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JOHANNES-PASSION
SCHRIFTENREIHE
DER
INTERNATIONALEN
BACHAKADEMIESTUTTGART
HERAUSGEGEBEN
VON
ULRICH PRINZ
BAND5
~
INTERNATIONALE
BACHAKADEMIE
STUTTGART
BÄRENREITER
[@] KASSEL· BASEL
LONDON · NEWYORK
Johann Sebastian Bach
JOHANNES-
PASSION
BWV245
Vorträge des
Meisterkurses 1986
und der
Sommerakademie
J. S. Bach 1990
~
INTERNATIONALE
BACHAKADEMIE
STUTTGART
BÄRENREITER
[@] KASSEL·BASEL
LONDON · NEWYORK
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Ulrich Prinz
8 Lothar und Renale Steiger
1 Teil I, von Lothar Steiger frei vorgetragen, wird nach der redigierten Tonbandauf-
nahme wiedergegeben. Der Charakter des Gesprochenen wurde belassen. Teil II ist
der Part von Renate Steiger.
2 Die Textsammlung wird vollständig im Rahmen einer größeren Veröffentlichung zu
Bachs Passionen abgedruckt werden. Die besprochenen Abschnitte sind hier in den
laufenden Text aufgenommen oder in den Anmerkungen mitgeteilt.
3 Hrsg. von Johann Jacob Rambach, Leipzig und Görlitz 1734.
5 Leipzig 1666.
10 Lothar Steiger
Herz zurück einbilden, ins Herz einbilden. Hier greift nun die Theo-
logie der Bachzeit tief in die mittelalterliche Theologie und Fröm-
migkeit hinein, besonders auf Bernhard geht sie zurück.
Wir wollen das verifizieren an einem Text. Bei Heinrich Müller in
den Passionspredigten6 heißt es am Anfang der ersten Predigt Vom
Leiden Christi:
"Heinrich Müller, De r Leid ende Jes us I Od e r Das Lei den unsers HErrn und Heyland es
Jes u Christi, ne un Predigten , in: Evan gelisch er Hertzens=Spiegel lln Offen tlich er Kir-
chen=Versammlun g I bey Erklärungder Sonntäglich e n und Fest=Evan glien, Frank-
furt a . M. 1679, S. 981.
7 ebd. S. 1075.
8 Weimar 1515, a u s: Lucas Cr an ach d. Ä. , Altarbilder aus der Reformation szeit. Von Her-
den, die er auf den einzelnen Stationen erfahren hat (arma Christi),
versammelt vor den Augen erscheinen, so daß das Andachtsbild
alles Einzelne, das Zugleich und das Nacheinander, in Einem prä-
sent hat. Das ist uns etwas aus dem Blick geraten seit der Aufklärung,
seit Lessing im Laokoon gesagt hat: Die Malerei ist dazu da, abzu-
bilden was gleichzeitig ist in einem Augenblick, und die Poetik ist
dazu da, das Nacheinander darzustellen . Hier, im Andachtsbild, ist
beides beieinander. Das heißt Gedächtnis, Angedenken 9 , so daß man
das Nacheinander zugleich hat.
Wir haben übrigens dieses Bild von Lucas Cranach gewählt, weil
es in der Schloßkirche in Weimar hängt. Es ist also ein Andachtsbild,
das Bach selbst gekannt haben dürfte.
Noch einmal zurück zu Heinrich Müller. Da heißt es weiter: »Der
Prediger Zunge sol seyn der Griffel/ der den gecreutzigten Jesum ins
Hertz mahlet ... Mancher lässt sein Hertz zu hause I und bringet nur
die Ohren zur Kirchen . .. Meine Hertzenl dazu predigte ich euch heute
auch!daß ich euch Jesum möge recht ins Hertz bilden . .. So bereite nun
ein jeder sein Hertz zu wahrer Andacht.<< 10
Hier ist schön zu sehen: recordari, gedenken, betrachten, heißt
»ins Herz einbilden<<, Christus heute gegenwärtig.
Daß dies nun einen Bezug hat zum Text der Johannes-Passion, wol-
len wir uns an Satz 19 verdeutlichen. Da heißt es: »Betrachte, meine
Seel, mit ängstlichem Vergnügen.« Der Brockes-Text selber ist da
nicht so theologisch genau, man kann fast sagen, daß hier Bach im
Sinne der Betrachtungstheologie und -frömmigkeit dies an den
Anfang stellt. Brockes schreibt: »Drum, Seele, schau mit ängstlichem
Vergnügen.<<Vergleichen Sie auch Nr.20: »Erwäge, wie sein blutgefärb-
ter Rücken ... « Hier kommt also im Text heraus dieser Topos des
Betrachtens, des Erwägens. Das ist der erste Punkt.
Zweitens nun will ich Ihnen etwas sagen zu dem >>fruchtbarlich
bedenken<< 11 oder zu dem >>heilsamen Betrachten<<. Unser Sprachge-
brauch ist ja da verarmt, wir nehmen das Betrachten eigentlich
mehr für das distanzierte Betrachten, für das gegenständliche,
objektivierende Betrachten. Das ist hier genau anders. Es geht beim
Betrachten zugleich um die Anwendung dessen, was das Bild, was
die Geschichte bedeutet, die mir zugut geschehen ist, und hier
kommt besonders das reformatorische Proprium der Betrachtungs-
weise der Passionstheologie heraus: das für-mich-geschehen.
Und dieses für- mich-selber, das wird noch einmal unterteilt in sei-
ner Bedeutung. Es ist ein Betrachten, einbitteres Betrachten, weil
nämlich der Mensch beim Betrachten der Passion Christi daran er-
innert wird, daß Christus um der Sünde, um meiner Sünde willen
dies hat erleiden müssen; und zugleich ist es einsüßes Betrachten.
Bitter und süß ist auch ein alter Topos, dulcedo und amaritudo, weil
es mir zugut geschehen ist. Zugleich kommt drittens aus dieser Er-
10 H. Müller, ebd.
11 Vgl. Johannes-Passion Nr. 37: » ... deinen Tod und sein Ursach I fruchtbarlieh beden-
ken ... «
Lothar Steiger 13
fahrung des für mich (pro me) dann die compassio, das Mitleiden:
daß ich, die glaubende Seele, dem Geschehen der Leidensgeschichte
selber eigens nachgehe sowohl ethisch in der Nachfolge, aber dann
auch erhöht in der eigenen Leidensbereitschaft. Und manchmal ge-
schieht es dann, daß die Seele sozusagen aufdie erste Ebene zurück-
gehen will, indem sie sagt- denken Sie wieder an eine Kantate auf
Estomihi- daß Jesus doch nicht ans Kreuz gehen soll (Kantate BWV
159 »Sehet! Wirgehn hinaufgenJerusalem«). Da singt der Alt (Nr.1):
»Ach, gehe nicht! I Dein Kreuz ist dir schon zugericht' .. .«Und dann
kommt die Doppelreflexion: >>Doch bliebest du zurücke stehen, I so
müßt ich selbst nicht nach Jerusaleml ach, leider in die Hölle gehen.«
Wir kennen das aus dem antiken Drama auch, daß der Chor das
Geschehen der Tragödie begleitet und sozusagen einzugreifen
versucht. Obwohl dieses Eingreifen zwar menschlich verständlich
ist, ist es doch im Sinne der heilsamen Passion nicht möglichY" Die-
ses also ist das pro me.
Schauen wir wieder in einen unserer Texte: Bei Johann Olearius
in der HeylsamenBetrachtung, da kommt das heraus in dem Zitat Ga-
later 2, 20: »Der Sohn GOttes hat mich geliebet I und sich selbstfür
mich«- das ist das Stichwort: pro me- »dargegeben«. Und da wird
nun ein Wort Luthers zitiert- das ist auch ein schönes Beispiel dafür,
daß die Theologen, von denen man immer gesagt hat, weil man nur
ihre Dogmatiken kannte, die sind schon sehr weit fern von Luther:
Die haben alle genuin authentisch aus Luther geschöpft! Das
kommt hier heraus. Da wird nun also Luther zitiert-- :
11 ' Vgl. neuerdings Lothar Steiger I Renate Steiger, Sehet! Wir gehn hinauf gen J erusa-
lem. Johann Sebastian Bachs Kantate auf den Sonntag Estomihi (Veröffentlichungen
zur Liturgik, Hymnologie und theologischen Kirchenmusikforschung Bd. 24), Göttin-
gen 1992, S. 127f.
14 Lotbar Steiger
Und nun auch hier wieder der Bezug zu einem Text aus der Johan-
nes-Passion, Nr. 7: »Von den Stricken meiner Sünden/mich zu entbin-
den, I wird mein Heil gebunden.<<
Verstehen Sie, wir versuchen immer, die Verbindung zwischen der
Predigtliteratur und der Dichtung zu zeigen. Dieses Wort >>mein<< hat
eine große Bedeutung, es ist das Auf-sich-deuten. Hier in Nr. 7ist die
erste und zentrale Applikation des Heils in der Johannes-Passion
ausgesprochen. In Nr. 22 wird es dann noch einmal zentral ausge-
sprochen in dem Choral »Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn, !muß
uns die Freiheit kommen.<< Wir können sagen, daß die Matthäus-Pas-
sion in Übereinstimmung mit dem Evangelium den Ton legt auf
Gethsemane: Christus leidet die Angst, die Gerichtsangst, die end-
zeitliche, für mich. In der Johannes-Passion ist dieses Thema der
Angst Jesu schon verarbeitet worden in den Abschiedsreden Johan-
nes 14-17, und deswegen beginnt die Johannes-Passion mit der
Gefangennahme und nicht mehr mit dem Gebet und der Anfechtung
Jesu in Gethsemane. Das Gebundenwerden Christi für mich ist
dort das zentrale Thema. Sie sehen auch, wie klug und wie theolo-
gisch auf dem Damm die Passionen und die Theologen dieser Zeit
gewesen sind. Wir können das von unserer heutigen historisch-
kritischen Einsicht des Neuen Testaments her bestätigen und als
realisiert ansehen. Das ist also das Zweite gewesen, das fruchtbar-
liehe, das heilsame Betrachten, was es für mich bedeutet.
Und nun ist es doch auch wichtig, ein Drittes zu sagen: das Be-
trachten als Bewegen. Sie kennen die Übersetzung Luthers aus
der Weihnachtsgeschichte: »Maria aber behielt alle diese Worte, und
bewegte sie in ihrem Herzen<< (Lukas 2,19). Betrachten, das ist wichtig,
12 S. 22 f.
13 S. 23.
Lothar Steiger 15
14 s.Abb. S.16; Wiedergabe nach dem in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vor-
Und wenn man »binden<< hörte, dann dachte man daran, daß 1. Mose
22 lsaak gebunden wurde. Dies ist ein wesentliches Moment des Be-
trachtens: im Hörer assoziieren sich an einem Wort tausend Bezüge.
Und das ist das Bewegen. Das ist uns heute verlorengegangen, dieses
biblische Hören, und es nun durch die Aufführung der Bachsehen
Passion wieder einzuüben, wäre sicher ganz wichtig.
Ein weiteres Beispiel, die Sätze 19 und 20. Da wird nun dieses
Assoziieren in der Sprache, in der poetico-theologischen Sprache
sichtbar. Nr. 19: >>Dein höchstes Gut in Jesu Schmerzen, I wie dir auf
Dornen, so ihn stechen, I die Himmelsschlüsselblumen blühn!« Das ist
eine Sprachpoetik, die sich auch herschreibt einmal davon , w as Jo-
hannes Heermann in seiner Predigt zu Jesu Leiden im Ölgarten
sagt. 15 Er spricht im Rückgriff auf Hieronymus von Christi Blut als
dem rechten Paradiesschlüssel, der die Himmelspforte eröffnet. Und
Georg Albrecht sagt: »Am Gelberg stehet das Himmelschlüsselein.«16
Der Dichter unseres Passionstextes nun - das scheint mir sonst
nicht belegt zu sein-, der schließt zusammen den Schlüssel und die
Schlüsselblumen und dann noch »Himmelsschlüsselblumen«. Wie
das poetisch gemacht ist, das kann man direkt sehen, und es ist na-
türlich unerhört schön, eine Sprache, die uns heute so nicht mehr
zur Verfügung steht.
Hier sieht man, es gibt nicht nur einen Vorrat von Typen und Anti-
typen, also Jona, d er im Bauch des Walfischs ist, und Christus, der in
den Tod, in die Hölle steigt, wie wir an den Beispielen aus der Biblia
pauperum sahen (Abb. 3, Seite 18)17 , sondern dieses Betrachten w ird
selbst spracherfinderisch, indem es solche Konnotationen au s sich
h eraussetzt: Schlüsselblumen. Oder in Nr. 20: Auch dieser gewagte
Vergleich kommt aus dem Betrachten: »Erwäge, wie sein blutgefärb-
ter Rücken I In allen Stücken I Dem Himmel gleiche geht«. Das in allen
Farben Schillernde wird mit dem »allerschönsten Regenbogen«, mit
15 Johann Heermann, CRUX CHR ISTI, Die schmertzliche und trawrige Marter=Woch e
131'": Christus befreit Adam und Eva a us der Höll e (1 Petr 3,18-22) mit den beiden altte-
s tamen tli chen Vorbildern Samson zerreißt den Löwen (Ri chter 14,5 f) und David be-
siegt Goliath (1 Sam 17,49). Hingewi esen wurde dab ei auf die Typoi der Aufer stehung
(Mt 28,2-6) : Samson h ebt die Tore von Gaza a us den An geln (Ri 16,3) und Jona s wird
vom Fisch ausgespien (Jon 2, 11).
Abb. 3 »Biblia pauperum«, Miniatur aus der Heidelberger Handschrift cod. pal. ger.
148, fol.131'·, 15.Jahrhundert. Samson zerreißt den Löwen (Ri 14,5 f); David be-
siegt Goliath mit der Schleuder (1 Sam 17, 49); Christus befreit die Seelen aus
der Unterwelt (1 Petr 3, 18-22).
Lothar Steiger 19
18 Vgl. August Pfeiffer, Evan ge lisch e Ch ri s te n= Schul e I Darinne n das gantze SYSTEMA
T H EO LO GIAE Ode r di e Articul der Chri s tlichen Religion in ihrer richtigen Ordnun g I
aus den en Eva n glischen Sonn= und Fes t=Tags=Texten deutli ch gewiesen , Leipzig
1710, Kapitel24,§ 5, S 394: Fragt man denn nun: Was ist das für eine Per son I die gelit-
ten h a t? vers te h e nicht n ach ihrem Nahmen I das wissen wir schon (Fragst d u wer er
ist? Er h eist J Es us Ch1·ist) sondern n ach ihrer Condilion und Stande I so giebt Esaias
Bericht I es sey (Passio 8cavÖpiKY) e in Gottmensch liches Leid e n I die leidend e Person
sey (8cav8pwrroc:) Gottmensch I der Mensch I der z ugleieil GOtt der HErr in der Höhe
ist.
19 Albrecht Dürer, Kreuzigung, in: Dürer. Das graph ische Werk, Text von Karl-A do lf
II
Wir wollen uns heute mit den madrigalischen, den frei gedichte-
ten Sätzen beschäftigen. Der Passionsbericht des Johannes war ge-
stern Gegenstand Ihrer Betrachtung; über die Choräle werden wir
bei der Frage nach der Disposition, dem Aufbau des Werkes zu spre-
chen haben, die morgen dran ist, wenn es um Bachs Deutung des
Passionsberichts nach Johannes geht. Auch den Eingangssatz, in
dem sich das spezifisch johanneische Passionsverständnis aus-
spricht, sparen wir aus, um dem Thema von morgen nicht vorzugrei-
fen. Wir betrachten also alle Rezitative und Arien (Nr. 7, 9, 13, 19, 20,
24, 30, 32, 34, 35) und die abschließende Chorarie (Nr. 39) in der er-
sten Fassung des Werkes. Zu jedem dieser Sätze haben wir Ihnen in
der vorbereiteten Textsammlung einen oder mehrere Textab-
schnitte wiedergegeben, die den Kontext der Auslegung beleuchten
und den theologischen Zusammenhang zeigen sollen, der hinter
den einzelnen Stichworten und Bildern des Bachsehen Textes und
seiner Vorlagen steht. Die Intention bei der Vorbereitung dieser
Synopse war nicht, nachzuweisen, aus welchen Quellen nun ihrer-
seits Brockes oder Weise für ihre Dichtung unmittelbar geschöpft
haben, vielmehr sollen die Texte eine Begegnung mit der Gattung
der Passionsbetrachtung als solcher vermitteln. 26 Wir zitieren aus
elf verschiedenen Predigtsammlungen, fünf Andachtsbüchern und
aus den beiden durchlaufenden Bibelerklärungen der Zeit: der Bibli-
schen Erklärung von Johann Olearius und der Heiligen Bibel von
Abraham Calov, die jedem Vers eine Auslegung von Martin Luther
beifügt, zusammengetragen aus der Gesamtausgabe der Deutschen
Schriften. 27
26Die angeführten Werke stammen alle aus der Zeit zwischen 1650 und 1700. Wo ein
späteres Erscheinungsjahr angegeben ist, handelt es sich um eine wiederholte Aufl.
27 Mehr als die Hälfte der zeitgenössischen Werke, die wir anführen, hat Bach am Ende
seines Lebens selbst besessen; außer dem Eisenach er Gesangbuch seiner Kinderzeit
(s. Anm.14) und der Bugenhagensehen Passionsharmonie in seiner Leipziger Agende
(s. Anm. 28) folgende Titel: J ohann Arnd, Postilla (s. Anm. 3); Abraham Calov, Die Hei-
lige Bibel (s. Anm. 54); Heinrich Müller, Der Leidende Jesus (Passionspredigten, s.
Anm. 6); ders., Evangelische Schluß=Kette (s. Anm. 29); ders., Göttliche Liebes=
Flamme bzw. Himmlischer Liebes=Kuß (s. Anm. 48 und 51); Johann Olearius, Bibli-
sche Erklärung (s. Anm. 53); August Pfeiffer, Evangelische Christen=Schule (s. Anm.
18). Wieviele dieser Bücher Bach zur Zeit der Komposition der Johannes-Passion
schon besaß bzw. kannte, wissen wir nicht. Höchstwahrscheinlich besaß er schon die
Ev. Christen=Schule von Pfeiffer, deren Titel er mit zwei anderen Pfeiffer-Titeln auf
dem Umschlag des Clavierbüchlein für Anna Magdalena Bach von 1722 notiert hat.
Als ziemlich sicher darf ferner gelten, daß er mit den Predigten von Heinrich Müller,
den er sehr geschätzt hat und von dem er schließlich fünfumfangreiche Werke besit-
Renate Steiger 23
Schon bei einer ersten Durchsicht der Texte fällt ihre enge Ver-
wandtschaft auf, sowohl was den theologischen Inhalt betrifft als
auch den Ton, die Frömmigkeit, die sich in ihnen ausspricht. Die
inhaltliche und formale Einheitlichkeit der lutherischen Passions-
predigt im 17. Jahrhundert gründet in der Gemeinsamkeit des Tradi-
tionsgutes, das sie verarbeitet.
Da sind zunächst die gemeinsamen Schriftzi tate. Die Passions-
predigten sind in der Regel Homilien über den fortlaufenden Text
der Passionsharmonie von Johannes Bugenhagen. 28 Allgegenwärtig
sind die für den biblischen Passionsbericht selbst grundlegenden
alttestamentlichen Texte, also Jesaja 53 und Psalm 22. Daneben fin-
den sich regelmäßig die klassischen Belegstellen für die Rechtferti-
gung des Sünders vor Gott durch das Blut Jesu Christi, also etwa 1
J oh 1, 7: »Das Blut Jesu Christi macht uns rein von aller Sünde'~ Röm
3, 24 f: »Und werden ohne Verdienstgerecht aus seinerGnade durch die
Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist, welchen Gott hat
vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut,
damit er die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, darbiete in dem, daß er
Sünde vergibt . .. <<
Man vergleiche dazu Heinrich Müller in der Evangelischen
Schluß=Kette 29 : »Ohöre auffzu sündigen/ oder GOtt wird dich mit der
eisernen Rute seines Grimmes im Zorn zerschmeissen [vgl. Psalm 2,9].
Hast du aber gesündiget I und deine Sünde ist dir leyd I so verzage
nicht. Denn das Blut I das der Sohn Gottes in seiner Geisselung vergos-
sen/machet dich rein von allen Sünden.<< Dies ist ein Text, den wir im
28 Johannes Bugenhagen, Historia vom Leiden und Sterben unsers Herrn Jesu Christi
nach den vier Evangelisten. Unter dem Titel Die Historien von dem schmertzlichen
Leiden I und der frölichen Aufferstehung des HErrn Christi ist diese Passionsharmo-
nie auch abgedruckt in der für Bach maßgeblichen Agende Vollständiges Kirchen=
Buch I Darinnen Die Evangelia und Episteln auf alle Fest=Sonn= und Apostel=Tage
durchs gantze Jahr I ... enthalten, Leipzig 1707, S. 291-344. Auch Bachs Oster-Orato-
rium greift auf diese Synopse zurück.
