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Iso Kern

D as Wichtigste
im Leben
Wang Yangmi11g (1472-1529)
und seine Nachfolger
über die <<Verwirklichung
des ursprü11glichen Wissens>>
�Bl9:□

Schwabe Verlag Basel


Die in dieser Studie besonders hervortretenden Nachfolger Wang Yangmings
(in alphabetischer Reihenfolge ihrer Familiennamen)

Liu Bangcai IJ,:J!Hi (Beiname: Shiquan ilili$.)


ca. 1491 bis ca. 1576, aus der Provinz Jiangxi
Zusammen mit anderen Angehörigen seiner Sippe führendes Mitglied der Schule Wang Yangmings in
Jiangxi.
Luo Hongxian mm:$'f; (Beiname: Nian'an ~,li\i;)
Publiziert mit freundlicher Unterstützung 20. November (oder 20. Dezember) 1504 bis 20. September 1564, aus der Provinz Jiangxi
durch die folgenden Institutionen: Kannte Wang Yangming nicht persönlich, wurde aber durch das Studium von dessen Schriften und den
Kontakt mit dessen Schülern zu einem der wichtigsten Mitglieder der Schule. Außerordendich begabt und
Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der gewissenhaft, versuchte er bis ans Ende seines Lebens, hauptsächlich in Auseinandersetzung mit Wang Ji
wissenschaftlichen Forschung (SNF), Bern und Nie Bao, ein für ihn befriedigendes Verständnis der Lehre von der «Verwirklichung des ursprünglichen
Wissens» zu finden.
Sun-Yat-sen-Universität, Guangzhou (Kanton), China
Nie Bao ill~ (Beiname: Shuangjiang !!)I)
Institute for Advanced Studies in Humanities and Social Sciences, 6. Februar 1487 bis 19. November 1563, aus der Provinz Jiangxi
National Taiwan University, Taipei, Taiwan Hoher Beamter. Hatte nur wenige persönliche Kontakte mit Wang Yangming und erklärte sich erst zwei
Jahre nach dessen Tod zu seinem Schüler. Er verstand die Lehre von der «Verwirklichung des ursprüng-
lichen Wissens» in ganz eigener Weise durch die «Rückkehr in die Stille der Substanz des Herzens» und
-provozierte dadurch die Kritik vieler Mitschüler.
Ouyang De 11:ll,ffl\ (Beiname: Nanye ffiff)
13. Juni 1496 bis 24. April 1554, aus der Provinz Jiangxi
Lange politische Laufbahn. Vertrauter Schüler Wang Yangmings aus dessen Zeit in Jiangxi (1517-1520).
Scharfsinniger Interpret und tatkräftiger Verteidiger seiner Lehre. Durch seine politische Stellung und seine
großen Fähigkeiten als Lehrer trug er viel zur Verbreitung und zum Ansehen der Schule bei.
Qian Dehong jlf!im: (Beiname: Xushan ffiill)
25. Januar 1497 bis 10. November 1574, aus der Provinz Zhejiang
Zusammen mit Wang Ji vertrautester Schüler Wang Yangmings während dessen später Zeit. Er versuchte,
sich streng an das zu halten, was er von seinem Lehrer gehört hatte und veröffentlichte dessen Schriften
und «Lebenschronik». Mit Wang Ji fühlte er sich für die ganze Schule Wang Yangmings verantwortlich
und besuchte seit seinem Rückzug aus der Beamtentätigkeit im Jahr 15 4 3· in vielen Reisen ihre lokalen
Versammlungen.
\JYang Gen 3:lsl (Beiname: Xinzhai ,t,,jiW)
20. Juli 1483 bis 2. Januar 1541, aus dem Verwaltungsgebiet von Nanking (heute Provinz Jiangsu)
Gehörte nicht, wie die meisten Schüler Wang Yangmings, zur Gebildetenschicht der Beamten, sondern
war Händler und verschaffte der Schule Wang Yangmings auch Zugang zu anderen Gesellschaftsschich-
ten. Wurde erst mit siebenunddreißig Jahren Wang Yangmings Schüler und gab dessen Lehre eine eigene
Richtung.
© 2010 Schwabe AG, Verlag, Basel
Kein Teil des vorliegenden Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung Wang Ji ::i:• (Beiname: Longxi ~~)
26. Mai 1498 bis 25. Juli 1583, aus der Provinz Zhejiang
des Verlages reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Zusammen mit Qian Dehong vertrautester Schüler Wang Yangmings während dessen später Zeit: Entwi-
Sinologisches Lektorat: Rafael Suter, Zollikon
ckelte in großer Freiheit sein Verständnis der Lehre und benutzte dam viele buddhistische und daoistische
Allgemeines Lektorat: Dani Berner, Schwabe Begriffe. Nach seinem Rückzug aus der Beamtentätigkeit im Jahr 1542 wurde er ein «fahrender Gelehrter»,
Gestaltung: Thomas Lutz, Schwabe der an vielen Orten am Unterlauf des Yangze Versammlungen der Schule förderte. Durch sein offenes
Satz: Urs Stöcklin, Schwabe Denken und durch seine vielen Beziehungen zentrale Figur in der ersten Generation der Schüler Wang
Gesamtherstellung: Schwabe AG, Druckerei, Muttenz/Basel Yangmings.
Printed in Switzerland
ISBN 978-3-7965-2514-8
Zou Shouyi lß~:lii (Beiname: Dongkuo *II>
10. März 1491 bis 5. Dezember 1562, aus der Provinz Jiangxi
Treuer Schüler Wang Yangmings und wichtigste Persönlichkeit der Schule inJiangxi. Betonte in der ethi-
www.schwabe.ch schen Selbstkultivierung die Bewusstseinsvertiefung («Achtsamkeit»).
Gewidmet meinen chinesischen Freunden,
die ihre eigene Tradition der Lehre vom Herzen (xin xue ,t,,~)
phänomenologisch erkunden
Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX

Allgemeine Einleitung
Einige Lebensumstände der konfuzianischen Gelehrten in der mittleren Zeit
der Ming-Dynastie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I
§ 1 Die konfuzianischen Gelehrten und ihre Vorbereitung zum Staatsdienst. 2
a) Die Prüfungen auf der Ebene der Kreise und Präfekturen . . . . . . . . . . . 4
b) Die Prüfungen auf der Ebene der Provinzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
c) Die Prüfungen in der Hauptstadt Peking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
§2 Die Administration des Ming-Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
a) Das Zentrum der Administration in Peking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
b) Die Administration der Provinzen, Präfekturen und Kreise . . . . . . . . . . 10
§3 Die konfuzianischen Philosophen und ihr Kanon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
a) Die «Vier Bücher» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
b) Die «Fünf Klassiker» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
c) Das Verhältnis unserer Philosophen zum konfuzianischen Kanon 20
§4 Zwei gegensätzliche Beziehungspole im ethischen Denken
der Konfozianer der Ming-Zeit: lvlengzi und Zirn Xi . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
a) Mengzi: Der Grund des ethischen Handelns liegt im Herzen
(Geist: xin 1i>) des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
b) Zhu Xi: Das ethische Handeln besteht in der Übereinstimmung
mit dem kosmischen Ordnungsprinzip. Grundlage dafür ist eine
geistige Haltung der ehrfürchtigen Konzentration in der Ruhe . . . . . . 30
Anhang zur allgemeinen Einleitung: Die fünf Kaiser in der Zeit zwischen
1499 und 1583 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
a) Der Hongzhi-Kaiser (1487-1505) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
b) Der Zhengcle-Kaiser (1506-1521) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
c) Der Jiajing-Kaiser (1522-1566) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
d) Der Longqing-Kaiser (1567-1572) und die ersten zehn Jahre
(1572-1582) des Wanli-Kaisers.................................... 43
Teil 1
Wang Yangmings Lehre von der «Verwirklichung des
ursprünglichen Wissens» und seine drei verschiedenen Begriffe
des «ursprünglichen Wissens» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
§l Überblick über das Leben und Denken \Vrng Yangmings (1472-1529) . . 49
a) Wang Yangmings frühe Periode: das Suchen einer
philosophischen Ausrichtung (1472-1506) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
X XI

b) Wang Yangmings mittlere Periode: das Erkennen einer § 5 Das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» als «Streben
philosophischen Grundlage (1507-1518)........................... 70 nach Zufriedenheit mit sich selbst». «Zufriedenheit mit sich selbst»
c) Wang Y:'lngmings späte Periode: die Vertiefung der als «Übereinstimmung mit sich selbst». Die Freude im Wiederfinden des
philosophischen Grundlage durch den neuen Begriff vollkommenen «eigentlichen Wesens des ursprünglichen Wissens» . . . . . 182
des «ursprünglichen Wissens» (1519-1529). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
§2 Wang Yangmings Haltung gegenüber der Veröffentlichung Kapitel 3: Wang Yangmings dritter Begriff des «ursprünglichen Wissens»:
seiner Lehre und unsere Verlegenheit, seine Lehre systematisch das immer vollkommene «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens»... 187
zu betrachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Anhang zur Einleitung von Teil I: Die Geschichte der Veröffentlichung § 1 Terminologische Vorbemerkungen über die Äquivozität und Synony:mi-
der Quellentexte über Wang Yangmings Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 tät von «ben ti 21>:ll:t» und von «ti ll:t»: Diese Ausdrücke können beide
sowohl das eigentliche (wahre) \Ncscn von etwas als auch die Substanz von
etwas bedeuten. Die Aquivalenz dieser beiden Bedeutungen in Bezug
Kapitel 1: Wang Yangmings erster Begriff des «ursprünglichen Wissens»:
auf das «ursprüngliche Wissen» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
die Anlage zum Guten («ursprüngliches Können») . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
§ 2 Das immer vollkommene «eigentliche Wesen des ursprünglichen
§ 1 Vorbemerkung zum Ausdruck «liang zhi fit~□ » und zu seiner
Wissens». Die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» als
Übersetzung durch «ursprüngliches Wissen» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
«Rückkehr zu seinem eigentlichen \\lesen» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L94
§ 2 Das «ursprüngliche Wissen» und seine «Verwirklichung»
§ 3 Die Funktionen des Herzens (Geistes) als Funktionen des «ursprünglichen
in Texten vor 1520 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. .. .. . . 125
Wissens». Das «ursprüngliche Wissen» als Ursprung der Welt . . . . . . . . . 197

Kapitel 2: Wang Yangmings zweiter Begriff des «ursprünglichen Wissens»: §4 Geistcsgcschichtlichc Vorausset'.l,llt1gc11 des «eigentlichen (wahren)
das unmittelbare Bewusstsein des ethischen Wertes der eigenen Wesens des ursprünglichen Wissens>>: die <<Buddha-Natur» . . . . . . . . . . . . 203
Intentionen («ursprüngliches Bewusstsein», «Gewissen») . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 § 5 Das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» ist
§ 1 Das Problem der ethischen Unterscheidung der Intentionen . . . . . . . . . . . 131 Menschlichkeit oder wahres Mitgefühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
a) <<Einsicht in die Grundwirklichkeit des Herzens» (jian xin ti J!,t.,G) . . 132 §6 Das «eigentliche vVescn des ursprünglichen Wissens» ist
b) «Natürliche Intelligenz» (tian cong rning Ji::]j)@,aJl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Einheit von Ruhe un<lTii!iglcit oder Ruhe in der Tätigkeit ............ 215
c) «Das Herz des Richtigen und des Falschen» (shi fei zhi xin ~~~;zh) . . 134
d) Das «eigentliche Herz» (ben xin 2!,:,t,,) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 5 § 7 Die Verdeckung des «eigentlichen Wesens des ursprünglichen
e) Das «allein Wissen» (du zhi ifflli~) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Wissens» durch Egoismus und durch «Haften an etwas» ............... 224

§2 Die Konzeption des neuen Begriffs des «ursprünglichen Wissens» . . . . . . 144 §8 Die Motive von Wang YangmingsAnn.ihme eines immer
vollkommenen «ursprünglichen Wissens>, . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
§3 Die Verdeckung oder Dunkelheit des «ursprünglichen Wissens»
(«Gewissens») und die Aufgabe seiner Klärung. Was heißt
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» in der Klärung des Kapitel 4: Eine historische Bestätigung für unsere Unterscheidung
«ursprünglichen Wissens»? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 von drei Begriffen des «ursprünglichen Wissens» bei Wang Yangming.
a) Die Klärung des «Gewissens» durch ein dem «Gewissen» Die Beziehungen zwischen diesen drei Begriffen ............................ 241
gemäßes Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
b) Die Klärung des «ursprünglichen Wissens» durch «Achtsamkeit §1 Eine Bestätigung unserer Unterscheidung von drei Begriffen
und Furchtsamkeit» gegenüber dem «allein Gewussten» . . . . . . . . . . . . 160 des «ursprünglichen Wissens» durch Wang Yangmings direkten
c) Die Klärung des «ursprünglichen Wissens» durch «Einsicht» . . . . . . . 166 Schüler Hu:mg I Ionggang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

§4 Die «Aufrichtung des Willens» und das «ursprüngliche Wissen»: §2 Die Beziehungen zwischen den drei Begriffen des
die Dynamik der Kräfte in der «Verwirklichung des ursprünglichen «ursprünglichen Wissens»........................................... 244
Wissens» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
XIII
XII

Kapitel 5: Die Frage der Hinlänglichkeit des «ursprünglichen Wissens» §9 Die Shuixi-Akademie von Ningguo im direkten Verwaltungsgebiet
für das ethisch richtige Handeln: Bedarf es dazu noch zusätzlicher von Nanking .... , ................................................... 388
Erkenntnisse? .............................. • • • • • • • • • • • • · · · · · · · • · · · · · · · · · · · · · 250
Kapitel 1: Die Diskussionen zwischen Qian Dehong und Wang Ji:
§ 1 Die Diskussionen Wang Yangmings mit seinen Schülern über das Verwirklicht sich das «ursprüngliche Wissen» durch H·andeln gemäß
Verhältnis zwischen dem «ursprünglichen Wissen» und der dem Gewissen oder durch Einsicht in sein «eigentliches Wesen»? ........... 399
Erkenntnis der richtigen Mittel zur Verwirklichung von etwas
§ 1 Biographisches über Qian Dehong und Wang Ji . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
moralisch Gutem ............ • • • • • • • • • • • • • • • · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · 253
§2 Qian Dehongs und Wang Jis Meinungsverschiedenheit hinsichtlich
§2 Wang Yangmings Sicht des Verhältnisses zwischen «ursprünglichem
Wissen» und der moralischen Erziehung durch andere Personen 'Wang Yangmings «Lehre in vier Sätzen» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
sowie der Belehrung durch den konfuzianischen Kanon. Die dies- § 3 . Wang Yangmings Stellungnahme zur Meinungsverschiedenheit
bezügliche Meinung seines Schülers Wang Gen ...... , , , , • • • • • • • • • • • • · 259 seiner beiden Schüler auf der «Brücke der Himmelsquelle» ............ 425
§ 4 Die schwankende Haltung Qian Dehongs gegenüber der
Teil II ethischen Praxis im Ausgang vom «eigentlichen Wesen des
Die Diskussionen unter den Schülern und Nachfolgern ursprünglichen Wissens» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
Wang Yangmings über die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» ... 269
§ 5 WangJis Vereinigung der beiden Weisen der «Verwirklichung
Einleitung ........... , , ..... • , , , • • • • • • • • • • · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · 269 des ursprünglichen Wissens» durch die Formel des «dem Himmel
Zuvorkommens und dem Himmel Nachfolgens» ...................... 456
§ 1 Die Gemeinschaft der Schüler Wang Yangmings nach dessen Tod ... •••• 270

§2 Die Tianzhen-Akademie südlich von Hangzhou als neues Kapitel 2: Wang Jis «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
institutionelles Zentrum der Schule und ihre Filiale in Quzhou ........ . 279 durch Einsicht in dessen «eigentliches Wesen» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
§3 Das Wiederaufleben der Schule in Nanking nach § 1 Die Grundvoraussetzung und der Ausgangspunkt von Wang Jis
Wang Yangmings Tod unter der Führung von Ouyang De . • • • , • , , , , • • • • 286 Lehre der «Einsicht»: Das vollkommene <<Wesen des ursprünglichen
Wissens» manifestiert sich lauter (rein) in aktuellen Bewusstseins-
§4 Ouyang De und seine briefliche Auseinandersetzung von 15~4/3_5
mit Luo Qinshun über die «menschliche Natur», das «ursprunghche phänomenen aller Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
Wissen» und das «wahrnehmende (empirische) Bewusstsein» •,. • • • • • • • 291 § 2 Das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» als
a) Biographische Notiz über Ouyang De ................ • • • • • • • • • · · · · 291 «schöpferischer Antrieb (kontinuierlicher Ursprung)» . . . . . . . . . . . . . . . . . 469
b) Ouyang Des Auseinandersetzung mit Luo Qinshun ...... , • .. • • • • • • • 295
§ 3 Das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» als «dem Antrieb
§5 Wang Gens Schule in Taizhou und sein gesellschaftliches Verständnis des Himmels Folgen» und die Weise dieses Folgens:
des «ursprünglichen Wissens» ..................... • • • • • • • • • • • • • · · · · · 312 die «Natürlichkeit», das «direkte Herz», das «eine Denken» . . . . . . . . . . . 482
§6 Das blühendste Zentrum der Schule Wang Yangmings in der Präfektur § 4 Zwischenbemerkung: Wang Jis Sicht des Verhältnisses von «ursprüng-
Ji'an der ProvinzJiangxi. Die Liu-Sippe und Zou Shouyi als die lichem Wissen» (f,iang zhi 10ll) und erworbenem (informativem) Wissen
führenden Kräfte, YanJun und He Xinyin als alternative Kräfte (zhi shi ~~). Gegensatz und Einheit derselben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494
dieses Zentrums ....................... , , , .. , • • • • • • • • • • • • · · • • • • · · · · · 344
§ 5 Die Einsicht in das Wesen des Herzens (Geistes) als «Rückkehr zu sich
§7 Zou Shouyi und seine Lehre von der «Verwirklichung des ursprüng- selbst vom einen Denken her». Die Formel: «vom einen Denken her
lichen Wissens» durch <<Achtsamkeit und Furchtsamkeit» ......... • • , • • 359 zu sich selbst zurückkehren und damit das eigentliche Herz ei:langen».
Die Voraussetzung des moralischen Bewusstseins im «dem Himmel
§8 Eine frühe Kontroverse in der Schule: Natürlichkeit versus Wachsam-
keit in der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens». zuvorkommenden Lernen» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499
Die «Wachsamkeit des Drachen» vonJi Ben .............. • • • • • • • • • • • • 374 § 6 Drei verschiedene Ebenen der «Einsicht». Die höchste «Einsicht»
geschieht im sozialen Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
XIV XV

Kapitel 3: Die Diskussionen zwischen Nie Bao einerseits und Ouyang De, c) Jetzige Vollkommenheit versus jetzige Unvollkommenheit
Zou Shouyi und Wang Ji andererseits: Muss die «Substanz» des «ursprüng- des «ursprünglichen \Nissens» .......................................... 617
lichen Wissens» in der Ruhe vor aller Tätigkeit «verwirklicht» werden? . . . . . . 521
Kapitel 4: Die Diskussionen zwischen Luo Hongxian und Wang Ji: Ist das
§ 1 Nie Baos Biographie und die Entstehung seiner eigenen Auffassung
gegenwärtige «ursprüngliche Wissen» vollständig oder braucht es dazu die
von der <<Verwirklichung des ursprünglichen Wissens>> um 1537 ......... 521
Anstrengung des Sichzurückholens und Gesammeltbleibens? ............... 621
§ 2 Die große Diskussion zwischen Nie ßao und Ouyang De in der Zeit
um 1542/43: «ursprüngliches Wissen» als «Substanz» oder «Vermögen» § 1 Das Leben Luo Hongxi:ms und seine Begegnungen mit Wang Ji . . . . . . . . . 621
versus «ursprüngliches Wissen» als «allein Wissen» ((}cwissen) ........... 536 § 2 Luo Hongxians «Vtmvort» und «Nachwort» zu Nie Baos «Aufzeich-
a) Der erste Brief Nie Baos an Ouyang De .............................. 539 nung von Unterscheidungen in der Not» (Kun bian lu) von 1550.
b) Die Antwort Ouyang Des auf Nie Baos ersten Brief .................. 542 Seine empirisch-praktische Sichtweise .................................. 652
c) Nie Baos Antwort an Ouyang De und Ouyang Des
§ 3 Luo Hongxians Formel für die ethische Übung des «Verwirklichens des
zwei Erwiderungen .................................................. 548
ursprünglichen Wissens»: «sich ,.urückholen und gesammelt bleiben» ... 657
§ 3 Die Kritik von Zou Shouyi an Nie Baos Auffassung von der «Verwirk-
§4 Die Auseinandersetzung zwischen Wang Ji und Luo Hongxian in einem
lichung des ursprünglichen Wissens» in den Jahren von 1547 bis 1550:
Die ethische Praxis darf nicht zwischen Ruhe und' l 'iitigkeit trennen 565 Briefwechsel des Jahres 1550 ........................................... 662
§5 Luo llongxians kritische Auseinandersetzung in seinem «Anhang»
§4 Die Entstehung der schriftlichen Debatte zwischen Nie Bao und
(1550/5 l) zu den «Auf1.eichnungen der Sommerreise [von 1548J» mit
Wang Ji über die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
(ca. 1557 bis 1559) ..................................................... 573 Wang Jis Auffassung vom «ursprünglichen Wissen» und dessen
«Verwirklichung» ...................................................... 667
§5 Die Kritik Nie Baos an Wang Jis «Abriss über die Verwirklichung a) WangJisAusführungen über cL1s «ursprüngliche Wissen» und dessen
des ursprünglichen Wissens» ........................................... 576 «Verwirklichung>> in der Versammlung im Chongxuan-Tempel
a) WangJi hat keine Methode, um das «ursprüngliche Wissen» vom Herbst 1549 .................................................... 669
zu «verwirklichen», denn er betrachtet dieses als etwas von b) Luo Hongxians erster Einwand gegen WangJi: Das ethische «Lernen»
vornherein «schon Fertiges» ........................................ 579 besteht in der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» gegenüber dem
b) Das «ursprüngliche Wissen», das «verwirklicht» werden muss, ist «ursprünglichen \Nissen» als der «unsichtbaren und unhörbaren»
ein Vermögen («Substanz») und kein aktuelles Bewusstsein von etwas «Natur» clcs Herzens und nicht im «Berichtigen der Handlungen» . . . 671
(kein Gewahren, Fühlen: zhijue !m1') ................................. 583 c) Luo Hongxians zweiter Einwand gegen Wang Ji: Das «Lernen»
c) Die menschliche Anstrengung des «Verwirklichens des ursprünglichen besteht im «Anhaltenkönnen» beim «ursprünglichen Wissen» als dem
Wissens» aufgrund des «allein Wissens» (Gewissens) und durch die «höchsten Guten». «Festigkeit» und «Ruhe» sind in der ethischen
«Berichtigung der Handlungen» ist etwas künstlich Erzwungenes .... 594 «Anstrengung>> das Erste; sie können nicht aus dem «Denken»
§6 Wang Jis Gegenkritik an Nie lho und Nie Baos Erwiderungen . . . . . . . . . . 600 bzw. aus dem ,<Verwirklichen des Wissens>> hervorgehen ............. 673
a) Ontologische und zeitliche Einheit von «ruhiger Substanz» d) Luo Hongxians dritter Einwand gegen Wang Ji: Das «ursprüngliche
und «Funktionen (Tätigkeiten)» des «ursprünglichen Wissens» Wissen» tritt in unserem aktuellen Bewusstsein nur zeitweilig auf
und entsprechende «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» und vermag darin nicht das Herrschende zu sein. Man kann diesen
im Handeln vcnus ontologische und zeitliche Trennbarkeit der Anfang im aktuellen Bewusstsein nicht schon zur höchsten Bedingung
«Substanz» von den «Funktionen» des «ursprünglichen Wissens» des heiligen ivlcnschen lllachen ...................................... 676
und entsprechende «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» e) Luo Hongxians vierter Einwand gegen Wang Ji und sein Einwand
in der Stille und Leere seiner Substanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 gegen Qian Dehong: Die «Dinge (Geschäfte)» sind nicht die
li) D,1s «ursprüngliche Wissen» als «natürliches helles Gewahren» «Wirklichkeit>• des «mspriinglichen \Visscns», sondern dieses geht
(zi ran zhi mingjuc ~ ~~ BJ:l 'J!'t) versus das «ursprüngliche Wissen» als jenen voran. Die «Menschlichkeit» (rcn 1=) besteht nicht in
der «Ursprung (das Gute: liang zhe .El1'f)» des «natürlichen hellen der Beschiiftigung mit den Dingen, sondern in der Abwesenheit
Gewahrens» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 «egoistischer Wünsche» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681
XVI XVII

f) Der dem kritischen «Anhang» gegen Wang Ji beigefügte Teil des Kapitel 5: Wang Jis Aufzählungen der nach seiner Meinung unrichtigen
Briefes an Guo Yingk:ui (Pingchuan): Das in unserem gegenwärtigen Auffassungen der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» innerhalb
Bewusstsein aktuelle «ursprüngliche Wissen» ist nicht ausreichend. der Schule Wang Yangmings ................................................ 751
Seine «Verwirklichung» besteht in der schrittweisen Verwirklichung
der Bedingungen, durch die unser Wissen «ursprünglich (gut)» § 1 W·rng Jis Kritik von vier verschiedenen zeitgenössischen Auffassungen
zu werden vermag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» in der Versammlung
g) Der Abschluss des kritischen «Anhanges» zur «Sommerreise>>: von Chuyang im Frühling 1553 ......................................... 752
In seiner Lehre von der «Beruhigung (Schwächung: dan 5ß.t) der welt- § 2 WangJis Kritik von sechs verschiedenen zeitgenössischen Auffassungen
lichen Gefühle» als der Voraussetzung für das «Erkennen des der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» in der Versammlung
Antriebes des Himmels» anerkennt WangJi faktisch das «Verwirk- von Nixiantai vom November 1562 ..................................... 758
lichen des ursprünglichen Wissens» durch die innere Ruhe . . . . . . . . . . . 692
Abschließende Bemerkungen und weiterführende phänomenologische
§6 Luo Hongxians Gespräche mit Wang Ji während der Sommerreise von Fragen ..................................................................... 765
15 54 über die ethische Anstrengung in der Tätigkeit und in der Ruhe und
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789
über das Vertrauen (den Glauben) in das «ursprüngliche Wissen» ........ 693
a) Luo Hongxians «Wiederholung» seiner Kritik an WangJi von Register .................................................................... 795
15 50/51: Das gegenwärtige «ursprüngliche Wissen» ist nur ein zeit- Begriffsregister .............................................................. 795
weiliges und noch nicht klares Bewusstsein und kann nicht mit · a) Aufgrund deutscher Begriffe ......................................... 795
seinem «eigentlichen Wesen» identifiziert werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 b) Aufgrund chinesischer Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804
b) Lno Hongxians neue Position, durch die er sich radikal von Nie Bao Personenregister ............................................................ 815
distanziert: Die ethische Anstrengung des «Sichzurückholens und
Sichzusammenhaltens» trennt nicht zwischen Ruhe und Tätigkeit und
gibt der Ruhe keine Priorität vor der Tätigkeit. Der Ruhe und Tätigkeit
vereinigende Begriff des «Antriebes» (_ji m). Die ethische Anstrengung
hat ihr Gesetz im Glauben an das aktuelle «ursprüngliche Wissen» ... 698
c) Einschub: Luo Hongxians Kritik an Nie Bao in seiner «Vorrede»
von 1553/54 zu seinen Zusätzen zu Nie Baos «Aufzeichnung von
Unterscheidungen in der Not» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705
d) Die bleibende Differenz zwischen WangJi und Luo Hongxian
während ihrer Begegnung im Sommer 1554 .......................... 709
Die Versammlung am «Dunklen Teich» vomJuli 1554: Liu Bangcais
Versuch, durch seine Idee einer zweifachen ethischen Anstrengung die Auf-
fassung Nie Baos in die Lehre der Schule Wang Yangmings zu integrieren.
W:.mg Jis Kritik an diesem Versuch und Luo Hongxians Vermittlung . . . . . 711
§8 Eine kritische Schrift Luo Hongxians gegen WangJi vom Herbst 1554
und ihr Gespräch darüber während ihrer Begegnung im Chu-Gebirge
vom Sommer 1555 ..................................................... 722
§ 9 Luo Hongxians Erfahrung der Einheit 1nit allen Wesen und sein letztes
Treffen mit Wang Ji im Dezember 15 62. Die bleibende Differenz
zwischen den beiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728
§ 10 Wang Jis dialektische Position und Negation sowohl der «Schwierigkeit»
als auch der «Leichtigkeit» des «T ,erncns» und seine Einstufung von
Luo Hongxians Vorgehen .............................................. 743
Vorbemerkungen

Ich hätte für die hier vorliegende Arbeit gerne einen Obertitel gefunden, der einen
deutschsprachigen Leser, der sich in der Geschichte der chinesischen Philosophie
nicht auskennt, ungefähr verstehen lässt, um welche Fragen es in diesem Buch
hauptsächlich geht. Im Untertitel konnte ich die Ausdrücke in wörtlicher Über-
setzung wiedergeben, mit denen die chinesischen Philosophen die Hauptfrage
ausdrücken, die hier erörtert wird. Aber durch diese Übersetzung allein wird sie
einem Leser, der nur mit Begriffen der europäischen Philosophie vertraut ist, kaum
verständlich.
Diese Schwierigkeit kommt vor allem daher, dass wir in der europäischen (der
sog. «westlichen») Philosophie keinen Thementitel haben, der sich mit dem Sinn der
Frage jener chinesischen Diskussion einfach deckt. Die Verschiedenheit zwischen
den beidseitigen geistesgeschichtlichen Zusammenhängen ermöglicht keine solche
Übereinstimmung. Trotzdem ist jene cliinesische Frage für uns Europäer nicht un-
verstehbar. Wir haben einerseits in unserer eigenen Tradition ähnliche, wenn auch
nicht gleiche Fragen, und andererseits können wir uns das Besondere, Eigenartige
jener chinesischen Frage in dem Maße verdeutlichen, als es uns gelingt, in die geis-
tesgeschichtlichen Zusammenhänge Chinas einzudringen, in denen sie gestellt wurde.
Aber eine solche Verdeutlichung kann nicht im Buchtitel gegeben werden.
Während mehrerer Jahre trug diese Studie den Arbeitstitel: Eine Diskussion in
der chinesischen Philosophie über das «Gewissen» und die «Gewissensbildung». Dabei sollte
«Gewissen» den chinesischen Ausdruck «liang zhi ll~» (den ich im Allgemeinen
mit «ursprüngliches Wissen» übersetze) und «Gewissensbildung» den Ausdruck <<zhi
liang zhi ~ll~» (den ich im Allgemeinen mit «Verwirklichung des ursprünglichen
Wissens» übersetze) wiedergeben. Tatsächlich haben «liang zhi ll~» und «zhi liang
zhi ~ll~» bei Wang Yangming und seinen Nachfolgern auch den Sinn, der mit
«Gewissen» und «Gewissensbildung» angedeutet werden kann. Denn «liang zhi ll~»
bedeutet in sehr wichtigen Zusammenhängen ihrer Diskussion ein moralisches Selbst-
bewusstsein der eigenen Handlungsabsichten; und «zhi liang zhi ~ ll~» kann dann
für die Klärung oder Vertiefung dieses Selbstbewusstseins stehen. Aber diese deut-
schen Wörter reichen doch nicht aus, um auch nur in einer ersten Annäherung den
Bedeutungsumfang jener chinesischen Ausdrücke einzufangen. Diese können in den
von uns erörterten chinesischen Diskussionen nämlich auch, und von ihrem Ursprung
her primär, eine dem Menschen angeborene Anlage oder Tendenz zum Guten meinen,
die es zu verwirklichen gilt, und weiter können sie ebenfalls, in konfuzianischer Um-
formung, der «Buddha-Natur» (fo xing ffi:tt) entsprechen, welche die Hauptursache
oder Grundbedingung dafür ist, dass der Mensch ein «heiliger Mensch» (sheng ren
~A) werden kann. So weit reichen unsere Wörter «Gewissen» und «Gewissensbil-
dung» kaum. Denn die selbst heute noch viele Begriffe der Ethik prägende christliche
Tradition sieht nicht im moralischen Gewissen die Hauptursache für das Erlangen der
Heiligkeit, sondern vielmehr - und in welcher kontroversen Weise auch immer - in
XX XXI

der Gnade Gottes. Wang Yangming und einige seiner Nachfolger sprachen manch- Weise als Mensch handeln (tang tang di zuo ge ren jg,.ih!! fil&1!91 A).» 2 In den chinesischen
mal in einer Weise vom liang zhi 51.~ und vom «Glauben» an oder «Vertrauen» in Diskussionen, denen wir folgen wollen, geht es im Wesentlichen um die Frage, auf
es (xin ~), von der wir Europäer sagen würden, dass sie einen religiösen Glauben an welcher Grundlage, auf welchem Weg und mit welchen Mitteln eine solche ethische
eine übermenschliche («göttliche») Macht ausdrückt. · Selbstverwirklichung zu erreichen ist. Doch schließlich war mir bei einem solchen
Ich habe später dann versucht, das sachliche Thema dieser Studie mit dem Titel für diese Studie doch nicht wohl, denn unser Wort «Selbstverwirklichung»
Arbeitstitel «ethische Selbstverwirklichung» anzudeuten. Die «Verwirklichung des schien mir zu stark im Kontext individueller Fähigkeiten und Interessen zu stehen.
ursprünglichen Wissens» (zhi liang zhi ~ !:Oll) ist im Sinne Wang Yangmings und Für die Wahl eines Obertitels dieser Studie könnte man sich auch am Leitprin-
seiner Nachfolger ohne Zweifel eine ethische Selbstverwirklichung. Aber der Begriff zip orientieren, unter das die in ihr zu Wort kommenden chinesischen Denker ihre
«Selbstverwirklichung» hat für uns eine individualistische und ichbezogene Färbung, Diskussionen über die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» stellten. Es ging
die hier irreführend sein könnte. Denn wir sprechen vor allem in solchen Zusam- ihnen dabei letztlich um die Frage, wie man ein sheng ren ~A. werden kann; Wang
menhängen von «Selbstverwirklichung», in denen ein Mensch seine ihm eigenen Yangming schrieb: «Das (ethische) Lernen (xue ~) des Menschen besteht darin, ein
besonderen Fähigkeiten und Interessen entfaltet und dadurch «innere Befriedigung» sheng ren ~.A. zu werden.»3 Aber auch bei der Wahl eines diesen Ausdruck ins Deut-
findet. Dies kann in beruflichen Tätigkeiten oder in solchen der Freizeit, im Bereich sche übersetzenden Obertitels für unsere Studie treten Probleme auf: Im Allgemeinen
der Familie oder auch außerhalb derselben, bei technischen, künstlerischen, sozialen, wird diese chinesische Frage in westlichen Werken über chinesische Philosophie mit
politischen, sportlichen Aktivitäten usw. geschehen. Diese Art, «sich selbst zu verwirk- «Wie kann man ein Weiser (a sage, wise man) werden?» wiedergegeben. Julia Ching
lichen», ist von Mensch zu Mensch verschieden, und sie kann beim selben Menschen zum Beispiel stellte ihr Werk über Wang Yangming unter den Titel: To Acquire Wisdom,
in derselben Lebensphase oder in verschiedenen Lebensabschnitten in den unter- wobei sie wohl den Ausdruck <<Sheng ren :§l1..A.» vor Augen hatte. Doch die sich an der
schiedlichsten Beschäftigungen bestehen, die keine innere Einheit haben müssen. eigentlichen Bedeutung von <<Sheng ren :§l1..A.» orientierende Übersetzung jener Frage
Solche Tätigkeiten haben keine Allgemeingültigkeit für alle Menschen, sie beruhen wäre: «Wie kann man ein heiliger Mensch werden?» Im Hintergrund jener üblichen
auf verschiedenen individuellen Anlagen und Neigungen; man nimmt sie sich für sich Übersetzung steht sicher die Idee, dass es bei philosophischen Unternehmen nicht um
selbst vor, andere Menschen brauchen sie nicht auszuüben. Man kann sich in seinen den Erwerb von Heiligkeit, sondern von Weisheit gehen muss, denn was ein Philosoph
individuellen Fähigkeiten auch täuschen und sich daher in Tätigkeiten verirren, für die seinem Namen gemäß liebt, ist nicht Heiligkeit, sondern Weisheit; Heiligkeit ist Sache
man nicht geeignet ist. Doch ist uns der Gedanke nicht fremd, dass wir als Menschen der Religion und nicht der Philosophie. Doch vor dem Eindringen westlicher Ideen gab
allgemein geistige Anlagen und entsprechende Aufgaben haben, die wir verwirklichen es in China keine prinzipielle Trennung von Philosophie und Religion. Diese Trennung
müssen, wenn wir ein echtes menschliches Leben führen wollen, zum Beispiel die ist in unserer europäischen Tradition durch den Gedanken göttlicher Offenbarung und
Fähigkeit zum Mitgefühl (Anteilnahme am Leben anderer und Hilfsbereitschaft), Gnade begründet, der zur Scheidung zwischen der durch menschliche Vernunft zu
zur Achtung und Gerechtigkeit gegenüber anderen Menschen, zur Selbsterkenntnis erwerbenden philosophischen Erkenntnis und der erst durch göttliche Offenbarung
und Bescheidenheit. Solche Aufgaben setzen nicht besondere individuelle Fähigkeiten ermöglichten wahren Religion bzw. zur Scheidung des durch die eigene Natur und
oder Talente voraus und haben allgemeine Gültigkeit. Ihre Erfüllung kann als ethische die eigenen Kräfte des Menschen Erreichbaren und des durch göttliche Gnade Ge-
Selbstverwirklichung bezeichnet werden und ist wichtiger als jene hinsichtlich der schenkten führte. Die Idee einer die menschliche Vernunft prinzipiell übersteigenden
besonderen individuellen Fähigkeiten. LuJiuyuan (Beiname: Xiangshan, 1139-1193), göttlichen Offenbarung ist der konfuzianischen und wohl überhaupt der chinesischen
ein Vorgänger Wang Yangmings, sagte: «Der Mensch wird zwischen Himmel und Tradition fremd, ebenso die Idee der «Heiligung» durch übermenschliche, göttliche
Erde geboren und muss vollständig den Weg des Menschen gehen. Das [ethische] Gnade. Eine der größten Autoritäten der Konfuzianer seit der Song-Dynastie, Zhou
Lernen besteht nur darin, sich als Mensch zu verwirklichen (wei ren ~.A.), es setzt Dunyi (1017-1073), schrieb: «Heiligkeit ist erlernbar (sheng ke xue :§l1.i:iJ!i!).»4 Die
kein besonderes Talent voraus.» 1 <<Wenn die heutigen Menschen etwas Ehrgeiz ha- «Heiligkeit» liegt im Bereich der «vom Himmel bestimmten [menschlichen] Natur»
ben, dann gehen sie meistens nur auf äußere Dinge aus und machen sich von ihnen (tian ming zhi xing ~itzlt). Obschon nach den in unserer Studie zu Wort kommen-
abhängig; ursprünglich richten sie nicht ihr eigenes Sein auf (fei zi li ~~ ~ :fl). Auch den Konfuzianern «der Willensentschluss, ein heiliger Mensch zu werden» (li zhi wei
wenn ich kein einziges Wort lesen und schreiben könnte, muss auch ich in würdiger

2 «Aufgezeichnete Gespräche. Teil II» (Yulu xia), «Aufzeichnungen von Bao Yang», Xiangshan quan ji,
Si bu bei yao,juan 35, S. 12a; Lit]iuyuanji,juan 35, Beijing 1980, S. 447. Diese Aussage wurde in die
«Aufgezeichnete Gespräche. Teil II» (Yuht xia), <<Aufzeichnungen von Zhan Fumin», Xiangshan quan ji, «Dokumente des Lernens der Song- und Yuan-Dynastie» (Song Yuan xue an), 15. Sammlung,juan 58,
Si bu bei yao,juan 35, S. 28a-b; Lu Jiityuan ji,juan 3 5, Beijing 1980, S. 4 70. Diese Aussage wurde in die 5. Aussage, aufgenommen.
«Dokumente des Lernens der Song- und Yuan-Dynastie» (Song Yuan xue an), 15. Sammlung,juan 58, 3 Siehe unten in Teil 1, Kap. 2, § 4, S. 172.
4. Aussage, aufgenommen. 4 Zhou Dunyi: Tongshu, Kap. 20.
XXII XXIII

sheng ren fl.~~~J.), für ihr <<ethisches Lernen» entscheidend ist, ist die «Heiligkeit» Wang Yangminglöste die letzte große philosophisch-spirituelle Bewegung in China
nach ihrer Auffassung nicht ein bloßes Produkt menschlicher Anstrengung, sondern vor dem massiven Eindringen der europäischen Kultur seit dem Ende des 19.Jahr-
wurzelt in einer der menschlichen Natur zugrunde liegenden vollkommenen «Ursa- hunderts aus. Nach Wang Yangmings «Schule» gab es in China nichts Vergleichbares
che», die tiefer ist als alle Willensanstrengung und die das «Erlernen der Heiligkeit» mehr. Sie umfasste eine sehr große Zahl von bedeutenden Mitgliedern und prägte
erst ermöglicht. Das Wirken des sheng ren ~A. wird oft mit dem Attribut «göttlich- die ganze geistige und kulturelle Atmosphäre Chinas in den letzten hundertzwanzig
geistig» (shen ~) charakterisiert, das primär von der höchsten Wirklichkeit (vom Dao, Jahren der Ming-Dynastie (1368-1644). Die von Huang Zongxi (1610-1695) nach
vom schöpferischen Prinzip, von «Himmel und Erde») ausgesagt wird und eine emi- dem Fall dieser Dynastie kompilierten und verfassten «Dokumente der Konfuzianer
nent religiöse Bedeutung hat: Cheng Hao (1032-1085), der unseren Philosophen der der Ming-Dynastie» (lV[RXA) enthalten die Biographien, kurze Kennzeichnungen,
Ming-Zeit als großes Vorbild galt, schrieb zum Beispiel: «Das göttlich-geistige Wirken kritische Stellungnahmen und Auszüge aus Schriften und anderen Dokumenten
der heiligen Menschen (sheng ren zhi shen hua ~AZ~f~) <fließt in Einheit mit dem von sechsundsechzig Personen, die in diesem Werk der Schule Wang Yangmings
,Himmel> oben und der <Erde> unten>5.» 6 Wenn das Vertrauen in eine vollkommene (T¼ng men 3:P~) zugeordnet werden. Wenn man noch die darin angeführten zwan-
Wirklichkeit und die Verbindung mit ihr Religion ist, dann hat der sheng ren ~A., zig Mitglieder der sogenannten Taizhou-Schule dazurechnet, deren Gründer Wmg
von dem unsere chinesischen Denker sprechen, eine religiöse Dimension, welche die Gen (1483-1541) ein Schüler Wang Y,mgrnings war und die sich selbst immer als
Übersetzung «heiliger Mensch» erfordert. Ich werde in dieser Studie das eine sakrale zur Schule Wang Yangmings zugehörig betrachtete, sowie auch Li Cai (ca. 1520 bis
Konnotation aufweisende <<Sheng ren ~A» immer auf diese Weise übersetzen. Aber im ca. 1606), ein Enkelschüler Wang Yangmings, kommt man auf siebenundachtzig Per-
Haupttitel dieser Studie wiire dieser Ausdruck doch irreführend. Denn obschon der in sonen. Auch die in diesem monumentalen Werk mit elf Personen vertretene Schule
ihr auftretende Konfuzianismus wie auch das Christentum an den Menschen die radi- Zhan Ruoshuis (1466-1560), der 1506 mit Wang Yangming einen lebenslänglichen
kale Forderung richten, «heilig» zu werden, 7 würde «heiliger Mensch» im 'fitel dieser Bund für die Förderung der konfuzianischen Lehre geschlossen hatte, muss in1
Studie doch aufgrund unserer westlichen Traditionen auch Vorstellungen wecken, die Zusammenhang mit der von Wang Yangming ausgelösten Bewegung gesehen wer-
jenen chinesischen Denkern fremd sind. Ein «Heiliger» ist bei uns etwas Besonderes, den. Denn Zhan Ruoshui anerkannte unmittelbar nach dem Tod Wang Yangmings
das heißt, er liegt nicht im Bereich der Natur des Menschen; er wird auch aufgrund die Vereinbarkeit und grundsätzliche Einheit ihrer Lehren, 10 und die Schüler und
übernatürlicher Ereignisse (Wundern) vom Volk zu diesem Status erhoben oder dazu Nachfolger dieser beiden einflussreichsten Konfuzianer des 16.Jahrhunderts hielten
durch eine religiöse Autorität offiziell ernannt, während der konfuzianische «heilige gemeinsame Versammlungen ab, förderten sich gegenseitig, pflegten einen ähnlichen
Mensch» als ethisches Ziel der Natur des Menschen entspricht. Auch wollte ich fol- Stil von Gemeinschaft, und manche von ihnen betrachteten die Differenzen zwischen
gende Ermahnung Wang Yangmings beherzigen: Als ihm 1526 vier seiner Schüler ihren Lehrern als unwesentlich und bezeichneten sich gegenseitig als «Gleichge-
berichteten, dass ihre Verkiindigung seiner Lehre nur bei einem Teil der l ,eute Gehör sinnte» (tong zhi lii.l~). l)urch Zhan Ruoshui vermittelt, wirkte dessen Lehrer, Chen
fand, ,rntwortete er ihnen: «Wenn Sie die Leute unterrichten, indem Sie ihnen einen Xianchang (Beiname: Baisha, 1428-1500), :mf Wang Yangming. Chen Xianchang
heiligen Menschen vorhalten, sehen sie einen Heiligen auf sich zukommen und er- war in der Ming-Dynastie der erste bedeutende Konfuzianer, der sich grnndsätzlich
greifen vor Schreck die Flucht. Wenn Sie mit den Menschen über das ethische Lernen von der Dominanz Zhu Xis (113 0-12 00) befreite und einen eigenen konfuzianischen
sprechen, müssen Sie als ganz gewöhnliche Menschen auftreten.» 8 Weg einschlug. Ohne dass sich Wang Yangming explizit auf ihn bezogen hätte, wirkte
So wiihlte ich schließlich den ·ritel Das Wichtip,stc im Leben. Als Knabe soll Wang Chcn Xianchangs unabhängige Ceisteshaltung doch in ihm weiter und erlangte da-
Yangrning seinen Lehrer gefragt haben, was das Wichtigste im I ,eben sei (di _yi shi durch eine große geschichtliche VVirkung. Daher nmss Chcn Xianchang als Vorläufer
~-:~} Dieser habe geantwortet: «Bücher studieren und zu einem Beamtenrang Wang Yangmings betrachtet werden. Die beiden wurden zusammen 1584 in die
aufsteigen», worauf er bemerkt habe: «Ich glaube, dass das Aufsteigen zum höchsten Konfuzius-Tempel aufgenommen. Weiter berief sich auch die in den letzten fünfzig
Beamtenrang nicht das Wichtigste ist; dient das Bücherstudium nicht vielmehr dem Jahren der Ming-Dynastie auftretende, politisch sehr aktive Donglin-Schule, von der
Lernen, ein Heiliger und Weiser zu werden (xuc sheng xian ~~~)?» 9 lluang Zongxi sieben Mitglieder ,mführt, trotz einer Annäherung an den offiziellen
Konfuzianismus von Zhu Xi (1 13 0-1200) auf \Vang Yangming. Dies ist sehr deut-
lich, obschon sich diese Schule gegenüber den damals dominierenden Strömungen
innerhalb der Schule Wang Yangmings, gegenüber gewissen Repräsentanten der
5 Zitat aus Mengzi, 7. Buch, 1. leil, Kap. 14.
6 Yislm,juan 11, Er C'hengji, Beijing 1989, S. 122. sogenannten rfai;,,hou-Linie und gegenüber Wmg Ji und seinen Schülern, die den
7 Vgl. etwa den ersten l'etr11sb1·ief(l,15 f.): «I ... ] sondern wie der, der euch berufen hat [Gott], heilig ist,
sollt auch ihr heilig lh:1gioi] sein in eurem ganzen Wandel. Denn es steht geschrieben [3. Mose 19,2]:
<Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig [hagios] .»>
8 Chuanxi lu III, Nr. 313, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S.116. 10 Siehe Zhan Ruoshuis «Grabinschrift» (mu zhi nzing 1;$;~) für Wang Yangming, Quanji,juan 38,
9 Siehe unten in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 52. Shanghai 1992, S. 1401f.
XXIV XXV

Buddhismus in die konfuzianische Lehre zu integrieren versuchten, sehr kritisch Wang ~mgmings Denken ist aber nach der Ming-Dynastie nicht aus der Kultur
verhielt. Der Begründer der Donglin-Schule, Gu Xiancheng (1550-1612), neigte Chinas verschw1mden, sondern bis heute in ihr gegenwlirtig geblieben und konnte auch
zwar auch zu Zhu Xi, war aber ein Schüler von Xue Yingqi iW /!J.Afr (1500-1573), der in anderen Ländern Ostasiens, besonders in Japan, \1/urzeln schlagen. Tm 20.Jahrhun-
den direkten Schüler Wang Y-mgmings Ouyang De zum Lehrer hatte. Schließlich dert waren bei den interessantesten Denkern Chinas, die sich während ihrer Rezeption
war auch der Autor jenes die Geistesgeschichte der Ming-Dynastie rellektierenden der westlichen Kultur in neuer vVcise mit ihrer eigenen 'Hadition auseinandersetzten,
Werkes, Huang Zongxi, selbst noch mit der Schule Wang Yangmings eng verlrnn- Wang Y,mgming und einige seiner Nachfolger besonders pr:isent. So gingen etwa
den. Denn sein großer Lehrer Liu Zongzhou (1578-1645), dessen philosophischen +
Liang Shnrning ~ ;tl;~ (1893-1988), Xiong Shili ~~ ;b (1885-1968), He Lin M. ij)
Gesichtspunkt er seinem Werk als I,eitidee zugrunde legte und mit dessen Lehre er (1902-1992),'EmgJunyi ~~ (1909-1978) und Mon Zongsan ip = (1909-1995)
es abschloss, war ein Schüler von Xu Fuyuan ~ $m (1535-1604), einem Nachfolger alle mehr oder weniger gründlich durch die Schule Wang Yangmings. Sie waren die
von Zhan Rnoshui. Für ihn war Wang Yangming der größte Denker seit Chcng Hao führenden chinesischen Philosophen des vergangenen Jahrhunderts, und die meisten
(1032-1085), also auch größer als Zhu Xi (l 130-1200), weshalb er versuchte, W.·u1g von ihnen hatten, wie Wang Yangming, auch eine große Affinit;it zum Buddhismus.
Yangrnings Lehre zu vcrvollständigcn. 11 Der große Teil der chinesischen Denker in Vör allem durch 'llmg.J nnyi und Mon Zongsan wurde nach 1949 an den Universitäten
den letzten hundertzwanzig Jahren der Ming-Dynastie wurde von Wang ½mgming in 'Jhiwan und lJongkong das Interesse für \Vang Yangmings Philosophie gefördert,
und von der durch ihn ausgelösten Bewegung geprägt. Dabei ist inuncr im Auge zu und es erschienen darüber in den letzten Jahrzehnten gute Studien. Während in der
hehaltcn, dass sich diese Bewegung nicht auf Bücher, intellektuelle Vorträge und Volksrepublik Chitu unter iVfao Zedong die Philosophie \1/ang Yangmings und seiner
Diskussionen bcschrinktc, sondern auch soziale Verbindungen, ein Zusammenge- Nachfolger nur sehr pansch,11 behandelt wurde und als «subjektiver Idealismus» ver-
hörigkeitsgefühl, eine gemeinsame Lebensform und gemeinsame Institutionen wie pönt war, setzt man sich heute mit ihr in echtem Interesse und in wissenschafrlicher
regelmäßige und zum Teil W<)chen dauernde Versannnlungcn und eigene sogenannte Weise auseinander. Das auch auf dem Festland neu entstandene große Interesse an
Akademien (shu yurm il'IBt) sowie sozialpolitische Einstellungen beinhaltete. Hnang dieser Philosophie zeigte sich iiffentlich zuerst in den beiden Kongressen in l langzhou
Zongxi, der auch ein monumentales Werk über die Konfozianer der Song- und Yuan- über die Philosophie der Song- und iVIing-Zeit (Song !vling lixue *SJlllll~), die vom
Dynastien (960-1368) zusammenstellte, war der Auffassung, dass die Ming-Dynastie 26. Novemher bis zum 2. Dczrn1hcr 1980 (für Ostchina ~*) und vom 14. bis zum
hinsichtlich Literatur und praktischer Leistungen (wen zhang shi gong ::lt~$J}J), 20. Oktober 1981 (für die gesamte Volksrepublik mit internationaler Beteiligung) statt-
wozu auch die Naturbeobachtung und die technischen Wissenschaften 1/.n rechnen fanden und an denen auch ich teilnehmen durfte. Die Initiative zu diesen Kongressen
sind, nicht das Niveau der vorangegangenen Dynastien erreichte, diese jedoch in kam von Mitgliedern der Akademie für Smülwissenschaften der Provinz 7:hcjiang in
der Philosophie (li xue ~~) übertraf. 12 Auch im Westen gilt die Song-Dynastie als liangzhou, namentlich von Shcn Sh:mhong ;tt; 1g);/:!; und Wang Fengxian .:E 00~, die
der 11öhcpunkt der cigenstiindigen chinesischen Kulturentwicklung; die Bemerkung 1980 gemeinsam die n:1ch der Kulturrevolution meines Wissens erste Monographie
Huang Zongxis über den Rang der Philosophie der Ming-Zeit wird aber, wohl zu über Wang Yangming veröffentlichten. Danach folgten zahlreiche Dissertationen und
Unrecht, weniger ernst genommen. Publikationen an verschiedenen Universitäten. Deng Aimin ffll Jt ~, Professor am Philo-
Der Fall der Ming-Dynastie durch die Eroberung ganz Chinas durch das fremde sophischen Institut der Universität Peking, erklärte 1980 am ersten dieser beiden Kon-
Volk der Mandschus aus dem Nordosten jenseits der Grenzen hatte einen Bruch in der gresse in Hangzhou öffentlich, dass Wang Yangming ein «heiliger Mensch» (sheng ren
von Wang Yangming ausgelösten Bewegung zur Folge. Denn einerseits unterdrückte ~A) gewesen sei, und widmete sich in den folgenden.Jahren bis zu seinem frühen Tod
die neue Dynastie der Mandschus (die noch bis 1911 dauernde Qing-Dynastie) solche im Sommer 1984 hauptsächlich dessen Philosophie. Als Ausdruck dieses Interesses an
Gemeinschaften und deren Versammlungen als aktuelle und potentielle Zellen des Wang Yangming und seiner Schule ist auch zu werten, dass nicht nur Wang Yangmings
chinesischen Widerstandes gegen ihre Fremdherrschaft und festigte Zhu Xis Form gesammelte Schriften 1992 in Schanghai in einer erweiterten Ausgabe neu erschienen,
des Konfuzianismus als offizielle Lehre, andererseits geriet jene Bewegung auch bei sondern dass im Jahr 2007 in Nanking auch die Schriften seiner wichtigsten Schüler,
gewissen chinesischen Intellektuellen selbst in Misskredit, da sie in ihren philosophi- die vorher zum größten Teil nur in sehr alten Ausgaben mühselig in einigen besonderen
schen und geistigen Beschäftigungen eine Ursache der Schwächung der materiellen Bibliotheken zugänglich waren, in zehn großen Bänden neu ediert wurden. 13 Hinter die-
und militärischen Bedingungen Chinas und damit der Niederlage gegenüber den
Heeren der Mandschus sahen.
13 Desiderate bleiben weitgehend noch kritische Ausgaben der Texte dieser Philosophen mit Anmer-
kungen über die darin ohne Angabe der Herkunft zitierten Stellen aus den Klassikern und anderen
Autoritäten, über auftretende Personen- und Ortsnamen, politische, administrative, geographische,
11 Siehe MRXA, «Aussagen des Lehrers» (Liu Zongzhou), Abschnitt über Wang Yangming, Beijing 1985, historische und chronologische Verhältnisse etc., in denen sich der heutige - auch der chinesische -
S. 7. Leser nicht mehr auskennt und die oft schwer zu eruieren sind. Von Wang Yangmings Chuanxi lu hat
12 Siehe seine Einleitung zum MRXA, Beijing 1985, S. 17. Yan Tao 2001 eine einfache, aber sehr nützliche kommentierte Ausgabe vorgelegt.
XXVI XXVII

sen großen Editionen stehen erneut vor allem Mitglieder des Philosophischen Instituts systematischer Ordnung nach Sachthemen, sondern in chronologischer Reihenfolge
der Akademie für Sozialwissenschaften der Provinz Zhejiang, der Heimatprovinz Wang als Zeugnisse der Geschichte seiner geistig-ethischen Erfahrungen publiziert werden.
Yangmings. Aber das Interesse an Wang y;'lngmings Philosophie ist keineswegs auf diese Meine Untersuchungen der konkreten geschichtlichen Zusammenhänge, in denen
Provinz beschränkt. Von der großen Edition der Schriften der Nachfolger Wang Yang- sich diese Lehren entwickelten, sind allerdings oft ungenügend geblieben.
mings konnte ich in der vorliegenden Studie leider nicht mehr genügend profitieren. Prägend für den Charakter der philosophischen Texte dieser Personen ist, dass
Ich habe den Eindruck gewonnen, cbss das Denken Wang Y.'lngmings und sie meistens Aufzeichnungen von mündlichen Gesprächen oder dem mündlichen Ge-
seiner Schule dem heutigen China die lebendigsten und besten Impulse aus seiner spräch wescnsverwandte Briefe und nur selten am Schreibtisch im Allcing·ang verfasste
philosophischen'lradition vermittelt, und ich vermute, dass es das zulrnnftstriichtigste Abhandlungen sind. Es sind eigentlich alles Gelegenheitsschriften. Im Wesentlichen
Philosophieren Chinas sein könnte, wenn es begrifflich geklärt und durch persönliche haben wir es tnit einer mündlichen und nicht mit einer schriftlichen Philosophie zu tun,
und wissenschaftliche Erfahrungen vertieft wird. obschon dieses mündliche Philosophieren sich in zahlreichen 'Texten niedergeschlagen
Aber nicht die ganze von Wang Yangming ausgelöste geistige Bewegung und hat. Im einsamen systematischen Denken schreibend konzipierte philosophische Ab-
auch nicht die ganze Geschichte seiner Schule konnte Gegenstand dieser Studie sein, handlungen als Beispiele mögen Descartes' 1'v1etapl:ysische Meditationen, Spinozas Ethi/,
denn das wiire meinem kleinen Schifflcin ein zu weites Meer gewesen, sondern «nur» oder Kants Kritik der reinen Vernunft dienen~ und faktische philosophische Gespräche
\Vang Yangming selbst: und die erste Generation seiner hervorragendsten Schüler wiedergebende Protokolle sind in ihrer ganzen Gedankenstruktur verschieden. Ein
und Nachfolger, soweit sie in Diskussionen untereinander über die «Verwirklichung systematisches Vorgehen ist langsam, dauert seine Zeit und bedarf wie die Mathematik
des ursprünglichen Wissens» diese praktische Idee ihres Lehrers reflektierten und der Stütze durch fixierte Schrifu,eichen, auf die immer wieder lesend zurückgegriffen
weiterführten. Dass ich mich nicht auf Wang Yangming selbst beschränkte, sondern werden kann. Das mündliche Gespräch verm,1g nicht viele Einzelheiten und große
auch die erste Generation seiner Schüler und Nachfolger mit in die Untersuchung Zusammenhiinge mitzutragen, sondern liebt kurze einprägsame Thesen und Antithe-
einbezog, war nicht willkürlich. Denn im eigenen Vcrstiindnis W,mg Yangmings sind sen. Damit hiingt wohl die Vor liehe unserer chinesischen Philosophen zusammen, ihre
sein eigentliches philosophisches Werk nicht seine Schriften (wie wir es heute von Anschauungen möglichst knapp ,,auf den Punkt zu bringen», das heißt, in ganz weni-
unseren westlichen Philosophen annehmen), sondern seine Schüler. Er sah sich vor gen oder gar nur in einem einzigen Satz bzw. in einer einzigen Formel auszudrücken
allem als philosophischen [ ,ehrcr und Erzieher, als Auslöser einer geistigen Bewegung oder anzudeuten. i\ls Beispiele mögen hier 'vVang Yangrnings «Lehre in vier Sätzen»,
und ethischen Erneuerung, und so ist die Wirkung und Rcilcxion seines Denkens und die seine ganze Lehre abdecken sollte, \Nang Jis Formel «sich im einen Denken auf
Lehrens in seinen Schülern ein integraler Bestandteil seines eigenen Philosophicrcns. sich zurück wenden und dadurch das eigentliche Herz erlangen» (yi nitm zifan_ji de hen
xin -~§&l:IP1~:pj,:,t,) oder Luo Hongxians ;\usdrnck <<sich zurückholen und sich zu-
lch habe versucht, Wang Yangmings Lehre von der «Verwirklichung des ursprüng- sammenhalten» (shm1 lian br1oju t&f~1JiH!n dienen. Bei der Lektüre der Aufzeichnungen
lichen Wissens» und ihre Rezeption durch seine Nachfolger möglichst genau zu ver- ihrer Gespräche entsteht manchmal der Ein<lruck, <lass sie am liebsten hundert Begriffe
stehen. Dazu musste ich nicht nur mit der Sprache, den Begriffen und deren Herkunft in einem einzigen Wort komprimiert hätten, während wir doch am liebsten einen einzi-
möglichst vertraut werden, sondern mir auch ein Bild von den für uns fremdartigen gen Begriff durch hundert Worte erklären würden. Solche kurzen Lehrformeln wurden
Lebensumständen und Lebensproblemen der hier behandelten Personen, ein Bild zwar mündlich oder in Briefen etwas erläutert, aber kaum mit Hilfe systematischer
vom «Sitz im Leben» ihrer Lehre, machen. So habe ich in dieser Studie mein Au- Schriften genau analysiert. Wenn in diesem mündlichen Philosophieren und in den
genmerk auch auf die sozialen, geographischen und chronologischen Verhältnisse entsprechenden Aufzeichnungen etwas erläutert wird, dann meist nur mittels einfacher,
gerichtet, in denen sich deren Gedankenwelt entwickelte. Besonders wichtig scheint leicht verständlicher und einprägsamer Gleichnisse aus der alltäglichen Erfahrung der
mir jeweils die Genese der Gedanken bei den einzelnen Protagonisten dieser Denk- raumzeitlichen Natur, zum Beispiel mit dem alle nächtlichen Gespenster verjagenden
bewegung zu sein, denn es handelt sich bei ihren Lehren nicht um Gedankensysteme Licht der aufgehenden Morgensonne als Gleichnis für die «Einsicht in das Wesen
more geometrico, die als zeitlose Begriffs- und Beweissysteme rein intern begreiflich des Herzens (Geistes)» oder mit der Verschmutztheit des nicht raffinierten Golderzes
sein sollten, sondern um Zeugnisse von individuellen geistig-ethischen Versuchen durch andere Mineralien als Gleichnis für das gewöhnliche menschliche Herz - mit
und entsprechenden Erfahrungen, die notwendigerweise ihre Geschichte haben. Bildern also, die zwar viel besagen, die aber doch der analytischen Deutlichkeit dessen,
Gerade bei den selbständigeren Denkern unter ihnen waren die eigenen Erfahrungen was sie über das «Herz» oder das Bewusstsein des Menschen aussagen sollen, entbeh-
in ihren Versuchen, ihre Lehren praktisch zu verwirklichen, für deren Verifikation ren. Dem gewöhnlichen Denken - auch dem chinesischen - sind die Verhältnisse in der
bzw. Falsifikation das wichtigste Kriterium, denn eine Lehre konnte für sie nur in- räumlichen Alltagswelt vertrauter und verständlicher als diejenigen im eigenen Herzen;
sofern richtig sein, als sie ihnen dazu verhalf, sich ihrem Ziel, ein «heiliger Mensch» die gewöhnlichen Sprachen sind für jene Verhältnisse viel differenzierter als für das
zu werden, anzunähern. Wang Yangming wollte ausdrücklich, dass die schriftlichen eigene subjektive Erleben. Doch die bloße metaphorische Anwendung von Begriffen
Zeugnisse seines Denkens nicht wie die <<Aufzeichnungen der Gespräche» Zhu Xis in der äußeren Welt erreicht kein genuines Verständnis dieses Erlebens.
XXVIII XXIX

Aber gerade um ein solches genuines Verständnis habe ich mich in dieser Studie nur leere Begriffe, wenn diese nicht von der Reflexion auf eine entsprechende eigene
vor allem bemüht. Am meisten interessierten mich nicht die äußeren Lebensumstände Erfahrung erfüllt werden. Der Sinn jener spirituellen Lebenslehren ist es, Hinweise
jener Philosophen und nicht die historische Herkunft ihrer Begriffe, auch wenn ich und Anleitungen zu eigenen ethischen Praktiken und Erfahrungen zu geben, aber al-
von diesen F[intergriinden im Hinblick auf das Verständnis ihrer I ,ehren nicht absehen lein deren eigener persönlicher Vollzug kann zn ihrem wirklichen Verständnis führen.
durfte. Vielmehr interessierte mich der psychologische oder phänomenologische Sinn Ich habe begründete IIotfoung, dass vor allem chinesische Philosophen, die ihre
ihrer Lehren, die geistige Erfahrungen und geistige Kräfte im ethischen Streben des Fragestellung und Sichtweise in einer genauen phänomenologischen Bewusstseins-
menschlichen !:Jerzens zu ihrem Zentrum haben. In diesen Bereich mehr Licht zu analytik geschult h,1ben, den Anweisungen jener Denker aus ihrer eigenen Tradition
bringen, würde dem Verständnis dieser J ,ehren sehr dienen. Ich bin mir aber bewusst, folgen und uns Fremden, aber auch ihren chinesischen Zeitgenossen, die immer 1nehr
hier noch sehr weit vom erstrebten Ziel entfernt zu sein, und wäre deshalb schon sehr mit wissenschaftlichen Ansprüchen denken, die Erfahrungen jener Tradition besser
zufrieden, wenn meine Studien den Anstoß zu weiteren phänomenologischen Unter- zugänglich machen. Selbst heutige gebildete Chinesen finden nur schwer Zugang zu je-
suchungen in diesem Bereich geben würden. Eine besondere Schwierigkeit besteht in nen Lehren und bedürfen für ihr Verständnis nicht nur einer besonderen sprachlichen
diesem Zusarrnnenhang darin, dass in den 11:xten dieser Philosophen oft auf geistige und gcistcsgcschich tlichcn Sehn Jung, sondern auch einer spirituellen Ausrichtung und
Praktiken und Erfahrungen Bezug genommen wird, die gewöhnliche I ,eser dieser'Jex- Übung. Doch nur eine KLirung durch eine genaue phänomenologische Beschreibung
te, zu denen ich selbst gehöre, nicht gemacht haben, so dass nur ein Verständnis durch der diesen Lehren zugrunde liegenden Erfahrungen vermöchte uns heutigen Men-
Analogien oder aufgrund schwacher Ansätze in den jeweils eigenen Erfahrungen schen diese 'fradition des Geistes nahezubringen und für uns lebendig zu machen.
möglich ist. Doch sprechen sie auch vom gewöhnlichen, alltiiglichcn menschlichen Durch eine solche Khirung würden wir Philosophen im \Vesten auch keinen Grund
Bewusstsein, von Fühlen, Wahrnelunen und Denken, von Wünschen und egoistischen rnehr haben, uns von der AllSeinandersetzung mit dieser '"Ihdition durch deren Fti-
Begierden, von Aufmerksamkeit, Wollen und Sichentscheiden, Wissen nnd llandeln kcttierung als esoterische und dunkle «östliche Weisheit» ohne allgemeimncnschliche
und vor allem vom «ursprünglichen Wissen>,, das nach ihnen im Erleben jedes Relevanz ,,u dispensieren. Deshalb habe ich diese Studie im Besonderen chinesischen
Menschen auftritt. Solche Phiinomene sollten durch eine allgemeine Phiinomenologic Freunden in der Philosophie gewidmet, welche die von Fdmund IIusserl konzipierte
des gewöhnlichen menschlichen Bewusstseins verstiindlicher gemacht werden können. Phänomenologie des Bewusstseins und zugleich das sogenannte «xin xuc IG'!!» ihrer
Nach jenen Lehren sind aber auch die außerordentlichen ethischen Pn1ktiken und eigenen 'Tb1dition, das sich wohl am hcstt'n als ,<Erlernen des [wahren, eigcntlichenl
Erfahrungen, die Bewusstseins- und Lebensveränderungen, die unter dem Titel der Herzens>> verstehen liisst, studieren. Dieses <<:rin :rnc 1G,!!» interpretiere ich hier nicht,
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» stehen, nicht irgendwelche zufälligen, wie dies 1nanchrnal in der Geschichtssehreihung geschieht, im engen Sinne einer
individuellen oder kulturellen Figentiimlichkeiten, sondern stehen im Prinzip allen besonderen Richtung innerhalb der konfu,.ianischen 'Tbdition, in welchem es dann
Menschen offen, analog wie das mit Hypothesen experimentierende und mathe- die von Ch eng 1-1 ao (Mingcl.10, J03 2- 1085), Lu Jiuyuan (Xiangshan, 1139-1193) und
matisch theoretisierende naturwissenschaftliche Erfahren und Denken der Neuzeit Wang Yangming ausgehende Richtung im Gegensatz zum «Erlernen der Ordnungs-
zwar nicht gewöhnlich ist, aber dennoch keine exklusive Besonderheit gewisser In- prinzipien [der Welt]» (li xue 1'.!!) von Cheng Yi (Yichuan, 103 3-1107) und Zhu Xi
dividuen und Kulturen darstellt, sondern im Prinzip allen Menschen zugänglich ist. (1130-1200) bezeichnet, sondern verstehe unter diesem Ausdruck alles Erkennen und
So sind die außergewöhnlichen geistigen Praktiken und Erfahrungen, von denen die Erlernen des eigenen «wahren Herzens», das sich auch in dieser zweiten großen Rich-
chinesischen Philosophen unter dem Titel der <<Verwirklichung des ursprünglichen tung innerhalb des Konfuzianismus seit der Song-Zeit findet und hier sein Zentrum
Wissens» sprechen, auch unserer europäischen Tradition nicht gänzlich fremd. Etwa im Begriff der «ehrfürchtigen geistigen Konzentration» (jing ~) besitzt.
die von ihnen erstrebte und erfahrene Einheit von Tätigkeit und Ruhe (Ruhe in der Im Hinblick auf ein besseres Verständnis dieser weiten spirituellen Tradition
Tätigkeit), ihr Sichzurückholen aus der äußeren Zerstreuung und Gesammeltbleiben habe ich, der ich von Haus aus in der europäischen Philosophie tätig bin, nicht nur seit
oder ihr Sichzurückwenden (Zurücklaufen) im einfachen und lauteren «Denken» und über dreißig Jahren versucht, etwas von dieser chinesischen Philosophie des Herzens
Eintreten in den verborgenen Grund und Ursprung des Herzens finden sich, wenn- (Geistes) zu erfassen, sondern mich auch darum bemüht, philosophischen Freunden
gleich teilweise in anderen Begriffen und mit anderen anschaulichen Bildern, auch in in China das phänomenologische Denken näherzubringen. Dabei kommt es weniger
den Lehren Meisters Eckharts oder Johannes Taulers. Vergleichende Bezugnahmen auf einzelne, immer auch zufällige Wörter und Begriffe an, sondern vielmehr auf die
auf verschiedene kulturelle Traditionen und Formulierungen, wenn sie im Hinblick der Reflexion auf das eigene Bewusstsein (Erleben) spezifische Fragestellung, auf ein
auf dieselbe «Sache» (Erfahnmg) geschehen, können nicht nur dem Verständnis dieser konsequent reflexives Interesse an den eigenen Erfahrungen und auf eine sorgfältige
«Sache», sondern auch ihrer intersubjektiven Bestätigung dienen. Aber nur aufgrund Beschreibung von deren Strukturen. Das letzte Ziel besteht aber nicht darin, das chine-
eines eigenen Nachvollzugs können die besonderen Praktiken und Erfahrungen je- sische «Erlernen des [eigentlichen] Herzens» (xin xue JG'!!) in eine phänomenologische
ner Lehren wirklich verstanden werden. Eine «Heterophänomenologie» durch die Theorie umzuwandeln, sondern darin, phänomenologische Einsichten in den Dienst
Verbindung verschiedener fremder Aussagen über subjektive Erfahrungen gibt davon des «Erlernens des [eigentlichen] Herzens» zu stellen. Denn das chinesische «Erlernen
XXX XXXI

des Herzens» steht und fällt mit seiner spirituellen Übung und seiner ethischen Praxis. wichtige Begriffe und Sätze in der Originalsprache vertrauter und verständlicher
Ich glaube, dass in der Philosophie alle theoretischen Untersuchungen letztlich der geworden sind als in deren Übersetzung in die eigene Sprache, obschon die Ein-
ethischen Praxis dienen müssen, wenn sie ihre ursprüngliche Motivation nicht verlieren verleibung in diese für eine geistige Aneignung der Gedanken unentbehrlich ist. So
und nicht belanglos werden sollen, oder -wie der Begründer der zeitgenössischen Phä- sind zum Beispiel Aristoteles' Grundbegriffe und Paradigmen heutigen Interpreten
nomenologie, Edmund Husserl, schrieb - dass die «Erkenntnisvernunft Funktion der im altgriechischen Original oft vertrauter und verständlicher als in einer modernen
praktischen Vernunft»14 ist. Eine solche phänomenologische Klärung der chinesischen Übersetzung und können davon nicht getrennt werden. Auf die Texte der alten
Tradition des «Herzens (Bewusstseins)» wäre auch für uns in der westlichen Tradition chinesischen Philosophie trifft dies noch mehr zu, da ihre Sprache noch viel weiter
Philosophierende ein großer Gewinn. Denn sie könnte uns einerseits wichtige geis- von der unseren entfernt ist. Ich denke, dass auch gewisse Leser meiner Übersetzun-
tige Erfahrungen von Mitmenschen einer anderen Kultur eröffnen, denen wir heute gen und Interpretationen über diese Verbindungsfäden zum chinesischen Original
immer häufiger und intensiver begegnen, und uns andererseits im Gespräch mit ihren froh sind. Die Menge der chinesischen Einschübe mag manchmal lästig wirken; da
philosophischen Denkern an die ursprüngliche Frage unseres eigenen, von Sokrates sich aber die chinesischen Schriftzeichen graphisch deutlich von den lateinischen
herkommenden Philosophierens erinnern, wie wir als Menschen ein ethisch gutes abheben und zudem in den meisten Fällen in Klammern stehen, lassen sie sich bei
Leben führen können. Das wäre auch ein Korrektiv gegenüber all dem, was in der heu- mangelndem Interesse während der Lektüre auch leicht überspringen.
tigen westlichen akademischen Philosophie für diese Fragefunktionslos geworden ist.
Zum Schluss möchte ich hier meine Dankbarkeit gegenüber allen meinen chinesischen
Ich habe diese Studie nicht speziell für Sinologen, sondern ganz allgemein für philo- Lehrern, Kollegen und Freunden bekunden, die mir beim Verstehen der in dieser Ar-
sophisch Interessierte geschrieben, hoffe aber, dass sie auch für Sinologen brauchbar beit behandelten Texte beistanden. Besonders erwähnen möchte ich Professor Yan Tao
ist und deren philologische Ansprüche nicht zu sehr enttäuscht. Trotz diesem weite- II ffl von der Universität Nanking und Professor Lou Yulie ~ *;im von der Universität
ren Zielpublikum habe ich meinen Übersetzungen sehr viele Wörter und Wendun- Peking, denen.ich schon vor längerer Zeit eigene Interpretationsversuche zur Prüfung
gen in der chinesischen Originalsprache, und zwar in ihren alten (nicht vereinfach- vorlegen durfte und die während Jahren, ja Jahrzehnten, bei meinen regelmäßigen
ten) Begriffszeichen und in deren in der Volksrepublik festgelegten phonetischen Besuchen immer wieder großzügig auf meine Fragen eingingen und mir weiterhalfen.
Transkription (dem sog. Pinyin) beigegeben. Dies bedarf wohl einer Rechtfertigung: Namentlich danken möchte ich hier auch den Professoren Ni Liangkang 1§P. ~~ von
Erstens dachte ich, dass auch die der klassischen chinesischen Schriftsprache unkun- der Sun-Yat-sen-Universität in Guangzhou (Kanton) und Lee Ming-huei $ IIJHaJ von
dige Leserschaft manchmal wissen möchte, welche chinesischen Schriftzeichen und der National Taiwan University in Taipei, die mich in meiner Arbeit mannigfach ge-
phonetischen Ausdrücke den deutschen Wörtern, besonders den immer wiederkeh- fördert und deren Universitäten die Drucklegung mitfinanziert haben, sowie Zhang
renden Grundbegriffen, zugrunde liegen. Denn dies kann auch die Identifikation der Qingxiong ~ .lllfffl von der Fudan-Universitätin Shanghai. Mein Dank gilt auchJean-
Begriffe in verschiedenen Aussagen und damit ein besseres Verständnis erleichtern. Fran1rois Billeter, Honorarprofessor an der Universität Genf, der eine Vorfassung
Zweitens wollte ich meine Übersetzungen, besonders an philosophisch zentralen meiner Studie las und mir viele Anregungen zu ihrer Verbesserung gab, sowie Professor
Stellen, den Kennern der alten chinesischen Schriftsprache zur Kritik unterbreiten, emeritus Eduard Marbach, meinem Freund und Kollegen an der Universität Bern, für
was ihnen leichter fallen dürfte; wenn zugleich das chinesische Original mitgelie- seine hilfreichen Ratschläge und seinen technischen Beistand. Dem Schweizerischen
fert wird. Ich habe insbesondere auch an solchen Stellen das chinesische Original Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung danke ich dafür, dass
beigegeben, an denen ich mich in meiner Übersetzung unsicher oder unbefriedigt er diese Arbeit im akademischen Jahr 1996/97 und im Wmtersemester 1999/2000
fühlte, in der Hoffnung, dank der Kritik durch kundige Leser oder vielleicht bei einer sowie für die Drucklegung finanziell unterstützt hat. Ich danke dem Schwabe Verlag,
späteren eigenen Überprüfung entweder eine bessere Version oder die Bestätigung dass er meine etwas ungewöhnliche Studie in sein Programm aufnahm, und seinem
der bisherigen zu erreichen. Ich darf an dieser Stelle bemerken, dass der Großteil Lektor Dani Berner, der die Drucklegung betreute. Besonders danke ich Rafael Suter,
der von mir hier wiedergegebenen Texte zuvor noch nie in eine europäische Sprache, Assistent und Lehrbeauftragter am Sinologischen Seminar der Universität Zürich, den
schon gar nicht in die deutsche, übersetzt wurde. Drittens schließlich wollte ich mei- der Schwabe Verlag als auswärtigen Lektor beigezogen hat und der mein Manuskript
ne Übersetzungen nicht völlig vom chinesischen Original ablösen.Jeder, der über mit sinologischem Auge gründlich durchsah und mit manchen Hinweisen auf für diese
philosophische Texte in einer fremden Sprache lange gearbeitet hat, weiß, dass ihm Studie relevante Ideen in der Geschichte der chinesischen Philosophie und mit Über-
setzungsvorschlägen zu ihrer Verbesserung beitrug. Schließlich möchte ich an dieser
Stelle auch meine Frau Shiping Kern-Ding T ±~ dankbar erwähnen, die mir hier in
meinem geliebten Europa auch China täglich gegenwärtig hält.
14 Husserl, Edmund: «Meditation über die Idee eines individuellen und gemeinschaftlichen Lebens in
absoluter Selbstverantwortung» (um 1924), in: ders.: Theorie der phäno1nenologischen Redt1ktion, hrsg.
von Rudolfßoehm, Den Haag 1959 (= Husserliana, Bd. 8), S. 201. Krattigen, am 25. November 2009 IsoKern~ $
Allgemeine Einleitung

Einige Lebensumstände der konfuzianischen Gelehrten


in der mittleren Zeit der Ming-Dynastie

Die Philosophen, deren Lehren und Diskussionen wir in dieser Studie erörtern
möchten, berufen sich auf Konfuzius (551-479 v. Chr.) als ihr großes Vorbild. Kon-
fuzius versuchte zuerst am Hof seines Heimatstaates Lu (in der heutigen Provinz
Shandong), durch Beeinflussung des dortigen Fürsten seine ethisch-politischen Ideen
zu verwirklichen; nachdem ihm dies nicht gelang, zog er in Begleitung einiger Schü-
ler während vierzehn Jahren im Alter zwischen vierundfünfzig und achtundsechzig
mit demselben Ziel an verschiedene Höfe anderer faktisch unabhängiger Staaten, aus
denen das damalige Königreich China zusammengesetzt war. Nirgends vermochte
er seinen Ideen größeres politisches Gewicht zu verschaffen. Was ihm selbst nicht
glückte, gelang einige hundert Jahre später der sich auf ihn berufenden «Schule»,
als Kaiser Wudi (140-87 v. Chr.), der das das ganze damalige China umfassende
Reich der Han regierte, die Rekrutierung von Beamten des Reiches von staatlichen
Prüfungen in der Kenntnis der sogenannten «Fünf Klassiker», der zu jener Zeit
wichtigsten Texte der Konfuzianer, abhängig machte. Dieses Prinzip der Auswahl
von Staatsfunktionären durch Prüfungen in der Kenntnis konfuzianischer Texte hat
sich inder chinesischen Geschichte seitdem verstärkt und erweitert, erreichte seinen
Höhepunkt in der Song-Dynastie (960-12 79), galt auch in der uns primär interessie-
renden Ming-Dynastie (1368-1644) und wurde erst im Jahr 1905 abgeschafft.
So wurde der Staatsdienst das wichtigste Geschäft der Konfuzianer. Das heißt al-
lerdings noch lange nicht, dass ihr Denken und Streben darin aufging. Denn einerseits
war einer ihrer Grundgedanken, dass die ethische Bildung der eigenen Person und
des eigenen «Herzens» die Voraussetzung für eine gute Tätigkeit in der Gesellschaft
und im Staat sei, andererseits waren nicht alle konfuzianischen Denker Staatsdiener,
und die wenigsten von ihnen waren es ununterbrochen, nachdem sie durch Prüfungen
die institutionalisierte Qualifikation dazu erworben hatten. Doch spielten sowohl
diese Prüfungen als auch der Staatsdienst in der Biographie der Konfuzianer, denen
unsere Studie gewidmet ist, eine sehr große Rolle. Wang Yangming und seine Schüler
betonten zwar sehr, dass das «Lernen» sich nicht primär auf das Bestehen der Staats-
prüfungen und den Erwerb einer Beamtenstelle ausrichten dürfe, aber der Staatsdienst
gehörte doch mehr oder weniger zum «Beruf» und Lebensplan dieser Leute.
Deshalb möchte ich in den ersten beiden Paragraphen dieser allgemeinen Ein-
leitung das Prüfungssystem, das die Voraussetzung für den zivilen Staatsdienst war,
und die administrative Organisation des Ming-Reiches, in dem sich dieser Dienst
abspielte, kurz skizzieren. Anschließend werde ich in § 3 etwas über den konfuziani-
schen Kanon und die Bindung an ihn sowohl im staatlichen Prüfungssystem als auch
im persönlichen Denken der Konfuzianer der Ming-Zeit sagen. Jenes System und
2 3

diese Organisation waren sehr komplex, und ich kann davon nur dasjenige erwähnen, trierten erhielten ihre Stellen jeweils nur auf befristete Zeit, ihr Aufenthalt an einer
was in den Biographien unserer Philosophen immer wieder vorkommt. Schließlich Dienststelle war immer nur eine Art Provisorium. Ihre dauerhafte Stätte hatten sie an
möchte ich in§ 4 dieser Einleitung kurz die beiden philosophisch-ethischen Systeme ihrem Heimatort, oft in einem Dorf, von dem aus sie jeweils für wenige Jahre auf einen
vorstellen, auf deren Basis sie ihre Überlegungen vor allem anstellten: die ethischen Posten in irgendeine fremde Provinz zogen, bald in diese, bald in jene. Dabei wurden
Systeme von Mengzi (ca. 372-289 v. Chr.) und Zhu Xi (1130-1200). Im Anhang zu sie nie von ihrer Großfamilie und auch bei weitem nicht immer von ihrer Frau bzw.
dieser Einleitung wird man summarisch einiges über die fünf Kaiser und ihre Herr- ihren Frauen und Kindern begleitet. Zu Hause hatten sie meistens ein mehr oder we-
schaft nachlesen können, die zwischen 1499, dem Jahr, als Wang Yangming seine niger großes Stück Ackerland und lebten mit ihren Großfamilien von dessen Erträgen;
Beamtentätigkeit begann, und 1583, als WangJi als Letzter der Akteure unserer Stu- einige waren Großgrundbesitzer, aber lange nicht alle. Staatsbesoldung in Naturalien
die starb, regierten. Auch der Herrschaftsstil dieser Kaiser war ein wichtiger Lebens- und in Geld erhielten sie nur für die Zeit ihres Dienstes. Diese Lebensbedingungen
umstand unserer Philosophen. brachten einerseits eine große geographische Mobilität mit sich: Wegen der höchsten
Staatsprüfungen verbrachten sie mindestens einige Wochen in Peking, wo sie viele
§ 1 Die konfuzianischen Gelehrten und ihre Vorbereitung zum Staatsdienst ihrer gleichzeitigen Prüfungskandidaten und auch hohe Beamte kennenlernten, und
danach waren sie sukzessive in verschiedenen Provinzen außerhalb ihrer eigenen oder
Von den neun Philosophen der Ming-Zeit, deren Leben und Denken wir in dieser auch in den beiden Hauptstädten Peking und Nanking als Beamte tätig. Andererseits
Studie etwas genauer kennenlernen werden, wurden acht zivile Staatsbeamte. Das aber behielten sie immer ihre Stabilität in ihrer ursprünglichen Heimat, wo ihre
Leben der damaligen Staatsbeamten in China sah aber ziemlich anders aus als das- Großfamilie lebte, wo die Gräber ihrer Ahnen waren, wo sie ihr Hab und Gut besaßen
jenige der Staatsbeamten, das wir heute im Westen kennen. Die zivilen kaiserlichen und wohin sie immer wieder zurückkehrten. Dies hatte zur Folge, dass die eigentli-
Beamten übten ihr Amt nie in derjenigen Provinz aus, aus der sie stammten; mit die- chen Zentren der philosophischen Bewegung, die Wang Yangming auslöste, weniger
ser Regel sollte die Parteilichkeit der Beamten zugunsten ihrer Familie und Freunde die Reichshauptstädte Peking und Nanking oder Provinzhauptstädte waren, sondern
vermieden werden. Weiter konnten sie nur kurze Zeit, im Allgemeinen nicht länger kleinere Orte wie Shaoxing in der Provinz Zhejiang oder die Präfektur Ji'an und ihre
als zwei bis drei Jahre, auf einer Stelle am selben Ort bleiben; auch dies geschah, um Kreisstadt Anfu in der Provinz Jiangxi oder die Präfektur Ningguo in der Provinz von
das Entstehen von Freundschaftsbeziehungen auszuschließen, bei höheren Beamten Nanking, wo diese Leute ihren festen Wohnsitz hatten und wo sie sich in der freien
aber auch, um das Heranbilden persönlicher Macht aufgrund der Gunst und Unter- Zeit an verabredeten Treffpunkten, oft in buddhistischen Klöstern oder daoistischen
stützung der lokalen Bevölkerung zu vermeiden. Die Beamten verließen immer wieder Tempeln, mit Gleichgesinnten und privaten Schülern regelmäßig versammelten.
ihre Beamtenstellen und kehrten für längere Zeit, oft mehrere Jahre, nach Hause an Für diejenigen, die Staatsbeamte werden wollten, war das Vorbereiten und
ihren ursprünglichen Ort zurück, sei es aus Gesundheitsgründen, sei es, um bis zu drei Bestehen der Staatsprüfungen eine sehr wichtige und aufreibende Sache. Wenn sie
Jahre für den verstorbenen Vater oder die verstorbene Mutter zu trauern, oder weil sie die höchsten Staatsprüfungen bestanden, waren sie meistens zwischen fünfundzwan-
abgesetzt oder auf keinen neuen Posten berufen wurden oder aber weil sie selbst den zig- und fünfunddreißigjährig, nicht selten noch älter. Das in den Staatsprüfungen
Staatsdienst nicht mehr versehen wollten. Von unseren acht Beamten-Philosophen geprüfte Wissen über konfuzianische Texte und andere Gebiete erwarben sie sich in
waren nur Wang Yangming und Ouyang De während mehr als der Hälfte der Zeit den staatlichen Kreis- und Präfekturschulen, ausnahmsweise in den beiden kaiserli-
zwischen ihrem Bestehen der höchsten Staatsexamen und ihrem Tod auf Beamten- chen Hochschulen (Reichsschulen, Guozijian) in den beiden Hauptstädten Peking
posten. Nie Bao war zusammengerechnet etwa achtzehn Jahre im Dienst, Zou Shouyi und Nanking und vor allem in der eigenen Familie und bei privaten Lehrern. Diese
war es etwa während vierzehn Jahren, Qian Dehongund WangJi waren es keine zehn Prüfungen waren nicht wie an den europäischen mittelalterlichen Universitäten Ab-
Jahre, obschon sie alle vier über siebzig Jahre alt wurden. Luo Hongxian war zwischen schlussprüfungen eines wissenschaftlichen Lehrganges, sondern Aufnahmeprüfungen
1529, als er als Primus die höchsten Staatsprüfungen in Peking bestand, und seinem für den Staatsdienst. 1 Sie spielten sich auf drei Ebenen ab, die der administrativen
Tod 1564 weniger als drei Jahre lang als Beamter tätig, und auch Liu Bangzai war es Organisation des damaligen chinesischen Staates entsprachen. 2
wahrscheinlich nicht länger. Obschon ich noch auf keine diesbezügliche Statistik ge-
stoßen bin, habe ich allerdings den Eindruck, dass die aktive Beamtenzeit dieser acht
Konfuzianer unter der durchschnittlichen bei den chinesischen Beamten der Ming- Matteo Ricci und andere europäische Missionare Chinas im 16. und 17. Jahrhundert haben in ihren
Berichten nach Europa die drei Grade der chinesischen Staatsprüfungen, um an Vertrautes anzu-
Zeit lag. Sie versahen den Staatsdienst größtenteils unter zwei moralisch wie politisch knüpfen, als baccalaureus, licentiatus und doctor bezeichnet, verdeckten aber dadurch deren Zweck-
schlechten Kaisern (unter dem Zhengde-Kaiser, 1505-1521, und demJiajing-Kaiser, tmterschied.
1521-1566), was ihnen vom Gesichtspunkt der konfuzianischen Moral erlaubte, sich 2 Vgl. dazu Grimm 1960. Über die zivilen Staatsprüfungen um 1600 in der Ming-Zeit berichtet sehr
anschaulich und zuverlässig der Jesuitenmissionar Matteo Ricci (1552-1610), der 1583 bis 1610
vom Staatsdienst fernzuhalten und sich der privaten Erziehung von einzelnen Men- in verschiedenen Provinzen Chinas (Guangdong, Jiangxi) und in Nanking und Peking lebte und
schen zu guten Mitgliedern der Gesellschaft zu widmen. Die als Staatsbeamte Regis- intensiven Kontakt mit konfuzianischen Beamten und Gelehrten hatte, im ersten Teil seiner Storia
4 5

a) Die Prüfungen auf der Ebene der Kreise und Präfekturen Herbst 1492, 149 5 usw. Nur kurze Zeit vor ihrem Stattfinden sandte der Kaiser
Die niedrigsten Prüfungen fanden in mehreren Etappen statt unter der Oberauf- jeweils je zwei Abgeordnete in jede Provinz, von denen der eine Mitglied der
sicht eines für das Gebiet einer Provinz verantwortlichen <<Kommissars für Erzie- Kaiserlichen Hanlin-Akademie in Peking war, um den Prüfungen vorzusitzen.
hung» oder «Schulinspektors» (wörtlich: «Beamter zur Anleitung und Aufsicht Die Kandidaten mussten nicht nur xueyuan ~~ (xiucai ~::t), also Inhaber des
der Schulen», ti du xue xiao guan :m!®!-~~E', abgekürzt: ti xue :m!~ oder du xue niedersten Grades sein, sondern sie waren aus diesen vom Provinzkommissar für
®l-~) 3 in den Gebäudekomplexen des Konfuzius-Tempels und dessen Schule der Erziehung noch durch eine besondere Prüfung (ke kao f-1-;jlg) ausgewählt worden.
Kreise (xian lltfi) und der Präfekturen (fu ffif) (oder der Präfekturen zweiten Grades: In den Provinzen mit besonders vielen «Schulpalästen» (xue gong ~'§') nnd
zhou fä) für Kandidaten, die in den betreffenden administrativen Einheiten wohn- diesen angeschlossenen Gebildeten konnten sich über viertausend Kandidaten
ten. Die Anzahl der in den Prüfungen Erfolgreichen war im Voraus festgelegt. präsentieren. Die Quote der jeweils aufgrund der Prüfungen Aufgenommenen,
Sie wurden dann Mitglieder (xue yuan ~~) des «Schulpalastes» (xue gong ~'g). die den Titel <<juren $.A.» («erwählte Personen») erhielten, war im Voraus für
Dieser war primär keine Schule in unserem Sinne, sondern die Korporation der jede Provinz festgelegt: Nach den kaiserlichen Bestimmungen von 1494 ergaben
amtlich registrierten konfuzianisch Gebildeten, die im Konfuzius-Tempel eines die Quoten aller fünfzehn Provinzen jedes dritte Jahr zusammen 1170 juren $
Kreises oder einer Präfektur ihr Zentrum hatte. Als Mitglieder nahmen sie an den A; nach den ßcstimmungen um 1540 ergaben sie 1190. 4 Diese Prüfungen fanden
Aktivitäten dieses Tempels teil, vor allem an den regelmäßigen Opferfeiern für schriftlich in kleinsten Einzelzellen statt, in welche die Kandidaten eingesperrt
Konfuzius; mehr oder weniger oft auch an Bildungsanlässen, etwa Erklärungen wurden. Diese durften keine Bücher, sondern nur Pinsel, Schreibpapier und
von konfuzianischen Texten. Einige dieser Mitglieder wurden Amtsgehilfen (li Tusche mitnehmen. Arn ersten der drei Prüfungstage wurden ihnen Texte aus
yuan :i:e:~) wie Amtsschreiber, einige wurden private Lehrer, andere bereiteten dem konfuzianischen Kanon, nämlich drei Zitate aus den «Vier Büchern» und
sich auf die Prüfungen der nächsten Stufe vor. Sie waren ein besonderer Stand vier Zit,ite aus demjenigen der «Fünf Klassiker»', für den sie sich spezialisiert
und durften besondere Kleider tragen; sie wurden im Volkxiu cai ~=<I"" («vortreff- hatten, vorgelegt, und sie hatten sie in einzelnen Aufsätzen (insgesamt sieben)
lich Begabte») genannt. In den Biographien der von uns studierten Denker wird aufgrund der offiziellen Kommentare zu erklären. Drei Tage später, am zweiten
das Bestehen dieser niedersten Prüfungen nicht erwiihnt, obschon sie diese be- Prüfungstag, hatten sie zuerst eine Abhandlung (tun mfll) über ein allgemeines
stehen mussten, um an den Prüfungen der nächsten Stufe teilnehmen zu können. ethisch-politisches Thema zu schreiben,<' danach fünf Rechtsurteile (pan yu f1J
Der Erfolg in diesen untersten Prüfungen war offenbar für eine konfuzianische lfü) für konkrete Beispiele zu fällen und schließlich einen amtlichen Text (biao,
Biographie nichts besonders Erwähnenswertes. Denn er bedeutete noch nicht gao, zhao ~' ~, ~ß), zum Beispiel eine amtliche Verordnung oder eine Eingabe
das Erreichen des eigentlichen kaiserlichen Beamtenstandes (guan yuan E' ~), an den Kaiser, zu verfassen, für den ihnen die konkreten historischen Umstände
sondern nur den Zugang zum Tank, aus dem dieser durch weitere Prüfungen angegeben wurden. 7 Wiederum drei "L1ge später, am dritten Prüfungstag, wurden
rel<rutiert wurde. sie mit fünf Problemen aus <ler Geschichte oder Gegenwart konfrontiert (shi wu

b) Die Prüfungen auf der Ebene der Provinzen


Um diesen Stand ging es in den Prüfungen auf der Ebene der Provinz (xiang shi
ffll~), die in den betreffenden Provinzhauptstädten in einem besonderen Gebäu- 4 Diese Zahlen giht Crimm 1960, S. !, 1. Für die Jahre ,.wischen 1454 und 1573 galten fiir die einzel-
de, dem «Prüfungspalast» (gongyzum :vtllJt), stattfanden. Sie unterstanden nicht 11en Provinzen fr,lgcnde Quoten: In den beiden l'nwinzen der Hauptstiidte Peking (entspricht der
mehr dem «Erziehungskommissar» oder «Schulinspektor» der Provinz, sondern heutigen Provinz Hebei und den Gebieten der Städte Peking und Tianjin) und Nanking (entspricht
den heutigen Provinzen Jiangsu, Anhui und dem Gebiet von Schanghai) durften alle drei Jahre je
wurden direkt von der Hauptstadt Peking aus kontrolliert. Sie wurden gleich- 135 zujuren promoviert werden; in der ProvinzJiang-xi 95, in Zhejiang, Fujian und Huguang (den
zeitig in allen fünfzehn Provinzen einmal alle drei Jahre am 9., am 12. und am beiden heutigen Provinzen Hebci und Hunan) je 90, in Henan 80, in Shandong und Gnangdong je
15. "I :1g des achten Mondes (ungefahr September) durchgeführt, zum Beispiel im 75, in Sichuan 70, in Shanxi und Shcnxi je 65, in Yu1111an zwischen 30 (im Jahr 1454) und 45 (im Jahr
1573) und in ( ;t,izlwu zwischen O (illl,l:dir 1454) und 30 (im Jahr 157.l); nach den Bestimnmngen des
Jahres 1454insgcs:m1t 1145, nach dcnjcnigendesJ:1hrcs 1573 insgesamt 1195 (ebd.).
5 Die «Vier Bücher» und «Fünf Klassiker» machten in der Ming-Zeit den konfuzianischen «Kanon»
im engen Sinn aus; siehe dazu den übernächsten Paragraphen.
dell'introduzione dell'cristianesinzo in Gina (hrsg. von Pasquale M. d'Elia, Rom 1942, Bd. I, Nr. 64-76, 6 Als Wang Yangming im Herbst 1504 einer der beiden Leiter der Staatsp1iifungen in der Provinz
S. 44--50). Dieses Werk erschien wm ersten Mal 1615 in Augsburg in einer mangelhaften lateini- Sh:mdong war, schrie!, er Muster fiir die Prüfungstexte (siehe unten in der Einleitung zu 'Jcil Iden
schen Übersetwng von Nicolas 'll·igault. Eine sehr genaue Beschreibung· des Prüfungswesens für § l, S. 68). Im MustcT für eine •<:\l,h:mdlung» (/1111 schrieb er iibcr die ethische Erziehung des
den Staatsdienst im chinesischen Kaiserreich, allerdings fiir das Ende des 19.Jahrhunderts (l<:nde der Kaisers (Qua11ji,j1w11 22, Shangh:ii l'J<i2, S. 854-857).
Qing-Dynastie), gibt der chinesische Jesuitenpater Etienne Zi (Xu i'#s): Pratique des examens litteraires 7 In seinen Mustern für Prüfungstexte (siehe die vorangehende Anmerkung) schrieb Wang Yangming
en Cbine, Shanghai 1894 (= Varietes sinologiques 110 5). als biao ~ eine Eingabe an den Kaiser in der Siniation eines Beamten im Jahr 736 in der Tang-
3 Zu den genaueren Funktionen dieses Kommissars vgl. Grimm 1969, S. 129-147. Dynastie (a.a.O., S. 857f.).
6 7

B~~), die sie zu beantworten hatten. 8 • 9 Diese Prüfungsaufsätze, die von den Kan- Yangming nach den Herbstexamen auf Provinzebene gleich im nächsten Frühjahr
didaten mit schwarzer Tusche geschrieben waren, wurden dann von zahlreichen für die höchsten Prüfungen, fiel aber durch; Nie ßao ging auch so schnell vor und
Kopisten, die sich im Prüfungspalast befanden, mit roter Tusche abgeschrieben war erfolgreich; bei Zou Shouyi und Luo Hongxian lagen zwischen dem Erwerb des
und mit Nummern versehen, die die Identifizierung der Kopien mit den Ori- juren-Grades und desjinshi-Grades dreieinhalb Jahre, bei Ouyang De sechseinhalb
ginalen ermöglichte. Nur diese Kopien, ohne Namen der Kandidaten, wurden Jahre; bei Qian Dehong neuneinhalb Jahre, bei Wang Ji zwölfeinhalb Jahre; Liu
den Examinatoren zur Begutachtung vorgelegt, damit diese die Kandidaten bei Bangzai ließ es beim juren-Grad bewenden. Obschon lange nicht alle Inhaber des
der Beurteilung nicht erkennen konnten. In einem ersten Gang der Beurteilung jurcn-Grades sich der höchsten Prüfung in Peking unterzogen, ging auch bei dieser
wurde die doppelte Zahl der Promotionsquote von Examinatoren aus der Provinz Prüfung die Kandidatenzahl in die Tausende, da auch diese Prüfungen unbeschränkt
ausgewählt, zum Beispiel für die Provinzen von Peking und Nanking je dreihun- wiederholt werden konnten. So wurde zum Beispiel ein sehr einflussreicher Erster
dert. Die beiden Examinatoren der Zentralregierung in Peking wählten daraus Großsekretär in der Jiajing-Ära (1522-1566), Zhang Cong ~}$(seit 1531 hieß er
dann die Promovierten gemäß der Provinzquote, zum Beispiel je hundertfünf- Zhang Fujing ~ $://&), 10 1498 juren, fiel dann zwischen 1499 und 1517 im Dreijah-
zig fiir diese beiden Provinzen, und legten die Ränge fest. Am Ende des achten resrhyth1nus sechsmal bei den jinshi-Prüfungen durch und erreichte erst 1521 11 im
Mondes wurden die Resultate verkündigt. Die erfolgreichen Absolventen dieser Alter von sechsundvierzig Jahren sein Ziel. 12 Oder Jiao Hong ~ Y}K (1540-1620), ein
Prüfungen konnten vo,n Kaiser auf Beamtenstellen berufen werden, wenn auch namhafter Gelehrter und Denker, der zur T1izhou-I ,inie innerhalb der Schule Wang
die höchsten Posten in den Provinzen und den Hauptstädten den Trägern des Yangmings gehörte, bestand 15 64 im dritten Anlauf die Provinzexamen in Nanking,
höchsten Grades vorbehalten blieben. Wer in den Prüfungen nicht erfolgreich fiel dann sechsmal durch die Examen in Peking, wobei er diejenigen von 1580 und
war, konnte sie drei Jahre später wiederholen. 1586 ausließ, und bestand sie 1bnn schließlich 1589 im Alter von neunundvieu,ig
Das Alter der Kandidaten dieser Prüfungen auf der Ebene der Provinz war sehr Jahren als Primus. 13 Auf der unteren Seite der Altersskala bestand zum Beispiel der
verschieden: Von unseren acht Philosophen war Zou Shonyi erst sechzehn Jahre berühmte Literat Wang Shenzhong .:E ffiq:i (1509-1559), der Wang Yangmings
alt, als er 1507 den Grad desjuren erhielt; Wang Yangming und Ouyang De waren Schule nahestand, schon mit siebzehn Jahren die höchsten Staatsprüfungen. 14 Zou
bei dieser Craduienmg zwanzig, Wang Ji und Luo 1longxian einundzwanzig, Qian Sbouyi bestand sie mit zwanzig Jahren. Auch bei den höchsten Priifungen war die
Dehong fünfundzwanzig, Nie Bao neunundzwanzig und Liu Bangzai achnmddreißig Anzahl der Erfolgreichen im Voraus festgelegt: dreihundert alle dreiJahre. Voraus-
Jahre alt. setzung für die Teilnahme an dieser Prüfung in der Reichshauptstadt war der Grad
der Provinzprüfung. Der Prüfungsstoff war ungefahr derselbe. Nach etwa einem
c} Die Prüfungen in der Hauptstadt Peking halben Monat wurden diejenigen, die diese dreitägige Prüfung im «Prüfungspa-
Die höchste zivile Staatsprüfung, in der man den Gr:1d desjinshi 51!;± («beförderter last» (gong yuan ~l!ll) bestanden hatten, noch einer kur;r,en, aber sehr feierlichen
Gelehrter») erwerben konnte, fand jeweils genau sechs Monde nach der Provinz- schriftlichen Prüfung im Kaiserpalast unterzogen («Palastprüfung»), die im Prinzip
prüfung im Frühling des nächsten Jahres in der Hauptstadt Peking statt: also auch <<Vor dem K,1iser» stattfand. In dieser Prüfung wurde iiber die ersten drei Ränge
im Dreijahreszyklus, zum Beispiel 1493, 1496 usw., und auch während drei er Tage entschieden, die höchstes Ansehen genossen. vVer in den dreitägigen Prüfungen
am 9., 12. und 15. Thg des zweiten Mondes (ungefähr März). Diese zeitliche An- zuvor den ersten Rang erworben hatte, erhielt im Examen im Kaiserpalast mindes-
ordnung erlaubte es, gleich nach dem Bestehen der Provinzprüfung nach Peking tens den dritten Rmg.
zu reisen und sich dort den höchsten Prüfungen zu unterziehen. Aber lange nicht Die Anzahl derjenigen, die als Inhaber des juren- oder des jinshi-Grades jeweils zu
alle jurcn zogen gleich zu diesen Prüfungen nach Peking. Viele sahen von weite- kaiserlichen zivilen BG1mten ernannt werden konnten, wird während des 16.Jahrhun-
ren Prüfungen ab, und viele warteten dreieinhalb Jahre oder noch länger zu. Von
unseren acht Philosophen, die Staatsprüfungen ablegten, präsentierte sich Wang

Die entsprechenden hinf Prürungsmuster vo11 Wang Yangming- antworten auf die {c,lg·enden fünf IO Zu Zhang Cong siehe im i\nh:mg Zll dieser (iinleitung, S. 39f.
Probleme: 1. geschichtlicher Wandel und Kontinuität der Staatszeremonien, 2. Daoismus und Bud- 11 Diejingshi-Prüfungen, die zyklusgemäß 1520 hätten stattfinden sollen, wurden auf 1521 verschoben,
dhismus im konfuzianischen Staat, 3. Engagement im Staat und zurückgezogene ethische Selbstkul- da der Kaiser im F1iihling 1520 nicht in Peking· weilte.
tivienmg, 4. öffentliche Moral, 5. administrative Reformen (a.a.O., S. 858-870). 12 Sid1e den Artikel von Chou 'l:10-chi [iher Zhang Fujing·, DMB, S. 67f.
9 Matteo Ricci gibt folgende Prüfungsstoffe für die drei Prüfungstage an: am ersten T:1g drei Aufsätze I3 Siehe Ch'icn 198<i, S. 34f. l~icci sch,·cil,t um 1<,09 in seiner Storili: «Es gibt Leute, die über zehn Mal
über drei Stellen aus den «Vier Büchern» und vier Aufsätze über vier Stellen aus einem der «Fünf zu diesen Prüfungen kommen, ohne den Doktorgrad [= jinshi-Grad] zu erreichen, und sie sterben
Klassiker»; am zweiten Prüfungstag Antworten zn drei politischen Problemen aus der Geschichte dann, ohne, jcmah ein Amt kkleidet zu habe11, da sie vorher das Doktorat erwerben wollten.» (Ricci:
(entspricht den shi wu); am dritten P1iifnngstag Urteile in drei Gerichtsfallen, mit denen sie später Sturia, a.a.O., Nr. 72, S. 49),
als Beamte zu tun haben könnten (entspricht den pan yu l/llJii!) (Ricci: Storia, a.a.O., Nr. 67, S. 46f.). 14 Zu Wang Shenzhong siehe DMB, S. 13 98f.
8 9

derts in China auf zehn- bis fünfzehntausend geschätzt. 15 Zu jener Zeit dürfte die des <<Jüngeren Tutors des Kronprinzen» und einige Monate später in der Rolle des
Bevölkerung des chinesischen Reiches mehr als hundert Millionen betragen haben. 16 «Älteren Tutors des Kronprinzen». 19 Vielleicht: waren dies damals nicht viel mehr als
Jener Stand bildete also eine sehr kleine Elite. Ehrentitel, denn Nie Bao war gleichzeitig Minister des Kriegsministeriums (hing bu
Die nach rationalen Prinzipien der Fähigkeit ausgewählte konfuzianische Be- ~W). Doch an der Wichtigkeit der konfozianischen Erziehung des Thronnachfr)lgers
amtenschaft unterstand der Macht des Kaisers, der aufgrund ganz anderer Faktoren und des Kaisers haben die konfuzianischen Denker immer festgehalten. Das erste
seinen Thron bestiegen hatte. Der Gründer der Dynastie kam mit militärischer Macht Kapitel des «Lernen der Großen», des ersten der konfuzianischen <,Vier Bücher>>,
auf den Thron, und seine Nachfolger aufgrund ihrer Geburt als ältester Kaisersohn. das von der moralischen Erziehung spricht, gilt in erster l,inie für denjenigen, der
Der Kaiser war primär nicht legitimiert durch seine intellektuellen und staatsmän- «das Reich regieren will». \Vie oben schon bemerkt wurde, hat Wang Yangming 1504
nischen Fähigkeiten, sondern durch das irrationale Faktum seiner Abstammung und über die Erziehung des Kaisers ein Muster für einen Prüfungsaufsatz gcschrieben. 20
durch die Tdee des sakralen Herrschers: Er war 'lhger des Mandates des Hinunels, Doch die Resultate dieser Erziehung waren sehr verschieden. In der Periode zwischen
war der «Himmelssohn» (tian zi "F:. T ). Der Gegensatz zwischen einer sakralen Lei- 1499, als \Mmg Yi111gming sein erstes staatliches Amt antrat, und 1583, als Wang.Ji als
tung des Staates aufgrund der Geburt und seiner Administration aufgrund von Fä- Letzter unserer neun Philosophen starb, herrschte nur ein Kaiser, der dem konfuzia-
higkeiten führte zu großen Problemen. Dieser Gegensatz war in der Ming-Dynastie nischen Ideal entsprach; die anderen waren sehr weit davon entfernt. li'.in Wesenszug
besonders stark, da die vom Begründer und erster Kaiser dieser Dynastie errichteten der Philosophie von \V,mg Y,mgming nnd seiner Schüler besteht darin, dass sie den
und von seinen Nachfrilgern ausgebauten staatlichen Institutionen die absolute Macht festen Halt für das eigene ethische ! ,eben und die soziale Praxis nicht in iiußeren Re-
des Kaisers zum Ziele hatten. Erst nach dem Fall der Ming-Dynastie hat es Huang geln nnd Institutionen, sondern im Inneren des eigenen llerzens oder Geistes sucht.
Zongxi (1610-1695) in einer Schrift gewagt, diese absolute Macht des Kaisers zu Motive für diese Wendung ins Innere und Gründe für den großen Anklang, den Wang
kritisieren und ihr gegenüber mehr Gewicht für die konfnzianische Beamtenschaft Yangmings Lehre zu seiner Zeit fand, hiingen sicher 1nit der sozialen lnstabilit:it und
zu Jc)nlernY Aber die Konfoziancr stellten den «Himmelssohn» nie prinzipiell in Haltlosigkeit zusammen, die in den über scch,,ig Regierungsjahren (1505-1567) des
Frage. Doch durfte nach ihrer Vorstellung der Kaiser nicht nach Willkür herrschen, Zhengde-Kaisers und des Jiajing-Kaisers in China herrschten. Informationen über
sondern hatte eine «Politik der Menschlichkeit» (ren zheng 1=iE~) zu verfolgen, er war die Kaiser, unter deren Herrschaft unsere Philosophen lebten und als Beamte tätig
als Erster von allen an die Moral gebunden. Sie versuchten, jenen Gegensatz zwischen waren, enthält der Anhang zu dieser Einleitung.
Stellung durch Geburt und Stellung aufgrund ausgewiesener Fähigkeit durch eine
besonders sorgfaltigc moralische und intellektuelle Frziclmng des Thronfolgers und § 2 Die Administration des Ming-Reiches
des Kaiser zu überbrücken. Sch<m in einem aus dem Anfang der Ban-Dynastie, als
der Konfuzianismus staatstragende Doktrin wurde, stammenden Kapitel des «Buches a) Das Zentrum der Administration in Peking
der Sitte» (Liji) sind für den Thronnachfolger sechs konfuzianisch gebildete Erzie- Die Adminisu·ation <les chinesischen Reiches und ihre Ämter in der Ming-Zeit beschrei-
her vorgesehen: ein «Älterer» und ein <<Jüngerer Beschützer» (tai zi tai bao, shao bao be ich im Folgenden Iiur insofern, als wir ihr in den Biographien unserer Philosophen
:kr:k~, 9>~), ein «Älterer» und ein <<Jüngerer Lehrer» (tai zi tai shi, shao shi :kr und bei der Organisation ihrer Lehrversammlungen in den sogenannten «Akademien»
:kffili, 9>ffi!i) und ein «Älterer» und ein <<Jüngerer Tutor» (tai zi tai fu, shao fu :kr:k{!, (shu yuan :illl%), begegnen werden. Ich beschreibe sie von oben nach unten, da der chi-
j,>{!). 18 Noch im 16. Jahrhundert scheint diese Institution bestanden zu haben, denn nesische Staat in der Ming-Zeit ganz von oben her zentral regiert wurde. Die Zentrale
wir finden einen unserer neun Hauptpersonen, Nie Bao, im Jahr 1553 in der Rolle des Reiches, die Reichshauptstadt, hatte der dritte Kaiser der Ming-Dynastie, der den
des <<Jüngeren Beschützers des Kronprinzen» und im Jahr darauf zuerst in der Rolle Thron von seinem Neffen usurpierte, offiziell im Jahr 1421 von Nanking in den Norden
des Reiches, nach Peking (die «nördliche Hauptstadt») verlegt. Nominell behielt N an-
king weiterhin den Titel einer Hauptstadt des Reiches (die «verbliebene Hauptstadt»
liu du li« :ffll oder «südliche Hauptstadt» nan jing i$fi;ii:) mit einem Kaiserpalast und allen
15 Diese Zahl gibtJacques Gernet: Le monde chinois, Paris 1972. Tilemann Grimm schätzt die Zahl auf
fünfzehntausend (Grimm 1960, S. 65), greift aber wohl zu hoch, da er in seiner Berechnung die jinshi sechs Ministerien. Die wirkliche Macht war aber in Peking. Die Ministerien in Nanking
zu den juren addiert.Jene waren aber aus diesen hervorgegangen und dürfen daher nicht zusätzlich hatten hauptsächlich zeremonielle Funktionen. In sie wurden oft Leute abgeschoben,
berechnet werden. deren Qualifikation und Verdienste die Machthaber in Peking nicht ignorieren konnten,
16 Für den Anfang der Ming-Dynastie (1368) wird die Bevölkerung Chinas auf ungefähr siebzig Mil-
lionen, für ihr Ende (1644) auf ungefähr hundertdreißig Millionen geschätzt. die sie aber nicht gerne im Zentrum der Macht sehen wollten. So wurde Wang Yang-
17 In seinem Ming yi dai fang lu a)l:ll!{;/fiffi"~; siehe dazu Barry, Theodore de: «Chinese Despotism and
the Confucian Ideal: A Seventeenth-Century View», in: Fairbank, K. (Hrsg.): Chinese Thought and
Institutions, Chicago, London 1957.
18 Da Dai Liji,juan 3, Kap. 48; deutsche Übersetzung bei Wilhelm, Richard: «Li Gi.Das Buch der Sitte 19 WuZhen2001,S.318f.
des älteren und jüngeren Dai. Aufzeichnungen über Kultur und Religion des alten China», Jena 1930. 20 Siehe oben in dieser Einleitung den§ l, S. 5, Anm. 6.
10 11

ming 1521 zum .Kriegsminister in Nanking ernannt, scheint dieses Amt aber nicht phen zu Hause waren. Sie hatten an ihrer Spitze einen «Kommissar für die zivile
sehr ernst genommen zu haben, da er es gar nicht erst antrat. Seit der Sui-Dynastie Regierung» (cheng xurm hu_zhmg shi si :iji;~$if&:ße'§'.1, abgekürzt: bu zheng si $.iFR'§'.I)
(585-618) bis zum Ende des Kaiserreiches (1911) hatte China sechs Ministerien, die und einen richterlichen ,<Uberwaclnmgskommissan, (ti xing ttn cha si :j:J~Jrn~~'§'.I,
liu bu t:;fil\, die seit der 'fang-Dynastie ihre Namen nicht veränderten: erstens das abgekürzt: an cha si ~~'§]), Diese beide unterst,mden der Kontrolle eines «die Runde
Beamtenministerium (li bu ]i:i:fil\), das als das wichtigste galt und für die Ernennung machenden Koordinators» (xunftt du tang )1H11l\tll:g, abgekürzt: xunfu 3.fil111!i) und eines
der kaiserlichen Beamten zuständig war, zweitens das Finanzministerium (hu bu F «die Runde machenden Inspektors und Zensors>> (xun an yu shi 3.fil~W9:'., abgekürzt:
fill), das vor allem für die Steuereinnahmen, die staatlichen Getreidespeicher und die xun ttn ½«~), die wegen ihrer Macht in der westlichen Literatur auch Gouverneur und
Bezahlung der Beamten zustiindig war, drittens das Ritenministerium (li hu ~W), Vizegouverneur genannt werden. Der ,<die Runde machende Inspektor und Zensor»
dem die Staatszeremonien, die 'lempcl, die Organisation der staatlichen Prüfungen, (der «Vizegouverneur») hatte im Jahr einmal die ganze Provinz zu durchreisen. Die
die staatlichen Schulen und die Beziehungen mit dem Ausland unterstanden, viertens beiden hatten die Tätigkeiten aller Beamten der jeweiligen Provinz zuhanden der
das Kriegs1ninisteriurn (hing Im ~$) für die Angelegenheiten der Armee, fünftens Zentrale in Peking 1/,U bewerten und dienten dieser zur direkten Überwachung der
das Arbeitsministerium (u;ong hu I $) für die öffentlichen und kaiserlichen Bauten, Adniinistration des ganzen Reiches. Ein anderes, für unsere Philosophen besonders
Geriite und Kunstwerke und sechstens das Justi;,,ministerium (xing htt Jfüfül), das für wichtiges Kontrollorgan war der oben in §1 bereits erwähnte «Schulinspektor» oder
die Strafgerichte und die Gefängnisse verantwortlich war. Jedem dieser Ministeri- ~<Erziehungskommissar,> einer Provinz (ti du :xuc ;r.:itto guan m~~}3t"g, abgekürzt:
en stand ein Minister (shang shu r,!;ji!=) vor, dem ein Erster («Linker») und Zweiter ti xuc m~ oder t!u xue der auch im Prinzip ein bis zwei Mal pro Jahr die Runde
(«Rechter») Staatssekretär (zuo shi lang E:{~&.ß tmdyou shi lang ti{~&.ß) zur Seite stan- in seiner Provinz ,,u machen hatte, um ihre Präfektur- und Kreisschulen zu inspizie-
den. Die Minister wurden vom Kaiser ernannt. In der Song-Dynastie (960-1279) gab ren. Auch die priv,lten J\lG,demien, die in der Schule \;\,~111g Yangmings eine wichtige
es noch einen Premierminister oder Kanzler (cheng xiang zl;;Hl oder zai xiang $1!=1), Rolle spielten, unterstanden seiner Kontrollc. 21
welcher ,1ls hiichster Beamter alle sechs Ministerien w koordinieren hatte und einen Eine Provinz w,H" eingeteilt in Prii Fckturen (fit lff)2\ einige hatten neben den Prii-
Gegenpol zur Macht des Kaisers bildete. Der Begründer und erste Kaiser der Ming- fekturen noch Priifokturcn ;,,weiten Ranges (c:,_,hou J'M), die faktisch kleinere Priifekturen
Dynastie hatte während seiner llcrrschafr dieses Amt abgeschafft, weil er sich durch waren, die nur wenige Verwaltungskreise unter sich bitten. Zum Beispiel hatte die
es. in seiner t'Vfacht beschriinkt fiihlte und nach dem Vorbild der vorangegangenen große Provin;,, Nanking (genauer: das direkte Verwaltungsgebiet von Nanking) zwölf
i\!Iongolenherrschaft (Yuan-Dynastie, 1279-1368) alle Macht in seiner Jland kon;,,en- Priifckturen und vier Priifekturen 1/,weiten Rrnges, die Provinz Shandong hatte sechs
tricren wollte. Der dritte Kaiser der Dynastie richtete ein «inneres Kabinett» (neige Präfekturen, Zhcjiang deren elf,Jiangxi deren dreizehn, Fuji,m hatte acht Präfekturen
pglffl) ein, das seinen Ort innerhalb des Kaiserpalastes hatte und als bloß beratende und eine Priifektur zweiten Ranges, Die Priifekturen wurden von einem Priifckten (zhi
Instan1/, des Kaisers gedacht war. Es bestand aus drei oder mehr «Großsekretiiren» fu 9:c□ !ff hzw. z.hi z.hou 9::□ tl'i) und einern Vizepriifckten (tong z.hi Jii.]9::□) verwaltet.
(da xue shi ;k~±), die man allgemein gelao M~ nannte, und wurde von einem Ersten Die unterste von kaiserlichen Beamten administrierte Einheit war der Kreis
Großsekretär geleitet. Im 16. Jahrhundert war die Macht dieses «Inneren Kabinetts», (xian ~). Er wurde von einem Kreisvorsteher (zhi xian 9;□ ~) und einem Vizekreisvor-
und besonders seines Ersten Großsekretärs, faktisch weitaus größer als diejenige der steher (tong zhi 1919;11) verwaltet. Sie waren in ihrem Kreis zugleich Richter, Steuer-
sechs Minister, obschon es als bloß beratendes Organ des Kaisers juristisch keinerlei beamte und zuständig für die öffentliche Ordnung. Die Präfektur Shaoxing (Provinz
exekutive Gewalt besaß. Neben den sechs Ministerien bestand das Zensorenarnt (du Zhejiang), in der Wang Yangming und zwei weitere unserer neun Philosophen zu
cha yuan tlJ~ll_jt), das parallel zu den sechs Ministerien in Peking organisiert war und Hause waren, hatte elf Kreise; die Präfektur Ji'an (ProvinzJiangxi), in der fünf davon
sowohl diese als auch die Provinzregierungen zu kontrollieren hatte. Außerhalb dieser ihren festen Wohnort hatten, bestand aus neun Kreisen; die für die Schule Wang
zivilen Hierarchien bestand die Hierarchie der Militärs. Yangmings wichtige Präfektur Ningguo im direkten Verwaltungsgebiet von Nanking
hatte sechs Kreise; die ihr benachbarte Präfektur zweiten Ranges (zhou tM) Guangde,
b) Die Administration der Provinzen, Präfekturen und Kreise die ebenfalls eine zur Schule gehörige Akademie besaß, hatte nur zwei Kreise.
Das Reich der Ming war in fünfzehn Provinzen eingeteilt. Flächenmäßig umfasste es Charakteristisch für dieses Verwaltungssystem ist, dass alle seine Funktionäre bis
nur etwa einen Drittel des Staatsgebietes der heutigen Volksrepublik China, da die hinunter zu den Kreisen von der Zentrale in Peking ernannt wurden. Sie alle waren
riesigen Gebiete im Norden und Westen: die Mandschurei, die Innere Mongolei, Beamte des Kaisers. Es war also nicht so, dass die Präfekturbeamten von den Verwal-
Tibet und das chinesische Turkestan (Xinjiang), in denen in der Ming-Dynastie noch
keine Chinesen wohnten, erst unter der Fremdherrschaft der Mandschus (Qing-
21 Über diesen Beamten siehe Grimm 1969.
Dynastie: 1644-1911) unter die Kontrolle von Peking kamen. Die Mehrzahl jener
22 Fu wird auch mit «Bezirk» übersetzt; wir ziehen «Präfektur» vor, da im Wort «Bezirk» die Bedeutung
fünfzehnProvinzen decken sich ihrem Gebiete nach mit heutigen Provinzen, zum von Kreis enthalten ist und es somit zu Verwechslung mit den unterhalb der Präfektur stehenden
Beispiel Zhejiang und Jiangxi im Südosten Chinas, in denen acht unserer Philoso- Kreisen (xian fflfi) Anlass gibt.
12 13

tcrn der Provinz und die Kreisbeamten von den Verwaltern der Präfektur ernannt tation seit dem Jahr 1313 in der Yuan-Dynastie bis 1905 am Ende der Qing-Dynastie
und entlassen wurden, sie wurden von ihnen nur kontrolliert. Und das zentralistische offizieller Gegenstand der Staatsprüfungen. Diese vier Bücher sind in der Reihenfolge
Verwaltungssystem war noch durch die Überwachung der von Peking gesandten der Ausgabe Zhu Xis die folgenden:
Inspektoren oder Zensoren gewissermaßen durch sich «reflektiert». Es bestand die * (
1. Das Daxue ~ «Das große Lernen» oder «Das Lernen der Großen» )24 :
Leitidee, dass der Kaiser selbst mit Hilfe seiner vielen «Hände» und «Augen» überall Dieser relativ kleine Text bildet ursprünglich das zweiundvierzigste Stück (pian 11fi)
zum Rechten sah. des Uji ~~c (des «Buches der Riten», «Buches der Sitte»), eines der «Fünf Klassi-
ker». Zhu Xi hat den Text aus diesem Werk herausgelöst und ihn gegliedert: in ein
«Grundkapitel (jing zhcmg ~~)», von dem er annahm, dass es sich um Aussagen
§ 3 Die konfuzianischen Philosophen und ihr Kanon
von Konfuzius (überliefert durch dessen Schüler Zengzi) handelt, und in einen
Neben dem Examenssystem, der staatlichen Organisation der Verwaltung und der kai- Kommentar von zehn Kapiteln (chzum zhrmg 1$:$:), den er dicsen1 Zengzi (aufge-
serlichen Macht bildete auch der konfuzianische Kanon einen wichtigen Rahmen, in zeichnet von dessen Schülern) zuschrieb. Diesen so gegliederten '!ext erläutert
dem sich das Leben und Denken unserer konfuzianischen Philosophen abspielte. Wir Zirn Xi durch eigene und Erkliirungcn anderer Autoren. Der rlcxt des «Buches der
sind ihm schon unter den Titeln «Vier Bücher» und «FünfKlassiker» als Prüfungsstoff Riten» wurde im 1. Jahrhundert v. Chr. von D,1i Sheng i!l~ aufgrund älterer 'Texte
im Examenssystem begegnet. Dieser Kanon soll hier kurz beschrieben werden, da seine zusammengestellt. Aber nach der heutigen Forschung dürfte das zweiundvierzigste
Bestandteile in dieser Studie imrner wieder Erwiihnung finden. Danach erörtern wir Stück kaum auf Konfuzius und seinen Schüler Zengzi zurückgehen. Das «Grund-
die Frage, in welchem Sinne unsere Philosophen durch diesen Kanon in ihrem Denken kapitel» des Daxue war sowohl für Zirn Xi als auch frir Wang Yangming und seine
und Leben gebunden waren. Schüler einer der wichtigsten 'frxtc des konh1,ünischen Kanons. Fs gliedert das
«ethische Lernen» (;ruf ~) systematisch in verschiedene Schritte und lässt es im
a) Die «Vier Bücher» «Verwirklichen des Wissens» (zhi z.hi ~51:D) gründen. Es fügt hinzu, dass die «Ver-
Die sogenannten «Vier Bücher» (Si shu !!!HI) waren im konfuzianischen Bildungs- und wirklichung des Wissens» im «gi: wu ;t&~m» bcstcht. 25 Zlrn Xi verstand dieses «ge
Prüfungssystem der Ming-Zeit die wichtigsten Wcrkc.23 Schon in der ersten J--fälftc wu» als «Erforschen [der Ordnungsprinzipien: li II] der Dinge», während Wang
der Song-Dynastie waren diese vier 'lcxte von1 jüngeren der beiden Cheng-Briider, Yangming, nachdem er sich wiihrcnd Jahren mit dieser Interpretation Zirn Xis
von Cheng Yi (1038-1107), zur Cnmdlagc seines Unterrichts gemacht worden. llun- abgcquiilt hatte, es schließlich als «Berichtigen der Handlungen» auffasste. Nicht
dert Jahre später verband sie der bekannteste Konfoziancr der Song-Dynastie, Zlrn Xi nur in dieser [nterpretation distanzierte sich \Nang Yangming von Zirn Xis Daxue,
(1130-1200), der in der 'fradition von Cheng Yi stand, zu einer Einheit, gliederte und sondern er war mit seinen Ver:indcrungcn des 'lbtes aus dem «Buch der Sitte»,
amendierte sie, versah sie mit ErkHirungcn und veröffentlichte sie unter dem Titel: vor allem mit seiner auf Ch eng Yi (1038-1107) zurückgehenden Ersetzung des
Si shu zhangju ji zhu imil:$:-l:iJ~5:t («Sammlung von Anmerkungen zu den Kapiteln «Liebens des Volkes» (qin min IH-~) durch «Erneuern des Volkes» (xin min *fi~),
und Sätzen der Vier Bücher») oder abgekürzt Si shu ji zhu lmii~5:t («Sammlung von nicht einverstanden und kehrte zum alten Text zurück. 26
Anmerkungen zu den Vier Büchern»). Sie waren in dieser Anordnung und Interpre- 2. Das Zhongyong i:p 1$ (verschiedene Interpretationen und Übersetzungen
des Titels: «Anwendung der Mitte», «Mitte und Beständigkeit», «Mitte und das
Übliche» und andere).27 Auch dieser relativ kleine Text stammt aus eiern «Buch
23 Sie wurden auch von denJesuitenmissionaren schon bei Beginn ihrer Missionstätigkeit in China als der der Sitte»; es ist dort das einunddreißigste Stück. Er wurde von Zhu Xi aus diesem
Schlüssel zur chinesischen Kultur betrachtet und zur Grundlage ihrer dortigen chinesischen Studien und Buch herausgenommen, revidiert und in dreiunddreißig Kapitel gegliedert. Er
ihrer Inkulturation gemacht. Schon der erste J esuitenmissionar in China, der Italiener Michele Ruggieri
schrieb diesen Text, wie schon Sima Qian um 100 v. Chr. in seinen «Historischen
(1543-1607), stellte von ihnen eine lateinische Übersetzung her, sein großer Landsmann Matteo Ricci
(1552-1610) verfertigte eine neue. Lateinische Übersetzungen einzelner der «Vier Bücher» erschienen im Aufzeichnungen» (Shiji ~fc!), Zisi, dem Enkel von Konfuzius, zu. Nach neueren
Druck seit 1662 in mehreren Ausgaben, bis sie 1711 vollständig zusammen mit zwei anderen wichtigen
konfuzianischen Werken in Prag vom Jesuitenmissionar Fran~ois Noel (1651-1729) aus dem Hennegau
(Hainaut) vorgelegt wurden: Sinensis Imperii Libri Classici sex (über die Geschichte dieser Veröffentlichungen
siehe meinen Beitrag «Die Vermittlung chinesischer Philosophie in Europa», in: Grundriss der Geschichte de1· 24 Deutsche Übersetzung von Ric~ard Wilhelm innerhalb seiner Übersetzung des «Buches der Sitte»: Li
Philosophie, begtündet von Friedrich Ueberweg, völlig neu bearbeitete Ausgabe, hrsg. von Helmut Holzhey, Gi, a.a.O., S. 21-29; englische Ubersetzungvon Wtng-tsit Chan: A Source Book in Chinese Philosophy,
Die Philosophie des 17. Jahrhunde1ts, hrsg. von J ean-Pierre Schobinger, Bd. 1/1, Basel 1998, S. 225-2 95). Auch Princeton, NJ 1963, S. 85-94.
die hundertfünfzigJahre später fortgesetzten Gesamtübersetzungen der «Vier Bücher» waren alles Leistun- 25 Dieser zentrale Abschnitt des Grundkapitels des Daxue ist unten in der Einleitung zu Teil I, § 1,
gen von Missionaren: Die ersten zwei Bände von James Legges (Missionar der englischen Non-Conformist S. 56f., übersetzt.
Church) The Chinese Classics enthalten die «Vier Bücher» als chinesisch-englische Parallelausgabe (seit 1861); 26 Siehe unten, Teil I, Einleitung, S. 87.
eine chinesisch-französische Parallelausgabe wurde 1895 vom Jesuiten Seraphin Couvreur veröffentlicht: Les 27 Deutsche Übersetzungen: Wilhelm, Richard: Li Gi, a.a.O., S. 3-20; Weber-Schäfer, Peter: Der
quatre !ivres; und schließlich übersetzte auch der deutsche Missionar Richard Wilhelm von der evangelischen Edle und der Weise, München 1963. Englische Übersetzung: Wtng-tsit Chan: A Sou1-ce Book, a.a.O.,
Kirche alle «Vier Bücher», gab sie aber getrennt heraus (siehe unten in diesem Paragraphen). s. 97-114.
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Forschungen könnte ein Teil des Textes, die zweite Hälfte des ersten Kapitels bis 3. Das Lunyu ~~ («Gespräche des Konfuzius», «Aussprüche von Konfuzius») 30 •
zur ersten Hälfte des zwanzigsten Kapitels (nach Zhu Xis Kapiteleinteilung) bis auf Dies~s Buch, das in zwanzig Stücke («Bücher») mit Unterteilungen in Kapitel geglie-
den Enkel von Konfuzius zurückgehen, während die erste Hälfte des ersten Kapitels dert 1st, enthält vor allem Aussprüche von Konfuzius (5 52-479 v. Chr.), kurze Gespräche
und die zweite Hälfte des zwanzigsten Kapitels und die folgenden Kapitel bis zum zwischen ihm und seinen Schülern oder anderen Personen und auch Aussagen und
dreiunddreißigsten (letzten) späteren Datums (3./2.Jh. v. Chr.) sind. 28 Das mittlere, Gespräche von seinen Schülern (neunzehntes Stück). Es sind Aufzeichnungen von
wohl ältere Stück enthält Aussagen über die «Tugend» des Herrschers; die Kapitel Konfuzius-Schülern, auch zweiter und dritter Generation, und die beste Quelle für
zwanzig bis dreiunddreißig sind Ausführungen über die Beziehungen des Menschen die Lehre des historischen Konfuzius. Im Wesentlichen gehen sie wohl noch auf das
zum Kosmos. Wie im Daxue war auch in diesem Buch das erste Kapitel sowohl für 5. Jahrhundert v. Chr. zurück. Sie enthalten keine systematische Abhandlungen, aber
Zhu Xi als auch für Wang Yangming und seine Schüler der bei weitem wichtigste ethische und politische Grundgedanken, vor allem die Idee der «Menschlichkeit» oder
Text29 • Die fünf oder sechs Zeilen dieses ersten Kapitels des Zhongyong haben in der «Güte» (ren 1=), die auch Wang Yangming zum Leitfaden seines Lebens und Denkens
philosophischen Literatur Chinas viele tausend Seiten provoziert. Dieses Kapitel nahm. Dieses Buch wird von unseren Philosophen der Ming-Zeit oft zitiert.
beginnt mit einem Satz über die «Natur» (Wesen: xing 11) des Menschen als «Be- 4. Das Buch Mengzi i i f .31 Dieses Buch, das aus sieben Stücken («Büchern»)
stimmung (Auftrag) des Himmels» (tian ming 9i;$), über das Dao (wörtlich: «Weg») mit jeweils zwei Teilen besteht, gilt in der Tradition als das Werk des Philosophen
als das Befolgen dieser «Natur» und über die Lehre (jiao ~) als die Pflege (xiu ~) Mengzi, würde also als Titel den Namen seines Autors tragen. Heute nimmt man
des Dao. Es macht dann dunkle Aussagen über die «Achtsamkeit und Furchtsamkeit eher an, dass seine Redaktion von Mengzis Schülern oder Schülersschülern stammt.
des Edlen gegenüber dem, was er nicht sieht und was er nicht hört (oder: gegenüber Sein Stil ist aber so einheitlich und raffiniert, und seine Argumentationen sind zum
dem, was man von ihm nicht sieht und was man von ihm nicht hört)» und über die Teil so fein ausgearbeitet, dass es sich kaum bloß um Erinnerungen oder Notizen von
«Achtsamkeit des Edlen auf sein Alleinsein». Die zweite Hälfte dieses Kapitel be- verschiedenen Schülern über mündliche Gespräche des Meisters handeit, sondern
ginnt mit dem Satz: «Der Zustand vor dem Entstehen von Wohlgefallen und Zorn, in großen Teilen auf schriftliche Formulierungen von Mengzi selbst zurückzugehen
Trauer und Freude wird Mitte genannt (xi nu ai le zhi wei fa wei zhi zhong ~~a•z* scheint. Es ist keine Sammlung von mündlichen Aussprüchen wie das Lunyu. Für
Mengzi hat sich im Westen - wie «Konfuzius» für Kongfuzi - auch der latinisierte
~fflzi:p).» Dieser Satz könnte der Beginn der älteren Textschicht der «Anwendung
der Mitte» sein, da chinesische Texte oft nach einem wichtigen Ausdruck in ihrem Name «Menzius» eingebürgert, den ihm europäische Missionare im 17. Jahrhundert
ersten Satz betitelt wurden. Im Weiteren ist dann in diesem Kapitel auch von der gegeben haben, der aber nicht mehr so allgemein verwendet wird wie «Konfuzius».
<<Harmonie» (he J!;Q) «nach dem Entstehen» jener Gefühle die Rede. Einige dieser Die Lebenszeit von Mengzi wird mit 371-289 v. Chr. angegeben. Mengzi berief sich
Aussagen des ersten Kapitels wurden schon vor Zhu Xi als Hinweise auf meditative auf Konfuzius und gehörte zur konfuzianischen Schule. Er galt seit der zweiten Hälfte
Praktiken verstanden. Auch im Verständnis dieses ersten Kapitels des Zhongyong der Tang-Dynastie (618-906) als ein Schüler von Zisi, dem Enkel von Konfuzius, was
wich Wang Yangming weit von der Interpretation Zhu Xis ab. Zhu Xi sah darin zwei aber kaum stimmen dürfte, da ihre Lebenszeiten zu weit auseinanderliegen. Das Buch
zeitlich verschiedene Bestandteile des ethischen Lernens (des «Pflegens des Dao») Mengzi spielte seit der zweiten Hälfte der Tang-Dynastie in der konfuzianischen Bil-
beschrieben: zuerst eine meditative Konzentration zur Zeit vor dem Entstehen der dung eine immer wichtigere Rolle und erlangte in der Song-Dynastie (960-12 79) eine
Gefühle und des Denkens und danach ein Prüfen und Erkennen zur Zeit nach dem ähnliche Bedeutung wie die «Gespräche des Konfuzius» oder die <<Fünf Klassiker».
Entstehen der Gefühle und des Denkens, während Wang Yangming das «vor dem Seit der Yuan-Dynastie (1279-1368) trug Mengzi den Titel des nach Konfuzius «zwei-
Entstehen der Gefühle» nicht als einen zeitlichen psychologischen Zustand, sondern ten Heiligen» (ya sheng §:~). Sein Buch ist das umfangreichste der «Vier Bücher».
als die immer vorhandene «Grundwirklichkeit» (ti \il) des Herzens (Geistes) verstand Durch seine Ideen und Begründungen ist es auch das philosophischste unter ihnen.
und eine solche zeitliche Aufteilung des Lernens ablehnte. Man darf sagen, dass die Es spielte für Wang Yangming und seine Schüler eine enorme Rolle. Wir werden im
unterschiedlichen Auffassungen der ersten Kapitel des Daxue und des Zhongyong ein nächsten Paragraphen(§ 4) seine Grundideen, sofern sie bei jenen wichtig waren,
Konzentrat der Meinungsverschiedenheiten zwischen Zhu Xi und Wang Yangming kurz skizzieren.
darstellen.
30 Deutsche Übersetzungen: Wilhelm, Richard: Kttng-Fittse. Gespräche (Lnnyit),Jena 1910, Neuausgabe:
J?.üsseldorf 1955; Schwarz, Ernst: Kunfazius. Gesp1iiche des Meisters Kong, München 1985. Französische
Ubersetzungen: Cheng, Anne: Entretiens de Confucius, Paris 1981; Ryclamms, Pierre: Les lZntretiens
28 Vgl. Fung Yu-lan: A History of Chinese Philosophy, Princeton, NJ 1952, Bd. 1, S. 370ff.; Weber-Schäfer: 4~ Confacizts, Paris 1987; Levy, Andre: Confacizts. Entretiens aves ses disciples, Paris 1994. Englische
Ubersetzungen: Waley, Arthur: The Anlects of Confaciits, London 1938; Lau, D. C.: The Analects,
Der Edle itnd der Weise, a.a.O., S. 1-7.
29 Eine deutsche Übersetz.ung dieses ganzen ersten Kapitels liegt vor in: Bauer, Wolfgang: Geschichte Harmonds~orth 1979; Dawson, Raymond: Confacius. Tbe Analects, Oxford 1993.
der chinesischen Philosophie. Konfuzianismus, Daoismus, Buddhismus, hrsg. von Hans van Ess, München 31 Deutsche Ubersetzung: Wilhelm, Ri_~hard: Mong Dsi: Die Lehrgespräche des Meisters Meng !Co, Neu-
ausgabe: München 1982. Englische Ubersetzung: Lau, D. C.: Mencius, Harmondsworth 1970.
2001, s. 266.
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b) Die «Fünf Klassikern


moralisch interpretierte. Wohl erst in dieser Zeit wurden die zehn «Flügel» oder
Die «Fünf Klassiker» (Wu jing .li&ll!) galten nach der Tradition zu ihrem großen «Anhänge» dem «Buch der Wandlungen» beigefügt, die reich an kosmologischen
Teil als die alte Überlieferung, die von Konfuzius gehütet, geordnet und revidiert Ideen sind. Dies ist besonders der Fall in den zwei Teilen des sogenannten «Großen
wurde, also vor ihm entstanden ist. Eine dieser fünf Textsammlungen (die «Früh- Anhangs» (Xici !lißt) und im Anhang Wenyan X~, der die beiden ersten Hexagram-
lings- und Herbstannalen») soll er selbst redigiert, zu einer anderen (dem «Buch der me des «Buches der Wandlungen», das Qian ~ (der Himmel, das Schöpferische, das
Wandlungen») die «Anhänge» geschrieben und zu einer weiteren («Klassiker der Männliche) und das Kun :lljl (die Erde, das Empfangende, das Weibliche) kommentiert.
historischen Dokumente») das Vorwort verfasst haben. In Wirklichkeit sind aber Der «Große Anhang» war für die Konfuzianer der Song- und Ming-Zeit einer der
mehrere ihrer Teile erst nach Konfuzius entstanden, und Konfuzius hat wohl nichts wichtigsten philosophischen Texte. In ihm steht der Satz: «Was über den Formen ist
in ihnen geschrieben. Außer dem «Klassiker der Wandlungen» wurden die Tradi- (xing er shang zhe ~im.t:\!f), heißt Dao; was unter den Formen ist (xing er xia zhe ~im
tionen dieser Textsammlungen durch die Bücherverbrennung von 213 v. Chr. unter "f ~), heißt Gerät (durch seine Form begrenztes Ding: qi w).» (1. Teil, Kap. 12). Dieser
dem ersten Kaiser der Qing-Dynastie, der die konfuzianische Schule unterdrückte, Satz diente als Begründung der Unterscheidung von «metaphysischen» (nichtmateriel-
unterbrochen und dann in der darauffolgenden Ran-Dynastie wieder in verschie- len) und «physischen» Komponenten der Wirklichkeit. Oder es finden sich in ihm die
dener Weise restituiert. Die «Fünf Klassiker» hatten von der Han- (206 v. Chr.- Aussagen, dass das «oberste Prinzip (tai ji Ä ~) die zwei kosmischen Grundkräfte (liang
220 n. Chr.) bis in die Song-Dynastie (960-1279) in der konfuzianischen Bildung yi ~11) hervorbringt», die als Yin und Yang interpretiert wurden (1. Teil, Kap.11 ); oder
den höchsten Status. Manchmal ist auch von «Sechs Klassikern» die Rede, wobei dass das Yi ~ (als Prinzip allen Wandels) «nicht denkt und nicht macht (wu si wu wei
noch ein «Klassiker der Musik» hinzugerechnet wird. Ein solcher lag aber seit der #ffi,'!t.ffit~), sondern [einerseits?, zuerst?] unbewegt in der Stille ist und [andererseits?,
Ran-Dynastie nicht vor. In der Tradition nahm man an, dass er aufgrund der Büche~- danach?] durch Erregung alle Dinge der Welt durchdringt» (1. Teil, Kap. 10). Im
verbrennung von 213 v. Chr. verschwunden ist. Heute denkt man eher, dass er me Anhang Wen yan war seit der Song-Dynastie besonders folgende, der Interpretation
als besonderer Klassiker bestanden hat, sondern vielleicht ein musikalischer Anhang weiten Spielraum gebende Aussage von größter Bedeutung: «Wo er [der große Mensch:
zum «Klassiker der Lieder» (siehe unten) war. da ren.iO,] dem Himmel zuvorkommt (xian tian $'c~), da straft ihn der Himmel nicht
1. Das Yijing ~~ («Klassiker der Wandlung», «Buch der Wandlungen»)3 2 be- Lügen; wo er dem Himmel nachfolgt (hou tian ~~), da richtet er sich nach der Zeit
steht aus vielen Schichten und Teilen verschiedenen Alters und geht in seinen älteren des Himmels» (Teil über das Hexagramm Qian). 34 Solche Gedanken, die zum Teil dao-
Schichten in eine Zeit weit vor Konfuzius zurück. Ursprünglich war es mit seinen istische Wurzeln haben, fanden in der frühen Ran-Dynastie (206 v. Chr.-221 n. Chr.)
Kombinationen von gebrochenen und ungebrochenen Linien ein Orakelbuch und Aufnahme in den Konfuzianismus, wurden in der Song-Dynastie (960-1279) von die-
hatte mit der konfuzianischen Lehre kaum etwas zu tun. Es wird in den «Gesprächen sem weiterentwickelt und waren auch für unsere Philosophen der Ming-Zeit äußerst
des Konfuzius» nur in einer wohl verdorbenen Version einer Textstelle erwähnt, 33 und wichtig. Auch in ihrem privaten Leben konsultierten mindestens einige von ihnen das
im Buch Mengzi ist von ihm überhaupt nicht die Rede. Dies änderte sich, als in der «Buch der Wandlungen», weniger als ein Orakelbuch, um die Zukunft zu erkennen,
Ran-Dynastie im 2. Jahrhundert v. Chr. der Konfuzianismus sich mit kosmologischen auch nicht in einer theoretischen Absicht, sondern als Anleitung dafür, wie sie sicl;i. in
Ideen bereicherte und das «Buch der Wandlungen» kosmologisch und zugleich auch ihrer jeweiligen praktischen Situation, die durch die Zeichen und die Erklärungen dieses
Buches gedeutet werden konnte, verhalten sollten. Von den «Fünf Klassikern» wird das
«Buch der Wandlungen» von unseren Philosophen der Ming-Zeit am meisten zitiert.
32 Lateinische Übersetzung: Regis, Jean-Baptiste, S.J.: (1663-173 8): 1-king, antiqttis:inms Sinarum Lib~r,
2. Das Shujing l!f&ll! («Klassiker der historischen Dokumente»). 35 Diese Text-
1. Bd. Stuttgart 1834, 2. Bd. Stuttgart 1839; diese Ubersetzung war als Manuskript spätestens bereits
1734 vorhanden. Deutsche Übersetzung: Wilhelm, R;!chard: 1 Ging. Dns Buch der Tfandlungen, Jena sammlung spricht von den für die Konfuzianer idealen Herrschern aus der vor-
1924, Neuausgabe: Düsseldorf 1972. Französische Ubersetzung d_er deut~chen Ubersetzung v~_n dynastischen Zeit (Yao und Shun aus dem Ende des drittenJahrtausends v. Chr.) bis zu
Richard Wilhelm: Perrot, Etienne: Yi King, le Livre des transformtttums, Pans 1973. Andere franzo-
Herrschern und Fürsten der Zhou-Dynastie. Einzelne Teile sind noch vor Konfuzius
sische Übersetzung: Philastre, P.-L.-F.: Le Yi: King ou Livre des changements de Ja dynastie des Tshou,
Paris 1885-1893. Englische Übersetzung· der deutschen Übersetzung~on Richard Wilhelm: Baynes, geschrieben worden, andere sind später dazugekommen. Es ist kein philosophisches
Cary F.: 1 Ching or Book of Changes, New York 1950; andere englische Ubersetzunge'.1: Legge, James:
I Ching. Book ofChange 1882, Neuausgabe: edited with an lntroduction _and Stu~y Gmde ~y Ch'u <?ha1
and Wisberg Chai, New York 1964; Song, Z. D.: The Textof the Yi King (and tts Appendixes). Cbmese
34 Yefing; Wen :y_an Jt~: «Kommentar ZUlll ersten Zeichen» (qian gua ~11-). Übersetzung: Wilhelm,
Original with English translation, Shanghai 193 5, Reprint: Taipei 1971. . Richard: 1 Ging, a.a.O., S. 353.
33 Nämlich nur in der Gu-Version (gu lun i!ilt) des 16. Kapitels des 7. Buches. In der Lu-Vers10n (ltt
35 Lateinische oder französische Übersetzung: Gaubil, Antoine, S.J. (1689-17 59): Cbou-king, traduit et
Jun ft~) dieses Textes steht an Stelle des Zeichens ~ (Ji: Wandlung) das gleich ausgesprochene Zei-
annote, Paris 1770; das Manuskript lag spätestens 1739 vor. Französische und lateinische Überset-
chen 1))' <Ji: auch, noch). Viele Interpreten folgen heute der Lu-Ver~ion dieses :rext~s: siehe Whaley:
zung: _Couvreur, Seraphi!1, S.J.:. Chou King; Texte chinois avec une double traduction en franrafr et en latin,
The Analects ofConfucius, London 1938, S. 126 und S. 256. Dass die Gu:Vers1on dieser ~te!~e wo?1 Ho Kien fou 1897. Enghsche Ubersetzung: Legge, James: The Shoo King or the Book ofhistorical docu-
verdorben ist, zeigt schon das nächste Kapitel des 7. Buches, wo gesagt wll'd, dass Konfuzrns uber die
ments, Hongkong 1865, Neuausgabe: Hongkong 1960; Karlgren, Bernhard: The Book of Doczmients,
«Lieder», die «[geschichtlichen] Bücher» und die «[Bücher der] Riten» sprach. Stockholm 1950.
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Werk, enthält aber einige Aussagen, die den Philosophen zu denken gaben, wie etwa mels (tian zhi xing ~Z lt). Durch die Berührung mit den Dingen gerät er in Bewegung
die auch von unseren Philosophen immer wieder zitierten Sätze: «Das Herz (der (dang IJJ). Das sind die Wünsche der Natur (xing zhiyu ltz~). Nachdem die Dinge
Geist) des Menschen ist in Gefahr (oder: gefährlich); das Herz (der Geist) des Dao ist ans Bewusstsein gelangen und bewusst werden, entstehen Vorlieben und Abneigungen
unsichtbar. Sei fein (klug) und einheitlich (jingyi ~-) und halte dich an die Mitte.»36 (hao wu M~). Wenn Vorlieben und Abneigungen im Inneren nicht gemäßigt werden
Wang Yangming stellt in seinem Vorwort zur Neuausgabe der «Gesammelten Schrif- (geordnet werden: jie ffii), wird das Bewusstsein ins Äußere verführt; wenn es nicht
ten» des Konfuzianers des Song-Zeit Lu Jiuyuan (Beiname: Xiangshan, 113 9-1193) zu sich selbst zurückzukehren vermag (fan gong &~), geht das Ordnungsprinzip des
_diese Sätze, die im Shujing dem legendären Gründer der Xia-Dynastie, Yu dem Himmels (tian li ~J,1) verloren. Wenn nun die Dinge unaufhörlich den Menschen
Großen (3. Jahrtausend v. Chr.), zugeschrieben werden, an den Anfang des «Lernens affizieren und die Vorlieben und Abneigungen der Menschen nicht gemäßigt (ge-
des [wahren] Herzens» (xin xue ,t,,~), das er in diesem Vorwort als das «Lernen der ordnet) werden, dann wird der Mensch beim Eintreffen der Dinge selbst zu einem
heiligen Menschen» darstellt und zu dessen Tradition er auch LuJiuyuan und implizit Ding. Dass der Mensch zu einem Ding wird; bedeutet, dass das Ordnungsprinzip des
sich selbst rechnet. 37 Himmels (tian li ~J,1) zerstört und den Wünschen des Menschen (ren yu ).., ~) bis zum
3. Das Shijing ~ffi! («Klassiker der Lieder»). 38 Diese Sammlung enthält 30~. Lie- Ende gewillfahrt wird. So entstehen der Geist der Aufruhr und des Betrugs und die
der oder Oden aus verschiedenen Zeiten. Aber nach dem großen schwedischen Uber- Handlungen der Unzucht und des Chaos. In der Folge unterdrücken die Starken die
setzer und Erforscher dieses Werkes, Bernhard Karlgren, stammen sie alle aus der Schwachen, und die Vielen vergewaltigen die Wenigen; die Wissenden betrügen die
ersten Hälfte der Zhou-Dynastie (der sogenannten Westlichen Zhou-Dynastie: schlecht Gebildeten, und die Kühnen misshandeln die Schüchternen. Die Kranken
1027-771 v. Chr.). Über das Verhältnis dieser «Lieder» zur Philosophie ist Ähnliches werden nicht gepflegt, für die Alten und die Kinder, für die Witwen und Waisen wird
zu sagen wie über die «historischen Dokumente». Sie werden von unseren Philoso- nicht gesorgt. Das ist das Dao (der Weg) des großen Chaos (da luan zhi dao :klL.z
phen nur wenig zitiert. ii).» Andere Kapitel enthalten Aufzeichnungen über verschiedene soziale Normen:
4. Das Liji iHc («Aufzeichnung von Riten», «Buch der Sitte»). 39 Es gibt ver- über die Beziehung der Geschlechter, das Verhältnis von Lehrer und Schüler, über die
schiedene Traditionen von Ritensammlungen. Auch Konfuzius hat sich mit solchen Riten bei der Geburt, über den Totenkult, über Opfer, über die Familien- und Staats-
Texten befasst. Der Klassiker wurde in der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. unter ordnung usw. Sie werden von unseren Philosophen der Ming-Zeit weniger zitiert.
der Ran-Dynastie von Dai Sheng il!ll zusammengestellt. Diese Sammlung wird die 5. Das Chunqiu .ff:f}{ («Frühling und Herbst», «Frühling-und Herbstannalen»)40
«Aufzeichnung des kleinen Güngeren) Dai» (Xiao Dai ji ,J,ilic) genannt, da der Onkel ist ein Geschichtswerk, das die Geschichte des Landes Lu von 770 bis 476 v. Chr.
von Dai Sheng, Dai De ilfl, eine größere Sammlung, die «Aufzeichnung des großen abdeckt. Es enthält auch moralische und politische Bewertungen der damaligen
(älteren) Dai» (Da Dai ji :klUc) hergestellt hatte. Die Kapitel zweiundvierzig und Herrscher. Nach der Tradition soll es von Konfuzius stammen. Zu diesem Werk ge-
einunddreißig, die seit der Song-Dynastie als «Das Lernen der Großen» und «Die hören auch verschiedene Kommentare, von denen der «Kommentar von Zuo» (Zuo
Mitte und das Übliche» die ersten beiden der «Vier Bücher» bilden (siehe oben), sind chuan a:1') der wichtigste ist. Dieser soll von Zuoqiu Ming 2:i::..Er. aJ.I, einem Schüler
sicher die philosophisch reichhaltigsten. Sehr wichtig für die Konfuzianer der Song- von Konfuzius, stammen. Der Ursprung dieser Texte ist aber nicht klar. Sie waren
und Ming-Zeit war aber auch die folgende Stelle aus dem neunzehnten Kapitel (<<Auf- besonders in der Ran-Dynastie (206 v. Chr.-220 n. Chr.) sehr wichtig. Von unseren
zeichnungen über die Musik»), die den Gegensatz zwischen dem «Ordnungsprinzip Konfuzianern der Ming-Zeit werden sie kaum zitiert.
des Himmels» (tian li ~J,1) und den «Wünschen des Menschen» (ren yu A. ~) enthält: Die «Vier Bücher» und die «Fünf Klassiker» bildeten in der Ming-Dynastie
«Der Mensch ist bei seinem Entstehen ruhig (jing li). Das ist seine Natur des Hirn- den konfuzianischen Kanon in einem strengen Sinn. In einem weiteren Sinn ge-
hörten dazu aber noch verschiedene Kommentare zu den Klassikern und vor allem
eine Reihe von Texten von Konfuzianern aus der Song-Dynastie (960-1279). Im
36 Mahnungen von Yu dem Großen, siehe Legge, James: The Shoo King, a.a.O., S. 61. Jahr 1415, zu Beginn der Ming-Dynastie, war im Namen des dritten Ming-Kaisers
37 Siehe unten in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 81. die «Große Sammlung [von Texten] über die Natur und die Ordnungsprinzipien»
38 Lateinische Übersetzung: Charme, Alexandre de la, S.J. (1695-1767): Confucii Che-king ex latina
interpretatione P. de Ja Charme s.j., Stuttgart 1830 (das Manuskript.~us dem 18. Jh. ist vorhanden in (Xing li da quan ltJ,1:k½) mit siebzig «Büchern» (juan) veröffentlicht worden. Sie
der Bibliotheque Nationale in Paris). Lateinische und französische Ubersetzung: Couvreur, Seraphin, enthält vor allem Texte der sogenannten Cheng-Zhu-Schule, das heißt von Zhu Xi
S.J.,: Cheu King. Texte chinois avec une double traduction en franrais et en latin, Ho Kien fu 1896. Eng- (1130-1200) und der von diesem als Autoritäten anerkannten Vorgänger, wie Shao
lische Übersetzungen: Legge, James: The She King or the Book of Poetry,London 1871, Neuauflage:
Hongkong 1960; Waley, Arthur: The Book ofSongs, London 193 7; Karlgren, Bernard: The Book ofOrtes, Yong (1011-1077), Zhou Dunyi (1017-1073), Zhang Zai (1020-1077), die beiden
Stockholm 1950.
39 Deutsche Übersetzung: Wilhelm, Richard: Li Gi, Jena 1930. Französische Übersetzung: CouY,reur,
Seraphin, S.J,: Memoires sur /es bienseances et /es ceremonies, Neuausgabe: Paris 1950. Englische Uber- 40 Französische Übersetzung: Couvreur, Seraphin, S.J,: Tch'ouen ts'io11 et Tso tchouan. La chronique de la
setzung: Legge,James: The Li Ki, or Collection ofTreatises on the Ru/es ofPropriety, or Ceremonial Usages, principaute de Lau 1919, Neuausgabe: Paris 1949. Englische Übersetzung: Legge, James: The Ch'un
London 1885. Ts'ew with the Tso Chuen 1872, Neuausgabe: Hongkong 1960.
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Cheng-Brüder, Cheng Hao (1032-1085) und Cheng Yi (1033-1107). Nicht alle ten enthalten das Dao; die Kommentare erklären die kanonischen Schriften. Hat
Texte dieser großen Sammlung bildeten autoritative Maßstäbe im Denken unserer man die kanonischen Schriften verstanden, so braucht man die Kommentare nicht
acht Philosophen, aber einige Texte waren für sie doch ebenso wichtig und wurden mehr; hat man das Dao verstanden, was braucht man dann noch die kanonischen
mit einer ähnlichen Wertschätzung zitiert wie die «Vier Bücher» oder die «Fünf Schriften! Die kanonischen Schriften und ihre Kommentare bestätigen nur unser
Klassiker». Besonders gilt dies für einige Kapitel aus der «Schrift zur Ergründung eigenes Herz (yin zhengwu xin eryi $fflHf,t,'flö8).»47 Diese Haltung gegenüber den
(der Wandlungen)» (Tang shu il:5)41 von Zhou Dunyi, für die «Westinschrift» kanonischen Texten ist keine Besonderheit unserer neun Philosophen, wenn sie bei
(Xi ming g§~) 42 von Zhang Zai, für «Das Verstehen der Menschlichkeit» (Shi ren ihnen auch besonders ausgeprägt ist. Schon der Freund und Gegner Zhu Xis aus der
it1=)43 und den «Brief über die Festigung der menschlichen Natur» (Ding xing shu Song-DynastieLuJiuyuan (Beiname: Xiangshan, 1139-1193), den WangYangming
7:Ett.W:)44 von Cheng Hao. und seine Schüler sehr schätzten, soll gesagt haben: <<Wenn ich im eigenen Lernen
das Dao (den Weg, die Wahrheit) erkannt habe, dann sind die Klassiker dazu nur die
c) Das Verhältnis unserer Philosophen zum konfuzianischen Kanon Anmerkungen (liu jingjie wo zhu jiao 7"~-W~ä:Dffll).» Das hatte zur Folge, dass diese
Das Verhältnis unserer Philosophen zum konfuzianischen Kanon darf man sich Konfuzianer der Song- und Ming-Zeit die alten kanonischen Texte oft nicht in ihrer
nicht so vorstellen wie dasjenige von christlichen Theologen zur Bibel. Denn der historisch ursprünglichen Bedeutung zu verstehen versuchten, sondern in derjeni-
konfuzianische Kanon war für sie keine übermenschliche Offenbarung, sondern gen, die sie aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen und Einsichten als sinnvollste und
menschliche Aussagen, die im Prinzip von jedem Menschen eingesehen werden wahrste begreifen konnten. In ihrem Rekurs auf diese Texte dienen deren Zitate
können. Ihr Vorgehen ist auch nicht immer so, dass sie zuerst die kanonischen Texte in erster Linie für sie selbst als Bestätigungen ihrer eigenen Einsichten, gegenüber
in ihrem ursprünglichen Sinn auszulegen versuchen, um sie dann in diesem Sinn anderen als Legitimierung ihrer Meinungen und im Ganzen zur Konstitution ih-
aufgrund von eigener Einsicht zu bejahen und sich anzueignen, -~andern sie gehen rer konfuzianischen Identität. Ihr Verhältnis zur Autorität dieser Texte erinnert an
oft umgekehrt vor: Wenn sie aufgrund eigener Erfahrungen und Uberlegungen eine das Verhältnis der Zen-Buddhisten zu ihrer Meistern: Das Entscheidende ist die
Einsicht in die menschliche Natur und das eigene «Herz» gewonnen haben und so eigene Einsicht in die Natur des eigenen Geistes. Doch diese Einsicht bedarf der
von einer Wahrheit überzeugt sind, dann glauben sie, dass der konfuzianische Ka- nachträglichen Bestätigung oder «Besiegelung» durch die Autorität des Meisters.
non, der von den größten Heiligen und Weisen stammt und daher wahr sein muss, Für Wang Yangming und seine Schüler stellte das Verhältnis zu den kanonischen
sie darin bestätigen wird. So wird zum Beispiel von Wang Yangming berichtet, dass Texten ein spezifisches Problem: Welche Funktion hat das Studium der morali-
er nach seiner eigenen großen Einsicht in LongchangvomJahr 1508 diese Einsicht schen Belehrungen dieser Texte in der ethischen Praxis der «Verwirklichung» des
durch die im Gedächtnis behaltenen Aussagen der «Fünf Klassiker» zu bestätigen «ursprünglichen Wissens»? Enthält dieses von «Natur» aus gegebene «Wissen»
versuchte, dabei fand, dass diese mit seiner Einsicht übereinstimmten, und dann nicht schon alle Kenntnisse, die für ein gutes Handeln notwendig sind? (siehe unten
seine «Gedanken über die Fünf Klassiker» schrieb. 45 Wang Yangming und seine Teil I, Kap. 5, § 2).
Schüler, besonders Wang Ji und Wang Gen, betonen immer wieder, dass man etwas Auch wenn das Wichtigste die eigene Einsicht ist, zitieren unsere Philosophen
«aus sich selbst verstehen» (zi de !EI {ij) oder «im eigenen Herzen (Geist) erlangen» die kanonischen Schriften sehr viel, für uns heutige Leser oft ermüdend viel. Dabei
(de zhi yu xin {iiZJJH,,) muss und dass die eigene Einsicht viel wichtiger ist als das darf man nicht vergessen, dass sie ihren Kanon in großem Ausmaße auswendig
Erlernen von kanonischen Texten. Wang Yangming schrieb 1520 in einem Brief: wussten. Von jungen Jahren an lernten sie die «Vier Bücher» und dann auch teil-
«Das Wichtige im Lernen besteht darin, etwas im Herzen (Geist) [durch eigene weise die «Fünf Klassiker» mit lauter Stimme und meistens zusammen mit anderen
Einsicht] zu erlangen (de zhi yu xin {iz~,t,). Wenn ich etwas im eigenen Herzen Schülern in Sprechchören auswendig, noch bevor sie den Sinn dieser Sätze erklärt
prüfe und es als falsch erkenne, dann wage ich nicht, es als richtig zu betrachten, bekamen. Wenn sie also später über irgendein Problem dachten, sprachen oder
selbst wenn es Konfuzius gesagt hat.» 46 Allerdings ist mir keine Stelle bekannt, an schrieben, konnten sie gleich mit Leichtigkeit eine Fülle von mehr oder weniger
der Wang Yangming eine Aussage von Konfuzius als falsch erklärt hätte. Wang Gen, dazu passenden Texten assoziieren. Diese Texte mit ihren Begriffen waren der
der sehr eigenständige Schüler Wang Yangmings, sagte: «Die kanonischen Schrif- Rahmen, der Anhalt, das Organon, das Mittel und Medium ihres Denkens; es war
dafür eine Bedingung der Möglichkeit, aber zugleich auch eine Begrenzung, ein
Ballast und ein Hindernis für die Bildung neuer, passenderer Begriffe. Sie zitierten
41 Englische Übersetzung: Wing-tsit Chan: A Source Book, a.a.O., S. 465-480.
42 A.a.O., S. 497f.
diese Texte, ohne ihre Zitate explizit zu kennzeichnen oder gar deren Quellen zu
43 A.a.O., S. 523f. nennen. Das erübrigte sich für sie, da ihre Adressaten diese Zitate sofort als solche
44 A.a.O., S. 525f.
45 Siehe unten in der Einleitung zu Teil Iden§ l, S. 72f.
46 Brief anLuo Qinshun (Beiname: Zhengan), Chuanxihtll, Nr. 173, Shanghai 1992, S. 76; vgl. unten, 47 Wang Xinzhai quan ji (taiwanesischer Nachdruck einer japanischen Ausgabe von 1846),juan 2 (Yultt,
Teil I, Kap. 5, § 2. 1. Teil), S. 5b-6a (S. 48f.).
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erkannten und einem kanonischen Text zuordnen konnten. Für uns heutige Banau- vieler Konfuzianer der Song-Zeit, auch dasjenige von Zhu Xi, wenn diese auch gegenüber
sen ist das nicht mehr so. Wir erkennen diese Zitate oft nur nach langem Überlegen der Han-Zeit neue Begriffe ins Zentrum rückten, mit denen sie die Einheit ethischer und
und Nachschlagen in den Büchern und manchmal überhaupt nicht. Wir finden kosmologischer Ordnung dachten. Da die Lehren von Mengzi und von Zhu Xi innerhalb
sie für das Verständnis unserer Autoren oft als notwendig oder nützlich, aber oft des Konfuzianismus die zwei gegensätzlichen Pole waren, zwischen denen sich unsere
auch als überflüssig oder gar hinderlich, denn ihre ursprüngliche Bedeutung ist oft Philosophen bewegten und auf die sie sich immer wieder mit Zitaten und Hinweisen
weit von dem entfernt, was unsere Autoren mit ihnen sagen wollten, und auf ihre bezogen, möchte ich in dieser Einleitung, die etwas von den Rahmenbedingungen ihres
legitimierende Funktion können wir verzichten. Wenn wir heute versuchen, die Lebens und Denkens darstellen will, diese Lehren kurz charakterisieren.
Gedanken dieser Philosophen an Philosophie Interessierten, seien es Chinesen oder
nicht, verständlich zu machen, können wir nicht das ganze Gewicht dieser Zitate a) Mengzi: Der Grund des ethischen Handelns liegt im Herzen {Geist: xin ,t,,) 48
mitschleppen. Man muss diese Gedanken, um sie für uns zugänglich zu machen, oft des Menschen
von den zitierten kanonischen Autoritfüen befreien. Andererseits können wir von Mengzi formulierte seine Auffassung im Gegenzug gegen seinen Zeitgenossen
ihrer Bezugnahme auf die alten Texte auch nicht völlig absehen, denn sie sind in Gaozi. Gaozi, dessen Ideen wir nur durch Mengzis Schriften kennen, lehrte, dass
ihren Begriffen mit diesen innigst verwoben. Ich musste daher in den Darstellun- die menschliche Natur mon1lisch gegenüber Gut und Schlecht indifferent sei. Die
gen dieser Studie von Fall zu Fall entscheiden, in welchem Ausmaß die kanonische menschliche Natur sei wie Wasser: ob es nach Osten oder Westen fließt, hängt nicht
Staffage unserer Denker widerzuspiegeln ist. von ihm selbst, sondern von äußeren Umständen ab. 49 Oder die menschliche Natur
sei wie Pappelholz und die Gerechtigkeit wie ein Becher, der aus diesem Holz ge-
§ 4 Zwei gegensätzliche Beziehungspole im ethischen Denken der Konfozianer schnitzt werde 511 ; sie sei also der menschlichen Natur füißerlich. Nach Mcngzi ist das
der Ming-Zeit: Mengzi und Zhu Xi ethisch Gute nicht von außen dem Menschen auferlegt, sondern entspricht dem, was
das menschliche Herz (der menschliche Geist) in seinen innersten Regungen fühlt,
Wenn wir die philosophischen Gedankenwelten betrachten, auf die sich unsere Konfuzi- woraufhin es tendiert und was der Mensch von sich aus zu verwirklichen strebt, wenn
aner der Ming-Zeit immer wieder beziehen, dann sind vor allem zwei Denker zu nennen: er dabei nicht gehindert, sondern gefördert wird. Ethik ist hier nicht bloß eine Sache
Mengzi (ca. 371-289 v. Chr.) und Zhu Xi (l 130-1200), deren Namen wir schon in der sozialen Funktionierens, sondern eine Frage persönlicher Entfaltung und Vervoll-
obigen Vorstellung der «Vier Bücher» angetroffen haben. Man kann sagen, dass sich das kommnung. 1v1engzi lehrte, dass die menschliche Natur ~"eing tt) gut sei. Den vier
Denken unserer neun Philosophen in weiten Strecken im Spannungsfeld zwischen den Haupttugenden: der Menschlichkeit oder Güte (ren 1=), der Gerechtigkeit (yi ~),
Systemen dieser zwei Denker bewegt. Obschon beide zur «konfuzianischen Schule» ge- der Höflichkeit oder dem Anstand (/i tl) und der Weisheit (zhi 1&) entsprechen im
hören und Zirn Xi das Buch Mcngzi in seiner Ausgabe der <<Vier Bücher» kornmentiertc menschlichen «Herzen» angeborene spontane Regungen, die zwar noch nicht diese
und sich auch sonst oft darauf bezieht, liegen die Horizonte ihres Denkens doch in ge- 'fugenden selbst sind, :1ber Keime oder Anfang-e d:1von, Ansätze dnu (duan !illil). Diese
gensätzlichen Richtungen. Mengzi versucht die Ethik in ursprünglichen guten Anlagen guten Regungen sind nach Mengzi wohl vor allem Gefühle. Der Keim für die Tugend
oder Tendenzen des «Herzens», das heißt des menschlichen «Subjekts», zu begründen; der Menschlichkeit oder Güte ist nach ihm die spontane Liebe der kleinen Kinder zu
für ihn besteht die ethische Bildung in der Vervollkommnung der im menschlichen ihren Eltern51 und auch das spontane Mitgefühl oder die Betroffenheit beim Anblick
Herzen angelegten Keime des Guten. Das Kosmologische spielt dabei keine Rolle. Dies fremden Leids, wobei dieses fremde I ,eid auch das I ,eiden von Tieren, zum Beispiel
änderte sich im 2. Jahrhundert v. Chr., in der Hau-Dynastie, zur Zeit, als der Konfuzia- eines zur Opferbank geführten, zitternden Ochsen, sein bnn; Mengzi spricht hier
nismus zur Staatsdoktrin wurde. Schon der einflussreiche Konfuzianer Dong Zhongshu vom «Nicht-ertragen-Können» des Sehens von fremdem Leid. 52 Sein berühmtestes
(ungefähr 195-115 v. Chr.) hatte kosmologische Ideen aus dem Konfuzianismus fremden Beispiel einer solchen spontanen Regung der Menschlichkeit ist die emotionale
Traditionen, vor allem die Lehren von Yin und -Ymg und von den fünf Elementen, in Erschütterung und die Tendenz zum Helfen bei jemandem, der plötzlich irgend-
den Konfuzianismus eingebaut und die ethisch-politische Ordnung letztlich mit der ein Kind sieht, das daran ist, in einen Brunnenschacht zu fallen. 53 Der Tugend der
kosmologischen Ordnung identifiziert. So wurden zum Beispiel die fünf kosmologi-
schen Elemente, Holz, Metall, Feuer, Wasser und Erde, mit den fünf konfuzianischen
Tugenden, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Höflichkeit, Weisheit und Zuverlässigkeit 48 Nach alter chinesischer Vorstellung ist das Herz (xin) nicht nur wie in unserer Tradition und Re-
deweise Organ des Fühlens, sondern auch des Wahrnehmens, Denkens, Wollens, überhaupt aller
(Glaubwürdigkeit), korreliert. Die letzte dieser Tt1genden, die Zuverlässigkeit (Claub- psychischen Funktionen.
wünligkeit) als die Entsprechung zum Element Erde, war zur Kardinaltugend erhoben 49 !Vlcu8zi, 6. Buch, 1. !eil, 2. Kap.
worden, um die Elemente (Grundkräfte) der ethisch-politischen Welt auch zahlenmäßig SO l\llc11.~zi, 6. Buch, 1. "kil, 1. Kap.
51 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, 15. Kap.
mit den Elementen der kosmischen Welt zur Deckung zu bringen. Diese kosmologische 52 Mengzi, 1. Buch, 1. Teil, 7. Kap.; 2. Buch, 1. Teil, 6. und 7. Kap.
Dimension, die dem ursprünglichen Konfuzianismus fehlte, bestimmte auch das Denken 53 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, 6. Kap.
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Gerechtigkeit, der würdigen Behandlung der Mitglieder der Gesellschaft, liegt ein das eigentliche ethische Vermögen und Wissen. Diese zwei Ausdrücke «liang neng
Gefühl der Scham zugrunde, das sich einstellt, wenn man jemanden ungerecht oder m.~» und «liang zhi m.~» werden bei Wang Yangming und seinen Schülern eine
unwürdig behandelt, oder ein Gefühl der Abscheu (der Entrüstung), wenn man selbst enorme Bedeutung gewinnen und den durch den Kontext von Mengzi angelegten
unwürdig behandelt wird. Dieses Gefühl kann nach Mengzi stärker sein als unsere Sinn von «ursprünglichem Können» und «ursprünglichem Wissen» annehmen. Diese
biologischen Triebe. So kann ein hungriger Bettler die lebensnotwendige Nahrung Begriffe stehen im Zentrum der vorliegenden Studie.
von sich weisen, wenn sie ihm in beleidigender Art dargeboten wird: «Mengzi sagte: Diese dem Herzen des Menschen angeborenen Keime oder Ansätze der Tugen-
Ich liebe Fisch und liebe Bärentatzen54• Wenn ich nicht beides zusammen haben den garantieren als solche noch nicht ein ethisch gutes Leben. Sie müssen «bewahrt»,
kann, dann lasse ich den Fisch und halte mich an die Bärentatzen. Ich liebe das Leben «entfaltet» oder «ausgeweitet» und «zur Fülle (Vollendung) gebracht» werden, um
und liebe die Gerechtigkeit. Wenn ich nicht beides zusammen haben kann, dann lasse Tugenden zu werden: «Das Herz (Geist) des Mitleides ist der Keim der Menschlich-
ich das Leben und halte mich an die Gerechtigkeit. [... ] So gibt es etwas, das mehr keit (Güte); das Herz der Scham und der Abscheu ist der Keim der Gerechtigkeit;
gewünscht wird als das Leben, und etwas, das mehr verabscheut wird als der Tod. das Herz des bescheidenen Zurücktretens ist der Keim der Höflichkeit, das Herz des
Nicht nur die Weisen haben dieses Herz (Geist), sondern alle Menschen haben es. Bejahens des Richtigen und des Ablehnen des Falschen ist der Keim der Weisheit.
Aber die Weisen sind fähig, es nicht verderben zu lassen. Nehmen wir an, Leben oder Die Menschen haben diese vier Keime, wie sie die vier Körperglieder [die zwei Arme
Tod hängen davon ab, ob man ein Körbchen Reis und eine Schale Suppe bekommt und die zwei Beine] haben. Wer diese vier Anlagen hat und meint, er sei unfähig, sie
oder nicht. Wenn sie einem unter Schmähworten gegeben werden, dann nimmt sie zu betätigen, der beraubt sich selbst. [... ] Wer diese vier Anlagen in sich hat, muss sie
auch ein Landstreicher nicht an; wenn sie einem mit den Füßen zugeschoben werden, alle zur Entfaltung und Fülle bringen, wie einen Funken, der zu brennen beginnt, wie
nimmt sie auch ein Bettler nicht auf.» 55 Nach Mengzi hat der Mensch ein natürliches einen Quell, der durchzusickern beginnt. Wenn man sie zur Fülle zu bringen vermag,
Gefühl seiner Würde, die er nicht verletzt haben will, und er schämt sich auch, diese ist man fähig, [als König] für das ganze Reich zu sorgen; wenn man sie nicht entfaltet,
Würde bei anderen zu verletzen, wenn er sie ungerecht behandelt. kann man nicht einmal seinen Eltern dienen.»61 Anstatt von «Ausdehnen», «Entfal-
Für die Tugend der Höflichkeit oder des Anstandes sieht Mengzi den natürlichen ten» (kuo 1Jl) oder «zur Fülle bringen» (chong 1c) dieser Anlagen spricht Mengzi auch
Keim in Gefühlen der Verehrung und der Achtung56 oder in Tendenzen, gegenüber vom «Erfüllen des Herzens» (jin xin fit,t.,), vom «Nähren des Herzens» (yang xin
anderen zurückzutreten und Rücksicht zu nehmen 57 , und für die Tugend der Weisheit in ,.,t,,) oder «Nähren der Natur» (yang xing *'lt). «Wer sein Herz erfüllt, der erkennt
einem «Herz (Geist, Sinn) für das Richtige und Falsche» oder, in anderer Übersetzung, seine Natur. Wer seine Natur erkennt, der erkennt den Himmel (das Höchste, das
in einem «Herz, das bejaht und verneint» oder «das billigt und missbilligt» (shi fei zhi Göttliche: tian :;li,:). Wer sein Herz bewahrt und seine Natur nährt, der dient dem
xin ~~~z,t.,). 58 Mengzi gibt leider für diesen Keim der vierten Tugend keine erläutern- Himmel. Ob man lange oder nur kurz lebt, macht keinen Unterschied; man soll sich
den Beispiele, so dass es schwierig zu sehen ist, welche psychischen Phänomene damit selbst ethisch kultivieren und es abwarten. Dadurch hält man sein eigenes Geschick
gemeint sind. Nach einem seiner Texte59 scheint es ein Lieben des moralisch Guten (seine individuelle Bestimmung) aufrecht (li ming JL$).»62
und ein Verabscheuen des moralisch Schlechten zu sein, und zwar in einer Weise, in Wie das «Bewahren» und «Erfüllen des Herzens», das «Entfalten» und «zur
der wir mit anderen übereinstimmen können. Es scheint also so etwas zu sein wie ein Fülle Bringen der Natur (Naturanlagen)» genau vor sich geht, wird im Buch Meng-
intersubjektiv gemeinsames moralisches Wertgefühl. In diesem Sinn jedenfalls wurde zi nicht sehr deutlich. Entsprechend wird es tausendachthundert Jahre später bei
Mengzi von späteren chinesischen Denkern, auch von Wang Yangming, verstanden. Wang Yangming und seinen Schülern lebhafte Diskussionen darüber geben, wie die
Eher beiläufig sagt Mengzi an einer Stelle mit Beispielen von Keimen der «Verwirklichung des ursprünglichen Könnens und Wissens» zu geschehen hat. Bei
Tugenden der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, dass diese Keime liang neng Mengzi steht an einer Stelle: •«Nichts ist besser :für das Nähren des Herzens (Geistes)
m.~ und liang zhi m.~□ seien. 60 Diese zwei Ausdrücke sind in diesem Zusammenhang als das Vermindern der Wünsche (Begierden) (gua yu Wttx). Ein Mensch mit wenigen
bei Mengzi mit <<gutes Können» und «gutes Wissen» zu übersetzen: Die ursprüng- Wünschen mag einiges darin [im Herzen] nicht bewahren, aber nur weniges; ein
lichen «Keime» sind nach ihm das «gute Können» und das «gute Wissen», das heißt Mensch mit vielen Wünschen, mag einiges darin [im Herzen] bewahren, aber nur
weniges.»63 An einer anderen Stelle weist Mengzi bei dieser Frage auf das «Denken»
(si ,~): «Die Sinnesvermögen der Augen und Ohren denken nicht, sondern werden
54 Bärentatzen galten im alten China als ein Leckerbissen.
von den Dingen bedeckt; im Wechselspiel der Dinge ziehen diese die Sinne einfach
55 Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, 10. Kap.
56 Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, 6. Kap.
56 Mengzi, 6. Buch, 1. leil, 6. Kap.
58 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, 6. Kap.; 6. Buch, 1. Teil, 6. Kap. 61 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, 6. Kap.
59 Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, 8. Kap. 62 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, 1. Kap.
60 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, 15. Kap. 63 Mengzi, 7. Buch, 2. Teil, 35. Kap.
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an. Das Herz (der Geist) hat das Vermögen des Denkens. Wenn es denkt, dann des Gemeinen willen das Edle schädigen, um des Geringen willen das Große schä­
erlangt es; wenn es nicht denkt, dann erlangt es nicht. Dieses [Denken] hat uns der digen. Wer sein Geringes pflegt, ist ein geringer Mensch; wer sein Großes pflegt, ist
Himmel gegeben.»64 Weiter scheint dieses «Entfalten» der guten Keime bei Mengzi ein großer Mensch. »69 Oder: «Wer seinem Großen folgt, ist ein großer Mensch; wer
auch in einem kontinuierlichen Handeln im Sinne eines Sichauswirkens jener guten seinem Geringen folgt, ist ein geringer Mensch. [... ] Man muss zuerst das eigene
Regungen (Keime) des Herzens zu bestehen: Mengzi spricht von «Ansammeln von Große aufrichten, dann kann es nicht vom eigenen Geringen geraubt werden. Um
Gerechtigkeit» (Zusammenstellen von gerechtem Verhalten:ji -�).65 Dieses «Sich­ ein großer Mensch zu werden, braucht es nichts anderes als das. »70 Das nach seinem
auswirken» im Handeln sieht Mengzi als einen Übergang von den guten Regungen Wert Große im Menschen, das spezifisch menschliche «Herz», ist phänomenal etwas
im «Innern» des Herzens (Geistes) auf den leiblichen Ausdruck und das sichtbare «ganz Kleines»: Mengzi sagte: «Das, wodurch sich die Menschen von den T ieren un­
äußere Verhalten: «Was der Edle als die Natur [des Menschen] (xing lt) betrachtet, terscheiden, ist etwas ganz Kleines. Die Menge wirft es weg, der Edle bewahrt es.»71 Er
wird nicht durch ein erfolgreiches Leben vergrößert und nicht durch ein Leben in braucht für dieses «Wegwerfen», für diesen Verfall, folgendes Gleichnis: «Die Bäume
Armut verkleinert, denn sie ist etwas [dem Menschen] fest Zugeteiltes. Was der Edle des Ochsenberges waren einmal schön. Da dieser Berg aber in der Nähe einer großen
als die Natur betrachtet, nämlich Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Höflichkeit und Stadt liegt, wurden die Bäume mit Äxten abgeholzt, so dass ihre Schönheit dahin war.
Weisheit, hat seine Wurzel im Herzen; das ist ihre Gestalt im Entstehen (sheng se Im Lauf von Tag und Nacht und durch das Wasser von Regen und Tau befeuchtet
�ts). Sie wird klar sichtbar auf dem Gesicht, wächst im Rücken und dehnt sich in sprossen zwar neue Keime, doch Ochsen und Ziegen fraßen sie ab, so dass der Berg
den Armen und Beinen [d.h. im Sichverhalten] aus. In den Armen und Beinen ist sie nun so kahl dasteht. Wenn die Leute nun seine Kahlheit sehen, denken sie, dass er nie
ohne Worte verständlich. »66 mit Bäumen bewachsen war. Doch ist das wirklich die Natur des Berges? Wie könnte
Bei dieser Entfaltung braucht und darf keine Gewalt angewendet, es darf nicht dem Menschen das Herz der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit fehlen! Die Art,
forciert werden. Mengzi sagt: «Gaozi versteht die Gerechtigkeit nicht, denn er hält sie wie er sein gutes Herz (liang xin ßU,,) aufgibt, ist wie bei den Äxten gegenüber den
für etwas Äußerliches. Sicher muss man dafür etwas tun, aber man darf sie nicht mit Bäumen. Wenn täglich abgeholzt wird, wie kann da noch Schönheit bestehen! Der
Gewalt zurechtbiegen; man darf sie zwar nicht vernachlässigen, ihr aber auch nicht in jeder Nacht neu hervorgebrachte morgenfrische Lebensatem (Lebensgeist) (ping
beim Wachsen künstlich nachhelfen wollen. Man soll es nicht so machen wie jener dan zhi qi siz. .§.zjt), sein den anderen Menschen nahes Gefühl für Richtig (Gut) und
Mann aus dem Land Song. 67 Im Lande Song gab es einen Mann, der sich sorgte, dass Falsch (Schlecht), ist zwar noch ein bisschen vorhanden. Aber das, was er dann im
seine Getreidesprösslinge nicht wachsen könnten. So zog er sie in die Höhe und ging Laufe des Tages treibt, schränkt dieses Gefühl ein und zerstört es. Wenn sich dieses
danach ganz erschöpft nach Hause. Zu Hause sagte er seinen Leuten: Ich bin ganz Einschränken ständig wiederholt, dann reicht der Lebensatem (Lebensgeist) der
erledigt, ich habe meinen Sprösslingen beim Wachsen geholfen. Seine Söhne liefen Nacht (ye qi �jt) nicht mehr aus, um dieses Gefühl zu bewahren. Und dann ist das
hinaus, um sie zu sehen. Die Sprösslinge waren verwelkt. »68 Verhalten des Menschen nicht sehr verschieden von demjenigen der T iere. Wenn
Wenn Mengzi lehrte, dass die Natur des Menschen gut sei, so war er gegen­ die Leute dann seine tierische Art sehen, meinen sie, dass er nie höhere Fähigkeiten
über dem faktischen ethischen Zustand der Menschen nicht blind. Er war sich auch besaß. Aber ist das der wirkliche Charakter des Menschen! Wenn etwas seine Nahrung
bewusst, dass vieles der ethischen Entwicklung des Menschen entgegenwirkt. Er erhält, wächst es, und wenn ihm die Nahrung fehlt, geht es zugrunde. Konfuzius sagte:
spricht aber nicht von angeborenen moralisch schlechten Tendenzen im Menschen. <Wenn man sich daran hält, bleibt es bewahrt; wenn man es fahren lässt, dann geht
Er sah in dem, was er als die «Natur des Menschen» oder das «Herz des Menschen» es zugrunde. Sein Kommen und Gehen hat keine festen Zeiten, niemand weiß, wo
bezeichnete, das dem Menschen spezifisch Eigene, das ihn über ein bloß animalisches es wohnt.>72 Damit ist das Herz (der Geist) gemeint.» 73 In der Perspektive Mengzis
Leben hinaus auf ein ethisches Handeln ausrichtet. Er sah in diesem dem Menschen hat also die ethische Aufgabe des gewöhnlichen Menschen zwei Seiten: Es gilt einer­
Spezifischen das «Große», Wichtige oder Wertvolle des Menschen, während er das seits, wie wir bereits gesehen haben, die «Keime» der Tugenden zur Entfaltung zu
Animalische, das der Mensch mit den Tieren gemein hat, als das «Kleine (Geringe)», bringen, andererseits aber auch, das in den üblen Geschäften fahren gelassene eigene
«Gemeine», weniger Wertvolle betrachtete. Schlecht wird der Mensch nach Mengzi «gute Herz» (liang xin ßU,,) wiederzugewinnen. Er sagt: «Menschlichkeit ist das
dadurch, dass er das «Geringe» auf Kosten des «Großen» auslebt: «Die Wirklichkeit Herz des Menschen. [ ... ] Wie traurig ist es, wenn man sein Herz verliert und es nicht
des Menschen hat Edles und Gemeines, Großes und Geringes. Man darf nicht um

69 Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, 14. Kap.


64 Mengzi, 7. Buch, 2. Teil, 35. Kap. 70 Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, 15. Kap.
65 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, 2. Kap. 71 Mengzi, 4. Buch, 2. Teil, 19. Kap.
66 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, 21. Kap. 72 Eine solche Aussage findet sich nicht in den «Gesprächen des Konfuzius» (L1myu). Offenbar gab es
67 Die Leute aus dem Land Song galten zur Zeit von Mengzi als dumm. Traditionen von Aussagen von Konfuzius, die nicht im Lunyu festgehalten sind.
68 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, 2. Kap. 73 Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, 8. Kap.
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zu suchen weiß. Wenn die Leute ein Huhn oder einen Hund verlieren, wissen sie diese Unordnung verabscheuten, schufen sie Pflichten der Sitte, um die jeweiligen Anteile
zu suchen. Wenn sie aber ihr Herz verlieren, wissen sie nicht, es zu suchen. Der Weg festzulegen und die Bedürfnisse der Menschen befriedigen und ihr Streben erfüllen
(Dao) der Lernens besteht in nichts anderem als im Suchen des verlorenen Herzens zu können. So bewirkten sie, dass die Begierden nicht die Lebensgüter erschöpften
(qiu qi fang xin er yi :sj<;ltnt,c, ffü B ).» 74 Diese zwei Seiten der ethischen Praxis werden und dass den Bedürfnissen nicht die Lebensgüter fehlten. Beides, Begierden und Le-
auch bei den Philosophen des 16. Jahrhunderts, denen unsere Studie gewidmet ist, bensgüter, muss sich die Waage halten. Das ist der Ursprung der Regeln der Sitte.»77
wieder auftreten. Nach Xunzi laufen diese Verhaltensregeln den natürlichen Trieben und Neigungen
Das Wichtige für Mengzi ist, dass die menschliche Vollkommenheit, die Tu- der Menschen zuwider. Er lehrte, dass «die Menschen ihrer Natur (Naturanlage: xinp;
genden, dem einzelnen Menschen nicht von außen aufzuzwingen sind, sondern ihre 11) nach schlecht» seien. Diese «Natur>> ist nach ihm das, «was man nicht erlernen
Wurzel im «Herzen» des Menschen haben, seinen Gefühlen entsprechen und von und nicht erwirken kann, sondern vom Himmel (von Natur: tian ~) her vorhanden
ihm nicht als äußere Beschränkungen, sondern im Herzen als eigene Entfaltungen ist» 78 • Als die Natur des Menschen betrachtete er angeborene Triebe der Habgier, des
erfahren werden. Mengzi sagt: «Menschlichkeit (Güte), Gerechtigkeit, Höflichkeit Neides und der Aggression, das Streben nach Vergnügen, die nach ihm zum sozialen
und Weisheit sind uns nicht von außen aufpoliert, wir haben sie aus uns selbst, wir Chaos und damit zur Verelendung führen, wenn sie nicht durch jene Regeln der Sitte
denken nur nicht daran.» 75 gezügelt werden. Der seiner Naturanlage nach schlechte Mensch kann gut werden,
Im alten Konfuzianismus vor der Ban-Dynastie war die Gegenposition zu Mengzis aber nur durch soziale Erziehung gemäß jenen Regeln, das heißt durch Kultur. Xnnzi
Begründung der Ethik nicht die Idee kosmischer Ordnung, sondern die Position von schreibt: «Die Natur des Menschen ist schlecht; das Gute an ihm ist künstlich (vom
Xunzi (ungefähr 313-238 v. Chr.), der die Ethik bloß vorn Cesichtspunkt der Gesellschaft Mensch gemacht: wei -11.ä). Die Natur des Menschen ist so, dass er von Geburt her sei-
betrachtete. Die Lehre von Xunzi war noch bis in die 'Erng-Dynastie (618-908) in der nen Vorteil licht; wenn er dieser Tendenz freien Lauf lässt, dann kommt es zu Streit
konfuzianischen Schule als Gegensatz zu Mcngzi präsent, doch seit der zweiten Hälfte und Gewalt, und höfliches Zurücktreten und Nachgeben verschwinden. Die Natur
dieser Dynastie wurde sie, wohl durch Einfluss der buddhistischen Idee der «Buddha- des Menschen ist so, dass er von Geburt her andere Menschen beneidet und hasst;
N atur» im Menschen, von Mengzis Auffassung immer mehr in den Hintergrund ge- wenn er dieser Tendenz freien Lauf lässt, dann kommt es zu Grausamkeit und Raub,
driingt. Von unseren Philosophen der Ming-Dynastie wird Xunzi nur noch selten zitiert. 76 und Loyalitiit und Treue verschwinden. Die Natur des Menschen ist so, dass er von
Doch seine Position war noch bekannt, auch deshalb, weil sie eine enge Ticziehung zur Ceburt her nach den Vergnügen der Ohren und Augen begehrt und schöne Klänge
sogenannten «legalistischen Schule» hatte. Diese haben die Konfuzianer einerseits und schöne Anblicke liebt; wenn er dieser rl endenz freien Lauflässt, d:mn kommt es zu
verabscheut, aber andererseits machten einige von ihnen bei ihr auch Anleihen, da die Ausschweifung und Verwirrung, und Gesittung und feines Benehmen verschwinden.
Versuchung immer groß war, für die Ordnung der Gesellschaft nicht nur auf die morali- Wenn also der Mensch seiner Natur folgt und seinen Trieben nachgibt, dann kommt
sche Bildung des Tndividmuns, sondern auch auf mit strengen Sanktionen ein hergehende es unvermeidlich zu Streit und Raub, zur Verletzung der Standesgrenzen und zur
Gesetze zurückzugreifen. Verderbnis der Gesittung, und er wird in grausamer Gewalt enden. Deshalb bedarf es
Xunzi fasste das Moralische als das standesgemäße, der jeweiligen sozialen der Veränderung aufgrund von Vorbildern und Regeln und des Vorgehens gemäß der
Stellung als Vater oder Sohn, Herrscher oder Untertan, Ehemann oder Ehefrau etc. Pflichten der Sitte; erst dann kommt es zu höflichem Zurücktreten und Nachgeben, zu
gemäße Verhalten. Die ethischen Normen sind soziale Regeln der Schicklichkeit oder feinen Formen und schließlich zur sozialen Ordnung. Wenn man dies betrachtet, wird
der Sitte (li ~), die festlegen, was sich für die verschiedenen Stiinde in der Gesell- klar, dass die Natur des Menschen schlecht und dass das Gute an ihm künstlich ist.» 79
schaft gehört. Sie wurden nach ihm von heiligen Königen und Weisen des Altertums Xunzi illustriert die kulturelle Urnfornmng des t\!lcnschen sehr anschaulich durch die
aufgestellt, um die soziale Ordnung zu ermöglichen und dadurch die Versorgung der Gleichnisse des Zurechtbiegens von krummem Holz und des Schleifens von stumpfem
Menschen mit den notwendigen Lebensgütern zu gewährleisten. Xunzi schreibt: «Wie Metall: «Um krummes Holz gerade zu machen, muss man es in einem Richtstock mit
entstanden die Regeln der Sitte? Von Geburt her haben die Menschen Bedürfnisse Dampf bearbeiten und auf es Druck ausüben; um stumpfes Metall zu einer scharfen
und Begierden. Wenn diese Bedürfnisse und Begierden nicht befriedigt werden, dann Klinge zu machen, nrnss man es an einem SchlciLtcin schleifen. Da die Natur des
trachten die Menschen notwendig nach ihrer Befriedigung. Wenn dieses Streben Menschen schlecht ist, wird er nur aufgrund von Vorbildern und Mustern gerade und
ohne Schranken und Unterschiede geschieht, dann ergibt sich unvermeidlich Streit. nur aufgrund der Pflichten der Sitte geordnet. [... ] Im Altertum hielten die heiligen
Aus Streit erfolgt Unordnung und aus Unordnung Elend. Da die früheren Könige die

77 Xmni, 19. Buch, Anf:rng. Ich übe„sc·l/.l' direkt aus dein Chinesischen. l(s besteht eine deutsche Über-
setzung von Hl'nll.l!lll l(öster: H,i111-1:.11, Kaldenkirchcn IW,7, und eine eng·lische Übersetzung von
74 Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, 11. Kap. John Knoblock: Xzmzi: A Translation and Study of the Cornplete Works, Stanford 1988-1994, 3 Bde.
75 Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, 6. Kap. 78 Xunzi, 23. Buch. ·
76 Im Chuanxi tu Wang Yangmings tritt er dreimal auf. 79 Xunzi, 19. Buch.
30 31

Könige den Menschen aufgrund seiner Natur für dem Schiefen zugeneigt und nicht Ordnungsprinzip ausprägt, ist die «vom Himmel bestimmte Natur des Menschen»
für gerade, für aufrührerisch und nicht für geordnet. Deshalb stellten sie für ihn die (tian ming zhi xing ~"trrztt). Wird diese «Natur» zusammen mit den «Energien»
Pflichten der Sitte auf, schufen den Maßstab der Regeln und machten die menschlichen (qi ~) und deren greifbaren stofflichen Verfestigungen (zhi !t), die diese «Natur»
Tendenzen und Anlagen durch den Druck der Normen gerade und durch umformen- in sich aufgenommen haben, betrachtet, spricht Zhu Xi von der «physischen
de Anleitung geordnet.»80 Nach Xunzi entsprechen also die ethischen Regeln, durch Natur» des Menschen (wörtlich: Natur der Energien und der Stoffe: qi zhi zhi xing
deren Befolgung der Mensch gut wird, nicht seiner Natur, sondern müssen ihm von ~ft .Z. tt). 82 Die Regungen oder Gefühle des menschlichen Herzens sind keine rei-
außen aufgezwungen werden. nen Äußerungen der «vom Himmel bestimmten Natur», sondern Phänomene der
«physischen Natur», da in ihnen auch die Faktoren des «physischen» Werdens, die
b) Zhu Xi: Das ethische Handeln besteht in der Übereinstimmung mit dem mehr oder weniger trüben qi m,
wirksam sind. Nur in den Gefühlen des «heiligen
kosmischen Ordnungsprinzip. Grundlage dafür ist eine geistige Haltung der Menschen», dessen «Energien» ganz «klar», sozusagen völlig transparent sind,
ehrfürchtigen Konzentration in der Ruhe kommt die «vom Himmel bestimmte Natur» voll zur Erscheinung und rein zur
Zur Zeit von Wang Yangming und seinen Schülern war in der konfuzianischen Auswirkung. Die «vom Himmel bestimmte Natur» ist gut, während die «physische
Schule die Gegenposition zu Mengzi nicht diejenige von Xunzi, sondern diejenige Natur» des Menschen auch Schlechtes enthält. So verband Zhu Xi die Antithesen
von Zhu Xi (1130-1200), dessen Form des Konfuzianismus damals die staatlich von Mengzi und Xunzi.
offizielle war. Zhu Xi lehrt ein universales kosmisches Ordnungsprinzip, das er Das kosmische Ordnungsprinzip hat bei Zhu Xi eine enge Beziehung zu den
tian li ~Ii (Ordnung des Himmels), dao ~ (Dao; anfängliche Bedeutung: Weg) konfuzianischen Tugenden, besonders zur Menschlichkeit oder Güte (ren f=), die
oder tai ji :;t_ffi (Weltachse; anfängliche Bedeutung: oberster Firstbalken) nennt. die erste Tugend ist und nach ihm die anderen keimhaft in sich birgt. Es ist letztlich
Dieses oberste Ordnungsprinzip ist, wie die oberste Idee (Überidee) des Einen mit den Normen dieser Tugenden identisch. Zhu Xi sieht wie seine Vorgänger, die
oder Guten Platons, an sich eines, aber in den mannigfaltigen Dingen des Univer- Brüder Cheng (11. Jh.), die Tugend der Menschlichkeit oder Güte als schöpferische
sums verschiedenartig ausgeprägt, so dass sich das eine Ordnungsprinzip zu vielen Lebendigkeit und Feinfühligkeit im Gegensatz zum Starren, Toten, Unempfindli-
Ordnungsprinzipien vervielfältigt und jedes Ding sein eigenes Ordnungsprinzip chen. Wer gegenüber dem Schicksal anderer Wesen unempfindlich ist, wen dieses
(li Ii) hat. Er definiert ein solches Ordnungsprinzip als <<Ursache, warum etwas kalt lässt, ist jemand, in dem die Menschlichkeit verschüttet ist. «Unerschöpfliche
so ist, wie es ist» (suo yi ran zhi gu JifiW-?&zt&), und als «Norm, wie etwas sein schöpferische Lebendigkeit» (sheng sheng bu yi ~~ 1' E) ist auch der Grundzug des
soll» (dang ran zhi ze ~~ZR~)81 ; es ist also zugleich ein Sein und ein Sollen (eine kosmischen Ordnungsprinzips. 83 Diese Einheit von Kosmologie und Ethik erinnert
normative Regel). Ein Wesen, zum Beispiel ein Mensch, ein Tier oder eine Pflanze, an Dong Zhongshu (179-104 v. Chr.) aus der Ban-Dynastie, der die Tugend der
entspricht nicht immer völlig seinem eigenen Ordnungsprinzip, denn ein solches Menschlichkeit mit dem lebendigen Element Holz korrelierte.
Wesen besteht auch aus «Energien», aus qi ~ (anfängliche Bedeutung: Atem, Luft). Da das universale kosmische Ordnungsprinzip, die «Ordnung des Himmels»,
Diese «Energien» entstehen und vergehen kontinuierlich; sie sind das Prinzip der oberstes ethisches Gesetz ist, bildet die Erkenntnis dieses umfassenden kosmischen
Veränderung. Während die «Ordnungsprinzipien» an sich Einheit sind, nämlich Prinzips eine Voraussetzung echten ethischen Lebens. Dieses eine Ordnungsprin-
die normative Gesamtordnung der Welt bilden, sind die «Energien» an sich Viel- zip, das sich in den verschiedenen Dingen und Geschehnissen als deren verschie-
heit. Sie sind als solche dual, das heißt, sie bestehen aus den Gegenpolen Yin (das dene Ordnungsprinzipien verkörpert, kann nicht losgelöst von diesen, sondern nur
Dunkle) und Yang (das Helle), und generieren aus sich in einem kontinuierlichen in diesen erkannt werden. Die Ordnungsprinzipien an sich selbst sind «oberhalb
zyklischen Prozess die fünf dynamischen Elemente (Grundkräfte: wu xing ::tifr): der Formen» (xing er shang Jlfim...t.), das heißt «metaphysisch», aber sie sind nur
Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall. Die «Energien» sind in den Dingen mehr in «dem, was unter den Formen ist» (xing er xia zhe ~ii'ö""F".:;!f), 84 das heißt in den
oder weniger «klar» oder «trübe», so dass die Ordnungsprinzipien sich in ihnen nur konkreten Dingen, fassbar: «Das, <Was oberhalb der Formen> ist, bezeichnet die
mehr oder weniger deutlich «auszudrücken», zu «manifestieren», nur mehr oder Ordnungsprinzipien; das <was unter den Formen ist> bezeichnet die Sachen und
weniger vollständig durchzusetzen vermögen. Sie entsprechen keineswegs unserer Dinge (shi wu -~). Alle Sachen und Dinge haben ihr Ordnungsprinzip. Die Sachen
Idee der physischen Naturgesetze, von denen es prinzipiell keine Abweichungen und Dinge sind wahrnehmbar (ke jian i:iJ J!), aber ihre Ordnungsprinzipien sind
gibt. Die «Ordnung des Himmels», sofern sie sich im Menschen als sein spezifisches

82 Zu diesen beiden «Naturen» siehe Zhuzi yu lei,juan 4.


83 Gemäß dem «Großen Anhang» des «Buches der Wandlungen»: «Schöpferische Lebendigkeit ist [das
80 Xunzi, 23. Buch. Prinzip] des Wandels (sheng shen wei yi 1:.1:.-~)» (1. Teil, Kap. 5).
81 «Daxue huo wen»; Erklärung dazu in: Zhuzi yu lei («Gespräche von Meister Zhu, geordnet nach Sach- 84 Zu dieser Unterscheidung siehe den «Großen Anhang» des «Buches der Wandlungen» (1. Teil,
gebieten»),juan 18, Beijing, Zhonghua shuju 1986, 2. Bd., S. 414. Kap. 12).
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schwierig zu erkennen (nan zhi B~)- Nur in den konkreten Sachen und Dingen jeweilige Ding auszuforschen und dabei bis zum Äußersten zu streben. Wenn er
können diese Ordnungsprinzipien wahrgenommen werden. Deshalb spricht das sich auf diese Weise lange angestrengt hat, wird er eines Tages plötzlich einheitlich
<Lernen der Großen> (Daxue) nicht vom <Ausschöpfen der Ordnungsprinzipien> durchblicken (huo ran r;uan tong H?l.t~Jffi.).»91 Diese plötzliche bis auf den Grund
(qiong li ~11), sondern vom <Erforschen der Dinge> (ge wu ffi-Wl).» 85 Das universale gehende Einsicht in die eine kosmische Ordnung kann nicht erzwungen werden,
Ordnungsprinzip kann in allen Dingen erforscht werden. Zhu Xi ist wie der jüngere sondern ergibt sich nach langer gründlicher Erforschung vieler Ordnungsprinzi-
der Cheng-Brüder, Cheng Yi (1033-1107), der Meinung, dass «auch jedes Gras pien von selbst, spontan: «Die Erlangung der Einsicht ist nicht etwas, was durch
und jeder Baum sein Ordnungsprinzip (li JI) hat, das erforscht werden muss» 86 - menschliche Kraft herangebracht werden kann.»92 «Jede einzelne Angelegenheit
Aber man soll nicht weitschweifig irgendwelche Ordnungsprinzipien zu erforschen und jedes einzelne Ding hat sein Ordnungsprinzip, wie kann man da unbedingt
trachten, sondern sich mit dem befassen, was einem selbst betrifft: «Wenn man nur eine Einheit konstruieren wollen (ru he ying yao nie he de :t!Dfiif~Ulff'i%1~)! Wenn
weitschweifend die Ordnungsprinzipien (li) aller Wesen der Welt ausforscht und man, sobald man jeweils einer Angelegenheit begegnet, nach dem Ordnungsprinzip
sich nicht mit dem befasst, was einem selbst betrifft (qie ji -!;)] c. ), dann ist es so, wie es dieser einen Angelegenheit erschöpfend sucht und das lange so gemacht hat, dann
in den <Nachgelassenen Schriften> [der beiden Cheng] heißt: <Man reitet davon und kann man von selbst einheitlich durchblicken (zi ran hui r;uan tong gJ ~~JU.ffi.).»93
hat keine Rückkehr>.» 87 Oder er bringt es auf die einfache Formel: «Man muss nur Auf diese Weise kann man zu einer intuitiven Erkenntnis des Grundgesetzes der
vorn Naheliegenden ausgehen.» 88 Er scheint der Erforschung des eigenen Herzens Welt gelangen, die zugleich oberste Norm des Handelns ist.
(Geistes: xin ,t,,) eine gewisse Priorität zu geben: «Es besteht ein großes Gedränge Doch das ethische Lernen, die ethische «Anstrengung» (gongJu :i:;ti ~), besteht
und eine große Anzahl von Ordnungsprinzipien der Welt; was die Ohren hören nach Zhu Xi nicht nur in diesem Erkenntnisprozess der universalen kosmischen
und die Augen sehen, sind alles Dinge [mit ihren Ordnungsprinzipien]. Wie kann Ordnung und in dem dieser Ordnung entsprechenden Handeln, sondern dieser
man ihnen da auf den Grund gehen? Man muss sie im Herzen (Geist) erforschen; aktive Umgang mit den Dingen setzt nach ihm eine ethische Übung in der «Ruhe»
wenn die Ordnungsprinzipien des Herzens (Geistes) klar geworden sind, kann man (jing ffi!) voraus. Zu dieser Position hatte er sich nur langsam durchringen können.
danach bei den Dingen, wo [der Geist] sich aufhält, forschend fortschreiten.» 89 Ihr Hintergrund in den kanonischen Texten bildet das erste Kapitel des Zhongyong,
In der Pädagogik gibt Zhu Xi dem Studium der Schriften der Weisen, in denen in dem von der <<Mitte (zhong lt!) vor dem Entstehen der Gefühle (wei Ja *~)»
die Ordnungsprinzipien in vorzüglicher Weise ausgedrückt sind, eine zeitliche und der «Harmonie» (he .ffi) nach ihrem Entstehen die Rede ist. Zhu Xis Lehrer,
Priorität. Aber er förderte auch die Erforschung der Ordnungsprinzipien in den Li Tong (Beiname: Yanping, 1093-1153), der wie er selbst in der Provinz Fujian
sozialen Beziehungen und in der Natur. Man braucht nach ihm nicht alle einzelnen im Südosten Chinas lebte und bei dem er 1143 bis 1153 lernte, hatte nach seinem
Ordnungsprinzipien zu erforschen, um Einsicht in das höchste, universale Ord- Bericht gelehrt, dass man «in der Ruhe die <große Grundlage> (da ben ;k;ljs:)94 er-
nungsprinzip, das Dao, das die Einheit aller Ordnungsprinzipien und der oberste fahren», das heißt «in der Zeit vor dem Entstehen der Gefühle» (wei Ja shi *~~)
Maßstab des ethischen Verhaltens ist, zu gewinnen, aber man kann die Erforschung der «Mitte» innewerden müsse. 95 Zhu Xi schreibt, dass er beim Tod seines Lehrers
auch nicht einfach beim Ordnungsprinzip eines einzelnen Dinges bewenden las- (1153) diese Lehre noch nicht verstanden hatte. 96 Einige Jahre später (1156) kam
sen. 90 Zhu Xis Leitidee ist wohl, dass alle Ordnungsprinzipien analog sind, so dass er zur Auffassung, dass «das dem Entstehen der Gefühle Vorangehende» (wei Ja
die Erkenntnis des einen die Erkenntnis des anderen fördert und umgekehrt. In *~) gar nicht das «Herz» betreffe, also keinen zeitlichen psychologischen oder
seinen «Anmerkungen zu den Kapiteln und Sätzen des Daxue» (Daxue zhang ju geistigen Zustand meine, sondern vielmehr die unveränderliche «Natur» oder
zhuji) kommentiert er, sich auf die Auslegung der beiden Cheng-Brüder berufend, das «Wesen» (xing-11) des Menschen, da sich im «Herzen» immer schon Gefühle
die Stelle im Grundkapitel über «die Erforschung der Dinge und die Ausdehnung und Gedanken abspielen (,yi Ja 8~), es also ein «Herz» «in der Zeit vor dem
des Wissens» (ge wu zhi zhi ffi-W]jk9;□) folgendermaßen: «Die erste Unterweisung Entstehen der Gefühle» (wei Ja shi *~~) nicht geben könne: «Herz ist schon
des Daxue ist es, den Lernenden zu veranlassen, beim Zusammentreffen mit je-
dem Ding der Welt, aufgrund der ihm schon bekannten Ordnungsprinzipien, das
91 Vgl. dazu auch Zhuzi yu lei,juan 18, Beijing 1986, S. 392ff.
92 A.a.O., S. 394.
93 A.a.O., S. 396.
85 Zitiert nach Zhouzi quan shu m-1- ½'I' (mit Kommentaren von Zhu Xi), hrsg. von Wang Yunwu, 94 Im ersten Kapitel des Zhongyong steht: «Die Mitte ist die große Grundlage der Welt (tian xia zhi da
ben ;Ji:"f;z:/1::.,I!;).»
Shanghai 1937, S. 9.
95 Siehe Zhu Xis zweiten Brief an He Shujing, Wenji,juan 40, Si bu bei yao, S. 8a.
86 A.a.O., S. 400.
96 In seiner Schrift «Vorwort zur alten Lehre von der Mitte und der Harmonie» von 1172 schreibt er:
87 Ebd.
«Früher habe ich mit Yanping, Lehrer Li [fong], das Zhongyong studiert und versuchte das, was vor
88 Ebd.
dem Entstehen der Gefühle des Vergnügens und des Zornes, der Trauer und der Freude liegt, zu
89 Ebd.
ergründen. Bevor ich es aber verstand, verstarb der Lehrer.» (Wenji,juan 75, Si bu bei yao, S. 22b).
90 A.a.O., S. 395.
34 35

Entstandensein von Gefühlen; Natur ist noch nicht Entstandensein von Gefühlen werden.» 103 In der Zeit der Geschäfte bedeutet die «ehrfürchtige Konzentration»
(xin wei yi Ja, xing wei wei Ja it>~ B~'li#?J*~).» 97 Doch drei Jahre später (1159) die Konzentration auf die jetzt zu erledigende Sache, ohne gedanklich davon ab-
revidierte Zirn Xi diese Auffassung und teilte seine neue Sicht noch im selben Jahr zuschweifen.
in einem berühmt gewordenen Brief seinen Freunden in der Provinz Hunan mit, Zhu Xis «Lernen» kennt also zwei Komponenten: eine «meditative» Kom-
besonders Zhang Shi (113 3-1180), mit denen er dieses Problem zuvor mündlich ponente der «ehrfürchtigen Konzentration» (jing :/i'R) 104, die in der Ruhe, «vor dem
und schriftlich diskutiert hatte. 98 Diese neue Auffassung hat er später auch in seine Entstehen der Gefühle» (wei Ja *~), vor der Auseinandersetzung mit der Welt
Erklärung des ersten Kapitels des Zhongyong innerhalb seines großen Kommentar- einsetzt und das «Herz pflegt», sowie eine auf der Erforschung und Erkenntnis der
werkes zu den «Vier Büchern» einfließen Iassen. 99 Nach dieser neuen Auffassung, Ordnungsprinzipien beruhende tätige Kornponente. Der große Synthctiker Zhu Xi
bei der er seitdem geblieben ist, gibt es sehr wohl einen Zustand des «Herzens», versuchte also auch in Bezug auf Ruhe und Tätigkeit, Meditation und rationales
in dem die Gefühle noch nicht entstanden sind. Es ist ein Zustand, in dem «die Denken eine Einheit herzustellen. Wang Yangming wird mit beiden Bestandteilen
Ccdanken und Überlegungen noch nicht keimen und die Dinge und Geschäfte von Zhu Xis Synthese seine Schwierigkeiten haben: Weder wird es ihm gelingen,
noch nicht da sind (si lü wei meng, shi wu wei zhi ,\füi:*i'vf$WI*~). Es ist dies die in Zhu Xis \Neise die Ordnungsprinzipien der Dinge zu erforschen, 105 noch wird er
stille nicht tätige Substanz des Herzens (Geistes), in der die vom Hinuncl bestimm- einen Zustand des «Herzens>> finden, in dem sich noch keine Gedanken regen. 1116
te Natur (tian ming zhi xing ;lc'ifp;z tt) verkörpert sein muss.» 100 Diesen Zustand Doch bei seinen Schülern werden beide Ideen Zhu Xis noch wirksam bleiben. 107
gilt es in einer geistigen Haltung der «ehrfürchtigen Konzentration» (jing fi'R) zu Zhu Xis Philosophie wurde in den letzten] ahren seines Lebens von offizieller
«pflegen» (httn yang 5i~). Dadurch wird «das Herz bewahrt» (cun xin tf-,i)). 101 Es Seite angegriffen und verurteilt, und er verlor seine Stellung und seine Titel. Aber
ist die Grundlage dafür, dass, «nachdem die Gefühle entstanden sind>>, das heißt schon bald nach seinem 'UHI (1200) gewann seine Lehre auch offiziell immer mehr
in den intentionalen Beziehungen zu den Gegenstiindcn und Ccschiiften, das Anerkennung. 1241, noch unter der Song-Dynastie, wurde seine Seelentafel in die
«Wissen durch die Erforschung der Ordnungsprinzipien verwirklicht» (zhi zhi Konfuzius-Tempel aufgenommen. Unter der nächsten Dynastie, der Dynastie der
3&~) werden kann. Zhu Xi betont im angeführten Brief, dass es hier nicht nur um Mongolen (Yuan, 1279-1368), wurde sein Kommentar der «Vier Bücher» offiziell
die Erkenntnis des Verhältnisses von «l lcrz» (xin ,t,,) und «vom Himrncl bestimm- anerkannt nnd zum Prüfungsstoff in den Staatsexamen erhoben.
ter Natur» (titm ming zhi xing $;z tt), sondern auch um die ethische Praxis gehe:
«Früher habe ich in meinen Frklärungen und Überlegungen das ]Jerz (den Geist) Anhang zur allgemeinen Einleitung: Die fünf Kaiser in der Zeit
als dasjenige betrachtet, in dem die Gefühle bereits entstanden sind (yi xin wei yi zwischen 1499 und 1583
fa J..:;IJG'#?J B~), und habe das Erforschen und Erkennen von Ansätzen [des Guten,
der Ordnungsprinzipien! für den ersten Schritt der [ethischen] Praxis gehalten (yi a) Der Hongzhi-Kaiser (1487-1505)
cha shi dzum ni wei zui chu xia shou chu P,.l.~~l'iilöm,~irit1JJT-.f-lJ!R). Dadurch mangelte Dieser nach kon fnzi,111ischcn Vorstellungen gntc Kaiser kam 1487 mit siebzehn
mir das Stück Anstrengung des täglichen Pflegens [des Herzens], und ich habe die Jahren auf den Thron und regierte bis zu seinem Tod im Sommer 1505 unter der
Leute zu einem geistigen Zustand der Unordnung, Oberflächlichkeit und Unkon- Devise hong zhi ~b5€i' («weite Ordnung»). 108 Er war der Sohn des vorangegangenen
zentriertheit veranlasst. Und so wurde oft auch ihr Sprechen und Tätigsein nach Kaisers und einer Dienstmagd im Kaiserpalast, die wahrscheinlich zu einem nicht-
dein <Entstehen [der Gefühle]> hastig und oberffachlich und gebrach des inneren chinesischen Volk aus der Provinz Cuangxi, ganz im Süden des Reiches, gehörte.
Friedens und der 'I'iefc.» 102 Auch nachdem man tiitig geworden ist, muss man nach Der kleine Knabe wurde bis zu seinem fünften Altersjahr bei der Kaiserin, die im
Zhu Xi die in der Ruhe gewonnene «ehrfürchtige Konzentration» bewahren: <<In Kaiserpalast ein zurückgezogenes Leben führte, versteckt, um ihn vor der Eifersucht
der Zeit ohne Geschäfte ist die ehrfürchtige Konzentration (jing fi'R) innen. In der der bevorzugten Nebenfrau des Kaisers zu schützen. Als sein Vater 1475, fünf]ahre
Zeit der Geschäfte ist die ehrfürchtige Konzentration bei den Geschäften. Ob man nach der Geburt dieses Sohnes, von dessen Existenz erfuhr, war er hocherfreut, denn
Gesdüfre hat oder nicht, unsere ehrfürchtige Konzentration soll nie unterbrochen seine ersten beiden Siihne waren in zartem Alter gestorben, und er wünschte sich

97 Mit dieser Formel charakterisiert Zhu Xi in seinem «Ersten Brief an die Herren von Hunan über die
Mitte und die Harmonie» von 1159 seine frühere Position (Wenji,juan 64, Si bu beiyao, S. 28b). 103 Zlmzi yu lei,jzttm 12, Zhonghua shuju, Beijing 1986, S. 213.
98 Siehe Wing-tsit Chans englische Übersetzung dieses Briefes in seinem Source Book in Chinese l'hilo- 104 Zu Zhu Xis Begriff der «Konzent r:it i1Jn und Ehrfurd1t» siehe seine fä lci,jurm 12 und juau 18, Beijing
sophy, Princeton, NJ l 963, S. 600-602. s.
1986, 207-21 (, und S. 402f.
99 Siehe unten Teil 1, K:1p. 2, § 1, Abschnitt c): «das allein Wissen», S. 137ff. 105 Siehe Tei 1, Einleitung,§ 1, S. 5ff
100 Wenji,juan 64, Si bu bei yao, S. 28b. 106 Siehe Teil I, Kap. 2, § 1, S. 136f.
101 Ein Wort aus Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, 1. Kap. 107 Siehe Teil I, Kap. 5 sowie Teil II, Kap. 3 (Nie Bao) und Kap. 4 (Luo Hongx.ian).
102 Wenji,juan 64, Si bu bei yao, S. 29a. 108 Zur Biographie dieses Kaisers siehe den Artikel von Chaoying Fang, DMB, S. 375-380.
36 37

einen Kronprinzen. Noch im selben Jahr wurde er zum Thronerben erklärt und den Ministerien und änderte eigenmächtig Staatsgesetze. Sein Einfluss dauerte fast
dem Schutz seiner Großmutter, der Mutter des Kaisers, anbefohlen. Schon als Kind fünfJahre bis zum September 1510.
lernte er bei einem Palasteunuchen die konfuzianischen «Vier Bücher» und setzte mit Die Eunuchen waren während der ganzen Ming-Zeit am Kaiserhof ein mehr
acht Jahren in der «Halle des Gedeihens der Kultur» seine konfuzianischen Studien oder weniger starker Machtfaktor. Schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts übte ein
fort. Im Februar 1487, mit sechzehn Jahren, heiratete er. Er soll bis zu seinem Tod Eunuch, Wang Chen ::E ffii, einen enormen Einfluss auf den damaligen Kaiser und
monogam gelebt haben, was in der Geschichte des chinesischen Kaiserhauses einen seine Regierung aus. Er bewegte den Kaiser auch dazu, selbst gegen die Mongolen ins
Einzelfall darstellt. Am 9. September desselben Jahres starb sein Vater, und er bestieg Feld zu ziehen, was am 1. September 1449 mit der Katastrophe von Tumu endete, in
acht Tage später den Drachenthron. Er schaltete den Einfluss übler Eunuchen im der der Kaiser von den Mongolen gefangen genommen und ein Großteil der chinesi-
Kaiserpalast aus, 109 entließ zwei der drei Großsekretäre, die einen schlechten Ruf schen Armee und des kaiserlichen Gefolges, darunter auch Wang Chen, umgebracht
hatten, setzte ungefähr dreitausend Beamte ab, die ihre Ämter erkauft hatten, und rief wurde. 111 Der Machtfaktor der Eunuchen war in der konfuzianischen Konzeption der
erfahrene Staatsmänner in den Staatsdienst zurück. Vor seinen Entscheiden beriet er Staatsregierung nicht vorgesehen, und ihr politischer Einfluss wurde von aufrechten
sich nicht nur mit seinen Großsekretären, sondern auch mit seinen Ministern, was Konfuzianern immer wieder bekämpft. Sie gewannen diesen Einfluss primär über die
in der Ming-Dynastie eine Ausnahme war. Eine Ausnahme war es ebenso, dass es Kaiserfrauen und die kaiserlichen Kinder, zu deren Dienst sie hauptsächlich bestimmt
unter seiner Herrschaft am Hof keine großen Machtkämpfe zwischen verschiedenen waren. Der erste Kaiser der Ming-Dynastie hatte den Eunuchen eine konfuzianische
Interessenparteien gab. Er strebte auch nicht nach militärischem Ruhm. Seine Re- Ausbildung und jegliche politische Tätigkeit untersagt. Doch der dritte Herrscher der
gierungszeit war eine friedvolle. Wang Yangming war fünfzehn Jahre alt und lebte Dynastie überzeugte einige konfuzianische Gelehrte, sich kastrieren zu lassen, um als
in Peking, als dieser Kaiser dort seine Herrschaft antrat, und er verbrachte unter Lehrer für die Frauen des Kaiserpalastes dienen zu können. 112 Junge oder schwache
seiner Regierung viele Jahre als Studierender in der Reichshauptstadt und seit 1499 Herrscher konnten leicht in Abhängigkeit von den Hofeunuchen geraten.
die ersten Jahre seiner Beamtentätigkeit, so dass er als Jüngling und junger Mann Unter dem jungen Zhengde-Kaiser konnten die «acht Tiger» auch dadurch an
von der Kaiserherrschaft einen guten Eindruck gewann. die Macht kommen, dass sie sich mit hohen Beamten verbanden, hauptsächlich mit
dem Minister des BeamtenministeriumsJiao Fang~ :B' (1436-1517). Doch viele Be-
b) Der Zhengde-Kaiser (1506-1521) amte aus den Ministerien und aus dem Zensorat wie auch zwei der drei Großsekretäre
Doch dies änderte mit dem nächsten Kaiser, der in vielerlei Hinsicht das pure Ge- kritisierten in Eingaben an den Thron den Einfluss dieser Eunuchengruppe, doch ohne
genteil seines Vorgängers und Vaters war. Er kam im Sommer 1505 mit noch kaum Erfolg. Die zwei opponierenden Großsekretäre wurden 1506 abgesetztundJiao Fang
vierzehn Jahren als einziger überlebender Sohn des verstorbenen Hongzhi-Kaisers an ihre Stelle erhoben. Auch die andern Kritiker wurden bestraft. Wang Yangming hat
auf den Thron und herrschte sechzehn} ahre bis zum Frühling 1521 unter der Devise sich für einige von ihnen durch eine Eingabe an den Thron eingesetzt. Die Folge war,
zheng de iE-ll («gerade Tugend»). Sein Vater hatte besonders an ihm gehangen und dass er eingekerkert, öffentlich bis zur Bewusstlosigkeit verprügelt, in die Verbannung
ihn verwöhnt, da sein anderer Sohn schon 1496 im Alter von nur einem Jahr gestor- geschickt wurde und um sein Leben fürchten musste. 113 Nicht alle Palasteunuchen
ben war. Er nahm ihn auf kaiserliche Inspektionsreisen mit. Einen Tag vor seinem waren auf der Seite der «acht Tiger». Die Frontlinien verliefen nicht eindeutig zwi-
Tod im Sommer 1505 empfahl er ihn seinen drei Großsekretären und bat sie, ihm zu schen den Beamten und den Eunuchen. Der Sturz von LiuJin kam schließlich dadurch
dienen. Er war sich bewusst, dass er ausschweifende Vergnügen liebte. Dem jungen zustande, dass im September 1510 einer der «acht Tiger», der Eunuch Zhang Yong
Kaiser waren die strengen konfuzianischen Beamten und ihre Lehre zuwider, er ging ~* (1465-1529) 114, dem Kaiser eine diesem bisher vorenthaltene Erklärung eines re-
Audienzen mit ihnen aus dem Weg und hielt sich an die Palasteunuchen, die seinen bellierenden kaiserlichen Prinzen zeigte, in der dieser auf die Verbrechen von LiuJin
Wünschen folgten und mit ihm Pferdesport, Bogenschießen, Ringen, Akrobatik trie- hinwies. Der Kaiser wurde misstrauisch, ließ Liu Jin verhaften und durchsuchte per-
ben, auf die Jagd gingen und mit ihm spielten. Nach kurzer Zeit hatte eine Gruppe sönlich dessen Residenz. Er fand Indizien, die ihn schließen ließen, dass Liu Jin nach
von acht Eunuchen, welche die «acht Tiger» genannt wurden, die Macht am Hof in dem Kaiserthron trachtete. Am 27. September 1510 wurde LiuJin hingerichtet.
den Händen. Ihr Haupt war LiuJin IIJ Ji, der 1506 Kommandant der kaiserlichen Doch auch nach diesem Ereignis kam er seinen politischen Aufgaben als Kaiser
Garde wurde. 110 Der junge Kaiser vertraute ihm völlig und war froh, sich nicht um die nicht nach, sondern widmete sich immer mehr militärischen Übungen und Expedi-
Staatsgeschäfte kümmern zu müssen, für die er sich nicht interessierte. LiuJin sandte tionen und strebte nach Kriegsruhm. Durch das Fehlen der kaiserlichen Autorität
die kaiserlichen Edikte ohne Zustimmung des Kaisers direkt von seiner Residenz zu

111 Zu Wang Zhen siehe den Artikel von Franke, Wolfgang, DMB, S. 1347-1349.
112 A.a.O., S. 1347f.
109 Zur Macht der Eunuchen siehe unten die Ausführungen zum nächsten Kaiser. 113 Siehe unten in der Einleitung zu Teil I den § 1, S. 70f.
110 Zu LiuJin siehe den Artikel von Yung-deh Richard Chu, DMB, S. 941-945. 114 Zu Zhang Yong siehe den Artikel von Yung-deh Richard Chu, DMB, S. 111-113.
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wurden die Verhältnisse in der Regierung des Landes unsicher und verworren. Der zu werden, sondern forderte unter Berufung auf den Willen des verstorbenen Kaisers
Kaiser scharte junge Offiziere um sich und adoptierte sie als seine Söhne, kleidete sich den Status des «N achfolgcrs auf dem Kaiserthron» (si huang di wei ;~~ ?\Htr). Dies
in militärische Gewänder und führte eine kriegerische Truppe von Eunuchen an. In bedeutete, dass er eine neue kaiserliche Erblinie begründen wollte. Um Wirren zu
der Zeit zwischen August 1517 und März 1519 hielt er sich hauptsächlich als Heer- vermeiden, stimmten Y1ng Tinghe und die hohen Beamten am Hofe zu und baten
führer an der Nord- und Nordwestgrenze Chinas aut: um gegen die Mongolen zu ihn, sofort den Thron einzunehmen. Fr wurde am 27. Mai 1521 in Peking mit den
kämpfen. Als im Oktober 1517 der Führer der Ostmongolen, Batu Möngke, mit fünf- Ehren eines Kaisers empfangen und bestieg noch am selben Tage den Thron. 117 Aus
zigtausend Reitern in Nordchina einfiel, den chinesischen Truppen schwere Verluste diesem eigenwilligenJüngling wurde ein despotischer Kaiser. Er herrschte sechsund-
zufügte und sich dann wieder zurückzog, leitete der Kaiser selbst die militärischen vierzig Jahre lang bis zum] anuar 15 67 unter der Devise jia jing ~~ («ausgezeichnete
Operationen und erklärte sich als Sieger, obschon seine Verluste viel höher waren als Ruhe und Ordnung»). In seine Regierungs,,eit fallen die letzten acht Lebensjahre
diejenigen seiner Gegner. Im Juli 1519 rebellierte ein Verwandter des Kaisers, der Wang Yangmings und die anderthalb Jahre seiner letzten Beamtentätig·keit sowie der
Prinz Ning, der seinen Sitz in Nanchang, der Hauptstadt der ProvinzJiangxi, südlich größte Teil des Lebens und der Beamtentätigkeit seiner in dieser Studie besonders
des Yangzi, hatte, gegen den Kaiser und beanspruchte den Thron. Wang Yangming, hervortretenden acht Schüler.
der zwischen 1516 und 1518 Aufstände an der Südgrenze der ProvinzJiangxi nieder- Nach seiner Thronbesteigung ging es dem Kaiser hauptsächlich darum, seinen
geschlagen hatte, war damals auf dem Weg nach Norden, hob, als er von der Rebellion 15 l 9 verstorbenen Vater und seine noch lebende Mutter in kaiserliche Riinge zu er-
erfuhr, Truppen aus, schlug die Armee des Prinzen und nahm ihn am 20. August 1519 heben. Der Erste Großsekretär, Yang Tinghe, und der Großteil der hohen Beamten
gefangen. lLrnptsächlich ein General und ein Eunuch in der Umgebung des Kaisers sahen darin einen Widerspruch zu den vorangegangenen Kaisern. Der 1521 beim
verdächtigten Wang Yangming der Konspiration mit dem rebellierenden Prinzen. Das siebenten Versuch zum jinshi promovierte Zh,mg Cong ~ 1!I. (seit 15 31 hieß er Zhang
war eine Gelegenheit für den Kaiser, selbst mit einer Armee in den Süden zu ziehen, Fujing ~ $:/J)J() 118 stellte sich auf die Seite des Kaisers und machte rituelle Vorschläge,
um sich Kriegsrulun zu holen. Er verließ Peking am 15. September 1519. Unter dem die den Wünschen des Kaisers entgegenkamen. Es entstand zwischen den hohen
Verdacht der Konspiration gegen den Kaiser kam Wang Yangming in äußerste Le- Beamten ein großer Konflikt, der als «Große Auseinandersetzung um die Riten» (da
bensgcfahr.115 Nachdem er dem Kaiser über den oben erwähnten Eunuchen Zhang li yi *1~Hm) in die Ceschichte eingegangen ist. Der Kaiser, und mit ihm Zhang Cong,
Yong, der 1510 den Eunuchen Liu Jin zu Fall gebracht hatte und dem er vertraute, obsiegte. Der Vater des Kaisers wurde posthum zum Kaiser erhoben, und seine Mutter
den gefangenen Prinzen übergehen hatte, zog der Kaiser im Ilerbst 1520 «siegreich» der noch lebenden Mutter des verstorbenen Kaisers und Gattin des vorletzten Kaisers
nach Norden. Auf dem I Teimwcg fiel er beim Fischen ins kalte Wasser, wurde krank gleichgestellt. Ein Schüler Wang Yangmings ,n1s der Provinz Fujian, Ma Mingheng
und starb, noch nicht einmal dreißig Jahre alt, am 20. April 1521 in Peking. ,~ BJ:lif, der damals Zensor war, tadelte diese Gleichstellung, wurde darauf einge-
ke1-l<ert und dann von der Beamtenliste gestrichen und nach l lause geschickt. 119 Als
c) Der Jiajing-Kaiser (1522-1566) der Kaiser noch mehr Ehren auf seine Eltern häufen wollte, protestierte im August
Der verstorbene Kaiser hatte keinen Sohn und auch keinen überlebenden Bruder. [524 eine Gruppe von Beamten vnr dem Eingang wr Verbotenen Stadt. Daraufhin
Der damals sehr mächtige Erste Großsekretär, Yang Tinghe ~ ~;f□ (1459-1529), 116 wurden hundertvierunddreifüg von ihnen ins Ccfängnis der Brokatkleider-Carde
erklärte, dass gemäß den vorn Begründer der Dynastie verfassten «Anweisungen des (jin yi wei ~$:& ffi), 120 einer Art Geheimpolizei des Kaisers, geworfen und ein Teil von
Ahnen der kaiserlichen Ming» (Huang ming zu xun ~a.J:lfflwll) und gemäß der Willens- ihnen ausgepeitscht; hei sechzehn von diesen führte diese Strafe zum 'fod. 121 Unter
erklärung des verstorbenen Kaisers dessen Vetter und Neffe seines Vorgängers und den Eingesperrten und Ausgepeitschten war auch einer unserer neun Philosophen,
Vaters zum Thronerben bestimmt sei. Dieser war ein noch nicht vierzchnjähriger Zou Shouyi, der schon 151 1 jinshi geworden war. Nach seiner Entlassung aus dem
Prinz, der in Anlu ~lli, in der damaligen Provinz Huguang (heute in der Provinz Gefängnis wurde er zu einem subalternen Beamten in der Präfektur zweiten Ranges
l1 ubei), residierte. Die Mutter des verstorbenen Kaisers stin1mte zu. Am 7. Mai 1521 Guangdc Jl~:HI in der Provinz Nanking (heute in der Provinz Anhui) degradiert, wo
verließ der Prinz Anlu. Um die Erblinie der vorangegangenen Kaiser ungebrochen er eine private Akademie zur Verbreitung der Lehre Wang Yangmings gründete und
weiterzuführen, sah der Erste Großsekretär vor, den Prinz in der rituellen Form eines
«jüngeren Bruders» des verstorbenen Kaisers und eines Adoptivsohnes des ½1ters
dieses Kaisers den Thron besteigen zu lassen. Doch bevor der Prinz Peking betrat,
lehnte er es ab, nach den Riten eines «Kronprinzen» (huang tai zi ~7-\T) empfangen 117 Siehe den /\rtikel \'Oll Lienchc 'lu Fang (iber dic:srn Kaise,· (Zirn l loucong), DMB, S. 315-322.
118 Siehe oben in dieser J,:inleitung den§ 1, S. 7; zu 1/,hang Jiujing siehe den i\rtikel von Chou '1:10-chi,
DMB, S. 67-70.
119 Siehe MR)Cl,juan rn, Beijiug 1985, S. <156.
115 Siehe unten in der Einleitung zu Teil I den § 1, S. 90-94. 120 Zu dieser C,irde skhc unten' kil II, kap, 3, S, 514.
116 Siehe den Artikel von Chou 'I:10-chi über Yang Tinghe, DMB, S. 1544. 121 DMB, S. 316.
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dessen Werke veröffentlichte. 122 Zhang Congs Position indessen stieg beständig. Im großer Gegner, Yan Song Nil~. mit dem Nie Bao liiert war, die Oberhand gewonnen
Oktober 1527 wurde er Großsekretär, einJahr darauf Erster Großsekretär, 123 während hatte und Xia Yan am 31. Oktober 1548 hingerichtet wurde, wurde Nie Bao sofort aus
der seit den letzten Jahren des vorangegangenen Kaisers einflussreichste Beamte, Yang dem Gefängnis entlassen, 15 50 unter Yan Songs Regie zu hohen Posten und 15 52 zum
Tinghe, sich im März 1524 zurückzog, 1528 alle Ehren und Titel verlor und zu einem Minister des Kriegsministeriums befördert. 15 52 wurde auch Ouyang De Minister
gewöhnlichen Mann degradiert wurde. Nachdem Wang Yangming am 9. Januar 15 29 in Peking (Ritenministerium). Yan Song gehörte nicht zur Schule Wang Yangmings,
gestorben war, veranlasste der damals mit Zhang Cong verbündete Minister des Be- war ihren Mitgliedern aber gewogen.
amtenministeriums und Großsekretär Gui E ti ~ (?-15 31) mit verschiedenen Argu- Wer den Wünschen und Launen des Kaisers nicht entsprach, wurde von ihm
menten, dass jenem posthum alle Ehrentitel und erblichen Privilegien abgesprochen aus der Regierung des Landes ausgeschaltet. Als einer unserer acht Nachfolger
wurden, da er die Partei von Zhang Cong und Gui E nicht unterstützt hatte. 124 Auf Wang Yangmings, Luo Hongxian, 1541 zusammen mit zwei anderen Trägern des
Zhang Congs Vorschlag befahl der Kaiser 1530, dass aus den Konfuzius-Tempeln des jinshi-Grades und Mitgliedern der kaiserlichen Hanlin-Akademie in Peking in einer
ganzen Reiches alle Bildwerke von Konfuzius und seinen wichtigsten Nachfolgern Bittschrift vorschlug, dass der zweite Sohn des Kaisers und designierte Thronnachfol-
entfernt und durch Seelentäfelchen ersetzt wurden. Die Begründung war, dass Bild- ger den Kaiser bei Neujahrsaudienzen vertrete, wenn dieser wegen seiner Krankheit
werke erst unter dem Einfluss des Buddhismus in konfuzianische Tempel eingeführt daran verhindert sei, wurde er und seine zwei Mitgesuchsteller von den Beamtenlisten
worden seien. 125 Doch Zhang Congs Macht dauerte nicht sehr lange. Nach 1530 gestrichen und zu gewöhnlichen Leuten erklärt. 128 Noch schlimmer erging es zwanzig
gewann Xia Yan ~ ~, der Zhang Cong bekämpfte, unter anderem aufgrund seines Jahre später einem anderen Beamten, der hingerichtet wurde, weil er in einer Thron-
dem Kaiser gefallenden, die Riten betreffenden Vorschlages, Himmel und Erde auf eingabe bat, um die Thronnachfolge zu klären, den dritten, damals ältesten der noch
getrennten Altären im Süden und im Norden der Hauptstadt zu opfern, 126 immer lebenden Söhne des Kaisers offiziell zum Kronprinzen zu ernennen. 129 1542 wurde
mehr das Vertrauen des Kaisers. ein anderer Schüler Wang Yangmings, Liu Kui IJ ffl (Beiname: Qingchuan 'tl Jll),
Während der Regierungszeit des Jiajing-Kaisers finden wir am Hof in Peking der in einer Eingabe den Kaiser gebeten hatte, die für den Bau von Altären des vom
fast beständig diese Konstellation sich bekämpfender höchster Beamter und ihrer Kaiser besonders verehrten Donnergottes vorgesehenen Gelder für die Verteidi-
Parteien. Der Kaiser hatte schon früh eine solche Konstellation schätzen gelernt, gung der Landesgrenzen zu verwenden, mit vierzig Stockschlägen ausgeprügelt und
da sie ihm erlaubte, seine eigenen Interessen durchzusetzen. Obschon er sich selbst während sechs Jahren in Peking im Gefängnis gehalten.13° In derselben Zeit, in der
nicht mit Regierungsgeschäften abgeben wollte, war er sehr auf die Erhaltung seiner Luo Hongxian seine Beamtenstelle verlor, schieden noch drei weitere von den acht
Machtposition bedacht. Er war sehr misstrauisch und, sobald er bei einem Günstling Schülern oder Nachfolgern Wang Yangmings, die die Hauptakteure des zweiten Teils
den geringsten Widerstand spürte, setzte er auf dessen Gegner und nützte ihren unserer Studie sind, aus der kaiserlichen Beamtenschaft aus: 1540 oder 1541 wurde
Antagonismus aus. Die Eunuchen hatten unter seiner Herrschaft keinen großen Ein- Qian Dehong ins Gefängnis geworfen, weil er den Marquis, Militärkommandanten
fluss, dafür umso mehr die rivalisierenden Großsekretäre. Diese beständige Rivalität und Favoriten des Kaisers Guo Xun ~ 111 (1475-1542) zu kritisieren wagte; 131 1541
zwischen den höchsten Beamten destabilisierte die ganze Verwaltung des Reiches. Als musste Zou Shouyi zurücktreten, weil er eine Eingabe an den Thron gemacht hatte,
zum Beispiel der oben erwähnte Xia Yan 1545 bis 1548 als Erster Großsekretär wieder die dem Kaiser missfiel; 132 1542 zog sich WangJi für immer aus der Beamtentätigkeit
das Vertrauen des Kaisers genoss, saß Nie Bao, einer unserer acht Nachfolger Wang zurück, da er von offizieller Seite kritisiert wurde. 133 Die Konstellation am Hofe muss
Yangmings, in Peking im Gefängnis der Brokatkleider-Garde. Xia Yan sympathisierte damals, als der Erste Großsekretär Xia Yan das Sagen hatte, für die Schüler Wang
nicht mit dem Denken und den Schülern Wang Yangmings; als er zwischen Ende 1542 Yangmings ungünstig gewesen sein.
und 1545 beim Kaiser in Ungnade war und zurückgezogen bei sich zu Hause in der Der Jiajing-Kaiser war seit der rituellen Erhebung seines Vaters und seiner
Präfektur Guangxin Jim im Nordosten der Provinz Jiangxi lebte, gründete er dort Mutter zur Kaiserwürde vor allem an rituellen Fragen interessiert, und er widmete
die Wenjiang-Akademie r.llitUI~ und stellte sie unter das Patronat von Zhu Xi, indem sich in seiner Regierungszeit auch immer mehr daoistischen Riten, Zeremonien und
er für diesen in ihr einen Ahnentempel (ci tiil) errichtete. 127 Nachdem 1548 Xia Yans Praktiken zur Förderung der Sexualität und zur Verlängerung des Lebens. Gleichzei-
tig schloss er die buddhistische Präsenz am Hofe aus. Der Begründer und erste Kaiser

122 Siehe unten, S. 110 und S. 115.


123 Siehe den Artikel über ihn von Chou Tao-chi, DMB, S. 68.
124 Siehe unten, Teil I, Einleitung,§ 1, S. 107. 128 Siehe unten, Teil II, Kap. 4, § 1, S. 624f.
125 Siehe DMB, S. 571f. 129 Artikel über Zhu Zeihou, DMB, S. 365b.
126 Nämlich auf dem runden Himmelsaltar (tian tan ~:II) im Süden Pekings und auf dem quadratischen 13 0 Siehe MRXA, juan 19, S. 448.
Erdaltar (di ttm ilkll) im Norden Pekings, die zusammen mit dem Sonnenaltar im Osten (ri tan 1:1 :II) 131 Siehe unten, Teil II, Kap.!, § 1, S. 404.
und dem Mondaltar im Westen (yue tan .F.I :II) erst damals gebaut wurden. 132 Siehe unten, Teil II, Einleitung,§ 7, S. 362f.
127 Siehe Wu Zhen 2003, S. 194. 133 Siehe unten, Teil II, Kap.!,§ 1, S. 405.
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der Ming-Dynastie, der als Jugendlicher in einem buddhistischen Kloster gelebt hatte, seln und zum Teil aus China kamen, heimgesucht. Nicht nur die Städte und Gebiete
hob in einer besonderen Schrift, in der «Abhandlung über die drei Lehren» (San jiao unmittelbar an den Küsten wie Ningbo, Hangzhou, Fuzhou und Xiamen, sondern
lun =-~ffi), die Harmonie zwischen Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus her- auch Gebiete bis hundert Kilometer landeinwärts und die Städte an den Unterläufen
vor.134 Der Vorgänger des Jiajing-Kaisers war Anhänger des lamaistischen Buddhismus der großen Ströme wie Nanking, Zhenjiang, Yangzhou und Suzhou im Gebiet des
gewesen, und besonders die Kaiserfrauen, Kaisermütter und Eunuchen der Ming- Yangzi und Kanton am Perlfluss wurden geplündert und erlitten große Zerstörun-
Dynastie hatten im Kaiserpalast für ein reges buddhistisches Leben gesorgt. 1536 ließ gen. Zu diesen Überfällen von außen kamen Aufstände und Unruhen innerhalb des
der Kaiser den buddhistischen Tempel im Kaiserpalast abbrechen, die buddhistischen Reiches, einerseits von nichtchinesischen Völkern, andererseits von Räuberbanden,
Reliquien zerstören und hundertneununddreißig buddhistische Bildwerke in Gold die sich hauptsächlich aus verarmten und landlosen Bauern rekrutierten. Eine dieser
und Silber einschmelzen. 135 Er war der einzige Ming-Kaiser, der zerstörend gegen den Unruhen von nichtchinesischen Völkern hat Wang Yangming imJ ahr 1528 im Süden
Buddhismus vorging und einseitig den Daoismus favorisierte. 1524 ließ er aus dem Chinas befriedigt. 140 Einer unserer neun Philosophen, Luo Hongxian, schreibt, dass
«Gebirge des Drachen und Tigers» (Longhushan ~deJ.ll) im Nordosten der Provinz im Jahr 1561 Tausende von Räubern aus der Provinz Fujian in die ProvinzJiangxi
Jiangxi, das ein großes Zentrum des Zhengyi(iE-)- oder des Himmelsmeister(tian einfielen. 141 Im Zusammenhang dieser äußeren Erschütterungen ist auch das große
shi~Bili)-Daoismus war, den daoistischen Priester Shao Yuanjie ~~ JGffii an den Hof Erdbeben vom 23. Januar 1556 zu erwähnen, das die drei nördlichen Provinzen
in Peking rufen und vertraute ihm in rituellen, lebensverlängernden, sexuellen und Shanxi, Shenxi und Henan heimsuchte und nach damaligen Schätzungen achthun-
männliche Nachkommenschaft fördernden Praktiken immer mehr. 1526 erklärte dertdreißigtausend Menschenopfer forderte. 142
er ihn zum daoistischen Staatspatriarchen und 1537 gab er ihm den Titel eines
Ministers des Ritenministeriums.13 6 Nach dem Tod von Shao Yuanjie im Jahr 1539 d) Der Longqing-Kaiser (1567-1572) und die ersten zehn Jahre
übertrug er dieses Vertrauen auf den von jenem als seinen Nachfolger vorgeschlage- (1572-1582) des Wanli-Kaisers
nen daoistischen Priester Tao Zhongwen ~ 11'P:Z. 137 Auch dieser wurde daoistischer Nach dem Tod des Jiajing-Kaisers am 23. Januar 1567 bestieg sein dritter, aber
Staatspatriarch. 1544 wurde er gleichzeitig zum Jüngeren Hüter, Jüngeren Tutor ältester noch lebender Sohn mit dreißig Jahren den Thron. Er war nicht der Sohn
und Jüngeren Lehrer des Kronprinzen ernannt, eine Kumulation dieser Ehrenämter, einer Kaiserin, sondern einer Konkubine. Er regierte unter der Devise long qing
über die kein anderer in der Ming-Dynastie verfügte. 1547 erhielt er den Titel einer ~Ji!f («reichliches Glück»). Vor seiner Thronbesteigung hatte er zurückgezogen
«Säule des Staates» und das Salär eines Großsekretärs. Er baute für den Kaiser, der gelebt, da sein Vater ihn nicht schätzte und ihn nicht zum Kaiser erziehen ließ. Er
sich mit dem Donnergott (lei shen ='tif!) identifizierte, im ganzen Reich Altäre dieses war schwächlich, nicht ehrgeizig und nicht machtgierig wie sein Vater und an den
Gottes, und im «Westpark» (Xiyuan iffi9°B) 138 der «Verbotenen Stadt», außerhalb des Staatsgeschäften nicht interessiert. 143 Die wirkliche Macht übten in seiner nur fünf
eigentlichen Kaiserpalastes, ließ er den «Tempel des den Staat beschützenden und das Jahre dauernden Regierungszeit neben einigen Eunuchen die Großsekretäre aus, vor
Volk kräftigenden Donnergottes» (you guo kang min lei dian :t:t:i'liffi~'i'D{lt) errichten. allem zuerstXuJie tt. ~ (1503-1583), der zur Schule Wang Yangmings gehörte, und
Seit 1543 wohnte der Kaiser nicht mehr im Kaiserpalast, sondern im «Palast des ewig dann ZhangJuzheng ~ F.siE (1525-1582). 144 Beide waren sehr fähige Staatsmänner.
langen Lebens» (Yongshougong ll<ft'§', seit 1562 Wanshougong 'MSE' genannt), 139 XuJie war ein Schüler und Schützling von Nie Bao und ein Freund von Ouyang De
der zu diesem daoistischen Tempelkomplex gehörte. gewesen und war gut bekannt mit Qian Dehong und Wang Ji, 145 die alle zu unseren
Zur institutionellen Instabilität in der Jiajing-Ära kamen äußere Erschütte- neun Hauptpersonen gehören. 146 1549 war er Minister des Ritenministeriums und
rungen hinzu. Im Norden und Nordwesten Chinas und auch in der Umgebung von 15 52 einer der Großsekretäre geworden. Er war damals wie Nie Bao und Ouyang De
Peking fielen seit 1541 unter Führung von Altan Khan (1507-1582) Mongolenreiter ein Schützling des Ersten Großsekretärs Yan Song147 . Bei der Frage des Wiederauf-
ein und töteten Hunderttausende von Menschen, verwüsteten Städte und Landge- baus der abgebrannten Residenz des Kaisers, des «Palastes des ewig langen Lebens»,
biete und verschleppten Menschen, Pferde und Rinder. Die Meeresküsten von der
Provinz Shandong im Norden bis zur Provinz Guangdong im Süden wurden zur
selben Zeit von Piraten, den Wokou 11~, die aus Japan, aber auch von anderen In- 140 Siehe unten in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 103f.
141 Wu Zhen 2001, S. 360.
142 Siehe DMB, S. 320a.
143 Zu diesem Kaiser siehe den Artikel von Lienche Tu Fang und Chaoying Fang, DMB, S. 365-367.
134 Siehe Berling, Judith A.: The Syncretic Religion ofLin Chao-en, New York 1980, S. 46f. 144 Zu Xu Jie und Zhang Juzheng siehe die Artikel von Lienche Tu Fang und Chaoying Fang sowie von
135 Artikel über Zhu Houcong, DMB, S. 321b. Crawford, Robert G. und Carrington Goodrich, L., DMB, S. 570-576 und S. 53-61.
136 Zu Shao Yuanjie siehe den Artikel von Liu Ts'un-yan, DMB, S. 1169f. 145 Siehe unten in der Einleitung zu Teil Iden § 2, S. 119.
137 Zu Tao Zhongwen siehe den Artikel von Liu Ts'un-yan, DMB, S. 1266-1268. 146 Huang Zongxi ordnet ihn in seinem MRXA geographisch der Gruppe aus der Provinz Nanking (Nan
138 Im Gebiet der heutigen drei Seen Beihai, Zhonghai, Nanhai. zhong~!J:l) der Schule Wang Yangmings zu: MRXA,juan 28, Beijing 1985, S. 617-620.
139 Siehe DMB, S. 573. 147 Siehe oben den Abschnitt über denJiajing-Kaiser.
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im Jahr 1562 gewann XuJie das größte Vertrauen des Kaisers und konnte es bis zu mit zweiundzwanzig Jahren die höchsten zivilen Staatsexamen (jinshi) bestanden. Er
dessen Tod im Januar 1567 behalten; Yan Song, der bei jener Frage eine dem Kaiser wollte die zerrüttete Staatsverwaltung reformieren, das Leben der Landbevölkerung
missfallende Meinung vertreten hatte, wurde 1562 entlassen. 1566 schrieb XuJie das verbessern und die militärische Verteidigung des Reiches stärken und reichte 1568,
Vorwort zu einer Fortsetzung der Veröffentlichung von Wang Yangmings Werken. 148 kurz nach dem Rücktritt von Xu Jie, eine entsprechende, berühmt gewordene Ein-
Beim Tod desJiajing-Kaisers im Januar 1567 wandte XuJie eine List an, die ihm größ- gabe mit sechs Punkten an den Thron ein. Er war damals schon die leitende Figur
tes Ansehen veschaffte und für die ihm das ganze Reich dankbar wurde: Er fälschte unter den Großsekretären, obschon er noch nicht Erster Großsekretär war. Als ers-
einen «letzten Willen» des Kaisers (yi zhao ll~ß), in dem dieser seine Fehler, ungerech- ten Punkt enthielt jene Eingabe die Forderung, die zeitraubenden philosophischen
ten Entscheide und schädlichen Unternehmungen aufzählte und seinem Thronnach- Versammlungen unter den Beamten zu vermindern. Diese Forderung war auch ge-
folger deren Wiedergutmachung anbefahl. Er musste bei diesem Betrug mit größter gen die Schule Wang Yangmings gerichtet, die zu ihrem großen Teil eine blühende
Vorsicht vorgehen, weihte nur seinen ehemaligen Schüler und damaligen Kanzler der Aktivität von Zusammenkünften und Diskussionen zwischen ihren Gefolgsleuten in
kaiserlichen Hanlin-Akademie, Zhang Juzheng, in sein Vorgehen ein und gewann ihren sogenannten «Akademien» (shu yuan fi:l!i) und an anderen Versammlungsor-
die Zustimmung des von seinem Vater selbst schlecht behandelten Thronerben. Das ten pflegten. 151 Doch war Zhang Juzheng nicht prinzipiell gegen Wang Yangmings
Unternehmen war erfolgreich: Ungerecht eingekerkerte Beamte wurden aus der Haft Schule eingestellt: 152 Er war ein Schüler von Xu Jie, war mit dessen Lehrer und För-
entlassen und wieder in Ämter eingesetzt, unter ihnen auch der integre Hai Rui 5fiJ !ili derer Nie Bao zwischen 15 51 und 15 54 in Peking in engem Kontakt und war auch
(1513-1587), der 15 65 gewagt hatte, den Kaiser zu kritisieren, und der dafür auch noch mit einem Vertreter der Schule Wang Yangmings aus seiner Heimat Huguang, mit
in unseren Tagen zu Ruhm gelangte. 149 Auch Wang Yangming wurde 1567 aufgrund Geng Dingxiang (1524-1596), engverbunden; auch wurden im Jahr 1572, als Zhang
jener List rehabilitiert, und ihm und seinen Nachkommen wurden die Titel und erb- Juzhengs Macht an ihren Zenit gelangte, durch einen kaiserlichen Beauftragten Wang
lichen Privilegien, die ihm nach seinem Tod (1529) abgesprochen worden waren, 150 Yangmings Ahnentempel in Shaoxing restauriert und zum ersten Mal seine «Gesam-
zurückgegeben. Doch Xu Jies geheimes Vorgehen und sein Ansehen führten auch zu melten Schriften» veröffentlicht. 153 Auch direkte Schüler Wang Yangmings fanden
Unzufriedenheit, besonders bei einem anderen Großsekretär, der nicht in jenes Vor- die vielen Versammlungen ihrer Mitschüler übertrieben. So begann schon 1549 der
gehen eingeweiht worden war, Gao Gong~ m
(1512-1578). Dieser versuchte 1567 Yangming-Schüler Nie Bao, der Lehrer von Xu Jie, seine Unzufriedenheit darüber
Xu Jie durch einen Zensor, der diesem vorwarf, den verstorbenen Kaiser in dessen auszudrücken. 154 Doch der Kaiser schenkte 15 68 jener Eingabe von Zhang Juzheng
«letztem Willen» verleumdet zu haben, zu Fall zu bringen. Doch der Zensor wurde ab- keine Beachtung, sondern hörte auf seine bevorzugten Eunuchen; Zhang Juzheng
gesetzt und Gao Gong im Juni 1567 zum Rücktritt gezwungen. Doch auch Eunuchen konnte seine Forderungen nach Reformen erst nach dem Tod des Kaisers 1572 in
arbeiteten gegen XuJie, so dass diesem 1568 «erlaubt wurde», selbst zurückzutreten. größerem Ausmaß in die Tat umsetzen.
1567 war der Vertraute von XuJie, der damals erst zweiundvierzigjährige Zhang 1570 wurde Gao Gong wieder Erster Großsekretär und zugleich Minister
Juzheng, Minister des Ritenministeriums und Großsekretär geworden. Von dieser des einflussreichsten Ministeriums, desjenigen für das Staatspersonal. Zhang Ju-
Zeit an wurde sein Einfluss immer größer. Er stammte von einer Beamtenfamilie aus zheng arbeitete mit ihm zusammen. 1571 bedrohte der seit 1541 immer wieder die
dem Norden der Provinz Huguang (heute Provinz Hubei), hatte aber schon 1547 Nordwest-Provinzen verwüstende Mongolenfürst Altan Khan mit zwanzigtausend
Reitern die Stadt Datong im Norden der Provinz Shanxi. Auf Vorschlag eines für
dieses Gebiet zuständigen Generals konnten Gao Gong und Zhang Juzheng den
148 Siehe unten in der Einleitung zu Teil Iden§ 2, S. 119. Kaiser überzeugen, mit Altan Khan einen Friedensvertrag zu unterzeichnen, in dem
149 Hai Rui war in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts durch Zeitungsartikel und eine Oper des sich dieser verpflichtete, nicht mehr in chinesisches Gebiet einzufallen, dafür aber
Historikers und Vizebürgermeisters von Peking, Wu Han, in aller Munde. Diese Veröffentlichungen
wurden als Anspielungen auf das Schicksal des vom Volk verehrten Generals Peng Dehuai verstanden, einen chinesischen Königstitel und die von ihm gewünschten Handelsbedingungen
der im Korea-Krieg Befehlshaber der chinesischen Truppen gewesen war. Dieser wagte es in der (Verkauf von Pferden gegen chinesische Seide und Getreide) zugesprochen erhielt.
Parteiversammlung auf dem Lushan von 1959, die katastrophale Politik des «Großen Sprungs nach Damit wurde für Jahrzehnte der Frieden im Norden Chinas gesichert, bis zu den
vorn» des damaligen Herrschers von China zu kritisieren. Er fiel darauf bei diesem in Ungnade, wurde
durch Lin Biao ersetzt und nach einem Prozess von 1966/67 ins Gefüngnis geworfen. Die Gegen- Einfällen der Mandschu, die 1644 der Ming-Dynastie ein Ende setzten. Auch die
maßnahmen, die Mao Zedong gegen seine Kritiker unternahm, führten zur sogenannten «Großen Pirateneinfälle an der Ost- und Südostküste Chinas, außer diejenigen an der Küste
Kulturrevolution» von 1966 bis 197 6. Peng Dehuai war im Gefängnis in Peking der Zellennachbar
des Pantschen-Lama. Während der Lama meditierend in der Stille saß und dadurch zu überleben
vermochte, stampfte auf der anderen Seite der Zellenwand, wie jener später berichtete, der General
laut schimpfend hin und her. Er kam nicht wie Hai Rui frei, sondern starb im November 1974 elend 151 Siehe unten in der Einleitung zu Teil II die §§ 1, 2, 6 und 9.
als Gefangener in Peking. In der Ausgabe des Lexikons Ci hai $~, Shanghai 1979, aus der Ära Deng 152 Siehe dazu Crawford, Robert: «Chang Chü-cheng's Confucian Legalism», in: Barry, Theodore de
Xiaopings steht ein lobender Artikel von zweiunddreißig Zeilen über ihn (S. l 868f.), aber seine Kritik (Hrsg.): Seif and Society in Ming Thought, New York 1970, S. 367-413.
am Vorsitzenden und dessen Reaktion werden Init keinem Wort erwähnt. 153 Siehe unten in der Einleitung zu Teil Iden§ 2, S. l 19f.
150 Siehe unten in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 107. 154 Siehe Wu Zhen 2001, S. 156.
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der Provinz Guangdong, ganz im Süden Chinas, konnten damals beendet werden. den Kaiserknaben, inaner den Räten von Zhang Juzheng zu folgen, dem sie volles
Zhang Juzheng strebte nach diesem äußeren Frieden, um im Inneren seine Refor- Vertrauen schenkte. Der Kaiser unterwarf sich während der ersten zehn Jahren seiner
men besser durchführen zu können. Ein Hindernis dazu war seine offizielle Un- Regierung ganz der Autorität Zhang Juzhengs, so dass dieser damals der eigentliche
terordnung als Großsekretär unter Gao Gong, der Erster Großsekretär war. Seine Herrscher Chinas war. Nur was die Förderung des Buddhismus anbetraf, musste
Beziehungen zu Gao Gong verschlechterten sich, als dieser sich an den drei Söhnen ZhangJuzeng sich der Mutter des Kaisers fügen. Sie war eine energische Frau. Am
von XuJie rächen wollte, der ihn 1567 zur Demission gezwungen hatte. XuJie hatte 24. August 1572 war sie mit Unterstützung ZlrnngJuzhengs, der damals schon Frster
1568, als er selbst zurücktreten musste, seine Söhne seinem ehemaligen Schüler und Großsckrctiir war, zur Kaiserinwitwe (t11i hou 1':J§) erhoben und damit der vorange-
Schützling Zhang J uzheng anbefohlen. gangenen Kaiserin und jetzigen Kaiserinwitwe itn Rang gleichgestellt worden. Doch
Am 5. Juli 1572 starb der Longqing-Kaiser im Alter von fünfunddreißig Jah- übertraf sie diese an Einfluss. Sie trat als Beschützerin des Buddhisnrns auf und gab
ren. Den <<letzten Willen» des Kaisers redigierte der im Kaiserhaus einflussreiche zum Leidwesen /'.hang Juzhengs große Summen für den Bau buddhistischer Tempel
Eunuch Feng Bao ),i {i, der ein Gegner von Gao Gong und ein Freund von Zhang ans. In der vVanli-Ära erlebte der Buddhismus, allerdings nicht nur wegen ihr, eine
Juzheng war. Gao Gong war darüber ,mfgebracht, da diese Aufgabe ihm als Frstcn1 große Blüte. ZhangJ uzheng entließ diejenigen hohen Beamten, die er für nicht korn-
Großsekrctiir zugestanden wäre. Doch Feng Bao gewann mit Hi] fc der Kaiserinwit- petent oder Parteigiinger von Gao Cong hielt, und sorgte für Disziplin in der Verwal-
we und der Mutter des jungen Kaisers die Oberhand. Gao Gong wurde am 25. Juli tung, für die Vcnninderung der Korruption und die Verbesserung des Steuerwesens.
1572 abgesetzt, und Zhang Juzheng an1 4. August 1572 im seiner Stelle zum Ersten Jn zeremoniellen Fr,,gen gah er dem Eunuchen Feng Bao nach, der in guten Bezie-
Großsckrctiir ernannt. Zhang Juzhengs Rolle bei der Absetzung seines Vorgängers lmngen mit der Niutter des Klisers stand, aber er sch,1ltete den Einfluss der Eunuchen
ist undurchsichtig. Seine hohe Stellung behielt er während zehn Jahren bis zu seinem innerhalb der sechs 1\;Tinisterien aus. Der Erste Großsekretiir, die Kaiserinmutter und
'fod am 9.Juli 1582. der Eunuch bildeten damals eine gut aufeinander abgestimmte 'froika. Durch ein
Der neue Kaiser war der dritte, aber bei seiner Thronbesteigung älteste noch kaiserliches Edikt von 157 S ließ ZhangJuzhcng das Ex:11nenssystem in den Provinzen
lebende Sohn des vorangegangenen Kaisers; seine Mutter war nicht die Kaiserin, verbessern und die Privilegien der xiumi (der Inhaber des niedersten Examensgrades)
sondern die Konkubine Li $: ~Pc, die beim l<>d ihres kaiserlichen Liebhabers noch vermindern. Er ließ den Großen Kanal ;rnsh,1uen, um dadurch den ']}ansport von
keine sechsundzwanzig Jahre ziihltc. 155 Der neue Kaiser war neunjiihrig, als er :uu Reis aus dem Süden und damit :.rngleich den 'husch von Pferden gegen Reis mit den
19. Juli 1572 den Thron bestieg, und hatte ihn dann wiihrcnd achtundvierzig Jahren Mongolen zu sichern. Am 17. Fdirua r 157<) veröffentlichte er im Sinne des ersten
bis zu seinem Tbd im Jahr 1620 unter der Devise wan li ~M («l:inge Dauer») inne. Punktes seines Programms von 15(J8 ein Dekret, das ,1lle privaten Akademien verbot.
Lhang J uzheng war wiihrcnd des Kaisers jungen Jahren dessen 'J btor und schrieb für ZhangJu;,,heng sah in deren Tiitigkeit eine Ablenkung der Beamten von ihren beruf-
ihn «Einfache Erkliinmgen» (7,hi_jie &M) zu den konfuzianischen Grundtexten: zu lichen Aufgaben und wollte das Ackerland, das solchen Akademien Zll deren Unterhalt
den «Vier Büchern», zum «Buch der Wandlungen» (Yijing), zum «Buch historischer gehörte, 159 den Dörfern geben, wo es besteuen werden konnte. Von diesem Dekret
Dokumente» (Shujing) 156 und zum «Allgemeinen Spiegel zur Unterstützung der Re- waren vor allem die zahlreichen privaten Akademien der Schulen Wang Yangmings
gierung» (Zi zhi tong_jian JintJlil.110 des Historikers aus der Song-Zeit, Sima Guang betroffen. So wurde 1580 die Tianzhen-Akademie in den Hügeln fünf Kilometer
(1019-1086). 157 Die Widmungen dieser «Einfachen Erklärungen» an den Kaiser südlich von Hangzhou, die nach dem Tod Wang Yangmings (1529) zum Zentrum
sind auf das Jahr 15 7 3 datiert. 158 Am Anfang seiner Herrschaft ermahnte die Mutter seiner Schule geworden und von seinen hervorragenden Schülern Wang Ji und Qian
Dehong geleitet wurde, geschlossen. 160 Qian Dehong war damals schon seit sechs
Jahren tot, und Wang Ji war zweiundachtzig Jahre alt. Doch scheint dieses Verbot
155 Über sie siehe den Artikel «Li-shi *Et» von Chou Tao-chi, DMB, S. 856-859.
nicht bei allen privaten Akademien gegriffen zu haben und es galt nicht lange. Denn
156 Zu diesen kanonischen Werken des Konfuzianismus siehe oben in dieser Einleitung den § 3. ZhangJuzheng starb am 9.Juli 1582. Nach seinem Tod blühten die Akademien wieder
157 Dieses Werk ist eine nach Jahren geordnete Geschichte Chinas von 425 v. Chr. bis 959 n. Chr. und auf. Seine Herrschaft bedeutete eine innere und äußere Stärkung Chinas und förderte
war für den Kaiser gedacht.
158 Sie sind alle in der Bibliotheque Nationale in Paris vorhanden, allerdings nicht in ihren ersten
dessen allgemeinen Wohlstand.
Ausgaben aus der Wanli-Zeit, sondern in späteren Ausgaben aus dem Anfang der Qing-Dynastie Doch nach seinem Tod war der nun neunzehnjährige Kaiser der Bevormundung
(1651, 1672, 1677). Sie wurden Louis XN. von den französischen Jesuitenmissionaren geschenkt durch seinen gestrengen Tutor überdrüssig und hegte Ressentiments gegen ihn. Zwar
und gelangten über die Bibliotheque Royale in die Bibliotheque Nationale (siehe Lundbaek, Knud:
«Chief Grand Secretary Chang Chü-cheng and the early China Jesuits», in: China Mission Studies
{1550-1800} Bulletin III [1981], S. 2-11). DieJesuitenmissionare in China haben in der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts vor allem diese einfachen Kommentare bei ihrem Studium der konfuzianischen
Grundtexte benutzt und sie auch, mit ausdrücklicher Erwähnung, in ihre europäischen Übersetzun- 159 Zu diesem den privaten Akademien gehörenden Ackerland siehe unten in der Einleitung zu Teil II die§§ 2
gen dieser Texte einfließen lassen (siehe mein Kapitel «Die Vermittlung chinesischer Philosophie in und 9.
Europa», in: Grundriss der Geschichte der Philosophie. 17. Jh. 111, Basel 1998, S. 23 7, S. 265 und S. 267). 160 Siehe unten in Teil II, Kap. 1, § 1, S. 410.
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verlieh er ihm zunächst noch die Ehrentitel «Höherer Pfeiler des Staates» (shang Teil 1
zhu guo ..l:.tt.R!) und «Gebildet und treu» (wen zhong )t,'t!.), doch benutzte er noch im
selben Jahr Vorwürfe von gewissen Beamten, die durch ihn zur Rechenschaft gezogen Wang Yangmings Lehre von der «Verwirklichung des
worden waren, und auch die falsche Anklage der Gattin eines Prinzen, der durch ihn
ursprünglichen Wissens» und seine drei verschiedenen
wegen Rebellionsversuchs verurteilt worden war, um ihm alle Titel wieder abzuspre-
chen, sein Eigentum zu beschlagnahmen und auch seine drei Söhne hart zu bestrafen. Begriffe des «ursprünglichen Wissens»
Der älteste von ihnen beging nach seinen durch Folter erzwungenen falschen Aus-
sagen Selbstmord, während die zwei jüngeren in Grenzgebiete verbannt wurden. In
der ganzen weiteren Wanli-Ära war ZhangJuzhengs Name offiziell geächtet, aber er Einleitung
blieb von verständigen Leuten und vom gewöhnlichen Volk geachtet. Nach seinem
Tod traten die alten Übel, wie der die Regierung lähmende Parteienkampf in Peking, § 1 Überblick über das Leben und Denken Wang Yangmings (1472-1529}
enormer Luxus am Hof und großer Einfluss der Eunuchen, wieder auf. Erst 1622
Wir verfügen über zwei noch von Zeitgenossen geschriebene umfangreiche Biogra-
wurde er unter dem Nachfolger des Wanli-Kaisers offiziell rehabilitiert und durch
phien Wang Yangmings. Es sind dies erstens der «Lebenslauf» (Xingzhuang), der von
ein angemessenes Begräbnis geehrt.
seinem Freund Huang Wan (1477-1551 oder 1480-1554) unmittelbar nach Wang
Yangmings Tod im Jahr 1529 als eine Art «Nachruf» verfasst wurde (Huang Wan
lernte Wang Yangming 1510 in Peking kennen, als dieser achtunddreißig Jahre alt
war); zweitens die große <<Lebenschronik» (Nianpu), an der während dreißig Jahren,
hauptsächlich von Wang Yangmings vertrautem Schüler Qian Dehong, gearbeitet
und die 15 63 vollendet wurde. 1 Qian Dehong war seit 1521 Schüler Wang Yangmings

Über die Entstehungsgeschichte der «Lebenschronik» schreibt Qian Dehong im «Anhang zur Le-
benschronik» (Nianpufulu) unter dem 42.Jahr der Jiajing-Ära (; 1563) das Folgende: Im Jahr 1531,
kurz nach dem Tode Wang Yangmings, planten sechs seiner vertrauten Schüler, nämlich Xue Kan,
Ouyang De, Huang Hanggang (Beiname: Luocun, 1492-1561), He Tingren (Beiname: Shanshan,
1486-1551), Wang Ji und Zhang Yuanzhong (Beiname: Fufeng, 1502-1563, aus der Präfektur
Shaoxing stammend), eine «Lebenschronik» von ihm herzustellen. Sie verabredeten, dass jeder von
ihnen nach Lebensjahren und Aufenthaltsorten aufgeteilt Material sammeln und Entwürfe verfassen
solle; danach seien diese Zou Shouyi zur Gesamtredaktion zu übergeben. Nach neunzehn Jahren,
1550, waren aber die Beiträge noch nicht zusammengestellt. Qian Dehong übernahm darauf die
Jahre von der Geburt Wang Yangrnings bis zu seiner Verbannung nach Longchang (1508), arbeitete
in der Jiayi-Akademie ali•il1ß (in der Kreisstadt Liyang ll~ der Präfektur Yingtian /Ji;Jc, fünfzig
Kilometer westlich des Tai-Sees, im Süden der heutigen Provinz Jiangsu) das Manuskript darüber
aus und übergab es Zou Shonyi. Nach weiteren zehn Jahren (1560) schrieb ihm dieser, dass ein
Teil von denjenigen, die diese «Chronik» schreiben wollten, nun schon tot seien und dass es nun
dringlich werde, die Fortsetzung nach Longchang (nach 1508) zu verfassen. Er wolle dann noch
selbst die letzte Glättung übernehmen. Qian Dehong setzte darauf wieder in Liyang seine Arbeit an
der «Chronik» fort und redigierte zwei Drittel davon. Ende 1562 kam er nach Nanchang (Provinz
Jiangxi) und vernahm dort die Nachricht vom Tod Zou Shouyis, der am 5. Dezember 1562 an seinem
Wohnort Anfu gestorben war. Qian Dehong reiste zum Kondolieren nach Anfu und von dort weiter
nach Songyuan (in derselben PräfekrurJi'an wieAnfu) zu Luo Hongxian, um diesem sein vorläufiges
Manuskript der «Chronik» zur Lekrüre und Überprüfung zu übergeben. Darauf zog er sich in die
Huaiyu-Akademie ti3i •ll1ß (in der Präfekrur Guangxin /Jlfill im Nordwesten der Provinz Jiangxi)
zurück und vollendete dort die «Chronik» nach vier Monaten im Frühsommer 1563 (Quanji,juan
36, Shanghai 1992, S. 1349f.). Nach Luo Hongxians Vorwort zur «Chronik» kam Qian Dehong in
der großen Versammlung im Qingyuan-Gebirge (in der Mitte der ProvinzJiangxi) von 1548 auf die
«Chronik» zu sprechen. Man sei damals der Meinung gewesen, dass niemand besser Wang Yangmings
Tätigkeit in dieser Provinz nachgehen könne als er, Luo Hongxian (der in dieser Provinz zu Hause
war), und habe ihm die «fünfJahre von ding chou an[; 1517-1521] zugewiesen» (a.a.O., S. 1358).
Wahrscheinlich geht daher manches, was in der «Chronik» über diese wichtigen fünf Jahre Wang
Yangmings in Jiangxi verzeichnet ist, auf Luo Hongxian zurück.
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1

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gewesen, als dieser neunundvierzig Jahre alt war. Diese «Lebenschronik» gibt die Kindheit, bevor sein Vater höherer Beamter wurde, lebte die Familie in bescheidenen
reichhaltigste Auskunft über Wang Yangmings Leben. Vieles darüber erfahren wir Verhältnissen; ihre Wohnung im «Gebäude der glückverheißenden Wolke» war nur
aber auch aus Wang Yangrnings Briefen und anderen Dokumenten. gemietet. 5 Bis ins Alter von vier Jahren soll Wang Ymgrning nicht gesprochen, aber
Wir teilen das Leben Wang Yangrnings in drei Perioden ein: a) eine frühe Perio- schon zuvor sich Rezitationen seines Großvaters gemerkt haben. 6 Seine Mutter starb,
de, bis er mit vierunddreißig Jahren die Richtung seines Lebens und Philosophierens als er zwölfjährig war (1484). Mit seiner Stiefmutter, der zweiten Frau seines Vaters,
fand, b) eine mittlere Periode, in der er durch eine außerordentliche Erfahrung eine soll er nicht gut ausgekommen sein. 7 Umso mehr war er mit seiner Großmutter vä-
feste Grundlage für das Fortschreiten in dieser Richtung erkannte, und c) eine späte terlicherseits verbunden, 8 die ihn gegenüber seiner Stiefmutter in Schutz nahm. Sie
Periode, in der er, ungefähr seit seinem neunundvierzigsten Lebensjahr, durch eine war Buddhistin 9 und wurde hundertJahre alt. 10 Diese Frau war die große Dame im
Neukonzeption des Begriffs «liang zhi ~~» («ursprüngliches Wissen») diese Grund- Haushalt der Sippe, während die erwachsenen Männer oftmals abwesend waren, weil
lage wesentlich vertiefte. sie sich auf ihren weit entfernten Beamtenposten aufhielten. Wang Yangming war das
einzige Kind seiner Mutter, aber er hatte noch drei jüngere Halbbrüder 11 und eine
a) Wang Yangmings frühe Periode: das Suchen einer philosophischen jüngere Halbschwester. Einer dieser Brüder und die Schwester wurden von der zwei-
Ausrichtung (1472-1506) ten Frau seines Vaters geboren, die beiden anderen Brüder von dessen Nebenfrau.12
Wang Yangming (::E~aJl) wurde im achtenJahr der Chenghua-Ära der Ming-Dynastie Vom zehnten bis zum sechzehnten Altersjahr (1482-1487) lebte Wang Yangming
am 30. Tag des neunten Mondes, das heißt nach unserer Zeitrechnung am 31. Oktober zusammen mit seinem Vater und seinem Großvater väterlicherseits und wohl noch bis
1472, geboren. Sein Geburtsort war Yuyao ~ll;/~, eine damalige Kreisstadt, die im süd- 1484 auch mit seiner Mutter in Peking.13 Sein Vater hatte dort im Frühling 1481 mit
lichen Küstengebiet Chinas in der Provinz Zhejiang etwa in der Mitte zwischen den achtundzwanzig Jahren als Primus die höchsten Staatsprüfungen bestanden und war
beiden da1naligen Präfekturhauptstädten Shaoxing und Ningbo liegt. Zu Wang Yang- Mitglied der Staatsakademie Hanlin geworden. Sein Großvater, der den Beinamen
mings Zeiten war sie Teil der Präfektur (fu Jf-f) Shaoxing, heute gehört sie zu Ningbo. <<Bambushalle» (Zhuxuan 'rHf) trug, war nie Beamter gewesen. Er hatte früh seinen
Wang Yangmings Geburtshaus befand sich am nördlichen Fuß des nördlich des Yao- Vater verloren und musste für seine Mutter und seinen jüngeren Bruder aufkommen.
Flnsses gelegenen «Drachenberges» (Longsh:m ~rll), nordwestlich des Zentrums von l(r verdiente den Lebensunterhalt als Privatlehrer und lebte in sehr bescheidenen
Yuyao, und wurde später aufgrund eines 'Jraumes, den die Großmutter Wang Yang-
mings bei dessen Geburt hatte, «Gebäude der glücksverheißenden Wolke» (Ruiyunlou
lllö~~) genannt. 2 Wang Yangmings persönlicher Name (ming 'ß) war Shouren 'tj'f=, 5 «Aufzeichnung über das Ruiyun-Gebäude», Qian Dehongji 2007, S. 170.
6 Nianpu !, unter dem 12.Jahr der Chenghua-Ära, Quanji,juan 33, Shanghai 1992, S. 1221; Qian Dehong
so dass er heute, besonders in früheren Veröffentlichungen der Volksrepublik China, ji 2007, S. 171.
auch Wang Shouren genannt wird. «Y:mgming» war sein Beiname (hao ~), den er 7 Shimada Kenji gibt in seinem Buch Die ;1,o!-on/i1c.ianische Philosophie folgende Anekdote aus einem
sich selbst gab, als er dreißig Jahre alt war. So nannten ihn seine Schüler, und so wird \Verk vonlv1o H:mzbi (l'scu<lonyrn: Feng ivknglong, 1574-1646), das in China verlorenging, aber
in Japan erhalten blieb, wieder: Die Sticf111uttervon \V,mg Yangming behandelte diesen sehr schlecht.
er bis heute meistens bezeichnet. 3 Sein Vater, Wang Hua tj! (Beiname: «Drachen- Der Knabe kaufte eine Eule und versteckte sie unter der Bettdecke seiner Stiefmutter. Außerdem
berg», 1453-1522), der neunzehn Jahre alt war, als Wang Yangming geboren wurde, erkaufte er sich die Komplizenschaft einer Wahrsagerin. Als seine Stiefmutter zu Bett gehen wollte,
wurde ein strenger Konfuzianer und ein hoher Beamter. Während der Hongzhi-Ära schwirrte die Eule grässlich schreiend unter der Bettdecke hervor. Eulen galten mit ihrem erschre-
ckenden Ruf als Unglücksboten. lkr ]deine Wang schlug vor, eine Wahrsag·erin zu befragen. Diese
(1488-1505) hatte er die Ehre, dem Kaiser V<ffträge zu halten, und war Lehrer des tat so, als ob der verstorbene Geist von Wang Ya,1gmings Mutter in sie gefahren wäre, und schrie:
Thronnachfolgers; 1 wiihrend der Zhcngde-Ära (1506-1521) war er einige ZeitMi:- «Da du meinen Sohn quälst, werde ich mich an die ( ;eist er wenden, dass sie dir das Lehen nehmen.
nister in der «Südlichen Hauptstadt» (Nanking). Doch während Wang Yangmings Dieser Vogel ist meine Inkarnation.» Die Stiefmutter bat zitternd um Vergebung und war von da an
zu Wang Yangming freundlicher. Shimada Kenji 1979, S. 130.
8 Vgl. unten in dieser Einleitung, S. 62.
9 Siehe Tu Weiming 1976, S. 78; ()i,m Ming 2002, S. 7.
10 In der «Lebenschrnnib> (Nianp11) wird sie unter dem l 0.Jahr der Zhengde-Ära (1515) als sechsund-
2 Siehe Nianpu I, unter dem 8.Jahr der Chenghua-Ära, Qwmji,juan 33, Shangfoü 1992, S. l220L; Qian neunzig Jahre ,1lt crw,ihnt (Quanji, Sh,rnghai 1992, S. 1238) und unter dem 14.Jahr dieser Ära (1519)
Dehongji, 2007, «Aufzeichnung über das Ruiyun-Gebäucle», S. 170f.; «Gedanken an die Spitze des als schwer krank beschrieben (a.,1.Cl., S. 1258); sie stad, im Sommer 1520 (a.a.O., S. 1277).
Drachenberges», a.a.O., S. 240. Zum Geburtshaus von Wang Yangming, in dem auch Qian Dehong 11 Sie hießen Wang Shoujian ~~' Wang Shouwen ~>C und Wang Shouzhang 'fy]j[: siehe Nianpu, unter
geboren wurde, siehe auch unten in Teil II, Kap. 1, § 1, S. 399. Als ich vom 4. bis 6. Dezember 1980 dem 10.Jahr der Zhengde-Ära (1515), Quanji,juan 33, Shanghai 1992, S. 1237.
Yuyao und das dortige Zhongtian-Gebäude 9" '3<:. Im besuchte, das sich am Südabhang des «Drachen- 12 Qian Ming 2002, S. 9.
hcrg·es» befindet und in dem W:mg Yangming zwischen 1521 und 1527 regelmäßig lehrte, wusste 13 Fs gibt keine frstrn 1\nhaltspunkt,· dahir, dass auch die tvlutter mit in Peking war. Die Ehel'rauen der
niemand des dortig-i:n «Amtes für Kulturgegenstände» (Wenwuguan >C'/Pllß") vom Geburtshaus Wang lle,1111ten folgten nicht immer ihren 1\Linnern an die, ,1llc paar Jahre wechselnden Beamtenposten,
Yrngmings, das am Nordfuß desselben Berg·es lag. sondern blieben oft ,im ständigen \Vohnort der Grof.\fan,ilie. Da Wang· l·lna aber seinen Vater nach
3 Im traditionellen China durften Leute außerhalb der eigenen Familie jemanden nicht bei seinem Peking einlud, ist anzunehmen, dass er auch seine Gattin dorthin mitnahm, um seinem Vater die
persönlichen Namen (ming) nennen. würdigste Betreuung zu gewährleisten. Diesen Hinweis verdanke ich Prof. Yan Tao, Universität
4 Siehe Tu Weiming 1976, S. 39. Nanjing.
52 53

