wollen.
Gleichzeitig erwarten wir, dass so-
Anzahl der Zweitstimmen für CDU/CSU seit 2005 und Wähleraustausch (netto)
mit anderen Parteien (Zustrom (+), Abwanderung (–)), in Tausend 1
2005
16 630 14 660
+880
–140
–50
–40
–1 080
CDU/CSU SPD FDP Grüne
bald irgendwo ein Risiko droht, der
Staat uns dieses Risiko abnimmt.
Das funktioniert nicht. Ich habe
manchmal das Gefühl, wir entwi-
ckeln uns zu einem Nanny-Staat.
Ich finde: solidarische Unterstüt-
zung für diejenigen, die unsere Hilfe
brauchen – aber auch wieder mehr
Eigenverantwortung für uns alle.
Das fehlt mir auch in der Union.
Eigenverantwortung ist ein gu-
tes Stichwort: Es ging ja zwischen
Frau Güler und Herrn Herren-
knecht schon um das Wirtschafts-
programm der CDU. Ein klareres
Profil in der Wirtschaftspolitik,
was heißt das denn konkret?
TAU B E R : Ich glaube wie Herr Her-
renknecht, dass die Union sich
mehr Mühe geben muss, ihre wirt-
schaftspolitischen und gerade ihre
industriepolitischen Positionen zu
kommunizieren – auch in klarer Ab-
grenzung zu den Grünen. Vor allem
müssen wir es hinbekommen, den
von den Grünen bisweilen konstru-
ierten Widerspruch zwischen Wirt-
schaft und Ökologie aufzulösen. Und
wir müssen dringend eine Antwort
auf chinesische oder andere Staats-
konzerne geben, die deutsche Unter-
nehmen aufkaufen wollen. Denn ich
glaube, dass es auch viele bürgerliche
und konservative Menschen beschäf-
MERKELS WECHSELNDE MACHTBASIS
2009 2013
18 180
+210
+2 110
+420
+120
+1 130 –290
Linke AfD Nichtwähler
tigt, wie wir wirtschaftlich stark und
wichtige Unternehmen in deutscher
oder europäischer Hand bleiben.
Moment, ist das ein stärkeres
Wirtschaftsprofil oder nicht eher
Staatsdirigismus à la Frankreich?
TAU B E R : So einfach ist es leider
nicht. Sie führen Frankreich als Ne-
gativbeispiel an – das erlebe ich ganz
anders. Wie die französische Poli-
tik die Interessen französischer Un-
ternehmen weltweit wahrnimmt,
würden wir uns nie trauen. Mir geht
es um das Miteinander. Die Politik
darf sich nicht anmaßen, die bes-
sere Wirtschaft zu sein. Unterneh-
men müssen akzeptieren, dass Po-
litik sich nicht daran ausrichten
kann, Gewinne zu maximieren. Das
gilt vor allem für die Großkonzerne,
weniger für die Familienunterneh-
men und den Mittelstand. Wir leben
eben nicht in der freien, sondern in
der sozialen Marktwirtschaft.
H E R R E N K N E C H T : Ich sehe in mei-
nem eigenen Unternehmen auch:
Bei großen Infrastrukturprojek-
ten im Ausland hätten wir ohne po-
litische Rückendeckung des Bun-
des einfach schlechtere Karten. Mir
ist allerdings wichtig, dass wir weg-
kommen von der Einstellung, dass
der Staat alles bezahlt – auch jetzt
in der Corona-Krise und in den
2017
15 320
+20 
–1 360
–30
–90
–980
+380
1) ohne Erstwähler und Verstorbene
Quellen: Bundeswahlleiter; Infratest dimap/ARD
87
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
CDU-Streitgespräch

Shutdowns. Wir brauchen grund-

sätzlich mehr Eigenverantwortung. „WIR HABEN ES nierte CO₂-Flottenziele beschlossen
werden, dann muss man auch mal

G Ü L E R : Volle Zustimmung, das
Bekenntnis zur Eigenverantwor-
tung ist der größte Punkt, der uns
von den Grünen unterscheidet. Wir
möchten Menschen nicht bevor-
CDU-POSITIONEN
munden und akzeptieren, dass es
verschiedene Lebensmodelle gibt.
Braucht die CDU überhaupt ei-
nen wirtschaftspolitischen Kurs-
wechsel?
H E R R E N K N E C H T : Unbedingt!
Schauen Sie sich das Thema Infra-
struktur an: Die Schweiz hat den
Gotthard-Basistunnel innerhalb von
20 Jahren fertiggestellt. In Deutsch-
land brauchen wir 50 Jahre, um im
Flachland am Oberrhein ein drit-
tes und viertes Gleis zu bauen. Ge-
rade wenn wir Europa verbinden
wollen, können wir uns nicht mehr
leisten, dass Infrastrukturprojekte
in Deutschland durch Gerichtsver-
fahren ewig verzögert werden. Oder
dass wir wie bei Stuttgart 21 über
zwei Jahre lang Schmetterlinge und
Eidechsen umsiedeln müssen. Das
ist doch hirnverrückt!
K U B A N : Die Führungsaufgabe für
die CDU ist es auch, deutlich zu ma-
chen, dass die Innovationstreiber
nicht die Soziologen in den Ministe-
rien sind, sondern der Ingenieur im
Sauerland oder die Maschinenbaue-
rin im Ortenaukreis. Dort entstehen
die Transformationsprozesse, weil
sich Unternehmen für die Zukunft
aufstellen. Dazu gehört es auch, den
Unternehmen die Zeit für die Trans-
formation zu geben. Beispiel Auto-
mobilindustrie: Wir wissen, dass
man für einen Verbrennungsmo-
tor 800 Teile braucht, aber für einen
Elektromotor nur 80 Teile. Das be-
deutet, dass sich nicht nur die gro-
ßen Hersteller umstellen müssen,
sondern auch die Zulieferer. Und
wenn wir von heute auf morgen den
Verbrenner verbieten oder Fahr-
verbote beschließen, dann nimmt
man die Leute nicht mit. Das ist es,
was ich bei der aktuellen Bundesre-
gierung vermisse: Wenn in Brüssel
wieder vollkommen überambitio-
VERLERNT,
DEUTLICH
ZU MACHEN“
Tilman Kuban ist seit 2019
Vorsitzender der Jungen Union.
Sein Verband hat sich für
Friedrich Merz als nächsten CDU-
Chef positioniert
sagen: Nein, das machen wir nicht
mit. Das ist Führung.
H E R R E N K N E C H T : Richtig, die
Grünen wollen uns weismachen,
das Elektroauto sei ökologisch sau-
ber. Und keiner diskutiert darü-
ber, wie viel CO₂ bei der Produkti-
on der Batterie ausgestoßen wird.
Keiner von der CDU hat sich hinge-
stellt und gesagt, dass wir auf das
Gesamtsystem schauen müssen,
wenn wir über den Beitrag der E-
Mobilität zum Klimaschutz reden.
Und dass wir den Diesel noch lange
benötigen, weil Elektroautos nur in
der Stadt Sinn machen. Wir können
die Grünen nur bekämpfen, wenn
wir Führung zeigen und nicht jeden
Blödsinn mitmachen.
G Ü L E R : Ja, wir dürfen nicht die ei-
gene Automobilindustrie schlecht-
reden. Aber auf der anderen Seite
dürfen wir auch nicht verschwei-
gen, dass es unsere Autoindustrie
selbst war, die wichtige Trends ver-
schlafen hat, zum Beispiel bei der
E-Mobilität. Das hat China anders
gemacht. Da haben Staat und Un-
ternehmen das Thema ganz anders
vorangebracht. Das wäre die Rolle
Deutschlands gewesen. Bei uns hat
die Automobilindustrie eine Menge
verschlafen und versucht das jetzt
mit der Diskussion über eine Ret-
tung des Diesels zu kaschieren.
H E R R E N K N E C H T : Frau Güler, ich
muss Ihnen widersprechen. Beim
Benzin- oder Dieselmotor hätten die
Chinesen keine Chance gehabt, un-
Fotos: Lukas Schulze/FUNKE Foto Services, Gilles Rolle/REA/laif
seren Vorsprung aufzuholen. Also
haben sie geschaut, wo sie uns tref-
fen können und erkannt, dass wir
beim Elektroauto bei null anfangen.
G Ü L E R : Genau das wäre eigentlich
die Rolle der deutschen Automobil-
hersteller gewesen: technologisch
auf neue Innovationen zu setzen,
um eben nicht bei null anzufangen.
H E R R E N K N E C H T : Stimmt. Trotz-
dem dürfen wir Diesel und Benziner
nicht verdammen. Wir werden bei-
de noch lange fahren. Das öffentlich
zu vertreten, ist auch eine Frage von

88 Capital Ausgabe 01/2021
Führung – und da erwarte ich mehr
vom künftigen CDU-Vorsitzenden.
Irgendwie wollen Sie alle eine ge-
wisse Kontinuität, zugleich wol-
len Sie das Profil der CDU stärken,
aber eben nicht zu sehr. Fürch-
ten Sie nicht, dass sich die CDU am
Ende in einer Situation wiederfin-
den wird, in der sie sich den Grü-
nen ebenso unterordnet wie der
SPD in der Sozialpolitik?
TAU B E R : Da haben Sie mich wohl
gründlich missverstanden. Natür-
lich werden die Grünen im nächsten
Bundestagswahlkampf für die Uni-
on der zentrale Gegner. Und zwar
auch, weil CDU und Grüne gewis-
se Werte teilen, aus denen wir aber
ganz unterschiedliche Antworten
ableiten. Christdemokraten spre-
chen von der Bewahrung der Schöp-
fung. Das nennen Grüne Nachhal-
tigkeit. Wovor ich warne, ist aber,
die Grünen zu beschimpfen und zu
verteufeln und zu glauben, damit
beeindrucken wir jemanden. Wir
müssen die Grünen in der Sache
stellen, aber ohne Schaum vor dem
Mund. Und wir dürfen auch nicht
die Auseinandersetzung mit den
­Sozialdemokraten vernachlässigen:
Der Staat kann nicht alles besser.
Wird die Wahl des neuen Vorsit-
zenden denn eine Richtungsent-
scheidung über die künftige Wirt-
schaftspolitik der CDU?
K U B A N : Ich glaube, wir haben es
verlernt, eigene CDU-Positionen
klarzumachen. Natürlich lebt Po-
litik von Kompromissen, und wir
werden sie auch eingehen. Aber sie
lebt auch davon, die eigenen Posi­
tionen klar zu kommunizieren und
dafür zu streiten. In der Vergangen-
Martin Herrenknecht ist
Gründer und Chef des gleichnami-
gen Weltmarktführers
für Tunnelbohrmaschinen und
seit 1982 CDU-Mitglied
die CDU einen Lagerwahlkampf
gegen die Grünen führen. Wäre
dann nicht Friedrich Merz wirk-
lich der bessere Kanzlerkandidat?
G Ü L E R : Warum?
Weil er pointierter und schärfer
auftritt als Armin Laschet.
G Ü L E R : Pointierter vielleicht. Aber
ob seine Aussagen immer in die
richtige Richtung gehen, würde ich
zumindest infrage stellen. Mein Fa-
vorit ist Armin Laschet. Und ich
bin überzeugt, dass es mit ihm we-
der ein Weiter-so noch einen Bruch
mit der Ära Merkel geben wird. Mit
Merz dagegen würde es einen sol-
chen Bruch geben, fürchte ich. Wir
werden viele Menschen, die uns
vielleicht nur wegen Angela Merkel
gewählt haben, damit verschrecken,
sodass am Ende die Gefahr eines
grünen Kanzlers mit einem Partei-
chef Merz viel größer wird.
H E R R E N K N E C H T : Ich favorisie-
re Merz. Wir brauchen jetzt einen
Vorsitzenden, der den Fokus wieder
eindeutig auf die Wirtschaftspolitik
legt. Und dafür steht Merz. Deshalb
sollte er Parteivorsitzender werden
und Kanzlerkandidat der Union.
Aber sehen Sie nicht die Gefahr,
dass es der CDU so ergeht wie der
SPD seit Jahren: dass sie sich als
Partei wieder wohler fühlt, aber
die Mehrheitsfähigkeit verliert?
H E R R E N K N E C H T : Ich glaube
nicht. Denn jeder normal Denkende
weiß, dass es auf Dauer nicht funk-
tionieren kann, wenn wir mit der
Gießkanne Geld austeilen. Und wir
brauchen in Deutschland und Eu-
ropa wieder eine gewisse Durchset-
zungsstärke im Umgang mit ande-
ren Akteuren in der Welt wie den

„UNTER MERKEL
heit haben wir zu oft nur den Kom-
promiss erklärt. Die Unterscheid-
barkeit ­zwischen den Parteien in
der Mitte würde dann auch wieder
deutlicher werden, wie es sich Herr
­Herrenknecht ja zu Recht wünscht.
Für die Junge Union ist klar, dass
diese Unterscheidbarkeit auch vom
neuen Vorsitzenden gewollt sein
muss. Da haben wir uns positioniert.
Frau Güler, es klingt so, als müsse­
Chinesen. Wenn es nach mir geht,
könnten Merz und Laschet auch ein
Team bilden – mit Merz als Super-
HAT DIE CDU minister, der sich um Wirtschaft
und Finanzen kümmert.
DIE SPD MEHR G Ü L E R : (lacht) Und Laschet als
Kanzler? Okay!
ODER WENIGER H E R R E N K N E C H T : Das wäre die
ideale Konstellation. Aber das wird
GESCHLUCKT“ Merz nicht machen. Dazu sind bei-
de zu große Alphatiere.

89
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Serie: Pionierinnen der Wirtschaft

Die Presselöwin:
Katharine Graham,
hier auf einem
PIONIERINNEN
LEGENDÄRE
Foto von 1964, über-
nahm nach dem DER
UNTER-
WIRTSCHAFT
NEHMERINNEN
Suizid ihres Mannes
die Leitung der
„Washington Post“

90 Capital Ausgabe 01/2021

FIRST LADIES
Eine neue Capital-Serie porträtiert die
größten Unternehmerinnen und Gründerinnen
der Wirtschaftsgeschichte
Unter den „Fortune 500“, den 500 um-
satzstärksten Unternehmen der USA,
war 1973 genau eines, das von einer
Frau geführt wurde – ein einziges. Die
Chefin hieß Katharine Graham. Gut
ausgebildet, aber ohne kaufmänni-
sches Wissen und mit wenig Erfah-
rung im Journalismus wurde sie 1963
Verlegerin der „Washington Post“.
In den folgenden drei Jahrzehnten
setzte sie sich gegen Politiker, per-
sönliche Drohungen und streikende
Druckereien zur Wehr, um die fami-
liengeführte Zeitung durch einige ih-
rer schwierigsten Phasen zu bringen,
etwa den Watergate-Skandal. Dabei
baute Graham die „Post“ zu einem
Milliarden-Dollar-Unternehmen aus –
in einer Zeit, als in den USA noch zwei
Drittel der Frauen ausschließlich den
Haushalt schmissen. Übernommen
hatte Graham die Zeitung übrigens
nach dem Suizid ihres Mannes.
In der Wissenschaft und Poli-
tik sind Führungsrollen von Frauen
zuletzt öfter beleuchtet worden. In
der Wirtschaft dagegen ist ihre Ge-
schichte noch wenig erzählt. „Unter-
nehmerinnen galten lange nicht als
ernsthafter Gegenstand historischer
Forschung“, so die Kulturwissen-
schaftlerin Christiane Eifert, Dozen-
tin an der Freien Universität Berlin.
Mit ihrer Studie „Deutsche Unter-
Foto: dpa
nehmerinnen im 20.  Jahrhundert“
hat Eifert die Lücke teils geschlossen.
N E U E C A P I TA L - S E R I E
Ihre Erkenntnis: Frauen haben in der
Wirtschaftsgeschichte oft Schlüssel-
rollen gespielt, als Gründerinnen, als
Erbinnen oder als Managerinnen,
die Unternehmen nach dem Tod ih-
rer Ehemänner weiterführten – und
sich dabei häufig entgegen den gesell-
schaftlichen Erwartungen als talen-
tierte Geschäftsfrauen entpuppten.
DAS UNSICHTBARE GESCHLECHT
Dass solche Frauen oft unsicht-
bar blieben, hat viel mit dem ande-
ren Geschlecht zu tun. Viele ihrer
Leistungen wurden im Nachhinein
schlicht Männern zugeschrieben.
Unternehmerinnen erging es in die-
ser Hinsicht nicht anders als krea-
tiven Frauen wie Clara Schumann
oder Fanny Hensel, deren Kompo-
sitionen dem Ehemann oder dem
Bruder angerechnet wurden, oder
Camille Claudel, deren Genie lange
hinter A
­ uguste Rodin verborgen war.
Capital widmet den „Pionierin-
nen der Wirtschaft“ nun eine ­eigene
Serie. Beginnend mit Barbe-Nicole
Clicquot-Ponsardin, die es in der
Napoleon-Ära als Champagner-Er-
zeugerin zu Weltruhm brachte, por­
trätieren wir ab dieser Ausgabe die
großen Geschäftsfrauen der Wirt-
schaftsgeschichte. Die Porträts er-
zählen von Kämpfen, von Frauen, die
sich gegen die Rollenbilder ihrer Zeit
durchsetzten, die nicht den Weg gin-
gen, der ihnen vorgezeichnet schien,
sondern Normen und Konventionen
außer Kraft setzten – für den eigenen
Erfolg und den ihres Unternehmens.
Viele dieser Kämpfe wirken
aus heutiger Sicht wie längst Ver-
gangenes. Dennoch bleibt viel zu
tun. Noch immer sind Frauen in Füh-
rungspositionen schlecht vertreten,
und zwar umso seltener, je mehr es
um Geld und Macht geht – etwa an
der Spitze von Konzernen. Laut dem
Managerinnen-Barometer des Deut-
schen Instituts für Wirtschaftsfor-
schung 2019 haben unter den 200
umsatzstärksten Unternehmen in
Deutschland ganze 60 Prozent keine
einzige Frau im Vorstand, genau wie
laut AllBright Stiftung im Jahr 2020
elf von 30 Dax-Konzernen.
Insgesamt liegt der Frauenan-
teil in den Dax-Vorstandsetagen ak-
tuell bei 12,8 Prozent, was sogar ein
leichter Rückschritt zu 2019 ist. In-
ternational gehört Deutschland da-
mit zu den Schlusslichtern. In den
USA etwa stieg der Anteil weiblicher
Führungskräfte der 30 größten Bör-
senunternehmen im Lauf des Jahres
2020 auf 28,6 Prozent.
Bleibt zu hoffen, dass irgend-
wann selbstverständlich wird, was
für die Protagonistinnen unserer
Serie von jeher galt: Geschäft kennt
kein Geschlecht.
91
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Serie: Pionierinnen der Wirtschaft

MADAME
CHAMPAGNER
FOLGE 01
Barbe-Nicole Clicquot-
Ponsardin

TEXT:
MONIKA DUNKEL
Bilder: Frederic Maurel/PR, PR

Veuve Clicquot, die „Witwe Clicquot“, übernahm nach dem Tod ihres
Mannes ein kleines Weingeschäft – und baute es zu einem
Champagner-Imperium auf. Als Unternehmerin trotzte sie Kriegen,
politischen Wirren und dem Frauenbild der Napoleon-Ära

92 Capital Ausgabe 01/2021
 Das letzte Porträt
von Barbe-Nicole
Clicquot-Ponsardin
malte Léon Cogniet in
den 1860er-Jahren.
Zu ihren Füßen ruht
ihre Urenkelin, im
Hintergrund steht
das Château de
Boursault, in dem
die Witwe bis zu ih-
rem Tod lebte

93
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Serie: Pionierinnen der Wirtschaft
„Ah, verehrte Freundin, welch Spektakel!
Und wie sehr hätte ich gewünscht, Sie hätten
sich daran erfreuen können!“
Derart überschwänglich schreibt
Louis Bohne im Juli 1814 aus Kö-
nigsberg an seine Chefin Barbe-Ni-
cole Clicquot-Ponsardin im franzö-
sischen Reims. „Durch die Wirkung
Ihres Rebensaftes hätten Sie zwei
Drittel der Königsberger Gesellschaft
zu Ihren Füßen gesehen. Unter allen
Weinen, die die nördlichen Gaumen
gekitzelt haben, hat der 1811er-Clic-
quot nicht seinesgleichen. Köstlich
im Geschmack, ist er der sanfteste
Mörder. Zar Alexander persönlich
hat ihn sich einverleibt.“
Als langjähriger Vertrauter
und Handelsvertreter der Unter-
nehmerin Clicquot-Ponsardin war
Bohne wie berauscht vom Erfolg des
Schaumweins beim russischen Za-
ren. In der Geschichte des Champa-
gnerhauses war es ein Kernmoment,
auf den noch zurückzukommen sein
wird – ein Sieg, ohne den die Marke
heute kaum ihre internationale Stel-
lung hätte, ein Wendepunkt, der den
Mut illustriert, mit dem sich die Aus-
nahmeunternehmerin Clicquot-Pon-
sardin für ihr Produkt einsetzte.
Veuve Clicquot: Für viele ist
es nur ein Name auf einer Flasche,
leicht erkennbar an ihrem leuchtend
ockergelben Etikett. Es ist die Han-
Clicquot-Ponsardin, bevor
delsmarke eines der berühmtesten
Champagner Frankreichs, ein inter-
nationales Symbol für
Luxus und Glamour.
Geschätzte 22  Millio-
nen Flaschen pro Jahr
verkauft heute die Mar-
ke, die seit 1987 zum
Luxuskonzern LVMH
gehört, den Großteil
davon traditionell zu
Weihnachten und Sil-
vester, Jahresumsatz:
rund 360 Mio. Euro.
Doch der Name
des weltweit zweit-
94
größten Champagnerhauses steht
auch für die erstaunliche Geschichte
einer erstaunlichen Frau: Veuve Clic-
quot, die „Witwe Clicquot“, mit vol-
lem Namen Barbe-Nicole Clicquot-
Ponsardin. Geboren 1777 in Reims als
Tochter einer wohlhabenden Familie,
gestorben 1866 als eine der reichsten
und erfolgsverwöhntesten Unterneh-
merinnen ihrer Epoche: die Grande
Dame des Champagner.
Wer war diese Frau, die ent-
gegen allen Konventionen ihrer Zeit
als Unternehmerin reüssierte? Wie
schaffte sie es, ohne Ausbildung und
Weltkenntnis innerhalb eines guten
Jahrzehnts ein internationales Wirt-
schaftsimperium aufzubauen und
zu führen, in einer Ära, in der es der
„Code Napoléon“ den Frauen verbot,
ohne die Zustimmung ihrer Ehemän-
ner oder Väter zu arbeiten, zu wäh-
len, Geld zu verdienen oder Schulen
und Universitäten zu besuchen?
KÄMPFE STATT PARTYS
Eines ihrer wenigen Porträtgemäl-
de zeigt Barbe-Nicole Clicquot-Pon-
sardin im gesetzten Alter: eine kräf-
In diesem Renaissance­- tige, resolute Dame, das Haar streng
­bau in Reims wohnte
frisiert, der Blick ernst, beinah grim-
sie sich ein Schloss auf mig. Sie trägt schwarze Kleidung –
dem Land baute wie fast ihr Leben lang. In Cham-
Bilder: Bridgeman Images, mauritius images, PR, action press
pagnerlaune versetzt
das Bild nicht, aber es
spiegelt Clicquot-Pon-
sardins Leben: arbeits-
reich und aufreibend,
geprägt nicht von Par-
tys, sondern von Krisen
und Kämpfen.
Vieles von dem,
was wir heute über die
Unternehmerin wis-
sen, lagert in den Archi-
ven des Pavillon du Pa-
trimoine Historique in
Capital Ausgabe 01/2021
Reims. Hier finden sich Geschäfts-
unterlagen, Notizhefte, in denen die
Kellermeister die Geheimnisse ihrer
Mischungen niederschrieben, sowie
die gesamte Korrespondenz der Wit-
we: 100 000 mit Feder und Tinte ge-
schriebene Geschäftsbriefe hat Ma-
dame Clicquot-Ponsardin im Lauf
ihres Lebens verfasst und empfangen.
Die Französin erlebte eine
Zeit epochaler Umbrüche: die Fran-
zösische Revolution, die das Anci-
en Régime kippte, Napoleons Erobe-
rungskriege, überhaupt Jahrzehnte
grausamer Schlachten in Europa, die
ihr Geschäft mehrmals an den Rand
der Pleite brachten. Viele Champa-
gner- und sonstige Unternehmer
überlebten diese Krisenära nur im
Wartestand oder gar nicht, andere
suchten sich neue, weniger riskan-
te Geschäftszweige. Clicquot-Ponsar-
din dagegen wagte Kopf und Kragen
für ihren Champagner – und revolu-
tionierte nebenbei seine Herstellung.
Dabei sieht anfangs alles nach
einem ruhigen, komfortablen Leben
in einer nordostfranzösischen Klein-
stadt aus. Bis zu ihrer Hochzeit hat
Barbe-Nicole Ponsardin nichts mit
Champagner zu tun. Sie ist die ältes-
te Tochter eines reichen Textilunter-
nehmers in Reims, wo sie von katho-
lischen Nonnen in einem königlichen
Kloster erzogen wird. Ihr Vater Ni-
colas Ponsardin ist ein ehrgeizi-
ger Mann, der mit der Aristokratie
flirtet und schließlich sogar in den
Adelsstand erhoben wird. Aber er
versteht es auch, sich als überzeug-
ter Jakobiner auszugeben, um seine
Familie vor der Guillotine zu retten:
ein smarter Wendehals, der sich bes-
tens durchlaviert.
Mit Anfang 20 heiratet Barbe-
Nicole 1798 François Clicquot, eben-
falls Sohn reicher Textilunterneh-
mer, die zudem noch respektable
Güter besitzen und mit Wein han-
deln: eine perfekte Partie. Der Ge-
mahl plant, das kleine Weingeschäft
der Familie auszubauen und zu in-
ternationalisieren. Kapital ist genug
vorhanden, Kontakte auch. Die bei-
den Eheleute aber sind Weinnovizen,
Die Weine der
Witwen
L O U I S E P O M M E RY
übernahm 1860 in Reims
das Champagner-Geschäft ihres
verstorbenen Mannes und
formte daraus ein Weltunterneh-
men. Berühmt machte sie
ihr „Brut“-Champagner, der erste
ohne Zuckerzusatz.
M AT H I L D E - É M I L E
L AU R E N T - P E R R I E R
heiratete den Kellermeister
Eugène Laurent und erbte 1887
dessen Weingut in Tours-sur-
Marne. Mit der Marke Veuve Lau-
rent-Perrier & Co führte
sie es zu internationalem Erfolg.
L I LY B O L L I N G E R
erbte 1941 das legendäre
Champagnerhaus im Departement
Marne, das das englische Kö-
nigshaus belieferte. Sie führte es
30 Jahre erfolgreich weiter
und glänzte dabei vor allem mit
kreativem Marketing.
sie müssen die Herstellung erst ler-
nen. Ende 1803 produzieren sie ihren
ersten Hauschampagner, für den ihr
Vertriebsmann Louis Bohne auf lan-
gen Reisen Premiumkäufer gewinnt,
darunter Herzöge und Prinzessin-
nen osteuropäischer Königshöfe. Aus
Russland kommt bereits 1804 ein
Drittel der Bestellungen. Die Strate-
gie der Clicquots scheint aufzugehen,
sie setzen im Ausland mehr um als in
Frankreich selbst.
Der Schaumwein von damals
hat mit heutigen Champagnern we-
nig gemein. Er ist ungemein süß: pro
Liter um die 300 Gramm Restzucker,
schätzen Weinexperten – beim Clic-
quot Brut von 2019 sind es gerade
zehn Gramm. Die damalige Süße ent-
spricht nicht nur dem russischen Ge-
schmack, auch im Rest Europas trinkt
die feine Gesellschaft vorzugswei-
se zuckrig. Erst im späteren 19. Jahr-
hundert wird sich das ändern.
Das Klima für den Welthandel
verschlechtert sich, als der Dritte Ko-
alitionskrieg anbricht, in dem Groß-
britannien, Russland, Österreich
und Schweden sich in einer losen Al-
lianz gegen Frankreich verbünden.
Zu allem Überfluss wird auch noch
die Weinernte des nassen Sommers
von 1805 zum Desaster. François
Clicquot zweifelt an sich und seiner
Unternehmeridee.
Im Winter 1805 bekommt
Barbe-­Nicoles Mann hohes Fieber
und stirbt innerhalb weniger Tage.
Die einen sagen, es sei Typhus gewe-
sen, andere, unbelegte Quellen ver-
muten, er habe sich aus Frust das
Leben genommen. Mit 27  Jahren
ist Barbe-Nicole Clicquot-Ponsar-
din plötzlich Witwe, alleinerziehen-
de Mutter eines kleinen Mädchens –
und Kleinunternehmerin.
DER TEUFLISCHE NAPOLEON
Es ist ein schwerer Schicksalsschlag,
aber er eröffnet ihr die Chance ihres
Lebens. Der verwitwete Familien-
stand ist damals der einzige, in dem
eine Frau selbst Verträge abschlie-
ßen und ein Bankkonto führen
95
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Serie: Pionierinnen der Wirtschaft

