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Die Fotografin Ulli Steltzer kennt man in Deutschland und Europa praktisch

nicht. In Amerika und Kanada ist die 1923 in Frankfurt geborene allerdings
eine Größe, deren Bilder und Bücher in vielen Museen und Bibliotheken
bewahrt und gezeigt werden, viele ihrer Bücher erlebten mehrere Auflagen.
Die große alte Dame – „red nicht so ein Scheiß“, würde sie jetzt sagen, „die
Leute wollen meine Fotos sehen, ich bin da völlig unwichtig“.

Also gut: Ich habe sie gebeten, mir ein paar Daten an die Hand zu geben.
Aber sie sind knapp, wie sie selbst. Weil sie aber so charakteristisch ist, lese
ich Ihnen die Mail vor, die sie mir im April geschrieben hat:

„Lieber Daniel, ich werd Dir ein paar Daten und Fakten geben, wie Du sie
dann formulierst ist Deine Sache. Lebenslauf hab ich leider nicht.
Ulli Steltzer, geb. 1923 in Frankfurt a/Main.
Tochter zweier Kunsthistoriker, Vater nicht arisch. Das Erleben von
Rassismus war später ausschlaggebend für die Wahl ihrer Projekte als
Fotografin.
Ausgewandert 1952 mit zwei Kindern to Lenox, Mass. Teaching music in a
privat school while learning photography from a student. Von 1956 bis 1972
Photo Studio in Princeton N.J., seitdem in Vancouver, B.C.
Während der Jahre in Princeton fotografierte sie viele berühmte Leute, so wie
Adlai Stevenson, Oppenheimer, Stokowski, Bruno Walter, Marion Anderson
u.s.w., aber darüber hinaus auch die Gast-Arbeiter (Migrant Workers) in New
Jersey. Später dann das Leben der schwarzen Bevölkerung in Alabama,
Tennessee and Mississippi. Von 1970 and 1972, die Hopi, Navajo und Pueblo
Indianer in Arizona und New Mexico.
Seit Ihrer Zeit in Vancouver, von 1973 bis 2003, war sie jedes Jahr
mindestens einmal in den Queen Charlotte Islands bei den Haida Indianern,
wo sie 1980 adoptiert wurde. Darüber hinaus dokumentierte sie die Eskimos
im Norden Canadas, ein Health-Project in Guatemala, ein Matriarchat in
China, ein Damm Projekt in India, Cuba unter Castro usw. Ein volles Leben.“
Eigentlich ist das nicht weiter zu ergänzen. Vielleicht nur ein Weniges. Das
„Erleben von Rassismus“. Ihr Vater, Dr. Oswald Goetz, zwar getauft und EK-I-
Träger, konnte als „Volljude“ Deutschland 1938 gerade noch verlassen und
kehrte nach einer Vortragsreise in die USA nicht mehr zurück, lies sich
zunächst provisorisch, dann aber bis zu seinem Tod 1960 in Princeton nieder.
Zurück blieb seine Frau mit zwei Töchtern im Pubertätsalter, Halbjüdinnen,
denen eine weiterbildende Schullaufbahn von den Nazibehörden untersagt
wurde.
Die Unterdrückung am eigenen Leib verspürt, suchte Ulli Steltzer Zeit ihres
Lebens Unterdrückte und Minderheiten auf. Ihr soziales Engagement bestand
aus 2 Dingen: Die absolute Fraternisierung mit den Menschen, denen sie
helfen wollte einerseits, und die Öffentlichkeitsarbeit mit Hilfe ihrer Fotos in
Zeitungen, Magazinen oder eigenen Buchpublikationen andererseits. Teils
waren es Aufschreie wie beim bevorstehenden Dammprojekt in Indien, teils
waren es Versuche, den Menschen die Augen zu öffnen für Kulturen
amerikanischer Minderheiten, die Schwarzen, die Inuits, Indianerstämme im
amerikanischen Südwesten und eben auch seit den siebziger Jahren die
Haida-Indianer an der kanadischen Westküste und auf den Queen Charlotte
Islands, deren „Hoffotograf“ Ulli Steltzer seit annähernd 40 Jahren ist.
Dabei zeigt sie nicht das Elend, die herausragenden Ungerechtigkeiten. Sie
zeigt den Menschen, sie zeigt seine Arbeit, seine Kultur, sein Lachen,
Weinen, Tanzen – sie fraternisiert den Betrachter mit dem fotografierten
Menschen und damit mit seiner Andersartigkeit. Auf diese Weise erzeugt sie
das Bewußtsein für die Minderheit, die es zu schützen und zu verteidigen gilt.
Das ist ihre Berufung – und sie gelingt.

Sie sehen hier Fotos aus 2 Abschnitten von Ullis Arbeit. Zum einen die Fotos
von den Haida-Indianern, einer Population von nur noch 2000 Menschen.
Hier ausgestellt sind besonders 2 Bereiche: Das Haida-potlach, ein
Stammesfest mit seinen Vorbereitungen und Darbietungen, und das
sogenannte pole-raising, die Zeremonie um das Aufstellen eines neuen
Totempfahles, verziert und gearbeitet von Bill Reid und Robert Davidson, den
beiden großen Haida-Künstlern, deren Werke mittlerweile in den größeren
Museum Kanadas zu bewundern sind. Über die Haidas, ihre Kunst, ihre
Arbeit, ihre Feste hat Ulli Steltzer mehrere Bücher publiziert.
Zum anderen sehen Sie hier Fotos einer Kuba-Reise aus dem Jahr 1999.
Diese Fotos, die eigentlich wieder in ein Buchprojekt münden sollten,
natürlich wieder mit den Menschen auf Kuba im Mittelpunkt, wurden nie
publiziert, auch nicht in Zeitschriften. Sie werden meines Wissens hier
erstmals öffentlich gezeigt und stellen natürlich nur eine kleine Auswahl dar.

Der alte Mann und das Meer, so der Titel dieser Ausstellung:
Vielleicht eine Metapher? Der alte Mann, der alte Mensch, die alten Kulturen,
die Eingeborenen? Und das Meer? Die Weite, die Tiefe, die Ruhe dieser
Kulturen am Pazifik und in der Karibik? - Weit gefehlt.

„Der alte Mann war dünn und hager, mit tiefen Falten im Nacken. Auf den
Backenknochen hatte er die braunen Flecken von harmlosem Hautkrebs, den
die Sonne durch die Spiegelung auf tropischen Meeren verursacht. Die
Flecken bedeckten ein gut Teil seines Gesichts, und seine Hände zeigten die
tief eingekerbten Spuren vom Handhaben schwerer Fische an den Leinen.
Aber keine dieser Narben war frisch. Sie waren so alt wie Erosionen in einer
fischlosen Wüste.
Alles an ihm war alt bis auf die Augen, und die hatten die gleiche Farbe wie
das Meer und waren heiter und unbesiegt.“
So beschreibt Hemingway den Fischer, der 1999 102-jährig von Ulli Steltzer
in Kuba aufgenommen wurde und dessen Porträt hier zweimal an den
Wänden hängt.

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