Verhältnissen. Er besaß viele Bücher, war in den konfuzianischen Klassikern und diesen Ausdruck für das Ziel des «[ethischen] Lernens» (xue ~). Zhu Xi (l 130-1200),
anderen Schriften sehr bewandert, spielte vorzüglich die siebensaitige Qin-Laute der bekannteste Konfuzianer seit der Song-Zeit, zitiert die entsprechenden Texte
und liebte es, Gedichte zu singen. 14 Seine künstlerische Begabung verdankte Wang von Zhou Dunyi und Cheng Yi am Anfang seines eintlussreichen]insi lu 31I}~Hl. Bei
Yangming wohl diesem Großvater, und er hatte zu ihm, bis dieser 1490 starb, ein Konfozius selbst und im alten Konfuzianismus vor der Song-Zeit wurde der ethisch
enges Verhältnis. Aus dem Jahr 1483, als Wang Y·111g1ning elfJährig war, wird in ideale Mensch als «der Edle» (jun zi ~-1-), irn Gegensatz zum «kleinen (gemeinen)
der «Lebenschronik» (Nianpu) folgende Geschichte berichtet: Von diesem Jahr an Menschen» (.t:itto ren 1J, .A.), bezeichnet. Die «heiligen Menschen» waren für den
«folgte er dem Unterricht eines IIauslehrers. Er war zu ihm aber anrnaßend und ohne alten Konfuzianismus die vorbildlichen sakrnlen Könige des hohen Altertums: Yao
Zurückhaltung. Herr <Drachenberg> [sein Vater] machte sich darüber Sorgen, nur und Sl1tm, Yu der Croße, \Ven und \Nu, der Herzog Zhou. Nach der Erhebung des
Herr <Bainbushalle> [sein Großvaterl verstand ihn. Als er eines Tages zusammen mit Konfuzianismus zur offiziellen Staatslehre im 2 .Jahrhundertv. Chr. wurde auch Kon-
Mitschülern auf der Chang'an-Straße 15 einherging, stieß er auf einen Physiognomen. fuzius zum «IIeilige11>> (sheng erhoben. Dass die Song-Konfuzianer den «heiligen
Dieser wunderte sich über ihn und sprach: <%1s ich jetzt über deine Physiognomie Menschen» zum Lebensziel jedes Menschen erldiirten, ist wohl durch den Einfluss des
sage, daran sollst du dich später erinnern: Wenn deine Barthaare den Flals erreicht Buddhismus und als Reaktion gegen ihn zu verstehen: Dem Ziel des Buddhisten, ein
haben, wirst du in den Bereich der Heiligen eintreten; wenn deine Barthaare den Buddha zu werden, wr1rcle das Ziel, wie Konfuzius ein «heiliger Mensch» zu werden,
oberen Bauch erreicht haben, wirst du den heiligen Embryo ausbilden; wenn dei- entgegengestellt.
ne Ihrthaare den unteren Bauch erreicht haben, wird die heilige Frucht vollendet Schon mit dreizehn Jahren heg,rnn \Vang Yangming, sich auch für militärische
sein.> Der Meister [Wang Yangming[ war durch diese Worte betroffen, und wenn Dinge w interessieren und lernte Reiten und Bogenschießen. Das hing damit zusam-
er danach Bücher studieren musste, saß er zuerst immer in stiller Versenkung und men, dass Peking nahe der Crenze zu den Mongolen lag, die, nachdem sie 1368 ihre
festigte seine Gedanken. Oft fragte er seinen lfauslehrer: <Was ist das Wichtigste (di llerrsdufr über China verloren hatten, noch bis ,.um Jahr 1571, als mit Altan Khan
yi shi ~-:~:p, Der Hauslehrer antwortete: <Bücher studieren und dadurch zu einem ein dauerhafter Friede gescb lossen werden konnte, Ünmer wieder in China einfielen
Beamtenrang aufsteigen.> Der Meister zweifelte und sagte: <lch glaube, dass das und zeitweise ,rnch die Hauptstadt Peking in Gefahr brachten. 1449 hatten sie in der
/\nfsteigen zu einem Beamtenrang noch nicht das Wichtigste ist; das Studieren von Schlacht von 'fumuyi sog:1r den chinesischen K,1iser geEmgen genommen, ihn aber
Büchern dient vielleicht dem T,ernen, ein Heiliger und Weiser zn werden (xuc sheng nach einem Jahr, ,n1fgrund von Verhandlungen, wieder freigegeben. Als Wang Yirng-
i,·itm !$\~~).> Ilerr Longshan [sein Vater[ hörte davon und sagte lachend: <Willst du mingvierzehn Jahre alt war, verhcwhte er 1.usa111111en mit einen1 Freund seines Vaters
etwa ein lkiliger und Weiser werden?»> 16 Die Ceschichte mit dem Physiognomen, einen ganzen Monat an der «Tnncren Croßen Mauer,,, der zweiten Verteidigungslinie,
der in Wang Yangrning einen künftigen IIeiligen sah, ist vielleicht ein übernommenes die etwa fünfzig Kilometer nordwestlich von Peking verliiuft, um dort militiirische
hagiographisches Stereotyp, aber der ganze Bericht ist doch bedeutsam: Einmal zeigt Probleme zu studieren. Von da an bewahrte er sein ganzes Leben lang sein Interesse
er, dass \Nang Yangming zu seinem Großvater, der geistig sehr begabt, aber zu keinem für militärische .Fragen: 1499, mit siebenundzwanzig Jahren, unterbreitete er als jun-
hohen gesellschaftlichen Rang aufgestiegen war, ein vertraulicheres Verhältnis hatte ger Beamter im Ministerium für öffentliche Bauten (gong bu I W) dem Kaiser einen
als zu seinem gesellschaftlich erfolgreichen und strengen Vater. Vor allem aber könnte Vorschlag zur besseren Verteidigung der Grenzen in acht Punkten, 17 und in seinen
diese Episode darauf hinweisen, dass das Ideal des «heiligen Menschen» (sheng ren mittleren und späteren Jahren leitete er als hoher ziviler Beamter zwei Mal (1517 /18
~A) vielleicht schon in Wang Yangmings Kindheit auftrat und dass diesem vielleicht und 1528) militärische Expeditionen gegen Aufständische im Süden Chinas.
schon damals das Leben eines «heiligen Menschen» als wichtiger erschien als der von Mit sechzehn Jahren, 1488, kehrte Wang Yangming nach Yuyao zurück und zog
den meisten Konfuzianern so sehr angestrebte Beamtenrang. von dort im Spätsommer dieses Jahres nach Hongdu (Nanchang), der Hauptstadt der
Das Ideal des «heiligen Menschen» (sheng ren ~A) wird den Leitfaden von südlich des Yangze-Stromes gelegenen Provinz Jiangxi, um seine Braut abzuholen.
Wang Yangmings ganzem Leben bilden. Dieser Ausdruck des für jeden Menschen Dieses junge Heiratsalter war üblich, für die Braut lag es sogar noch zwei, drei Jahre
gültigen Lebensziels tritt seit dem 11. Jahrhundert, am Anfang der Song-Zeit, in der darunter. Die Ehe war, gemäß der chinesischen Tradition, von den Eltern arrangiert.
Rede der Konfuzianer auf. Zhou Dunyi (1017-1073) spricht davon in seiner «Erklä- Aber Wang Yangming muss seine Gattin während der ganzen Zeit ihrer Ehe geliebt
rung der Darstellung des höchsten Prinzips» (Tai ji tu shuo) und in seiner «Schrift haben, denn er nahm sich nie eine Nebenfrau, obschon seine Frau ihm keine Kinder
über das Durchdringen [des Yzjing]» (Tang shu).Auch Cheng Yi (1033-1107) gebraucht gebar. Seiner konfuzianischen Pflicht, für männliche Nachkommen zu sorgen, kam
er nicht durch eine Nebenfrau, sondern durch die Adoption eines Sohnes nach: Er

14 Siehe Tu Weiming 197 6, S. 16f.


15 Der großen Ost-West-Achse Pekings südlich des Tiananmen, des Eingangstores zur Verbotenen
Stadt. 17 Diese Eingabe an den Thron ist erhalten in: Quanji,juan 9, Shanghai 1992, S. 285-290. Sie wurde
16 Nianpu I, unter dem 19.Jahr der Chenghua-Ära (= 1483), Quanji, Shanghai 1992, S. 1221. von Wing-tsit Chan ins Englische übersetzt: Instructions, S. 284-292.
54 55

adoptierte 1515, nach sechsundzwanzig Jahren kinderloser Ehe, den fünften Sohn ren ~A) zu werden, und das Erreichen [dieses Zieles] möglich sein müssen. Er [Wang
eines Vetters (einen Enkel des jüngeren Bruders seines Vaters), der bei der Adoption Yangming] war daraufhin damit in tiefem Einverständnis (shen qi zhi ~~Z).»23 Lau
sieben Jahre alt war und von Wang Yangmings Vater dazu ausgewählt worden war. 18 Liang, der eine eindrückliche Persönlichkeit gewesen sein muss, brauchte beim Sieb-
Erst nachdem seine Gattin 1525 starb, heiratete er wieder und erhielt ein Jahr später zehnjährigen dieses hohe Ideal nicht erst wecken, festigte aber in ihm den Glauben
von dieser zweiten Frau einen leiblichen Sohn. an seine Realisierbarkeit und legte ihm zu dessen Erreichen den konfuzianischen Weg
1488/89 hielt er sich etwa ein Jahr lang in der Familie seiner künftigen Braut nahe: In der «Lebenschronik» steht unter dem Jahr 1489: «In diesemJahr begann er,
in Nanchang auf. Die «Lebenschronik» berichtet unter anderem über diese Zeit, sich nach dem Lernen der Heiligen (dem Lernen des Konfuzius und seiner Nachfol-
dass er sich in Kalligraphie übte. Im Amtshaus seines künftigen Schwiegervaters, der ger: sheng xue ~~) zu sehnen.»24
Beirat im Schatzamt der Provinz Jiangxi war, gab es viele Schränke mit Papier, das Von 1490 bis 1492 blieb Wang Yangming mit seiner Gattin im Haus der
er für das Üben in dieser Kunst nutzte. <<Bei seiner Abreise [von Nanchang] waren Großfamilie in Yuyao. 1490 zog sich sein Vater von Peking nach Yuyao zurück, um
die Schränke leer, und seine Kalligraphie hatte große Fortschritte gemacht.» Die dort nach konfuzianischer Vorschrift während dreier Jahre die Trauerriten für den
«Chronik» bemerkt dazu noch: «Der Lehrer [Yangming] sagte [später] oft seinen Tod seines in diesemJahr gestorbenen Vaters zu begehen, und unterrichtete während
Schülern: <Als ich mit dem Lernen der Kalligraphie begann, habe ich alte Schriftstücke dieser Zeit selbst seinen Sohn und seine Neffen in den konfuzianischen Klassikern. 25
nachgeahmt, aber dabei bloß die Form der Schriftzeichen erlangt. Später setzte ich Im Herbst 1492 bestand Wang Yangming als Zwanzigjähriger die Staatsexamen auf
den Pinsel nicht gleich aufs Papier, sondern konzentrierte mich zuerst in ruhigem Provinzebene (juren-Grad). Darauf zog er noch im selben Jahr wieder nach Peking,
Denken und ließ die Form im Herzen (Geiste) werden. Erst nachdem ich es so wäh- wohin auch sein Vater zurückgekehrt war. 26 Er bereitete sich nun auf die höchsten
rend längerer Zeit getan hatte, verstand ich diese Kunst. Darauf las ich bei Mingdao Staatsexamen (jinshi) vor, fiel aber im Frühjahr 1493 und 1496 zwei Mal durch, was
[Cheng Hao, 1032-1085]: <Wenn ich Zeichen schreibe, bin ich nur sehr gesammelt bei diesen Prüfungen nichts Außergewöhnliches war; erst beim dritten Versuch, im
(shen jing lt~), und ich habe keine Absichten auf gute Zeichen. Nur das ist Lernen.> Frühjahr 1499, war er erfolgreich. Diese Examen fanden nur alle drei Jahre ein Mal
Was ist das für ein Lernen, wenn keine Absicht auf gute Zeichen besteht? Man kann im Frühjahr in der Hauptstadt Peking statt27 und waren für sensible Menschen eine
also sehen, dass die Alten zu jeder Zeit und in allen Angelegenheiten nur im Herzen ungeheure psychische Belastung.
(Geist) lernten (zhi zai xin shang xue .R1±1C,J:.~). Wenn das Herz rein und klar ist, Im Hinblick auf diese staatlichen Prüfungen musste Wang Yangming sich in
dann ist die Güte der Schriftzeichen in ihm enthalten.> Wenn er später seine Schüler diesenJahren auch mit Zhu Xis Philosophie befassen. Er tat es sicher nicht nur dieser
über die <Berichtigung der Handlungen> (ge wu ffi-!1@) 19 unterwies, gebrauchte er zur Prüfungen wegen, sondern auch aus genuinem Interesse, das wohl vor allem durch
Illustration oft dieses Beispiel.»20 Diese Bemerkung aus der «Lebenschronik» weist Lou Liang geweckt worden war. Aber er kam mit Zhu Xis Aufforderung, die «Ord-
auf eine fundamentale Ausrichtung in Wang Yangmings Leben und Denken hin, die nungsprinzipien» (li JI) in den Dingen zu erforschen, 28 nicht zurecht und soll gemäß
sich schon früh anbahnte: Das Entscheidende ist die innere geistige Haltung und nicht seiner «Lebenschronik» tief enttäuscht die Sache aufgegeben und sich der literari-
die äußere Form. Wang Yangming wurde ein hervorragender Kalligraph. schen Komposition gewidmet haben, 29 die für jene Prüfungen auch sehr wichtig war.
Im Winter 1489/90 führte Wang Yangming seine Braut von Nanchang zu seiner In einer Aufzeichnung im dritten Teil des Chuanxi lu, das sehr wichtige Texte über
Familie nach Yuyao und besuchte auf dem Weg in Guangxin .II~ (heute Shangrao Wang Yangmings Philosophie enthält, 30 berichtet er selbst über diesen Misserfolg
in der Nordostecke der ProvinzJiangxi in Richtung der Provinz Zhejiang) den Kon- und seine Enttäuschung, die nach der «Lebenschronik» bereits 1492 in Peking, als
fuzianer Lau Liang -~ (1422-1491), der dort zurückgezogen lebte. Dieser «sprach Wang Yangming zwanzig Jahre alt war, stattgefunden haben sollen: 31 «Der Meister
mit ihm über die Lehre der Song-Konfuzianer von der Erforschung der [Ordnungs- [Yangming] berichtete: Die meisten Leute sagen bloß, dass man das ge wu ffi-!IWJ (nach
prinzipien der] Dinge (ge wu ffi-!1@)»21 , das heißt wohl über die diesbezügliche Lehre Zhu Xis Interpretation zu übersetzen mit <das Erforschen [der Ordnungsprinzipien]
von Cheng Yi und Zhu Xi. 22 «Er sagte, dass das Lernen, ein heiliger Mensch (sheng

23 Ebd.
18 Nianpu, unter dem 10.Jahr der Zhengde-Ära (1515), Quanji,juan 33, Shanghai 1992, S. 1237. 24 Ebd.
19 Eine hier im Sinne von Wang Yangming übersetzte Formel aus dem Grundkapitel des Daxt,e: siehe 25 Nianpu 1, unter dem 3.Jahr der Hongzhi-~a (1490), Quanji, Shanghai 1992, S. 1223.
unten in diesem Paragraphen, S. 56f. 26 Nianpu 1, unter dem 5.Jahr der Hongzhi-Ara (1492), Quanji, Shanghai 1992, S. 1223.
20 Nianpu, l. Jahr der Hongzhi-Ära (1488), Quanji, Shanghai 1992, S. 1222. 27 Siehe oben in der allgemeinen Einleitung, S. 6.
21 Nianpu, unter dem 2.Jahr der Hongzhi-Ära (1489), Quanji, Shanghai 1992, S. 1223. «Gewu» ist hier 28 Zu Zhu Xis Lehre von der Erforschung der Ordnungsprinzipien in den Dingen siehe oben in der
im Sinne Zhu Xis übersetzt. allgemeinen Einleitung§ 4, den Abschnitt über Zhu Xi.
22 Lau Liang war ein Schüler von Wu Yubi (1392-1469), der in der Nachfolge von Zhu Xi stand. Das 29 Nianpu 1, unter dem 5.Jahr der Hongzhi-Ära (1492).
MRXA enthält im 2.juan ein kurzes Kapitel über Lau Liang (Beijing 1985, S. 43f.); über ihn siehe 30 Zu diesem Werk siehe unten im Anhang zu dieser Einleitung.
auch den Artikel vonJulia Chingund Huang P'ei, DMB, S. 989f. 31 Nianpu I, unter dem 5.Jahr der Hongzhi-Ära (1592), Quanji, Shanghai 1992, S. 1223.
56 57

der Dinge>) in der Weise von Zhu Xi durchführen soll. Aber haben sie,denn das, was regieren wollten, haben sie zuerst ihre eigene Familie geordnet. Wenn sie ihre Familie
er sagt, jemals selbst auch wirklich praktiziert? Ich habe es wirklich praktiziert. In ordnen wollten, haben sie zuerst ihre eigene Person veredelt (kultiviert: xiu shen ~t!l).
jungen Jahren diskutierte ich mit meinem Freund Qian darüber, dass man, um aus sich Wenn sie ihre Person veredeln wollten, haben sie zuerst ihr Herz (ihren Geist) gerade
einen Heiligen und Weisen zu machen (zuo sheng xicm fll!(~Ji), die Dinge unter dem gemacht (zheng ).:in IE,i)), Wenn sie ihr Herz (ihren Geist) gerade machen wollten,
Himmel erforschen (ge wu :Mi-!fo/.1) müsse und wie man dazu die nötige große Energie haben sie zuerst ihren \Villen wahrhaftig gemacht (chengyi ~~). Wenn sie ihren Wil-
erlangen könne. Aus diesem Grund wies ich auf den Bambus vor dem Gebäude und len wahrhaftig machen wollten, haben sie zuerst ihr \Nissen verwirklicht (zhi zhi ~9'□).
veranlasste ihn, ein solches Erforschen zu versuchen. Qian versuchte Tag und Nacht, Die Verwirklichung des \Nissens geschieht im ge wu #1-Wl, [nach Zirn Xis Interpretation
das Ordnungsprinzip im Bambus auszuforschen. Er dachte mit größter Anstrengung übersetzt:'! im Erforschen der Dinge.» Dieser antike "!ext war ursprünglich für den
nach, bis er am dritten 'lag aus geistiger Erschöpfung erkrankte. Ich meinte zuerst, «heiligen König>> gedacht, es wurde ihm später aber eine für alle Menschen gültige
dass bloß seine Energie dazu nicht ausreichte. In der Folge machte auch ich mich Bedeutung zugeschrieben. Nach Zhu Xi besteht das «Erforschen der Dinge» (~·e wu)
an ein gründliches Erforschen, aber auch ich fand vom Morgen bis zmn Abend das im «Ausschöpfen der Ordnungsprim.ipien» (qiong li ~ff) der Dinge.i 6 Man ersieht
Ordnungsprinzip nicht. Am siebenten 'fag schließlich wurde auch ich aus Überan- aus diesem Kontext, dass der Misserfolg bei der ,,Erforschung der Ordnungsprinzi-
strengung des Denkens krank. Daraufüin sagten wir uns scufr.end: Wir können aus pien» im Sinne Zirn Xis für den jungen \Vang Ymgming eine niederschmetternde
uns nicht Heilige und Weise rnachen, denn wir verfügen nicht über jene große Kraft, Konsequen1/. haben musste: Er frihlte sich unfähig, den ersten Schritt auf dem Weg
die nötig ist, um die Dinge zu erforschen. Erst als ich spiiter drei Jahre unter den zur «Heiligkeit» zu tun, Erst nachdem er, manche Jahre später (ungefähr 1508), zur
Barbaren lcbte, 32 verstand ich die Bedeutung des ge wu :M\-tm: dass es niünlich bei den Überzeugung gekommen war, dass das ge wu :Ml-tm in diesem 'lext nicht mit etwas
Dingen unter dem llimmel gar nichts '.f,n erforschen gibt, sondern dass vielmehr die außerhalb der eigenen Person (shcn !l) und des eigenen Tlerzcns (xin 1L') zu tun hat,
Anstrengung (gong J}J) des ge wu :mim
in Hinsicht auf die eigene Person (shen !l) und war es für ihn z,u einem gangbaren vVcg geworden,
das eigene Herz (Geist: xin 1i)) zu leisten ist und dass man entschieden der Auffassung Nachdem er sich nach seiner Krise von 1492 zuniichst einmal der literarischen
sein muss, dass ein heiliger Mensch (sheng ren ~A) zu werden etwas ist, was allen K01nposition 1/.ugcwandt hatte, konnte er in den folgenden Jahren Zhu Xis «Erfor-
r,cuten möglich ist, und dass man fr>lglich selbst dafür die Verantwortung triigt.»n schung der Ordnungsprinzipien» doch nicht einfach aus dem Weg gehen. In der
Offensichtlich ging es dem jungen Wang Yangu1ing bei dieser Bcschiiftigung «Lcbcnschroni k» lesen wir unter dem Jahr 14<)8, also sechs Jahre später und ein Jahr
mit der Lehre Zirn Xis über die «Erforschung (der Ordnnngsprinzipien) der Dinge» vor seinem Erfolg in den höchsten Staatsprüfungen, dass er in Zhu Xis Schreiben an
(ge wu) nicht nur um den Erfolg in jenen Staatsprüfungen. Der Kontext dieser Be- den Kaiser GuangzongP auf die Siitzc stie!t ,<Die JL1ltung der ehrfürchtigen Samm-
schiifrigung war, wie auch der Hinweis iin obigen Zitat auf die eigene Person (shen lung (jing iiJ7.) und ein fester\ Villc (-2:hi ~) sind die Crundlagc des Bücherstudiums;
!l) und das eigene llcrz (Geist: xin ,~,) zeigt, der zentrale Abschnitt innerhalb des das BdcJlgcn einer ( )rdmmg [von Crobcmj bis z,u immer Feinerem (jing ffi) ist die
in der 'fradition Konfuzius zugeschriebenen Grundkapitels des Daxue («Lernen der Methode des ßücherstudiums.» <-<Darauf bereute er», heißt es in der «Chronik»
Großen»), welches Werk Zhu Xi an die erste Stelle der von ihm zusammengestellten, weiter, «dass er bislang zwar sehr weitläufige Studien betrieben hatte, aber nicht nach
teilweise neu arrangierten und kommentierten «Vier Bücher» gehoben hatte. 34 Diese einer Ordnung zum Feineren vorstieß und so nichts erreichte. Nun befolgte er eine
«Vier Bücher» sollen nach Zhu Xi in einer bestimmten Reihenfolge das konfuziani- Ordnung und dachte, schrittweise sich vertiefend [mit den Ordnungsprinzipien der
sche Grundstudium der Erwachsenen 35 ausmachen, wobei jener zentrale Abschnitt im Dinge] übereinzukommen. Doch das eigene Herz (Geist) und die Ordnungsprin-
Daxue in prinzipieller Weise den ganzen konfuzianischen Lernprozess skizziert. Wang zipien der Dinge (wu li ~JHl.) blieben am Ende doch wie zwei Sachen getrennt. Da
Yangming stellte Zhu Xis Gewichtung und Ordnung der<<Vier Bücher» nie in Frage, er dadurch während langer Zeit tief bedrückt war, kehrte die alte Krankheit wieder,
aber er sollte durch eine von Zhu Xi gänzlich abweichende Interpretation des ge wu und noch mehr wurde er vom Gedanken bedrängt, dass ein Heiliger oder Weiser zu
innerhalb des Grundkapitels des Daxue diesem Lernprozess einen ganz anderen Sinn werden, nur Sache einer besonderen Begabung sei. Zufällig hörte er damals einen
geben. Der zentrale Abschnitt im Grundkapitel des Daxue lautet folgendermaßen: Daoisten über das <Nähren des Lebens> (yang sheng ii~) sprechen. In der Folge da-
<<Die Alten, die ihre helle Tugend (ming de aJH~) unter dem Himmel zum Leuchten von hatte er die Absicht, die Welt der Gesellschaft zu verlassen und sich in die Berge
bringen wollten, haben vorerst ihr eigenes Land regiert. Wenn sie ihr eigenes Land zurückzuziehen.»38 Man sieht, wie schwer sich Wang Yangming immer noch mit

32 Nämlich von 1508 bis 1510; vgl, unten in dieser Einleitung den Abschnitt b). 36 Zu Zhu Xis Lehre über die Erforschung der Ordnungsprinzipien siehe oben in der allgemeinen
33 Chuanxi lu III, Nr. 319, Quanji, Shanghai 1992, S, 120. Einleitung den § 4, S. 3 lf.
34 Zum Daxue und den « Vier Büchern» siehe oben in der allgemeinen Einleitung § 3, Abschnitt a). 37 Dieser Kaiser herrschte von 1190 bis 1194.
35 Es gab auch einen konfuzianischen Grundtext für die Kinder: das Xiaoxue («Lernen der Kleinen»). 38 Quanji, Shanghai 1992, S. 1224.
58 59

Zhu Xis «Erforschung der Ordnungsprinzipien» tat und wie existentiell ihn dies be- Wan (1480-1554) nennt in seinem «Lebenslauf» als Grund für diesen Rückzug in
traf, da er dadurch den von ihm zutiefst gewünschten Weg zum «heiligen Menschen» die Berge Wang Yangmings Lungenkrankheit (er habe Blut gespien) aufgrund von
verschlossen sah. Überarbeitung: Tagsüber habe er sich als Beamter mit Akten beschäftigt und dann
Er zog sich aber darauf nicht sofort «in die Berge» zurück, sondern bestand im bis Mitternacht «bei Lampenschein die Fünf Klassiker und Werke aus der Zeit vor
Frühjahr 1499 vorerst die höchsten Staatsprüfungen und war danach drei Jahre als der Qin-Dynastie und aus der Ran-Dynastie studiert, um seine literarischen Fähig-
Beamter in den Gebieten von Peking und Nanking tätig. Doch dann, 1502, verwirk- keiten zu fördern». Obschon sein Vater aus Sorge um seine Gesundheit dem Diener
lichte er diesen Rückzug: «Er meldete sich krank, zog nach Yue [Präfektur Shaoxing verboten hatte, ins Zimmer seines Sohnes eine Lampe zu stellen, habe dieser sich
in der Provinz Zhejiang] und baute sich im Yangming-dong 11&11~5fü] (<Yangming- selbst eine solche beschafft, nachdem sein Vater zu Bett gegangen sei. 46 Die «Le-
Höhle>) eine Hütte.» 39 Sein Vater, Wang Hua, hatte in denJahren zuvor den Haushalt benschronik» nennt als Grund dafür, dass die literarische Tätigkeit Wang Yangming
seiner Sippe von Yuyao nach Shanying 111 ~. der westlichen Hälfte der Präfekturhaupt- unbefriedigt ließ: «Der Lehrer seufzte: Wie kann ich meine begrenzte geistige Kraft
stadt Shaoxing, verlegt40 , woher die Familie ursprünglich stammte. «Yangming-dong mit dem Schreiben solch nutzloser leerer Texte verschwenden!»47 Man darf anneh-
i!a-ll~)fü]» wurde oft als der Name einer Höhle verstanden, in der Wang Yangming men, dass beide Gründe wirksam waren. Einiges weist zudem darauf hin, dass sich
gelebt haben soll. 41 Dieser Ausdruck bezeichnet aber in Wirklichkeit keine Höhle, Wang Yangming durch diesen Rückzug auch vom Eigendünkel der Beamtenklasse
sondern ein «Gefilde der Unsterblichen», das heißt ein dem Daoismus heiliges lösen wollte. 48 Wahrscheinlich geschah dieser Rückzug aus der Beamtentätigkeit in
Gebiet (im Sinne von «dong tian 5füJjli;», wörtlich: «Höhlenhimmel»42) am Wanwei- die Berghütte im Yangmingdong vor allem aus einer Unzufriedenheit mit der bisheri-
Berg 1e:~111, der den nordöstlichen Teil des Kuaiji-Gebirges fffil-1.1 bildet. Dieses gen Lebensweise und aus dem Willen, endlich einen Weg zu finden, der dem Ideal
Gebirge beginnt dreizehn li (sechseinhalb Kilometer) südlich der Stadt Shaoxing und eines «heiligen Menschen» irgendwie entgegenführte.
zieht sich von dort weiter gegen Süden. 43 Die von Wang Yangming gebaute Hütte In seiner Berghütte gab sich Wang Yangming während einiger Monate daoisti-
lag in einem kleinen, von Ost nach West leicht ansteigenden und von einem Bach schen Praktiken und Studien hin. Nach der «Lebenschronik» soll er sich in der «Kunst
durchflossenen Tal am Südfuß des langgezogenen Wanwei-Berges, der dieses Täl- des Entspannens und Anspannens» (dao yin ~sl) geübt haben49 , einer Art daoistischer
chen gegen Norden von der Ebene der Stadt Shaoxing abschirmt.44 Es ist bedeutsam, <<Gymnastik», die dazu dient, die Energien im Körper fließen zu lassen und so «das
dass sich Wang Yangming an einen dem Daoismus heiligen Ort zurückzog. 45 Huang Leben zu nähren» (yang sheng •1:.). 50 In der Biographie von Huang Wan steht, dass er
«die geheime Anweisung der daoistischen Klassiker ergründete, in der Ruhe saß (jing
zuo MI~) und das Dao des langen Lebens und der lang dauernden Schau (chang shengjiu
39 Nianpu, 15.Jahr der Hongzhi-Ära (1502), Quanji, Shanghai 1992, S. 1225. shi ft1:.Rffl) praktizierte». 51 Nach beiden Biographien soll er durch diese Praktiken die
40 Nianpu I, Einleitung, Quanji,juan 33, Shanghai 1992, S. 1220.
41 So versteht zum Beispiel Tu Weiming den Ausdruck als «Yangming-Grotto» (Tu Weiming 1976,
S. 58ff.), und Julia Ching übersetzt ihn als «Yangming Cave» (Ching 1976, S. 30).
42 In seinem Vorwort zur «Chronik» (Nianpu) schreibt Qian Dehong ausdrücklich: «Er· [Wang Gebiet galt als der zehnte «Höhlenhimmel» (dongtian fol:ii:) des Daoismus. Der Tempel besteht heute
Yangming] baute sich eine Hütte im <Yangming Höhlenhimmel (dong tian fol:ii:)>.» Quanji,juan 37, nicht mehr, aber eine aus dem 8.Jahrhundert stammende Inschrift auf einem Felsen: «Longruigongji
Shanghai 1992,S. 1357. ~Jiliis'iß». Nach Shaoxing wenwu jinghua ~llltJi:!1911m•, Hangzhou 1999, S. 13 5.
43 Es war früher kontrovers, ob sich Yangming-dong bei Yuyao (dem Geburtsort Wang Yangmings) oder 46 rangming xiansheng xingzhuang, in: Quanji, Shanghai 1992, S. 1407f.
bei Shaoxing (seinem späteren festen Wohnort) befindet. Diese Frage hat Chen Lai überzeugend ge- 47 Nianpu, Quanji, Shanghai 1992, S. 1225.
löst. Chen Lai 1991, S. 362-3 74. Nach Angabe der «Lebenschronik» befand sich das Yangming-dong 48 Im Nianpu steht unter dem 14.Jahr der Hongzhi-Ära (1501, also einJ ahr vor Wangs Rückzug) folgen-
zwanzig li (zehn Kilometer) südöstlich der Stadt Shaoxing (Nianpu I, Einleitung, Quanji, Shanghai de Geschichte: Als «der Lehrer» als Beamter das Jiuhua-Gebirge (das heilige buddhistische Gebirge
1992, S. 1220). An diesem Ort befindet sich auch ein etwa sechs Meter hoher gespaltener Felsblock, des Südens in der damaligen Provinz Nanking, heute in der Provinz Anhui) besuchte, habe er dort
der «Spalt des Yu» (Yuxue ~:i\) genannt und von einigen Autoren mit dem Yangming-dong identi- einen Daoisten namens Cai Struppiger-Kopf (Pengtou) getroffen, der «gut über die daoistischen Un-
fiziert wird (Chen Lai 1991, S. 367f.). Aber dieser etwa fünfzehn Zentimeter breite und sechs Meter sterblichen reden konnte. Er [Wang Yangming] behandelte ihn sehr höflich und bat ihn um Belehrung.
hohe Spalt wurde wohl kaum als «dong 51iil» (Höhle, Grotte, Schlucht, Loch) bezeichnet. Nach der Cai antwortete: <Noch nicht!> Nach einer Weile wies der Lehrer seine Begleitung weg und bat Cai
lokalen Tradition befand sich Wang Yangmings Hütte etwa zwanzig Meter unterhalb dieses gespal- in einen im hinteren Teil der Tempelanlage gelegenen Pavillon. Wiederum verneigte er sich vor ihm
tenen Felsens, kurz nachdem der Weg den das Tälchen von West nach Ost durchfließenden Bach und bat ihn um Belehrung. Cai antwortete: <Noch nicht!> Nachdem er ihn das dritte Mal gebeten
Richtung Süden überquert und den Berghang hinaufzusteigen beginnt. Ich habe am 25. September hatte, sagte Cai: <Du hast mich zwar in der hinteren Halle tmd im hinteren Pavillon mit vorzüglicher
2004 diesen Ort, den man von Shaoxing aus über die Yangming-Straße (Yangminglu l!SPJl@!f) erreicht, Höflichkeit behandelt, aber du hast nie deinen Beamtencharakter (guan xiang l! *~) vergessen.» Qzeanji,
besucht und konnte dieses nicht weit von der Stadt gelegene und auch noch heute ruhige und sehr Shanghai 1992, S. 1225. Die Tatsache, dass diese Anekdote in der «Lebenschronik» steht, dass Wang
schöne Berggebiet durchwandern. Yangming sie also seinem Schüler Qian Dehong oder einem anderen Berichterstatter erzählt hat,
44 Am Nordfuß dieses Bergrückens liegt das «Grab des Großen Yu» (Da Yu ling *~!lt). Der Große Yu spricht dafür, dass das «Vergessen des Beamtencharakters» Eindruck auf ihn gemacht hat.
ist der legendäre Begründer der Xia-Dynastie (3.12. Jahrtausend v. Chr.) und gilt den Konfuzianern 49 Unter dem 15.Jahr der 1-Iongzhi-Ära, Quanji, Shanghai 1992, S. 1225.
als großes Vorbild. 50 Zur Technik des daoyin siehe Maspero, Henri: Le Taoisme et /es religions chinoises, Paris 1971, S. 380 und
45 Im Jahr 705 wurde in diesem Gebiet der daoistische Huaixian-Tempel ffliill~ gegründet, der im 8.Jahr- s. 579ff.
hundert aufgrund einer wundersamen Erscheinung in Longrui-Tempel fflJi/ii'g umbenannt wurde. Sein 51 rangming xiansheng xingzhuang, Quanji, Shanghai 1992, S. 1408.
60 61

Fähigkeit des «[die Zukunft] Vorauswissens» (xian zhi $t~, yu zhi ffl~) erworben haben. Altertums bis hin zu Konfuzius ließen in ihrer Güte und Liebe zu den Menschen und
Wie es auch immer mit dieser Fähigkeit stand, Wang Yangming fand in diesen Praktiken anderen Wesen nichts unberücksichtigt. Wenn es daher die Möglichkeit eines langen
keine Befriedigung: «Er kam zur Einsicht und sagte: <Diese Art, den Geist zu worfeln Lebens ohne Tod gäbe, hätten sie sich auch die Mühe gemacht, sie den Menschen zu
und zu sieben, ist nicht das Dao (der wahre Weg)> und hat sie von sich gewiesen.»52 zeigen. Beim enormen Alter von Leuten wie Laozi und Peng Jian59 handelt es sich um
In einem Brief, den er fast zwanzig Jahre später (1521) schrieb, nimmt Wang Veranlagungen und nicht um etwas Erlernbares. Leute nach ihnen, wie Bai Yuchan B
Yangming ausführlicher auf jene von ihm unternommenen daoistischen Praktiken Js:!l!/t undJiu Changchun .Ei ~ff [beide 12./13.Jh. n. Chr.], die bei den Daoisten als ihre
Bezug. Er sieht das daoistische «Nähren des Lebens» (yang sheng ~~) in der konfu- Patriarchen und Lehrer gelten, sind auch nicht älter als fünfzig oder sechzig gewor-
zianischen Ethik aufgehoben: «Ich vernehme von Ihnen, dass Sie sich wegen vielen den. So muss die Lehre vom <langen Leben> in einem tjeferen Sinn verstanden werden.
Krankheiten mit dem <Nähren des Lebens> (yang sheng-~) [der Daoisten] befassen. Wenn Sie sich also schwach und seit langem krank fühlen, dann geben Sie einfach die
Auch ich habe in jungen Jahren meine Kräfte darin versucht. Später erkannte ich aber, Sorgen um Ruhm und guten Ruf auf, reinigen Sie ihren Geist durch <Verminderung
dass das nicht nötig ist, und kehrte ungeteilten Sinnes zur Lehre der [konfuzianischen] der Wünsche> (gua yu -~)60 und seien Sie ungeteilten Sinnes bei den Heiligen und
Heiligen und Weisen zurück. Im Wesentlichen sind das [konfuzianische] <Nähren der es
Weisen, wie die von Ihnen erwähnte Lehre vom wahren Ich meint [... ].»61 Auch
Tugendkraft> (yang de ffffi) und das [daoistische] <Nähren des Leibes> (yang shen -~)53 ein Gedicht, das in den «Gesammelten Werken» auf das Jahr 1505 datiert ist, 62 zeigt,
ein und dasselbe. Wenn das, was Sie das <wahre Ich> (zhen wo JOi) nennen, wirklich dass sich Wang Yangming schon bald nach seinen daoistischen Praktiken von diesen
fähig ist, <gegenüber dem, was man nicht sieht, achtsam und gegenüber dem, was man distanzierte. In diesem Gedicht stehen die Verse: «Langes Leben besteht im Suchen
nicht hört, furchtsam zu sein> (jie jin bu du, kongju bu wen 11lt~1'fflil:ftl1'1ffl),54 und mit der Menschlichkeit (Güte: ren 1=), das Goldene Elixier (jin dan ~:JSJ-)63 kommt nicht
ganzem Willen dabei ist, dann werden der <Lebensgeist> (shen ~), der <Atem> (qi ffi.) von außen. Dreißig Jahre war ich in der Irre, heute beginne ich es zu bereuen.»64 Aber
und die <feine Essenz> (jing :Wf) fest (zhu 11),55 und was die Daoisten die Lehre vom diese Zurückgezogenheit in den Bergen von Yangming-dong scheint ihm doch etwas
<langen Leben und der langen Schau> nennen, ist darin enthalten. Die Lehren der gebracht zu haben, sonst hätte er sich wohl kaum von dieser Zeit (1502/03) an nach
Daoisten sind zwar von denjenigen der [konfuzianischen] Heiligen verschieden, aber ihr genannt.
ihre Erfindungen und Prinzipien dienen auch nur dazu, die Menschen zum Dao (zur In der «Lebenschronik» steht nach dem Bericht über das Aufgeben der daoisti-
wahren Lebensweise) zu führen. Bedenken Sie, was im Nachwort zum <Buch über schen Praktiken, dass er «nichts als lange in der Stille war und dachte, die Welt zu
die Einsicht in die Wahrheit> (Wu zhen pian ttHl1=) 56 steht, nämlich dass <der Gelbe
Kaiser und Laozi57 sich der Begierden und Verhaftungen [der Menschen] erbarmten
und ihnen mit den Künsten der daoistischen Unsterblichen schrittweise den Weg 59 Nach den Legenden soll Laozi hundertsechzig oder zweihundert Jahre, Peng Jian, der im 3. und
wiesen>, 58 und Sie werden den tieferen Sinn verstehen. Die Heiligen und Weisen des 2. Jahrtausend v. Chr. gelebt haben soll, gar achthundert Jahre alt geworden sein.
60 Ausdruck, der sowohl im daoistischen Klassiker Dao de jing (Laozi) als au.eh bei Mengzi vorkommt.
61 Quanji,juan 5, Shanghai 1992, S. 187; englische Übersetzung dieses Briefes bei Ching,Julia: The
Philosophical Letters ofWang Yangming, Canberra 1972, S. 65f.
52 Nianpu, unter dem 15.Jahr des Hongzhi-Ära, Quanji, Shanghai 1992, S. 1226. 62 Diese Datierung hat Wang Yangming wohl selbst vorgenommen, und zwar nachträglich, ungefähr
53 «Yang sinn 4~» (Nähren des Leibes) hat hier dieselbe Bedeutung wie das praktisch gleich ausge- 1527: siehe unten im Anhang zu dieser Einleitung, S. 115.
sprochene «yang sheng ll!I:.» (Nähren des Lebens). «Shen ~» und <<Sheng!!:.» werden beide im ersten 63 Die daoistische Droge des langen Lebens und der Unsterblichkeit.
Ton ausgesprochen. 64 Das Gedicht steht unter dem Titel: «Geschenk an Yangbo», Quarefi,juan 19, Shanghai 1992, S. 673.
54 Zitat aus Kap. 1 des Zhongyong («Mitte und Gewöhnliches», eines der «Vier Bücher»). Dieser Satz Auch ein in den «Gesammelten Werken» auf das Jahr 1508 datierter Brief drückt dieselbe kritische
wurde in der konfuzianischen Tradition ganz unterschiedlich interpretiert. Wang Yangming verstand Haltung gegenüber den daoistischen Praktiken der extremen Lebensverlängerung aus. Wang Yang-
ihn im Sinne der Achtsamkeit und Furchtsamkeit gegenüber den unsichtbaren und unhörbaren ming schreibt hier, dass er sich schon mit sjebenJahren (achtsm) für diese Praktiken zu interessieren
Regungen und gegenüber dem «ursprünglichen Wissen (Gewissen)» des eigenen Herzens (Geistes): begann und nun nach mehr als dreißig Jahren bei recht schlechter körperlicher Verfassung sei, «was
vgl. unten Teil I, Kap. 2, § 1, S. 140ff., und§ 3, S. 160ff. wohl das Resultat jener Praktiken ist» (ci dai qixiao ye JltJa~~fil). Auch hier zieht er das außerordent-
55 Das heißt, «Lebensgeist», «Atem» und «feine Essenz» zerstreuen sich nicht nach außen, was zum lich lange Leben (tausendfünfhundertJahre) einiger «Unsterblicher» des hohen Altertums nicht in
1bd führt. Shen :)lfl («Lebensgeist», das Subtilste der drei), qi ~ («Atem, Lebensenergie») undjing Zweifel und sieht darin eine bereits bei der Geburt vorhandene Veranlagung («eine Begabung beim
m( «feine Essenz», subtile Flüssigkeiten im Leibe wie Spermien, Monatsblut) sind nach daoistischer anfänglichen Empfang der Lebensenergie: bingyu shou qi zhi shi 1'!:nHt~.zMI»). «Das ist etwas, was
Lehre die «drei Schätze» (san bao =:'il), das heißt die Prinzipien des menschlichen Lebens. der Himmel (die Natur) vollbringt, und nicht etwas, was durch menschliche Anstrengung erzwungen
56 *
Es ist ein Werk von Zhang Boduan {Slii!J (?-1082), das zur sogenannten «Inneren Alchemie» (Nei-
dan) des Daoismus gehört. Das Nachwort von Zhang Boduan zu diesem Werk ist auf das Jahr 1078
werden kann.» Die Anleitungen zum unsterblichen Leben von Daoisten späterer Zeit hält er für
Illusionen, und er bemerkt: «Auch wir Konfuzianer haben ein Dao (eine Methode) der Unsterblich-
datiert. keit (shen xian zhi dao ~{IIJ:zm:): Yanzi [der Lieblingsschüler von Konfuzius] ist mit zweiunddreißig
57 Das heißt die beiden größten Autoritäten des Daoismus. Jahren gestorben und ist bis heute noch„nicht tot (noch nicht abwesend: wei wang *c).» Qua11ji,
58 Ungefähres Zitat aus dem Nachwort von Zhang Boduan. Die Stelle lautet bei ihm: «Der Gelbe Kaiser juan 31, Shanghai 1992, S.805; englische Ubersetzung dieses Briefes bei Ching,Julia: The Philosophical
und Laozi erbarmten sich ihrer Begierden und Verhaftungen und entsprachen mit den Künsten der Letters ofWang Yangming, a.a.O., S. 4f. Zum letzten zitierten Satz ist zu bemerken, dass «wei wang -t-»
Erneuerung des Lebens ihren Wünschen und wiesen ihnen damit schrittweise den Weg.» Ausgabe (noch nicht tot, noch nicht abwesend) sich mit «wei wang ~» (noch nicht vergessen, [gemäß dem
Beijing 1990, S. 17 5. Ideogramm:] noch nicht im Herzen tot, noch nicht im Herzen abwesend) assoziiert.
62 63

verlassen und weit weg zu gehen» 65 • Das weist darauf hin, dass er sich nun der bud- er jemandem, der sich für den Daoisrnus und den Buddhismus begeisterte: «Im
dhistischen Versenkung (Dhyana) zuwandte, um sich von allen weltlichen Bindungen Grunde ist das Feine (Tiefe, mirto !l'J.>) der daoistischen und buddhistischen Lehre von
zu lösen. Doch auch damit erreichte er nicht, was er suchte. Die «Chronik» fährt derjenigen des Heiligen (Konfuzius) nur um ein Winziges verschieden. Was Sie aber
fort: «Aber seine Großmutter Cen und Herr Longshan [sein Vater] blieben in seinen gelernt haben, ist nur das Rohe und Grobc.» 70 Obwohl Wang Yangming bis an sein
Gedanken, sie verharrten in ihnen und hörten nicht auf. 66 Nach langer Zeit kam er Ende dachte, dass sich Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus in ihren tiefsten
plötzlich zur Einsicht (wu fä) und sagte: <Diese Gedanken entstehen in der frühesten Wahrheiten sehr nahestehen, hielt er den beiden Letzteren wegen ihres Rückzuges
Kindheit; sie vertreiben, hieße die Samennatur abbrechen und zerstören> (drum nzie aus den sozialen Verpflichtungen immer eine Art Egoismus und damit eine Untreue
zhongxing ~w&:fflHi). Darauf zog er im nächsten.Jahr [1503] eilends zum Westsee (Xihu gegenüber ihren eigenen Grundwahrheiten vor. Er schrieb zum Beispiel in einer
iffiml) bei Qiantang (Hangzhou) mit der Absicht, vom Weltlichen wieder Gebrauch zu Gedenkschrift aus dem.Jahr 152 5 zur Erneuerung der Kreisschule von Shanying, dem
machen. Er besuchte dort die vielen buddhistischen Klöster von Nanping wiJJF und westlichen 'Ieil der Stadt Shaoxing, wo er damals wohnte und unterrichtete, kritisch
I Iupao ffiifilil, [südlich und südwestlich des Westsees] .» 67 Die «Samennatur» (zhong xing gegen den Buddhisnms: «J)as Lernen des Dhyana [des Zen, des Buddhismus] und
li1i.) ist ein buddhistischer Ausdruck; für Yangming meint er in diesem Zusammen- das Lernen der heiligen J\llcnschen [des Konfuzianismus] suchen beide, das [wah-
hang wohl die bleibende Natur des Menschen, die nach Mengzi gut ist. 68 Er kam also re] Herz (den [wabrenj Geist) auszuschöpfen (voll zur \Virkung zu bringen:jin xin
nach jener buddhistischen Versenkung zur Überzeugung, dass die Anhänglichkeit an i'H>), aber sie divergieren dabei um eine Haaresbreite (xiang qu hao li 1§-.tJi'ili). Die
die Familie, die nach konfuzianischer Auffassung die Grundlage der Gesellschaft (der heiligen Menschen suchen ihr Her,, auszuschöpfen, indem sie mit liimmcl und Erde
«Welt») ,msmacht, nicht nur unausrottb,ir, sondern etwas Gutes ist. Die «Chronik» und allen VVesen eine Wirklichkeit bilden (yi tian di wan wu wei yi ti P).~ttll~'lo/.J~
fahrt dann fort, dass Yangming in einem jener buddhistischen Klöster am Westsee -11). Wenn in der eigenen Beziehung 1/,wischen V,1ter und Sohn Liebe herrscht,
einen Mönch, der drei Jahre in der Versenkung gesessen h,1tte, fragte, ob er noch an aber irgendwo unter dem I Iimmcl noch keine Liebe herrscht, dann ist das eigene
seine Mutter denke, worauf «dieser ihm zur Antwort gab: <Ich vermag nicht, nicht flcrz noch nicht ausgeschöpft. Wenn in der eigenen Beziehung zwischen Herrscher
an sie zu denken.> Der Lehrer [Yingming] wies ihn <hirauf hin, <hiss dies eine Forde- und Untertan Gerechtigkeit herrscht, ,1her irgendwo unter dem Uinunel noch keine
rung der eigentlichen Natur (hcn xing ~11) sei.»69 OfTenbar prüfte Wang Yrngming Gerechtigkeit herrscht, dann ist das eigene l !erz noch nicht ausgeschöpft. Wenn in
in jenem Jahr 1503 in den Klöstern in den ßergcn südlich von Hangzhou weiterhin den eigenen Beziehungen zwischen Gatte und Gattin Verschiedenheit der Aufgaben,
die buddhistische Lebensweise, nachdem er zu ihr ein Jahr zuvor schon auf Distanz 7.wischen iilteren und jüngeren Brüdern Rangordnnng, ,,wischen Freunden Vertrauen
gegangen war. Er fand auch in ihr keine volle Befriedigung. herrschen, aber irgendwo unter dem Himmel noch keine Verschiedenheit der Auf--
Obschon er sich in den niichsten Jahren, besonders seit 1508, als er «bei den gaben, noch keine Rangordnung und noch kein Vertrauen herrschen, dann ist das
Barbaren weilte», inuncr mehr in der Gefolgschaft der konfuzianischen «Heiligen» eigene Herz noch nicht ausgeschöpfr. 71 \Vcnn es in der eigenen F:unilie Essen und
verstand, bewahrte er zum Buddhismus wie auch zum Daoismus doch ein sehr freies Wärme, Erholung und .Freude gibt, aber es irgendwo unter dem Himmel noch kein
und positives Verhältnis. Er dachte, dass sich die «drei Lehren» in ihren Grundlagen Essen und keine Wärme, keine Erholung und Freude gibt, wie können da Liebe, Ge-
sehr nahestehen. Nach einer Aufzeichnung, die noch vor 1518 entstanden ist, sagte rechtigkeit, Verschiedenheit der Aufgaben, Rangordnung und Vertrauen herrschen?
So ist das eigene Herz noch nicht ausgeschöpft. Daher gibt es die Errichtung von
Gesetzen und von staatlichen Institutionen, die Ausbreitung von Sitten und Musik
und von Erziehung, die regeln und helfen, sich und andere zu vervollkommnen und
65 Nianpu I, unter dem 15.Jahr der Zhengde-Ära (= 1502), Quanji, Shanghai 1992, S.1226. so das eigene Herz auszuschöpfen. Dass das eigene Herz ausgeschöpft ist, bedeutet,
66 Wang Yangmings Mutter war schon gestorben, als er zwölfJahre alt war. Sein Vater und seine Groß- dass auch Familie und Land geordnet sind und unter dem Himmel Friede herrscht.
mutter väterlicherseits lebten noch. Es ist bemerkenswert, dass nur Personen genannt werden, von
denen Wang Yangming abstammt, nicht aber seine Gattin. Deshalb besteht das Lernen der heiligen Menschen in nichts anderem als im Aus-
67 Ebd. schöpfen des Herzens. -Auch das Dhyana [der Buddhismus] macht das Herz (den
68 Den Ausdruck «die Samennatur abbrechen und zerstören» (duan mie zhong xing) gebraucht Wang Geist) zum einzigen Inhalt seiner Lehre. Aber er meint, dass es für das Erlangen des
Yangming auch in seinem Brief an Lu Cheng von 1524 (Chuanxi lu II, Nr. 162, Quanji, juan 2,
Shanghai 1992, S. 67). Zum buddhistischen Ausdruck zhong xing vgl. Ding Fubao: Fojiao da zidian, Dao, das ist des eigenen Herzens (Geistes), genüge, dieses in seinem Inneren nicht
Wenwu chubanshe, Beijing, 1984, S. 1257a. Es gibt verschiedene Bedeutungen dieses Ausdrucks. Die zu verblenden, und dass man sich nicht um Äußeres bemühen müsse. Wenn etwas
im obigen Zusammenhang relevante ist wohl die «bleibende Samennatur der Grundnatur» (benxing
zhu zhongxing ,!S:1111ff11): die im achten (tiefsten) Bewusstsein («Speicherbewusstsein») ursprüng-
lich bestehende («angeborene») Anlage («Samen») zum absolut Guten. Der Ausdruck benxing zhu
zhongxing kommt im 9.juan von Xuanzangs Cheng wei shi lun vor und wird dort definiert als «die
gestützt auf das achte Bewusstsein schon immer vorhandene Ursache zur natürlichen Erreichung des 70 Chuanxi ht I, Nr. 124, Quanji, Shanghai 1992, S. 36.
reinen Dharma» (wu lou fa AAJJiiiJt; Sanskrit: anasrava-dharma); TS, Ed. 31, S. 48b, Zeilen 7f. 71 Wang Yangming spricht hier im Rahmen der konfuzianischen «Fünf Beziehungen» (wu tun 1i. ~),
69 Quanji, Shanghai 1992, S. 1226. siehe unten in diesem Teil, Kap. 3, § 5, S. 213.
64 65

Äußeres nicht richtig ist, müsse man sich in seinem Innern nicht darum bemühen. Das fanden langsam dafür Interesse, und es gab welche, die ihn besuchten und seine
nennen sie Ausschöpfen des Herzens (Geistes) und wissen dabei nicht, dass sie damit Schüler werden wollten. [... ] Aber das Dao des Lehrers und der Freundschaft
schon in die Einseitigkeit des Egoismus und des Eigennutzens gefallen sind. Deshalb war damals schon lange verfallen, und man dachte, dass er Fremdartiges aufstelle
betrachten sie die menschlichen Beziehungen als etwa Äußeres und vernachlässigen und sich einen Namen suche. Nur Zhan Ruoshui (Ganquan), der Beamter an der
das Handeln in der Gesellschaft. Dadurch sind sie vielleicht fähig, einsam gut zu sein, Hanlin-Akademie war, schloss schon nach dem ersten Treffen mit ihm einen festen
aber Familie, Land und Welt können dadurch nicht geordnet werden. Das Lernen Bund (dingjiao .'.iE~), und sie machten sich zur Aufgabe, gemeinsam die Lehre der
der heiligen Menschen trennt nicht zwischen anderen und sich selbst, nicht zwischen (konfuzianischen) Heiligen zu fördern und bekannt zu machen.» 76 Zhan Ruoshui
Innen und Außen, es betrachtet Himmel und Erde und alle Wesen in Einheit als das Jlt~l.l< (1466-1560) 77 war sechs Jahre älter als Wang Yangming; er hatte im Früh-
[eigene] Herz, während das Dhyana [der Buddhismus] aus egoistischen und eigen- jahr 1505 im sechsten Rang die höchsten Staatsprüfungen in Peking bestanden und
nützigen Motiven zwischen Innen und Außen trennt. Dadurch ist er [vom Lernen der war dann dort Mitglied der kaiserlichen Hanlin-Akademie geworden. Beide waren
heiligen Menschen] verschieden.» 72 Wang Yangming hielt sich auch immer wieder in voneinander sehr beeindruckt. Zhan Ruoshui berichtet in seiner «Grabinschrift» für
buddhistischen Klöstern auf,73 was aber auch dadurch bedingt war, dass diese Klöster Wang Yangming, dass dieser damals «zu Leuten sagte: <Ich habe schon dreißig Jahre
auf Reisen Unterkunftsmöglichkeiten boten. Umgang mit Beamten, aber einen solchen Menschen habe ich noch nie gesehen.>
Sowohl in der «Lebenschronik» als auch im «Lebenslauf» von Huang Wan fin- Und auch ich sage zu den Leuten: <Ich bin schon an vielen Orten herumgekom-
den wir unter dem nächstenJahr (1504) Eintragungen, dass Wang Yangming wieder men, aber einen solchen Menschen habe ich noch nie gesehen.»> Bis in die späten
in Peking weilte und im Herbst dieses Jahres die Provinzexamen von Shandong Jahre Wang Yangmings blieben die beiden, auch brieflich, in Kontakt. Sie standen
leitete; er war also wieder ins Beamtenleben zurückgekehrt. Unter den nächsten sich in ihrem Denken nahe, hatten aber auch einige Differenzen (hauptsächlich in
beiden Jahren, 1505 und 1506 stehen deutliche Hinweise, dass er sich in der kon- Bezug auf das Verständnis jenes schwer verständlichen und umstrittenen ge wu ~!W)
fuzianischen Lehre und Lebensweise engagierte. In der «Lebenschronik» steht [«Erforschen der Dinge» bzw. «Berichtigen der Handlungen»] im Grundkapitel des
unter dem Jahr 15 0 5: «In diesem Jahr begann der Lehrer (Yangming) Schüler zu Daxue) und wurden die Begründer der beiden wichtigsten konfuzianischen Schulen
haben. Diese interessierten sich vor allem für literarischen Stil und Komposition im 16. Jahrhundert. Ihre Mitglieder fühlten sich eng verwandt.
und für Auswendiglernen und Rezitieren [was in den Staatsprüfungen vor allem Die oben zitierten biographischen Berichte über Wang Yangmings inoffizielle
nützlich war] und ignorierten, dass es ein Lernen in Bezug auf die eigene Person Lehrtätigkeit und sein mit Zhan Ruoshui geteiltes Engagement für die konfuziani-
und das eigene Herz (Geist) gibt (shen xin zhi xue ~,t,,;z.1$). Der Lehrer (Yangming) sche Lehre im Jahr 1505 geben Rätsel auf: Wenn er damals seinen Schülern lehrte,
betonte vor allem diesen Punkt und hieß sie, an erster Stelle sich dafür zu entschei- «sich an erster Stelle dafür zu entscheiden, ein Heiliger zu werden», hatte er denn zu
den, heilige Menschen (sheng ren ~A) zu werden.» 74 Wir erinnern uns an jenen dieser Zeit schon sein großes Problem des ge wu ~!!@, das nach dem Daxue der erste,
oben in diesem Paragraphen zitierten zentralen Abschnitt aus dem Grundkapitel grundlegende Schritt auf dem Weg zur <<Heiligkeit» ist und das er während vieler
des Daxue, der das «Gerademachen des Herzens (Geistes)» und das «Kultivieren Jahre im Sinne Zhu Xis als «Erforschen (der Ordnungsprinzipien) der Dinge» zu
der eigenen Person» als die Bedingungen der sozialen Tätigkeit in Familie und verstehen versuchte, ohne mit diesem Verständnis zurechtzukommen, bereits in einer
Staat und letztlich der «vollen Entfaltung der hellen Tugend» hinstellt. Und wir für ihn befriedigenden Weise gelöst? Mit anderen Worten, wusste er bereits grund-
treffen hier wieder auf das von Wang Yangming schon in seiner Jugend gefasste sätzlich, wie man «aus sich einen heiligen Menschen machen» kann? Und was damit
Ideal des «heiligen Menschen». Er war damals in Peking Beamter im Kriegs- zusammenhängt: Hatte er sich schon damals so radikal für den konfuzianischen Weg
ministerium, hatte sein Herz aber wohl vor allem bei der Lehrtätigkeit: «Er war entschieden, dass er dafür einen «festen (wie wir noch sehen werden: lebenslangen)
entschlossen, Schüler anzunehmen und zu lehren.»75 Seine Art der Lehrtätigkeit Bund» für dessen Propagierung schließen konnte? Denn Wang Yangming sagte wie-
war nicht üblich, sie zog einige junge Leute an, wurde jedoch von der etablierten derholt, dass er erst, als er «unter den Barbaren war», also 1508 bis 1510, ganz vom
Beamtenschaft zum großen Teil abgelehnt: «Diejenigen, die davon hörten, emp- konfuzianischen Weg überzeugt wurde. Noch vor 1518 sagte er: «Auch ich war in der
Jugend dem Daoismus und Buddhismus zugetan. Ich glaubte fest, dass ich da etwas
erreicht hätte, und meinte, dass der Konfuzianismus des Studiums nicht wert sei. Erst
als ich während drei Jahren [1508-1510] unter den Barbaren wohnte, sah ich ein, wie
72 Zhong xill Shanying xianxiao ji, datiert auf das Jahr yi you (= 1525), Q14a1yi,juan 7, Shanghai 1992,
s. 257.
73 Nach einer japanischen Studie von K.usumotu Bun'yu (1959) werden in Wang Yangrnings Nianpn und
in seinen «Gesammelten Schriften» über fünfzig Besuche in über vierzig buddhistischen Klöstern
erwähnt (nach Tu Weirning 1976, S. 65). 76 Ehe!. Auch im «Lebenslauf» von Huang Wan wird unter dem Jahr 1505 von diesem «festen Bund»
74 Quanji,juan 33, Shanghai 1992, S. 1226. (dingjiao) zwischen den beiden gesprochen. Quanji, Shanghai 1992, S. 1408.
75 Ebd. 77 Zu Zhan Ruoshui siehe die Beiträge von Chaoying Fang und Julia Ching, DMB, S. 36-42.
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einfach und zugleich weit die Lehre des heiligen Menschen [Konfuzius] ist. Da seufzte Höflichkeit, Weisheit und Glaubwürdigkeit [d.h. die anderen vier Tugenden] sind alle
und bedauerte ich, dass ich dreißig Jahre lang meine Energie vergeudet hatte.» 78 Menschlichkcit.»87 Dieser Gedanke der Menschlichkeit als Einheit mit den anderen
Zhan Ruoshui gibt in seiner «Grabinschrift für Herrn Yangming» und in seiner Wesen blieb für Wang Y1ngmingwährend seines ganzen Lebens richtungweisend. Er
«Schrift zur Ehrung von Wang Yangming» 79 Auskünfte über seine erste Begegnung bewog ihn, spätestens seit 1512/13, Zhu Xis Emendation am Anfang des «l ,ernens der
mit ihm in Peking, die einiges Licht auf die obigen Fragen werfen. Er datiert diese Großen» (Daxuc) abzulehnen, 88 und noch in seinen letzten Jahren, in seiner privaten
erste Begegnung auf ein Jahr später als die beiden oben zitierten Biographien, näm- Lehrtätigkeit in Shaoxing (Provinz Zhejiang), begann er seinen systematischen Un-
lich auf das Jahr 1506. 80 In der Ehrungsschrift schreibt er: «Tm Jahre hingyin [1506] terricht, dem er das «Lernen der Großen>> (Daxite) zugrunde legte, mit den Worten:
traf ich den Bruder [Wang "½mgming] unerwartet, wir verstanden uns, tauschten uns «Der große Mensch [von Yangming verstanden als ethisch große Persönlichkeit,
im Geiste aus und vereinbarten, für das ganze Leben gemeinsam auf dem <Großen als <heiliger Mensch>] ist jemand, der zusammen mit Himmel und Erde und allen
Weg> (Dao) [von Konfuzius] zu gehen. <[Mit Himmel und Erde und allen Wesen] Wesen eine Wirklichkeit ist. Er betrachtet die Welt wie eine Familie, das Land der
ungeschieden eine Wirklichkeit (eine Substanz: yi ti -II) bilden>, das nennt Cheng Mitte wie einen Menschen.»89 Nicht nur für seine Lehrtätigkeit, sondern wohl vor
ITlao] <die Menschlichkeit (Güte: ren 1=) erkennen>. Ich befolgte diese Grundregel, allem für sein eigenes Lehen fand Wang Yangming damals in Peking in dieser Idee
und der Bruder (Yangming) stimmte dem zu.» 81 Und in der Grabschrift steht: Yang- der «Menschlichkeit» den Leitgedanken. Schon als Jüngling wollte er j,1 «ein heiliger
ming «war zuerst heldenhaftem Rittertum verfallen, danach dem Reiten und Bogen- Mensch» werden. Was ein «heiliger Mensch» ist, hatte für ihn nun deutlichere Züge
schießen, danach der literarischen Komposition, danach dem Daoismus, danach dem angenommen. Schon damals war für ihn gültig, was er zwanzig Jahre später in einem
Buddhismus. Erst im Jahre hingyin der Zhengde-Ära [1506] kehrte er zum Geraden Brief schrieb: ,<Das Herz (der Geist, das Bewusstsein: xin 1L') des heiligen Menschen
der Lehre der Heiligen und Weisen (des Konfuzianismus) zurück. Er traf mich in der ist mit allen Wesen von Himmel und Erde eine Wirklichkeit.»90 Erinnern wir uns
Uauptstadt (Peking). [... ] Daniuf schlossen wir einen festen Bund, um zu lehren, und auch an den oben in diesem Paragraphen zitierten Vers aus einem auf das Jahr 1505
nahmen einheitlich den Gedanken von Cheng [Hao], dass <der Menschliche (Gütige) datierten Gedicht: «Langes Leben besteht im Suchen der Menschlichkeit.»
ungeschieden zusammen mit Himmel und Erde und allen Wesen eine gemeinsame Die beiden vorangehenden Verse in diesem selben Gedicht zeigen die ethische
Wirklichkeit (ti II: Substanz) bildet>, zum obersten Grundsatz.»82 Grundhaltung Wang Yangmings in jenen Jahren noch deutlicher: «Das große Dao
Aus diesen Mitteilungen von Zhan Ruoshui ersehen wir, dass Wang Yangming (das ethische Grundgesetz) ist das menschliche Herz (Geist: xin 1L,); das hat sich seit
damals in Peking seit 1505 oder 1506 die konfuzianische l laupttugend der «Mensch- dem frühesten Altertum nicht geändert.>>'n \Vang Yangming suchte also schon damals
lichkeit» (Güte: ren 1=) in der Interpretation von Cheng Hao (1032-1085) zum Leit- die Grundlage der Ethik im menschlichen Herzen (Geist). Das ist nicht verwunder-
gedanken seines Lehrens machte. Schon in den «Gesprächen des Konfuzius» (Lur~yu) lich, wenn wir an Mengzis Begründung der Menschlichkeit (ren) in den spontanen
ist «Menschlichkeit» (ren) das wichtigste ethische Prinzip. Sie tritt in diesem Text Regungen des Mitgefühls denken. 92 Wohl schon 1505 oder 1506 war WangYangming
über einhundert Mal auf und wird :1ls «Liebe zu den anderen Menschen» 83, «nicht der Auffassung, die er 1511 mit den \Vorten äußerte: <<Wenn man die Natur [des Men-
hassen» 84, aber auch im Sinne der «Goldenen Regel» verstanden: Was man selbst schen] (xing 11) erkennt, dann erkennt man die Menschlichkeit. Die Menschlichkeit
nicht will, soll man nicht anderen antun, 85 und was man selbst will, soll man auch den ist das Herz (der Geist: xin 1L,) des Menschen.» 93 Auch in der Philosophie Ch eng
anderen zugestehen. 86 Cheng Hao hatte geschrieben: «Der Lernende muss an erster
Stelle die Menschlichkeit (Güte: rcn) erkennen. Der Menschliche ist ungeschieden
zusammen mit den anderen Wesen eine Wirldichkeit (SubsLmz). Gerechtigkeit,

87 Henan Chengshi yishu,juan 2, 1. Teil, Beijing, Zhonghua shuju 1981, S. 16.


88 Zhu Xi hatte im Hinblick auf eine Stelle im zweiten Kapitel, wo von «Erneuerung des Volkes» (xin
min~~) die Rede ist, den Satza11\/\11fo11g des ersten K:1pi1ds: «Das Dao des Lernens der Großen be-
steht im Liehen des V, ,lkes» (qin ll!i,1 :§! Be) in den Satz vcr:i ndert: «Das 1)ao des Lernens der ( ;roßen
78 Clm1111xi lu I,Nr. 124 (Quanji, Shangh:1i 1992, S. 36); siehe :llleh das Vorwort zu «Zirn Xis endgültiger besteht im Erneuern des Volkes,,. \ \l,rng Yangming war für die Beibehaltung des alten '[cxtcs. Im
Auffassung[ ... ]» im Anhang zum Chuan;,i;i lu, Quanji, Shanghai 1992, S. 127. ersten aufgezeichneten Stück des ( :cspr:iches mit Xu i\i (d.is 1512/U stattfand und das Grundwerk
79 Quanji, Shanghai 1992, S. 1400ff. und S. 1519ff. von Wang Yangmings Philosophie, das Chuanxi lu, eröffnet) argumentiert er, dass die Liebe zum Volk
80 Chen Lai 1991, S. 320, Anm., und Qian Ming 2002, S. 87, Anm. 1, geben dieser Datierung von Zhan dasselbe sei wie die Menschlichkeit (Güte: ren) gegenüber dem Volk und dass Zhu Xis Veränderung
Ruoshui mehr Kredit als derjenigen von Huang Wan und Qian Dehong. eine Vereinseitigung der Bedeutung des Textes mit sich bringe. Chuanxi lu, Nr. 1, Shanghai 1992,
81 Qtllfnji, Shanghai 1992, S. 1519. S. lf.
82 ;\.a.O., S. 1401. 89 /krne wen, Qu,111ji,jw111 26, Shanglui J<J92, S. 968. Vgl. 11nten. Teil I, Kap. 3, § 5.
83 l.uuyu, 12. Buch, Kap. 22. 90 An CuDongqi:10, r;h11a1ZXiluII, N,·. 1·12, Quanji,jtw11 2, Shanghai 1992, S. 54.
84 Lunyu, 4. Buch, Kap. 4, 91 Qurtnji,juan 19, Shanghai 1992, S. 673.
85 Lunyu, 12. Buch, Kap. 2. 92 Siehe oben in der allgemeinen Einleitung den § 4, Abschnitt a).
86 Lunyu, 6. Buch, Kap. 28. 93 Brief an Wang I-Iugu, Quanji,juan 4, Shanghai 1992, S. 148.
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Haos (1032-1085) steht das menschliche «Herz» im Zentrum; in seinem oben meiner Jugend habe ich nicht ernsthaft nach dem [ethischen] Lernen gefragt, sondern
zitierten Text über das «Erkennen der Menschlichkeit» kommt Mcngzis Begriff war zwanzig Jahre lang liederlich und habe danach das Herz bei den Daoisten und
des «ursprünglichen Wissens und ursprünglichen Könnens» (liang zhi liang neng Bi?;□ Buddhisten gesucht. Dank der Eingebung des Himmels (tian zhi linp; ~.Zffl.) bin ich
Bi~~) vor, der später für Wang YangmingsAuffassung des «Herzens» immer wichtiger aber dabei zu einer Einsicht gekommen und habe dann gemäß den [konfuzianischen]
wurde. Und auch das Philosophieren von Wang Yangmings Bundesgenossen, Zhan Lehren von Zhou [Dunyi, 1017-1073] und Cheng [Hao, 1032-1085] weitergesucht
Ruoshui, war auf das menschliche «Herz» ausgerichtet. und dabei sozusagen etwas erreicht. Doch außer bei einem oder zwei Gleichgesinnten
Wenn 7:han Ruoshui in der oben zitierten Grabschrift für Yangming schreibt, (tong zhi ffiJJt) habe ich dafür keine Hilfe erfahren, fiel unsicher immer wieder hin
dass dieser erst 1506 zum Konfuzianismus zurückkehrte, so ist dies wohl zu einfach und stand wieder auf. Spät lrnbe ich in 7:han Ganquan [Zhan Ruoshui] einen Freund
ausgedrückt. Vielleicht verfolgte er dabei den Hintergedanken, seinen eigenen Ein- gefunden, und mein Wille wurde fest entschlossen und war nicht mehr zu erschüttern.
fluss auf Wang Yangming zu betonen. Dieser Einfluss war damals in Peking sicher So wurde ich durch Ganquan [Zhan Ruoshui] sehr gefördert. Das Lernen von Gan-
groß. 94 Aber W,mg Yangming hatte sich schon 1503 vom Daoismus und Buddhismus quan besteht darin, es aus sich selbst zu erlangen (selbst einzusehen: zi de g:i 1~).»100
distanziert, war 1504 ins Beamtenleben zurückgekehrt: und hatte in diesem Jahr als Vielleicht darf man als Antwort auf die oben von uns gestellten Fragen die phi-
Leiter der Staatsprüfungen in der Provinz Shandong Musterbeispiele für schriftliche losophische ITaltung W.mg Yangmings in den Jahren 1504 bis 1506 frllgendermaßen
Prüfungsarbeiten verfasst, in denen er sich als Konfuzianer zeigte. 95 Diese Muster ent- charakterisieren: Nachdem er sich 1503 vom Daoismus und Buddhismus distanziert
halten Interpretationen von drei Stellen aus den<<Vier Büchern» und von zehn Stellen hatte, kehrte er in die «Welt» (Gesellschaft) zurück und nahm 1504 seine Beamten-
aus den «Fünf Klassikern» 96 , einen Aufäatz über die «Selbstkultivierung» («Selbst- tätigkeit wieder auf. Dabei wurde er von der Einsicht motiviert, dass die Bindung an
erziehung») des Kaisers; ein Modell einer Bittschrift an den Kaiser und Erörterungen die Gesellsch:1ft in der guten «Natur» (xing tt.) des Menschen wurzelt. Er versuchte
von fünf aktuellen Problemen (geschichtliche Kontinuitiit der Staatszeremonien, auch für sich persönlich den «konfuzianischen Weg», aber vorerst noch ohne klare
Daoismus und Buddhismus, öffentliches Engagement und zurückgezogene «Selbst- Leitidee, denn der nach Zhu Xis Interpretation des Daxue erste Schritt dieses Weges,
kultivierung», öffentliche Moral, administrative Reformen). Diese Prüfungsmuster das «Erforschen der Ordnungsprinzipien der Dinge», war für ihn nicht nachvoll-
von 1504 sind von einem guten konfuzianischen Politiker und Ethiker geschrieben, ziehbar. 1505 oder 1506 tr:1f er in Peking Zhan Ruoshui. Dieser stammte ganz aus
sind aber nicht sehr persönlich, sondern fügen sich den offiziellen Normen ein. So dem Süden Chinas und war dort ein Schüler des sehr unabhängigen konfuzianischen
schreibt Wang Yangming bei der zurückgezogenen Selbstkultivierung, dass ihre erste Denkers Chen Xianzhang (ßaisha, 142 8-15 00) gewesen. 101 Auch Chen Xianzhang
Grundlage «die Erforschung der Dinge der Welt und das völlige Ausschöpfen der war vom Willen beseelt, ein «heiliger Mensch» zu werden, und hatte vergeblich
Ordnungsprinzipien der Welt» 97 sei, hält sich also ganz an die Position von Zhu Xi, versucht, im Sinne der Schule Zhu Xis die «Ordnungsprinzipien» zu finden. Er
obschon diese für ihn seit zwölf Jahren fragwürdig geworden war. Dieser Punkt hat hatte darauf das «Sitzen in der Ruhe>> zur Anfangsmethode des ethischen Lernens
wohl manchen chinesischen Historiker dazu veranlasst, die Autorschaft Wang Yang- gemacht und einen sclhständigcn konfuzianischen Weg eingeschlagen. 102 Von Chen
mings für diese Prüfungsschrift zu bezweifeln, 98 obwohl Qian Dehong in der «Lebens- Xianzhang hatte Wang Yangming wahrscheinlich schon 15 02/03 gehört, als er noch
chronik» bezeugt, dass sie «vollständig aus der Hand des Lehrers stammt». 99 Solche zurückgezogen im Yangming-«Höhlenhimmel» südlich von Shaoxing lebte. 103 Viel-
Muster für Staatsprüfungen waren aber nicht da, um persönliche Probleme und Zwei-
fel zu iiußern. Doch ist anzunehmen, dass Wang Yangming mit seiner Distanzierung
vom Daoismus und Buddhismus und der Rückkehr in die Beamtentiitigkeit es wieder
mit dem konfuzianischen Weg versuchte. In einem Schreiben von 1512 zum Ab- 100 Bie Zban Ganquan xu, Quanji,juan 7, Shanghai 1992, S. 231; auch aufgenommen in: Nianptt I, a.a.O.,
schied von Zhan Ruoshui, den er 1510 wieder in Peking getroffen hatte, sagt er über s. 1234.
101 Zu Chen Xianzhang siehe Jen Yu-wen: «Ch'en Hsien-chang's Philosophy of the Natural», in: De Bary,
die Bedeutung seines Freundes für seine Entwicklung in jenen früheren Jahren: «In Theodore (Hrsg.): Sd(and Society i11 Ming Thought, New York, London 1970, S. 53-92, und DMB,
S. J 53-156.
102 Chcn Xianzhang war wie Lou Li,rng (siehe oben, S. 54) Schüler von Wu Yuhi (1392-1469) gewesen,
der ein Nachfolger von Zhu Xi war, und hatte trotz 1,reitcm Studiums konfuzianischer sowie buddhi-
stischer und daoistischer Schriften «es nicht erreicht». In einem sich rechtfertigenden Brief an den
94 Siehe Wing-tsit Chans Artikel über Wang Shouren, DMB, S. 1409b, und seinen Aufsatz «Chan Studienkommissar Zhao beschreibt er seinen Misserfolg im «Erforschen der Ordnungsprinzipien»
Jo-shui's Influence on Wang Yang-ming», in: Philosophy Eost ond }Vest XXIII (1973), S. 12-30. mit fast denselben Worten, mit denen in der «Lebenschronik» Wang Yangmings entsprechen-
95 (humji,juan 22, Sh:mghai 1992, S. 839--870. des Scheitern d,1rgcs1dlt wird (siehe obrn, S. 57). Chcn fiihrt aus: «Wenn ich schrieb, dass ich es
96 Zu den «Vier Büchern» und den «Fiinf Kl:1ssikern» siehe die allgemeine l(inleilung, § 3. schließlich nicht crn:icht hatte, so nwine ich, dass mein l lerz und die Ordnungsprinzipien sich nicht
97 (jwmji, Shanghai 1992, S. 864. verbanden und nichl ,ur Übereinstimmung gelangten. So gab ich jenes Viele [des Erforschens von
98 So auch die Herausgeber der Schanghaier Edition von 1992 der «Gesammelten Werke» von Wang Ordnungsprinzipien] auf und suchte mein Weniges [mein Herz] im Sitzen in der Ruhe. Nachdem ich
Yangming: Quanji, Shanghai 1992,__ S. 841,Anm. es lange so gehalten hatte, sah ich die Substanz (das Wesen) meines Herzens sich im Stillen als etwas
99 Unter dem 17.Jahr der Hongzhi-Ara (1504): Quanji, Shanghai 1992, S. 1226. Beständiges offenbaren, wie wenn ein Ding da wäre.» MRXA.,juan 5, Beijing 1985, S. 81.
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leicht hatte diese Nachricht in ihm schon damals den ersten vagen Gedanken der Stockschlägen bis zur Bewusstlosigkeit öffentlich ausgeprügelt106 (eine Strafe, die zum
Möglichkeit eines von Zhu Xi unabhängigen konfuzianischen Weges aufkeimen Tod führen konnte) und dann auf die Poststation Longchang ftg~ («Drachenfeld»)
lassen. Wang Yangmings Umgang mit Zhan Ruoshui löste ihn dann wahrscheinlich in der abgelegenen Provinz Guizhou (im Südwesten Chinas), etwa dreißig Kilometer
noch mehr von seiner Fixierung auf den offiziellen Konfuzianismus Zhu Xis und nordwestlich der Provinzhauptstadt Guiyang, verbannt. Im Frühjahr 1507 brach er
verwies ihn auf das «Aus-sich-selbst-Erlangen (-selbst-Einsehen: zi de ~H~)». Vor von Peking in Richtung dieses Ortes auf. Er besuchte in Nanking seinen Vater, der
allem vermochte aber die mit Zhan Ruoshui gemeinsam zur Leitidee genommene damals dort Minister im Ministerium für die Staatsbeamten war, und seine Schüler
«Menschlichkeit» (ren 1=) in der Tradition von Cheng Hao und die in dieser Tradi- in der Gegend von Hangzhou. Er musste auf dieser Reise und später auch noch in
tion gepflegte Interessenrichtung auf das menschliche «Herz» (Geist, Bewusstsein: Longchang mit der Ermordung durch Spitzel des mächtigen Eunuchen LiuJin rech-
xin) seinem Leben, Denken und Lehren eine Ausrichtung zu geben, für die er sich nen. Bei der Überquerung des Qiantang-Flusses bei Hangzhou zu seiner Heimat-
persönlich einsetzen konnte und an der er danach sein ganzes Leben lang festhielt. präfektur Shaoxing täuschte er vor, sich zu ertränken, um dadurch seinen Verfolgern
Doch blieb für ihn damals das ge wu ffi-®l des Daxue noch ein ungelöstes Problem, zu entkommen. Danach soll er sich im Wuyi-Gebirge an der Grenze zwischen den
und damit fehlte ihm auch die konkrete Grundlage für das Gehen in dieser Rich- Provinzen Fujian und Jiangxi versteckt haben. Ein Gespräch mit einem dortigen
tung. Er sah den konfuzianischen Weg zum «heiligen Menschen» immer noch nicht Daoisten überzeugte ihn aber, dass er seiner Sippe, besonders seinem Vater, größtes
deutlich.Jenes Problem löste sich für ihn erst in der Verbannung «bei den Barbaren» Unheil zuziehe, wenn er dem Verbannungsbefehl der Regierung nicht nachkomme
(1508/09), als er, wie er sich ausdrückte, «die Einfachheit und zugleich Weite des und untertauche. Er setzte also den Weg zu seinem Verbannungsort fort, reiste über
Konfuzianismus einsah». die Präfekturstadt Guangxin •mim Nordosten der Provinz Jiangxi (das heutige
Shangrao, im Norden des Wuyi-Gebirges) und per Schiff Richtung Westen über
b) Wang Yangmings mittlere Periode: das Erkennen einer philosophischen den Pengze Jtji (Poyang-See) im Norden der Provinz Jiangxi, über den Lihu ~™1
Grundlage (1507-1518) (Dongting·-See) in der Provinz Huguang (heute im Norden der Provinz Hunan an
Im Sommer 1505 kam der vierzehnjährige Zhu Houzhao auf den Drachenthron und der Grenze zur Provinz Hubei) und von dort wahrscheinlich den Yuan-Fluss 55i7J<
regierte von 1506 bis 1521 unter der Devise «zheng de IEfl (gerade Tugend)». Nach hinauf nach Südwesten in die Provinz Guizhou. 107 Im Frühjahr 1508, ein Jahr nach
seiner Thronbesteigung gewann rasch eine Gruppe von acht Eunuchen an Macht, seiner Abreise von Peking, traf er in Longchang ein. Dort hatte er die Poststelle für
die «die acht Tiger» genannt und von Liu J in 1~ Ii angeführt wurde. 104 Gegen den die Eilboten zu versehen. 108 Es war dies ein sehr abgelegener Posten. Aber so isoliert,
Einfluss von LiuJin und seiner Eunuchengruppe reichten Anfang 1506 auch einige wie es die «Lebenschronik» schildert, war Wang Yangming dort wohl nicht, wenig-
Beamte in Nanking, Dai Xian, Bo Yanhui und andere, eine Bittschrift an den Kaiser stens nicht während der späteren Zeit seines dortigen Aufenthaltes, denn der Ort
ein und wurden dafür ins Gefängnis geworfen. Darauf nahm Wang Yangming, der lag- wie gesagt - nur dreißig Kilometer von der Provinzhauptstadt entfernt, und er
im Kriegsministerium in Peking war, in einer eigenen Eingabe an den Kaiser für die hatte dort sogar zwei hervorragende Schüler aus dem etwa achthundert Kilometer
Eingekerkerten Partei. Er kannte sie nicht persönlich. Er argumentierte in dieser entfernten Wuling iitlli, der Hauptstadt der Präfektur Changde ~ffi im südlichen
Eingabe für die freie Meinungsäußerung der Beamten gegenüber dem Kaiser, ohne
dass dies sie der Gefahr einer Bestrafung aussetzen würde. Wenn dies nicht gewähr-
leistet sei, würden dem Kaiser bei Bedarf gute Vorschläge fehlen. 105 Wegen dieser
II n•
Teil der Provinz Huguang (heute in der Provinz Hunan). Es waren Ji Yuanheng
(Beiname: Anzhai 11,ffif, ?-1521) und Jiang Xin itll m
(Beiname: Daolin ~
;t;t-, 1484-1560). 109 Vielleicht hatten sie Wang Yangming kennengelernt, als dieser
Eingabe an den Kaiser wurde auch Wang eingekerkert, mit vierzig oder fünfzig im Winter 1507/08 auf seinem Weg nach Longchang am westlich des Dongting-

103 Als Wang Yangming 1502/03 zurückgezogen im Wanwei-Gebirge südlich der Stadt Shaoxing lebte,
besuchte ihn dort sein Freund Wang Siyu 3: ß'J~ (oder }!/l!) zusammen mit Xu Zhang l!flf und 106 Nach dem Nianpu waren es vierzig Stockschläge, nach Huang Wans Xingzhurmg fünfzig.
zwei weiteren Personen. Xu Zhang wohnte im Kreis Shangyu .t~, am Wasserweg zwischen der Stadt 107 Diese Reiseroute ist Huang Waus Xingzhiumg zu entnehmen (Quanji, juan 38, Shanghai 1992,
Shaoxing und Wang Yangmings Geburtsort Yuyao. Xu Zhang war mit der Lehre Chen Xianzhangs S. 1408). Allerdings schreibt dieser, dass Wang Yangming «den Yuan Xiang hinauffuhr» (sie Ytum
vertraut, denn er hatte während neun Monaten in der Provinz Huguang bei Li Chengji :$: ;iJ<J/;, einem Xiang ,JJ!mlffl). Mit «Xiang Jffl» kann kaum der Xiang-Fluss gemeint sein, der wie der Yuan-Fluss in
Schüler Chen Xianzhangs, gelernt. Wang Yangming besuchte ihn dann später oft und schrieb nach den Dongting-See fließt, aber nicht wie dieser von der Provinz Guizhou im Südwesten, sondern von
~~inem Tod eine Kalligraphie für seinen Grabstele: siehe Nianpu, unter dem 15.Jahr der Hongzhi- den Grenzgebirgen zu den Provinzen Guangdong und Guangxi im Süden herkommt; vielleicht meint
Ara (1502), Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 1225; MRXA,juan 10, Eintrag über Xu Zhang, Beijing Huang Wan damit den ganzen Süden der Provinz Huguang, das heißt die heutige Provinz Hunan,
1985, S. 182f.; Qian Ming 2002, S. 86. in der sich auch der Yuan-Fluss befindet und die literarisch mit «Xiang Jffl» bezeichnet wird.
104 Genauere Ausführungen darüber im Anhang· zur allgemeinen Einleitung, S. 36ff. 108 In der «Lebenschronik» (Nianpit} ist diese bewegte Reise von Peking nach Longchang noch kompli-
105 Diese Eing·abe Wang Yangmings ist teilweise im Nianpu unter dem l.Jahr der Zhengde-Ära (1506) zierter dargestellt. Wir halten uns im Wesentlichen an die Angaben, die sich im Nianpu und in Huang
(Quanji, Shanghai 1992, S. 1227) und vollständig im 9.juan des Quanji (Shanghai 1992, S. 291f.) Wans Xingzhuang decken: siehe Quanji, Shanghai 1992, S. 1228f. und S. 1408.
abgedruckt. 109 ZuJi YuanhengundJiang Xin sieheMRXA,juan 28, Beijing 1985, S. 627-635.
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Sees gelegenen Wuling vorbeikam. Später suchten sie ihn in Longchang auf, und war, die Ordnungsprinzipien (li Jll) in Richtung auf die äußeren Angelegenheiten und
Ji Yuanheng folgte 1510 Wang Yangming nach Luling in die ProvinzJiangxi (siehe Dinge zu suchen. Er versuchte, es mit den im Gedächtnis behaltenen Worten der
unten) und ging nach seinem Bestehen der Provinzexamen im Herbst 1516 zu ihm <Fünf Klassiker> zu belegen, und alles stimmte überein. In der Folge verfasste er das
nach Ganzhou und spielte 1520 eine wichtige Rolle bei Wang Yangmings Nieder- Wu jing yi shuo .n.1!1!~ (<Ausführungen in Erinnerung an die Fünf Klassiker>).» 113
schlagung der Rebellion des Prinzen von Ning (siehe unten).Ji Yuanheng undJiang Die «große Einsicht» in diesem traumartigen Erlebnis, das in einem Lebenszu-
Xin waren übrigens die einzigen wichtigen Mitglieder der Schule Wang Yangmings sammenhang steht, den man mit Karl Jaspers als «Grenzsituation» charakterisieren
zu dessen Lebzeiten aus der damaligen Provinz Huguang (den heutigen Provinzen kann, war in der Folge für Wang Yangmings Leben und Philosophieren grundlegend,
Hubei und Hunan). wie wir aus seinen eigenen Zeugnissen und denjenigen seiner Schüler und Freunde
In der «Lebenschronik» steht unter dem Jahr 1508 Folgendes: «Der Lehrer wissen. Aber, soweit mir bekannt ist, wird nirgends gesagt, worin denn der positive
(Yangming) begann, den Sinn des <[im] ge wu ~!Im das Wissen verwirklichen> 110 zu Inhalt dieser «großen Einsicht» konkret bestand. Huang Wan, der zwei Jahre nach
verstehen. Longchang liegt im Nordwesten von Guizhou 111 inmitten vieler Berge diesem Ereignis mit Wang Yangming in Peking Freundschaft schloss und vielleicht
und inmitten von Dornendickicht. Es gibt dort Giftschlangen, böse Geister, giftige schon damals etwas davon erfuhr, sagt in seiner Schilderung dieses Ereignisses über
Insekten und Malaria. Mit den dort lebenden Eingeborenen, deren Sprache wie Vo- ihren Inhalt nur, dass sie «mit Zhu Xis Kommentaren gleichsam im Widerstreit stand»
gelgezwitscher tönt, kann man sich schwer verständigen. Die Leute, mit denen man (sieheAnm.113). Qian Dehong (1497-1574), der neben WangJi in denJahren 1521
sich verständigen kann, sind Chinesen, die aus Angst, hingerichtet zu werden, dorthin bis 1528 der vertrauteste Schüler Wang Yangmings war, sagt darüber, wie wir soeben
geflohen sind. Von alters her hatten sie [die Eingeborenen] keine Häuser, und der gehört haben, recht viel: Jene «große Einsicht» wird von ihm als Antwort auf die
Lehrer begann sie zu unterweisen, wie man mit Trockenziegeln und Holzgerüsten Frage «Was hat ein heiliger Mensch für ein Dao (Weg), um mit einer solchen [extrem
Häuser baut. Zu jener Zeit war der Hass des [Eunuchen Liu] Jin noch nicht abgeflaut. schwierigen] Situation umgehen zu können?» dargestellt. Sie war ein Verständnis des
Der Lehrer dachte von sich, dass er zwar fähig sei, sich über Erfolg oder Misserfolg «im ge wu das Wissen verwirklichen» (ge wu zhi zhi ~!fmj(~) aus dem Grundkapitel
und über guten Ruf oder üble Nachrede hinwegzusetzen, aber die Sorge um Leben des Daxue. Gemäß dieser «Einsicht» reicht die eigene Naturanlage aus, um das Dao
und Tod (sheng si yi nian ~~-~) glaubte er noch nicht überwunden zu haben. Da (den Weg) des heiligen Menschen zu gehen, also sicher auch, um jenen Anfangsschritt
machte er sich einen steinernen Sarg und schwor: <Ich warte einfach mein Geschick des «im ge wu ~!Im das Wissen verwirklichen» zu vollziehen. Für diesen Schritt ist es
(ming $') ab!>112 Tag und Nacht saß er aufrecht und klärte seinen Geist schweigend, (im Gegensatz zur Interpretation jener Formel durch Zhu Xi) nicht nötig, die Ord-
um Ruhe und Einheit (jingyi ffil-) zu suchen. Nachdem er dies lange Zeit getan hatte, nungsprinzipien in den äußeren Geschäften und Dingen zu untersuchen. All diese
wurde er in der Brust frei. Seine Diener wurden damals alle krank. So spaltete er selbst Auskünfte Qian Dehongs in der «Lebenschronik» könnten auf Wang Yangmings nach
Brennholz, holte Wasser und machte Reisbrei für sie. Da er sich wegen ihrer Nieder- seiner Verbannung nach Longchang vertretene Interpretation jener Daxue-Formel
geschlagenheit Sorgen machte, sang er ihnen Lieder und Gedichte vor, und wenn sie als «im Berichtigen der Handlungen das Wissen verwirklichen» hinweisen. Auch
dies nicht aufheiterte, stimmte er heimatliche Melodien aus Yue [Präfektur Shaoxing] die Bemerkung Qian Dehongs in seiner Schilderung, dass jene große Einsicht so war,
an und machte Scherze, um sie ihre Krankheit, die Fremde und ihr Unglück vergessen «wie wenn jemand es ihm beim plötzlichen Aufwachen sagte» (yu zhi ~Z), könnte
zu lassen. Weil er über die Frage, was ein heiliger Mensch (sheng ren ~Ä) für ein Dao eher auf ein begriffliches Verständnis als auf einen intuitiven und emotionalen Ge-
(für einen Weg) hat, um mit einer solchen Situation umgehen zu können, nachsann, samteindruck hindeuten. Aber warum schreibt dann Qian Dehong nicht einfach klipp
verstand er plötzlich mitten in der Nacht in einer großen Einsicht (da wu *ffi) die
Bedeutung des <[im] ge wu ~!Im das Wissen verwirklichen>. Es war, wie wenn jemand
es ihm im plötzlichen Aufwachen gesagt hätte. Unwillkürlich schrie er auf und tanzte, 113 Nianpu, unter dem 3. Jahr der Zhengde-Ära (1508): Quanji, Shanghai 1992, S. 1228. Im «Lebenslauf»
so dass die Diener alle erschraken.Jetzt erkannte er, dass für das Dao (den Weg) des (xingzhuang) von Huang Wan, der sich Ende 1510 mit Wang Yangming in Peking befreundete (siehe
heiligen Menschen die eigene Naturanlage (xing 11:) ausreicht und dass es ein Fehler DMB, S. 673), steht über jene Ereignisse in Longchang Folgendes: «Seine drei Diener erkrankten
gefährlich an Malaria. Er (Yangming) machte Tag und Nacht Suppe und Brei, um sie zu pflegen. Der
[Eunuch Liu] Jin beabsichtigte immer noch, ihn zu verderben. Er (Yangming) konnte sich über allen
Erfolg oder Misserfolg, über Ruhm oder Schande hinwegsetzen, nur die Sorgen über Leben und Tod
vermochte er noch nicht aus seinem Herzen zu vertreiben. Da machte er sich einen steinernen Sarg
110 Das heißt des Satzes: «Die Verwirklichung des Wissens besteht im ge wu». Zum Kontext dieses Zitates und schwor sich: <Ich erwarte jetzt nur noch den Tod! Was soll ich anderes planen?> Tag und Nacht
aus dem Grundkapitel des Daxue siehe oben in diesem Paragraphen, S. 56f. saß er aufrecht, sein Herz (Geist) klärend und seine Gedanken verfeinernd, um in der Stille und der
111 Mit «Guizhou» ist hier nicht die Provinz Guizhou gemeint, sondern die Provinzhauptstadt Guiyang, Einheit zu suchen. Eines Nachts hatte er plötzlich eine große Einsicht (da wu :kffi) und er tanzte wie
die auch Gtlizhou xuan wei si :l:fü~~'i11.I hieß. ein Verrückter. Er bestätigte sie [seine große Einsicht) mit den Worten der Fünf Klassiker, die er im
112 Das ist eine Anspielung auf Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 1: «Kurzes Leben oder langes Leben, das Gedächtnis hatte, und jeder einzelne Punkt stimmte überein. Nur mit den Kommentaren von Zhu
macht keinen Unterschied. Sich selbst kultivieren und es abwarten, dadurch hält man sein Geschick Xi gab es gleichsam einen Widerstreit. In der Folge verfasste er das Wu jing yi shuo (<Ausführungen
aufrecht.» in Erinnerung an die Fünf Klassiker>).» Quanji, Shanghai 1992, S. 1408f.
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und klar: «Der Lehrer hatte die Einsicht, dass <ge wu ffi-!f,jj}> im Daxue die Bedeutung <Handlung>], muss das Nichtgerade entfernt und dadurch das Gerade bewahrt werden.
von <Berichtigen der Handlungen> hat»? So wird zu jeder Zeit und an jedem Ort das Ordnungsprinzip des Himmels (tian li
Vielleicht hat sich Wang Yangming über den genauen positiven Inhalt jener Je. l!) bewahrt, und darin besteht das <Ausschöpfen der Ordnungsprinzipien (qiong li
nächtlichen «großen Einsicht» nie geäußert und nur gesagt, dass sie ihm das Ver- ~1'.)> [von dem Zhu Xi spricht].» 119
ständnis der «Verwirklichung des Wissens im ge wu» ermöglichte, und wahrschein- Diese Interpretation von «ge wu ffi.!f,jj}» hat ihre Tragweite und ihren vollen
lich war ihr Inhalt auch nicht einfach eine Deutung von Wörtern. In dem wohl Sinn nur innerhalb von Wang Yangmings Lehre von der «Vereinigung von Wissen
ausführlichsten eigenen schriftlichen Bericht über seine geistige Umwandlung in und Handeln» (zhi xing he yi 1ßlfrft-) oder, wie er nach 1520 auch sagen wird, vom
Longchang, den wir in seinem Vorwort von 1515 zu «Zhu Xis endgültige Auffassung «gleichzeitigen Fortschreiten von Wissen und Handeln» (zhi xing bingjin 1ßlfr~li).
in seinen späten Jahren» finden, schreibt Wang Yangming, nachdem er zuvor die Es ist nun gerade diese Lehre, die, nach allem, was wir wissen, in Longchang ihren
philosophischen Unsicherheiten seiner früheren Jahre geschildert hatte: «Nachher Anfang nahm. Denn als Xi Shu lt~ (Beiname: Yuanshan :ltlll, 1461-1527), 120 der
wurde ich nach Longchang versetzt, wohnte bei den Barbaren und lebte in der Not. 1509/10 Vizekommissär für Erziehung (ti xue fu shi ~~;~5':) in der Provinz Guizhou
Nachdem ich mir viele Gedanken gemacht und mich in Geduld geübt hatte, hatte war, Wang Yangming 1509 in Longchang aufsuchte, um zu prüfen, ob dieser als Lehrer
ich so etwas wie eine Einsicht (wu ffl). Ich prüfte sie und forschte, und nach einem der Akademie (shu yuan ~m) der nahen Provinzhauptstadt Guiyang in Frage käme,
Winter und einem Sommer, während ich sie durch die <Fünf Klassiker> und die <Vier erläuterte ihm dieser jene Lehre als seine «Einsicht» (wu ffl). In der «Lebenschronik»
Meister> (die <Vier Bücher>) belegte, war es, wie wenn sich die vielen Ströme und heißt es dazu: «In diesem Jahr [1509] begann der Lehrer über die Vereinigung von
Flüsse in das [eine] Meer ergießen würden [es stimmte alles zusammen]. Danach be- Wissen und Handeln (zhi xing he yi 1ßlfrft-) zu sprechen. Der Kommissär für Erzie-
wunderte ich, dass das Dao (der Weg) der heiligen Menschen [des Konfuzianismus] hung, Xi Yuanshan Shu, fragte ihn vorerst über die Debatte, die die Unterschiede zwi-
weit und eben wie eine große Straße ist.» 114 Diese Aussage macht es wahrscheinlicher, schen Zhu Xi und Lu Xiangshan betrifft. 121 Der Lehrer (Yangming) sagte nichts über
dass Wang Yangming erst nach seiner ein Jahr dauernden Vergewisserung durch den die Lehren von Zhu und Lu, sondern sprach über das, was er selbst eingesehen hatte.
konfuzianischen Kanon (oder vielleicht noch später) zu seiner eigenen philologischen Xi Shu zweifelte und ging weg. Am nächsten Tag kam er wieder, und der Lehrer sprach
Interpretation des ge wu kam. In seinen damals geschriebenen «Gedanken über die über das eigentliche (wahre) Wesen (ben ti ;z!s:H) von Wissen und Handeln und bewies
Fünf Klassiker» finden wir keine hermeneutische Auseinandersetzung mit dem es mit den Fünf Klassikern und den (konfuzianischen) Weisen; langsam verstand er
Ausdruck ge wu, 115 und ein damaliger Text über die « Vier Bücher», die eine solche etwas. Er kam vier Mal, hatte plötzlich eine große Einsicht (da wu ;kffi) und sprach:
Auseinandersetzung gefordert haben, ist von ihm nicht vorhanden. <Die Lehre der heiligen Menschen ist heute wieder erschienen. Was die Differenzen
Das früheste Zeugnis von Wang Yangmings eigener Deutung des «ge wu ffi-!f,jj}» zwischen Zhu und Lu betrifft, so hat jeder von beiden seine starken und schwachen
im Grundkapitel des Daxue finden wir in seinen Gesprächen vom Winter 1512/13 Seiten. Man braucht sie nicht besonders zu diskutieren. Wenn man in seiner eigenen
mit seinem Schüler und Schwager Xu Ai (1487-1517), die dieser aufzeichnete und die Natur (xing 14:) sucht, ist man ursprünglich von selbst im Klaren.>» 122 Darauf habe er
1518 am Anfang des Chuanxi lu veröffentlicht wurden. Nach diesen Aufzeichnungen
sagte Wang Yangming: «Das ge ffi- im <ge wu ffi-!f,jj}> hat die Bedeutung, in der Mengzi
sagt, dass <der große Mensch das Herz (den Geist) des Herrschers berichtigt (ge ffi-)>. 116 119 A.a.O., Nr. 7, S. 6. Rein von der chinesischen Sprache her gesehen, ist sowohl Zhu Xis Interpretation
von «ge WU>> als «Erforschung der Dinge» als auch die ganz andersartige von Wang Yangming als
Er meint damit, das Nichtgerade des Herzens (Geistes) entfernen, um das Gerade «Berichtigung (Rechtmachen) der Handlungen» möglich. Das Zeichen ge :tf, das auf seiner linken
von dessen eigentlichem (wahrem) Wesen (ben ti ;z!s:U) zu bewahren.» 117 Das wu im ge Seite mit dem semantischen Radikal für Baum (*) geschrieben wird, bedeutet ursprünglich «lange
wu erklärte Wang im vorangegangenen Abschnitt der Aufzeichnung Xu Ais als «das, Äste»; dann einen «Zaun, der mit solchen Ästen vertikal und horizontal geflochten wird»; dann
das «Würfelmuster auf einem Schachbrett oder einer Schreibvorlage» (die Schreibvorlagen für die
worauf die Handlungsintention (yi ~ oder yi nia'li ~~) sich richtet», 118 das heißt das chinesischen Zeichen sind kariert) und «rechteckige Fächer in einem Gestell»; weiter überhaupt ein
«Ding» im Sinne einer zu tuenden (praktischen) Sache oder eines Geschäftes (shi ~), «Muster», eine «Vorlage», eine «Norm»; dann bedeutet es «hindern, abhalten» (vgl. die Bedeutung
und er fährt unmittelbar an die zuvor zitierten Sätze anschließend fort: «Bei dem, «Zaun»), weiter bedeutet es «berichtigen» und auch «erreichen, nachprüfen, nachforschen». «Wu» in
«ge wu» hat eine sehr allgemeine Bedeutung wie das deutsche «Ding» oder «Sache». Es kann «Steine,
worauf die Handlungsintention sich richtet [= wu !f,jj}, das <Ding>, das <Geschäft>, die Pflanzen, Menschen» aber auch «zu erledigende Dinge, Geschäfte» bedeuten.
120 Zu Xi Shu siehe den Artikel im DMB, S. 523-525.
121 LuJiuyuan (Xiangshan, 1139-1193) war ein Zeitgenosse von Zhu Xi und einer der berühmtesten
konfuzianischen Denker in der Dynastie der Südlichen Song. Sie waren miteinander befreundet, aber
114 Vorwort (datiert auf den 1. Tag des elften Mondes des yihai-Jahres der Zhengde-Ära [Ende 1515]) in vielem verschiedener Meinung. Sehr berühmt ist ihr Treffen am «Gänse-See» (E hu) in Jiangxi
des Zhuzi wannian dinglun am Ende des Chuanxi lu, Quanji, Shanghai 1992, S. 127. geworden, während dem sie sich trotz bestem Willen nicht einigen konnten. Wang Yangmings
115 Dieses Werk ist erhalten: Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 976-982. Philosophieren ist in manchem demjenigen von Lu Xiangshan nahe (siehe unten, S. 80f.) und sie
116 Mengzi, 4. Buch, l. Teil, Kap. 20. werden oft zusammen als «Lu-Wang-Richtung» derjenigen von Cheng Yi (103 3-1107) und Zhu Xi
117 Chuanxi lrd, Nr. 7, Shanghai 1992, S. 6. (Cheng-Zhu-Richtung) entgegengesetzt.
118 Chuanxi lu 1, Nr. 6, Shanghai 1992, S. 6. 122 Nianpu, unter dem 4.Jahr der Zhengde-Ära (1509), Quanji, Shanghai 1992, S. 1229.

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zusammen mit dem Vizegouverneur [?] (xian fu Jim~) Mao =5 die Akademie erneuert ben und Verabscheuen von üblen Gerüchen» verglichen wird. Er sagte, dass beim
und persönlich die Studenten von Guiyang zu Wang Yangming geführt, um ihm in Sehen(= Erkennen) von schönen Farben schon von selbst das Lieben dieser Farben
der Akademie als Lehrer zu huldigen. Xi Shu muss eine mutige Persönlichkeit gewe- stattfinde, welches ein Handeln sei, und dass beim Riechen(= Erkennen) von üblen
sen sein, denn es war ein Risiko, mit jemandem, der von den Mächtigen des Reiches Gerüchen schon von selbst das Verabscheuen dieser Gerüche stattfinde, welches
geächtet war, Kontakt zu pflegen und ihn gar an eine staatliche Akademie offiziell als ein Handeln sei; es sei dabei nicht so, dass man dabei zuerst sehe oder rieche und
Lehrer einzuladen. Man darf annehmen, dass jene Lehre von der Vereinigung von danach sich vornehme zu lieben oder zu verabscheuen. In einem späteren Text mit
Wissen und Handeln in der «großen Einsicht» vom Jahr zuvor wurzelte, die in Wang ähnlichem Inhalt wird Wang Yangming übrigens mentale Akte des Strebens, wozu
Yangmings Denken vieles in Bewegung brachte. solches Lieben und Verabscheuen gehört, nicht «Handeln», sondern genauer «An-
Wie über Wang Yangmings konkrete Interpretation des «ge wu ffi.@J» im Daxue, fänge des Handelns» nennen. 125 Worauf es ihm bei diesem «Sehen» und «Riechen»
so erfahren wir auch über den Inhalt jener Lehre von Wissen und Handeln erst aus des Daxzte ankommt, ist allein der Gedanke, dass echtes Erkennen in sich selbst
Xu Ais Aufzeichnungen seiner im Winter 1512/13 mit Wang Yangming geführten Handeln enthält. Auf das Beispiel von Xu Ai Bezug nehmend fuhr er dann in seiner
Gespräche. Auch diese Lehre ist gegen Zhu Xi und seine Nachfolger gerichtet, Antwort fort: «Wenn man von jemandem sagt, dass er um die Pietät gegenüber
und zwar gegen die Meinung, dass man zuerst die Anstrengung des Erkennens auf den Eltern oder um den Respekt gegenüber den älteren Brüdern weiß, dann muss
sich nehmen müsse, bevor man richtig handeln könne, das heißt, dass man zuerst dieser schon pietätvoll oder respektvoll gehandelt haben, erst dann kann man [wirk-
die Ordnungsprinzipien in den Dingen untersuchen und erfassen müsse, um dann lich] sagen, dass er um sie weiß (dass er sie kennt). Es genügt nicht, dass er darüber
aufgrund dieses erworbenen Wissens richtig handeln zu können. In den folgenden reden kann. Es ist so wie beim Kennen des Schmerzes: Man muss selbst Schmerz
Zitaten müssen wir das chinesische Wort «zhi ~», das in der Formel «zhi xing he yi gehabt haben, erst dann kennt man ihn; man muss selbst gefroren haben, erst dann
!EIJ~j'~-» (Vereinigung von Wissen und Handeln) vorkommt, manchmal mit dem kennt man die Kälte; man muss selbst gehungert haben, erst dann kennt man den
Zustandsverb «wissen (kennen)» und manchmal mit dem Ereignisverb «erkennen>> Hunger.» 126 Wang Yangming geht es in diesen Ausführungen überhaupt nicht um
wiedergeben. Wang Yangming sagte gemäß jenen Aufzeichnungen zu Xu Ai: «Die das Verhältnis zwischen sinnlichem Wahrnehmen (Sehen, Riechen) einerseits und
Heutigen machen aus Erkennen und Handeln zweierlei Aufgaben, indem sie meinen, Streben oder Handeln andererseits und auch nicht um den Grund unseres Kennens
dass man vorerst erkennen müsse, um nachher handeln zu können. Sie sagen, dass sie von Schmerzempfindungen, sondern allein um das Verhältnis zwischen ethischem
jetzt durch Erörtern und Diskutieren die Anstrengung (gongfu I~) des Erkennens Wissen und ethischem Handeln.Jene Illustrationen sind nicht Beispiele (Einzelfälle)
unternähmen und, wenn dann ihr Wissen genügend wahr sei, würden sie sich an die seiner These von der Einheit von Wissen und Handeln, sondern Gleichnisse, die man
Anstrengung des Handelns machen. Aber so handeln sie ihr ganzes Leben nicht und bekanntlich nicht «strapazieren» darf.
so erkennen sie auch ihr ganzes Leben nicht. Das ist keine kleine Krankheit und ist Und man darf auch nicht einzelne seiner Aussagen über ethisches Wissen in
nicht erst gestern entstanden. Wenn ich jetzt von der Vereinigung von Wissen und einem pragmatischen Sinne verstehen: dass es seinen Ursprung im Handeln habe.
Handeln (zhi xing he yi ~fi~-) spreche, soll das eine Arznei gegen diese Krankheit Vielmehr räumt er in einem ganz besonderen Sinne dem ethischen Wissen gegen-
sein. Das ist auch keine unbegründete Erfindung, sondern das eigentliche (wahre) über dem Handeln eine Priorität ein. Er bestimmt in jenen Gesprächen mit Xu Ai
Wesen (ben ti ~MI) von Wissen und Handeln ist von Anfang an so.» 123 Nach den ihr Verhältnis gemäß ihrem «eigentlichen (wahren) Wesen» (ben ti *H) folgender-
Aufzeichnungen hatte zuvor Xu Ai die Schwierigkeit geäußert, dass man doch zum maßen: <<Wissen ist der Anfang (shi 'llh) des Handelns; Handeln ist die Vollendung
Beispiel sehr wohl wissen könne, dass man gegenüber den Eltern pietätvoll und (Verwirklichung: cheng ~) des Wissens», und «Wissen ist der Leitgedanke (zhu yi
gegenüber den älteren Brüdern respektvoll sein müsse, und dennoch nicht entspre- ::E ~) des Handelns; Handeln ist die Tätigkeit (Arbeit, Anstrengung: gongfu I~) des
chend handle, was zeige, dass die beiden zweierlei Dinge seien. Und Wang hatte ihm Wissens.» 127 Wissen und Handeln gehören in diesem Sinne zusammen. Damit sind
geantwortet: «Solches [sogenanntes Wissen] ist schon durch egoistische Wünsche wir bei der Bedeutung, die Wang Yangming dem Satz aus dem Daxue: «Das Wissen
(si yu l.&W:) [vom Handeln] getrennt und ist nicht das eigentliche (wahre) Wesen verwirklicht sich im ge wu» in oder aufgrund seiner «großen Einsicht» in Longchang
(ben ti *R) von Wissen und Handeln. Es gibt keinen [wirklich] Wissenden, der nicht
handeln würde. Wissen und nicht handeln, das ist noch nicht Wissen.» 124 Wang hatte
dann als Argument für diese These die Stelle am Anfang des sechsten Kapitels des 125 Brief an Gu Dongqiao, in: Chuanxi Ju II, Nr. 132, Quanji, Shanghai 1992, S. 42.
126 Chuanxi Ju 1, Nr. 5, Quanji, Shanghai 1992, S. 4.
Daxue angeführt, an der der wahrhaftige Wille mit dem «Lieben von schönen Far- 127 Ebd., Nr. 5 und Nr. 26, Quanji, Shanghai 1992, S. 4und S. 13. In späterer Zeit wird Wang folgende
Formel für das Verhältnis von Wtssen und Handeln benutzen: «Der Ort der Wirklichkeit (zhen qie
JI; i;JJ) und Solidität (du shi :«l'.iit) des Wissens ist das Handeln; der Ort des hellen Bewusstseins (ming
jue a}ljl) und des feinen Prüfens (jing cha ffl~) des Handelns ist das Wissen.» Chuanxi tu II, Brief
123 Chuanxi tu I, Nr. 5, Quanji, Shanghai 1992, S. 4f. an Gu Dongqiao von 1525, Nr. 133, Quanji, Shanghai 1992, S. 42; und im zweiten «Brief an einen
124 A.a.O., S. 4. Freund» von 1526, Quanji,juan 6, Shanghai 1992, S. 208.
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gab, nachdem er zuvor während fast zwei.Jahrzehnten vergeblich diesen Satz im Sinne sei das Handeln vollkommen. <<Nun sind aber beim gewöhnlichen Menschen immer
Zirn Xis für sich anzuwenden versucht hatte. Er verstand diesen Satz nun im Sinne, Behinderungen durch egoistische Absichten vorhanden. Deshalb muss mit der An-
dass das Wissen sich im richtigen Handeln verwirklicht. strengung der ,Verwirklichung des vVisscns [in dcrl Berichtigung der Handlungen>
Woher stammt nun aber nach Wang Yangming dieses ethische Wissen, wenn es der Egoismus überwunden und das Ordnungsprinzip (!i ~) wiederhergestellt werden.
sich zwar im Handeln «verwirklicht>>, aber nicht aus dem IIandeln stammt? Es stammt Wenn so das ursprüngliche Wissen (litmg zhi &!ßl) nicht mehr behindert wird und
nach ihm aus der ursprünglichen Natur des Menschen, genauer aus dem Wesen seines sich voll auswirkt, dann ist das die <Verwirklichung des Wissens>. Wenn das <Wissen
Herzens (Geistes). Er sagte in jenen Gesprächen mit Xu Ai: «Wissen ist das eigentli- verwirklicht> wird, cLmn ist der \Villc aufrichtig> (yi cheng ~~).»ll 4
che (wahre) Wesen (hen ti ;zJ,;lffl) des Herzens (Geistes). Das Herz (Geist) kann aus sich In Longchang 1508/09 scheint vVmg Yimgming aber diesen Ausdruck des
selbst wissen (zi ran hui zhi 1s ?i&iir!ßl). Wenn es den Vater wahrnimmt, weiß es aus sich «ursprünglichen \Visscns>,, noch nicht verwendet zu haben. Er gebrauchte aber ein
selbst um die kindliche Pictiü. Wenn es die älteren Brüder wahrnimmt, weiß es aus sich Wort, dem er im Wesentlichen denselben Sinn gibt, in welchem er etwas spfücr jenen
selbst um den Respekt. Wenn es ein Kind in einen Brunnenschacht fallen sieht, weifS es Ausdruck aus dem lvlcngzi benutzen wird, niimlich die «helle '1hgcnd» (rning de BJH~),
aus sich selbst um Mitleid. Das ist närnlich das <urspriinglichc Wissen> (litmg zhi ~!m), die im Y_ijing (<,Bnch der \Vandlungen», einem der «Fünf Klassiker»), vor allem aber
das nicht im Außcrcn gesucht zu werden braucht.» 128 Wang Yangming bezieht sich in im ersten Satt. des Daxuc vorkorrnnt: «Das Dao des großen Lernens besteht darin, die
diesen Aussagen auf Mcngzi. Dieser hatte geschrieben: <<Was der Mensch kann, ohne helle 'lbgcnd zum Leuchten zu bringen.» In den «Gedanken über die Fünf Klassiker»
zu lernen, ist sein gutes (ursprüngliches) Können (littng neng &~~); was er weiß, ohne (Wu jing yi shuo), die W,ing Yangming mich den oben zitierten beiden Biographien
zu überlegen, ist sein gutes (ursprünglichcs 129) Wissen (littng .zhi ~9'□). Die Kleinkinder («Lebenslauf» und «Lebenschronibo.) zur Bestätigung seiner «großen Einsicht» in
wissen ihre Fltcrn zn lieben, wenn sie größer geworden sind, wissen sie ihre älteren l,ongchang schrieb, finden wir folgendes Zitat aus dem Yi_jing (es ist: der xiang-[«Bild»-l
Brüder zu ehrcn.» 1rn Auch das Beispiel mit dem spontanen Mitleid stammt aus dem Kommentar zum jin-l lexagramrn, das im unteren 'E.'.il aus dem kun-'lhgramm !die
Buch 1Vleng:ä. rn Es ist wohl die früheste Stelle, an der Wang Yangrning vom «ur- ErdcJ und im oberen "Teil aus dem li-Thgramm [das Feuer] besteht): «Die Leuchte
sprünglichen Wissen» (liang z;hi B!9'□) spricht, das in einem vertieften Sinne in seiner (die Sonne) steigt Li her der Freie ernpor:jin (Fortschritt): Der Edle bringt seine helle
spiitcn Lebensphase (1519-1529) eine enorme Bedeutung gewinnen wird nnd dem die Tugend (rning de Bfal{t) zum Lcuchtcn.>> 111 \ Vang Yangming schreibt dazu in seinen
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vorliegende Studie gewidmet ist. An dieser frühen Stelle versteht er dieses «ursprüng- «Gedanken»: «Das \Nescn (ti \lt) der Sonne enthält eigentlich (an sich: hen ;zJ,;) nichts,
liche Wissen» im Sinne von Mcngzi als spontane gute Gefühle, welche die Anfänge was nicht leuchten würde; deshalb heißt sie: <die grofk Leuchte>. Wenn sie zeitweise
oder Keime der «Tugenden» aus1nachcn, rn und er versteht «die Verwirklichung des nicht leuchtet, so ist es, weil sie: unter die Erde gegangen ist; deshalb leuchtet sie nicht.
Wissens im gc wu *Wl» :ms dem Daxue als die Verwirklichung jenes «ursprünglichen Die 'lbgcnd des l lcrzcns (C;cistcs) cnth:ilt eigentlich nichts, was nicht leuchten wür-
\Visscns» in einem von diesem Wissen geleiteten Handeln. 133 Ccnaucr versteht er de, deshalb wird sie ,helle: 'lügend> (mi11g de Bfa.11~) genannt. Wenn sie zeitweise nicht
das <<ge wu *Wl» als Berichtig,en des Handelns. Das entspricht seinem Verständnis leuchtet, so wird sie vom Egoismus verdeckt. \Nenn Jas Egoistische vertrieben ist,
dieser im ersten Kapitel des Daxue vorgegebenen beiden Wörter, aber es entspricht dann gibt es an ihr nichts, was nicht leuchten würde. Wenn die Sonne über der Erde
auch Wang Yangmings Meinung, dass unser Handeln meistens nicht vom «ursprüng- aufsteigt, so steigt sie selbst auf, der Himmel tut nichts dazu. Wenn <der Edle seine
lichen Wissen» geleitet, sondern von «egoistischen (selbstsüchtigen) Wünschen» helle Tugend zum Leuchten bringt> [erster Satz des Daxue], dann bringt er selbst sie
(si yu ;fl.W:) oder «egoistischen Absichten» (si yi ;Jil~) beeinflusst werde und deshalb zum Leuchten, die anderen Leute tun nichts dazu. Wenn er selbst sie zum Leuchten
der «Berichtigung» bedürfe. Er sagte im Gespräch mit Xu Ai gleich anschließend an bringt, dann tut er nichts anderes, als die Verdeckung der egoistischen Wünsche (si yu
die soeben zitierte Stelle: « Wenn die Auswirkung (ftt ~) des ursprünglichen Wissens ;Jib.W:) vertreiben.» 136 Wir sehen, dass diese Gedanken in anderen Ausdrücken genau
(littng zhi &!m) nicht von egoistischen Absichten gehindert wird (zhttng tti ~lfil)», dann Wang Yangmings Interpretation der«Verwirklichung des Wissens in der Berichtigung
der Handlungen» (ge wu) entsprechen. Aufgrund seiner .:<hellen Tugend», die als eine
Naturanlage zu verstehen ist, kann der Mensch aus sich selbst diese Tugend zum
128 Chuanxi tu I, Nr. 8, Quanji, Shanghai 1992, S. 6.
Leuchten bringen, das heißt sie verwirklichen, indem er sich in seinem Handeln von
129 Bei Mengzi selbst ist «liang zhi .Bl.~» mit «gutes Wissen» zu übersetzen. Erst später hat «liang zhi» seinen jene gute Anlage verdeckenden «egoistischen Wünschen» befreit. Er braucht
aufgrund von Mengzis Qualifizierung des «Könnens, ohne zu lernen» und des «Wissens, ohne zu sich nicht auf Äußeres zu stützen, er braucht vor allem nicht in äußeren Geschäften und
überlegen» als «liang neng &~» und «liang zhi .Bl.~» die unmittelbare Bedeutung von ursprünglichem
Wissen angenommen. Siehe oben in der allgemeinen Einleitung§ 4, S. 24, und unten, Kap. 1, § 1,
s. 123f.
130 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15.
131 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 6. 134 Ebd.
132 Vgl. oben in der allgemeinen Einleitung den§ 4. 135 I Ging. Das Buch der Wandlungen, Übersetzung von Richard Wilhelm, Köln 1972, S. 501.
133 Chuanxi lu I, Nr. 8, Quanji, Shanghai 1992, S. 6. 136 Wujingyi shuo, 7.Abschnitt, Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 980.
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Dingen nach «Ordnungsprinzipien» zu suchen. Dieser Gedanke scheint das Zentrum vinzJiangxi war, ließ der Präfekt der Heimatpriifcktur von LuJiuyuan (Fuzhou J-1i!{ :J-M,
seiner «großen Einsicht» in Longclrnng gewesen zu sein. Jiangxi), Li Maoyuan :$" 1.ltn, die «Schriftensammlung» (Wenji) von Lu Jiuyuan neu
Die «Ordnungsprinzipien» sind schon in der «hellen Thgend» oder, wie Wang drucken, und Wang Yangming verfasste dazu ein Vorwort. 142 Darin charakterisiert er
Yangming etwas später sagen wird, im «ursprünglichen Wissen» des Herzens (Geis- das «Lernen der heiligen i\ilenschen» als «Erlernen des [eigentlichen] Herzens>> (xin
tes) enthalten. In einem Brief aus dem.Jahr 1525 schreibt Wang Yangming, dass die xue ,c,~) und stellt Lu Jiuyuan in diese 'fradition, in die er implizit auch sich selbst
Ursache der falschen 'frennung von ethischem Wissen und Handeln darin liege, dass einordnet. 141 Obschon vVang Yimgming den Ausdruck «:x:in xuc ,c,~», der als «learning
«man die Ordnungsprinzipien (li fitl.) außerhalb des Herzens (Geistes) sucht» 137 ; er of the Mind» 114 oder als «tcaching of thc Mind» 145 übersetzt wurde, aber in diesem
könnte dies auch schon 1510 gesagt haben, als er zun1 ersten Mal seine Lehre von Kontext wohl besser als «Erlernen des [eigentlichen J Herzens (Geistes)» (im Sinne des
der Einheit von Wissen und Handeln vortrug. Denn wenn die «Ordnungsprinzipien>> «Verwirklichens des ursprünglichen vVissens>,) verstanden wird, nur selten gebraucht,
sich außerhalb des eigenen Herzens (Geistes) befänden, dann müsste man tatsächlich diente er in neuerer Zeit cfazu, Lu Jiuynans und Wang Yangmings konfuzianische
zuerst in einem Erkenntnisprozess ihrer habhaft werden, bevor man ihnen gemäß Richtungen gegenüber anderen, h<lllptsiichlich derjenigen Zhu Xis, zu kennzeichnen.
handeln könnte. Tn den Gesprächen rnit Xu Ai vom Winter 1512/13 sagte \iVang, Es bestehen keine I Iinweise, dass \Nang Yangrnings «große Einsicht» von 1508 durch
dass das «Herz» (der Geist) das Ordnungsprinzip (li) sei: «Zum Beispiel im Dienst an Lu Jiuyuan motiviert wurde. Diese «große Einsicht» bestand wohl weniger in der
den Eltern kann man nicht aufseiten der Eltern das Ordnungsprinzip der kindlichen Erkenntnis, dass das menschliche «Herz (Ceist)» die «Ordnungsprinzipien» enthält
Pietät suchen; beim Dienst am Herrscher kann man nicht aufseiten des Herrschers oder, in anderen Begriffen, dass es «helle '1 bgend» oder «ursprüngliches Wissen» ist,
das Ordnungsprinzip der Loyalität suchen; bei der Beziehung zu Freunden kann denn bereits 1505 oder 1506 hatte 'vVang ja im oben zitierten Gedicht geschrieben:
man nicht aufseiten der Freunde das Ordnungsprinzip der Ti·cue suchen; und beim «Das große Dao [das ethische Grundgesetz] ist das menschliche Herz (Geist).» Diese
Regieren über das Volk kann man nicht aufseiten des Volkes das Ordnungsprinzip «große Einsicht» betraf wohl eher die «ethische Arbeit» oder «Anstrengung» (gong
der Menschlichkeit (Cütc: rcn 1=) suchen. Alle diese Ordnungsprinzipien sind nur fit Ix): Diese besteht im «znm Leuchten Bringen der hellen lhgend» durch die
in unserem eigenen lJcrzen (Ccist). Das Herz (Ccist) erweist sich als das ordnende «Vcrtrcilmng der egoistischen Wünsche», mit anderen Worten im «Verwirklichen
Prinzip (xin _ji li ,e.,!Wfitl.), man braucht nicht im Äußeren einen Teil [dieses Prinzips] des Wissens» im richtigen TLmdeln und nicht im <,Erforschen der Dinge». In dieser
,.u crgiinzcn. Wenn dieses Herz (Ccist) nicht von egoistischen Wiinschcn (siyu ;fl-W:) Richtung lag wohl die «große Einsicht,> von Longchang; die Frage, ob ihm in jener
verdunkelt wird, dann ist es gerade das ,ordnende Prim,ip des TJimmels> (ji shi tian Nacht des Jahres 1508 bereits seine neue «philologische» Interpretation des gc wu
!i i:m*~fitl.). Wenn man dieses Heu, (Geist), sofern es rein das Ordnungsprinzip des :tf:1-'l@ klar wurde, kann man dahingestellt sein lassen. Mit dieser Einsicht erhielt seine
1limmels ist, im Dienst an den Eltern zur Auswirkung bringt (ja ~), dann ist dies die ethische Praxis, in der er sich das ! ,eben eines heiligen Menschen znm Ziel setzte,
kindliche Pictiit; wenn man dieses II erz (Ceist) im Dienst am Herrscher zur Auswir- eine Grundlage, nach der er wiihrendJahren vergeblich gesucht hatte. Das 1505 oder
kung bringt, dann ist dies Loyalität gegenüber dem Herrscher» 138 usw. ln den Dis-
kussionen zwischen Wang Yangming und seinen Schülern und auch zwischen seinen
Schülern wird sich das Problem stellen, ob das angeborene, «ursprüngliche Wissen»
ausreicht, um in einer konkreten Situation gut handeln zu können, oder ob dazu auch flll~J[l!!), er ist der Erste nach Mengzi. Obschon seine Lehren vom Lernen und Denken, von der
Erfahrungswissen notwendig ist. 139 Verwirklichung des Wissens und vom ge wu tt}~ nicht frei von Verhaftungen an die 11-adition sind,
wurde doch seine große Grundlage und sein großer Ansatzpunkt von keinem der übrigen Gelehrten
Wang Yangming konnte die im oben zitierten Text gebrauchte Formel «das erreicht.» Quanji,juan 5, Shanghai 1992, S. 180.
Herz (Geist) ist das Ordnungsprinzip» (xin ji li ,e.,.fl.Pfitl.) von Lu Jiuyuan (Xiangshan, 142 Nianpu II, unter dem 16.Jahr der Zhengde-Ära (1521), Quanji, Shanghai 1992, S. 1279.
1139-1193) übernehmen. Nach der «Lebenschronik» befasste er sich 1511 in Peking 143 Er beginnt darin mit dem Satz: «Das Lernen der heiligen Menschen ist das Erlernen des [wahren]
Herzens (xin xue ,t,,~).» Er setzt die Geschichte dieses Lernens bei den legendären heiligen Königen
mit den Differenzen zwischen Zhu Xi und LuJiuyuan. 140 Er fühlte sich daraufhin mit Yao und Shun an, spricht im Folgenden über dieses Lernen bei Konfuzius und Mengzi, über den
Lu geistesverwandt und schätzte ihn sehr. 141 Im.Jahr 1520 oder 1521, als er in der Pro- Verlust dieses Lernens in der folgenden Zeit und über die Versuche von Zhou Dunyi und Cheng
Hao in der nördlichen Song-Dynastie, es wiederzuerlangen. Danach schreibt er über Lu Jiuyuan:
«Obschon seine Reinheit und Harmonie nicht diejenige dieser beiden Meister [Zhou Dunyi und
Cheng Hao] zu erreichen scheint, so setzt se~!1e Einfachheit und Direktheit (jian yi zhi zai flll~:i[il!!)
die Tradition von Mengzi fort. Wenn seine Uberlegungen manchmal von ihr abweichen, so ist dies
137 Brief an Gu Dongqiao, Chuanxi tu II, Nr. 133, Quanji, Shanghai 1992, S. 43. durch die Verschiedenheit ihres Temperaments und ihrer Sichtweise bedingt. Aber in der Auffassung,
138 Chuanxi tu I, Nr. 3, Quanji, Shanghai 1992, S. 2. dass das Lernen im Herzen gesucht werden muss (bi qiu zhi yu xin &,5J<~,t,,), sind sie eins. So habe
139 Siehe unten in diesem Teil I das Kap. 5. ich einst geurteilt, dass das Lernen von Lu [Jiuyuan] das Lernen von Mengzi ist.» Quanji, chuan 7,
140 Nianpu, unter dem 6.Jahr der Zhengde-Ära (1511), Quanji, Shanghai 1992, S. 1232. Shanghai 1992, S. 245. Das Vorwort ist auf 1520 datiert. Es ist ganz ins Englische übersetzt bei Julia
141 Er schreibt etwa in einem Brief von 1521 an Xi Shu ff/!; il (Beiname: Yuanshan nJ.li, 1461-1527), Ching 1976, S. 206-208.
der ihn 1509 in Longchang besucht und an die Schule der Provinzhauptstadt Guiyang geholt hatte 144 Fung Yu-lan: A History of Chinese Philosophy 1953, Ed. II, S. 586.
(siehe oben, S. 75f.): «Die Lehre von Xiangshan (Lu Jiuyuan) ist einfach und direkt (jian yi zhi zai 145 Ching,Julia 1976, S. 206.
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1506 in Peking gefasste Ideal der Menschlichkeit (ren, was auch mit «Altruismus» (xing zhuang fiAA), wodurch die enge Freundschaft ausgedrückt wurde. Unmittelbar
übersetzt wird) konnte nun durch die «Vertreibung der egoistischen Wünsche» in nach Wang Yangmings 'fod verlobte Huang Wan seine ~fochter mit Wang Yangmings
einem vom «ursprünglichen Wissen» geleiteten Handeln praktiziert werden. Wang einzigem leiblichen Sohn, Wang Zhengyi der damals dreiJ ahre alt war. In seinen
Yangming erhielt dadurch in seinem Philosophieren eine konkrete Basis. Doch nach späten Jahren aber, nachdem Wang Yangming schon lange tot war, distanzierte er sich
einigen] ahren werden sich ihm auf diesem Boden Fragen ergeben, die ihn dazu führen von den buddhistischen Aspekten der Lehre. 151
werden, seine Sichtweise wesentlich zu vertiefen. Bevor wir dahin kommen, wollen Nach einer kurzen Zeit im.Justizministerium in Nanking war Wang Yangming
wir seine äußere Lebensgeschichte noch etwas weiterverfolgen. vom Frühling 1511 bis Fnde 1512 wieder auf verschiedenen Posten in Peking und
Im Jahr 1510 konnte Wang Yangming die Provinz Cuizhou verlassen und war befasste sich dort auch mit den Differenzen ,,wischen Zhu Xi und Ln Jiuyuan (siehe
vom Frühling bis zum Herbst dieses Jahres Vorsteher des Kreises Luling /Jllli:~ (eines oben, S. 80). Im Winter 1512/13 reiste er zusammen mit seinem Schüler und Schwa-
Teils der PräfekturstadtJi'an a~ffif) in der Mitte der ProvinzJiangxi. Diese Präfektur ger Xu Ai (1487-1517) per Schiff auf dem Kaiserkanal zu seinem Wohnort Shaoxing
wird später eines der wichtigsten Zentren der Schule Wang Yangmings werden. 146 (Zhejiang) und «sprach mit ihm über den Hauptgedanken des Daxue». 152 Die Auf-
Am 13. Septem her desselben Jahres wurde der Eunuch Liu Jin, der die Verbannung zeichnungen, die Xu Ai von diesen Gespriichen machte und die 1518 am Anfang des
von Wang bewirkt hatte, verhaftet und am 27. September hingerichtet. 147 Darauf Chuanxi lu veröffentlicht wurden, gehören zu den wichtigsten Dokumenten über
konnte Wang nach Peking zurückkehren. Im Winter 1510/11 hatte er eine Audienz Wang Yangmings Philosophieren in den Jahren nach Longchang. Wir haben oben
beim Kaiser. Er traf sich in Peking auch wieder mit Zhan Ruoshui: «Sie verabrede- aus diesen Aufzeichnungen mehrmals zitiert. Nachdem er das.Jahr 1513 zum großen
ten, den ganzen 'Tag gemeinsam zu lernen.» 148 Den beiden «Bundesgenossen» im 'Icil zu Hanse in Shaoxing verbrachte, war Wang Yangming von Ende 1513 bis zum
«Lernen» schloss sich 1510 noch ein dritter an: Huang Wan ili: t,g (1477-1551 oder Frühsommer 1514, also wiibrend etwa eines halbenJahres, Verwalter der Kaiserlichen
1480-1554), der wie Wang Yangming aus der Provinz Zhejiang stammte. Er schreibt Pferdeställe in der Präfektur zweiter Ordnung Chuzhou (Jl!i!l'M), damals im direkten
in seiner Biographie («Lebenslauf») von Wang Yangming, dass er damals in Peking Verwaltungsgebiet der Südlichen Hauptstadt (Nanking), heute zur Provinz Anhui
von ihm gehört hatte und ihn kennenzulernen wünschte: «Ich ging zum Haus, in dem gehörig.
er sich zusammen mit Zhan lRuoshui] befand. Er kam heraus, sprach mit mir und Es suchten ihn dort viele Schüler auf. \Yang Yangming berichtet, dass er diese
sagte erfreut: <Dieses Lernen [um das wir uns bemühen! hat man schon lange nicht damals das «Sitzen in der Ruhe (Stille),> (jing zuo ffl!~) lehrte: «Als ich früher in
mehr praktiziert. Wie haben Sie davon gehört und kommen plötzlich hierhin?> Ich Chuzhou war, sah ich, dass sich die Schüler vor allem mit theoretischen Erklärungen
antwortete: <Obschon ich den Willen dazu habe, habe ich dafür noch nicht wirklich und verbalen Meinungsverschiedenheiten beschäftigten und dabei [ethisch] nichts
gearbeitet.> Er antwortete: <Man muss sich nur Sorgen machen, wenn man nicht den erreichten. Da lehrte ich sie das Sitzen in der Ruhe.» 153 Qian Dehong schreibt, dass
Willen dazu hM, nicht aber, wenn man keinen Erfolg hat.> Darauf fragte er mich: <Sind Yangming «nach Chuyang (Clmzhou) seine Schüler vor allem das Sitzen in der Ruhe
Sie mit Zhan Yuanming [Zhan RuoslrniJ bekannt? Fiir morgen bde ich Sie zu einem lehrte». Er teilt vVang Y:1ngmings Lehre nach Longchang (15 08) in drei Epochen ein:
Treffen ein, damit wir drei einen Bund schließen, das ganze Leben lang gemeinsam Unmittelbar nach Longchang habe er die Einheit von Wissen und Handeln gelehrt,
zu lernen.> Am nächsten Tag schickte er jemanden zu mir, um mich zu seinem Amts- seit Chuzhou (1513/14) das Sitzen in der Ruhe und nachJiangxi (nach 1521) die «Ver-
sitz einzuladen und dort Zhan zu treffen und einen Bund zu schließen.[ ... ] Wir drei wirklichung des ursprünglichen Wissens» (zhi liang zhi 3&.&9:C!). 154 Auch Wang Ji sagt
verabredeten uns, in den wenigen Mußestunden neben unseren Amtsgeschiiften uns in seiner Rede in der Versammlung von Chuyang von 1553, dass Wang Yangming in
zu Gesprächen zu treffen. Was wir aßen und tranken und unser ganzes Verhalten seiner Zeit in Chuyang und Nanbng das «Sitzen im Schweigen und Klären des Her-
wollten wir einander mitteilen und uns gegenseitig korrigieren und anspornen.» 149 zens (mo zuo cheng xin m-Jt~~,t,,) zum Inhalt seines Lernens und auch zu seiner Lehre
Auch Huang Wan blieb mit Wang Yangming auf Lebenszeit verbunden. Nach 1521, gemacht hat». 155 Wir haben gesehen, dass das «Sitzen in der Ruhe», das eine beson-
nachdem er Wangs Lehre von der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» dere körperliche Ruhestellung, im Allgemeinen den «Lotussitz» beinhaltet, für Wang
gehört hatte, erkliirte er sich, obschon er nur wenige Jahre jünger als dieser war, zu Yangming schon während seiner Zurückgezogenheit in den Bergen in Yangming-dong
dessen Schüler. 150 W~ihrend bei Wang Yangmings 'Tcid Zhan Ruoshui für diesen die (1502) und während seines Exils in Longchang (1508) eine wichtige spirituelle Praxis
«Grabinschrift» (mu zhi ming ~$-M!;) verfasste, schrieb Huang Wan den «Lebenslauf»

151 Siehe Huang \Van: <<Schrift über die lirhdlung des Dao", Beijing 1959.
146 Siehe nuten die Einleitung zu Teil 11 den § 6. 152 Nimzpu, unter dcrn 7. Jahr der Zhl'llgdc:-1\ra (1512), (Jumzji, Shanghai 1992, S. 1235.
147 Siehe DMB, S. 945. 153 Clmflnxi lu III, Nr. 262, Quanji, Shanghai 1992, S. 104L
148 Nianpu, unter dem 5.Jahr der Zhengde-Ära (1510), Quanji, Shanghai 1992, S. 1231. 154 «Schilderung des Druckes des Wenlu» (Ke wenlu xushu), datiert 1535, Quanji, Shanghai 1992,
149 "Yangming xiansheng xingzhuang, Quanji,juan 38, Shanghai 1992, S. l 409f. s. 1575.
150 MRXA,juan 13, Beijing 1985, S. 280. 155 Chuyang hui yu, Wang Longxi quanji,juan 2, S. 7b (Taipei 1970, S. 170).
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war. «Ruhe (Stille: jing ffi!)» ist der Gegenbegriff zu «Tätigkeit, Handeln, Aktivität» si ~1™~~114ml'.l'J~,l\lI) und welche von selbst ein feiner und konzentrierter Gedanke
(dong lb). Offenbar hat sich Wang Yangming, nachdem er in seiner Lehre von der ohne Vielheit und Verschiedenartigkeit ist (zi nm jing zhuttn wufen ztt zhi nian gJ ~ffl
«Einheit von Wissen und Handeln» größtes Gewicht auf das richtige Handeln (Tätig- -~~HilZ~). Das ist der Sinn der Aussage im [ersten Kapitel] des Daxue: <Nachdem
keit) legte, um 1514 auf den Wert einer ethischen Praxis in der Ruhe zurückbesonnen man [beim höchsten Guten] anzuhalten weiß, besteht Festigkeit» (ding JE). 159 Doch
und diese betont. Könnte das nicht daraufhinweisen, dass ihm damals seine Lehre von weisen andererseits mehrere Aussagen \,\lang Yangmings aus dieser frühen Zeit darauf
der Einheit von Wissen und Handeln irgendwie als ungenügend erschien? Warum hin, dass er damals noch wie L':hu Xi durch das «Sitzen in der Ruhe» direkt einen
wies er damals seinen Schülern, «die sich vor allem mit theoretischen Erklärungen und geistigen Zust,md «der Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» (wci.fi1 zhi zhong *~
verbalen Meinungsverschiedenheiten beschäftigten>>, nicht durch diese Lehre auf das zr:j:i) (nach dem ersten Kapitel des Zhongy011g) anstrebte. 160 Er war in der Frage, ob
vom «ursprünglichen Wissen» geleitete llandeln hin? Auch Zhu Xi lehrte eine Praxis dies möglich sei, wohl während mehrerer Jahre schwankend, bis er seit etwa 1519, im
in der Ruhe; sie hat nach ilun «vor dem Entstehen der Gefühle» und des Denkens zu Zusammenhang der allm:ihlichen Ausbildung eines neuen Begriffs des «ursprüngli-
geschehen. 156 Wang Yangming, der irmner zuerst versuchte, sich an Zhu Xi zu halten, chen vVissens», den direkten Einsatz des «Lernens» bei der «Mitte vor dem Entstehen
orientierte sich wohl auch in diesem Punkt zuerst einmal an Zirn Xi. Aber schon 1509 der Gefühle» endgliltig fallcnließ 11" und an seine Stelle die «Achtsamkeit im allein
wollte er das «Sitzen in der Stille» nicht als eine geistige Versenkung (Samadhi) 111 [Wissen]» (shcn du tläil) oder, 1nit anderen \Vorten, die Klärung des «Gewissens»
einen «Zustand ohne Gefühle und Gedanken» (wu nian ~~) verstanden wissen, son- durch «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» gegenüber den eigenen Absichten (Inten-
dern als ein Mittel, um sich aus dem durch Wünsche getriebenen Verfolgen äußerer tionen)1r,i stellte, die kein Vernichten, sondern ein Bewusst1nachen und Prüfen der
Dinge zurückzuziehen und sich auf das eigene ursprüngliche (gute) «Herz» (im Sinne ( ;efühlc und Cedankcn beinhaltet. Damit hing wohl auch zusammen, dass er seit jener
von Mcngzi) zu besinnen. Er schreibt in einem Brief von 1509: «Was ich früher im Zeit gegenüber «dem Sitzen in der Ruhe» znrüd::h,1ltender wurde. Er befürchtete,
buddhistischen 'lempel über das <Sitzen in der Ruhe> sagte, war nicht im Sinne eines dass durch dieses Vorgehen seine Schüler veranlasst würden, «die Ruhe auf Kosten
,Sitzcns im Dhyana> und Eintretens ins Sarnadhi gemeint (fi:i yu zuo chan ru ding 11': der Tiitigkeit zu bevorwgen (.,jjing wu dong ~W!l~l!VJ)». 11d Einige seiner Nachfolger
fil:~l!j~AJE). Denn da wir gewöhnlich von den Dingen und Geschiiften verwirrt und (darunter Nie Bao und w:ihrend einer gewissen Zeit auch Luo Hongxian) crkfarten
in Beschlag genommen werden und noch nicht uns selbst zu sein vermögen (wei zhi nach Wang Yangrnings 'fod das <<Siu.en in der Ruhe» ,.ur Cnmdlage der «Verwirk-
wei ji *9'□ ~ 2 ), wollte ich mit jenem <Sitzen in der Ruhe> den jungen Lernenden in lichung des nrsprlinglichen \Vissens>> und der gan,.en ethischen Praxis. Sie fassten
der Ülrnng (~-on.e;fu J}Jx) des Zurücldmlens des <fallengelassenen Herzens> (shoußmg dieses Sitzen als eine <<Versenkung» in einen geistigen Zustand «vor dem Entstehen
.t:in l&:filz,1)) 117 behilflich sein.» 158 Auch schon wiihrend seines Aufenthaltes in Chuzhou der ( ;efühle>, auf uncl provozierten dadurch die Kritik der prominentesten Schüler
(1513/14), als er das «Sitzen in der Ruhe» lehrte, scheint er dieses nicht wie Zhu Xi Wang Yangmings. 1'' 1
als eine Versenkung in einen geistigen Zustand «vor de1n Entstehen der (;efi_ihlc Im Friihson1111er 1514 wurde VVang Ymgming ,.um «Minister des I longlu-
und Gedanken» verstanden zu haben, sondern vielmehr als eine ruhige Prüfung und Klosters» (Honglusi qing ~Jlli~9Jlll) in Nanking ernannt 165 und war als solcher für die
ethische Unterscheidung der eigenen Gefühle und Gedanken, Ein Schüler fragte ihn Staatszeremonien in der «südlichen Hauptstadt>> verantwortlich. Auch dort hatte er
damals: «Im Sitzen in der Ruhe sind meine Gedanken zahlreich und verschiedenartig wieder eine Anzahl von Schülern.
(si lü Jen za ,\!l~tvHl), und ich vermag nicht, sie durch Anstrengung zu unterdrücken Im Frühling 1515 traf er in Longjiang ~il bei Nanking seinen «Bundesgenossen»
und abzubrechen.» Wang Yangming antwortete ihm: «Man kann auch gar nicht (bu de Zhan Ruoshui, der sich auf der Heimreise von Peking in seine Heimat in der Provinz
1"1~) die vielen und verschiedenartigen Gedanken durch Anstrengung niederdrücken Guangdong befand, und erörterte mit ihm den Sinn des <<ge wu :tß-'Wl». ChenJiuchuan
und abbrechen. Man kann nur, wenn die Gedanken aufkeimen und aktiv werden, sie (Beiname: Mingshui, 1495-1562), dem wir in unserer Studie noch oft begegnen wer-
prüfen und beherrschen (xing cha ke zhi 1Htü'l5it). Nachdem so das <Ordnungsprinzip den, schreibt über dieses Treffen: «Im Jahre yi hai der Zhengde-Ära [1515] sah ich
des Himmels> fein und klar geworden ist, besteht eine geistige Haltung, welche die
jeweils vorliegende Angelegenheit einzeln für sich behandelt (you ge wu ge fu wu de yi
159 Nianpu I, Winter des 8.Jahres derZhengde-Ära (= 1513/14), Quanji,juan 33, Shanghai 1992, S. 1236;
gleicher Text im juan 26, «Briefe und Gespräche mit den Schülern von Chuyang [Chuzhou]», a.a.O,
S. 982.
156 Siehe oben die allgemeine Einleitung den§ 4, S. 33ff. 160 Chuanxi tu I, Nr. 30, Nr. 45, Nr. 67: vgl. unten in Teil II, Kap. 3, § 5, S. 589ff.
157 Das «fallengelassene Herz» ist ein Ansdrnck aus dem Buch Mengzi: «sein gutes Herz fallenlassen» 161 Siehe unten in diesem Teil, Kap. 2, § 1, S. 140ff.
(fang qi liang xin b!(;!,!; lll_,t,,); 6. Buch, 1. Teil, Kap. 8. Er meint das Fallenlassen, Aufgeben des ursprüng- 162 Siehe a.a.O., § 3, S. 160ff.
lich guten Herzens im Sinne der «Ansätze (Keime)» der Tugenden. Siehe oben in der allgemeinen 163 Siehe Chuanxi tu III, Nr. 262; «Sammlung von ausgeschiedenen Stücken aus dem Chuanxi tu», Nr. 2 3,
Einleitung§ 4, S. 26f. Quanji,juan 32, Shanghai 1992, S. 1173.
158 Brief an die Lernenden in Chen [Provinz Hunan], datiert auf das Jahrji si (= 1509), Quanji,juan 4, 164 Siehe unten, Teil II, Kap. 3 und Kap. 4.
Shanghai 1992,S. 144. 165 Nianpu, unter dem 9.Jahr der Zhengde-Ära (1514), Quanji, Shanghai 1992, S. 1236.
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zum ersten Mal den Lehrer [Wang Yangming] in Longjiang. Der Lehrer diskutierte genen Erfahrung erkennen (ti ren "tian li ft~;RJM), das alles ist die Anstrengung des
mit Herrn Ganquan [Zhan Ruoshui] die Lehre vom <ge wu ffi-!lbll>. Ganquan vertrat die Realisierens des Dao (zao dao zhi gang n\r~.z.:i:}J).» 169 ·
alte Auffassung [der Schule von Zhu Xi]. Der Lehrer sagte: <Das bedeutet, dass man Chen Jiuchuan berichtet in derselben Gruppe von Aufzeichnungen, in der auch
sie [die <Ordnungsprinzipien>] im Äußeren sucht.> Ganquan antwortete: <Wenn man seine im vorangegangenen Abschnitt zitierte steht, dass er 1518 Wang Yangming
das Erforschen [Zhan Ruo versteht <ge> in <ge WU> als <Ankommen bei>, <Erreichen> in der Hauptstadt der Provinz Jiangxi traf und mit ihm unter anderem das folgen-
(zhi ~)] der Ordnungsprinzipien der Dinge (wu li !lblllm) als etwas Äußerliches be- de Gespräch führte, in dem dessen Reaktion auf diesen Brief Zhans zum Ausdruck
trachtet, dann sieht man selbst sein Herz zu klein (zi xiao qi xin ~ 1J\lt,t.,).> [... ] Auch kommt: «Ich fragte [Wang Yangming]: <Ganquan benutzt neulich auch [wie Sie]
ich zweifelte, ob die Erklärung des Lehrers, dass die <Dinge> (<Handlungen>: wu !lbll) die alte Fassung des Daxue und meint auch, dass <ge wu ffi-W/> vom Realisieren des
das seien, <wo sich die Intentionen befinden (verorten)> (yi zhi suo zai ~.Z.ffl1±), 166 klar Dao (zao dao nlr~) spricht. Und er meint auch, dass das <Ergründen (Erforschen)
ist.» 167 Kurz darauf explizierte Zhan Ruoshui in einem Brief seine in diesem Treffen der Ordnungsprinzipien> (qiong li !.IB!M) wie das <Ergründen (auf den Grund ge-
mit Wang Yangming geäußerte Kritik. Er schrieb: «Kürzlich habe ich mündlich von hen)> im [metaphorischen] Ausdruck <einer Höhle (Sache) auf den Grund gehen>
Ihnen ihre Erklärung von <ge wu ffi-!lbll> vernommen, dass die <Dinge> (wu !lbll), das sei- zu verstehen ist (ru qiong qi chao xue zhi qiong 1!D~!'tll!1'.z.!.IB); es bedeute, sie [die
en, worauf sich die Intentionen des Herzens beziehen (xin yi zhi suo zhuo ,t,,~.z.Pli~). Ordnungsprinzipien] mit der eigenen Person erreichen (yi shen zhi zhi J-;l.~~.Z.).
Ich bin Ihnen für diese Belehrung sehr dankbar! Aber den Nutzen, den ich gewöhn- Deshalb sei das <ge wu> nichts anderes, als in allen Situationen die himmlischen
lich von Ihnen empfange, liegt nicht so sehr in diesem Punkt. Denn Ihre eigentliche Ordnungsprinzipien in der eigenen Erfahrung erkennen (sui chu "ti ren tian li llllßR
~bsicht gründet nur in der Befürchtung, dass die Leute ihr Herz aufgeben und im ~;RJ,!). Es scheint, dass er allmählich mit Ihrer Lehre übereinstimmt.> Der Lehrer
Außeren [das Dao] suchen. Deshalb stellten Sie jene Lehre auf. Ich aber meine, dass antwortete: <Ganquan strengt sich an, deshalb kann er seine Meinung ändern. Früher
das menschliche Herz mit Himmel und Erde und allen Dingen eine gemeinsame wollte er auch [Zhu Xis Emendation im Grundkapitel des Daxue] <Erneuern des
Wirklichkeit (Substanz) ausmacht (ren xin yu "tian di wan wu tong ti ,A„t,,~,;R:tt!fM!lbll Volkes> nicht [durch das <Lieben des Volkes> in der alten Fassung des Daxue] aus-
~R). In der Substanz des Herzens sind die Dinge nicht verloren (xin ti wu bu yi ,t,,f:11t wechseln und glaubte mir nicht. Nun kommt seine Erklärung des <ge wu ffi-!lbll> der
!lbll1'm); wenn man die Substanz des Herzens in ihrer Weite und Größe erkennt, dann meinen auch nahe. Aber das Wort <WU !lbll> (<Ding>, <praktische Sache>, <Handlung>)
können die Dinge nicht a~erhalb davon sein. Deshalb ist das <Erforschen der Dinge> darf nicht zum Wort <li I,!> (<Ordnungsprinzip>) gemacht werden. Wenn er nur sei-
(ge wu ffi-!lbll) nicht etwas Außeres. Wenn man die <Dinge> (wu !lbll) als das betrachtet, nen Begriff von <WU !lbll> auswechselt, dann ist alles in Ordnung.>» 170 Wang Yangming
worauf sich die Intentionen des Herzens beziehen, dann macht man fälschlicherweise möchte das «ge wu» nicht als «Erreichen der Ordnungsprinzipien (in den Dingen)»
die Dinge zu etwas Äußerem.» 168 Zhan Ruoshui sieht also die Dinge in Einheit mit verstehen, sondern als «Berichtigen der praktischen Dinge (Handlungen)» durch die
dem menschlichen Herzen, so dass das Erforschen ihrer «Ordnungsprinzipien» nicht ordnenden Prinzipien des eigenen Herzens. 171
auf etwas außerhalb des Herzens geht. Und er sieht Wang Yangmings Verständnis Wenn wir phänomenologisch diese Differenz zwischen den beiden· «Bun-
des «ge wu ffi-!lbll» als einseitig an den psychischen Regungen und Intentionen ori- desgenossen» betrachten, dann brauchen tatsächlich ihre Interpr~tationen des «ge
entiert. Drei Jahre später, im Herbst 1518, präzisierte er in einem weiteren Brief wu» nicht weit auseinander zu liegen. Falls Zhans Aussage, dass die Dinge, deren
an Wang Yangming sein Verständnis des «ge wu»: «Meine Auffassung des <ge wu> Ordnungsprinzipien realisiert werden sollen, nicht außerhalb des menschlichen
ist von der Ihren nicht weit entfernt; im Großen stimmen wir überein, im Kleinen Herzens liegen, in dem Sinne zu verstehen ist, dass diese Dinge nichts anderes als
haben wir Differenzen.» Dann erklärt er das «ge ffi-» in <<ge wu ffi-!lbll» wie Zhu Xi die jeweilige praktische Situation sind, so wie diese jeweils wahrgenommen, gefühlt
durch «Erreichen», «Ankommen bei» (zhi ~), das «wu !lbll» durch <<Ordnungsprinzip und in ihrer ethischen Anforderung erkannt wird, dann kann Mengzis «ursprüngli-
des Himmels», den gesamten Ausdruck also als <<Erreichen der Ordnungsprinzipien ches Wissen und Können», welches das «Ordnungsprinzip» des Herzens ist, auch
des Himmels» und auch als «Schaffen (Realisieren) des Dao» (zao dao n\r~). «Im an diesen intentionalen «Dingen» erfasst werden; in Mengzis Beispiel kann das
gleichzeitigen Realisieren von Wissen und Handeln, im weiten Lernen, gründlich «Ordnungsprinzip» auch am Erschrecken und Mitleid erregenden und Hilfe erfor-
Fragen, wahren Denken, klaren Unterscheiden wird immer das Dao realisiert. Das dernden Kind, das man in den Brunnen fallen sieht, bewusst werden. Auch Wang
Studieren von Büchern, der Umgang mit der Familie, dem Lehrer und den Freunden, Yangming war der Auffassung, dass es «außerhalb des Herzens (Bewusstseins) kei-
zu allen Zeiten und an allen Orten die Ordnungsprinzipien des Himmels in der ei- ne <Dinge> (praktischen Angelegenheiten, Sachen: wu !lbll) gibt.» Er sagte schon vor

166 · Siehe Chuanxi tu I, Nr. 6, Quanji, Shanghai 1992, S. 6; siehe oben, S. 74. 169 MRXA,juan 37, Beijing 1985, S. 882; der Brief wird zitiert bei Chen Lai 1991, S. 138.
167 Chuanxi Ju III, Nr. 201, Quanji, Shanghai 1992, S. 90. 170 Chuanxi tu III, Nr. 201, Quanji,ftum 3, Shanghai 1992, S. 91.
168 Zitiert nach Chen Lai 1991, S. 136. DerTextist auch imMRXA,juan 37, Beijing 1985, S. 879, auf- 171 Eine ausführlichere Darstellung der Auseinandersetzung zwischen Wang Yangming und Zhan Ruo-
genommen. shui über das «ge wu» :findet sich bei Chen Lai 1991, S. 135-142.
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1518: «Außerhalb des Herzens (Bewusstseins) gibt es keine Dinge (xin wai wu wu ,t,, damit den Präfekten all dieser Präfekturen übergeordnet. Wang Yangming hatte diese
~ffl!jbj}), Wenn mein Herz eine Intention der Pietät gegenüber den Eltern hervor- Stellung als ziviler Beamter, nicht als Militär, inne. Schon seit der Song-Zeit waren
bringt, dann ist die Pietät gegenüber den Eltern das <Ding> (die zu tuende Sache) (wu die obersten Leiter von militärischen Operationen innerhalb der Provinzen nicht
xin fa yi nian xiao qin,ji xiao qin bian shi wu ~ll~ 1t,~-~*ffl.1W*ffl.~~!jbj}).» 172 Doch Generäle, sondern zivile Provinzbeamte. Für Operationen, die Bezirke und Provinzen
sah er das «ordnende Prinzip» auf der Seite der intentionalen Erlebnisse oder Akte, überschritten, wurden dazu vom Kaiser zeitlich befristet besondere Zensoren oder
im obigen Beispiel auf der Seite des Erschreckens und Mitfühlens oder des Fühlens Gouverneure ernannt. Die Präfekturen, für die Wang Yangming zuständig wurde, wa-
der Pietät, und nicht auf der Seite der «Dinge», da er vielleicht tatsächlich, wie Zhan ren Bergregionen, die seit Jahrzehnten unter Unruhen litten: Weite Gebiete wurden
Ruoshui schreibt, fürchtete, dass die Leute die «Dinge» nicht in deren konkreter von verschiedenen Gruppen von Rebellen kontrolliert oder bedroht. Ihre Truppen
Gegebenheitsweise im menschlichen Bewusstsein verstehen, das heißt nicht als je- waren einige zehntausend Mann stark. Es ist nicht klar, welcher Art diese Unruhen
weilige praktische Situation und Aufgabe, sondern in bloß theoretischer Einstellung waren. In den historischen Quellen ist von «Räubern, Banditen, Aufrührern» (zei kou
abstrahiert von ihrem subjektiven Milieu als «äußere (objektive) Dinge an sich», in Jl!tJi&, dao zei ~ll!li) die Rede; 178 auch Wang Yangming verwendet diese Ausdrücke. In
denen keine ethisch-normative Motivation für das handelnde Subjekt zu finden ist. der der Volksrepublik China wird heute dabei von «Bauernaufständen» (nong;min qiyi
Aber die Ansichten der beiden Freunde sind vielleicht phänomenologisch zur Einheit /ll~®lm) gesprochen, wodurch diese Unruhen ins Positive gewertet werden, da Mao
zu bringen, da die intentionalen Erlebnisse (psychischen Akte) und ihre intentiona- Zedong solche «Bauernaufstände» als Revolutionen gegen die feudale Herrschaft und
len Gegenstände in der subjektiven Gegebenheitsweise eine korrelative Einheit sind. als Vorläufer seiner eigenen Bauernrevolution betrachtete. Jene «Aufrührer» waren
Auch Wang Yangming muss den Aspekt der praktischen Situation und der in ihr zu hauptsächlich Hakka (kejia ff*), ein Name, der den Sinn von <~Fremdlingen» hat.
tuenden Dinge in die Erkenntnis des «Ordnungsprinzips des eigenen Herzens» ein- Es sind dies Hau-Chinesen, die ursprünglich vor allem aus dem Gebiet des Gelben
beziehen. In einem Brief von 1525 wird er schreiben: «In allen Geschäften und bei Flusses stammten und bei verschiedenen Eroberungen der zentralen Gebiete Chinas
allen praktischen Dingen das himmlische Ordnungsprinzip des eigenen Herzens ge- durch Barbarenvölker aus dem Norden (nach der Überlieferung schon bei der Er-
nau prüfen (sui shi sui wu jing cha ci xin zhi tian li IIJiJ:j!)i!jbjJ~~.1lU,,.2.Ji::!!), um dadurch oberung durch die Hunnen im 4. Jahrhundert, wohl vor allem aber bei derjenigen
das eigentliche <ursprüngliche Wissen> zu verwirklichen.» 173 durch die Ruchen [Jürtschen, Jürtschet] im 12. Jahrhundert) in die noch nicht von
Wang Yangming studierte in Nanking erneut die Werke von Zhu Xi und ver- Hau-Chinesen besiedelten Berggebiete im Süden der ProvinzJiangxi flohen, von dort
fasste «Zhu Xis endgültige Auffassung in seinen späten Jahren» (Zhuzi wan nian aus auch Nachbargebiete im Norden der Provinz Guangdong und im Südwesten der
ding lun). 114 In dieser Schrift versuchte er zu zeigen, dass Zhu Xi in seinen späten Provinz Fujian besiedelten und in der Ming-Zeit wegen des dortigen Bevölkerungs-
Jahren zu einer Auffassung kam, die mit seiner eigenen übereinstimmt. Da sich Wang drucks teilweise wieder zurück in den Süden der Provinz Jiangxi strömten. Heute
Yangming von Zhu Xi entfernt hatte, war er der offiziellen Kritik ausgesetzt. Sein sind sie auch in anderen Gebieten Chinas, etwa in Taiwan, zu finden und pflegen
Versuch, Zhu Xi auf seine Seite zu ziehen, hatte aber keinen Erfolg und wurde nach immer noch ihre Hakka-Identität. Zum Teil lebten sie damals am Rand der zentralen
der Veröffentlichung 1518 (in Ganzhou, Provinz Jiangxi) vom damals hervorragend- politischen Institutionen, wurden dadurch zu einem Unruhefaktor, versuchten, sich
sten Vertreter der Philosophie Zhu Xis, Luo Qinshun fl. ~)IIJ{ (1465-1547), als un- der staatlichen Kontrolle zu entziehen, und stellten eigene Verwaltungen auf. Unter
haltbar abgelehnt. 175 den «Aufrührern» befanden sich aber auch Volksgruppen, die nicht Han-Chinesen
Im Herbst 1516 wurde Wang Yangming auf Vorschlag des fähigen Kriegsmi- waren (heute «ethnische Minderheiten» genannt). Anfang 1517 traf Wang in seiner
nisters Wang Qiong ± ll. (1459-1532) 176 zum Zensor und zum Gouverneur für das Residenz in Ganzhou ffl#I ffif, der Hauptstadt der südlichsten Präfektur der Provinz
südliche Gebiet der ProvinzJiangxi und daran sich anschließende Präfekturen in den Jiangxi, ein. Von dort aus unternahm er in denJahren 1517 und 1518 vier militärische
Provinzen Fujian, Guangdong und Huguang (heutiges Hunan) ernannt. 177 Er war Feldzüge, zuerst in die Präfektur Tingzhou 5T #1 (im Südwesten der Provinz Fujian),
dann in die beiden Gebiete von Hengshui ffi7]< (seit Wang Yangmings politischer
Reorganisation «Chongyi ~ä, die Gerechtigkeit achten» genannt) und von Tong-
172 Chuanxi hel, Nr. 83, Quanji,jurtn 1, Shanghai 1992, S. 24; vgl. unten, Kap. 3, § 3.
173 Ch11anxi lu II, Nr. 137, Brief an Gu Dongqiao (1525), Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 47. gang ffl!ir,il) (nach Wang Yangmings politischer Reorganisation «Sishun J~,)lifl, an den
174 Siehe sein auf Ende 1515 datiertes Vorwort zu diesem 1518 in Jiangxi veröffentlichten Werk im Gehorsam denken» genannt), die beide in der Präfektur Nan'an ffi3i: im Südwesten
Anhang zum Chuan.·t:i lu, Quanji,juan 3, Shang·hai 1992, S. 128. der Provinz Jiangxi an der Grenze zur Provinz Hunan liegen, und schließlich nach
175 Siehe Chuanxi lzelI, Brief an Luo Qinshun von 1520, Nr. 176, Quanji, Shanghai 1992, S. 78.
176 Zu Wang Qiong siehe DMB, S. 1367f. Longnan fiffi (Präfektur Ganzhou) und Liantou in der Provinz Guangdong (durch
177 Sein Titel war: «Linker (erster vize-)assistierender Vorsitzender des Zensorats und die Runde ma-
chender Koordinator (Gouverneur) für den Süden der ProvinzJiangxi, die Präfekturen Tingzhou [in
Fujian], Zhangzhou [in Fujian] und andere Orte» (Duchayuan zuo fuduyushi xunfuNan'gan Ting Zhang
deng chu fll!~~ii:i!lfll!fftll.le.i«HllllffiftIT~~)Jl): Nianpu, unter dem 11.Jahr der Zhengde-Ära (1516),
Quanji,juan 33, Shanghai 1992, S. 1238. 178 Nianpu I, unter dem 12.Jahr der Zhengde-Ära (1517), Quanji,juan 33, Shanghai 1992, S. 1239.
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Wang Yangming 1518 zum Kreis «Heping ;l;Q~~, Friede» reorganisiert) im gebir- beansprucht (der Kaiser hatte keine Nachkommen) und wurde dafür vom Hof kri-
gigen Grenzgebiet der Provinzen Jiangxi und Guangdong. Während seines letzten tisiert. Als er für seine Prätentionen bestraft werden sollte, rebellierte er. 183 Er warf
Feldzuges Anfang 1518 schrieb er in einem Brief an zwei seiner Schüler aus der dem Kaiser vor, nicht Sohn der Kaiserin, sondern eines Dienstmädchens zu sein. 184
Präfektur Chaozhou )®l}N in der Provinz Guangdong: <<Heute bin ich in Longnan Nachdem Wang Yangming von der Rebellion gehört hatte, kehrte er nachJi'an s
angekommen und morgen werde ich in das Räubernest (chao *) eindringen. Die ~, in der Mitte der Provinz, zurück. Am 19. Juli schrieb er über den Aufstand einen
Truppen stoßen von allen Seiten plangemäß vor, so dass sich die Räuber (zei ~) Bericht an den Thron. Ohne ausdrücklichen Befehl des Kaisers begann er, Truppen
in einer hoffnungslosen Lage befinden. Als ich früher [im vergangenen Herbst] in auszuheben. 185 In Ji'an braehte er auch seine Familie (seine Gattin, seinen damals
Hengshui ~7]< war, habe ich an Shide 1H~ [Yang Ji m.\ffl!, einer der beiden Adressa- elfjährigen Adoptivsohn, eventuell auch andere Sippenmitglieder und sein Hausge-
ten] geschrieben: <Die Räuber in den Bergen sind leicht zu besiegen; die Räuber im sinde) unter, die offenbar mit ihm die Zeit in Ganzhou verbracht hatte: «Der Lehrer
Herzen sind schwer zu besiegen.> Wenn ich dunkle Rattenlöcher auskehre, ist dies [Wang Yangming] brachte seine Familie (qi jia !t*) in einem Amtsgebäude vonJi'an
nichts Besonderes; wenn Sie aber die Banditen (kou .ll&) in ihrem Herzen ausrotten, unter und schichtete rundherum Brennholz auf. Er ermahnte die Wächter: <Sollten
dann ist dies eine ganz außerordentliche Lcistnng.» 179 Durch diese vier Feldzüge ge- unsere Truppen geschlagen werden, müsst ihr Feuer anlegen, um zu vermeiden, dass
lang es Wang Y:'lngming in weniger als einem Jahr, all diese weiten Berggebiete unter die Feinde ihr Schmach antun.» 186 Er rechnete offenbar mit dem Schlimmsten. Der
staatliche Kontrolle zu bringen. In seinen militärischen Operationen versuchte er, aufständische Prinz verfügte über eine Armee von hunderttausend Mann. Am 14. und
Grausamkeiten möglichst zu vermeiden, wandte aber auch Listen an. Er verhandelte 15. Juli hatte er die beiden nördlich von N anchang gelegenen Präfekturen N ankang
mit den Aufaüindischen, um sie zum Nachgeben zu bringen, und bot ihnen Dienste und Jiujiang unter seine Kontrolle gebracht nnd sich so den Zugang znm Yangzc-
in den Regierungstruppen an. Auch führte er politische und soziale Reformen durch, Strom, an dem die Südliche I Lmptstadt Nanking lag, gesiehert. 187 Wang Yangming
mn die Bevölkerung zufriedenzustellen. 180 täuschte zuniichst vor, bereits über ein großes Heer zu verfügen, mn den Prinzen
vom Kriegszug gegen die beiden Reichshauptstädte Nanking und Peking in Nan-
c) Wang Yangmings späte Periode: die Vertiefung der philosophischen Grundlage
chang zurückzuhalten. Unterdessen konnte auch der oben erwähnte Kriegsminister
durch den neuen Begriff des «ursprünglichen Wissens» (1519-1529)
Wang Qiong von Peking aus militärische Verkehrungen treffen. Der Prinz, der es
In den Jahren 1519/20 vertiefte Wang Yangming seine philosophische Grundlage nach alter Herrscherart liebte, Gelehrte und Künstler an seinen Hof zu ziehen, 188
wesentlich. Diese Vertiefung wird von ihm und seinen Biographen auch mit äußeren lud mit einem Schreiben \Vang Yangming zur philosophischen Unterweisung ein.
Ereignissen in Zusammenhang gebracht. Verfolgen wir vorerst diese weiter! 181 Im Er wollte ihn auf seine Seite ziehen. Wang lehnte seine Einladung ab, sandte aber
Sommer 1519 wurde er beauftragt, eine Meuterei von Soldaten in der Provinz Fujian seinen vertrauten Schüler Ji Yuanheng ji ft~ zu ihm, der ihn schon vor mehr als
niederzuwerfen. Er zogvo1n Süden in den Norden der ProvinzJiangxi, wohl mit der zehn Jahren in Longchang aufgesucht h,itte und ihm danach nach Luling und, nach
Absicht, einen Umweg über seinen festen Wohnsitz in Shaoxing zu nelunen, wo er seinen Provinzexamen im Herbst 1516, nach Ganzhou gefolgt war. 189 Seine Absicht
fast drei Jahre nicht mehr gewesen war.Als er am 12.Juli 1519 182 mit dem Schiff in der dabei war, den Prinzen von seiner Rebellion abzuhalten oder wenigstens einiges über
Kreisstadt Fengcheng 11:!Jix, etwa sechzig Kilometer südlich der Provinzhauptstadt seine genaueren militärischen Absichten auszukundschaften. Ji Yuanheng lehnte es
Nanchang, eintraf, vernahm er vom dortigen Kreisvorsteher, dass der in Nanchang ab, auf die usurpatorischen Ideen des Prinzen einzugehen, vielmehr «sprach [er]
residierende Prinz von Ning, Zhu Chenhao *~~,ein Verwandter der Kaisers, sich mit ihm nur über das \ethische] Lernen. [Der Prinz[ Zhu Chenhao sagte zu seinen
zwei T1ge zuvor (am 1ü.Juli 1519) gegen diesen erhoben hatte und den Kaiserthron Leuten: , \Vie kann ci 11 IVTensch nur so verbohrt sein!> Eines 'E1gcs sprach er mit ihm
beanspruchte. Der Prinz hatte für seinen Sohn vehement den Titel des Thronerben über die <Westinschrift> [von Zhang Zai (1020-1078)] und legte ihm eingehend dar,
dass die Pflichten der Beziehung zwischen dem Herrscher und seinen Untergebenen

179 An YangJi (Großj,ihrigkeitsname: Shidc) und Xue Kan (Großjiihrigkeitsname: Shangqian, I lcrausgc-
hcr des Chuanxi lu von 15 18), datiert auf das Jahr ding chou (= Anfang 1517 bis Anfang 1518), Qwmji, 183 Siehe den Artikel über /hu Houzluo, 1)/\i{B, S. 3126.
juan 4, Shanghai 1992, S. 168. 184 DMB, S. 379a.
180 Nianpu, unter dem 12. und 13. Jahr der Zhengde-Ära (1517 und 1518), Quanji, Shanghai 1992, 185 Nianpu II, unter dem 14.Jahr der Zhengde-Ära (1519), Quanji, Shanghai 1992, S. 1258 und S. 1263.
S. 1238-1256; siehe auch Zhou Jianhua 2002 und den Artikel über VVang Shouren von Wing-tsit 186 NachXuJies (1503-1583) «Aufzeichnung über ein Bildnis von Wang Yangming» aus dem Jahr 1564,
Chan, 0MB, S. 1411 f. Sehr vieles über diese Rebellionen und Wang Yangmings militärische Opera- die in den «Anhang der 1,ebenschronib., ,wfgenommcn wurde: Nianpufit!u, Quanji,juan 36, Shanghai
tionen habe ich vorn Direktor des Musenrns von Ganzhou, ITcrrn Han Chenfci ~ :fmjß\, erfahren. 1')92, s. 1351.
181 In der folgenden Darstellung der militiirischen und politischen Ereignisse halte ich mich in den 187 Nianpu II, unter dem J 4.Jahr der /hrngdc-Ära (1519), Q111mii, Shanghai 1992, S. 1261.
Grundzügen an Wing-tsit Chans Artikel über Wang Shouren, DMB, S. 1412f. 188 1514 hatte der Prinz den berühmten Maler 'fang Yin /j JQ'. (1470-1524) aus Suzhou an seinen Hof
182 Datum nach der «Lebenschronik» unter dem 14. Jahr der Zhengde-Ära (1519), Quanji,juan 34, geladen. Siehe dazu DMB, S. 1257.
Shanghai 1992,S. 1258. 189 Siehe oben in diesem Paragraphen, S. 71f.
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ihre Grundlage in ihrer Einheit haben, und versuchte, ihn damit von seinen Plänen Zhang Zhong ~,'!', und der General Xu Tai ~ ~, die Wang Yangming wegen seiner
abzuhalten. lZhu Chenhaol klatschte in die Hände und sagte seinen Leuten: <Der Erfolge beneideten, sagten: «Obschon das ursprüngliche Übel gefasst ist, ist die auf-
Mut dieses Mannes ist außerordentlich!> Darauf verließ ihn.Ti Yuanheng und kehrte rührerische Partei noch nicht ausgerottet. Wenn man sie nicht ergreift, erfolgt daraus
[zu Wang Yangming] zurück.» 190 Nachdem vonseiten Wang Y'lngmings während notwendig ein späteres Unglück.» 192 Sie meinten mit der «aufrührerischen Partei»
Wochen kein Angriff erfolgt war, fühlte sich der Prinz vor ihm sicher und verließ Wang Yangming. Sie warfen ihm Konspiration mit dem Prinzen von Ning vor, da er
mit seinen Truppen seine Residenz Nanchang mit dem Ziel, Nanking zu erobern. dessen Briefboten empfangen und seinen vertrauten Schüler zu ihm gesandt hatte.
Darauf brach Wang Yangrning am 9. August 1519 mit einer Armee von achtzig- Wang Yangrning weigerte sich auch, den von ihm gefangengehaltenen Prinzen an
tausend Mann in Ji'an auf und nahm am 16. August Nanchang ein. Als der Prinz den vom Kaiser abgesandten Eunuchen 7:hang Zhong zu übergeben, da er diesen
dies vernahm, kehrte er mit seinen Truppen um. Vom 19. August an lieferten sich verachtete und ihm misstraute. Er übergab ihn Ende 1519 in Hangzhou dem Eunu-
die beiden Armeen täglich Gefechte, bis am 22. August 1519 der Prinz gefangen chen Zhang Yong ~ 7l<., der 1510 maßgeblich am Fall des Eunuchen LiuJin beteiligt
genommen wurde. 191 gewesen war 193 und den Wang Yangming für den noch Zuverlässigsten hielt. Wirk-
Für diese große militärische Operation, die eine enonne Gefahr für den Frieden lich vertrauen konnte er nur dem Kriegsrninister Wang Qiong, der aber in Peking
und die Ordnung des Reiches bannte, verfögte Wang Yangming über keinerlei Befehle geblieben war. Mitte Januar 1520 traf der Kaiser in N,rnking ein. Seine Umgebung
und keine ausdrückliche Legitimation vonseiten des Kaisers. Er konnte sich aber auf riet dem Kaiser, Wang Yangming nach Nanking zu zitieren, um seine Loyalität zu
andere, mit ihm verglichen niederere Beamte in der ProvinzJiangxi stützen, vor allem prüfen. Als dieser sich wider Erwarten Ende Januar oder Anfang Februar 15 20 daran
auf den Präfekten vonJi'an, Wu Wending ffi ::.it~, der bei der Eroberung Nanchangs machte, der Aufforderung Folge zu leisten, hielten der Eunuch Zh:rng Zhong und
eine führende Rolle spielte. Dieses Verhalten zeigt Wang Yangmings außerordentliche seine Leute ihn in Wuhu am Yangze-Strom auf seinem Weg von Nanchang (Provinz
Fähigkeit, ohne frirmelle Nonnen und Befehle, nur aufgrund seines «Gewissens» Jiangxi) nach Nanking fest, um ein persönliches Treffen mit dem Kaiser zu verhindern.
große Entscheidungen zu treffen, was auch mit seiner Lehre vom «ursprünglichen Nachdem Wang Yangming dort vergeblich einen halben Monat gewartet hatte, zog
Wissen» eng zusammenhängt. er sich wohl Ende Februar in das abgelegene Jiuhua-Gebirge .71,~u.J (heute Provinz
Das Jahr, das nun folgte, war wohl das gefährlichste und schwierigste in Wang Animi), das den Buddhisten heilige «Gebirge des Südens», zurück, vielleicht um dem
Y:mgmings] ,eben. Zugleich soll es die Zeit eines neuen philosophischen Durchbruchs Eindruck einer Konspiration gegen den Kaiser entgegcnzuwirken. 194 <<Jeden Tag saß
gewesen sein. In jener Zeit (von Ende 1519 bis Anfang 1521) war Wang Yangming er ruhig in einem strohbedcckten buddhistischen Nonnenkloster. Gerade zu dieser
Gouverneur (xun fu ½«:fJi) der ProvinzJiangxi mit Sitz in der Provinzhauptstadt Nan- Zeit sandte der Kaiser jemanden, um ihn auszuspähen. Dieser sagte: <Wang Shouren
chang. Als nämlich der Zhengde-Kaiser, der sich wenig um Regierungsgeschäfte, [Yangming] ist ein Lernender des Dao, und wenn er gerufen wird, so kommt er. Wie
aber umso mehr um Waffentaten kümmerte, vom Aufstand des Prinzen von Ning könnte er rcliellicren!» 195 Wang Yangming erhielt darauf vom Kaiser den Befehl,
hörte, sah er darin eine Gelegenheit, Kriegsruhm zu erlangen. Obschon ih1n Wang wieder nach Nanchang (Provinz Jiangxi) zurückznkchren. 196 Da <lcr Kaiser und sein
Yangming davon abriet, verließ er Peking am 15. September 1519, als der Rebell Hof immer noch in Nanking weilten und für Wang Yangming eine Gefahr darstellten,
schon gefangen war. Einflussreiche Leute seiner Umgebung, vor allem der Eunuch blieb dieser nur etwa drei Monate in Nanchang und zog sich dann im Sommer 1520
ganz in den Süden der Provinz Jiangxi, in die Präfektur Ganzhou, zurück, um seine
vor zwei Jahren dort durchgeführten politischen Reformen zu kontrollieren und zu
festigen. In dieser Priifcktur führte er im Spätsommer 1520 sehr wichtige Gespriiche
190 MRXA,juan 28, Kapitel über Ji Yuanheng, Beijing 1985, S. 63 5. mit seinen Schülern Zou Shouyi, Chen Jiuchuan l!.iR .71,JII (Beiname: Mingshui BA7.I<,
191 Bei diesen Daten halte ich mich an die genaue Schilderung der Ereignisse in der «Lebenschronik»,
Quanji,juan 34, Shanghai 1992. Diese schreibt, dass am 15. 'fag des sechsten Mondes, am Tag bing zi
1595-1562) und anderen, die wohl den Durchbruch zur Neukonzeption des Begriffs
(Position dreizehn im Sechzigerzyklus), das heißt am 12.Juli 1519, Wang Yang111ing in Fengchcng von des «urspriinglichen Wissens» (liang zhi .!Hll) bildeten. 197 Mindestens ein Teil die-
der Rebellion hörte (a.a.( )., Shanghai 1992, S. 1258), dass am ·1 hg xing hai (Position achtundvierzig im ser Cespriiche fand wiihrend eines zchntätigen Aufenthaltes (wohl vom 10. bis zum
Sechzigerzyklus), also fiinCunddreißigT1ge später, Nanchang eingenommen wurde, dass am· E1gjiayin
(Position einundfünfzig im Sechzigerzyklus) die Schlachten mit dem Prinzen begannen und dass am
Tag ding si (Position vierundfünfzig im Sechzigerzyklus) der Prinz gefangen genommen wurde (ebd.,
S.1265f.). Der oben erwähnten Artikel von Wing-tsit Chan über Wang Yangming, D1WB, S. 1413a,
stimmt im Wesentlichen mit diesen Daten überein: Er datiert die Einnahme von Nanehang auf den 192 Nianpu, unter dem 14.Jahr der Zhengde-Ära (1519), Quanji, Shanghai 1992, S. 1267.
14. August und die Gefangennahme des Prinzen auf den 20. August, also zwei 'J,1ge früher (ohne An- 193 Siehe oben im Anhang zurallgemeinrn Finleitung,S. 37.
gabe der Quellen). Das Buch von Zhang Xianghao über Wang Yangming, Nanjing 1997, S ..l7, jedoch 194 Ni1111p11, unter dem l S. .l ahr der Zhrngdc Ära (1520), ()1/(/llji, Shanghai l 992, S. 1270. Im Jiuhua-
giht ,1ls Datum der Einn,1hme von Nanchang den 20. 'Eig des achten Mondes(= I 4. September 1519) Gcbirgc hatte Wrng Yangming auch schon früher geweilt.
und als Datum der Gefangennahme des Prinzen den 27. Tag des achten Mondes(= 21. September 195 Ebd.
1519) an, datiert die Ereignisse also rund einen Monat später. Auch Zhang gibt keine Quellen seiner 196 Ebd.
Datierung an. 197 Siehe unten Teil I, Kap. 2, § 2.
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19. September 1520) in dem zehn Kilometer nordwestlich der Präfekturhauptstadt Tage, nachdem er das Gefängnis verlassen hatte, starb ev;- 200 Durch Folter wollten
gelegenen buddhistischen Heiligtum der Tongtian-Felscn ~~!s- statt, wie dortige jene «Neider» ausJi Yuangheng das Geständnis einer Konspiration mit dem Prinzen
Inschriften von Wang Yangmingund Zou Shouyi vom 19. September 1520 hclegen. 198 von Ning erpressen.
Auch seine Schüler Ouyang De und Liu Kui IJ .l\l1 (Beiname: Qingchuan llf JII) aus dem Wang Yangming schreibt in einem Brief aus dem Jahr 1526 über jene Zeit: «Als
etwa hundertfünfzig Kilometer entfernten Taihe ~tn im Süden der Präfektur Ji'an vor einigen Jahren der Kaiser in Nanking war IJanuar bis September 1520], verleum-
sowie Huang Honggang ~51,Kf,nl (Beiname: Luocun m.tt, 1492-1561) aus Yudu ~ tll dete seine ganze Umgebung mich bei ihm. Das Unheil war damals unabsehbar. Meine
(heute «rtll» geschrieben) in der Präfektur Ganzhou besuchten ihn dort während Amtsbrüder und meine Untergebenen fürchteten alle um mein Leben und meinten,
drcicrTage. Erst nachdem der Kaiser selbst den gefangenen Prinzen von Ning offiziell dass ich nach Mitteln suchen müsse, um mich von solchem Argwohn zu befreien. Ich
in Gewahrsam genommen und am 23. September 1520 Nanking in Richtung Peking antwortete: <Der Edle strebt nicht danach, dass die Welt ihm glaubt, sondern er glaubt
verlassen hatte, konnte Wang Yangming seines Lebens wieder sicher sein 1md kehrte an sich selbst und nichts weiter (zi xin er yi ~1~ii'ili3). Da ich schon keine Zeit habe,
«im neunten Mond [zwischen dem 11. Oktober und 9. November 1520] nach Nan- um den Glauben an mich selbst zu suchen, wie könnte ich da Zeit finden, um nach
chang zurück>;.. 199 Der gefangene Prinz wurde sofort nach der Rückkehr des Kaisers dem Glauben anderer Leute an mich zu streben>.»201
in Peking am 13.Januar 1521 hingerichtet. Wie die «Grenzsituation» von Longchang 1508 war auch die Zeit der Verleum-
Nicht nur die Feindschaft des Hofes gegen ihn selbst und die eigene Lebens- dung und Lebensgefahr in Jiangxi 1519/20 ein Lebensabschnitt, in dem sich Wang
gefahr und damit diejenige seiner Familie müssen in dieser Zeit auf Wang Yangming Yangmings Philosophie wesentlich vertiefte. Wangs vertrauter Schüler Qian Dehong
gelastet haben, sondern auch die Gefangennahme und der rfod seines vertrauten Schü- schreibt darüber in seiner «Lebenschronik» unter dem 16. Jahr der Zhengde-Ära
lers Ji Yuanheng, den er zum Prinzen von Ning geschickt hatte. In den «Dokumenten (1521): «In diesem Jahr begann der Lehrer [Yangming[ die J ,ehre von der <Verwirk-
der Konfuzianer der Ming-Dynastie» (MRXA) steht über Jis Schicksal: «Als !der Prinz lichung des ursprünglichen \Nissens> (zhi !im1g zhi jiao 3&a9'□~) bekannt zu machen.
Zhu Chen] Hao geschlagen war, wollten die Neider [Wang Yangmings] diesen durch Erst als der Lehrer vernommen hatte, dass am 10. Tag des Mondes vor Neujahr
den Herrn IJi Yuanheng] zu Fall bringen. Sie nahmen ihn gefangen, sandten ihn in [19. Januar 1521] Wuzong [der Zhengde-Kaiser]) wieder in seinen Palast [in Peking]
die Hauptstadt [Peking] und ließen ihn dort ausprügeln. Er gab keine Schuld zu (bu fu zurückgekehrt war, konnte er sich von seiner Sorge befreien. Seit er die Widrigkeiten
1' füjf). Der untersuchende Zensor meldete dann, dass die Anklage falsch sei. Fünf von [Zhu] Chenhao [Prim, von Ning], des [Eunuchen Zhang[ Zhong und des [Befehls-
habers Xu] 'E1i 202 durchgemacht hatte, vertraute er in höherem Maße darauf, dass das
<ursprüngliche Wissen;. (liang zhi &9'll) wahrhaft ausreicht, um Unheil und Mühsale zu
vergessen und über Leben und Tod zu stehen (chu sheng si l±l 1:,~). [... ] Er sagte auch:
198 An einer der dortigen Felswände ist in der Handschrift Wang Y:mgmings ein Gedicht eingraviert, <Diese Lehre vom <urspriinglichen Wissen> habe ich durch viele Todesgefahren und
an ,!essen Ende, auch in der Handschrift Wang Yangmings, steht: «Im Jahr gcnp; eben der Zhcngde- Mühsale erlangt, nnd ich konnte dann nicht anders, als sie den T,ellten mit Wörtern
Ära, am 8. Tag des achten Mondes [; 19. September 15201 habe ich mich mit Zon [ShouyiJ, Chcn
IJiuchuan] und anderen Herren getroffen und auf den Jadefelsen geschrieben. Aufschrift des'Berg-
ganz mitzuteilen. Nur fürchte ich, dass die Lernenden, die sie so leicht erhalten, daraus
menschen Yangming, Wang Shouren.» (Diese Kalligraphie ist auf der Rückseite des Buchumschla- ein geistiges Spielzeug machen, sich nicht anstrengen und so diesem <[ursprünglichen]
ges des vorliegenden Bandes abgebildet.) Ich nehme an, dass es sich um den zweiten achten Mond Wissen;. untreu werden.> Erst indem er jene Widrigkeiten durchmachte, hatte der
dieses Jahres, das heißt um den Schaltmond handelt, denn die an der Rückwand desselben Felsens
Meister die Lehre vorn <ursprünglichen Wissen>.» 203
befindliche Inschrift von Zou Shouyi, die mit dem Satz beginnt: «Zou Shouyi :ms Ancheng [Anfu]
und C:henJiuchuan aus Linru [Linclrn:m, Fuzhou] lernten beim Lehrer lvVangJ Yangming, In Muße VVang Yangmings Stimmung in diesem gcföhrlichenJahr 1519/20 illustriert ein
saßen sie bei den Tongtian-Felsen», ist auf den «8. Tag des eingeschalteten achten Mondes (run ba Gedicht, das wir hier zitieren möchten. Nichts spiegelt so intim seinen Charakter
yue l!,!l)\;l) des Jahresgengeben» datiert. Zou Shouyis Inschrift besagt auch, dass Wang Yangming,
er selbst und Chen Jiuchuan «insgesamt volle zehn Tage dort blieben und dann zurückkehrten»
und seine Stimmungen wider wie seine zahlreichen Gedichte. Wenn ich sie besser zu
(Jim xia xun er gui fL);k:1i)ifüll$) und dass sie dort den Besuch des Vizegouverneurs [vonJiangxiJ, des übersetzen vermöchte, würde ich ihnen in dieser Biographie mehr Raum einräumen.
Priifckten [von Ganzhoul, des Kreisvorstehers [der CegcndJ hatten und dass zehn andere Leute, Das Gedicht heißt:
zum 'lcil mehr oder weniger vertraute Schüler Wang Ym1gmings, unter ihnen Liu Kui, Huang
Honggang und Ouyang De, zwei bzw. drei Tage (xin m 1EHi!i) bei ihnen weilten. Die Felswand mit
diesen Inschriften heißt heute «Felswand des Vergessens der Heimkehr» (Wangguiyan $Jil:'ilr); etwa
fünfzehn Meter unterhalb dieser Felswand befindet sich aber ein buddhistisches Kloster, das «Klos-
ter der Jadefelswand» (Yztyansi :ls:'ilr~) heißt. Die Inschrift von Wang Yangming ist 1,45 m breit,
1, 1 m hoch und umfasst acht Zeilen, Seine hervorragende Kalligraphie ist noch gut lesbar, J}iejeni-
ge von Zou Shouyi ist 1,5 m breit, 0,85 cm hoch und ist stark verwitterL Am Sonntag, 10. Oktober 200 MNXA,juan 28, Bcijing 1985, S. 635,
2004, konnte ich in diesen roten Sandsteinfelsen die buddhistischen Höhlen mit ihren Skulpturen 201 Brief an einen Freund aus demJahr l 52(i, Quanji,jum, <,, Shanghai 1992, S, 207.
aus der Tang- und Song-Zeit bewundern und mich an den Inschriften erfreuen, besonders am 202 Zhang Zhong und Xu Tai waren offenbar die wichtigsten Leute aus der Umgebung des Kaisers, die
«Bergmenschen.» Wang Yangming der Konspiration gegen den Kaiser beschuldigten.
199 Nianpu II, Quanji, Shanghai 1992, S. 1277. 203 Nianpu, unter dem 16.Jahr der Zhengde-Ära (1521), Shanghai 1992, S. 1278f.
96 97

Stöhnen und Seufzen hervorgegangen. Fr muss schon, als er in Ganzhon, im Süden der Provinz, war, be-
,<Der \Vissende (zhi zhe !Jc□ ,tf) ist nicht in Zweifeln, der Gütige (ren zhe 1=-if) ist nicht in rühmt gewesen sein, denn er zog damals nicht nur Schüler aus dieser Präfektur an
Sorgen» 204 ; was bist du betrübt und runz~lst ~!eine Stirn?_ . ··... . . wie die hervorragenden Ile Tingren fnJ3.!1= (Beiname: Shanshan ill, 1486-1551)
Glaube, dass der Weg vor dir weit und offen 1st; verlass dich auf das Urteil des I Imunels
und Huang Honggang jig1~ (Beiname: Luocun *-t1, 1492-1561) aus der Kreisstadt
(ping timi pan xia J!(lER*ff), nicht auf das Planen der Menschen! . .
«Wirst du gebraucht, übe dein Amt aus; wirst du entl_a~sen, zieh dich zuriick» 205 ; dieser Yudu '.f!.m (heute «'f m» geschrieben) fünfzig Kilometer östlich der Präfckturhaupt-
Leib wird herumgcschaukelt gleich einem leeren Schiff. . . . stadt, sondern vor allem auch solche aus den Kreiss6dten Anfu ~mi,Jishui a 7./<, 'laihe
Der Tüchtige hebt unbefangen IIimmcl und Erde empor; was kümmert er s1ch wie cm ;/:l;:;1;□ und Yongfeng in der Präfektur Ji'an a~
im mittleren rleil der Provinz.
Gefangener um Fesseln! . . . , . . Die Schule Wang Yangrnings in der Pr~ifcktur Ji'an, die besonders in den.Jahren von
Mit einer Perle von tausend Golddukaten sclueßt .man 111cht auf Spat'.l.cn; mit emem
1540 bis 1560 zum blühendsten Zentrum der ganzen Schule wurde, werden wir in
priichtigen Schwert griibt man nicht die Erde um. . r " . . . . • . •

. ,11S.
•t· ( I ll 111"cl 1t , dass der Alte im Osthaus alles g·eg·en den I 1ger.. · vorkehrt und dann m· de1 der Einleitung zurn ,.weiten Tc,il dieser Studie(§ 6) vorstellen. Die wichtigsten Leute,
,Ste '• · ·· · · · , · [
Nacht rnit dem Kopf in dessen Rachen endet, während der Knabe m~ Westhaus 111c 1t:s die aus dieser PräfekturJi'an in den.Jahren 1517 bis 1519 Wang Yangmings Schüler
vom '1 'iger weiß und ihn wie eine Kuh mit seinem Bambusstab wegtreibt? , wurden, waren Zou Shouyi und Ouyang De, welche zu den Hauptpersonen dieser
Aus Angst vor dem Verschlucken fasst der Kranke die Nahrung verrotten; aus J,urcht, w Studie gehören. Ein anderer Schüler der damaligen Zeit aus Jiangxi war der soeben
ertrinken wirft der Dumme sich selbst ins Wasser. erwähnte Chcn Jiuchuan (Beiname: Mingshui, 1495-1562). Er stammte nicht aus
Wenn m~n im Leben das Geschick des l linnnels versteht (da ming ill$), ist man
unbekümmert und frei; wenn man Verleumdung fürchtet und dem Verderben entrinnen
der Präfektur.Ji'an, sondern aus Linchnan !l;\'i;JII, der Hauptstadt der Präfektur Fuzhou
will, geht man stöhnend und seufrend einher. 206 11!!lHI, unmittclb;ir im Nordosten der Priifcktur Ji 'an, und hatte Wang Yangming schon
1515 kennengelernt. Er ist der Autor wichtiger Aufzeichmmgen am Anfang des drit-
ten Teils des Chwm.xi lu, die Aufschluss ü her das \Verden von W,mg Y.mgmings neuer
Wie die Berichte über Wang Yangmings «große Einsicht» in Longchang im Jahr Konzeption des «ursprünglichen \Vissens,> in den Jahren 1519 und 1520 geben. 2119
1508 geben auch die oben angeführten Angaben aus der «Lebenscl~ron~k», dass _er Weiter kamen damals auch eine bedeutende Gruppe von Schülern aus der ganz im
erst in den Widcrwiirtigkeiten von 1519/20 die «Lehre vom <ursprunglichcn _Wis- Osten der Provinz Gu:rngdong gelegenen Priifcktur Chaozhou iWltM, die eine südliche
sen> hatte» und erst danach «die <I ,ehre von der Verwirklichung des ursprünglichen Nachbarpräfektur von Canzhou war, zu \\fang Yangming. Diese Schüler stammten
Wissens> bekannt zu machen begann», Ritsel auf. Denn Wang Yangming hatte vor allem aus den Sippen Xuc iW und Ymg ~ und waren im Krcis.Jieyang :!~!% dieser
schon während mehrerer Jahre zuvor über das «ursprüngliche Wissen» und seine Präfektur zu Hause.! 111 Der bedeutendste unter ihnen war Xue Kan iW 1/il, (?-1545),
«Verwirklichung» gesprochcn. 207 Wir werden uns mit dieser Frag~ ausführlich_ in dem wir schon früher begegnet sind und dem wir noch oft begegnen werden;
den ersten '.l.wei Kapiteln des ersten Teils dieser Studie befassen. Die Antwort w1'.·\I_ er gab 1518 die früheste F,1ssung von \\lang Yangmings Chuanxi lu heraus. Auch
in der Richtung liegen, dass Wang Yangming 1520 einen prinzipi~ll ~1cucn BegnH aus der Provinz Fujian erhielt Wang Yangming damals einen Schüler: Ma Mingheng
des <<ursprünglichen Wissens» und damit auch von dessen «Verwirkhch~ng» kon- ,~ aJHti (Großjährigkeitsname: Zixin r~). Dieser stammte aus der südlich der Pro-
zipierte und dass aufgrund dieses neuen Begriffes das «ursprüngliche W~ssen» u~d vinzhauptstadt Fuzhou gelegenen Präfektur Xinghua !Jl!{t, und hatte im Frühjahr
seine «Verwirklichung» die Leitformel seiner ganzen Lehre wurde. In emem Bnef 1517, bevor er zu Wang Yangming nach Ganzhou kam, die höchsten Staatsprüfungen
aus dem Jahre 1526 schreibt er: «Neulich lud mich ein hiesiger hoher Beamter zu bestanden. Doch er war wohl sein einziger namhafter Schüler aus dieser Provinz, in
einem Vortrag ein und fragte: <Außer dem <ursprünglichen Wissen>, worüber können der während der südlichen Song-Dynastie Zhu Xi zu Hause gewesen war.
Sie noch sprechen?> Ich antwortete ihm: <Außer dem <ursprünglichen Wissen>, was Nach dem Tod des kinderlosen Zhengde-Kaisers im Frühjahr 15 21 bestieg einer
gibt es noch zu sagen?»>208 . . . . . • seiner Vettern den Thron und regierte bis 1567 unter der Devise «jia jing» («ausge-
Während der ganzen Zeit seiner Beamtentät1gke1t m der Provmz J1angx1 zeichnete Ruhe [Ordnung]». Er berief nach seiner Thronbesteigung Wang Yangming
(1517-1521) hatte Wang Yangming viele Schüler. Aus dieser Provinz sind neben nach Peking, doch der Erste Großsekretär, YangTinghe mg;1;□, der Wang nicht gut
seiner Heimatprovinz Zhejiang die zahlreichsten und wichtigsten seiner Schüler gesinnt war, wusste sein Kommen zu verhindern. 211 Um Wang von Peking fernzuhal-
ten, wurde er im August 1521 zum Kriegsminister in der «Südlichen Hauptstadt»,
Nanking, ernannt. Er hat diesen Posten aber gar nie angetreten, sondern kehrte im
204 Zitat aus Lunyu, 9. Buch, Kap. 28 (29).
205 Lunyu, 7. Buch, Kap. 10. .. . .
206 Es ist das letzte der 120 Gedichte ausJiangxi aus den Jahren 1519 und 1520, Qurmp,;uan 20, Shangha1
1992, S. 784. . . .. k
207 Eine Aufzeichnung aus den Gesprächen mit Xu Ai aus dem Winter 1512/13, m der diese Ausdrnc e 209 Siehe unten in Teil I das Kap. 2.
vorkommen haben wir schon oben in diesem Paragraphen, S. 78, zitiert. 210 Zu diesen Schülern aus der Präfektur Chaozhou siehe MRXA,jttan 30, Beijing 1985, S. 65 5-666.
208 Brief an Zm~ Qianzhi (Zou Shouyi) von 1526, Quanji,juan 6, Shanghai 1992, S. 204. 211 Zu Yang Tinghe siehe oben den Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 38f.
98 99

<<achten Mond» (Frühherbst 1521) von Nanchang zum Wohnsitz seiner Familie in Es ist nicht leicht, sich ein anschauliches Bild von Wang Yangmings Lehrtätigkeit
Shaoxing zurück und ging von dort aus «im neunten Mond» (Spätherbst 1521) nach in Shaoxing zu machen. Im dritten Teil des Chuanxi lu ist von Qian Dehong folgender
Yuyao, «um die Gräber seiner Ahnen zu besuchen»212 • Dort versammelten sich um Bericht enthalten: «Nachdem der Lehrer [Yangming] nach Yue [Präfektur Shaoxing]
ihn im Zhongtian-Gebäude i:p ~lffl des Drachenquellen-Klosters (Longquansi fi~=t:), zurückgekehrt war, besuchten ihn zuerst nur wenige Freunde; danach wurden die
am Südabhang des «Drachenberges», an dessen Nordfuß Wang Yangming geboren Besucher jedoch immer zahlreicher. Vom Jahr p;ui wei (1523) an war die Menge, die
worden war, auch Schüler, unter ihnen Qian Dehong, der einer seiner wichtigsten ihn umgab und bei ihm blieb, dicht. Zum Beispiel im Tianfei[-Tempel] ~~c[Jffl] und
werden sollte. 213 Im März 1522 starb sein Vater Wang Hua. 214 Wang Yangming blieb im Guangxiang-Kloster "6*~,t: [beide in der Nordwestecke von Shaoxing gelegen,
in Shaoxing, um die dreijährige Trauerzeit zu verbringen, während der nach der kon- wo Wang Yangming wohnte219] verpflegten sich in jedem Raum oft mehrere Dutzend
fuzianischen Sitte kein Amt bekleidet werden durfte.1523 wurde Wang Hua zwanzig li Leute. In der Nacht hatten sie keinen Platz, um sich auf den Boden zu legen, sondern
(zehn Kilometer) südlich von Shaoxing begraben. Anfang 1525 starb Wang Yangmings lösten einander im Sitzen ab und sangen bis zur Morgendämmerung. In den näheren
Frau, die kinderlos war. Daraufhin heiratete Wang Yangming wieder, und Ende 1526 und ferneren Klöstern an den Nanzhen-(Jili:-), Yuxue-(~:r--) und Yangming-dong-
wurde ihm von seiner zweiten Frau ein Sohn geboren. Er hieß Wang Zhengyi 3:IE (lli11Jl5la]-)Bergen [innerhalb des Kuaiji-Gebirges ungefähr zehn Kilometer südlich von
ffl und war sein zweiter Sohn nach seinem Adoptivsohn Wang Zhengxian 3:IE:il, den Shaoxing], die man [von der Stadt Shaoxing aus] zu Fuß erreichen konnte, wohnten
er 1515 adoptiert hatte und der achtzehn Jahre älter als sein leiblicher Sohn war. 215 überall Gleichgesinnte (tong zhi IE'.li&). Jedes Mal, wenn der Lehrer [Yangming] sich
Vom Herbst 1521 bis zum Herbst 1527 verbrachte Wang Yangming sechs Jahre zum Unterricht auf seinen Sitz niederließ, saßen um ihn, vorn und hinten, links und
ohne Beamtentätigkeit und zurückgezogen von der Politik im Wohnsitz seiner Familie rechts, oft nicht weniger als mehrere hundert Leute. Es gab keinen Tag im Monat,
in Shaoxing und widmete sich vor allem der Lehre. Nachdem 1525 die dreijährige an dem nicht jemand empfangen oder verabschiedet wurde. Es kam sogar vor, dass
Trauerzeit für den Tod seines Vaters abgelaufen war, hätte er ordnungsgemäß wieder Leute mehr als ein Jahr [dem Lehrer] aufwarteten, ohne dass ihre Namen festge-
in den Staatsdienst zurückberufen werden müssen. Zensoren empfahlen ihn, und halten werden konnten.[ ... ] Jedes Mal, wenn die Lernenden nach dem Hören des
auch der damalige Minister des Ritenministeriums, Xi Shu (Beiname: Yuanshan, Vortrages den Raum verließen, hüpften sie vor Freude.»220 In der «Lebenschronik»
1461-1527), der vor sechzehn Jahren als Schulinspektor der Provinz Guizhou Wang steht unter dem Jahr 1524: «Die [Unterkünfte in den] daoistischen Tempeln und
Yangming in Longchang kennengelernt und ihn an die Schule der Provinzhauptstadt buddhistischen Klöstern (gong cha '&'~J) waren schlecht und eng und vermochten
Guiyang geholt hatte, schrieb eine besondere Empfehlung: «Unter den Leuten, die Schüler kaum aufzunehmen. Denn die Leute, die um ihn [Yangming] herum
die vor mir geboren wurden, sehe ich als den besten Yang Yiqing m-~;
unter den saßen und ihm zuhörten, waren mehr als dreihundert. Der Lehrer bedachte das und
Leuten, die nach mir geboren wurden, sehe ich als den besten Wang Shouren [Yang- entwickelte nur den Hauptgedanken im Daxue von der Einheit aller Wesen (wan wu
ming] .» Darauf wurde Yang Yiqing (1454-153 9),216 der schon im Voraus in der Gunst tong ti ll!lw.115.!H) und veranlasste jeden Einzelnen, sein eigentliches Wesen (ben xing
des Kaisers gestanden hatte, zum Großsekretär ernannt, während an Wang Yangming 7.Jl;tt) zu suchen und das <Ursprüngliche Wissen> (liang zhi .l~Jll) bis zum Äußersten
keinerlei Berufung erging. Im folgenden Jahr wiederholte Xi Shu seine Empfehlung, zu verwirklichen. Wenn die ethische Anstrengung (gong fit) etwas erreicht hatte,
aber auch diesmal erfolgte vonseiten des Kaisers keine Antwort. 217 Offenbar war Wang dann sollte jeder an seinem Ort die Lehre aufrichten. Alle freuten sich darüber, dass
Yangming, der in der «großen Ritenauseinandersetzung» um die postume Ernen- es leicht zu befolgen war.»221 Wahrscheinlich unterrichtete Yangming in Shaoxing
nung des Kaiservaters zum Kaiser nicht im Sinne des Kaisers und seiner Befürworter zuerst in der Haupthalle seines Hauses (Gebäudekomplexes mit Innenhöfen). Diese
Stellung genommen, sondern geschwiegen hatte, diesen nicht genehm. 218 Er war viel- Haupthalle (ting 8) konnte bis zu hundert Leute aufnehmen. 222 Wang Yangmings
leicht über dieses Übergangenwerden nicht unglücklich, denn er hätte sich in hoher Anwesen lag an der Guangxiang-Gasse -"c*~j:/j223 im nördlichen Teil von Shanyin
amtlicher Stellung in einer ihm hauptsächlich feindlichen Atmosphäre befunden und lll~, der westlichen Hälfte der Präfekturhauptstadt Shaoxing. 224 Die Guangxiang-
er konnte sich nun vorderhand in Shaoxing als Privatmann weiterhin hauptsächlich
seinen Schülern widmen.
219 Siehe Chen Lai 1991, S. 372.
220 Churmxi ltt III, Nr. 316, QwnJiduan 3, Shanghai 1992, S. 118.
212 Nianpu III, unter dem 16.Jahr der Zhengde-Ära (1521), Shanghai 1992, S. 1282. 221 Nianpu III, 3.Jahr der Jiajing-Ara (1524), Shanghai 1992, S. 1290.
213 Nianpufalu I, unter dem 17.Jahr der Jiajing-Ära (1538), Shanghai 1992, S. l333f. 222 Diese Haupthalle ist im 19. Jahrhundert abgebrannt: siehe Ren Guiquan tE *-ll½ und Luo Jigang
214 Nianpu III, unter dem 1.Jahr derJiajing-Ära (1522), Shanghai 1992, S.1284. ß :&ffi: Ming cheng Shaoxing llJIJnli!!II!, Hangzhou 2003, S. 104.
215 Siehe oben in dieser Einleitung, S. 53f. 223 Siehe Nianpu I, Anfang, Quanji,juan 33, Shanghai 1992, S. 1220.
216 Zu Yang Yiqing siehe den Artikel von Chou Tao-chi, DMB, S. 1516-1519. 224 Die östliche Hälfte, die von der westlichen durch einen Kanal getrennt war, hieß Kuaiji \tli. Beide
217 Nianpu, unter dem 4.Jahr der Jiajing-Ära, sechster Mond, Quanji,juan 35, Shanghai 1992, S. 1293. teile waren eigene Kreise (xian ~) innerhalb der Bezirksstadt Shaoxing. Genaue Informationen über
218 Zu dieser «großen Auseinandersetzung um die Riten» siehe oben den Anhang zur allgemeinen Ein- die lokalen Verhältnisse von Wang Yangmings Leben in Shaoxing erfährt man bei Chen Lai 1991,
leitung, S. 38ff. s. 362-374.
100 101

Gasse hatte ihren Namen von dem nördlich von ihr auf der andern Seite des Yangmings Haus und die Yangming-Akademie. 233 Wang Yangming lehrte sicher
Kanals gelegenen buddhistischen Guangxiang-Kloster (Kloster der «lichtvollen auch an dieser Akademie. Wang Yangming fand in diesen beiden Akademien also
Erscheinung»). 225 Wahrscheinlich unterrichtete Yangming aber auch in den Tem- Raum für seinen Unterricht, aber sie boten offenbar keine Unterkunft für seine aus
peln und Klöstern, in denen seine Schüler logierten. Er saß beim Unterricht auf entfernten Gegenden herbeigekommenen Schüler. Denn diese suchten Unterkunft
einem Stuhl, und die ihn umgebenden Studenten saßen wohl auf Matten auf dem in daoistischen Tempeln und hauptsächlich in buddhistischen Klöstern, die damals
Boden. 226 In den Lehrversammlungen wurde auch gesungen, wahrscheinlich an auch als Herbergen für Reisende und Fremde dienten. 234 Nach der Biographie des
ihrem Anfang. 227 Ende 1525 (im «zehnten Mond») wurde von seinen Schülern soeben erwähnten Präfekten von Shaoxing in den «Dokumenten der Konfuzianer
die Yangming-Akademie errichtet. Sie lag «innerhalb des Tores zur westlichen der Ming-Dynastie» (MRXA) stellte dieser einigen Schülern Wang Yangmings
Vorstadt (xi f!:UO men iUl!r,) von Shaoxing östlich der Guangxiang-Brücke
m» 228 • Die aus dem 14.Jahrhundert stammende Guangxiang-Brücke besteht heu-
**~ Unterkünfte zur Verfügung. 235 Wohl etwa von der Erneuerung bzw. Errichtung
der beiden Akademien im Jahre 1525 an ließ Yangming die neu angekommenen
te noch und trägt noch ihren alten Namen. 229 Die Yangming-Akademie lag wohl Schüler zuerst durch seine beiden Assistenten, Qian Dehong und Wang Ji, unter-
unmittelbar neben Wang Yangmings Wohnhaus. 230 Nur etwa einen Kilometersüd- richten. Wang Ji berichtet darüber: «Jeder neu ankommende Schüler wurde seiner
westlich von dieser privaten Akademie lag damals die staatliche Jishan-Akademie Begabung gemäß vom Meister [Yangming] einer Gruppe zugeteilt. Hier wurden
(Jishan shuyuan ~lllilil%), die schon in der Nördlichen Song-Dynastie gegründet seine alten Meinungen ausgemerzt und seine neuen Antriebe gefördert. Erst
worden war und von der Wang Yangming 1525 schreibt, dass sie in der letzten nachher wurden sie zum Meister zur Vervollkommnung zurückgeschickt. [Qian
Zeit brachgelegen hatte, vom Präfekten von Shaoxing, Nan Daji ffi (Beina- *s Dehong und ich] wurden von den Leuten <unterrichtende Lehrer> (jiao shou shi
me: Ruiquan Jim~, 1487-1541), der auf seinem Posten in Shaoxing sein Schüler ~~Eili) genannt[ ... ]. Die Schüler aus allen Gegenden wurden immer zahlreicher. Ei-
geworden war, 231 erneuert wurde und dass sie am Westrücken des Wolong-Berges nige prüften schweigend, einige sangen, einige rezitierten in Gruppen, einige saßen
(W..~111) liegt. 232 Der Wolong-Berg wird heute Fu-Berg (Hf 111) genannt und befindet zusammen und diskutierten. Wir beide gingen prüfend von den einen zu den andern,
sich im nordwestlichen Quartier von Shaoxing, also im selben Quartier wie Wang um in ihnen die Grundlehre des Meisters zu wecken und sie auf ihre eigenen Fä-
higkeiten zu verweisen, die durch innere Sammlung zu kräftigen Antrieben werden
können.» 236 Yangmings Unterricht war dialogisch, denn sehr viele der erhaltenen
Aufzeichnungen von seinem Unterricht beginnen mit Fragen von anonymen oder
225 Dieses Kloster wurde nach 1950 abgerissen. Ein Bewohner des Quartiers, mit dem ich im September mit Namen genannten Schülern. Die Grundlage seines Unterrichts war das erste
2004 sprach, erinnerte sich noch an dieses Kloster und seine Zerstörung.
226 In dieser Weise folgte noch ich selbst während des Sommersemesters 1979 Vorlesungen beim chine-
der «Vier Bücher», das «Lernen der Großen» (Daxue). Einige aufgezeichnete Ge-
sischen Philosophen Mou Zongsan (1909-1995) in seiner Privatwohnung in Taipei (Taiwan).
227 Huang Zongxi berichtet in seinen «Dokumenten der Konfuzianer der Ming-Dynastie» (MRXA), dass
Wang Gen seinen kleinen Sohn Wang Bi zu den Lehrversammlungen Wang Yangmings mitnahm
und dass dieser Sohn mit seiner Knabenstimme die Lieder mitsang, so dass es «unter den Stimmen 233 Wang Yangmings Text zur Erneuerung der Jishan-Akademie wurde nach dem Nianpu im ersten
den hellen Klang eines Diamanten gab.»MRXA,juan 32, Beijing 1985, S. 718. Mond des 4.Jahres der Jiajing-Ära (Frühjahr 1525) geschrieben (S. 1293), während die Yangming-
228 Nianpu III, unter dem zehnten Mond des 5. Jahres der Jiajing-Ära (Ende 1525), Quanji,juan 35, Akademie nach dem Nianpu erst im zehnten Mond dieses Jahres gegründet wurde (S. 1297). Auch
Shanghai 1992,S. 1297. nach einer anderen Stelle des Nianp1, (S. 1292) scheint dieJishan-Akademie schon vor der Errichtung
229 Sie steht heute unter Denkmalschutz der Provinz Zhejiang. Sie liegt in der nördlichen Fortsetzung der Yangming-Akademie wieder genutzt worden zu sein.
der Xixiao-(il!i 1J'-)Straße, unmittelbar westlich der großen Brücke der Huancheng-(Jl~-)Nordstraße. 2 34 «Als der verstorbene Lehrer in Shaoxing war, wurden die Schüler, die von überall her kamen, immer
230 Das Areal von Wang Yangmings Wohnkomplex und wohl auch der Akademie wird heute im Nord- zahlreicher. Das [große und kleine] Nengren-Kloster ~-1=~ [l km südlich bzw. 1,5 km nordwestlich
osten von der Shangda-(.t*-)Straße, im Osten, Süden und Südwesten von der Wangya-nong von Shaoxing], das Guangxiang-Kloster [im Wohnquartier von Wang Yangming], das Zhida-Kloster
:Effij~ («Gasse des Beamten Wang»), auf Stadtplänen auch als W.·mgjianong :E~~ («Gasse der ~* ~ [2,5 km nördlich von Shaoxing], der Tianfei-Tempel 9i: ftc~ [im Wohnquartier Wang Yang-
Familie Wang») bezeichnet, und im Nordwesten von der Jiashan-(fiill-)Gasse umringt. Es liegt mings, westlich der Guangxiang-Brücke], alle diese Klöster hatten keinen Platz zum Wohnen mehr.
nur zwei Gehminuten östlich der Guangxiang-Brücke, an der Südseite des Kanals. An der Südseite Die Mitschüler Wang Gen, He Qin und andere planten den Bau von Häusern links neben dem Zhida-
dieses Areals, Wangya-nong Nr. 19, ist eine Tafel angebracht, die den ganzen Hauskomplex mit dem Kloster, um dort für ihr Lernen zu wohnen.» Nianpu fo/11 I, unter dem 16.Jahr der Jiajing-Ära (153 7),
Datum des Monats Oktober 1999 als unter Denkmalschutz der Stadt Shaoxing stehend erklärt. Der Shanghai 1992, S. 1333, ergänzt nach den genaueren lokalen Angaben von Chen Lai 1991, S. 372.
ganze Komplex, der in seiner Substanz zum Teil noch auf Wang Yangmings Zeiten zurückgeht, ist Mehrere der nach Wang Yangmings Tod von seinen Schülern gebauten sogenannten «Akademien»
heute (September 2004) in zahlreiche kleine Familienwohnungen aufgeteilt, die sich alle in einem (shu yuan 'i!f~) boten zahlreiche Unterkünfte, so die Tianzhen-Akademien südlich von Hangzhou
sehr schlechten baulichen Zustand befinden. Es ist aber zu hoffen, dass aufgrund des beschlossenen (siehe unten die Einleitung zu Teil II, § 2) und die Shuixi-Akademie in der Präfektur Ningguo im
Denkmalschutzes eines Tages die ganze Anlage restauriert wird und nicht dem Schicksal verfällt, dem Süden des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking (ebd., § 9). Aber beide dieser «Akademien»
fast alle alte Bausubstanz der chinesischen Städte in diesen Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs waren nicht Schulen, in denen ein Lehrer das ganze Jahr hindurch unterrichtete, sondern nur Ver-
unterworfen ist. Zu Wang Yangmings Wohnkomplex siehe: Ren Guiquan f.E :fi:½ und Luo Jigang sammlungsstätten, in denen sich eine große Zahl von Mitgliedern der Schule Wang Yangmings zwei
I& :&ffl, Ming cheng Shaoxing a)l~jf!Jl, a.a.O., S. 104. Mal im Jahr (Frühling und Herbst) zu «Lehrgesprächen» traf.
231 Zu Nan Daji, der aus der Provinz Shenxi stammte, siehe MRXA,juan 29, 653f. 235 MRXA,juan 29, Beijing 1985, S. 653.
232 Jishan shuyuan zunjinggeji, Quanji,juan 7, Shanghai 1992, S. 255. 236 Qianjunxingzhang, Wang Longxi quanji (1822),juan 20, S. 2b (Taipei 1970, S. 1376).
102 103

spräche sind auch in den Bergen südlich von Shaoxing lokalisiert. 237 Aber das waren ImJuni 1527 wurde Wang Yangming zum Leiter von militärischen Operationen
wohl Ausflüge mit wenigen Schülern, denn es ist kaum vorstellbar, dass Yangming ernannt, um Aufatände von nichtchinesischen Volksgruppen (der Yao Ili\ und vielleicht
mit Hunderten von Schülern durch die Berge zog. Der Unterricht war nicht zeit. auch der Zhuang .ll±) in der Präfektur Si'en ,\!Llgl, und der Präfektur zweiter Ordnung
lieh nach längerfristigen Abschnitten («Semestern», «Trimestern») gegliedert, denn Tianzhou SUN in der ganz im Süden Chinas an der Grenze zu Vietnam gelegenen
wie wir oben vernahmen, herrschte bei den Schülern ein ständiges Kommen und Provinz Guangxi unter Kontrolle zu bringen. 244 Dem Vorsitzenden des Zensorates
und Provinzgeneral, Yao Mo :/l!J~ ~, war es zuvor zwar gelungen, den Anführer dieser
Gehen.
Im Folgenden seien noch die Namen einiger Schüler der Lehrtätigkeit Wang *
Rebellion in Tianzhou, Cen J\!Ieng ~tfu., und dessen Sohn gefangen zu nehmen; aber
nachdem deren Nachfolger auch noch die östliche N;1chbarpräfektur Si'en unter ihre
Yangmings in Shaoxing genannt, denen wir in den IIauptteilen unserer Studie wieder
begegnen werden: 1521 hatten sich Qian Dehong und Wang Ji, beide aus Yangmings Gewalt gebracht hatten, vermochte er dieser wachsenden Macht, trotz mehreren
Heimat, der Präfektur Shaoxing, ihm angeschlossen. Sie wurden seine beiden engst- Angriffen mit'Th1ppcn aus den Provinzen Gmmgxi, Guangdong, IIuguangundJiangxi,
vertrauten Schüler und später, wie soeben erwähnt, eine Art Assistenten, denen er nicht mehr Herr zu werden. 245 In dieser kritischen Situation hatte sich die Regierung
andere Schüler anvertraute. 152 3 war wieder sein alter Schüler Zou Shouyi aus Jiangxi in Peking an Wang Yangming gewandt. Am 9. Tag des neunten Mondes (3. Oktober
wlihrend mehr als einem Monat bei ihm, um ihn «über das [ethische] Lernen zu fra- 1527) verließ dieser Shaoxing. Er reiste hauptsächlich mit dem Schiff. Seine beiden
gen»238. 1523 kam auch Wang Gen aus der PräfekturTaizhou (im Osten des direkten Schüler Qian Dehong und Wang Ji begleiteten ihn bis Yantan am Fuchun-Fluss,
Verwaltungsgebietes von Nanking, heute in der ProvinzJiangsu) wieder, der im Spät- fünfzehn Kilometer südlich von 'longlu falffl, etwa hundert Kilometer südwestlich
herbst 1520, schon achtunddreifügJahre alt, in Nanchang (Provinz.Jiangxi) nach einem von Hang,,hou. 246 Er fuhr weiter üher Nanchang nndJi'an inJiangxi, wo sich an der
Aufenthalt von wenigen Tagen Yangming als seinen Lehrer anerkannt hatte 239 • Er blieb Poststation unmittelbar im Norden der Stadt an der Mündung des Luo-Flusses in den
auch noch 1524 bei Wang Yangming in Shaoxing.2'10 1524 folgten auch Liu Wenmin Gan-Fluss über clreih undert Schüler vers;1mmelten. Yangming soll stehend gesprochen
IJ X~ (Beiname: Liangfeng ffi .U, 1490-1572) und der in der Schule Wang Yang- und unter anderem gesagt haben: ,«Das vVunderbare des <Ursprünglichen Wissens>
mings hervorragende Liu Bangcai aus dem Kreis Anfu (Präfektur Ji'an, Provinz durchströmt wahrlich alle Richtungen des Raumes; sich wandelnd durchdringt es, ohne
Jiangxi) seinem Unterricht. 241 Im Sommer 1526 besuchte ihn Nie Bao aus Yongfeng sich irgendwo ,,u fixieren (bian tong bu.711 ~Ji"!Ff lls). Wenn man aufgrund von Texten
(Präfektur Ji'an, ProvinzJiangxi), 242 der damals schon ein hoher Beamter war; er wurde in die Menge der Meinungsverschiedenheiten gerät, richtet man großen Schaden an.>
einige Jahre später offiziell sein Schüler. Mit Qian Dehongs, Wang Jis, Wang Gens, Beim Abschied sagte er auch eindringlich: <Die ethische Anstrengung (gongfu) ist nur
Nie Baos und Liu Bangcais verschiedenartigem Verständnis von Yangmings I ,ehre der einfach und wahrhaftig.Je wahrhaftiger, umso einfacher; je einfacher, umso wahrhafti-
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» werden wir uns im zweiten Teil dieser ger.>»247 Am 18. Tag des elften Mondes (14. Dezember 152 7) erreichte er Zhaoqing in
Arbeit befassen. Wang Gen war im Kreis der Schüler Wang Y:wgmings eine ganz der Provinz Guangdong und ,,wei Tage später eröffnete er in Wuzhou :ffi1'N im Osten
besondere Gestalt: Er stammte nicht aus einer Beamtenfamilie und hatte auch selbst der Provinz Guangxi seinenAmtssitz. 248 Er wunle dort zum Gouverneur der Provinzen
nicht die Beamtenlaufbahn eingeschlagen, sondern sein Vater war ein kleiner Bauer, Guangdong und Guangxi ernannt. Von dort aus reiste er in die dreihundert Kilometer
und er selbst hatte, als er sechs bis zehn Jahre alt war, nur eine private Dorfschule westlich gelegene Präfekturhauptstadt Nanning (die heutige J Iauptstadt der Provinz
besuchen können und war später ein erfolgreicher Händler mit Salz oder Tuch ge- Guangxi), die im Süden und Südosten der von den Aufstlindischen beherrschten
worden. Seine ersten Kenntnisse der konfuzianischen Schriften hatte er aus geistigem Präfekturen Si'en und· J'ianzhou lag.'t 9 Er griff nicht wie sein erfolgloser Vorgänger
Interesse durch Selbststudium erworben. 243 Dennoch genoss er in der Schule Wang Yao Mo die Aufst:indischen mi.litiirisch an, sondern verhandelte mit ihnen. Fr zeigte
Yangmings ein großes Ansehen. Wir werden in der Einleitung zu Teil II (§ 5) auf ihn Verständnis für ihre Unzufriedenheit, kam ihnen mit guten administrativen Bedin-
zurückkommen. gungen entgegen, so dass schon ini 1\!Lirz (im zweiten Mond) 1528 die größten Kon-
flikte in den Präfekturen Tianzhou und Si'en ohne Kriegshandlungen gelöst werden

237 Zum Beispiel Chuanxi tu III, Nr. 244 und Nr. 275. 244 Sein Titel war, -,Linker (erster \lize-)Vorzitzender im Zensorat und Leiter der Unterwerfung von
238 Siehe Chuanxi tu III, Nr. 314, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 117; Nianpu, unter dem 2.Jahr der Si'en und Tianzhou» (Duchavu.t:n wu dur1rshi zh('//g E,1 Tian 'lill~llir:ti:\!illf.lP.ll:'.fiEJ~,B3): «l ,ebenschronik»,
Jiajing-Är:1 (1523), ebd., S. 1287. Die Dauer des Aufenthaltes von mehr als einem Monat wird in unter dem 6.Jahr de1· .1 iajing-Ara, l)ua11ji,jua11 35, Shanghai 1992, S. 1305.
MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 334, angegeben. 245 l'!ianpu, unter dem 6.Jahr der Jiajing-Ära, Quanji,juan 35, Shanghai 1992, S. 1305.
239 Niaupa II, unter dem 15.Jahr der Zhengde-Ära, Quauji,jzum 34, Shanghai 1992, S. l 277f. 246 Ul,cr die Lokalis:1tion von Y:mtan !ltfi! siehe Ciyua11, Beijing 1979, S. 557.
240 Nianpu III, unter dem 2. und 3.Jahr der Jiajing-Ära (1523 und 1524), Shanghai 1992, S. 1287 und 247 Nianpu III, unter dem zehnten Mond ~es 6.Jahres der Jiajing-Ära, Quanji, Shanghai 1992, S. 1309.
1290. 248 Nianpu, unter dem 6.J:1hr derJiajing-1\ra, Shanghai 1992, S. 1308f.
241 Ebd., S. 1290. 249 Die damalige Präfektur Si'en gehört heute zum Verwaltungsgebiet von Nanning, während das west-
242 Nittnptt, unter dem 5.Jahr der Jiajing-Ära (I 526), Shanghai 1992, S. 1300. lich davon gelegene Tianzl1<>u (die damilige Präfekt urhauptstadt heifü heute Tianyang B3~) wm
243 Zu Wang Gen siehe Übelhör 1986. Verwaltungsgebiet von Baise s -€s:lt!! !@: gehört.
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konnten. 250 Es war wohl, wie auch sein Vorgehen im südlichen J iangxi von 151 7/18 Wuzhou und Kanton fahren werde und dann in den unmittelbar vor dem Übergang
zeigte, ein allgemeines Prinzip von Wang Yangmings politischer Konfliktlösung, dass er zur Provinz Jiangxi liegenden Präfekturen Shaozhou filUN (dem heutigen Shaognan)
erst zum militärischen Angriff überging, wenn Verhandlungen zu keinem befriedigen- und Nanxiong ~tl den kaiserlichen Befehl abwarten werde. 256 Er hielt sich dann, trotz
den und nach seinem Urteil gerechten Resultat führten. So brachte er dann im Sommer seines Dranges heimzukehren, längere Zeit in Kanton auf und unternahm von dort aus
1528 die «Acht befestigten Dörfer» (ba zhai )\~), die nördlich der damaligen Kreisstadt einen Ausflug in den etwa siebzig Kilometer entfernten Kreis Zengcheng ±t~, um das
Shanglin J:.;J$ (in der Mitte zwischen den heutigen Städten Pingguo SJZ-~ und Tiandong Heimathaus seines abwesenden Freundes Zhan Ruoshui und den Tempel seines Ah-
83:~) im Süden der Präfektur Tianzhou lagen und die weiterhin von Aufständischen nen Wang Gang 3: M zu bcsuchen. 257 Dieser war dort am Anfang der Ming-Dynastie
der Yao besetzt gehalten wurden, militärisch unter Kontrolle. 251 Er führte politische in einer ähnlichen Mission wie derjenigen YVang Yangmings von Aufstiindischen des
und soziale Reformen durch, urn die Gründe der Widerstände zu beseitigen. Er er- Miao-Volkes hingerichtet worden. In Kanton empfing er auch seinen Freund Huang
richtete Schulen in den Präfekturen Si' en und Tianzhou 252 und im Sommer 15 28 auch Zuo 'ii {ti. (1490-15 66), der ihm, besorgt über seinen Zustand, riet, nach Hause zu-
eine in der Präfektur Nanning. 253 Er schrieb in einer Eingabe an den Thron, dass ein rückzukehren, was Wang Yangming bejahte. 258 Dies zeigt, dass Wang Y·mgming sehr
dauerhafter Friede in den Gebieten der nichtchinesischen Ureinwohner nur durch bemüht war, vor dem Verlassen seines Amtsgebietes dafür die kaiserliche Erlaubnis
jeweils zwei Beamte, einen Chinesen und einen Ureinwohner, herbeigeführt werden zn erhalten, und dass er erst nach deren langem Ausbleiben - er hat nie eine Antwort
könne. «Die Aufgabe dieser Beamten ist es, der Bevölkerung eine gute Lebensweise bekommen - seinen Verstoß gegen das Gesetz in Kauf nahm. Nach seiner Abreise von
und die Bewässerung der Felder zu lehren. Die lokalen Regierungen müssen die Kanton scheint er in Shaoguan oder Nanxiong nicht mehr länger auf die kaiserliche
Eingeborenen rnit Saatgut, Vieh und Werkzeugen versehen, die später zusammen mit Antwort gewartet zu haben. Er überquerte am 5. Januar 1529 den Xiaomei-Pass zur
einem Drittel der Ernte zurückerstattet werden müssen. Es sind mehr Bauern nötig, ProvinzJi.mgxi und erreichte die Präfekturhauptstadt Nan'an ~:i:i:J& (heute: Dayu) im
um das Land zu bewirtschaften, und mehr Händler für den Austausch der Waren. Südwesten dieser Provinz. Dort nahm er wieder das Schiff, um auf dem Zhang-Fluss
Aber es sollen möglichst wenig Steuern erhoben werden, damit das Volk seinen tra- und dann von Ganzhou an auf dem Gan-Fluss abwärts nach Norden zu fahren. In der
ditionellen Kult ausüben, herumreisen und seinen Lebenskosten genügen kann.» 254 <<Lebenschronik» steht: «Als er [in Nan'an] das Schiff bestiegen hatte, besuchte ihn
Während dieser äußerst strapaziösen Reisen und rnilitiirischen Kampagnen ver- sein Schüler und Untersnclnmgsrichter (wiguan :tl'fil) Zhou Ji ~ ~. 259 Der Lehrer
schlechterte sich Wang Yangmings Gesundheit stetig, so dass er schließlich getragen lYangmingJ richtete sich auf und hustete unaufhörlich. I ,angsam sprach er: <Wie waren
werden musste. Seine Lungenkrankheit, an der er schon seit jungen Jahren litt, war in letzter Zeit Ihre Fortschritte im Lernen?> [Zhou] Ji wies auf seine Regierungsge-
durch die subtropische Hitze akut geworden. Zudem litt er an Durchfall und geschwol- schäfte und fragte darauf nach der unzerstörbaren Grundwirklichkeit (dao ti bu yang ~
lenen Füßen. 255 Nach dem erfolgreichen Abschluss seines politisch-militärischen Auf- MFf~). Der Lehrer antwortete: <Ich bin todkrank; was nicht stirbt, ist die ursprüngli-
trages ersuchte er um Entlassung aus dem Dienst und reiste sofort in Richtung seiner che Kraft des I ,ebens (wei si zhe yuan qi ye *;91;::j\f ji;~ t!I.).» 260
Heimat, ohne aber vorerst sein Amtsgebiet (die Provinzen Gnangxi und Gu:mgdong) Im «Lebenslauf,, (Xingzhui!i1g) seines Freundes Huang Wan steht über seinen
zu verlassen. In seinem Schreiben an den Thron, das auf den 22. Oktober 1528 ,datiert Tod Folgendes: «Am 29. Tag [des elften Mondes= 9.Januar 1529] erreichte er den
ist, begründet er sein Gesuch mit seiner schweren Krankheit. Er schreibt unter ande- Kreis Nankang ~~ [zwischen Nan'an und Ganzhou]. Er lag im Sterben. Der Haus-
rem, dass er nach Nanning zurückgetragen wurde und nun im Schiff liege, dass er nach diener fragte ihn, ob er noch einen Auftrag habe. Er antwortete: <Ich denke an nichts
anderes als daran, cbss ich im Lernen meines J,ehens eben erst einiges eingesehen
habe und es nun nicht zusammen mit den Leuten unserer Gemeinschaft (wu dang~
250 Nianpu, unter dem 7.Jahr der Jiajing-Ära, Shanghai 1992, S. 1312. lt) vollenden kann. Das ist traurig!> Darauf verschied er.»261
251 A.a.O, S. 1318. Im Ming-Dynastie-Band des achtbändigen historischen Atlas Chinas (Beijing 1982)
sind in der Provinz Guangxi die «Acht befestigten Dörfer» (ba zhai /\•) nicht angegeben, wohl aber
In der «Lebenschronik» steht über seine letzten Stunden: «Am 28. Tag des elften
ist im Osten der an1;rcnzenden Provinz Yunnan ein Ort Nmncns Bazhai J\:l\!, vermerkt. Es ist aber Mondes des Jahres yi mao (8.Januar 1529) legte sein Schiff abends an. Er fragte: <Was
nicht dokumentiert, cbss sich Wang Yangmings Kampag·nen bis nach Y11nnan ausgedehnt hiitten. Das
,,.Croße Wörterbuch der alten und heutigen geographischen Namen Chinas» (/,hongguo gujin diming
da cidian, Taiwan, 6. J\nllage 1982) führt auf S. 18, Spalte 4 unter «ba zh11i )\:l\!,» alle «Acht befestigten
Dörfer» einzeln an, lokalisiert sie am oben angegebenen Ort und bringt sie ausdrücklich mit Wang 256 Das Schreiben ist enthalten in Quanji, juan 15, Shanghai 1992, S. 522-524. Es ist datiert auf den
Yangmings Feldzug in Verbindung. .. 10. Tag des zehnten Mondes des 7.Jahres der Jiajing-Ara. Auszüge davon befinden sich in der «Le-
252 Nianpu, unter dem 7.Jahr der Jiajing-Ara (1528), Quanji,juan 35, Shanghai 1992, S. 1315. benschronik».
253 Ebd., S. 1316. 257 Siehe «LebenschroniL», unter dem zehnten Mond des 7. Jahres der Jiajing-Ära, Qwmji, jurm 35,
254 Zitiert nach Wing-tsit ( :hans Artikel über Wang Shourcn, 0MB, S. 1415. Sh,rnghai 1992, S. 1323; zu Wang C,mg ,gl. Tu Wciming 1976, S. 14.
255 \Nang Yangming berichtet selbst iiber sein Leiden wegen der Hitze und seine Krankheit in seinem 258 Siehe Wu Zhen: Xi11i1111 1522-1 Wl, Sh,rnghai 2003, S. 421'.
Brief an ChenJinchuan vom Sommer 1528, Quanji,juan 6, Shanghai 1992, S. 222f., in seinem Brief 259 Über ZhouJi ist mir sonst nichts bekannt.
an He Tingren von Ende 1528, a.a.O., S. 225, und in seinem Brief an Nie Bao von 1528, Chuanxi 260 Nianpu III, Quanji,juan 35, Shanghai 1992, S. 1324.
lu II, Nr. 185, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 82 (zitiert unten, S. 212,Anm. 89). 261 Yangming xiansheng xingzhang, Quanji,juan 38, Shanghai 1992, S. 1428.
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ist das für ein Ort?> Sein Diener antwortete: <Qinglongpu ~'/¾Um (<Laden [Schiffasta- noch erhalten. 267 «Über tausend seiner Schüler nahmen an der Beerdigung teil. Sie
tion] des blaugrünen Drachen>).> 262 Am nächsten Morgen ließ er lseinen Schüler Zhou trngen Hanfkleider und verwitterte Strohsandalen. Sie begleiteten den eingesargten
jj!;]J Ji fl hereinkommen. Nach einiger Zeit öffnete er die Augen, sah ihn an und sagte: Leichnam und weinten. Diejenigen, die aus allen Gegenden gekommen waren, um
<Ich gehe nun> (wo qu yi ~:t;~). [Zhou] Ji brach in Tränen aus und fragte: <Welch zuzuschauen, vergossen 'lhinen.» 268 Wang Gen war zur Beerdigung vom clrcihunclcrt
letztes Wort hinterlassen Sie uns?> Der Lehrer lächelte und antwortete: <Mein lierz Kilometer entfernten T'lizhou 21' 9 , Zou Shouyi vorn ebenfalls dreihundert Kilometer
leuchtet hell, was gibt es noch zu sagen! (ci .xin guang ming, yi.fit he yan Jl:t,t,,~aJJ#,m entfernten Nanking angereist. 270 Zh,m Ruoshui verfasste einen Nachruf in Form einer
Unmittelbar darauf schloss er die Augen und verschied, es war arn 29. 'lag './,ur langen «Grabesinschrift» (M112..hinzing JH;Mt), 271 und der andere Bundesgenosse im
Stunde des Drachen [9. Januar 1529, tnorgcns zwischen sieben und neun UhrJ.» 263 «Lernen», IIuang Wan, schrieb einen «Lebenslauf» (Xingzhwmp), aus dem wir schon
Wang Yangming st,u·b init sechsundfünfzig Jahren. 1nchrmals zitiert haben.
Sein Leichnam wurde in Richtung Shaoxing gefahren. Seine Schüler und Ver- Nach seinem rfbd wurde \Nang Ymgming von offizieller Seite nicht, wie es beim
walter der Yangrning-Akade1nic in Sh,wxing, Qian Dehong und Wang Ji, hatten am 'Iod verdienter Beamter üblich war, geehrt, sondern es wurden ihm alle früher verlie-
19. 'H1g des zwölften Mondes (29. Januar 1529) den Qiantang-Fluss bei Ilangzhou henen Ehrentitel und erblichen Privilegien abgesprochen, unter dem Vorwurf, dass er
überquert, um nach Peking zu reisen und dort im Frühling die höchsten Staatsprü- seine Dienststelle in Guangxi und Guangdong ohne kaiserliche Erlaubnis verlassen,
fungen abzulegen, die nur alle drei Jahre ein Mal stattfanden. Drei 'fogc spiitcr, ,1lso die 'Ihidition nicht respektiert, sondern falsche Lehren verbreitet und die Aufstiindi-
dreiundzwanzig' fage nach Wang Yangmings Sterben, das sich etwa tausend Kilometer schen nicht richtig behandelt habe.1 Iintcr dieser Bestrafung st,md fülch der allgemei-
von ihnen entfernt ereignet hatte, vernahmen sie von eincn1 Reisenden aus der Provinz nen Meinung der sehr ein f1ussreichc Minister des Amtes für das Staatspersonal und
Cuangdong, et.iss sich ihr Lehrer wegen Erkrankung auf dem Weg nach Ilause befinde. ( ;roßsekretär Gui F i1 :g: (?-15 _l 1), der vVang Yangming feindlich gesinnt war; nach
Am selben' U1g hörten sie auch das Gerücht, dass er schon gestorben sei. Sie eilten zur anderer l\1cinung eines Zeitgenossen war es der Kaiser selbst, der ihm wegen seines
niichstcn Station der Postkuriere und vernahmen dort in der Nacht die Bestätigung mit nicht autorisierten Verlasscns seiner Dienststelle ,,ürntc. 27 ' Wang Yimgmings Freund
der gcmucn Angabe des 'fodestagcs. 21,4 Darauf kehrten sie unvcr'.1,iiglich mn, um dem und Schüler, llmmg \Van, setzte sich in einem Brief an Gui E, mit dem er befreundet
,foten in Richtung der ProvinzJiangxi entgegenzufahren. In der von Zhejiang her ersten war, für ihn ein, aber ohne Frfolg.27'1 Fr n:1hm auch dadurch Partei fiir ihn, dass er seine
Priifektur Jiangxis, Guangxin ~1~/ff (heute Shangrao), stießen sie auf den T,cichenzug 'Tbchtcr mit dc111 leiblichen Sohn von \V,rng Yangming, Zhengyi, vcrlobtc. 275 Dieser
und vcranst,1lteten dort am 3. 'lag des ersten Mondes des Jahres yi chou (l l. Fcbrnar
1529) eine 'li·aucrfcicr. ()ian Dchong versandte 'lbdesanzeigen an die Mitschüler mit
der Bitte, Aufzeichnungen über den Unterricht und Briefe des Lehrers zu sa111111eln. 265 der scll,si auch ein großer Ki lligraph w,ir, lic·trachtele ihn als ihren Vorfahren. Y:mgrnings Wahl seines
1\111 'Dig gcnp, wu des zweiten Mondes (13. Miirz 1529) kam dcrThmcrwg in Shaoxing Bcgr,ilmisortcs h:itigt viclkieht mit dicsc111 Vorfahren zuscmllncn. Der llinwcis, dass das Cr:ih heim
an. Am 11. 'lag des elften Mondes (11. Dezember 15 29), annähernd ein Jahr nach sei- Dorf «Gaocun [es isl wohl <las Dod~ <las heule lluajic hcifüj <lcs llong-ßachs» liegt, lindct sich in
Huang Wans Yangming xiansheng xingzhuang, Quanji,juan 38, Shanghai 1992, S. 14 30.
nem Tod, wurde Wang Yangming dreißig li (fünfzehn Kilometer) südwestlich der Stadt 267 Es wurde 1988/89 mit Unterstützung von japanischen Gelehrten nach seiner alten Form wieder auf-
Shaoxing am Fuße des Xianxia-Berges if~lll nördlich des Hong-Bachs ~J~ bestattet. gebaut. Ich habe es am 23. September 2004 besucht. Seine Lage ist wunderbar: Man blickt von ihm in
«Der Lehrer (Yangming) hatte diesen Ort noch selbst gewählt.»266 Das Grab ist heute südlicher Richtung auf die Ebene des Hang-Bachs, die ganz von Bergen umschlossen ist. Um zu ihm
zu gelangen, muss man mit dem öffentlichen Bus vom Lanting («Orchideenpavillon») drei Stationen
(ca. 2,5 km) nach Süden bis zum DorfHuajie :/j!;ffi fahren, dann in der Richtung des Busses nach etwa
zehn Meter links auf eine kleine Straße abbiegen, über eine Brücke den Hang-Bach überqueren, bei der
262 Entspricht dem heutigen Chijiangcun #5I# bei Qinglongzhen wliUJ, etwa fünfzehn Kilometer nächsten Straßenverzweigung nach rechts gehen, nach etwa dreihundert Meter links durch ein großes
flussabwärts von Dayu, am linken (nördlichen) Ufer des Zhang-Flusses. Tor einbiegen, über dem geschrieben steht: Shaoxing Lanting xian:x:ia shanzhurmg f,t,l !ll!il"W:1ill HlhlJ ITT:. Nach
263 Nianpu, Quanji,juan 35, Shanghai 1992, S. 1324. Unweit vom Ort seines Todes steht seit 1994 ein etwa hundertfünfzig Meter stößt man linkerhand auf das Grab, das vom Fuß des Berges zwischen Pinien
Pavillon mit einer Gedächtnisstele. Sie wurde auflnitiative von japanischen Gelehrten errichtet. Die und anderen Bäumen etwa dreißig Meter aufsteigt. Es steht unter Denkmalschutz der Provinz Zhejiang.
Inschrift auf der Stele wurde vom japanischen Gelehrten Okada Tekehiko l1ill B3 m;~ kalligraphiert und Es scheint nicht oft besucht zu werden und machte bei meinem Besuch einen etwas verwahrlosten Ein-
lautet: «Wang Yangming xiansheng luo xing chu :=r:~a)l $t:l:E~~~» (Ort, an dem der Stern des Lehrers druck. Die Ahnenhalle (ci lüi), die östlich davon liegt, war leer und verschlossen und begann zu verfallen.
Wang Yangming unterging). 268 Nianpu III, unter dem 8.Jahr der Jiajing-Ära, elfter Mond(= Ende 1529 oder Anfang 1530), Quanji,
264 Diese genauen Zeitangaben macht Qian Dehong in seiner Benachrichtigung an seine Mitschüler über juan 35, Shanghai 1935, S. 1327.
den Tod des Lehrers: siehe Quanji,juan 38, Shanghai 1992, S. 1444. 269 U0ng Xinzhai quanji, «Lebenschronik» (Nianpu), unter dem 8. Jahr der Jiajing-Ära (15 29), japanische
265 Nianpu III, unter dem 8. Jahr derJiajing-Ära, erster Mond (Anfang 1929), Quanji,juan 35, Shanghai 1992, Ausgabe von 1846 (taiwanesischer Abdruck),juan 1, S. Sb (S. 28).
S. 1325. Das Schreiben Qian Dehongs ist erhalten in Quanji,juan 38, Shanghai 1992, S. 1444--1446. 270 MRXA, S. 13106.
266 Nianpu III, unter dem 8.Jahr der Jiajing-Ära, elfter Mond(= Ende 1529 oder Anfang 1530), Quanji, 271 Siehe Quanji,juan 38, Shanghai 1992, S. 1400-1406.
juan 35, Shanghai 1992, S. 1327. Qian Dehong bemerkt im Nianpu an dieser Stelle noch, dass das 2 72 Zu Gui E siehe oben den Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 40.
Grab fünf li (2,5 km) vom lan ting i!iii~ («Orchideenpavillon») entfernt liege. Das «Orchideenpavil- 273 Siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 44.
lon» liegt fünfundzwanzig li südwestlich von Shaoxing und war ein Aufenthaltsort des berühmten 274 Siehe Nianpu, unter dem 8.Jahr der Jiajing-Ära, Quanji,juan 35, Shanghai 1992, S. 1225-1227.
Kalligraphen Wang Xizhi (321-379). Wang Xizhi war auch General. Die Familie Wang Yangmings, 275 Siehe den Artikel über Huang Wan, DMB, S. 674a.
108 109

war damals drei Jahre alt. Obschon Wang Yangmings Lehre offiziell geächtet wurde, von Person zu Person oder den Brief als Mittel eines persönlichen Gespräches in der
übte sein Denken nach seinem 'Iod einen ungeheuren Einfluss aus. Seine Schüler räumlichen Dist,mz. Xu Ai, einer der ersten bedeutenden Schüler Yangrnings und der
verbreiteten es weiter. Über den Sinn der Lehre vom «ursprünglichen Wissens» früheste bekannte Protokollant von Gesprächen mit ihm, berichtet, dass Yangming
und seiner <<Verwirklichung» waren sie sich aber nicht einig und haben sie wei terent- über seine Aufzeichnungen nicht erfreut war und gesagt habe: «Die Heiligen und
wickelt. Erst achtunddreißig Jahre nach seinem Tod wurde Wang Yangming unter dem Weisen belehrten die Menschen so, wie Ärzte Arzneien gebrauchen. Sie prüfen jeweils
nächsten Kaiser, der 1567 bis 1572 unter der Devise «longqing» regierte, rehabilitiert. [bei den Kranken] das Volle und das Leere, das Warme und das Kalte, das Yin und das
Seit 1584 wurde er durch Opfer im Konfuzins-'lempel geehrt, eine Ehre, die nur vier Yang, das Innere und das Äußere und vermehren oder vermindern [um so das Gleich-
Personen aus der Zeit der Ming-Dynastie zuteil wurde, unter ihnen seit demselben gewicht wiederherzustellen]. Das Wichtige besteht darin, die Krankheit zu vertreiben,
Jahr auch dem Lehrer von Zhan Ruoshui, Chen Xianchang (Beiname: Baisha). und es gibt von Anfang an keine feste Lehre (zhu wu ding shuo *JJ1!!UE'.~). Wenn man
sich [gegenüber den verschiedenen Krankheiten] an ein Rezept festklammert, bringt
§ 2 Wang Yangmings Haltung gegenüber der Veröffentlichung man oft einen Menschen um. Ich steche, schneide, schleife nun bei meinen Schülern
seiner Lehre und unsere Verlegenheit, seine Lehre systematisch entsprechend ihren Verdunkelungen und Einseitigkeiten; sobald ich eine Besserung
bewirke, sind meine Worte schon überflüssig geworden. Wenn man nun in der Folge
zu betrachten
an ihnen festhält und daraus eine fertige Lehre macht (wei cheng xun ~PX~il), wird
Wang Yangming hat sehr wenig über Philosophie veröffentlicht. 1518 gab er den man später sich selbst und andere in die Irre führen. Wie könnte ich mich von einer
«Alten Text des Daxue» (Daxuc gu ben) heraus, 276 dessen wichtiges von ihm verfasstes solchen Verfehlung und Schuld loskaufen 1» 2s 1
Vorwort in zwei Fassungen erhalten ist, 277 und «Zhu Xis endgültige Lehre der späten Wang Yangming behielt diese Abneigung oder zumindest ein Misstrauen gegen-
Jahre» (Zhuzi wan nian dinp; !un), 278 deren von Wang Yangming verfasstes Vorwort über der schriftlichen Fixierung und Verbreitung seiner Aussagen bis in seine späte
1572 von seinem Schüler Qian Dehong ans Ende des Chuanxi lu gestellt wurde. 1520 Zeit: Als um 1526 Zou Shouyi, der damals Beamter in Guangde ~~ (im Süden des
schrieb er ein Vorwort zu der von einem Verwandten und Freund herausgegebenen direkten Verwaltungsgebietes von Nanking, heute in der ProvinzAnhui) war, 285 eine
Neuedition von Wu Chengs ~ J:i (1249~1333) «Zusammengestellten Worten zum Schriftensammlung von WangYangming publizieren wollte, stemmte sich dieser lange
<Hueb der Sitte»> (Liji zuan yan m!_"/ßjj;~) 279 und ein solches zu einer Neuausgabe dagegen und gab erst nach langem Bitten von Zou und von Qian Dchong nach. Die
der «Gesammelten Schriften» von Lu Jiuyuan. 280 Außer diesen kleinen' lexten sind Gründe, die Yangming nach dem Bericht von Qian Dehong gegen diese Publikation
mir sonst keine eigenen philosophischen Veröffentlichungen von Wang Yangming vorbrachte, waren einerseits wiederum der Vorteil des Eingehens auf die individuelle
bekannt. Trotzdem besteht sein philosophisches Werk heute aus einigen hundert Situation des Schülers im mündlichen Gespräch, andererseits aber auch die Gefahr
I)ruckseiten. der Ablenkung von der eigenen ethischen ,<Anstrengung» durch das Interesse an der
Dies wurde vor allem dadurch möglich, dass seine Schüler und Freunde Gesprä- allgemeinen Lehre uncl den allgemeinen Gedanken eines nicht auf die eigene persön-
che mit ihm aufzeichneten, und dadurch, dass er mit Schülern und anderen Personen liche Situation bezogenen öffentlichen Textes. Er soll gesagt haben: « Wenn man vom
einen reichen philosophischen Briefwechsel führte. Er verfasste auch einige kleine [ethischen] Lernen spricht, muss man von Angesicht zu Angesicht unterrichten. Nur
philosophische Texte wie die oben erwähnten «Gedanken zu den Fünf Klassikern» dann versteht man, worin die Zweifel des Schülers bestehen, und kann zur richtigen
(W'u_jingyi shuo)2 81 , und er schrieb Gedichte philosophischen lnhalts. 282 Weiter gibt Zeit das Oberflächliche und das Tiefe [in seinem I,ernen] zur Sprache bringen. Sobald
es eine von Qian Dehong verfasste Nachschrift einer sehr wichtigen Vorlesung über man aufs Papier und an den Pinsel gcriit, kann man kaum einem Zehntel oder Fünftel
das «Lernen der Großen», die «Fragen zum Daxue» (Daxue wen). 283 auf den Grund gehen.» 286 «In dem, was ich will (yi si ~,\!!-), stütze ich mich auf die
Wang Yangming widerstrebte es, seine philosophischen Gedanken für einen [konfuzianischen] Weisen und glaube daran, ohne zu zweifeln. Ich muss es von Mund
allgemeinen GebraHch schriftlich Zll fixieren, er bevorzugte das miindliche Gespr:ich zu Mund weitergeben lind unter Gleichgesinnten (tong zhi~~) verbreiten, so geht
vielleicht davon nichts verloren. Fs niederschreiben ist eine spiitere Sorge (yi ri shi
~EI$); man soll es nur tun, wenn es nicht anders geht (bi bu de yi, nm hou wei ci &f1'1~
276 Siehe oben in dieser Einleitung den§ 1, S. 87.
277 In der ursprünglichen Fassung von 1518 in Quanji,juan 32, Shanghai 1992, S. 1197; in einer ergänzten
Fassung von 1523 in Quanji,juan 7, Shanghai 1992, S. 142.
278 Siehe oben in der Biographie, S. 88. 284 VorwortvonXu ;\i zu sciner«Urfornk des Chuanxi ln. Dieses Vorwort steht in den älteren Ausgaben
279 Siehe Quanji,juan 7, Shanghai 1992, S. 243f. d<.;r "Cesammeltcn \Vcrke» Wang Yrngrnings ganz ,im J\11fong; in der von uns verwendeten Ausgabe
280 Siehe oben in der Einleitung den§ 1, Abschnitt b), S. 81. vo11 1992 (Shangh,1i) im 41.juan, S. l'i(,7.
281 Siehe oben in der Biographie, S. 73. 285 Siehe den Artikel über Zou Shouyi von Julia Ching, DMB, S. 1310.
282 Zum Beispiel das oben in der Biographie auf S. 61 und S. 67 erwähnte Gedicht. 286 «Bericht über den Druck der Schriftensammlung» (Ke wenlu xushuo), datiert 1535, Quanji,juan 41,
283 In Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 967-974. Shanghai 1992,S. 1574.
11 0 111

B~fi#t!Jlt).»287 Die Furcht vor der Ablenkung durch die bloß allgemeine gedankliche «Fragen zum Daxue>> (TJaxue wen) die Grundlage von Y,·mgmings Lehrtätigkeit in
Bedeutung eines von einem bestimmten Gesprächspartner abgelösten veröffentlich- Shaoxing während der Jahre 1522 bis 1527 bildete, und schreibt: «Schüler baten
ten Textes drückte er folgendermaßen aus: «Die Bildung in unserer Gemeinschaft: ihn, sie niederzuschreiben und daraus eine Schrift machen zu dürfen. Er aber sagte:
(wu dang xue wen ~lt~X) hat glücklicherweise eine Richtlinie (tou nao ffl!i:ßliil). Man <Das müssen Sie sich mündlich weitergeben. "\Venn man es in einer Schrift festhält,
muss mit ihr den Dingen bis auf den Grund gehen und wirklich etwas zu erreichen veranlasst 1mm die Leute, es als einen '[ext (wen z;i >1.:$!) zu betrachten, den man an-
streben. Ich fürchte, dass man mit allen komplizierten und üppigen schriftlichen schaut, aber ohne daraus [für die ethische Selbstverwirklichung! Nutzen zu ziehen.>
Texten (ßm wen mi htto ~3z~jif) nur die Augen und Ohren der Leute blendet. Man Als er im achten Mond des 6.Jahres dcrJiajing-Ära [{)ktobcr l527J in1 Begriffe war,
braucht sie nicht zu vcröffentlichen.» 288 Wang "½mgming beruft sich in dieser ableh- zur Bckiimpfong der Aufsüinde nach Si'en und Tianzhou fin der Provinz Guangxi]
nenden Haltung gegenüber dem Ansinnen von Zou Shouyi und Qian Dehong auch aufznbrechen, 294 baten ihn die Schüler erneut darum. Da erlaubte es der Lehrer.» 295
auf.Konfuzius: Als dieser die «Sechs Klassikcr» 289 ordnete und mit ErkHirungen vers:1h, Als er ein gutes Jahr vor seinem 'Tbd von seinen Schülern wegzog, wohl mit dem
habe er sich zum Beispiel beim «Klassiker der Dokumente» (Sht~jing) kurz gehalten. Bewusstsein, vielleicht nicht rnehr znriickzukchren, hat er einer Publikation seiner
Der Grund davon sei, dass sein Herz nicht auf 'lcxte ausgerichtet war (yi wen ci wei mündlichen V<wtriige ,.ngestimrnt, weil es «nicht anders ging (lnt de yi 1°'1~B)».
xin J.,:),.)(~f.i?!'G'), sondern auf die «FrheUnng des Dao (des richtigen Weges)». «Der Diese Llaltung gegenüber der Publibition der eigenen Lehre sagt sehr viel über
Wille unserer Gemeinschaft (wu dang ~lt) liegt bei der Erhellung des Dao. Wenn Yangmings An ,.u «philosophieren>,. Es ging ihm dabei nicht darum, eine systema-
die I lochschiitzung von Texten unser Flcrz bewegt (yi ai xi wen zi wei xin J.-::J,.~fä>l:r tische 'fheoric :1ls Selbstzweck zu konstruieren und dieses Gedankengebilde seinen
#tJiC,,), können wir nicht in das Dao von Yao und Shun290 eintreten.» 291 Schülern ,ils Lehre zu übermitteln, sondern darum, sein eigenes Leben zu einem
Schließlich willigte er aber damals doch in eine Publikation ein. Zuvor hatte er «heiligen» zu machen und ,1ls Lehrer und Erzieher auch seinen Schülern auf dem
die ihm von Zou Shonyi vorgelegten Schriften (Briefe und andere) mit Zeitangaben Weg zu diesem pr,1ktischcn Ziel behilflich w sein. Die Prüfung seiner Schüler be-
versehen und sie Qian Dchong zur entsprechenden chronologischen Anordnung über- st:md fiir ihn nicht darin, sie über ein 1.Vissen ,1bzufragcn, sondern in der Kontrolle,
geben. Er verfügte dazu schriftlich: «Was gedruckt wird, soll nach Jahren und Monaten ob sie in ihrem I ,ehcn und I landein Fortschritte in Richtung zu jenem praktischen
angeordnet werden. Dass nicht [wie bei den aufgezeichneten Gcspriichen Zhu XisJ nach Ziel gemacht hatten. Sein Bedenken gegenüber der Publikation seiner Lehre wurzelt
thc1natischcn Gesichtspunkten (ti fci Rffi) unterschieden wird, hat seinen Grund darin, in dieser Grundhaltung: In veröffentlichten 'lextcn verliert sie ihren Zusammenhang
dass unsere Aufgabe im Unterrichten des iethischcnJ Lernens und in der Erhellung mit der konkreten praktischen Situation der einzelnen Menschen, aus der sie stammt,
des Dao und nicht im schriftlichen Systern (wen ci ti zhi :st~RlJ3ll) bcsteht.» 292 Und er und hat die '!enden,., zum Cegcnst:md eines blof~ theoretischen Interesses zu werden.
sagte nach der I ,cktiirc des Druckes seinen Schülern: «Diese Ausgabe ist chronolo- Man bleibt an den Texten h:ingen und vergisst, dass d,1s in ihnen Gesagte ursprünglich
gisch angeordnet und soll die Lernenden spiitcrer Generationen wissen lassen, dass hloß Mittel einer ethischen Pr,1xis war. \V.mg, Yanomin()'
L b b
lehrte auch nicht nur durch
das geistige Niveau, das ich im Lauf meines Lebens erreicht habe, unterschiedlich war Worte, sondern ebenso sehr durch seine ganze Persönlichkeit und sein Handeln; sei-
(wusuoxue qian hou jin yi bu tong ~)'Jf~filjffj:IU~7f fi5J).» 293 Wang Yangmingverstand also ne Schüler folgten nicht nur dem Unterricht seiner Rede, sondern auch demjenigen
seine Aussagen als Ausdrücke von Erfahrungen in seinem Lernprozess und somit als seines Handelns. Es ist auffallend, dass seine Schüler nicht nur bei ihm waren, wenn
geschichtlicher Natur. Ein Motiv zur Zustimmung zum Druck seiner Schriften scheint er lehrend sprach, sondern auch als er zum Beispiel 1519 die Rebellion des Fürsten
der Gedanke gewesen zu sein, dass dadurch diese Erfahrungsgeschichte dokumentiert von Ning niederschlug. Zou Shouyi und Ji Yuanheng, die ihn damals begleiteten,
werden könne und seine in verschiedenen Stadien dieser Geschichte gemachten und wollten von ihm wohl nicht nur die Technik politischen und militärischen Vorgehens,
von Schülern festgehaltenen Aussagen nicht zu einem überzeitlichen Gedankensystem sondern vor allem lernen, wie man in solchen schwierigen Situationen leben soll, das
kombiniert würden. heißt, wie man sein «ursprüngliches Wissen verwirklichen» kann. Das oben illustrierte
Auch für das Ende seiner Lehrtätigkeit haben wir ein Zeugnis über Wang Verhältnis Wang Yangmings zur Lehre hat geschichtliche Wurzeln: Der Vergleich der
Yangmings Haltung zur Publikation: Qian Dehong berichtet, dass der Inhalt der lehrenden Aussagen mit Heilmitteln, die den einzelnen Krankheitsfällen angepasst
sein müssen und deren Wert im jeweiligen therapeutischen Nutzen besteht, stammt
aus dem Buddhismus. Eine Lehre ist in dieser Perspektive ein «praktisches Mittel»
287 Ebd. (sanskrit: upaya; chinesisch: fang bian ti-lf), das, nachdem es seinen Dienst am Pati-
288 A.a.O., S. 1573.
289 Zu deu «Fünf» bzw. «Sechs Klassikern» siehe oben in der allgemeinen Einleitung, § 3, Abschnitt b). enten erfüllt hat, nicht mehr gebraucht wird und nicht festgehalten werden soll; eine
290 Nach den Konfuzianern ideale Herrscher des hohen Altertums.
291 Quanji,juan 41, Shanghai 1992, S. 1574.
292 A.a.O., S. 1573f. Die Aufzeichnungen von Zirn Xis Gesprächen waren nach thematischen Gesichts-
punkten geordnet worden: Zhuzi yu lei *-rillt!l\11, 140 juan. 294 Siehe oben in der Biographie, S. 103.
293 Quanji,juan 41, Shanghai 1992, S. 1574. 295 Im Nachwort Qian Dehongs zum Daxue wen, Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 973.
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Lehre darf nicht verabsolutiert werden. Nicht nur der Buddhismus, sondern auch ~erschiedenenAu~sagen über das «ursprünglic~e Wissen», dessen «Verwirklichung»,
die daoistische Tradition betont die Relativität der begrifflichen Aussagen, indem sie uber das menschliche «Herz» und dessen «Wissen», dessen Begierden, Willen usw.
darauf hinweist, dass die tiefste Wahrheit nicht in Begriffen zu fassen, sondern nur miteinander zu vergleichen und zu verbinden und zu versuchen, zwischen ihren Ge-
in einer richtigen Lebensweise zu erreichen ist. Dieses Gedankengut ist auch in den danken einen gewissen systematischen Zusammenhang zu erkennen. Und tatsächlich
Konfuzianismus eingedrungen, besonders seit dem dritten Jahrhundert durch Wang sind diese Aussagen nicht widersprüchlich, paradox, unvereinbar, sondern hängen in
Bi. Wang Yangming sagt etwa in dieser' fradition: «Je mehr die ethische Anstrengung ihrer Bedeutung zusammen. Doch vermögen solche Zusammenhänge das Individu-
ins Wesentliche vorgestoßen ist (yong gong dao jing chzt ffl J1J f~ffi.11K), umso weniger fin- elle, Situationsgebundene von Wang Yangmings Rede und auch die dabei wirksame
det man Worte, und umso schwieriger werden begriffliche Argumente (shzto li yzt nan Ausstrahlung seiner individuellen Persönlichkeit nicht einzufangen.
~l!Il.}ID(:ft). Wenn man sich in diesem feinen und verborgenen Bereich auf Gedanken 2. Bei allen Versuchen, in Wang Ymgmings Denken inhaltlich-systematische
fixiert (zhuo yi zai jing wei shang ~~ttffiil.l.), wird die ganze ethische Anstrengung ~usamrnenhiinge zu entdecken, ist immer im Auge zu behalten, dass seine Aussagen
(gongfu l:$(~) verdunkelt und bleibt stecken.»296 Die eigentlichen Argumente in diesem m der Geschichte seiner eigenen praktischen Erfahrung entstanden sind, dass seine
Bereich, durch die man letztlich «Rechenschaft gibt», sind nicht vVorte, sondern die Ansichten sich veränderten und von ihren zeitlichen D<1ten nicht gelöst werden kön-
nen. Wang Yangmings Forderung, die Herausgabe seiner Texte historisch und nicht
eigene gute Lebensweise.
Diese Haltung Wang Yangmings gegenüber seinen philosophischen Aussagen (systematisch) nach Themen zu ordnen, entspricht dem Charakter seines Denkens, das
macht natürlich den vorliegenden Versuch, seine Aussagen über die «Verwirklichung sukzessive aus der Geschichte der eigenen ethischen «Selbstverwirklichung» schöpft.
des ursprünglichen Wissens» in einen verstehbaren, mehr oder weniger systematischen Dies gilt übrigens nicht nur für d,1s Denken vVang Ymgmings, sondern auch für das-
Zusammenhang zu bringen und darin in ihrer Bedeutung zu erfassen, fragwürdig. Als jenige seiner Schüler, insofern diese einen etl1ischen Werdensprozess durchmachten
ich mich im Juni 1997 an der Universität Peking (Beijing daxue) aufhielt, diskutierte und in ihrem Denken kontinuierlich darauf reflektierten.
mein langjähriger Lehrer, Professor Lou Yulie m"'F}/!~, damals Leiter des dortigen 3. Um die Richtigkeit bzw. Falschheit von Wang Yangmings Gedanken einzu-
Institutes für chinesische Philosophie, mit mir dieses Problem. Er wies mich darauf sehen, müssen wir sie auf unser eigenes «Herz», auf unsere eigenen Erfahrungen
hin, dass man unter dem Einfluss verschiedener Ansiitze der westlichen Philosophie von diesem, <las heißt auf das eigene Bewusstsein unseres Erlebens beziehen und sie
versucht habe, gewisse Richtungen der chinesischen Philosophie zu systematischen auch auf uns möglichst deutliche Begriffe bringen. Das heißt nicht, dass wir Wang
Theorien umzuformen: Zum Beispiel versuchte Xiong Shili ~ JJ (1885-1968), + Yrngmings Gedanken in ein eigenes vorgefasstes philosophisches System pressen
von Henri Bergsons Philosophie des Lebens her die neukonfuzianische Kosmologie sollen, doch müssen wir versuchen, die von -V.Tang Ymgming mitgeteilten Erfahnm-
und Geisteslehre zu interpretieren; Mou Zongsan .$ *-=
(1909-1995) verstand vom gen ~ber das menschliche «Herz» durch Reflexion auf entsprechende Erfahrungen
des eigenen «Herzens» und durch angemessene begriffliche Unterscheidungen und
Gesichtspunkt der kantischen Vernunfttheorie die neukonfozianische Geisteslehre,
nnd He Lin j1/_ li (l 902-1992) vom Gesichtspunkt der hegelschen Philosophie. Aber Verbindungen in ihrem wahren Gehalt zu erfassen. Wenn ich in diesem Zusammen-
er frage sich, ob solche systematischen Versuche dem situationshezogenen und the- hang von «phiinomenologischen» Begriffen spreche, meine ich nicht Begriffe einer
rapeutischen Charakter des chinesischen Philosophierens gerecht werden könnten. bestimmten philosophischen Schule oder eines hestimmten philosophischen Systems,
Er hatte mit dieser Problematisierung implizit auch meine eigenen Ansätze im Auge, sondern Begriffe, die ihre Bedeutnng in cler Reflexion auf die Phänomene des eigenen
mit Begriffen der phänomenologischen Bewusstseinsanalyse Wang Yangmings Lehre Bewusstseins (<<Herzens, Geistes») und deren Beschreibung gewinnen. Ich habe clie
vom «ursprünglichen Wissen» besser zu verstehen, von denen ich ihm zuvor einige Erfahrung gemacht, dass die phänomenologische Sichtweise und Fragestellung mit
Wang Yangmings Lehre vom «1-Ierzen (Geist)», die eine Lehre über das ethische
Muster zugeschickt hatte.
Bewusstsein ist, kommunizieren und von ihr lernen kann.
Zu dieser Problematik möchte ich hier Folgendes sagen: 4. Ein bloß theoretisches Verstärnlnis von \\Tang Ymgmings Lehre verfälscht
1. Wang Yangming spricht heute nicht mehr als lebende Persönlichkeit in un- diese nicht notwendig, aber kann von ihr nur etwas Abstraktes, Einseitiges erfassen.
sere individuelle praktische Situation, er gibt uns keine individuellen Rezepte mehr, Ihren vollen Sinn hatte sie in ihrem ursprünglichen Milieu der ethischen Praxis, und
sondern spricht nur noch durch die Vielzahl seiner veröffentlichten Texte. Wenn diesen Sinn können auch wir nur in einer solchen Praxis wiedergewinnen. Qian De-
wir ihre Bedeutung erkennen wollen, müssen wir sie miteinander vergleichen, the- hon g schrieb in seinem N:1chwort der von ihm 1556 herausgegebenen «Fortsetzung
matisch verbinden und ordnen. Wenn wir seine Lehre von der «Verwirklichung des des Chuanxi lzt>> (spätervcröffentlid1t als dritter Teil des Chuanxi lu): «Die Anweisung
ursprünglichen Wissens» verstehen wollen, können wir gar nicht anders, als seine des Lehrers von der <Venvirklichm1g des fursprünglichen] Wissens in der Berichti-
gung der Handlungen> wies diejenigen :m, die zum [ethischenl Lernen kamen. Diese
praktizierten selber (f{ong xiu !ß~J), verstanden dabei stillschweigend und wagten
nicht, durch bloß theoretische Erklärungen [diese Anweisung] aufzunehmen (bu gan
296 Chuanxi lu III, Nr. 309, Quanji, Shanghai 1992, S. 115.
114 115

yi zhi jie eh eng 1"il~J.-:·JJ,□ /W.:if<), sondern erreichten [deren Sinnl nur in der persönlichen 1527 veröffentlichte Zou Shouyi in Guangde /l~ im damaligen direkten Ver-
praktischen Erfahrung (wei yi shi ti de t!EJ.-:;J.Jtll:!Hi).» 297 waltungsgebiet von Nanking (heute in der Provinz Anhui) eine Sammlung von Schrif-
Als Anhang gebe ich noch einige Informationen iiber die Entstehung der wich- ten Wang Yangmings; sie umfasste vier Alben (ce -fffi). 303 Es ist die Veröffentlichung,
tigsten Sammlung von philosophischen Texten Wang Yangmings, des Chuanxi tu, deren Entstehen Qian Dehong in seinem auf das Frühjahr 1535 datierten «Bericht
sowie über die Entstehung seiner «Gesammelten Werke». über den Druck der Schriftensammlung» (Ke wcnlu xushuo) schildert und als den
«heutigen Druck von Guangde» (;jin z;hi Gurmgde lmn ~;z/l{lt&) bezeichnet. 304 Die-
Anhang zur Einleitung von Teil 1: Die Geschichte der Veröffentlichung ser Druck wird in chinesischen oder westlichen Studien über Wang Y·mgming sehr
der Quellentexte von Wang Yangmings Philosophie selten erwiihnt.rns Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass davon keine Exemplare
mehr hekmmt sind und dass er vollstiinclig in die Schriftensammlung aufgegangen
Xu Ai stellte seine Aufzeichnungen der Gespräche, die er mit Wang V:·111gming ist, die Qian Dehong 15 35 in Suzhou veröffentlichte (siehe unten). Nach dessen
1512/13 führte, unter den Titel Chuanxi tu 1'~~ («Aufzeichnungen zum Üben des Auskunft hatte schon der Druck von Guangcle die Einteilung in eine «Hauptsamm-
[vom Lehrer] Übermittelten»). 298 Dieser Titel ist eine Anspielung auf eine Aussage lung» (V/lcn lu zhengji :Z~IE~) und einen «Anhang» (Fu lu llft6½R), welcher aus einer
des Konfuzius-Schülers Zengzi, der sich täglich 1nit der Fn1ge prüfte: «Habe ich die «Äußeren Sammlung» (1½1i ji >Hl) und «Anderen Aufzeichnungen» (Bie lu .8~~)
ühcrrnittelte Lehre geübt oder nicht?» 299 Dieser Titel war vielleicht eine Rechtfcr- bestand, eine Einteilung, der Qian Dchongs Druck von 1535 folgte.i 06 Qian Dehong
tigrmg seines von Yangming nicht gern gesehenen Aufzeichnens der Cespriiche. 300 bc1nerkt in seincrn «Bericht>> von 153 5 auch, cbss der Lehrer damals (1527) «einen
Nachdem X u Ai im Sommer 1517 gestorben war, veröffentlichte ein anderer Schüler Drittel der heutigen iv1anuskriptc zu sich nahm, sie mit Zeitangaben versah und
Yangmings, Xue Kan aus der Provinz Guangdong (?-1545), diese Aufzeichnungen zu- sie ihm znr Anordnung übcrgab».rn 7 Daraus darf man vielleicht schließen, dass der
sammen mit solchen eines weiteren Schülers, Lu Cheng (Yuanjing) aus der Präfektur «Guangde-Druck» von 1527 etwa einen Drittel der Ausgabe von 1535 umfasste.
l luzhou (Provinz Zhejiang), und mit seinen eigenen in Canzhou (ProvinzJiangxi) un- Der «Anhang» (Fu lu) n;1hrn ahcr einen vcrhiiltnismäßig viel geringeren Raum ein,
ter dem Titel, den Xu Ai gcwiihlt hatte: Chuanxi tu. Diese Veröffentlichung von 1518 denn er bestand nur aus einem Buch (jurm), 3u~ wiihrend er in der Ausgabe von 1535
entspricht dem ersten der drei rreilc des heute unter diesem 'l 'itel bclrnnntcn Werkes. siebzehn Bücher hat.
Wohl 1526 gab der Präfekt von Shaoxing und Schüler lSmgmings, Nan Daji Unmittelbar nach dem 'liJd von \Vang Y:1ng111ing (Januar 1529) begann Qian
(1487-1541), das Chuanxi tunen heraus und fügte dem Text von 1518 acht Briefe Dehong unter den Schülern Yangrnings in verschiedenen Provinzen Manuskripte
l';1ngmings an verschiedene Adressaten aus den Jahren 1520 bis 1526 hinzu.rn 1 ln des Lehrers zn sammelnrn'! und gab sie 1535 in Suzhou als «Sammlung von Schriften
einer Newrnsgabe des Chuanxi tu, wohl um 1536, ließ Qian Dchong zwei von diesen des Lehrers Yangming,> (Yangming :rirlllshc11g wrn !11) in vierundzwanzig «Büchern»
acht 8riefcn weg (diejenigen an Xu Chcngzhi über die Differenzen zwischen Zlrn Xi (jurm) hcraus.llll Diese Samrn lung wurde J 550 in Shaoxing und 1557 in der'fianzhen-
w1d Lujiuyuan 302 ) und fügte dafür einen zweiten Brief an Nie ßao von 1528 sowie
zwei kurze Texte Yangmings über Erziehung hinzu. In dieser Veränderung entspricht
dieser «Briefteil» des Chuanxi tu seinem heute vorliegenden zweiten Teil. Die ersten 303 Nianpu, unter dem vierten Mond des 6. Jahres der Jiajing-Ära (1527), Quanji, Shanghai 1992,
beiden Fassungen des Chuanxi lu, diejenigen von 1518 und 15 26, erschienen also noch s. 1304f.
304 Quanji,juan 41, Shanghai 19992, S. 1574.
zu Lebzeiten Wang Yangmings. 305 Auch Wmg-tsit Chan erwähnt in seinem DMB-Artikel über Wang Shouren diesen Druck nicht, und
in einer zusätzlichen Anmerkung des Herausgebers, L. Carrington Goodrich, steht, dass die erste
Sammlung von Wang Yangmings Schriften 1536 erschien (S. 1416), was aufgrund der Angaben von
297 Am Ende des dritten Teils des Chuanxi tu, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 126. Qian Dehong nicht stimmen kann.
298 Für die Entstehung des Chuanxi tu halte ich mich im Wesentlichen an die Angaben von Wing-tsit 306 Qua1yi,juan 41, Shanghai 1992, S. 1574.
Chan am Schluss seiner englischen Übersetzung dieses Werkes: lnstructions, S. 314f. 307 Ebd., S. 1573.
299 Lu1ryu («Gespräche des Konfuzius»), 1. Buch, 4. Kap. 308 Siehe Nianpu, unter dem vierten Mond des 6.Jahres der Jiajing-Ära (1527), Quanji, Shanghai 1992,
300 Siehe oben, S. 109. s. 1305.
301 Das Erscheinungsjahr dieser zweiten Ausgabe des Chuanxi tu ist unsicher, meistens wird sie auf das 309 Qumyi,juan41,Shanghai 1992,S.1574.
Jahr 1524 datiert, da das dazugehörige Vorwort von Nan Daji die entsprechende Jahreszahl führt 310 SieheNianpufitluunterdem 14.Jahr derJiajing-Ära (= 1535), Qua1yi,juan 36, Shanghai 1992, S. 1331.
(<<Jiajing, 3.Jahr, Winter, zehnter Mond, 18. Tag», was dem 14. November 1524 entspricht) und da Nach L. Carrington Goodrichs Anmerkung in Wing-tsit Chans Artikel über Wang Shouren, DMB,
auch im Nianpu diese Publikation unter dem Jahr 1524 steht (Quanji, Shanghai 1992, S. 1292). Doch S. 1416, trug diese Ausgabe den Titel: «Nachlass des verstorbenen Lehrers Yangming» (Yangming
enthält diese Ausgabe einen Brief an Gu Dongqiao, der nach dem Nianpu erst 1525 geschrieben wur- xiansheng cun gao #ffl) und hatte ein Vorwort von Huang Wan. Die Texte der damaligen Zeit be-
de, einen Brief an Zhou Datong, der jenen Brief an Gu Dongqiao voraussetzt, also jünger sein muss, ziehen sich aber auf diese Ausgabe unter dem Titel Wen lu. Vielleicht war «Nachlass» der Titel der
und schließlich einen Brief an Nie Bao, der nach dem Nianpu erst 1526 Wang Yangming besuchte und Sammlung vor ihrer Publikation. Huang Wan schreibt in seinem Vorwort über diese Publikation:
aus inhaltlichen Gründen diesen BriefYangmings erst nach diesem Besuch erhalten haben kann. «Als von ihm [seil. Wang Yangming] erhaltene [Publikationen] gibt es nur das Wen tu [von 1527],
302 Diese zwei Briefe hat Qian Dehong damals in seine Sammlung von Schriften Yangmings (Wentu) das Chuanxi lu und die <Sammlung aus der Zeit des Aufenthaltes bei den Barbaren> (Ju yi ji /lll ~~)
aufgenommen. und nichts anderes. Das Übrige ist wohl verlorengegangen, und es haben sich beim Abschreiben
116
117

Akademie bei Hangzhou neu gedrucktrn und 1572 in die «Gesammelten Schriften» Berichten an den Thron und öffentlichen Bekanntmachungen aus zehn Büchern. 314
(siehe unten) aufgenommen. Qian Dehong schreibt in seinem Vorwort zur ersten Dieser Edition von 1535 entsprechen im Wesentlichen die «Bücher» (juan) vier bis
Ausgabe: «Die I ,eute dieser Zeit, die an die Worte des Lehrers [Yangming] glauben fünfundzwanzig der «Gesammelten Werke» von 1572 (siehe unten). Diese Edition
und sie befolgen, werden täglich zahlreicher. Aber seine Schriften, die in der Welt von 1572 stellt aber die zehn Bücher der «Anderen Aufzeichnungen» (Eie lu) mit den
zirkulieren, enthalten manchmal Meinungen aus seinen jungen Jahren. Ich befürch- politischen und administrativen Texten vor die «Äußere Sammlung» (Wai ji) mit den
tete, dass die Leute, die später seine Lehre in Verwirrung bringen, ihren Ausgang Gedichten usw., sie gab also offenbar jenen mehr Gewicht als diesen, und ihre «Äu-
bei Worten des Lehrers selbst nehmen könnten. Deshalb habe ich die noch nicht ßere Sammlung» enthält nicht neun, sondern nur noch sieben Bücher (juan). Das ist
endgültigen Meinungen seiner jungen Jahre vollständig weggelassen. Ich habe [die vielleicht dadurch zu erklären, dass in der «Äußeren Sammlung» von ] 535 auch noch
Schriften] im Zusammenhang genau gelesen und alles geprüft, und die Worte, die die schon vorher veröffentlichten zwei Bücher des Chuanxi lu aufgenommen waren, 315
das eine Wichtige (zhi yi ~-) erreichen, ergaben fünf Bücher (juan). Das Übrige die in der Edition von 1572 an deren Anfang stehen. Nach dem Inhalt dieser Bücher
sind entweder Äußerungen in Gedichten oder in politischen Geschäften, und so vier bis fünfundzwanzig der Gesamtausgabe von 1572 zu schließen, enthielten in der
habe ich sie als <Äußere Sammlung> (Wai ji) und <Andere Aufzeichnungen> (Eie lu) Ausgabe von 1535 die fiinfjucm der «HauptsJmmlung» Briefe aus den Jahren 1509
angeordnet. Und ich habe sie auch in eine chronologische Folge gebracht.» 312 Jene bis 1528 (drei juan) sowie Vorworte, GecLichtnisschriften, Erklärungen und Verschie-
«fünf Bücher» (juan), die das Wen lu ausmachen, waren also nach Qian Dehong der denes aus de~ Jahren 1507 bis 1527 (zweijuan); die «Äußere Sammlung» enthielt
wichtigste Teil seiner Ausgabe von 1535. Zou Shouyi, der 1527 die Ausgabe von wahrscheinlich zwei Bücher (juan) mit Gedichten aus den Jahren 1496 bis 1527,
Cuangde ediert und (vielleicht noch unter Anleitung des «Lehrers»?) dieselbe Drei- ein Buch mit Briefen aus den Jahren 1503 bis 1528 und sechs Bücher mit Vorreden,
teilung in <<Hauptsammlung», «Äußere Sammlung» und «Andere Aufzeichnungen» Gedächtnisschriften, Erkliirungen und Gr.1hschriften aus den Jahren 1502 bis 1528;
(die beiden Letzten zusammen als «Anhang» /Fu lu]) gewählt hatte, charakterisiert und die «Anderen Aufzeichnungen» enthielten sieben Bücher mit Berichten an den
diese Dreiteilung in seinem Vorwort zur neuen Ausgabe (1535) von Qian Dehong Thron von 1499 bis 1528 und drei Bücher mit öffentlichen Bekanntmachungen aus
folgendermaßen: «Qian Dehong hat die Schriftensammlung des verstorbenen Leh- denJahren 1517 bis 1528.
rers in Suzhou drucken lassen und er berichtet selbst über den Sinn ihrer Anordnung: 1556, zw:mzig Jahre nach seiner Veriiffentlichung der «Schriftensmnmlung»,
Seine Aussagen, die rein das [ethische] Lernen und die Erhellung des D:10 (richtigen gab Qian Dehong weitere /\uf,,eichnungen von Gespriichen mit Wang Yangming
vVeges) betreffen, machen die <llauptsammhmg> (Zheng lu IE~) aus, das heißt, die- heraus, unter dem Titel «Fortsetzung von /\11fzeichnungen für die Ülnmg des Über-
se erhellt seinen Willen (ming qi zhi B.,Ej ;1§);$); Gedichte und Zusprüche machen die mittelten» (Chuanxi xulu til~). Es sind Aufzeichnungen von wahrscheinlich sechs
<Äußere Sammlung> (Wai ji) aus, das heißt, diese bringt seine Vollständigkeit zum verschiedenen Protokollanten und betreffen Gespräche, die fast alle nach 1518 (das
Ausdruck (jin qi quan l'm;l§t±); Berichte an den 'l'hron und öffentliche Bekanntmachun- Jahr der ersten Publikation von Gespr:ichs:rnfzeichnungen) geführt wurden. Diese
gen machen die <Anderen Aufzeichnungen> (Eie lu) aus, das heißt, diese lassen seine «Fortsetzung» entspricht <lem dritten (let'.lten) Teil des heutigen Chuanxi lu (einjuan).
Auswirkung ergründen (jiu qi shi ~~~).» 313 Die «Hauptsammlung» dieser Edition In seinem Nachwort von 15 56 zu dieser «Fortsetzung» berichtet Qian Dehong über
mit den philosophischen Texten bestand, wie Qian Dehong in seinem oben zitierten ihre Entstehung das Folgende: Als er nach dem Tod Yangmings (1529) dessen Texte
Vorwort schrieb, aus fünf Büchern, die «Äußere Sammlung» mit den Gedichten (aber sammelte, hätten ihm einige seiner Schüler auch Notizen von Gesprächen zukom-
auch mit anderem) bestand aus nenn Büchern, und die «Andere Sa1nmlung» mit den men lassen. Er hahc solche ausgew;ihlt, die berichtigende Antworten des Lehrers auf
Fragen enthielten, habe sie mit eigenen Notizen von Gesprächen verbunden und,
als er in Suzhou war (1535), gleichzeitig mit den <<Gesammelten Schriften» drucken
Fehler eingeschlichen. 'fraurig hielt ich die Schriftrollen in den Händen. Was könnte edler sein als
diese Schriften! Und so habe ich sie zusammen mit 0uyang Chongyi [0uyang De], Qian Hongfu lassen wollen. Da er aber wegen des Todes seiner Mutter Suzhou verlassen musste,
(Qim1 Dchong] und Huang Zhengzhi [l luang Honggang 1492-1561, Schüler Yangmings aus der sei er nicht mehr da,,u gekommen, und in den darauffolgenden Jahren habe sich ein
Priifcktur Ganzhm1 in der Provinz Jiangxi] mit Hilfe von einigen Söhnen und Neffen geprüft und
redigiert unter dem 'Titel: <Nachlass des Lehrers Yangming> (,:an gao). Hongfu [Qian Dehong[ hat
sie dann nach Wu [Suzhou] mitgeno111men und zusammen mit Huang Mi,rnzhi [Huang Xingzeng
:1: 'il!i'~, Schüler Wang Yangmings aus Suzhou] noch einmal nach Arten geordnet unter den Titeln 314 Siehe L. Carrington Goodrichs Anmerkung in Wing-tsit Chans Artikel über Wang Shouren, DMB,
<Schriftensammlung> (Wen tu) und <Andere Sammlung> (Bie !11) und hat sie drucken lassen.» Q11anji, s. 1416.
juan41,Shanghai 1992,S.1582. 315 Das kann man annehmen, wenn folgende Bemerkung Qian Dehongs in seinem Vorwort von 15 54 zur
311 Siehe Qian Dehongs Vorwort von 15_72 zu denXupian, Qumzji,j11an 26, Shanghai 1992, S. 967; Nirmpu Ninggao-Ausgal ,c de„ Fortsetzung des C/1//anxi tu in diesem Sinne zu verstehen ist: «Das zweite Bu<:h
fu!u I unter dem 34.Jahr derJiajing-Ara (1555), Quanji,juan 36, Shanghai 1992, S. 1347, und datierte (jwm) des Chuam-i /11 sind alles Bricf,, des verstorbenen l ,chrcrs. Da sie der Ordnung nach l•:ingang m
Vorreden zu diesen beiden Ausgaben von 1550 und 1557, Quanji,juan 41, Shanghai 1992, S. l 592f. die Briefabteilung der ,Schriftensamnil ung> (Wen tu) fanden, habe ich Aussagen der Frage-i\ntwort-
und S, 1593-1595. Form aus der <Sammlung> herausgenommen, um das zweite Buch [des Cbuanxi tu] mit der von Nan
312 Yangming xianshengwentu xu, Quanji,juan 41, Shanghai 1992, S. 1571. Daji aufgezeichneten Briefsammlung zu ergänzen.» Quanji,juan 41, Shanghai 1992, S. 1584. Dieser
313 A.a.0,, S. 1568. ergänzende Text ist der zweite Brief an Nie Bao, nämlich derjenige von 1528 (siehe oben, S. 114).
118 119

solcher Druck erübrigt, da «die grundlegende Lehre unserer Schule klar war»316 • Im diese Publikation von Worten des Meisters die Einheit zwischen seinen Schülern
vergangenen Jahr aber habe das Mitglied der Schule Zeng Caihan ~ 7J'"ii diese Samm- wiederherzustellen. 1557 wurde diese «Fortsetzung» des Chuanxi lu als dritter Teil
lung von Aufzeichnungen zusammen mit weiteren Aufzeichnungen in der Präfektur zusammen mit den beiden zuerst 1518 und um 1525 erschienenen Teilen des Werkes
Jingzhou ~lml (in der heutigen Provinz Hubei) unter dem Titel «Nachgelassene in der Tianzhen-Akademie bei Hangzhou veröffentlicht; 324 damit lag zum ersten Mal
Worte» (Yi yan il ~) veröffentlicht. Er habe diesen Druck gelesen und gefunden, dieses berühmteste philosophische Werk Wang Yangmings in allen drei Teilen als
dass die «damalige Auswahl nicht wesentlich genug war, habe Wiederholungen und Gesamtdruck vor.
Beiwerk ausgeschieden, sie auf einen Drittel reduziert und sie unter dem Titel «Fort- Im Sommer 1563 vollendete Qian Dehong die «Lebenschronik» (Nianpu) von
setzung der Aufzeichnungen für die Übung des Übermittelten» (Chuanxi xulu) in der Wang Yangming, an der er seit 15 50 gearbeitet hatte. Die Entstehungsgeschichte die-
Präfektur Ningguo (in der heutigen ProvinzAnhui) erneut drucken lassen. Diese bei- ses bedeutenden Werkes haben wir schon am Anfang unserer Biographie über Wang
den Drucke wurden noch 1554 oder 1555 veröffentlicht; 317 die Druckplatten der Aus- Yangming skizziert (Einleitung zu Teil I, § 1, S. 49, Anm. 1). Es ist die wichtigste Quel-
gabe der Präfektur Ningguo wurden in der dortigen Shuixi-Akademie (Shuixi jing she le für Wang Yangmings Lebensgeschichte und enthält auch wichtige Angaben über
J./<.Wffi~) hergestellt. 318 Im Sommer des laufenden Jahres (1556) aber, berichtet Qian das Werden seines Denkens. 1572 wurde es mit «Anhängen», welche die Geschichte
weiter, habe Shen Siwei 5.:t ,'lt!.-tlt im Kreis Qizhou irfM (in der Präfektur Huangzhou der Schule Wang Yangmings nach dessen Tod von 1530 bis 1568 wiederum annalisch
iUM, in der heutigen Provinz Hubei an der Grenze zur ProvinzAnhui) ihn gebeten, festhalten, in WangYangmings «Sämtliche Werke» aufgenommen.
doch eine größere Sammlung jener Aufzeichnungen herauszugeben. Shen Siwei (Shen 1566 gab Qian Dehong in der Präfektur Jiaxing :SJI!, im Norden der Provinz
Chong B), der ein Schüler von Ouyang De und Wang Ji war319 und in diesem Jahr Zhejiang, unter dem Titel «Fortsetzende Stücke zur Sammlung der Schriften des
(1556) in Qizhou die Chongzheng-Akademie /lli\iEill!fi gründete,3 20 habe ihm gesagt, Lehrers Yangming» (Yangming xiansheng wen lu xu pian) eine Fortsetzung zur Schrif-
dass in Qizhou die Lehre Wang Yangmings noch unbekannt und eine erweiterte tensammlung von 153 5 heraus. 325 Sie enthält in sechs «Büchern» (juan) Aufzeichnun-
Neuausgabe jener Sammlung dort sehr nützlich sei. Er habe eingewilligt, erneut die gen philosophischer Vorlesungen, vor allen die «Fragen zum Daxue» (Daxue wen), die
zuvor weggelassenen Handschriften durchgesehen, die sich nicht widersprechenden «Gedanken zu den Fünf Klassikern» (Wu jingyi shuo Ji~!ljilt) aus der Zeit von Long-
Aussagen ausgewählt, das Übrige, dessen Eindruck nicht wahr oder das schon im chang, nicht datierte Briefe, Vorworte zu Werken anderer Personen, Widmungen und
Wen lu (von 1535) veröffentlicht sei, weggelassen, den mittleren Teil der erweiterten viele administrative Texte. Sie entspricht den Büchern (juan) sechsundzwanzig bis
Sammlung in Frage-Antwort-Form gebracht und das Ergebnis im Kreis Huangmei einunddreißig der Gesamtausgabe von 1572 (siehe unten). Diese Veröffentlichung von
itffi (in derselben Präfektur Huangzhou itfH wie der Kreis Qizhou) drucken lassen. 1566 enthält ein VorwortvonXuJie ~IIW (1503-1583), der damals der einflussreichste
Als Rechtfertigung dieser Drucklegung schreibt Qian Dehong: «Da die Schüler der drei Großsekretäre und somit der einflussreichste Beamte in China war. 326 Er war
[Yangmings] in verschiedene Richtungen laufen, verbreitet sich die Lehre unserer ein Schüler von Nie Bao, war mit Ouyang De befreundet gewesen und schreibt im
Schule nicht.» 321 Im selben Sinne berichtet er in seinem Vorwort von 1554 zur oben erwähnten Vorwort, dass er «oft von Hongfu [Qian Dehong] und Ruzhong [Wang
erwähnten Ausgabe von Ningguo über eine Versammlung von Gleichgesinnten im Ji] die Lehre des Meisters [Yangming] vernommen habe». 327 Das Vorwort einer so
Jahre 1553, in der überlegt wurde, wie die «alte Lehre (jiu xue IUl) [d.h. diejenige einflussreichen Persönlichkeit verlieh nicht nur dieser Veröffentlichung, sondern der
Wang Yangmings] festgelegt» werden könnte, und in der Teilnehmer die Meinung ganzen Schule Wang Yangmings großes Prestige.
äußerten, dass «nichts besser als das Chuanxi lu sei, um die Lernenden zu veranlassen, 1572 ließ Xie Tingjie ff ~- aus Xinjian ~jl (in der Präfektur Nanchang
zur Einheit zurückzukehren». 322 Wahrscheinlich hatte er mit diesen Begründun- der Provinz Jiangxi) die «Sämtlichen Schriften des Herrn Wang Wencheng» (Wang
gen der Veröffentlichung die großen Meinungsverschiedenheiten im Auge, die seit Wencheng gong quan shu ±){J5JH~½9) in achtunddreißig <<Büchern» (juan) drucken.
1550 in der Schule Wang Yangmings offensichtlich waren, 323 und versuchte, durch «Wencheng ){~» ist ein Ehrenname, der Wang Yangming 1567 postum verliehen
worden war. Xie Tingjie hatte 15 59 die höchsten Staatsprüfungen bestanden328 und

316 Ende des dritten Teils des Cbuanxi lu, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 126.
317 Das Vorwort Qian Dehongs zur Ausgabe von Ningguo ist auf das 33.Jahr der Jiajing-Ära (1554)
4,atiert; siehe Quanji,juan 41, Shanghai 1992, S. 1585. .
318 Uber die für die Schule Wang Yangmings sehr wichtige Shuixi-Akademie siehe in der Einleitung zu 324 Siehe Nianpu fulu I, unter dem 34.Jahr der Jiajing-Ära (15 55), Quanji,juan 36, Shanghai 1992, S. 1347;
Teil II den§ 9. siehe auch Wu Zhen: Xinian 1522-1602, a.a.O., S. 223; nach Wu Zhen findet sich eine Kopie dieser
319 lnstructirms, S. 262,Anm. 12. ersten alle drei Teile umfassenden Ausgabe des Chuanxi lu in der Bibliothek der Universität Tokio.
320 Nianpufulu, unter dem 35.Jahr der Jiajing-Ära (1556), Shanghai 1992, S. 1348. 325 Siehe Nianpu fulu, Quanji,juan 36, Shanghai 1992, S. 1352f.
321 Ende des dritten Teils des Cbuanxi tu, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 126. 326 Zu XuJie siehe oben den Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 43f.
322 Quanji,juan 41, Shanghai 1992, S. 1585. 327 Quanji,juan 41, Shanghai 1992, S. 1572.
323 Siehe unten, Teil II, Kap. 3-5. 328 Siehe DMB, S. 802b.