96
 kann. Gemeinsam mit dem Vertrieb-
ler Louis Bohne überzeugt Clicquot-
Ponsardin ihren Schwiegervater, ihr
das ­Familienunternehmen anzuver-
trauen. Der stimmt zu – unter der
Bedingung, dass Clicquot-Ponsardin
sich vier Jahre ausbilden lässt und
mit einem Geschäftspartner seiner
Wahl zusammenarbeitet. Falls sie
sich behauptet und das harte Leben
einer Unternehmerwitwe führen
will, soll es so sein.
Viereinhalb Jahre später, am
21. Juli 1810, ist es so weit: Clicquot-
Ponsardin gründet ihr eigenes Unter-
nehmen – ohne den vom Schwiegerva-
ter auserkorenen Geschäftspartner,
der sich in der Zwischenzeit auf ein
eigenes Unternehmen verlegt hat.
Die Inhaberin der neuen Gesellschaft
Veuve Clicquot-Ponsardin ist damals
eine absolute Ausnahmeerscheinung.
Zwar gibt es noch die eine oder ande-
re Witwe, die einen Betrieb unterhält,
um zu überleben, doch meist sind es
simple Geschäfte wie Friseurläden
oder Schneidereien.
KRIEGSWIRTSCHAFT
Gleich zu Beginn ihrer Karriere schlit-
tert die junge Geschäftsfrau in eine
Krise, wie sie härter kaum sein könn-
te. Napoleon, den Clicquot-Ponsardin
verachtet und in ihren Briefen an Boh-
ne als „le diable“ bezeichnet, stürzt Eu-
ropa noch tiefer in den Krieg. Im Früh-
jahr des Jahres 1812 ruft Bonaparte
in Frankreich zur Generalmobilisie-
rung auf, um gegen Russland ins Feld
zu ziehen. Clicquot-Ponsardin muss
Teile ihres Besitzes an die Armee ab-
geben und Soldaten ausstatten. Viel
schlimmer aber: Als Frankreich im
Juni in Russland einfällt, erhebt Zar
Alexander ein Importverbot für Lu-
xusgüter, darunter Champa­gner. Es
ist eine wohlkalkulierte Rache, denn
Napoleon liegt die Industrie am Her-
Bild: Max Schödl/akg images
zen, er hat sie zuvor gefördert und
sich besonders für seinen Lieblings-
erzeuger Jean-Rémy Moët eingesetzt.
Die Blockade ist eine wirtschaft-
liche Katastrophe für Clicquot-Pon-
sardin, denn Russland und der dortige
Veuve Clicquot
heute
Der Kofferhersteller Louis
Vuitton kaufte 1986 das Weinhaus
Veuve Clicquot – mit Geld, das der
Börsengang dem Unternehmen
bescherte. Ein Jahr später fusionier­
te Louis Vuitton mit dem Spirituosen­
hersteller Moët Hennessy zum
Luxuskonzern LVMH, der inzwischen
ein halbes Dutzend Champagner­
marken besitzt, darunter Moët &
Chandon sowie Pommery. Gut
zehn Prozent des Umsatzes macht
der Konzern, der außerdem mit
Uhren, Schmuck, Mode und Parfum
handelt, heute mit Wein und Spiritu­
osen, wobei rund 50 Prozent
mehr Flaschen Cognac als Cham­
pagner verkauft werden. Im Corona-
Lockdown ist die Trinklust deutlich
gesunken, im dritten Quartal
2020 lag der Umsatz aber schon fast
wieder auf dem Vorjahresniveau.
A L KO H O L
Anteil von Wein und Spirituosen am
LVMH-Umsatz 2019, in Euro
5,5 Mrd.
53,7 Mrd.
gesamt
Quelle: LVMH
Linke Seite: Stillleben von
Max Schödl – Champagner
und Hummer waren
im 19. Jahrhundert beliebte
Genremotive
Zarenhof gehören zu ihren wichtigs-
ten Abnehmern. Bereits im Vorjahr
ist kriegsbedingt der wichtige briti-
sche Markt weggebrochen, und an
Verkäufe in den von Napoleon besetz-
ten Gebieten Österreich und Preußen
ist nicht zu denken. Clicquot-Ponsar-
din droht die Zahlungsunfähigkeit.
Sie verschafft sich finanziell
Luft, indem sie ihre Juwelen verkauft,
diskret über Bohne, der sie den Kö-
nigshöfen Osteuropas anbietet. Doch
weit reichen die Erlöse nicht. Die
Sektkeller sind voll, die Kassen leer,
Clicquot-Ponsardin braucht dringend
Geld. Sie sitzt auf 60 000 Flaschen
Champagner, sechs Dutzend Fässern
und 125 000 Kronkorken – bei weni-
ger als 33 000 Bestellungen.
Was tun? Als sich im Früh-
jahr 1814 abzeichnet, dass Napoleon
den Russlandfeldzug verliert, fasst
Clicquot-Ponsardin einen abenteu-
erlichen Plan. Sie beschließt, ihren
Champagner vor allen Konkurren-
ten nach Russland zu schiffen. Das
Risiko ist hoch: Fliegt sie auf, droht
ihr eine empfindliche Strafe. Zudem
setzt sie ihren besten Champagner
aufs Spiel. Der 1811er-Jahrgang ist ein
Jahrhundertwein, sonnenverwöhnt,
die Trauben reif und süß wie nie. Bei
der Lese erschien ein Komet am Him-
mel, den viele als Zeichen für den Un-
tergang des Napoleon-Reichs inter-
pretieren. Niemand kann sagen, ob
dieser Vin de la comète die Seefahrt
übersteht und genießbar bleibt.
Am 19.  Juni 1814 verlässt die
„Zes Gebroeders“ den Hafen von
Rouen und nimmt Kurs auf Königs-
berg, einen wichtigen Hafen für den
russischen Markt. An Bord: 10 550
Flaschen feinster Champagner, ver-
packt in Kisten, bewacht von Louis
Bohne, der aus Sorge um die kostba-
re Ware im Laderaum nächtigt. Das
Schiff ist voller Ungeziefer, aber es
ist das einzige, dessen Besatzung be-
reit war, die Seereise zu wagen und
damit das Handelsembargo zu bre-
chen, das zwischen Frankreich und
Russland immer noch besteht.
Die Reise wird ein voller Er-
folg. Als das Schiff am 3.  Juli
97
 W E LT D E R W I RT S C H A F T
Serie: Pionierinnen der Wirtschaft
1814 in Königsberg ein-
läuft, verkauft sich der
Champagner des Hau-
ses so gut, dass nach
wenigen Tagen alle Fla-
schen weg sind und die
Witwe nur zwei Wo-
chen später ein zwei-
tes Schiff gen Osten
schickt: Die „Bonne
Intention“ sticht mit
12 780 Flaschen in See.
Wieder ist die Ladung
schnell verkauft. Der Markt liegt Ma-
dame Clicquot-Ponsardin zu Füßen.
In den folgenden Jahren kauft
Russland wie verrückt Veuve-Clic-
quot-Weine. Die Verkäufe schießen
in die Höhe: 1816 sind es 43 000 Fla-
schen, 1821 bereits 280 000 Flaschen.
In kürzester Zeit ist die Witwe be-
rühmt geworden, ihren Champa­gner
kennt jeder.
LEERE KELLER
Bald kann Clicquot-Ponsardin die im-
mense Nachfrage mit den herkömm-
lichen Produktionsmethoden nicht
mehr decken. Bereits 1816 hat sie alle
Reserven abverkauft, ihre Keller sind
leer. Nach Jahren, in denen sie um
Bestellungen kämpfte, muss sie nun
Aufträge ablehnen. Sie riskiert, ihre
gerade erst gewonnenen Kunden wie-
der zu verlieren. Clicquot-Ponsardin
braucht Nachschub – dringend.
Außerdem will sie ihren Cham-
pagner verbessern. Die Kunden be-
schweren sich über Blasen, die so
groß sind, dass sie den Wein mit bie-
rigem Schaum überziehen. Madame
Clicquot-Ponsardin spricht abfäl-
lig von „Krötenaugen“ und ist ent-
schlossen, die Blasen kleiner und den
Wein klarer zu machen. Damals wird
Champagner noch aufwendig durch
Umschütten von einer Flasche in
die andere von seiner Hefe getrennt,
damit der Wein aufklart und nicht
weiter gärt und verdirbt. Es ist ein
komplizierter, langwieriger Arbeits-
schritt, der viel Zeit und Geld kostet.
Auf der Suche nach einem bes-
seren Verfahren entwickelt Clicquot-
98
Ein Schriftzug, der für
Luxus steht: Veuve-Clicquot-
Kisten 1921 in einem
Warenlager in Amsterdam
FOLGE 02:
Die Krupp-Frauen
Die Stahldynastie der Krupps
wurde im Lauf ihrer Geschichte
immer wieder von starken
Frauen geführt, die als Erbinnen
das Ruder übernahmen oder
kriegsbedingt abwesende
Männer ersetzten. Wie die Krupp-
Frauen das Unternehmen
prägten, lesen Sie in der nächsten
Folge unserer Serie.
Ponsardin mit ihrem
Kellermeister ein Ge-
stell, das die Remuage
erleichtert, den Pro-
zess, bei dem Sedimen-
te aus der Flüssigkeit
in den Flaschenhals ge-
zogen werden. Lager-
ten die Flaschen bisher
seitlich, stehen sie nun
schräg auf dem Kopf,
was das Rütteln und
Degorgieren erleich-
tert. Dank dieser Innovation können
erstmals optisch klare, von trüben
Hefeteilchen befreite Champagner
in größeren Mengen hergestellt wer-
den, die sich besser vermarkten las-
sen als hefetrübe Champagner.
„Ihre Besessenheit, ein Getränk
zu kreieren, das so klar wie ein ma-
kelloser Diamant ist, war vielleicht
ihre wichtigste Errungenschaft“,
schreibt die Kulturhistorikerin Tilar
Mazzeo in ihrer Clicquot-Ponsardin-
Biografie. Ohne sie „hätte der Cham-
pagner niemals der berühmteste
Wein der Welt werden können“.
Barbe-Nicole Clicquot-Ponsar-
din leistete nicht nur für die Vermark-
tung, sondern auch für die Herstel-
lung ihres Produkts Bahnbrechendes
– und eröffnete nebenbei ungeahnte
Horizonte für Frauen im Geschäfts-
leben. Ihr Unternehmen verleiht des-
halb seit 1972 den „Business Woman
Award“, mit dem Unternehmerinnen
für ihren Mut, ihre Risikobereitschaft
und Leistung ausgezeichnet werden.
Einen kleinen Makel hat diese
Heldinnengeschichte. Clicquot-Pon-
sardin war eine Einzelkämpferin. Die
Möglichkeiten, die sie sich selbst er-
stritt, bot sie anderen Frauen nicht
immer. Ihre eigene Tochter schloss sie
aus dem Familienunternehmen aus,
weil sie ihr die Nachfolge nicht zutrau-
te. Stattdessen ließ sie, als sie sich al-
tersbedingt aus dem Geschäft zurück-
zog, einen Mann ans Ruder: Édouard
Foto: Bridgeman Images
Werlé, den Nachfolger ihres früh ver-
storbenen Vertrauten Louis Bohne.
Ihm vermachte die 88-jährige Witwe
Clicquot-Ponsardin ihr Champagner-
Imperium, als sie 1866 starb.
Capital Ausgabe 01/2021
 Erfahren Sie mehr auf
www.lenovo.com/gettimeonyourside
 Mehrwert.

LESER
WERBEN.
PRÄMIE
SICHERN.

GELD VERDIENEN. GELD VERMEHREN. GELD AUSGEBEN.

WWW.CAPITAL.DE/FREUNDE oder per Telefon 030 –20 179 190

Bitte geben Sie folgende Bestell-Nr. an: 12 Ausgaben CAPITAL 183 7327 /24 Ausgaben CAPITAL 183 7328
 JETZT EMPFEHLEN UND RENDITE SICHERN:
60 €-GUTSCHEIN FÜR 12 MONATE CAPITAL, 130 €-GUTSCHEIN FÜR 24 MONATE CAPITAL

AMAZON.DE-GUTSCHEIN JET-GUTSCHEIN BESTCHOICE-GUTSCHEIN

• Für die nächste • Deutschlandweit bei JET tanken, • Freie Auswahl
Online-Shopping-Tour shoppen oder waschen bei über 200 Partnern
• Technik, Bücher, • Betrag ist aufteilbar und • Prämienwert auf mehrere Shops
DVDs, CDs u. v. m. 3 Jahre gültig aufteilbar

MEHR PRÄMIEN ONLINE.

IHRE VORTEILE ALS WERBER:
• Jeder kann werben, auch Nicht-Abonnenten • Sie erhalten eine exklusive Prämie Ihrer Wahl
VORTEILE FÜR DEN NEUEN LESER:
• Jede Ausgabe portofrei nach Hause

12 Ausgaben CAPITAL für zzt. 106,80 € (inkl. MwSt. und Versand) und 24 Ausgaben CAPITAL für zzt. 213,60 € (inkl. MwSt. und Versand). Es besteht ein 14-tägiges Widerrufsrecht. Zahlungsziel: 14 Tage nach Rechnungserhalt.
Anbieter des Abonnements ist Gruner + Jahr GmbH. Belieferung, Betreuung und Abrechnung erfolgen durch DPV Deutscher Pressevertrieb GmbH als leistenden Unternehmer.
1,8
Prozent Wachstum hat China 2020
verzeichnet – und war damit die
einzige Volkswirtschaft, die nicht
geschrumpft ist. Auch bei Aktien
sehen die meisten Experten 2021
Asien vorn: Sie rechnen dort
mit stärkerem Wachstum als bei
europäischen Titeln

SEITE 114
 INVEST
KOLUMNE
Wer grün sein will,
muss wählen
Der Börsencrash von Gärten und Depots haben ja eines
gemeinsam: Im Frühling zeigt sich,
2020 hatte etwas Gutes:
was wieder wächst, weil es den Win-
Seitdem schießen die ter überstanden hat. Ich selber bin
nachhaltigen Fonds ins da ein Fan des Floral-Darwinismus,
Kraut. Und es gibt den so nenne ich das: Alles, was Eis und
„grünen“ Dax. Die Frage Schnee überlebt und wieder keimt,
verdient es, stehen gelassen zu wer-
ist nur: Wie gut ist den. So verfahre ich auch im D ­ epot.
das alles? Und bringt In diesem Jahr war dort eine Fra-
es das Depot über den ge besonders spannend: Wie würde
nächsten Winter? sich eine besondere Saat am Markt
entwickeln? Die vielen grünen Pro-
TEXT: dukte nämlich, die sich die Fonds­
NADINE OBERHUBER industrie ausgedacht hat – die nach-
haltigen Fonds und Indexfonds.
Pünktlich im März stellte die
Deutsche Börse den Dax 50 ESG vor,
ihren ersten grünen Leitindex, der
nach den Nachhaltigkeitskriterien
ESG funktionieren soll. Doch dann
kam kein Frühling, der die Kurse wie
üblich bis Mai ansteigen ließ – son-
dern es kam Corona. Und mit der
Pandemie drängte plötzlich die Fra-
ge: Ziehen die Anleger nun ihr Geld
aus den Depots ab? Würden die
Nachhaltigkeitsfonds in der Krise
austrocknen? Nein, im Gegenteil.
Tatsächlich floss im ersten
Quartal viel Geld aus Fonds ab – aber
nur aus den konventionellen. Die
nachhaltigen dagegen verbuchten
netto sogar Zuflüsse. Anleger sor-
tierten also Altfonds aus den Depots
aus und setzten neue, grüne ein. Vor
allem Privatanleger übrigens holten
sich ESG-Fonds ins Depot, sagt der
Nadine Oberhuber Fondsverband BVI. Im Vergleich mit
ist Capital-Korrespon- Profi-Investoren stellen sie jetzt so-
dentin in München. gar einen größeren Teil des nachhal-
In ihrer Kolumne
tigen Fondsmarkts und haben insge-
schreibt sie jeden
Monat über die Freude
samt 75 Mrd. Euro in solchen Fonds
und die Last mit der angelegt. Rund 914 Euro pro Kopf.
Geldanlage und der Und nicht nur deutsche Depots
Altersvorsorge. werden grün: Europaweit flossen bis
104
Herbst 40 Prozent des neuen Fonds-
kapitals in Nachhaltigkeitsprodukte.
Bei den Aktienfonds übertrumpfen
die ESG-Produkte schon alles ande-
re, sie sammelten im dritten Quartal
32 Mrd. Euro ein. Fast doppelt so viel
wie herkömmliche Fonds.
Go Green! So möchte man den
übrigen Anlegern zurufen, denn:
ESG-Anlagen bieten auch eine bes-
sere Performance als ihre konven-
tionellen Pendants. Auf Jahressicht
stiegen die Kurse der Nachhaltig-
keitsindizes so kräftig, dass der Euro
Stoxx ESG vier Prozentpunkte hö-
her steht als der normale Euro Stoxx.
Auch der MSCI World ESG legte drei
Prozentpunkte mehr zu, in drei Jah-
ren sogar 7,5 Prozentpunkte. Selbst
der Dax 50 ESG setzte sich knapp
­einen Prozentpunkt nach oben ab.
Aber: Die Renditen könnten
noch viel üppiger ausfallen, wenn
Anleger nicht mehrheitlich zu ESG-
Indexfonds greifen würden. Ohne-
hin kann man streiten, wie nachhal-
tig der ESG-Dax ist: In ihm stecken
Daimler, BMW, die Lufthansa – ins-
gesamt sind 23 Titel Dax-Mitglieder.
Schwergewicht ist ausgerechnet die
Bayer-Aktie. All das sind Papiere, die
strenge aktive Öko- und ESG-Fonds
nicht einmal mit spitzen Fingern an-
fassen. Deren Fondsmanager wäh-
len genau, wer „grün und gut“ genug
ist, um ins Portfolio zu kommen. Da
reicht es nicht, die 17 UN-Nachhaltig-
keitsprinzipien ganz darwinistisch
nur besser zu erfüllen als die Kon-
kurrenz. Gerade im grünen Bereich
Illustration: Jindrich Novotny
lohnt sich also aktives Management.
Trägt es auch Früchte? 15  Prozent
Rendite pro Jahr, so viel brachten
gute Ökofonds seit 2010. Und nun
lassen Sie die mal ein paar Winter
im Depot.
Capital Ausgabe 01/2021
Sinnvoll für Dich &
für nachhaltige
Energiegewinnung

Mit Deinen Spareinlagen weltweit sinnvolle Projekte unterstützen,

wie z.B. die Rainbow Bee Eater Group. Weitere Informationen auf
sinn-sinn-situation.de
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — M A R K TA U S B L I C K

Jetzt bloß nicht den Aufschwung verpassen: An der Wall Street rennt
ein New Yorker zum nächsten Termin
M A R K TAU S B L I C K
Seite 108
ZEHN REGELN
Seite 114
RÜCKBLICK 2020
Seite 121
I N T E RV I E W: DA S R ÄT D E R
P I M C O - C H E F Ö KO N O M
Seite 122
WIE ENTSTEHT
E I N E DA X - P R O G N O S E ?
Seite 128
DA S E RWA RT E N D I E
E X P E RT E N
Seite 132
I M M O B I L I E N : R U N AU F
DA S U M L A N D
Seite 134
FÜR SKEPTIKER: DREI
C R A S H - S T R AT E G I E N
Seite 138
 Der Impfstoff
nimmt Corona
den Schrecken,
Notenbanken

DAS
und Regierungen
befeuern den
Neustart der
Wirtschaft: gute
Aussichten für

BESTE
Anleger
FOTOS: REINIER
GERRITSEN

FÜR
IHR GELD
2021
Alle Fotos: Reinier Gerritsen/De Beeldunie

107
 A
INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — M A R K TA U S B L I C K
Am 9. November 2020, Tilmann Galler erin-
nert sich noch genau, kam er sich für einen
Moment vor wie im Kino. „Es war wie in ei-
ner Sneakpreview. Man konnte sehen, was
passieren würde, wenn wir einen Impfstoff
gegen Covid-19 zur Verfügung haben“, er-
zählt Galler, der bei J.P. Morgan Asset Ma-
nagement in Frankfurt als globaler Anlage-
stratege arbeitet.
An diesem Tag gab Biontech bekannt,
mit seinem Partner, dem US-Konzern Pfizer,
die Zulassung eines Impfstoffs zum Schutz
vor dem Coronavirus zu beantragen. Es gebe
„Beweise, dass ein Impfstoff Covid-19 wirk-
sam verhindern kann“, sagte Unternehmens-
gründer und -CEO Ugur Sahin. Die Nachricht
raste von Mainz aus um die Welt – erstmals
echte Hoffnung, die schlimmste Pandemie
seit 100 Jahren könnte bald zu Ende gehen.
In den Erwartungen für das neue Jahr
wirkt die Nachricht aus Mainz weiter. Selten
waren sich Analysten und Volkswirte so einig
beim wirtschaftlichen Ausblick: Nach dem
dramatischen Jahr 2020 mit dem rasantes-
ten Absturz des Dax seit seiner Einführung
im Jahr 1988 und einem ebenso steilen Wie-
deraufstieg, könnte die Weltwirtschaft 2021
endlich wieder Tritt fassen. „Es sieht danach
aus, dass wir in ein paar Monaten mehre-
re Impfstoffe zur Verfügung haben und im
Laufe des Jahres eine sehr kräftige Konjunk-
turerholung bekommen werden“, sagt Pimco-
Chefvolkswirt Joachim Fels im Capital-Inter-
view (siehe Seite 122).
Doch bei aller Euphorie, es bleiben Ri-
siken für Konjunktur und Kapitalmärkte. Da-
für genügt ein Blick auf die verfahrene poli-
tische Situation in den Vereinigten Staaten.
108
Anleger sollten deshalb zweierlei im Jahr
2021 beherzigen: geduldig sein, keine über-
mäßigen Renditeerwartungen hegen – und
bei Rückschlägen nicht in Panik verfallen,
denn die Notenbanken und die Geldpolitik
stabilisieren weiter Konjunktur und Märkte.
Die Vorboten des Aufschwungs sind
selbst auf dem Frankfurter Messegelände
bereits zu sehen: Dort, wo sich bisher Lite-
ratur- oder Autofans auf den Füßen standen,
entsteht ein Impfzentrum. Es ist eines von al-
lein 30 in Hessen, 1 000 Menschen sollen hier
bald pro Tag gegen Covid-19 geimpft werden.
Läuft die Verteilung des Vakzins erst
mal an, so wird auch die Wirtschaft wieder
in Schwung kommen. Das gilt gerade für den
Dienstleistungssektor von der Gastronomie
über den Tourismus bis zu Kultur und Events.
„Die Rahmenbedingungen für eine Erholung
stehen,“ sagt Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich
Kater. Und Stefan Schneider, Chefvolkswirt
der Deutschen Bank für Deutschland, sagt:
„Ohne Impfstoff wären unsere Prognosen für
2021 und 2022 sehr düster ausgefallen.“ Doch
stattdessen reiht sich Schneider nun in das
Heer der Optimisten ein. „Ich hoffe, dass wir
in einem Jahr nicht mehr über Covid-19 dis-
kutieren werden“, sagt er.
VIEL GESPART FÜR DIE ERHOLUNG
Die Vorfreude auf die Normalisierung des Le-
bens ist auch den sonst so nüchternen Ban-
kern und Volkswirten in Frankfurt anzumer-
ken. Jörg Krämer etwa hat so langsam genug
von Präsentationen über Skype, Zoom oder
Teams. „Im Frühsommer können wir uns
wieder live sehen, da bin ich zuversichtlich“,
beendet der Chefvolkswirt der Commerz-
bank seine Videokonferenz zum Kapital-
marktausblick. „Die Lebenslust bricht sich
wieder Bahn“, lautet seine Prognose.
Profitieren werden davon vor allem
jene Branchen, die 2020 besonders gelitten
haben, weil die Kunden notgedrungen zu
Hause bleiben mussten. Krämer schätzt den
„Sparüberhang“ in Deutschland aktuell auf
fünf Prozent des verfügbaren Einkommens
der privaten Haushalte. „Ein guter Teil davon
wird in Urlaubsreisen fließen“, sagt er.
Zwar hat die Krise einen Teil der Bevöl-
kerung wirtschaftlich hart getroffen, viele
TEXT: haben – teils dank staatlicher Hilfen – jedoch
S T E FA N weiterhin Geld verdient, konnten es in den
SCHAAF Lockdown-Phasen aber nicht ausgeben. So
Capital Ausgabe 01/2021
legten die Deutschen laut dem Statistischen
Bundesamt im dritten Quartal 13,5 Prozent ih-
res Einkommens auf die hohe Kante, im zwei-
ten Quartal sogar 20,1 Prozent. Das ist deut-
lich mehr als in der Vor-Corona-Zeit, 2019 lag
die Sparquote nur bei 10,9 Prozent. „Die Men-
schen wollen das Geld ausgeben“, ist DZ-Bank-
Chefvolkswirt Stefan Bielmeier überzeugt.
Wie sich das in der Wachstumsrate für
die gesamte deutsche Volkswirtschaft aus-
drücken wird, ist noch etwas unsicher – die
Wachstumsprognosen für 2021 reichen von
relativ zurückhaltenden 2,8 Prozent der In-
Auf dem Erhol­ungspfad
IWF-Prognosen für
Wirt­schaftswachstum und
Inflation im Jahr
2021 nach Regionen und
Ländern, in Prozent
10
5
0
eine „Globale Mehrausgabe für Kosten im Zu-
sammenhang mit der Bewältigung der Coro-
na-Pandemie“. Hinzu kommt noch der Wie-
deraufbaufonds der Europäischen Union,
der Krämers Berechnungen zufolge 1,6 Pro-
zent der Wirtschaftsleistung der EU umfasst.
DIE NOTENBANKEN PUMPEN WEITER
Während sich die Investoren erst auf die
neue Ausgabenfreude der europäischen Po-
litik einstellen müssen, haben sie sich an die
Lockerheit der EZB und anderer Notenban-