29 Evangelische Schluß=Kette I Und Krafft=Kern I Oder Gründliche Außlegung der
30 ) H. Müller, ebd.
30 " Aus: Lucas Granach d. Ä., Altarbilder aus der Reformationszeit (s. Anm. 8), S. 5
(Abb. 5).
30 " Johann Olearius, Heylsame Betrachtung deß unschuldigen Leidens und Sterbens
Unsers HErrn und Heylandes JESU CHRISTI, Leipzig 1666, S. 21ff.; s. S. 13f.
Renate Steiger 25
32Johannes-Passion Nr. 11, 1. »Wer hat dich so,_.,~,_ •.;«,.2. »Ich, ich und meine
Sünden ... «
Renate Steiger 27
Müller in: Die Andere Predigt Vom Leiden Christi, Ausgabe im Evangelischen Hert-
zens=Spiegel, S. 996.
37 Johann Heermann, Crux Christi, Ausgabe 1655, S. 25.
38 Der noch folgende große Grablegungschor Nr. 59 entspricht formal dem Eingangs-
chor Nr. 1, bildet mit ihm den Rahmen des ganzen Werkes.
39 Johann Benedict Carpzov, Evangelische Fragen und Unterricht ... aus allen Sonn=
und Fest=täglichen Evangliis, Leipzig 1700, S. 474 und 509. Bach beschließt mit dieser
Strophe die Estomihi-Kantate BWV 159 »Sehet! Wir gehn hinauf gen Jerusalem«.
28 Renate Steiger
40 Berühmtestes Beispiel hier in der Nähe sind die Fenster im Chor der Klosterkirche
Kreuze selber tragen.« Die Formulierung spielt darauf an, daß Isaak in 1 Mose 22,6
selbst das Holz zum Berg Moria trägt, wo er geopfert werden soll. Isaak ist nach der
Biblia pauperum Vorabbild Christi bei der Kreuztragung und bei der Kreuzigung, dem
Opfer des eingeborenen Sohnes.
42 s. u. s. 31f.
43 Vgl. in den Texten zu Satz 7 das Zitat aus J. Heermann, CRUX CHRISTI, 4. Predigt,
S. 114. Man vgl. auch den folgenden Abschnitt aus der 8. Predigt über die Reue des Ju-
das, an dessen Ende Heermann ein Wort von Ambrosius, dem Lehrer Augustins, zitiert.
Stimmung und Topoi des Predigtabschnitts zeigen Verwandtschaft mit Nr. 13 der
Johannes-Passion (S. 273ff): »Ü ich armer I 0 ich elender I 0 ich unglückseliger
Renate Steiger 29
Mensch! ... Ach wie wil ichsimmer und ewig verantworten? 0 ihr Berge fallet über
mich I 0 ihr Hügel bedecket mich ... Da wachet die lauschende und schlaffende Sünde
auf I macht ihm so angst und bange I daß ihm auch die weite und breite Welt wil zu
enge werden ... so bald sie begangen (sc. die Sünde) I wecket er (sc. Satan) das schlaf-
fende Gewissens= Hündlein auf I da wird aus deiner Sünde so ein überhäuffter dicker
Sand= und Landberg ... Sie wird dir zu einer schweren Last I als wann dir Himmel und
Erden aufm Halse legen: Sie schmecket deinem Hertzen bitterer als Entzian und
Galle: Sie naget und plaget dich dermassen I daß du nicht weist I wo du für grosser
Hertzens=Angst bleiben solt. Nullus dolor est major ... Es ist auf Erden kein grösser
Schmertz I dann derjenige I welcher durch das scharffe Sünden=Schwerdt des Gewis-
sens verwundet; und ist keine schwerere Last I als die schwere Sünden= und Laster=
Bürde, schreibet Ambrosius.«
44 Ein Bernhard-Zitat ist z. B. der letzte der angeführten Texte zu Satz 7 aus Christoph
Nicolai, JESUS SANGVINOLENTUS. Das ist/Der Bluttriefende JESUS. In fünffPredig-
ten erkläret, Wütenberg 1673. Nicolai gibt zuerst den lateinischen Wortlaut wieder,
dann übersetzt er. So ist es in den meisten Predigten Brauch.
45 ) Martin Moll er, Meditationes sanctorum Patrum. Schöne andechtige Gebete ... aus
den heiligen Altvätern Augustino, Bernhardo, Taulero und anderen, 2 Teile, Görlitz
1584- 91.
46 Ad pedes, Ad genua, Ad manus, Adlatus, Ad pectus, Ad cor, Ad faciem. Von den deut-
schen Nachdichtungen ist Paul Gerhardts >>0 Haupt voll Blut und Wunden« (1653) die
bekannteste. Dietrich Buxtehude hat die Rhythmica oratio seiner Passionskomposi-
tion Membra Jesu nostri (1680) zugrunde gelegt.
47 Vgl. Bachs Dialogkantaten oder auch Nr. 9 der Johannes-Passion » fehfolge dir gleich-
falls«.
30 Renate Steiger
dern weiß die Historie vom Leiden des Herrn mit allen Kräften des
Affekts »fruchtbarlich« zu bedenken nach den drei Aspekten:
1. daß wir über unsere Sünde erschrecken,
2. daß wir Gottes Liebe gegen uns erkennen und im Gewissen frei
sind,
3. daß wir die Sünde meiden und einen heiligen Wandel führen
sollen. 48
48 Heinrich Müller, Himmlischer Liebes= Kuß Oder Übung deß wahren Christenthums
I fliessend av.s der Erfahrung Göttlicher Liebe, Rostock und Erfurt 1740, Kap. 6, S. 65ff;
Renate Steiger 31
Satz 7 Brockes
CHOR GLÄUBIGER SEELEN
Von den Stricken meiner Sünden Mich vom Stricke meiner
Mich zu entbinden, Sünden zu entbinden,
Wird mein Heil gebunden. Wird mein Gott gebunden;
Mich von allen Lasterbeulen Von der Laster Eiterbeulen
Völlig zu heilen, Mich zu heilen
Läßt er sich verwunden. Läßt er sich verwunden.
August Pfeiffer,MAGNALIA CHRISTI, Oder Die Grossen Thaten Jesu Christi I Damit
49 l
er sich so wohl gegen alle Menschen ins gemein Durch seine Menschwerdung I Ge-
burt I Leiden I Sterben I Aufferstehn und Himmelfahrt ... verdient gemacht hat, ... Mit
einem dreyfachen fl.egister, Leipzig 1685, Passionsregister, »Wunden«, S. 360ff.
50 Tobias Clausnicer, Passions=Blume I Oder Trauriges Schau= Bild I Der gantz mitlei-
digen Natur I über dem hoch=schmertzlichen Leiden und Sterben I Unsers gecreut-
zigten HERRN JESU ... in Zwölff Predigten, Nürnberg 1662, 3. Betrachtung, S. 48ff.
52 Renate Steiger
die dem Themenkopf sein Gesicht gibt. Sie scheint auf das Textwort
»Stricken« erfunden (vgl. T.22) ein Verstricken abzubilden. Wichtig
ist die Beobachtung, daß Bach dieses auffällige rhythmisch- melodi-
sche Modell in der anderen Alt-Arie der Passion, Nr. 30, wieder
anklingen läßt zum Text »Es ist vollbracht<<. Diese Arie greift ja Jesu
letztes Wort am Kreuz aufund spinnt es fort. Schon Friedrich Smend
hat auf diese Verknüpfung und Zusammengehörigkeit der beiden
Alt-Arien aufmerksam gemacht und sie so gedeutet: Die zweite Arie
besage, >>'Vollbracht' ist nicht nur die unsagbare Qual des Leidens,
sondern die Befreiung von den Banden der Sünde, die Erlösung.<< 52
Das ist in der Tat Bachs Aussage mit dieser musikalischen Verknüp-
fung, und sie steht in Übereinstimmung mit der Auslegung der
Gefangennahme und des Gonsummaturn estinden Predigten seiner
Zeit. 53 Ich möchte noch hinzufügen und damit eine andere These
52 Friedrich Sm end, Joh. Seb. Bach, Kirchen-Kantaten, Heft VI, Christlicher Zeitschrif-
Schlüssel Dergantzen heiligen Schrifft ... , Teil V, Leipzig 1681, zu Johannes 19,30, S.
789: »Es ist vollbracht,peractum est ... tetelestai.v.28.Luc. 9131. Hebr. 91 12. Luc.18 I 31.
Dan. 9124. Luc. 22137. Joh. 1714. allmein Leiden ist vollendet I indem sich mein Leben
endet. Matth. 9118. und mein Lebens= Lauff 2. Tim. 4/7. Conf.synteleia. Sirach, 11129,
das Ende ist erlanget. L Pet. 119. NB. Luc.23. Haupt= Lehr. NB. und eben daraufkönnen
auch wir frölich schliessen I und singen I das consummatum est. Hier war das Hertz
gleichsam ausgehölet I alles Bluts und aller Lebens= Kraft. v.28. beraubet I NB. Ps.1091
22. chalai. und wie Wasser ausgeschüttet. Ps. 22115. Schaphach. und damit ward auch
Renate Steiger 35
Smends stützen aus Quellen, die ihm noch nicht bekannt waren: Mit
der motivischen Verknüpfung der Arien Nr. 7 »Von den Stricken« und
Nr. 30 »Es ist vollbracht« markiert Bach Anfang und Ende der Pas-
sion. Der Anfang, principium, steht für das Ganze. So war es Bach ge-
läufig. Sowohl Abraham Calov als auch Johann Olearius zitieren in
ihrer Auslegung des Johannes-Evangeliums die von Luther ge-
prägte stehende Redevon Gefängnis und Tod Christi. 54 Dervon
Smend als >>Herzstück<< des Mittelteils verstandene Choral Nr. 22
»Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn«55 formuliert einen theologi-
schen Grundgedanken der Passion:
alle Schrifft zugleich vollendet I und erfüllet. NB. Luca.18151. und die ewige Erlösung
vollbracht. NB: Hebr. 9112. c. 10114. NB. das herrliche Werck 1. Mos. 211. welches dem
einigen Mittler 1. Tim. 2. und Hohen- Priester aufgetragen. NB. Joh.1714. alle Fürbilder
und Opffer Luc. 24. haben ein Ende. Das Lebens= Ende deß Lambs GOttes ist das Ende
alles Zorns I Fluchs I Ungnade I und der Gewalt der Sünde I deß Todes I deß Teufels
und der Hölle NB. Hose.1511. Cor. 15. Esa. 6511. Conf. Telos.1. Petr.119. Hier ist deß Ge-
setzes Ende. Rom.1014. NB. allFehdehat nun ein Ende. Die völlige Hülffe deß Meisters
zu helffen Es.65. ist vollendet. Das ist die Panteleia Sacra. Consummata pugna & victo-
ria. Veni, vidi, vici Es. 65. consummata acquisitio,redemptio plenaria. Sobald der himli-
sche J onas ins Meer körnt I so wirds alles stille. Davon Jona.1 NB. omnia serena. Es ist
nun alles richtig I was vor dem Tode deß HERRN geschehen solte. Das übrige samt
dem Triumph 1. Petr. 5. und der frölichen Aufferstehung unsers Erlösers Job. 19. aus
dem Grabe muste auf dieses Gonsummaturnest auch eben so gewiß folgen/ als wäre es
allbereit geschehen ... Die Schlacht ist vollbracht I der Sieg ist erlangt. NB. Vici. Joh.
16135. Victoria. 1. Cor. 15157. Nun habe ich überwunden«.
54 Abraham Calov, Die Heilige Bibel nach S. Herrn D.MARTINI LUTHERI Deutscher
Dolmetschung/und Erklärung, Band III, Wittenberg 1682, Spalte 911; 912; vgl. auch
Spalte 918; Johann Olearius, Biblische Erklärung (s. Anm. 52), Teil V S. 785a. Händel
stellt mit Brockes den Satz »Mich vom Stricke meiner Sünden« (für Soli und Chor)
nach einer kurzen Sinfonia an den Anfang seiner Passion, vor die Einsetzung des
Abendmahls; er gibt also mit diesem Satz als leitendes Thema an: das Gefängnis Jesu.
Entsprechend hat Bach in der Matthäus-Passion eine spätere Leidensstation, nämlich
die Kreuztragung, an den Anfang gestellt und mit dem eingebauten Choral »0 Lamm
Gottes, unschuldig am Stamm des Kreuzes geschlachtet« den theologischen Horizont,
das Thema der Betrachtung angegeben.
55 Vgl. Friedrich Sm end, Die Johannes-Passion von Bach. Aufihren Bau untersucht, BJ
56 " Das Lied, das auch H. Müller in dem auf der übernächsten Seite faksimilierten Ab-
schnitt aus dem Himmlischen Liebes=Kuß zitiert, findet sich im Eisenacher Gesang-
buch unter den Fasten-Liedern aufS.138 f. Es wird Michael Altenburg zugeschrieben
und hat fünf Strophen, von denen die bei Müller zitierten die ersten beiden Strophen
sind. Im Dresdnischen Gesangbuch erscheint das Lied als Zusatz Johann Majors zu
dem Bußlied »Ach Gott und Herr, wie groß und schwer sind mein begangne Sünden«
von Johann Goeldelius. Das Incipit erscheint bei Vopelius im Register, nicht jedoch in
der Geistlichen Singe=Kunst von Johann Olearius und in der umfassenden Lieder-
sammlung Andächtiger Seelen geistliches Brand=und Gantz=Opfer, 8 Bde, Leipzig
1697.
38 Renate Steiger
Anm. 49; Tobias Clausnicer, Passions=Blume s. Anm. 50; Heinrich Müller, Himmli-
scher Liebes= Kuß s. Anm. 48,
Renate Steiger 41
Die Betrachtung der Wunden Jesu hat für die Frömmigkeit so-
wohl des Spätmittelalters als auch der lutherischen Orthodoxie und
des Pietismus, die die bernhardinisch-mystische Tradition aufge-
griffen und aus diesem Glaubensgut geschöpft haben, große Bedeu-
tung gehabt. Einen besonderen Schwerpunkt bildete dabei die
Verehrung der Seitenwunde. Aus ihr sind nach Augustin, mit Blut
und Wasser angezeigt (Joh 19,34),die heidenSakramenteTaufe und
Abendmahl geflossen. Durch sie läßt uns J esus hineinblicken in sein
liebendes Herz- ein Grundgedanke der Herz-Jesu-Frömmigkeit. In
der Dichtung, in der Bildenden Kunst, in der Emblematik ist ein ver-
breiteter Topos das Bild von der >>Höhle seiner Wunden<<, in der sich
der Sünder verbirgt vor Zorn und Ungewitter, verbergen kann auf-
grund der erlösenden Kraft des Blutes Jesu Christi (s. S. 83).
Unter den Textproben sei der Abschnitt aus dem Himmlischen
Liebes=Kußvon Heinrich Müller hervorgehoben als ein Stück narra-
tiver Theologie. Man beachte, wie Müller ein theologisches Lehr-
stück, die Lehre von Christus als dem Mittler und Fürsprecher bei
Gott, dem intercessor, erzählt, seiner Gemeinde predigt.
Wir wollen auch hier noch einen Blick auf die Kompostion werfen
und fragen: Welche Elemente des Textes, welche Aussagen hat Bach
in seiner Musik aufgenommen, in Musik übersetzt? Sammeln wir
die tragenden Begriffe des Librettos und der Predigten. Da fällt am
Arientext zu allererst auf: die 6 Zeilen enthalten 5 Aufforderungen;
»eilt- geht aus - eilt- nehmt Flügel an -flieht<<. Ähnlich ist es in den
Predigtbeispielen: fleuch (Heermann)-Verlaß die stäte (Pfeiffer mit
Jer.48,28)-Trett hin zu seinem Creutz- Geht und verberget euch
(Clausnicer) und schließlich die Stimme Jesu zur Braut des Hohen-
liedes: Komm meine Taube (Müller). Bach setzt diese Aufforderung
um in die mitreißende Bewegung des Themenkopfes (T.i-2), die den
ganzen Satz bestimmen wird:
;" l
Violino I
... "::J~"rl· ., -c::
"
Violino II
V
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-~.,._. ~
Viola
- :
...
"
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... ... :
!!- .
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Die zwei Takte sind das Modell der späteren Choreinwürfe
»wohin?«. Diese Frage ist musikalisch als eine gejagte, notvolle, wie-
dergegeben durch Verschleiern der guten Zählzeit. Dies erreicht
Bach durch Wechsel und Überlagerung von kleinem und großem
Dreier (hier 3/8- und 3/4-Takt) und die damit zusammenhängenden
Akzentverschiebungen. In ihnen gewinnt musikalisch Gestalt, was
die Texte mit ihr angejochtnen oder ihr Angst=betrübten Seelen
ansprechen. Die Angst, die die Angeredeten (bei Brockes: die Gläubi-
gen) hochschreckt, ohne Orientierung in der Zeit an einer geordne-
ten Betonung, ist Todesangst. Davon sprechen alle Texte. Denn am
Ende ist entscheidend und kommt heraus, wo die rechte Freistatt ist.
Was werden die Seelen am Kreuzeshügel finden? Eure Wohlfahrt
blüht allda! Sicherheit- das heißt Sicherheit vor der Anfechtung des
Todes und der Verdammnis, Zuflucht und Balsam auf die Wunden
des Herzens verheißen die Prediger.
Verfolgen wir zunächst die musikalische Entwicklung des
Ritornells weiter. Auf das Losstürmen (T. 1-2) und das Stocken der
Bewegung (T. 3-4) folgt nun in den zweimal zwei sequenzierenden
Taktgruppen (T. 5-8) ein Abtasten und Suchen, dann (T. 9-12) ein
zielgerichtetes Sich-spannen. In den letzten vier Takten (T.13-16)
senkt sich nach dem Angekommensein am Ziel- und Höhepunkt der
Renate Steiger 43
1. ZUMTHEMA
besagten Dame trat erstmalig 1723 in Kraft; Bach befand sich noch
nicht in Leipzig. 1724 freilich beanspruchte der Rat die Aufführung
einer Passion in der Nikolaikirche, gemäß der Gepflogenheit, die
sonntäglichen Kantatenaufführungen zwischen Thomas und Niko-
lai im Wechsel vorzunehmen. Er konnte das beanspruchen, weil seit
1721 inzwischen dreimal die Kuhnausche Markus-Passion in der
Thomaskirche aufgeführt worden war.
Die Karfreitagsvesper verkürzte man der größeren Länge der
musikalischen Einlagen wegen um wesentliche Stücke, wenn man
sie mit einem allgemein bekannten sonntäglichen Vespergottes-
dienst vergleicht. Wichtige Auslassungen sind folgende: Psalm-
Lesung,Betstunden-Gebet,Kirchengebet,Fürbitten,Danksagungen
und das Magnificat. Gegenüber der Karfreitagsvesper vor 1721 fällt
auf, daß die musizierte Passion das Motettensingen am Anfang des
Gottesdienstes und das Lied >>Ü Traurigkeit, o Herzeleid<< nach der
Predigt verdrängt. In beiden Fällen enthielt der Lesungs- und Pre-
digtteil des Gottesdienstes nie die ganze Passion.
Die Psalm-Leseordnung nach Luthers Schüler Veit Dietrichs Vor-
schlag1 sah für den Karfreitag keinen Psalm vor. Aus dem Manual
der Nikolaikirche erfährt man, daß zumindest in der Frühpredigt
des Karfreitag im Wechsel der Jahre Psalm 22 und Jesaja 53 gelesen
und gepredigt wurden. Das bestätigt wenigstens die ohnehin ver-
mutbare Nähe des Psalmes 22 zum Karfreitag. Dennoch bleibt der
Ausfall einer Psalmlesung am Nachmittag bestehen. Da die Vesper-
gottesdienste ihr besonderes Gepräge durch die einbezogene Bet-
stunde, eine Gottesdienstform, die nur das Beistundengebet und
eine Predigt als wesentliche Elemente enthielt, zeigte, und ebenso
das charakteristische Merkmal des Magnificat entfiel, darf der Kar-
freitagsvespergottesdienst als eine eigene Größe im Spektrum des
gottesdienstlichen Lebens angesehen werden. Anstelle von Psalm
und Magnificat werden vor und nach der Predigt die beiden Teile der
Passion musiziert.