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betrachtete Wang Yangming als seinen Lehrer. 329 Auch diese Ausgabe enthält ein Vor- also vollständiger als diejenige von 1572. Doch auch sie ist noch nicht «vollständig»,
wort von Xu Jie. Dieser schreibt darin: «Im Jahre ren shen der Longqing-Ära [1572] denn in den letzten Jahren wurden noch einige weitere Texte von Wang Yangming
erhielt der begleitende Zensor Xie Xinjian fJr~ [Xie Tingjie] den Auftrag, [die Pro- gefunden, die in ihr nicht aufgenommen sind. Diese Ausgabe von 1992 hat außer den
vinz] Zhejiang zu inspizieren. Zuerst setzte er den Ahnentempel des Lehrers [Wang neu hinzugefügten Texten auch den großen Vorteil, dass sie moderne Interpunktionen
Wencheng in Shaoxing330] instand und richtete Felder für das jährliche Opfer ein. und graphische Kennzeichnungen der Orts- und Personennamen sowie der Buchtitel
Danach sah er die Schriften des Lehrers [Wang Wencheng] durch und stellte fest, dass enthält, was die Lektüre erleichtert.Auch Zitate (z.B. aus den konfuzianischen Klassi-
die Sammlungen seiner Texte in verschiedenen Veröffentlichungen zerstreut waren. kern) sind oft als solche gekennzeichnet, aber ohne Angaben der zitierten Werke und
Er fürchtete daher, dass die Anhänger der richtigen Lehre nicht imstande sein könn- manchmal fehlerhaft. Ich stütze mich in dieser Studie meistens auf diese Ausgabe. Eine
ten, sie vollständig zu studieren. So stellte er sie zusammen und bewahrte sie durch philologisch-kritische Ausgabe der Schriften Wang Yangmings bleibt ein Desiderat.
Druckplatten unter dem Titel <Sämtliche Schriften> (Quanshu ±ii). Er betraute mich
mit dem Vorwort.» 331 Diese Zusammenstellung enthält in den ersten einunddreißig
juan die oben erwähnten Veröffentlichungen des Chuanxi tu von 1535 und seiner
Fortsetzung von 1556, das Wen tu von 1535 und dessen Fortsetzung von 1566 und in
denjuan zweiunddreißig bis achtunddreißig Biographien über Wang Yangming (die
1563 vollendete «Lebenschronik», den «Lebenslauf» von Huang Wan), Ehrentitel,
Lobreden und andere Texte über Wang Yangming. Die drei Teile des Chuanxi tu
stellte Xie Tingjie an den Anfang dieser «Sämtlichen Werke» und fügte am Ende
des dritten Teils (im dritten juan) noch «Zhu Xis endgültige Lehre in seinen späten
Jahren» (Zhuzi wannian dinglun) hinzu, eine Schrift, die Wang Yangming 1518 in
Jiangxi veröffentlicht hatte. Diese Gesamtausgabe ist die klassische Ausgabe der Werke
Yangmings und wurde durch die Jahrhunderte bis heute immer wieder nachgedruckt.
1992 erschien in Shanghai eine erweiterte Neuausgabe dieser «Sämtlichen
Schriften» unter dem Titel «Wang Yangming Gesamtsammlung» (Wang Ytmgming
quanji ±~). Sie wurde von Wu Guang :!R-"c, Qian Ming •BJ.I, Dong Ping !fljL und
Yao Yanfu #J~}JJ;.ffl herausgegeben. Sie enthält einundvierzig «Bücher» (juan), also
drei «Bücher» mehr als die klassische Ausgabe von 1572: Als zweiunddreißigstes
Buch, am Ende der Texte von Wang Yangming selbst, wurden Aufzeichnungen von
Gesprächen, philosophische Texte und Gedichte Wang Yangmings eingeschoben, die
in der klassischen Ausgabe noch nicht zur Veröffentlichung kamen, zum Beispiel das
ursprüngliche Vorwort von 1518 zum «Alten Text des Daxue». Und als vierzigstes
und einundvierzigstes «Buch» (juan) wurden Widmungen an Wang Yangming und
Vor- und Nachworte zu verschiedenen Ausgaben von Wang Yangming bis in unser
Jahrhundert, also alles Texte, die nicht von Wang Yangming selbst stammen, ange-
hängt. Vor allem unter diesen Vor- und Nachworten finden sich mehrere Texte aus
den ersten Ausgaben, die in der Gesamtausgabe von 1572 keine Aufnahme fanden
und sowohl sachlich als auch historisch wichtig sind. Diese Ausgabe von 1992 ist

329 Siehe das Vorwort XuJies zu dieser Ausgabe, Quanji,juan 41, Shanghai 1992, S. 1566.
330 Dieser Ahnentempel (ci vil) wurde 1533 oder 1537, nach dem Tod Wang Yangmings, vom Vize-
gouverneur Zhou ~uyuan ~ ~J!l, einem Schüler Yangmings, errichtet: siehe Nianpu III, unter dem
4.Jahr derJiajing-Ara, Quanji, Shanghai 1992, S. 1297.
331 Quanji,juan4l,Shanghai 1992,S.1565.
122 123

Kapitel 1 einem einzigen Ausdruck die ganze Sache. Das macht mich glücklich.» 5 Aber offen-
sichtlich hatte Wang Yangming schon lange vor 1519/20 diesen Ausdruck gebraucht.
Wang Yangmings erster Begriff des «ursprünglichen Wissens»: Wenn wir genauer analysieren, in welchem Sinn Yangming diese beiden Wörter vor
die Anlage zum Guten («ursprüngliches Können») seiner neuen Einsicht von 1519/20 und in welchem Sinn er sie danach verwendet,
lassen sich diese scheinbaren Ungereimtheiten auflösen.

§ 1 Vorbemerkung zum Ausdruck «liang zhi ~9'□ »


Wir haben schon in der Einleitung zu diesem 'Icil darauf hingewiesen, dass nach und zu seiner Übersetzung durch «ursprüngliches Wissen»
Wang Yangmings wichtigstem Biographen, Qian ] )ehong, der sich ihm Ende 15 21
anschloss und sein treuester Schüler sowie der wichtigste Herausgeber seiner Schrif- Der Ausdruck «lirmg zhi &9'0>> ist in westlichen Übersetzungen von Texten Wang
ten wurde, WangYangming erst durch die Widrigkeiten der Jahre 1519/20 «die Leh- Yangrnings verschieden wiedergegeben worden. 6 \Vang Yangming gebraucht ihn in
re vom <ursprünglichen Wissen»> (liang zhi &9'□) entwickelte und die «Lehre von der ausdrücklicher Anknüpfung ,lll das Buch J\llengz.i. Die Verbindung der beiden Wör-
<Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> (zhi liang zhi l&&.9'□) erst 152 l bekannt ter «licmg ~» und «d1i 9;0» w «fiflng zhi &~□ » ist bei Mcngzi kein fester Ausdruck,
machte.» 1 Wir haben dabei aber auch schon bemerkt, dass Wang Y,mgming bereits sondern kommt bei ihm nur ein einziges Nfal vor, uncl zwar im frJlgcnden 'Jext: «Was
etliche Jahre früher vom «ursprünglichen Wissen» und dessen «Verwirklichung» der Mensch vermag (kann: ncng ~~), ohne zu lernen (bu :x:ue 1'~), ist sein gutes Ver-
sprach. D,ls ist vor allem durch die 1518 im Chuanxi lu veröffentlichten Aufzeich- mögen (gutes Können: /i{!ng neng &fl~); was er weiß (zhi 9'□), ohne zu überlegen (hu lü
nungen belegt, die Xn Ai von den Gesprächen machte, die er im Winter 15 l 2/13 ::r:JJI), ist sein gutes Wissen (limzg zhi &.9<0). Die Kleinkinder wissen (zhi 9'□) ihre Eltern
mit Wang Yangming führte und ans denen wir in unserer Einleitung bereits eine das zu lieben; wenn sie größer geworden sind, wissen (zhi 9'0) sie ihre iiltcren Brüder zn
«ursprüngliche Wissen» betreffende Stelle zitiert habcn. 2 Es ist aber auch durch den ehren. Die Eltern lieben ist lVIenschlichkeit (rcn 1=); die älteren Brüder ehren ist Cc--
anderen bedeutenden Biographen W,mg Yangmings, l luang Wan, der seit 15 l l mit rcchtigkeit (yi ~). Es ist nichts anderes zu tun, als sie ldas Lieben und Fhrcn] auf die
ihm in engem Kontakt war, belegt. Jlu,mg Wan schreibt, dass Wang Yangming «im ganze Welt auszudehnen .» 7 Wang Yangrning beruft sich sowohl in friihen 8 :ils auch in
Jahrjia .xu [15141, als er Minister des IIonglu--Klosters [d.h. Minister für Staatszere- späten 'lexten9 für seinen Begriff des ,<!irmg z.hi ~9;0» auf diese Stelle im Buch Mengzi.
monien in Nanking! wurde, besonders mit der Formel des <ursprünglichen Wissens> Bei Mcngzi selbst sind, wie ohen geschehen, die beiden Ausdrücke «liang neng ~~~»
die Lernenden zu unterrichten bcgann.» 3 Nach Qian Dchongs Berichten soll Yang- und «liang zhi ~9'□ » mit ,<gutem J(önnen>> und ,<gutem \Visscn» zn übersetzen, denn
ming auch gesagt haben, dass er lange vergeblich nach geeigneten Wörtern für seine «iiang ~» bedeutet anfonglich ,<gut>> oder einen hohen qualitativen Crad («sehr»).
um 1519/20 reifende neue Einsicht gesucht habe, bis er sie schließlich mit «liang zhi Fine Übersetzung durch «ursprüngliches Kiinncn» und «ursprüngliches Wissen»
&.9'□ » («ursprüngliches Wissen») ausdrückte. In der «Lebenschronik» steht unter wäre bei ihm selbst anachronistisch, denn diesen Sinn haben die beiden Ausdrücke
demJahr 1521: «Er [Wang Yangming] sagte: <Seit Neuem fühle ich, dass meine Lehre erst in ihrer Wirkungsgeschichte gewonnen. Mengzi qualifiziert ein Können, ohne zu
in nichts anderem als darin besteht, sie besteht nur in diesem Etwas; wenn man dieses
erfasst hat, bleibt nichts anderes mehr übrig.> Da die Dabeistehenden unermüdlich
danach verlangten, sagte er: <Doch dieses Etwas vermag ich nicht herauszugeben.>
Erst indem er jene Widerwärtigkeiten [von 1519/20] durchmachte, erlangte er die 5 Ke wenlu xushuo, Quanji,juan 41, Shanghai 1992, S. 1575.
Lehre vom <ursprünglichen Wissen>.»4 Und in seinem «Bericht über den Druck des 6 Derk Bodde gibt ihn in seiner Übersetzung von Fung Yu-lans History of Chinese Philosophy (1953)
mit «intuitive knowledge» wieder. Wing-tsit Chan übersetzt in seiner Übertragung des Chuanxi
Wen tu (<Gesammelte Schriften>)» von 1535 schreibt Qian Dehong: «Der Lehrer lu (1963) mit «innate knowledge». Julia Ching übersetzt ihn in ihrem To Acqztire Wisdom. The Way
sagte einmal: <Seit Longchang [1508/09] bin ich nicht über den Sinn der zwei Wörter of Wang Yang-ming (1976) mit «knowledge of the good». Tu Weiming wählt in Neo-Confucian
liang zhi hinausgegangen, aber ich vermochte nicht, diese zwei Wörter anzugeben, Thought in Action. Wang Yang--ming's Youth (1976) für diesen Ausdruck «intuitive knowledge (of the
good)». Wang Tch'ang-tche erklärt in seinem Werk La philosophie morale de Wang Yangming (193 6)
sondern habe im Gespräch mit den Lernenden viele [andere] Wörter verschwendet. «liang zhi ll!.;Jl» für unübersetzbar..Anne Cheng übersetzt ihn in ihrer Histoire de la pensee chinoise
Nun aber, wenn ich diesen Sinn [mit diesen zwei Wörtern] ausdrücke, erfasst man mit (1997) im Abschnitt über Wang Yangming mit «connaissance innee». Alfred Forke übersetzt ihn in
seiner Geschichte der neueren chinesischen Philosophie im Abschnitt über Wang Yangming manchmal
mit «angeborenes Wissen», manchmal mit «intuitives Wissen». Monika Übelhör gibt ihn in Die
neo-konfuzianische Philosophie (1979 und 1987) mit «Wissen um das Gute» wieder. Wolfgang Bauer
übersetzt ihn in seiner Geschichte der chinesischen Philosophie (2001) mit «angeborenes Wissen».
1 Siehe oben in der Einleitung, S. 94f. 7 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, 15. Kap.
2 Siehe oben in der Einleitung, S.78. 8 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil den§ 1, S. 78.
3 Yangming xirmsheng xingzhuang, Quanji,juan 38, Shanghai 1992, S. 1410. 9 Zum Beispiel im Brief an Ouyang De, Chuanxi ht II, Nr. 171, und im Daxue wen («Fragen zum
4 Nianpu, unter dem 16.Jahr der Zhengde-Ära (1521), Quanji, Shanghai 1992, S. 1279. Daxue»).
124 125

lernen, und ein Wissen, ohne zu überlegen, als «gutes Können>, und «gutes Wissen». § 2 Das «ursprüngliche Wissen» und seine «Verwirklichung»
In der Wirkungsgeschichte dieser Aussage hat sich die Bedeutung des Qualifizierten in Texten vor 1520
auf die Qualifikation «liang Bi» übertragen: «liang Bi» hat die Bedeutung von «ohne
In der Zeit vor 1520 gebraucht vVang Y.1ngming den Ausdruck «liang zhi Bi~» in
zu lernen und ohne zu übe;·legen» angenommen. Das «Können, ohne zu lernen» und
einem Sinn, der im Wesentlichen nicht über A1engzis Denken hinausgeht. Danach
das «Wissen, ohne zu überlegen» sind bei Mengzi, soweit man sehen kann, nicht ver-
wird sich dies ändern. Die Aussage, dass das Können, ohne zu lernen, das «gute Kön-
schiedene Dinge, sondern ein und dasselbe, und so wird es auch von Wang Yangming
nen» (lianf!; neng fJ!. ~~) und das \Vissen, ohne zu überlegen, das <<gute Wissen» (l~mzg zhi
verstanden. Das «ohne zu lernen» kann man, wie es meistens geschieht, mit «angebo-
Bi?:□) sei, ist bei Nlcngzi im Zusammenhang 111it seiner Lehre von den vier «Anfängen»
ren» wiedergeben; aber «angeboren» weist eine biologische Konnotation auf, die dem
oder «Keimen>> zu verstehen, die wir oben in § 4 der allgemeinen Einleitung umrissen
Ausdruck «liang zhi Bi~» bei Wang Yangming, besonders in seiner dritten Bedeutung
haben: Die vier menschlichen 'lhgenden ()vlenschlichkeit oder Güte, Gerechtigkeit,
als «eigentliches, ewiges Wesen des Geistes», fern ist. So ziehen wir «ursprünglich»
Jlöflichkeit und Weisheit) haben im menschlichen Herzen (Geist) natürliche «Anfän-
vor im Sinne von «nicht durch Lernen, nicht durch Erfahrung erworben». 10 Schon
ge» oder «Keime», zum Beispiel die Tbgend der Menschlichkeit oder Güte hat e'.nen
Zh~1 Xi, dessen Begrifflichkeit für Wang Yangming prägend war, verstand das «liang
ihrer natürlichen «Keime» in spontanen Regungen des Mitgefühls. Nach dem obigen
Bi» in Mengzis «limzg zhi Bi?:□ » als etw,1s Eigentliches, Ursprüngliches. 11 Das «ohne Zitat qualifiziert das ,<gute \Nissen» bestimmte «Anfange» derrihgcnden der Mensch-
zu überlegen» wurde in westlichen Übersetzungen von «liang zhi Bi?:□ » mit «intuitiv»
lichkeit und der Gerechtigkeit. Fs wird nun aber durch 1\/Iengzi selbst nahegelegt, alle
(im Gegensatz zu «diskursiv») wiedergegeben. Das ist zwar sinnvoll, aber das «ohne zu
Arten von «Anfangen,, der vier T\.1genden als «gutes \Vissen» zu qualifizieren, wie
überlegen» meint bei Mengzi und mich bei Wang Yangming nicht primiir da_s Intuitive
dies auch \Mrng Ymgming mit ,,lirmg zhi fl?:□ » tun wird. Denn Mengzi charakterisiert
(Anschauliche), sondern das Unmittelbare, das «Wissen», das nicht durch Uberlegen
die ganze natürliche Anlage zum Cuten im menschlichen Herzen (Geist), die_ «An-
von diesem und von jenen1 zustande kommt (z.B. die unmittelbare, spontane Re-
fange» aller vier Tugenden, auch als «gutes llcrz>>: lirmg xin ß'! 1i> 1'f. Diese «Anfänge»
aktion, wenn man ein Kind in einen Brunnenschacht fallen sieht). «Unmittelbares
(«Keime», «Ansiitzc») müssen nach Mengzi, wie wir in der allgemeinen Einleitung
\Vissen» wiire eine gute Wiedergabe von «liang zhi fl?:□ ». Um aber ans «ohne zu
dargestcilt haben, «ausgedehnt>> («entfaltet•>: lmo ~) und «zur Fülle gebracht werden»
lernen» zu erinnern, habe ich «ursprünglich» vorgezogen, zumal dieses Wort auch
(chong 1t,), um sich zu "fbgendcn zu entwickcln. 15 Oder, mit anderen W<>rten, das «g~1te
auf d,1s Unmittelbare hinzuweisen vermag. 12 Mit dieser Übersetzung scheint man rnir
Ilerz» (limzg .xin fl,[>) muss <<ausgeschiipfr werden» (jin ffii:), damit der Mensch seme
am besten in allen Kontexten Wang Yangmings durch,,ukommen, obschon in ihnen
ganze 'lbgend erlangen kann. 1''
«litmg zhi Bi?:□ » genüiß den von uns im Folgenden ,,u unterscheidenden Begriffen je
\;Vang Yangmings erster Begriff des «ursprünglichen \Vissens» lebt im Wesent-
nach Zusammenhang als «ursprüngliches Können» (erster Begriff), «ursprüngliches
lichen von diesen CccLmkcn !Vlcng,,is. ln jenem bereits in unserer Biographie (Einlei-
Bewusstsein» (zweiter Begriff) oder als «eigentliches Wesen des Herzens (Cei'.'_tes)»
tung zu 'kil 1, § 1) zitierten Ausschnitt eines wohl aus dem Winter 1512/13 stammen-
(dritter Begriff) zu interpretieren ist. Eine vertiefte Rechtfertigung unserer Ober-
den Gesprächs mitXuAi 17 sagt er, dass das «ursprüngliche Wissen» zum «eigentlichen
setzung als «ursprüngliches Wissen» wird sich ergeben, wenn wir ein Verständnis
Wesen» (ben ti *fll) des menschlichen Herzens (Geistes) gehöre, im Sinne, dass das
von Wang Yangmings drei verschiedenen Begriffen des «ursprünglichen Wissens»
«Herz» dieses Wissen aus sich selbst und nicht von außen habe, und führt für dieses
gewonnen haben werden. 13
<<Wissen» die aus dem Buch Mengzi stammenden Beispiele der spontanen Pietät
gegenüber den Eltern, der spontanen Ehrfurcht gegenüber den älteren Brüdern und
des spontanen Mitfühlens an. Wenn dieses «ursprüngliche Wissen» sich im Verhalten
frei auswirken könne und darin nicht durch eigensüchtige Absichten behindert werde
(zhang ai ~i!), sei die «Tugend der Menschlichkeit (Güte) unerschöpflich». Da nun
aber bei den gewöhnlichen Menschen (d.h. bei den Menschen, die nicht «heilige Men-
10 Man könnte diesen Gedanken auch mit «apriorisch» wiedergeben, aber das würde zu sehr den kan- schen» sind) eine solche Behinderung bestehe, müsse jenes «ursprüngliche Wissen»
tischen Kontext evozieren. durch die «Berichtigung der Handlungen» (ge wu t4l-Wl) «verwirklicht» (zhi 3i.lc) werden,
11 Er legt es in seinen «Erklärungen zu den Abschnitten und Sätzen der Vier Bücher» (Si shu zhangju
ji zhu) als etwas «eigentlich (ursprünglich) Gutes» (ben ran zhi shan ~?&z \@) aus. .
12 «Liang lll» bedeutet, wie gesagt, anfänglich «gut», und so könnte man natiirhch auch bei Wang Yang-
ming «liang neng lllml» und «liang zhi !ll~» mit «gutes Kö1111en» und «gutes Wissen» übersetzen,
jedoch nicht - wie Julia Ching, Tu Weiming und Monika Ubelhör - mit «Wissen um das Gute»,
denn nach Wang Yangming (und in sinnvoller Interpretation auch bei Mengzi) ist das «liang zhi 14 Mengzi, 8. Buch, 1. Teil, 8. Kap. Vgl. oben in der allgemeinen Einleitung den § 4, S. 27.
R~» nicht nur ein Wissen um das Gute, sondern auch ein (gutes = richtiges) Wissen um das mo- 15 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil 1, 6. Kap.
ralisch Schlechte. 16 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, 1. Kap.
13 Vgl. unten in diesem Teil I das Kap. 4. 17 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil den§ 1, S. 78.
126 127

wodurch auch der «Wille wahrhaftig» (yi cheng ~IDft) sei. 18 Die «Verwirklichung des schöpfen (jin ifi) des ursprünglichen Vi'issens» 25 , als «Pflegen und Nähren (pei yang :l{t
ursprünglichen Wissens» (zhi liang zhi ?&.&11::D), von der hier die Rede ist, bedeutet lt:) des ursprünglichen Wissens». 21' Diese Zitate stammen aus der Zeit nach 1520, sie
nach diesem Begriff des «ursprünglichen Wissens» sachlich nichts anderes als die entsprechen aber Ymgrnings erstem Begriff des «ursprünglichen Wissens», der sich
dem «eigentlichen (wahren) Wesen» (hen ti ;ljs;.Q) von <<(ursprünglichem) Wissen» auch nach der Einführung der neuen Begriffe noch halten wird.
und «Handeln» entsprechende Einheit von beiden, die Wang Yangming schon 1509 Ein weiterer Text aus dcn1 bereits 1518 erschienenen ersten Teil des Chuanxi lu
in Longchang zur Richtschnur seiner Lehre gemacht hatte. 19 ergänzt die soeben wiedergegebenen Ausführungen über das <<ursprüngliche Wis-
In den Gedanken der Behinderung des «ursprünglichen Wissens» durch die sen». Er knüpft in seiner Frage unmittelb,ir an diese an: «Wciqian tlt~ [Ji Yuanheng
selbstsüchtigen Begierden und der Beseitigung dieser Behinderung durch die «Berich- 5c~l2 7 fragte: ,Warum gehört das Wissen zum eigentlichen Wesen (ben ti 7.Js:lll)
tigung der Handlungen» geht Wang Y:mgming über Mengzi hinaus. Obschon auch des Herzens (Ceistes)?> 28 Der Lehrer [Yangming] antwortete: Das [ursprüngliche]
dieser lehrte, dass nur der Edle die gute Anlage seines Herzens bewahrt, während die Wissen ist der geisteskräfrigc 29 Ort des Ordnungsprinzips (li zhi ling chu l_!f!_~!!_~).
Menge der 1\tlcnschen sie aufgehen, 20 und dass «für das Niihren des [guten] Herzens Vom Gesichtspunkt des regierenden Subjekts (z.hu z.ai ::E *) spricht man vom <Herzen
(Geistes) nichts besser ist als die Venninderung der Begicrdcn» 2 t, findet sich bei ihm (Geist)>; vom Gesichtspunkt der Begabung (Veranlagung: hingfu ~llüt) spricht man
doch nicht der fondmnentale Cegcns,ttz von «ursprünglichem Wissen» und «egois- von ,Natur> (xing 11:). Das Kleinkind weiß (z.hi 1/;a) um die Liebe zu seinen Eltern, es
tischen (selbstsüchtigen) Begierden», den wir bei Wang Yangming antreffen. Dieser weiß (zhi 1/::□) um den Respekt gegenüber den iilteren Brüdern. Das ist nichts anderes
Gegcns,nz ist geschichtlich durch den G-egensatz zwischen «himmlischem Ord- als jenes gcistigkräfrige Können (!ing ncng ~~~).Wenn dieses [Wissen/Können] nicht
nungsprinzip» (tian li ;;ii::~) und «menschlichen Begierden» (ren yu J.. .filz) bedingt, der durch selbstsüchtige Wünsche verdeckt und gehindert (hu wei si yu zhe ge 1'~:fl.fil~
durch Konfuzianer der Song-Zeit, vor allem durch Chcng Yi und Zirn Xi im 11. und !Wi), sondern in seiner Fülle erschlossen wird (chong tlto JE=t:li), dann ist es vollendet;
12. Jahrhundert in kanonischer Anknüpfung an d,1s neunzehnte Kapitel des «Buches als vollendetes ist es sein eigentliches \Vescn (wan shi ta ben ti 3t:li!:ftg;:ijl:lll), dann ist
der Sitte>> (l,iji)2 2 hervorgehoben wurde. Auch im Buch f-luainanzi (2. Jh. v. Chr.), in <sein Charakter in Harmonie 111it I limmel und Erde., 30 Aber auf den Stufen unterhalb
das verschiedene, auch daoistische 'J}aditionen aufgenommen wurden, steht der Satz: derjenigen der heiligen Menschen gibt es immer Verdcckungen (hi Mi). Deshalb muss
«Begierden und Wünsche sind Behinderungen der menschlichen Natur» (shi yu zhe man seine <lLmdlungen berichtigen> c~-c W/1 :ffi-tm), um sein <Wissen zu verwirklichen>
,xinp, zhi leiye ~filiftt;z~-t±i.).23 Für Wang Yangming ist das «ursprüngliche Wissen» (zhi zhi !&9'□).» 11 Wang Yangming setzt hier also «ursprüngliches Wissen» (liang zhi
ein reiner psychischer Ausdruck des «himmlischen Ordnungsprinzips». In der Idee ~9'D) und «ursprüngliches Können>> (!iang'llmg ~~~), von denen Mcngzi an der zitier-
der ,<Verwirklichung des Wissens» durch die «Berichtigung der lfandlungen» verbin- ten Stclle 32 spricht («ursprüngliches Kiinncn» als das, was man kann, ohne zu lernen;
det Wang Ymgming das «ursprüngliche Wissen» Mengzis mit Worten des Dffxzte, und «ursprüngliches \Visscn» als das, was man weiß, ohne ,,u überlegen) einander gleich,
zwar in der Weise, cbss er dem «Wissen», von dem im Daxue in der «Verwirklichung was durchaus auch im Sinne von iVIengzi liegt. Fr sieht hier also das «ursprüngliche
des Wissens» (zhi zhi ?&1/;a) die Rede ist, in origineller und persönlicher Weise den Wissen» als ein «ursprüngliches Können» oder als ein ursprüngliches Vermögen, als
Sinn des «ursprünglichen (guten) Wissens» von Mengzi gibt. Entsprechend kann er eine natürliche Anlage zum Guten. Statt, wie wir oben übersetzten, zu sagen: «das
auch die «Verwirklichung» (zhi ?&) dieses «Wissens» mit Worten charakterisieren, Kleinkind weiß seine Eltern zu lieben» etc., kann man sinngemäß und dem Sprach-
die aus dem Kontext der Entfaltung der «Anfänge» der Tugenden bei Mengzi stam-
men: Er erklärt dieses «Verwirklichen» als «Erweitern und zur Fülle Bringen des
ursprünglichen Wissens bis zum Äußersten» (kuo chong dao di lllJEI~ß:) 24 , als «Aus- 25 Chuanxi tu II, Brief an Zhou Daotong, Nr. 147, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 59; Chuanxi tu III,
Nr. 260, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 104; a.a.O., Nr. 291, S. 111.
26 Chuanxi tu III, Nr. 293, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 112.
27 Es ist der Schüler Wang Yangmings aus der heutigen Provinz Hunan, den dieser im Juli oder in
den ersten Augusttagen 1519 zum rebellierenden Prinzen von Ning schickte und der seine Kontakte
mit diesem Prinzen mit seinem Leben bezahlte: siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil den § 1,
18 Die «Wahrhaftigkeit des Willens» ist nach Wang Yangming das Hauptanliegen des Daxue: siehe sein s. 91ff.
Vorwort von 1518 zum «Alten Text des Daxite»: «Die Hauptsache (yao J!) des Daxue ist nichts ande- 28 Wie Yangming behauptet hatte: siehe oben, S. 125.
res als das <Wahrhaftigmachen des Willens>; die Anstrengung (gong J}J) des <Wahrhaftigmachens des 29 «Geisteskräftig» ist hier meine Übersetzung von «ling ll». Die Übersetzung dieses chinesischen Wor-
Willens> besteht in nichts anderem als in der <Berichtigung der Handlungen> (g-e wu).» Daxue guben tes ist sehr schwierig. Es meint eine wunderbare, höhere, geistige, «göttliche» Kraft oder Wirksamkeit.
yuanxu, Quanji,juan 41, Shanghai 1992, S.1197. Etymologisch hat das Zeichen mit der schamanischen Kommunikation mit den Geistern zu tun. Im
19 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil den § 1, S. 75ff. heutigen Chinesisch bedeutet zum Beispiel «ling gan aill!ll» die (künstlerische usw.) Inspiration.
20 Mengzi, 4. Buch, 2. "!eil, 19. Kap.; siehe oben in der allgemeinen Einleitung den § 4, Abschnitt a). 30 Zitat ~us dem Ytjing («Buch der Wandlungen»), Wenyan-Kommentar zum ersten Hexagramm; deut-
21 Mengzi, 7. Buch, 2. Teil, 35. Kap.; siehe oben in der allgemeinen Einleitung den § 4, Abschnitt a). sche Ubersetzungvon Richard Wilhehn: I Ging, a.a.O., S. 353: «Der große Mensch stimmt in seinem
22 Der entsprechende Text aus dem Liji wurde oben in der allgemeinen Einleitung in § 3, S. l 8f., zitiert. Charakter überein mit Himmel und Erde.»
23 Huainanzi, Buch 1, Taipei 1974, S. 12. 31 Chuanxi tu I, Nr. 118, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 34.
24 Chuanxi tu III, Nr. 318, Shanghai 1992, S. 119. 32 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, 15. Kap.
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gebrauch näher sagen: «das Kleinkind vermag seine Eltern zu lieben» etc., das heißt, zu können, was sie selbst nicht konnten.»34 Yangming verwendet hier «ursprüngliches
es ist von sich aus, spontan, dazu fähig. Das «ursprüngliche Wissen», wie es Wang Wissen, ursprüngliches Können» als einen einzigen Ausdruck für das ursprüngliche
Yangming hier im Anschluss an Mengzi versteht, ist also kein Wissen über objektive Vermögen zum Guten im Grunde des menschlichen Herzens, das aber, um sich als
Sachverhalte, sondern es ist eine praktische Fähigkeit. Es ist auch keine technische himmlisches Ordnungsprinzip voll auszuwirken, von der Verdeckung und Behinde-
Fähigkeit (kein «Know-how»), sondern eine ursprüngliche ethische Fähigkeit, die rung durch die selbstsüchtigen Intentionen befreit werden muss, wie das Golderz aus
sich in spontanen Gefühlen und Tendenzen zum Guten äußert. Die «Verwirkli- dem Bergwerk von verschmutzenden fremden Mineralien gereinigt werden muss, um
chung» dieses «ursprünglichen Wissens (Könnens)» bedeutet nach diesem Begriff die lauter Gold zu werden.
«Ausdehnung», das «zur Fülle Bringen», «Ausschöpfen» etc. dieser ursprünglichen Dieses Gleichnis des unreinen Golderzes für das menschliche Herz mit seinem
Anlage bis zu ihrer Vollendung, die ihr «eigentliches Wesen» (ben ti ;ijl:ff) ausmacht. ihm inhärenten «ursprünglichen Wissen» ist kennzeichnend für den frühen (ersten)
Der Begriff des «eigentlichen Wesens des ursprünglichen Wissens» (liang zhi ben ti Begriff des «ursprünglichen Wissens» bei Wang Yangming. Später wird er dieses
ßUll;ijl:ff), aristotelisch gesprochen, der «Entelechie» des «ursprünglichen Wissens», Gleichnis, soweit ich sehe, nicht mehr verwenden, sondern stattdessen ein anderes
wird uns unten im dritten Kapitel noch beschäftigen. Gleichnis wählen: Das «ursprüngliche Wissen» ist wie die Sonne, die durch Wolken
Ein dritter Text aus dem ersten Teil des Chuanxi lu gibt Aufschluss über den mehr oder weniger verdeckt und verdunkelt wird. 35 Während die Wolken die Sonne
Zustand dieses «ursprünglichen Wissens (Könnens)» in der geistigen Verfassung selbst nicht beeinträchtigen können, ist nach dem Gleichnis des Golderzes das «ur-
des gewöhnlichen Menschen. Wang Yangming gebraucht dafür, allerdings nur im- sprüngliche Wissen/Können» beim gewöhnlichen Menschen nicht in lauterem Zu-
plizit, das Golderzgleichnis, das er auch schon in einem früheren Gespräch 33 für den stand, sondern durch selbstsüchtige Wünsche verschmutzt. Die egoistischen Wünsche
menschlichen Geist verwendet hatte: Das gewöhnliche menschliche Herz (Geist) sei verderben es mehr oder weniger, können seine spontanen Tendenzen verbiegen. Die-
wie Golderz, das durch andere Mineralien verschmutzt ist. Diese fremden Mineralien ses Bild des «ursprünglichen Wissens» wird in den späteren Diskussionen zwischen
versinnbildlichen die selbstsüchtigen Intentionen. Der heilige Mensch sei jemand, der den Schülern und Nachfolgern Yangmings eine Rolle spielen: Nie Bao und auch Luo
sein Herz (das Golderz) völlig von den selbstsüchtigen Intentionen (den «verschmut- Hongxian werden die Auffassung vertreten, dass das «ursprüngliche Wissen», so wie
zenden fremden Mineralien») gereinigt habe, so dass es wie reines Gold, das heißt es im Bewusstsein der gewöhnlichen Menschen vorhanden ist, nicht vollständig ist
lauter das himmlische Ordnungsprinzip sei (chun hu tian li tiß5.F:kJ!.). Es gebe unter und noch nicht zum Leitprinzip des guten Handelns ausreicht: Es sei vermischt mit
den Menschen Unterschiede der psychischen Tatkraft oder Energie (li liang qi po :b egoistischen Intentionen wie das Gold aus dem Bergwerk mit anderen Mineralien;
Altrul!.), was durch verschiedene Quantitäten des Goldes verbildlicht werden könne. es müsse zuerst durch die Methode des «Sitzens in der Ruhe» gereinigt werden,
Aber das ethisch Entscheidende sei die Qualität, die Reinheit des Goldes bzw. die bevor es das gute Handeln zu bestimmen vermag. Diese Auffassung sollte jedoch von
läuternde Reduktion des Herzens auf das ihm eigene himmlische Ordnungsprinzip. anderen Schülern Yangmings kritisiert werden, die sich auf die spätere Lehre Wang
«Die späteren Konfuzianer [d.h. die Konfuzianer, die den ursprünglichen Sinn der Yangmings stützten. 36
konfuzianischen Lehre nicht mehr verstanden] verglichen nur das Quantitative und Der erste (frühe) Begriff des «ursprünglichen Wissens»(= «ursprüngliches Können»
gerieten so in bloße Überlegungen des Erfolges und des Nutzens (gong li J:).J~U). Wenn oder «ursprüngliches Vermögen») bezeichnet durchaus das Zentrum von Wang
man sich von solchen quantitativen Vergleichen befreit und jeder Einzelne seine Yangmings Denken in den Jahren vor 1520, das heißt das, was dieser damals als die
ganze psychische Tatkraft (li liang jing shen :b Affl:pjl) nur im lauteren himmlischen Grundlage des ethischen <<Lernens» betrachtete. Dennoch war der Ausdruck «liang
Ordnungsprinzip seines Herzens einsetzt (zhi zai ci xin chun tian li shang yong gong zhi m.~» damals für ihn noch nicht zentral, nicht weil er damals nicht das Zentrum
.R1:EJlt,t,tiß~J!..tJ:IPJ.J), dann genügt sich jeder Mensch selbst, und jeder ist vollkom- seines Denkens bezeichnet hätte, sondern weil Wang Yangming noch über andere
men (ge ge yuan cheng 1ffil1ffilllfilt). Der zu Großem Fähige vollendet dann Großes; der zu Ausdrücke verfügte, mit denen er denselben zentralen Gedanken ausdrücken konnte.
Kleinem Fähige vollendet dann Kleines. Man schielt nicht nach Äußerem (Fremdem), Was er zum Beispiel oben in dem im Rahmen seiner Biographie angeführten Text
sondern jeder ist sich selbst genug. [... ] Die späteren Konfuzianer verstanden diese aus seinen «Gedanken über die Fünf Klassiker» (Wujingyi shuo) von 1508/09 über
heilige Lehre nicht mehr, sie vermochten nicht, im ursprünglichen Wissen und die «helle Tugendkraft» (ming de BJ.lffi) schreibt, 37 deckt sich völlig mit seinem frühen,
ursprünglichen Können des eigenen Herzensgrundes Erfahrungen zu machen (zi durch Mengzi bestimmten Begriff des «ursprünglichen Wissens». Und für die ethi-
ji xin di liang zhi liang neng shang ti ren ~ 2,t,±tl!!Ollßli~.tll~) und bis zur Fülle zu sche Praxis konnte er in seiner frühen Zeit (seit 1509) die aus dem Grundkapitel des
erweitern (kuo chong tl3t), sondern suchten zu wissen, was sie selbst nicht wussten, und

34 Chuanxi tu I, Nr. 107, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 31.


35 Siehe unten in diesem Teil, Kap. 2, S. 154, und Kap. 3, S. 196 und S. 204.
36 Siehe unten, Teil II, Kap. 3 und Kap. 4.
33 Chuanxi tu I, Nr. 99, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 27f. 37 Siehe Einleitung, § 1, S. 79f.
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Daxue stammende Formel «zum Leuchten Bringen der hellen Tugendkraft» (ming Kapitel 2
nzing de llJ:l 11J:lil) 38 oder diejenige von der «Einheit von Wissen und Handeln» (zhi xing
he yi ~f:rft-) gebrauchen, die für ihn damals dasselbe bedeuteten wie die Formel Wang Yangmings zweiter Begriff des «ursprünglichen
von der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» (zhi liang zhi ~lil~). Deshalb Wissens»: das unmittelbare Bewusstsein des ethischen Wertes
war für ihn vor 1520 der Ausdruck «liang zhi Bl~» durch andere Ausdrücke ersetzbar, der eigenen Intentionen («ursprüngliches Bewusstsein»,
so dass er auch in Texten, die damals die Essenz seines Denkens zusammenfassten, «Gewissen»)
nicht notwendig anzutreffen ist. Erst nachdem Wang Ymgming 1520 dem Ausdruck
«liang zhi !ll~» eine neue Bedeutung gab, wurde er in dieser neuen Bedeutung für
ihn unersetzbar, so dass er von dann an notwendig zu seiner Lehre gehörte. Wie es zu § 1 Das Problem der ethischen Unterscheidung der Intentionen
dieser neuen Bedeutung kam, möchte ich im folgenden Kapitel zeigen.
Seit Longchang (1508) war Wang Yangming überzeugt, dass der Mensch in sich selbst,
in seinem «llcrzen (Geist)», das Prinzip des Guten besitzt: dass sein eigentliches
«l Ierz (Geist)» das «Ordnungsprinzip» (li :ll!1.) ist, dass dieses «Herz» sich in guten
Gefühlen und Tendenzen auswirkt und das Gute auch realisiert, wenn es daran nicht
durch «selbstsüchtige Intentionen» (si yi fl.Jl) oder «menschliche Begierden» (ren
yu }._Jrx) («menschlich» im Gegensatz zum «himmlischen» Ordnungsprinzip: tian li
~!.!) gehindert wird. Diese selbstsüchtigen lntentionen sind für WangYangming eine
mindestens ebenso offensichtliche Tatsache wie die 'Tendenzen zum Guten, wenn
nach ihm diese auch einer tieferen Schicht des «Herzens» entspringen als jene sie
«verdeckenden» und «hindernden» Egoismen: Sie entspringen dem «Herzensgrund»
(xin di ,t,,ttll), dem «eigentlichen Herzem, (ben xin *,t,,), der «Substanz des Herzens»
(xin ti ,t,,fll), der ,'<Natur (dem Wesen) des Herzens» (xin xing ,t,,tt.). Er erörtert spo-
radisch auch die Frage, woher die selbstsüchtigen Intentionen herstammen. 1 Das ist
aber nicht sein Hauptproblem. Ein für ihn viel bedeutenderes und in den Jahren vor
1519/20 immer wichtiger werdendes Problem ist die Frage, wie der einzelne Mensch
in seiner jeweiligen Situation seine «selbstsüchtigen Intentionen» (si yi fl.Il) von
seinen guten 'lendenzen unterscheiden kann. Denn es geht nach ihm ja in der <<ethi-
schen Anstrengung» (gongfu J)J ~) darum, sich vom eigenen Egoismus zu befreien und
die guten Tendenzen zu <<verwirklichen».
Obschon der Mensch nach Wang Yangming die ethische Norm (das «Ordnungs-
prinzip»: li !.!) in seinem «Herzen» immer mit sich führt, ist nach ihm dieses li !.!
nicht als eine allgemeine Regel oder Maxime begrifflich formulierbar, durch deren
Anwendung auf seine einzelnen Intentionen er diese als «gut» oder als «selbstsüchtig»
beurteilen könnte, sondern dieses li !.! ist nach seiner früheren Position nichts anderes
als die Grundwirklichkeit des Herzens (Geistes), die sich in guten Tendenzen und
Intentionen auswirkt. Er sagt im ersten Teil des Chuanxi lu: «Das menschliche IIerz
(Geist) und das hilnrnlische (natürliche) Ordnungsprinzip sind eine ungeschiedene
Einheit (hun ran ,.~). Die Formulierungen [dieses Prinzips] durch die Heiligen
und Weisen sind wie die Porträtmalerei, die das Wahre und Geistige einer Person zu
vermitteln versucht: Mit einigen wenigen Umrissen veranlasst sie den Betrachter, das
Wahre der dargestellten Person 1.u suchen. Doch deren Geist und Gemütsart, deren

38 Siehe zum Beispiel Chuanxi lu I, Nr. 2, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 2. Siehe unten in Kap. 3 den § 5.
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Verhaltens- und Ausdrucksweise sind nicht vollständig wiederzugeben.»2 Oder im (shi iH~) oder «sehen» (jian ~)müsse.Denn wenn man Einsicht in diese Grundwirk-
selben frühesten Teil des Chuanxi lu wird die Frage gestellt, wie Mcngzis kritische lichkeit (die das «Ordnungsprinzip» ist) hätte, würde man auch die ihr zuwiderlau-
Aussage zu verstehen sei, dass ohne die Berücksichtigung der Umstände das Festhalten fenden selbstsüchtigen Intentionen durchschauen können. Im ersten Teil des Chuanxi
an der Mitte zu einem sich Versteifen auf etwas führe. 3 Yangming antwortet darauf: lu berichtet Lu Cheng, ein früher Schüler Yangmings, dass er zur Zeit, als er sich im
«Die Mitte ist nichts anderes als das himmlische (natürliche) Ordnungsprinzip, sie ist «Honglu-Kloster» (Ministerium für Staatszeremonien) in Nanking befand, über
nichts anderes als die<Wandlung> (yi ~),sie verändert sich beständig. Wie könnte man die Krankheit seines Sohnes äußerst besorgt war und mit Wang Yangming, der dort
sie da wie etwas Fixes festhalten! Man muss vielmehr nach den jeweiligen Umständen (1514-1516) Minister war, darüber sprach, Dieser sagte ihm, dass die Sorge des Vaters
das Geeignete bestimmen und kann nicht im Vmaus eine Regel festlegen (dingyi ge gui um seinen Sohn wie auch die Tl:auer der Kinder über den 'fod ihrer Eltern übertrieben
ju JE'.-1~*-UE} Wenn man wie die späteren Konfuzianer [die die ursprüngliche Lehre sein können. Das «himmlische Ordnungsprinzip» (tian li ~Jlll.) enthalte aber Maß,
nicht mehr verstanden], das Richtige ohne Ausnahme formulieren und einen Standard Harmonie, Begrenzung. Obschon die Liebe des Vaters für seinen Sohn ein Gefühl be-
fixieren will, dann ist das jenes sich Versteifen auf etwas, von dem Mengzi spricht.»4 ster Art sei, würde sie doch z,nr «selbstsüchtigen Intention» (si yi ;fl~) und entspreche
Wang Y.mgming misstraut auch den gewöhnlichen Vorstellungen, welche die nicht mehr dem «eigentlichen Wesen des Herzens» (xin z;hi ben ti ,t,,;z.:ljs:itl), wenn sie
Menschen vom moralisch Guten und moralisch Schlechten haben. Wiederum im er- jenes Maß überschreite. «Die 1v1enschcn müssen nur die Grundwirklichkeit des Her-
sten Teil des Chuanxi lu berichtetXue Kan (?-1545), ein Schüler Wang Yangmings aus zens (Geistes) erkennen (shi de xin ti ~1~,t,H), dann gibt es von selbst kein bisschen zu
der Provinz Guangdong, das folgende Gespräch: «Ich war damit beschäftigt, Unkraut viel oder zu wenig.» 6 Nach einer anderen Aufzeichnung desselben Schülers sagte Wang
zwischen den Blumen auszuziehen, und sagte: <Warum ist es in der Welt so schwie- Yangming, dass die unterschiedlichen Meinungen über den «richtigen Weg>> (Dao)
rig, das Gute zu fcirdern und das Schlechte zu vertreiben?> Der Lehrer IYangmingJ daher kämen, dass die Leute sich auf sprachliche Formulierungen fixierten, die immer
antwortete: <Das scheint nur so, solange man es nicht tut.> Nach einer kurzen Weile nur von einem begrenzten Blickwinkel ans getroffen seien. Wenn man sich von solchen
sagte er aber: <Diese Art Vorstellungen über Gut und Schlecht entstehen aufgrund sprachlichen Fixierungen befreie, «nach innen suche und die eigene Grundwirklich-
der äußeren Hülle (qu qiao jlml:) und können daher falsch sein (hui cuo ilffl).> Da ich keit des Herzens (Geistes) sehe» (jian de zi ji xin ti~1ij gJ a,t,H), dann würden solche
ihn nicht verstand, fuhr er fort: <Der Lebenstrieb von TTimnicl und Erde (der Natur) Divergenzen verschwinclen. 7 Diese Auss:1gen Wang Yangmings erinnern an Gedan-
ist in den Blumen und im Kraut gleich, was gibt es da für einen Unterschied zwischen ken der sogenannten «Südschule» des Zenhuddhisrnus, die das «Sehen der Natur
Cut und Schlecht? Wenn Sie die Blumen betrachten wollen, halten Sie die Blumen (des Wesens) des Herzens (Ceistes)» als die Einsicht in die Wahrheit schlechthin
für gut und das Kraut für schlecht, wenn Sie aber das Kraut nutzen wollen, betrachten («Erleuchtung») betrachtete. 8 Aber Wang Yangming sagt nicht genauer, worin jenes
Sie dieses als gut. Diese Art von Gut und Schlecht entsteht aus den Vorlieben und «Sehen» oder «Erkennen der Grundwirklichkeit des Herzens (Geistes)» besteht und
Abneigungen Ihres Herzens (you ru xin h1to wu suo sheng 1±1 ift,e,\/!J~JiJr1:), deshalb sind wie es zu erreichen ist, sondern er sagt nur, dass man ,,nach innen suchen» müsse.
sie offensichtlich falsch>.» 5 Es gibt also nach Wang Y,,mgming viele Vorstellungen von Vielleicht bot für ihn das «Sitzen in der Rnhe (Stille)» (jing zuo ffll~) die Mög-
Gut und Schlecht, die nur mit den wechselnden individuellen Interessen korrelieren, lichkeit eines solchen «Nach-innen-Suchens». Als er 1514 in Chuzhou (heute in der
nur äußerliche Verhältnisse betreffen und nicht an den ethischen Unterschied zwi- Provinz Anhui) war und seine Schüler besonders das «Sitzen in der Stille» lehrte,9
schen «selbstsüchtigen» und «guten» Intentionen heranreichen. Auf die Frage, wie konfrontierte ihn ein Schüler 10 mit folgendem Problem: «Während des Sitzens in
der einzelne Mensch z,wischen den aus seinem «lTerzensgrund» stammenden guten der Stille gehen meine Gedanken zahllos durcheinander, und ich bin unfähig, sie mit
Regungen und seinen selbstsüchtigen Intentionen unterscheiden kann, gab Wang Gewalt abzubrechen.» Yangming antwortete: ,<Man kann diese zahllos durcheinan-
Yangming in den Jahren vor 1519/20 eine ganze Reihe von Antworten mit verschiede- dergehenden Gedanken auch gar nicht mit Gewalt abbrechen. Man muss sie nur,
nen Ausdrücken, die ihn aber selbst offensichtlich nicht voll befriedigten. Wir wollen wenn sie aufkeimen, prüfen (xing cha ~~) und kontrollieren (ke zhi .%5it). Nachdem
im Folgenden uns einige dieser Antworten anhören. [dadurch] das <himmlische (natürliche) Ordnungsprinzip> (tian li Ji;Jlll.) klar geworden
ist (jinp, 1ning ~IIJl), wird, wenn eine Sache (Aufgabe) auftritt, jede Absicht sich mit
a) «Einsicht in die Grundwirklichkeit des Herzens» (jian xin ti ~,t,H)
Zunächst gibt Wang Yangming die naheliegende Antwort, dass man dazu den «Her-
zensgrund», die «Grundwirklichkeit (Substanz) des Herzens» (xin ti ,e.,e) <<erkennen»
6 Chuanxi lu I, Nr, 44, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 17.
7 Chwmxi luI,Nr. (,(1, /)11anji,fuan 1, Sk,nghai 1992 S. 21.
8 Vgl. die seit dem i\nfong des 12.Jihrhunderts Bodhidharm,1 zugeschriebene Formel: «die Natur [des
2 C!mrmxi tu I, Nr. 20, Q111mji,juan 1, Shanghai 1992, S. 11 f. l Jerzens] sehen und dadurch zm11 lluddha werden,, (iii/11 xi11gchengfo ~'\'lt,x,{~).
3 Mengzi, 7. Buch, l, Teil, 26. Kap. 9 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil den§ 1, S. 83f.
4 Chuanxi lu I, Nr. 52, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 19. 10 Es istMeng Yuan~ j/6{ (Beiname: Bosheng {B!E), der auch in Nr. 19 und Nr, 101 des ersten Teils des
5 Chuanxi lu I, Nr. 101, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S, 29, Chuanxi lu auftritt, Sonst ist er mir nicht bekannt.
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ihr abzugeben, von selbst lauter, und es gibt keine zahllos durcheinandergehenden sich keine «selbstsüchtigen Intentionen» (si yi l.&Jt) befinden. Nachdem ihm Wang
Gedanken mehr.» 11 Durch «Prüfen und Kontrollieren der aufkeimenden Gedanken» Yangming dies als richtig bestätigt hat, stellt Xie sein eigentliches Problem: «Aber
wird also das «himmlische (natürliche) Ordnungsprinzip» klar, und das heißt wohl ich fürchte gerade, dass man seine egoistischen Intentionen nicht wirklich [als solche]
auch, dass man dadurch die «Grundwirklichkeit des Herzens (Geistes)» «sehen» oder erkennt (ren hu zhen !~Ff~).» Yangming antwortet ihm: «Das kann nur dann der Fall
«erkennen» kann. Wang Yangming spricht an mehreren Stellen in diesem Sinn, auch sein, wenn der Wille noch nicht ernsthaft ist (zhi wei qie $*-IJ.l). Wenn der Wille ernst-
in Kontexten, die nicht vom «Sitzen in der Stille» handeln. Aber er macht in solchen haft ist und alle Sinne darauf konzentriert sind, wie könnte man sich dann täuschen!
Aussagen noch nicht deutlich, wie jenes «Prü fcn und Kontrollieren» vermag, zu jener Alle Menschen besitzen [in sich selbst] <das Herz des Richtigen und des Falschen> (shi
gnmdlegenden Einsicht zu gelangen. fc:i zhi xin ~$1:c;z.,t,,), sie brauchen nicht im Äußeren zu suchen.» 13
Nach dieser Aussage Yangmings ist der Wille (zhi $) nicht erst das, was die gu-
b) «Natürliche Intelligenz» (tian cong ming Ji:::IOO\IIJ:I) ten Intentionen (Regungen) voll entwickelt und die schlechten aufhält, sondern er ist
Im ersten Teil des Chuanxi tu sagt Wang Ymgming (wohl um 1517/18) auch: «Wenn schon die Voraussetzung der Erkenntnis der ethischen Qualität der Intentionen. Was
gute Absichten (shan nian ~~) auftreten, sie [als solche] erkennen (zhi :JiO) und voll unter dieser Voraussetzung diese Erkenntnis zustande bringt, ist das «Herz (Geist)
entwickeln (chong 3c); wenn schlechte Absichten (e nian ~~) auftreten, sie [als solche] des Richtigen und des Falschen». Dieser Ausdruck st<Hnmt, wie wir schon in der all-
erkennen und aufhalten. Was erkennt und was voll entwickelt bzw. aufhält, das ist gemeinen Einleitung erwähnten, 14 von Mengzi und bedeutet nach ihm den «Anfang»
der Wille (zhi ye $ ili), ist die natürliche Intelligenz (tian cong nzing ye Ji:::IOO\IIJ.I tJ2 ). Der oder «Keim» der vierten Tugend, der Tugend der Weisheit. Wenn der Begriff des
heilige Mensch hat nur dieses; der Lernende muss es bcw:ihren.» 12 Wang Yangming «ursprünglichen Wissens» (liflng zhi ßl:kD), der bei Mengzi explizit nur die Keime der
scheint hier auch dem Willen die Erkenntnis der ethischen Qualität der eigenen Menschlichkeit (Güte) und Gerechtigkeit bezeichnet, sinngemäß auf die «Keime»
Absichten zuzusprechen, aber er erklärt dann unvermittelt auch die «natürliche In- aller Tugenden ausgedehnt wird, dann ist das «Herz (Ceist) des Richtigen und des
telligenz» als dafür zuständig. Man kann vielleicht die Aussage so verstehen, dass das, Falschen» ein «ursprüngliches Wissen» (liang zhi fHD). Obschon Wang Yangming
was die Absichten in ihrer ethischen Qualität zu erkennen vermag, die «natürliche schon vor 1519/20 eine solche erweiterte Anwendung dieses Begriffs vornahm, sprach
Intelligenz» ist und dass das, was sie «voll zu entwickeln» oder aber «aufzuhalten» er damals hei der Frage der ethischen Unterscheidung der Intentionen noch nicht von
vermag, der «Wille» ist. «'J'irm cong nzing» ist in der chinesischen Philosophie kein ana- «ursprünglichem Wissen». ( )ffenbar war dieser Ausdruck für ihn zmüchst noch zu
lysierter Begriff: und Wang Yangming gebraucht ihn in seiner philosophischen Rede stark an die spontanen guten Intentionen des Herzens gebunden, als dass er ihn für
sonst kaum. So wird auch mit diesem Ausdruck nicht deutlich, wie die Unterscheidung die zwischen den eigenen guten und schlechten Intentionen unterscheidende geistige
zwischen den eigenen guten und schlechten Intentionen möglich ist. Instanz hätte gebrauchen können. Aber mit dem «Herzen (Geist) des Richtigen und
des Falschen,> tut er einen großen Schritt in diese Richtung, da dieser Ausdruck leicht
c) «Das Herz des Richtigen und des Falschen» (shi fei zhi xin ~~l=c.ZA,,) mit dem <<ursprünglichen Wissen» zu assoziieren ist. Dei .Nlengzi selbst weist im Üb-
In einem anderen Text aus dem ersten Teil des Chuanxi lu spricht Wang Yangming rigen nichts darauf hin, dass das «Herz (Geist) des Richtigen und des Falschen» den
in einem ganz ähnlichen Zusammenhang anstatt von <<natürlicher Intelligenz» vom von Wang Yangming im obigen Zitat gemeinten Sinn einer Erkenntnis der ethischen
«Herz (Geist) des Richtigen und des Falschen (Herz des Bejahens und des Verneinens: Qualität (gut oder schlecht) der eigenen Intentionen hätte. Wie wir schon bemerkten,
shi fei zhi xin ~~F.Z. 1t,)». Der Schüler (und Herausgeber des ersten 'leils des Churmxi ist es jedoch schwierig 1.u verstehen, was dieser Ausdruck bei Mengt,i genau bedeutet. 15
tu) Xuc Kan stellt in diesem Text das Problem der Verkennung der eigenen egoisti-
schen Intentionen als «himmlisches (natürliches) Ordnungsprinzip»: AufYangmings d) Das «eigentliche Herz» (ben xin J!s:,C,)
Frage, womit es ethisches Lernen zu tun habe, antwortet ihm Xue, dass er von ihm Eine Aussage, in dem das Verhältnis zwischen der Einsicht in den ethischen Wert
immer gehört habe, dass das ethische Lernen im Bewahren des «himmlischen (natür- der eigenen Intentionen und dem Willen erneut zur Sprache kommt, die aber jene
lichen) Ordnungsprinzips» bestehe, dass das eigentliche Wesen des ]Jerzens (xin zhi uns jetzt vor allem interessierende l<:insicht wieder mit einem anderen Ausdruck
ben ti ,t,<~:Jls:ff) dieses Ordnungsprinzip sei und dass 111an, um dieses Ordnungsprinzips kennzeichnet, jedoch ohne zum Begriff des «ursprünglichen Wissens» vorzustoßen,
innezuwerden (ti ren H~), nur dafür sorgen müsse, dass im eigenen Herzen (Geist) findet sich in einem Brief Wang Yangmings aus dem Jahr 1518: «Die Helligkeit des
eigentlichen (wahren) Herzens (ben xin zhi nzing J!s:,c,.z.11J.1) ist hell wie der Tag. Es gibt

11 Dieser '!ext ist innerhalb der «Gesammelten Schriften» m1 zwei verschiedenen Stellen überliefert: in
den «Antworten auf Fragen von verschiedenen Lernenden in Chuyang» (Yz, C'huyang zhushengshu hing
wen da yu), Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 982, und im Nianpu unter dem 8.Jahr der Zhengde-Ära 13 Chuanxi tu I,juan 1, Nr. 96, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S, 26f.
(1513), Quanji,juan 33, Shanghai 1992, S.1236. 14 Vgl. dort den§ 4, S. 24.
12 Chuanxi tu I, Nr. 71, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 22. 15 Ebd.
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keine Fehler, um die es nicht aus sich selbst weiß (wuyou you guo, erbuzizhi -~~i!Um Zhu Xis Einteilung), sind für ihre Lehren vom Bewusstsein und von der ethischen
1' § 9:ß); das Elend ist nur, dass man sie nicht zu korrigieren vermag. Sobald man seine Veränderung des Bewusstseins von fundamentaler Bedeutung.
Fehler zu korrigieren beabsichtigt, in diesem Augenblick erlangt man das eigentliche In den für uns jetzt relevanten Sätzen im ersten Kapitel des Zhongyong sieht
Herz (yi nian gai guo, dang shi ji de ben xin -~~~~~HP~~ijs;,t.,).» 16 Dasjenige, was Zhu Xi zwei Gedankenschritte mit zwei verschiedenen ethischen Aufforderungen,
um die ethische Qualität der eigenen Intentionen weiß, wird hier «eigentliches Herz» von denen nach ihm nur der zweite mit dem «allein Wissen» zu tun hat. Nach Wang
genannt. Dieses «eigentliche Herz» ist hier also nicht, wie bei Wang Yangming zu Yangming hingegen geht es bei diesen Sätzen nur um eine einzige Sache, nämlich
jener Zeit üblich, im Sinne von Mengzi der Ursprung der guten Regungen, sondern immer um das «allein Wissen». Nach Zhu Xis Verständnis sind diese Sätze folgen-
das ethische Unterscheidungsvermögen der eigenen Intentionen: Jeder Mensch hat dermaßen zu übersetzen: «Das Dao darf auch nicht für einen Augenblick verlassen
schon immer dieses «eigentliche Herz», das heißt, «er weiß aus sich selbst» (zi zhi werden; wenn es verlassen werden könnte, wäre es nicht das Dao. Deshalb ist der Edle
§ 9:ß) um die ethische Qualität seiner Intentionen. Dennoch «erlangt» (de ~i) er achtsam, wenn er nicht sieht (jie shen hu qi suo bu du Hlt1'i?Y.~Plr1'11ff), und furchtsam,
dieses «eigentliche Herz» erst in der Absicht, seine Fehler zu korrigieren, was wohl wenn er nicht hört (kongju hu qi suo bu wen ~ffPJZ!tPlr1"1Ul).» Das ist nach Zhu Xi
bedeutet, dass jenes schon immer vorhandene Wissen erst durch diesen Willen klar der erste Gedanke, der noch nichts mit dem «allein Wissen» zu tun hat. Nach Wang
und deutlich wird. Yangmings Verständnis müssen die Relativsätze in der Aussage über das Verhalten des
Was das in den letzten drei Aussagen Yangmings berührte Verhältnis zwischen Edlen als Passive übersetzt werden: «Deshalb ist der Edle achtsam auf das, was von
dem Wissen um die ethische Qualität der eigenen Intentionen und dem guten Wil- ihm nicht gesehen wird [d.h., was man von ihm nicht sieht], und furchtsam gegenüber
len anbelangt, sei an seine Lehre von der Einheit von Wissen (Erkennen) und Han- dem, was von ihm nicht gehört wird [d.h., was man von ihm nicht hört]». 18 Nach ihm
deln erinnert: 17 Wie das Wissen nur in der Einheit mit dem Handeln echt ist, und geht es schon hier um das «allein Wissen», das heißt um das, was man allein weiß und
umgekehrt echtes Handeln des Wissens als Leitidee bedarf, so scheint im jetzigen was die anderen nicht sehen und nicht hören können. Zhu Xi kommentiert diese Sätze
Zusammenhang nach Wang Yangming jenes Wissen um die ethische Qualität der aus dem ersten Kapitel des Zhongyong wie folgt: «Das Dao ist das Ordnungsprinzip
eigenen Intentionen von der Ernsthaftigkeit des guten Willens abzuhängen, während (li II), demgemäß die Geschäfte und Dinge im täglichen Gebrauch gehandhabt wer-
umgekehrt dieser Wille jenes Wissen auch wieder voraussetzt. Wang Yangming geht den müssen; es ist ebenfalls das Vermögen der Natur (xing zhi de ttz fl) und ist im
diesem Verhältnis zwischen Willen und Wissen in seiner Thematik der «Aufrichtung Herzen (Geist) angelegt. Alle Dinge haben es, und es gilt zu allen Zeiten. Deshalb
des Willens» (li zhi .ll.it) nach, mit der wir uns unten in § 4 befassen werden. darf es auch nicht für einen Augenblick verlassen werden. Wenn es verlassen werden
könnte, wäre es ein äußeres Ding und nicht das Dao. Deshalb bewahrt das Herz (der
e) Das «allein Wissen» (du zhi ll~} Geist) des Edlen beständig die Ehrfurcht (jing wei ~~). Auch dann, wenn er nicht
Ein weiterer Ausdruck, mit dem Wang Yangming in den Jahren vor 1520 das Wissen sieht und nicht hört bu jian wen (1' ~IUI), wagt er nicht, gleichgültig und nachlässig zu
um den ethischen Wert der eigenen Intentionen charakterisiert, ist «allein Wissen» sein (bu gan hu :?F=ffil:tll). Dadurch bewahrt er das Wesentliche des Ordnungsprinzips
(du zhi m9:ll), dessen Bedeutung er nach 1520 mit derjenigen des «ursprünglichen des Himmels (tian li zhi ben ran Ji;;Jl.;ziJI;~) und vermeidet, dass er es auch nur für
Wissens» (liang zhi .l:l~) identifizieren wird. «Du zhi m9:ll» wurde als fester Ausdruck einen Augenblick verlässt.>> Wenn man «nicht sieht und nicht hört», ist für Zhu Xi
durch Zhu Xi in den konfuzianischen Diskurs eingeführt, indem er ihn in seinen seit die Zeit, in der das Herz noch nicht von Dingen bewegt wird. Er identifiziert diese
dem 14. Jahrhundert zur staatlich autorisierten <<Sammlung von Kommentaren zu den Zeit mit dem Zustand «vor der Entstehung der Gefühle des Wohlgefallens und des
Abschnitten und Sätzen der Vier Bücher» (Si shu zhangju ji zhu) sowohl in seiner Zorns, der Freude und der Trauer» (xi nu ai le zhi wei fa ~~a~z*~),
von dem in
Erklärung einer Zhongyong-Stelle als auch in seiner Erklärung einer Daxue-Stelle
verwendete. Diese zwei Stellen aus den «Vier Büchern» und auch ihre Erklärungen
durch Zhu Xi waren für Wang Yangming sehr wichtig. Doch in seinem Verständnis 18 Alle mir bekannten neueren europäischen Übertragungen des Zhongyong Games Legge [1861),
der Zhongyong-Stelle stimmte er mit Zhu Xi nicht überein, und sein Begriff des «allein Seraphin Couvreur [1895), Richard Wilhelm [1930), Wing-tsit Chan (1963), Peter Weber-Schäfer
[1963), Alfred Forke [1964)) übersetzen den vorangehenden Satz im Sinne von Zhu Xi. Das ist nicht
Wissens» deckt sich nicht mit demjenigen Zhu Xis. Dies weist auf einen wichtigen erstaunlich, da Zhu Xis Interpretation in China seit dem 14.Jahrhundert die offizielle war. Doch war
Unterschied in der Ausrichtung dieser beiden Konfuzianer. Wir müssen uns Zhu Xis auch Wang Yangmings Verständnis in Europa nicht unbekannt. In der ältesten erhaltenen europä-
und Wang Yangmings Verständnis dieser beiden Stellen genauer ansehen. Denn ihre ischen Übersetzung, derjenigen des Jesuitenmissionars Prospero Intorcetta von 1667, steht: «Hac
de causa perfectus vir attendit et invigilat in his etiam quae non videntur; timet ac pavet in his etiam
Interpretationen dieser Textstellen, besonders des ersten Kapitels des Zhongyong (nach quae non audiuntur. (Deshalb ist der Vollkommene achtsam und wachsam auch in dem, was nicht
gesehen wird, und furchtsam auch in dem, was nicht gehöi:~ wird.)» Intorcetta, Prospero: Sinarmn
sciemia politico-moralis, Kanton 1667, Goa 1669 (zu diesem Ubersetzungswerk siehe meinen Beitrag
«Die Vermittlung chinesischer Philosophie in Europa», in: Grundriss der Geschichte der Philosophie.
16 «Sendung an alle jüngeren Biiider» (Ji zhu di), Quanji,juan 4, Shanghai 1992, S. 172. 17.Jh. 111, Basel 1998, S. 225-295). Diese Übersetzung ist von der chinesischen Sprache her auch
17 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil den§ 1, S. 75ff. möglich und nach dem alten Kontext naheliegender.
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der weiteren Folge des von Zhu Xi zusammengestellten ersten Kapitels des &IB$). Das Alleinsein (du m) ist der Bereich, um den die anderen nicht wissen und um
Zhongyong die Rede ist. 19 Es geht nach ihm nicht primär darum, dass zu dieser den man selbst allein weiß (du zhi ~ ~)- Es ist davon die Rede, dass im Verdeckten und
Zeit noch keine perzeptiven Tätigkeiten des Sehens und Hörens, sondern noch Dunklen bei den feinen und winzigen Tätigkeiten die Gestalt zwar noch keine äuße-
keine emotionalen und kognitiven Beziehungen zu den Dingen stattfinden. Er re Form angenommen hat (xi wei zhi shiji wei xing &IB1ltL$Jluli*%), während aber ihre
sagte in einer mündlichen Erklärung zu dieser Stelle des Zhongyong: «Das <nichts [inneren] Antriebe (die Triebkräfte des Handelns, die Motive) schon bewegen (ji yi
sehen und nichts hören> meint nicht, dass man die Augen schließt und die Ohren dong ~ Bin). Obschon die anderen davon nichts wissen, weiß man doch selbst allein
zuhält, sondern es ist nichts anderes als die Zeit, in der Wohlgefallen und Zorn, darum (du zhi m~). In diesem Sinn gibt es in der Welt nichts, was offensichtlicher
Trauer und Freude noch nicht entstanden sind (wei fa *~). Wenn [im Herzen] und offenbarer wäre.» Nach Zhu Xi betrifft also das «allein Wissen» in der Genese
noch keine Keime der verschiedenartigen Tätigkeiten hervortreten, muss man des Handelns das Mittelglied zwischen dem Noch-nicht-Tätigsein (der Ruhe) und
selbst allerorts achtsam und furchtsam sein und muss so beständig sein Herz wach dem äußerlich wahrnehmbaren Verhalten, es betrifft das Bewegtwerden im Fühlen
halten (chang ti qi zi xin *mitaJJ:bt.,).» 20 «Achtsamkeit» und «Furchtsamkeit» sind und Denken des eigenen Herzens. Er sagte in mündlichen Erklärungen zu dieser
nach Zhu Xi keine Tätigkeiten des Denkens (si ,~,); dieses ist nach ihm ein Un- Stelle des Zhongyong: «Die <Achtsamkeit (Aufmerksamkeit) im Alleinsein> (shen du
terscheiden und Sich-Ausdenken; «Achtsamkeit» und «Furchtsamkeit» haben tim) ist schon ein Denken und Überlegen, es gibt da schon einige kleine Tätig-
gerade die Funktion, den Zustand, in dem dieses Denken noch nicht hervortritt keiten (yi you xie xiao shi B~®,J,$), man ist schon in Verbindung mit den Dingen.
(wei Ja *~), zu behüten. 21 Sie haben die Funktion einer meditativen Praxis zur Die <Achtsamkeit beim nicht Gesehenen> und <die Furchtsamkeit beim nicht Ge-
Zeit der Ruhe: «Wenn von einem Bewusstsein (jue ff) in der Ruhe gesprochen hörten> aber ist die Zeit, in der es noch keine Tätigkeiten gibt (wei you shi shi *~
wird, dann geht es hier nur um eine beständige geistige Wachheit (chang xing xing $~).»24 Zhu Xi sieht das Motiviertwerden im Fühlen und Denken des «Herzens»
*1111); die <Ruhe> meint nicht den Schlaf.»22 Diese «Achtsamkeit und Furchtsam- als «Keime» von Tätigkeiten und damit schon als «kleine Formgestalten», um die
keit» zur Zeit «vor dem Entstehen der Gefühle» sind für Zhu Xi das, was er vor- man selbst «allein weiß», während die anderen Menschen erst gewissermaßen die
züglich mit dem Begriff der «Konzentration und Ehrfurcht» (jing Wi) ausdrückt. 23 «großen Formgestalten» des ins Äußere eingreifenden Handelns erkennen. Im Zu-
Zhu Xis versteht diese Sätze des ersten Kapitels des Zhongyong also im Sinne, dass stand der Ruhe (vor dem Entstehen der Tätigkeiten) weiß man auch nicht allein, da
der Edle auch dann, wenn er selbst noch nicht aktiv unterscheidet und weiß, die es da noch überhaupt keine «Formgestalten» von Tätigkeiten gibt: «Im <Alleinsein
Grundhaltung der Konzentration und Ehrfurcht einnehmen muss, um mit dem Dao [allein Wissen]> gibt es da [im Herzen] schon eine Formgestalt (you ge xingji ~1ffil
oder «Ordnungsprinzip des Himmels» in ständiger Verbindung zu sein. %Jluli), auf die man achtsam (aufmerksam) sein kann; beim <nicht sehen und nicht
In den nächsten Sätzen des Zhongyong sieht Zhu Xi die Zeit angesprochen, in hören> aber gibt es überhaupt keine Formgestalten (quan ran wu xing ji ~~•%
der man zwar noch nicht äußerlich handelnd eingreift, aber in der bereits die «Hand- J/uli); es ist da völlig dunkel und man kann nicht wissen (bu ke de zhi =fi:i.f1i~).» 25 Im
lungsmotive» im eigenen Herzen aktiv geworden sind. Erst bei dieser Zeitetappe in Text des Zhongyong selbst ist ein solches Verständnis des «Alleinseins» (du ~) als
der Genese des Handelns führt er den Begriff des «allein Wissens» ein. Diese nächsten des Bereichs der eigenen seelischen Triebkräfte des Handelns, um die man schon
Sätze des Zhongyong lauten: «Nichts ist offensichtlicher als das Verborgene; nichts ist selbst «allein weiß», obschon sie sich noch nicht geäußert haben und den anderen
offenbarer als das Geheime. Deshalb ist der Edle achtsam (aufmerksam) in seinem verborgen sind, durch nichts nahegelegt. Der früheste Kommentator dieser Stelle
Alleinsein (shen qi du i'!~m).» Zhu Xi kommentiert: «Das <Verborgene> bedeutet des «Buches der Sitte» (aus dem das Zhongyong ein Kapitel darstellt), 26 Zheng Xuan
einen verdeckten Bereich; das <Geheime> bedeutet eine feine (kleine) Tätigkeit (xi shi lß ~ (127-200) aus der östlichen Ran-Dynastie, versteht das <<Alleinsein» im Sinne
eines Abgeschirmtseins vom gesellschaftlichen Kontakt und von der gesellschaftli-
chen Kontrolle. Er schreibt: «Wenn der kleine (moralisch geringe) Mensch sich an
einem abgeschirmten Ort aufhält, tut er Schlechtes und ist zu allem fähig. Beim Ed-
19 Wahrscheinlich gehören die erste Hälfte dieses Kapitels, in der vom «nicht sehen und nicht hören»
die Rede ist, und seine zweite Hälfte, in der von jenem «Zustand vor dem Entstehen der Gefühle»
len aber ist es anders: Auch wenn er von niemandem gesehen wird und man keinen
gesprochen wird, verschiedenen Textschichten an: Die erste Hälfte ist wohl jünger, so dass auch vom Ton von ihm hört (shi zhi wu ren, ting zhi wu sheng mz•A~Z•~), ordnet er noch
textgeschichtlichen Gesichtspunkt die Identifizierung Zirn Xis nicht nahegelegt wird. Zu diesen achtsam und furchtsam (jie shen kongju Jl!tffi~ffl) sich selbst und verlässt so keinen
textgeschichtlichen Fragen siehe Fung Yu-lan: A History of Chinese Philosophy 1952 Bd. 1, S. 370ff.
und Weber-Schäfer, Peter: Der Edle und der Weise 1963, S. 28-32. Weber-Schäfer macht in seiner
Augenblick das Dao.» Vielleicht hat die Stelle aus dem Daxue mit dem Ausdruck
deutschen Übersetzung des Zhongyong aus diesen zwei Hälften von Zhu Xis erstem Kapitel zwei
verschiedene Kapitel.
20 Zhuzi Yulei: «Aussagen von Zhu Xi nach Themen geordnet»,juan 62, Beijing 1986, S. 1499.
21 Ebd. 24 Ebd.
22 A.a.O., S. 1503. 25 Ebd.
23 Siehe die Ausführungen über Zhu Xi oben in der allgemeinen Einleitung, § 3, Abschnitt b), S. 34f. 26 Siehe oben in der allgemeinen Einleitung den§ 2.
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«Alleinsein» eine Interpretationsrichtung auf die Triebkräfte im «Inneren» der In einer Aufzeichnung aus dem ersten Teil des Chuanxi lu nimmt Wang Yang-
eigenen Seele motiviert.27 ming explizit Stellung zu den oben angeführten Interpretationen Zhu Xis. Es ist ein
In Wang Yangmings Verständnis dieser oben zitierten Passage aus dem ersten Gespräch, das 1517 oder 1518 stattgefunden hat. Sein Schüler Huang Honggang
Kapitel des Zhongyong ist das «allein Wissen» auch auf ihren Anfang, auf das, «was (Beiname: Luocun), der aus der Präfektur Ganzhou im Süden der Provinz Jiangxi
nicht gesehen und nicht gehört wird», zu beziehen: Das «nicht Gesehene und nicht stammte, wo sich Wang Yangming damals befand, fragte ihn: «Was halten Sie von
Gehörte» meint in seiner Interpretation etwas, was prinzipiell nicht sichtbar und der Auffassung, dass die <Achtsamkeit und Furchtsamkeit [beim nicht Gesehenen und
nicht hörbar ist und was die anderen daher nicht wissen können, was man aber selbst nicht Gehörten]> die ethische Anstrengung (gongfo ljj~) in derjenigen Zeit betrifft,
sehr wohl weiß: nämlich den Bereich der eigenen guten und schlechten Intentionen, in der man selbst nicht weiß, während die <Achtsamkeit auf das Alleinsein> (shen du
ob man nun tätig oder noch nicht tätig sei. Das «allein Gewusste» ist bei Wang ffi]mi) die ethische Anstrengung in derjenigen Zeit betrifft, in der man allein weiß
Yangming damit grundsätzlicher definiert als bei Zhu Xi: Bei Wang Yangming ist (du zhi II~)?» Wang Yangming antwortete: «Das ist alles nur eine einzige ethische
es bestimmt durch die Kategorie des prinzipiell nicht äußerlich wahrnehmbaren Anstrengung. In der Zeit, in der man nicht tätig ist, <weiß> man sicher <allein> (du zhi
(nicht durch die Augen sichtbaren und die Ohren hörbaren) subjektiven Bewusst- II 1,l:D), aber auch zur Zeit, in der man tätig geworden ist, <weiß man allei_n>. Wenn man
seins, während es bei Zhu Xi nach einer quantitativen Unterscheidung aussieht: Das sich in diesem Bereich des <allein Wissens> nicht anzustrengen vermag, sondern sich
«allein Gewusste» besteht in den noch «kleinen» Motiven und Regungen des eige- nur insofern anstrengt, als die anderen öffentlich davon wissen (ren suo gong zhi }._ji]f
nen Herzens, die sich noch nicht zu «großen», allgemein erkennbaren Handlungen ~;:□), dann betreibt man das Künstliche (das Unechte, den bloßen Schein:~) [... ].
ausgeweitet haben. Folglich ist für Wang Yangming die «Achtsamkeit und Furcht- Dieser Bereich des <allein Wissens> (du zhi II~) ist der Keim (meng ya i005!) der
samkeit gegenüber dem nicht Gesehenen und nicht Gehörten» dieselbe ethische <Wahrhaftigkeit [des Willens]> (cheng ~). Ob es sich nun um gute oder um schlech-
Anstrengung (gongfu J:}J ~) wie die «Achtsamkeit im Alleinsein». Die «Achtsamkeit» te [eigene] Gedanken (Intentionen: nian ~) handelt, in diesem Bereich des <allein
und «Furchtsamkeit», die der Edle üben muss, betrifft nach ihm nicht etwas, was man Wissens> gibt es keine Falschheit (geng wu xu jia J!fflHIUx). Wenn man es hier rich-
nicht weiß, sondern sie betrifft das Gute und Schlechte in der den Augen und Ohren tig macht, ist alles richtig; wenn man es hier falsch macht, ist alles falsch. Es ist der
unzugänglichen Sphäre der eigenen Seele, um die man •«allein weiß». Während für Scheidepunkt zwischen dem Weg der guten Könige und der Tyrannen, zwischen der
Zhu Xi die «Achtsamkeit» und «Furchtsamkeit» gegenüber dem Dao eingenommen Gerechtigkeit und dem bloßem Nutzen (Opportunismus), zwischen Wahrhaftigkeit
werden muss, das in allen Dingen ist, sind nach Wang Yangming diese Haltungen auf (cheng ~) und Künstlichkeit (bloßem Schein: ~), zwischen gut und schlecht. Sobald
die Vorkommnisse des eigenen «Herzens» zu richten, in dem das Dao sich auswirkt, man hier [in diesem Bereich des <allein Wissens>] festen Stand gewonnen hat, dann
in dem sich aber auch schlechte Regungen befinden, und diese Haltungen sollen nach ist das Fundament gelegt und die Quelle rein, dann ist die Wahrhaftigkeit (cheng ~)
ihm die Entscheidung zwischen den guten und den schlechten Absichten, um die man aufgerichtet. Die geistige Lebensader der vielen Anstrengungen (gong fo I~) der
«allein weiß», herbeiführen. Alten für ihre Wahrhaftigkeit liegt ganz in diesem Bereich. Wahrlich <nichts ist offen-
sichtlicher> [als dieses Verborgene] und <nichts ist offenbarer> [als dieses Geheime].2 8
Immer und überall, ohne Anfang und ohne Ende, gibt es nur diese ethische Anstren-
27 Diese Stelle im sechsten Kapitel des Daxue («Großes Lernen» oder «Lernen der Großen») handelt gung (gongfoI~). Wenn man nun die <Achtsamkeit und Furchtsamkeit [gegenüber
von der Wahrhaftigkeit des Willens bzw. vom Selbstbetrug und lautet: <«Seinen Willen wahrhaftig
machen> (cheng qi yi ~;llt:!l) bedeutet, dass man sich nicht selbst betrügen (zi qi ~~)darf, [sondern sich dem nicht Gesehenen und nicht Gehörten]> auf etwas bezieht, was man selbst nicht
so verhalten muss,] wie wenn man üble Gerüche verabscheut oder schöne Farben liebt. Dies bedeutet, weiß, dann wird die ethische Anstrengung aufgesplittert und sie wird auch zweigeteilt
dass man mit sich selbst zufrieden ist. Deshalb muss der Edle auf sein Alleinsein achten (shen qi du U1!; (yi you jian duan iJJ'~r~l.i). Da auch Achtsamkeit und Furchtsamkeit ein Wissen (ein
1tffl).» Zhu Xi erklärt folgendermaßen: «Das Wahrhaftigmachen seines Willens (cheng qi yi ~;Jil;~) ist
das Dao der Selbstkultivierung (zi xiuzhi dao ~~;z_Ji). [...]Jemand, der sich selbst betrügt, ist jemand, Bewusstsein: zhi ~) sind, wer soll dann achtsam und furchtsam sein, wenn man selbst
der weiß, worin das 'Ibn des Guten und das Vertreiben des Schlechten besteht, bei dem aber das, was nicht weiß? Wenn man jener Auffassung [von Zhu Xi] ist, dann muss man ins Samadhi
sein Herz (Geist) hervorbringt [nämlich die Gedanken und Absichten], noch nicht echt ist (xin zhi stto (die Versenkung: ding ~) des Zenbuddhismus verfallen, in dem man [das Bewusstsein]
Ja wei shi ,t,,;z_p/f~ *'.lt). [... ] Das Alleinsein ist der Bereich, uin den die anderen nicht wissen und um
den man selbst allein weiß (dit zhi ffl~). - Es wird [hier im Daxtte] gesagt, dass derjenige, der sich selbst unterbricht und vernichtet (duan mie l.il.Jil).» Huang Honggang fragte nach: «Wenn
kultivieren (bessern) will und um das 'Ibn des Guten und das Vertreiben seines Schlechten weiß, sich Sie sagen: <Einerlei, ob es sich um gute oder um schlechte Gedanken (Intentionen)
echt anstrengen und den Selbstbetrug vermeiden muss. Wenn sein Verabscheuen des Schlechten wie handelt, in diesem Bereich des <allein Wissens> gibt es keine Falschheit>, meinen Sie
das Verabscheuen übler Gerüche und sein Lieben des Guten wie das Lieben schöner Farben sein soll,
dann muss man entschieden [das Schlechte] vertreiben und unbedingt [das Gute] zu erlangen suchen, damit, dass es im Bereich des <allein Wissens> keine Zeiten gibt, in denen keine Ge-
damit man mitßch selbst zufrieden sein kann; man darf sich nicht leichtfertig aufführen, indem man danken (wu nian -~) vorhanden sind?» Wang Yangming antwortete: «Achtsamkeit
nur nach dem Außeren trachtet. Denn hinsichtlich der Echtheit (shi 'fr) und Unechtheit (bu shi =f'.I'.)
gibt es Dinge, welche die anderen nicht erkennen und die man selbst allein weiß (du zh1). Deshalb muss
man hier aufmerksam ein, indem man seine [inneren] Antriebe (Triebkräfte des Handelns, Motive: ji
lt oder ~) untersucht.» 28 Siehe die oben zitierte Stelle aus dem Anfang des Zhongyong.
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und Furchtsamkeit sind auch Gedanken (nian ~). Das Denken der Achtsamkeit und nicht sehen, kann man als das ,Verborgene>, und das, was die Ohren nicht hören, als
Furchtsamkeit darf zu keiner Zeit aufhören. Wenn die geistige Haltung der Achtsam- das ,Geheime> bezeichnen. <Nichts ist offensichtlicher [als das Verborgene]; nichts
keit und Furchtsamkeit auch nur für kurze Zeit fallengelassen wird, dann wird man ist offenbarer [als das Geheime]> bedeutet, dass, wenn die Antriebe zum G-uten oder
entweder verwirrt oder ist bereits in schlechte Gedanken (Intentionen) geraten.Vom Schlechten (shan e zhi ji Ii ~Z~) auch nur ein klein bisschen keimen, die Geisteskraft
Morgen bis zum Abend, von der Kindheit bis zum Alter, immer wenn man keine Ge- meines Herzens (Geistes) (wu xin zhi ling ~,~,zfl) sich nicht selbst betrügen (zi qi
danken haben (wu nian 1!!l~), das heißt selbst nicht wissen (kein Bewusstsein haben: gi :l®z) und sie nicht verdecken darf; dadurch sind sie ,im höchsten Grade offensicht-
ji bu zhi c.l'9;D) will, dann wird man zu ,ausgetrocknetem Holz und toter Asche> 29 , lich> und <im höchsten Grade offenbar>. Da die Geisteskraft meines Herzens allein
es sei denn, inan befinde sich im Tiefschlaf.»30 • Wang Ymgming anerkennt Zhu Xis davon weiß (du zhi mia) und die anderen dabei nicht beteiligt sind (ren suo bu yu
Zweiteilung der ethischen Praxis in eine Zeit der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» APJTT'W), wird von ,Alleinsein> (du m) gesprochen. In diesem [Alleinsein] ist der Edle
vor dem Entstehen der Gefühle und Gedanken und in eine Zeit des «allein Wissens» am ernstesten, denn in ihm liegt die Hauptsache seiner Anstrengung. - Wenn ich also
nach dem Aufkeimen der Gefühle und Gedanken nicht. Es gibt nach ihm nur eine das ,nicht Gesehene> und das ,nicht Gehörte> als Bereich des ,Quadratzolls> [seil. als
einzige ethische Praxis des «allein Wissens>> in «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» Bereich des Herzens (Geistes)l36 verstehe und das -<Verborgene> und das <Geheime>
gegenüber den eigenen unsichtbaren und unhörbaren, guten und schlechten In- als die Antriebe zum Guten oder zum Schlechten interpretiere und im ,Alleinsein>
tentionen. Über diese Auffassung Wang Yangmings werden die Meinungen seiner beides vereine, dann sind in meiner Sichtweise diese Aussagen [des Zhongyong] nicht
Schüler auseinandergehen, und sie werden darüber lange debattieren. 31 Mit Wang zusammenhangslos. Oder nicht?» 37 Zhu Xi hat in einem Brief an Zhang Shi diese In-
Yangmings ethischer Praxis der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» (jie shen kongju Joctl terpretation der Zhongyong-Stelle abgelehnt. 38 Es ist nicht sicher, ob Wang Yangming
:,!:'dR) werden wir uns noch eingehend befassen müssen,i 2 im jetzigen Zusammenhang den zitierten Brief Zhang Shis an Zhu Xi gel<annt hat. Er weist zwar in einem Brief
interessiert uns nur der Begriff des «allein Wissens». von 1511 auf den Briefwechsel zwischen Zhu Xi und Zhang Shi hin, 19 aber vielleicht
Wang Yangmings Verständnis des «allein Wissens» im Zhongyong als Wissen kannte er nur die Briefe Zhu Xis, die gesondert in dessen «Gesammelten Schriften»
um das eigene Herz (Geist), das nicht äußerlich wahrgenommen werden kann, hat veröffentlicht waren. Soweit ich sehe, zitiert Wang Yangming nirgends Zhang Shi.
einen Vorgiinger: den Song-Konfuzianer Zhang Shi (~M, Beiname: Nanxuan Win, Wang Yangming sagt in dem oben zitierten Gespräch mit Huang Honggang, 40
1133-1180) aus der Provinz llunan. 33 Zirn Xi hat ihn in IIunan zweimal (1164 und dass der Mensch in seinem «allein Wissen» (du zhi) um die Güte oder Schlechtigkeit
1167) besueht,l4 und sie haben miteinander ausführlicher korrespondiert. Zwischen seiner eigenen Gedanken (Intentionen) weiJI, dass in diesem «allein Wissen» nichts
ihnen blieben aber Meinungsverschiedenheiten. Auch über seine Kommentare zu «offensichtlicher» und «offenbarer» ist als dieser Bereich der eigenen Intentionen.
den «Vier Büchern» hat Zhu Xi mit ihm Briefe gewechselt, bevor er diese nach einer Es gibt in diesem «allein Wissen» ursprünglich keine Falschheit. In diesem «allein
langen Vorbereitungszeit 1189 veröffentlichte. 35 Zhang Shi interpretiert in einem Wissen» geht es nicht nur um die geheimen Triebkriifre des eigenen Herzens, bevor
Brief an Zhu Xi über die oben zitierte Stelle aus dem ersten Kapitel des 7hongyong das sie in äußerlich wahrnehmbaren Handlungen Form angenommen haben, sondern um
«Alleinsein» als den Bereich des eigenen Herzens (Geistes), den inan nicht sehen und die subjektiven Intentionen sowohl vor als auch iu den Handlungen. Obschon es im
hören kann, den die anderen folglich nicht erkennen können und um den man aber «allein Wissen» keine Falschheit gibt, muss man es hier «richtig machen», das heißt
«allein weiß» (du zhi li~). Er schreibt: «Das ,nicht Gesehene> und das <nicht Gehör-
te> [im 7hongyong] bedeutet das, was dieses Herz (Geist) hegt (ci xin zhi suo cun 1Jt,~,z
Plfff-) und was die Augen nicht sehen und die Ohren nicht hören. Das, was die Augen
36 d)u,1dratzoll» (jilllg ct111 1.i-t) ist in der l'hinesischell Schriftsprache ein Ausdruck für «Herz (Geist)».
37 Zitiert in Song Yuan xue an 5K if,r!/,~,Juan 50, Taipei 1975, S. 17f.
38 Zhu Xi schreibt an Zhang Shi: «Wenn ich das <nicht Gesehene und nicht Gehörte> und das Folgende
[im Zhongyong] so auseinandernehme, erscheint es tatsächlich als zusammenhangslos. Aber wenn man
29 1\usdriicke des Daoismus (Zhuangzi, 2. Stiick, 1. Kap.) und auch des Buddhismus für Zustiindc der ,;s llichtso macht, dann werden in diese111 kanonischen Buch das <nicht Gesehene und nicht Gehörte>,
meditativen Versenkung. das d)unkle um\ Cchcime> und d:is ,1\llci11sei11> nicht unterschieden und scheinen Wiederholungen
30 Clwanxi lu I, Nr. J 20, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 34L ( ;anz im selben Sinn auch im ( ;espr:ich und '/,U langfädig '/,U sein. Erst wrnn lllan es so wie ich ausdrückt, sieht man, dass <die Achtsa111keit
mit ChenJiuchuan (Beiname: Mingslmi, 1494-1562) aus dem.Jahr 1519: «In Wirklichkeit gibt es keine beim nicht Gesehenen und die Fmehtsamkeit beim nicht Cehörten> den Sinn der Konklusion des
Zeit ohne Gedanken (wu wu nian shi fflH!ll~i\j). [... ] Achtsamkeit und Furchtsamkeit sind Gedanken vorangehenden Hauptgedankens, dass <etwas, was verlassen werden kann, nicht das Dao ist>, hat. Die
(jie shen kongju ji shi nian i!ll;ti!U,!;\1fj1!lf]~~), wie kann man hier zwischen Tätigkeit und Ruhe trennen Stelle <nichts ist offensichtlicher als das Verborgene; nichts ist offenbarer als das Geheime> spricht
wollen?» Chuanxi lu III, Nr. 202, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 91. dann über die <Antriebe zum Guten oder zum Schlechten>, die sich nach der <Mitte> des <nicht Hörens
31 Siehe unten 'Teil II, Kap. 3 (Nie Ban) und Kap. 4 (Luo Ilongxian). und nicht Sehem, crhcl,en. <Deshalli ist der Edle achtsam auf sein Alleinsein.> Denn erst, wenn man
32 Siehe unten in Kap. 2 den§ 3, S. 1601T. in der Gestalt des' 1c·xtcs die Unterschiede zwischen ;\uf\crlichem und Innerlichem, Nebensiichlichem
33 Zu Zhang Shi (ausgesprochen auch Zhang Chi) siehe Franke, Herbert (1 Irsg.): Sung Hiogmphies, und l lauptsächlichc111 ,H,seinanderli:ih, wird der Sinll klar, und es gibt keine Wiederholungen.» Wcnji,
Wiesbaden 1976, Bd. 1, S. 11-13, und Forke, Alfred 1964, S. 260-264. juan 31, Si bu beiyao, S. llb.
34 Siehe Chen Lai: Zhu Xi zhexue yanjiu, Beijing 1987, S. 105. 39 In seinem Brief an Wang Shitan, Qzumji,juan 4, Shanghai 1992, S. 147.
35 Siehe Zhu Xis Briefe an Zhang Shi in seinen «Gesammelten Schriften» (Wen jt),jurm 3 1 und juan 32. 40 Chuanxi lu I, Nr. 120.
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wohl, wie wir noch sehen werden, man darf sich nicht «selbst betrügen» (zi qi § !t'(), der Provinzhauptstadt Nanchang war, hatte er sich im Sommer 1520 in die Präfektur
also nicht gegen sein besseres Wissen wollen und handeln. Wie wir sahen, besteht Ganzhou, ganz im Süden dieser Provinz, zurückgezogen, wohl um möglichst weit weg
nach Wang Yangming die «etfosche Anstrengung» in der «Verwirklichung des (ur- von Nanking zu sein. Vom 10. bis zum 19. September 1520 befand er sich zusammen
sprünglichen) Wissens» durch die «Berichtigung der Handlungen» (ge wu ffi-WJ). Diese mit ChenJiuchuan und Zou Shouyi im buddhistischen Heiligtum der 1ongtian-Felsen
«Anstrengung» kann also nach ihm nicht nur eine Sache äußeren Verhaltens sein, ~5'i2:s, zehn Kilometer nordwestlich der Präfekturhauptstadt. Vielleicht hat das Ge-
sondern ist primär auf die «Wahrhaftigkeit des Willens» (yi cheng ~Jlu) im Wissen um spräch dort stattgefunden. 43 Es kommt in dieser Unterhaltung zum Ausdruck, dass
die moralische Qualität der eigenen Intentionen gerichtet. Diese «Anstrengung» bzw. sich Wang Yangming der Neuheit jenes Gedankens voll bewusst war. Chen Jiuchuan,
diese «Wahrhaftigkeit» muss also zwei Aspekte enthalten: erstens die Klärung bzw. die der aus Linclrnan WiJII (dem heutigen Fuzhou :11l!t#I) in der Mitte der Provinz Jiangxi
Vermeidung der Verdunkelung des «allein Wissens» um die Güte oder Schlechtigkeit stammte, schreibt in seiner Aufzeichnung dieses Gesprächs (veröffentlicht am Anfang
der eigenen Intentionen und zweitens die Ausführung der in diesem Wissen als gut des dritten Teils des Chuanxi lu): 44 «Im Jahre geng eben [1520] ging ich nach Qianzhou
erkannten Intentionen und die Abweisung oder Korrektur der schlechten. Doch wird ~fM [Ganzhou] und sah den Lehrer [Yangming] wieder. Ich fragte ihn: <Obschon
dieser doppelte Aspekt der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» erst nach ich in meinen jüngsten Anstrengungen (~on,gfu J1J~) die Hauptsache (wörtlich: «das
der Einführung lles neuen Begriffs des «liang zhi» deutlich. So wird Wang Yangming Gehirn>>: tozt nao :iili:~) [des ethischen Lernens] ein wenig erkannt habe, ist es für mich
in einem Brief von 1523 in Bezug auf den ersten Aspekt schreiben, dass «der Edle in schwierig, den Ort der Sicherheit und der Freude zu finden.> Der Lehrer antwortete:
seiner Achtsamkeit [auf das,was man von ihm nicht sieht] und in seiner Furchtsamkeit <Wenn Sie aber im Herzen (Geist) (xin shang ,t,,J:.) ein himmlisches (natürliches)
!gegenüber dcrn, was man von ihm nicht hört]» (siehe oben den zitierten Text aus Ordnungsprinzip (tian li J,.;:fJ!l.) suchen, dann ist dies gerade das, was man <Behinde-
dem Zhongyong) nur befürchte, dass sein «ursprüngliches Wissen (liang zhi) verdunkelt nmg (Versperrung) des Ordnungsprim.ips> (li zhang fJ!l.ß:lit) nennt. l Iier gibt es aber
werde, verlorengehe und ins Lasterhafte und Falsche verfalle». 41 ein Erfolgsgeheimnis (einen <Schlüssel>, Kunstgriff, Kniff: jue qiao ~~).> Ich fragte:
In dieser Weise gebrauchte Wang Yangming also vor 1520 eine ganze Reihe von <Was für eines?> Er antwortete: <Es ist nur die <Verwirklichung des [ursprünglichen]
verschiedenen Ausdrücken, um die Frage zu beantworten, wodurch der Mensch fähig Wissens (zhi zhi ~!ED).> Ich fragte: <Wie ist das zu verwirklichen?> Er antwortete: <Ihr
sei, zwischen seinen guten und schlechten Intentionen zu unterscheiden: «Einsicht kleines bisschen ursprüngliches Wissen (er nrt yi dian !irmg zhi fflJ.lB-l!l/i ~~), das ist
in die Grundwirklichkeit des Geistes», «natürliche Intelligenz», «das Herz des Be- Ihre eigene Norm (zhun z.c $J'l,1J). Beim Auftreten Ihrer Intentionen (yi nirm ~~) weiß
jahens und des Verneinens», «das Grundherz (eigentliches Ilerz)», das «allein Wis- es, dass die richtigen richtig und dass die: falschen falsch sind (shi bian zhi shi,fei bian
sen» und vielleicht noch andere. Aber er brauchte damals dafür noch nicht «liang zhi zhi fei ~{f!J;□ *,~lö-if!ED~I=:), man kann ihm nichts verheimlichen (man Ilm). Sie dürfen es
til!ED» («ursprüngliches Wissen»). Denn solange er diesen Ausdruck in unmittelbarem nur nicht betrügen (qi !t'(), sondern ganz echt und wirklich auf es gestützt handeln: die
Anschluss an Mengzi gleich wie «liang ncng ßrn~» («ursprüngliches Können») nur guten (shan ~) ! Intentionen J bewahren, die schlechten (e ~)ausmerzen.Was gibt es
als spontane Regung, spontanes Vermögen zum Guten verstand, konnte er ihn noch da, was sicherer und freudvoller ,v:irc! Das ist der wahre Kw1stgriff der <Berichtigung
nicht zur Beantwortung der Frage nach der Möglichkeit der Unterscheidung zwischen der Handlungen>, die echte Anstrengung der <Verwirklichung des Wissens>. Wenn
eigenen guten und schlechten Regungen (Intentionen) verwenden. man sich nicht auf diesen wahren Antrieb (zhen ji ~ffl!) verlässt, wie soll man da die
<Handlungen berichtigen> [bzw. das <Wissen verwirklichen>]? Auch mir ist dies erst
§ 2 Die Konzeption des neuen Begriffs des «ursprünglichen Wissens» in letzter Zeit (jin nian ili:~) so klar geworden. Zuvor zweifelte ich, ob man sich allein
darauf [seil. auf das ,ursprüngliche YVissen>] verlassen kann, und fürchtete, es reiche
Die früheste dokumentierte Stelle, in der Wang Yangming den Ausdruck «ursprüng- nicht aus. Bei genauer Betrachtung aber fehlt ihm nicht das Geringste (wu xie xiao
liches Wissen» (liang zhi til!ED) im Sinne eines Bewusstseins der ethischen Qualität qian que 1m~H'.XIJ&l).>»45
(gut oder schlecht) der eigenen Intentionen verwendet, ist ein Gespräch aus dem In dieser Antwort sagt Wang Yangming zuerst, dass das «himmlische (natürliche)
Sommer 1520, das er mit seinem Schüler Chen Jiuchuan ~ 11,JII (Beiname: Ming- Ordnungsprinzip,,, das die ethische Norm ist, nicht im Herzen (Ccist) gesucht werden
shui BJ!7-l<, 1595-1562) führte. Es ist genau das Jahr, in welchem Wang Yangming von darf, was zunächst erstaunt, da nach ihm ja diese Norm irgendwie in diesem Herzen
der Umgebung des damals in Nanking befindlichen Kaisers der Konspiration gegen ist. Der Sinn dieser Aussage ist wohl, dass die ethische Norm nicht eine im Herzen
diesen verdächtigt wurde und sich dadurch in größten Schwierigkeiten und sogar in versteckte, vorerst ungewusste gegenständliche Regel ist, die man da zu suchen hätte;
Lebensgefahr befand.42 Obschon er damals Gouverneur der ProvinzJiangxi mit Sitz in

43 Siehe oben, S. '!31. Vgl. Nianpull, unter dem 15.Jahr dc1-'.-'.hcngde-Ära (1520), Shanghai 1992, S. 1274.
41 Brie64an Shu Guoyong, Quanji,juan 5, Shanghai 1992, S. 190; vgl. unten in diesem Kapitel den § 3, 44 Erste Veröffentlichung· dieses 1eils im Jahr 15 56: siehe oben den Anhang zur Einleitung zu Teil I,
s. 164f. s. 117.
42 Siehe oben in diesem Teil die Einleitung,§ 1, S. 92f. 45 Chuanxi lu III, Nr. 206, Quanji,juan 3, Shang-hai 1992, S. 92.
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wenn man sich diese Norm so vorstellt, dann behindert, versperrt man sie. Sie ist Mitleid, Liebe, Scham etc., in einem «Sinn» für richtig und falsch und in den von
vielmehr, wie Wang Yangming fortfährt, «ursprüngliches Wissen», das beim Auf- solchen spontanen Regungen unmittelbar hervorgebrachten guten Neif:,11.mgen oder
treten eigener guter und schlechter Intentionen immer schon aktuell da ist, das heißt Intentionen (yi nian ~%) äußert. Der neue Begriff des «ursprünglichen Wissens»
unmittelbar um die Richtigkeit oder Falschheit (Güte oder Schlechtigkeit) dieser meint ein unmittelbares ethisches Bewusstsein der eigenen Intentionen, ein «Wissen»
Intentionen weiß. Man darf dieses «Wissen» nur nicht «betrügen» (qi :ltx), sondern um ihre ethische Qualität. Das «ursprüngliche Wissen» ist also nach dieser neuen
muss ihm entsprechend handeln (es «verwirklichen»). Bedeutung nicht eine spontane Regung und Intention der Elternliebe, des Respekts
Wang Yirngming sagt in diesem Gespräch, dass er erst «in letzter Zeit» dieses gegenüber dem älteren Bruder, des Mitgefühls usw., es ist keine besondere Art von In-
Verständnis des «ursprüngliches Wissens» gewonnen habe, und er frohlockt, dass er tentionen, ja, überhaupt keine Intention, sondern vielmehr ein «inneres» Bewusstsein
nun in diesem «ursprünglichen Wissen» und dessen «Verwirklichung» gewisserma- aller Intentionen, der guten und schlechten, ein unmittelbares «Wissen» um deren
ßen einen ethischen Passepartout besitze, der zuverlässig die ethischen Probleme in moralische Güte oder Schlechtigkeit. Dieses moralische Bewusstsein ist nicht als ein
seinem Leben auflöst. Wenn sein Schüler und Biograph Qian Dehong schreibt, dass Reflektieren auf die eigenen Intentionen, in welchem diese ethisch beurteilt werden,
Yangming durch die Bedriingnisse der Zeit von 1519/20 zur «Lehre vom ursprüng- zu verstehen. Denn dieses <<ursprüngliche Wissen» ist nach Wang Yangming beim
lichen Wissen» kam, so ist diese Angabe insofern plausibel, als Wang Y,mgming in Auftreten einer eigenen Intention unrnittclbar und notwendig gleichzeitig mit dieser
dieser Zeit der Verdächtigung und Anschuldigung vonseiten des kaiserlichen Hofs und vorhanden, während das Reflektieren auf eine solche Intention ein besonderer geisti-
der guten Ratschläge vonseiten seiner Freunde, etwas gegen diese lebensgefährlichen ger Akt ist, der nicht notwendig vollzogen werden muss und, wenn er vollzogen wird,
Anschuldigungen zu unternehmen, 46 im neu verstandenen «ursprünglichen Wissen» zeitlich erst nach der reflektierten Intention auftreten kann. Ein solches Reflektieren
einen ausreichenden Anhalt für seine Entscheidungen Emd. Andererseits scheinen ihm würde nach Y.rngming bereits zum «Verwirklichen» des «ursprünglichen Wissens»
aber auch Cespräche mit seinen Schülern, vor allem mit dem Protokollanten des oben gehören (siehe unten den§ 3).
wiedergegeben Gesprächs, ChenJiuchuan, bei der Konzeption des neuen Begriffs des Wang Yangming verfügt über keinen besonderen technischen Terminus, um
«liang zhi lil~» geholfen zu haben. Yangming weist in einem Brief von 1522 selbst diese Unmittelbarkeit und Notwendigkeit des «ursprünglichen Wissens (Bewusst-
darauf hin, dass er in Jiangxi sehr ausführlich mit Chen Jiuchuan und Ouyang De seins)» der eigenen Intentionen zu kennzeichnen. In der chinesischen Philosophie
(1496-1554), der zwischen dem 10. und 19. September 1520 auch drei 'fage bei ihm wäre dafür ein einschhgiger Termim1s zur Verfügung gestanden, allerdings nicht
in den Tiantong-Felsen war, 47 über die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» in der konfuzianischen, sondern in der buddhistischen, aus Indien stammenden
gesprochen habe. 48 Und Chen Jiuchuan berichtet, dass er 1520 in Ganzhou Wang Tradition: Der große chinesische Kenner und Vermittler des indischen Buddhismus
Yangming zum Abschied ein Gedicht über das «ursprüngliche Wissen» vorgelegt Xuanzang (600[?]-664) hatte im zweiten <<Buch» (juan) seiner «Summe der Lehre
habe. Es enthielt die Verse: «Das <ursprüngliche Wissen> muss man nicht mit vielem vom bloßen Bewusstsein» (Cheng wei shi ltm ß.ltll!t~~), 51 in der er mehrere indische
Hören (vielen Informationen von außen: duo wen ':J, lffl) belästigen. f... ] Im <Lichen und Ko1nmentare zu V:1snban<lhus Trimsika zu einer Synthese bringt, jedes intentionale
Verabscheuen> (hao wu ~~) 49 es befolgen, das ist die Lehre der Heiligen.» Yangming Bewusstseinserlebnis (wie Sehen, Hören, Denken, Fühlen, Wollen) nach drei (bzw.
habe ihm darauf geantwortet: «Wenn Sie nicht gekommen wären, um über diese vier) Komponenten («Teilen»: fen :$:t; Sanskrit: bhaga) analysiert: 52 1. die Aktkompo-
Lehre zu sprechen, wüsste ich jetzt nicht zu sagen, was im Lieben und Verabscheuen nente («Teil des Blickens»: jian Jen ~'.7.l'; Sanskrit: darsanabhaga), zum Beispiel die
zu befolgen ist.» 50 intentionalen Akte des Sehens, l liircns, Denkens, Wollens etc., 2. die gegenständliche
Bevor wir noch einige weitere Aussagen betrachten, in denen Wang Y:mgming Komponente («Bildteil»: xiang/i'11 f§'.73'; Sanskrit: uimittabhaga), zum Beispiel das im
seinen neuen Begriff des «ursprünglichen Wissens» (liang zhi !il~) charakterisiert, Sehen Gesehene, im Denken Gedachte, im Wollen Gewollte und 3. die Komponente
möchte ich auf das Wesentliche hinweisen, das diesen neuen Begriff von seinem äl- des Selbstgewahrens oder Selbstbewusstseins («Teil des Selbstbezeugens»: zi zheng
teren, durch Mengzi bestimmten Begriff unterscheidet. Dieser ältere Begriff meint fen 1!1:!iii'.7.l'; Sanskrit: svasamvittibha,~a), zum Beispiel das Bewusstsein, dass man sieht,
die Anlage zum Guten im menschlichen «Herzen (Geist)», die sich in Gefühlen wie wenn man sieht; das Bewusstsein, dass man denkt, wenn man denkt; das Bewusstsein,·
dass man will, wenn man will. In der Tradition von Dharmapala, einem indischen
Vertreter des Vijnanavada aus dem 6.Jahrhundert, unterscheidetXuanzang innerhalb
46 Siehe oben in der Einleitung den§ 1, S. 95.
47 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil den§ 1, S. 93f.
48 Brief an Lu Yuanjing, Quanji,juan 5, Shanghai 1992, S. 189.
49 Anspielung auf die oben in § 1 dieses Kapitels, S. 140, Anm. 27, zitierte Stelle aus dem sechsten 51 Französische Ü l,erse\lung von Louis de La Vallee l'oussin: Vijnaptimrttratasiddhi. La sirlrlhi de Xiuan-
Kapitel des Daxuc: <«Seinen Willen wahrhaftig machen bedeutet, dass man sich nicht selbst hetriigen tsaug, Paris 1928 und l 929; englische U bersetzung von Wci Tat: Doctriue of Mere-Consciou.mc.,s by the
darf, [sondern sich so verhalten muss,] wie wenn man üble Gerüche verabscheut und schöne Farben Tripitaka-Master 1-Isiian Tsang, Hongkong 1973.
liebt.» 52 Vgl. meinen Aufsatz «The structure of consciousness according to Xuanzang», in: Journal of the British
50 Chuanxi lu III, Nr. 219, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 95. Society for Phenomenology, Vol. 19, No. 3, 1988.
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dieser dritten Komponente noch eine vierte, worauf wir aber in unserem jetzigen besonders, wenn wir uns an die Geschichte dieses Wortes als Übersetzung des latei-
Kontext nicht einzugehen brauchen. Die skizzierte Drei-Komponenten-Lehre der nischen «conscientia» erinnern, das seinerseits eine Übersetzung des griechischen «syn-
intentionalen· Erlebnisse geht auf einen Vorgänger Dharmapalas, auf Dignaga (ca. eidesis>> ist. Diese griechischen und lateinischen Wörter bedeuten zuerst ein Mitwissen
480-540) zurück. Was uns in unserem jetzigen Kontext von Yangmings Lehre vom mit anderen Personen, dann aber auch ein «Mitwissen mit sich selbst», das heißt ein
«ursprünglichen Wissen» um die eigenen Intentionen interessiert, ist der «Teil der Sichbewusstsein. In dieser zweiten Bedeutung können sie sowohl einen allgemeinen
Selbstbezeugung» (zi zheng Jen § ~5:J'). Die Lehre von diesem dritten Aspekt wurde Sinn haben, der im Deutschen mit «Bewusstsein» (englisch: consciousness) wiedergeben
gegen die Schulen des Sarvastivada (eine Schule des •«Kleinen Fahrzeuges» des Bud- wird, als auch einen moralischen Sinn, den wir mit «Gewissen» übersetzen (englisch:
dhismus), aber auch gegen die nichtbuddhistischen Schulen der Nyaya und Vaisheshi- conscience). In den romanischen Sprachen gibt es für diese moralische Bedeutung kein
ka aufgestellt, die sagten, dass ein Erkenntnisakt nur um seinen Gegenstand, nicht aber besonderes Wort, sondern das allgemeine Wort wird mit Adjektiven differenziert (z.B.
um sich selbst weiß. Der Erkenntnisakt sei mit einem Messer zu vergleichen, das nur im Französischen: conscience morale). Obschon das Wort «Gewissen» eine sehr vage,
andere Gegenstände, aber nicht sich selbst schneiden kann, oder mit einem Finger, der nicht genau bestimmbare Bedeutung hat, scheint es mir im Sinne eines moralischen
auf andere Gegenstände zeigen kann, nicht aber auf sich selbst. Ein Erkenntnisakt sei Sichbewusstseins neben der wörtlicheren Wiedergabe durch «ursprüngliches Wis-
zwar auch erkennbar, aber nicht durch sich selbst, sondern nur durch einen anderen, sen» zur Übersetzung von Wang Yangmings zweitem Begriff des liang zhi !il!l:D dienen
zweiten Erkenntnisakt (der sich reflexiv auf den ersten richtet), so wie ein Messer auch zu können. Wie dieses «liang zhi m.~» wird auch jenes «Gewissen» sowohl als ein
schneidbar sei, aber nicht durch sich selbst, sondern nur durch ein anderes, zweites Wissen aus sich oder durch sich selbst (nicht durch Informationen anderer Personen)
Messer oder wie auch auf einen Finger gezeigt werden kann, aber nicht mit diesem als auch als ein Wissen von sich oder über sich selbst gedacht.
selbst, sondern nur mit einem anderen Finger. Das Yogacara (oder Vijnanavada), in Verfolgen wir nach dieser terminologischen Überlegung Wang Yangmings
dessen Tradition Xuanzang stand, meinte demgegenüber, dass diese Gleichnisse für Charakterisierungen seines neuen Begriffs des «ursprünglichen Wissens» weiter. In
den Erkenntnisakt (und alle intentionalen Bewusstseinsakte) nicht zutreffen, sondern einem Brief aus demJahr 1525 an seinen Schiller Wang Chen zitiert Wang Yangming
dass der Erkenntnisakt mit einer Lampe zu vergleichen sei, die, indem sie ihre Um- zuerst folgende Stelle aus einem früheren Schreiben seines Adressaten: «Das Dao ist
gebung (die Gegenstände) erhellt, zugleich auch selbst hell ist. weit und groß, nirgends fehlt es. In der Tätigkeit und in der Ruhe, im Misslingen
Wie gesagt, gebraucht meines Wissens Wang Yangming nirgends den Terminus und Gelingen, überall muss man es lernen. Seitdem ich zum Beamten ernannt wur-
«zi zhengfen § ~'.7!» («Teil der Selbstbezeugung»), um das «ursprüngliche Wissen» de, wage ich weder in Finanzgeschäften noch in Gerichtsverfahren, weder im Dienst
zu charakterisieren, wie er überhaupt Xuanzangs Lehre von den «vier Teilen» nirgends an meinen Vorgesetzten noch im Umgang mit meinen Untergebenen davon [vom
erwähnt. Er verwendet an seiner Stelle den Ausdruck «zi zhi § ~» ( <<selbst wissen»), Dao] abzulassen und Fehler zu begehen. Aber wenn ich auf mein <Alleinsein> (du ~)
was sowohl «aus sich selbst wissen» oder «von selbst wissen» als auch «um sich selbst zurückschaue, dann ist es noch nicht die Grundlage der Indifferenz gegenüber einem
wissen» oder «sich bewusst sein» bedeuten kann. Xuanzangs Cheng wei shi tun war im kurzen oder einem langen Leben, es ist noch keine Freiheit gegenüber übler Nach-
buddhistischen Kanon der Ming-Zeit vorhanden und war damals nicht unbekannt. rede und Ruhm, gegenüber Erfolg und Misserfolg.» Mit dem «Dao, das überall zu
Obschon ein direkter Einfluss von dessen Lehre vom «Teil der Selbstbezeugung» auf lernen ist» und mit dem «Zurückschauen auf das Alleinsein» spielt dieser Briefpartner
Wangs zweiten Begriff des «ursprünglichen Wissens» nicht anzunehmen ist, war der Wang Yangmings auf den oben zitierten Text aus dem ersten Kapitel des Zhongyong
entsprechende Gedanke doch in der intellektuellen Atmosphäre mehr oder weniger bzw. Zhu Xis Interpretation an53 und mit der «Indifferenz gegenüber einem kurzen
präsent. Doch ist auch im Auge zu behalten, dass Wang Yangmings «ursprüngliches oder einem langen Leben» auf Mengzi. 54 Wang Yangming antwortet: «Damit wissen
Wissen» nicht einfach dasselbe bedeutet wie der «Teil der Selbstbezeugung», denn Sie ausreichend um das Geheimnis der ethischen Anstrengung. Nur diese Klarheit
es ist nicht wie dieser ein «Selbstbewusstsein» der Intentionen überhaupt, sondern des Selbstwissens (zi zhi zhi ming § ~zHJ.I) ist das <ursprüngliche Wissen> (liang zhi m.
ein «moralisches Selbstbewusstsein» der Güte und Schlechtigkeit der Intentionen. ~). Wenn man dieses <ursprüngliche Wissen> verwirklicht (zhi ?ilJ1:), indem man danach
Wang Yangming gebrauchte vor allem Ausdrücke der konfuzianischen Tradition, sucht, mit sich selbst zufrieden zu sein> (yi qiu zi qie P,.I.~ § ~), dann ist genau dies die
aber er hatte keine Hemmungen, auch solche der buddhistischen zu erwähnen. Wenn <Verwirklichung des Wissens> (zhi zhi i!l:~).» 55 Yangming antwortet hier auch vor dem
er den Ausdruck «Teil der Selbstbezeugung» (zi zheng fen §~1J') gekannt und für Hintergrund der von Zhu Xi interpretierten Stellen aus dem Zhongyong und Daxue
die Erläuterung seiner Idee des «ursprünglichen Wissens» (liang zhz) als nützlich über das «allein Wissen» und das «Zufriedensein mit sich selbst» und bezeichnet das
erachtet hätte, würde er ihn wohl schon genannt haben. Wir führen ihn hier deshalb
an, weil er uns hilfreich erscheint, auf das Wesentliche seines neuen Begriffs des liang
zhi m.~hinzuweisen.
53 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 136ff.
Von den europäischen Sprachen her gesehen, ist es sinnvoll, Wang Yangmings 54 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 1.
zweiten Begriff des liang zhi Bl~ durch das Wort «Gewissen» zu kennzeichnen, 55 Brief an Wang Gongbi .:E ~ij] (= Wang Chen), Quanji,juan 5, Shanghai 1992, S. 197f.
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«klare» «allein Wissen» seines Briefpartners, dass er selbst noch immer nach langem
Leben, Ruhm und Erfolg strebe und Tod, üble Nachrede und Misserfolg fürchte, als im nächsten Kapitel widmen werden. Wang Yangming betont in seiner Antwort zuerst
«ursprüngliches Wissen». Er macht damit dieses Bewusstsein der eigenen Intentionen mit Zitaten aus dem «Klassiker der geschichtlichen Dokumente» (Shujing) und aus
(Wünsche, Befürchtungen) konkret. Und er knüpft an der Unzufriedenheit seines dem Buch Mengzi, dass das Denken (si J!l) notwendig und eine gute ~ache sei, J?as
Briefpartners mit seiner aktuellen geistigen Verfassung an, um ihm zu sagen, dass die «Versinken in der Leere und Festhalten an der Ruhe» und das «Arrangieren und sich
«Verwirklichung» des «ursprünglichen Wissens» bedeute, dass er in seiner ethischen Ausdenken» aber seien beide egoistisch gebrauchte Klugheit (zi si yong zhi ~ ;fl.ffl !&)
Anstrengung den Punkt anstreben müsse, an dem er in diesem «klaren Selbstwissen» und beide in gleicher Weise «ein Verlust des ursprünglichen Wissens» (sang sh~ lian?
«mit sich zufrieden sein» könne. Auf diese «Zufriedenheit mit sich selbst» werden zhi tU~.El~). Er fährt fort: «Das <Ursprüngliche Wissen> ist der Ort ~er_Helh~ke1~
wir unten in § 5 dieses Kapitels noch zurückkommen. und des wunderbaren Wahrnehmens des himmlischen Ordnungspnnz1ps (ttan lt
In einem anderen Text, den ich im Folgenden zitiere, gebraucht Wang Yangming zhi zhao ming lingjue chu ~Jl;z!IBIIJ.l!!JU!). Deshalb <ist das ursprüngliche Wissen
seinen neuen Begriff des «ursprünglichen Wissens» im Sinne des Bewusstseins des dasselbe wie das himmlische Ordnungsprinzip> (liang zhi ji tian li ßl!J;□ .!l.P~Jl), 59 und
ethischen Wertes der eigenen Intentionen, aber er benutzt diesen Ausdruck auch das Denken (si Jll) ist Äußerung und Funktion des <ursprü~glichen Wissens> (li~ng
noch in einer anderen Weise, ohne dass er dabei die zwei Bedeutungen des Begriffs zhi zhi Ja yong ßl!J;ll;zftffl). Wenn es ein Denken ist, das Auße1:7111g un~ F~ktion
ausdrücklich unterscheidet. Dies mag darauf hindeuten, dass er sie letztlich als zwei des <Ursprünglichen Wissens> ist, dann ist alles Gedachte (suo s~- M,~) h1mml_1sches
Aspekte derselben Realität betrachtete. 56 Es handelt sich um eine Stelle eines Briefes Ordnungsprinzip.» Und nun wechs~_lt Yangming zum «~rsprunghchen„W1?sen»
von 1526 an seinen hervorragenden Schüler Ouyang De aus der ProvinzJiangxi, dem als «Gewissen»: «Ein Denken, das Außerung und Funktion des <ursprunghchen
wir schon begegneten und noch mehrmals begegnen werden. 57 Wang Yangming zitiert Wissens> ist ist spontanerweise (von selbst: zi ran ~ ~) klar, einfach und leicht, und
zuerst eine Stelle aus einem Brief von Ouyang De, in welcher dieser unter anderem das <ursp~gliche Wissen> ist auch selbst fähig, dai:um zu wisse~ (zi neng zhi de_ ~ ~
schreibt, dass dem (ethisch) Lernenden zwei entgegengesetzte Übel drohen: auf der ~{3). Wenn es aber ein von selbstsüchtigen Intentionen arrangiertes Denk~n i~t (sz
einen Seite das «Versinken ins Leere und Festhalten an der Ruhe» und auf der an- yi an pai si lfl.itti:~~J!), dann ist es verworren und_mühsa~, ~d da_s <ursp~gh:~e
deren das «Arrangieren und sich Ausdenken (Ausklügeln) (an pai si suo ~~~J!t~) [der Wissen> ist auch von selbst fähig, es zu unterscheiden (zt hut Jen bte de § ""'.7.l'Ztl,Sj).
eigenen Handlungen]». In den Jahren xin und ren (1521 und 1522) habe er unter der Denn ob das Denken [ethisch] richtig oder falsch (shi fei ~~~), schief oder gerade
ersten Krankheit gelitten, in der letzten Zeit unter der zweiten. 58 Aber, schreibt er (xie zheng $:iE) ist, das weiß das <ursprüngliche Wissen> i~m~r von sich aus (zi zhi
weiter, «das sich Ausdenken (si suo J:!l~) ist doch auch eine Äußerung und Funktion des § !J;ll). Wenn man daher den Dieb als Sohn verkennt, dann 1st d~es ger~de _des~alb so,
<ursprünglichen Wissens> (liang zhi fo yong lilJllitffl). Wie ist es vom Arrangieren aus weil das Lernen der <Verwirklichung des Wissens> nicht klar ist (zht zht zht xue bu
selbstsüchtigen Intentionen (si yi ;fl..:i:) zu unterscheiden? Ich fürchte, dass ich einen ming i!(!J;flz$1'IIJ.I): Man macht im <ursprünglichen Wissen> ke~ne _ei~ene p~aktisch~
Dieb für meinen Sohn nehme und mich täusche.» Ouyang De stellt also das Problem Erfahrung von ihm [seil. dem <ursprünglichen Wissen>] (bu zht zaz ltang zhz._sha~g tt
der Unterscheidung der eigenen Intentionen, konkreter der Unterscheidung zwischen ren zhi 1'-!J;fltEßl!J;ll..tlll~z).»60 Nach dieser Briefstelle weiß also das «ursprunghche
einem guten Sich-Ausdenken, das eine Funktion des «ursprünglichen Wissens>> sei, Wissen» (in der Bedeutung des «Gewissens») immer um die moralische Richtigkeit
und einem selbstsüchtigen Arrangieren: Wie kann man wissen, dass man nicht ein oder Falschheit des eigenen Denkens (bzw. der eigenen Intentionen), es vermag den
solches selbstsüchtiges Arrangieren für ein gutes Sich-Ausdenken nimmt, so wie es Sohn vom Dieb im eigenen Haus immer zu unterscheiden. Und dennoch anerkennt
vorkommen kann, dass man Geräusche eines Diebes im eigenen Haus für diejenigen Wang Yangming hier die Möglichkeit einer Selbsttäuschung, einer Verd~el~g und
des eigenen Sohnes (oder, wie eine andere chinesische Redeweise sagt, für diejenigen schreibt diese einem Ungenügen der ethischen «Anstrengung» der «Verw1rkl1_chung
des eigenen Vaters) hält? Den Ausdruck «ursprüngliches Wissen» (liang zhi 6¾.~) des (ursprünglichen) Wissens» zu: Wenn diese «Verwirklichung» noch unklar 1s:, das
verwendet Ouyang De hier für etwas Vollkommenes im Menschen, das sich auch im heißt, wenn das «ursprüngliche Wissen» noch nicht in die eigene _Erfahrung (ethische
«sich Ausdenken» äußert. Sofern das «ursprüngliche Wissen» als aktuell immer voll- Praxis) eingegangen ist, dann ist es möglich, die eigenen Intentionen zu verkenn~n.
kommen verstanden wird, kann man es nicht einfach als Anlage zum Guten im Sinne In einem Brief aus dem folgendenJahr (1527) an seinen Schüler Wang Chen schreibt
von Mengzi und im Sinne des ersten Begriffs von Yangming verstehen. Es handelt Wang Yangming über diese Verkennung lnit etwas andere~ Worten dass_elbe:_ «Al~es
sich vielmehr um einen dritten Begriff des «ursprünglichen Wissens», dem wir uns <Verkennen des Diebes als den Sohn> hat seine Ursache dann, dass man sich rucht im
<ursprünglichen Wissen> anzustrengen weiß (bu zhi zai liang zhi shangyong gong 1'!J;ll

56 Über diese Frage siehe unten das Kapitel 4. ..


57 Nach dem Nianpu, unter dem 5.Jahr der Jiajing-Ara (1526), Quanji,juan 35, Shanghai 1992, S. 1300. 59 Wang Yangmings Variation von LuJiuyuans (1138-1191) Formel «Das Herz (Geist) ist das Ordnungs-
58 1523 hatte er die höchsten Staatsexamen bestanden und war dann gleich in den Beamtendienst ein- prinzip».
getreten: siehe unten in Teil II das Kap. 3, S. 52lff. 60 Chuanxi tu II, Nr. 169, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 72.
152 153

1:E.l~J□ ...t,EflJ}J);
deshalb kommt das vor. Wenn man jedoch im <ursprünglichen Wis- dem «allein Wissen» (du zhi ~~) identifiziert. Dieser Begriff, den schon vor 1518
sen> eine eigene praktische Erfahrung macht (zhi zai liang zhi shang ti ren ..RtEJ~J□ ...t gebrauchte, 65 war wohl wegweisend für die Konzeption seines zweiten Begriffs des
fflt1J), dann mag man, wie es [im Daxue] heißt, <nicht treffen, aber man ist nicht weit «ursprünglichen Wissens». In seinen «Fragen zum Daxue» (Daxue wen), die den
davon>61 .»62 Wie ist es genauer zu verstehen, dass man im «ursprünglichen Wissen» grundlegenden Unterricht seiner letzten Jahre wiedergeben und 1527 von seinen
um die eigenen Intentionen weiß, sie aber dennoch verkennen kann? Wir werden uns Schülern schriftlich festgehalten wurden, 66 sagt er: «Das <ursprüngliche Wissen>
mit diesem Problem im nächsten Paragraphen beschäftigen. meines Herzens weiß von selbst um jedes Auftreten einer Intention (Jan yi nian zhi
Die folgende Stelle eines Briefes aus dem Jahr 1527 an seinen Schüler Wci fit wu xin zhi limzg zhi wu you hu zi zhi zhc fLJ&\2Z~~,t,,;z &~□ 1m~1' ~ ~□ :g). Ist sie
T,iangbi (1492-157 5) möchte ich zitieren, weil in ihr der zweite Begriff des «ursprüng- gut, weiß dies nur (wei 'lt) von selbst das ,ursprüngliche Wissen> meines Herzens;
lichen Wissens» besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Sie lautet: «Wenn Sie ist sie nicht gut, weiß dies auch nur (wei 'lt) von selbst das <ursprüngliche Wissen>
schreiben, dass man [ein Verhalten] beliebig als <ursprüngliches Wissen> betrachten meines Herzens. Bei beidem gibt es kein Dabeisein anderer Menschen (wu suo yu yu
und dies absichtlich (zuo yi 1'\=Jt), nicht gestützt auf das genuine <ursprüngliche Wis- ta ren 1mPir~nHlliA)67 .»68 Ausdrücklich sagt er an anderer Stelle: «Was man dasjenige
sen>, so machen und es eigenmächtig als <ursprüngliches Wissen> bezeichnen kann, nennt, was die anderen nicht wissen, was man jedoch selbst allein weiß (ji suo du zhi
dann haben Sie diese Krankheit (diesen Fehler) schon durchschaut. Die Intentionen 2i'Jr~931), gerade das ist der Ort des <ursprünglichen Wissens> meines IIerzens.» 69
(yi Jt) und das <ursprüngliche Wissen> (liang zhi ~~) müssen klar unterschieden Nach Wang Yangming ist also das «ursprüngliche Wissen» im Sinne des Gewissens
werden. Wo in Antwort auf praktische Angelegenheiten (wu !!@) Gedanken entste- nicht sozial vermittelt, es ist keine internalisierte Billigung oder Missbilligung der eige-
hen (qi nian ~~), spricht rnan von <Intentionen> (yi ~). Bei den Intentionen gibt es nen Gefühle und Neigungen vom äußeren Gesichtspunkt anderer Menschen aus, man
[moralisch] richtige und falsche (shi fei ~~F). Was fähig ist, um die Richtigkeit oder sieht sich in diesem «Wissen>, nicht «mit den Augen eines Zuschauers», sondern es
Falschheit der Intentionen zu wissen, heifü <Ursprüngliches Wissen>. Wenn man sich ist ein dem einzelnenMensehen ursprünglich eigenes Bewusstsein seiner Intentionen.
auf das <ursprüngliche Wissen> zu stützen vermag (yi de liang zhi mi~lHll), dann gibt Es gibt zwei zusammengehörende Lehrgedichte Yangmings, die in seinen «Ge-
es keine Falschheit.»63 Wang Yangming unterscheidet hier mit größter Deutlichkeit sammelten Werken» unter dem Titel «Antworten an einen, der fragt, was <ursprüng-
,wischen den auf praktische Angelegenheiten gerichteten Intentionen, moralisch liches Wissen> sei» stehen:
guten (dazu gehören die guten Regungen des «ursprünglichen Wissens» in der frü- «Urspriingliches Wissen," gilit es dann, wc·nn 111em allein wei/5.
heren Bedeutung) und schlechten, einerseits und dem «ursprünglichen Wissen» (in Außerhalb dieses [allein] Wissens gibt es kein [ursprüngliches] Wissen.
der zweiten Bedeutung), das um die Güte oder Schlechtigkeit dieser Intentionen weiß, Wer hätte nicht das «ursprüngliche Wissen»!
andererseits. Schon in einer Aufzeichnung von 1512/13 sagte \1/ang Yangming, dass Doch wer erkennt das «ursprüngliche Wissen» (zhi de liang zhi que shi shui !<llflitlHllft!l~iilt)?
die Intentionen unmittelbar gewusst (bewusst) sind: «Zum eigentlichen Wesen der
Intentionen gehört Gewusstsein (Bewusstsein) (yi zhi ben ti bian shi zhi ~.Z:lffflß!l:~ Doch wer erkennt ,fos ,,w·sprüngliche Wissen»?
Urn die eigenen Schmerzen und J uckrL·ize weiß man seihst.
~).» 64 Aufgrund dieses Wissens ist es auch möglich, das eigene willkürliche Ausgeben
Als ob man andere fragte, was Schmerzen und Juckreize sind!
irgendwelcher Absichten als «ursprüngliches Wissen» zu durchschauen. Einerseits ist Was braucht man da noch [andere] zu fragen! 70
dieses <<ursprüngliche Wissen» unmittelbar mit den «Intentionen» gegeben, anderer-
seits gibt es nur dann keine Falschheit, «wenn man sich auf das ursprüngliche Wissen Das <<ursprüngliche Wissen» wird in diesem Cedichtpaar als «allein Wissen» cha-
zu stützen vermag (yi de liang zhi m1~~~□)». Wir stehen wieder vor demselben Pro- rakterisiert und mit dem Wissen um die eigenen Empfindungen verglichen. Der
blem wie bei den zuvor zitierten Briefstellen. Um dieses Problem zu klären, werden Vergleich stimmt insofern, als man bei beidem nicht andere zu fragen braucht. Er trifft
wir im nächsten Paragraphen den soeben zitierten Brief nochmals heranziehen, da er aber nicht zu für die von Wang Yangming in seiner Antwort selbst gestellte Frage:
dafür in seinen weiteren Ausführungen relevant ist. «Doch wer erkennt (z.hi de ~□ 1~) das <ursprüngliche Wissen>?» Mit dem «Erkennen»,
Schließlich seien noch einige 'Jextstellen zitiert, in denen Wang Yangming das von dem in dieser Frage die Rede ist, ist wohl dasselbe gemeint wie mit dem «im
«ursprüngliche Wissen» (liang zhi &~□) in der neuen Bedeutung als «Gewissen» mit

65 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 133ff.


66 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil den§ 2.
61 Oaxnc, 9. Kap.: «Tn der Mitteilung an den Prinzen von K:mg steht: <[Behandle das Volk,] wie du dich 67 Dicser Ausdruck ninncrt an Zha11g Shis Charakterisierung· des «allein Wissens»: «die anderen sind
ein Kleinkind sorgst, [Shztjing: <Klassiker der historischen Dokurnentc>J. Wenn du aufrichtig
Hlll nicht dabei» (n11 .wo h11yu ..A.Ji.lr'FW): siehe oben in dicsct11 Kapitel den§ J, S. 143.
danach strebst, magst du nicht treffen, aber du bist nicht weit davon.» 68 Qurmji,juan 2<,, Sh,rnghai 1992, S. ')71.
62 Brief an Wang Gongbi 3: iHil (aus dem Jahr hing xu [1527]), Quanji,jurm 6, Shanghai 1992, S. 215. 69 Chuanxi lu III, Nr. 318, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 119; ebenso ebd., Nr. 330, Quanji,juan 3,
63 Brief an Wei Shiyue M ffi!im, Quanji,juan 6, Shanghai 1992, S. 217. Shanghai 1992,S.123.
64 Chuanxi lu I, Nr. 6, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 6. 70 Da ren wen liang zhi, er shou, Quanji,juan 20, Shanghai 1992, S. 791.
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<ursprünglichen Wissen> dieses durch die eigene praktische Erfahrung erkennen» <himmlische (natürliche) Ordnungsprinzip>; <durch eigene Erfahrung erkennen> (ti
(zai liang zhi shang ti ren zhi ;f:E.Iil~..tH~z) oder dem «sich auf das ursprüngliche ren H~) bedeutet, etwas wirklich <bei sich selbst haben> (you zhu ji ~~2. ), 74 also nicht
Wissen zu stützen vermögen» (yi de liang zhi ~~i .El~), von denen Wang Yangming so, wie es die Leute der Welt tun, die darüber nur phantasieren und reden. Alle unsere
in von uns zuvor zitierten Briefen sprach71 und das nicht schon mit dem Haben des Gleichgesinnten (Gesinnungsgenossen: tong zhi IB.!~)75 der letzten Zeit können über
«ursprünglichen Wissens» gegeben ist. Es ist also wieder dasselbe Problem, auf das das <ursprüngliche Wissen> zwar Reden (Lehren: shuo ~) halten, aber ich habe noch
wir auf den letzen Seiten schon mehrmals gestoßen sind. keinen gesehen, der fähig wäre, es wirklich in der eigenen Erfahrung zu erkennen
Durch diesen und den vorangegangenen Paragraphen ist es vielleicht deutlich (shi ti ren zhi WH~.L). [... ] Wenn man nicht die Anstrengung der Erkenntnis durch
geworden, warum Wang Yangming sagen konnte, dass er lange Zeit vergeblich nach eigene praktische Erfahrung einbringt (jia ti ren zhi gong :IJDH~~J}J) und in Wahrheit
geeigneten Wörtern für das suchte, was er seit 1520 mit «liang zhi l~» bezeichnete, das <ursprüngliche Wissen> sieht (jian J!), dann ist man auch nicht fähig, den Schein
obschon er diesen Ausdruck schon lange vorher gebrauchte: Vor 1520 bedeutete ihm solcher Reden (Theorien) zu durchschauen.»76 Dem Ausdruck «ti ren BM\», den
dieser Ausdruck im Sinne von Mengzi die Tendenzen zum Guten im menschlichen wir hier mit «in der eigenen praktischen Erfahrung erkennen» übersetzen, sind wir
Herzen. Als sich ihm das Problem der Unterscheidung zwischen guten und schlech- schon am Ende des vorangegangenen Paragraphen in zwei Briefen Wang Yangmings
ten Intentionen stellte, versuchte er, dieses in der Richtung zu lösen, die auf seinen begegnet. Neben diesem Ausdruck gibt es im Chinesischen noch weitere Verben, die
späteren Begriff des liang zhi l~ zuging, aber vorerst «ohne diese beiden Wörter das Wort «ti H» zu ihrem ersten Bestandteil haben: «ti hui H®">>, «ti yan lllifl». «Ti
angeben zu können»; «vielmehr verschwendete» er dabei «zahlreiche andere Wör- \ll» bedeutet hier den Leihkörper, und diese Ausdrücke bedeuten alle eine Erkennen
ter», wie er gesagt haben soll. Er vermochte nicht deshalb diese zwei Wörter nicht oder Verstehen von etwas durch die «Verkörperung» in der eigenen Erfahrung und
anzugeben, weil er sie nicht kannte, sondern weil sie von einer anderen Bedeutung können mit «am eigenen Leib erfahren», «etwas durch das eigene Leben verstehen»,
besetzt waren. Erst als er 1519/2 0 der Mitverschwörung gegen den Kaiser verdächtigt «etwas durch Umsetzung in die eigene Praxis erkennen» wiedergegeben werden. In
wurde und sich in seinem Handeln ganz auf sein «allein Wissen» verlassen musste, der chinesischen, auf die ethische Praxis ausgerichteten Art des Philosophierens treten
gab er diesem «Wissen» die Bezeichnung, die ihm schon vorher für das Richtige im sie nicht selten auf. Was dieses «in der eigenen praktischen Erfahrung Erkennen»
menschlichen Herzen stand. bzw. «wirklich bei sich selbst Haben» oder «Sehen» hinsichtlich des «ursprüngli-
chen Wissens» genauer bedeuten könnte, wollen wir in diesem Paragraphen später
§ 3 Die Verdeckung oder Dunkelheit des «ursprünglichen Wissens» verfolgen. Vorderhand wollen wir es bei der Feststellung belassen, dass nach Wang
(«Gewissens») und die Aufgabe seiner Klärung. Was heißt Yangming das «ursprüngliche Wissen» im Sinne des moralischen Bewusstseins der
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» in der Klärung eigenen Intentionen oder des Gewissens beim gewöhnlichen Menschen nicht schon
des «ursprünglichen Wissens»? ohne weiteres hell oder klar ist.
Dennoch ist Wang Yangming der Auffassung geblieben, dass sich in jedem
In mehreren Texten, die wir im vorangehenden Paragraphen zitiert haben, sprach Menschen das «ursprüngliche Wissen» («Gewissen») kundtut: «In jedem Menschen,
Wang Yangming davon, dass der Mensch trotz seines «ursprünglichen Wissens» der etwas Schlechtes tut, mag er sich auch im höchsten Grade dem <Ordnungsprin-
(«Gewissens») um die Güte oder Schlechtigkeit der eigenen Intentionen diese doch zip> widersetzen und die Sittengesetze verwirren, weiß dies doch das <ursprüngliche
nicht erkennen und sich darüber täuschen kann. In seinen letzten Jahren scheint er Wissen> seines eigentlichen Herzens (qi ben xin zhi liang zhi lt*1t.,.zl~) aus sich
in dieser Hinsicht sogar recht pessimistisch geworden zu sein, wie etwa ein Brief selbst (yi wei you bu zi zhi zhe ?ff\*~1' ~ ~4f). Aber er ist nicht fähig, sein ihm eigenes
aus dem Jahr 1527 zeigt: «Über die Lehre vom <ursprünglichen Wissen> haben wir <ursprüngliches Wissen> zu <Verwirklichen> (bu neng zhi qi ben ran zhi liang zhi :;i;:~J.!(!t
früher auch einmal ausführlich gesprochen. Sind Sie unterdessen fähig geworden, *~;z il~). Daher werden seine Handlungen nicht <berichtigt> (ge ffi.), und sein Wille
noch mehr gründliche Klarheit zu erreichen? Mingdao72 sagte: <Wenn ich in mei- (yi ~) ist nicht <Wahrhaftig> (cheng ifA).» 77 Zum Beweis dafür, dass auch im schlechte-
ner Lehre auch von anderen übernommen habe, so habe ich doch die zwei Wörter sten Menschen das «Gewissen» vorhanden ist, verweist er auf das Phänomen des sich
<himmlisches (natürliches) Ordnungsprinzip> (tian li ~II) [in ihrer Bedeutung] durch
eigene Erfahrung (Praxis) erkannt (ti ren d~).> 73 Das <ursprüngliche Wissen> ist das
74 Anspielung auf das neunte Kapitel des Daxue: «Wenn [der Fürst] etwas befiehlt, was dem entgegen-
gesetzt ist, was er [zu tun] liebt, wird ihm das Volk nicht gehorchen. Deshalb fordert der Edle nur das
71 Brief an Ouyang De von 1526, Chuanxi lu II, Nr. 169, und Brief an Wang Gongbi von 1527, siehe von den anderen, was er bei sich selbst hat (;you zhu ji fl°~ 2, ).»
oben in diesem Paragraphen, S. 151 und S. 152. 75 Wang Yangming bezeichnet seine Schüler und alle, die er zur Gemeinschaft seines «Lernens» zählt,
72 Cheng Hao (1032-1085), der ältere der beiden Cheng-Brüder. als «Gleichgesinnte» (fali!s). Zu diesem Ausdruck siehe unten in der Einleitung zu Teil II den § 1.
73 Cbeng shi wai shu,juan 12, Er Chengji, Beijing 1981, 2. Bd., S. 424. Anstatt «ti ren lilil!» steht hier «ti 76 An Ma Zixin ,lili -r~ im Jahr ding hai (= 1527), Quanji,juan 6, Shanghai 1992, S. 218.
tie R.11.!i» (mitfühlen, einfühlen, wörtlich: sich mit dem eigenen Leib daran schmiegen). 77 An Lu Qingbo (= Lu Cheng), nicht datiert, Quanji,juan 27, Shanghai 1992, S. 1011.
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Schämens und beruft sich dabei auf eine Stelle im sechsten Kapitel des Daxue.78 Er sagt wäre ja die Schlechtigkeit einer Intention der Grund für ihre eigene Unbewusstheit,
in seinen «Fragen zum Daxue», nachdem er über das «allein Wissen» gesprochen hat: und die Menschen wären sich letztlich nur ihrer guten Intentionen bewusst und nicht
«Wenn daher auch ein <kleiner> (gemeiner) Mensch Schlechtes tut und dabei schon ihrer schlechten.
keine Grenzen mehr kennt, so muss er, wenn er einen Edlen trifft, es doch verbergen Nach Wang Yangming trübt man sein «Gewissen» dadurch, dass man seinen
(yan ran mr&); <er verdeckt sein Schlechtes und stellt sein Gutes zur Schau>. Daraus Willen nicht «wahrhaftig macht» (cheng it4), was bedeutet, dass man nicht dem «Ge-
ist ersichtlich, dass sein <ursprüngliches Wissen> es nicht zulässt, dass es selbst [völlig] wissen» gemäß handelt. In einem Text des dritten Teils des Chuanxi lu sagt er das erste
verdunkelt wird (bu rang yu zi mei 1'~~ ~ Hik).»79 Kapitel des Daxue auslegend: «Die Wurzel des <Wahrhaftigmachens des Willens>
Wang Yangming gebraucht für die verschiedenen Grade der Klarheit (Helle: (chengyi IDitJ:l) besteht in der <Verwirklichung des Wissens>. Das, von dem es heißt, dass
ming BJ:l) des «ursprünglichen Wissens» das folgende Gleichnis: «Das <[ursprüngliche] es die anderen nicht wissen und das man <allein weiß> (du zhi äm9ill), gerade das ist die
Wissen> der heiligen Menschen (sheng ren ~A) ist wie die Sonne am blauen Himmel, Stelle des <Ursprünglichen Wissens> meines Herzens (Geistes). 83 Wenn man aber um
dasjenige der weisen Menschen (xian ren Ji)-_) wie die Sonne am bewölkten Himmel, das Gute [d.h. um die eigenen guten Intentionen] weiß und nicht, gestützt auf dieses
dasjenige der törichten Menschen (yu ren m_)-_) wie die Sonne am bedeckten Himmel. <ursprüngliche Wissen> (yi zhe ge liang zhi 1«ji1ffil fjl_9<!]), [diese guten Intentionen] in die
Obschon es Unterschiede der Helle und Trübung gibt (ming hun bu tong BJ:l~=flii.l), Tat umsetzt und wenn man um das Schlechte [d.h. um die eigenen schlechten Inten-
ist doch die Fähigkeit, Dunkel und Hell (Schwarz und Weiß, Falsch und Richtig) zu tionen] weiß und nicht, gestützt auf dieses <ursprüngliche Wissen>, [diese schlechten
unterscheiden, nur eine (neng bian bei bai ze yi f11'ltJHllt B JlU-). Selbst in der finsteren Intentionen] von der Tat abhält, dann wird dieses <ursprüngliche Wissen:> <Verdeckt
Nacht erscheint noch vage Dunkel und Hell (Schwarz und Weiß), weil noch etwas und verborgen (zhe bi 31.lli)>; das ist die Unfähigkeit, das <ursprüngliche Wissen> zu
vom Sonnenlicht übriggeblieben ist. Die [ethische] Anstrengung des <Lernens mit <Verwirklichen>. Wenn man das <ursprüngliche Wissen> des eigenen Herzens nicht
Mühe> (kun xue lzlsl~ [d.h. des Lernens der niedrigsten Stufe, nämlich der gewöhn- vollständig auszuweiten und zur Fülle zu bringen vermag (kuo chong il:3t),84 dann
lichen Menschen])8° besteht auch nur darin, von diesem kleinen bisschen Helligkeit vermag man das Gute, obschon man weiß, dass es gut ist, nicht wirklich zu lieben,
(Klarheit) aus genau zu prüfen (cong zhe dian ming chu jing cha fitjill/iBJ:IJ.l!U;~).» 81 und man vermag das Schlechte, obschon man weiß, dass es schlecht ist, nicht wirklich
Was ist es, was nach Wang Yangming das «ursprüngliche Wissen» trübt? Dies zu verabscheuen; wie könnte man da zur <Wahrhaftigkeit des Willens> gelangen (de
zu wissen, wäre wohl wichtig, um diese Trübung aufzuheben, das heißt um dem yi cheng 1~:J.lil4)?»85 Nach dieser Aussage wird das <<ursprüngliche Wissen» im Sinne
«ursprünglichen Wissen» Klarheit zu verschaffen. Man könnte wieder an die «selbst- des Gewissens also dadurch <<Verdeckt und verborgen» (zhe bi l&li), dass man nicht
süchtigen Intentionen» denken, die nach ihm ja die Quelle des moralischen Übels gemäß diesem «Wissen» handelt, das heißt seine als gut bewussten Intentionen nicht
sind. Aber er nennt sie im Zusammenhang der Trübung des «Gewissens» nicht. Die in die Tat umsetzt und seine als schlecht bewussten Intentionen nicht vor der Tat zu-
«selbstsüchtigen Intentionen» «behindern», wie wir im letzten Kapitel sahen, das rückhält. Das bedeutet auch, dass der Wille nicht «wahrhaftig» ist, das heißt, dass man
«ursprüngliche Wissen» im Sinne der natürlichen Tendenzen des menschlichen Her- das Gute nicht wirklich liebt und das Schlechte nicht wirklich verabscheut, also sich
zens zum Guten (erster Begriff des «ursprünglichen Wissens»). Oder Wang Yangming nicht so verhält, «wie wenn man schöne Farben liebt und üble Gerüche verabscheut»,
kann im Hinblick auf das immer vollkommene «eigentliche Wesen» (ben ti *H) des wie es im sechsten Kapitel des Daxue in Hinsicht auf die«Wahrhaftigkeit des Willens»
«ursprünglichen Wissens» (dritter Begriff, erörtert im nächsten Kapitel) sagen, dass heißt. 86 In seinen «Fragen zum Daxue» (Daxue wen) sagt Wang Yangming in der Aus-
«die gewöhnlichen Menschen von den Wünschen nach den äußeren Dingen (wu yu legung derselben Textstelle: «Wenn man nun Gutes und Schlechtes unterscheiden (hie
!!@~) getrieben und verdunkelt werden (qian bi $ilil)», so dass sie «nicht in Überein- 53U) will, um seinen <Willen wahrhaftig zu machen> (cheng yi ~•), so kann dies nur
stimmung (xun fli) mit den Tätigkeiten und Funktionen [des eigentlichen Wesens] dadurch geschehen, dass man das verwirklicht, was das <ursprüngliche Wissen> weiß
des <ursprünglichen Wissens> zu leben vermögeil.»82 Aber für die -«Verdunkelung» (zhi qi liang zhi suo zhi iUt.El9<llPlf~). Wieso? Wenn eine Intention (Absicht: yi nian
des Bewusstseins des moralischen Wertes der eigenen Intentionen sind die selbst- .it~) hervortritt und das <Ursprüngliche Wissen> dabei weiß, dass es etwas Gutes ist,
süchtigen Intentionen nach Wang Yangming nicht die unmittelbare Ursache. Sonst man nun aber nicht fähig ist, wahrhaftig zu sein, indem man es liebt (cheng you yi hao