dustrieländerorganisation OECD über ein
Plus von 4,2 Prozent des Internationalen
Währungsfonds (IWF) bis zu mehr als fünf
Prozent mancher Banken-Volkswirte. Aber
die Richtung ist unbestritten. Die Weltwirt-
schaft dürfte sogar noch schneller wachsen,
laut IWF um mehr als fünf Prozent.
Angesichts des weit verbreiteten Op-
timismus sprechen einige Investoren so-
gar vom Szenario des weißen Schwans. Es
wäre das Gegenteil des schwarzen Schwans –
jenes unvorhersehbaren Katastrophenereig-
nisses, mit dem das Auftauchen des Corona-
virus im Frühjahr oft verglichen wurde. Jen-
seits der Farbe haben die Tiere aber etwas
gemeinsam, das wiederum ganz gut zur Lage
der Wirtschaft im kommenden Jahr passt:
Schwäne gleiten zwar elegant übers Wasser,
unter der Oberfläche müssen sie aber kräf-
tig paddeln, um voranzukommen. So könnte
es auch der Konjunktur gehen: Sie gleitet zü-
gig dahin, aber unter der Oberfläche müssen
zwei „Paddel“ hart arbeiten, die Geld- und
die Fiskalpolitik. Jens Wilhelm, Vorstands-
mitglied bei Union Investment, sagt voraus:
„Corona bedeutet das Ende der Austerität.“
Statt schnell zur alten Politik ausgeglichener
Budgets zurückzukehren, werde der Staat im
neuen Jahrzehnt eine deutlich aktivere Rolle
in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik spielen
– und Geld ausgeben. „Geld- und Fiskalpolitik
helfen, die Folgen des Schocks wie Firmen-
pleiten und Arbeitslosigkeit abzumildern“,
sagt auch Gertrud Traud, Chefvolkswirtin
der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba).
Bundesfinanzminister Olaf Scholz
will fast 180 Mrd. Euro neue Schulden auf-
nehmen. Allein auf den Posten „Mehraus-
gaben für die Corona-Unternehmenshilfen“
entfallen laut Bundestag 37,5 Mrd. Euro der
Gesamtausgaben von knapp 500 Mrd. Euro.
Weitere 30 Mrd. Euro sind eingeplant für
Welt
Schwellenländer
Industrieländer
USA
Eurozone
Deutschland
China
ken längst gewöhnt. „Das Ende der Fahnen-
stange bei der geldpolitischen Lockerung ist
noch nicht erreicht“, sagt Commerzbank-
Ökonom Krämer. Seinen Berechnungen zu-
folge kauft die EZB inzwischen Staatsan-
Wachstum leihen in einem Umfang, der die gesamten
Inflation Haushaltsdefizite der Mitgliedsstaaten in der
Währungsunion abdeckt. „Das ist für die Re-
Quelle: Internationaler
Währungsfonds, OECD gierungen sehr komfortabel.“
Was Vertreter ordnungspolitischer
Prinzipien als monetäre Staatsfinanzierung
verteufeln, stabilisiert auf jeden Fall der-
zeit die Konjunktur. Von einer „grandiosen
Bestätigung der Funktionalität keynesiani-
scher Kriseninterventionspolitik“ spricht
Deka-Ökonom Kater. Auch die zumindest
unter deutschen Anlegern verbreitete Sor-
ge vor einer Rückkehr der Inflation schreckt
die Experten nicht, da alle wichtigen Volks-
wirtschaften auch 2021 noch viele freie Ka-
pazitäten haben werden. Solange aber Teile
der Wirtschaft brachliegen, kann sich kein
Preisdruck aufbauen. Allenfalls auf mittlere
Sicht könne „das Zusammenspiel von Geld-
Impfstoff pusht Zinsen und Fiskalpolitik zu Inflationsgefahren füh-
Erwartungen für ren“, sagt Deutsche-Bank-Ökonom Schneider.
künftige US-Leitzinsen
Dazu passen die Kurse am Markt. Dort
vor und nach der
Biontech/Pfizer-Ankün- signalisieren spezielle Derivate (Inflation
digung vom 9. Novem- Swaps) eine Inflationsrate in der Eurozone in
ber, in Prozent fünf Jahren von 1,26 Prozent und in zehn Jah-
6 ren von 1,4 Prozent. Beides liegt noch immer
unter dem Inflationsziel der EZB von knapp
4 zwei Prozent. Etwas schneller geht es viel-
leicht in den USA, dort sind jüngst die Infla-
tionserwartungen laut Bloomberg-Daten auf
2
1,9 Prozent in fünf Jahren gestiegen.
Wenn man Banker in diesen Tagen nach
0
heute 12 Jahre den wichtigsten Unsicherheiten und Risiko-
faktoren für die Märkte fragt, dann verweisen
5. November 2020 sie unisono auf die Politik, vor ­allem in den
11. November 2020
USA. Die Stichwahl zum US-Senat im Bundes-
Quelle: Bank of America staat Georgia am 5. Januar elek­trisiert die

109
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — M A R K TA U S B L I C K
Experten, die Credit Suisse wartet sogar zu-
nächst diese Wahl ab, bevor sie eine Progno-
se für die Aktienmärkte im neuen Jahr abgibt.
WIE WEITER IN CHINA UND DEN USA?
Denn die Wähler in dem 10,6 Millionen Ein-
wohner zählenden US-Bundesstaat entschei-
den nicht nur darüber, ob die beiden Repu-
blikaner Kelly Loeffler und David Perdue
ihren Senatssitz behalten, sondern auch, ob
die wirtschaftliche Erholung dynamisch oder
flau ausfällt. Beide Sitze müssten an die De-
mokraten fallen, damit sie – zusammen mit
der Stimme der künftigen Vizepräsidentin
Kamala Harris – eine Mehrheit im Senat ha-
ben und die ehrgeizigen Ausgabenprogram-
me des designierten Präsidenten Joe Biden
umsetzen können. „Biden wird für ein Rie-
senkonjunkturpaket wahrscheinlich keine
Mehrheit im Senat haben“, sagt Gergely Ma-
joros, der dem Anlageausschuss des Vermö-
gensverwalters Carmignac angehört. Doch
gerade die Hoffnung auf einen spendablen
US-Präsidenten hat – neben den Erwartun-
gen an einen Covid-19-Impfstoff – die Anle-
ger zuversichtlich gestimmt. Hinzu kommt:
Auch ein Präsident Biden wird im Handels-
streit mit China eine harte Linie vertreten,
wenngleich konzilianter im Ton.
Damit bleibt die US-Politik eines der
größten Risiken, die Anleger im neuen Jahr
im Blick haben müssen. Das gilt gerade, wenn
die Republikaner mit einer Mehrheit im US-
Senat zur Obstruktionspolitik der späten
Jahre der Präsidentschaft von Barack Obama
zurückkehren. Für Anleger ist das wichtig:
Noch immer gibt die Stimmung der US-In-
vestoren die Richtung an den Kapitalmärk-
ten vor, und ihre Stimmung beziehungswei-
se Risikobereitschaft hängt vor allem von der
Lage bei ihnen zu Hause ab. Fällt das von ih-
nen erwartete Konjunkturprogramm aus,
dann ziehen sie sich aus Aktien zurück – und
zwar vor allem overseas, also aus Europa und
den Schwellenländern.
Mut sollte Anlegern hingegen machen,
dass China wirtschaftlich stabil dasteht –
auch wenn außerhalb der Volksrepublik die
Kritik am zunehmend repressiven System
wächst, ebenso wie die Zweifel an der Ver-
lässlichkeit seiner Statistiken. „China ist in
einer sehr viel besseren Position, weil das
Land die Pandemie sehr früh mit drastischen
Maßnahmen angepackt hat“, sagt Luca Pao-
110
Europa schlägt USA lini, Chefstratege des Schweizer Vermögens-
Ertragserwartungen 1 verwalters Pictet Asset Management.
für verschiedene
Anlageklassen 2021, Viele Volkswirte erwarten ein deutliches
in Prozent Wirtschaftswachstum, von dem gerade die
deutsche Wirtschaft dank ihrer alten Export-
10
stärke profitieren dürfte. Es könnte Richtung
oder sogar über sieben Prozent gehen, dem
langjährigen offiziellen Wachstumsziel der
5
Kommunistischen Partei (KP). „China hat die
Pandemie in den Griff bekommen und läuft
auf allen Zylindern“, sagt Nannette Hechler-
0 Fayd’herbe, Chefvolkswirtin der Credit S­ uisse.
–2 Hinzu kommt: Im neuen Jahr feiert die KP ih-
ren 100. Geburtstag. „China wird 2021 nicht
Aktien Eurozone
allzu viel anbrennen lassen“, erwartet Ulrich
Aktien Schwellen­
länder
Stephan, Chefanlagestratege der Deutschen
Aktien USA Bank für Privat- und Firmenkunden.
Hochzinsanleihen,
global
Schwellenländer­ DAS ALTE NIVEAU WIRD DAUERN
anleihen Allerdings ist eines auch klar: Der Auf-
Unternehmens­an­
schwung im nächsten Jahr wird zunächst
leihen guter Bonität,
einmal nur ausgleichen, was in diesem Jahr
global
US-Staatsanleihen  2 verloren gegangen ist – und oft genug nicht
Bundesanleihen 2 mal das. Bis große Volkswirtschaften wie die
deutsche oder die der USA wieder auf dem
1) Kursveränderungen
plus Dividende oder Coupon Vorkrisenniveau angekommen sind, wird es
2) zehnjährige Laufzeit eher bis 2022 dauern. „Die Normalisierung
Quelle: Credit Suisse findet nur im Vergleich zum Krisenjahr 2020
statt. 2021 wird kein überdurchschnittlich
gutes Jahr für die Konjunktur“, sagt Carmi­
gnac-Ökonom Majoros.
Für Anleger bedeutet dies: Sie müssen
ihre Renditeerwartungen weiter herunter-
schrauben. Das klassische 60:40-Portfolio
aus 60 Prozent Aktien und 40 Prozent An-
leihen (jeweils aus aller Welt) wird in diesem
Jahrzehnt in Euro wohl nur noch knappe drei
Prozent an Rendite pro Jahr bringen, erwar-
tet J.P. Morgan Asset Management. Vor allem
werden sich Anleger auf weitere Jahre ohne
Zinsen einstellen müssen.
„Vor 2023 oder 2024 steigen die US-Zin-
sen nicht an“, prognostiziert Credit-Suisse-
Chefanlagestratege Michael Strobaek. Daran
hat auch die Impfstoff-Nachricht im Novem-
ber grundsätzlich nichts geändert (siehe Gra-
fik Seite 109). Die Zinswende in den USA wird
lediglich ein bisschen früher als zuvor erwar-
tet. Und für die Eurozone ist selbst dies nicht
in Sicht. Strobaek zieht daraus die Konse-
quenz: „Anleger sollten auf Risiko-Anlagen
schauen.“ Er meint damit insbesondere Ak-
tien, aber auch Anleihen, die einen Risiko-
aufschlag gegenüber Staatsanleihen und
Capital Ausgabe 01/2021
Für die Bilder seiner Serie „Bank Run“ hat der Fotograf Reinier ­Gerritsen Perso-
nen fotografiert, die zu ihrem nächsten Termin hetzen
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — M A R K TA U S B L I C K
damit höhere Renditen bieten. Das sind ins-
besondere Unternehmens-, Schwellenlän-
der- oder Wandelanleihen.
Wie weit die Renditen als Risikokom-
pensation verzerrt sind, zeigt das Beispiel
Portugal: Ende November fiel die Rendite
der zehnjährigen Staatsanleihe des einstigen
Krisenlandes fast auf null Prozent. Zehnjäh-
rige Bundesanleihen rentieren schon lange
im Minus-Bereich. Doch auch ohne Zinsaus-
schüttungen haben Staatsanleihen noch im-
mer eine Funktion im Depot. Galler von J.P.
Morgan Asset Management nennt dies Risi-
koabsicherung: Brechen die Aktienkurse ein,
so schichten Profi-Investoren in die als sicher
geltenden Schulden der Staaten um, die Ren-
diten fallen, der Kurs der Papiere steigt – und
das Depot wird stabilisiert.
DIE RENDITEN SINKEN ÜBERALL
Ingo Mainert, Chefanlagestratege für Mul-
ti Asset in Europa bei Allianz Global Inves-
tors, spricht von der „Kraft der Null“, die
„einen schleichenden Trend zur Aktie“ ausge-
löst habe. Aber: Hohe Renditen versprechen
die Dividendentitel auch nicht mehr. „In den
kommenden zwölf Monaten sind für Anleger
drei bis fünf Prozent drin“, rechnet DWS-Chef-
anlagestratege Stefan Kreuzkamp vor – und er
bezeichnet sich als „optimistisch für Aktien
gestimmt“. Die Luft ist auch für Aktien dünn.
Für den Dax rechnen viele Analysten
mit einem Stand von 14 500 für Ende 2021.
Zum Stand von Anfang Dezember 2020 ist
dies ein Plus von 5,2 Prozent, wobei rund drei
Prozentpunkte auf Dividenden entfallen. Die
Aussicht auf einen harten Corona-Winter
und die politische Unwägbarkeit in den USA
sprechen sogar für Geduld beim Aktienkauf.
„Wir haben noch ein halbes Jahr Unsicher-
heit vor uns und warten noch auf die Chance,
bei Aktien aufzustocken“, sagt Christian Kah-
ler, Aktienchef der DZ Bank. „Es gilt, Ruhe zu
bewahren und bei Rücksetzern zu kaufen.“
Aber trotzdem gibt es zwei Argumen-
te für Aktien, außer den Nullzinsen: erstens
die Konjunkturerholung und zweitens die
anhaltend lockere Geld- und Fiskalpolitik.
Beide haben einen positiven Einfluss auf die
zwei wichtigsten Faktoren für Aktienkurse:
Gewinnerwartungen und Bewertung.
Läuft die Konjunktur besser, so ver-
dienen auch die Unternehmen wieder mehr.
„Dabei spielt für eine positive Gewinnent-
112
Rückkehr der Zykliker wicklung auch eine Rolle, dass viele Unter-
Anstieg des Gewinns je nehmen in den Monaten der Krise erhebli-
Aktie nach Branchen,
Konsenserwartungen für
che Anstrengungen unternommen haben,
2021, in Prozent um wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Mi-
chael Heise, Chefvolkswirt beim Vermögens-
100 verwalter HQ Trust. „Maßnahmen wie Kos-
tensenkungen, flexiblere Arbeitszeitmodelle,
die Fokussierung auf Kernkompetenzen und
weitreichende Digitalisierungsinitiativen
werden sich bei steigender Nachfrage in hö-
50
heren Erträgen auszahlen.“
Aus den Gewinnerwartungen berech-
net sich dann über das Kurs-Gewinn-Ver-
hältnis ein Kurs. Steigt diese Kennzahl an,
0 werden die erwarteten Gewinne mit einem
größeren Faktor multipliziert. Wegen der an-
Industrie haltend niedrigen Zinsen liegt dieser Faktor
Nicht-Basiskon-
heute höher als früher, sodass steigende Ge-
sumgüter
winne mit steigender Bewertung sich in hö-
Rohstoffe
Finanzbranche heren Aktienkursen niederschlagen.
Kommunikation Den stärksten Gewinnanstieg erwartet
Technologie der Markt im neuen Jahr bei europäischen
Gesundheitswesen Aktien (siehe Grafik links). Der Grund: In den
Basiskonsumgüter europäischen Aktienindizes wie dem Dax,
Immobilien dem französischen CAC 40 oder dem paneu-
Versorger
ropäischen Stoxx 600 dominieren Unterneh-
Quelle: UBS men, die stark von einer Konjunkturerholung
profitieren. Auch wenn die Aktienmärkte
schon vieles an Erholung vorweggenommen
haben, so haben gerade diese Zykliker Nach-
holpotenzial, erwartet etwa Carsten Roem-
held, Kapitalmarktstratege bei Fidelity In-
ternational. Das spricht seiner Einschätzung
nach „für eine bessere Entwicklung der euro-
päischen Märkte“.
Dax vor Dow
Gewinnanstieg je Aktie Hinter der Erwartung einer guten Ent-
nach Regionen, wicklung europäischer Aktien steht aber im-
Konsenserwartungen mer die Erwartung, dass die Investorenstim-
für 2021, in Prozent
mung in den USA nicht kippt. Ähnliches gilt
40 für Aktien aus Schwellenländern, die ebenfalls
von einer Konjunkturerholung profitieren,
aber noch stärker als Euro-Aktien unter einer
generell schlechten Stimmung leiden können.
Ein Problem der Schwellenländer ist zudem,
20 dass nur die asiatischen Staaten die Corona-
Pandemie bisher im Griff haben. Carmignac
beispielsweise hält sich deshalb bei den auf-
strebenden Volkswirtschaften zurück und ist
nur „in China gut investiert“, wie Majoros sagt.
0
Aber vielleicht ist für Anleger 2021 gar
Europa nicht ein Prozentpunkt mehr oder weniger
Deutschland Rendite vordringlich, sondern die Rückkehr
Schwellenländer Asien zu einem normaleren Leben – mit Urlaub,
USA
ausgehen und mal einem Konzert. Der Rest
Quelle: Deutsche Bank kommt dann hoffentlich fast von allein.
Capital Ausgabe 01/2021
 Werbung

Ausgezeichnet! Die DekaBank

ist Zertifikatehaus des Jahres und
beste Primärmarkt-Emittentin.*
Die Top-Platzierungen bei den wichtigsten Auszeichnungen
im deutschen Zertifikate-Markt unterstreichen die hervorragende
Qualität unseres Angebots. Mehr zu unseren Zertifikaten erfahren
Sie bei Ihrer Sparkasse oder unter deka.de/zertifikate.

Unterschätzen Sie die Zukunft nicht.

Die Wertpapierinformationen für Zertifikate sowie das gegebenenfalls verfügbare aktuelle Basisinformations-
blatt erhalten Sie bei Ihrer Sparkasse oder von der DekaBank Deutsche Girozentrale, 60625 Frankfurt und unter
www.deka.de * Mehr Informationen unter www.zertifikateawards.de sowie unter www.scope-awards.com/
award-2021/zertifikate/gewinner1
114
INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — Z E H N R E G E L N

Die Bilderserie „Bank Run“ ist an einigen der größten Finanzplätze der
Welt entstanden, in London, Tokio, Singapur und New York
 ZEHN
­REGELN FÜR
IHR GELD
2021 dürfte das
1
Jahr werden, in dem die In den neuen Dax 40
Wirt­schaft wieder investieren
auf die Beine kommt.
Was sollten Anleger
jetzt tun, um davon maxi­ Eine Investition in den Dax war in
den vergangenen Jahren ein schlech­
mal zu profitieren? tes Geschäft. Während die weltwei­
Zehn Ratschläge für ten Aktienmärkte boomten, kam
Ihre Finanzen – von der wichtigste deutsche Index kaum
Wandelanleihen über voran, nur die Einberechnung von
­D ividenden verdeckte die Misere
Immobilienfonds bis zu halbwegs. Zu sehr war der Dax bis­
Kryptowährungen lang von Problembranchen wie Au­
tos und Banken geprägt, als dass er
nur ansatzweise mit den von Techno­
logiewerten dominierten US-Börsen
hätte mithalten können. Der Wire­
card-Skandal tat sein Übriges.
Die Deutsche Börse hat nun
zum Befreiungsschlag ausgeholt
und führt strengere Regeln für die
Mitgliedschaft ein. Außerdem wird
TEXT:
der Dax im September 2021 von bis­
BIRGIT HAAS, NADINE
­O B E R­H U B E R , her 30 Unternehmen auf 40 aufge­
S T E FA N S C H A A F stockt. Die Berechnung geht dann
ohne Bruch weiter: Dax-ETFs und
-Zertifikate bilden einfach die neue
Zusammensetzung ab. Die Reformen
machen den Dax nach Einschätzung
von Analysten attraktiver: Mehr Un­
ternehmen bedeuten eine breitere
Streuung des Risikos, Problemunter­
nehmen können den Gesamtindex
weniger stark belasten als bisher,
und durch die Erweiterung sollten
grundsolide Unternehmen wie Sym­
rise und technologienahe Firmen
wie Zalando in den Index einziehen.
Der neue Dax wird laut Bör­
se wohl 83 bis 85 Prozent des deut­
schen Aktienmarkts abbilden. Mit
ihm können Anleger per ETF etwas
mehr Deutschland im Depot wagen.
In globalen Indizes wie dem MSCI
World ist das Land nur als Leichtge­
wicht vertreten. Doch gerade deut­
sche Aktien könnten im neuen Jahr
davon profitieren, dass viele der hier­
zulande börsennotierten Unterneh­
men voraussichtlich überdurch­
schnittlich stark von der Erholung
der Weltwirtschaft profitieren.
115
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — Z E H N R E G E L N
2 4
Auf Zykliker
setzen
Wann es passiert, ist ungewiss, aber
irgendwann werden sich Kinosäle,
Theater, Restaurants und Hotels wie-
der füllen. Ein gigantischer Konjunk-
turimpuls wird dann um die Welt ge-
hen, Konsumenten werden auf den
Kopf hauen, was sie im Lockdown ge-
spart haben. Damit schlägt die Stun-
de der Zykliker: Unternehmen, deren
Erfolg stark konjunkturabhängig ist.
„Wer jetzt nicht auf Zykliker setzt,
der glaubt, dass es keinen wirksamen
Impfstoff geben wird“, sagt Christian
Kahler, Aktienstratege der DZ Bank.
Carsten Roemheld, Kapital-
marktprofi der US-Vermögensver-
waltung Fidelity, listet die Sprin-
ter der kommenden Aufholjagd auf:
Energieunternehmen etwa im Solar-
bereich traut er 2021 ein Gewinnplus
von 130 Prozent zu, Herstellern von
Autos, Waschmaschinen und ande-
ren Waren jenseits des täglichen Be-
darfs eine Steigerung um mehr als
70 Prozent, bei Industrieunterneh-
men wie Siemens, deren Orderbü-
cher sich schon seit einigen Mona-
ten wieder füllen, sieht Roemheld
Zuwächse von rund 60 Prozent.
Industriewerte haben Aufholpotenzial
MSCI World vs. MSCI World Industrials in den
letzten zwei Jahren, indexiert
120
100
80
04.12.2018 04.12.2020
MSCI World
MSCI World Industrials
Quelle: Refinitiv
116
Europa und USA sehr teuer
Entwicklung der Kurs-Gewinn-Verhältnisse
des Euro Stoxx 50, S&P 500 und Hang Seng
(Hongkong) seit 2010, in Prozent
50
S&P 500
40 Euro Stoxx 50
Hang Seng
30
20
10
0
2010 2020
Quelle: Refinitiv
3
Bewertungen
ignorieren
In normalen Zeiten folgt der Akti-
enkurs eines Unternehmens dem
Gewinnwachstum. Aber 2020 war
nichts normal. Obwohl die Gewin-
ne jenseits weniger Ausnahmen wie
Amazon und Apple einbrachen, ha-
ben sich die Kurse erholt. Indizes
wie der japanische Nikkei oder der
S&P 500 haben längst das Vorkri-
senniveau übertroffen, das Kurs-Ge-
winn-Verhältnis (KGV) des US-Leit-
index nähert sich dem hohen Stand
der Jahrtausendwende an.
Für Anleger heißt das, dass sie
den Fokus bei der Aktienauswahl
stärker auf das Geschäftsmodell
als auf das KGV legen sollten. Bei-
spiel Salesforce: Der US-Cloud-An-
bieter ist mit einem KGV von knapp
133 Punkten ambitioniert bewertet.
Hinzu kommt, dass die Übernahme
des Messaging-Dienstes Slack für
rund 26 Mrd. Dollar auf die Bilanz
drückt. Aber der SAP-Konkurrent ist
mit seiner Software marktführend
und dürfte auch 2021 mindestens
so stark wachsen wie der Markt, der
laut den Trendforschern von Gartner
um mehr als 18 Prozent zulegen soll.
Goldbarren
horten
Steigt die Nervosität, greifen alle
zum Gold. Auch 2020 war die Welt­
reservewährung gefragt. Kurzzei-
tig durchbrach sie sogar die Marke
von 2 000 Dollar pro Feinunze – be-
achtlich, denn seit dem letzten gro-
ßen Hoch während der Finanzkrise
hatte sich der Goldpreis lange rela-
tiv stabil um die 1 300 Dollar bewegt.
Der große Anstieg kam dann im ver-
gangenen August, als die erste Coro-
nawelle schon abgeebbt war. Inzwi-
schen ist der Goldpreis wieder um
rund 200 Dollar gesunken.
Was lernt man aus diesen
Schwankungen? Erstens, dass Gold
als direkter Schutz vor Crashs nicht
taugt: Im Lockdown-Monat März fiel
der Kurs erst steil ab, bevor er um
30 Prozent zulegte. Viele Vermögens-
verwalter und Fondsmanager verra-
ten, dass sie nach dem Crash dann
ihre Goldbestände aufstockten. Der
Grund: Manchen begüterten Anle-
gern bereitet die Geldschwemme
der Notenbanken Sorgen – falls das
zur Inflation führt, wollen sie vorbe-
reitet sein. Wer also ernsthaft ums
Finanzsystem bangt, sollte jetzt ein
paar Barren horten, denn der Kauf-
zeitpunkt ist günstig. Man sollte das
Edelmetall dann aber dauerhaft im
Depot lassen. Einen Goldanteil von
rund zehn Prozent des liquiden Ver-
mögens empfehlen Portfoliomana-
ger eh zum langfristigen Werterhalt.
Der entscheidende Grund für
den aktuellen Goldanstieg war der
Sinkflug des Dollars: seit März von 93
auf 83 Eurocent. Da steigt natürlich
der Goldpreis, weil er in Dollar no-
tiert ist. Anleger ohne Systemängste
können mit Gold also kurzfristig zo-
cken, am besten über ein ETC-Index-
papier, denn der Dollar bleibt wohl
schwach, und der enge Goldmarkt
wird stark durch Inflationsspekulan-
ten bewegt. Letzteres sollte Zockern
gleichzeitig eine Warnung sein.
Capital Ausgabe 01/2021