3. HOMILETISCHE EBENE
2 Manuale des Gottesdienstes, vgl. die Bände mit den Jahren 1721 bis 1750, Nikolai-
der Predigt ist variabel; die Bach-Passionen, in diesem Fall auch die
Keisersche Passion, halten für die Predigt den Einschnitt zwischen
zwei Actiis ein.
Das Ergebnis unserer Überlegungen führt nun zu folgender Kon-
sequenz: Alles ist darauf ausgerichtet, die Ablösung von einer aus-
schließlich historisch verstandenen Ebene der Darstellung für den
Hörer zu erreichen: Ablösung zum Zweck der Aneignung durch den
Hörer. Da ein Detail des Passionsberichtes immer auch das Ganze
der Passionsverkündung zu tragen und zu vermitteln in der Lage 5
ist, entstehen bei solchem Verfahren auch keine unüberwindlichen
Probleme.
Das homiletische Prinzip 'Ablösung zum Zweck der Aneignung'
setzt sich nun auch in der Passionskomposition Bachs fort. Zu-
nächst beobachten wir bei ihm zwei traditionelle Mittel, zwei sich
überlagernde Gliederungsschemata, das nach Actiis und das nach
Personen: Die Johannes-Passion vermittelt beides; die Gliederung in
Actiis vollzieht sich wie selbstverständlich. Besonders interessant
ausgeprägt ist die Durchführung der Gliederung nach Personen, die
gleichzeitig eine verfremdende Anwendung erfährt: Durch den
Wechsel der Stimmlage wird die unauflösliche Bindung an eine be-
stimmte Person des Passionsberichts verhindert bzw. unterlaufen,
obgleich gleichzeitig die Inhalte der Arien/Ariosi eine Identifikation
mit im Bericht handelnden Personen erlauben. Den freien Texten
der Matthäus-Passion lassen sich jedenfalls nicht mit dieser Konse-
quenz Personen zuordnen, wie in der Johannes-Passion. Schon
Martin Luther hat die Ablösung von handelnden Personen des
Passionsberichtes gefordert. Besonders an der Mutter Maria kann er
es aus aktuellen Gründen verdeutlichen: 4
3 Elke Axmacher, »Aus Liebe will mein Heyland sterben«. Untersuchungen zum Wan-
allen ehren halten, wie sie denn wol werd ist, das man sie
ehre. Aber doch wollen wir sie nicht also ehren, das wir sie
jrem Sone Christo gleich machten. Denn sie ist nicht jur
uns gecreutziget noch gestorben und hat am Creutze jur
uns mit threnen geflehet und gebeten. Darumb man ehre
die Mutter Maria wie man wölle, allein man ehre sie nur
nicht mit der Ehre, da man Christum mit ehren sol. Und
solchs ist auch die ursach, Warumb der HErr seine Mutter
von sich hinweg thut. Denn er allein der sein wil dem wir
anhangen sollen.
ABer der Bapst mit Mönchen thut das widerspiel, lesst
Christum den Sonjaren und hanget der Mutter an. Chri-
stus verlesst alles umb unsert willen, Erde, Mutter, Jünger,
auff das er uns helf.fe. Darumb sollen wir auch jm allein an-
hangen und die Ehre die jm gebüret, keinem andern geben.
Denn weil er selbs die Mutter hinweg gibt und mit jr auff
Erden nicht sein wil nochjranhangen, sollen wirauch der
Mutter nicht anhangen und den San verlassen. Billich ist
Maria unser Mutter. Aber das wir walten auff sie bawen
und Christo sein ehre und ampt nemen und es der Mutter
geben, das hiesse Christus leiden verleugnet.<<
4. KATECHETISCHE EBENE
unter der Rubrik >>Vom Leiden und Sterben Jesu Christi«: »Christus,
der uns selig macht« (2 Strophen), >>J esu Leiden, Pein und Tod<< (3 bzw.
4 Strophen). Das Lutherlied >>Vater unser im Himmelreich<< hat
seinen Platz unter den Katechismusliedern, die beinahe in allsonn-
täglicher Wiederkehr während der Austeilung des Abendmahls ge-
sungen wurden; >>Valet will ich dir geben<< und >>Herzlich lieb hab ich
dich, 0 Herr<< sind unter dem Titel >>Von Krankheit, Tod und Sterben<<
rubriziert, eine Abteilung, die anläßlich der reichlich anfallenden
Beerdigungsfeiern sehr oft gesungen wurden.
Im übrigen zeigt die Benutzung von Liedern aus anderen Berei-
chen als der Rubrik >>Vom Leiden und Sterben Jesu Christi<< eine Un-
terstützung der katechetischen Tendenz: die Identifikation mit dem
Passionsgeschehen ist ein in hohem Maße jeden Menschen selbst
betreffender Akt, so wie jeden unvertretbar Schuld, Krankheit,
Sterben und Tod betrifft.
'Identifikation aufgrundvon Erinnerung' durch Kirchenlieder mit
einem hohen Bekanntheitsgrad stellt ein katechetisches Prinzip dar.
Es funktioniert in einer Umgebung hoher Wertschätzung des
Kirchenliedes im allgemeinen und der Tropierung des Passionsbe-
richtes im besonderen. Denn die bereits über ein Jahrhundert an-
dauernde Gepflogenheit, die Passionsberichte durch Liedstrophen
zu gliedern und zu tropieren, übernimmt im Falle einer figural musi-
zierten Passion der Chor.
Schließlich lohnt es sich, die Frage nach einem geeigneten Ort
nachzuvollziehen, wie sie 1720/21 in Leipzig zur Disposition stand.
Der Frühgottesdienst des Karfreitag bot sich traditionell deshalb
nicht an, weil in diesem Gottesdienst nie ein vollständiger Passions-
bericht gelesen oder gepredigt worden wäre. DiwEntscheidung für
den Vespergottesdienst des Karfreitag scheint mir demgegenüber
auch aufgrundkatechetisch-pädagogischer Überlegungen gefallen
zu sein. Denn man mußte einen Ort wählen, der anpassungsfähig
war, und zwar hinsichtlich der liturgischen Prädisposition wie auch
hinsichtlich des verfügbaren Zeitfonds. Beidem kam die liturgisch
schwache Stellung der ohnehin am Rande stehenden Karfreitagsve-
sper in der Thomaskirche entgegen. Hier konnte man Neues ansie-
deln, ohne prinzipiell den allgemein bekannten Charakter eines
Vespergottesdienstes anzutasten. Andererseits verschaffte die Er-
setzung des Psalmes durch den ersten Teil der Passionsmusik und
des Magnificat durch den zweiten der Passion eine bestimmte
gottesdienstliche Qualität. Doch dazu jetzt Detallierteres.
52 Martin Petzoldt
5. LITURGISCHE EBENE
Werfen wir einen Blick auf Beginn und Abschluß der Johannes-
Passion in ihrer zweiten Fassung von 1725 innerhalb des Choralkau-
tatenjahrgangs, so verstärkt sich der liturgisierende, d.h. der auf
Gottesdienst bezogene Eindruck: Satz 1 »0 Mensch, bewein dein
Sünde groß«, eine Strophe, die zwei wesentliche biblische Texte zur
Grundlage eines durch Christologie bestimmten bekenntnishaften
Textes macht: Phil2,5-11 und J es 55. Nicht erst dieneuere biblische
Exegese vermittelt ein Wissen um solche Texte, daß sie ihrer großen
Dichte und ihres hymnischen Charakters wegen liturgische Quali-
tät besitzen. Zur Zeit Bachs wußte man nicht nur darum, man
benutzte solche Texte auch in solcher Funktion: eben zur Eröffnung
einer Passion.
Satz 40 der zweiten Fassung »Christe, du Lamm Gottes«, für die
Zeit des 18. Jahrhunderts erwiesenermaßen nicht als Agnus Dei
Bestandteil der Abendmahlsliturgie, sondern als zeitbestimmendes
Lied des Karfreitag in der De-tempore-Ordnung festgelegt, entfaltet
bis in Bachs Vertonung hinein liturgischen Charakter: Die Dreima-
ligkeit derselben Strophe, der dreifache Kanon der Melodie in der
Mittelstrophe, die Zweiteiligkeit nach den gewählten Tempi, die der
langsamen ersten Strophe ebensoviel Zeit einräumt, wie den beiden
nachfolgenden Strophen im rascheren Tempo: die erste Strophe, die
dem Hörer den Eindruck des schweren Tragens der Sünde vermit-
telt in einer großen hoheitsvollen Geste, die zweite und dritte, die im
Übernehmen der Sünde durch Christus, dem Lamm Gottes, zugleich
deren Überwindung zur Aussage macht >>Gib uns dein' Frieden<<.
Spontan fallen dazu zwei Stellen des Johannes-Evangeliums ein:
Der Täufer sieht J esus kommen und verweist aufihn mit den Worten
>>Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt<< (Joh 1,29),
und Jesus sagt in den johanneischen Abschiedsreden >>Den Frieden
Martin Petzoldt 55
lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch,
wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht«
(Joh 14,27).
Zur liturgischen Ebene gehört auch eine Überlegung zu dem Lied
>>Jesu Leiden, Pein und Tod<< von Paul Stockmann, eine 34-strophige
Dichtung, die die Passion J esu weniger beschreibt als vielmehr
reflektierend begleitet. Das Lied kommt in der Johannes-Passionmit
drei Strophen vor, 1725 sogar mit vier. Auch im weiteren Bachsehen
Werk stößt man immer wieder auf Strophen dieses Liedes: BWV 182,
BWV 159, BWV 247,56. Die spirituelle Qualität dieses Liedes muß
enorm gewesen sein: 1766 vermerkt der Thomasküster Christian
Köpping in dem liturgischen Merkbuch seines Vorgängers Johann
Christoph Rost:
6. DOGMATISCHE EBENE
Sebastian Bach und das Leipziger gottesdienstliche Leben seiner Zeit, Berlin 1970,
S.40-46. Stiller geht nicht auf den Karfreitagsvespergottesdienst ein, vgl. S.52f. Zum
dogmatischen Bezug der Gottesdienste vgl. meinen Beitrag zur Sommerakademie
1984: Theologisch-liturgische Aspekte von Bachs Leipziger Kirchenmusik (bisher
unveröffentlicht).
56 Martin Petzoldt
Anlage 1
Anlage 2
Des andern Tages, war da folget nach Rüsttag, kamen die Hohenpriester
und Pharisäer sämmtlich zu Pilato, und sprachen: Herr, wir haben gedacht,
daß dieser Verführer sprach, da er noch lebete: Ich will nach dreyen Tagen auf-
/erstehen; Darum befiehl, daß man das Grab verwahre, bis an den dritten Tag,
auf daß nicht seine Jünger kommen, und stehlen ihn, und sagen zum Volck: Er
ist auf/erstanden von den Todten, und werde der letzteBetrug ärgerdenn der er-
ste. Pilatus sprach zu ihnen: Da habt ihrdie Hüter, gehet hin, und verwahret es,
wie ihr wisset. Siegiengen hin, und verwahreten das Grab mit Hütern, und ver-
siegelten Stein.
Mt 27, 62-66.
JESUS CHRISTUS
Lichtsymbols gedeutet: »In ihm war das Leben und das Leben war
das Licht der Menschen<< (1,11). >>Das wahre Licht, das jeden Men-
schen erleuchtet, kam in die Welt<< (1,9), so sagt es der Evangelist, so
sagt es Jesus immer wieder von sich selbst (8,12; 9,5; 12,46).
Aber er sagt es nicht nur, er führt es in einer feierlichen Handlung
vor Augen. Die Blindenheilung nämlich, die im neunten Kapitel so
ausführlich und umständlich berichtet wird, will nicht nur zeigen,
wie Jesus einem bedauernswerten GeschöpfHeilung brachte. Nicht
der Kranke ist das Thema, sondern Christus als der Lichtträger und
Lichtbringer, wie er in der Deutung des ganzen Vorgangs selber aus-
drücklich sagt (9,5). Nicht zufällig mündet daher der Bericht von der
Blindenheilung unmittelbar in dem Streit um die Christusfrage ein.
Ein anderes großes Christussymbol des Johannes-Evangeliums
ist das Wasser. Wiederum muß man erst einmal die eigenen Erfah-
rungen mit dem Wasser sich vergegenwärtigen, um in das Bild ein-
zudringen. Nicht nur der labende Trunk und das erfrischende
Bad gehören dazu, auch der silberne Quell, der aus dem dunklen
Schoß der Erde hervorbricht, auch der rauschende Bach oder der er-
quickende Regen oder das gewaltige Brausen des Meeres bringt uns
zum Bewußtsein, was es mit dem Wasser auf sich hat. Erst wenn sol-
che Erinnerungen-in uns aufleben, öffnen sich die Christusbilder
vom Wasser wie sich die Knospen einer Blume öffnen. Das ist umso
wichtiger, als das Wassermotiv unter den Christusbildern des Evan-
geliums wohl überhaupt das stärkste Gewicht besitzt. Es ist litera-
risch gesprochen ein Leitmotiv, musikalisch gesprochen ein Thema
in Variationen. Wiedergeburt aus dem Wasser und dem Geist wird
mit Nikodemus erörtert. Wie eindrucksvoll ist andererseits der Be-
richt über die intermittierende Heilquelle im Teich Betesda. Was sie
nicht leistet an dem Mann, der 38 Jahre krank lag, leistet J esus, Heil-
quelle schlechthin. Daß der Dichter Thornton Wilder den Stoff in
einem seiner Dreiminutenstücke dichterisch aufgeschlossen hat,
beweist, wie packend der Vorgang erlebt werden kann.
Nocheinmal kommt das Wassermotiv zu großer Wirkung in der
Wasserrede Jesu am letzten Tag des Laubhüttenfestes, der der Tag
des Wasserschöpfens hieß, wegen der festlichen Wasserzeremonie,
die man an diesem Tag beging. Da ruft Jesus plötzlich in die Menge
hinein: >>Wenn einer dürstet, komme er zu mir und trinke, vorausge-
setzt, daß er glaubt. Denn wie die Schrift sagt: 'Ströme lebendigen
Wassers'<< werden aus dem Inneren (des Messias) hervorbrechen
(7,37 f).
64 Bernhard Hanssler
berichten: >>Er nahm den Kelch mit Wein und sagte: das ist mein
Blut<< (Mt 26, 27).
Nicht weniger wichtig als der Wein ist das Brotthema in Kapitel6.
An dem Bericht über die Brotvermehrung schließt sich die große
Brotrede Jesu an. Die leibliche Speisung der Menge ist nur der
äußere Vorgang, der auf das eigentliche Thema hinführen soll und
dieses ist wiederum das Christusthema. Das Brot versinnbildet den
Menschen, den einzigen Brotesser der Schöpfung. Indem Jesus sagt:
>>Ich bin das Brot des Lebens<< (6,35) weist er darauf hin, daß der
Mensch in einem umfassenden Sinne der Hungerleider ist, dessen
Hunger nur Jesus zu stillen vermag.
Licht und Wasser sind Grundstoffe der Schöpfung, Wasser, Wein
und Brot sind Grundbedürfnisse des Menschen. Die Elemente tra-
gen unsere Existenz, Speise und Trank sichern unsere Lebensfri-
stung. Die Rolle, die diese Stoffe im leiblichen Bereich spielen, wird
von Jesus auf die personal-existentielle Ebene übertragen. Alle die
Christusbilder, die aus diesen Bereichen geschöpft sind, haben
dieselbe Botschaft: die Christuswirklichkeit ist eingesenkt und ein-
gepflanzt und verankert im Elementaren der Schöpfung und der
Existenz. Daraus ergibt sich: wer in den Kern der geschaffenen Welt
eindringt, stößt auf Christus. Der Grund dafür ist schon in einem der
ersten Sätze des Evangeliums genannt. >>Alles ist durch ihn gewor-
den und ohne ihn ist nichts geworden von dem was geworden ist<<
(1,3). So ergibt sich die wichtige Folgerung, daß Christus dem Men-
schen und der Welt, in der der Mensch lebt, nicht fremd ist. Die Welt
ist sein Eigentum, aber sie merkt es nicht: >>Er kam in sein Eigentum,
aber seine Eigenen haben ihnnicht aufgenommen<< (1,11).Dennoch,
die hier vorgeführten Christusbilder haben ihre große religiöse
Bedeutung. Sie könnten gerade dem modernen Menschen das
Christusgeheimnis erschließen. Sie könnten freilich auch auf einen
Irrweg führen, wenn man sie nicht ergänzt durch ganz andere Aus-
sagen, von denen nun zu handeln ist.
Christus ist den Existenzbedingungen des Menschen zugeordnet.
Aber er geht nicht auf in Welt und Schöpfung, er ist anderer Herkunft.
Zu den christologischen Grundaussagen des Johannes-Evangliums
gehört die ständig wiederholte Feststellung, daß er, Christus, der
oberen Welt angehört, während wir Menschen von unten sind (8,23).
Das Unten ist nicht nur dadurch definiert, daß es der absolute
Gegensatz zum Oben ist, sondern vor allem dadurch, daß kein Weg
von unten nach obenführt. Das Oben aber ist nicht nur dadurch defi-
66 Bernhard Hanssler
niert, daß es der Gegensatz zum Unten ist, sondern dadurch, daß es
die Möglichkeit und den Willen hat, sich zum Unten herabzulassen.
Jesus hat seinen Ursprung in der oberen Welt, aber er hat vom Vater
Auftrag, Ermächtigung, Sendung und umfassende Vollmacht er-
halten für sein Werk hier unten auf der Welt. Er ist gesandt worden,
er ist herabgestiegen, er ist gekommen, er ist erschienen, alle diese
Begriffe beschreiben den Vorgang, sie alle sind Begriffe der Bewe-
gung, jener Bewegung nämlich, die sich in der Zuwendung Gottes
zur Welt in der Person Jesu Christi vollzieht und deren Antrieb die
Liebe Gottes ist: »So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen
Sohn für sie hingab« (3,16). Es ist wie ein Schlüsselwort, wenn das
Christusereignis ausgedrückt wird mit.dem Satz: »Keiner ist aufge-
stiegen außer dem Menschensohn, der herabgestiegen ist« (3,13).
Aber nach getanem Werk verharrt er nicht im Unten, sondern kehrt
in einen Ursprung zurück:» Ich bin vom Vater ausgegangen, ich gehe
wieder zum Vater, kehre wieder zu ihm zurück«, dieser Satz wird im-
mer neu abgewandelt in Kapitel 14 -17.
Zu dieser Oben- Unten -Thematik ist auf ein bemerkenswertes
literarisches Stilmittel des Evangelisten hinzuweisen. Daß dem
Unten der Weg nach oben verwehrt ist, bringt das Evangelium mit
einer besonderen Darstellungstechnik zum Ausdruck. Daß das
Unten das Oben nicht erreichen kann, kommt in immer neuen
Mißverständnissen zum Ausdruck. Zu Nikodemus spricht Jesus von
der Wiedergeburt aus Wasser und Geist. Nikodemus begreift nichts,
er stellt die törichte Frage, ob ein Mensch in den Mutterschoß
zurückkehren könne. Der Frau am Jakobsbrunnen bietet Jesus
jenes Wasser an, das den Durst löscht. Prompt bittet sie um dieses
Wasser in der Hoffnung, daß ihr künftig der beschwerliche tägliche
Gang zum Brunnen erspart sein würde. J esus kündigt an, er werde
weggehen an einen Ort, wohin die Menschen ihm nicht folgen
könnten. Hat er vor, Selbstmord zu begehen? (8,22), fragen sie
statt zu begreifen, daß er von der Rückkehr zum Vater sprach. Litera-
risch gesprochen handelt es sich hier um ein meisterlich gehand-
habtes Darstellungsprinzip des Evangelisten vom Anfang bis zum
Schluß.
Jesus hat Einzug gehalten in dieser unteren Welt, in die der Vater
ihn gesandt hat. Daher gilt, solange er da ist, ist Gott in dieser Welt da.
Die Frage des Philippus, der den Vater gezeigt zu bekommen
wünscht, erhält die eindeutige Antwort: »Philippus, wer mich sieht,
sieht den Vater« (14,9). Das Angesicht Gottes, von dem im Alten
Bernhard Hanssler 67
Testament so oft die Rede ist, haben die Mensch nun vor Augen im
Antlitz Jesu Christi.
