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Nes Ammim

Zeichen für die Völker

Eine »untheologische« Betrachtung über die Bekehrung der


Christen und Juden, sowie über die Erfüllung der Sehnsucht
der Juden nach der Ankunft des Messias

Raphael E. Bexten1

Mayerling 2011 – urn:nbn:de:0288-2011042710

1
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Inhaltsverzeichnis

1 Das Geheimnis des auserwählten Volk Gottes ............................... 3

1.1 Erwählung und Verheißung .................................................. 3

2 »Und ich bringe sie in das Land zurück, das ich ihren Vätern
gegeben habe, damit sie es in Besitz nehmen« ..................................... 5

2.1 »Dann wird ganz Israel das Heil erlangen« .......................... 5

3 Auserwählung und eschatologische Bedeutung .............................. 8

3.1 Sie sind Ihm ähnlich geworden im Leiden – so werden sie


Ihm auch ähnliche in der Verherrlichung ........................................... 8

Bibliographie ....................................................................................... 16
1 Das Geheimnis des auserwählten Volk Gottes

1.1 Erwählung und Verheißung

Es ist ein großes Geheimnis – bis hin in unsere Tage – das Volk Israel, die Juden – seine
Erwählung durch Gott, sein sehnsuchtsvolles Erwarten des Messias, sein Sich-Abkehren vom
liebenden Gott – sowie sein stetiges reumütiges Sich-dem-liebenden-Gott-wieder-Zuwenden.
In seiner langen Liebesgeschichte mit dem auserwählten Volk zeigt sich der einzige und
wahre Gott2, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs treu – er erfüllt an seinem geliebten Volk
die Bundesverheißung3 - wider allen menschlichen Hoffens und Trachtens überhäuft der Herr
sein Volk, das aus dem Mund seiner eigenen Propheten oft als halsstarrig und widerspenstig
bezeichnete Volk4 - je mehr es von Gottesplan abzuirren droht – mit Gunst und Gnade.
Obwohl es oft durch starke Mächte bedroht – ja durch diese sogar zerstreut und »zertreten«
wird – so wird es doch durch Gottes allmächtige Hand, »wider jeder menschlichen Vernunft«
gesammelt und aus der immer wieder drohenden Vernichtung geführt und errettet. Dieser
Sachverhalt – das Verhältnis Gottes zu seinem auserwählten und geliebten Volk kommt
immer wieder in Laufe der Heilsgeschichte durch Gottes Großtaten an Seinem Volk zum
Ausdruck – das Volk Israel, die Juden sind, allegorisch gesprochen David, der nach
Gottesplan und durch Gottes Hilfe den übermächtigen Goliath besiegt5 und so Gott dient.6
Gott hält durch die gesamte Geschichte hindurch seine Versprechungen – zu Mose sprach
Gott:

»Siehe, ich schließe einen Bund: Vor deinem ganzen Volk will ich Wunder tun, wie sie bisher
nicht vollbracht worden sind auf der ganzen Erde und unter allen Nationen. Und das ganze

2
Vgl. Ex 3,14; Gen 12,8. (Die zitierten Schriftstellen sind der revidierten Elberfelder Bibel [1993]
entnommen.).
3
Der zum Katholizismus konvertierte Jude Roy H. Schoeman fasst die Charakteristika und Aufgaben der
Juden, die aus ihrer Erwählung druch Gott reslultieren wie folgt zusammen: »Schließlich brauchte Gott ein Volk,
das dem Messias bei seinem Kommen eine weltliche Heimat bietet und der Welt seine Ankunft verkündet.« Roy
H. Schoeman, Das Heil Kommt Von Den Juden: Gottes Plan Für Sein Volk, 1st Aufl (Sankt Ulrich Verlag,
2007), S 17.
4
Vgl. z. B. Dtn 31,24ff.
5
Vgl. 1 Sam 17f.
6
Vgl. hierzu auch Ps 8,3; Jes 26,5; Jes 29,14; Jes 29,19; Mt 21,16; 1 Kor 1,27.
Das Geheimnis des auserwählten Volk Gottes 4

Volk, in dessen Mitte du lebst, soll das Tun des HERRN sehen; denn furchterregend ist, was
7
ich an dir tun werde.«

Nach menschlichen Maßstäben hätte das kleine Volk der Juden längst, wie es schon an vielen,
viel größeren Völkern geschen ist, aufgelöst bzw. durch andere Völker einverleibt werden
müssen.
Wird bei der Erörterung dieses Sachverhaltes einmal von jeglicher Theologie
abgesehen – so ist das Rätsel um das Volk Israel dennoch erkennbar. Im Vergleich mit den
anderen Völkern, die in großen zyklischen Crescendi aus der Geschichte aufsteigen – um
dann wieder aus der Völkergemeinschaft zu verschwinden, verhält es sich mit dem Volke
Israel – den Juden anderes, wie auch der Profanhistoriker bemerken kann.8 Insofern kann dem
Leibartz des Preußenkönigs Friedrich II. durchaus zugestimmt werden, wenn dieser, auf die
Frage nach einem Gottesbeweis, diesen in der Existenz des Volkes Israel sieht9.
Somit hat das Volk Israel, nachdem aus ihm, dem Fleische nach, die zweite göttliche
Person, Jesus Christus, geboren worden ist, nicht an Bedeutung verloren – schon gar nicht für
unsere Jetztzeit – vielmehr scheint – hierüber soll diese »untheologischen« Erörterung des
weiteren handeln – gerade in unserer Jetztzeit die Bezeichnung des Volk Israel als Nes
Ammim (‫)נֵס עַמִּ ים‬10 in zunehmendem Maße das damit Gemeinte zu bezeichnen.11
Das Volk Israel ist also von Anfang an, nach Gottes ewigen Plan dazu berufen, dass
an ihm die Großtaten Gottes für jeden Menschen erkennbar werden.12