Nikkei läuft davon
Entwicklung der Börsen in Schanghai
und Tokio im Vergleich
zum Euro Stoxx 50, in Punkten
25 000
20 000
15 000
10 000
5 000
0 die Kapitalmärkte bleiben: Je höher
2010
Nikkei 225
Shanghai Composite
Euro Stoxx 50
Quelle: Refinitiv; Stand: 04.12.2020
5
Nach Asien
schauen
China ist der Streber unter den gro-
ßen Volkswirtschaften: Mit wohl
1,8  Prozent Wachstum ist es die
einzige, die 2020 nicht schrumpft.
Nicht nur wegen des rigiden Lock-
downs: „In früheren Krisen hat Chi-
na die Verschuldung hochgefahren.
Diesmal nicht, was ein Zeichen neu-
er Resilienz ist“, sagt Jeremy Lawson,
Chefstratege beim Fondshaus Aber-
deen Standard.
Auch andere asiatische Län-
der, etwa Japan, haben die Aus-
wirkungen der Pandemie besser
weggesteckt als der Westen. „Asi-
en profitiert von seinem robusten
verarbeitenden Gewerbe, die wirt-
schaftliche Erholung ist hier weit
fortgeschritten“, sagt Tilmann Gal-
ler, Marktstratege der US-Bank JP
Morgan. Europäische Aktien dürf-
ten sich zwar erholen, aber Asien
wird wohl auch 2021 mit höherem
Wachstum als Europa glänzen: Der
IWF geht von mehr als acht Prozent
aus, für die Eurozone aber nur von
knapp fünf Prozent. Hinzu kommt:
Im Vergleich zum MSCI World sind
asiatische Aktien unterbewertet.
6 7
Cash
bunkern
Europa und Nordamerika stehen
möglicherweise vor einem langen,
nervenzehrenden Corona-Winter.
Zudem drohen politisch unruhige
Wochen rund um die Amtsüberga-
be von Donald Trump an Joe Biden.
Beides wird nicht ohne Wirkung auf
2020 die Unsicherheit der Investoren, des-
to eher steigen sie aus Aktien und an-
deren Risikoanlagen wie Hochzins-
anleihen aus – und die Kurse fallen.
Privatanleger tun also gut da­
ran, vorsichtig ins neue Jahr zu star-
ten – und zunächst einmal, wie es so
schön heißt, ihr Pulver trocken zu
halten. Für Sparplansparer dagegen
gilt: Einfach weiterlaufen lassen, in
guten wie in schlechten Tagen, denn
beides gleicht sich erfahrungsgemäß
zugunsten der Anleger mehr als aus.
Für das geduldige Abwarten
bietet sich vor allem ein Tagesgeld-
konto an, das bis zu einem Betrag
von 100 000 Euro der deutschen Ein-
lagensicherung unterliegt. Es bringt
zwar keine Zinsen, ist aber ähnlich
sicher wie eine Anlage in Bundesan-
leihen – und bei denen liegen die no-
minalen Renditen derzeit tief im ne-
gativen Bereich.
Cash sollte nicht nur für den
Einstieg in den Aktienmarkt ge-
bunkert werden. Es empfiehlt sich
grundsätzlich, einen Teil des Ver-
mögens in recht sichere, wenn auch
renditearme Anlagen zu investieren.
Das stabilisiert in Krisen. Und ver-
hindert, dass man bei unvorhergese-
henen Ausgaben Anlagen mit hohen
Verlusten abstoßen muss. Geeignet
sind global anlegende Anleihefonds
– ob aktiv oder passiv. Sie enthalten
sichere, renditearme Bonds und in
kleineren Mengen renditestärke-
re Unternehmens- oder Schwellen-
länderanleihen. Meist schütten die-
se Fonds sogar noch regelmäßig eine
kleine Rendite aus.
Industriemetalle
kaufen
Dass die Konjunktur wieder anzieht,
gilt für 2021 als so gut wie sicher,
denn ewig wird Corona die Wirt-
schaft nicht ausbremsen. In solchen
Aufschwungphasen setzt man am
besten nicht nur breit auf Aktien,
sondern auch speziell auf Industrie-
metalle, etwa Rhodium, Palladium
und Kupfer. Die Rohstoffe werden
dann wieder reichlich benötigt, weil
die Autokonzerne und Elektronik-
hersteller Unmengen davon in ihren
Produkten verbauen.
Und längst nicht jedes Metall
kann bei rasant steigender Nach-
frage sofort in ausreichender Men-
ge auf den Markt geworfen werden.
Kupfer zum Beispiel ist derzeit im-
mens gefragt und bereits knapp. Des-
halb stieg sein Preis allein zwischen
Ende Oktober und Ende Novem-
ber um 20 Prozent. Viele Industrie-
metallpreise schwanken auf Jahres-
sicht um 30 bis 60 Prozent, da sind
kurzfristig hohe Gewinne drin. Am
besten also einen Rohstoff-ETF kau-
fen, der den Schwerpunkt auf Indus-
triemetalle legt oder viele Aktien von
­Minenbetreibern bündelt.
Metalle laufen glänzend
MSCI World Metals & Mining vs.
MSCI World, indexiert
150
100
50
0
–50
03.12.2015 02.12.2020
MSCI World
MSCI World Metals & Mining
Quelle: Onvista
117
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — Z E H N R E G E L N
8 10
Wandelanleihen
ausprobieren
Es gibt am Kapitalmarkt noch Rendi-
ten jenseits von Aktien – aber nur in
Nischen. Eine ist der Markt für Wan-
delanleihen, der nach Berechnungen
der Fondsgesellschaft Lupus alpha
rund 500 Mrd. Dollar groß ist. Der
Vorteil der „Convertible Bonds“ ist
ihr Charakter als Zwitter zwischen
Anleihen und Aktien: Sie bieten hö-
here Renditen als klassische Unter-
nehmensanleihen, sind aber weni-
ger riskant als Aktien.
Das liegt an ihrer Konstruk-
tion. Sie sind Unternehmensanlei-
hen mit einem Wandlungsrecht, das
es Investoren erlaubt, die Bonds zu
einem vorgegebenen Preis in Akti-
en des Unternehmens zu tauschen.
Bis dahin gibt es eine regelmäßige
Zinszahlung. Wer nicht wandelt, be-
kommt am Ende seinen Einsatz zu-
rück. Der Wandlungspreis sichert
das Aktienrisiko nach unten ab, der
Kupon bringt Rendite. Allerdings ist
die Analyse von Wandelanleihen ma-
thematisch ähnlich kompliziert wie
bei Optionen. Das sollten Anleger
Profis überlassen, also einem akti-
ven Fondsmanager.
In der Mitte
Globaler Vergleich von Aktien, Wandelanlei-
hen und Unternehmensanleihen, indexiert
200
150
100
50
30.12.2014 30.11.2020
 andelanleihen global (Refinitiv Global
W
Hedged Convertible Bond, Euro)
Aktien global (MSCI World Hedged to
Euro Net Total Return)
Unternehmensanleihen global (iBoxx
Euro Corporates Overall Total Return)
Quelle: Lupus alpha
118
Stabile Immobilienrenditen
Renditen offener Immobilienfonds
seit 2013. Für 2020 werden sie etwas
geringer geschätzt, in Prozent p. a.
3
2 Chef der weltgrößten Vermögens-
1 Markt für die Kryptowährung sei
0 keit ein, dass sich die Digitalwäh-
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
2020
Quelle: Scope
9
Offene Immobilien­
fonds kaufen
Ein paar wenigen Anlagebereichen
konnte nicht einmal Corona etwas
anhaben – etwa dem Immobilien-
markt. Wohnen müssen die Leute
immer, also steigen die Hausprei-
se unbeirrt weiter. Auch wer selbst
nicht das Glück hat, ein Eigenheim
zu besitzen, kann vom Häuserboom
profitieren: mit Immobilienfonds.
Sie bringen Stabilität und diversi-
fizieren das Depot, vor allem wenn
man sonst stark auf Aktien setzt.
Wichtig aber: Gemanagte offe-
ne Immobilienfonds sind hier besser
als passive Immobilienindexfonds.
Die ETFs bündeln Aktien weltweiter
Immobilien-AGs – damit hängt man
wieder arg am Aktienmarkt. Zudem
schwanken die Immobilienpreise in
anderen Ländern gewaltig. Hiesige
offene Immobilienfonds dagegen er-
werben jeweils Dutzende Großim-
mobilien und bewirtschaften sie.
Miet- und Verkaufserlöse mehren
die Ausschüttungen und Kurse. Man
sollte aber unbedingt Fonds mit Fo-
kus auf deutsche Wohnimmobilien
wählen – Gewerbe- und Hotelobjekte
sind gerade jetzt ein großes Wagnis.
Auf fallende
Bitcoins wetten
Larry Fink hat seine Meinung geän-
dert. Noch vor zwei Jahren sagte der
verwaltung Blackrock: „Der Bitcoin
wird scheitern.“ Anfang Dezember
klang das plötzlich ganz anders. Der
zwar noch klein, sagte Fink, doch er
räume nun durchaus die Möglich-
rung zu einem globalen Asset entwi-
ckeln könnte, das realen Währungen
wie dem Dollar einen Bedeutungs-
verlust beschert. Auf Finks Mei-
nungswandel reagierte der Bitcoin-
Kurs erwartungsgemäß mit einem
Sprung nach oben – bis knapp unter
die 200 000-Dollar-Marke.
Die Kursentwicklung der nach
Marktkapitalisierung größten Kryp-
towährung verlockt tatsächlich zum
Kauf. Zumal Bitcoins gerade in tur-
bulenten Zeiten Sicherheit sugge-
rieren, weil die Währung in einem
eigenen System jenseits konjunktu-
reller Probleme existiert. Doch An-
leger seien gewarnt. Bitcoins haben
kaum einen realen Gegenwert, au-
ßer man will Drogen im Darknet kau-
fen oder auf dem Devisenmarkt spe-
kulieren. Dass Unternehmen wie die
Deutsche Börse inzwischen mit der
Blockchain-Technologie Aktienhan-
del betreiben, verleiht dem Bitcoin
auch keinen Mehrwert.
Die Sicherheit ist trügerisch.
Zwischen 2013 und 2015 etwa brach
der Kurs um knapp 85 Prozent ein,
Ende 2017 um rund 65 Prozent – An-
leger verloren Milliarden an realem
Geld. Setzt 2021 eine Erholung der
Weltwirtschaft ein, dürften viele Bit-
coin-Investoren wieder in sicherere
Anlagen wechseln. Der Crash wäre
dann vorprogrammiert. Krypto-In-
teressierte warten also entweder ab,
bis sich Finks Prophezeiung bewahr-
heitet hat. Oder sie wetten auf fallen-
de Bitcoin-Kurse.
Capital Ausgabe 01/2021
Smartes Geld
schlägt keine
Wurzeln, sondern
Märkte.
Smartes Geld hat für 2021 Großes vor. Denn nachdem
LIQID das Vermögen seiner Kunden auch im Börsenjahr
2020 sichern und vermehren konnte, sind unsere
Strategien auch für 2021 auf Erfolg getrimmt.

Finden Sie heraus, wie auch Sie profitieren können:

Besuchen Sie uns online oder rufen Sie uns einfach an.

Jetzt informieren:

.de
030 3080 7083
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — Z E H N R E G E L N & R Ü C K B L I C K

DAS GEHÖRT 2021 INS DEPOT

Mit diesen ausgewählten
Basisanlagen orientieren sich Anleger
an den zehn Regeln für 2021

ISIN 3-JAHRES- VOLATILITÄT KGV LAUFENDE

RENDITE 3 JAHRE KOSTEN
in Prozent p. a. in Prozent in Prozent p. a.

1. In den Dax 40 investieren

Xtrackers Dax ETF 1 LU 027 421148 0 0,9 18,7 15,0 0,09
Deka Dax ETF 2 DE 000 ETFL06 0 0,7 18,5 15,0 0,15
2. Auf Zykliker setzen
Xtrackers Stoxx Europe 600 Industr. ETF 1 LU 029 210608 4 6,6 20,6 21,4 0,30
Acatis Fair Value Aktien Global 2 LI 001 750238 1 6,6  16,6 – 2,12
3.Bewertungen ignorieren
JPM US Technology 1 LU 015 905271 0 35,2 23,5 – 1,74
Xtrackers MSCI USA IT ETF 2 IE 00B GQYRS4 2 27,0 21,0 63,5 0,12
4. Goldbarren horten
Xetra Gold DE 000 A0S9GB 0 11,6 10,1 – –
Invesco Physical Gold ETC IE 00B 579F32 5 10,9 11,4 – 0,19
5. Nach Asien schauen
DekaLuxTeam-Aktien Asien 2 LU 005 285925 2 7,3 18,0 – 1,47
iShares Nikkei 225 UCITS ETF 1 IE 00B 52MJD4 8 6,9 17,0 26,7 0,48
6. Cash bunkern
DPAM Bonds Universalis Unconstrained 2 LU 096 659296 5 5,5 5,6 – 0,63
iShares Global Aggr. Bond ETF (Euro) 2 IE 00B DBRDM3 5 2,3 k. A. – 0,10
7. Industriemetalle kaufen
Wisdom Tree Industrial Metals GB 00B 15KYG5 6 1,1 15,8 – 0,49
Blackrock Global Funds World Mining LU 007 505655 5 10,2 27,1 – 2,07
8. Wandelanleihen ausprobieren
UBS (Lux) Convert Global (Euro) 2 LU 031 516579 4 6,4 11,7 – 1,87
Fisch Convertible Global Sust. Fund 1 LU 042 895342 5 5,8 8,0 – 1,67
SPDR Refinitiv Global Conv. Bond ETF 2 IE 00B NH7208 8 11,6 12,4 – 0,50
9. Offene Immobilienfonds kaufen
Fokus Wohnen Deutschland  DE 000 A12BSB 8 5,1 1,3 – 1,55
Wertgrund Wohnselect DE 000 A1CUAY 0 7,2 2,4 – 3,71
10. Auf fallende Bitcoins wetten
Vontobel Short Mini Future Bitcoin CH 058 142899 9 – – – 0,35
21Shares Short Bitcoin ETP CH 051 406505 8 – – – 2,50

Quellen: Morningstar, Fondsweb, Anbieterangaben, eigene Recherchen;

1) thesaurierend 2) ausschüttend 3) KGV im Aktienanteil Stand: 06.12.2020

120 Capital Ausgabe 01/2021

 WIE GUT WAREN WIR?
Niemand hatte eine globale Pandemie mit Lockdowns Anfang
2020 auf dem Zettel. Alle Prognosen waren obsolet. Wir fragen uns
trotzdem, wie unsere Empfehlungen abgeschnitten haben
Erinnert sich noch jemand an den März? Als
die Aktienmärkte rasant einbrachen, da sich
das neuartige Coronavirus rasant ausbreite-
te und Regierungen rund um den Globus die
Wirtschaft in eine Schockstarre versetzten?
Am Ende dieses denkwürdigen Jahres 2020
ist davon am Aktienmarkt kaum noch etwas
zu spüren. Wichtige Barometer wie der US-
Leitindex S&P 500 sowie die MSCI-Indizes für
Industrie- und Schwellenländer verbuchen
(Stand Anfang Dezember) satte Anstiege.
Das führt zu einer absurden Situation:
Als Capital Ende 2019 nach dem eher durch-
wachsenen Jahr dazu riet, auch 2020 wieder
mutig in Aktien zu investieren, unterstellten
wir eine konjunkturelle Erholung. Stattdes-
sen führte die Pandemie zur größten Rezes-
sion in den entwickelten Ländern seit dem
Zweiten Weltkrieg. Und doch hat es sich im
Nachhinein als richtig erwiesen, sein Geld
global breit gestreut in Aktien anzulegen.
Der Grund war jedoch nicht das unter-
stellte Szenario, das von Covid-19 über den
Haufen geworfen wurde, sondern, das müs-
sen wir fairerweise einräumen, das beherzte
Eingreifen der Notenbanken und der Fiskal-
politik. Oder wie Finanzminister Olaf Scholz
im März sagte: „Alle Waffen auf den Tisch!“
Regional gab es aber erneut große
­Unterschiede. Insbesondere die von vielen
Analysten für 2020 ausgerufene Aufholjagd
europäischer Aktien blieb einmal mehr aus.
Im Gegenteil: Sie waren 2020 sogar ein kla-
res Verlustgeschäft. Deutlich besser hielten
sich die von uns empfohlenen hoch bewer­
teten Qualitätsaktien aus Europa, die nur
rund zwei Prozent nachgaben (Stoxx 600:
–5,6 Prozent).
Selbstkritisch müssen wir hingegen
einräumen, dass wir die ungebrochene Rally
der großen Technologietitel in den USA un-
terschätzt haben. Sie verhalf dem S&P 500
zu Rekordständen, Anfang Dezember no-
TEXT:
S T E FA N S C H A A F
Gold überholt Aktien
Wertentwicklung
diverser Anlageklassen
2020, in Prozent
30
0
–30
Gold
Aktien USA
Aktien Schwellenländ.
Aktien Industrieländ.
Anleihen weltweit
Anleihen Eurozone
Aktien Deutschland
Aktien Europa
Rohstoffe
Ölpreis
Bezogen auf: Feinunze in
Dollar, S&P 500, MSCI Emer-
ging Markets, MSCI World,
Bloomberg Barclays Global
Aggregate (Euro), Bbg. Bar-
clays Euro Aggregate, Dax,
Stoxx 600, CRB-Index, Brent
in Dollar/Barrel
Quellen: Refinitiv, Bloomberg
Stand: 04. Dezember 2020
tierte er bei rund 3 700 Punkten und damit
am oberen Ende der Prognoseskala. Unsere
­Regel „USA halten“ war im Rückblick also zu
defensiv angelegt. Wer sie beherzigte, nahm
immerhin die Rally an der Wall Street mit.
Richtiggelegen haben wir hingegen mit
der Empfehlung, in aktiv gemanagte Schwel-
lenländerfonds zu investieren. Manager, die
auf die schnelle Erholung in China – immer-
hin Ursprung der Pandemie – setzten, konn-
ten den Markt deutlich schlagen. Einmal
mehr eine Enttäuschung waren Anlagen in
den Dax, der im Jahresvergleich trotz einge-
rechneter Dividenden mehr oder minder auf
der Stelle tritt. Belastend wirkte die Schwä-
che vieler Industrietitel, die besonders unter
dem Konjunktureinbruch litten.
Und dann war noch der Mega-Image-
schaden für den Dax durch das Wirecard-De-
saster. Aufmerksame Capital-Leser konnten
übrigens den Totalverlust vermeiden. Wir
schrieben Ende 2019: „Der Finanzdienstleis-
ter ist ein Dauersorgenkind, und das wird er
bleiben, solange nicht alle Vorwürfe entkräf-
tet sind, dass der Konzern bei Bilanzen und
Rechnungen getrickst hat.“
Klar falsch lagen wir hingegen mit un-
serer Empfehlung „Frankreich statt Deutsch-
land“: Der Pariser Leitindex CAC 40 büßte
2020 mehr als sechs Prozent ein. Die Coro-
na-Pandemie, die das Land eben besonders
schwer traf, wirkte sich auch wirtschaftlich
besonders schlimm aus.
Ebenso nicht auf der Rechnung konnten
wir haben, dass wegen der Pandemie die Zin-
sen noch einmal deutlich sinken und damit
die Kurse von Anleiheprodukten steigen wür-
den. Gleiches gilt für Gold, das bei fallenden
Zinsen meist teurer wird. Wer zu Beginn des
Jahres 2020 in Gold einstieg, kann sich über
ein ordentliches Plus freuen. Wer allerdings
auf dem Höhepunkt der Pandemie im März
Gold kaufte, der hat Verluste gemacht.
121
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — I N T E R V I E W