Auf die Anwesenheit Gottes in der Person Jesu zu verweisen, ist
auch die Absicht der »Ich-bin-Worte<<. Ich bin das Licht, bin das Brot,
bin der gute Hirt, bin der Weinstock, der Weg, die Wahrheit und das
Leben. Diese Selbstaussagen sind gebildet nach der Selbstprädika-
tion Gottes gegenüber Mose am brennenden Dornbusch: »Ich bin
der, der ist<< (Exodus 5,14 ). Diese Worte in ihrer Feierlichkeit betonen
die Exklusivität der Sendung Jesu und weisen alle rivalisierenden
Ansprüche anderer Angebote zurück. Sie erinnern deutlich an
Jesaja 45, wo Gott wie im Refrain immer wieder sagt: >>Ich bin
der Herr und sonst keiner.<< Das Hoheits bewußtsein, das sich in den
>>Ich-bin-Worten<< Jesu äußert, läßt die Menschen zurückschrecken.
Kein Wunder daher, daß die Schergen bei der Gefangennahme Jesu
schlicht zu Boden schlagen, als sie das >>Ich bin es<< hören (18,6).
In J esus Christus ist Gott am Werk, solange er aufErden weilt. Wie
der Vater wirkt, wirkt auch er selbst (5, 19-50). Jesus hatden Auftrag
Gottes und so ist er Gottes Beistand für die Seinen. Wie aber, wenn er
die Erde verläßt und in seinen himmlischen Ursprung heimkehrt?
Für diese neue Situation stellt er einen neuen Beistand in Aussicht,
dem er den Namen Paraklet gibt und den er als den Geist der Wahr-
heit kennzeichnet. Das Wort Paraklet gibt Rätsel auf. Sicher ist heute,
daß es mit Beistand, Anwalt, Sachwalter zu übersetzen ist und nicht
mit Tröster. Aber wer ist der Paraklet, ist er eine sichtbare Gestalt
(vgl. 14, 19) oder ist er als rein innerliche Kraft zu denken? Jedenfalls
ist er der andere Beistand nach J esus, dem ersten Beistand. Der Para-
klet, das wird nachdrücklich betont, ist nicht ein neues selbstständi-
ges Offenbarungsorgan. Er steht völlig im Dienst am Werk und Wort
J esu. >>Er wird von den Meinigen nehmen und es euch verkündigend
weitergeben<< (16,14). In dieser Tätigkeit ist er der >>Geist der Wahr-
heit<< (14,17), er wird die Jünger lehren und die Erinnerung an die
Worte J esu wachhalten. Er wird sie in die ganze Wahrheit einführen
(16,15). In diesem Wort haben wir eine besonders wichtige Ausle-
gung der Geistwirkung vor uns. Dank des Heiligen Geistes und sei-
nes Wirkens steht die Wahrheit, die Christus verkündet hat, uns
nicht mehr gegenüber wie eine fremde Welt. Wir dringen in sie ein,
sie dringt in uns ein, so daß wir in ihr stehen, was bekanntlich im
Deutschen mit dem Wort Verstehen ausgedrückt ist.
Ein abschließender Hinweis zu diesem Thema sei angefügt. Die
christliche Kirche kann nach dem Weggang Jesu nur seine Kirche
68 Bernhard Hanssler
EWIGES LEBEN
>>Wie der Vater Leben in sich selber hat, so hat er auch dem Sohn
gegeben, Leben in sich selber zu haben« (5,26). Daraus ergibt sich
die Formel für den Auftrag Jesu: >>Ich bin gekommen, damit sie das
Leben haben und es in Fülle haben<< (10,10). Leben ist also das Ange-
bot Jesu, meist wird das Wort verbunden mit der Qualitätsbestim-
mung ewiges Leben. So heißt es dann etwa: >>Wer mein Wort hört und
dem glaubt, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt
nicht ins Gericht, vielmehr ist er vom Tod in das Leben hinüberge-
gangen<< (5,24). Zum Begriff ewiges Leben bedarf es einer Klarstel-
lung. Wenn wir ewiges Leben hören, denken wir unwillkürlich an
die Zeit nach dem Tod, an unsere künftige jenseitige Existenz. An sie
ist aber gerade nicht gedacht. Nicht eine künftige Existenz ist ge-
meint, sondern ein gegenwärtiger Besitz. Das ewige Leben haben,
heißt, an dem Leben teilhaben, das in der Ewigkeit Gottes seinen
Ursprung hat und durch J esus Christus in die Welt gekommen ist. Er
ist der Menschensohn, der die Speise zum ewigen Leben geben wird
(6,27). An dieser Stelle ist ein Hinwies auf eine Besonderheit des
Johannes-Evangeliums nötig. Im Johannes-Evangelium gibt es
keine Aussage über das Weitende, über die Wiederkunft Christi und
über das kommende Gericht, also über das, was man Eschatologie
nennt, Weltende ist immer, Weltgericht vollzieht sich jetzt (12,31),
nämlich dort, wo ein Mensch sich Christus verweigert: >>Wer an ihn
glaubt, kommt nicht ins Gericht, wer nicht glaubt, ist schon gerich-
tet, weil er nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes
geglaubt hat<< (3,18). >>Die Stunde kommt und jetzt ist sie da, in der
die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören und die sie hören
werden leben<< (5,25). Nocheinmal: alle Tage ist Weltgericht, alle
Tage ist Auferstehung.
Bernhard Hanssler 69
widerstehen wäre. Die Freude, die Christus gibt, äußert sich gewiß
nicht in Freudenausbrüchen, aber sie behebt die Verdüsterung
der Seele und ist so das Heilmittel für eine tiefverschattete moderne
Seelenwelt.
Verwandt mit der Freude, im Deutschen sogar sprachlich ver-
wandt, ist der Friede. >>Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden
gebe ich euch, so wie die Welt ihn nicht zu geben vermag, gebe ich
ihn euch« (14,27).Auch den Frieden kennzeichnetJesus also als eine
Gabe, die alle weltlichen Friedensmöglichkeiten hinter sich läßt.
Friede, wir wissen es, ist in der Bibel die große Gottesstiftung, die
alles umfaßt, was zwischen Wohlbefinden und seliger Gotterfüllt-
heit liegt, denn das alles gehört zum Schalom. Wie könnte man nach
den Erfahrungen der vergangenen Monate vom Frieden J esu Christi
reden, ohne sich zu erinnern, daß das Friedensangebot Jesu neue-
stens eine ganze Welt, die deutsche Welt einbegriffen, aus den
Angeln gehoben hat. Nicht als wäre die Friedensgabe Jesu ein politi-
sches Programm, aber geistlicher Friede setzt sich um, greift um
sich, überflutet das Land und >>der Friede hat kein Ende<< (Jes 9,6).
Soviel in unvermeidbarer Knappheit zum Zentralbegriff ewiges
Leben im Johannes-Evanglium. Das Wort scheint auf den ersten
Blick nur erbauliche Rede zu sein, aber es birgt eine gewaltige
Dynamik in sich und es trifft die Wertvorstellungen und Lebensziele
des modernen Menschen in ihrem Kern. Diesen Kern freizulegen
und ihm das Angebot Jesu zuzuordnen, das ist das Amt der Verkündi-
gung in der gegenwärtigen Welt.
Um das Thema ewiges Leben abzurunden, ist aber noch nach
dem eigentlichen Quellgrund zu fragen, dem das Angebot Jesu ent-
springt. Es ist die Liebe Gottes und der Niederstieg dieser Liebe vom
Oben Gottes her in das Unten der Menschen hinein. Diese Liebe Got-
tes agiert der Welt gegenüber in der Person, in der Sendung und im
Wirken Jesu Christi: >>So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen
einzig gezeugten Sohn dahingab, damit jeder der an ihn glaubt,
nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat« (3,16). Diese
Liebe ist bei J esus immer am Werk und er hält sie durch bis zu ihrer
höchsten Steigerung. >>Da J esus die Seinen liebte, liebte er sie bis zur
Vollendung«, wenn wir nicht lieber übersetzen sollten: ging er in der
Liebe bis zum äußersten (13,1). Dieser Satz eröffnet und deutet vor-
weg den Bericht von der Fußwaschung, wo Jesus, die Schürze umge-
bÜnden, reihum geht, mit dem Wassergefäß hantierend und jedem
der Jünger den Dienst leistend, den im palästinensischen Haus der
72 Bernhard Hanssler
unterste aller Sklaven zu tun hatte. Daß Jesus, >>der Herr und der
Meister<<, wie er nicht versäumt zu betonen (13,13), diesen Dienst
übernimmt, der zugleich Vorspiel und Deutung des Kreuzes ist, stellt
die Welt auf den Kopf, so wie Gottes Liebe sie eben auf den Kopf stellt.
GLAUBE
Weil Gott der Liebende ist, ist er der Gebende. Das Geben ist der
Grundgestus Gottes im Johannes-Evangelium. Dem Geben Gottes
entspricht das Nehmen des Menschen. Die Bereitschaft, zu nehmen,
anzunehmen, aufzunehmen, entgegenzunehmen, ist die erste Vor-
aussetzung für die Entstehung religiöser Erfahrung. >>Denen, die ihn
aufnahmen, gab er die Möglichkeit Kinder Gottes zu werden, denen
nämlich, die an seinen Namen glauben<< (1,12). Wie man sieht, ist in
diesem Satz der Begriff des Nehmens und Ernpfaugens bereits
gedeutet mit dem Begriff des Glaubens. Vom Glauben also muß die
Rede sein, wenn die Grundzüge der johanneischen Theologie sicht-
bar werden sollen.
>>Der Glaube kommt vom Hören<< ist das berühmte Axiom des
Römerbriefes (10,17). Bei Johannes ist es nicht anders. Wie sollte
sonst die göttliche Gabe empfangen werden, wenn_ nicht im Hören.
Gott macht sein Angebot im Wort und in der Botschaft Jesu, also
durch Sprache und Rede. So kommt aufnehmen und glauben durch
das Hören zustande. Das Zeitwort hören kommt übrigens in keiner
anderen neutestamentlichen Schrift so häufig vor, wie bei J ohannes.
Außerdem hat es mit dem Hören bei Johannes eine besondere
Bewandtnis. Dem Reden Jesu entspricht das Hören des Menschen,
aber ehe er redete, war Jesus selber der Hörende im Verhältnis zum
Vater (3,32; 8,26. 40; 15, 15). Anders gesagt: das Sprechen J esu ist die
Wiedergabe dessen, was er selber gehört hat. Wie Jesus dem Vater
gegenüber, ist der Mensch Jesus gegenüber ein Hörender. Daher gilt:
wer auf Jesu Wort hört, hat das ewige Leben (10,27 f) und da das
Hören den Glauben begründet, gilt entsprechend: »Wer glaubt, hat
das ewige Leben<< (3,15 f; 6,40. 47; 20,31).
Das aber, was im Aufnehmen- Hören- Glauben geschieht, kann
auch mit dem Wort Erkennen bezeichnet werden. Erkennen, davon
war schon die Rede, ist in der Sprache des J ohannes soviel wie inne-
werden. Es ist Innigkeit und fast dasselbe wie Liebe. Und weil es
Liebe ist, steht das Erkennen unter dem Gesetz der Wechselseitig-
Bernhard Hanssler 73
keit: >>Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich<< (10,14).
So fängt der Begriff des Glaubens an, sich zu füllen und sich zu ver-
lebendigen. Glaube ist auch im Johannes-Evangelium der religiöse
Grundakt. Auch zum Glauben gibt es eine Reihe von Stichwörtern,
die den Begriff verdeutlichen.
So heißt glauben, zu Jesus kommen. »Wer zu mir kommt, wird
nicht mehr hungern und wer an mich glaubt, wird nicht mehr dür-
sten<< (6,35). Hier handelt es sich um jene bekannte Redeform des
Hebräischen, bei der ein Gedanke in zwei aufeinanderfolgenden
Zeilen zweimal, aber jeweils mit anderen Worten wiedergegeben
wird. Eben deswegen ergibt sich aus diesem Wort J esu eindeutig,
daß Glauben dasselbe ist, wie zu ihm kommen. Zu ihm kommen
aber heißt, ihm nachfolgen. So ist auch das Wort nachfolgen eine
häufige Wiedergabe für Glauben (12,26; 13,36 f; 21,19-22). Kommen
und Nachfolgen sind Begriffe, die ein Element der Bewegung zum
Ausdruck bringen. Glaube ist Aufbruch zu Christus hin.
Dabei beansprucht das Wort von der Nachfolge noch eine beson-
dere Aufmerksamkeit. Mit Nachfolge wird in allen Evangelien der
Existenzvollzug des Jüngers beschrieben, Nachfolge ist im Evange-
lium nicht Nachahmung eines Vorbildes, sondern die liebende Aus-
lieferung des Jüngers an den Meister. Jünger sein, heißt im Meister
aufgehen. Aber so sehr der Jünger sich dem Meister ausliefert, die
Beziehung führt nicht zu seiner Versklavung. Denn die Beziehung
Meister -Jünger ist ein Liebesbündnis. Daher: »Ich nenne euch
nicht Sklaven, sondern Freunde<< (15,15). Das ist ein Wort von hohem
Klang. Freilich, was Freundschaft heißt, weiß der heutige Mensch
nicht mehr. Man muß sich bei Aristoteles oder Cicero umsehen, um
zu bemerken, daß 'Freundschaft für die Antike eines der höchsten
Lebensgeschenke war.
Daß der Jünger im Meister aufgeht, drückt sich darin aus, daß er
unter der Weisung seines Meisters lebt, in der Sprache des J ohannes
ausgedrückt, daß er die Gebote des Meisters hält. »Wer meine Gebote
hat und sie hält, der ist es, der mich liebt<< (14,21, ähnlich 14,15;
15,10). Die Gebote sind also nicht moralistische Vorschriften, sie
sind Ausdruck der personalen Beziehung Meister -Jünger. In der
Liebe zu Jesus und in der Liebe untereinander bewährt sich der
Stand der Jüngerschaft.» Dar an werden alle erkennen, daß ihr meine
Jünger seid, daß ihr die Liebe habt zueinander<< (13,35).
Glauben heißt, zu Jesus kommen, sich Jesus verweigern, ist das
Wesen des Unglaubens. Nicht irgendeine weltanschauliche Skepsis,
74 Bernhard Hanssler
ERHÖHUNG
werde am Leben bleiben. An dem ganzen, für uns dem Hergang nach
undurchsichtigen Vorgang greift Jesus nur zwei Motive auf: die
Stange (oder den Pfahl) und das Moment des Aufhängens oder in
seiner Sprache des Erhöhens. Erhöhen bezeichnet hier ganz eindeu-
tig das Aufhängen am Kreuz, denn darin liegt ja der Vergleichspunkt
mit der ehernen Schlange. Die tiefere Gemeinsamkeit zwischen bei-
den Vorgängen aber besteht darin, daß der Mensch im Aufblick zum
Kreuz Rettung erfahren kann, wie die Israeliten im Aufblick zu der
Schlange vom leiblichen Tod errettet werden konnten.
Also: das Wort Erhöhung ist doppelsinnig gemeint. J esus hatte an-
gekündigt, er werde von der Erde erhöht werden (12,32). Am Kreuz
ist er ein paar Handbreit über den Erdboden erhöht worden, aber
eben dadurch vollzog sich die Inthronisation, die Versetzung in die
Herrlichkeit Gottes hinein.
So arbeitet der Evangelist: die Dinge und die Worte, auf die es an-
kommt, haben ein über die Wörtlichkeit hinausgehendes Volumen.
Sie sind Symbole, d.h. sie haben Sinnschichten und Sinnaspekte, die
ähnlich unerschöpflich sind, wie die Bilder der Dichtung. Auf dieses
symbolistische Prinzip der Darstellung muß der Leser Schritt für
Schritt achten, sonst entgeht ihm die Hauptsache.
sein Leben geben wird für die Seinen, von denen keiner verloren
gehen soll.
Die Passion kommt in Gang. Petrus will sie verhindern, ein weite-
res Mal nach Mt 16,21, diesmal mit Gewalt. Er zieht das Schwert, er
schlägt zu, er hat einen lächerlichen Erfolg, nur das rechte Ohr des
Malchus war die magere Beute. Alsbald erteilt Jesus dem Petrus
einen strengen Verweis: >>Steck das Schwert in die Scheide oder soll
ich den Kelch nicht trinken, den der Vater mir gereicht hat?<< (18,11).
Eine beiläufige, aber eine fundamentale Lehre: Die Kirche darf
nicht das Schwert führen, versucht sie es dennoch, handhabt sie es
unbeholfen, macht sie sich selbeor lächerlich und zieht sich den
Tadel Jesu zu. Nicht im Schwert, also in der Gewalt, sondern im
Kreuz, also in der äußersten Wehrlosigkeit und Gewaltlosigkeit hat
das Christentum sein Symbol.
Jesus wird abgeführt, zunächst zu Hannas, dem Ex-Hohenprie-
ster (wovon die Synoptiker nichts wissen). Jetzt kommt es zur drei-
maligen Verleugnung Jesu durch Petrus. Dem Petrus sagt man auf
den Kopf zu, daß er ein Jünger Jesu sei. Er antwortet: >>Ich bin es
nicht.<< Eben noch hatte Jesus in Getsemani die eigene Identität in
feierlichster Form mit seinem >>Ich bin es<< bezeugt, Petrus leugnet
seine eigene Identität als Jünger Jesu und sagt: >>Ich bin es nicht.<<
Und der Hahn kräht: Petrus verrät Jesus, der Hahn verrät den Petrus,
ein unvergeßlicher Zug im Bild und einer, der keines Kommentars
bedarf.
Bei den anderen Evangelisten hat der Hahnenschrei den Petrus
aufgeschreckt. Er wurde sich des Verrates an Jesus bewußt und er
weinte bitterlich. Nichts davon bei J ohannes. Petrus ist der Verleug-
ner und er bleibt es. Wie ein stehendes Bild bleibt er in der Szene,
und erst nach der Auferstehung J esu kommt die Wende, als J esus
ihn dreimal fragt: >>Liebst du mich mehr als diese?<< Als Jesus zum
drittenmal fragte, heißt es da, wurde Petrus traurig, denn ihm kam
zum Bewußtsein, daß er zwar taktvoll aber unzweideutig an die
fatale Dreizahl der Verleugnungen erinnert werden sollte (21,15 ff).
PILATUS
KÖNIGTUM JESU
Königtum ist das eine Thema beim Verhör des Pilatus, Wahrheit
das andere. Jetzt gewinnt die Szene eine welthistorische Perspektive.
In dem Gespräch über die Wahrheit werden die Institutionen der
Welt grundsätzlich und für alle Zukunft verändert. Jesus bean-
sprucht, der Wahrheit Zeugnis zu geben, also die Wahrheit öffentlich
geltend zu machen, denn Zeugnisgeben heißt öffentlich vertreten.
Die Frage des Pilatus >>Was ist Wahrheit?<< ist alles andere als Aus-
druck einer philosophischen Skepsis. Pilatus ist nicht Privatperson,
er ist der offizielle Vertreter des römischen Imperiums und als
solcher erklärt er sich für unzuständig in Sachen Wahrheit. Das
bedeutet im Ergebnis, daß er die Wahrheitsfrage freigibt, also den
Anspruch Jesu hinnimmt, der Wahrheit Zeugnis zu geben und sie
öffentlich zu vertreten. Auf die Öffentlichkeit seines Wirkens hatte
Jesus schon Hannas mit Nachdruck hingewiesen (19,20).
So ergibt sich also: in dieser Stunde, da J esus vor Pilatus steht, tre-
ten die politische Sphäre und die Wahrheitssphäre mit amtlicher
Beglaubigung auseinander. Bis dahin bestimmte entweder die Reli-
gion auch den Staat, in allen Theokratien wie zum Beispiel in Israel,
oder der Staat bestimmte die Religion, wie zum Beispiel im römi-
schen Staatskult, wo es der Magistrat war, der das Kultwesen
besorgte (Vestalinnen, Pontifex Maximus). Seit dem Pilatusgespräch
aber gibt es den profanen Staat auf der einen Seite und die Wahr-
heitssphäre auf der anderen Seite, repräsentiert durch die Kirche,
die sich als >>Säule und Feste der Wahrheit<< zu verstehen hat (1 Tim
3.15). Welcher heutige Mensch, welcher Zeitgenosse der gegenwärti-
gen politischen Abläufe, kann ohne tiefe Betroffenheit von alledem
Bernhard Hanssler 81
Kehren wir zurück zum Ablauf der Passion. Dem Pilatus wird die
Sache immer unheimlicher. Er versucht immer wieder, sich aus der
Affäre zu ziehen. Zuerst versucht er die Sache an die jüdischen
Instanzen abzuwälzen (18,31; 19,16), dann den Fall einfach nieder-
zuschlagen. Nach dem letzten Gespräch, dem Diskurs über die
Wahrheit, ist Pilatus vollends verunsichert. Hatte er im ersten Verhör
noch inquisitorisch gefragt: >>Was hast du getan?<< (18,35), so fragt er
jetzt an allen Tatbestandsfragen vorbei: >>Woher bist du?<< (19,9). Das
mag so dahergefragt sein, halb aus Verlegenheit, halb aus heimli-
cher Bewunderung, aber die Frage stößt mitten hinein in die Katego-
rie der Selbstauslegung J esu. Auf die Frage nach seinem Woher hatte
er mehr als einmal geantwortet: >>Ihr stammt von unten, ich stamme
von oben<< (8,23, vgl. 3,13.31). Diesmalläßt Jesus die Frage unbeant-
wortet. Pilatus pocht auf seine Macht, indem er Jesus darauf auf-
merksam macht, daß er ihn völlig in der Hand habe. Darauf Jesus:
>>Du hättestkeine Macht über mich, wenn sie dirnichtvon oben gege-
ben wäre<< (19,11). Das ist wieder eine Situation nach dem Herzen
des Evangelisten. Pilatus ist der Repräsentant der Weltmacht Rom
und es steht ihm durchaus zu, diesen Anspruch geltend zu machen.