78 Daxite, 6. Kap. nach der Einteilung von Zhu Xi. Die Stelle lautet: «Wenn der <kleine, (gemeine)
Mensch allein ist, tut er Schlechtes und kennt dabei keine Grenzen. Wenn er aber einen Edlen sieht, 83 Siehe oben in§ 2, S. 152f., Yangmings Identifikation von «ursprünglichem Wissen» (zweiter Begriff)
ist ihm unwohl zu Mute; er verbirgt sein Schlechtes und stellt sein Gutes zur Schau.» und «allein Wissen», wie es in Zhu Xis Kommentaren zum Daxue und Zhongyong auftritt.
79 Daxue wen, Quarqi,juan 26, Shanghai 1992, S. 97lf. 84 In diesem Satz wird die «Verwirklichung des urspriinglichen Wissens» gemäß dem frühen Begriff des
80 Anspielung auf das Zhongyong, Kap. 19 (in der Einteilung Zhu Xis): «Einige wissen davon von Geburt «urspriinglichen Wissens» (=Anlage zum Guten) formuliert, während «urspriingliches Wissen» sonst
her, einige wissen davon durch Lernen, einige wissen davon durch Mühe.» in diesem Zitat im Sinne des «allein Wissens» («Gewissens») auftritt.
81 Chuanxi lu III, Nr. 289, Quanji,jttan 3, Shanghai 1992, S. 111. 85 Chuanxi lie III, Nr. 318, Qieanji,j1tan 3, Shanghai 1992, S.119.
82 An Lu Cheng, Chuanxi lt, II, Nr. 165, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 69. 86 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 140,Anm. 27.
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zhi ~fi°P).111-z), sondern ihm den Rücken kehrt (es verleugnet) und es vertreibt (bei er (ming cheng xiang sheng IIJl~*H4-.).»89 Nach diesen Ausführungen macht nicht nur die
qu zhi ~ji'jj~z), dann nimmt man etwas Gutes für etwas Schlechtes (yi shan wei e J;J. «Wahrhaftigkeit des Willens», sondern auch der Glaube an das «ursprüngliche Wis-
~~~) und verdunkelt selbst (zi mei § ~) sein um das Gute wissende <ursprüngliche sen» dieses klarer. Aber beide sind eines im Handeln, das sich auf das «ursprüngliche
Wissen>. Wenn eine Intention hervortritt und das <ursprüngliche Wissen> dabei weiß, Wissen» stützt. Denn so wie der Wille nur in solchem Handeln effektiv, das heißt
dass es etwas Schlechtes ist, man nun aber nicht fähig ist, wahrhaftig zu sein, indem «wahrhaftig» ist (die «Wahrhaftigkeit des Willens» kommt in der «Berichtigung der
man es verabscheut, sondern unter Missachtung es ausführt (dao erwei zhi llffim~Z), Handlungen» zustande), so ist auch der Glaube an das eigene «ursprüngliche Wis-
dann nimmt man etwas Schlechtes für etwas Gutes und verdunkelt selbst sein um das sen» (das Vertrauen in das eigene «ursprüngliche Wissen») nur im entsprechenden
Schlechte wissende <ursprüngliche Wissen>. Obschon gesagt wird: Das <ursprüngli- Handeln effektiv. Im obigen Text finden wir weiter den Gedanken ausgedrückt, dass
che Wissen> weiß es, ist es dann so, wie wenn es nicht wüsste (you bu zhi ffi°1'~). Wie die «Wahrhaftigkeit des Willens» auch umgekehrt durch die Klarheit des «ursprüngli-
könnte so der Wille wahrhaftig werden! Wenn man also das, was das <ursprüngliche chen Wissens» gefördert wird. Es ist wohl derselbe Gedanke, den wir gleich antreffen
Wissen> als gut oder als schlecht weiß (erkannt hat), immer wahrhaftig liebt oder werden, nämlich dass durch die Klarheit des «ursprünglichen Wissens» die ethische
wahrhaftig verabscheut, dann betrügt man nicht selbst sein <ursprüngliches Wissen> Anstrengung (gongfo) an Kraft gewinnt und so leichter wird.
(bu zi qi qi liang zhi 1' ~ !'tt!t.l~Jil), und der Wille kann wahrhaftig sein.»87 Das «ur-
sprüngliche Wissen» wird also nach diesem Text dadurch «verdunkelt», dass man es a) Die Klärung des «Gewissens» durch ein dem «Gewissen» gemäßes Handeln
«betrügt», indem man unter Missachtung dieses «ursprünglichen» Wertbewusstseins Wenn die «Verdunkelung» («Verdeckung», «Verbergung») des «ursprünglichen
das Gute und Schlechte im Wollen und Handeln verkehrt, dadurch dieses Bewusstsein Wissens» («Gewissens») dadurch entsteht, dass man in einer Art «Selbstbetrug»
verneint und es zu einem Nichtwissen macht. Beide soeben zitierten Texte stimmen (zi qi ~ Jx) gegen sein eigenes «ursprüngliches Wissen» handelt, dann besteht die
sachlich völlig überein. Klärung des «Gewissens» darin, dass man mit ihm im Handeln konsequent überein-
In einem Brief wohl aus dem Jahr 1526 an Ouyang De schreibt Wang Yangming, stimmt: «Der Lehrer [Yangming] sagte: <In der <Verwirklichung des [ursprünglichen]
dass sich Klarheit (ming IIJI) des «ursprünglichen Wissens» und «Wahrhaftigkeit» Wissens> muss jeder gemäß dem beschränkten Teil [an Einsicht], den er jeweils
(cheng ~) des Willens gegenseitig hervorbringen. Er antwortet an dieser Briefstelle erreicht hat (fen xian suo ji 7.3-fl.lUiJf&) vorgehen. Wenn das heutige <ursprüngliche
auf das Problem seines Briefpartners, wie der Aussage von Konfuzius zu entsprechen Wissen> (<Gewissen>) jetzt so ist, muss ich es nur gemäß dem, was ich heute weiß bis
sei, dass ein Weiser in seinem Verhalten einerseits die Betrügereien der anderen zum äußersten <ausdehnen und zur Fülle bringen> (kuo chong J/l3t); wenn morgen das
Menschen nicht antizipiere und ihren Unglauben ihm gegenüber nicht einplane, aber <ursprüngliche Wissen> (<Gewissen>) weiter an Einsicht gewonnen hat (you you kai
andererseits sich dieser Dinge doch im Voraus bewusst sei (xian jue $'f;Jf). 88 Auf dieses wu ~fi°lfflffi-), dann muss ich es von dem morgen Gewussten aus bis zum äußersten
Problem antwortet er: «Der Edle lernt [ethisch] für sich selbst. Er erwägt nicht, dass <ausdehnen und zur Fülle bringen> (kuo chong J/l3t). Nur so haben wir die [ethische]
andere ihn betrügen (qi Je:) könnten, sondern er betrügt nie sich selbst, indem er nie Anstrengung der <Verfeinerung und Einheit> (jingyi gongfo ffl-:i:jJ~ 90).>»91 Yang-
sein <ursprüngliches Wissen> betrügt (zi qi qi liang zhi ~ Jx!tlll~); er erwägt nicht, ming zieht daraus auch gleich die pädagogischen Konsequenzen: «Wenn wir mit
dass andere ihm nicht glauben könnten, sondern er glaubt immer sich selbst, indem einem anderen Menschen über sein [ethisches] Lernen sprechen, dann müssen wir
er seinem <Ursprünglichen Wissen> glaubt (zi xin qi liang zhi ~ffl!tlll~); er strebt dies auch gemäß dem beschränkten Anteil [an Einsicht], den er erreicht hat, tun. Es
nicht danach, sich im Voraus der Betrügereien und des Unglaubens anderer bewusst
zu sein, sondern ist nur damit befasst, sich seines <ursprünglichen Wissens> bewusst
zu sein (zi jue qi liang zhi ~ jf;lit.a,!J;a). Wenn er sich daher nicht betrügt, dann ist sein
89 An Ouyang Chongyi (= Ouyang De), nach der «Lebenschronik» ein Brief von 1526. Chuanxi tu II,
<ursprüngliche Wissen> ohne Falschheit und [sein Wille] ist <wahrhaftig> (cheng ~). Nr. 171, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 74. Wir haben im obigen Briefzitat mehrere Wcirter inter-
Wenn er <wahrhaftig> ist, dann ist [sein <ursprüngliches Wissen>] klar (cheng ze ming poliert. Wang Yangming bindet sich hier in seinen Formulierungen an eine Stelle aus dem 21. Kap.
~Jt~ IIJI). Wenn er an sich selbst glaubt [nämlich an sein <ursprüngliches Wissen>], dann (nach Zhu Xis Einteilung) des Zhmgyong: «Von der Wirklichkeit (cheng ~) zur Klarheit (ming IIJ.I) wird
<Natur> genannt; von der Klarheit zur Wirklichkeit wird <Lehre> genannt. Wenn Wirklichkeit, dann
ist sein <ursprüngliches Wissen> frei von Zweifeln und ist klar (ming IIJI). Wenn es klar Klarheit (cheng ze ming ~Jtl]H,ij); wenn Klarheit, dann Wrrklichkeit (ming ze cheng IIJ.IJI~~).» Wie aus
ist, dann ist [der Wille] wahrhaftig (ming ze cheng BJIJ{~~). Klarheit [des <Ursprüng- dem Kontext («Selbstbetrug») von Yangmings Brief zu sehen ist, versteht er hier das «cheng ~» des
lichen Wissens>] und Wahrhaftigkeit [des Willens] bringen sich gegenseitig hervor Zhongyong, das in diesem Buch nicht auf den Willen bezogen und wohl am besten mit «Wirklichkeit»
wiederzugeben ist, im Sinne des ersten und sechsten Kapitels des Daxue als «Wahrhaftigkeit» des
Willens ~i cheng -~). Unsere Interpolierungen ergänzen gemäß dem Sinn, den Wang Yangming
hier diesen Formeln des Zhortgyong gibt.
90 Anspielung auf den «Klassiker der historischen Dokumente» (Shujing), «Ratschläg·e des Großen Yu»
(Da Yu mu): «Das Herz des Menschen ist gefährlich, das Herz des Dao ist verborgen. Sei fein, sei eins
87 Daxue wen, Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S, 972. und halte fest an der Mitte.» Legge, a.a.O., Bd. III, S. 61f.
88 LZlnyu («Gespräche des Konfuzius»), 14. Buch, Kap. 33. 91 Chuanxi tu III, Nr. 225, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 96.
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ist so wie mit der Pflege eines Baumes. Wenn er noch ein kleiner Sprössling ist, gib kommenden entgegeneilen (jiangying *-fill!) solle. 96 Yangming antwortet: <«Ins Weite
ihm ein klein wenig Wasser! Wenn er gewachsen ist, kannst du ihm mehr Wasser überlegen> bedeutet nicht, dass man grenzenlos herumdenken und herumüberlegen,
geben. Von der Zeit an, in der du seinen Stamm mit deinen Händen umgreifen, bis sondern dass man das <himmlische (natürliche) Ordnungsprinzip> bewahren soll (cun
zur Zeit, in der du ihn nur mit beiden Armen umschließen kannst, musst du ihm tian li ff ~Jlll.). Das <natürliche Ordnungsprinzip> ist im menschlichen Herzen (Geist)
gemäß dem beschränkten Teil, den er aufnehmen kann, begießen! Wenn du einen zu allen Zeiten, ohne Anfang und ohne Ende; das <natürliche Ordnungsprinzip> ist das
kleinen Sprössling mit einem ganzen Fass Wasser begießest, wirst du ihn ersäufen.»92 <Ursprüngliche Wissen>. Alles Denken und alles Überlegen soll nichts anderes als das
Auch in diesem Text kommen übrigens wieder beide Begriffe des «ursprünglichen <ursprüngliche Wissen verwirklichen> (zhi liang zhi 111:~~).Je mehr das <Ursprüngliche
Wissens» vor. Wissen> denkt (si ,'!!.), desto scharfsinniger (jingming ffillJn wird es. Wenn [man] nicht
Nach diesem Text klärt sich (erhellt sich: ming a,rn das «ursprüngliche Wissen» fein denkt (jing si ~,'!!.), sondern in den jeweiligen Angelegenheiten unbedacht reagiert
(«Gewissen») durch seine «Verwirklichung», wobei Letztere das «Ausweiten und zur (man ran sui shi ying qu 5~?/.\111~1!!~), dann wird das <ursprüngliche Wissen> grob (cu
Fülle Bringen» im Handeln bedeutet, entsprechend Wang Yangmings Auslegung des ffl). Wenn man [andererseits] in seinen Angelegenheiten grenzenlos herumdenkt und
ersten Kapitels des Daxue, dass sich «das Wissen im Berichtigen der Handlungen (ge herumüberlegt, dann schleichen sich unvermeidlich die menschlichen [selbstsüchti-
wu ffi-~) verwirklicht». Das ist eine allmähliche, schrittweise Klärung, die mit dem gen] Wünsche (ren yu A.f:rx) nach Ruhm und Erfolg ein, und es ist ein <Nachhängen
Handeln korrespondiert, das dem jeweiligen Klarheitsgrad des «Gewissens» ent- und Entgegeneilen> (jiang ying *-fill!).» Dieses Denken, wodurch das «ursprüngliche
spricht. Aber nach Wang Yangming klärt sich das «Gewissen» noch durch eine andere Wissen» «scharfsinnig» wird, ist wahrscheinlich als ein von guten Intentionen getra-
Art seiner «Verwirklichung» (zhi zhi III:~), nämlich durch eine besondere Weise des genes Denken zu verstehen, das überlegt, was in der jeweils gegenwärtigen äußeren
«Denkens» (si ,'!!.). Das ist sehr bedeutsam und wird in den späteren Diskussionen Situation konkret das «himmlische Ordnungsprinzip» ist, das heißt, was jetzt getan
unter Yangmings Schülern eine große Rolle spielen. werden soll, und das vor gut gemeintem, aber übereiltem, unbedachtem Handeln
schützt, andererseits aber auch nicht in «grenzenlosem Herumdenken» egoistische
b) Die Klärung des «ursprünglichen Wissens» durch «Achtsamkeit und Interessen mit ins Spiel bringt.
Furchtsamkeit» gegenüber dem «allein Gewussten» Wang Yangming macht nun aber, im unmittelbaren Anschluss an das oben
Es ist hier nicht das Denken gemeint, das im Handeln selbst geschieht und in welchem Zitierte, noch eine andere Art von Denken geltend: «Wenn der Fürst von Zhou die
in Hinsicht auf die jeweiligen äußeren Umstände und Probleme überlegt wird, was ganze Nacht dachte (si ,'!!.), dann ist dies nur die Anstrengung (gongfa Jil~) der <Acht-
hier das moralisch Richtige ist, das heißt, was hier getan werden soll. Auch ein solches samkeit beim nicht Gesehenen und der Furchtsamkeit beim nicht Gehörten> (jie shen
Denken <<Verwirklicht» zwar das «ursprüngliche Wissen», aber primär als praktische bu du, kongju bu wen tiltt!1'1ilf~111'111). Sobald man dabei einsieht (jian Ji), so unter-
«Verwirklichung» der guten Intentionen (des «ursprünglichen Wissens und Kön- scheiden sich die Verhältnisse von selbst vom <Nachhängen und Entgegeneilen>.»97
nens» im Sinne von Mengzi). Das «Denken», das nach Wang Yangming direkt das Diese «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» richtet sich nicht auf Probleme der äußeren
«ursprüngliche Wissen» im Sinne des «Gewissens» klärt, ist nicht auf die äußere praktischen Situation, die man im Handeln ethisch richtig zu lösen hat, sondern zielt
praktische Situation, sondern nach «innen», auf das eigene «Herz (Geist)» gerichtet; nach Wang Yangming auf das «nicht sichtbare und nicht hörbare», aber «allein ge-
es ist die <~chtsamkeit beim Unsichtbaren und die Furchtsamkeit beim Unhörbaren» wusste» eigene «Herz». Und die «Einsicht» (jian Jt), die das Ziel dieses «Denkens»
(jie shen hu qisuo bu du, kongju hu qi suo bu wen tilttJ:s_Jl!tP.lr::Y:llf~ffPf-!tP.lr::Y:IU.I) nach den ausmacht, ist eine «Einsicht» in das «ursprüngliche Wissen». Diese «Einsicht» kann
Worten des ersten Kapitels des Zhongyong. 93 Von diesen beiden verschiedenen Arten eine Klarheit des «Gewissens» meinen. Auch diese Haltung der «Achtsamkeit beim
des «Denkens» scheint Yangming in der folgenden Unterredung zu sprechen: Ein Nichtgesehenen und Furchtsamkeit beim nicht Gehörten» nennt Wang Yangming
Schüler fragt ihn, ob Konfuzius' Forderung, «ins Weite zu überlegen» (yuan lü mlll), 94 «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens».
und Mengzis Aussage, dass der Fürst von Zhou (das große Vorbild des Konfuzius) auch
noch in der Nacht das Denken (si ,'!!.) des Tages fortsetzte, 95 nicht im Widerspruch zur
Lehre stünden, dass man nicht in Gedanken vergangenen Dingen nachhängen und

96 Dieser Gedanke stammt aus dem Buch Zbuangzi (7. Stück, Kap. 6), das im Allgemeinen zur daoisti-
schen Tradition gerechnet wird, aber auch von vielen Konfuzianern geschätzt wurde. Auch Wang
92 Ebd. Yangming hat sich diesen Gedanken zu eigen gemacht. Er sagt z.B. in einer Aufzeichnung im ersten
93 Siehe oben im ersten Paragraphen dieses Kapitels, S. 136-144. Teil des Cbuanxi lu: «Nur dieses Herz (Geist) immer im Gegenwärtigen bewahren, das ist das [ethi-
94 Lmryu («Gespräche von Konfuzius»), 15. Buch, 11. (12.) Kap.: « Wer nichtins Weite überlegt, hatim sche] Lernen. Was hat es für einen Nutzen, an vergangene und künftige Geschäfte zu denken? Man
Nahen Kummer.» lässt dabei nur sein Herz (Geist) fallen.» Nr. 79; Quanji,jtutn 1, Shanghai 1992, S. 24.
95 Mengzi, 4. Buch, 2. Teil, Kap. 20. 97 Cbuanxilu III, Nr. 284, Qflanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 110.
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Wir haben schon oben in unserer kurzen Darstellung von Zhu Xis Denken98 Wenn man im Inneren <nicht einseitig> [d.h. in der <Mitte>] ist (bu pian yi '.:fiiifflftt),
und in unserer Erörterung des Begriffs des «allein Wissens» 99 ausgeführt, dass auch ist man auch in seinen Gefühlsäußerungen <nicht widerwärtig> [d.h. <harmonisch>]
für Zhu Xi jene <<Achtsamkeit und Furchtsamkeit» im ersten Kapitel des Daxue (bu guai ti 1'~~)103 • Wie könnte man sich auf der Ebene der Substanz 104 anstrengen
eine wichtige Weise des «Lernens» oder der «Selbstkultivierung» war und dass (ben ti shang ruhe yong gong ;ijs;ilLI::.~afnJJf.l~)! Man kann sich erst anstrengen, wenn
er sie, seit 1159, als eine Art meditativer «Versenkung» in einen geistigen Ruhe- die Gefühle entstanden sind. Durch die Verwirklichung der <Harmonie> [in den
zustand verstand, in welchem man selbst noch nicht weiß, «nicht sieht und nicht entstanden Gefühlen] wird auch die <Mitte> [vor ihrem Entstehen] verwirklicht.
hört» und noch keine intentionalen Gefühle und Gedanken über Dinge hat. Jene Indem die zehntausend Dinge hervorgebracht und genährt werden, befinden sich
«Achtsamkeit und Furchtsamkeit» zielt nach Zhu Xi, in der Sprache des ersten auch Himmel und Erde [welche die Dinge hervorbringen und nähren] an ihrem
Kapitels des Zhongyong, auf «die Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» (wei fa richtigen Platz (bian shi tian di wei 11!~~:tt!d:i'L).> Ich konnte mir dies noch nicht er-
zhi zhong *fft.zq:i). Demgegenüber verstand Wang Yangming die «Achtsamkeit klären. Der Lehrer sagte: <Man soll sich nicht an die Wortbedeutungen klammern!
und Furchtsamkeit» aus dem ersten Kapitel des Zhongyong als ein «achtsames und Die <Mitte> [vor dem Entstehen der Gefühle] und die <Harmonie> [nach ihrem
furchtsames» Denken in Bezug auf die eigenen intentionalen Gefühle und Gedan- Entstehen] können nicht getrennt werden. Es ist wie mit dem Feuer hier vor uns:
ken, welche die anderen Leute nicht sehen und nicht hören können und um die Das Feuer selbst (die Substanz des Feuers: huo zhi ben ti j{;z,;ljs;ff) ist die <Mitte>;
sie daher nicht wissen, um die man aber selbst unmittelbar «allein weiß». Nach sein Beleuchten der Dinge ist seine <Harmonie>. Wenn wir das Feuer haben, be-
Wang Yangming kann diese «Achtsamkeit und Furchtsamkeit», in der Sprache leuchtet sein Licht auch die Dinge. Wie könnte man das Feuer und sein Beleuchten
des ersten Kapitels des Zhongyong, nur die «Harmonie nach, dem Entstehen der voneinander trennen! So sind <Mitte> und <Harmonie> eine Einheit. Es gibt unter
Gefühle» (yi fa zhi he 2. fft .z;ffi) zum Ziel haben. Diese sehr wichtige Differenz zu den neueren Konfuzianern auch welche, die [wie ich] die <Achtsamkeit [beim nicht
Zhu Xi in der ethischen « Übung» kommt in einer Aufzeichnung eines Gesprächs Gesehenen] und die Furchtsamkeit [beim nicht Gehörten]> für dasselbe halten wie
zum Ausdruck, das sicher nach 1518 stattgefunden hat. 100 Diese Aufzeichnung die <Achtsamkeit im allein [Wissen]> (shen du tläli) und verneinen, dass es [wie Zhu
stand in einer frühen Ausgabe (1554 oder 1555) der «Fortsetzung des Chuanxi Xi meint] zwei verschiedene Dinge seien. 105 Aber sie wissen nicht, dass durch diese
tu», die heute den dritten Teil des Chuanxi tu ausmacht, wurde aber in der end- Verwirklichung der <Harmonie> [nach dem Entstehen der Gefühle] auch die <Mitte>
gültigen Redaktion von 15 56 durch Qian Dehong ausgeschieden. 101 Huang Zhi [vor ihrem Entstehen] verwirklicht ist.> Am nächsten Tag sagte Chongyi [Ouyang
:i: 1[ (Beiname: Yifang J..;I.JJ), der aus dem Kreis Jinxi ~~ in der Präfektur Fuzhou De] zu mir: <Das <Vor dem Entstehen der Gefühle> meint die Substanz (ben ti ;ljs;ffl);
IOM (Provinz Jiangxi) stammte 102 und von dem sich zwei Gruppen von Gespräch- die Substanz selbst ist nicht entstanden (ben ti zi shi bu fa di ;ljs;ffl ~ ~1'~~)- Wie
saufzeichnungen im dritten Teil des Chuanxi tu finden, schreibt in dieser ausge- zum Beispiel, wenn man über einen Menschen zu Recht zornig ist: Obschon ich
schiedenen Aufzeichnung: «Ich fragte: <Ist die Achtsamkeit und Furchtsamkeit über ihn zornig bin, besteht auch die <Mitte>, wenn mein Zorn das richtige Maß
ein Verwirklichen der <Harmonie> [nach dem Entstehen der Gefühle] oder ein nicht überschreitet (bu guo dang 1'~'i°); und diese Mitte ist die Substanz (ben ti
Verwirklichen der <Mitte> [vor dem Entstehen der Gefühle]?> Der Lehrer [Yang- ;ljs;ffl), die <Vor dem Entstehen [der Gefühle]> ist.> Später fragte ich den Lehrer
ming] antwortete: <Es ist eine Anstrengung auf der Ebene der Harmonie [nach dem über die Aussage von Chongyi [Ouyang De]. Der Lehrer antwortete: <Das ist eine
Entstehen der Gefühle].> Ich fragte: <Das Zhongyong spricht vom Verwirklichen der geglückte Redeweise! Wenn Zisi [der Autor des Zhongyong] vom <Entstehen der Ge-
<Mitte> [vor dem Entstehen der Gefühle] und vom Verwirklichen der <Harmonie> fühle> und <Vor dem Entstehen der Gefühle> spricht, will er gerade, dass man sich in
[nach ihrem Entstehen]. Warum sagen Sie, dass die Anstrengung nicht auf der Ebe- der Zeit, wenn [die Gefühle] entstanden sind, anstrengt (zai fa shi yong gong 1:Efft~Jf.l
ne der Verwirklichung der <Mitte>, sondern auf der Ebene der Verwirklichung der l)J).>» 106 Wahrscheinlich hat Qian Dehong diese Aufzeichnung deshalb fallenlassen,
<Harmonie> geschehen soll?> Der Lehrer antwortete: <Die <Mitte> [vor dem Entste- weil nach ihr auch noch die <<Substanz» (ben ti) des <,Herzens» indirekt durch die
hen der Gefühle] und die <Harmonie> [nach ihrem Entstehen] bilden eine Einheit. «Verwirklichung» der «Gefühle» («Funktionen») verbessert wird, während nach der

98 Siehe oben in der allgemeinen Einleitung den § 4, S. 34. 103 Durch «nicht einseitig» (wie mo pian yi mtPJriiflk) bestimmt Zhu Xi in seinem Kommentar zum er-
99 Siehe oben in Kap. 2 den§ 1, S. 136ff. sten Kapitel des Zhongyong die «Mitte» und durch «nicht widerwärtig» (wie mo guai li mtPJi--tE~) die
100 Ouyang De, derin diesem Gespräch auftritt, war zwischen 1517 und 1519 sowie im September 1520 «Harmonie».
bei Wang Yangming in Ganzhou. In der «Lebenschronik» wird zwar nicht erwähnt, dass Ouyang 104 Zu diesem Begriff von «ben ti ;;jl;llf», den wir hier mit «Substanz» übersetzen, siehe im nächsten Kapitel
De Wang Yangming auch in den Jahren von dessen Lehrtätigkeit in Shaoxing (1522-1527) besuchte, den§ 1.
aber er tritt ebenfalls in einem Gespräch im dritten Teil des Chuanxi lu auf (Nr. 303), das in Shaoxing 105 Gemeint ist wohl Zhu Xis Freund aus Hunan, Zhang Shi (Beiname: N aruman, 113 3-1180): siehe oben
stattgefunden haben dürfte. in Kap. 2 den§ 1, S. 142f.
101 Siehe oben im Anhang der Einleitung zu 1eil I, S. l 17f. 106 «Sammlung von verlorenen Stücken aus dem Chuanxi 111», Nr. 24, Qua11ji,jua11 32, Shanghai 1992,
102 Nach der Angabe von Yan Tao in seiner Ausgabe des Chuanxi /u,Jiangsu 2001. S.1174.
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spätesten Auffassung Wang Yangmings die «Substanz» des Herzens das «höchste <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> (jie shen kong ju Jtlttlrt!:11) des Edlen [gegenüber
Gute» ist und gar keiner « Verwirklichung» oder Verbesserung bedarf. 107 dem, <was man von ihm nicht sieht und nicht hört>] ist nur die Furcht, dass dieses
Wang Yangming spricht oft in Anlehnung an das erste Kapitel des Zhongyongvon klar Leuchtende und wunderbar Wahrnehmende getrübt und unklar werden (hun mei
der «Achtsamkeit beim Nichtgesehenen» und der «Furchtsamkeit beim Nichtgehör- fi~), fallengelassen werden (fangyi M!:m), ins Verwerfliche und Falsche geraten und
ten»; sie war für ihn eine wichtige «ethische Anstrengung» (gang fu JjJ 7i:). Ein ihm man das Richtige seines eigentlichen Wesens verlieren könnte (shi qi ben ti zhi zheng
besonders nahestehender Schüler, Zou Shouyi, hat sie sogar zum Zentrum der Lehre ~!t.21>-llziE). Wenn die Anstrengung (gong :i:jJ) der <Achtsamkeit und Furchtsamkeit>
von der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» gemacht. 108 Aber es ist bei nie unterbrochen wird, dann wird das <himmlische Ordnungsprinzip> bewahrt, und
Wang Yangming nicht eindeutig, worin diese Haltung besteht, das heißt, es ist nicht von seinem klar leuchtenden und wunderbar wahrnehmenden eigentlichen Wesen
klar, was das «Nichtgesehene und Nichtgehörte» im eigenen Herzen ist, auf das sie [d.h. vom «ursprünglichen Wissen»] geht nichts verloren und wird nichts verdeckt (qi
sich richtet. Auch bei seinen Schülern ist damit Verschiedenes gemeint. 109 Eindeutig zhao ming lingjue zhi ben ti wu suo kui bi !tftllPJ]!!Jlz.21>-HMP1fltili) [... ]»113 • Nach die-
bei Wang Yangming ist, dass diese Haltung nicht wie bei Zhu Xi eine Haltung im sem Text ist die «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» die Anstrengung, das «ursprüng-
Zustand <<Vor dem Entstehen der Gefühle», dass sie also nicht eine Praxis der «Ruhe» liche Wissen» in seiner Vollkommenheit zu bewahren. Auch nach einem Gespräch im
ist.Ho Nach dem in§ 1 dieses Kapitels zitierten Gespräch aus den Jahren 1517118 mit dritten Teil des Chuanxi lu ist die «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» gegenüber dem
Huang Honggang (Beiname: Luocun) über das «allein Wissen» scheint «das Nicht- «nicht Gesehenen und nicht Gehörten», aber «allein Gewussten» auf das «eigentliche
gesehene und Nichtgehörte», auf das sich diese Haltung richtet, die eigenen guten Wesen des ursprünglichen Wissens» gerichtet; sie ist hier die beständige Anstrengung,
und schlechten Intentionen zu sein. 111 Die <<:Achtsamkeit und Furchtsamkeit» wäre das «ursprüngliche Wissen» in seinem «eigentlichen Wesen» (ben ti .21>-H) zu «sehen»
dann eine kritische Aufmerksamkeit auf die ethische Qualität der eigenen Intentionen (jian J!). Ein nicht mit Namen genannter Schüler fragt ihn über eine zenbuddhistische
und damit eine Intensivierung oder Vertiefung des moralischen Bewusstseins (des Geschichte, in der es um das «Sehen der (Buddha-)Natur» (jian xing Ji tt) geht und
«Gewissens»). Nach einem Brief von 1524 ist sie eine Art Wachsamkeit gegenüber in der das Sehen und das Nichtsehen eines Fingers eine symbolische Rolle spielen.
den eigenen schlechten Intentionen, indem sie diese vor ihrem Aufkeimen abwehrt Wang Yangming versteht dieses «Sehen der Natur» sofort als «Sehen» der «Natur
und, wenn sie schon stärker geworden sind, überwindet. Damit würde sie sich mit der der Herzens» (,t,lt) in seinem Sinn, nämlich als «Sehen» des «eigentlichen Wesens
negativen Komponente der «Berichtigung der Handlungen», des Handelns aufgrund des ursprünglichen Wissens» (liang zhi ben ti 6!~.21>-11) und antwortet: <<Ein Finger
des «Gewissens», decken. Wang Yangming schreibt: «Sich [vor den menschlichen wird manchmal gesehen und manchmal auch nicht gesehen. Dein Sehen der Natur
(selbstsüchtigen) Wünschen] hüten (fang ~JJ), bevor sie aufkeimen, und sie überwinden [des Herzens] soll beständig vorhanden sein. Der menschliche Geist (xin shen ,t,flll)
(ke ~), wenn sie aufkeimen, das ist gerade das, was das Zhongyong die Anstrengung galoppiert und stürmt nur dem nach, was gesehen und gehört wird, und strengt sich
der <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> und das Daxue <die Verwirklichung des Wissens nicht wirklich beim <nicht Gesehenen und nicht Gehörten> (bu du bu wen ::fllfPl'ml)
[durch] die Berichtigung der Handlungen> nennt.» 112 Doch nach anderen Aussagen an. Denn das <nicht Gesehene und das nicht Gehörte> ist das c<eigentliche Wesen des
ist das «Nichtgesehene und Nichtgehörte», auf das sich die «Achtsamkeit und Furcht- ursprünglichen Wissens> (liang zhi ben ti 6l~*H). Die Achtsamkeit und Furchtsam-
samkeit>> richtet, das «ursprüngliche Wissen» selbst. Allerdings ist dieses «ursprüng- keit [gegenüber dem nicht Gesehenen und nicht Gehörten] ist die Anstrengung der
liche Wissen» nicht nur das moralische Bewusstsein (das <<Gewissen»), sondern das <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> (zhi liang zhi de gongfu ~.6l~~I7i:).
«eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens», das viel weiter geht als jenes Be- Erst wenn der Lernende zu jeder Zeit und in jedem Augenblick beständig <sieht>, was
wusstsein und ein immer vollkommenes wahres Wesen (ben ti .21>-H) meint (zu diesem nicht gesehen wird (du qi suo bu du llff !tJiJr::f llff), und ,hört>, was nicht gehört wird,
dritten Begriff des «ursprünglichen Wissens» siehe das nächste Kapitel). So schreibt steht seine ethische Anstrengung (gongfu JjJ ~) auf wirklichem Boden. Nachdem man
Wang Yangming in einem Brief von 15 2 3: «Das eigentliche Wesen (ben ti .21>-H) des dies lange praktiziert und zur Reife gekommen ist (jiu jiu cheng shu hou RRJ:il<.JMf ),
Herzens (Geistes) ist das <himmlische Ordnungsprinzip> (tian li JcI:m). Das <himmli- ist kein Kraftaufwand mehr nötig, man braucht nicht mehr abzuwehren und sich zu
sche Ordnungsprinzip> in seinem klaren Leuchten (zhao ming 111:l PJ:I) und wunderbaren zügeln (fangjian J11i:tll), sondern die wahre Natur (das wahre Wesen: zhenxing ~tt) [des
Wahrnehmen (lingjue IUl) ist das, was <ursprüngliches Wissen> genannt wird. Die Herzens (Geistes) bzw. das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens»] wirkt
von selbst ohne Unterbruch. Wie könnte man da vom Gesehenen und Gehörten des
Äußeren beeinträchtigt werden.» 114 Was die «Achtsamkeit und Furchtsamkeit beim
107 Siehe unten in Teil II, Kap. 1, § 2. nicht Gesehenen und nicht Gehörten» nach Wang Yangming im Genaueren auch
108 Siehe unten in der Einleitung zu 1eil II den § 7.
109 Siehe unten in der Einleitung zu 1eil II den§ 7, S. 268ff.
110 Siehe oben in diesem Kapitel,§ 1, Abschnitte).
111 Sieheoben,S.141. 113 Brief an Shu Guoyong ~ liffl Qahr gui wei = 1523), Q11anji,juan 5, Shanghai 1992, S. 190.
112 Brief an Lu Cheng (Yuanjing) von 1524, Chuanxi tu III, Nr. 161, Q11anji,juan 2, Shanghai 1992, S. 66. 114 Ch11anxi lttIIl,Nr. 330, Qwnji,faan 3, Shanghai 1992, S.122f.
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alles sein mag, sie ist sicher eine geistige Anstrengung, die nicht nur in einem dem überlegen, der Flüchtigkeit und Leichtfertigkeit beruhen darauf, dass der Wille (xin
Gewissen gemäßen Handeln besteht, sondern als eine Art beständiger «spiritueller ,t,), das <ursprüngl iehe \Vissen> zu <Verwirklichen>, noch nicht wahrhaftig und geeint
Übung» sich auf das <<ursprüngliche Wissen» besinnt, es vertieft und es letztlich in (chengyi ~ -) ist, und sie beruhen auch darauf, dass man das <ursprüngliche Wissen>
seinem «eigentlichen Wesen» (ben ti ;:ljs:ffl) zu «sehen» erstrebt. Diese Übung ist ein noch nicht bis auf den Grund einsieht (jian de liang zhi wei tou ehe ~1~.&;c□ *~ffit).
langer Prozess, der nur allmählich zur Reife kommt. Wenn man das <ursprüngliche YVissen> bis auf den Grund einsieht, dann ist nichts,
was hinsichtlich des Ansehens bei den Leuten und der äußeren Umstände nicht
c) Die Klärung des «ursprünglichen Wissens» durch «Einsicht» wunderbare Auswirkung (Funktion) des <ursprünglichen Wissens> wäre (litmg zhi zhi
Wie schon bei der «Anstrengung» der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» erklärt miao yong .&;;□ ~!!11 ffl).» 117 Anstatt von «Einsehen des <ursprünglichen Wissens»> (jian
Wang Yangrning auch unabhängig von einer bestimmten methodischen Übung, dass de lillng zhi ~~~ßl9'□) spricht Wang Yangming auch von «sich seines <ursprünglichen
die «Einsicht» (jian ~) in das «ursprüngliche Wissen» die Quelle der Kraft für das Wissens> bewusst werden» (zi jue qi liang zhi 1s 1:!Ut El. 9'□). 118 Ich nehme an, dass W,,m g
ethisch gute Leben sei, dass aufgrund dieser «Einsicht>> die ethische «Anstrengung» Yangming mit diesen Ausdrücken im Wesentlichen dasselbe meint wie mit «in der
(gong fu J}J:K) nicht mehr schwer sei, sondern das Handeln spontan (von selbst) eigenen Erfahrung das ursprüngliche Wissen erkennen» (ti ren litmg zhi R~ ~;:□,
«wunderbare Funktion» des «ursprünglichen Wissens» werde. In einem Brief von «sich auf das ursprüngliche Wissen stützen können» (yi de liang zhi 1~:/~ ~~), «das
1527 an seinen Schüler Chcn Jiuchuan aus der ProvinzJiangxi schreibt er: «Seit der ursprüngliche Wissen wecken» (ti xing !iang z:bi m:M
~9ll): Überall geht es um eine
letzten Zeit wissen alle unsere Gleichgesinnten (tong zhi liiJ~) um die Lehre von Bewusstseinsvertiefung, Intensivierung, Erhellung, Klärung des «ursprünglichen
der <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens>, aber diejenigen, die sich dabei Wissens>>, wobei diese Vertiefung etc. nicht bloß einen erkenntnismäßigen, sondern
wirklich anzustrengen wissen, sind äußerst selten. Das kommt daher, dass sie das auch emotionale und willentliche Aspekte besitzt.
<ursprüngliche Wissen> noch nicht wirklich zu <sehen> vermögen (jian de liang zhi Wenn durch die intime oder gründliche «Einsicht» in das «ursprüngliche
wei z.hen ~1~ ~~*~) und auch das Wort <verwirklichen> zu leicht nehmen. Deshalb Wissen» die ethische Anstrengung (gmzg fu JJJ:K) Kraft gewinnt, «nicht schwer»
fehlt ihnen zumeist noch die Quelle der Kraft (duo wei you de li chu :ff, *~1~ jJ ~).» 115 wird, wenn dann alles Handeln spontane Auswirkung des «ursprünglichen Wis-
Und in einem Brief ans demselben Jahr (1527) an seinen alten «Bundesgenossen im sens» wird, dann wäre es wünschenswert, wenn jene tiefe «Einsicht» nicht erst
Lernen» Huang Wan schreibt er: «Man muss ein großer Held der Welt sein, um allmählich, schrittweise (und auch mit Rückschritten), im gewissenhaften lfandcln,
in der Begeisterung der eigenen Rede abbrechend schweigen zu können; um beim in kontinuierlicher «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» oder gegebenenfalls in ande-
Aufbrausen des Temperaments sich zurückholen zu können (shou lian !&!1:); uH1 beim ren langwierigen und mühseligen Anstrengungen erlangt werden kiinntc, sondern
Aufsteigen des Zorns und der Begierden weiten Herzens sie auflösen zu können. «in einem Sprung», «plötzlich» sich einstellen und dann das gute Handeln sofort
Doch wenn man das <ursprüngliche Wissen> intim sieht (jian de litmg zhi 1in qie spontan und leicht würde. Wang Yangming selbst lehrte keine «Verwirklichung des
~{~ lHlll!W,-tJJ), dann ist diese <Anstrengung> (gongfu) auch von selbst nicht schwierig. ursprünglichen Wissen» durch eine solche «plötzliche Erleuchtung», obschon die
Denn das <ursprüngliche Wissen> sellist hat diese verschiedenen Krankheiten nicht; soeben zitierte Briefstelle mit dem «Wecken des ,ursprünglichen Wissens»> und
nur weil es getrübt und verdunkelt (hun mei '&~), verdeckt und verstopft wird (bi dem Gleichnis der Auflösung aller nächtlichen Gespenster durch das Aufgehen
sai jij;I;), gibt es sie. Sobald das <ursprüngliche Wissen> geweckt wird (ti xing tIHW), des hellen Tages und dann vor allem seine Idee des immer schon vollkommenen
ist es, wie wenn beim Aufgehen des hellen 'fages die Gespenster sich aHllösen.» 116 eigentlichen \Nesens (ben ti ~R) des «ursprünglichen Wissens» (dritter Begriff
Und im bereits oben in§ 2 dieses Kapitels, S. 152, zitierten Brief an Wei Liangbi des «ursprünglichen Wissens», der im nächsten Kapitel vorgestellt wird) den Weg
aus demselben Jahr (1527) schreibt er: «Die Problcu1e, die Sie 1uit den Übeln der in diese Richtung weisen kunnte. Dieser Gedanke einer «plötzlichen Einsicht
Befangenheit durch Ihr Ansehen bei den Leuten und der Behinderung durch die (Erleuchtung)» (dun wu ifli'i:ffi) wurde durch die einflussreichsten Schulen des Zen-
äußeren Umst:inde haben, beruhen ,11le darauf, dass der Wille (xin 11)), das <ur- buddhismus nahegelegt, die sich durch eine solche «Erleuchtung» kennzeichneten
sprüngliche Wissen> zu <verwirklichen>, noch nicht wahrhaftig und geeint ist (chcng und diese einer «allrniihlichen, schrittweisen Einsicht» (jian wu iffiffi) entgegenstell-
qie zhuan yi ~-1;7]1'-). Wenn er wahrhaftig und geeint ist, dann gibt es von selbst ten. Wang Ji, einer der wichtigsten und einflussreichsten Schüler Wang Yangmings,
diese Probleme nicht mehr. Alle Übel der Unfähigkeit, in seinen Geschäften z,u hat sich auf eine «pliitzlichc Einsicht» in d,1s «ursprüngliche Wissen» berufen und

117 An Wei Shiyue ~ ~ilim im Jahr ding hai (= 1527), Quanji,juan 6, Shanghai 1992, S. 217.
115 An Chcn Weijun [Chcn JiuchuanJ im Jahr ding hai (= 1527), (Juanji,j111tn 6, Shanghai 1992, S. 222. 118 <,Der Edle 1... ] st,·cl,t nie il:inach, sich ;,,um Voraus des fremden Betrugs 1... ] bewusst zu werden,
11 <i An l lu:mg Zongxian :fü*W [Tlu:mg W:lllJ im Jahr ding h11i (= 1527), Qnanji,jumz 6, Sh:mghai 1992, sondern befasst sich nur da,1 ,it, sich sc·incs <ursprünglichen Wissens> bewusst zu werden.» An Ouyang
S.219f. De (Chongyi), 1526, Cbuanxi lu II, Nr. 171, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 74.
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durch sie die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» charakterisiert. Wang erstaunlich, dass es unter seinen Schülern und Nachfolgern zu Meinungsverschie-
Yangming scheint dies Anfang Oktober 1527, am Vorabend, bevor er seine Schüler denheiten darüber kam, worin das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens»
verließ, als eine Möglichkeit anerkannt zu haben, obschon er für die Unterweisung besteht. Das wurde von ihnen beklagt. 123 Obschon Wang Yangming nicht jedes be-
von Schülern einem schrittweisen Vorgehen den Vorzug gab. 119 Denn er war der liebige Verständnis dieser seiner «Devise» akzeptiert hat, wurzelt vielleicht eine ge-
Auffassung, dass eine solche plötzliche Einsicht in das «ursprüngliche Wissen» wisse Verschiedenheit der Rezeptionen seiner Lehre in der Art dieser Lehre selbst,
nur sehr wenigen Menschen vorbehalten sei: «Die höchste [Begabung für die] die gegenüber den verschiedenen Situationen und Charakterzügen der Einzelnen
Weisheit 120 ist äußerst selten. Derjenige, der [ethisch] lernen muss, hat nicht die und ihren Möglichkeiten offenbleiben wollte. Im dritten Teil des Chuanxi lu wird
Bedingungen, um in einen heiligen Menschen hineinzuspringen (wu chao ru sheng folgende Anekdote berichtet: «Ein Freund (Mitschüler) stellte [Yangming] das
ren zhi li1mß.J,..~)._z:fl). Sich erheben und umfallen, vorwärtsschreiten und zu- Problem, dass ihm die ethische Anstrengung (gong fu) noch nicht deutlich sei (bu
rückfallen, das ist die Reihenfolge der [ethischen] Anstrengung (gongfu).» 121 Erbe- qie =f-l;JJ). Der Lehrer antwortete: <Die Anstrengung des [ethischen] Lernens habe
tonte unter anderem die Notwendigkeit des allmählichen «Weges der Reinigung» ich schon mit einem Satz erschöpfend ausgedrückt. Warum soll man jetzt darum
für den «ethischen Anfänger»: «Huang Yifang [Huang Zhi] fragte: <Ich vermute, herumreden, sich dadurch immer mehr davon entfernen und die Wurzel nicht er-
dass auch das <ursprüngliche Wissen> nicht ohne Ruf (Ansehen), Sexualität, Besitz fassen?> Der Freund entgegnete: <Vom <Verwirklichen des ursprünglichen Wissens>
und Nutzen sein kann.> Der Lehrer [Yangming] antwortete: <Sicher nicht! Aber die habe ich die Lehre bereits gehört, aber man muss es auch erklären (jiang ming ~BJ.I).>
Anstrengung des anfangenden Lernens muss [sie] wegwischen und wegspülen und Der Lehrer antwortete: <Wenn Sie das <Verwirklichen des ursprünglichen Wissens>
sie nicht sich festsetzen und anhäufen lassen. Wenn man dann unter Umständen schon kennen, was soll man es da noch erklären. Das <ursprüngliche Wissen> ist ei-
auf sie trifft, wird man nicht in sie verwickelt, sondern entspricht ihnen von selbst gentlich klar (ben ming bai ;ljl:IIJ.I S); Sie müssen sich nur [bei ihm] wirklich anstrengen,
in richtiger Weise. Das <ursprüngliche Wissen> ist nur [in einer Welt] des Anse- dann ist alles in Ordnung (bian shi ~:l'i!). Wenn Sie sich nicht anstrengen wollen,
hens, der Sexualität, des Besitzes und des Nutzens tätig. Wenn man fähig ist, das sondern nur in Wörtern herumreden, werden Sie nur verworren.> Der Freund
<ursprüngliche Wissen> bis zur höchsten Feinheit und Klarheit zu <verwirklichen> entgegnete: <Aber ich suche ja gerade nach einer Erklärung der Anstrengung seiner
(neng zhi de liang zhi jingjing ming ming ~U!c~ilOllfflfflBJ.IBJ.I), ohne ein Härchen <Verwirklichung>.> Der Lehrer antwortete: <Auch das müssen Sie bei sich selbst su-
Verdeckung (bi ~), dann ist der Umgang mit Ruf, Sexualität, Besitz und Nutzen chen, ich habe keine andere Art, es zu sagen. Es gab einmal einen Zen-Meister, der,
nichts anderes als der Lauf (die Auswirkung) der himmlischen (natürlichen) Norm wenn die Leute ihn nach seiner Lehre fragten, nur seinen Staubwedel emporhob.
(tian ze liu xing ;lc,l=J.IJ)jff,fi).» 122 Eines Tages versteckten seine Schüler den Staubwedel, um zu sehen, wie er seine
Schon aus dem bisher Dargelegten ist deutlich geworden, dass Wang Yangming Lehre aufstelle. Der Zen-Meister suchte seinen Staubwedel, fand ihn nicht und hob
unter dem Satz: «das ursprünglichen Wissen verwirklichen!» (zhi liang zhi), der seit nur seine leere Hand empor. Dieses <ursprüngliche Wissen> ist mein Staubwedel,
1521 gewissermaßen die Devise seiner Lehre von der ethischen Praxis, vom Weg zur um die Lehre aufzustellen. Wenn ich von ihm lasse, was soll ich emporheben?> Et-
«Heiligkeit» war, Verschiedenes verstehen konnte. Wenn er das Wort «ursprüngli- was später bat wiederum ein Freund um die bestimmten Hauptpunkte (qie yao -l;U~)
ches Wissen» im Sinne von Mengzi für die natürlichen Tendenzen des menschlichen der [ethischen] Anstrengung (gongfu). Der Lehrer schaute herum und sagte: <Wo
«Herzens» zum Guten gebrauchte, dann bestand für ihn das «Verwirklichen» im befindet sich mein Staubwedel?> Darauf herrschte bei den Dabeisitzenden während
«Ausdehnen», «zur Fülle Bringen», «Nähren» usw. dieser guten Anlagen. Wenn er einer Weile eine heiter angeregte Stimmung.» 124
das «ursprüngliche Wissen» als moralisches Bewusstsein der eigenen Intentionen,
als «Gewissen» verstand, dann bestand für ihn das «Verwirklichen» primär in der
Klärung, im «Einsehen», im «sich Bewusstwerden» dieses «Gewissens». Und er
sprach von verschiedenen Vorgehensweisen, um diese Klärung herbeizuführen,
ohne sich aber auf eine einzelne Methode genau festzulegen. Es ist daher nicht

119 Siehe unten in Teil II das Kap. 1.


120 Anspielung auf das zwanzigste Kapitel (nach der Einteilung von Zhu Xi) des Zhongyong: «Es gibt
Wissen (Weisheit) aufgrund von Geburt (Begabung), es gibt Wissen aufgrund von Lernen, und es
gibt Wissen aufgnmd von Mühsal (mühseligem Lernen).»
121 Chuanxi lu III, Nr. 243, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 101. 123 Siehe den zweiten Teil dieser Studie, besonders das Kap. 1.
122 Chuanxi lu III, Nr. 327, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 122. 124 Churmxi lu III, Nr. 280, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 109.
170 171

§ 4 Die «Aufrichtung des Willens» und das «ursprüngliche Wissen»: folgt: «Das All~rerste im [ethischen] Lernen ist die Aufrichtung des Willens (die
die Dynamik der Kräfte in der «Verwirklichung des ursprünglichen Entschlossenheit). Wenn der Wille nicht aufgerichtet ist, ist es, wie wenn man einen
Wissens» Baum hegt und bewässert, aber seine Wurzeln nicht einpflanzt. Man müht sich ab
o~ne etwas zustande zu bringen. Dass die Welt nachlässig ist, ins Gemeine verfällt:
Von seiner frühesten Lehrtätigkeit im Jahr 1505 in Peking125 bis in seine letzten
sich ans Schlechte gewöhnt und im Sumpf endet, kommt daher, dass der Wille nicht
Lehrjahre in Shaoxing (1522-1527) wies Wang Yangming seine Schüler darauf hin,
aufgerichtet ist. Deshalb sagte Meister Cheng: 131 <Erst wenn der Wille da ist danach
dass die «Aufrichtung des Willens» (die Entschlossenheit: li zhi Sz:~ 126 oder li xin ft . '
zu streben, ein heiliger Mensch zu werden, kann ich behilflich sein, gemeinsam zu ler-
,t,,), aus sich einen «heiligen Menschen» zu machen, die erste Voraussetzung für die
nen.> Wenn man wahrhaftig (cheng IDil) den Willen hat, danach zu streben, ein heiliger
Erreichung dieses Zieles sei. Kaum ein anderer Gedanke zieht sich so konstant durch
Mensch zu werden (qiu wei sheng ren 5.1<~~.A.), dann muss man darüber nachdenken
sein Leben: worin es besteht, ein heiliger Mensch zu sein. Besteht es nicht darin, dass das Her~
In der Verbannung von 1508, 127 als Wang Yangmings «ethische Anstrengung»
(Geist) sich lauter an das himmlische (natürliche) Ordnungsprinzip (tian li ~!!) hält
(gong fa) festen Boden unter die Füße bekam, verfasste er für seine Schüler an der
und frei von der Selbstsucht der menschlichen Begierden ist? Wenn ich daher ein
Akademie von Guiyang, der Hauptstadt der Provinz Guizhou, ein Lehrprogramm in
heiliger Mensch werden möchte, kann dies auch nur darin bestehen, dass mein Herz
vier Punkten. Der erste Punkt trägt den Titel «Aufrichtung des Willens» (li zhi .ll$i.)
(Geist) sich lauter an das himmlische (natürliche) Ordnungsprinzip hält und frei von
und beginnt folgendermaßen: «Ohne den Willen aufzurichten (ohne Entschlossen-
menschlichen Begierden ist [... ].»132
heit) kann in der Welt kein Unternehmen vollendet werden. Alles Handwerk und alle
Und schließlich eine Ansprache Wang Yangmings aus seinen letzten Jahren
Kunstfertigkeit wurzelt im Willen. Wenn die Lernenden von heute nachlässig und
während seiner Lehrtätigkeit in Shaoxing: «Ihr Herren, die Sie hier anwesend sind,
träge sind, ihre Jahre vertrödeln und die Zeit vergeuden und in hundert Geschäften
Sie müssen sich ganz darum bemühen, das Herz (den Willen) aufzurichten (li xin '"SL
nichts vollbringen, so kommt dies alles daher, dass ihr Wille nicht aufgerichtet ist (dass
,t,,), ein heiliger Mensch zu werden. Zu jeder Zeit und in jedem Augenblick muss es
sie nicht entschlossen sind). Wenn man daher den Willen aufrichtet, ein Heiliger zu
s~ sein wie: <ein Schlag mit dem Stock, ein Blutstriemen; ein Schlag mit der Hand,
werden, dann wird man ein Heiliger; wenn man den Willen aufrichtet, ein Weiser zu
em Blutfleck>. 133 Erst dann können Sie beim Hören meiner Worte von Satz zu Satz
werden, wird man ein Weiser. Wenn der Wille nicht aufgerichtet ist, ist es wie ein
Kraft gewinnen (de li fijn). Wenn Sie nachlässig Ihre Tage verbringen wie ein Stiick
Schiff ohne Steuer: es treibt herum; ist es wie ein Pferd ohne Zaum: es brennt durch.
totes Fleisch, das bei Schlägen nichts verspürt, werden Sie nichts ausrichten und,
Kann man so schließlich irgendwo hingelangen!»128
wenn Sie wieder zu Hanse sind, nur wieder nach Ihren alten Tricks suchen. Ware das
Als Wang Yangming 1515 Minister in Nanking war, 129 kam der zweite seiner
nicht schade!» 134 Man könnte noch manche anderen Texte anführen, in denen Wang
drei jüngeren Halbbrüder, Wang Shouwen .:E ~X, 130 zu ihm, um bei ihm zu ler-
Yangming die Wichtigkeit der «Aufrichtung des Willens» betont. 135
nen. Yangming sprach mit ihm über die «Aufrichtung des Willens» (li zhi .Il.$i.) und
. Die «Aufrichtung des Willens», die Entschlossenheit, ist nach Wang Yangming
schrieb für ihn zum Abschied einen Text mit dem Titel: «Lehre von der Aufrichtung
mcht etwas, was bloß durch einen einmaligen Akt des sich Entschließens durch das
des Willens zur Unterweisung meines jüngeren Bruders». Dieser Text beginnt wie . '
Fassen emes Vorsatzes ein für alle Mal zustande kommt und auch nicht bloß dadurch
dass man diesen Vorsatz immer wieder neu fasst, sondern der Wille ist nur «aufgerich~
125 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil Iden§ 1, S. 64. tet» (entschlos~.en), wenn man auch im täglichen ethischen «Lernen» (in der Praxis,
126 Der feste Ausdruck «Aufrichten des Willens» (/i zhi j[_~) hat seinen Ursprung wohl bei Mengzi, wo er Anstre~gung, Ubung: xue ~ oder gong fa JJJ~) diesem Entschluss gemäß handelt,
an zwei parallelen Stellen vorkommt: «Die heiligen Menschen sind Lehrer von hundert Generationen. das heißt den gefassten Vorsatz ausführt. Der zweite Punkt seines oben zitierten
S~ ist ~ mit Bo Yi und Liu Xia Hui. Wenn man deshalb von der Handlungsweise des Bo Yi hört,
wird em Abgestumpfter schamhaft, und ein Schwächling richtet den Willen auf (wird entschlossen: Lehrprogramms in vier Punkten von 1508 trägt den Titel «Fleißig (unermüdlich)
li zbi li~).» Mengzi, 7. Buch, 2. 1eil, Kap. 15; Parallelstelle: 5. Buch, 2. Teil, Kap. 1. Auch Zhu Xi
(1130-1200) verwendet den Ausdruck, zum Beispiel im folgenden Gespräch: «Jemand fragte: <Worin
besteht der Anfang des Lernens?> [Zhu Xi] antwortete: <Nur darin, wotiiber ich vorher schon sprach,
dass man selbst seinen Willen aufrichtet (li zbi). Wenn man etwas Wahres erkannt hat, muss man ein 131 Ei~e~ ~er ~eiden Chen~-B_rüder, Cheng Hao (1032-1085) oder Cheng Yi (103 3-1107).
festes Herz schaffen (ban de jian g11 xin ~Hlj.~ li!il ,t,,), ungeteilten Sinnes voranzuschreiten. Man braucht 132 Sht dt lt zht shuo,Jahryz haz (= 1515), Chuanji,juan 7, Shanghai 1992, S. 259.
sich keine Sorgen darüber zu machen, dass man nicht vorwärtskommt, sondern nur darüber, dass die 133 *-'- ~-.
«Yi bang,yi tiao hen; yi guai,yi zhang xue - -ffil-~lin». Nach Wing-tsit Chan ein Sprich-
Aufrichtung des Willens (die Entschlossenheit: li zhij[_~) nicht fest ist. Wenn man bloß daran denkt, wort aus dem 10.Jahrhundert, das oft im Zenbuddhismus zitiert wurde. Instructions, S. 255.
was die anderen sagen und was die anderen geschrieben haben, wird man bis zum Ende bei sich selbst 134 Chuanxi lu III, Nr. 332, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 123.
nichts erreichen.» Zhuziyu lei,juan 116, Beijing 1986, Bel. 7, S. 2792. 135 ~n Dai Zil!ang, im.Jahr gui you_~=. 1513), Quanji,juan 4, Shanghai 1992, S. 160; an Huang Chengfu
127 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil Iden§ 1, S. 72ff. 1111 Jahr gut !ou (= 1513), Quan;z,;uan 4, Shanghai 1992, S. 161; an Wenren Bangying und Wenren
128 Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 974. Ban~heng 1m]ahrwuyin (= 1518), Quanji,juan4, Shanghai 1992, S. 168; anXu Shangqian,im.Jahr
129 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil Iden§ 1, S. 85f. wu ym (= 1518), 1. Brief, Quanji,juan 4, Shanghai 1992, S. 170; an Zhou Daotong, 1524, Chuanxi tu
130 Zu Wang Yangmings Geschwistern siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil Iden§ 1, S. 51. II, Nr. 144, Quanji,juan 2, S. 57.
172 173

Lernen» (qin xue il.J~) und beginnt mit den Sätzen: «Wenn der Wille, ein Edler zu In seinen ethischen Fragen spricht \Nang Yangming immer wieder von «Kraft
werden, aufgerichtet ist, muss man sich selbstverständlich mit dem [ethischen] I ,ernen gewinnen» (de li 1ij}J) und von «Kraft anwenden» (yong li ffli.J). Auch seine Schüler
befassen. Wenn das Lernen nicht fleißig ist, dann ist der Wille noch nicht echt (fest: werden so sprechen. Es geht ihm kaum um clie Festlegung irgendwelcher moralischer
du ~).>>B 6 1524 schrieb er an einen Schüler: «Sie fragten mich, was die Tätigkeit des Regeln, weder allgemeiner noch kasuistischer Art, sondern vor allem um die Frage,
[ethischenl Lernens (wei xue ~~) sei, und ich habe Ihnen geantwortet: <Es ist nichts mit welchen Mitteln oder Kräften es der Mensch zu schaffen vermag, aus sich einen
anderes als den Willen aufrichten.> Sie fragten mich, was <den Willen aufrichten> sei, wirklich guten («heiligem,) Menschen zu machen. Es geht bei ihm um eine Art «Dyna-
nnd ich habe Ihnen geantwortet: <Es ist nichts anderes als die 'fätigkeit des Lernens.> rnik» ethischer Kräfte. Nach seiner späten Lehre scheinen in der Dynamik der Selbst-
Da Sie noch nicht verstehen, sage ich Ihnen mm: Das Lernen des Menschen besteht verwirklichung zum heiligen Menschen bzw. der <,Verwirklichung des ursprünglichen
darin, ein heiliger Mensch zu werden (wei sheng ren ~~A). Wenn der Wille, ein hei- Wissens» vor allen1 drei Arten von «Kräften ►,,• in diese Richtung zu wirken: erstens,
liger Mensch zu werden, nicht vorhanden ist, dann besteht die Tiitigkeit des Lernens der entschlossene, feste Wille, ein heiliger 1\!Iensch zu werden; zweitens, die spontanen,
nicht, auch wenn man zu lernen wünscht (yu W:). Wenn der Wille aufgetreten ist, man natürlichen Tendenzen (Intentionen) zum C!utcn in1 menschlichen Herzen (das «ur-
aber nicht täglich sich anstrengt, um es [das Lernen! zu betätigen (yong qi li yi wei zhi sprüngliche \Nissen,> im trnditionellen Sinne von Mengzi) und drittens, das mehr oder
.ffiJ.'i;}JP).~;z), wie kann inan dann den Willen wirklich haben, auch wenn inan ihn weniger klare (einsichtige) Bewusstsein der Cüte jener Intentionen oder der Schlech-
aufzurichten wünscht (yu W:)? Deshalb ist die Aufricht1mg des Willens die Cesinnung tigkeit der «selbstsüchtigen Intentionen (Begierden)» (das «ursprüngliche Wissen» in
der 'J'iüigkeit des l ,ernens (wei xue zhi xin ~~z,t,,), und die Tätigkeit des Lernens ist Wang Yangmings neuem Sinn des <,Cewissens,,). Dieses moralische Bewusstsein ist
die Betätigung der Aufrichtung des Willens (li zhi zhi shi }J;.!;;;z_~).»rn Ein Willens- ein VVertbewnsstsein, ist ,1lso nicht wertneutr,11, sondern nimmt Partei fiir das Gute
entschluss hat also nur dann wirklich stattgefunden, wenn er sich in der /\nstrcngnng und gegen das Schlechte. Die <,selbstsüchtigen Begierden» stehen ,1ls hemmende
des «Lernens», im lfandlungswillen, erfüllt. u8 Denn wiihrend bei VcH·siitzen zu ein- «negative» Kräfte jenen drei Arten von «positiven» Kriifrcn des Guten gegenüber.
zelnen I landhmgen, zum Beispiel einen Artikel über ein bestimmtes philosophisches Als vierte Kraft zum C;uten, die aber von der dritten nicht leicht zu scheiden ist, sind
Thema zu schreiben, der Entschluss und die Ausführung zeitlich mehr oder weniger der «Glaube» (xin 1~) und die Einsicht in das immer vollkommene «eigentliche We-
weit auseinanderliegen können, ist der Entschluss, ein heiliger Mensch zu werden, nur sen des ursprünglichen VVissens>> (lim1g z.hi lw11 li R:!;□ }js:\lt) irnAuge zu behalten. Diese
dann ein wirklicher Entschluss, wenn man ihn auf der Stelle ,rnszuführen beginnt. Der «Kraft» bleibt aber in diesem Kapitel noch im l lintergrund, da, wie gelegentlich schon
Entschluss, noch nicht heute, sondern erst morgen ein heiliger Mensch zu werden, angedeutet, das «eigentliche \Vesen des ursprünglichen Wissens» einen besonderen,
ist kein echter Entschluss. dritten Begriff. des «ursprünglichen \Vissens» :n1smacht, den wir erst im niichsten Ka-
Im Jahr 1515 h,itte W,mg Yangming für seinen jüngeren Bruder geschrieben, pitel vorstellen mijchtt:n. Dieser dritte Begriff und der mit ihm verbundene «Claube»
dass der \Nillc, ein heiliger Mensch zu werden, konkreter gesprochen, der Wille sei, wird \;v';mg Ymgmings Denken eine religiiise Dimension verleihen, wiihrend die im
sich lauter an das «himmlische (natürliche) Ordnungsprinzip» zu halten und sich jetzigen Zusammenhang diskutierten seelischen «Kräfte» den moralischen Bereich des
von den selbstsüchtigen Begierden zu befreien. 139 Nach 1520 wird er eher sagen, Menschen ausmachen. Als weitere «positive» Kräfte kämen für Wang Yangming auch
dass der Wille, ein Heiliger zu werden, der Wille sei, das «ursprüngliche Wissen» dem Individuum äußere Umstände - die Erziehung in der Familie, der Einfluss der
zu «verwirklichen». So in einem Brief von 1525: «Nachdem der Lernende den guten Lehrer und Freunde -hinzu und als «negative» äußere Gegenkraft der schlechte
Willen aufgerichtet (den Entschluss gefasst) hat, ein heiliger Mensch zu werden, gesellschaftliche Einfluss. Aber wir können in unserem jetzigen Zusammenhang von
braucht er nur der klar bewussten Stelle seines eigenen <ursprünglichen Wissens> diesen dem Individuum «äußeren» Kräften absehen, auch wenn Wang Yangming
folgend (jiu zi ji liang zhi mingjue chu if)t § c Et~ ajj fit~) dieses ehrlich bis zum Ende dem Umgang mit guten Freunden für das ethische Leben sehr großen Wert beimaß.
zu <verwirklichen> (pu shi tou zhi liao qu ~'.l'.iiJU&J' ~), und er wird es so ganz von Seine Pädagogik bestand aber zuerst einmal darin, den einzelnen Menschen auf seine
selbst sich immer danach richtend eines Tages zu etwas bringen (zi ran xun xun ri in ihm selbst liegenden Kräfte des Guten zu verweisen. Insofern als die Einsicht des
you suo zhi § Mmimi B ~ JiJr:~).» 140 «ursprünglichen Wissens» («Gewissens») selbst eine Kraft zum Guten ist, kann man
sagen, dass «das ursprüngliche Wissen sich selbst verwirklicht». Wang Yangming selbst
spricht nicht so, wohl aber sein bedeutendster Schüler, WangJi, allerdings im Hinblick
auf das, was wir als dritten Begriff des «ursprünglichen Wissens» andeuteten.
136 Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 974.
137 *
Für Zhu Shouxie 'tj'fil/1 imJahrjia shen (= 1524), Quanji,juan 8, Shanghai 1992, S. 276. Der Deutlichkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass für diese «Einteilung der
138 Vgl. Edmund Husserls Unterscheidung zwischen «Entscheidungswillen» und «Handlungswillen», Kräfte», wie dies auch in anderen Hinsichten der Fall ist, in Wang Yangmings Termi-
in: ders.: Vorlesungen über Ethik und Wertlehre. 1908-1914, hrsg. von Ullrich Melle,(= Husserliana, nologie eine Ungenauigkeit besteht: Den Willen, ein «heiliger Mensch» zu werden
Bel. XXVIII), Dordrecht et al. 1988, S. 106-112.
139 Siehe oben in diesem Paragraphen, S. 170f. bzw. das «ursprüngliche Wissen zu verwirklichen», nennt er «zhi $» (lexikalisch
140 An Liu Neizhong IJ 17'Jm im Jahr yi you (= 1525), Quanji,juan 5, Shanghai 1992, S. 196. übersetzbar mit «Wille», «Entschluss», «Streben» etc.); er bezeichnet diesen Willen
174 175

aber manchmal auch mit <<_yi ~» (lexikalisch übersetzbar mit «Gedanke», «Absicht», Eindeutigkeit können die «vVahrhaftigkeit des Willens» illustrieren. Nicht bei Wang
«Intention», «Wille», «Meinung»), und er nennt ihn immer <<_yi ~», wenn in der Yangming selbst, aber in seiner Schule, besonders bei Wang Ji, hatte das chinesische
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» bzw. in der «Berichtigung der Hand- Wort <<_Yi ~» neben «vVille» (yi zhi ~$) und «Intention» (yi nian ~~) übrigens noch
lungen» der Wille «wahrhaft>> wird (yi cheng ~~); dies natürlich, um der Formel «den eine dritte hervorgehobene Bedeutung, diejenige von «(fixer, fertiger) Meinung»
Willen wahrhaft machen» (cheng yi ~~) im ersten und sechsten Kapitel des Daxue (yijitm ~J\l,), die n1on1lisch als etwas Schlechtes galt und in dieser Bedeutung und
zu entsprechen. «Yi nennt Wang y;-mgming aber auch die guten und schlechten Beurteilung auf die <<Aussagen des Konfuzius» (Lur~yu) zurückgeht. 141 Wir werden
auf irgendwelche Dinge gerichteten Intentionen (Absichten, Neigungen, Gefühle) unten im zweiten Teil noch darauf zu sprechen ko11m1en.M2
des menschlichen «I Ierzens»; doch bezeichnet er diese präzisierend oft auch als <<yi Das lfauptproblem in der ethischen Dynamik ist wohl das Verhältnis zwischen
nittn (übersetzbar mit «intentionale Gedanken» «strebende Gedanken» usw.). der Anstrengung des sich für das Gute entscheidenden Willens und der Einsicht des
Es ist für cbs Versüindnis von Wang Ymgmings Philosophie wichtig, zwischen diesen 1noralischcn Bewusstseins («Gewissens»). Zugespitzt gesprochen: Welche subjektive
beiden Arten von «Strebungen» zu unterscheiden, denn er führt diese Differenzie- Kraft <<verwirklicht das ursprüngliche YVissen», der \tVille oder die Einsicht des mo-
rung de facto ein, und es ist für die Deutlichkeit unserer Darste1lung nützlich, für sie ralischen Bewusstseins? Auch in unserer enropiiischen ']}adition von Sokrates über
konsequent zwei verschiedene Wörter zn gebrauchen, obschon Wang V:·mgming in Paulus, Augnstinus, Thomas und Bonaventura, Pascal bis Kant sind analoge Fragen
seiner 'Jcnninologie diese zwei Arten nicht streng trennt. Denn der «Wille», ein des Verhältnisses ,,wischen \t\/ille und Erkenntnis (Intellekt) aufgetreten. Wie wir
«heiliger Mensch» zu werden bzw. «das ursprüngliche Wissen zu verwirklichen», schon gehört haben, chirfrn diese «Kr:itte» in \t\/,mg Yangmings Psychologie nicht als
<,die ITandlungen zu berichtigen», das heißt die als gut bewussten «Intentionen» voneinander unabhiingige Kräfte («unabhängige Variabcln», «Faktoren») einer phy-
(«'Jcndenzen», «Neigungen», «Wollungen») in die >fat mnzusctzen und die als sikalischen Dyn,1mik verstanden werden: Sie sind «Kriifte» desselben einen Bewusst-
schlecht (egoistisch) bewussten «Intentionen» auszumerzen, ist bewusstscinsanaly- seinssubjektes, desselben «Herzens,,,. Und dann ist einerseits der sich für das Gute
tisch (ph:inomenologisch) etwas von diesen guten und schlechten «lntentionen» sehr entscheidende Wille nicht ohne Erkenntnis des Guten und Schlechten möglich. Wir
Verschiedenes.Jener «Wille» eDthiilt die Entscheidung, eine «Intention» anszufiihren haben schon in§ 1 dieses Kapitels den Satz vVmg Yangmings aus der Zeit von 1517 /18
oder sie nicht auszuführen, während diese «Intentionen» im menschlichen llerzen zitiert: «Wenn gute Absichten (sha11 ni1m 'g;%:) auftreten, sie !als solche] erkennen (zhi
tm111ittelbar auftreten. Wenn wir, was sinnvoll ist, jenen auf Entscheidung beruhenden ~□) und voll entwickeln (chrmp, 3'E); wenn schlechte Absichten (e nittn ~~) auftreten, sie
\Villen und diese unwillkürlichen Intentionen beide als Arten von «Strelnmgen» oder [als solche] erkennen und .rnfü:1 lten. vV:1s erkennt und was voll entwickelt bzw. aufliiilt,
«\Vollungen» bezeichnen (lateinisch: ttfijJetilus, griechisch: orexis), dann ist der auf das ist der Wille (z.hi ~), d:1s ist die natürliche Intelligenz (tian cong ming ;;li;:]l,@,BJ:l).»uu
Entscheidung beruhende Wille eine Art reflexives Wollen oder, wie man heute zu Und andererseits wi-ichst die ,<Finsicht,> (Klarheit) des moralischen Bewusstseins mit
sagen beliebt, ein «Meta-Wollen», denn er will die im «Gewissen» als gut bewussten der Wirksamkeit des «cntsch lossenen \Villcns>> in der ethischen Pr:1xis; und mit der
«Wollungen (Strebungen)» in die 'fat umsetzen und die als schlecht bewussten an wachsen<len Klarheit <lieses Bewusstseins wir<l <lie ethische Praxis «leicht», was heißt,
ihrer Auswirkung hindern; er will die guten «Wallungen» und er will die schlechten dass weniger «Kraft» (Anstrengung) des Willens nötig ist. Doch diese «Dynamik
nicht. Wir könnten auch sagen, dass der eine Entscheidung fällende Wille frei ist, wäh- der Kräfte» in der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens», ihr gegenseitiges
rend jene Strebungen sich von selbst, spontan im menschlichen Herzen regen. Wang Verhältnis, wird bei Wang Yangming nicht deutlich gemacht. Wahrscheinlich hätte
Yangming jedoch spricht beim entscheidenden Willen nicht von Freiheit, denn sie ist er eine solche systematisch-theoretische Analyse als eine Ablenkung von der jeweils
für ihn selbstverständlich, da sie in seiner Tradition nicht, wie es in der unsrigen der notwendigen ethischen Praxis empfunden. Aber bei den Meinungsdivergenzen seiner
Fall ist, durch die Idee des Vorauswissens Gottes (praescientia Dei) oder durch diejeni- Schüler und Nachfolger über die Frage, worin die «Verwirklichung des ursprüngli-
ge des physikalischen Determinismus in Frage gestellt wurde. Die «Wahrhaftigkeit chen Wissens» bestehe, spielt die Frage des Verhältnisses zwischen diesen subjekti-
des Willens» (yi cheng ~idl) ist für Wang Yangming nicht etwa einfach, wie man bei ven «Kräften», zwischen Willensanstrengung und Einsicht, zwischen willentlicher
der ersten Lektüre vielleicht meinen könnte, die «Wahrhaftigkeit» der spontanen Übung und spontanen guten Regungen des Herzens eine wichtige Rolle. Manchmal
guten Intentionen. Zwar sind auch diese guten «Intentionen» (yi nian ~~) in der stellt Wang Yangming das Wirken dieser Kräfte einfach nebeneinander wie in dem
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» wirksam geworden, aber nur dadurch, im vorangehenden Paragraphen zitierten Brief an Wei Liangbi von 1527: «Alle Übel
dass der Wille, diese zu verwirklichen und die schlechten Intentionen auszuschließen, der Unfähigkeit, [wegen des Ansehens bei den Leuten und der äußeren Umstände] in
wirksam («wahrhaft») geworden ist. Der im sechsten Kapitel des Daxue gemachte
Vergleich des «wahrhaften Willens» (cheng yi ~~) mit dem «Lieben von schönen
141 Lunyu, 9. Buch, Kap. 4: «Der Meister [Konfuzius] wies vier Dinge znrück: Er duldete keine (fertigen)
Farben und Verabscheuen von üblen Gerüchen» (ein Vergleich, den Wang Yangming
Meinungen (yi ~), keine Versteifungen, keine Fixierungen, keinen Eigennutz.»
oft übernimmt) ist irreführend, da solches Lieben und Verabscheuen unmittelbare, 142 Siehe unten, Teil II, Kap. 2, § 3, S. 479f.
spontane Gefühle sind und nicht auf Entscheidung beruhen. Nur ihre Intensität und 143 Chuanxi lu I, Nr. 71, Quanji,juan l, Shanghai 1992, S. 22.

l
176 177

seinen Geschäften zu überlegen, der Flüchtigkeit und Leichtfertigkeit beruhen darauf, von den äußeren Verhältnissen gezwungen würden und Ihre geistigen Kräfte erschöpft
dass der vVille, das <ursprüngliche Wissen> zu <verwirklichen>, noch nicht wahrhaftig seien, so kommt das daher, dass Sie dabei mit der Idee vorgehen, dass es sich hier um
und geeint ist. Und sie beruhen auch darauf, dass man das <ursprüngliche Wissen> zweierlei Aufgaben handelt. Immer wenn die Anstrengung des [ethischen] Lernens
noch nicht bis auf den Grund einsieht; wenn man das <ursprüngliche Wissen> bis auf einheitlich ist (yi -), dann ist sie wahrhaftig (cheng IDit); wenn sie geteilt ist (er=), dann
den Grund einsieht, dann ist nichts, was hinsichtlich des Ansehens bei den Leuten und ist sie unecht (wei ~). Und alle Ihre Schwierigkeiten kommen daher, dass dem vVil-
der äußeren Umstände nicht wunderbare Auswirkung des <ursprünglichen vVissens> len, <das ursprüngliche Wissen zu verwirklichen> (zhi fiang zhi zhi yi ~.&~L~), das
wäre.»144 Echte (zhen qic ~ tlJ) der Wahrhaftigkeit nnd Einheit (chengyi IDit-) mangelt.» 149 Auch
Manchmal macht Wang Yangming den Eindruck eines «Voluntaristen» wie in in einem Gespräch, das im dritten Teil des Chuanxi tu aufgezeichnet ist, ist der Wille
der oben zitierten Ansprache in Shaoxing mit dem Sprichwort, dass der entschlossene die entscheidende Kraft des ethischen «Lernens». Wang Yangming sagt hier einer
Wille, ein heiliger Mensch zu werden, wirken müsse wie «ein Schlag mit dem Stock, Gruppe von Schülern, unter denen sich auch Qian Dehong befindet, dass ihr Ler-
ein Blutstriemen; ein Schlag mit der Hand, ein Blutfleck» 145 . Oder wenn er in einer nen nur deshalb keine Fortschritte mache, weil ihr «vVille noch nicht aufgerichtet»
früheren Ansprache (1517 oder 1518), als er noch inJiangxi war, sagt: «Das [ethische] sei. Nachdem ein Schüler erwidert hat, cbss sie wünschen, «den Willen, ein heiliger
Lernen, von dem ich hier spreche, besteht in der Anstrengung, aus nichts etwas Sei- Mensch zu werden, aufzurichten», antwortet Wang Yangming: «Wenn Sie wirklich
endes hervorzubringen (wu zhong sheng you de gang fu mt9'l~~EßI~). Ihr Herren, den Willen haben, ein heiliger Mensch zu werden, dann wird im <ursprünglichen
Ihr müsst glauben, dass dies nichts anderes ist als <die Aufrichtung des Willens> (li Wissen> auch alles ausgeführt (liang zhi shang geng wu bu jin .&~..tl!!1!!Ffmi). Wenn
zhi iL~). T1n Moment, in welchem der Lernende den Willen hat, Gutes zu tun (wei aber im <Ursprtinglichen vVissen> noch einige andere von Ihnen gehegte Absichten
shan zhi zhi 1,1,~ L~), ist es wie beim S:1111en eines Baumes. Man darf nur <nicht [beim verbleiben, dann ist der Wille, ein heiliger Mensch w werden, nicht vorhanden.» 150
vVachsen] nachhelfen wollen, aber auch nichtvernachliissigen> (wu zhu wu wang WI\tJ Erscheint in diesen 'Texten der gute Wille als die treibende Kraft im ethischen
W~). 146 Man muss ihn nur hegen und pflegen, und er wird von selbst Tag und Nacht «Lernen», so wird in einer anderen Aussage Wang Yangmings aus der Zeit vor 1520
wachsen, seine Lebenskraft wird täglich zunehmen, und seine Zweige und Blätter der Wille den «guten Intentionen» (shan nian ~~) untergeordnet: Er schafft nicht
werden täglich üppiger.AmAnfangwird das Bäumchen viele Triebe bilden.Man muss aus nichts, sondern «bewahrt die guten Intentionen», die man wohl als die spontanen
sie abschneiden, damit Wurzeln und Stamm groß werden. Am Anfang des Lernens guten Regungen oder Cc:fohle des menschlichen Herzens (als das «ursprüngliche
ist es auch so. Deshalb ist bei der <Aufrichtung des Willens> die Konzentration auf Wissen» im Sinne von Mengzi) zu verstehen hat: Ein Schüler fragte: «Besteht die
das Eine (zhuan yi $-) wichtig.» 147 Auch in einem Brief von 15 25, in dem es unter Aufrichtung des Willens (fi zhi .:ll.$) darin, beständig eine gute Intention zu bewah-
anderem um seine Forderung geht, dass man aus der inneren Pflege des eigenen Gei- ren (chang cun ge shan nian ';j;'ff1~~~) und das Gute tun und das Schlechte meiden
stes und dem äußeren Handeln in der Gesellschaft nicht zwei verschiedene Aufgaben zu wollen?» Wang Yangming :mtwortete ihm: «Wenn die gute Intention bewahrt ist
machen dürfe, stellt Wang Yangming die Anstrengung des Willens über alles. Sein (shan nian cun shi ~~ffMf), ist dies clie <himmlische (natürliche) Ordnung> (tian fi
Briefpartner Ouyang De hatte ihm geklagt, dass die äußeren Verhältnisse ihn zum ;1~:I:I). Da diese Intention gut ist, an was für ein [zu tuendes] Gutes soll man da [weiter]
Handeln zwingen würden, obschon seine geistigen Energien schwach seien. Indem er noch denken? Da diese Intention nicht schlecht ist, was für ein Schlechtes soll man da
sich selbst ansporne, könne er zwar durchhalten, aber am Ende der Geschäfte sei er noch meiden? Diese [guten] Intentionen sind wie Baumsprösslinge; die Aufrichtung
geistig verbraucht: «Wenn ich von den äußeren Verhältnissen ge,,wungen werde, wie des Willens besteht in nichts anderem als im stetigen Aufrichten (Aufrechtcrh:1lten)
kann ich mich da um die geistigen Kräfte (jing li ffi.:b) kümmern, oder wenn meine dieser guten Intentionen (chang !i ci .1·han nian cryi ';j;'.:ll.Jlt~~lmB). <Den Wünschen
geistigen Kräfte erschöpft sind, wie kann ich mich um die äußeren Verhältnisse küm- des Herzens folgen, ohne dabei die Norm zu übertreten>, 151 bedeutet nur, dass der
mern? Was soll ich da tun?» Nach allgemeinen Erörterungen über die Einheit der Wille (zhi $) zum Zustand seiner Reife gelangt ist.» 152 Das Ideal ist also, dass keine
inneren Pflege des Geistes und des foßeren Handclns 148 beschließt Wang Y:mgming Willensanstrengung für das Tun des Guten und kein Überwindungska1npf gegen
seine Antwort an seinen Schüler: «Wenn Sie schreiben, dass Sie sich selbst anspornten die selbstsüchtigen Neigungen mehr vonnöten sind, sondern dass der Wille mit den
und so durchhalten, arn Ende der Geschäfte aber geistig verbraucht seien und dass Sie spontanen guten Neigungen des I Jerzens völlig ,,ur Deckung gelangt.

144 Für das Zitat im griißcren Zusamtncnlmig siehe oben im vorangehenden§ 3, S. 166.
145 Siehe oben in diesem Paragraphen, S. 171. 149 Clmanxi lu II, Nr. 170. Quanji,ju1111 2, Shanghai 1992, S. 73.
146 Anspielung auf Menw:i, 2. Buch, 1. 'lcil, Kap. 2. Die betreffende Stelle tnit dctn Gleichnis vom Mann 150 C/m11nxi tu III, Nr. 2@, Quanji,jv1111 3, Shanghai 19'J2, S. 104.
aus dem Lande Song haben wir oben in der allgemeinen Einleitung in§ 1, S. 26, zitiert. 151 Lun yu («Gespräche des Konfuzius»), 2. Buch, 4, Kap.:« ... Mit siebzig konnte ich den Wünschen
147 Chuanxi lu I, Nr. 115, Quanji,juan l, Shanghai 1992, S. 32f. meines Herzens folgen, ohne die Norm zu übertreten.».
148 Siehe darüber im nächsten Kapitel den§ 2. 152 Chuanxi lu I, Nr. 53, Quanji,juan l, Shanghai 1992, S. 19.
178 179

Aber auch das «ursprüngliche Wissen» («Gewissen») selbst verfügt über Kraft- fu qi ti llix*, ~!t G). 159 Und er bemerkt dazu: «Erst wenn man diesen Punkt wirklich
quellen, um sich zu «verwirklichen»: Es ist, wie wir im vorangehenden Paragraphen versteht, ist man in der leichten, einfachen und bis auf den Grund gehenden ethi-
gesehen haben, 153 die «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» (jie shen kong ju Jtltti~11) schen Praxis» (jian yi tou ehe gong fu fel~~f;JjJ~). 160 Nach dieser Aussage gewinnt
gegenüber den guten und schlechten Intentionen des eigenen Herzens, durch die das «ursprüngliche Wissen» im Bewusstwerden seiner egoistischen Verhaftung sein
das -«Gewissen» Einsicht und so Kraft gewinnt. Das, was fähig ist, in diesem Sinne eigentliches Wesen wieder, das heißt, es ist das «ursprüngliche Wissen», das «das
«achtsam und furchtsam» zu sein, ist nach Wang Yangming das «ursprüngliche ursprüngliche Wissen verwirklicht».
Wissen» selbst: Ein Schüler schrieb 1524 an Wang Yangming: «Kürzlich bezeichne- Man kann manchmal den Eindruck gewinnen, dass in Wang Yangmings Aussa-
ten Sie das <ursprüngliche Wissen> als das erhellende Herz (Bewusstsein) (zhao xin gen der «aufgerichtete (entschlossene) Wille», ein wirklich guter (heiliger) Mensch
m{,t,,). Ich meine, dass das <ursprüngliche Wissen> das eigentliche Wesen des Herzens zu werden, und das klare «Gewissen» («ursprüngliche Wissen») zusammenfallen: In
ist (xin zhi ben ti ,t,,z*H). Das erhellende Herz (Bewusstsein) ist die Anstrengung einem Gespräch im dritten Teil des Chuanxi lu kann er «ursprüngliches Wissen» und
des Menschen (ren suo yong gong .A.jiJfJflljJ), nämlich das Herz (Bewusstsein) der Acht- «aufgerichteten Willen» durcheinander auswechseln, wobei sie dieselbe Funktion
samkeit und Furchtsamkeit, also gleichsam ein Denken (you si ffl",fü). Warum also die erfüllen. Ein Schüler sagte ihm, dass er jeweils bei dem für die Pflege des Herzens
Achtsamkeit und Furchtsamkeit als das <ursprüngliche Wissen> betrachten?» Wang (Geistes) notwendigen Studium der (konfuzianischen) Bücher in Gedanken an mög-
Yangming antwortete: «Dasjenige, was fähig ist (neng ajg), achtsam und furchtsam zu liche Fragen in den Staatsprüfungen verwickelt werde. Wang Yangming antwortete
sein, ist das <ursprüngliche Wissen>.» 154 Diese Achtsamkeit und Furchtsamkeit gehört ihm: «Wenn nur das <ursprüngliche Wissen> echt (zhen qie ~-l;JJ) ist, dann wird man
zur «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens». 155 Insofern ist das «ursprüngliche nicht in solche Gedanken verwickelt, auch wenn man sich auf Staatsprüfungen vor-
Wissen» fähig, sich selbst zu verwirklichen. Wang Yangming kann alles Gewicht in bereitet. Oder wenn man in solche Gedanken verwickelt wird, dann wird man sich
der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» auf die «Einsicht» des «ursprüng- ihrer leicht bewusst (yi jue ~ff) und braucht sie nur zu überwinden. Zum Beispiel
lichen Wissens» («Gewissens») in den moralischen Wert (Güte oder Schlechtigkeit) beim Bücherstudium weiß das <ursprüngliche Wissen>, dass die Absicht, mit Gewalt
der eigenen Intentionen legen. Insofern erscheint er als ein «Intellektualist»: Im auswendig zu lernen, nicht richtig ist, und überwindet sie; oder es weiß, dass die
bereits in unserer «Biographie» zitierten Gespräch, in welchem Wang Yangming sagt, Absicht, eilig vorzugehen, nicht richtig ist, und überwindet sie; oder es weiß, dass
dass er in Chuzhou (1514) seine Schüler das «Sitzen in der Ruhe (Stille)» (jing zuo die Absicht, prahlen und prunken zu können, nicht richtig ist, und überwindet sie. In
'ffli~) lehrte, später aber feststellen musste, dass dies sie «zur Vorliebe für die Ruhe und dieser Weise [... ] hat man ein Herz (Geist), das rein beim <himmlischen (natürlichen)
zum Überdruss gegenüber der Tätigkeit führte», 156 fährt er daran anschließend fort: Ordnungsprinzip> (tian li ~Jm) ist. So ist auch das Bücherstudium nur eine Pflege des
«Deshalb lehre ich seit neuem nur die<Verwirklichung des ursprünglichen Wissens>. Herzens (Geistes). Wie könnte es da Verwicklungen geben!» Es ist bemerkenswert,
Wenn das <ursprüngliche Wissen> klar ist (ming bai IIJ.I B), dann kommt es nicht darauf dass in dieser Aussage dem «ursprünglichen Wissen» das Prädikat «echt» (zhen qie
an, ob Sie an einem Ort der Ruhe durch innere Erfahrung Einsicht gewinnen (ti wu Jli-1;7.J) zugeordnet wird, das Wang Yangming im Allgemeinen für den entschlossenen
Hffi) oder ob Sie in der Tätigkeit der Geschäfte sich scheuern und läutern (mo lian Willen gebraucht. 161 Der Schüler antwortete, dass ihm diese Unterweisung einleuch-
JfUil). Das eigentliche Wesen des <ursprünglichen Wissens> (liang zhi ben ti ßl1ßl*lll) te, dass er aber doch vom Streben nach Ruhm und Nutzen (Erfolg in den Prüfungen)
steht von Anfang an über dem Unterschied zwischen Tätigkeit und Ruhe (wu dong gefesselt sei und sich davon auch nicht befreien könne, da er später für seine Eltern
wu jing ffltihim'ffli). Es ist das Leitprinzip (tou nao ~IM) des [ethischen] Lernens.» 157 sorgen müsse. Wang Yangming erwidert: «Bei dieser Sache die Eltern zum Vorwand
Das Entscheidende ist also die Klarheit des «ursprünglichen Wissens»: Wenn diese zu nehmen ist verbreitet. In Wirklichkeit ist nur der Wille (zhi lt-) nicht vorhan-
vorhanden ist, dann sind sowohl das zurückgezogene Sitzen in der Ruhe als auch die den. Wenn der Wille aufgerichtet ist, dann sind alle Tätigkeiten und Geschäfte des
Tätigkeit in der Gesellschaft «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens». Und <ursprünglichen Wissens> (liang zhi qian shi wan wei ßl~=f~•i.if,) nur ein einziges
in einem Gespräch, das im dritten Teil des Chuanxi lu aufgezeichnet ist, sagt Wang Geschäft. Wie könnten das Studieren von Büchern und das Schreiben von Texten
Yangming, dass das «ursprüngliche Wissen» sich der egoistischen Verhaftungen in den Menschen verwickeln! Der Mensch verwickelt sich selbst durch die Gedanken
den eigenen Gefühlen bewusst werden könne (hui jue *fl), dass «dadurch die Ver- an Erfolg und Misserfolg (de shi f~~).» 162 Während im ersten Teil seiner Antwort
deckungen verschwinden und es sein eigentliches Wesen 158 wiedergewinnt» (bi qu, Wang Yangming die Verwicklung in opportunistische Gedanken auf die Unechtheit
des «ursprünglichen Wissens» zurückführt, ist im zweiten Teil der Mangel des Wil-
153 Siehe oben, S. 160ff.
154 An Lu Cheng (Beiname: Yuanjing), Chuanxi lu II, Nr. 159, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 65.
155 Siehe oben, S. 165. 159 Chuanxilu III, Nr. 290, Qua71ji,j111m 3, Shanghai 1992, S. 111.
156 Siehe oben in der Einleitung den§ 2, S. 85. 160 Ebd.
157 Chuanxilit III, Nr. 262, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 104f. 161 Siehe zum Beispiel oben, S. 166 und S. 177.
158 Zu dieser Übersetzung von «ti» durch «eigentliches Wesen» siehe im nächsten Kapitel den § 1. 162 Chuanxi lu III, Nr. 241, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 100.
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lens dafür verantwortlich. Man kann die Frage stellen, ob bei Wang Yangming das nämlich, erstens «ohne Unterlass das Herrschende sein» aus der soeben wiederge-
echte, klare <<ursprüngliche Wissen» und der «aufgerichtete Wille» nicht letztlich gebenen Rede aus dem dritten Teil des Chucmxi lu (Nr. 43) und zweitens die von uns
zusammenfallen. im vorangehenden Paragraphen angeführte Stelle aus dem Brief des Jahres 1527 an
In einer Rede in Shao:xing zu seinen Schülern spricht Yangming in einer Huang Wan: «Sobald das <ursprüngliche Wissen> geweckt wird, ist es so, wie wenn
Weise, die nicht mehr zwischen der Einsicht des «ursprünglichen Wissens» und sich die Gespenster auflösen, sobald der helle Tag erscheint.» 166 Die Aufzeichnungen
dem «aufgerichteten Willen» als verschiedenen Kräften in der «Verwirklichung des dritten Teils des Chuanxi lu waren schon in den Jahren nach Wang Yangmings
des ursprünglichen Wissens» unterscheidet. Er betont in dieser Rede, dass man bei rfod gesammelt und zwischen 15 54 und 15 56 drei Mal veröffentlicht worden, und der
der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» nicht forcieren dürfe, dass man Brief an Huang Wan war 15 3 5 im Wen lu erschienen. 167 Wang Ji konnte 15 54 diese
auch mit Rückschritten zu rechnen habe und dass Geduld notwendig sei, und sagt Texte bei seinen Hörern in der Wenjiang-Akademie als bekannt voraussetzen und
schließlich: «Ihr Herren, [... ] handeln Sie gestützt auf das ursprüngliche Wissen mit versteht wahrscheinlich seine Antwort als eine Erklärung der «nicht zweideutigen»
Geduld! Achten Sie nicht darauf, ob die Leute Sie ablehnen und lächerlich machen, Lehre Wang Ymgmings.
Sie verleumden und beschimpfen, achten Sie nicht auf Ruhm und Schande! Ob nun Wang Ji denkt das «ursprüngliche Wissen» von dessen immer vollkommenem
die [ethischen] Anstrengungen (e;ongfu) Fortschritte oder Rückschritte machen, wenn «eigentlichem Wesen» (bcn ti ;zj,;ff) her, durch dessen Einsicht das ihm entsprechende
wir nur ohne Unterlass das Herrschende dieser <Verwirklichung des ursprünglichen Handeln «leicht» wird. Es ist aufgrund dieser Einsicht «das Herrschende» und lässt
Wissens> sind (wo zhi shi zhe zhi liang zhi de zhu zai bu xi ~..R~~:\&1Hll~.:E$,f }i1:t), die selbstsüchtigen Intentionen verschwinden, «wie die Morgensonne die Nachtge-
gewinnen wir ganz allmählich von selbst die Quelle der Kraft (jiu jiu zi ran you de ti spenster auflöst», so dass keine besondere, gegen diese schlechten Intentionen kämp-
chu .R.R~M~1~il~), und alle äußeren Angelegenheiten vermögen uns von selbst fende Willensanstrengung mehr notwendig ist. Der \Ville ist ganz von der motivie-
nicht mehr zu crschüttern.» 161 Im Sinne Wang Yangmings könnte man den letzten renden Kraft der Einsicht getragen, in ihr ;rnfgehoben. Das «ursprüngliche Wissen»
Satz so analysieren: Wenn nur unser «entschlossener Wille» und die Einsicht unseres «verwirklicht sich selbst». 168 Das liegt in der Konsequenz von Wang Yangmings Lehre.
«ursprünglichen Wissens» in der ethischen Praxis ohne Unterlass herrschen, dann Denn auch bei ihm erscheint der Wille nur solange als eine besondere Kraft, als er
gewinnen wir immer mehr Kraft, und fremde Urteile verlieren ihre Macht über uns. sieh im «Verwirklichen» der guten (altruistischen) Intentionen gegen die schlechten
Aber Yangming sagt hier einheitlich: «wenn wir das Herrschende sind», wobei er (selbstsüchtigen) durchsetzen, das heißt, solange er brnpfend den als gut bewussten
wahrscheinlich dieses «wir» bzw. «ich» 164 als das im «Gewissen» einsichtige und Intentionen gegenüber den schlechten (selbstsüchtigen) Geltung verschaffen, die
zugleich entschlossen wollende «Herz» versteht. Doch hat er nie die Einsicht des «Hemmung» durch die schlechten Intentionen allmählich überwinden muss. Doch
«ursprünglichen Wissens» und den «entschlossenen (aufgerichteten) Willen» einfach Wang Yangming spricht von diesem Gesichtspunkt des «mühsam Lernenden» und
identifiziert. nicht vom Gesichtspunkt des «Erleuchteten» aus, und so treten bei ihm im Allge-
Wang Ji, der neben Qian Dehong vertrauteste Schüler Wang Yangmings ans meinen die mehr oder weniger Hire Finsicht des «ursprünglichen Wissens» und der
dessen späten Zeit und wohl der Schüler, der am freiesten Konsequenzen aus dessen «aufgerichtete Wille» als zwei verschiedene «Kräfte» auf Aber auch bei ihm spielt
Lehre zog, hat diese Identifikation vorgenommen: In einer Versammlung des Jahres die Idee des vollkommenen «ursprünglichen Wissens» («ursprüngliches Wissen» als
1554 in der Wenjiang-Akademie (IHlwHI~) in Guangxin llfü" (heute Shangrao) im dessen immer vollkommenes «eigentliches Wesen» [ben ti ?.js;\lt]) eine große Rolle,
Nordosten der Provinz Jiangxi fragten ihn die Anwesenden über die «Lehre von wie wir im nächsten Kapitel sehen werden. Doch bevor wir an diesen (dritten) Begriff
der Aufrichtung des Willens, [mit allen Wesen] eine Einheit zu sein» (li zhiyi ti zhi des «ursprünglichen vVissens» hcr:mgchen, möchte ich noch etwas über die «Zufrie-
shuo :rrit--\lt~IDt), das heißt des Willens, die «Menschlichkeit» (ren 1=) zu verwirk- denheit mit sich selbst» sagen, die nach Wang Yangming in der «Verwirklichung des
lichen bzw. ein «heiliger Mensch» zu werden. Wang Ji antwortete: «Das ist nicht ursprünglichen Wissens» erstrebt wird.
zweideutig (dafür gibt es nicht mehrere Erklärungen: wu er yi 1m=~). Wenn das
<urspriingliche Wissen> beständig das J Ierrschende zu sein vermag (shi shi zuo de zhu
zai D~H~Hl&1lleJ3::$), dann ist es der Wille. Das ist die Bedeutung von <Die Gespenster
lösen sich auf, sobald die Sonne hervortritt>. Außer dieser gibt es keine andere Wei-
se, den Willen aufzurichten.» 165 Wang Ji zitiert hier gleich zwei Mal seinen Lehrer:

163 Chuanxi ln III, Nr. 243, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 101. 166 Siehe oben den§ 3, S. 166.
164 Im obigen Zitat kann das «wo fit» sowohl mit «wir» als auch mit «ich» übersetzt werden. 167 Siehe oben im Anhang zur Einleitung zu Teil I.
165 Wang Longxi quan ji (1822),juan 1, Wenjiang shuyuan hui yu, S. Sa (Taipei 1970, S. 103). 168 WangJi spricht auf diese Weise: siehe unten in Teil II das Kap. 4.
182 183

§ 5 Das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» als «Streben nach Die Ethik Wang Yangmings beinhaltet aber keinen Kodex von Gesetzen, die durch
Zufriedenheit mit sich selbst». «Zufriedenheit mit sich selbst» als ein äußeres Verhalten erfüllbar sind, sondern ist als Anstrengung im «Herzen» nie
«Übereinstimmung mit sich selbst». Die Freude im Wiederfinden des am Ziel, nie abgeschlossen. Vielleicht spricht Wang Yangming deshalb weniger von
vollkommenen «eigentlichen Wesens des ursprünglichen Wissens» «Selbstzufriedenheit>> als vom «Streben nach Selbstzufriedenheit». Doch ergibt auch
dies bei einem solchen Verständnis von «Selbstzufriedenheit» keinen guten Sinn,
Bereits oben in § 2 dieses Kapitels zitierten wir einen Brief Wang Yangmings von
da in der ethischen Anstrengung nicht ein solches Gefühl der Selbstzufriedenheit
1525, in dem es heißt, dass man in der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
erstrebt wird, sondern ein ethisch gutes Leben.Auch Kant spricht von einer Selbstzu-
«sucht, mit sich selbst zufrieden zu sein» (qiu zi qie 5.K §-tl). 169 Ungefähr zur selben Zeit
friedenheit «welche das Bewußtsein der Tugend nothwendig begleiten muß». Diese
schrieb er im gleichen Sinne an Ouyang De: «Das <Sammeln von Gerechtigkeit> (ji yi
Selbstzufri;denheit ist nach ihm kein sinnlicher Genuss, sondern ein intellektuelles
ffi~) 170 ist auch nichts anderes, als <das ursprüngliche Wissen zu verwirklichen>. In den
Wohlgefallen an der eigenen moralischen Unabhängigkeit von den sinnlichen Nei-
verschiedensten Situationen seines gesellschaftlichen Umgangs handelt der Edle dann,
gungen.174 In Wang Yangmings Sprache würde dies einer Selbs~zufriedenheit über
wenn er handeln soll, und hält sich dann zurück, wenn er sich zurückhalten soll; er
lebt, wenn er leben soll, und stirbt, wenn er sterben soll. In all seinem Überlegen und die eigene Unabhängigkeit von den Wünschen nach ~uße~en D1_ngen un~ von _den
egoistischen Begierden gleichkommen. Aber das schemt mcht die Intent10n s~mer
Lösen von Konflikten tut er nichts anderes, als sein <ursprüngliches Wissen zu ver-
Rede von «Selbstzufriedenheit>> zu sein. Seiner Idee kommen wir näher, wenn wir zu-
wirklichen>, indem er sucht, mit sich selbst zufrieden zu sein (yi qiu zi qie P.J-~ § -tl).» 171
sehen, wie er den entgegengesetzten psychologischen Zustand der «Unzufriedenheit
In diesem Ausdruck «zi qie §-fl» («Zufriedenheit mit sich selbst>>) stützt sich
mit sich selbst>> beschreibt, in dem man sich befindet, wenn man sein «ursprüngliches
Wang Yangming auf das Daxue, und zwar in Zhu Xis Amendation. Im Allgemeinen
Wissen» nicht ~<verwirklicht». Er schreibt, dass man «in seinem <ursprünglichen
war er gegenüber dessen Amendationen sehr kritisch und zog die alte Fassung des
Wissen> [mit sich] selbst in Unfrieden (Unruhe) sei» (yu liang zhi zi bu an 1it ll~ §
Daxue vor. 172 Aber Zhu Xis Ersetzung von «sich selbst ehren» (zi qian § if) durch
::f ~) wenn im Handeln selbstsüchtige Begierden zum Zug kommen. Der berühmte
«mit sich selbst zufrieden sein» (zi qie § -tl) hat er beigepflichtet, was zeigt, dass er
Dich~er Dong Yun (1457-1533), der im Alter von siebenundsechzig Jahren se~n Schü-
sich diesen Gedanken aneignete, der sich im sechsten Kapitel des Daxue (nach Zhu
ler wurde, klagte ihm 1525: «Weil ich Diener meines jüngeren Bruders sem muss,
Xis Anordnung) findet und im Zusammenhang mit der«Wahrhaftigkeit des Willens»
um für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, muss ich nach Mitteln suchen, komme
steht, wie wir oben im ersten Paragraphen dieses Kapitels bereits zitiert haben 173 :
ins Verderben und belästige sogar viele Leute. Deshalb überlege ich, ob das nicht ein
<«Seinen Willen wahrhaftig machen> bedeutet, dass man sich selbst nicht betrügen
Zuviel an Gutmütigkeit ist. Was denken Sie?» Wang Yangming löste nicht für ihn das
(zi qi § :ll) darf, [sondern sich so eindeutig verhalten muss,] wie wenn man üble Ge-
Problem, sondern verwies ihn auf sein Gewissen: «Um von Gutmütigkeit sprechen
rüche verabscheut oder schöne Farben liebt. Das bedeutet, dass man mit sich selbst
zufrieden ist (zi qie gi -tl).» zu können, muss das <ursprüngliche Wissen> in Wahrheit <Verwirklicht> sein: Wenn
es nicht so ist, dann befürchte ich, dass das, was Sie als <Gutmütigkeit> bezeichnen,
Was für eine Art «Selbstzufriedenheit>> (zi qie § -tl) sucht man nach Wang Yang-
gerade keine gute Gutmütigkeit ist. Auch die Menschen des Altertums haben ~ege?
ming in der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»? Es gibt verschiedene
ihrer brüderlichen Gefühle Schmähungen ertragen. Wenn man aber das <ursprungh-
Arten von Selbstzufriedenheit. Es gibt eine Selbstzufriedenheit, die jemand bei einer
che Wissen> nicht <Verwirklicht:>, dann ist man bei diesen Dingen auch im <ursprüng-
eigenen vorzeigbaren Leistung, bei der Erreichung eines schwierigen Zieles, der Lö-
lichen Wissen> [mit sich] selbst im Unfrieden (yu liang zhi zi bu an 'fit J§l.~ gi =f3i:).»175
sung einer schwierigen Aufgabe empfindet, zum Beispiel bei einer bestimmten künst-
lerischen, wissenschaftlichen oder sportlichen Leistung oder als Familienvater über Und auf das Problem seines Schülers Wang Chen, dass das Aufgeben von Reich-
den eigenen, selbst aufgebauten Hausstand; es ist eine Art gerechtfertigten Stolzes,
den die Chinesen mit «zi hao § *» ausdrücken. Eine solche Selbstzufriedenheit kann
auch bei der Erfüllung von moralischen Gesetzesvorschriften auftreten, was wir,?ber
insofern als ethisch unrichtig, als «Pharisäertum» empfinden, als sie das Bewusstsein, 174 Siehe Kritik der praktischen Vermmft, I. Teil, 2. Buch, 2. Hauptstück: «Hat man_ aber nicht ein Wort, :"el-
das Ziel erreicht zu haben, das heißt ein moralisch guter Mensch zu sein, impliziert. ches nicht einen Genuß, wie das der Glückseligkeit, bezeichnete, aber doch em Wohlgefall~n an se'.ner
Existenz, ein Analogon der Glückseligkeit, welche das Bewußtsein ~er ~ugen~ noth~end1g begleiten
muß, anzeigte? Ja! dieses Wort ist Selbstzufriedenheit, welches m semer e1~enthchen B_~deu~ng
jederzeit nur ein Wohlgefallen an seiner Existenz and~utet, in "'._elchem ?1~n mc~ts zu bedur~en sich
bewußt ist. Freiheit und das Bewußtsein derselben als emes Vermogens, lllit uberw1egender Ges1~n~ng
169 Siehe oben aufS.149 den Brief an Wang Gongbi, Quanji,juan 5, Shanghai 1992, S. 197f. das moralische Gesetz zu befolgen, ist Unabhängigkeit von Neigungen [ ... ] und [...] der em~~ge
170 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 4. Quell einer nothwendig damit verbundenen, auf keinem besonderen Gefühle beru~:nden, unv:ran-
171 «An Ouyang Chongyi», Chuanxi lu II, Nr. 170, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 73. derlichen Zufriedenheit, und diese kann intellectuell heißen.» Ka~t, Immanuel: K:ntzk der pmktzschen
172 Siehe oben in der Einleitung zu Teil I, S. 87 und S. 108. Vernunft (1788), in: ders.: Werke.Akademie-Textausgab~, Bd. V, Berh~ 1968, S. 117f. (A211f.).
173 Siehe oben, S. 140, Anm. 27. 175 Quanji,juan 5, Shanghai 1992, S. 198; zu Dong Yun siehe MRXA,Juan 14.


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turn und vornehmer Stellung (Bearntenstellung) 176 gegenüber den Befehlen des Irn soeben zitierten Text gebraucht Wang Yangrning nicht nur den vorn sechsten
Vaters und der älteren Brüder leichtfertig sei, antwortete er irn Jahr 1526: «Wenn Kapitel des Daxue irn Zusammenhang mit der «Wahrhaftigkeit des Willens» vorgege-
rnan Reichtum und vornehme Stellung aufgeben soll und sie also aufgibt, dann ist benen Ausdruck der «Selbstzufriedenheit» (zi qie § ~ ), sondern er spricht auch von
das nur die <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens>; wenn man den Befehlen «Freude» (kuai ttc). Und noch ein anderes V/ort für «Freude» verwendet er in einem
von Vater und älteren Brüdern gehorchen soll und ihnen also gehorcht, dann ist auch solchen Kontext, nämlich «le ~», das in der chinesischen Umgangssprache oft rnit je-
das nur die <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens>. Wenn beirn Abwägen der nem «kuai ttc» zum Binom «kuai le t~~» verbunden wird, das ebenfalls die Bedeutung
Güter [im moralischen Konflikt zwischen den1 Gehorsam gegenüber dem Vater und von Freude, GI ücklichkcit besitzt. W:mg Yangrning spricht von dieser «Freude» (/e ~),
<lern Aufgeben der Bearntenstellung irn Interesse des Staatswohls] auch nur wenige wenn er die Übereinstimmung rnit dem tiefsten «Selbst», rnit dem «ursprünglichen
selbstsüchtige Intentionen (si yi lt.~) mitspielen, dann ist m.an im <ursprünglichen Wissen» in seiner Vollkommenheit bzw. mit dessen «eigentlichem Wesen» (ben ti ~
Wissen> [rnit sich] selbst in Unfrieden (yu liang zhi zi bu an 1.it Bt;J;□ § 1'$:).» 177 lll) meint. Er sagte zum Beispiel während der Zeit seiner Lehrtätigkeit in Shaoxing:
Ich bin versucht, bei Wang Yangrning diesen «Unfrieden» mit sich selbst irn «Wenn der Mensch es rnämlich sein ,ursprtinglichcs Wissen>] vollkommen und voll-
<~ursprünglichen Wissen» als ein Bewusstsein des Widerstreits oder der Uneinigkeit stiindig wiederfindet (jir de ta wan wan quan qwm ~14\Hih1B'.füiEiE), ohne den geringsten
rnit sich selbst zu verstehen. Darauf weist auch der Begriff des «Selbstbetmgs» (zi qi Mangel, dann tanzt er, ohne es zu bemerken, rnit seinen Händen und Füßen, und ich
gJ J'!J:) aus dern soeben zitierten sechsten Kapitel des Daxue hin, den Wang Yangming wüsste zwischen Himmel und Erde keine gri\ßere Freude (ie ~).» 179 Und in einem
in diesem Zusarnrnenhang aufgreift und der auch einen Widerstreit zwischen eige- Brief an Huang Xingzeng aus dem Jahr 1524, also aus derselben Zeit, schreibt er, dass
nem Handeln und eigenem «besseren Wissen» ausdrückt. Entsprechend wäre die in «die Frende zum eigentlichen Wesen des Herzens /d.h. zu dessen Vollkmnmenheit]
der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» erstrebte «Selbstzufriedenheit» gehört» (!e shi xin zhi hen ti *~'~'L*lll) und dass «das ursprüngliche Wissen zurn
ein Bewusstsein des «Friedens» oder der Übereinstimmung rnit sich selbst: In der eigentlichen Wesen der Freude [d.h. zu deren Vollkornrnenheit] gehört» (liang zhi
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» strebt der Mensch in seinem Lehen shi le zhi ben ti &!k□ ~*L~lll), und fügt dann noch hinzu: «Im gewöhnlichen Lieben
und Handeln nach Übereinstirnrnung rnit den tiefsten Tendenzen seines Herzens, [des Guten] und im gewöhnlichen Verabscheuen [des Schlechten] des Menschen
zum Beispiel rnit seinem Mitgefühl oder seinem Durst nach Gerechtigkeit, das heißt gibt es noch einige unwahre Stellen. Nur wenn er !wahrhaftig das Gute liebt], wie er
mit dem, dessen sich sein Gewissen unmittelbar als gut bewusst ist. Arn Ende seiner schöne Farben liebt, und [wahrhaftig das Schlechte verabscheut], wie er üble Gerüche
«Fragen zum Daxue» (Daxue wen) spricht Yangming in folgender Weise über die verabscheut, 180 dann kommt alles ans seinem wahren Herzen (Ja yu zhen xin ~*~
«Selbstzufriedenheit»: «Wenn man das vom <ursprünglichen Wissen> gewusste Gute, 'G'), und er sucht von seihst Freude und Zufriedenheit (zi qiu kuai zu gJ >l<ttc.JE.), ohne
das die vorn Willen (yi ~) gewollte <Sache> (wu Wl) ist, wirklich und bis zum Ende tut dass dabei Unechtes wäre.» 181 Die «Freude» in der Selbstübereinstirnmung rnit eiern
und wenn man das vom <ursprünglichen Wissen> gewusste Schlechte, chis die vom «urspriinglichen Wissen» in dessen ,<eigentlichem \Vesen» oder in dessen Vollkom-
Willen nicht gewollte <Sache> ist, wirklich und bis zum Ende wegschafft, dann sind menheit ist nach Wang Yangrning nicht gewöhnliche «Freude» (le ~) im Sinne der
alle <Sachen (Handlungen) berichtigt> (wu wu hu ge Wi1!!Ff*), und das von 1neinem «sieben GcCiihle» (iji qing -c~), 102 sondern sie ist, wie er im obigen Zitat sagte, die
<ursprünglichen Wissen> Gewusste hat keine M:ingel und Verdcckungen mehr (wu you Freude, «zu deren eigentlichem Wesen das ursprüngliche Wissen gehört». Denn die
kui que zhang bi ~1iJ/15/fdlJl~) und erlangt irn höchsten Maße seine <Verwirklichung>. gewöhnlichen Freuden werden wie die anderen gewöhnlichen Gefühle durch :iußerc
Dann ist unser Herz (Geist: xin ,~,) freudig und ohne zurückbleibende Reue (kuai ran Gegenstände «erregt» (giln ~) und sind intentionale Gefühle hinsichtlich äußerer
wu yu han ~~~~'li) und ist rnit sich selbst zufrieden (zi qie § ~).» 178 «Mit uns selbst und vergänglicher Dinge und Ereignisse und von diesen abhängig, während jene
zufrieden», mit uns selbst in Frieden, sind wir in unserem «llerzen», wenn wir das Freude in einer dauerhafren Übereinstimmung des «Herzens» mit dessen eigenem
tun, was wir in unserem tiefsten Herzen als etwas Gutes erkannt haben und wollen.
In Unfrieden mit uns sind wir, wenn wir das tun, was wir als etwas Nichtgutes erkannt
haben und eigentlich nicht wollen. 179 Chuanxi !u III, Nr. 261, (!1w11ji,jw111 3, Shanghai 1992, S. 104. 1

180 Bezugnahme auf das sechste Kapitel des Daxue; siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 140,Anrn. 27.
181 Zweiter Brief an Huang Micmzhi (Xingzeng), datiert ,rnf das Jahr jia shen (=1524), Qwmji, juan 5,
Sbanghai 1992, S. 194f.
176 Wahrscheinlich handelt es sich um die sogenannten Dali- oder Dayu-Affären, in denen Beamte wegen 182 In einem Brief an Lu Cheng aus demselben Jahr (1524), der in den zweiten Teil des Chuanxi lu auf-
ihres Widerstandes gegen fragwürdige Entscheidungen des Kaiser ihre Posten verloren (siehe DMB genommen wurde, schreibt er: «Die Freude ist das eigentliche Wesen des Herzens. Obschon diese
unter Zirn Houcong Uiajing-Kaiserl, S. 316f.). J\nch Zou Shouyi (Dongkuo, 1491-1562), ein vertrauter Freude nicht dasscllie ist wie die [gcwiihnlichcl Freude innerh:1!1, der sieben Gefühle (bu tongyu qi qing 1

Schüler Ymgmings, wurde 1524 eingekerkert und dann auf einen niedrigen Posten versetzt, weil er zhi le ;;:i:;191~-1::;,~;z.$), ist sie doch auch nicht außerhalb der Freude innerhalb der sieben Gefühle.»
dem Kaiser, der nicht in der direkten Erblinie seines Vorgängers stand, abriet, seinen Vater postum Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 70. Die Freude, die zum eigentlichen Wesen des «ursprünglichen
zum Kaisn zu erheben: siehe oben im Anhang ,.ur allgemeinen l•'.inleitung, S. 39. Wissens,... gehört, ist nach vV:mg Y:1ng1ning dc.shalb nicht außerhalb der gewöhnlichen, intentional aur
177 J\n Wang Conghi im Jahr hi11g xu (= 1526), Q111mji,jw111 6, Shanghai 1992, S. 215. Cegenstiinde bewgenen ( :cfiihle, weil das das menschliche Herz bzw. das «ursprüngliche Wissen»
178 Daxue wen, Quanji,jttan 26, Shanghai 1992, S. 972. immer intentional auf weltliche Dinge bezogen ist (vgl. seine Diskussion des «allein Wissens»).
186
187

«Wesen» besteht. Wenn Wang Yangming im Brief an Huang Mianzhi schreibt, dass Kapitel 3
jene Freude zum eigentlichen (wahren) Wesen (ben ti ;,Js:U) des Herzens gehört und
dass das «ursprüngliche Wissen» zum eigentlichen (wahren) Wesen der Freude ge- Wang Yangmings dritter Begriff des «ursprünglichen
hört, dann denkt er wohl, dass die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» die Wissens»: das immer vollkommene «eigentliche Wesen
tiefste Sehnsucht des menschlichen Herzens erfüllt und dadurch die innerste Freude des ursprünglichen Wissens»
mit sich bringt. - Es ist nun Zeit, nachdem in den letzten Paragraphen der Begriff
des «eigentlichen Wesens des ursprünglichen Wissens» (liang zhi ben ti 6!~□ ;,js: d) und
überhaupt der Begriff des «eigentlichen (wahren) Wesens» (ben ti ;,Jl:llf) schon mehr- Wir haben bisher bei Wang Yangming zwei verschiedene Begriffe des «ursprüngli-
mals aufgetreten sind, diese Ausdrücke bei Wang Yangming genauer zu betrachten. chen Wissens» (liang zhi 6!~) unterschieden: erstens das <<ursprüngliche Wissen»
als ein ursprüngliches Vermögen oder eine Anlage zum Guten, das sich in spontanen
Intentionen (Gefühlen, Tendenzen, Absichten) äußert, und zweitens das «ursprüng-
liche Wissen» als unmittelbares Bewusstsein des ethischen Wertes der eigenen
Intentionen. V<m beiden Begriffen kann man in einen1 gewissen Sinne sagen, dass
sie Erfahrungsbegriffe sind, da sie etwas kennzeichnen, was in unserer Erfahrung
vorkommt. Jene spontanen Gefühle des Mitleids, der Liebe, der Ehrfurcht, der
Scham etc. sind erlebt und in diesem Sinne erfahren, und auch dieses unmittelbare
Bewusstsein des \Vertes der eigenen Intentionen tritt in unserem Erleben (Erfahren)
auf. Vom «ursprünglichen Wissen» in beiden Bedeutungen muss man sagen, dass es
in der allgemeinen menschlichen Erfahrung nichts Vollkommenes ist: Jene sponta-
nen Gefühle oder Tendenzen sind nur «Anfänge (Keime) der Tugenden», sie müssen
sich gegen die egoistischen 'Tendenzen durchsetzen und dadurch «ausgedehnt», «zur
Fülle gebracht» werden, um ihre Vollkommenheit erreichen zu können. Und dieses
unmittelbare Bewusstsein des ethischen \Vertes der eigenen Intentionen ist bei uns
gewöhnlichen Menschen mehr oder weniger verdunkelt; es muss geklärt werden in
einem diesem Bewusstsein entsprechenden «wahrhaften Willen» und Handeln, durch
«Achtsamkeit und Furchtsamkeit» oder durch andere vVeisen des «Tnncwerdens»,
«Sehens», «vVahrnchmens (Gew,1hrens)» dieses «ursprünglichen Wissens».
Nun spricht Wang Yangming aber seit seiner Zeit als Lehrer in Shaoxing
(1521-1527) auch von einem «ursprünglichen Wissen», das immer klar (hell, leuch-
tend, erkennend: ming aJ:j) und immer schon vollkommen ist, das nicht entsteht und
sich nicht verändert nnd das der Ursprung von allen intentionalen Funktionen und
auch von der Welt als dem Inbegriff der Gegenstände dieser Funktionen des Her-
zens (Geistes) ist. Wang Yangming nennt dieses «ursprüngliche Wissen» oft liang
zhi ben ti 6!~;,Jl:U, was wir mit «eigentliches (wahres) Wesen des ursprünglichen
Wissens» oder mit «eigentliche Wirklichkeit des ursprünglichen Wissens» überset-
zen. In Wang Yangmings Gleichnissen gesprochen, ist das «ursprüngliche Wissen»
in seinem immer schon vollkommenen «eigentlichen Wesen» nicht ein mehr oder
weniger verschmutztes Golderz und nicht die durch mehr oder weniger Wolken ver-
dunkelte Sonne, sondern die Sonne jenseits aller Wolken und das reine Sonnenlicht
selbst. Dieses «urspriingliche Wissen» ist nicht etwas, was in seiner Vollkommenheit
in unserer gewöhnlichen menschlichen Erfahrung gegeben ist, es übersteigt sie, ist
ihr transzendent, so dass man diesen dritten Begriff des «ursprünglichen Wissens»
in diesem Sinne als transzendenten (transempirischen) Begriff des «ursprünglichen
Wissens» bezeichnen kann. Trotz dieser Transzendenz gegenüber der gewöhnlichen
188 189

Erfahrung ist nach Wang Y'lngming das vollkommene «eigentliche Wesen des ur- griff, den zweiten Begriff als seinen moralisch-kritischen (unterscheidenden) Begriff
sprünglichen Wissens» aber nicht ohne Beziehung zur menschlichen Erfahrung: Es und seinen dritten Begriff als seinen religiös-enthusiastischen Begriff, im wörtlichen
kommt nicht nur im «heiligen Menschen», der sein «ursprüngliches Wissen» in der Sinn der «Begeisterung durch die vollkommene (göttliche) Wirklichkeit», bezeichnen.
ersten und zweiten Bedeutung in jeder Hinsicht vollkommen «verwirklicht» hat, zur
Erfahrung, sondern auch schon bei Menschen, die erst auf dem Weg zur Heiligkeit § 1 Terminologische Vorbemerkungen über die Äquivozität und
sind, indem sie in einzelnen Handlungen ihr «ursprüngliches Wissen» zur Fü!Ie Synonymität von «ben ti .:tl!t» und von «ti \lt»: Diese Ausdrücke
bringen. In diesen zeitlich und im Umfang beschriinkten «Verwirklichungen des können beide sowohl das eigentliche (wahre) Wesen von etwas
ursprünglichen Wissens» wird nach Wang Yangming das vollkommene «eigentliche als auch die Substanz von etwas bedeuten. Die Äquivalenz dieser
Wesen des ursprünglichen Wissens» selbst erfahren, so wie der blaue liimmel selbst beiden Bedeutungen in Bezug auf das «ursprüngliche Wissen»
gesehen wird, auch wenn er nur durch ein die Sicht beschränkendes Fenster betrachtet
wird. V<m diesen Gedanken her könnte man bei diesem Begriff des «ursprünglichen Bevor wir vV'lng Yangmings Begriff des «eigentlichen vVescns des ursprünglichen
\Vissens» von einem «Idealbegriff>> der Erfahrung sprechen: Es ist das «ursprüngliche Wissens» (lirmg zhi ben ti ~9:D.:tlli) crlfrutern können, miissen wir der Deutlichkeit
Wissen», das im idealen Jfandcln zur Erfahrung kommt. Doch ist das vollkounnene halber darauf aufmerksam machen, dass bei diesem Begriff sowohl in den Aussagen
«ursprüngliche Wissen» nach Wang Yangming für die gewöhnlichen Menschen nicht \Mmg Y1ngmings als dann auch in denjenigen seiner Schüler eine tcnninologischc
bloß ein gedachtes und angestrebtes Ideal, nicht eine von ihnen bloß gedachte ideale Undentlichkcit herrscht, die verwirren kann. Wang Y:rng1ning gebraucht die beiden
1v1öglichkcit, sondern es ist auch in ihnen immer aktnclle Wirklichkeit:, auch wenn Ausdrücke <dmz ti .2\,;\lt» und ,,ti lli» in zwei verschiedenen Bedeutungen, die allerdings
diese von ihnen in ihrer Vollkommenheit nicht erfahren wird. Man ist versucht, diese in ihrer Anwendung auf das «ursprüngliche \Vissen» eng zusanuncnhingcn. Erstens,
\N'irklichkcit als eine J\nhige zur ethischen Vollkommenheit zu denken, analog etwa gebraucht er beide Ausdrücke für das, was wir mit «das eigentliche Wesen» oder mit
zur musikalischen Begabung eines Kindes, das noch kein Musiker ist, für das :1her das «die eigentliche Wirklichkeit» einer Sache übersetzen. Es ist deren vollendete, wahre
Leben als Musiker nicht wie bei einc1n musilrnlisch Unbegabten eine bloß gedachte, Gestalt. Der Cegenbegriff dazu ist die uncigentliche, mangelhafte, noch unvollkom-
«leere>, 1\/[öglichkeit ist, sondern eine wirkliche Möglichkeit (reale Potentialität), so mene, unreine, vcrchrnkcltc Ccstalt oder Erscheinung dieser Sache. Das «eigentliche
dass von ihm gesagt wird, dass «in ihm ein M usikcr steckt». Auch in der Ethik kennen Wesen» einer Sache nennt Wang Yrngming auch <<eigentliche Form (eigentlichen
wir den Satz: «Werde, was du bist!» Aber das immer schon vollkommene «ursprüng- Charakter: hen se .2\,;i:s)>> 1• Für diese Idee gebraucht \Nang Yangming meistens den
liche VVisscn» ist nach Wang Yangming nicht in diesem Sinne die reale Möglichkeit, Ausdruck «hcn ti JJ-s::\!t», m,mchmal :1\icr auch nur «ti lli». Zweitens, gebraucht er die-
ein «heiliger Mensch» zu werden, im Gegensatz zu einer bloß gcfh1chtcn (bloß phan- se beiden Ausdrücke auch für das, was wir als die ,<Substanz» («Crunclwirklichkcit»)
tasierten) Möglichkeit, der die Hauptursache ihrer Vcrwirkliclrnng fohlt. Wenn es einer Sache bezeichnen. Der Cegenbcgriff 1,ur «Substanz» sind die «Funktionen»,
nichts anderes als diese reale Möglichkeit wäre, wäre es die Anlage zum Guten, also «Auswirkungen», chinesisch «yong ffl», dieser <-<Substanz». Für die Bedeutung von
das «ursprüngliche Wissen» im Sinne von Mengzi. Es hat vielmehr die« Wirklichkeit» «Substanz» gebraucht Wang Yangming meistens den Ausdruck «ti R», manchmal
der Idee Platons, nicht irgendeiner Idee, sondern der höchsten Idee des Einen oder aber auch «ben ti #\ll».
Guten. Entsprechend scheint das immer schon vollkommene «eigentliche Wesen des Das Begriffspaar «ti \ll» und <<yong ffl», im Englischen allgemein übersetzt mit
ursprünglichen Wissens» für Wang Yangming nicht etwas zu sein, was nur in den vie- suhstance und function, spielt im Konfuzianismus der Song- und Ming-Zeit eine sehr
len einzelnen Menschen als individuelle Realität existiert und und entsprechend selbst große Rolle und geht, soweit ich sehe, auf den Einfluss des Buddhismus zurück. 2
eine Vielheit ist, sondern es tritt in seiner Rede als von allen Menschen und sogar von In der alltäglichen chinesischen Sprache bedeutet «ti \ll» einen Körper, auch den
allen Dingen geteilte gemeinsame eine Wirklichkeit auf. Insofern hätten wir es bei die- Leihkörper, und <<yong ffl» bedeutet: gebrauchen, anwenden. Als philosophisches
sem dritten Begriff nicht bloß mit etwas begrifflich Allgemeinem, sondern mit etwas Begriffspaar meint es in allgemeinster Bedeutung den Unterschied zwischen einem
wirklich Allgemeinem zu tun. Weiter sagt Wang Yangming von diesem vollkommenen «Ding» (im weitesten Sinn) und seinen Funktionen, Wirkungen, Tätigkeiten. Im
«ursprünglichen Wissen» auch, dass er an es <<glaubt» (xin 'füi). Es ist also nicht ein
vorhandenes Phänomen, sondern etwas Geglaubtes, das die vorhandenen Phänomene
transzendiert, aber ihnen zugrunde liegt. Insofern können wir diesen dritten Begriff Cbuanxi ltt III, Nr. 269, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 106; vgl. unten in diesem Kapitel den§ 2,
des «ursprünglichen Wissens» nicht nur als transzendenten (transempirischen), als s. 196.
ideal-empirischen und als real-allgemeinen (nicht nur nominell oder konzeptuell 2 Das ist umstritten. Wing-tsit Chan ist der Auffassung, dass dieses Begriffspaar, das in der sogenannten
klassischen chinesischen Philosophie noch nicht auftritt, vom «Neodaoisten» Wang Bi (226-249) in
allgemeinen) Begriff, sondern auch als Glaubensbegriff kennzeichnen. Wenn wir in die chinesische Philosophie eingeführt wurde. Das halte ich nicht für richtig. Siehe meine diesbezüg-
eingängigen Schlagwörtern sprechen wollen, können wir Wang Yangmings ersten lichen Ausführungen in «Wang Bis daoistische Begründung der konfuzianischen Ethik», in Asiatische
Begriff des «ursprünglichen Wissens» als seinen psychologisch-dispositionellen Be- Studien XLiv.l (1990), S. 77-106.
190 191

Sanskrit, das durch den Einfluss des Buddhismus wohl im Untergrund dieses chi- Herzens, sondern erst bei dessen Tätigkeiten (fa dong chu ~Jb~) erfolgen könne; auch
nesischen Begriffspaares steht, soll es mit der grammatikalischen Unterscheidung hier ist «ben ti ;ijl;:ft» mit «Substanz» zu übersetzen.7 Diesen Gebrauch von «ben ti *
zwischen Substantiv und Verb zusammenhängen. 3 In einfachen Erklärungen wird H» im Sinne von «Substanz» werden wir auch später noch antreffen. 8 Er meint dann
in der chinesischen Literatur der Unterschied von «ti II» und «yong .ffl» manchmal hinsichtlich des «ursprünglichen Wissens» oder des «Herzens» genau verstanden den
mit Beispielen aus dem Alltag wie dem Unterschied zwischen dem Ding Messer Aspekt der Substanz des eigentlichen Wesens, das aber auch noch seinen Aspekt der
und seinen Funktionen des Schneidens, Stechens, Schabens etc. illustriert. In einer Funktionen besitzt.
besonderen philosophischen Bedeutung meint der Unterschied von «ti» und «yong>> Beispiele für Wang Yangmings Gebrauch des Ausdrucks «ben ti ;ijl;:ffl» für eine
den Unterschied zwischen dem eigenen beständigen Charakter eines «Dinges» und Sache in ihrer Vollendung haben wir schon mehrmals angetroffen. Er sagte schon nach
seinen verschiedenen, zeitlich sich verändernden Auswirkungen, Äußerungen, Mani- seiner Einsicht in Longchang (1508) in diesem Sinne, dass die Einheit von Wissen
festationen, Erscheinungen. In der folgenden Stelle aus einem Brief an Gu Lin /il J}ll und Handeln das «eigentliche (wahre) Wesen von Wissen und Handeln» (zhi xing
(Beiname: Dongqiao *:m,1476-1545), der 1525 geschrieben4 und in den zweiten Teil ben ti ~fi*lt) sei und dass eine Trennung der beiden nur durch die «egoistischen
des Chuanxi lu aufgenommen wurde, spricht Wang Yangming zuerst vom eigentlichen Wünsche» entstehe.9 Hier wäre eine Übersetzung von «ben ti ;ijl;:0» mit «Substanz»
Wesen des ursprünglichen Wissens, gebraucht dafür aber nicht den Ausdruck «liang (als Gegenbegriff zu deren «Funktionen») unpassend. Dies ist zum Beispiel auch der
zhi ben ti ßi~*U», sondern den gleichwertigen Ausdruck «ben ran zhi liang zhi *~ Fall, wenn Wang Yangming vom «Verlieren (shi ~) des ben ti» bzw. vom «Wieder-
Z ßl~» («das eigentliche ursprüngliche Wissen»), in dem dasselbe Wort «ben ;ijl;:» wie gewinnen des (Zurückkehren zum: fa ~) ben ti» spricht: «Das Herz des schlechten
in «ben ti ;ijl;:0» vorkommt, und spricht dann im obigen Sinn vom «ti lt», das heißt der Menschen verliert sein eigentliches Wesen (shi qi ben ti ~;f;!;;ijl;:U).» 10 Oder: «Die
Substanz (Grundwirklichkeit) des «ursprünglichen Wissens» im Gegensatz zu seinen ethische Anstrengung darf sich von ihrem eigentlichen Wesen nicht trennen (bu li
«Funktionen»: -<<Das Herz (Geist: xin ,t,,) ist das Herrschende (zhu 3::) des Leibes. Das ben ti 1':it*UI). Das eigentliche Wesen [der ethischen Anstrengung] hat an sich kein
leer geisteskräftige und helle Gewahren (xu ling mingjue JEIIRJ:ltf) des Herzens ist Innerhalb und Außerhalb [des Herzens]. Nur weil Leute späterer Generationen in
das eigentliche <ursprüngliche Wissen> [= das <eigentliche Wesen des ursprünglichen ihrer ethischen Anstrengung zwischen Innen und Außen trennten, verloren sie deren
Wissens>] (ben ran zhi liang zhi ;iji;:~zßl~). Wenn dieses leer geisteskräftige und hell eigentliches Wesen (shi qi ben ti liao ~!t;ijl;:H 7). Wenn wir heute gerade klarstellen
gewahrende <Ursprüngliche Wissen> in Antwort auf Anregungen (ying gan J!l!j) tä- müssen, dass die ethische Anstrengung kein Innen und Außen haben soll, dann ist es
tig ist, spricht man von Intentionen (yi ~). Es gibt erst Intentionen[= Funktionen], die eigentliche, wesentliche ethische Anstrengung (ben_ti gongfa *ffll:ljJ~).»11 Über die
nachdem es das [<ursprüngliche] Wissen> gibt. Wenn es kein [<ursprüngliches] Wis- «Rückkehr zum eigentlichen Wesen» werden wir im nächsten Paragraphen sprechen.
sen> gäbe, gäbe es auch keine Intentionen. Ist das -<ursprüngliche Wissen> nicht die Ganz explizit ist Wang Yangming hinsichtlich der Bedeutung von «ben ti ;ijl;:ft»
Substanz (Grundwirklichkeit: ti II) der Intentionen?» 5 Wang Yangming kann aber als «eigentliches Wesen» im folgenden, bereits in Kapitel 1 zitierten Text aus dem
auch die Substanz im Gegensatz zu ihren Funktionen mit «ben ti ;ijl;:IJI» ansprechen, ersten Teil des Chuanxi lu über das «ursprüngliche Wissen (Können)»: «Das Kleinkind
wie in dem von uns im vorangehenden Kapitel zitierten Gespräch mit Huang Zhi weiß seine Eltern zu lieben; es weiß seine älteren Brüder zu respektieren. Das ist nichts
(Beiname: Yifang) um 1520 über die Frage, ob die ethische Praxis der «Achtsamkeit anderes als jenes geisteskräftige Können (ling neng !!! ~). Wenn dieses [Können] nicht
und Furchtsamkeit» vor dem Entstehen oder nach dem Entstehen der Gefühle an- durch selbstsüchtige Intentionen verdeckt und gehindert, sondern bis zu seiner Fülle
gewendet werden soll. Wang Yangming nannte in dieser Gesprächsaufzeichnung den erschlossen wird, dann ist es vollendet (wan jt). Die Vollendung ist sein eigentli-
Zustand vor dem Entstehen der Gefühle, das heißt der Funktionen, «ben ti ;ijl;:ffll», was ches Wesen (wan shi ta ben ti ji;~ftg;ijl;:ffl).» 12 Oder in Beziehung auf das Herz (Geist:
nicht als vollendetes eigentliches Wesen in seiner Ganzheit, sondern als «Substanz» xin ,t,,) sagt er: «Das <höchste Gute> (zhi shan ~~) ist das eigentliche Wesen (ben ti
dieses Wesens im Gegensatz zu seinen «Funktionen» zu verstehen ist. 6 Auch in einer ;ijl;:11) des Herzens. Wenn das <Erhellen der hellen Tugend> (ming ming de RJ:IIIJ:lfitl)
Auslegung des ersten Kapitels des Daxue im dritten Teil des Chuanxi lu sagt Wang [nach dem ersten Kapitel des Daxue] den Punkt der <höchsten Feinheit und höchsten
Yangming, dass die ethische Anstrengung nicht hinsichtlich des «ben ti ;ijl;:IJI» des Einheit> erreicht hat, dann ist dieses [nämlich jenes eigentliche Wesen] (bian shi -fil!

3 Zum Zusammenhang zwischen der seit der Song-Zeit dokumentierten grammatikalischen Unter-
scheidung zwischen «vollen Wörtern» (shi zi '.llt*) und «leeren Wortern» (xu zi lt*) einerseits und
der ontolgischen Unterscheidung zwischen «ti ffll» und <<yong Jfl» andererseits siehe unten in der 7 Chuanxi lu III, Nr. 318, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 119.
Einleitung zu Teil II, § 4, die Auseinandersetzung zwischen Ouyang De und Luo Qinshun, S. 302ff. 8 Siehe zum Beispiel unten in diesem Kapitel den§ 7, S. 220.
und S. 306ff. 9 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil 1, § 2, Abschnitt b), S. 76.
4 Nianpu II, unter dem 4.Jahr der Jiajing-Ära (1525), Quanji, Shanghai 1992, S. 1294. 10 Chuanxilrel,Nr. 34, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S.15.
5 An Gu Dongqiao, Chuanxi tu II, Nr.137, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 47. 11 Chuanxi tu III, Nr. 204, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 92.
6 Siehe oben in Kap. 2, § 3, Abschnitt b), S. 163. 12 Chuanxi tu 1, Nr. 118, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 34.
192 193

~).» 13 Diesen Sinn von «ben ti *U» finden wir auch in späteren Texten Wang Yang- manchmal deren «eigentliches Wesen» bedeuten? Wie gesagt, hat das seine sachlichen
mings. Es ist aber zu beachten, dass er in früheren Texten das «eigentliche Wesen des Gründe. Denn die «Substanz» des «ursprünglichen 'Wissens» bzw. des «Herzens»
ursprünglichen Wissens» als normative Zielidee oder als Telos der ethischen Praxis ist der ausreichende Grund ihrer Funktionen (}'ong ffl); sie bringt diese bloß aus sich
seiner «Verwirklichung» diskutiert, während er in seinen späteren Aussagen, wie am selbst und so immer hervor. Mit der Substanz des «ursprünglichen Wissens» sind
Anfang dieses Kapitels angedeutet, das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wis- auch schon seine Funktionen vorhanden. Die Substanz des «ursprünglichen Wis-
sens» als eine immer schon existierende vollkommene Wirklichkeit, eine Entelechie, sen» und deren Funktionen, sofern sie reine Funktionen dieser Substanz und nicht
betrachtet. Ich gebrauche hier absichtlich zwei Ausdrücke der griechischen Ontolgie, durch egoistische Wünsche beeinträchtigt sind, machen das ~<eigentliche Wesen des
denn die ganze Problematik erinnert an unsere klassische Diskussion um die Begriffe ursprünglichen vVissens» aus. Das immer vollkommene «eigentliche Wesen» des
ousia, eidos, rno1y1he, entelecbeia bzw. die lateinischen Wiedergaben suhstantia, essentia, «ursprünglichen Wissens» umfasst daher sowohl dessen «Substanz» als auch die
idett,förma. In einem bereits zitierten Text des dritten (zeitlich späteren) Teils des Chu- rein aus dieser hervorgehenden <,Funktionen>,. Als Gleichnisse für diese Verhältnis-
anxi lu sagt vVang Yangming, indem er sich auf den <,Atem (Lebensgeist) der Nacht» se dienen \;Vang Yangming meistens die Sonne und manchmal auch das Feuer, also
(ye qi W:~) bezieht, durch den sich nach Mengzi das «gute 1-Ierz» (littng xin ~,t,,) des leuchtende Substanzen. Zur Sonne gehört ,rnch das von ihr immer ausgesandte und
i'vlenschcn regcneriert: 14 «Erst das ,ursprüngliche Wissen>, das sich <im Atem der alles beleuchtende Licht als ihre Funktion; nur das r,icbt, sofern es von Wolken ge-
Nacht> auswirkt (ja fill), ist sein eigentliches Wesen (seine eigentliche Wirklichkeit: hen trübt ist, ist nicht mehr ihre reine Funktion. Im schon in Kapitel 2 zitierten Gespräch
ti 7./i:.U), da es nicht mit Wünschen nach äußeren Dingen vermischt ist (wu wu yu zhi mit FI uang Zhi 'ii ~ (Beiname: Yifang t).J:7) h,itte VVang Yangming das Verhältnis der
w ~tm-W:.Lli't). Der ethisch Lernende muss die Zeit seiner zahlreichen und lästigen «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» und der «Harmonie nach dem Entstehen
Geschäfte beständig so wie im Atem der Nacht machen. Dann dringt er zum Dao von der G-efrihle», das heißt das Verhiiltnis zwischen der <,Substmz» und ihren «Funk-
'fog nnd Nacht durch und ist feigentlich ursprünglich] wissencl.» 15 ln mehreren Fillen, tionen», mit dem Feuer und dessen ßelenchten der umgebenden Dinge verglichen:
von denen wir gleich einige antreffen werden, drückt W:mg Yangming seine Tdcc des «Die <Mitte [vor dem Entstehen der Gefühle]> und die <Harmonie [nach ihrem
,<eigentlichen Wesens des ursprünglichen Wissens» auch nur elliptisch mit «ti U» Entstehen]> können nicht getrennt werden. Es ist wie mit: dem Feuer hier vor uns:
ans. lvlanch1nal kann man zweifeln, ob «hen ti ~U» durch «eigentliches Wesen» oder Die Substanz des Feuers (das Feuer sell,st: h110 2.hi bcn ti .'.k.2.7./i:.U) ist <die Mitte>; sein
durch «Substanz» zu übersetzen ist: So zun1 Beispiel in1 Ende des vorigen Kapitels Aspekt des Beleuchtens der Dinge (zhao w11 dm ~Jl.4?,//1,@;) ist seine <liannonic>. Wenn
zitierten Brief von 1524 an lluang Xingzcng, in welchem Wang Yangming schreibt, wir Feuer machen, beleuchtet sein Licht rn ipso füch die Dinge (ju zhuo bzw, qi p;uang
dass die Freude hen ti *U des Herzens sei und dass das «ursprüngliche Wissen» hian zi zhttu wu ~~);_;!,);.:}t~ § AMm). YVie könnte man das Feuer und sein Beleuchten
hcn ti *U der Freude sei. Im Geiste Wang Yangmings würden sowohl die Überset- voneinander trennen! So sind <Mitte> nnd .J brmonie> nur Eines (yi ye-fil).» 16 Für
z1mg «Das <ursprüngliche Wisse11> ist das eigentliche Wesen (gehört ztnn eigentlichen das Verhiiltnis von «Substanz>> und «Funktionen» des ,,ursprünglichen Wissens» und
Wesen) der (wahren) Freude» als auch die Übersetzung «Das <ursprüngliche Wissen> auch des «Herzens» als ßewusstsein passen offenbar nur Gleichnisse leuchtender
ist die Substanz der Freude» (d.h., «die Freude ist eine Funktion des ursprünglichen Substanzen, wie ja das Bewusstsein immer wieder als Helligkeit (ming aJ.I) und das
Wissens, das ursprüngliche Wissen wirkt sich in der Freude aus») Sinn ergeben; wir Erkennen als ein Beleuchten der Dinge (zhao lt«) angesprochen wird. Die Gleich-
hatten uns für die erste Übersetzung entschieden. Für den ersten Satz wäre aber die nisse handgreiflich fester Dinge wie das oben in diesem Paragraphen angeführte der
Übersetzung «Die Freude ist die Substanz des Herzens» nicht sinnvoll, er muss viel- «Substanz» des Messers und seiner «Funktionen» des Schneidens, Stechens etc. sind
mehr mit «Die Freude ist das eigentliche Wesen (gehört zum eigentlichen Wesen) beim «ursprünglichen Wissen» nicht anwendbar, weil zum Beispiel das Messer nicht
des Herzens» übersetzt werden, denn das «Herz» kann schwerlich als «Funktion» ausreichender Grund seiner Funktionen ist, sondern auch ohne diese Funktionen
der Freude angesprochen werden. Es gibt allerdings viele Fälle, in denen nur «Sub- (ohne «Gebrauch»: yong ffl) vorhanden sein kann, zum Beispiel wenn es sich in der
stanz» und nicht «eigentliches Wesen» als Übersetzung von «hen ti 7./i:.d» möglich Schublade oder in der Hosentasche befindet. Mit dem Messer sind nicht schon seine
ist. Mit dieser terminologisch ungenauen Scheidung von <<eigentlichem Wesen» und Funktionen des Schneidens etc. gegeben, sondern dazu sind noch zusätzliche Bedin-
«Substanz» werden wir uns noch mehrmals auseinandersetzen müssen. gungen erforderlich, wie ein Akteur, der mit ihm schneidet, und ein Gegenstand, den
Warum herrscht bei Wang Yangming und dann auch bei seinen Schülern in es schneidet. «Substanz» und «Funktionen» sind hier nicht «Eines». Demgegenüber
ihrer Rede über das «ursprüngliche Wissen» und auch über das «Herz» diese lästige wirkt nach Wang Yangming die Substanz des «ursprünglichen Wissens» immer und
Äquivozität von «hen ti ~d» und «ti U», indem sie manchmal deren «Substanz» und ist als zureichender Grund seiner reinen Funktionen zu betrachten. Was seine reinen

13 Chuanxi lu I, Nr. 2, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 2.


14 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 13; von uns oben in der allgemeinen Einleitung in§ 4, S. 27, zitiert. 16 «Sammlung von verlorenen Stücken aus dem Chuanxi lu», Nr. 24, Quanji,juan 32, Shanghai 1992,
15 Chuanxi lu III, Nr. 268, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 106. S. 1174; den ganzen Text siehe oben in Kap. 2., § 3, S. 163.
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Funktionen verdunkelt, nämlich die egoistischen Intentionen und die Verhaftun- (bi li). Obschon es zuzeiten fallengelassen wird, existiert sein [eigentliches] Wesen (qi ti
gen, ist für es «zufällig», «akzidentell», «unwesentlich», «äußerlich» (au ran 111\1~). ~d) in Wirklichkeit immer; man braucht es nur zu bewahren. Obschon es zuzeiten
«Substanz» und «eigentliches Wesen» des <<ursprünglichen Wissens» haben also verdeckt wird, ist sein [eigentliches] Wesen in Wirklichkeit immer hell (klar, erken-
nicht dieselbe Bedeutung, betreffen verschiedene begriffliche Aspekte, aber immer nend); man braucht es nur zu prüfen. Wenn, wie Sie meinen, das <ursprüngliche
dieselbe eine Sache. Das ist die Redeweise Busserls; Frege würde sagen, sie haben Wissen> auch ein Entstehen hätte, dann würde es nicht immer existieren. Das ist aber
einen verschiedenen Sinn, aber dieselbe Bedeutung. In diesem Sinne sind sie äqui- nicht die Bedeutung seines eigentlichen Wesens ifei qi ben ti zhi wei ~~~4:llf;z~).»20
valent. So erkläre ich mir die bei Wang Y,·mgming und seinen Schülern hinsichtlich Und etwas sp;iter im selben Brief schreibt er: «Das <ursprüngliche Wissen>[ ... ] haben
des «ursprünglichen Wissens» auftretende Äquivozität: von «ben ti 21':U:» und «ti d». alle Menschen in gleicher \Neise. Doch wird es durch die Wünsche nach äußeren
Dasselbe gilt hinsichtlich des «Herzens», sofern dieses als das «eigentliche Herz» (ben Dingen (wu yu !!@~) unvermeidlich verdüstert und verdeckt (hun bi ~li). Deshalb
xin ;$:,t,,) oder als das «ursprüngliche, gute Herz» (liang xin ~,t") oder das «Herz des muss man (ethisch) lernen, um die Verdüsterung und Verdeckung loszuwerden. Aber
Dao» (dao xin m,e,,) oder als «Wesen des Herzens» (xin xing ,t,,tt) verstanden wird, das eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens (liang zhi zhi ben ti l§l~z:11':H)
als das es mit dem «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» identisch ist. kann dabei nicht im Geringsten vermehrt oder vermindert werden.»21 Das für uns
jetzt Wichtige in diesem Text ist die Idee des <eigentlichen Wesens des ursprünglichen
§ 2 Das immer vollkommene «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens>, das immer hell ist, immer leuchtet, immer existiert, weder entsteht noch
Wissens». Die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» als vergeht, weder vermehrt noch vermindert werden kann. Dieses immer vollkommene
«Rückkehr zu seinem eigentlichen Wesen» Wesen nennt \iVang Yangming in diesem 'lcxt «ben ti 21':d», aber auch nur «ti U:»,
was aber als elliptische Form von «ben ti ::$:G» auch als «eigentliches Wesen» und
Das immer vollkommene «ursprüngliche Wissen» ko1nmt besonders deutlich in nicht als «Substanz» (iin Gegensatz zu ihren «Funktionen») zu verstehen ist. Wang
einem Brief Wang Yangmings an seinen Schüler Lu Cheng [li ~ (Yuanjing »r-:m¼) zur Yangming identifiziert in diesem Text das «ursprüngliche Wissen» mit dem ben ti 21':d
Sprache, der aus der ProvinzJiangxi stammte und ihn schon aufsuchte, als er noch in des Herzens. Nach dem Zusammenhang des obigen Textes ist dieses «ursprüngliche
dieser Provinz tiitig war (1517-1520).17 Dieser Brief wurde 1524 geschricben 18 und Wissen» :1ls «eigentliches \\lesen des ursprünglichen Wissens» zu verstehen. Was ist
danach im zweiten Teil des Chuanxi lu veröffentlicht. Nach einem Stück über d:1s hier «ben ti 21':U: des Herzens», «eigentliches Wesen» oder «Substanz»? Nach dem
«irrende Herz» (wang xin ~,t,,) und das «leuchtende F--Tcrz» (zhao xin Jlij,t,,) schreibt oben in Kapitel 2 bereits zitierten Brief ,111 Shu Guoyong von 1523 ist das «himmli-
Wang Yangming: «In Ihrem Brief sagen Sie: <Das <ursprüngliche Wissen> hat auch sche Ordnungsprinzip» (tian li ~J!) ben ti 21':ffl des Herzens, und das «ursprüngliche
ein Entstehen (you qi chu -fiilli~).> Da haben Sie wohl das Gehörte noch nicht genau Wissen» ist dieses «Ordnungsprinzip» in dessen «Leuchten und Erhellen» (zhao ming
geprüft. Das <ursprüngliche Wissen> ist das eigentliche Wesen des l lerzcns (xin zhi ~,ijaJJ) und «wunderbarem W,1hrnehme11,> (!i11gjue !!!.~).22 Vielleicht kann man sagen,
ben ti ,t,,z:11':U:). Es ist das, was ich zuvor das immer Leuchtende (heng zhao tim«) dass das bloße Ordnungsprinzip nur <<!1en ti 21':d des Herzens» im Sinne <ler «Substanz
nannte. Das eigentliche Wesen des Herzens (xin zhi ben ti ,t,,;z:$:U:) hat kein Entste- des Herzens» sei, das ursprüngliche Wissen als Leuchten, Erhellen, Wahrnehmen
hen und kein Nichtentstehen (liegt jenseits des Bereichs der zufälligen Dinge, die dagegen auch Funktionen mitumfasst und so «ben ti 21':d des Herzens>~_im Sinne des
entstehen, aber auch nicht entstehen können: wu qi, wu bu qi AAilli1!!Ff Jlli). 19 Trotz des «eigentlichen Wesens des Herzens» sein muss. Aber das ist wohl eine Uberinterpre-
Hervortretens der irrenden Gedanken (wang nian ~~) existiert das <ursprüngliche tation, und «ben ti ;;$:~ des Herzens» ist in seiner Zweideutigkeit zu belassen. Wir
Wissen> immer (wei chang bu zai *iFftE); aber wenn die Menschen es nicht zu be- müssen in Kapitel 1 von Teil II d,iraut· zurückkommen!
wahren (cun #) wissen, dann gibt es Zeiten, in denen es manchmal fallengelassen wird Auch in den aufgezeichneten Gesprächen des dritten Teils des Chuanxi lu finden
(fang~). Trotz größter Trübung und Verstopfung· (hun sai ~~) ist das ~ursprüngliche wir Aussagen über das immer vollkommene «ursprüngliche Wissen»: «Das Dao ist
Wissen> immer hell (klar, erkennend: ming aJJ); aber wenn die Menschen es nicht nichts ,mderes als das <ursprüngliche Wissen>. Das <ursprüngliche Wissen> ist von
zu prüfen (cha ~) wissen, dann gibt es Zeiten, in denen es m:mchmal verdeckt wird Anfang an ganz vollkommen und ganz vollstiindig (yuan wan w1tn quan quan !Jli:'.fü:fü
:i::i:). Was richtig ist, wird von ihlll ,ils richtig gehalten; was falsch ist, wird von ihm
als falsch gehalten. Wenn wir im Urteil über richtig und falsch uns nur auf es stützen,
17 Das mittlere Stück des 1518 gedmckten ersten Teils des Chuanxi lu besteht aus Aufzeichnungen von
Lu Cheng. dann ist alles richtig. Dieses <ursprüngliche Wissen> ist dein lichter Lehrer (ming shi
18 N:tch Wing-tsit Chan: lnstructions, S. 13 1, Anm. 1.
19 Wang Yangming spricht hier im Stil der Negationen des buddhistischen M:1dhyamika. Es sind aher
attch die Kapitel 37 und 48 des daoistischen Dao de jing zu assoziieren: «J hs Dao 1- .. ] hat kein Machen
und kein Nichtmachen (wu wei envu bu wei Mßliii'üfflPF~)» (Kap. 37). Dieser Satz des Dao dejing 20 Churmxi tu II, Nr. 152, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 6lf.
wurde meistens im folgenden Sinne verstanden: «Das Dao [... ] macht nichts, und es gibt nichts, was 21 Churmxi tu II, Nr. 155, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 62f.
(aufgmnd von ihm) nicht gemacht wäre.» 22 Siehe oben in Kap. 2 den§ 3, S. 164f.

1.
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ajj lfr!i).»23 «Das <ursprüngliche Wissen> ist von Anfang an ganz fein und ganz klar (yuan Dao (der wahre Weg) wäre.» 32 Wie wir schon in Kapitel 2 gesehen haben, kann \Vang
jingjing ming ming ).lJ{ffiffiaJl aJl).» 24 Yangming in diesem Kontext auch vom «Sehen (jian J!) des ursprünglichen Wissens»
Auch in seiner späteren Zeit spricht Wang Yangming in Beziehung auf das immer sprechen.33 Diese Version der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» als Rück-
schon vollkommene eigentliche Wesen des «ursprünglichen Wissens» von «verwirk- kehr zu seinem immer vollkommenen «eigentlichen Wesen» wird später vor allem
lichen»: «sein eigentliches (wahres) ursprüngliches Wissen verwirklichen (zhi qi ben WangJi weiterverfolgen. 34
ran zhi liang zhi 3&:!t*~.Z 5!~□)» 25 • Das kann in diesem Zusammenhang aber nicht
den Sinn des «zur Fülle Bringens», des «Vollendens» wie bei der «Verwirklichung § 3 Die Funktionen des Herzens (Geistes) als Funktionen des «ursprüng-
des ursprünglichen Wissens>> in der ersten Bedeutung des Ausdrucks und auch nicht lichen Wissens». Das «ursprüngliche Wissen» als Ursprung der Welt
den Sinn der «Klänmg des ursprünglichen Wissens» wie beim zweiten Begriff des
«ursprünglichen Wissens» haben, denn das «eigentliche Wesen» des «ursprüngli- Wir möchten hier den bereits in den vorangehenden Ausführungen dieses Kapitels
chen Wissens» (dritter Begriff) ist ja immer schon vollkommen und immer völlig angeführten Gedanken Wang Yangmings etwas genauer darstellen und mit seinen
klar. In Hinsicht auf das immer vollkommene «eigentliche Wesen» oder die immer Worten zum Ausdruck bringen, dass alle psychischen Funktionen, sofern sie nicht
vollkommene «eigentliche Wirklichkeit» des «ursprünglichen Wissens» spricht durch den Egoismus beeinträchtigt werden, eigene Funktionen des «ursprünglichen
Wang Yangming von «fu ffi.» 26 , was in diesem Zusammenhang als «Wiedererlangen», Wissens» sind und dass die Welt, so wie sie in diesen Funktionen bewusst ist, vom
«Zurückgewinnen», «Zurückkehren zu» verstanden werden muss, weiter auch von «ursprünglichen Wissen» hervorgebracht wird.
«huan ~», «Zuriickkehren zu», und wie wir sahen auch von «cun 17-»27 , «Bewahren». Wahrnehmen, Denken, Fühlen und - müsste man konsequenterweise hinzufü-
Die Gegenbegriffe, die Wang Yangming in diesem Zusammenhang benutzt, sind gen - auch Wollen sind alles Funktionen des «ursprünglichen Wissens». In dem im
«shi $\:»28 («Verlieren») und <fang lill:» 29 («Fallenlassen») des «eigentlichen Wesens» zweiten Teil des Chuanxi lu enthaltenen Brief an Ouy,1ng De, der nach der «Lebens-
des «ursprünglichen Wissens» oder des «Herzens»: «Der heilige Mensch tut nichts chronik» 1526 verfasst wurde, 35 schreibt Wang Yangming: «Das <ursprüngliche Wis-
anderes, als zur eigentlichen (wahren) Gestalt seines <ursprünglichen Wissens> zurück- sen> existiert nicht aufgrund von Sehen und Hören, 36 sondern Sehen und Hören sind
zukehren (huan ta liang zhi hcn se ~ftB B!~□ *ß).» 30 Huang Mianshu ~ !i'Jl;]'-0( (Beiname: Funktionen (ymzg ffl) des <ursprünglichen 'l'Vissens>. Deshalb wird das <ursprüngliche
Xinyi *~) fragte: «Wenn das llerz (der Ceist) ohne schlechte Gedanken (Intentio- Wissen> nicht durch Sehen und Hören gehemmt m1d ist auch nicht von Sehen und
nen: nian ~) ist, dann ist es leer und weit. Müssen wir dann noch einen guten Gedan- Ilören getrennt (bu li yujian wen 1'itlftJ!i,IJ).» 37 Und an einer etwas spiitercn Stelle im
ken festhalten?>> Wang Yangming antwortete: «Wenn wir die schlechten Gedanken selben Brief schreibt er: «Das <ursprüngliche Wissen> ist der Ort, an dem das <himm-
vertreiben, dann haben wir auch gute Gedanken und gewinnen das eigentliche (wahre) lische (natürliche) Ordnungsprinzip> leuchtet und geisteskräftig zum Bewusstsein
Wesen des Herzens (Geistes) wieder (fit xin zhi ben ti fJl:,t,.z*II). Es ist so, wie wenn kommt (tirm /i zhi ming z.hao li11gjue chu 7\:~ZllßBJl!H'l~). 1- .. ] Das Denken (si ,'!!,) ist
das Sonnenlicht von Wolken verdeckt ist. Wenn die Wolken verschwunden sind, ist eine sich äußernde Funktion (jityrmg ~ffl) <les <ursprünglichen Wissens>. Wenn es das
das Licht schon wiedergewonnen. Wenn man nach dem Vertreiben der schlechten Denken ist, das eine sich äußernde Funktion des <ursprünglichen Wissens> ist, dann
Gedanken noch einen guten Gedanken festhalten wollte, ist es so, wie wenn man im ist alles Gedachte <himmlisches (natürliches) Ordnungsprinzip>.» 38 Hier deutet Wang
Sonnenlicht eine Lampe anzündet.» 31 Oder im bereits zitierten Brief an Lu Cheng Yangming an, dass nicht schlechthin alles Denken «Funktion des <ursprünglichen
(Beiname: Yuanjing): «Wenn man nicht von Begierden nach Dingen (wu yu WJW:.) Wissens»> ist, sondern dass dafrir eine Bedingung besteht. In einem Gespriich, das
gezogen und verdunkelt wird (qian hi ~~), sondern im Leben allein dem Lauf der im dritten Teil des Cht///nxi lu aufge,.eichnet ist, formuliert Wang Yangming in Bezie-
Funktionen und Auswirkungen des <ursprünglichen Wissens> folgt (xun zhao liang hung auf die Gefühle die Bedingung, unter der sie Funktionen des «ursprünglichen
zhi fa yong liu xingjiang qu fmi~ B!~~ffl5tiHi~:ti;), dann gibt es nichts, was nicht das Wissens» sind. Ein Schüler fragte Wang Yangming: «Sie vergleichen das <[ursprüng-

32 Brief an Lu Chcng, C'huanxi lu II, Nr. l<,5.


23 Chuanxi tu III, Nr. 265, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 105. 33 Siehe oben in Kap. 2 den§ 3, S. 166f.
24 Chztanxi tu III, Nr. 291, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 111. 34 Siehe unten in Teil II das Kap. l.
25 An Gu Dongqiao (1525), Cbuanxi tu II, Nr. 137, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 47. 35 Nianpu III, unter dem 5.Jahr derJiajing-Ära (1526), Quanji, Shanghai 1992, S. 1300.
26 Chwmxi tu III, Nr. 222 (S. 96), Nr. 2 .l7 (S. 99), Nr. 261 (S. 104), Nr. 290 (S. 111 ). 36 «Sehen und Hiircn" (jian wen 51, ll:'il) hC1.ieht sich auf Zh:rng Zais (1020-1077) «Wissen durch Sehen
27 Brief ,m Lu Cheng, Ch111mxi tu II, Nr. 152; siehe oben, S. l 9'ff. nnd Hören» (iim1 wrn zhi zhi Jtfi_Tiz~). das dieser dem ,,Wissen der 'l\,gcndnatur» (de xiug zhi zhi
28 Cb1w11.d tu III, Nr. 222 (S. 96). lft'tZ9:ß) entgegenstellt. Wang Yangmi11g identifiziLTt das <<Wissen der·t,,gendnatur» mit dem «ur-
29 Brief an Lu Cheng·, Cbuanxi tu II, Nr. 152. sprünglichen Wissen». Zu Zhang Zais Unterscheidung siehe unten in Teil I das Kap. 5, S. 251.
30 Chuanxi tu III, Nr. 269, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 106. 37 An Ouyang Chongyi, Chuanxi tu II, Nr. 168, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 71.
3l Chuanxi tu III, Nr. 237, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 99. 38 An Ouyang Chongyi, Chuanxi tu II, Nr. 169, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 72.
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liehe] Wissen> mit der Sonne und die Wünsche (Begierden: yu W:) mit den Wolken.
Aber obschon die Wolken die Sonne zu verdecken vermögen, gehören sie doch bei- des Unterschiedes von Gut und Schlecht, das heißt, sie haben nichts Schlechtes und
de zur einheitlichen Energie des Himmels. Gehören die Wünsche nicht auch zum damit auch nichts Gutes, denn nach dieser auf den Daoismus zurückgehenden Sicht
menschlichen Herzen?» Ymgming antwortete: «Freude, Zorn, 'Trauer, Furcht, Liebe, tritt das Gute erst auf, wenn auch sein Gegensatz, das Schlechte, vorhanden ist. Wang
Abscheu und Begehren (yu W'.) werden die <sieben Gefühle> genannt. 39 Diese sieben Yangming kann allerdings in der konfuzianischen Tradition bei einer solchen Abwe-
gehören alle zum menschlichen Herzen, aber man muss sich über das <ursp1üngliche senheit von allem Schlechten auch vom «höchsten Guten» (zhi shan ~~) sprechen. 45
Wissen> im Klaren sein.'fO [... ] Wenn die sieben Gefühle ihrem natürlichen (freien) Man darf wohl aufgrund dieser Cedanken sagen, dass nach Wang Yangmings drittern
Lauf folgen (shun qi zi ran zhi liu xing J1m:!t § ~25.mi'r), dann sind sie Funktionen des Begriff des «ursprünglichen Wissens» alle «mentalen Zustände», das heißt alle «In-
<ursprünglichen Wissens>, und es gibt noch keinen Unterschied zwischen Gut und tentionen», Funktionen des «ursprünglichen Wissens» sind, unter der Bedingung,
Schlecht (bu ke Jen bie shan e 1' i:if 5.J' J.JLl ~~). Es darf dabei nur kein Haften (Festhalten) dass sie kein «Haften» enthalten. Dieses «ursp1üngliche Wissen», das sich in allen
an etwas geben (bu ke you suo zhuo 1'i:if1[ji/f~). Wenn die sieben Gefühle ein Haften Funktionen des Herzens (Geistes) äußert, sofern sie frei, das heißt nicht von Begierden
enthalten, heißen sie alle Begierden (yu W'.) und sind alle Verdeckungen (hi llili) des verdeckt sind, ist recht weit entfernt vorn «urspriinglichen Wissen» nach dem ersten
<ursprünglichen Wissens>. Doch sobald solche Verdeckungen vorhanden sind, kann Begriff, der nur spontane moralische Gefühle der Liebe, des Mitleids, des Respekts,
das <ursprüngliche Wissen> sich ihrer auch selbst bewusst werden (liang zhi yi zi hui der Scham etc. umfasst.
jue ~~W- § fr!I), und wenn es sich ihrer bewusst ist, dann verschwinden sie, und Das «ursprüngliche Wissen» nach seinem eigentlichen Wesen (in seiner ei-
es gewinnt sein [eigentliches] Wesen wieder (fu qi ti ~!tlll). Erst wenn m,1n diesen gentlichen Wirklichkeit: ben ti :zJs:lll) bringt nicht nur alle Funktionen des Herzens
Punkt wirklich verstanden hat, ist man in der einfach leichten und bis auf den Grund hervor, soforn sie nicht vorn Egoismus lieeintriichtigt sind, sondern es bringt auch alle
gehenden ethischen Praxis (jian yi tou ehe gongfu ~~il1ifflJ}J.1i;).»41 Den Schlussgedan- wahrgenommenen und gedachten Gegenstände hervor: «Das <ursprüngliche Wissen>
ken dieser Antwort, nach dem das «ursprüngliche Wissen» (in der zweiten Bedeutung ist die feine Geisteskraft der Schiipfung (zao ht11r zhi jing ling m1tzffi~). Diese feine
des Ausdrucks: Gewissen) im Bewusstwerden des Haftens der eigenen Gefühle sein Geisteskraft bringt Himmel und Erde hervor (sheng tian di ~~:1:&) und bringt die
«ursprüngliches Wesen wiedergewinnt», also in einer bestimmten Bedeutung sich Geister und Götter zustande (chrng g;ui di fi)G!)l$).Allcs geht daraus hervor (cong ci dm
selbst «verwirklicht» (zhi 3&), haben wir schon in § 4 des vorangegangenen Kapitels ft.1Jt!:I:\). Es ist wirklich das, <was bei den Dingen nichts Ebenbürtiges hat>4<'. Wenn
erwiihnt. 42 Was uns im jetzigen Zusammenhang interessiert, ist der Gedanke, dass der Mensch diese Geisteskraft voll und ganz und ohne jeden Mangel wiedergewinnt
alle Gefühle, auch das Wünschen oder Begehren (yu W'.), Funktionen des «ursprüng- (fu ~), d:rnn tanzen seine Hände und hüpfen seine Füße, ohne dass er es merkt. lch
lichen Wissens» sind, wenn sie kein «Haften» enthalten. 43 Was mit diesem «Haften» wüsste zwischen Himmel und Erde keine vergleichbare Freude.»47 In einem Text aus
gemeint ist, werden wir unten in § 7 herauszufinden versuchen. 44 Ohne ein solches dem Jahr 1526 identifiziert W:mg Yangming das «ursprüngliche Wissen» mit den1
Haften sind die Gefühle freie (spontane, natürliche: zi ran § ~) Äußerungen des ununterbrochen schöpferischen «himmlischen Dao»: «Das Dao des Himmels (tian
eigentlichen Wesens (bcn ti ;zJs:ffl) des «ursprünglichen Wissens» und stehen jenseits dao ~Jii) wirkt ohne Unterbss; auch das <ursprüngliche Wissen> meines Herzens
(Geistes) wirkt ohne Unterlass. Doch das ,ursprüngliche Wissem ist dasselbe wie das
himmlische Dao; wenn ich <auch> sagte, redete ich so, wie wenn es zwei verschiedene
l') Diese Einteilung der Cefiihle (qiug ffi) in sieben Arten findet sich im Kapitel Liyrm tl~ des Liji («Buch Dinge wären.>;f~
der Sitte»), eines der «Fünf Klassiker» des konfuzianischen «Kanons». · Das «ursprüngliche Wissen» als «feine Geisteskraft der Schöpfung» oder als
40 Es folgt ein nicht in den Kontext passendes Gleichnis mit dem überall anwesenden Sonnenlicht.
41 Chwmxi lu ITT, Nr. 290, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 111.
«himmlisches Dao» ist nach Wang Yang111ing keine psychologische Eigenschaft des
42 Siehe oben, S. l 78f. einzelnen Menschen, sondern der Crund (die Ursache) alles Wirklichen, der im
43 Mit dieser Auffassung widersprach Wang Ymgming dem offiziellen Konfnzi:mismus seiner Zeit, der Bewusstsein (im «Herzen») der einzelnen Menschen und in den ihnen bewussten
Schule der beiden Chcng-Brüder und von Zhu Xi, nach denen die «Wünsche des Menschen» (ren
yu A W:) im Gegensatz zum «Ordnungsprinzip des Himmels» (tian li :;li::!l!l) stehen. vVang Ymgmings
einflussreicher Schüler Ouyang De (Beiname: Nanye, 1496-15 54) hat diese Auffassung seines Lehrers
so fonnulien: «Die Natur [des Menschen! hat sieben Gefiihle, das Wünschen (Begehren: yu W:) ist 45 Zum Beispiel in Ch1//111xi lu 1II, Nr. 31 N. /'.u dieser Problematik von «weder gut noch schlecht» siehe
eines davon. Das Wünschen (Begehren), als Gefühl der Natur, ist das <Ordnungsprinzip des Himmels> die Diskussion um die sogenannte «Lehre in vier Sätzen», unten in Kap. 1 von Teil TI.
(tian zhi li 5'::.Z:!l!l ). Das Befolgen des <Ordnungsprinzips des Himmels> wird [in den <Ermahnungen 46 Ausdruck aus dem «Erkennen der Menschlichkeit» (Shi ren) von Cheng Hao (1032-1085), einem Text,
des ( ;roßen Yu> im S/mjing (<Klassiker der Dokumente>)] als <die Verborgenheit des Dao-Herzens> dcr für W:rng Yangrning aui\crnrdentlil'i1 bedeutend war. Cheng l lao sagt in diesem Text, dass das
bezeichnet. Wenn man von fixen Absichten bewegt wird (dang yu yi bi ib~~!l?i-) und bis in die Dao der NlcnschlichLdt (Giitc: ren), vc:rstandcn als Einheit mit :dien Wesen, «bei den Dingen nichts
Maßlosigkeit gerät, dann wird das [an der erwähnten Stelle des Shujing] als die ,Gcführlichkeit des Ebenbürtiges hat ryu wu wu dui) und so groß ist, dass es nicht genannt werden kann». Yzshu,juan 2,
Menschenherzens> bezeichnet.» Ouyang f)e ji, Nanjing 2007,juan 3, «Antwort an Guo Pingchuan», 1. 'lcil, Er Chcngji, lkijing l 'JN l, S. 17. .
s. 119. 47 Chwi-nxi ln 111,Nr. 2(,1, Qum1ji,juan 3, Shangh;1i 1992, S. 104.
44 Siehe unten in diesem Kapitel, S. 228ff. 48 Xi yin shuo,]ahr bing xu (1526), Quanji,juan 7, Shanghai 1992, S. 267.
200 201

Gegenständen («Himmel und Erde und alle Dinge») ins Licht der Erscheinung tritt. (gui shen .i.~) mit mir eine Wirklichkeit (yu wo tong ti ft~ 16.1 H).» Der Schüler bat um
Im dritten Teil des Chuanxi lu sind zwei Gespräche enthalten (Nr. 274 und Nr. 337), eine genauere Erklärung, worauf sich folgender Dialog ergab: Wang Yangming: «Was
in denen die fragenden Schüler zwar verschiedene Personen sind und die auch von halten Sie zwischen Himmel und Erde für das Herz (xin ,t,,) von Himmel und Erde?»
verschiedenen Schülern aufgezeichnet wurden, die aber sachlich und auch durch Der Schüler: «Ich habe gehört, dass der Mensch das Herz von Himmel und Erde
Verweise zusammengehören. Sie vermitteln eine Idee, wie sich Wang Yangming das sei.»52 Yangming: «Was heißt beim Menschen <Herz> (<Geist>)?» Der Schüler: «Es ist
Verhältnis zwischen dem «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» einerseits nur ein geisteskräftig Helles (ein Bewusstsein: yi ge ling ming -{IUtam.» Yangming:
und dem Bewusstsein der einzelnen Menschen und den ihnen bewussten Gegenstän- «So ist deutlich, dass das, was den Zwischenraum zwischen Himmel und Erde ausfüllt
*
den andererseits denkt: Zhu Dezhi ~~;z. (Großjährigkeitsname: Bensi ;$:,!,) von der
InselJingjiang ~il im Yangze-Delta49 fragte: «Nur weil die Menschen eine leere [für
(chong tian sai di zhongjian 3t~i&itk ~ IIO), nur dieses geisteskräftige Helle (Bewusstsein)
ist. Nur wegen seines Körpers (xing ti %\lt) scheidet sich der Mensch [von den ande-
alles offene] Geisteskraft (xu ling ~111) besitzen, haben sie das <ursprüngliche Wissen>. ren Wesen] ab. Unser geisteskräftig Helles (Bewusstsein) ist das Regierende (zhu zai
Haben Wesen wie Pflanzen und Steine auch das <ursprüngliche Wissen>?» Wang ::E ~) von Himmel und Erde und der bösen und guten Geister (gui shen .i.~). Wenn
Yangming antwortete: «Das <ursprüngliche Wissen> des Menschen ist gerade (jiu shi der Himmel unser geisteskräftig Helles (Bewusstsein) nicht hätte, was machte ihn
~~) das <ursprüngliche Wissen> der Pflanzen und Steine. Ohne das <ursprüngliche dann durch Hinaufblicken hoch? Wenn die Erde unser geisteskräftig Helles (Bewusst-
Wissen> des Menschen könnten die Pflanzen und Steine nicht Pflanzen und Steine sein) nicht hätte, was machte sie dann durch Hinabschauen tief? Wenn die bösen und
sein. Es ist nicht nur so bei Pflanzen und Steinen; auch Himmel und Erde könnten guten Geister unser geisteskräftig Helles (Bewusstsein) nicht hätten, was würde sie
ohne das <ursprüngliche Wissen> des Menschen nicht Himmel und Erde sein. Denn dann als glück- oder unglückbringend, als segensreich oder unheilvoll unterscheiden?
Himmel und Erde und alle Wesen sind ihrem Ursprung nach mit dem Menschen Wenn Himmel und Erde, die Geister und alle Dinge sich von unserem geisteskräftig
eine einheitliche Wirklichkeit (yu ren yuan shi yi ti ft),_Jjj{~-D), und der feinste Ort Hellen (Bewusstsein) trennen würden (li que lftflP), dann gäbe es keinen Himmel und
ihres Erscheinens (Bewusstwerdens, [wörtlich:] ihres geistigen Sichöffnens:fa qiao chu keine Erde, keine Geister und keine Dinge mehr. Wenn unser geisteskräftig Helles
~D~) ist die ein kleines bisschen geisteskräftige Helle (das Bewusstsein, Erkennen) sich von Himmel und Erde, von den Geistern und den Dingen trennen würde, dann
des menschlichen Herzens (ren xin yi dian ling ming },_,t,,-~maJI). Wind, Regen, Tau gäbe es auch unser geisteskräftig Helles nicht mehr. Da es so ist, so muss eine ein-
und Gewitter, Sonne, Mond und Sterne, Tiere und Pflanzen, Berge, Flüsse, Erde und heitliche Lebenskraft durch sie fließen (yi qi liu tong -•5mJM). Wie könnte man sie
Steine sind ihrem Ursprung nach mit dem Menschen nur eine Wirklichkeit (yu ren voneinander trennen!» Der Schüler: «Himmel und Erde, die Geister und die Wesen
yuan zhi yi ti ft),.JJiil:.R-H). Deshalb vermögen die Arten der fünf Getreide und der existieren seit urlanger Zeit; wie könnten sie alle zunichtewerden, wenn es unser gei-
Tiere die Menschen zu nähren, und medizinische Mineralien vermögen die Menschen steskräftig Helles (Bewusstsein) nicht mehr gibt!» Yangming: «Betrachten Sie einen
zu heilen. Nur weil sie gemeinsam diese eine Lebenskraft sind (tong ci yi qi 16.ltt-•)50, toten Menschen: Seine feine Geisteskraft hat sich zerstreut (jing ling you san~!!11ff:ffl().
vermögen sie miteinander zu kommunizieren (neng xiang tong ~*Eiffll).»51 Wo existieren da noch sein Himmel und seine Erde und all seine Dinge (ta de tian di
In Anknüpfung an diese Aussagen fragte Huang Zhi lt ~ (Beiname: Yifang wan wu shang zai he chu ,(m~~itk~~r,1,j;f±fnJJil)?»53
W-~): «Das Herz (Geist) des Menschen und die Dinge sollen [nach Ihrer Lehre] Die «feine Geisteskraft» des Menschen, die sich bei seinem Tod auflöst und de-
eine gemeinsame Wirklichkeit (tong ti 16.10) sein. Nun bezeichnet man unseren Leib ren Gegenstände dabei verschwinden, oder das «geisteskräftig Helle» des Menschen
(shen !l) als eine Wirklichkeit (tong ti 16.llll), weil er von der Lebenskraft seines Blutes (das menschliche Bewusstsein), das nicht ohne seine Gegenstände existieren kann,
(xue qi .rtnffl.) durchflossen wird. Aber gegenüber anderen Menschen ist er eine verschie- können für Wang Yangming nicht dasselbe sein wie das nicht entstehende und nicht
dene Wirklichkeit (yi ti ~ III), und Tiere und Pflanzen sind ihm noch ferner. Wie kann vergehende, immer seiende, vollkommene «eigentliche Wesen des ursprünglichen
man da von ein und derselben Wirklichkeit (tong ti IBJ H) sprechen?» Yangming antwor- Wissens», das der Ursprung von allem ist. Das menschliche Bewusstsein (Wahr-
tete: «Wenn Sie es von den Gründen der [sinnlichen] Affektion und der Reaktion [des nehmen, Erkennen, Denken, Wünschen etc.) einerseits und die in ihm bewussten
Herzens] her betrachten (gan ying zhi ji shang kan ~)Jjzfflt.t ~ ), dann sind nicht nur Gegenstände andererseits scheinen ontologisch auf derselben Ebene zu stehen: Sie
Tiere und Pflanzen, sondern auch Himmel und Erde und die bösen und guten Geister sind zueinander relativ (korrelativ). Schon seit früher Zeit lehrte Wang Yangming,
dass es «außerhalb des Herzens (menschlichen Bewusstseins) keine Dinge gibt (xin

49 Zu Zirn Dezhi siehe MRXA,juan 25, Beijing 1985, S. 586-590.


50 Wang Yangming qualifiziert hier «die eine Wirklichkeit» (;yi ti -H) durch die «eine Lebenskraft» 52 Nach dem Liji («Buch der Sitte»), Kapitel Li yun •M: «Der Mensch ist das Herz (xin ,t,,) von Himmel
(;yi qi -~ ). Diese «Lebenskraft (Lebensenergie: qi $!lt)» darf nicht in einem biologischen Sinn und Erde und der Anfang der fünf Elemente.» Deutsche Übersetzung von R. Wilhelm, S. 38. <<Kin
verstanden werden, denn nach W.-mg Yangming ist das qi $!lt «die Auswirkung (liu xing Jmrr) des ,t,,» hat auch die Bedeutung von «Mitte», «Zentrum». Im zitierten Text des Liji muss in historischer
ursprünglichen Wissens». An Lu Cheng, Chuanxi li II, Nr. 154, Quanji,jztan II, Shanghai 1992, S. 62. Interpretation an diese Bedeutung gedacht werden.
51 Chuanxilu III, Nr. 274, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 107. 53 Chuanxi ltt III, Nr. 337, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 124.
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wai wu wu ,t,,j~~W/)»54, und er definierte die Dinge als dasjenige, «wo die Intentionen ursprünglichen Wissens» und dem vergänglichen menschlichen Bewusstsein mit
einen Ort haben (sich verorten: yi zhi suo zai J.lzmtE)» 55 oder «worauf die Inten- seinen darin bewussten Gegenständen denkt, werden wir im nächsten Paragraphen
tionen sich beziehen (yi zhi she zhuo chu J.lz)$~~)>> 56 oder «worauf die Intentionen über die «Buddha-Natur» sowie im nächsten Kapitel über die Beziehungen zwischen
angewandt werden (yi zhi suo yong J.lzm ffl)» 57 • Umgekehrt aber hat das menschliche Wang Yangmings drei Begriffen des «ursprünglichen Wissens» noch etwas besser zu
Bewusstsein nur in seinen intentionalen Beziehungen auf Gegenstände Wirklichkeit: verstehen versuchen.
«Das Auge (das Sehen) hat [für sich allein genommen] keine Wirklichkeit (wu ti
~fil), es hat durch die Farben und Formen aller Dinge Wirklichkeit (yi wan wu zhi § 4 Geistesgeschichtliche Voraussetzungen des «eigentlichen (wahren)
se wei ti J..:;UiWJztg~U); das Ohr (das Hören) hat [für sich allein genommen] keine Wesens des ursprünglichen Wissens»: die «Buddha-Natur»
Wirklichkeit, es hat durch die Töne der Dinge Wirklichkeit; die Nase (das Riechen)
hat [für sich genommen] keine Wirklichkeit, es hat durch die Gerüche der Dinge Wie ist Wang Yangming dazu gekommen, an ein solches immer schon vollkomme-
seine Wirklichkeit; der Mund (das Schmecken) hat [für sich genommen] keine nes «eigentliches Wesen des ursprünglichen Wissens» zu glauben? Wir möchten
Wirklichkeit, es hat durch den Geschmack der Dinge Wirklichkeit; das <Herz> (das im Folgenden vorerst einige geistesgeschichtliche Voraussetzungen nennen, die
Verstehen, Erkennen, Fühlen, Wollen etc.: xin ,t,,) hat in sich keine Wirklichkeit, es wahrscheinlich diesen Glauben bedingten. Solche Voraussetzungen sind aber noch
hat durch das Affiziertwerden durch die Dinge der Welt und das darauf Antworten nicht die eigentliche Ursache dieses Glaubens, denn es bleibt die Frage, warum Wang
im Zustimmen und Ablehnen Wirklichkeit (yi tian di wan wu gan ying shi fei wei ti Yangming auf solche Voraussetzungen eingegangen ist.
~;R:li!!•!j'b)J~J!*~ni!iU).» 58 Dass das menschliche Bewusstsein und die Gegenstände Im schon mehrmals zitierten Brief an Lu Cheng (Yuanjing) von 1524 identifi-
der Welt sich gegenseitig bedingen und in diesem Sinne eine Einheit bilden, kommt ziert Wang Yangming das «ursprüngliche Wissen» mit dem «eigentlichen (wahren)
im folgenden Gespräch anschaulich zum Ausdruck: «Der Lehrer (Yangming) wan- Antlitz» (ben lai mian mu **mi~) der Buddhisten und setzt die «Verwirklichung
derte im Nanzhen r$Jffi: [Gebirge südlich von Shaoxing]. Ein Freund, der mit ihm des ursprünglichen Wissens» mit dem «beständigen Bewahren» des «eigentlichen
war, wies auf die blühenden Bäume in den Felswänden und fragte: <[Sie sagen,] dass Antlitzes» des «ursprünglichen Wissens» gleich. Lu Cheng hatte in seinem Brief
es in der Welt keine Dinge außerhalb des Herzens (Bewusstseins: xin ,t,,) gibt. Nun den Ausdruck «eigentliches Antlitz» in die Diskussion eingeführt, indem er das bud-
blühen und verwelken diese Blütenbäume im verborgenen Gebirge von sich aus; was dhistische «Erkennen des <eigentlichen Antlitzes>, während man nicht an Gutes und
haben sie mit meinem Bewusstsein von ihnen zu tun?> Der Lehrer antwortete: <Bevor nicht an Schlechtes denkt», und das konfuzianische «im Handeln Berichtigen» als
Sie diese Blüten sahen, waren diese Blüten und Ihr Bewusstsein von ihnen (xin ,t,,) zwei verschiedene ethische «Anstrengungen» einander gegenüberstellte. Yangming
gleicherweise in der Stille (Verborgenheit, Inaktualität) (tong gui yu ji IBJ~J':iHlii). Als antwortet ihm unter anderem: «Das <Erkennen des eigentlichen Antlitzes, während
Sie diese Blüten anschauten, wurden zur selben Zeit auch die Farben dieser Blüten man nicht an Gutes und nicht an Schlechtes denkt>, ist eine bloß relative Methode
offenbar (sie traten in Erscheinung) (yi shi mingbaiqilai - Hf ajl Sitg*)- So erkennt man, (fang bian 151'.), welche die Buddhisten für diejenigen aufgestellt haben, die das
dass diese Blüten nicht außerhalb Ihres <Herzens> (Bewusstseins) sind (bu zai nide xin <eigentliche Antlitz> noch nicht kennen. Das <eigentliche Antlitz> ist das, was unsere
wai 1'1±i~~ 1t,,9~).» 59 Schule der [konfuzianischen] Heiligen das <ursprüngliche Wissen> nennt. Da uns das
Das immer vollkommene unveränderliche «eigentliche Wesen des ursprüng- <ursprüngliche Wissen> klar bekannt ist, brauchen wir nicht mehr so [mit jener bloß
lichen Wissens» (liang zhi ben ti ßl~.ijs:fil) ist nach Wang Yangming der Ursprung relativen Methode] zu sprechen. <Im Handeln Berichtigen> (sui wu er ge ~!j'b)Jffiiffi-) ist
der menschlichen Bewusstseinsfunktionen (Wahrnehmen, Erkennen, Fühlen, Wol- die [ethische] Anstrengung der <Verwirklichung des [ursprünglichen] Wissens> und
len etc.), und es ist damit zugleich der erste Grund der in diesen Funktionen zum ist das <beständige Wachsein> (chang xing xing W:~~) der Buddhisten und ist auch das
Bewusstsein kommenden Welt und ihrer Dinge. Es ist der einheitliche Ursprung beständige Bewahren seines <eigentlichen Antlitzes> [seil. das Bewahren des <eigent-
der ganzen Korrelation von Bewusstsein und bewussten Gegenständen. Wie Wang lichen Antlitzes des <ursprünglichen Wissens>] (chang cun ta ben lai mian mu ~ff'.-f&.ijs:
Yangming genauer das Verhältnis zwischen dem ewigen <<eigentlichen Wesen des *mi ~ ).»60 Was Yangming hier als das «eigentliche Antlitz des ursprünglichen Wis-
sens» bezeichnet, ist dasselbe, was er im Allgemeinen das «eigentliche Wesen (ben ti
;$:fil) des ursprünglichen Wissens» und auch dessen «eigentliche Form» (ben se *tg)
nennt, das in der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» «wiedergewonnen»
54 Chuanxi !11 I, Nr. 83, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 24.
55 Chuanxi lrd, Nr. 6, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 6; Daxue wen, Quanji,juan 26, Shanghai 1992, oder «bewahrt werden» muss. Er identifiziert hier also das «eigentliche Wesen des
s. 972. ursprünglichen Wissens» mit dem «eigentlichen Antlitz» der Buddhisten.
56 Chuanxi lu III, Nr. 201, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 90.
57 Chuanxi htll,Nr.137, Quanji,juan 2. Shanghai 1992, S. 47.
58 Chuanxi lu III, Nr. 277, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 108.
59 Chuanxi tu III, Nr. 275, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 107f. 60 Chztanxi !11 II, Nr. 162, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 67.
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Mit der Wendung «Erkennen des eigentlichen Antlitzes, während man nicht zi xing *Ji g:i lt), hat eine kleine Geisteskraft.»62 An der zweiten Stelle stellt Huineng
an Gutes und nicht an Schlechtes denkt», zitiert Lu Cheng aus dem ersten Kapitel die Frage, was der «Dharmakaya-Buddha», das heißt der ewige, unveränderliche Bud-
des «Hochsitz(Plattform)-Sutra des Sechsten Patriarchen» (Tan jing !iffl!) in der F as- dha sei, und antwortet: «Die Natur (das Wesen: xing lt) des weltlichen Menschen ist
sung, die im Ming-Kanon von 1440 überliefert ist. 61 Das «Hochsitz-Sutra», dessen eigentlich (an sich: ben :ijs:) klar und rein, alle Dinge entstehen aus dieser Natur (wan
frühester erhaltener Text aus dem 9. Jahrhundert stammt, das aber in den folgenden Ja cong ci xing shengM~~J!tlt4'.). [... ] So sind alle Dinge in der eigenen Natur [des
Jahrhunderten noch verändert und ergänzt wurde (der Text im Kanon der Ming-Zeit Geistes] beschlossen (zhu fa zai zi xing zhong iff~.f:E g:i lt i:f:l). Im Gleichnis gesprochen:
ist mehr als doppelt so umfangreich wie derjenige aus dem 9.Jahrhundert), ist einer Der Himmel selbst ist immer klar, Sonne und Mond sind immer hell; nur weil sie von
der bekanntesten Texte des chinesischen Zenbuddhismus und war in China auch über herumziehenden Wolken verdeckt werden, ist es oben hell und unten dunkel. Wenn
diesen hinaus bei den Gebildeten weit bekannt. Es ist das einzige chinesische Sutra, in plötzlich ein Wind bläst, lösen sich die Wolken auf, oben und unten ist es hell, und
welchem nicht ein Buddha spricht. Vielmehr kommt hier ein ungebildeter Chinese, alle Gestalten erscheinen. [... ] Die Weisheit (zhi hui ~l\) ist [an sich] immer hell; aber
Huineng (638-713) aus Kanton, zu Wort. Zitate aus diesem Sutra waren geflügelte weil in der Verhaftung an der äußeren Welt die eigene Natur (das eigene Wesen: zi
Worte, so auch der Ausdruck «eigentliches Antlitz». Dieser Ausdruck bedeutet den xing § lt) durch irrige Gedanken (wang nian ii:~) wie durch herumziehende Wolken
«ewigen Buddha», den jeder Mensch unbewusst in sich trägt und der dessen «eigent- verdeckt ist, wird die Helligkeit (Einsicht: ming lang HJll'».I) nicht erlangt.»63
liches (wahres) Wesen» (ben xing) ausmacht. Das Bewusstwerden dieses «Wesens» ist In anderen sehr einflussreichen buddhistischen Texten Chinas, im «Sastra der
die «in der Zeit anfangende Erleuchtung». Erweckung des Glaubens im Großen Fahrzeug» (Da cheng qi xin lun jc~jlg~ilftt,
Für diesen «ewigen Buddha» oder für dieses «eigentliche Wesen», für diese wohl aus dem 6. Jahrhundert) und im Surangama-Sutra (Leng yan jing :mlffffi!, wohl
«wahre Natur» oder «Buddha-Natur» oder unbedingte «Prajna-Weisheit» einerseits aus dem 8. Jahrhundert) wird der «ewige Buddha» oder die «ewige Weisheit» im
und für die diese unveränderliche Wirklichkeit verhüllenden falschen Meinungen Menschen «eigentliche (fundamentale) Erleuchtung» (ben jue :ijs:Jl) genannt. 64 Diese
und Leidenschaften andererseits gebraucht das «Hochsitz-Sutra» an zwei Stellen «fundamentale Erleuchtung» bildet zusammen mit der «Erleuchtung, die einen An-
auch das von Wang Yangming in seiner späten Zeit für das «eigentliche Wesen des fang hat» (shi jue M:iJl), ein gegensätzliches Begriffspaar: Während die «Erleuchtung,
ursprünglichen Wissens» und die es verdeckenden egoistischen Wünsche oft benutzte die einen Anfang hat», aufgrund buddhistischer Lehren und Praktiken zu einem ge-
Sonne-Wolken-Gleichnis. An der ersten Stelle im Ming-Kanon sagt Huineng, wissen Zeitpunkt erlangt werden kann und im Bewusstwerden der «grundlegenden
dass die Leute «mit kleiner Geisteskraft» (wörtlich: «mit kleiner Wurzel»: xiao gen Erleuchtung» besteht, ist diese «grundlegende Erleuchtung» immer schon im Geist
1Nl) ebenso wie die Erleuchteten die «Prajna-Weisheit» besitzen. Aber bei ihnen ist (Herzen) des Menschen vorhanden und bildet die «Hauptbedingung» (yin yuan ~~)
es so, «wie wenn große Wolken die Sonne bedecken; wenn sie der Wind nicht weg- jener. Der Begriff der «grundlegenden Erleuchtung» (ben jue ;ijs:Jl) wurde von Fazang
bläst, erscheinen die Sonnenstrahlen nicht. Bei der Prajna-Weisheit selbst gibt es keine ~f,l (643-712), dem «Dritten Patriarchen» und dem eigentlichen Begründer des
Unterschiede von <groß> und <klein>; nur weil die Lebewesen ihr eigenes Herz (ihren chinesischen Huayan(Avatamsaka)-Buddhismus, in die Lehre dieser Schule eingeführt
eigenen Geist: zi xin g:i ,t,,) einsehen oder aber verkennen (wu mi fäl21s), gibt es zwischen (er schrieb einen Kommentar zum «Sastra der Erweckung des Glaubens im Großen
ihnen Unterschiede.[ ... ] Wer die eigene Natur [des Geistes] noch nicht si~ht (wei jian Fahrzeug»), und dieser Begriff machte dann auch Schule im chinesischen Zen.
Schon nur im begrifflichen Ausdruck kommt Wang Yangmings Rede vom <<ei-
gentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» jener «eigentlichen (grundlegenden)
61 An der betreffenden Stelle des Textes im Ming-Kanon von 1440 schildert der «Sechste Patriarch» Erleuchtung» (ben jue *I!) sehr nahe. Er spricht vom «eigentlichen (grundlegenden)
(Huineng) seine Begegnung mit dem Mönch und früheren General Chen Huiming: «Huiming machte ursprünglichen Wissen» (ben ran liang zhi *?Ali~) und kennzeichnet es als «mingjue
die zeremonielle Begrüßung und sagte: <Laienbruder, lehren Sie mich das Dharma!> Ich antwortete:
<Da sie wegen des Dharma gekommen sind, können Sie alle Bedingungen [des Samsara] zur Ruhe
bringen und keinen einzigen Gedanken erzeugen. Ich werde Sie lehren.> Nach einer langen Weile

**lffl
sagte ich: <Wenn Sie nicht an Gutes und nicht an Schlechtes denken, was ist dann Ihr eigentliches
Antlitz (ben lai mian mit l§l )?> Huiming hatte bei diesen Worten die große Einsicht (Erleuch-
tung) (yan xia da wu ~7':kffi). Er fragte mich weiter: <Gibt es außer den überlieferten geheimen
62

63
TS, Bd. 48, Nr. 2008, 2. Kap., S. 350c, Zeilen 23-28. Dieser Stelle im Ming-Kanon entspricht fast
wörtlich eine Stelle in der Nr. 29 des Dunhuang(Fahai)-Textes.
TS, Bd. 48, Nr. 2008, 6. Kapitel, S. 354b, Zeilen 22-28. Dieser Stelle im Ming-Kanon entspricht im
(esoterischen: mi W) Worten und Gedanken noch andere geheime Gedanken?> Ich antwortete: <Was Wesentlichen eine Stelle in der Nr. 20 des Dunhuang(Fahai)-Textes.
ich Ihnen sagte, ist kein Geheimnis; wenn Sie auf sich selbst zmückleuchten (Jan zhao ~lt«), dann ist 64 Da cheng qi xin ltm, TS, Bd. 32, Nr. 1666, S. 576b; Lengyanjing, TS, Bd. 19, Nr. 945, S. 113c. Beide
das Geheimnis bei Ihnen.> Er sagte: <Obschon ich [beim «Fünften Patriarchen» Hong1·en] in Huang- Texte sind ins Englische übersetzt: The Awakening of Faith, attributed to Asvagosha, übersetzt von Yo-
mei war, bin ich mir meines eigenen Antlitzes noch nicht bewusst geworden (wei xing zi ji mian nm shito S. Hakeda, New York, London 1967; The Surangama Sutra, übersetzt von Upasaka Lu K'uan Yu,
*fi ~ a im l§l ). Nachdem Sie mich nun darauf hingewiesen haben, bin ich wie einer der Wasser trinkt London 1966. In der chinesischen Tradition werden beide Texte indischen Autoren zugeschrieben.
und dabei selbst um seine Warme oder Kälte weiß (zi zhi ~ ~).» TS, Bd. 48, Nr. 2008, S. 349b, Zeilen Moderne chinesische, japanische und westliche Forscher betrachten sie aber als Werke chinesischen
22-29. Im parallelen Kapitel (Nr. 11) des Dunhuang-Textes von Fahai 51'.)lj aus dem Ende der Tang- Ursprungs: siehe die Einleitung zur erwähnten englischen Übersetzung von Hakeda, S. 7; Demieville,

Doch findet sich dieser Dialog schon in der Ausgabe von Qisong (~**)
Zeit (Ende 9.Jahrhundert) wird auch von dieser Begegnung berichtet, aber ohne den zitierten Dialog.
von 1056.
Paul: Le Concile de Lhasa, Paris 1952, S. 42; Lü Cheng 8lll&: «Dacheng qixin lun kaozheng ;/1;;:ii\)mm~
:i!ff!M», in: Zhongguo zhe;Jffle shihm ~lit!i'lli!.!e.~, Taiyuan 1981, S. 278-320.
206 207

llJ.lJl», das wir mit «helles Gewahren (Bewusstsein)» wiedergaben. 65 Noch näher sind zhen ru ~tm, die absolute Wahrheit: zhen li ~J!ll.) oder der eine universale Geist (yi
sich die Begriffe, wenn wir die Lehre der Heze-Schule des Zen heranziehen. Der Be- xin - ,t,,) gemäß den besonderen, reinen und unreinen, Bedingungen (jing yuan jJlt,
gründer dieser Schule, Shenhui ~- (668 oder 686-760), der sich aufHuineng berief, ran yuan ~lt) der einzelnen fühlenden Wesen alle Dinge hervor (xing sui yuan cheng
charakterisierte den menschlichen Geist durch das «natürliche Wissen» (zi ran zhi zhi zhu Ja ttllli~Jiliiff)$;), ohne sich dabei zu verändern (bu bian 71'~). Alle Welten, nicht
~ ~.ZJ!l) oder das «grundlegende (eigentliche) Wissen» (ben zhi *~). 66 Sein indi- nur die reinen Welten der Buddhas («Erleuchteten»), sondern auch die Welten der
rekter Nachfolger Zongmi ~&! (780-841), der als «Fünfter Patriarch» dieser Schule fühlenden Wesen im Samsara haben in jener absoluten Natur ihre «Hauptbedin-
und zugleich als «Fünfter Patriarch» der Huayan-Schule betrachtet wird, entwickelte gung» («eigentliche Ursache»: yin yuan ~lt). Diese Kausalität des Absoluten, die der
diesen Gedanken in einer Reihe von einflussreichen Schriften, die er zwischen 828 Huayan-Schule eigen ist, wird«Verursachen durch das Wesen» (xing qi tt®) genannt
und 835 hauptsächlich für am Buddhismus interessierte Beamte und Konfuzianerver- im Gegensatz zum wechselseitigen sich Bedingen der relativen Dinge (yuan qi ~®,
fasste, mit denen er in jenen Jahren in der Reichshauptstadt Chang'an regen Kontakt Sanskrit: pratiryasamutpada). 72 Die verschiedenen gegenständlichen Welten, die den
pflegte. 67 Sowohl in seinem «Allgemeinen Vorwort zu den gesammelten Schriften über einzelnen, nur bedingt existierenden Wesen bewusst sind, bestehen nicht außerhalb
den Ursprung des Zen»68 als auch in seinem «Schema der verschiedenen Traditionen ihres Herzens (Geistes: xin ,t,,). Diese Lehren wurden auch von verschiedenen Rich-
in der Zen-Schule Chinas, die den Geistesgrund überliefert»69 schreibt er, dass das tungen des Zen übernommen, obschon es nicht in seiner Art lag, sie systematisch und
«Wesen des Geistes» (xin xing ,t,tt), das einem Buddha wie auch allen gewöhnlichen in technischen Begriffen zu formulieren.
Menschen zukomme, «geisteskräftiges Wissen» (ling zhi !!.~) sei.70 Dieses Wissen «ist Es wäre aber nicht angemessen, genauere Parallelen zwischen Wang Yangmings
Deine wahre Natur (Dein wahres Wesen: zhen xing ~tt). Der Geist, ob er nun in der Ideen der Kreativität des «eigentlichen Wesens des ursprünglichen Wissens» und des
Irre oder in der Erleuchtung ist, weiß aus sich selbst (zi zhi ~~);es [dieses Wissen] Beschlossenseins aller Dinge im «Herzen» einerseits und ähnlichen buddhistischen
entsteht nicht durch Bedingungen und wird nicht aufgrund äußerer Gegenstände. Lehren andererseits zu ziehen, denn Wang Yangmings «metaphysische» Aussagen
Das eine Wort <Wissen> (zhi !!:□) ist das Tor zu allen Wundern.» 71 Den Ausdruck sind viel zu wenig ausformuliert. Wichtig ist aber, dass er in seinen Gedanken über
«geisteskräftiges Wissen» (ling zhi !!.~) gebraucht Zongmi immer wieder, um das das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» (d.h. in seinem dritten Begriff
«wahre Wesen. des Geistes» (zhen xing 1!;tt, xin xing ,t,tt) zu charakterisieren. Auch des «ursprünglichen Wissens») den zu seiner Zeit in China einflussreichen Formen
Wang Yangming kennzeichnet das «ursprüngliche Wissen» (A~) mit dem so schwer des Buddhismus sehr nahe kam. Es finden sich keine Anhaltspunkte, dass er ent-
übersetzbaren «ling lt» («geisteskräftig, spirituell, göttlich, inspiriert, wundertätig, sprechende buddhistische Texte intensiv studierte. Einzelne Texte, zum Beispiel das
beseelt)». «Ling zhi II~» und «liang zhi ßl~» hören sich übrigens fast gleich an; «ling sehr verbreitete «Hochsitz-Sutra des Sechsten Patriarchen», mag er gekannt haben,
!!.» und «liang ßl» werden beide im zweiten Ton ausgesprochen. obschon er es meines Wissens nirgends ausführlicher zitiert. Vor allem aber war seine
Auch für die Idee Wang Yangmings, dass das «eigentliche Wesen des ursprüng- Umgebung stark vom Buddhismus geprägt, und er war diesem gegenüber offen und
lichen Wissens» Himmel und Erde und alle Dinge hervorbringt, findet sich Entspre- an ihm interessiert.
chendes in einflussreichen buddhistischen Schulen Chinas. Wir haben soeben aus Eine Reihe von Forschern, vor allem solche aus Japan, haben den Einfluss des
dem -«Hochsitz-Sutra» die Sätze zitiert, dass «alle Dinge aus dieser Nat1;1r [d.h. aus Zenbuddhismus auf Wang Yangming betont. 73 Dieser Einfluss ist nicht als passiver
der Natur des Geistes, aus dem ewigen Buddha] entstehen», so dass «alle Dinge in der zu verstehen im Sinne, dass Wang Yangming als «Kind seiner Zeit» aus Denkge-
eigenen Natur [des Herzens] beschlossen» sind. Diese Gedanken sind systematisch wohnheit auf gewisse buddhistische Vorstellungen :fixiert gewesen wäre. Er suchte
in Texten der Huayan-Schule, in solchen von Fazang (643-712) und vor allem von vor allem in der konfuzianischen Tradition die Anregungen, Bezugspunkte, Begriffe
Chengguan )ifi (738-838, dem «Vierten Patriarchen» dieser Schule und dem Leh- und Bestätigungen seines Denkens. Es stellt sich daher die Frage nach den beson-
rer von Zongmi), ausgeführt. Nach diesen bringt die «wahre Natur» (d~s Absolute: deren Motiven, die Wang Yangming in seinem dritten Begriff des «ursprünglichen
Wissens» dazu führten, gewisse buddhistische Ideen zu übernehmen. Bevor wir
dieser Frage nachzugehen versuchen (unten in diesem Kapitel, § 8), möchten wir
65 Brief an Gu Dongqiao, Chuanxi lu II, Nr. 137, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 47; siehe oben, S.190. diesen Begriff noch durch zwei Gedanken kennzeichnen, die ihm ein wesentlich kon-
66 Siehe Yanagida Seizan: «The Li-tai Fa-Pao Chi and the Ch'an Doctrine of Sudden Awakening», in: fuzianisches Gepräge geben: Das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens»
Early Ch'an in China and Tibet, Berkeley Buddhist Studies Serics, 1983, S. 19.
67 Zu Zongmi siehe: Grego1y, Peter N.: Tsung-mi and the Sinification ofBuddhism, Princeton, NJ 1991.
68 Chanyuan zhuquanji duxte 1-ltl.m/itiUIHillJy;,
69 Zhonghua chuan xindi chanmen shizi chengxi tu lj:l;jjti(!J,t.,:ltkt.r,ftili~jf(Uli. 72 Ich stütze mich in dieser Darstellung auf Lü Cheng: Zhongguo foxue yuanliu lüejiang, Bejing 1979,
70 Chanyuan zhuqurnqi duxu, TS, Bd. 48, S. 405a, Zeilen 20f.; 405c, Zeilen 7f. s. 191-204.
71 Chanyuan zhuquanji duxu, TS, Bd. 48, S. 402c, Zeile 29 bis S. 403a, Zeile 2. Den Satz «Das eine Wort 73 Zum Beispiel Nukariya Kaiten: Yangtningyu Chan («Yangmingund Zen»), chinesische Übersetzung
<W!Ssen> ist das Tor zu allem Wunderbaren» schreibt Zongmi dem Gründer der Heze-Schule Shenhui von Liu Renhang, Shanghai 1921; Kusumoto Bun'yu: 6 Y'omei no Zenteki shis6 kenkyu («Untersuchung
zu: ebd., S. 405b, Zeilen 12-15. über das Zen-Denken von Wang Yangming»), Nagoya 1959.
208 209

ist Menschlichkeit (Güte: ren 1=) oder wahres Mitgefühl (siehe unten, § 5), und es [solches] nicht erträgt (bu ren zhi xin 1'~.z.,t.,)>75 • Das ist seine Menschlichkeit (Güte),
ist Einheit von Tätigkeit und Ruhe, beschließt also in sich notwendig die für einen die mit Tieren eine Wirklichkeit ist. Doch Tiere haben noch Empfindungen (you zhi
Konfuzianer unverzichtbare soziale Tätigkeit in der weltlichen Gesellschaft (siehe jue ~1m:i). Aber auch wenn er das Abhauen und Zerstören von Pflanzen sieht, hat er
unten,§ 6). dabei notwendig ein bekümmertes und sich erbarmendes Herz (min xu zhi xin 100'bln.
z,t,,). Das ist seine Menschlichkeit, die mit den Pflanzen eine Wirklichkeit ist. Doch
§ 5 Das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» ist Menschlich- die Pflanzen haben noch Leben (you shengyi ~ ~:li). Aber auch wenn er das Zerstören
keit oder wahres Mitgefühl von Ziegeln und Steinen sieht, hat er dabei notwendig ein Herz, das bedauert und
schützen möchte (gu xi zhi xin illffiz,t,,). Das ist seine Menschlichkeit (Güte), die mit
Das unveränderliche «eigentliche Wesen» des Herzens (Geistes) bzw. des «ursprüng- Ziegeln und Steinen eine Wirklichkeit ist. Auch das Herz eines <kleinen Menschen>
lichen Wissens» charakterisiert Wang Yangming zur Zeit seiner Lehrtätigkeit in besitzt notwendig diese Menschlichkeit (Güte), die [mit den anderen Wesen] eine
Shaoxing (1522-1527) durch Menschlichkeit (Güte: ren 1=) und in einem wenige Wirklichkeit ist (yi ti zhi ren -lllz1=). Denn dieses Herz hat seine Wurzel in der vom
Wochen vor seinem Tod geschriebenen Brief durch wahres Mitgefühl oder Mitem- Himmel bestimmten Natur (Wesen) (gen yu tian ming zhi xing ffi~~$.2.1't) und ist
pfinden (zhen cheng ce da 1l~ffl!lffi.). Diese beiden Charakterisierungen bedeuten für etwas, was von sich aus ohne Verdunkelung geisteskräftig leuchtet (zi ran ling zhao bu
ihn im Grunde dasselbe. mei EI ?All RB 1' II!). Deshalb wird [am Anfang des Daxue] von <heller Tugend> (ming de
Gleich zu Beginn seiner Erklärung des «Lernens der Großen» (Daxue), das aJj 1l) gesprochen. Das Herz des <kleinen Menschen> trennt sich zwar [von den anderen
die Grundlage seiner Lehrtätigkeit in Shaoxing bildete, stellt Wang Yangming die Wesen] ab und ist eng, aber seine Menschlichkeit, die [mit ihnen] eine Wirklichkeit
Leitidee seiner Lehre auf: «Der <große Mensch> [= der <heilige Mensch>, die ethisch ist (yi ti zhi ren -Hz1=), vermag manchmal noch unverdunkelt zu sein. Das ist zu den
ideale Persönlichkeit] ist jemand, der mit Himmel und Erde und allen Wesen eine Zeiten der Fall, während deren es noch nicht von Wünschen bewegt und noch nicht
Wirklichkeit ist (wei yi ti ~-H). Er sieht die Welt wie eine Familie, das Land der vom Egoismus verdeckt wird (wei dongyu yu erwei bi yu si zhi shi *llliit.W::im*lllinHJ..
Mitte wie einen Menschen. Wer aber nach der Verschiedenheit der äußeren Körper Z~).» Yangming schließt diesen grundlegenden ersten Abschnitt seiner Erklärung
zwischen Du und Ich trennt, der ist ein <kleiner [ethisch geringer] Mensch>.» Und nun des Daxue mit der Folgerung, dass also der ethisch Lernende nur diese «Verdeckung
folgt der Gedanke des unveränderlichen «eigentlichen Wesens» des Herzens (Geistes) durch die egoistischen Wünsche vertreiben» müsse, um so «sein eigentliches Sosein
bzw. des «ursprünglichen Wissens»: «Wenn der <große Mensch> fähig ist, mit Himmel der Einheit mit Himmel und Erde und allen Wesen wiederzugewinnen (fu qi tian di
und Erde und allen Wesen eine Wirklichkeit zu sein, so ist dies nicht deshalb so, weil wan wu yi ti zhi ben ran 1Ut~ttl!~WJ-\llz.:zJi;?&). Dieses <eigentliche Wesen> (ben ti
er es so denkt und will (fei yi zhi ~~Jiz), sondern weil die Menschlichkeit (Güte) seines .:zJi; Mt) kann nicht durch etwas ihm Äußeres vermehrt werden (zeng yi :ifiii).»76
Herzens (Geistes) an sich selbst (in ihrem eigentlichen Wesen) so ist (qi xin zhi ren In diesem Text versteht Wang Yangming Mengzis Beispiele des spontanen
ben ruo shi J:U,,z 1=.:zJi;:!!Hi). Das Einssein mit Himmel und Erde und allen Wesen ist Mitfühlens nicht mehr in dessen Sinn als dem einzelnen Menschen angeborene «An-
also nicht bloß Sache des <großen Menschen>, sondern auch das Herz (der Geist) des fänge» oder «Keime» der «Menschlichkeit», die zu «nähren» und «entfalten» sind,
<kleinen Menschen> ist [an sich] immer so, nur macht er es selbst klein.», um sie zu Tugenden werden zu lassen, sondern als in jedem menschlichen Herzen
Im Folgenden versucht Yangming zu zeigen, dass auch der gewöhnliche, «kleine zeitweise noch vorhandene Manifestationen seines immer schon vollkommenen «ei-
Mensch» das Herz (den Geist) der Menschlichkeit (Güte), das heißt der Einheit mit gentlichen Wesens», das «nicht vermehrt werden kann». Was ist dieses «eigentliche
allen Wesen besitzt. Dieses «eigentliche Wesen» des Herzens (Geistes) vermag sich Wesen» oder diese «eigentliche Wirklichkeit» jedes Menschen? Es wäre nicht im
beim «kleinen Menschen» dann zu manifestieren, wenn er noch nicht von egoisti- Sinne Wang Yangmings, zu antworten, dass dieses «eigentliche Wesen» die in einem
schen Wünschen bewegt wird. Diese «Einheit mit allen Wesen» beschränkt sich nicht gegenständlichen («objektiven») Sinn zu verstehende ontologische Einheit aller Din-
auf die Mitmenschen, sondern umfasst auch Tiere, Pflanzen und selbst die leblosen ge sei, sondern er sagt: Dieses «eigentliche Wesen» ist «Menschlichkeit», das heißt, es
Dinge: «Deshalb [nämlich weil sein Herz (Geist) an sich mit allen Wesen eins ist] hat ist das Einssein des Herzens (Geistes) jedes Menschen mit allen Dingen. Es ist also die
der <kleine Mensch> notwendig ein <erschrockenes und mitleidiges Herz> (chu ti ce Einheit mit allen Dingen, so wie sie für jedes menschliche Subjekt oder Bewusstsein
yin WfflffiiJI\I), wenn er ein Kind in einen Brunnenschacht fallen sieht.74 Das ist seine in Wahrheit besteht, mag sie ihm durch seinen Egoismus noch so verhüllt sein oder,
Menschlichkeit (Güte), die mit Kindern eine Wirklichkeit ist (wei yi ti ~-lt). Doch wie man in einer heutigen Sprache sagen kann, es ist die Einheit mit allen Dingen vom
Kinder gehören noch zur selben Art [wie er selbst].Aber auch wenn er das Wehklagen
und angstvolle Zittern von Tieren wahrnimmt, hat er dabei notwendig ein <Herz, das
75 Bezugnahme auf Mengzi, 1. Buch, 1. Teil, Kap. 7: Geschichte des Königs Xuan von Qi, der den Anblick
eines für ein Opfer bestimmten zitternden Ochsen nicht erträgt.
74 Nach Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 6. 76 Daxue wen («Fragen zum <Lernen der Großen>»), Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 968.
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Gesichtspunkt der <<ersten Person»: Wang Yangming sagt: Himmel und Erde und alle des menschlichen Herzens ist bei Heiligen und Einfältigen nicht verschieden, es ist
Dinge «sind mit mir eine gemeinsame Wirklichkeit (yu wo tong ti W~[q]IJ:l).» 77 Das auf der Welt zu allen Zeiten dasselbe (tong [5'.1). \Venn sich die Edlen der Welt nur der
«ursprüngliche Wissen» in seinem «eigentlichen Wesen» ist nichts anderes als das <Verwirklichung des ursprünglichen \Vissens> widmen würden, dann vermöchten sie
(durch den Egoismus mehr oder weniger verdeckte) Bewi1sstsein des Einsseins aller von selbst im Sinne der Allgemeinheit zu urteilen (gong shi fei 0tMF) und im Sinne
Wesen «mit mir»: «Der Menschliche (Gütigeren zhe 1=:ir) erfährt alle Dinge als seine der Gemeinschaft zu lieben und zu verabscheuen (tong htto wu [91~~), den anderen
[eigene] Wirklichkeit (yi wan wu wei ti J,::Uit!J@~ll:I). Wenn man [mit ihnen] nicht eine wie sich selbst und das Reich wie die eigene Familie zu sehen und so mit Himmel und
\Virklichkeit zu sein vermag, so nur deshalb, weil man seinen Egoismus noch nicht Erde und allen \Vescn eine Wirklichkeit zu sein (weiyi ti ß?l-lt-l).»84
vergessen hat (ji si wei wrmg cl.&*$).» 78 Wir lubcn schon in der Einleitung darauf hingewiesen, dass Wang V:'l11gming
Man darf wohl sagen, dass für Wang Yangming dieses subjektive Einheitsbe- bereits in seiner frühen Zeit in Peking, als er begann, sich für die konfuzianische Lehre
wusstsein mit den anderen Wesen das Ünmer vollkommene unveränderliche «eigent- und Lebensweise einzusetzen (1505), die ,<Menschlichkeit» (ren 1=) zu seiner Leitidee
liche (wahre) Wesen» des «ursprünglichen Wissens» charakterisiert. Zwar kommt im machte und dass er sie im Sinne von Cheng Hao (Mingdao, 1032-1085) als «Einssein
obigen langen Zitat aus seiner Erklärung des Daxue der Ausdruck «ursprüngliches mit allen Dingen» verst,md. 85 Chcng Hao hatte die «Menschlichkeit» in diesem Sinne
Wissen» (lirmg zhi BHD) noch nicht explizit vor. Das ist aber dadurch bedingt, dass interpretiert. Aber die Idee, dass alle Dinge eine Einheit, eine Wirklichkeit sind (wan
das von ihm erklärte Daxue an dieser Stelle noch nicht von «Wissen» spricht. Aber wu yi ti ~!J@-ll:I), findet sich in der chinesischen Geistesgeschichte an vielen Orten,
die in seinen Erklärungen herangezogenen Beispiele des Mitgefühls mit Kindern und auch an buddhistischen und cfaoistischen. Shirnada Kenji zitiert in seiner Geschichte
Tieren aus dem Buch Mcngzi sind für Wang Yangming Beispiele des «ursprünglichen der neokonfnzianischen Philosophie eine Aussage des Daoisten Zhuan,gzi (4. Jahr-
Wissens», und die «helle Tugend» (ming de a)H~), die er aus dieser Daxue-Stclle zi- hundert v. Chr.) und eine des Buddhisten Sengzh,10 1~~ (384 oder 374--414 aus der
tiert, versteht: er im Sinne des immer vollkonuncncn «ursprünglichen Wissens». Im chinesischen Madhyamika-'l bdition. 81 ' Es könnten sicher noch andere Quellen dieses
übern;ichsten Abschnitt seiner Erkliirung des Daxue, bei der Erklärung des «höch- Gedankens genannt werden, besonders wohl die Einheitsphilosophie («Monismus»)
sten Guten», wird er die «helle Thgend» ausdrücklich als «ursprüngliches Wissen» des Unayan-Bmldhismus. Man muss allerdings auch ,rnf die Verschiedenheit der
auslegen: «Die vom l-fin11nel bestinunte Natur (tian rning zhi xing Ji::inztt) ist das Bedeutungen achten, die dieselbe Formel in Jen verschiedenen Kontexten hat. Ofr
reine <höchste Gute> (zhi shan ~~). Ihr unvenhmkeltes geisteskräfriges Leuchten meint die Formel vor allem die Cleichhcit (Gleichwertigkeit) aller Dinge. Es ist hier
(ling; zhao bu mci ma;pfHJK) als Manifestation (fit xittn ~IJ!) des <höchsten Guten> ist: aber nicht der Ort, die Begriffsgeschichte dieser Formel zu vcrfolgen. 87 Doch darf
das eigentliche (wahre) Wesen (hen ti ;:$:\ffi) der <hellen Tugend> und ist dasselbe, was gesagt werden, dass die Konkretisierung dieser abstrakten Finheitsgcd:mken durch
<urspriingliches Wissen> genannt winl.» 79 das /v1itgefrihl vor allem in der konfuzianischen 'lbdition vollzogen wurde.
In einem Brief von 1526 an Nie Bao, der damals schon Beamter war und erst vVang Yangming hat am Ende seines Lebens die «Menschlichkeit» bzw. das
einige Jahre später formell sein Schüler wurde, 80 drückt Wang Yangming diese «eigentliche \tVesen des ursprünglichen 'Wissens» auch ohne jene «ontologische»
Gedanken in einer konkreteren, sie beide als für das Volk verantwortliche Beamte oder «metaphysische» Formel der «Einheit aller Dinge mit mir» schlicht durch das
betreffenden Weise aus: <«Der Mensch ist das Herz von Himmel und Erde.>81 Him- «wahre (echte) Mitgefühl» mit den Mitmenschen charakterisiert. Die Ausdehnung
mel und Erde und alle Wesen sind eigentlich meine eine Wirklichkeit (hen wu yi ti des «Mitgefühls» auf «alle Wesen» in seinem Kommentar zum Daxue hatte wohl vom
.:$:-'lf-ll:I). Welche Nöte und Sorgen des Volkes sind nicht Krankheiten und Schmer- Gesichtspunkt der Erfahrung des gewöhnlichen «kleinen Menschen» etwas Über-
zen in meinem eigenen Leib (qie yu wu shen -WM--'lf~)! Wer nicht um solche eigenen triebenes. In Beziehung auf menschenähnliche Tiere ist ein Mitgefühl von diesem
Krankheiten und Schmerzen weiß, hat kein <Herz für das Richtige und Falsche> (shi fei Erfahrungsstandpunkt aus nachvollziehbar, aber kaum noch hinsichtlich gewöhn-
zhi xin ~~~Z'Li'). 82 Dieses Herz (Geist) <weiß, ohne zu überlegen, und kann, ohne zu
lernen>, und wird <ursprüngliches Wissen> genannt. 83 Dieses <ursprüngliche Wissen>

84 Chuanxi tu II, Nr. 179, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 79.


85 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil Iden§ 1, S. 66f.
77 Chuanxi tu III, Nr. 274, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 107 (Hervorhebung von mir). Der Satz ist 86 Die Zhuangzi-Stelle (aus dem 2. Buch) lautet: «Himmel und Erde entstehen mit mir zugleich, alle
in seinem Zusammenhang oben in § 3 dieses Kapitels, S. 200f., zitiert. Dinge sind mit mir eins (wan W'lt yu wo wei yi ;lit@}~~~-).» Die Stelle bei Sengchao (Chaotun), Kap.
78 Chuanxi tu III, Nr. 285, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 110. über «Die Namenlosigkeit des Nirvana»: «Betrachtet man Sein und Nichtsein als gleich, dann be-
79 Daxue wen, Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 969. steht kein Unterschied zwischen den anderen Dingen und mir. So haben Himmel und Erde mit mir
80 Siehe unten, Teil II, Kap. 3, § 1. die gleiche Wurzel (tong gen fql ;ffl), und die Dinge machen mit mir eine Wirklichkeit aus (wan wu yu
81 Zitat aus dem Liji («Buch der Sitte»), Kap. Li yun (Übersetzung von Richard Wilhelm, S. 38). Vgl. wo yi ti ;lit@J~~-1111).» Vgl. Shimada Kenji: Die neo-konfuzianische Philosophie, übersetzt von Monika
oben in diesem Kapitel den§ 3, S. 201. Übelhöhr, 1. Aufl., Hamburg 1979; 2. Aufl., Berlin 1987, S. 48f.
82 Mengzi 2. Buch, 1. Teil, Kap. 6 und 6. Buch, 1. Teil, Kap. 6; vgl. oben in der Einleitung den§ 4, S. 24. 87 Ich habe einige elementare Hinweise dazu in meinem Artikel «Matteo Riccis Verhältnis zum Bud-
83 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15. dhismus», in: Monumenta Sericica 36 (1984--1985), S. 97-100, zu geben versucht.
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licher Pflanzen und Steine, es sei denn, man nehme zum Beispiel einen würdevoll ethischen Anstrengung zeige, dass er diese Erfahrung aber nicht zu einer allgemeinen
aufragenden und beschützend dastehenden Baum durch assoziative Übertragung Lehre erheben dürfe. Denn das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» sei
wie einen aufrechten unerschütterlichen Menschen wahr, dessen Fällen mit Säge immer ein und dasselbe echte (wahre) Mitgefühl,dessen «Verwirklichung (Ausübung:
und Beil und dessen Zu-Boden-Krachen einen schmerzen kann, oder man hege und zhi ~)» alle zwischenmenschlichen Beziehungen zugleich betreffe. Er argumentiert
pflege eine Pflanze wie eine Art Kind, mit dem man sogar zu sprechen beliebt. Doch hier im Rahmen der konfuzianischen «fünf Beziehungen» (wu lun 1i~): der Bezie-
der Schmerz um den Verlust und die affektive Beziehung zu einem schönen Ding hung zwischen Eltern und Kindern, zwischen Fürst und Untertanen, zwischen älteren
sind noch kein Mitgefühl. Das Einheitsgefühl mit allen Wesen wird Luo Hong- und jüngeren Brüdern, zwischen Ehegatten, zwischen Freunden, aber er hat grund-
xian als eine besondere mystische Erfahrung beschreiben, 88 aber im gewöhnlichen sätzlich auch andere solche Beziehungen im Auge. Die «Verwirklichung>> (Ausübung)
Bewusstsein ist es kaum zu finden. Tatsächlich spielt bei Wang Yangming in seiner des echten Mitgefühls könne sich nicht auf einzelne Kategorien dieser Beziehungen
praktischen Aufgabenstellung ein solches universales Einheitsbewusstsein kaum eine beschränken, sonst verlasse man sein wahres Wesen und verliere sich in unwichtigen
Rolle, wohl aber das Mitgefühl mit den anderen Menschen. Seine Konzentration des Formalitäten. «Wenn man daher dieses echte Mitgefühl des <ursprünglichen Wissens>
Mitgefühls auf die Mitmenschen ist also ein Rückzug auf die allgemeinmenschliche im Dienst an den Eltern <verwirklicht> (zhi ~), dann ist es <kindliche Pietät>; wenn
Erfahrung und auf die zwischenmenschlichen ethischen Aufgaben. In einem Brief, man dieses echte Mitgefühl des <urspriinglichen Wissens> im Gehorsam gegenüber
den er Ende 1528 nach der Erfüllung seines politisch-militärischen Auftrags im Süden den älteren Brüdern <verwirklicht>, dann ist es der ~Respekt vonseiten der jüngeren
der Provinz Guangxi schwerkrank nur etwa einen bis zwei Nlonate vor seinem Tod Brüder>; wenn man dieses echte Mitgefühl im Dienst am Fürsten <verwirklicht>, dann
verfasste89 und der sein letzter Brief bedeutenden philosophischen Inhalts ist und eine ist es <Lovalitiit>; es ist immer ein und dasselbe <ursprüngliche Wissen> (zhi shi yi gc
Art philosophisches Testament darstellt, 90 schrieb er: 91 «Das <ursprüngliche Wissen> liang zhi.R.~-1~ 6!.~), ein und dasselbe echte Mitgefühl (yi ge zhen chcng cc da -1~1U~
ist nur die Manifestation des <himmlischen Ordnungsprinzips> im natürlichen hellen ffi1Jfä). Wenn das <ursprüngliche Wissen, in1 Cehorsam gegenüber den älteren Brüdern
Bewusstsein (yi ge tian li zi ran mingjue Ja xian chu -1~Ji::J,I~ MßJl1UflJt~), es ist nur sein echtes Mitgefühl nicht zu <verwirklichen> vermag, so vermag das ~ursprüngliche
das wahre (echte, wirkliche) Mitgefühl (yi ge zhen cheng ce da -{fi!j~filitffi~'l!!.); 92 das ist Wissen> auch im Dienst an den Eltern sein echtes Mitgefühl nicht zu <verwirklichen>;
sein <eigentliches Wesen> (hcn ti *R).» Sein Adressat Nie Bao hatte ihm von seiner wenn das <ursprüngliche \Vissen> im l)icnst am Fürsten sein echtes Mitgefühl nicht
Erfahrung geschrieben, dass die Lehre von der «Verwirklichung des [urspriinglichenl zu <Verwirklichen> vermag, dann vermag das <ursprüngliche Wissen> auch im Gehor-
vVissens» im Dienst an den Eltern und im Gehorsam gegenüber den iilteren Brüdern sam gegenüber den älteren Brüdern sein wahres Mitgefühl nicht zu <verwirklichen>
einen festen Halt finde. Yangming antwortete ihm, dass dies die Ernsthaftigkeit seiner [und analog für die anderen Beziehungen]. Deshalb ist das <ursprüngliche Wissen>,
das sich im Gehorsam gegenüber den älteren Brüdern <verwirklicht> hat, auch das
<ursprüngliche Wissen>, das sich im Dienst an den Eltern <Verwirklicht> hat, und
88 Siehe unten in Teil 11, Kap. 4, § 9. das <ursprüngliche \Vissen>, das sich im Gehorsam gegenüber den älteren Brüdern
89 Siehe den Anfang dieses Briefes: «Mein Körper leidet schon seit langem an Husten und Fiebrigkeit, <verwirklicht> hat, auch das <ursprüngliche Wissen>, das sich im Dienst an den Eltern
und als ich in diese heiße Gegend kam, wurden diese wieder stark. Ich wagte nichr, von der großen <verwirklicht> hat [und analog für die anderen Beziehungen]. Wenn man das <ur-
Verantwortung, die mir Seine weise Majestät gab, übereilt zurückzutreten. Bei den schwierigen mili-
tiirischen Aufgaben dieser Gegend musste ich mich immer als Kranker auf einer Sänfte tragen lassen. sprüngliche Wissen> nicht im Dienst am Fürsten zu <verwirklichen> vermag, kann man
Nachdem nun das ( ;ehiet befriedet ist, habe ich eine Bittschrift eingereicht, um heimkehren und nicht dafür das <ursprüngliche \Vissen>, das sich mit den Eltern befasst, ausweiten. Das
meine Krankheit heilen zu können. Wenn ich mich im Schatten der Bäume der Kühle erfreuen kann, hieße, den eigentlichen Ursprung verlassen (tuo r_tllc ben yuan Jffi::aP*ß.ll) und sich mit
gibt es vielleicht eine Besserung. Da der Bote zurückkehrt, schreibe ich in Eile auf meinem Lager».
Chuanxi lu II, Nr. 185, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S, 82. unwichtigen Einzelheiten (zhi jie 3'i:W) beschäftigen. Das <ursprüngliche Wissen> ist
90 Qian Dehong hat ihn 1535 in den Briefteil(= zweiten Teil) seiner Neuausgabe des Clmanxi lu aufge- nur eines. Es ist dort, wo es sich manifestiert und auswirkt, an dieser Stelle vollständig
nommen: siehe oben den Anhang zur Einleitung zu Teil I, S. 114. (sui tttftt tdan liu .c:dng ch11 dang xiaj11 c::,u l!iftMf:EJt51iH'rJJ!&iliff JllJE.), es hat nicht [an einer
91 Dieser Brief ist als Antwortschreiben an Nie Bao gerichtet, aber Wang Yangming bittet diesen am
Ende des Briefes, Kopien davon auch an ChenJiuchuan (1495-1562), Zou Shouyi und Onyang De anderen Stelle etwasi zu suchen und auszuborgen.» Jedoch habe das «ursprüngliche
weiterzuleiten. Wie Nie Bao stammten diese drei hervorragenden Schüler Wang Yangmings aus der Wissen» an den verschiedenen Orten seines Siclim,mifestierens und Sichauswirkens
Provinz J iangxi. <<Von selbst ein unterschiedliches Gewicht und eine unterschiedliche Intensität (zi you
92 Sowohl Wang Tch'an-tche (La philosophie morale de Wang Yang-ming, 1936, S. 156f.) als auch Wing-
tsit Chan (lnstructions for Practical Living, 1963, S. 17 6f.) verstehen «zhen cheng ce da ~~fflilffi» als qing zhong hou bo ~ 1n!l!'.m~j!), woran nicht das Geringste hinzugefügt und wegge-
zwei Substantive: «sincerite et sympad1ic» bzw. «true sincerity and co111111iscration». Das liisst sich nommen werden darf und was das <natürliche von selbst vorhandene richtige Maß>
aber weder mit dem Kontext des Briefes noch mit Wang Yangmings Denken im Allgemeinen zusam- (timt ran zi you zhi z,ho11g Ji;:~ ~ ~ L r=r) genannt wird.»93 Wenn dem «ursprünglichen
menbringen. Es geht mn das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens», das nicht zweierlei
ist, sondern, wie Yangming in diesem Brief betont, ein wahres (echtes, wahrhaftes) Mitgefühl, das
heißt ein «vollkommenes» wirksames Mitgefühl und nicht bloß eine schwache Gefühlsregung ohne
Wirksamkeit; «zhen cheng ~~» ist daher adjektivisch zu übersetzen. 93 Zitat eines Satzes von Cheng Yi (1033-1107), den Zhu Xi in seinem Daxue huowen wiedergibt.
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Wissen» etwas hinzugefügt oder von ihm etwas weggenommen werden könnte oder für emotionale Teilnahme ist noch nicht ein überlegendes Bewusstsein, das sich phantasie-
es etwas ausgeborgt werden müsste, «dann wäre es schon nicht mehr sein eigentliches rend in die Situationen anderer erlebender Wesen hineinversetzt und sich die Dinge
Wesen des wahren Mitgefühls (fei qi zhen cheng ce da zhi ben ti 3~;!tJUifflilfü;z.::zli-tll).»94 in derjenigen «Perspektive» zu vergegenwärtigen versucht, in der sie von diesen an-
Es ist im oben zitierten Text einmal im Hinblick auf die Problematik am Ende deren Wesen, Menschen oder auch Tieren, empfunden, wahrgenommen, begehrt oder
unseres letzten Kapitels darauf zu achten, dass Wang Yangming von der «Verwirk- gefürchtet, gewertet, gewollt werden, sondern es ist ein vorreflexives, unmittelbares
lichung des ursprünglichen Wissens» als des echten Mitgefühls auch in einer Weise Betroffen- oder Berührtwerden im Wahrnehmen der Situation, in der sich ein anderes
spricht, nach der das «ursprüngliche Wissen» sich selbst «verwirklicht». Weiter ist sich verhaltendes Wesen befindet. Dieses unmittelbare Betroffenwerden durch das,
bemerkenswert, dass er zwar am Anfang dieses Textes das Mitgefühl schon als bloße was einem anderen Wesen in seiner Situation geschieht, genügt allein nicht, um ein
«Manifestation»· (fa xian tiJJ!) des Ordnungsprinzips im «hellen Gewahren», das ethisches Handeln der «Menschlichkeit» zu ermöglichen, sondern dieses setzt auch
heißt schon als ein bloßes Gefühl, für das «eigentliche Wesen des ursprünglichen jenes gedankliche (phantasierende) Vergegenwärtigen oder «Verstehen» der Wahr-
Wissens» ausgibt, während er aber am Schluss auch die «Auswirkungen>> (liu xing nehmungs- und Interessenperspektive der anderen voraus. Denn ein Verhalten bloß
)litfi) dieses Mitgefühls, das heißt dessen «Verwirklichungen» in den sozialen aus einem naiven Mitgefühl, das sich noch nicht in die Lage und Interessenperspektive
Beziehungen, mit zum «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» rechnet. der anderen versetzt, kann diesen unbewusst auch schaden. Wang Yangming spricht
Nur in dieser «Verwirklichung» ist das <<ursprüngliche Wissen» «vollständig» (ju zu bei der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» von «Denken», aber er macht
J!J:JE.). Das ist wichtig im Hinblick auf Wang Jis Interpretation des «ursprünglichen dabei nicht explizit ein solches «Vergegenwärtigen» geltend. Ein solches gedankli-
Wissens», die wir in Teil II dieser Studie behandeln werden. ches Verstehen fremder «Perspektiven» enthält aber in sich ohne jenes emotionale
Aus den Beispielen, die Wang Yangming in der oben angeführten Erklärung Betroffensein noch keine ethische Ausrichtung, da es auch dazu dienen kann, andere
des Anfangs des Daxue als Manifestation der «Menschlichkeit» auch im Herzen des zu täuschen und ihnen mit «Berechnung» Schaden zuzufügen. Es ist nur auf der
«kleinen Menschen» anführt, ist zu entnehmen, wie er das die <<Menschlichkeit» Grundlage des Mitfühlens ein ethisches Verstehen. Doch auch Mitfühlen verbunden
ausmachende Einheitsbewusstsein mit den anderen Wesen oder das «Mitgefühl mit Verstehen macht noch kein ethisches Verhalten aus: Mitgefühl muss sich im Han-
(Mitempfinden)» als psychologisches Phänomen denkt: als ein unmittelbares Betrof- deln «verwirklichen», wenn es wahres Mitgefühl, das heißt sein «eigentliches Wesen»,
fenwerden durch das, was anderen Wesen in ihrer Situation geschieht. Dies ist nicht sein soll, wie Wang Yangming unermüdlich betont.
als eine bloße Gefühlsansteckung durch das wahrgenommene Verhalten anderer We-
sen zu verstehen, nicht als eine bloße von diesen verursachte Stimmungsübertragung § 6 Das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» ist Einheit
auf den sie Wahrnehmenden, denn ein solches Angestecktsein ist nicht das emotionale von Ruhe und Tätigkeit oder Ruhe in der Tätigkeit
Bewusstsein der Situation, wie diese für ein anderes Wesen ist.Jenes Mitempfinden
ist vielmehr ein Fühlen für ein anderes Wesen, das heißt ein emotionales Betroffensein Neben die <<Menschlichkeit» tritt bei Wang Yangming als ein zweiter Charakterzug
durch die Situation des anderen und eine Tendenz, für ihn etwas zu tun: Man nimmt des «eigentlichen Wesens des ursprünglichen Wissens» die Einheit von Ruhe und
sich emotional des anderen an, man partizipiert emotional an seiner 'Situation. In Tätigkeit oder die Ruhe in der Tätigkeit. Die «Menschlichkeit» und die Einheit von
der Psychologie wird diese emotionale Teilnahme oft Empathie genannt, und in der Ruhe und Tätigkeit sind bei Wang Yangming die beiden wichtigsten Wesenszüge des
genetischen Psychologie stellt man fest, dass die Fähigkeit zu dieser «Partizipation» «ursprünglichen Wissens». Zwar können noch andere Wesensmomente auftreten wie
in der kindlichen Entwicklung gegen das Ende des zweiten Lebensjahres zur Reife etwa die Freude: «Die Freude ist das Wesen (gehört zum Wesen) des Herzens (le shi
kommt, ungefähr gleichzeitig mit der Fähigkeit, das eigene Spiegelbild anzunehmen, xin zhi ben ti !,H~:,t'.iZ.*llll)» (siehe oben Kap. 2, § 5). Aber dieses Wesensmoment hat
oder der Fähigkeit des «Rollenspiels», in welchem die Kinder spielend an der Situa- keinen normativen Charakter, da man es nicht wie die Menschlichkeit und die Einheit
tion anderer Personen (der kochenden Mutter, des arbeitenden Vaters, eines Loko- von Ruhe und Tätigkeit als ein Ziel erstreben kann; die Freude kann sich vielmehr
motivführers usw.) teilnehmen. 95 Auf jener ursprünglichen Fähigkeit der Empathie nur von selbst, unbeabsichtigt einstellen, wenn der Mensch mit dem «eigentlichen
oder Sympathie scheint Wang Yangming seine Ethik aufzubauen: Was anderen in Wesen» seines «ursprünglichen Wissens» übereinstimmt.
ihrer Situation geschieht, «geht uns nahe», «berührt uns», wenn nicht die Fixierung Die beiden Wesenszüge der «Menschlichkeit» einerseits und der Einheit von
auf eigene Interessen unser Mitfühlen überdeckt, erstickt und von ihm ablenkt. Diese Ruhe und Tätigkeit andererseits, die bei Wang Yangming das ethische Ideal oder die
Idee des heiligen Menschen prägen, scheinen miteinander in einem Konflikt zu ste-
hen. Denn wie kann ein wahrhaft mitfühlendes, um das Leiden und das Wohlergehen
94 Chuanxilu II, Nr. 189, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 84f. anderer Menschen besorgtes Verhalten zugleich innerlich ruhig sein? Man kann sich
95 Siehe zum Beispiel Bischof-Köhler, Doris: Spiegelbild und Empathie. Die Anfange der sozialen Kognition, fragen, ob es sich bei dieser Verbindung von wahrem Mitgefühl und ruhiger Tätigkeit
Bern 1988. im «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» nicht um einen Synkretismus
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aus verschiedenen ethischen Traditionen handelt: um eine Verbindung zwischen der befindet (shui shu shi lli~~), ist dann auch das <ursprüngliche Wissen> nicht mehr
konfuzianischen sozial tätigen «Menschlichkeit» und einer aus der daoistischen und wissend (bu zhi le 1' ;:D 7 )?> [Yangming] antwortete: <Wenn es nicht mehr wissend wäre,
buddhistischen Tradition stammenden Aspiration nach der inneren Ruhe des Her- wie könnte es dann sofort antworten (ying HI), sobald es gerufen (geweckt) wird?»>
zens. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass Wang Yangming seine Lehre Diese erste Antwort des Gesprächs scheint für unsere Frage nicht eindeutig zu sein,
der Einheit von Ruhe und Tätigkeit einerseits gegen Buddhisten richtet, die in einer da nicht klar ist, ob «wissend» hier im Sinne eines aktuellen Bewusstseins (Erlebens,
meditativen «Versenkung» des Geistes in einen Zustand der Ruhe ohne psychische Erfahrens) oder im Sinne eines bloß latenten Zustandes, einer bloßen Fähigkeit oder
Tätigkeiten des Fühlens und Denkens den Weg zur geistigen Befreiung sehen und Disposition zu verstehen ist. Im ersten Fall könnte man von «psychischer Tätigkeit
sich von der Tätigkeit in der Gesellschaft zurückziehen, und andererseits auch gegen (Tätigkeit des <Herzens>)» sprechen, im zweiten Fall nicht. Das Gespräch geht folgen-
Konfuzianer, sei es gegen solche, die bloß die soziale Aktivität betonen und die innere dermaßen weiter: «[Ich] fragte: <Wenn das <Ursprüngliche Wissen> beständig wissend
Ruhe des Herzens (Geistes) vernachlässigen, sei es gegen Zhu Xi und seine Anhänger, ist (chang zhi ~!m), wie kann es dann Zeiten des tiefen Schlafes geben?> [Yangming]
die die ethische Praxis aufteilen in eine «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» in der antwortete: <Es ist die beständige Ordnung des schöpferischen Wandels (die bestän-
<<Ruhe» vor dem Entstehen der Gefühle und des Denkens (wei fa *~) und in eine dige Ordnung der Natur: zao hua chang li ~1tW.:~), dass [die verschiedenen Wesen]
solche der forschenden und handelnden Tätigkeit nach dem Entstehen der Gefühle beim Dunkelwerden zur Ruhe finden. Wenn die Nacht kommt, werden Himmel
und des Denkens (yi Ja B~). 96 und Erde verschwommen (hun dun 5m)IB), Formen und Farben lösen sich auf; auch
Bevor wir der Frage eines Konfliktes zwischen «Menschlichkeit» und Ruhe in die Ohren und Augen der Menschen hören und sehen nichts mehr, alle Öffnungen
der Tätigkeit nachgehen können, müssen wir darstellen, was diese Einheit von Ruhe des Wahrnehmens (qiao lt) schließen sich. Das ist die Zeit, in der das <ursprüngliche
und Tätigkeit für Wang Yangming bedeutet. Das «eigentliche Wesen des ursprüngli- Wissen> sich zusammenzieht (shou lian lßi~) und sich zur Einheit verdichtet (ning yi
chen Wissens oder des Herzens» ist nach Wang Yangming immer tätig und zugleich )Jjf-). Sobald sich Himmel und Erde wieder auftun (kai lffl) und die zahlreichen Wesen
immer ruhig. Diese Einheit hat für Wang Yangming primär einen normativen Sinn; (Dinge) wieder hervortreten (lu sheng D-1:.), hören und sehen die Ohren und Augen des
als «eigentliches Wesen (ben ti J!l;U) des ursprünglichen Wissens» ist sie aber nicht Menschen wieder etwas. Das ist die Zeit, in der sich die wunderbaren Funktionen des
bloß eine gedachte Norm, sondern eine beständige vollkommene Wirklichkeit. Im <ursprünglichen Wissens> auswirken (liang zhi miao yongfa sheng shi ~~ß~) ffl~1:.~).
faktischen «Herzen (Geist)» oder empirischen Bewusstsein des gewöhnlichen, unvoll- Daran kann man erkennen, dass das Herz (der Geist) des Menschen mit Himmel und
kommenen Menschen besteht diese Einheit nicht. Das menschliche «Herz» ist oft Erde eine einzige Wirklichkeit ist (yi ti -U) und daher zusammen mit dem Himmel
ohne innere Ruhe tätig. Diesem faktischen Zustand will Wang Yangming abhelfen. oben und der Erde unten gemeinsam fließt (tong liu '5.15l). Die Menschen von heute
Weniger leicht zu beantworten ist aber die Frage, ob das «Herz» ruhig sein kann, verstehen nicht zu ruhen; wenn sie in der Nacht nicht verworren dösen, haben sie irre
ohne dabei auch tätig zu sein. Wir haben oben in der Diskussion des Ausdrucks des Gedanken und Alpträume.> [Ich] fragte: <Welche ethische Übung (Anstrengung: gong
«allein Wissens» und der ethischen Praxis der «Achtsamkeit und der Furchtsamkeit fu ~~) kann man zur Zeit des Schlafes ausüben?> [Yangming] antwortete: <Wenn man
gegenüber dem, was man nicht sieht und nicht hört», gesehen, dass Wang Yangming um den Tag weiß, dann weiß man auch um die Nacht [das heißt, wenn man es am Tag
gegenüber Zhu Xi und anderen der Meinung ist, dass wir Menschen im Wachbe- richtig macht, dann ist es auch in der Nacht richtig]: Wenn am Tag das <ursprüngliche
wusstsein immer auch Tätigkeiten des Fühlens und Denkens ausüben und es daher Wissen> befolgt und, ohne es zu behindern, [den äußeren Situationen] entsprochen
keine ethische Praxis der Ruhe «vor dem Entstehen der Gefühle» geben kann. Das wird (shun ying wu zhi ]IW!Hl1!!UI), dann ist in der Nacht das <ursprüngliche Wissen>
ist wohl für Wang Yangming das Entscheidende, denn es geht ihm um die ethische zusammengezogen und zur Einheit verdichtet. Wenn dann Träume auftreten, sind
Praxis oder Übung (gongfa J:}J~). Trotzdem diskutierte er mit seinen Schülern auch sie Anzeichen des Künftigen (xian zhao $t~~).»97 Nach diesen Aussagen scheint das
die Frage, wie es mit dem Schlaf stehe: ob nicht im Schlaf das «Herz (Bewusstsein)» «ursprüngliche Wissen», wenn es im Tiefschlaf«sich zusammenzieht und zur Einheit
oder das erfahrene <<ursprüngliche Wissen» bloß ruhig, das heißt ohne intentionale verdichtet» (shou lian ning yi J.&~)Jif-), keine «Funktionen», und das heißt, keine Tä-
Tätigkeiten des Fühlens und Denkens sei. tigkeiten mehr auszuüben und sich also in einer Ruhe ohne Tätigkeiten zu befinden.
Im dritten Teil des Chuanxi lu ist ein Gespräch aufgezeichnet, in welchem Wang Aber es gibt die Aufzeichnung eines Gespräches, das Wang Yangming wohl
Yangming dem «ursprünglichen Wissen» Phasen bloßer Ruhe ohne Tätigkeiten ungefähr zur selben Zeit, aber mit einem anderen Schüler geführt hat und das eher
(«Funktionen») zuzusprechen scheint. Wahrscheinlich wurde dieses Gespräch von in die Gegenrichtung weist. Der Gesprächspartner ist der in unserer Studie schon
Qian Dehong aufgezeichnet: «[Ich] fragte: <Wenn ein Mensch sich im tiefen Schlaf mehrmals erwähnte Huang Zhi :1: ][ (Yifang ~~) aus der Präfektur Fuzhou ll~M in
der Provinz Jiangxi, von dem eine ganze Reihe von Aufzeichnungen stammen, die in

96 Siehe oben in de·r allgemeinen Einleitung den§ 4, S. 33f., und in diesem Teil I, Kap. 2, § 1, S. 137f.,
sowie§ 3, S. 162f. 97 Chuanxi lu III, Nr. 267, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 105f.
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den dritten Teil des Chuanxi lu aufgenommen wurden. 98 Wang Yangming sagt hier: er <frei zu sein von der großen Reue>. 101 Das ist es, was <fest (ding .'.(E) in der Tätigkeit
«Das Herz (der Geist) des Menschen ist von sich aus nie untätig (zi buxi gJ 1'•).Auch und fest in der Ruhe> 102 genannt wird.» Nach diesen Zitaten fährt er fort: «Das Herz
im Schlaf und Traum (shui meng llll!~) ist dieses Herz fließend (kontinuierlich) tätig (der Geist) ist eines. Ruhe ist seine Substanz (Grundwirklichkeit: \lt); wenn man
(liu dong 51itlb). Es ist wie der Wandel von Himmel und Erde, der keinen untätigen über diese hinaus noch eine Quelle der Ruhe sucht, dann stört man seine Substanz
Stillstand kennt. Doch in ihrem Hervorbringen der zehntausend Dinge bekommt (Grundwirklichkeit). Tätigkeiten sind seine Funktionen (yong ffl); wenn man seine
jedes seinen richtigen Ort, so dass es [jenes Hervorbringen] auch ruhig ist. Obschon sich verändernden Tätigkeiten (yi dong ~lb) fürchtet, zerstört man seine Funktionen.
das Herz des Menschen unaufhörlich fließend (kontinuierlich) tätig ist, ist es doch Deshalb ist [ein solches] Suchen der Ruhe auch eine Tätigkeit, und das Verabscheuen
auch ruhig, sobald es dem Ordnungsprinzip des Himmels folgt.» Huang Zhi fügt dann der Tätigkeiten ist keine Ruhe.» 103
noch einige eigene Überlegungen an und bemerkt: «Auch im Dösen und Schlafen hat Das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» oder des «Herzens
es [das Herz] Bewusstsein (ke shui ye you zhi jue llillifflflfßlJi), deshalb kann es träumen (Geistes)» umfasst zugleich die Ruhe seiner «Substanz» und die Tätigkeiten als
und deshalb wird es wach, sobald man es ruft (weckt). Trockenes Holz und tote Asche seine «Funktionen». Deshalb muss der «Lernende», der in seinem Leben dieses
haben kein Bewusstsein (wu zhi jue 1/tt~Ji), deshalb erwachen sie nicht.» 99 Das chine- «eigentliche Wesen» zur freien Auswirkung bringen soll, beides in Einheit «verwirk-
sische Wort «zhi jue !J;□ Ji», das wir im obigen Zitat mit «Bewusstsein» übersetzten, lichen». Das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» steht auch in einem
könnte auch mit «wahrnehmen», «gewahren» wiedergegeben werden, meint also ein normativen Kontext: Man soll nicht versuchen, durch eine Methode der meditativen
aktuelles Bewusstsein und nicht bloß die Fähigkeit, bewusst zu werden. Die Frage, «Versenkung» seine geistigen Tätigkeiten (Fühlen und Denken) abzubrechen, denn
ob wir im tiefen Schlaf noch «wahrnehmen», «Bewusstsein haben», ist wohl durch das widerspricht dem «eigentlichen Wesen» unseres Herzens (Geistes), ist deshalb
Erfahrung nicht zu entscheiden, weder innerlich durch Erinnerung noch äußerlich unmöglich und kann nur zu Verwirrung und geistigem Tod führen. Wir wir sahen,
durch neurologische Experimente. Wang Yangming scheint zu denken, dass auch der lehnte Wang Yangming zwar das «Sitzen in der Stille» nicht ab. Aber wie wir schon
tief Schlafende Bewusstsein haben muss, da er sonst den Ruf nicht hören könnte, in einer Aussage von 1514 entnehmen konnten, 104 kann dieses «Stillwerden» nicht
durch den er wach wird. Aber er argumentiert hauptsächlich mit der Analogie der darin bestehen, alle Gefühle und Gedanken abzubrechen, sondern darin, auf diese zu
beständig wirkenden Natur («Himmel und Erde»). Doch war für ihn diese empiri- achten und sie zu prüfen, um dann die ethisch guten Handlungen auszuführen und
sche Frage kaum wichtig. Für ihn zählte das «eigentliche Wesen des ursprünglichen die ethisch schlechten wegzulassen.
Wissens oder des Herzens», das heißt, es zählte für ihn, wie es in unserem Leben sein Dies wird auch in der Aufzeichnung eines Gespräches deutlich, das Wang Yang-
soll: In unserem Leben sollen Ruhe und Tätigkeit letztlich eine Einheit bilden, und ming mit seinem hervorragenden Schüler Chen Jiuchuan (1495-1562) führte und
sie dürfen im «Lernen» nicht getrennt werden. das wohl Ende 1519 in Nanchang (ProvinzJiangxi) stattfand: «Ich [ChenJiuchuan]
In einem Brief von 1521 schreibt Wang Yangming: «Das <Herz> [hier gleichbe- fragte: <In den letzten Jahren wurde ich des weiten und übermäßigen Lernens über-
deutend mit dem <Wesen des ursprünglichen Wissens>] ist nicht etwas, das [entweder] drüssig, wollte <in der Ruhe sitzen> (jing zuo 'li~ ) und suchte alle Gedanken und
in Ruhe [oder] in Tätigkeit ist (jing dong ffi!JJJ). Mit <Ruhe> meint man stine Substanz Überlegungen fernzuhalten und zur Ruhe zu bringen (bing xi nian lü m•~J1.I). Aber
(Grundwirklichkeit: ti II), mit <Tätigkeit> meint man seine Funktionen (yong ffl). ich war dessen nicht nur unfähig, sondern wurde dadurch noch verwirrter. Wie steht
Deshalb trennt der Edle sein ethisches Lernen (xue !J) nicht nach Ruhe und Tätigkeit. es damit?> Der Lehrer [Yangming] antwortete: <Wie könnte man die Gedanken auf-
Seine Ruhe ist ein beständiges Gewahren (changjue ~--) und so nie ein [Versinken hören lassen? Es kann nur darum gehen, sie richtig zu machen (zheng iE).> Ich fragte:
ins] Nichts (wu 1/tt); deshalb antwortet er beständig [auf die äußeren Anforderungen] <Soll es Zeiten ohne Gedanken (wu nian 1!tt~)105 geben?> Der Lehrer antwortete: <In
(changying ~Bi). Seine Tätigkeit ist beständig fest (ding .'.(E) und so nie ein [bloß tätiges] Wahrheit gibt es keine Zeiten ohne Gedanken.> Ich fragte: <Wenn es so ist, wie kann
Vorhandensein (you fi); deshalb ist er beständig still (changji ~~). Da er beständig man dann von Ruhe (jing ffil) sprechen?> Der Lehrer antwortete: <Die Ruhe ist nie
antwortet und auch beständig still ist, spielen Ruhe und Tätigkeit dabei beide ihre ohne Tätigkeit, die [wahre] Tätigkeit ist nie ohne Ruhe. <Achtsamkeit [beim Un-
Rolle (dongjingjie you shi yan lbffilWfl~~).» Wie so oft untermauert Yangming dann
seine Gedanken durch Zitate aus autoritativen Texten: «Das nennt man <Sammeln
von Gerechtigkeit> (ji yi ffiä). 100 Da er [der Edle] <Gerechtigkeit sammelt>, vermag
10 1 Anspielung auf das Y!iing («Buch der Wandlungen»), Kommentar zu Hexagramm fo, deutsche Über-
setzung von Richard Wilhelm, S. 105.
98 Nr. 222-236 und eventuell auch Nr. 317-343. 102 Anspielung auf einen Text des älteren der Cheng-Brüder, Cheng Hao (Mingdao, 1032-1085): Brief
99 «Ausgelassene Stücke aus dem Chuan i lu», Quanji,juan 32, Shanghai 1992, S. 1173f. an Zhang Zai, Wenji, Anfang des zweiten juan, Beijing 1981, Bel. 2, S. 460.
100 Ausdruck aus Mengzi, 2. Buch, 1. · , Kap. 2. Mit diesem Ausdruck charakterisiert Wang Yangming 103 An Lun Yanshi -fit ~J:t, datiert auf das Jahr xin si (1521), Quanji,j1tan 5, Shanghai 1992, S. 182.
auch das «Verwirklichen des urs "nglichen Wissens». Chuanxi lu, II, Nr. 170, Quanji,juan 2, Shanghai 104 Siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden § 1, S. 84f.
1992, s. 73. 105 «Wil nian 1ffi~» ist ein zenbuddhistischer Ausdruck für die Meditation.
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sichtbaren] und Furchtsamkeit [beim Unhörbaren]> 106 sind auch Gedanken, wie sen>) 112 ist nicht [bloß] tätig, sondern, indem es immer leuchtet, ist es [in eins] im-
kann es da eine Trennung zwischen Tätigkeit und Ruhe geben!> Ich fragte: <Warum mer tätig und immer in Ruhe. Dadurch dauern Himmel und Erde immer, ohne
kann dann Meister Zhou [Dunyi, 1017-1073] sagen: <Macht [die Handlungen] mit aufzuhören.» 113
Maß, Richtigkeit, Menschlichkeit und Gerechtigkeit fest (ding '.iE), und die Ruhe zum Das chinesische Wort «dang III», das wir in den oben zitierten Texten mit «Tä-
Herrschenden (zhu jing :±fflJ).>107 ?> Der Lehrer antwortete: <Es besteht deshalb Ruhe, tigkeit» wiedergegeben haben, bedeutet auch Bewegung (im Gegensatz zur Ruhe)
weil keine [egoistischen] Wünsche (yu ~) vorhanden sind. Die Festigkeit (ding ;E'.), und kann in gewissen Zusammenhängen ebenfalls mit dem Passiv «bewegt werden»
von der [in der Aussage von Zhou Dunyi] die Rede ist, ist die Festigkeit in der Aus- übersetzt werden. An den Stellen, in denen Wang Yangming vom «dang lb» des von
sage [von Cheng Hao, 1032-1085]: <sowohl fest in der Tätigkeit als auch fest in der egoistischen Wünschen getriebenen Geistes spricht, ist dieses Wort oft besser mit
Ruhe>. Das <Herrschende (das Subjekt: zhu ±)> [in der Aussage von Zhou Dunyi] «bewegt werden» als (wie in unserem Fall) mit «bloß tätig sein» zu übersetzen. Denn
ist die <Substanz> (ben ti *lll) [des Herzens bzw. des <ursprünglichen Wissens>]. Die in dem von Wünschen getriebenen Handeln ist das Herz (der Geist) nicht aus seiner
Gedanken der <Achtsamkeit und der Furchtsamkeit> sind sprudelnd lebendig (hua pa «Substanz» (Grundwirklichkeit) heraus selbst tätig, sondern wird von den gewünsch-
pa di >!5D5fll'.1~), sie sind das Nichtaufhören des <Antriebes des Himmels> (tian ji bu xi ten Dingen bewegt. Man kann in Sinne Wang Yangmings auch sagen: Das Herz ist in
chu 5'i:ll1',~=)>108; das ist die Bedeutung des Satzes: <Das Geschick des Himmels (tian solchem Bewegtwerden nicht autonom, denn es folgt nicht seinem eigenen «Gesetz»
ming 5'i:'®) ist erhaben und unaufhörlich.> 109 Wenn er [der <Antrieb des Himmels>] (Ordnungsprinzip: li JI), das zu seinem eigentlichen Wesen gehört. Die Übersetzung
aufhören würde, dann wäre dies der Tod; wenn es nicht die Gedanken der Substanz durch «bewegt werden» liegt vor allem in den folgenden beiden Texten nahe, die sich
wären lfei ben ti zhi nian ;:Jj::;ijs;!ll.z~), 110 dann wären es egoistische Gedanken (si nian in ihrem Sinn und auch in den Formulierungen fast decken, deren Kombination aber
lA~).>»111 ihr Verständnis fördert.
Wang Yangming lehrte die Einheit von Tätigkeit und Ruhe primär als eine Im soeben zitierten Brief an Lu Cheng von 1524 schreibt Wang Yangming:
praktische Norm. Die Tätigkeit, die zugleich Ruhe ist, charakterisiert er im Anschluss «Mit <etwas zu tun haben> und <nichts zu· tun haben> (yau shi wu shi 1i•fflr•) kann
an Cheng Hao (Mingdao, 1032-1085) als «Festigkeit» (ding ;E'.). Dieser Ausdruck hat man Tätigkeit (Bewegung) und Ruhe (dangjing lbffll) charakterisieren, doch das <Ur-
seine autoritative Quelle in einem Satz des Grundkapitels des Daxue: «Wenn man fest sprüngliche Wissen> ist nicht nach <etwas zu tun haben> und <nichts zu tun haben>
(ding '.iE) ist, ist man ruhig.» Ruhe ohne Tätigkeit ist etwas Totes; bloße Tätigkeit ohne zu unterscheiden. [... ] Ruhe und Tätigkeit (Bewegung) betreffen die angetroffenen
Ruhe ist ein Herumgetriebenwerden durch (egoistische) Wünsche. In diesem Her- zeitlichen Umstände [Zeiten, zu denen man etwas zu tun hat, und Zeiten, zu denen
umgetriebenwerden kommt das «eigentliche Wesen» des Herzens («ursprünglichen man nichts zu tun hat (sua yu zhi shi mimz~), doch das <eigentliche Wesen des Her-
Wissens»), dessen «Substanz» Ruhe ist, nicht mehr zur Geltung; diese «Substanz» zens> (xin zhi ben ti ,t,,z*lll) ist gewiss nicht nach Tätigkeit (Bewegung) und Ruhe
ist nicht mehr «das Herrschende». In solchen von Wünschen getriebenen «bloßen» unterschieden. Das <Ordnungsprinzip> ist etwas, was keine Bewegung hat (wu dang zhe
Tätigkeiten ist der Mensch dem <<eigentlichen Wesen» seines eigepen Herzens ye ffltlb;ffts); ein Bewegtwerden sind Wünsche (Begierden) (dangji wei yu lbilD~W:).
(Geistes) entfremdet. Die Norm der Einheit von Tätigkeit und Ruhe hat in diesem Wenn man dem <Ordnungsprinzip> folgt (xun li ffi!iJI), dann wird man in allen Um-
immer vollkommenen «eigentlichen Wesen» des Geistes ihre reale Grundlage: Dieses trieben des gesellschaftlichen Lebens nie bewegt (wei chang dang *'llll). Wenn man
«eigentliche Wesen» ist in eins tätig und ruhig: «Das irrende Herz (Geist) (wang xin den Wünschen (Begierden) willfahrt (zangyu ~~), so ist man auch dann nicht ruhig,
~,t,,) ist [bloß] tätig; das leuchtende Herz (zhaa xin .Jt«,t,, = das <ursprüngliche Wis- wenn man <trockenen Herzens in einem einzigen Gedanken verharrt> (gaa xin yi nian
:j;l,t,,-~) 114.»115 Und in dem bereits oben zitierten Brief von 1521: «Dem <Ürdnung-
prinzip> folgen (xun li ffi!iJI) bedeutet Ruhe; den Wünschen (Begierden) willfahren
bedeutet Bewegtwerden (dang III). Für Wünsche braucht es keine äußeren Verfüh-
106 Zitat aus dem ersten Kapitel des Zhongyong. Yangming meint die «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» rungen durch Ansehen, Sexualität, Besitz und Profit; wenn im Herzen Egoismus
gegenüber den nicht sichtbaren und nicht hörbaren Intentionen (yi nian ll:~) des eigenen Herzens: vorhanden ist, sind es schon Wünsche (Begierden) (yau xin zhi si, jie yu ye 1i ,t,, ;z)f}..
vgl. oben, Kap. 2, § 1, S. 136ff., und Kap. 2, § 3, S. 160ff.
l 07 Zhou Lianxi ji,juan 1. \i!i'~tB). Wenn man dem <Ordnungsprinzip> folgt, ist man in allen Umtrieben des
108 «Tianji» ist ein besonders vom Daoisten Zhuangzi (4./3.Jh. v.Chr.) geprägter Ausdruck.
109 Karlgren, Bernhard: Shijing: 11n llook of Odes, Stockholm 1950, Nr. 267, S. 240.
110 Wir haben oben «ben ti ,jl:.ft» mit «Substanz», nicht wie meistens mit «eigentliches Wesen» übersetzt,
denn es ist hier die ruhende Substanz des eigentlichen Wesen des « erzens» bzw. des «ursprüngli- 112 Wang Yangming identifiziert in diesem Brief zwei Zeilen später den «immer leuchtenden Geist» mit
chen Wissens» gemeint, das in seiner Ganzheit nicht nur den Aspekt einer Substanz, sondern auch dem «ursprünglichen Wissen». Chuanxi lu II, Nr. 152, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 61.
denjenigen seiner Funktionen (Tätigkeiten) umfasst. Zu dieser Zwe eutigkeit von «ben ti ,jl:.fll» 113 An Lu Cheng, Chuanxi tu II, Nr. 151, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 61.
als «eigentliches Wesen» und als «Substanz des eigentlichen Wesens» 'ehe oben in diesem Kapitel 114 Buddhistischer Ausdruck für die meditative Versenkung. Der Adressat des Briefes neigt zum Buddhis-
den§ 1. mus.
111 Chuanxi lu III, Nr. 202, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 91. 115 Chuanxi tu II, Nr. 157, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 64.
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gesellschaftlichen Lebens immer ruhig. Was Lianxi [Zhou Dunyi, 1017-10731 <die Dingen umgehende Herz dem <Ordnungsprinzip des Himmels> folgt (xun tian li
Ruhe zum Herrschenden machen> (zhu jing .:E\W) nennt, meint die Abwcsen heit von ffl[;lc:fJl), dann ist es jenes um Mitternacht ganz leere und ruhige Herz. Deshalb
Wünschen (Begierden); es ist das <Sammeln von Gcrcchtigkeit>. 116 Wenn man den sind Tätigkeit und Ruhe nur Eines, man kann sie nicht trennen. Wenn man um
Wünschen (Begierden) willfahrt, so wird man bewegt, auch wenn man <im Herzen die Vereinigung von 'l 'iitigk:eit und Ruhe weiß (dongjing he yi !/Jjlijiif- ), dann kann
fastet> (xin 2:hai ,i',,iillf) und <im Vergessen sitzt> (zuo wang ~$) 117 .» 118 der unscheinbare Fehler der Buddhisten, der große Folgen nach sich zieht, nicht
Es gibt nach W.·mg Yangming unter ethischen Gesichtspunkten also zwei Arten verborgen bleibcn.» 120
von Tätigkeiten (dong !b): erstens Tätigkeiten, die zugleich Ruhe sind, weil in ihnen Dem Problem des Verhältnisses von Ruhe und 'fätigkcit, mit der auch psy-
das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» sich frei äußert, und die «fest» chische «T'iitigkeitcn>> des vVahrneluncns, Denkens, Fühlens und Wollens gemeint
sind, weil sie mit dem «Ordnungsprinzip» des «Herzens» übereinstimmen; zweitens sein können, sind wir schon mehrmals sowohl im Zusammenhang mit der Praxis
Tätigkeiten, die nicht Ruhe, sondern bloß T\itigkeit, nicht ruhig, sondern ein Bewegt- des «Sitzcns in der Ruhe» als auch mit der geistigen Übung der «Achtsamkeit
werden sind, weil sie von den gewünschten Dingen getrieben werden. Mit diesem und Furchtsamkeit gegenüber dem, w,1s man nicht sieht und nicht hört:», bzw.
doppelten Sinn von «dong !b» kann er schreiben, dass die Funktionen des Geistes, die nach Zirn Xis Vershindnis der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit im Nichtschen
eiern Ordnnngprinzip folgen, «dong !b» (l'ätigkeiten in Ruhe) sind und nie «dong !b» und Nichthören» (jie shen ht1 qi suo hu du, lwnp; ju hu qi suo Im wen ttlttll?F-!UJFf
(bloße T'iitigkeitcn ohne Ruhe, ein Bewegtwcrden) sind. 119 Umgekehrt ist bloße Ruhe Im m11/-'F-~.PJr:=flll) und mit derjenigen der «Achtsamkeit im Alleinsein» (shen qi
ohne 'T'iitigkeit kein wahres ethisches Ziel, da sie nicht den1 <<eigentlichen Wesen» des du 11JlFill) gemäß dem für die Konfn,.ianer der Song- und Ming-Zeit: so wichti-
Geistes bzw. des «ursprünglichen Wissens» entspricht. gen ersten Kapitel des 'Lhrmg)'rmg gestoßen. Dabei sahen wir, dass diese Übungen
D,1s Verhiiltnis von Rnhe und Tätigkeit spielte im Denken der Konfoziancr der mit den geistigen Znstiindcn der «iVlitte vor dem Entstehen der Gefühle» (wei
Song- und Ming-Zeit eine große Rolle. Es ging dabei um die Auseinandersetwng fa zhi zhonp; *~l.29'1) bzw. der «Ifarmonic n,1ch ihrem Entstehen» (yi fa z;hi he
mit Buddhisten und auch Daoistcn, die sich aus der 'Tiitigkeit in der Gesellschaft B~.z;J;□) im selben Kapitel des Zhongyong und auch mit dem «stillen Untiitigsein»
zurückzogen und ein auf die Ruhe oder «Leere» des Geistes ausgerichtetes Leben (ji ran hu drmg #l~:=f!b) und dem <<Durchdringen [der IJingcl in der Folge der
führten. vVang ~mgming und auch andere Konfuzianer anerkannten durchaus den Erregung» ldurch diescJ (gtm er .l'Ui tong ~ri'iHi®) im ,.chnten K,1pitel des ersten
hohen Wert des ruhigen, in sich gesammelten Geistes, betrachteten aber die mühe- 'lcils des «Großen Anhangs» des Yijing verbunden wurdcn. 121 Wang Yangmings
volle 'J'ätigkeit in der Gesellschaft als unverzichtbar. Wang ½mgming überwand dieses Verhältnis ,,um «Sitzen in der Ruhe>> und seine Sicht der zeitlichen Einheit jener
Dilemma durch den Gedanken, dass zwar bloße Tätigkeit, die nicht aus der ruhigen Übungen bzw. jener geistigen Zustiindc hiingt direkt mit seiner Sicht der Einheit
«Substanz» (Grundwirklichkeit) des Geistes heraus geschieht, verderblich ist, dass von R11he und Tätigkeit im «eigentlichen \~csen des 11rspriinglichcn Wissens»
aber andererseits die wahre Ruhe nicht im Rückzug aus der Welt, sondern im «Sam- zusammen, zu der er in seinen spiiteren Jahren (nach 1518) gelangte. Wiihrend er
meln von Gerechtigkeit» zu finden ist. in seiner früheren Zeit in jener Hinsicht noch schwankend war, lehrte er in seinen
Seine kritische Haltung gegen die Ruhe der Buddhisten äußert Wang Yang- späteren Jahren aufgrund seiner Auffassung der Einheit von Ruhe und Tätigkeit
ming im folgenden Gespräch. Huang Zhi :iii 1[ (Beiname: Yifang P).1.i) fragte ihn: im «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» die zeitliche Einheit jener
«Wenn ein Konfuzianer um Mitternacht die Gedanken und Überlegungen in Übungen und geistigen Zustände. So sagte er zum Beispiel in seiner späten Zeit
seinem Herzen wegwischt, so dass es ganz leer und ruhig wird, dann ist es so wie hinsichtlich des Verhältnisses des Zustandes vor eiern Entstehen der Gefühle und
bei der Ruhe eines Buddhisten; beide machen keinen Gebrauch [von Überlegun- desjenigen nach dem Entstehen der Gefühle bzw. des «stillen Untätigseins» und
gen und Gedanken]. Was für ein Unterschied besteht dann zu dieser Zeit noch des «Durchdringens der Dinge in der Folge der Erregung» [durch sie]: «Das
zwischen den beiden?» Wang Yangming antwortete: «Tätigkeit und Ruhe sind eigentliche (wahre) Wesen des Menschen (ren zhi ben ti }_.z;:zjs:ffl) ist immer still
nur Eines (zhi shi yi ge .R*-fäl). Jenes ganz leere und ruhige Herz [des Konfuzia- ohne Tätigkeit (ji ran bu dong ;f,ilf&;r:Jh), und es ist immer erregt und durchdringt
ners] um Mitternacht bewahrt nur das ,Ordnungsprinzip des Himmels> (cun tian li in der Folge [die Dinge] (gan er sui tong ~im~Ji). 122 Das noch nicht Antworten
#~JJl) und ist dasselbe Herz, das jetzt den sozialen Aufgaben nachkommt und mit [auf die erregenden Dinge] (wei ying *.l!I) ist nicht vorher; das bereits Antworten
den Dingen umgeht. Wenn das jetzt seinen Aufgaben nachkommende und mit den (yi ying B.l!l) ist nicht nachher.» 123 Unter den Nachfolgern Wang Yangmings wird

116 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2. 120 Chuanxi lu III, Nr. 231, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 98.
117 Ausdrücke im daoistischen Buch Zhuangzi (4. und 6. Buch) für die meditative Versenkung. Der Adres- 121 Siehe oben in Kap. 2 den§ 1, S. 136ff., und den§ 3, S. 160ff.
sat des Briefes neigt wohl zum Daoismus. 122 Anspielung auf das 10. Kap. des ersten Teils des «Großen Anhanges» des «Buches der Wandlungen»
118 An Lun Yanshi ~ ~:it, datiert auf das Jahr xin si (1521), Quanji,juan 5, Shanghai 1992, S. 182. (Übersetzung von Richard Wilhelm, S. 29 lf.).
119 An Lu Cheng, Chuanxi lu II, Nr. 156, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 63. 123 Chuanxi lu III, Nr. 329, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 122.
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sich in dieser Terminologie des Zhongyong und des Yijing eine große Diskussion über gefunden haben dürfte: «Eines Tages machte der Meister [Yangming] einen Ausflug
das Verhältnis von Ruhe und Tätigkeit entfachen. 124 nach dem Spalt des Yu (Yu xue ~~). 127 Er blickte auf den Reis auf den Terrassenfel-
Die Idee des Zusammenfallens von Tätigkeit und Ruhe ist keine Erfindung dern und sagte: <In wie wenig Zeit konnte er wiederum so sehr wachsen!> Fan Zhaoqi
Wang Yangmings. Einer der ersten großen Konfuzianer der Song-Zeit, Zhou Dunyi fii ~~ml,12 8 der bei ihm war, sagte: <Das ist nur deshalb so, weil er Wurzeln hat. Wenn
(1017-1074), hatte mit einigen lapidaren und enigmatischen Sätzen den Gedanken wir in unserem Lernen selbst Wurzeln schlagen, dann müssen wir uns nicht sorgen,
einer solchen Einheit aufgestellt. Er äußerte im sechzehnten Kapitel seines kleinen dass wir nicht wachsen könnten.> Der Meister antwortete: <Wie könnte der Mensch
Werkes (Yi) Tang shu (~) J!e («Schrift, die [die Wandlung] durchdringt») die Idee, keine Wurzel haben! Das <ursprüngliche Wissen> ist die durch den Himmel (tian
dass zwar die gewöhnlichen Dinge entweder sich bewegen oder in Ruhe befinden, dass :Je) gepflanzte geisteskräftige Wurzel (ling gen !!~), die aus sich selbst ohne Unter-
aber im vollkommenen (göttlichen) Geist dieser Gegensatz sich in einer coincidentia lass schöpferisch erzeugt (zi sheng sheng bu xi ~~~1',~). 129 Doch durch die Bande
oppositorum auflöst: «Bewegung (Tätigkeit) ohne Ruhe oder Ruhe ohne Bewegung, des Egoismus (si lei ll.11.) wird diese Wurzel beraubt und gehindert (qiang zei bi sai
so ist es bei den bloßen Dingen (wu !!@). Bewegung, ohne Bewegung zu sein; Ruhe, mill!lGilil~), so dass sie sich nicht auswirken kann (bu de fo sheng 1°'1IH~~).»130
ohne Ruhe zu sein, so ist es beim vollkommenen Geist (shen "'). Bewegung, ohne Was ist Egoismus? Als eine Verdeckung des «eigentlichen Wesens des ursprüng-
Bewegung zu sein, und Ruhe, ohne Ruhe zu sein, meint nicht etwa keine Bewegung lichen Wissens» hat er nach Wang Yangming auch einen kognitiven Aspekt, er ist
und keine Ruhe. Ein gewöhnliches Ding kann nicht [alles andere] durchdringen (tong eine geistige Verblendung hinsichtlich der eigenen Wirklichkeit, die mit allen Wesen
3!); der vollkommene Geist ist wunderbar alle Dinge (shen miao wan wu "'~.:P~!lm).» eine Einheit bildet; er ist eine Beschränkung der Sichtweise auf die eigene leibliche
Die Einheit von Ruhe und Tätigkeit ist auch in der Geschichte der europäischen Existenz. 131 Aber er hat vor allem viele emotionale und konative Aspekte, Aspekte des
Kultur erstrebt worden. Meister Eck:hart sagt in einer seiner deutschen Predigten: Strebens und Wollens. Emotional ist er eine Art Gefühllosigkeit, in der einen die
«Dass ein Mensch ein ruhiges Leben habe, das ist gut; aber dass ein Mensch ein Nöte der anderen kaum oder nicht berühren, eine emotionale Unempfindlichkeit
mühevolles Leben mit Geduld ertrage, das ist besser; dass man aber Ruhe habe im gegenüber dem, was den anderen geschieht, eine emotionale Beschränktheit, in der
mühevollen Leben, das ist das Beste.»125 Wang Yangming hätte wohl zugestimmt. einem nur das eigene Geschick erfreut oder bekümmert. Wang Yangming hebt am
Egoismus vor allem den konativen Aspekt, die «egoistischen Wünsche», hervor, denn
§ 7 Die Verdeckung des «eigentlichen Wesens des ursprünglichen die ethische Praxis der «Berichtigung der Handlungen» muss nach ihm in erster Linie
Wissens» durch Egoismus und durch «Haften an etwas» hier einsetzen.
Er kann den Egoismus auch als Selbstüberheblichkeit oder Stolz sehen: «Die
Was das das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wesens» «verdeckt», <<Verdun- große Krankheit (das große Übel) des menschlichen Lebens kann mit dem einen Wort
kelt» oder «behindert», ist nach Wang Yangming primär einmal d,er Egoismus, <Überheblichkeit> (Stolz: ao ffl:) bezeichnet werden. Wenn man als Sohn überheblich
genauer sind es die «egoistischen Wünsche» (si yu ll.W:). Dies ist unmittelbar ein- ist, dann ist man gegenüber den Eltern nicht pietätvoll; wenn man als Beamter über-
leuchtend hinsichtlich des Wesenszuges der «Menschlichkeit» oder des Mitgefühls. heblich ist, dann ist man gegenüber dem Fürsten nicht loyal; wenn man als Vater über-
Aber, wie wir im vorangegangenen Paragraphen gesehen haben, verliert der Mensch heblich ist, dann ist man [gegenüber seinen Kindern] nicht gütig (ci ~); wenn man als
im Getriebenwerden durch seine egoistischen Wünsche auch die innere Ruhe in Freund überheblich ist, dann ist man nicht treu.[ ... ] Sie, meine Herren, müssen sich
seiner Tätigkeit. Wang Yangming kann zum Beispiel in seinen «Fragen zum Daxue» immer bewusst sein: Das menschliche Herz (Geist) ist eigentlich (in seinem eigent-
ganz allgemein sagen: «Derjenige, der das <Lernen der großen Menschen> praktiziert, lichen Wesen: ben .:$:) das natürliche Ordnungsprinzip, ganz fein und ganz hell, ohne
macht nichts anderes, als die Verdeckung durch die egoistischen Wünsche vertreiben die geringste Beschmutzung, es ist nichts anderes als Selbstlosigkeit (zhi shi yi wu wo
(wei qu qi si yu zhi bi 11H~;!'U.L.W:.z.ilil), um dadurch selbst seine [von Natur aus] <helle
Tugend hell zu machen> (ming qi ming de IIJUtHJlfll) und so sein eigentliches Sosein
(sein eigentliches Wesen: qi ben ran ~*~) der Einheit mit Himmel und Erde und
127 Im Gebiet des "Ytmgming dong, wohin sich Wang Yangming 1502 zurückgezogen, wo er eine Hütte
allen Wesen wiederzugewinnen (fu ~).» 126 Oder in einem Gespräch, das im dritten gebaut und sich daoistischen und buddhistischen Praktiken gewidmet hatte; siehe oben in der Einlei-
Teil des Chuanxi lu aufgezeichnet ist und in den Bergen südlich von Shaoxing statt- tung zu diesem Teil Iden§ 1, S. 58,Anm. 43.
128 Wohl ein Schüler Wang Yangmings, der aber an keiner anderen Stelle auftritt.
129 Der ältere der beiden Cheng-Brüder, Cheng Hao (Ming Dao, 1032-1085), von dem Wang Yangming
die Idee der Menschlichkeit als Einheit mit allen Wesen übernahm, hatte die Menschlichkeit auch
124 Siehe unten in Teil II die Kap. 3 und 4. durch folgenden Satz aus dem «Großen Anhang» (Teil I, Kap. 5) des «Buches der Wandlungen»
125 Predigt 68 nach der Zählung der Ausgabe im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Stutt- charakterisiert: «Das ohne Unterlass schöpferisch Erzeugende heißt <der Wandel> (sheng sheng wei yi
gart; Meister Eckhart: Werke II, hrsg. von Niklaus Largier, Ffml 993, S. 35. ':E':E.Witi).»
126 Daxiee wen, Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 968. Parallele Stelle im Chuanxi lu III, Nr. 318, Quanji, 130 Cbuanxi lu III, Nr. 244, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 101.
juan 3, Shanghai 1992, S.120. 13 l Siehe oben in diesem Kapitel den§ 5, S. 208.
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eryi .R.:.&'l:-~~ii'öB). Man darf in der Brust keines [kein SelbstJ haben (xiong zhong que Sexualität, Besitz und Nutzen nur der Lrnf (die freie Auswirkung: liu xing 5m.1r) des
bu ke you AA]i:p{)P:::r:i'iJ~), sonst entsteht Überheblichkeit. Viele Vortrefflichkeiten der himmlischen <Ürdnungsprinzips>.» 137 Es wäre wohl im Sinne von Wang Yangming
früheren heiligen Menschen bestanden nur in ihrer Selbstlosigkeit (wu wo~~). Wenn zu sagen, dass das Streben nach hoher Stellung in der Gesellschaft, nach Ansehen,
man selbstlos ist, dann ist man der Bescheidenheit (qian ~)fähig.Die Bescheidenheit Reichtum, sexuellem Genuss nur insofern schlecht ist, als es uns gegenüber den Nöten
ist die Grundlage von zahllosem Gutem; die Überheblichkeit ist der Rädelsführer und Gefühlen anderer vVcsen unempfindlich macht und so «die Verwirklichung des
von zahllosem Übel.» 132 Dies ist zu jungen Intellektuellen und künftigen oder bereits ursprünglichen Wissens» und damit ein <<heiliges Leben» wahrer «Menschlichkeit»
installierten Beamten gesprochen, die eine große'Iendcnz zur Überheblichkeit haben. verhindert. Für ihn war es klar, dass man nicht «ein heiliger Mensch werden» kann,
Was Wang Yangming in seiner späteren Zeit am rneisten als «Verdeckungen des wenn man vor allem nach Ansehen, so,,i,1lcr Stellung, Rcicht1un oder sexuellem Ge-
eigentlichen Wesens des Herzens (Geistes)» anprangert, ist das Streben nach hoher nuss strebt und solche Dinge für das \Vichtigste im Leben nimmt.
gesellschaftlicher Stellung, nach Ansehen (Ruf), nach Reichtum, nach Profit, gelegent- Wimg Yangrning spricht bei den «Vcrdcckungen» des «eigentlichen Wesens des
lich auch nach sexueller I ,ust:. Fr schreibt 1526 an seinen Schüler und Präfekten von ursprünglichen Wissens» nicht nur von «egoistischen Wünschen», sondern auch von
Shaoxing Nan Daiji ~:k'a' (1487-1541): «Das Wesen (ti \lt) unseres <ursprünglichen «Wünschen nach !äußeren! Dingen» (wu yu imW:.). Das Streben 1uch Name, Besitz,
Wissens> ist eigentlich von sich aus (ben zi ;zjs: §) <intelligent nnd weise>, eigentlich hoher Position, Gewinn, sexuellem Genuss wird durch diese Kcnnzeichmmgviellcicht
von sich aus (hen zi ;ljs:§) <weitherzig und milde>[ ... ], eigentlich von sich ,rns (ben zi besser charakterisiert. Diese« Wünsche nach [:iußcrcn! Dingen» können zum Antrieb
~§)<eine große und tiefe Quelle, die in der Zeit hcrvorquillt>. 133 Es gibt da eigentlich des Handelns werden und dadurch die innere Ruhe, die zun1 «eigentlichen Wesen des
(hen ;t) kein Verlangen (mu ~) nach Reichtum und vornehmer Stellung, eigentlich nrspriinglichen \Visscns,, gehört, zerstören. vVang Ymgming schreibt zun1 Beispiel
keinen Kummer (you ~) wegen ArnH1t und niedriger Stellung, kein sich Freuen an I 524 an T,n Ch eng: «Das <urspriingliche Wissen> ist das Dan. Das <ursprüngliche Wis-
Gewinn und sich Grfünen über Verlust, kein Lichen von Nchmenkönncn und Liasscn sen> ist nicht nur im HeP.cn (Ceist) der Heiligen und Weisen, sondern so ist es auch
von Lasscnmüsscn. 1- .. l13 4 Alles Verlangen nach Reichtum und vornehmer Stellung, beim gewöhnlichen Nlcnschen. VVcnn keine VVi"rnschc nach [iiußcrcnl Dingen [das
aller Kununcr wegen Armut und niedriger Stellung, sich Freuen an Gewinn und sich llcrz] ziehen (qirm *) und [sein <ursprüngliches Wissen>! verdecken (hi lllli), sondern es
Griünen über Verlust, Lieben von Ncluucnkiinncn und Hassen von Lasscnmüsscn nur der Auswirkung und dem Lrnf des <ursprünglichen Wissens> folgt (xun liang z.hi fa
reicht ans, um unser <intel ligcntcs und weises> Wesen zu <verdcckc11> (hi wu cong rning yong liu xing ffiil ~!f□ fül:fflJÄUr), <hn11 ist alles Dao. Aber bei den gewöhnlichen Menschen
rui z.hi z.hi ti J!lli~]j,l@,BJ:l:ilf'.J;□ ;:z\ll) und die Funktionen des ,zeitlichen lkrvorqucllens wird !das l lerzj rneistcns von \Vünschen n:ich [iiußcrcnl Dingen gezogen und [sein
unserer tiefen Quelle> zu verstopfen (z.hi ~).» 135 Wang Yangming nahm in seinem <ursprüngliches \Visscn,! verdeckt, so dass es dem ,nrspriinglichcn Wissen> nicht zn
Milieu von lntcllcktucllcn vor allem die «Verdcckung» und «Verstopfung» des folgen vermag.» 1 rn Oder er sagt in einer ebenfalls schon früher ,.iticrtcn Aufzeichnung
«ursprünglichen Wissens» durch das Streben nach «Namen» (Ruf, Ansehen) wahr: im dritten 'feil des Chwmxi !u: <<Nur das <ursprüngliche Wissen>, das sich im <Atem
«Die große Krankheit im ethischen Lernen ist das Streben nach einem <Namen> (Lebensgeist) der Nacht> (ye qi i<i~) äußert, ist sein <eigentliches Wesen> (ben ti :zis: lll),
(ming ,g). [... ] Name und Wirklichkeit (shi :ll) sind Gegensätze. Je mehr man sich weil es da keine Vermischung mit Wünschen nach [äußeren] Dingen gibt.» 139
mit der Wirklichkeit befasst, umso weniger befasst man sich mit seinem Namen; Sind es nach Wang Yangming zwei Arten von Wünschen, die das <eigentli-
wenn man sich ganz der Wirklichkeit hingibt, ist einem der eigene Name egal.» 136 che Wesen des ursprünglichen Wissens> verdecken: <egoistische Wünsche> und
Aber hohe Stellung, Reichtum, Sexualität, Nutzen und Ansehen sind nach ihm nicht <Dingwünsche>? 140 Dies würde dem zweifachen «eigentlichen Wesen des ursprüng-
an sich schlecht, sondern schlecht ist nur eine gewisse geistige Einstellung zu ihnen. lichen Wissens», seiner Menschlichkeit und seiner Ruhe in der Tätigkeit, korres-
Wir haben oben bereits die Aussage zitiert: «Die ethische Anstrengung im Sinne des pondieren. Dies würde auch einer im Buddhismus (u.a. in der chinesischen Weishi-
<ursprünglichen Wissens> geschieht innerhalb von Ruf, Sexualität, Besitz und Nutzen. oder Faxiang-Schule) verbreiteten Unterscheidung zwischen dem «Haften am Ich»
Wenn man fähig ist, das <ursprüngliche Wissen> bis zur Feinheit und Helligkeit zu
<verwirklichen>, ohne die geringste Verdeckung (bi lllli), dann ist der Umgang mit Ruf,
137 Chuamci tu III, Nr. 327, Qwmji,juan 3, Shanghai 1992, S. 122.
138 Cbuanxi lu 11, Nr. 165, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 166.
13 9 Cbuanxi lu III, Nr. 268, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 106; vgl. oben, S. 192.
132 Chuanxi luIII, Nr. 340, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 125. 140 Außer von «egoistischen Wünschen» (si yu ;fl.W:) und «Dingwünschen» (wu yu !J@W:) spricht Wang
133 Alles Attribute,__ die im einundreißigsten Kapitel (nach Zhu Xis Zählung) des Zhong;yong («Buch der Yangming bei den das «ursprüngliche Wissen verdeckenden» Wünschen auch noch von « Wünschen
Mitte und des Ublichen») den «höchsten Heiligen der Welt» charakterisieren. des Menschen» (renyu J....W:) (z.B. Chuanxi tull,Nr.161, Shanghai 1992, S. 66; Chuanxi tu III, Nr. 284,
134 Im 'Iext steht: «kein Nehmen und Lassen von Lieben und Hassen». Wir amendieren gemäß dem Shanghai 1992, S. 110). Aber dieser Ausdruck charakterisiert die «verdeckenden» Wünsche nicht in-
nächsten Satz. tern, sondern drückt nur ihren Gegensatz zum «Ordnungsprinzip des Himmels» (tian ti ;/<::@.)aus.Der
135 Brief an Nan Yuanshan, datiert auf das Jahr bing xu (1526), Quanji,juan 6, Shanghai 1992, S. 211. Gegensatz zwischen den «Wünschen des Menschen» und dem «Ordnung·sprinzip des Himmels» ist
136 Chuanxi tu I, Nr. 106 (Aufzeichnung von Xue Kan, ca. 1518). eine traditionelle, aus dem Liji stammende und vor allem von Zhu Xi verbreitete Redeweise.
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(wo zhi :J:.UJi) und dem «Haften an den Dingen» (f{/, zhi ~$Jt) entsprechen: Das eine Sand haften darf. Schon ein bisschen davon vermag einiges anzurichten, und wenn
«Haften» verabsolutiert das eigene bedingte und vergängliche Selbst (Subjekt), das das Auge davon ganz bedeckt ist, sind Himmel und Erde (die Welt) verworren und
andere verabsolutiert die bedingten und vergänglichen Dinge (Objekte), was beides dunkel.> Er sagte auch: <Das ist nicht nur bei einem egoistischen Gedanken (si ni{/,n
die «Erleuchtung» verhindert. Doch Wang Yangming will nicht grundsätzlich zwi- fl-.~) so; auch gute Gedanken dürfen nicht ein bisschen haften bleiben (h{!,o di ni//,n tou
schen «egoistischen Wiinschen» und «Dingwünschcn» unterscheiden, sondern sieht yi zhuo bu de xie z;i P:rrtJ~füliJJ'~1'1~:\\"l2-1-). Wenn man Gold- oder Jadesfaubchcn aufs
in ihnen zwei Aspekte derselben Sache. Sein Schüler Lu Cheng fragte ihn nach dem Auge streut, vermag es sich auch nicht mehr zu öffnen.>>> 144 Also auch gute Absichten,
Unterschied zwischen den «egoistischen Wünschen» und den «Leidenschaften, die gütige («rnenschlichc;>) Intentionen können cfas «eigentliche Wesen des ursprüngli-
durch gegenständliche Reize geweckt werden>> (ke qi $~). Diese Leidenschaften darf chen Wissens» verdecken, wenn man sich auf sie fixiert oder an ihnen haftet. Wenn
man wohl mit den «Dingwünschen» identifiziercn. 141 Yangming antwortete ihm in man jemandem unbedingt und unter allen Umständen etwas Gutes tun will, kann diese
dem schon mehrfach zitierten Brief von 1524: «Egoistische Wünsche (siyu fl-.W:) und Fixierung das «ursprüngliche Wissen,, verdecken und behindern. Wang Yrngrning
durch gegenstiindliche Reize geweckte Leidenschaften (/.:e qi $~) sind zwei Schmer- denkt, dass ein solches sich ,mf etwas Versteifen die «spontane Auswirkung» oder
zen derselben Krankheit, es sind nicht zwei verschiedene Dinge (fci crwu ~F=4m).» 1' 12 den «freien Lauf» des immer vollkommenen «\Nesens des ursprünglichen Wissens»
Worin besteht das gemeinsame Übel der «egoistischen Wünsche» nnd der behindert. vVenn man in seinem T,eben das «ursprüngliche Wissen» frei wirken liisst,
«Dingwünschc»? Sind auch die «Dingwiinsche» im Grunde genommen egoistisch, braucht man sich nicht vorn eigenen Wissen um Gut und Schlecht leiten zu lassen.
so dass das gemeinsame Übel dieser Wünsche der Egoismus wäre? Dies könnte Erinnern wir uns an die bereits oben aus dem dritten Teil des Chuanxi lu zitierte Äuße-
darauf hindeuten, dass die «Menschlichkeit» ein fundamentalerer Wc~senszug des rung: «Wenn die sieben Gefühle ihrem natürlichen (freien) Lauf folgen (shun qi zi ran
«ursprünglichen Wissens» wiire als die Ruhe in der 'Litigkeit. Einiges scheint dafür zhi liu xing Jllltlt § ~ZJJiHr), dann sind sie Funktionen des <Ursprünglichen Wissens>,
zu sprechen, dass Wang Yangniing den Egoismus als das Crundübcl der «Wün- und man kann nicht zwischen Gut und Schlecht unterscheiden (hu kc fcn hie shttn c
sche» («Begierden») diagnostiziert. Er schreibt in einem Brief von 1521, aus dem 1""i:IT 7.1' 3~~ g)_ Es darf dabei nur kein Haften an etwas geben (Im l<c you suo zhuo 1'°i:iJ
wir schon oben in § 6 dieses Kapitels ausfrihrlicher zitiert haben: «Bei den Wün- ~jiJr~)- \Vcnn die sieben Gefühle ein llaftcn enthalten (you zhuo ~~), heißen sie alle
schen (Begierden: yu W.:) braucht es keine Verführungen durch Ansehen, Scxualitiit, Begierden (.yu W.:) und sind alle Verdeckungen (hi l!Bi) des <urspriinglichen Wissens>.» 1' 15
c;ütcr und Profit; sobald Egoismus im licrzcn (Geist) vorhanden ist (you xin zhi si Wang Yangming appelliert hier an eine geistige Haltung, die das moralische Bewusst-
~,t:,,~;rl-.), haben wir es mit Wünschen (Begierden) zu tun.» 111 sein des Unterschiedes ,,wischen Cut und Schlecht, also seinen ,,weiten Begriff des
Doch in seinen letzten Jahren charakterisiert W.111g Yimgming die das «eigentli- «ursprünglichen vVissens>>, übersteigt. Dies wird sp;iter in den Diskussionen zwischen
che Wesen des ursprünglichen Wissens» verdeckenden und behindernden Wünsche seinen beiden Schülern Qi:m Dchong und \Vang Ji eine große Rolle spiclen. 141' In
oder Begierden durch ein Sich-auf-etwas-Fixieren, durch ein llaftenblciben an etwas diesen Gedanken weil~ sich \ V:rng Y:mgrning den daoistischcn und zcnlrnddhistischen
(zhuo ~), durch ein Sich-an-etwas-Festhalten, ein Zurückhalten von etwas (liu Wi). Ideen der «Leere» (xu l1/i.) und des «Nichts» (wu 1m) nahe, die er in der Bedeutung
Hier von «Egoismus» zu sprechen wird schwierig, zumindest würde dieses Wort einer Freiheit von aller Fixierung und Begrenzung auf bestimmte Vorstellungsinhalte
dadurch einen neuen Sinn erhalten. Im dritten Teil des Chzwnxi lu steht folgende und Absichten versteht. Wiederum in einer Aufzeichnung im dritten Teil des Chuanxi
Aufzeichnung: «Der Lehrer sagte einmal: <An der Substanz des Herzens darf kein tu, aus der wir auch schon zitiert haben, sagt er: «Die Daoisten sprechen von Leere
einziger Gedanke haften, der zurückbleibt und versperrt (xin ti sh{!,ng zhuo bu de yi (xu J1/i.); wie könnten die heiligen Menschen [die wahren Konfuzianer] der Leere noch
ni//,n liu zhi 1Mtl:.~1'~~-~00JI). Es ist so, wie am Auge kein bisschen Staub oder ein kleines bisschen Füllung (einen bestimmten Inhalt: shi '.I'.) hinzufügen wollen! Die
Buddhisten sprechen vom Nichts (wu 1m); wie könnten die heiligen Menschen dem
Nichts noch ein kleines bisschen Vorhandensein (.you ;fiij) hinzufügen wollen! Aber
141 «Ke qi -\!l'.~» in der Bedeutung von «Leidenschaften, die durch gegenständliche Reize geweckt wenn die Daoisten von der Leere sprechen, tun sie es mit dem Interesse, das Leben
werden», ist ungewöhnlich, denn der Ausdruck bedeutet in der Umgangssprache formell-höfliches zu verlängern (.yang sheng ~1=.); wenn die Buddhisten vom Nichts sprechen, tun sie es
Benehmen gegenüber Gästen. Wing-tsit Chan übersetzt den Ausdrnck im obigen Zusammenhang
mit «passions caused by external stimuli». Das große klassische Wörterbuch Ciyuan (4. Aufl., Bei- mit dem Interesse, die leidvolle Existenz des Samsara zu verlassen. Wenn sie aber dem
jing 1980, Ed. II, S. 831 b) zitiert für diese ungewöhnliche Bedeutung eine Aussage von Cheng Hao eigentlichen Wesen solche Absichten hinzufügen (.yu ben ti sh{!,ngji{!, que zhe xie zi yi si
(1032-1085), die vom Kampf zwischen dem «ke qi -\!f~» und den «sittlichen Ordnungsprinzipien» wi tit~fflt.1:.:/JaW~Jä;T~,1!'.tE), dann ist es nicht mehr der eigentliche Charakter (das
(yi li ~Jlll) spricht. «Ke qi -\!f~» bedeutet wörtlich «Energie (Luft) des Gastes». Das Wortpaar «ke 1f
(Gast)» und «zhu .'E (Hausherr)» wird in der philosophischen Sprache für den Gegensatz von Objekt
und Subjekt gebraucht. So erklärt sich die ungewöhnliche Bedeutung von «ke qi -\!f~»: «Energie des
Objekts», «Leidenschaft aufgrund gegenständlicher Reize». 144 Chuanxi tu III, Nr. 336, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 124.
142 Chuanxi lu II, Nr. 165, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 68. 145 Chuanxi tu III, Nr. 290, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 111; siehe oben in diesem Kapitel den § 3,
143 Brief an Lun Yanshi fit ~"it, datiert auf das Jahr xin si (1521), Quanji,juan 5, Shanghai 1992, S. 182; S.198.
vgl.oben,S. 219. 146 Siehe unten in Teil II das Kap. 1.
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eigentliche Wesen: ben se ;zjs;ß) der Leere und des Nichts, und sie haben folglich beim kranke Mutter, die vor allem im Gedanken an das Wohlergehen ihrer }deinen Kinder
eigentlichen Wesen Behinderungen (.yu ben ti you zhang ai J'.it;zjs;ff~~lil). Die heiligen an ihrem eigenen Leben festhält, oder ein vom Tod Bedrohter, den die Sorge um das
Menschen kehren nur zum eigentlichen Charakter (Wesen) ihres <ursprünglichen Verlassensein seiner Gattin ans Leben bindet. Im dritten Teil des Chuanxi lu gibt es
Wissens> zurück (huan ta liang zhi de ben se ~fts.El~A'Y;zjs;ß) und halten sich an keinerlei über die Frage des Verhältnisses zum eigenen Tod folgende Aufzeichnung: Ein Schüler
Absichten fest (geng bu zhuo xie zi yi zai !l!1"~®Tft1:E). Die Leere des <ursprünglichen fragte, wie Mengzis Lehre zu verstehen sei, dass man kurzes Leben und langes Leben
Wissens> ist die <höchste Leere>147 des Himmels (tian zhi tai xu ~z:h::~ ); das Nichts als gleich betrachten soll. 149 Yangming antwortete ihm: «Wenn jemand im ethischen
des <ursprünglichen Wissens> ist die Formlosigkeit der <höchsten Leere> (tai xu zhi Lernen sich von allen Süchten nach Ansehen und Profit befreit hat, aber sich noch,
wu xing .:iR~zfflHf~)- Sonne und Mond, Wind und Donner, Berge und Ströme, Leute wenn auch nur ein wenig, gewisse Sorgen um Leben und Tod macht (.yi zhong sheng si
und Dinge, alles was Erscheinung und Form hat, ist Wirkung (fa yong ~ffl) und Fluss nian tau gua dai -ffi4:.9B~ru't:NH'ßi), dann hat das vollständige Wesen (quan ti ~U) [seines
(liu xing 5Rffi) in der Formlosigkeit der höchsten Leere und ist für den Himmel nie Herzens] Stellen, die noch nicht gelöst (befreit) sind (wei rong shi chu *iw!tff!I). Der
ein Hindernis. Die heiligen Menschen folgen nur dem Wirken ihres <ursprünglichen Mensch hat die Sorge um Leben und Tod seit seiner Geburt aufgrund seiner <Lebens-
Wissens> (shun qi liang zhi fa yong JllfiJ't.lHllz~ffi). Himmel und Erde und die Dinge wurzel> (ming gen ®ffl). 150 Es ist daher nicht leicht, sich davon zu befreien. Erst wenn
sind alle im Wirken und Fließen unseres <ursprünglichen Wissens> enthalten (ju zai man hier durchblickt und durchdringt, erst dann nimmt das vollständige Wesen unseres
wo liang zhi de fa yong liu xing zhong ~tE~.El~A'Y~ffi)RffiJ:j:i); wie könnte ein Ding das Herzens (Geistes) (ci xin quan ti Jl:U,,~ffl) seinen freien Lauf ohne Hemmnisse (liu xing
<ursprüngliche Wissen> verlassen und sich ihm als ein Hindernis entgegenstellen!» 148 wu ai 51iifi1!!Hi), erst dann ist es ein Lernen, das die Natur (das Wesen) [des Herzens]
Man kann kaum in einem gewöhnlichen Sinn sagen, dass die Absicht der Daoisten, ausschöpft und das eigene Geschick erfüllt (jin xing zhi ming zhi xue iHi~-®' .Z,.)151 .»152
ihr Leben zu verlängern, oder die Absicht der Buddhisten, aus der leidvollen Existenz Dies erinnert an den Bericht aus der «Lebenschronik», dass Wang Yangming 1508 in
hinauszugehen, egoistisch sei. Aber sie halten an eigenen Absichten und Meinungen Longchang, in Lebensgefahr wegen der Verfolgung durch den Eunuchen LiuJin, von
fest, die das freie Wirken des vollkommenen «eigentlichen Wesens des ursprünglichen sich dachte, dass er zwar fähig sei, sich über Erfolg und Misserfolg und über guten Ruf
Wissens» behindern können. oder üble Nachrede hinwegzusetzen, aber die Sorge um Leben und Tod (sheng si yi nian
In dieser Befreiung vom Haften oder Festhalten geht Wang Yangming bis zum 4:.98-~) noch nicht überwunden habe, und dass er sich dann vornahm, «sein Geschick
Letzten, bis zur Befreiung vom Haften am eigenen Leben: Das immer vollkommene zu erwarten» (si ming 1l$), und durch eine meditative Praxis sein Herz freimachte. 153
«ursprüngliche Wissen» wird erst dann «in seinem freien Lauf, in seinernatürlichen Was kann diese Befreiung vom Haften am eigenen Leben bedeuten? Sie kann
Auswirkung» (zi ran liu xing ~ ~5/iifi) nicht gehindert, wenn man sich nicht ans eigene nicht bedeuten, dass einem gleichgültig wird, ob man weiterlebt oder nicht. Eine
Leben klammert. Auch hier wird deutlich, das das Wort «Egoismus» in einem gewöh- solche Stimmung kann ja eine tiefe seelische Depression und Apathie sein, in der es
lichen Sinn nicht der gemeinsame Nenner aller «Verdeckungen» des «eigentlichen einem gleichgültig ist, ob man noch weiterlebt oder ob man umkommt. Ich zweifle
Wesens des ursprünglichen Wissens» sein kann. Denn ein Mensch kann sich auch aus nicht daran, dass Wang Yangming in seiner «Gelassenheit» sein Leben liebte und sich
altruistischen Gründen, aus Mitgefühl, ans Leben klammern, zum Beispiel eine tod- nicht leichtsinnig unnötigen Lebensgefahren aussetzte. Das tat er auch nicht in seinen
mutigsten Unternehmungen. Und als er 1528 gegen die Vorschriften, das heißt ohne
die Erlaubnis des Kaisers abzuwarten, seine Beamtenstelle in Guangxi verließ, tat er
147 Der Ausdruck «höchste Leere» (tai xu Ä~) kommt an einer Stelle beim Daoisten Zhuangzi (4./3. Jh. dies in der Hoffnung, zu Hause in Shaoxing wieder Genesung zu finden. Die von Wang
v. Chr.) vor: Wer über das Dao Fragen stellt und Antworten gibt (denn es gibt keine Antworten), Yangming gemeinte Gelassenheit gegenüber dem eigenen Leben und Tod wurzelt viel-
«wandert nicht in der höchsten Leere». 22. Buch, «Erkenntnis wandert gegen Norden», Überset-
zung von Burton Watson, 1970, S. 244. Auch der erste Kommentator des liezi, eines in der Tradition
mehr in seiner Bejahung des in den stetigen Veränderungen seines Lebens wirksamen
von Zhuangzi stehenden Werkes, Zhang Zhan !l&ll (4.Jh.), gebraucht den Ausdruck «größte Leere» vollkommenen «eigentlichen Wesens des ursprünglichen Wissens». Auch die mit-
(tai xit Ä~, doch meistens «zhi xit ~~»): Die höchste Leere ist die Grundlage (ben ;2(t) aller Dinge.
«Die Dinge lösen sich auf und kehren zur höchsten Leere zurück (giei tai xu im*~). Die höchste
Leere ist unerschöpflich (wu qiong ffll~), die Dinge sind begrenzt (you xian ~IJH).» Nach dem chi-
nesischen Artikel von Tang Yijie: «Die Entwicklung der Xuanxue der Wei-Jin-Zeit aufgrund eines 149 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 1: «Wer sein Herz (seinen Geist) ausschöpft, erkennt seine Natur (sein
Vergleichs von Zhang Zhans Kommentar des Liezi und von Guo Xiangs Kommentar des Zhuangzi», Wesen). [... JKurzes oder langes Leben machen keinen Unterschied. Man soll sich ethisch kultivieren
in: Zhongguo zhexiee shi yanjiu epllt!f~.le.liJf~, 1981, Nr. 1, S. 64-66. Auch der Buddhist Seng Zhao und zuwarten; so hält man sein Geschick (seine Bestimmung: ming $) aufrecht.»
(384[?]--41~) gebraucht den Ausdruck «höchste Leere» (zhi xu ~~) am Anfang seines Bzt zhen kong 150 «Ming gen $ffl» ist ein buddhistischer Ausdruck und die Übersetzung des Sanskritwortesjivitendriya.
lun 1'~~~- Der Ausdruck «tai xu *II» spielt eine grundlegende Rolle bei Zhang Zai (1020-1077), Es bedeutet dasjenige, was ein Lebewesen an das Leben im Samsara bindet und seine verschiedenen
einem einflussreichen Konfuzianer der Song-Zeit: Er wird bei ihm durch Formlosigkeit (wu xing ~ffl;) «Inkarnationen» im Samsara miteinander vereint: vgl. Soothill, William Edward: A Dictionary of
charakterisiert und als das eigentliche Wesen (ben ti *!lt) des qi ~. des «Stoffes» oder der «Energie», Chinese Buddhist Tenns, London 1937, S. 252b.
~)JS der alle Dinge bestehen, bezeichnet. Zheng meng, I. Buch: Tai he («Höchste Harmonie»), deutsche 151 Nicht wörtliche Anspielung auf Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 1; vgl. oben, Anm. 149.
Ubersetzung unter dem Titel Rechtes Auflichten. Cheng-meng, Hamburg 1996, S. 3ff. 152 Chuanxi tu III, Nr. 278, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 108.
148 Chuanxi lu III, Nr. 269, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 106. 153 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil Iden§ 1, S. 72.
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fühlende «menschliche» Tätigkeit für die anderen kann wohl aus dieser Gelassenheit Anfang seiner «Frngen zum Drtt(ue». 157 Die leiblich-seelische Verfassung nennt Wang
und Bejahung ihre innere Ruhe gewinnen. Nur indem man an nichts haftet, weder an Yangming «'Iemperament (Stoff oder Veranlagung der Lebensenergie: qi zhi ~~)»
«Dingen» noch am eigenen psychophysischen Selbst und Leben, und sich auf keine oder einfach nur «natürliche Veranlagung» (timz zhi 31::~) oder «Lebensenergie (Vitali-
eigenen Absichten fixiert, nur in dieser «Gelassenheit» stellt man sich nirgends dem tät: qi ~)». Die Qtrnlität dieser psychophysischen Verfassung und der mit ihr gegebenen
immer vollkommenen «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» hemmend «Begierden» ist nicht bei allen 1vlenschen gleich; die moralischen Voraussetzungen sind
entgegen, sondern kann «dessen Lauf (dessen Wirken) folgen» (shun qi liu xing }lli'i;/;'1;5.m von Geburt her bei einigen Menschen besser als bei ,mderen, aber sie können bei allen
fi). Dadurch entspricht man auch dem eigenen «Geschick,, (der eigenen Bestinummg: Menschen durch <<Selbstkultivierung (Selbstveredelung: xiu shen f1J~)» verändert wer-
ming tri-). Wang Yangming scheint in diesem Zusammenhang im Anschluss an Mengzi den. Die psychophysische Konstitution kann mehr oder weniger «rein» (qing ~, cui ~)
das «Geschick» (Bestimmung: ming tri-) als diejenigen Ereignisse im Leben zu verste- oder «klar» (ming SJl) bzw. «trübe» (z,huo Jll, bo ~) sein. 158 Yangming schreibt im Brief
hen, die einem zustoßen, wenn man in seiner jeweiligen Sit11ation sein «ursprüngliches an Lu Cheng von 1524: «lhs ,ursprüngliche \Visscn> ist an sich (eigentlich) von selbst
\Vissen verwirklicht». 154 Wenn man «sein Herz (seinen Geist) ausschöpft», das heißt
dem «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens>> seinen «freien Lauf lässt»
leuchtend (bcn lai zi miJ1g
Verfassung: qi zhi
** § SJl). Diejenigen, deren rlemperarnent (leiblich-seelische
nicht gut ist, haben viele Verunreinigungen (viel ']}eber: zha
(zi ran liu xing gj M5.mff), dann «lüilt man sein Geschick aufrecht» (dann steht man zi ;llt~), die lfindernisse und Verdeckungcn sind stark (zhang hi hou ~:/l!JllJi/!!it), und sie
aufrecht im eigenen Geschick: li ming :fz:t/i-). 155 Dadurch wird auch deutlicher, was die kommen nicht leicht 1,ur Einsicht (/wi ming lffl SJl). Andere, deren Verfassung (zhi Jit) gut
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» in der dritten der von uns unterschie- ist, haben von Beginn :rn nur wenige Venmreinigungcn und nicht viele Hindernisse
denen drei Bedeutungen meint: Das «Zurückkehren» zum oder das «Wiedergewinnen und Verdeckungen. Wenn sie sich nur et was anstrengen, <hs <ursprüngliche Wissen zu
(fu ~) des immer schon vollkommenen eigentlichen Wesens des ursprünglichen Wis- verwirklichen> (zhi !irmg z,hi ~.&9'□), dann wird dieses ,ursprüngliche Wissen> selbst
sens» bedeutet, sich diesem Wesen in «Gelassenheit» gegenüber a1len «Dingen» und ganz leuchtend und durchsichtig (yi11p, ehe ~W); die wenigen Verunreinigungen sind
eigenen Absichten anheim zustellen und so sein «Geschick» zu erfüllen. Diese « Ver- dann wie auf heißem \Nasser treibender Schnee und können nicht mehr hindern und
wirklichung des ursprünglichen Wissens» hat einen religiösen Charakter. Denn eine verdecken.» 15 '1 Oder in einer AuLeichnung im dritten '!eil des Chwmxi lu sagt er: «Der
geistige IIaltung, die sich im eigenen Leben, Wollen und Ilandeln ganz der Wirkung Lernende, der wm ( ;lau bc:n an sein <ursprtinglichcs \Vissen> gekommen ist (xin de liang
einer vollkommenen, das eigene psychophysische Selbst übersteigenden Wirklichkeit zhi guo 1~H~ _&9]iß'l) und nicht von seiner Vit:1litiit verwirrt wird (Im wei qi suo lurm 7f~
überliisst, ist als Religion zu betrachten. Wmg Yangrnings «lleiliger» ist ein Mensch, ~Ji.lrlL), ist beständig ein 1'vicnsch wie Fuxi u,o oder noch besser.»'{;)
der aufgrund seines Vertrauens in das in ihm wirksame vollkonuncne «Wesen des Die angeborene, mehr oder weniger gute psychophysische Konstitution und
ursprünglichen Wissens» innerlich ruhig im Mitgefühl für andere Menschen tätig ist. das «ursprüngliche \Visscn>> haben bei \N:mg Ymgming einen ganz verschiedenen
Wie wir soeben hörten, erkliirt Wang Yangining das llaften am Leben mit der ontologischen Status: Die psychophysische Verfassung ist etwas Werdendes und
schon bei der Geburt vorhandenen Lebenswurzel (minggen $1N). Es ist also nicht bloß Gewordenes, etwas Entstehendes und Vcrgehen<les, während das «eigentliche Wesen
Sache der eigenen Willkür, sondern etwas Angeborenes, mit der Geburt Gegebenes. des ursprünglichen Wissens» weder entsteht noch vergeht und sich nicht verändert.
Auch «egoistische Wünsche» und «Dingwünsche», alle «Verdeckungen des eigent- Deshalb erscheint mir auch die Übersetzung von «liang zhi ~ 9]» durch «angeborenes
lichen Wesens des ursprünglichen Wissens» sind nicht bloß durch unseren Willen Wissen» («innate knowledge») nicht angemessen. 162
hervorgerufen, sondern hängen nach Wang Yangming mit unserer leiblich-seelischen Nach Wang Yangmings späterer Auffassung ist auch die leiblich-seelische
Konstitution zusammen. Es gibt also ein Übel von Geburt her. Aber dieses Übel wird Verfassung, die «Vitalität» in ihren verschiedenen Modalitäten, «Funktion» des «ur-
nicht wie in christlichen Traditionen durch eine vererbte Schuld erklärt. Wir haben sprünglichen Wissens». 163 Woher der schon bei der Geburt vorhandene «Treber», die
oben schon Wang Yangmings Aussage zitiert, dass «das geisteskräftig Helle» (fing ming angeborene Verunreinigung, herkommt, sagt er nicht. Das entspricht einer weitver-
f!aJ.I) des menschlichen Herzens (Geistes) den ganzen «Zwischenraum zwischen Him-
mel und Erde erfüllt» und dass der Mensch «nur wegen seines Leihkörpers (xing ti ~
ff) sich von den anderen Wesen abtrennt». 156 Im Wesentlichen dasselbe sagt er auch am 157 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 5, S. 208.
158 Chuanxi lu I, Nr. 99, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 28; Chaunxi tu II, Nr. 165, Quanji,juan 2,
Shanghai 1992, S. 69; Chuanxi lu III, Nr. 311, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 116.
159 Chuanxi tu II, Nr. 164, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 68.
154 <Ming$» kann in der kohfuzianischen Tradition sowohl die vom «Himmel» bestimmte allgemeine 160 Fuxi ist ein idealer Herrscher des legendären Altertums und soll die acht Trigramme, die Wurzel des
«Natur» (xing) des Menschen als auch dessen individuelles «Geschick», zum Beispiel ein «kurzes oder «Buches der Wandlungen», erfunden haben.
langes Leben» bedeuten. Die erste Bedeutung geht auf das erste Kapitel des Zhongyong, die zweite auf 161 Chuanxi tu III, Nr. 311, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 116.
Mengzi (besonders auf das 7. Buch, 1. Teil, Kap.1) zurück; siehe unten, Teil II, Kap. 4, § 7. 162 Siehe oben in Kap. 1 dieses Teils den § 1.
155 Vgl. den Brief an Nie Bao von 1528, Chuanxi tu II, Nr. 192, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 86. 163 Siehe den Brief an Lu Cheng: Chuanxi lu II, Nr.150, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 61; Chuttnxi tu
156 Chuanxi tu III, Nr. 337, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 124; siehe in diesem Kapitel den§ 3, S. 201. II, Nr. 154, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 62.
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breiteten Haltung in der chinesischen Philosophie und im Buddhismus, welche die Die Idee der Vollkommenheit des «ursprünglichen Wissens» hat auch Wurzeln
Herkunft des Übels nicht erklärt, sondern sein Bestehen feststellt und Mittel zu seiner in der konfozianischen 'TI-adition, obschon diese allein nicht für den vollen Gehalt von
Beseitigung angibt. Wang Yangmings drittem Begriff des «ursprünglichen Wissens» aufzukommen ver-
mag. Diese Wurzel ist die Idee der «vom Himmel bestimmten menschlichen Natur»,
§ 8 Die Motive von Wang Yangmings Annahme eines immer vollkom- wie sie im ersten Satz des Zhongyong ausgedrückt ist: «Das vom Himmel Bestimmte
menen «ursprünglichen Wissens» heißt die (menschliche) Natur (11).» Als vom Himmel bestimmt ist diese «Natur»
etwas Vollkommenes. Auch Zhn Xi sprach in diesem Sinne von ihr und identifizierte
Was hat Wang Yimgming dazu veranlasst, ein immer vollkommenes «eigentliches sie mit dem im Menschen ,mwesenden «himmlischen Ordnungsprinzip» (tian li ;ii;:W).
Wesen des ursprünglichen Wissens» anzunehmen? Dieses «eigentliche Wesen» war Doch im konkreten Menschen ist nach ihm diese «Natur» mit der mehr oder weniger
für ihn wahrscheinlich zuerst eine ideale Norm, so wie die Einheit von Wissen und vollkommenen «Lebensenergie» (qi ~) vermischt, mit der zusammen sie die mehr
Handeln als «eigentliches Wesen von Wissen und Handeln» für ihn eine ideale Norm oder weniger vollkommene konkrete «physische Natur» des Menschen ausmacht (qi
war: Nur in der Verwirklichung im Handeln ist Wissen echtes Wissen; nur unter Lei- zhi zhi xing ~~;z 11).Auch das menschliche llerz als Einheit von reiner «Natur» und
tung von Wissen ist Handeln echtes Handeln. Doch dem «eigentlichen Wesen des «Gefühlen (Erle hissen: qing tl1\')» hat diese konkrete «physische Natur». Doch Wang
ursprünglichen Wissens» sprach Wang Yangming eine Wirklichkeit zu, es,war für ihn Yangming folgte dieser Lehre Zhu Xis nicht. Für ihn ist das «ursprüngliche Wissen»
nicht bloß ein gedachtes Ideal. Man kann sich fragen, ob bei dieser Wirklichkeitsset- im Sinne Mengzis und im Sinne des Gewissens eine erlebte Manifestation der voll-
zung einer Idee nicht ähnliche gedankliche Motive wirkten wie bei der Ideenlehre Pla- kommenen «von1 Himmel bestimmten Natur>> bzw. des vollkommenen «himmlischen
tons, die ihre Wurzeln wahrscheinlich ebenfalls in ethischen Ideen, etwa denjenigen Ordnungsprim·,ips» im menschlichen Bewusstsein. In diesem Sinne schreibt er etw,1
der Gerechtigkeit, der Frömmigkeit usw., als Normgestaltcn hat und die diesen Ideen 1525 in seinem in den zweiten Teil des Chzumxi tu aufgenommenen Brief an Ouyang
von etwas Vollkommenem mehr Wirklichkeit zuschreibt als ihren mangelhaften Er- De: «Das <ursprüngliche Wissen> ist der Ort des Hellwerdens und des wunderbaren
scheinungen in der sinnlich erfahrenen Welt. Diesen Ideen wird dadurch Wirklichkeit Gewahrens des himmlischen Ordnungsprinzips (tian li zhi zhao ming ling jue chu
zugeschrieben, dass sie als Ursachen für ihre empirischen Nachbildungen in unserem ;ii;:If;z~aJ.l~~JJlR).»165 Und im selben Sinne schreibt er Ende 1528 in seinem 1535
unzulänglichen lLmdeln erfahren werden: Die Leitidee als wirkende Ursache muss in ebenfalls ins Chuanxi tu aufgenommenen zweiten Brief an Nie Bao: «Das <ursprüng-
einem höheren Grad wirklich sein als ihre Wirkungen. In der europäischen philoso- liche Wissen> ist nichts anderes als ein natürliches helles Gewahren und Erscheinen
phischen Tradition denken wir in diesem Zusammenhang auch an an den Grundsatz des himmlischen Ordnungsprinzips (zhi shi yi ge tian li zi ran mingjue Ja xian chu ..R ~-
von Aristoteles, dass im Prozess des Werdens die Wirklichkeit (die Aktualität) dem ilffl ;ii;:If ~ ~BJ.l~~!J'!,JJlR).» 166 An sich, das heißt nach seinem «eigentlichen Wesen»,
Vermögen (der Potentialität) vorangeht: «Die energeia ist friiher als die dynamis.» 16'1 nimmt dieses«! lellwerden, Erscheinen (Sich-Manifestieren), Gewahren» des «himm-
ln die Gedankenwelt vV:1ng Yangmings übersetzt, würde dies bedeuten, dass nur auf- lischen Or<lnungsprinzips» u<lcr der menschlichen ,<Natur» an deren Vollkom-
grund der Wirkung des wirklichen «eigentlichen Wesen des ursprünglichen vVissens» menheit teil; doch kann es durch «akzidentelle (hinzukommende, nicht zu seinem
das «ursprüngliche Wissen» im Sinne der im Herzen erfahrenen Vermögen (Anlagen) eigentlichen Wesen gehörige) Umstände» verdunkelt, gehemmt werden.Jedoch, wie
zum Guten verwirklicht, das heißt zu Tugenden werden kann. Solche Assoziationen gesagt, vermag diese konfuzianische Idee der vom «Himmel bestimmten menschli-
mit der europäischen Geistesgeschichte erscheinen rnir nicht völlig abwegig, denn chen Natur» für vVang Yangmings ,<eigentliches \Vesen des urspri:inglichen Wissens»
die «Buddha-Natur», die nach gewissen Formen des Buddhismus :1\s vollkommene nicht ,rnfzukommcn, besonders nicht für seinen Charakter als Ursprung aller Dinge.
Wirklichkeit, als «eigentliche Erleuchtung», als «das eigentliche Antlitz» des Herzens Ein Motiv für Wang Yangmings Annahme einer im Grund des menschlichen
gedacht wird und die Wang Yangmings «eigentlichem Wesen des ursprünglichen Herzens immer vorhandenen vollkommenen Wirklichkeit, die der Ursprung von
Wissens» Pate stand, ist nach dieser Lehre die Hauptursache (Hauptbedingung: yin «Himmel und Erde» ist, war wohl auch sein Interesse, durch die Einverleibung von
yuan [zs]~, Sanskrit: hetupratyaya) dafür, dass ein Mensch ein Buddha (ein <<heiliger buddhistischem und auch daoistischem Gedankengut in seine eigene Lehre diese
Mensch» im Sinne des Buddhismus) werden kann. Aber wir wollen diese allgemeinen auch für I ,eute zugiü1glich und attraktiv zu machen, die sich vom Buddhismus oder
ontologischen Spekulationen, die durch ihre ethische Verwurzelung eine existenzielle Daoismus angezogen fühlten. Wir haben schon oben in der Einleitung zu diesem
Bedeutung erhalten, hier nicht weiterverfolgen, sondern uns für Wang Yangmings ersten Teil darauf hingewiesen, dass Wang Yangming bereits von früher Zeit an die
Gedanken an ihren Sitz in seinem faktischen Leben und Handeln halten, der durch AufE1ssung vertrat, dass Daoisrnus und Buddhismus einerseits 11nd Konfuzianismus
historische Dokumente einigermaßen sichtbar wird.

165 Chuanxi tu II, Nr. 169, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 72.


164 Siehe Aristoteles: Metaphysik, 9. Buch (Buch Theta), 8. Kap., S. 1049b 5. 166 Chuanxi tu II, Nr. 189, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 84.
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andererseits sich im Grunde genommen nur wenig voneinander unterscheiden. 167 Er Volk und allen Wesen eine gemeinsame Wirklichkeit (tong ti la'JH). Konfuzianismus,
war auch ganz allgemein jemand, der mehr die Übereinstimmung als den Widerspruch Buddhismus und Laozi-Zhuangzi (Daoismus) sind alle zu unserem Nutzen (jie wu zhi
suchte, wie er ja auch, allerdings vergeblich, zu zeigen versuchte, dass die späte Lehre yong i!l'i!!f Z.ffi): Das ist das <große Dao>. Wenn Daoismus und Buddhismus selbstsüch-
Zhu Xis mit seiner eigenen Lehre übereinstimmt. 168 In der Übereinstimmung mit den tig sind, dann ist das das <kleine Dao> 172 .»173
Lehren anderer konnte er auch eine Bestätigung der eigenen Lehre finden. Er ver- Aber Wang Yangming hat nicht nur deshalb das «eigentliche Wesen des ur-
suchte, Buddhismus und Daoismus in einem «gemeinsamen konfuzianischen Haus» sprünglichen Wissens» als eine immer vollkommene Wirklichkeit konzipiert, um
wohnen zu lassen: In der «Lebenschronik» ist für den Winter 1523/24 folgendes Ge- mit den Daoisten und Buddhisten ein gemeinsames Haus zu haben und dadurch über
spräch aufgezeichnet: Zhang Yuanchong ~ 5L;qi (Beiname: Fufeng W~, 1502-1563), ein Mittel zu verfügen, um jenen seine eigene Lehre zugänglicher zu machen. Die
ein Schüler Wang Yangmings aus der Präfektur Shaoxing, stellte diesem «auf dem tieferen Motive liegen wohl in seiner eigenen ethisch-religiösen Lebenserfahrung.
Boot» 169 folgende Frage: «Daoismus und Buddhismus einerseits und die Lehre der Der Glaube an das «ursprüngliche Wissen» als etwas Vollkommenes war für ihn
Heiligen (des Konfuzianismus) andererseits unterscheiden sich nur um Haaresbreite. wohl eine Bedingung dafür, dass er, unbeirrt von allen Meinungen, Verurteilungen
Das bedeutet, dass jene beiden etwas von der Natur (xing tt) und der Bestimmung [des und Bedrohungen vonseiten seiner sozialen Umwelt, sich in seinen Entscheidungen
Menschen] (ming $) verstanden haben. Aber indem sie innerhalb dieser Natur und unerschütterlich auf sein Gewissen stützen konnte. Dieser Glaube ist vielleicht so
dieser Bestimmung an einem selbstsüchtigen Vorteil (si li ~fU) festhalten, verirren sie etwas wie ein praktisches Postulat im Sinne Kants: Unerschütterliches Handeln
sich tausend Meilen weit. Wenn man nun aber den Nutzen (zuo yong tl=.ffi) der beiden nach dem «Gewissen» ist praktisch nur möglich im Glauben an jenes vollkommene
betrachtet, so haben sie für uns [Konfuzianer] auch eine gute Wirkung. Soll man die «Wesen». Wang Yangmings Situation imJahr 1519/20, als er der Konspiration gegen
drei Lehren alle in gleicher Weise aufuehmen (jian qu MHlli)?» Yangming antwortete den Kaiser beschuldigt und mit den verschiedenartigsten politischen Aufforderungen,
ihm: «Man kann nicht sagen, dass man sie alle in gleicher Weise aufnehmen soll. Im Bedrohungen und gut gemeinten Ratschlägen konfrontiert wurde, 174 ließ ihn dies
<Ausschöpfen der Natur> (jin xing litt) und im <Erreichen der Bestimmung> (zhi ming besonders deutlich spüren. In einem Gespräch, das nach der «Lebenschronik» 1523
~$) 170 der Heiligen [des Konfuzianismus] ist schon alles enthalten; wie müsste man stattfand, 175 diskutierten vier vertraute Schüler Wang Yangmings mit ihm darüber,
da [die anderen] in gleicher Weise aufnehmen! Der Nutzen (;yong ffl) von Daoismus warum er seit seinem Sieg über den rebellierenden Prinzen Ning im Sommer 1519
und Buddhismus ist auch unser eigener Nutzen. Wenn wir in unserem <Ausschöpfen von immer mehr Leuten im ganzen Reich geschmäht und verurteilt werde. Diese
der Natur> und <Erreichen der Bestimmung> unseren Leib vollkommen pflegen (;yang Schüler waren Xue Kan aus der Provinz Guangdong, Zou Shouyi aus der Provinz
shen tl.:!it), dann können wir daoistische Genien (xian 11ll) heißen; und wenn wir bei Jiangxi, Ma Mingheng 1.!ö nJHti (Beiname: Zixin -r•)
aus der Provinz Fujian 176 und
unserem <Ausschöpfen der Natur> und <Erreichen der Bestimmung> nicht von welt- Wang Gen aus dem direkten Verwaltungsgebiet von Nanking (heute ProvinzJiangsu).
lichen Verwicklungen beeinträchtigt werden, können wir Buddhas heißen. Aber die Der eine meinte, dass dies aus Neid gegenüber seinen militärischen und politischen
Konfuzianer der späteren Zeiten haben die Fülle der Lehre der Heiligen nicht mehr
erkannt und diese zu einer vom Daoismus und Buddhismus verschiedenen Auffassung
gemacht. Es ist wie bei einem Haus mit drei Raumeinheiten (jian l'M'I), 171 die zusammen 172 Das «große Dao» ist das Dao der «großen Menschen» oder Edlen, das «kleine Dao» ist das Dao der
ein Haus bilden. Uene] Konfuzianer wussten nicht, dass alle drei Räume zu unserem «kleinen» oder «gemeinen Menschen»: siehe oben in diesem Teil, Kap. 3, § 5, S. 208f.
173 Nianpu III, unter dem elften Mond des 2.Jahres der Jiajing-Ära (Ende 1523/Anfang 1524), Quanji,
Nutzen sind (jie wu suo yong i!l'i!!f }'Jf.ffi), sondern haben den linken abgetrennt und den Shanghai 1992,S.1289.
Buddhisten überlassen, den rechten abgetrennt und den Daoisten überlassen und 174 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil Iden§ 1, S. 92ff.
selbst im mittleren Raum Platz bezogen. Sie haben nur das eine hochgehalten und 175 Nianpu, unter dem 2.Jahr der Jiajing-Ära (1523), Quanji,juan 35, Shanghai 1992, S. 1287.
176 Von diesen vier Schülern Wang Yangmings ist Ma Mingheng weniger bekannt als die drei anderen. Er
alles andere abgelehnt. Die heiligen Menschen bilden mit Himmel und Erde, mit dem war schon Schüler Wang Yangmings geworden, als dieser in Ganzhou im Süden der Provinz Jiangxi
war, und tritt an zwei Stellen im ersten Teil des Cbuanxi ht auf (Nr. 40 und Nr. 127, Quanji,juan 1,
Shanghai 1992, S. 16 und S. 37). Er ist insofern von Bedeutung, als er der erste und einer der sehr
wenigen direkten Schüler Wang Yangmings aus der Provinz Fujian war. Er stammte aus Putian, der
167 Siehe oben in der Einleitung· zu diesem Teil den§ 1, S. 63. Hauptstadt der südlich der Provinzhauptstadt Fuzhou gelegenen Präfektur Xinghua !lf!11::; und erwarb
168 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil den§ 1, S. 88. 1517 den höchsten Grad der Staatsprüfungen (jinsbi). Im 3.Jahr der.Jiajing-Ära (1524) kritisierte er
169 Zhang Yuanchong stammte vielleicht aus Xiaoshan lliiJ.1, einer Kreisstadt fünfzig Kilometer westlich als Zensor im Zusammenhang mit der «Großen Ritenauseinandersetzung» (siehe oben den Anhang
der Präfekturhauptstadt Shaoxing, wo es einen «Schwimmenden Berg» (Fufeng ~~) gab, von dem zur «Allgemeinen Einleitung») die Gleichstellung der Mutter des Kaisers mit·der Mutter des ver-
er seinen Beinamen hatte. Möglicherweise wohnte er während seiner Besuche bei Wang Yangming storbenen Kaisers und wurde deswegen eingekerkert und dann von der Beamtenliste gestrichen und
auf einem Boot: vgl. unten in Teil II, Kap. 1, § 2, S. 416. nach Hause geschickt. Vielleicht sind die historischen Dokumente chronologisch nicht ganz genau,
170 Anspielungen auf Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 1. und das oben zitierte Gespräch fand während seiner Heimreise von Peking in seine Heimat statt. Im
171 Einjian 111'1 («Zwischenraum») ist der Raum zwischen vier Ecksäulen oder Eckpfeilern und ist das MRXA findet sich über ihn ein kurzer Eintrag (juan 30, Beijing 1985, S. 656). Informationen über ihn
Grundmaß der chinesischen Architektur (des Hauses, Palastes, Tempels) analog dem «Joch» in den auch bei Wing-tsit Chan: Instructions, S. 36, und in Yan Taos Ausgabe des Cbuanxi lu, Jiangsu 2001,
Schiffen romanischer oder gotischer Kirchen. s. 46.
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Erfolgen geschehe; ein anderer sagte, dass seine Lehre immer bekannter werde und so ursprünglichen Wissens>) das verborgene Auge der wahren Lehre (zhengfa yan zang
die Kritik der Vertreter des damals offiziellen, an Zhu Xi orientierten Konfuzianismus IE5!Hll~)1 82 der Schule der [konfuzianischen] Heiligen sind. Früher zweifelte ich noch,
auf sich ziehe; ein dritter vermutete, dass die wachsende Anzahl seiner Schüler und An- ob sie erschöpfend seien. J et7,t aber, seitdem ich in schwierige Aufgaben verwickelt
hänger auch die Anzahl seiner Gegner anschwellen lasse. Yangming antwortete ihnen, bin, hat nur dieses <ursprüngliche Wissen> nichts Unvollständiges (zhi ci liang zhi wu
dass alles, was sie vorbrachten, etwas Richtiges an sich habe, dass aber «der Punkt, um bu ju zu .Ritt ~~1!!F1'JslJE). Es ist, wie wenn man in einem Boot das Steuerruder in
den er aus sich selbst wisse» (zi zhi chu § ~~), von ihnen nicht erwähnt worden sei: die Hand bekommt: Bei glatten oder kleinen Wellen geht alles wie gewünscht. Doch
«Bis in meine Zeit, als ich in Nanking war, 177 hatte ich noch etwas die Gesinnung des wenn man auf stürmischen vVind und entgegenschlagende Wellen trifft, dann kann
<ehrbaren Dörflers> (<ehrbaren Bürgers>: xiangyuan ~ ~). 178 Jetzt aber vermag ich an man [nur] mit dem Steuerruder in der Hand den Untergang vermciden.» 183 Oder
die Wahrheit des Zustimmens und des Ablehnens meines <ursprünglichen Wissens> zu 1526 im bereits oben zitierten Brief an Ouyang De: «Der Edle [... ] überlegt nicht,
glauben (xin de zhe liang zhi zhen shi zhen fei 1l'iH~~B!.9;□~~~~~), führe [dieses Wissen] ob die anderen ihm nicht vertrauen (glauben) könnten, beständig glaubt er selbst nur
getreu im Handeln aus (xin shou xing qu m=fofi*) 179 und verberge dabei gar nichts. seinem <ursprünglichen Wissen> (heng zi xin qi liang zhi er yi fü§fü';lt~9;0ii'öB).» 184
Erst jetzt habe ich die Gesinnung eines <Ungebundenen (Ungestümen: lwang Il)> Wahrscheinlich war es ~mg Yangming nur möglich, gegenüber den Meinungen und
und veranlasse so die Leute der Welt zur Nachrede, dass <meine Taten sich nicht mit Anfechtungen seiner sozialen Umgebung unerschütterlich an sein eigenes «Gewis-
den Worten [der Alten] decken> 180 .» Xue Kan sagte darauf: «Erst wenn man vermag, sen» zu glauben und unbeirrt nach ihm zu handeln, indem er es als Ausdruck oder
daran [an das <ursprüngliche Wissen>] zu glauben (?ein de ci guo m1~1l:t~), gehört man Erscheinung einer vollkommenen Wirklichkeit betrachtete.
zur wahren Verwandtschaft der heiligen Menschen.» 181 Aber vielleicht hat dieser Glaube vVang Yangmings eine noch tiefere Wurzel.
Seit seiner Situation nach dem Sieg über den Prinzen von Ning spnich Wang Wir haben schon in der Einleitung die Bemerkung seines vertrauten Schülers und
Yangming immer wieder vom Glauben (Vertrauen: xin m) an das ursprüngliche Biographen Qian Dehong in der «Lebenschronik» zitiert, dass Wang Yangming in
Wissen. Er schrieb um 1520 an seinen vertrauten Schüler Zou Shouyi: «Seit kurzem seinen lebensgefährlichen Schwierigkeiten von 1519/20 «in höherem Maß darauf
vermag ich zu glauben, dass die drei Wörter zhi liang zhi !&&9;□ (<Verwirklichen des vertraute (xin m), dass das <ursprüngliche Wissen> wahrhaft ausreicht (zhen zu JJ:JE),
um Unheil und 1\;lühsal zu vergessen und um über Leben und Tod zu stehen». 185 Wir
haben in§ 7 des jetzigen Kapitels auch vVang Yangmings Aussage angeführt, dass erst
177 Das heißt vor seiner Zeit in der ProvinzJiangxi, in die die Niederschlagung jener Rebellion fallt. in der Gelassenheit gegenüber dem Tod das «vollständige Wesen unseres Herzens»
178 Heute hat dieser Ausdruck die Bedeutung von «Heuchler, Scheinheiliger». (das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens») in unseren Leben und Han-
179 In der Version dieses Gesprächs in der «Lebenschronik» steht anstelle des Satzes «führe es [dieses
Wissen] getreu aus» Folgendes: «ich handle nur gestützt auf das ursprüngliche Wissen (zhi yi liang
deln «seinen freien Lauf ohne Hindernisse nimmt» 186 • Diesen Satz darf man wohl
zhixing_ 9.ttxi'i!.!,llfr).» Qu1mji,jt1au 35, Shanghai 1992, S.1287. umkehren: Nur indem man ,.um «eige11tlichen Wesen des ursprünglichen Wissens»
180 Diese Außernng Yangmings ist eine Anspielung auf den konfm:ianischen Kanon: Im Buch Menp;zi zurückkehrt (fu @i:) nncl ihm dadurch freien Lauf (freie Wirkung) lässt, vennag man
(7. Buch, 2. Teil, Kap. 37) spricht Meng,.i mit einem Schüler über eine Aussage von Konfuzius, in
der dieser sagt, dass, wenn er keine Leute finde, die den Weg der Mitte praktizieren, er sich an die
über Leben und Tod zu stehen. In diesen Zusammenhang gehört auch die Aussage:
Ungestümen (kuang ~) und die Vorsichtigen (juan J,il) halte. Vgl. Lunyu, 13. Buch, Kap. 21. Mengzi «Das ursprüngliche Wissen ist die Geisteskraft der Schöpfung[ ... ]. Wenn der Mensch
erklärt, dass die Ungestümen (kuang ~) die Zweitbesten seien: Leute hoher Ideale, die sich an den voll und ganz und ohne jeden Mangel zu dieser Geisteskraft zurückkehrt (fu fl), dann
Vorbildern des J\hertums begeistern, aber in ihren 'J:1ten nicht immer mit deren Worten iibcrein-
stirnrnen. Die Vorsichtig-cn stünden noch eine Stufe tiefer. Mcngzi fährt fort: «Konfuzius sagte: <Von
tan,.en sejne Hände und hüpfen sei11 Füße, ohne dass er es merkt. Ich wüsste zwischen
allen, die an meiner Tür vorbeigehen, ohne hereinzukommen, sind es nur die ehrbaren Dörfler (:xirmg Himmel und Erde keine vergleichh:11T Freude.» 10 ;- Mit dieser Freude ist wohl nicht
yuan ffil!!liJ;), die ich nicht vermisse. Die ehrbaren Dörfler sind Räuber der Tugend.»> Mcngzi erklärt, bloß die «Selbstzufriedenheit» im moralischen Bewusstsein der Übereinstimmung mit
dass die ehrbaren Dörfler Leute seien, die von den Ungestümen sagen: <Wamm so hoch hinaus! Ihre
Taten und Worte stimmen nicht überein!> Es seien Leute, die sich in ihrem Verhalten nur nach {rer
sich selbst gemeint, von der im vorangegangenen Kapitel (§ 5) die Rede war. Wang
mor:1lischen Billigung und dem Wohlgefallen der Gesellschaft richten. Konfuzius habe sie deshalb Yangrning verlässt sich ;mf sein •<ursprüngliches Wissen» nicht nur im Sinne seines
verabscheut und als R,iuber der Tugend bezeichnet, weil sie mch dem äußeren Schein der Tugend und moralischen Bewusstseins, über cLis er als sein «Steuerruder» eigenhändig auf den
nicht nach der wirklichen Tugend streben. - In der Version dieses Gespr:ichs in der «Lebenschronik»
Cr:1gen die Schüler Wang Yangming noch, was ein «ehrbarer Dörfler» und was ein «Ungestümer»
(kuang ~)sei.Den «Ungestümen», als den Yangming sich selbst sieht, charakterisiert er in folgender
Weise: «Der <Ungestlime> ist jemand, der den Willen hat, den Geist der Alten zu bewahren. Aller 182 Das ist eine buddhistische Redeweise.
öffentliche Lärm und gemeine Einfluss vermögen sein Herz nicht zu binden. Er hat die Absicht, so 183 Zitiert im Nianpu II, unter dem 16. Jahr der Zhcngde-Ära (1521), Quanji,juan 34, Shanghai 1992,
weit wie der Phönix zu !liegen; wenn er nur seine Gedanken beherrschen kiinnte (ke nian 5'1:~), wiire S. l 278f.
er ein heiliger Mensch. Nur weil er seine Ccdanken nicht beherrscht, ist er in seinen Gesdüften zu 184 Cbmmxi luIII, Nr. 171, !Juanji,jua11 ,, Sh,111ghai 1992, S. 74. Vgl. Chuanxi lu 111, Nr. 311, Qurmji,jr{{{n 3,
weit und ungenau (/aro liic shi qing W.ll ffi/\)f.'tt1i) und in seinrn, Handeln oft unbedeckt (:xing chrmg lmymz Shanghai 1992, S. 11 r,.
frm"1'~). Nur weil er unbedeckt ist, ist sein Herz noch nicht verdorben und kann vielleicht zurecht- 185 Nianpu II, unter dem 16.Jahr der Zhengde-Ära (1521), Quanji,juan 34, Shanghai 1992, S. 1278.
geschnitten werden.» Quanji,jurm 35, Shanghai 1992, S. 1287f. 186 Chuanxi tu III, Nr. 278: siehe oben, S. 231.
181 Chuanxi tu III, Nr. 312, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 116. 187 Chuanxi tu III, Nr. 261: siehe oben, S. 185.
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Wogen des Lebens verfügt, sondern auch im Sinne einer vollkommenen Macht im Kapitel 4
Grunde seines Herzens, der er folgen (xun 11) und deren Wirkung er sich überlassen
kann. Sein Glaube an das immer vollkommene «eigentliche Wesen des ursprünglichen Eine historische Bestätigung für unsere Unterscheidung
Wissens» ist wohl letztlich religiös motiviert. von drei Begriffen des «ursprünglichen Wissens» bei Wang
Dies kommt in einem Gedicht zum Ausdruck, das Wang Yangming in seinen Yangming. Die Beziehungen zwischen diesen drei Begriffen
letzten Jahren geschrieben hat und das mit «Langes Leben (chang sheng -&1:.)»
überschrieben ist. Seine Perspektive ist das Suchen der Daoisten nach dem «langen
(unsterblichen) Leben». Wiihrend Wang Yangming 1505 schreiben konnte: «Langes
Leben besteht im Suchen der Menschlichkeit» 188 , findet er nun das «lange Leben» Um Wang Yangmings verschiedene Aussagen über das «ursprüngliche Wissen» und
im «ursprünglichen Wissen»: seine «Verwirklichung» kohärent verstehen zu können, haben wir in den drei vor-
Vergeblich hatt' ich Sehnsucht nach dem «langen Leben», entbehrte bitter den Besitz der großen
angegangenen Kapiteln drei verschiedene Begriffe des «ursprünglichen Wissens»
Medizin. 189 unterschieden: 1. «ursprüngliches Wissen» als «ursprüngliches Können» im Sinne
Durchstieg ich suchend heil'gc Berge, allmiihlich wurden meine Schläfen grau. einer natürlichen Anlage zu guten Gefühlen oder guten Neigungen (Intentionen),
Den Leib verbergend, sann ich ohne Ende, entfernt' mich täglich weiter von dem Dao. wie etwa der Liebe zu den Angehörigen, dem Betroffensein vom Unglück, das ande-
In meiner Jahre Mitte hatt' ich plötzlich eine Einsicht: der «Rückkehr neun», 190 sie sind schon hier ren widerfährt, dem Respekt gegenüber anderen Personen, der Abscheu gegenüber
und jetzt.
ungerechtem Verhalten. Damit ist eine natürliche Anlage gemeint, die aber mit
Es braucht kein' Ofen, keinen 1)reifuß; was soll das «Wasser» und d:1s «Feuer» 1191
Ohn' ElHk sind Vergehen nnd 10:ntstehn; 'fod und Ceburt, sie hiittcn eine letzte Frist'
egoistischen 'Tendenzen vermischt ist und daher in der «ethischen Anstrengung»
Der schweifenden Magier kluge Worte, sie steigern nur noch meine Zweifel. des Handelns von diesen gereinigt, «geniihrt» und verwirklicht werden muss, so wie
Verworrne Lehren alter Herren vermehren noch der Nöte Zahl. mit anderen Mineralien verschmutztes Golderz noch nicht Gold ist, sondern erst
Aus mir sind Himmel und die Erde, was muss ich da bei anderen leihn? durch einen Läuterungsprozess dazu wird; 2. «ursprüngliches Wissen» nicht als ir-
Die tausend l leiligen sind nur Schatten, das «ursprüngliche Wissen» ist mein Meisfer. 192 gendwelche Gefühle oder Neigungen (Intentionen), sondern als unmittelbares, mehr
oder weniger klar unterscheidendes Bewusstsein des ethischen Wertes der eigenen
Intentionen; 3. «ursprüngliches Wissen>, in seinem «eigentlichen Wesen», das immer
vollkommen ist.
Vom chronologischen Gesichtspunkt aus haben wir den ersten dieser drei
Begriffe als vVang Yangmings frtihen Begriff des <<ursprünglichen Wissens» gekenn-
zeichnet, da er bei ihm früher als die beiden :mdercn auftritt. Aber dieser «frühe»
Begriff verschwindet nicht etwa nach dem Auftreten der beiden späteren, sondern tritt
auch in Wang Yangmings späteren Jahren auf, so dass in Aussagen aus dieser Zeit alle
drei Begriffe vorkommen können. So finden wir im dritten Teil des Chuanxi lu, der
mit einer Ausnahme nur Aufzeichnungen von Ccspriichen entlült, die von 1519 an
geführt wurden, die Aussage Wang \\mgmings, dass man das «ursprüngliche Wissen»
«heranbilden und nähren» (pei yang j:fftl) müsse,1 was am besten vom «ursprüngli-
chen Wissen» als einer Anlage zum Guten zu verstehen ist. Oder in einem anderen
Gespräch, das in diesem dritten Teil aufgezeichnet ist, wird er mit der Meinung kon-
frontiert, dass ein Knabe noch nicht die «Handlungen berichtigen» (ge wu ~4m) und
dadurch das «urspriingliche Wissen verwirklichen» könne und dass man ihn daher
nur mit Dingen, wie etwa gehorsam den Boden zu reinigen, belehren soll. Yangming
antwortet: «Auch gehorsam den Boden zu reinigen ist eine Handlung (zu tuende
188 Siehe oben in der Einleitung den§ 1, S. 61.
189 Der daoistischen Droge des «langen l ,ebcns» (der «Unsterblichkeit»). Sache: wu !I@). Wenn das <ursprüngliche Wissen> des Knaben nur so weit reicht, dann
190 Die «neun Rückkehren» sind Prozesse der daoistischen iiußcren und inneren Alchemie des «langen
l ,dJcns».
191 Schmelzofen und Dreifuß sind Instrumente der daoistischenAlchcmie; «Wasser» (dasTrigramm kan)
und «Feuer» (das Trigramm li) sind die entgegengesetzten Prinzipen der «inneren Alchemie». Chuanxi tu III, Nr. 293 (wohl eine Aufzeichnung von Qian Dehong), Quanji,juan 3, Shanghai 1992,
192 Quanji,juan 20, Shanghai 1992, S. 796. s. 112.
242 243

bewirkt das Lehren des gehorsamen Reinigens auch das <Verwirklichen> dieses seines selbst seiende <Ursprüngliche> (zhongfei tian ran ziyou zhi liang it~~x~ § ~ .z f:it) [es
kleinen bisschens <ursprünglichen Wissens> (ta zhe yi dian liang zhi ftM~ -!/i 5!~). Und ist noch nicht das ,eigentliche vVcsen> = dritter Begriff des <ursprünglichen Wissens>].
wenn der Knabe dabei um die Ehrfurcht gegenüber seinem Lehrer oder einer älteren Das Wissen, welches Wissen [Können] in den vorhandenen Intentionen ist (zhi wei
Person weiß, so ist das auch sein <ursprüngliches Wissen>. [... ] Ein Knabe hat nur das you yi zhi zhi 9;□ ~~~;z!J;O) [= erster Begriff des <ursprünglichen Wissens>], [und] das
<Berichtigen der Handlungen> und das <Verwirklichen des [ursprünglichen] Wissens> Bewusstsein (Gewahren), ,velches Bewusstsein der vorhandenen Intentionen ist (_jue
eines Knaben.» 2 Auch diese späte Aussage von Wang Yangming ist am besten durch wei youyi 2,hi_jue J!~~~;z}!) l= zweiter Begriff des <ursprünglichen Wissens>? J, [sind]
seinen frühen Begriff des «ursprünglichen Wissens» zu verstehen. in [ihrem] Inneren noch nicht rein (tai gu weijing fü:l,j 7K5'), und es ist letztlich eine
gewöhnliche Realität (frm ti }Lmi). So ist ersichtlich, dass [Wang] Yangmings gute und
§ 1 Eine Bestätigung unserer Unterscheidung von drei Begriffen des schlechte Intentionen (you shanyou e z;hi ~~~ ~;z~) !und] das Wissen, welches um
«ursprünglichen Wissens» durch Wang Yangmings direkten Schüler das Gute und Schlechte weiß (zhi sh,m z,hi c zhi .zhi 9:□ ~~~;z~), beides noch nicht die
Huang Honggang [von ihm] festgelegte Grundlage sind (jiefci ding ben ~~~JE:z/1:). Denn da es gute und
schlechte Intentionen gibt, so folgt das Wissen dem Guten und Schlechten notwendig
Wang ½ngming hat selbst nicht explizit zwischen drei verschiedenen Begriffen des nach (zhi bu de Im zhuyu shrm e 9:D1'1~Ff3&~~~). Eine ethische Anstrengung, die sich
«ursprünglichen Wissens» unterschieden. Unsere hier vorgeschlagene Differen- nur auf der Ebene der entstehenden und vergehenden Intentionen bewegt (zhi zai
zienmg in Llrei Begriffe findet ihre Besüitigung vor allem im dadurch ermöglichten nian qi nian mic gongjit .RtE~il]~j.fl\;JjJ ~), vermag sich ein Leben lang nicht mit dem
kohärenten Verständnis seiner verschiedenartigen Aussagen über das «ursprüngliche <eigentlichen Wesen> [= dritter Bcgri!TJ) zu vereinigen (he hu shang hen ti fi-1' J:.7./1:U).»4
Wissen». Wang Ymgmings Schüler haben lange darüber gestritten, wie die Lehre des Schon vVang Yangming sprach vielleicht von der ,<ethischen Anstrengung, die sich mit
Meisters vom «ursprünglichen Wissen» und seiner «Verwirklichung» zu verstehen dem eigentlichen Wesen vereinigt» (siehe unten in '[eil II, S. 429), und für Wang Ji
sei. Es ist offensichtlich, dass diese I ,ehre nicht eindeutig ist. Aber es ist für uns ver- war diese Vereinigung der Gnmdgcd,mke seiner ethischen Praxis.
unsichernd, dass keiner dieser Schüler durch das Vorlegen einer solchen Unterschei- Fs ist deutlich, dass Huang T-longgang in1 zitierten Text zwischen dem «ur-
dung die verworrene I ,agc zu klären versuchte. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, sprünglichen vVisscn» im Sinne von natürlichen guten Intentionen und im Sinne des
dass einer seiner prominentesten Schüler unsere Unterscheidung, allerdings nicht in Bewusstseins des ethischen \Vertcs der Intentionen unterscheidet. Weniger deutlich
voller Deutlichkeit und nicht im direkten Hinblick auf eine solche Klärung, voraus- ist zuniichst, was er hier unter «hn1 ti ;zJs: U» versteht, das wir als «eigentliches Wesen»
genommen hat. interpretierten. \Vic wir aus § 1 von Kapitel 3 wissen, kann mit «hcn ti 7./1:U» manch-
Dieser prominente Schüler Wang Yangmings ist lluang IIonggang (Luocun, mal auch nur die «Substanz>, des «!Jerzens» im Gegensatz zu seinen «Funktionen»
1492-156]) ans der Präfektur Ganzhou im Süden der Provinz Jiangxi, dem wir in gemeint sein. Doch llnang I lungg,mg war mit \ Vang Ymgmings Begriff des «eigent-
1

dieser Studie schon mehrmals begegnet sind. Er wurde nach seinem ßestehen der lichen Wesens» vertraut. Dies geht aus dem folgenden Text hervor, in welchem Huang
Staatsexamen auf Provinzebene vom Herbst 1516 Schüler Wang Yangmings, als betont, dass im «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» «Stille» (ji ;fül) und
dieser 1517 bis 1519 und im Sommer 1520 in der Präfektur Ganzhou war, besuchte «Erregungen» (gan ~) (Ruhe und Tätigkeiten) eine Einheit sind (vgl. oben in Kap. 3
ihn danach auch in Shaoxing und spielte später in dessen Schule, auch bei deren den § 6). Er sagt hier: «Stille und Erregungen kann man nicht überall in gleicher Weise
Wiederbelebung nach Wang Yangmings Tod in den Jahren 1533 bis 1535 in Nan- betrachten (ji yu gan bu ke yi li lfll'ln zhi ;füt!M~1"iiJ-~tlfi.z). Es gibt den Fall, in dem
king, eine wichtige Rolle (siehe unten in der Einleitung zu Teil II den§ 3). 3 Doch ist das <eigentliche Wesen> erlangt wird (you de qi ben ti zhe ~1ij~7Js:U'i!ir), und den Fall,
seine Aussage mit den drei verschiedenen Begriffen des «ursprünglichen Wissens» in dem das <eigentliche Wesen> verloren ist (you shi qi ben ti zhe ~~~lJs:U'i!ir). Wenn
nicht wirldich explizit, und sie wird von mir vielleicht überinterpretiert. Er sagt in man im Hinblick auf das Erlangen der Stille des <eigentlichen Wesens> (ben ti zhi ji
seinen «Aufgezeichneten Worten» (yu lu ~~): «Seitdem der verstorbene Meister lJs:U.z;füt) spricht, so ist diese nie ein bloßes Nichtvorhandensein [von <Erregungen>
[Yangming] das <ursprüngliche Wissen> aufzeigte, wissen alle, dass es die Lehre vom oder von <Funktionen>] (wei chang wu ye *~1fflm), obschon die Feinheit ihrer Ver-
<ursprünglichen Wissen> gibt, und auch alle halten das Gute in den Intentionen für borgenheit dauernd und tief bewahrt wird. Wenn man im Hinblick auf das Erlangen
das <ursprüngliche Wissen> (yi yi nian zhi shan zhe wei liang zhi P).~~.Z ~'lr ~ 5!9;□) der <Erregungen> des <eigentlichen Wesens> (ben ti zhi gan 7./1:U.z~) spricht, so ist
[= erster Begriff des <ursprünglichen Wissens>]. Aber wenn man das Gute in den Inten - das Wunderbare der Antworten und Funktionen (ying yong zhi miao Blffl .z!!':l>) nie
tionen für das <ursprüngliche Wissen> hält, so ist dies letztlich nicht das natürliche von

4 Aus dem Kapitel über Honggang im 19. juan des MRXA; der Verfasser dieses Werkes, Huang
2 Chuanxi lu III, Nr. 320 (Aufzeichnung von Huang Zhi), Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 120. Zongxi, zitiert hier diesen Text teilweise zwei Mal: zuerst in seiner Einleitung und dann nochmals
3 Zu Huang Honggang siehe die «Grabinschrift» für ihn von Luo Hongxian (Luo Hongxian ji, 2007, im Abschnitt «Aufgezeichnete Worte» (Yu lu), Beijing 1985, Bd. 1, S. 449f. und S. 450. Wir fügten
juan 20, S. 801-803) und MRXA,juan 19, Beijing 1985, S. 449-452. oben beide Zitate, die sich zum großen Teil decken, zusammen.
244
245

einfach ein bloßes Vorhandensein (wei chang you ye *'l'~ts), obschon sie reich und außerhalb des Hofes im Freien (si wai 11!1>71') den Himmel sehen, so ist es derselbe helle
ununterscheidbar eintreffen. Es nicht einfach ein Vorhandensein, da in den <Erregun- Himmel. Nur weil er hier von den Wänden der verschiedenen Gebäude verdeckt wird,
gen> die <Stille> ist; es ist nicht einfach ein Nichtvorhandensein, da in der <Stille> die sehen wir nicht die ganze Wirklichkeit des Himmels (tian zhi quan ti Ji::.z~\ll). Wenn
<Erregungen> sind.[ ... ] Man spricht hier im Hinblick auf die Einheit von <Stille> und wir die Wände der Gebäude entfernen, ist es stets der eine Himmel (zong shi yi ge tian
<Erregungen> (he ji gan er yan zhi ~~~ITÖ~Z).»5 Mit dem Ausdruck <<ben ti 2Js:R» m1,~-11fflJi::). Man kann nicht sagen, dass der Himmel, den wir jetzt vor Augen haben,
meint Huang Hongang also das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens», in und der Himmel draußen nicht derselbe helle Himmel seien. So verstehen wir, dass das
welchem «Stille» und «Erregungen», «Ruhe» und «Tätigkeiten» eine Einheit bilden. vereinzelte (beschränkte) <Wissen> dasselbe ist wie das <Wissen> in seiner ganzen Wirk-
lichkeit und dass das <Wissen> in seiner ganzen Wirklichkeit dasselbe ist wie das verein-
§ 2 Die Beziehungen zwischen den drei Begriffen des «ursprünglichen zelte (beschränkte) <Wissen>; es ist stets dasselbe <eigentliche Wesen> (zong shi yi geben
Wissens» ti tll!~-11ffl;zjs;ß).»7 Wang Yangming identifiziert hier also ein einzelnes, konkret erlebtes
«ursprüngliches Wissen» mit dem vollkommenen ganzen «eigentlichen Wesen des ur-
Wenn Wang Yangming die Verschiedenheit seiner Begriffe vom «ursprünglichen Wis- sprünglichen Wissens» und benutzt zur Illustration die Identität des wegen Gebäuden
sen» nicht zum Gegenstand von Aussagen machte, dann wohl nicht bloß deshalb, weil zum Teil verdeckten Himmels mit dem ganzen Himmel im Freien. Nach dem Kontext
er von theoretischen Analysen nicht viel hielt, sondern wohl vor allem, weil er diese dieses Gespräches betrifft diese Identität ein konkretes, durch die «Berichtigung der
verschiedenen Begriffe irgendwie als Aspekte derselben Sache betrachtete. Bezüglich Handlungen» «verwirklichtes», das heißt zur Vollkommenheit gebrachtes «ursprüng-
des Verhältnisses zwischen dem «ersten» und dem «dritten» Begriff stellt sich die liches Wissen» und nicht schon irgendeine aktuelle gute Regung oder gute Tendenz
Frage, ob und in welchem Sinn Wang Yangming das vom «ersten Begriff>> Gemeinte des menschlichen Herzens. Denn diese Regung kann durch egoistische Tendenzen
(die Anlage zum Guten, die sich in guten Gefühlen äußert) als einen beschränkten Teil verdeckt und getrübt sein; im Gleichnis gesprochen, sie kann wie ein durch Wolken
des immer vollkommenen absoluten «Wesens des ursprünglichen Wissens» («drit- verdunkelter Himmelsausschnitt sein, der nicht schlechthin mit dem ganzen hellen
ter» Begriff) verstand. In einer Aufzeichnung im dritten Teil des Chuanxi lu sagt sein Himmel zu identifizieren ist. Das Verhältnis zwischen einer bloßen Regung zum Guten
Schüler Huang Zhi (Yifang), dass die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» («ursprüngliches Wissen» in der ersten Bedeutung) und dem «eigentlichen Wesen des
durch die «Berichtigung der Handlungen» (ge wu ffi-!lt) doch immer nur zu einem ursprünglichen Wissens» wird durch dieses Gleichnis aber doch verdeutlicht. Auch in
«vereinzelten (beschränkten) Wissen» (yi jie zhi zhi -ffiiz~) und nicht zum «Wissen irgendeiner Regung des «ursprünglichen Wissens» ist sein «eigentliches Wesen» schon
in seiner ganzen Wirklichkeit» (quan ti zhi zhi ~11.z!m) führen könne, und fragt ihn, anwesend; es brauchen nur die es verdeckenden «Wünsche» entfernt zu werden, um
wie man denn zu diesem ganzen «Wissen», das «so weit wie der Himmel und eine so sein «eigentliches Wesen» sichtbar zu machen. Wenn es spontane gute Regungen sind,
abgründige Quelle wie der Abgrund» 6 sei, gelange. Yangming antwortet: «Das Herz die nicht von «egoistischen Wünschen» beeinträchtigt, also lautere Auswirkungen des
(der Geist) des Menschen ist <der Himmel> und ist <der Abgrund>. Das <eigentliche «eigentlichen Wesens des ursprünglichen Wissens» sind, könnte diese Identität auch
Wesen> (ben ti ;zjs;ft) des Herzens umfasst alles (wu suo bu gai ~.PJr1'~), es ist an sich für sie gelten. Wang Yangming scheint der Auffassung gewesen zu sein, dass auch der
der eine <Himmel>; nur weil er von den egoistischen Wünschen behindert wird (wei «kleine Mensch» manchmal noch solcher lauterer Regungen fähig ist. 8 Doch ist bei
si yu zhang ai i.i!ifl.-W:~li.), geht das <eigentliche Wesen> des <Himmels> verloren. Das solchen lauteren guten Regungen ihre Identifikation mit dem «eigentlichen Wesen des
<Ordnungsprinzip> (li 11!) des Herzens ist unerschöpflich, es ist an sich der eine Ab- ursprünglichen Wissens» dann fraglich, wenn sie nicht zu <<herrschen» vermögen, das
grund; nur weil er von den egoistischen Wünschen verstopft wird (sai sai lU~), geht heißt zu schwach sind, um sich gegen die egoistischen Wünsche durchzusetzen, wie es
das <eigentliche Wesen> des <Abgrundes> verloren. Wenn man beständig (nian nian bei gewöhnlichen Menschen meistens der Fall ist. Das Problem dieser Identifikation
~~) das <ursprüngliche Wissen verwirklicht> und so alle jene Behinderungen und des aktuellen «ursprünglichen Wissens» im gewöhnlichen menschlichen Bewusstsein
Verstopfungen entfernt, dann ist das <eigentliche Wesen> wiedergewonnen (ben ti yi fu mit seinem vollkommenen «eigentlichen Wesen» wird später in den Diskussionen
;ljs:ft 8-11), dann ist es <der Himmel>, dann ist es <der Abgrund>.» Der Bericht fährt fort: zwischen Schülern Wang Yangmings eine große Rolle spielen. Wang Ji sah schon in
«Um das, was er meinte, zu verdeutlichen, wies er [Yangming] mit dem Finger zum jeder spontanen Regung des «ursprünglichen Wissens», auch beim gewöhnlichen
Himmel und sagte: <Es ist so wie mit dem Himmel, den wir jetzt [von diesem vierecki- und törichten Menschen, das vollkommene «eigentliche Wesen des ursprünglichen
gen Innenhof aus] sehen: Es ist der helle Himmel (zhao zhao zhi tian ~ ~ .ZJi::). Wenn wir Wtssens»,9 während Luo Hongxian dies bestritt. 10

5 MRXA, juan 19, Einleitung von Huang Zongxi zum Abschnitt über Huang Honggang, Beijing 7 Chuanxi tu III, Nr. 222, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 95f.
1985, s. 450. 8 Siehe oben in Kap. 3 den§ 5, S. 208f., Wang Yangmings Erklärung des Anfangs des Daxue.
6 Zitat aus dem einunddreißigsten Kapitel des Zhongyong (nach der Einteilung von Zhu Xi): «Der 9 Siehe unten in Teil II, Kap. 2, § 1.
höchste Heilige [...] ist weit wie der Himmel und eine tiefe Quelle wie der Abgrund.» 10 Siehe unten in Teil II das Kap. 4.
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Wang Ji zitierte 1562 in einer Rede an der Versammlung von Nixiantai (bei Unterscheidung des Zhongyong2 1 zwischen dem «angeborenen Wissen und dem siche-
Fuzhou ffitt fM, ungefähr neunzig Kilometer südlich von Nanehang in der Provinz ren Handeln» (sheng zhi, an xing 1:.ill, ~1':r) (das in der Interpretation oft den heiligen
Jiangxi) eine Aussage seines Lehrers, die mit einem anderen Gleichnis ein verein- Menschen zugeschrieben wird) und dem «mühsamen Wissen (Erkennen) und dem
zeltes «ursprüngliches Wissen» im menschlichen Bewusstsein mit seinem ganzen Handeln mit Mühe und Not» (kun zhi, mian qiang xing lifsl:Ul, ~~fi) (das in der Inter-
«eigentlichen Wesen» identifiziert. Wang Ji spricht hier über Lu Jiuyuan (Xiangshan, pretation oft den gewöhnlichen Menschen zugeschrieben wird) und schreibt, dass die-
1138-1191), den Wang Yangming sehr schätzte: 11 «Der Ort, an dem Xiangshan zu ser Unterschied auf der Ebene der ethischen Anstrengung (yong gong ffl J)J) gelte. <<Wenn
[ethisch-geistiger] Kraft gelangte (de li chu 1~ iJ Jß), lag ganz im allmählichen Sammeln es aber um das ,eigentliche Wesen> von \Vissen und Handeln geht (ruo shi zhi xing
(ji lei ~~). 12 Deshalb sang er: <Die strömenden Bächlein sammeln sich zum uner- ben ti ~~9:□ fi~fl), das heißt um das <ursprüngliche Wissen, ursprüngliche Können>
messlichen Meer; die faustgroßen Steine türmen sich hoch zum Taihua-Berg.> Der (liang zhi liang neng m.:m ~~), dann kann man auch bei den Menschen des <schwierigen
verstorbene Lehrer [Yangming] sagte dazu: <Dies drückt nur das aus, was Xiangshan Wissens (Erkennens) und des Handelns mit Mühe und Not> von <angeborenem Wissen
selbst einsah. Aber man muss wissen, dass ein strömendes Bächlein dasselbe ist wie und sicherem Handeln> sprechen.» 22 Also auch die gewöhnlichen Menschen besitzen
das grenzenlose Meer (ji shi wng hai IW~lt~) und dass ein faustgroßer Stein dasselbe (verdeckt) das vollkommene <<eigentliche Wesen des \Visscns und Handelns», und die-
ist wie der 'Eiihua-Berg.> 13 » 14 Auch hier bezieht sich nach dem Kontext Wang Yang- ses «Wesen» nennt Wang Yangming hier mit dem Ausdruck für seinen ersten Begriff
mings Identifikation auf ein durch ein allmähliches «Sammeln von Gerechtigkeit» des «ursprünglichen Wissens»: «ursprüngliches Wissen, ursprüngliches Können».
«verwirklichtes ursprüngliches Wissen». In diesem ist das ganze «eigentliche Wesen Wie könnte Wang Yangming das Verhältnis zwischen dem moralischen Bewusst-
des ursprünglichen Wissens» anwesend, so wie im kleinen Bächlein das grenzenlose sein der eigenen Intentionen (dem zweiten Begriff des «ursprünglichen Wissens»)
Meer und im faustgroßen Stein der Taihua-Berg, dessen' feil dieser Stein ist, anwesend und dem immer vollkommenen «eigentlichen Wesen des nrsprünglichen Wissens>>
sind. Wang Ji bemerkt zu der von ihm zitierten Aussage seines Meisters: «Das ist die gesehen haben? Eine Identität festzustellen ist hier schwierig, da das vollkommene
höchste geistige Triebkraft (zui shang yi ji m:J:.-;j!\!). 15 Durch bloßes [allmähliches] «eigentliche Wesen des urprünglichen Wissens» in sich selbst keine schlechten In-
Sammeln [von Gerechtigkeit] kann man nicht erreichen, was mit <ohne Flügel fliegen> tentionen enthalten kann, die es in einem moralischen Bewusstsein von den guten
und <ohne Beine hingelangcn> 16 gemeint ist. Wenn man nicht die tiefe Einsicht in unterscheiden würde.Aber auch hier scheint Wang Y.mgming eine Art Identität gese-
den Sinn des unendlichen Ursprungs [d.h. des <eigentlichen Wesens des ursprüng- hen zu haben: Er sagt, dass das um den ethischen Wert der Intentionen Wissende, das
lichen Wissens>! besitzt (shen wu wu ji zhi zhi ;~tä1!!HO::fi;z ~), 17 kann man jenes [jene heißt das «Subjekt», das dieses unmittelbare Bewusstsein hat, das «eigentliche Wesen
Identität] nicht aussagen.» 18 Für Wang Ji setzt jene Identifikation Wang Yangmings (ben ti ;ljs:ffl) des ursprünglichen Wissens» sei. Doch scheint diese Aussage nur kohä-
die «plötzliche» («ohne Flügel und Beine») Einsicht in das «eigentliche Wesen des rent zu sein, wenn man in ihr das «eigentliche Wesen» (ben ti ;ljs:9), das an sich auch
ursprünglichen Wissens» voraus. 19 Funktionen (Tiitigkeiten) umfasst, bloß unter seinem Aspekt der Substanz versteht.
Im Sinne einer «Identität» des beschränkten «ursprünglichen Wissens» mit Denn erstens stellt ,,~1ng Yangming diesem «eigentlichen Wesen» dessen Funktionen
dem immer vollkommenen unbeschränkten «eigentlichen Wesen des ursprünglichen gegenüber, und zweitens kann nur diese Substanz als Subjekt sich «von außen hinzu-
Wissens» kann Wang Yangming dieses vollkommene «Wesen» auch mit der Formel kommender» schlechter Intentionen (Funktionen) bewusst sein, die ihr «eigentliches
«ursprüngliches Wissen, ursprüngliches Können» (liang zhi liang neng ~:Ulm_~) von Wesen» verdecken. Es liegt hier wieder das Problem der Mehrdeutigkeit von «ben ti ;,js:
Mengzi 20 bezeichnen. In seinem Brief ,m Lu Cheng von 1524 nimmt er Bezug ,rnf die U» vor (vgl. oben in Kapitel 3 den § J). In der 152 3 verfassten Version seiner Vorrede
zum «Alten Text des Di!xue» identifiziert Wang Yangming das «Subjekt» des «mora-
lischen Bewusstseins» mit dem vollkommenen «eigentlichen Wesen des Herzens»,
11 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil Iden§ 1, S. 80f. was hier dasselbe ist wie das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens». 23 Er
12 Anspielung aufMengzis «Sammeln von Gerechtigkeit». Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2. schreibt: «Das <höchste Gute> (zhi shan ~~) ist das <eigentliche Wesen des Herzens>
13 Diese Aussage Wang Yangmings ist mir sonst aus keiner anderen Quelle bekannt. (xin zhi hcn ti ,t.'.Z.*11). Erst nachdem Tätigkeiten (Funktionen: dong 11l) stattgefunden
14 U'img l,ongxi qwmji, 1882,juan 1, S. 34a (Nachdruck 'l,1ipeh 1970, S. 155).
15 Zu WangJis Begriff der «Triebkrart (Antrieb:ji ~)» siehe unten in Teil ll, Kap. 2, § 2. haben, gibt es Nichtgutes.Aber das ,\Vissen [der Substanz] des eigentlichen Wesens>
16 Sprichwörter daoistischen Ursprungs.
17 Der Ausdruck «wuji ffllffi», den wir hier mit «unendlicher Ursprung» wiedergeben, stammt aus
dem Dao de jing, Kap. 28: «Kehrt heim zum Grenzenlosen». Der Ausdruck wurde dann in seinem
Sinn vor allem durch Zhou Dunyis (1 Off 1073): Taiji tushuo («Erklärung zur Zeichnung des obers- 21 Zwanzigstes Kapitel nach der Zäh lullg· rnnZhuXi. ln diesem Kapitel des /,hongyongtretcn die beiden
ten Prinzips») gcpr,igt, die mit Satz «Das Grenzenlose (Unendliche) ist auch das oberste Prinzip Dreiteilungen von «allgeborene1ll \-Visscll», «Wissen durch Lernen», «Wissen mit Schwierigkeiten»
(der oberste Ursprnng)» beginnt. und «sicherem l l:indcln», «reibullgsloscm Handeln>>, « 1Tandeln mit Mühe und Not» auf. Wang
18 Ebd. Yangming nimmt im oben zitierten Brief nur auf die Extreme der beiden Dreiteilungen Bezug.
19 Siehe unten in Teil II, Kap. 1, § 5, und Kap. 2, § 5. 22 Chuanxi lu II, Nr. 165, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 69.
20 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15. 23 Siehe oben in Kapitel 3 den§ 2, S. 194.
248 249

weiß immer darum (ben ti zhi zhi wei chang bu zhi .:ijs;ft.z~*1i1'~).»24 Auch in den nach Wang Yangming mehr oder weniger klar, während das immer vollkommene
«Fragen über das Daxue» sieht er das immer vollkommene «eigentliche Wesen des «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» immer ein klares Bewusstsein, wenn
ursprünglichen Wissens» als das «Subjekt» des moralischen Bewusstseins: «Das auch kein moralisch unterscheidendes Gewissen, seiner Funktionen hat. Andererseits
<eigentliche Wesen des Herzens> (xin zhi ben ti ,t,,.z.:ijs;ft) ist die <Natur> (xing tt). Da kann aber das Gewissen auch nicht bloß auf den schlechten Intentionen beruhen; ein
es in der <Natur> nichts gibt, was nicht gut wäre, gibt es im <eigentlichen Wesen des Wesen, das nur egoistische Intentionen hätte, wäre sich ihrer nicht als schlechter be-
Herzens> nichts, was nicht richtig wäre.[ ... ] Erst nachdem Intentionen [Funktionen] wusst und hätte kein Gewissen. Das Gewissen beruht also auf den guten Intentionen,
tätig werden (.yi nian fa dong ~~~Jh), gibt es Nichtrichtiges. [... ] Die vom Himmel die zum «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» gehören. Das Subjekt,
bestimmte Natur (xing tt), [d.h.] das <eigentliche Wesen unseres Herzens> (wu xin zhi welches das Gewissen hat, muss, auch indem es sich schlechter Intentionen bewusst ist,
ben ti :g.,t,,.z.:ijs;ft), ist das, was geisteskräftig leuchtet und klares Bewusstsein hat (ling am «eigentlichen Wesen» des ursprünglichen Wissens «partizipieren». Entscheidend
zhao mingjue zhe l!flBIIJ.IJlif)[, d.h. das -<Ursprüngliche Wissen>]: Immer wenn eine für Wang Yangmings Identifikation von «eigentlichem Wesen des ursprünglichen
Intention (.yi nian ~~) tätig wird, hat das <ursprüngliche Wissen> unser;es Herzens Wissens» und dem Subjekt des moralischen Bewusstseins war wohl, dass dieses um die
selbst ein Wissen davon (wu xin zhi liang zhi wu you bu zi zhi zhe :g.,t,,.z.Iil~11ft1i1' ~ ethische Qualität seiner Intentionen weiß, das heißt, dass es «hell» (ming IIJJ) ist, wenn
~=tf); ist sie gut, so weiß dies selbst nur das <ursprüngliche Wissen> unseres Herzens; auch nur mehr oder weniger. Aber insofern es «hell» ist, ist es «der helle Himmel
ist sie schlecht, so weiß dies selbst nur das <ursprüngliche Wissen> unseres Herzens.» 25 (zhao zhao zhi tian IIBIIBZ~)», das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens».
In diesem Sinn kann auch die in § 3 von Kapitel 3 zitierte Aussage verstanden werden, Wie wir soeben angetönt haben, hängen auch das «ursprüngliche Wissen» im
dass alle Gefühle, wenn sie kein Haften (Festhalten) an etwas enthalten, Funktionen Sinne der spontanen guten Intentionen und das «ursprüngliche Wissen» im Sinne
des (vollkommenen) «ursprünglichen Wissens» sind und dass dieses «ursprüngliche des Gewissens eng zusammen. Voraussetzung für einen solchen Zusammenhang ist,
Wissen», wenn solche Verhaftungen in den Gefühlen vorhanden sind, «[als Subjekt, dass «Gewissen» im Sinne von Wang Yangming als ein ursprüngliches Bewusstsein
d.h. als Substanz] sich ihrer bewusst werden kann (huijue frfl)»26• 27 • und nicht als ein anerzogenes Unbehagen bei gewissen Verhaltensweisen verstanden
Diese Identifizierung des Subjekts des Gewissens mit der Substanz im immer wird. Ein übles Gefühl hat wahrscheinlich auch ein guterzogener Hund, der seinen
vollkommenen «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» wirft für uns Fra- Schwanz einzieht, nachdem er vom Tisch seines Meisters einen leckeren Happen
gen auf, die aber von unseren chinesischen Philosophen des 17. Jahrhunderts so nicht gestohlen hat; doch ein ursprüngliches Gewissen ist ihm dabei kaum zuzuschreiben.
gestellt wurden: Das <<eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» ist nach Wang Leider habe ich bei Wang Yangming und seinen Schülern keine Ausführungen über
Yangmings Lehre nicht ein einzelnes menschliches <<Herz», nicht eine individuelle jenes Verhältnis zwischen guten Intentionen und dem Gewissen gefunden.
Seele, sondern eine alles umfassende vollkommene Wirklichkeit, die allen menschli- Vielleicht motivierte der dritte Begriff des «ursprünglichen Wissens», dessen
chen <<Herzen» zugrunde liegt. Das Subjekt des Bewusstseins des moralischen Wertes vollkommenes «eigentliches Wesen», Wang Yangming dazu, die natürlichen guten
der eigenen Intentionen ist aber ein individuelles menschliches Subjekt und kann nicht Regungen (Intentionen) und das Bewusstsein des ethischen Wertes der Intentionen
eine allgemeine vollkommene Wirklichkeit sein. Denn das Subjekt des moralischen durch dieselben Wörter «liang zhi ~~» zu belegen. Er brauchte sehr lange, um das
Bewusstseins ist sich nach Wang Yangming der schlechten Intentionen als der eige- «allein Wissen» auch «liang zhi ~~» zu nennen. Wenn aber das «eigentliche Wesen
nen bewusst, während das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» keine des ursprünglichen Wissens» sowohl die guten Intentionen hervorbringt als auch um
eigenen schlechten Intentionen hat; das immer vollkommene «eigentliche Wesen ihre <-<Hemmungen und Verdeckungen» durch den Egoismus und das Haften an den
des ursprünglichen Wissens» kann an sich gar kein zwischen guten und Intentionen «Dingen» im menschlichen Herzen weiß, ist auch dieses Wissen «liang zhi ~~».
unterscheidendes Gewissen haben. Das moralische Bewusstsein des Menschen ist Wenn wir Wang Yangming unsere Unterscheidung seiner drei Begriffe des
«ursprünglichen Wissens» vorlegen könnten, würde er uns wohl vorwerfen, uns
zu sehr in theoretischen Analysen zu verlieren und dabei das praktische Leben zu
24 Daxue guben xu, Quanji,juan 7, Shanghai 1992, S. 243. vernachlässigen. Aber wenn wir als europäische Begriffsklauber dennoch auf dieser
25 Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 971.
26 Chuanxi tu III, Nr. 290, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 111. Unterscheidung insistierten, würde er uns hoffentlich doch zustimmen. Er würde
27 Auch WangJi übernimmt diese Sicht, indem er fast wörtlich die zweite Vorrede zum «Alten Text des dann vielleicht dasselbe sagen, was er von seinem Antwortbrief an Lu Cheng von
Daxue» seines Lehrers zitiert: «Das höchste Gute ist das eigentliche Wesen des Herzens (xin zhi ben 1524 schrieb: «Yuanjings (Lu Chengs) Fragen drehten sich alle bloß um theoretische
ti ,t'.Z;iJ!;lll). Erst indem [dieses] Wesen [von außen] affiziert wird (xing you suo gan 11t:fiiilr.®l), entsteht
der Unterschied zwischen Gut und Schlecht. Das <Wissen des eigentlichen Wesens> weiß immer Erklärungen (zhi jie shang zhuan ~M..tff); doch konnte ich nicht anders, als ihm
darum (ben ti zhi zhi wei chang bu zhi }j!;fll;z!<!l*l',f!</l).» «Antworten auf Fragen von Zhang Yanghe Abschnitt um Abschnitt die Sache auseinanderzulegen.»28
[Yuanbian]», Wang Longxi quan ji,juan 5, S. 26a (Taipei 1970, S. 389). «Die Helligkeit (das Erkennen)
des <eigentlichen Wesens> (ben ti zhi ming :ljs;ffl;za}l) weiß immer um die geraden und schiefen Inten-
tionen; dies wird <ursprüngliches Wissen> genannt.» Nantang sh110, a.a.O.,juan 17, S. 25b (Taipei 1970, 28 Zitiert von Qian Dehong in seiner Bemerkung zum Brief Wang Yangmings an Lu Cheng, Chuan:-d
s. 1240). fit II, nach der Nr. 167, Qr1anji,j1tan 2, Shanghai 1992, S. 70f.
250 251

Kapitel 5 erste war die Auffassung Nie Baos,2 die zweite jene der Ergänzungsbedürftigkeit des
«ursprünglichen \iVissens>> durch «Sehen und Hören>>: «Es gibt [unter uns] Leute,
Die Frage der Hinlänglichkeit des «ursprünglichen Wissens» für die meinen, dass das <ursprüngliche Wissen> nicht ausreicht, um den Veränderungen
das ethisch richtige Handeln: Bedarf es dazu noch zusätzlicher r
in der Welt zu entsprechen (bu zu yi_jin timz xia zhi bimt 1' JEJ,.:;l.~;k .Z~). Man müsse
Erkenntnisse? es durch Ilinzufügung des [empirischenl Wissens des Sehens und Hörcns ergänzen
(jia _jian wen zhi shi bu yi ;/J0.5i!,~9;D~tmM) und ihm so bei Ller Äußerung nachhelfen (er
zhufa zhi rfüll.iJ~.Z); das ist die gewöhnliche Lehre (su xue itt~).>> 3 Und vier Jahre
\Nie wir oben in der Einleitung zu diesem Teil I schon hervorgehoben haben, war spfü:er (1553) unterschied Wang Ji in einer ,mcleren Versammlung von Anhiingern
Wang Yangrning nach seinen Erfahrungen in der Verbannung von I ,ongchang (1508) Wang Yangmings beim damals für diesen neu errichteten Ahnentempel (ci f<ll) in
im Gegensatz zur offiziellen Lehre von Zhu Xi der Auffassung, dass der Mensch _zu Chuyang )ßi~~ (Präfektur Clrnzhou i!;r,}rl), das damals zum direkten Verwaltungsgebiet
seiner ethischen Vcrvollkonunmmg nicht Ordnungsprinzipien in den äußeren Dingen der südlichen Hauptstadt Nanking gehörte (heute zur Provinz Anhui), unter den
und Ereignissen oder in den konfuzianischen Schriften erforschen und erkennen muss, Nacht<Jlgern VVang Yangmings vier verschiedene falsche Meinungen über das «ur-
sondern dass dazu die Ordnungsprinzipien, die in seinem eigenen Herzen oder, wie sprüngliche \Nisscn». 1 An erster Stelle n:mnte er wiedenun jene Auffassung der Er-
er von etwa 1512 an sagen wird, in seinem «ursprünglichen Wissen» enthalten sind, gänzungsbedürftigkeit: «Fs gibt Leute die meinen, dass das <ursprüngliche Wissen>
ausreichen. Für viele seiner Schüler war es aber nicht leicht, sich diese Auffassung an- im Leeren hiinge, dass es des Sehens und Hörens (der empirischen Erkenntnis: _jian
zueignen. Sie riiumten ihrem Lehrer zwar ein, dass das menschliche lTcrz im Sinne von wen J!~) bedürfe, um ihm bei seiner Außenmg n,1chznhelfen (yi zhu Ja zhi J,.:;/J!b~.Z);
J.Vlcngzi zum Guten tendiert, aber sie bezweifelten, ob dies ausreicht, um in der jeweili- das ,ursprüngliche \Vissen> rnüssc, mn kein leeres \i\/issen ,,u sein, von den himmli-
gen praktischen Situation zu wissen, wie man sich ethisch richtig verhalten soll. Schon schen (natürlichen) Ordn ungsprin1,ipicn Celmmch machen (bi yong tian li 16,ffl ;JiJ!ll).
1512/ l 3 formulierte einer der ersten bekannten Schüler Wang Yangmings, Xu Ai, die- Das ist die traditionelle Auffassung (v11n xi z:hi shuo J-IHl.zfilt).» 5 Wm1g Ji appelliert
ses Problem, und noch in einem Brief von l 527 schreibt Wang Yangming, dass es unter bei der Kennzeichnung dieser nach ihn1 falschen Auffassung an den von Zhang Zai
seinen Schülern oder «Gleichgesinnten» l ,eute gebe, die zwar das «ursprüngliche (1020-1078) aufgcstentcn Unterschied ,,wischen « \Nissen der Tbgendnatur» (de xing
\i\/isscn» hochhalten, aber es oder dessen «Verwirklichung» für sich allein genommen zhi zhi 1~11..2.9:D) und «Wissen durch Sehen und lförcn» (jian wen zhi zhi 5i!,~.Z9'0) 6
als für das ethische ! ,eben ungenügend betrachten und noch zusätzliche Erkenntnisse und versteht das «\Visscn der Tugcnd11,1tur>, als das <,ursprüngliche Wissen» und das
fordern: «In der neueren Zeit vermögen alle Gleichgesinnten (tong zhi [6]$) über das «Wissen durch Sehen und I Tiiren» ,1ls \Vissen aufgrund der Erforschung der Onl-
<ursprüngliche Wissen> Reden zu führen, aber ich habe noch keinen gesehen, der es nungsprinzipicn der iiußeren Dinge. Übrigens ist bis in die chinesische Philosophie
wirklich in der eigenen Erfahrung ,,u erkennen vermag. Daher ist es unvermeidlich, der Gegenwart das Vcrhiiltnis ,,wischen "ursprünglichem Wissen» und dem empiri-
dass sie noch an ihm zweifeln. So gibt es solche, die meinen, dass das <ursprüngliche schen Wissen («durch Sehen und Hören») ein Problem geblieben. 7
Wissen> nicht genüge, um die Ordnungsprinzipien der Welt auszuschöpfen (bu zu yijin
r
tian xia zhi li :if' JE_J,,:;I.IU~ .Z!J.), sondern dass man noch unermüdlich Untersuchungen
anstellen müsse, um es zu ergänzen (zeng yi zhi ~M.z). Und es gibt auch solche, die 2 Siehe unten in Teil II, Kap. 4, § 5, S. 669.
3 In Luo Hongxians «Aufzeichnungen von der Sommerreise», Si ku quan shu, Nianan wen ji, juan 5,
meinen, dass die <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> noch nicht notwendig S. 28a; Luo Hongxian ji, 2007,juan 3, S. 71.
zur Übereinstimmung mit den himmlischen (natürlichen) Ordnungsprinzipien führe, 4 Zu diesen vier «falschen Meinungen» siehe unten in Teil II das Kapitel 5, S. 757f.
sondern dass man mit dem <ursprünglichen Wissen> das untersuchen müsse, was sie 5 Rede auf der Versammlung von Chuyang [1553], Wang Longxi quanji,juan 2, S. 9b (Taipei 1970,
die himmlischen Ordnungsprinzipien nennen (yi liang zhi jiang qiu qi suo wei tian li
s. 174).
6 Siehe seine Schrift Chengmeng, Kap. 7 (Daxin pian): «Der weltliche Mensch hält in der Begrenzt-
.l;l. ~~/iffi5JUtJ5Jf ~ :k!J.); erst nachdem man an diesen festhalte und sie als feste Regeln heit von Sehen und Hören inne. Der heilige Mensch schöpft seine Natur aus und fesselt sein Herz
betrachte (zhi zhi yi wei yi ding zhi ze ~;z.l;l.~-.'iE.ZJl.tl), könne man ohne Fehl folgen.» 1 nicht durch Sehen und Hören. [...] Das Wissen durch Sehen und Hören weiß aufgrund des Kon-
taktes mit den Dingen, aber weiß nicht, was das Wissen der Tugendnatur weiß. Was das Wissen der
Auch nach dem Tod Wang Yangmings blieb dies unter seinen Schülern eine diskutierte Tugendnatur weiß, entsteht nicht durch Sehen und Hören.» Vor dem Hintergrund dieses siebten
Frage, was sicher auch dem Einfluss der Lehre Zhu Xis, die damals ja die offizielle war, Kapitels gelesen identifiziert Zhang Zai im sechsten Kapitel (Cheng mingpian) implizit das «Wissen
zuzuschreiben ist. Im Jahr 15 49 kritisierte Wang Ji in einer Versammlung der Schule der Tugendnatur» mit dem «ursprünglichen Wissen» (liang zhi lll~): «Was die wahre Helligkeit
weiß, ist das ursprüngliche Wissen der Himmelstugend (tian de liang zhi ;lc~ !ll~) und nicht bloß
Wang Yangmings im Chongxuan-Tempel beim Drachen-und-Tiger-Gebirge im das kleine Wissen des Sehens und Hörens.»
Nordosten der Provinz Jiangxi zwei falsche Meinungen innerhalb der Schule. Die 7 Xiong Shili (1885-1968), der sich grundsätzlich auf Wang Yangming beruft, folgt diesem in der
Interpretation der «Verwirklichung des Wissens» (zhi zhi ~~) im ersten Kapitel des Daxue; das
«ge wu :M\'.!l?il» dieses Kapitels will er aber im Sinne von Zhu Xi als «Untersuchung der Dinge»
verstanden wissen. Nach Xiong müssen die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» und
«An Ma Zixin», datiert auf das Jahr ding hai (1527), Quanji,juan 6, Shanghai 1992, S. 218. die empirische Forschung gleichzeitig (jian Mi:) erfolgen. Die «Verwirklichung des ursprünglichen

1
i
252 253

Wang Yangmings Antwort auf die Frage seiner Schüler über die Hinlänglichkeit und Bildung, durch das Erlernen von moralisch richtigen Verhaltensweisen, sei es
des «ursprünglichen Wissens» für das ethisch richtige Handeln fällt nun verschieden aufgrund der Erziehung durch die Eltern, Lehrer und andere soziale Autoritäten, sei
aus, je nachdem, ob er seiner Antwort seinen älteren, auf Mengzi basierenden Begriff es aufgrund des eigenen Studiums, besonders des konfuzianischen Kanons, und der
des «ursprünglichen Wissens» oder aber seinen späteren Begriff des immer vollkom- eigenen Erfahrung. Solches «moralisches Wissen» ist nicht «ursprünglich» im «Her-
menen, auch alle mentalen Funktionen einschließenden «eigentlichen Wesens des zen», sondern durch «Sehen und Hören» erworben. In§ 2 dieses Kapitels werden wir
ursprünglichen Wissens» zugrunde legt. Das «ursprüngliche Wissen und Können» die Frage stellen, wie Wang Yangming dieses zweite Problem sieht.
des Mitgefühls, der Scham usw. nach Mengzi ist ja ein besonderes, beschränktes «Wis-
sen», das für sich allein genommen kaum ausreichen dürfte, um in einer konkreten § 1 Die Diskussionen Wang Yangmings mit seinen Schülern über das
Situation zu wissen, wie man sich ethisch richtig verhalten soll. Diese durch die Ver- Verhältnis zwischen dem «ursprünglichen Wissen» und der Erkenntnis
schiedenheit seiner Begriffe des «ursprünglichen Wissens» bedingte Verschiedenheit der richtigen Mittel zur Verwirklichung von etwas moralisch Gutem
seiner Antworten auf jene Frage der Hinlänglichkeit versucht der erste Paragraph
dieses Kapitels aufzuzeigen. · Die Schüler, die Wang Yangming über dieses Verhältnis befragen, räumen ihm ohne
Die Frage nach der Hinlänglichkeit des «ursprünglichen Wissens» für das mo- weiteres ein, dass das menschliche Herz im Sinne von Mengzi von Natur aus Tenden-
ralisch richtige Handeln enthält aber zwei grundsätzlich verschiedenartige Probleme: zen zum Guten hat, aber sie bezweifeln, ob diese guten Tendenzen ausreichen, um in
Das eine betrifft die Ergänzungsbedürftigkeit des «ursprünglichen Wissens» durch den jeweiligen praktischen Situation zu wissen, wie man sich ethisch richtig verhalten
Erkenntnisse oder Informationen über die faktische Situation, in der man handelt, soll. Sie fragen ihren Lehrer, ob man dazu nicht doch im Sinne von Zhu Xi ge wu
zum Beispiel über die faktische Lage der Eltern, deren Wohlergehen man in der ffl.WJ betreiben, das heißt die Ordnungsprinzipien der Dinge erforschen soll, wobei
kindlichen Pietät anstrebt, und durch Kenntnisse der besten «technischen» Mittel, hier die «Ordnungsprinzipien» nicht moralische Normen, sondern, wie dies bei Zhu
die man zum Beispiel in der Sorge für das Wohlergehen der Eltern einsetzen kann. Xi auch der Fall sein kann, die Struktur und Zusammenhänge der Dinge bedeuten.
Solche Kenntnisse sind an und für sich nicht moralischer Natur. Bei den Fragen der In diesem Sinne sagt Xu Ai, der Schwager und einer der ersten bekannten Schüler
Schüler Wang Yangmings nach der Hinlänglichkeit des ursprünglichen Wissens geht Wang Yangmings, in einem Gespräch, das er mit diesem im Winter 1512/13 führte: 8
es hauptsächlich um die Erkenntnisse der Mittel, um das «technische» Know-how, «Ich vermute, dass es bei der Pietät gegenüber den Eltern, bei der Loyalität gegen-
wie man das ethisch Gute verwirklichen kann. Das andere Problem betrifft die Er- über dem Herrscher, bei der Zuverlässigkeit gegenüber den Freunden und bei der
gänzungsbedürftigkeit des «ursprünglichen Wissens» durch moralische Erziehung Menschlichkeit in der Regierung des Volkes viele Ordnungsprinzipien gibt, die man
untersuchen muss (bu ke bu cha 1"iiJ1"~).»9 Wang Yangming antwortet ihm, dass man
die Ordnungsprinzipien der Pietät gegenüber den Eltern, der Loyalität gegenüber
Wissens» ohne empirische Erkenntnis hängt im Leeren, aber das «ursprüngliche Wissen» muss dem Herrscher, der Zuverlässigkeit gegenüber den Freunden und der Menschlichkeit
die Grundlage der empirischen Forschung bilden, so dass Xiong die empirische Forschung als
«Funktion (yong ffl) des ursprünglichen Wissens» bezeichnen kann. Xiong Shili: Dujingshi yao, gegenüber dem regierten Volk nicht aufseiten der Eltern, des Herrschers, der Freunde
juan 1, nach der Darstellung von Tang Junyi in Zhongguo zhexue yuanlun, Daohm pian, 2., veränderte und des Volkes suchen dürfe, sondern dass im Umgang mit den Eltern, dem Herrscher,
Auflage, Hongkong 1974, S. 337. - Mon Zongsan (1909-1995) widmet in seiner Schrift «Wang den Freunden und dem Volk die Äußerungen unseres Herzens pietätvoll, loyal, zu-
Yangmings Lehre von der Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» (1954) das ganze dritte
Kapitel («Probleme der Verwirklichung des Wissens», Zhi zhi yi nan, S. 23-38) dem Problem des verlässig und menschlich sind, das heißt jene Ordnungsprinzipien sind, wenn nicht
Verhältnisses zwischen dem «ursprünglichen» und dem sich Gegenstände gegenüberstellenden egoistische Wünsche unser Herz verdecken. Doch Xu Ai wird seiner Zweifel nicht los
«empirischen Wissen» (zhi shi ~~). Er wirft Wang Yangming vor, dass er in der «Verwirklichung und antwortet: «Wenn ich Sie so sprechen höre, fühle ich schon, dass es da Einsich-
des ursprünglichen Wissens» das dazn notwendige empirisch-gegenständliche Erkennen (zhi shi
~~)übergehe.Mon selbst interpretiert Wang Yangmings «ursprüngliches Wissen» als metaphy- tiges gibt. Doch die alte Lehre [von Zhu Xi] bindet noch meine Gedanken, und ich
sischen (xing er shang ~im J:.), nichtindividuellen, sondern universalen (kosmischen) Willen (yi zhi werde sie nicht los. Zum Beispiel im Dienst an den Eltern <bei der Sorge um Wärme
:f:~) oder als «Herz des Himmels» (tian xin ~,t,,), dessen eigenes Gesetz das «Ordnungsprinzip des [im Winter] und Kühlung [im Sommer], bei der Sicherung [ihrer Gesundheit am
Himmels» ist und der «apriorisch» (xian tian ,t~) das Gute und das Schlechte erkennt und sich für
das Gute und gegen das Schlechte entscheidet. Indem dieser Wille sich «verwirklicht», muss er sich Morgen und Abend]> 10 gibt es doch viele Einzelheiten (jie mu ffil" 1§1 ); muss man diese
notwendigerweise in die individuellen, den faktischen Gegenständen gegenüberstehenden Be- nicht untersuchen (jiang qiu •51<)?» Wang Yangming weist in seiner Antwort zuerst
wusstseine begeben, die sowohl die praktischen Geschäfte (shi $), zum Beispiel den Dienst an der auf das für ihn allein Wesentliche: «Wie sollte man diese nicht untersuchen müssen!
Eltern oder das Herstellen eines Stuhles, als auch die Ordnungsprinzipien der bloß gegenständ-
lichen «Dinge» (wu ~), etwa der Eltern oder des Stuhles, erkennen (zhi shi ~~). Der kosmische
Wille ist die «Formursache» (xing shi yin ~:it~), die Gesetze (Ordnungsprinzipien) der «Geschäf-
te» und «Dinge» sind die «Materialursache» (cai zhi yin t.011;!;1) der «Verwirklichung des ursprüng-
lichen Wissens». Die individuellen empirisch-gegenständlichen Erkenntnisse dieser «Geschäfte» 8 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil den § 1.
und «Dinge» sind aber letztlich im metaphysischen apriorischen Willen (im «ursprünglichen 9 Chuanxi tu I, Nr. 3, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 2.
Wissen») integriert, da dieser seinen ganzen Verwirklichungsprozess auslöst und dominiert. 10 Gemäß den Anweisungen im ersten Kapitel des «Buches der Sitte».
254 255

Doch geht es dabei nur um die Hauptsache (das Entscheidende: zhi shi you ge tou nao Voraussetzungen des jeweiligen konkreten ethischen Verhaltens herauszufinden. Nur
.R~:fiffl!t~): Man muss nur in seinem Herzen untersuchen, ob die menschlichen stellt nach ihm ein ethisch wahrhaftes Herz gemäß den jeweiligen Situationen solche
[egoistischen] Wünsche vertrieben und die himmlische Ordnungsprinzipien bewahrt empirischen Untersuchungen von selbst, spontan, an, so dass das ganze Problem des
werden. Wenn man zum Beispiel beim Erwärmen im Winter untersucht, geht es nur ethischen Verhaltens nicht solche Untersuchungen sind, sondern die fundamentale
darum, die kindliche Pietät unseres Herzens auszuschöpfen, in der Befürchtung, dass ethische Gesinnung oder Einstellung. Zu solchen empirischen Untersuchungen durch
sich ein wenig menschliche [egoistische] Wünsche eingemischt haben könnten; wenn «Sehen und Hören» kann man nicht nur das Herausfinden von technischen Mitteln,
man zum Beispiel beim Abkühlen im Sommer untersucht, geht es auch nur darum, zum Beispiel des «Erwärmens und Abkühlens», sondern auch das Erkennen einer
die kindliche Pietät unseres Herzens auszuschöpfen, in der Befürchtung, dass sich ein faktischen Situation, in der man handeln muss, rechnen, zum Beispiel, wie es. den
wenig menschliche [egoistische] Wünsche eingemischt haben könnten: Es geht nur Eltern faktisch geht, an was sie leiden, was ihnen fehlt, was sie wünschen etc. Wenn
darum, unser Herz zu untersuchen (zhi shi jiang qiu de ci xin .R~~*1~Jlt,t.,).» Wang WangJi 1549 im Drachen-und-Tiger-Gebirge und 1553 in Chuyang es als eine fal-
Yangming will also die ganze Energie unserer« Untersuchung» auf unser eigenes Herz sche Meinung hinstellte, dass das «ursprüngliche Wissen» für sich im Leeren schwebe
lenken: Es gilt zu untersuchen, ob es ohne Beimischung von egoistischen Interessen und noch des «Sehens und Hörens» bedürfe, um ihm bei der praktischen Tätigkeit
seinem innersten «Ordnungsprinzip» folgt. Er lenkt damit zunächst von der Frage Xu beizustehen, so konnte sich eine solche Meinung in gewissem Sinne auf den frühen
Ais ab, die auf die Notwendigkeit der Untersuchung von technischen Mitteln für die Wang Yangming berufen. Denn die «einzelnen Bedingungen», um die man in einer
Fürsorge gegenüber den Eltern abzielte, und verweist ihn auf das nach seiner Meinung konkreten Situation des Handelns wissen muss, werden hier nicht zum Inhalt des «ur-
im ethischen Handeln allein Entscheidende. Erst danach geht er auf Xu Ais Anliegen sprünglichen Wissens» gerechnet, sondern als etwas betrachtet, was der ethisch Ge-
ein: «Wenn unser Herz keine menschlichen [egoistischen] Begierden hat und rein sinnte noch zu überlegen und herauszufinden hat. Dies entspricht völlig Wang Yang-
das himmlische Ordnungsprinzip, rein ein Herz der kindlichen Pietät und Liebe ist, mings erstem, auf Mengzi zurückgehendem Begriff des «ursprünglichen Wissens».
dann wird es sich im Winter ganz von selbst (zi ran ~ ~) Gedanken über das Frieren Im selben Sinne antwortet Wang Yangming im ersten Teil des Chuanxi lu einem
der Eltern machen und folglich von sich aus nach einem Verfahren des Erwärmens anderen Gesprächspartner, der ihm dieselbe Frage wie Xu Ai stellt. Das Gespräch
suchen wollen (zi yao qu qiu ge wen de dao li ~ ~**M~B1Hi1.1), und im Sommer wird wurde auch von Xu Ai aufgezeichnet und dürfte im selben Jahr wie das zuvor zitierte
es sich ganz von selbst (zi ran ~ ~) Gedanken über die Hitze der Eltern machen und stattgefunden haben: «Zheng Zhaoshuo sagte: <Das höchste Gute muss man auch in
folglich von sich aus nach einem Verfahren des Abkühlens suchen wollen. All das sind Ereignissen und Dingen suchen.> Der Lehrer [Yangming] antwortete: <Das höchs-
einzelne konkrete Bedingungen [des betreffenden pietätvollen Verhaltens], die jenes te Gute besteht nur in der völligen Einheit unseres Herzen mit dem himmlischen
wahrhaft pietätvolle Herz herausbringt (na cheng xiao de xin fa chu lai de tiao jian llß~~ Ordnungsprinzip (ci xin chun hu tian li zhi ji 1.tU,,~lJ':;1\:1.IZ*-'i). Was soll man da noch
~,Mf l±l*~flfR{tj:), Es braucht also zuerst das Herz wahrhaftiger kindlicher Pietät, und in den Ereignissen und Dingen suchen? Legen Sie mir ein Beispiel vorl> Zhaoshuo
nachher treten jene Bedingungen hervor (ran hou you zhe tiao jian fa chu lai ~~fi~~ sagte: <Zum Beispiel im Dienst an den Eltern muss man bei den Einzelheiten für die
{Hll±l*)- Wenn man es mit einem Baum vergleicht, ist das Herz wahrhaftiger Pietät Erwärmung im Winter und für die Abkühlung im Sommer und bei der passenden
die Wurzel, und die zahlreichen Bedingungen sind die Äste und Blätter. Es braucht Pflege das Richtige suchen, erst dann ist es das höchste Gute. Es braucht also die
zuerst die Wurzel, erst dann gibt es Zweige und Blätter. Man kann nicht zuerst nach Anstrengung des <Lernens, Fragens, Denkens und Erörterns> (xue wen si bian E/Jrc,
den Zweigen und Blättern suchen und nachher die Wurzel einpflanzen.» 11 J~J~).> 12 Der Lehrer [Yangming] antwortete: <Wenn es sich nur um die Einzelheiten
In diesem Gespräch zwischen Wang Yangming und Xu Ai treten die Ausdrücke der Erwärmung und Abkühlung und um das Passende der Pflege handelt, reicht eine
«ursprüngliches Wissen» und «Wissen aufgrund von Sehen und Hären» nicht auf. =
Erörterung von ein bis zwei Tagen aus (ke yi ri er ri jiang zhi erjin 'i:iJ - 1:1 1:1 ~;z 'fföli).
Aber das «die himmlischen Ordnungsprinzipien in sich tragende Herz» kann für den Was braucht es an dieser Stelle ein <Lernen, Fragen, Denken und Erörtern>! Was bei
schon damals von Wang Yangming verwendeten Begriff des <<ursprünglichen Wis- der Erwärmung und Abkühlung und der Pflege der Eltern vonnöten ist, ist auch nur
sens» (im Sinne von Mengzi) stehen, und das «technische» Wissen um jene einzelnen die völlige Einheit unseres Herzens mit dem himmlischen Ordnungsprinzip. Wenn
faktischen Bedingungen pietätvollen Verhaltens etc. ist ein «Wissen aufgrund von es an dieser Stelle am <Lernen, Fragen, Denken und Erörtern> gebricht, dann entste-
Sehen und Hören». Wang Yangming legt in diesem Gespräch das ganze Gewicht auf hen unvermeidlich aus kleinen Abweichungen große Verfehlungen. [... ] Wenn man
die Reinigung des Herzens von der «Verdeckung» durch egoistische Wünsche, aber er meint, dass es das höchste Gute ist, wenn nur jene äußeren Einzelheiten gefunden sind
verneint keineswegs, dass dieses so gereinigte und seinen inneren Ordnungsprinzipien (yi jie qiu de shi dang fiftlJ*fl~'I'), dann kann man auch das Mimen eines Schauspielers
folgende Herz noch zusätzlich des «Sehens und Hörens» bedarf, um die technischen von solchen richtigen äußeren Einzelheiten des Erwärmens, Abkühlens und Pflegens

11 Chuanxi ltt I, Nr. 3, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 2f. 12 Gemäß dem neunzehnten Kapitel des Zhongyong.
256 257

als höchstes Gutes bezeichnen.>» 13 Auch hier legt Wang Yangming das ganze Ge- suchungen» der Dinge anstellen und so seine ganze Energie dafür gebrauchen muss;
wicht der ethischen Anstrengung darauf, dass das menschliche Herz im Streben und von «Untersuchungen von ein bis zwei 'fagen» würde er ihn wohl auch hier nicht
Handeln rein das ihm eigene «himmlische Ordnungsprinzip» zum Ausdruck bringt. dispensieren wollen.
Hier muss man «lernen, fragen, denken und erörtern». Die ethische Entscheidung Ein anderes Verhältnis zwischen <<ursprünglichem vVissen» und der empirischen
liegt allein hier. Der bloße Gebrauch der richtigen Mittel kann ein bloßes, Schauspiel Erkenntnis der faktischen Umstände und der technischen Mittel des Handelns ergibt
sein. Das Herausfinden dieser «technischen» Mittel ist eine leichte Sache, die «in sich, wenn wir Wang Yangmings spätere Texte heranziehen, die den Begriff des immer
ein bis zwei 'fogen» zu erledigen ist. Aber es braucht immerhin noch «ein bis zwei vollkommenen «eigentlichen Wesens des ursprünglichen ,vissens» enthalten. Wie
Thge» der empirischen Erkundigung, das heißt, das «Herz» bzw. das «ursprüngliche wir oben in Kapitel 3 gesehen lrnben, sind «Sehen und Hören» nach diesem Begriff
Wissen» weiß nicht schon von sich aus, welches die geeigneten praktischen Mittel zur «Funktionen des ursprünglichen Wissens». 1524 schrieb Wang Yangming in einem
Verwirklichung seiner guten Absichten sind. Brief an seinen Schüler Gu Lin (Beiname: Dongqiao): «Im Sorgen um die Wärme
In seiner früheren Zeit verglich Wang Ymgming das ethische Lernen mit dem und Abkühlung für die Eltern muss man vollständig ausführen, was das <ursprüngliche
Reinigen eines Spiegels: Wenn der Spiegel gereinigt ist, spiegelt er von selbst die je- Wissen> über die notwendigen Einzelheiten der Erwärmung und Abkühlung weiß
weils vorliegenden Dinge. In analoger Weise nimmt das von egoistischen Wünschen (tiang zhi suo z.hi dang ruhe wei wenjing zhi jic 2,he l~HllJi./r~~:tm,fiiJ~5m,_)l'!r;zffii"=,!f), und
gereinigte Herz von selbst die jeweilige Situation richtig wahr und entspricht ihr bei der Unterstützung der Eltern in ihrem Alter muss man vollständig ausführen,
angemessen. Ein Schüler fragte ihn: «Die heiligen Menschen entsprechen jeweils was das <ursprüngliche Wissen> über das Geeignete dieser Unterstützung weiß, erst
den veränderten Zeiten; müssen sie da nicht vorerst Untersuchungen anstellen?» dann kann man von der <Berichtigung der Handlungen> (ge wu) sprechen. Wenn die
\Vang Yangming antwortete ihm: «Wieso sollten sie da zahlreiche Untersuchungen II andlungen des Erwärmens und Abkühlens berichtigt (richtig) sind, erst dann ist das
anstellen müssen (ru he jiang qiu de xu duo :!i□ 1i'iJ~3.1<1~~~ )! Das Herz der heiligen um das Erwärmen und Abkühlen wissende <ursprüngliche Wissen> <verwirklicht> (zhi
Menschen ist wie ein Spiegel. Es ist nur klar (hell) und entspricht so den jeweiligen wen jing zhi liang zhi shi zhi ~JK&)l'!r;z ~~M:l3&); und wenn die Handlungen der Unter-
Anforderungen und spiegelt alle [gegenwärtigen] Dinge. Die vergangenen Gestalten stützung berichtigt (richtig) sind, erst dann ist das um die Unterstützung der Eltern
bleiben nicht an ihm haften, und die noch nicht gespiegelten Gestalten nimmt es wissende <ursprüngliche Wissen> verwirklicht.» 17 Und im selben Brief heißt es etwas
nichtvorweg 1''.» 11 Auch in dieser Antwort richtet Wang ½ngming den ganzen Fokus später: «Wie könnte der heilige lvTensch nicht um die technischen Einzelheiten [des
auf die richtige ethische Einstellung zu den Dingen (den vergehenden Dingen nicht Handelns] und die wechselnden Zeitumstiinde wissen (jic mu shi bian shcng ren qi bu
nachhängen und nicht zu viel vorauskalkulieren) und nimmt das Untersuchen der zhi W ~ ~~~.A.~1'~); aber er betrachtet nicht allein solche Dinge als Gegenstand
Dinge leicht. Xu Ai kennzeichnet den Unterschied in der Auffassung des ge wu tMm seines Lernens (bu zhuan yi ci wei xue 1°'~P..J.Jl;t~~), sondern was er sein Lernen nennt,
im ersten Kapitel des Daxue zwischen seinem Lehrer Wang Yangming und Zhu Xi ist nichts anderes als die <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens>.» 18 Das «ur-
mit diesem Spiegelgleichnis: «Nach der Auffassung der neueren Zeit rd.h. der Schule sprüngliche vVissen» weiß also nach diesem llrief von 1524 selbst um die empirischen
Zhu Xis] muss die ethische Anstrengung auf die Spiegelung [Erkenntnis] der Dinge faktischen Umstände und die einzelnen Mittel des Handelns; im «Lernen» geht es
gerichtet werden, aber diese Leute verstehen nicht, dass ein trüber Spiegel die Dinge nicht darum, in besonderen empirischen Untersuchungen solche Umstände zu er-
nicht wiederzugeben vermag. In der Sicht unseres Lehrers [Wang Yangming] besteht kennen und solche Mittel herauszufinden, sondern nur darum, <<das ursprüngliche
die Aufgabe des ge wu in der Reinigung des Spiegels, um ihn dadurch klar (hell) zu Wissen zu verwirklichen>,.
machen. Die ethische Anstrengung ist auf das Reinigen gerichtet. Wenn der Spiegel In einem zwei J:ihre später (15 2<J) geschriebenen Antwortbrief an seinen Schü-
klar (hell) geworden ist, wird er auch das Spiegeln [der Dinge] nicht verfehlen.» 16 In ler Ouyang De, der schon 1517 /18 in Jiangxi bei ihm lernte, bringt Wang Yangming
diesem Gleichnis kommt die Notwendigkeit einer besonderen empirischen Unter- denselben Gedanken zum Ausdruck. Ouyang De hatte ihm seine Auffassung von
suchung der Dinge zwar nicht zur Geltung, aber Wang Yangming bestreitet auch im der notwendigen Verbindung von «ursprünglichem Wissen» und Erkennen «durch
Zusan1u1cnhang dieses Gleichnisses nur, dass der heilige Mensch «zahlreiche Unter- Sehen und Hören» zur Stellungnahme vorgelegt. Fr hatte geschrieben, dass nach
seinem Verständnis das «ursprüngliche \Vissen» zw;ir nicht aufgrund von «Sehen und
Hören» entstehe, dass aber «Sehen und Hören» der Ausgangspunkt des Erkennens
des Lernenden sei und dass das «ursprüngliche Wissen» zu seiner «Verwirklichung»
13 Chuanxi lu I, Nr. 4, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 3.
14 i\nspielung auf das Buch Zhuangzi, 7. Stück, 6. Kap.: «Der vollkommene Mensch gebraucht sein
I Icrz wie einen Spiegel. Fr läuft den Dinl-(en nicht nach !wenn sie weggehen! und läuft ihnen nicht
entgegen [bevor sie an kommen]; er entspricht ihnen uncl hortet sie nicht.» Ü bcrsetzung bei Burton
Watson 1970, S. 97, bei Richard Wilhelm 1972, S. 99.
15 Chuanxi tu I, Nr. 21, Shanghai 1992, S. 12. 17 Brief an Gu Dongqiao, Chuanxi lu II, Nr.138, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 49.
16 Chuanxi lu I, Nr. 62, Shanghai 1992, S. 20. 18 Chuanxi lu II, Nr. 139, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 49.
258 259

auch davon Gebrauch machen müsse (jian wen yi liang zhi zhi yong ~lfflZ!J' ~!mzffl). müsste noch, wie nach dem ersten Begriff des «ursprünglichen Wissens», durch
Er hatte diese Verwendung des empirischen Wissens durch das «ursprüngliche Wis- «Sehen und Hören» ergänzt werden. Die Evidenzgnmdlage von Wang Yangmings
sen» als eine Art der «Vereinigung von Wissen und Handeln» hingestellt: «Wenn Ansichten ist ja seine ethische Praxis und nicht ein bloß gedachter Begriff, sei es auch
man sein <ursp1iingliches Wissen verwirklicht> und das Sehen und Hören sucht (zhi der des «ursprünglichen Wissens».
qi liang zhi er qiu zhi jüm wen~~ ~9:□ ii'ö5.KZ~lffl), scheint dies auch die Anstrengung vVang Yangming bringt in diesen Aussagen seinen dritten ßcgriff des «ursprüng-
der Vereinigung von Wissen und llandeln zu sein (si yi zhi xing he yi zhi gong 1\;1.!JJ\9:□ lichen Wissens» (das «eigentliche vVesen des ursprünglichen Wissen») ins Spiel, der
fii!;-- ;z_JJ.J).» 19 Wang Yangming sieht aber in seiner Antwort in der «Verwirklichung auch «Sehen und I Tören» als Funktionen dieses «\Nisscns» in sich schließt. Auch mit
des ursprünglichen Wissens» keine Verbindung zwischen «ursprünglichern Wissen» seinem zweiten Begriff des «ursprünglichen \Nissens» hätte er «Sehen und lliircn
und «Sehen und Ilören», sondern stellt «Sehen und Flören» als eigene Funktionen (empirisches Erkennen)>> ins ,<ursprüngliche \Visscn» integrieren können, insofern
des «ursprünglichen Wissens» hin: «Das <ursprüngliche Wissen> ist nicht aufgrund das «moralische Bewusstsein» (Gewissen) nur dann in einer konkreten Handlungs-
von Sehen und Flörcn vorhanden, sondern alles Sehen und Hören ist Funktion des situation eine eigene Handlungsabsicht ,1ls gut wahrninnnt, wenn diese sorgfältig
<ursprünglichen Wissens> (jian wen rnofei liang zhi zhiyong ~lffl~~F ~9:□ Zffl). Deshalb (gewissenhaft) die empirischen Frkundigrmgen unternimmt oder unternommen hat,
wird das <nrspriinglichc Wissen> nicht durch Sehen und Hören behindert und ist auch die zum bcabsich tigten 1bndcln nötig sind. Doch spricht Wang ~mgming, soweit ich
nicht vom Sehen und liören getrennt. [... l Außerhalb des <ursprünglichen Wissens> sehe, nicht in dieser \Veise.
gibt es kein anderes Wissen (liang zhi yi wai hie wu zhiyi ~!mP.,,l_ji'J.füf!O□ ~)- l... ] In der
Anstrengung des Lernens muss man vor allem darauf achten, dass die leitende Absicht § 2 Wang Yangmings Sicht des Verhältnisses zwischen «ursprünglichem
richtig ist (z.hu yi tou nao shi dmzg 3::~l1iUfii1:ffl:~). Wenn man darauf achtet, dass die Wissen» und der moralischen Erziehung durch andere Personen sowie
leitende Absicht allein die <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> ist, dann ist der Belehrung durch den konfuzianischen Kanon. Die diesbezügliche
alles Sehen und l lören die Leistung der <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> Meinung seines Schülers Wang Gen
(zhi liang z.hi zhi gong ~~9:D;z_JJ.J). Denn obschon im täglichen Leben das Sehen und
!Jören und die sozialen Kontakte iiußerst vielfältig sind, sind sie :1 lle doch Funktionen Neben der Frage, ob das «ursprüngliche \Vissen» für das richtige Handeln durch
und Auswirkungen des <ursprünglichen Wissens> ('mo fei liang zhi zhiJit yong liu xing empirische Erken 11t11isse der faktischen I Lmdlungssitm1tion und der technischen
~~F ~9:□ Z~fflj.iif.fi), und außerhalb des Sehens und Hörcns und der sozialen Kontakte Mittel zu ergiinzcn sei, stellte sich für \;\Tang Y:mgming auch die Frage nach der Er-
lrnnn das <ursprüngliche Wissen> auch nicht <Verwirklicht> werden. Deshalh sind sie giinzungsbediirfrigkeit des <<ursprünglichen vVisscns» durch moralische Erziehung
[n:imlich die <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> und das <Sehen und Hö- und moralische Belehrung vonseiten anderer Personen und des konfuzianischen Ka-
reml nur eine einzige Sache (zhi shiyi shi 9:ffl:-$). Wenn Sie schreiben, dass man nons. Wiihrend hintl'.r jener Frage Zirn Xi steht, wirken bei dieser, historisch gesehen,
<das <ursprüngliche Wissen verwirklicht> und das Sehen und Hören sucht>, dann Gaozi oder Xunzi. Wir scheinen vor einem \tViderspruch zu stehen: Einerseits betonte
machen Sie durch diese Redeweise daraus zwei Dinge. Zwar besteht dann noch ein Wang Yangming schon seit der Grundlegung seines Denkens in Longchang (1508)
Unterschied zum unabhängigen Verfolgen der sekundären Dinge des Sehens und bzw. schon seit seiner Konzeption seines an Mengzi orientierten ersten Begriffs des
Hörens, aber das Verfehlen der <Einheit und Feinheit> [der ethischen Praxis] ist «ursprünglichen Wissens» unablässig, dass jeder Mensch aufgrund seiner eigenen
dasselbe.» 20 Das ganze Gewicht von Wang Yangmings Argumentation liegt wohl «Natur» um das Gute und Schlechte weiß; andererseits bemühte er sich unermüdlich
darin, dass die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» und das «Sehen und um die moralische Erziehung seiner Mitmenschen.
Hören» eine einzige praktische Sache sind: Die <<Verwirklichung des ursprünglichen Um zu zeigen, dass jeder Mensch aus sich selbst um das moralisch Gute und
Wissens» ist das einzige «Lernen»; man muss nicht außer ihr noch zusätzliche Un- Schlechte weiß, führt Wang Yangming verschiedenartige Argumente an. So weist er
tersuchungen durch «Sehen und Hören» anstellen, die dann mit ihr zu vereinigen darauf hin, dass ein schlechter Mensch, der Schlimmes verbrochen hat, gegenüber
wären, sondern sie umfasst in sich selbst «Sehen und Hören». Das ist wohl mit ein einem Edlen seine schlechten Taten verbirgt und sich in ein gutes Licht zu rücken
Grund, warum Wang Yangming in seiner späteren Zeit «Sehen und Hören» als sucht. 21 Oder er sagt: «Das <ursprüngliche Wissen> ist im Menschen vorhanden und
eigene «Funktionen des ursprünglichen Wissens» betrachtete, also zu diesem selbst kann nicht untergehen, was er auch immer tun mag. Auch ein Räuber und Dieb
rechnete. Denn wenn sie nicht dessen Funktionen wären, könnte das «Lernen» nicht weiß aus sich selbst (zi zhi ~ !m), dass er nicht ein Räuber und Dieb sein soll. Wenn
allein in der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» bestehen, sondern diese man ihn einen Dieb nennt, dann schämt er sich und errötet.» 22 Dies erinnert mich

19 Chutmxi lu II, Nr. 168, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 71. 21 «Fragen zum Daxue», Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 971f.; vgl. oben in Kap. 2 den§ 3, S. 156.
20 Ebd. 22 Chuanxi lu III, Nr. 207, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 93.
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an die Äußerung eines Jugendanwaltes, der sagte, er habe in seiner zwanzigjährigen Maßstab eine unendliche Anzahl von Längen oder mit einem Zirkel eine unendliche
beruflichen Tätigkeit noch keinen einzigen jugendlichen Kriminellen getroffen, Anzahl von Winkeln bestimmen kann. 26
der ein Krimineller sein wollte, oder an die Aussage eines Psychotherapeuten, der Grundlegend für Wang Yangmings Auffassung vom «ursprünglichen», nicht erst
die Meinung vertrat, dass jeder Mensch eigentlich ein ethisch guter 'Mensch sein anerzogenen ethischen Charakter des Menschen war sicher die menschliche Fähigkeit
möchte. Diese Feststellungen vermögen uns heute allerdings noch nicht von der des spontanen Mitgefühls oder des Fühlens für andere Wesen, das er auch bei den
«Ursprünglichkeit» des moralischen Wissens zu überzeugen, denn die dabei geltend «kleinen (moralisch geringen) Menschen» feststellte. 27 Dieses Mitgefühl bildet für
gemachten moralischen Wertungen können auf einer Internalisierung der sozialen ihn das Fundament der «Menschlichkeit» (ren 1=) und damit des ganzen ethischen
Erziehung beruhen. Verhaltens. Eine solche Sensibilität oder Offenheit für das, was anderen Wesen ge-
Wang Yangming beruft sich hingegen auch auf die Universalität moralischer Ur- schieht, kann nicht anerzogen, sondern durch gute Erziehung nur gefördert oder
teile, also auf ihre Unabhängigkeit von einer besonderen kulturellen Erziehung. In ei- durch schlechte soziale Einflüsse verdorben werden. Überhaupt fasst Wang Yang-
nem Brief von 1524 sagt er: «Sie schreiben: <Ich habe noch kein Wissen; wie könnte ich ming das moralische Bewusstsein nicht primär als ein Bewusstsein auf, wie man sich
da handeln?> Ich antworte: Das <Herz des Bejahens und Verneinens (shi fei zhi xin verhalten soll, nicht als Bewusstsein von dem, «was sich gehört» oder «was sich nicht
RJ~iZh)>23 ist ein Wissen, das alle Menschen haben. Sie sollen sich keine Sorgen gehört», «was man darf» und «was man nicht darf». Ein solches Regelbewusstsein für
darüber machen, dass Sie nicht wissen könnten, sondern nur darüber, dass Sie sich sein Verhalten gewinnt das Kind durch soziale Erziehung. Wang Yangming sieht mit
ihr Wissen nicht eingestehen (buken zhi 1'~!ßl). [ ... ] Wenn man Fremden (zhi tu zhi Mengzi die Grundlage des moralischen Bewusstseins nicht in einem solchen durch
ren fJJ.~ZA) irgendwelche Taten der Menschlichkeit und Gerechtigkeit (ren yi f=ffi) Sozialisation gewonnenen Regelbewusstsein, sondern vielmehr in spontanen Gefüh-
erzählt, dann vermögen sie alle zu wissen (neng zhi ~f.Ea), dass sie gut sind; und wenn len und Tendenzen, in einer Art geistiger Offenheit oder Sensibilität: im Mitgefühl,
man ihnen irgendwelche Taten der Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit erzählt, aber auch in der Scham oder Entrüstung über Ungerechtigkeit bzw. im «Durst» nach
dann vermögen sie alle zu wissen, dass sie nicht gut sind. Die Fremden vermögen es Gerechtigkeit, im Respekt gegenüber anderen Menschen und im Wunsch nach einem
alle zu wissen, und Sie vermöchten es nicht?»24 harmonischen, freundlichen Umgang mit ihnen, im Sinn für Richtig und Unrichtig,
Weiter verweist Wang Yangming auch auf konkrete Handlungssituationen, in der vielleicht auch als Sinn dafür zu verstehen ist, dass man es im eigenen Leben
denen jemand weiß, was das ethische Richtige ist, obschon er dazu über keinerlei an- nicht nur im Hinblick auf die Nützlichkeit (Angemessenheit der Mittel), sondern in
erkannte Vorbilder oder sozial etablierte Verhaltensregeln verfügt, sondern solchen seiner fundamentalen Ausrichtung, in seinem Dao, richtig oder falsch machen kann,
sogar zuwiderhandelt. Er führt den König Shun aus dem hohen Altertum an, der und schließlich im «Gewissen» als einem unmittelbaren Bewusstsein des Überein-
heiratete, um seine Nachkommenschaft zu sichern, ohne vorerst, wie es sich gehörte, stimmens oder Nichtübereinstimmens der eigenen Absichten und Handlungen mit
seine Eltern zu informieren, und den König Wu, der, um das Volk zu retten, eine mi- jenen fundamentalen Tendenzen und Aspirationen des eigenen Herzens. Wenn man
litärische Expedition unternahm, ohne vorerst seinen toten Vater zu begraben. Wang Wang Yangmings Lehre von der «Ursprünglichkeit» des «ursprünglichen Wissens»
Yangming schrieb in einem Brief von 1525 über diese beiden: <<Gab es jemanden kritisch beurteilen will, muss man ihn sicher im Hinblick auf solche fundamentalen
vor ihnen, der dasselbe tat und ihnen als Muster diente, das sie in Aufzeichnungen moralischen Offenheiten und Aspirationen des Menschen verstehen.
oder durch Befragung der Leute hätten finden können? Suchten sie nicht vielmehr Wang Yangming hebt den ursprünglichen moralischen Charakter des Men-
im einen Gedanken des <ursprünglichen Wissens> ihres Herzens (qiu zhu qi xin yi schen hervor, seine ursprüngliche Fähigkeit, aus sich selbst zu wissen, was gut und
nian zhi liang zhi *~jl;Jt,,-~;z lii.!ßl), wägten die Güter ab (quan qing zhong zhi yi was schlecht ist. Aber er sagt auch, dass der Mensch durch sein ethisches «Lernen»
f/UUl;z.'.ffi'.) und konnten dann nur so handeln, wie sie handelten?»25 Er vergleicht in seinem moralischen Urteil und Handeln von fremden Meinungen und Standards
in diesem Zusammenhang das «ursprüngliche Wissen» mit einem Maßstab und mit unabhängig werden soll. Die Autonomie des «ursprünglichen Wissens» ist für ihn
einem Zirkel: Was wir in der unvoraussehbaren Vielfalt unserer künftigen Lebens- wohl weniger eine faktische Frage des Vorhandenseins als noch mehr eine praktische
situationen zu tun haben, kann nicht im Voraus durch erlernte Regeln oder Verhal- Frage der realen Möglichkeit und ihrer «Verwirklichung». In einem Brief an seinen
tensmuster festgelegt werden (bu ke yu ding 1'i:iJffUE'.), sondern ist jeweils letztlich nur bedeutenden konfuzianischen Zeitgenossen Luo Qinshun, der sich weitgehend an
aufgrund unseres «ursprünglichen Wissens» zu entscheiden, so wie man mit einem ZhuXi orientierte,28 schreibt er imJahr 1520: «Das Wichtige im Lernen besteht darin,
etwas im Herzen (Geist) [durch eigene Einsicht] zu erlangen (de zhi yu xin 1iz~,t.,).

23 Mengzis Keim der Tugend der Weisheit; für Wang Yangming gleichbedeutend mit dem «ursprüng-
lichen Wissen»: siehe oben, Kap. 1, § 2, S. 125. 26 Ebd. Dasselbe Gleichnis für das «ursprüngliche Wissen» findet sich auch in den «Fragen zum
24 An Zhu Shouxie, datiert auf dasJahrjia sben (1524), Qttanji,jttan 8, Shanghai 1992, S. 276f. Daxtte», Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 969f.
25 Brief an Gu Lin (Dongqiao), datiert auf das Jahr yi yott (1525), Cbttanxi lzt II, Nr. 139, Quanji,juan 2, 27 Siehe oben in Kap. 3 den§ 5.
Shanghai 1992,S.50. 28 Zu Luo Qinshun siehe unten in der Einleitung zu Teil II den§ 4.
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Wenn ich etwas im eigenen Herzen prüfe und es als falsch erkenne, dann wage ich und es wäre ein Dualismus im Dao 32 entstanden.,:,.1 3 Die Aufgabe des Lehrers oder
nicht, es als richtig zu betrachten, selbst wenn es Konfuzius gesagt hat.» 29 Und zwei Erziehers besteht nach \Nang Yangming also nicht darin, dem Schüler ein moralisches
Jahre später, in einem I3riefvon 1522: «Das Wichtige im Lernen dcs,Edlcn besteht Wissen beizubringen, sondern ihm sein eigenes ursprüngliches moralisches Wissen
darin, etwas im [eigenen l I Icrzcn zu erlangen (de zhi yu xin 1~ ;z_Jjt,t,,). Wenn die große «auscinanderzulcgen», Er sagt hier nicht, dass dies durch das Stellen von Fragen zu
Menge etwas für richtig hält, ich es aber, wenn ich es im Herzen prüfe (qiu zhi xin geschehen hat, wie dies Sokrates maieutisch im lvlenon und Thettitetos tut, aber es geht
*;zit,,), nicht als richtig einsehe, dann wage ich nicht, es für richtig zu halten; wenn doch auch darum, dem Schüler etwas explizit zu 1nachen, was dieser schon implizit
die große Menge etwas für falsch hält, ich es aber, wenn ich es im Herzen prüfe, nicht aus sich selbst wusste,
als falsch einsehe, dann wage ich nicht, es für falsch zu halten.» 30 Und schließlich Der r,chrcr bnn dem «ursprünglichen \Visscn» des Schülers «nicht das Ge-
in einem Brief von 1525: «Wenn der Lernende den Willen aufgerichtet hat, ein ringste hinzufügen», aber er bmn ihm helfen, sein «ursprüngliches Wissen» zu ver-
heiliger Mensch zu werden, dann n1uss er nur gemäß dem, dessen sich sein eigenes deutlichen oder zu kLircn. Das gehört nach vVang Yangming zur «Verwirklichung des
<ursprüngliches Wissen> klar bewusst ist (zhijiu ziji liang zhi rningjue chu .Ri1Jt § e, ursprünglichen Wissens>>, Fs gilt gan,, ,1llgcn1cin: vVas \Vang Yangming seine Schüler
~:J;OBJ:I~~), aufrichtig bis zum Ende ausführen. Er wird so von seihst täglich etwas lehren will, ist nicht das <<ursprüngliche \Nissen», er lehrt sie nicht, was gut oder
erreichen und braucht dazu nicht viel in der Schule Büchlein zu lesen und Verweise schlecht ist, sondern er lehrt sie, ihr «ursprüngliches Wissen» zu «verwirklichen».
zu empfangen. Anerkennung und Ablehmmg, J ,ob und 'lhdcl von außen sind zwar Denn diese «Verwirklichung» ist eine Sache der Erfahnmg, und die Erfahrung, die
auch gut, um ihn 7,n unterstützen, indem er sie als Warnungen und Prüfungen ver- jernand dabei nrncht, kann anderen ivlcnschcn von Nutzen sein. Solche für andere
steht, aber sie dürfen nicht im Geringsten sein Herz beunruhigen und so zur Last nützlichen Erfahrungen sind auch im konfuzianischen Kanon enthalten. Wang Yang-
werden, so cl.iss er täglich dünnncr wird und nicht ans sich seihst weiß (ri zhtto er hu ming sagt: ,<Die Worte der i\lten (\Veisen) kommen alle aus der eigenen Erfahrung
zi z.hi EI !tllii'ö7f § :J;D).» 11 (zi ji1t jing li gJ ~~~~). So sind sie treffend und lebendig gesprochen, und wenn sie
Die Funktion des Erziehers und I ,ehrcrs kann nach W:mg Ymgming also spiitercn Generationen ühermittclt wurden, waren sie ganz deren menschlichen
nicht darin bestehen, das «ursprüngliche Wissen» des Lernenden zu ergiinzcn, ihm Vcrhiiltnisscn angepasst, \Nenn sie nicht ihre eigene Erfahrung gemacht hätten, wie
irgendwelche moralischen Prinzipen einzutrichtern. Worin besteht dann die Funk- lütten sie sich so sehr Ium ihre VVeiterg,1hc] bemühen können!» 14 Auch in diesem
tion des Lehrers, der W:mg Ymgming in so hervorragender Weise war? Er sagte in Punkt spricht W,rng Yangrning aus eigener Frfohrnng, Doch er ist sich auch bewusst,
seiner spiiteren Zeit über die Art des Unterweisens des idealen T,ehrers Konfuzius das dass die Erfahrung des Lehrers jene des Schülers nicht ersetzen kann und dass auch
Folgende, indem er auf ganz eigenwillige Weise eine Stelle aus dem Lunyu («Aussa- jeder Schüler seine eigenen !Lrfahnrngen mit der «Verwirklichung des Wissens»
gen des Konfuzius») interpretierte: «Wenn ein einfacher Mann mit einer Frage zu machen nrnss. Er sagte: «Obschon man im l ,erncn des Hinweises und des l(influsses
Konl'uzius kam, hatte dieser nie im Voraus Kenntnisse (zhi shi 9'□~), die er ihn1 zur von I ,ehrcrn und Freunden hedarf (t!ia11 h1111 ;!'ti1t-), sind diese doch weniger gut als das
Antwort gab. Sein Herz war vielmehr davon völlig leer, und er klopfte nur an die eigene Verstehen und Lösen eines .Problems (zi jia jie hua § ~M-11:',), so dass man aus
Gegenpole von richtig und falsch (shi fei liang duan ~jFffi!41il), um die jener aus sich dem Verständnis einer Sache auch hundert andere Sachen versteht. Wenn man nicht
selbst wusste (zi zhi § 9'□). Sobald er ihm diese auseinandergelegt hatte (pou jie f§IJM),
war das Herz des einfachen Mannes schon klar. Das vom einfachen Mann aus sich
selbst gewusste Richtige und Falsche (zi zhi de shi fei § :J;O(l'il~jF) ist seine eigene 32 Nämlich der Dualismus zwischen dem eigenem Herzen (Geist) und den diesem äußeren Ordnungs-
himmlische Norm (ta hen lai tian ze ,(t!pjs:*JiJl.lJ); auch die Intelligenz eines heiligen prinzipien: vgl. oben in der Einleitung zu diesem Teil Iden§ 1, S. 80,
Menschen kann da nicht das Geringste hinzufügen oder wegnehmen. Der einfache 33 Chuanxi lu III, Nr. 295, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 112f. Die Aussage des Konfuzius (Lunyu,
9. Buch, Kap. 7 [8]), die Wang Yangming hier interpretiert, ist in der Tradition vor und nach ihm
Mann vermochte nur nicht, sich selbst zu vertrauen (zi xin § ~); sobald ihm Konfu- ganz anders verstanden und übersetzt worden. Sie wurde zum Beispiel von Zhu Xi in seinen Kom-
zius [sein eigenes Wissen] auseinandergelegt hatte, war es schon ausgeschöpft. Wenn mentaren zu den «Vier Büchern» als Ausdruck der Bescheidenheit interpretiert, und die »Leere»
Konfuzius im Gespräch mit dem einfachen Mann irgendwelche Kenntnisse mitge- wurde von ihm nicht auf Konfuzius, sondern auf den gewöhnlichen Mann bezogen. Dass Konfuzius
«leeren Geistes» dem einfachen Mann dessen eigenes «ursprüngliches Wissen um Richtig und
bracht hätte, hätte er dessen <ursprüngliches Wissen> nicht auszuschöpfen vermocht, Falsch» verdeutlicht, wird in keiner Weise nahegelegt. In diesem Sinne übersetzt etwa Arthur
Waley diese Stelle: «The Master said, Do I regard myself as a possessor of wisdom? Far from it.
But if even a simple peasant comes in all sincerity and asks me a quesstion, I am ready to trash the
matter out, with all its pros and cons, to the very end.» Waley, Arthur: The Analects of Confucius,
London 1938; oder Ernst Schwarz: «Der Meister sprach: Besitze ich denn wirklich Wissen? Auch
ich besitze es nicht. Wenn ein einfacher Mann zu mir mit einer Frage kommt, und mag er auch
29 Brief an Luo Qinshun (Beiname: Zheng'an), datiert auf das Jahr geng eben (1520), Cbuanxi lu II, bar allen Wissens erscheinen, so klopfe ich die beiden Enden seiner Frage ab und bemühe mich, sie
Nr. 173, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 76. gründlich zu durchdenken (um eine mögliche Antwort zu finden).» Konfuzius. Gespräche des Meisters
30 An Xu Chengzhi f#: mz, datiert auf das Jahr ren wu (1522), Quanji,juan 21, Shanghai 1992, S. 808f. Kung, München 1985.
31 Brief an Liu Neizhong, datiert auf das Jahr yi you (1525), Quanji,juan 5, Shanghai 1992, S, 196. 34 Chuanxi lu III, Nr. 296, Quanji juan 3, Shanghai 1992, S. 113,
264 265

so vorgeht, dann erreichen auch viele Hinweise und Einflussnahmen ,von Lehrern Zigong [ein Schüler des Konfuzius] wollte das Opfer eines Schafes bei der Verkün-
und Freunden nichts.» 35 digung eines neuen .iVlondes abschaffen, aber Konfuzius sagte: <Sie lieben das Schaf,
Auch Wang Yangmings einflussreicher Schüler Wang Gen (1483-1540), der ich liebe die Riten.> 3'! Oder der König von Qi wollte die Halle des Lichtes (tning tang
selbst ein großer Lehrer und Erzieher war, hat in einer mündlichen Aussage die Prio- aJjg'.) zerstören, aber Mengzi sagte: <\Venn Ihre königliche Hoheit die Herrschaft
rität der eigenen Erfahrung in der «Verwirldichung des ursprünglichen Wissens» ge- eines [wahren] Königs ausüben will, dann dürfen Sie sie nicht zerstören!>40 Wenn die
genüber fremder Belehrung hervorgehoben. Er betonte hier diese Priorität gegenüber Heiligen und Weisen nicht berichtigen helfen (jiu zheng *}IE), läuft dann das Dao
der Belehrung durch den konfuzianischen Kanon: «Wenn der Lernende am Anfang der alten Könige nicht Gefahr unterzugehen? Deshalb besteht das Dao der <Verwirk-
das leitende Prinzip der ethischen Praxis (tou nao mU!!il) id.h. die <Verwirklichung lichung des ursprünglichen \Vissens> darin, aufgrund derjenigen zu berichtigen, die
des ursprünglichen Wissens>] verstanden hat, soll er nicht gleich die Unterstützung schon früher eingesehen haben (xirm juc .$\:;J1l), die alten Belehrungen zu erforschen,
durch <Sehen und liören> suchen. Er muss [in sich] das noch Kleine nähren und viel über frühere Aussagen und alte Taten zu wissen (duo shi il,~) und sie zu verstehen
zur vollen Entfaltung bringen, dann sind die himmlische Tugend und das Dao der zu versuchen (qiu _yi ming .zhi :f< J.,j Bfl :Z). iVLm bmn das einsehen, indem man betrachtet,
[heiligen] Könige anwesend. Die <Sechs Klassiker> und die ,Vier Bücher> sind dafür dass Konfuzius sagte: <Wenn man die <Lieder> nicht studiert hat, hat man nichts zu
die Bestätigung (stw yi yin zheng zhe ye Jijf- .1;1_6Pf&:gtli,). Wenn man die Bücher studiert, sagen; wenn man die <Sitten> nicht studiert hat, kann man nicht aufrecht: stehen.> 41
nachdem die eigene ethische Anstrengung zu Kraft gelangt ist, <wiederholt rnan Altes Und: <Wenn ich mit fünfzig Jahren noch !das Buch! der <Wandlungen> studieren
und erkennt dabei Ncues>. 36 Wenn man umgekehrt vorgeht, dann strengt man sich könnte, d,11111 würde ich frei von großen Fehlern sein.>'f 2» 43 Obschon auch Wang
nicht an, nachdem man die Bücher gelesen hat.» 37 Y'lngming anerkennt, dass d,is «ursprLingliche \Nissen» verdeckt: und verdunkelt sein
Doch in einem anderen 'lext, in einem Brief an einen der vertrautesten Schüler kann und sich mit Hilfe von anderen Personen oder kanonischen Aussagen khrcn
\Nang Yangmings, Qian Dehong, der frühestens 1532, vielleicht erst nach 1537 ge- liisst, so kann für ihn diese <<Verwirklichung» dennoch nicht darin bestehen, es von
schrieben wurde,rn vertrat Wang Gen eine Abhängigkeit in der «Verwirklichung des außen durch heilige und weise Aut:oritiiten berichtigen zu lassen und sich in seinem
ursprünglichen Wissens» von der Belehrung durch die alten «Heiligen und Weisen», Verhalten einfach nach diesen zu richten, sondern nur darin, durch iiußerc Anregung
das heißt durch den konfuzianischen Kanon, die kaum mehr mit der I ,ehre ihres die eigene Einsicht zu erweitern oder zu vertiefen. \Vang Y;mgming hätte also auf die
gemeinsamen Meisters Wang Yangming von der Eigenständigkeit des «nrspriingli- Frage jenes Gelehrten eindeutig geantwortet, dass man immer der eigenen Einsicht
chcn Wissens» vereinbar ist. Er schrieb: «Neulich fragte mich ein Gelehrter: <Das folgen muss, worin er allerdings die 1\ufg.1he einschließt, die eigene Einsicht durch alle
<ursprüngliche Wissen> ist die <Natur> (xing tt), es ist <das Herz, das zustimmt und jeweils nützlichen i\ilittel, auch durch die ßclchnmg durch Lehrer und Autoritiitcn,
ablehnt (für richtig und für falsch hiilt: shi fci zhi xin *~~;z,i))>. Beim Aktivwerden zu khren. Obschon Wang Cen auch vom Verstehen der Autoritiitcn spricht, scheint
einer Absicht weiß es immer, ob diese richtig oder falsch ist. Wenn man nun von einer er dabei doch mehr an die CT!iernahrne ihrer Verhaltensmuster als :m die Vertiefung
Absicht denkt, dass diese richtig sei, ein anderer aber denkt, dass sie falsch sei, muss der eigenen Einsicht zu <lenken.
man dann der Meinung des anderen oder der eigenen Meinung folgen?> Ich meine: In seinen unmittelbar an das Zitierte anschließenden Ausführungen des Briefes
Das ,ursprüngliche Wissen> bedeutet etwas Wahres ohne Irrtum (zhen shi wu wang will Wang Gen die Lehre vom «ursprünglichen Wissen» mit der Übernahme von au-
~-ffll~); es vermag aus sich selbst das Wahre und Falsche zu unterscheiden. Dieser toritativen Verhaltensmustern in einer Weise verbinden, die sich noch mehr von Wang
Punkt ist genau zu überlegen und darf nicht aufgegeben werden! Aber, obschon das Yangmings Intentionen entfernt. Er stellt diese Verbindung dar als eine Synthese
,ursprüngliche Wissen> gewiss nichts nicht weiß (wu bu zhi 1!!Ff ~), hat es doch auch zwischen dem zu seiner Zeit viel diskutierten Gegensatz zwischen zwei Konfuzianern
Stellen der Verdeckung und Verdunkelung (yi you bi chu ?)}~~~). Zum Beispiel der Song-Zeit, Zhu Xi und LuJiuyuan (1138-1191); wahrscheinlich geht es ihm dabei
aber um den Gegensatz zwischen Zhu Xi und Wang Yangming, der auf der Seite von
LuJiuyuan gesehen wurde. Er schreibt im Anschluss an den oben zuletzt zitierten Satz:
35 Chuanxi lu III, Nr. 298, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 114.
«Aber wie kommt es dann [wenn man nach Konfuzius so viele kanonische Textestudie-
36 Zitat aus Lunyu, 2. Buch, Kap. 11.
37 Wang Xinzhai quanji (taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846),juan 2 (erster
Teil des Yulu), S. 3a (Nachdruck, S. 43).
38 Wang Gen schrieb diesen Brief an Qian Dehong, als dieser sich in Peking aufhielt. Er beginnt mit 39 Lunyu, 3. Buch, Kap. 17.
den Worten: «Sie, Herr, verbreiten das Dao in der Hauptstadt (jing shi ~:ßili) und wecken dafür das 40 Mengzi, l. Buch, 2. Teil, 5. Kap.
Interesse vieler Gelehrten.» A.a.O.,juan 5, S. 86 (Nachdruck, S. 142). Das würde für den Frühling 41 Lunyzt, 16. Buch, Kap. 13.
von 1532 sprechen, als Qian Dehong zusammen mit WangJi in Peking war, um dort die höchsten 42 Lunyu, 7. Buch, Kap. 17 (16). In der Lu-Version des Lunyu, die wohl zuverlässiger ist als die in der
Staatsprüfungen abzulegen, und die Gelegenheit benutzte, um die Lehre Wang Yangmings unter Ming-Zeit allgemein zitierte Gu-Version, steht an dieser Stelle nichts von den «Wandlungen»: vgl.
den dortigen Gelehrten bekanntzumachen: siehe unten in Teil II, Kap. l, § l, S. 403. Aber es ist oben in der allgemeinen Einleitung den§ 3, S. 16, Anm. 33.
auch möglich, dass der Brief erst nach 1537 geschrieben wurde, als Qian Dehong wiederum - dies- 43 Wang Xinzhai quanji, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 5, S. 9a-b
mal als Beamter - in Peking weilte: siehe unten, a.a.O., S. 404. (Nachdruck, S. 143f.).
266 267

ren muss], dass Konfuzius das Lernen und Wissen von vielem des Zigong ablehnte? 44 Am Schluss des Briefes an seinen .Mitschüler Qian Dehong führt Wang Gen aus
Ich meine, Zigong verstand nicht die einfache und leichte Grundlage (jian yi zhi ben dem «Klassiker der historischen Dokumente» (,Shi~jing) zwei Beispiele an, mit denen
rsi ~ .ZJ.Js:), sondern beschäftigte sich nur mit den sekundären Dingen (rno 3K). Da- er zeigen will, dass man in gewissen I<ällen aus «Menschlichkeit» (ren) den Urteilen
her geriet er ins vereinzelt Zusammenhangslose, suchte im Äußeren und irrte sich. anderer Nienschen folgen oclcr die Ansprüche anderer Menschen anerkennen muss,
Konfuzius sagte: <Mein Dao ist Eines und verbindet [das Vielc].> 45 Das <Eine> ist die auch wenn man wcii5, dass sie falsch sind. Er trägt die Geschichte des heiligen Königs
Grundlage (Substanz) des <ursprünglichen Wissens>, es ist das Dao des Einfachen und Yao vor, der auf Empfehlung seines i\!Iinistcrs Siyuc jemanden mit der Regulierung
Leichten; das <Verbinden> ist die Funktion des <ursprünglichen Wissens>. <Substanz der Flüsse betraute, obschon er wusste, dass dieser dazu nicht fähig war. 50 «Siyue
und Funktion sind gleichen Ursprungs> (ti yong yi yzum Gffl -1\R). 46 Wenn man aus wusste nicht um seine Unfohigkeit und empfahl ihn [dem König Yao!, was ein Fehler
dem <ursprünglichen Wissen> die herrschende Grundlage (zhu ben ::l::7-Js:) und aus dem war. Yao wusste darum und ernannte ihn dennoch. Ist das nicht Menschlichkeit? Er
vielen Hören von früheren Worten und vergangenen Taten das Niihren der 'lbgend konnte sich nicht ühcr die Meinung von SiyL1c hinwegsetzen. Wenn man nicht die
(xu de ;lf~) rnacht, worin kann dann der Fehler des Wissens von Vielen (duo shi :f;;~) <Menschlichkeit, (ren 1=) in höchstem Maße besitzt, vermag man nicht, seine eigene
noch bestehen! Meister Ln IJiuyuan] hielt das Einf;1chc und Leichte für richtig und richtige Meinung ,rnfzugehcn und den falschen Meinungen von anderen zu folgcn.» 51
das vVissen vonVielcrn und das Erforschen der Ordnungsprinzipien von Meister Zirn Danach führt Wang Gen das Beispiel des heiligen Königs Slnm an, der, nachdem ihn
[XiJ für falsch. Meister Zhu hielt das Wissen von Vielem und das Erforschen der Orcl- König Yao anstelle seines unfahigcn eigenen Sohnes Danzhu zum 'J'hronnachfolger
mmgsprinzipicn für richtig und das Einfache und Leichte von Meister Lu für falsch. bestimmt hatte, 12 aus «Menschlichkeit>, und aus Respekt gegenüber den «menschli-
Ach, wer von uns Menschen weiß um das Richtige und Falsche, um sich danach rich- chen Gefühlen» von Yao für seinen Sohn wie auch gegenüber de1n Volk, das sich Yws
ten zu können! Mcngzi sagte: <Alle Menschen haben das Ilerz (den Geist), das (dem Sohn zum Nachfolger wünschte, bekümmert war und nicht ertrug, Danzhu auf die
Richtigen) zustirmnt und (das Falsche) ablehnt (shifei zhi xin *~~.z1t,,)>;'f7 das ist das Seite zu stellen. «Was hier richtig und falsch w:ir, war noch schwieriger klarzrnnachcn.
Dan des Einfachen und Leichten. Wenn man das <llcrz, das zustimmt und ablehnt> Es war richtig, cLiss Shun die Thronnachfolge iibernahm, und trotzdem <ertrug er es
id.h. das <ursprüngliche Wissen>] zur Fülle bringt (chong .JE), dann funktioniert das nicht> (/m ren T';B), 13 sich dem Sohn von Y:10 im Palast zu niihern, und wich ihm aus.
<!ursprüngliche] Wissen> (zhi 9'D) uncrschiipflich und erreicht dies im vielen Wissen Dass er ihm ,rnswich, bedeutet, d,1ss er ihm gegenüber zuriicktn1t. Wenn man daher
der früheren \Vortc und der vergangenen 'E1tcn (tla zhu duo shi qirm yan wcmg xing dem IJimmcl ld.h. dem Richtigen! folgt und wenn man den Menschen entspricht,
~~:f;;!~riJ~1±fi), un1 cbdurch die 'J'ugend zu niihren. Deshalb sagte er: <Wenn du ein handelt man in beiden Fiillen aufgrund der eigenen' 111gcnd (shun hu tirm erying hu. rcn
weites vVissen erworben hast und die Einzelheiten besprochen hast, komme cbrauf· _iic you_ii zhi de ye Jl[JPF- ~ rfü ~-'f A '§' S:! 2 21~ ili). Konfu,ius s,1gte: <Sowohl im höchsten
zurück und sage es kurz!>'rn Ach, die Auseinandersetzung zwischen Zirn IXiJ und Ln Grade gut als auch i111 höchsten Gr.1dc schön.>''1 Mcngzi sagte: <l}urch eine einzige
IJiuynanJ ist in dieser Welt schon lange nicht klar!» 49 - Auch Wang Yangrning sagt ungerechte 'li1t die llcrrsch,1ft über das Reich zu erlangen, würden sie beide [nii111-
im Sinne seines dritten Begrifü des «ursprünglichen Wissens», dass «Hören und lich der edle Prinz. Bo Yi und der voru·eifüche 1\ilinister Yi Yinj verschmäht haben.> 55
Sehen» «Funktionen» dieses «Wissens» seien. Das «Sehen und Hören» der kano- Das ist die höchste Stufe dessen, was der verstorbene Lehrer [Wang Yangming] die
nischen Texte bzw. die Erforschung der in ihnen enthaltenen Verhaltensmuster oder <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> nannte.» 56 - Hier äußert Wang Gen
<<Ordnungsprinzipien» kann er also auch als «Funktion» des «ursprünglichen Wis- den wichtigen und richtigen Gedanken, dass man in gewissen Situationen durchaus
sens» sehen. Doch ist für ihn ein solches Studium keine unbedingte Notwendigkeit aus moralischen Gründen die für richtig gehaltene eigene Meinung hintanstellen
für die Erreichung der «Fülle» des «ursprünglichen Wissens», denn dieses hat die und sich gemäß einer als falsch erkannten fremden Meinung verhalten oder dass
«Ordnungsprinzipien» ursprünglich in sich selbst; es muss sie nicht in kanonischen man auch die Gefühle der anderen berücksichtigen muss, auch wenn sie eigenen als
Büchern oder anderen «äußeren Dingen» suchen, sondern es wird sich ihrer, in ver- richtig bewussten Intentionen entgegenstehen. Es ist mir nicht bekannt, dass Wang
schiedenen Lebensumständen, aus sich selbst bewusst. Yangming solche Fälle erörterte.Aber für Wang Yangmings Position würden sie nicht
notwendig die Eigenständigkeit des «ursprünglichen Wissens» beeinträchtigen, da das

44 Bezugnahme auf Lunyu, 15. Buch, Kap. 2.


45 Ebd.
46 Zitat aus eiern Vorwort zum Yijing-Kommentar (Yi zhuan xu) von Cheng Yi (1038-1107): Henan 50 Vgl. Shujing, Yao dian, Legge, S. 25.
Cheng shi wen ji,juan 8, Beijing 1981, S. 582. Der Satz stammt ursprünglich aus der Tradition der 51 Wang Xinzhai quanji, a.a.O.,juan 5, S. lüa (Nachdruck, S. 145).
buddhistischen Huayan-Schule, wohl aus eiern Kommentar zum Avatamsaka-Sutra von Zhengguan 52 Vgl. Shujing, Yao dian, Legge, S. 23.
(738-839). 53 Anspielung auf die Beschreibung der Gefühle der «Menschlichkeit» bei Mengzi.
47 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, 6. Kap.; 6. Buch, 1. Teil 1, 6. Kap. 54 Vgl. Lunyu, 3. Buch, Kap. 25.
48 Mengzi, 4. Buch, 2. Teil, 15. Kap. 55 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, 2. Kap.
49 Wang Xinzhai quanji, a.a.O.,juan 5, S. 9b-10a (Nachdruck, S. 144f.). 56 Wang Xinzhai quanji, a.a.O.,juan 5, S. lüb (Nachdruck, S. 146).
268

<<ursprüngliche Wissen» in gewissen Situationen selbst einsehen kami, dass es richtig Teil II
ist, sich in dieser Siniation nach der als falsch erkannten Meinung eines anderen zu
richten oder diese in irgendeiner Form zu berücksichtigen. Diese Fälle sind also keine Die DiskussiontHil unter den Sd1Ulern und
Gegenbeispiele gegen den Gedanken, dass man immer gemäß der eigenen Einsicht Nachfolgern Wang Yangmings über die
des «ursprünglichen Wissens» handeln soll.
1,eider ist, soweit mir bekannt ist, keine Antwort von Qian Dehong auf diesen
«Verwirklichung de~ ur~prünglkhen Wissens»
Brief von Wang Gen erhalten. kh nehme an, dass er ihm nicht zustinuntc, obschon
auch er sich lange an Zirn Xi orientiert hatte, bis er 1521 W.'lng Yangming kennen-
lemte. 57 Der Brief von Wimg Gen zeigt, wie auch enge Schüler von Wang Ymgrning Einleitung
sich mit der Auton01nie des «ursprünglichen Wissens» schwertaten, und besüitigt die
zu Beginn dieses Kapitels zitierten Äußerungen von Wang Ji. Die kanonische 1J·adi- Der ,,weite Teil dieser Studie ist den wichtigsten Diskussionen zwischen den Schülern
tion und Zirn Xi hatten damals ein mächtiges autoritatives Gewicht, wie schon die Wang Yangmings über die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» gewidmet.
überreiche kanonische Argumentation des Briefes von Wang Gen zeigt. Wang Gen Es handelt sich dabei vor :illern nm Gespriiche zwischen Qian Dehong nnd Wang .Ji,
war ein Händler, er war nicht die übliche Laufbahn des konfuzianischen Gelehrten im zwischen Nie Bao und \V:mgji und zwischen Lno Hongxian und Wangji. Doch diese
Rahmen des staatlichen Prüfungssystems gegangen. Vielleicht verspürte er daher als Diskussionen können nicht isoliert betrachtet, sondern müssen im Zusammenhang
konfuzianischer Autodidakt umso mehr das Bedürfnis, seine Orthodoxie zu demons- der Geschichte der Schule \Nang Yangmings verstanden werden. Neben den vier
trieren. V<w allem aber war er ein aufrichtiger Verehrer dieser 'Iiadition. Niemand soeben genannten Schülern treten in dieser Geschichte nnter der ersten Generation
galt ihm mehr als Konfuzius. der Schüler \Vang Yimgmings besonders Wang Gen, Zon Shouyi, Onyang De und
Liu Bangcai hervor. Diesen sind wir nicht nur bereits in Teil I dieser Studie mehrmals
begegnet, sondern wir werden sie :rnch in den folgenden Kapiteln immer wieder an-
treffen, so dass ich sie in dieser l '.inleitung an p.1ssenden Orten kurz vorstellen möchte.
1

Aber nicht nur einzelne Personen, sondern auch der Zusammenhang der Schule durch
die Kontakte ihrer Mitglieder, vor allem in ihren organisierten mehr oder weniger
regclmiißigen Zusammenhinften, und damit auch die geographische Konstellation
der Schule, sind zu ber(icksichtigen. \Vas die zeitliche Ausdehnung dieser Geschichte
betrifft, so beschriinken wir uns auf die 7'.eit liis zu Wang.Jis 'fod im Jahr 1583. Die-
ser bedeutet zwar nicht <las Ende der Schule, aber doch eine gewisse Zäsur in ihrer
Entwicklung. Denn er starb als der letzte der bedeutenden direkten Schüler Wang
Yangmings, und mit ihm verlor die Schule wohl nicht nur den einflussreichsten unter
ihnen, sondern auch denjenigen, der zusammen mit Qian Dehong, der schon 1574
gestorben war, am meisten um die Einheit der Schule bemüht war. Zugleich bewirkten
politische und geistesgeschichtliche Ereignisse in den Jahren unmittelbar vor und
nach dem Tod Wang Jis wesentliche Veränderungen in der Schule. Einerseits verän-
derte die Reformpolitik: des während der ersten zehn Jahre (1572-1582) der Wanli-
Ära allmächtigen Ersten Großsekretärs Zhang Juzheng die politische Atmosphäre
im Reich und führte damals auch zur Schließung von vielen privaten Akademien
und zum Verbot von privaten Diskussionsversammlungen der Beamten, 1 was für
die Schule Wang Yangmings nicht ohne Folgen war. Andererseits begann kurz nach
WangJisTod eine durch GuXianchen (1550-1612), der selbst Wurzeln in der Schule
Wang Yangmings hatte,2 und die von ihm gegründete Donglin-Richtung getragene

1 Siehe oben in der allgemeinen Einleitung den Anhang, Abschnitt d), S. 44f.
2 Er war SchülervonXue Yingqi lif l!l!JJr (1500-1573), der seinerseits ein Schüler von Ouyang De war,
57 Siehe unten in Teil II, Kap. 1, § 1, S. 400. eines direkten Schülers von Wang Yangming.
270 271

starke Gegenbewegung gegen gewisse Lehren und Tendenzen in der Schule Wang king (heute die südlichen Gebiete der Provinzen Anhui und Jiangsu) gedacht. Diese
Yangrnings. Diese Richtung bekämpfte vor allem die Idee, dass die Grundwirklichkeit Versammlungstätigkeit war in der Schule Wang Yangmings besonders intensiv und
des Herzens über dern Unterschied von Gut und Schlecht steht, die Offenheit und in dieser Intensität für sie charakteristisch. Wang Yangming hatte selbst schon 1525
Empfänglichkeit gegenüber Buddhismus und Daoisrnus und die sehr laxe Haltung regelmäßige Versarnrnlungen seiner Schüler in seiner Geburtsstadt Yuyao während
gegenüber den formalen konfuzianischen Regeln, die sich besonders bei gewissen seiner Abwesenheit angeordnet. Und ein Jahr später (1526) gab Liu Bangzai in sei-
Denkern, die der Taizhou-Linie der Schule Wang Yangrnings zugerechnet werden, nem Heimatkreis Anfu :tc~ in der Präfektur Ji'an der ProvinzJiangxi auf Anweisung
ausgeprägt hatte. Diese Gegenbewegung war verbunden rnit einer gewissen Rück- Wang Yangrnings den «Xiyin-Versammlungen» (Xiyin hui ffi~it), die sein Vetter
besinnung auf Zhu Xi, vor allem aber auch auf die durch Zhou Dunyi (1017-1073) und Mitschüler Liu Xiao begründet hatte, eine feste und umfassendere institutionelle
gelehrte Idee der Befreiung von den egoistischen Wünschen durch die <<Ruhe». Dieser Struktur. 5
zuletzt genannte Gedanke war auch durch Nie Bao und durch Luo Hongxian hervor- Wang Yangrning hatte seit 1521, wahrscheinlich jährlich nur ein Mal während·
gehoben worden, so dass der Einfluss dieser Vertreter der Schule Wang Yangrnings, weniger Tage, wenn er sich jeweils zum Besuch der Gräber seiner Ahnen in seiner
die rnan als Repräsentanten der Schulrichtung der Provinz Jiangxi sah, Rückenwind Geburtsstadt Yuyao aufhielt, seine dortigen Schüler im Zhongtian-Gebäude i:p;li;:11
erhielt, während derjenige von Wang Ji aus Zhejiang und von gewissen Vertretern der des Drachenquellen-Klosters (Longquansi ffiJJt~) versammelt, in dessen Nachbar-
Linie von Taizhou (im direkten Verwaltungsgebiet von Nanking, heute in der Provinz schaft er zur Welt gekommen war und gewohnt hatte, bevor seine Familie in die
Jiangsu) zurückgedrängt wurde. In der Zeit um den Tod WangJis verlagerten sich also Präfekturhauptstadt Shaoxing umzog. Er wünschte aber weit zahlreichere und re-
in China die geistigen Gewichte. gelmäßigere Versammlungen seiner Schüler in Yuyao, als er selbst leiten konnte, und
legte nach <lern Bericht der «Lebenschronik» 1525 wöchentliche Versammlungen fest,
§ 1 Die Gemeinschaft der Schüler Wang Yangmings nach dessen Tod nämlich jeweils am Neumond, am 8. Tag, am Vollmond und am 23. Tag jedes Mondes.
Den angestrebten Geist dieser Versammlungen hielt er in einer Inschrift fest, die er
Wang Yangrning hat in China eine große geistige Bewegung ausgelöst. Von der Ming- in jenem Gebäude an die Wand schrieb. 6 Diese Inschrift wurde zur Leitidee aller
Zeit bis zur Verbreitung westlichen Gedankenguts gegen Ende des 19. Jahrhunderts Versammlungen in seiner Schule, auch nach seinem Tod. Sie lautete: «Obschon es im
sind von ihm wohl die bedeutendsten philosophischen Impulse ausgegangen. Dieser Reich Dinge gibt, die leicht zu erzeugen sind, so braucht es doch nur die Gewalt eines
große Einfluss war sicher einmal durch Wang Yangrnings außerordentliche denkeri- Tages und den Frost von zehn Tagen, dass sie nicht mehr erzeugt werden können.
sche und praktische Persönlichkeit bedingt, aber auch dadurch, dass eine bedeutende Jedes Mal, wenn ich [nach Yuyao] zurückkehre, versammeln wir uns alle aufgrund
Zahl seiner hervorragenden Schüler sich in besonderer Weise für die Verbreitung eurer außergewöhnlichen Gunst an diesem Ort, um uns mit Fragen des Lernens zu
seiner Lehre einsetzte. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass Qian Dehong, beschäftigen (yi wen xue wei shi PJ.~rJ.1~$), und ziehen daraus großen Gewinn. Aber
Wang Ji, Zou Shouyi, Liu Bangcai, Luo Hongxian und andere seit etwa 1540 den ich kann nicht alle zehn Tage bei Ihnen weilen, und während ich jeweils zehn Tage
größten Teil ihrer Zeit für die Propagierung der Lehre ihres Meisters aufwandten. hier bin, können wir uns nicht mehr als drei oder vier Mal treffen. Nachdem ich mich
Sie sahen seit jener Zeit ihre konfuzianische Aufgabe im Dienst an der Gesellschaft jeweils von euch verabschiedet habe, bleibt ihr wieder voneinander getrennt und geht
nicht mehr in der direkten Teilnahme an der Verwaltung des Staates, sondern in der durchs Jahr, ohne einander zu sehen. Dies ist nicht nur ein Frost von zehn Tagen. Es
moralischen Bildung und Erziehung der Gesellschaft, besonders von deren Elite. Ein ist auf diese Weise nicht möglich, ein gutes und regelmäßiges Wachstum zu erreichen.
wichtiges Mittel dieser Verbreitung war neben der Unterrichtung privater Schüler die So hoffe ich fest, dass ihr euer Zusammenkommen und Auseinandergehen nicht von
Organisation von Versammlungen für Mitglieder der Schule und andere Interessierte meiner Anwesenheit und Abwesenheit abhängig macht, sondern euch alle fünf oder
auf verschiedenen Ebenen, auf derjenigen des Kreises, der Präfektur, ja auch über sechs, allenfalls sieben oder acht Tage hier unbedingt ein Mal versammelt, auch wenn
die Grenzen der Provinzen hinweg. Die große Versammlung von 1549 im «Gebirge weltliche Geschäfte sich in den Weg stellen. Es geht dabei darum, euch gegenseitig zu
des Drachen und des Tigers» (Longhushan ffimt.l.!) 3 in der an die Provinz Zhejiang ermuntern und anzuspornen, euch gegenseitig zu schleifen und zu glätten, um dadurch
angrenzenden Präfektur Guangxin .II~ der Provinz Jiangxi und die Versarnrnlung mit der Übung in der Tugend der Menschlichkeit und Gerechtigkeit täglich vertrauter
im Huaiyu-Gebirge ffl3it.l! von 15604 in derselben Präfektur Guangxin waren als zu werden und ihr näherzukommen und euch so täglich von der Macht übler Einflüsse
große Treffen der Schüler Wang Yangmings aus den ProvinzenJiangxi und Zhejiang, zu entfernen und euch ihnen zu entfremden. [... ] Wenn ihr euch versammelt, sollt
aber auch aus den südlichen Gebieten des direkten Verwaltungsgebietes von Nan- ihr vor allem gegenseitig bescheiden sein, einander lieben und ehren. Im allgemeinen

3 Siehe unten in Kap. 4 den§ 1, S. 633f. 5 Siehe unten in dieser Einleitung den § 6.
4 Siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 225 und S. 235. 6 «Lebenschronik», unter dem 4.Jahr der Jiajing-Ära (1525), Qu,rmji,jurtn 35, Shanghai 1992, S. 1294.
272 273

Umgang mit Freunden ist die gegenseitige Unterordnung von Nutzen. Wenn ihr euch der der Schule der Präfektur Nanchang stattgefunden, 10 die aber im Lauf der Jahre
in einer Erörterung nicht einig werdet, sollt ihr duldsam und nachgiebig sein, durch immer seltener stattfanden. Daher beschlossen WangJi und seine «Gleichgesinnten»
Einfühlsamkeit etwas zu erreichen suchen und nicht durch Heftigkeit obsiegen wollen 1565, die gemeinsamen Aktivitäten der dortigen Schule wieder zu beleben. Nach
und in einem Überlegenheitsgefühl an der Ablehnung festhalten. Das Wichtige ist, der Schilderung der unerfreulichen Lage schreibt Wang Ji: «Wir sollen in unserem
schweigend etwas zu erreichen und ohne Rede zu glauben (mo er cheng zhi, bu yan er Leben an keinem Tag nicht lernen und vor allem an keinem Tag nicht den Umgang
xin ~ii'iim.z1!!H~-ji'ij~). Wenn man mit seinen Stärken prahlt und die Schwächen der mit Freunden (Mitgliedern der Schule: you ~) pflegen. Seitdem unser verstorbener
anderen angreift, unsorgfältig und oberflächlich ist, sich widerspenstig einen Namen Lehrer [Wang Yangming] den Grundsatz des <ursprünglichen Wissens> hervorhob,
machen will oder [umgekehrt] bloße Zustimmung als das Dao betrachtet, im Streben ist das große Prinzip des <Lernens> gleichsam schon klar (ruo yi ming bai ~BHJ.I B),
nach eigener Überlegenheit sich zornig und neidisch benimmt und den Geist der und der Antrieb und der Schlüssel (ji qiao UltJI) aller Heiligen ist auch gleichsam
Gemeinschaft zerstören will, dann bringt es keinen Nutzen, auch wenn man täglich deutlich geworden (;yi ruo xiao ran ~~~?/.\); Zweifel sind nicht mehr möglich. Wir
an diesem Ort diskutiert und sich übt. Alle Herren sollen daran denken!»7 haben in gemeinsamen Versammlungen auch schon lange und reiflich darüber ge-
Wang Yangming lag sehr viel an diesen Versammlungen in Yuyao. Als er im sprochen. Trotzdem befürchte ich, dass man immer noch seinen Meinungen folgt
Herbst 1527 Shaoxing in Richtung der Provinz Guangxi verließ, legte er seinen und in alter Art weitermacht und unfähig ist, in Wahrheit sein <[ursprüngliches]
vertrautesten Schülern Qian Dehong und Wang Ji nicht nur die Schule in Shaoxing, Wissen> zu verwirklichen (shi zhi qi zhi i!Ui:!<JOII). Wenn man täglich an etwas hängt
sondern durch eine schriftliche Verfügung auch jene Versammlungen in Yuyao ans
Herz. 8 Solche Versammlungen dienten nicht nur intellektueller Belehrung und intel-
*
und prüft und nur selbst zu verstehen sucht (qiu zi de ~ fl), dann ist das sogenann-
te Deutliche und Klare unvermeidlich ein Betrug der Seele (bo nong jing hun ffl~
lektuellen Diskussionen, sondern vor allem dem gegenseitigen ethischen Ansporn und ~;!\) und ist nichts Echtes. Wenn man den <Antrieb> (ji Ult) nicht wirklich erfasst,
der gegenseitigen ethischen Kritik des Verhaltens. Einer der wichtigsten und stärksten dann erfolgt die große Veränderung nicht; wenn man nicht den Schlüssel erlangt
Faktoren in Wang Yangmings Ethik besteht in der Vereinigung der persönlichen in- (ru qiao )..JI), dann wird die große Grundlage nicht aufgerichtet. Wenn man nicht
dividuellen Einsicht aufgrund des «ursprünglichen Wissens» mit der intersubjektiven auf beiden Seiten von Lehrer und Freunden gestützt zur Einsicht gebracht wird
<<Verwirklichung» dieser Einsicht in einer Gemeinschaft. (qi wu Mlt:ffi), dann schwimmt man bald obenauf und geht bald wieder unter, gibt sich
Genau vierzig Jahre nach dem Verfassen jener Wandinschrift in Yuyao schrieb mit seiner Beschränktheit zufrieden und kann die große Aufgabe nicht vollenden. In
der damals in der Schule Wang Yangmings hervorragende Wang Ji für die «Gleich- diesem Tramp der Zeit, in dieser Unterwerfung unter die weltlichen Umstände gibt
gesinnten» in der Provinzhauptstadt vonJiangxi, Hongdu (dem heutigen Nanchang), es unter euch Edlen wahrhaft solche, die nicht anders können, als ihre Verantwor-
ein Versammlungsreglement, das immer noch, zum Teil wörtlich, auf jene Wandin- tung zu übernehmen. Die Gleichgesinnten in der Nähe sollen sich, gemäß der alten
schrift zurückgreift. Im Vorwort seines Reglements schildert Wang Ji, dass er sich im Regel, jeden Monat zwei Mal versammeln. Die Edlen, die mehr als hundert li (ca.
Sommer 15 65 in Hongdu mit einigen «Gleichgesinnten» traf und dass sie zusammen 50 km) entfernt wohnen, können sich nicht so oft treffen. Sie sollen sich jedes Jahr
bedachten, dass die dortigen «Mitglieder der Schule» (tong men zhu you ['iiJr1ffi~) vier Mal versammeln. Am 15. Tag des dritten Mondes sollen sie damit beginnen, und
sich einer nach dem anderen von den gemeinschaftlichen Tätigkeiten der Schule die Versammlung soll zehn Tage dauern. Wahrend dieser zehn Tage <sollt ihr vor
zurückgezogen hatten und dass die «Fortsetzung der richtigen Lehre des Meisters allem bescheiden sein>, <die gegenseitige Unterordnung ist von Nutzen>. Ihr sollt das
[Wang Yangming] nur noch an einem Faden hing (shi men zheng mai }in cun yi xian Gute der anderen wie etwas Eigenes betrachten und die Fehler der anderen so, wie
ßilirriE~1!~-~)». Schon 1538 hatte XuJie, 9 der damals Vizekommissar für Erzie- wenn ihr sie selbst begangen hättet. Wenn ihr einander im Guten fördert und in den
hung in der Provinz Jiangxi war, in der Provinzhauptstadt Nanchang den «Ahnen- Fehlern tadelt, euch um einander kümmert und <einfühlsam seid>, <einander wahrhaft
tempel des ehrfürchtigen Aufblickens und Stillestehens» (;yang zhi ci fQJ.ltfR.I) errichten liebt>, dann scheinen die Worte oft nicht zu genügen. <Wenn ihr euch in einer Erör-
lassen, um dort Opfer für Wang Yangming darzubringen. Zusammen mit diesen terung nicht einig werdet, könnt ihr euch in schweigendem Verständnis gegenseitig
Opfern hatten von diesem Zeitpunkt an auch Lehrversammlungen für die Mitglie- bestätigen (mo ti hu zheng ~\ll:!HI)>; <man soll nicht an seiner eigenen Meinung fest-
halten, um sein Siegesgefühl zu fördern>. 11 Wenn die verschiedenen Versammlungen
durchgehalten werden, dann wird unser Lernen nicht verfallen. Die festgelegten
7 «Schrift im Zhongtian-Gebäude, um die Schüler anzuspornen», datiert auf das Jahr yi you (1525), Orte für die Versammlungen sollen das [buddhistische] Shuanglin-Kloster ~~~ von
Qumefi,juan 5, Shanghai 1992, S. 278f.; auch übernommen in die «Lebenschronik», unter dem 4.Jahr
der Jiajing-Ära (1525), a.a.O., S. 1294.
8 «Lebenschronik», unter dem 17.Jahr derJiajing-Ära (1538), Quanji,juan 36, Shanghai 1992, S. 1334.
9 Xu Jie (1503-1583) war ein Schüler Nie Baos und am Ende der Jiajing-Ära sowie zu Beginn der 10 Siehe den Anhang zu Wang Yangmings «Lebenschronik», unter dem 18.Jahr der Jiajing-Ära (1539),
Longqing-Ära der einflussreichste Beamte (Erster Großsekretär) des Reiches; siehe oben den Anhang Quarqi,juan 36, Shanghai 1992, S. 1334; vgl. unten in dieser Einleinmg den§ 6, S. 351.
der allgemeinen Einleinmg. Wu Zhen zitiert in seinem Xinian 1522-1602 eine Quelle, nach der Xu 11 Das in den vorangehenden Sätzen zwischen einfache Anführungszeichen Gesetzte zitiert wörtlich
Jie den Ahnentempel für Wang Yangming in Nanchang im Jahr 1538 errichten ließ (S. 94). oder sinngemäß die «Wandinschrift» Wang Yangmings von 1525.
274 275

Nanchang und der [daoistische] Zhide-Tempel ~1111. von Fengcheng12 sein. Wenn wurden sie als Mitglieder einer Vereinigung (dang ~) wahrgenommen und erlitten
man zwischen diesen Orten abwechselt, sind die Anstrengungen [der verschiedenen dadurch je nach politischen Umständen auch persönliche Nachteile bei der Besetzung
Teilnehmerl ausgeglichen.» 13 von Beamtenstellen. 19 Die gemeinsamen Tätigkeiten der Mitglieder hatten im Sinne
Wie diese und andere Dokumente zeigen, fanden die Versammlungen der Mit- der konfuzianischen Ahnenverehrung auch kultisch-religiöse Komponenten. In den
glieder der Schule Wang Yangmings oft in buddhistischen Klöstern oder daoistischen ihnen gehörigen Versammlungsorten, in den sogenaimten «Akademien» (shu:yuttn
Tempeln statt. Das ist noch kein Beweis für ihre Sympathie mit diesen Religionen, i!=m), befand sich ein ,<Ahnentempel» («Opferhalle»: ci tiil) für vVang Yangming, in
sondern geschah auch ans praktischen Gründen, da die buddhistischen Klöster und welchem in rcgelmiißigen ;;,eitlichen Abstiindcn, oft am Anfang von Versammlungen,
daoistischen 1crnpel, wie wir schon bei Wang Yangmings Lehrbetrieb in Shaoxing ge- kultische Zeremonien stattfanden. 20 Die kultische Verehrung Wang Yangmings als des
sehen haben, Räume für solche Versammlungen und Unterkünfte für ihre 'Teilnehmer «Ahnen>> der Schule diente znr Förderung des Identitiits- und Gemeinschaftsbewusst-
boten. Zudem befanden sich dieses Klöster und 'fompel oft an zurückgezogenen und seins. Es gab wohl in allen der Schule eigenen Versanimlungsorten «Ahnentempel»
landschaftlich sehr schönen Orten, was für die Fruchtbarkeit solcher Versmnmlungen für Wang Yangming, und in mehreren von diesen (vielleicht in allen) wurden Bildnisse,
als förderlich empfunden wurde. Mitglieder der Schule errichteten für solche Zwecke wahrscheinlich alles 1bschcbilder, des verstorbenen Lehrers aufgehängt. 21 Viele dieser
aber auch sogenannte «Akademien (Bücherhallen: shu yuan i!=~Jl)» oder <<Lehrhallen Ahnentempel hießen «Ahnentempel des ehrfürchtigen Authlickens und Stillestehens»
(reine \Vohnungen:Jing she ffi~)», von denen wir in1 Folgenden zahlreiche Beispiele (Yi:mg zhi ci {[Jltl:Jiil).
antreffen werden. Auch diese befanden sich im Allgemeinen nicht in Städten, sondern Die leitenden Persönlichkeiten der Schule, besonders Qian Dchong und Wang
außerhalb derselben in schöner Landschaft wie etwa die Tianzhen-Akademie fünf Ji, denen vVang Y,mgming im Herbst 15 27 die Schule in Shaoxing anvertraut hatte,
Kilometer südlich von Ilangzhou oder die Shuixi-Akademie auf der anderen Seite des
Flusses der Kreisstadt Jingxian im direkten Verwaltungsgebiet von Nanking (heute
Provinz Anhui).
Eine Besonderheit dieser hauptsächlich aus Mitgliedern der Gelehrten- oder 19 Es gil,t eine Auft.cichnung· von Ouyang De aus dcll! Jahr 1534, die im Einzelnen solche Benachteili-
Beamtenklasse bestehenden Versammlungen war, dass ihre Sitzordnung sich nicht gungen du·Mitglicdcr der Schule schildert: siehe \Vn Zhcn: Xiuimz IS22--l 602, Shanghai 200.l, S. 65.
20 Solche .•,i\hncntctnpeh· für \Yrng Yangrning 1,efondcn sich untcr anderem an den Versammlungs-
nach dem Beamtenrang, sondern nach dem J ,ebensalter richtete. 14 Dies zeigt, dass orten der Schule in der' l 'iam.hcn-J\bdcll!ic bei J Lmg,.hou (siehe unten den § 2), in der Y.mgming-
der soziale Rang nicht als das Entscheidende betrachtet wurde. Abdemic in Shaoxing (siehe Ni1111pu/id11, unter dem 1(Ljahr der Jiajing-Ära [15371), beim Zh011g-
Die Mitglieder der «Schule» empfanden sich durch die Beziehung zmn ge- ti:m-Cebii11dc am <d)r:ichcnhngx, in Yuyao (siehe Nii111pu jtt!u, unter dem 17. J:ihr der Jiajing-J\ra
fl5.l8j), in der Fug11-Akadcn1ic hei Anfu (l'riitcktur Ji':111, Provinz.Jiangxi; siehe unten den§ 6), im
111einsan1en Lehrer und durch das freundschaftliche Verhältnis zu den Mitschülern Hu:tide-Ahnenternpcl jfü,i~aJ in Ji',m (siehe Wu Zhen: Xinittu l >22-1602, Shanghai 2003, S. 82), in
~1ls wsarnmengehörige Gruppe. Schon Wang Yangming selbst 15 und dann seine der Shuixi-Abdernie in der l'riifoktur Ningguo (direktes Verwaltungsgebiet von Nanking; siehe unten
Schüler, zum Beispiel Wang Ji, Nie ßao, Ouyang De und andere, sprachen von der den s; 9) und an anderen Ürten.
21 Bildnisse von Wang Yangming sind in seinen Ahnentempeln in der Tianzhen-Akademie in Hangzhou
Schule als «unserer dang~», ein Wort, das heute meistens mit «(politischer) Partei» (siehe unten in Kap. 3, § 4, S. 574),in Shaoxing(sieheunteninKap. 1, § 1, S. 405), in Nanchang (siehe
übersetzt wird, 16 das aber in unserem Zusammenhang als «Gemeinschaft», «Verei- Li Chunfang: «Restaurierung des Ahnentempels von [Wang] Yangming [in N anchang] », Quanji,juan
nigung» verstanden werden muss, und ihre Mitglieder bezeichneten sich gegenseitig 39, S. 1484) und in der Präfektur Nankang im Norden der Provinz Jiangxi (siehe unten in Kap. 3,
§ 4, S. 573) dokumentiert. Einen Bericht über die Herstellung solcher Bildnisse von Wang Yangming
als «Mitschüler» (tong men fqJ r~), als «Gleichgesinnte» (Gesinnungsgenossen: tong zhi haben wir von XuJie (1503-1583), dem Schüler Nie Baos und nachmaligen Ersten Großsekretär. Er
lii.l~) 17 oder «Freunde» (you tt). Wang Yangming hatte seine Schüler «Gleichgesinn- errichtete 1538 einen Ahnentempel für Wang Yangming in N anchang (siehe oben). Er schreibt 15 64
te» (tong zhi !qj~) 18 oder «Freunde» genannt. Sie unterstützten sich gegenseitig auch in seiner «Aufzeichnung über ein Bild des Lehrers [Wang Yangming]»: «Tuschebild (shui nzo ;J<Ji)
des Lehrers [Wang] Yangming. Im Jahr ji hai der Jiajing-Ära [1539], als ich Erziehungskommissar in
in persönlichen und politischen Belangen, aber dass sie primär Vereinigende war ihr Jiangxi war, ließ ich durch einen Gelehrten zwei Bilder des Lehrers in privater Kleidung (yan ju ~
gemeinsames ethisches Ideal und ihre gemeinsame ethische Praxis. Auch von außen .@) und ein Bild von ihm in Amtstracht herstellen. Im folgenden Jahr [1540] gab ich ein Bildnis des
Lehrers in privater Kleidung Herrn Lü. Das ist dieses Bildnis. [... ] Als ich im zweiten Jahr Erzie-
hungskommissar war [1538], begann ich im <Hinteren Obstgarten> (Houpu ~li!il) [von Nanchang],
dem Lehrer [Wang Yangrning] zu opfern. Da ich nicht lange darauf an den Kaiserhof zurückgerufen
12 Diese Kreisstadt liegt ungefähr siebzig Kilometer südlich der Provinzhauptstadt Nanchang am Gan- wurde, ließ ich ein Bild herstellen, um es nach Hause zu nehmen und es den Gleichgesinnten zu
Fluss innerhalb der Präfektur Nanchang. zeigen, und gab es zuerst Herrn Lü. Ich habe Leute gesehen, die sagten, dass dieses Bild dem Lehrer
13 Ulang Longxi quan ji,juan 2, S. 22a-23a (Taipei 1970, S. 199-201); UlangJi ji, Nanjing 2007, S. 45f. äußerst gleiche (ci xiangyu xian sheni jisi Jlt~tit$t;~ffi1J;l).» Quanji,juan 36, Shanghai 1992, S. 13 50f.
14 Nach einem Bericht von WangJi von 1563: siehe unten in Kap. 1 den§ 1, S. 403. 22 Nachweislich trugen der Ahnentempel für Wang Yangming in der Tianzhen-Akademie (siehe den
15 Siehe oben in der Einleitung zu Tei!I den§ 1, S. 105, und den§ 2, S. 110. nächsten Paragraphen), derjenige im Kreis Qizhou in der Provinz Huguang (heute.Provinz Hubei, an
16 Zum Beispiel Gong chan dang (Kommunistische Partei), Guo rnin dang (Kuomintang) usw. der Grenze zur Provinz Anhui) (siehe Nianpu fulu, unter dem 35. Jahr der Jiajing-Ara [15 56], Quanji,
17 Ein Wort, das die chinesischen Kommunisten als Übersetzung von «Parteigenosse» verwenden und juan 36, Shanghai 1992, S. 1348f.), derjenige in der Hauptstadt der Provinz Jiangxi, Nanehang (siehe
das bis vor wenigen Jahren in China sehr gebräuchlich war. oben in diesem Paragraphen), und derjenige in der Shuixi-Akademie in der Präfektur Ningguo (siehe
18 Siehe oben in Teil I, Kap. 2, § 3, S. 155 und S. 166. unten in dieser Einleitung den § 9) diesen Namen.
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bevor er zu seiner letzten großen politisch-militärischen Aufgabe in die Provinz Osten der Provinz Guangclong, aber sie hat nie die Bedeutung der Schulen in den
Guangxi aufbrach, waren sehr um die Einheit der Lehre in der Schule bemüht, drei zuvor genannten Gebieten erreicht.
obschon in ihr, auch gerade zwischen diesen beiden vertrautesten Schülern Wang Auch in der Reichhauptstadt Peking fanden Versammlungen der Schule statt,
Yangmings, große Meinungsdifferenzen bestanden. Doch schon 1536 trat ein älterer aber nicht in einer kontinuierlichen, dauerlrnften Weise, sondern sporadisch in Ab-
Schüler Wang Yangmings, Ji Ben~* (Beiname: Pengshan :Wu.i, 1485-1563), der hängigkeit davon, wer sich von den Anh;ingern VVang Y,·mgmings dort gerade im
wie dieser in Shaoxing zu [lause war, aber als Vizepräfekt von Ji'an in der Provinz administrativen Dienst oder zu anderen Zwecken aufhielt. So organisierten 1529
Jiangxi amtierte, mit einer hitischen Schrift gegen die in der Schule verbreitete Xue Kan aus der Provinz Gnangdong (der Tlcransgeber des ersten Chuanxi lu von
ldee der «Natürlichkeit» (zi ran § ~) der «Verwirklichung des ursprünglichen 1518) und Ouyang De aus der Provinz Jüngxi, die damals als Beamte in Peking
Wissens» auf. Nie Bao stimmte ihm zu, Wang Ji und Zou Shouyi verfassten ab- waren, für die im Frühjahr dieses Jahres sich in der Reichshauptstadt aufhaltenden
lehnende Antworten. 23 Während aber in den ersten zwei Jahrzehnten nach Wang Kandidaten der höchsten Staatspriifungen Versammlungen, nm die Lehre Wang
Yangmings Tbd die Differenzen zwischen seinen Schülern noch keine sehr hohen Y:mgmings bekannt zn machen; 29 unter den Anwesenden befand sich auch Luo
vVellen schlugen, 21 erschütterten sie seit etwa 1549 die ganze Schule. Denn damals Hongxian. Bei den nächsten solchen Staatsprüfungen im Frühjahr drei Jahre später
schloss sich Luo IIongxian den schon seit liingerem von der Schule abweichenden (1532) zogen Qian Dehong und vV,mg Ji, die zu diesem Zweck nach Peking gekorn-
Auffassungen Nie Baos weitgehend an und stellte sich explizit gegen den geistigen men waren, die Aufmerks<11nkeit der Gelehrten auf sich und nahmen an zahlreichen,
Führer der Schule WangJi. 25 Von diesem Zeitpunkt an scheinen sich die Divergenzen stark besuchten Versammlungen teil.''1 Für diese Staatsprüfung waren noch andere
innerhalb der Schule trotz großer Einheitsbemühungen laufend vermehrt zu haben: Mitglieder der Schule Wang Yangrnings nach Peking gekommen," und auch Huang
In der Versammlung im «Drachen-und-'I'iger-Gebirge» (ProvinzJiangxi) von 1549 Wan, der enge Freund und durch die Heirat ihrer Kinder Verwandte Wang Yang-
nennt "\Mrng Ji zwei von der richtigen Lehre des «ursprünglichen Wissens» abwei- mings, hielt sich daurnls vorübergehend in Peking auf. 32 Zudem befanden sich da1rn1ls
chende Meinungen unter den Schülern Wang Yangmings,2 6 in der Versammlung von Ouyang De und ein Schüler VVang Yangrnings aus Zhcjiang, Cheng Wende ~ >'Z:1~
Clrnyang 15 53 (im direkten Verwaltungsgebiet von Nanking, heute Provinz Animi) (Beiname: Songxi ¾;Jl, 1497-15 59)1l, an der I Ianlin-Akademie. Die Versammlungen
nennt er deren vier 27 und in der Versammlung von J 562 in Nixiantai bei Fuzhou wurden von Fang Xianfu ti !Ülx aus der Provinz Cuangdong (Beiname: Xit1iao iffi,m\,
(ProvinzJiangxi) deren sechs. 28 ?-1544) organisiert, der 1532 in Peking 1,ucrst lVIinister des Be:1mtenministeriums
Die Schule war nicht glcichmiißig über China verteilt, sondern ihr geographi- und seit dem frinfrcn Mond CroßsckrcUr war. 31 Fs sollen im Ganzen über vierzig
sches Schwergewicht lag eindeutig am Unterlauf des Yangze: im nördlichen Teil der Anhänger vVang Yangrnings gewesen sein, die sich im Gebäude des Qingshou-Berges
Provinz Zhejiang, im südlichen Teil des direkten Verwaltm1gsgebietes von Nanking ~ihl.Jm'' mehrmals vcrsarn111clten.' 1' 1544, wiederum ein Jahr solcher Prüfungen,
(nach der heutigen politischen Einteilung Chin:1s in den südlichen Teilen der Provin- kamen verschiedene Mitglieder der Schule, unter ihnen Luo Ru fang aus der Provinz
zen Jiangsu und Anhui) und in mehreren Präfekturen der Provinz Jiangxi, besonders
in der Präfektur Ji'an. Diese Gebiete waren damals die kulturell und wirtschaftlich
reichsten Gebiete Chinas mit der größten Bevölkerungsdichte und der größten Dichte
an Gelehrten des konfuzianischen Beamtenstandes. Eine recht bedeutende Gruppe
von Schülern Wang Yangmings stammte auch aus der Präfektur Chaozhou ganz im 29 Wang Longxi quanji,juan 20, S. 67b (Taipei 1970, S. 1506).
30 Siehe unten in diesem Teil II, Kap. 1, § 1, S. 403.
31 Unter anderem die beiden Schüler Wang Gens Lin Chun ;J;t; ~ (Beiname: Dongcheng *:1/&) und Xu
Yue~m.
32 Er war damals Vizeminister des Ritenamtes in Nanking (siehe DMB, S. 674a) und war für Rapporte
(jin biao ilt~) nach Peking gekommen.
23 Siehe unten in dieser Einleitung den§ 8. 33 Über Cheng Wende gibt es einen Artikel im MRXA im Teil über die Schule in Zhezhong,juan 14,
24 Dies ist unter anderem daraus ersichtlich, dass Qian Dehong in seinem 1556 geschriebenen Vorwort Beijing 1985, S. 302f.
zur Fortsetzung von Wang Yangmings Chuanxi lu (heute der dritte Teil dieses Werkes) schreibt, dass 34 r,
Fang Xianfu wird im Nianpu als Schüler (men ren A) Wang Yangmings bezeichnet. Er stammte aus
es sich in der Zeit nach 15 36 erübrigte, diese Sammlung von Aussagen des Meisters zu veröffentlichen, Kanton, war zuerst ein Schüler Chen Xianzhangs (Beiname: Baisha) g·ewesen und war ein Freund
«da damals immer mehr Leute in allen Gegenden über die Lehre [Wang Yangmings] sprachen und von Zhan Ruoshui. Er hatte 1505 die höchsten Staatsprüfungen bestanden. Er unterstützte auch die
so die Grundlagen unserer Schule klar waren». Unterdessen seien aber die Tendenzen innerhalb der Errichtung der Tianzhen-Akademie bei Hangzhou, des institutionellen Zentrums der Schule Wang
Schule uneinheitlich geworden. Chuanxi lu III, Nachwort Qian Dehongs, Quanji,juan 3, Shanghai Yangmings (siehe Nianpu falzt, unter dem 9.Jahr der Jiajing-Ära). Zu Fang Xianfu siehe DMB, S. 36b
1992, s. 126. und S. 756, sowie Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 54.
25 Siehe unten in diesem Teil die Kap. 3 und 4. 35 Es ist mir nicht bekannt, wo in Peking sich dieses Gebäude befand.
26 Siehe oben in 'feil I, Kap. 5, § 1 und unten in diesem Teil II, Kap. 4, § 5. 36 Nianpufulu, unter dem 11.JahrderJiajing-Ära (1532), Quanji,juan 36, Shanghai 1992, S. 1329. Dieser
27 Siehe unten in diesem Teil II das Kap. 5. Bericht im Anhang der «Lebenschronik» ist besonders genau und zuverlässig, da sich sein Autor, Qian
28 Ebd. Dehong, damals in Peking befand.
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Jiangxi (Beiname: Jinxi, 1515-1588)37 , der an den Prüfungen teilnahm, im daoisti- senheit von Anhängern Wang Yangmings, gebunden und wurden oft in Jahren der
schen Lingji-Tempel !!jJ!!f 'g zusammen. Dieser Tempel, der in der westlichen Vor- höchsten Staatsprüfungen abgehalten, die alle drei Jahre im Frühjahr stattfanden.
stadt Pekings lag, 38 war von da an wohl der wichtigste Versammlungsort der sich So kam 1558 ein Schüler von Wang Yangmings Freund Zhan Ruoshui (1466-1560)
in der Hauptstadt aufhaltenden Mitglieder der Schule. Im Jahr 1553, als in Peking von Nanking nach Peking und veranlasste den Großsekretär XuJie, wieder eine Ver-
wieder die höchsten Staatsexamen stattfanden und die Kandidaten von überall sammlung im Lingji-Tempel durchzuführen. 42 Im Frühjahr 1565, einem Prüfungs-
herbeiströmten, und auch im folgenden Jahr fanden dort große Versammlungen jahr, ergriffLuo Rufang aus derTaizhou-Linie der Schule mit der Zustimmung von
statt. In diesen Jahren war die Ausstrahlung der Schule Wang Yangmings in Peking Xu Jie, der 1562 Erster Großsekretär und damit der nach dem Kaiser mächtigste
außerordentlich groß. Denn damals amtierte XuJie (1503-1583), der ein Schüler Mann im Reich geworden war, 43 wiederum eine solche Initiative. 44 Im nächsten
Nie Baos war, als Großsekretär (seit 1552), und die beiden direkten Schüler Wang Prüfungsjahr (1568) war der Initiant einer solchen Versammlung ein Sohn von
Yangmings Ouyang De und Nie Bao wirkten als Riten- bzw. als Kriegsminister Ouyang De, und im Prüfungsjahr 157 4, als schon seit zwei Jahren Zhang Juzheng
(vom Oktober 1552 bis zu seinem Tod 1554 bzw. von 1551 bis 1555). Zudem war (1525-1582) als Erster Großsekretär und Tutor des minderjährigen Wanli-Kaisers
zu jener Zeit Cheng Wende f.i :f{fj (Beiname: Songxi ~j_l, 1497-1559), dem wir die Zügel des Reiches in den Händen hielt, 45 war es ein Schüler von Nie Bao, Song
oben schon unter dem Jahr 1532 in Peking begegnet sind, zuerst zweiter Vizemi- Yiwang ~ fl~, der wie sein Lehrer aus Yongfeng in der ProvinzJiangxi stammte. 46
nister im Ritenministerium und danach erster Vizeminister im Beamtenministe- Der zwischen 1572 und 1582 allmächtige ZhangJuzheng war kein Freund solcher
rium, zugleich war er Mitglied der Hanlin-Ak:ademie. Huang Zongxi (1610-1695) Versammlungen. 47 Nach 1574 fanden während dreizehn Jahren in Peking keine
schreibt in seinen «Dokumenten der Konfuzianer der Ming-Dynastie» (MRXA): mehr statt. Erst 1587, als der zur Taizhou-Linie gerechnete, aber auch mit Wang
«Als er [XuJie] in der Regierung [d.h. als Großsekretär im Inneren Kabinett] war, Ji befreundet gewesene Geng Dingxiang ll'k~icJ (1524-1596) aus dem Norden
organisierte er Lehrversammlungen im Lingji-Tempel und veranlasste Nanye der Provinz Huguang (heute Hubei) zeitweise in Peking war, wurde wieder eine
[Ouyang De], Shuangjiang [Nie Bao] und Songxi Cheng Wende, ihnen vorzusitzen. Versammlung im Lingji-Tempel durchgeführt. 48 Man hat nicht den Eindruck, dass
Die Schüler versammelten sich in großer Zahl von bis zu tausend Personen. In den in den fünf Jahrzehnten nach Wang Yangmings Tod in Peking eine feste, kontinu-
Jahrengui chou [1553] undjiayin [1554] waren es bisher noch nicht vorgekommene ierliche Schule Wang Yangmings zustande kam, wie dies in manchen Gegenden
großartige Ereignisse. Seit dem Jahr hing eben [1556] waren die Herren [Minis- am Unterlauf des Yangze der Fall war. Dafür spricht auch, dass Wang Ji und Qian
ter] entweder gestorben oder weggegangen, und die Versammlungsorte wurden Dehong, die nach ihrem Rückzug aus der Beamtentätigkeit (1542 bzw. 1543) die
leer.»39 Und an einer anderen Stelle schreibt er über diese Versammlungen im lokalen Gemeinschaften der Schule besuchten, nie nach Peking kamen. Wang Ji
Lingji-Tempel der Jahre 15 53 und 15 54: «Die Schüler versammelten sich in großer war nach seinen Staatsprüfungen im Jahr 1532 bis zu seinem Tod 1583 überhaupt
Zahl von bis zu tausend Personen. So großartige Ereignisse hatte es seit mehreren nie mehr in Peking.
hundert Jahren nicht gegeben (qi sheng wei shu bai nian suo wei you ~~~-e~Ji}f
*~).»40 Nach der Biographie über Ouyang De in der offiziellen Geschichte der § 2 Die Tianzhen-Akademie südlich von Hangzhou als neues institutio-
Ming-Dynastie (Ming shi) sollen sogar fünftausend Personen daran teilgenommen nelles Zentrum der Schule und ihre Filiale in Quzhou
haben. 41 Merkwürdig ist, dass im Anhang zu Wang Yangmings «Lebenschronik»,
die im Süden Chinas hauptsächlich von Qian Dehong, aber auch Luo Hongxian Nur kurze Zeit nach Wang Yangmings Beerdigung im Dezember 1529 wurde von
und Wang Ji geschrieben wurde, jene Großereignisse im Norden von 1553 und seinen Schülern das Zentrum der Schule von Shaoxing in die Provinzhauptstadt
1554 überhaupt keine Erwähnung finden. Auch in den Jahren nach 1554 fanden Hangzhou verlegt. Dieses neue Zentrum war die Tianzhen-Ak:ademie jlcJUII!%, die
im Lingji-Tempel noch einige Versammlungen von Anhängern Wang Yangmings sich fünf Kilometer südlich von Hangzhou am Fuß des heute «Yuhuangshan» 3i~lll
statt, die aber jenen Umfang nicht mehr erreichten. Auch sie waren immer an
besondere Umstände in der Hauptstadt, in erster Linie an die zeitweilige Anwe-

42 MRXA,juan 27,Abschnitt über XuJie, Beijing .!985, S. 922.Jener Schüler Zhan Ruoshuis war He
Qian fPJ ll (Beiname:Jiyang "i!iill!i, 1501-1574). Uber ihn gibt es einen Abschnitt imMRXA,juan 38,
Beijing 1985, S. 922.
37 Ein Schüler von Yan Jun (Beiname: Shannong), der Schüler von Wang Gen war. 43 Siehe im Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 43f.
38 Dieser Tempel wurde 1417 errichtet und 1480 restauriert und vergrößert; siehe Wu Zhen: Xinian 44 Siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 265-268.
1522-1602, Shanghai 2003, S.185. Soviel ich weiß, bestehen heute davon keine Spuren mehr. 45 Siehe im Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 44f.
39 MRXA,juan 27, Abschnitt über XuJie, Beijing 1985, S. 922. 46 Über Song Yiwang gibt es einen Abschnitt im MRXA,juan 24, Beijing 1985, S. 552-563.
40 MRXA,juan 17, Abschnitt über Ouyang De, Beijing 1985, S. 360. 47 Siehe oben im Anhang der allgemeinen Einleitung, S. 45, und unten in Kap. 1 dieses Teils II, S. 410.
41 Siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 185. 48 Siehe Wu Zhen:Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 382.
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genannten Berges befand. 49 Als Grund für diese Verlegung nennt WangJi die <<Furcht, Ort verließen, sagte der Lehrer erfreut: <Vor zwanzig Jahren bin ich hier gewandert, s2
dass sich die Schüler zerstreuen könnten» 50 , und Qian Dehong macht das Bedürfnis lange habe ich an diesen Ort gedacht, ohne aber etwas zu erreichen, und bereue es,
regelmäßiger Zusammenkünfte der Schüler geltend. 51 Hangzhou war dafür günsti- dass ich mich nicht früher nach hier aufmachte.> Als er dann in Xi' an iffi $: [dem heuti-
ger als Shaoxing. Es war Provinzhauptstadt, in der sich viele Beamte, Gelehrte und gen Quzhou ffUM, ca. 200 km südwestlich von Hangzhou auf dem Weg in die Provinz
Studenten und zeitweise auch viele Kandidaten für die Staatsprüfungen aufhielten, Jiangxi] ankam, hinterließ er zwei Gedichte [mit den Schlussstrophen]: <Die Felsen
es war weit größer als Shaoxing und auch in Hinsicht auf die anderen Wohnorte der und Quellen von Tianzhen sind herrlich, es entsteht da eine neue Epoche des <Tores
Mitglieder und Interessenten der Schule Wang Yangmings verkehrstechnisch sehr gut des Hirsches> (lu men J&r,)>, 53 und: <Die Kultur hat ursprünglich ein <[Orakel-]Bild>
gelegen: am Anfang des Großen Kanals, mit guten Verbindungen nach Norden zu den (xiang ~), 54 wie könnte das Einholen eines Orakels für ein Gebäude keinen Grund
kulturell blühenden Städten im Süden des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking haben!»>55 Den vielleicht von Wang Yangmings selbst stammenden erklärenden Titeln
(heute Provinz Jiangsu): Suzhou, Zhenjiang, Yangzhou, Nanking etc.; nach Westen zu diesen beiden Gedichten ist zu entnehmen, dass er mit diesen von Xi'an (Quzhou)
am Weg zu der für die Schule so wichtigen ProvinzJiangxi, über den Qianqiu-Pass aus Qian Dehong und Wang Ji, die dort nicht mehr mit ihm zusammen waren, mit
zu den südwestlichen Teilen des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking (heute der Vorbereitung der Errichtung dieser Akademie beauftragte und dass seine beiden
Provinz Anhui) und nach Osten, nach der Überquerung des Qiantang-Flusses, auch Schüler dann Orakel dafür einholten (der zitierte zweite Vers Yangmings ist bereits
nicht weit von den alten Zentren der Schule, Shaoxing und Yuyao. Es ist bemerkens- eine Antwort darauf). Diese zwei Gedichte werden in Wang Yangmings «Lebenschro-
wert, dass die Verlegung des Zentrums der Schule von Shaoxing nach Hangzhou in nik» und im «Anhang zur Lebenschronik» von Qian Dehong mehrmals als eine Art
Wang Yangmings «Lebenschronik» ausführlich durch dessen Willen legitimiert wird. testamentarische Verfügung ihres Lehrers erwähnt. 56
Unter dem 9.Jahr der Jiajing-Ära (1530) steht dort folgender Eintrag: «Als der Lehrer Ein Jahr nach Wang Yangmings Tod, 1530, ließ Xue Kan (?-1545), der aus der
[Yangming] noch in Shaoxing unterrichtete, wollte er schon einen Ort als Begeg- Provinz Guangdong stammte und zwischen 1517 und 1520 Schüler Wang Yangmings
nungsstätte für Leute aller Gegenden (hu hai zhi jiao mft~.z~) wählen, an dem man in der Provinz Jiangxi gewesen war, am Ort der späteren Tianzhen-Akademie einen
die Weite beständig vor Augen hat. Er plante, für einen Bau Orakel einzuholen, um «Ahnentempel» (ci tAJ) oder eine «reine Halle» (jing she ffl~) bauen: «Im fünften
dann dort zu wohnen und sein Alter zu verbringen. Als der Lehrer [im Herbst 1527] Mond des 9. Jahres der Jiajing-Ära [= 1530] errichtete der Schüler Xue Kan beim
nach [der Provinz Guangxi] zog, um Si'en und Tianzhou zu befrieden, überquerten Tianzhen-Berg eine reine Halle (jing she ffl~), um dem Lehrer zu opfern.[ ... ] [Xue]
[Qian De] Hong und [Wang] Ji mit ihm den [Qiantang-]Fluss und bestiegen zufällig Kan war [nach dem Tod des Lehrers] zu den Trauerfeiern gekommen und hatte sich
diesen Berg, wie wenn sie einen Wink [des Himmels] verstehen würden. Bevor sie den nach der Beerdigung Sorgen gemacht, dass die Schüler [Wang Yangmings] sich nicht
mehr regelmäßig versammeln könnten. Er erinnerte sich an den hinterlassenen Wil-
len des Lehrers und errichtete am Fuße des [Tianzhen-]Berges eine Gedächtnishalle
(Ahnentempel: ci tAJ).»57
49 Qian Dehong nennt im Nianpu (unter dem 9.Jahr der Jiajing-Ära [1530], Quanji,juan 36, Shanghai
1991, S. 1330) den Berg «Tianzhen ;/c~». Er gibt dabei folgende geographische Kennzeichnung: In den folgenden Jahren entstand dort durch die Unterstützung von anderen
«DerTianzhen[-Berg] liegt zehn li [ungefähr fünf Kilometer] südlich der Stadt Hangzhou.Der Berg einflussreichen Schülern Wang Yangmings eine große private Akademie: «Zou Shouyi,
enthält viele Felsen und alte Höhlen. Wenn man hinunterschaut, sieht man das <Feld der acht Tri-
gramme> (Ba gua tian f\i~B3) [noch heute vorhanden nördlich unterhalb des Yuhuang-Berges], links
überblickt man den <Westsee> (Xihu), vorne liegt unten die Meerespolizei (Xu hai WJlil) [nicht weit von
der Mündung des Qiantang-Flusses].» Huang Wan schreibt in seiner Erinnerungstafel zur Erweite- 52 Wohl ein Hinweis auf seine längeren Aufenthalte in Hangzhou in den Jahren 1503 und 1507; siehe
rung der Tianzhen-Akademie von 15 36, dass diese am Fuß des Longshan ~~ («Drachenberg») liegt oben in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 62 und S. 71.
(a.a.O., S. 1332). Der Yuhuang-Berg hatte früher verschiedene Namen, er hieß auch «Yulongshan .3i 53 Das «Tor des Hirsches» (fa men hll!r,), von dem Wang Yangming in diesem Vers spricht, meint viel-
~~» («Jadedrachenberg»). «Tian zhen ;lc;i!!;» und «fä huang .3i.m» sind beides Namen daoistischer leicht die «Akademie des Tores des Hirsches» (Lumenshuyuan hll!F,'lli!Jt), die sich bei Shengzhou, etwa
Gottheiten. Der Yuhuang-Berg ist noch heute ein daoistisches Zentrum, auf seinem Gipfel befindet acht7,ig Kilometer südöstlich der Stadt Shaoxing (noch innerhalb der Präfektur Shaoxing), befand und
sich der daoistische Fuxing-Tempel :/m!iill. Ich habe im September 2004, als ich danach suchte, keine an der in der Song-Zeit schon Zhu Xi gelehrt hatte, oder Wang Yangming meint damit das «Tor [der
Spuren von derTianzhen-Akademie gefunden. Sie wurde 1580 oder 1581, wenige Jahre vor WangJis Akademie des Weißen] Hirsches» (B11ilushuyuan B Jllli•i!Jl), eine sehr berühmte Akademie am Fuß des
Tod, aufgrund eines Dekretes des damaligen Großsekretärs ZhangJuzheng (1525-1582) aufgehoben. Lu-Gebirges im Norden der Provinz Jiangxi, die von Zhu Xi gegründet worden war. Da «Tor: men
Sie ist nicht identisch mit der viel näher bei der Stadt Hangzhou gelegenen Wansong-Akademie •tA r,» auch «Schule» bedeuten kann, wäre nach diesem Verständnis die geplante Tianzhen-Akademie
'ili!Jl, die schon im 15 .Jahrhundert gegründet worden war und für deren Erneuerung Wang Yangming eine neue «Akademie des Weißen Hirsches».
1525 eine Erinnerungsschrift geschrieben hatte (Quanji,juan 4, Shanghai 1992, S. 252). Die Gebäude 54 Ausdruck aus dem Orakelbuch Yijing («Buch der Wandlungen»).
der Wansong-Akademie wurden 2002 restauriert. In ihnen sind heute auch Dokumente anderer 55 Nianpu, Quanji,juan 36, Shanghai 1992. S. 1328.
Akademien Hangzhous ausgestellt, die Tianzhen-Akademie wird aber nicht erwähnt. Die Erinnerung 56 Die beiden Gedichte sind vollständig injuan 20 der «Gesammelten Werke» (Quanji, Shanghai 1992,
an ihren genauen Standort ist wohl verlorengegangen, obschon 1583 die dortigen Opfer für Wang S. 795) enthalten. Zudem sind sie in der «Lebenschronik» unter dem 6.Jahr der Jiajing-Ara (1527)
Yangmingwieder aufgenommen wurden (siehe Wu Zhen: Xini11n 1522-1602, Shanghai 2003, S. 339). vollständig abgedruckt (Shanghai 1992,jufln 3 5, S. 1307f.) und werden auch im «Anhang zur Lebens-
50 Qian jun xingzhuan, Wang Longxi quanji,juan 20, S. 5a (Taipei 1970, S. 1381). chronik» unter dem 13.Jahr der Jiajing-Ära (1534) erwähnt (a.a.O.,juan 36, S. 1330).
51 Nianpufuhtl, Quanji,juan 36, Shanghai 1992, S. 1328. 57 Nianpu falu, unter dem 9.Jahr der Jiajing-Ära, Quanji,juan 16, Shanghai 1992, S. 1328.
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Fang Xianfu [?-1544] 58 und Ouyang De halfen einer nach dem anderen, so dass die (ti xue ~~) von Zhejiang, XuJie, 61 die Akademie erneuert und sie mit zusätzlichem
Einrichtungen der Studierzimmer, der Säulengänge, der Küchen und der Baderäume Ackerland versehen hätten. 62 Huang Wan, der Freund und durch die Heirat ihrer
über hundert Personen beherbergen können. Die Opferfeiern wurden auf den 14. Tag Kinder Verwandte Wang Yangmings, schrieb bei dieser Erneuerung und Besitzver-
des mittleren Frühlingsmondes [des zweiten Mondes] und des mittleren Herbstmon- größerung der Akademie eine Gedächtnisstele, auf der er unter anderem Folgendes
des [des achten Mondes] festgelegt. Die Gleichgesinnten (tong zhi 16.1*) aus allen vier festhielt: «Oberhalb des Zhe-Flusses [Qiantang-Flusses] und am Fuß des Drachenber-
Himmelsrichtungen nehmen zu den festgelegten Zeiten an den Zeremonien teil. Es ges (Longshan) liegt die Tianzhen-Akademie, die dazu dient, dem Lehrer (xian sheng
werden dabei Glocken und Klangsteine aufgehängt, Lieder und Gedichte vorgetra- $1:;1:) Yangming zu opfern. Denn der Lehrer wanderte oft an diesem Ort. Nachdem er
gen, Trauertänze und Speisungen durchgeführt. Nach dem Ende der Feiern gibt es gestorben war, wurde deshalb hier eine <reine Halle> (jing she ffl'\t) errichtet, um das
Lehrversammlungen bis zum Ende des Mondes.» 59 Auch von den drei Stiftern, die Lernen des Lehrers zu unterrichten und sein Dao (seine Lehre) bekannt zu machen.»
im zuletzt zitierten Text genannt werden, stammte keiner aus Hangzhou oder der Dann erwähnt Huang Wan ausführlich die großen Verdienste Wang Yangmings bei
Provinz Zhejiang, und sie hielten sich damals auch nicht länger dort auf. Zou Shouyi der Niederschlagung der Rebellion des Prinzen von Ning imJ ahr 1519 und fährt fort:
und Ouyang De stammten aus der Provinz Jiangxi, Fang Xianfu wie Xue Kan aus «Die Errichtung der Akademie dient deshalb heute nicht nur zu Lehrversammlungen
der Provinz Guangdong. Die Tianzhen-Akademie war offenbar als institutionelles (jiang xue ~,,), sondern auch dazu, die Verdienste des Lehrers bekannt zu machen
Zentrum der ganzen Schule Wang Yangmings konzipiert. Man sieht auch aus dem (ming xian sheng zhi gong IIJ.l$t1:.z:i:JJ). Die Akademie wurde von [Wang Yangmings]
Programm der zwei Mal im Jahr während fünfzehn Tagen angesetzten Versammlun- Schüler Xue Kan begonnen und durch die Absolventen der höchsten Staatsprüfun-
gen, welches Gewicht die kultischen Zeremonien hatten. Die «Lebenschronik», wohl gen, Qian Dehong und Wang Ji mit der Unterstützung von Gleichgesinnten (tong zhi
Qian Dehong, beschreibt das Aussehen der «Gedächtnishalle» (Ahnentempels: ci ~) 16.1 *) organisiert (wei zhi ~ z). In der Folge wurde sie vom Mitglied der Schule (men ren
am Tianzhen-Berg folgendermaßen: «Heute [d.h. wohl bei der Abfassung dieses Teils Pt.A.) und ersten Ministerialsekretär Wang Chen 3: li!: 63 und vom Direktor Xue Qiao
der «Lebenschronik», das heißt um 15 60] umfasst die Gedächtnishalle (Ahnentempel: ff il,64 die in der Provinz Zhejiang zu tun hatten, nochmals vergrößert und dabei zum
ci til.l) den <Ahnentempel des ehrfürchtigen Aufblickens und Stillehaltens> (Yangzhici ersten Mal mit siebzig mu (ca. 480 a) Land versehen.[ ... ] Als der Adjutant und kai-
1QJ.lttil.l) [d.h. den Ahnentempel im engeren Sinn], das <mehrstöckige Gebäude des serliche [Zensor] (shi yu *ffQJ) [d.h. der Vizegouverneur: xun an¾«~], der edle Zhang
Umfassens der Meere> (Huanhailou J:lUi11) sowie die beiden Pavillons (ting ~) der Uing], Zhejiang inspizierte, stieg er zur Akademie empor und sagte bewundernd: <Das
<Wolke des obersten Prinzips> (Taijiyun :kffi~) und der <Wolke der fließenden Quel- Lernen des Lehrers [Wang Yangming] erörtert die allgemeine Güte der menschlichen
le> (Quanxieyun Jl~~).»60 Der «Ahnentempel» (ci ~) diente offenbar auch als Ge- Natur, und sein Verdienst für das Reich dauert im Lande bis heute an; beidem wird
samtbezeichnung für alle Gebäude der «Akademie», in denen Versammlungen statt- passend mit Opfern gedacht. Wte könnte man es vernachlässigen, diesen Ort erneut
fanden, was seine Bedeutung innerhalb dieser Institution anzeigt. Auch wenn es oben reichlich mit Gunst zu versehen!> Und er beauftragte den Schulinspektor (ti xue
an derselben Stelle heißt, dass Xue Kan einen «Ahnentempel (ci ~) errichtete, um ~,,) und Ersten Ministerialsekretär, den edlen XuJie, dem Untersuchungsrichter von
regelmäßige Versammlungen der Schüler zu ermöglichen», und dass er «eine. <reine Shaoxing, Chen Rang Ml ~, den Befehl zu erteilen, in Kuaiji [Shaoxing] aus achtzig
Halle> (jing she fht) (ein Wort, das auch als eine «Lehrhalle» verstanden werden kann) mu Land von aufgehobenen Klöstern einen Hof zu machen und ihn der Akademie
bauen ließ, um dem verstorbenen Lehrer zu opfern», so wird die enge Verbindung zuzuordnen und [beauftragte den Schulinspektor] zudem, aus dem Gerichtshof drei-
von Lehrversammlung und kultischer Verehrung des verstorbenen Lehrers deutlich. hundert liang (Tael) Lösegeld (shujin san bai liang 111~=-i§'ffi) zu nehmen und dem
Eine wichtige wirtschaftliche Grundlage der Tianzhen-Akademie war Acker- Untersuchungsrichter von Hangzhou, Luo Dayong fl .:kffl, und dem Kreisvorsteher
land, der sogenannte «Acker für die Opfer» (si tian ~III), wohl Reisfelder, die 1536 von Qiantang,65 Wang 3:,66 den Befehl zu erteilen, neunzig mu Land zu kaufen, das
zweihundertvierzig mu (etwa 16 ha) umfassten. Ein Eintrag im «Anhang» zu Wang man in der Song-Dynastie «gui chou &IBI» («Schildkrötenfelder») nannte, um [den
Yangmings «Lebenschronik» hält unter diesem Jahr 1536 fest, dass der damalige
Vizegouverneur (xun an ¾«~) der Provinz Zhejiang und kaiserliche Zensor Zhang
Jing ~ ft und der (zur Schule Wang Yangmings gehörige) damalige Schulinspektor
61 Zu XuJie (1503-1583), der später einer der einflussreichsten Mitglieder der Schule werden sollte, i
·I
siehe oben in dieser Einleitung den§ 1, S. 278.
62 Nianpu fuh,, unter dem 15.Jahr der Jiajing-Ära (1536), Qzlllnji,juan 36, Shanghai 1992, S. 1332.
63 Wang Chen (Beiname: Yaohu) war eine Schüler Wang Yangmings, er bestand 1523 dk höchsten
58 Fang Xianfu, der 1532 Minister und dann Großsekretär wurde, wurde schon oben als Organisator Staatsprüfungen und hatte 1526 im BezirkTaizhou dieAnding-Akademie gegründet und in ihr Wang
der Versammlungen in Peking während des Jahres 153 2 genannt (siehe oben in dieser Einleitung den Gen als Lehrer engagiert; siehe unten in dieser Einleitung den § 5, S. 313.
§ 1, s. 277. 64 Xue Qiao ist mir nicht näher bekannt.
59 Nianpu fulu, unter dem 9.Jahr der Jiajing:Ära, Quanji,juan 16, Shanghai 1992, S. 1328. 65 Qiantang war in der Ming-Dynastie der Kreis, in dem die Provinzhauptstadt Hangzhou lag.
60 Nianpu III, unter dem 6.Jahr der Jiajing-Ara (1527), Quanji,juan 25, Shanghai 1992, S. 1308. 66 Seinen persönlichen Namen kann ich im Text nicht identifizieren.
284 285

Landbesitz der Akademie] zu vergrößern.»67 Aus dieser Steleninsehrift von Huang Versammlungen im [Kreis l Lanxi ififlg§ [in der östlichen Nachbarpräfektur Jinhua
Wan wird auch ersichtlich, welche große Rolle die öffentliche Hand beim Ausbau der '.3ii:$} Diese [Versammlungen] waren in der Distanz mit der Tianzhen[-Akademic]
Tianzhen-Akademie, die doch eine private Akademie war, spielte. Die Rolle des Staates koordiniert (yumz jin x:imz[!, ying l&BLU§.ill), und unaufhörlich fand zwischen ihnen ein
wird bei der Errichtung der zur Schule Wang Yangmings gehörigen Shuixi-Akadcmie Kommen und Cehen für die Lehrversammlungen statt (wang laijittng hui bu chuo
in der Präfektur Ningguo in den.Jahren 1552 bis 1554 und bei der Erneuerung der 1H1~if/af(Fff). Diejenige am Fuß des Qu-Berges war von ihnen die Erste [jeweils
ebenfalls im direkten Verwaltungsgebiet von Nanking gelegenen Fuchu-Akadernie in im Jahr].» 73 Die Städte Xi'an (Quzhou), Longyou und Lanxi lagen alle am großen
der Präfektur zweiten Ranges Guangde im.Jahr 1556 noch deutlicher werden (siehe Wasserweg zwischen I Lmgzhou und der Provin,, Jiangxi. Der Bericht ist sehr genau,
unten in dieser Einleitung den § 9). da der Berichterstatter Qi,m Dehong selbst dabei war. Offenbar bestand hier in der
Die Tianzhen-Akademie hatte so etwas wie eine Filiale in der Präfektur Quzhou Provinz Zhejiang eine g:111ze Ordnung von I,ehrversammlungen auf den verschie-
mftM, innerhalb der Provinz Zhejiang ,m der (;renze zur Provinz Jiangxi, etwa zwei- denen Ebenen der Kreise, der Pr(.ifckturen und der Provinz. Wir werden ein solches
hundert Kilometer südwestlich von Hangzhou. Qian Dehong schreibt im Anhang zu System in noch intensiverer Form auch in der Priifoktur Ji'an in der Provinz Jiangxi
\Vang Ymgrnings «Lebenschronik» unter demJ1hr 1534: «Im dritten Mond [dieses kennenlernen (siehe unten den § 6).
Jahres] errichtete das Mitglied der Schule [und Pr:Hekt von QuzhouJ Li Sui $ ~ 68 eine Die treibenden Kriihe hinter der' Jimzhen-Akadernie als institutionellem Zen-
Lehrhalle (jiang she ifM*) am Fuß des Qu-Berges (Qu lu mf lffi) und opferte dem verstor- trum der Schule waren wohl Qian Dehong und Wang Ji. Dieser schreibt, dass sie
benen Lehrer: Als der Lehrer [Wang Yrngming] früher aufbrach, uni [in der Provinz beide die Leiter (ju shou Jiif~f) der dortigen Vcrs,unmlungen waren. 74 Ihnen hatte Wang
Guangxi ganz im Süden Chinas] Si[enJ und Tianlzhoul zu befrieden und sein Schiff Yangming 1527 bei seinem endgültigen Verlassen von Shaoxing die I ,eitung der Schule
sich !im Spiitherbst 1527] in Xi'an g§1z: [Jlanptort der Priifcktur Quzholll ardhidt, übergeben, nnd die beiden fühlten sich von cla an auch sehr für deren Einheit und
warteten ilun Yue Ilui tlM ~ und WangJi ±~ 69 zus:1u1n1cn achtzehn Leute, in1 Regen Zusammenhalt verantwortlich. Rcgelmiißige Zusammenkünfte in diesem Zentrum bei
auf. Der Lehrer rezitierte die zwei Gedichte über die Tianzhen[-Akademic], 70 11111 sie Hangzhon, das «der Lehrer» noch selbst gewollt hatte, sollten wohl vor allem dieser
zu trösten. Als ein J:1hr spiiter der Lehrer gestorben war und !als 'Hiter im Frühjahr Einheit dienen. Diese Zusammenkünfte haben bis zur Zeit der von Zhang Juzheng
15291 wieder nach Yushan iletzte Kreisstadt in der Provinz.fiangxi vor der ( ;renze zur 1579 oder 1580 verordneten Auflielmng der Akademie wiihrend fünfzig Jahren wohl
Priifektnr Quzhou in Zhejiangj zurückkehrte, ging IYuel Hui, vertreten durch seine regclmiißig stattgchmden. Noch l 574 schreibt \NangJi, dass sie jedes Jahr im Frühling
1vlitschüler [... ], dem Sarg bei der Poststelle Caoping 1.Hifr entgegen. Einige hundert und Herbst durchgeführt wurckn. ()ian Dchung ist wiihrcnd einer solchen Zusam-
T,eute weinten gestützt auf den Sarg. Als sie in Xi'an eintrafen, verlangten alle Schüler menkunft in der Tianzhen-Akadernic 1574 gcstorben. 7" Doch kann man nicht sagen,
nach der hinterlassenen Lehre des Meisters IWang Yangmingj und niemand wusste, dass das gemeinsame geistigc Lehen der Schule sich hauptsächlich in diesem institu-
worauf er sich verlassen konnte. Darauf vereinbarten i()i:m Dej llong und [Wmgj tionellen Zentrum abspielte. Es w,lf wichtig, ,1ber nicht dominierend. Die Zusammen-
Ji ~ mit [Wang] Ji ~ und Yingdian ~:!11! 71 die Zeit einer alljährlichen Versammlung. künfte der Mitglieder der Schule im Rahmen ihrer jeweiligen Kreise, Präfekturen und
In diesem.Jahr [1534] war [Li] Sui Präfekt [von Quzhou] und baute auf Wunsch der Provinzen waren sicher intensiver und zum Teil auch größer. Deshalb begnügten sich
[dortigen] Gelehrten ein Gebäude am Fuß des Qu-Berges, stellte darin eine Ahnenta- WangJi und Qian Dehong, als sie sich nach 1541 bzw. 1543 aller öffentlichen Ämter
fel des Lehrers [Wang Yangming] auf und errichtete die jährlichen Opfer. 72 Außerdem entledigt hatten, nicht damit, Versammlungen in jenem Zentrum zu organisieren, son-
organisierten die Schüler[ ... ] [es folgen sechs Namen] getrennt Versammlungen im dern sie reisten in den Provinzen am Unterlauf des Yangze, Jiangxi, Zhejiang und im
[Kreis] Longyou ~;h'.f [innerhalb der Präfektur Quzhou] und in Shuinan 7.l<WJ [wohl Süden des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking (heute im Süden der Provinzen
in derselben Präfektur]; und die Schüler [... ] [es folgen vier Namen] organisierten Jiangsu und Anhui), von einem Versammlungsort der Schule zum anderen, um die
Lehre und die Einheit der Schule zu fördern. Selbst die 1549 und 15 60 dprchgeführten
interprovinziellen Versammlungen der Mitglieder der Schule von.Jiangxi und Zhejiang,
an denen auch Leute aus dem Gebiet der Präfektur Ningguo im Süden des direkten
67 Nianpu fulu, unter dem 15.Jahr derJiajing-Ära (1536), Quanji,juan 16, Shanghai 1992, S. 1332.
68 Li Sui (Beiname: Kezhai %ii1!1, 1504-1566) stammte aus Fengcheng im Norden der ProvinzJiangxi, Verwaltungsgebietes von Nanking teilnahmen, wurden nicht in jenem Zentrum bei
war ein Schüler von Ouyang De und der Vater von Li Cai $ ;tt (ca. 1520 bis ca. 1606), der wiederum Hangzhou abgehalten, sondern an Orten in der Provinz Jiangxi nahe der Grenze zur
ein Schüler von Zou Shouyi wurde und dem im MRXA. ein ganzes Buch gewidmet ist (juan 31 ). Provinz Zhejiang. Ein «Zentralismus» konnte sich in der Schule nicht entwickeln.
69 Es ist dies nicht der Assistent Wang Yangmings aus Shaoxing, dessen Name gleich ausgesprochen,
aber nicht gleich geschrieben wird, sondern ein Schüler Wang Yangmings aus Quzhou, der von 1490
bis 1563 lebte.
70 Siehe oben, S. 281. 73 Anhang zum Nianpu, 13.Jahr der Jiajing-Ära (1534), Quanji,juan 36, Shanghai 1992, S. 13 30.
71 Der erste der beiden Wang Ji ist der Assistent Wang Yangmings aus Shaoxing. Er und Qian Dehong 74 Qianjunxingzhuan, Wang Longxi quanji,juan 20, S. Sa (Taipei 1970, S. 1381).
waren im Frühjahr 1529 eiern Leichnam Wang Yangmings bis in die ProvinzJiangxi entgegengereist. 75 A.a.O., S. 9a (Taipei 1970, S. 1389).
72 Wahrscheinlich fanden diese Opfer jeweils gleichzeitig mit den jährlichen Lehrversammlungen statt. 76 A.a.O., S. 9b (Taipei 1970, S. 1990).
286 287

§ 3 Das Wiederaufleben der Schule in Nanking nach Wang Yangmings Tod haben. Erst als von 1562 bis 1567 Geng Dingxiang ll'J.: tE'.joJ (1524-1596), welcher der
unter der Führung von Ouyang De auf Wang Gen zurückgehenden Taizhou-Linie der Schule Wang Yangmings zugeord-
net wird, für das Direkte Verwaltungsgebiet von Nanking als «Studienkommissar»
Schon bald nach der Trauerzeit wegen Wang Yangmings Tod (1529) wurde Nanking
(«Schulinspektor»: ti xue m~ oder du xue 'II~) zuständig war, 81 erlebte die dortige
aufgrund der Jahre dauernden Anwesenheit einer ganzen Reihe seiner prominenten
Schule eine zweite Renaissance. Auch Geng Dingxiangs philosophisch hervorragen-
Schüler als Beamte in der «südlichen Hauptstadt» zu einem lebendigen Zentrum
der jüngerer Bruder Geng Dingli tE:31. (1534-1584) hielt sich 1566 und auc~ später
der Schule. Die Blütezeit der Schule in dieser Stadt dauerte etwa bis 1541. Nanking
wieder in Nanking auf. 82 Ebenso nahm Wang Ji dort im Frühling 1565 wieder an
war während dieser Jahre für die Schule wohl ein wichtigerer Ort als die Tianzhen-
einer Versammlung teil. 83 Hatten sich bisher die Mitglieder der Schule Wang Yang-
Akademie bei Hangzhou.Auch in der ProvinzJiangxi begann um 1534 die Schule sich
mings in Nanking in der <<.Akademie der neuen Quelle» (Xinquan shu~uan _ffi~J!~)
zu entfalten, aber ihre blühendsten]ahre hatte sie dort zwischen 1541, als Zou Shouyi
versammelt, 84 die der Schule Zhan Ruoshuis gehörte, eröffnete Geng Dmgxiang 1566
definitiv in seine Heimat zurückkehrte, und 1562, als er starb (siehe unten den§ 6).
auf dem Qingliang-Hügel )l~i.LI oberhalb des buddhistischen Qingliang-Klosters
Zwischen 1532 und 1535 war Ouyang De in Nanking die führende Persönlichkeit
~~~ im Südwesten der Stadt (noch innerhalb der Stadtmauern) die Chongzheng-
der Schule, als er dort der Studienleiter (si ye ß'.I~) an der Kaiserlichen Hochschule
Akademie ;lfiEt!~, die sich zu einem beständigen Zentrum der Schule entwickelte. 85
(Guozijian) war. 77 In denselben Jahren (1532-1535) war Qian Dehong Lehrer an der
Sie wurde durch Geng Dingxiangs in Nanking ansässigen, sehr angesehenen Schüler
Präfekturschule im etwa zweihundert Kilometer von Nanking entfernten Suzhou,
Jiao Hong ~ ~ (1540-1620) geleitet. 86 Außer den zehnJa~re~ zwische~ 1589'. als er
das zu dessen direktem Verwaltungsgebiet gehörte. Manchmal war auch er während
nach sechs vergeblichen Versuchen im Alter von neunundvterz1g Jahren m Peking als
dieserJahreinNankinganwesend. Zwischen 1536und 1541 waren WangJi, der 1535
Primus die höchste Staatsprüfung bestand, und Anfang 1599, als er sich definitiv vom
nach Nanking kam, und von 1538 bis 1541 (mit einem kurzen Unterbruch im ersten
Staatsdienst zurückzog, wohnte Jiao Hong zu Hause in Nanking und konnte dort
Halbjahr 1539) auch Zou Shouyi die wichtigsten Förderer der Schule in dieser Stadt.
diese Akademie leiten. Von 1570 bis 1577 war der sehr unabhängige Denker Li Zhi
1541 war Zou Shouyi während einiger Monate Vorsteher (ji jiu ~)ff) der dortigen
Kaiserlichen Hochschule. Oft hielt sich in diesenJahren auch Ouyang De in Nanking
* R (1527-1602) als Zweiter Sekretär im Justizministerium in Nanking anwesend'.
verband sich freundschaftlich mitJiao Hong und nahm dort Wang Gens Sohn Wang Bi
auf. 78 Auch Wang Gen kam zwischen 153 3 und 15 36 von seinem ungefähr zweihundert
Kilometer nordöstlich von Nanking im Kreis Taizhou gelegenen Wohnort mehrere
z lt (1511-1587) zu seinem Lehrer. 87 Von 1587 bis 1589 hielt sich Geng Dingxia_ng
als Zensor wieder in Nanking auf.Auch in der Zeit zwischen 1589 und 1598, alsJiao
Male in die südliche Hauptstadt, 79 und Luo Hongxian weilte Ende 1539 während
Hong abwesend war, fanden in Nanking große und weit herum Aufsehen e~regende
zweier Monate in dieser Stadt und ihrer Umgebung, um sich mit WangJi und anderen
Diskussionen innerhalb der beiden eng verbundenen Schulen Wang Yangmmgs und
Gelehrten zu treffen. Zudem hielt sich zwischen 1533 und 1540 der ältere Freund
Zhan Ruoshuis statt: Zwei Schüler des zur Taizhou-Linie gehörigen Luo Rufang,
Wang Yangmings, Zhan Ruoshui (1466-15 60), der aber kein Schüler Yangmings war,
als Minister verschiedener Ministerien in Nanking auf und traf sich regelmäßig mit
Zhou Rudeng Ji!11 JkD: (1547-1629?) aus dem Kreis Shengxian -Jli
im Süden der
Präfektur Shaoxing (Provinz Zhejiang) und Yang Qiyuan ~ ilß.jr; (1547-1599) aus
den Schülern seines verstorbenen Freundes zu Diskussionen. 80
dem Kreis Guishan M~ in der Präfektur Huizhou lUH (im Osten der Provinz
Nach 1541, nachdem die wichtigsten Schüler Wang Yangmings aufgrund po-
Guangdong), waren von 1592 bis 1597 bzw. von 1594/95 bis 1598 als ho_he_Beafnte in
litischer Umstände den Staatsdienst verließen, scheint Nanking während zwanzig
Nanking tätig. 88 Sie führten dort in großen Versam~un~en, w~hrsche1~hch sowohl
Jahren seine Position als wichtiges Zentrum der Schule Wang Yangmings verloren zu
in der Xinquan- als auch in der Chongzheng-Akadem1e, D1skuss10nen mit Xu Fuyuan