7
Ex 34,10.
8
Vgl. auch Adolf Köberle, “Israel - ein Gottesbeweis,” Israel - ein Gottesbeweis, März 7, 2011, § 2,
http://www.horst-koch.de/joomla_new/content/view/53/390/ ; Accessed: 2011-03-07. (Archived by WebCite®
at http://www.webcitation.org/5x0wAeFo2).
9
Sofern man der Anekdote Glauben schenken darf.
10
Zeichen für die Völker – vgl. Jes 11,10f.
11
Doch dies sei hier einleitend erwähnt birgt diese Betrachtung viele nicht zu unterschätzende Gefahren in
sich – Schreiber wie Leser müssen stetig auf der Hut vor Simplifiationen, eindimensionale Interpretationen des
unendlich vielschichten Wort Gottes sein. Wenn auch bestimmte historische Ereignise in den exegetischen
Überlegungen eine Rolle spielen, so muss doch alle Starrheit und Fixiertheit vermieden werden – keine
exegetische Interpretation kann als die alleinig gültige deduziert werden – vielmehr bedüfen wir der
authentischen Auslegung des Wortes Gottes durch unsere hl. Mutter, die katholische Kirche, um vor der Gefahr
von Irrtum und Haeresie geschützt zu sein.
12
Schuld, Sünde und Verfehlungen können hier nicht als Gegenargument angeführt werden, denn »[w]o
aber die Sünde zugenommen hat, ist die Gnade überreich geworden, damit, wie die Sünde geherrscht hat im Tod,
so auch die Gnade herrscht durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben«. (Röm 5,20-21).
»Und ich bringe sie in das Land zurück, das ich ihren Vätern gegeben 5
habe, damit sie es in Besitz nehmen«

2 »Und ich bringe sie in das Land zurück, das ich ihren Vätern
gegeben habe, damit sie es in Besitz nehmen«

2.1 »Dann wird ganz Israel das Heil erlangen«

Man würde dem Wort Gottes Gewalt antun und seine unerschöpfliche Tiefe und
Vielschichtigkeit bestreiten bzw. missachten, wenn bestimmte Prophezeihungen oder
Aussagen die in der Heiligenschrift enthalten sind, einfach mittels einer »linearen
Zuordnung« mit bestimmten Ereignissen in der Geschichte identifiziert würden. 13 Das
extreme Gegenteil wäre aber genauso falsch. Gottespläne sind unergründlich. – Die Heilige
Schrift ist immer aktuell – für jedes Leben und jede Zeit.
Es ist aber offensichtlich, dass, wenn der Feigenbaum grünt, der Sommer naht14 - dies ist
nicht besonders schwer festzustellen.
Die Juden sind nun fast 2000 Jahre über die ganze Welt zerstreut und marginalisiert
worden – heimatlos umhergezogen – ein Volk ohne Land – trotz der Verheißung Gottes.
Ferner wurden sie durch viele Christen immer wieder als »Gottesmörder« bezeichnet. Dies
wurde im Laufe der Geschichte von vielen Christen als Vorwand gebraucht, unchristlich an
den Juden zu handeln – anstatt sich ein Vorbild an den »Qualitäten« des barmherzigen Vater
zunehmen – das Heimkehren des älteren Bruders15 durch Taten der Liebe, Opfer und Beten zu
»beschleunigen«. Warum ist es oft für die Christen leider kein Herzensanliegen, dass der
ältere Bruder heimkehrt und wir gemeinsam in der vollen Freude vor Gott leben können?
Wer wendet heute noch das Wort Gottes (Jer 29, 10-14)16 auf Gottes auserwählte Volk
– die Juden an, so drüfen wir mit HEINRICH SPAEMANN fragen. Gehört es nicht, so fragt
HEINRICH SPAEMANN weiter:

13
Hiermit sind natürlich nicht bestimmte historische Wahrheiten, die auch in der Heiligen Schrift enthalten
sind, gemeint.
14
Vgl. Mt 24,32f
15
Diese Formulierung bezieht sich ausschließlich auf das Gleichnis vom barmherzigen Vater – es ist damit
nicht Esau gemeint.
16
Jer 29, 10-14: »10 Denn so spricht der HERR: Erst wenn siebzig Jahre für Babel voll sind, werde ich
mich euer annehmen und mein gutes Wort, euch an diesen Ort zurückzubringen, an euch erfüllen. 11
Denn ich kenne ja die Gedanken, die ich über euch denke, spricht der HERR, Gedanken des Friedens
und nicht zum Unheil, um euch Zukunft und Hoffnung zu gewähren. 12 Ruft ihr mich an, geht ihr hin
und betet zu mir, dann werde ich auf euch hören. 13 Und sucht ihr mich, so werdet ihr mich finden, ja,
fragt ihr mit eurem ganzen Herzen nach mir, 14 so werde ich mich von euch finden lassen, spricht der
HERR. Und ich werde euer Geschick wenden und euch sammeln aus allen Nationen und aus allen
»Und ich bringe sie in das Land zurück, das ich ihren Vätern gegeben 6
habe, damit sie es in Besitz nehmen«

»zur Konsequenz der Inkarnation, daß jenes Volk, das dem Messias den Leib bidete, von Gott
in der Erwählung ebenso unverbrüchlich ernstgenommen wird, wie der Leib des Messias
selbst, den Gott in der Kreuzigung nicht etwa abgetan sein ließ, sondern auferweckte.«17

Aus dem auserwählten Volk der Juden ging durch Marias fiat Jesus Christus dem
Fleische nach hervor, »denn das Heil ist aus den Juden.«18 Eine Jüdin ist zur Mutter Gottes
geworden – seit Ewigkeiten durch den Ratschluss des dreifaltigen Gottes auserwählt, die
Mutter Gottes zu sein und deswegen von Anbeginn ihrer Existenz durch die Erlösung ihres
Sohnes ohne Erbsünde zu seien. Seit Ewigkeiten ist sie auserwählt, Mutter der Kirche und
Mutter aller Menschen zu sein, auf dass allen Menschen durch die Hände Mariens sämtliche
Gnadengaben zufließen.
Wenn schon der Apostel Paulus von sich als Jude schreibt, dass er große und
unaufhörliche Trauigkeit in seinem Herzen hat und lieber verflucht sein möchte für seine
Brüder, seine Verwandten im Fleische – damit diese Jesus Christus als ihren Erlöser erkennen
mögen19, um viel mehr wünscht Maria, die Mutter Gottes, das ihr Volk Christus ihren Sohn
als ihren Erlöser erkennen mögen.
Welche übergroße Freude wird es einst sein20 – wenn aus den Händen einer Jüdin dem
Volk der Juden die Gnade der Bekehrung zu Jesus Christus zuteil werden wird. Und das ist
nicht bloß eine abwegige Spekulation, will man Gottes Wort ernst nehmen und Ihn nicht
einen Lügner nennen. Er ist seinem Worte – seinem Bund mit dem Volk der Juden treu.
Aus seinem Volke berief Jesus Christus, die zweite göttliche Person, die 12 Apostel –
die Kirche, damit sie allen Menschen das Heil brächten, so kommt das Heil wahrhaft aus den
Juden.

