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Das Hauptthema Paula Modersohn-Beckers ist die Frau — das kleine

Mädchen, die Mutter, die alte Frau und nicht zuletzt sie selbst. Die Frauen sind
der Natur nahe, den Ursprüngen der Menschheit und gleichen oft Kultbildern
früher Zeiten. Eine direkte und anschauliche Verbindung von ihnen zu der
modernen Frau der Jahrhundertwende, zu der Malerin selbst, wird man
vergeblich suchen. Deshalb ist einmal zu fragen, inwiefern sich gerade in der
Abwendung eine zeitgeschichtlich typische Auffassung der Frau artikulieren
kann. In Worpswede wählte Paula Becker — weit entschiedener als ihre
Malerkollegen — die dortigen Bewohnerinnen als Modell. Sie bevorzugte aus
der ohnehin schon armen Bevölkerung die Alten aus dem Armenhaus, durch
Krankheit gezeichnete kleine Mädchen und Mütter mit ihrem Kind. Dies ist
bemerkenswert für die aus dem gebildeten Mittelstand stammende junge Frau,
die — folgt man ihren Briefen — mit den Lebensanschauungen der Eltern
auffallend wenig kollidiert und die selbst ihren besonderen Weg als Künstlerin
zäh und enthusiastisch verfolgt. Kann es für sie überhaupt eine Brücke zu
diesen Frauen geben - außer sie zu zeichnen und zu malen? Aus ihren
Briefen und Tagebüchern wird dieser Konflikt ein wenig deutlicher.
Sie schreibt in ihrem ersten Worpsweder Jahr, 1898: „Ich habe eine junge
Mutter gezeichnet mit dem Kind an der Brust, in ihrer rauchigen Hütte sitzend.
Wenn ich das einmal malen kann, was ich dabei empfunden habe! Ein süßes
Weib, eine Caritas ... Und das Weib gab sein Leben und seine Jugend und
seine Kraft dem Kind in aller Einfachheit und wußte nicht, daß es ein
Heldenweib war".1
Das Bild, entstanden nach dem ersten Parisaufenthalt, zeigt deutlich den
Einfluß
des französischen Symbolismus; besonders Gauguin, Serusier, Denis und
Maillol waren
für Paula Modersohn-Becker von größter Bedeutung. Wie diese verzichtet sie
von
nun an ausdrücklich auf Naturwirklichkeit, um die Empfindungen, die das
Naturvorbild
auslöst, in bildnerische Entsprechungen zu kleiden6. Entsprechend der
Forderung
Gauguins „Zurück hinter die Pferde des Parthenon gehen bis zur Wiege der
Menschheit" — dienen auch ihr Zeugnisse früher Kulturstufen als Vehikel des
subjektiv
bestimmten Ausdrucks.
Wie den französischen Künstlern geht es auch Modersohn-Becker nicht um
die Realität,
Lebensfülle und Erscheinungsvielfalt der Frauen, sondern um ihre Identität
mit einem ewigen, eindeutigen Grundverhalten.In einer Reihe von
Zeichnungen erarbeitet
sie ein ungemein robustes Bildzeichen für Mutterschaft

Zitat 1 G.Busch, L. von Reinken (Hrsg.), Paula Modersohn-Becker in Briefen


und Tagebüchern. Frankfurt a.M. 1979, S.140.
Zitat 3 Ebd. S. 144
«So erzählte sie in den schönen kräftigen Worten des Volkes mit
halbgebrochenem Atem von Geburt, Heirat und Tod. Wenn diese Leute man
Gedanken haben, so lauscht man ihnen wie gebannt, meist aber reden sie nur
Formeln, nur leere Worte, um überhaupt zu reden. Das ist furchtbar und lässt
die Gattung einem so niedrig erscheinen.

Zitate
G.Busch, L. von Reinken (Hrsg.), Paula Modersohn-Becker in Briefen und
Tagebüchern. Frankfurt a.M. 1979,
«ich lebe jetzt gant mit den Augen, sehe mir alles auf’s Malerische an.» (S.
100)
«Du scheinst mir zu viel auf den Gesameindruck, zu wenig aus Einzelne zu
geben (…)» (S.116)
«Worpswede, Worpswede, Worpswede! Versunkene Glocke Stimmung!
Birken, Birken, Kiefer und alte Weiden. Schönes braunes Moor, köstliches
Braun. Die Kanäle mit den schwarzen Spiegelungen, asphaltschwarz. (…)»
(S. 122f)
«Dann ist da noch der Modersohn. Ich habe ihn nur einmal gesehen und da
auch leider wenig gesehen und gar nicht gefühlt (…)» (S. 124)
«Die Art, wie Mackersen die Leute hier auffasst, ist mir nicht gross genug, zu
genrehaft. Wer es könnte, müsste sie mit Runenschrift schreiben.» (S.388)
«Dann war ich im Lilienatelier, Tee erwartete mich. Eine gute und reiche
Gemeinsamkeit in Gespräch und Schweigen. Es wurde wundersam Abend;
wovon die Worte gingen: von Tolstoi, vom Tode […], vom Leben und von der
Schönheit in allem Erleben, vom Sterbenkönnen und Sterbenwollen, von der
Ewigkeit und warum wir uns Ewigem verwandt fühlen. Und von so vielem, das
über die Stunde hinasreicht und über uns. Alles wurde geheimnisvoll. Die Uhr
schlug eine viel zu grosse Stunde und ging ganz laut zwischen unseren
Gesprächen umher. Ihr Haar war von florentischem Golde. Ihre Stimme hatte
Falten wie Seide. Ich sah sie nie so zart und schlank in ihrer weissen
Mäschenhaftigkeit.» Rainer Stamm (Hrsg): Paula Modersohn-Becker –
Briefwechsel mit Rainer Maria Rilke, Inselverlag 2003. (S. 102f).

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