77 Studienleiter war die zweithöchste Stellung in der Kaiserlichen Hochschule, unmittelbar nach dem
Vorsteher («Rektor»), demjijiu ~ll- 81 Siehe WuZhen:Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 248 und S. 273.
78 So imJahr 1536, evtl. auch 1537 (Wang Longxi quanji,juan 19, S. 14a [Nachdruck Taiwan, S. 1363]; 82 A.a.O., S. 273.
Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 77) und 1539 (Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 83 Liu du huiji ii-11~: Wang Longxi quanji,juan 4, S. 13b-27a (Taipei 1970, S. 302-329).
2003, s. 94). 84 Siehe oben die Anm. 80.
79 Siehe unten in dieser Einleitung den§ 5, S. 321. 85 Die Gebäude dieser Akademie bestehen in erneuerter Form heute noch.
80 Der Ort, an dem er sich mit seinen Schülern und Gesprächspartnern versammelte, war die «Akademie 86 Siehe Ch'ien, Edward T.: Chiao Hung and the Restructi1ring ofNeo-Confacianism in the Late Ming, New
der neuen Quelle» (Xinquan shuyuan ffi.J.iUIII%) in einer Vorstadt von Nanking (siehe Wu Zhen: Xinian York 1986, S. 35-65.
1522-1602, Shanghai 2003, S. 40f.; DMB, S. 37b-38a). Diese Akademie wird auch in der «Lebens- 87 Billeter,Jean-Fran~ois: Li Zhi, philosophe maudit. Contrilmtion a1me sociologie du mandarinat de la fin des
chronik» von Wang Gen unter dem Jahr 1527 erwähnt (siehe unten den§ 5, S. 313). 1550 stellten Ming, Geneve 1979, S.101-108. . .. _
zwei Schüler von Zhan Ruoshui in einem Gebäude dieser Akademie ein Bild von Wang Yangming 88 Huang Zongxi datiert diese Diskussionen in die Zeit «um das 20. Jahr der Wanh-~·a: •m-~J:iäil'J
auf (siehe WuZhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 167). Im Frühling 1565 nahm WangJiin ~» (um 1592); MRXA,juan 41, S. 976. Vielleicht fanden sie etwas später statt, da_s1ch Yang Q1yuan
dieser Akademie an einer Versammlung teil; siehe Liu du hui ji ii~-~: Wang Longxi quan ji,juan 4, von 1592 bis 1594/95, während der «dreijährigen» Trauerzeit (27 Monate) für sem~n verstorbenen
S. 14 a (Taipei 1970, S. 303). Vater, zu Hause in der Provinz Guangdong befand; siehe DMB, Artikel über Yang Q1yuan, S. 1505b.
288 289

~ $~ (1535-1604) aus dem Kreis Deqing 1Jföj/j' der Präfektur Huzhou 5/iJltM (im Nor- sen), die zwischen 1533 und 1535 Beamte in Nanking oder dessen Umgebung waren
den der Provinz Zhejiang), der zur Schule Zhan Ruoshuis gehörte und der Lehrer und das damalige Aufblühen der Schule hervorriefen: «Im 12. Jahr der Jiajing-Ära
von Liu Zongzhou (1578-1645) wurde, dessen Schüler Huang Zongxi, der Autor der [1533] versammelte sich das Mitglied der Schule 0uyang De mit Gleichgesinnten
«Dokumente der Konfuzianer der Ming-Dynastie» (MRXA), war. Huang Zongxi (tong zhi fqi$.) in der südlichen Hauptstadt. Nach dem Tod [1529] des Lehrers [Wang
berichtet über diese Diskussionen sowohl in seiner Biographie über Zhou Rudeng89 Yangming] waren Niitglieder der Schule in Shaoxing [bei der Regelung seiner Fa-
als auch in derjenigen über Xu Fuyuan90 und nimmt im Sinne seines Lehrers ent- milienangelegenheiten] behilflich. Nach drei Jahren 11531] kehrten sie nach allen
schieden Stellung für Xu Fnyuan und gegen Zhon Rudeng und die anderen Vertreter Richtungen in ihre eigenen Orte zurück. Jeder stellte ans dem, was er selbst [von
der Tllizhou-Linie, die sich auch auf Wang Ji beriefen. In diesen Diskussionen ging Wang YangmingJ verstanden hatte, seine Lehre auf, und es gab keine Gelegenheit,
es um die schon damals in mehreren Dokumenten festgehaltene Auseinandersetzung [die Meinungen! zu vereinheitlichen (hc bing ß{#). In jenem Jahr f15331 setzten
zwischen WangJi und Qian Dchong a1n Vorabend von W:mgYangming-sAbreisc nach Ouyang De,Ji Ben~ 7.f, 92 Xu Xiangqing it t§g~p,93 He Tingrcn fr.jf ~1=, 91 Liu Yang
Guangxi im Oktober 1527 über dessen «Lehre in vier Sätzen», die wir im nächsten jlj ~ 95 und ITuang Honggang slt{m]''c die Gespriiche (jümg ~) im Südosten
Kapitel ausführlich darstellen werden (siehe unten Kap. 1, §§ 2 u. 3). Während Zhou *~ fort, und auch ich selbst karn wegen Geschäften nach Jinling :tii:lli [Nanking].
Rudcng die Umfonnulierung dieser «Lehre» durch Wang Ji, der durch «plötzliche Die eifrigen Schüler aus weit entfernten Gebieten vcrsannnclten sich, Gleichge-
Einsicht» in das immer vollkommene «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wis- sinnte strömten zusanunen (lci cui qun qu !k'i'i~fit!Ei) und diskutierten (jiang ~) in
sens» eine die Gewissensunterscheidung zwischen g11tcn und schlechten Intentionen den verschiedenen buddhistischen Klöstern im Süden der Stadt (cheng rum chu sha
transzendierende «leichte» ethische Praxis anstrebte, verteidigte, hielt Xu Fuyuan an :lfix~~JilLJ)" 7 oder in der Kaiserlichen l lochschulc [beim Hügel] des kriihendcn Ilahns
der ursprünglichen Formulierung durch Wang Ymgming mit ihrer auf dem unter- (Guozi]irning ~-=f~~~). 9' i'Vlan förderte die Übcrcinstimrnung, indem man einander
scheidenden ( ;ewissen basierenden willentlichen Anstrengung für das moralisch Gute prüfte, und cntwirrtr.; sich gegenseitig die zweifelhaften Argumente. Das Lernen des
unbedingt fest und erkliirtc ihren «ersten Satz», der die «Substanz des Herzens» (xin
zhi ti 'G'.2.IHI.) als jenseits der Differenz von Gut und Schlecht bestimmt, durch einen
zeitlichen psychologischen Zustand der «Ruhe» (jinp; ffi!) «in der <Mitte> vor dem
92 .J i Ben (lkinamc: Pcngshan ]J; U-1, 14N5-15(,l) st:llllllltc :\lls Sh,10xing, dem Wohnort W,mg Yangmings;
Entstehen der [guten und schlechten! c;efiihlc» (weif11 zhi zhong *~.2.9'1). Anfang er haue 1517 ws:unmcn mit Nie B:10 in Peking die höchsten Suatspriifungcn bcst:mden. Wir werden
1599 kehrte Li Zhi mitJiao llong von Peking nach Nanking zurück und blich dort ihn in§ 8 dicsn Finlcitung wieder :intreffcn.
bis 1600. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr führten beide zusammen mit anderen 93 Xn Xiangqing, ist mir aus keinen :llldcrcn 7us:1111111cnh,ingen bekannt.
94 He Tingren (ßcin:1mc: Sh:inshan ~ U-1, 148(, 15 51) stamrntc aus dem Kreis Yndu ~'llß (heute Yudu
Gelehrten in Nanking Gespräche mit dem italienischen Jesuitenmissionar Mattco r'lill) der Pr,ifcktur C:rnzhnu im Seiden der Provinz .Jiangxi und war Schüler Wang Y:mgmings, als
Ricci (15 52-1610). Besonders Li Zhi interessierte sich frir diesen. 91 Die zweite Renais- dieser dort zwischen 1517 ,,nd 1520 :tls Bc:mllcr t:it ig war; vgl. oben in der Einleitung zu '!eil l den
sance der Schule in Nanking war durch die 'laizhou-Linie der Schule und durch den § 1, S. 97. ImMll:Y..il,)liim 19, i~t ihm ein Kapitd gewidmet.
95 Liu Yang (Beiname: Sanwu =:li) gehörte zur Liu-Sippe aus dem Kreis Anfu in der Präfektur Ji'an der
Einfluss von WangJi sowie durch eine große Offenheit für den Buddhismus geprägt. ProvinzJiangxi und war schon in den Jahren zwischen 1517 und 1520, als Wang Yangming im Süden
Auf sie folgte dann die kritische Reaktion von Gu Xiancheng /®: i/&J,x (1550-1612), der ProvinzJiangxi war, dessen Schüler geworden; siehe unten in dieser Einleitung den§ 6, S. 345ff.
dessen Lehrer Xue Yingqi ff ~tffr (1500-1573) ein Schüler von Ouyang De gewesen 96 Huang Honggang (Beiname: Luocun m,;Jat, 1492-1561) stammte wie He Tingren aus dem Kreis Yudu
~'i!ll (heute Yudu 'f'ifll) der Präfektur Ganzhou im Süden der ProvinzJiangxi und war Schüler Wang
war, und der von ihm 1604 gegründeten einflussreichen Donglin-Akademie im Osten Yangmings, als dieser dort zwischen 1517 und 1520 als Beamter tätig war; vgl. oben in der Einleitung
der Kreisstadt Wuxi, ungefähr hundertsechzig Kilometer südöstlich von Nanking. zu Teil Iden§ 1, S. 97. lmMRXA,juan 19, ist auch ihm ein Kapitel gewidmet. Beide waren hervor-
Im Anhang zu Wang Yangmings «Lebenschronik» erwähnt Qian Dehong die ragende Schüler Wang Yangmings.
97 Im Süden der Stadt, innerhalb der Stadtmauern, lag das Cheng'en-Kloster ;ifc~,~ (heute an der
Namen von sieben direkten Schülern Wang Yangmings (seinen eigenen eingeschlos- Sanshan-Straße =lllffi). In unmittelbarer Nähe dazu befanden sich der Konfuzius-Tempel, die Prä-
fekturschule und der Prüfungspalast, die zusammen mit der Kaiserlichen Hochschule (Guozijian) im
Nordosten der Stadt die Zentren der Gebildeten in Nanking waren. Das berühmteste Kloster im
Süden der Stadt (außerhalb der Stadtmauern) war das Bao'en-Kloster ffl,~,~ mit der Porzellanpagode,
89 MRXA,juan 36, Beijing 1985, S. 854f. die zwischen 1412 und 1431 errichtet und 1856 in der Taiping-Revolution zerstört wurde.
90 MRXA,juan 41, Beijing 1985, S. 976. 98 Der Hügel des krähenden Hahns Oimingshan Jllt~lll) befindet sich im Nordosten der Stadt, inner-
91 Li Zhi hatte zuvor Riccis chinesisches Werk «Über die Freundschaft» (Jiao you lun 3'.I:~~), das zum halb der Stadtmauern unmittelbar südlich des Xuanwu-Sees. Die Kaiserliche Hochschule (Guozi-
ersten Mal 15 9 5 in Nanchang (Provinz Jiangxi) publiziert wurde und 1599 in Nanking in einer zwei- jian) befand sich in der Ming-Zeit am Südfuß dieses Hügels, ungefähr auf dem Areal der heutigen
ten Auflage erschien, gelesen und unter Freunden verbreitet. Er besuchte aus eigener Initiative an Südost-Universität Jllffi::k!/1!. WangJi schreibt zum Beispiel von einer Versammlung der Freunde im
erster Stelle den fünfundzwanzig Jahre jüngeren Ricci, worauf dieser ihm einen Gegenbesuch abstat- Guozijian im Bingxu-Gebäude beimJiming-Hügel Jllt~llllliR~lffl; siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602,
tete. Li Zhi ehrte Ricci mit zwei Gedichten. Vgl. Matteo Riccis Storia del' introduzione del cristianesimo Shanghai 2003, S. 281. Wu Zhen versteht in diesem Werk (S. 57) den oben zitierten Ausdruck «Guozi
in Cina (aufgrund von Tagebüchern geschrieben 1609/10), Rom 1949, Vol. II, NN. 5 50f. (S. 65-69). Jiming IFfB:I!.,» als eine Angabe von zwei verschiedenen Orten, nämlich des Guozijian und des
Wolfgang· Franke übersetzte in seinem Werk China und das Abendland, Göttingen 1962, S. 34f., einen Klosters des krähenden Hahns B:I!.,~, das sich in der Ming-Zeit auf demJiming-Hügel befand und
Brief von Li Zhi, in welchem dieser seinerseits über diese Begegnungen mit Ricci berichtet. noch heute dort besteht.
290 291

Meisters [Wang Yangming] hatte die Gelegenheit, weiter zu gedeihen (you ji xing hatte, hauptsächlich in den beiden Hauptstädten Nanking und Peking, große Ver-
zhi ji 1HilH!lz~).»99 dienste um die Verbreitung dieser Lehre während seiner amtlichen Tätigkeiten und
Qian Dehongs Schilderung des Wiederaufblühens der Lehrversammlungen der förderte ihre Akzeptanz in Regierungskreisen, obschon sie nicht die offizielle Form
Schule in Nanking betrifft die dreiJahre 1533 bis 1535, als Ouyang De der Studienlei- des Konfuzianismus war.
ter an der dortigen Kaiserlichen Hochschule und er selbst in Suzhou war, von wo aus
er sich zeitweise nach Nanking begeben und dort an den Aktivitäten der Schule teil- § 4 Ouyang De und seine briefliche Auseinandersetzung von 1534/35
nehmen konnte. 100 Als leitende Person dieser Renaissance der Schule nennt er Ouyang mit Luo Qinshun über die «menschliche Natur», das «ursprüngliche
De. An den Versammlungen in Nanking nahmen nicht nur die dort anwesenden frühe- Wissen» und das «wahrnehmende (empirische) Bewusstsein»
ren Schüler Wang Yangmings teil, sondern es kamen auch Schüler jener Schüler hinzu
und ließen so die Schule anwachsen. Als Studienleiter an der Kaiserlichen Hochschule a) Biographische Notiz über Ouyang De
hatte Ouyang De eine besondere Gelegenheit, für das Denken Wang Yangmings zu Ouyang De wurde im 9. Jahr der Hongzhi-Ära am 2. Tag des fünften Mondes
werben und eigene Schüler zu gewinnen. Wang Ji schreibt in einem Nachruf über (13. Juni 1496) geboren. 105 Er stammte aus dem Kreis Taihe älUQ in der Präfektur
einen Schüler Ouyang Des: «Als Zou Dongkuo [Zou Shouyi] nach Guangde straf- Ji'an der Provinz Jiangxi, aus derselben Präfektur, aus der auch noch vier andere
versetzt wurde [1525], reiste der Edle immer wieder zu ihm, um bei ihm zu lernen; der acht in unserer Studie besonders hervortretenden Schüler Wang Yangmings zu
aber als er wieder zurückgekehrt war, hatte er noch nichts erreicht. Im Jahr ren eben Hause waren (nämlich Nie Bao, Zou Shouyi, Liu Bangcai und Luo Hongxian). Sein
der Jiajing-Ära [1532] kam er aufgrund eines zusätzlichen Auswahlverfahrens 101 an Vater und seine anderen Vorfahren waren keine bekannten Leute. 106 Im Herbst 1516
den [Guozi]jian [die Kaiserliche Hochschule]. In jener Zeit war Nanye Ou [Ouyang bestand er mit zwanzig Jahren die Staatsprüfungen auf Provinzebene und lernte
De] Lehrer und begann am Nanyong ffijl [Guozijian von Nanking] 102 über die Lehre dann von 1517 bis 1520 bei Wang Yangming, als dieser in der Präfektur Ganzhou,
vom ursprünglichen Wissen (liang zhi zhi xue lll~Z~) zu unterrichten. Der Edle der südlichen Nachbarpräfektur von Ji'an, tätig war. Er ließ sowohl die höchsten
fand in ihm seinen Lehrer und diente ihm als sein Schüler. Erst von dann an hatte er Staatsprüfungen vom Frühling 1517 als auch diejenigen vom Frühling 1520 aus, um
hochherzig seinen ganzen Willen beim [ethischen] Lernen.» 103 Und Huang Zongxi sich ganz dem Lernen bei Wang Yangming widmen zu können. 107 Er gehörte daher
schreibt in seinen «Dokumenten der Konfuzianer in der Ming-Dynastie» (MRXA): zu den vertrautesten Schülern Wang Yangmings. Dieser schrieb 1522 in Shaoxing,
«Der Herr [Ouyang De] betrachtete die Unterweisung des [ethischen] Lernens als dass er inJiangxi ausführlich mit ChenJiuchuan und Ouyang De über die «Verwirk-
seine Aufgabe (yi jiang xue wei shi .L-;l_ll\'4~i.ir•). Zu jener Zeit wussten alle Gelehrten um lichung des ursprünglichen Wissens» gesprochen habe. Diese Gespräche waren für
die Lehre von der <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens>, und das halbe Reich ihn wahrscheinlich für die Konzeption seines neuen Begriffs des «ursprünglichen
bezeichnete sich als Schüler von Nanye [Ouyang De].» 104 Natürlich gilt dies nicht nur Wissens» als «Gewissen» anregend. 108 Nach dem Bestehen der höchsten Staatsprü-
für die dreiJahre, in denen Ouyang De der Studienleiter der Kaiserlichen Hochschule fungen im Frühjahr 1523 war Ouyang De zuerst während dreier Jahre Vorsteher der
in Nanking war, aber diese Zeit war dafür wohl sehr :fruchtbar. Ouyang De muss ein Unterpräfektur Liu'an i<-~:HI im direkten Verwaltungsgebiet von Nanking (heute
besonders guter und einflussreicher Lehrer gewesen sein. Seine Schriften sind klar und in der Provinz Anhui, ca. 80 km westlich der Provinzhauptstadt Hefei). panach war
in einer relativ einfachen Sprache formuliert. Er hat nicht den blumigen Stil Wang er meistens als hoher Beamter auf verschiedenen Posten in Peking und Nanking
Jis, voller geflügelter Worte und Anspielungen auf konfuzianische und buddhistische tätig. Doch nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1539 verbrachte er die «dreijährige»
Texte, und auch nicht den schwer verständlichen, altertümlichen Duktus eines Luo Trauerzeit (traditionell waren 27 Monate vorgeschrieben) zu Hause im Kreis Taihe
Hongxian. Doch hielt er sich an die späte Lehre Wang Yangmings und fügte dazu und unterrichte dort auch zahlreiche Schüler. 109 Unter diesen war 1542 Hu Zhi
kaum neue Gedanken hinzu; er versuchte aber, sie möglichst klar auszudrücken. Er i!iD lI (Beiname: Lushan Jili.LI, 1517-1585), der wie Ouyang De im Kreis Taihe wohnte,
1547 auch Luo Hongxian inJishui zu seinem Lehrer nahm und einer der hervorra-
genden Mitglieder der Schule Wang Yangmings der folgenden Generation wurde.

99 Nianpufulu, unter dem 12.Jahr der Jiajing-Ära (1533),juan 36, Shanghai 1992, S. 1329f.
100 Seit etwa 1537 war Qian Dehong Beamter im weit von Nanking entfernten Peking; siehe unten in
Kap. 1 den§ 1, S. 404. · 105 Nach XuJies Steleninschrift am Anfang des «Geisterweges» (Shendao :/lllli) zu Ouyang Des Grab und
101 Es ist das Auswahlverfahren xurm gang ~lli:, das in der Ming-Dynastie zusätzlich zum Jahresverfahren Nie Baos «Grabinschrift» (Muzhiming j!;~tß): Ouyang De ji, 2007, Anhang, S. 844 und S. 850.
sui gong ~Ä eingeführt wurde. Beide beruhten auf Prüfungen; siehe Ciyuan, Beijing 1983, S. 3089b. 106 Siehe die von Nie Bao verfasste «Grabinschrift»: «Urgroßvater( ... ], Großvater und Vater hatten in
102 Siehe Ciyuan, Beijing 1983, S. 425a. der Welt geringen Erfolg (shi you yin de t!t;f!illliil!).» Oztyang De ji, 2007, Anhang, S. 848.
103 «Grabinschrift für Qi Buzhi», Wang Long:r:i quan ji, Ausgabe von 1822,juan 20, S. 48b-49a (Taipei 107 Siehe die von Nie Bao verfasste «Grabinschrift», Ouyang De ji, Anhang, S. 848.
1970, s. l 468f.). 108 Siehe oben in Teil I, Kap. 2, § 2, S. 146.
104 MRXA,juan 17, Beijing 1985, S. 360. 109 Siehe WuZhen:Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 104f. und S. 106.
292 293

Über seine Begegnung mit Ouyang De ist in den «Dokumenten der Konfuzianer der gclung der Thronnachfolge, den Jiajing-Kaiser zur Bezeichnung seines Nachfolgers
Ming-Dynastie» (M_RXA) Folgendes festgehalten: «Der Herr [Hu Zhi] verabscheute zu bewegen. Der Kaiser schätzte den ältesten seiner damals noch lebenden Söhne Zirn
hassend [die Menschen, die er für schlecht hielt] in sehr ernster Weise (ji wu shen yan Zaihou (März 153 7-1572) und besonders dessen Mutter, die Konkubine Kang, nicht,
~~lt~) [nnd meinte, dass dies so richtig sei]. Wenzhuang [Ouyang De] sagte zu ihm: sondern zog eine andere Konkubine, die lvlutter seines nächsten, nur etwas mehr als
<Welcher Mensch liebt und verabscheut nicht andere Menschen (htto wu ren :!ir~A)! einen Mon,1t jüngeren Sohnes Zhu Zaichuan (April 1537-1565) vor. Er behandelte
Wie könnte man die Fähigkeit zu lieben und zu verabscheuen auf die Menschlichkeit beide Söhne und ihre Mütter mit Riten, die sie auf dieselbe Stufe stellten, und ließ so
zurückführen (gui zhi ren zhe Jiftl;z.1=~)! Denn wenn man sein eigentliches (wahres) die 'T'hronnachfolge in der Schwebe. Dadurch wurde seinem älteren Sohn die ihm als
Herz nicht erlangt (bu de hcn xin 1'1~:lf,t.,), dann wird rn.an vom I ,iebcn und vom Thronnachfolger zustehende Ausbildung und Funktion innerhalb des Hofes vorcnt-
Verabscheuen gebunden (lci ll), und alle Gefühle und Gedanken sind ungerecht (bu haltcn.1H Onyang Des wiederholte E,ingabcn an den Thron erregten den Zorn des
ping 1'-'JZ). So hat man zuvor schon das Wesen der Menschlichkeit verloren (shi ren Kaisers und blichen alle unbeantwortet. Sein Vorgehen war außerordentlich mutig,
ti ::!i::1=11) und ist ins Verabscheuen verfallen (tluo yu wu lllM~).> Als der Herr iTJu denn als 1560 ein anderer Beamter dasselbe Gesuch an den Kaiser stellte, wurde er
Zhi] dies hörte, erstaunte er und brach in Schweiß aus.» 110 Wir werden unten (Kap. sofort hingerichtet. 115
3, § 2) sehen, dass Ouyang De seine G·egncr sehr friedfertig und gerecht behandelte: /\m 21. T1g des dritten Mondes des Jahres jirt yin (22. April 1554) erkrankte
Wiihrend Zou Shouyi harsch 1nit Nie Bao umging, da dieser von den in der Schule Ouy,mg De und zwei 'Jhge später, am 23. 'fag des dritten Mondes (24. April 1554),
\Vang Yangmings anerkannten Lehren abwich, versuchte Ouyang De ihn freundlich starb er im Alter von nicht einmal aehtundfönfrig Jahren in Peking auf diesem ho-
und sachlich mit Argumenten zu überzeugen. Dies erlaubte Nie Bao, trotz bleibender hen Posten. Sein Leichnam wurde in seine zweitausend Kilometer entfernte JJeirnat
J\tleimmgsvcrschiedcnheiten, seine Freundschaft zu Ouyang De bis zu dessen 'leid ,.u gebracht und mehr als zwei Jahre spiiter (4. Juni 15 56) im Ilongya-Gebirgc *l½tll
bewahren, wiihrend er mit Zou Shouyi in ein gespanntes Verhältnis geriet. +
oberlulh von Shiwudu n ~ im südlich seines Tlcimatkreises 'faihc gelegenen Kreis
1542 wurde Ouyang De Minister für Staatszeremonien in Nanking («Minister Wan'an ]lli;~ inncrh:1lh der Prii!"ckturJi'an beerdigt. XuJie, der danwls einer der drei
des l longlu-Klosters von Nanking»: ~Jr.Ul9~P), konnte aber dieses A1nt wegen der Großsckrctiirc war und der 1523 zus:1111men mit Ouyang De die höchsten Staatsprü-
widrigen politischen Urnstiinde, denen in diesem Jahr ein großer'lcil der Mitglieder fungen bestanden und vm1 ihm nachher viel über Wang Yangmings ] ,ehre erfahren
der Schule \N,mg Y,mgmings ausgesetzt war, nicht lange ausüben, sondern kehrte nach hatte, verfasste die Steleninschrift mn Anfang zum «Geisterweg» (s!JCn dao 'f!llm) 116 zu
ILrnse zurück. Da seine Mutter damals über achtzig Jahre alt war, wünschte er, sie Ouyang Des Grab, und Nie Bao, der mit ihm wiihrcnd vierzig.Jahren befreundet und
bis zu ihrem TcJd zu pflegen. /\ls er 1546 auf Empfehlung wieder auf seinen früheren gleichzeitig mit ihm in Peking JVlinistcr gewesen war, verfasste die c;rabinscbrifr. 117
Posten nach Nanking berufen wurde, wollte er zmüchst um Vcrliingcrung seines Keiner der in unserer Studie besonders hervortretenden Schüler Wang Ymg-
Urlaubes bitten, doch seine Mutter gestattete es ihm nicht. 111 Noch bevor er Nanking mings war so viel in1 Staatsdienst Litig gewesen wie Ouyang De. Die Gründe dafür
erreichte, wurde er 1547 zum Leiter des dortigen Opferamtes ernannt. Darauf wurde waren wohl vielfältig; einer davon war sicher Ouyang Des Überzeugung, dass die
er in Peking Rektor (ji jiu ~5iffi) der Kaiserlichen Hochschule, dann Vizeminister im Aufgaben und Mühsale des Staatsdienstes ein besonders geeignetes Übungsfeld für
dortigen Ritenministerium, 1549 wurde er Vizeminister im einflussreichen Beamten- die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» waren. Er schrieb um 1535 in
ministerium und gleichzeitig Kanzler der Hanlin-Akademie (Hanlinyuan xue shi @#Im einem Brief an Hu Yangzhai i!i1I ffllm: «Ihr soeben empfangenes Schreiben ist wahr-
~±). Im Frühling 1550 leitete er die höchsten Staatsprüfungen in Peking. Nach dem haftig voller Freude, und so weiß ich, dass das reale Lernen der <Verwirklichung des
Tod seiner Mutter im Sommer 1550 112 kehrte er in seine Heimat zurück. Nach dem Wissens durch das Berichtigen der Handlungen> im Getriebe des Staatsdienstes (li
Ende der rituellen Trauerzeit von «drei Jahren» (genaugenommen 27 Monaten) folgte shi Je:~) etwas ganz anderes ist als das bloße [über das <ursprüngliche Wissen>] im
er im Oktober 15 52 seiner Ernennung zum Minister des Ritenministeriums in Peking Inneren Nachdenken und das bloße darüber Sprechen. Ihr Schreiben erquickt mich.
und zum Kanzler der Hanlin-Akademie. 113 Als Ritenminister versuchte er mehrmals Demgegenüber sprechen die Gleichgesinnten (tong zhi jql *-) bloß über das <ursprüng-
unter Berufung auf die vom Gründer der Ming-Dynastie festgelegten Riten zur Re-

114 Siehe MRXA,juan 17, Einleitung zum Abschnitt über Ouyang De, Beijing 1985, S. 359f.
115 Siehe im DMB den Artikel über Chu Tsai-hou, S. 365b.
110 MRXA,juan 22, Beijing 1985, S. 512. 116 Sogenannte «Geisterwege» wurden seit dem Altertum als Zugänge zu den Gräbern der Kaiser, sei-
111 Siehe Nie Baos «Grabinschrift» (Muzhiming ;l!!;~~): Ouyang De ji, 2007, Anhang, S. 849, und Xu ner Verwandten und hoher Beamter angelegt. Sie waren, je nach dem Rang des Verstorbenen, von
Jies «Steleninschrift», a.a.O., S. 844. einer mehr oder weniger großen Anzahl von Steinfiguren (Tieren, Fabeltieren, Generälen, zivilen
112 Nach Nie Baos «Grabinschrift», Ouyang De ji, 2007, S. 849. Würdenträgern) gesäumt. Die bekanntesten und größten solcher «Geisterwege» der Ming-Zeit sind
113 Zu Ouyang Des Biographie siehe Nie Baas «Grabinschrift» (Muzhinzing), Ouyang De ji, 2007, Anhang, derjenige zum Grab des ersten Kaisers der Ming-Dynastie im Osten von Nanking und derjenige zu
S. 848:ff.; die Einleitung zum Kapitel über ihn im MRXA,jurm 17, und den Artikel von Tu Weiming den dreizehn Gräbern der Ming-Kaiser im Norden von Peking.
im DMB, S. 1102f. 117 Abgedruckt in Ouyang De ji, 2007, Fulit, S. 848-851.
294 295

liehe Wissen> und vernachlässigen dabei die Gesinnung seiner <Verwirklichung>. Ich zwischen einem misstrauenden Berechnen der künftigen Reaktionen der anderen
befürchte, dass man auch das ,ursprüngliche Wissen> nicht erkennen kann, wenn man auf das eigene Verhalten und der Hellsichtigkeit des «ursprünglichen Wissens». 124
nur darüber nachdenkt und darüber spricht und seine Energie nicht in der Realität Auch Ouyang Des Interventionen in Teil II unserer Studie zeichnen sich durch diese
anwendet (shiyong qi li 'l'.ffl ~.f.J).» 118 Ouyang De war sich aber auch der Gefahren be- ethische Konkretheit und Wahrhaftigkeit aus.
wusst, die das Positionsstreben und Karrieredenken in der Beamtenschaft für das ethi-
sche Lernen darstellen. Im dritten Teil des Chuanxi lu findet sich ein kurzes Gespräch b) Ouyang Des Auseinandersetzung mit Luo Qinshun
wohl aus der Zeit um 1524 zwischen Wang Yangming und seinen Schülern, unter Auf hohen offi:r.iellen Posten trat Ouyang De auch als Verteidiger der Lehre und
ihnen auch Ouyang De, welches dies illustriert: «Der Lehrer [Wang Y·mgming] sagte Schule W.mg Yangmings hervor. Während seiner Zeit als I ,ehrer an der Kaiserlichen
seufzend: <Die Leute in der Welt, die sich auf das [ethische] Lernen verstehen, haben Hochschule in Nanking (1532-1535) setzte er sich in einem berühmt geworde-
nur diese Gebrechen, die sie nicht zu überwinden vermögen, und daher kommt es nen Briefwechsel mit Luo Qinshun t.l ~Jl!Ji: (Beiname: Zheng'an mf/t, 1465-1547)
nicht zu dem mit anderen Menschen gemeinsamen Guten (bu shi shan yu ren tong über Wang Yangmings Lehre vom «ursprünglichen Wissen» auseinander. Luo
1'~~!/il.A.~).> Chongyi [Onyang De] sagte: <Diese Gebrechen bestehen nur im Qinshun kritisierte diese I ,ehre aufgrund von Zhu Xis Unterscheidung zwischen
Streben nach hoher Stellung und in der Unfähigkeit, sich selbst zu vergessen (zhi shi menschlicher Natur (xing 1i) und menschlichem Tlcrz (Geist, Bewusstsein: xin
yi ge hao gao, bu neng wangji .R~@:!!r~1'~~J,s;2,).>»119 ,i:,,). Er war zu seiner Zeit neben Lü Nan (1479-1542) aus der Provinz Shenxi der
Ouyang De war verheiratet, hatte zwei Söhne (Yuqing *~
und Shaoqing MI~) bedeutendste Vertreter des Konfuzianismus von Zhu Xi, äußerte allerdings auch
und eine Tochter. Fr muss eine sehr friedfertige und gerechte und zugleich außer- Vorbehalte gegenüber dessen Lehre über das Verhiiltnis zwischen «Ordnungs-
ordentlich mutige und tatkräftige Persönlichkeit und weiter auch ein ausgezeich- prinzip» (ti ~) und «Lchensenergie» (qi ~). Ouyang De schrieb den ersten dieser
neter Lehrer gewesen sein. Im Jahr 1565 sagte Wang Ji von ihm zu einem von Briefe am 25.Juli 1534, und Luo Qinshun antwortete 1nit dem letzten (dem vierten)
dessen Schülern: «Nur der ältere Bruder Nanye [Ouyang De] besaß das Niveau der nach dem 14. März 1535. 125 Luo Qinshun lebte damals von allen Ämtern zurück-
Fähigkeiten und des Wagemutes des verstorbenen Lehrers [Wang Yangming] .» 120 gezogen zu Hause im fast tausend Kilometer von Nanking entfernten Kreis Taihe
YVir sind Ouyang De in rlcil I dieser Studie schon öfter begegnet. Dies geschah ~~ innerhalb der Präfektur Ji'an der ProvinzJiangxi, im selben Kreis, aus dem auch
meistens im Zusammenhang eines Antwortbriefes, den Wang Yangming wohl 1526 Ouyang De stammte. Es ist anzunehmen, dass sich die beiden in ihrer gemeinsamen
an ihn schrieb. Er geht in diesem Brief in genauer Weise auf die phänomenolo- IJeimat kennengelernt hatten. In seiner Verteidigung von Wang Yangmings Lehre
gische Psychologie des «ursprünglichen Wissens» und seiner «Verwirklichung» des «ursprünglichen Wissens» gegenüber Luo Qinshuns Kritik wurde Ouyang De zu
ein. Dies hat seinen Grund in den Fragen, die Ouyang De ihm gestellt hatte. Wie einer besonders klaren Formulierung dieser Lehre gezwungen. Die größte Bedeutung
schon die Gespräche mit ihm um 1520 Wang Yangmings Konzeption seines neuen kommt seinem 1.weiten Brief an Luo Qinshun vom 4. Dezember 1534 zu, in welchem
Begriffs des «ursprünglichen Wissens» förderten, so verlangten auch Ouyang Des er das Verhältnis zwischen <<-ursprünglichem \Vissen» (liang zhi B'1!m) und «Wissen
spätere briefliche Fragen von ihm mehr Klarheit. Denn diese Fragen waren nicht des Wahrnehmens» (zhi jue !m.Ji), 1 ' 1' das heißt \Vissen aufgrund von «Lernen und
allgemein theoretischer Art, sondern es waren konkrete Fragen, die sich Ouyang Überlegen», zu klären versucht.
De in seiner eigenen ethischen Praxis unmittelbar stellten und so genuine Fragen Luo Qinshun war einunddreißig Jahre älter als Ouyang De und gehörte zur
des «Erlerncns des [eigentlichen] Ilcrzcns» (xin xuc ,[:,,~)sind.In der ersten Frage Generation von\ \lang Yangming. Er hatte während vieler Jahre den konfuzianischen
formulierte er das Problem des Verhiiltnisses zwischen «ursprünglichem Wissen» Kanon und die Konfuzianer der Song-Zeit, vor allem die beiden Cheng-Brüder, Zhang
und empirisch-informativem Erkennen; 121 in der zweiten dasjenige der Unter-
scheidung zwischen einem Denken und Überlegen in egoistischem Interesse und
dem Denken und Überlegen als Funktion des «ursprünglichen Wissens»; 122 in der 124 Siehe oben, '!eil I, Kap. 2, § 3 und Kap. 3, § 8.
dritten das Problem der geistigen Erschöpfung in der gesellschafrlichcnTiitigkeit 125 Den ersten Brief von ( luyang De ;,itieren wir nach Ouyr111g Nanye xirmshmg wen ji, 5 jwm, Ausgabe
1917 (dieser Brief i.,t injuan 1, S. lci-7:1, :1bgedruckt). liiir drn zweiten Brief von Ouyang l)c und die
und der ethisch-geistigen Frholnngw und in der vierten dasjenige des Unterschieds hcidenAntworthricfe von Luo Qinshu11 benutzen wir Ya11 'laos Ausgabe von Luo Qinshuns Kun zhi
ji lifsl!J;l!~2, Beijing 1990, die diese drei Briefe im Anhang (S. 117-123 und S. 171-174) enthält. Für die
zwei Briefe von Ouyang De können wir auch auf die Ausgabe seiner Schriften von 2007 verweisen:
118 Ouyang Deji, 2007,juan 1, S. 28. Ouyang De ji, Nanking 2007. ·
119 Churmxi !11 III, Nr. lOl, Shanghai 1992, S. 114. 126 Es ist außerordentlich schwierig, liir zhijue !J;II~» L:inc Übersetzung zu finden, die in unserem l(on-
120 Aussage gegenüber l ,i Sui*ms (1504-1566) in der Versammlung in Liudu (Nanking) von 1565, /;/limg tcxt überall passend ist. Für Lm, <Jinshun bezeichnet der Ausdruck allgemein ein wahrnehmendes
1,011gx:i q11an ji,juan 4, S. 16a (Taipei 1970, S. 305). Bewusstsein. Für ( luy:mg De bczL·iclrnct er das durch Lernen, Erfahren, Überlegen «von außen»
121 Siehe oben, 'Teil I, Kap. 3, § 2. erworbene Wissen oder Bewusstsein im Gegensatz zur «Ursptiinglichkeit» des «ursprünglichen
122 Siehe oben, '!eil I, Kap. 2, § 2. Wissens». Ein anderer Ausdruck, den er gleichbedeutend benutzt, ist «zhi shi !MI~»: «Wissen des
123 Siehe oben, 1eil I, Kap. 2, § 4. [lernenden] Erkennens».
296 297

Zai (11. Jh.) und Zhu Xi (12.Jh.), aber auch buddhistische Texte intensiv studiert. 127 Als diskutieren Sie wiederholt den Unterschied zwischen unserem <Herzen> (Geist: xin
im Sommer 1520 Wang Yangming auf der Fahrt nach Ganzhou in Taihe vorbeikam, ,t,,) und der <Natur des Menschen> (xing tt) und schreiben, dass die Buddhisten zwar
überreichte er diesem einen großen Brief, in welchem er dessen Auffassung des «ge wu Einsicht in unser <Herz>, aber keine Einsicht in die <Natur> des Menschen haben und
ffl-W/» als «Berichtigung der Handlungen» kritisierte. 128 1528 veröffentlichte er die ers- deshalb das <Wissen des Wahrnehmens (das wahrnehmende Bewusstsein: zhi jue 9:□ it)>
ten beiden Bücher &uan) seines philosophischen Hauptwerkes, der «Aufzeichnungen zur <Natur> des Menschen machen. Sie zitieren auch aus [Wang Yangmings] Chuanxi
von Erkenntnissen in der Not» (Kun zhi ji l2ßl ~ ~). Darin nimmt er in einer sehr vagen tu den Satz, dass <das <ursprüngliche Wissen> unseres Herzens> (wu xin zhi liang zhi if-
und allgemeinen Form kritisch Bezug auf die 1518 veröffentlichte früheste Fassung ,t,,;z ~~) das ist, was <Ordnungsprinzip des Himmels> (tian li ~~) genannt wird>, 130
von Wang Yangmings Chuanxi lu (den heutigen ersten Teil dieses Werkes). 129 In den und meinen, dass auch diese Aussage das <Wissen des Wahrnehmens> (wahrnehmen-
1533 herausgegebenen nächsten beiden Büchern Ouan) wird seine Kritik genauer. Er de Bewusstsein) zur <Natur> des Menschen erklärt.»rn Im Folgenden erklärt er, dass
zitiert verschiedene Aussagen aus dem um 1526 erschienenen zweiten Teil von Wang man das «ursprüngliche Wissen» vom «Wissen des Wahrnehmens (wahrnehmenden
Yangmings Chuanxi lu über das «ursprüngliche Wissen» und bemerkt kritisch, dass Bewusstsein: zhijue 9:□ it)» unterscheiden müsse, dass nur das «ursprüngliche Wissen»
solche Aussagen dem Buddhismus folgen und unser «Wissen des Wahrnehmens» mit dem «Ordnungsprinzip des Himmels» zu identifizieren sei und dass die Lehre
(wahrnehmendes Bewusstsein: zhi jue 9:□ Jf) zu einer «klaren Bezeugung der mensch- vom «ursprünglichen Wissen» und seiner «Verwirklichung» sich vom Buddhismus
lichen Natur» (xing zhi mingyan tt;zaJ:l~) machen. Wie Zhu Xi wollte Luo Qinshun unterscheide.
das «Ordnungsprinzip des Himmels» nicht im «Herz» im Sinne des menschlichen Er schreibt: «Ich habe einst [von Wang Yangming] gehört, dass <das Wissen des
Bewusstseins aufgehen lassen und hob den Unterschied zwischen der «menschlichen Wahrnehmens> (das wahrnehmende Bewusstsein: zhi jue ~Jl) und das <ursprüngliche
Natur» als dem vom «Himmel» stammenden «Ordnungsprinzip» im Menschen und Wissen> (Jiang zhi ~9'□ ) den Wörtern nach gleich, der Sache nach aber verschieden
dem menschlichen «Herzen (Geist)» hervor. Von diesem Standpunkt kritisierte er sind. Alles Wissen (Bewusstsein) des Sehens (zhi shi ~m), Wissen (Bewusstsein) des
sowohl gewisse buddhistische Auffassungen als auch die das «Herz» zur Grundlage Hörens (zhi ting 9:□ Jffi), Wissen (Bewusstsein) des Sprechens (zhi yan 9'□~), Wissen
der Ethik nehmenden Konfuzianer, vor allem Lu Jiuyuan (Beiname: Xiangshan, (Bewusstsein) des Tätigseins (zhi dong 9:□ Jh) ist Wissen des Wahrnehmens (wahr-
113 9-1193) aus der Song-Zeit und seinen Zeitgenossen Wang Yangming. nehmendes Bewusstsein: zhi jue 9:□ tl) und ist nicht notwendig vollständig gut. 132 Das
Aufgrund dieser Kritik schrieb Ouyang De einen auf den 25.Juli (15. Tag des <ursprüngliche Wissen> hingegen, [d.h.] das Wissen (Bewusstsein) des Mitleids (ce
sechsten Mondes) 15 34 datierten Brief an Luo Qinshun, in dem er Wang Yangmings yin zhi zhi ffltll\l;z.9;□), das Wissen (Bewusstsein) der Scham und Entrüstung [gegen-
Lehre vom «ursprünglichen Wissen» zu verteidigen suchte. Zuerst nennt er den über Unrecht], das Wissen (Bewusstsein) der Ehrfurcht und Verehrung, das Wissen
Hauptpunkt seiner Kritik: «In Ihren <Aufzeichnungen von Erkenntnissen in der Not> (Bewusstsein) des Bejahens [des Richtigen] und Verneinens [des Falschen] (shi fei
zhi zhi ~~~;z~), ist das, was das <eigentlich (an sich selbst) Gute> (ben ran zhi shan
,tJs: ~;z ~) genannt wird. m Das <eigentlich Gute> hat das Wissen (Bewusstsein) zu seiner
127 1493 hatte Luo Qinshun in Peking die höchsten Staatsprüfungen bestanden. Von 1493 bis 1502 war Substanz (yi zhi wei ti ~~~U); es kann sich nicht vom Wissen (Bewusstsein) trennen
er Mitglied der Hanlin-Akademie in Peking und danach, von 1502 bis 1504, Lehrer an der Kaiser- und eine davon verschiedene Substanz (Verkörperung) haben (bu neng li zhi er bie you ti
lichen Hochschule (Guozijian) in Nanking. Als der Eunuch Liu Jin und seine Komplizen an der ::r:fi~Mt~imEHUI). Denn das Wahre der [dem Menschen einwohnenden] <Natur>
Macht waren (siehe oben den Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 36f., wurde er 1508 (als Wang
Yangming sich im Exil in Longchang befand) von der Beamtenliste gestrichen und zum gemeinen des Himmels (tian xing zhi zhen ~tt;z~) nimmt von selbst klar wahr (ming jue zi
Mann degradiert. Nach der Hinrichtung von LiuJin erfolgte 1511 seine Rehabilitierung, und er stieg
danach auf verschiedenen Stufen als Zweiter und Erster Vizeminister in Nanking und Peking bis zum
Minister des Beamtenministeriums in Nanking auf. Aber noch im selben Jahr (1522, im l.Jahr des
Jiajing-Kaisers, in welchem sich auch Wang Y.1ngming für sechs Jahre ins Privatleben zurückzog) bat 130 Dieser Satz stammt aus Wang Yangmings Brief an Lu Yuanjing, der in den zweiten Teil des Chuanxi
er um Entlassung, mit der Begründung, für seinen alten Vater sorgen zu müssen, und kehrte dann tu aufgenommen wurde.
nie mehr in ein Amt zurück, obschon er auf solche geheißen wurde, sondern lebte von 1523, als er 131 Ouyang Deji, 2007,juan 1, S. 12; Ouyang Nanye xiansheng quanji,Ausgabe 1917,juan 1, S. 3b.
achtundfünfzig Jahre alt war, bis zu seinem Tod 1547 zurückgezogen als Gelehrter zu Hause im Kreis 13 2 Bei seinem Begriff des «zhijue ;;n,t» stützt sich Ouyang De wohl unter anderem auf folgende Aussage
Taihe. Die Inschrift zum «Geisterweg» zu seinem Grab wurde vom Großsekretär Yan Song M. i'ili:, Wang Yangmings: «Das Herz (der Geist: xin ,t.,) ist kein Stück Fleisch und Blut, sondern alles Wissen
der damals (ab 1548) wieder sehr großen Einfluss hatte und auch Schüler Wang Yangmings förderte des Wahrnehmens (wahrnehmende Bewusstsein: fan zhijue chu .R,;;ntR,Ji) ist Herz. Zum Beispiel das
(siehe oben den Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 40f.), geschrieben. Luo Qinshun galt als ein Wissen des Auges im Sehen (1nu zhi zhi shi 1§1 z;;p*J/. [man könnte auch übersetzen: die Fähigkeit des
außerordentlich integrer, unbestechlicher Beamter und wollte sich wohl aus den Parteienkämpfen Auges zu sehen]), das Wissen des Ohres im Hören (er zhi zhi ting J§J:z;;pl!i), das Wissen der Hände und
unter demJiajing-Kaiser heraushalten. Zu seiner Biographie siehe die Einleitung zu seinem Kapitel Füße im Empfinden von Schmerzen und Reizen, dieses Wissen des Wahrnehmens (wahrnehmende
imMRXA,juan 47, und den Artikel von DuJingyi, DMB, S. 972-974. Bewusstsein: zhi jue ;;pJf) ist Herz.» Chuanxi ltt III, Nr. 323, Qttanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 121.
128 Ein Teil dieses Briefes und Wang Yangmings Antwort darauf wurden um 1526 in den zweiten Teil «Zhi jue» hat hier eine sehr breite Bedeutung und meint wohl alles Empfinden, Wahrnehmen und
von Wang Yangmings Chuanxi tu aufgenommen. Dass Luo Qinshun diesem Brief Wang Yangming Fühlen.
persönlich in Taihe überreichte, entnehme ich Yan Taos Ausgabe des Chuanxi /u,Jiangsu 2001, S. 197. 133 Anspielung auf Zhu Xis Erklärung des Wortes «liang .ll» in seinem Kommentar (Si shu zhangju ji
129 Kun zhi ji, 2. Buch, Kap. 54, Beijing 1990, S. 40f. zhu) zu Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15.
298 299

ran aJHII ~?&);wenn es [von der Situation] angeregt wird, versteht es (sui gan er tong durch Verhüllungen und Verdunkelungen, Unzulänglichkeiten und Ungenügen auch
ll)UIHmlM) und hat aus sich selbst eine Ordnung (zi you tiao li ~fiMH.1). Deshalb heißt nur einen Augenblick der Unwirklichkeit hat (bu shi qi bi mei kui qian you yi nian zhi
es <ursprüngliches Wissen>, und es heißt auch <Ordnungsprinzip des Himmels> (tian bu shi 1"1t~llixrekliHfttfi-~Z1'Jt), dann haben wir das, was das <Erweitern des Ein-
li Ji.:J!.). Das <Ordnungsprinzip des Himmels> ist die Ordnung des <Ursprünglichen seitigen im Streben nach Wahrhaftigkeit> (zhi qu yi qiu zheng ~llb J;J.~~) 136 genannt
Wissens> (liang zhi zhi tiao li Bl~Z~J!.), und das <Ursprüngliche Wissen> ist die wird. Deshalb ist der <Wille wahrhaftig> (yi cheng itrut), 137 wenn dieses Wissen ganz
geisteskräftige Klarheit des <Ordnungsprinzips des Himmels> (tian li zhi lingming ~J!. angekommen (ganz wirklich geworden) ist (zhi zhi ;:□~). Da nun schon das nicht mit
;zf!aJ.I). Vom <Wissen des Wahrnehmens> (zhi jue ;c□ J!l) kann man das nicht sagen.»134 dem übereinstimmt, was die Buddhisten <Vollkommene Erleuchtung> (yuan jue III
Um Luo Qinshuns Vorwurf zurückzuweisen, dass Wang Yangming das «Ordnungs- Jl) 138 oder <Enthalten des Speicherbewusstseins> (han zang shi ~illa~) 139 nennen und
prinzip des Himmels» als die «Natur» des Menschen einfach im menschlichen die [ethische] Anstrengung (gong JJ.I) in der <Berichtigung der Handlungen> (ge wu ffl.
«Herz» oder Bewusstsein aufgehen lasse, bestimmt Ouyang De das «ursprüngliche @I) besteht, so haben wir einen Unterschied zum Buddhismus.» 140 Die «wu !MO» (zu
Wissen» durch Mengzis Charakterisierung der «Ansätze» (duan fiiM) der vier Tugenden übersetzen im Sinne Wang Yangmings mit «Handlungen») im Ausdruck·«ge wu ffl-
im menschlichen Herzen, durch das Mitgefühl usw., 135 erklärt es als das «eigentlich !MO» erklärt Ouyang De wie jener als «praktische Aufgaben» (Geschäfte: shi •) und als
(an sich selbst) Gute» und unterscheidet es dadurch von allen anderen Bewusstseins- «Spuren (Fährten, Ausdrücke, Äußerungen: ji KJI;) des Denkens und Überlegens, des
weisen, die nicht «notwendig ganz gut» sind. Deshalb könne das «ursprüngliche Wahrnehmens und Erkennens, des Sehens und Hörens, des Sprechen und Tätigseins,
Wissen», aber nicht jede beliebige Art des «Wissens» oder «Bewusstseins» mit dem des Angesprochenwerdens und Antwortens (gan ying ~BI) und des gesellschaftlichen
· «Ordnungsprinzip des Himmels» oder der «Natur» des Menschen als dem Prinzip Umgangs (chou zuo ffillffl:)» und führt aus, dass diese Handlungen je nach sozialer
des Guten identifiziert werden. Umgekehrt könne die «Natur» des Menschen oder Stellung, Alter und nach den verschiedenartigen sozialen Beziehungen ihre eigenen
das «Ordnungsprinzip» des Himmels nicht außerhalb jeglichen «Wissens» oder «Be- natürlichen und festen Bestimmungen haben. Hier gebe es Gutes und Schlechtes, und
wusstseins» angesetzt werden (wie Luo Qinshun das tut), da dieses «Ordnungsprin- die «Berichtigung des Handlungen» bestehe darin, «gemäß seiner sozialen Stellung
zip» oder diese «Natur» ihre Wirklichkeit, ihre «Verkörperung», ihre «Substanz» (ti sein tägliches Verhalten zu verbessern (sui qi wei Jen xiu qi ri lü M~1:fz.:5Hf~ 1:1 Hi.),
III) nur in einem «Wissen» oder «Bewusstsein» haben könne. Das «Wissen» wird als dem himmlischen Ordnungsprinzip des eigenen <ursprünglichen Wissens> zu folgen
«Substanz» der menschlichen «Natur» oder des «Ordnungsprinzips des Himmels» (xun qi liang zhi zhi tian li ffi~ (5l;:□ ;z~J!.), keine Verdeckungen und Verdunkelungen,
erklärt. Das Problem des Verhältnisses zwischen dem «an sich guten» «ursprüngli- keine Unzulänglichkeiten und Ungenügen zu haben» und dabei «kontinuierlich [das
chen Wissen» und den übrigen, nicht notwendig guten Arten von «Wissen» oder Gerechte] anzuhäufen und kontinuierlich fortzuschreiten (ri ji yue lei, ri jiu yue jiang
Bewusstsein wie das «Wissen» des Sehens, des Hörens usw. wird von Ouyang De in 1:1 ~fa.l lt !:l ~'A ~), ohne dabei anhalten zu können». «Deshalb ist die <Berichtigung
diesem Brief nicht gestellt. Für diese anderen, dem «ursprünglichen Wissen» entge- der Handlungen> der Bereich der wahrhaften und wirklichen [ethischen] Anstrengung
gengesetzten Bewusstseinsweisen übernimmt er in dieser Auseinandersetzung mit Luo der Schule der Heiligen [von Konfuzius und seiner Nachfolger], der erst mit dem Tod
Qinshun von diesem den Ausdruck «wahrnehmendes Bewusstsein» (zhi jue ~tl); von ein Ende findet. Die Buddhisten aber betrachten die <Geschäfte> (shi ~) als Hindernis-
sich aus verwendet er dafür den Ausdruck «empirisches Bewusstsein» (zhi shi ~~), se (zhang lll) und betrachten die <Ordnungsprinzipien> (li J!.) als Hindernisse. Da sie
wie wir gleich noch sehen werden. nicht wissen, was <Berichtigen der Handlungen> bedeutet, wie könnte dann ihr <direk-
Nach dieser Unterscheidung zwischen dem «ursprünglichen Wissen» und den tes Hinüberspringen und plötzliches Einsehen> (fing chao dun wu ~ii.iJlffi) die Wirk-
anderen Arten des Bewusstseins kommt Ouyang De auf die Forderung nach der«Ver- lichkeit eines kontinuierlichen Anhäufens und Fortschreitens haben! Was ich [von
wirklichung des ursprünglichen Wissens» in der «Berichtigung der Handlungen» (ge Wang Yangming] hörte, erlaubte ich mir so, an den Worten von Konfuzius {Limyu],
wu ffl-!Mll) zu sprechen und macht daran den Unterschied zu den <<Buddhisten» fest: Zengzi [Daxue], Zisi [Zhongyong], Mengzi, Lianxi [Zhou Dunyi, 1017-1073], Mingdao
«Die Rede von der <Verwirklichung des [ursprünglichen] Wissens> (zhi zhi ~;:□) meint
keine Vermehrung und Erweiterung des Sehens und Hörens (des Erfahrens:jian wen
J!l!l), des Wahrnehmens und Erkennens (jue shi li~). Wenn man im Wissen des
Mitleids, der Scham und Entrüstung, der Ehrfurcht und Verehrung, des Bejahens und 136 Anspielung auf Kap. 23 des Zhongyong (Einteilung von Zhu Xi).
Verneinens es [dieses Wissen] erweitert und erfüllt, indem man es in höchster Weise 13 7 Hinweis auf das Grundkapitel des Daxue.
zur Anwesenheit bringt (yi ji qi zhi W--fUt~) und nicht zulässt, dass [dieses Wissen] 138
sprüngliche Erleuchtung» (ben jue
Buddha-Natur.
*•),
Die «vollkommene Erleuchtung» ist nach gewissen buddhistischen Texten dasselbe wie die «ur-
das heißt die im Menschen vorhandene vollkommene

139 Das «Speicherbewusstsein» ist das «achte Bewusstsein», das die Sedimente und «Samen» der guten
und schlechten Handlungen, aber auch die «Samen» der Erlösung, welche die «Buddha-Natur»
134 Ouyang Deji, 2007,juan 1, S. 12; O11yang Nanyexianshengquanji,Ausgabe 1917,juan 1, S. 3b. ausmachen, enthält. Ouyang De bezieht sich hier wohl auf diese Art von «Samen».
135 Siehe oben in der allgemeinen Einleitung den§ 4, S. 23. 140 Ouyang Deji, 2007,juan 1, S. 12f.; Ouyang Nanyexian sheng quanji, Ausgabe 1917,juan 1, S. 3b-4a.
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[Cheng Hao, 1032-1085] 141 zu überprüfen, und verglich es mit dem Lankrtvatara- Geheimnisvolle eines sofortigen intuitiven Verständnisses <.gan tong zhi nziao ~wzr.:!>)
Sutra, dem Surangama-Sutra, dem «Sutra der vollständigen Erleuchtung» 142 und dem oder die Flinkheit beim Rühren der Trommelstöcke (jie yu fu gu ~MW~) verschieden
Nirvanct-Sutra 143 und fand, dass die Grundsätze ganz verschieden sind.» 144 Ouyang vom Auftreten (ftt ~) des Mitleids, der Scham und der Abscheu, der Verehrung und
De scheint den Unterschied zwischen der ethischen Praxis Wang Yangmings und Ehrfurcht, des Zustimmens und Ablehnens! Und weiter ist das Auftreten der <vier
derjenigen des Buddhismus darin zu sehen, dass jener die willentliche Anstrengung Anfänge> [der Tugenden, d.h. des Mitleids usw.J nie ohne Zusammenhang (weiyou bu
in der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» bzw. in der Beseitigung seiner guan *~1"1ffl) mit dem Sehen und Ilörcn, Sprechen und Tätigscin: Das Zustimmen
Verdunkelungen und Unzulänglichkeiten hervorhebt, während dieser von der (innner und Ablehnen muss aus dem Mund hervorkommen; die Verehrung und die Ehrfurcht
vorhandenen) «vollkommenen Erleuchtung»· spricht, und dass jener das allmähliche muss in Gebärden Form annehmen; die Abscheu vor üblem Geruch 147 verdeckt sich
«Anhiiufcn und Fortschreiten» und die soziale Dimension des ethischen Prozesses sofort die Nase; wenn 1nan ein Kind sieht, das im Begriffist, in einen Brunnenschacht
betont, wiihrend dieser die Erreichung des ethischen Zieles als ein «Flinübcrspringcn» zn fallen, beugt nrnn sich sofort nieder, rnn es zu retten. Wie soll da wirklich ein
und «plötzliches Einsehen» fasst. Nicht: alle Schüler Wang Yangn1ings sahen den Unterschied !zwischen ,ursprtinglichem Wissen> und <\Nissen des Wahrnehmens>]
Unterschied zwischen dessen Lehre und dem Buddhismus in dieser Weise. 145 Doch ersichtlich sein! Das \Vissen ist nur eines (d!l. wei yi 9c□ tl-), und in den Büchern un-
diesen Aspekt lassen wir irn jetzigen Zusanunenh:mg außer Acht, denn jetzt geht es serer [konfu;.,.ianischen] II eiligen und \Veisen ist da keine erzwungene Unterscheidung
uns um das Verhältnis zwischen «ursprünglichen1 Wissen» und anderen Weisen von vorhanden. Nur im IbucldhistischenJ l,1mkrmawm-Sutnt wird zwischen drei Arten,
,, Wissen» oder «Bewusstsein». nämlich der <wahren Erkenntnis> (zhen shi JJI&), der <perzeptiven Erkenntnis> (xian
Diese Frage wird durch Lno Qinshuns anderthalb Monate spiiter in seinem auf zhi :EJ!~) und der ,Sachen unterscheidenden Frkenntnis> (li:n bie shi shi 7.1' 5:JU:jJ~) un-
den 8. September (I. 'fag des achten Mondes) 1534 geschriebenen Antwortbrief :mfgc- terschieden. vVenn es so sein soll, wie Sie schreiben, dann müsste ohne Zweifel das
worfen. Der für uns relevante Hauptteil dieses Briefes besteht aus drei Tlanptpunkten: <ursprüngliche Wissen> das <wahre Erkennen> (z;hcn shi ~~) sein, und das <Wissen
1. Es gibt nicht zwei verschiedene Arten von «Wissen» (zhi 9'□); 2. das «ursprüngliche des W:1hrnchmens> (z.hijuc 9'□~) müsste das <Sachen unterscheidende Erkennen> (/1:n
\Nissen» kann nicht «Natur» (xing ti), es kann nicht «Substanz» (ti ffl) sein; 3. das hie shi shi 5:J'JliJ$~) sein. Ihr Wille, sich nicht dem Zenbudclhismus anzuschließen, ist
Vcrstiindnis des «ge wu t4!-Wl» als «Berichtigen der Handhmgen» ignoriert die «Orcl- zwar richtig; wenn Sie aber in Ihren eigenen Frkliirnngen es schließlich doch nicht
nnngspnnz1p1cn». vermeiden, seinen Lehren zn verfallen, ist das nicht Gedankcnlosigkcit!» 14B
J. Er gibt nicht zwei venchicdcne Arten von «Wissen»: Luo Qinslrnn anerkennt zu- Luo Qinslrnns Behauptung, dass bei Mcngzi das «ursprüngliche Wissen» jedes
erst den Willen Onyang Des, sich nicht dem ZenLrnddhisrnus anzuschließen, crld:irt beliebige nicht überlegende Erkennen und Kiinncn bedeutet, ist sicher sehr prob-
dann aber, dass seine Unterscheidung zwischen zwei Arten von Wissen, «ursprüngli- lc111atisch, denn dieser hat damit ein ursprüngliches, nicht angelerntes moralisches
chem Wissen» und «Wissen des Wahrnehmens» (zhi jue 9'□ 1!), buddhistisch und falsch Vermögen im Auge und kaulll ctw;1 eine durch Ülmng erworbene Kunstfertigkeit in1
sei: «Beim Wissen urnl Erkennen des Menschen kann es nicht zweierlei geben (ren zhi ·frommeln, die des Überlegens nicht mehr bedarf; und auch seine Behauptung, dass
zhi shi bu rang you er AZ9illilFf ~~ =). In Mengzis eigentlicher Bedeutung wird nur in der konfuzianischen Tradition nicht zwischen verschiedenen Arten von Wissen
<ein Wissen, ohne zu überlegen>, <ursprünglich> (liang l:i!) genannt, 146 es ist damit nicht unterschieden werde, ist erstaunlich, da die durch Zhang Zai (102 0-1078) aufgestellte
ein besonderes Wissen (keine besondere Art von Wissen) gemeint. Wenn Sie nun das und letztlich wohl auch im Buch Mengzi wurzelnde Unterscheidung zwischen dem
Wissen des Mitleids, der Scham und der Abscheu, der Verehrung und Ehrfurcht, des «Wissen durch Sehen und Hören» (jian wen zhi zhi Jll,ffflz9ill), das durch äußeren
Zustimmens und Ablehnens als <ursprüngliches Wissen> und das Wissen des Sehens Kontakt mit den Dingen entsteht, und dem «Wissen der ethischen Natur» (de xing zhi
und Hörens, des Sprechens und Tätigseins als <Wissen des Wahrnehmens> (zhi jue zhi tlttz9ill), das in der eigenen «Natur» des Menschen gründet, 149 in der konfuziani-
9ill1!) betrachten, gib es da wirklich zwei verschiedene Wissen (er zhi =9ill)? Es gibt schen Tradition großen Einfluss hatte. Doch seine Assoziation von Wang Yangmings
beim Sehen und Hören, Sprechen und Tätigsein des Menschen auch Wissen, das Lehre des «ursprünglichen Wissens» mit dem «wahren Erkennen» (zhen shi ~~)
nicht vom Denken und Überlegen abhängt (bu dai si lü 1"{~,'!tßl). Wie wäre das des Lankavatara-Sutra ist nicht ohne Grund, denn dieses «wahre Erkennen» wurde
im Huayan- und Zenbuddhismus als «ursprüngliche Erleuchtung» (ben jue *~) ver-

141 Das heißt an den «Vier Büchern» und an zwei der hervorragendsten Konfuzianer der Nördlichen
Song-Dynastie.
142 TS,Bd.17,Nr.842. 147 Vielleicht in übertragenem Sinne als Abscheu vor einem ungerechten Verhalten gemeint oder als
143 Das sind alles Sutren des Großen Fahrzeuges, zum Teil chinesischen Ursprungs, die bei den Zen- Anspielung auf das sechste Kapitel des Daxue, in welchem die Wahrhaftigkeit des Willens mit der
buddhisten besonders beliebt waren. Abscheu vor einem üblen Geruch verglichen wird.
144 Ouyang Deji, 2007,juan 1, S. 13; Ouyang Nanye xian sheng quanji, Ausgabe 1917,juan 1, S. 4a-4b. 148 Im Anhang von Yan Taos Ausgabe des Kun zhi ji, Beijing 1990, S. l 18.
145 Vor allem wäre Wang Ji zu nennen: siehe dazu in diesem Teil Kap. 1, § 5, und Kap. 2. 149 Zhang Zai: Zhengmeng, Da xin pian (Stück 7); deutsche Übersetzung: Chang Tsai: Rechtes Auflichten.
146 Gemäß Mengzi, 7. Buch, 1. Teil I, Kap. 15. Chengmeng, Hamburg 1996, S. 40. Vgl. oben in Teil I das Kap. 5, S. 251.
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standen, auf deren Affinität mit Wang Yangmings drittem Begriff des «ursprünglichen Luo Qinshun beruft sich für diese Unterscheidung auf verschiedene Texte des
Wissens» wir in Kapitel 3 von Teil I dieser Studie hingewiesen haben. 150 konfuzianischen Kanons und gibt dann sprachanalytisch ein grammatikalisches IZrite-
2. Das «ursprüngliche Wissen» kann nicht «Natur>>, es kann nicht «Substrmz» sein: rium für die Unterscheidung zwischen «Natur» als «Substanz» und «ursprünglichem
I ,uo Qinshuns Ablehnung eines besonderen «ursprünglichen Wissens» in Unter- Wissen» als «Funktion»: <<Konfuzius spricht von <um das Dao wissen (das Dao erken-
scheidung vom übrigen Wissen, vom «Wissen des Wahrnehmens», zielt nur darauf, nen: zhi dao ~□ ~)>, <Um die' fügend wissen>; Zengzi [das Daxue] spricht von <anzuhal-
die <<Natur» des Menschen als das ihm vom «Himmel» verliehene «Ordnungsprin- ten wissen> (zhi zhi ~□ ll:); Zisi [das Zhongyong] spricht von <um den Himmel wissen>
zip» eindeutig von allem menschlichen Bewusstsein oder Wissen zu unterscheiden und <um den Menschen wissen>; und Mengzi spricht von <um die Natur wissen> (zhi
und diesem als dessen Norm überzuordnen. Er zitiert wörtlich aus Ouyang Des xing ~□ 11), <Um den Himmel wissen>.<Wissen> (zhi ~) ist hier überall ein <leeres Wort>
Schreiben den für ihn besonders anstößigen Satz: «Denn das Wahre der <Natur des (xu zi ~*), und die anderen \Viirter sind hier überall <Volle Wörter> (shi zi :a'.*).
Himmels> (tian xing zhi zhen ~11.z.Jl) nimmt von selbst klar wahr; wenn es von der Da der Unterschied zwischen <leeren> und <vollen [Wörtern]> besteht, wird dadurch
Situation angeregt wird, versteht es und hat selbst eine Ordnung. Deshalb heißt es der U~terschied zwischen Substan,, und Funktion von selbst klar (tiyong zi rning lllffl
das <ursprüngliche Wissen>, und es heißt auch <Ordnungsprinzip des Himmels>.» 151 ~ aJl). Uberdies erkliirte i\!lingdao [Cheng Hao, l 032-1085] die Bedeutung der beiden
Und er bemerkt dazu: «Obschon ich sehr alt bin, weiß ich doch sicher, dass das, Wörter <zhi ~□ > (Wissen) und <jue I:> (Wahrnehmen): <Wissen> ist Wissen dieser Sa-
was Sie, rnein junger Freund, erreicht haben, in diesen paar Aussagen liegt, aber in che (zhi ci shi ~il:t~), <W.1hrnehmen> ist \Vahrnehmen dieses Ordnungsprinzips (jue
diesen paar Aussagen liegt auch Ihr Irrtum. Das ist gerade der entscheidende Punkt ci li i:Jltim).>» 152 Die in der Song-Zeit auftretende grammatikalische Unterscheidung
der Erörterung und kann nicht übergangen werden.[ ... ] Wenn Sie meinen, dass das zwischen «vollen>, und «leeren \!Vörtern» 153 wurde in der Ming-Zeit auch verstanden
<urspri.ing·liche Ordnungsprinzip> dasselbe sei wie das <urspri.ingliche Wissen>, dann ist als Unterscheidung, die wir mit grammatikalischen Begriffen westlicher Sprachen am
die [dem Menschen einwohnende] <Nanir des Himmels> (tian xing ~11) und <klares besten wiedergeben als Unterscheidung zwischen nominalen, vor allem substantivi-
Wahrnehmen> (rningjuc ajj~) nur eine einzige Sache. Ich meine, dass man sie not- schen, und verbalen Ausdriicken. 111 Interessanterweise erweist sich der bloß verbale
wendig als zwei verschiedene Dinge betrachten muss. Denn das Wahre der <Nanir des und nichtsubstantivische Charakter von« Wissen» nach Luo Qinshun nicht dadurch,
Himmels> ist die <eigentliche Substanz> (ben ti ~lll); <natürliches klares Wahrnehmen> dass «Wissen» von einem grammatikilischen Subjekt ausgesagt, sondern transitiv
(rningjue zi ran ajj 1: ~ ~) ist ihre wundervolle Funktion (miao yong J!'.!) ffl). Die Natur auf ein grammatikalisches Objekt bezogen wird. Dies hat wohl damit zu nm, dass
des Himmels ist am Anfang beim En1pfang des Lebens ganz da; klares W.1hrnehmen in chinesischen Siitzen oft kein grammatikalisches Subjekt vorkommt. Luo Qinshun
tritt auf, nachdem man geboren wurde. Wenn eine Substanz vorhanden ist, muss es
auch Funktionen geben, aber die Funktionen können nicht die Substanz ausmachen.»
152 A.a.O., S. 118f.
153 Auch Zhu Xi gebraucht die Unterscheidung zwischen «vollen>> und «leeren Kategorien»: «Die Natur
[des Menschen] ist voll (:xing shi shi 'l!tlil:'!l), Wahrhaftigkeit (wahrhaftig sein) ist leer (cheng shi :xu
~;!,'!,ctl:): <Natnr> ist ein Name fiir das ( )rclnungsprinzip (/i t!i ming I'I' /i'i'i'ti), ,Wahrhafrigkeit> (,wahr-
150 Die von f ,uo Qinshun angeführte Unterscheidung zwischen drei Arten von Erkennen findet sich haftig sein>) ist ein Name für eine Güte (hao chu di ming ilfJJljtJi'i'i'fi), Wenn man die Nanir mit diesem
nur in einer der drei chinesischen Fassungen des Lankavatara-Sutm (TS, Bd, XVI, Nr. 670-672), Fächer vergleicht, dann besteht im Gleichnis die Wahrhaftigkeit darin, dass dieser Fächer gut ge-
uämlich in derjenigen in vier Büchern (j111t11) von Cunabhadra aus delll 6, Jahrhundert (Nr. 670, macht ist (chcng bi zc zhe san c,i wo de h1m ~iJJIIJ:@'i\Fril/!1~:11:1'),» Ylilci,juan 6, Beijing 1986, S. 102f.
S, 483:i). Die Fassung v011 Sikshananda in sieben Büchern (entstanden zwischen 700 und 704) kennt <«Mitte> (Ausgeglichenheit) ist ein leeres Wort; <( )rdnungsprinzip> ist ein volles Wort (zhong shi :xu
keine «wahre Erkenntnis» (zhen shi ~ITTl'l), sondern nur die «perzeptive Erkenntnis» (:xian shi !Jl.ITTl'l) zi, li shi shi zi "P~~!:)E!J.!ll~'!l!:JE!).» Yitlei,juan 62, Beijing 1986, S. 1512. Beide Zitate finden sich bei
und die «Sachen unterscheidende Erkenntnis» (Jen hie shi shi 5:l- JlU~ITTl'l) (Nr, 672, S, 593b), Doch die Gr:1ham,A11gus Charles: Two U1i11ese l'hilu,ophers,, /,'h'eng 1\Ii,1g-tao rmd Ch'e11g Yi-cb'zum, l ,ondon 1958,
Fassung von Gunabhadra war in China die bekannteste und all! meisten kommentierte, da sie nach 2.J\llflage 1%7,S.41 undS.ö7,
der Tradition vom legendenumwobenen ersten Zenpatriarchen Chinas Bodhidharma seinem Nach- 154 Zu dieser Unterscheidung zwischen «vollen» und «leeren Wörtern» siehe Harbsmeier, Christoph:
folger Huike übergeben worden sein soll. Die dieser Fassung des Lankavatara-Sutra eigene «wahre Lrmgflage am/ !,ogic i,1 'fraditiunlll Chint1, (~ Needham,Joscph: Scieucc and Civilisaton iu China, Cam-
l•:rkenntnis» wurde im JJuayan- und im Zcnbuddhismus lllit dem «reinen Ccist» (qingjing xin bridge, MA 1')98, BcL 7, Teil 1), S. 89 '!l. In den heutigen Ausgaben der großen chinesischen Wör-
;lj,j¾1i>) des Menschen identifiziert und als gleichbedeutend mit dem betrachtet, was die «Abhandlung terbücher Ciyuan (Beijing 1983) und Cihai (Shanghai 1979) wird diese traditionelle Unterscheidung
der Erweclrnng des Glaubens im Großen Fahrzeug» (Dachengqi xin tun) die «ursprüngliche Erleuch- zwischen «vollen» und «leeren Wörtern,,- mit der Unterscheidung ,,wischen «vollen» und «leeren
tung» (henjue :ijs;'f-"f) nennt; vgl. Ding /1u Bao, Beijing 1984, S, 143 lcL Im chinesischen Buddhismus w:ir Ausdrücken» (shi ci h~äi und rll (i ~il§JJ identitizic:1t «Leere Ausdrücke» werden hier mit Begriffen
die Idee einer «ursprünglichen Erleuchtung», einer in jedem Menschen ursprünglich vorhandenen der europäischen Sprachlehre als «Adverbien, Präpositionen, Konjunktionen, Hilfswörter, Inter-
«wahren Erkenntnis» umstritten. Die Weishi-Schule (Schule des «bloßen Bewusstseins»), deren jektionen und Schallwörter» erklärt. Die Verben werden in diesen heutigen Wörterbüchern zu den
bekanntester Vertreter Xuanzang (600?-664) war, lehnte diesen Gedanken mit der Begründung ab, «vollen Ausdriicke11,,,, gerechnet, während sie n:1ch Luo ()inshun, wie auch sonst in der Ming-Zeit,
dass die «Erleuchtung», die «wahre Erkenntnis» nicht schon von vornherein vorhanden, sondern zu den «leeren Wörtern» gehören, Nach Harbsmeier spielte diese Zuordnung in Diskussionen der
nur das Ziel, die «Frucht» des buddhistischen Heilsweges sein kann, Doch für die Huayan- und Zen- mingzeitlichen Poetik über Parallelismen zwischen Versen eine große Rolle (a.a,O., S. 90). Die oben
Schule w,ir die immer schon vorhandene «ursprüngliche Erleuchtung» die «l l:iuptbedingung» fiir erw:ihnte { ;Ieichsetwn~ zwisch,,1~ «vollen und leeren Wiirtern» und <,vollen und leeren /\usdriicken»
die Befreiung von aller Verhlendung. hat aber eine historisch~- Grundlage in Song-zeitlichen Unterscheidungen; siehe Harbsmeier, a.a.O.,
151 Siehe oben in diesem Paragraphen, S. 297f. s. 90.
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glaubt also in dieser Unterscheidung zwischen «vollen» und <<leeren Wörtern» über real vorhanden ist. Er schreibt: «Was ich [von Wang Yangming] gehört habe, ist
ein grammatikalisches Kriterium zu verfügen, um das «ursprüngliche Wissen» als nicht, dass es zwei Wissen (Erkennen) gibt (zhi shi you er~~~=). Das Wissen des
bloße Funktion, im Gegensatz zur «menschlichen Natur» als der «Substanz», be- Mitleids, der Scham und der Abscheu, der Verehnmgund Ehrfurcht, des Zustimmens
stimmen zu können. und Ablehnens [d.h. das <ursprüngliche VVissen>J ist nicht getrennt vom Sehen und
3. Schließlich wirft Luo Qinshun Ouyang De (bzw. Wang Yangming) vor, Hören, Sprechen und Tätigsein (Im li hu shi tingyan dong 1'&lPP:l.Ji~~ih), 160 aber Sehen
dass seine Lehre vom «ge wu ~!/@» (verstanden als «Berichtigen der Handlungen») und Hören, Sprechen und Tätigsein erreichen nicht notwendig alle ihr eigentliches
«alle Ordnungsprinzipien von lTimmel und Erde und aller Wesen völlig ignoriert»: Sosein (Wesen) des Mitleids, der Scham und Abscheu (wei hi_jie de qi r ..
Jben ran*&,
Er fragt ihn zuerst, wieso er sich in seinem Brief nicht auch auf den jüngeren der ~q~!'I; [ ... ] Jls:~). Man spricht daher im I linblick auf das Sehen und Hören, Sprechen
beiden Cheng-Brüder (Cheng Yi, 1038-1107) und auf Zhu Xi beziehe, und meint und Tfüigscin (jiu shi tingyrm dong erymz insgesamt vom <Wissen des
damit implizit, dass deren Lehre vom «ge wu ~!/@» (verstanden als «Erforschung der Wahrnehmens> (zhijue ;J:0:/!); und wenn man irn Hinblick auf ihr Mitleid, ihre Scham
Ordnungsprinzipien der Dinge») Ouym1g l)es (bzw. Wang Yangmings) «Lehre vom und ihre Abscheu spricht, macht man das an ihnen sichtbar, was <ursprünglich> heißt
ursprünglichen Wissen» widerspricht. Er fährt fort: «Sie schreiben in Ihrem Brief, (xian qi suo wei limzg Ji!'J;pfrffl ~). Das \Vissen des W,1hrnchmcns kann man nicht als
dass <das <ge wu ~!/@> nur darin bestehe, gen1äß seiner sozialen Stellung sein tägliches <Natnr> und nicht ,,ls ,Ordnungsprinzip> bezeichnen. Das <Ursprüngliche> des Wis-
Verhalten zu verbessern (sui qi wei ji:n xiu qi ri lii ll)i!'l;fv:7.l'~J!'t El Jl'i'). 155 Obschon Sie sens (zhi zbi lianoö z:he ;J:□ ;z ~ =i!!f·.) ist niirnlich das vVahre der <Natur des 1-Jinunels> (tian
sagen, dass das vorn Buddhismus verschieden sei, so ignorieren Sie doch völlig die xing zhi zhen Jc:.11:;zJ:l:), das von selbst klar wahrnimmt (rning_jue zi ran aJjj! §~);wenn
<Ordnungsprinzipien> von liinnnel und Erde und allen Wesen (yi qie zhi zhi du wrti es erregt wird, versteht es und hat aus sich selbst eine Ordnung, und so wird es als
-t)J~;zffi'.j~). Wenn man nicht über sie spricht, dann hat man nichts, um das Wun- <Ordnungsprinzip des l limrnels> bc,,cichnet (tim1 zhi li 5t;zflll.). 161 Fs ist so wie beim
derbare des <einheitlichen Verständnisses von allem> zu erreichen (dayi guan zhi rniao <Tlerzcn des Dao> (dao xiu m,e,,) und dem <Herzen des 1\/Ienschen> (ren xin J_,t,), 162
~- ]'1i:;z/l'..P). 15 '' Wie könnte man da <seine eigene Natur und auch die Natur der an- die nicht zwei [trennbare] Her,,en sind, so wie bei der <VOlll llimmel bestimmten
deren Menschen voll zur Auswirkung kommen lassen (jin xing mtti.)>, <der Bildung Natur> und der <physischen N:1tur> (Natur der Energie und des Stoffes: qi zhi zhi
der \tVcscn beistehen und mit Ilimmel und Erde eine Dreiheit bilden (can tian di xing Jfl~;z 11), 11'' die nicht zwei ltrl'nnb,ireJ Naturen sind. Die Quelle und die danms
~xtili)>. 157 Das hat seinen Grund nur darin, dass Sie das <ursprüngliche Wissen> als entspringenden Biichlein sind nicht ,,wci V\T,1sscr. \½1s die alten Konfuzianer Sehen
<himmlisches Ordmmgsprinzip> missverstehen. M:m kann nicht oberhalb von Him- und lliiren, Denken und Überlegen, Tun und Handeln nannten, ist alles natürlich
mel und Erde und allen Wesen die zwei Wörter <ursprüngliches Wissen> ansetzen; (jie tian ye '&Jc:.lli), ,1hcr der !Vknsch muss darin das VVahrc und das Irrige erkennen
vielmehr muss man diese völlig ignorieren (Im rong bu zhi zhi du wai =r:'@Ffi'!'f.;zffi'. (yao shi de zben yu wmzg :~rnlHijJ:l:tlit~). - Ich denke, dass die Bedeutung des Zeichens
>7~). Der heilige Mensch !Konfuzius! hat den llimmcl zur Crundlage (ben tirm Jls:x); <tiang ~>, die 1 lui'an [Zirn Xi] ,ils das ,eigentlich (an sich) Cute> (ben nm zhi shan Jls:~
die ßuddhisten haben das Herz (Bewusstsein) zur Grundlage (ben xin Jjs:,e,,). Da Sie ;z~) bestimmt, g,era<le der Sinn von ivlengzis .:Güte der menschlichen Natur> (xing
die Ordnungsprinzipien von Himmel und Erde völlig ignorieren, ist deutlich, was shan tt~) ist. Von einem Zustand vor der <Ruhe des Menschen bei der Geburt> 164
Sie zur Grundlage machen und wem Sie folgen.» 158 Luo Qinshun spricht sich dann kann man nicht sprechen (ren sheng er_jingyi shang bu rong shuo A~imffi!.i,)l_t:r;~~);
eindeutig für Cheng Yis und Zhu Xis Erklärung des «ge wu ~!/@» als «Erforschung sobald man von der menschlichen <Natur> spricht, sind die Tätigkeiten des
der Ordnungsprinzipien der Dinge» aus. 159
Am 24. November (19. Tag des zehnten Mondes) 1534 erhielt Ouyang De in
Nanking den Brief Luo Qinshuns vom 8. September dieses Jahres und datierte seine
160 Das entspricht Wang Yangmings Brief an Ouyang De von 1526: «Das <ursprüngliche Wissen> existiert
Antwort auf den folgenden 4. Dezember (30. Tag des zehnten Mondes). Er beantwor- nicht aufgrund von Sehen und Hören (jian wen J!Pll), sondern Sehen und Hören sind Funktionen des
tet den ersten und zweiten Punkt von Luo Qinshuns Kritik zusammen, denn für das <Ursprünglichen Wissens>. Deshalb wird das <nrsprüngliche Wissen> nicht durch Sehen und Hören
Verhältnis zwischen «ursprünglichem Wissen» und « Wissen des Wahrnehmens» ist gehemmt und ist auch nicht vom Sehen und Hören getrennt (bu li 1'ffit).» Chuanxi lu, II, Nr. 168,
Quanji juan 2, Shanghai 1992, S. 71. Wir haben diesen Satz oben in Teil I, Kap. 3, § 3, S. 197, zitiert.
für ihn grundlegend, dass die «Natur des Menschen» (xing 11) ihre «Verkörperung» 161 Fast wörtliche Wiederholung des von Luo 'Qinshun im zweiten Punkt besonders kritisierten Satzes
(«Substanz: ti ft») nur im «Wissen» besitzt, das heißt, dass sie nur im «Bewusstsein» aus Ouyang Des erstem Brief.
162 Anspielung auf das Shujing («Klassiker der historischen Dokumente»), «Ratschläge des Großen Yu»,
15. Abschnitt: «Das Herz des Menschen ist gefährlich; das Herz des Dao ist fein.» Legge; S. 61.
163 Anspielung aufZhu Xis Unterscheidung zwischen der absolut guten «vom Himmel bestimmten Na-
155 Siehe oben, S. 299, im zitierten Brief von Ouyang De. tur», die mit dem «Ordnungsprinzip» (li lll!.) identisch ist, und der Gutes und Schlechtes enthaltenden,
156 Anspielung auf Lzmyu, 4. Buch, Kap. 15, und 15. Buch, Kap. 3. in der mehr oder weniger «reinen oder verschmutzten» «Energie» (qi ~) verkörperten «Natur»;
157 Anspielung auf verschiedene konfuzianische Klassiker: Mengzi, Liji und andere. siehe oben in der allgemeinen Einleitung den § 3.
158 A.a.O., S. 119. 164 Zitat aus dem «Buch der Sitten» (Liji), Kap. 19; wir haben oben in der allgemeinen Einleitung in § 3
159 Ebd. diese Stelle zitiert.
306 307

Wahrnehmens vorhanden (cai shuo xing shi, bian you zhi jue yun dong AtUlttt~-1!1[!/;!I•~ eine volle oder substantielle sein kann (zi yi gu you jian xu shi ti yong yan zhe *~~fl
Jb). Wenn die menschliche Natur nicht Wissen wäre (fei zhi 3F~), dann hätte sie nichts, M:m'.1'.Hffl~;ff). [...] Wenn man von <Wissen> in leerer Bedeutung spricht (zhi zi yi xu
worin sie sich substantiieren (verkörpern) könnte (wu yi wei ti 1fft~~H); wenn das yan zhe !/;!l*~m~;ff) wie in den von Ihnen angeführten Beispielen <die Natur wissen
<Wissen> nicht <ursprünglich gut> (liang ~) wäre, dann hätte es nichts, wodurch es die (erkennen)>, <den Himmel wissen (erkennen)>, <diese Sache wissen (erkennen)>, <dieses
menschliche Natur manifestieren könnte (wu yi xian xing 1!!tP.J.~tt). Die menschliche Ordnungsprinzip wahrnehmen (jue zi li J!JltJ,1)>, dann redet man darüber als Funktion
Natur ist an sich (eigentlich) gut (ben sban *~), sie hat ihren Glanz nicht von außen (yan qi yong ~ltffl). Was das <Wissen> des <ursprünglichen Wissens> betrifft, sagte
(fei you wai shuo 3Fl:B9~f.!li). Dadurch wird ersichtlich, dass das eigentliche ursprüng- Mingdao [Cheng Hao] [in seinen Aussagen über das <Erkennen der Menschlichkeit>]:
lich Gute (ben liang * ~) nicht von menschlichem Anordnen (Arrangieren: an pai <Das ursprüngliche Wissen und ursprüngliche Können kann nicht verlorengehen. Da
~:im abhängt. Die Aussage: <Was man weiß, ohne zu überlegen, ist das <ursprüngliche die alten Gewohnheiten noch nicht beseitigt sind, muss man dieses [ursprüngliche]
(gute) Wissen>165 ist gleichbedeutend mit der Aussage: <Was nicht vom menschlichen Herz durch Übung bewahren, und mit der Zeit kann man sich von den alten Gewohn-
Anordnen abhängt, ist das ursprüngliche (gute) Herz (liang xin ~,t.,)>. [ ... ] Was das heiten befreien.> Die Wörter <das ursprüngliche Wissen> und <dieses [ursprüngliche]
Lankavatara-Sutra <wahres Erkennen> (zhen shi JUi) nennt, ist nicht das, was Mengzi Herz> scheinen in diesem Satz mit der Bedeutung des Vollen und der Substanz (shi ti
mit dem <ursprünglich Guten> (liang zhe ~ :t) meint; es hat keinen Bezug zum Mitleid, 1111) gesprochen zu sein. Das <Wissen> im Ausdruck <das Wissen verwirklichen> (zhi
zur Scham und Abscheu, zur Verehrung und Ehrfurcht, zum Bejahen [des Richtigen] zhi ~!/;II) im [Grundkapitel des] Daxue scheint gleich wie das dortige <Person> [im
und Ablehnen [des Unrichtigen]. Es ist nicht passend, sie gleichzusetzen.» 166 Ausdruck <die eigene Person kultivieren>], <Herz> [im Ausdruck <das Herz geradema-
Ouyang De sieht hier das Verhältnis zwischen der immer guten «menschlichen chen>], <Wille> [im Ausdruck <den Willen wahrhaftig machen>], <Geschäfte (Handlun-
Natur», dem «ursprünglichen Wissen», und dem «Wissen des Wahrnehmens», gen)> [im Ausdruck <die Handlungen berichtigen>] kein <leeres Wort> (xu zi m*) sein
welches das «Hören und Sehen, Sprechen und Handeln» umfasst, wie folgt: Die zu können und nicht wie das <Wissen> in <die Natur wissen (erkennen)>, <den Himmel
«menschliche Natur» kann sich nur im «Wissen» substantiieren, sie ist nur im wissen> eine Funktion (yong ffl) zu bedeuten. Doch <Substanz und Funktion machen
«Bewusstsein» etwas Wirkliches. Das «ursprüngliche Wissen» ist vom «Wissen des eine Einheit aus (ti yong yi yuan Hffl - »Ji:)>, 167 das Wissen als Substanz ist dasselbe wie
Wahrnehmens», das heißt vom «Bewusstsein des Sehens und Hörens, Sprechens und das Wissen als Funktion (ti zhi zhi ji yong zhi zhi IHtz!/;11 ru,I ffl .Z~), so dass es eigentlich
Handelns», nicht trennbar; dieses muss vom «ursprünglichen Wissen» nur so weit nicht zwei Wissen gibt (ben wu er zhi *1fft=~). Vermutlich hat jeder Gebrauch eines
unterschieden werden, als in ihm die das «ursprüngliche Wissen» ausmachenden Wortes sein Richtiges (li yan ge you qi dang .fl.~ß.fllt~).»168
ethischen Gefühle wie Mitleid, Scham und Abscheu gegenüber Ungerechtigkeit, Ouyang De hält Luo Qinshun also entgegen, dass das Wort «wissen» je nach
Verehrung und Ehrfurcht und auch der Sinn für Richtig und Unrichtig nicht voll zur Kontext sowohl «voll» als auch «leer», sowohl ein Nomen bzw. Substantiv als auch
Erscheinung kommen, das heißt, sofern es sein «eigentliches Wesen» nicht erreicht. ein Verb sein und daher sowohl eine «Substanz» (ti UI) als auch «Funktionen» (yong
Sofern das «ursprüngliche Wissen» in ihm sich voll manifestiert, das heißt sich in ihm ffl) bedeuten kann. Das Wort «zhi !/;II» (<<Wissen») hat wie die anderen chinesischen
«verwirklicht», ist auch das «Wissen des Wahrnehmens» «ursprüngliches Wissen». Wörter und Wortzeichen selbst keine grammatikalische Form, die es losgelöst vom
Die ursprünglichen ethischen Gefühle des Menschen stehen also nicht als eine be- Kontext als ein Nomen oder als ein Verb bestimmen würde. Auch andere Denker in
sondere, selbständige Bewusstseinsart neben den verschiedenen Arten des «Wissens der Geistesgeschichte Chinas, die über ihre Sprache reflektierten, haben auf diese
des Wahrnehmens» wie «Sehen und Hören, Sprechen und Tätigsein» und anderen Kontextabhängigkeit hingewiesen, 169 und, soweit ich beurteilen kann, ist Ouyang
solchen Arten des «Wissens des Wahrnehmens», sondern sie können nur in diesen De mit dieser grammatikalischen Bemerkung gegenüber Luo Qinshun im Recht.
auftreten, und diese besonderen Arten <<erreichen nur ihr eigentliches Sosein (ihr Auch «ursprüngliches Wissen» kann nach Ouyang De sowohl eine Substanz als auch
eigentliches Wesen: de qi ben ran ~ilt*~)», wenn das «ursprüngliche Wissen» in
ihnen zur vollen «Verwirklichung» gelangt.
Luo Qinshuns sprachlichem Argument, dass «Wissen» ein «leeres Wort» (xu zi 167 Oft zitierter Satz aus Cheng Yis Vorwort zu seinem Kommentar zum «Klassiker der Wandlungen».
Dieser Satz geht wohl auf einen Kommentar von Zhengguan (738-839), dem Fünften Patriarchen
**) und kein «volles Wort» (shi zi '.fl*) sei und daher keine «Substanz» bedeuten des Huayan-Buddhismus, zurück.
könne, hält Ouyang De entgegen, dass «Wissen» in gewissen Zusammenhängen ein 168 Ouyang Deji, 2007,juan 1, S.17;Anhangvon YanTaosAusgabe desKunzhiji, Beijing 1990, S.172.
«leeres», aber in anderen Zusammenhängen ein «volles Wort» sei: «Ich denke, dass 169 Christoph Harbsmeier zitiert in der oben erwähnten Studie folgende Aussage von Yan Ruoju IBl :t\'l/1
(1636-1704): «Jedes Wort kann für eine <Substanz, (ti lll) oder für eine <Funktion> (yong Jfl) gebraucht
die Bedeutung der Worter in der Rede sowohl eine leere oder funktionelle als auch werden. Zum Beispiel <Zhen tt> im hohen Ton ausgesprochen (<Kopfkissen>) wird für eine Substanz
gebraucht und ist ein volles Wort; wenn es im fallenden Ton ausgesprochen wird, bedeutet es eine
Funktion (<als Kopfkissen gebrauchen> oder <den Kopf auf etwas betten>) und ist ein leeres Wort.»
Aber es ist auch nicht so, dass die verschiedenen Töne, in denen ein Wort ausgesprochen wird, feste
165 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15. grammatische Formen für Nomina und Verben wären. Heute wird zum Beispiel sowohl der substan-
166 Ouyang De ji, 2007,juan 1, S. 16f.; Anhang von Yan Taos Ausgabe des Kun zhiji, Beijing 1990, S. 17 lf. tivische als auch der verbale Gebrauch von <<Zhen tt» im dritten Ton ausgesprochen.
308 309

Funktionen bedeuten. Substanz und ihre Funktionen machen aber eine Einheit aus, xing ~lllli'ltt.) 171 und des <Verbindens von allem durch ein Einziges> (yi yi gurtn zhi -
sie sind untrennbar. Man kann wohl im Sinne Ouyang Des sagen: Wenn man von J-JJtz). 172 Das <ursprüngliche Wissen> muss sich im Sehen und Hören, Denken und
«ursprünglichem Wissen» als Substanz spricht, ist es die im mensch liehen Bewusstsein Überlegen äußern (bi fo ~,~), und das Sehen und Hören, das Denken und Über-
verkörperte (substantiierte) «menschliche Natur» (xing ti); die «Funktionen» des legen sind notwendig im Kontakt mit Himmel und Erde, den Mitmenschen und den
<<ursprünglichen Wissens» sind die ethischen Gefühle des Mitgefühls, der Scham usw. Dingen. Himmel und Erde, die 1\1itmenschen und die Dinge sind unerschöpflich
In der «Verwirklichung» dieser ethischen Gefühle im «Wissen des Wahrnehmens» (wu qiong ~~); Sehen und Hören, Denken und Überlegen sind auch unerschöpflich;
des «Sehens und Ilörcns, des Sprechens und Llandelns» besteht sowohl das «eigent- deshalb ist auch das ,ursprüngliche \Visscn> unerschöpflich. Der Grund, warum man
liche Wesen>> (hen rrtn *M) des «ursprünglichen Wissens» als auch das «eigentliche sich anstrengen muss (yrmg li m.7.J), besteht darin, dass es den Unterschied zwischen
Wesen» des «Wissens des Wi1hrnchmens», das heißt ihre vollkomn1enc Wirklichkeit. Eigensucht und Freiheit von Eigensucht (you si wu si fiJ;J<b.~;J<b.), zwischen Ursprüngli-
Zum dritten Punkt von Luo Qinshuns Kritik, nämlich dass Ouyang Des Iden- chem und Nichtursprünglichem (!iangyu hu !ittng &~1' E!), zwischen Verwirklichen
tifikation des «urspriinglichen Wissens» mit dem «Ordnungsprinzip des Himmels>> und Nichtverwirklichen (zhi yu hu z.hi 3i!z~1°'3i!z) gibt, und in \M1hrheit gibt es in1
dazu führe, dass er in seiner Auffassung vom ge wu als «Verbesserung des täglichen llirnmcl und auf Erden, bei den lvlenschen nnd den Dingen keinen Ort, den man
Verhaltens gemäß der sozialen Stellung» die «Ordnungsprinzipien» von l limmel nicht in Ordnung bringen müsste und ignorieren könnte (zhi zhi du wai :ii'.zm'P~).»m
und Erde und allen Wesen ignoriere, schreibt dieser: «Was ich [von Wang Ymgming] Sowohl nach Luo Qinshun als auch nach Ouyang De gibt es letztlich nur ein einziges
hörte, ist wirklich !von einer solchen Konsequenz] verschieden. Alles, was <tiigliches «Wissen». Wiihrcnd aber für Luo das «ursprüngliche Wissen» nichts anderes als ein
Verhalten> (ri lii EI lffi) gcn,11mt wird, ist Äußerung (fit ~) des ,ursprünglichen Wissens> intuitives, nicht auf Überlegung beruhendes «\Nissen des Wahrnelunens» ist, ist nach
unseres J Jerzens (Geistes) im Sehen und Hören, Denken und Überlegen, im Entspre- Ouyang De das «Wissen des \;\/ahrnehmens» nnr eine Funktion des «ursprünglichen
chen (f!;ttn ying ~~) und im sozialen Verkehr (chou .zuo Willll'F) mit Himmel und Erde, Wissens», sofern dieses nicht «verdeckt und verdunkelt» ist. Das bedeutet, dass nach
den anderen Jvlcnschen und den Dingen. Das nun, wodurch <der Mensch das l lerz Luo die «Ordnungsprinzipien» nicht aus dem Wissen selbst stammen können, son-
von llimmel und Erdc>' 7" und das ,Geisteskriiftige (fing m) unter allen Wesen> ist, ist dern fi.>rschcnd und suchend aus den Dingen geholt werden müssen, wiihrend nach
sein <urspriingliches Wissen>. Deshalb ist das tiigliche Verhalten ge1niiß der sozialen Ouyang De das «Erwiigen der Ordnungsprinzipien eigentlich ganz Funktion des
Stellung - bei den Hochgestellten das Beobachten des Himmels und das Prüfen der <ursprünglichen \Vissens> ist», das heißt, dass diese Prinzipien in diesem «Wissen»
Erde, (bs Verstehen des Göttlichen (tong shen tning ~'fl!l BJI) und das Niihrcn aller We- selbst enthalten und aus diesem durch die Überwindung der Selbstsucht freizulegen
sen, bei den Niedrigen das Anwenden des l limmels und das Bcfc>lgcn der Erde (yong sind. Das heißt aber nicht, dass d,1s «ursprüngliche Wissen» in seiner Frwiigung der
tian yin di Jfl'fe.[Jc;l±th), das Beachten der Regeln, um \1;1tcr und Mutter zu pflegen -nichts «C)rdnungsprim,ipien der Dinge» sich von «liimmc.l und Erde und allen Wesen»
anderes als Funktion des ursprünglichen Wissens (mo fei liang zhi zhi yong ~;::)~ 6!9'□ abtrennen und sie ignorieren kiinnte, denn diese sind notwendige gegenstiindliche
zffl). Getrennt von Himmel und Erde, Menschen und Dingen (/i que tirtn di ren wu Korrelate <les «Sehens un<l Hörens, <les Denkens und Überlegens» als der Funktionen
iilltit!J'fe.±tkAWI) gibt es kein tägliches Verhalten des Sehens und Hörens, des Denkens des «ursprünglichen Wissens».
und Überlegens, des Entsprechens und des sozialen Verkehrs, und es gibt auch das In einem wohl nur kurz nach diesem Schreiben vom 4. Dezember 15 34 verfass-
nicht, was <ursprüngliches Wissen> genannt wird. Wenn man nicht die <Ordnungs- ten Brief an Hu Yangzhai MI 1!Plillf, dessen Anfang wir in der biographischen Notiz
prinzipien> von Himmel und Erde und aller Wesen erwägt (bu jirtng 1'1iffi), wie wäre über Ouyang De am Anfang dieses Paragraphen zitierten, drückt Ouyang De seine
dann das möglich, was <gemäß seiner sozialen Stellung sein tägliches Verhalten Sicht des Verhältnisses zwischen «ursprünglichem Wissen» und « Wissen des Wahr-
verbessern, um sein ursprüngliches Wissen zu verwirklichen>, genannt wird! Nur nehmens» noch mit einem anderen Begriff ans. Allerdings spricht er hier anstatt von
ist das Erwägen der ,Ordnungsprinzipien> von Himmel und Erde und aller Wesen «Wissen des Wahrnehmens» (zhi jue 9cllfi) von «Wissen des [empirischen] Erken-
eigentlich ganz Funktion des ,ursprünglichen Wissens> (ben jie liang zhi zhi yong lf * nens» (zhi shi 9cll~). Dieser zweite Ausdruck war in der Schule Wang Yangmings der
8!9cllZJfl). Der Mensch wird aber durch seine Eigensucht bewegt (dong yu si lbM;J<b.), übliche Gegenbegriff zum «ursprünglichen Wissen», wie auch Wang Jis Erörterung
und das <ursprüngliche Wissen> wird dadurch verdeckt und verdunkelt; da dann das des Verhältnisses zwischen «ursprünglichem Wissen» und allem anderen Bewusst-
Maß mangelhaft ist, verlieren Gewichte und Längen ihre Ordnung (shi qi li ~!tllll). sein zeigen wird. 174 Da das «ursprüngliche Wissen» nach Mengzi «nicht auf Lernen
Das Notwendige besteht also immer darin, das ,ursprüngliche Wissen zu verwirk-
lichen> und nicht durch die Eigensucht zu verdecken; dann haben wir das Lernen des
,Ergründens der Ordnungsprinzipien und des Ausschöpfens der Natur> (qiong li jin 171 Anspielung auf Zhu Xis Auffassung vom ge wu als Ergründen der Ordnungsprinzipien der Dinge.
172 Anspielung auf den oben von Luo Qinshun zitierten Text aus dem Lunyu, 4. Buch, Kap. 15, und
15. Buch, Kap. 3.
173 Ouyang Deji, 2007,juan l, S.17f.;Anhangvon Yan TaosAusgabe des Kun zhiji, Beijing 1990, S. l 72f.
170 Zitat aus dem Liji («Buch der Sitte»), Kap. Liyun (Übersetzung von Richard Wilhelm, S. 38). 174 Siehe unten in diesem Teil, Kap. 3, § 4, S. 494ff.
310
311

und Überlegen» beruht, ist das <<Wissen des [empirischen] Erkennens» ein Wissen Wenn man das wahre Mitgefühl des <ursprünglichen Wissens> <Verwirklicht>, dann
aufgrund von Lernen und Überlegen. Da das «ursprüngliche Wissen» von Wang sind alle Gedanken wahres Mitgefühl; wenn alle Gedanken wahres Mitgefühl sind,
Yangming mit dem «Wissen der Tugendnatur» (de xing zhi zhi ~tt.;zJ,□) Zhang Zais dann bedeutet dies, dass alle Gedanken ihr <ursprüngliches Wissen verwirklichen>.
(1020-1077) identifiziert wurde und dieses dem «Wissen durch Sehen und Hören» Deshalb sagte ich einmal, dass aller Umgang mit anderen Wesen und alles Handeln
(jian wen zhi zhi Jiliilz~) entgegengesetzt ist, ist das «Wissen des [empirischen] nur dieses <ursprüngliche Wissen> sein muss (yi qie ying wu chu shi zhi yao shi liang zhi
Erkennens» ein Wissen aufgrund von Sehen und Hören. 175 Demgegenüber hat -~R!WIJJl1(iJ.RJl!Jl..5l~). Denn, wenn ein einziger Gedanke nicht <ursprüngliches
der Begriff «Wissen des Wahrnehmens» oder <<gewahrendes Bewusstsein» (zhijue Wissen> ist (yi nian bu shi !ittng zhi -~::f ~..5l9'1!), dann ist er nicht <Verwirklichung
~-) eine weitere Bedeutung und kann alles aktuelle Bewusstsein abdecken. Auch das des ursp1·ünglichen Wissens>.>> 181
«ursprüngliche Wissen» in Mengzis Sinn der spontanen guten Gefühle wird als eine . Ouyang De schreibt im zitierten Text, dass das «Wissen des empirischen Er-
besondere Art «gewahrendes Bewusstsein» (zhi jue ~ft) bezeichnet, nämlich als ein kennens (das empirische Bewusstsein)» «yong Jf.l» des «ursprünglichen Wissens»
«natürliches (d.h. in der guten menschlichen Natur wurzelndes) Gewahren» (zi ran sei, analog wie Hören und Sehen <<yong J'll» von «cong ming 11!@,a)=I» seien. Man könnte
zhi jue 1s ~!,E:Ojll), 176 Ouyang De übernimmt in seinem Brief an Hu Yangzhai Wang dies aufgrund der bloß lexikalischen Wortbedeutungen so verstehen, dass das «em-
Yangmings Bestimmung des «ursprünglichen Wissens» als «wahres Mitgefühl» (zhen pirische Bewusstsein» Funktion des «ursprünglichen Wissens» sei, so wie Hören
eh eng ce da ~@!H!IH.§), die dieser in seinem letzten großen philosophischen Brief Ende und Sehen Funktionen (Aktualisierungen) des Hör- und Sehvermögens seien. Doch
1528 an Nie Bao vorgenommen hatte. Ouyang De muss diesen Brief gekannt haben, wäre diese Interpretation bzw. Übersetzung wohl falsch. Denn eine solche Analogie
denn Wang Yangming hatte in ihm Nie Bao gebeten, Ouyang De davon eine Kopie würde nur dann bestehen, wenn das «ursprüngliche Wissen» bloß als ein Vermögen
zukommen zu lassen. 177 Ouyang De schreibt: «Das <ursprüngliche Wissen> und das des Mitgefühls und seine «Funktionen,, bloß als akwelle Emotionen des Mitfühlens
,Wissen des [empirischen] Erkennens> (zhi shi ~~) sind zu unterscheiden. Das <Wis- gedacht wären, so wie Hüren und Sehen aktuelle «Funktionen» des Ilör- und Seh-
sen des Erkennens> ist die Anwendung (yong Jf.l) des <ursprünglichen Wissens>; man vermögens sind. Doch Ouyang De geht es hier in seiner Rede von <<yong }f.l » um die
kann nicht das <Wissen des Erkennens> dem <ursprünglichen Wissen> gleichsetzen, Anwendung des «ursprünglichen Wissens» in «allen Gedanken», das heißt um die
so wie Hören und Sehen Anwendungen der Hellhörigkeit und der Scharfsichtigkeit «Verwirklichung des ursprünglichen \Nissens» in allem empirischen Bewusstsein,
sind (zong ming zhi yong 11!@,BJI zm) und nicht diesen gleichgesetzt werden können. in allem vVahrnehmen, Denken und ILmdcln, so dass das empirische Bewusstsein
[... ] Das <\Nissen des Erkennens> ist ein Können aufgrund von Lernen, ein Wissen dadurch selbst ,mm «ursprünglichen Wissen», das heißt zur «Funktion» des wahren
aufgrund von Überlegen. Das <ursprüngliche Wissen> ist das wahre Mitgefühl des Mitfühlens wird. Diese «Funktion» meint aber keine bloße Aktualisierung eines emo-
eigentlichen Herzens (ben xin zhi zhen cheng ce da ;iJs:,c,,;z~~1Jll]fü), es <kann, ohne zu tionalen Vermögens durch aktuelles Fühlen. Das «empirische Bewusstsein» meint hier
lernen, und weiß, ohne zu überlegen>. 178 Die Menschen werden von eigensüchtigen vielmehr den «Ort der Anwendung» (yong J'll), den Ort der «Verwirklichung» (zhi 3&)
(egoistischen) Absichten verunreinigt (wei si yi suo za ßl,;f,l]lpJr~) und vermögen nicht, des «ursprünglichen vVissens>>. Tn dieser Beziehung besteht die Verschiedenheit und
alle ihre Gedanken ganz dieses wahre Mitgefühl des <ursprünglichen vVissens> sein zu die Einheit von «ursprünglichem Wissen» und «empirischem Wissen».
lassen (nian nian jie ci liang zhi zhi zhen cheng ce da ~~~Jlt 1'.0ll;z~~ffll]fä). Deshalb Mehr als zwanzigJahre später wird auch Wang Ji über das Verhältnis von
bedarf es der Anstrengung der <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens>. Diese «ursprünglichem» und «empirischem Wissen» («Wissen aufgrund von äußeren
besteht darin, die Einmischung der eigensüchtigen Absichten zu entfernen und zu Informationen»: zhi shi ~-)schreiben.Auch er wird ihre Verschiedenheit und ihre
bewirken, dass alle Gedanken (nian nian ~~) ganz wahres Mitgefühl sind und keine Einheit hervorheben und als das die beiden Vereinigende die «Verwirklichung des
Mängel haben. Wenn Mengzi davon spricht, dass das Kleinkind zu lieben und zu ver- ursprünglichen Wissens» festhalten. Aber er wird aufgrund eines anderen Verständ-
ehren weiß, 179 dann meint auch er die natürliche Manifestation des wahren Mitgefühls nisses dieser «Verwirklichung» durch die Begriffe des «Glaubens» und der «Einsicht
des eigentlichen Herzens (ben xin zhen cheng ce da zi ran Ja xian zhe ;zjs;,G<JUJiXffl~fü ls M~ in das ursprüngliche Wissen» dieser Einheit einen anderen Charakter geben (siehe
Ji~) und veranlasst die Menschen, dieses <überall unter dem Himmel auszudehnen>. 180 unten in Kap. 2 den § 4).
Ouyang Des Brief vom 4. Dezember 1534 hatLuo Qinshun am 14. März 1535
erhalten, aber ein halbes Jahr lang nicht beantwortet. Erst im Herbst 15 3 5 schrieb
er einen relativ kurzen Brief, in welchem er mit großer Höflichkeit seine Achtung
175 Zu Zhang Zais Unterscheidung dieser beiden Arten von Wissen (Erkennen) siehe oben in ':feil I,
Kap. 5, Einleitung·. vor Onyang Des Auffassung ausdrückt, aber an seiner eigenen Grundposition fest-
176 Siehe unten in 'Jcil ll, Kap. 3, § 4. hiilt. Er schreibt: «Die Lehre von1 <ursprünglichen Wissen> haben Sie, mein junger
177 Siehe oben in Teil 1, Kap. 3, § 5, S. 212, Anm. 91.
178 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15.
179 Ebd.
180 Ebd. 181 Ouyang De ji, 2007,juan 1, S. 28; teilweise zitiert im MRXA,juan 17, Beijing 1985, S. 364.
312 313

Freund, schon seit langem erforscht. Zum Sinn dieser Lehre sind die alten Konfu- Nachbarpräfektur von Y,mgzhou, war, 186 und im Januar 1540 kam Luo Hongxian, als
zianer (.?Cian ru .$\:;~) nicht gekommen. Was ich aber bewahre, ist nichts anderes als er sich auf dem Weg zu seiner 13eamtcnstelle nach Peking befand, von Nanking aus
die vollendete Lehre der alten Konfuzianer. Dass sie [diese Lehre] nicht [mit der zu ihm nach Anfengchang. 187 In einem weiten Sinne kann man auch Wang Gen und
lhrenj übereinstimmt, soll bestimmt: so sein. Wenn ich Ihren Brief genau ansehe, so seine Schule in 'faizhou zur Blüte der Schule Wang Yangmings im Gebiet von Nan-
ist Ihre Position sehr fest, obschon Ihre Worte bescheiden scheinen. Sie sind fest, king während des ersten Jahrzehnts nach dessen' föd mitrechnen.
um fest im Dao zu sein (ning dao ),IJ!fi), und Sie sind bescheiden, um vollendet in Schon in der Biographie Wang Y,mgmings in der Einleitung zu Teil I haben
Verbindung [mit anderen! zu treten (quanjiao ::i:51':). Man kann s,1gen, dass Sie bei- wir hervorgehoben, dass W:mg Cen ein ganz besonderer Schüler Wang Yangmings
des erreichen. Was soll ich alter Dummkopf da noch sagen! Doch erlaubt die Sitte war, da seine Schulbildung nur aus wenigen.Jahren ½>lksschule bestand und er nicht
nicht, dass ich den mir von Ihnen zugeworfenen Edelstein nicht wenigstens 1nit einer zur Beamtenklasse gehörte, sondern I Lindler war. Im jetzigen Zusarmnenhang ist
Baununclone (Papaya) vergelte. kh habe Ihren Brief wiederum mehrmals gelesen, zn betonen, dass er auch der Schule Wang Yangmings einen besonderen Char,1kter
um die Punkte, in denen wir nicht übereinstimmen, zu sehen. Ich alter Dummkopf gab. Obschon er keine Examen im Hinblick auf den staatlichen Dienst abgelegt hatte
kann sicher mein Viereckiges nicht rund machen; und Sie, junger Freund, sind und daher nicht zmn Beamtenstand gehörte, wurde er von den anderen bedeutenden
wohl auch nicht gewillt, Ihr Rundes zum Viereckigen zu behauen. So will ich Ihnen Schülern VVmg Yangmings, die ,11le zu diesem Stand gehörten, sehr geachtet. So lud
denn vorderhand nur in edler Absicht ehrerbietig zntrinken.» 182 Er versucht dann ihn zum Beispiel Zou Shouyi, der wegen einer Eingabe an den Kaiser 1524 von sei-
mit Argmncnten aus den konfuzianischen Klassikern und 1nit eigenen Überlegun- nem Posten in der [Lmlin-Akademie in Peking zu einem untergeordneten Beamten
gen ernent zu zeigen, dass «ursprüngliches Wissen» nicht «volle Substanz» (shi in Guangde im Süden des direkten Verwaltungsgebietes in Nanking (heute in der
ti 'M'd) und nicht «Ordnungsprinzip des Himmels» (tian li ~]]:t) sein kann. Eine Provinz Anhui) degradiert worden war, lK~ im folgenden Jahr in seine dort gegründete
dieser Überlegungen ist, dass alle Dinge ihr «Ordnungsprinzip», aber nicht alle ein Akademie (S'hu yzum) zum Vorsitzenden von Diskussionen ein. Wang Gen verfasste
«ursprüngliches Wissen» hahen. 181 dort einen Text, die <<Rede ülier die Umwendung der Anfange» (Fu chu shuo ·@HJJf&),
nach welcher Zo11 Shouyi seine ;\kadcrnie benannte: «Akademie der Umwendung
§ 5 Wang Gens Schule in Taizhou und sein gesellschaftliches Verständnis der Anfange». 1w1 1526 wurde ein weniger bebnnter Schüler Wang Yangmings, Wang
des «ursprünglichen Wissens» Chen ::E ~ (Beiname: Y,whu ~iM, Croßjiihrigkeitsn,une: Gongbi ~~) aus Nanchang
(Provim, Jiangxi), der 1523 in Peking die höchsten Staatsexamen bestanden hattc: 190
\Vir haben schon oben in§ 3 darauf hingewiesen, dass auch Wang Gen ::E ~ (1483- und dort wohl Wang Cen 1iegegnet war, Kreisvorsteher von' faizhon, errichtete in Er-
1541), der nicht Beamter war, in den .Jahren 1/Wischen 1527 und 1536 mehrmals nach innerung an den aus diesem Kreis summenden Song-Konfuzianer llu Anding tWtJE
Nanking kam und an den Aktivitäten der sich dort aufhaltenden Schüler \Mmg Yang- (llu Yuan t~ IJ, ()lJ3--1059) die Anding-J\kadernie 'ti:JEiH% 191 und ernannte Wang Cen
mings teilnahm. Sein WohnortAnfcngchang 'ti:l!l!'.~ (heute Dongtaixian J!H,r~) 184 lag zu ihrem Leiter. 19-' Oder als 1527 \,Vang Gen zusammen mit dem alten Freund Wang
etwa zweihundert Kilometer nordöstlich von Nanking und damals weniger als zwan- Yangmings Zhan Ruoshui 193 sowie Wang Yangmings hervorragenden Schülern Zou
zig Kilometer vom Gelben Meer entfernt. 185 Er befand sich zu dieser Zeit im Kreis Shouyi und Ouyang De und anderen in der «Akademie der neuen Quelle» (Xin quan
Taizhou, etwa sechzig Kilometer nordöstlich der Kreishauptstadt. Dieser Kreis war shu yuan ~~iH%) 194 in Nanking über das Verhältnis zwischen Zhan Ruoshuis Lehr-
Teil der Präfektur Yangzhou, welche die nordöstliche Nachbarpräfektur der Präfektur formel «überall das himmlische Ordnungsprinzip im eigenen Leben erfahren» (sui
Yingtian war, wo die «Südliche Hauptstadt» lag. Wang Gen zog an seinem Wohnort
nicht nur eine beachtliche Anzahl eigener Schüler aus verschiedenen Provinzen an,
sondern auch andere Mitglieder der Schule Wang Yangmings. So besuchte ihn 1536 186 Wang Xinzhai quanji, Nianpu, unter dem 15.Jahr der Jiajing-Ära (1536).
Nie BaosAdoptivsohn, NieJing ä ffil, der 1535 die höchsten Staatsexamen bestanden 187 Siehe unten in diesem Paragraphen, S. 337ff.
hatte und 1536 Kreisbeamter von Dantu in der Präfektur Zhenjiang, der südlichen 188 Siehe unten in dieser Einleitung den§ 7.
189 Wang Xinzhai quan ji, Nianpu, unter dem 4.Jahr der Jiajing-Ära (1525). ..
190 Wang Chen wird in Wang Yangmings «Lebenschronik» unter dem 2. Jahr der Jiajing-Ara (1523)
erwähnt: Quanji,jnan 35, Shanghai 1992, S. 1287. Angaben über Wang Chen finden sich bei Wu
Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 27f.
191 Siehe Wang Gens «Aufzeichnung über die Anding-Akademie» (1526), Wang Xinzhai quan ji, taiwa-
182 Anhang zu Luo Qinshuns Kun zhi ji, hrsg. von Yan L'lO, Beijing 1990, S. 12 lf. nesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 4, S. 3a-4a (S. 95-97).
183 A.a.O., S. 122f. 192 Wang Xinzhai qnanji, Nianpu, unter dem 5.Jahr der Jiajing-Ära (1526).
184 Diese Identifizierung übernehme ich aus Qiu Hansheng: Song Ming lixue shi («Geschichte der Phi- 193 Zu Zhan Ruoshui siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 65f.
losophie der Song- und Ming-Dynastie»), Bd. 2, Beijing, 1987, S. 417, Anm. 1. 194 Die «Akademie der neuen Quelle» war in Nanking der Ort, an dem sich Zhan Ruoshui mit seinen
185 Heute liegt der Ort etwa fünfzig Kilometer vom Meer entfernt, da sich dieses durch Versandung Schülern und Gesprächspartnern zu Lehrgesprächen versammelte: siehe oben in dieser Einleitung
zurückgezogen hat. den§ 3, S. 287.
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chu ti ren tian li lliJJKlll~Ji:)!ll.) und Wang Y·mgmings I ,ehrformel «das ursprüngliche der Gebildeten und Staatsbeamten. 202 Aber \Vang Gen und seine Schüler haben diese
Wissen verwirklichen» diskutierte, verfasste Wang Gen darüber eine entsprechende Ausdehnung wesentlich versüirkt.
Schrift, 195 was er kaum getan hätte, wenn seine Meinung kein Gewicht gehabt hätte. 196 Die Entscheidung, n1it vollem Einsatz Konfuzius zum Vorbild zu nehmen, fasste
Wang Gen hatte viele Schüler. Unter diesen befanden sich solche, welche die Stufen Wang Gen wohl 1507 mit vierundzwanzig Jahren, als er sich wieder auf einer Ge-
der Staatsprüfungen emporstiegen und Beamte wurden wie sein prominenter Schüler schäftsreise in der Provinz Shandong befand. Er besuchte dort in Qufu, der Heimat-
Xu Yue ~ 1lllt aus der ProvinzJiangxi, der 1528 bei ihm zu lernen begann und 1532 stadt von Konfuzius, den großen Konfuzius-' lcmpel und nach gewissen Biographien
in Peking die höchsten Grade erwarb. 197 Unter seinen Schülern befanden sich aber auch die Gedenkstätten der Konfuzius-Schüler Yanzi uncl Zengzi und in Zouxian den
auch gewöhnliche Leute wie der Holzhacker Zlm Shu oder Han Zhen, der Töpfer war 1empcl und das Grab von Mcngzi, 203 und er soll sich gesagt haben: «Konfuzius war
und Ziegel brannte. Seinen zweiten Sohn Wang Bi (1511-1587) ließ Wang Gen dem ein Mensch, ich bin auch ein Mensch.» Nach seiner Heimkehr nach 'faizhou habe
Unterricht von Wimg Yangrnings Assistenten Qian Dehong und W:·111gJi in Shaoxing er den «Klassiker der kindlichen Pietät», die ,<Aussagen (Gespriiche) des Konfuzius»
folgen, aber nicht die Beamtenlaufüahn einschlagen, 198 während sein aus armen Ver- (Lunyu) und das «Lernen der Großen» (Dr1xue) rezitiert, diese Bücher in seine Ärmel
hältnissen stammender Diener I ,in Chun # (Beiname: Dongcheng *:IJ&), nachdem gesteckt und bei Gelegenheit KLindige nach der Bedeutung der darin enthaltenen 'lex-
er ihn unterrichtet hatte, 1532 zusammen mit dem eben erwiihnt:en Xu Yue und auch te gcfragt. 2M Wang Gen legte sich ganz auC einen konfuzianischen Weg fest und hatte
mit Qian Dehong und Wang Ji in Peking die höchsten Staatsprüfungen bestand. 199 gegenüber Daoismus und Buddhismus nicht die Offenheit, die Wang Yangming und
Als \Vang Gen 1519, noch bevor er Wang Yangmin g zum ersten Mal traf, im Kreis besonders dessen Schüler Wang Ji zeigten. 1517 überzeugte er seinen Vater als den
rTaizhou eine Schule eröffnete, brachte er über ihrem Eingang folgende Inschrift an: Vorsteher seiner ( ;roßfamilic, mit der im Dorf üblichen Verehrung von daoistischen
«Das Dao, das ich lehre, steht in der Folge von Fu Xi, Shen Nong, dem Gelben Kai- und buddhistischen Bildwerken aufzuhören und an dessen Stelle den konfuzianischen
ser und der Herrscher Yao, Sl1L111, rfang, Wen und Wu, des Herzogs Zhou 21111 und von Ahnenkult zu pflegen. «In der Folge machte der \':1ter eine Mitteilung an den TTimmel
Konfuzius. Ich werde es jedem, der lernen will, vermitteln, sei er nun alt oder jung, und verbrannte die Bildwerke. Nach den ,Familienregeln> (7ia li *~) von Wcngong
in hoher oder niedriger Stellung, gescheit oder einfaltig.» 201 Die auf Wang Gen zu- [Zirn Xi! stellte er Seelentafeln von vier Ahnengenerationen auf und opferte ihnen.»201
rückgehende sogenannte' 1:1izhou-I ,inie der Schule Wang Yangmings hatte innerhalb I 5] l, mit achtund1,wanzig Jahren, hatte vVang Gen ein 'fraumgcsicht, das zu
dieser Schule, besonders in ihren spiiteren Generationen, großes ({ewicht. Seinem einer Art Frleuchtungserlelmis führte und in seinem Leben wohl sehr wichtig wurde.
Einfluss ist es in hohem Maße zuzuschreiben, dass die Schule Wang 'lmgmings sich Es wird nicht nur in seiner «Lebenschronik», sondern auch von l luang Zongxi in
nicht auf den konfuzianischen Gelehrten- und Beamtenstand beschränkte, sondern
über diesen hinaus wirksam wurde. Zwar war schon Wang Yangrnings Lehre von der
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» von ihren Grundgedanken her nicht 202 \Nang Ji bcrichtd, dass in der Vcrs:u11111lung in der Slrnixi-Akadcmic der Präfektur Ninggno vom
an das gelehrte Studium von vielen Texten gebunden und hatte keineswegs das Beste- Frühling 155 5 (w JicscL'\.ka<lcrnic siehe unten in Jicscr Einleitung Jen§ 9) Du Zhi 1± 1"1: (ßciname:
Liaozhai 7 il!f) zusammen mit einer Gruppe von über zwanzig Leuten aus dem Kreis Taiping fe:.sp: im
hen von Staatsprüfungen und das Erreichen des Beamtenstandes zum Ziel, sondern Süden dieser Präfektur an ihn herantrat und sagte: «Ich habe früher Ihre Lehre vernommen. Nach
stützte sich auf das in jedem Menschen vorhandene «ursprüngliche Wissen» und meiner Rückkehr habe ich sie in meinem Heimatkreis [Taiping] aufgestellt und Versammlungen im
richtete sich grundsätzlich an alle Menschen. Auch unabhängig von Wang Gen und [buddhistischen]Jiulong[-Kloster] .1Llli [Jii] eingerichtet. Am Anfang kamen nur Leute aus dem Stand
der Gebildeten (Je ju zi ~HiFr). Darauf aber hörte man, dass alle Menschen lernen können, Heilige zu
seinen Schülern durchbrach die von ihm ins Leben gerufene Bewegung den Stand werden (ren jie ke yi xue sheng J.... 'ifiiJ J,.ll!JH~), und es kamen auch Bauern, Handwerker, reisende Kauf-
leute und ansässige Händler (nong gong shang gtt IIIilliJi) zu den Versammlungen. Da Sie, mein Herr,
nun glücklicherweise hierhergekommen sind, bitte ich Sie, uns zu belehren, um unsere Einrichtung
zu festigen.» Er (Wang Ji) habe dieser Bitte entsprochen und sei mit vier Leuten, unter ihnen Gong
Anguo ilt ~il (Großjährigkeitsname: Xuanlüe ::Z:Pilf) und WangJifu ::E lJ;l'li (Beiname: Ruzhou )Jl::Jll-),
denen wir noch mehrmals begegnen werden, von Shuixi zur Versammlung ins Jiulong-Kloster bei
Taiping gezogen. «In der Versammlungen warenJung und Alt, über dreihundert Personen. Auch älte-
195 Dieser Text ist in Wang Gens gesammelten Werken unter dem Titel «Rede über das ursprüngliche re Leute aus den Dörfern kamen vornehm zur Versammlung, so dass es ein erfreulicher Anblick war.
Wissen und das himmlische Ordnungsprinzip» erhalten: Wang Xinzhai quan ji, taiwanesischer Nach- Lernende und Mönche des Klosters (an seng Jiiffi) sahen darin Bestätigungen ihrer vorangegangenen
druck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 4, S. 6a-b (S. lülf.). Traumgesichte. Nachdem wir uns während dreierTage versammelt hatten, verließen wir das Kloster,
196 Wang Xinzhai quan ji, taiwanesischer Nach druck der japanischen Ausgabe von 1846, Nianpu, unter und Du Zhi bat mich um ein Wort der Anweisung und Ermahnung. Ich dachte an das alte [Wort],
dem 6.Jahr der Jiajing-Ära (1527). dass die vier [oben genannten] verschiedenen Volksstände verschiedene Arbeiten, aber dasselbe Dao
197 Siehe in Wang Gens «Lebenschronik» unter dem Jahr 1528 und im MRXA,juan 32, Beijing 1985, haben (si rnin yi ye er tong dao 11!1~~~ii'ölql3E!).» Im Folgenden entwickelt Wang Ji diesen Gedanken.
S.724-732. «Schrift zur Versammlung imJiulong[-Kloster] von Taiping», Wang Longxi quan ji,juan 7, S. 29a-b
198 Siehe MRXA,juan 32, Beijing 1985, S. 718-724. (Taipei 1970, S. 51lf.); vgl. a.a.O.,juan 17, Taiping Dushi yi tianji, S. 13a ('Tuipei 1970, S. 1215).
199 MRXA,juan 32, Beijing 1985, S. 744f. 203 Siehe bei Übelhör, Monika, a.a.O., S. 18.
200 Die Genannten sind alles Vorbilder der konfuzianischen Tradition. 204 Nianpu, unter dem 2.Jahr der Zhengde-Ära (1507).
201 Zitiert bei Übelhör, Monika: Wang Gen und seine Lehre, Berlin 1986, S. 25. 205 Nianpu, unter dem 12.Jahr der Zhengde-Ära (1517).
316 317

seinen «Dokumenten der Konfuzianer der Ming-Dynastie» geschildert. 206 Es erinnert «Gespriichen des Konfuzius>> reagiert: «Der Edle geht in seinem Denken nicht über
in seinem intensiven Charakter an Wang Y'11lgmings 'Traumerlebnis in Longehang von seine Stellung hinaus.» 211 \Vang Gen antwortete: «Obschon ich nur ein gemeiner
1508. 207 W.1ng Gen träumte, der Himmel stürze ein und alle Menschen kämen schrei- Mann aus dem Volk bin, habe ich doch keinen Tag das dem Herrscher und dem Volk
end herbeigerannt. Er hob allein mit großer Anstrengung den Himmel wieder hoch. gemeinsame Herz von Yao und Shun 212 vergessen.» Wang Yangming: «Slum lebte
Er sah auch, dass Sonne, Mond und die Sternbilder aus ihrer Ordnung geraten waren in den Bergen zusammen mit wilden' l'ieren, Pfbnzen und Felsen, erfreute sich und
und rückte sie mit seinen IIänden wieder zurecht. Alle Menschen tanzten vor Freude dachte nicht an das Reich.» \Vang Gen antwortete: «Zu jener Zeit regierte Yao das
und dankten ihm. «Als er aufwachte, war er wie vom Regen mit Schweiß überlaufen. Reich», womit er meinte, dass in der gegerrwiirtigen Zeit nicht mehr jene idealen
Plötzlich wurde er sich des Grundes seines Herzens völlig bewusst (dunjue xin ti dang politischen Zustände herrschten. Dann seien die beiden auf das «ursprüngliche
ran iJi1l:5l!U,,R5iiiJ~), und die Gedanken der Einheit aller Wesen (wan wu yi ti M"!J@-R) Wissen» zu sprechen gekommen. D:mrnfüin unterwarf sich Wang Gen. Er sagte:
und der Abhängigkeit der Welt vom eigenen Selbst (yu zhou zai wo !:j,! iil 1±~) wurden «Ich reiche nicht an die Einfachheit und Direktheit [Ihrer LehreJ heran», und
mächtig. In der Folge schrieb er an seine Zimmerwand: <Im 6.Jahr der Zhcngde-Ära «er verbeugte sich nnd nahm einen rangniedrigeren Sitz ein». Am nächsten 'E1g
[l 51 I] befand ich mich während dreieinhalb Monaten im Zustand der Menschlichkeit sei er wiedennn bei W,mg Yangming erschienen und habe ihm gesagt: «Ich habe
(ren 1=).>»2118 In den frilgenden.Jahrcn entwickelte W,rng Gen, wahrscheinlich gest:irkt fortlaufend darüber nachgedacht, was ich von Ihnen gehört habe; ich habe mich
durch dieses· Ihmrnerlebnis, ein großes Sendungsbewusstsein und eröffnete 1519 seine zu leichtsinnig vor Ihnen verbeugt. Ich bitte Sie, erneut mit mir zu diskutieren!»
konfuzianische Schule. Wang Y:1ngming habe geantwortet: ,<\;\/enn etw,1s wirklich ,T1 Zweifeln Anlass gibt
Im lkrbst 1520 lernte er Wang Yangrning kennen und anerkannte ihn als und Sie dann zweifeln, wenn es etwas Vertranenswürdigcs ist und Sie dann glauben,
seinen J,ehrer. Gemäß der Schilderung in seiner «I ,ebenschronik» hatte der Dorf- wenn Sie mir nicht einfach leichtfertig folgen, dann ist dies rneine große Freude.»
schullehrer seines Wohnortes, der aus der Priifektur Ji'an in der Provinz Jiangxi Darauf habe Wang Gen wieder den ranghöheren Sitz eingenommen, und sie lütten
stammte, 2119 Wang Gen über die «Aussagen des Konfuzius» (l,unyu) sprechen ge- wiederum von Anfang bis Ende alles durchdiskutiert. Schließlich «gab er sich im
hört und ihn auf die Ähnlichkeit seiner Lehre mit derjenigen von Wang Yangming Herzen viillig geschlagen» (xin da Ji, 'L,'J,J~) 1md ,rnerkannte Wang Yangming mit
aufmerksam gemacht. Wang Gen soll ihm geantwortet haben: «Ist chis wirklich de1n zeremoniellen Verhalten eines Schülers als Lehrer. Fr sei sieben 'E1ge bei ihm
so? Zwar spricht Ilerr W.rng IYangmingJ über das <nrspriingliche Wissen>, und ich geblieben, und als er sich darauf von ihm verabschiedete, habe dieser ihn darauf
spreche über die <Erforschung der Dinge (Berichtigung der I Iandlungen: ge wu)>. hingewiesen, dass Mengzi sieben Jahre im Lrnde Ln [beim Enkel von Konfuzius!
Aber wenn wir übereinstimmen, dann hat der liinuncl llerrn Wang zu den künfti- studiert und so sein Lernen vollendet hatte. \ \!ang (;en entschuldigte sich damit,
1

gen Geschlechtern des Reiches gcs:mdt; wenn wir nicht übereinstimmen, dann hat dass er nicht wage, gegen den Befehl seines Vaters seine Rückkehr zu verschieben.
der llimmcl mich zu Herrn Wang gesandt.» Sofort (ji ri ~P EI) habe er ein Schiff Nach dem Abschied habe \\lang Yrngming 1/U seinen Schülern ges,1gt: «Als ich [im
gekauft und sei nach dem etwa achthundert Kilometer entfernten Nanchang, der vergangenen Jahr Jen reoellischen 1:1rinzen von Ning Zhu] Chenhao festnahm,
Hauptstadt der ProvinzJiangxi, gefahren, wo Wang Yangming damals Gouverneur wurde ich dabei nicht bewegt. Nun wurde ich aber durch diesen Mann bewegt. Das
war. Im neunten Mond (Oktober oder November 1520) sei er in Nanchang ange- ist einer, der wahrhaft lernt, ein heiliger Mensch zu werden.»213
kommen, habe altertümliche Gewänder angezogen, habe sich bei Wang Yangming Es ist auffallend, wie dieser Besuch Wang Gens bei Wang Yangming und das Ent-
gemeldet und sei von diesem empfangen worden. Im Gespräch mit ihm habe er stehen ihres Schüler-Lehrer-Verhältnisses als ein Wettkampf geistiger Überlegenheit
sich auf den ranghöheren Sitz gesetzt (shang zuo J:~) und zu ihm gesagt: «Gestern und als eine Unterwerfung von Wang Gen dargestellt wird. Schon die Reise Wang
träumte ich, dass ich Sie hier besuche.» Wang Yangming antwortete: «Der wahre Gens zu Wang Yangming wird in seiner «Lebenschronik» nicht durch den Wunsch
Mensch hat keine Träume.» Wang Gen erwiderte: «Wie kommt es dann, dass motiviert, etwas von diesem zu lernen, sondern durch die Absicht zu erfahren, wen
Konfuzius den Herzog von Zhou im Traum sah?» 210 Wang Yangming: <<Hier ging von ihnen beiden «der Himmel als Lehrer zu den künftigen Geschlechtern gesandt
es um seine Wahrheit.» Darauf sei Wang Gen auf die politischen Angelegenheiten hat>>. Obschon Wang Gen sich im Herbst 1520 Wang Yangming unterwarf, konnte er
des Reiches zu sprechen gekommen. Wang Yangming habe mit einem Zitat aus den sich diesem gegenüber wohl nie vom Gefühl der Konkurrenz befreien. Er wird nach