122 Capital Ausgabe 01/2021

 „2021 WIRD EIN
GUTES JAHR“ Impfstoffe werden dem Coronavirus den Schrecken nehmen,
sie wirken wie ein Konjunkturprogramm, sagt Pimco-Chefvolkswirt
Joachim Fels. Dafür drohen alte und neue Risiken
Herr Fels, dieses Jahr stand wirtschaft- I N T E RV I E W:
lich, politisch und gesellschaftlich im BIRGIT HAAS UND
Bann von Covid-19. Wie lange wird die S T E FA N S C H A A F
Pandemie uns noch begleiten?  … Sie meinen eine wachsende Zahl von
Bekommen wir im neuen Jahr tatsäch-
lich die Impfstoffe und lassen sich die Men-
schen auch impfen, sind wir die Pande-
mie vielleicht Ende des nächsten Jahres los.
Aber ökonomisch wird sie uns noch län-
ger begleiten. Es werden Narben bleiben.
Im Euro­raum werden wir das Niveau der
J OAC H I M F E L S
Wirtschaftsaktivität von vor der Pandemie
frühestens im Jahr 2022 wieder erreichen. Der Volkswirt
Die Rückkehr zum alten Wachstumstrend ­Joachim Fels, 58, ist
wird sogar noch länger dauern.   seit 2015 Chef­
ökonom der Allianz-
Was sind das für Narben, die da bleiben?
Tochter Pimco. Die
Wir haben in vielen Ländern erhöhte Ar- Fonds­gesellschaft
beitslosigkeit und längere Kurzarbeit. Ty- verwaltet rund
pischerweise sinkt in solchen Phasen die zwei Billionen Dollar
Arbeitsproduktivität. Es gibt so etwas wie (Ende September).
Dislearning by Not Doing, also das Gegenteil Fels studierte
von Learning by Doing. Wer konstant arbei- in Kiel und Saarbrü­
Foto: Albert Cheung/PR
cken, wo er auch
tet, wird in der Regel besser. Das Gegenteil
aufwuchs, sowie
ist der Fall, wenn die Menschen länger ar- in Bologna und ar­
beitslos sind. Zudem sorgt die immer noch beitete zuvor bei
hohe Unsicherheit dafür, dass Unterneh- Morgan Stanley und
men weniger investieren. Damit sinkt das Goldman Sachs.
langfristige Wachstumspotenzial, und wir
beobachten eine zunehmende Zombifizie-
rung der Wirtschaft …
Unternehmen, die künstlich am Leben ge-
halten werden?
Aus guten Gründen versuchen unsere Re-
gierungen derzeit, jedes Unternehmen am
Leben zu halten und eine Brücke in die Er-
holungsphase zu bauen. Aber das bedeutet,
dass viele Unternehmen erhalten werden,
die weder ausreichend produktiv noch profi-
tabel sind. Auch das bremst das langfristige
Wachstumstempo. 
Wie lange werden die Volkswirtschaf-
ten diese staatlichen Hilfen brauchen, um
die geringere Nachfrage auszugleichen?   
Für die nächsten zwei bis drei Jahre si-
cher, und wenn nicht etwas Absurdes in
der Politik passiert, wird es diese geld-
und fiskalpolitische Unterstützung auch
geben. Mit der Zeit können die staatli-
chen Hilfen auch langsam sinken. Denn
die Impfstoffe wirken im Grunde ebenso
wie ein Fiskalimpuls. Sie werden uns er-
lauben, wieder etwas zu unternehmen, zu
reisen, in Restaurants zu gehen. Der
123
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — I N T E R V I E W
­ ienstleistungssektor wird eine kräftige
D haben – mit hohen Renditen auf fast alle Fi-
­Erholung erleben.   nanzanlagen und niedriger Volatilität.
Bei Pimco treffen Sie sich einmal im Jahr
für drei Tage, Sie nennen das „Secular
Outlook“, und diskutieren über die Zu-
kunft der Kapitalmärkte. Hat die digitale
Variante in diesem Jahr etwas verändert?
Wir hatten in der Spitze 1 500 Teilnehmer,
unter anderem den früheren Chef der US-
Notenbank Ben Bernanke, außerdem die
beiden früheren EZB-Chefs Jean-Claude Tri-
chet und Mario Draghi sowie die ehemalige
US-Außenministerin Condoleezza Rice. Vir-
tuell ist das zwar ein bisschen schwieriger
zu managen, aber die Diskussion war noch
intensiver und vielfältiger. Video macht alle
Menschen gleich. Sie trauen sich eher mit-
zudiskutieren, als wenn sie in einem Raum
mit den ganzen Chefs sitzen.
Die Ergebnisse tragen den Titel „Eskalie-
rende Marktumbrüche“. Das klingt ge-
fährlich, was kommt da auf uns zu?
So einiges, wir sprechen von Störfaktoren
für die Weltwirtschaft und die Finanzmärk-
te. Sie bereiten uns schon seit geraumer Zeit
Sorgen, aber wegen der Pandemie und der
Reaktionen darauf werden einige davon sich
noch verstärken.
Was meinen Sie konkret?
Zum einen der Aufstieg Chinas zur welt-
weit führenden Wirtschaftsmacht. In China
hatte das Virus zwar seinen Ursprung, das
Land ist aber sehr viel effizienter damit um-
gegangen. Als einzige große Volkswirtschaft
wird China in diesem Jahr wachsen. Dieser
Aufstieg wird jedoch weitere Spannungen
zwischen den USA und China provozieren,
weil die Vereinigten Staaten sich als führen-
de Wirtschaftsmacht herausgefordert füh-
len. Der neue US-Präsident Joe Biden wird
sicher einen anderen Ton anschlagen und
keine Außenpolitik über Twitter betreiben,
aber an der Substanz der Politik wird sich,
glaube ich, nicht viel ändern.
Was wird die Märkte noch stören?
Ein zweiter Störfaktor ist der Populismus.
Einer seiner Triebfedern ist die wachsen-
de Ungleichheit bei Einkommen und Vermö-
gen, die Pandemie verstärkt das noch. Hinzu
kommen die Umbrüche durch die Digitalisie-
rung sowie den Klimawandel, die im Unter-
nehmenssektor Gewinner und Verlierer pro-
duzieren werden. Das Resultat wird ein ganz
anderes Marktumfeld sein als das, an das wir
uns im zurückliegenden Jahrzehnt gewöhnt
124
Bei Technologie und Klimawandel kön-
nen sich viele Anleger vorstellen, wer die
Gewinner und Verlierer sein werden. Wie
können sie aber auf die beiden anderen,
eher politischen Störfaktoren reagieren?
Für Anleger gilt in solchen Zeiten: Konzen-
trier dich auf den Kapitalerhalt und nicht
auf Erträge. Man sollte sehr breit diversifi-
ziert sein, sowohl regional als auch über die
Anlageklassen hinweg. Ich weiß, das ist kei-
ne angenehme Nachricht. Für Anleger kann
es sich aber lohnen, ein bisschen Pulver tro-
cken zu halten – nicht unbedingt als Cash,
aber in Form von sicheren und liquiden An-
lagen. Übertreiben die Märkte dann nach
unten, können sie einsteigen.
Jetzt haben Sie erläutert, wie unsere Le-
ser ihr Depot schützen können. Sollten sie
im neuen Jahr auch wieder etwas wagen?
Ja, aber begrenzt. Es sieht danach aus, dass
wir in ein paar Monaten mehrere Impfstoffe
zur Verfügung haben und im Laufe des Jah-
res eine sehr kräftige Konjunkturerholung
bekommen werden. Gerade Sektoren wie
der Tourismus, die sehr stark von der Pan-
demie betroffen waren, werden sich deut-
lich erholen. Außerdem werden die No-
tenbanken weiter stützen, auch wenn die
Konjunktur bereits angesprungen ist. Des-
halb wird 2021 ein gutes Jahr für Anleger.
Viele Menschen machen sich dennoch
Sorgen, weil die Geldpolitik schon seit
über zehn Jahren sehr expansiv ist. Kann
deren Wirkung eines Tages ins Negative
Die Geldmenge
umschlagen?
wächst rasant Das ist möglich, aber nicht im kommenden
Kumulierter Zuwachs Jahr. Es gibt zwei Szenarien mit sehr unter-
seit 2015, in Prozent schiedlichen Auswirkungen. Das erste ist:
60 Bleiben Geld- und die Fiskalpolitik expansiv
und normalisiert sich die Wirtschaft, steigt
das Risiko einer höheren Inflation. Das ist
weder in 2021 noch in 2022 zu erwarten.
Aber danach ist dies ein mögliches Ergebnis.
30 Ist das zweite Szenario erfreulicher?
Nein, es bietet auch keinen schönen Aus-
blick. Es ist ein Deflationsszenario, das ich
für fast genauso wahrscheinlich halte wie
das der steigenden Inflation. In diesem Sze-
0
2015 2020 nario fahren die Staaten ihre Hilfsprogram-
me zurück, die Notenbanken würden darauf
Euroraum aber reagieren, indem sie ihre Geldpoli-
USA
tik locker halten oder noch weiter lockern.
Quelle: OECD Das Risiko von Blasen in einzelnen Anlage-
Capital Ausgabe 01/2021
klassen würde so weiter steigen – und wenn
die platzen, droht eine Deflation. Die Wahr­
scheinlichkeit beider Extremszenarien zu­
sammen ist höher als die Wahrscheinlich­
keit, dass keines von beiden eintritt.
Heißt das, dass wir uns von der ursprüng­
lichen Idee verabschieden müssen: dass
wir nämlich über die niedrigen Zinsen zu
einer höheren Inflation und damit auch
wieder zu höheren Zinsen kommen wer­
den – also kein Zurück in die alte Welt?
Ich will nicht ausschließen, dass wir uns
in der Mitte zwischen den beiden Extrem­
szenarien durchbewegen. Aber die Wahr­
scheinlichkeit dafür ist deutlich gesunken.
Das liegt an den Risiken, die sich weiter auf­
bauen. Wir geraten in eine Erholung, wobei
alle Assetklassen bereits stark an Wert ge­
wonnen haben. Im Jahr 2009 etwa, also vor
dem Aufschwung nach der globalen Finanz­
krise, lag der US-Leitindex S&P 500 am Tief­
punkt bei 666 Punkten. Aktuell steht er bei
mehr als 3 600 Punkten, obwohl sich die Er­
tragsaussichten verschlechtert haben. Das
führt zu Spannungen. Höhere Volatilität er­
zeugt zwar Gelegenheiten, Geld zu investie­
ren. Aber insgesamt ist das ein schwierige­
res Umfeld für Anleger.
Könnten Notenbanken und Regierungen
überhaupt noch einmal so wie derzeit auf
ein Schockereignis reagieren? Oder sind
sie am Ende ihrer Kräfte?
Wir haben im Jahr 2020 gelernt, dass die
Notenbanken noch immer eine ganze Men­
ge bewirken können. Sie haben im Prinzip
eine unbegrenzte Bilanz und können aus
dem Nichts heraus Wertpapiere kaufen. In
„BLEIBEN GELD- UND
FISKALPOLITIK
EXPANSIV, STEIGT DAS
RISIKO EINER
HÖHEREN INFLATION“
einer Krise können sie so starke Marktver­
werfungen verhindern. Aber die Geldpoli­
tik allein wird die Inflation nicht dauerhaft
in die Höhe treiben und die Konjunktur be­
leben. Die Notenbanken haben es mit allen
Mitteln versucht, aber das hat nicht funktio­
niert. Sie brauchen dazu die Finanzpolitik.
Aber die ist doch kaum noch handlungs­
fähig, so stark wie die Verschuldung in
der Pandemie angestiegen ist.
Die Finanzpolitik kann schon noch eine
ganze Menge machen. Aber neben der Un­
terstützung durch die Notenbanken ist da­
für ein politischer Konsens nötig. Jetzt ge­
rade, in der Pandemie, ist der vorhanden.
In einer künftigen Rezession aber, die viel­
leicht durch etwas ganz anderes ausgelöst
wird – etwa stark fallende Vermögenspreise
oder die Überschuldung von Unternehmen
–, ist nicht klar, ob dieser Konsens noch ein­
mal ausreicht. Man kann sich also nicht da­
rauf verlassen, dass die Finanzpolitik immer
handlungsbereit ist.
Gerade die Deutschen betrachten Staats­
schulden ja sehr skeptisch. Nach dem Co­
ronaschock wird von einigen bereits wie­
der die schnelle Rückkehr zur schwarzen
Null gefordert. Wie realistisch ist das?
Na ja, auf der einen Seite machen sich die
Leute Sorgen über Schulden. Auf der ande­
ren Seite wollen oder müssen alle mehr spa­
ren, etwa für den Ruhestand – und dafür
brauchen sie Anlagemöglichkeiten, meist
Anleihen, also Schulden. Legen auch die Un­
ternehmen mehr zurück, als sie investieren,
muss jemand anderes in Gegenleistung tre­
ten. Und das kann in einer Welt mit einem
strukturellen Sparüberhang nur der Staat
sein. Insofern sind die Schulden des Staates
die Ansprüche des Bürgers an den Staat.
Sie investieren bei Pimco klassisch in
Staatsanleihen. Wo finden Sie bei den ul­
traniedrigen Zinsen hier noch Rendite?  
Ja, das ist schwierig geworden, aber nicht
unmöglich. Allerdings bevorzugen wir
Bonds mit positiven Renditen und solche,
bei denen es noch die Möglichkeit für Kurs­
gewinne gibt, wenn etwas schiefgeht oder
Störfeuer auflodern.
Also legen Sie weiterhin in US-Staatsan­
leihen an, obwohl deren Zehnjahresren­
dite unter ein Prozent gesunken ist?
Genau, wir haben 2020 gelernt, dass selbst
bei negativen Renditen wie bei deutschen
Bundesanleihen, die Renditen bei
125
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — I N T E R V I E W

­ inem Schock weiter fallen und die Kurse

e in den Himmel wachsen. Wir erwarten auf-
steigen können. Insofern kann ein gewisser grund der beschriebenen Narbenbildung
Anteil an Staatsanleihen im Portfolio immer im nächsten Aufschwung deutlich niedrige-
noch sinnvoll sein. re Wachstumsraten. Zudem wird der Pro-
Aber die Sicherheit der Vergangenheit zess der Deglobalisierung Sand ins Getriebe
bieten sie nicht mehr, oder?  der internationalen Arbeitsteilung streu-
Natürlich gibt es weniger Kurspotenzial. Si- en. Unternehmen versuchen, ihre Lieferket-
cherheit bieten Staatsanleihen aber im- ten zu verkürzen und eher wieder näher an
mer noch. Ich halte es für unwahrschein- die Heimat zu bringen. Das bedeutet höhere
lich, dass es bei den großen, entwickelten Kosten für Unternehmen. Hinzu kommt das
Volkswirtschaften jemals zu einem Bankrott Risiko einer zunehmenden Regulierung, vor
kommt. Wir sind alle gewöhnt, für Versiche- allem bei den Technologieunternehmen.
rungen eine kleine Prämie zahlen. Staatsan- Das heißt, die Unternehmen machen we­
leihen sollte man ähnlich betrachten.   niger Gewinne in Zukunft?
Viele wurden dennoch während des Richtig. Der langfristige Anstieg der Ge-
Crashs im März davon überrascht, wie winnquote, also der Anteil der Unterneh-
eng die Liquidität war – teilweise gab es mensgewinne an der volkswirtschaftlichen
keine Preise mehr. Kann so etwas noch Leistung, ist über die vergangenen 20 Jah-
mal passieren?   re deutlich gestiegen. Das wird sich wahr-
Diese Art von Illiquidität bei Staatsanlei- scheinlich eher umkehren. Ich glaube, es
hen ist ein kurzfristiges Marktphänomen. wäre falsch, zu einem Zeitpunkt in Aktien
Es rührt daher, dass ein großer Teil die- oder andere riskantere Anlagen zu gehen,
ser Staatsanleihen schon im Besitz der No- wenn sich die Wachstumsaussichten ver-
tenbanken ist, und ist darüber hinaus eine schlechtern.  
Konsequenz aus einer durchaus wohlmei- Sind Schwellenländer eine Alternative? 
nenden und im Großen und Ganzen auch Ganz wichtig ist für Anleger die globale Di-
richtigen stärkeren Regulierung des Ban- versifizierung. Viele Schwellenländermärk-
kensektors. Die Kreditinstitute halten des- te sind nicht so teuer wie die entwickel-
halb weniger Anleihen oder kaufen weniger ten Märkte. Leider gibt es dafür oft gute
am Markt auf. Die Notenbanken sind aber Gründe. Die politische Unsicherheit ist hö-
sehr schnell eingeschritten und haben den her, und viele Schwellenländer haben nicht
Markt wieder zum Funktionieren gebracht. mehr das richtige Wachstumsmodell für
Wenn aber Anleihen kaum noch Rendite­ diese neue Welt nach der Pandemie. Des-
möglichkeiten bieten, müssen Anleger halb muss man genau hinschauen. Asien ist
doch umschichten. Gilt also noch die alte sehr viel besser durch die Pandemie gekom-
Regel, wonach die persönliche Aktien­ men, und die Länder sind politisch stabiler
quote mit zunehmendem Alter herunter­ als etwa in Lateinamerika.
gefahren werden sollte?  Was macht Ihnen im nächsten Jahr und
Das kommt natürlich immer sehr auf die Si- Überschüsse und mittelfristig am meisten Angst, wenn Sie
­Defizite in den
tuation des Anlegers an. Viele Leute wollen an die Kapitalanlage denken?  
­Handelsbilanzen
gerne etwas vererben, dann kann man ruhig seit 2015, Ehrlich gesagt die Politik, und ich denke da
längerfristig in Aktien anlegen. Ich glaube in Mrd. Dollar gar nicht nur an ein Land. In den USA sieht
aber nicht, dass jetzt die richtige Zeit ist, um es so aus, als wenn Präsident Biden eine re-
600
die Aktienquote deutlich zu erhöhen. publikanische Mehrheit im Senat gegen sich
Warum nicht, jeder spricht doch da­ hat und diese jede größere Initiative der Ad-
0
von, dass Aktien die letzte verbliebene ministration bremsen und blocken könn-
Rendite­quelle sind? te. Dann dürfte von der Fiskalpolitik in den
–600
Mehr Aktien klingt verlockend, weil die An- USA nichts oder nur noch sehr wenig kom-
leiherenditen niedrig oder real betrach- men. Und in Europa besteht ein Restrisiko,
–1 200
tet negativ sind. Aber das heißt nicht, dass 2017 2022 1
dass der Corona-Wiederaufbaufonds an Po-
Aktien automatisch outperformen. Akti- len und Ungarn scheitert. Es sind nicht so
en haben sich in der vergangenen Deka- China sehr handfeste Kriege und Konflikte, die mir
Euroraum
de sehr gut entwickelt. Aber die Rendi- Sorgen bereiten, sondern vielmehr unüber-
USA
ten auch am Aktienmarkt werden in den brückbare Differenzen im politischen Ta-
nächsten fünf bis zehn Jahren nicht mehr 1) Prognose; Quelle: OECD gesgeschäft.

126 Capital Ausgabe 01/2021

 #EchteAssets
Jetzt QR-Code mit Smartphone
scannen und Interview
mit Nadine Heemann ansehen.

FLEXIBILITÄT
IST EIN
ECHTES ASSET
Nadine Heemann, Fondsmanagerin
der Heemann Vermögensverwaltung
und Kundin bei Hauck & Aufhäuser

Asset Servicing von Hauck & Aufhäuser

Vermögensverwalter, Family Offices, Banken, Versicherungen,

Pensionsfonds oder Investmentgesellschaften: Als führender Service-
anbieter für liquide Investmentlösungen begleitet Hauck & Aufhäuser
Sie persönlich bei allen administrativen, operativen und vertrieblichen
Aktivitäten rund um Ihr individuelles Fondsprodukt. Sowohl in
Deutschland als auch in Luxemburg. Als Full-Service-Anbieter
wie auch modular.

www.hauck-aufhaeuser.com/echte-assets
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — D A X
DIE MAGISCHE
ZAHL
Zum Jahresende veröffentlichen Banken ihre Erwartungen für
das nächste Jahr, etwa die Dax-Prognose. Sie liegen nicht immer
richtig – aber häufig eben doch. Wie machen sie das?
Ein Konferenzzimmer in Frankfurt, 40.
Stock, Joachim Schallmayer betritt den
Raum mit Schwung und Präsentationsmap-
pen in der Hand. Dem Leiter Kapitalmärkte
und Strategie hier bei der Dekabank ist das
Thema wichtig, deswegen trifft man sich
heute persönlich, nicht nur per Videoschal-
te. Schallmayer will erklären, wie die Deka-
bank, das Wertpapierhaus der Sparkassen-
gruppe, ihre jährliche Dax-Prognose erstellt.
Ein alter Witz über Volkswirte nämlich
geht so: „Warum hat Gott Ökonomen geschaf-
fen?“ Die Antwort: „Damit die Wettervorher-
sage besser dasteht.“ Joachim Schallmayer
kennt diesen Ruf, genau wie seine Kollegen.
Und es wurmt sie. Als stünden hinter ihren
Voraussagen zu Aktien, Anleihen, Währun-
gen und Wirtschaftswachstum nicht Arbeit
und Mathematik, sondern Spökenkiekerei.
„Ich begegne immer wieder der Frage,
was diese Prognosen eigentlich wert sind“,
sagt Schallmayer. Die Antwort lautet tat-
sächlich: nicht wenig. Völlig daneben liegen
die Volkswirte selten, selbst in einem Jahr
wie diesem. 2019 lautete die Prognose der
DZ Bank, dass der Dax Ende 2020 bei 13 500
Punkten stehen würde. Nun, Anfang Dezem-
128
TEXT: ber, hat er 13 300 erreicht, trotz eines Ein-
BIRGIT HAAS bruchs von 40 Prozent im Mai. Wie also tref-
fen Ökonomen wie er diese Vorhersagen?
Schallmayer klappt seinen Laptop auf
und bietet einen Blick in den Maschinen-
raum, wo die jährlichen Prognosen entstehen.
Das Wichtigste dabei: eine eigens entwickelte,
gigantische Datenbank mit Zahlen aus aller
Welt, die das ganze Jahr über gepflegt wird.
Schallmayer klickt sich zu E­ xcel-Tabellen mit
Tausenden von Daten.
Die Analysten sammeln hier Zahlen zu
Konjunktur, Unternehmensgewinnen, Inves-
torenstimmung oder Geldpolitik. Die Tabelle
etwa, die Schallmayer nun öffnet, zeigt Daten
zur Rubrik „US-Kreditzyklus“: In 19 Spalten
reihen sich Prozentzahlen zum Verschul-
dungsgrad von Privathaushalten und Unter-
nehmen aneinander, zur durchschnittlichen
Kreditlaufzeit und Ähnlichem. Die Felder
leuchten farbig: rot, sobald sich ein Indikator
verschlechtert; grün, wenn der Trend positiv
ist. „So können wir auf einen Blick sehen, wo
sich gerade etwas verändert“, sagt er.
Grün leuchtet es derzeit vor allem in
einer Rubrik, der Geldpolitik: Die Zentral-
banken haben die Anleihekäufe um
Capital Ausgabe 01/2021
Gut, wenn man ahnt, wo es hingeht – beim nächsten Termin
an der Wall Street genauso wie beim Dax
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — D A X

Milliarden erhöht, damit die Geldmenge aus-
geweitet; die Zinsen halten sie tief. Für Inves-
toren wirkt sich das meist positiv aus. Dass
die Notenbanken in diesem turbulenten Jahr
die Märkte mit Geld fluten, ist etwa derzeit
der stärkste Treiber von Aktienkursen. Und
der einzige. „Das wird auch im nächsten Jahr
Prognosen und
­Wirklichkeit
Ausgegebene Jahres-
ziele für den Dax und
der tatsächliche Jahres-
schlusskurs, in Punkten
Dekabank
ist –, muss angepasst werden. Auch so etwas
fließt mit in die Dax-Einschätzungen ein.
Dann kommt etwas Wahrschein-
lichkeitsrechnung hinzu. In sogenannten
„Super­szenarien“ berechnet Schallmayer
etwa die Wahrscheinlichkeit einer Inflation
und die – verheerenden – Folgen auf Aktien

Prognose
so bleiben“, sagt Schallmayer. Nach der Kri- und Anleihen. Doch die Bedrohung ist gering:

Realität
senintervention im März hat das System die- Im wahrscheinlichsten „Superszenario“ – das

Jahr
se mehrere Hundert Parameter noch höher
gewichtet. Denn es wird immer wichtiger 2011
einzuschätzen, wie Notenbank-Eingriffe in
2012
die Märkte wirken – und das spiegelt sich
auch in den Modellen und Prognosen wider. 2013
2014
2015
AUS ERFAHRUNG GUT
Dax-Prognosen wie diese erstellt nicht nur 2016
die Dekabank, sie kommen aus vielen Geld- 2017
häusern. Bei der DZ Bank etwa ist der Chef-
anlagestratege Christian Kahler federfüh- 2018
rend. Das Datensammeln ist dabei jedoch nur 2019
der erste Schritt. „Zu 80 Prozent stehen Be-
2020
rechnungen und zu 20 Prozent ökonomische
Erfahrung dahinter“, sagt er.
Daten haben ist eine Sache, sie zu be-
zu 70 Prozent eintritt – spielt eine Inflation
  7 300   5 900 keine Rolle. Die Wahrscheinlichkeit einer In-
flation liegt bei lediglich zehn Prozent.
  6 500   7 600
Eine weitere wichtige Zutat der Pro­
  8 000   9 600 gnose dann: das eigens berechnete weltwei-
10 000   9 800 te Wirtschaftswachstum. Im kommenden
Jahr erwarten sowohl Schallmayer als auch
10 500 10 700
Kahler ein Plus von fünf Prozent. „Das ent-
11 500 11 500 spricht, die Inflation mit hineingerechnet,
11 000 12 900 etwa sieben bis acht Prozent Gewinnwachs-
tum“, sagt DZ-Banker Kahler.
13 500 10 600 Kahler rechnet das Wachstum um:
12 000 13 200 Etwa 90 Mrd. Euro dürften die Dax-Firmen
im kommenden Jahr insgesamt an Gewinn
13 600 13 300 ¹
erzielen. Daraus leitet er über eine Formel
DZ Bank
der Deutschen Börse Kursgewinneinheiten
ab, also die Punktzuwächse, die bestimmte
Prognose

werten eine andere. Man muss gewichten, Unternehmensgewinne historisch dem Dax
Realität

was man sieht. „Uns interessiert weniger der gebracht haben. „Zufällig entspricht das ge-
Jahr

Ist-Zustand, sondern vor allem die Richtung,
in die sich die Indikatoren bewegen und was
der Markt da­raus macht“, sagt Schallmayer.
Die Analysten haben etwa festgestellt, dass
die enormen Anleihekäufe von Fed und EZB
zu einer Verknappung des Anleiheangebots
geführt haben: So bleiben die Zinsen niedrig,
die Preise hoch. Für Investoren bedeutet das,
dass sie woanders nach Rendite suchen müs-
sen. Gut möglich, dass viele darum ihre Akti-
enquote erhöhen werden. Das dürfte sich er-
freulich auf die Kurse auswirken.
„Wir greifen also langfristige Themen
wie Geldpolitik auf und bewerten ihre Kon-
sequenzen für unterschiedliche Anlageklas-
sen“, sagt Schallmayer. Ein anderes Beispiel
ist die Digitalisierung: Weil viele Arbeitspro-
zesse in den virtuellen Raum verlagert wer-
den, schaffen Unternehmen etwa Maschinen
ab. Das mindert den Buchwert, also den Wert
eines Unternehmens in der Bilanz. Dadurch
verliert ein klassischer Indikator zur Bewer-
tung von Aktien an Bedeutung: das Kurs-
Buchwert-Verhältnis (KBV). Die alte Formel,
wonach Unternehmen mit einem KBV von
mehr als eins überbewertet sind – wenn die
Marktkapitalisierung höher als der Buchwert
nau 1 000 Kursgewinneinheiten“, erklärt er.
2011   7 700   5 900 Aber es wäre zu einfach, diese 1 000 Punk-
te auf den aktuellen Dax-Stand zu addieren.
2012   6 600   7 600
Die Einschätzungen aus den Superszenarien
2013   7 800   9 600 fließen ebenfalls ein, genau wie alle anderen
2014 10 200   9 800 Aspekte aus den vorangegangenen Schritten.
Am Ende stehen: 16 000 Punkte für
2015   9 500 10 700
den Dax Ende 2021, sowohl bei Schallmay-
2016 11 000 11 500 er als auch bei Kahler. Sind sich beide da si-
2017 12 000 12 900 cher? „Die Prognose ist ein Ankerpunkt. Wir
berechnen einen Wert, von dem wir wissen,
2018 14 000 10 600
dass er mit höchster Wahrscheinlichkeit ein-
2019 13 300 13 200 tritt“, sagt Schallmayer. Irrtum gehört dazu.
Etwa 2018, als der Markt im Dezember über-
2020 13 200 13 300 ¹
raschend einbrach. Die DZ Bank hatte damals
1 ) Schlusskurs 04.12.2020 14 000 Punkte für den Dax prognostiziert, die
Deka 13 500. Tatsächlich verabschiedete sich
der Dax bei rund 10 600 Zählern aus dem
Jahr. Aber: „Nur in etwa jedem siebten Jahr
liegen wir falsch“, sagt Kahler.
Schallmayer hält in der Ökonomie eine
Prognosegüte – also die Wahrscheinlichkeit
des Eintreffens – von 60 Prozent für hervor-
ragend. Die der Wettervorhersage liegt über
90 Prozent. Allerdings: Nur für den nächsten
Tag – und nicht für ein gesamtes Jahr.
M I TA R B E I T: S T E FA N S C H A A F

130 Capital Ausgabe 01/2021

 FAKTOREN ETHISCH INVESTIERE
ASSER AKTIV INDEXANLAGEN FO
INTEGRIERTE BERICHTERSTATTU
NG GREEN BONDS SOZIALVERANT
ORTLICH EINFACH STEWARDSHIP
KLIMARISIKO FILTER UMWELT OP
TIMIERTE ESG* INTEGRATION W
ANDEL ÖKOLOGISCHE FUSSABD
RUCK NACHHALTIGER FAKTOREN
iShares. Einfach nachhaltiger.
Indexanlagen können Ihnen den nötigen Durchblick
geben, um nachhaltigere Portfolios zu bauen.

Investieren in das große Ganze.

*Engl. für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung.

Marketinginformation. Kapitalanlagerisiko. Der Wert von Anlagen und die daraus erzielten Erträge
können sowohl steigen als auch fallen und sind nicht garantiert. Anleger erhalten den ursprünglich
angelegten Betrag möglicherweise nicht zurück.