J esus dagegen befindet sich in der Situation totaler Ohnmacht, preis-
gegeben der Willkür der Juden wie des römischen Prokurators. Aber
völlig unvorhergesehen vertauschen sich die Rollen. Jesus entlarvt
die Macht des Pilatus als geliehen und somit unsicher. Er selbst weiß
auch in dieser Stunde, daß ihm >>alle Macht gegeben ist im Himmel
82 Bernhard Hanssler
und auf Erden<< (Mt 28,18), denn noch Stunden ehe er als wehrloser
Angeklagter vor Pilatus stand, hatte er daran erinnert, daß ihm der
Vater Macht über alles Fleisch gegeben habe, über alles, was Men-
schenantlitz prägt (17,2). Der Mächtige w ird als der Ohnmächtige
entlarvt, der Ohnmächtige ist der Allmächtige.
PILATUS KAPITULIERT
DIE KREUZIGUNG
der Geschichte und ihrer Geheimnisse. Sie werden durch ihre jewei-
ligen Sprachen am Kreuz Jesu repräsentiert. Feierlicher könnte das
Wort vom Kreuz nicht verkündet werden. Umso verständlicher, daß
es Leute gibt, nämlich die Hohenpriester, die die Annullierung des
Dokumentes betreiben.
Einige kleinere Züge, die man nicht überbetonen darf, die aber ins
Bild gehören, runden den Bericht ab. Die Soldaten verteilen die
Kleider Jesu, sie machen vier Teile daraus, für jeden einen. Das Un-
tergewand aber, das aus einem Stück gewoben und ohne Naht war,
zerschnitten sie nicht, sondern verlosten es als Ganzes. Die Absicht
des Berichtes ist klar: das Vermächtnis Jesu, symbolisiert in seinen
Kleidern, ist ein ungeteiltes Ganzes, aber alle vier Himmelsrichtun-
gen werden damit »gewandet<<. Darin besteht für den Evangelisten
das Geheimnis des Vorgangs, ihm geht es nicht um die Feststellung,
daß in solchen Fällen die Wachmannschaften Anspruch auf die
Hinterlassenschaft des Hingerichteten hatten.
Auch der Auftrag des sterbenden Jesus an die Mutter und an den
Jünger, den Jesus liebte, ist nicht Nachlaß- und Versorgungsrege-
lung, sondern Geheimnis. >>Frau, sieh dein Sohn! Sohn, sieh deine
Mutter!<<, das ist nicht nur die Begründung aller Marienverehrung,
darin ist auch schon die »Mutier Kirche<< vorentworfen, ähnlich wie
in Gal4,26, wo vom oberen Jerusalem als unserer Mutter die Rede
ist.
Der Sterbende ruft: »Mich dürstet!<<. Auch dieses Wort hat sein
Geheimnis. Es führt bezeichnenderweise wieder einmal zu einem
Mißverständnis. Sie reichen ihm den Betäubungstrank, wo er doch
einen ganz anderen Durst meint, nämlich sein Verlangen nach dem
Heil der Welt (vgl. Lc 12,50).
Der letzte Augenblick ist gekommen, das letzte Wort kommt aus
diese_m Munde, der gesprochen hatte wie nie ein anderer zuvor
(7,46). »Es ist vollbracht<<, es ist überstanden, es ist vorbei, das ist ge-
wiß der primäre Sinn. Aber das Wort umschließt unendlich viel
mehr. »Da er die Seinen liebte, ging er in seiner Liebe bis zum äußer-
sten, bis zur Vollendung<< (13,1), auch dieses ist gemeint. Jetzt ist der
letzte Akt dieser Liebe vollzogen. Dabei enthält das griechische Wort,
das Johannes gebraucht, auch den Begriff des Zieles in sich: es ist
vollbracht, ich bin am Ziel, das Heilswerk der Erlösung ist an sein
Ziel gekommen.
>>Er neigte sein Haupt und gab seinen Geist auf<<, so lautet die leise,
ehrerbietige Schlußkadenz der Passionsgeschichte. Einige Ausleger
86 Bernhard Hanssler
freilich weisen darauf hin, daß es in der Antike den Ausdruck »den
Geist aufgeben« als Beschreibung des Todesmomentes nicht gebe.
Also müsse man übersetzen: er hinterließ den Heiligen Geist -der ja
nicht kommen konnte, ehe Jesus gestorben war (7,39; 16,7).
Zwei theologisch wichtige Momente schließen den Passionsbe-
richt ab. Man zerschmettert den beiden Mitgekreuzigten die Schen-
kel, wie es üblich war als eine Art Gnadenstoß. Jesus aber, weil er
schon tot war, wurden die Schenkel nicht zerschlagen, also folgert
der Evangelist, war er das Passah-Lamm, denn bei der Schlachtung
des Osterlammes war streng vorgeschrieben, dem Opfertier kein
Bein zu zerbrechen. So wie Paulus den wahrlich überraschenden
Satz geschrieben hat: »Unser Osterlamm, das geschlachtet wurde,
ist Christus« (1 Kor 5,7), so will auch J ohannes darauf hinweisen, daß
der Tod Jesu Erfüllung und Überbietung der Passahfeier war. Das
hat ihn sogar veranlaßt, das Todesdatum Jesu abweichend von den
anderen Evangelisten auf den 14. Nisan zu legen. Nach Johannes
starb Jesus zu gleicher Stunde, da im Tempel die Osterlämmer
geschlachtet wurden.
Jesus ist tot, ihm durfte kein Bein zerschlagen werden, denn er
war das Passah-Lamm. So erfolgt, um letzte Sicherheit zu haben, daß
er nicht etwa nur scheintot war, der Herz stich. Dieser Vorgang wird
zum abschließenden offenbarenden Akt des Vollzugs der Erlösung
am Kreuz. Aus der Seite Jesu floß Blut und Wasser, sagt der Evange-
list. Das ist unmöglich, sagt Albert Schweitzer, und er, der Arzt, muß
es wissen. Aus einer Leiche könne keine Flüssigkeit mehr austreten.
Die Auskunft wird richtig sein, nur stört sie gewiß den Evangelisten
nicht. Er schreibt keinen Leichenschein, er verkündet eine Bot-
schaft. Sie lautet: aus dem Tod strömt neues Leben. Blut war nach
hebräischer Vorstellung der Sitz des Lebens. Wasser, lebendiges
Wasser, ist die Gabe des Erlösers, wie er sie der Samariterirr angebo-
ten hatte. Davon will der Evangelist sprechen. Die Auslegung auf die
Taufe und auf die Eucharistie ist naheliegend, aber sie ist mit Sicher-
heit sekundär.
Die Botschaft der Passionsgeschichte nach Johannes also lautet:
Die Erniedrigung war die Erhöhung, die Verhöhnung war die
Königshuldigung, das Kreuz war der Thron, der Geschundene und
Erniedrigte war der König, der Tod war die Auferstehung. Dieses
Ineinander des Geschehens, diese unauflösbare Ganzheit der Erlö-
sung ist das Kerygma des Berichtes. Es stellt die johanneische
Sonderform dar, es bildet aber eine Einheit mit den anderen Darstel-
Bernhard Hanssler 87
ALLGEMEINE EINFÜHRUNG
und die Kunst, es zu lesen, rare Ausnahme war, war die wortgetreue
Weitergabe des Gehörten dafür zu für uns unvorstellbarer Sorgfalt
entwickelt. Das älteste und festeste Erzählstück kurz nach der
Kreuzigung Jesu war sicher der Passionsbericht: Die erste Kunde
von dem leidenden Gerechten Jesus aus Nazaret, der als falscher
Messias von der Obrigkeit mit Hilfe der Römer getötet und alsbald
von Gott in einer wunderbaren Auferweckung als der wahre Heils-
bringer bestätigt worden war.
Dieser Passionsbericht begann ziemlich sicher mit dem Todes be-
schluß: Hohenpriester und Schriftgelehrten halten Rat, wie sie Je-
sus griffen und töteten (z.B. Mt26,4) und endete mit dem Bericht von
der Entdeckung des leeren Grabes als erstem Auferstehungszeug-
nis. Als der Autor des Markus-Evangeliums bald nach dem Jahre 70
n.Chr. das erste schriftliche Evangelium der Geschichte verfaßte,
war der Passionsbericht wohl schon weiter gewachsen und hatte die
separaten Stücke von der Salbung in Bethanien, Einzug in Jerusa-
lem, Tempelreinigung und der Frage nach Jesu Vollmacht dazu-
genommen. Außerdem gab es noch eine Sammlung von Worten,
Aussprüchen und kurzen Reden Jesu, die man aus einem sorgfälti-
gen Vergleich der drei frühesten Evangelien Markus, Lukas und
Matthäus postulieren, ja sogar weitgehend rekonstruieren kann; die
sogenannte >>Reden-Quelle<<.
Aus dieser gemeinsamen Grundmasse von Überlieferung und aus
lokalen und regionalen Einzeltraditionen- sowie der theologischen
Überarbeitung und Redaktion, die diese drei ersten Autoren dem
allen angedeihen ließen,- entstanden die Evangelien, die wir wegen
der grundsätzlich gemeinsamen Sicht der Überlieferung die drei
synoptischen Evangelien nennen. Sie sind, wie viele Werke der
Antike, anonym geschrieben; die Namen, die ihnen die altkirchliche
Überlieferung als Autoren zulegte, sind für uns auf keine Weise
mehr verifizierbar.
Auch das vierte Evangelium, als dessen Autor Johannes genannt
wird, hat eine mit den synoptischen Evangelien gemeinsame Grund-
gestalt: Alle vier setzen, wenn wir mal von Vorgeschichten und Pro-
logen absehen, mit Johannes dem Täufer ein, teilen das öffentliche
Wirken Jesu in einen galiläischen und judäischen Abschnitt, geben
diesem Auftreten J esu ein Itinerar, d.h. einen Reiseweg, und ordnen
den Stoffteils nach sachlichen, teils nach chronologischen Gesichts-
punkten. Alle vier wollen mit ihrem Bericht einerjeweiligen theolo-
gischen Deutung des Geschehens Ausdruck geben, aber alle verbin-
90 Peter Kreyssig
göttlicher
Bereich
von Leben,
Licht,
Wahrheit
und Freiheit
DerWeg
des Sohnes
als
Gesandter
Menschheit
diabolischer
Bereich
von Tod,
Finsternis,
Lüge und
Knecht-
schaft
Durchführung des
Auftrages
Lebensweg Jesu
94 Peter Kreyssig
2Vgl. die vierfache Synopse des Passionsbericht mit dem Wortlaut der Zürcher Über-
setzung, in: Carl Heinz Peisker, Zürcher Evangelien-Synopse, J. G. Oncken-Verlag
Kassel 1962, S. [148] ff.
Peter Kreyssig 97
war. Wieder läuft das Verhör bei Johannes ganz anders: Er läßt sich
auf keine Sachdebatte ein, sondern verweigert unter Hinweis auf
sein bisheriges öffentliches Reden schlicht die Aussage. Theolo-
gische Intention des Johannes: Von jetzt ab schweigt Jesus für »die
Juden<<. Sie haben seinen Auftrag gehört und abgelehnt; es gibt
nichts mehr zu sagen. Jesus >>nutzt<< ihre Intrige unwidersprochen
für seine Heimkehr zum Vater. Als Schweigender bleibt er so sou-
verän wie in seiner Zurechtweisung dessen, der ihn schlägt- auch
das ein einmaliger Zug ohne Parallele bei den Synoptikern.
3. Die Verleugnung des Petrus: Sie ist in der Reaktion, die
Johannes am Passionsbericht vornimmt, zeitlich und räumlich selt-
sam auseinandergerissen und im Vergleich zu den Synoptikern
auch farblos: Kein Wort von der Reue des Petrus und seiner Verzweif-
lung-dieJohann Sebastian Bach so wichtig war, daß er den Text der
Johannes-Passionaus der synoptischen Tradition auffüllte! Das theo-
logische Interesse des Johannes liegt nicht auf der Verleugnung als
solcher. Ihn interessiert viel mehr die geheimnisvolle und schweig-
same Gestalt des >>Lieblingsjüngers<<, die nach seiner Intention als
stummer Zeuge überall dabei sein muß - deshalb reißt er die
Verleugnungsgeschichte auseinander-; und Johannes interessiert
lediglich der Beweis, wie J esus auch diesen Fehltritt des Petrus
vorherwußte: Deshalb der Hinweis auf den Hahnenschrei. Wieviel
menschennäher ist da der synoptische Bericht!
4. Das Verhör vor Pilatus und das Urteil: Sie sehen, wie hier
Johannes dieses Verhör in sieben Szenen und in einem theologi-
schen Guß gegenüber der synoptischen Tradition ausbaut. Es geht
nur um ein Problem: das Königsturn Jesu, die Königstümer dieser
Welt und die Messiashoffnung der Juden. Pilatus erkennt, daß Jesu
Anspruch kein weltlicher Anspruch ist; er sieht tiefer als >>die Juden<<
und bezeugt dreimal öffentlich, daß er Jesus für unschuldig hält. Die
Juden bleiben bei diesem politischen Gerangel Sieger über den
schlappen Gouverneur, der wie ein Weberschiffchen hinein- und
herausrennt zwischen dem Gefangenen und seinen Verklägern, um
einen Ausweg zu finden. Die Juden bleiben Sieger- um den Preis,
ihre eigene Messiashoffnung öffentlich zugunsten des römischen
Kaisers desavouieren zu müssen. Das Ganze eine meisterliche Lei-
stung des Johannes: Gott steht hier vor Gericht- sagt er-; und nur
wir, die Glaubenden vermögen dabei zu erkennen, daß in Wahrheit
dabei die Welt unter dem Gericht Gottes steht!
98 Peter Kreyssig
Sehen wir uns die erste Seite der Original-Partitur etwas genauer an,
hier in autographer Reinschrift, begonnen um 1739. Der Kopftitel
lautet (in aufgelöster Form): >>Jesuluva. Passio secundumlaonnem a
4 Voci. 2 Oboe. 2 Violini, Viola e Continuo I di J. S. Bach<<. Weder hier
noch in den Besetzungsangaben zu Akkoladenbeginn sind z.B. die
uns von den Aufführungen her so vertrauten Querflöten benannt,
auch findet sich hier kein Hinweis auf die in späteren Sätzen soli-
stisch eingesetzten Viola d'amore I, II, Laute sowie Viola da gamba.
Den Original-Stimmensatz hatte Rust bereits in drei verschie-
dene Gruppen geteilt, in einen einfachen Stimmensatz, den er als
>> ältere Stimmen<< bezeichnet; die Dubletten Violine I und II samt
Continuo sowie die vier Vokal-Ripienstimmen, als >>mittlere Stim-
men<< benannt; schließlich >>neuere Stimmen<<, Violine I, Viola,
Cembalo beziffert und Cembalo unbeziffert.
Philipp Spitta übernimmt Rusts chronologische Klassifizierung
der Stimmen (er beschreibt auch drei Wasserzeichen) und alle
grundlegenden Erörterungen zur Johannes-Passion bis in die fünfzi-
gerJahreunseres Jahrhunderts basieren auf Rusts Ausführungen.
1973 legt Arthur Mendel innerhalb der 1950 begonnenen Neuen
Bachausgabe in der Serie II als Band 4 eineN euedition der Johannes-
Passion vor, die Sie als Taschenpartitur großenteils selbst besitzen
dürften. Ein Jahr später erscheint der Kritische Bericht, mit 356 Sei-
ten (nach der h-Moll-Messe) der umfangreichste zu Bachs Vokal-
Instrumentalwerken, ein Zeugnis bald 20jähriger akribischer und
kompetenter Auseinandersetzung - bis hin zu einzelnen Nadellö-
chern im Papier - mit eben denselben Original- und Vergleichsquel-
len, die Wilhelm Rust schon gekannt und benutzt h at. Um Ihnen die
Tragweite von Mendels Untersuchungen ansatzweise zu verdeutli-
chen, mache ich jetzt den zweiten Schritt vor dem ersten, d.h. ich
möchte Sie zunächst mit den Ergebnissen Mendels konfrontieren -
den vier bzw. fünfverschiedenen Fassungen der Johannes-Passion -
und gleichsam Schicht um Schicht in den überlieferten Stimmen
aufdecken. Damit n ehme ich methodisch etwas vorweg, was uns
nachher h elfen könnte, Mendels Vorgehensweise im Bestimmen der
einzelnen Quellenschichten (= Fassungen) besser zu ver st eh en.3
ere Sachverhalte mit Hilfe von 14 eigens präparierten Overhead-Fo lie n , teilweise als
farbi ge Aufbautransparente der ein zeln e n Fassun gen, verdeutlicht. Diese m edienspe-
zifische didaktisch e Aufbereit un g läßt sich in gedruckter Form jedoch nicht sinnvo ll
wiedergeben , insofe rn ist jeweils ein gekürzter Tonbandm itschnitt abgedruckt.
Beginn der teilautographeil Partitur von J. S. Bachs Johannes -Passion
(Staatsbiblioth ek zu Berlin, Preußischer Kulturb esi tz, Mus. ms. Bach P 28).
Reinschriftbeginn um 1739, Bl.1'' (Origina lgröße: 34 x 20,5 cm).
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104 Ulrich Prinz
'1Vgl. dazu den ausführlichen Beitrag von Hans-Joachim Schulze in diesem Band.
5 als erster Entwurf; inzwischen erschienen als NBA IX/1: Katalog der Wasserzeichen
in Bachs Originalhandschriften von Wisso Weiß unter musikwissenschaftlicher Mit-
arbeit von Yoshitake Kobayashi, Kassel und Leipzig 1985 (2 Bände, Abbildungen und
Text).
6 Alfred Dürr, Zur Chronologie der LeipzigerVokalwerke J.S. Bach, in: Bach-Jahrbuch
1957. Zweite Auflage: Mit Anmerkungen und Nachträgen versehener Nachdruck aus
Bach-Jahrbuch 1957, Kassel 1976.
7 Georg von Dadelsen, Beiträge zur Chronologie der Werke Johann Sebastian Bachs
(= Tübinger Bach-Studien, hrsg. von Walter Gerstenberg, Heft 4/5), Trossirrgen 1958.
106 Ulrich Prinz
Sünde groß<< in Es-Dur (der 1756 als Schluß des ersten Teils in die
Matthäus-Passion in E-Dur eingefügt wurde), den drei später eiemi-
nierten Arien, die er im Anhang zur BG XII 1 mitteilt, von Sehrnieder
BWV245a/b/c benannt, und dem Schlußchoralchorsatz aus Kantate
25 Christe, du Lamm Gottes. Sowohl die Matthäus-Passion als auch
Kantate 25 waren damals schon in der BG ediert (BG IV, Rietz!Rust
1854; BG V\ Rust 1855).
Die Dubletten (vier Vokalstimmen, Violine I, Violine II, Continuo)
stellten für Rust eine inhaltliche Weiterentwicklung dar, die auch
durch das Repertoire der Partitur bestätigt wurde, deshalb benennt
er die Dubletten »mittlere Stimmen<< und beobachtet, wie der einfa-
che Stimmensatz durch Hinzufügen von Einlageblättern diesem
Stadium angepaßt wurde. Ein drittes Stadium repräsentieren
"neuere Stimmen", Ergänzungsstimmen zu einer Aufführung in spä-
tester Zeit.
Mendel weist aber nach, daß die Dubletten (Rusts mittlere Stim-
men) die früheste Fassung der Johannes-Passion repräsentieren,
nicht nur wegen der Wasserzeichen und Schreiberbefunde, sondern
weil diese Stimmen vier verschiedene Stadien (Schichten) von Ein-
tragungen ausweisen, eine mehr als der einfache Stimmensatz, der
folglich der Fassung II angehören muß. Insofern wurden die Beob-
achtungen, die Alfred Dürr schon im Bach-Jahrbuch 1957mitgeteilt
hatte, voll und ganz bestätigt, ebenso diejenigen von Georg von
Dadelsen.