Orten, wohin ich euch vertrieben habe, spricht der HERR. Und ich werde euch an den Ort
zurückbringen, von dem ich euch gefangen weggeführt habe.«

17
H Spaemann, Die Christen Und Das Volk Der Juden, Münchner Texte, 7 (München: Kösel-Verlag,
1966), S 5.
18
Joh 4,22.

19
Paulus schreibt in Röm 9,1-5:

»Ich sage die Wahrheit in Christus, ich lüge nicht, wobei mein Gewissen mir Zeugnis gibt im
Heiligen Geist, 2 daß ich große Traurigkeit habe und unaufhörlichen Schmerz in meinem
Herzen; 3 denn ich selbst, ich habe gewünscht, verflucht zu sein von Christus weg für meine
Brüder, meine Verwandten nach dem Fleisch; 4 die Israeliten sind, deren die Sohnschaft ist
und die Herrlichkeit und die Bündnisse und die Gesetzgebung und der Gottesdienst und die
Verheißungen; 5 deren die Väter sind und aus denen dem Fleisch nach der Christus ist, der
über allem ist, Gott, gepriesen in Ewigkeit. Amen.«

20
Die ist eine bewusst anthropromorphe Formulierung.
»Und ich bringe sie in das Land zurück, das ich ihren Vätern gegeben 7
habe, damit sie es in Besitz nehmen«

Wie kann aber jemand, der von sich sagt, Gott erkannt zu haben – soweit dies hier auf
Erden mögliche ist – nicht mit dem Apostel Paulus danach trachten, dass auch die Brüder
Christi dem Fleische nach – ihren Erlöser erkennen?21
Mit dem Apostel Paulus drüfen wir weiter fragen22:

Hat Gott etwa sein Volk verstoßen ? Das ist ausgeschlossen! […] 23 2 Gott hat sein Volk nicht
verstoßen, das er vorher erkannt hat. Oder wißt ihr nicht, was die Schrift bei Elia sagt? Wie er
vor Gott auftritt gegen Israel: 3 ›Herr, sie haben deine Propheten getötet, deine Altäre
niedergerissen, und ich allein bin übriggeblieben, und sie trachten nach meinem Leben.‹ 4
Aber was sagt ihm die göttliche Antwort? ›Ich habe mir siebentausend Mann übrigbleiben
lassen, die vor Baal das Knie nicht gebeugt haben.‹ 5 So ist nun auch in der jetzigen Zeit…«

Auch Paulus weiß als Israelit um das Geheimnis des auserwählten Volkes – er weiß, dass
Gott treu seine Worte erfüllen wird, wie sie auch in der Vergangenheit in Erfüllung gegangen
sind – Gott hat sein auserwähltes Volk nicht aufgegben, sondern wird es einst zur vollen
Erkenntnis des Heiles in Jesus Chrsitus führen.24
Es scheint somit legitim das physische »Wieder-versammelt-Werden der Juden im
gelobten Land als einen ersten Schritt zu betrachten, innerhalb dieser vieldimensionalen
Prophezeiung25 zum letzten »Wieder-versammelt-Werden des auserwählten Volkes, der Juden
in der Erkenntnis der vollen Wahrheit – in der zweiten göttlichen Person Jesus Christus – der,
um alle Menschen zu erlösen, Mensch geworden ist und sich aus Liebe zu uns Menschen hat
ans Holz des Kreuzes schlagen lassen, wegen unserer Sünden. – »Wie unerforschlich sind
seine Gerichte und unaufspürbar seine Wege!«26

21
Paulus schreibt in Rom 1, 10: »Brüder! Das Wohlgefallen meines Herzens und mein Flehen für sie zu
Gott ist, daß sie errettet werden.« Die Judenmission ist also ein Gebot, das aus der rechten Christusliebe
entspringt. Vgl. Nostra Aetate § 4f: »Denn die Kirche glaubt, daß Christus, unser Frieden, Juden und Heiden
durch das Kreuz versöhnt und beide in sich vereinigt hat…« in: Concilium Vaticanum. 2 (1962 - 1965), Kleines
Konzilskompendium: Alle Konstitutionen. Alle Konstitutionen, Dekrete Und Erklärungen Des 2. Vaticanums In
Der Bischöflich Genehmigten Übersetzung; allgemeine Einleitung, 16 Spezielle Einführungen, ausführliches
Sachregister (Wien: Herder, 1966), S 358. Vgl. hierzu auch R Spaemann, „Judenmission: Gott Ist Kein
Bigamist‟, Faz.net, 20 April 2009, Abschnitt Feuilleton
<http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~ECB07CABA76FE443CAAB4DA
87CE57727C~ATpl~Ecommon~Scontent.html> [zugegriffen 5 März 2011]. ; Charles Simeon, Die Bekehrung
Der Juden Oder Unsere Pflicht, Und Die Aufmunterung Dazu, Dieselbe Zu Befördern: Zwei Predigten, Gehalten
Vor Der Universität Zu Cambridge am 18. Und am 25. Februar 1821 (Englische Ges. zur Förderung des
Christenthums unter den Juden, 1821); Schoeman.
22
Rom 11:1-5; vgl. auch Jes 11,11ff.
23
Paulus bezieht zwar diese Sätze auf die Judenchristen, die die eigentlichen erwählten aus dem Volke
Israel seien, jedoch darf in einem weiteren Sinn diese Stelle auch auf das gesamte Volk Israel und Gottes
Bundesschluss mit ihm bezogen werden.
24
Rom 11,25ff.
25
Vgl. hierzu auch Jes 54,6ff.
26
Rom 11,33.
Auserwählung und eschatologische Bedeutung 8

3 Auserwählung und eschatologische Bedeutung

3.1 Sie sind Ihm ähnlich geworden im Leiden – so werden sie Ihm auch
ähnliche in der Verherrlichung27

Jede menschliche Person hat einen freien Willen und ist so fähig, Gott zu lieben – ist sie
aber fähig – so auch berufen, doch kann nur der geliebt werden, der auch zuvor erkannt wird.
Einmal erkannt, können sich Erkenntnis und Liebe, da in einem komplementären
Wechselverhältnis stehend, immer mehr vertiefen.28
Israel ist dazu berufen Christus als seinen Messias zu erkennen – im Verkennen des
Messias liegt, wie in jeder Sünde – keiner kann von sich behaupten, er habe nicht gesündigt –
eine große Tragik. Wie vermessen ist es innerhalb eines überstiegenen Reduktionismus und
eitler Selbstüberheblichkeit als Christen den Junden die alleinige Schuld an der Kreuzigung
des Gottmenschen Jesu Christi geben zu wollen.29 Wieviel schwerer wiegen die Sünden