211 Lunyu, 14. Buch, Kap. 27f.: «Konfuzius sagte: <Wer nicht die Stellung dazu hat, der kümmert sich
206 MKXA,juan 32, Einleitung zum Abschnitt über Wang Gen, Beijing 1985, S. 709. nicht um die Regierung.> [Sein Schüler] Zengzi sagte: <Der Edle geht in seinem Denken nicht über
207 Siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 72f. seine Stellung hinaus.»>
208 Nianpu, unter dem 6.Jahr der Zhengde-Ära (1511). 212 Yao und Shun sind zwei einander folgende ideale, wohl legendäre Herrscher des Altertums.
209 Er hieß Huang Wengang M >i:~L 213 «Lebenschronik» von Wang Gen, unter dem 15.Jahr der Zhengde-Ära (1520), Wang Xinzhai quan
210 Anspielung auf Lunyu, 7. Buch, Kap. 5. ji, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 1, S. 4b-5a (S. 20f.).
318
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dem Tod Wang Yangmings erklären, dass er diesen in seiner Lehre übertroffen und haben. Darauf sei Wang Gen wieder nach Hause zurückgekehrt und habe sich einen
allein das Niveau von Konfuzius erreicht habe. mit Schilf bereiften altertümlichen Wagen herrichten und ihn mit folgender Aufschrift
Seinen persönlichen Namen «Gen ~» erhielt er 1520 bei diesem ersten Treffen versehen lassen: «Das Reich ist eines; alle Wesen sind eine einzige Wirklichkeit (wan
von Wang Yangming. Er ist in der Folge diesem Namen treu geblieben. Er hatte zuvor wu yi ti N!IWJ-lll). Ich ziehe in die Bergwälder und versuche, die Einsiedler zu treffen;
«Yin tl» geheißen, was «Silber» und «Geld» bedeutet. Wang Yangming entfernte ich fahre zu den Markplätzen und Brunnen, um das dumme Volk aufzuklären. Indem
aus dem komplexen Zeichen dieses Wortes den linken Bestandteil «1i», der für sich ich dem heiligen Dao folge, wirken Himmel und Erde nicht gegen mich; indem ich das
die Bedeutung von <<Metall» hat, und gewann dadurch den Namen «Gen ~»- Dieses <ursprüngliche Wissen verwirkliche> (zhi liang zhi ~5l!m), ist das Wirken der lichten
Zeichen ist wichtig im «Buch der Wandlungen» (Yijing) und bedeutet «Innehalten». und dunklen Geister unermesslich. Ich wünsche, dass im ganzen Reich die Menschen
Wang Yangming wollte wohl durch diese Namensänderung kundtun, dass sein Schüler Gutes tun; wenn ich meinen Aufruf nicht so weit trage, kann dieses Ziel nicht erreicht
nicht primär ein Händler, sondern ein Mann des Dao sei. Es ist mir nicht bekannt, werden. Werde ich anerkannt, so nur deshalb, weil ich solches tue; werde ich verurteilt,
dass Wang Yangming auch bei anderen seiner Schüler Namensänderungen vornahm. so nur deshalb, weil ich solches tue.»219
Wohl Ende 1522 oder Anfang 1523 fuhr Wang Gen wieder zu Wang Yangming, Bevor er von zu Hause auf diesem Wagen wegfuhr, schrieb er die «Geschichte
der sich damals bei sich zu Hause in Shaoxing aufhielt. Er kann auch damals nicht von der Grundel und den Aalen» (Qiu shan shuo tifk!!IDt). Diese Geschichte zeigt
lange bei Wang Yangming geblieben sein. 214 Denn dieser verlor Ende Februar oder seine damalige Geistesverfassung: «Ein Mann des Dao ging müßig in der Stadt
März 1522 seinen Vater Wang Hua, der Minister gewesen war. Er war von diesem Tod herum und sah vor einem Laden einen Eimer mit lebenden Aalen. Niedergedrückt
sehr betroffen und als ältester Sohn in der Zeit danach wohl auch sehr mit familiären und verwickelt schienen sie zu verenden. Plötzlich sah er, wie aus ihrer Mitte eine
Angelegenheiten beschäftigt. Zudem wurde er damals krank und bettlägerig und Grundel herauskam und sich in allen Richtungen ununterbrochen wie ein göttlicher
schrieb an die Wand seines Hauses, dass er aus Kummer krank sei und nur dringend Drache überall hin und her bewegte. Durch die Grundel konnten sich die Aale wieder
notwendige Besuche empfangen und keine Lehrgespräche (tun shuo ~IDt) führen bewegen, bekamen Luft und Lebenskraft. Dass die Aale sich bewegten, dass sie Luft
könne und daher die Besucher bitte, nach Hause zurückzukehren. 215 Ende 1522 oder bekamen und am Leben blieben, war alles die Leistung der Gnmdel. Aber es war auch
Anfang 1523 muss Wang Gen Shaoxing schon wieder verlassen haben, da er sich im die Freude der Grundel; sie hatte es nicht aus bloßem Bedauern mit diesen Aalen so
Frühjahr 1523 (Februar/März) in Peking au:fhielt. 216 Diese Reise Wang Gens nach getan (fei zhuan wei min ci shan er ran ~l=:-~fl!Utttiiffi~) und auch nicht, weil sie eine
Peking zeigt am anschaulichsten sein enormes Sendungsbewusstsein. Belohnung von ihnen erwartete. Sie tat nichts anderes, als selbst ihrer eigenen Natur
Nach Wang Gens «Lebenschronik» soll dieser damals in Shaoxing zu Wang zu folgen (zi shuai qi xing er yi ~ ~;l"t lt im 8 ). Der Mann des Dao war davon innerlich
Yangming gesagt haben: «Das Lernen [des Konfuzius] ist seit tausend Jahren un- bewegt und sagte: <Gleicht nicht mein Zusammenleben mit meinen Artgenossen
terbrochen. Der Himmel hat meinen Lehrer unterrichtet, es wieder bekannt zu zwischen Himmel und Erde dem gemeinsamen Leben der Aale und der Grundel in
machen. Kann es sein, dass es im Reich Orte gibt, die es nicht vernehmen! Daher diesem Eimer? Ich habe gehört, dass sich der große Mensch mit Himmel und Erde
möchte ich fragen: Als Konfuzius seinerzeit das Reich bereiste, wie war da sein Wa- und allen Wesen zu einer einzigen Wirklichkeit macht (yi tian di wan wu wei yi ti
gen gebaut?»211 , 218 Wang Yangming soll auf diese Frage nur mit Lachen geantwortet W.~:l:tkN!lblJ~-lll), sich für Himmel und Erde entscheidet und seine Bestimmung im
Dienste des Volkes sieht (wei sheng min li ming ~~~Sz:.frs). Es geht doch ungefähr
darum!> So dachte er, einen Wagen herzurichten und seine Bündel zu schnüren, und
214 In Wang Yangmings «Lebenschronik» wird unter dem 1.Jabr der Jiajing-Ära (1522) kein Aufenthalt fasste großherzig den Entschluss, überallhin zu fahren. Nach einem Augenblick sah
von Wang Gen vermerkt, während für die nächsten beiden Jahre solche Aufenthalte angegeben sind. er plötzlich, dass sich Wind und Wolken erhoben und ein Gewitter ausbrach. Die
215 «Lebenschronik» (Nianpu) von Wang Yangrning, unter dem 1.Jahr der Jiajing-Ära (1522), Quanji,
juan 35, Shanghai 1992, S.1285. Grundel benutzte diese Gelegenheit, sprang in den Himmelsfluss und warf sich ins
216 Die «Lebenschronik» von Wang Gen datiert diese Reise auf das l.Jahr der Jiajing-Ära, das vom 28. Ja- große Meer. Sorgenfrei ging sie weg, in völliger Unabhängigkeit und grenzenloser
nuar 1522 bis zum 6. Februar 1523 dauerte. Die «Geschichte der Philosophie der Song- und Ming- Freude. Auf die Aale in ihrem Behälter zurückblickend, dachte sie an ihre Rettung.
Dynastie» von Hou Wailu, Qiu Hansheng et al. meint, dass es sich bei dieser Datiemng um einen Irrtum
handle, da sich Wang Gen nachweislich erst im Frühjahr von 1523 in Peking aufhielt. Am Aufenthalt Sie rüttelte sich auf, verwandelte sich in einen Drachen, ließ wiederum ein Gewitter
Wang Gens in Peking im Frühjahr 1523, als dort wieder die höchsten Staatsprüfungen stattfanden, ist. ausbrechen und stieß den mit Aalen gefüllten Eimer um. Da freuten sich die Ver-
aufgrund der in diesem Werk zitierten Quellen nicht zu zweifeln. (Bd. 2, Beijing 1987, S. 425,Anm. 1). wickelten und Niedergedrückten und hatten neue Lebenskraft. Sobald ihre Lebens-
~her es ist trotzdem möglich, ja wahrscheinlich, dass Wang Gen schon Ende des l.Jahres der Jiajing-
Ara, also Ende 1522 oder Anfang 1523, seine abenteuerliche Reise zur Hauptstadt des Reiches antrat.
217 Konfuzius war während dreizehn Jahren (497-484 v.Chr.) im Reich hemmgereist und hatte versucht,
die Herrschenden von seiner Lehre zu überzeugen.
218 Wang Gens «Lebenschronik», unter dem 1.Jahr der Jiajing-Ära. In der mir vorliegenden Fassung 219 In meiner Ausgabe von Wang Gens «Lebenschronik» ist diese Wagenaufschrift nicht enthalten. Ich
1.er «Lebenschronik» ist der Satz mit dem Wagen des Konfuzius nicht enthalten. Ich zitiere nach übersetze nach ihrer Wiedergabe in der «Geschichte der Philosophie der Song- und Ming-Dynastie»
Ubelhör 1986, S. 32. von Hou Wailu, Qiu Hansheng et al., ßd. 2, Beijing 1987, S. 425f.
320 321

geister wieder erwacht waren, kehrten sie gemeinsam durch den Yangze-Strom in:s so gab es unter den Stimmen den Klang
eines Diamanten.»226 Wang Gen plante auch,
große Meer zurück. Der Mann des Dao freute sich darüber, stieg auf seinen Wagen in der Nähe von Wang Yangmings Wohnung eine Unterkunft für sich und andere
und fuhr los.»220 Schüler zu bauen. 227 Er tritt in den aufgezeichneten Gesprächen Wang Yangmings
Er fuhr auf seinem Wagen direkt nach Peking und versammelte auf dem Weg nur zwei Mal auf. 228
Leute, um sie zu unterrichten. Im Frühjahr 1523 erschien er in Peking, als dort Nach diesem Studium bei Wang Yangming in Shaoxing finden wir Wang Gen,
wieder die im Rhythmus von drei Jahren durchgeführten höchsten Staatsprüfungen wie bereits erwähnt, 1525 in Guangde in der von Zou Shouyi neugegründeten Fuzhu-
stattfanden221 (1523 fielen sie in die Zeit zwischen dem 23. Februar und dem 1. März). Akademie, 1526 leitete er in seinem Heimatkreis die Anding-Akademie, 1527 nahm er
Für diese Prüfungen strömten jeweils Tausende von Kandidaten aus allen Teilen des in Nanking an Diskussionen mit Zhan Ruoshui, Zou Shouyi, Ouyang De teil. 1528,
Reiches in die Hauptstadt, und es fanden unter ihnen viele Kontakte statt. Wang Gen als Wang Yangming bereits im fernen Guangxi war, von wo er nicht mehr lebend
erregte mit seiner antiken Tracht und seinem Gefährt viel Aufsehen und soll die Lehre zurückkehren sollte, unterbreitete Wang Gen in Shaoxing seinen «Mitschülern», das
Wang Yangmings gegen die Vertreter Zhu Xis verteidigt haben. Anderen Schülern heißt wohl vor allem Qian Dehong und Wang Ji, den sich auf den «Großen Anhang»
Wang Yangmings, die sich für diese Prüfungen damals in Peking aufhielten, Ouyang des «Buches der Wandlungen» abstützenden Gedanken, 229 dass «im alltäglichen un-
De, Wang Chen, Wei Liangbi und Huang Zhi (alle aus der Provinz Jiangxi), waren gekünstelten Leben des Volkes das göttliche Gesetz befolgt werde» (bai xing ri yong
diese Auftritte peinlich, und sie versuchten, Wang Gen zur Heimreise zu bewegen. chu bu jia an paiju shi shun di ce stt S J:IHl1'fi:tc~~'l!lJ:IHIJt* Jl.~). 230 Auf diesen Gedanken,
Auch Wang Yangming selbst schrieb an Wang Gen einen rügenden Brief. Nach einem der nicht nur für die Taizhou-Linie der Schule Wang Yangmings sehr wichtig werden
Monat in Peking fuhr Wang Gen wieder in den Süden zurück. 222 Was die genauere wird, kommen wir unten in diesem Paragraphen noch zurück. Im Dezember 1529
Absicht Wang Gens in Peking war, ist nicht deutlich. Ob er daran dachte, den jungen nahm Wang Gen an Wang Yangmings Beerdigung in Shaoxing teil und half danach
Kaiser zu belehren, ist fraglich. Sicher aber rechnete er mit dem großen Auditorium mit, dessen Familienangelegenheiten zu regeln. Wie ebenfalls schon erwähnt, finden
der sich damals in der Hauptstadt aufhaltenden Examenskandidaten. wir ihn 1530, 1533, 1534 und 1536 wieder bei Versammlungen in Nanking.Aber seit
Nach dieser Fahrt nach Peking lernte Wang Gen während etwa anderthalb 1526 hielt er sich wahrscheinlich doch während der meisten Zeit zu Hause im Kreis
Jahren (zweite Hälfte 1523 und 1524) bei Wang Yangming in Shaoxing. 223 Als er Taizhou auf, wo ihn seit diesemJahr immer mehr Schüler aufsuchten. Ab 1527 kamen
wieder in Shaoxing erschien, verweigerte ihm Wang Yangming zuerst den Kontakt. sie nicht nur aus dem Kreis Taizhou, sondern auch aus anderen Orten, ab 1528 auch
~)
« Yangming fand seine Ambitionen zu hoch (.yi qi tai gao ~~* und sein Verhalten aus fremden Provinzen, hauptsächlich aus Jiangxi. Wang Gen muss also damals als
zu exzentrisch und wies ihn sehr in die Schranken.»224 Erst als Wang Gen den Fehler Lehrer zu Ruhm gelangt sein. Im Herbst 153 6 besuchte ihn der kaiserliche Inspektor
jener Konfuzius imitierenden Reise eingestand und sich flehend auf die Milde von Hang Yuan jjt ~ (Beiname: Jueshan tbl.J), diskutierte mit ihm und ließ für ihn die
Konfuzius berief, habe sich Wang Yangming ihm wieder zugewandt. 225 Die Jahre «Akademie der östlichen Läuterung» (Dong tao jing she JIUtill~tf) errichten, die meh-
1523 und 1524 waren die Zeit, während der Wang Gen wirklich bei Wang Yangming rere Dutzend Raumeinheiten (shu shi ying lk+ffl.)2 31 für die Unterkunft der Schüler
lernte. Er war damals schon vierzig bzw. einundvierzig Jahre alt. Er scheint sich in bot. 232 Hang Yuan stammte aus der Präfektur Huizhou ffiHM im direkten Verwaltungs-
dieser Zeit ziemlich konstant in Shaoxing aufgehalten zu haben. Er hatte seinen da- gebiet von Nanking (heute im Süden der ProvinzAnhui) und hatte 1532 zusammen
mals zwölf- bzw. dreizehnjährigen Sohn Wang Bi bei sich: «Immer wenn dieser an mit Wang Gens Schülern Xu Yue und Lin Chun sowie mit Qian Dehong und Wang
Lehrversammlungen teilnahm, sang er mit seiner Knabenstimme die Lieder mit, und

226 MRXA.,juan 32, Abschnitt über Wang Bi, Beijing 1985, S. 718. Huang Zongxi schreibt in dieser
Kurzbiographie über Wang Bi, dass dieser mit acht Jahren seinem Vater nach Shaoxing folgte. Diese
Angabe ist zeitlich ungenau, da 1519, als Wang Bi acht Jahre als war, sein Vater noch keinen Kontakt
220 Wang Xinzhai quan ji, taiwanesischer Nachdruck der japa~_ischen Ausgabe von 1846,juan 4, S. 2a-b mit Wang Yangming hatte und dieser damals nicht in Shaoxing war. Der Bericht könnte auf die
(S. 93f.); siehe auch Nianpu, unter dem l.Jahr der Jiajing-Ara (1522). Nach 4~esem Gleichnis folgen Jahre 1523 und 1524 zutreffen, als Wang Bi zwar einige Jahre älter war, aber immer noch eine helle,
in der Geschichte noch einige Zeilen. Der ganze Text ist auch übersetzt bei Ubelhör, Monika: Wang ungebrochene Stimme hatte.
Gen und seine Lehre, Berlin 1986, S. 32f. 227 Siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S.101,Anm. 234.
221 Dies geht klar aus den Quellen hervor, welche die «Geschichte der Philosophie der Song- und Ming- 228 Chuanxilu III, Nr. 312 und Nr. 313, Quanji, Shanghai 1992, S. 116.
Dynastie» von Hou Wailu, Qiu Hansheng et al. zitiert: siehe oben, Anm. 216. 229 Xici !, Kap. 5: «Das gewöhnliche Volk entspricht ihm [dem Dao] täglich, ohne sich dessen bewusst
222 Angaben gemäß Wang· Gens «Lebenschronik». zu sein.»
223 Siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 102. 230 Wang Gens «Lebenschronik», unter dem 7.Jahr der Jiajing-Ära (1528). Die obigen chronologischen
224 Nach Wang Gens «Lebenschronik»; zitiert im MRXA.,juan 32, Beijing 1985, S. 71 O; Hou Wailu, Qiu Angaben finden sich alle in seiner «Lebenschronik».
Hansheng et al., Ed. 2, Beijing 1987, S_._ 426. 2 31 Ein ying 8 ist eine durch vier tragende Eckpfeiler oder Ecksäulen, aber nicht immer mit Wänden
225 MRXA.,juan 32, Beijing 1985, S. 710; Ubelhör 1986, S. 34f.; Hou Wailu, Qiu Hansheng et al., Bd. 2, abgegrenzte Raumeinheit der chinesischen Architektur.
Beijing 1987, S. 426. 232 «Lebenschronik», unter dem 15.Jahr der Jiajing-Ära (1536).
322 323

Ji in Peking die höchsten Staatsprüfungen abgelegt. Er war ein bedeutender Schüler Noch vor seiner Bekanntschaft mit Wang Yangming hatte Wang Gen zwei
von Wang Yangmings Freund Zhan Ruoshui, pflegte regen Kontakt mit den Schülern kurze Lehrtexte geschrieben, beide über die kindliche Pietät zu den Eltern, die ihm
Wang Yangmings und versuchte, die Lehren der beiden Meister zu versöhnen. Im sehr wichtig war und in deren Praxis er sich auch selbst auszeichnete. Schon bei
Herbst 1549 wird er an der großen Versammlung der Schule Wang Yangmings im seiner Fahrt nach Peking Anfang 1523 und dann nach seinem Studium bei Wang
Chongxuan-Tempel beim «Drachen-und-Tiger-Gebirge» im Norden der Provinz Yangming in den Jahren 1523/24 übernahm er Wang Yangmings Begriffe des «ur-
Jiangxi teilnehmen. 233 1538 erkrankte Wang Gen, so dass er bei sich zu Hause inAn- sprünglichen Wissens» in seine eigene Lehre. Er verstand wie Wang Yangming
fengchang bleiben musste. Er empfing aber immer noch Schüler und diskutierte mit diesen Begriff als «moralisches Bewusstsein (Gewissen)», wie sein «Lied über die
ihnen stundenlang. Er starb am 2.Januar 1541 234 mit siebenundfünfzig Jahren, also in Freude der Lernens»237 von 1526 und auch der ein Jahr früher für die Akademie
einem ähnlichen Alter wie Wang Yangming. von Zou Shouyi in Guangde verfasste Text zeigt, nach welchem dieser seine Akade-
Wang Gen muss nach den biographischen Dokumenten eine sehr beeindrucken- mie benannte. Diese kurze Schrift von 1525 ist wohl der früheste Text, in welchem
de Persönlichkeit gewesen sein. 235 Er hatte etwas Kühnes, Unerschrockenes, Furchtlo- Wang Gen sein Verständnis des «ursprünglichen Wissens» ausdrückt. Er trägt den
ses an sich und war von ungewohnt großer physischer Gestalt. Er war auch großzügig. Titel «Rede über die Umwendung der Anfänge» (Fu chu shuo ~~JJ~) und lautet:
Er kannte wohl keine Minderwertigkeitsgefühle und kann kaum zu den Zweiflern «Die Regierung des Reiches hat eine Grundlage (ben *), welche [im Daxue] als die
und Zauderern gehört haben, sondern hatte großes Selbstvertrauen, war selbstsicher, eigene Person (shen ~) bezeichnet wird. Die Grundlage muss ein Prinzip (duan Jii\\l)
wirkte entschlossen und überzeugt und vermochte auch andere Leute leicht zu über- haben; dieses Prinzip besteht in nichts anderem als darin, den <Willen wahrhaftig
zeugen. In Huang Zongxis «Dokumenten der Konfuzianer der Ming-Dynastie» steht zu machen> (c~eng yi filt~). Die Wahrhaftigkeit des Willens besteht in der Um-
über seine Überzeugungskraft: «Nach [Wang] Yangming hatte Longxi [WangJi] die wendung (im Rückgängigmachen) der eigenen nichtguten Bewusstseinsregungen
größte Disputierfähigkeit (bian cai ~;;J-), doch glaubten ihm nicht alle. Nur der Herr (fu qi bu shan zhi dong ~!!1'~ zJJJ). Die nichtguten Regungen sind verblendet
[Wang Gen] vermochte im Nu am meisten Leute zur Einsicht zu bringen (xingjue (wang ~). Wenn das Verblendete umgewendet (rückgängig gemacht) ist (wang fu
ren zui duo ~ JiAm::$, ).»236 ~~), besteht keine Verblendung mehr; und wenn keine Verblendung mehr besteht,
Wang Gen war auch dadurch außergewöhnlich, dass er, soweit mir bekannt ist, besteht Wahrhaftigkeit (cheng filt). Die Wahrhaftigkeit ist die Grundlage der heiligen
als einziger direkter Schüler Wang Yangmings erklärte, dass er über die Lehre seines Menschen. Die Heiligkeit besteht in nichts anderem als in der Wahrhaftigkeit (sheng
Meisters hinausgehe. Es gab Schüler, die sich streng an die Aussagen Wang Yang- eh eng er yi !l[filtiffi 8 ). Unser Lernen, das zum heiligen Menschen führt, besteht in nichts
mings zu halten versuchten, etwa Zou Shouyi, 0uyang De und Qian Dehong. Andere anderem als in der Umwendung (im Rückgängigmachen) der eigenen nichtguten
bewegten sich in ihren begrifflichen Formulierungen gegenüber Wang Yangming Regungen. Dasjenige, das [in unserem Herzen] um die eigenen nichtguten Regungen
sehr frei, erklärten aber immer, seinen grundlegenden Intentionen zu entsprechen, weiß (sich ihrer bewusst ist), ist das <ursprüngliche Wissen> (liang zhi ~~). Wenn man
wie Wang Ji. Andere wichen faktisch und auch bewusst von gewissen Aussagen Wang um die eigenen nichtguten Regungen weiß und sie umwendet (rückgängig macht), so
Yangmings ab, beriefen sich aber in ihren Meinungen auf andere Aussagen von die- ist das die <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> (zhi liang zhi ~~~),wodurch
sem, zum Beispiel Nie Bao. Luo Hongxian fand, dass Wang Yangming die Probleme die [nichtguten] Anfänge umgewendet (rückgängig gemacht) werden (yi fu qi chu
noch nicht zu Ende gedacht hätte, forderte Wang Yangmings vertrauteste Schüler ~~!OJJ).»238 Dieser Text orientiert sich am ersten Kapitel des Daxue und ist ganz
auf, hier weiterzugehen, wagte es selbst aber nicht, eine verbesserte Lehre aufzu- im Geiste Wang Yangmings, der in seiner späteren Interpretation dieses Kapitels die
stellen. Nur der sendungsbewusste, kühne, aber auch etwas naive Wang Gen erhob «Wahrhaftigkeit des Willens» und das «Wissen» im Sinne des «Gewissens» (liang
einen solchen Anspruch, ohne allerdings sein Schülerverhältnis zu Wang Yangming zhi ~;:a) ins Zentrum rückte, und er ist auch im Geiste von dessen treuem Schüler
zu verleugnen. Zou Shouyi geschrieben. Denn Zou Shouyi betonte Wang Yangmings Gedanken
der Förderung («Verwirklichung») des «Gewissens» durch die «Achtsamkeit und
Furchtsamkeit» (jie shen kongju 11lt'li~11) gegenüber den eigenen Intentionen (Kei-
233 Siehe unten in diesem Teil II, Kap. 4, § 1, S. 634. Zu Hong Yuan siehe MRXA,juan 39, Beijing 1985, men des Handelns), um das schlechte Handeln schon in seinen «Anfängen» abwenden
S. 928-949; Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 74. (umwenden) zu können. 239
234 Im DMB gibt Julia„Ching in ihrem Artikel über Wang Gen als Todestag den 4. Januar 1541 an
(S. 1382). Monika Ubelhör zweifelt in ihrer Monographie über Wang Gen an diesem Datum, da
am 4.Januar 1541 in Nanking bereits Trauerfeiern für ihn stattfanden (S. 170, Anm. 143). Ich stütze 2 37 TtVtlng Xingzhai quan ji, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 4, S. 5b
mich für den 2.Januar 1541 auf die Angaben in der oben zitierten «Geschichte der Philosophie der (S. 100).
Song- und Ming-Dynastie» von Qiu Hansheng, Bd. 2, Beijing 1987, S. 417, Anm. 1. 238 A.a.O.,juan 4, S. 3a (S. 95).
2 35 Eine ausführliche Biographie präsentiert Monika Übelhör in ihrer vorzüglichen Monographie über 239 Zu Zou Shouyi siehe unten in dieser Einleitung den§ 7; zu Wang Yangming Lehre von der «Acht-
Wang Gen, Berlin 1986, S. 11-44. samkeit und Furchtsamkeit» gegenüber den eigenen «nicht gesehenen und nicht gehörten» Bewusst-
236 MRXA,juan 32, Beijing 1985, S. 710. seinsregungen siehe Teil I, Kap. 2, § 3.
324 325

Doch nur ein Jahr später, 1526, verfasste Wang Gen zum Abschied des Yang- und wenn man sie achte, werde man nicht wagen, sie despektierlich (man 'li) zu behan-
ming-Schülers und Kreisvorstehers von Taizhou Wang Chen (Beiname: Yaohu), der deln, und wenn man sie nicht hasse und nicht despektierlich behandle, dann würden
dort die Anding-Akademie gegründet hatte, einen weit umfangreicheren Text, in auch sie einen selbst nicht hassen und nicht despektierlich behandeln, und so würde
welchem er das «ursprüngliche Wissen» mit der Idee der «Selbsterhaltung» (bao shen die eigene Person erhalten (ze wu shen bao yi Jl.~~--lj~). «Das ist die Menschlichkeit
-/j•) kombiniert und ihm eine ganz verblüffende Gestalt verleiht. Zwar beruft sich (ren 1=), das ist das Dao der Einheit aller Wesen (wan wu yi ti zhi dao MWJ-llziä).»244
Wang Gen in diesem Text, und auch in anderen, 240 wie Wang Yangming auf Mengzis Hier scheint die Gedankenreihe ihr Ziel zu erreichen: Die «Klugheit und Weisheit»
Bestimmung dieses Ausdrucks als ein «Wissen, ohne zu überlegen, und ein Können, des «ursprünglichen Wissens» scheint darin zu bestehen, dass es nicht nur die eigene
ohne zu lernen», 241 aber was er nun daraus macht, zielt in eine von Wang Yangming Person, sondern auch die anderen Menschen liebt und achtet. Denn dadurch, dass
sehr verschiedene Richtung. Dieser Text heißt: «Abhandlung über die kluge und weise ich die anderen Menschen liebe und achte, «müssen» (bi if) diese auch ihrerseits
Erhaltung der eigenen Person» (Ming zhe bao shen lun RJ.lffi",fj•~). 242 Er beginnt mit mich lieben und achten, was die Erhaltung der eigenen Person gewährleistet. Wenn
den Sätzen: «Das <Kluge und Weise> (ming zhe zhe aJ.j fil .i~") ist das <ursprüngliche Wis- das Streben nach Selbsterhaltung sich auf das Lieben und Achten der eigenen Person
sen> (liang zhi ~~)- Das, was <klug und weise die eigene Person erhält (bewahrt)> (bao beschränkt, dann kann es nicht zum Erfolg führen und wäre damit nicht ein «kluges
shen -/j•), ist das <ursprüngliche Wissen und ursprüngliche Können> (liang zhi liang und weises Wissen», sondern vielmehr unklug und dumm. In diesem Sinne schreibt
neng ~~ ~frtl). Dieses Wissen und Können besitzen alle Menschen. Die heiligen Men- Wang Gen einige Zeilen später: «Wenn man sich selbst erhalten will und dabei nicht
schen und wir selbst sind darin gleich.» Für die Begriffe der «Klugheit und Weisheit» weiß, die anderen Menschen zu lieben, führt dies notwendig dazu,, dass man nur den
und der «Selbsterhaltung (Erhaltung der eigenen Person)» beruft sich Wang Gen eigenen Annehmlichkeiten und dem Eigennutz willfährt und den anderen Menschen
auf eine Stelle im siebenundzwanzigsten Kapitel (in Zhu Xis Zählung) des Zhongyong Schaden zufügt. Die anderen Menschen werden mir das vergelten (bao ~), und meine
(«Buch der Mitte»), die ihrerseits den «Klassiker der Lieder» (Shijing) zitiert. Er Person kann nicht erhalten werden.»245 Ein solches unkluges, unwissendes Verhalten,
schreibt etwa zehn Jahre später an seinen hervorragenden Schüler Xu Yue (Beiname: das unter den gewöhnlichen Menschen verbreitet ist, ist durch die «schiefe Tendenz
Zizhi): «Unsere Lehre vom <ursprünglichen Wissen> besteht in nichts anderem als der durch die psychophysische Konstitution bedingten Wünsche nach den äußeren
in der <Erhaltung der eigenen Person> (ci liang zhi zhi xue bao shen er yi .1lt ~~z~,jj Dingen verursacht (wei qi hing wu yu zhi pian ~--~~Zii)». 246 Die gewöhnlichen
•ifö'B). Deshalb sagt das Zhongyong: <Der Edle, wenn er sich in hoher Stellung befin- Menschen müssten daher das richtige Verhalten «lernen» (d.h. das «ursprüngliche
det, ist nicht hochmütig, und in einer niedrigen Stellung nicht doppelzüngig. Herrscht Wissen verwirklichen»). «Worin besteht das Lernen? In nichts anderem als im klugen
im Reich das Dao, so genügen seine Worte, um ihn nach oben zu bringen; herrscht und weisen Sich-selbst-Erhalten.»247
im Reich das Dao nicht, so genügt sein Schweigen, damit er geduldet bleibt. Deshalb Das «ursprüngliche Wissen und Können» scheint also nach dem bisher Wieder-
[heißt es in den <Liedern>] :243 <Er ist klug und weise und erhält dadurch seine Person gegebenen das Prinzip eines Eigeninteresses, der Selbsterhaltung, zu sein, das «klug
(ming qie zhe yi bao shen RJ.I ..§. fil P). -/j• .»> Eine solche Assoziation dieser «Klugheit und und weise» genug ist, um auch das Verhalten der anderen Menschen in seine Rech-
Weisheit der Selbsterhaltung» mit dem «ursprünglichen Wissen und Können» hat nung einzubeziehen; und die «Menschlichkeit» (ren 1=) bzw. «das Dao der Einheit
meines Wissens vor Wang Gen weder Wang Yangming noch sonst jemand vollzogen. aller Wesen» (wan wu yi ti zhi dao -~-lllziä) scheint zu bedeuten, dass man die
Wang Gen schreibt dann in jenem Text von 15 26 weiter: Wenn man seine Person Selbsterhaltung nicht allein erreichen kann, sondern dass diese vielmehr von der Liebe
zu bewahren wisse, dann liebe (ai ~) und achte (jing ~) man seine Person wie ein und Achtung vonseiten der anderen Menschen abhängt, die ich nur gewinne, wenn
Kleinod, und wenn man seine eigene Person liebe und achte, dann «wage man nicht» ich meinerseits die anderen liebe und achte. Doch schon vor den Ausführungen über
(bu gan =fil&), nicht auch die anderen Menschen zu lieben und zu achten. Und wenn die Beeinträchtigung des «ursprünglichen Wissens» bei den gewöhnlichen Menschen
man die anderen Menschen liebe und achte, dann würden die anderen Menschen nimmt Wang Gens Gedankengang eine Wende. Zuerst fährt er noch in der alten Lo-
notwendig (bi ~) einen selbst lieben und notwendig einen selbst achten, und so wer- gik fort, dass, wenn ich meine Familie liebe, diese «notwendig» (bi ~) auch umgekehrt
de die eigene Person erhalten (ze wu shen bao yi Jl.lJ*•-/j~). Wenn man die anderen mich selbst liebt und dass dann meine Person erhalten werde. Dann jedoch erfolgt
Menschen liebe, werde man nicht wagen, die anderen Menschen zu hassen (wu ~),

244 Ming zhe bao shen lten, Wang Xinzhai quan ji, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von
240 Zum Beispiel in seinem in Nanking 1527 verfassten Text über das Verhältnis zwischen Zhan Ruoshuis 1846,juan 4, S. 4a-b (S. 97f.).
und Wang Yangmings Lerndevisen (Tian li liang zhi shuo): siehe oben in diesem Paragraphen, S. 313 f. 245 A.a.O., S. 5a (S: 99).
241 Mengzi, ?.· Buch, 1. Teil, Kap. 15. 246 A.a.O. S. 4b (S. 98); eine ausführliche Erklärung der schlechten Tendenzen im Menschen, die seine
242 Monika Ubelhör hat den dokn:~när~systematischen Teil dieses Textes in ihrer Monographie über Wang gute Natur bzw. sein «ursprüngliches Wissen» trüben, gibt Wang Gen in der ersten aufgezeichneten
Gen (1986) unter dem Titel «Uber die Weisheit der Selbsterhaltung» vollständig übersetzt: S. 46--48. Aussage im zweiten Teil seines Yulu.
243 Lied 260. 247 Ebd.
326 327

die Wende: «Wird meine Person erhalten, so bin ich danach fähig, meine Familie zu dass man [für seinen Herrscher] sein Leben lässt und sich selbst tötet (she sheng sha shen
erhalten (ran hou neng bao yi_jia Mf~Hi~1i-~).» Und dann analog für das eigene Land *1:.~!11-). Dann kann die Person nicht erhalten werden. Wenn die eigene Person nicht
(g·uo ffiffl) und für «alle, die sich unter dem Himmel befinden (das ganze Reich: tian xia erhalten werden kann, wie kann man dann noch seine Eltern und seinen Herrscher
~T-)»: <<Wenn ich das Land liebe, liebt dieses notwendig auch mich, und dadurch erhalten! So verhalten sich Leute, <die dem Fundierten (den <Zweigen>) nachjagen und
wird die eigene Person erhalten»; «und wird meine Person erhalten, so bin ich danach dabei das Fundament (die <Wurzel>) vergessen (wang ben zhu mo ~*~*)>. 254 Doch
fähig, das Land zu erhalten.» «Wenn ich diejenigen, die unter dem Himmel sind, zu ist es nicht möglich, dass das Fundierte in Ordnung kommt, während das Fundament
lieben vermag, dann werden alle, die Blut (Leben) haben (you xue qi zhe ~ Illl~Vt), durcheinander ist (ben luan er mo zhi zhc jou yi *1Lim*5S~~~).»255
[mich] ehren und als Verwandten lieben (zun qin ~%.li). Wenn sie alle mich ehren und Was h,1t \.Vang Gen dazu bewogen, die «Selbsterhaltung» (bao shen 1*!11-) in das
als Verwandten lieben, wird meine eigene Person erhalten. Wird meine Person erhal- «ursprüngliche Wissen und Können» einzubauen? Wie gesagt, hat dies weder sein
ten, so bin ich danach fähig, alle, die unter dem Himmel sind (das Reich), zu erhalten Lehrer Wang Yangming noch einer seiner Mitschüler getan. Einen Hinweis auf die
(ran hou neng bao tian xia Mfit~1i~ T-). Das ist die <Menschlichkeit> (ren f=), das ist Beantwortung dieser Frage finden wir in den drei Zitaten aus dem konfuzianischen
die <höchste unaufhörliche Wahrhaftigkeit> (zhi cheng bu xi ~AAPf ,\ll),2'18 das ist das Kanon, die \Vang Gen ganz am Ende seiner kleinen Abhandlung von 1526 anführt.
<Dao, das als Eines alles durchdringt> (yi gw.m zhi dao -Jli;;zj~).»249 , 250 Die unerwartete In allen drei Zitaten geht es um die Pictiit (Pflichterfüllung) gegenüber den Eltern
Wende im Text besteht darin, dass das «ursprüngliche Wissen und Können» nun nicht (xiao ~). Zuerst weist Wang Gen auf eine Aussage von Konfuzius im «Buch der Sitte»
mehr auf die «Erhaltung der eigenen Person» als Ziel ausgerichtet ist, sondern auf (Liji) hin: «Der Edle begegnet allen mit Achtung, aber die eigene Person zu achten ist
mein tätiges Erhalten meiner Familie, meines Landes, meiner Mitmenschen und gar am wichtigsten (jing shen wei da Wt.!11- ~ 'ft:.). Die eigene Person ist ein Zweig der Eltern;
aller meiner lebendigen Mitgeschöpfe, wozu die Erhaltung meiner eigenen Person nur wie könnte man wagen, sie nicht zu achten! Vermag man nicht, sich selbst zu achten,
die Voraussetzung ist: «Wenn meine eigene Person nicht erhalten werden kann, wie so verletzt man damit seine Eltern. Verletzt man seine Eltern, so verletzt man seine
kann ich dann das Reich, das Land, die Familie erhalten!» 251 Es ist diese letztlich auf eigene Wurzel. Ist aber die Wurzel verletzt, so sterben auch die Zweige ab.» 256 • Dann
die Förderung anderer Wesen ausgerichtete Fähigkeit, die nun als «Menschlichkeit» verweist er auf eine Stelle aus dem Buch Mengzi: «Was ist der wichtigste Dienst? Es
bezeichnet wird, und nicht mehr die notwendige Verknüpfrmg der Erhaltung meiner ist der Dienst an den Eltern. Was zu bewahren ist am wichtigsten? Die eigene Per-
eigenen Person mit meinen guten Beziehungen zu den anderen Menschen. son zu bewahren ist am wichtigsten (shm1 shcn wei da 'f .!11- ~'ft:.). Ich habe gehört, dass
Die Intention dieses ']extes von 1526 besteht darin, die Erhaltung von Familie, jemand, der die eigene Person nicht verliert (bu shi qi shen 4'~!t!l), seinen Eltern zu
Land und Reich mit der Erhaltung der eigenen Person zu verknüpfen, also die Aus- dienen vermag, aber ich habe nie gehört, dass jemand, der die eigene Person verliert,
richtung auf die anderen Menschen und die Ausrichtung auf die eigene Person als eine seinen Eltern zu dienen vermag.»257 Und schließlich zitiert er die Geschichte aus dem
notwendige Einheit darzustellen: Die Erhaltung der eigenen Person ist «die Grund- J,unyu, dass Zengzi (ein Schüler von Konh11/.ius) vor seine111 Tod seinen Schülern seine
lage, das Fundament (die <Baumwurzel> [ben *D», die Erhaltung der anderen ist «das unversehrten Iliinde und Füi~e zeigte. Dieses Verhalten wurde von Zlrn Xi 259 und
Abgeleitete, das Fundierte (die <Baumkrone, die Zweige> [mo *])»; «Fundament auch von Wang Cen 21' 0 als Zeng,.is Beweis seiner Pietät gegenüber den Eltern, von
und Fundiertes bilden einen einzigen notwendigen Zusammenhang (ben mo yi guan denen er seinen Leib empfangen hatte, verstanden.
**-Jt)». 252 Das Schwergewicht des Textes liegt eindeutig auf der «Erhaltung der
eigenen Person», also auf der «Grundlage», dem «Fundament» (hen *). Er kritisiert
eine Moral, die nur die anderen und nicht auch die eigene Person lieben will: «Wenn
man die anderen Menschen zu lieben weiß und nicht [auch] die eigene Person, dann englischen Übersetzung des Ch111111xi !u Texte aus der 'Emg- und Song-Zeit mit diesem Beispiel an:
lnstructions, S. 107, Anm. 44.
führt dies unweigerlich dazu, dass man [um für seine kranken Eltern eine Medizin 254 Diese Formel erinnert an die ebenfalls kritisch gemeinte und sinngleiche Formel von Wang Bi
zuzubereiten] sich selbst kocht, indem man Fleisch aus seinem Schenkel schneidet, 253 (226-249) in seinem Kommentar zum Dao de jing (Laozi), Kap. 57: «die Wurzel (das Fundament)
aufgeben und so dicc Zweige (das hllldierte) ordnen (sbe ben yi zhi nw '@pjs:J;).;flJK)»: siehe meine
Studie «Wang ßis daoistische Jkgriimlung der konfuzianischen Politik und Ethik», in: Asiatische
S111dienXLN, l ( l9'JO), S. 77-10<,. Der h.ommentar von Y\/ang Bi ist der berühmteste alte Kommentar
zu diesem wichtigsten Text des Daoismus. Wenn Wang Gen diesen Kommentar auch kaum gelesen
248 Anspielung auf das 26. Kap. des Zhongyong (in der Einteilung von Zhu Xi). haben dürfte, kann ihm diese Formel daraus sehr wohl zu Ohren gekommen sein.
249 Anspielung auf Lunyu, 4. Buch, Kap. 15. 255 A.a.O., S. 5a (S. 99).
250 /\.a.O., S. 4b (S. 98). 25<, Xi110 Dai Liji, Kap. 27; Wilhelm, 1/ich,ml: «Das Buch der Sitte», 16. Kap.,§ 5, S. 198.
251 A.a.O., S. 5a (S. 97). 257 1Vlrngzi, 4. Buch, 1. 'kil, Kap.19.
252 Elid. 258 /.unyu,8.Buch,K,q, . .l.
253 Im zweiten Teil von Wang Yangmings Chuanxi tu, der wohl 1526 erschien (siehe im Anhang zur Ein- 259 Siehe seinen Kommentar zu dieser Stelle in seinen Si shit zhangju ji zhu.
leitung zu '!eil 1), wird ein Brief von Gu Dongqiao zitiert, der dieses Beispiel sich selbst aufopfernder 260 Siehe seine «Ermahnung zur kindlichen Pietät», Wtmg Xinzhai quan ji, taiwanesischer Nachdruck der
kindlicher Pietät erwähnt: Nr. 139. In einer Fußnote zu dieser Stelle führt Wing-tsit Chan in seiner japanischen Ausgabe von 1846,juan 4, S. lb (S. 92).
328 329

Wang Gens Promotion der «Erhaltung der eigenen Person» in die Lehre vom Menschlichkeit der weisen Menschen (xian ren fi)._), 268 <Ich habe noch keinen gesehen,
«ursprünglichen Wissen» muss mit der Pietät gegenüber den Eltern (xiao $':) zu tun der die Menschlichkeit verwirklicht und dabei umkommt (dao ren er si ffi1=imJE)>, 269
haben. Sein vielleicht frühester Text, 261 der zweifellos noch vor seinen Lehrjahren bei meint die Menschlichkeit der heiligen Menschen (sheng ren ~A).»270
Wang Yangrning (1522/23) entstanden ist,2 62 trägt den Titel «Ermahnung zur Pietät Wie wir oben erwähnt haben, nennt die «Lebenschronik» den «Klassiker der
gegenüber den Eltern» (Xiao zhen $':il&) und hat die Erhaltung der eigenen Integrität Pietät gegenüber den Eltern» (Xiaojing) als erstes Werk, das Wang Gen nach seiner
zum Hauptanliegen. Er beginnt mit den Sätzen: «Als uns Vater und Mutter das Leben Entscheidung von 15 07 für den konfuzianischen Weg studierte. Dieses Werk gehörte
gaben, waren unsere [feste] Körpergestalt (xing %) und unsere [flüssigen und luftartigen] zwar nicht zu den «Fünf Klassikern», war aber schon seit der Han-Zeit in der konfo-
Lebenskräfte (qi ~) vollständig. Die Körpergestalt gehört zur Erde, die Lebenskräfte zianischen Erziehung sehr wichtig und gehörte zum konfuzianischen Kanon im wei-
haben ihren Ursprung im I limmel. In ihnen ist das oberste Prinzip (tai ji ;%;:ffi) enthalten, teren Sinne. Wang Gen hat es Zeit seines Lebens hochgehalten. 271 Im ersten Kapitel
das <Himmel> [himmlische, natürliche Ordnung] des Menschen heißt. Dieser Himmel dieses Werkes sagt Konfuzius zu seinem Schüler Zengzi: «Pietät gegenüber den Eltern
des Menschen ist dasselbe wie der Himmel [die natürliche Ordnung] des Himmels.» (xiao $':) ist die Grundlage der Tugend und das, woher die Erziehung (Kultivierung)
Wang Gen schreibt weiter, dass es darum gehe, diese kosmische und zugleich mensch- entsteht (de zhi hen,jiao 2.hi suo you sheng fl;z.;ijs;, ~Z.PlrEEl ~). [... ] Unseren Leib (shen
liche Ordnung zu wahren, und kommt dann zu seinem Anliegen: «Wir müssen unseren ti ~H.), samt Kopfhaaren und J laut, haben wir von Vater und Mutter empfangen; ihn
Gesinnungsgenossen sagen, dass wir nichts künstlich machen und verändern sollen (bu nicht zu verderben und nicht zu beschädigen, ist der Anfang der Pietät gegenüber den
wei bu qian 1';{?,,1'~), [d.h.] dass wir im Äußeren die Integrität unseres Körpers und Eltern. Sich selbst aufzurichten (li shen SL~) und nach dem Dao zu handeln, sich bei
unserer Lebenskräfte bewahren (wai quan xing qi 9~:i:%ffit) und im Inneren unseren der Nachwelt einen guten Namen machen, damit Vater und Mutter bekannt werden,
Himmel [die himmlische Ordnung] erhalten sollen (nei hao qi tian 17\11~J't;ii;::).» Es gebe ist die Vollendung der Pietät gegenüber den Eltern. Die Pietät gegenüber den Eltern
zwar Fälle, in denen es nicht anders gehe (lm de yi 1'~ijB), als zur «Verwirklichung der beginnt mit dem Dienst an den Eltern, lut ihr Mittelstück im Dienst am Herrscher
himmlischen Ordnung seinen Leib zu opfern» (sha shen cheng tian i'ttlUitP.lt51c), 26 l und er und vollendet sich in der Aufrichtung der eigenen Person (li shen SL~).» Die in die-
zählt Beispiele aus der Geschichte vor Konfuzius auf, in denen tugendhafte Männer in sem Text erwähnte Erhaltung des eigenen Leibes wurde von den Konfuzianern ganz
gerechter Sache ihren Leib verletzten, umgebracht wurden oder sich selbst u1n brachten. wörtlich genommen: Sie ließen sich weder Bart noch Kopfhaar schneiden, sondern
Aber zum Schluss weist er, wie er es auch im zuvor angeführten Text von 1526 tut, auf trugen dieses auf dem Kopf. hochgebunden. In Wang Cens «Lebenschronik» wird
Konfuzius und seinen Schüler Zengzi hin: «Das Zeigen seiner Hände und Füße war der durch mehrere Beispiele betont, dass er sich in seinem Verhalten sehr durch Pietät
Erweis der [physischen] Integrität von Zengzi (Zengzi zhi quan ~ =f ;z:i:); <seine eigene gegenüber seinem Vater auszeichnete (seine Mutter verlor er, als er dreizehn Jahre alt
Person (seinen eigenen Leib) zu achten (jing shen :/JJJL!it) ist am wichtigsten>, sind die Wor- war). 272 Wang Gens Einbeziehung der «Selbsterhaltung» (bao shen) in die Lehre vom
te des Konfuzius und Heiligen. Es ist dieses Dao von Konfuzius und von Zengzi, das «ursprünglichen Wissen,> muss wohl vor diesem Hintergrund verstanden werden.
wir weitergeben n1üssen!» 261 Wang Gen war der Auffassung, dass der «heilige Mensch» Die «Selhsterhalnmg» hat für ihn einen dreifachen Sinn: Frstens ist sie Ausdruck
die Gesellschaft durch seine eigene «Menschlichkeit» so zu beeinflussen vermag, dass der Fhrforcht vor und der Dankbarkeit gegenüber Vater und Mutter, die einem das
er nicht in die Situation gerät, sein Leben für die «Menschlichkeit» aufopfern zu müs- Leben gegeben haben; zweitens ist sie die Voraussetzung dafür, dass man den Eltern
sen, und glaubte, sich dabei auf Konfuzius berufen zu können: «Wenn man ,plötzlich und auch der ganzen sozialen Gemeinschaft dienen kann; und schließlich ist sie für
ein Kind in einen Ziehbrunnen fallen sieht und dabei Erbarmen empfindet>, 265 dann den «heiligen Menschen» das Resultat, aber nicht der Zweck seiner menschlichen
ist dies die Menschlichkeit (ren 1=) der großen Menge. Wenn man ,sein Leben, ohne Beeinflussung der Gesellschaft. Die Integration der «Selbsterhaltung» in das «ur-
die Menschlichkeit zu schädigen, zu erhalten sucht> 266 und <seinen Leib opfert, um sprüngliche Wissen» ist also nicht eine Berücksichtigung des Eigeninteresses, etwa
die Menschlichkeit zu verwirklichen> (sha shen yi cheng ren il\\t~ P.J-P.ltf=), 267 so ist das die aufgrund der Feststellung und Überlegung, dass eigentlich bei uns Menschen auch
das Eigeninteresse ein sehr fundamentales und ursprüngliches Wissen und Können

261 Dieser Text wird zwar in Wang Gens «Lebenschronik» im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Abhand-
lungen nicht datiert, steht aber in der mir vorliegenden Ausgabe, die seine Abhandlungen chronolo- 268 Die «weisen Menschen» sind gemäß der konfuzianischen Werteskala nach den «heiligen Menschen»
gisch anordnet, an erster Stelle. die zweitbesten.
262 Er enthält keinerlei Spuren von Wang Yangmings Einfluss. 269 Lunyu, 15. Buch, Kap. 35.
263 Abwandlung von Lunyu, 15. Buch, Kap. 9. 270 Yulu 1, Wang Xinz.hr1i 1;11an ji, taiwancsischer Nachdrnd der japanischen Ausgabe von 1846,juan 2,
264 Xiao zhen, Wang Xinzhai quan ji, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846, S. 14a (S. 65).
jurm 4, S. la-b (S. 91 f.). 271 Tn seinem langen •· Brief an die Frcnndc von Nanking», den er nach 1529 geschrieben hat (denn es
265 1Wengzi, 2. Buch, 1. 'leil, Kap. 6. wird darin auf den erfolgten Tod von Wang Yangming Bezug genommen), zitiert er es mehrmals;
266 Lunyu, 15. Buch, Kap. 9. Wang Xinzhai quan ji, taiwanesischer Na~~druck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 5, S. 4b-7b.
267 Lunyu, 15. Buch, Kap. 9. 272 Nianpu, unter dem 9.Jahr der Hongzhi-Ara (1497),
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ist. Ein heutiger westlicher Leser kommt bei der Lektüre der Texte Wang Gens leicht Die Idee, die anderen Menschen·dadurch zu einem guten Verhalten zu zwingen, dass
auf diese Idee, und ich muss gestehen, dass auch ich ihn zunächst so zu verstehen ich mich ihnen gegenüber gut verhalte, ist in Wang Gens Denken immer zentraler
versuchte. Aber die «Selbsterhaltung» wird bei Wang Gen nie als ein Selbstinteresse, geworden, vielleicht auch deshalb, weil seine Gesprächspartner diese Idee in Frage
sondern immer ganz konfuzianisch als Funktion innerhalb des Respekts und Dienstes stellten und er sie ihnen gegenüber verteidigen und rechtfertigen musste. Er kann
gegenüber der Gemeinschaft und Gesellschaft gedacht. etwa sagen: «Die anderen Menschen lieben, bis diese auch lieben, die anderen Men-
Obschon die in Wang Gens Idee des «ursprünglichen Wissens» so grundlegende schen ehren, bis diese auch ehren, den anderen Menschen vertrauen, bis diese auch
«Selbsterhaltung» kein Eigeninteresse, sondern eine soziale Ausrichtung darstellt, ist vertrauen, erst das ist die Methode eines immer weiterschreitenden Lernens.»274
diese Idee von derjenigen seines Lehrers Wang Yangming doch sehr weit entfernt. 1536 verfasste Wang Gen zur Eröffuung seiner vom Inspektor Hong Yuan (Beiname:
Wang Gen behauptet natürlich nicht, dass sich alle Menschen der von ihm vorgeleg- Jueshan) gestifteten Schule «der östlichen Läuterung» für seine Schüler eine Pro-
ten Idee des «ursprünglichen Wissens» explizit bewusst sind, obschon «sie alle dieses grammschrift unter dem Titel «Rezept zur Erzwingung der Menschlichkeit» (Mian
<ursprüngliche Wissen und Können> besitzen». Doch die bei ihm durch das Überlegen ren fang tM=:7J). Darin heißt es: «Wer die anderen Menschen liebt, den lieben auch
von Zwecken und Mitteln, von Fundierendem und Fundiertem geprägte Struktur immer die anderen Menschen (ren heng ai zhi A ffi:~Z); wer den anderen Menschen
des «ursprünglichen Wissens» ist sehr verschieden von Wang Yangmings Grund- vertraut, dem vertrauen immer auch die anderen Menschen. Das ist das Dao von
bestimmungen des «ursprünglichen Wissens» als eines unmittelbaren, elementaren Anreiz und Reaktion (das Gesetz der wechselseitigen Entsprechung: gan ying zhi
Bewusstseins: als eines Gewissens (eines unmittelbaren moralischen Bewusstseins dao ~Blzm). Unter diesem Gesichtspunkt wird ersichtlich, dass, wenn die anderen
der eigenen Intentionen) oder als eines Mitgefühls mit anderen Wesen. Auffallend Menschen mich nicht lieben, dies nicht nur daher kommt, dass die anderen Menschen
ist auch, dass Wang Gen das «ursprüngliche Wissen» ganz auf die Erhaltung der nicht menschlich sind (bu ren =:f1=), sondern dass ich selbst nicht menschlich bin, und
Gesellschaft, der «Familie, des Landes, des Reiches» als auf seinen Endzweck hin dass, wenn die anderen Menschen mir nicht vertrauen, dies nicht nur daher kommt,
orientiert, während Wang Yangmings «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» dass die anderen Menschen nicht vertrauen, sondern dass ich selbst nicht vertraue.
die Vervollkommnung der eigenen Person bedeutet und bei ihm der Dienst an der In seinem Lernen für sich kultiviert der Edle sich selbst ohne Muße (zi xiu bu xia
Gesellschaft Bestandteil dieser persönlichen Vervollkommnung ist. Obschon Wang § {1j=:f Hij); wie könnte er Muße haben, die anderen Menschen zu beschuldigen! Er
Gen als Händler ein erfolgreicher Privatmann und Wang Yangming als Beamter ein kultiviert sich selbst, und dadurch entsteht Menschlichkeit; er kultiviert sich selbst,
erfolgreicher Staatsmann war, war jener in seinem Denken und Trachten letztlich und dadurch entsteht Vertrauen. Wenn es Leute gibt, die mich nicht lieben oder mir
wohl mehr auf die moralisch-politische Reform des Staates ausgerichtet als dieser. nicht vertrauen, dann heißt dies, dass in meinem eigenen Verhalten etwas noch nicht
Die beiden weitaus längsten Texte von Wang Gen gelten der moralisch-politischen tief ist, dass in meinem eigenen Anordnen etwas noch nicht geordnet ist; wie kann
Reform des ganzen Reiches. 273 ich da andere beschuldigen! Deshalb sucht der Edle die Fehler in Rückwendung (Re-
Das merkwürdigste und fragwürdigste Glied in Wang Gens logischer Konst- flexion) auf die eigene Person (fan qiu zhu qi shen .&>.l<il\!Ut~). und <grollt oben nicht
ruktion des «ursprünglichen Wissens und Könnens» ist sicher der Gedanke, dass, dem Himmel und beschuldigt unten nicht die Menschen> 275 .»276
wenn ich selbst die anderen Menschen liebe und ehre, diese dann ihrerseits mich Aufgrund seiner Idee, dass ich selbst durch meine Menschlichkeit die anderen
lieben und ehren müssen (bi ~,), und wenn ich sie nicht hasse und nicht despek- Menschen zur Menschlichkeit bringen kann bzw. dass die Unmenschlichkeit der ande-
tierlich behandle, sie sich dann mir gegenüber notwendig auch so verhalten. Es ist ren mir gegenüber ihren Grund in meiner eigenen Unmenschlichkeit hat, gewann für
sicher eine Erfahrung, dass hier ein Zusammenhang besteht; und es ist sicher auch Wang Gen eine Aussage von Mengzi größte Wichtigkeit. Auf sie beruft er sich in seinen
eine gute praktische Maxime, mich anderen Menschen gegenüber mit einem solchen späteren Jahren immer wieder. Sie lautet: «Es gibt große Menschen (da ren*A); es sind
Vertrauen in eine entsprechende Antwort zu verhalten, auch im Wissen, dass ein solche, die sich selbst gerade (richtig) machen, wodurch auch die anderen Wesen gerade
solches Vertrauen manchmal enttäuscht werden kann. Aber Wang Gens Idee einer (richtig) werden (zhengji er wu zheng IE 2, im~ IE).»277 Im Hinblick auf diese Äußerung
notwendigen Verschränkung des fremden ethischen Verhaltens mit dem eigenen vergleicht Wang Gen die eigene Person mit einem Winkelmaß und die Gesellschaft
sprengt das «ursprüngliche Wissen und Können» in einem von Wang Yangming · mit einem herzustellenden Rechteck: «Die eigene Person ist wie ein Winkelmaß (you ju
intendierten Sinn.

274 Yitlu I, Uiing Xinzhai quan ji, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 2,
S. Sa (S. 47).
273 Es sind dies der «Brief an die Freunde von Nanking» (fit Nandu zhu you), der nach 1529 (nach dem 275 Lunyu, 14. Buch, Kap. 35.
Tod Wang Yangmings) geschrieben wurde,.:und die «Abhandlung über den wahren Herrscher» (Wang 276 Wang Xinzhai quan ji, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 4, S. 7a
dao lun). Beide Texte wurden von Monika Ubelhör ins Deutsche übersetzt: Uiing Gen und seine Lehre, (S. 103).
Berlin 1986, S. 96-100 und S. 132-137. 277 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 19.
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~1-E.); das Reich, das Land, die Familie sind wie [die zu konstruierenden] Rechtecke Person> (an shen ye $: !1r fil ).»283 «Das vVichtigste ist, sich selbst in Ordnung bringen
(you fang ~J:i). Wenn das Reich, das Land, die Familie nicht rechtwinldig sind, so zu können (neng an sinn fl~$:!ir). Sich selbst in Ordnung bringen, um die Familie
bedeutet dies, dass die eigene Person noch nicht rechtwinklig ist.»278 Auch dieses in Ordnung zu bringen (anjia $:~), dadurch ist die Familie reguliert; sich selbst in
Gleichnis hat seinen Ursprung bei Mengzi: «Zirkel und Winkelmaß sind die Voll- Ordnung bringen, um das Land in Ordnung zu bringen, dadurch ist das Land regiert;
kommenheit der Kreise und Rechtecke; der heilige Mensch ist die Vollkommenheit sich selbst in Ordnung bringen, um das Reich in Ordnung zu bringen, dadurch ist
der menschlichen Ordnung (ren lun zhi zhi )._ fiiij-.L~).» 279 das Reich in Frieden. Deshalb heißt es: <Sich selbst kultivieren (xiuji {1Jc.), um zwi-
1v1it diesen Gedanken interpretiert W·mg Gen in seinen späten Jahrcn 280 das schen den 1v1enschen Ordnung 1/,u stiften (cm ren $:)...); sich selbst kultivieren, um
von der 'fradition Konfuzius zugeschriebene Grundkapitel des Daxue, das auch in im ¼)lk Ordnung zu schaffen (an bai t:cing $: sM.)> 28 4.» 285 <«Der große Mensch ist
Wang Yangmings Lehre von der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» von jemand, der sich selbst gerade (richtig) macht, wodurch auch die andern Wesen gerade
grundlegender Bedeutung war. Auch W:1ng Gen scheint in seinen späten Jahren die- (richtig) werden> /lv1engz.i/. Deshalb rnacht er seine eigene Person aufrecht (li wu shen
ses Kapitel zur Basis seines Unterrichts gemacht zu haben. 281 Ausdrücklich erklärt er, .fl.~!ir) und macht sich dadurch zur Crundlagc (zur ,\Vurzel>: hen ;,Js;) von Reich, Land
dass er in diesem Kapitel einen Gedanken ausgedrückt sieht, den sein Lehrer, Wang und Familie.» 2~6 «\Venn die eigene Person gerade (richtig) ist, dann richtet sich das
Ymgrning, noch nicht erfasste. Es ist der Gedanke, den er mit «an shen $: !ir» um- ganze Reich nach ihr (qi s!Jen z.heng er tim1 x·ia gui zhi !t!iriErfüxT"!ltlZ); das ist <sich
schreibt. Da dieser Ausdruck m1ßerhalb des betreffenden Kontextes von Wang Gen selbst gerade (richtig) machen, wodurch auch die anderen Wesen gerade (richtig)
auch als «die eigene Person sichern» verstanden werden kann und cfa W.1ng Gen in werden> /TVIengzij. D,m,ich ist die eigene Person in Ordnung gebracht (ran hou shen
seiner spiitcn Zeit sehr viel von «an slJCn $::lir», aber kaum mehr von «hrw s!JCn 1lil:!ir>, rm ~f$H}$:).» 287 Die «Ordnung der eigenen Perscm>> (an shen $::lir) ist die Bedin-
spricht, ist man versucht anzunehmen, dass er diese Formulierung bloß durch jene gung für die <<Erhaltung der eigenen Person» (/lflo shen 1lil:!ir), aber nicht dasselbe:
ersetzte und «an shen $::lir» in derselben Bedeutung zu verstehen ist wie «brto shcn 1lil: «Wenn man nicht vermag, die eigene Person in Ordnung zu bringen (hu zhi an
!ir», was wir mit «die eigene Person erhalten» übersetzt haben. 282 Das wiirc aber kaum shen 1'9'Jl$:.!1}), dann kann die eigene Person nicht erhalten werden (shcn hu nenp; hao
richtig, da «an shcn $::lir» in Wang Gens Erkbrung des Daxue uicht die physische !1r i'll~1Jf; ).>>2H8
Integrität der eigenen Pcrs<m, sondern die 1noralische lntcgrität oder Richtigkeit der Das Bcdingungsvcrhiiltnis zwischen der Ordnung der eigenen Persern und der
eigenen Persern als das «Winkelmaß» (ju 1-E) und als die «Crundlagc» (oder genauer: Ordnung der Gesellschaft drückt \Vang Cen durch das Verhiiltnis zwischen einem
als die «\Nurzel»: hen ;,Js;) der moralischen Richtigkeit der Gesellschaft meint. Wir Winkeln1aß und den mit diesem hergestellten Rechtecken sowie durch die dem
iiberscu,cn daher «an shen $: !ir» mit «die eigene Person in Ordnung bringen» oder Grundkapitel des Dax·uc entnommenen korrelativen Begriffe «ben ;,Js;» und «mo *»
«die eigene Person ordnen», was lexikalisch durchaus möglich ist. Wenn die «eigene ans. Diese beiden Wiirter bedeuten ursprünglich die \Vurzcl (hen ;,Js;) und die Zweige
Person in Ordnung gebracht ist», dann ist nach v½mg Gens Logik der «Erzwingung» (mo *) eines Baumes (nm )f), was ,rnch bilcllich an diesen '.Leichen angedeutet ist. Ln
der Moralität der anderen Menschen durch die Moralität der eigenen Person auch philosophischen Zusammenhängen sind wir Europäer versucht, die beiden Begriffe
die Gesellschaft in Ordnung gebracht. Denn die Ordnung der eigenen Person denkt «hen ;,Js;» und «mo *» mit «Grundlage» und auf dieser Grundlage «Gegründetem»
Wang Gen, ohne zu unterscheiden, zugleich als notwendige und hinreichende Bedin- oder mit «Fundament» und «Fundiertem» zu übersetzen, was in manchen Fällen
gung der moralischen Ordnung der Gesellschaft. Wang Gen kann sagen: «Die <eigene auch passt. Aber wie gesagt, ist für Wang Gen die Ordnung der eigenen Person zu-
Person kultivieren> (xiu shen ~J!ir) ist das <Errichten der Grundlage (das Gründen der gleich notwendige und hinreichende Bedingung für die Ordnung der Gesellschaft.
Wurzel: li hen ye .fl.;,Js;t!1.)>; das <Errichten der Grundlage> ist das <Ordnen der eigenen Eine «Grundlage» oder ein «Fundament» ist aber nur eine notwendige Bedingung
des darauf Gegründeten oder darauf Fundierten und bringt dieses nicht auch hervor;
zum Beispiel ist das Fundament (die Grundlage) eines Hauses notwendige Bedingung

278 Yztlu I, a.a.O,, S. 8a (S. 53).


279 Mengzi, 4. Buch, l, Teil, Kap. 2, 283 Die Aufzeichnung in Wang Gens Yztlu, die diesen Text enthält, hat verschiedene Varianten. Wir folgen
280 Nach der Eintragung unter dem 16.Jahr der Jiajing-Ära (1537) einer «Lebenschronik» Wang Gens, hier nicht der Variante in der uns vorliegenden Ausgabe von Wang Gens «Gesammelten Werken»
die Monika Übelhör vorlag, erkannte Wang Gen erst in späten Jahren, dass sein Leitgedanke von (taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 3, S. 26 [S. 72]), sondern dem
der grundlegenden Wichtigkeit der eigenen Person auch den Schlüssel für das Verständnis des Daxue entsprechenden, gedanklich klareren Text im MRXA,juan 32, Beijing 1985, S. 712.
abgab; Übelhör, Monika: Wang Gen und seine Lehre, Berlin 1986, S. 180,Anm. 76. 284 Lzmyu, 14. Buch, Kap. 42 (45).
281 Über die Hälfte des zweiten Teils von Wang Gens «Aufgezeichneten Gesprächen» (Yulu) ist Fragen 285 YztlztII, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 3, S. 3a (S. 73).
dieses Kapitels des Daxue gewidmet. 286 Yztlu I, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 2, S. 1b (S. 40).
282 Monika Ubelhör scheint mir in ihrer oben mehrfach erwähnten großen Monographie über Wang 287 Yztlzt II, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 3, S. 36 (S. 74); MRXA,
Gen dieser Versuchung zu verfallen. Sie übersetzt «an shen» mit «die eigene Person sichern» und juan 32, Beijing 1985, S. 713.
versteht den Begriff als «Selbsterhaltung»: siehe dort, S. 64. 288 Yztlu II, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 3, S. 3a (S. 73).
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fiir dieses, bringt es aber nicht selbst hervor. In der philosophischen Tradition Chinas [ursprünglichen 289] \Vissens> (zhi zhi ~911) spricht, legt es die große Strategie des I ,er-
werden Bedingungsverhältnisse oft in biologisch-organischen Metaphern gedacht. nens offen.» 2911 «Die eigene Person einerseits und Reich, Land, Familie andererseits
Eine lebendige Wurzel (hen :zll::) ist nicht nur die <<Grundlage» des auf ihr stehenden sind eine einzige praktische Sache (yi wu -4W). Ftmdamcnt (<Wurzel>) und Fundiertes
Baumstamms mit seinen Ästen und Zweigen (mo *), sondern sie kann diese auch (<Zweige>) sind nur eine einzige Sache (weiyi wu 1t-4m). <Ge :lt-> (<berichtigen>) hat die
hervorbringen.Jedenfalls gibt es Pflanzen, wie zum Beispiel die von den Chinesen so Bedeutung von <,rnf das richtige Maß bringen> (xie du ~ffi'.). Das Verhältnis zwischen
geliebten Pfonien (Pfingstrosen), bei denen im Frühling Stängel, Zweige, BHitter und dem Fundament (<\Vurzcl>) und dem Fundierten (den <Zweigen>) (hcn nzo zhi jittn
Blüten der im Boden verborgenen Wurzel entwachsen. Diese organisch-biologischen :zll::*ZFei) wird auf das richtige Maß gehracht.» 2<) 1
Leitvorstellung des Bedingungsverhältnisses zwischen der Wurzel und den Zweigen Die «Verwirklichung des [ursprünglichen! Wissens» (zhi zhi ~51;□) durch die
einer einzigen Pflanze erlaubte Wang Gen, die Ordnung der Gesellschaft als aus «Berichtigung der praktischen Sachen» (ge wu :lt-4m) besteht nach Wang Gen im voll-
der Ordnung der eigenen Person hervorgehend zu denken. Auch seine Metapher kommenen «Wissen (Verstehen: z,hi 51;0)», dass die Ordnung der eigenen Pcrs<rn das
des \Ninkelrnaßcs (ju ~) und der damit erzeugten Rechtecke (fang h) konnte ihn1 Fundarnent (die Wurzel: ben :zll::) der ganzen gesellschaftlichen Ordnung ist. In dieser
zur Bcstirnmtmg eines solchen Bcdingungsverhiiltnisses dienen, indem er sich das Vollendung «hält das \iVissen beim hiichsten Guten an» (Grundkapitel des Daxue),
Winkelmaß nicht in seincn1 Aspekt als ein festes Ding, sondern in seiner operativen und dieses «Anhalten heim höchsten Guten» (z,hi yu zhi shm 11:Jrf~~) ist nichts ande-
Funktion dachte. Doch vermochte er dem ethisch-sozialen Verhiiltnis zwischen eige- res als die <<lerreichte] Ordnung der eigenen Person» (rm shen 'ti:llt): «[Bcirn höchsten
ner und fremder Moralität mit solchen biologischen oder geometrisch-technischen Gut] anzuhalten wissen, bedeutet, die eigene Person in Ordnung zu bringen wissen
Leitvorstellungen kaum gerecht zn werden. (zhi zhi zhi l!n shen 9'D.il::.9'D~lltm). Die praktischen Sachen haben ein Fundament (eine
Mit diesen Gedanken versteht Wang Gen nun das grundlegende «ge wu :lt-!!@» <Wur;rd>) und ein Fundiertes (<Zweige,) (,L'll you /Jen mo !l@~:zll::*). Deshalb weiß man
in1 Grundtext (ersten Kapitel) des Daxue, das Wang Yangming als «Berichtigen der um das FnncLunent (zhi hcn 9'07-Js:), nachdem die praktischen Dinge berichtigt sind
!eigenen] IIandlnngcn» oder «Berichtigen der !eigenen] praktischen Sachen» inter- (wu gc '!@:lt-). Das \Nissen um d;1s FumLm1ent (um die <Wurzel>) ist die Vollendung
pretiert hatte. Auch in1 Verständnis Wang Gens kann dieser Ausdruck als «Berichtigen (Verwirklichung) des [ursprünglichen! Wissens (zhi hen zhi zhi zhi ye 9'□ :zll::9'□ ;;'.:'..~ili).
der praktischen Sachen» übersetzt werden. Er versteht diesen Ausdruck aber nicht Wenn das !ursprüngliche] Wissen vollendet (verwirklicht) ist, hält es lbeim höchsten
bloß als Berichtigen der eigenen llandlungen oder praktischen Sachen, sondern als Guten] an (zhi .il::.).» 1'' 2
Berichtigen der anderen Menschen (der Gesellschaft) aufgrund der ßerichtigung der Gemiiß diesen Zitaten besteht die «Verwirklichung (Vollendung) des ursprüng-
eigenen Person. Er sagte: «Ge :lt- hat die Bedeutung von <ge :lt-> im Ausdruck <ge shi lichen Wissens>>, die das «Anhalten beim höchsten Guten» ist, im «Wissen 11111 das
:lt-:it> (<Vorlage, Muster>), es ist dies die Bedeutung von <xie ju ~~> (<das Winkelmaß Fundament (die ,vVurzel,),>, das heißt im «vVissen», dass die «Ordnung der eigenen
anlegen>), von dem !das Daxuel später [im ;r,chnten Kapitel des crkliirendcn 'Jcxtcs] Person» (an shen ~;!lt) die zugleich notwendige und hinreichende Bedingung der Onl-
spricht. Die eigene Person ist ein Winkelmaß (ju ~); das Reich, das Land und die nung der Gesellschaft (an ren 'Ji.A) ist. Wang Gen schließt also die Vervollkommnung
Familie sind die [ins richtige Maß zu bringenden] Rechtecke (fang h). Beim Anlegen der Gesellschaft in die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» ein, indem er das
des Winkelmaßes weiß man, dass die Schiefheit (Unrichtigkeit) der [konstruierten] Verhältnis zwischen Selbstvervollkommnung und Vervollkommnung der anderen als
Rechtecke von der Schiefheit (Unrichtigkeit) des Winkelmaßes herstammt. Daher notwendige Ursache-Wirkungs-Relation konstruiert. Darin sieht er seinen Fortschritt
geht es nur darum, das Winkelmaß gerade (richtig) zu machen (zhengju iE~); man gegenüber Wang Yangmings Verständnis des in der Tradition Konfuzius zugeschrie-
darf keineswegs [den Ursprung der Schiefheit] bei den [konstruierten] Rechtecken benen Grundkapitels des Daxue. Dieses beginnt mit den drei Sätzen: «Das Lernen der
suchen. Wenn das Winkelmaß gerade (richtig) ist, dann sind auch die Rechtecke ge- Großen besteht im Erhellen der hellen Tugend. Es besteht im Lieben des Volkes. 293
rade (richtig). Wenn die Rechtecke gerade (richtig) sind, so ist dies die Vollendung Es besteht im Anhalten beim höchsten Guten (zhi yu zhi shan .il::.M-~~).» Wang Yang-
des Berichtigens (cheng ge m:lt-); deshalb heißt es [im Grundtext des Daxue] <die
Handlungen (praktischen Sachen) sind berichtigt (wu ge !!@:lt-)>. Die eigene Person
(wu shen .:;g;!lt) ist in all ihren sozialen Beziehungen nach oben und unten, nach vorn 289 Im Daxue ist vom «ursprünglichen Wissen» (liang zhi) nicht die Rede. Wang Gen hat aber wie Wang
und hinten, nach links und rechts die [zu berichtigende] praktische Sache (wu !!@); das Yangming das «Verwirklichen des Wissens», von dem im Daxue die Rede ist, als «Verwirklichen des
<Winkelmaß anlegen> (xie ju ~~) ist das <Berichtigen> (ge :lt-). Schon aus dem einen ursprünglichen Wissens» verstanden.
290 Yulu II, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,jurm 3, S. 3a-b (S. 73f.).
Satz [im Grundtext des Daxue]: <Es kommt nicht vor, dass das F nndament (die Wurzel: 291 Yztlu II, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 3, S. 2 b (S. 72); vgl. MRXA,
ben .:zll::) [d.h. hier für Wang Gen die eigene Person] ungeordnet (luan IL), während das juan 32, Beijing 1985, S. 712.
Fundierte (die Zweige: mo *) in Ordnung ist>, wird ersichtlich, dass mit dem Wort 292 Yztlu II, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 3, S. 2 b (S. 72); vgl. MRXA,
juan 32, Beijing 1985, S. 712.
<ge :lt-> das Anlegen des Winkelmaßes (xie ju ~~) gemeint ist. Indem das Daxue zuerst 293 «Lieben des Volkes» ist Wang Yangmings auf den «alten Text» des Daxue gestützte Lesart (Zhu Xi
vom <Berichtigen der praktischen Sachen> (ge wu :lt-!!@) und dem <Verwirklichen des amendierte: «Erneuern des Volkes»), der Wang Gen beipflichtet.
336 337

mings Kommentar zu diesen drei Sätzen lautete: «Das <Erhellen der hellen Tugend> Fundament (die Wurzel) ist, erhellt man seine helle Tugend und liebt das Volk. Wenn
bedeutet das Errichten der Substanz (li ti -JJ.. \lt) der Einheit von Himmel und Erde und die eigene Person noch nicht geordnet ist (wei an*~), dann ist das Fundament (die
aller Wesen. Das <Lieben des Volkes> bedeutet das Erreichen der Funktionen (da yong Wurzel) nicht errichtet. <Das Fundierte kann nicht reguliert (geordnet) werden (zhi 5it),
ilffl) der Einheit von Himmel und Erde und aller Wesen. Deshalb muss das <Erhellen wenn sich das Fundament in Unordnung befindet (luan IL).>297 Wenn man das Fundier-
der hellen Tugend> im <Lieben des Volkes> geschehen; durch das <Lieben des Volkes> te regulieren (ordnen) will, während sich das Fundament in Unordnung befindet, so
wird <die helle Tugend erhellt>. [... ] Das <höchste Gute> (zhi shan ~~) ist der höchste wird [das Fundierte] noch ungeordneter. Deshalb sagt [Konfuzius im <Großen Anhang>
Punkt (ji ze tifl.tl) der <hellen Tugend> und des <Liebens des Volkes>. Unsere vom Him- zum] <Buch der Wandlungen>: <Wenn die eigene Person in Ordnung ist (shen an~~),
mel bestimmte Natur (xing 11) ist in reiner Weise und im höchsten Sinne gut. In ihrem können das Reich, das Land und die Familie erhalten werden (ke bao i:U-Oil).>298 So muss
unverdunkelten geisteskräftigen Leuchten ist sie die Manifestation des höchsten Guten man lernen und so ein <großer Mensch> werden (wei da ren ~ *A). 299 Wenn man seine
und somit das eigentliche Wesen der hellen Tugend (ming de zhi ben ti aJHllL*R) und Person nicht zu ordnen weiß (bu zhi an shen 1'~:ti: ~ ), dann vermögen das <Erhellen der
identisch mit dem, was <ursprüngliches Wissen> (liang zhi !Oa) genannt wird.»294 hellen Tugend> und das <Lieben des Volkes> noch nicht das Fundament (die «Wurzel»:
Im Hinblick auf diese Interpretation der ersten drei Sätze des Daxue durch sei- ben *) von Reich, Land und Familie aufzurichten, und man vermag daher auch nicht,
nen Lehrer sagte Wang Gen in seinen späten Jahren: «Dass das <Erhellen der hellen Herr von Himmel und Erde zu sein und den Wandlungsprozess zu gestalten. Daher hat
Tugend> dem Errichten der Substanz (li ti ft \lt) und das <Lieben des Volkes> dem seit dem Entstehen der Menschen noch niemand Konfuzius übertroffen.»300
Erreichen der Funktionen (da yong ilffl) dient und dass Substanz und Funktionen Wang Gen beansprucht also, mit seiner Lehre vom «Ordnen der eigenen Person»
eine Einheit bilden, das hat der verstorbene Lehrer [Wang Yangming] vollständig als der «Wurzel» der Ordnung der Gesellschaft die unübertroffene Höhe der Lehre
unterschieden. Aber wenn er vom <höchsten Guten> (zhi shan ~~) sagt, dass es das von Konfuzius erreicht zu haben, während er Wang Yangming auf das Niveau von Yao
<eigentliche Wesen des Herzens (Geistes)> (xin zhi ben ti ,t,,L*lll)295 sei, so unter- und Shun, den Vorläufern von Konfuzius, herabsetzt. Er tut dies, indem er Wang Yang-
schiedet sich das nicht von der <hellen Tugend>, und ich befürchte, dass dies nicht die mings Verständnis des «höchsten Guten» mit der «hellen Tugend» gleichsetzt, und will
eigentliche Bedeutung des <höchsten Guten> ist. Die dritte Aussage [nämlich: <Es be- ihn durch sein eigenes Verständnis der «höchsten Guten» als «Ordnung· der eigenen
steht im Anhalten beim höchsten Guten.>] fordert nach den Wörtern selbst eine klare Person», welche die Ordnung der Gesellschaft impliziert, verbessern. Wang Yangming
Unterscheidung [von den beiden vorangehenden]. Die Tradition des Festhaltens an identifizierte allerdings das «höchste Gute» nicht einfach mit der «hellen Tugend» als
der Mitte (zhi zhong fJLi:p) [der heiligen Könige] Yao und Shun bis vor Konfuzius war «Substanz» (ti lll) im Gegensatz zu ihren «Funktionen» (yong ffl), sondern mit dem
nichts anderes als ein Lernen des <Erhellens der hellen Tugend> und des <Liebens des «eigentlichen Wesen» (ben ti *lll) der «hellen Tugend», das heißt mit der «hellen
Volkes>; sie kannte nur noch nicht die Wahrheit des <Ordnens der eigenen Person> (an Tugend» in ihrem unverdunkelten geistigen «Leuchten» oder Wirken ihrer reinen
shen ~~) und wusste so noch nicht <beim höchsten Guten anzuhalten>. Erst Konfuzi- «Funktionen» (yong ffl) des «Liebens des Volkes», das heißt mit dem vollkommenen
us erkannte diese Wahrheit und hat beim <Erhellen der hellen Tugend> und <Lieben «ursprünglichen Wissen» (dritter Begriff des «ursprünglichen Wissens»). Wang Gen
des Volkes> einen höchsten Punkt aufgestellt und daher noch weiter vom <Anhalten setzt also seine Idee der «Ordnung der eigenen Person» (an shen ~ ~) genau an die Stel-
beim höchsten Guten> gesprochen. Das <Anhalten beim höchsten Guten> bedeutet le von Wang Yangmings (drittem) Begriff des «ursprünglichen Wissens», ersetzt diesen
das <Ordnen der eigenen Person> (an shen ~~). Das <Ordnen der eigenen Person> ist also durch jene. Dabei vermj.scht er wahrscheinlich Wang Yangmings Unterscheidung
die Errichtung des großen Fundamentes (der großen Wurzel) des Reiches (der Welt) zwischen «Substanz» und «eigentlichem Wesen» des Herzens.
(li tian xia zhi da ben -JJ..~"F'L**)- Wenn das Fundament (die Wurzel) reguliert (ge- Wie fiel die Reaktion der Mitschüler Wang Gens auf diese Lehre aus? Sie scheint
ordnet) ist, ist auch das Fundierte (sind auch die Zweige) reguliert (geordnet) (ben zhi keinen Sturm der Entrüstung ausgelöst zu haben. Die einzige ausführlichere Stellung-
ermo zhi *$äim*$ä); <wenn man sich selbst gerade (richtig) macht, werden auch die nahme eines Mitschülers, die mir bekannt ist, ist diejenige von Luo Hongxian, der
anderen Wesen gerade (richtig)>. 296 Die eigene Person ist nämlich das Fundament (die Wang Gen Ende Januar 1540, also weniger als einJahr vor dessen Tod inAnfengchang
Wurzel) von Himmel und Erde und von allen Wesen, und Himmel und Erde und alle :ti;l!t,; im Kreis Taizhou aufsuchte. Luo Hongxian befand sich damals auf der Reise
Wesen sind das Fundierte (die Zweige). Indem man weiß, dass die eigene Person das

297 Daxue, Grundkapitel.


298 Ytjing, Xici, 2. Teil, Kap. 5 (Übersetzung von Richard Wilhelm, S. 314). Der «Grnße Anhang» des
294 «Fragen zum Daxue», Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 968f. «Buches der Wandlungen» galt in der Tradition als von Konfuzius geschrieben.
295 Wang Gen ersetzt hier Wang Yangmings «eigentliches Wesen der hellen Tugend» durch «eigent- 299 Der Titel Daxue wurde von Wang Yangming und seinen Schülern verstanden als «Lernen der großen
liches Wesen des Herzens (Geistes)». Dies widerspricht nicht Wang Yangmings Intention, denn er Menschen (großen Persönlichkeiten)»; siehe oben Teil 1, Kap. 3, § 5, S. 208.
bezeichnete auch das eigentliche Wesen des Herzens als das höchste Gute, zum Beispiel Chuanxi tu I, 300 Yutu II, Wang Xinzhai quan ji, taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 3,
Nr. 2; Chuanxi tu IT, Nr. 318. S. 2a-b (S. 71f.); wir halten uns in unserer Übersetzung meistens an die klarere Version dieser Auf-
296 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 19. zeichnung im MRXA,juan 32, Beijing 1985, S. 712f.
338
339

von seinem \1/ohnort in der PräfekturJi'an nach Peking, um dort seine Beamtenstelle scs Dao verstand.> 303 Durch diese Worte hatte ich eine tiefe Einsicht (po you shen xing
an der Hanlin-Akademie wieder einzunehmen. Wang Gen war seit 1538 krank und ~~j*~): Offensichtlich muss der Geist sich nicht nach außen richten, sondern man
empfing Luo IIongxian an seinem Krankenlager. Es kam zu ausführlichen Gesprä- kann immer nur die eigenen Probleme lösen, das, was uns selbst am nächsten liegt
chen. Eine größere charakterliche Verschiedenheit von Gesprächspartnern kann man (:,zhi you zi liao yi zhao, yu wu ren zui )in qie ..R~ ~ 7 -~JJf\§f Ait~-1::JJ). Am 22. Tag
sich kaum denken. Auf der einen Seite der sechsundfünfzigjährigc, selbstsichere, in [31. Januar] kamen Shuangqiao, Sunfeng und Dongcheng [= Lin Chun].3° 4 Ich sagte
seinen Geschäften und als Lehrer erfolgreiche Mann aus dem gewöhnlichen Volk, zu Dongcheng: ,Ich habe während zweier 'fagc die Worte von Herrn Xinzhai [Wang
auf der anderen Seite der überaus gebildete und intelligente, zwanzig Jahre jüngere Gen] gehört. Obschon ich sie noch nicht vollständig bis zur Stelle der <Richtigkeit
Intellektuelle, der 1529 in Peking als Bester aus den höchsten Staatsprüfungen her- der anderen Wesen durch die Berichtigung von sich selbst> aufzunehmen vermag (wei
vorgegangen war, beständig an sich selbst zweifelte und geistig unermüdlich wciter-
suchte, ohne je zu einem für ihn voll befriedigenden Resultat zu gelangen.
*
nengjin ling zhi zhengji wu zheng chu ri~f!~it~ iE 2 WJ iEJE), ist das doch etwas, was die
Menschen kräftig anzuspornen vcrmag.>» 305 Am 1. Februar 1540 war Luo Ilongxian
Über seine persönlichen Gespräche mit Wang Gen hat Luo Ilongxian in seinen nach seinen «Aufzeichnungen» vom Morgen bis in die Nacht hinein zusammen
<<Aufzeichnungen von der Winterreise» (Dang you ji ~J.ih~) Folgendes festgehalten: mit einer großen Zahl von Schülern Wang Gens um diesen versammelt. Nach dem
«Am 20. 'lag des zwölften Mondes [29. Januar 1540] kam ich nach Anfengchang Abschied an diesem L'lg schrieb Wang Gen für Luo Hongxian das «Lied der großen
~~:!:~ und besuchte \;\fang Xinzhai [Wang Gen]. Xinzhai konnte damals, weil er krank Vollendung des Lernens» (Da cheng xue ge ;k,q)VJ~X) und ließ es ihm zukommen. Es
war, sein Haus nicht verlassen. So waren es Gespräche am Krankenlager. Ich sprach beginnt mit den Versen: «Als Sie, edler Herr, vor zehn Jahren krank waren, bin ich
über die betrübliche [politische] Situation der neueren Zeit und suchte Abhilfe durch Ihnen in der Gefahr beigestanden, wir haben uns getroffen und haben uns verstan-
die [konfuzianische] Lehre. Xinzhai ging darauf nicht ein, sondern sprach nur über den. Nach zehn Jahren bin ich nun krank, Sie wollten mich besuchen, und es war
die Aufrichtung der großen Grundlage («Wurzel») (li da ben il:;k ✓-i,;) und meinte, dass, wieder so wie damals. Von Anfang bis Ende sind Anreiz und Reaktion (wechselseitige
wenn rnan seine eigene Person [ethisch] aufzurichten vermag (neng li ci shen ~il:Jlt Entsprechung: gan ying IB¾.l!l) wie an einem 'lag; wenn man den 1\1enschen Gutes tut,
ffit), man denselben Rang wie Himmel und Erde einnehme und alle Wesen großziehe dann verhalten sie sich alle ebenso.>, 3or, Dieses Verhältnis von «Anreiz und Reaktion
(neng wei tirm di yu wtm wu ri~{:tr.xt&J\Hit"Wl) und dass sich dann die Übel von selbst (Wechselwirkung)» ist das, was \1/ang Gen in seinem oben zitierten <<Rezept zur
auflösten. Er sagte auch: ,Unser Lernen (ci xue JJt~) vermögen auch die gewöhnlichen Erzwingung der Menschlichkeit» von 1536 das «Dao von Anreiz und Reaktion (das
Leute zu erkennen und zu praktizieren. Das Dao des heiligen Menschen besteht nur Dao der wechselseitigen Entsprechung)» nannte: «Wer die anderen Menschen liebt,
im vVillen, dass alle Menschen dieses Lernen erkennen und praktizieren; das ist der den lieben immer auch die anderen Menschen; wer den anderen Menschen vertraut,
Handgriff (ba bing f~ffl) für das Erreichen des Ranges von Himmel und Erde und dem vertrauen immer auch die anderen Menschen.>>rn 7
für das Großziehen aller vVesen. Wenn man das nicht weiß, erreicht man nur etwas Dieses «Dao der wechselseitigen Entsprechung» oder der «Erzwingung der
Einseitiges, auch wenn man Wahres sagt.>301 Am 21. Tag [30. Januar 1540] besuchte Menschlichkeit» der anderen Menschen durch die eigene Menschlichkeit stand of-
ich ihn erneut. Indem er über die <Richtigkeit der anderen Wesen aufgrund der Be- fenbar im Zentrum der Gespräche zwischen Wang Gen und Luo Hongxian. Wenn
richtigung der eigenen Person> (zhengji wu zheng iE 2 !l@IE) sprach, sagte er: ,Das ist Luo Hongxian nach den persönlichen Gesprächen mit Wang Gen dessen vertrautem
unsere Stütze und unsere Grundlage (gui su chu !iHa JE). Wenn man sieht, dass andere
Menschen schlecht sind, bedeutet dies, dass man selbst noch nicht völlig gut ist; wenn
man selbst völlig gut ist, dann müssen sie sich von selbst verändern (zi dang zhuan yi 303 Auch diese von Luo Hongxian in direkter Rede aufgezeichneten Aussagen Wang Gens wurden,
~ i1i'f5~)- Wenn man sich selbst in dieser Weise sieht, dann ist eine einzige Person ohne Angabe der Quelle, des Adressaten und der Zeit, wörtlich in den ersten Teil von Wang Gens
Yulzt («Aufgezeichnete Gespräche») aufgenommen. Sie bilden dort die letzte Aufzeichnung: a.a.O.,
keine kleine Sache (yi shen bu shi xiao -ffi}-1"~ 1J'). Wenn einer richtig ist, dann sind
S. 15a-b (S. 67f.).
alle richtig; wenn einer vollendet ist, dann sind alle vollendet. Das heißt das Gute der 304 Zu Lin Chun ;Mi ff (Beiname: Dongcheng *:IP.l, 1498-1541), der aus armen Verhältnissen stammte,
Welt; das heißt die überall auf der Welt wirkende Ursache (tong tian xia zhi gu ffix ""F zuerst Diener von Wang Gen war und 1532 als Primus die höchsten Staatsprüfungen in Peking
bestand, siehe oben zu Beginn dieses Paragraphen, S. 314. Er war mit Wang Ji befreundet, der
.zt&). Dadurch <kultiviert der heilige Mensch sich selbst und bringt dem Volk Sicher-
gleichzeitig mit ihm die höchsten Staatsprüfungen bestanden hatte. Shuangqiao und Sunfeng (oder
heit und Frieden>, 302 und die Welt ist in Ordnung. Konfuzius war der Einzige, der die- Xunfeng) sind mir nicht bekannt; ich vermute aufgrund des Kontextes von Luo Hongxians Bericht,
dass auch sie Schüler Wang Gens aus dem Kreis Taizhou waren.
305 Luo Hongxianji, 2007,juan 3, S. 62f.; Si ku quanshu, Nian'an wenji,juan 5, S. 15b-16a.
306 Dieses «Lied» ist nicht nur in Luo Hongxians «Winterreise» enthalten (Luo Hongxian ji, Nanjing
301 Diese von Luo Hongxian in direkter Rede aufgezeichnete Aussage Wang Gens wurde, ohne Angabe 2007,juan 3, S. 63; Nian'an wenji,juan 5, S. 16b-17a), sondern wurde in einer etwas erweiterten
der Quelle, des Adressaten und der Zeit, wörtlich in den ersten Teil von Wang Gens Yulu («Auf- Fassung unter dem Titel «Lied von der großen Vollendung» (Da cheng ge -}l;_fN, lili:) auch in Wang Gens
gezeichnete Gespräche») übernommen. Sie ist dort die achte Aufzeichnung: U1ang Xinzbai quan ji, «Gesammelte Texte» aufgenommen: U1ang Xinzhai quan ji, taiwanesischer Nachdruck der japanischen
taiwanesischer Nachdruck der japanischen Ausgabe von 1846,juan 2, S. 2a (S. 41). Ausgabe von 1846,juan 4, S. 9a (S. 107).
302 Lunyu, 14. Buch, Kap. 42 (45). 307 Siehe oben in diesem Paragraphen, S.331.
340 341

Schüler Lin Chun (Dongcheng) gegenüber bemerkte, dass er die Aussagen von Wang Wang Gen stimmte aber in manchen Punkten mit der Lehre Wang Yangmings
Gen «noch nicht bis zur Stelle der <Richtigkeit der anderen Wesen durch die eigene überein: so im Verständnis des «ursprünglichen \1/issens» als Gewissen (zweiter
Berichtigung> (zhengji wu zheng IE 2, !Jo/1 IE) aufzunehmen (sich anzueignen)» vermöge, Begriff des «ursprünglichen Wissens»), im Gedanken der Verdunkelung dieses mo-
so ist dies eine höfliche chinesische Form zu sagen, dass er dieser Lehre Wang Gens ralischen Bewusstseins durch die «menschlichen Begierden» oder die «Begierden
nicht zustimmen kann bzw. dass er sie nicht für richtig hält. Aber er gibt ihr doch nach den Dingen», 312 in der Lehre von der «Achtsamkeit beim nicht Gesehenen und
einen großen pragmatischen Wert, da sie die Leute anspornt, in moralisch schlechten Furchtsamkeit beim nicht Gehörten» (erstes Kapitel des 7hongyong) für die Klärung
sozialen Verhältnissen nicht, wie üblich, den anderen Menschen Vorwürfe zu machen, des «Gewissens». So sagte er: «Wenn man das Dao lernt, muss man <beim nicht
sondern die Fehler bei sich selbst zu suchen und zu trachten, die anderen durch eige- Gesehenen achtsam und beim nicht Gehörten furchtsam sein>. So weiß man immer,
ne Menschlichkeit ihnen gegenüber zu einem menschlichen Verhalten zu bewegen. wenn [im eigenen Herzen] etwas Nichtgutes ist. Und wenn man es weiß, wird man
Wang Gens problematische Lehre der «notwendigen Wechselwirkung» kann wohl es nicht wieder tun.» 313
bis zu einem gewissen Grad fruchtbar praktisch angewandt werden, «als ob sie wahr Aber er scheint, wohl in seiner späten Zeit, in Hinsicht auf die geistige Pra-
\väre». In diesem pragmatischen Sinne, und nicht als eine Theorie der notwendigen xis der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» auch zu einer Auffassung gekommen zu
Verursachung der Güte der anderen Menschen durch eigene Güte, konnte Wang sein, die derjenigen von Wang Yangrning entgcgengesetzt114 und mit derjenigen
Gens Lehre des «Ordnens der eigenen Person» wohl in der Schule Wang Yangmings von Nie Bao verwandt ist. Nie Bao hatte seit etwa 15 37 die Überzeugung, dass das
akzeptiert werden. Doch waren sich die Mitschüler Wang Gens sicherlich der Ab- «ursprüngliche Wissen» durch die «Rückkehr in die Stille», das heißt durch die Ver-
weichung dieser Lehre von derjenigen ihres verstorbenen Lehrers bewusst. Dass sie senkung in den geistigen Zustand der «Mitte vor dem Entstehen aller Gefühle und
Wimg Gen deshalb kaum kritisierten, hängt wohl auch damit zusammen, dass Wang Gedanken» (Zhongyong), vor dem Entstehen aller geistigen (psychischen) Aktivitäten,
Gen ,vcit älter als die allermeisten von ihnen war und dass er starb, bevor die größeren «verwirklicht wird» und dass aufgrund dieser meditativen Praxis die geistigen Akti-
kritischen Auseinandersetzungen innerhalb der Schule einsetzten. Konflikte aber gab vitäten dann «von selbst» gut werden. Er wurde später wegen dieser Auffassung von
es nach Wang Gens 'Iod mit dessen Nacbfolgern. 308 Wangji, einer der vertrautesten seinen Mitschülern Zou Shouyi, Ouyang De und Wang Ji kritisicrt. 315 Ob für diese
Schüler \Vang Yang1nings und immer danach bestrebt, die Einheit der Schule zu wah- geistige Praxis zwischen Wang Gen und Nie Bao anregende Kontakte bestanden, ist
ren, schrieb, wahrscheinlich in v½mg Gens letztem Lebensjahr, diesem einen Brief, in
welchem er ihn auf seine Abweichungen von Wang Yangming aufmerksam macht und
sich dabei wohl aufI ,uo Hongxian bezieht. Dieser Brief ist meines Wissens nicht mehr den Linien von Zhcjiang (mit Qhn Dd1ong, Wang Ji etc.), von Jiangxi (mir Zou Shouyxi, Ouyang
De, Nie Bao, Luo Hongxian usw.) vom Süden des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking, in
erhalten, 309 jedoch v½mg Gens Antwort darauf: «Sie sagen in Ihrem Brief: <Meister welchem Wang Gen wohntt;, und anderen T,inien nicht als zur Schule von vVang Yangming (Wtmg
Luo [Ilongxian] zweifelt, ob das Ausgeben und [entsprechende] Einnehmen (chu ru t:l:l mcn gehörig. Hou Wailu sagt in seiner großen ,,Umfassenden Ccschichtc des chinesischen
.7'.) [Wang Gens Idee der <Wechselwirkung>] die Lehre des Meisters [Wang Yangming] Denkens», dass die Taizhou-Richtung ein «unechter» Teil der Schule Wang Yangmings sei (Bd. 4, 2 .
Teil, Beijing 1960, S. 958), und in Band 2 (Beijing 1987) der «Geschichte der Philosophie der Song-
ist.> Schade, dass er nicht daran dachte, [mich] darüber zu befragen. Ein Sprichwort und Ming-Dynastie» erklären die Autoren (unter ihnen ist an erster Stelle Hou Wailu angegeben,
sagt: Menschen, die mich kennen, gibt es sehr viele; Menschen, die mein Herz kennen aber der eigentliche Verantwortliche des Werkes ist Qiu Hansheng), dass die Taizhou-Richtung nicht
(zhi xin !ßi,t.,), gibt es nur wenige.> Wer gehört zu diesen wenigen, wenn nicht Sie, mein zur Schule Wang Yangmings gehöre (S. 416). Für eine Abtrennung Wang Gens von der Schule Wang
Yangmings kann man gute sachliche Gründe anführen. Allerdings widerspricht sie der traditionellen
Herr? Sie kennen mein Herz, und Sie kennen auch das Herz des verstorbenen Lehrers chinesischen Sichtweise, für die das gegenseitig eingegangene Schüler-Lehrer-Verhältnis maßgebend
[Wang Yangming]. Aber ich weiß noch nicht, ob Sie auch fähig sind, das Herz von ist, und dieses Verhältnis ist zwischen Wang Gen und Wang Yangming nicht in Zweifel zu ziehen.
Konfuzius zu erkennen. Wenn man das Herz von Konfuzius kennen will, muss man Wang Gen hat sich immer wieder bis in seine späten Jahre auf Wang Yangming als seinen Lehrer
berufen. Die Motive dieser Abtrennung bei Huang Zongxi, Hou Wailu und Qiu Hansheng sind zum
die Lehre von Konfuzius kennen. Wenn man die Lehre des Konfuzius kennt, dann ist Teil durch ihre besonderen Standpunkte bedingt: Huang Zongxi ist durch seinen Vater und auch
das Verständnis des großen Mannes vollständig.» 310 Wie schon in den oben zitierten durch seinen Lehrer Liu Zongzhou (1578-1645) von der Sichtweise der Donglin-Schule bestimmt,
Aussagen will Wang Gen seine Differenz zu Wang Yangming nicht verbergen, erbe- welche die Taizhou-Linie, besonders in ihren Vertretern YanJun (BeinaJ11e: Shannong) und He Xi-
nyin (1517-1579), als einen Abfall vom Konfuzianismus betrachtete, und er wollte die Schule Wang
tont aber wieder seine völlige Übereinstimmung mit seinem Lebensideal Konfuzius. 311 Yangmings, den er hochhielt, von diesem Geschwür befreien. Hou Wailu und Qiu Hansheng heben
als «Marxisten» umgekehrt Wang Gen und viele seiner Schüler als Vertreter des gewöhnlichen Volkes
und der arbeitenden Klasse hoch und versuchen, ihn von Wang Yangming als einem Vertreter der
feudalistischen Herrscherklasse und als einem «subjektiven Idealisten» möglichst fernzuhalten.
308 Siehe unten in§ 6, S. 353f. 312 Siehe sein Ming zhe baoshen lun («Abhandlung über die kluge und weise Erhaltung der eigenen Per-
309 Er findet sich nicht in Wang Jis «Gesammelten Werken». son»), sein Le xue ge («Lied über die Freude des Lernens») und die erste Aufzeichnung im zweiten
310 «Antwort an Longxi», Wi'tng Xinzhao quan ji, a.a.O.,juan 5, S. 18a-b (Taipei 1970, S. 161f.). Teil seines Yztlu («Aufgezeichnete Gespräche»).
311 Es gibt chinesische Philosophiehistoriker, die Wang· Gen nicht zur Schule Wang Yangmings rechnen. 313 Yulu I, a.a.O.juan 2, S. 56 (S. 48).
Schon Huang Zongxi (1610-1695) bezeichnet in seinen «Dokumenten der Konfuzianer der Ming- 314 Zu Wang YangmingsAuffassung siehe oben in Teil I, Kap. 2, § 1, S. 140ff., und§ 3, S. 166ff.
Dynastie» (l'v1RXA) die von Wang Gen ausgehende «'fraditionslinie von Taizhou» im Gegensatz zu 315 Siehe unten in diesem Teil das Kap. 3.
342 343

nicht klar, doch sind sie nicht auszuschließen. Denn Nie Baos Adoptivsohn Nie Jing Das «Aufrichten der großen Grundlage» ist für Wang Gen, wie wir oben gesehen
li 'ff besuchte 1536, als er Kreisbeamter in der Präfektur Zhenjiang war, Wang Gen haben, dasselbe wie das «Ordnen der eigenen Person» (an s/;en ~~),dasselbe wie die
im nahegelegenen Taizhou, 316 und ein Landsmann Nie Baos aus demselben Kreis «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens». Als Methode, urn zu dieser Ordnung
Yongfeng der Präfektur Ji'an war 1538 (oder 1539?) Schüler von Wang Gen. 317 In der eigenen Person zu kommen, stellt Wang Gen hier also eine besondere meditative
vVimg Gens «Aufgezeichneten Gesprächen» findet sich folgende Passage, die ihn Versenkung in einen geistigen Zustand vor allen Bewusstseinsaktivitäten, «ohne (gute
von dieser ganz neuen und unerwarteten Seite zeigt: «Der Lehrer [Wang Gen] sagte oder schlechte) Gedanken» (wu nian AA~) vor. Aufgrund dieser Versenkung «ordnet»
z~1 [Wang] Zijing [±.]-=.H\)( 318 : <Wie sieht man in letzter Zeit die ethische Anstrengung man sich dann «von selbst», das heißt spontan.
(Ubung: gong fu J}JJc)?> Zijing antwortete: <Wenn gute Gedanken sich regen (shan Soweit ich sehe, hat Wang Gen in der Schule Wang Yangrnings weniger durch
nian dong ~~ib), muss man sie ausführen (chong 3t); wenn schlechte Gedanken sich seine Lehren vorn notwendigen Verursachen der Moralität der anderen Menschen
regen, muss man sie vertreiben.»> Offenbar fragte Wang Gen nach der damals in der durch die eigene Moralität und vom Gewinnen der eigenen Moralität durch medi-
Schule Wang Yangmings herrschenden Auffassung von der ethischen Anstrengung tative Versenkung in einen Geisteszustand «ohne Gedanken» gewirkt als vielmehr
der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens», und Wang Zijing antwortete mit durch seine Lehren, dass auch die gewöhnlichen Menschen aufgrund der in ihnen
der dort gängigen Auffassung, die eindeutig auf Wang Yangming selbst zurückgeht vorhandenen «Substanz» des «ursprünglichen Wissens», die ihre menschliche Na-
und von zahlreichen Schülern wie Qian Dehong, Ouyang De und anderen vertreten tur (xing tt.) ausrnacht, 323 im alltäglichen Verhalten das Leben heiliger Menschen zu
wurde. «Der Lehrer fragte [weiter]: <Wie aber, wenn sich die guten und die schlechten führen vermögen, wenn sie sich dieser «Natur» bewusst werden, und dass ein solches
Gedanken nicht regen?> Zijing vermochte nicht zu antworten. Der Lehrer sagte: <Das Leben nichts Künstliches und Erzwungenes hat, sondern ganz ursprünglich, natür-
ist gerade die <iVlitte [vor dem Entstehen der Gefühlc]>, 319 das ist gerade die Natur des lich, spontan und freudvoll ist. Für diese Natürlichkeit und Lebendigkeit gebraucht
Menschen (xing tt.). Man muss nur gegenüber dieser achtsam und furchtsam sein. [... ] Wang Gen oft das aus eiern «Klassiker der Oden» (Shijing) stammende Bild des «in
Wenn diese Mitte immer da ist (chang shi ci zhong }f\'~Jt~i:f:l), dann weiß man aus sich den Himmel fliegenden Falken» und des «aus der' l 'iefe emporschnellenden Fisches»
selbst (zi zhi § 9'□), wenn sich gute Gedanken regen; dann weiß man aus sich selbst, (Ode 2 39), das im zwölften Kapitel des Zhongyong zitiert wird. Er sagt: «Die <Substanz
wenn sich schlechte Gedanken regen; dann werden die guten Gedanken von selbst des ursprünglichen Wissens> (liang zhi zhi ti .El:9'0.:L Im) ist ebenso spontan und lebendig
ausgeführt (zi chong § 3t); dann werden die schlechten Gedanken von selbst vertrieben wie das Fliegen des Falken und das Emporschnellen des Fisches (yu yuan fei yu yue tong
(zi qu § :tä;). Wenn man um diese <Achtsamkeit im Alleinsein> (shen du tl~) 320 weiß, yi huo po po di ~~m~/lilii.J-)!~~±i!l). [ ... ] Das Wichtige ist die spontane (natürliche)
dann ist man fähig, die großen Grundlage (die große<Wurzel>) aufzurichten (li da ben Ordnung des ]-:fimmcls (zi ran tian .ze § M::RJJ.U); man soll nicht mit menschlichen
.ll.:k21,;). Und nachdem man fähig ist, die große Grundlage aufzurichten, dann verliert Kräften künstlich manipulieren (bu zhuo ren li an pai 1"ii!i' .A.:b ~tl~).»324 «Die Ord-
man im Inneren nicht sich selbst und im Äußeren nicht die anderen Menschen; dann nung des täglichen Verhaltens des gewöhnlichen Volkes (bai xing ri yong tiao li chu
besteht kein Leck (wu shen lou 1!!U~iffi). Wenn man alle Menschen veranlassen kann, auf ~!11 S ffl{~!lll.~) ist die Ordnung der heiligen Menschen. Die heiligen Menschen sind
diese Weise sich anzustrengen, dann ist dies die Verwirklichung der <Harmonie des sich dieser Ordnung bewusst und verlieren sie deshalb nicht; <das gewöhnliche Volk
Maßes der Nlitte> (zhi zhong /jie] he 3&J:P [WJ~),iz 1 dann bedeutet dies, den Rang von ist sich ihrer nicht bewusst>325 und kann sie deshalb verlieren (bu zhi hit.m hui shi
Himmel und Erde einzunehmen und das Großziehen aller Wesen zu vollbringen.» 322 :;i::: 9;□ -(f ~$\:).» 326 «Ein einfältiger Mann und eine einfältige Frau (yu fu yu fu ~~.IIJi)
vermögen mit Bewusstsein (Wissen) zu handeln (yu zhi neng ::dng ~9'Dti~fi). Dann ist
es das Dao und ebenso spontan und lebendig wie das <Fliegen des Falken und das
316 Siehe oben in diesem Paragraphen, S. 312. Emporschnellen des Fisches>; dann ist es das Wissen um ihre menschliche Natur
317 Es war dies Zhang F~_ng ~~ IJ!/t (Beiname: Yuping .:lilff, [501-?). In Wang Gens Nianpu wird unter dem (zhi xing 9'011.).»127 In diesen Gedanken stimmte Wang Gen mit seinem Lehrer Wang
17. Jahr der Jiajing-Ara (1538) angegeben, dass Zhang Feng aus dem Kreis Taihe in der Präfektur
Ji'an Schüler Wang Gens war. In Wirklichkeit stammte er aber wie Nie Bao aus Yongfeng: siehe Wu Y:mgming und auch mit manchen seiner Mitschüler, vor allem mit WangJi, überein.
7:hen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 94. Wu gibt eine Quelle an, nach der 7:hang Fcng 1539
nach Taizhou zu Wang Gen ging.
318 Diese Aufzeichnung wurde teilweise auch ins MRXA,juan 32 (Beijing, 1985, S. 716), aufgenommen.
Dort w.ird präzisiert, dass Zijings Familienname W.1ng :E war. Wang Zijing :E "f:/1& war wohl ein 323 Wang Gen versteht das «ursprüngliche \Vissen,.• oft als menschliche «Natur» (xing lt), die nicht
Schiller \-Vang Gens, denn dieser gab seinen Schülern besondere Beinamen, deren erstes Zeichen «T» bewusst zu sein braucht. In diesem Sinne spricht er von der «Substanz des ursprünglichen Wissens»:
war, wie T@ (Zizhi) für Xu Yue. War Wang Zijing Wang Gens Neffe Wang Dong :E:tl!! (Beiname: vgl. seine Briefe anXu Yue (Zizhi), a.a.O.,juan 5, S. 7a (S. 140), und an Qian Dehong (Xushan), a.a.O.,
Yi'an -fill'), der auch seiu Schüler war:> juan 5, S. 9b (S. 144).
319 Lhongyong, 1.Kap. 324 Yitlu I, a.a.O.,juan 2, S. 13b (S. 64). .
320 Ebd. 325 Yzjing, Xici («Großer Anhang»), 1. Teil, Kap. 5: «Das gewöhnliche Volk entspricht ihm [dem Dao]
321 Fbd. täglich, ohne sich dessen bewusst zu sein>
322 hilu II, H1mg Xinzhai qzwn ji, taiwanesischcr Nachdruck der japanischen Ausgahc von 1846,juan .l, 326 Yulu I, a.a.O.,juan 2, S. 4b (S. 46).
S. 10b (S. 88). 327 Yulu I, a.a.O.,juan 2, S. 2a (S. 41).
344 345

Er betonte aber explizit, dass auch die einfältigen Leute, die ihm besonders nahestan- Provinz in den Jahren 1517 bis 1519, vor allem aber an seine Niederschlagung der
den, fähig sind, in ihrem ganz gewöhnlichen, alltäglichen Leben dem «ursprünglichen Rebellion des Prinzen von Ning im Jahr 1520, die das Kaiserhaus und den Frieden
Wissen» zu entsprechen, und er sah seine Aufgabe als Lehrer und Nachfolger von im ganzen Reich bedrohte, gedacht haben mag.
Konfuzius darin, auch im gewöhnlichen Volk das Bewusstsein des in ihm vorhandenen Im Anhang zu Wang Yangmings «Lebenschronik» werden die Gründung und
«ursprünglichen Wissens» zu wecken und dadurch <won unten» das ganze Reich zu die Versammlungen der Fugu-Akademie in Anfu in einen weiteren Zusammenhang
reformieren. gestellt: «Im ersten Mond des 13. Jahres der Jiajing-Ära [Frühjahr 1534) gründete
der Schüler [Wang Yangmings] Zou Shouyi in Anfu die Fugu-Akademie und op-
§ 6 Das blühendste Zentrum der Schule Wang Yangmings in der ferte dem Lehrer. Schon als der Lehrer [Yangming] noch in Yue [Shaoxing] war,
Präfektur Ji'an der Provinz Jiangxi. Die Liu-Sippe und Zou Shouyi gründete [sein Schüler] Liu Bangcai die Xiyin-Versammlungen (Xiyin hui ffi~ft);
als die führenden Kräfte, Van Jun und He Xinyin als alternative jeden zweiten Monat (jian yue raiJ:l) fanden Versammlungen von fünf Tagen statt.
Kräfte dieses Zentrums Der Lehrer [Yangming] schrieb [1526) dafür die <Rede für Xiyin>. 331 Später, als
[Zou] Shouyi sein Amt als Kanzler der Kaiserlichen Hochschule (ji qiu zhi zheng ~m
Im Jahr 1563, ein Jahr nach Zou Shouyis Tod, schrieb WangJi an den Studiendirektor itil&) [in Nanking] niedergelegt [1541], [nachAnfu] heimgekehrt und zusammen mit
für den Kreis Anfu ~:ffil der Präfektur Ji'an ~3i:: «Die größten Verdienste seines Le- [Liu] Bangcai, Liu Wenmin IJ >Cti [Beiname: Liangfeng ffilflf, 1490-1572], Liu Zihe
bens (shengping de ye ~.siz~~) erwarb sich der Meister [Wang] Yangming inJiangyou IJ -=f~, Liu Yang IJ [!.; [Beiname: Sanwu .=1i] [es folgen noch die Namen von drei
[= ProvinzJiangxi], und nirgendwo anders als inJiangyou war dann die Gepflogenheit weiteren, mir unbekannten Personen, von denen eine wie die vier zuvor angeführten
der Lehrversammlungen (jiang xue zhi feng ilt•z.lil) größer, und besonders groß war ebenfalls den Familiennamen Liu trägt: Liu Zhaogun IJ M:{{J die Fugu-Akademie,
sie in Ancheng ~i}& [= Anfu] der Präfektur Ji['an]. Denn weil Dongkuo [Zou Shouyi] die Lianshan-Akademie ilu.ttl~ und die Fuzhen-Akademie flJl:g:~ [bei Zhouhu
und andere Edle ihr Leben der Lehre widmeten, wurden die Anhänger zahlreich; es Jfflml im Kreis Anfu] errichtet hatten, organisierten sie [innerhalb des Kreises Anfu]
wurde die Fugu-Akademie gegründet, um die Lernenden aufzunehmen. Bei jeder die <Versammlungen der vier Dörfer> (si xiang bui ll!ll!ft). 332 Und im Frühling und im
Versammlung zählten die aus den verschiedenen Richtungen Herbeiströmenden nicht Herbst gingen Leute gemeinsam aus fünf Präfekturen (wu jun 1iffl!)333 zu einer großen
weniger als zwei- bis dreihundert Leute.Jedes Mal, wenn ich daran teilnahm, konnte Versammlung ins Qingyuan-Gebirge ~ JJ1- u.i. Auch Beamte (da fu *;/<:.) aus allen Orten,
ich sehen, dass die Diskussionen zwischen Lehrern und Schülern, zwischen Älteren die sich in den Kreisen der Präfektur (jun yi II e) befanden, trafen sich da. So waren
und Jüngeren großen Nutzen für die gegenseitige ethische Kultivierung (jiao xiu also die <Xiyin-Versammlungen> der Anfang von regelmäßigen Versammlungen von
~~) hatten.» 328 Zou Shouyi stammte aus dem Kreis Anfu und hatte nach dem Anhang Gleichgesinnten (tongzhi liiJ;!;:) aus verschiedenen Orten.»334 Das Qingyuan-Gebirge
zu Wang Yangmings «Lebenschronik»1534, fünf Jahre nach Wang Yangmings Tod, befindet sich nicht im damaligen Kreis Anfu, der im Nordwesten der Präfektur Ji'an
etwa einen Kilometer südwestlich der Kreisstadt329 die Fugu-Akademie («Akademie lag, sondern in deren Mitte, ungefähr fünfzehn Kilometer südwestlich der Präfek-
der Umwendung des Alten») gegründet. 330 Er nannte sie wohl so im Anklang an die turhauptstadt auf der Ostseite· des Gan-Flusses. Am Fuß dieses Gebirges liegt das
von ihm 1525 in Guangde (im direkten Verwaltungsgebiet von Nanking, heute in der berühmte buddhistischeJingju-Kloster 5'"5~, das als Versammlungsort der Schule
Provinz Anhui) gegründete Fuchu-Akademie («Akademie zur Umwendung der An- Wang Yangmings der verschiedenen Kreise der Präfektur Ji'an diente. 335
fänge»). Das Eingeständnis, dass die Schule Wang Yangmings inJiangxi am meisten Der obige Bericht aus dem Anhang von Wang Yangmings «Lebenschronik»
blühte, muss Wang Ji, der wie Qian Dehong in Zhejiang zu Hause war und zusammen führt die Tradition der «Versammlungen der Gleichgesinnten aus verschiedenen Or-
mit diesem eine besondere Verantwortung für die Schule hatte, nicht leicht gefallen
sein. Er erklärt dies im obigen Text in buddhistischer Weise dadurch, dass Wang Yang-
mings Verdienste (wörtlich: «Tugendkarma»: de ye 1!~) in dieser Provinz am größten 331 Xiyin shuo, datiert auf 1526, enthalten in Quanji,juan 4, Shanghai 1992, S. 267f.
waren, wobei er an Wang Yangmings Befriedung der südlichen Grenzgebiete dieser 332 Mit den «vier Dörfern» sind die Dörfer in der Umgebung der Kreisstadt Anfu gemeint. Die Zahl
Vier weist auf die vier Himmelsrichtungen hin, nicht auf eine bestimmte Anzahl von Dörfern: siehe
Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 75,Anm. 1.
333 Jun iß1l war in der Ming-Zeit keine administrative Einheit mehr. An ihre Stelle war die Präfektur fu Jr,f
328 «Schreiben an Han Tianxu, Studiendirektor für Ancheng» (1563), Wang Longxi quan ji (1822),juan 16, getreten. In der literarischen Sprache konnte «jun» damals aber auch die Präfektur fit Jr,f bezeichnen.
S. 27b (Taipei 1970, S. 1162). ' Wie wir noch sehen werden, beteiligten sich ·an den Versammlungen im Qingyuan-Gebirge nicht nur
329 Am Ort dieser Akademie befindet sich heute die Mittelschule von Anfu :li;ffiq, ~- Personen aus der Präfektur Ji'an, sondern auch solche aus benachbarten Präfekturen. Doch waren
330 Anhang zu Wang Yangrnings Nianpu, unter dem 13. Jahr der Jiajing-Ära (1534), Shanghai 1992, diese Versammlungen im Wesentlichen für die «Gleichgesinnten» aus den neun Kreisen der Präfektur
S. 1330. Nach Zou Shouyi eigenen Berichten wurde diese Akademie 1536 von Wang Yangmings Ji'an bestimmt. Sie werden daher auch «Versammlungen der neun Kreise» (jiu yi hzti :/1.@,9") genannt.
Schüler Cheng Songxi ~ t-'.A~ (= Cheng Wende), der damals Kreisvorsteher von Anfu war, gegründet. 334 Nianpu falu I, Quanji,juan 36, Shanghai 1992, S. 1330.
Cheng repräsentiert die staatliche Unterstützung und Genehmigung dieser Gründung; «Aufzeich- 335 An diesem Ort hatte Qingyuan Xingsi (660-740), ein Schüler von Huineng und der Lehrer von Shitou
nung über die Fugu-Akademie», Zou Shouyi ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 360. Xiquan, gewirkt. Er gilt als der Ahne der Caodong-Qapanisch: Sötö-)Linie des Zenbuddhismus.
346 347

ten» auf die Xiyin-Versammlungen («Versammlungen des sorgsamen Umgangs mit eine ganze Reihe von ihnen, darunter die oben angeführten Liu Bangeai, Liu Wenmin
der Zeit»: ffl~ir) zurück und sagt, dass diese von Liu Bangcai gegründet wurden.ll6 und Liu Yang, dazu an, selbst Wang Yangming aufzusuchen. Liu Yang besuchte Wang
Dieser stammte, wie wahrscheinlich noch andere der oben angeführten fünf Perso- Yangming schon in Ganzhou zwischen 1517 und 1520 und dann auch in Shaoxing; 344
nen Namens I ,iu, aus dem Kreis Anfu der Präfektur Ji'an, und zwar aus dem Weiler Liu Bangcai und Liu Wenmin waren, wie erwähnt, 1524 in Shaoxing seine Schüler.
=
Sanshe 1l?tt im Dorf Ganlu ttm~ beim Marktflecken Zhouhu y.JtlJi\Jl, 337 ungefähr Nach einem Nachruf für Liu Bangcai gingen zusammen mit diesem «neun seiner
fünfundzwanzig Kilometer südlich der Kreisstadt Anfu, wo Zou Shouyi zu Hanse jüngeren Brüder (Vetter) und„Neffen» (di zhi 5f.\Pi) nach Shaoxing und wurden dort
war. T,iu Bangcais genaue Lebensdaten sind nicht bekannt, aber es ist dokumentiert, Schüler Wang Yangmings. 345 Uber die Gründung der Xiyin-Versammlungen steht in
dass er mit fünfundachtzig Jahren starb 338 und ungefähr denselben Jahrgang hatte wie Liu Xiaos Grabinschrift von 15 64 346 das Folgende: «Tn den Kreisen unserer Präfektur
sein Vetter, der oben erwähnte I ,iu Wenmin, der 1490 geboren wurde. Er dürfte also begann das Studium von [\i\Tang] Y·mgming mit dem Lehrer [Liu Xiao]. Nachdem
ungefähr von 1490 bis 157 5 gelebt haben. Er begann sein Studium gemeinsam mit er nach Hause zurückgekehrt war, teilte er das, was er [von Wang Ymgming] gehört
diesem Vetter Liu Wenmin 339 und ging 1524 auch mit ihm zusammen nach Shaoxing hatte, seinen Schülern und den Älteren und Jüngeren seiner Familie mit. [... ] Der
zu Wang Yangming, um dort sein Schüler zu werden. 340 Im Herbst 1528 bestand er die Lehrer [Liu XiaoJ liebte es, in den Bergen und Wiildern zu wohnen und baute sich
Staatsprüfung auf Provinzebene, war dann zuerst, wohl während dreierJahre, Studien- in den Bergen ein Haus mit dem Namen <Quelle der Pflaumenblüten> (rnei hua zhi
direktor (jiao yu ~~) im Kreis Shouning 8$ der Präfektur Jianning ~$ im Norden yuan ffilt.z.lJli\) 347 ; der Lehrer [vVangl Y,mgming schrieb dies mit großen Zeichen für
der Provinz Fujian und dann, wohl ungefähr gleich lange, Vizepräfekt von Jiaxing ·den Türsturz. Da er jedes Jahr mehrmals viele Gleichgesinnte zu Lehrgesprächen
~!II! im Norden der Provinz Zhejiang. Um 15 34 gab er, ungefähr vierundvierzigjährig, versammelte und die Angemeldeten aus den verschieder1en Familien prüfen wollte,
die Beamtenla uföahn anf und lebte danach zu Hause im Kreis Anfu. 341 Er vertrat eine machte er mit seinem Grundsatz eine Aufschrift: <Xi yin ffl~!> (<Sorgsam mit der
besondere Lehre über die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens», die uns Zeit umgehen!>). Später, als sich [Wang] Yangming in Shaoxing aufhielt und von den
unten in Kapitel 4 in § 7 begegnen wird. Schülern davon hörte, schrieb er [1526] für uns Lernende von Anfu die <Rede über
Hinter der Gründung der Xiyin-Versammlungen stand aber noch ein anderes den sorgsamen Umgang mit der Zeit> (Xi yin shuo ffl~m). Diese Versammlungen
Mitglied der Liu-Sippe aus dem \tVeiler Sanshe im Kreis Anfo, nämlich Liu Xiao bestehen bis heute seit vierzig Jahren, und man soll wissen, wer sie begründet hat!»
liJ ~ (Beiname: Meiyuan :tiif J~, das heißt «Pflaumenquelle», 1481-15 63 342). 343 Liu Xiao Auch nach Huang Zongxis «Dokumenten der Konfuzianer der Ming-Dynastie»
hatte die Staatsexamen auf Provinzebene bestanden, war danach drei Jahre lang Kreis- (MRXA) war Liu Xiao der Initiant dieser Versammlungen: «Er [Liu XiaoJ besuchte
vorsteher von Xinning ~li! (heute 'faishan i:r!ll), hundertzwanzig Kilometer südlich [WangJ Yangming in Nanking und empfing seine Lehre. [... l Als er zurückgekehrt
von Kanton gewesen und hatte schon nach diesen dreiJahren seine Beamtenlaufüahn war, versammelte er die Gleichgesinnten und gründete die Xiyin-Versammlungen
aufgegeben. Um 1515 traf er Wang Yangming in Nanking, als dieser dort «Minister ffl~ir. Aus vielen Lernenden von Ji'an machte er Helden. Seine \Norte waren frei
des Honglu-Klosters» war und wählte ihn zu seinem Lehrer. Er war wohl der erste von N ebensächlichkeiten.»348 Wer war nun der Initiant dieser Versammlungen, Liu
und älteste Schüler Wang Yangmings aus der Provinz Jiangxi. Er teilte seinen Sip- Xiao oder Liu Bangcai? Wahrscheinlich fanden zuerst auf Initiative von Liu Xiao in
penmitgliedern im Kreis Anfu mit, was er bei Wang Yangming gehört hatte und hielt seinem Haus in den Bergen jedes Jahr mehr oder weniger regelmäßig Versammlun-
gen für seine Schüler und Sippenmitglieder unter der Devise «Sorgsam mit der Zeit
umgehen» (Xi yin ffi~) statt. Dass Qian Dehong ihn im Anhang zur «Lebenschronik»
336 Auch ein Eintrag in der «Lebenschronik» Wang Yangmings unter dem zwölften Mond des 5. Jahres nicht erwähnt, liegt vielleicht daran, dass er ihn nicht persönlich kannte, während er
der Jiajing-Ära (Anfang 1527) sagt, dass Liu Bangcai diese Versammlungen begründete: Quanji,juan
35,Shanghail992,S. 1302[
337 Er stammte aus demselben Dorf wie Liu Xiao (siehe unten).
338 Siehe MRXA,juan 19, Abschnitt über Liu Bangcai, Beijing 1985, S. 438, und «Lokalgeschichte der 344 MRXA,juan 19, Beijing 1985, S. 443; Liu Yangs «Grabinschrift» für Liu Xiao.
Präfektur Ji'an», Druck von 1585,juan 24; zitiert bei Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, 345 Shiquan Liu Xianshengz zhuan -IS; zitiert bei Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 5.
S.196. 346 Im Museum von Anfu, das im dortigen großen Konfuzius-Tempel untergebracht ist, befindet sich
339 MRXA,juan 19, Abschnitt über Liu Wenmin, Beijing 1985, S. 431. ein Epitaph (mu zhi ming ;g~~) von Liu Xiao, in welchem die wichtige Rolle dieses Mannes für die
340 Siehe oben in der Einleitung zu Teil I den § 1, S. 102. Schule Wang Yangmings hervorgehoben wird. Der Autor der Inschrift ist ein Mitglied der Liu-Sippe,
341 MRXA,juan 19,Abschnitt über Liu Bangcai, Beijing 1985, S. 438.
342 Diese Lebensdaten entnehme ich Liu Xiaos Epitaph (mu zhi ming ;g~~), das im Museum von Anfu
aufbewahrt wird (zu diesem Epitaph siehe unten die Anm. 346. Es heißt hier, das Liu Xiao am letzten
wissenschaftliche Mitarbeiter Herr Guan Yongyi ~ *~
der oben erwähnte Liu Yang. Als ich am 6. Oktober 2004 dieses Museum besuchte, machte mich der
auf dieses Epitaph aufmerksam und schrieb
von dessen verwittertem Text für mich ein Kopie. Er gab mir auch andere Informationen über die
Tag des zwölften Mondes (la jin zhi ri Blt!ilz EI) des Jahres ren X1t der Jiajing-Ära mit einundachtzig Schule Wang Yangmings im Kreis Anfu. Auch an dieser Stelle möchte ich ihm für seine großzügige
Jahren (82 suz) starb. Dies entspricht dem 23. Januar 1563. Es heißt auch, dass er zehn Jahre älter Hilfe meinen Dank ausdrücken.
war als Zou Shouyi, der 1491 geboren wurde und vierzig bis fünfzig Tage vor ihm mit einundsiebzig 347 Vom Namen dieses Hauses hatte Liu Xiao seinen Beinamen «Pflaumenquelle».
J'.1hren starl~. 348 MRXA,juan 19, Beijing 1985, S. 448. Auch nach anderen Dokumenten war Liu Xiao der Begründer
343 Uber ihn findet sich eine kurze Eintragung im juan 19 des MRXA, Beijing 1985, S. 448. der Xiyin-Versammlungen: siehe bei Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 22f.
348 349

mit Liu Bangcai von Shaoxing her vertraut war. Liu Bangcai hat dann nach seinem Lernen [WangJ Y.·mgmings blüht in Jiangyou [= Provinz Jiangxi], nirgendwo blüht
Aufenthalt von 1524 bei Wang Yangming in Shaoxing an die Versammlungen seines es mehr als im Kreis Anfu, und in Anfo ist nur die Sippe Liu vom Weiler Sanshe
älteren Vetters Liu Xiao und ihre Devise anknüpfend jeden zweiten Monat Ver- .:::~tt [darin] besonders kraftvoll (du sheng ~oo). Mein Freund Liangfeng [Liu Wen-
sammlungen von fünf 'lagen für einen weiteren Kreis «aus verschiedenen Orten>> min] und die Edlen seiner Sippe, der Zweite Präfeknirvorsteher Shiquan [Liu Bangcai]
organisiert, für die vVang Ywgming 1526 die Leitsätze schrieb und aus denen sich die und der Kreisvorsteher Meiyuan [Liu Xiao] werden die drei Hervorragenden (san jie
« Versammlungen der vier Dörfer» (si xiang hui ll9 ~@-)entwickelten.Wang Y-mgming .::: ~)genannt.Sie sind die Führer aus derselben Sippe und aus demselben Kreis (yi jia
legte \Vert auf die Regelmiißigkeit solcher Versammlungen 349 und stellte in seiner yi yi zhi chang -*-@, ~ 1~), und ihr Verdienst ist außerorclentlich.» 354 Unter diesen
«Rede zu Xi yin» ausdrücklich fest, dass die Versammlungen «jeden zweiten Monat drei in der Schule hervorragenden Liu aus dem Kreis A11fu trat Liu Bangcai am mei-
wiihrencl fünf 'Eigen» stattzufinden haben. Zou Shouyi bestätigt in verschiedenen sten in ihren Versammlungen und Diskussionen auf, so dass wir ihm auch in unserer
Texten, dass die «Versammlungen der vier Dörfer jeden zweiten Monat stattfinden Studie am häufigsten begegnen werden.
(si ximzg ge jicm yue ju zhi [9~fül{HsU:l ~.2.)» 350 und dass sie «fünf'lage dauern (wu ri er Den höchsten Examensgrad besaß Zou Shouyi; er hatte ihn schon 1511 im au-
stm 1i S rfü~)». 351 Doch gingen die von der Liu-Sippe organisierten Versammlungen ßerordentlich jungen Alter von zwanzig Jahren erworben, fünf Jahre bevor er Wang
nicht über den Kreis Anfu hinaus. Dazu waren wohl ihr Einfluss und ihre Beziehungen Y,mgming in Ganzhou im Süden der Provinz Jiangxi persönlich begegnet war. Auf-
7,u gering. Liu Xiao, Liu Yang und Liu Bangcai hatten die Staatsexamen auf Provinz- grund dieses Grades, des Einflusses seiner Familie und seines Einsatzes für die Schule
ebene, aber keiner von ihnen die höchsten Prüfungen in der Reichshauptstadt Peking Wang Y,·mgmings konnte er die Institution der regelmäßigen Versammlungen vom
abgelegt, und sie hatten darauf nur während weniger Jahre niedrige Beamtenstellen Kreis Anfo auf die Ebene der ganzen, neun Kreise umfassenden Präfektur Ji'an aus-
innegehabt; Liu \Vcnmin unterzog sich überhaupt keinen höheren Staatsprüfungen dehnen. Die erste solche Versammlung fand im Herbst 1533 am Fuß des Qingyuan-
und blieb zeitlebens ein «Studierter ohne Amt» (clm shi ~±). Diese Zmiickhaltung Gebirges (~mi:u.i: «Gebirge des blau-grünen Ursprungs») statt. Zou Shouyi sagte in
gegenüber der Beamtenlaufbahn finden wir bei 1nehreren Schülern Wang Yang- dieser Versammlung: «Diese Versammlung wurde einst vom verstorbenen Lehrer
mings, ,1ber bei der Liu-Sippc dieser Generation scheint sie besonders ausgeprägt [Wang Yangming] befohlen. Seitdem sind vierzehn Jahre vergangen. Erst heute sind
gewesen zu sein. Das ist kaum auf Unfähigkeit zurückzuführen. Ein Mitglied der wir fähig, sie zu verwirklichen.»i 55 Auch in einem Brief aus dem Jahr 153 3 an den da-
Sippe aus der Großvatergeneration, Liu Xuan JJ '§', war Minister gewesen, und auch maligen Präfekten vonJi'an, der diese Versammlung wohl genehmigen musste, führte
dessen Sohn Liu Bingjian jlj *!i (Beiname: Yinshan EP u.i), der ein Schüler von Zhan er sie auf den Willen von Wang Yangrning zurück. 356 \Nie \Vimg Ji und Qian Dehong
Ruoshui war und sich von dessen Freund Wang Yangming angezogen fühlte, hatte die Gründung der Tianzhcn-Akaclemie bei llangzhou auf den Willen von Wang
die höchsten Suatspr[ifungen bestanden (1508), war dann aber, weil er sich einem Yangming zurückführten, so tat dies offenbar auch Zou Shouyi für die Versammlung
mächtigen Eunuchen widersetzte, ins Gefängnis gekommen und kurz nach der Frei- am Qingyuan-Gebirge. Wang Yangrning hatte ,,ls Gouverneur vonJiangxi am 2.Juli
lassung in noch jungen Jahren gestorben. 352 Vielleicht wirkte dieses Schicksal auf die (18. Tag des sechsten Mondes) 1520 auf dem Weg von der Provinzhauptstadt Nan-
nächste Generation abschreckend, zumal unter demJiajing-Kaiser die Situation für chang nach Ganzhou dieses Gebirge besucht357 und eine Kalligraphie für eine Stele im
die höheren Beamten nicht sicherer geworden war. 353 Gemäß Nie Bao waren Liu dortigenJingju-Kloster geschrieben. 358 Dass er aber dieses Gebirge als Versammlungs-
Wenmin, Liu Bangcai und Liu Xiao im Kreis Anfu die hervorragendsten Vertreter ort für seine Schüler bestimmte, ist mir aus keinen anderen Quellen bekannt. Schon
der Schule Wang Yangmings. Nie Bao schreibt 15 59 in einem Gratulationstext zum im Frühling des nächsten Jahres (1534) fand am selben Ort wiederum eine große
siebzigsten Geburtstag (nach der chinesischen Zählart) von Liu Wenmin: <<Nur das Versammlung statt. Zou Shouyi bemerkte dazu: «Im Schaltmond des Jahres jia wu

349 Siehe oben in dieser Einleitung zu Teil II den § 1. 354 Liangfeng Lizt gang 70 shou xu, Nie Bao ji, 2007,juan 13, S. 528. Es ist auffallend, dass Nie Bao die
350 Schreiben an Dong Pingfu 1ii 51'-"ii,ZouShouyiji, Nanjing 2007,juan 11, S. 573; zitiert bei Wu Zhen: Verdienste dieser drei Liu diejenigen von Zou Shouyi, der auch im Kreis Anfu zu Hause war und
Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 6. damals noch lebte, überstrahlen lässt. Nie Bao hat wohl Zou Shouyi, der seine von der Schule abwei-
351 «Aufzeichnung über die Fugu-Akademie», Zou Shozcyi ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 360; zitiert bei Wu chenden Auffassungen missbilligte, nicht besonders geschätzt.
Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 74f. 355 «Rede in der lobenswerten Versammlung von Qingyuan», Zou Shouyi ji, Nanjing 2007,juan 8, S. 441;
352 SieheMRXA,juan 19,Abschnittüber Liu Yang, Beijing 1985, S. 444. zitiert bei Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 58.
353 Die vier oben genannten Liu dieser dritten Generation erreichten übrigens in ihrer Zurückge- 356 «Antwort an den Präfekten Shi Lianbo ~ .fflHB», Zou Shouyi ji, Nanjing 2007,juan 10, S. 511.
zogenheit ein für jene Zeit ganz außerordentlich hohes Alter: Liu Xiao und Liu Wenmin wurden 357 Nianpu, unter dem sechsten Mond des 15.Jahres der Zhengde-Ära (1520), Quanji,juan 34, Shanghai
beide zweiundachtzig, und Liu Bangcai fünfundachtzig Jahre alt, und auch Liu Y1ng, dessen genaue 1992, s. 1272.
Lebensdaten nicht bekannt sind, muss alt geworden sein, da er schon vor 1520 Wang Yangmings 358 Diese Kalligraphie ist noch heute erhalten und steht am Eingang desJingju-Klosters. Sie besteht aus
Schüler war mid nach dem Tod von Zou Shouyi Ende 1562 die Stütze der Schule Wang Yangmings vier Zeichen und lautet: «Cao xi zong pai i!~*~» («Abzweigung des Cao-Baches»), was dem Sinn
inJiangxi wurde; MRXA,juan 19, Beijing 1985, S. 443. nach bedeutet: Tradition der Linie des Sechsten Zenpatriarchen Huineng.
350 351

[1534)3 59 versammelten sich die Gleichgesinnten wiederum im Qingyuan[-Gebirge]. Präfektur Ganzhou waren Huang Honggang (Beiname: Luocun, 1492-1561) und
Es waren über zweihundert Personen.»360 Auch Nie Bao nahm daran teil und notierte: He Tingren (Beiname: Shanshan, 1486-15 51) zu Hause, die beide hervorragende
«Im mittleren Frühlingsmond desJahresjia wu [1534] traf ich mich mit Zou Shouyi Schüler Wang Yangmings waren und denen wir oben in§ 3 auf ihren Beamtenposten
und allen Freunden der neun Kreise (jiu yi .tL!!!3) [der Präfektur Ji'an] zu einer Lehr- in Nanking begegneten. Sie stammten beide aus dem Kreis Yudu ~il (heute «Ti!»
versammlung im Qingyuan-Gebirge der Präfektur (yu jun zhi Qingyuanshan TffliL w geschrieben), in dem noch weitere drei Schüler Wang Yangmings aus der Zeit seiner
W-111).» 361 Dass dieses Gebirge zum Versammlungsort der Anhänger Wang Yangmings Beamtentätigkeit in Ganzhou wohnten: Yuan Qinglin ~ flM, der schon zu Lebzeiten
aus allen neun Kreisen der Präfektur Ji'an gewählt wurde, hatte seinen Grund nicht Wang Yangmings gestorben war, He Chun fnJ ff, welcher der zweite ältere Bruder
bloß darin, dass es einmal von Wang Yangming besucht oder gar als Versammlungsort von He Tingren war und 1504 die Staatsexamen auf Provinzebene bestanden hatte,
bestimmt wurde, sondern vor allem in seiner zentralen Lage innerhalb der Präfektur und Guan Deng ~ il, der 1522 diese Examen abgelegt hatte. Huang Honggang
und in den Unterkunftsmöglichkeiten für die zahlreichen Versammlungsteilnehmer hatte schon 1531 in Yudu auf der rechten Seite des buddhistischen Futian-Klosters
im großen Jingju-Kloster. 362 m- EB $ einen Ahnentempel (ci fiil) für Wang Yangming errichtet, was auf ein Zentrum
Der Kreis Anfu war in der Präfektur Ji' an nicht der einzige, in welchem sich viele der Schule in dieser Kreisstadt hinweist. Wahrscheinlich war Yudu, wie der Kreis Anfu
und prominente Schüler Wang Yangmings befanden, auch wenn sie dort wohl am in der Präfektur Ji'an, das wichtigste Zentrum der Schule in der Präfektur Ganzhou. 365
zahlreichsten waren. Nie Bao wohnte im Kreis Yongfeng im Nordosten der Präfektur, In der Präfektur Fuzhou wohnte ChenJiuchuan (Beiname: Mingshui, 1495-1562).
Luo Hongxian im Kreis Jishui im Norden zwischen den Kreisen Anfu und Yongfeng Ihn lernten wir in Teil I dieser Studie in Gesprächen mit Wang Yangming kennen,
und Ouyang De im Kreis Taihe im Süden. Zusammen mit Zou Shouyi bildeten sie die Aufschluss über das Werden von dessen neuer Konzeption des «ursprünglichen
die «vier großen Persönlichkeiten» der Schule Wang Yangmings in der Präfektur Wissens» in den Jahren 1519 und 1520 gaben. 366 Im Anhang zu Wang Yangmings
Ji' an. Sie hatten ihr Gewicht weit über die Schule hinaus und hatten alle ihre eigenen «Lebenschronik» ist unter dem Jahr 1539 festgehalten, dass in dieser Präfektur Fu-
Schüler, so dass diese Versammlungen im Qingyuan-Gebirge große Ereignisse waren. zhou von Chen J iuchuan und drei anderen Mitgliedern der Schule Wang Yangmings
Auch Mitglieder der Schule und Interessenten aus benachbarten Präfekturen in- Lehrversammlungen auf Kreis- und Präfekturebene (jun yi ffliel3) organisiert wurden. 367
nerhalb der ProvinzJiangxi nahmen manchmal an den Versammlungen im Qingyuan- Im KreisJinxi von Fuzhou war auch der schon mehrmals genannte Huang Zhi (Yifang)
Gebirge teil. Der oben zitierte Text aus dem Anhang von Wang Yangmings «Lebens- zu Hause. Neben der Präfektur Fuzhou werden im selben Zusammenhang auch die
chronik» sagt, dass Leute «gemeinsam aus fünf Präfekturen» zu den Versammlungen an Fuzhou nördlich anschließende Präfektur der Provinzhauptstadt Nanchang und
ins Qingyuan-Gebirge gingen. 363 Welche Präfekturen außer Ji'an waren dies? Wahr- die Präfektur Ji'an als Regionen genannt, in denen solche Versammlungen veranstaltet
wurden. Als Organisatoren der Versammlungen in der Präfektur Nanchang treten die
scheinlich waren es noch die Präfekturen Ganzhou, Fuzhou, Nanchang und Nankang
ffiffi, in denen allen sich damals Ahnentempel für Wang Yangming befanden und wo uns schon aus früheren Zusammenhängen bekannten Li Sui ~ (Beiname: Kezhai *
%illi, 1504-1566) aus der Kreisstadt Fengcheng, Wei Liangbi (Beiname: Shuizhou,
überall auch eigene Versammlungen der Schule stattfanden. Zou Shouyi schreibt: «In
meinem Kreis finden die Xiyin-Versammlungen für die einzelnen Dörfer statt (ju yu ge 1492-15 75) und Wang Chen 3:: ~ (Beiname: Yaohu 1'tlill) aus der Provinzhauptstadt
xiang '9lllt*ffill), und an den herrlichen Tagen des Frühlings und Herbstes versammeln sowie zwei weitere Personen auf. Als die Organisatoren der Versammlungen inJi'an
sich die Gelehrten der neun Kreise [in der Präfektur Ji'an] sowie aus Gan [Präfektur werden an dieser Stelle der «Lebenschronik» Zou Shouyi, Liu Bangcai und Luo
Ganzhou] und aus Fu [Präfektur Fuzhou] in Qingyuan. Es ist erstaunlich, wie man Hongxian genannt. 368 Diese drei scheinen in dieser Präfektur die Säulen der Schule
sich gegenseitig schleift und formt.» 364 Die Präfektur Ganzhou war die südöstliche gewesen zu sein. Schließlich gab es auch in der nördlich an Nanchang anschließenden
und die Präfektur Fuzhou Hll\#1 die nordöstliche Nachbarpräfektur von Ji'an. In der Präfektur Nankang einen Ahnentempel Wang Yangmings, 369 was bezeugt, dass die
Schule dort organisiert war.
Im Sommer 1548 besuchten Qian DehongundWangJi aus der ProvinzZhejiang
359 Dieses Jahr hatte einen Schaltmonat nach dem zweiten Mond, es gab zwei «zweite Monde». Die mit zwei Begleitern aus Xuancheng (Präfektur Ningguo) im Südwesten des direkten
Versammlung fand also im Frühling statt.
360 «Aufzeichnung von Worten der zweiten Versammlung in Qingyuan», Zou Shouyi ji, Nanjing 2007,
Verwaltungsgebietes von Nanking (heute Provinz Anhui) eine große Versammlung
juan 8, S. 444; zitiert bei Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 62. im Qingyuan-Gebirge, an der hundertsechzig Leute teilnahmen und die vom 29.Juli
361 «Aufzeichnung über die Erneuerung der konfuzianischen Schule von Yongning», Nie Bao ji, Nanjing
2007,juan 5, S. 112; zitiert bei Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 62f.
362 Dass buddhistische Klöster im Qingyuan-Gebirge als Unterkunft für Versammlungen dienten, geht
aus Luo Hongxians Bericht über die Versammlung an diesem Ort vom Jahr 1548 hervor: siehe unten 365 Über die Schule Wang Yangmings in Yudu siehe ZhouJianhua 2002, S. 85-113.
in Kap. 4 den§ 1, S. 629. 366 Siehe oben in Teil 1, Kap. 2, § 2, S. 144f.
363 «Lebenschronik», S. 1330; siehe oben, S. 345. 367 Nianpufalu, unter dem 18.Jahr der Jiajing-Ära (1539), Quanji,juan 36, Shanghai 1992, S. 1334.
364 «Brief an Fang Shimian 1.i ~~», Zou Shouyiji, Nanjing 2007,juan 10, S. 504; zitiert bei Wu Zhen: 368 Ebd.
Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 62. 369 Siehe oben in dieser Einleitung den§ 1, S. 275,Anm. 21.
352 353

bis zum 26. August dauerte. 370 Es war dies wohl eine außerordentliche Versammlung, Dorf wie Liu Wenmin und dessen Schüler] und Sinio ,ffl-llt [Wan Tingyan • ji 1'f aus
die wegen des Besuches der illustren Gäste aus Zhejiang zusätzlich zu den üblichen der Präfektur Nanchang, Schüler von Luo Hongxian], die fähig waren, zu Yangmings
Frühlings- und Herbstversammlungen stattfand. Die Aktivitäten der Schule Wang noch unausgeschöpften Grundlehren vorzustoßen. Zu jener Zeit war die Schule von
Yangmings in der Präfektur Ji'an waren äußerst zahlreich. 371 Ihren Höhepunkt er- Yue [Shaoxing, d.h. von Wang Ji und Qian Dehong] in dauernde Übel und Fehler
reichten sie wohl in den Jahren zwischen 1542, als Zou Shouyi sich von der Beam- geraten, sie maßte sich die Aussagen des Meisters [Wang Yangming] an, um die Ge-
tentätigkeit zurückzog und sich in seiner Heimat ganz der Lehre zu widmen begann, lehrten zum Schweigen zu bringen, und nur die Jiangyou-Schule vermochte sie zu
und 1562, als er starb. 1541 war auch Luo Hongxian definitiv in die Präfektur Ji'an überführen. Gestützt auf diese ist das Dao von Yangming nicht zugrunde gegangen.
heimgekehrt, und 1563 und 1564 starben Nie Bao und er. Ouyang De, der außer der Denn der Geist des ganzen Lebens von Yangming (yi shengjing shen -~~~) war
drei Jahre zwischen 1539 und 1542, als er um den Tod seines Vaters trauerte, nur vollständig inJiangyou IJiangxi], und so war auch die dortige Entsprechung so, wie sie
wenig zu Hause war, verschied schon 1554 in Peking. Diese zwanzig Jahre zwischen sein musste.» 375 Außer Wan Tingyan, der in der Präfektur Nanchang in der Provinz
1542 und 1562 in der PräfekturJi'an machten wohl die größte Blüte der Schule Wang Jiangxi geboren, aber ein Schüler Luo Hongxians aus Ji'an war, stammten alle von
Yangmings nach dessen Tod aus. Wahrscheinlich bildeten die zwei Jahrzehnte nach Huang Zongxi aufgezählten Repräsentanten der Jiangyou-Schule aus der Präfektur
1542 überhaupt den Höhepunkt der Aktivitäten in der Schule Wang Yangmings. Denn Ji'an. Diese Bewertung Huang Zongxis ist einseitig und durch seine eigene philoso-
1542 und 1543 waren auch Wang Ji und Qian Dehong im rüstigen Alter von wenig phische Position bedingt. Ohne Zweifel kannten Qian Dehong und Wang Ji «aus
über vierzig Jahren endgültig ins Privatleben zurückgekehrt und widmeten sich von Yue» unter allen Schülern Wang Yangmings Denken seiner letzten sieben, achtJahre
da an ganz der Lehre, indem sie im Gebiet des unteren Yangze herumreisten und am besten, und sie hielten, jeder in seiner Weise, an ihm fest. 376 Auf der anderen Seite
Versammlungen der Anhänger Wang Yangmings leiteten. 372 Die Blüte in der Präfektur vertraten Nie Bao und zeitweise auch LuoHongxian inJi'an Positionen, die sich von
Ji'an begann sicher schon vor 1542 mit den Aktivitäten der Liu-Sippe und anderer Wang Yangming entfernten. 377 Aber bestimmt hat Huang Zongxi recht, wenn er sagt,
und erreichte seit dem Herbst 1533 mit den großen Versammlungen im Qingyuan- dass Wang Yangmings Wirkung nach seinem Tod nirgends so groß war wie in Ji'an.
Gebirge die Ebene der ganzen Präfektur. Doch war Zou Shouyi, wie wir oben in § 3 Die philosophischen Positionen der großen Schüler Wang Yangmings inJi'an,
gesehen haben, vor 1542 etwa drei Jahre als Beamter in Nanking und konnte sich Nie Bao, Liu Bangcai, Liu Wenmin, Zou Shouyi, Ouyang De und Luo Hongxian wa-
kaum um die Schule in seiner Heimat kümmern. Aber obschon keine Dokumente ren nicht einheitlich, aber zwischen ihnen herrschten freundschaftliche oder zumin-
über Versammlungen im Qingyuan-Gebirge zwischen 1535 und 1541 bekannt sind, dest respektvolle Beziehungen (abgesehen vielleicht von den Spannungen zwischen
ist doch anzunehmen, dass sie auch damals mit einer gewissen Regelmäßigkeit wei- Zou Shouyi und Nie Bao seit etwa 1549), und sie versuchten, durch Diskussionen ihre
tergeführt wurden. Erst für den Frühling 1542 ist wieder eine solche Versammlung Differenzen auszugleichen. Doch unter den Anhängern Wang Yangmings in dieser
dokumentiert; an ihr nahmen neben Zou Shouyi auch Ouyang De und Luo Hongxian Präfektur bestand auch eine Richtung, die Konflikte mit sich brachte. Die wichtigste
als die führenden Persönlichkeiten teil. 373 Nie Bao konnte damals nicht anwesend sein, Person dieser andersartigen Richtung war Yan Jun • ~ (Beiname: Shannong U-l II,
da er in diesem Jahr Präfekt in der Provinz Shanxi im Norden Chinas war. 374 Huang d.h. «Bergbauer», 1504-1596).378 Er war im Dorf Zhongpocun i:pliJtt,J' von Sandu
Zongxi (1610-1695) gibt in seinem die Geschichtsschreibung prägenden Werk «Do- =il im Kreis Yongxin j}<ffi der Präfektur Ji'an zu Hause. 1528 hatte er durch einen
kumente der Konfuzianer der Ming-Dynastie» (M.RXA) der Schule Wang Yangmings seiner älteren Brüder eine Abschrift von Wang Yangmings Chuanxi lu erhalten. Da-
in Ji'an außerordentliches Gewicht. Sie war nach ihm sogar die einzige Schule, die nach lernte er zuerst bei Liu Bangcai im benachbarten Kreis Anfu, doch «erreichte er
Wang Yangming treu blieb. Er schrieb in seiner Einleitung zur Schule in Jiangyou aber dabei nichts» (wu suo de f!l{ffiffl) und wechselte um 1531 379 über zu Xu Yue t.1< :lfll
(= Jiangxi): «Nur dieJiangyou-Schule steht in der Tradition der Lehre des Yao-Flusses (Beiname: Boshi 5.Bl :f:i, Großjährigkeitsname: Zizhi T ll, ?-15 52), 380 der im Kreis Guixi
[d.h. Wang Yangmings]. Dongkuo [Zou Shouyi],Nian'an [Luo Hongxian], Liangfeng :I:~ .in der Präfektur Guangxin Jlw im Nordosten der Provinz Jiangxi wohnte und
[Liu Wenmin], Shuangjiang [Nie Bao] sind die besten jener Schule. In der nächsten einer der wichtigsten Schüler von Wang Gen war. 381 Aufgrund von Xu Yues Empfeh-
Generation waren es Tangnan :liffi [Wang Shihuai, :3: B~ffi, 1522-1605, aus demselben

375 MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 333.


370 Siehe unten in Kap. 4 den§ 1, S. 629. 376 Siehe unten Kap. 1 und Kap. 2.
371 Siehe den Artikel von Lü Miaofen über die «Lehrversammlungen der Schule Wang· Yangmings 377 Siehe unten Kap. 3 und Kap. 4.
während der Ming-Dynastie in der Präfektur Ji'an» in der «Zeitschrift des Institutes für Neuere 378 Zu den Lebensdaten von YanJun siehe die Einleitung von Huang Xuanmin :1: ~& zu seiner Ausgabe
Geschichte der Academia Sinica in Taipei»: 8 f.J>~, [llJHl~:ti:ffif~~llJlfifflff>i!ilb,] ip!/;'Jijf~~ffi:1t~ der Yan Jun ji («Gesammelte Texte von YanJun»), Beijing 1996, S. 1, und Wu Zhen: Xinian 1522-1602,
iiJf~JiJr~fll, ~ 35 JIJl, 2001 ~, 6 ~. Shanghai2003,S.99.
372 Siehe unten in diesem Teil, Kap. 1, § 1. 379 Siehe Yang Tianshi ~ 7i: 1:i: Taizhou xuepni («Die Taizhou-Schule»), Beijing 1980, S. 105.
373 Siehe Wu Zhen: Xininn 1522-1602, Shanghai 2003, S. 104f. 380 MRXA,junn 32, Beijing 1985, S. 703.
374 Siehe unten, Kap. 3, § 1. 381 Zu Xu Yue siehe oben in dieser Einleitung den § 5, S. 314.
354 355

lung besuchte Yan Jun auch vVang Gen in Taizhou. 382 Iluang Zongxi beschreibt Yan zu sein. «Er [Luo Rufangl dachte erfreut: <Das vermag mir wirklich in meinem <See-
Juns Lehre folgendermaßen: «Sein Lernen betrachtete aufgrund des menschlichen lenfeuer> zu helfen.> [... J Er schilderte ihm [YanJun] seinen Versuch, sein Herz nicht
Herzens alle Dinge als etwas Wunderbares und Unergründliches (yi ren xin rniao wan durch Leben und Tod, durch Gewinn und Verlust bewegen zu lassen. Shannong [½m
wu er bu ze ehe ye J.,:)_.,J__,Li,~J'~!lmii'iFf;~jlfill): Die Natur (xing tl.) [des Herzens] ist wie Jun] sagte ihm: <Sie versuchen, die Wünsche (Begierden) zu beherrschen (zhi_yu ltH:lx),
eine leuchtende Perle und ist ursprünglich nicht beschmutzt. Was soll da die <Acht- aber nicht, die Menschlichkeit zu verwirklichen (ti rcn !lf 1=).> Luo Rufang antwortete:
samkeit und Furchtsamkeit beim [nicht] Gesehenen und [nichtJ Gehörten> 383 ! Im <Man muss den eigenen Egoismus überwinden, um das <Ordnungsprinzip des Him-
Allgemeinen (ping shi SjZ-E\!f) kann es nur darum gehen, den Wirlmngen der Natur zu mels> wiederherzustellen lfu huan tian li ~~7:Jlll.). Wie kann man die Menschlichkeit
folgen und sich rein an diese Spontaneität zu halten (shuai xing suo xing chun ren zi ran verwirklichen, wenn man nicht die Begierden beherrscht?> Shannong [Y'lnJun] sagte:
$tl.i'Jr1'rM\H gJ ~). Dann kann man von Dao sprechen. Nur nachdem man [die Natur] <l-Iaben Sie nicht über Mengzis Lehre von den <Vier Keimen [der Tugenden]> nach-
vernachlässigt hat (fang_yi ~~), braucht es die Achtsamkeit und Furchtsamkeit, um sie gedacht? Was ist direkter und unmittelbarer (zhi_jie @:~), als wenn man diese [Keime,
wiederherzustellen (jie shen kongju _yi xiu zhi JOlffif~'IIJ.-:,1.. ~iz). Alle Erfahrnngen, Regeln Anfänge] ausweitet und zur Fülle bringt wie Feuer zum Lodern, wie eine Quelle zum
und Muster der Konfuzianer können Hindernisse für das Dao sein.»384 Sprudeln und auf diese Weise die Menschlichkeit verwirklicht! Ihr Übel besteht darin,
Was diese Lehre konkret bedeutete, veranschaulicht die Geschichte, wie Luo dass Sie nicht um das täglich unmittelbar [von Ihnen] gebrauchte [Daol wissen (dang
Rufang ~ J!J:,'!J!j (Beiname: Jinx:i ili:5~, 1515-1588) Schüler von Yan Jun wurde. Luo xia ri_yong er bu zhi ~~ EI )fl ffiFf ~). 387 Hegen Sie keine falschen Zweifel, dass die Le-
Ru fang wurde, nachdem er 15 53 die höchsten Staatsprüfimgen bestanden hatte und bendigkeit der vom Himmel bestimmten Natur [in IhnenJ aufüören könnte (tian xing
nachdem lvlitte der 1560erJahrc fast alle großen Schüler Wang Yangmings der ersten sheng sheng zhi huo xi ye 7:ti_'±.'±.;;'.:.§!Z,~, ill).> Der Lehrer [Luo Rufang] e1wachte wie
Generation in der Provinz.Jiangxi gestorben waren, einer der einflussreichsten Vcrt:re- aus einem großen rD:aum. Am nächsten J\IIorgcn bei der fünften Trommel [vier Uhr
tcr der Schule Wang Yangrnings. Er war wie der noch bis 1584 lcbende Wang Ji sehr morgensJ ging er wieder zu ihm und erklärte sich verehrend zu seinem Schüler, um
aktiv in der Organisation von Lehrversammlungen und führte solche selbst noch in seine Lehre vollständig zu empfangen. Shannong sagte zu ihm: <Von nun an muss Ihre
den Jahren nach 1579 herumreisend durch, als sie vom damaligen allmächtigen Ersten Krankheit von selbst genesen (z;iyu § mt), die Vorbereitungen für die Staatsprüfungen
Großsekretär Zhang .J ucheng verboten worden waren. 385 Wir werden ihm im Zusam- müssen von selbst arbeiten (zi gong § I), der Erfolg in ihnen muss sich von selbst
menhang mit der Shuixi-Akademie als Präfekten von Ningguo (1562-1565) im Süden einstellen (zi zhi § 3&). Wenn es nicht so ist, sind Sie nicht mein Schüler.> Danach
des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking (siehe unten den§ 9) und mit Wang genas Luo Rufang wirklich von seiner Krankhcit.» 388 Diese Szene wiederholte sich
Ji, mit dem er befreundet war (siehe unten das Kap. 2, S. 475f.), wiederbegcgnen. Luo im Fiebertraum zwölfeinhalb Jahre später, als sich der achtunddreißigjährige Luo
Rufang stammte aus Nancheng ~im, der Hauptstadt der Präfektur Jianchang ~ /§1 im Rufang im Frühjahr 15 53 auf dem Weg nach Peking zu den höchsten Staatsprüfungen
Osten der Präfektur.Ji'an innerhalb der ProvinzJiangxi an der Grenze zur Provinz Fu- befand und in der Provinz Shandong schwer erkrankte: «Er litt unter einer heftigen
jian.ln seiner Jugend bemühte er sich durch besondere meditative Praktiken der Ruhe, Krankheit, und sein verworrener Geist sah traumhaft einen alten Mann. Dieser sagte
für die er sich in einen buddhistischen Tempel einschloss, alle egoistischen Wünsche zu ihm: <Seitdem Sie leben, bewegt sich Ihre Lebensenergie nicht, wenn Sie auf etwas
loszuwerden, um dadurch seine «vom Himmel bestimmte Natur» wiederherzustellen. Sie Erregendes stoßen; Ihre Augen schließen sich oft nicht, wenn Sie müde sind. In
Er wurde dadurch aber psychisch krank (eine solche Krankheit wurde «Seelenfeuer», den Turbulenzen lösen sich Ihre Intentionen nicht los; im Traume vergessen Sie die
xin huo ,t,, X, genannt). Als er im Herbst 1540 mit fünfundzwanzig Jahren in der Pro- Welt nicht ganz. Das sind alles chronische Krankheiten des Herzens.> Der Herr [Luo
vinzhauptstadt Nanchang sich den Staatsexamen auf Provinzebene unterzog, dabei Hongxian] sagte bestürzt: <Wenn es so ist, ist dann das, was ich im Herzen erreicht
aber durchfiel, hörte er dort zufällig Yan Jun, der im Tongren-Ahnentempel [ql{=if<il habe, eine Krankheit?> Der Alte antwortete: <Die Substanz (Grundwirklichkeit) der
vor bis zu tausendfünfhundert Leuten sprach. 386 Yan Jun scheint eine Attraktion für Herzens geht aus der Ordnung des Himmels hervor (xin ti chu zi tian chang 1Li,fflti:l
die im Herbst 1540 in der Provinzhauptstadt weilenden Examenskandidaten gewesen gJ ~'/f,); in der Begegnung mit den Dingen wird es [das Herz] von ihnen erregt und
durchdringt sie (gan tong ~B.), und es gibt anfanglich kein Festhalten an etwas (yuan
wu ding zhi mi:#!UE'.~). Seit Ihrem frühen Leben halten Sie zu sehr an etwas fest und
382 Siehe die Einleitung von Huang Xuanmin Jt '.§:~ zu seiner Ausgabe der Yan Jun ji («Gesammelte üben sich gegenüber Zwang aus. Wenn bei Ihnen ein erster (ursprünglicher) Gedanke
Texte von YanJun»), Beijing 1996, S. 1, und Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 99. aufleuchtet, verfestigt er sich zu einer Gewohnheit (yi nian geng guang, sui chengjie xi -
383 Anspielung auf das erste Kapitel des Zhongyong. Dieser Gedanke spielte bei Wang Yangming (siehe
oben in Teil I, Kap. 2, § 3, S. 160ff.) und bei seinen Schülern eine wichtige Rolle, vor allem bei Zou
Shouyi (siehe im nächsten Paragraphen).
384 MRXA,juan 32, Beijing 1985, S. 703; Yan Yuns Werke (!U~~) wurden 1996 in Peking vom Verlag
der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften veröffentlicht. 387 Anspielung auf Yijing, Xizi («Großer Anhang»), Teil 1, Kap. 5; siehe oben in dieser Einleitung den
385 Zu ZhangJucheng siehe oben den Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 45 und S. 47. § 5, s. 343.
386 Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 98. 388 MRXA,jurm 24, Einleitung zum Kapitel vonLuo Rufang, Beijing 1985, S. 760f.
356 357

~Jt\'..J't~nlG~a~). Sie sehen nicht ein, dass dadurch Ihre natürliche (vom Himmel stam- des Bücherstudiums und der Beamtenlaufbahn nicht, und er wählte den Lebensweg
mende) Grundwirklichkeit (tian ti :;li;:ffl) langsam verlorengeht. Das ist nicht nur eine eines «herumziehenden ritterlichen Helfers» (you xia J/Jj1~), 191 der in Not Geratenen
Ksankheit des Herzens (der Seele), sondern in der Folge erkrankt auch der Leib.> Der Beistand leistete, 394 gegen politische und soziale Ungerechtigkeiten ankämpfte und
Lehrer [Luo Rufang] erhob sich erschrocken und warf sich vor ihm von Schweiß trie- vor allem als eine Art fahrender Prediger und «Seelenarzt» sowohl Gebildeten als
fend nieder. Von da an verminderte sich allmählich sein Festhalten an seinen Gedanken auch dem gewöhnlichen Volk ethischen Lebensunterricht erteilte. 1544, in einem
(zhi nian jian xiao ~~jfül\f), und sein Puls wurde wieder normal.» 389 YanJun setzte of- Jahr der höchsten Staatsprüfungen, fuhr er mit einem Wagen nach Peking, um dort
fenbar in seiner ethischen Praxis nicht in erster I ,inie auf die willentliche Anstrengung, zu unterrichten, fuhr dann von dort zusammen nüt seinem Schüler Luo Rufang in
sondern grundsätzlich auf die immer wirkende Spontaneität oder Natürlichkeit des die Heimat von Wang Gen, in den Kreis Taizhou, sowie nach Nanking, Yangzhou,
«ursprünglichen Wissens» im Sinne von Mengzis guten Tendenzen des menschlichen Suzhou und andere Städte am Unterlauf des Yangze und zog dort während dreier
Herzens und auf deren positive Entwicklung und betrachtete die Achtsamkeit und die Jahre (15 44-15 47) mit seinen Predigten riesige Volksmassen Tausender von Menschen
negativ abwehrende Haltung gegenüber den schlechten, egoistischen Regungen als an. 395 Er kritisierte auch hohe Beamte, am Anfang der Longqing-Ära (1567-1572)
etwas Sekundäres. Es war dies eine generell bejahende Halnmg gegenüber den spon- sogar die beiden damals einflussreichsten, die beiden Großsekretäre Xu Jie (einen
tanen· Iendenzen der menschlichen Natur, die eine gewisse Geringschätzung der meist Schüler von Nie Bao) und Zhang Juzheng. 19 c, Er erregte durch sein Verhalten auch
negativen, die schlechten Neigungen und Handlungen verbietenden Sittenregeln mit viel Anstoß und geriet 15 68 unter der falschen Anschuldigung, das Amtsschiff eines
sich brachte. Wie wir unten in Kapitel 1 und 2 sehen werden, war der ethische Einsatz Provinzgouverneurs (xun fu ~II) gestohlen zu haben, ins Gefängnis und wurde zum
bei der spontanen Güte der menschlichen Nanir auch der Grundcharakter von Wang Tod verurteilt. Nur durch die Intervention seines Schülers und hohen Beamten Luo
Jis «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»; doch war für diesen die «Einsicht» Rufang konnte der Vollzug der 'fodesstrafe abgewendet wcrden. 397 Yan Jun verkör-
in die menschliche ,<Natur» der Schlüssel der ethischen Kultivierung, die auch die perte in der ProvinzJiangxi einen ganz besonderen Geist und Lebensstil der Schule
Überwindungen der egoistischen Wünsche beinhaltete, während für YanJun offenbar Wang Yangmings. Er hielt nicht viel von den gesellschaftlichen Gepflogenheiten,
das Befolgen der immer vorhandenen Spontaneität der «Natur» grundsätzlich genüg- wandte sich in seiner Verkündigung nicht vor allem an Gelehrte, sondern in großem
te. Für Yan Juns I ,andsmann 7:ou Shouyi war die «Achtsamkeit und Furchtsamkeit Ausmaß auch an das gewöhnliche Volk und hatte eine charismatische Ausstrahlung.
gegenüber dem nicht Gesehenen und nicht Gehörten» das Zentrum der etlüschen Er scheint nicht an den in seiner I leimatpräfektur Ji'an von Zou Shouyi organisierten
Praxis, so dass zwischen ihm als der führenden Persönlichkeit der Schule inJi'an und Lehrversammlungen der gelehrten Mitglieder der Schule teilgenommen zu haben 398
Yan Jun ein Gegensatz bestand. Doch ist mir nicht bekannt, dass es zwischen ihnen
zu offenen Auseinandersetzungen gekommen wäre. 393 Siehe MRXA,juan 32, Einleitung zur Taizhou-Schule, Beijing 1985, S. 703.
YanJun gehörte nicht zum Beamtenstand, er hatte nicht einmal die Staatsprüfun- 394 Als sein Lehrer Xu Yue 1552 als Beamter in der Provinz Yunnan von aufständischen nichtchinesischen
gen auf der untersten Ebene, auf derjenigen der Präfektur, absolviert, aber er stammte Volksgruppen umgebracht wurde, nahm er den sehr weiten \Veg dor!:hin auf sich, um die Gebeine
seines Lehrers zu bergen und in dessen I Ieimatin der Provirnjiangxi zurückzubringen; siehe .Ml?XA,
auch nicht aus einer Bauern- oder Händlerfamilie. Sein Vater war Kreisbeamter für juan 32, Beijing 1985, S.703 und S.724.
die Schulen (xun dao !IIIW) gewesen, starb aber schon 1520, als YanJun sechzehnJahre 395 Siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 120f.
alt war. 390 Der Vater war noch nicht begraben, als Yan Juns ältester Bruder, der nun 396 Siehe die nächste Fußnote.
397 Yang Tianshi :m ;li;'.1:i: 'D1izhou xuep11i (<<Die Taizhou-Sclrnlc»), Beijing 1980, zitiert auf S. l05 aus
das Familienoberhaupt war, verleumderisch angeklagt und zu drei.Jahren Frondienst den Jahrbüchern (zhi des Kreises Yongxin die Urnst:inde dieser Ereignisse: Die beiden Söhne
verurteilt wurde. Darauf verarmte die Familie. 391 Wahrscheinlich hat die Erfahrung des Provinzgouverneurs He Qian fiiJ ra waren wegen Besitzstreitigkeiten zu 'fodfeinden geworden.
dieser Ungerechtigkeit Yan Juns lebenslangen Kampf gegen gesellschaftliche Un- Ihr Vater lud Yan Jun für einen Monat in sein Amtsgebäude ein, und diesem gelang es, die beiden
Verfeindeten zur brüderlichen Liebe zu führen. Der Gouverneur ließ aus Dankbarkeit YanJun einen
gerechtigkeiten angeregt. Yan Jun hatte drei ältere und einen jüngeren Bruder. Nur Wunsch äußern. Dieser antwortete: «In meinem ganzen Leben durchfahre ich Flüsse und Seen,
sein zweitältester Bruder Yan Yue (oder Yao) • absolvierte 1534 die Staatsexamen auf bedaure aber, dass ich kein Amtsschiff habe, um überall V<Jrtreffliche Leute um mich zu versammeln
Provinzebene. 392 YanJ un konnte bei ihm lernen, aber offenbar behagte ihm der Weg und ihnen Unterricht zu geben (jiang xue ~/J\). Darauf gah ibm Herr [Gouverneur] He sein eigenes
Schiff. Der Charakter von YanJun war streng und direkt. Fr hatte einmal tadelnde Schreiben an Xu
Lfoating [XuJie] und ZhangJiangling [ZhangJuzhengJ gerichtet, was den beiden Herren missfiel. Da
gab es einen dunklen Gesellen, der die Schenkung des Amtsschiffes von Herrn [Provinzgouverneur]
389 MRXA,juan 34, Einleitung zum Kapitel über Luo Rufang, Beijing 1985, S. 761. WuZhen zitiert diese He falsch darstellte, worauf er [YanJun] wegen Diebstahls eines Amtsschiffes ins Gefängnis kam und
Geschichte auch aus dem 3.juan der «Gesammelten Schriften» von Luo Rufang: Xinian 1522-1602, zum Tod verurteilt wurde.» (S. 105, Anm.). Zu He Qian siehe oben, S. 279, Anm. 42.
Sh,mgh:1i 2003, S.186. Die Geschichte ist dort auf das Jahr g,ti i:hou (1553) datiert, und ihr11-aum- 398 In Zou Shouyis Bericht über die Versammlung der Schule Wang Yangmings in YanJuns Heimatkreis
ch,1r:1kt,,r ist noch deutlicher gemacht. Yongxin vom Herbst 15 35 tritt sein Name nicht auf (siehe Wn Zhen: Xinian 1.'>22-1602, Shanghai 2003,
390 Siehe die Einleitung von Huang Xuanmin ]i ~~ zu seiner Ausgabe der Yim ]un ji («Gesarnmcltc S.68f.), und auch in den weiteren von IVL1 Zhenin dieser <<Chronik» aufgezeichneten Versammlungen in
Texte von YanJun»), Beijing 1996, S. 1. der Präfektur Ji'an sucht man seinen Namen vergebens. Luo Hongxian nennt in seiner «Sommerreise»
391 Siehe ebd. von 1554 die Namen der Leute aus dem Kreis Yongxin, die an der Versammlung von Xuantan (Kreis
392 YangTianshi :m ;li;'.1:i: Taizhou xuepai («Die Taizhou-Schule»), Beijing 1980, S. 104. Jishui) teilnahmen, YanJun ist abernicht unter ihnen; siehe Luo Hongxian ji,juan 3, Nanjjing 2007, S. 85,
358 359

und hatte mit diesen vermutlich nur wenig Kontakt. Diese haben wahrscheinlich von 1547, als er bei Yan Jun zu lernen begann, und 1559 stattfanden. In der Präfektur
ihm nicht viel Notiz genommen, aber ein auswärtiger Schüler Wang Yangmings, Ji Ji'an g·ab es übrigens noch weitere Leute, die zu der auf Wang Gen zurückgehenden
Ben~* (Beiname: Pengshan ~111, 1485-1563), der aus Shaoxing stammte und 1536 Taizhou-Linie innerhalb der Schule Wang Yangmings gehörten. Unter ihnen war
Vizepräfekt von Ji'an war, verfasste eine kritische Schrift gegen die «Natürlichkeit» Zhang Feng 5ft ~ (Beiname: Yuping .:!i!Jt, 1501-?), der 1538 bei vVang Gen im Kreis
(?,i ran ~ M) der ethischen Praxis. Vielleicht hatte er damit neben Wang Ji auch den Taizhou studiert hatte. 404 Er stammte wie He Xinyin aus dem Kreis Yongfeng. Die
«Bergbauern» Yan J un im Auge. 399 sogenannte Taizhou-Schule, die ihren Namen nach dem Wohnkreis ihres Begründers
Zu einem offenen Konflikt scheint es zwischen einem Schüler von Yan Jun in im Osten des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking trägt, war also im tausend
der Präfektur Ji'an, He Xinyin fnJ ,t,~ (ursprünglicher Name: Liang Ruyuan ~ yft:5t;, Kilometer entfernten Ji' an und auch sonst in der Provinz Jiangxi durch eine ganze
1517-1579)400 und der organisierten «Gelehrtenschule» Wang Yangmings in Ji'an Reihe hervorragender Persönlichkeiten vertreten. Ein gewichtiger Teil dieser Schule
gekommen zu sein. He Xinyin stammte aus demselben Kreis Yongfeng 7J<ffl!. in der befand sich in «Jiangyou» (= Jiangxi), also in der Provinz, unter deren Namen Huang
Präfektur Ji'an wie Nie Bao. 1546 bestand er als Bestklassierter die Staatsprüfungen Zongxi in seinen «Dokumenten der Konfuzianer der Ming-Dynastie» (M.RXA) nur
auf der niedersten Ebene, derjenigen der Präfektur, sah aber danach von allen weite- jene Mitglieder der Schule Wang Yangrnings aus Jiangxi anführt, die nicht bei Wang
ren Prüfungen ab und wurde Schüler von YanJun. Huang Zongxi schreibt über ihn: Gen oder dessen Nachfolgern gelernt hatten.
«Er lernte bei Shannong [Yan J un] und hörte dabei Xinzhais [Wang Gens] Lehre von
der <Aufrichtung der Grundlage> (li ben 11:*) [durch die Bewahrung oder Ordnung § 7 Zou Shouyi und seine Lehre von der «Verwirklichung des ursprüng-
der eigenen Person: bao s!JCn, an shen 1!f;~, ~~]. 401 Zu dieser Zeit gab es inJizhou lichen Wissens» durch «Achtsamkeit und Furchtsamkeit»
[Präfektur Ji'an] drei oder vier große Persönlichkeiten, die aufgrund ihres Lernens
berühmt waren. Eingebildet durch das, was er selbst erfahren und gelernt hatte, Zou Shouyi war die führende Persönlichkeit der Schule Wang Yangmings in der
schmähte [He] Xinyin sie dreist.» 402 Die «drei oder vier großen Persönlichkeiten in Präfektur Ji'an, und sein Einfluss reichte auch weit über diese Präfektur hinaus. Wir
der Präfektur Ji'an» waren wahrscheinlich Nie Bao, Zou Shouyi, Luo Hongxian und werden ihn schon im folgenden Paragraphen dieser Einleitung und dann in den fol-
Ouyang De. Dies weist auf Konflikte innerhalb der Schule Wang Yangmings hin. Es genden Kapiteln dieses 'Jcils wieder antreffen. Vlir fassen an dieser Stelle kurz seine
waren dies nicht Konflikte zwischen der gelehrten Beamtenklasse und gewöhnlichen Biographie zusammen und versuchen, den Hauptpunkt seiner Auffassung von der
Leuten, da He Xinyin selbst ,mr Beamtenklasse gehörte, sein Lehrer Y:u1Jun aus einer «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» zu kennzeichnen.
gebildeten Familie stammte und auch dessen Lehrer Xu Yue wie YanJuns bedeutends- Zou Shouyi wurde am 1. Tag des zweiten Mondes des 4.Jahres der Hongzhi-Ära
ter Schüler Luo Rufang, der auch mit Wang Ji befreundet war, hohe Beamte waren. (10. März 1491) als Kind einer Beamtenfamilie geboren. 405 Diese war ursprünglich in
Es waren vielmehr Konflikte zwischen verschiedenen Grundhaltungen innerhalb einem Dorf nördlich von der KreisstacltAnfu im Norden der PriifekturJi'an zu IIausc,
der Schule Wang Yangmings, zwischen einer ganz auf praktische, «das ViJlk lieben- scheint dann aber in die Kreisstadt gezogen zu sein. 406 Sein Vater hatte 1496 die höchsten
den» (Daxue) Tätigkeit ausgerichteten und einer mehr Gewicht auf Gelehrsamkeit Staatsprüfungen bestanden, 407 und auch einer von Zou Shouyis fünf Söhnen und drei
und theoretische Überlegungen legenden Haltung. He Xinyin befand sich bis 1559 seiner elf Enkel bestanden diese höchsten Prüfungen. Huang Zongxi hat Zou Shouyi,
hauptsächlich in seiner Heimat Yongfeng, wo er zwischen 1553 und 1559 seine ei- diesem Sohn und diesen drei Enkeln das ganze sechzehnte Buch seiner «Dokumente
nige tausend Mitglieder umfassende Sippe der Liang ~ zu einer Art Kommune mit der Konfuzianer der Ming-Dynastie» (M.RXA) gewidmet, das den Teil über Wimg Yang-
gemeinsamer Schulung und Erziehung der Kinder und mit gemeinsamer Bewirt- mings Schule inJiangxi eröffnet. Zwei weitere seiner Söhne erreichten die Staatsexamen
schaftung der Felder organisierte, 403 so dass diese Konflikte wohl in der Zeit zwischen auf Provinzebene. Zudem besaß Zou Shouyi drei Töchter und neun Enkelinnen. 408 Die

399 Siehe den folgenden§ 8. 404 Siehe oben den § 5, S. 342.


400 Zu HeXinyin siehe den Artikel von Wu Pei-yi umljulia Ching in DMB, S. 513-515; Bauer, Wolfgang: 405 Geburts(h!tum gemäß der Grabinschrift von Luo l longxian: ?'.011 Shouyi ji, Nanjing 2007,juan 27,
China und die I Ioj)imng auf Glück, München 1971, S. 339-343 (im Abschnit:t «Der Clan-Kommunis- S. 1375. Im Folgenden stüt/,e ich mich auf diese <<Grabinschrift» von Luo I-longxian, auf den
mus»); Dirnberg, Ronald G.: The Sage and Society. The Life and Thought ofHo Hsin-yin, Hawaii 1974; «Lebenslauf» von Song Yiwang 5R ~~ (Zou Shouyi ji, Nanjing 2007, juan 27, S. 1367-1374), auf
Billeter,Jean-Frans;ois: Li Zhi, philosophe maudit (JS27-l 602), Genf 1979, S. 13 7-157. die Biographien von Huang Zongxi im MRXA, von Julia Ching im DMB, S. 13 lüf., und auf
401 Zu dieser Lehre Wang Gens siehe oben den§ 5. diejenige im zweiten Band der «Geschichte der Lehre vom li» von Hou Wailu, Qiu Hansheng et al.
402 1WKXA,juan 32, lkijing 1985, S. 704. (Beijing 1987) sowie auf andere (211ellen.
,H)3 Nach Huang Zongxi unternahm er diese Organisation der Sippe mir der Begründung·, dass «das 406 Jedenfalls gab es im Oktober 2004 noch im südlichen Teil der Altst:1dt von Anfu eine ganze von West
D11X'lte [im Grundbpitel] sag:t, dass [vor der Regierung des Landes und der Befriedung· der Welt] nach Ost verlaufende Straße mit :1\ten prächtigen Anwesen dieser F,11nilie Zou. Sie waren in einem
zuerst die Familie geordnet werden müsse» (ebd.). Die beiden Texte He Xinyins, die die Regeln dieser desolaten Zustand, und man sagte mir damals, dass sie Hochbauten weichen müssen.
gemeinsamen Schulung und Bewirtschaftung festlegen, hat Wolfgang Bauer im oben angeführten 407 «Grabinschrift», Zou Shouyiji, Nanjing 2007,juan 27, S. 1375.
Werk, S. 340-343, übersetzt. 408 Ebd.
360 361

Familie Zou muss in der Präfektur Ji' an sehr einflussreich gewesen sein: Als Zou Shouyi Erst 1523, nachdem 1521 der Jiajing-Kaiser den Thron bestiegen hatte, kehrte
am 17. Februar 1550 (der 1. Tag des zweiten Mondes fiel in diesem Jahr auf diesen T:'lg) er wieder auf eine Beamtenstelle nach Peking wrück. Auf seinem Weg von Anfu nach
nach chinesischer Ziihlung sechzig .Jahre alt wurde, fanden sich zur Geburtstagsfeier Peking, der über Hangzhou und von dort durch den Großen Kanal führte, machte
über tausend Leute ein: 1\riagistraten und Beamte aus den neun Kreisen der Präfektur, er im Frühjahr 1523 von Hangzhou aus einen Abstecher nach Shaoxing und blieb
Gelehrte und Schüler. 409 Mit acht Jahren (1499) folgte Zou Shouyi seinem V.'lter an dort mehrere Tage (nach Huang Zongxi mehr als einen Monat) bei Wang Y'lngming,
dessen Beamtenstelle nach Nanking. Schon mit sechzehn Jahren (1507) bestand er die «um ihn über die Lehre zu befragen». 412 Als er Shaoxing wieder verließ, begleiteten
Staatsprüfungen in der Hauptstadt der ProvinzJiangxi und mit zwanzig Jahren (1511) ihn Wang Yangming und einige Mitschüler auf dem Schiff etwa dreißig Kilometer
die höchsten Staatsp1iifungen in Peking. Er wurde Erster in den dreitägigen Prüfungen in Richtung Hangzhou und übernachteten nach dem Abschied in einem buddhisti-
im P1iifungspalast und Dritter in den kurzen Prüfung im Kaiserpalast. Danach war er schen Kloster. Als Wang Yangming dort im Kerzenlicht traurig in Gedanken an den
während eines Jahres Redaktor in der I Ianlin-Ak:ademie von Peking und zog sich dann Weggereisten versunken war, fragte ihn ein Schüler, warum er so sehr an Zou Shouyi
nach Hause 7miick, da seine Mutter gestorben war. Wenige Jahre später muss auch sein denke. Er antwortete mit einem Zitat aus dem Lur~yu, in welchem Zengzi, ein Schüler
Vater gestorben sein, denn 1519 begab er sich in die südliche Nachbarpräfektur von von Konfuzius, einen verstorbenen Freund, nach traditioneller Auslegung den Lieb-
.Ji'an, nach Gai17hou, mn dort Wang Yangming um eine Grabinschrift für seinen Vater lingsschüler von Konfuzius, Y'ln Hui, charakterisiert: «Zeng7i sagte: <Mit Fähigkeit
zu bitten. «Er hatte dabei keinerlei Absicht, bei ihm zu lernen.»410 Er suchte offenbar auch diejenigen befragen, die nicht fähig sind; mit großem \Vissen auch diejenigen
Wang Yimgming weniger als Philosophen, sondern vor allem als bereits berühmten befragen, die wenig wissen; haben, als hätte man nicht; voll sein, als wäre man leer;
Staatsmann und vielleicht auch als großen Kalligraphen auf. Er scheint demnach nicht beleidigt werden und nicht streiter1.> 413 Ein Mensch wie Qianzhi [Zou Shouyi] kommt
von Liu Xiao zu vVang Yangrning geschickt worden zu sein. Er kam aber bei diesem Be- dem sehr nahe.» 414
such auch zu philosophischen Gesprächen, die den damals achtundzwanzigjährigen Zou 1524 versuchte Zou Shouyi im Zusammenhang mit der sogenannten «großen
Shouyi außerordentlich beeindruckten und dazu brachten, Wang Yangming zu seinem Ritenkontroverse» (da li yi :k~~), 415 durch eine Throneingabe den Kaiser davon ab-
Lehrer zu w:ihlen. Er tat dies vor allem deshalb, weil Wang Y'lngming für ihn ein Pro- zuhalten, seinem verstorbenem Vater, der nicht Kaiser gewesen war, postum alle Titel
blem lösen konnte, das ihn bewegte und mit dem er bislang nicht fertig werden konnte: und Ehren eines Kaisers zu verleihen. Daraufließ der Kaiser ihn verhaften, verprügeln
«Bisher bestand für mich die Schwierigkeit, dass nach ChengfYiJs und Zhu[ Xi]s Erklä- und auf einen niedrigen Posten in der Unterpräfektur Guangde niH~ im Südwesten
nmg [des Grundkapitelsj des Dr1:x:ue das Erste fim Lernen] dasgewu ;t,1:\-W/ als <Erforschen des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking (heute in der Provinz Anhui) strafver-
der Dinge und Ausschöpfen ihrer Ordnungsprinzipien> (qiong !i ~1'.) ist, während das setzen. Auf dem Weg dorthin fuhr Zou Shouyi wiederum nach Shaoxing, um Wang
[erste Kapitel] des Zhongyong die <Achtsamkeit im Alleinsein> (shen du tl~) an den An- Yangming über das Verhalten in der Politik zu hefragen. 416 Dieser war daiiiber erfreut,
fang des Lernens stellt. Das passt nicht zusammen. Nun löste sich diese Schwierigkeit: dass er seine Strafversetzung nach Guangde so lcichtnahm. Zou Shouyi sagte zu ihm:
Das ge wu ;t,1:\-~ [verstanden als <Berichtigung der Handlungen>] und das <Verwirklichen «Sobald man Beamter wird, muss man die äußeren Dinge wie ein Schauspieler neh-
des Wissens> (zhi zhi i!(~) [verstanden als <Verwirklichen des ursprünglichen Wissens>] men, der gemäß den Gegebenheiten seine Geschichten macht.» «Wencheng [Wang
sind dasselbe wie die <Achtsamkeit im Alleinsein>.»411 Zou Shouyi war von seiner von Yangming] antwortete ihm, nachdem er sehr lange geschwiegen hatte: <Der Klassiker
Zhu Xis Interpretation der beiden grundlegenden Texte verursachten Schwierigkeit der historischen Dokumente (Shujing) sagt [von König Yao]: <Er war sowohl aufrichtig
und deren plötzlicher Lösung durch Wang Yangmings Erklärung so sehr beeindruckt als auch höflich, sowohl überwindend kraftvoll als auch nachgiebig (yun gang ke rang
und geprägt, dass für ihn fortan die «Achtsamkeit im Alleinsein» in Wang Yangmings ftJi~%il).> 417 Sie vertrauen der Höflichkeit und Nachgiebigkeit; wie ist es, wenn Sie
Sinne der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» gegenüber den Regungen des eigenen sich auf die Aufrichtigkeit und überwindende Kraft besinnen?> Unzufrieden mit sich
Herzens, die man nicht öffentlich sehen und hören kann, um die man aber aus sich selbst sah der Herr [Zou Shouyi] erst jetzt ein, dass die alltägliche Höflichkeit und
selbst «allein weiß» (du zhi ~~), das Zentrum seines Verständnisses von dessen Lehre Nachgiebigkeit nicht vermeiden kann, mit der Welt zu spielen (wan shi mt!t).»418 Zou
der«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» wurde. In denJ ahren 1519 und 1520 Shouyi wollte in seiner Amtsführung keine spielerische, sondern eine aufrichtige und
blieb Zou Shouyi noch längere Zeit mit Wang Yangrning zusammen und stand ihm
auch aus privater Initiative bei der Niederschlagung der Rebellion des Prinzen Ning
im Sommer 1520 bei. 412 Siehe oben in der Einleitung zu Teil I den § 1, S. 102.
413 Lunyu, 8. Buch, Kap. 5.
414 Chuanxi lu III, Nr. 314; Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S.117; teilweise aufgenommen in die Biogra-
phie Zou Shouyis imMRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 334.
415 Siehe oben den Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 39.
409 Siehe unten in Kap. 4 den § 1, S. 634, Anm. 62. 416 Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 13f.
410 MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 333. 417 Shujing, Kanon von Yao, 1. Abschnitt, Übersetzung von James Legge, S. 15.
411 MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 333f. 418 MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 334.
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ernsthafte Haltung einnehmen, und er war in seiner Amtsführung außerordentlich Amt. Zwei Mal hatte er durch mutige Eingaben an den' fhron versucht, die Regierung
gewissenhaft und unbestechlich. Aber er versuchte, eine Art Indifferenz oder Gelas- desJiajing-Kaiscrs zu verbessern, und beide Male schwer dafür büßen müssen. Von da
senheit gegenüber den widrigen Umständen und dem Scheitern im öffentlichen Amt an (1541) blieb er allen staatlichen Ämtern fern und widmete sich in seiner Heimat
zu bewahren. Er sagte einmal: «Günstige oder widrige Umstände [im öffentlichen und darüber hinaus über zwanzig Jahre ganz der Lehre und Schule Wang Ymgmings.
Leben] sind nur Sonnenschein oder Regenwetter; im Amte Tätigsein oder zu Hause Er starb im 41.Jahr clesJiajing-Ära am 10. 'fag des elften Mondes (5. Dezember 1562),
Sitzen sind nur Reden oder Schweigen. Wenn man in dieser Sache sauber und rein drei Monate vor seinem zweiundsiebzigsten Geburtstag. 426 Seine «Grabinschrift» (nzu
ist (jingjic ~;i), dann ist man überall sauber und rein; wenn man in dieser Sache zhi nzing ~;t-~) wurde von Luo Hongxian verfasst.
schmierig ist (nian dai ;J;li*), dann ist man überall schmierig.»419 In Guangde setzte Zou Shouyis Verständnis von \Vang Yangmings Lehre von der «Verwirklichung
Zou Shouyi sich für die Lehre \Vang Yangmings ein, indem er die Fuchu-Akadcmie des ursprünglichen Wissens» hatte den sich auf das erste Kapitel des Zhongyong
crrichtete 4211 und die erste umfangreiche Sammlung von Wang Yangmings Schriften berufenden Gedanken der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» (jie shen lwng ju
veröffentlichte. 421 ttl<;t;U~'ll1l) zur Grundlage, der auch Wang Yangming wichtig war. 427 Zou Shouyi
1527 erhielt er eine Stelle im Ritenministerium in Nanking. Im Dezember 1529 dachte das «ursprüngliche \Vissen» gemäß VVimg Yangrnings in Teil I dieser Studie
nahm er am Begräbnis von Wang Yangming in Shaoxing teil. 1531 ersuchte er wegen unterschiedenem drittem Begriff als in «seinem eigentlichen \Vcscn» vollkommene
Krankheit um Entlassung aus dem Staatsdienst. Auf dem Weg in seine Heimat machte geistige Wirklichkeit und moralische Kraft, die aber in ihrer aktuellen Auswirlrnng im
er im llerbst dieses Jahres wieder von Hangzhou aus den Abstecher nach Shaoxing, menschlichen Bewusstsein durch die verschiedenen Formen der Eigensucht verdeckt
um dort am Grab seines Lehrers zu trauern und um sich um dessen Söhne zu küm- und behindert wird. Die «Verwirklichung des ursprünglichen vVissens» besteht nach
mern. In I Iangzhou nahm er damals an einer Versammlung in der Tianzhen-Akademic Zou Shouyi primär darin, durch «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» diese Verdeckung
teiI.·122 Nach seiner Heimkehr gründete oder restaurierte er im Frühjahr 1534 die Fu- und Behinderung zu durchbrechen und dadurch das «ursprüngliche Wissen» zu kla-
gu-Akademie vor dem Südtor seiner Ileimatstadt.Anfu und organisierte Versammlun- rem Bewusstsein zu bringen. Fr schreibt in einem Brief: <<Die Lehre vom <ursprüng-
gen der Schule Wang Ymgmings auf Präfckturcbcnc am Fuß des Qingyuan-Gebirges lichen Wissen> weist von der durch den Himmel bestimmten Natur [des Menschen!
si.idiistlich der Priifckturhauptstadt.Ji'an. Erst 1538 finden wir ihn im Beamtenmini- her auf das gcistcskräftige vVahrnehmcn (Gewahren, aktuelle Bewusstsein) (zhi qi
sterium von Nanking wieder auf einem Beamtenposten. Zu Beginn des folgenden jing shcn lingjue :j:~~fflt$ili~). Der <Klassiker der historischen Dokumente> (Shu-
Jahres (15 39) wurde er nach Peking zum Erzieher des Thronnachfolgers berufen. Im jing) nennt es <helles Leben> (ming ming BJlfri), das ,Buch der ,vandlungen> nennt es
Sommer 1540 war er wieder Beamter in Nanking; nach mehreren Quellen hatte der <helle Thgencl> (rning de BJHi); doch Mitfühlen, sich Schiimcn und Verabscheuen, höf--
d:,maligc Erste Großsckrctiir und nach dem Kaiser mächtigste Mann des Reiches Xia lichcs Zurücktreten sowie [dem Richtigen] Zustirmncn und [das Falsche] Ablehnen'f28
Yi111 diese Entfernung Zou Shouyis vom Zentrum der Macht bcwirkt. 423 Xia Yan war sind alles Auswirkungen dieses <ursprünglichen VVissens, (!irmg zhi zhi yun yong ~9'□
kein Freund der Schüler Wang Yangmings; auch Qian Dehong und Wang Ji hatten .zJU!'l). Wenn man deshalb durch <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> (jie shen kongju
unter ihm zu leiden. 424 Anfang 1541 wurde Zou Shouyi in Nanking Rektor (ji jiu ~;iffi) ttl(;ffi}~'II) die <Harmonie des Maßes der Mitte> verwirklicht,429 kann man in der
der Kaiserlichen Hochschule (Gouzijian). In diesem Jahr brach im Ahnentempel des Stellung [von Himmel und Erde die Wesen und Dinge] fördern; wenn man jene vier
Kaiserpalastes in Peking Feuer aus, was der Kaiser als eine Warnung des Himmels <Anfänge> [der Tugenden] ausweitet, vermag man die Vier Meere (die ganze Welt)
betrachtete. Er ersuchte die hohen Beamten, Reformvorschläge zu unterbreiten. «Die
hohen Beamten fürchteten alle, dadurch den Kaiser zu beleidigen. Herr [Zou Shouyi]
machte eine Eingabe und sprach als Einziger über das Richtige des gegenseitigen Er-
426 Nach Julia ChingsArtikel im DMBüber Zou Shouyi starb dieser im Oktober 1562 (a.a.O., S. 1311a).
mahnens zwischen eiern Herrscher und seinen Beamten (jun chen jiao jing zhi yi j{s" ~~ Doch hat ihn Wang Ji nach seinem eigenen Bericht (erster Brief an Lü Wuzhou, Ulitng Longxi quan
~Zfi).»425 Doch zog er sich dadurch prompt den Zorn des Kaisers zu und verlor sein ji,juan 9, S. 21a [Taipei 1970, S. 615]) und auch nach Berichten Luo Hongxians (siehe unten in Kap.
4 den§ I, S. 642,Anm. 112) noch nach dem 4. Dezember 1562 unmittelbar vor seinem Tod besucht.
Nach einer Mitteilung eines Enkels von Zou Shouyi soll dieser am Abend desselben Tages, an dem
ihn Wang Ji in Anfu besucht hatte, gestorben sein; Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003,
S. 244. Mit dieser Chronologie übereinstimmend steht auch in der im vorangegangenen Paragraphen
419 MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 345. zitierten «Grabinschrift» für Liu Xiao, dass dieser am 23. Januar 1563, innerhalb von fünf Tages-
420 Siehe oben in dieser Einleitung den§ 5, S. 323. dekaden (wu xun zhi jian :li1i!.zrai) nach Zou Shouyis Ableben, starb. Nach der «Grabinschrift»
421 Siehe oben den Anhang zur Einleitung zu Teil I, S. 115. von Luo Hongxian und dem «Lebenslauf» von Geng Dingxiang (1524--1596) starb Zou Shouyi am
422 Nach der Biographie von Geng Dingxiang; zitiert bei Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, 5. Dezember 1562; Zou Shouyiji, Nanjing 2007,juan 27, S.1377 und S.1390.
s. 52. 427 Siehe oben in Teil I, Kap. 2, § 3, S. 160-166.
423 Siehe den Artikel vonJulia Ching im DMB, S. 1310b. 428 Das heißt die spontanen «Anfänge» der Tugenden nach Mengzi: siehe oben in der allgemeinen
424 Siehe oben den Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 41. Einleitung den § 4.
425 MRXA, juan 16, Beijing 1985, S. 333. 429 Ebenfalls Anknüpfung an das erste Kapitel des Zhongyong.
364 365

zu bewahren; es geht dann wie im Handumdrehen. Wenn Sie nun zweifeln, dass zu lassen befehlen, schon lange da ist und sein Druck groß ist, vermag das [mein]
das ,ursprüngliche ·wissen> noch nicht ausreichend sei (liang zhi wei wei zu ~~* <ursprüngliche Wissen> auch nicht die Leitung zu _\ibernehmen (bu neng zuo zhu
~JE.), und meinen, dass man daher erst durch viel Lernen erkenne (duo xue er shi zhang ,fWH'f=::l::~). Das ist wahrlich das allgemeine Ubel unserer Generation. Aber
'!J,~im~), kommt man so zu <Einern, das alles durchdringt> (.yi yi guan zhi -J,:;!.1ffl:;z.)? 430 da man um die Krankheit weiß, vermag man dadurch die öffentliche Meinung und
Die Helligkeit (Klarheit) des ,ursprünglichen Wissens> ist wie diejenige eines Spiegels: die kollektiven rlendenzen zu durchbrechen (zhen bimz zhong yi peng xing ~t:z.m.lli
\Venner weit, hell (klar) und fein ist, dann sind alle Erscheinungen in ihm gespiegelt. M!m). 435 Diesen Willen selbst festhalten, das ist ein praktisches Mittel, um das <ur-
Ursprünglich besteht nicht das Übel, dass er dazu nicht ausreicht (zhu wu bu zu zhi sprüngliche Wissen zu verwirklichen>. Tn seiner Feinheit und Klarheit besitzt das
Iman 1JJ1l!Ff JE.~,"); das Übel besteht nur darin, dass man noch nicht fähig ist, ihn hell ,ursprüngliche Wissen> aus sich selbst die natürliche feste Norm (zi you tian ran yi
(klar) zu machen (wei neng ming *~~a.,E!).»431 «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» als ding zhi ze §~Ji::M-:JEZJ'l.tl) dafür, was von den Umständen der Zeit schwierig zu
spirituelle Disziplin sind die Mittel, um sich das dem «ursprünglichen Wissen» eigene befolgen, was von den sittlichen Formalitäten schwierig zu erfüllen, was von den ver-
\Vesen zum klaren Bew11sstsein zu bringen. Zou Shouyi schreibt in einem Brief von fallenen Sitten schwierig auszuführen ist. vVcnn gefolgt werden darf, folgt es; wenn
1533: «Das eigentliche ·wesen des ursprünglichen Wissens (liang zhi ben ti .&~;ljs:U) nicht gefolgt werden darf, hält es inne; wenn erfüllt werden darf, erfüllt es; wenn
ist an sich von selbst weit und auf das Gemeinsame gerichtet (ben zi kuo ran dtt gong nicht erfüllt werden darf, hält es inne; wenn ausgeführt werden darf, führt es aus;
7.p,§JliiM::k0); an sich wird es von selbst den Dingen gerecht, wenn diese auftreten; wenn nicht ausgeführt werden darf, hält es inne. Es ist wahrlich wie der <fliegende
an sich ist es von selbst uneigennützig (ben zi wu wo 2js: § AA~); an sich ist es von selbst Falke und der aufschnellende Fisch>,'H 6 es ist die <Lebendigkeit des Antriebes des
ohne Begierden; an sich ist es von selbst, ohne auszuwählen (ben zi wu jittn .ze 2js: § AA Himmels> (tian ji huo po ~~5isli); 417 anfänglich ist es ohne Behinderung und wählt
~~); an sich ist es von selbst unverdunkelt und nicht nachlässig. Wenn man sich ohne nicht aus (wujian ze AA~1'). Das Unglück ist der Egoismus der Ruhmsucht und des
zu erschlaffen in der Anstren 6>1mg der ,Achtsamkeit und Furchtsamkeit> übt (jie shen Opportunismus (hao ming htw li z.hi si ff:f!i ~HU ;z.fb.). Sobald diese seine Feinheit und
kongju bu täe qi gong MiL'c?1<ffl!,f1W/~J}J), dann ist es [im eigenen Bewusstsein] beständig Klarheit behindern, bedeckt Spreu das Auge, und man nimmt eine andere Stellung
lallter und klar (chrmgjing chang ming *ffl*BJ:I), und es gibt nicht viele Fehler und als Himmel und Erde ein.»'fl 8
Übel. Man hat nur zu fürchten, dass die Anstrengung etwas erschlafft (shtw xie 9->tM); Wie verhalten sich nach Zou Shouyi die «Natürlichkeit» des «ursprünglichen
dann wird man nicht Erfolg haben, auch wenn man den Eigennutz, die Begierden, Wissens» als des «Antriebes des I Iimmels» und die willentliche, unablässige Anstren-
die Verdunkelung und die Nachhissigkeit nicht wählt.» 4.l 2 Die «Achtsamkeit und gung der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» als «Verwirklichllng des ursprünglichen
Furchtsamkeit» hat für Zou Shouyi auch den Charakter einer geistigen Sammlung, Wissens» zueinander? Zou Shouyi denkt sich das «eigentliche vVesen des ursprüngli-
die vor dem Zerstreutsein in 1nüßige und üble Gedanken schützt: <<] emanden, der chen Wissens» mit dem Bild des <<natürlicherweise» nach unten fließenden Stromes.
unter n1üfügem Überlegen und vermischten (unreinen, üblen) Gedanken litt (ku xicm Um Überschwemmungskatastrophen zu verhindern, darf der Fluss dieses Wassers
si za nian 'ls'm!JlUlt~), nahm er ins Verhör und sagte: <Sie überlegen selbst Müßiges, einerseits nicht mit künstlichen Dämmen in seinem natürlichen Lauf behindert, an-
aber Sie verabscheuen müßige Überlegungen; Sie denken selbst Vermischtes, aber Sie dererseits aber müssen Verstopfungen und Hindernisse entfernt werden, die seinen
verabscheuen vermischte Gedanken. Es ist so, wie wenn Sie sich selbst betrinken, aber natürlichen Lauf behindern. Er vergleicht die ethische Praxis mit der Wassertechnik
die Betrunkenheit verabscheuen. Wenn Sie in einem einheitlichen Denken achtsam des Großen Yu. Dieser war der Begründer der Xia-Dynastie des 3. Jahrtausends
und furchtsam sein können, ohne davon einen Augenblick abzulassen (neng jie ju yi v.Chr., dem es gelang, den Oberlauf des Gelben Flusses von Überschwemmungen
nian, xu yu bu li ~Jllt'l&-~~~ 1'ffit), wie könnten Sie da Zeit finden, um in Gedanken zu befreien, indem er nicht wie sein erfolgloser Vorgänger gegen das Hochwasser
herumzutreiben.>»433 Dämme errichtete, sondern Behinderungen seines Abflusses durchbrach: Zou Shouyi
Wenn wir uns des «ursprünglichen Wissens» lauter und klar bewusst sind (jing schreibt in einem Brief an Zeng Hongzhi ~ ~Z: «Durch <Achtsamkeit und Furcht-
ming ffi'IIJ:I), dann wirkt es in uns in der Natürlichkeit des «Antriebes des Himmels». samkeit> wird das <ursprüngliche Wissen verwirklicht>. Das <ursprüngliche Wissen>
Zou Shouyi schreibt in einem Brief: «Der Diener des Freundes Sun434 ist zurückge- ist eines. Wenn es nicht verdunkelt und verblendet ist (wu hun mei 1ilt~tvK), heißt
kehrt, und ich habe schon lange Ihren Brief erhalten. Da das, was Sie mir zu tun und es <gewahren> (jue Jl); wenn es nicht fallengelassen und verloren wird (wu fang yi