Diese Vertauschung hat mehrere Konsequenzen:
Eine Erklärung dafür, warum 1725 für die Aufführung II ein völlig
neuer Stimmensatz ausgeschrieben werden mußte, könnte darin
liegen, daß Bach das Stimmenmaterial ausgeliehen und nicht wie-
der zurückerhalten hatte. Diese Ausleihpraxis war üblich und ist
mehrfach zu belegen, allerdings pflegte man die Partitur und die Du-
bletten zurückzubehalten. Nun sind uns aber aus dem Jahr 1724
zwei gleichartige Fälle bekannt, bei denen sich nur die Dubletten
dieser Aufführung erhalten haben und für spätere Aufführungen
auch Stimmen neu ausgeschrieben werden mußten:
Für die Kantate BWV 37 Wer da gläubet und getauft wird zu Hirn-
melfahrt 1724 und für das Sanctus D-Dur BWV 232m, aufgeführt zu
Weihnachten 1724 (später in die h-MollMesseeingefügt). Der Entlei-
her dieser Sanctus-Stimmen ist durch eine Aufschrift in der Partitur
bekannt, dort heißt es: »NB. Die Parteyen sind in Böhmenbey Grajj
Sporck.« 11
Dieser Sachverhalt könnte also erklären, warum dieser einfache
Stimmensatz 1725 nicht verfügbar war und deshalb ein neuer ausge-
schrieben werden mußte, während man die Dubletten hinzunahm
und dort Änderungen vornahm, wo sich die Reihenfolge der Sätze
inhaltlich geändert hatte.
Bevor wir uns noch einer kurzen Betrachtung der Original-Parti-
tur zuwenden, sollen die wesentlichen Änderungen der Fassungen
111 (um 1730) und IV (um 1748149) in wenigen Bemerkungen zusam-
mengefaßt werden, damit alle vier Schichten deutlich sind.
Fassung III ist Fassung I wieder stark angenähert, indem die zwei
Choralchorsätze und drei Arien der Fassung II eieminiert wurden
und an deren Stelle die ursprünglichen Sätze der Fassung I traten,
sei es durch Rückgängigmachen der Streichungen in den Dubletten,
sei es durch Einlage- oder Deckblätter im einfachen Stimmensatz,
Sind die Choräle (Sätze 3 und 5) in der frühen Fassung der Stim-
men noch eherNotegegen Note gesetzt, so zeigt die Partitur die Ten-
denz zur Polyphonisierung, nicht nur die Mittelstimmen zeichnen
sich durch stärkere Durchgangs-, Wechsel- und Vorhaltsnoten-
bildung aus. In ähnliche Richtung weiterentwickelter Lesarten, d. h.
einer Bereicherung durch Imitation oder Auszierung, weisen Bei-
spiele aus Satz 4 (Continuo, vorletzter Takt), aus Satz 7 die Achtelbil-
dung (statt Viertel) Oboe I, Takt 2; Oboe II, Takt 3; Alt, Takt 10 sowie
aus Satz 9, statt zweier Sechzehntel sind Verzierungen für den
Sopran (Takt 29 und 33) in der Partitur beispielsweise ausnotiert.
Auch an dieser Stelle muß nochmals hervorgehoben werden, daß
diese reicheren Lesarten der Partitur in keine Stimmgruppe
Eingang gefunden haben, folglich unter Bach in Leipzig somit nicht
erklungen sind.
Darf ich zum Schluß die Hoffnung aussprechen, daß ein wenig
Licht in die eingangs erwähnten Schneisen gefallen ist, es wäre ein
schlechtes Zeichen, wenn Sie jetzt den Wald vor lauter Bäumen
nicht mehr sähen. Andererseits erschien es mir sinnvoll, Sie ein
wenig in die Werkstatt eines Editors einzuführen, wie selbstver-
ständlich musizieren wir heute aus einer Ausgabe, ohne uns um
deren Entstehung· zu kümmern und ohne uns immer bewußt
zu machen, wieviele verlorengegangene Selbstverständlichkeiten
wir uns für eine Aufführung erst wieder mühevoll erarbeiten
müssen.
Vielleicht kann Sie das ausgelegte Literatur-Verzeichnis ein
wenig ermuntern und unterstützen, Ihre Kenntnisse über die Johan-
nes-Passion zu erweitern, dazu möchten die Einzelreferate des ge-
samten Seminars beitragen. Zielsetzung ist es, im Wechsel von prak-
tischem Tun innerhalb des Dirigierkurses und theoretischer Durch-
dringung im Seminar, ein tieferes Verständnis für die musikalisch-
theologische Aussage der Bachsehen Johannes-Passion zu erreichen,
die für uns heutige Menschen auch nach über 250 Jahren in ihrer
unmittelbaren Wirkung und auslösenden Betroffenheit als Bot-
schaft aktuell ist.
112 Hans-Joachim Schulze
phisches Repertorium der Werke Johann Sebastian Bachs, von Hans-Joachim Schulze
und Christoph Wolff, Bd. IVokalwerke, Leipzig 1986-1989, insbesondere Teil III (1988),
Werkgruppe D Passionen und Oratorien (S. 977ff.); die verschiedenen Fassungen der
J ohannes-Passion hier unter D 2a bis D 2e. Die nachstehenden Ausführungen stützten
sich größerenteils auffolgende seither erschienenen Arbeiten des Verfassers: »Wer der
alte Bach geweßen weiß ich wo!«. Anmerkungen zum Thema Kunstwerk und Biogra-
phie, in: Johann Sebastian Bachs Spätwerk und dessen Umfeld. Perspektiven und
Probleme. Bericht über das wiss. Symposion anläßlich des 61. Bachfestes der Neuen
Bachgesellschaft Duisburg 1986, hrsg. von Christoph Wolff, Kassel etc. 1988, S. 23-31;
Besprechung von: Alfred Dürr,DieJohannes-Passion von Johann Sebastian Bach. Ent-
stehung, Überlieferung, Werkeinführung, Kassel etc. und München 1988, in: Bach-
Jahrbuch 1990, S. 86-89; Carl Philipp Emanuel Bachs Hamburger Passionsmusiken
und ihr gattungsgeschichtlicher Kontext, in: Carl Philipp Emanuel Bach und die euro-
päische Musikkultur des mittleren 18. Jahrhunderts. Bericht über das Internationale
Symposium der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften Harnburg 29. Sep-
tember- 2. Oktober 1988, hrsg. von Hans Joachim Marx, Göttingen 1990, S. 333-343;
Bemerkungen zum zeit-und gattungsgeschichtlichen Kontext von Johann Sebastian
Bachs Passionen, in: Johann Sebastian Bachs historischer Ort, Wiesbaden und Leipzig
1991 (Bach-Studien.10.), S. 202-215; Florilegium- Pasticcio- Parodie- Vermächtnis.
Beobachtungen an ausgewählten Vokalwerken Johann Sebastian Bachs, in: Beiträge
zur Bach-Forschung 9/10,Leipzig 1991, S.199-204. Nichtmehr berücksichtigt werden
konnte Martin Geck, Johann Sebastian Bach. Johannespassion BWV 245, München
1991 (Meisterwerke der Musik. Werkmonographien zur Musikgeschichte. 55.).
114 Hans-Joachim Schulze
reits die Rede; ob sie in das kritische Jahr 1739 gehört, oder in eines
der angrenzenden Jahre, läßt sich nicht mit letzter Gewißheit sagen.
Bach mag die Absicht gehabt haben, auch seine erste Leipziger Pas-
sion in eine gültige Form umzugießen. Die begonnen Änderungen
zielen jedenfalls in diese Richtung: geschmeidigere Choralsätze der
Art, wie sie in den nach 1730 geschriebenen Kantaten (beispiels-
weise in BWV 177) und im Weihnachts-Oratorium anzutreffen sind;
differenziertes Accompagnement im Eingangssatz; intensivierte
Deklamation und Diasthematik in den Rezitativen. Warum er diese
so zielstrebig und ertragreich durchgeführte Arbeit nach einem
Viertel der Wegstrecke ab brach, wissen w ir nicht. Wenn eine Wieder-
aufführung vor 1749 tatsächlich nicht erfolgte, wäre an eine massive
Verärgerung zu denken, beispielsweise - wie oft vermutet wird - in
Zusammenhang mit Beanstandungen wegen des Textes. Eine weni-
ger prätentiöse Erklärung könnte daraufhinauslaufen, daß der Tho-
maskantor eine Wiederaufführung für sich selbst vom Abschluß der
Revisionsarbeiten abhängig machen w ollte, diese Arbeit von Jahr zu
Jahr vor sich herschob, bis - nach der Darbietung von mancherlei
fremden Werken (Carl Heinrich Graun, Pasticcio; Keiser-Händel,
Passions-Pasticcio; Anonymus, Lukas-Passion) - ein ganzes Jahr-
zehnt ins Land gegangen war.
Nun wurde also 1749 eine Wiederaufführung in Szene gesetzt-
aber war es eine bloße Wiederaufführung, ein Routinevorgang? Das
musikalische Hauptereignis des Jahres war und blieb die Passions-
aufführung am Karfreitag allemal. Wie nur selten (etwa bei Rats-
wahlkantaten) standen Mitwirkende in auseichendem Maße zur
Verfügung, ohne daß -wie an den hohen Festen - die parallele Kir-
chenmusik in den beiden Hauptkirchen, Nikolai- und Thomaskir-
che, zur Teilung zwang. (Freilich konnte sich auch die Konkurrenz
in der Neukirche unliebsam bemerkbar machen, indem sie vor al-
lem Musiker aus Kreisen der Studenten an sich zog.) Aber zwischen
dem Neubeginn von 1724 und dem Spätstadium von 1749 lagen 25
Dienstjahre, in denen es an Höhen und Tiefen gewiß nicht gefehlt
hat. Die ärgerliche Äußerun g, >>er hätte ohnedem nichts darvon, und
wäre nur ein onus<< lag 1749 zwar schon ein Jahrzehnt zurück - aber
war es nicht wirklich ein >>onus<<- die Arbeit des Vorbereitens, Ein-
studierens, des Zusammenholensund Verschreibens der zusätzlich
benötigten Musiker, deren Bezahlung (aus welchen Mitteln?) und
schließlich das Leiten einer Aufführung, in der so manche Klippe zu
überwinden war?
Autographes Einlageblatt mit der Orgelstimme zu Satz 19, Arioso »Betrachte, meine
Seei»(Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kultur besitz, Mus. ms. Bach St 111). Erst-
schrift Fassung III ; Übersc hrift Spätautograph (Originalgröße 33,5 x 21,5 c m ).
118 Hans-Joachim Schulze
1. TEXTÄNDERUNGEN
3 Briefvom 1. März 1752 an Johann Friedrich Armand von Uffenbach, vgl. Bernhard En-
gelke, Johann Friedrich Fasch. Sein Leben und seine Tätigkeit als Vokalkomponist,
Dissertation Leipzig 1908, S. 39-41.
122 Hans-Joachim Schulze
Satz 39 weist zwar auch eine Umdichtung auf, doch ist diese von
Carl Philipp Emanuel Bach in seiner Handschrift der 1770er Jahre
eingetragen worden, und entsprechend findet der neue Text sich als
Schlußsatz von Carl Philipp Emanuel Bachs Hamburger Johannes-
Passion von 1772, gehört also weniger zur Werk- als zur Wirkungsge-
schichte.
auch die Tendenz zum Pasticcio sind charakteristisch für diese Tra-
dition. Als Paradigma hierfür kann ein von Werner Braun beschrie-
benes »Simultan-Textbuch« (Sondershausen 1720) gelten, das die
Choralpassion nach Melchior Vulpius enthält mit eingefügten kur-
zen Liedern und Arien, »welche denn nach Gefallen und Gelegen-
heit der Zeit und des Ortes, können gebrauchet oder außengelassen
werden«. In der Tat greift eine 1720 für Sondershausen komponierte
Matthäus-Passion auf diese fakultativen Texte zurück.
3.1 Der Fassung I von 1724 entstammen vier Ripienstimmen für So-
pran, Alt, Tenor und Baß, dazu je einmal Violine 1, Violine 2 und Con-
tinuo. Die Continuostimme wurde von Johann Sebastian Bach 1749
für ein Bassono grosso eingerichtet. Wie dieses aussah, wer es spielte
- ein neu berufener Stadtmusiker: Carl Friedrich Pfaffe, Johann
Christian Oschatz? -bleibt ungewiß.
3.2 Für die Fassung II von 1725 wurde ein vollständiger neuer Stim-
mensatz angefertigt, jedoch ohne Ripieni: Soprano Concertante,
Alto Concertante, Tenore Evangelista, Basso Jesus, Traversiere 1/2,
Hautbois 1/2, Violino 112, Viola, Continuo, die Organo-Stimme ist ver-
lorengegangen. Die Bedeutung von »Continuo« (Cembalo + Violon-
cello+ Kontrabaß?) bleibt zu bedenken.
3.3 Für die Fassung III gab es im wesentlichen keine neuen Stim-
men; mittels Tekturen wurden die notwendigen Änderungen gegen-
über Fassung II hergestellt: Satz 11 wieder eingesetzt, Satz 13m
eingefügt (verloren), Satzpaar 19/20 wieder eingesetzt, Sinfonia an-
stelle von Satz 33-35 eingefügt (verloren), Satz 40n gestrichen.
Satz 5 >>Dein Will gescheh<< zeigen gleichfalls nicht die Lesarten der
Fassung D 2e.
Satz 40 >>Ach Herr, laß dein lieb Engelein<<: Dieser Satz ist in relativ
viele Stimmen nochmals eingetragen worden, nachdem er
in Fassung II durch» Christe, du Lamm Gottes<< ersetzt und
in- Fassung 111 ganz entfallen war.
4. SATZTECHNISCHE ÄNDERUNGEN
Eine eingehende Diskussion ist an dieser Stelle nicht erforderlich,
da die relevanten Änderungen der Revisionsfassung D 2e zumeist
keinen Eingang in die späteste Version gefunden haben. Dieser Ver-
zicht des Komponisten auf die bereits vorliegenden weiterentwik-
kelten Lesarten bedeutet ein kennenswertes (möglicherweise sogar
prinzipielles) schaffenspsychologisches Problem, das in größerem
Zusammenhang verfolgt werden müßte.
Als Gesamtbild ergibt sich für Fassung IV: Bach versucht weit-
gehend die Fassung I wiederherzustellen, bei Verzicht auf Sonder-
instrumente wie Laute und Viola d'amore und Einbeziehung einer
gewissen Tendenz zur Standardisierung. Bei heiklen Besetzungen
(Traversiere) wird i:h RichtungaufVerstärkung eingegriffen. Für die
Ausführung des Continuo-Parts sind Organo (ungeachtet des Verlu-
stes der Originalstimme), Cembalo (beziffert), Streichinstrumente
sowie Bassono grosso belegt. Die Mitwirkung des Cembalos ist
bereits für 1724 (Fassung I) durch eine Notiz in den Leipziger Rats-
akten nachgewiesen. Damit kann für die Johannes-Passion das» Dop-
pelaccompagnement<< (Orgel und Cembalo simultan) als gesichert
gelten.
Die heterogene Zusammensetzung des Textes bedeutet für Jo-
hann Sebastian Bach auch 1749 kein Problem (abgesehen von der
Möglichkeit äußerer Eingriffe), er akzeptiert ungeachtet des großen
zeitlichen Abstands zur ersten Aufführung das textliche »Florile-
gium<<.
Durch die Rückkehr zur ursprünglichen Werkidee ist die Johan-
nes-Passion in den Fassungen I (1724) und IV (1749) als Kunstwerk
festgeschrieben, scheinbar fakultative Einlagen sind nun nicht
mehr disponibel. Damit nähert sich die Johannes-Passion zu guter
Letzt dem von der Matthäus-Passion vorgeprägten Kunstwerk-
charakter, und schüttet auf diese Weise den zwischen beiden Passi-
onsmusiken ehedem vorhandenen Graben weitgehend zu.
128 Christoph Wolff
2. Bach hatte sich zwar bereits in Weimar mit der Gattung Passion
auseinandergesetzt (jenes vermutlich 1717 entstandene Werk hat
sich freilich nicht erhalten), doch war es für Leipzig neben dem
Magnificat von Weihnachten 1725 sein erstes Großchorwerk. Es
mußten sich somit zwischen den künstlerischen Ambitionen auf
der einen Seite und dem Mangel an einschlägiger Erfahrung auf
der anderen Seite gewisse -wenngleich überraschend geringe -
Schwierigkeiten ergeben, die auf das Werk durchschlugen.
Tabelle 1:
Tonarten-Planung
~
19 -21f: ~ Geisselung -Verspottung
21g-23: # Verurteilung
24 -27a: ~ Kreuzigung
27b-27c: q Teilung des Rockes
27c -34: # - Tod
35-40: ~ Grablegung
Wechsel von der Szene der Gefangennahme zur Szene der Ver-
leugnung des Petrus. Der vorzeichenlose Abschnitt bereitet nicht
nur die Kreuz-Tonartensphäredes Hexachordum durum (fixiert
im A-Dur von Satz 11 >>Wer hat dich so geschlagen<<) vor, sondern ge-
hört selbst bereits dorthin, wie die Vielzahl von kreuztonartliehen
Wendungen zeigt.
2. Satz 16a >> Daführeten sie Jesum von Kaipha vor das Richthaus<< be-
ginnt vorzeichenlos (Hexachordum naturale ); der Übergang zum
Hexachordum mollevollzieht sich in Satz 18b >>nicht diesen, son-
dern Barrabam<< (Satz 19 fixiert Es-Dur): Wechsel von der Szene
vor Pilatus zur Geißelung und Verspottung.
Christoph Wolff 135
Tabelle 2:
Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Choräle und madriga-
lischen Sätze.
158 Christoph Wolff
CHORÄLE
MADRIGALISCHE STÜCKE
Hier fällt auf, daß der eklektische ZugriffBachs bei der Textwahl
(Brockes, Postel, Weise etc.) auch in der Gestaltung der Stücke Kon-
sequenzen mit sich bringt, wie auf der anderen Seite das homogene
Libretto der Matthäus-Passion ein Optimum an Textvorlage bietet,
die zur formalen Vereinheitlichung führt. Es scheint, als habe Bach
die heterogene Struktur der madrigalischen Texte nicht musi-
kalisch verdecken wollen, im Gegenteil. Zum musikalischen Reiz
der madrigalischen Stücke der Johannes-Passion gehört die außer-
gewöhnlich kontrastreiche Behandlung und die schiere Vielfalt an
Satztypen, die singulär erscheinen, beispielsweise:
Christoph Wolff 139
Satz 7 2 Oboen
Satz 9 2 Traversieren
Satz 13 Streicher
Satz 19/20 Violen d'amore, Laute
Satz 24 Streicher
Satz 30 Gambe
Satz 32 Basso continuo
Satz 34/35 Traversiere/Oboe da caccia
A B A B A
c As c Es c
Substanz her alles andere als Dacapo, wie sich schon darin erweist,
daß Bach ein und demselben synkopierten Fugato-Motiv
TypA Typ B
rrri rrrr
A B A* I B A** B A** I A B A*
(*variiert)
(**dynamisch zurückgenommen: piano)
1 Vgl. dazu meinem Beitrag» Passionspredigt und Passionsmusik der Bachzeit«, in: J. S.
Hortus: Joh 18, 1-11; Satz 5: >>Dein Will gescheh, Herr Gott«;
Pontifices: Joh 18, 12-27; Satz 14: »Petrus, der nicht denkt zurück«;
Pilatus: Joh 18, 28-19,22; Satz 26: »In meines Herzens Grunde<<;
Crux: Joh 19, 23-37; Satz 37: »0 hilf, Christe, Gottes Sohn<<;
Sepulchrum: Joh 19, 38-42; ohne eigenen Schlußsatz.