27
Vgl. Rom 25ff. - »26 und so wird ganz Israel errettet werden«.
28
Vgl. hierzu: R. E Bexten, Erkenntnis Von Personsein - Einige Überlegungen Zum Mysterium Person
(Weilheim-Bierbronnen: Magisterarbeit: Gustav Siewerth Akademie, 2010), S 97ff
<http://www.webcitation.org/5uh9uj53F>.
29
Vgl. hierzu auch Joseph (Benedikt XVI.) Ratzinger, Jesus Von Nazareth: Band II: Vom Einzug In
Jerusalem Bis Zur Auferstehung, 1st Aufl (Verlag Herder, 2011), S 208-211.

»Wer hat auf das Todesurteil Jesu gedrängt? In den Antworten der Evangelien gibt es
Differenzen, die wir bedenken müssen. Nach Johannes sind es einfach ›die Juden‹. Aber dieser
Ausdruck bezeichnet bei Johannes keineswegs – wie der moderne Leser vielleicht zu lesen
geneigt ist – das Volk Israel als solches, noch weniger hat er ›rassistischen‹ Charakter.
Schließlich war Johannes vom Volk her selbst Jude, genauso wie Jesus und all die Seinigen.
Die ganze Urgemeinde bestand aus Juden. Bei Johannes hat dieses Wort eine präzis und streng
umgrenzte Bedeutung: Er bennet damit die Tempel-Aristokratie … – auch die freilich nicht
ausnahmslos, wie der Hinweis auf Nikodemus (7,50ff) zeigt. … Eine in ihren Folgen
verhängnisvolle Ausweitung des markinischen Ochlos [die Menge, der Pöbel] findet sich bei
Matthäus (27,25), der nun stattdessen vom ›ganzen Volk‹ spricht und ihm den Ruf nach der
Kreuzigung Jesu zuschreibt. Matthäus drückt damit sicher nicht einen historischen Befund aus:
Wie hätte das ganze Volk in diesem Augenblick anwesend sein und nach Jesu Tod rufen
können? Die historische Realität erscheint offenkundig richtig bei Johannes und bei Markus.
… Man wird wohl Joachim Gnilka darin recht geben dürfen, dass Matthäus – das Historische
übersteigend – eine theologische Ätiologie formulieren wollte, mit der er sich das furchtbare
Geschick Israels im Jüdisch-Römischen Krieg erklärt, in dem Land, Stadt und Tempel dem
Volk genommen wurden … Wenn nach Matthäus das ›ganzen Volk‹ gesagt habe: ›Sein Blut
komme über uns und unsere Kinder‹ (27,25), dann wird der Christ sich daran erinnern, dass
Jesu Blut eine andere Sprache spricht als das Blut Abels (Hebr 12,24): Es ruft nicht nach Rache
und nach Strafe, sondern ist Versöhnung. Es wird nicht gegen jemanden vergossen, sondern es
ist das Blut, vergossen für viele, für alle.«
Auserwählung und eschatologische Bedeutung 9

derjenigen, die ihrem Namen gemäß Christus erkannt haben – aber ihn dennoch durch ihre
Sünden »erneut« kreuzigen.30
Gott respektiert den freien Willen des Menschen – und lässt deswegen auch Sünden,
Böses zu – dies entsteht also immer durch den Missbrauch eines Gutes, nämlich des freien
Willens – metaphysisch gesprochen ist die Sünde die letzte Ursache allen Übels.31
Das Böse und die Sünde sind eine mysterium obscurum32, das aber insofern es von Gott,
auch wenn es nicht sein soll, zugelassen und durch Seine unergründliche Allmacht für das
Gute und seinen letztendlichen ewigen Triumph – der durch Jesu Erlösung schon eine Realität
ist – gebraucht werden kann. Das Übel ist also in gewissen Sinne ein Realität und nimmt in

30
Dies ist allegorisch zu verstehen – durch meine Sünden, die ich in der Veragangenheit begangen habe
und in der Zukunft begehen werde bin ich für die Kreuzigung Christi mitverantwortlich. Vgl. hierzu auch Edith
Stein, Kreuzeswissenschaft: Studie Über Joannes a Cruce (Louvain: E. Nauwelaerts, 1950), S 228. »So ist die
Erlösung Frucht des Paradiesesbaumes … weil es die Sünde in all ihren Erscheinungsformen war, die Christus
kreuzigte«.
31
Auch der höchste Lichtengel Luzifer wurde durch den Missbrauch seines Willens, das Seienwollen wie
Gott, zur Unperson, zum Satan oder Teufel, der als »Vater der Lüge« (Joh 8,44), »Fürst dieser Welt« (Joh
12,31) und »Menschenmörder von Anbeginn« (Joh 8,44) alle Menschen verführen will, um sie so in den ewigen
Tod – in das ewige Verderben – sein Reich der Hölle zu stürzen. Vgl. Ez 28,11-19:

»11 Und das Wort des HERRN geschah zu mir so: 12 Menschensohn, erhebe ein Klagelied
über den König von Tyrus und sage ihm: So spricht der Herr, HERR: Du warst das vollendete
Siegel, voller Weisheit und vollkommen an Schönheit, 13 du warst in Eden, dem Garten
Gottes; aus Edelsteinen jeder Art war deine Decke: Karneol, Topas und Jaspis, Türkis, Onyx
und Jade, Saphir, Rubin und Smaragd; und Arbeit in Gold waren deine Ohrringe und deine
Perlen an dir; am Tag, als du geschaffen wurdest, wurden sie bereitet. 14 Du warst ein mit
ausgebreiteten Flügeln schirmender Cherub, und ich hatte dich dazu gemacht; du warst auf
Gottes heiligem Berg, mitten unter feurigen Steinen gingst du einher. 15 Vollkommen warst
du in deinen Wegen von dem Tag an, als du geschaffen wurdest, bis sich Unrecht an dir fand.
16 Durch die Menge deines Handels fülltest du dein Inneres mit Gewalttat und sündigtest. Und
ich verstieß dich vom Berg Gottes und trieb dich ins Verderben, du schirmender Cherub, aus
der Mitte der feurigen Steine. 17 Dein Herz wollte hoch hinaus wegen deiner Schönheit, du
hast deine Weisheit zunichte gemacht um deines Glanzes willen. Ich habe dich zu Boden
geworfen, habe dich vor Königen dahingegeben, damit sie ihre Lust an dir sehen. 18 Durch die
Menge deiner Sünden, in der Unredlichkeit deines Handels, hast du deine Heiligtümer
entweiht. Darum habe ich aus deiner Mitte ein Feuer ausgehen lassen, das hat dich verzehrt,
und ich habe dich zu Asche auf der Erde gemacht vor den Augen aller, die dich sehen. 19
Alle, die dich kennen unter den Völkern, entsetzen sich über dich; ein Schrecken bist du
geworden und bist dahin auf ewig!«