Bis zum 31. Dezember 2020 ist der Herausgeber BlackRock Investment Management (UK) Limited, ein von der britischen Financial Conduct Authority („FCA“)
zugelassenes und beaufsichtigtes Unternehmen mit Geschäftssitz 12 Throgmorton Avenue, London, EC2N 2DL, England, Tel. +44 (0)20 7743 3000. Registriert
in England und Wales unter Nummer 2020394. Zu Ihrem Schutz werden Telefonate üblicherweise aufgezeichnet. Eine Liste aller Aktivitäten, für die BlackRock
zugelasssen ist, finden Sie auf der Website der Financial Conduct Authority. Falls Großbritannien aus der Europäischen Union (EU) austritt, ohne eine Vereinbarung
mit der EU geschlossen zu haben, die es Unternehmen in Großbritannien erlauben würde, im Europäischen Wirtschaftsraum Finanzdienstleistungen zu erbringen
(„No-Deal-Brexit-Ereignis“), ist der Herausgeber dieser Materialien ab 1. Januar 2021:
- BlackRock Investment Management (UK) Limited für alle Länder außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums bzw.
- BlackRock (Netherlands) B.V. für Länder im Europäischen Wirtschaftsraum.
BlackRock (Netherlands) B.V., ein von der niederländischen Finanzdienstleistungsaufsicht zugelassenes und beaufsichtigtes Unternehmen mit Geschäftssitz
Amstelplein 1, 1096 HA, Amsterdam, Tel.: +31 020 549 – 5200, Handelsregister Nr. 17068311. Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Unternehmens:
www.blackrock.com. Zu Ihrem Schutz werden Telefonanrufe üblicherweise aufgezeichnet. Dieses Dokument dient ausschließlich zu Informationszwecken und
stellt kein Angebot und keine Aufforderung an irgendjemanden dar, in BlackRock-Fonds zu investieren, und wurde nicht im Zusammenhang mit einem derartigen
Angebot erstellt © 2020 BlackRock, Inc. Sämtliche Rechte vorbehalten. 1361950.
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — P R O G N O S E N

DAS SAGEN
DIE PROFIS
AUF CORONA FOLGT ANGST
VOR DER TECHBLASE ANLEGER ZIEHT PHARMA-AKTIEN GEFRAGT
Die bei Fondsmanagern beliebtesten
Größte Risiken 2021 aus Sicht von
Anlageprofis, in Prozent 1 ES IN DIE und unbeliebtesten Branchen
in der Geldanlage für das Jahr 2021

41 DIE WEITE WELT

besonders
Raus aus teuren beliebt Pharma
19
15 Technologietiteln, rein
in Schwellenländer- besonders
Aktien: Dies könnte unbeliebt Energie
Corona- Technologie­ zivile 2021 die Strategie von
Pandemie blase Unruhen professionellen
Investoren auf der
US-AKTIEN FALLEN ZURÜCK ganzen Welt sein. Als LEGENDE FÜR DIE PROGNOSEN
Welche Anlageklassen sich 2021 am sie hierzu Anfang Angegeben werden der Median sowie
besten entwickeln werden, in Prozent der Maximal- und der Minimalwert
November befragt
wurden, kam für viele
50 die Nachricht Maximalwert
vom Corona-Impfstoff
Median
zu spät. Angesichts
23 ohnehin hoher Be­ Minimalwert
12 wertungen dürften
sie die Techbranche 1) Erhebung vom 06. bis 11. November 2020 (nur

Schwellenl.- S & P Roh­-

jetzt noch miss­ teilweise mit Impfstoff-Nachricht).
Quelle diese Seite: Bank of America Fund Mana-

Anlagen 500 öl trauischer beäugen. ger Survey; Quelle rechte Seite: Refinitiv (Reuters
Polls); Stand: 07. Dezember 2020

132 Capital Ausgabe 01/2021

 ERNEUTER OPTIMISMUS FÜR EUROPA AUF DEM WEG
ZUR FAIREN
Es hat eine gewisse Tradition: Analys-
ten und Fondsmanager beschwören
DAX
Prognose für Ende 2021, in Punkten
BEWERTUNG
seit Jahren schon das große Nachhol-
potenzial europäischer Aktien gegen-
über Titeln aus den USA. Erfüllt hat
16 000
ll Bei ungefähr 1,25 Dollar
sich diese Erwartung in den Vorjahren 13 260 14 500

kt e
wäre der Euro in etwa
u
jedoch selten. Auch zum Ende des Jah- a
res 2020 trauen die Experten Aktien 13 000 fair bewertet, das ist auch
aus Europa wieder einmal deutlich
mehr zu, nämlich rund neun Prozent
die Richtung für den
Zuwachs. Für den Eurozonen-Leitindex Kurs 2021. Dafür gibt es
STOXX 600
Euro Stoxx 50 lautet die Prognose im
Prognose für Ende 2021, in Punkten zwei Gründe: Der Zins­
Median immerhin knapp acht Prozent,
während es im US-Leitindex S & P 500
vorsprung der USA
nur gut fünf Prozent sind – und das 480 ist kleiner geworden,
ll
Absturzpotenzial an der Wall Street als und im Aufschwung
393 430
kt e

höher eingestuft wird. Das mag auch mit

u

eben jener Angst vor einer Techblase

a werden US-Anleger
zusammenhängen (siehe linke Seite). 381 meist mutiger. Ihr Geld
investieren sie dann
S & P 500 EURO STOXX 50
in aller Welt, auch in
Prognose für Ende 2021, in Punkten Prognose für Ende 2021, in Punkten Europa.

5 000 4 500
ll ll EURO IN DOLLAR
3 699 3 900 3 522 3 790
kt e

kt e

Prognose für Ende 2021

u

a a
3 000 3 400
1,27
ll
1,21 1,23
kt e
u

IM ZEICHEN DER ZINSEN

a
1,10

GOLD Gold gilt gemeinhin als Absicherung BUNDESANLEIHEN (10 JAHRE)

Durchschnittspreis für 2021, für Krisen oder gegen eine Inflation. Rendite-Prognose für Ende 2021,
in Dollar je Feinunze Im Wesentlichen folgt der Goldpreis in Prozent
aber der Zinsentwicklung: je niedriger
2 720 die Zinsen, desto höher der Goldpreis. 0,15
ll ll
Der Grund ist: Gold zahlt keine
1 883 1 965 –0,58 –0,25
kt e

kt e
u

a regelmäßigen Ausschüttungen. Wenn a

1 725 ein Sparkonto dies auch nicht mehr
macht, dann hat Gold relativ
–0,70
an Attraktivität gewonnen. Doch die
ROHÖL, SORTE BRENT Zinsen könnten so langsam ihre US-Staatsanleihen (10 Jahre)
Prognose für Ende 2021, Tiefststände erreicht haben, sodass Rendite-Prognose für Ende 2021,
in Dollar je Barrel für Gold wenig drin ist, wie sich an in Prozent
der Prognose für den Durchschnitts-
56,00 preis zeigt. Und auch bei Rohöl gibt 1,35
ll es nach der jüngsten Erholung kaum ll
48,90 49,56 0,94 0,93
kt e

kt e
u

noch Potenzial. Mittelfristig wird die

u

a
Dekarbonisierung der Wirtschaft
a
40,83 ohnehin den Ölpreis belasten. 0,50

133
134
INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — I M M O B I L I E N

Links unten, rechts oben: Tokio. Rechts unten, links oben: New York.
Den Fotografen faszinierte, wie sehr die Bilder sich gleichen
 HALT ES AUS,
ALTES HAUS
Oft liebt Christoph Eickmeyer Nord­
Die Corona-Krise
seiten: Im Winter, wenn er in den Ber­
brachte auf dem gen auf Tour ist, bleibt der Schnee
Immobilienmarkt keine dort länger pulvrig. Bloß seine hei­
Einbrüche. Im mische Nordseite nervt ihn immer
Gegenteil: Die Preise mehr: Seine Wohnung liegt nach
Norden raus, deshalb fällt ab Herbst
stiegen weiter. kaum mehr Licht hinein. „Früher
Welche Chancen haben ist mir das nie aufgefallen“, sagt er,
Menschen, die „wenn ich zur Arbeit ging, war es oft
auch 2021 noch nach noch nicht richtig hell, und wenn ich
abends heimkam, sowieso schon wie­
einem Eigenheim der dunkel.“ Doch seit er permanent
suchen? im Homeoffice arbeitet, sehnt er sich
nach Sonnenlicht. Deswegen aber in
München die Wohnung zu wechseln
ist ein Ding der Unmöglichkeit. Da­
rum denkt er jetzt weiter – viel weiter.
Für die 1 100 Euro Miete, die er
dank eines alten Mietvertrags zahlt,
bekäme er in der Stadt seine 70 Qua­
dratmeter nicht mehr – höchstens
weit draußen am Autobahnring. „Da
könnte ich gleich an den Schlier­
see ziehen.“ Dort ist er als Berg­
TEXT: NADINE mensch sowieso fast jedes Wochen­
OBERHUBER ende. Wenn er künftig also nicht
mehr täglich ins Büro muss, sondern
nur ­zwei-, dreimal die Woche, wären
53  Kilometer Distanz gut zu schaf­
fen. Draußen könnte er sich sogar
eine Eigentumswohnung leisten, für
350 000 Euro wäre das drin. In Mün­
chen müsste er dafür eine halbe Mil­
lion auf den Tisch legen, mindestens.
Ganz ausgereift ist Eickmeyers Plan
noch nicht, deshalb möchte er seinen
richtigen Namen lieber für sich behal­
ten – aber er ist im Immobiliensuch­
modus wie Millionen andere auch.
Zum großen Einbruch der Im­
mobilienpreise hat die Corona-Krise
nämlich nicht geführt, obwohl viele
darauf gehofft hatten – im Gegenteil:
Auswertungen des Immobilienpor­
tals Immoscout vom November bele­
gen, dass die Nachfrage nach Wohn­
immobilien inzwischen sogar noch
höher ist als im selben Zeitraum
2019. Das liegt nicht nur daran, dass
viele sich in unsicheren Zeiten in ver­
meintlich sichere Geldanlagen flüch­
ten. Tatsächlich haben Home­office
und Lockdown Begehrlichkeiten­
135
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — I M M O B I L I E N
geweckt: Rund 70 Prozent bewerten
in einer Immoscout-Umfrage ihre
Wohnsituation nun anders als vor
der Krise. „Das ist der vielleicht wich-
tigste Effekt von Corona“, sagt Reiner
Braun, Geschäftsführer der Immo-
bilienberatung Empirica: „Viele Leu-
te haben nachgedacht, wie sie über-
haupt wohnen wollen.“
In der Immoscout-Umfrage
gab jeder Vierte an, unzufrieden mit
der eigenen Wohnung zu sein. Je-
dem Dritten fehlt Balkon oder Gar-
ten. „Das Interesse an Wohnungen
mit Freiflächen hat deutlich zuge-
nommen“, bestätigt auch Felix Jahn,
Gründer von McMakler. Ebenso viele
wünschen sich ein zusätzliches Zim-
mer, vor allem fürs Homeoffice, zwölf
Prozent wollen raus aus der Stadt. Je-
der Zehnte sagt: „Mir ist durch den
Lockdown klar geworden, dass ich
eine neue Wohnung brauche.“
Die Frage ist nur, ob sich all das
auch umsetzen lässt. Denn gerade in
den Metropolen schrumpfte das Im-
mobilienangebot seit Beginn der Co-
rona-Krise leicht, weil viele Haus-
besitzer lieber an ihren Immobilien
festhalten. So stiegen die Preise wei-
ter, obwohl sie in den Metropolen be-
reits Höhen erreicht hatten, die Käu-
fer wie Ökonomen nun wirklich für
die Schmerzgrenze halten: 6 000
Euro pro Quadratmeter sind in Köln
oder Berlin längst der Normalpreis,
in Frankfurt 7 000 Euro, in München
eher 9 000 bis 10 000 Euro. Das Bud-
get der allermeisten Käufer hat sich
dagegen nicht wesentlich erhöht.
Wer es größer und grüner will, hat
oft nur eine Wahl: raus an den Stadt-
rand oder gleich ins Umland.
Genauso halten es auch immer
mehr Stadtbewohner, sagt der Im-
mobilienökonom Ralph Henger vom
Wirtschaftsforschungsinstitut IW:
„Derzeit verstärken sich die Trends,
die wir seit 2014 beobachten: Die Ur-
banisierung hält an, aber die Wan-
derung von den Kernstädten in die
Speckgürtel nimmt zu.“ Schließlich
lassen sich in den Randlagen aller
Metropolen beim Kauf rund 2 000
Euro pro Quadratmeter sparen, in
136
Hochpreisbereich wächst
Durchschnittspreis eines Ein-
familienhauses 2012 (oben)
und im Oktober 2020, in Euro
bis 200 000
200 000 – 300 000
300 000 – 400 000
400 000 – 500 000
500 000 – 600 000
600 000 – 700 000
über 700 000
Quelle: Empirica-Auswertung für Capital
Umlandgemeinden auch mal 3 000
Euro. Das ist oft mehr, als der Qua­
drat­me­ter in B- oder C-Städten über-
haupt kostet. Selbst in Freiburg oder
Jena sind laut der Immobilienbera-
tung JLL rund 1 100 bis 1 700 Euro Er-
sparnis je Quadratmeter drin, wenn
man nicht direkt in der Stadt kauft,
sondern einige Kilometer entfernt.
„Aber“, sagt Henger ausdrücklich,
„das ist keine Renaissance des Lan-
des. Vom Land ziehen viele weg,
insbesondere junge Leute.“ Berufs-
einsteiger und Studenten strömen
weiter in die Citys. Dort lassen Net-
tozuzug und Wohnungsmangel die
Mieten steigen und verdrängen so
etwa Familiengründer ins Umland.
DICKERE SPECKGÜRTEL
Inzwischen leben rund 61  Prozent
aller Bundesbürger in mittleren und
großen Städten, die Quote ist über
die Jahre konstant gestiegen. Und
dort wollen sie auch Eigentum er-
werben. Allein auf die neun größten
Metropolen entfiel zuletzt die Hälf-
te aller Immobilienkäufe, ermittelte
das IW. Daran wird sich auch in ab-
sehbarer Zeit wenig ändern. Laut Im-
moscout etwa sind Eigentumswoh-
nungen in der Stadt derzeit einen
Tick gefragter als noch zu Jahres-
beginn. Bei Mietwohnungen zog die
Nachfrage in Städten sogar deutlich
an, während sie in ländlichen Gebie-
ten um knapp zehn Prozent fiel. Die
Anziehungskraft der Großstadt ist
trotz Pandemie ungebrochen.
Das Problem ist nur: Inzwi-
schen wuchern ihre Speckgürtel ver-
dammt weit aus, sagt IW-Ökonom
Henger, „der zweite Gürtel erstreckt
sich mittlerweile im 50-Kilometer-
Radius rund um Berlin, Hamburg
oder Nürnberg. Bei München sind es
schon 100 Kilometer.“ Dort wohnen
die Käufer dann, gearbeitet wird aber
trotzdem in der Großstadt. So ist
Deutschland seit 2012 immer mehr
zur Pendlerrepublik geworden. 2017
sagten noch 66  Prozent der Haus-
käufer laut IW-Studie, sie würden
mehr als 30 Kilometer pendeln. 2019
­waren es schon 80 Prozent. Wird die
Corona-Krise diesen Trend brechen?
Wohl kaum.
Künftig könnten sich Pendler­
zahlen und -distanzen durch den
Trend zum Homeoffice noch wei-
ter erhöhen, sagt Henger: „Was inte­
ressant ist: Die Pendelzeit bleibt seit
Jahrzehnten konstant, aber die Wege
Capital Ausgabe 01/2021
werden länger, weil die Verkehrsmit-
tel schneller sind.“ Offenbar gibt es
ein Zeitlimit pro Woche, das Pend-
ler ungern überschreiten – aber wer
künftig seltener ins Büro muss, kann
sich weitere Wege leisten, ohne diese
Schwelle zu überspringen.
Die Folgen werden indes im-
mer sichtbarer, zeigen Auswertun-
gen des Bundesamts für Bauwesen
und Raumordnung (BBR): Die Zersie-
delung des Umlands nimmt zu, die
Verkehrsströme in die Citys schwel-
len an. Zudem sind 2020 wegen des
„Drangs nach draußen“ auch die Prei-
se im Umland noch stärker gestiegen
als in den Metropolen selbst: In Ber-
lin, Hamburg, München, Frankfurt,
Stuttgart, Köln und Düsseldorf klet-
terten sie um sechs bis 17 Prozent,
in deren Speckgürteln aber um zehn
bis 22 Prozent. Dadurch werden nun
auch die kleineren Städte im weite-
ren Umkreis attraktiv. „In 14 B-Städ-
ten verzeichnen wir steigende Nach-
frage nach Wohnimmobilien“, sagt
Felix Jahn von McMakler. Bremen
oder Kiel sind so längst Alternativen
zu Hamburg; Berlin verliert Zuzügler
an Leipzig oder Jena.
Und erstmals übrigens zie-
hen mehr Leute vom Westen in den
Osten als umgekehrt. Gerade eini-
ge ostdeutsche Städte könnten noch
deutlichen Zulauf erleben, heißt es
beim IW – weil sie weniger stark von
Wirtschaftsbereichen abhängen, die
stark von Corona betroffen sind.
Eines aber hat sich nicht ge-
ändert: „Der Preis ist und bleibt das
wichtigste Entscheidungskriterium“,
sagt Henger. „Der ist gesetzt, und da-
raufhin gleichen die Käufer ab: In
welcher Lage bekomme ich dafür
Wohneigentum, wie groß ist es, und
welche Qualitäten hat es?“ Tatsäch-
lich können die wenigsten Kaufwilli-
gen ihr Budget viel weiter nach oben
Freiraum
braucht Geld.
anpassen, schon allein weil ihr Ei-
genkapital begrenzt ist – und die
Hälfte der Stadtbewohner ohnehin
bereits einen größeren Anteil des
Einkommens fürs Wohnen ausgibt,
als Ökonomen für unbedenklich hal-
ten (mehr als 30 Prozent nämlich).
Seit Corona reizen Käufer die
Kredithöhe dennoch bedenklich aus,
belegen Daten des Baufinanzierers Dr.
Klein vom November: Im Schnitt neh-
men Eigenheimkäufer knapp 300 000
Euro Darlehen auf, 40 000 Euro mehr
als 2019. So ergibt sich bei durch-
schnittlich 2,78 Prozent Tilgung und
0,96  Prozent Zinsen (bei 15  Jahren
Laufzeit) zwar eine übersichtliche
Rate von 930 Euro – aber auch eine
Restschuld von knapp 166 000 Euro.
Alles zusammen abzustottern dauert
so mehr als 30 Jahre. Christoph Eick-
meyer wäre dann Mitte 70. Deshalb
denkt er manchmal: „Vielleicht sind
Nordseiten doch ganz schön.“
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — C R A S H - S T R AT E G I E N
NUMMER
SICHER
Viele Anleger misstrauen dem jüngsten Aufschwung an den
Börsen. Capital hat Strategien und Produkte identifiziert, die das
Depot sichern – und dennoch steigende Kurse mitnehmen
Für Optimisten sah der Dezember so aus: der
Aktienmarkt in Höchstform – trotz eines der
heftigsten und schnellsten Abstürze aller
Zeiten. Der Dow Jones schrieb neue Rekorde,
es war der beste November, den die US-Bör-
se seit 1928 gesehen hat. Aber man muss kein
übertriebener Pessimist sein, um darin auch
Warnzeichen zu erkennen. Denn die Gefahr
für neue Abstürze ist gerade dann am höchs-
ten, wenn der Überschwang groß ist.
Tatsächlich befürchtet die Hälfte der
Anleger laut Stimmungsbarometer von Ani-
musX genau diesen neuen Abschwung: Jeder
zweite glaubt, die Börsen strebten nun eher
seitwärts, vielleicht sogar bergab, womöglich
auf neue Tiefststände. Viele würden gern Pa-
piere kaufen, nur sie trauen dem Braten nicht.
Dabei kann man auch so investieren,
dass im nächsten Abschwung wenig verloren
geht. Denn die Gefahr eines neuen Kursstur-
zes besteht immer. Für viele Anleger lautet die
Frage also nicht: Rein in die Aktien oder drau-
ßen bleiben? Sondern: Wie können sie reinge-
hen, aber mögliche Verluste begrenzen?
Genau das beherrschen wir nämlich
nicht, sagen Verhaltensökonomen. Wir wür-
den das wahre Risiko von Wertpapieren oft
138
TEXT: NADINE falsch einschätzen. Vor allem, weil wir eine
OBERHUBER wichtige Kennzahl vernachlässigten – die
Volatilität. Viele Anleger denken beim Risi-
ko nur an die möglichen Verluste, die sie er-
leiden könnten. Doch wie hoch ist das Risiko,
überhaupt Verluste zu erleiden, wenn man
heute ein Paket aus Dax-Aktien kauft und die-
ses nach einem Jahr wieder verkauft? Und wie
hoch ist es wohl nach fünf oder zehn Jahren?
Im Schnitt beziffern Anleger die Ver-
lustwahrscheinlichkeit für ein Jahr auf
32 Prozent. Bei fünf und zehn Jahren schät-
zen sie sie auf rund 30 Prozent, ergab eine
Studie der Frankfurt School of Finance. Ge-
nau wegen dieser vermuteten 30 Prozent las-
sen viele lieber gleich die Finger von Aktien.
Auf Jahressicht tippten die Befragten
tatsächlich ganz gut, die Verlustquote beträgt
statistisch gesehen 28 Prozent. Aber: Nach
fünf Jahren sind es 20 Prozent, nach zehn
Jahren bloß noch fünf Prozent. Nach mehr
als zwölf Jahren liegt die Verlustgefahr nahe
null. Allein die Anlagedauer also entschärft
Aktieninvestments erheblich.
Nun kommt die Volatilität hinzu: Wie
stark schwankt unterdessen der Kurs? Die
Volatilität beziffert nicht das maximale­
Capital Ausgabe 01/2021
Ein Schirm und Rennen schützen vor Regen. Vor Verlusten bei ­Investments
schützen häufig: Geduld und ein langer Anlagehorizont
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — C R A S H - S T R AT E G I E N
Verlustrisiko, sondern die durchschnitt­
lichen Kursschwankungen. Angenommen
Produkt A hat eine Verlustwahrscheinlich-
keit von zwei Prozent und eine Volatilität
von 100 Prozent. Bei Produkt B beträgt die
Verlustquote 20 Prozent, die Volatilität auch
20. Welches Produkt birgt das geringere Risi-
ko? Die meisten nehmen Produkt A, aber das
ist fatal. Es bedeutet zwar, dass sie statistisch
nur in einem von 50 Fällen Geld verlieren –
dafür aber dann alles. Bei Produkt B erleidet
man zwar in jedem fünften Fall einen Ver-
lust, doch der beträgt nur 20 Prozent, später
kann die Anlage den Verlust also wieder aus-
gleichen. Und typisch für die Kapitalmärkte
ist, dass auf große Verluste längere Zeiträu-
me mit hohen Gewinnen folgen.
Die Branche teilt Finanzprodukte in
sieben Volatilitätsstufen (siehe rechts). Die
Mischung mehrerer Stufen im Depot ist ent-
scheidend. Capital hat dies für drei Anleger-
typen mit realen Daten analysiert.
A Nur ganz kleines Risiko:
90:10
Sicherheitssparer werden nervös, wenn
das Depot kurz absackt, daher wählen sie
oft eine Verteilung von 90 Prozent in siche-
re Produkte und zehn Prozent Risiko. Doch
unterscheiden sie oft nicht, ob die riskan-
ten zehn Prozent nun aus Value-Aktienfonds
oder Mischfonds bestehen (die „nur“ zur
Stufe 4 gehören) oder aus deutschen Aktien-
ETFs oder IT-Branchenfonds (Stufe 6). Dabei
macht gerade das den großen Unterschied
bei Verlusttoleranz und Rendite aus.
Investiert ein Anleger von 20 000 Euro
90 Prozent in Stufe 1, (18 000 Euro in Tages-
geld oder Geldmarktfonds), bringt das statis-
tisch über zehn Jahre eine Jahresrendite von
0,7 Prozent. In 30 Jahren sind es 1,5 Prozent
jährlich. Nach zehn Jahren hätte er 19 300
Euro daraus gemacht, nach 30 Jahren 28 135
Euro. Zwischenzeitliche Verluste müsste
man mit der Lupe suchen, sie hätten höchs-
tens 0,5 Prozent betragen, also rund 90 Euro.
Spannend wird es bei den restlichen
zehn Prozent: Legt er 2 000 Euro in Stufe 4
an, muss er mit Schwankungen von fünf bis
zehn Prozent rechnen – das ist anfangs nicht
viel mehr als im sicheren Depotanteil, 100
bis 200 Euro. Bei Stufe 6 schwankt das Depot
140
So stark schwanken schon fast dreimal so stark, 15 bis 25 Prozent,
Finanzprodukte rund 500 Euro (je stärker das Depot anwächst,
(1 = wenig, bis 7 = stark)
desto mehr). Dafür wird er in der Regel be-
lohnt, denn häufiger schlagen die Märkte nach
1 oben aus. Auf Stufe 4 kann er langfristig rund
5,5 Prozent Rendite pro Jahr erwarten. Wagt
Ganz geringe Schwan-
kungen weisen Tages- er sich auf Stufe 6, wären es 6,3 Prozent. Da
geld, Geldmarktfonds nur wenig im riskanten Depotteil steckt, liegt
oder kurz laufende die Gesamtrendite trotzdem nur bei 2,2 bis
globale Anleihen auf 2,4 Prozent. Dennoch: Er könnte sein Geld in
30 Jahren verdoppeln. Bei erträglichem Risiko.
2
B
Ebenfalls nur
Ganz ausgewogen:
wenig schwanken
­gemanagte 50:50
Immobilienfonds
3 Viele wählen eine hälftige Verteilung und le-
gen zu 50 Prozent in sichere Anlagen und zu
Hier finden sich 50 Prozent riskanter an. Stecken die sicheren
anleihenlastige glo- 50 Prozent wieder in Stufe 1 oder 2, werden
bale Mischfonds
daraus nach 30 Jahren 15 630 Euro. Diesmal
und Misch-ETFs
ist noch entscheidender, was mit den ande-
ren 50 Prozent geschieht: Wagt man sich in
4
Stufe 4 oder gar Stufe 6? Oder teilt man es auf
diese beiden Stufen auf? Eines vorweg: Be-
Die Kategorie für
aktienlastige globale reits durch die 50:50-Verteilung hat der aus-
Mischfonds oder gewogene Anleger die Chance, rund drei bis
Value-Aktienfonds vier Prozent Jahresrendite herauszuholen.
Selbst auf kurze Laufzeit, vor allem wenn er
5 über beide Stufen streut.
Die möglichen Verluste sehen so aus:
Hier finden sich Von den riskant angelegten 10 000 Euro kön-
globale oder europä-
nen auf Stufe  4 zwischenzeitlich fünf bis
ische Aktien­-
fonds und ETFs zehn Prozent fehlen, das sind 1 000  Euro.
Auf Stufe 6 muss man immerhin ein Minus
von 2 500 Euro aushalten können. Das wären
6 12,5 Prozent des eingesetzten Kapitals. Verteilt
Länderfonds wie man das Geld hälftig auf beide Stufen, läge die
deutsche oder US- Durchschnittsschwankung anfangs nur bei
Aktienfonds und 1 750 Euro, keine neun Prozent des Kapitals.
Branchenfonds wie
IT- oder Gesundheits-
Ob man das verkraftet, sollte man überlegen,
Aktienfonds nachdem man die Renditen gesehen hat:
Wer den vollen Risikoanteil auf Stufe 4
anlegt, erzielt mit 20 000 Euro auf mittlerer
7 Volastufe eine Jahresrendite von 4,03 Prozent
Hedgefonds, Schwel- über 30 Jahre. Man hätte das Kapital mehr als
lenländer- und verdreifacht auf 65 500 Euro. Mit Volastufe 6
Branchenfonds sowie wären es sogar 78 000 Euro, fast das Vierfache,
Einzelaktien
bei 4,65 Prozent Jahresrendite. Mischt man
beide Stufen, sind Schwankungen besser aus-
zuhalten, die Rendite beträgt trotzdem stolze
4,35 Prozent. Macht 72 000 Euro, 7 000 Euro
mehr als Stufe  4 allein – dafür, dass man
700 Euro mehr an Schwankung toleriert.
Capital Ausgabe 01/2021
Angela Merkel trägt beim EU-Gipfel im Juli 2020 in Brüssel einen Mund-Nase-Schutz.