430 Lunyu, 4. Buch, Kap.15; 15. Buch, Kap. 3. 4 35 Ich folge hier nicht der Zeichensetzung der Ausgabe von 2007.
431 «Antwort an Xia Dunfu ~~~», Zou Shouyi ji, Nanjing 2007,juan 10, S. 493; mit Kürzungen über- 436 Zitat aus dem «Klassiker der Oden» im zwölften Kapitel des Zhongyong.
nommen imMRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 336. 437 Zum Begriff des «Antriebes des Himmels» siehe unten in Kap. 2 den§ 3 über WangJi, für den dieser
432 «Antwort an den Präfekten Shi Lianbo 1:i lf!HB», Zou Shouyiji, Nanjing 2007,juan 10, S. 51 lf. Begriff ganz zentral ist.
433 «Aufzeichnungen von Gesprächen» (Yitlu), MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 344. 438 «Antwort an Zhou Shunzhi ~ Bli'tZ[=Zhou Yi]»,ZouShouyiji,Nanjing 2007,juan 10, S. 503; teilweise
434 Wahrscheinlich war dieser Diener der Übermittler des Briefes. aufgenommen im MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 337.
366 367

~~~), heißt es <achtsam und furchtsam>; wenn an ihm nichts hinzugefügt und nichts ihr «wegnehmen», ab; andererseits betont er die Notwendigkeit eines willentlichen
weggenommen wird, heißt es <ausgeglichen> (ping deng SJL~). Obschon die Namen Aufbrechens aller Behinderungen und Verstopfungen dieses natürlichen Laufes und
verschieden sind, ist dabei die ethische Anstrengung dieselbe. Wenn Sie nun das verurteilt eine passive Haltung des bloßen «Zuschauens undAbwartens». Er schreibt
<Gewahren> und das <Ausgeglichene> für das <Einfache und Leichte> (jian yi ~~) 439 an Nie Bao in einem Brief, der wahrscheinlich um 1535 im Zusammenhang mit der
[d.h. für das Natürliche] und die <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> als ein <Verfolgen Kontroverse innerhalb der Schule um die «Natürlichkeit» der «Verwirklichung des
von Absichten> (qi yi fü\~) 440 halten, dann verkennen Sie nicht nur die <Achtsamkeit ursprünglichen Wissens» entstanden ist: «Das <eigentliche> Wesen der menschlichen
und Furchtsamkeit>, sondern auch das <Gewahren> und das <Ausgeglichene>. Wenn Natur (xing zhi ben ti ti..z.215:U) ist wie das aus der Quelle sprudelnde Wasser, das
wir prüfen, was in uns zur Zeit der <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> geschieht, gibt weder Tag noch Nacht ruht und sich schließlich in die Vier Meere ergießt. Wenn
es dann etwa ein Fallenlassen, gibt es dann etwa Verdunkelung und Verblendung, es dabei behindert und versperrt wird (you suo yong bi ~m~~), muss man [die Ver-
gibt es dann etwa ein Hinzufügen und Wegnehmen! Wenn man erreicht, erreicht stopfungen] durchbrechen und es abfließen lassen (jue er pai zhi 5.:k:ii'a:M~.z.). Das ist es,
man alles, wenn man verfehlt, verfehlt man alles; man kann nicht eines erreichen und wodurch der Große Yu die Wasserläufe regulierte (suo yi zhi shui pfr J..:;l3i:P1<). Wie könnte
das andere verfehlen. Was Cihu [Yang Jian, 1140-1225] <keine Absichten verfolgen> die Leistung des Durchbrechens und Abfließenlassens nicht anstrengend sein! Aber
(bu qi yi 1'irß]i'.) nennt, meint kein Verfolgen von egoistischen Absichten (bu qi si yi dies bedeutet nur ein Leiten wegen seiner Verstopfungen (yin qi yong er dao zhi 1251:!t
1'Mllb.~). [ ... ] Des <kleinen Menschen> egoistische Absichten, seine Verblendung und ~im-Z), aber keinesfalls ein Hinzufügen oder Wegnehmen (Vermehren oder Ver-
Verdunkelung, sein Fallenlassen (fangyi ~~), sein gutes und schlechtes Betragen, so- mindern) mit menschlicher Kraft (wei chang yi ren li jia sun *lirW,A:b ha~); deshalb
gar Einbruch und Raub gehören alle zum Herz (Geist), aber sie sind nicht das eigent- heißt es: <handeln ohne Geschäft (Kiinstl ichkeit)> (xing suo wu shi 1':r pfr~$). Wenn man
liche Wesen des Herzens (fei xin zhi ben ti ~~it,,;z_;,j,:ft); Wasser, das in den Bergen über aber nicht gegen die Verstopfungen durch Zorn und Begierden zügelnd vorgeht (bu
alle Köpfe bis zum Himmel reicht, ist Wasser, aber es ist nicht das eigentliche Wesen jia cheng zhi :fha~~), sondern meint, dass das <eigentliche Wesen> ursprünglich von
des Wassers (fei shui zhi ben ti ~~7.l<..z.215:U). Die <Achtsamkeit und Furchtsamkeit>, um selbst sich auswirkt (ben ti yuan zi liu xing 215: lltJJ:ii: § ffitfi), dann durchbricht man [die
das <eigentliche Wesen> [des Herzens] nicht zu verlieren, ist wie die Wassertechnik Verstopfungen] nicht und lässt [das Wasser] nicht abfließen (bu jue bu pai 1'5R1'~~),
(xing shui :f:r7.l<) des Großen Yu. Sowohl das Errichten von Dämmen, um zurückzuhal- sondern schaut zu und wartet ab, bis es ins Meer fließt. Wenn man aber andererseits
ten, als auch das Zulassen von Verstopfungen, ohne diese aufzubrechen und [das Was- behauptet, dass jenes zügelnde Vorgehen eine Anstrengung ist, welche die Natur des
ser] abfließen zu lassen (bu jue bu pai 1'>R1'~~), sind Verfehlungen.» 441 Zou Shouyi sieht Menschen beherrscht (zhi :xing zhi gang 5€:tti.ZJJI), und dabei nicht sieht, dass der Lauf
also seine ethische Praxis der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» nicht negativ als ein des <eigentlichen Wesens> (liu xing zhi ti ffit{r .z. H) prinzipiell durch menschliche Kraft
willentliches, künstliches Eindämmen von schlechten Tendenzen, sondern positiv als gar nicht vermehrt oder vermindert werden kann, dann handelt man auch nicht nach
ein Befreien der guten «Natur» des Menschen, das heißt des «eigentlichen Wesens des der Devise des Handelns ohne Geschäftigkeit (Künsrlichkeit) (fei xing suo wu shi zhi
ursprünglichen Wissens», von ihren Behinderungen durch «Ruhm- und Profitsucht», zhi ~~1TP.fr~$;z ~).»442 Zou Shouyi sieht also keinen Gegensatz zwischen ethischer
als ein Fließenlassen oder Laisser-faire des eigentlichen Wesens des eigenen Herzens «Natürlichkeit» und willentlicher mühsamer Anstrengung, sofern diese nichts anderes
durch das willentliche Durchbrechen und Entfernen der egoistischen Blockierungen. tut, als die Behinderungen der «Natürlichkeit» aufzuheben. Wir werden im nächsten
Er verbindet zwei gegensätzliche Gedanken: Er will die gute menschliche «Natur>> Paragraphen (§ 8) dieser Einleitung bei den Diskussionen der Schüler Wang Yang-
fließen oder machen lassen und lehnt von diesem Gesichtspunkt aus alle willentlichen rnings über die «Natürlichkeit» der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
oder künstlichen Interventionen, die etwas zu dieser «Natur» «hinzufügen» oder von diesen Gedanken Zou Shouyis wieder begegnen.
Wenn die Methode der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» erfolgreich ange-
wendet wird, kommt es nach Zou Shouyi gar nicht erst zu falschen Handlungen,
439 Anspielung auf den <<CroßenAnhang» (Xici) des «Buches der Wandlungen»: «Das Qian (das Männ- die «berichtigt werden» müssten: «Die Rückkehr zum [moralisch] Guten und die
liche, der Hirnrnel) wc:iß (leitet) dmch das Leichte; das Kun (das Weibliche, die Erde) vermag durch Korrektur des [moralisch] Schlechten sind Programmpunkte der <Verwirklichung
das Einfache» (Teil T, Kap. 1). Sehern Wang Yangming hatte das «Verwirklichen des ursprünglichen
\ Vissens» durch diese «natürliche,,, Einfachheit und I ,cichtigkeit charakterisiert, und Wang Ji, der des ursprünglichen Wissens>. Aber wenn man wirklich <acl1ts,1m und furchtsam> und
in seiner Lehre von der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» von der «Einsicht» in dessen dadurch [in seinem <ursprünglichen Wissen>] beständig lauter und klar zu sein vermag
«eigentliches Wesen» ausgehen wird, unterscheidet sich in seinem Vorgehen auch durch diese «Ein- (changjing chang ming ~ffi~ a.J:.I) und nicht durch die egoistischen Wünsche behindert
fachheit und Leichtigkeit» von der anstrengenden Methode seines Mitschülers Qian Dehong, der
sich an Wang Ya11gmi11gs «Lehre in Vier Sätzen» hielt; siehe unten in diesem 'Teil das Kap. 1. und verdunkelt wird (zhang hi ~lillx), dann ist dies das Gute - zu was soll man dann
440 l linweis auf die] ,ehre von Yang.Jian (Beiname: Cilrn, 1140 1225), dass man «keine Absichten bilden»
soll (bu qiyi =f ilil:@':). WangJi ließ sich von YangJian bccinllussen, und es wurde ihm von verschiedener
Seite vorgehalten, sich an diesem zu orientieren; siehe in dieser Einleitung den nächsten § 8.
441 «Antwort an Ceng Hongzhi Wf 54~», Zou Shouyi ji, Nanjing 2007,juan 10, S. 522f.; MRXA,juan 16, 442 «Antwort an Nie Bao», Zou Shouyi ji, Nanjing 2007,juan 10, S. 494f.; verkürzt aufgenommen im
Beijing 1985, S. 3 38f. MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 337.
369
368

noch zurückkehren! Dann gibt es keine Fehler - was soll man da noch korrigieren! Jq:i~jm~~~~~)>; 445 die Ruhe geht der Tätigkeit nicht voraus (wei yingfei xian, yi
Sobald es aber Behinderungen und Verdunkelungen gibt, dann muss man reinigen ying fei hau *}!j1F $\'; ß}Jj~Ffi); Handlungen und Gedanken werden durch <das Eine
und auskehren, wie mit Blitz und Sturm vorgehen (ru lei li feng xing ~□ ffl)IJ!l.f.r) und vereint> (yi yi guan zhi -J,:;)Jt;z.); 446 es ist der Anhalt des ganzen Lebens (quan sheng
das <eigentliche vVesen> wieder zum Erscheinen bringen (fu xian ben ti ~~;$:\lt). Was quan gui ±~±!lll) und das höchste Prinzip der Menschlichkeit und der kindlichen
das <Abfallen in das niedere Fahrzeug> (lua zai xia cheng m:tt""F*) genannt wird, ist Pietät (ren xiao zhi ji 1=*;zt<l).»447 Mit eiern «nicht gesehenen und nicht gehörten
nur das Nachprüfen in den einzelnen Handlungen (zhi shi shi shang dianjian ti\;~ $ eigentlichen Wesen» meint Zou Shouyi das immer vollkommene «eigentliche Wesen
J::.itl~), es ist [der bedingte Kreislauf] von Entstehen und Vergehen (yau qi yau mie des ursprünglichen Wissens». 448 In diesem bilden Ruhe und Tätigkeiten, «Substanz»
~jlli~j~) und nicht der freie Lauf (Fluss) des <eigentlichen Wesens [des ursprüngli- und «Funktionen» eine Einheit. Diesen Punkt wird er in seiner Kritik an Nie Baos
chen Wissens]> (fei ben ti zhi liu xing 1~;,\l:\lil;zitiH'r).»443 Nach Zou Shouyi geschieht Konzeption der <<Verwirldichung des ursprünglichen Wissens durch die Rücld{ehr
die <<Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» also primär in einer Anstrengung zur Stille» hervorheben (siehe unten in Kap. 3 den § 3). Die auf das «eigentliche
rein innerhalb des eigenen Herzens und nicht in der «Berichtigung» der bereits in Wesen des ursprünglichen Wissens» gerichtete «Achtsamkeit und Furchtsamkeit»
ist nach Zou Shouyi die Gegenbewegung zur «Selbsttäuschung» (zi qi § 1$), die eine
die Öffentlichkeit getretenen eigenen Handlungen.
Worauf ist nach Zou Shonyi die «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» gerichtet? Verdunkelung und Verblendung des «ursprünglichen Wissens» ausmacht. Sie ist also
Ganz allgemein gesprochen auf etwas Gegenwärtiges, nicht auf etwas Vergangenes darauf gerichtet, die «T ,auterkeit und Klarheit», die zum «eigentlichen Wesen des
oder Künftiges: «Das Bedenken des Vergangenen und des Künftigen geht beides ursprünglichen Wissens» gehört, im eigenen Bewusstsein zu realisieren, sie ist auch
der Anstrengung im Gegenwärtigen verlustig (shi que xian zai gangfu ~W!J!:(fJ}.J~) die Anstrengung, das moralische Bewusstsein klar oder wach zu halten. Er schreibt
und fesselt unvermeidlich das eigene Herz. Weil unser Herz sich gewöhnlich von in einem Brief: «Ich habe einst für einen Freund die beiden Zeichen <achtsam im
der Anstrengung der <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> entfernt, hat es keinen Ort Alleinsein> (s!Jen du ß\!J;J)'l'l'1 kalligraphiert. Darauf legte ich den Pinsel weg und sag-
der Ruhe mehr (wu an dun chu jm~~~). Die Buddhisten sagen: <Wenn der Affe den te seufzend: <Dem Herzen und eiern Wahren folgen (cong xin cong zhen füA>fi:l::~),
Baum verliert, ist es mit seiner Schlauheit aus.> Wenn man das Formlose sieht, das das ist die <Achtsamkeit (shen t:il) [im Alleinsein] .>'" 0 D,1s ist das <eigentliche Wesen>
Tonlose hört und gründlich versteht [d.h. das <ursprüngliche Wissen> versteht], wenn (ben ti ;1\1:\lil) [des <ursprünglichen Wissens>], und das ist auch die ethische Anstren-
der Geist im Gegenwärtigen immer gewissenhaft und behutsam ist (jing shen xian zai gu:1g (gang fu J3.J ~).> Wc1_111 _man deshalb die Sclbstfauschung beseitigt (chu que zi qi
_jingye wu xia :m':/$lJ!ttl'ß'iJ'.~~B~¾), wie könnte man da noch Muße finden,Vcrg·angenes ~W § !'lx), dann gibt es kcm Ubel mehr (€·eng wu hing ~~(pg); wenn man die Achtsam-
keit im Alleinsein beseitigt (chu que shen du ~iWtJD§ll), dann gibt es kein Lernen mehr
zu überlegen und Künftiges zu begreifen!» 444
Zou Shouyi unterscheidet drei Arten von <<Achtsamkeit und Furchtsamkeit»: die (_geng wu xue ]!!jm~).»151
auf die eigenen Handlungen (shi $) gerichtete, die auf die eigenen Gedanken oder WangJi bringt in einem 'lcxt über Zou Shouvi, den er kurz nach dessen Tod
Intentionen (nian ~) gerichtete und die auf das «ursprüngliche Wissen» gerichtete. (Ende 15 62) geschrieben hat, diese drei Arten der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit»
Die dritte Art umfasst die beiden vorangehenden; Zou Shouyi wertet sie am höchsten:
«Die Übungen der <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> haben nur einen Namen, aber
445 Formel, die von Ch eng Yi (103 8-1107) und Zhu Xi zur Charakterisierung der Einheit von «Substanz
ihre Lebensadern (Richtungen) sind verschieden (xue mai ge yi Illlll!i\1~·~). Wenn man und Funktionen» (ti yong yi yuan lllffl-JJll) gebraucht wird, etwa von Zhu Xi in seinen Antworten
<achtsam und furchtsam> bei den Handlungen (Geschäften) ist (yu shi ~$), dann auf Kritiken an seiner Erklärung des Taiji tu shuo von Zhou Dunyi; Zhouzi quan shu, Wan you wen ku,
erkennt man die Handlungen (shi shi ffil$), aber nicht die Gedanken (Intentionen). Shanghai 1937,S.34.
446 Anspielung auf Lunyu, 4. Buch, Kap. 15, und 15. Buch, Kap. 3.
Wenn man <achtsam und furchtsam> bei den Gedanken ist (yu nian ~~), dann erkennt 447 ~<A~fze_ichnungen von Gesp~ä:hen» (Yulu),MRXA.,juan 16, Beijing 1985 S. 343. Die Folge der Sätze
man die Intentionen, aber nicht das <eigentliche Wesen> (ben ti .21>: \lt). Die <Achtsamkeit 1st m dieser Ausgabe zum Teil m Unordnung geraten; wir haben die ursprüngliche Ordnung sinnge-
und Furchtsamkeit> hinsichtlich des <eigentlichen Wesens> sieht nicht und hört nicht mäß wiederhergestellt.
448 ~as wir_d zum Beispiel im folgenden Gespräch deutlich: «Jemand fragte über das <nicht sehen und
(bu du bu wen '.:ftiPFlffl), ist beständig Norm, ist beständig leer und doch beständig in mchthoren> (bu dubuwen 1'llff1'1ffl). [Zou Shouyi] sagte: <Glauben Sie (xinde-rai~) an das <ursprüng-
geistiger Kraft (chang xu chang ling "m-~"m-11); sie ist <ruhig, still und ohne Anzeichen, h~he Wissen>?> Er antwortete: <Das <ursprüngliche Wissen> istlauter und klar (jingnzing ffiSJl), es kann
und doch sind alle Phänomene darin anwesend (chang ma wu zhen, wan xiang sen ran mcht verdunkelt werden< [Zou Shoyi] fragte: <Hat das Lautere und Klare eine Form (you xing 1'f %)?>
Er antwortete: <Es hat keme Form.> [Zou Shouyi] fragte: <Hat es einen Ton?> Er antwortete: <Es hat
keinen Ton.> [Zou Shouyi] sagte: <Wenn es keine Form und keinen Ton hat, dann ist es unsichtbar
und unhörbar (bu du bu wen 1'1!\'f1' iffl); wenn es nicht verdunkelt werden kann, dann erscheint es nicht
(nzo xian nzo xian ;lll;Ji:llHI).» «Aufgezeichnete Gespräche»,MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 344.
443 «Antwort an Xu Zibi f;t- f~», Zo11 Shouyi ji, Nanjing 2007 ,juan 10, S. 508; aufgenommen im MRXA, 449 Nach Zhongyong, Kap. 1; DnX'lte, Kap. 6.
450 Dieser Satz spielt mit der Zusammensetzung der chinesischen Wortzeichen. Das Zeichen für Acht-
juan 16, Beijing 1985, S. 338. . samkeit (ffi) setzt sich aus den Zeichen für Herz (,t.,) und für das Wahre (Jl) zusammen.
444 «Antwort an Pu Zhizhao ~ ~ll?:l», Zou Shouyi ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 536; aufgenommen 1m
451 «Antwort an Xie Gaoquan, Dongshan il ii1/i5il~*lll», Zoit Shouyiji, Nanjing 2007,juan 11, S. 576.
MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 341.
370 371

mit dessen geistiger Entwicklung in Verbindung. Er kannte Zou Shouyi sehr gut ben, versuchte Zou Shouyi die «Natürlichkeit» im Wirkenlassen des vollkommenen
und war mit ihm schon seit dessen Aufenthalt in Shaoxing 1523 kontinuierlich in «Wesens des ursprünglichen Wissens>> und die willentliche Anstrengung der «Acht-
direktem und brieflichem Kontakt gewesen. Er sehreibt:«Das <nicht Gesehene und samkeit und Furchtsamkeit» zu verbinden. Er scheint die kfarende «Achtsamkeit und
nicht Gehörte> [im ersten Kapitel des Zhongyong] ist die <ethische Natur> (de xing Furchtsamkeit» gegenüber den guten und schlechten «Intentionen» noch als eine Be-
tlti), es ist das, was <ursprüngliches Wissen> (liang zhi .&~) genannt wird. Dieses einträchtigung (in der Sprache der «Wassertechnik»: künstliche «Eindämmung») der
<allein Wissen> hat nichts, was nicht ursprünglich gut (liang .ff!) wäre. Die <Achtsam- «Natürlichkeit» des ethischen Lebens erfahren zu haben und richtete sich in seiner
keit und Furchtsamkeit>, in der man auf <sein Alleinsein> aufmerksam ist (jin ~), ist willentlichen Praxis daher auf das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens»,
die< Verwirklichung des ursprünglichen Wissens>. Dongkuo [Zou Shouyi] hat oft mit was für ihn aber kein bloßes «Fließenlassen» der Intentionen bedeutete. Er schreibt
dem vVerdegang seines eigenen [ethischen] Lernens seine Schüler unterwiesen, indem in einem Brief an Yu Liuxi #: tml: «Neuerdings betonen die Leute [unserer Schule],
er sagte: <Nachdem ich die Lehre [Wang Yangmings] gehört hatte, war ich zuerst in die vom Lernen sprechen, hauptsächlich das [natürliche] Aufblühen der Intentionen
Beziehung auf die Handlungen (shi wei $~) <achtsam und furchtsam>; aber es war un- (yi xing ~ft) und strengen sich in der <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> gar nicht an,
vermeidlich nur eine ausschmückende (äußerliche) Unterstützung (xiu shi zhi chi {1Jfjffi in der Meinung, dass sie dadurch die Natürlichkeit des eigentlichen Wesens behindern
3-t¼), die Anstrengung war groß und das Ergebnis gering. Darauf war ich in Beziehung (fang ai zi ran ben ti m.11. § ~;zJ,:!ffl). Deshalb treibt ihr Geist herurn (jing shen Jan fu
auf die Gedanken (nitm lii ~Jil) <achtsam und furchtsam>; aber ich war [des üblen Ge- :fi!H$5z~), und sie haben keine Grundlage, zu der sie zurückkehren und durch die
dankens] im Osten noch nicht frei, da entstand im Westen schon ein neuer, 452 Gewinn sie ihr Geschick aufrichten können (quan wu gui gen li ming chu it#!!Oiilffl.fz.$.$). Im
und Verlust hielten sich die Waage. Darauf war ich in Beziehung auf das Wesen (die Gegensatz dazu prüfen die Leute, die vVillcns sind, die Anstrengung der <Achtsamkeit
Grundwirklichkeit) des Herzens (.?ein ti ,t,,lffl) <achtsam und furchtsam>. Erst jetzt fühlte und Furchtsamkeit> auf sich zu nehmen, nur die Handlungen (zhi shi dian jian yu shi
ich, dass ich da wirklich Kraft anwandte (mich anstrengte: yong li ffljJ) und zugleich wei .Ll::.~!/i#lM-$~), kümmern sich nur um die Absichten und Gedanken (zhao guan yu
auch Kraft gewann (de li 1~.7.J). Denn die Handlungen sind die Äußerungen (yingji nian lii ~Jl~M~Jil) und dringen nicht vorn Unsichtbaren und Unhörbaren [d.h. von
Ji!/lilP) der Gedanken, und das Herz (der Geist) ist die Wurzel (ben ;zJ,:) der Gedanken. der <Natur:., vom <eigentlichen vVesen des ursprünglichen vVissens>] her ins Verbor-
Wenn die W1.1rzel gegründet ist, dann stehen die Gedanken von selbst aufrecht, und gene ein (hu ceng cong bu clu hu wen shrmg ru wei 1'~1/E1'1li:Ff i,il_t).-1)i).:.> 454
die Handlungen sind von selbst in Ordnung.>»453 Zou Shouyi war offenbar im Verlauf Zou Shouyi identifiziert die im ersten Kapitel des Zhongyong auftretende
seiner Entwicklung davon abgekommen, «in Achtsamkeit und Furchtsamkeit» die «Achtsamkeit beim nicht Gesehenen und Furchtsamkeit beim nicht Gehörten» mit
Intentionen in den einzelnen Handlungen oder die einzelnen Handlungsintentionen dem in Zhu Xis Lehre der Selbsth1ltivienmg zentralen Ausdruck der «Ehrfurcht»
vor ihrer Ausführung zu prüfen, und wollte sich in «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» (jing :/ib.). Dies hat die Autoren der «Geschichte der Lehre vom li II (Ordnungsprinzip)
direkt dem vollkommenen «eigentlichen Wesen» des «ursprünglichen Wissens» zu- in der Song- und Ming-Dynastie» dam geführt, Zou Shouyis Lehre der «Achtsamkeit
wenden, um es klar zu machen. Nicht dass er jenes «Nachprüfen der Handlungen» und Furchtsamkeit» mit Cheng Yis und Zhu Xis Lehre von der «Ehrfurcht>:. (jing :/ib.)
abgelehnt hätte, aber er sah in ihm ein «Abfallen in das niedere Fahrzeug», das heißt gleichzusetzen. 455 Doch bezieht Zou Shouyi seinen Begriff der «Ehrfurcht» (jing :/ib.),
ein zweitrangiges Vorgehen, wie er in Anspielung auf die buddhistische Unterschei- soweit ich sehe, nie auf Zhu Xi oder auf dessen Vorgänger in dieser Lehre, den jünge-
dung von verschiedenen «Fahrzeugen zur Erlösung» im oben zitierten Brief an Xu ren der beiden Cheng-Brüder, sondern immer nur auf die «Gespräche» (Lunyu) von
Zihi sagte. Dadurch kam er, wie wir in Kapitel 1 und 2 noch sehen werden, Wang Jis Konfuzius, vor allem auf den Satz im vierzehnten Buch: «Der Edle [... ] kultiviert sich
Auffassung von der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» nahe, aber wohl, selbst durch Ehrfurcht (junzi [. ..] zi xiu yi jing :gT [... ] §~l;A.:/ib.).» Wie die ihm erst
ohne völlig mit ihm übereinzustimmen. Das Nachprüfen der Intentionen in den ei- durch Wang Yangming deutlich gewordene Übereinstimmung zwischen der«Verwirk-
genen Handlungen durch das «ursprüngliche Wissen» im Sinne des Gewissens und lichung des (ursprünglichen) Wissens» im Grundkapitel des Daxue und der «Acht-
das entsprechende willentliche Handeln, was für Wang Yangmings ethische Praxis samkeit und Furchtsamkeit» im ersten Kapitel des Zhongyong für ihn sehr erhellend
grundlegend gewesen war, war bei einem Teil seiner Schüler an die zweite Stelle ge- war, so betonte er auch die Einheit dieser Gedanken mit der im Lunyu auftretenden
treten, und es entstand dadurch in der Schule ein Konflikt, der schon zwischen Wang «Selbstkultivierung durch Ehrfurcht». Sowohl die Aussagen des <<Meisters:.> im Lunyu
Ji und Qian Dehong ausgetragen wurde (siehe unten in Kap. 1). Wie wir schon oben als auch das Grundkapitel des Daxue und das erste Kapitel des Zhongyong (vermittelt
in diesem Paragraphen in den Briefen an Ceng Hongzhi und Nie Bao gesehen ha- durch Konfuzius' Enkel Zisi) galten als eigene Worte von Konfuzius, und so war diese

452 Anspielung auf eine Stelle im Brief an Zhang Zai über die «Festigung der Natur» (Ding xing shu

453
}Ef:tiJ) von Cheng Hao (1032-1085). Mingdao xiansheng wenji 2, Beijing 1985, S. 460.
«Nachlässige Worte für Han Tianxu, der zum Studienleiter von Ancheng [= Anfu, Präfektur Ji'an]
454 «Brief an Yu Liuxi * :f91!~»,
juan 16, Beijing 1985, S. 340.
Zou Shouyiji, Nanjing 2007,juan 11, S. 551; aufgenommen imMRXA,

ernannt wurde», T#ing Longxi quan ji,juan 16, S. 28a (Taipei 1970, S. 1163). 455 A.a.O., Bd. 2 (1987), S. 294.
372 373

Übereinstimmung für Zou Shouyi ein hermeneutisches Postulat. Er schrieb: <<Wenn es Es ist anzunehmen, dass Zou Shouyi diese Texte in seiner früheren Zeit ge-
[im Lunyu] heißt, dass wenn [der Edle] sich durch Ehrfurcht kultiviert (xiu ji yijing ~ 2. schrieben hat, da die Verbindung der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» mit der
~ fk), er dann den anderen Menschen und dem ganzen Volk Sicherheit und Frieden gibt «Ehrfurcht» (jing fk) im Lunyu jener eine Beziehung auf die Handlungen gibt. Der
(ze an ren an bai xing fl.~:ti:A:~telt), 456 und wenn es [im ersten Kapitel des Zhongyong] Ausdruck «Ehrfurcht bei den Handlungen» (jing shi f/1/..$) steht ja im oben zitierten
heißt, dass wenn der Edle achtsam und furchtsam ist (jie shen kongju Jfltffi~-tK), er dann Kapitel des Lunyu, und wahrscheinlich wurde Zou Shouyi der Gedanke der «Acht-
die gleiche Stellung wie Himmel und Erde einnimmt und alle Wesen bildet, so sind samkeit und Furchtsamkeit bei den Handlungen» durch diese Lunyu-Stelle nahe-
dies nicht zwei verschiedene Dinge (wu er zhi 1m=~).»457 «Ich meine, dass der Haupt- gelegt; Wang Yangming spricht nicht in dieser Weise. Bei ihm ist die «Achtsamkeit
punkt in der Schule des Heiligen [Konfuzius] nur in der <Selbstkultivierung durch und Furchtsamkeit» immer auf etwas «Inneres», «Unsichtbares und Unhörbares»
Ehrfurcht besteht (zhi zai zi xiu yijing t,if,;f±. ~ ~P)Jlö.)>. Die <Ehrfurcht> (jing f/1/..) besteht bezogen: auf die Intentionen oder auf das «ursprüngliche Wissen» selbst. Aber die
darin, dass die Lauterkeit und Klarheit des <ursprünglichen Wissens> nicht mit stau- «Achtsamkeit und Furchtsamkeit bei den Handlungen» war für Zou Shouyi auch nie
biger Vulgarität vermischt wird (bu za yi eben su 1'?!11U·::J-~m). Wenn man <achtsam und bloß auf das äußerlich wahrnehmbare Verhalten gerichtet. Er schrieb: «Wenn man
furchtsam> (jieju Jflt-tK) [und dadurch in seinem <Ursprünglichen Wissen>] immer lauter wirklich den ursprünglichen Gehalt des Wortes <Ehrfurcht> (jing ~) einsieht, dann
und klar (changjing chang ming 11Ul* IIJI) ist, dann <behandelt man [wie Konfuzius im betrifft es sowohl den inneren persönlichen Charakter (xing Jen lt~) als auch das
Lunyu sagt] außerhalb des eigenen Hauses [d.h. im öffentlichen Wirken] die Leute wie äußere sittliche Sich-Benehmen (li wen ~Jt); was braucht man sich da Sorgen über
Gäste, und man verhält sich in seinen [öffentlichen] Geschäften [ehrfürchtig] wie beim die einseitige Betonung des Äußeren oder des Inneren zu machen! Wenn man inne-
Darbringen von Opfern.>458 [ ... ] Deshalb ist [im Lunyu] <bei der Leitung eines Landes ren persönlichen Charakter und äußeres sittliches Benehmen trennt und daraus zwei
mit tausend Streitwagen die Ehrfurcht (Achtsamkeit) bei den Handlungen (jing shi Dinge macht, dann kennt man die Ehrfurcht nicht; wie könnte man da reden von der
fk$)>459 geradezu der Leitsatz.»460 An den prominenten Vertreter der Richtung Zhu Mitte und Richtigkeit (zhong zheng i::p iE) der Lehre des Heiligen!»462
Xis, Lü Nan (1479-1542), schrieb er: «Die <Ehrfurcht> (jing f/1/..) besteht darin, die Lau- Abschließend sei erwähnt, dass Zou Shouyi bei seinen Zeitgenossen und da-
terkeit und Klarheit des <ursprünglichen Wissens> nicht mit egoistischen Wünschen nach bei Huang Zongxi (M.RXA) bis zu heutigen Philosophiehistorikern als jemand
zu vermischen (bu za yi si yu =-Fit~~W:). Deshalb sind <[das Verhalten wie gegenüber gilt, der sich besonders streng an die Lehre seines Meisters hielt. Wang Ji schrieb
Gästen] außerhalb des Hauses und das Umgehen mit dem Volk [wie beim Darbringen um 1553 für die Mitglieder der Schule in Guangde ~fitl, wo Zou Shouyi 1525 die
von Opfern]> [Lunyu, 12. Buch, Kap. 2], das <[Bei-der-Menschlichkeit-]Bleiben [des Fuchu-Akademie gegründet hatte: «Die Freunde in unserer Gemeinschaft (wu
Edlen] auch in Zeitdruck und Eile, in Sturm und Gefahr> [Lunyu, 4. Buch, Kap. 5], das dang ~11) fabrizieren alle ihr eigenes Lernen mit dem, was ihrer individuellen
<Vor-sich-Sehen [von Loyalität und Zuverlässigkeit, von Ernst und Ehrfurcht (du jing Natur am nächsten liegt. Obschon sie sich dem großen Grundsatz des Lehrers
:«lfk)] beim Stehen [am Hofj und das [Vor-sich-auf-dem-Joch-Sehen dieser Prinzi- [Wang Yangming] nicht zu widersetzen wagen, tragen sie doch unvermeidlich ihre
pien] beim Fahren im Wagen> [Lunyu, 15. Buch, Kap. 6] alles nur Auswirkungen von eigenen Meinungen vor und meinen damit das vorzubringen, was der Lehrer noch
<Achtsamkeit und Furchtsamkeit> (jie ju zhi liu xing Jflt'll.zmHr), und erst auf diese Wei- nicht vorgebracht hatte. Die Härenden werden dadurch verwirrt und können keine
se <Verlässt man [das Dao] auch nicht für einen Augenblick> [Zhongyong, 1. Kap.].»461 Einheit mehr finden. Das ist ein Fehler unserer Gemeinschaft. Nur der Ehrwürdige
Man sieht an diesem Beispiel auch, wie sich unsere Konfuzianer der Ming-Zeit be- [Zou Shouyi] verehrt und bewahrt ernsthaft von Anfang bis Ende die Lehre vom
mühten, die zum Teil heterogenen Begriffe ihres Kanons zu synkretisieren. «ursprünglichen Wissen», schützt sie wie seine Lebenswurzel, schämt sich nicht,
in ihrem Innern zu bleiben, und verlässt sie keinen Augenblick durch Zufügen ver-
traulicher Mitteilungen.»463 Diese Treue Zou Shouyis zu Wang Yangmings Lehre
wird sich in seiner Kritik an Nie Bao zeigen, in der er die Untrennbarkeit von
456 L1m~,u, 14. Buch, Kap. 42: «Zilu fragte nach dem Charakter des Edlen. Der Meister [Konfuzius] «Substanz» und «Funktionen» des «ursprünglichen Wissens» bzw. die Einheit von
antwortete: <Er kultiviert sich selbst durch Ehrfurcht (yi jing P„U,l!t)>. Zilu fragte: <Ist es das schon?>
Der Meister antwortete: <Er kultiviert sich selbst, indem er den anderen Sicherheit und Frieden gibt.> Ruhe und Tätigkeit in der ethischen Praxis betont (siehe unten in Kap. 3 den§ 3),
Zilu fragte: <Ist es das schon?> Der Meister antwortete: <Er kultiviert sich selbst, indem er dem Volk
Sicherheit und Frieden bringt.»>
457 «Über das Kapitel der Überwindung seiner selbst und der Wiederherstellung der Sittlichkeit» 462 «An Fang Shimian '1:i ~th», Zou Shouyi ji, Nanjing 2007,juan 10, S. 504; aufgenommen im MRXA,
[= Lunyu, 12. Buch, Kap. 1], Zou Shouyiji, Nanjing 2007,juan 15, S. 739f. juan 16, Beijing 1985, S. 337.
458 Lunyu, 12. Buch, Kap. 2. 463 «Bericht über den handgeschriebenen Brief, den Dongkuo vom Lehrer erhielt», Wang Longxi q11an ji,
459 Lunyu, 1. Buch, Kap. 5. juan 16, S. 30b-31 a (Taipei 1970, S. l 168f.). Wing-tsit Chan schreibt 1963 über Tsou Shouyi: «Among
460 An Hu Luya ffl /!lffi, Zou Shouyi ji, Nanjing 2007,juan 10, S. 507; aufgenommen im MRXA,juan 16, Wang's disciples he probably best understood the essential meanings of the Master's doctrines.»
Beijing 1985, S. 337f. (Instructions, S. 241, Anm. 99). Auch die Autoren des großen chinesischen Geschichtswerkes über den
461 An LüJingye /3~!1!f,ZouSho1ryiji, Nanjing 2007,juan 10, S. 515; aufgenommenimMRXA,juan 16, Neukonfuzianismus der Ming-Zeit aus dem Jahr 1987 (Hou Wailu, Qiu Hansheng, Zhang Qizhi)
Beijing 1985, S. 338. betonen die besondere Nähe Zou Shuyis zu Wang Yangming (S. 284ff.).
374 375

aber sie zeigt sich vor allem in seinem Streben nach einer Einheit von <<Natürlich- der ProvinzJiangxi), 467 in Suzhou (im direkten Verwaltungsgebiet von Nanking) und
keit» und «willentlicher Anstrengung>> in der « Verwirklichung des ursprünglichen kam 1530 oder 1531 ins Ritenministerium nach Nanking. Er führte dort mit Zou
vVissens», die im nächsten Paragraphen (§ 8) in der Auseinandersetzung mitJi Ben Shouyi, der im selben Ministerium noch bis zum Sommer 1531 tätig war, gemeinsam
wieder zur Sprache kommen wird. Lehrversammlungen durch. 468 Nachdem Ouyang De 15 32 als Lehrer der Kaiser liehen
Hochschule nach Nanking kam, organisierte er solche Versammlungen auch zusam-
§ 8 Eine frühe Kontroverse in der Schule: Natürlichkeit versus men mit diesem. 469 Dort begegnete er wahrscheinlich auch Wang Gen, der 1530, 153 3
Wachsamkeit in der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens». und 1534 in diese Stadt kam. 470 Im Herbst 1534 wurde er in die Präfektur Chenzhou
Die «Wachsamkeit des Drachen» von Ji Ben JiHM in der Provinz Huguang (heute Yuanling mlli, ganz im Westen der Provinz Hu-
nan) strafversetzt. 471 Von dort kam er 1536 als Vizepräfekt nachJi'an in der Provinz
Abgesehen von der Meinungsverschiedenheit zwischen Qian Dehong und Wang Ji, Jiangxi und schrieb die «Schrift über die Wachsamkeit des Drachen» (Lang ti shu
die schon zu Lebzeiten Wang Yangmings auftrat und der wir Kapitel 1 dieses zweiten ~ffltf), in der er «Gleichgesinnte» anprangerte. Zou Shouyi und Nie Bao befanden
'Teils widmen werden, ist die Kontroverse, die wir hier erwähnen, die früheste breit sich damals bei sich zu Hause in der Präfektur Ji'an, Wang Ji und Ouyang De in
ausgetragene Differenz in der Schule vVang Yangmings. Sie wurde 15 36 von einem der Nanking. Wahrscheinlich 15 38 oder 15 39 wurde Ji Ben zum Präfekten von Changsha
*
früheren Schüler Wang Yangmings,Ji Ben* (Beiname: Pengshan jt U-l, 1485-15 63)
durch eine Schrift hervorgerufen, die von WangJi, Zou Shouyi und anderen kritisiert
in der Provinz Huguang (heute Hauptstadt der Provinz Hunan) befördert. Dies war
sein höchstes Amt. Er war aber in seiner Amtsführung zu streng, so dass er abtreten
wurde. Nie ßao stellte sich auf die SeiteJi Bens. Das Verhältnis zwischen Spontaneität musste. Nachher übte er bis zu seinem Tod (1563) kein Amt mehr aus.
(Natürlichkeit: zi ran EI M) einerseits und willentlicher Kontrolle, Beherrschung und Ji Ben schreibt über das Entstehen seiner «Schrift über die Wachsamkeit des
Methode andererseits in der «Verwirklichung des ursp1iinglichen Wissens» war ein Drachen»: «Im Herbst desJahresjia wu [1534] wurde ich von meiner Stelle im Riten-
zentrales Problem der Schule. ministerium in Nanking nach Chenzhou [in Huguang] strafversetzt. [Yang] Yueshan
Ji Ben war wie Wang Yangming und Wang Ji in Shaoxing zu Hause, allerdings [m] J=I U-1 472 war mein Mitschüler (tong men [ii.]P,) [in der Schule Wang Yangmings]
nicht wie diese im westlichen Stadtteil und Kreis Shanyin u.i llfi, sondern im östli- und schämte sich nicht, weniger Wissende zu befragen. Denn mein Lernen war
chen Stadtteil und Kreis Kuaiji fl-~. 46'f Zuerst war er Schüler eines zurückgezogen damals noch nicht verfeinert und konnte für andere nicht von Nutzen sein. Doch in
in Shaoxing lebenden Gdehrten, Wang Wenyuan ± Xft (Beiname: Huangyuzi jener Zeit waren die Schriften von Cihu Yang ~jj\jj [Yang Jian mM] in Umlauf, und
:Jdl-r-), der mit Wang Yangming befreundet und wie dieser gegenüber Zhu Xis Leh- meine Mitschüler und Freunde betrachteten oft die Spontaneität als die Hauptsache
ren und Erklärungen der kanonischen Schriften kritisch eingestellt war, 465 und danach, (duo yi zi ran wei zong ~P,J_ EI r.&~*); es gab sogar welche, die das Wesen (die Natur
wahrscheinlich aber noch vor dem Frühjahr 1517, als er die höchsten Staatsprüfungen des Menschen) durch das Lebendige erkbrten (,yi shcngyan xing !,.:J-:!E ~11) und, ohne
in Peking bestand, auch Schüler \!½mg Yangmings. Nach diesen Staatsprüfungen, sich dessen bewusst zu sein, in die Wünsche (Begierden) gerieten (liu yu yu mt.MW:).
die er zusammen mit Nie Bao absolvierte, wurde er der Reihe nach Beamter in der
Präfektur Jianning ~*
(im Nordwesten der Provinz Fujian), 466 im Kreis Jieyang
:ml~ (ganz im Osten der Provinz Guangdong), im Kreis Yiyang i;~ (im Nordosten
467 Als er in Yiyang war, traf er dort Cui E, als dieser, wahrscheinlich Fnde 1529, nachdem er in Peking
als Großsekretär abgesetzt worden war, sich auf der Durchreise in seine Heimat Anrcn $:1= in der
benachbarten Präfektur befand. Gui E war wesentlich für die postume Degradierung Wang Yang-
mings verantwortlich; siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden § 1, S. 107. Ji Ben soll zu ihm gesagt
464 Zur Topologie und zur administrativen Einteilung der Präfekturstadt Shaoxing siehe oben in der haben, dass die Verdienste Wang Yangmings nicht vernichtet werden können. Darauf «verlor er seinen
Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 99f. Huang Zongxi gibt in seinem MRXA-Artikel (juan 13, Beijing Rang» (wohl nachdem Gui E im Frühjahr 1530 wieder zu Amt und Ehren gekommen war).
1985, S. 271) eine detaillierte Biographie vonJi Ben. Sie stammten beide ans derselben Priifektur. 468 MRXA,juan 13, Beijing 1985 S. 271.
465 Im i\![RXA,junn 10, Bcijing 1985, S. 183, findet sich ein kurzer Eintrag über Wang Wenyuan. Darin 469 Siehe oben in dieser Einleitung den ~ 3, S. 289.
steht: «Einmal sagte er: <Die Erldiirungen und Lehren von Meister Zirn !Xi] stimmen zum großen 470 Siehe oben in dieser Einleitung die§~ 3 und 5.
Teil mit dem Sinn der kanonischen Schriften nicht überein.> Diejenigen, die das hörten, nahmen ihm 471 Er wurde dafür bestraft, dass Zou Shouyi 1531 zwar wegen Krankheit ein Entlassungsgesuch einge-
dies übel. Nur [Wang] Yangming verband sich freundschaftlich mit ihm und widersetzte sich ihm reicht, aber dann, ohne die Antwort aus Peking abzuwarten, sich auf den Weg nach Hause gemacht
nicht.» Aus diesem Eintrag geht auch hervor, dass Wang Wenyuan noch lebte, als Wang Yangming hatte. Das Beamtenministerium in Peking hatte nachträglich über diesen Fall eine Untersuchung
Ende 1516 in die l'ruvinz Jiangxi ,,og, aber gestorben war, als dieser Ende 1521 für mehrere Jahre eingeleitet und beschuldigte das Ritenministerium in Nanking, in welchem auch Ji Ben tiitig war,
nach Shaoxing zurllckkehrte. dass es das Vergehen von Zou Sliouyi nicht gemeldet hatte: Ouyrmg Nimye xiansheng wen ji,juan 7
466 Als er dort Beamter war, bewachte er im Sommer 1519 den Fenshui-Pass n'l.l<lm\1, der die Provinz (wiedergegeben bei Wu Zhen: Xi11i1111 1522-1602, Sh,mghai 2003, S. 6S).
Jiangxi mit der Provinz Fujian verbindet, gegen die Truppen des aufständischen Prinzen von Ning, 472 Dass Yueshan mit Familiennamen Yang hieß, entnehme ich Wu Zhen: Nie Bno Luo Hongxian ping-
die im August 1519 von Wang Yangming in der Nähe von Nanchang besiegt wurden; siehe oben in zhuan, Nanjing 2001, S. 306. Sonst sei über ihn nichts bekannt. Offenbar war Yang Yueshan zusammen
der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 91f. mitJi Ben in Chenzhou.
376 377

Ich kritisierte sie im Verborgenen (yu qie bing zhi ~fA~z). Nach drei Jahren [1536] mung des Himmels (tian ming ;Ji::$) in prunkvollem Frieden; wenn der Herrscher
wurde ich Vizepräfekt vonJi'an und schrieb dann die <Schrift über die Wachsamkeit immer wach ist (zhu zai thangxing .:E*~ffi!), ist das Gesetz immer fest. Deshalb ent-
des Drachen>, um sie [Yang] Yueshan zu übermachen. Auch er stimmte ihr nicht zu. spricht der <Verborgene [Drache]> und der <fliegende [Drache]>477 seinem jeweiligen
Nur Meister Shuangjiang Nie [Nie Bao] glaubte tief an sie [... ].»473 Aufenthaltsort. Daher ist die Wachsamkeit (jing ti Vffl) dasjenige, was die Verän-
Mit den Begriffen des «Drachen» und der «Wachsamkeit» im Titel seiner derungen beherrscht (zhu bian hua zhe 3:.~ft:ff). Jene [d.h. gewisse Schüler Wang
Schrift appellierte Ji Ben an die traditionell Zhou Gong und Konfuzius zugeschrie- Yangmings] niachen aber das Natürliche (Spontane) zu ihrem Grundsatz (yi zi ran
benen Erklärungen der einzelnen Linien des Hexagramms Qian :fz (das «Aktive, wei zong zhi P). § M~* 1§) und verbildlichen es mit dem Wasser und dem Spiegel:
Männliche»), das im «Buch der Wandlungen» (Ytjing) das erste Hexagramm ist und Die Dinge zeigen sich von selbst als schön oder hässlich, gehen und kommen von
sein Gegenstück im Hexagramm Kun :lijl ( das «Passive, Empfangende, Weibliche») hat. selbst, und man braucht nichts zu ordnen und nichts zu planen (wu suo jing lun cai
Die Gedanken von YangJian (1141-1226) aus der Südlichen Song-Dynastie, der ein zhi ffl)'Jr~i1Ut#iU). Alle Faulheit und Trägheit entsteht daraus. Deshalb beginnt das
Schüler von LuJiuyuan (Beiname: Xiangshan, 1138-1191) war, hatten offenbar bei <Buch der Wandlungen> mit [dem Hexagramm] Qian, und dieses Hexagramm hat
gewissen Schülern Wang Yangmings Interesse geweckt. Yang Jian hob die spontane den Drachen zu seinem Bild (xiang ~).»478 In den Zitaten in Wang Jis Brief sagt Ji
Güte des menschlichen Herzens hervor 1md wandte sich gegen die Beherrschung des Ben: «Diejenigen, die heute über das Herz (den Geist) sprechen, sollten dies mit
«direkten (unmittelbaren) Herzens» (zhi xin 1VC,) durch den Willen. 474 Von Wang dem [Gleichnis des] Drachen und nicht mit dem [Gleichnis des] Spiegels tun. Zum
Yangming ist im dritten Teil des Chuanxi lu eine wertschätzende Bemerkung über Yang Charakter des Drachen gehört es, dass er aufgrund seiner Wachsamkeit die Verän-
Jian aufgezeichnet: «Yang Cihu war nicht ohne Einsicht, und er hatte diese Einsicht, derungen beherrscht (yi jing ti er zhu bian hua P). Wffl im 3:.IHt.). Das Ordnungsprinzip
indem er die Ebene des nicht sinnlich Fassbaren erreichte (zhuo zai wu sheng wu xiu (li 1!.) kommt von innen; die Spiegelungen des Spiegels kommen von außen. Die-
shangjian liao !i-ttt!UUftllJ:.J\I. 7).»475 Wir wollen an dieser Stelle noch nicht fragen, ser kontrolliert und beherrscht nichts (wu suo cai zhi ffl)'Jrit#iU), sondern überlässt
gegen welche Mitschüler Ji Ben seine Kritik richtete. Aber nach seinen obigen Anga- sich ganz und gar dem, was von selbst geschieht (dem Natürlichen) (yi gui zi ran -
ben hatte er sie nicht erst erhoben, als er 1536 nachJi'an kam, sondern sie schon in &fil § M). Das Natürliche (Spontane) ist dann vorhanden, wenn das Herrschende nicht
Chenzhou gegenüber Yang Yueshan mündlich geäußert, der die kritisierte Auffassung behindert wird (zi ran shi zhu zai zhi wu zhi §~~3:.*Zffl~); wie könnte es die
teilte oder mindestens mit ihr sympathisierte, und sie ihm dann in Ji'an schriftlich erste Stelle einnehmen! Es [das Natürliche] ist das Dao (der Weg, die Verhaltens-
gegeben. Zuerst wollen wir auf den Inhalt dieser Kritik eingehen. weise) des Kun :1$ (des Passiven, Empfangenden, Weiblichen), es ist nicht das Dao
Ji Bens «Schrift über die Wachsamkeit des Drachen» ist als Ganzes wohl nicht des Qian ~ (des Aktiven, Männlichen). Das <ursprüngliche Wissen> tritt aufgrund
mehr erhalten. Aber ein großer überlieferter Brief von Wang Ji an Ji Ben zitiert der Tätigkeit in Erscheinung (yin dong er ke jian ~lbi:iJ Jll.); das Wissen ist das Herr-
daraus längere Stücke, die dann in gekürzter Form Eingang in Huang Zongxis schende (zhi zhe zhu ye ~:ff:EiB).»479 In einem anderen Text kommentiertJi Ben:
«Dokumente der Konfuzianer der Ming-Dynastie» (MRXA) gefunden haben. Auf- «Der heilige Mensch [Konfuzius] erklärt [im <Buch der Wandlungen>] das Herz (den
grund dieser Zitate und anderer Texte kann ihr Inhalt im Wesentlichen rekonstruiert Geist) durch den Drachen und nicht mit dem Spiegel; denn die Rede, dass das Herz
werden. In einer Ji Ben gewidmeten Aufzeichnung eines Gesprächs zwischenJi Ben wie ein klarer Spiegel ist (xin ru mingjing ,t,,:tllJIIJUl), stammt aus dem Buddhismus.
und Zou Shouxi äußert Ji Ben den Ausgangspunkt seiner Schrift folgendermaßen: Das Spiegeln ist vom Äußeren abhängig, es kontrolliert und beherrscht nichts. Der
«Das eigentliche Wesen des Herzens (xin zhi ben ti ,t,,;z;ijl;ff) ist wie ein Drache. Drachen dagegen ist die <Wahrhaftigkeit> des <beständig Aktiven> (qian qian bu xi
Durch <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> (jie shen kongju Jt\t1i~11) 476 ist die Bestim- zhi cheng :fz~=f~Z~),480 er ist dasjenige, bei dem das <Ordnungsprinzip> (li llll.) aus
dem Inneren kommt und bei dem die Veränderungen im Herzen stattfinden. Ich
lege großes Gewicht auf diese Lehre, während Leute meiner Generation dem oft
473 Ji Peng,rhan xian shengji,juan l; zitiert bei Wu Zhen 2001, S. 305f., und ders.: Xinian 1522-1602, noch nicht zustimmen. Aber diese Lehre stammt von Konfuzius: <Er ist [bei sich]
Shanghai 2003, S. 72. ehrfürchtig (achtsam) und in seinem Verhalten [gegenüber anderen] lässig (einfach)
4 74 Von ihm stammen zum Beispiel folgende Aussagen: « Wenn man direkten Herzens vorwärts schreitet
(zhi xin er wang ii[,[:,- ii'iift), dann ist von selbst alles Gute vorhanden (zi bei ~ iiffi), und alles Schlechte
löst sich von selbst auf (zi jue ~ ffl). Auch wenn man dann nicht überlegt und nicht künstlich macht
(wu si wei ffl,\!\~), ist man hell und klar und vernachlässigt nichts (zhao zhao wtt yi lfflllßffl~).» Oder:
«Wenn ich wahrhaft mir selbst folge, dann habe ich von selbst das <[ursprüngliche] Können, ohne 477 Zitate aus den Erklärungen der Linien des ersten Hexagramms Qian ~ im l'ijing.
zu lernen, und das [ursprüngliche] Wissen, ohne zu überlegen>. Die vier Tugenden Menschlichkeit, 478 «Lehre über den Drachen des Herzens (Xin long shuo ,i>Jli~) als Geschenk für den hohen Beamten
Gerechtigkeit, Höflichkeit und Weisheit habe ich dann von selbst (wo suo zi you ~p)r ~ 1'l), alles Gute Ji Pengshan», Zou Shouyiji, Nanjing 2007,juan 8, S. 457.
ist von selbst vorhanden, und alles Schlechte löst sich von selbst auf.» (Zitiert bei Forke, Alfred: 4 79 MRXA,juan 13, Abschnitt über Ji Ben, Beijing 1985, S. 272; ergänzt durch die Zitate dieses 'Textes im
Geschichte der neueren chinesischen Philosophie, 2., unveränderte Auflage, Hamburg 1964, S. 254f.). Brief von WangJi anJi Ben: Longxi quan ji,juan 9, S. 14b und S. 16a (Taipei 1970, S. 602 und S. 605).
475 Chuanxi In III, Nr. 310, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 115. 480 Anspielung auf die Erklärung der dritten Linie (Neun) des Hexagramms Qian und auf Konfuzius'
476 Zhongyong, Kap.1. Kommentar dazu: siehe Wilhelm, Richard: «Das Buch der Wandlungen», S. 345 und S. 351.
378 379

(ju jing er xingjian ~li.'&rfüfi'M).>481 Wenn man ehrfürchtig (achtsam) ist, dann ist man in all dem kein Herrschendes gäbe, dann würden die <Bestimmung>, das <Dao> und
wachsam auf der Hut; das ist das Dao (der Weg) des Qian *
(des Aktiven, Männli-
chen). \Venn man lässig ist, dann ist man natürlich (spontan) und ohne künstliches
die <Harmonie> alle aus ihrer Ordnung fallen (guo qi ze ®!'!Jl_lJ); wie könnte man da
noch von <folgen> (gehorchen: shun Ji!J'i:) sprechen! Deshalb legte der heilige Mensch
Machen (zi mn wu wei § M1mf.m), das ist das Dao des Kun :1$ (des Passiven, Empfan- [Konfuzius], wenn er vorn Lernen sprach, den Wert nicht auf das Natürliche (bu gui
genden, Weiblichen). Wenn man sich dem Spontanen (Natürlichen) überlässt und zi ran ,f fl § ~), sondern auf die <Achtsamkeit im Alleinsein> (shen du ffi~), 488 und
nicht die Ehrfurcht (die Achtsamkeit) zum Herrschenden macht, dann <leitet der zwar gerade deshalb, weil er befürchtete, dass man, wenn man sich in das Natürliche
Wille nicht die Lebensenergie (zhi bu shuai qi ;t;;:::fß~~)>, 482 sondern man bewegt sich hineinbegibt, leicht in die Wünsche gerät (yi liu yu yu iffi)fü:/i~W:).» 489
nach der Lebensenergie (sui qi zi dang llli~ § ib). Ist das nicht allzu lässig (tai jian Ji Ben hat also folgenden Begriff des «Natürlichen»: Das «Natürliche» besteht
:::i;l;:mi), obschon man dann nichts hinstlich macht (wu suo wei ~J'iJr~)!»483 darin, dass die irrationalen (passiven, empfangenden, «weiblichen») psychischen
Ji Ben lehnt das «Natürliche», den «Weg des Kun», nicht ab, aber es muss nach 'friebkräfte sich dem (aktiven, männlichen) «Ordnungsprinzip» unterordnen und
ihm durch den «vVcg des Qitm», die «Achtsamkeit» oder «Ehrfurcht» des Willens, dieses nicht behindern. Dies tun sie nur, wenn dieses «Ordnungsprinzip» ein «wach-
beherrscht werden, erst dann ist es das gute, tugendhafte Natürliche. Wenn es sich samer Herrscher (Drache)» ist, sonst verfallen sie in chaotische Wünsche. Dieser
selbst überlassen wird, verfallt es in die Beliebigkeit der «Wünsche». Er denkt sich das «Herrscher» ist das «ursprüngliche Wissen». Das chinesische Wort, das wir hier, wie
Verhältnis zwischen «Natürlichkeit» und willentlicher Kontrolle wie das Verhältnis üblich, mit «das Natürliche» wiedergeben, bedeutet wörtlich das, «was von selbst
zwischen der «Lebensenergie» (Vitalität: qi ~) und dem «Ordnungsprinzip» (li IJll.) so (von sich aus so) ist (zi ran § M)», das «Spontane» im Gegensatz zum künstlich
oder zwischen dem «Passiven, Empfangenden, Weiblichen» (Kun :1$) und dem «Ak- Gemachten. Das «Natürliche» ist also nach Ji ßen ein spontanes sich Unterordnen
tiven, Miümlichen» (Qian ~): Die «Lebensenergie» oder das «Passive, Weibliche» vitaler psychischer Triebkräfte unter einen aktiv ordnenden wissenden Willen. Die
bedürfen, um nicht der Beliebigkeit: der «Wünsche» zu verfallen, der Beherrschung «Verwirklichung des ursp1iinglichcn Wissens» besteht in der «Wachsamkeit» dieses
durch das ,,Ordnungsprinzip», welches das «Aktive, Miinnlicbe» ist; jenes muss die- wissenden Willens, welche die Voranssct,,ung für die natürliche Unterordnung jener
sem «folgen, gehorchen» (shun J!IJ'i:). Er schreibt: «Das <Natürlid1e> (:z,i ran zhe § ~~) Triebkräfte ist.
bezeichnet die Gefolgschaft (den Gehorsam) gegenüber dem <Ordnungsprinzip> (shun Zou Shouyi, der bei sich zu Hause in der Präfektur Ji'an weilte, als Ji Ben dort
/i JIIJ'i:If). vVenn cbs <Ordnungsprinzip> nicht wachsam und achtsam ist (ti ruo t~~), 484 1536 als Unterpräfekt seine Drnchcn-Schrift veröffentlichte, soll gegen sie folgen-
wie kann ihm dann gefolgt (gehorcht) werden! Wenn man von <Folgen (Gehorchen: den Einwand erhoben haben: <•Das Überwachen der Veriindcnmgen (jing ti bian hua
shun J!IJ'i:)> spricht, dabei aber die <vVachsamkcit und Achtsamkeit> fallenlässt, dann Wt~~11:'..) und das natürliche (spontane) sich Verändern (zi ran bitm hua § M~11:'..) sind
handelt es sich um nichts anderes als das Bewegtwerdcn gemäß der Lebensenergie nach ihrer anfänglichen Bedeutung vollständig dasselbe (wu lm tong 1m"f fii.l). Ohne zu
(sui qi suo dong llli~J'i!Ti.!J). Deshalb ist die <Wachsamkeit und Achtsamkeit> das, was überwachen, kann nicht von Natürlichkeit gesprochen werden (bu zu yi yan zi ran 1' JE
über das Natürliche (Spontane) herrscht (zi ran zhi zhu zai § M.z::E$). Das Kun (das P). ~ § M); ohne Natürlichkeit (Spontaneität) kann nicht von Überwachen gesprochen
Empfangende, Weibliche) ist das Natürliche, aber es wird dadurch gut (tugendhaft), werden (bu zu yi yan jing ti 1'ßl?A ~ifffl). Der Verlust (Fehler) eines Überwachens
dass es das Qian (dasAktive,Männliche) aufnimmt (yi cheng qian weide J.-:;J..if<~f.m~); also ohne Natürlichkeit besteht in der Verstopfung (Behinderung: zhi ~); der Verlust
ist das Qian das, was über das Kun herrscht. Die <Bestimmung> (Geschick: ming "tri") ist (Fehler) einer Natürlichkeit, ohne zu überwachen, besteht in der Überbordung
das Natürliche, aber <Bestimmung> meint die <Bestimmung durch den Himmel> (tian (Ausschweifung: dang ~).»490 Zou Shouyi lehnte Ji Bens Konfrontation zwischen der
ming ~trf),485 also ist der Himmel das, was über die <Bestimmung> herrscht. Das Dao «Natürlichkeit» (Spontaneität) passiver Seelekräfte und der willentlichen aktiven
ist das Natürliche, aber das Dao meint <dem Wesen (der Natur) folgen> (shuai xing «Wachsamkeit» ab und wollte in der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
$tt.),486 also ist das <Wesen> (die Natur: xing tt.) das, was über das Dao herrscht. Die der aktiven, willentlichen «Wachsamkeit» keine Priorität gegenüber der «Natürlich-
<Harmonie> (he .ffi) ist das Natürliche, aber die <Harmonie> ist das <Maß der Mitte> keit» geben, sondern versuchte beide in eine psychologische Einheit zu bringen. Wie
(zhongjie i:pffiI),487 also ist die Mitte das, was über die Harmonie herrscht. Wenn es er diese Einheit genauer sah, kol1llllt in seinem Gleichnis der Flussregulierung des
Großen Yu in seinen Briefen an Ceng Hongzhi und Nie Bao und in seiner Ausrichtung
der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» auf das «eigentliche Wesen des ursprünglichen
481 Vgl Lunyu, 6. Buch, Kap. 1 (2).
482 Anspielung auf Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2.
483 MIIXA,juan 13,Abschnitt über Ji Ben, Beijing 1985, S. 275.
484 Anspielung auf die Erklärung der dritten Linie (Neun) des Hexagramms Qian im Yzjing; Wilhelm, 488 Anspielung auf das Grundkapitel des Zhongyong.
Richard, S. 345. 489 MIIXA,juan 13,Abschnitt über Ji Ben, Beijing 1985, S. 273.
485 Anspielung auf das Grundkapitel des Zhongyong. 490 MIIXA,juan 13, Abschnitt über Ji Ben, Beijing 1985, S. 272; die beiden letzten Sätze stehen auch
486 Anspielung auf das Grundkapitel des Zhongyong. in Zou Shouyis «Lehre über den Drachen des Herzens (Xin long shuo 1 iYilE~) als Geschenk für den
487 Anspielung auf das Grundkapitel des Zhongyong. hohen BeamtenJi Pengshan», Zou Shouyiji, Nanjing 2007,juan 8, S. 457.
380 381

\Vissens» in seinem Brief an Yu Liuxi zur Geltung, die wir alle drei im letzten Para- Dann wendet sich ·wang Ji gegen die Aufteilung des menschlichen Herzens in
graphen (§ 7) zitiert haben. einen wachsamen, kontrollierenden Willen (Drachen) und in natürliche (spontane)
WangJi hatJi Bens Drachen-Schrift zusammen mit einem großen Brief von ihm 'Triebkräfte, in ein Dao des aktiven, männlichen Qian und in ein Dao des passiven,
wahrscheinlich 1536 oder 1537 in Nanking erhalten. Er schreibt einleitend in seinem weiblichen Kun: «Wenn Ihre Meinung ist, dass das Qirm die vVachsamkeit zur Haupt-
wohl noch größeren Antwortbrief an den dreizehn Jahre älteren und ranghöheren sache hat (zhu jing ti 3:'litffeJ), während das Kun das Natürliche (Spontane) hochhält
Landsmann: «Der von Ihnen erhaltene Brief von unermüdlichen einigen hundert (gui zi ran :il § ~), und dass man nicht zugleich wachsam und natürlich (spontan)
vVörtern und Ihre mit [Yang] Yueshan den <Drachen und den Spiegel> diskutierende sein kann, dann verfallen Sie in eine dualistische Auffassung (liang bian jian jie jjjHI
Schrift korrigieren gründlich das Übel des übermäßigen Gebrauchs von Cihu [Yang J!M). Ich glaube, dass der ursprüngliche Hauptgedanke des Dao der <Wandlung>
Jian] durch die Lernenden von heute. Ihre Gefühle der ernsten Verantwortung für das [im }1jing] nicht auf diese Weise aufgespaltet werden kann. Das Lernen muss das
Dao und des Erbarmens mit unserer Zeit und der Sorge um das Volk sind offensicht- Natürliche (Spontane) zum Prinzip machen {ct'Ue yi zi ran wei zong ~,1..::J, § M~*);
lich, und ich wage nicht listig, das Verehren und genaue Erforschen der erhaltenen die Wachsamkeit ist eine Funktion des Natürlichen (Spontanen) (jing ti zhe zi ran
Kundgabe zu vernachlässigen. \Venn diese noch winzige Stellen hat, die ich zu be- zhi yong IH&l.ff § ~;zffl). Die <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> gebraucht nie die
richtigen wünsche, dann ist dies eine Bitte [um weitere Unterweisung] aufgrund der geringste [Willens-JAnstrengung (wie chang z.hi xian hao li *~?&IBi.:b); wenn man
Kürze ihrer Ausführung; ich wage nicht wirklich zu reden, sondern ich berichtige, um sich vor etwas fürchtet (you suo kongju ~ /'Jr?ß\m), dann übt man sie [die Achtsamkeit
für weitere Ausführungen zu bitten.»491 Doch nach diesen Höflichkeiten schreitet er und Furchtsamkeit] nicht richtig aus. Das ist gerade der Anfang der praktischen
zu einer grundsätzlichen Kritik von Ji Bens Sicht des Verhältnisses zwischen Natür- lethischen] Übung.» 493 Daraufhin versucht vVang Ji, seine Auffassung durch Stellen
lichkeit und willentlicher Kontrolle. aus dem «Buch der vVandlungen» und aus dem Buch l\/lengz;i zu belegen, kritisiert
Zuerst verteidigt er gegenüber Ji Ben den Spiegel als Gleichnis für das ide- die von «jemandem» (nicht von Ji Ben) vertretene ivTeinung, dass zwar der Heilige,
ale menschliche «Herz» und damit die «Natürlichkeit» als das beste menschliche der keine Wünsche (Begierden) mehr hat, seiner Spontaneität folgen dürfe, nicht
Verhalten: «Das menschliche Herz (Geist) bildet zu den Dingen kein gegensiitz- aber der noch «Lernende», der diese Vollkommenheit noch nicht erreicht hat, 494
liches Gegenüber [wie dies zwischen einzelnen Dingen der Fall ist] (yu wu wu dui und fährt dann fort: «Wenn Sie sagen, dass <mit der \ Vachsamkeit die Vedndcnm-
1

9'iHmf!Ut), es ist kein begrenztes Ding (wu fang ti 1mJJIJI), seine Höhen und Tiefen gen beherrscht werden sollen (yi jing ti zhu bian hzw J..::t\iH&l::l::~ft,)>, dann ist man
können nicht ausgemessen werden (wu qiongji 1mlrs~), so dass es schwierig zu be- mit der Aussage der Wahrheit näher, dass mit der Abwesenheit von Wünschen die
schreiben ist:. \Nenn die heiligen Menschen es enthüllen wollten, um die Menschen Veränderungen beherrscht werden sollen (yi wu yu zhu bicm !nur tl-1mfü:3:~1t). Die
anzuweisen, konnten sie nicht anders, als nach Gleichnissen zu greifen. Aber m.an darf Wachsainkeit hat nur in gewissen Zeitumständen Bedeutung (yin shi zhiyi ~B~;z~).
sich nicht auf diese versteifen. Das Gleichnis des Spiegels ist nicht völlig falsch. Der Wenn die Zeiten widrig sind und deshalb Gefahren ,rnftreten, dann sind nur durch
Spiegel interveniert selbst nicht (wu yu 1m~), wenn er ohne Neigungen spiegelt, wenn Wachsamkeit Fehler zu vermeiden; aber sie ist nicht die ganze Tugend des Drachen
er aufgrund der Dinge die Bilder erscheinen lässt (yin wu xian xiang !!IWiffl~), wenn (fei long de zhi quan ~~~ffi;z~). Wenn man ohne Wünsche ist, dann ist man in natür-
er in seinem Entsprechen überall wahr ist, wenn er das Vergangene nicht festhält, das licher Weise (spontan) wachsam (zi ran jing ti § ~IH~); dann verändert man, wenn
Schöne von selbst als schön und das Hässliche von selbst als hässlich darstellt und man verändern soll, [... ] und gerät nicht in ein [dem Natürlichen] sich widersetzen-
das Kommende kommen tmd das Gehende gehen lässt. Denn was das Natürliche des Manipulieren und Arrangieren (bu Jan [shou] an pai :;;i;:~B[~]~~~).»495 , 496 Während
tut, istimmer ohne Wünsche (zi ran zhi suo wei wei chang you yu § ~;zpfr~*~~~). Ji Ben die «Spontaneität» der «Wachsamkeit» unterordnen will und Zou Shouyi
Der Heilige entspricht ohne Wünsche der Welt. Selbst wenn sein Dao (Weg) des beide gleichrangig zu vereinen versucht, gibt Wang Ji der «Spontaneität» die abso-
Anordnens, Kontrollierens und Beherrschens (jing lun cai zhi zhi dao ~~~$~;zm) lute Priorität: Die«Wachsamkeit» ist eine Funktion der «Spontaneität»; die richtige
<die Stellung von Himmel und Erde erreicht und alle Wesen bildet>, so ist der in ihm «Wachsamkeit» ist spontan, natürlich. Das ganze ethisch gute Leben in all seinen
ursprünglich wirkende wunderbare Mechanismus der Harmonisierung der Gefühle Funktionen muss eine spontane Äußerung des tiefsten menschlichen Herzens, das
mit der menschlichen Natur nicht anderes als jenes [Natürliche] (qi zhong he xing qing heißt des «ursprünglichen Wissens», sein.
ben yuan ji gua bu kuo ru ci er yi !t lfl .ffi 11•~ ;ijl; ßj(i§:!'iff ~:l!□ llt ji'ij i3) .»492

493 A.a.O., S. 14b (Taipei 1970, S. 602); vgl. WangJis Selbstzitat dieses Textes in seinen «Antworten auf
Fragen von Zhang Yanghe», Antwort auf die zweite Frage, a.a.O. juan 5, S. 27b-28a (Taipei 1970,
491 Wang Longxi quanji,juan 9, S.13b-14a (Taipei 1970, S. 600f.). s. 392f.).
492 Wang Longxi quan ji,juan 9, S. 14a (Taipei 1970, S. 601); vgl. Wang Jis Selbstzitat dieses 1extes in 494 Zu dieser Auffassung, die Qian Dehong vertritt, siehe unten in diesem§ 8.
seinen «Antworten auf Fragen von Zhang Yanghe ~ ~.fll», Antwort auf die zweite Frage, a.a.O., 495 Zum Ausdruck «fan shozt an pai ~ll'f-~tl~» siehe unten, Kap. 4, § 6, Abschnitt d).
juan 5, S. 27b (Taipei 1970, S. 392). 496 Wang Longxi quanji,juan 9, S.15a-b (Taipei 1970, S. 603f.).
111

382
383

Dann nimmt Wang Ji Stellung zum Song-Philosophen Yang Jian (Beinan . seiner tiefsten Verborgenheit (ehe wei er xian ffilf;&ji'ijliffi), es ist durch und durch tätig und
Cihu), dem nach Ji Bens Auffassung viele seiner Mitschüler verfallen waren: <<We;e. zugleich durch und durch ruhig, es ist ganz innen und ganz außen, ganz gewöhnlich
man die Lehre von Yang Cihu, dass man keine willentlichen Absichten hegen soll (;: und ganz heilig (ehe Jan ehe sheng f/itfl,ffii~), ganz in der Vergangenheit und ganz in der
qi yi 1'Jm:rl-), richtig anwendet, ist sie nicht falsch. Nur wenn das Herz (der Geist) des Gegenwart; an sich ist es ohne Verschmutzung (ben wu wu ran *11tt5'5~), an sich kann
Menschen eine einzige Intention (eine Absicht: yi yi -Jl-) hat, vermag er die weise es weder vermehrt noch vermindert werden, an sich kann es weder gewinnen noch
Staatskunst aufzurichten und das Werk der Tugend zu vollenden. Die Wurzel der verlieren; es ist Einheit von Stille und Erregungen (ji gan yi ti ~~-a). Es erscheint
Intentionen (Absichten) liegt im Herzen (Geist), und das Herz ist nicht ohne Denken. nicht erst, nachdem es tätig wird (fei yin dong er hou jian ilö~J)Jji'ijfUt).» 501 Wang Ji
Wenn das Herz keine Wünsche hat (wu yu 1!ttW:.), dann ist das Denken von selbst eines stellt sich auf den Boden des immer schon vollkommenen «eigentlichen Wesens des
(nian zi yi ~ § - ) . <Ein Denken umfasst zehntausend Jahre (ein Denken umfasst alles: ursprünglichen Wissens».
yi nian wan nian -~1.lfJ:-).>497 Wenn das Herrschende [nämlich das Herz] hell und fest Wir haben oben schon angemerkt, dass Wang Ji im Zusammenhang mit seiner
ist und nicht [künstlich] macht (qi zuo Jm t'I=) und nicht wechselt und sich ändert (qian KritikanJi Bens Aufteilung des menschlichen Herzens in einen wachsamen kontrol-
gai ~c:\I:), dann ist dies das spontane Tätigsein des eigentlichen Herzens (ben xin zi lierenden Willen (den Weg des aktiven, nüinnlichen Qian) und in natürliche (spon-
ran zhi yong *'G' § ~.Z.ffl). <Den Rücken stillehalten und durch den Hof schreiten>498 tane) Kräfte (den Weg des passiven, weiblichen Kun) die Meinung von «jemandem»
bedeutet, im gesellschaftlichen Umgang und Umtrieb den ganzen Tag nie bewegt zitiert, dass die Spontaneität Privileg des «heiligen Menschen» sei, während sich der
werden. Sobald das Herz [Künstlichesj macht, so ist es in zwei Intentionen (gegen- gewöhnliche Mensch noch willentlich anstrengen müsse. \Vang Ji sagt nicht, wer
sätzliche Absichten: er yi =:'rl-) geraten, es hat Wünsche und wird irrend bewegt, und dieser «jemand» ist. Er schreibt an jener Stelle: «<Jemand meint: Der heilige Mensch
es ist nicht das Dao (Weg) des Anordnens, Kontrollierens und Beherrschens (jing lun hat aufgrund seines eigentlichen Wesens von selbst (spontan) keine [egoistischen]
cai zhi z,hi dao ~M~llltz.ii:), Die W<wte von Cihu [YangJian] enthalten auch Fehler. Wünsche (Begierden) (sheng ren ben ti zi mn wu yu ~J-.*a gl~1ltt~). Wie könnte
Doch das <Fehlen von Absichten und starrem Willen> (wu yi wu bi flJ::'rl-flJ:!ii,) ist das aber die ethische Anstrengung der <Lernenden> eine Abkürzung nehmen (Etappen
Leitbild des heiligen Menschen [Konfuzius], 499 mit dem er die Leute lehrte, und Cihu überspringen) und direkt [auf jene Stufe der Heiligkeit] gelangen (jing zao fäil1)!» 502
kann es nicht für sich allein in Anspruch nehmen. Nur wenn er, wie dies das Übel der Das ist nichtJi Bens Meinung, denn nach diesem ist das Dao der aktiven willentlichen
heutigen Zeit ist (jin shi zhi hi ~~Z~), sich nicht im einen (einheitlichen) Denken Kontrolle kein vorläufiges Dao für die noch «Lernenden», sondern dieses Dao muss
anzustrengen weiß (bu zhi yi nian yong li 1' ~-~,El=l :b), sondern sich des herrschenden immer über das passive Dao der Natürlichkeit herrschen. Bevor wir die Frage zu be-
Prinzips [im Herzenl entledigt (tuo que zhu nao JmW::l::ßl.iil) und ohne Anhalt zügellos antworten versuchen, wer dieser «jemand» ist, hören wir uns \1/ang Jis Kritik dieser
herumschweift, von sich selbst meint, dass er <keine Absichten und keinen starren Meinung an: «Diese Meinung weiß vermutlich nicht um [\Vang Yangmings] Willen,
Willen habe> (wu yi wu bi flJ:Jl--BJ:di,) und nicht anzuordnen, zu kontrollieren und zu [die Auffassungen] zu vereinigen (dai wei zhi he yi zhi zhi 9~*~~-z ~). <Es gibt nur
beherrschen fähig sei (bu zu yi jing lun eai zhi 1' JE_J,.;J,.~M~lll~), dann ist dies wahrhaft ein einziges Dao (dao yi eryi ii:-ji'ij8)!>503 Als Herzog Wen [von Teng] noch nichts
nicht richtig.» rno gelernt hatte, lehrte ihn Mcngzi gleich zu Beginn, die [heiligen Könige] Yao und Shun
Von der Aussage der «Wachsamkeit des Drachen», dass «das <ursprüngliche nachzuahmen und [den heiligen] König Wen zum Vorbild zu nehmen. 504 Wie könnten
Wissen> aufgrund der Tätigkeit in Erscheinung tritt (yin dong er ke jian ~J}Jji'iji:iJJl) dies zügellose Worte sein, welche die Welt täuschen! Man sieht daraus wahrlich, dass
und dass das \Vissen das Herrschende ist» (siehe oben), bejaht Wang Ji den zweiten das Dao nur eines ist und dass der Lernende sich davon nicht unterscheiden kann. Der
Teil und begründet ihn mit Zitaten aus dem «Buch der Wandlungen», lehnt jedoch heilige Mensch und der Lernende haben eigentlich nicht zwei verschiedene Weisen
den ersten Teil mit dem Argument ab, dass das «ursprüngliche Wissen» sowohl Tä- des Lernens (ben wu er xue *•=~); auch sind das <eigentliche Wesen> und das ethi-
tigkeit als auch Ruhe umfasst: «Das <ursprüngliche Wissen> ist die Wurzel der Na- sche Üben nicht zwei verschiedene Angelegenheiten (hm ti gongfu yi fei er shi *fflJ:}J
turbestimmung (Wesensbestimmung: xing ming zhi gen 11$.z.ffi). Es erscheint trotz ~W'ilö=$). Der heilige Mensch hat von selbst (spontan) keine Wünsche (zi ran wu yu
§ ~1!ttW:.); das bedeutet das Üben aufgrund des ~eigentlichen Wesens> (ji ben ti bian shi
gongfu flP*Ufil!:!i:J:il~). Der Lernende vermindert seine Wünsche, um zu deren Abwe-
497 Diese aus dem Tiantai-Buddhismns stammende Formel benutzt WangJi sehr oft im Zusammenhang senheit (zum <Nichts>) zu gelangen (yi zhi yu wu P).~*11tt); das bedeutet das Streben
mit seiner Lehre vom «einen (einheitlichen) Denken» (yi nian -;%): siehe unten in Kap. 2 den§ 3,
S, 491ff. nach dem Wiedere langen des <eigentlichen Wesens> im Üben (zuo gongfu qiu fu ben
498 Yzjing(«Buch der Wandlungen»), ,,Urteil» zum 52. Hexagrnmm,gen Ill. («stillehalten»): «Stillehalten
seines Rückens, so dass er seine1!. Lcil, nicht mehr empfindet. Er geht in seinen Hof und sieht nicht
seine Menschen, Kein Makel» (Ubersetzung von Richard Wilhelm, S. 577), 501 A.a.O,,juan 9, 16b-17a (Taipei 1970, S. 605f.).
499 Mit jenen Ausdrücken wird im Lunyu, 9. Buch, Kap. 4, Konfuzius charakterisiert, 502 A.a.O,,juan 9, S. 15a (Taipei 1970, S. 603).
500 /Vimg Long\'i q11anji,j11m1 9, S. 15h-I 6a (Taipei [ 970, S. 604f.); vgl. Wangjis Selbstzitat dieses 'lextcs 503 Zitat aus Mengzi, 3. Buch, 1. ·Jeil, Kap. 1.
in seinen <,Antworten aun<'ragen von Zhang Yanghe», a,a.O.,juan 5, S. 28a (Taipei 1970, S, 393). 504 Siehe dasselbe K.apitel im Buch Mengzi.
384 385

ti f/;y:J}J ,51;:5.J< m.~R). Auch bei demjenigen, der <aufgrund der Geburt erkennt und sicher willentliche Absichten hegt (qi yi )IQ~), ist es so, wie wenn plötzlich Wolken den
handelt> (sheng zhi an xing ':t~~fr), beseitigt das gleichzeitige kultivierende Üben nie Himmel verdecken.> Diese Lehre, dass man keine willentlichen Absichten hegen soll
*
die mühsame Anstrengung (wei changfei kun mian 'fi ~IE~); auch bei demjenigen, der
<mühsam erkennt und unter Anstrengung handelt> (kun zhi mian xing IE~~fr), ist das
(bu qi yi zhi jiao 1'ml~Z~), ist gründlich, doch betrifft sie die guten Menschen, deren
Verwicklung in [schlechtej Gewohnheiten noch nicht tief ist (rnei z;he xi lei wei shen
eigentliche vVesen, das die Natur ausmacht, immer von Geburt her sicher (sheng er an ':E. ~~~ ~*j*): Sobald man diese anweist, öffnet sich ihr ganzes eigentliches Wesen
ji'ij~). 505 vVenn man über das <eigentliche Wesen> redet und das Üben aufgibt (she gongfu (quan ti kuo ran ½itl®i~). Wenn man aber Menschen, deren Verwicklung in [schlechte]
%J}J,5\;:) und dies für die Sicht des <Leeren> hält (xujian mJl!.), dann ist dies eben leer Gewohnheiten schon tief ist, nicht auf die wirkliche Übung des <Wahrhaftigmachens
und damit nichtig (xu ze wang ~~,]~).Wenn man das <eigentliche Wesen> beiseite- der Absichten (Wahrhaftigmachens des Willens)> 508 hinweist (bu zhi chengyi shi gang
lässt und über das Üben spricht und sie für zweierlei Dinge hält (er ja =51), dann ist 1't~~~j{J.:/J), sondern ihnen immer verbietet, willentliche Absichten zu hegen (yi qie
dies eben zweierlei (dualistisch) und damit verzweigt (erze zhi =~IJ:~). 506 Dazu müssen jin qi qi yi --W~~@~), dann veranlasst man sie, mit bloßen Meinungen fortzufahren
wir durch eigenes Denken gelangen (zai wu ren zi si de zhi 1±~ A § J!ti~:;;t), und wir (yi yi jian cheng P).~Jl!.;if<). Wenn sie dann während langer Zeit keinen festen Anhalt
können es nicht durch bloße Worte erstreiten.» 507 haben, nehmen sie ihre Meinungen für das eigentliche Wesen (ren yi jian zuo ben ti
Obschon W,mg Ji hier grundsätzlich die Einheit des Dao des Lernens hervor- ~~Ji!.tl=]jl:itl), im Geheimen regen sich ihre vVünsche, die sie wiederum mit ihren
hebt, unterscheidet er doch zwischen einem Lernen, das vom <<eigentlichen Wesen», Meinungen übertünchen. Den ganzen Thg halten sie beständig an diesen leeren Mei-
und einem Lernen, das von der Verminderung der egoistischen Wünsche ausgeht. nungen fest (shou ci xu jian 9' Jl:tmJil. ), entfernen sich von den wirklichen menschlichen
Damit differenziert er seine eigene und Qian Dehongs Vorgehensweise in der «Vcr- Verhältnissen und der Ordnung der Dinge und machen aus ihrem frei fließenden,
wirkliclrnng des ursprünglichen Wissens». Der Adressat seiner Kritik ist hier ohne lebendigen wahren Antrieb [des I-Emtnels] eine Art untaugliches Herz (jiang liu xing
Zweifel Qian Dchong, sein Partner in der Leitung der Schule, dem er vorwirft, sich huo po zhi zhen ji yang chengyi zhong Imling hu li zhi :rin ~5.nifi51fäiz~11:ilJJx-fflffft;-
nicht an \Vang Y,rngmings Auftrag an sie beide zu erinnern, ihre Auffassungen des 1'ff~:;;t,i)). Cihu [Y~mg Ji:ml wollte zu schnell, dass die Leute die <Einsicht> erlangen
Lernens zu vereinigen. Qian Dehong wird hier nicht mit Namen genannt, wohl um (lingwu ~ffi), und meinte daher, dass das <Reinigen des Herzens>, das <Gerademachen
die Kritik an ihm nicht an die große Glocke zu lüingen. Wang y;'lngming hatte seine des Jlcrzens>, das <Tadeln des Zornes>, das <Unterdrücken der Ikgicrden> usw. nicht
beiden vertrautesten Schüler bei seinem letzten Abschied von ihnen im Oktober 1527 Worte der heiligen Menschen [Konfuzius usw.] sind. Das sind Reden, die zwar für
aufgefordert, ihre verschiedenen Auffassungen vom Lernen zu vereinigen. Wang Ji Leute gelten, die schon im Kaiserpalast (am Ziel) angekommen sind, aber nicht be-
vollzieht in diesem' lext von 15 36/3 7 die Vereinigung erst in abstrakter Weise, indem rücksichtigen, dass Menschen, die sich auf dem \Vcg dazu befinden, noch eine Strecke
er erkHirt, dass beide Vorgehensweisen auf dem «eigentlichen Wesen» beruhen: Die zurückzulegen haben.» 509
eine geht von ihm ,ms, die andere kehrt zu ihm zurück. Die Differenz zwischen Wang Diese Rede ist gegen Wang.Ti gerichtet, wie ihr Gcbr:rnch von \i\TangJis Grund-
Ji und Qian Dehong wird das Thema von Kapitel 1 dieses Teils bilden. Im jetzigen begriff des «frei fließenden, lebendigen wahren Antriebes» (litt xing huo po zhen ji ~ 5.ni
Zusammenhang zitieren wir nur eine Gegenkritik von Qian Dehong an Wang Ji, die 11'5!~2~11)510 und eine andere, wohl etwas spätere Rede Qian Dehongs zeigt, die
mit der Kritik vonJi Ben zusammenhängt und die wie Ji Bens Kritik nicht Wang Ji, wir unten in Kapitel 1 zitieren werden511 und die mit genau demselben Argument
sondern den vor über dreihundert Jahren verstorbenen Yang Jian (Beiname: Cihu) Wang Ji mit Namen kritisiert. Genau gegen diesen Einwand, den «jemand meint»
mit Namen nennt. (siehe oben, S. 383), verteidigt sich WangJi in seinem Brief anJi Ben. Es ist daher
Qian Dehong sagte in einer Versammlung: «[Es gibt Leute, die sagen:] <Die freie anzunehmen, dass auch Ji Ben - wie Qian Dehong - unter dem Namen von Yang
Auswirkung (der <Fluss>) des <wahren Wesens> ist reine Spontaneität (Natürlichkeit) Jian (Beiname: Cihu) eigentlich Wang Ji im Auge hat. Dieses indirekte Vorgehen,
(zhen xing liu xing mo fei zi ran ~ttmH=r1lt~F§~). Sobald man auch nur ein bisschen das, wie ein chinesisches Sprichwort sagt, «auf den Maulbeerbaum zeigt und den
Sophorabaum tadelt» (zhi sang ma huai m~.iiffii), ist noch in heutigen chinesischen
Diskussionen, auch in philosophischen Kongressen, wie ich selbst erlebt habe, üblich.
505 Anspielung auf das zwanzigste Kapitel (Einteilung von Zhu Xi) des Zbongyong, das aufgrund verschie- Es ist bekannt, dass WangJi Texte von YangJian spätestens 1532 studierte und seinen
denen Wissens und Handelns zwischen drei Arten von Menschen unterscheidet, aber letztlich die
Gleichheit des Resultates dieses verschiedenen Erkennens (Wissens) und verschiedenen Handelns
betont. Die Tradition identifizierte im Allgemeinen diese drei Arten mit dem heiligen, dem weisen
und dem gewöhnlichen Menschen: «Einige wissen von Geburt, einige erkennen durch Lernen, einige
erkennen mühsam; aber im erreichten Wissen sind sie eins; einige handeln sicher, einige handeln 508 Das chinesische Wort «yi ~» kann je nach Kontext mit «Intention», «Absicht», «Wille» übersetzt
reibungslos, einige handeln unter Anstrengung; aber im erreichten Erfolg sind sie eins.» werden: siehe oben in Teil I, Kap. 2, S. 173f.
506 Diese Kritik der Trennung zwischen «eigentlichem Wesen» (ben ti ~ffl) und «ethischer Übung» 509 MRXA,juan 11, Abschnitt über Qian Dehong, «Reden in Versammlungen», Beijing 1985, S. 22 9.
(gongfu J.:/J~) benutzt rhetorische Wortspiele. 510 Siehe unten in Kap. 2 den § 2.
507 Wang Longxi quan ji,juan 9, S. 15a (Taipei 1970, S. 603). 511 Kap. 1, § 4, S. 449ff.
386 387

Gedanken nahestand. 512 Bevor Ji Ben 1534 nach Chenzhou in der Provinz Huguang Herrn Pengshan Ui Ben] sich darum kümmert und dass sie auch die Absicht hat
kam, wo er in Diskussionen mit Yang Yueshan seine Kritik entwickelte und dann 153 6 unserer Zeit zu helfen.» 516 Zhang Yanghe war offenbar gegenüber Wang Ji, der da~
in Ji'an publik machte, hatte er in Nanking, wo er zuvor als Beamter tätig gewesen «direkte Erreichen» oder die «wunderbare Einsicht in das eigentliche Wesen des ur-
war, oder in Shaoxing, wo er wie Wang.Ti zu Hause war, Gelegenheit, die Lehre Wang sprünglichen Wissens» hervorhob, kritisch eingestellt und stand anderen Mitgliedern
Jis kennenzulernen. ·wahrscheinlich war der Gesprächspartner Ji Bens in Chcnzhou, der Schule wieJi Ben, Nie Bao oder auch Qian Dehong näher, welche die willentliche
Yang Yueshan, ein Schüler Wang.Jis oder stand mindestens unter dessen Einfluss, denn Übung der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» lehrten.
er ließ sich von Ji Bens Kritik, wie dieser selbst berichtet, nicht überzeugen. Dass Ji Wang Ji antwortete ihm: «Man kann auch im Großen und Ganzen sagen, dass
Bens Kritik eigentlich gegen Wang Ji und dessen Schüler und Anhiinger gerichtet die alten Konfozianer Y·mzi [den Lieblingsschüler von KonfuziusJ für den Prototy-
war, wird auch dadurch bestätigt, dass Qian Dehong in einem Brief an Ji Ben diesen pen des Dao des Qian und Zhonggong [einen anderen Schüler von Konfuzius] für
an seine langen Diskussionen mit vVang Ji erinnert. 513 den Prototypen des Dao des Kun hielten. Y'lnzi sah schon das <eigentliche Wesen>
Die Auseinandersetzung zwischen Ji Ben und Wang Ji über das Verhältnis von [des <ursprünglichen \tVissens>], darum wies er direkt darauf als auf das Auge der
«Spontaneität (Natürlichkeit)» und vVillenskontrollc im ethischen «Lernen» betraf etl1ischen Anstrengung (zhi shi yi yong gong zhi nzu liVf:P)Jfl J:jJ Z ~ ). Zhonggong kam
ein in der Schule YVang Yangmings ganz fundamentales Problem und hatte ihre dem <eigentlichen Wesen> noch nicht auf den Grund, darum wies er zuerst auf die
\Vurzeln in verschiedenen Motiven von Wang Yimgmings Lehre selbst. Dies werden Anstrengung der Ehrfurcht und Reziprozität (jing shu zhi gang :/i}J(P.,_q;z:i:.iJ), um es fdas
die nächsten zwei Kapitel über WangJi und Qian Dehong ausführlich darlegen. Wir <eigentliche Wesen>] durch eigenes Suchen zu erlangen. Sie unterschieden nicht das
möchten diesen einleitenden Paragraphen mit einer Antwort W:mg Jis auf eine Frage Qian und das Kun als etwas Besseres und als etwas Schlechteres (feiyi qian kun wei you
seines Verwandten und Schülers Zhang Yuanbian (1538-1588)51'! über das Dao des lie ~~PJ~:1$1.i!i-il~). Das <ursprüngliche Wissen> ist nämlich des Natiirlichcn klares
Qitm und das Dao des Kun beenden. Diese Antwort zeigt, dassJi Bens «Wachsamkeit: Bewusstsein (zi ran zhi mingjue §~;z,SJJ5/'l), und die <Wachsa1nkeit> (jing ti '19ii!!}) ist
des Drachen» in dieser Schule nicht ohne Echo blich; sie verweist aber vor allern des Natiirlichcn Funktion (zi ran zhi yong § ~zffl). Es ist nicht so, dass das Qian die
darnuf, dass verschiedene Arten der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» Wachsamkeit und das Kun die Spontaneität (Natürlichkeit) zum Leitprinzip hätte
in der Schule \;\lang Yangmings zu einem wichtigen Thema wurden. (zhu ::l::). Wenn die Lernenden von der <wunderbaren Einsicht> ('l1litto wu l!'.!>t!t) spre-
Zhang Yuanbian fragte: «Qirm und Kun sind beides das Lernen des heiligen chen und die <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> vernachhissigen und, ohne sich dessen
Menschen [Konfuzius]. \Vic kommt es, dass die alten Konfuziancr einen Unterschied bewusst zu sein, in den Zenbuddhisnrns ohne Furcht geraten, dann haben sie gerade
zwischen dem Dao des Qitm und dem Dao des Kun machen? Wenn man sagt, dass die <Verwirklichung des ursprünglichen \Visscns> noch nicht erreicht; es ist nicht die
die Übung der Ehrfurcht und der Pflicht (jingyi zhi gang :/iJJU~;z:i:jJ) vom <eigentlichen Anwendung der Lehre vorn <ursprünglichen \:Vissen>.»rn Dnnn weist Wang.Ti seinen
Wesen> [des Herzens] noch ein Stäubchen getrennt und nicht das ununterbrochen Adressaten auf die Antwort hin, die er «einst>> (chang ii) Ji Ben auf seine «Schrift über
sich selbst kräftigende direkte Erreichen des <eigentlichen Wesens> sei (bu ji zi qi- die Wachsamkeit des Drachen» gegeben hatte, und zitiert einen großen Teil seines
ang bu xi zhi zhi da ben ti 1"'lil~~gpf'-@,;z&l~*II:), sind dann etwa all die Aussagen eigenen Textes, den wir oben wiedergegeben haben.
der [heiligen Herrscher] Yao, Shun und Yu über das fleißige sich Anstrengen, die Nach Wang Ji rnuss also alles «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens»
alle die <Ehrfurcht und Achtsamkeit> meinen, nicht das Dao des Qian? Seitdem die einerseits auf der Spontaneität oder Natürlichkeit beruhen und andererseits auch die
Lehre vom <ursprünglichen Wissen> aufkam, sprechen die Lernenden oft von der willentliche Anstrengung der Wachsamkeit usw. in sich schließen. Den Unterschied
wunderbaren Einsicht (miao wu ~J>fä) und vernachlässigen die <Achtsamkeit und zwischen dem Weg des Qian und dem Weg des Kun will er nicht mit dem Unterschied
Furchtsamkeit> (hu jie ju m1tlt11). Ohne sich dessen bewusst zu werden, geraten sie zwischen der Spontaneität und der willentlichen Wachsamkeit kennzeichnen, da nach
durch diesen Betrug in den <Zenbuddhismus ohne Furcht> (wu ji chan ~~iii!ll.). 515 ihm beide auf beiden Wegen vorhanden sein müssen, sondern mit eiern Unterschied
Erfreut habe ich bemerkt, dass die <Schrift über die Wachsamkeit des Drachen> von zwischen verschiedenen Charakteren unter den Nachfolgern von Konfuzius, nämlich
zwischen solchen, die wie Yanzi in ihrer ethischen Praxis fähig sind, von der Einsicht
in das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» auszugehen, und solchen, die
512 Siehe WuZhen: Nie Bao Luo Hongxian pingzhuan, Nanjing 2001, S. 189 und S. 338. wie Zhonggong dieser Einsicht noch nicht fähig sind und das «ursprüngliche Wesen»
513 Diesen Brief Qian Dehongs an Ji Ben zitiert Wang Ji in seiner Biographie von Qian Dehong: siehe als Zielpunkt ihrer ethischen Praxis zu erreichen streben. Diesen Unterschied in der
unten in Kap. 1 den § 4, S. 456.
514 Zu Zhang Yuanbian (Beiname: Yanghe), der wie Wang Ji in Shaoxing zu Hause war, siehe MRXA, «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» wird WangJi in anderen Zusammen-
juan 15, Beijing 1985, S. 323-331, und DMB, S. II0f. Er war der Urgroßvater des bekannten Histo-
rikers und Dichters Zhang Dai (1597-1684[?]).
515 Wahrscheinlich ist mit «Zenbuddhismus ohne Furcht» nicht eine besondere Strömung innerhalb
des Zenbuddhismus gemeint (eine solche wäre mir nicht bekannt), sondern das «ohne Furcht» soll 516 Wrmg Longxi quanji,juan 5, S. 26b-27a (Taipei 1970, S. 390f.).
allgemein den Zenbuddhismus charakterisieren. 517 A.a.O., S. 27a (Taipei 1970, S. 391).
389
388

hängen durch den Unterschied zwischen der «plötzlichen» (dun wu @ffi) und der «all- der Präfektur Ningguo gab es damals schon zahlreiche Mitglieder der Schule. Sie
mählichen Einsicht» (jian wu if!itg) oder durch den Unterschied zwischen dem «dem lag unmittelbar westlich der Unterpräfektur Guangde, in der Zou Shouyi 1525 die
Himmel Vorangehen>~ (xirm tian $t;;i'i:) und dem «dem Himmel Nachfolgen» (hou tian Fuzhu-Akademie errichtet hatte. Auch Schüler aus der Präfektur Ningguo folgten
{jtJi:) charakterisieren. Eine solche Interpretation wird es ihm ermöglichen, sein eige- in jenen frühen Jahren dem Unterricht von Zou Shouyi, unter ihnen Gong Anguo
~ ~13lll (Großjährigkcitsname: Xuanlüe :{;:!lt!), der im besagten KreisJingxian zu Hause
nes und Qian Dehongs Verständnis von Wang Yangmings Lehre der <<Verwirklichung
des ursprünglichen \Vissens» in eine Einheit zu bringen, die für die Einheit der Schule war. 519 Gong Anguo war seit 1536/3 7 mit vVang.Ji sehr vertraut. Er war damals längere
Zeit bei ihm und Ouyang De in Nanking gewesen 520 und traf ihn in den nächsten
notwendig war (darüber ausführlich im folgenden Kap. 1).
Jahrzehnten immer wieder in Versammlungen an verschiedenen Orten. 157 6, noch zu
Lebzeiten WangJis, gab er die erste große Sammlung von Texten \iVi111gJis heraus, die
§ 9 Die Shuixi-Akademie von Ningguo im direkten Verwaltungsgebiet
«Reden in Versammlungen des Lehrers Wang Longxi» in sechs «Büchern» (juff,n). 521
von Nanking Im Frühling 1548 begleitete er ihn von Jingxian aus zur großen Versammlung der
Wir haben in § 2 dieser Einleitung die Tianzhen-Akademie bei Hangzhou in der neun Kreise der Präfektur Ji'an im Qingyuan-Gcbirge in der Provinz Jiangxi, was
Provinz 7hejiang und in § 6 verschiedene Akademien in der Präfektur Ji'an der Pro- seinen Wunsch, in seiner Heimatpräfektur etwas Ähnliches aufzubauen, förderte. 522
vinz Jiangxi sowie den zentralen Versammlungsort der Schule Wang Yimgmings im Von ihm schreibt Wang Ji, der ihn überlebte: «Dass es in Shuixi Versammlungen
Qingyuan-Gebirge südöstlich der PräfekturhauptstadtJi'an kennengelernt. Es gab in gibt, dazu hat Xuanlüe [Gong Anguo] in Wirklichkeit die Fundamente gclegt.» 523
der ersten Generation von Wang Y:·mgmings Schülern noch viele weitere regelmäßige Wang Ji unterstützte die Idee dieser Versammlungen, indem er versprach, regelmä-
Versammlungsorte und Akademien der Schule, die wir hier nicht alle aufzählen kön- ßig an ihnen teilzunehmen. Er war dann auch in den folgenden drei Jahrzehnten
nen und von denen wir einigen noch in späteren Zusammenhängen begegnen werden. mindestens neun Mal bei ihnen anwcscnd. 524 Auch Qian Dchong hat sie mehrmals
Doch eine dieser Akademien soll in dieser Einleitung noch Erwähnung finden: Es ist besucht. «Shuixi 7./<.ifü» bedeutet «westlich des Wassers» und bezeichnet den Ort von
die Shuixi-Abdcrnic 7]<.gJj"{,!ltßJf, im K.reisJingxian 5fil~ innerhalb der Präfektur Ningguo drei buddhistischen KJöstcrn am westlichen Ufer des Qingyi-Flusses ~-ltil.. 525 Diese
$13ll]Jff im direkten Verwaltungsgebiet von Nanking (heute gehört diese Kreisstadt zur Klöster lagen direkt gegenüber der KreisstadtJingxian am östlichen Ufer des Flusses.
Provinz Animi). Einerseits war diese Akademie besonders wichtig und groß und nach Da sie geographisch im Zentrum der Präfektur Ningguo lagen und Unterkunft boten,
Zhcjiang und Jiangxi in der dritten Provinz gelegen, in der Wang Yangmings Schule waren sie als Versammlungsort für die zahlreichen Mitglieder und Interessenten der
besonders blühte; in ihr fanden Versammlungen für die Mitglieder und Interessenten Schule Wang Y:·mgniings aus allen sechs Kreisen dieser Priifcktnr bestens geeignet.
aller sechs Kreise dieser Präfektur und auch für Leute der benachbarten Präfekturen Es verhielt sich also analog wie beim zcntrnlen Versammlungsort der Schule in der
statt. Andererseits sind wir über ihr Entstehen, ihre geographische Lage, ihre Finan- Präfektur Ji'an, den buddhistischen Klöstern hei1n Qingyuan-Cebirge. Im Frühsom-
zierung, ihre architektonische Disposition und die Organisation ihrer Zusammen- mer 1549 fand dann die erste Versammlung in den Klöstern von Shuixi statt. Wang Ji
künfte besonders gut informiert, so dass wir uns an ihrem Beispiel ein sehr gutes Bild war auch dabei, und es nahmen nach seinem Bericht über zweihundertdreißig Leute
einer privaten Akademie der Schule Wang Yangmings und ihrer Aktivitäten machen daran teil, nicht nur aus der Präfektur Ningguo, sondern auch aus den benachbarten
können. Denn über sie haben wir nicht nur einen relativ ausführlichen Eintrag im Präfekturen. Die Lehrversammlungen fanden in einer «Dharmahalle» (f{f, t{f,rtg 5!~),
Anhang zu Wang Yangmings «Lebenschronik» (unter dem Jahr 15 54), sondern auch das heißt in einer «Lehrhalle» eines der Klöster, statt. 526 Nach wenigen Jahren aber
Berichte von Wang Ji, Zou Shouyi und Luo Hongxian sowie Aufzeichnungen in der
Lokalgeschichte des Kreises Jingxian, die Wu Zhen in seinen überaus nützlichen
Annalen über die Lehrversammlungen in der Ming-Zeit zwischen den Jahren 1522 519 Siehe Zou Shouyis «Aufzeichnung über die Lehrhalle von Shuixi» in der lokalen Geschichte von
Jingxian; zitiert bei Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 197f.
und 1602 (Xinian) wiedergibt. 520 Siehe den «Opfertext für Gong Xuanlüe», WangLongxi quanji,juan 19, S. 14a {Taipei 1970, S. 1363).
Der Auslöser für die Organisation der Versammlungen in Shuixi war ein Be- 521 Neu herausgegeben im Anhang von Wang]iji, Nanjing 2007, S. 676-788.
such WangJis im Frühling des Jahres 1548, als er sich auf der Durchreise zur großen 522 Siehe unten in Kap. 4 den§ 1, S. 627.
Versammlung vom Sommer dieses Jahres im Qingyuan-Gebirge in der Präfektur 523 «Opfertext für Gong Xuanlüe», Wang Longxi quan ji,juan 19, S. 14a (Taipei 1970, S. 1363).
524 Nach einer Studie des japanischen Forschers Sano Köji itr:!f ~5ft von 1993 und Wu Zhens Xinian
Ji'an zwei Nächte im Kreis Jingxian der Präfektur Ningguo aufhielt und sich um 1522-1602 besuchte Wang Ji in den folgenden Jahren Versammlungen in Shuixi: Jiajing-Ära: 27. Jahr
ihn viele Mitglieder und Interessenten der Schule Wang Yangmings scharten. 518 In (1548), 28.Jahr (1549),_?9.Jahr (1550), 32.Jahr (1553), 34.Jahr (1555), 36.Jahr (1557), 37.Jahr (1558),
43.Jahr(1564); Wanli-Ara: 5.Jahr(1577). WuZhen:Xinian 1522-1602,Shanghai 2003, S. 199,Anm. L
525 Heute ist von diesen Klöstern noch eine große sechseckige siebenstöckige Pagode aus dem 11. Jahr-
hundert erhalten.
518 Siehe Wang Jis « Worte zur Vereinbarung der Versammlungen von Shuixi», Wang Ji ji, Fulu II, N an- 526 Siehe Wang Jis «Worte zur Vereinbarung der Versammlungen von Shuixi», Wang Ji ji, Fulu II, Nan-
jing 2007, S. 679f.
jing 2007, S. 679.
lill'

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wurden die Versammlungsteilnehmer in Shuixi so zahlreich, dass für sie zuerst eine Bao, Luo Hongxian) verloren hatte, das geographische Schwergewicht der Schule
·besondere Unterkunft und dann in den Jahren 1553 und 1554 eine ganze Akademie sich in die südlichen Regionen des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking (heute
mit zahlreichen Gebäuden und einem Ahnentempel für Wang Yangming und Zhu Süden der Provinzen Jiangsu und Anhui) verlagerte. Die Shuixi-Akademie bestand
Xi an der rechten (westlichen) Seite des zuoberst am Fluss gelegenen Klosters (des bis ins Jahr 1579, als sie, wie die Tianzhen-Akademie bei Hangzhou und viele andere
Baosheng-Klosters Jtlll~) gebaut wurde. Zou Shouyi berichtet in seiner Aufzeich- private Akademien, durch das vom damaligen Ersten Großsekretär Zhang Juzheng
nung über die Shuixi-Akademie: «Es wurde [zuerst] geplant, unter Benutzung der veranlasste Dekret über die Aufhebung der privaten Akademien geschlossen wurde
drei Klöster von Shuixi im Kreis Jingxian große Versammlungen der sechs Kreise (siehe oben in dieser Einleitung den§ 1). Doch acht Jahre später (1587), nach dem
[der Präfektur Ningguo] zu vereinbaren und die zwei Edlen [Qian Dehong und Wang Tod von Zhang, wurde sie wiederhergestellt. Die Opfer für Wang Yangming wurden
Ji] einzuladen, den Versammlungen vorzusitzen. Ich selbst besuchte diese zusammen wieder aufgenommen. Zusammen mit ihm wurde auch fünf seiner großen direkten
mit Shiquan Liu [Liu Bangzai] im Schneetreiben. An jeder Versammlung nahmen Schüler, Wang Gen, Zou Shouyi, Ouyang De, Qian Dehong und Wang Ji (die Rei-
über dreihundert Leute teil, so dass die Gebäude der Mönche sie nicht aufnehmen henfolge ihrer Aufzählung entspricht ihrem Alter), geopfert. 532 Dass die zwei andern
konnten. So sammelten die Leute Geld und planten eine Unterkunft (ju f.s) auf der der hervorragendsten Schüler, Nie Bao und Luo Hongxian, nicht unter die in der
linken (östlichen) Seite des Baosheng-Klosters, doch die Behörden (dang dao =JÖ) Ahnenhalle Verehrten aufgenommen wurden, lag eventuell daran, dass sie nicht zu
bemängelten die Enge dieses Platzes, so dass es auf der rechten (westlichen) Seite Lebzeiten Wang Yangmings dessen Schüler geworden waren, oder aber daran - was
gebaut wurde. 527 Gute Leute und Kandidaten für die niedrigsten Prüfungen (yi min wahrscheinlicher ist -, dass sie Positionen vertreten hatten, die vom Großteil der
tong sheng ~~.m:1:.) halfen dabei freudig bei den Ausgaben.» 528 Nach dieser Schil- Mitglieder der Schule, vor allem von WangJi, dessen Einfluss in der Shuixi-Akademie
derung des Baus der ersten eigenen Unterkunft für die Versammlungen berichtet besonders groß war, kritisiert worden waren.
Zou Shouyi dann von der Errichtung der ganzen Akademie in denJahren 1553 und Im «Anhang» zur «Lebenschronik» von Wang Yangming steht über die Grün-
1554. Eine außerordentliche Blütezeit erlebte die Schule Wang Yangmings in der dung der Shuixi-Akademie Folgendes: «Im 33 .Jahr der Jiajing-Ära [15 54] errichteten
Präfektur Ningguo, als 1562 bis 1565 Luo Rufang (Beiname: Jinxi, 1515-1588), ein der die Runde machende Inspektor («Vizegouverneur»: xun an~~) des direkten
prominenter Vertreter der Schule Wang Yangmings, der Präfekt war. 529 Er organi- Verwaltungsgebietes von Nanking und kaiserliche Prüfungszensor Lü Dong ~ ]lt
sierte dort im Spätfrühling 1564 eine große Lehrversammlung für alle sechs Kreise und der Präfekt von Ningguo Liu Qizong IU .®* die Shuixi-Akademie, um dem Leh-
der Präfektur, an der über tausend Personen teilnahmen. Dazu hatte er WangJi ein- rer [Wang Yangming] zu opfern: Shuixi befindet sich im Kreis Jingxian im Westen
geladen. Diese Versammlung fand allerdings nicht in der Shuixi-Akademie, sondern des großen Wasserlaufes. Es gibt dort das obere, mittlere und untere buddhistische
in der Hauptstadt der Präfektur Ningguo, in Xuancheng '§'~ (literarischer Name: Kloster. Als sich am Anfang die Leute dort versammelten, fanden sie Unterkunft
Wanling ~!§\:), statt. 530 Nicht vergessen werden darf, dass in dieser Zeit, als Luo bei den Äbten dieser drei Klöster. Da mit der Zeit die Leute aus dem Bildungsstand
Rufang als Präfekt von Ningguo wirkte, Geng Dingxiang (1524-1596), ein anderes immer zahlreicher wurden und die Wohnungen der Mönche (seng she m%) sie nicht
einflussreiches Mitglied der Schule Wang Yangmings, als «Schulinspektor». («Stu- mehr aufnehmen konnten, wurden an einer verfügbaren Stelle beim oberen Kloster
dienkommissar») des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking (1562-1567) 531 Unterkünfte (shi '.i'.) errichtet, um den Lehrveranstaltungen zu genügen. Als auch die-
auch für die Präfektur Ningguo zuständig war und nicht nur in der Stadt Nanking se nicht mehr ausreichten, schlugen der Schulinspektor und kaiserliche Zensor (ti xue
durch die Gründung der dortigen Chongzheng-Akademie, sondern in seinem ganzen yu shi m~~9.:) Huang Hongpi ]Q: jjtlQH; und der [oben erwähnte] Präfekt Liu Qizong
Mandatsgebiet die Schule Wang Yangmings förderte. Vielleicht darf gesagt werden, vor, eine Akademie (Lehrhalle: jing she ffi%) auf der rechten [westlichen] Seite des
dass, nachdem die ProvinzJiangxi in den wenigen Jahren zwischen 1561 und 1564 oberen Klosters zu errichten. Noch bevor sie gebaut wurde, trafen dann der [oben
ihre einflussreichsten Häupter (Huang Honggang, ChenJiuchuan, Zou Shouyi, Nie erwähnte] die Runde machende Inspektor und kaiserliche Zensor Lü Dong und der
Schulinspektor und kaiserliche Zensor (ti xue yu shi i1U/lffill9.:) Zhao Tang ffi ~ ein.
[Präfekt Liu] Qizong unterbreitete diesen erneut den Vorschlag. Darauf wurde der
527 Die linke (östliche) Seite galt in der klassischen chinesischen Topologie als die höherstehende; so Kreisvorsteher [vonJingxian] Qiu Shiyong Jiß ~JI beauftragt, das Projekt zu erwei-
standen zum Beispiel die zivilen Beamten auf der linken (östlichen) Seite des Kaisers, der mit Blick tern und auszuführen. Freiwillige aus dem Stand der Gelehrten und des gemeinen
gegen Süden, wo sich nach der Regel der Haupteingang eines Gebäudes befand, Platz nahm, wäh- Volkes des Kreises (yi zhi shi min hao yi zhe sL±&!lftHf) halfen fleißig. Im [unmif-
rend die im Rang tieferstehenden militärischen Beamten sich zu seiner Rechten, westlich von ihm,
aufzustellen hatten. telbar westlich vonJixian gelegenen] Kreis Nanling ffil§\: gab es eine Witwe, geborene
528 Zou Shouyis «Aufzeichnung über die Lehrhalle von Shuixi» in der lokalen Geschichte vonJingxian; Chen ~, die mit Cao An lt ~ verheiratet gewesen war. Sie beauftragte ihren Sohn
zitiert bei Wu Zhen: Xinian I 522-1602, Shanghai 2003, S. 198.
529 Zu Luo Rufang siehe oben in dieser Einleitung den§ 6, S. 354ff.
530 Zu dieser Versammlung siehe unten in Kap. 2 den§ 2, S. 475f.
531 Siehe oben in dieser Einleitung den§ 3, S. 287. · 532 Jingxian zhi 5fil~;t;'.; zitiert bei Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 384f.
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Yanwu :@;~, mehr als achtzig Mu [= ungefähr fünf Hektar] Ackerland zu spenden, Staatszentrale (Zensorenamt) in Peking delegierte Zensoren, die diese Gründung zu
um die Leute, die zum Lernen kamen, mit Nahrungsmitteln zu versehen. Zu dieser genehmigen hatten. 538
Zeit waren die Akademie («Bücherhof»), die Unterkünfte und die Nahrungsmittel Der Präfekt Liu Qizong (Beiname: Chuquan fJJ5il.), der aus der Provinz Sichuan
vollständig (shu yuan guan gu ju bei -~~~JJffi) und wurden in der Folge im ganzen stammte und 1538 die höchsten Staatsprüfungen bestanden hatte, 539 war vielleicht
Gebiet berühmt. [Der Priifekt Liu] Qizong lud [Qian De] Hong und [Wang] Ji ein, nicht durch ein Schüler-Lehrer-Verhältnis im vollen Sinne Mitglied der Schule Wang
jedes zweite Jahr an der Versammlung teilzunehmen.» 533 Yangmings, er muss sich ihr aber sehr verbunden gefühlt haben. Qian Dehong zählt
i\1an ersieht unter anderem aus diesem Bericht, dass die Errichtung einer ihn unter die «Gleichgesinnten» (tong zhi f\s'.l~) und berichtet über ihn, dass er 1554
privaten Akademie eine so private Sache nicht war, sondern unter der Kontrolle auch wesentlich an der Veröffentlichung einer Sammlung von Gesprächen von Wang
verschiedener staatlicher Instanzen stand und ihrer Unterstützung und Genehmi- Yangming in der Shuixi-Akademie beteiligt war (diese Sammlung ist eine Vorfassung
gung bedurfte: Als offizielle Gründer der Shuixi-Akademie werden der «die Runde des heutigen dritten Teils des Chwmxi lu). 540 Er schreibt: «Im Herbst des vergangenen
machende Inspektor und kaiserliche Zensor» (xun anyushi ½«niff!ll.'ie.) der zuständigen Jahres [1553] traf ich Gleichgesinnte in Nanji r-;ii'~ (Nanking). Ile Qian fnJ ~ [mit Bei-
Provinz (d.h. hier des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking) und der Vorsteher namen] Jiyang s ~ H l und Liu Qizong [mit Beinamen] Chuquan [Präfekt von Ning-
der Pdfektur, der Präfekt, genannt. Der «die Runde machende Inspektor» (auch mit guol vereinbarten gemeinsam, die alte Lehre [nämlich diejenige Wang Yangmings]
« Vizegouverneur» übersetzt: x'un tm ½«ni) war ein direkt der Reichszentrale in Peking festzulegen, und meinten, chss nichts besser als das Chwmxi lu sei, um die Lernenden
unterstellter Zensor, der auf Rundreisen alle Beamte in einer Provinz, in unserem zu veranlassen, zur Einheit der Lehre zurückzukehren. Daraufhin reiste Herr Liu
Fall auch den Präfekten von Ningguo, zu kontrollieren und zu bewerten hatte.rn Bei fQizong] in die Präfektur Ningguo und beriet mit dem [oben erwähntenl Kreisvor-
beiden oben erwähnten Gesuchen tritt auch ein Schulinspektor auf (ti xue m!J oder steher von Jingxian, Qiu Shiyong, zusammen arntliche Einkünfte beizusteuern (juan
du J,'zte WE~). Dieser Inspektor, der wie der «die Runde machende Inspektor» in der feng ffi~), um [für jene Textsammlung Wang Yangrningsl in der Shuixi-Akademie
ihm zugeordneten Provinz herumreiste, hatte in all ihren Präfekturen das Schulwesen Druckplatten herzustellen.>> 542 Aus diesem 'Text von Qian Dehong ist übrigens auch
zu fördern und zu kontrollieren und war in den Präfekturen für die dortigen nieders- ersichtlich, dass die Slrnixi-Akademie nicht nur für Versammlungen, sondern auch als
ten Staatsprüfungen verantwortlich. 535 Ohne dessen Genehmigung war wohl die Verlagshaus für Texte der Schule \Vang Yangmings diente. Aus anderen Texten wissen
Errichtung einer Akademie für eine ganze Präfektur nicht möglich. Wir erinnern uns, wir, dass auch die Tianzhen-Abdernie bei Hangzhou eine solche Funktion erfüllte. 54 -i
dass in der Aufzeichnung der Vergrößerung der Tianzhen-Akademie bei Hangzhou Über die Finanzierung der Shuixi-Akademie gibt Zou Shouyi folgende genaue
im Jahr 1536 der dortige «die Runde machende Inspektor» (xun an ½«ni) und der Auskunft: «Von den Ausgaben für die Gesamtkosten trugen amtliche Stellen (guan ~)
dortige «Schulinspektor» («Studienkommissar»: ti xue ffil:!J) als die beiden offiziellen zwei Zehntel, die Leute aus dem Bildungsstand (zhushcng ~3:.) drei Zehntel, freiwillige
Akteure auftraten. 536 Für die Gründung der Shuixi-Akademie war auch die Initiative Spenden (shangyi fSJ~) ergaben fünf Zehntel.[ ... ] Von den Nahrungsmitteln des Ak-
des Präfekten Liu Qizong, der im Herbst 1552 sein Amt in Ningguo angetreten kerlandes trugen amtliche Stellen vier Zehntel, die Leute aus dem Bildungsstand trugen
hatte, sehr wichtig. 537 Er unterbreitete die Errichtung einer Akademie dem Schul- zwei Zehntel; eine Witwe spendete sechs Zehntel. [... ] Die Angaben des Ackergebietes
inspektor zur Genehmigung. Und auch der Vorsteher des Kreises als der untersten und seiner Reissteuern (tian jie shui mi EB~m*) wurden auf der Rückseite der Gedenk-
Verwaltungseinheit spielte nach den zitierten Angaben eine Rolle. In die Gründung tafel eingemeißelt.»544 Dass in dieser Berechnung die Quoten für die Nahrungsmittel
einer «privaten» Akademie waren offenbar nicht weniger als vier staatliche Instanzen (den Reis) zusammen zwölf Zehntel ergeben, dürfte kaum ein Fehler von Zou Shouyi,
involviert: der Kreisvorsteher und der Präfekt als die beiden für den betreffenden sondern eine Sicherheitsmassnahme gewesen sein für den Fall, dass einige Felder zu
Ort zuständigen lokalen Beamten, die eine solche private Gründung unterstützen
mussten, und der «die Runde machende Inspektor» («Vizegouverneur»: xun an
538 Auch bei der Neugründung der privaten Donglin-Akademie im Kreis Wuxi (im direkten Verwaltungs-
3.{«ni) sowie der «Schulinspektor» («Studienkommissar»: ti xue ffil:!J) als zwei von der gebiet von Nanking) durch Gu Xiancheng (1550-1612) im Jahr 1604 treten diese vier staatlichen
Instanzen auf; siehe Busch, Heinrich: «The Tung-lin academy and its political and philosophical
significance», in: Monumenta Serica XIV (1949-195 5), S. 28f.
533 Nianptt fuht, unter dem 33.Jahr der Jiajing-Ära, Quanji,juan 36, Shanghai 1992, S. 1346. 539 Zu Liu Qizong siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 198.
534 Zum Amt des «die Runde machenden Inspektors» (xun an )fil1$;) siehe oben in der allgemeinen Ein- 540 Siehe oben im Anhang der Einleitung zu Teil I, S. 118.
leitung den§ 2, S. 11. 541 He Qian (1501-1574) war ein Schüler Zhan Ruoshuis: siehe oben, S. 279,Anm. 42.
535 Zum «Schulinspektor» oder «Erziehungskommissar» siehe oben in der allgemeinen Einleitung den 542 Vorwort zur Ausgabe der «Fortsetzung des Chuanxi lu», Quanji,juan 41, Shanghai 1992, S. 1585.
§ 1, S. 4, und den§ 2, S.11. 543 Siehe oben im Anhang zur Einleitung zu Teil I, in der Darstellung der Entstehung des dritten Teils
536 Siehe oben in dieser Einleitung den§ 2, S. 282f. des Chuanxi lu.
537 Diese Zeitangabe macht Zou Shouyi in seiner «Aufzeichnung über die Shuixi-Akademie»; zitiert bei 544 «Aufzeichnung zur Shuixi-Akademie» von Zou Shouyi; zitiert bei Wu Zhen: Xinian 1522-1602,
Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 198. Shanghai2003,S. 198.
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gewissen Zeiten niedrigere Erträge ergaben oder die Teilnehmer der Versammlungen vom Präfekten Liu Qizong und dem Kreisvorsteher Qiu Shiyong errichtet.»519 Die
zahlreicher als vorgesehen waren. Wenn die Witwe aus der Sippe Chen, wie im Anhang hier angegebene Zahl der Raumeinheiten der seitlichen Gebäude (zweimal drei plus
zur «Lebenschronik» angegeben, achtzig Mu spendete und dazu noch ein gleicher zwanzig Pfeilerabteilungen) stimmt genau mit der Angabe von Zou Shouyi überein.
Anteil von anderen Seiten hinzukam, hat das Ackerland der Akademie insgesamt Über das in der Zentralachse der Anlage gelegene «mehrstöckige Gebäude des hel-
hundertsechzig Mu (zwischen zehn und elf Hektar) betragen. Diese Fläche macht len Lichtes» (Xiguanglou) macht Luo Hongxian, der im Oktober 1554 die Shuixi-
zwei Drittel des Ackerlandes der Tianzhen-Akaclemie bei Hangzhou (etwa sechzehn Akademie besuchte, folgende Angaben: «Das mehrstöckige Gebäude ist mehr als zwei
Hektar) aus. 545 Sowohl am Bau der Akademie als auch bei den Verpflegungskosten für zhang 3t. [sieben bis acht Meter] hoch, doppelt so breit und weniger tief. Es wurde
die Versammlungsteilnehmer waren also auch, allerdings zum kleineren Teil, amtliche im achten Mond des 32. Jahres der Jiajing-Ära [September/Anfang Oktober 1553]
Stellen beteiligt, wahrscheinlich einerseits die Regierung der Präfektur Ningguo und errichtet.»550 Die ganze Anlage sah also in ihrer Struktur so aus, wie wir sie heute noch
andererseits die Regierung des Kreises Jingxian, in dem sich die Akademie befand. von konfuzianischen, buddhistischen nnd daoistischen Tempeln Chinas kennen; sie
7nr baulichen Anlage der Akademie schreibt Zou Shouyi in dieser Aufzeichnung, entsprach der Grundstruktur von größeren privaten Anwesen bis zum Kaiserpalast.
dass sie «im Osten und \Vesten je dreizehn Raumeinheiten (Zwischenräume:jian Fsi) Sie enthielt zwei von ein- bzw. zweistöckigen Gebäuden umschlossene rechteckige
umfasste und als Ganzes die Inschrift trug: <Reine Halle von Shuixi> (Shuixi jing she Innenhöfe und dahinter noch einen Ahnentempel. Die ganze Anlage war sicher von
7-kizliffi-@f)>,. \Nir haben oben schon in einem anderen Zusammenhang bemerkt, dass einer zwei bis drei Meter hohen rechteckigen Umfassungsmauer umschlossen. Im
dasjian das Crunclmaß der chinesischen Architektur darstellt und den Zwischenraum Eingangsgebäude im Süden wohnte wohl der Pförtner, der für die Sicherheit und die
zwischen vier tragenden Fcksiiulen oder Eckpfeilern ausmacht; 546 eine solche Raum- Ordnung in den Gebäuden zu sorgen hatte. Die «Halle der Erklärung des Dao» an der
einheit wird auch 1'ilil.» genannt, ein Wort, das ursprünglich die Säulen oder Pfei- Nordseite des ersten Ilofcs war die große Versammlungshalle. Auch die I ,ehrhallcn
ler in den Ecken einer solchen Raumabteilung bezeichnet. Zon ShouyisAngabe meint bei den Konfüzius-'Iempeln der Kreis- und Präfektursüidtc trugen diesen oder einen
also nicht sechsundzwanzig einzelne Gebäude, sondern weist auf den Umfang von ähnlichen Namen (z.B. «Halle der Erklärung der zwischenmenschlichen Pflichten»:
zwei Gcbiiudekomplexen hin, die sich seitlich (östlich und westlich) in der von Süden Mingluntang aJjfi1iJg), Im zweistöckigen, sieben bis acht Meter hohen und etwa fünf-
nach Norden ausgerichteten G-csarntanlage befanden.m Wie wir gleich sehen wer- zehn Meter breiten Gebäude des «hellen Lichtes» an der Nordseite des zweiten lfofcs
den, handelt es sich bei diesen Seitengebäuden nicht um die Versarmnlungs-, sondern waren vielleicht die Bibliothek, das Verlagszentrum und auch Unterkünfte für rang-
um die U ntcrkunfts- und Essriiurne. Die «Lokalgeschichte von Jingxian» beschreibt hohe Gäste untergebracht. Die beiden östlichen und westlichen Seitentrakte dienten
die Anhlgc wie folgt: ,<Vorne [im Süden] gibt es das Eingangsgebäude (men F~) mit dem leiblichen Wohl der Versammhmgstcilnehmcr, sie enthielten Dormitorium und
drei Raumeinheiten (Pfcilcrahteilungen: ying 1'ilil.); in der Mitte gibt es die <Halle der Refektorium sowie Küche, Bad und 'lbilettc. Die ganze Anlage verlief parallel zum
Erklärung des Dan> (lvlingdaotmzg SJlil1J:g); hinten gibt es das <mehrstöckige Gebäude östlich davon gelegenen lmddhistischcn Baoshcng-Klostcr, war aber durch Mauern
des hellen Lichtes> (Xir;uanglou !ffl%•); die Halle wie das mehrstöckige Gebäude sind von diesem abgetrennt. Erstaunlich ist, dass in der zuhinterst, an der würdigsten Stelle
fünf Pfeilerabteilungen breit. An den Seiten der Halle gibt zwei Seitenflügel (xiang der Anlage, gelegenen «Halle des ehrfürchtigen Aufblickens und Stillehaltens» nicht
ffli) mit je drei Pfeilerabteilungen und dazu noch Unterkünfte (hao she Mi%") mit ins- nur Wang Yangmings, sondern auch Zhu Xis mit Opfern gedacht wurde. Ahnentempel
gesamt zwanzig Pfeilerabteilungen. Hinter dem mehrstöckigen Gebäude des hellen des «ehrfürchtigen Aufblickens und Stillehaltens» gab es auch in anderen Zentren der
Lichtes [also ganz im Norden] gibt es noch ein mehrstöckiges Gebäude aus Stein Schule, 551 aber die Opfer in ihnen galten nur Wang Yangming. In einer Aufzeichnung
mit zehn Stufen (shi lou shi ji 1:1•+&&), welches die <Halle des ehrfürchtigen Aufbli- der Lokalgeschichte vonJingxian über die zeitliche Anordnung der Aktivitäten in der
ckens und Stillehaltens> ist (Yangz,hitang ffßll:.g), um den zwei Lehrern Zhu [Xi] und Shuixi-Akademie wird über deren Opfer noch etwas genauer gesprochen.
Wang [Yangming] zu opfern. [Die ganze Anlage] wurde im Jahr ren zi der Jiajing-Ära In dieser Aufzeichnung heißt es: «In jedemJahr gibt es zwei Versammlungen: im
(1552) 548 vom Schulinspektor (du xue fi~) und kaiserlichen Zensor Huang Hongpi, Frühling vom 1. bis zum letzten [30.] Tag des dritten Mondes, im Herbst vom 15. Tag
des neunten Mondes bis zum 5. Tag des nächsten Mondes. Am 15. Tag des dritten
Mondes und am 1. Tag des zehnten Mondes wird mit der Zeremonie des Shilai 552 ~*
545 Siehe oben in dieser Einleitung den § 2. der Lehrer [Wang] Yangming geehrt. Wenn man Yangming opfert, befindet sich
546 Siehe oben,Teill, Kap. 3, S. 236, Anm. 171.
547 Diese Süd-Nord-Ausrichtung kennzeichnet die Anlage aller chinesischen Regierungsgebäude, Tem-
pel, von privaten Anwesen, ja von ganzen Städten. Eine Ausnahme bilden diejenigen Bauten der vom
Steppenvolk der Kitan errichteten Liao-Dynastie (10.-12. Jahrhundert), die von Osten nach Westen 549 Zitiert bei Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S.199.
ausgerichtet sind (Haupteingang im Osten). 550 Shuxishuyuan Xig;uanglou ji, L1w Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 4, S. 126.
548 In den zuvor zitierten Quellen wird 1554 als Baujahr der Akademie angegeben. Der jetzt wiederge- · 551 Siehe oben in dieser Einleitung den§ 1, S. 275.
gebene Text nennt 1552, als Liu Qizong Präfekt von Ningguo wurde und wahrscheinlich das Planen 552 Alte Zeremonie, in der mit Sellerie und anderen Pflanzen die Lehrer verehrt wurden: siehe Ciyuan,
der Akademie begann. Beijing 1983, S. 3145c.
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oberhalb auch der Sitz (die Ahnentafel[?]: wei 1ft) von Ziyang ~~ [Zhu Xi], was seine ft,~Ml;) statt, an denen auch Leute aus dem gemeinen Volk teilnahmen. 555 Ebenso
Absicht hat (qi yi gai you zai yi ;l't~:ifi1H±~). [ ... ] Es ist noch zu bemerken, dass die gab es Versammlungen in Xuancheng, der Hauptstadt der Priifektur. Zudem hatte
Shuixi-Akademie ein Ort für Lehrversammlungen ist (ji hui jiang dao zhi suo ffiff~ die Schule von Ningguo Verbindungen zu «Gleichgesinnten» in den Nachbarprä-
illl:zm) und nicht eingerichtet wurde, um Lehrer einzuladen, die Jünger unterweisen fekturen. Auch in der unmittelbar südlich von Ningguo auf der anderen Seite des
(fei yan shi shou tu zhi she ~l=]I!Jiji~f>E;z~~).»553 Was zunächst einmal in diesem Bericht <<Gelben Gebirges» (Huangshan) gelegenen Präfektur Huizhou 'IM&#! hatten diese ihre
erstaunt, ist die lange Dauer dieser Versammlungen: im Frühling dreißig Tage, im Versammlungen. 556 In dieser Präfektur war Hong Yuan (Beiname: Jueshan) zu Hau-
Herbst zwanzig T1-ge. Diese Versammlungen waren wahrlich keine kleine Sache, und se, der ein Schüler von Zhan Ruoshui war und in der Schule Wang Yangmings eine
die Kontakte, der Gedankenaustausch und die moralische Bildung des Charakters bedeutende Rolle spielte. Als sich Zou Shouyi und Liu Bangcai im Winter 1550/51
müssen in ihnen sehr intensiv gewesen sein. Auf der anderen Seite wird vor diesem auf dem Weg zur Shuixi-Akademie befanden, nahmen sie in der Doushan-Akaclemie
Hintergrund verständlich, warum in den Jahren 1578/79 der damalige Erste Großse- -411!*11% in der Präfekturhauptstadt Shexian ~ll!;fi (auch Xin'an lffi-~ genannt) an einer
kretär und mächtigste Mann im Reich ZhangJuzheng, welcher der Lehre Wang Yang- Versammlung der sechs Kreise der Präfektur Huizhou teil. 557 Weil die Versammlungs-
mings im Besonderen und der Philosophie im Allgemeinen nicht feindlich gesinnt war, teilnehmer in dieser Akademie mit der Zeit zu zah !reich wurden, wurde später an ihrer
im Hinblick auf die Effizienz der Administration des Reiches die privaten Akademien Stelle das «Berghaus der Errichtung des Anfangs» 0ianchu-Shanfang ~M 1-llm) im
mit der Begründung schließen ließ, dass sie die Beamten zu viel Zeit kosten. Während unweit von ihr gelegenen Futian mi83 zum Versammlungsort gewählt. 558 Nach einer
Wang Yangming und viele seiner Schüler die moralische Persönlichkeitsbildung der Aufzeichnung Wang Jis aus dem Jahr 1571 haben er und Qian Dehong im Zusam-
Beamten als das Wichtigste für eine gute Ordnung des Reiches betrachteten, gewich- menhang mit ihren Besuchen der Shuixi-Akademie während einer gewissen Zeit jedes
tete Zhang die technisch-administrative Effizienz höher. zweite Jahr an Versammlungen in Shexian teilgenommen. 559
Was die in den Zeremonien für den Lehrer Wang Yangming eingeschlossenen Besonders intensiv war wohl die Verbindung der Shuixi-Akademie mit der Fuchu-
Opfer für den Lehrer Zlm Xi anbelangt, so lässt die oben wiedergegebene Schilderung Akademie in der östlichen Nachbarpräfektur (Präfektur zweiten Ranges) Guangde
vermuten, dass dies eine Konzession an die Behörden war und als Versicherung gegen ml1!fN. Wir haben oben schon den Hinweis von Zou Shouyi zitiert, dass bereits in den
Beanstandungen von Beamten und Zensoren aus Peking diente, die Wang Yangmings Jahren nach deren Gründung 1525 mehrere Leute aus Ningguo in ihr lernten, unter
Lehre eventuell nicht schätzten. Die offizielle Form des Konfuzianismus war damals ja ihnen der für die spätere Errichtung der Shuixi-Akademie so wichtige Gong Anguo.
diejenige von Zirn Xi, und Wang Yangmings Verurteilung von 1529 wurde erst 1566 Auch nach Zou Shouyis Wegzug aus Guangde im.Jahr 1527 fanden in seiner dortigen
aufgehoben. 554 Es war für einen Präfekten wie Liu Qizong sicher nicht ganz unge- Akademie zunächst noch Versammlungen statt, sie gerieten dann aber ins Stocken.
fährlich, so tatkrHtig und dazu noch mit öffentlichen Mitteln die Errichtung einer Im Jahr 1556, also zwei Jahre nach dem großen Bau der Shuixi-Akademie, wurde
privaten Akademie der Schule Wang Yangmings zu unterstützen. Deshalb vielleicht der Fuchu-Akademie in Guangde wieder neues Leben eingehaucht. Der Anhang zu
findet sich im oben zitierten Bericht auch die ausdrückliche Bemerkung, dass diese Wang Yangmings «Lebenschronik» hält dieses Ereignis fest und nennt im Titel dieses
Akademie nicht der Ausbildung von Schülern durch auswiirtige Lehrer, also nicht als Eintrages als den Erneuerer der Akademie denselben Schulinspektor Zhao Tang fü!l ~,
Schule für die junge Generation, diene, sondern für Diskussionsversammlungen da der 1554 die Errichtung der Shuixi-Akademie unterstützt hatte; dieser war offenbar
sei. Für die Schüler \Nang Yangrnings hatte eine Verehrung von Zhn Xi als Lehrer immer noch Schulinspektor (ti xue =tJl~) des direkten Verwaltungsgebietes von Nan-
nichts Abstoßendes; wie schon Wang Yangming schätzten viele von ihnen Zhu Xi, king, zu dem sowohl Ningguo als auch Guangde gehörten. Der Eintrag im <<Anhang»
wenn sie auch nicht in allem mit ihm einig gingen. lautet: «Im zweiten Mond des 35.Jahres derJiajing-Ära [15 56] erneuerte der Schulin-
Um das Cewicht der Shuixi-Akademic in der Präfektur Ningguo für die Schule spektor Zhao Tang die Fuchu-Akademie, um dem Lehrer [W;mg Yangming] zu opfern:
Wang Yangmings richtig einzuschätzen, ist zu berücksichtigen, dass sie mit anderen Als im Anfang [1524] Zou Shouyi nach Guangde strafversetzt wurde, errichtete er
Zentren der Schule im Süden der heutigen Provinz Animi verwoben war. Sie war dort die Akademie und stiftete Ackerland, um von überall her Leute zum Lernen
der zentrale, aber nicht der einzige Versammlungsort der Schule in der Präfektur einzuladen. Ihm gehorchend gingen seine Schüler Pu Han ,! ~ und Shi Tianjue
Ningguo. Auch die zu ihr gehörenden sechs Kreise hatten ihre lokalen Versamm-
lungen. So fanden im südlich von Jingxian gelegenen Kreis 'faiping :is::SJZ. regelmä-
ßig Versammlungen im buddhistischen «Kloster der neun Drachen» 0iulong'an
555 Siehe oben in dieser Einleitung zu Teil II den§ 5, S. 315,Anm. 202.
556 WangJi schreibt, dass seit langem Versammlungen in Shexian iklltfi, der Hauptstadt dieser Präfektur,
stattfinden: Wang Longxi quanji,juan 17, Taiping Du shi yi tianji, S. 13a (Taipei 1970, S. 1215).
557 Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 160f.
558 Wang I,ongxi qium ji (1H22),juan 2,]ianclm .,hanfang huiji shen yue, S. 26b (Taipei 1970, S. 208); Wtmg
553 Zitiert bei Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 199. Ji ji, Nanjing 2007,juan 2, S. 49.
554 Siehe oben in der Einleitung zu Teil I das Ende des§ 1. 559 Ebd. Dokumentiert sind Besuche WangJis in den Jahren 1557, 1564 und 1571.
398 399

1fffi ~:!!?/ nach Yue [Shaoxing], um den Lehrer [Wang Yangming] zu besuchen und Kapitel 1
kehrten darauf zurück. Darauf fanden die Versammlungen der Fuchu-Akademie
ohne Unterbrechungen statt. Später gingen [Pu] Han und [Shi] Tianjue weg, um als Die Diskussionen zwischen Oian Dehong und Wang Ji:
Beamte zu dienen, und diese Versammlungen wurden wiihrend zwanzig Jahren un- Verwirklicht sich das «ursprüngliche Wissen» durch
regelmäßig. Als dann [seit 1549] [Qian De] Ilong und [Wang] Ji die Versammlungen Handeln gemäß dem Gewissen oder durch Einsicht in
von Shuixi präsidierten, gingen sie von dort aus auch nach Guangdc. Die Gebildeten sein «eigentliches Wesen»?
(zhu sheng M/:'±) Zhang Huai ~ t.11!, Huang Zhong :it Jtl, Li Tianzhi ~ ~f,/i; und andere
luden zu den Versammlungen [in Guangde] fünfzig Leute ein; diese mussten aber in
der Haltestelle der Pfordcgespanne (ting can ,W:,W;) übernachten. Im genannten Jahr
[15 56] legten [Pu] Han und [Shi] Tianjue ihre Ämter nieder und kehrten nach Hause § 1 Biographisches über Qian Dehong und Wang Ji
zurück. Der Vorsteher der Präfektur zweiten Ranges (zhi zhou ~MN) Zhuang Shiyuan
i11 ± :5t, und der Richter He Guangyu friI ~:m unterbreiteten [dem Schulinspektor Unter den Schülern Wang Yangmings waren Qian Dehong und \;½rng Ji diejenigen,
Zhao] 'fang den Antrag, die Akademie gründlich zu erneuern (da xiu shu yuan :k11J die den längsten und intensivsten Umgang mit ihrem Lehrer hatten. Obschon sie
ff ~.lt) und eine Ahnentafel (wei 1ft) des Lehrers [Wang \Smgmingl aufzustellen, um während derselben Zeit bei ihm lernten und von ihm also dieselbe Lehre vernahmen,
jährlich die Opferzeremonien durchzufi.ihren.» 560 Wir stellen bei der Erneuerung der enge Freunde waren und auch nach dem' focl ihres .Meisters in bestiindigem Kontakt
Fuchu-Alrndernie ein ähnliches Vorgehen fest wie beim Bau der Shuixi-Akademie: blieben, gingen sie in ihrem philosophischen Denken und Tun in sehr verschiedene
Die eigentlichen Initianten waren Private, in Guangde Pu Han und Shi T'ianjue. Sie Richtungen. Sie stammten beide wie \Vang Yangming aus der damaligen Präfektur
hatten als Schüler J".ou Shouyis und WangY.mgrnings die Akademie nach Zou Shouyis Shaoxing, und sie waren beide auch durch familiiire Beziehungen mit ihm verbunden.
Weggang von Guangde noch einige Zeit am Leben erhalten, sich dann aber, als sie als .. Qian Dehong tt 1lffi~ (Beiname: Xuslrnn Mi/ill) wurde im 9.Jahr der Ilongzhi-
Beamte in der Feme waren, nicht mehr kontinuierlich um sie kümmern können. Als Ara am 22. T.'lg des zwölften Mondes (2 5. Januar 1497) in Yuyao geboren, 1 das in der
sie sich 15 56 ins Privatleben in ihre lfeimat Guangdc zurückzogen, wollten sie die Ming-Zeit zur Präfektur Shaoxing (auch Yue genannt) gehiirte. In Yuyao war auch
Akademie erneuern. Sie konnten dies aber nicht ohne amtliche Unterstützung tun, Wang Yangming geboren worden, die beiden kamen sogar im selben Haus zur Welt:
sondern der Präfekt von Guangde musste ein betreffendes Gesuch dem Schulinspek- im Ruiyun-Gebäude llfü~it arn Nordfuß des Drachenberges im Nordwesten von
tor des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking zur Genehmigung unterbreiten. Yuyao. 2 Das war wohl dadurch möglich, dass kurz vor Qian Dehongs Geburt Wang
Dieser war glücklicherweise ein «Gleichgesinnter» und dem Antrag gewogen; er galt Yangmings Vater W.111g Hua mit seiner Familie von Yuyao, wo er im Ruiyun-Gcbäude
dann in der Ceschichtssehreibung als der Erneuerer der Akademie. Tn ihr fanden nur eingemietet war, 3 nach Shanyin, der westlichen Hälfte der Priifekturhaupt:stadt
während vieler Jahre Versammlungen statt, auch noch 1577, als Wang.Ti auf dem Weg Shaoxing, umzog, 4 so dass die Eltern von Qian Dehong dieses Gebäude, das einer
zur Shuixi-Akademie in Guangde vorbeikam und sich unter der Leitung des dortigen Familie Mo ~ gehörte,5 mieten konnten. Erst nachdem Qian Dehong 1532 die
Präfekten Wu Tongchun über hundert Leute um ihn versammelten. 561 höchsten Staatsprüfungen bestanden hatte, konnte er dieses Gebäude der Familie
Soweit ich sehe, waren die Tianzhen-Akademie bei Hangzhou mit ihren Able- Mo abkaufen. 6 Die beiden Familien Wang und Qian waren miteinander bekannt oder
gern in anderen Gebieten im Norden Zhejiangs, weiter die verschiedenen Akademien befreundet. Wie Wang Yangmingverbrachte auch Qian Dehong seine Kindheit in be-
und die buddhistischen Klöster des Qingyuan-Gebirges in der Präfektur Ji'an der scheidenen Verhältnissen. Sein Vater war mit zwei.Jahren blind und mit neun.Jahren
Provinz Jiangxi und schließlich die Shuixi-Akademie in der Präfektur Ningguo zu-
sammen mit der benachbarten Fuchu-Akademie in Guangde im Süden der heutigen
Provinz Anhui die drei größten Zentren der Schule Wang Yangmings in der Zeit der Geburtsdatum gemäß der «Grabinschrift» von Lü Ben 8 ;$;: Qian Dehongji, Nanjing 2007, S. 419.
ersten Generation seiner Schüler. In diesen drei Gebieten waren die Aktivitäten der Julia Ching gibt in ihrem Artikel über Qian Dehong im DMB, S. 241, als Geburtsdatum den 2. Januar
1497 an.
Schule am intensivsten. Der Shuixi-Akademie und ihrem Einzugsgebiet fehlten die 2 Qian Dehongji, Nanjing 2007, «Aufzeichnung über das Ruiyun-Gebäude», S. 170f.: «Das Ruiyun-
bedeutenden Köpfe; sie ließ aber regelmäßig Wang Ji und Qian Dehong aus Zhejiang Gebäude ist der Ort, wo Lehrer Yangming geboren wurde. Das Gebäude liegt am Nordfuß des
zu ihren Versammlungen kommen. Drachenberges von Yuyao. [... ] Im Jahr hing eben (ca. Februar 1596 bis Februar 1597) wurde auch ich
in diesem Gebäude geboren.»
3 A.a.O., S. 170.
4 Siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 58.
5 Siehe Qian Dehong: «Aufzeichnung über das Ruiyun-Gebäude», Qian Dehong ji, Nanjing 2007,
560 Nianpu fi1lu, Quanji,juan 36, Shanghai 1992, S. 1348. S. 170, und Lü Bens «Grabinschrift für Qian Dehong», a.a.O., S. 415.
561 liflang Longxi quanji (1822),juan 2, S. 30a-b (Taipei 1970, S. 215f.); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 2, 6 Siehe Luo I-Iongxian: «Aufzeichnung über das Ruiyun-Gebäude», Luo Hongxianji, Nanjing 2007,
S. 52; vgl. unten im Kap. 2 den§ 5, S. 502. juan 5, S. 155.
400
401

Vollwaise geworden und dadurch in Not und Armut geraten. Doch hatte er einen sehr Yangming ~u einem ~ortrag ei~gel ade~1. 15 Er habe ihm zuerst über sein bisheriges
starken Willen und zeigte großen Fleiß; schon als Kind lernte er durch bloßes IIören Lernen berichtet und 1h11 um sem Urteil gebeten. \Vang Yangming habe ihm erklärt
Literatur, studierte die Kunst des vVahrsagens, verstand die Kunst der Töne, stellte dass das Wissen, um das es im Lernen gehe, das moralische Wissen (de xing zhi zhi
Flöten her und wurde ein bekannter Dichter. Seine drei Söhne bestanden alle die tttt.z~) sei. Dieses sei das «ursprüngliche Wissen» (littng zhi ~~) und nicht ein
höchsten Staatsprüfungen. 7 Als sein ältester Sohn Dehong vierzehn} ahre alt war, hielt «empirisches Wissen um wahrnehmbare Dinge» (zhi shi ~D~). 16 Es sei etwa Winzi-
er ihn dazu an, sich dem Studium des Konfr1zianismus zu widmen. Wang Ji berichtet ges, nämlich das «allein vVissen» um das «Unsichtbare und Unhörbare» im Sinne
in seinem «Lebenslauf» von Qian Dehong, der neben Lü Bens § ::zis: «Grabinschrift» 8 des 7,hongy_ong 17 (und nicht jenes breite Wissen um die Dinge, das Zhu Xi verfolge).
die umfassendste Auskunft über sein Leben gibt, dass Qian Dchong diese väterliche «Als er [Qian Dehong] alles gehört hatte, hatte er sprunghaft eine Einsicht (yue nm
Mahnung sehr ernst nahm und dieses Studium außerordentlich fleißig und gewis- _you wu Ri?r!V(ifffi), als ob er aus einem 1}aum erwachte.» 18 Er habe dann dem Lernen
senhaft betrieb. Er habe zuerst «Zlrn Xis große Sammlung aller Konfuzianer» (Zhuzi W.-ing Yangmings <<fest geglaubt» (du trin ~f§O und ihn zu seinem Lehrer gewählt.
ji qun ru d1t cheng *T~flt~;i\;:J,x) 9 genommen und sie so lange rezitiert und über sie Dies habe den Zorn seines Vaters erregt, da dieser befürchtete, sein Sohn würde
nachgedacht, dass er in der Nacht von ihnen träumte und dass er auch einmal wäh- dadurch am Erfolg bei den Staatsexamen gehindert. Doch schon im nächsten Jahr
rend 'fag und Nacht Essen und Schlafen vergaß und gefährlich krank wurde. 10 In der (1522) habe er die Examen auf Provinzebene (in der Provim:hauptstadt Hangzhou)
Folge habe er sich mehr auf besonders wichtige 1cxte und ein geordnetes Vorgehen bestanden. Darauf sei er zu Wang Yangming nach Shaoxing zurückgekehrt, «um ihm
konzentriert und so Zhu Xis Ausgabe und Kommentar des Zhongyong und seine allein nachzufolgen». 19 Dass Qian Dehong trotz seiner Fixierung, auf Zlm Xi das so-
«Fragen zum Daxue» studiert. «Alsdann war er der Meinung, dass man den Din- eben veröffentlichte Chuanxi lu von vVang r';rngming las und dies;n gleich nach seiner
gen nachgehen und ihre Ordnungsprinzipien (li J!l) anschauen, auf diese Weise das Heimkehr zu einem Vortrag einlud, scheint mir auch darauf hinzuweisen, dass er oder
\Nissen erweitern und so lange ansammeln soll, bis man den ganzen Zusammenhang s~ine Fa_milie mi~ Wang r';rngrning bereits vertraut war. 1Nichtig an diesem von Wang
durchschaut. Er glaubte, dass das Lernen Zhu Xis das richtige sei.» 11 Qian Dehong J1 gesclulderten mtellektuellen vVerdcgang Qian Dehongs ist sicher, dass dieser sich
wird hier in seinen jungen Jahren also als jemand dargestellt, der sich ganz an Zhu Xis vor seiner Hinwendung zu vVang Y.rngming (Ende 15 21) von seinem vierzehnten bis
Programm der «Verwirklichung des Wissens durch die Erforschung der Ordnungs- zu seinem vierundzwanzigsten Lebensjahr ganz an Zhu Xis Lehre orientiert hatte
prinzipien der Dinge>> hielt. 12 Er habe nach 1519 auch Wang Ymgrnings Chuanxi lu und von da an mit derselben Intensität an vVang Yrngming festhielt.
(d.h. den ersten der drei Teile, der 1518 in Ganzhou, ProvinzJiangxi, veröffentlicht WangJi ± fi (Beiname: Longxi ll'i!Jfä) stammte aus einer Beamtenfamilie aus dem
worden war) gelesen, doch «gefunden, dass es mit dem, was er gelernt habe, nicht westlichen 'leil von Shaoxing, aus Shanying, also aus dernselben Kreis, in dem Wang
übereinstimme, und daran gezweifelt». 13 Erst nachdem Wang Yangming nach seiner Yangmings Familie seit ungcföhr 1496 ihren festen Wohnsitz hatte. Die beiden Fami-
Niederschlagung der Rebellion des Prinzen von Ning Ende 1521 in die Präfektur lien waren verwandt. Qian Dchong lernte er wohl am Anfang von Wang Yangrnings
Shaoxing heimgekehrt war, 14 habe Qian Dehong ihn zu seinem Lehrer gewählt. Er zurückgezogenem Leben in Shaoxing (1521-1527) kennen. Er wurde am 6. Tag des
habe zehn Freunde ins Zhongtian-Gebäude i:p5lclffl im Drachenquellen-Kloster (am fünften Mondes im 11.Jahr der Hongzhi-Ära (26. Mai 1598)20 geboren, war also ein
Drachenberg bei Yuyao, wo Qian Dehong wohnte) mitgenommen und dort Wang gutes Jahr jünger als Qian Dehong. Während dieser der älteste von drei Brüdern war, 21
hatte Wang Ji noch einen älteren Bruder. Dieser war geisteskrank (xin ji ,t,,~), so dass
WangJi sich um ihn kümmern musste. 22 Er bestand schon 1519, also drei Jahre frü-
her als der ältere Qian Dehong, die Examen auf der Ebene der Provinz. 23 1523 nahm
7 Zu den obigen Angaben über den Vater von Qian Dehong siehe Luo Hongxians Aufzeichnung zum
er an den höchsten Examen in Peking teil, fiel aber durch. Nach den «Dokumenten
Grab von Qian Dehongs Vater (Beiname: Xinyuweng 'L.'J:fU\) in: Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,
juan 5, S. 155, und Qian Dehongji, Nanjing 2007, S. 462.
8 Siehe Qian Dehongji, Nanjing 2007, S. 415-420. 15 Darüber best~~~ au~~ ein Bericht im ersten Anhang zur «Lebenschronik» (Nianpu fit lu), unter dem
9 Vielleicht sind mit dieser Sammlung die drei großen Sammlungen aus der Anfangszeit der Ming-Dy- 17.Jahr der Jiapng-Ara (1538): Quanji,j11an 36, Shanghai 1992, S. 1333f.
nastie (Yongle-Ära) gemeint(Xingli da quan #J!ll:k~ [70juan], Si shu da quan 11:!Fll:k~ [36juan] und 16 Wang Yangming _appelliert hier an die auf Zhang Zai (1020-1077) zurückgehende Unterscheidung
Wu jing da quan 1i!ill!:k~ [154 juan]), die während der ganzen Ming-Zeit den kaiserlich autorisierten zwrnchen «moralischem Wissen» (de xing zhi zhi ~tt;zJll) und «Wissen aufgrund von Sehen und
konfuzianischen Kanon bildeten und die Grundlage für die Staatsprüfungen waren. Sie entsprachen Hören» (jian wen zhi zhi Jii,IJ;z,;Jl): siehe oben, Teil I, Kap. 5, § 1.
Zhu Xis Sicht des Konfuzianismus. 17 Siehe oben, Teil I, Kap. 2, § 1, Abschnitte), S. 136ff.
10 Qianjun xingzhuang tt~fiAA, Wtmg Longxi quanji (1822),jzum 20, S. lb (Taipei 1970, S. 1374). 18 A.a.O., S. 2a-b (faipei 1970, S. 1375f.).
11 A.a.O., S. 1b-2a (Taipei 1970, S. 13 74f.). 19 A.a.O., S. 2b (faipei 1970, S. 1376).
12 Zu Zhu Xis Verständnis der «Verwirklichung des Wissens im ge wu f/}!I@» siehe oben in der allgemei- 20 XuJie: Longxi Wang xiansheng chuan, WangJi ji, Nanjing 2007, Fulu 4, S. 827.
nen Einleitung den § 4, S. 3 lf. , 21 Qian jun xingzhuang, Wang Longxi quanji (1822),juan 20, S. 7b (Taipei 1970, S. 1386).
13 A.a.O., S. 2a (Taipei 1970, S.1375). 22 Xu Jie, Longxi Wang xiansheng chuan, Wang Ji ji, Nanjing 2007, Fulu 4, S. 827.
14 Siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 92ff. 23 Siehe den Artikel von Julia Ching, DMB, S. 1351.
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der Konfuzianer der Ming-Dynastie» (MRXA) von Huang Zongxi (1610-1695) einem Eilbrief seinen Vater, ob er nm seinen Lehrer wie um den Vater trauern dürfe.
schloss er sich Wang Yangming erst nach diesem Misserfolg an. 24 Dies stimmt aber «Sein Vater sagte: <Ich bin arm und hoffe auf das Beamtengehalt [meines Sohnes] und
nicht mit seinem eigenen Bericht überein. Er schreibt in seinem «Lebenslauf» von den Unterhalt. Aber ich ertrage es nicht, aus Gründen der Armut meinen Sohn zu
Qian Dehong, dass dieser und er selbst die beiden ersten Schüler Wang Yangmings veranlassen, seinen Lehrer achtlos zu behandeln>, und er erlaubte es.» 30 Die beiden
in Shaoxing waren, bevor 1522 und 1523 dessen Schüler zahlreich wurden. 25 Wang begleiteten dann ihren toten Meister nach Shaoxing und trauerten um ihn wie um
Jis eigenem Bericht ist eher zu glauben, auch deshalb, weil Huang Zongxi die Lehre ihren Vater. 31 Sie kümmerten sich um seine vVitwe und seine Kinder nnd trafen auch
Wang Jis ablehnte und ein Interesse daran hatte, dessen Lehrzeit bei Wang Yang- «Gleichgesinnte» (tong zhi fi'il$;) aus allen Gegenden, um die Lehre ihres Meisters
ming zu verkürzen. 21' Wang Ji berichtet auch, dass er und Qian damals die gleichen zu verbreiten. 32
besonderen Kopfüedeck:ungen und Kleider trugen (wohl, um sich als konfr1zianische 1532 zogen Qian Dehong und vVang Ji erneut nach Peking, um dort die
Schüler zu kennzeichnen) und sich dadurch Schmähungen der Leute zuzogen. 27 Wie höchsten Staatsprüfungen abzulegen. In diesem Jahr begannen die Schüler Wang
wir schon oben in unserer Biographie Wang Yangmings ausführten, schickte dieser Yangmings, die in der Hauptstadt waren, sich dort wieder zu versammeln. Sie waren
seine neuen Schüler in Shaoxing, nachdem sie zahlreich geworden waren, zuerst zu über vierzig Leute. Viele davon waren Schüler aus Wang Yanmings Zeit in Nanking
Qian Dehong und WimgJi für einen Grundunterricht, um sich erst danach selbst ihrer (1514-1516) und inJiangxi (1517-1521). In den Jahren 1530 und 1531 konnten sie
anzunehmen. Die beiden ,V1irden von den anderen Schülern «unterrichtende Lehrer» keine Versammlungen durchführen, da damals ein Gegner vVang Yangmings, Gui E,
(jiao shou shi ~ßHili) genannt. 28 1526 bestanden die beiden den ersten 'Teil der höchsten als Minister für Staatspersonal und Großsekretär in Peking das Sagen hatte.ll Am
St,utsexamen, nahmen dann aber an ihrer Fortsetzung im Kaiserpalast nicht teil, da 3. Oktober 1531 aber verstarb er. 34 Als nun Qian Dehong und \Nang Ji in Peking
sie fanden, dass es «den Mächtigen im Staate nicht um (wahres) Lernen geht». Wang eintrafen, standen sie, besonders \1i.1ang Ji, der sich als Kenner von Wang Yangrnings
Ji soll zu Qian Dehong gesagt haben: «Ist das eine Zeit, uns in den Dienst des Staates spätester Lehre präsentierte, im Mittelpunkt des Interesses dieser Schüler und anderer
zu stellen?», und sie kehrten wieder nach Shaoxing zurück. 29 Noch zu Lebzeiten Wang an Yangmings Lehre Interessierter. vVangJi schrieb 1563 da1iiber: «Im Jahr ren chen
Yangmings hatten sie Meinungsverschiedenheiten über die richtige Lehre. Wang [1532] gingen ich und Qian Xushan [Qian Dehong] zu den P,1lastprüfungen [nach
Yangming gab beiden recht und legte ihnen nahe, gegenseitig voneinander zu lernen. Peking]. Die Edlen [Schüler Yangmings] intensivierten noch ihre Versammlungen
\Vir werden uns gleich diesen Meinungsverschiedenheiten zuwenden. Als Wang und zählten bis zu sechzig oder siebzig Leute. Bei den Zusammenkünften verstopften
Yangming im Herbst 1527 Shaoxing verließ, um ganz im Süden Chinas Aufstände ihre Pferde die Straßen, so dass man nicht mehr vorwiirtskam. Man musste sich in
unter Kontrolle zu bringen, übergab er den beiden sowohl die Leitung seiner priva- vier Untergruppen treffen. Die Leute aus der ProvinzJiangxi waren am zahlreichsten.
ten Akademie in Shaoxing als auch die Leitung seiner häuslichen Angelegenheiten. Ich nahm an allen Treffen teil. Die I ,eute w:ihnten, dass ich des Meisters Grundlehre
Sie begleiteten ihren Lehrer über Hangzhou noch bis nach Yantan im Westen der der späten Jahre verstehe (yu de shi nzen wan nien zong shuo ;f-:{@Bifir~ 1]${,)f-*m), so dass
Provinz Zhejiang und kehrten dann nach Shaoxing zurück. Ende 1528 machten sie jeder, der Probleme hatte, unbedingt mich treffen wollte, wiewenn ich alles in ihrem
sich erneut in Richtung Peking auf, um dort die höchsten Staatsprüfungen abzulegen, Geist in Einklang hätte bringen können. In den früheren Versammlungen hatte man
kehrten aber sofort um, als sie unterwegs vernahmen, dass Wang Yangming auf dem die Sitzordnung nach dem Beamtenrang wie in der Hanlin-Akademie eingehalten. Ich
Weg nach Hause war. Auf ihrem Rückweg hörten sie, dass ihr Lehrer im Süden der sagte bittend: <Wir versammeln uns, um uns über das Lernen klar zu werden (yi ming
ProvinzJiangxi auf seinem Reiseschiff gestorben war (9.Januar 1529). Sie fuhren dem xue J..:;l. aJj ~); der Beamtenrang soll unter uns Gleichgesinnten (tong zhi liiJ;.s;) nicht maß-
Leichenzug bis in den Norden der ProvinzJiangxi entgegen. Qian Dehong fragte in gebend sein. Es ist besser, die Ordnung gemäß dem Lebensalter zu wählen.> Die Edlen
waren damit einverstanden. Bis heute [1563] gilt das als Regel.» 35 Es ist merkwürdig,
dass Wang Ji bei diesen Versammlungen in Peking seinen Freund Qian Dehong nicht
erwähnt, obschon dieser damals ja auch in der Hauptstadt war. Vielleicht musste sich
24 MRXA,juan 20, Beijing 1985, S. 238. der gewissenhafte und fleißige Qian mehr den Staatsprüfungen widmen.
25 Qian jttn xingzhuang, Wang Longxi quan ji (1822),juan 20, S. 2b (Taipei 1970, S. 1376).
26 Auch in Zhou Rudengs (1547-1629) Biographie über WangJi steht, dass er 1521, als Wang Yangming
nach Shaoxing kam und seine Lehre vom <<Ul'sprünglichen Wissen» vortrug, der Opposition der
dortigen Intellektuellen gegen diese neue Lehre nicht achtete und Yangmings Unterricht besuchte.
Nach dem Misserfolg von 1523 habe er den Unterricht bei ihm fortgesetzt und habe nach dem Ablauf 30 Qian jun xingzhuang, Wang Longxi quan ji (1822),juan 20, S. 4b-5a (Taipei 1970, S. 1380f.).
eines Jahres mit ihm vollständig übereingestimmt: Wang Longxi quan ji, Wang Longxi xiansheng chuan 31 Vgl. oben in der Einleitung zu Teil Iden § 1, S. 106.
(1822), S. la (Taipei 1970, S. 19); WangJiji, Nanjing 2007, S. 832f. 32 Qian junxingzhuang, Wang Longxi quan ji (1822),juan 20, S. Sa (Taipei 1970, S. 1381).
27 Qianjzmxingzhuang, U'itng Longxi quan ji (1822),juan 20, S. 2b (Taipei 1970, S. 1376). 33 Nianpufitlu I, unter dem 11.Jahr der Jiajing-Ära (= 1532).
28 Ebd. 34 Siehe den Artikel von Chou Tao-chi, DMB, S. 756.
29 Siehe Wang Ji: Qian jun xingzhuang, Wang Longxi quan ji (1822), juan 20 S. 2b-3a ('Taipei 1970, 35 Grabinschrift für Wang Ji .:E J,I (Beiname: Zaian tt:lii, 1490--1563), U'itng Longxi quan ji (1822),
S. 1376f.), und MRXA,juan 20, Beijing 1985, S. 238. juan 20, S. 68a (Taipei 1970, S. 1507); WangJiji, Nanjing 2007,juan 20, S. 637.
404 405

Nach ihrem Erfolg in den höchsten Staatsprüfungen 1532 nahmen Qian De- eine höhere Stellung empfohlen. Der Vorschlag stieß aber in Amtskreisen auf Kritik
hong und Wang Ji dann während etwa zehn Jahren verschiedene Beamtenposten und Wang Ji bat darauf um Entlassung. Er wurde aber angewiesen, eine offizielle'
ein. Qian Dehong war von J532 bis 1535 Lehrer an der Präfekturschule in Suzhou Begutachtung durch das Ministerium für das Staatspersonal abzuwarten. Diese fiel
(im direkten Vcrw,1ltungsgebiet von Nanking, heute in der Provinz Jiangsu) und gab negativ aus, da der Begutachter Xue Yingqi ~ Fl!rl (1500-1573)4 7 den offiziellen Kon-
dort 15 3 5 die erste umfassende Sammlung von verschiedenen Schriften Wang Yang- fuzianismus von Zhu Xi förderte, obschon er auch bei Ouyang De studiert hatte: «Xue
mings heraus. 36 15 34 präsidierte er die Provinzexamen von Guangdong. 37 Ende 15 3 5 Fangshan [Xuc Yingqi], der Direktor der I3cgutachtungsabteilung im Ministerium für
kehrte er nach Yuyao zurück, um dort ohne Amt die Trauerzeit für seine verstorbene Staatspersonal in Nanking, war in der Lehre niit ihm [Wang Ji] nicht der gleichen
Mutter einzuhalten. Er rief dort zusammen mit Freunden auch die Versammlungen Meinung und wollte dessen Fall benutzen, um die Lehre auf den rechten Weg zu
im Zhongtian-Gebäude t=p:;li;:\ffl im Drachenquellen-Kloster wieder ins Leben 18 , für bringen.»18 Daraufuin zog sich 1542 Wang Ji wieder 1uch Hause nach Shaoxing zu-
die Wiu1 g Yangming 15 2 5 Regeln geschrieben hatte. 39 15 38 wurde oberhalb jenes rück und bekleidete nie mehr ein staatliches Amt, obschon ihn einige seiner Freunde,
Gebäudes für Wang Yangming ein Ahnentempel errichtet, wo alljährlich im Früh- die hohe Beamte waren, dazu clriingten.
ling und Herbst Opferfeiern stattfanden. 40 Dies zeigt, dass dieser Ort in Yuyao ein Qian Dehong und "\Vang Ji waren beide verheiratet. Qian Dehong hatte zwei
Zentrum der Yangrning-Schule blieb. Seit 1537 war Qian Dehong in Peking, zuerst Söhne; der ältere starb, als Qian Dehong noch lebte. vV1ng Ji heiratete mit siebzehn
in der Kaiserlichen Hochschule (Guozijian) und dann im Justizministerium, tätig. 41 Jahren. Seine Gattin war drei Jahre jünger ,11s er. Nachclem sie während zehnJahren
Dort zog er sich 1541 durch ein strenges Gutachten über den mächtigen Marquis, keine Kinder hatte, verschaffte sie \Nang Ji eine Nebenfrau, die, nachdem auch sie
Nlilitärkomrnandanten und Favoriten des Kaisers Guo Xun ~ !\!D 42 die Amtsenthebung sieben oder acht Jahre unfruchtbar war, acht oder neun Kinder gebar, von denen drei
und eine Gefängnisstrafe zu. Nach Guo Xuns Tbd (15. Oktober 1542) konnte er aus Söhne erwachsen wurden. Die Hauptfrau Wang Jis behandelte die Kinder seiner
dem Gefängnis nach Yuyao zurückkehren. Dort pflegte er zuerst seinen Vater und hielt Nebenfrau wie ihre eigenen. Als Mädchen war sie von der Hauptfrau ihres Vaters
nach dessen Tbd die Trauerzeit ein. Auch danach nahm er nie mehr ein Amt an, son- (sie war das Kind einer Nebenfrau) in konfuzianischen Klassikern, dem «Buch der
dern setzte sich ausschließlich für die Lehre und Schule Wang Yangmings ein. Wang Wandlungen» (Yijing) und dem «Klassiker der Oden» (Shijinp), unterrichtet worden.
Ji schreibt, dass er eine Abneigung gegen die Mächtigen im Staat seiner Zeit hegte. 43 In ihren mittleren Jahren wmdc sie ticfgläuhige Buddhistin. Sie starb, als Wang Ji
vVang Ji wurde nach seinem Erfolg in den höchsten Staatsexamen in Peking etwa achtundsechzig Jahre alt war. 19
1532 zum Sekretiir einer Abteilung im Kriegsministerium von Nanking ernannt. Er Beide Freunde widmeten sich seit 1542 bzw. 1543 in ihrem Privatleben ganz der
scheint aber diese Stelle gar nicht angetreten zu haben, da seine Anwesenheit in Nan- Lehre Wang Yangmings. Qian Dchong hatte seinen festen Wohnsitz in Yuyao, wo
king in jenen Jahren in der Literatur der Schule Wang Yangmings nicht zur Geltung die Schule im Zhongtian-Gcbiiucle i:p xtl des Drachenquellen-Klosters ein Zentrum
kommt, sondern bat sofort nach dieser Ernennung wegen Erkrankung um Urlaub und hatte. 50 \Mmgji hatte seinen festen Wohnsitz in Shaoxing (ungefähr sechzig Kilometer
verbrachte die folgende Zeit zu Hause in Shaoxing. 44 Erst 1536 trat er eine Stelle als östlich von Yuyao, das damals zur Präfektur Shaoxing gehörte). 1537 wurde dort offizi-
Direktor einer Abteilung im selben Ministerium in Nanking an und organisierte in ell von dem «die Runde machenden Inspektor und Zensor» («Vizegouverneur»: xun an
dieser Stadt 1536 und 1537 zusammen mit dem prominenten Yangming-Schüler und yu shi ~#i:Wse.) der Provinz Zhejiang Zhou Ruyuan f.!3 )j{~ (Beiname: Lengtang ~:!!) 51 ,
hohen Beamten Ouyang De (1496-1554) private Lehrveranstaltungen. 45 Nachdem der ein Schüler Wang Yangmings war, und vom Präfekten von Shaoxing Tang Shao' en
der Kaiser 1541 nach einem Brand des kaiserlichen Ahnentempels, der als Warnung ~ ~,~, für Wang Yangming ein «Ahnentempel» (ci iii.l) mit seinem Bild errichtet. 52
des Himmels betrachtet wurde, um Ratschläge gebeten hatte, wurde Wang Ji von Dieser Tempel wurde «vor [südlich]» der Yangming-Akademie gebaut, die Ende 1525
seinem Freund und «Gleichgesinnten», dem Zensor Qi Xian ~ fi (1592-1553) 46, für gegründet worden war. 53 Von nun an wurde diese Akademie mit dem Namen dieses
Tempels bezeichnet: «Ahnentempel des Lehrers Yangming» (Yangming xian sheng ci

36 Siehe oben im Anhang zur Einleitung zu Teil I, S. 115. 47 Siehe den Artikel über ihn von Mon Jun-sun und Carrington Goodrich, DMB, S. 619-62 2.
37 Qian jun xingzhuang, ITTlng Longxi quan ji (1822),juan 20, S. 5b (Taipei 1970, S. 1382). 48 MRXA,juan 12, Beijing 1985, S. 238.
38 A.a.O. S. 6a (Taipei 1970, S. 1383). 49 Über seine Hauptfrau hat Wang Ji nach ihrem etwa 1566 erfolgten Tod eine ausführliche Trauerrede
39 Siehe oben in der Einleitung zu Teil II den§ 2, S. 271. verfasst: «Worte der Trauer über meine verstorbene Gattin Chunyi aus dem Hanse Zhang», Wang
40 Nianpufalul, unter dem 17.JahrderJiajing-Ära (= 1538). Longxi quanji (1822),juan 20, S. 80a-85a (Taipei 1970, S.1531-1541). Die obigen Angaben über sie
41 Qianjun xing zhuan, ITTlng Longxi quanji (1822),juan 20, S. 6a (Taipei 1970, S. 1383). sind den S. 80b (S. 1532), S. 81b (S. 1534) und den S. 83a-b (S. 1537f.) entnommen.
42 Zu GuoXun siehe den Artikel von LiencheTu Fang, DMB, S 770-773. 50 Nianpu fulu I, unter dem 17.Jahrt derJiajing-Ära (1538), Shanghai 1992, S. 1333f.
43 Qian jun xingzhuang, ITTlng Longxi quan ji (1822),juan 20, S. 7b (Taipei 1970, S. 1386). 51 Zu Zhou Ruyuan siehe WuZhen:Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 80,Anm. l.
44 MRXA,juan 12, Beijing 1985, S. 238. 52 Nianpu, unter dem 4. Jahr der Jiajing-Ära (1525), Shanghai 1992, S. 1297, und Nianpn fulu I, unter
45 Ji Gong Xuanlue wen, ITTlng Longxi quan ji (1822),juan 19, S. 14a (Taipei 1970, S. 1363). dem 16.Jahr der Jiajing-Ära (= 1537), S. 1333.
46 Zu Qi Xian siehe unten in Kap. 5 den § 1. 53 Zur Y.'mgming-Akademie siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 100.
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R;RJ.I $\;~~). Es fanden dort im mittleren Frühlings- und mittleren Herbstmond (zwei- den anschließenden Versammlungen in der Tianzhen-Akademie bei Hangzhou, die
ten und achten Mond) Opferfeiern für Wang Yangming statt. 1572 wurde dieser «Ah- alljährlich zweimal stattfanden, nahm er pflichtbewusst noch bis zu seinem Tod teil. 58
nentempel» restauriert. 54 Wang Ji organisierte dort auch am 8. und am 23. Tag jedes Auch war er weiter bei der Herausgabe der Schriften Wang Yangmings tätig: 1566 gab
Mondes für die «Gleichgesinnten» dieser Stadt Lehrversammlungen. 55 Doch fanden er die «Fortsetzung» dieser Schriften heraus und arbeitete dann mit Xie Tingjie an
diese nur sporadisch statt. Shaoxing war nach Wang Yangmings Tod kein blühendes der Gesamtausgabe, die 1572 erschien und im Wesentlichen eine Zusammenstellung
Zentrum seiner Schule mehr. Die etwa sechzig Kilometer westlich gelegene Tianzhen- der im Lauf der Jahre von Qian Dehong veröffentlichten Schriften Wang Yangmings
Akademie im Süden der Provinzhauptstadt Hangzhou hatte ihm den Rang abgelaufen. und der hauptsächlich von ihm verfassten «Lebenschronik» ist. 59 Qian Dehong starb
Qian Dehong und Wang Ji blieben nach ihrem Rückzug von ihren Ämtern am 10. November 1574, zwei Monate vor seinem achtundsiebzigsten Geburtstag,
nicht ruhig zu Hause, sondern reisten unermüdlich zu zahlreichen Versammlungen in der Tianzhen-Akademie. Wang Ji berichtet über seinen Tod: «Im neunten Mond
im Gebiet am unteren Lauf des Yangze, die von den «Gleichgesinnten» organisiert des jetzigen Jahres [1574] dachte er an die Zusammenkunft der Gleichgesinnten. Er
wurden. Als fahrende Gelehrte waren sie oft monatelang in einem Gebiet mit einem ermahnte plötzlich seinen Diener, das Bündel zu schnüren, und überquerte den Fluss
Durchmesser von ungefähr siebenhundert Kilometern unterwegs. Dies gilt in noch [den Qiantang-Fluss bei Hangzhou] nach Westen. Seine Haltung war offenherzig,
höherem Ausmaß für Wang Ji. Am meisten hielten sich die beiden an verschiedenen aber er lehnte die Leitung [in den Versammlungen] ab und widmete sich der stillen
Orten der Provinz Zhejiang, im Norden und in der Mitte der Provinz Jiangxi und Meditation. Sein Essen und Trinken, Sprechen und Lächeln waren wie immer. Am
im Süden des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking (im Süden der heutigen 26. Tag des zehnten Mondes [9. November] war er noch in offizieller Kleidung. Am
ProvinzenAnhui undJiangsu) auf, wie aus schriftlich festgehaltenen Lehrgesprächen nächsten Tag, wenige Stunden nach Mitternacht, als er im Lotussitz saß, wurde sein
und anderen Texten ersichtlich ist. Diese Gebiete waren damals die kulturell und Atem plötzlich schwach, und er verschied alsbald.»60
wirtschaftlich blühendste Region Chinas mit der größten Dichte von Gelehrten und Wang Ji war noch mehr als Qian Dehong «fahrender Gelehrter» und blieb es, bis
auch mit den meisten Schülern Wang Yangmings. Als Reisemittel diente ihnen in er über achtzig Jahre alt war. Zum Beispiel reiste er noch 1579 an eine Versammlung
dieser wasserreichen Gegend an erster Stelle das Schiff. An einigen Versammlungen nach Danghu :;mi im Norden der Provinz Zhejiang, an der hundertfünfundachtzig
nahmen Qian Dehong und Wang Ji gemeinsam teil, an den meisten aber nur einer Personen teilnahmen, und 1580 nach Songjiang, heute zu Schanghai gehörig, und
von beiden. In den Jahren von 1560 bis 1564 trafen Qian Dehong fünf Todesfälle in Jiaxing im nördlichen Zhejiang.61 Er setzte sich viel mehr für die anderen Zentren der
seiner engsten Familie: Es starben zuerst seine Gattin, dann sein älterer Sohn, dann Schule Wang Yangmings am Unterlauf des Yangze ein als für die «Gleichgesinnten» in
die Gattin seines jüngeren Sohnes, welche die Tochter des älteren, adoptierten Sohnes Shaoxing, seinem Wohnort und alten Hauptzentrum der Schule. Sein ständiges Her-
von Wang Yangming war, dann die erste Tochter seines älteren Sohnes und auch noch umreisen kommt sehr deutlich in einem Text zum Ausdruck, den er, als er über siebzig
der dritte Sohn seines jüngeren Sohnes. Am selben Tag, am 16. Tag des zwölften Mon- Jahre alt war, für seine von ihm vernachlässigten «Gleichgesinnten» in Shaoxing
des des 43.Jahres der Jiajing-Ära (17.Januar 1565), bestattete er seine Frau, seinen schrieb, um sie zu erneuten Versammlungen aufzufordern: «In der Ahnenhalle des
älteren Sohn und die Frau seines jüngeren Sohnes im Shenggui-Gebirge ~Bftl 1.1.l (wohl verstorbenen Lehrers [Yangming] fanden früher (jiu li) am 8. und 23. Tag [des Mon-
in der Umgebung von Yuyao) in einer Familiengruft hinter dem «Ahnentempel des des] Lehrversammlungen statt. Seit vielen Jahren eile ich zu den Versammlungen
Treueerweises» ~,'!!-~ beim Renzigrat }-,*Jtij] unterhalb des Yuping-Gipfels 3imll!$. im Südosten (dang nan *ffi [d.h. im Gebiet des Unterlaufs des Yangze]), bin jeweils
Auf der linken Seite des Grabes seiner Gattin ließ er ein leeres Grab für sich selbst zehn Monate (xun yue 1il.F.I) [im Jahr] unterwegs, so dass der Ursprungsort (gen ben
vorbereiten. 56 Im selbenJahr 1_565 teilte er den «Gleichgesinnten» in allen Gegenden zhi di m*z±tll) [d.h. Shaoxing] zu meinem großen Bedauern öde und vernachlässigt
mit, dass nun für ihn die Zeit des Rückzuges gekommen sei, so wie im Altertum die wurde.» Er betont dann die Notwendigkeit des «Lernens» und fährt fort: «Obschon
Staatsbeamten sich mit siebzig von ihren Ämtern zurückgezogen und die Familien- die weisen Männer dahinwelken, ist die überlieferte Lehre [Wang Yangmings] noch
väter mit siebzig den Haushalt ihren Söhnen und Enkeln übergeben hätten, und dass vorhanden, und die Gleichgesinnten innerhalb der Meere, die an sie glauben und sich
er nicht mehr herumreisen werde. 57 Doch an den Opfern für Wang Yangming und ihr zuwenden, sind insgesamt sehr zahlreich (qian bai =f s) und zusammengeschlossen
wie angetrieben vom Wind. Aber mein Heimatort, das würdigste Gebiet (wu xiang
shou shan zhi qu iHftl!lä§;z~), ist bedrückt und öde und nicht frei und bekannt.
Wenn ich überlege, hat dies zwei Gründe: Erstens bin ich nur wenig zu Hause (zai
54 Siehe oben im Anhang zur Einleitung zu Teil I, S. 120.
55 Vf&ng Longxi quan ji, (1822),juan 2, Yue hui tong zhi shu, S. 3 la (Taipei 1970, S. 218).
56 Qian Dehongs Grabinschrift für seine Gattin Zhu Minghui, Qian Dehongji, Nanjing 2007, S. 178.
57 Qian jun xingzhuang, Vf&ng Longxi quan ji (1822),juan 20, S. 9a (Taipei 1970, S. 1389). Nach chine- 58 Ebd.
sischer Zählart konnte sich Qian Dehong seit dem Beginn des Mondjahres von 1565 (1. Februar) 59 Siehe oben im Anhang zur Einleitung zu Teil I.
bereits als siebzigjährig bezeichnen, da er in diesem Mondjahr siebzig S1ti erreichte. Nach europäischer 60 Qian jun xingzhuang, Wang Longxi qrtan ji (1822),juan 20, S. 9b (Taipei 1970, S. 1390).
Zählart wurde er erst am 2.Januar 1567 siebzig. 61 Siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 351f.
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jia zhi ri shao tt~.Zl=I~), denn mein Geist ist noch nicht zuversichtlich. Obschon <Erschütterung> einen selbst betrifft, darf nicht einfach achtlos darüber hinweggegan-
ich zwischendurch hier einmal eine Versammlung zusammenrufe, kehrt die alte Öde gen werden.» Und er charakterisiert dann sein Leben unter anderem wie folgt: «Ich
zurück, sobald ich wieder weggehe. Zweitens nehme ich mir bloß den Willen der Nichtswürdiger trachtete verwegen nach dem Lernen des heiligen Selbstkultivierens.
Freunde [der Mitglieder der Schule] zu Herzen, aber meine ethische Praxis ist ohne Seit ich vor vierzig, fünfzig Jahren die Lehre [Wang Yangmings] vernahm, machte ich
Kraft (xiu xing wu li ~f.r111t.:b ), und die gemeinen Gedanken und Absichten sind noch immer, auswärts und zu Hause, in der Mußezeit und in der Arbeit, das Versammeln
nicht vergessen.»62 von Freunden und das Diskutieren des Lernens (jiang xue ilUJ) zu meiner Aufgabe. Ich
Am Abend des 8. Januar 1571, als Wang Ji zweiundsiebzig Jahre alt war, brach geriet ins Dunkle und ins Glänzende, ins Unsichtbare und ins Offenbare, lief Gefahr
im Anwesen seiner Sippe in Shaoxing ein Feuer aus, das die vordere Haupthalle, das hinzufallen und stand wieder auf. Die Gleichgesinnten (tong zhi fq]$) innerhalb der
dahinterliegende mehrstöckige Gebäude und Teile der Wohnungen seines zweiten Vier Meere haben mich nicht ferngehalten und haben mich immer zu Verabredungen
und dritten Sohnes vernichtete. «Aufgrund der helfenden Gebete eines religiösen gedrängt. Von heute her überlegt: Wenn man wirklich bis auf die Knochen und bis
Würdenträgers (you si ~'ä]) hörte der Wind auf, und die Flammen erloschen», so dass ins Mark, im Inneren und im Äußeren hell und klar ist, wie das ganze [spiegelnde]
ein Teil des Anwesens verschont blieb. Wang Ji verlor dabei auch die Hälfte seiner Wasser die Sonne in sich baden lässt, ist man dann noch von weltlichen Gefühlen wie
kaiserlichen Dokumente, seiner Bücher, seiner Gemälde und auch der eigenhändigen mit verdeckenden Wolken geblendet? Wenn man sich in der großen Menge gleichsam
Schriftstücke seines Lehrers Wang Yangming. Ein alter Mönch sagte dazu: «Herr an das Schwache anpasst und weniges versäumt, aber im inneren Geviert wirklich
Lehrer Wang, Sie kultivierten sich, ohne sich anzustrengen (wu li M.:b); sie wurden streng zu sein vermag (neng yan yu wu lou ~.iitit.l.iiffi), braucht man sich da noch vor
von den Geistern (gui shen 511:}III) durchschaut. Da es so weit gekommen ist, was braucht den Geistern (gui shen 511:}III) zu schämen?»66 Er stellt dann seinen konfuzianischen
es da noch für Worte!» Wang Ji fasste diesen Schicksalsschlag gemäß chinesischer Weg als Weg der Mitte zwischen Buddhismus und vulgärer Lehre (su xue ~-) hin
Tradition als « Warnung und Ermahnung der Himmels» auf, nahm ihn zum Anlass zu und charakterisiert ihn im Umgang mit Schicksalsschlägen wie folgt: «Die eigenen
einer Besinnung über sein Leben und den Umgang mit dem äußeren Schicksal und geheimen Übel korrigieren und seine Fehler bedenken, ein furchtsames Herz (ju
verfasste für seine Sippe eine lange Schrift unter dem Titel «Selbstanklage bei einer xin ffi,C,,) haben, ohne betrübt zu sein, sich nicht durch schicksalhaftes Gelingen und
Feuersbrunst. Anweisungen des Sippenältesten für die Generation seiner Söhne». 63 Misslingen bedrängen, sich nicht durch Gewinn und Verlust von Dingen innerlich
Noch im selben Jahr wurde diese von einem Freund Wang Jis aus Ningbo, der öst- verletzen lassen, das Innere für wichtig, das Äußere für indifferent halten, mit ruhigem
lichen Nachbarpräfektur von Shaoxing, veröffentlicht. In seinem Vorwort berichtet Herzen sich nicht von den äußeren Umständen bewegen lassen, das ist das Praktizie-
dieser Freund: «Im Winter des Jahres geng wu Uanuar 1571] ging das Haus von ren der Mitte unseres Weges (wu dao zhi zhong xing iHi.zi:j:lf.r).»67 Und dann blickt
Longxi [Wang Ji] in Flammen auf. Ich ging hin, um ihn zu besuchen, und sah, dass er er in diesem Text wieder auf sein Leben zurück: «Ich bin jetzt älter als siebzig Jahre,
<furchtsamen Herzens war> (ju xin ffl,t,,), aber keine Betrübnis zeigte. Er suchte nur meine hundert Gedanken (bai nian s ~) sind zu Asche geworden, mein Geist (jing shen
nach seinen eigenen Fehlern und sagte: <Ich möchte wenig Fehler haben, aber bin ~:}III) ist erschöpft, aber aufrichtig, und unermüdlich lasse ich in mir kein zwiespältiges
dazu noch nicht fähig; warnt und ermahnt mich der Himmel damit?> Und er meinte Herz aufkommen: Ich wage nicht zu behaupten, dass ich des Meisters Grundlehre
auch, dass sein Vertrauen in sich selbst (zi xin § fü°) noch nicht ernsthaft sei, so dass der späten Zeit (shi rnen wan nian zong shuo ßifir,~4:*~) verstanden habe, aber ich
er [seine] Vielschwätzerei verabscheute.»64 Wang Ji orientierte sich in dieser Schrift hatte das Glück, sie zu hören. Das Feine des Herzens vermag der Mund nicht zu
an der «Bilderklärung» (xiang ~) zum 51. Hexagramm Zhen .R («Erschütterung») erklären. Seit langen Jahren reise ich herum, und obschon ich dabei überall Nutzen
im «Buch der Wandlungen». Er schrieb: «Eine Feuersbrunst kommt nicht irrtüm- [auch für mich] suchte, habe ich auch zwei, drei Instrumente für die Verkündigung
lich, ein unvorhergesehenes Ereignis geschieht nicht ohne Grund. Wenn den Alten der Lehre ausgedacht (si de er san fo qi ,~fi=-=-5Ul);68 ich bin direkt fähig, mit dem,
eine Feuersbrunst widerfuhr, wurden sie furchtsam (ju 11). <Eine Verdoppelung des wo menschliche Natur und Geschick sich gegenseitig zustimmen (yi xing ming xian
[Trigramms für] <Donner> ergibt [das Hexagramm] Zhen R (<Erschütterung>). [Der xu zhe P,). 11$fflttf:ff), mit anderen gegenseitig zu empfangen und diese Lebensader
Edle] ist furchtsam (kongju ~ffl), [kultiviert und prüft sich].>65 [ ••• ] Wenn nun die wie die Weitergabe eines Fadens zu verbreiten.»69 Wie schon in dem oben in diesem

66 A.a.O., Ulang Longxi quanji (1822),juan 15, S. 17a (Taipei 1970, S. 1063); Ulang]iji, Nanjing 2007,
62. «Anordnung für die Festlegung der Versammlungen der Gleichgesinnten», Ulang Longxi quan ji juan 15, S. 425; Anhang 2, S. 732f.
(1822),juan 2, S. 31b-32a (Taipei 1970, S. 218f.). 67 A.a.O., Ulang Longxi quan ji (1822),jztan 15, S. 19b (Taipei 1970, S. 1068); Ulang]i ji, Nanjing 2007,
63 Wang Longxi quan ji (1822),juan 15, Zi song zhang yu shi ei- bei ~~~ü!~ScM, S. 16b-2la (Taipei juan 15, S. 426f.; Anhang 2, S. 734.
1970, S. 1062-1071); Ulang]iji, Nanjing 2007,juan 15, S. 424-428; nochmals von einer anderen alten 68 Fa qi ~H sind eigentlich Musikinstrumente, die in buddhistischen und daoistischen Klöstern gespielt
Ausgabe abgedruckt im Anhang 2, S. 732-735. · werden.
64 Vorwort von ShangTingshi if1i" ~~, Ulang]iji, Nanjing 2007,Anhang 2, S. 731. 69 A.a.O., Ulang Longxi quanji (1822),juan 15, S. 19b (Taipei 1970, S. 1068); Wang]iji, Nanjing 2007,
65 Siehe Wilhelm, Richard: «Das Buch der Wandlungen», S. 574. juan 15, S. 427; Anhang 2, S. 734.
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Paragraphen zitierten Text vVang Jis von 1563 über seine Versammlungstätigkeit in treue Vermittlung der Lehre seines Meisters, so wie dieser sie formuliert hatte. Wang
Peking 1532 kommt auch hier zur Geltung, dass sich Wang Ji als Vermittler der spä- Ji fühlte sieh durch solche Fornrnlierungen weniger gebunden, sondern fand vielmehr,
testen, das heißt der reifsten Lehre Wang Yangmings verstand. dass eine solche Fixierung dem Geist seines Lehrers widersprach. Er kümmerte sich
1579 vrurde auflnitiative des damals allmächtigen Ersten Großsekretärs Zhang weit weniger um die Veröffentlichung des Werkes Yangmings als Qian Dehong, umso
Juzheng SN @:iE (1525-1582) 70 eine kaiserliche Verfügung erlassen, in der alle pri- mehr aber um die mündliche vVeitergabe des Geistes seiner Lehre. Mehr noch als sein
vaten Akademien verboten wurden. Zhang Juzheng war in der Regierungszeit des Lehrer benutzte er in größter Freiheit und immer wieder in verschiedener Weise auch
Longqing-Kaisers (15 67-1572) als Großsekretär zu immer mehr Macht gelangt und buddhistische und daoistische Begriffe und Vorstellungen sowie auch Wörter aus der
wurde sofort nach der Thronbesteigung des damals neunjährigen Wanli-Kaisers Umgangssprache, um sein religiöses und ethisches Grundanliegen, das er als dasjenige
(19. Juli 1572) zum Ersten Großsekretär ernannt (26. Juli 1572). Von diesem Datum der letzten Jahre seines Lehrers wahrnahm, zum Ausdruck zu bringen. Dadurch waren
bis w seinem'lode am 9.Juli 1582 war er der eigentliche Herrscher Chinas. 71 Er sah in Spannungen mit seinem Freund, der sich lieber an die sicheren Anweisungen des Leh-
den Versammlungen der privaten Akademien eine Zeitverschwendung der Beamten. rers hielt und dem das assoziative Wortspiel nicht behagte, unausweichlich. Dennoch
Er wollte die zentrale Staatsgewalt und die Administration des Reiches stärken und anerkannten sich die beiden in ihrem Charakter so gegensätzlichen Freunde bis zum
das Studimn der politischen Institutionen und Gesetze gegenüber «leeren» philo- Schluss ihres Lebens gegenseitig als Vertreter der Schule. Wie ihre Meinungsverschie-
sophischen Diskussionen fördern. Diesen politischen Maßnahmen fielen zusammen denheiten verliefen und wie sie ihre Einheit suchten, werden wir in den folgenden
mit vielen anderen privaten Akademien 1580 auch das Zentrum der Schule Wang Paragraphen dieses Kapitels sehen.
Yangmings, die angesehene Tianzhen-Akademie bei Hangzhou, und auch die große
Shuixi-Akadcmie in der Präfektur Ningg·uo zum Opfer. WangJi setzte sich vergeblich § 2 Qian Dehongs und Wang Jis Meinungsverschiedenheit hinsichtlich
in Briefen an einen Vertrauten Zhang Juzhengs für die Tianzhen-Akademie ein. 72 Wang Yangmings «Lehre in vier Sätzen»
Durch dieses kaiserliche Verbot erlitt die große Bewegung freier philosophischer
Dish1ssionen in privaten Versammlungen von Gelehrten, die in der Schule Wang Qian Dehongs und WangJis Nlcinungsverschieclcnheit über die Lehre ihres Meisters
Yangmings fünb:ig.Jahre lang geblüht hatte, einen gewissen Bruch. Wenige Jahre nach entstand schon, als sie mit diesem noch täglichen Umgang hatten. Sie ist bezeugt
dieser Katastrophe starb WangJi am Nachmittag des 7. Tages des sechsten Mondes hinsichtlich der sogenannten <,Lehre in vier Sätzen» (si ju jiao [91:iJ1}'J(), die vV'lng
des 11. Jahres der Wanli-Ara (25 .Juli 1583). Am Vorabend seines 'fodes besuchte ihn Yangming wohl kurz vor dem Verlassen seiner «Schule» in Shaoxing im Herbst 1527
sein Freund Zhao Jin und fragte ihn nach seinem Befinden. Wang Ji antwortete: «Ich formulierte. Er hat sie wahrscheinlich im Hinblick auf die Unterrichtung seiner
möchte jetzt verwandelt werden (wujin yu huayi 1%~1:lk1t.~).» Zhao Jin wollte ihn mit Schüler während seiner Abwesenheit aufgestellt, 75 wie er damals auch gestattete, seine
dem Hinweis auf seine Lebenskräfte trösten. Wimg Ji antwortete: «Glaubst du, dass Auslegung des Daxue («Lernen der Großen») schriftlich zu fixieren. 76 Diese «Lehre
ich den Tod fürchte? Ich fürchte ihn nicht. Aber wenn ich mich dieses Mal von dir auch in vier Sätzen» lautet wie folgt:
für immer verabschiede, soll dies dich nicht daran hindern, weiter hier zu sitzen und Nichtvorhandensein von Gutem und von Schlechtem (wu shan wu e 1fft~1mii&), das ist die Grund-
mit mir zu sprechen.»73 Mit dieser zeitweiligen Aufhebung der privaten Akademien wirklichkeit (Substanz) des Herzens (Geistes) (xin zhi ti ,t.,z&).
und mit Wang Jis Tod ging die erste und wohl lebendigste Phase der Schule Wang Vorhandensein von Gutem und von Schlechtem (;you shan you e ~~~Ji&), das ist die Tätigkeit der
Yangmings nach dessen Tod zu Ende. Intentionen (yi zhi dang ~Zi!ID).
Neben seiner Teilnahme an Versammlungen an verschiedenen Orten hat Qian Das Wissen um das Gute und das Schlechte, das ist das «ursprüngliche Wissen» (liang zhi ll!;:n).
Das Tun des Guten und das Vertreiben des Schlechten, das ist «die Berichtigung der Handlung·en»
Dehong auch durch seine Herausgabe von Gesprächen, Briefen, Gedichten, amtlichen
(ge wu lffl!J@).
Schreiben usw. sowie der großen «Lebenschronik» (Nianpu) der Verbreitung der
Lehre seines Meisters gedient. Keiner hat sich um die Veröffentlichung des Werkes
Dieser Text hat den Charakter einer festen Lehrformel zum Auswendiglernen. Die
Wang Yangmings so verdient gemacht wie Qian Dehong. 74 Ihm ging es um eine ge-
ersten beiden Sätze, die sachlich ein Paar bilden, bestehen im Chinesischen je aus
acht Silben (= acht Wörtern), und der dritte und vierte Satz, die wiederum auch
70 Zu Zhang Juzheng siehe den Artikel von Robert B. Crawford und L. Carrington Goodrich, DMB,
sachlich zusammengehören, bestehen je aus sieben Silben(= sieben Wörtern). Diese
S. 53-61, sowie Crawfords Artikel über ZhangJuzheng in: Barry, Theodore de (Hrsg.): Seifand Society Lehrformel erinnert in ihrer Form an buddhistische Lehrverse (Gatha), die vor allem
inMingThought, New York 1970, S. 367-413. eine mnemotechnische Funktion haben. Von Qian Dehong und Wang Ji wird jene
71 Siehe oben im Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 44ff.
72 Über diese Aufhebung siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 337-342.
73 Zha Duo 'l!l' ~= Chan dao ji Mm~,juan 9, S. 28; zitiert nach Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai
2003, S. 362. Zhao Jin (1516-1591) schrieb die «Grabinschrift» für Wang Ji. 75 Siehe unten in diesem Kapitel den§ 3.
74 Siehe oben den Anhang zur Einleitung zu Teil I. 76 Siehe oben in der Einleitung zu Teil I den § 2, S. 1 lOf.
412 413

Lehrformel ihres Meistes in identischem Wortlaut überliefert. Aber eine solche fixe, vorhanden ist, dann kann er in bloß logisch-analytischer Folge auch nicht in ihren
längere Lehrfonnel ist bei \Nang Yangming sonst nicht üblich. Außer bei kurzen, «Funktionen» vorhanden sein. Darauf wird Wang Ji, wie wir noch sehen werden in-
relativ festen Ausdrücken wie «zhi xirzg he yi 9;□ fii?i--» («Vereinigung von Wissen sistieren. Doch Wang Ym1grning gibt diese ersten beiden Sätzen nicht als eine bloße
und Handeln») oder ,<w1m wu yu wo yi ti f.it!/mfit~-lll» («alle Wesen bilden mit mir logische Folge aus, sondern spricht in ihnen von zwei verschiedenen Gesichtspunkten
eine einzige \Virklichkeit»), die aber doch auch ihre Varianten haben, pflegte er sei- her: Im ersten Satz spricht er von der «Substanz» des Herzens, im zweiten spricht er
ne Lehre nicht in feste Formen zu gießen; wir haben ja seine Bedenken gegenüber zwar von «Funktionen» des Herzens, aber nicht bloß von den Funktionen, so wie sie
allgemeingültigen Formulierungen seiner Lehre bereits kennengelernt. Schon dies rein aus dieser «Substanz» hervorgehen, sondern von der «T\üigkeit der Intentio-
allein spricht dafür, dass er erst im Hinblick auf seine Abwesenheit von Shaoxing jene nen», so wie sie im gewöhnlichen faktischen Herzen zu finden ist, nämlich als gute
«T ,ehrformel in vier Sätzen» festlegte, um den dort ohne ihn verbleibenden Assisten- und als schlechte. Das Verhältnis zwischen dem ersten und dem zweiten Satz ist kein
ten und Schülern etwas zu hinterlassen, woran sie sich halten konnten. logisch-analytisches, sondern im zweiten Satz kommt etwas prinzipiell Neues hinzu:
Diese Lehrformel ist eine Konzentration von W.111g Yangmings Erldiirung der für die schlechten, das heißt vor allem, die egoistischen Intentionen des gewöhnlichen
ihn zentralen vier Sätze aus dem Grundkapitel des Drtxue, das für ihn die Grnndlage Menschen, für welche die «Substanz des Herzens» nicht verantwortlich ist.
seiner I ,ehrtätigkeit in Shaoxing bildete. 77 Diese vier Sätze, die wir schon mehrmals Was bedeutet für ·wang Yangming, dass «in der Substanz des Herzens Gutes
zitiert haben, lauten gemiiß dem Verständnis von Wang Yangming: «[l.J Die Alten, und Schlechtes nicht vorhanden sind»? «Nichtvorhandensein von Gutem und von
werm sie ihre Person ethisch kultivieren wollten, haben zuerst ihr Herz (xirz ,t,,) ge- Schlechtem» hat in seinen Aussagen zwei verschiedene Bedeutungen: Erstens kann
rade gemacht. [2.J Wenn sie ihr Herz gerade machen wollten, haben sie zuerst ihren es eine adäquate Charakterisierung des ,<höchsten Guten» (z,hi shan ~i') sein. Diese
\Villen (ihre Intentionen: yi aufrichtig gemacht. [3.J Wenn sie ihre Intentionen Charakterisiernng gründet auf eiern logisch-ontologischen Gedanken, dass Gutes und
aufrichtig machen wollten, haben sie zuerst ihr Wissen (zhi 9'□) verwirklicht. r4.] Schlechtes relative Gegensätze sind und als solche zusammengehören: Nur wenn auch
Die Verwirklichung des \Vissens geschieht im Berichtigen der Handlungen (ge wu Schlechtes vorhanden ist, kann im Gegensatz dazu von Gutem gesprochen werden.
lffl'tm).» Gen,m von diesen vier Dingen: vorn F-[erz, von den Intentionen, vom Wissen Beim höchsten Guten (absolut Guten) ist nichts Schlechtes vorhanden, und so kann
und von der Berichtigung der Handlungen ist auch in den entsprechenden vier Sätzen bei ihm an sich auch nicht von Gutem die Rede sein. Dieser Gedanke ist wohl in
jener I ,ehrformel \Vang Yangmings die Rede. Diese Lehrformel hatte für \Mmg Yang- der Aussage Wang Yangmings des folgenden Gespriichs enthalten: Huang Zhi ][
ming einen für ihn gewohnten, auf diesen vier Sätzen des Daxue basierenden Sinn.Aber (Beiname: Yifang P,t}'j) fragte \Vang Yangming: «Sie sagten einmal, dass Gutes und
dadurch, dass seine beiden niiehsten Schüler in ihren ersten Satz die Tdec des «höchsten Schlechtes nur eine Sache seien (zhi shi yi wu ,R~-'}m). Nun sind aber die beiden
Cuten» hineininterpretierten, hat diese Lehrformel viel mehr Gewicht erhalten. Extreme Gut und Schlecht Gegensätze wie Fis und glühende Kohle; wie können sie
D,1s erste Satzpaar der Lehrformel sagt, dass der Unterschied zwischen Gut und da nur eine Sache sein?» Wimg Yangming antwortete: «Das höchste Gute ist das
Schlecht nicht auf der Ebene der Substanz (ti ffll) des Herzens, sondern erst auf der eigentliche Wesen des Herzens (xin zhi ben ti ,t,,;z:ijl:ffll). Erst wenn über dieses Wesen
Ebene der Funktionen oder Intentionen anzusetzen ist. Da «ti ft» an dieser Stelle etwas hinausgegangen wird (guo dang xie zi ~11fiJ!:!;r), gibt es Schlechtes. Es ist nicht
im Gegensatz zu den «Funktionen» steht, ist es hier mit «Substanz» und nicht mit so, dass da [im eigentlichen Wesen] ein Gutes vorhanden wäre, zu dem noch ein
«eigentliches Wesen» zu übersetzen. Diese zweite Übersetzung gebrauchen wir in Schlechtes hinzukäme, um mit ihm einen Gegensatz zu bilden (lai xiang dui :PM§~).
den Fällen, in denen die «Substanz» des Herzens als ihre spontanen «Funktionen» In diesem Sinne ist Gutes und Schlechtes nur eine Sache [d.h. eine Relation].»79 In
(yong ffl) mitumfassend, also in konkreter Vollständigkeit gedacht und dann von Wang einem anderen Gespräch sagt er im Hinblick auf die «vom Himmel bestimmte Natur»
Yangrning meistens nicht nur mit «ti ft», sondern mit «ben ti :ij\: ill» bezeichnet wird. (xing 1'1) des Herzens, die er auch als das «höchste Gute» anspricht: «Nichtvorhan-
Nach ihm ist ja die «Substanz» des Herzens oder, was für ihn dasselbe ist, die «Sub- densein von Gutem und Nichtvorhandensein von Nichtgutem (wu bu sban ~1'i'), so
stanz des ursprünglichen Wissens» immer <<in Funktionen», so dass sie diesen nur ist die Natur (xirzg 1'1) von ihrem Ursprung her. Wenn man das wirklich einsieht (wu
abstrahierend gegenübergestellt werden kann. 78 Obschon der erste und zweite Satz der de ji t1Hl::/,.&.), dann ist nur dieser eine Ausdruck adäquat.»80 Als adäquater Ausdrnck
Lehrformel zusammengehören, da der erste über die «Substanz» und der zweite über des «höchsten Guten» kann das «Nichtvorhandensein von Gutem und Schlechtem»
die «Tätigkeit der Intentionen», das heißt über «Funktionen» des Herzens, spricht, nur vom «eigentlichen Wesen» oder von der «Natur» des Herzens ausgesagt werden.
besteht zwischen ihnen keine bloße logische Kontinuität, sondern ein gewisser Brnch. Zweitens kann bei Wang Yangrning das «Nichtvorhandensein von Gutem und
Denn wenn in der «Substanz» des Herzens der Gegensatz von Gut und Schlecht nicht Schlechtem» in einem rein moralisch-praktischen Kontext stehen und hervorhe-

77 Siehe oben, Teil I, Kap. 3, § 1. 79 A.a.O., Nr. 228, S. 97.


78 Siehe oben, Teil I, Kap. 3, § 1, S. 192ff. 80 Chuanxi tu III, Nr. 273, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S.107.
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ben, <lass die zwischen Gut und Schlecht unterscheidende moralische Praxis nicht nach ihrem bloßen Begriff im Gegensatz zu den Funktionen, sondern konkret gemäß
auf der Ebene der bloßen Substanz des Herzens, sondern erst auf derjenigen seiner der bezeichneten Sache als Substanz, die nie ohne ihre Funktionen existieren kann
Funktionen, das heißt auf der Ebene seiner guten und schlechten Intentionen und verstanden wird. Während aber Wang Ji die originale negative Formulierung dieses'
Tätigkeiten ansetzen kann. In diesem Kontext sagt Wang Yangming in seinen «Fragen ersten Satzes bevorzugte, stellte Qian Dehong dafür lieber die positive (an sich nicht
zum Daxue», dass das «Erhellen der hellen Tugend» als der Substanz des Herzens adäquate) Formel auf: <<Das höchste Gute ist <lie Substanz (real verstanden als eigent-
«notwendig durch das Lieben des Volkes» als einer Funktion des Herzens zu ge- liches Wesen) des Herzens.» Nach dem Tod Wang Jis und Qian Dehongs ergab sich
schehen habe oder dass sich das Gerademachen der Substanz des Herzens durch das darüber aber eine große Diskussion. Der bedeutendeste Konfuzianer am Ende der
Aufrichtigmachcn seiner willentlichen Intentionen vollziehe. Ich vermute, dass das Ming-Zeit, Liu Zongzhou (1578-1645), glaubte einen Widerspruch zwischen Wang
«Nichtvorhandensein von Gutem und Schlechtem» im ersten der «Vier Sätze» für Yangmings Aussage, dass «das eigentliche Wesen des Herzens das höchste Gute» sei,
Wang Yrngming die zweite, rein moralische Bedeutung hatte, da es sich gemäß des und dem ersten Satz der Lehrformel, der Gutes und Schlechtes von der Substanz des
ensprechcndcn Satzes im DaY.:ue auf die bloße Substanz des Herzens im Gegensatz zu Herzens negiert, festzustellen. Im Sinne der Donglin-Schule, die am Ende des 16.
den Funktionen (l'ätigkcitcn) bezieht. Nicht die bloße Substanz des Herzens spricht Jahrhunderts aufkam, wollte er unbedingt an der positiven Bestimmung des Wesens
Wang Yangming als das «höchste Gute» an, sondern nur das «eigentliche Wesen>> Herzens als des «höchsten Guten» festhalten und lehnte den ersten der «Vier Sätze»
bzw. die «vom Himmel bestimmte Natur>>, die die Einheit von Substanz und Funk- als buddhistische Verfälschung ,1b. In der Folge zweifelte dann sein großer Schüler
tionen in Voilkommenheit darstellt. So sagt Wang Yangming in seinen «Fragen zum Huang Zongxi, der Verfasser der «Dokumente der Konfuzianer der Ming-Dynastie»
Daxue»: «Das <höchste Gute> ist der höchste Punkt (ji ze :W.Ul.lJ) des Erhellens der hellen (MRXA), an der Autorschaft Wang Yangmings für jene «Vier Siitze». 84 Aber dieser
Tugend und des <Liebcns des Volkes>, es ist die <vom Himmel bestimmte Natnr>.» 81 Zweifel ist nicht durch historische Dokumente gcrcchtfcrtigt. 85
Diese zwei Bedeutungen von «Nichtvorhandensein von Gutem und Schlech- Das zweite Paar der «Vier Sätze» spricht vom «ursprünglichen Wissen» und sei-
tem>> haben sich aber vielleicht schon in den mündlichen Aussagen Wang Yangrnings, ner «Verwirklichung». Das <-<ursprüngliche \Nissen» ist hier definiert als das zwischen
sicher aber bei seinen Schülern und Protokollanten zum Teil vermischt, wie sich bei guten und schlechten eigenen Intentionen unterscheidende Bewusstsein, also im Sin-
ihnen <<Substanz» (im Gegensatz zu den «Funktionen») und <<eigentliches Wesen», ne der zweiten Bedeutung des «ursprünglichen Wissens». Und die «Berichtigung der
ti lltund hen ti .7.j's:llf, zum' !eil vermischt: haben. In einer Aufzeichnung von Huang Zhi Handlungen», worin die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens (Gewissens)»
sagt vVang Yimgming: «Das höchste Gute ist das eigentliche Wesen (hen ti .7.j's:llf) des besteht, geschieht im Ausführen der guten Intentionen und Zurückweisen der schlech-
lkrzens. vVas für ein Nichtgutes könnte es da geben!» Bis hier ist ontologisch vom ten. Diese Lehre haben wir in Kapitel 2 von Teil T darzustellen versucht.
«eigentlichen Wesen» die Rede. Dann aber findet ein Sprung zur bloßen Substanz und Qian Dehong und Wang Ji waren sich über diese «Lehrfonnel in vier Sätzen»
zur bloß moralisch-praktischen Perspektive statt, der hier dadurch «vermittelt» wird, nicht einig und baten ihren Lehrer am 1. oder 2. Oktober 1527, am Vorabend seiner
dass die Substanz mit «.ben ti .7.j's:llf» ausgedrückt wird: «Wo kann man an der Substanz Abreise in Richtung Guangxi, um eine Stellungnahme zu ihrer Meinungsverschie-
überhaupt Hand anlegen (ben ti shang he chu yong de li .7.j's:llf..tfAJ~J:IHi.7.J), wenn man denheit. Sie waren sich einig, dass diese Lehrformel von ihrem Lehrer stammt. Ihre
[dem Daxzte gemäß] <das Herz (den Geist) gerade machen will (zheng xin IE,t,,)>82 ! Man Meinungsverschiedenheit bezog sich nicht auf ihren Wortlaut und auch nicht auf
kann vielmehr erst dort, wo das Herz tätig wird (Funktionen ausübt: xin zhi fa dong ihren Bedeutungsinhalt, sondern auf ihre Tragweite. Qian Dehong war der Meinung,
chu ,t,,,;z~Jll~), seine ethische Anstrengung ansetzen. Es ist nicht möglich, dass bei dass an dieser Formel ihres Lehrers beim Unterrichten der Studenten und bei der
den Tätigkeiten des Herzens kein Nichtgutes vorhanden wäre (bu neng wu bu shan ethischen Praxis unbedingt festzuhalten sei. Wang Ji betrachtete sie als eine relative,
=fmiffl=f~); daher muss man an dieser Stelle seine Energie anwenden, das heißt beim nur in gewissen Situationen anwendbare Formel und gab ihr gleich eine andere, seiner
<Wahrhaftigmachen der willentlichen Intentionen (cheng yi ~~)>.» 83 Meinung nach angemessenere Gestalt. Er betrachtete seine eigene Formel als die
Der erste der «Vier Sätze» hat zwischen Qian Dehong und WangJi keine grund- tiefere als diejenige seines Lehrers, weil sie deni «eigentlichen Wesen des Herzens»
sätzlichen Diskussionen ausgelöst. Denn beide haben in ihm, wohl im Gegensatz zu entspreche. Aber er lehnte die Formel seines Lehrers nicht als falsch ab.
ihrem Lehrer, die «Substanz des Herzens» konkret als dessen «eigentliches Wesen» Über die Diskussion ihrer verschiedenen Meinungen und die Stellungnahme ih-
verstanden. Wie wir in Teil I, Kap. 3, § 1 hervorgehoben haben, kann die «Substanz res Lehrers dazu gibt es vier relevante Berichte. Zwei davon können im Wesentlichen
des Herzens» auch als «eigentliches Wesen» gedacht werden, wenn sie nicht abstrakt Qian Dehong zugeschrieben werden, während die zwei anderen von WangJi stammen.
Diejenigen von Qian Dehong stehen in dem von ihm 1556 herausgegebenen dritten

81 Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 969.


82 Gemäß dem ersten und zweiten der oben zitierten vier Sätze aus dem Grundkapitel des Daxite, denen
die «Vier Sätze» von Wang Yangmings Lehrformel entsprechen; siehe oben, S. 412. 84 MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 334f.
83 Chuanxi lu III, Nr. 318, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 119. 85 Vgl. Chen Lai: You wu zhijing, Beijing 1991, S. 201.
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Teil des Chuanxi lu86 und in der von ihm 1563 herausgegebenen «Lebenschronik». 87 «letztes (endgültiges) Wort» (jiujing huatou ~~~:Wi:) sei. 93 Nach den beiden aufWang
Während der Bericht im Chuanxi lu Qian Dehong allein zugeschrieben werden kann, Ji zurückgehenden Berichten sagte dieser, dass «der Meister gemäß den Zeitumstän-
da dieser dort mit <lern persönlichen Namen (ming 'i5), der zur Selbstbezeichnung den seine Lehren aufgestellt habe (sui shi li jiao ~llt:fz.!tk)», dass es sich demnach um
dient, auftritt, wohingegen WangJi mit seinem Großjährigkeitsnamen (zi $!) genannt eine «relative, den Umständen angepasste Lehre» (quan Ja ~51)94 handle, an der man
wird, hat in der «Lebenschronik» Wang Ji wohl korrigierend eingegriffen, da in die- «nicht unbedingt festhalten» könne. Nach dem Text der von Qian Dehong redigierten
sem Bericht beide mit ihrem persönlichen Namen (ming) bezeichnet sind. WangJi hat «Lebenschronik» erwähnte Wang Ji dabei ausdrücklich nur die beiden letzten Sätze
die «Lebenschronik» auch durch ein Nachwort anerkannt. 88 Die beiden Berichte von jener Lehre, die vom «ursprünglichen Wissen» um die Güte und die Schlechtigkeit
\Vang Ji sind später erschienen; sie stehen in seinem im Todesjahr (1574) von Qian der eigenen Intentionen und über die «Verwirklichung» dieses «Wissens» im Han-
Dehong geschriebenen «Lebenslauf des Herrn Qian» (Qian jun xingzhuang) 89 und in deln sprechen. Offenbar war es dieser Ansatz der ethischen Praxis beim moralisch zwi-
der «Aufzeichnung über die Bezeugung des Dao [auf der Brücke] der Himmelsquelle» schen guten und schlechten eigenen Absichten unterscheidenden Gewissen, der bei
(Tianquan zheng daoji ;;lc~lMilUc), ganz am Anfang seiner «Gesammelten Werke», die den Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Freunden auf dem Spiel stand.
1587, vier Jahre nach seinem Tod, veröffentlicht wurden. 90 Qian Dehong war erstaunt, ja entsetzt über diese Relativierung der «Lehre in
Auch hinsichtlich des Inhaltes ihrer Meinungsverschiedenheit waren sich die vier Sätzen» und forderte seinen Freund auf, ihm sein Verständnis derselben zu erklä-
beiden im Wesentlichen einig. In dieser Beziehung divergieren daher die vier verschie- ren. Dieser antwortete nach der Aufzeichnung im Chuanxi lu, die auf Qian Dehong
denen Berichte nur wenige, so dass wir ihre diesbezüglichen Teile zusammenfassend zurückgeht: «Wenn man sagt (ruo shuo ~~), dass die Substanz des Herzens nicht
darstellen können und dabei nur auf einzelne Abweichungen aufmerksam machen Gutes und nicht Schlechtes hat (xin ti wu shan wu e ,t,,U1!!Hifl!U~), so haben auch die
müssen. In den '[eilen über die Stellungnahme ihres Lehrers bestehen aber zwischen Intentionen nicht Gutes und nicht Schlechtes, so hat auch das <[ursprüngliche] Wis-
den vier Berichten wesentliche Unterschiede, so dass wir sie im nächsten Paragraphen, sen> nicht Gutes und nicht Schlechtes, und so haben auch die Handlungen (wu !lo/l)
der die Stellungnahme Wang Yangmings erörtert, gesondert übersetzen. nicht Gutes und nicht Schlechtes. Wenn man sagt, dass die Intentionen Gutes und
Es wird berichtet, dass am 1. oder 2. Oktober 1527, 91 am Vorabend von Wang Schlechtes haben, dann ist letztlich auch in der Substanz des Herzens noch Gutes
Yangmings Abreise von Shaoxing, Qian Dehong und Wang Ji einen anderen Schüler und Schlechtes vorhanden (xin ti hai you shan e zai ,t,,ff l:i!lHt~tE).» In der «Le-
\Vang Yangmings aus der Priifcktur Shaoxing, Zhang Yuanchong ~ ji;;qi (Beiname: benschronik» sind in dieser Argumentation \Vang Jis zwei Korrekturen angebracht,
Fufong )!J.~, 1502-1563), <<auf dem Boot besuchten». Dieser Schüler war offenbar die beide wahrscheinlich auf dessen Hand zurückgehen: Der Anfangssatz ist nicht
zeitweilig in der Stadt Shaoxing auf einem Boot anwesend. 92 Sie sprachen mit ihm mehr hypothetisch formuliert, sondern lautet apodiktisch: «Da nun die Substanz des
über die «grundlegende Lehre» (zong zhi *~)
des Meisters, das heißt über die «Lehre
in vier Sätzen», die als Formel damals wahrscheinlich eine Neuigkeit war. Wang Ji
Herzens ohne Gutes und ohne Schlechtes ist (xin ti ji shi wu shan wu e ,t.,Ul~t~:1!!{~
1!!{~)», und im Schlusssatz ist beim Vorhandensein von guten und schlechten Inten-
brachte dabei seine Meinung zum Ausdruck, dass diese Formel nicht des Meisters tionen die Konsequenz nicht mehr, dass auch in der «Substanz des Herzens» (xin ti
,t.,G) Gutes und Schlechtes vorhanden sein müssen sondern dass dann «das Herz»
(xin ,t,,) noch nicht ohne Vorhandensein von Gutem und Schlechtem sei. Auch in den
86 Chuanxi lu III, Nr. 315, Shanghai 1992, S. l l 7f. beiden auf Wang Ji zurückgehenden Berichten («Lebenslauf» von Qian Dehong und
87 Qwr11ji,j1111n 35, Nianpu IH, Shanghai 1992, S. 1306f.
88 Qw111ji,)1111n 37, Shanghai 1992, S. 1359.
«Bezeugung des Dao auf der Brücke der Himmelsquelle») zieht Wang Ji aus dem
89 l,ongxi quan ji (1822),juan 20, S. 3a-4a (Taipei 1970, S. 13 77-1379). Vorhandensein von Gutem und Schlechtem in den Intentionen nicht die Konsequenz,
90 Wtmg Longxi quan ji (1822),juan l, S. la-3a (Taipei 1970, S. 89-93). dass dann auch die «Substanz des Herzens» von diesem Gegensatz befallen sei, son-
91 Chen Lai zitiert in seinem You wu zhi jing (Beijing 1991) einen Text Wang Yangmings, gemäß dem es
der 1. Oktober dieses Jahres war (S. 195, Anm.).
dern dass dann «auch vom Herzen nicht gesagt werden kann, dass es davon frei sei
92 Über Zhang Yuanchong gibt es im MRXA,juan 14 einen kurzen Eintrag, demgemäß er aus Shanying (xin yi bu ke wei zhi wu 1t.,?Jl'1'i'iJffi!IZ1i!{)». Wang Ji h,1t nie in Zweifel gezogen, dass es
rD ~ stammen soll, der westlichen TTiilfre der Präfektnrhauptstadt Shaoxing, in der auch Wang gute und schlechte Intentionen und dass es ein wahres ,<ursprüngliches Bewusstsein»
Y:mgrning und Wang Ji wohnten. Es ist aber zweifelhaft, dass Zhang Yuanchong in Shanying zu
Tfause w,ir, denn in diesem Fall hätten ()ian Dchong und Wangji ihn kaum auf einem Boot besucht. (Gewissen) dieses Unterschiedes gibt. Und er konnte nicht aus dieser Tatsache die
Vielleicht stammte er aus Xiaoshan ll!hl.i in der Präfektur Shaoxing, fünfzig Kilometer westlich der Konsequenz ziehen, dass dieser Unterschied zwischen Gut und Schlecht auch in der
Präfekturhauptstadt, denn dort gab es ein Fufeng-Kloster yj!w/#:"1' («Kloster des sc~wimmenden Ber- «Substanz» des Herzens (Geistes) vorhanden sein müsse, denn für ihn stand der erste
ges») und einen Berg dieses Namens: siehe Nianpu, unter dem 2.Jahr der Jiajing-Ara (1523), Quanji,
jrum 35, Shanghai 1992, S. 1289. Zhang Yuanzhong soll sich in diesem buddhistischen Kloster dem Satz der «Lehre in vier Sätzen» fest; er wollte nur die drei folgenden Sätze relativieren.
Studium gewidmet haben. Als Beiname trug Zhang Yuanchong den Namen dieses Berges: «Fufeng· y]!
l'.6/t ». Untff demJahr 15 23 berichtet d ic <•. l,ehcnschronik» auch von einem ( ;cspriich zwischen Zhang
Yuanzhong und Wang· Yangming «im Boot» (zai zhou zhong ::(Ef-1-$): siehe oben in Teil I, Kap. 3, § 8,
S. 2 36. Vielleicht hauste Zhang Yuanchong während seiner Anwesenheit in Shaoxing jeweils in seinem 93 So in den Berichten im Chuanxi lu III und in der «Lebenschronik» (Nianpu).
Boot. Über ihn siehe auch Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 92. 94 Dieser Begriff von «quan 11» geht auf Mengzi, 4. Buch, 1. Teil, Kap. 18 (17) zurück.
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Hätte er diese Konsequenz gezogen, dann hätte er diese Lehre seines Meistes nicht Funktionen dieser «Substanz» betreffen, da diese Substanz, konkret verstanden, sich
nur als «bloß relativ, Umständen angepasst», sondern als widersprüchlich und somit beständig in Funktionen auswirkt; diese Einsicht ist also Einsicht in das ganze «ei-
als falsch erklären müssen. So konnte er nur vage argumentieren, dass beim Vorhan- gentliche Wesen» (ben ti :ijs;.fl:i) des Herzens: <<Wenn man zu dieser Einsicht gelangt»,
densein von guten und schlechten Intentionen auch «im Herzen (im Geist)» als dem dann sind aufgrund dieser «Einsicht» auch die eigenen Intentionen, das eigene «ur-
«Ort» der Intentionen der moralische Unterschied anwesend sein muss. sprüngliche Wissen» (Bewusstsein der eigenen Intentionen) und das eigene Handeln
In den beiden Berichten, die auf Qian Dehong zurückgehen und die vor den- über diesem Gegensatz von Gut und Schlecht, das heißt absolut gut. Das chinesische
jenigen Wang Jis entstanden sind, steht diese Argumentation Wang Jis da wie eine Wort «wu fä», das wir hier mit «Einsicht» übersetzt haben, wird in buddhistischen
Schlussfolgerung über objektive Sachverhalte, wie es an sich ist, ohne Bezug auf ein Zusammenhängen mit «Erleuchtung» wiedergegeben. Das Trachten und Handeln des
diese Sachverhalte erkennendes oder erfahrendes menschliches Subjekt, das heißt, «Erleuchteten» ist absolut gut. Diese «Einsicht» ist nach diesen beiden späten Berich-
ohne zu sagen, wie es für uns Menschen ist: Wenn die Substanz des Herzens nicht ten für Wang Ji das Entscheidende, und, wie wir im nächsten Kapitel noch ausführen
Gutes und nicht Schlechtes hat, dann können auch die Intentionen (Funktionen) nicht werden, schenkte er dem Charakter dieses «Einsehens» (wu fä) in Lauf seines Lebens
Gutes und nicht Schlechtes an sich haben; und umgekehrt: Wenn die Intentionen- immer mehr Aufmerksamkeit. Dieses «Einsehen» ist nach seinen späteren Aussagen
Gutes und Schlechtes an sich haben, dann muss auch die Substanz des Herzens (oder nicht eine bloß theoretische Einsicht in irgendwelche objektiven Zusammenhänge,
das «Herz») diesen Unterschied in sich haben. Man könnte demnach den Eindruck sondern ein Einswerden mit dem «eigentlichen Wesen des eigenen Herzens». Die
gewinnen, dass Wang Ji der «Lehre in vier Sätzen» seines Meisters objektive logische Intention von Wang Jis Überlegung zielte wohl schon 1527 nicht einfach darauf ab,
Fehler vorwirft und sie deshalb nicht akzeptieren will, und tatsächlich hat ein so ausge- dass aus dem objektiven Sachverhalt, dass die «Substanz>> (konkret verstanden als
zeichneter Kenner vVang Yangmings und WangJis wie der Japaner Shimada Kenji die «eigentliches Wesen») des Herzens absolut gut ist bzw. über dem Gegensatz von Gut
i\!Ieinungvertreten, dass WangJi mit dieser Argumentation einen Widerspruch in der und Schlecht steht, der weitere objektive Sachverhalt folgt, dass auch die Intentionen
«Lehre in vier Sätzen» seines Meisters aufzeigen wollte. 95 Shimada Kenji ist mit dieser (Funktionen) und damit auch das «ursprüngliche Wissen» um diese Intentionen (das
Kritik einverstanden, da er selbst bei Wang Yangming einen Widerspruch zwischen unmittelbare Bewusstsein dieser Intentionen) über diesem Gegensatz stehen, sondern
der Einheit des «Herzens» mit dem absolut guten «himmlischen Ordnungsprinzip» darauf, dass die Anwesenheit der absoluten Güte des «eigentlichen Wesens des Her-
(timz li Ji;:Jll!.) und der Annahme von egoistischen (schlechten) Wünschen sieht. 96 Wang zens» im eigenen Bewusstsein zur Folge haben muss, dass die eigenen Intentionen
Jis Argumentation hatte aber wohl schon in seiner Diskussion mit Qian Dehong im absolut gut werden, das heißt über dem Gegensatz von Gut und Schlecht stehen, und
Oktober 1527 einen anderen Sinn. Man muss davon ausgehen, dass WangJi auch da- damit auch das «ursprüngliche Wissen» um diese Intentionen. Dieser Zusammenhang
mals nicht über theoretische Verhältnisse an sich, sondern davon sprechen wollte, wie ist im zweiten der beiden Berichte WangJis über seine Meinungsverschiedenheit mit
es für uns Menschen in unserer ethischen Praxis ist. Dieser Sinn wird deutlich, wenn Qian Dehong, in den «Auizeichnung über die Bezeugung des Dao [auf der Brücke]
wir seine eigenen beiden Berichte heranziehen, die allerdings erstJahrzehnte nach der der Himmelsquelle», fr)lgendermaßen formuliert, wobei nicht anzunehmen ist, dass
Diskussion redigiert wurden, die sie behandeln. Beide Berichte geben Wang Jis Argu- Wang Ji diese Formulierung schon 1527 vorbrachte: «Wenn das Herz ein Herz ist,
mentation folgendermaßen wieder: «Wenn man zur Einsicht gelangt ist (ruo wu de in welchem [jener Unterschied] nicht vorhanden ist (wu xin zhi xin fm,t,,;z,t,,), dann
tHlH~), dass das Herz ein Herz ist, das nicht Gutes und nicht Schlechtes hat, dann sind ist der Speicher dicht (cang mi ifi!l~); 97 wenn die Intentionen solche Intentionen sind,
nämlich die Intentionen solche, die nicht Gutes und nicht Schlechtes haben (yi ji shi in denen [jener Unterschied] nicht vorhanden ist yi zhi yi ml~.Z~), dann sind die
wushan wu e z.hi yi ~!:l.P:lltl!!l~1l!Ulit~.~), dann ist nämlich das <[ursprüngliche] Wissen> Entsprechungen (die Antworten auf die iiußeren Situationen) vollkommen (yingyuan
ein solches, das nicht Gutes und nicht Schlechtes hat, und dann sind die Handlungen .ll!IJil); wenn das <[ursprüngliche] Wissen> ein Wissen ist, in welchem [jene Unter-
nämlich solche, die nicht Gutes und nicht Schlechtes haben. Wenn aber Intentionen scheidung zwischen Gut und Schlecht] nicht vorhanden ist (wu zhi zhi zhi ffll9'□ .Z9'□),
da sind, die Gutes und Schlechtes haben, dann haben es auch in gleicher Weise das dann ist es selbst zur Ruhe gekommen (ti_ji ffl>W); wenn die Handlungen Handlungen
[ursprüngliche] Wissen und die Handlungen, und man kann auch vom Herzen nicht sind, in denen [jener Unterschied] nicht vorhanden ist (wu wu zhi wu fmWl .z!I@), dann
sagen, dass es davon frei ist.» Alles hiingt also nach diesen beiden späten Berichten
von der eigenen «Einsicht» (wu fä) in die über dem Gegensatz von Gut und Schlecht
stehende «Substanz» (ti lll) des Herzens ab. Diese Einsicht muss zugleich die reinen
97 Mit dem «Speicher» (cang ilil!) ist hier die «Grundwirklichkeit des Geistes» gemeint. WangJi spielt auf
das «Speicherbewusstsein» (ctmg shi m&) ckr \ Veishi-Schulc des lltiddhismus an, für die dieser Ausdrnck
die tiefste Bewusstseinsschicht (das ,ichte oder Alaya-lkwusstsein) bezeichnet. Das Wort «tni», das
auch mit «innig», <<vertraut» übersetn wird, ist in unserem Kontext mit «dicht» wiederzugeben, das
95 Shimada Kenji: Die neokonfuzianische Philosophie, deutsche Übersetzung von Monika Übelhör, heißt ohne Einfluss von außen. Dieser Gedanke entspricht dem buddhistischen Ausdruck «anasrava»
Hamburg 1979, S.161. (chinesisch: wu lou 1!ttim; wörtlich übersetzt: nicht leck), durch den die Freiheit von den Einflüssen
96 A.a.O., S. 139f. des Samsara angezeigt wird.
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sind die Funktionen geistig-göttlich (.yong shen Jfl~)-»98 Dieser Gedankengang ist mit dem «eigentlichen Wesen des Herzens» immer mehr nach und machte sie daher
nicht gegen Wang Yangming gerichtet, sondern entspricht vielmehr dessen Idee des nachträglich unter dem Namen der «Einsicht» in seinen eigenen Berichten über jenes
Wirkens des «eigentlichen Wesens des ursprünglichen Wissens». Wir erinnern an Gespräch vorn Oktober 1527 explizit.
seine Aussage im dritten Teil des Chuanxi lu, die wir in Kapitel 3 von Teil I in ihrem Die subjektive Einheit mit dem eigentlichen Wesen des eigenen Herzens be-
Kontext zitiertet).: «Wenn die sieben Gefühle ihrem natürlichen (freien) Lauf folgen, wirkt, dass die eigenen Intentionen und die mit diesen erfolgten Handlungen absolut
dann sind sie Funktionen des <Ursprünglichen Wissens>, und es gibt keinen Unter- gut werden und dass auch das unmittelbare Bewusstsein dieser Intentionen, das «ur-
schied zwischen Gut und Schlecht (bu ke fen hie shan e =f i:iJ ~ _gg~~)- Es darf dabei sprüngliche Wissen», absolut gut wird, das heißt über dem Gegensatz von Gut und
nur kein Haften (Festhalten) an etwas geben. Wenn die sieben Gefühle ein Haften Schlecht steht. Ein solches «ursprüngliches Wissen» ist nicht mehr das moralisch
enthalten, heißen sie alle Begierden (.yu &'K) und sind alle Verdeckungen. (bi ~) des zwischen guten und schlechten eigenen Intentionen unterscheidende Bewusstsein,
<Ursprünglichen Wissens>.»99 mit anderen Worten, es ist nicht mehr das «Gewissen», das als Ausgangspunkt der
Es wird deutlicher, worauf es Wang Ji bei seiner Distanzierung von der «Lehre ethischen Anstrengung der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» dienen
in vier Sätzen» ankommt: Er sieht den «archimedischen Punkt» der ethischen Pra- kann, sondern es ist bereits in der Vollkommenheit des «eigentlichen Wesens des
xis, von dem aus das ganze Leben in eine «heilige» Richtung bewegt wird, nicht im ursprünglichen Wissens» aufgehoben. WangJi konnte später sagen: «Das <ursprüng-
moralisch zwischen guten und schlechten Intentionen unterscheidenden Bewusstsein, liche Wissen> weiß um das Richtige und das Falsche, aber das <ursprüngliche Wissen>
nicht im «Gewissen», sondern in einem Einswerden mit dem «eigentlichen Wesen des hat selbst nicht Richtiges und Falsches (liang zhi wu shi wu fei 6!~-~-~F), Das
eigenen Herzens», ein «Einswerden», das er später als «Einsehen» (wuffi) bezeichnen Wissen um das Richtige und das Falsche ist der Maßstab (guiju JUe) [zur Beurteilung
wird. Er schreibt 1574 in seiner Biographie über Qian Dehong im Zusammenhang mit der Intentionen und Handlungen]; das Vergessen von Richtigem und Falschem und
der Erörterung ihrer Differenzen: «In unserem Lernen liegt der eigentliche Wert im dadurch das Erreichen seiner vollkommenen Geschicklichkeit (wang shi fei er de qi qiao
Erlangen der Einsicht (gui zai de wu :1:1':Eflffi). Wenn sich das Tor der Einsicht nicht ~~~FffiHt1J.!tt5) ist das, was <Einsicht (Erleuchtung: wu ffi)> genannt wird.» 102 «Das
öffnet, dann gibt es nichts, um das Lernen wahr zu machen (wu yi zheng xue -~~ <ursprüngliche Wissen> weiß um Richtig und Falsch, in Wirklichkeit sind aber Richtig
~), und alle moralische Praxis (xiu xing ~fi) fördert nur die leeren Illusionen. Das ist und Falsch nicht vorhanden (qi shi wu shi wu fei ltl!t-~M~F). Das Nichtvorhanden-
nicht etwas, was verbales Denken zu erreichen vermag (.yan si suo nengji ~-1!1.JiJr~~ht). sein [von Richtig und Falsch, von Gut und Schlecht] ist die Grundlage von allem
Man kann aber schweigend darum wissen und den Beweis [durch das praktische Le- Vorhandensein (wu zhe wan you zhi ji -~•~zA). Es ist eine tiefe dunkle Macht
ben] in einer späteren Zeit abwarten.» 100 Mit der ersten Hälfte dieses zitierten Textes und ein geheimes Wirken, [durch das wir] in Einheit mit dem Himmel wandeln (.yu
beginnt Wang Ji auch seine kurze «Abhandlung über die Einsicht». 101 tian tongyou ~Ji::lii.lilh).» 103
Die Frage stellt sich, warum in den beiden Berichten, die ganz oder hauptsäch- Bei Wang Ji finden wir keine ausführlicheren Erörterungen des moralischen
lich auf Qian Dehong zurückgehen, Wang Ji in seiner Umformulierung des ersten Bewusstseins. Er setzte dieses wohl durch die Erörterungen von Wang Yangming und
der «Vier Sätze» nicht von der «Einsicht» in die Substanz des Herzens spricht, wenn vieler seiner Schüler als genügend bekannt voraus. Er hob vor allem das über dem
eine solche «Einsicht» für ihn das Entscheidende war. Es ist nicht anzunehmen, dass Gegensatz von Gut und Schlecht stehende «eigentliche Wesen des ursprünglichen
Qian Dehong in seinen Berichten dieses Wort einfach ausließ. Die Antwort dürfte Wissens» und dessen lautere Manifestationen im menschlichen Bewusstsein hervor.
eher darin bestehen, dass Wang Ji in seinen früheren Jahren die Forderung einer Den Ausdruck «allein wissen» (du zhi ~~), mit dem Wang Yangming das moralische
existentiellen «Verbindung» oder <<Einheit» mit jener vollkommenen «Substanz» Bewusstsein der Güte und Schlechtigkeit der eigenen Intentionen kennzeichnet
für die von ihm bevorzugte ethische Praxis als selbstverständlich betrachtete und (man weiß allein um die eigenen Intentionen, die anderen wissen nicht darum), 104 will
er daher ihre begriffliche Bestimmung in seiner Umformulierung der «Vier Sätze» Wang Ji im Sinne der Unabhängigkeit (Selbständigkeit, Absolutheit) des «ursprüng-
zunächst implizit lassen konnte. Doch mit den Jahren dachte er, wohl angeregt durch lichen Wissens» verstanden haben: «Das <Buch der Wandlungen> sagt: <Qian ~ (das
die Kritik an seiner Position vonseiten seiner Mitschüler, über den Charakter dieser Schöpferische) 105 weiß um den großen (ersten) Anfang (regiert den ersten Anfang).>
für das Leben eines «heiligen Menschen» notwendigen existentiellen Verbindung

102 «Antworten an Zhang Yanghe [Yuanbian]», Wang Longxi quanji (1822),juan 5, S. 29a (Taipei 1970,
98 Wang Longxi quan ji (1822),juan 1, S. 10b (Taipei 1970, S. 90). s.395).
99 Chuanxi lu III, Nr. 290, Shanghai 1992, S. 111 (vielleicht eine Aufzeichnung von Wang Ji); vgl. oben 103 Shu xianshi guo Diaotai yimo [1577], Wang Longxi quan ji (1822), juanl6, S. 30a-b (Taipei 1970,
Teil I, Kap. 3, § 3, S. 198. s. 1167f.).
100 Qian jun xingzhuang, Wang Longxi quan ji (1822),juan 20, S. 8a-b (Taipei 1970, S. 1387f.). 104 Siehe oben, Teil I, Kap. 2, § 1, S. 136ff.
101 Wushuo, Wang Longxi quanji (1822),juan 17, S. 17b (Taipei 1970, S. 1224): siehe unten in Kap. 2 den 105 Qian ist das erste Hexagramm des «Buches der Wandlungen». Es steht für den Ursprung von allem
§ 6, s. 518. und wird in ihm mit dem «Himmel» (tian) identifiziert.
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Das Wissen des qian ist dasselbe wie das <ursprüngliche Wissen> (liang zhi [;l~). offensichtlich an den Intentionen Gutes und Schlechtes.» In der auch auf Qian zu-
Es ist die erste Öffnung des Undifferenzierten, es ist der Anfang aller Dinge, es rückgehenden «Lebenschronik» ist diese Antwort verändert, ohne dass dadurch ein
steht den zehntausend Dingen nicht [als relativer Gegensatz] gegenüber (bu yu wan grundsätzlich anderer Sinn entstehen würde: «Die Substanz des Herzens hat von
wu zuo dui 1'~1it!fm11='-I"). Deshalb heißt es <allein> (du äl.l). Da es [aus sich] selbst ihrem Ursprung her nicht Gutes und nicht Schlechtes. Aber da die [schlechte] Ge-
weiß (zi zhi § 9;□), heißt es <allein Wissen> (du zhi ;J~).» 106 «Das <allein Wissen> ist wohnheit lange eingewirkt hat, hat man den Eindruck, dass offenbar an der Substanz
das <eigentliche Wesen> (ben ti *llt).» 107 Doch dies bedeutet nicht, dass Wang Ji das des Herzens Gutes und Schlechtes vorhanden ist (jue xin ti shang jian you shan e zai
«ursprüngliche Wissen» im Sinne des zwischen Gut und Schlecht unterscheiden- Jl,G,lltJ:.~~~~1:E).» Auffallend an diesen Sätzen ist zunächst, dass Qian die schlech-
den moralischen Bewusstseins nicht anerkennen würde. Dies wird später in diesem ten Intentionen durch das «Herz der Gewohnheit» erklärt und in der «Lebenschro-
Kapitel noch ausführlicher zur Geltung kommen. In einem späteren Text (wohl von nik» sagt, dass dadurch der Eindruck entsteht, dass davon auch die «Substanz des
1570), der von Glück und Unglück (fu huo ffflml) handelt, unterscheidet Wang Ji Herzens» beeinträchtigt sei. Wang Ji wird besonders häufig von diesem «Herzen
ausdrücklich zwischen zwei Bedeutungen des «ursprünglichen Wissens» (liang zhi der Gewohnheit» sprechen. Wang Yangming erklärt die schlechten Tendenzen im
[;l~): «Das <ursprüngliche Wissen>, in welchem nicht Gutes und nicht Schlechtes menschlichen Herzen, soweit ich sehe, nicht durch das «Herz der Gewohnheit».
vorhanden ist (liang zhi wu shan wu e [;l9;□ ml~ml~), heißt das höchste Gute; das Soweit mir bekannt ist, sind die beiden Berichte Qian Dehongs im Chuanxi lu und
<ursprüngliche Wissen>, das um das Gute und das Schlechte weiß, ist das wahre in der «Lebenschronik» über Wang Yangmings Stellungnahme zur jetzt erörterten
Wissen (zhen zhi ~~). Wenn nicht Gutes und nicht Schlechtes vorhanden ist, dann Meinungsverschiedenheit zwischen seinen beiden Schülern die beiden einzigen Texte,
ist kein Unglück und Glück vorhanden; wenn man um Gutes und Schlechtes weiß, in denen dieser so spricht. Im Allgemeinen erkliirt er den Ursprung der schlechten
dann weiß man um Unglück und Glück. Wenn kein Glück und Unglück vorhanden Intentionen nicht, sondern sagt nur, wie man sie loswird. Wenn er sie erklärt, spricht
ist, dann bedeutet dies, dass man den Weg des Himmels (Gottes) geht (yu tian wei tu er von <<Lebensenergie» (qi ~). 109 Ich vermute, dass Qian Dehong in seinen beiden
~;/i:t.il,~), und dadurch verkörpert man die Kraft des göttlichen Lichts (tong shen ming Berichten einen Ausdruck von Wang Ji heranzieht, um diesen mit seinen eigenen Be-
zhi de 3ffii$BJl.z1l); wenn man um Unglück und Glück weiß, dann bedeutet dies, dass griffen von der Notwendigkeit der «Lehre in vier Sätzen» zu überzeugen. Das «Herz
man den \Neg der Menschen geht (yu ren wei tu ~At.il,~); dadurch gleicht man den der Gewohnheit» entspricht einem buddhistischen Terminus, 110 wurde aber auch von
Gefühlen der zehntausend Wesen (lei wan wu zhi qing !J\ilitil!fm.z•~). Die Triebkraft Cheng Hao (1032-1085) zur Erklärung der Beeinträchtigung der guten Anlage im
(ji lt) der Berührung zwischen Gott und den Menschen ist tief verborgen. Wenn Menschen (des «liang zhi [;l~» im Sinne von Mengzi) gebraucht. 111 Mit dem «Herz
man diese versteht, dann ist es das Dao, das zum Höchsten und zum Tiefsten dringt. (Geist) der Gewohnheit» betont Qian, dass die Intentionen vom Schlechten affiziert
Wenn man <das [ursprünglichen] Wissen verwirklicht>, so ist dies nämlich in der sind, also nicht der «Substanz (dem eigentlichen Wesen) des Herzens» entsprechen,
<Einsicht> des Herzens enthalten (cun hu xin wu {pf ,j)fä).» 108 Für Wang Ji besteht und schließt seine Antwort nach der <,Lebenschronib, mit folgenden Sätzen: «Das
also die «Verwirl<lichung des ursprünglichen Wissens» nach seinen späteren For- Gute tun und das Schlechte vertreiben [gem;iß dem vierten der <Vier Siitze>], das
mulierungen in der «Einsicht» in das eigentliche Wesen des Herzens (Geistes) und ist die ethische Anstrengung der Wiedergewinnung jenes <eigentlichen Wesens> (fu
in dem daraus sich ergebenden vollkommenen Trachten und Handeln. Die ethische na ben ti gongfu ~JJß*U:i:iJ~). Wenn man sieht, dass das <eigentliche Wesen> so ist
Praxis wurzelt für ihn im Göttlichen, sie hat wie Wang Yangmings dritter Begriff des [nämlich über dem Gegensatz von Gut und Schlecht steht], aber dann bloß sagt, dass
«ursprünglichen \Vissens» einen religiösen Charakter. Demgegenüber will Qian De- es keine ethische Anstrengung brauche, dann befürchte ich, dass das eine bloße Mei-
hong gemäß der «Lehre in vier Sätzen» die ethische Praxis auf den zweiten Begriff
des «ursprünglichen Wissens» abstützen, nämlich auf das menschliche Bewusstsein
der eigenen guten und schlechten Absichten (Intentionen). 109 Siehe oben, Teil I, Kap. 3, § 7. In einem frühen Text für seinen Großonkel Wang Kezhang charak-
Qian Dehong antwortete auf die Argumentation seines Freundes im Oktober terisiert er die schlechten Gedanken als «Energien der Gewohnheit» (xi qi ~~): Quanji,juan 26,
1527 gemäß seinen eigenen Aufzeichnungen im Chuanxi lu wie folgt: «Die Substanz Shanghai 1992, S. 983.
110 Der Gedanke dieser «Gewohnheit» geht zur[iek auf die Lehre der buddhistischen Wcishi-Schule
des Herzens (xin ti 1i>llt) ist die vom Himmel bestimmte Natur (tian ming zhi xing (Schule vom «bloßen Bewusstsein», Vijnanavada, deren wichtigster Vertreter in China Xuanzang, ca.
k®.z'l'i.); von ihrem Ursprung her hat sie nicht Gutes und nicht Schlechtes. Aber 600-664, ist) von den «Samen» (zhong zi ;fl r) im «Achten Bewusstsein» (oder Alaya- oder Speicher-
da der Mensch ein Herz der [schlechten] Gewohnheit (xi xin ~'G') hat, gibt es Bewusstsein). Diese «Samen» sind latente Vermögen, die sich im Bewusstseinsleben unter gewissen
Bedingungen aktualisieren. Ein Teil dieser «Samen» sind dnrch das aktuelle Bewusstseinsleben (durch
die «Tätigkeit», das Karma) seihst rntstanden, sind dessen «Nicdcrschliige» oder «Habirualitäten».
Solche «Sarncn» werden auch « Energien der (;cwolmheit» (xi qi 'l1iim\) g-enannt.
111 Cheng Hao sagt: «Das <ursprüngliche Wissen und ursprüngliche Kiinnen> (liang zhi !iang neng ll!.~
106 Zhi hi yi lue [1550], Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 2a (Taipei 1970, S. 407). ll!.ffü) hat im Anfang keinen Mangel. Da aber das Herz (der Geist) der Gewohnheit (xi xin !/ 1i)) noch
107 «Antwort an HongJueshan», Wang Longxi quan Ji (1822),juan 10, S. 336 (Taipei 1970, S. 714). nicht beseitigt ist, muss man das [nrsprüngliche] Herz <bewahren>. Wenn man das lange tut, kann
108 Wang Longxi quanji (1822), juan 15, Zi songwen da, S. 28a-b (Taipei 1970, S.1085f.). man jene alte Gewohnheit loswerden.» Er Chengji,juan 2, 1. Teil, Beijing 1981, S. 17.
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nung ist.» Qian Dehong sieht also im Handeln gemäß dem moralischen Bewusstsein auf ihn zurückgehenden Bericht über ihre Meinungsverschiedenheit im Herbst 1527
(«Gewissen») des Unterschiedes zwischen guten und schlechten Intentionen den («Aufzeichnung über die Bezeugung des Dao [auf der Brücke] der Himmelsquelle»)
einzigen Weg der ethischen Praxis. In den Berichten, die auf Wang Ji zurückgehen, diese negative Formulierung auf dieselbe Weise: «Es gibt da nichts Gutes, von dem
ist Qians Antwort nicht näher angeführt. Als Antwort Qians steht hier nur, dass Wang man sprechen könnte. Denn das Schlechte ist ursprünglich nicht vorhanden (ben wu
Jis Meinung «die Lehre unserer Schule zerstöre». ;ljs;ffl{), und so ist auch das Gute nicht erfassbar und vorhanden (shan yi bu ke de er you
In der Stellungnahme Wang Yangmings zu den verschiedenen Meinungen ~9J'1'i:i.ff~im~).» 115 Oder in einem anderen Text sagt er: <«Gut> und <schlecht> haben
seiner beiden Schüler, so wie sie in den zwei auf Wang Ji zurückgehenden Berichten einen zueinander relativen Sinn (xang dui dai zhi yi ffllt~ ;z.fa). Das Nichtvorhanden-
aufgezeichnet ist, wird die Meinung von Qian Dehong «die vier Vorhandensein» (vier sein von Gutem und von Schlechtem (wu shan wu e M~M~) ist das höchste Gute. Das
Positionen: si you ll9~) und die Meinung von Wang Ji «die vier Nichtvorhandensein» höchste Gute ist das eigentliche Wesen des Herzens (xin zhi ben ti ,t,,;z.;ljs;lll).»116 Doch
(vier Negationen: si wu IZ91!!l) genannt. Es ist unwahrscheinlich, dass Wang Yangming für WangJis Weise der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens», die sozusagen
damals so sprach, denn Qian Dehong formulierte die «Lehre in vier Sätzen» nicht «von oben», von der «Einsicht» in das den Gegensatz von Gut und Schlecht tran-
in vier positive Sätze um, sondern anerkannte den negativen ersten Satz. Aber seine szendierende «eigentliche Wesen», ausgeht und von da aus bis zu den «Handlungen»
Auffassung dieser Lehre wurde später mit «die vier Vorhandensein» charakterisiert. hinuntersteigt, ist diese negative Formulierung entscheidend, während für die «von
Zou Shouyi aus der Provinz Jiangxi, der aber nicht Zeuge jener Gespräche war, lässt unten», vom moralischen Bewusstsein der guten und schlechten Intentionen ausge-
in seiner Darstellung dieser Gespräche Qian Dehong den ersten der«Vier Sätze» hende ethische Praxis Qian Dehongs sich die Perspektive des «höchsten Guten ohne
positiv formulieren: «Der Meister [Yangming] sagte: <Ich gehe nun weg. Jeder von Schlechtes» ergibt, zu dem sie im Handeln allmählich emporsteigen will.
euch beiden soll sagen, was er gelernt hat.> [Qian] Dehong antwortete: <Das höchste Nach den beiden Berichten von Wang Ji sagte Qian Dehong nach ihrer Dis-
Gute ohne Schlechtes, das ist das Herz (der Geist).»> Und dann zitiert Qian in dieser kussion: «Wir beide sind in unseren Ansichten selbst uneinig; wie können wir da
Darstellung von Zou Shouyi den zweiten bis vierten Satz von Yangmings Lehrfor- die anderen Menschen zur Einheit bringen! Wäre es da nicht besser, wenn wir [den
mel. 112 Obschon Qian Dehong auch den ersten, negativen Satz dieser Lehrformel Meister] um Berichtigung ersuchten?» Qian war also nach diesem Bericht vor allem
seines Meisters immer anerkannte, lag eine solche positive Umformulierung durch um die Einheit im Unterricht der Schule besorgt, deren Leitung der Meister ihm und
die Aufnahme des «höchsten Guten» ganz in seiner Perspektive, welche die ethische Wang Ji anvertraut hatte. Gemäß der «Lebenschronik» von Qian Dehong war es da-
Praxis vom moralischen Bewusstsein des Unterschiedes zwischen Gut und Schlecht in gegen Wang Ji, der nach dem Aufbrechen ihrer Differenz an den Meister appellieren
den eigenen Intentionen aus sieht. Für ihn war das «ohne Vorhandensein von Gutem wollte: «Morgen wird der Meister abreisen. Heute Abend können wir zusammen bei
und Schlechtem» beim «eigentlichen Wesen» des Herzens mit dem positiven Aus- ihm vorsprechen und ihn fragen.»
druck «höchstes Gutes» auswechselbar und von seinem Gesichtspunkt aus sogar mit
Vorzug auszuwechseln. Er schreibt in einem Brief: «Die Substanz [konkret verstanden § 3 Wang Yangmings Stellungnahme zur Meinungsverschiedenheit
als <eigentliches Wesen>] des menschlichen Herzens ist eine. Man kann sie mit.<gut> seiner beiden Schüler auf der «Brücke der Himmelsquelle»
bezeichnen; man kann sie auch mit <höchstes Gutes ohne Schlechtes> bezeichnen; und
man kann sie auch mit <Nichtvorhandensein von Gutem und Nichtvorhandensein von Am anschaulichsten schildert die «Lebenschronik» die äußere Szenerie der Stellung-
Schlechtem> (wu shan wu e 1!1l~1!1Ul) bezeichnen. Wenn man von <gut> oder <höchstem nahme Yangmings: «Am Abend dieses Tages begannen die Gäste aufzubrechen, und
Gutem> spricht, dann glauben einem die Menschen und haben keine Zweifel. Wa- der Meister war dabei, sich in den inneren Teil seines Anwesens zurückzuziehen. Als er
rum dann noch von <Nichtvorhandensein von Gutem und Nichtvorhandensein von aber hörte, dass [Qian De] Hong und [Wang] Ji vor dem Empfangssaal warteten, ging
Schlechtem> sprechen? In der Substanz, die das höchste Gute ist, hat das Schlechte er wieder hinaus und ließ die Sitzmatten auf die <Brücke der Himmelsquelle> bringen.
sicher keinen Platz, und so ist auch das Gute nicht erfassbar und vorhanden (shan [Qian] Dehong berichtete über die Diskussion mit [Wang] Ji und bat um Belehrung.»
yi bu de er you ~9J'1'f~im~).» 113 Wang Ji war mit dieser Wang Yangmings Intention Der Ort des Gesprächs liegt also wahrscheinlich vor dem Südeingang (Haupteingang)
widersprechenden Erklärung der negativen Formulierung des ersten Satzes der Lehr- des Wohnkomplexes Wang Yangmings, wo sich heute noch ein fünfunddreißig Meter
formel durchaus einverstanden. Er zitierte in seiner Biographie über seinen Freund langer und fünfundzwanzig Meter breiter Teich befindet. 117
diese Briefstelle im Sinne ihres Einverständnisses 114 und erklärte nach dem zweiten

115 Wang Longxi quanji (1822),juan 1, S. lb (Taipei 1970, S. 90).


112 In Zou Shouyis Jingyuan zengchu; die Passage wurde von Huang Zongxi in sein MRXA aufgenommen: 116 «Antwort an Zhang Yanghe [Yuanbian]», Wang Longxi quan ji (1822), juan 1, S. lb (Taipei 1970,
juan 16, Beijing 1985, S. 341. s. 389).
113 «Brief an Yang Hushan»,MRXA,juan 11, Beijing 1985, S. 235. 117 Zum Anwesen Wang Yangrnings im nordwestlichen Viertel von Shaoxing siehe oben in der Einleitung
114 Qianjun xingzhuang, Wang Longxi quanji (1822),juan 20, S. 7a (Taipei 1970, S. 1385). zu Teil Iden§ 1, S. 99f.
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Die verschiedenen Berichte divergieren hinsichtlich der Stellungnahme Wang beiden nur an einer Seite festhält, dann verliert ihr Leute, mit denen ihr umgeht, und
Yangmings sehr stark, so dass wir sie uns getrennt vornehmen müssen. Wir beginnen jeder von euch wird der Wirklichkeit des Dao nicht voll genügen.»
mit den zwei, die auf Qian Dehong zurückgehen. Im Chuanxi lu steht: «Der Meister Bis zu dieser Stelle des' Iextes aus dem von Qian Dehong 15 56 herausgegebenen
sagte: <Ich bin jetzt dabei aufzubrechen und habe mir gerade gewiinscht, dass ihr dritten Teil des Chuanxi lu scheint Wang Yangmings Position klar zu sein: Die zwei
kommt, um diese Gedanken gründlich zu erörtern. Die Ansichten von euch beiden verschiedenen Ansichten seiner beiden Schüler sind zwei verschiedene Arten ethischer
haben ihren Nutzen gerade darin, dass sich beide gegenseitig ergänzen (unterstützen: Praxis, die zwei verschiedenen Arten von Menschen entsprechen. Die eine Art der
ximzg zi 1§~), keiner von euch darf nur an der einen Seite festhalten. Bei den Leuten, ethischen Praxis setzt bei der «Einsicht» in das immer vollkommene «eigentliche
die ich hier zur Unterweisung aufoehmc, gibt es zwei Arten: Die Leute mit einer Wesen» des Geistes ein, wodurch auch die Intentionen und Handlungen (Funktio-
scharfen und schnellen Geisteskraft (li gen zhi ren ~U*NZA) 118 dringen durch ihre Ein- nen) vollkommen werden. Die anderen Nlenschen sind damit eiern eigenen Selbst
sicht unmittelbar vom Ursprung her ins menschliche Herz ein (z;hi cong ben yuan wu gleich geworden, das heißt, die «N:Ienschlichkeit» (ren 1=) ist verwirklicht. Diese Art
ru ren xin gfJ'.E*;JJJHg: AA'L'). Das eigentliche Wesen (ben ti *11) 119 ist von seinem Ur- der ethischen Praxis setzt, mit anderen Worten, bei dem von uns bei \Vang Yangming
sprung her leuchtend ldar und ohne Behinderung, es ist die <Mitte vor der Erreg1mg unterschiedenen dritten Begriff des «ursprünglichen Vlissens», beim «eigentlichen
der Gefühle>. 120 Sobald diese Leute Einsicht in das eigentliche Wesen haben (yi wu ben Wesen des ursprünglichen Wissens,>, ein. Die andere Art der ethischen Praxis beginnt
ti -fä*lll), ist damit auch schon ihre ethische Praxis gegeben (ji shi gongfu IW~:J;/J;1i;:): beim moralischen Bewusstsein, das zwischen eigenen guten und schlechten Intentio-
Die anderen Menschen und das eigene Selbst, das Innere und das Äußere haben sich nen unterscheidet(= zweiter Begriff des «ursptiinglichen Wissens»). Wang Yangming
in Gleichheit ganz durchdrungen (ren ji nei wai yi qi ju tou le Ac. 17-;JJ~-~~ 7). - Die sagt nach dem bisher zitierten Text, dass er in seinem Unterricht je nach der Fähigkeit
Leute der zweiten Art haben unvermeidlich das <Herz (den Geist) der Gewohnheit> und dem Charakter seiner Schüler das eine oder das andere Vorgehen anwende, und
(tri ::dn ~,t,,); 121 das eigentliche Wesen wird dadurch verdeckt (ben ti shou bi :zis:G~lllt). fordert seine beiden Schüler auf, desgleichen zu tun und sich in ihrer Pädagogik nicht
Deshalb muss man sie lehren, bei den Intentionen anzusetzen und das Gute zu tun ausschließlich auf nur ein Vorgehen zu fixieren.
und das Schlechte zu vertreiben. Nachdem diese ethische Praxis zur Reife gelangt ist Die unmittelbare Fortsetzung des soeben zitierten Textes nimmt nun aber eine
und der Bodensatz [die schlechte Gewohnheit] ganz ausgeschieden wurde, ist auch ganz andere Richtung: Sodann sagte er: «Wenn ihr später mit Freunden [Schülern,
das eigentliche Vlesen ganz ldar geworden (ben ti yi rningjin le :zls:jl~BJ:lffil 7). Die Sicht <Gesinnungsgenossen>] über das [ethische] Lernen sprecht, d,u-f unter keinen Um-
von Ruzhong [WangJi] verwende ich hier im Umgang mit den Leuten schneller und ständen meine Grundformel fallengebssen werden (qie hu /;:e shi tiao wode zong zhi
scharfer Geisteskraft; diejenige von [Qianl Dehong habe ich für die Leute der zweiten tJFf1:iJ$fi;: 7 j,HJ~'.:ifHi).» Dann zitiert er die vier Sätze dieser Formel und fährt fort:
Art als Methode aufgestellt (lift1 cle :fl:5!~).Wenn jeder von euch beiden vom anderen «Nur wenn man gestützt auf diese meine Formel alle Leute, mit denen man es zu tun
aufnimmt und davon Gebrauch macht, dann können sowohl Leute mit hoher als auch hat, unterweist, gibt es daraus keine Fehler. Das ist die ethische Anstrengung [für die
solche mit niederer Geisteskraft zum Dao geführt werden. Wenn aber jeder von euch Leute] von zuunterst bis zuoberst [mit den niedersten bis zu den höchsten Geistes-
kräften]. Die Leute mit den scharfen und schnellen Geisteskräften sind auf der Welt
schwer zu finden. Selbst [der Lieblingsschüler von Konfuzius] Yanzi und [der ältere
118 Der Ausdruck «li gen :!<tlffl» (wörtlich: «scharfe Wurzel»), den ich mit «scharfe und schnelle Geistes- der Cheng-Brüder] Mingdao [1034-1085] wagten es nicht, für eine ethische Praxis
kraft» übersetzt habe, stammt aus dem Buddhismus und meint dort «scharfe Anlagen» (im Gegensatz
zu «stumpfen Anlagen»: dun gen t-liffl) für die fünf wichtigen Schritte auf eiern Weg zur Weisheit: des <eigentlichen Wesens> (ben ti gongfa :$:IIJ;/J ;/;;;), die durch eine Einsicht schon alles
Glauben (xin gen IB"ffl), feines Eindringen (jingjin gen ffllitffl), Gedenken (nian gen ~ffl), Versenken durchdringt (yi wu jin tou -ffi-ml~), einzustehen (bu gan cheng dang 1'ffil:7f<~). Wie
(Samadhi: ding gen füffl) und Weisheit (Prajna: hui gen ~ffl). In der «Schärfe» ist aber auch Schnel- könnte man leichtfertig so etwas von den Menschen erwarten! Die Menschen haben
ligkeit mitgedacht, wie im zweiten auf Wang Ji zurückgehenden Bericht («Bezeugung des Dao auf
der Brücke der Himmelsquelle») deutlich werden wird. Zu diesem Begriff siehe Ding Fu Bao: Foxue <das Herz (den Geist) der Gewohnheit> (xi xin ffl ,t.,); wenn man sie nicht aufgrund
da cidian 1984, S. 36c, S. 618c, S. 905c. des <ursprünglichen Wissens> die praktische Übung (shi yong gong fu ffffl JjJ x), die
119 Hier wird «ben ti *III» im ersten Teil des Satzes im Sinne des die Funktionen umschließenden des Tuns des Guten und des Ausschaltens des Schlechten lehrt, dann werden sie nur
«eigentlichen Wesens» des Herzens und im zweiten 1eil des Satzes im Sinne der «Substanz» als
Gegenbegriff zu den «Funktionen» verwendet. in der Luft hängend an ein <eigentliches Wesen> denken, all ihr Verhalten wird die
120 Die «Mitte vor der Erregung der Gefühle» (wei Ja zhi zhong *MZl=P) ist ein Ausdruck aus eiern Wirklichkeit unter den Füßen verlieren und letztlich nichts anderes als eine <leere
Grundkapitel (ersten Kapitel) des Zhongyong («Die Mitte und das Übliche») und hat sein Gegenstück Ruhe> heranbilden. Dieses Übel ist nicht gering, man muss dies von Anfang an deut-
in der «Harmonie nach der Erregung der Gefühle»: «Wenn Wohlgefallen und Ärger, Trauer und
Freude noch nicht hervorgetreten sind, nennt man dies Mitte. Wenn sie hervorgetreten sind und lich machen!»
das Maß der Mitte einhalten, nennt man dies Harmonie.» Wang Yangming identifizierte die «Mitte Während nach dem ersten Teil dieses Berichtes Qian Dehongs aus dem Chuanxi
vor der Erregung der Gefühle» mit der Substanz des Herzens (Geistes) oder des «ursprünglichen lu Wang Yangming die zwei verschiedenen Weisen der «Verwirklichung des ursprüng-
Wissens». Chuanxi lull, Nr.157 und Nr.158, Quanji, Shanghai 1992, S. 64f.; vgl. oben, Teil I, Kap. 2,
§ 1, S. 13 6ff., § 3, S. 160ff., und unten, Teil II, Kap. 3. lichen Wissens» zwei verschiedenen Arten von Leuten zuordnet und seine beiden
121 Zu diesem Begriff siehe oben in diesem Kapitel den§ 2, S. 422f. Schüler auffordert, in ihrem eigenen Unterricht, so wie er dies auch selbst tue, sowohl
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die eine als auch die andere Weise anzuwenden, schließt er nun im zweiten Teil das von vorhanden. Doch was für ein Ding könnte für die größte Leere (den Himmelsraum)
Wang Ji bevorzugte Vorgehen im Ausgang von der <<Einsicht» in das vollkommene ein Hindernis sein (zu ihm einen Gegensatz bilden: wei tai xu zhi zhang ~7l-::~.Z~)?
«eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» vom Unterricht praktisch aus: «An Mit dem eigentlichen Wesen des menschlichen Herzens (ren xin zhi ben ti A.,t.,;,j!;\ll)
sich» wäre dieses Vorgehen schon recht; da es aber die Leute, für die dieses Vorgehen ist es auch so. Die größte Leere [als Wesen des Herzens (Geistes)] ist ohne bestimm-
geeignet wäre, faktisch kaum gibt, muss man in allen Fällen die «Vier Sätze», das te Form (wu xing ffl~), in stetigem Fluss wandelt sich [in ihm] alles (yi guo er hua
heißt das Vorgehen im Ausgang vom moralischen Bewusstsein der eigenen guten und -j/UiiHt.); wie könnte (müsste) man da die geringste psychische Anstrengung ausüben
schlechten Intentionen, anwenden. Nachdem Wang Yangming im ersten Teil des Be- (he fei xian hao qi li fRJJUIIUtJJ)? Die ethische Praxis (gongfa) von [Qian] Dehong
richtes beiden Schülern unter der Voraussetzung, dass sie beide Vorgehen anwenden, muss auch so sein, dann ist es die ethische Praxis, die mit dem <eigentlichen Wesen>
recht gab, ergreift er nun im zweiten Teil einseitig für Qian Dehong Position und eins geworden ist (he de ben ti gongfa ft1i;,jl;U:i:JJ ~).» Gemäß diesem Gedanken ist für
erklärt das Vorgehen Wang Jis als für den Unterricht faktisch unanwendbar. einen Menschen, der durch «Einsicht» mit dem «eigentlichen Wesen des ursprüngli-
Dieser Bericht der Stellungnahme Wang Yangmings im Chuanxi lu ist wider- chen Wissens» (liang zhi ben ti m.1MJ;,jl;U) bzw. mit dem «eigentlichen Wesen des Her-
sprüchlich, und es ist nicht erstaunlich, dass in der nur sieben Jahre später von Qian zens» eins geworden ist, keine menschliche Anstrengung, das heißt kein psychischer
Dehong veröffentlichten «Lebenschronik» (1563) der Bericht, wohl unter Mitwir- Kampf mit sich selbst, mehr nötig. Dies ist deshalb so, weil sich in ihm kein Schlechtes
kung WangJis, verändert wurde. Es bleibt zwar dabei, dass im öffentlichen Unterricht als ein zu überwindendes Hindernis mehr entgegenstellen kann; er stößt in sich auf
der Schüler ausschließlich die «Lehrformel in vier Sätzen» Anwendung finden soll. keinen Widerstand des Schlechten mehr. Im bereits in Teil I unserer Studie zitierten
Die Vereinigung der beiden strittigen Sichtweisen wird nun aber vom öffentlichen parallelen Text sagte Wang Yangming: «Die <Leere> des <ursprünglichen Wissens> ist
Unterricht auf den persönlichen privaten Gebrauch der beiden Schüler verlegt: Die die <größte Leere> des Himmels [... ]. Sonne und Mond, Wind und Donner, Berge und
beiden Schüler haben nicht mehr deshalb beide Vorgehensweisen aufzunehmen, weil Ströme, alles, was Erscheinung und Form hat, wirkt und fließt in der Formlosigkeit
sie dadurch im Unterricht verschiedenartigen Schülern entsprechen können, sondern der <größten Leere> und ist für diese nie ein Hindernis. Die heiligen Menschen folgen
weil jeder von ihnen selbst in seiner persönlichen ethischen Praxis beider Vorgehens- nur dem Wirken ihres <Ursprünglichen Wissens>. Himmel und Erde und die Dinge
weisen bedarf. Von zwei verschiedenen Arten von Menschen ist nicht mehr die Rede. sind alle im Wirken und Fließen unseres <ursprünglichen Wissens> enthalten; wie
Nachdem auf der «Brücke der Himmelsquelle» die beiden Schüler ihre Ansichten wäre es da möglich, dass ein Ding sich in ein Außerhalb des <ursprünglichen Wissens>
geäußert haben, soll Wang Yangming nach der «Lebenschronik» geantwortet haben: begeben und sich ihm als Hindernis entgegenstellen würde!» 123
«Ich habe mir gerade gewünscht, dass ihr beide diese Frage stellt. Meine Abreise steht Nachdem der Meister die von Wang Ji bevorzugte ethische Praxis auch Qian
bevor, und unter meinen Freunden (Schülern) wurde diese Frage noch nicht erörtert. Dehong ans Herz gelegt hatte, sagte er nach der «Lebenschronik» zu Wang Ji:
Eure beiden Ansichten müssen sich gerade gegenseitig aufnehmen und dürfen sich «Wenn du diesen Gedanken [des Einswerdens mit dem <eigentlichen Wesen des
nicht gegenseitig schlecht machen (xiang qu bu ke xiang hing *~ml1'i:iJ*IH~)- Ruchong ursprünglichen Wissens>] erkennst, dann sollst du ihn ausschließlich unter völligem
[Wang Ji] muss die ethische Praxis (gong fa) von [Qian] Dehong gebrauchen, und Stillschweigen selbst kultivieren (zhi hao mo mo zi xiu .R:!!1-lltllt§~). Du darfst daran
[Qian] Dehong muss das «eigentliche Wesen» von Ruchong [WangJi] durchdringen nicht festhalten, wenn du andere Leute zum Unterricht empfängst.» Als Begründung
(tou ben ti ~;,jl;U). Wenn ihr gegenseitig so voneinander aufnehmt, geht in unserem für dieses Geheimhalten bzw. Fernhalten vom Unterricht verweist Wang Yangming
Lernen (wu xue ~!J.) kein Gedanke verloren.» An Qian Dehong gerichtet fährt er auch nach diesem Bericht wieder auf die Seltenheit der «Menschen mit hoher Gei-
fort: «Das Vorhandensein [von Gut und Schlecht] ist bei dir selbst vorhanden (shi ni steskraft» (shang gen zhi ren J:.Jm.zJ....) und darauf, dass selbst der beste Schüler von
zi you ~1~ § ff), beim <eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens> ist [dieser Konfuzius, Yanzi, und der große Konfuzianer der Song-Zeit Cheng Hao «nicht
Unterschied] vom Ursprung her nicht vorhanden (liang zhi ben ti yuanlai wu you m.1MI dafür einzustehen wagten, dass durch die <Einsicht> in das <eigentliche Wesen> auch
;,jl;\llßlUIH!ltff).» Dann vergleicht oder vielmehr identifiziert er, wie wir dies schon in schon die ethische Praxis erfasst sei (yi wu ben ti ji jian gong fa -ffi* flHf.l ~J:)J ~) und
Teil I unserer Studie aus einer anderen Aufzeichnung kennengelernt haben, 122 dieses sich dabei die anderen Menschen und das eigene Selbst, das Innere und das Äußere
«Wesen» mit der «größten Leere» (tai xu :kEfil), dem alles umfassenden Raum, der an in Gleichheit ganz durchdringen.» Er beauftragt ausdrücklich beide Schüler, sich in
keine Grenzen stößt, das heißt zu nichts im Gegensatz steht, aber alles in sich enthält:
«Dieses eigentliche Wesen (ben ti ;,jl;U) ist nur die größte Leere (der Himmelsraum:
123 Es scheint mir möglich, dass Qian Dehong diesen Gedanken aus der Nr. 269 des von ihm 1556 ver-
tai xu :kEfil). In der größten Leere (im Himmelsraum) sind Sonne und Mond, Sterne öffentlichten dritten Teils des Chuanxi lu in die Neufassung des Berichtes von Wang Yangmings Stel-
und Planeten, Wind und Regen, Tau, Donner, Wolken und Nebel, alle Wesen sind da lungnahme auf der Himmelsbrücke in der von ihm 15 63 herausgegebenen «Lebenschronik» (Nianpu)
übernahm, um den Sinn des von Wang Ji bevorzugten Weges zu verdeutlichen. Die Aufzeichnung
Nr. 269 des Chuanxi ht (wie die ganze Reihe von Nr. 260 bis Nr. 316) stammt nach Wing-tsit Chan
höchstwahrscheinlich von Qian Dehong selbst, obschon sie dort als Aufzeichnung von Huang Mian-
122 Siehe oben, Teil I, Kap. 3, § 7, S. 230: Chuanxi tu III, Nr. 269, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 106. zhi ausgegeben wird: siehe Instructions, S. 211, Anm. 1.
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ihrem Unterricht immer an seine «Vier Sätze» zu halten, und fügt hinzu: «Wenn man Schüler zugewiesen: Privat sollen beide Schüler sowohl das Vorgehen im Ausgang von
sich selbst damit [mit dieser Lehrformel] kultiviert, steigt man auf geradem Wege zur dem den Gegensatz von Gut und Schlecht transzendierenden «eigentlichen Wesen
Stufe der Heiligkeit auf (zhi ji sheng wei ][!ljl\1~1:fl.); wenn man andere damit unterweist, des ursprünglichen Wissens>-> als auch dasjenige im Ausgang vom Gut und Schlecht
gibt es keine Mängel und Verluste.» Auf die Frage Wang Jis, ob man sich auch noch unterscheidenden Gewissen praktizieren, «nur so geht in unserer Lehre nichts ver-
nach dem «Durchdringen des eigentlichen Wesens» an die «Vier Sätze» zu halten loren». Damit wird dem Vorgehen Wang Jis hier ein wirklicher Anwendungsbereich
habe, antwortet Yangming: «Diese reichen von zuunterst bis zuoberst (shi ehe shang zuerkannt. Doch hat auch diese Stellungnahme etwas Unbefriedigendes: Warum soll
ehe xia yu :nHM..t fliff ~). Vom Beginn des Lernens bis zum Erreichen der Stufe des das von Wang Ji bevorzugte Vorgehen m1f die beiden Schüler beschränkt bleiben?
heiligen Menschen gibt es nur diese ethische Praxis (zhi ci gang fit .R1Jt:i:.J.J ~). Wenn Warum soll es zwischen den beiden Schülern eine Geheimlehre sein, die sie nicht
man sie zu Beginn gebraucht, gibt es ein schrittweises Eindringen; und auch wenn auch anderen Menschen, sei es auch nur in besonderen Fällen, mitteilen dürfen? Sind
man ein heiliger Mensch geworden ist, ist sie noch nicht bis zum Ende ausgeschöpft. Qian Dchong und \i\!angJi etwa die Einzigen, die eine <<hohe Geisteskraft:» besitzen?
Auch die ethische Praxis des <Feinen (Lauteren) und Einen> von Yao und Shun 124 war Besonders für WangJi konnte eine solche Position nicht die gültige sein. Es ist daher
nicht anders.» nicht verwunderlich, dass er in seinen eigenen Berichten die Stellungnahme Wang
Und wie am Schluss von Qian Dehongs Bericht im Chuanxi lu betont Wang Yangmings auf der «Brücke der llirnrnelsqnelle» anders verstand.
Yangming auch am Schluss des Berichtes der «Chronik» gegenüber seinen beiden In seinem «Lebenslauf» von Qian Dehong, den er in dessen T<xlesjahr 1574
«Assistenten» nochmals die universale Geltung der «Vier Sätze» für die Unterrich- verfasste, schreibt Wang Ji, so wie es schon im dritten Teil des C!num:x:i lu von 1556
tung ,,ller Schüler: «Der lVIcister sprach wiederholt: <Ihr beide dürft die Grnndlehre in stand, dass Wang Y.·mgming an jenem letzten Abend in Shaoxing die beiden Arten der
vier Sätzen nicht vcrfodcrn. Mit diesen vier Sätzen müssen alle Leute mit Geisteskräf- ethischen Praxis zwei verschiedenen Arten von Menschen, denjenigen mit niederen
ten sowohl oberhalb als auch unterhalb der Mitte unterrichtet werden. Als ich in den und denjenigen mit höheren Geisteshäften, zuordnete und für den Unterricht beide
vergangenen Jahren meine Lehre errichtete, habe ich daran mehrmals Änderungen Vorgehensweisen anordnete, um beiden Arten von 1\!Ienschen genügen zu können.
angebracht (gengji jinz :~J!Hi). Erst jetzt habe ich diese vier Sätze aufgestellt (jin shi li Von einer Auffordenmg zur Geheimhaltung von \\fang Jis Weg ist hier nicht die Rede,
ci siju ~miz.J]:LII9-'q]). Sobald das Herz (der Geist) des Menschen Bewusstsein (zhi shi wohl aber von einer gewissen Zurückhalnmg gegenüber diesem Vorgehen. Wang
~ ~ ) 125 hat, ist er auch schon von den [schlechten] Gewohnheiten und Sitten beein- Yangrning sagte nach diesem Bericht WangJis: <<Was Ruzhong [vVimgJil sieht, wollte
triichtigt (wei xi su suo ran ß'9'&t/1tt/iff~). Wenn man ihn daher nicht lehrt, aufgrund des ich schon lange bekannt machen (wo jiuyufrt #:.),JlX~). Aber weil ich fürchtete, dass
<ursprünglichen Wissens> Ihn Sinne des Bewusstseins des G·uten und des Schlechten! die I ,eute nicht daran zu glauben vermögen (xin Im ji ~1' :&) und dass dadurch nur
die ethische Praxis des Tuns des Guten und des Vertreibens des Schlechten anzuwen- das <Übel des St11fenübcrspringcns> 126 provoziert wir.d (tu qi lue denp; zhi hing 1!®11~
den, und er nur im Leeren hängend an ein <eigentliches Wesen> denkt (zhi qu xuan Z~), habe ich es bis heute verborgen gehalten. Aber da es mm [von \i\!ang Ji] schon
kong xiang geben ti ..R ~~~tllffl~U), dann wird sein Verhalten die Wirklichkeit unter ausgesprochen wurde, kann man es nicht wiederum geheimhalten wollen.» Nach die-
den Füßen verlieren. Eine solches Gebrechen ist nicht gering; man muss es frühzeitig sem Bericht soll Wang Yangming abschließend gesagt haben: «[Qian] Dehong ist von
ausmerzen.>» Der Bericht schließt mit den Worten: «An diesem Tag wurden sich Natur aus schwerfällig, willensstark und ausdauernd (eben yi m'.lll:); Ruzhong [Wang
[Qian De] Hong und [Wang] Ji beide einer Sache bewusst (you xing ~~).» Ji] ist von Natur aus hell und offen (IIJ.I M). Deshalb setzt die Einsicht von euch beiden
Während nach dem Bericht des Chuanxi lu das von Wang Ji bevorzugte Vor- an der Stelle ein, die euch von Natur aus naheliegt. Wenn jeder von euch fähig ist,
gehen der ethischen Praxis von Wang Yangming zwar grundsätzlich gutgeheißen, von seiner eigenen Meinung zu lassen (ge she suo jian ,§-%Ji.fiJi) und gegenseitig vom
aber dann von der praktischen Anwendung ausgeschlossen wurde, wird ihm also in anderen das Förderliche aufzunehmen (hu xiang qu yi :§:*l=II&fit), dann kann unsere
der «Lebenschronik» eine notwendige Funktion im privaten Gebrauch der beiden Lehre von oben bis unten alle umfassen und bewirkt erst so ein gutes Lernen.» Der
Bericht schließt mit der Bemerkung: «Erst von daher (zi ci ~Jlt) findet die überall
weiterberichtete Rede über die Diskussion und Berichtigung [auf der <Brücke] der
124 Anspielung auf den Satz «Sei fein (lauter) und eins, halte fest an der Mitte» in den «Ratschlägen des Himmelsquelle> ihre Kohärenz (shi gui yu yi ~f.il 'f--).» 127
Großen Yu» im zweiten Buch des Shujing («Klassiker der Dokumente»); englische Übersetzung bei Der zweite vom Gesichtspunkt Wang Jis geschriebene Bericht über Wang Yang-
Legge, S. 61. Yao und Shun sind vordynastische Könige aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. und wurden mings Stellungnahme zur Meinungsverschiedenheit seiner beiden vertrautesten Schüler,
später große Vorbilder der Konfuzianer.
125 «Zhi shi ~~» ist hier wie «zhi jue ~ii» ein Wort für das gewöhnliche, auf Gegenstände gerichtete
Bewusstseinsleben, das alle psychischen Funktionen wie Wahrnehmen von etwas, Fühlen, Denken,
Wünschen von etwas etc. umfasst, im Gegensatz zum «ursprünglichen Wissen» (liang zhi§:!.9cll), das 126 Anspielung auf einen Satz des konfuzianischen Klassikers Liji («Buch der Sitte»): «Die Jungen dür-
im Sinne des «Gewissens» ein nicht intentional auf Gegenstände gerichtetes Bewusstsein, sondern fen zu~ören, aber keine Fragen stellen, um beim Lernen keine Stufen zu überspringen.» Kap. Xue ji
ein unmittelbares «Selbstbewusstsein» ausdrückt. Zu diesen Ausdrücken vgl. oben in der Einleitung ,\ie fc!, Ubersetzung von Richard Wilhehn, S. 13 7.
zu diesem Teil II den § 4, und unten in Kap. 2 den § 4. 127 Ulang Longxi quan ji (1822),juan 20, S. 3a-4b (Taipei 1970, S. 1378f.).
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der «Bericht über die Bezeugung des Dao (der Wahrheit) [auf der Brücke] der Him- chinesischen Geistesgeschichte geworden. Wang Yangrning sagte nach dem zweiten auf
melsquelle», nimmt alle diese Gedanken des «Lebenslaufs» von Qian Dehong zum Teil Wang Ji zurückgehenden Bericht: «Wenn die Menschen höchster Geisteskraft Einsicht
wörtlich wieder auf, aber erläutert und ergänzt sie. Es handelt sich um eine Redaktion in das <eigentliche Wesen> des Herzens, in dem Gutes und Schlechtes nicht vorhanden
von Wang Jis Schülern, die wohl in die Stellungnahme von Wang Yangming manche ist, gewinnen (wu de wu shan wu e xin ti ffifil!«lU!UiU,,G), so setzen sie beim Nichtvor-
Formulierungen einfließen ließen, die WangJi selbst zur Erklärung beifügte, ohne dabei handensein (wu 11«) ein, und ihre Intentionen, ihr Wissen und ihr Handeln entstehen
zu beanspruchen, dass sie von Wang Yangming selbst an jenem Abend auf der «Brücke aus dem Nichtvorhandensein. In einem Mal ist alles erreicht, mit dem eigentlichen
der Himmelsquelle» so geäußert worden waren. Wang Yangmings Stellungnahme er- Wesen ist auch schon die ethische Praxis da (yi liao bai dang,ji ben ti bian shi gongfu
hält in diesem Bericht nämlich weitgehend ein zenbuddhistisches Gewand; vor allem ist -Ts'iliiWl*lliil!~Jil~). Einfach und direkt (yijian zhi jie ~fllläit), ohne Zuviel und
die Präsenz des «Hochsitz-Sutra des Sechsten Patriarchen» (Liu zu tan jing) spürbar. 128 Zuwenig, das ist das Lernen der plötzlichen Einsicht (dun wu zhi xue ijilffiz*). Die
Dieses Sutra war seit der Sung-Zeit der einflussreichste Text des Zenbuddhismus. Aber Leute mit durchschnittlicher und geringerer Geisteskraft haben keine Einsicht in das
man kann aus diesem Bericht genau ersehen, wie Wang Ji die Stellungnahme seines eigentliche Wesen gewonnen, und so müssen sie beim Vorhandensein von Gutem und
Lehrers verstand. In dieser Sicht Wang Jis wird die Stellungnahme Wang Yangmings von Schlechtem einsetzen. [... ] Sie müssen die ethische Praxis des Tuns des Guten
zur Funktion der beiden ethischen Vorgehensweisen sowohl in der persönlichen Praxis und des Vertreibens des Schlechten anwenden, überall Ordnung durchsetzen und
seiner beiden Schüler als auch i~ der Unterweisung anderer Leute klar und kohärent. dadurch ganz allmählich, Schritt für Schritt, in die Einsicht eindringen (jian jian ru
Die beiden Vorgehensweisen werden zuerst wiederum zwei verschiedenen wu i-ffij.ffi A ffi).Vom Vorhandensein zum Nichtvorhandensein zurückkehrend gewinnen
Arten von Menschen zugeordnet und sie werden dann durch die zenbuddhistischen sie das eigentliche Wesen wieder, und ihr Ergebnis ist letztlich dasselbe [wie bei der
Ausdrücke der «plötzlichen» und der «allmählichen Erleuchtung» (dun wu, jian wu plötzlichen Einsicht] .»130 Wenn Wang Ji hier in seinem Bericht sein bevorzugtes Vor-
'41ffi l-ffiffi) erläutert. Mit diesem Gegensatz hatte im 8. Jahrhundert Shenhui (684--7 58) gehen mit der «plötzlichen Einsicht» der Zenbuddhisten erläutert, weist er wohl auf
seine eigene, sich auf den Sechsten Patriarchen Huineng (638-713) berufende Rich- eine wichtige Inspiration seiner Sichtweise hin. Auch im Zenbuddhismus meint die
tung gegenüber der auf Shenxiu (605[?]-706) zurückgehenden Richtung definiert. Die «Plötzlichkeit» der Einsicht in das «Wesen (die Natur) des Geistes» nicht etwas Uner-
«plötzliche Erleuchtung>> war dann die Selbstcharakterisierung der sich auf Huineng wartetes (einen «Blitz aus heiterem Himmel»), sondern das Direkte oder Unmittelbare
berufenden sogenannten «Südschule» des Zenbuddhismus, während mit der «all- dieses Vorgehens im Gegensatz zu einem stufenweisen Aufsteigen, das durch Vermitt-
mählichen Erleuchtung>> die sogenannte «Nordschule» charakterisiert wurde. Die lung verschiedenster Praktiken (Hören oder Lesen von Sutren, Befolgen von Regeln,
der «plötzlichen Einsicht» Fähigen wurden in der Sichtweise der «Südschule» als Zeremonien, verschiedene Arten der Meditation) zum Ziel zu kommen versucht. 131
Menschen mit «scharfer Geisteskraft» (li gen ~tlffi) bezeichnet, während diejenigen, die Bisher vereinigte dieser Bericht Wang Jis die beiden Vorgehensweisen erst in ab-
den Weg der «allmählichen Erleuchtung» gingen, als Menschen mit «dumpfer Gei- strakter Weise: Beide sind einig im «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens»;
steskraft» (dun gen itkffi) galten. Dieser Gegensatz findet sich vor allem im «Hochsitz- die eine geht von ihm aus, die andere kehrt allmählich zu ihm zurück, ihr «Ergebnis
Sutra des Sechsten Patriarchen»129 und ist von da aus ein verbreiteter Topos, in der ist letztlich dasselbe». Diese abstrakte Sicht der Einheit hatte WangJi schon in seiner

128 Siehe unten die entsprechenden Anmerkungen! äußere Praktiken die Buddhaschaft zu erstreben, und nicht die eigene [Buddha-]Natur sieht, dann ist
129 Im «Hochsitz-Sutra des Sechsten Patriarchen» (Liu zu tan jing) des Ming-Kanons (TS, Bd. 48, Nr. das die kleine Geisteskraft (xiao gen 11'ffl). Wenn man aber Einsicht in die Lehre des Plötzlichen (dtm
2008) steht am Anfang von Kapitel 8 (S. 358b): «In jener Zeit wohnte der Patriarch und Lehrer ji~o ~~~ gew~nn_t und nicht an äußerlichen Übungen festhält, sondern im eigenen Herzen beständig
[Huineng) im Baolin-Kloster von Caoxi [das heutige Nanhua-Kloster bei Shaoguan im Norden der die nchtige Ems1cht erzeugt, dann kann der Schmutz der Leidenschaften nie beflecken, und das ist
Provinz Guangdong]; der große Lehrer Shenxiu war im Süden vonJing[zhou] [Provinz Hubei] im die Einsicht in die [Buddha-]Natur.» Entspricht der Nr. 29 des Dunhuang-[Fahai-]Textes.
Yuquan-Kloster. Zu jener Zeit standen beide Schulen in großer Blüte. In jener Zeit sagten die Leute: 130 Auch im «Hochsitz-Sutra des Sechsten Pati-iarchen» wird die schließliche Einheit des «plötzli-
<Im Süden [Hui] Neng, im Norden [Shen] Xiu.> Daher gab es die Unterscheidung zwischen der südli- chen» und «allmählichen» Vorgehens gelehrt. In Kapitel 4 des Textes im Ming-Kanon steht: «Die
chen und der nördlichen Schule gemäß der plötzlichen und allmählichen Erleuchtung (dztn wzt,jian wzt eigentliche richtige Lehre hat keinen Unterschied von Plötzlich (dun ii)und Allmählich (jian l!lli).
ffl:ffi l!lliffi). Die Lernenden kannten den Grund dafür nicht. Der Lehrer [Huineng] sagte zur Menge: Aber die Natur des Menschen ist scharf (li ~J) und stumpf (dun til!). Der irrende Mensch kultiviert
<Das Dharma ist eigentlich eines, aber es gibt Leute aus dem Süden und Leute aus dem Norden. Das sich allmählich (jian xiu lilli~), der Mensch mit Einsicht (wu ren ffi J....) stimmt plötzlich überein (dun
Dharma ist eines, aber das Einsehen (jian .!t) ist langsam (chi lm) oder schnell (ji ~). Das Dharma ist qi ffl:J1!). Wenn das eigentliche Herz erkannt (shi ben xin lt .2jl:,t,) und die eigentliche Natur (Wesen)
nicht plötzlich oder allmählich, aber bei den Menschen gibt es scharfe oder stumpfe [Geisteskräfte]. gesehen wird (jian ben xing .!t.2jl:11), besteht kein Unterschied mehr.» TS, Bd. 48, S. 353a; entspricht
Deshalb spricht man von plötzlich und von allmählich.» (Entspricht der Nr. 39 des Drmhuang-[Fahai-] der Nr. 16 des Dunhuang-[Fahai-]Textes.
Textes.) In Kapitel 2 des «Hochsitz-Sutra» des Ming-Kanons (TS, Bd. 48, S. 350c-351a) wird die 131 Mit dem Ausdruck «direkt» (zhi A) charakterisiert das «Hochsitz-Sutra» mehrmals das von ihm
«plötzliche Erleuchtung» durch die Einsicht in die eigene ewige (Buddha-)Natur charakterisiert und ge(e~rte Vorgehen: «das Wesen [des Geistes] sehen und so direkt zum Erleuchteten werden (,jian xing
den äußerlichen Praktiken der Leute mit «kleiner Geisteskraft» gegenübergestellt: «Bei der Prajna- zhi lzao chengfo .l'i 111[ 7 ~ m)» (Fassung des Ming-Kanons, Kap. 1, TS, Bd. 48, S. 348a; entspricht der
Weisheit gibt es keinen Unterschied zwischen groß und klein. Aber weil das eigene Herz (Geist) aller Nr. 2 des Dztnhuang-[Fahai-]Textes); die Charakterisierung des Samadhi (ding jE) durch den «direkten
Lebewesen im Irrtum ist, ist das Einsehen (wu ffi) nicht gleich. Wenn das irrige Herz meint, durch Geist» (zhi xin 1[,t,,) in Kapitel 4 der Fassung des Ming-Kanons (TS, Bd. 48, S. 352c).
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versteckten Kritik an Qian Dehong in seinem Brief anJ i Ben von 15 36/3 7 vertreten. 132 Mitteilung des Einsatzes bei der «Ei~sicht in das eigentliche Wesen» gelten besondere
Im jetzigen Text aber vereinigt er die beiden Vorgehensweisen, wie schon der Bericht Bedingungen: «Für die Ansicht von Ruzhong [Wang Ji] muss man gerade persönlich
in der «Lebenschronik», auch in individuell-persönlicher Weise: Denn Wang Yang- die Verantwortung übernehmen (zheng hao bao ren iE:!11-~ff). Sie ist nicht dazu ge-
ming fügt hinzu, dass auch jemand, der schon zur «Einsicht in das eigentliche Wesen eignet, dass man mit ihr in leichter Weise die Leute unterweist (qing yi shi ren ff~
des ursprünglichen Wissens» gelangt ist, noch Qian Dehongs Vorgehen anwenden ff-,A..). Wenn man allgemein (vor jedermann) von ihr spricht, wird es zu einer Preisgabe
muss, dass es also für Menschen jedweder Geisteskraft und so auch für Wang Ji Gül- (Ausplauderei: lou xie iffiJI!!:).» «Es ist das <geheime Verborgene, das direkt von Herz zu
tigkeit hat, und er weist umgekehrt Qian Dehong an, selbst auch in den Bereich des Herz (Geist zu Geist) übermittelt wird (chuan xin mi zang -f5,t.,~ilil)> 135 , es ist das, was
«Nichtvorhandenseins des Guten und Schlechten» einzutreten: «Unser gewöhnliches [der Lieblingsschüler von Konfuzius] Yanzi und Mingdao [Cheng Hao, 1032-1085]
(weltliches) Herz (fan xin .R,,t.,)133 ist noch nicht am Ende; auch wenn man schon zur nicht auszusprechen wagten.»
<Einsicht> (wu ffi) gelangt ist, muss man noch zu jeder Zeit die ethische Praxis der Nach Wang Jis Verständnis der Stellungnahme seines Lehrers soll sein be-
allmählichen Kultivierung benutzen (yongjian xiu gongfu fflm~JJ}J.t;:), sonst können vorzugtes Vorgehen der ethischen Praxis nicht geheimgehalten, aber auch nicht im
wir das Gewöhnliche nicht überwinden (chao Jan ffl.R,) und in die Heiligkeit eintreten allgemeinen Unterricht «ausgeplaudert>> werden. In seinen beiden Berichten über
(ru sheng A:!f.). Das ist die Bedeutung der Aussage, dass das Höhere Fahrzeug zugleich diese Stellungnahme werden folgende Gründe für diese Zurückhaltung genannt: Die
auch das Niedere und Mittlere kultiviert.» 134 Und zu Qian Dehong sagt er: «Du musst ethische Praxis im Ausgang von der Einsicht in das vollkommene «eigentliche Wesen
in diesen einen Bereich [des <eigentlichen Wesens>] eintreten, nur dann kommst du des ursprünglichen Wissens» setzt den persönlichen «Glauben» an dieses vollkomme-
zum tiefsten Durchdringen (shi wei xuan tong ~~ ~ffi).» ne, den Unterschied zwischen Gut und Schlecht übersteigende «eigentliche Wesen»
Wie steht es nun mit dem Problem des Mitteilens des von Wang Ji bevorzugten voraus; wenn man von dieser ethischen Praxis gegenüber Leuten spricht, die für diesen
Vorgehens im öffentlichen Unterricht der Schüler? Das war und blieb der eigent- «Glauben» nicht bereit sind, kommt es zum «Fehler des Stufenüberspringens», das
liche Streitpunkt zwischen den beiden nächsten Schülern Wang Yangmings. Wie heißt, man provoziert diese Leute dazu, über Dinge zu reden und sich an Dinge zu
schon im «Lebenslauf» von Qian Dehong verlangt Wang Yangming auch in diesem wagen, die für sie nicht wirkliche, sondern bloß gedachte Dinge sind, und dadurch
vierten Bericht keine Geheimhaltung: «Die Ansicht von Ruchong [Wang Ji] wollte ins Leere zu geraten. Wenn man diese ethische Praxis mitteilt, muss man dafür die
ich schon lange bekannt machen. Aber da ich fürchtete, dass die Leute nicht daran «Verantwortung übernehmen», dass beim Adressaten die geistige Voraussetzung für
zu glauben vermögen (xin buji ~1'&) und dass dadurch nur das <Übel des Stufen- sie vorhanden ist und dass sie bei ihm in echter Weise zur Auswirkung kommen kann.
überspringens> vermehrt wird (zeng lie deng zhi bin :l!ll~~~), habe ich sie bis heute Das heißt diese Mittelung kann sich nur an einzelne Personen und nicht an ein allge-
verborgen gehalten. [... ] Wenn sie nun aber [von Wang Ji] ausgesprochen wurde, meines Publikum richten. Sie ist auch nicht bloß verbaler Natur, sie hat nicht einfach
ist das eine Fügung des Himmels (tian ji ~~). Wie kann man in der Zeit, in der sie die Form der allgemein begreifbaren Rede, sondern ist eine «Mitteilung von Herz zu
bekannt werden musste, sie weiter geheimhalten wollen!» Doch soll sie auch nicht Herz» zwischen Menschen in einem persönlichen Umgang, in welchem weit mehr
einfach in den allgemeinen öffentlichen Unterricht eingehen. Für den allgemeinen
Unterricht gelten für alle Menschen die «Vier Vorhandensein» von Qian Dehong,
das heißt die «Vier Sätze» mit der positiven Wendung des ersten Satzes: «Menschen
13 5 «Das geheime Verborgene, das direkt von Geist zu Geist übermittelt wird», ist eine zenbuddhistische
höchster Geisteskraft sind auf der Welt schwer zu finden, so dass man nur gemäß den Redeweise. Das «geheime Verborgene» meint eine Wirklichkeit bzw. eine Einsicht, über die nicht
Menschen durchschnittlicher und niederer Geisteskraft die Lehre aufstellen (li jiao allgemein öffentlich gepredigt wird, damit nicht die Rede davon in den Mund von Leuten gerät, die
:fr~) und diesen einen Weg überall anwenden kann (tong ci yi lu JIJ.lt-ll&).» Für die dafür ungeeignet sind und damit Schaden anrichten (vgl. Ding Fubao: Fojiao da zidian, Wenwu chubans-
he, Beijing 1984, S. 919b; Soothill, William Edward: A Dictionary of Chinese Buddhist Terms, London
193 7, S. 33 Sa). Die «Mitteilung direkt von Geist zu Geist» meint eine Übertragung einer Einsicht im
direkten persönlichen Umgang. In Kapitel 1 des «Hochsitz-Sutra des Sechsten Patriarchen» (Fassung
im Ming-Kanon) sagt der Fünfte Patriarch Hongren zu Huineng, nachdem er ihm die «Lehre des
132 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 8, S. 383f. Plötzlichen, den Mantel und die Almosenschale überreicht» und ihn dadurch zum Sechsten Patriar-
133 Dieses «gewöhnliche Herz» (fan xin }l,,t,) hat hier dieselbe Bedeutung wie das «Herz der Gewohn- chen gemacht hat: «Von Generation zu Generation soll die Lehre von Herz zu Herz (Geist zu Geist)
heit» (xi xin ffl,t,), von dem Wang Yangming nach dem Bericht des Chuanxi tu und der «Chronik» übertragen (;,;i xin chuan xin J.1.,t,iiJ,t,) und dabei jeder veranlasst werden, selbst einzusehen und selbst
sprach. Zeuge zu werden (zi wu zi zheng 11:1 ffi 11:1 r.l). Seit altersher haben die Buddhas nur das eigentliche
134 Anspielung auf die Lehre des buddhistischen Mahayana von den «drei Fahrzeugen (Triyana)», die zur Wesen überliefert (wei chuan ben ti 1t~*lll), und die Meister haben im Geheimen das eigentliche
Erlösung führen: das «Große», das «Mittlere» und das «Niedere oder Kleine Fahrzeug», das heißt Herz (den eigentlichen Geist) anvertraut (mi fu ben xin ffi!i<J-*,t,)» (TS, Ed. 48, S. 349a-b; entspricht
das Fahrzeug der Boddhisattvas, das Fahrzeug der Pratyeka-Buddhas (der «Selbsterleuchteten») und der Nr. 9 des Dunhuang-[Fahai-Jfextes). Dieser Gedanke kommt auch in den Versen zum Ausdruck,
das Fahrzeug der Sravakas (der «Hörer des Wortes»). Das «Lotus-Sutra» lehrt die Einheit dieser drei die seit dem 11. Jahrhundert dem Ersten Patriarchen des Zen, Bodhidharma, zugeschrieben wurden:
Fahrzeuge. Auch das «Hochsitz-Sutra des Sechsten Patriarchen» (Fanjing) lehrt, dass das «Höchste «Es ist eine Übermittlung (chrtan •> außerhalb der Lehren, die keine Texte aufstellt. Sie weist direkt
Fahrzeug» das «Kleine», <~ttlere» und «Große» umfasse. Text des Ming-Kanons, Kapitel 7, TS, auf das Herz (den Geist) der Menschen, um die Natur [des Buddha] zu sehen und dadurch Buddha
Bd. 48, Nr. 2008, S. 356c; entspricht der Nr. 43 des Drmhuang-[Fahai-Jfoxtes. (erleuchtet) zu werden.»
1,'

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kommuniziert wird als nur allgemein verständliche Begriffe. Fs geht dabei um die wirklich und ohne Absichten alles unwirklich ist, dann spricht man auf der Grundlage
Auslösung der tiefsten intuitiven Selbsterkenntnis in einem anderen Menschen. Doch des <eigentlichen Wesens [des ursprünglichen Wissens]> über die ethische Praxis (ben
diese «religiös-mystische» Kommunikation darf sich nicht gegenüber der allgemeinen ti shang shuo gongfu *ll:!L.t~r}Jx). Wenn man sagt, dass ohne Absichten alles wirk-
Lehre absondern, die das bei jedem Menschen mehr oder weniger klar vorhandene lich und mit Absichten alles unwirklich sei, dann spricht man auf der Grundlage der
moralische Bewusstsein des Unterschieds zwischen Gut und Schlecht zum Leitfaden ethischen Praxis über das <eigentliche Wesen [des ursprünglichen Wissens]> (_f!,ongfu
nimmt. Diese Lehre der «allmählichen Kultivierung» ist für jedermann gültig, auch shang shuo ben ti J}JJi;;_t~*ilt).> Der Lehrer bejahte seine Worte.» 140 Der von Wang
für jemanden, der zur «Einsicht in das eigentliche Wesen des ursprünglichen Wis- Ji richtig gedeutete Sinn dieses Rätsels Yangmings ist also wiederum das schon auf
sens» gelangt ist. Selbst ein solcher muss sein Wollen und Handeln noch jederzeit der «Brücke des Himmelsquelle» erörterte zweifache Vorgehen der ethischen Praxis:
eiern Urteil (der Unterscheidung) seines Gewissens unterstellen, da auch er noch das Aufgrund der Einsicht in das vollkommene «eigentliche Wesen des ursprünglichen
«gewöhnliche (weltliche) Herz» hat. Wissens» werden auch alle Absichten (Intentionen) «wirklich», das heißt wahr, voll-
1Nährend also Qian Dehong den Lehrer so verstand, dass das von W.'lng Ji kommen; «ohne Absichten (Intentionen)» ist unwirklich, da das «eigentliche Wesen
bevorzugte Vorgehen zwischen ihnen beiden geheimzuhalten und nur für ihren des ursprünglichen Wissens» sich immer in Funktionen (Intentionen) äußert; 141 durch
persönlichen Gebrauch bestimmt, also nicht durch ihre Lehrtätigkeit zu verbrei- jene Einsicht ist also auch die ethische Praxis gegeben (das von W.rng Ji bevorzugte
ten sei, sagt nach W'ang Ji der Lehrer, dass er noch selbst dieses Vorgehen bekannt Vorgehen). Demgegenüber ist im Ausgang vom moralischen Bewusstsein des Unter-
machen wollte und es auch als Bestandteil der Lehrtätigkeit betrachtete, allerdings schiedes zwischen den eigenen g11ten und schlechten Absichten «ohne Absichten» das
unter besonderen Bedingungen und in verantwortungsvoller Zurückhaltung. Dieser Wirldiche, da es hier vor allem darum geht, die schlechten (falschen) Absichten aus-
Meinungsunterschied zwischen den beiden zeigt sich auch in ihrer Wiedergabe ihres zuschalten, und das «mit Absichten» ist das Unwirkliche (Falsche), da in dieser Situa-
letzten Gespräches mit ihrem Lehrer, das sie beide aufzeichneten. Sie hatten Wang tion die schlechten (falschen) Absichten dominieren; durch diese ethische Praxis kann
Yangrning nach seinern Verlassen von ShaoxingAnfang Oktober 1527 über I-Iangzhou, man allmählich «das eigentliche 1Vesen des ursprünglichen Wissens» wiedergewinnen
wo sie den Ort der späteren Tianzhen-Akademie besuchten, 136 noch bis nach Yan tan (das von Qian Dehong befolgte Vorgehen). Seinem Bericht über jenes Gespräch fügt
bei 'fongln, etwa hundert Kilometer südwestlich dieser Provinzhauptstadt, begleitet Qian Dehong anschließend noch folgende Bemerkung hinzu: «Ich verstand dies
und verabschiedeten sich dort von ihrn. 137 Vor diesem Abschied führten sie noch ein- damals noch nicht. Erst nachdem ich mich wiihrend vieler Jahre angestrengt hatte,
mal mit ihrem Lehrer ein Gespräch, das die auf der «Brücke der Himmelsquelle» am glaubte ich daran (xin ~), dass das <eigentliche Wesen [des ursprünglichen Wissens]>
Vorabend der Abreise von Shaoxing gestellte Frage wieder aufnahm, allerdings mit und die ethische Praxis eine Einheit bilden (ben ti gongfu he yi *ffJ}JJi;;-§--). Aber
anderen vVorten. Qian Dehong berichtet in seiner Aufzeichnung dieses Gespräches, der Lehrer sprach damals nur zuföllig darüber, da er gefragt wurde; wenn wir Kon-
die er in den von ihm 15 56 herausgegebenen dritten Teil des Chuanxi lu aufoahrn, fnzianer andere Leute unterweisen, sollen wir nicht aufgrund von solchem unsere
Folgendes: «Als der Lehrer auf dem Weg nach Si'en und Tianzhou [in der Provinz
Guangxi] war, um die dortigen Rebellen zu unterwerfen, begleiteten ich und Ruzhong
[Wang Ji] ihn bis Yantan. Ruzhong [Wang Ji] kam auf die buddhistische Rede von
den <Wirklichen Eigenschaften> (shi xiang JUEI) und den <scheinbaren (unwirklichen) Chan versteht die beiden Ausdrücke im Rätsel als äquivok: Im ersten Teil des Rätsels übersetzt er sie
Eigenschaften> (huan xiang iHEI) zu sprechen. 138 Der Lehrer sagte [mit einem Rätsel]: so: «Wherever the (original) mind is» bzw. «wherever the (original) mind is not»; und im zweiten
Teil des Rätsels übersetzt er sie: «wherever the (subjective) mind is not» bzw. «wherever the (subjec-
<Mit Absichten (you xin ;f!ff!t,,) ist alles wirklich (ju shi shi iHHI); ohne Absichten (wu xin tive) mind is» (Instructions, S. 258). Aber wie die im Text folgende und von Yangming gutgeheißene
1!U,,) ist alles unwirklich (ju shi shi huan ffl::li!:¾J). Ohne Absichten (wu xin 1!!U.,,) ist alles Auflösung des Rätsels durch Wang Ji zeigt, kann das Rätsel nicht bloß in einer Zweideutigkeit des
wirklich (ju shi shi ffl::li!:'.I'.); mit Absichten (you xin 1'f,t.,) ist alles unwirklich (ju shi huan Ausdrucks «xin ,t,» (im ersten Teil des Rätsels verstanden als «original mind», im zweiten Teil als
«subjective mind») bestehen. - Auch Chen Lai: You wu zhi jing, 1991, versteht «you xin 1'i,t,» und
ffl::li!:(J).> 139 Ruzhong [WangJi] antwortete: <Wenn man sagt, dass mit Absichten alles «wu xin 11!{,t,» im ersten und zweiten Teil des Rätsels als zweideutig, aber mit anderen Bedeutungen
als Wing-tsit Chan. Im ersten Teil bedeutet nach ihm «you xin fl 'L'» «das Herz (der Geist) des Vor-
handenseins (des Unterschiedes von Gut und Schlecht]» im Sinne des zweiten bis vierten Satzes der
«Lehre in vier Sätzen», und «wu xin 11!{,t,» bedeutet die falsche Negierung dieses Unterschiedes; im
136 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 2, S. 280f. zweiten Teil des Rätsels bedeute «wu xin 11!{,i',,» ein den Dingen spontanes Entsprechen ohne Haften
137 Siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 103. an Absichten, während «you xin 1'i,i',,» einen planenden und sich anklammernden Geist meine. Chen
138 Zum Beispiel die Unterscheidung des Madhyamika oder des Yogacara zwischen dem, was die Dinge Lai hält selbst einen solchen Sinn für dunkel und widerspricht Wang Yangming, indem er erklärt,
wirklich sind («leer», d.h. ohne eigene Substanz oder bloße Gebilde unseres Bewusstseins), und dem, dass Wang Jis Erklärung des Rätsels nicht zutreffend sei, während ':7angming dieser Erklär_ung aus_-
als was sie unserem irrenden Geist erscheinen (selbständig oder an sich seiend). drücklich zustimmt (siehe die Fortsetzung des zitierten Textes von Q1an Dehong aus dem dntten Teil
139 Die Ausdrücke «you xin 1')1i',,» und «wu xin 11!{,i',,» in diesem Rätsel Wang Yangmings, die wir oben des Chuanxi lu). Unsere obige Übersetzung (Interpretation) folgt den gewöhnlichen, naheliegenden
durch «mit Absichten» und «ohne Absichten» übersetzt haben, sind von verschiedenen Interpreten Bedeutungen von «you xin» und <<Wtt xin», wodurch das ganze· Gespräch verständlich wird.
verschieden verstanden worden, woraus sich auch unterschiedliche Interpretationen dieses Rätsels 140 Chuanxi lu III, Nr. 338, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S.124.
und der im Text des Chuanxi lu folgenden Lösung dieses Rätsels durch Wang Ji ergaben. Wing-tsit 141 Siehe oben in Teil I, Kap. 3, § 1.
lil

438 439

Rede aufstellen.» 142 Qian Dehong lehnte also auch noch 1556 die Mitteilung einer völlig einig, sondern dieses von Wang Ji formulierte Vorgehen entspricht auch Wang
zweifachen Weise der ethischen Praxis im Unterricht ab, obschon er unterdessen das Yangmings eigenem religiösen «Glauben» an das vollkommene «eigentliche Wesen
vom vollkommenen «eigentlichen \Vesen des ursprünglichen Wissens» ausgehende des ursprünglichen Wissens» und seiner Erfahrung, dass durch die «Einsicht» in das
Vorgehen «verstand». «ursprüngliche Wissen» das Schlechte im Herzen seine Kraft verliert, «so wie beim
\Vang Ji lässt in seinem 1574 geschriebenen «Lebenslauf» von Qian Dehong Aufgehen des hellen Tages die Gespenster sich auflösen». 144 Wang Ji brachte etwas
seinen Bericht über das Abschiedsgespräch von Yantan unmittelbar seinem Bericht eindeutig zum Ausdruck, was im Geist seines Lehrers angelegt war. Dieser anerkannte
über das Gespräch auf der <<Brücke der Himmelsquelle» folgen: «Als der Lehrer nach auch explizit von seinen früheren bis zu seinen spätesten Jahren im Anschluss an eine
den beiden Guang [den Provinzen Guangdong und Guangxi] eilte, begleiteten ich Unterscheidung im Zhongyong, die er durch ein Kapitel des Mengzi interpretierte, im
und der Edle [Qian Dehong] ihn bis Y:'lntan. Der Lehrer wiederholte, was er früher Zusammenhang mit verschiedenen Stufen ethischer Reife verschiedene Arten des
gesagt hatte, nämlich dass wir beide gegenseitig voneinander annehmen und nichts ethischen «Lernens». 145 Es ist aber auffallend, dass nur in den beiden auf Wang Ji
von unserer Schule verlieren sollten.» Yangming habe dann jene Rätselfrage gestellt, zurückgehenden Berichten Wang Yangming das von Wang Ji formulierte Vorgehen
die wörtlich so wiedergegeben wird, wie sie Qian Dehong im Chuanxi lu anführt. ausdrücklich als sein eigenes anerkennt, das er «schon seit langem bekannt machen
Der Bericht fährt dann fort: «Der Edle [Qian Dehong] machte Vorschläge, fand aber wollte», aber aus «Furcht, dass die Leute nicht daran zu glauben vermögen und
die Lösung nicht. Ich antwortete: <Der erste Teil [des Rätsels] bedeutet: aufgrund dadurch verleitet werden, Stufen zu überspringen», «verborgen gehalten» habe. 146
des <eigentlichen \Nesens, [des Herzens] die ethische Praxis bezeugen (ji ben ti zheng Während Qian Dehong an dieser Verborgenheit festhalten wollte, war Wang Ji der
gong fu l'l!l;ijs:\lUfJ}J~); der zweite Teil bedeutet: durch die ethische Praxis sich mit
dem eigentlichen Wesen vereinigen (yong gongfu heben ti fflJ}J~ß';ijs:Q). Zwischen
[der Position desj Vorhandenseins [von Gut und Schlecht] und [der Position desj
144 Brief Wang Yangmings von 1527 an Huang Wan, Qumji,j1um 6, Shanghai 1992, S. 219f. (siehe oben in
Nichtvorhandenseins [von Gut und Schlecht] kann kein gegenseitiges [verurteilendes] Teil I, Kap. 2, § 3, S. 166). Wang Yangming gebraucht selbst in seinem 1523 revidierten Vorwort zum
Verhör stattfinden (yuou wu zhi jian bu ke yi zhi jie ~1!!\;zFsi1'-aJ J.-;Ui.lc~).> Der Lehrer «Alten Text des Daxue» im Zusammenhang mit der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
antwortete lächelnd: <So ist es gut, das ist das endgültige Wort (jiu ji zhi shuo ~f.!ii den Ausdruck «wu ffi)) («Einsicht,>, «Erleuchtung»), aber er versteht ihn hier nicht im Sinne von
WangJi als Einsicht in das «eigentliche Wesen des ursprünglichen ·wissens», sondern als «Einsicht»
;zwt). Da ihr das einseht, sollt ihr euch gegenseitig dazu ermahnen. Ihr sollt dafür in den Prozess der «Verwirklichung des ursp1iinglichen \Vissens», so wie er diesen aufgrund des Daxue
schweigend die Verantwortung übernehmen und es nicht leichtfertig ausplaudern (mo darstellt; siehe Quanji,juan 7, Shang·hai 1992, S. 243.
nzo bao ren,fu qing lou xie i!lRi!lR1~iH:E~lilffi~).> Wir gaben unser Jawort und verabschie- 145 Im zwanzigsten Kapitel (nach Zhu Xis Einteilung) des Zhongyong wird unterschieden zwischen solchen
Menschen, die aufgrund ihrer angeborenen Veranlagung erkennen und sicher handeln, solchen, die
deten uns von ihm.» 143 Also auch hier versteht Wang Ji seinen Lehrer so, dass beide durch Lernen erkennen und passend handeln, und solchen, die aufgrund von Mühsalen erkennen und
ethischen Vorgehensweisen gültig sind und dass sie verbunden werden sollen, dass mühsam handeln. In mehreren Texten (Clman:xi tu I, Nr. 6 und Nr. 99; Chuanxi tu II, Nr. 192) nimmt
aber die mystisch-religiöse Praxis, die das immer vollkommene «eigentliche Wesen Wang Yangming anerkennend auf diese Unterscheidung des Zhongyong Bezug, und sowohl im Ge-
spräch mit Xu Ai vom Winter 1512/13 (Chuan:xi /11 [, Nr. 6) als aL1ch in seinem letzten philosophischen
des ursprünglichen \Vissens» zu ihrem Grunde hat, nicht «leichtfertig ausgeplaudert Brief, demjenigen an Nie llao von Ende 1528 (Clmanxi lu II, Nr. 192), interpretiert er jene drei Arten
werden» darf. Bezeichnenderweise lässt Wang Ji den Lehrer die Rätselfrage, die auch des Erkennens oder Wissens durch die drei Sätze vonMengzi (7. Buch, 1. Teil, Kap.1). Im ersten Satz
auf diese mystisch-religiöse Praxis anspielt, aus eigener Initiative und nicht veranlasst dieses Kapitels sagt Mengzi: «Wer sein Herz ausschöpft, erkennt seine Natur; wenn man die Natur
erkennt, dann erkennt man den Himmel.>> In \Mmg Y.mgmings Verständnis charakterisiert dieser Satz
durch die Frage des Schülers stellen. das «Erkennen aufgrund der angeborcnenVeranlagung». Der zweite Satz laui-ct: «Wenn man sein Herz
Qian Dehong hatte im Lauf seines Lebens Mühe, mit dem Verhältnis dieser bei- bewahrt und seine Natur nährt, dann dient man dem Himmel.» Nach Wang Yangming charakterisiert
den Vorgehensweisen ins Reine zu kommen. Er musste auf Geheiß des Meisters auch dies das «Erkennen aufgrund von Lernen». Der letzte Satz lautet: «Wenn man kurzes oder langes
Leben als gleich betrachtet, sich selbst ethisch bildet und [kurzes oder langes Leben] abwartet, hält man
das mystisch-religiöse Vorgehen WangJis irgendwie annehmen. Er wollte es, wie wir dadurch sein Geschick aufrecht (stellt man sich in sein Geschick).» Nach \Vang Yangming charakte-
noch sehen werden, nicht immer aus dem Unterricht der Schule verbannen. WangJi risiert dies das «Erkennen aufgrund von Mühsalen (Mühen),,. In seinem Brief an Nie Bao von 1528
entwickelte seine Sicht des Verhältnisses der beiden Vorgehensweisen nach dem Tod sieht er in diesen drei Arten von Erkennen drei verschiedene Stufen der ethischen Vervollkommnung
und somit der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens», wobei das «Ausschöpfen des Herzens
seines Lehrers noch weiter. Wir werden uns in den nächsten beiden Paragraphen und Erkennen der Natur und des Himmels» die höchste Stufe, das heißt den «heiligen Menschen»,