Vgl. hierzu auch Bernhard Dolna, „Das ›Mysterium Iniquitatis‹ - Erwägungen Zu Einer (fast)
Vergessenen Wirklichkeit‟, in Weg, Wahrheit, Leben: Im Dienst Der Verkündigung. Festschrift
Für Bischof Klaus Küng, hg v Josef Kreiml, Thomas Heinrich Stark und Michael Stickelbroeck
(Pustet, Regensburg, 2010), S 111-137 (S 123ff).
32
Vgl. hierzu auch Leo Scheffczyk, Wirklichkeit Und Geheimnis Der Sünde. Sünde, Erbsünde (Verl.
Winfried-Werk, 1970); Søren Kierkegaard, Die Krankheit Zum Tode: Furcht Und Zittern (Fischer Bücherei,
1959); Walter Nigg, Große Unheilige (Walter, 1980); Dolna, S 111-137.
Auserwählung und eschatologische Bedeutung 10

Gottes ewigen Heilsplan eine gewisse »Rolle ein«, insofern Gott durch das Böse und das Übel
Gutes wirken kann.33
Es gilt die gewisse Realität des Übels ernst zu nehmen, und es nicht einfach als
»Nichts« - als einen bloßen Mangel wegzuerklären – dies wäre gradezu zynisch.34
Um dies recht zu verstehen, müssen einige Unterscheidungen getroffen werden, damit
man nicht in den Irrtum des Dualismus oder dergleichen verfällt.35
Die Verse vom leidenden Gottesknecht (z.B. Jes 52,13 - 54,1)36 werden in der jüdischen
Tradition37 auf das Volk Israel bezogen – typologisch gedeutet ist der leidende Gottesknecht
somit das Volk Israel.38

33
Natürlich bedarf Gott nicht für seine Heilstaten der Sünde, jedoch muß Edith Stein zugestimmt werden,
wenn sie schreibt:

»So ist die Erlösung Frucht des Paradiesesbaumes in mehrfachem Sinn: weil die Sünde
Christus bewog, Leiden und Tod auf sich zu nehmen, weil es die Sünde in all ihren
Erscheinungsformen war, die Christus kreuzigte, und weil sie eben damit zum Werkzeug der
Erlösung gemacht wurde.«

Stein, S 228.
34
Hass ist z. B. kein bloßer Mangel von geschuldeter Liebe, sondern eine eigene »Größe«, die der Liebe
entgegengesetzt ist. Vgl. hierzu Josef Seifert, Sein Und Wesen (Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 1996), S
418f.:

»Aber läßt sich im Ernst behaupten, daß alles, was ist, gut ist? Läßt sich behaupten, daß die
seelischen und körperlichen Qualen der Kriegsopfer, der verstümmelten und vergewaltigten
Kinder und Frauen, daß der Tod und die Mißbildungen von Krüppeln, daß die Bosheit der
Menschen alle nur ein gewaltiges Nichts sind? Sind all diese Übel in der Tat nur ein Mangel an
Sein, in sich selber aber ein Nichtsein? Es ist in der Tat verständlich, daß z.B. Gabriel Marcel
diese Theorie als ›zynisch‹ betrachtet im Anblick der überwältigenden Realität, die das Böse in
der Welt besitzt. Es scheint, daß wir die reale Existenz des Bösen und aller Arten von Übeln
anzuerkennen haben, gerade wenn wir die tiefen Wahrheiten, die Augustinus und Thomas vor
allem zu verteidigen beabsichtigen, festhalten wollen. Andernfalls könnte man bei der
berechtigenten Ablehnung der falschen Auffassung dieser beiden und der meisten
mittelalterlichen Denker, daß nämlich das Böse bzw. das Übel ›überhaupt keine reale Existenz‹
hat, leicht in irriger Weise auch diese Wahrheiten ablehnen. Die folgenden Einsichten, die dem
alten scholastischen Dictum ›Ens et bonum convertuntur‹ zugrunde liegen (und die teils
philosophisch aufgrund der Beweise für die Existenz Gottes und teils als Offenbarungsinhalte
erfaßt werden können) sind äußerst bedeutsam und sollten deshalb klar von dem Irrtum
unterschieden werden, daß Übel überhaupt keine reale Existenz haben.«

Vgl. auch Maria Fedoryka, „Is Moral Evil Only Privation? The Ontological Ground and Reality Of
Moral Evil In Dialogue With St. Thomas Aquinas‟ (Liechtenstein: International Academy of
Philosophy, 1999).

35
Vgl. hierzu Seifert, S 416ff. Seifert umreißt hier 10 für dies Thematik unerlässliche
Unterscheidungen – die alle, will man den obigen Satz von der »gewissen Realität des Übels« richtig
verstehen, ihre volle Gültigkeit haben. Z. B. kann es nichts geben was ist, dass in sich völlig übel wäre.
Vgl. auch Fedoryka.
Auserwählung und eschatologische Bedeutung 11

Rabbi IGNAZ MAYBAUM wendete diese Deutung auf die Shoah der Juden unter dem
nationalsozialistischen Regime an. Die Juden, als auserwähltes Volk Gottes – leiden und
werden im Holocaust dahingeschlachtet als leidender Gottesknecht zur Sühne für die Sünden
der anderen Nationen.39 Rabbi IGNAZ MAYBAUM deutet »Auschwitz« sogar als das neue

36
Auch können die Verse 15-19 des davidische Psalm 22 als eine Prophezeihung auf den Messias – auf den
Gottmenschen Jesus Christus hin begriffen werden, somit spiegeln sie auch in gewisserweise das Schicksaal des
jüdischen Volkes wieder:

»Wie Wasser bin ich hingeschüttet, und alle meine Gebeine haben sich zertrennt; wie Wachs
ist mein Herz geworden, zerschmolzen in meinem Inneren. 16 Meine Kraft ist vertrocknet wie
eine Scherbe, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen; und in den Staub des Todes legst du
mich. 17 Denn Hunde haben mich umgeben, eine Rotte von Übeltätern hat mich umzingelt. Sie
haben meine Hände und meine Füße durchgraben. 18 Alle meine Gebeine könnte ich zählen.
Sie schauen und sehen auf mich herab. 19 Sie teilen meine Kleider unter sich, und über mein
Gewand werfen sie das Los.«

37
Natürlich gibt es auch andere Ansichten und Interpretationen.
38
Wir schließen uns hier der folgenden Meinung des zum Katholizismus konvertierte Jude Roy H.
Schoeman an, er schreibt:

»Man nähert sich nur mit großer Beklemmung der Aufgabe, über den Holocaust zu schreiben.
Gegenüber dem unfaßbaren Leid, das er mit sich brachte, kann man gar nicht feinfühlig genug
sein. Doch werder die Rolle des Judentums in der Heilsgeschichte läßt sich untersuchen, ohne
darauf einzugehen, noch kann man ohen ausdrückliche Einbeziehung der Auswirkungen,
welche die Tragödie des Holocausts auf die jüdische Theologie hatte, deren derzeitiges Denken
begreifen.«

Schoeman, S 113.

39
Vgl. Ignaz Maybaum, The Face Of God after Auschwitz (Amsterdam: Polak & Van Gennep Ltd., 1965).
Diese theologische Deutung hat einige Kontroversen hervorgerufen - Rabbi Menachem Mendel Schneerson z. B.
vertrat folgende konträre Ansicht, die hier kurz dargestellt werden soll, auch wenn sie nicht immer unsere
Position wiedergibt:

»Was für eine größere Einbildung und was für eine größere Herzlosigkeit kann es geben als
den Glauben, eine ›Erklärung‹ für den Tod und die Qual von Millionen unschuldiger Männer,
Frauen und Kinder zu wissen? Können wir wirklich annehmen, eine Erklärung, klein genug,
um in den begrenzten menschlichen Verstand zu passen, könne ein Grauen von solcher
Dimension erklären? Wir können nur eingestehen, dass es Dinge gibt, die jenseits der Grenzen
des menschlichen Geistes liegen. Es ist nicht meine Aufgabe, G-tt hier zu rechtfertigen. Nur G-
tt selbst kann beantworten, warum er etwas geschehen lässt. Und die einzige Antwort, die wir
akzeptieren werden, ist die sofortige und vollständige Erlösung, die für immer das Böse vom
Angesicht der Erde verbannt und die innere Güte und Vollendung der Schöpfung G-ttes ans
Licht bringen wird. … ›Die Vernichtung von sechs Millionen Juden auf diese schreckliche
Weise, die die Grausamkeiten aller früheren Generationen übertrifft, kann unmöglich eine
Bestrafung für Sünden sein. Sogar der Satan selbst könnte keine hinreichende Zahl von Sünden
finden, für die ein solcher Genozid angemessen wäre! Es gibt absolut keine rationale Erklärung
für den Holocaust, außer dass er ein göttlicher Beschluss war - warum dies geschah, geht über
den menschlichen Verstand - aber eindeutig nicht als Bestrafung für Sünden. Im Gegenteil:
Alle, die durch den Holocaust ermordet wurden, werden ›Kedoschim‹ - Heilige - genannt, denn
Auserwählung und eschatologische Bedeutung 12

Golgotha und die Gaskammern als das neue Kreuz. Hier sei nun in der Nachfolge von Rabbi
IGNAZ MAYBAUM auf die große Ähnlichkeit des Leidens des jüdischen Volkes, dass
unschuldigerweise millionenfach dahingemordet worden ist40 – da es das auserwählte Volk
Gottes ist und dem Leiden des Gottmenschen Jesu Christus, der unschuldig als Sündopfer die
Schmach des Kreuzestodes erleidet und so die Menschen erlöst, hingewiesen.41
Das Volk Israel ist also, wie HEINRICH SPAEMAN es ausdrückt »[d]as mitgekreuzigte
Volk«, das zu Jesu Volk wird, da es im Leiden mit Ihm verähnlicht wird. HEINRICH SPAEMAN
schreibt:

»Das mitgekreuzigte Volk Jesu wieder ein Volk? Das läßt hoffen: Jetzt wird es Volk auf der
Ebene des Auferstanden werden, jetzt endlich wird es das Land erreichen, das ihm Gott zeigen
wollte, zu dem es seit Abraham unterwegs ist und für das die Jordanauen und der Ölberg
Symbole waren und neu wieder sind, das Land am anderen Ufer des Sees Genesareth, dem sich
nach langer Nacht die Jünger näherten, als es Morgen wurde, „und sie sahen einen Mann am
Gestade… Der Jünger aber, der Jesus liebte, rief: ›Es ist der Herr‹!“ Israel verlor mit der
Kreuzigung Jesu das Existenzfundament des irdischen Christus: als ein mit Christus
gekreuzigtes wird es den erhöten Christus als Fundament empfangen. Dieses Mysterium der
Rettung ›ganz Israel‹ verbindet sich für Paulus unlöslich mit der Vision einer Welt, die ihren
Tod ein für allemal hinter sich hat, also mit der Parusie und dem kommenden Äon.«42

sie wurden ermordet für die Heiligung des Namens G-ttes. Weil sie Juden waren, wird nur G-tt
allein ihr Blut sühnen. Wie wir am Sabbat im Av-Harachamim-Gebet sagen: "die heiligen
Gemeinden, die ihr Leben für die Heiligung des göttlichen Namens gaben ... und Rache für das
vergossene Blut deiner Knechte, wie es ges[c]hrieben steht in der Tora des Mose ... denn er
wird das vergossene Blut seiner Knechte rächen ... und in der Heiligen Schrift wird gesagt ...
lass unter den Heiden kundwerden vor unser[e]n Augen die Rache für das vergossene Blut
deiner Knechte!" Gott beschreibt diejenigen, die als seine Knechte geheiligt werden, und er
verspricht, ihr Blut zu rächen. Die Kedoschim stehen so hoch, dass die Rabbiner über sie
sagen: ›keine Schöpfung kann an ihrer Stelle stehen‹. Dies gilt um so mehr für diejenigen, die
im Holocaust getötet wurden, darunter viele der größten europäischen Tora-Gelehrten und
gläubigen Juden. Es ist unvorstellbar, den Holocaust als Bestrafung für Sünden darzustellen,
besonders wenn es um diese Generation geht, die vorher erwähnt wurde als ›eine Brandfackel,
dem Feuer des Holocaust entrissen‹.«

Zit.n.: Menachem Mendel Schneerson, „Theologischen Erklärungen Für Den Holocaust‟


<http://www.maschiach.de/index.php?option=com_content&task=view&id=222&Itemid=112
http://www.webcitation.org/5xEYSnnfl> [zugegriffen 16 März 2011].