Auch fiel immer schon auf, daß es in dem von Bach vertonten
johanneischen Passionstext zwei >>Interpolationen<< aus dem
Matthäustext gäbe (vgl.Anlage 2). Im Actus >>Pontifices<< werden zwei
Satzteile aus Mt 26,75 eingefügt. Ihre Sprachgestalt zeigt, daß wir es
hier- wie auch bei der zweiten Stelle im Actus >>Crux<<- nicht mit
Interpolationen zu tun haben, sondern mit zwei Details der Bugen-
hageuseheu Passionsharmonie. 1 " Das aber ist einem. E. wichtige Er-
kenntnis vor allem für die Beurteilung der Zusammenhänge mit den
jeweils folgenden freien Texten (Sätze 13 und 34/35), nicht weniger
wichtig aber als Belege der Wirkung der Passionsharmonie Bugen-
hagens und ihrer theologischen Implikationen. Bei Bugenhagen
handelt es sich nämlich nicht um ein additives Verfahren aller vier
1" Die Sprachgestalt von Mt 26,75 zeigt eine leichte Veränderung; das hat seinen Grund
in der Differenz zwischen Luthers Bibelübersetzung 1534/35, der Textgestalt der Bu-
genhagenschen Passionsharmonie zur Bachzeit (Agenda 1712) und Bachs vertontem
Text:
»Da dachte Petrus »Da gedachte Petrus »Da gedachte Petrus
an die Wort Jhesu an das /!Vort Jesu an die Worte Jesu
... Vnd gieng her- ... und ging her- ... und ging hin-
auslvnd weinet aus, und weinete aus und weinete
bitterlich« (Luther). bitterlich« (Bugenhagen 1717). bitterlich« (Bach).
Martin Petzoldt 145
6 WA 52, 743-751.
7 Aland, Synopsis, Nr.332, S.461-466.
Martin Petzoldt 149
1. Jesus wird zu Hannas bzw. Kaiphas abgeführt: Mt, Mk, Lk, Joh
(311f8 ); l
2. Petrus läuft zum Palast des Hohenpriesters nach: Mt, Mk, Lk, Joh
(312);
3. Petrus wärmt sich mit Knechten am Feuer, erste Verleugnung: Mt,
Mk, Lk, Joh (313);
4. Hoherpriester fragt Jesus nach seiner Lehre, Schlag durch einen
Diener: Joh (313f 9 );
5. Petri zweite und dritte Verleugnung, Hahnenschrei, Petri Weinen:
Mt, Mk, Lk, Joh (314f);
6. Zwei falsche Zeugen, Feststellung der Gotteslästerung durch
Hohenpriester: Mt, Mk (316f);
7. Schläge durch Diener, nochmaliger Rat am nächsten Morgen,
J esu Aussage von der Gottesherrschaft: Mt, Mk, Lk (317f).
ansihestlyhe mehr des todts bild abfelt vnd von yhm selbs
vorschwindtlan alles zerren vnnd streyten .. .« »Der
gnaden bild/ist nit anders!dan Christus am Creutz . .. Wie
vorsteht man das? dz ist gnade vnd barmhertzickeit/das (~
Christ am Creutz deyne sundvon dir nymmetltregt siefur
dich vnd erwurget sie! vnd dasselb festigtich glaube vnd
vor augen habenlnit drann zweyifelnldas heyst das
gnaden bild ansehen vn ynn sich bilden.«»... suche dich
nur in Christo ... «13
Eine unzweifelhafte Steigerung und Bestätigung erfährt der
Gedanke von der ars moriendi in der bereits besprochenen Schluß-
strophe des Actus »Pilatus«, Satz 26: »In meines Herzens Grunde, dein
Nam und Kreuz allein«. Dort kehren bei Valerius Herberger die we-
sentlichen Stichworte und ihre Verbindung untereinander wieder:
Luther, Ausgewählte Schriften, hrsg. v. K. Bornkamm und G. Ebeling, Bd.2: •Du mußt
den Tod in dem Leben, die Sünde in der Gnade, die Hölle im Himmel ansehen und dich
von dem Ansehen oder Blick nicht lassen wegtreiben, wenn dir's gleich alle Engel, alle
Kreatur, ja, wenn dir's auch scheint, Gott selbst anders vor Augen halten• ... (S.21).
•Denn Christus ist nichts als lauter Leben ... Je tiefer und fester du dies Bild in dich
hineinbildest und ansiehst, desto mehr fällt des Todes Bild ab und verschwindet von
selbst ohne alles Zerren und Streiten•. (S.21). •Der Gnade Bild ist nichts anderes als
Christus am Kreuz ... Wie versteht man das? Das ist Gnade und Barmherzigkeit, daß
Christus am Kreuz deine Sünde von dir nimmt, sie für dich trägt und sie für dich
erwürgt; und dies fest glauben und vor Augen haben, nichtdaranzweifeln-das heißt,
das Gnadenbild ansehen und in sich hineinbilden.• (S.22). • ... suche dich nur in
Christus ... « (S.23).
152 Martin Petzoldt
Satz 28: Der Text vermittelt den Eindruck eines >>letzten Willens«,
der ultima voluntas, eines Testaments. Die Sensibilität der vorheri-
gen Johannesstelle bezieht sich auf die Auseinandersetzung mit
Rom seit Luther in Fragen der Mariologie: »Darumb man ehre die
Mutter Maria wie man wölle, allein man ehre sie nur nicht mit der
Ehre, da man Christum mit ehren sol.«14 Die Strophe hat ihren textli-
chen - wohl auch musikalischen - Höhepunkt in den Zeilen:
»0 Mensch, mache Richtigkeit, Gott und Menschen liebe«. Die >>Richtig-
keit<< bezieht sich aufrechte Nächstenliebe- »Er nahm alles wohl in
acht«: Sorge für die, nach der Tradition, bereits verwitwete Maria, die
ohne ihren Sohn sonst rechtlos gewesen wäre; >>Richtigkeit<< bezieht
sich aber auch auf die rechte Gottesliebe -wir sollen nicht Mariaals
Mittlerin zu Gott bekennen, deshalb tut »der HErr seine Mutter von
sich hinweg«. 15 Luther fährt fort: Billich ist Maria unser Mutter. Aber
das wir walten auifsie bawen und Christo sein ehre und ampt nemen
und es der Mutter geben, das hiesse Christus leiden verleugnet<<. 16 Die-
ser Sinn des Satzes 28 bereitet sachgerecht den Satz 57 vor: Im Actus
>>Crux<< geht es nicht um die Verbreiterung des Mitleides, um die
Kenntnisnahme der Personen, sondern allein um das Zeugnis des
Kreuzes. Dazu trägt die >>richtige<< Unterscheidung von Gottes- und
Nächstenliebe ein wesentliches Element bei: Gottesliebe ist von
Nächstenliebe total unterschieden; Gottesliebe enthebt schließlich
>>allen Leides<< und >>aller Betrübnis<< dieser Welt (vgl. die letzten bei-
den Zeilen von Satz 28).
Schließlich verbleiben einige Überlegungen zu der Strophe »Jesu,
der du warest tot<< (Satz 52), die betrachtenden Inhaltes mit einem
freien Text verbunden wurde. Diese Strophe wird im Zusammen-
hang mit den freien Texten besprochen werden.
17 Vgl. Satz 14, der mit dem Blick J esu rechnet, Lk 22, 61; Satz 26 setzt schon den Tod J esu
voraus.
154 Martin Petzoldt
mahl, Joh 15,21-26; Im Palast des Hohenpriesters, Joh 18,15-16; Unter dem Kreuz
(ohne explizite Beziehung zu Petrus), Joh 19,25-27; Am Ostermorgen: Wettlauf zum
Grabe, Joh 20,2-10; Am See Tiberias, J oh 21, 1-14; Worte J esu über den Lieblingsjünger
zu Petrus, Joh 21,15-25. Dazu Kap. I (S.11-41) und Kap. IV (S.67-85) des Buches von
Kragerud, Lieblingsjünger.
Martin Petzoldt 157
23 Zitiert nach Axmacher, »Aus Liebe will mein Heyland sterben•, S.54.
24 Scherzer, Systema, S. 41, 74, 250 und 255.
158 Martin Petzoldt
27Biblische Erklärung, Von Johanne Oleario, Bd.l, S.958 zu Jos 11,13; S.961 zu Jos
12,9-24; S.962, Abschnitt VI. Die Denckwürdige Erinnerung der alten Kirchen=lehrer.
160 Martin Petzoldt
Rezitativ) vertonen-: Der Held aus Juda und der Stern aus Jacob,
der den Sieg bringen und »die Gottlosen/samt ihren Städten und
Abgöttischen Wesen<< umbringen wird. 28
Satz 52: Auch wenn wir Satz 9, eine Sopranarie, intentional dem
Lieblingsjünger beigelegt haben, hindert das nach unserer Vorüber-
legung nicht, jetzt ihm ebenso eine Baßarie zuzuweisen. Brockes'
Vorlage beginnt erst mit der jetzigen Zeile 5; die folgenden Fragen
kommen aus dem Munde der >>Tochter Zion<<, nun werden sie qualifi-
ziert durch die erste Frage: Bin ich vom Sterben frei gemacht? Joh
21,22-25 berichtet davon, wie Jesus vom Lieblingsjünger sagt: Wenn
ich will, daß er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an? Diese Aus-
kunft, an die Adresse des Petrus gerichtet, zieht die Meinung der Jün-
ger nach sich: Dieser Jünger stirbt nicht. Die Arie endet mit einer
Antwort Jesu, die aus der Geste des Hauptneigens abgelesen wird,
eine in der Passionstradition verwurzelte Auslegung. 29
Satz 54: Das Arioso für Tenor lebt vordergründig von Stellen aus
den Passionsberichten des Mt und des Lk (Lk 25, 45; Mt 27, 51-52).
Doch sollte man sich nicht den Blick für die entsprechenden
alttestamentlichen Angaben verschließen, da sie dem Arioso das
Gepräge eines die alttestamentliche Typologie benutzenden Textes
geben: Amos, Exodus, Nahum, Jesaja, Ezechiel. Dieser Auslegungs-
modus setzt sich fort, wenn Zeile 6, »Weil sie den Schöpfer sehn erkal-
ten<<, indirekt erneut den Bileamspruch vom Jacobsstern aufnimmt;
indirekt deshalb, weil die Auslegungstradition in diesem Spruch ei-
nen Beleg für die Schöpfungsmittlerschaft Christi erkennt. Olearius
schreibt: »der rechte Morgenstern/Offenbar. 22116. Stella Regia. das
warhajftigeLicht/Joh. 1. deralle unzehlige Sterne/1.Mos. 13/16. samt
Himel uii Erde erschajjenlc.t. uii erhält/Sir.43<<. 50
Satz 55: Die große Sünderin von Lk 7 und Maria Magdalena aus
Joh 19 und 20 werden gemäß Joh 12,1-8 in der Auslegungstradition
identifiziert. Ihr Wirken deutet Jesus selbst in Lk 7,44-46 als Geste
der Verehrung. Nach matthäischer Passionsüberlieferung vollzieht
sie damit die Bereitung Jesu zum Tode (Mt 26,6-15). Die Trostlosig-
keit der Ernmausjünger (Lk 24, 19-20) und der Maria Magdalena in
der johanneischen Ostergeschichte (Joh 20,11-15) schlägt sich in
ihrem Bericht vom toten Jesus nieder: »Erzähle der Welt und dem
Himmel die Not: Dein Jesus ist tot!<<
Satz 39: Der Schlußchor, einzige Zutat zum Actus >>Sepulchrum<<,
verrät eine deutliche Nähe zu J es 11,10 in der unrevidierten Luther-
version. »Ruht wohl und bringt auch mich zur Ruh<<: »Seine, des Meßiä
Ruhe, da ernernlieh mit Gnaden in denHerzen derGläubigen Wohnet,
wird Ehre sein, d.i. voller Herrlichkeit und Ansehen<<. 5 1 So erklärt es
eine zeitgenössische Konkordanz. Doch seine Grabesruhe erklärt
die Dogmatik als letzte Station des status exinanitionis, des Standes
der Erniedrigung. Versucht man zu klären, was hier vorliegt, so
scheint mir, daß sich im Schlußchor verschiedene alttestamentliche
Vorstellungen überlagern: Dan 12,13 ist zusammen mit Act 7,55b
und Apk 1,18 zu interpretieren: Sein Grab macht mir den Himmel
aufund schließt die Hölle zu.>> Die Ruhe des Messias<< meint die Ruhe
des erhöhten, >>in Herrlichkeit und Ansehen<< stehenden Messias,
nicht seine Grabesruhe. Daraufverweist nicht zuletzt der Abgesang
des Satzes 40.
5. ZUSAMMENFASSUNG
LITERATURANGABEN:
Da nun Jesus den Essig genommen hatte, - 29 ... Da nun Jesus den Essig ge-
sprach er: Es ist vollbracht. Und abermal rief nommen hatte, sprach er: Es ist
er laut, und sprach: Vater ich befehle meinen vollbracht.
Geist in deine Hände. Und als er das gesagt, - 50 Es ist vollbracht!
neigte er das Haupt, und gab seinen Geist 0 Trost vor die gekränkten See-
auf. len!
- 51 Und neiget das Haupt und
verschied. Mt 27,51-52:
Und siehe da der Fürhang im Tempel zerriß - 53 Und siehe da, der Vorhang im
in zwei Stücke, von oben an bis unten aus, Tempel zerriß in zwei Stück von
und die Erde erbebte, und die Felsen zerris- oben an bis unten aus. Und die
sen, und die Gräber thäten sich auf, und Erde erbebte, und die Felsen zer-
stunden auf viel Leibe der Heiligen, die da rissen, und die Gräber täten sich
schliefen, und gingen aus den Gräbern, nach auf, und stunden aufviel Leiber
seiner Auferstehung, und kamen in die heilige der Heiligen.
Stadt, und erschienen vielen.
(Folgt: Mt 27,54 parr; Lk 23,48; - 54 Mein Herz, in dem die ganze
Mt 27,55f parr.) Welt ...
- 55 Zerfließe, mein Herze ...
Die Jüden aber, dieweil es der Rüsttag - 56 Die Jüden aber, dieweil es der
war ... Rüsttag war ...
166 Alfred Dürr
1 Carl Ludwig Hilgenfeldt,Johann Sebastian Bach's Leben, Werken und Werke. Ein Bei-
trag zur Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts, Leipzig 1850; unveränderter Nach-
druck Hilversum 1965, S. 114.
2 Philipp Spitta, Johann Sebastian Bach I!, Leipzig 1880, S. 814.
168 Alfred Dürr
1. Gewiß können wir nicht mehr sagen, als daß 1724 die erste nach-
weisbare Aufführung diese Werkes stattgefunde hat; doch ist eine
»Ich bins nicht« soeben mit Baßstimme gesungen hatte. Bach verzich-
tet also, so muß die Erklärung lauten, auf eine opernhafte Dramatik,
vielmehr macht sich der Sänger zum Sprecher jedes einzelnen Chri-
sten der im Gottesdienst versammelten Gemeinde in demselben
Sinne, in dem wir bei Lukas 23,28 J esus sagen hören: »weinet nicht
über mich, sondern weinet über euch selbst und über eure Kinder«.
Gerade Luther war daran gelegen, daß sich das rechte Passionsver-
ständnis nicht in der compassio, im Mitleiden mit J esus, erschöpfe,
sondern zu einer Erkenntnis der eigenen Sünden führe. Insofern ist
die erste Matthäus-Interpolation vielleicht nicht unbedingt johan-
neisch, aber doch gut lutherisch zu nennen.
Zu einem anderen Ergebnis führt die Betrachtung der zweiten
Interpolation. Gewiß, auch sie gibt dem Komponisten Gelegenheit
zur Affektdarstellung, zunächst zu einem ebenso wirkungsvollen
wie vordergründigen Katastrophengemälde, danach zu einem Kla-
gegesang, der Bach auf der Höhe seiner Kunst zeigt. Trotzdem sind
die Unterschiede zur Petrus-Interpolation unverkennbar:
Zunächst verwundert, daß die erste Fassung der Bachsehen
Passion, wenn nicht alles täuscht, nicht den Text nach Matthäus, son-
dern Markus 15,38 enthalten hatte, eine gegenüber Matthäus kür-
zere Fassung des Wortlauts: »Und der Vorhang im Tempel zerrij3 in
zwei Stück von oben an bis unten aus«. Wenn wir dann aber im folgen-
den Arioso (Satz 34) hören »die Sonne sich in Trauer kleidet, der Vor-
hang reij3t, der Fels zerfällt, die Erde bebt, die Gräber spalten«, dann
wird offensichtlich, daß sich diese freie Dichtung gar nicht aufMar-
kus (und übrigens noch viel weniger auf Lukas oder Johannes) be-
ziehen kann, sondern nur aufMatthäus. Und das ist umso auffälliger,
als dieses Arioso eine Nachdichtung nach Brockes ist, bei dem zwar
die Sonnenfinsternis, das Bersten der Felsen genannt werden, nicht
aber das Erdbeben und das Sichauftun der Gräber: Beides ist Zutat
des Librettisten der Johannes-Passion.
Man erhält also den Eindruck, als seien hier heterogene Bestand-
teile eingefügt worden, nämlich der Bericht nach Markus und eine
Betrachtung des Textes nach Matthäus; und erst von Fassung II
(1725) an hat Bach die Widersprüche gemildert, indem er in Satz 33
Markus 15,38 durch Matthäus 27,51-52 ersetzte, dabei das Rezitativ
von 3 auf 7 Takte erweiterte. Gleichwohl fehlt die >>Finsternis über
das ganze Land<< auch jetzt noch im Bericht des Evangelisten.
Ihre Kenntnis wird im Arioso einfach vorausgesetzt, was für die
Gemeinde der Bachzeit natürlich zutraf. Auch der Text der Arie
172 Alfred Dürr
»Zerfließe, mein Herze« (Satz 35) lehnt sich, wenn auch lockerer, an
die Brockessche Dichtung an, und das läßt vermuten, daß der Dich-
ter wohl derselbe war, der auch die anderen Brockes-Nachdichtun-
gen verfaßt hat, also offenbar doch nicht Bach. Endlich ist auch
»Zerfließe, mein Herze« ein Trauergesang um J esus selbst und nicht
um die eigenen Sünden, dem man seine Berechtigung in der Todes-
stunde Jesu allenfalls zugestehen kann; aber johanneisch ist er
nicht; denn für den vierten Evangelisten ist der Tod Jesu die Heim-
kehr zum Vater nach vollbrachter Sendung, und insofern kommt das
»Der Held aus Juda siegt mitMacht<< dem johanneischen Passionsver-
ständnis wesentlich näher als Worte wie »Erzähle der Welt und dem
Himmel die Not«.
Wenn wir nun zur Ausgangsfrage zurückkehren, ob Bach selbst
für die Interpolationen und die damit im Zusammenhang stehenden
Sätze verantwortlich zu machen sei, so bleibt die Antwort in der
Schwebe; zur ersten Interpolation lautet sie eher ja, zur zweiten
eher nein; doch will auch die Annahme einer unterschiedlichen Ur-
heberschaft nicht recht befriedigen.
Müssen wir aber damit rechnen, daß diese Interpolationen etwa
doch auf das Konto desjenigen Textautors gehen, der auch die übri-
gen Brockes-Texte nachgedichtet hat, so muß eine neue Unstimmig-
keit auffallen: Man fragt sich, ob dies wirklich derselbe Dichter
gewesen sein kann, der im Eingangschor der Johannes-Passion ein
so klarsichtiges Verständnis für die johanneische Theologie von der
Herrlichkeit Jesu auch in der größten Niedrigkeit bewiesen hat.
Sollte der Librettist etwa auch den Eingangschor von anderswoher
übernommen haben?
Wir können diese Frage nicht sicher beantworten, verbleiben aber
noch ein wenig bei dem Eingangschor, um uns auch die Bachsehe
Vertonung etwas näher anzusehen. Schon Elke Axmacher hat in
ihrer Arbeit >>Aus Liebe will mein Heyland sterben« auf die >>theolo-
gische Aussagekraft« der Dacapoform in diesem speziellen Fall hin-
gewiesen: >>Der Gottessohn, der als Schöpfer und Herrschergott...
herrlich ist, steigt hinab in die Niedrigkeit, um dort verherrlicht zu
werden<< und: >>Aus der Niedrigkeit kehrt der Gottessohn zurück in
die Herrschaft des Weltenherrn<< 6 • Bach hat dieses Hinabsteigen in
die Niedrigkeit und die Rückkehr in sein angestammtes Reich nach-
6Elke Axmacher, »Aus Liebe will mein Heyland sterben<<. Untersuchungen zum Wan-
del des Passionsverständnisses im frühen 18. Jahrhundert (=Beiträge zur theologi-
schen Bachforschung, Band 2), Neuhausen-Stuttgart 1984, S. 163.
Alfred Dürr 173
2. Eine kreisende Streicherfigur, die, nennt man sie mit der musika-
lischen Figurenlehre circulatio oder groppo, zwar einen treff-
lichen Namen hat und als solche, wie man erfährt, Wörter wie
circumdare bzw. umgeben bildlich darstellen soll, die aber hier
vorderhand mehrdeutig bleibt.
Es ist nicht einfach zu sagen, was Bach mit einem solchen in sich
kreisenden, nur vom Harmoniewechsel vorangetriebenen Orgel-
punktvorspiel >>gemeint<< haben könnte, -wenn er etwas gemeint hat.