Foto: Francisco Seco/AP Pool/dpa

Maximale Freiheit
oder minimales Risiko?
Mut entscheidet.

Mehr Perspektiven zum Umgang mit

dem Coronavirus finden Sie unter
sz.de/mut
 INVEST
Das Beste für Ihr Geld 2021 — C R A S H - S T R AT E G I E N

Mit kürzerem Atem erzielt er 3,6  Prozent

C Für Wagemutige: (Stufe 4) bis 4,6 Prozent (Stufe 6). Dennoch

20:80 unterscheiden sich die Endsummen erheb-
lich. Denn schon kleine Renditedifferenzen
schlagen wegen des Zinseszinseffekts enorm
Und dann gibt es natürlich immer diejeni- durch, zumal der Wagnisanleger von Beginn
gen, die voll ins Risiko gehen. Wagemutige an einen großen Batzen gewinnbringender
behalten nur 4 000 Euro als Notfallpuffer auf investiert. Sein Endvermögen sieht daher so
dem Tagesgeldkonto und legen die restlichen aus: Mit der moderaten Stufe 4 sind knapp
16 000 Euro in Aktienfonds an. Wie groß sind 86 000 Euro drin – nicht sehr viel mehr als
nun die durchschnittlichen Schwankungen, beim Halbe-halbe-Anleger, der auf 78 000
wenn entweder solidere Misch- oder Value- Euro kommen kann. Wagt er sich dagegen
Fonds gewählt werden (Stufe 4) – oder ge- auf Stufe 6, könnten es sogar 106 300 Euro
wagtere Branchen- und Regionenfonds (6)? werden. Er hätte seinen Einsatz verfünffacht.
Hier sind die Unterschiede groß: Mit der Vo- Streut er nun den riskanten Anteil hälf-
lastufe 4 müssten Anleger sich auf 1 600 Euro tig auf globale Mischfonds und Dax-ETFs, lan-
Schwankungen einstellen. Bei Volastufe 6 wä- det er bei 5,4 Prozent Jahresrendite, das ergibt
ren es schon 4 000 Euro, das ist immerhin rund 96 000 Euro – und verfünffacht das Kapi-
ein Fünftel des Einsatzes, recht viel. Werden tal ebenfalls knapp. Aus den 4 000 Euro Not-
aber beide Stufen gemischt, stünden halb- fallpuffer sind in derselben Zeit übrigens 6 250
wegs übersichtliche 2 800  Euro im Feuer. Euro geworden, knapp 2 200 Euro Zugewinn
14 Prozent des Einsatzes. in 30 Jahren also. Ob man da nicht doch lieber
In der Renditerechnung macht das dieselbe Höhe an Schwankungen aushält und
scheinbar gar nicht so viel aus: Der Wage- mindestens den halben Risikoanteil auf Stufe 6
mutige kann mit rund fünf Prozent Rendi- setzt, um am Ende ein Vielfaches des Anfangs-
te jährlich rechnen, wenn er 30 Jahre anlegt. kapitals auf dem Konto zu haben?

FÜR ALLE NERVEN ETWAS

Der richtige Mix aus Risikostufen macht das Depot krisenfester und sorgt
trotzdem für Rendite. Hier sind die besten Produkte dafür:

ISIN 5-JAHRES- 10-JAHRES- VOLA- LFD.

RENDITE RENDITE TILITÄT KOSTEN
in Prozent p. a. in Prozent p. a. in Prozent 5 J. in Prozent p. a.

Volatilitätsstufe 1 und 2
Deka Tresor DE 000 847475 0 1,03 1,51 1,75 0,53
Pimco GIS Global Bond Fund IE 00B 0MD9M1 1 1,59 5,32 2,73 1,39
Volatilitätsstufe 4
FvS Multi Asset Balanced LU 124 547067 6 4,22 5,87 6,62 0,86
iShares Edge MSCI Europe Min. Volatility IE 00B 86MWN2 3 2,80 n. a. 10,14 0,25
Volatilitätsstufe 6
iShares MSCI All Countries World IE 00B 6R5225 9 8,04 n. a. 15,87 0,60
DWS Concept Platow LU 186 503295 4 8,37 13,75 18,91 1,62

Quellen: Morningstar, Anbieterangaben, eigene Recherche;

Stand: 02.12.2020

142 Capital Ausgabe 01/2021

 Jetzt die F.A.Z. abonnieren
und Zusammenhänge
besser verstehen.
Ab 14,90 Euro/4 Wochen –
freiheitimkopf.de

Weil man Märkte verstehen

muss, bevor man von
ihnen profitieren kann.
Die Frankfurter Allgemeine leistet sich eines der besten Kompetenznetzwerke der Welt. 350 Redakteurinnen und
Redakteure im In- und Ausland stellen täglich eine tiefgehende Durchdringung des Geschehens sicher.

Mit einem Abonnement der F.A.Z. investieren Sie in intelligente Analysen und Einordnungen unserer Redaktion.
Sie fördern Ihr fundiertes Verständnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge. Und Sie fördern die freie Marktwirtschaft.
– Freiheit beginnt im Kopf.
 INVEST
Meine Betriebsrente wurde für sechs Monate
gesammelt gezahlt – und versteuert. Wären die
Monatsbeträge steuerfrei geblieben?
Es ist ja schon schlimm genug, wenn
die Betriebsrente nicht gerade groß-
zügig ausfällt und man dann als Neu-
rentner auch noch monatelang da­
rauf warten muss, dass sie überhaupt
auf dem Konto eingeht. So war es
bei unserem Leser, der als „junger“
Rentner ein halbes Jahr lang auf die
erste Zahlung seiner rund 70 Euro
Extrarente im Monat warten muss-
te. Dann zahlte die Unterstützungs-
kasse die überfälligen Monatsbeträ-
ge endlich aus: alles zusammen, und
vom Gesamtbetrag von 420 Euro zog
sie auch noch Steuern ab.
Wäre ihm dies bei einer monat-
lichen Auszahlung erspart geblieben,
fragt sich unser Leser. Schließlich
sind 70 Euro Betriebsrente doch so
übersichtlich, dass man davon ausge-
hen würde, dass sie unter irgendwel-
che Bagatellgrenzen fallen müssten.
Und hat nicht die Bundesregierung
erst im Jahr 2020 eine Freigrenze
von knapp 160 Euro gerade für Be-
triebsrenten eingeführt? Ja, das hat
sie, dennoch gibt es an dieser Stelle
einen Haken.
Denn der Freibetrag – der übri­
gens bei exakt 159,25 Euro monatlich
liegt – bezieht sich nicht auf die Be-
steuerung der Betriebsrente. Son-
dern hier geht es um die Abgaben
für die Krankenkasse und Pflegever-
sicherung, die ebenfalls auf die Ein-
künfte aus Betriebsrenten zu zahlen
sind. Bisher waren diese Abgaben auf
jeden einzelnen Euro Auszahlung
fällig, seit 2020 jedoch gilt: Erst wer
mehr als die knapp 160 Euro aus Pen-
sionskassen oder betrieblichen Ver-
144
LESERFRAGE
DW E RT
GEL
Fragen zu Ihren
privaten Finanzen?
CAPITAL wählt
jeden Monat ein
Thema aus – und
gibt Antworten
226
Euro beträgt der durch­schnitt-
liche Nettozahlbetrag, den
Betriebsrentenkassen monatlich
an Männer auszahlen. Bei
Frauen sind es laut Statistischem
Bundesamt 141 Euro.
S C H I C K E N S I E den Experten
der Capital-Redaktion Ihre
Frage zu Geld, Recht, Steuern,
Versicherung oder Vorsorge:
geldwert@capital.de
sorgungswerken erhält, muss darauf
auch Pflege- und Krankenkassen­
beiträge entrichten.
Die Hoffnung auf eine wenigs-
tens steuerfreie Auszahlung der Be-
triebsrente muss aber Ulrich Dau-
moser, Berater der Lohnsteuerhilfe
München, den allermeisten Ruhe-
ständlern nehmen: „Alle Auszah-
lungen aus Betriebsrenten sind zu
100 Prozent steuerpflichtig, egal ob
sie als Einmalzahlung oder laufende
Zahlung geleistet werden. Das liegt
an der nachgelagerten Besteuerung.“
Während der Ansparphase
sind die Einzahlungen in solche Be-
triebsrentenkassen nämlich steuer-
begünstigt. Das heißt: Arbeitgeber
und Beschäftigte ersparen sich da-
mit Abgaben an den Staat, oft jahre-
lang und beträchtliche Summen im
Laufe der Zeit. Als Ausgleich dafür
aber müssen die Renten dann in der
Auszahlungsphase versteuert wer-
den, mit dem jeweils persönlichen
Steuersatz. Der ist jedoch bei den
­allermeisten Rentnern niedriger als
in der Erwerbsphase, das ist ein klei-
ner Trost.
„Was zudem noch einige Älte-
re im Kopf haben“, sagt Daumoser,
„2005 fand bei der Betriebsrente ein
Systemwechsel statt.“ Zuvor waren
Auszahlungen aus Pensionskassen,
Pensionsfonds und Pensionszusagen
noch steuerfrei, wenn sie als Einmal-
zahlung erfolgten. Inzwischen gilt
das nicht mehr. Seither wird in je-
dem Fall versteuert, egal ob Einmal-
zahlung oder laufende Rente.
NADINE OBERHUBER
Capital Ausgabe 01/2021
 Alles für Ihr Kapital.
Hintergründe | Strategien | Tests | Empfehlungen

Jetzt
3 Monate
testen

Sparen Sie über 30 Prozent gegenüber dem Einzelkauf, wenn

Sie jetzt für nur 5,90 Euro pro Ausgabe dreimal €uro lesen!
Und etwas zum Auftanken schenken wir Ihnen dazu.
(inkl. gesetzl. MwSt. und Versand)

+ USB Powerbank
4000mA/h, mit Akkuanzeige
Jetzt bestellen:
Telefon: 040/236703724*
E-Mail: abo@euro-magazin.de
www.euro-magazin.de/abo
*übl. Gebühren des jeweiligen Netzbetreibers
 Vom Mieter zum
Eigentümer
in einer
WirtschaftsWoche

Immobilien, Aktien, Investitionen:

Wir durchleuchten für Sie den
Markt und erklären die Hinter-
gründe aktueller Entwick-
lungen. Ihr wirtschaftliches
Fundament in turbulenten
Zeiten. Freitags gedruckt,
täglich digital.

Jetzt 4 Wochen Print + digital

testen: wiwo.de/verstehen
Wie kommt
man als einziger
Tourist in
das abgeriegelte
Dorf am
Machu Picchu?
INDEM MAN AN DER
BAHNSTRECKE AN KILOMETER 88
AU F D E N Z U G AU F S P R I N GT

SEITE 148
 Reise
LEBEN

In den

Foto: Ernesto Benavides/AFP via Getty Images

Ruin(en)

Ein einsamer
Wachmann in
Machu Picchu.
Die Inkaruinen
im Dschungel
von Peru sind
T E X T : A N D R Z E J RY B A K sonst meist
völlig überfüllt
Corona hat weltweit den Tourismus lahmgelegt.
Ist das die Chance, überlaufene Traumziele
einmal für sich allein zu haben? In Machu Picchu
hat es unser Autor versucht 149
 LEBEN
Reise
Die Provinz-
hauptstadt Cusco
an einem Sonn-
tag. Normaler-
weise selbst ein
Besuchermagnet,
ist sie durch die
Ausgangssperre
nun völlig
ausgestorben
Es ist kurz vor Mittag, doch an
der Brücke über den Urubamba
herrscht gähnende Leere.
Die Touristenbusse, die sonst alle
fünf Minuten die Piste auf der an­
deren Seite des Flusses hinaufdon­
nern, parken am Ufer. Über dem
Urwald singen Vögel und Zikaden,
es ist nicht einmal heiß. Eigent­
lich ein perfekter Tag, um die be­
rühmtesten Ruinen der Welt zu
besichtigen: Machu Picchu, die In­
kastadt im Dschungel; Weltkultur­
150
Sonst karren
diese Busse
täglich Tau-
sende den
Berg hinauf zu
den Ruinen.
Seit Monaten
parken
sie einfach
erbe, Traumziel für viele, und lei­
der meist viel zu voll.
Ich war schon einmal hier, vor
zwei Jahren. Quälte mich um 5 Uhr
morgens vor allen Bussen zu Fuß den
Berg hinauf. Die Hoffnung: Als Erster
am Eingang sein, Machu Picchu für
mich allein haben, im Morgengrau­
en, vor dem Ansturm. Es klang gut.
Bloß musste ich oben feststellen,
dass Hunderte andere Touristen ge­
nauso ehrgeizig waren wie ich.
Doch 2020 ist alles anders.
Corona hat den Tourismus welt­
weit so lahmgelegt, dass man mit et­
was Glück selbst in Venedig allein
sein kann. Auch Peru hat Besucher
im Frühjahr komplett ausgesperrt,
Flugverbindungen gekappt, die Ein­
reise über sieben Monate verboten.
Im ganzen Land gilt bis heute Aus­
gangssperre von 23 bis 4 Uhr, in vie­
len Städten auch den ganzen Sonn­
tag über. Machu Picchu wurde schon
Mitte März geschlossen, der Zugver­
kehr eingestellt, und selbst der Inka­
pfad, der tagelange Wanderweg zu
den Ruinen, ist dicht. Der größte
Touristenmagnet des Landes – er ist
seit dem Frühjahr völlig isoliert.
Ich aber habe jetzt im Herbst
ohnehin in Peru zu tun und denke
mir: Probier es mal. Vielleicht ist das
die einzige Chance, Machu Picchu
tatsächlich allein zu entdecken.
Das ist allerdings, wie sich he­
rausstellt, auch jetzt nicht so leicht.
Machu Picchu nämlich ist auch
Fotos: Andrzej Rybak (3)
deshalb so spektakulär, weil es so ab­
geschieden liegt. Die Ruinen thronen
auf einem Bergrücken, 400 Meter
über einer Schleife des Urubamba.
Die einzige Straße hinauf beginnt
Capital Ausgabe 01/2021
unten im winzigen Ort Machu Pic-
chu Pueblo: einer Ansammlung Dut-
zender Hotels, die sich beim Fluss an
die Berghänge kauern. Ins Dorf wie-
derum führt keine Straße, nur per
Bahn lässt es sich im engen Tal errei-
chen. Und die Touristenzüge, die Be-
sucher normalerweise 110 Kilome-
ter aus der Provinzhauptstadt Cusco
herbringen, fahren natürlich nicht.
Es gibt zwar einen Lokalzug, aber
der darf keine Ausländer befördern.
Ich habe es immerhin bis Ol-
lantaytambo geschafft, den letz-
ten Ort vor Machu Picchu, den man
ohne Weiteres erreichen kann. Am
Bahnhof aber weigert sich der Kas-
sierer, mir ein Ticket zu verkaufen.
Stattdessen geben Passagiere mir ei-
nen Tipp: An Kilometer 88 der Stre-
cke hält der Zug kurz, um Leute ein- Machu
steigen zu lassen. Also nehme ich ein Picchu
Taxi dorthin, die Bahn stoppt tat-
sächlich – und ich springe auf. So
lande ich doch noch in Machu Picchu
Pueblo, wo die Polizei sofort die Wag-
gons umstellt. Während die Bahn-
hofslautsprecher in Endlosschleife
Anweisungen wiederholen, dirigie-
ren Polizisten alle Passagiere zum
Desinfizieren und Fiebermessen.
Das Städtchen selbst scheint
verlassen. In guten Zeiten leben hier
rund 6 000 Einwohner, nun sind Re-
staurants und Souvenirläden verbar-
rikadiert. Durch die steilen, schma-
len Gassen läuft kaum ein Mensch.
Ich bin der einzige Ausländer.
230 TAGE GESCHLOSSEN
„Die Pandemie traf uns wie der Blitz“,
erzählt der Souvenirverkäufer Luis
Mariscal Flores am nächsten Tag.
Der 50-Jährige baut Flöten und ver-
kauft sie an Besucher – normalerwei-
se. „Jedes Jahr gab es mehr Touristen
und höhere Umsätze. Dann aber hat-
ten wir von einem Tag auf den ande-
ren kein Einkommen.“
Der Lockdown sollte zuerst
zwei Wochen dauern. „Dann wurde
die Ausgangssperre um zwei Wochen
verlängert. Und nach einem Monat
um einen weiteren Monat.“ Der Sou-
venirmarkt, wo Flores einen Stand
besitzt, war 230 Tage geschlossen.
Nur die Bahn kommt Kein Tourist hat die Stadt betreten.
Und die Ruinen selbst? Sie sind
ebenfalls zu. Ich mache mich auf den
Weg und komme doch nur bis zum
Peru Eingangstor. Dort baumelt eine Ket-
te mit großem Schloss, zwei Wach-
leute mit Masken stehen daneben.
„Hier kommen zurzeit nur Minister
aus Lima hinein“, tröstet mich einer.
Es ist schade – aber nichts im Ver-
Lima Machu Picchu gleich zu den Problemen, die Corona
den Einheimischen bereitet.
Cusco
Vor der Pandemie war der An-
drang kaum zu bewältigen. Die Be-
hörden hatten die tägliche Besu-
cherzahl auf 5 000 begrenzt, um die
Machu Picchu Pueblo
Ruinen vor dem Zertrampeltwer-
Ollantaytambo
Ur
den zu schützen. Wer hineinwoll-
ub
am te, musste Monate vorher ein Ticket
ba
kaufen. Der Tourismus aber hat Tau-
sende Jobs in Machu Picchu geschaf-
Cusco fen. Aus ganz Peru strömten Men-
Straße
schen hierher, um als Köche, Kellner
Bahnstrecke
oder Träger Geld zu verdienen.
Ohne die Tou-
risten wurden
in Machu
Picchu Pueblo
Hostels kur-
zerhand zu
Gemüseläden
umfunktioniert
– viele Kunden
aber gibt es
nicht
LEBEN
Reise
„Unsere Stadt hat einzig und allein
die Aufgabe, Besucher zu beherber-
gen“, sagt Oscar Valencia, Chef der
Tourismusbehörde und Ex-Bürger-
meister von Machu Picchu. „Die Ein-
wohner sind hier zu 100 Prozent vom
Tourismus abhängig.“
Den Leuten ging es gut: 2019
kamen fast 1,5 Millionen Besucher.
Die Stadt, die zehn Prozent des Ein-
tritts bekommt, kassierte so rund
5 Mio. Euro, dazu die Steuern der lo-
kalen Betriebe. „Wir gehörten zu den
reichsten Gemeinden des Landes“,
sagt Valencia. „Heute sind wir die
ärmste: Keine Stadt in Peru wurde
härter von der Pandemie getroffen.“
Das Hotel Samanachis etwa,
wo ich früher übernachtet habe, ist
seit fast acht Monaten geschlossen.
„Wir waren fast immer ausgebucht,
Werbung war nicht nötig“, sagt Vic-
tor Garcia Fernandes, der Besitzer.
Wer hier vor der Pandemie eine Bau-
parzelle im Tal ergattern konnte, war
ein gemachter Mann. Banken stan-
Anreise-Infos
Auch vor Corona gab es keine
direkte Flugverbindung von
Deutschland nach Peru – über
Amsterdam oder Madrid
kam man aber dennoch kom-
fortabel nach Lima. Das ist
derzeit anders. Peru hat erst
im Oktober überhaupt den
Flugverkehr in Nachbarländer
wie Bolivien und Chile wieder
aufgenommen, mittlerweile ist
auch wieder die Einreise über
die USA und Kanada möglich.
Bisher brauchen Reisende
jedoch ein Arbeitsvisum – ab
wann ein Touristenvisum
genügt, ist offen. Da auch das
Auswärtige Amt derzeit vor
Reisen nach Peru warnt, plant
man einen Besuch in Machu
Picchu am besten eher lang-
fristig. Offizielle Updates und
Tickets: machupicchu.gob.pe
Nur wenige
Fremdenführer
haben im Ort
einen anderen
Job gefunden,
etwa als zivile
Sicherheits-
kraft
den Schlange, um Baukredite zu ver-
geben. „Das war für beide Seiten ein
Geschäft ohne Risiko“, sagt er.
Tische und Stühle im Hotelres-
taurant sind aufeinandergestapelt,
das Personal musste er entlassen.
„Sie sind alle nach Hause zurück, zu
ihren Familien auf dem Land oder in
den Städten“, sagt Garcia. Er selbst
versucht, mit Gelegenheitsjobs über
die Runden zu kommen, seit April
kann er seine Hypothek nicht mehr
bedienen. Die Regierung hat der
Tourismusbranche zwar schon vor
Monaten finanzielle Unterstützung
versprochen. „Hier hat aber noch
niemand etwas bekommen“, sagt
Garcia. „Lima stützt lieber Großbe-
triebe, Familienunternehmen gehen
immer leer aus.“ Peru hat auch ein
strukturelles Problem: Der informel-
le Sektor macht 73 Prozent der Wirt-
schaft aus. Wer dort arbeitet, hat kei-
ne Chance auf Staatshilfen.
Die Straße hinab zum Rathaus-
platz ist am frühen Abend fast men-
schenleer. Einige Restaurants haben
ihre Tische weggeräumt und verkau-
fen Obst und Gemüse, ein ehemali-
ger Souvenirladen bietet Putzmittel
an. Ich komme mir wie ein Alien vor
– viele Einheimische drehen sich er-
staunt nach mir um. Ein Frau bittet
um ein gemeinsames Selfie: „Du bist
der erste Ausländer, den ich seit Mo-
naten gesehen habe.“
MAIS STATT MACHU PICCHU
Über 4 000 Einwohner haben den
Fotos: Andrzej Rybak (2), Ernesto Benavides/AFP via Getty Images
Ort verlassen. Miguel Angel Jarra
etwa. Nach zwei Monaten waren sei-
ne Ersparnisse aufgebraucht, Hun-
ger drohte. „Da bin ich zu meinen
Schwiegereltern aufs Land gezogen,
um auf dem Hof zu helfen“, sagt er.
Der 33-Jährige kam vor vier
Jahren nach Machu Picchu, um als
Fremdenführer zu arbeiten. Er war
so begeistert von der Landschaft und
den Ruinen, dass er nicht mehr ging.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich noch
Ackerbau lernen werde“, sagt er nun.
Er hat Kaffee geerntet, Maniok und
Mais gepflanzt. „Zumindest hatten
Capital Ausgabe 01/2021

wir genug zu essen“, sagt er. Es sind
viele, die so durch die Krise kommen.
Gerade ist Jarra nach sieben
Monaten ins Städtchen zurückge-
kehrt, um nach seinen Sachen zu
sehen und Freunde zu treffen, die
einen der wenigen Jobs ergattern
konnten: beim Bau des städtischen
Kindergartens. Es ist die einzige Bau-
stelle, die nicht gestoppt wurde.
Sechs Fremdenführer schuften
hier, etwa Edson Carlos ­Figueiroa.
Der 38-Jährige hat nach dem Lock-
down zuerst als fliegender Händler
in Cusco gearbeitet und kam dann
bei seinen Großeltern unter. „Zum
Glück habe ich vor zwei Monaten
diesen Job bekommen, wir waren to-
tal blank“, sagt er. „Die Bezahlung ist
schlecht, aber immerhin kann ich
meine Familie durchbringen.“
Da er vom Bauen keine Ahnung
hat, übernimmt er die einfachen Jobs
und karrt Sand und Ziegel he­ran.
„Wir haben keine Alternative, wir
müssen die Krise durchstehen“, sagt
er. „Machu Picchu wird sich erholen,
vielleicht kann ich in einem halben
Jahr wieder als Führer arbeiten.“
Fast 300 einheimische Tour-
guides gab es vor Corona. „Und für
jeden genug zu tun“, sagt Percy Flo-
res Mesa, der auch auf der Baustel-
Oben auf dem
Bergrücken lie-
gen die eigent-
lichen Ruinen
von Machu
Picchu – der-
zeit hätten die
Lamas sie für
sich allein
le schuftet. Der 40-Jährige war lan-
ge Fremdenführer, vor drei Jahren
beschloss er, eine Pension zu eröff-
nen, und nahm einen Kredit auf.
Das Geschäft lief gut, knapp 7 500
Euro Umsatz pro Monat, er zahlte
die Schulden ab. „Jetzt bin ich plei-
te und kann den Kredit nicht bedie-
nen“, sagt er. „Die Regierung muss
dringend ein Gesetz zur Umschul-
dung der Privatkredite verabschie-
den. Wir brauchen ein Jahr Ver-
schnaufpause.“
Ob die Touristen dann aber zu-
rück sind, weiß kein Mensch. Im No-
vember immerhin wird Machu ­Picchu
für den Lokaltourismus geöffnet –
Der Ort Machu
Picchu Pueblo,
abgelegen im
engen Tal des
Urubamba,
dient nur dazu,
Touristen zu
beherbergen
aber da werde ich schon wieder weg
sein. Täglich dürfen nun unter stren-
gen Hygienemaßnahmen 675 Men-
schen die Zitadelle betreten, in ge-
führten Gruppen von acht Personen
müssen sie einer festgelegten Route
folgen. Ordnungskräfte in Schutzan-
zügen verteilen Desinfektionsmittel.
„Es ist ein Pilotprojekt, der
Eintritt ist gratis“, sagt Miguel Za-
mora, der die Eröffnung mit einem
Team des Kulturministeriums vorbe-
reitet hat. Es hat ein Gutes: „Es gibt
in der Gegend viele Einheimische,
die wegen des großen Andrangs und
der hohen Preise Machu Picchu noch
nie besucht haben.“
153
 LEBEN
Reise
 Traumziele
Sie wollen unbedingt, unbedingt verreisen – und nicht schon wieder an die
Ostsee? Na gut. Ein paar schöne Orte lassen sich auch jetzt besuchen
Chichén Itzá
M E X I KO
Risikogebiet, Einreise möglich
Chichén Itzá, die Ruinenstadt auf
der mexikanischen Halbinsel Yuca-
tán, ist seit 1988 UNESCO-Welt-
kulturerbe. Die Maya-Tempel und
-Pyramiden lassen sich leicht vom
Urlaubsort Cancún erreichen, der
auch ein guter Startpunkt für eine
Yucatán-Rundreise ist. Mexiko gilt
zwar in Deutschland als Covid-Ri-
sikogebiet, sodass für Rückkehrer
eine Quarantäne und ein PCR-Test
Pflicht sind. Wer aber bereit ist, das
in Kauf zu nehmen, kann nach Mexi-
ko einreisen: Das Land verlangt der-
zeit keine Testergebnisse oder spe-
zielle Quarantänemaßnahmen bei
der Einreise. Auch der internatio-
nale Flugverkehr findet statt.
Neben Chichén Itzá locken Dutzende
Maya-Städte nach Yucatán
154
Der Etosha-Nationalpark ist das
wichtigste Schutzgebiet des Landes
Safari
NAMIBIA
kein Risikogebiet, Einreise möglich
Namibia ist von Corona relativ ver-
schont geblieben und eines der we-
nigen Länder, die die Bundesregie-
rung derzeit nicht als Risikogebiet
einstuft. Touristen mit einem ne-
gativen PCR-Test können Nami-
bia daher recht problemlos besu-
chen, sie benötigen bloß ein fest
gebuchtes Reiseprogramm, zwei
Formulare vom namibischen Tou-
rismusverband und eine Reise-
krankenversicherung. Namibia
ist ein ideales Ziel für alle, die von
Safaris träumen: Im Nationalpark
Etosha lassen sich Giraffen, Ele-
fanten und Löwen bestaunen – mit
sicherem Abstand, aus dem Jeep
oder sogar dem Heißluftballon.
Tadsch Mahal
INDIEN
Risikogebiet, Einreise schwierig
Vor Beginn der Coronapandemie ha-
ben sich täglich bis zu 40 000 Men-
schen am Tadsch Mahal in Indi-
en getummelt. Das berühmte Grab
aus weißem Marmor ließ der Herr-
scher Shah Jahan im 17. Jahrhun-
dert für seine Lieblingsfrau Mum-
taz Mahal bauen. Im März schloss
der Tadsch Mahal coronabedingt,
im September wurde er wieder ge-
öffnet. Wo sich sonst aber dicht an
dicht Touristen drängen, geht es
nun entspannter zu: Derzeit dür-
fen nur 5 000 Menschen am Tag das
Mausoleum besuchen. Dazu gelten
eine Maskenpflicht, Abstands- und
Hygieneregeln. Wer aus Deutsch-
land zum Tadsch Mahal reisen will,
dürfte es jedoch schwer haben. Es
gibt zwar Flüge, Indien erteilt aber
derzeit keine Visa für ausländische
Touristen. Wer aus anderen Grün-
den einreist, etwa mit einem Ar-
beitsvisum, muss sich 14 Tage in
Quarantäne begeben oder einen ne-
gativen Coronatest vorlegen.
Fotos: Getty Images (3), Adobe Stock
Der Tadsch Mahal mit seiner fast
­30 ­Meter hohen Kuppel
Capital Ausgabe 01/2021
 Pyramiden
ÄGY P T E N
Risikogebiet, Einreise möglich