40
Das unvorstellbare Grauen und Leiden der Juden unter dem Nationalsozialismus wird silhouettenhaft in
folgenden Erzählungen verdeutlicht: Zvi Kolitz, Jossel Rakovers Wendung Zu Gott: Jiddisch - Deutsch, 1st Aufl
(Diogenes, 2008); Elieser Jeruschalmi, Das Jüdische Märtyrerkind - Nach Tagebuchaufzeichnungen aus Dem
Ghetto Von Schaulen, 1941-1944 (Wuppertal-Barmen: Kiefel, 1962).
41
Die oben skizzierten Einwände von Rabbi Menachem Mendel Schneerson zu einer vollkommen
theologischen Deutung oder gar Erklärung des Holocaust haben durchaus ihre Berechtigung – wir sind nicht
Gott – kennen seine unergründlichen Pläne nicht und dürfen deshalb auch nicht vorgeben, eine vollkommene
theologischen Deutung oder Erklärung des Bösen geben zu können, vielmehr stehen wir schaudernd und zitternd
vor dem unfassbaren Mysterium Iniquitatis.
42
H Spaemann, S 8-9.
Auserwählung und eschatologische Bedeutung 13

Die Jüdin und Konvertitin EDITH STEIN und spätere Karmelitin TERESIA BENEDICTA A

CRUCE schreibt in einem Brief ihren Ordensnamen erklärend: »Unter dem Kreuz verstand ich
das Schicksal des Volkes Gottes, das sich damals schon anzukündigen begann. Ich dachte, die
es verstünden, dass es das Kreuz Chrsiti sei, die müssten es im Namen aller auf sich
nehmen.«43
Wie auch die Beziehung Gottes zu seinem auserwählten Volke Israel eine bräutliche ist,
so ist auch das Christus-im-Kreuz-Nachfolgen Ausdruck einer bräutlichen Liebe, die, da sie
bräutlich ist, auch nach der Vereinigung im Kreuz mit ihrem Bräutigam Christus trachtet, um
so an der Erlösung der Menschheit mitzuwirken44 – dies hat die Jüdin EDITH STEIN in
Hinblick auf ihr geliebtes Volk getan45 – in Auschwitz ist sie mit ihm vereinigt – und als
Jüdin und Glied des mystischen Leib Christi ist sie im Kreuz mit Christus vereinigt – so ist
EDITH STEIN Signum der kommenden Vereinigung der Juden in Christus, für die sie ihr Leben
geopfert hat.46

43
Edith Stein, Brief vom 09.12.1938, in Edith Stein, Selbstbildnis In Briefen. Teil II. 1933-1942, hg v Lucy
Gelber und Romaeus Leuven (Druten, Freiburg im Breisgau - Basel - Wien: Herder, 1977), S 124.
44
Vgl. hierzu auch Stein, Kreuzeswissenschaft, S 226ff. Im Abschnitt »Brautsymbol und Kreuz« weist die
Karmelitin Teresia Benedicta a cruce auf diesen inneren Zusammenhang hin, sie schreibt:

»Es ist früher der Gedanke ausgesprochen worden, daß die Leiden der Dunklen Nacht Anteil
seien am Leiden Christi, vor allem am tiefsten Leiden: der Gottverlassenheit. Das hat durch
den Geistlichen Gesang eine nachtdrückliche Bestätigung erhalten, da hier das sehnsüchtige
Verlangen nach dem verborgenen Gott das Leiden ist, das den ganzen mystischen Weg
beherrscht. Es hört selbst in der Seligkeit der bräutlichen Vereinigung nicht auf; ja in gewisser
Weise nimmt es mit der wachsenden Gotteserkenntnis und -liebe noch zu, weil mit ihr die
Vorahnung dessen, was die klare Anschauung Gottes in der Glorie uns bringen soll, immer
fühlbarer wird. … Durch den Sündenfall hat sie [die menschliche Natur] in den ersten
Menschen ihre Ehre – ihre ursprüngliche Vollkommenheit und gnadenhafte Erhöhung –
verloren. Sie wird aufs neue erhöht in jeder einzelnen Menschenseele, die durch die Taufgnade
zur Gotteskindschaft wiedergeboren wird, und gekrönt in den auserwählten Seelen, die zur
bräutlichen Vereinigung mit dem Erlöser gelangen. Das geschieht ›unter dem Kreuzesbaum‹ –
als reife Frucht des Kreuzestodes und im Miterleiden des Kreuzestodes. … Die
christusverbundene Seele aber gelangt im Mit-Leiden mit dem Gekreuzigten (d.i. in der
Dunklen Nacht der Beschauung) zur ›Erkennntnis des Guten und Bösen‹ und erfährt so die
erlösende Kraft: es wird ja immer wieder betont, daß die Seele durch die scharfe Pein der
Selbsterkenntnis (als Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit) zur Reinigung gelangt. Es ist nun
noch darauf hinzuweisen, daß die mystische Vereinigung auch als Anteil an der
Menschwerdung aufzufassen ist.«

Stein, S 227-228.
45
Vor dem Abtransprot nach Auschwitz in Holland sprach Edith Stein zu ihre leiblichen Schwester Rosa –
die ebenfalls in die katholische Kirche konvertiert war: »Komm wir gehen für unser Volk« vgl. hierzu Schalom
Ben-Chorin, Theologia Judaica: Gesammelte Aufsätze (Mohr Siebeck, 1982), S 233.
46
Vgl. Edith Stein, Brief vom 31.10.1938, in Stein, S 121.