Vielleicht haben wir in ihm eine Interpretation von Johannesstellen
wie >>Im Anfang war das Wort<< oder >>Ehe denn Abrahahm ward, bin
ich<< (Joh.1,1 bzw. 8,58) zu sehen. Auch Meinrad Walter gibt in seiner
maschinenschriftlichen Diplomarbeit über die Johannes-Passion ei-
nen beherzigenswerten Vorschlag zur Auffassung der drei Ebenen
als musikalische Darstellung der Trinität, wobei der Orgelpunkt
Gottvater zugeordnet ist, die Streichersechzehntel dem Heiligen
Geist und die Haltetöne der Bläser dem leidenden Christus, -eine
Deutung, die in der Tat frei ist von jeglicher Gewaltsamkeit. Aber
wahrscheinlich werden Bach-Fanatiker noch jede Menge weiterer
Patentrezepte für eine Deutung bei der Hand haben.
174 Alfred Dürr
b) Takt 33-39, ein relativ kurzes Kanongeflecht auf ein neues, oder
vielmehr auf ein erstes wirkliches Thema, dessen Beginn
(Oktavsprung abwärts) offensichtlich auf den Anruf »Herr,
unser... « gebildet ist, während die verminderte Quarte, nach der
Figurenlehre ein Saltus duriusculus, auf das Wort »Herrscher<<
bislang noch unverständlich bleibt.
a') Takt 40-57, ein dem Abschnitt a verwandter homophoner Teil als
Choreinbau in das vollständige Instrumentalritornell, das frei-
lich in den Takten 42-44 fast bis zur Unkenntlichkeit abgewan-
delt und dabei den Takten 21-23 angenähert wird.
Ob das Gedicht mehr als die bekannten zwei Strophen hatte, ist
bislang nicht ermittelt. Waren es nur zwei Strophen, so müßte wohl
die der Bachsehen Passion die erste gewesen sein; denn nur sie
zitiert nicht nur am Schluß, sondern auch zu Beginn die J esusworte.
Unter dieser Voraussetzung wäre die Strophenfolge:
Es ist vollbracht!
0 Trost für die gekränkten Seelen!
Die Trauernacht
Läßt mich die letzte Stunde zählen.
Der Held aus Juda siegt mit Macht
Und schließt den Kampf. Es ist vollbracht!
0 Großes Werk!
Im Paradies schon angefangen!
0 Riesenstärk,
Die Christus läßt den Sieg erlangen!
Daß nach dem Streit in Siegespracht
Er sprechen kann: Es ist vollbracht!
A B
Aber auch im Mittelteil ist eine Figur von Interesse, nämlich das
Melisma auf »Kampf«; es lautet in Takt 30-32 wie folgt:
Alto
Kampf ___________________________________
Es kann natürlich ein Zufall sein; aber der Anklang an die Melis-
men des Eingangschores auf »Herrscher« und »herrlich« sind kaum
zu überhören.
Dieser Kontrast, mit dem hier der sterbende und siegreiche Jesus
in einer Arie dargestellt wird, mag vordergründig ein dichterischer
wie musikalischer Kunstgriff sein im Dienste der variatio, die
bekanntlich delectat. Allein auch er entspricht der Antithetik johan-
neischen Denkens; erinnert sei nur an die Worte des Prologs
(Joh.1,5) »Das Licht scheint in der Finsternis« oder an das Jesuswort
J (Joh. 16,33) »In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe
die Welt überwunden«. Unmittelbar darauf -dazwischen stehen nur
eineinhalb Evangelistentakte »Und neiget das Haupt und verschied«-
folgt eine weitere Arie, »Mein teurer Heiland, laß dich fragen«, die
nochmals das Wort »Es ist vollbracht« aufgreift. Auch sie strahlt die-
selbe Hoheit aus, in der der vierte Evangelist Jesu Tod sich vollzie-
180 Alfred Dürr
1° Friedrich Smend, Die Johannes-Passion von Bach. Auf ihren Bau untersucht, in:
Lassen Sie mich noch ein paar Gedanken zu Bachs Gebrauch der
Symmetrieform, genauer, der axialsymmetrischen Form, hinzu-
fügen. Die Deutung eines Bachsehen Werkes oder Werkteils als
symmetrisch geschieht, wie ich meine, oft recht leichtfertig. Denn
so einleuchtend es sein mag, daß die symmetrische Anordnung der
Sätze im Credo der h-Moll-Messe als Abbild des griechischen Buch-
stabens Chi und damit als Hinweis auf das Kreuz Christi (im Mittel-
punkt steht der Satz »Crucifixus«) zu verstehen ist, so wenig kann
das für jede beliebige Dacapo-Arie gelten. Und der Vergleich mit
/ dem barocken Residenzbau, den man überall findet, wo nur von
musikalischer Symmetrie die Rede ist, führt nicht nur ein gutes
Stück vom Kreuz Christi weg, sondern auch von der Dacapoform, in
der doch üblicherweise derA-Teil als Hauptteil bezeichnet und auch
gehört wird, während bei der barocken Residenz stets der Mittelbau
die Krönung des Bauwerks darstellt, -ganz zu schweigen von dem
fundamentalen Unterschied, daß der Betrachter eines Barock-
schlosses dessen Symmetrie mit einem Blick erfaßt, während der
Hörer eines Musikstücks die intendierte Symmetrieform auch in
günstigeren Fällen als dem der Johannes-Passion frühestens er-
ahnen kann, wenn die Mittelachse bereits überschritten ist.
Betrachtet man die dem musikalischen axialsymmetrischen Auf-
bau innewohnenden Möglichkeiten und die ihm gezogenen Gren-
zen, so ist bei seiner Deutung als Abbild des Kreuzes Christi zumal
dann Zurückhaltung geboten, wenn, wie hier in der Johannes-
Passion, nicht ein musikalischer Höhepunkt die Mittelachse für den
Hörer erkennbar macht, sondern wenn an dieser Stelle nur einer
184 Alfred Dürr
12 Walter Blankenburg, Die Symmetrieform in Bachs Werken und ihre Bedeutung, in:
14 ebenda, S. 120.
Alfred Dürr 185
15 Philipp Spitta, Johann Sebastian Bach, Band Il, Leipzig 1880, S. 355.
186
ZWEITER TEIL
NBA (BWV)
17 (27) Choral: Ach großer König
18• (28) (Evangelista, Pilatus, Jesus): Da sprach Pilatus
zu ihm
18b (29) Chorus: Nicht diesen, sondern Barrabam
18c (50) (Evangelista): Barrabas aber war ein Mörder
19 (51) Arioso: Betrachte, meine Seel
20 (52) Aria: Erwäge, wie sein blutgefärbter Rücken
21• (53) (Evangelista): Und die Kriegskechte flochten eine
Krone
21b (54) Chorus: Sei gegrüßet, lieber Jüdenkönig
21c (55) (Evangelista, Pilatus): Und gaben ihm Backen-
streiche
21d (56) Chorus: Kreuzige, kreuzige
21 e (57) (Evangelista, Pilatus): Pilatus sprach zu ihnen
21f (58) Chorus: Wir haben ein Gesetz
21g (59) (Evangelista, Pilatus, J esus): Da Pilatus das Wort
hörete
22 (40) Choral: Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn
23• (41) (Evangelista): Die Jüden aber schrieen und
sprachen
23b (42) Chorus: Lässest du diesen los
23c (43) (Evangelista, Pilatus): Da Pilatus das Wort hörete
23d (44) Chorus: Weg, weg mit dem
23e (45) (Evangelista, Pilatus): Spricht Pilatus zu ihnen
23f (46) Chorus: Wir haben keinen König
23g (47) (Evangelista): Da überantwortete er ihn
24 (48) Aria: Eilt, ihr angefochtnen Seelen
25a (49) (Evangelista): Allda kreuzigten sie ihn
25b (50) Chorus: Schreibe nicht: der Jüden König
25c (51) (Evangelista, Pilatus): Pilatus antwortet
26 (52) Choral: In meines Herzens Grunde
27• (53) (Evangelista): Die Kriegsknechte aber
27b (54) Chorus: Lasset uns den nicht zerteilen
27c (55) (Evangelista, Jesus): Auf daß erfüllet würde die
Schrift
28 (56) Choral: Er nahm alles wohl in acht
29 (57) (Evangelista, Jesus): Und von Stund an nahm sie
der Jünger
50 (58) Aria: Es ist vollbracht
188
NBA (BWV)
51 (59) (Evangelista): Und neiget das Haupt
52 (60) Aria: Mein teurer Heiland, laß dich fragen
55 (61) (Evangelista): Und siehe da, der Vorhang im
Tempel zerriß
54 (62) Arioso: Mein Herz, indem die ganze Welt
55 (65) Aria: Zerfließe, mein Herze
56 (64) (Evangelista): Die Jüden aber, dieweil es der
Rüsttag war
57 (65) Choral: 0 hilf, Christe, Gottes Sohn
58 (66) (Evangelista): Darnach bat Pilatum Joseph von
Arimathia
59 (67) Chorus: Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine
40 (68) Choral: Ach Herr, laß dein lieb Engelein
NBA (BWV)
111 244/55 Choral: 0 Mensch, bewein dein Sünde groß
11 + 245a Aria: Himmel, reiße, Welt, erbebe
15 11 245b Aria: Zerschmettert mich, ihr Felsen und ihr Hügel
19n 245c Aria: Ach windet euch nicht so, geplagte Seelen
40n 25/4 Choral: Christe, du Lamm Gottes
189
KB Kritischer Bericht
Kor Korintherbriefe
Lc,Lk Lukas-Evangelium
m.E. meines Erachtens
Mk Markus-Evangelium
Mos Mose
Ms. Manuskript
Mt, Matth. Matthäus-Evangelium
NBA Neue Bach-Ausgabe: Johann Sebastian Bach,
Neue Ausgabe sämtlicher Werke. Hrsg. vom
Johann-Sebastian-Bach-Institut Göttingen und
Bach-Archiv Leipzig, Kassel und Leipzig 1954 ff.
n. Chr. nach Christi Geburt
NBG Neue Bachgesellschaft
Num Numeri, 4. Buch Mose
o.J. ohne Jahr
p Partitur
Petr Petrus brief.
Phil Philipperbrief
Prov Sprüche Salomos
Ps, Psal Psalm (en)
r recto (-Seite)
Ri Richterbuch
Röm Römerbrief
s. Seite
Sam Samuelisbücher
Sign. Signatur
Sir Jesus Sirach
St Stimme (n)
T. Takt
Tim Timotheusbriefe
TP Taschenpartitur
u.ö. und öfter
u.U. unter Umständen
V ver so (-Seite)
vgl. vergleiche
WA Weimarer Ausgabe (der Werke Luthers)
Weish Weisheit Salomonis
z.B. zum Beispiel
z.T. zum Teil
191
BWV 4 S. 101
BWV 12 s. 119
BWV 23 S. 104, 107, 123
BWV 31 s. 27, 101
BWV 37 s. 108
BWV 106 S.100
BWV 113 S.100
BWV 155 S.23
BWV 159 S. 13, 27, 36, 55
BWV 177 s. 116
BWV 180 S. 100
BWV 182 S.55
BWV 232 S.44, 102,108,119,130
BWV 243 s. 130
BWV 244 S.6, 11, 15,28,35t,4~50,52,56, 101,
104, 107, 115, 118, 127-133, 138, 141, 143,
148(,153,158,169
BWV 245 S. 6 (passim)
BWV 245a S. 53, 104, 107, 127, 180
BWV 245b s. 104, 107
BWV 245c S. 104, 107
BWV 247 S.4~52,55, 115,143,148,153
BWV 248 S.44, 116,118,159
BWV 249 S.23
BWV 552 s. 118
BWV 645-650 S. 119
BWV 669-689 s. 118
BWV 769 s. 118
BWV 802-805 S. 118
BWV 831 s. 118
BWV 870-893 s. 118
BWV 971 S. 118
BWV 988 s. 118
BWV 1047 S. 118
BWV 1080 s. 118
BWV Anh. 196 S.181
195
BGXX 1
Joh. Seb. Bach's Passionsmusik nach dem Evanglisten Johannes. Johann
Sebastian Bach's Werke. Hrsg. von der Bach-Gesellschaft zu Leipzig. Jahr~
gang 12, 1. Lieferung, hrsg. von Wilhelm Rust. Breitkopf & Härtel Leipzig 1863.
Als Taschenpartitur Edition Eulenburg No. 965, hrsg. von Arnold Schering,
Vorwort »Halle a. d. S., April1925«.
NBA 1114
JOHANN SEBASTIAN BACH, JOHANNES-PASSION BWV 245. Hrsg. von
Arthur Mendel. Johann Sebastian Bach, Neue Ausgabe sämtlicher Werke.
Hrsg. vom Johann-Sebastian-Bach-Institut Göttingen und vom Bach-Archiv
Leipzig, Serie II, Band 4. BAIDVfM 5037. Gemeinsame Edition: Bärenreiter-
Verlag Kassel u.a., VEB Deutscher Verlag für Musik Leipzig 1973.
KRITISCHER BERICHT zur NBA 1114 von Arthur Mendel, ebendort 1974.
Klavierauszug nach dem Urtext der Neuen Bach-Ausgabe, hrsg. von Walter
Heinz Bernstein. BA 5037aiDVfM 6093. Bärenreiter-Verlag Kassel und VEB
Deutscher Verlag für Musik Leipzig 1981.
FAKSIMILE-Ausgaben
Blatt 1r in: NBA IX/2, Kassel und Leipzig 1989, Abb. 155.
Einzelne Seiten aus den Stimmen Mus. ms. Bach St 111, in: NBA II/4, S. VIII-
XIII sowie im Kritischen Bericht zur NBA II/4, S. 181f.
197
BC
BACH COMPENDIUM. Analytisch-bibliographisches Repertorium der
Werke Johann Sebastian Bachs von Hans-Joachim Schulze und Christoph
Wolff. Band 1, Teil 3: Vokalwerke 111. Edition Peters Leipzig I C. F. Peters
Frankfurt 1988.
Band I: Schriftstücke von der Hand Johann Sebastian Bachs. Vorgelegt und
erläutert von Werner Neumann und Hans-Joachim Schulze, Kassel und Leip-
zig 1963 (Dok I).
Band 111: Dokumente zum Nachwirken Johann Sebastian Bachs 1750- 1800.
Vorgelegt und erläutert von Hans-Joachim Schulze, Kassel und Leipzig 1972
(Dok III).
BT
Sämtliche von Johann Sebastian Bach vertonte Texte, hrsg. von Werner
Neumann, Leipzig 1974 (Text-Teil und Faksimile-Teil).
198
AxMACHER, Elke: >>Aus Liebe will mein Heyland sterben«. Beiträge zur theolo-
gischen Bachforschung. Schriftenreihe der Internationalen Arbeitsgemein-
schaft für theologische Bachforschung. Hrsg. von Walter Blankenburg und
Renate Steiger, Band 2. Neuhausen-Stuttgart 1984.
BECKER, Jürgen: Das Evangelium des Johannes. Ökumenischer Taschen-
buch-Kommentar zum Neuen Testament 4/1 und 4/2 (GTB Siebenstern 505,
506), Gerd Mohn Gütersloh 1979.
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evangelischen Kirchenmusik. Zweite, neubearbeitete Auflage Kassel u. a.
1965, S: 204-208.
ders.: J. S. Bachs Passionen, in: Friedrich Blume, Syntagma musicologicum
Il. Gesammelte Reden und Schriften 1962-1972, Kassel u. a. 1975, S. 251-247.
BREIG, Werner: Bemerkungen zur zyklischen Symmetrie in Bachs Leipziger
Kirchenmusik, in: Musik und Kirche 55. Jg. 1985, S. 175-179.
ders.: Zu den 1\uba-Chören von Bachs Johannes-Passion, in: Geistliche Mu-
sik ·Studien zu ihrer Geschichte und Funktion im 18. und 19. Jahrhundert
(=Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft, Bd. 8), hrsg. von Constantin
Floros u. a., Laaber 1985, S. 65-96.
ders.: Grundzüge einer Geschichte von Bachs vierstimmigem Choralsatz, in:
Archiv für Musikwissenschaft 45. Jg. 1988, S. 165-185 und 500-519.
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MosER, Hans Joachim: Zum Bau von Bachs Johannespassion, in: Bach-Jahr-
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ders.: Passionspredigt und Passionsmusik der Bachzeit, in: J.S. Bach, Mat-
thäus-Passion BWV 244. Vorträge der Sommerakademie J.S. Bach 1985
(=Schriftenreihe der Internationalen Bachakademie Stuttgart, Bd. 2), Kassel
u. a. 1990, S. 8-23.
ders.: Zur Bezeichnung »Bassono<< und >>Fagotto<< bei J.S. Bach, in: Bach-Jahr-
buch 1981, S. 107-122.
REINHART, Walther: Die Aufführung der Johannes-Passion von J.S. Bach und
deren Probleme. Jahresgabe 1956 der Internationalen Bach-Gesellschaft,
Hug Zürich o. J.
ders.: Johann Sebastian Bach und das Musikleben Leipzigs im 18. Jahrhun-
dert (=Musikgeschichte Leipzigs, Band III), Leipzig 1941.
ders.: Zur Passion nach dem Evangelisten Johannes, in: Bachfestbuch Nürn-
berg 1973, S. 89-92.
TERRY, Charles Sanford: Bach: the Passions, London 1928; Reprint Westporti
Ct. 1971.
Alfred Dürr
Bernhard Hanssler
Peter Kreyssig
Martin Petzoldt
Ulrich Prinz
Hans-Joachim Schulze
Lotbar Steiger
Geboren 1935 in Berlin. Studium der ev. Theologie und Philosopie an den
Universitäten Heidelberg und Tübingen. 1960 Promotion zum Dr. theol. mit
einer Arbeit über >>Die Dogmatik als hermeneutisches Problem<<. 1961 Erste
theologische Dienstprüfung. Vikariat in der Württembergischen Landeskir-
che, Assistent an der Universität Tübingen.1968 -1973 Professor für Systema-
tische Theologie (Dogmatik) an der Universität Heidelberg; 1989 Wechsel auf
den Lehrstuhl für Praktische Theologie (Homiletik und Seelsorge).
Seit 1981 an der Erforschung der Predigt- und Erbauungsliteratur des
17. und beginnenden 18. Jahrhunderts und in der theologischen Bachfor-
schung tätig. Veröffentlichungen z. T. mit Renate Steiger.
Der Vortrag DIE PASSIONSTHEOLOGIE DER BACH ZEIT, IHR PREDIGT-
TYPUS UND DER TEXT DER JOHANNES-PASSION wurde zusammen mit
Renate Steiger in Stuttgart am 7. März 1986 innerhalb des Meisterkurses und
Seminars »Bachs Johannes-Passion als Musik im Gottesdienst<< gehalten.
Renate Steiger
Christoph Wolff
Band 1:
MESSA PER ROSSINI. Geschichte · Quellen · Musik, Stuttgart 1988. 190 S.
mit 55 Abbildungen, Notenbeispielen, Personen-und Werkregister. gr-8°.
Kart. DM 59,80 ISSN 1012-8054 I AoE 500
Band 2:
Johann Sebastian Bach, MATTHÄUS-PASSION BWV 244. Vorträge der
Sommerakademie J. S. Bach 1985, Stuttgart und Kassel1990.176 S. mit Faksi-
mile-Abdruck der zeitgenössischen Text-Vorlagen, Literatur- und Ausgaben-
hinweisen, Personen- und BWV-Register. gr-8°.
Kart. DM 59,80 ISBN 5-7618-0977-8
Band 5:
Johann Sebastian Bach, MESSE H-MOLL»Opus ultimum<<BWV252. Vorträge
der Meisterkurse und Sommerakademien J. S. Bach 1980, 1985 und 1989,
Stuttgart und Kassel1990.176 S. mit Abbildungen, Notenbeispielen, Tabellen,
Personen- und BWV-Register, Ausgaben- und Literaturhin weisen. gr-8°.
Kart. DM 59,80 ISBN 5-7618-0997-2
Band 4:
ZWISCHEN BACH UND MOZART. Vorträge des Europäischen Musikfestes
Stuttgart 1988 (im Satz). ISBN 5-7618-1029-6
Band 5:
Johann Sebastian Bach, JOHANNES-PASSION BWV 245. Vorträge des
Meisterkurses 1986 und der Sommerakademie J. S. Bach 1990, Stuttgart und
Kassel 1995. 208 S. mit Abbildungen und Notenbeispielen, Personen- und
BWV-Register, Ausgaben und Literaturhinweisen. gr-8°.
Kart. DM 59,80 ISBN 5-7618-1141-1