Die Pyramiden leiden sonst unter zu
vielen Touristen, der Zugang ins Innere
war schon vor Corona limitiert
Sie gelten als einziges erhaltenes
Weltwunder der Antike: die Pyra-
miden von Gizeh, seit 1979 UNESCO-
Weltkulturerbe. Im März musste die
Touristenattraktion wegen der sich
ausbreitenden Coronapandemie
schließen, schon seit Juli aber kön-
nen Touristen die Cheops-, die Che-
phren- und die Menkaure-Pyramide
wieder bewundern. Es gelten jedoch
Schutzmaßnahmen: „Auch die Be-
sucher und ihre Taschen“ werden
desinfiziert, zitiert die Nachrichten-
agentur AFP eine Reiseführerin. Die
Pyramiden erreicht man am besten
aus dem angrenzenden Kairo, und
eine Einreise nach Ägypten ist von
Deutschland aus relativ problemlos
möglich. Flugverkehr findet statt,
wenn auch mit Einschränkungen.
Touristen müssen außerdem einen
negativen PCR-Test auf das Coro-
navirus vorweisen, der nicht älter
als 72 Stunden sein darf. Fliegt man
von Frankfurt, gilt eine Frist von
96 Stunden. Auch im Land gelten di-
verse Hygienemaßnahmen und Ein-
schränkungen – grundsätzlich aber
lässt sich das Land bereisen, selbst
etwa die beliebten Tauchreviere am
Roten Meer.
T E X T E : C H A R L O T T E R A S KO P F

VON DER SONNE

DES MITTELMEERS GEKÜSST.
Norwegian Cruise Line entführt jeden Sommer zu den
TT &
Highlights des westlichen Mittelmeers.
ABA *
R !
3 0% HERN
T IC
JETZ EHR S
M

Mittelmeerkreuzfahrt für Foodies, Wellnessfans und Entdecker ++ Cannes, Neapel, Palma u.v.m ++ Umfassendes Gesundheitskonzept
Florenz und Rom sind definitiv Must-Sees, doch das Mittelmeer hat so viel mehr zu bieten. Pulsierende Metropolen wechseln sich ab mit pittoresken Dörfern,
türkisblauen Buchten und kulturellen Highlights. Lust, sich endlich wieder frei zu fühlen und in See zu stechen? Mit dem Premiumschiff Norwegian Epic
von Norwegian Cruise Line (NCL) erkunden Sie das Mittelmeer ab Barcelona oder Civitavecchia mal ganz anders. An Bord genießen die Gäste mit Freestyle
Cruising den Urlaub im eigenen Tempo und Rhythmus. Ob Spannung im Aqua Park, Erholung im Mandara Spa® oder à-la-carte Dinner im Spezialitätenrestaurant
– ganz ohne feste Tischzeiten und Dresscode. Alles kann, nichts muss.

Unbeschwert reisen mit zertifiziertem Gesundheits- und Sicherheitskonzept und flexibler Stornierungsmöglichkeit.

JETZT FÜR 2021/2022 BUCHEN IM REISEBÜRO, UNTER 0611 36 07 180 ODER NCL.DE/FREE
Vertriebs- und Marketingkontakt Kontinentaleuropa: NCL (Bahamas) Ltd. | Kreuzberger Ring 68 | D-65205 Wiesbaden. *Details auf ncl.de. ©2020 NCL Corporation Ltd. Schiffsregister: Bahamas und USA. 7435_61.11.20
 LEBEN
Mode

LUCKWALDTS STIL-REGELN
Unser Autor Siems Luckwaldt gibt jeden Monat Orientierungshilfe
in Sachen Mode. Diesmal: SILVESTER DAHEIM

FRISCHES NEUES
„Cap Cédrat“ von
L’Occitane, Noten: Zitrone,
Ingwer, Zeder. 75 ml Eau
de Toilette, circa 54 Euro,
S TAT T S C H A M P U S loccitane.com
Gin „Kyrö x Ki No Bi“, ein
Projekt der Destillerien Kyrö
(Finnland) und Kyoto
(Japan). Circa 40 Euro für
0,5 l, kyrodistillery.com

WEICHE KNIE
Sweathose von Brunello
Cucinelli, aus Kaschmir
mit Baumwolle, Tunnel-
zug. Circa 1 900 Euro, über
braun-hamburg.com

NEUER ABSCHNITT
Santokumesser aus der
„Performer“-Serie von
Wüsthof, DLC-beschichtet
für gutes Schneiden. Circa
230 Euro, wuesthof.com
DA N C I N G Q U E E N
Slingpumps von
Konstantin Starke, silber-
farbenes Metallicleder,
Absatzhöhe: 8 cm.
Circa 200 Euro, über
zumnorde.de
Illustration: Jindrich Novotny; Fotos: PR (11)

M O R G E N DA N AC H
RUNTERZÄHLEN
„Delayed“ von Swatch, Saug-/Wischroboter „S6
Hommage an den MaxV“ von Roborock, mit
turbulenten Bau des BER. Stereokamera und KI-
Circa 90 Euro, swatch.com Hinderniserkennung. Circa
540 Euro, de.roborock.com

156 Capital Ausgabe 01/2021

 WAT E R F O R D
Die Flöten der Kol-
lektion „Lismore
Essence“ tragen ein
klassisches Schliff-

ATZ
muster am Kelch.

DREMISPA G N E R -
Circa 100 Euro, 2er-
Set, waterford.com
CHA ÄSER
GL
EISCH
RIEDEL Der Stiel wird beim
Der größere Durch- Kristallglas der
messer des Cham- Traditionsmarke aus
pagnerglases aus dem Bayerischen
der „Winewings“- Wald per Hand ange-
Serie lockt mehr setzt. Circa 24 Euro,
Aroma hervor. Circa 2er-Set, über manu-
26 Euro, riedel.com factum.de
MEISTERSTÜCK

STOP TALKING.
START PLANTING.
Die Klimakrise ist ein Wettlauf gegen
die Zeit. Aber es gibt etwas, was uns
wertvolle Zeit verschafft um Emissionen
zu reduzieren: Bäume. Hannes Jaenicke
hat gerade 1000 Bäume gepflanzt.
Pflanz mit – mit einem Klick.
plant-for-the-planet.org

„ 2 4 H O U R JAC K E T “ VO N E T R O

Die kombinierten Karo- und Fischgrätmuster täuschen fast darüber

hinweg, dass dieses Sakko dank flexiblem Jerseystrick sehr bequem
zu tragen ist. Notfalls, etwa in ausgelassener Feierlaune, auch auf
links, denn als Innenfutter dient ein Seidentuch mit dem typischen
Paisley-Design des Familienunternehmens. Circa 1 050 Euro, etro.com

CAPITAL erscheint im Verlag

Gruner + Jahr, Unterstützer
von Plant-for-the-Planet
 LEBEN
Watch Award

Die besten Uhren 2020

Die Uhrenwelt nen unter

hat sich im Jahr B ra n c h e n -
2020 so selten profis und Ju-
persönlich getroffen rymitgliedern.
wie nie zuvor. Da mach- Unter den Themen:
te auch die dritte Verlei- „The Corona Economy“,
hung der Capital Watch Awards „CEOs im Lockdown“ und
im November keine Ausnahme – und „Das Comeback der Kunden“. Ob-
dennoch genossen es die Teilnehmer wohl das Digitalformat gut ankam,
des virtuellen Events sichtlich, sich wünschten sich alle, dass der vierte
wenigstens von Webcam zu Webcam IM UHRZEIGERSINN: Uhrenpreis im Herbst 2021 wieder
einmal wieder gegenüberzusitzen. Tim Stracke, Co-Gründer von im „echten Leben“ stattfinden kann.
Chrono24; Judith Borowski, Marken-
Das abwechslungsreiche Pro- Wir bedanken uns bei unse-
chefin von Nomos Glashütte;
gramm verknüpfte die Ehrung der ren Partnern Brinckmann & Lange,
Wilhelm Schmid, CEO von A. Lange
elf Gewinner (Trophäe: Riedel Glas) & Söhne; Yannick Michot, Weinheimat Württemberg, Nobilis –
mit Impulsvorträgen, Interviews und The Noble House of Beauty und der
Fotos: Privat (4)

Geschäftsführer von Patek Philippe

hochkarätig besetzten Diskussio- Deutschland Kosmetikmarke Rituals.

158 Capital Ausgabe 01/2021

 Neugierig auf das Unbekannte?

KABEL EINS DOKU

DER SENDER FÜR ALLE, DIE NOCH FRAGEN HABEN.
 LEBEN
Auto
Im Job brütet Staranalyst Arndt Ellinghorst über den Zahlen und
Prognosen der Automobilbranche. Nach Feierabend gehört sein Herz
dem PORSCHE 911 T/R , dessen ungestümes Temperament er schätzt
„Auf dieses Auto muss man sich ein-
lassen“, sagt Arndt Ellinghorst. „Es
verursacht Gänsehaut, da hat man
am Steuer auch mal Angst.“ Wenn
der Analyst über seinen Porsche 911
T/R von 1968 spricht, schwingt Emo-
tion mit. Seinen Berufsalltag beim
Londoner Investmenthaus Sanford
C. Bernstein dagegen verbringt er
mit der kühlen Bewertung von Au-
tomobilaktien und dem Prognos-
tizieren der mobilen Zukunft. El-
linghorst, einer der meistzitierten
Analysten auf dem Gebiet, gilt als
Star der Szene. Privat steht bei ihm
160
AUTOBIOGRAFIE
VO N G U I D O R E I N K I N G
keine Marke so hoch im Kurs wie
Porsche: „Die Kompromisslosigkeit,
mit der hier Rennsport betrieben
wurde, diese Leidenschaft und In-
genieurskunst befeuern den Mythos
bis heute.“ Das spüre er auch selbst
am Steuer: „Der T/R wurde für den
Rennsport auf Basis des leichten
911 T mit kurzem Radstand entwi-
ckelt und nur 35-mal gebaut.“
Sein Modell mit der Startnum-
mer 67 gehörte ursprünglich einem
Franzosen, der es von 1969 bis 1971
beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans
fuhr. „Wir haben den Wagen 2016 in
ARNDT
E L L I N G H O RST
steigt auf dem
Gelände des
exklusiven An­
wesens Wood­-­
cote Park in
seinen Porsche.
Frankreich gefunden und original-
getreu aufgebaut, inklusive Rennmo-
tor aus dem 906.“ Das Ergebnis sind
210 PS bei kaum 1 000 Kilogramm
Gewicht und ein noch heute schnel-
les Auto. 2018 brachte Ellinghorst
sein Baby nach Le Mans zum Clas-
Illustration: Jindrich Novotny; Foto: PR
sic-Event und nahm darin berühm-
te Kurven wie Arnage, Tertre Rouge
oder Mulsanne. Am Ende kam der
Neffe des früheren Fahrers ­Jacques
Dechaumel in die Boxengasse und
erzählte unter Tränen, er habe den
Wagen sofort erkannt. Wieder so ein
Gänsehautmoment.
Capital Ausgabe 01/2021
FORD S-MAX TREND
MONATLICHE FORD LEASE FULL-SERVICE-RATE
€ 269,- NETTO 1,2 (€ 312,04 BRUTTO)
Innen flexibel und komfortabel, außen dynamisch und
elegant – mit unserem Sportvan haben Sie im Business
und in der Freizeit alle Möglichkeiten.
Mehr Informationen unter ford.de/s-max-4business

Kraftstoffverbrauch (in l/100 km nach § 2 Nrn. 5, 6, 6a Pkw-EnVKV in der jeweils geltenden Fassung): 6,3
(innerorts), 4,5 (außerorts), 5,1 (kombiniert); CO2-Emissionen: 137 g/km (kombiniert).

* Der Ford S-MAX, Gewinner des autonis Awards „Beste Design-Neuheit 2020“ in der Kategorie Vans. Ausgezeichnet von auto motor und sport, Heft 23/2020.
Beispielfoto eines Fahrzeuges der Baureihe. Die Ausstattungsmerkmale des abgebildeten Fahrzeuges sind nicht Bestandteil des Angebotes. 1 Ford Lease ist ein
Angebot der ALD AutoLeasing D GmbH, Nedderfeld 95, 22529 Hamburg, für Gewerbekunden (ausgeschlossen sind Großkunden mit Ford Rahmenabkommen
sowie gewerbliche Sonderabnehmer wie z. B. Taxi, Fahrschulen, Behörden). Das Ford Lease Full-Service-Paket ist optional erhältlich und in der Ford Lease Full-
Service-Rate berücksichtigt. Eingeschlossen sind Wartungs- und Inspektionsarbeiten sowie anfallende Verschleißreparaturen in vereinbartem Umfang und ohne
Leasing-Sonderzahlung. Bei weiteren Fragen zu Details und Ausschlüssen zu allen Services wenden Sie sich bitte an Ihren Ford Partner. Nur erhältlich im Rahmen
eines Ford Lease-Vertrages. Ist der Leasingnehmer Verbraucher, besteht nach Vertragsschluss ein Widerrufsrecht. 2 Z. B. der Ford S-MAX Trend, 2,0-l-EcoBlue-
Dieselmotor mit 110 kW (150 PS), 6-Gang-Schaltgetriebe, inklusive Metallic-Lackierung, ohne Leasing-Sonderzahlung, bei 36 Monaten Laufzeit und 30.000 km
Gesamtlaufleistung. Leasingrate auf Basis einer UPE der Ford-Werke GmbH von € 31.386,55 netto (€ 36.408,40 brutto), zzgl. Überführungskosten. Die Rate
enthält das Ford Lease Full-Service-Paket zum Preis von € 6,06 netto (€ 7,03 brutto) monatlich. Details bei allen teilnehmenden Ford Partnern.
 LEBEN
Genuss
HENKERS­FLASCHE
Welcher Wein sollte der letzte in Ihrem Leben sein? Drei Kenner
äußern finale Wünsche zum Jahresende
SEBASTIAN FRANK
NEUMEISTER
Grauburgun-
der Ried
Saziani 2018,
circa 40 Euro
Diesen Wein verbinde ich mit
einem besonderen Mittagessen in Ös-
terreich, wo wir vor sieben Jahren
im Urlaub waren. Bei der Ankunft
trugen wir die schlafenden Kinder ins
Hotel, setzten uns auf die regennasse
Terrasse und konnten ruhige Zwei-
samkeit, den Einstiegswein und vier
Gänge genießen. Als der Nachwuchs
wach wurde und draußen herumtoll-
te, öffneten wir den herrlichen Grau-
burgunder, die Krönung eines unbe-
schwerten Moments. Das Wetter war
wieder schön, die Kids gut gelaunt,
die Ferien noch lang. Ich weiß noch das
gesamte Menü, nur der Jahrgang
2005 scheint vergriffen. Aber ein an-
derer Jahrgang wartet schon auf die
passende Gelegenheit.
SEBASTIAN FRANK
ist Küchenchef und Inhaber
des Restaurants Horváth in
Berlin-Kreuzberg.
162
ISABEL BONACKER
Das letzte Glas sollte Bilder eines
toskanischen Sommers vor mein in-
neres Auge holen. Aus dem Juli 1996
etwa, als mein Mann und ich im
Chianti unterwegs waren. Von Wein-
gut zu Weingut, auf der Rückbank
noch keine Kinder (jetzt sind es drei),
dafür der eine oder andere Flaschen-
karton. Nur bei der Winzerfamilie
Montevertine hatten wir Pech. Am Tor
ihres Anwesens im Örtchen Radda
hing ein Schild: „Non abbiamo più
niente“, also „Wir haben nichts mehr“.
Ein Lokal in der Nähe hatte vorge-
sorgt, und den Le Pergole Torte aus
Sangiovese-Trauben fand ich sofort
unwiderstehlich. Auch wegen der
tollen Frauenporträts auf dem Etikett,
die jährlich wechseln.
MONTE-
V E RT I N E
Le Pergole
Torte 2017,
circa
140 Euro
I SA B E L B O N AC K E R
ist Gesellschafterin und Mit-
inhaberin des Aachener
Kosmetikkonzerns Babor.
ARTHUR OESTERLE
III FREUNDE
Grauburgun-
der 2019, circa
10 Euro
Nur noch eine Flasche im Leben?
Da würde ich zu einem Wein greifen,
den wir bei unserer Hochzeit diesen
Sommer getrunken haben – im
engsten Kreis von Familie und Freun-
den. Ein Tag, den ich nie vergessen
werde, in diesem besonderen Jahr
erst recht nicht. Und notfalls ist die-
ser Grauburgunder eine Erinnerungs-
stütze. Auf das Gut aufmerksam
geworden ist übrigens meine Frau, die
von der Geschichte der jungen Winze-
rin und ihrer zwei Mitstreiter in einem
Podcast hörte. Seitdem sind die
III Freunde aus unserem Leben nicht
mehr wegzudenken und haben auch
die Herzen vieler Freunde erobert.
Denn am besten schmeckt ein Wein
natürlich, wenn man ihn teilt.
A RT H U R O E S T E R L E
Fotos: PR (6)
leitet den Premium-Juwelier
Brinckmann & Lange, der
zum Filialisten Christ gehört.
Capital Ausgabe 01/2021
A MASTERPIECE
SCULPTED BY TIME.

T H E A R T O F T I M E , S I N C E 1 7 7 9.
B O W M O R E S I N G L E M A LT S CO T C H W H I S K Y. w w w.drinksmar t.com
 FINALE
MEINE ERSTE MILLION
„Das war mein Kindheitstraum“
Martin Menz, Gründer und Geschäftsführer des E-Commerce-Unternehmens Relaxdays
Herr Menz, Sie haben mal gesagt,
dass Sie Ihre Firma gegründet ha-
ben, um Millionär zu werden. War
das ernst gemeint?
Das war definitiv mein Kindheits-
traum. Ich wollte finanziell unab-
hängig sein und dachte, wenn ich es
schaffe, meine 2 000 Euro Startka-
pital jedes Jahr zu verdoppeln, dann
müsste ich nach zehn Jahren eine
Million haben.
Ist die Rechnung aufgegangen?
Nicht so schnell. Ich hatte in mei-
nem jugendlichen Leichtsinn nicht
an Ausgaben und Steuern gedacht.
Das war natürlich naiv, aber solche
Träume sollten doch legitim sein.
Als Erstes haben Sie Kopfkrauler
verkauft. Warum das?
Ich habe immer die Augen offen ge-
halten und versucht, Marktlücken
zu finden. 2006 bin ich im Urlaub in
164
M A RT I N M E N Z ,
3 5 , hat vor 14 Jah-
ren Relaxdays in
Halle gegründet, ein
E-Commerce-Unter-
nehmen für Haus-,
Garten- und Freizeit-
artikel. Das Sorti-
ment umfasst Pro-
dukte vom Klappgrill
bis zum Schuhregal,
die 350 Mitarbeiter
haben im vergange-
nen Jahr einen Um-
satz von 51 Mio. Euro
erzielt.
Alicante über diese Kopfmassage-
stäbe gestolpert. Zu Hause habe ich
dann zehn Stück bestellt und wei-
terverkauft, vor allem über Online-
plattformen wie Ebay. So fing das
an, dann kamen immer mehr nütz-
liche Sachen für Haus, Garten und
Freizeit dazu. Mittlerweile sind es
mehr als 12 000 Produkte.
Viele dieser Artikel kosten zwi-
schen 10 und 50 Euro. Wie lange
haben Sie gebraucht, um damit
Ihr Millionenziel zu erreichen?
Ich war 21, als ich die Firma ge-
gründet habe, und habe teilwei-
se 16, 17 Stunden am Tag gearbei-
tet, um jeden einzelnen Prozess zu
verstehen und zu verbessern. Viel
entscheidender als die erste Milli-
on war dann für mich, dass ich auch
mal zwei Wochen in den Urlaub fah-
ren kann und alles weiterläuft. Da-
für brauchte ich gute Mitarbeiter,
denen ich voll vertraut habe.
Und wann war der erste Urlaub?
Zwei Jahre nach der Gründung. Das
war der erste kleine Meilenstein.
Und die erste Million?
Nach vier Jahren hatten wir 1 Mio.
Euro Umsatz. Nach zehn Jahren wa-
ren es zehn Millionen, im letzten
Jahr 51 Mio. Euro. Wenn ich die Fir-
ma verkaufen würde, wäre ich Milli-
onär. Aber das habe ich nicht vor.
Sondern was?
Ich bin gerne Unternehmer. Und
Coach für 350 Mitarbeiter, mit de-
nen ich ständig jeden einzelnen Pro-
zess verbessere, vom Produkt und
Kundenservice über die Logistik bis
zur Softwareentwicklung, akribisch
und viel härter als andere Unter-
nehmen. Das ist für einen 35-Jähri-
gen eine tolle Aufgabe.
Hatten Sie sich das in Ihrem Kind-
heitstraum so vorgestellt?
Das war damals mein Antrieb, um
loszulegen. Aber die Million stand
eigentlich nur symbolisch dafür,
möglichst schnell unabhängig von
Mama und Papa zu sein und mir als
junger Mensch ein paar Dinge leis-
ten zu können. Und Urlaub ist nach
wie vor der größte Luxus für mich.
Nachdem Sie mit Relaxdays gestar-
tet sind, haben Sie Ihr BWL-Studi-
um erst schleifen und schließlich
sausen lassen. Bereuen Sie das?
Nein, überhaupt nicht. Für mich
war das genau der richtige Weg. An
meiner alten Uni in Halle-Witten-
berg sitze ich heute häufiger mit
dem Rektor zusammen, um über
Nachwuchsförderung zu sprechen.
Foto: Benjamin Diedering/PR
In Halle und Leipzig vergibt meine
Firma die meisten Stipendien. Und
ich kann heute vielen jungen Leu-
ten in dieser Region eine Chance auf
dem Arbeitsmarkt bieten.
I N T E RV I E W: J E N N Y VO N Z E P E L I N
Capital Ausgabe 01/2021
MEGATRENDS

Einvom
Selfie
Mars.
Echt jetzt?
Echt.
Jetzt.

Ist das nicht zu weit weg? Sicherlich, aber durch die zukünftige Technologie
kommen wir unserem nächsten Planeten immer näher. So kann eine Internetverbindung
zum Mars bald hergestellt werden. Aber das ist nur eine von vielen Innovationen,
die zeigen, dass Megatrends sich immer weiterentwickeln werden. Profitieren Sie
davon und investieren Sie in die Konnektivität der Zukunft – den Fidelity Future
Connectivity Fund.

Fidelity Future Connectivity Fund

Hier erfahren Sie mehr.

Risikohinweise: Der Wert der Anteile kann schwanken und wird nicht garantiert. Fremdwährungsanlagen unterliegen Wechselkursschwankungen.
Die angestrebte Ausschüttungsrendite wird nicht garantiert. Sie kann u. a. vom Börsengeschehen und von makro­ökonomischen Faktoren
beeinflusst werden. Weitere, ausführliche Risiken finden Sie im Verkaufsprospekt.
Vollständiger Name des Fonds: Fidelity Funds – Future Connectivity Fund, ISIN: LU1881514001, WKN: A2N9R3. Eine Anlageentscheidung sollte in jedem Fall auf Grundlage der wesentlichen Anleger-
informationen, des letzten Geschäftsberichtes und – sofern nachfolgend veröffentlicht – des jüngsten Halbjahresberichtes getroffen werden. Diese Unterlagen sind die allein verbindliche Grundlage
des Kaufes und können kostenlos bei der FIL Investment Services GmbH, Postfach 20 02 37, 60606 Frankfurt am Main oder über www.fidelity.de angefordert werden. Fidelity, Fidelity International, das
Fidelity International Logo und das „F-Symbol” sind Markenzeichen von FIL Limited. Herausgeber: FIL Investment Services GmbH, Kastanienhöhe 1, 61476 Kronberg im Taunus. Dezember 2020. MK11689.