»Ich vertraue darauf, dass der Herr mein Leben für alle angenommen hat. Ich muss immer
wieder an die Königin Esther denken, die gerade darum aus ihrem Volke genommen wurde,
um für das Volk vor dem König zu stehen. Ich bin eine sehr arme und ohnmächtige Esther,
Auserwählung und eschatologische Bedeutung 14

Mit HEINRICH SPAEMAN sei abschließend noch einmal die einzigartige Nähe des Volkes
Israel zur Menschwerdung hervorgehoben, also auch zur seiner Passion, sowie zur
Auferstehung des Gottmenschen Jesus Christus, der zweiten göttlichen Person.47 »Dieses
Mysterium umgreift bleibend jeden einzelnen Juden.«48, so schreibt HEINRICH SPAEMAN, »Die
Juden sind von der Kreuzigung des Messias anders und tiefer betroffen als die übrigen
Menschen.«49
Durch diese Überlegungen wird auch das totale Versagen der an der Vernichtung der
Juden im Hitler-Regime direkt oder indirekt beteiligten Christen50 deutlich – die in den Juden
aufs neue Christus an das Kreuz geschlagen haben.
»Die Hand des HERRN kam über mich, und er führte mich im Geist des HERRN hinaus
und ließ mich nieder mitten im Tal; und dieses war voller Gebeine.«51 So weissagt der
Prophet Ezechel im 37. Kapitel. Dieses Bild kann, wie auch HEINRICH SPAEMAN schreibt52,
metaphorisch für das Volk Isreael verstanden werden, das über die Welt, unter allen Nationen
verstreut ist – bist es in der erwarteten »Auferstehung« durch die mächtige Hand Gottes
gesammelt und in den mystischen Leib Christi inkorporiert wird. Somit kann m. E. die
Sammlung des Volkes Israel – im Gelobtenland, die ja immer noch keine vollständige ist,
sowie die unerwartet Gründung des säkularen Staates Israel53 innerhalb der
Polydimensionalität54 der Prophetie – des Wortes Gottes als eine erstes Anzeichen, eine erste
Vorstufe der endgültigen Sammlung der Juden – des Volkes Israel in Jesus Christus – die
nach Paulus mit dem Anbrechen der Endzeit koinzidiert55, begriffen werden.
Der Prophet Ezechel schreibt weiter im 37 Kapitel:

aber der König, der mich erwählt hat, ist unendlich groß und barmherzig. Das ist ein so großer
Trost.«

Vgl. auch Francisco Javier Sancho Fermín, Loslassen- Edith Steins Vollendung Der Philosophie In Der
Karmelitischen Mystik (W. Kohlhammer Verlag, 2007), S 83ff.
47
Vgl. H Spaemann, S 12.
48
H Spaemann, S 12.
49
H Spaemann, S 12.
50
Dies gilt auch dann, wenn vielleicht die meisten Christen, die im Hitler-Regime an der Vernichtung der
Juden beteiligt waren, ungläubig waren.
51
Ez 37,1.
52
Vgl. H Spaemann, S 12.
53
Auch schließen wir uns der Meinung von Roy H. Schoeman, dass es auch aus rein weltlicher Sichtweise
»einen tiefen Zusammenhang zwischen der Entstehung des Staates Israel und dem Holocaust gibt.« an. Weiter
schreibt einen Roy H. Schoeman: »Man kann sich nur schwer vorstellen, wie es zur Existenz dieses Staates
ohne die Tragödie gekommen wäre.« Schoeman, S 140.
54
Diese gilt sowohl für Zeit und Raum, als auch für die verschieden Adressaten.
55
Vgl. Röm 11, 25.
15

»Und er führte mich ringsherum an ihnen vorüber; und siehe, es waren sehr viele auf der Fläche des
Tales, und siehe, sie waren sehr vertrocknet. 3 Und er sprach zu mir: Menschensohn, werden diese
Gebeine wieder lebendig ? Und ich sagte: Herr, HERR, du weißt es. 4 Da sprach er zu mir: Weissage
über diese Gebeine und sage zu ihnen: Ihr vertrockneten Gebeine, hört das Wort des HERRN! 5 So
spricht der Herr, HERR, zu diesen Gebeinen: Siehe, ich bringe Odem in euch, daß ihr wieder lebendig
werdet. 6 Und ich lege Sehnen an euch und lasse Fleisch über euch wachsen und überziehe euch mit
Haut, und ich gebe Odem in euch, daß ihr wieder lebendig werdet. Und ihr werdet erkennen, daß ich der
HERR bin.«56

Wenn also die Zeit gekommen ist57, wenn die Vollzahl der Heiden in das Buch des
Lebens eingetragen worden ist58 – wann dies eintreten wird, weiß Gott allein – dann wird der
Herr sein auserwähltes Volk vollkommen bei sich versammeln, ihm Odem geben, so dass es
wieder in Ihm lebendig wird und erkennt das der Gottmensch Jesus Christus sein Erlöser –
der ersehnte Messias ist. So wird es zum vollkommen Zeichen für die Völker.

56
Ez 37,2-6.
57
Wann es soweit ist, kann man gemäß dem Evangelium, an gewissen dort beschriebenen
»Vorzeichen« erkennen. Eine gute Erklärung in diesem Zusammenhang scheint uns auch die folgende
zu sein:

»Der Riziner sprach: Wenn eine Frau schwanger ist und die Wehen ergreifen sie im achten
Monat, da die Zeit noch nicht vollbracht ist, dann müht man sich, die Wehen aufhören zu
lassen. Nicht so im neunten: wenn sie da über die Frau kommen, will man die Wehen nur noch
steigern, damit sie bald gebäre. Daher, wenn die Früheren zum Himmel schrien, daß eine Not
von der Erde gehoben werde, wurden sie erhört, denn die Zeit war noch nicht vollbracht. Jetzt
aber, da die Erlösung nahe ist, fruchtet kein Gebet, das um des Leidens der Welt willen
aufsteigt, sondern Leid wird auf Leid gehäuft, auf daß die Geburt in Bälde geschehe.«

Martin Buber, Die Erzählungen Der Chassidim (Manesse Verlag, 1949), S 509-510.
58
Vgl. Röm 11, 25f.
16

Bibliographie

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Alle Konstitutionen, Dekrete Und Erklärungen Des 2. Vaticanums In Der Bischöflich
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Wirklichkeit‟, in Weg, Wahrheit, Leben: Im Dienst Der Verkündigung. Festschrift Für
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