noch mit den diesbezüglichen Ansichten von Qian Dehong und Wang Ji beschäftigen. ausmacht, und vergleicht diese drei Stufen respektiv mit den ersten Gehversuchen des Kleinkindes, d,1s
Man kann sich fragen, wie die Stellungnahme ihres Lehrers eigentlich lautete. sich noch an den Zimmerwänden halten muss, mit dem Herumgehen des Kindes innerhalb des Hauses
und mit dem Hin- und Herlaufen in Bereich von mehreren tausend ti des erwachsenen Menschen.
Dieser hieß sicher das von Wang Ji formulierte ethische V<irgehen gut und legte es Die nach dieser Rangordnung vollkommenste Stufe des Erkennens, die <«Jas l lerz ausschöpft und die
auch Qian Dehong ans Herz. Nicht nur waren sich die beiden Schüler in diesem Punkt Natur (das Wesen: xing lt) und den l limmel erkennt», erinnert an Wang Jis bevorzugtes Vorgehen
der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens». Ihm wurde später von Nie Bao und Luo Hongxian
vorgeworfen, dass sein «Lernen» gar kein Lernen («Verwirklichen») sei, sondern bereits den vollkom-
142 Chuanxi /11 IIT, Nr. 338, Quanji,j111m 3, Shanglrni 1992, S. 124. menen («verwirklichten,,) Zustand postuliere: siel1e unten, K,1p. 3 und K1p. 4.
143 Qian jun xing zhuang, T,Vi111g L(J11,gxi qurm ji (1822),juan 20, S. 4a (Taipei 1970, S. 1.l 79). 146 Siehe oben in diesem Paragraphen, S. '1-.ll und S. '-134.
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Auffassung, dass er mit dem von ihm formulierten Vorgehen <<des Meisters Grund- Wir finden bei Wang Yangming einerseits die auf das Daxue gestützte Lehre von
lehre in seiner späten Zeit» (shi men wan nian zong shuo Bilir~ 1!$ß1:f:*~), das heißt seine der allmählichen «Berichtigung» des eigenen Handelns, die auf dem zwischen Gut
reifste Lehre, bekannt mache. 147 Andererseits gab Wang Yangming wohl auch zu und Schlecht unterscheidenden Gewissen beruht und eine mühsame Willensanstren-
verstehen, dass WangJis bevorzugtes Vorgehen, wenn gewisse Voraussetzungen nicht gung fordert, und andererseits den im Buddhismus wurzelnden Gedanken vom immer
vorhanden sind, ins «Leere» führen kann, und empfahl gegenüber diesem Vorgehen vollkommenen, jenseits von Gut und Schlecht stehenden «eigentlichen Wesen des ur-
bei der Unterweisung der Schüler Zurückhaltung. Er verlangte dafür aber kaum ein sprünglichen Wissens». Zudem hat er auch die Erfahrung ausgesprochen, dass durch
völliges Stillschweigen gegenüber allen anderen Menschen. Eine solch rigide Stel- die «Einsicht» oder «Klarheit» des «ursprünglichen Wissens» der Widerstand des
lungnahme passt nicht zu Wang Yangmings Charakter; und wir haben auch gesehen, Schlechten gebrochen und das vollkommene Handeln «leicht», «spontan» wird. Diese
wie schlecht sie mit dem Kontext seiner «Stellungnahme auf der Brücke der Him- «Einsicht» oder «Klarheit» des «ursprünglichen Wissens» betrifft bei ihm primär das
melsquelle» zusammenstimmt. Dass ihm 1556 im Chuanxi lu von Qian Dehong ein zwischen Gut und Schlecht unterscheidende moralische Bewusstsein (Gewissen), kann
solch rigides Gebot in den Mund gelegt wird, ist, wie wir noch sehen werden, durch sich aber auch auf das jenseits von Gut und Schlecht stehende «eigentliche Wesen»
die sich aufspaltende Entwicklung der Schule nach Wang Yangmins Tod bedingt. beziehen. Diese verschiedenen Seiten sind bei Wang Yangming zusammen vorhanden,
Seine Stellungnahme war in dieser Hinsicht wahrscheinlich offener, vage, unterbe- ohne in ihrem Verhältnis zueinander deutlich bestimmt zu werden. Offen bleiben für
stimmt. Qian Dehong Zuschreibung eines solch rigiden Urteils war aber auch nicht die ethische Praxis die Frage des Verhältnisses zwischen dem moralischen Bewusstsein
einfach willkürlich, sondern er hielt sich dabei an die allgemeine Lehrtätigkeit seines und dem vollkommenen «eigentlichen Wesen» des Geistes sowie die Frage des Ver-
Lehrers, der selbst nie ein solches Vorgehen ausdrücklich formulierte, was auch Wang hältnisses zwischen der Anstrengung der willentlichen Übung, in der allmählich die
Ji anerkennt, und er konnte sich auf frühere Äußerungen Wang Yangmings berufen, Dispositionen zum Guten gestärkt und die Dispositionen zum Schlechten überwun-
in denen dieser sich vom Charakter eines solchen Vorgehens distanziert hatte: Wang den werden, und der Macht der die schlechten Kräfte auflösenden «Einsicht» in das
Yangming schrieb 1525 in einem Brief: «Unsere Lehre [aufgrund des Daxue] von der «ursprüngliche Wissen». Seine beiden nächsten Schüler haben diese verschiedenen
<Berichtigung [der Handlungen]>, der <Verwirklichung [des ursprünglichen Wissens]>, Seiten auseinandergenommen und miteinander konfrontiert.
des <Wahrhaftigmachens [des Willens]> und des <Gerademachens [des Herzens]> ist Qian Dehong hat sich an die von seinem Meister im Allgemeinen und auch in
auf die sich selbst prüfende Praxis und die wirkliche Anstrengung (shi di yong gang seinen «Vier Sätzen» gelehrte konfuzianische Methode der willentlichen Anstren-
il:l!!!ffl J}.J) im eigenen Herzen des Lernenden in seinen täglichen Aufgaben gerichtet. gung aufgrund des «Gewissens» gehalten. Dies bedeutet nicht, dass sich für ihn das
Es gibt da viele sich folgende Schritte und viel [allmähliches] Ansammeln. Sie ist ge- «ursprüngliche Wissen» (liang zhi Ll!m) auf das moralische Bewusstsein (Gewissen)
rade das Gegenteil von der [buddhistischen] Lehre vom <Leeren> (kong xu ~JE [kann reduzierte. Das «ursprüngliche Wissen» war für ihn auch eine transzendente, religiöse
auch als <Nichtvorhandensein>: wu 1!ll verstanden werden]) und von der plötzlichen Wirklichkeit. Den Glauben, den er in der «Lebenschronik» Wang Yangming nach
Erleuchtung (plötzlichen Einsicht: dun wu illffi-).» 148 Oder in einem anderen Brief dessen Lebensgefahren von 1520 zuschrieb, dass das <«ursprüngliche Wissen> wahr-
ungefähr aus derselben Zeit: «Die Berichtigung jeder unserer Handlungen ist die haft ausreicht (zhen zu ~~), um Unheil und Mühsal zu vergessen und um über Leben
<Verwirklichung des ursprünglichen Wissens>. Das <beständige Wachsein> (chang xing und Tod zu stehen», 152 machte er sich selbst zu eigen. Er schreibt im Februar 1565 in
xing W.:WW) der Buddhisten ist ihre Art, ihr <eigentliches Antlitz> (ben lai mian mu der Grabinschrift für seine Gattin, seinen älteren Sohn und die Gattin seines jüngeren
.ijq!fiffi ~ ) 149 zu bewahren. In den Grundlagen gleichen sich die beiden Praktiken. Aber Sohnes, die alle zusammen mit einer seiner Enkelinnen und einem seiner Enkel in den
die Buddhisten verfolgen dabei egoistische und eigennützige Absichten, so dass doch vorangegangenen fünfJahren gestorben waren, dass das Schicksal undurchschaubar
ein Unterschied zwischen ihnen und uns besteht. Wenn man nämlich nicht an Gutes sei, dass Entstehen und Vergehen, Freude und Trauer unversehens wechselten, drückt
und Schlechtes denken will, 150 damit das <nrsprüngliche Wissen> rein, ruhig und frei aber seinen festen Halt am unvergänglichen transzendenten «ursprünglichen Wissen»
sei, dann ist das schon Egoismus und Eigennutz, ein Planen und Nachhängen und ein aus: «Nur das <ursprüngliche Wissen> steht über Leben und Tod (über Entstehen
Sichversteifen auf die eigene Absicht.» 151 und Vergehen) (zhao sheng chu si im.1=. t±l 9E), es ist die ordnende Grundlage aller Dinge
(wei wan wu ji ~lit~ß); es geht durch tausend Jahre hindurch, hat aber selbst kein
Heute und kein Gestern. Wie könnte ich da mein Herz in Unruhe versetzen, mit
147 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 403 und S. 409f. den Zähnen knirschen und Forderungen stellen, schimpfen und [die Götter] bittend
148 Brief an Gu Dongqiao, aufgenommen im Chuanxi lu II, Nr. 131, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 41.
149 Das Wang Yangming im selben Brief mit dem «ursprünglichen Wissen» identifiziert hatte: siehe oben schmeicheln!» 153 Doch Qian Dehong machte dieses transzendente «eigentliche Wesen
in Teil I, Kap. 3, § 3, S. 203.
150 «Hochsitz-Sutra des Sechsten Patriarchen» (Ming-Kanon): «Wenn Sie nicht an Gutes und an
Schlechtes denken, was ist dann Ihr eigentliches Antlitz?» TS, Bd. 48, Nr. 2008, S. 349b; vgl. oben in
Teil I, Kap. 3, § 3. 152 Nianpu II, unter dem 16.Jahr der Zhengde-Ära (1521), Quanji,juan 34, Shanghai 1992, S. 1278.
151 Brief an Lu Cheng, Chuanxi tu II, Nr. 162, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 67. 153 Qian Dehongji, Nanjing 2007, S. 178.
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des ursprünglichen Wissens» nicht zu einer <<plötzlichen Einsicht», sondern wollte durch seine eigene philosophische Optik bedingt. Er schrieb: «Longxi [Wang Ji] ist
sich vor allem in einer allmählichen willentlichen Praxis an dessen «Ausdruck» oder schließlich in den Zenbuddhismus geraten, während der Herr [Qian Dehong] von
«Erscheinung» im zwischen Gut und Schlecht unterscheidenden Gewissen halten. den konfuzianischen Regeln nicht abwich. Dies ist deshalb so, weil Longxi <über dem
Demgegenüber erklärte Wang Ji den buddhistischen Gedanken des immer Abgrund hängend seine Hände losließ (xuan ya sa shou Bmtlllk=F)> und nicht durch die
schon vollkommenen «eigentlichen Wesens des Herzens» zum Zentrum seiner Grundsätze der Schule gebunden war, während der Herr [Qian Dehong] <sein Boot
ethischen Praxis und bezog Wang Yangmings Gedanken von der Macht der Ein- fahren ließ, indem er es an einem Strick festhielt (ba lan fang chuan te!lltililMl)> und so
sicht in der Weise des Zenbuddhismus auf dieses immer vollkommene «Wesen». Er nichts Wichtiges verlor, aber auch nichts Wichtiges gewann.» 158 Die Formel «über
zitierte mit Vorliebe Wang Yangmings Gleichnis von der aufgehenden Sonne, die dem Abgrund hängend seine Hände loslassen» stammt aus dem Zenbuddhismus,
die Gespenster der Nacht auflöst. Für ihn wurde es zum bevorzugten Gleichnis für und Wang Ji gebraucht sie in seiner Lehre auch selbst. In einem Zusammentreffen
die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens». Er kann schreiben: «Das wahr- mit zwei untereinander befreundeten Bekannten im Kreis Fengcheng, südlich von
hafte <Verwirklichen des ursprünglichen Wissens> ist das, was mit der <aufgehenden Nanchang in der Provinz Jiangxi, sagten ihm diese, dass sie sich um das Lernen der
Sonne, die die Gespenster auflöst>, gemeint ist. Diese den Grund legende und den Konfuzianer bemühten, sich aber im Festhalten an den Pflichten und in der Furcht
Ursprung klärende Lehre ist der beste Schatz der Schule des Konfuzius.» 154 Wang um ihren Ruf nicht frei und ungezwungen fühlten (chao tuo M!ßi); doch wenn sie an-
Ji brachte die Lehre Wang Yangmings in unmittelbare Nähe zum Buddhismus. Als dererseits in ihren Aufgaben nicht besorgt umgingen (zhao guan Jl«'lf), würden sie ins
seine Hauptfrau, die tiefgläubige Buddhistin war, ihn fragte, ob die Lehre Wang Unbestimmte und Zügellose verfallen.Wang Ji antwortete, dass dies so sei, weil sie
Yangmings vom «ursprünglichen Wissen» und die buddhistische Lehre gleich das «ursprüngliche Wissen» noch nicht «verwirklicht» hätten. Es gehe darum, an sich
oder verschieden seien, antwortete er ihr nach seinem eigenen Bericht: «Das <ur- selbst zu glauben (xin ffi°) und sich gemäß dem eigenen natürlichen «Antrieb» (ji :mi) 159
sprüngliche Wissen> ist die Geisteskraft der <Natur> (xing zhi ling lt.Lm), es ist das des «ursprünglichen Wissens» zu verhalten. «Man braucht nicht abzuwehren und zu
einsehende Wesen des Herzens (xin zhi jue ti ,t.,.L1'H). <Buddha> bedeutet Einsehen zügeln (fangjian lln~) und braucht nicht bis ans Ende zu pressen (qiong suo ~~-)» Er
(jue Jl), das Herz ist also Buddha. Die <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> schließt mit den Sätzen: «Wenn Sie fühlen, dass Sie die äußeren Formen (xiang 1§)
ist die Eröffnung der Erkenntnis und Sicht des Buddha (kai fo zhi jian 00-M:~J!). noch nicht vergessen haben und im Grunde das besorgte Umgehen (zhao guan J«l~)
Ich habe noch keine Muße gefunden, um über Gleichheit und Verschiedenheit zu nicht vergessen, dann erlangen Sie nie den Zustand der Freiheit und Zwanglosigkeit
diskutieren.» 155 Doch hielt er sich selbst, wie wir in seiner «Selbstanklage» von (chao tuo zhi qi M!ßi.L:l'!Jl). <Über dem Abgrund hängen und die Hände loslassen, es
1571, als ein großer Teil seines Anwesens und seiner Habseligkeiten verbrannte, [das Wesen des Herzens] in direkter Weise übernehmen (zhi xia cheng dang lCF
gehört haben, nicht für einen Buddhisten, sondern sah seinen konfuzianischen Weg Jf<~).> Wenn Sie die Hände nicht loslassen und das Leben nicht hergeben können
als einen Weg der Mitte zwischen den Buddhisten, die die Welt als Illusion und das (she bu de xing ming ~:fl~lt$), werden Sie bis zum Ende noch nicht dazu kommen,
Leben als eine leere Blase betrachten und sich davon nicht berühren lassen wollen, es zu übernehmen.» 160
und den vulgären Konfuzianern, die den äußeren Dingen nachlaufen und sich durch
sie fesseln lassen. 156 § 4 Die schwankende Haltung Qian Dehongs gegenüber
Huang Zongxi (1610-1695), der Autor der überaus einflussreichen «Doku- der ethischen Praxis im Ausgang vom «eigentlichen Wesen
mente der Konfuzianer der Ming-Dynastie» (MRXA) charakterisierte den Unter- des ursprünglichen Wissens»
schied zwischen den beiden vertrautesten Schülern Wang Yangmings durch zwei
ausdruckskräftige Metaphern. Wir brauchen uns hier nicht darum zu kümmern, dass Qian Dehong wollte nicht immer die von WangJi bevorzugte ethische Praxis, die von
er die beiden nicht als die besten Schüler Wang Yangmings betrachtete; 157 dies war der Einsicht in das immer vollkommene «eigentliche Wesen» des Geistes ausgeht,
geheimhalten und von der Lehrtätigkeit in der Schule ausschließen, so wie er dies
in seinen Berichten von 1556 (dritter Teil des Chuanxi lu) und von 1563 («Lebens-
chronik») über die «Gespräche auf der Brücke der Himmelsquelle» und in Yantan
154 «Antworten auf Fragen von Zhang Yanghe», Ulang Longxi quanji (1822),juan 5, S. 26b (Taipei 1970, zum Ausdruck brachte. Soweit aus den Dokumenten ersichtlich ist, hat er sich nach
S. 390). Andere Stellen, an denen Wang Ji dieses Gleichnis zitiert: Wenjiang shuyuan huiyu [1554], dem endgültigen Abschied von Wang Yangming Ende 1527 in Yantan vorerst einmal
a.a.O,juan 1, S. Sa (Taipei 1970, S. 103); Sanshan /uze lu [1556], a.a.O.,juan 1, S. 17a (Taipei 1970,
s. 121).
15 5 «Worte der Trauer über meine verstorbene Gattin Chunyi aus dem Hause Zhang», Wang Longxi quan
ji (1822),juan 20, S. 83b (Taipei 1970, S. 1538). 158 MRXA,juan 11, Beijing 1985, S. 226.
156 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 409. 159 Zu diesem Begriff des «Antriebes» siehe im nächsten Kapitel den § 2.
157 Er sah die besten Schüler Wang Yangmings in Leuten aus der Provinz Jiangxi: Zou Shouyi, Luo 160 «Antworten bei der Vorbeireise in Fengcheng», Ulang Longxi quan ji (1822),juan 4, S. la-3a (Taipei
Hongxi;n, Liu Wenmin, Nie Bao; siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 6, S. 352f. 1970, s. 277-281).
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hauptsächlich an sein Verständnis der von Wang Yangming selbst gelehrten ethischen wobei sich seine Auffassung des [ethischen] Lernens mehrmals änderte. Zuerst lag
Praxis, das heißt im '\Vesentlichen an dessen Interpretation des Daxue und an die diese seine Sicht beim Tun des Guten und Vertreiben des Schlechten, und er meinte, dass
Interpretation zusammenfassende «Lehre in vier Sätzen», gehalten. Dabei schloss er dies die <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> sei. Aber kaum hatte er das
aber, eingedenk der Mahnung des Lehrers, dass sie beide «voneinander übernehmen» gesagt, fügte er hinzu: <Das ist es noch nicht! Das <ursprüngliche vVissen> ist ohne
sollten, das von Wang Ji bevorzugte Vorgehen nicht aus, obschon er dafür noch kein Vorhandensein von Gutem und von Schlechtem (wu shan wu e ~~1!!Ul[); wie kann
wirkliches Verständnis hatte, wie er selbst in seinem Bericht über das Gespräch von ich daran festhalten, dass sie vorhanden sind und auch zu tun bzw. zu vertreiben
Yantan im dritten Teil des Churmxi lu schrieb. Da er und Wang Ji seit dem Sommer sind!>» 164 Offenbar bemühte sich Qian Dehong in den.Jahren kurz nach dem Tod des
15 32 an verschiedenen Orten als Beamte tätig waren und keinen engen Kontakt Meisters, als er noch zusammen mit Wang Ji in Shaoxing und im Frühling 1532 in
mehr hatten, scheint Qian Dehong in den folgenden Jahren für die von W·mg Ji Peking war, gemäß der Anweisung des Meisters, auch vVang Jis Sicht der ethischen
bevorzugte ethische Praxis immer mehr das Interesse verloren zu haben. Wie wahr- Praxis aufgrund des Gut und Schlecht transzendierenden «eigentlichen Wesens des
scheinlich im bereits zitierten Brief von Wang Ji an Ji Ben von 1536 oder 153 7 zum ursprünglichen Wissens» festzuhalten; aber nach ihm blieb das für den Lernenden
Ausdruck kommt, betrachtete Qian Dehong Wang Jis Vorgehen damals als eines, das Primäre das Tbn des Guten und Vertreiben des Schlechten aufgrund des Gut und
im ethischen Lernen notwendige Etappen überspringen will. 161 Nachdem sie aber Schlecht unterscheidenden 1noral ischen Bewusstseins (des «ursprünglichen Wissens»
1543 bzw. 1542 engültig aus dem Staatsdienst ausgeschieden und in ihre Wohnorte im Sinne des «Gewissens»). Luo Hongxian fahrt fort: «Zchn.fohre später [ca. 1541],
in der Präfektur Shaoxing zurückgekehrt waren, um sich von dort aus gemeinsam als ich ihn in der Hauptstadt [Peking] traf, 165 sagte er: ,\Vie konnte ich in meiner Rede
ganz der Verbreitung der Lehre Wang Yangmings zu widmen, hatten Qian Dehong die Dinge so durcheinanderbringen! Das Nichtvorhandensein von Gutem und von
und \iVang .Ji wieder sehr engen Kontakt, und Qian Dehong scheint nach 1543 für Schlechtem ist eine Meinung (jian ~), es ist nicht das <ursprüngliche Wissen>. Nnr
das von vVang Ji bevorzugte Vt>rgehen ein gewisses Verständnis gewonnen und ihm das, was ich durch mein <[ursprüngliches] vVisscn> für gut halte und dann tue bzw. für
gegenüber eine positive Haltung eingenommen zu haben. Diese Haltung hielt wohl schlecht halte und dann vertreibe, ist das, was ich zu tun vermag (d.h. was im Bereich
bis etwa 15 50 an. Darm nfünlich geriet die Schule Wang Y'lngmings in Aufruhr: Pro- meiner ethischen Fähigkeit liegt). Was nicht daraus hervorgeht, kaim ich nicht tun
minente Nachfolger Wang Yangmings in der Provinzjiangxi, Nie Bao (1487-1563) und soll es auch nicht [im Unterricht] hörcnw'.>» 167 Auch in der Zeit am Fnde seiner
nncl Luo Hongxian (1504-1564), griffen unter Berufung auf Wang Yangming die Beamtentätigkeit lehnt er jene «Meinung» nicht schlechterdings ab, aber nach ihm
Auffassung vVang Jis von der ethischen Praxis an. Sie taten es aber nicht von dem ist sie für den Lernenden eine bloße «Meinung>>, das heißt, sie hat für ihn noch keine
durch Qian Dehong vertretenen Standpunkt aus, sondern unter dem Gesichtspunkt Wahrheit in der eigenen Erfahrung; der Lernende muss sich in seiner ethischen Praxis
eines nochmals anderen Verstiindnisscs von Wang Yangmings «Verwirklichung des an das für ihn zugängliche und relevante «ursprüngliche \Vissen», an das zwischen
ursprünglichen \Vissens». 162 Dadurch lief die Schule Gefahr, auseinanderzubrechcn. Gut und Schlecht unterscheidende moralische Bewusstsein («Gewissen») halten. -
In dieser Situation der Krise nahm Qian Dehong die Haltung ein: «Zurück zu der Als eine weitere, dritte Stellungnahme Qian Dehongs führt Luo Hongxian dann die
von Wang Yangming selbst in seinen letzten Jahren in Shaoxing ausdrücklich gelehr- folgende an: «In diesem Jahr [1548] sahen wir uns im Qingyuan[-Gebirge], 168 und
ten Methode!», um so die Einheit der Schule zu retten. Auf diese kritische Situation er sagte: <Meine frühere Rede war noch dualistisch, enthielt keine Einheit. Denn der
ist es wohl zurückzuführen, dass er seit etwa 1550 gegen die Berücksichtigung von Lehrer [Wang Yangming] sagte: <Das höchste Gute ist das eigentliche Wesen des
Wang Jis Auffassung der ethischen Praxis in der Lehrtätigkeit der Schule opponierte. Herzens (Geistes) (xin zhi ben ti ,t,,.z;zji;ilt); erst nachdem es Tätigkeiten (Bewegun-
Zunächst griff er Wang Ji heftig an, aber seit ungefähr 15 54 scheint er sich mit ihm gen: dong ih) gibt, ist Nichtgutes vorhanden.> 169 Ich kann nicht erzwingen (bu neng bi
darauf geeinigt zu haben, dass der Ansatz bei der «Einsicht in das eigentliche Wesen» 1'~~~'), dass bei ihnen kein Nichtgutes vorhanden ist, ich kann mich nur dabei nicht
nicht in den allgemeinen Unterricht der Schule eingehen solle.
Luo Hongxian schildert in einem Text von 1548 Qian Dehongs wechselnde
Haltung bis zu diesem Jahr in folgender Weise: «Xushan [Qian Dehong] gilt in der 164 «Vorwort für ein Geschenk an QianXushan»,Luo Hongxianji, Nanjing 2007,fuan 13, S. 601; aufge-
Schule Yangmings als jemand, der aufrichtig und solide ist und sich anstrengt. Seit nommen im MRXA,juan 18, Zeng QianXushan, Beijing 1985, S. 418.
sechzehn oder siebzehn Jahren [seit 1532)163 trafen wir uns sechs oder sieben Mal, 165 Qian Dehong befand sich etwa seit 153 7 in Peking, zuerst an der Kaiserlichen Hochschule und danach
im Justizministerium. 1541/42 war er dort im Gefängnis; siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 404.
166 Anstatt «hören» (wen r.11) steht in der abgekürzten Form desselben Textes innerhalb der Biographie
von Qian Dehong injuan 11 des MRXA «tun» (wei ~).
161 Siehe oben in der Einleitung zu diesem 'Ieil II den§ 8, S. 383. 167 MRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 418.
162 Siehe unten, Kap. 3. 168 Im Sommer 1548 traf Luo Hongxian die aus der Provinz Zhejiang angereisten Qian Dehong und
163 Luo Hongxian und Qian Dehong trafen sich zum ersten Mal im Frühling 1532 in Peking, als Luo Wang Ji in der großen Versammlung im Qingyuan-Gebirge, dreißig Kilometer südlich der Präfek-
dort an der Hanlin-Akademie tätig war und Qian Dehong zusammen mit Wang Ji die höchsten turhauptstadtJi'an in der Mitte der ProvinzJiangxi: siehe unten in Kap. 4 den§ 1, S. 629.
Staatsexamen ablegte: siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 55. 169 Vgl. Chuanxi tu III, Nr. 318, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 119.
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[von den vVünschen nach Dingen] bewegen lassen (dong !11). Wenn er sagte, dass die nach dem eigentlichen Wesen des Herzens zu streben (qiu xin zhi ti bu de *'i);zllf
Intentionen (yi ~) Tätigkeiten (Bewegungen: dong !11) sind, ist dies nicht das, was ich :f1ij), Als er aber Xiangshan [Lu Jiuyuan, 113 8-1191] über den Fächerdisput (shan
unter <bewegen lassen> (dong 1/J) verstehe. Was ich unter <bewegen lassen> verstehe, song ~~) 175 sprechen hörte, hatte er plötzlich die Einsicht (huo ran you jue fii}~
sind Tätigkeiten durch Bewegtwerden (dongyu dong 1/JM!b). Wenn ich mich nur nicht 1':f~) und sagte: <Das eigentliche Wesen unseres Herzens (ci xin zhi ti 1Jt,t,,zU) ist
bewegen lasse, dann bin ich mit mir immer eins (zai wo zhe changyi 1:E~~*-); wenn stillehaltend ruhig (zhi jing 1.1:.ffi¼) und [zugleich] in höchster Weise verändernd; es
ich mit mir immer eins bin, dann ist meine Anstrengung völlig leicht (wu zhi li yi yi ist in höchster Weise einsichtig und rzuglcich] in höchster Weise natürlich (zhi ming
~ZJJ ~~).»> 170 1548 nimmt Qian Dehong gegenüber Luo Hongxian also Partei für da zhi zi ran ~BJl~im~ §~).Wenn man daher seiner Natürlichkeit folgt, ist das Se-
eine ethische Praxis, die im Ausgang vom vollkommenen «eigentlichen Wesen des hen von selbst der Klarheit fähig, das IIören ist von selbst der Helligkeit fähig, die
Herzens» sich ganz von dessen spontanen Auswirkungen (Funktionen) tragen und Worte sind von selbst des Bedeutens fähig (yan zi nengyi ~ § fili~), die Tätigkeit ist
sich nicht von vVünschen nach äußeren Dingen bewegen lässt. Es ist die von Wang von selbst der Harmonie fähig, der Dienst an den Eltern ist von selbst der Tugend
Ji bevorzugte «leichte» ethische Praxis, in der das Schlechte seine Widerstandskraft der kindlichen Pietät fähig, der Dienst am Herrscher ist von selbst der Tugend der
verloren hat. Diese Stellungnahme von 1548 stimmt mit der Bemerkung überein, die Loyalität fähig. Das göttliche Gesetz, das ohne [äußere] Kenntnisse, selbst prüft, ist
Qian Dehong seinem Bericht über das Abschiedsgespräch von Yantan im Jahr 152 7 das eigentliche Wesen des Herzens (xin zhi ti ,t,,z\11). Sobald man aber Absichten und
anfügte: ,,Erst nachdem ich mich während vieler Jahre angestrengt hatte, glaubte ich Meinungen aufkommen lässt (qi yi Mt~), gerät man ins Manipulieren l... J.> Deshalb
daran, dass das <eigentliche Wesen [des ursprünglichen Wissens]> und die ethische sagte er lehrend: <keine Absichten und Meinungen aufkommen lassen (bu qi yi 1'~
Praxis eine Einheit bilden.» 171 ~)> und <mit dem Heiligen ist der Geist des Herzens gemeint (xin zhi jing shen shi wei
Aus mehreren Dob1mcntcn geht hervor, dass Qian Dehong sich in den Jahren sheng ,t,,zffi=flll:Z!~~)>. [... ] Die Fähigkeiten des Herrn [V:'lng Cihuj waren erhaben,
zwischen 1543 und 15 50, nachdem er und WangJi sich von ihrer Beamtentätigkeiten sein ganzes Leben lang tauchte er nicht in weltliche Zerstreuungen und wurde nicht
,,urückgezogen hatten und sich von nun an gemeinsam ausschließlich der Schule durch gemeine Gewohnheiten beeinträchtigt. Sobald er daher mit seinem [himm-
vVang Yangmings widmeten, den Gesichtspunkt W'lng Jis anzueignen versuchte. Im lischen] Antrieb in Berührung kam (yi chu qi ji - f!ltlt~), war er auf solche Weise
Jahr 1545 schrieb er eine Aufzeichnung über die Wiederherstellung der Ahnenhalle fähig, die Quelle des Fierzens bis auf den Grund zu verstehen (dong ehe xin yuan 51lllmk
und clerAkaclernie von YangJian (Beiname: Cihu, 1141-1226) im damaligen Kreis Cixi ,t,,;Jffl). Was nun seine Lehre betrifft, so wies er die I ,eute auf dieselbe \Veise an, in der
~;i (heute Cichengzhen ~~ffi), 172 der YangJians Wohnort gewesen war und in der er selbst eindgedrungen war: Er wies direkt auf das eigentliche Herz und wünschte,
Präfektur Ningbo (Provinz Zhejiang), etwa dreißig Kilometer südöstlich von Qian dass man transzendierend plötzlich in es eindringt (zhi zhi ben xin eryu chao dun yi rzt
Dehongs Wohnort Yuyao, lag. 171 Um diese Aufzeichnung war er vom Kreisvorsteher ]i:j:~*,t,,ifüW:Miil®:P).J,.). Diejenigen, die eine hohe Begabung hatten (gen xing li zhe II&
von Cixi unterVcrmittlung eines Nachkommen von YangJian gebeten worden. Qian f:l:.ftl~), vermochten mit dem VVesen in ihrer eigenen Erfahrung zusammenzutreffen
Dehong nimmt in diesem Text von 1545 gegenüber Yang Jian, ·der ein Schüler von und es fortzuführen (di ti chengjie illl:IMtli) und wurden so wie strömende Bäche und
LuJiuyuan (1138-1191) war, eine völlig bejahende Haltung ein. Wie wir schon in der Flüsse. Die weniger Begabten konnten nicht zur gleichen Einsicht kommen (wu bu
Einleitung zu diesem Teil II in§ 8 gesehen haben, wurde Yang Jian von Wang Ji spä- qi ffi1'1iif), und so gab es große Stufenunterschiede. Diejenigen, die seine Rede ohne
testens seit 1532 sehr geschätzt, und der Name YangJians stand in den Diskussionen Verständnis hörten, mutmaßten, dass es sich um so etwas wie Buddhismus handle.»
zwischen den Schülern Wang Yangmings wiederholt für die Position Wang Jis, so dass Nachdem Qian Dehong die Differenz von Yang Jian zum Buddhismus betont hat,
dieser Text auch als Bejahung von WangJis Position zu verstehen ist. 174 Qian Dehong schließt er mit den Worten: «Ich habe ein ehrliches Empfinden für das Lernen des
schreibt: «Ich habe einst die hinterlassenen Schriften des Herrn [Yang Cihu] gelesen Herrn [Cihu] ifangyou gan yu xian sheng zhi xue J:i1':f~M$'r;1:.~~) und beglückwün-
und im Geheimen seine direkt transzendierende höhere Einsicht (zhi chao shang wu sche alle anwesenden Herren zum heutigen Ereignis [der Wiederherstellung der
]ijliLJ:. ffi) bewundert. Am Anfang hatte er noch keine Einsicht und vermochte nicht, Akademie]. Ich bezeuge aufrichtig die Gemeinsamkeit unseres Herzens und wage
so, darüber anmaßend zu berichten und seinem Lernen zu folgen, und veranlasse
diejenigen, die später an diesem Ort [für Cihu] Opfer darbringen, ungefähr auch zu
170 Luo Honxianji, Nanjing 2007,juan 13, S. 60lf.; MRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 418f. wissen, womit sie sich zu beschäftigen haben.» 176 Diese Beschreibung der «plötzli-
171 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 3, S. 437. chen Einsicht» in das «eigentliche Wesen des Herzens», der «Berührung mit dem
172 Auch heute gibt es im Gebiet von Ningbo eine Stadt Namens «Cixi l'iiim», die aber zwanzig Kilometer
nordöstlich von Yuyao liegt und in der Ming-Zeit «Sanshansuo =U-lffl» oder «Xushansuo Jilflllji/f» [himmlischen] Antrieb», der für diese «Einsicht» notwendigen «höheren Bega-
hieß.
173 «Gedenkschrift über die Wiederherstellung der Cihu-Akademie», Qian Dehongji, Nanjing 2007,
s. 171-173.
174 Siehe auch unten in diesem Paragraphen, S. 451, den erwähnten Text, in dem Qian Dehong unter 17 5 Es ist mir nicht bekannt, was mit diesem «Disput» gemeint ist.
dem Namen Yang Jians Wang Ji kritisiert. 176 «Gedenkschrift über die Erneuerung der Cihu-Akademie», Qian Dehongji, Nanjing 2007, S. 172.
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bung», der «Natürlichkeit» der aus dieser «Einsicht» hervorgehenden Tätigkeiten weiß nicht, dass im eigentlichen Wesen des <ursprünglichen Wissens> (liang zhi zhi ti
(Funktionen) trifft vollständig auf Wang Jis Umwandlung der «Lehre in vier Sät- ll!lalzlll) eigentlich kein Gutes und kein Schlechtes vorhanden ist; man betrachtet
zen» und das von ihm bevorzugte Vorgehen im «Verwirklichen des ursprünglichen dann das Machen im Vorhandenen [Guten] (.you wei -fi~) und das Vertreiben im Vor-
Wissens» zu. Qian Dehong anerkennt es in diesem Text von 1545 vollständig und handenen [Schlechten] (.you qu -fi 2i.) als die ethische Praxis und weiß nicht, dass die
schreibt, dass er dafür ein «ehrliches Empfinden» habe. wahre ethische Praxis im tiefsten Erforschen des eigentlichen Wesens [des Geistes]
Direkt auf Wang Ji bezogen beschreibt Qian Dehong seine Annäherung an ihn (jiu ji ben ti ~ffi*lll) und im <Nichtmachen (im Nichtvorhandensein [von Gut und
in einem wohl auch in jenen Jahren um 1545 verfassten Brief an Zhang Yuanchong Schlecht]: wu wei ffl~)> besteht.» 180 Hier stellt Qian Dehong das Vorgehen WangJis
(Beiname: Fufeng), auf dessen Boot am 2. Oktober 1527 die Differenz zwischen ihm im Ausgang vom «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» höher als die
und WangJi hinsichtlich der «Lehre in vier Sätzen» aufgebrochen war: 177 «Das [ethi- ethische Praxis aufgrund des «Gewissens».
sche] Lernen von Longxi [Wang Ji] ist fest und echt; jedes Mal, wenn man ihn mit Nachdem aber 1550 die beiden Nachfolger von Wang Yangming, Nie Bao und
Lob oder Tadel überhäuft, wird er nur noch eifriger und achtsamer. Ich stimmte einst Luo Hongxian, Wang Ji vorgeworfen hatten, dass er ein «schon immer fertiges»
mit seiner Meinung nicht überein. Obschon unser verstorbener Lehrer uns geboten «ursprüngliches Wissen» postuliere und keine wahre Methode habe, um das «ur-
hatte, durch gegenseitiges Sichannehmen Nutzen zu ziehen, gingen wir letztlich doch sprüngliche Wissen» zu «verwirklichen», und als eine solche Methode die «Rückkehr
in unserem Ansatzpunkt (ru chu A~) verschiedene Wege und sahen nicht, wie wir zur zur Stille» («Sitzen in der Ruhe») hinstellten,1 81 distanzierte sich Qian Dehong in
Einheit finden könnten. Nachdem wir aber [von der Beamtentätigkeit] in die Heimat dieser Gefahr der Zersplitterung der Schule von beiden sich gegenüberstehenden
zurückgekehrt waren und vieles zusammen erlebt hatten, wurde ich fähig, in echter Parteien und hielt sich wieder ganz an die vom Meister selbst im Anschluss an das
Weise dem eigentlichen Herzen (Geist) (ben xin *,t,,) zu vertrauen (glauben: xin m), Daxue gelehrte und bewährte Methode, die durch das Handeln gemäß dem morali-
und Longxi [Wang Ji] wurde seinerseits bereit, sich in den alltäglichen praktischen schen Bewusstsein («ursprünglichen Wissen») von Gut und Schlecht «den Willen
Aufgaben abzuschleifen und zu reinigen (mo di .II ~). Von da an war unser Verhältnis wahrhaftig macht». In einer Versammlung, die wohl in denJahren zwischen 1550 und
so, wie es sein soll. Obschon wir nun nicht mehr [als Beamte] in der Öffentlichkeit 1554 stattfand, sagte er in kritischer Absicht sowohl gegen Wang Ji als auch gegen
stehen und uns das Dao (die Lehre) zur Aufgabe gemacht haben, treten doch Worte Nie Bao: «Als früher unser Lehrer seine Lehre aufstellte, machte er klar, dass <das
des Lobes und Tadels auch hier wieder auf. [Unsere] alten Gewohnheiten sind noch Wahrhaftigmachen des Willens> (cheng yi ~~) die Hauptsache des Daxue ist, und
nicht völlig aufgelöst; manchmal treten sie wieder hervor, manchmal verschwinden zeigte, dass <die Verwirklichung des [ursprünglichen] Wissens in der Berichtigung
sie wieder. Doch in ihrer Hauptsache sind sie umgestürzt. Wer kann mir wirklich der Handlungen> die ethische Arbeit (Praxis: gongfu :i:;b~) des <Wahrhaftigmachens
nachweisen, dass ich nicht wahrhaft glaube, wie viele argwöhnen, dass dieses [eigent- des Willens> ausmacht.> 182 Wenn die Schüler dies vernahmen, erhielten sie sogleich
liche] Herz seit jeher nicht zweifach (bu er =f= [nicht gut und schlecht]) ist!»178 Qian Boden unter die Füße, um [mit ihrem ethischen Lernen] beginnen und ihre Tatkraft
Deho1;1g muss seine Übereinstimmung zwischen ihm und Wang Ji betonen, da man anwenden zu können. Diejenigen, die sich unverdrossen anstrengen, gelangen dabei
offenbar in ihrer Umgebung über ihre Differenzen argwöhnte. Es gibt noch weitere bis in das eigentliche Wesen dieses [ursprünglichen] Wissens und bewirken, dass die
Aussagen von Qian Dehong, die ganz aus dem Geiste Wang Jis gesprochen sind. In himmlische Norm (das natürliche Gesetz) sich bei ihnen frei und ohne geringste
einer durch äußere Indizien nicht zu datierenden Versammlung sagte er: «Wenn man Trübung auswirkt (tian ze liu xing, xian yi wu zuo ;lcfl~>liifl-, jHJtAAt'I=) und dass sie allen
das Schlechte vertreibt, muss man bis zu seiner Wurzel gehen, und wenn man das äußeren Anforderungen entsprechen, wobei ihre wahre Substanz beständig stille ist
Gute tut, darf man nicht bei seinem Vorhandensein ausruhen. Das ist die Regel der (qian gan wan ying, zhen ti changji =f!iillM.lllJlH*illil). Das ist der höchste Punkt des
<Berichtigung der Handlungen> (ge wu ffi-!JWJ), aber es ist nicht das Lernen, das bis zum <Wahrhaftigmachens des Willens>. Deshalb bietet die Anstrengung des <Wahrhaftig-
eigentlichen Wesen [des Herzens] forscht (jiu ji ben ti ~ffi:zls:H) und <beim höchsten machens des Willens> dem Anfänger einen ihm angemessenen Zugang (ru shou A =t:),
Guten anhält>. 179 Wenn man die Antriebe zum Guten und zum Schlechten ohne Un- und für den Heiligen (Vollkommenen) ist sie der unerschöpfliche höchste Grad (jing
terbruch und Ende entstehen und vergehen lässt, dann verbirgt man die Wurzel [des yi wu jin ~~fflil).» 183
Schlechten] und verabscheut seine Sprossen, man verschmutzt die Quelle [des Guten]
und unterscheidet die Reinheit des von ihr stammenden Wassers. Man betrachtet dann
das Wissen um das Gute und das Wissen um das Schlechte als das höchste Wissen und
180 MRXA,juan 11, Abschnitt über Qian Dehong, «Worte in Versammlungen», Beijing 1985, S. 229;
übernommen in Qian Dehongji, Nanjing 2007, S. 121, Nr. 11.
181 Siehe unten das Kapitel 3.
177 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 2, S. 416. 182 Zitate aus Wang Yangmings Vorwort (Version von 1523) zu seiner Ausgabe des «Alten Textes des
178 MRXA,juan 11, anZhang Fufeng ~ )'J.~ (1502-1563), Beijing 1985, S. 235f.; übernommen in Qian Daxue»: Quanji, juan 7, Shanghai 1992, S. 242f.
Dehongji, Nanjing 2007, S. 153. 183 MRXA,juan 11, Abschnitt über Qian Dehong, «Worte in Versammlungen», Beijing 1985, S. 232;
179 Zitat aus dem Grundkapitel des Daxue. übernommen in Qian Dehongji, Nanjing 2007, S.123, Nr. 16.
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Das «freie sich Auswirken der himmlischen Norm» ist Wang Jis Formulierung Wirklichkeit ist (wu ti ~lll), das heißt weil beim Herzen [an sich selbst] noch nicht
des idealen Lebens, während das «den äußeren Anforderungen Entsprechen, ohne von [ethischer] Anstrengung (gang J}J) gesprochen werden kann. Erst durch die äu-
die innere Stille zu verlieren», das Ideal Nie Baos kennzeichnet. Qian Dehong betont ßeren Affektionen und die Reaktionen darauf entstehen Handlungen, und Gut und
den beiden gegenüber, dass ihre Ideale nur auf dem anstrengenden Weg des «Wahr- Schlecht nehmen dabei Gestalt an; erst hier haben wir die [ethische] Anstrengung des
haftigmachens des Y-Villens» auf der Grundlage des moralischen Bewusstseins zu ver- feinen Prüfens (jing cha ffi~) und des Sich-selbst-Überwindens (ke zhi s'i5il-). Wenn
wirklichen seien. Er braucht ihre Namen nicht zu nennen, da sie und ihre Ideen unter diese Anstrengung des <Wahrhaftigmachens des Willens> ihren höchsten Punkt er-
seinen Zuhörern sehr bekannt waren. Er fährt in seiner Kritik gegen die beiden und reicht hat, dann ist die Substanz <des Herzens> von selbst still, und die Antworten auf
gegen ihre Schüler fort: «Da unser Lehrer [WangYangming] gestorben ist, kommen die äußeren Umstände sind von selbst [dem natürlichen Gesetz] gemäß. Von den An-
die' Ihebhiifte von Gut und Schlecht von denjenigen in unseren eigenen Reihen, die fängern bis zu den Vollkommenen, vom Beginn bis zum Ende gibt es nur diese eine
das [ethische] Lernen bemängeln, nicht zur Ruhe; sie legen nämlich zu viel Gewicht ethische Anstrengung. Wenn man daher die Stille und die Einsicht sucht, ohne sich
auf die Hervorhebung und Enthüllung der <Substanz> [bzw.] des <eigentlichen We- mit dem <Wahrhaftigmachen des Willens> zu befassen, dann ist es so, wie wenn man
sens> (ben ti 7.Js:lll). Von denen, die solches hörten, meinen die einen [die Parteigänger sich vorstellt, den Kaiserpalast zu sehen, ohne durch seinen Eingang zu treten. Und
Wang Jis], dass das <Wahrhaftigmachen des Willens> nicht ausreicht, um das Dao zu wenn man selbst um die Stille und die Einsicht weiß und die Leute nicht anweist, <den
ergründen, dass vielmehr zuerst die <Einsicht> (wu ffi) [in das <eigentliche Wesen>] Willen wahrhaftig zu machen>, dann ist es so, wie wenn man wünscht, dass die Leute
notwendig ist, durch die von selbst die [schlechten] Intentionen nicht entstehen; die den Kaiserpalast sehen und ihnen gleichzeitig den Eingang dazu verschließt. Das ist
anderen [die A11hänger Nie Baos] meinen, dass die <Berichtigung der Handlungen> beides nicht im Einklang mit Menschen, die sich noch auf dem Weg befinden.» 186
nicht die [ethische] Anstrengung (gong J}J) bezeichne, dass man vielmehr zur Stille [der In einer anderen in einer Versanunlung gesprochenen Rede richtete Qian Dehong
Substm11,J zurückkehren (~uiji iiil ;füi:) müsse, wodurch sich die Handlungen von selbst genau dieselbe Kritik an Yang Jian (Cilm, 1141-1226).rn 7 \Vährend er also in den
zum Guten wenden. In der Folge beschäftigen sie [die Anhänger Wang Jis] sich mit vierziger Jahren unter diesem Namen Wang Ji zugestimmt hatte, gebrauchte er ihn
leeren Gedanken, um nach der <Einsicht> zu suchen, und entfernen sich dabei von den nun, um Wang Ji zu kritisieren.
Regeln der Menschen und Dinge; oder sie [die Anhänger Nie Baos] halten sich an Aus der Vehemenz der zitierten Kritik an Wang Ji ist ersichtlich, dass sich Qian
die <Substanz>, um die Stille zu suchen, und haben dabei keine Verbindung zur geisti- Dehong von Wang Ji bzw. von seinem Ansatz bei der ,,Einsicht in das eigentliche
gen und lebendigen Triebfeder [der Handlungen]. Sie haben das Hohe im Kopf und Wesen des ursprünglichen Wissens» um etwa 1550 entfremdet haben muss. Ein
vernachhissigen dabei die dazu führenden Schritte; sie bewegen sich in Scheinbildern Indiz dafür ist vielleicht auch, dass er seit dieser Zeit seltener gemeinsam mit Wang
und Irrtümern und lassen dabei die einfache und realistische Lehre unseres Meisters Ji an Versammlungen der Schule aufgetreten ZLJ sein scheint. 188 Allerdings nahn1 er
[Wang Y;mgrning] irn Dunkeln.» überhaupt etwas weniger an solchen Versammlungen teil und widmete sich mehr der
Qian Dehong versucht dann zu zeigen, dass nur Wang Yangmings im Anschluss Herausgabe von Wang Yangmings Schriften und der Redaktion der großen «Lebens-
an da; Daxue gelehrte Methode des «Wahrhaftigmachens des Willens» wirklich zu chronik» (Nianpu). 189 Durch diese Veröffentlichungen hoffte er, die Lehre von Wang
jenen hohen Zielen führen kann, während Wang Jis und Nie Baos Reden von «Ein-
sicht» und «Stille» bloß Träume wecken: «Der Meister [Wang Yangming] sagte: <Der
höchste Punkt (Endpunkt) im <Wahrhaftigmachen des Willens> ist nichts anderes als 186 MRXA,juan 11, Abschnitt über Qian Dehong, «Worte in Versammlungen», Beijing 1985, S. 232;
das <Stillehalten beim höchsten Gute11> (zhi yu zhi shan .t.ttk~~) 184 •185 Dieses <Stil- übernommen in Qian Dehongji, Nanjing 2007, S. 123, Nr. 16.
lehalten beim höchsten Gute11> kann niemals außerhalb des <Wahrhaftigmachens 187 MRXA, S. 229; übernommen in Qian Deh<mgji, Nanjing 2007, S. 121, Nr. 10.
188 In Wu Zhens historischer Aufstellung der Gelehrtenversammlungen zwischen 1522 und 1602 (Xinian
des Willens> erreicht werden. Wenn man von <Stillehalten> spricht, muss man nicht 1522-1602, Shanghai 2003) treten Qian Dehong und WangJi in den beidenJahren 1548 und 1549
noch von <Stille> (ji ;füi:) sprechen, denn die Stille ist bereits im <Stillehalten> enthal- fünf Mal gemeinsam in solchen Versammlungen auf, während sie danach nur noch drei Mal, nämlich
ten; wenn man vom <höchsten Guten> spricht, muss man nicht noch von <Einsicht> 15 52, 15 54 und 15 58, gemeinsam erscheinen (QianMing erwähnt in seiner Biographie von Qian De-
hong am Anfang seiner Ausgabe des Qian Dehongji, Nanjing 2007, S. 5, noch unter demJ ahr 15 56 die
(wu fä)> sprechen, denn die Einsicht ist bereits im <höchsten Guten> enthalten. So gemeinsame Leitung einer Versammlung in der Shuixi-Akademie; die von ihm dafür zitierte Quelle
muss beides [Stille und Einsicht] seine Grundlage im <Wahrhaftigmachen des Wil- aus dem Anhang zu Wang Yangmings «Lebenschronik», Quan ji, Shanghai 1992, S. 1348, spricht aber
lens> haben. Dies ist deshalb so, weil das Herz (der Geist) [an sich selbst] noch keine nicht dafür). Wu Zhens Aufstellung zitiert allerdings nur die einzelnen historischen Dokumente und
kann daher nicht alle Versammlungen umfassen. Es ist anzunehmen, dass Qian Dehong und Wang J i
auch gemeinsam an den alljährlichen Opfern für Wang Yangming und den daran sich anschließenden
Gesprächen in der Tianzhen-Akademie bei Hangzhou teilnahmen; zur Tianzhen-Akademie siehe
oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 2.
184 Ausdruck im ersten Kapitel des Daxue. 189 1550 stellte er deren ersten Teil von Wang Yangmings Geburt 1572 bis zu seiner Verbannung in
185 Wörtliches Zitat aus Wang Yangmings Vorwort (Version von 1523) zu seiner Ausgabe des «Alten Longchang 1508 zusammen (siehe oben in der Einleitung zuTeill den§ 1, S. 49, Anm. 1), 1554 und
Textes des Daxue»: Quanji, juan 7, Shanghai 1992, S. 243. 1556 gab er zuvor noch unveröffentlichte Aufzeichnungen von Gesprächen des Lehrers heraus (in
452 453

Yangming zu verdeutlichen und auf ihrer Grundlage die zerstrittene Schule wieder Daxue hochgehalten, um damit auf das menschliche Herz hinzuweisen. [... ] Als der
zur Einheit zu führen. Lehrer starb, hatten Unwürdige wie ich noch nicht das Tiefste der Einsicht erlangt
Diese Haltung kommt besonders deutlich in seiner Vorrede zu den von ihm 1554 und waren auch nicht gewillt, sich hundert Mal anzustrengen. Wir Gleichgesinnten
in der Shuixi-Akademie in der Präfektur Ningguo veröffentlichten Aufzeichnungen (tong zhi 191 ~) zerstreuten uns in alle Richtungen, und jeder zog mit dem, was er
von späten Gesprächen Wang Yangmings 190 zum Ausdruck. Wie wir in der Einleitung erfasst hatte, Schüler an. Die Schüler in den verschiedenen Gegenden hatten lang-
zu diesem Teil II(§ 7) gesehen haben, wurde 1554 in Shuixi eine große Akademie der sam das Gefühl, dass der Richtlinien [in unserer Schule] zu viele sind (tou xu tai duo
Schule Wang Yangmings gegründet, und Qian Dehong und Wang Ji wurden beide ru'tffi:k~). Diejenigen, die sich an die Regeln hielten, klammerten sich an die äußere
eingeladen, in dieser Akademie Versammlungen vorzusitzen. Schon nur im Hinblick Form und erreichten nichts, was über die Worte hinausgeht, und diejenigen, die von
darauf mussten Qian Dehong und Wang Ji sich wieder auf eine gemeinsame Haltung der <Wunderbaren Einsicht> sprachen, sprangen über die Regeln hinaus und waren
einigen. In der erwähnten Vorrede kritisiert Qian Dehong zuerst den Versuch, gleich nicht mehr in Kontakt mit der Wirklichkeit der Handlungsnormen (bu qie shi li zhi shi
am Anfang des Lernens bei der «Einsicht in das eigentliche Wesen» einzusetzen, ohne :;i;:tJJ~3'.;z.Jit). Die Schüler, die lernen wollten, wurden darob krank.»
aber Wang Jis Namen zu nennen: «Wenn die Menschen des Altertums ihre Lehre Nach dieser Kritik an einem Vorgehen, das mit Wang Jis «Einsicht>> beginnen
(ihren Unterricht) aufstellten (li jiao il.l(), haben sie dabei immer diejenigen Leute an- will, und der Klage über das Auseinanderfallen der Schule spricht Qian Dehong
gewiesen, welche die Einsicht (Erleuchtung: wu ffi) noch nicht hatten. Deshalb waren über die Notwendigkeit eines Einverständnisses: «In den letzten Jahren wollten die
ihre Worte einfach und klar. Alle Leute vermochten sie mit ihrem [ursprünglichen] 191 Gleichgesinnten [der Präfektur Ningguo] sich dringend zu Versammlungen treffen,
Wissen und Können zu erfassen (ren ren ke yi yu zhi eryu neng AA i:iJ J.-::.U.~~ii'iH/~fill), und um sich gegenseitig zu ermahnen. Jeder äußerte seine Meinung sehr deutlich, und
wenn sie dann bis zum höchsten Punkt des <Anhaltens [beim höchsten Guten]> gelangt langsam entstand der Antrieb, die Verschiedenheiten zu überwinden und zur Einheit
waren, konnten sie, obschon heilige Menschen geworden, immer noch ihr ganzes zurückzukehren (he yi tong gui ~~la.lM). Erst jetzt dachte man daran, dass die Auf-
Leben lang davon ohne Ende Gebrauch machen. [... ] Das <ursprüngliche Wissen> der stellung des Unterrichts (li jiao il.~) in unserer Schule eine wichtige Aufgabe und
Menschen ist eines, aber das Erlangen der Einsicht [in es] kann nicht bei allen gleich große Anstrengung ist. Denn nachdem jemand das Dao ganz klar gesehen hat, muss er
sein. Es gibt Leute, die sobald sie davon hören (yan xia ~"'F), sofort einzusehen ver- fähig sein, nicht aufgrund dessen, was er selbst eingesehen hat (yi qi suo wu W-!t./iJrffi),
mögen; es gibt Leute, die obschon das <ursprüngliches Wissen> klar ist, nicht unmit- die Leute anzuweisen, sondern für diejenigen, die noch nicht eingesehen haben, die
telbar [einsehen] können, sondern zuerst noch kultivieren und berichtigen müssen; es Methode einzurichten (wei wei wu zhe she fa ~*ffi=ff~~). Deshalb darf deren Höhe
gibt Leute, bei denen das [ursprüngliche] Wissen, erst nachdem sie hundert Mal mehr nicht bis ins Leere hinaufreichen, und ihre Niedrigkeit darf nicht bis zum Festklam-
als andere kultiviert und berichtigt haben, bis auf den Grund verstanden wird. Der mern an äußeren Dingen abfallen, sondern alle Leute müssen gut eindringen können
gute Unterricht spricht nicht über das, was dabei [am Ende] eingesehen wird (qi suo (shan ru ~A). Das ist das Grundprinzip unserer Schule und deshalb nicht leicht klar
wu !t./iJrffi), sondern macht nur den Eingangspunkt [des Lernens] sichtbar (qi suo ru darzulegen.» 192 Am Schluss dieser Vorrede zur Veröffentlichung der Fortsetzung des
!t./iJr A). [... ]Dadurch ist es Leuten höherer, mittlerer und niederer Fähigkeiten mög- Chuanxi lu stellt Qian Dehong diese in den Kontext der Einheit der Schule. 193 Er
lich, ins Dao einzutreten. Wenn man sich nicht um das kümmert, was den Menschen habe sich im Herbst des vergangenen Jahres (1553) in Nanking mit dem Präfekten
zur Verfügung steht, sondern sie durchwegs mit solchem, was sie noch nicht erlangt von Ningguo Liu Qizong (der wesentlich an der Errichtung der Shuixi-Alcademie
haben, vergewaltigen will, dann sagen die Lehrenden: <Solcherart ist das Wunderbare beteiligt war) und anderen «Gleichgesinnten» getroffen, und sie hätten «beraten, die
dieses Dao!>, und die Lernenden sagen auch: <Solcherart ist das Wunderbare dieses alte Lehre festzulegen (shang dingjiu jiao ~"/f.fii~)». Sie hätten gedacht, dass für die
Dao!> Jene lehren bloße Worte, und diese erfassen bloße Worte; die Erklärung löst Lehre der Schule «nichts geeigneter als das Chuanxi lu sei, um die Lernenden zu ver-
sich in bloßen Schall auf, und das Verstehen hängt an bloßen Vermutungen. Wenn anlassen, zur Einheit der Lehre zurückzukehren». Der Präfekt Liu Qizong habe dann
man dann meint, dass das Dao eben solcherart sei, ist das nicht Tollheit und Irrefüh- in der Shuixi-Akademie die Druckplatten der Fortsetzung des Chaunxi lu herstellen
rung! - Wenn unser Lehrer Wang Yangming im Allgemeinen vom Lernen sprach, hat lassen, «um den Lernenden einen Zugang (suo ru Jilr A) zu bieten und sie nicht über
er nie ein einziges [eigenes] Wort aufgestellt, sondern nur die Grundbedeutung des ihren Weg zweifeln zu lassen». 194

den «Gesammelten Werken» Wang Yangµtlngs bilden sie den dritten Teil des Cbuanxi lu; siehe oben
im Anhang zur Einleitung zu Teil I, S. 117f., 1560 bis 1563 vollendete er die «Chronik», und 1566
veröffentlichte er die Fortsetzung der Herausgabe von Wang Yangmings Schriften. 192 Vorwort zur Fortsetzung des Chuanxi lu, Druck der Shuixi-Akademie (Shui xijing she) in der Präfektur
190 Zu dieser Veröffentlichung siehe oben den Anhang zur Einleitung zu Teil I, S. 118. Ninggno, 1554, Quanji,juan 41, Shanghai 1992, S. 1583f.
191 Die Formel «Wissen und Können» spielt wohl auf die Ausführungen über das liang zhi und liang neng 193 Zum Folgenden vgl. oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 9.
inMengzi, 7. Buch, 1. Teil, 15. Kap., an. 194 A.a.O., S. 1585.
II

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Die in dieser Vorrede zur Fortsetzung des Chuanxi lu hervorgehobene Ab- er: «Unser Lehrer ist schon lange gestorben, und sein sittliches Verhalten wird für
sicht, die Lehre der Schule auf den allen zugänglichen Weg der «alten Lehre» uns täglich weniger zugänglich. Wenn man etwas von ihm Geschriebenes erhält, ist
des Meisters zu beschränken, entspricht genau der in diesem Stück des Chuanxi lu es, wie wenn man ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten würde. Auch ist
veröffentlichten Anweisung «Wang Yangmings» an seine beiden nächsten Schüler, heute seine Lehre berühmt; die Lernenden aus allen Gegenden erfreuen sich bloß
sich im Unterricht unbedingt und ausschließlich an seine «Lehre in vier Sätzen» an der Leichtigkeit der <Einsicht> (ling wu zhi yi ®ffi z~) und streben nicht nach
zu halten. Wir haben schon oben in § 3 darauf hingewiesen, dass eine solch rigi- der Realität der persönlichen Praxis (gongjian zhi shi ~~zll); oder sie verlassen
de Anweisung nicht mit dem Kontext seiner Stellungnahme auf der «Brücke der die tägliche Anwendung der gesellschaftlichen Ordnung, ergötzen sich im Leeren
Himmelsquelle» übereinstimmt und dass sie nicht Wang Yangmings Charakter hängend am <wunderbar Plötzlichen> (miao dun !!'.:Pill) und sind der Meinung, sie
entspricht, obschon auch Argumente aus seiner Lehre dafür herangezogen werden hätten es damit erreicht. Wie können solche Leute bei der Lektüre dieser Schriften
können. Es ist zu vermuten, dass eine solche Anweisung «des Meisters» erst vor in ihrem Bewusstsein nicht aufgewühlt werden! Diese Schriften sind Bezeugungen
dem Hintergrund der Gefahr des Auseinanderfallens der Schule nach 1550 von des richtigen Verhaltens unseres Lehrers; wie kann man sie als zu zahlreich (tai Jan
Qian Dehong konstruiert wurde. Wang Ji scheint ihr zum Vorteil der Einheit der :k~) abtun!» Die Spannung zwischen den beiden so ungleichen Hauptschülern
Schule zugestimmt zu haben; er war der «Weichere», Flexiblere und behielt sich Wang Yangmings blieb also bis zuletzt. Aber sie arbeiteten im Interesse der Schule
für das von ihm bevorzugte Vorgehen die «Mitteilung von Herzen zu Herzen» vor. immer zusammen und strebten nach einem verträglichen Verhältnis.
In den Jahren nach 1554 polemisiert Qian Dehong nicht mehr gegen ein Lernen Dies kommt auch im «Lebenslauf» von Qian Dehong zum Ausdruck, den
im Ausgang von der «wunderbaren Einsicht». In seinem Nachwort zur Neuauflage Wang Ji in dessen Todesjahr (1574) im Sinne eines Nachrufs verfasste. Er schreibt
der Fortsetzung des Chuanxi lu von 1556 führt er das Vergessen der Lehren des darin: «Ich denke, dass [wir beide] dasselbe wollten, dass aber unser Charakter etwas
Meisters und die Divergenzen unter den Schülern auf einen Mangel an Anstren- verschieden war; Jeder von uns beiden hatte seine Stärke, aber jeder von uns beiden
gung in der ethischen Praxis und ein Zuviel an Worten zurück, womit allerdings hatte auch seine Schwäche. Ich sagte einmal [zu ihm]: <Was du zustande bringst, ist
auch Wang Ji gemeint sein könnte. 195 Auch Qian Dehongs Vorwort zur 1564 im Allgemeinen solide und fest. Wenn dein Handeln noch nicht völlig frei ist (xingji
vollendeten «Chronik» enthält polemische Töne gegen Leute, die sich zu Wang weijin tuo hua fi~*i'ID~1~), kann man nicht einfach sagen, dass die Anstrengung und
Yangmings Schule zählen, aber mit den Angegriffenen, die «die Sitten geringschät- Praxis noch nicht ausgebildet sei (gang xingwei xiu J:}Jfi*~). Vielleicht ist in Bezug auf
zen und ihren Neigungen folgen», sind wohl gewisse Vertreter der sogenannten den Ort, in dem das Tiefste ans Licht tritt (ehe di tou lu chu ffii~J!R.lß) [d.h. den Ort
Taizhou-Linie gemeint, die von Wang Gen (1483-1541) ausging. 196 Doch 1572, der Einsicht in das eigentliche Wesen des Herzens], noch einiges zu überlegen.> Er
zwei Jahre vor seinem Tod, scheint er erneut gegen WangJis Lehre von der «Ein- antwortete: <Wenn das Tiefste noch nicht gänzlich ans Licht tritt, so gerade deshalb,
sicht» öffentlich Vorbehalte geäußert zu haben. Im Zusammenhang mit der Ge- weil die Anstrengung und Praxis noch nicht ausgebildet ist. Wenn die Anstrengung
samtausgabe der Werke Wang Yangmings von 1572 197 rechtfertigt er sich für seine und Praxis ausgebildet ist, gibt es nichts mehr zu überlegen. Der verstorbene Lehrer
1566 erschienene Ausgabe der «Fortsetzenden Stücke zur Schriftensammlung des [Wang Yangming] sagte: <Die Menschen mit großer Geisteskraft (li gen zhi ren J!;ljffl
Lehrers Yangming». 198 Er schreibt in einem Vorwort von 1572 zur Aufnahme die- zJ....) sind in der Gegenwart nicht leicht zu finden. Wenn der Lernende nicht bereit
ser «Fortsetzenden Stücke» in die Gesamtausgabe, dass es «Mitschüler» (tong men ist, sich wirklich in der Anstrengung der Selbstüberwindung zu üben, dann wird er
lq] r~) gebe, die diese Veröffentlichung von 15 66, die er nun auch in die Gesamtaus- unvermeidlich von bloßen Meinungen herumgeführt.> Man meint so, das eigentliche
gabe übernehmen wolle, als überflüssig betrachten. Mit diesen «Mitschülern» kann Wesen [des Herzens] geradewegs erlangen zu können (jing zao er de ~~ ffii~i), und ist
auch Wang Ji gemeint sein, der im Gegensatz zu den früheren postumen Ausgaben so bei den jeweiligen wirklichen Anstrengungen eilfertig.und nicht genau. Unbewusst
der Werke Wang Yangmings zu dieser Veröffehtlichung von 1566 kein Vor- oder gerät man so in die Stille des Zen, ja sogar in ein zügelloses, vor nichts zurückschre-
Nachwort geschrieben hat. Qian Dehongs Herausgebertätigkeit war also nicht ckendes Verhalten und glaubt dabei noch, dass dies die Natürlichkeit (Spontaneität)
unangefochten. Er rechtfertigt sich mit dem Hinweis, dass in dieser Ausgabe von des eigentlichen Wesens sei (ben ti zi ran *II~?/.\). Diese falsche Redeweise in unserer
1566 viele Briefe und andere Dokumente zwar nur über gewöhnliche Begegnungen Schule muss genau geprüft werden.> Ich denke, dass seine [Qian Dehongs] Art, auf
und kleine Verpflichtungen berichten, dass aber bei genauerer Prüfung überall der die Fehler der Lernenden hinzuweisen, klar und deutlich ist, aber keine endgültige
Sinn der Menschlichkeit und des Mitgefühls zur Geltung komme. Dann schreibt Meinung darstellt. Wenn auch der Anstrengung und Praxis irgendeines Kreisbeamten
keineswegs die Ausbildung fehlen mag, kann man doch noch sagen, dass er das Dao
nicht verstanden hat. In unserem Lernen liegt der eigentliche Wert im Erlangen der
195 Ch1umxi lu III, Nachwort Qian Dehongs nach der Nr. 343, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 126. Einsicht (gui zai de wu i!H:E~iffi). Wenn sich das Tor der Einsicht nicht öffnet, dann
196 Quanji,juan 37, Shanghai 1992, S.1357.
197 Siehe oben im Anhang zur Einleitung zu Teil 1, S. l l 9f. fördert alle moralische Praxis (xiu xing ~fi) nur die leeren Illusionen. Das ist nicht
198 Siehe oben im Anhang zur Einleitung zu Teil 1, S. 119. etwas, was verbales Denken zu erreichen vermag (yan si suo nengji ~,\!:tJi.Jr~&). Man
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kann aber schweigend darum wissen und den Beweis [durch das praktische Leben] in sehen einem Handeln, das in Voraussicht den Ereignissen zuvorkommt, und einem
einer späteren Zeit abwarten. Er [Qian Dehong] hat einmal an Ji Pengshaii Gi Ben, solchen, das auf die bereits eingetroffenen Ereignisse richtig reagiert. 203 Einen beson-
1585-15 63] 199 geschrieben: ,Sie haben mit Longxi [Wang Ji] hin und her diskutiert, und deren philosophischen Sinn hat der Gegensatz von «dem Himmel zuvorkommen»
dabei war es unvermeidlich, dass jeder von Ihnen an seiner Ansicht festhielt. Dadurch und «dem Himmel nachfolgen» durch Shao Yong (1011-1077), einen Konfuzianer
kann man nicht voneinander gegenseitig annehmen (xiang qu *§!&). Das <ursprüngliche der Song-Zeit, erfahren, der mit ihnen zwei verschiedene Arten des «Lernens»
Wissen> ist seit jeher der geistige Schlüssel (fing qiaa f!jl). Wenn man an diesen zu charakterisiert. Shao Yong hatte eine Anordnung der acht Trigramme bzw. der vier-
glauben vermag, dann ist von zuoberst bis zuunterst alles durchdringbar (verstehbar). undsechzig Hexagramme (Zeichen des Yijing) entworfen, die er «die dem Himmel
Longxis [vVang Jis] Meinung ist rasch und direkt. Wenn jemand in seiner ethischen vorangehende Anordnung» nannte und als das allen faktischen Ereignissenzugrun-
Praxis sich in vergänglichen Dingen verfangen hat, dann muss ihm dies beim Hören deliegende «Ordnungsprinzip» (li 1'.) bezeichnete. 21H Die entsprechenden Studien
der Worte von Longxi zu Bewusstsein kommen. Das ist Longxis großes Verdienst in der nannte er «Lernen des dem Himmel Vorangehenden» (xian tian zhi xue J'ckz~).
Führung der Lehre in unserer Schule. Aber wenn [Wang Ji] noch an Meinungen haftet, Er betrachtete aber auch das «Herz (Geist: xin 1G,)» als das vor Himmel und Erde
und [seine] Reden sehr gewunden sind und nicht über die eigenen Absichten hinaus- existierende Dao, aus dem alle Ereignisse hervorgehen, so dass für ihn das «Lernen
gelangen, dann denke ich, dass [seine] an die anderen Menschen gerichteten Worte des dem Himmel Vorangehenden» auch das «Herz» (den Geist) zum Gegenstand
noch gewisse Dinge übersehen.>200 Wenn man dieses von ihm Gesagte betrachtet, dann hat. Demgegenüber bezieht sich das «Lernen des dem Himmel Nachfolgenden» (hau
widersetzte er sich in seinem Herzen der Hauptsache nach nicht meinen Worten. Was tian zhi xue fikz~) auf die in der äußeren Welt erscheinenden Ereignisse (wörtlich:
seine Belehrung über das Haften an den Meinungen betrifft, so muss ich mich wohl Spuren,ji 3t). 205
selbst dazu nicht zwingen. Der Ermahnung des Lehrers [Yangming], voneinander Wang Ji übernimmt diese beiden Ausdrücke des <,dem Hin1rnel zuvorkommen-
Nutzen zu ziehen, haben wir uns vielleicht nicht als unwürdig erwiesen.» 201 den» und des «dem Himmel nachfolgenden Lernens» und unterscheidet mit ihnen
die beiden Weisen der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens», die zwischen
§ 5 Wang Jis Vereinigung der beiden Weisen der «Verwirklichung ihm und Qian Dehong auf der «Brücke der Himmelsquelle» zur Diskussion standen:
des ursprünglichen Wissens» durch die Formel des «dem Himmel Die ethische Praxis, die bei der Einsicht in das <<eigentliche Wesen des Herzens>> bzw.
Zuvorkommens und dem Himmel Nachfolgens» in das immer vollkommene «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» einsetzt,
ist nach ihm das «Lernen, das dem IIimmel zuvorkommt», während das Lernen, das
Im oben in § 3 wiedergegebenen zweiten Bericht Wang Jis über die Stellungnahme die im «Gewissen» bewussten faktischen guten und schlechten Intentionen zum Ge-
Wang Yangmings zu den beiden zwischen Qian Dehong und Wang Ji konkurrie- genstand hat, ein «Lernen, das dem Himmel nachfolgt» ist. Soweit ich sehen kann,
renden ethischen Vorgehensweisen wurden diese durch die zenbuddhistischen Aus- benutzte Wang Ji diese Redeweise schon früher als diejenige von der «plötzlichen»
drücke der «plötzlichen» und der «allmählichen Erleuchtung» gekennzeichnet. Auch und «allmählichen Einsicht (Erleuchtung)>>. Letztere tritt erst in Texten nach 1560
in anderen Texten spricht Wang Ji in dieser Weise von diesen beiden Arten der <<Ver- auf, während jene schon von 1556 an und dann gleichzeitig mit dieser zu finden ist.
wirklichung des ursprünglichen Wissens». Er benutzt aber spätestens seit 1556 für In einem Text, der 15 57 entstanden ist, schreibt Wang Ji: «Das dem Himmel
ihre Charakterisierung auch die Formel eines Gegensatzes, der auf einen der «Fünf Vorangehende ist das Herz (der Geist: xin 1G,); das dem Himmel Nachfolgende sind
Klassiker», auf das «Buch der \iVandlungen» (Yijing), zurückgeht. Es ist dies die Rede die Intentionen (yi ~). Das höchste Gute ist das eigentliche Wesen des Herzens
von «~rian tian !Jc'Jc::.» und «hau titm ~'Je::.», was man wörtlich mit «dem Himmel (der (xin zhi ben ti 1G,;z7.jqffi).»206 Jn einem Treffen im Sommer desselben Jahres (1557)
Natur) vorangehen (zuvorkommen)» und «dem Himmel (der Natur) nachfolgen» mit dem bekannten Literaten Wang Shenzhong .:E tl~ (Beiname: Zunyan Jl/ft,
übersetzen kann. Im Yijing lautet der betreffende Satz: «Wo er [der große Mensch:
dtt ren .:kA.] dem Himmel zuvorkommt (xian tian J'c'Jc::.), da straft ihn der Himmel nicht
Lügen; wo er dem Himmel nachfolgt (hau tian fi'Jc::.), da richtet er sich nach der Zeit
des Himmels.» 202 Gemeint ist in diesem Text wohl ursprünglich der Unterschied zwi-
203 In der heutigen chinesischen Sprache bedeuten «xian tian 'Ji:,;R.» und «hou tian ~'f<:.» den Unterschied
zwischen «angeboren» und «erworben» oder zwischen «konnatal» und «postnatal», zum Beispiel
zwischen einer angeborenen und einer erworbenen Krankheit. Die beiden Ausdrücke haben auch
199 Zu Ji Ben siehe oben in der Einleitung zu diesem 'leil 11 den§ 8. Eingang in die zeitgenössische chinesische Sprache der Philosophie gefonden, in der sie verwendet
200 Auszüge aus diesem Brief von Qinn Dehong sind auch im MRXA,jmm 11, Beijing 1985, S. 234, werden, um die lrnntianischen Ausdrücke a priori und 11 posteriori wiederzugeben.
enthalten. 204 Siehe Gurtn Wll w11i pian, 1. 'lcil.
201 Wang Longxi quanji (1822),juan 20, S. 8a-b (Taipei 1997, S. 1387f.). .. 205 Guan wu wai pian, 2. Teil; vgl. Forke,Alfred: Geschichte der neueren chinesischen Philosophie, 2., unverän-
202 Yzjing, Wen yan >C1is, Kommentar zum ersten Zeichen (qian gua ~il'), Ubersetzung von Richard derte Auflage, Hamburg 1964, S. 23.
Wilhelm, S. 353. 206 Zhi zhi yi bian, Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 5a (Taipei 1970, S. 413).
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1509-15 59) 207 in Fuzhou, der Hauptstadt der Provinz Fujian, erörtert er die beiden Wang Ji scheint hier bloß unter anderen Namen die zwei Vorgehensweisen
auf diesen Unterschied bezogenen Arten des Lernens folgendermaßen: «Das <Ge- des «Lernens» zu unterscheiden, die wir aus seinem Gegensatz zu Qian Dehong
rademachcn des I Ierzens> (zheng xin i:EA>) ist das dem Himmel vorangehende Ler- kennen: das «dem Himmel vorangehende Lernen», das beim immer vollkommenen
nen; das <Wi1hrhaftigmachen der Intentionen> (cheng yi ~~) ist das dem Himmel «eigentlichen Wesen des Herzens» einsetzt (sich eimvurzelt: ti gen ilm), und an-
nachfolgende Lernen. 208 Alle unsere weltlichen Gefühle und Begierden entstehen dererseits das «dem Himmel nachfolgende Lernen», das bei den vom moralischen
mit den Intentionen. Das Herz ist an sich (seinem eigentlichen Wesen nach: ben Bewusstsein unterschiedenen faktischen guten und schlechten Intentionen «ein-
:z)s:) das <höchste Gute>; erst bei der Tätigkeit der Intentionen gibt es Nichtgutes. setzt». Der erste «Lernen» ist aufgrund der «Einwurzelung» in das «spontan» sich
vVenn man fähig ist, bei eiern dem Himmel vorangehenden eigentlichen Wesen des auswirkende «eigentliche Wesen des Herzens» «leicht und einfach», während das
Herzens einzusetzen (xin ti shrmg li gen 1i)IH!J::flm), dann gibt es bei der Tätigkeit andere als Bekämpfung der schlechten Intentionen «kompliziert und schwierig»
der Intentionen nichts, was nicht von selbst gut wäre; alle weltlichen Gefühle und ist. Doch Wang Ji führt wahrscheinlich die neuen Namen ein um anzudeuten, dass
Begierden finden von selbst keinen Raum. Die ethische Praxis der <Verwirklichung er die beiden Vorgehensweisen nicht nur unterscheiden, sondern auch miteinander
des [ursprünglichen] Wissens> ist dann in spontaner Weise (zi ran ~~)<leicht und verbinden will. Denn im Text des Yijing sind es ja nicht 7,wei verschiedene Arten
einfach> (yi_jian ~ !ffi) 209 und erspart die mühsame Anstrengung. Es ist das, was lim von Menschen, von denen die eine «dem Himmel zuvorkommt» und die andere
«Buch der Wandlungen» l gemeint ist mit <dem Himmel nachfolgend richtet er sich «dem Himmel nachfolgt», sondern es ist derselbe «große .Mensch», das heißt für
nach der Zeit des Himmcls>. 210 Wenn man aber bei den dem Himmel nachfolgen- Wang Ji der ideale Mensch, der sowohl «dem Himmel zuvorkommt» als auch
den Tätigkeit der Intentionen einsetzt (dong yi shang li gen !WJ~J::flm), dann ist die «dem Himmel nachfolgt». Wang Ji vertritt spätestens seit dieser Zeit um 1556
Vennisclmng mit weltlichen Gefühlen und Begierden unvermeidlich. Sobald man die Auffassung, dass diese beiden Arten des «Lernens>> nicht zwei voneinander
in diese Verstrickungen und Bindungen geraten ist, muss man sich mit Abschneiden getrennt begehbare Wege des «Lernens», sondern vielmehr zwei verschiedene,
und Abhauen abmühen und hat das Gefühl, dass die ethische Praxis der <Verwirkli- aber notwendige Bestandteile jeglichen guten «Lernens» sind. ln einem Antwort-
chung des [ursprünglichen] 'IVissens, kompliziert und schwierig ist. Wenn man [auf brief an jemanden, der sich auf die von Wang Ji in jenem Treffen mit Wang Shen-
diese \Vciscj das eiern Himmel vorangehende <eigentliche Wesen des Herzens> zu- zhong in Fuzhou oder auch anderswo vollzogene Unterscheidung zwischen dem
rückge,vinnen will (ji1 tr:ian titm xin ti W.$t;li;: 1[)d), so sind viele Anstrengungen nötig. «dem Himmel vorangehendem, und eiern «ihn1 nachfolgenden Lernen» berufen
\Venn [der Lieblingsschüler von Konfuzius] Yanzi etwas Nichtgutes tat, wusste er hatte, schreibt er: «In Ihrem Brief schreiben Sie, dass ich <das Geradcmachcn des
es immer und wiederholte es nie; das ist das <einfache und leichte> Lernen, das dem Herzens (Geistes)> als das dem Himmel vorangehende Lernen und das <Wahrhaf-
J Iimmel vorangeht. [Ein anderer Schüler von Konfuzius] Yuan Xian [auch Yuan Si tigmachcn der 1ntentionen> als das de1n Himmel nachfolgende Lernen betrachte.
genannt] musste ,ibschneiden und bezwingen, um Hass und Begierden nicht laufen Wenn man diese zu sehr voneinander trennt, kann ich es nicht bejahen. Jeder
zu lassen; das ist das komplizierte und schwierige Lernen, das dem Himmel nach- Mensch hat von Anfang an zwei Arten von geistigen Anlagen (gen qi mH), [näm-
folgt. Man muss [diese beiden Arten des Lernens] unterscheiden.» 211 lich einerseits] die Intentionen, welche die Auswirkungen (Funktionen: liu xing
mtf:r) des Herzens (Geistes) sind, und [andererseits] das Herz selbst, welches das
herrschende Prinzip (zhu zai ::l::$) der Intentionen ist. Wie könnten diese beiden
jemals getrennt sein! Aber wenn man beim [eigentlichen] Herzen einsetzt (li gen
:flm), dann sind zusammen mit dem Herzen, in dem Gutes und Schlechtes nicht
vorhanden sind, auch die Intentionen ohne Gutes und Schlechtes. Das, was dem
207 Wang Shenzhong stand der Schule Wang Yangmings nahe. Er hatte 1526 als Frühreifer mit siebzehn
Jahren das höchste Staatsexamen bestanden und war mit Tang Shunzhi (1507-1560), dem engsten Himmel vorangeht, beherrscht so das, was dem Himmel nachfolgt (xian tian tong
Freund von Luo Hongxian (siehe unten in Kap. 4 den§ 1), befreundet. Nach einer brillanten Lauf- hou tian .$\:;.;li;:~~;li;:); es ist die höhere geistige Anlage (shang gen zhi qi J:m.zH).
bahn hatte er sich schon 1541 wegen eines Konfliktes mit dem damaligen Ersten Großsekretär Xia Wenn man dagegen bei den Intentionen einsetzt, steht man unvermeidlich vor der
Yan ~ 1§l" (zu Xia Yan siehe den Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 40f.), in seine Heimat Fujian
zurückgezogen (zu Wang Shenzhong siehe DMB, S. 1398f.). Wahl zwischen den Gegensätzen von Gut und Schlecht, und auch das Herz ist davon
208 Bezugnahme auf das immer wieder zitierte erste Kapitel des Daxue. betroffen. Das ist das Zurückgewinnen des dem Himmel Vorangehenden durch das
209 Anspielung auf das «Buch der Wandlungen» (Yijing), «Großer Anhang» (Xi ci), 1. Teil, Kap. 6: «Das dem Himmel Nachfolgende (hou tian fu xian tian ~.;li;:~5\:;.;li;:); dieses sind die mitt-
Schöpferische (qian) [...] entspricht durch das Gute des Einfachen und des Leichten der höchsten
Tugend.» Übersetzung von Richard Wilhelm, S. 280. leren und niedrigen geistigen Anlagen (zhong gen yi xia zhi qi i:p mt.J. T- .z ff). Mein
210 Siehe das Zitat aus dem Yijing, oben, S. 456f. Leitprinzip der Vereinigung des [dem Himmel] Vorangehenden und des [dem Him-
211 Sanshan lize lu («Aufzeichnung von Lize in Sanshan [= Fuzhou]»), Wang Longxi quan ji (1822), mel] Nachfolgenden (qu qu xian hou he yi zhi zong 1@:1@:7't~.g.-..z*) besteht gerade
juan 1, S. llb-12a (Taipei 1970, S. ll0f.). Dieses Treffen fand im Sommer 1557 statt (siehe Wu Zhen:
Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 215). Ein paralleler Text findet sich in Lu Wutai zeng yan («Gabe im Hinweis darauf, dass man hier nicht trennen darf (bu ke Jen 1''i:iJ 7.l'). Vollzieht man
an Lu Wutai»), Wang Longxi quanji (1822),juan 16, S. la-b (Taipei 1970, S. 1109f.). hier unvermeidlich gewisse Unterscheidungen, so tut man dies im Hinblick auf die
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zwei Arten von geistigen Grundlagen (liang zhong gen qi ffifflULH;§) [seil. «Herz» und machen (xing zhi ttZ). 11-itt man dagegen beim Allmählichen (jian ~) [d.h. bei der
«Intentionen»], und man befindet sich nur in einer relativen (vorläufigen) Redeweise allmählichen Kultivierung]2 17 ein, dann gewinnt man mit der ethischen Praxis das
(qumz Ja ;tl51).» 212 <eigentliche Wesen [des Herzens]> zurück (yong gongfu yi fit ben ti ffl Jj] ~P).~:zjs:U). Das
Wang Ji bezieht hier den Unterschied zwischen den zwei verschiedenen Vor- andauernde Ausziehen der Wurzeln der Wünsche und das Vertreiben der <gemischten>
gehensweisen der ethischen Praxis nicht auf zwei verschiedene Arten von Menschen, (nicht einheitlichen, geraden) Gedanken (za nian *1%), 218 um auf diese Weise seinem
sondern auf unterschiedliche geistige oder seelische «Grundlagen», die in jedem Men- <Antrieb des Himmels> zu folgen (shzm qi tirm ji JllfiiJ't3i:~) und sich nicht in jene [Wün-
schen vorhanden sind und prinzipiell in der ethischen Praxis eines jeden Menschen sche und Gedanken] verwickeln zu lassen, das heißt <Zu ihm [zum eigentlichen Wesen l
eine Rolle zu spielen haben. Er unterscheidet sie abstrakt oder «idealtypisch» als zwei zurückkehren> (Jan zhi &z). [Auch] wenn es nötig ist, das Vertreiben der Wünsche
verschiedene Vorgehensweisen, betont aber gleichzeitig, dass sie in der konkreten zur Hauptsache zu machen (yi quyu wei zhu J..).. *W:ß1i:i:) und so danach zu streben, das
Realität immer 7,usarnrnen angewandt werden müssen, wenn auch ihr respektives Wesen [seines Geistes] zurückzugewinnen (fit qi xing ffi:;lstti), so sind das Plötzliche
Gewicht bei verschiedenen 1\ilenschen und in verschiedenen Situationen eventuell und das Allmähliche [doch] nie1nals voneinander getrennt (dun yu jian wei chang yi
unterschiedlich sein mag. il~~*ii~).»219
Diese notwendige Zusammengehörigkeit kommt noch deutlicher im folgenden Nach diesem 'Iext von Ende 15 62 ist auch jemand, der bei der «plötzlichen
'Iext zum Ausdruck, der ein Gespräch Wang Jis mit Luo Hongxian vom Dezember Einsicht» in das «eigentliche \Vesen des Herzens» einset7t, nicht einfach über den
1562 festhält. 213 Wang Ji unterscheidet hier die zwei Vorgehensweisen nicht mehr Unterschied zwischen Gut und Schlecht erhaben, wie er es nach W,rng Jis negativer
mit dem aus dem konfuzianischen «Buch der Wandlungen» stammenden Gegensatz Umgestaltung der «Vier Sät7C» eigentlich sein müsste. Auch in diesem Vorgehen
des «dem Himmel Zuvorkommens» und des <<dem Himmel Nachfolgens», sondern ist sich der Mensch, konkret betrachtet, im <<Gewissen» noch eigener schlechter
mit der zenbuddhistischen Redeweise der «plötzlichen» und der «allmählichen Intentionen bewusst, wenn sie sich aufgrund seines lebendigen Kontaktes mit dem
Erleuchtung» und charnkterisiert ihren Unterschied durch die beiden siebenglied- vollkommenen Wesen seines F-Ier:;.ens auch leicht auflösen. Das Wichtige ist, dass
rigen Formeln «aufgrund des eigentlichen Wesens [des Herzens] die ethische Praxis nach Wang Ji die «Einsicht in das vollkommene vVesen» in der konkreten ethischen
ausüben (ji ben ti yi wci gongfi1 fü):zjs:!ffi]..:;J..!.il,J;b.1<.:)» und «mit der ethischen Praxis das Praxis auch noch des «moralischen Bewusstseins des Unterschiedes zwischen Gut und
eigentliche \Vesen [des Herzens] zurückgewinnen» (yong gongfu yi ftt ben ti J:l=jJ:}J5'<.:J.,).. Schlecht», das heißt des «Gewissens», bedarf, dass also beide zusammen auftreten
ffi:7.Js:R): 214 «Obschon die <Verwirklichung des [ursprünglichen] Wissens> im Lernen müssen, auch wenn sie abstrakt zu unterscheiden sind. Umgekehrt braucht nach Wang
der [konfuzianischen] Heiligen und Weisen nur eine ist, so gibt es doch verschiedene Ji das «Vertreiben des Schlechten» aufgrund des ,,Gewissens» auch die Verbindung
Eintrittsstellen (Ansat7punktc: suo ru ?.IT..\). Tritt man beim Plötzlichen (dun ii) [d.h. mit dem Völlkommenen im \,\lesen des eigenen Geistes. \,\/ir haben schon mehrmals
bei der plötzlichen Einsicht] ein, dann übt man aufgrund des [eingcsehcnenl eigentli- seinen Satz aus seiner Biographi<-: über Qian Dehong zitiert: ,<Wenn das Tbr der
chen Wesens [des Herzens] die ethische Praxis aus (ji ben ti yi wei gongfa ruJ:zjs:!HlP). 215 !.il, Einsicht (wu ffl) [in das <eigentliche Wesen>] nicht geöffnet ist, gibt es nichts, was das
J;b 5'<.:). Der <Antrieb des Himmels> (tian ji ~~)216 wirkt sich so beständig aus, und die
Arbeit in den täglichen Verpflichtungen verlässt nicht das Wesen der [vom Himmel
bestimmten] <Natur> (bu li xing ti ::y;jltt!I). Obschon Wünsche (yu nian W:~) vorhan-
217 Wang Ji unterscheidet zwischen «plötzlicher» und «allmählicher Erleuchtung» sowie zwischen
den sind, lösen sich diese doch auf, sobald man sich ihrer bewusst wird (jue 11), und «plötzlicher» und «allmählicher Kultivierung» (xiu ~). Die «plötzliche Erleuchtung» ist der direkte
es kommt nicht zur Verstrickung in sie. Das heißt sie [die ethische Praxis] wesenhaft «Eintritt» in das vollkommene «eigentliche Wesen des Herzens», und die «plötzliche Kultivierung»
ist die daraus sich ergebende «leichte und einfache» ethische Praxis. Die «allmähliche Kultivierung»
ist der «Eintritt» beim moralischen Bewusstsein der «guten und schlechten Intentionen», und die
«allmähliche Erleuchtung» ist die aufgrund dieser ethischen Praxis sich ergebende «Zurückgewin-
212 «An Feng Weichuan», Wang Longxi quan ji (1822),juan 10, S. l la (Taipei 1970, S. 669). nung des eigentlichen Wesens des Herzens»: «In Beziehung auf das <eigentliche Wesen> (ben ti,ll;III)
213 Näheres über dieses Gespräch unten in Kap. 4 den § 9. [des Herzens] gibt es die plötzliche und die allmähliche Erleuchtung; in Beziehung auf die ethische
214 Dieses Formelpaar verwendet Wang Ji leicht verändert auch in einem Brief an Mao Zhiqing: «Yao und Praxis (gongfit J;/J ;/;:) gibt es die plötzliche und die allmähliche Kultivierung (xiu ~). Alle festgehalte-
Shun waren in ihrer Person rein und klar, die Hindernisse und Verdunkelungen waren leicht. Das ist nen Fäden zusammen zerschneiden, das ist die plötzliche Methode (dun Ja ffi5!); die Keime wachsen
<die ethische Praxis aufgrund des eigentlichen Wesens> (ji ben ti bian shi gongfu f!l],il;llf-(f:Jil:J;/J;/;:) und lassen, bis sie allmählich gute Früchte bringen, das ist die allmähliche Methode (jian fo 1'li$).» Liu du
wird das <Lernen des Wesenhaftmachens> (xing zhi zhi xue lt.2..2.~) genannt. Von Tang und Wu an hui ji («Niederschrift aus der Versammlung beim Aufenthalt in der verbliebenen Hauptstadt [Nan-
[Begründer der Shang- und Zhou-Dynastien] wurden die Begierden groß und die Hindernisse und king]») [1565],Antwortauf eine Frage von Geng Dingxiang(l524-1596), Wang Longxi quanji (1822),
Verdunkelungen schwer. Das ist <mit der ethischen Praxis das eigentliche Wesen suchen> (;yong gang juan 4, S. 14a (Taipei 1970, S. 303).
fit qiu fa ben ti fflJ;/J;/;:,.f<Jl,!l;lll) und wird das <Lernen des Zurückkehrens> (Jan zhi zhi xue Ei..2..2.~) 218 «Gemischte Gedanken» ist wohl der Gegensatz zu den «einen, ersten Gedanken» (;yi nain -~), in
genannt.» Wang Longxi quan ji (1822),juan 9, S. 34b (Taipei 1970, S. 642). denen sich das «ursprüngliche Wissen» ohne Behinderungen spontan äußert: siehe unten in Kap. 2
215 Das «yi J./.» steht nur in der Fassung imjuan 14, S. 23b (Taipei 1970, S. 992). den§ 5.
216 Zu diesem von Wang Ji häufig gebrauchten Ausdrnck, der das spontan sich auswirkende «eigentliche 219 Songyuan wu yu [Dezember 1562], Wang Longxi quan ji (1822),juan 2, S. 17a (Taipei 1972, S. 193);
Wesen des Herzens» bezeichnet, siehe unten im nächsten Kapitel den§ 2. paralleler Text in juan 14, S. 23b (Taipei 1970, S. 992).
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ethische Lernen wahr macht (zheng xue 1t•); alles ethische Praktizieren (xiu xing ~fi) Kapitel 2
fördert dann nur noch die leeren Täuschungen.» 220 In einer Versammlung vom Jahr
1565 in Nanking fasste er beide Seiten zusammen: «Einsicht (wu ffi) ohne ethisches Wang Jis «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
Kultivieren (xiu ~) ist ein bloßes geistiges Spiel; ethisches Kultivieren ohne Einsicht durch Einsicht in dessen «eigentliches Wesen»
fördert die leeren Täuschungen. Diese zwei Seiten haben viele Namen. Wenn man
gründlich über sie sprechen will, dann werden sie von den drei Wörtern <Verwirkli-
chen des ursprünglichen Wissens> (zhi liang zhi ~ !.il!ßl) ausgeschöpft.»221 Das Zentrum von WangJis Lehre von der «Verwirklichung des ursprünglichen Wis-
Auf diese Weise hat Wang Ji spätestens seit etwa 1557 die Forderung Wang sens» ist die «Einsicht» in das immer vollkommene «eigentliche Wesen des ursprüng-
Yangmings an seine beiden vertrautesten Schüler auf der «Brücke der Himmelsquel- lichen Wissens» und die durch diese Einsicht hervorgebrachte freie Äußerung dieses
le» erfüllt, dass der eine vom anderen das Vorgehen des ethischen Lernens überneh- Wesens im Streben und Handeln. Daher schreibt Wang Ji: «Das [ethische] Lernen
men soll, und er hat es in der Weise verwirklicht, die Wang Yangming in der von Wang ist nichts anderes als Einsehen (Bewusstwerden) (xue jue er yi •JlimB).»1 Um seine
Ji gutgeheißenen Aufzeichnung in der 15 63 fertigg·estellten «Lebenschronik» verlang- Lehre wirklich begreifen zu können, müssten wir vor allem bewusstseinsanalytisch
te, aber nicht in derjenigen, wie sie in der auf Qian Dehong allein zurückgehenden verstehen, worin diese Einsicht besteht und wie sie vollzogen wird. Bevor wir uns
Aufzeichnung aus dem zwischen 1555 und 1556 zum ersten Mal veröffentlichten direkt dieser Frage zuwenden, erörtern wir die fundamentale psychologische Voraus-
dritten Teil des Chuanxi lu geschildert wird: Er hat die Forderung erfüllt, dass jeder setzung, von der WangJis Lehre der «Einsicht» ausgeht(§ 1), und verdeutlichen die
von beiden dieses gegenseitige Übernehmen im eigenen persönlichen «Lernen» zu ontologische Struktur, in der er diese Lehre ausdrückt (§ 2).
verwirklichen habe.
Bevor wir weitere Diskussionen aus der Schule Wang Yangmings über die «Ver- § 1 Die Grundvoraussetzung und der Ausgangspunkt von Wang Jis
wirklichung des ursprünglichen Wissens» studieren (siehe unten, Kap. 3-5), in denen Lehre der «Einsicht»: Das vollkommene «Wesen des ursprünglichen
Wang Ji immer eine sehr wichtige Rolle spielen wird, versuchen wir im nächsten Wissens» manifestiert sich lauter (rein) in aktuellen Bewusstseins-
Kapitel (Kap. 2) genauer zu verstehen, was für ihn die «Einsicht» in die Substanz phänomenen aller Menschen
des Herzens (xin ti ,t,,fl), die konkret auch die «Einsicht» in das die Funktionen um-
fassende «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» (liang zhi ben ti !.il!ßl7.J5:fl) Wang Ji betont in Auseinandersetzungen mit verschiedenen «Gleichgesinnten», vor
ist, bedeutet. allem mit Luo Hongxian, immer wieder, dass das «ursprüngliche Wissen» in seinem
jeweiligen aktuellen Auftreten im menschlichen Bewusstsein «von Anfang an vollkom-
men ist» (ben lai wan ju **~Jt),2 dass es «auf der Stelle [an der Stelle, wo es auftritt]
vollständig ist» (dang xia ju zu ~T-JJ.JE.), «in seinem jeweiligen jetzigen Zeitpunkt
vollständig ist» (xian zai ju zu JJi{:EJJ,JE.) 3 und zu dieser Vollständigkeit keiner «Kulti-
vierung» oder «Vervollkommnung» bedarf. Diese Aussagen beziehen sich nicht auf
das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» in seiner Ganzheit, sondern
auf dessen beschränkte «Erscheinungen» als aktuelle Intentionen und Gefühle im
individuellen Bewusstsein einzelner Menschen. Seine Kritiker sagten von ihm, dass
er das «ursprüngliche Wissen» als etwas «bereits fertig Gemachtes», «fertig Vorlie-
gendes» (xian cheng JJiJ5JG)4 betrachte. 5 Auch bei heutigen japanischen und chinesischen

«Abriss einer Ansicht über die Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» [15 57], Wang Longxi quan
ji (1822),juan 6, S. 3a (Taipei 1970, S. 409); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 6, S. 132.
2 Fuzhou Nixiantai huiyu [1562], Wang Longxi quanji (1822),juan 1, S. Ba (Taipei 1970, S. 153); Wang
Jiji, Nanjing 2007,juan 1, S. 27.
3 Zhizhiyi bian [1558], 1. Stück, Wang Longxi quanji (1822),juan 6, S. 6b (Taipei 1970, S. 416); Wang]i
ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 134; vgl. an Luo Nian'an, Wang Longxi quan ji (1822),juan 10, S. 4a (Taipei
s.
1970, 65 5).
220 Qianjun xing zhang, Wang Longxi quanji (1822),juan 20, S. Sb Claipei 1970, S. 1388). 4 «Xian cheng JJl.lilt» wird in der Alltagssprache gebraucht, um bereits fertig gemachte Kleidung (Kon-
221 «Aufzeichnung der Versammlung in der verbliebenen Hauptstadt [Nanking]» [1565], Wang Longxi fektionskleidung), bereits fertig zubereitetes Essen, schon fertige Antworten zu bezeichnen.
quanji (1822),juan 4, S. 14b (Taipei 1970, S. 304). 5 Siehe unten, Kap. 3.
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Philosophiehistorikern wird dieser Ausdruck gebraucht, um Wang Jis Position zu des <Sichsammclns und Bewahrcns> 11 vorhanden. Das ist die Lebensader des Lernens
charakterisieren. 6 Von sich aus gebraucht Wang Ji jedoch diesen Ausdruck nicht, um der Heiligen [von Konfinius und seinen Nachfolgernj.>, 12 Oder wieder dasselbe mit
das «ursprüngliche \Vissen» im akn1ellcn Bewusstsein des Menschen zu beschreiben, etwas anderen Worten: ~<Es gibt Leute, die sagen, dass das <ursprüngliche Wissen>
sondern greift ihn nur auf, wenn er sich mit seinen Kritikern auseinandersetzt, die nicht fertig (xian cheng l~rx,) sei, sondern erst durch Verbesserung vollständig (quttn
diesen Ausdruck kritisch gegen ihn ins Feld geführt haben. In seiner Sichtweise ist it) werde. [... ] Doch, wenn man ein Kind in einen Brunnenschacht fallen sieht und
dieser Ausdruck auch kein angemessenes Prädikat für das im menschlichen Bewusst- dabei Mitgefühl empfindet 13 oder wenn man Nahrung mit den Füßen zugestoßen
sein aktuell auftretende «ursprüngliche Wissen». Denn erstens ist dieses nach ihm bekommt und dabei Scham und Abscheu cmpfindct,M so ist das Herz der Güte (ren
nichts fertig Gemachtes, sondern etwas von Anfang an Vollständiges, Vollkommenes, 1=) und der Gerechtigkeit (yi ~) von Anfang an vollkommen (ben lai wtmju ~*1t~),
und zweitens ist es nicht etwas Offenlicgendes, allgemein Verstandenes; sogar von es antwortet in göttlicher Weise auf die Sit1rntion, der es begegnet, <es kann, ohne zu
den Mitgliedern der eigenen Schule schreibt Wang Ji 15 58, dass sie «nicht fähig sind, lcrnen>. 15 Wenn man meint, dass das <ursprüngliche Wissen> erst durch Kultivierung
in das Verborgene [des ,ursprünglichen Wissens>] einzutreten (ru wei J\11'&)» und das vollständig werde (you xiu er hou qumz rn11ifmf&it), dann greift man störend in sein
«ursprüngliche Wissen» ,,mit dem angelernten Wissen (zhi shi ~iilft) vermengcn». 7 Wesen ein (nao qi ti ffi~lll).» 16
\Vang Ji schreibt 15 62 über seinen Kritiker Luo Hongxian: «Was seine Meinung Für die Gleichheit des «ursprünglichen Wissens» beim gewöhnlichen und
betrifft, dass es in der Welt kein bereits fertiges <ursprüngliches Wissen> gibt (shi jian beim heiligen Menschen konnte sich Wang Ji auf \Vang Y'lngming berufen. Dieser
wu you tdan eh eng limzg zhi t!t rs,~1'fl~rx, §l:1;□), sondern dass es nur aufgrund einer durch schrieb in seinem Brief von 152 5 an Gu Lin (Dongqiao): «Das <ursprüngliche Wissen,
viele T<ideskämpfo hindurchgehenden ethischen Anstrengung (gongfu J:)J:K) entsteht, ursprüngliche Können> ist bei gewöhnlichen, törichten .Nlenschcn und bei heiligen
so kann man nicht abstreiten, dass dies eine geeignete Medizin zur Behandlung ei- Menschen gleich (yu fu yu fuyu sheng ren tong ~51;:fl!\\JfiiW~),_15.J). Doch nur die heiligen
ner Generation ist, die den leeren Ansichten dieser Welt schmeichelt. Wenn er aber Menschen vermögen ihr <ursprünglichen vVissen> zu <verwirklichen> (neng zhi fli§3i!(),
damit sagen will, dass das jetzt [in unserem Bewusstsein] vorhandene <ursprüngliche während die gewöhnlichen, törichten Menschen es nicht zu verwirklichen ~ermögcn.
\Visscn> (xirtn zcti limzg zhi l.litE i:{9:□) von demjenigen [der heiligen Könige-! Y'lo und Das macht den Unterschied zwischen heiligen und gewöhnlichen, törichten Men-
S\11111 verschieden sei (lm tong 7'15.l) und erst durch ethische Anstrengung (gongfu J:)J :K) schen aus.» 17 Doch dies ist bei \Vang Yangming nur eine «grundsätzliche» Aussage:
ausgebessert und ganzgcrnacht werden müsse (xiu zheng ~ill:), dann gerät er in eine «An sich» haben alle Menschen in gleicher \Vcisc das «ursprüngliche Wissen», das
gewaltsame Verbiegung. Kann man etwa meinen, dass der [begrenzt] sichtbare Him- heißt, im Grunde ihres Herzens haben sie das «eigentliche Wesen des ursprünglichen
mel vom großen Himmel verschieden sci!» 8 Diesen Gedanken, dass das «ursprüng- Wissens». Doch dies bedeutet nicht, dass im aktuell erlebten Bewusstsein der gewöhn-
liche \Visscn», verstanden als aktuelle Intentionen oder Gefühle, in allen Menschen, lichen Menschen ihr «ursprüngliches Wissen» immer, in jeder aktuellen Situation,
heiligen oder törichten, gleich vollkommen ist, wiederholt Wang Ji immer wieder. An klar und unvcrdeckt auftritt, wie dies bei den heiligen Menschen aufgrund ihrer «Ver-
einer anderen Stelle schreibt er gegen Luo Hongxian: «Das <ursprüngliche Wissen> wirklichung» dieses <<Wissens» der Fall ist. Wang Yangrning schrieb in seinem Brief
der Menschen ist im alltäglichen Funktionieren beim gewöhnlichen Volk (bai xing zhi an Lu Cheng (Yuanjing) von 1524: «Das <ursprüngliche Wissen> ist dasselbe wie das
ri yong stt.z 1:1 ffl) das gleiche wie in der vollendeten Fähigkeit der heiligen Menschen Dao. Nicht nur bei Heiligen und Weisen ist das <ursprüngliche Wissen> im mensch-
(tong yu sheng ren zhi cheng neng 1\5.JJit~).._;zrx,fi~); von seinem Ursprung her lässt es lichen Herzen, sondern selbst bei gewöhnlichen Menschen (chang ren m' ).._) ist es
nicht zu, dass es erst dadurch ganz wird, dass man künstlich etwas zu ihm hinzufügt immer so. Wenn keine Wünsche nach Dingen (wu yu Wl-1:!'K) verdecken und verzerren,
oder etwas von ihm wegnimmt. Die Gestalt der Furcht [beim Anblick eines Kindes, sondern nur den Funktionen und Auswirkungen des ursprünglichen Wissens gefolgt
das in einen Brunnenschacht fällt]9 oder der Scham [bei ungerechtem Handeln] und wird (xun zhao liang zhi fa yong liu xing ffiHf &~Mffl51iiff), dann ist alles Dao. Doch
der Abscheu [wenn man ungerecht behandelt wird], 10 die sowohl ein Bettler als auch wird es bei gewöhnlichen Menschen meistens von Wünschen nach Dingen verdeckt
ein Praktizierender des Dao empfinden, sind göttliche Funktionen des Antriebes des
Himmels (tian ji zhi shen ying ;lc•;z ~ ffl) und nicht erst aufgrund [der Anstrengung]
11 Methode der ethischen Praxis der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens», die Luo Hongxian
lehrte; siehe unten in Kap. 4 den§ 3.
12 Zhi zhi nan yijie, TiVtmg Longxi quanji (1822),juan 8, S. 20 b (Taipei 1970, S. 556); WangJiji, Nanjing
6 Zum Beispiel Okada Takehiko, Shimada Kenji, Wu Zhen. 2007, juan 8, S. 191.
7 Zhi zhi yi bian, Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 1 lb (Taipei 1970, S. 426), S. 14a (Taipei 1970, 13 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 6.
S. 431); WangJi ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 138, S. 140; siehe unten, Kap. 3, § 6, Abschnitte a) und b). 14 A.a.O., 6. Buch, 1. Teil, Kap. 10.
8 Songyuan wu yu (1562/63), Wang Longxi quan ji (1822),juan 2, S. 18 b (Taipei 1970, S. 192); WangJi 15 A.a.O., 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15.
ji, Nanjing 2007,juan 2, S. 42; vgl. unten in Kap. 4 den§ 9. 16 Fuzhou Nixiantai hui yu [1562], Wang Longxi quan ji (1822),juan 1, S. 32b-33a (Taipei 1970, S. 152f.);
9 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 6. Wang]iji, Nanjing 2007,juan 1, S. 27.
10 A.a.O., 6. Buch, 1. Teil, Kap. 10. 17 Chuanxi lu II, Nr. 139, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 49.
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und verzerrt, und sie vermögen nicht, ihrem ursprünglichen Wissen zu folgen (duo gefühl heraus motivierte Handeln, in welchem sich jenes Betroffensein, das heißt das
wei wu yu qian bi, bu neng shun de liang zhi ~~W/fil:lt,ijliFf fi!Hii~ l§l9;ll).» 18 Das faktische, «ursprüngliche Können und Wissen» «verwirklicht». Da aber nach Wang Yangming
konkrete -«ursprüngliche \Nissen» im aktuellen Bewusstsein eines Menschen, sei es dieses Motiv von selbst wirksam ist, wenn es nicht durch den Egoismus behindert
im Sinne der Regungen zum Guten, sei es als «Gewissen», kann man eigentlich vom wird, kann es, in diesem Sinne verstanden, doch als Manifestation des «eigentlichen
Gesichtspunkt der Lehre Wang Yangmings gar nicht von seiner «Verwirklichung» Wesens» angesprochen werden.
trennen, da das «ursprüngliche Wissen» in dieser Konkretion faktisch immer schon Wang Ji hat die Tendenz, das «ursprüngliche Wissen» in seinem «eigentlichen
mehr oder weniger «verwirklicht» oder auch gar nicht «verwirklicht» auftritt und Wesen», das heißt in seiner «Vollkommenheit», als etwas im faktischen Bewusstsein
entsprechend von «Wünschen nach Dingen»· mehr oder weniger verdeckt und ver- aller Menschen und im Bewusstsein der einzelnen Menschen zu jeder beliebigen Zeit
zerrt ist. Wirng Yangming war jedoch der Auffassung, dass sich auch im faktischen Sichdarstellendes anzusetzen. Nach ihm scheint jeder Nlensch zu jeder Zeit über das
Bewusstsein des gewöhnlichen, «törichten» oder «kleinen» Menschen in besonderen immer vollkommene «ursprüngliche Wissen» als ein in seinem faktischen Bewusstsein
Umständen und besonderen Augenblicken das «ursprüngliche Wissen» in seinem auftretendes Erlebnis zu verfügen. Er projiziert das «eigentliche Wesen des ursprüng-
,.<eigentlichen Wesen» zu zeigen vermag, zum Beispiel dann, wenn er plötzlich ein lichen Wissens» ins faktische Bewusstsein aller Menschen zu allen Zeiten. Nach ihm
Kind in einen Brunnenschacht fallen sieht. Diese Auffassung betrifft aber nichts zeigt sich dieses Wesen im faktischen Bewusstsein innner in seiner Vollkonunenheit.
N ot:wendiges, sondern etwas Faktisches, bloß Kontingentes, das nicht immer der Fall Dies heißt nicht, dass sich für ihn die « Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
sein muss. Wir erinnern an seine oben in Kapitel 3 von Teil I zitierte Erklärung des erübrigen würde, denn die gewöhnlichen Menschen haben ihre Wünsche und Mei-
Anfangs des Dt,tx:ue: ~<Auch das Herz eines <kleinen Menschen> besitzt notwendig die nungen, die sie verführen und davon ablenken, «direkten Herzens» gemäß ihrem
1\!Ienschlichkeit (Güte), die lmit den anderen Wesen] eine Wirklichkeit ist (yi ti zhi sich in ihrem faktischen Bewusstsein zeigenden vollkommenen «ursprünglichen
rcn -111.zt). Denn dieses Herz hat seine Wurzel in der vom Himmel bestimmten Wissen» zu handeln. vVang Ji vermittelt den Eindruck, dass jeder Mensch zu jeder
Natur (Wesen) (gen yu tian ming zhi xing ~~~fri-.ztt) und ist etwas, was von sich Zeit «direkten Herzens» nach seinem vollkommenen «ursprünglichen Wissen» han-
aus ohne Verdunkelung geisteskxäftig leuchtet (zi ran ling z;hao bu. mei ~ ?.Mill?Ff fl:iK). deln könnte, wenn er es nur richtig anstellen ·würde. Fr schreibt: <<Jedes menschliche
[... j Das Herz des <kleinen Menschen> trennt sich zwar [von den anderen Wesen] Herz (Geist) hat das [ursprüngliche] Wissen; die Menschen der Vergangenheit und
ab. vVenn aber seine Menschlichkeit, die [mit ihnen] eine Wirklichkeit ist (yi ti zhi ren der Gegenwart, die heiligen und die gewöhnlichen Menschen besitzen es in gleicher
-111.z 1=), noch in solcher vVeise unverdunkelt zu sein vermag (you neng Im mei ]li~~ Weise (suo tong ju JiJrf5.l#l:). \Venn man <direkten Herzens> tätig ist (zhi xin yi dong
'.:f ¾), dann ist dies zu denjenigen Zeiten der Fall, in denen es noch nicht von Wün- E[,t,,J,;:l_i}J), 21 dann sieht man von selbst die Norm des Himmels und hat so das ethische
schen bewegt und noch nicht vom Egoismus verdeckt wird (wei dongyu yu er wei bi yu. Wissen (de xing zhi zhi 1~1i.Z9'll). 22 vVcnn rn<111 sich aber in Absichten (yi ~) und in
si 2,hi shi ye 7KiJJm-W:im *ln1:iH.l.zllli:l2).» 19 Nur vom «ursprünglichen Wissen» das sein [unterscheidende] Erkenntnisse [von Gegenst:indenj (shi ilil\l)21 verstrickt (ni 5ß), dann
«eigentliches Wesen» (ben ti *lll), das heißt vollkommen ist, kann man mit Wang Ji wird man verdorben und weicht ab. Das Herz ist an sich still (ben ji ran *ifül~); die
sagen, dass man «nicht etwas zu ihm hinzufügen oder von ihm wegnehmen» kann. Intentionen sind seine wahrnehmbaren Äußerungen im Reagieren auf die Affektionen
Wang Yangming schrieb im oben zitierten Brief an Lu Cheng (Yuanjing) von 1524: (gan yin zhi ji ~Jl!.Z~). Das <[ursprüngliche] Wissen> ist an sich undifferenziert (ben
«Das <Ursprüngliche Wissen> [... ] ist etwas, was alle Menschen in gleicher Weise hun ran *5'-~); die Erkenntnisse sind seine unterscheidenden Schattenbilder (Jen bie
besitzen (ren ren zhi suo tongju zhe AA.ZJiJr!EJJel.~). Doch wird es durch die Wünsche zhi ying '.JJ' .8U .Z~). Die zehntausend Wünsche (yu fil) entstehen in den Intentionen; die
nach äußeren Dingen unvermeidlich verdüstert und verdeckt (bu neng bu hun bi yu. zehntausend gegenständlichen Phänomene (yuan ~) entstehen in den Erkenntnissen.
wu yu ,ff,fü,f lgjJ!ix*!Wfil). Deshalb muss man (ethisch) lernen, um die Verdüsterung Wenn die Intentionen die Oberhand haben (sheng .ll»), dann ist das Herz (der Geist)
und Verdeckung loszuwerden. Aber das eigentliche Wesen des ursprünglichen Wis- unterlegen (lie ~); wenn die Erkenntnisse im Licht stehen (xian il), dann ist das
sens (liang zhi zhi ben ti l§l~.z*lffl) kann dabei nicht im Geringsten vermehrt oder
vermindert werden.»20 Nach Wang Yangmings Lehre könnte man strenggenommen
eigentlich nicht sagen, dass zum Beispiel schon das bloße Gefühl des Betroffenseins 21 Der Ausdrnck «zhi xin :i[,i',,» («gerader, direkter Geist>>) ist ein buddhistischer Begriff, der im
beim Anblick eines verunglückenden Kindes das vollkommene «eigentliche Wesen des «Hochsitz-Sutra des Sechsten Patriarchen» (in Kap. 4 des Textes im Ming-Kanon, in der Nr. 14 des
ursprünglichen Wissens» zur Erscheinung bringt, sondern erst das aus diesem Mit- Dunhuang-[Fahai-Jfext.es) vorkommt. Wir werden auf diesen Ausdruck noch unten in§ 3 zurückkom-
men.
22 «De xing zhi zhi ~M:..z!lill» («ethisches Wissen») hat seinen Gegenbegriff im <<jian wen zhi zhi ~Im
.z!li!l» («Wissen aufgrund von Sehen und Hören»), das man mit «empirischer Erkenntnis» wieder-
18 Chuanxi lu II, Nr. 165, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 69. geben kann. Dieses Begriffspaar ist seit dem 11. Jahrhundert (seit Zhang Zai) in der konfuzianischen
19 Daxue wen («Fragen zum <Lernen der Großen»>), Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 968; vgl. oben Philosophie heimisch. Dazu siehe oben in Teil I, Kap. 5, § L
in Teil I, Kap. 3, § 5, S. 209. 23 «Shi ~» ist hier wohl im Sinne der buddhistischen Schule des «bloßen Bewusstseins» (Weishi-Zong)
20 Chuanxi lu II, Nr. 155, Qua1yi,juan 2, Shanghai 1992, S. 62f. als unterscheidendes, gegenständliches Bewusstsein zu verstehen.
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,[ursprüngliche] \Nissen> verborgen (yin III). Deshalb ist das Erste im Lernen der Hei- «ursprünglichen Wissens» auch als das Resultat von dessen «Verwirklichung» hin 28
ligen [Konfuzianer] das Abbrechen der Intentionen und das Abweisen der Erkennt- und hob seine faktische mehr oder weniger starke «Verdunkelung>> bei uns gewöhn-
nisse. Das Abbrechen der Intentionen und Abweisen der Erkenntnisse bedeutet aber lichen Menschen hervor; 29 die Vollkommenheit des <<ursprünglichen Wissens», das
nicht, dass dann keine Intentionen und Erkenntnisse mehr vorhanden wären. Denn heißt sein «eigentliches Wesen» muss «wiedergewonnen werden» (fu ffi:).
wenn die Intentionen vom Herz (Geist) geleitet werden (tong ~), dann ist das Herz
(der Geist) das Herrschende (zhu ::t), und die Intentionen sind wahrhaftige Inten- § 2 Das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» als
tionen (chengyi Wit~). [... ] Und wenn die Erkenntnisse im <[ursprünglichen] Wissen> «schöpferischer Antrieb (kontinuierlicher Ursprung)»
wurzeln (~en ffl), dann ist das <[ursprüngliche] Wissen> das Herrschende (zhu ::t), und
die Erkenntnisse sind schweigende Erkenntnisse (nzo shi m!t~). [... ] Es ist so wie mit Wir haben im Verlauf unserer Ausführungen schon mehrmals darauf hingewiesen,
einem klaren Spiegel, der die Dinge spiegelt. Sein [eigentliches] Wesen ist an sich leer dass nach Wang Yangming das «eigentliche Wesen» (ben ti .:zis;ffl oder ti U) des «ur-
(ti ben :x.:u llf.:zis;~), und der Unterschied von Schön und Hässlich zeigt sich auf ihm sprünglichen Wissens» sowohl die «Substanz» (ti lti) dieses «Wesens» als auch die aus
von selbst; das bedeutet die Norm des Himmels. Wenn aber Schatten und Spuren auf dieser «Substanz» ungehindert und spontan hervorgehenden «Funktionen» (yong ffl),
dem Spiegel haften, dann wird sein leeres und klares Wesen verdeckt (xu ming zhi ti das heißt die «Intentionen», <<Tätigkeiten», umfasst, dass aber andererseits der Begriff
frm wci suo bi ~ S,,EJ ;z \lf .ff-l,,f:ifr & l!&); das bedeutet die [gewöhnlichen] Intentionen und die «ti \lt» im Sinne von «Substanz» den relativen Gegenbegriff zu den «.Funktionen»
[gewöhnlichen] Erkenntnisse.» 21 darstellt und somit zu diesen einen Gegensatz bilclet. 3° Fine große «ontologische»
Es ist bedeutsam, dass Wang Ji im zu Beginn dieses Paragraphen zitierten Leistung von Wang Ji ist es, auf das «ursprüngliche \Visscn» und das «Herz (Geist)»
'lext von 15 62 über Luo Hongxian das im Bewusstsein aller Menschen jeweils als eine Kategorie konsequent angewendet zu haben, die zugleich «Substanz» und
besondere gute Regungen auftretende «ursprüngliche Wissen» mit dessen immer «Funktionen» bedeutet und ihre Einheit verständlich macht. Es ist der Ausdruck <<ji
vol1kommenem ganzem «eigentlichem Wesen>> identifiziert und für diese Identität ~»oder«~» («Sprungfeder», «Thebkraft>,, «Antrieb,>, «Impuls»), an dessen Stelle
\;\Tang Yi1ngmings Gleichnis der Identität des begrenzt sichtbaren llimmels mit dem er gleichbedeutend auch die Ausdrücke «himmlischer (göttlicher) Antrieb» oder «An-
weiten großen (ganzen) Himmel benutzt, während Wang Yangming selbst dieses trieb des Himmels» (tianji Ji::~), «wahrer Antrieb» (zhen ji ~t?!!) und «schöpferischer
Gleichnis nicht für ein einzelnes «ursprüngliche Wissen» als bloße Gefühlsregung Antrieb» (shen,~ji j:"_~) gebrauchen kann: «Substanz und Funktionen (ti yong lltffl),Ver-
auch der «kleinen Menschen» in besonderen Situationen gebrauchte, sondern für borgenes und Offenbares (xian wei BW) sind [im llerzen] ein einziger <Antrieb> (yiji
ein besonderes und insofern beschränktes, in einer einzelnen Handlungssituation --ttlt)»; 11 eine gute Übersetzung wäre auch: «Substanz und Funktionen [... ] sind
verwirklichtes «ursprüngliches Wisscn». 25 In derselben Linie liegt, dass Wang Ji [im Herzen] ein einziger Ur-Sprung.» «Ur-Sprung» würde sowohl die etymolo-
die Aussage \Nang Yangrnings, dass «das <ursprüngliche Wissen> an seiner jeweili- gische Bedeutung von <<ji ~» (siehe unten) als auch den Sinn, den Wang Ji diesem
gen Stelle vollständig sei (dang xia ju zu ~~ ~JE)», auf das «ursprüngliche Wissen» Wort in diesem Zusammenhang gibt, passend wiedergeben. Da «Ursprung» bzw.
als bloße Gefühlsregung anwendet, während Wang Yangming damit meinte, dass «ursprünglich» aber in dieser Studie schon für die Übersetzung mehrerer anderer
das «ursprüngliche Wissen» an jeder Stelle seiner «Auswirkung» (liu xing 51itfi), chinesischer Wörter verwendet wird, wollen wir dieses Wort hier für die Übersetzung
das heißt am jeweiligen Ort, an dem es verwirklicht ist, vollständig sein «eigent- von ,<ji -ttl!» im Hintergrund behalten. Mit dieser Kategorie löst Wang Ji nicht nur
liches Wesen» sei. 26 Wang Ji war ein ausgezeichneter Kenner des Denkens Wang eine begriffliche Schwierigkeit im Denken seines Lehrers über das «ursprüngliche
Yangmings; er konnte sich für seine Auffassungen fast immer auf gewisse Aussagen Wissen», sondern vermag auch seiner eigenen Lehre über die Einheit von Einsicht
Wang Yangmings berufen, interpretierte sie aber einseitig von seinem besonderen in das eigentliche Wesen des Geistes und von ethischer Praxis ein begriffliches Ge-
Gesichtspunkt aus. Wang Yangming sprach manchmal auch vom Auftreten des rüst zu geben. Mit dem «Antrieb des Himmels» kann er auch in einer Aussage von
«ursprünglichen Wissens» als von «etwas geisteskräftig Klarem im Herzen der 1573 das «eiern Himmel vorangehende Lernen» charakterisieren: -<-<Das dem Himmel
Menschen» (ren xin yi dian ling ming )__,t,,-~ma,,EJ), 27 aber er stellte die Klarheit des vorangehende Lernen ist der Antrieb des Himmels.»32

28 Zum Beispiel Chuanxi lu III, Nr. 327, Quanji,juan 3, Shanhai 1992, S.122.
24 J'ishi jie, Wang Lrmgxi quan ji (1822),juan 8, S. IOa-b (Taipei 1970, S. 557f.); WangJi ji, Nanjing 2007, 29 Zum Beispiel Chuanxi lu II, Nr.155, Quanjijuan 2, Shanghai 1992, S. 62f.
juan 8, S. 192. 30 Siehe oben in Teil I, Kap. 3, § 1 und in Teil II, Kap. 1, § 2.
25 Siehe oben in Teil I, Kap. 4, § 2, S. 244f. 31 Tianquan zheng dao ji, Wang Lrmgxi quan ji (1822),juan 1, S. la (Taipei 1970, S. 89); WangJi ji, Nanjing
26 Siehe den zweiten Brief Wang Yangmings an Nie Bao von 1528, Chuanxi lu II, Nr. 189; vgl. oben in 2007,juan 1, S. 1.
Teil I, Kap.3, § 5, S. 213. 32 «Aufzeichnungen ans den Versammlungen auf der Südreise» [1573], Wang Longxi quan ji (1822),
27 Zum Beispiel Chuanxi tu III, Nr. 274, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 107. juan 7, S. 7a (Taipei 1970, S. 467); WangJiji, Nanjing 2007,juan 7, S. 154.
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<~Ji ~» bedeutet in der gewöhnlichen Sprache ursprünglich die Sprungfeder


(den Auslösemechanismus) für das Abschießen von Pfeilen einer Armbrust. Es be- der Zukunft keinen Wert. Das Eintreffen von Glück und Unglück können auch sie
deutet den « Ur-Sprung» der fliegenden Pfeile. Im philosophischen Sprachgebrauch nicht vermeiden. Die heiligen Menschen wissen nur um den <Antrieb> (zhi shi zhi ji
konnte \Vang Ji für die Ausdrücke <<}i ~» und «tian ji ~~» auf die konfuzianische ..R~J::□ m); wenn sie auf die jeweiligen Veränderungen stoßen, durchdringen sie diese.
und daoistische Tradition zurückgreifen, und er beruft sich auch ausdrücklich auf diese Das <ursprüngliche Wissen> hat kein Vorher und Nachher; indem sie [die heiligen
Traditionen. Seine Leistung bestand darin, dass er ihnen eine neue Bedeutung gab, Menschen] nur um den gegenwärtigen <Antrieb> wissen (xian zai di ji IJif:E~~), ist
indem er mit ihnen die Einheit von «Substanz» (ti \Hi) und «Funktionen» (yong ffl) mit diesem einen [Wissen] alles gewusst (yi liao hai Jiao - 1 S 7). Ein Herz (Geist),
zu begreifen versuchte. Im «Großen Anhang» des «Buches der Wandlungen» steht: das die Zukunft wissen will, ist ein egoistisches Herz, das nach Vorteil strebt und
«Der Antrieb (Impuls: ji ~) ist der verborgen feine [Anfang] der Bewegung, das, woran den Nachteil meiden will.» 37 In dieser Aussage nimmt das «ursprüngliche Wissen»
man Glück [und Unglück] im Voraus erkennen kann. Der Edle erkennt den Antrieb als «Antrieb» die vermittelnde Stellung zwischen dem «ursprünglichen Wissen» als
und wartet nicht bis zum Abend.>>n Der in der 'fang-Dynastie offizielle Kommen- «Wahrheit» oder «Ordnungsprinzip», was als seine «Substanz» zu verstehen ist, und
tator des «Buches der \Vandlungen», Kong Yingda (574-648), bemerkt dazu: «Der seinem «göttlichen Funktionieren und Sichauswirken» ein. Dieser Gedanke wurde
Antrieb (Impuls) verLisst das Nichtvorhandene (wu !m) und geht in das Vorhandene von Wang Y·mgming aber nur nebenbei geäußert und nicht systematisch entwickelt.
(you über; er ist die Grenze von Sein (Vorhandensein: you ~) und von Nichtsein Sein Schüler Wang Ji greift diesen sporadischen Gedanken seines Lehrers auf
(Nichtvorhandensein: wu !m). Deshalb heißt er <der verborgen feine [Anfang] der und wendet systematisch die Ausdrücke <<ji ~» und «tian ji ~~» auf das vollkom-
Bewegung.» Der einflussreiche Neukonfuzianer der nördlichen Song-Dynastie Zhou mene «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» an, um dessen Einheit von
Dunyi (l 017-I 073) nimmt im vierten Kapitel seines Werkes Tong:rhu diesen Gedanken «Substanz» und «Funktionen» und damit auch dessen Einheit von «Stille» (die die
auf: «Die Bewegung (Tätigkeit), die noch keine sichtbare Gestalt (xing %) hat und sich Substanz als solche charakterisiert) und von «Erregung» (d.h. der Erregung der Funk-
zwischen Sein (Vorhandensein) und Nichtsein (Nichtvorhandensein) befindet (you tionen, der Tätigkeiten) deutlich zu rn,1chcn. Dadurch gewinnen diese Ausdrücke eine
wu z,hijian 1'f;/m.Z.Fsi), ist der <Antrieb> (fmpuls: ji m).» In der daoistischen 'fradition grundlegende Bedeutung. Wang Ji zitiert in einem 'lext von 15 57, der gegen seinen
geht der Ausdruck «tianji *~» («himmlischer, göttlicher, natürlicher Antrieb») auf Mitschüler Nie Bao (1487-1563) gerichtet und deutlich von jener soeben zitierten
Zhuangzi (4.13. Jahrhundert v.Chr.) zurück und bedeutet bei diesem die 'friebkraft Aussage seines Lehrers geleitet ist, zuerst denselben '!ext: Zhou Dunyis, der in dieser
des vorn Daoismus gepriesenen naüirlichen Verhaltens. 34 Aussage vorkam: «Die ,vVahrheit> (cheng IDit), das ,Göttliche> (shen 1fll) und der <An-
Sehern Wang Yangming benutzte in Verbindung mit dem «ursprünglichen trieb> (ji ~)bezeichnenden heiligen Menschen», und er identifiziert dann explizit die
Wissen» den Ausdruck <~ii ~». Im dritten Teil des Chuanxi lu ist folgendes Gespräch «Wahrheit» mit der «Substanz» (ti \Hi)» des «ursprünglichen \Visscns», das «Göttli-
aufgezeichnet. Jernand fragt Yangming über die Aussage im Zhongyong, dass «das che» mit seinen «Funktionen» und den «Antrieb» (ji ~) mit der Einheit von Substanz
Dao der höchsten Wahrheit (zhi cheng ~t&x) das Künftige zu wissen (xian zhi $t~) und Funktionen des «ursprünglichen Wissens»: «Das <ursprüngliche Wissen> ist das
vermag». 35 Yangming antwortet: «Wahrheit ist das wirkliche Ordnungsprinzip (shi li spontane Fühlen (Wahrnehmen) (zi ran zhi jue ~ ?l.\.z.11), es ist verborgen und doch
'i'.I!ll.), und sie ist nur das eine <ursprüngliche Wissen>. Das wunderbare Funktionieren offenbar, es ist das, was <Antrieb> genannt wird. Die wirkliche Substanz (shi ti 'i'.U)
und Sichauswirken (miao yong liu xing ~J)ffl5fitff) des wirklichen Ordnungsprinzips des <ursprünglichen Wissens> ist die <Wahrheit>, und die wunderbaren Funktionen des
ist das <Göttliche> (shen ~); die Stelle seiner keimenden Tätigkeit (meng dang chu <ursprünglichen Wissens> sind das <Göttliche>. Der Antrieb ist dann das, was zwischen
MJJJYK) ist der <Antrieb> (ji m). <Die <Wahrheit>, das <Göttliche> und der <Antrieb> der Substanz und ihren Funktionen hindurchgeht (tong hu ti yong ®:lf\Hiffl), es ist das,
bezeichnen den heiligen Menschen.> 36 Die heiligen Menschen legen auf das Wissen was Stille und Erregungen verbindet (ji gan yi guan iU~-11). Deshalb heißt es [im
4. Kapitel des Tongshu von Zhou Dunyi]: <Das, was zwischen Sein und Nichtsein ist
(you wu zhi jian ~!m.zra1), ist der Antrieb.>» 38 Bezogen auf konkrete Beispiele bedeutet
33 Yijing, Xici, 2. Teil, Kap. 5, Übersetzung von Richard Wilhelm, S. 315; siehe auch 1. Teil, Kap. 10: das Verständnis des «ursprünglichen Wissens» als «Antrieb»: «Was man nicht zu ler-
«Dnrch [das Wissen um] die Wandlungen ist der heilige Mensch äußerst tief und erforscht die An-
triebe [der Dinge] (yan ji).» Wilhelm, S. 292.
nen und zu überlegen braucht, das heißt das vom Himmel Gewirkte, ist das natürliche
34 Zhuangzi, 6. Buch, Kap. 1: «Bei jemandem, dessen Begierden und Wünsche stark sind, ist der natürli-
che Antrieb (tian ji *tt\§) schwach.» 17. Buch, Kap. 7: Auf die Frage des Einbeins an den Tausendfüßler,
wie dieser es mache, seine tausend Füße so geschickt zu bewegen, antwortet dieser: «Ich setze meinen
natürlichen Antrieb (tian ji *tt\l) in Bewegung und weiß nicht, warum dies dann so geschieht.» 37 Cbuanxi lu III, Nr. 281, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 109. Auch im Text Nr. 206 dieses dritten
35 Zhongyong, Kap. 24. «Cheng» hat hier nicht dieselbe Bedeutung wie im ersten Kapitel des Daxue, in Teils des Chuanxi lu, den wir oben in Teil I, Kap. 2, § 2, S. 145, zitierten, gebraucht Wang Yangming
welchem von den «wahrhaftigen Intentionen» (cheng yi) die Rede ist, sondern ist primär ontologisch für die Charakterisierung des «ursprünglichen Wissens» den Ausdruck «wahrer Antrieb» (zben ji
konnotiert: «Wahrheit ist der Weg des Himmels; es wahrmachen ist der Weg des Menschen» ~ttll).
(20. Kap.). 38 Zhi zhi yi bian («Diskussion über die <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»>), 4. Stück, Wang
36 Zitat aus dem bereits oben erwähnten 4. Kapitel des Tongsbu von Zhou Dunyi. Longxi quan ji (I 822),juan 6, S. 10a (Taipei 1970, S. 423); Wang Ji ji, Nanjing 2007, juan 6, S. 13 7.
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(spontane) <ursprüngliche vVissen>. 39 Nur das natürliche (spontane) Ursprüngliche (zi muss so sein, wie ein Huhn sein Ei ausbrütet. Der ganze Lebensgeist (die ganze
nm zhi liang gJ Mz &) braucht man nicht zu lernen und zu überlegen. Deshalb ist das Lebenskraft: quan ti jing shen ±!llffl':/43) liegt im Ei. Das Huhn bedeckt und wärmt
Lieben der Eltern und das Achten der älteren Brüder ein göttliches Erregtwerden es ohne Unterbruch, und wenn der Lebensgeist [im Ei] ausreichend geworden ist,
(Empfinden) und ein göttliches Reagieren (Antworten), das durch das Rühren des geschieht die Veränderung [das Ausschlüpfen des Kükens] ganz von selbst; sie kann
<Antriebes> hervorgerufen wird (chu ji erfo shen gan shen ying Ml~ii'ai0$~~ßl). Nur nicht eigenmächtig bewirkt werden.» WangJi antwortete ihm: «Das Wichtige bei der
weil es ein durch das Rühren des <Antriebes> hervorgerufenes göttliches Erregtwerden ethischen Pflege liegt in der ganzen Hingabe und Kontinuität wie beim Huhn, das sein
und ein göttliches Reagieren ist, ist es etwas spontan Ursprüngliches, das nicht gelernt Ei ausbrütet. Ich habe früher auch schon dieses Gleichnis gebraucht. Doch ist es für
und nicht überlegt zu werden braucht.»40 das erfolgreiche Brüten notwendig, dass sich im Ei von Anfang an ein kleiner echter
Der dynamische Begriff des «Antriebes» erlaubt es Wang Ji auch, den unun- Yang-(männlicher)Same befindet (you yi dian zJmz yang zhong zi ~-~~~;Im wenn r );
terbrochen schöpferischen Charakter des «eigentlichen Wesens des ursprünglichen es ein Ei ohne Yang lcin unbefruchtetes Ei] ist, cbnn ergibt sich auch bei fleißigem
\Vissens» zu charakterisieren. Der Grundcharakter des «eigentlichen Wesens des Brüten nur ein falsches Ei. Der Lernende muss den wahren Samen erkennen (xu shi de
ursprünglichen Wissens» ist nach \Vang Ji wie bei seinem Lehrer Wang Yangming zhen .zhong zi jHlH~~;!I r ),
nur dann ist seine A.nstrengung nicht umsonst. Mingdao
die <<Menschlichkeit>> (rcn 1=.), und diese besteht nach ihm primär in der stets lebendi- [der ältere der Cheng-Brüder, Cheng Iho, 1035-1073] sagte: <Der Lernende muss
gen Kreativität, sie ist ein kontinuierlicher Ursprung von Neuem im Gegensatz zum zuerst die Menschlichkeit erkennen (xu xian shi ren ij[.$lc~1=).>''6 Das kleine bisschen
'Ibten, Starren, Unbeweglichen, Gefühllosen: 41 <«Jemand, der menschlich ist, ist mit geisteskräftige Klarheit im Herzen von uns Menschen [das jeweils aktuelle ursp1iingli-
allen Wesen eine gemeinsame vVirklichkeit (tong ti f,§J!lf).> 42 Der leuchtende, fließende, che Wissen] (wu ren xin zhongyi dian ling ming ~ JA,, ~-IH!Hl'J) ist der wahre Samen,
ohne Unterbruch schöpferische •Antrieb> (sheng sheng bu rongyi zhiji 1:.1:. ::f~ B;L~) es ist eigentlich der ohne Unterbruch schöµferische Antrieb des Himmels (tian_ji ~
ist das, was <Menschlichkeit> genannt wird. Das Lernen in der Schule des Konfuzius :m!). Der Samen ist ganz im Ei; der ganze I ,ebensgeist: kann nur durch Bewahren (bao
macht sich nur zur Aufgabe, die <Menschlichkeit> zu suchen.» 43 «Wenn ein Mensch hu 1~Ji) erlangt werden; man kann ihm nicht mit seinern eigenen Lebensgeist beim
Einsicht in seine Natur hat (jittn xing Jll:11), wirkt sich bei ihm die wahre Natur (zhen Wachsen nachhelfen wollen.» 47 Nlan soll zwar nicht in das \Virken des «Antriebes
::c·ing ~tt) überall voll aus, der natürliche Antrieb (der Antrieb des Himmels: tian ji des Himmels» eingreifen wollen, aber bloßes «Brüten» genügt doch nicht, man muss
;ii:~) ist beständig lebendig (chang huo ~>ii), es gibt weder ein Zuviel noch ein Zuwe- den «Antrieb des Himmels», das heißt das «ursprüngliche \;\fissen>>, «erkennen», das
nig, von selbst entsteht kein künstliches Arrangieren (zi wu ttn pai § #!l~t:l~). Erst das heißt «Einsicht>> in es haben, damit es sich im eigenen T,eben voll auswirken kann.
ist Vertrauen in sich selbst (z.i xin § W:).» 44 Wichtig für Wang Jis Auffassung der «Verwirklichung des ursprünglichen
In der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» muss man die Bedingun- Wissens» ist, dass das «eigentliche \Vesen des ursprünglichen \Vissens» als unun-
gen dafür schaffen, dass sich der «Antrieb des Himmels» im eigenen Leben immer terbrochen schöpferischer Antrieb nicht etwa dauernde, verharrende Gegenstände
und überall frei auswirken kann. Man soll aber nicht in dessen Wirken eingreifen, schafft, sondern dass das von ihm geschaffene gegenständlich Seiende nur im jeweils
nach eigenen Plänen arrangieren wollen; man soll es nicht wie der dumme Bauer gegenwärtigen Augenblick existiert, um alsbald ins Nichtsein zu vergehen. Das jeweils
von Song machen, der seinen Pflanzen beim Wachsen nachhelfen wollte. 45 In einer gegenwärtig Vorhandene ist daher vom «Antrieb (Ursprung)» immer neu geschaffen
Versammlung in Nanking im Jahr 1565 sagte ein Teilnehmer: «Die ethische Pflege («projiziert»). Wenn dessen Kreativität aufhören würde, wäre alsbald nichts mehr da.
Aber umgekehrt würde die Kreativität des «Antriebes» auch aufhören, wenn die von
ihm geschaffenen Dinge als dauernde «Substanzen» in ihrem Sein verharren und
nicht vergehen würden, denn sie würden dann die Gegenwart besetzt halten und kei-
39 Vgl. Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15.
40 Zhi zhi yi bian, 5. Stück, liVimg Longxi quan ji (1822),juan 6, S. l la (Taipei 1970, S.425); Wang Ji ji, nen Platz freigeben für neues Sein. Die seienden Dinge werden hier also gedacht wie
Nanjing 2007,juan 6, S. 137. Töne, die kontinuierlich hervorgebracht werden müssen, wenn sie in der wahrgenom-
41 Diese Verbindung von «Menschlichkeit» und «Kreativität», wie sie im «Großen Anhang>> (1. Teil, menen Gegenwart vorhanden sein sollen; und wenn diese Töne nicht immer wieder
Kap. 5) des «Großen Anhanges» (Xici) des «Buches der Wandlungen» ausgedrückt ist, geht auf den
älteren der beiden Cheng-Brüder, Cheng Hao (1032-1085), zurück. An der erwähnten Stelle des vergehen, sondern in der wahrgenommenen Gegenwart verharren würden, könnten
«Buches der Wandlungen» steht: «Stetig Hervorbringen, das heißt <Wandel> (sheng sheng zhi wei yi an ihre Stelle keine neuen Töne treten, und eine zeitliche Folge von neuen Tönen
1:.1:..z~,g.»
42 Zitat aus Cheng Haos Schrift Shi ren («Erkennen der Menschlichkeit»); siehe oben in der Einleitung
zu Teil Iden§ 1, S. 66.
43 «Worte in der Versammlung von Fuyangtang», Wang Longxi quan ji (1822),juan 1, S. 9b-l 0a (Taipei 46 Anfang des Textes «Erkennen der Menschlichkeit», Er Cbeng quan ji,juan 2, l. Teil, Beijing 1981,
1970, S.106f.); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 1, S. 8. S. 16: siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 66f.
44 «Worte in der Versammlung von Longnanshanju», Wang Longxi quanji (1822),juan 7, S. 24b (Taipei 47 «Aufzeichnungen in der Versammlung beim Aufenthalt in der verbliebenen Hauptstadt [Nanking]»
1970, S. 502); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 7, S. 168. [1565], Wang Longxi quan ji (1822),juan 4, S. 27a (Taipei 1970, S. 329); Wang Ji ji, Nanjing 2007,
45 Nach Mengzi, 2. Buch, 1. 'Teil, Kap. 2: siehe oben in der allgemeinen Einleitung den§ 4, S. 26. juan 4, S. 98f.
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oder eine Melodie wäre in der Wahrnehmung nicht möglich. Diesen Gedanken der ren» (cun f=J.) und «Festhalten» (cao :r,k) des «ursprünglichen Herzens» bzw. auf dessen
kontinuierlichen Schöpfung hatte schon der N eukonfuzianer Zhu Xi (113 0-1200) ver- «Untergehen» (wang 't'): <«Festhalten> (rno :r,k) hat den Sinn von Üben (cao lian :r,k~,
treten, aber nicht dem «ursprünglichen Wissen» oder dem «Herzen (Geist)», sondern cao xi :r,k ~) und nicht den Sinn von Sichfestklammern. Das menschliche Herz (Geist)
dem obersten kosmischen Prinzip, dem tai ji :t~, zugesprochen. Die Auffassung des ist in seiner Tiefe leer und hell (xu ming ßfilBJl), sein Wesen (ti lffl) ist ursprünglich
bloß zeitlich momentanen (nicht substantiell verharrenden) Seins der veränderlichen sprudelnd lebendig (huo po 5;s5Q); wie könnte es ertragen, dass man sich festklammert!
Dinge ist in China wohl buddhistischen Ursprungs. WangJi sagte im Frühling 1564 Man muss nur immer üben, das heißt, man muss in allen Geschäften und Ereignissen,
in einem Gespräch in der Kreisstadt Yixing .'ä!lil! mit Geng Dingxiang (1524-1596), ob sie einem entsprechen oder sich einem widersetzen, ob sie günstig oder ungünstig
der sich damals dort als «Schulinspektor» («Studienkommissar») des direkten Ver- sind, immer bei dem, was man tut, zum sprudelnd lebendigen Wesen des Herzens
waltungsgebietes von Nanking aufhielt und der zur Taizhou-Linie der Schule Wang zurückkehren (huan ta huo po zhi ti ~-ftg5;s;Qzffl) und es nicht durch irgendwelche
Yangmings gezählt wird: «Das <ursprüngliche Wissen> ist die vollkommene Geistes- Arten von Gegenständen (jing il) behindern. Das bedeutet <bewahren> (cun f=J.). Wenn
kraft des Schaffens und des Auflösens (zao hua zhi jing fing ~1tzffltl). In unserem man nicht zu üben weiß, sondern wenn es durch das, was man <während des 'TI1ges tut>
[ethischen] Lernen geht es um dieses Schaffen und Auflösen. Das Schaffen geht vom <behindert (gefesselt)> wird, so bedeutet dies <untergehen> (wang 't').»51
Nichtsein aus und bringt Seiendes zur Erscheinung (zao zhe zi wu er xian yu you ~~ Seine «Leere», das «Nicht-verstopft-Sein» durch festgehaltene Gegenstände,
§ 1!!Ufü IFf ~); das Auflösen geht vom Seienden aus und kehrt ins Nichtsein zurück lässt den «Antrieb» des Herzens (Geistes) sich lebendig auswirken und immer neue
(hua zhe zi you er gui yu wu 1t~ § ~n'ö!iilT~). Ohne Schaffen würde die Quelle des Gegenstände hervorbringen. Nicht nur die höheren geistigen Tätigkeiten bedürfen
Auflösens versiegen; ohne Auflösen würde der Antrieb des Schaffens verstopft (zao zhi nach Wang Ji dieser «Leere», sondern auch das sinnliche \i\lahrnehmen von Dingen.
ji zhi mztl~). Unsere vollk01rnnene Geisteskraft [das <ursprüngliche Wissen>] schafft Dies hob er schon seit etwa 15 36 immer wieder hervor, so auch in seiner Rede in
Himmel und Erde und alle Wesen, und Himmel und Erde und alle Wesen kehren ins der großen Versammlung in Wanlingvon 1564. Wanling :füMi (Xuancheng) 52 war in
Nichtsein zurück. Es gibt keine Zeit ohne Schaffen, keine Zeit ohne Auflösen, es gibt der Ming-Dynastie die Hauptstadt der Präfektur Ningguo $~, in der die Schule
keinen Moment des Aufhörens [von Schaffen und Auflösen]. [... ] Wenn man das weiß, Wang Yangmings seit etwa 1548 besonders aktiv war und ihr Zentrum in der etwa
dann ist das Schaffen und Auflösen in unserer Hand, und unsere Praxis der <Verwirkli- fünfzig Kilometer südwestlich der Präfektnrstadt im Kreis Jingxian gelegenen
clrnng des ursprünglichen Wissens> kennt von selbst kein Aufhören.»48 Auch in einem Shuixi-Akademie 7.l<Wtl~ hatte. 53 An dieser Versammlung nahmen über tausend
Gespräch mit I ,uo Hongxian, das ein Jahr früher stattfand (Dezember 15 62), führte er Gelehrte und Studenten aus allen sechs Kreisen der Präfektur teil. Sie fand nicht
diesen Gedanken aus und bezog sich dabei auf das aus dem 3.Jahrhundert stammende in jener privaten Akademie, sondern in der «Halle des höchsten Guten» statt, die
daoistische Werk Can tong qi $15]~. Zu diesem Werk hatte der Konfuzianer Zhu Xi wohl zum Regierungssitz oder zum Konfuzius-Tempel der Präfektur gehörte. Es
(1130-1200) unter einem Pseudonym einen Kommentar gcschrieben. 49 war also kein privater Anlass, sondern eine vom Vorsteher der Präfektur organisierte
Dieser Gedanke bedeutet für WangJi, dass man die unbestiindigcn Gegenstände öffentliche Lehrversammlung. Der damalige Priifekt Luo Rufang (Beiname: Jinxi,
seines Geistes nicht festhalten, sich an ihnen nicht festklammern darf, denn dadurch 1515-1588), der ein Schüler von YanJun (Beiname: Shannong, 1504-1596) war und
beschränkt man den schöpferischen «Antrieb» seines Geistes. Man darf sich nicht mit zur Taizhou-Linie der Schule Wang Yangmings gehörte, 54 hatte Wang Ji zu dieser
Gegenständen anfüllen wollen, sondern muss seinen Geist leer (xu ßfil) halten, sonst Versammlung eingeladen. Es ging dabei sehr feierlich zu. Zuerst ließ Präfekt Luo
«verstopft» man ihn. In einer Versammlung im Gebiet von Nanking im Jahr 1575 las Rufang einen Chor singen und ein Orchester spielen, um «die Gemüter zu heben».
*
der Gastgeber Song Yiwang {i~ aus dem Kreis Yongfeng (Präfektur Ji'an, Provinz In seiner Einführungsrede verglich er den Besuch vVang Jis mit dem Besuch des
Jiangxi), ein Schüler von Nie Bao, das Kapitel aus dem Buch Mengzi über das Gleichnis großen Philosophen LuJiuyuan (Beiname: Xiangshan, 1138-1191) bei Zhu Xi, als
des abgeholzten und von Rindern und Ziegen kahlgefressenen Ochsenberges50 vor dieser Präfekt von Nankang (im Norden der Provinz Jiangxi) war (1179-1181),
und fragte den eingeladenen Wang Ji, was darin der «Lebensatem der Nacht» (ye qi und den bevorstehenden Vortrag Wang Jis mit dem berühmten Vcirtrag über den
~lt) bedeute. Es geht in diesem Kapitel um die Zerstörung der ursprünglichen guten «Unterschied von Nutzen und Gerechtigkeit», den LnJiuyuan dann auf Einladung
Tendenzen im menschlichen Herzen und um ihre Regeneration und «Bewahrung Zhu Xis in der dortigen ~<Akademie des weißen Hirsches» gehalten hatte. Wang Ji
durch den Lebensatem der Nacht». Wang Ji legte verschiedene Stellen des Kapitels war über dieses Lob so beschämt und verlegen, dass er «von seinem Sitz die Flucht
aus und konzentrierte sich dann in der Hauptsache auf das darin auftretende «Bewah-

51 «Worte in der Versammlung der Mingl/{/1-IIalle von H uayang>> [1575], H1tmg I,ongxi quanji (1822),
48 <<W(lrte in der Vers,mmilung der Ostreise» [1564], Wimg Longxi quan ji (1822),juan 4, S. 9b I0a juan 7, S. 15a-b ('Elipei 1970, S. 483f.); H'tmgJiji, Nanjing 2007,juan 7, S. J61.
(Taipei 1970, S. 294f.); Wang Ji ji, Nanjing 2007, juan 4, S. 85. 52 Wanling ist der literarische Namen für Xuancheng '.@:~.
49 Siehe unten in diesem Teil II, Kap. 5, § 9, S. 737. 53 Zu dieser Akademie siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 9.
50 Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, Kap. 8: siehe oben in der allgemeinen Einleitung den§ 4, S. 27. 54 Zu YanJun und Luo Rufang siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 6, S. 353ff.
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ergriff». Luo Rufang bat ihn mehrmals zurückzukehren und stellte als Vortragsthema des Himmels» ist also der folgende: Wie das Auge «leer» sein muss, das heißt sein
die Frage, wie Mengzis Aussage in einem Kapitel des 7. Buches, dass «alle Dinge bei subjektives Gesichtsfeld nicht durch fixe Farben besetzt sein darf, um die verschiede-
uns selbst vorbereitet sind», 55 mit der konfuzianischen Lehre übereinstimmt, dass die nen farbigen Dinge sehen zu können; oder wie das Ohr nicht durch bestimmte Töne
Tugend der «Menschlichkeit» im «Einssein mit allen Wesen» (yi ti -!lt) besteht. 56 (z.B. Ohrenpfcifen) blockiert sein darf, um einen Ablauf von Tönen hören zu können
Wang Ji interpretierte dann in einem Vortrag das ganze Kapitel, an dessen Anfang so darf auch unser «ursprüngliches Wissen» nicht durch von \Vünschen festgehalten:
jene Aussage steht. Zuerst interpretierte er den ersten Teil dieses Kapitels, der lautet: Dinge «verstopft» sein, um dem Wandel der Dinge antworten zu können. 60
<<Alle Dinge (vVesen) sind bei uns vorbereitet (bei_yu wo ffi~:ft). Die größte Freude Danach interpretierte Wang Ji in diesem Vortrag in Wanling (Xuancheng) den
besteht darin, uns in der Wahrheit zu finden, wenn wir uns auf uns selbst zurückwen- zweiten Teil jenes Kapitels von Mengzi, der wie folgt lautet: <<[Wir müssen uns] in
den.» Wang Ji erklärte: «Die <Einheit der <Menschlichkeit> mit allen Dingen> bzw. unserem Verständnis für die anderen 1Vlenschen61 gewaltig anstrengen und danach
das <Vorbereitet-Sein aller Dinge bei uns> ist nicht Sache unserer Absichten (yi ~) [, handeln (qiang shu er xing 5Sl1'l.rnifi). Durch nichts kommen wir im Suchen nach der
sondern ist von Natur aus so]. Wenn unser Auge auf Farben trifft, vermag es aus sich Menschlichkeit (ren 1=) dem Ziel näher.>> Wang Ji erktirte: <«Uns in unserem Ver-
selbst Blau und Gelb zu unterscheiden; das bedeutet, dass die Farben aller Dinge im ständnis für die anderen gewaltig anstrengen (qiang shu ~i.t'l.) [d.h. mitfühlen und ver-
Auge vorbereitet sind. Wenn unser Ohr auf Töne trifft, vermag es von selbst, rein und stehen, dass sie wie wir leiden können] und danach handeln [d.h. ihnen nichts zufügen,
unrein zu unterscheiden; das bedeutet, dass die Töne aller Dinge im Ohr vorbereitet was wir selbst nicht wünschen]> bedeutet, dass, wenn wir unfähig sind, keine eigenen
sind. Wenn das <ursprüngliche Wissen> unseres Herzens dem Vater begegnet, vermag Wünsche trennend dazwischentreten zu lassen, wir uns gewaltig anstrengen und dieses
es von selbst, pietätvoll zu sein; wenn es den älteren Brüdern begegnet, vermag es von Verständnis durchführen müssen, um alle Wesen umfassen und das Ursprüngliche der
selbst, respektvoll zu sein; wenn es dem Herrscher begegnet, vermag es von selbst, einen einzigen Wirklichkeit erreichen zu können (yi da _yi ti zhi liang J..;JJ.l-lll.z ~).
voll Ehrfurcht zu sein; wenn es auf ein Kind trifft, das in einen Brunnenschacht Darum heißt es bei ihm [am Ende jenes Kapitels]: <Durch nichts anderes kommen
fällt, vermag es von selbst bestürzt zu sein, wenn es auf einen [zum Schlachtopfer wir im Suchen nach der Menschlichkeit dem Ziel näher.»>
bestimmten zitternden] Ochsen im Tempel trifft, vermag es von selbst, erschrocken Dann brachte Wang Ji seine Intepretationen der zwei Teile des Kapitels von
zu sein. 57 Daraus ergeben sich die <Fünf moralischen Grundgesetze> (wu chang Mengzi zusammen: «Obschon in seinem [Mengzis] ethischen Lernen der Unterschied
:Ei. *) 58 und die hundert Verhaltensweisen. Obschon die Veränderungen aller Dinge zwischen der <Menschlichkeit> (ren 1=) und dem <Verständnis für die anderen> (shu .t'l.)
unerschöpflich sind, können wir ihnen doch immer entsprechen (antworten:_ying ~); bzw. die Verschiedenheit zwischen [dem Handeln] aus Sicherheit und [dem Handeln]
das bedeutet, dass die Veränderungen aller Dinge in unserem <ursprünglichen Wissen> mit gewaltiger Kraftanstrengung (an mimz zhi _yi ~Ml.z~) besteht, können wir diese
vorbereitet sind. Das, wodurch nun das Auge fähig ist, für alle Farben vorbereitet zu nicht gewaltsam trennen. Ihr Suchen nach der Rückkehr zu unserem leeren Wesen
sein, das Ohr frihig ist, für alle Teine vorbereitet zu sein, und das <ursprüngliche Wis- (qiu fu wu zhi xu ti *~~ .zßlilll), um den Veränderungen aller Dinge entsprechen
sen> fähig ist, auf die Veränderungen aller Wesen vorbereitet zu sein, das ist ihre Leere zu können, ist nur eines. Das ist die Lebensader aller heiligen Menschen.»62 Wang
(xu ßli). Wenn man die Leere verwirklicht hat (zhi xu ~ßli), dann treten von selbst Ji spielt hier auf die Unterscheidung im zwanzigsten Kapitel (Zhu Xis Zählung) des
keine Wünsche nach Dingen mehr trennend dazwischen (zi wu wu _yu zhi jian ~ mlw.J
1:lx.zrai), und unser <ursprüngliches Wissen> kommuniziert fließend mit allen Dingen,
und es gibt keine Stagnation und Verstopfung (wu suo ning zhi ;!m}'Jr).i5').Deshalb heißt 60 Auch in anderen Texten benut/,t \VangJi diese Analogie zwischen der «Leere» der Augen und Ohren
es [in jenem Kapitel von Mengzi] weiter: <Die größte Freude besteht darin, uns als von Farben und Tönen und der «Leere» des «ursprünglichen Wissens» von Dingen, so etwa in seinem
Brief anJi Ben (Beiname: Pengshan, 1485-1563), in welchem er dessen 1536 verfasste Schrift über die
in der W1hrheit (cheng ~) zu finden, wenn wir uns auf uns selbst zurückwenden.>» 59 «Wachsamkeit des Drachen» (siehe oben in der Einleitung zn diesem ']eil II den§ 8) kritisiert: «Das
Wang Jis Gedanke der «Leere» des «ursprünglichen Wissens» oder des -«Antriebes <ursprüngliche Wissen> verhält sich zu den Dingen wie die Augen und die Ohren zu den Farben und
Tönen. Nur dadurch, dass in den Augen keine Farben vorbanden sind, vermögen sie alle Farben zu
unterscheiden; nur dadurch, dass in den Ohren keine Tone vorhanden sind, vermögen sie alle Töne
zu unterscheiden; nur dadurch, dass im <ursprünglichen Wissen> keine Dinge vorhanden sind, vermag
55 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 4. es die Veränderungen aller Dinge zu durchdringen. Das Vorhandene entsteht im Nichtvorhandensein
56 "Wang!ing hui yu, "Wang /,ongxi quanji (1822),juan 2, S. 20b-21a ('Etipci 1970, S. 196[); "Wang]iji, (wu zhong shcngyou 1!l{'fl'.':E~).» Wimg Longxi quanji (1822),_juan 9, S. 17b ('fäipci 1970, S. 608); Wrmg
Nanjing 2007,juan 2, S. 44. Ji ji, Nanjing 2007, juan 9, S. 214. Ebenso im «Abriss einer Ansicht über die <Verwirklichung des
57 Das sind alles von unseren Konfuzianern immer wieder angeführte Illustrationen für die guten An- ursprünglichen Wissens»> [1557/58], "Wang Longxi quanji (1822),juan 6, S. 3a (Taipei 1970, S. 409);
lagen im Menschen im Buch Mcngzi. vVang]i ji, Nanjing 2007, juan <,, S. 132.
58 Die moralischen Gesetze, welche die «Fünf Beziehungen» regeln: nämlich die Beziehungen zwischen 61 Das «Verständnis für die anderen Menschen» (shu $/fJ.) wird in den «Gesprächen des Konfuzius»
Vater und Sohn, Herrscher und Untertan, älteren und jüngeren Brüdern, zwischen Eheleuten und (Lunyu) durch die «Goldene Regel» bestimmt: «Was du selbst nicht wünschst, sollt du nicht anderen
zwischen Frcllnden. zufügen.» Lzmyu, Kap. 15, § 24; vgl Kap. 12, § 2.
59 «Wi>rtC in der Versammlung von \Vanling», "Wang Lrmgxi qt11tu ji (1822),juan 2, S. 20a-b (Taipei 1970, 62 Wtmling hui yu, Wang l,ongxi qu1m ji (1 N22),juau 2, S. 20b-2 la (laipei 1970, S. 19(,f.); "Wang Ji ji,
S.195f.); "Wang]iji, Nanjing 2007,juan 2, S. 44. Nanjing 2007,juan 2, S. 44.
478 479

Zhongyong zwischen dem «Handeln aus Sicherheit» (an er xing zhi ~mifi'.Z.) und Jiangsu, damals im direkten Verwaltungsgebiet von Nanking) am Unterlauf des
dem «Handeln mit gewaltiger Kraftanstrengung» (mian qiang er xing zhi M\~mi Yangze und begleitete ihn, als dieser Militäroperationen gegen ins Küstengebiet
fi.Z.) bzw. auf die entsprechenden verschiedenen menschlichen Veranlagungen an und einfallende Piraten leitete. 67 Tang fragte Wang Ji, ob sein Handeln mit dem, was er
identifiziert implizit den Unterschied zwischen der «Menschlichkeit», in der «alle von ihm gelernt habe, übereinstimme. Wang Ji antwortete, dass seine an den Tag
Dinge bei mir vorbereitet sind», und der «gewaltigen Anstrengung im Verständnis gelegte Tatkraft zwar außerordentlich, aber sein «ursprüngliches Wissen» noch
für die anderen Menschen (qiang shu ~W.)» mit seiner Unterscheidung zwischen dem nicht «verwirklicht» sei. Tang war brüskiert und wandte ein: «In meinem ganzen
«dem Himmel vorangehenden» und dem «dem Himmel nachfolgenden Lernen», 63 Leben habe ich doch die Lehre von [Wang] Yrngrning verehrt; in allem, was ich
die letztlich beide das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» anstreben. sagte und schrieb, was war da nicht das <ursprüngliche Wissen>! Wie können Sie
Schließlich wandte sich Wang Ji in seinem Vortrag polemisch gegen die mich so beschimpfen!» Wang Ji antwortete ihm, dass man schwerlich sagen kön-
«späteren Konfuzianer», das heißt gegen die Leute des offiziellen Konfuzianismus ne, dass es nicht das «ursprüngliche Wissen» war, aber es sei noch nicht wahrhaft
von Zhu Xi: Diese vermöchten ihrem Herzen (Geist) nicht zu vertrauen, nicht zu «verwirklicht» gewesen. Und er zählte ihm gleich mehrere Mängel auf, an erster
glauben, dass in ihm «alle Dinge vorbereitet» sind. Sie würden daher zuerst die Stelle die beiden folgenden: «Als Sie soeben in der I-falle die Generäle aussandten,
moralischen Anweisungen der Alten, die <<Fünf Grundgesetze» und die hundert unterbreiteten die Generäle und Offiziere ihre Vorschläge. Sie hatten ihre Vor-
Verhaltensweisen zum Maßstab nehmen und dann durch Mutmaßungen aufgrund schläge noch nicht klargemacht, da unterbrachen Sie sie, taten ihnen Ihren eigenen
von Ähnlichkeiten kasuistische Gesetze für das Verhalten zu den Dingen festlegen, Schlachtplan kund und befahlen ihnen Gehorsam. Da haben sich Ihre Meinungen
ohne zu verstehen, dass sich alle Dinge immer wieder verändern und dass es gilt, (yi jian ~~) eingemischt, und das Herz (Geist) war nicht leer (xin bu xu ,t,,::Y:m:). Das
diesem immer anderen Fluss entsprechen zu können. Das sei so, wie wenn man dem ist nicht das wahre <ursprüngliche Wissen>. Als die Generäle fragten, wie sie gewisse
Auge nicht zutraue, selbst alle Farben unterscheiden zu können, und es zuerst mit örtliche Angelegenheiten anordnen und durchführen sollten, zitierten Sie, wie die
Zinnober und Schwärze anstreiche oder dem Ohr nicht zutraue, selbst alle Töne Alten die Geschäfte erledigt haben; diese Sache hätten sie auf diese Weise, jene auf
unterscheiden zu können, und es zuerst mit dem Lärm der Gong- und Yu-Töne 64 jene Weise erledigt. Da haben sich die üblichen Standards (dian yao :!II!~) bei Ihnen
anfülle. vVang Yangming habe mit seiner Lehre vom «ursprünglichen Wissen» die eingemischt, und der <Antrieb> war nicht <göttlich> (ji hu shen ffi::Y:?/$). Das ist nicht
Welt wieder aufgeweckt. das wahre <ursprüngliche Wissen>.» 68
Wang Ji deutete in dieser Versammlung indirekt an, dass die «Wünsche (Be- Wang Ji betonte in der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» vor
gierden) nach Dingen» (wu yu !JmW:) die freie Kommunikation mit dem Fluss aller allem den kognitiven Aspekt der «Einsicht». Dem entspricht, dass er wohl im Fest-
Dinge behindern können. Es ist bemerkenswert, dass WangJi im Gegensatz zu Wang klammern an Meinungen das größere Hemmnis für jene «Verwirklichung» sah als
Yangming im Allgemeinen nicht von «egoistischen Wünschen» spricht, sondern von in den «Wünschen (Begierden)». Nach Luo Hongxians Bericht war in der großen
«Wünschen (Begierden) nach Dingen» oder einfach von «Wünschen (Begierden: Versammlung am Fuß des Qingyuan-Gebirges in der Präfekt:urji'an (ProvinzJiangxi)
yu W:)». 65 Das Schlechte der Wünsche (Begierden) besteht für ihn offenbar weniger vom Sommer 1548, in der Wang Ji die hervorragende Figur war, «der Schaden, den
im Egoismus als vielmehr in ihrem Festklammern oder Festhalten an etwas, durch die Meinungen (yi jian ~~) dem <ursprünglichen Wissen> zufügen», das Hauptthe-
das die spontane Wirksamkeit des «Antriebes des Himmels» gehemmt wird. Auch ma. 69 Sechs Jahre später sagte Wang Ji zu Luo Hongxian, dass dessen Mängel darauf
\Vang Yangming hegte diesen zenbuddhistischen Gedanken, aber primär sah er in zurückzuführen seien, dass er «die Lehre um die Befreiung von den Meinungen (tuo
den vVünschen doch den egoistischen Aspekt im Gegensatz zum konfuzianischen jian xue wen ßlt~~Fc,) noch nicht völlig ausgeschöpft habe». 70
Ideal der «Menschlichkeit» (ren 1=). Konsequenterweise sieht Wang Ji nicht nur in Diese Forderung Wang Jis nach Freiheit von fixen Meinungen und Standards
den «Wünschen» solche Hemmnisse des «Antriebes des Himmels», sondern noch betrifft auch seine eigene philosophische Lehre vom «ursprünglichen Wissen»;
mehr im Festhalten an Meinungen, «Theorien», Ansichten, Absichten (yi jian ~~ sie verlangt eine Art Distanzierung von den eigenen philosophischen Aussagen
oder nur yi ~ oder)iiln ~). über die obersten Prinzipien. Allerdings hat diese Forderung hier noch besondere
Anfang 1560 besuchte vVang Ji seinen ehemaligen Schüler und unterdessen Gründe: Nach einer Versammlung in Nanking im Frühjahr 1565 begleitete Geng
hohen Beamten Tang Shunzhi (1507-1560) 66 in Yangzhou (heute in der Provinz Dingxiang (1524-1596), der damals neben Luo Rufang der prominenteste Vertreter

63 Vgl. oben in diesem Teil II, Kap. 1, § 5.


64 Zwei der fünf'Uinc der chinesischen Pentatonik. 67 Zu diesen Pirateneinfällen siehe oben den Anhang ,,ur allgemeinen Einleitung, S. 42f.
65 Siehe zum Beispiel den in§ 5 von Kap. 1 dieses 'leils zitierten Text aus seinem Gespriich mit Luo 68 «Worte in der Begegnung von \Veiyang» [1560], /Vi111g Longxi qu1111ji (1822),juan 1, S. 8b-9a (Taipei
Hongxian vom Dezember 1562 (oben, S. 460f. 1970, S. 104f.); WangJiji, Nanjing 2007,juan 1, S. 7.
66 Zu Tang Shunzhi siehe den Artikel über ihn im DMB, S. 1252-1256, zu diesem Besuch siehe Wu 69 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 67; Si ku quan shu, Nian'an wen ji,juan 5, S. 22a.
Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 232f. 70 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 86; Nian'an xianshengji,juan 5, S. 51a.
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der Taizhou-Linie der Schule Wang Yangmings war, Wang Ji bis zur Präfekturstadt Diese schlechten Kräfte bezeichnet Wang Ji auch als «Herz der Gewohnheit»
Huizhou W(}fl (dem heutigen Shexian, ganz im Süden der Provinz Anhui), etwa (xi xin iU,,) oder als <<Energie (Macht) der Gewohnheit» (xi qi l'H~t). Wir sind im
zweihundertfünfzig Kilometer südlich von Nanking, wo Wang Ji auf dem Xin'an vorangegangenen Kapitel bei der Diskussion über die «Lehre in vier Sätzen» schon
(*fi~)-Fluss das Schiff nahm, um wahrscheinlich in Richtung der Provinz Zhejiang auf diese «Gewohnheit» gestoßen.n Sie wurde dort in den Berichten von Qian De-
weiterzureisen. Beim Abschied bat Geng Dingxiang Wang Ji um «das Wichtigste in hong angeführt und auch Wang Yangming in den Mund gelegt. Wir äußerten schon
einem einzigen Wort (yi yan zhi yao -~.z.~)». <<Der Lehrer [Wang Ji] sagte: <Sie an jener Stelle unseren Zweifel, ob Wang Yangming selbst diese auf den Buddhismus
lehren die Leute immer, dass sie das jeweils aktuell vorhandene <eigentliche Wesen> zurückgehende Erklärung gebrauchte, und vermuteten, dass Qian Dehong diesen
[des Herzens] erkennen sollen (xu shi dang xia ben ti ~~~T-;,jl;ffl), es gebe nichts Begriff verwendete und Wang Yangming in den Mund legte, um Wang Ji mit des-
Wichtigeres. Obschon es so ist, sind diese Dinge doch wie die Spur des Vogels in sen eigenem Begriff von der Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Gut und
der Luft, wie das Bild des Mondes im Wasser: Sie sind gleichsam vorhanden und Schlecht, und damit auch von der allgemeinen Gültigkeit der «Lehre in vier Sätzen»
gleichsam nicht vorhanden (ruo you ruo wu ~~~1m), gleichsam in die Tiefe versin- zu überzeugen. In der Versammlung vom Herbst 1562 in Nixiantai in der Präfektur
kend und gleichsam flüchtig verschwebend. Wenn man seine Meinung darüber fixiert Fuzhou (im Norden der Provinz Jiangxi) wurde Wang Ji von den Teilnehmenden
(ning yi )\Hi), ist alles verdorben, und die Richtung verkehrt sich in ihr Gegenteil gebeten, vom Gesichtspunkt der Lehre Wang Yangmings Stellung zur Lehre des be-
(qu xiang zhuan bei fflj□] Q~). Die Antworten des göttlichen Antriebes sind wunderbar rühmten Zeitgenossen und Gesprächspartners von Zhu Xi, Lu Jiuyuan (Xiangshan,
(shen ji miao ying »~M>l!I), das aktuelle Wesen (dang ti ~lll) ist ohne Bestimmun- 1139-1193), zu nehmen, der aus dem Kreis Jinxi ~;.l in dieser Präfektur stammte.
gen (leer: kong ~); wo könnte man sie in der Erkenntnis erfassen (qu shi ta ~~ftg)? Wang Ji kommentierte einzelne Aussagen von Lu. Eine in der Versammlung vorge-
Wenn man in solches etwas Einsicht erhält (de ge wu ru ~~1~ffi-A), erst dann ist es legte Aussage von Lu lautete: «Das Verhaltensmuster (~ui mo UHI) des Lernenden ist
das <Wahre Antlitz>, das sich nicht im Bereich der Formen und Bilder befindet (wu zum großen Teil durch das bedingt, was er gesehen und gehört hat. Das Kleinkind
xing xiang zhong zhen mian mu 1!!0t~i:p~lffi ~). Es ist der große Kraftgewinn ohne hat noch keine Gewohnheiten, wie wäre das auch möglich! Deshalb muss man auf die
die geringste eigene Kraftanwendung.> Chu Tong [= Geng Dingxiang] schnellte auf Gewohnheiten achten.» Wang Ji kommentierte: «Die Macht der Gewohnheit (xi qi
und sagte: <Ich verstehe.»> 71 ~~) bringt den größten Schaden. Wenn man nicht fähig ist, das Gute eines Dorfes
Festgefahrene Meinungen und Wünsche (Begierden) sind nach Wang Ji die mit dem G·uten des Landes und das Gute des Landes mit dem Guten dessen, was unter
beiden Hauptkräfte, die dem freien Wirken des «Antriebes des Himmels» bzw. des dem Himmel ist, und das Gute dessen, was unter dem Himmel ist, mit dem Guten
«ursprünglichen Wissens» entgegenstehen und den Menschen daran hindern, das des hohen Altertums [d.h. dem idealen Guten] zu verbinden, so kommt dies von der
Leben eines Heiligen zu führen: «Das <ursprüngliche Wissen> hat keine außeror- Beschränkung durch die Macht der Gewohnheit. Man muss ein Held sein, um sich
dentlichen lnur heiligen Menschen zukommenden] und gewundenen Eigenschaften. aus ihr herauszureißen, wenn man sich in ihr befindet. Darum hat der Lernende die
Das [menschliche] Herz ist an sich in Frieden (ben ping an 7-Js:SJI~) und ist in gerader dringende Aufgabe, die Macht der Gewohnheit zu brechen.» 7' Wenn die ursprüng-
(direkter) Weise tätig (yi zhi er dang J..;).][ffölb). Wenn die simpelsten Männer und liche Natur des Menschen gut ist, dann ist es konsequent, die schlechten 'Tendenzen
Frauen noch nicht durch Wünsche und Meinungen bewegt werden, sind sie heiligen im Menschen seiner «zweiten Natur», der Gewohnheit, zuzuweisen. Dies bedeutet
Menschen gleich. Erst wenn sich in ihnen Meinungen (yi ~) erheben und Wünsche aber für WangJi nicht, dass die Schlechtigkeit eines Menschen nur äußeren Einflüssen
(Begierden: yu i'.lX) keimen und sie nicht fähig sind, ihr <ursprüngliches Wissen zu zuzuschreiben wäre. Der Mensch kann nach ihm nur einem Teil seiner Natur folgen
verwirklichen>, sind sie von heiligen Menschen verschieden.» 72 Diese Doppelheit und die Gesamtordnung vernachlässigen. Er schreibt in einer Stellungnahme zu Aus-
von festgefahrenen Meinungen und Wünschen entspricht der kognitiven und appe- führungen eines Freundes über ein Kapitel von Mengzi: 76 «Das istMengzis Lehre von
titiven Seite des Menschen und hat auch Entsprechungen in Lehren des chinesischen der Einheit der menschlichen Natur und der <Bestimmung [des Himmels]> (xing ming
Bnddhismus. 73 he yi zhi xue tt"®ß'-.z.!l~): Die Natur (xing tt) ist der schöpferische Antrieb (sheng
ji 1:.~) des Herzens (Geistes); die Bestimmung (ming '®) ist das himmlische Gesetz
(tian zc ~Jl.lJ) des Herzens (Geistes). Das Begehren (Wünschen: yu W:) des Mundes
nach Geschmäcken, das Begehren des Auges nach Farben, das Begehren des Ohres
71 «Niederschrift in der Versammlung in der verbliebenen Hauptstadt [Nanking]» [1565], Wang Longxi nach Tönen, das Begehren der Nase nach Gerüchen, das Begehren der Arme und
quan ji (1822),juan 4, S. 15b (Taipei 1970, S. 306); Wang Ji ji, Nanjing 2007,juan 4, S. 90.
72 «Abriss einer Ansicl1tüber die Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» [1557], Wtmg Longxi quan
ji (1822),jz11111 (,, S. lb (Taipei 1970, S. 410); Wang]i.fi, Nanjing 2007,jzttm 6, S. 132.
7 .l Die Weishi-Schule (deren wichtigster Vertreter Xu,rnzang, ca. 600-664, ist) unterscheidet zwei Hin- 74 'Ieil II, Kap. l, § 2, S. 422 und S. 42M.
dernisse, die der Erlösung und Erleuchtung entgegenstehen: das «Hindernis der Leidenschaften» 75 «Worte in der Versammlung vom Nixiantai in Fuzhou» [1562], Wang Longxi quan ji (1822),juan, 1,
(fan nao zhang ;l;J'i'i@ ~), das vom «Nirvana» abhält, und das «Hindernis des Gewussten» (suo zhi zhang S. 25a-b Taipei 1970, S. 137f.); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 1, S. 20.
,Ei.Ir~~), das vom höchsten Wissen (Prajna) abhält. 76 Wohl Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, Kap. 7.
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Beine nach \Vohlbefinden, alle diese [Begierden] sind etwas, das bei der Natur nicht des Himmels» ist ja für ihn nichts anderes als dieses «eigentliche Wesen». Er sagte
zum Aufhören gebracht werden kann (xing zhi bu rongyi zhe 11.2.1'@8~). Aber es 15 57 in einer Versammlung in der großen Shuixi-Akademie in der Präfektur Ning-
ist darin eine Bestimmung (ming $)enthalten.Dadurch, dass man <die Bestimmung guo: «Die <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> besteht darin, dass man vom
aufrechterhält> (li tning'"fl.$), <schöpft man seine Natur aus> (jin xing mitt). 77 Wenn schöpferischen Antrieb her einsetzt (cong shengji ru shou 1/f 1±.mt>-. =!=-), das heißt, es ist
man nur der Natur nachgibt (zong xing ~11), ohne das Maß (die Ordnung: jie W) zu das Lernen, das die Namr [das vVesen des Herzens] sieht (jian ,'ring zhi xue j(l,11z~),
kennen dann wird das Gesetz des Himmels zerstört. So betrachtet man die Begierden aber nicht in das buddhistische Samadhi (chan ding ßll.JE) versinkt. Der schöpferische
' und weiß nicht um die durch den Himmel bestimmte Natur (tian ming zhi
als Nanir Antrieb hat keine Unterbrechungen.» 1311 Das «Sehen der [Buclclha-]Natur» ist ein zcn-
z
xing ~\ftf 11). Deshalb heißt es: Das ist nicht mit <Natur> gemeint.» 78 buddhistischer Ausdruck für die Erleuchtung. Vvang Ji benutzt hier diesen Ausdruck
für die Einsicht (wu fä) in das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens», dis-
§ 3 Das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» als «dem Antrieb
tanziert sich aber zugleich von der buddhistischen Versenkung in die Ruhe, die nach
des Himmels Folgen» und die Weise dieses Folgens: die «Natürlich- ihm den «schöpferischen Antrieb» dieses Wesens missachtet. Er hebt weiter hervor,
wie entscheidend für das «Lernen» die Ebene ist, auf der man in ihm seinen Ansatz,
keit», das «direkte Herz», das «eine Denken»
seinen Ausgangspunkt nimmt. Er sagte 1549 in einer interprovinziellen Versammlung
Aus \Vang Jis Auffassung des «ursprünglichen Wissens» als des in unserem Ceist in der Gegend des dem Daoismus heiligen «Drachen-und-Tiger-Gebirges» im Nord-
wirkenden «Antriebes des Himmels» ergibt sich unmittelbar seine Auffassung des osten der Provinz Jiangxi: «Der Bereich, wo wir Menschen selbst in unserer Bildung
«Verwirklichens des ursprünglichen vVissens» als eines Sichvereinigens mit diesem einsetzen (cong ru chu 1/t>-.rl,), bestimmt die Art und vVeise, wie wir empfinden und
«Antrieb». Dies ist schon ün vorangegangenen Par,1graphcn sichtbar geworden, und motiviert werden (g{ln dong Jwsib). Wenn wir unseren Ansatz bei Wörtern (yan yu
wir möchten es noch durch folgende Zitate verdeutlichen: In einem 'lcxt zum acht- ~) nehmen, dann bleibt unser Empfinden und i.vlotiviertwerden beim Erreichen von
undfünfzigsten Geburtstag von Luo Hongxian im Dezember 1562 schreibt Wang Ji: Wörtern stehen. Wenn wir unseren Einsatz bei iVIeinungen und Gedanken (yi xiang
,<Das <ursprüngliche Wissen> ist an sich <leer> (xu JE.), der Antrieb des Himmels ist Yl:I'!) nehmen, dann bleibt unser Empfinden und Motiviertwerden beim Erreichen
immer lebendig (chang huo m-R'i), es gibt !bei ihm] keine 'frennung von T~itigkeit und von Gedanken stehen. Wenn wir unseren Einsatz beim Verstehen von Interpretatio-
Ruhe. So wie das Auge an sich hellsichtig (hen ming :,\l:.BJJ) und das Ohr an sich hellhörig nen (jie wu Mffi) nehmen, dann bleibt unser Empfinden und Motiviertwenlen beim
ist, borgt es [d,1s <msprüngliche Wisscn>l sich nichts von außen. Die Praxis (gong J}J) Erreichen des Verständnisses von Interpretationen stehen. vVenn wir aber fähig sind,
der ,Verwirklichung des nrsprünglichenWisscns> besteht nur darin, dass man seinem all das hinter uns zu lassen, und stillschweigend beim schöpferischen Antrieb einset-
Antrieb des Himmels folgt (dass man sich vom Antrieb des Himmels treiben lässt: zen (cong shengji er ru 1/t!:E.~f/ij A), dann ist unser Empfinden und Motivicrtwerden
shun qi tian ji j@J{51;'.1l!,t). Wenn man ihm nicht folgt, ist dies die Behinderung durch täglich neu, wir berühren mit dem [eigenen] Antrieb den Antrieb [der anderen] (yi
die Wünsche (yu @:.), so wie die Bedeckung des Auges durch das Häutchen des Stars ji chu ji P).t!!,tM)t!!,t), schweigend geben und empfangen wir gegenseitig (ma xiang shou
oder die Verstopfung des Ohres durch Schmutz nicht der eigentliche Zustand (ben ran shou l!!.UIHl.s1t). Nur das ist die Weise, in der man nicht stehenbleibt (wu zhi Ja 1!1\.LI:.~).
;:zjs;~) ihrer Helligkeit sind. Wenn die Behinderung [durch die Wünsche] aufgelöst ist, Dadurch war Yanzi [der Lieblingsschüler von Konfuzius] wie ein simpler Mensch,
dann wirkt sich der Antrieb des Himmels von selbst aus, so wie die Hellsichtigkeit des aber ohne jemals stehenzubleiben.»81 «Schweigend gegenseitig geben und nehmen»
Auges und die Hellhörigkeit des Ohres von selbst vollständig sind, wenn das Häutchen ist ein anderer Ausdruck für das «direkte Übermitteln von Herz zu Herz», das wir bei
und der Schmutz entfernt worden sind.»79 der Frage der Weitervermittlung von Wang Jis Umformulierung der «Lehre in vier
Wang Ji betont immer wieder, dass das ethische Lernen, die ethische Praxis, vom Sätzen» angetroffen haben. 82
«Antrieb des Himmels» her einsetzen, dass sie bei diesem ihren Anfang oder Ausgang Dieses nie stehenbleibende, sich an nichts klammernde, aufgrund des als «An-
nehmen muss. Dieser «Antrieb» ist nach ihm der Anfangsgrund der ethischen Praxis. trieb des Himmels» verstandenen «ursprünglichen Wissens» stets kreative Verhalten
Das entspricht genau Wang Jis Ansatz beim «eigentlichen Wesen» des Herzens in charakterisiert Wang Ji als ein natürliches, spontanes, unmittelbares (zi ran ~ ~)
der Diskussion um die «Lehre in vier Sätzen» von Wang Yangming. Der «Antrieb Antworten (ying ßi) auf das jeweils «Affizierende» (auf die aktuell wahrgenomme-
ne Siniation: gan !Ws) im Gegensatz zu einem «Arrangieren» (an pai ~M~), das auf

77 Anspielungen auf Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 1. .. .


78 «Aufzeichnung von einfachen Grundsätzen für die gesammelten Worte [von Lu Sh1Ju]», «Abschmtt 80 « Worte der Versammlung bei der Ahnenhalle [von Wang Yangming] in Shuixi», Wang Longxi quan ji
über den Mund und den Geschmack [Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, Kap. 7]», Wang Longxi quan ji (1822), (1822),juan 3, S. 9a (Taipei 1970, S. 237); WangJiji, Nanjing 2007,juan 3, S. 62.
juan 3, S. 27a (Taipei 1970, S. 273); WangJiji, Nanjing 2007,juan 3, S. 77. 81 «Aufzeichnungen von der Versammlung in Chongyuan» [1549], Wang Lrmgxi quanji (1822),juan 1,
79 «Worte der Begegnung von Songyuan zum Geburtstag von Luo Nian'an» [1562], Wang Longxi quan S. 4b (Taipei 1970, S. 96); Wang Ji ji, Nanjing 2007, juan 1, S. 4.
ji (1822),juan 14, S. 2 la (Taipei 1970, S. 989); Wang Ji ji, Nanjing 2007, juan 14, S. 392. 82 Siehe oben in diesem Teil, Kap. 1, § 3, S. 435.
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Vorausberechnen, Planen beruht. Er versteht das «Ursprüngliche» des jeweils aktuell Sinne. In einem Text, den wir in§ 1 dieses Kapitels schon ausführlich zitiert haben,ss
erlebten «ursprünglichen Wissens» als das vom Himmel oder vom Antrieb des Him- schreibt er: <<Jedes menschliche Herz hat das [ursprüngliche] Wissen. Im Altertum
mels selbst bewirkte natürliche, spontane Bewusstsein. Er schrieb 15 58: «Die Lehre und in der Gegenwart besitzen es heilige und simple Menschen in gleicher Weise.
des verstorbenen Meisters [Yangming] vom <ursprünglichen Wissen> richtet sich nach Wenn man <direkten Herzens> tätig ist (zhi xin yi dang [![,t,,J,.:JJ)J), dann sieht man von
Mengzi. \:Vas man <nicht zu lernen und nicht zu überlegen braucht>,8; nämlich das selbst die Norm des Himmels und hat so das Wissen der Tugendnatur (de xing zhi zhi
vom Himmel Bewirkte, ist das natürliche <Ursprüngliche Wissen> (nai tian suo wei, zi ~ttz~). Wenn man sich aber in Meinungen und angelernte Kenntnisse verstrickt
ran zhi liang zhi ye )J ~pjf ~ ~ ~ZlHilili). Nur das Ursprüngliche des Natürlichen (zi (ni yu yi shi 5ftl~~~), dann wird man verdorben und weicht ab.» 89 In einem Brief an
mn zhi liang ~ ~Z~) beruht nicht auf Lernen und Überlegen. So entsteht das Lieben Luo Hongxian schrieb er: «Ihr Lernen hat sich noch nicht von den Meinungen (zhi
der Eltern und das Achten der iilteren Brüder durch die Rührung des [himmlischen] jian 9;□ Ji!,) freigemacht; was kann da Ihre Meinung von der Leere (xu zhijian ~9;□ Jll,)
Antriebes (chu ji erJa MJ~ji'ij ~) und ist ein göttliches Affiziertwerden (Empfinden) und für einen Nutzen haben! Es scheint, dass Sie im Ganzen noch nicht zum lebendig
göttliches Antworten (shen gan shen ying t$mlH$.IJ!).» 84 Er illustriert die Natürlichkeit Wahren vorgedrungen sind (bi zhen ~~)- Ist man zum lebendig Wahren vorgedrun-
oder Spontaneität des Verhaltens aufgrund des «Antriebes des Himmels» auch mit gen, dann drängt sich, wenn man <mit geschwungenem Schwert in die Schlacht zieht>
Beispielen, deren moralisch-ethischer Charakter nicht deutlich, deren Spontaneität, (lun dao shang zhen ft1i JJ J:. ~ili) [Zitat aus dem «Hochsitz-Sutra»90] <keine arrangierende
Unberechnetheit aber umso augenfälliger ist: In der bereits oben erwähnten Ver- Hand ein> (cuo shou bu yi !tl'=.1=-1'l~), sondern man ist direkten Herzens und direkten
sammlungvomHerbst 1562 in Nixiantai der Präfektur Fuzhou l1!ll~M (ProvinzJiangxi), Sinnes tätig (zhi xin zhi yi @1t.,[![~).»91 Oder im oben (S. 480) zitierten Text von 15 57:
der Heimat des Song-Konfuzianers Lu Jiuyuan (Beiname: Xiangshan, 1139-1193), «Das <ursprüngliche Wissen> hat nicht die Merkmale des Außergewöhnlichen (qi te
in der Wang Ji verschiedene Aufzeichnungen über diesen Philosophen kommentier- ~~) und des Gewundenen (Komplizierten: wei qu ~ llll). Es ist an sich in Frieden
te, nahm er auch Stelhmg zur folgenden Aufzeichnung: «Ein Freund saß einmal in (pingan SJZ~) und mit Direktheit tätig (yi zhi erdong .1-:J@imll). Wenn simple Männer
Aufwartung neben Xiangshan [Lu Jiuyuan]. Plötzlich erhob sich dieser, und jener und Frauen (yu fu yu fu f.!\\.~;'i.fri'fi) noch nicht von Meinungen und Wünschen (yi yu
erhob sich auch. Xiangshan fragte ihn: <Brauchtest du [für dieses Verhalten] noch ein ~fil) bewegt werden, sind sie den heiligen Menschen gleich.» 92 Wang Ji hat auch
Arrangieren (Vorausplanen: an pai ~:r,ln?»> Wang Ji kommentierte: «Das ist das na- eine kleine Abhandlung über das «direkte IIerz» geschrieben, die mit den Worten
türliche (spontane) göttliche Antworten, <ohne zu denken und zu machen> 85 (wu si wu beginnt: «Das Lernen von uns Menschen besteht nur in einem direkten Herzen
wei zi ran zhi shen ying 1!!C'!l,fflli~ ~ ~Z t$ JJ!), des <ursprünglichen Wissens>. Wenn der (wu ren wei xue zhi shi yi ge zhi xin ~ A~~.R:li!:-illi!1lh).» Er bestimmt darin aber
Lernende solches zu erkennen vermag, so betritt er den Weg des heiligen Lebens.» 86 diesen Ausdruck nicht positiv, sondern stellt ihn dem <<Berechnen und Planen» (yi du
Ein anderer Ausdruck, mit dem W,mg Ji den unmittelbaren Charakter des auf ffiffi'.), dem «Sichklam1nern an Formeln und Konventionen» (ni ge ttw5ftl:m~), dem
dem «Antrieb des Himmels» beruhenden Verhaltens charakterisiert, ist «direktes «Drehen und Auswechseln von Gedanken» (zhuan huan nian xiang ffffi~;l'Jt) und den
Herz» (zhi xin [![,t,,) oder «direkte Intention» (zhi yi (§[~) oder einfach «direkt». «Begierden» (qing yu '~fil) gegenüber. Am Ende der Abhandlung charakterisiert er
Während die ,,Natürlichkeit (Spontaneität), ohne zu denken und zu machen»,.aus mit diesem Ausdruck das «ursprüngliche Wissen>>: «Der verstorbene Lehrer [Wang
dem Daoismus stammt, aber auch im «Großen Anhang» des «Buches der Wand- Yangming] hat treffend die beiden Wörter <ursprüngliches Wissen> aufgegriffen; [sie
lungen» als Kennzeichnung des «Wandels» (yi ~) auftritt (1. Teil, Kap. 10), ist das bedeuten] ein in direkter Weise Tätigsein (yi zhi er dong J31-@lmlh), <ohne zu überlegen
«direkte Herz>> zenbuddhistischen Ursprungs: Es ist davon im «Hochsitz-Sutra und ohne zu machen> (wu si wu wei $mJ~ffi~); 93 es ist der Knotenpunkt der <Nanir
des Sechsten Patriarchen» die Rede. In dessen viertem Kapitel (Fassung des Ming- [des Herzens] und der Bestimmung [des Himmels]> (xing ming zhi shu tt1fii-.z.:.!m) und
Kanons) wird das «direkte Herz» dadurch charakterisiert, dass es sich nicht an ir- das Prinzip der geistigen Reinheit und Einheit (jing yi zhi zong chuan ffl- .z.*1').»94
gendwelche Meinungen und Dinge klammert: «Wenn das Herz sich nicht an etwas
klammert, dann fließt das Dao frei hindurch (liu tong JlitJffi). Wenn das 1:-Jerz sich an
etwas klammert, dann heißt dies <Fesselung>.»87 Auch Wang Ji spricht in diesem 88 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 468.
89 Yi shi.fie, Wang Longxi quan ji (1822),juan 8, S. 2 la (Taipei 1970, S. 557); Wang Ji .fi, Nanjing 2007,
futtn 8, S. 192; parallele Stelle: Wanlü'an 111(ln yu, 1,11mg /,ongxi 11u,m ji (1822),jurm 16, S. 2 la ('Taipei
1970, S. 1149); Wrmg Ji ji, Nanjing 2007, jwm 16, S. "+62. il
\i
90 Liu zu tanjing, Fassung des Ming-Kanons, 1. Kapitel, TS, Nr. 2008, S. 348b, Zeile 5.
83 NachMengzi, 7.Buch, 1.Teil,Kap.15. 91 Luo Hongxian wenji (1822),juan 5, S. 12b-13a; zitiert bei Wu Zhen 2001, S. 198.
84 ,,Diskussion von Meinungen über die ,Verwirkliclrnng des ursprünglichen Wissens»> [1557/58], Wrmg 92 «Skizze einer Ansicht über die Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» [1557], FVtmg Longxi
l,on.~xi quanji (1822),jumz 6, S. lla (1]1ipei 1970, S. 425); Wmzg]i ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 137. qiumji (1822),juan 6, S. 3b (Ihipei 1970, S. 410); Wf/11g]iji, Nanjing 2007,jwm 6, S. 132.
85 Anspielung auf den «Großen Anhang» des «Buches der Wandlungen», 1. 'Teil, Kap. 10. 93 Anspielung auf den «Großen Anhang» des «Buches der Wandlungen», 1. Teil, Kap. 10.
86 «Worte in der Versammlung am Nixiantai in Fuzhou» [1562], Wang Longxi quan ji (1822),juan 1, 94 «Abhandlung über die Direktheit, Zhou Shunzhi [= Zhou Yi, 1506-1569] zur Kenntnis gegeben»,
S. .lOb (Taipei 1970, S. 148); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 1, S. 25. Wrmgf.ongxi q11rmji (1822),jl!lm 17, S. 21 a-22a (Taipei 1970, S. 1231-1233); /Vrmg]iji, Nanjing 2007,
87 J.i11 zu tanji11g, TS, Ed. 4H, Nr. 2008, S. 352c-35.la; vgl. Nr. 14 des Dunhuang-[Fahai-{lcxtes. juan 17, S. 497f.

III
11

486 487

Die Ausdrücke «direkten Herzens tätig sein» (zhi xin yi dong ii!H,,P).IIJ), «direkten [die Dinge] verstehen und prüfen (zhi congyi nian shang li hui zhao zha .,Rf>E-~__t~
Herzens wirken» (zhi xin er ja ii>t,pjj~)95 oder «mit Direktheit tätig sein» (yi zhi er 1r"~,ij~), dann ist die Ordnung von dem, was früher und was später zu tun ist, und
dong ~m[pjjl/J) sind bei Wang Ji Variationen derselben Formel. das Befolgen der Regel vom Anfang und Ende einer Aufgabe, das Einsehen aus dem
In den oben zitierten Texten identifiziert WangJi das natürliche, spontane Verhal- eigenen Herzen und das Entdecken aus der eigenen Erfahrung, das Vermeiden aller
ten und das «direkten Herzens Tätigsein» sowohl mit dem «ursprünglichen Wissen» Formen von Suchen im Äußeren,[ ... ] die Strategie von Königen und Herzögen, das
im Sinne eines Sichauswirkens des <<göttlichen Antriebes» in einem aktuellen Erleben Passende in vergangener und jetziger Zeit, das Geheimnis von Himmel und Erde,
oder Fühlen noch vor allem ethischen «Lernen» als auch mit einer ethischen Praxis, von Geistern und Göttern dadurch schon vollständig hervorgebracht. Die Bewegung
in der sich diese Natürlichkeit bzw. dieses «direkte Herz» voll im Handeln auswirkt des Himmelszentrums hört nie auf, und es verlässt doch nie seinen Ort; auch die
und die auf ethischem «Lernen» beruht, also dem «Verwirklichen des ursprünglichen Bewegung des Zentrums der Geisteskraft hört nie auf, und es verlässt doch nie seine
Wissens» zuzurechnen ist. An sich ist zwischen diesen beiden zu unterscheiden, denn Stellung. Das ist endgültige Wahrheit (jiu jing zhi yi ~~Z~).»96 Und zehn Jahre
die Natürlichkeit und «Direktheit» des bloßen «ursprünglichen Wissens» ist im Be- später (1564) sprach er in einer Versammlung in der Akademie von Shuixi ;,J<l§" in der
wusstsein jedes Menschen vorhanden, sie tritt von selbst auf, während die Natürlichkeit Präfektur Ningguo 1'1lffif vom «einen Denken» in folgender Weise: «Das Lernen
und die «Direktheit des Herzens» im «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» der Heiligen des hohen Altertums wurde nur von der geisteskräftigen Klarheit des
entweder die Anweisung für das ethische «Lernen» bedeutet, im Denken und Handeln einen Denkens her erkannt (cong yi nian ling ming shi qu f>E-~BBJ.IIUlli). Nur durch
gegenüber allen Behinderungen durch Meinungen, Berechnungen und Wünsche der dieses betritt man den wahren Lebensweg der Heiligen. Wenn man auf der Stelle (im
«Natürlichkeit» und «Direktheit» des «ursprünglichen Wissens» freien Lauf zu lassen, jeweiligenJetzt: dang xia ~""F) die geisteskräftige Klarheit des einen Denkens bewahrt
oder das Resultat eines solchen «Lernens» ist. Wang Ji unterscheidet in den angeführ- (bao i!il), dann ist dies das <Lernen>. Wenn man dadurch angeregt [auf andere] wirkt,
ten Texten nicht ausdrücklich zwischen der ungelernten und der gelernten «Direkt- dann ist dies das <Lehren>. Wenn man in allen Geschäften die geisteskräftige Klarheit
heit» oder «Natürlichkeit» des «ursprünglichen Wissens», denn das «verwirklichte des einen Denkens nicht verdunkelt, heißt dies das <Berichtigen der Handlungen> (ge
ursprüngliche Wissen» ist für ihn nichts anderes als das «ursprüngliche Wissen», sofern wu ffH~I). Wenn man die geisteskräftige Klarheit des einen Denkens nicht betrügt,
es in unserem Fühlen, Denken und Handeln überall und voll zur Geltung kommt. heißt dies das <Wahrhaftigmachen des Willens> (cheng yi ~~). Wenn man das eine
Der Ausdruck, mit dem Wang Ji das vom «Antrieb des Himmels» bewirkte Denken weit macht und nicht den geringsten egoistischen Eigensinn hat (gu bi zhi si
und geleitete Fühlen, Denken und Verhalten am häufigsten charakterisiert und den ~&,z;fik), heißt dies das <Gerademachen des Herzens> (zheng xin iE,t,). 97 Um das
er auch vorzüglich im Zusammenhang mit der Beschreibung der «Einsicht in das Dem-Himmel-Vorangehen (xian tian $t;R) des Kaisers Fu:xi98 direkt zu vollziehen,
ursprüngliche Wesen des Herzens» benutzen wird (siehe unten den § 5), ist <<yi nian gibt es keinen anderen Weg.»99 Wie bei der «Natürlichkeit» und «Direktheit des
-~», wörtlich übersetzt: «ein Gedanke» oder «ein Denken». Es ist außerordentlich Herzens» gebraucht Wang Ji das «eine Denken» sowohl, um das «ursprüngliche
schwierig, das von Wang Ji mit diesem Ausdruck in diesem Zusammenhang Gemeinte Wissen», als auch, um das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» bzw. dessen
zu verstehen; dieser Begriff scheint für ihn mehrere Bedeutungen zu haben,,die er Resultat zu charakterisieren, denn das «Lernen» besteht nach ihm im «Bewahren des
aber als eine Einheit sieht. In der Versammlung vom Herbst 1554 in der Wenjiang- einen Denkens».
Akademie llifHHl in Guangxin ~1i im Nordosten der ProvinzJiangxi sagte er: «Der Schon Wang Yangming benutzte den Ausdruck <<yi nian -~». Er verwendet ihn
verstorbene Lehrer [Wang Yangming] hat die zwei Wörter <ursprüngliches Wissen> als Attribut des «ursprünglichen Wissens», und zwar in solchen Zusammenhängen, in
hervorgehoben. Er hat sie im Verborgenen (Feinen) des einen Denkens begründet denen er die Einheit des «ursprünglichen Wissens» entweder gegenüber der Vielheit
(ben zhu yi nian zhi wei .:,ji:;~-~Zft), hat sie im Lieben [der Eltern] und Verehren der zerstreuten Gedanken an Künftiges und Vergangenes oder aber gegenüber der
[der älteren Brüder] ausgewiesen (zheng zhu ai jing fl~JHix) und auf alle Dinge aus- Verschiedenheit der Umstände seiner Anwendungen und Verwirklichungen hervor-
gedehnt. Das ist das Zentrum der Inspiration (Geisteskraft) (ling shu II~) aller alten hebt. Er spricht dann vom «einen (einzigen) Gedanken des ursprünglichen Wissens»,
Klassiker und Abhandlungen. Wenn Sie, meine Herren, im Vertrauen auf (Glauben
an) das <ursprüngliche Wissen> (xin de liang zhi 1i~~ Bl~) nur vom einen Denken her
96 Wang Longxi quan ji (1822),juan 1, S. 7b-8a (Taipei 1970, S. 102f.); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 1,
S.6.
97 Die vorangehenden Sätze spielen alle auf den Abschnitt im Grundkapitel des Daxue an, mit dem Wang
95 Er schreibt ungefähr 1577 in einem Brief an LiJian'an: «Wenn man an das <ursprüngliche Wissen> Yangming die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» erklärt.
glaubt und direkten Herzens wirkt (zhi xin er fa l[,iYiiii~), dann ist das Gesetz des Himmels bei 98 Der legendäre Kaiser Fuxi gilt als der Autor der «dem Himmel vorangehenden» Anordnung der 64
einem selbst (tian ze zai wo ~.ll.HEft). [... ] Es ist wie mit dem Licht von Sonne und Mond, das von Hexagramme des Yijing («Buch der Wandlungen») und.steht hier allgemein für das «dem Himmel
selbst kommt und geht (zi ran wang lai 1111'1-ift*) und nicht [von außen] bewegt wird. Sobald man vorangehende Lernen». Zum Ausdruck «xian tian» siehe oben in diesem Teil, Kap. 1, § 5, S. 457ff.
ins Arrangieren gerät, begreift man dieses und jenes (ji wei dong dong W ~1111).» Wang Longxi quan 99 «Abschiedsworte in Shuixi» [1564], Wang Long quan ji (1822),juan 16, S. Ba (Taipei 1970, S. 1123);
ji (1822),juan 11, S. 3a (Taipei 1970, S. 733); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 11, S. 272. Wang]iji, Nanjing 2007,jttan 16, S. 451.
488 489

von der «einen (einzigen) geistigen Regung des ursprünglichen Wissens» (liang zhi Zenbuddhismus hat <<yi nittn -~» auch die Bedeutung des wahren Denkens, der wah-
yi nit1n &~ -~ oder yi nittn liang zhi -~&;;n oder yi nian zhi liang zhi -~~.Bl ren geistigen Tätigkeit. In dieser Bedeutung tritt der Ausdruck zwar nicht in dem für
~D). 100 Zum Beispiel in dem in Teil I dieser Studie ausführlich zitierten Brief an Nie die Geistesgeschichte Chinas seit der späten Tang-Zeit so wichtigen «Hochsitz-Sutra
Bao von 1528 101 schreibt er, dass die ethische Gnmdlage der verschiedenen sozialen des Sechsten Patriarchen», wohl aber in dessen unmittelbarer geschichtlicher Umge-
Beziehungen in allen Fällen immer nur «der <eine einzige Gedanke> (die eine einzige bung auf, in den «Gesprächen von Shenhui [684-758]». Nach diesen «Gesprächen»
geistige Regung: yi nirm -~) des wahrhaft mitfühlenden ursprünglichen Wissens»· geschieht die Erleuchtung (wu fä) im «einen Denken» (yi nittn -~), das eine «Über-
sei. Nie Bao wollte die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» auf den Dienst einstimmung» (xiangying f§/J!) mit Buddha ist und aus einem Geisteszustand hervor-
an den Eltern und den Gehorsam gegenüber den älteren Brüdern konzentrieren, geht, der «ohne Denken» (wu nittn ;Im~), das heißt ohne an vielen Dingen haftende
worauf ihm \Vang Yangming antwortete, dass wenn das «ursprüngliche Wissen» im Gedanken, ist. 105 Dieser Bedeutung von <~yi nittn -~» kommt Wang Jis Gebrauch
Dienst für den Herrscher, in der Beziehung zu den Freunden, in der Liebe zu allen dieses Ausdruckes sehr nahe. Wang Ji konnte zwar die «Gespräche von Shenhui»
vVesen usw. nicht verwirklicht sei, es auch im Dienst an den Eltern und im Gehorsam nicht kennen, da diese in der Ming-Zeit nicht mehr vorlagen und erst zu Beginn des
gegenüber den älteren Brüdern nicht verwirklicht sein könne, da es immer dasselbe 20. Jahrhunderts in den buddhistischen Höhlen von Dunlrnang wieder aufgefunden
eine «ursprüngliche \Nissen» sei. Umgekehrt bedeute die «Verwirklichung des ur- wurden. Aber der Ausdruck hat wohl auf anderen \Vegen der zenbuddhistischen Tb-
sprünglichen \Vissens» in der einen sozialen Beziehung auch seine Verwirklichung dition W,·111g Ji erreicht.
in den anderen. «Obschon die Aufgaben in der Welt unendlich verschieden und Bei WangJi gewinnt dieser Ausdruck eine zentrnle Bedeutung. Zwar gibt es auch
veränderlich sind, so dass man sie gar nicht alle im Vöraus erfassen kann, so ver- bei ihm Stellen, in denen <<yi nimz-~» nur die elementare Bedeutung eines «einzigen
nachlässigt man doch davon keine, wenn man ihnen durch die <Verwirklichung> der Gedankens» hat. In diesem Sinne kann dann auch von «einem (einzigen) schlechten
einen geistigen Regung (yi nimz -~) des im Dienst an den Eltern und im Gehorsam Gedanken» die Rede sein. rn 6 Aber im allgemeinen meint <<yi nimz-~» nicht die nu-
gegenüber den älteren Brüdern wahrhaft mitfühlenden <ursprünglichen Wissens> merische Einzigkeit, sondern die innere Einheit oder Einfachheit und Lauterkeit des
entspricht. Denn es gibt eben, wie ich sagte, nur dieses eine einzige <ursprüngliche «wahren Denkens» im Gegensatz zum «vermischten, unlauteren Denken» (za nian
Wissen> (zhi you ci yi gc !itmg zhi .R ~ llt-{~ 5!5'□).» 102 Wang Yangming gebraucht den li1!t~), zum «dreifachen Denken» (san nian =~) 107 oder zrnn «gespaltenen (doppelten)
Ausdruck ,~yi nimz» nur gelegentlich als Attribut: des «ursprünglichen Wissens»; er Herzen» (er xin =,t,,) eines durch Wünschen von Künftigem und durch Festhalten
stellt ihm keine konträren Begriffe gegenüber, so dass er bei ihm keine zentrale und an Vergangenem auseinandergerissenen Geisteszustandes. Vlang Ji schrieb schon um
ausgeprägte Bedeutung gewinnt. 1537: «Wenn das Ilerz keine Wünsche hat, dann ist das Denken von selbst eines (xin wu
«Yi nian ist durch den chinesischen Buddhismus zu einem festen Ausdruck
geworden und h,,t in dieser 'fradition zwei Grundbedeutungen: 103 Erstens meint er
eine kurze oder die kürzeste Zeiteinheit, ein Zeitmoment; er entspricht im Großen Gedanken ist der Trichiliokosmos (die ganze Welt) enthalten.» Junjiro Takakusu: The Essentials
of Buddhist Philosophy, 3. Auflage, o.O. 1956, S. 140, übersetzt: «A conscious instant or a moment
und Ganzen dem deutschen Wort «Augenblick». In dieser Bedeutung ist er die alte of thought has 3000 worlds immanent in it.» Swanson, Paul L.: Foundations ofTiantai-Philosophy,
chinesische Übersetzung des Sanskritwortes ksantt, die wegen ihrer Mehrdeutigkeit o.O.1989, S. 13, übersetzt: «One short thought contains all of reality.» - In den folgenden Texten
im 7. Jahrhundert durch den großen Übersetzer buddhistischer Werke Xuanzang (ca. dient «yi nian» dazu, die Plötzlichkeit einer intuitiven Erkenntnis im Gegensatz zu einer diskursiven
Folge von Gedanken auszudrücken: Im Da cheng qi xin lun («Sastra der Erweckung des Glaubens
600-664) durch die phonetische Wiedergabe sha na lOJß ersetzt, aber nicht verdrängt im Großen Fahrzeug») steht in der Übersetzung von Yoshito S. Hakeda von 1967, S. 89: «[ ... ] a
wurde. Die zweite Bedeutung von <<yi nian -~» im Buddhismus ist «ein einziger Boddhisattva [... ] through wisdom united with [original enlightenment or Suchness] in an instant
Gedanke», «ein einziger intentionaler Akt», «ein einziger erkennender Geistesblitz», of thought (yi nian -~) he extinghuishes ignorance.» In einer Biographie über den Zweiten Patri-
archen der Tiantai-Schule, Huisi, steht: «In einem einzigen Geistesblitz verstand er (yi nian ming da
wobei der intuitive Charakter dieses «Geistesblitzes» im Gegensatz zum diskursiven -~BJlli) das große Samadhi des Lotus des Gesetzes von der Lehre des Großen Fahrzeuges.» TS,
Denken betont wird, das aus vielen Gedankenschritten besteht. Auch das zeitlich Bd. 50, Nr. 2060, S. 563a; vgl. Magnon, Paul: La vie et l'reuvre de Huisi, Paris 1979, S. 35.
Kurze, Plötzliche ist in dieser zweiten Bedeutung oft mit enthalten. 104 In Texten des 105 Vgl. Gernet, Jacques: Entretiens du maitre dhyana Chen-houei du Ho-tsö (668-760), Publications de
l'Ecole fran~aise d'Extreme-Orient, vol. XXXI, 1949, S.10, S.14, S. 54, S. 57.
106 Zum Beispiel auf die Frage seiner Hauptfrau, die Buddhistin war, über den Sinn der buddhisti-
schen Lehre der Verursachung durch das Karma antwortete Wang Ji: «Ein einziger Gedanke guter
100 Brief an Gu Dongqiao [um 1525], Chuanxi tu II, Nr. 139, Quan ji,juan 2, Shanghai 1992, S. 50; Brief Karmaursache (yi nian shan yin -~ff~) bringt schließlich eine gute Vergeltung hervor; ein einziger
an Lu Cheng (Yuanjing) [um 1524], a.a.O., Nr. 162, S. 67; Brief an Nie Bao [1528], a.a.O., Nr. 190, Gedanke schlechter Karmaursache (yi nian eyin -~~llil) bringt schließlich eine schlechte Vergeltung
S.85. hervor. Ihre Entsprechungen sind wie das Echo.» «Worte der Trauer für meine verstorbene Gattin
101 Siehe oben in Teil I, Kap. 3, § 5, S. 212f. Chunyi aus dem Hause Zhang», Wang Longxi quan ji (1822),juan 20, S. 83b (Taipei 1970, S. 1538);
102 Brief an Nie Bao [1528], Chuanxi lu II, Nr. 190, Quan ji,juan 2, Shanghai 1992, S. 85. Wang]iji, Nanjing 2007,juan 20, S. 650.
103 Vgl. Ding Fubao: Foxue da cidian, Beijing 1984, S. 13a; Ci yuan, Bd. 1, Beijing 1979, S. 4a. 107 Dieser Ausdruck kommt vor in «Worte bei der Begegnung in Songyuan, zum Geburtstag von Luo
104 Zum Beispiel in der berühmten Formel der Einheitslehre des Tiantai-Buddhismus «yi nian san qian Nian'an», Wang Longxi quan ji (1822),juan 14, S. 23a (Taipei 1970, S. 991); Wang]i ji, Nanjing 2007,
-~= =f» wird durch «yi nian» die Einzigkeit des Gedankens hervorgehoben: «In einem einzigen juan 14,S. 392; zitiertunteninKap.4,§ 9,S. 737.
490 491

yu ze nian zi yi 1i)~W:J:l1J;% ~ -).» 108 ln W:'lng Jis «einem (einheitlichen) Denken» ist aber des Gegenwärtigen (xian wi yi nian !Jl.1:E-:%) läuft nicht [dem Vergangenen] nach
auch das Ursprüngliche dieses Denkens impliziert, da es eine Auswirkung des «Antrie- und läuft nicht [zum Künftigen] voraus (wu jimzgying ~~J.ffi), es klammert sich nicht
bes des Himmels» ist. Es steht im Gegensatz zu einem «Denken», das in nachträglichen fest (wu zhu zhao ~1±~). Der <Antrieb des Himmels> ist [in ihm] immer lebendig,
Überlegungen aufgrund von Wünschen und Verhaftungen besteht. In manchen Fällen so dass alles richtig ist; bei den Unternehmungen von Tausenden von Jahren gibt es
ist man daher versucht, das «yi -» in diesem Ausdruck als Ordinalzahl zu verstehen kein Zuviel und Zuwenig. Darum heißt es: <Ein Denken umfasst zehntausend Jahre
und <<yi nian -;%» mit <,das erste, das heißt ursprünglichste Denken» zu übersetzen. (yi nian wan nian -:%~~).>» 113 Was vVang Ji unter dem dem «nachlaufenden und
In sehr vielen Texten Wang Jis steht <<yi nian -;%» im Gegensatz zu <<jiangying entgegenlaufenden Herzen» entgegengesetzten Begriff ~<Herz des Gegenwärtigen»
i'l?J-3.ffi», das mit «nachlaufen und entgegenlaufen (vorauslaufen)» übersetzt werden (xian zai xin !Jltf,t,,) versteht, wird etwas deutlicher in einem Text, den er als Ermah-
kann. Gemeint ist: den weggehenden oder vergehenden Dingen nachlaufen und den nung für seinen zweiten Sohn Yingbin ~:xftt 114 schrieb: «Als wir zusammen im Garten
komn1enden oder künftigen Dingen entgegenlaufen. Dieser Ausdruck stammt aus der der goldenen Wellen wohnten und I(ontakt hatten, sah ich, dass dein Geist noch oft
daoistischcn Tradition, ist aber seit der Song-Zeit auch im Zenbuddhismus wichtig zerstreut und nachlässig war (srm hwm *k&) und noch keinen festen Anhalt hatte (wei
geworden, der mit ihm das Haften an Vergehendem und das Wünschen und Über- you gui zhuo *Wii\l~). Deshalb empfahl ich die <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> (jie
legen von Künftigem kritisiert. Auch in den Konfuzianismus hat er damals Eingang shen lwngju JtlaiHJ:1<11) aus [Wang Yangmings] Churmxi lu. Das kann man auch mit der
gefunden. Im siebten Stück (Ying di wang) des Lhuangzi (4.13. Jahrhundert v.Chr.) Lehre vom Denken (nian zhi shuo 2.:Z.~) erklären: Wenn das Herz des Jetzigen denkt
steht: «Der vollkommene Mensch benutzt sein Herz (seinen Geist) wie einen Spiegel. (jin xin wei nian ~,t.,f.i!i~), dann ist das Denken das Herz des Gegenwärtigen (xian
Er läuft lden Dingen] nicht nach (bujiang 1'~) [wenn sie gehen], er läuft [ihnen] nicht zai xin !Jl.1:E1t.,). Wenn wir wiihrend des ganzen 'fages im Verkehr mit der Umwelt das
entgegen (hu ying 1°'3.ffi) !wenn sie kommen]; er antwortet (entspricht: ying ~) [ihnen, Gegenwärtige nicht verlassen (hu li xian zai T'~!Jl.1±), dann ist an allen Anfängen und
wenn sie da sind], aber er hortet nicht.», 109 Der wichtigste 'lext in der konfuzianischen Enden immer dieses eine Denken das Herrschende (iie ci yi nian wci zhi zhu zai ~.tlt
Literatur der Song-Zeit mit diesem Ausdruck ist der Brief des älteren der beiden -:%~.:z.::t*); das Denken kommt zur Einheit (nitm guiyu yi :%!i\l~-), und der Geist
Cheng-Brüdcr, Cheng Hao (1032-85), an Zhang Zai über die «Festigung der Natur» gerät von selbst nicht in die Zerstreuung (iing shen zi Im liu san mt$ ~ 1°'ii'itffll). Es ist
(Ding xing shu Dieser Brief beginnt mit dem Satz: «Die Festigkeit (ding 5.E) wie der Zaum eines Pferdes, mit dem man sein Drängen oder seine Nachlässigkeit
muss sowohl in der Tätigkeit als auch in der Ruhe vorhanden sein; kein Nachlaufen zügelt und das richtige Maß bestimmt. Es ist, wie wenn das \Vasser eine Quelle hat
und Entgegenlaufen (wujiangying ~~J.ffi), keine 'frennung von Innerem und Äuße- und so unerschöpflich hervorsprudelt. Der Unterschied zwischen dem Heiligen und
rem (wu nei wrti ~r:J>'~).>> 1111 Wang Ji sagt unter Verwendung dieses Ausdruckes: «Das dem Ausschweifenden (sheng k11ang zhifen ~liZ'.7:l') besteht in nichts anderem als eiern
Denken (nian 2) ist die Tiitigkeit (Funktion: yong ffl) des Herzens (Geistes). <Denken> zwischen der Fähigkeit und dem Abirren hinsichtlich des einen Denkens (zhi ztti yi
hat zwei Bedeutungen: \i\lcnn das Herz des Jetzigen denkt (jin xin wei nian ~,[)f.i!i:%), so nian ke yu wttng zhijian -RtE-:%5'2J~~ZFsi). Wenn das eine Denken klar und fest ist
ist es das Herz dessen, was gegenwärtig ist (xian zai xin !J!,{E,t.,); dies wird das <gerade (ming ding aJjJ.E), ist dies das Lernen, welches das Gedeihen erreicht (qi xi zhi xue *l~~
Denken> (zheng nian IE~) genannt. Wenn das zweifache Herz denkt (er xin wei nian z~). Das eine Denken ist ohne Gedanken (wu nian ~~); es ist Denken und verlässt
=,t.,~~), so ist es das Herz, das nachläuft und vorausläuft (jiang ying xin ~3,ffi,t,,); dies die Gedanken (ji nian er li nian ffll~ imllilt~).»115 Er braucht in diesem Text für diese ge-
wird <das schiefe Denken> (xie nian ?Jß~) genannt.» Und er rekurriert dann für die einte Geisteshaltung dann auch das in der oben zitierten Zhuangzi-Stelle aufgetretene
Unterscheidung zwischen dem «geraden» und dem «schiefen Denken» auf das «ur- Spiegelgleichnis und illustriert die Konzentration des einen Denkens mit der auch im
sprüngliche Wissen» (liang zhi B!~) in der Bedeutung des moralischen Bewusstseins Zenbuddhismus benutzten Übung des Bogenschießens: «Zum Beispiel beim Erlernen
(Gewissens): «Die Helligkeit (ming ll}l) des <eigentlichen Wesens [des Herzens]> (ben des Bogenschießens muss man mit voll gespanntem Bogen ins Schwarze treffen; das
ti zhi ming ;ljs:!llzllJl) weiß dies [d.h., ob das Denken gerade oder schief ist] immer; ist die [Lern-]Methode des Bogenschießens. Wenn man dann geübt ist, differenziert
dies wird das <ursprüngliche Wissen> genannt.» 111 Auf diesen Rekurs auf das Gewissen sich die Grenze [des Anspannens] von selbst. Wenn man den voll gespannten Bogen
werden wir noch zu sprechen kommen. 112 An anderer Stelle sagt er: «Das eine Denken als Leitprinzip verändert, ist das kein guter Unterricht.» 116

108 AnJi Ben (Beiname: Pengshan) über dessen Schrift «Die Wachsamkeit des Drachen», Wang Longxi
quan ji (1822),juan 9, S. 15a (Taipei 1970, S. 604); Wang]i ji, Nanjing 2007,juan 9, S. 604; siehe oben 113 «Zusätzliche Worte [in der Akademie] von Shuixi», l#tng Longxi quan ji (1822),juan 16, S. 7b (Taipei
in der Einleitung zu diesem Teil II den § 8 (S. 382), wo dieser Satz in seinem Kontext zitiert wird. 1970, S. 1122); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 16, S. 450.
109 Zhuangzi, 7. Stück, 6. Kap.; engl. Übersetzung von Burton Watson, S. 97. 114 Er schlug eine militärische Laufbahn ein: siehe DMB, S. 1352h.
110 Mingdao xiamhen wenji, 2, Er chengji, Beijing 1985, S. 460. 115 «Unhöfliche Worte für den Sohn Yingbin beim Eilen an den Kaiserhof», Wang Longxi quan ji (1822),
111 Niantang shuo, Wang Longxi quan ji (1822),juan 17, siehe 25b (Taipei 1970, S. 1240); Wang]i ji, Nan- juan 15, S. 34b (1aipei 1970, S. 1098); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 15, S. 440.
jing 2007,juan 17, S. 501f. 116 Wang Longxi quanji (1822),juan 15, S. 35a (Taipei 1970, S.1099); Wang]iji, Nanjing 2007,jztan 15,
112 Siehe unten in diesem Kapitel den§ 5, S. 515. S.440.

492 493

Wang Ji scheint unter dem «einen Denken» meistens eine Geisteshaltung zu antwortete WangJi zum Beispiel 1565 in einer Versammlung in Nanking jemandem,
verstehen, die sich auf die gegenwärtige Situation konzentriert und ihr adäquat ent- der bezweifelte, ob die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» ausreiche
spricht und nicht durch Hinter- und Nebengedanken davon abgelenkt ist. Sie ist das um als heiliger Mensch den sich immer verändernden Aufgaben in der Welt gerecht'
«ursprüngliche Wissen» als spontane ursprüngliche Gemütsregung, aber vor allem zu werden, dass das wahre «Lernen» von Konfuzius und Mengzi nicht im Lernen,
auch das «ursprüngliche Wissen», das sich im menschlichen Bewusstsein gegenüber Hören und Sehen von vielem bestehe, also nicht in Informationen von außen, son-
allen Verdunkelungen durchgesetzt hat, das heißt das «verwirklichte ursprüngliche dern in der «Natur des Herzens» (xin xing ,t.,tt) seinen Ursprung habe: «Der König
Wissen». Sie ist immer richtig, sie «löst die Probleme von Tausenden von Jahren», von Qi sah den [zum Opfer herbeigeführten] Ochsen in der Halle und konnte sein
so dass paradoxerweise gerade die Haltung, die ganz auf die Gegenwart eingeht, auch angstvolles Zittern nicht ertragen; 122 ein gewöhnlicher Mensch sieht ein Kind in einen
der Zukunft voll gewachsen ist. Die aus dem Buddhismus stammende Formel «ein Brunnenschacht fallen und ist erschrocken; 123 ein herumreisender Bettler sieht eine
Denken umfasst zehntausend Jahre (yi nian wan nian -~1il~)» 117 zitiert Wang Ji in Speise, die ihm unter Schimpfen mit den Füßen hingestoßen wird, und vermag sie
diesem Zusammenhang immer wieder. 118 Während sie im Buddhismus die Implikation nicht anzunehmen: 124 Der <wahre Antrieb> (zhen ji ;i;ffl!) antwortet hier in göttlicher
aller Zeiten in einem einzigen Gedankenmoment bedeutet, versteht Wang Ji sie als Weise (shen ying ;jl!IBI), es geschieht nicht aufgrund menschlicher Anstrengungen (ren
Angemessenheit des auf die Gegenwart konzentrierten einen Denkens an alle künf- li .A.:JJ ). Wie könnte man dazu erst aufgrund von regelmäßigem Lernen fähig werden!
tigen Veränderungen. Wenn man das eine [erste?] Denken an das angstvolle Zittern zur Fülle bringt (chong
Er kann aber «ein Denken» auch vom Geisteszustand in der meditativen Versen- hu su yi nian 1clltm-~), dann kann man König des Reichs sein; wenn man das eine
kung des «Sitzens in der Stille» (jing zuo ff~) prädizieren. In einem Traktat über die [erste?] Denken (yi nian -~) des Erschreckens zur Fülle bringt, dann kann man die
Atemtechnik im «Sitzen in der Ruhe» charaktrisiert er diesen Geisteszustand als «ein Vier Meere [die Welt] beschützen; wenn man das eine [erste?] Denken (yi nian -~)
Denken fein (verborgen) und klar (yi nian wei ming -~1i\tBJ.I), immer wach und immer des Nichtannehmens zur Fülle bringt, dann ist die Gerechtigkeit unerschöpflich. An
still (chang xing changji "m-'l!lm~).»119 Auch hier ist mit «einem Denken» die innere diesem Punkt kann die Bedeutung der Tradition von Konfuzius und Mengzi erspäht
Einheit dieses Geisteszustandes gemeint. In gewissen Kontexten kann WangJi anstatt werden.» 125 Doch in einem anderen Text nennt er das «ursprüngliche Wissen» in
von «einem Denken» auch von «einer Intention, Absicht» (yi yi -:ij;) sprechen, was diesem Sinne der ersten, unmittelbaren Gefühlsregung vor aller ethischen «Verwirk-
zeigt, dass «yi nian -~» nicht im engen Sinne eines kognitiven Aktes verstanden lichung» das «anfänglichste eine Denken» (zui zhu yi nian iOll-~); also das «yi -»
werden darf, sondern auch emotionale und willentliche Momente umfasst. 120 bedeutet bei ihm nicht schon selbst «das erste»: In einer Rede in Nanking 15 68 oder
Wie schon oben bemerkt, scheint für Wang Ji «ein Denken» deshalb eines zu 15 69 126 sagte er: <«Wenn die Menschen plötzlich sehen, dass ein Kind in einen Brun-
sein, weil es ursprünglich ist, das heißt unmittelbar aus dem «Antrieb des Himmels» nenschacht fällt, haben alle ein Herz des Erschreckens und Mitgefühls>; 127 das ist ihr
hervorgeht oder diesem folgt, indem es diesen in sich voll zum Zug kommen und anfänglichstes eines Denken ohne Begierden (zui chu wu yu yi nian iHJJ1!!t~-~); [... ]
sich nicht durch Wünsche und Verhaftungen auseinanderreißen lässt. Das eine Den- wenn sie aber nochmals denken (ihr Denken abdrehen: zhuan nian :ft~), dann ist es das
ken wurzelt im ersten Denken. In der späteren Tradition Wang Yangmings scheint Denken an <die guten Beziehungen [zu den Eltern des Kindes], an einen guten Namen
«yi nian -~» auch diese Bedeutung des «ersten Denkens» gewonnen zu haben. 121 [bei Nachbarn und Freunden] oder das Verabscheuen des Geschreis [des Kindes]>, 128
In den Fällen, in denen Wang Ji mit «yi nian -~» das «ursprüngliche Wissen» als und damit geraten sie in die Wünsche und Begierden (liu yu yu 5.llint~).»129 «Yi nian -
bloßen «Keim» der Tugend, das heißt als unmittelbare Gemütsregung vor aller «Ver- ~» für sich bedeutet also bei Wang Ji nicht «das erste», sondern «das eine Denken».
wirklichung», meint, ist die Übersetzung als «erstes Denken» durchaus passend. So Es kann aber dann das erste Denken bezeichnen, wenn von den «Keimen» (spontanen
Gefühlsregungen) des «ursprünglichen Wissens» vor seiner «Verwirklichung» die

117 Siehe Ding Fubao: Foxue da cidian, Beijing 1984, S. 13a.


118 Siehe neben den obenstehenden auch die Stelle aus dem Brief anJi Ben von 1536/37, die wir oben
in der Einleitung zu diesem Teil II in § 8, S. 382, zitiert haben. Wang Longxi quan ji (1822),juan 9, 122 Nach Mengzi, 1. Buch, 1. Teil, Kap. 7.
S. 15b-16a (Taipei 1970, S. 604); UTang Ji ji, Nanjing 2007, juan 9, S. 213, und die «Worte in der 123 Nach Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 6.
Versammlung an der Akademie von Shuixi» (1557], Wang Longxi quanji (1822),juan 3, S. Sb (Taipei 124 Nach Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, Kap. 10.
1970, S. 230); UTang]iji, Nanjing 2007,juan 3, S. 59. 12 5 «Aufzeichnung während der Versammlung beim Aufenthalt in der verbliebenen Hauptstadt [Nan-
119 UTang Longxi quan ji (1822),juan 15, S. 16a-b (Taipei 1970, S. 1061f.); UTang Ji ji, Nanjing 2007, king]» [1565], Wang Longxi quan ji (1822),juan 4, S. 20b (Taipei 1970, S. 316); Wang Ji ji, Nanjing
juan 15, S. 424. 2007,juan 4, S. 93.
120 Siehe die in der Einleitung zu diesem Teil II in§ 8, S. 382, zitierte Stelle aus dem Brief anJi Ben von 126 Datierung nach Peng Guoxiang 2005, S. 135.
1536/37. 127 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 6.
121 Mir wurde von den Gelehrten Tian Guanglie B3 J'G?.& in Nanking und Guo Yuanxing ~ ji;!f!l (gestor- 128 Ebd.
ben 1989) in Peking, die zugleich in der buddhistischen Tradition und derjenigen Wang Yangmings 129 UTang Longxi quanji (1822),juan 5, S. llb (Taipei 1970, S. 360); UTang Ji ji, Nanjing 2007, juan 5,
stehen, der Sinn von «yi nian» als «di yi nian ~-~» («erstes Denken)» erklärt. s. 112.
I"

494 495

Rede ist; es bezeichnet dann das erste (anfänglichste) eine Denken. Aber nicht nur Kennenlernen (auflnformationen von außen: shi ~); in der einen Weise ist es <Wissen
dieses erste Denken ist eines, sondern auch das Denken, das die innere Einheit dieses der 'fügendnatur> (de xing zhi zhi ~tt.L~), in der anderen vVeise ist es <Wissen des
ersten Denkens durch die ethische Praxis der «Verwirklichung des ursprünglichen Sehens und Hörens> (jian wen zhi zhi Jilmz~). Man muss diesen Unterschied gleich
Wissens» im Denken und Handeln bewahrt und zum Tragen bringt. am Anfang machen.» 133 Direkt nach diesen Sätzen schreibt er im ursprünglichen Text
von 1557/58: «Das <ursprüngliche Wissen> ist die Helle des eigentlichen Herzens
(berz xin zhi mirzg ;/js;,t,,zafl); es ist nicht durch Lernen und Überlegen erworben (bu
§ 4 Zwischenbemerkung: Wang Jis Sicht des Verhältnisses von
you xue lü er de 1'S:l~.rilri'iHl!J). 134 Es gehört zum <Lernen von dem, was dem Himmel
«ursprünglichem Wissen» (liang zhi E!.~) und erworbenem
zuvorkommt> (xian tian zhi xue .5t~.L!i!li!). 135 Das erworbene (informative) Wissen (zhi
(informativem) Wissen (zhi shi ~~). Gegensatz und Einheit derselben
shi ~~) vermag nicht, Selbstvertrauen ins eigene Herz zu haben (bu rzeng zi xirz qi
«Ursprüngliches Wissen» ist nach Wang J i Wissen aus dem <<Antrieb des Himmels», xirz :f{;j~ § 1~;tt,t,,), und borgt daher unvermeidlich beim Lernen von vielem und beim
es ist <<natürliches» Wissen, Wissen des «direkten Herzens», es ist das «eine Den- Berechnen (Überlegen) und Planen aus (jia yu duo xue yi zhong 111.l~§;~fii:p) und ist
ken», und seine «Verwirklichung» ist die Durchsetzung oder «Ausdehnung» dieser schon in das eingetreten, <was dem Himmel nachfolgt> (yi rn yu hou tiarz BÄ~1i~)
«Natürlichkeit», «Direktheit» und «Einheit>> auf das ganze Denken und Handeln. [d.h., es befasst sich mit äußeren Gegebenheiten] .» 136 An späterer Stelle in diesem Text
Wie verhält sich nach Wang Ji dieses «ursprüngliche Wissen» zu seinem kontradik- von 15 57 /58 nennt Wang Ji das «ursprüngliche Wissen» ein «zi ran zhi mingjue § ~
torischen Gegensatz, das heißt zu einem Wissen, das nicht «ursprünglich» ist? Wang .Z.ßJl :i», 137 was in seiner Lehre sowohl mit «natürliches helles Gewahren» als auch mit
Ji stellt dem «!iarzg zhi ~?;II» («ursprünglichen Wissen») das «zhi shi ~~» gegenüber, «helles Gewahren des Natürlichen» übersetzt werden kann und bedeutet, dass dieses
w,,s bei ihm durch <,erworbenes (angelerntes) Wissen» oder «informatives Wissen» «Gewahren» aus der Natur des eigenen Herzens stammt und dem Herzen nicht ~on
wiedergegeben werden kann: Es ist ein Wissen, das von außen durch das Erlernen außen durch «Sehen und Hören>> von etwas, durch «Lernen von vielem» und durch
von irgendwelchen Informationen erworben wird, und entspricht Ouyang Des Begriff «Berechnen und Planen» eingeformt (informiert) wurde.
des «wahrnehmenden Wissens» (zhi jue ~~) in seiner Diskussion mit Luo Qinshun Der Ausdruck «ru shi :!l□ ~» («auf diese Weise) ist in der Sprache der Konfu-
von 1534/35 über das Verhältnis von «ursprünglichem» und erlerntem Wissen, 130 den zianer nicht gebräuchlich und geht auf den 'fiantai-Buclclhismus, genauer auf Zhiyi
Ouyang De später durch diesen Ausdruck «zhi shi ~~»ersetzte.Der Gegensatz zwi- (538-597), den «Dritten Patriarchen» dieser Schule, zurück: Dieser unterschied
schen den beiden Begriffen ist auch für Wang Ji durch Bestimmungen von Mengzi und zwischen zehn verschiedenen «ru shi :!l□ ~» (Aspekten, Kategorien), unter denen
Zhang Zai (1020-1078) vorgezeichnet. Während das «ursprüngliche Wissen» nach die Dinge (Dharma) betrachtet werden können: «Auf diese Weise betrachtet (ru shi
Mengzi nicht «auf Lernen und Überlegen» beruht, basiert das «erworbene (informa- :!l□~) ist etwas Erscheinung; auf diese Weise betrachtet ist etwas Natur; auf diese
tive) Wissen» (zhi shi ~~)-«auf Lernen und Überlegen»; während das «ursprüngliche Weise betrachtet ist etwas Ursache; auf diese \Veise betrachtet ist etwas Wirkung» 138
Wissen» mit Zhang Zai gesprochen ein «Wissen (Bewusstsein) der 'Tugendnatur» usw. WangJi übernimmt irn oben zitierten Text diesen buddhistischen Ausdruck, gibt
(de xing zhi zhi tltt.L~) des Menschen ist, ist das «erworbene (informative) Wissen» ihm aber einen anderen Sinn: Er meint hier nicht verschiedene Aspekte einer unver-
(zhi shi ~D~) gemäß Zhang Zais Gegenbegriff zum «Wissen der Tugendnatur» ein änderten Wirklichkeit, sondern verschiedene Gestalten, die ein und dieselbe Wirk-
«Wissen aufgrund von Sehen und Hören» (jian wen zhi zhi Jilm.L~), 131 was wir auch lichkeit, nämlich das Wissen (das Bewusstsein), aufgrund verschiedener geistiger
als «empirisches Wissen» ansprechen dürfen. Einstellungen annehmen kann. Das bedeutet für seine Auffassung des Verhältnisses
Wie Ouyang De hiilt auch Wmg Ji einerseits diesen Gegensatz voll aufrecht, zwischen «ursprünglichem Wissen» und erworbenem (informativem) Wissen (zhi
hebt ihn aber andererseits auch zu einer Einheit auf. Er schreibt in Sätzen, die er wohl shi ~~), dass das menschliche Bewusstsein, sein Fühlen, Erfahren, Denken, Wollen
erst nachträglich dem Anfang seiner ersten kritischen Schrift von 15 57 /58 gegen Nie und Handeln, entweder «ursprüngliches Wissen» oder aber erworbenes (informati-
Bao vorangestellt haben dürfte: 132 «Der Unterschied zwischen dcrn ,ursprünglichen
Wissen> (E!.~D) und dem <erworbenen, informativen Wissen> (zhi shi ~~) ist haarfein
und dennoch von größter'Iragweite. Es ist beides dasselbe eine Wissen (Bewusstsein) 133 Bis zu dieser Stelle wird der Text Wang Jis von Nie Bao in seiner Kritik an diesem Text nicht zitiert,
(torzgyi zhi ye ~-~Dtl2); aber in der einen Weise (in diesem Modus: ru shi :!l□~) ist es ur- und er nimmt auch sonst darauf keinen Bezug.
134 Anspielung auf Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15.
sprünglich (liarzg E!.), in der anderen Weise (in jenem Modus: ru shi :!l□ ~) beruht es auf 135 Das heißt eines «Lernens», das sich auf das «eigentliche Wesen» des Herzens selbst richtet. Zum
Begriff des «dem Himmel vorangehenden Lernens» siehe oben in diesem 'll.:il 11, Kap. 1, § 5.
136 Zhi z;hi yi liie, Wang quan ji (1822),juan 6, S. la h CE1ipei 1970, S. 4051'.); Wang Ji ji, Nanjing
130 Siehe ohcn in der Finlcitung zu diesem 'H:il II den§ 4, S. 297ff. und S. 305f. 2007,jurm 6, S. 130.
131 Zu Zhang Zais Unterscheidung zwischen «Wissen aufgrund der ethischen Natur» und « Wissen auf- 137 Wang Longxi quanji (1822),juan 6, S. 2a ('I:'lipei 1970, S. 407); Wang]i ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 13 L
grund von Sehen und Hören» in seinem Zheng meng, 7. Kap., siehe oben in Teil I, Kap. 5, Einleitung. 138 Siehe Hurvitz, Leon; Chih-i (538-597).An Introduction to the Life and Ideas ofa Chinese Buddhist Mank,
132 Siehe unten in Kap. 3 den§ 5, S. 576f. Melangeschinois et bouddhiques, Nr. 12, Biiissel 1962, S. 281, S. 293 und S. 306ff.
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ves) Wissen sein kann, je nachdem, ob der Mensch Vertrauen in sein ursprüngliches mation des <ursprünglichen Wissens>, und das Sehen und Hören ist das Sehen und
Wissen hat und dieses in seinem ganzen Bewusstsein voll zum Zug kommen lässt Hören des <ursprünglichen Wissens>. Es gibt [dann] an sich kein Inneres und Äußeres
oder ob er sich in seinem Denken, Wollen und Handeln letztlich bloß auf seine zwischen denen unterschieden werden könnte (yuan wei chang you nei wai ke Jen ßii:*
von außen angelernten Informationen und sein diskursives Berechnen und Planen 'iif ~17\JP~ i:iJ;t).»140
abstützt. Der Unterschied liegt in der geistigen Haltung (Einstellung). Nach Wang In einem dritten, auch 1569 geschriebenen Text141 beantwortete Wang Ji die
Ji wird also durch die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» alles Wissen Frage nach dem Verhältnis zwischen «ursprünglichem Wissen» und «erworbenem
(Bewusstsein), auch das erworbene, informative, empirische, zum «ursprünglichen (informativem) Wissen» (zhi shi 9ill•) mit anderen Begriffen, aber grundsätzlich in
Wissen». Nur das bloß erlernte, informative Wissen bildet einen Gegensatz zum demselben Sinne: «Ich habe einst gesagt, dass das <ursprüngliche Wissen> (liang zhi

Wissen über äußere Dinge mit «shi •»


«ursprünglichen Wissen». Dass Wang Ji das «nicht natürliche», bloß informative
bezeichnet, das nach seinem üblichen Ge-
brauch «Erkennen», «Wissen» bedeutet, ist vielleicht von einer buddhistischen
ßl9]>) und das <erworbene Wissen> (zhi shi 9illtlll) sich nur um ein einziges Wörtchen
streiten (nur um ein einziges Wörtchen unterscheiden: suo zheng zhi yi zi mit ..R -!:j,!);
beide können sich nicht außerhalb des Wissens (Bewusstseins: zhi !ai) befinden. Wenn
Terminologie beeinflusst. Die buddhistische Schule des «bloßen Bewusstseins» dieses Wissen im Ursprünglichen wurzelt (gen yu liang mnt.@.), dann ist es das <Wissen
(Weishizong ntt•*• auch Faxiangzong 5MH*, Hossö-Schule genannt) bezeichnet der Tugendnatur> (de xing zhi zhi ~tt.z9ill); wenn es sich auf das Kennenlernen [von
mit diesem Ausdruck das gewöhnliche unterscheidende, vom Schein der verschie- äußeren Dingen] (auflnformationen) verlässt (yin yu shi ~nt•), dann macht es sich
denen •äußeren Gegenstände befangene Bewusstsein; der Gegenbegriff dazu ist «zhi zum Gehilfen des Lernens von vielem (wei duo xue zhi zhu ~~-Z.ltl.J). Das Wissen
ffi» («wahres Wissen», «Weisheit», sanskrit: prajna), das auf der «Buddha-Natur» des entsteht aus dem Yang [dem hellen, aktiven Prinzip] (zhi cong yang fo 9illf~lleft); das
Herzens beruht und in welches das gewöhnliche Bewusstsein «verwandelt werden» Kennenlernen [von äußeren Dingen] (lnformiertwerden) entsteht vom Yin [dem
(zhuan ff) soll. dunklen, passiven Prinzip] her (shi you yin qi llitl Pi~). Das Wissen hat keine bestimm-
Mehr als zehn Jahre später, 1569, äußerte Wang Ji dieselbe Auffasung über te Grenze (wu fang suo 1!1t1im); das Kennenlernen [von äußeren Dingen] (Informiert-
das Verhältnis von «ursprünglichem» und <<erlerntem (informativem) Wissen». Er werden) betrifft einen bestimmten Bereich (shi you qu yu •~~~). Das Yang ist das
schreibt in seinem Vorwort zu einer Auswahl aus 0uyang Des «Gesammelten Schrif- Helle (ming aJJ); das Yin ist das Trübe (zhuo 51). Wenn das helle Yang die Oberhand
ten»: «Das <ursprüngliche Wissen> hat eigentlich kein Wissen (ben wu zhi ;ijs:1!O11). hat (sheng ~), dann funktioniert die Tugendnatur [des Herzens] (de xingyong ~tt.Jfl);
Alles was man wissen und worüber man sich informieren kann ifan ke yi zhi zhi, ke wenn hingegen das trübe Yin die Oberhand hat, dann wirken sich die Wünsche nach
yi shi shi .R. i:iJ P)-9119illi:iJ J;lJllUfll), ist das Wissen des erworbenen (informativen) Wissens den äußeren Dingen aus (wu yu xing !IWl~fi). Das ist der Mechanismus des Abnehmens
(zhi shi zhi zhi 9ill~z9ill) und nicht das <Ursprüngliche Wissen>. Das <ursprüngliche und des Anwachsens von Yin und von Yang. Das Planen und Berechnen (yi zhong
Wissen> hat eigentlich nichts, was es nicht weiß (ben wu bu zhi ;ijs:111{1'9]). Alles, was vom 'fli:p) von Zigong [Schüler von Konfuzius] verließ sich auf das Kennenlernen [von
Hören abhängt und dann gewählt und befolgt wird (dai wen erze zhi cong zhi ~r.llim~ äußeren Dingen] (yin yu shi ~ntll); das schweigende Kennenlernen (mo shi ~lt) des
Z ~Z), vom Sehen abhängt und dann angelernt wird (dai jian er shi zhi ~ J! ifü~Z), Yanzi [Lieblingsschüler von Konfuzius] 142 wurzelte im Ursprünglichen (gen yu liang
ist das Wissen des Sehens und Hörens und nicht das <ursprüngliche Wissen>. Denn mnt.@.). Von daher kommt der Unterschied zwischen Hui (Yanzi) und Si (Zigong).
all dieses Wissen vermag nicht, Selbstvertrauen ins eigene <ursprüngliche Wissen> zu Wenn man fähig ist, die Gründe dieses Wurzelns [im Ursprünglichen] und des Sich-
haben (bu neng zi xin qi liang zhi 1'1i~ ~ ffl!t ßl9ill), sondern befürchtet, dass es nicht verlassens [auf das äußere Kennenlernen] zu untersuchen (gou neng cha yu gen yin zhi gu
ausreicht, um allen Veränderungen der Welt gerecht zu werden, und macht sich von i/;ü'~~ntm~zt&:)unddasinfonnativeKennenlemenin[ursprüngliches]Wissen
Äußerem abhängig (you suo dai yu wai ~Plf~ntP~). Das Dao wurzelt im Natürlichen zu verwandeln (zhuan shi cheng zhi ffffil~9ill), dann ist das infonnative Kennenler-
*
(im Spontanen, im «von selbst so»: ben zi ran gJ ~); wenn die heiligen Menschen
eine Lehre aufstellten, unterstützten sie immer das Gesetz des Dao (dao fa ffi5!). Auch
das <ursprüngliche Wissen> ist ein Gesetz. Wenn man [oder: es, das <ursprüngliche
140 Wang Longxiji (1822),juan 13, S. llb (Taipei 1970, S. 886); WangJiji,Nanjing 2007,juan 13, S. 348;
Wissen>?) wirklich Einsicht in sich selbst hat (guo you zi wu ~~ ~ ffi) und sich nicht Ouyang De ji, Nanjing 2007, Anhang, S. 854 (in dieser Ausgabe ist dieses Vorwort auf das Jahr ji si der
von den verschiedenen Dingen139 behindern lässt (bu zhi yu fa 1'llM5t), dann ist das Longqing-Ära [1569] datiert).
Wissen das Wissen des <ursprünglichen Wissens>, und die Information ist die lnfor- 141 Es handelt sich um einen Abschiedstext an Zeng Tongheng l!l' 15.1-;r (Beiname: Jiantai ~ il', 1533-
1607). WangJi hatte diesen im Sommer 1569 in Hangzhou getroffen, wo dieser auf seiner Heimreise
in die ProvinzJiangxi zeitweise bei Wang Yangmings Sohn Wang Zhengyi (Beiname: Longyang GI~)
wohnte. Zeng Tongheng stammte ausJishui in der Präfektur Ji'an, wo Luo Hongxian vor seinem Tod
1564 gewohnt hatte. 1559 hatte er die höchsten Staatsprüfungen bestanden. Er war wahrscheinlich
139 «Fa *» ist hier im Gegensatz zu diesem Wort in den obigen zwei Sätzen wohl als «verschiedene ein Schüler von Luo Hongxian. Zu ZengTongheng siehe Wu Zhen 2001, S. 254, und ders.: Xinian
Dinge» zu verstehen: vgl. das entsprechende Sanskritwort dharma, das sowohl «Gesetz» als auch 1$22-1602, Shanghai 2003,S. 289.
«Dinge» bedeuten kann. 142 Zu Wang Jis Sicht von Yanzi (Yan Hui) siehe oben in diesem Teil II, Kap. 2, § 4, S. 483.
498 499

nen Funktion des <ursprüng·lichen Wissens> (shi ji liang zhi zhi yong ~IW.!HllZJ:fl), und kann auch in schlechter Absicht gebraucht werden. Da für das Wissen (Bewusst-
dann ist das Begehren und vVünschen der <Antrieb des Himmels> (shi yu rno fei sein) je nach geistiger Einstellung entweder das << U rsp1iingliche» des eigenen Herzens
tian ji !IIW:~~1::;;ii;:lm), und Yin und Yang sind zur Tugendkraft vereint (yin yang he de oder aber das Äußere leitend sein kann, nimmt es verschiedene Modi an. Mit dieser
~~i!i-tt).»143 Auffassung stimmt Wang Ji grundsätzlich mit der Lehre Wang Yangmings überein,
Yin und Yang sind nach der traditionellen chinesischen Kosmologie nicht sich dass «Sehen und Hören» und alle Arten des aktuellen Bewusstseins «Funktionen» des
ausschließende Gegensätze, sondern Gegenpole innerhalb desselben Ganzen, die «ursprünglichen Wissens» sind,M 1 wenn sie «kein Haften an den Dingen» enthalten,
darin verschiedene Positionen oder Gewichte haben können. Wenn nach Wang Ji und er schließt sich damit auch Ouyang Des Bestimmung des Verhältnisses zwischen
im Wissen das Yang (das Helle, Aktive) dominiert, dann hat das Wissen als Ganzes «ursprünglichem Wissen>> und -«Wissen des Wahrnehmens» (zhi jue ~fl) in seiner
den «ursprünglichen» Modus, das heißt, die Erfahrungs- oder Informationskompo- Auseinandersetzung mit Luo Qinshun an. 145
nente in diesem \Vissen wird zur «Funktion» des «ursprünglichen Wissens»; wenn
hingegen das Yin (das Dunkle,' frühe, Passive) dominiert, dann hat das ganze Wissen § 5 Die Einsicht in das Wesen des Herzens (Geistes) als «Rückkehr zu
(Bewusstsein) den Modus der bloßen Information, das heißt, seine Komponente des sich selbst vom einen Denken her». Die Formel: «vom einen Denken
(ursprünglichen) Wissens ist dem «Lernen von vielem» untergeordnet. Nach den her zu sich selbst zurückkehren und damit das eigentliche Herz
beiden zuerst zitierten Texten hängt der «Bewusstseinsmodus» davon ab, ob man erlangen». Die Voraussetzung des moralischen Bewusstseins im
«Gla11 ben (Vertrauen: xin ~)» ins eigene Herz bzw. ins <<ursprüngliche Wissen» hat «dem Himmel zuvorkommenden Lernen»
oder nicht: Das bloß angelernte Wissen oder bloß informierte Bewusstsein «vermag
nicht, Selbstvertrauen ins eigene Herz (<ursprüngliche Wissen>) zu haben»; der zweite Das Entscheidende für die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» ist gemäß
'!ext von 1569 meint wohl dasselbe, wenn er sagt, dass Yanzi «im Ursprünglichen dem am Schluss des vorangegangenen Paragraphen zitierten Text die «Umwand-
wurzelte», wiihrend Zigong «sich auf das Kennenlernen [von Informationen] verließ». lung des Bewusstseins» durch das «Untersuchen» seiner \iVurzeln, das heißt durch
Dieser zweite 'Text von 15 69 hebt aber als das Entscheidende für die Umwandlung die «Einsicht» in den «Antrieb des IIimmels», der das «eigentliche Wesen des
vom vVisscnsmodus (Bewusstseinsmodus) des bloß von außen Informiertwerdens in ursprünglichen Wissens» ausmacht. Dieser «Antrieb» manifestiert sich im «einen
den «ursprünglichen» vVissensmoclus das «Untersuchen der Gründe des Wurzelns Denken» (yi nian -~). Um genauer zu erfahren, wie \Vang Ji diese «Einsicht in das
[im Ursprünglichen] und des Sichverlassens [auf das Kennenlernen]» hervor. Damit eigentliche Wesen des Herzens» denkt, müssen wir der Frage nachgehen, wie er diese
weist Wang Ji auf die ,,Einsicht» in das eigentliche Wesen des «ursprünglichen Wis- «Einsicht» mit dem «einen Denken» verbindet. In einem um 1565 geschriebenen
sens» hin, der wir nns im nächsten Paragraphen zuwenden werden. Brief an Luo Rufang sagt er: «Ich habe gehört, d,1ss Sie manchmal mit der Lehre
«Ursprüngliches Wissen» und «erworbenes informatives Wissen» sind also für von der Vergeltung der rfatcn [im späteren Leben oder einer späteren Existenz] die
Wang Ji nicht prinzipiell getrennt verlaufende, voneinander unabhängige Erkennt- Leute unterrichten. Das ist aber sicher eine nur relative Lehre, mit der man Leute
nis- oder Bewusstseinsarten, ihrem «eigentlichen Wesen» nach dürfen sie nicl)_t von- geringen Verständnisses verlockt. Ich fürchte, dass wenn man vor kranken Leuten
einander getrennt sein, auch wenn sie faktisch meistens getrennt vorkommen. Das Träume erzählt, solche Traumreden nur noch vermehrt werden, wenn man sie nicht
«ursprüngliche Wissen» steht dem durch Informationen über äußere Dingen und richtig versteht. Darauf muss man achtgeben! Wie nun aber? In meinem Verhalten
Wünschen nach äußeren Dingen dominierten Bewusstsein nur insofern entgegen, suche ich seit einiger Zeit nur das Ordentliche (xun chang ~m"). In meinem Lernen
als es nicht «verwirklicht>> ist. Nur sofern das erlernte, informative Wissen den ur- dringe ich nur vom einen Denken her in den verborgenen (tiefgründigen) Ort
sprünglichen Antrieben des eigenen Hezens entfremdet ist und sich bloß auf äußere ein (zhi cong yi nian ru wei chu 9-. fit-~.A t\1{~), vertraue [dadurch] mir selbst und er-
Informationen abstützt, steht es im Gegensatz zum «ursprünglichen Wissen». Wang reiche von selbst (zi xin zi da ~ ffl ~ ~)- Ich verhalte mich gleich wie das gewöhnliche
Ji ist wohl wie WangYangming der Auffassung, dass ein bloß «informatives Wissen», Volk, mache nichts Außerordentliches und Spitzfindiges. Indem ich dies befolge, ist
und zwar nicht nur ein Wissen über «gesehene und gehörte» empirische Fakten, die Vergeltung nichts anderes als Selbsterkenntnis (zhi ji er yi ~2, imB).»146 In einem
sondern auch ein angelerntes moralisches Wissen über das, <<was sich gehört», was anderen Brief schreibt er ausgehend von Erörterungen über den Daoismus: «Wenn
«sich schickt», was «gute Sitte» ist, letztlich ethisch belanglos ist, wenn es nicht vom die Daoisten [die Welt] nicht transzendieren und sich befreien (chao tuo Ml.lffi:), vermö-
«ursprünglichen Wissen» <<angetrieben» und beseelt und damit zu dessen Funktion gen sie das Lebenselixier nicht hervorzubringen; wenn wir Konfuzianer [die Welt]
wird. Bloß angelerntes moralisches Wissen ist für das ethische Handeln indifferent

144 Siehe oben, Teil I, Kap. 3, § 3.


145 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den § 4, S. 297ff. und S. 305f.
143 Bie Zeng]iantaimanyttzhai lue, Wang Longxi quanji (1822),juan 16, S, 23a-b (Taipei 1970, S. 1154f.); 146 Erster Brief an Luo Jinxi (Luo Rufang), Wang Longxi quan ji (1822),juan 11, S. 16b (Taipei 1970,
Wang]iji, Nanjing 2007,juan 16, S. 464f. S. 780), Wang Ji ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 295.
500 501

nicht transzendieren und uns befreien, können wir nicht in das Heilige eintreten (bu Die in diesen Zitaten auftretenden Ausdrücke «vom einen Denken her in den
neng rn sheng ::f ~~A~). Wenn ich dies sage, halte ich mich zwar nicht krampfhaft an verborgenen Ort eintreten (eindringen)», «den [himmlischen] Antrieb des eigentli-
die Welt, aber ich verlasse auch nicht verneinend die Welt und begebe mich nicht ins chen Herzens ergreifen, dessen Verständigkeit anschauen und nicht aus dem Verbor-
Zügellose. Denn unser eigentliches Herz (ben xin ;js;,t,,) bezeugt sich aus sich selbst und genen (T1efgründigen) des einen Denkens heraustreten» und «das jeweils aktuelle
ist aus sich selbst einzusehen (zi zheng zi wu ~ \ll ~ ffi), es hat aus sich selbst das Gesetz eine Denken schweigend verstehen», «sich im geheimen Antrieb verbergen» sprechen
des Himmels (tian ze ;;l-;Jj_lJ). Es geht darum, seinen [des eigentlichen Herzens] An- von der «Einsicht (wu ffi) in das eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens». Wie
trieb zu ergreifen (wo qi ji 1/U't.m!), dessen Verständigkeit zu schauen (guan qi qiao wird diese «Einsicht» vollzogen? Oft gebraucht \Vang Ji dafür Ausdrücke, die eine
fi::lt~) und nicht aus dem Verborgenen (Tiefgründigen) des einen Denkens Art Rückkehr vom einen Denken her zum eigenen Ursprung («Antrieb») andeuten.
herauszutreten (Im chu yu yi nian zhi wei ::fl:l:1nt-~zt'&).» 147 In einem späten Text Im in§ 3 dieses Kapitels zitierten 'Icxt an seinen Sohn Yingbin schreibt Wang Ji nach
um 15 77 sieht er das <,eine Denken» als «Lieben der Mitmenschen» und charakte- der von uns angeführten Stelle: 149 «1\1an muss 7,u jeder Zeit vorn einen Denken her ins
risiert die Einsicht in dieses <<eine Denken» als ein «schweigendes Verstehen» (mo Verborgene eindringen, zur Wurzel zurückkehren und sich umwendend davon Zeuge
mo li hui ~IUlll.wi) dieses «einen Denkens»: «Wenn ich in der Sommerhitze [für die werden und nichts verlieren (xu shi shi cong yi nian ru wei gui gen ßm zheng, bu zuo xie
Versammlungen unserer Schule] herumreise, geschieht dies nicht nur, um gewöhn- zi lou xie ~ at B~HIE- ~ A ~ i~ .ffi & \fü' ::f fF ~ -1- JJm ;tlt). » 15 0
liche menschliche Angelegenheiten zu organisieren und durchzuführen. Ich sehe Neben der Wendung «vom einen Denken her in das Verborgene eindringen
dabei auch, dass [die Menschen] in ihrem Leiden und in ihren Nöten eine einzige (cong yi nian ru wei fchuj f/E-~A~[il.])» 151 gebraucht Wang Ji für diese Rück-
zusammenhängende YVirklichkeit sind (yi ti tong yang xiang guan -\ffHjfflfälll), und kehr oft auch eine Wendung mit acht Zeichen (\1/i.irtern), die sich aus zwei '!eilen
möchte dies allen 1\1-enschen zu verstehen geben. Als schwacher Greis von achtzig mit je vier Zeichen zusammensetzt, nfünlich <<yi nian zi ftm, ji de ben xin -~ ~ &,
Jahren steht mir der 'fod unmittelbar bevor; wovon in der Welt könnte ich da nicht flM~;Js:,t,,; [vom] einen Denken [her] zu sich zurückkehren (vom einen Denken her
lassen! Aber das eine Denken des Lichens der Mitmenschen, das in der [vom Himmel sich zu sich zurückwenden) und damit das eigentliche <Herz> erlangen». Diese for-
bestimmten] Natur wurzelt, kann nicht aus sich selbst aufhören (dan tti ren yi nian, gen male Struktur weist darauf hin, dass es sich um eine feste mnemotechnische Formel
yu suo tdn~·, bu rnng z,i yi fü~A -~ffl:)Jtpjff:t::f~ ~ 8); ich weiß auch nicht, was das für handelt. Manchmal braucht er elliptisch nur die ersten vier Zeichen:«-~~&: [vom]
·ein Herz \st. [Die Stille] vor dem Entstehen der Überlegungen (si lü J;!l,JJI) steht nicht einen Denken [her] zu sich zurückkehren». Ich crg;inzc in der Übersetzung mit der
im Gegensatz zum Überlegen. vVenn ich aber [bloß] Überlegungen anstelle, werden Präposition «von ... her» auf der Grundlage der oben zitierten 'lexte, in denen diese
diese sofort von den Geistern durchschaut (wei gui shen qu po ~*;pjlmll,ii.!ll), meine ethi- Präposition an entsprechender Stelle explizit vorkommt: «vom einem Denken her
sche Übung ist dann kraftlos und verbirgt sich nicht im geheimen Antrieb (fei tui cang [... ] (cong yi nittn fit-~)». Diese Präposition tritt in der Formel wohl nur deshalb
miji ~P¾&ifill%'i~). Hier sehe ich den Ort meiner ethischen Anstrengung (yong li chu nicht auf, weil sie deren vier- bzw. achtgliedrigen Rhythmus stören würde. Man könn-
ffljJ~) und den Ort, wo ich Kraft gewinne (de li chu 1~JJII.). In den Antworten auf te im Hinblick auf die «Plötzlichkeit» (dun ili) von Wang Jis «Einsicht» fragen, ob
die täglichen Situationen verstehe ich nur schweigend das jeweilige aktuelle eine in dieser Formel <<yi nian -~» nur die Bedeutung eines kurzen Gedankens (Augen-
Denken (zhi mo mo li hui dang xia yi nian ~~~Jlwi'i'T -~), ich bin fest und zugleich blicks) und nicht die im vorigen Paragraphen ausgemachte Bedeutung des «einen
lebendig, ohne mir Überlegungen zu machen und nicht ohne Überlegungen zu sein; Denkens» hat. Aber noch abgesehen vom Kontext, in welchem die Formel auftritt,
ich begegne mir selbst immer von Angesicht zu Angesicht und lasse mich selbst ganz lautet eine ihrer Varianten: «[vom] einen Wahren [her] auf der Stelle sich zu sich
los, ohne Lob oder Tadel, Widerwärtigkeit oder Gelingen in mein Herz einzulassen. zurückwenden und damit das eigentliche <Herz> erlangen (yi zhen dang xia zi Jan, ji
So kann ich den ganzen Tag in vielerlei sozialen Verpflichtungen tätig sein, ohne diese de ben xin -~'i'T§&, &1~#,t,)». Das «eine Wahre» (yi zhen -Jt) kann hier nichts
als Mühe zu empfinden; ich kann mich den ganzen Tag in Lehrdiskussionen veraus- anderes sein als jenes «eine Denken».
gaben, ohne dies als Last zu erfahren. Wenn das Herz in direkter Weise tätig ist (zhi WangJi führte diese Formel aufWang Yangming zurück, was zeigt, wie wichtig
xin yi dong @:,t,,P).!h), wird die Norm des Himmels von selbst sichtbar; wenn auch das er sie nahm. Zwar konnte ich sie in Wang Yangrnings «Gesammelten Werken» nicht
sichtbare Verhalten mit dem Staub der Welt vermengt ist, erhebt sich das Herz doch finden, doch Wang Ji gibt sie in zwei seiner eigenen Texte als Worte seines Lehrers
darüber wie ins höchste Altertum.» 148

149 Siehe den§ 3, S. 491.


147 «An ZhaoJin Mi til» (Beiname: Linyang -'tllll, 1516-1591), a.a.O.,juan 16, S. 3a (Taipei 1970, S. 1113); 150 'Wang Longxi quanji (1822),juan 15, S. 34b (Taipei 1970, S. 1098); 'Wang]iji, Nanjing 2007,juan 15,
'Wang]i ji, Nanjing 2007, juan 16, S. 447. Zhao Jin schrieb die Grabinschrift für Wang Ji: siehe 'Wang S.440.
Jiji, Nanjing 2007,Anhang IV, S. 828-832. 151 Außer in den oben zitierten Texten gebraucht Wang Ji diese Wendung auch in seinen zwei an Li
148 'Wan Lii'anmanyu [ca.1577], 'Wang Longxi quanji (1822),juan 16, S. 20b-21a (Taipei 1970, S. 1148f.); Jian'an gerichteten Briefen von 1577: 'Wang Longxi quan ji (1822),juan 11, S. 2a (Taipei 1970, S. 731)
'WanJiji, Nanjing 2007,juan 16, S. 462. und S. 3a (Taipei 1970, S. 733); 'Wang]i ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 271f.
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aus. In einem Text von 1577 mit dem Titel <<Schrift über einen Tuschetext, den der ein nachlässiges Spiel. Es ist so, wie die Menschen ihre eigenen Augenwimpern nicht
verstorbene Lehrer bei Diaotai ~ß' schrieb» sagt er, dass er (im Sommer) 1577 sehen, da diese zu nahe sind. Doch dabei gibt es noch einen geheimen Kunstgriff (ji
auf dem Weg zu einer Versammlung in der Shuixi-Akademie im Gebiet des Tong- qiao :m! ~): Das<ursprüngliche Wissen> weiß um das Richtige und um das Falsche;
Flusses 1f□JJII den dortigen Präfekten Wu Zhonghuai :!Re i:pJi traf. 152 Wang Ji schreibt in Wirklichkeit jedoch ist Richtiges und Falsches nicht vorhanden (wu shi wu fei
von jenem Präfekten, dem er diesen Text widmete, dass «sein Wille auf das Lernen 1!!Ui!:mt~I=:). Das Nichtvorhandensein ist die Grundlage alles Vorhandenen (wu zhe
der Heiligen gerichtet ist» und dass er «tief an das <ursprüngliche Wissen> glaubt», wan you zhi ji mt~1it~.Z.~): [Das ist das) durch verborgene Macht geheimnisvolle
und fährt fort: «Dieser zeigte mir unerwartet eine Tuscherolle des verstorbenen Wirken, das Zusammen-mit-dem-Himmel-Wandeln. Die Menschen wissen um die
Lehrers. Es ist die Schrift seiner Hand, als er im Jahr ding hai [= 1527] bei Diaotai Göttlichkeit der Götter, aber sie wissen nicht um die Göttlichkeit derer, die nicht
~ ß' vorbeikam. Am Ende ist als Mitreisender der Jinshi 153 Wang Ruzhong vermerkt. Götter sind. Wenn das Unterscheiden von Richtig und Falsch zu weit geht, dann
Das ist mein niedriger Name. 154 Dieses Zeugnis einer gemeinsamen Reise vor fünfzig nimmt das Lautere und Reine Schaden (shi fei Jen bie tai guo, chun bai shou shang
Jahren erschien mir wie in einem gestrigen Traum und wie die ferne unfassbare Spur ~~P:o/.J'J.lU;/l;::~AA\ 8 ~~); dadurch wird die Tugend nicht herangebildet.»> WangJi fügt
eines Unsterblichen.» Diaotai ist derselbe Ort wie Y.·mtan JiU!lt, wo Qian Dehong am Schluss des Textes noch bei: «Da der Edle [Präfekt Wu Zhonghuai] gut lernen
und WangJi im Spätherst 1527 von ihrem Lehrer (für immer) Abschied genommen möge, berichte ich dies, um ihm zu helfen, einen weitführenden Willensentschluss
hatten, als dieser zur Unterwerfung von Aufständen in die Provinz Guangxi zog. 155 zu fassen.» 157
Der Präfekt Wu Zhonghuai konnte die Tuscherolle, wohl eine Kalligraphie, nicht In einem anderen Text schreibt Wang Ji mehrere entscheidende Sätze, die er
direkt von vVang Yangming erhalten haben, da er 1577 kaum über fi:infzig Jahre alt oben im Bericht über die Tuscherolle als Abschiedsworte seines Lehrers in Yantan zi-
war. 156 \Vang Ji gibt dann in seinem Text weiter seiner Betroffenheit und auch Reue tierte, aber ohne sie diesmal als Aussagen seines Lehrers auszugeben. Auch diesen Text
Ausdruck, dass er sein mm zu Ende gehendes Leben nicht besser für das ethische hat er wohl in seinen letzten Jahren verfasst. Er schreibt in ihm über das Verhältnis
Lernen benutzt habe, und sagt: «Was ist besser als bereuend der Worte zu gedenken, zwischen «ursprünglichem Wissen» einerseits und Absichten sowie unterscheidendem
mit denen er [Wang Yangming) in Yanling JiHt [= Yantan] zur Zeit seines Abschiedes Erkennen andererseits. Am Schluss verweist er auf die Lehre Wang Yangmings von
uns mahnte. Er sagte da (you yue ~EI): <Das von mir herausgehobene ursprüngliche der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens». Um diese Lehre zu charakteri-
Wissen> (wo nian chu liang zhi ~~ l±l El~□), welches das Richtige bejaht und das Falsche sieren, gebraucht er wörtlich drei S\itze, darunter auch die jetzt diskutierte Formel in
verneint, hat aus sich selbst die Norm des Himmels und ist die geheime Schatzkammer acht Zeichen, die er 1577 in seinem Bericht über W"mg Yangmings Abschiedsworte
der tausend Heiligen (qian sheng mi zang =f ~fßi'!). Selbst wenn es äußerst verworren von 1527 anführte. Im folgenden Zitat aus diesem Text kennzeichnen wir diese drei
und verdeckt ist (sui hun bi zhi ji !i\l~~.z.:tn::ix), erlangt man das eigentliche Herz, Sätze durch einfache Anführungszeichen: «Die Anweisung des verstorbenen Leh-
indem man vom einen Denken her zu sich zuriickkehrt (yi nian zi fim ji de ben xin rers [Yangming] von der Verwirklichung des ursprünglichen \Vissens besteht nur
~ .&.RP~i*,t,,); man kann so sofort ins Land der Heiligen aufsteigen (ke yi li ji darin, das eigentliche Wesen des Herzens zurückzugewinnen und so in einem Mal
sheng di i:iJ J..:;1..:i'.z:~~:t&). Nur weil die Leute es zu leicht nehmen, machen sie daraus die abweichenden Gewohnheiten der späteren Konfuzianer wegzuwaschen. Selbst
ein Einfältiger und Ungebildeter kann sie verstehen. <Man kann sofort ins Land der
Heiligen aufsteigen (ke yi li ji sheng di i:iJ P,)_:i'.z:~~:1&)> 158 , <es ist die geheime Schatzkam-
mer der tausend Heiligen (qicm sheng mi wng =f~~i'!)> 159 . Zu unserem Glück ist das
152 Mit dem «Gebict desTong-Flusses» ist die Präfektur zweiten Ranges Guangde JI~, hundertfünfzig <ursprüngliche Wissen> zu allen Zeiten in gleicher Weise in den Menschen. Es ist wie
Kilometer südöstlich von Nanking gemeint, in der sich damals noch immer die von Zou Shouyi ein alter Spiegel, der von Staub und Sand bedeckt wird, aber selbst nie zerstört wird.
gegründete Fuchu-Akademie befand und die im Westen unmittelbar an die Präfektur Ningguo an-
grenzte, wo die Shuixi-Akademie lag. Auch in der Fuchu-Akadamie nahm Wang Ji im Sommer 1577 <Vom einen Denken her zu sich zurückkehren und dadurch das eigentliche Herz
an einer Versammlung teil: siehe Tu slntxian hou timz brtyzt, Wang Longxi qztan ji (1822),jurm 15, S. 12a
(Taipei 1970, S. l053); Wang]iji, Nanjing 2007,jutm 15, S. 420. Zn diesen beiden Akademien siehe .
oben in der Einleitung zu diesem 'Icil II den§ 9.
15 3 vVangJi erwarb erst 1532 denJinshi-Grad (Grad der höchsten Staatsexamen). Aber es war wohl nicht 157 «Schrift über einen hinterlassenen Tuschetext, den der verstorbene Lehrer bei Diaotai schrieb»
unüblich, auch Kandidaten dieses Grades mit diesem Titel zu bezeichnen. In einem Nachwort zu [1577], Wang Longxi quanji (1822),jztan 16, S. 29b-30b (Taipei 1970, S.1166-1168); WangJiji, Nan-
einem Gedicht, das Wang Yangming 1527 beim selben Ort Diaotai schrieb, nennt er Qian Dehong jing 2007,juan 16, S. 470.Auch im dritten Teil des Chuanxi lu (Nr. 338) und in WangJis «Lebenslauf»
und Wang Ji auch mit diesem Titel: siehe Nianpu III, unter dem 6. Jahr der Jiajing-Ära, Quanji, von Qian Dehong sind Aufzeichnungen enthalten, die ein Abschiedsgespräch von Ende 1527 zwischen
juan 35, Shanghai 1992, S. 1307. Wang Yangming und seinen beiden Schülern \Vang Ji und Qian Dchcmg in Yantan wiedergeben. Die
154 ,•.Ruzhong» ist \VangJis Großj,ihrigkcitsname. Aufzeichnung im Cbuanxi lu stammt von Qian Dchongund ist von der in WangJis Schrift über den
155 Siehe oben in der Einleitung w '!eil T den§ 1, S. 103. Tuschetext: wiedergegebenen «Errnahnung W:1ng Yangmings» sehr verschieden: siehe oben in diesem
156 Wu Zhonghuai (= Wu Tongchun ~ li'u.ff) erwarb 1574 den Jinshi-Grad, 1577 war er Präfekt der Teil II, Kap. 1, § 3, S. 436ff.
Präfektur zweiten Ranges Guangde JI~ im direkten Verwaltungsgebiet von Nanking: siehe Wu 158 Erster Satz, der auch in «Wang Yangmings Ermahnung in Yantan» enthalten ist.
Zhen: Xinian (1522-1602), Shanghai 2003, S. 324. 159 Zweiter Satz, der auch in «Wang Yangmings Ermahnung in Yantan» enthalten ist.
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erlangen (yi nian zi fan,ji de ben xin -~ ~ &ffll fi;iji::,t.,)>; 160 das ist in jedem Menschen wie ist da ihre Praxis und wie sind da ihre persönlichen Forschungen in dieser Sache
[als Möglichkeit] vorhanden.» 161 verlaufen?» Wang Shenzhong antwortete: «Im Streben meines Lebens will ich nicht
Der zweite Text, in dem WangJi diese Formel in acht Zeichen als Worte Wang meiner Selbsterkenntnis widersprechen. Letztlich bin ich von weltlichen Gefühlen
Yangmings anführt, stammt aus dem Jahr 1554. Es ist meines Wissens der früheste gefesselt und vermag sie nicht zu durchschneiden. Täglich bemühe ich mich darum,
datierbare Text, in welchem Wang Ji diese Formel benutzt. Es handelt sich um eine mich persönlich zu erforschen, ich sehe dabei zwar vieles, aber letztlich verfalle ich in
Grabinschrift (mu zhi ming ~~~) für seinen Mitschüler und Freund Qi Xian ~ Jl bloß verbale Erklärungen und vermag nicht, der Grundwirklichkeit [meines Herzens
(Beinamen: Nanshan ffi 111 und Xuanshan ~ 111, 1492-15 53). 162 Wang Ji legt hier diese (Geistes)] direkt gegenüberzutreten (di ti llU) und sie klar zu durchdringen.» Wang
Formel diesem Freund in den Mund, der sie als Aussage Wang Yangmings ausgibt. Er Ji sagte dazu: <<Das ist bei uns Menschen eine weitverbreitete Krankheit. Es sind aber
schreibt in diesem Epitaph, dass er Qi Xian in Gui'an ~3i: (Kreis in der Präfektur- auch nur zwei Schmerzen derselben Krankheit: Nur weil die Fesselung durch weltli-
hauptstadt Huzhou im Norden der Provinz Zhejiang) besucht habe, als dieser dort che Gefühle nicht durchschnitten ist, kann man ihren Einfluss nicht vermeiden und
(1526-1530) Kreisvorsteher war. Qi Xian habe sich als Kreisvorsteher sehr um das ist nicht fähig, [das eigentliche Wesen des Herzens] direkt zu verstehen und klar zu
Schulwesen in seinem Kreis gekümmert, in der Hu-Anding-Akademie i!i)l~'.(Ellll% 163 durchdringen (zhi da guang tou üiii.7'631); nur weil tnan nicht fähig ist, das eigentliche
von Huzhou mehrere Dutzend talentierte Leute versammelt und selbst den dorti- *
Wesen (ben ti U) [des Herzens] direkt zu verstehen und klar zu durchdringen, fühlt
gen Unterricht überprüft. «Er sagte, dass das menschliche Herz alle Dinge umfasst man sich immer mehr in weltlichen Gefühlen verstrickt und gefangen. Die Alten sag-
und dass das Lernen aller Heiligen [Konfuzianer] nicht außerhalb des Herzens sei. ten, dass es nur durch die Vertreibung der gemeinen Gesinnung eine heilige Lösung
Erst wenn dieses durch Meinungen gefesselt und von Begierden verdeckt wird (gu gibt. Wenn man im einen Wahren auf der Stelle sich auf sich zurückwendet und
yu yi jian bi yu shi yu ~tit~JlJtlititlll-t!x), gehe etwas davon verloren. Wenn man vom damit das eigentliche Herz (den eigentlichen Geist) erlangt (yi zhen dang xia zi
einen Denken her zu sich zurückkehrt, erlange man dadurch das eigentliche fan ji de ben xin -~ ~'"'F ~ &ffllff;iji::,t,,), dann kann dem <ursprünglichen Wissen> nichts
Herz (yi nian zi fan,ji de ben xin -~~&ffllfij;iji::,t,,). 164 Es sei so wie, wenn die helle verheimlicht werden, und die weltlichen Gefühle können einem nichts Falsches vor-
Sonne durch dichte Wolken verdeckt ist, ihr wahres und helles Wesen dadurch we- machen. Darauf trifft der Satz zu: <Wenn die Sonne am Himmel aufsteigt, vergehen
der vermehrt noch vermindert wird. Das habe er vom Lehrer [Wang] Yangming so alle Finsternisse von selbst.> In unserem Leben gibt es nur diese Sache, was anderes
gehört.» 165 könnte da noch hinzugefügt werden!» 167 Auch in seiner großen Auseinandersetzung
Auch bei anderen Gelegenheiten gebrauchte Wang Ji diese Formel, ohne sie mit Nie Bao in den Jahren 1557 bis 1559, über die wirim nächsten Kapitel sprechen
aber als Aussage seines Lehrers auszugeben. So im Sommer 1557 beim Treffen in werden, gebraucht Wang Ji jene Formel. Die im jetzigen Kontext relevanten Sätze
Fuzhou, der Hauptstadt der Provinz Fujian, mit dem Literaten Wang Shenzhong lauten: «Was mich betrifft, so denke ich, dass im Menschen das <ursprüngliche
3: ,tli:p (Beiname: Zunyan ~&, 1509-1559) und anderen Gelehrten. Aus Wang Jis Wissen> an sich selbst nicht beschmutzt oder zerstört ist (ben wu wu huai ;iji::1!Us•).
Aufzeichnung von Gesprächen dieses Treffens haben wir schon an früherer Stelle Selbst wenn es im höchsten Maße verdunkelt oder verdecktist (sui hun bi zhi ji B.
zitiert. 166 Wie wir dort schon erwähnten, hatte sich Wang Shenzhong nach einer ~Jtji~ffi), erlangt man das eigentliche Herz (Geist), wenn man fähig ist, sich
brillanten Laufbahn schon 1541 wegen eines Konfliktes mit dem damaligen Ersten im einen Denken (vom einen Denken her) auf sich zurückzuwenden (gou neng
Großsekretär des Reiches, Xia Yan I[ ~, der auch manche Schüler Wang Yangmings, yi nian zi fan, ji de ben xin iM.ifm-~ ~ &ffll~;iji::,t,,). Es ist so wie bei der hellen Sonne
darunter Wang Ji selbst, von der politischen Bühne vertrieben hatte, in seine Hei- und beim hellen Mond, die man dunkel nennt, wenn sie zufällig (akzidentiell, von
mat Fujian zurückgezogen. Wang Ji fragte Wang Shenzhong bei diesem Treffen in außen hinzukommend: ou 1"') von Wolken und Nebel verdeckt werden; sobald sich
Fuzhou: «Sie leben nun schon seit mehr als zehn Jahren zurückgezogen zu Hause; die Wolken und der Nebel öffnen, wird ihr helles Wesen (ming ti aJlft) sichtbar, es
ist nie beschädigt worden.» 168
Alle drei oben zitierten Texte (einer von 1554und zwei von 1557) führen zusam-
men mit der erörterten Formel die Sonnengleichnisse Wang Yangmings an, der erste
160 Dritter Satz, der der auch in «Wang Yangmings Ermahnung in Yantan» enthalten ist.
161 Yi shijie, Wang Longxi quanji (1822),juan 8, S. 2lb-22a (Taipei 1970, S. 558f.); Witng]iji, Nanjing und dritte dasjenige von der Sonne, deren Wesen von den sie verdeckenden Wolken
2007,juan 8, S. 192. nicht verändert wird, der zweite dasjenige von der aufsteigenden Sonne, die die nächt-
162 Zu Qi Xian siehe unten in Kap. 5 den§ 1, S. 752. lichen Gespenster vertreibt, und das die «plötzliche Einsicht» versinnbildlicht. Ob-
163 Hu Anding (= Hu Yuan ii!I ~, 993-1059) war ein konfuzianischer Gelehrter zu Beginn der Song-
Dynastie und im Gebiet von Huzhou (Taihu-See) Beamter gewesen.
164 Dieser Satz ist jene von uns oben mit Infinitiven übersetzte Formel in acht Wörtern. Die chinesische
Sprache ist gegenüber diesen beiden Übersetzungen indifferent. 167 «Aufzeichnung von Luze bei Sanshan [= Fuzhou in Fujian]» (1556/57), Wang Longxi quan ji (1822),
165 «Grabinschrift für Qi Xuanshan», Wang Longxi quan ji (1822), juan 20, S. 38b-:39a (Taipei 1970, juan 1,S.16b-17a(Taipei 1970,S.120f.); Witng]iji,Nanjing2007,juan l,S.13f.
S.1448f.); Witng]iji,Nanjing2007,juan20,S.6I3. 168 Zhi liangzhiyi bian, WitngLong.xi quanji (1822),juan 6, S. 6b (Taipei 1970, S. 416); Witng]iji, Nanjing
166 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 1, § 5, S. 458. 2007,juan 6, S. 134: siehe unten, Kap. 3, § 6,Abschnitt c), S. 618. ·
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schon diese Gleichnisse aus der äußeren Natur unsere Ansprüche einer bewusstseins- also die vier Grundtugenden der Konfuzianer, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, gute
analytischcn Klärung des «eigentlichen», immer vollkommenen «Herzens» und der Sitten und Weisheit (Wissen), als Antworten auf die ethischen Anforderungen ver-
«Einsicht» in es durch «Rückwendung zu sich selbst im einen Denken» nicht erfüllen, schiedener Epochen der chinesischen Geschichte dar. Wang Ji antwortete ihm: «Die
deuten sie doch metaphorisch das Bewusstwerden («Erscheinen») von etwas Vollkom- Menschlichkeit (ren 1=) umfasst die <vier Ansätze> [die Anfange der vier 'Ihgenden
menem in unserem «Herzen» an. Der Text von 1554 und die Auseinandersetzung mit nachMengzi], und auch das <Wissen> (zhi ;fD [verstanden als Weisheit: zhi ~]) umfasst
Nie Bao von 15 57 enthalten wörtlich die Formel, die WangJi 1577 im Text über Wang die <Vier Ansätze>. Das ,ursprüngliche \Nissen> ist [wiej die geisteskrliftige Lebensener-
Y:111gmings Tuscherolle als dessen Abschiedsworte von 1527 anführt: «im einen Denken gie (fing qi II~) des menschlichen Körpers. Die Ärzte sagen von einem gelähmten
(vom einen Denken her) zu sich selbst zurückkehren und somit das eigentliche Herz Körperglied, dass es <nicht-ren 1'1=> [nämlich <gefühllos, unempfindlich>] sei, da die
erlangen». Das Gespräch in Fuzhou vom Sommer 15 57 ersetzt den Ausdruck <<yi nian geisteskräftige Lebensenergie nicht hindurchfließt. Deshalb ist die Fülle des <[ur-
-~» («im einen Denken») durch den Ausdruck <<yi zhen -~» («im einen Wah- sprünglichen] Wissens> die Menschlichkeit; die Abgrenzungen des <ursprünglichen
ren»), wodurch deutlich wird, dass in dieser Formel unter <~yi nian -~» eine wahre Wissens> sind die Gerechtigkeit; die Ordnung und Schönheit des <[ursprünglichen]
Manifestation des <<eigentlichen Wesens des Geistes» im aktuellen Bewusstsein und Wissens> sind die guten Sitten. VVenn man von <J\1enschlichkeit> spricht, ist es, wenn
nicht nur das Momentane eines Gedankens zu verstehen ist. Er fügt hier noch «dang man schon lange daran gewöhnt ist, zuweilen nicht leicht, die Einsicht zu wecken.
xia ~r» (,,auf der Stelle») hinzu, um hervorzuheben, dass diese «Rückkehr» oder Wenn man aber vom <ursprünglichen Wissen> und vom wom einen Denken her
«Umwendung>> in der akt11ellen Gegenwart geschieht und nicht ein auf die Zukunft zu sich zurückkehren, womit auf der Stelle das Ziel erreicht ist> (yi nian zi Jim,
ausgerichteter alhnählicher Vorgang ist. Schließlich zeigt der zweite Text (von 1556) dang xitt bian you gui zhe -~ § & ~r 1.ll!.~!/Jl~) spricht, dann ist es besonders leicht
auch, dass nach V1Tang Ji die «plötzliche Einsicht» die Funktion hat, gewissermaßen und einfach, die menschlichen Herzen zu -wecken. Das nennt man <bedingt durch die
in einem Schlag den 'Ieufelskreis zwischen «weltlichen Gefühlen» oder «Wünschen» Umstände seiner Zeit>.» 169 Offensichtlich gebraucht ,vang Ji hier die Beschreibung
einerseits und der Blindheit gegenüber dem «eigentlichen Wesen des Herzens» an- «vom einen Denken her sich zu sich selbst zurückwenden, womit auf der Stelle das
dererseits zu durchbrechen. Das ist wohl ihr wichtigstes Motiv. Ziel erreicht ist», um Wang Yangmings ,<Verwirkliclrnng des ursprünglichen Wissens»
Noch in einem weiteren Text vor 1577 gebraucht Wang Ji für die «plötzliche in dem von ihm bevorzugten Sinne auszudrücken.
Einsicht in das eigentliche Wesen des Geistes» die jetzt erörterte Formel, ersetzt aber Wenn jene Formel Wang Jis mit acht Wörtern (Zeichen) wirklich auf Wang
ihre zweite Hälfte durch den Ausdruck «dangxia bianyou gui zhe ~Tff~!iil~» («dann Y·mgrning zurückgeht und wenn er diese schon zu dessen Lebzeiten von ihm hörte,
ist alles auf der Stelle in der Ordnung», «dann ist alles auf der Stelle zurückgefunden», wie er 1577 und 15 54 schreibt, dann ist es verwunderlich, dass er sie nicht schon vor
,<dann ist auf der Stelle das Ziel erreicht»). Es handelt sich um das schon 1nehrmals 15 54 verwendete. Vielleicht war ihm ihre Wichtigkeit für die Charakterisierung der
zitierte große Gespr:ich von 1564 in Yixing '.§'.~ am Westufer des Tli-Sees mit Geng Einsicht in das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» damals noch nicht
Dingxiang (1524-1596), der sich dort als «Schulinspektor» («Studienkommissar») des bewusst geworden? Es gibt von ihm einen Text, der aus dem Frühling 1553 stammt
direkten Verwaltungsgebietes von Nanking aufhielt. Geng sagte in diesem Gespräch, und der nach seinem sachlichen Zusammenhang nach dieser Formel ruft, doch an
dass Wang Yangmings Lehre vom «ursprünglichen Wissen» zwar schon zur Lebens- ihrer Stelle einen anderen, zwar auch bedeutungsvollen, aber inhaltlich ärmeren
ader des alten konfuzianischen Lernens gehöre, aber doch wie alle Lehren durch die Ausdruck verwendet, der sich nur in der zweiten Hälfte mit jener Achterformel
Zeitumstände bedingt sei. So habe Konfuzius zu seiner Zeit, als nur noch Nutzen deckt. Anstatt für die Einsicht in das «eigentliche Wesen des Herzens» jene Formel
und Gewinn verfolgt wurden, das Reich aufgesplittert und die menschlichen Herzen zu benutzen, gebraucht er die Wendung: «sich eine Öffuung aufbrechen (sich einen
zerstört waren und man nicht mehr um die «Einheit (yi ti -9) [aller Wesen]» wusste, Zugang öffnen) und damit das eigentliche Herz erlangen» (kai kou,ji de ben xin 00 J:l
die «Menschlichkeit» (ren f=) hervorgehoben, um so die Menschen wachzurütteln. f!P1~~,t,,). Wie meistens jene Formel, so ist auch hier diese Wendung mit Wang Yang-
Mengzi habe im Hinblick auf seine besonderen Zeitumstände von «Gerechtigkeit» (yi mings Gleichnis von der aufgehenden Sonne, die schnell alles klarmacht, verbunden.
~) gesprochen. Nach dem Aufblühen des Daoismus und des Buddhismus in der Jin- Der Kontext ist eine Skizze von Wang Yangmings geistiger Biographie. Darin führt
und Liang-Dynastie (3.-6.Jahrhundert) sei es für die Neukonfuzianer der Song-Zeit Wang Ji aus, dass sein Lehrer, als er in Shaoxing lehrte, seine größte Reife erreichte,
vor allem wichtig gewesen, die guten Sitten (li ~), die mit den Ordnungsprinzipien und schreibt dazu: «Immer wusste er um das Richtige und wusste um das Falsche,
(li J!.) identisch seien, hervorzuheben. Danach sei man in Zersplitterungen und Ab- und immer gab es nichts Richtiges und nichts Falsches (shi shi wu shi wu fei BtBt1!!t~
weichungen geraten und habe Herz (Geist: xin ,t,,) und Ordnungsprinzipien getrennt. 1!!t~lö) [d.h., er transzendierte den Unterschied von Gut und Schlecht]. Er brach sich
«Darauf hat der Lehrer [Wang] Yangming, um die Welt zu wecken, das <ursprüngliche
Wissen> hervorgehoben und so zu Bewusstsein gebracht, dass die Ordnungsprinzi-
pien der Dinge nicht außerhalb unseres Herzens sind. So ist die <Verwirklichung des 169 Dongyou hui yii, [1564], Wang Longxi quanji (1822),juan 4, S. 7a-b (Taipei 1970, S. 289f.); WangJiji,
ursprünglichen Wissens> die Lebensader des Lernens der heutigen Zeit.» Geng stellt Nanjing 2007, juan 4, S. 83f.
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eine Öffnung auf und erlangte dadurch das eigentliche Herz (kai kou ji de ben xin In Gesprächen in Fuzhou (Provinz Fujian) vom Sommer 1557, aus denen wir
m.l □ HPfij:zjs:,t,). Es gab kein Ausborgen, Zusammenschustern und Festmachen (wu schon oben zitiert haben, 172 scheint Wang Ji die «Einsicht in das eigentliche Wesen
jia jie cou bo 1!!Hl1iffi~58). Wie wenn die Morgensonne zum Himmel steigt, alle des ursprünglichen Wissens» oder die «Rückwendung zum himmlischen Antrieb des
Erscheinungen von selbst hell werden; wie wenn die ursprüngliche Energie (yuan einen Denkens» als volles «Vertrauen (Glauben) in das eigene Herz» (xin xin {§,[>)
qi ft~) durch die vier Jahreszeiten fließt, alle Verwandlungen von selbst erfol- zu verstehen. Er sagte in diesen Gesprächen zu Wang Shenzhong (Beiname: Zunyan,
gen, und <niemand weiß, warum es so ist, wie es ist> (er mo zhi qi suo yi ran lfü1lt9;□ !t 1509-1559) 173 : «Wenn unser Lernen noch nicht vermag, in einem einzigen Schritt al-
Plr J;i.~) 170 . » 171 Warum gebraucht Wang J i in dieser Beschreibung der geistigen Reife les zu erreichen (yi liao hai dang - 7 s ~), so kommt dies nur daher, dass das Vertrauen
Wang Yangmings nicht jene Formel, wenn er sie von ihm als Ausdruck für die Ein- in das Herz nicht ganz ist (xin xin buji 1~1t,1'&). Wenn den ganzen Tag lang unsere
sicht in das «eigentliche Wesen des Herzens» gehört hatte? Stammt sie vielleicht Vorstellungsbilder (yi xiang ~~) auftauchen und untergehen, wie wäre da ein Ende
doch von ihm selbst, und die Zuschreibung an Wang Yangming würde nicht ihren absehbar! Wir [müssen] auch sagen, worin das Herz und worin das volle (ganze) Ver-
Wortlaut, sondern nur ihren Sinn betreffen? trauen in es besteht (he shi xin de ji 1liI*{§1ij &). Wenn das Herz nicht funktioniert (sich
Was bedeuten, phänomenologisch (bewusstseinsanalytisch) gesprochen, für mit nichts beschäftigt: wu suo yong 1m?Jr ffl), dann ist es tote Asche und kann die Welt
Wang Ji die Ausdrücke «vom einen Denken her in den verborgenen (tiefgründigen) nicht ordnen (hu neng_jing shi 1'~~1:!:t). Sobald es aber funktionieren (tätig werden)
Ort eintreten», «nur schweigend das aktuelle eine Denken verstehen» (zhi mo mo li hui will, ergeben sich Überdruss und Plagen (Jan rao jjjf). Wo kann man zwischen dem
dang xia yi nian .RmJtll-\Olll.wiii"f-~), «zur Wurzel zurückkehren und sich rückwendend Funktionieren und dem Nichtfunktionieren (zwischen Aktivität und Nichtaktivität:
bezeugen» (gui gen Jan zheng liwffl&m) oder die Formel «vom einen Denken her zu sich yong hu yong zhijian ffl 1' ffl -:Z. lla1) zu Kraft gelangen? Sonne und Mond sind hell, ihr
zurückkehren (sich zurückwenden) und dadurch das eigentliche Herz erlangen», womit Wesen muss leuchten; nur wenn im endlosen Hin und Her der Ver!inclerungen, des
er wohl immer dasselbe meint? Man könnte zunächst von einer Reflexion (wörtlich: Sprechens und des Handelns, die helle Substanz [des Herzens] nie bewegt wird (ming
«Zurückwendung») auf das «eine Denken» ausgehen. Wenn man unter «Reflexion» ti wei chang you dong aJl!ll*'i'1'iih), erst dann gerät es nicht in Vorstellungsbilder (yi
einen zweiten Bewusstseinsakt versteht, der einen ersten, eigenen Bewusstseinsakt xiang ~~), erst dann ist es ein gutes Funktionieren (gutes Tätigsein: shan yong ~ffl)
(ein eigenes Bewusstseinserlebnis) zum Gegenstand seines Interesses und Betrachtens des Herzens. Erst wenn man dies in sich selbst verwirklicht und erfährt (you zhu ji
macht, dann dürfte dies kaum auf das zutreffen, was Wang Ji hier meint. Eine solches 1'i~2), kann man von Vertrauen (Glauben) sprechen; ein bloßes Verstehen aufgrund
Reflektieren auf ein eigenes Erleben, in unserem Fall auf das «eine Denken», lebt nicht von Erklärungen erreicht es nicht (fei jie wu suo ji ~~MffiJi.li&).>, 174 Das «zwischen
mehr aktuell in diesem Erleben, sondern stellt es sich objektivierend als seinen Gegen- Funktionieren und Nichtfunktionieren» ist nichts anderes als das «zwischen Vor-
stand gegenüber, wodurch es bereits zu etwas Inaktuellem, Vergangenem geworden handensein und Nichtvorhandensein» (you wu zhi jian 1'iAA.z. rs1), mit dem Wang Ji im
ist. Das Aktuelle ist dann das Reflektieren und nicht mehr das reflektierte Erlebnis, in Anschluss an Zhou Dunyi den «Antrieb des Himmels» (tian ji ;il(:ffi) charakterisiert.
unserem Fall nicht mehr das «eine Denken»; doch Wang Ji sagte, dass man «schwei- Wang versteht hier also die Vereinigung mit eiern Ruhe und 'T'iitigkeit umfassenden
gend das aktuelle Qetzige) eine Denken (dang xia ii"f -~) verstehen» soll (siehe oben). «Antrieb des Himmels», die er auch als «plötzliche Einsicht» in das Wesen des Her-
Wenn jemand über eines seiner Erlebnisse reflektieren will, muss er aus diesem her- zens bezeichnet, durch die «in einem Schritt alles erreicht wird», als «volles (ganzes)
austreten, sich davon distanzieren und sich darüberstellen, um darüber reflektieren zu Vertrauen, Glauben» (xin de ji {§1ij&) in das «Herz».
können; doch v\/ang Ji sagte, dass man «nicht aus dem Verborgenen (Tiefgründigen) In einer Schrift aus dem Jahr 1564 spricht \VangJi bei der «Rückwendung im
des einen Denkens heraustreten>, (bu chu yu yi nian zhi wei 1' l±l~-~iZ.~) dürfe (siehe einen Denken» von «Aufmerksamkeit» (jin «Das Lernen der Alten bestand in
oben). Die phänomenologischen Begriffe, die Wang Ji im Zusammenhang mit jenem nichts anderem als im Verstehen der [menschlichen] Natur und der Gefühle (li hui
«Eindringen in den verborgenen Ort», «schweigenden Verstehen», «im einen Denken xing qing ~wI11=:~). Die Natur und die Gefühle sind die Substanz und die Funktionen
zurückkehren» usw. verwendet, sind Begriffe wie «auf das Herz vertrauen (an das Herz des Herzens (xin zhi ti yong ,t,,zdffl) und machen die Struktur von Stille und
Glauben: xin xin fü ,t,)», «aufmerksam sein» (jin ~i), «achtsam sein» (shen tl), die nicht Erregungen aus (ji gan zhi ze Ml'.lW<iZ.Jl.~)- Wenn rnan Natur und Gefühle verstehen
eine vergegensfandlichende Reflexion im obigen Sinne, sondern ein Sichkonzentrieren, will, [... ] besteht das Wichtige im Verborgenen des einen Denkens (yi nirm zhi wei
eine Verinnerlichung und Vertiefung des Bewusstseins oder des Erlebens im aktuellen -~z~). Das menschliche Herz ist eigentlich von selbst die Mitte und die Harmo-
Vollzug dieses Bewusstseins oder Erlebens selbst andeuten. nie (ben zi zhong he ;zjs: ~ "Pl□); das eine Denken ist der geheime Mechanismus von

172 Siehe oben in diesem § 5, S. 504f.


170 Zitat aus dem daoistischen Klassiker Zhuangzi, 17. Buch, Kap. 7. 173 Zu Wang Shenzhong siehe oben in diesem§ 5, S. 504f.
171 «Rede in Chuyang», Frühling 1553, Wang Longxi quanji (1822),juan 2, S. Sa-b (Taipei 1970, S.171f.); 174 «Aufzeichnung von Luze in Sanshan [Fuzhou]», Wang Longxi quan ji (1822),juan 1, S. 12a-b (Taipei
Wang]iji, Nanjing 2007,juan 2, S. 34. 1970, S. 1llf.); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 1, S. 10.
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Stille und Erregungen (ji gan zhi ji ~~.Z~)- Wenn man im Verborgenen (Tief- der Beste. Wer [bei sich] etwas tadelt und bereut, ist der Zweite. Wer es nicht über
gründigen) des einen Denkens aufmerksam ist (zhi jin yu yi nian zhi wei 3i!(EfM-- sich bringt [zurückzukehren] und nicht um Reue weiß, ist der Letzte. Sie, mein Herr
;%z~), dann ist man von selbst nicht einseitig [dann verlässt man von selbst nicht [Zhang], kümmern sich seit jeher um unsere Freunde («Gleichgesinnten»); welches
die Mitte] und ist von selbst nicht widerspenstig (wu guai li 1!!fifE~) [dann verstößt Lernen möchten Sie gebrauchen? Es gibt Unterschiede der Begabung, die in den
man von selbst nicht gegen die Harmonie] 175 .» 176 Neigungen der Naturanlage und in den geistigen Fähigkeiten bestehen. Die Fähig-
Als ideales Vorbild seiner bevorzugten Weise der «Verwirklichung des ur- keit des Lernens besteht darin, nicht an der Energie der Gewohnheit (xi qi ~~) zu
sprünglichen Wissens» galt Wang Ji der Lieblingsschüler von Konfuzius Yan Hui haften, sondern sie besiegen zu wollen. Bei der besten geistigen Fähigkeit muss man
(Yan Yuan). 177 Schon Wang Yangming hatte ihn als Vorbild hingestellt. 178 In einem sich an das Lernen von Y·mzi [Yan Hui] halten: Wenn man seinen Ursprung sucht (qiu
kurzen, einem Herrn Zhang gewidmeten Text über «Das I ,ernen im <Klassiker der qi yuan 5J<!t.®:), seinen <Antrieb> ldes Himmels] erfasst (wo qi ji :IJi;!ft~), achtsam ist
Wandlungen»> unterscheidet Wang Ji unter Bezugnahme auf eine Stelle im «Großen beim Anfang des einen Denkens (shen yu yi nian zhi chu tl ':F-:%.z M), dann bewirkt
Anhang» dieses Klassikers, die Yan Hui mit dem Hexagrammfu ffl: («Rückkehr») in man, dass die Energie der Gewohnheit sich von selbst auflöst und die Rückkehr zum
Verbindung bringt, 179 zwischen zwei Arten der «Rückkehr» zum «eigentlichen We- Guten von selbst erfolgt (shan zi Jz1 ~ gJ ffi:). Das ist das Dao (der Weg) des <großen
sen des Herzens». Diese zwei Arten entsprechen WangJis Unterscheidung zwischen Heils>. Bei der Fähigkeit zweiten Ranges wird man unvermeidlich zur Reue kommen.
dem Lernen der «plötzlichen» und dem Lernen der «schrittweisen (allmählichen) 1 .·

Man muss sich damit befassen, seine Fehler zu vermindern, und die Energie der Ge-
Einsicht,> in das «eigentliche Wesen des Herzens», und er verbindet die erste Art i
wohnheit wird sich allmählich auflösen (xi qi yi jian er xiao ~~J;l.ffiijiföi\l). Es ist die
der «Rückkehr» mit dem Lernen von Yan Hui: «Seit dem Altertum hat niemand das Fähigkeit mittlerer Begabung, die im Prüfen und Urteilen besteht. Wenn man sich bei
<Buch der Wandlungen> so gut gelernt wie Yanzi [Yan Hui]. Im Kommentar zur ersten der Energie der Gewohnheit wohlfühlt und nicht bedenkt, wodurch man sich ändern
Linie des ITexagramms fa ffl: («Rückkehr») steht: <Rückkehr aus geringer Entfernung>. kann, ist das das Niedere im Volk.» 183
Denn wenn man beim Anfang zu ihm [zum <ursprünglich guten Herzen> (ben shan Die durch Yan Hui exemplifizierte «Rückkehr» zum «Ursprung», das heißt zum
zhi xin ~~ ;z,t,,)] zurückkehrt (fu zhi yu chu ffl:z 'FM), dann wird die Energie der Ge- «eigentlichen Wesen des Herzens», geschieht nach diesen Ausführungen Wang Jis
wohnheit (xi qi ~~) 180 leicht vernichtet, und <die Fehler werden nicht wiederholt>. 181 dadurch, dass man «achtsam ist auf den Anfang des einen Denkens» (shen yu yi nitm
Deshalb <bedarf es keiner Reue>, und es besteht <großes Heil>. 182 Derjenige, der bereut, zhi chu tl':F-;%.z:fü) oder «darauf achtsam ist beim Verborgenen (Tiefgründigen)»
tadelt [bei sich] etwas und kehrt dann zurück. Deshalb eilt er zum Heil. Derjenige, (shen zhi yu wei tl.z 'F~). Mit diesem «Verborgenen (Tiefgründigen)» weist Wang
der es nicht über sich bringt lzurückzukehren], ist gebunden und abgeneigt. Deshalb Ji hier auf den «Antrieb des Himmels», denn im Kapitel des «Großen Anhanges»
eilt er zum Unheil. Obschon diese beiden in gleicher Weise unfähig sind, beim Ver- des «Buches der Wandlungen», auf das er in diesem Text Bezug nimmt, steht:
borgenen (Tiefgründigen) darauf achtsam zu sein (shen zhi yu wei tl.z 'F~), gehen «Der <Antrieb> ist das Verborgene der Tätigkeit (Bewegung) (ji zhe dong zhi wei ~~
doch ihre Tendenzen auf Heil und Unheil weit auseinander. Wer nun im Anfang zu Jb.ZW).» Man darf daher wohl sagen, dass Wang Jis «Rückkehr zu sich vom einen
ihm zurückkehrt (fu zhi yu zhu ffi:;z_ 'F:rJJ) und es nicht bis zur Reue kommen lässt, ist Denken her» (yi nian zi Jan -~§&) nach diesem Text bedeutet: «achtsam sein auf
den Anfang des einen Denkens», das heißt «achtsam sein auf den aktuellen Impuls des
<Antriebes des Himmels» und damit achtsam sein auf den Antrieb des Himmels selbst.
175 Anspielungen auf das erste Kapitel des Zongyong und Zhu Xis Erklärungen. In dieser «Achtsamkeit» kann die «Einsicht» in das «eigentliche \iVcscn des Herzens»
176 «Buchrolle für Gu Haiyang liffi ~IWJ» Wang Longxi quanji (1822),juan 16, S. 37a-b (Taipei 1970, und so die «direkte» Rückkehr zu ihm geschehen, da es in dieser rückkehrendcnAcht-
S. l 181f.); Wang]i ji, Nanjing 2007,juan 16, S. 476.
177 Im Lunyu wird Konfuz1us gefragt, wer unter seinen Schülern das Lernen liebe. Er antwortet: «Y;m
samkeit ganz anwesend werden kann, so wie der ganze Himmel in einem aktuellen
Hui liebte das Lernen. Er ließ nicht andere seinen Ärger spüren; er wiederholte seine Fehler nicht. Ausschnitt von ihm anwesend ist. Demgegenüber besteht die «Rückkehr» durch die
Unglücklicherweise war sein Leben kurz, er ist gestorben. Nun gibt es keinen mehr, ich habe von «Reue» im Bewusstsein («Gewissen») der eigenen Fehler und in deren «Verminde-
keinem mehr gehört, der das Lernen liebt.» Lunyu, 6. Buch, Kap. 2.
178 Siehe Chuanxi lu I, Nr. 113 und Nr. 114 (Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 32), Nr. 128 (S. 38); Chuanxi
rung», wodurch sich «die Energie der Gewohnheit allmählich auflöst». Ohne Zweifel
l11 III, Nr. 201 (S. 90). nimmt VV:'lngJi mit diesem Gcgensat7, Bezug auf seine Unterscheidung zwischen dem
179 Diese Stelle Lrntet: «Der Meister [nach der Tradition ist es Konfuzius] sagt: «Der Sohn der Familie «dem Himmel vorausgehenden» und dem «dem Himuiel nachfolgenden Lernen».
Yan [Yan Hui] hat es wohl beinahe erreicht. Wenn er etwas tut, das nicht gut ist, erkennt er es immer,
und wenn er es weiß, wiederholt er es nie. Im <Buch der Wandlnnge11> steht [nämlich im Kommentar
Für Wang Ji war die «Achtsamkeit» (shen tl) neben ihrer gewöhnlichen Be-
zm ersten (untersten, ungebrochenen) Linie des 24. Hexagramms fit ~ («Rückkehr»)]: <Rückkehr deutung wohl auch deshalb zur Charakterisierung der <<Einsicht in das eigentliche
(ji1 'fl) aus geringer Entfernung, es bedarf keiner Reue: großes Heil!»> Xi zi, 2. Teil, Kap. 5.
180 Zu diesem Begiff siehe oben in diesem Kapitel den§ 2, S. 422f.
181 Zitat aus dem oben zitierten 6. Buch des Lunyu (Kap. 2): siehe oben, Anm. 177.
182 Kumment1r wr ersten Linie des Hexagramms ji, im «Buch der Wandlungen»; zitiert im «Großen J 83 Xuc Yishuo, Wangl.ongxi qzttlll ji (1822),jurm 17, S.18h-19a (Taipct 1970, S.1226f.); Wang]iji, Nanjing
Anhang»: siehe oben. 2007,jtum 17, S. 495.
1
1,i

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Wesen des Herzens» besonders geeignet, weil dieses Wort durch die «Vier Bücher» aktuellen Impuls des «Antriebes des Himmels», also letztlich auf das reine «Gute»
hohe Autorität hatte, und zwar durch den Satz <<Der Edle ist achtsam auf sein Al- im Herzen gerichtet, das dem Schlechten vorangeht. Als Beispiele für diese Impulse
leinsein (shen qi du tJJ:J;~)>>, der sowohl im Daxue (6. Kap.) als auch im Zhongyong bringt er gute Gefühle oder Intentionen wie das Mitgefühl oder das Schamgefühl.
(1. Kap.) vorkommt. YVir haben diese Stellen oben in Teil I im Zusammenhang mit Er will seine ethische Praxis auf die Einsicht in das noch nicht vom Schlechten
dem Ausdruck des «allein Wissens» (du zhi ~;:□) diskutiert. 184 In einer Versammlung unterschiedene «absolut» Gute gründen. Dass er eine solche Interpretation der
im Jahr 15 53 in der Hauptstadt der Präfektur Ningguo, Xuancheng, sagte Wang Stelle aus dem ersten Kapitel des Zhongyong bevorzugt hat, kommt deutlich im Text
Ji: «Das Lernen des hohen Altertums suchte <Leben und 'fod> [cl.h. die Lösung des über Zou Shouyi zum Ausdruck, den wir in der Einleinmg (§ 7) zu diesem Teil II
entscheidenden Problems unseres Lebens] nur im Verborgenen (Tiefgründigen) des zitiert haben. 188
einen Denkens (zai yi nian z;hi wei .:f:E-~L~).» Vter Jahre später (1557) bemerkte Doch Wang Ji kann auch sagen, dass durch die ,<Rückkehr zu sich vom einen
er in der Shuixi-Akademie in derselben Präfektur zu jener Aussage: «Dass [es Leben Denken her» das moralische, zwischen guten und schlechten Intentionen unterschei-
und Tbd] nur im Verborgenen des einen Denkens [suchte], ist der Grund dafür, dass dende Bewusstsein (das Gewissen) «leuchtend», das heißt «verwirklicht» werde. Er
es heißt: <Das Lernen des Heiligen im hohen Altertum bestand nur im Achten auf schreibt in einem Brief: «Wenn wir im Aufsteigen und Brodeln von zehntausend
das Alleinsein (shen du tl~).>» 185 Und in einem Brief an Hong Yirnn ~ !]! (Beiname: Wünschen (Begierden: _yu fil) gewillt sind, im einen Denken des <ursprünglichen
Jueshan ~ 0.1) schrieb er: «Das [ethische] Lernen ist nichts anderes als <Achten auf das Wissens> uns zu ihm zurückzuwenden, dann ist dessen wahres Bejahen [des Guten]
Alleinsein, (xue shen du eryi !i!tl~ji'ij B). [... ] Das <ursprüngliche Wissen> ist dasselbe und wahres Ablehnen [des Schlechten] leuchtend und nie verdunkelt (ken Jan zhi yu
wie das ,allein Wissen> (du z;hi ~;:□). [... ]Das <allein Wissen> ist das eigentliche Wesen yi nian Hang zhi, qi zhen shi zhen Jeijiong mn wei chang bu 1ning ~&Mf-~ßl;:□ !t~
[des Herzens] (bcn ti 7-Js:. lffl); das Achten auf das Alleinsein (shen du tl~) ist die ethische ~~~~51iil~*'i1'a.,EI). Nur dadurch kann die Bestimmung des Himmels (titm ming
Anstrengung (~ongfi1 J}J~)- [ ... ] Nur diese [Achtsamkeit] ist das dem Himmel voran- 31($) nicht zerstört, und nur dadurch kann das T-:Icrz des Menschen nicht verdeckt
gehende I ,ernen vor der Erregung der Gefühle (wei Ja xian tian zhi xue *~J\:;3'(L!i!). und verdunkelt werden. Das ist der wahre Weg des hohen Altertums, der zur Weisheit
[... ] Unsere ethische Anstrengung des Achtens auf das Alleinsein (shcn du tl~) wird und Heiligkeit führt. Wenn wir ihn aufgeben, haben wir keine Stelle mehr, an der
von den Verfälschungen des Erklärens und Meinens verdeckt und versperrt, so dass wir mit unserer ethischen Anstrengung einsetzen können. \Venn wir Menschen ohne
,vir nicht unserem vVcsen gegenüberzutreten und uns zurückwendend es zu schauen Lernen zufrieden sind, dann ist es um uns geschehen. Wenn wir aber lernen wollen,
vermögen (!m neng di ti frm gwm 1'~~!1ll.llt&iil,), um so zum Wesen, das <dem l:Iirnmel dann sollen wir ~mzi [Yan Hui] zum Leitbild nehmen (yi Ymzz;i wei z:ong P)._i'Ji!Fr~*).
vorangeht> zurückzukehren (ffiJj/iJ\:;Ji2z\ffl). [... ] Wie könnten wir heute in unserer Yanzi <kehrte aus geringer Entfernung zurück>. \Vas sollen wir noch sagen, was das
Lage rneinen, Lfass wir keine '.i\Tünsche (Begierden: yu fil:) hätten! Doch 1nüssen wir Lernen von Y·111zi ist? Es ist in der konfuzianischen Schule das leichte, einfache und
daran glauben, dass mitten im Gewirr der zehntausend Wünsche das <allein Wissen> direkt geschnittene Zurückkehren zur \i\Turzel und Sichzurückwenden zur Quelle
immer hell ist, wenn wir uns im einen Denken auf es [sein Wesen] zurückwenden (Jan (kong men jian yi zhi jie gui gen Jan yuan 1LP~M~ ~il!BiH!l&.5.ß{), es ist das <Lernen, das
zhi yi nian, du zhi wei chang bu ming &L-~~;:□ *1lr1°'a.,El).» 186 dem Himmel vorangeht>, und nicht etwas, das man mit begrifflichen Erklärungen und
Für Wang Ji bedeutet das «Achten auf das Alleinsein» (shen du tl~) meistens Phantasievorstellungen erstreben kann.»189
etwas anderes als bei Wang Yangming. Bei diesem meinte es «die Achtsamkeit bei Es ist nach Wang Ji nicht so, dass das «eine Denken» erst durch die «Auf-
dem, was man nicht sieht, und die Furchtsamkeit bei dem, was man nicht hört» (jie merksamkeit» und die «Achtsamkeit» auf es bewusst werden würde. Das allererste
shen hu qi suo bu du, kongju hu qi suo bu wen :itlHl:P:!tP.lr1'Mff~ff,Pf!tP.lr1'1ffl) (Ausdruck eine Denken des «ursprünglichen Wissens» ist immer, auch beim gewöhnlichen
aus dem ersten Kapitel des Zhongyong), wobei nach ihm das «nicht Gesehene und Menschen, unmittelbar bewusst. In einer Versammlung von 1553 in Xuancheng
nicht Gehörte», auf das man achten und das man fürchten soll, die eigenen guten (Präfektur Ningguo) fragte ein Teilnehmer: «Ist es so, dass wir auf uns zurückgehen
und schlechten Intentionen sind und auch das «ursprüngliche Wissen» ist, das im und beleuchten sollen, sobald wir den Dingen entsprochen haben (ying wu liao, ji yi
Sinne des «Gewissens» zwischen diesen guten und schlechten Intentionen unter- Jan zhao ~!1@7 RP-Jls..!ffl)?»' 90 Wang Ji antwortet ihm: «Das <Beleuchten (Leuchten:
scheidet. 187 Bei Wang Ji ist diese «Achtsamkeit» auf das «eine Denken», auf den

188 Siehe oben, S. 369f.


184 Siehe oben, Teil I, Kap. 2, § 1, S. 136ff., und§ 3, S. 152ff. 189 «An Mao Zhiqing N, 5a91lll», "Wang Long:xi quan ji (1822),juan 9, S. 34b-35a (Taipei 1970, S. 642f.);
185 «Worte beim Ahnentempel [Wang Yangmings] in Shuixi» [15 57], U7tmg Longxi quan ji (1822),juan 3, "Wang Ji ji, Nanjing 2007, juan 9, S. 230.
S. 6a (Taipei 1970, S. 231); "Wang]iji, Nanjing 2007,juan 3, S. 59. 190 Der Ausdruck <<Jim zhao j/&!ffl» («auf sich zurückgehen und beleuchten») kommt an prominenter Stelle
186 «An HongJueshan», "Wang Longxi quanji (1822),juan 10, S. 33b-34a ('Iaipei 1970, S. 714f.); "Wang im «Hochsitz-Sutra des Sechsten Patriarchen» (Liuzu Tanjing) vor: im Dialog zwische Huineng und
Ji ji, Nanjing 2007, juan 10, S. 262. Huiming. Dabei geht es um die Erkenntnis des «eigentlichen Antlitzes», das heißt des «eigentlichen
187 Siehe oben, Teil I, Kap. 2, § 1, S. 136ff., und§ 3, S. 152ff. Wesens des Herzens» oder der «Buddha-Natur»: zitiert oben in Teil I, Kap. 3, § 4, S. 204, Anm. 61.
1'!
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zhao Ml.)> ist hier zu viel. Zur Zeit seines [den Dingen] Entsprechens ist das Wirken § 3 dieses Kapitels zitierten Text schreibt Wang Ji klar, dass diese Unterscheidung
des wahren <Antriebes> bereits leuchtend (zhen ji zhi fa ji zhao ~~.Z.~flP~,ij); was soll zwischen dem «richtigen» und dem «schiefen» Denken durch das «ursprüngliche
man da noch ein <Beleuchten> bemühen! Und wenn das Leuchten nicht [mit diesem \Vissen» geschieht, das sich über diesen U.nterschied immer ,,klar ist» (ming am.193
Entsprechen] zusammengeht, was nützt da ein Zurückgehen?» Drei Jahre später Das ist kaum eine zufällige, versehentliche Außerung. In einer Versammlung in Nan-
(15 57) fügte er in einer Versammlung in der Shuixi-Akademie in derselben Präfektur king imJahr 1565 sagte WangJi zu Li Sui (Beiname: Kczhai, 1504-1566), dem wir
zu dieser Aufzeichnung hinzu: «Sonne und Mond sind hell (ming BJ:I), ihr Charakter schon mehrmals begegnet sind und der ein prominenter Schüler von Ouyang De war,
muss leuchten (hi zhao !Q:',~,ij). Das den Dingen entsprechende <ursprüngliche Wissen> dass seine großen politischen Verdienste nicht einfach mit der ethischen Leistung
ist auch so.» 191 Die «Aufmerksamkeit und Achtsamkeit auf das eine Denken>> soll gleichzusetzen seien. Er sagte zu ihm: «Sie haben von jeher den \Villen, in der politi-
nach WangJi das unmittelbare Bewusstsein dieses Denkens vertiefen und so von ihm schen Welt Verantwortung zu tragen und nicht ein kleiner Bürger zu sein. Wenn man
her seiner «Wurzel und Quelle» innewerden. In dieser Hinsicht spricht W.·111gJi von aber vom [ethischen] Lernen spricht, muss man da noch einiges überlegen. Wenn
einem Unterschied zwischen einem «Gewahren (Innewerden) und Nichtgewahren unser [ethisches] Lernen nicht von der Quelle her zu urteilen vermag, dann führen
(Nichtinnewerden) im einen Denken»: «Die Kraft des Dao [der höchsten Wirklich- das eigentliche Denken (ben nian ::zjs::2) und das Denken der vVönsche (Begierden)
keit] und die Kraft des eigenen Karmas [die Kraft der durch die eigenen vergangenen (yu nian W:2) unvermeidlich sich gegenseitig heimlich mit sich (ben nian yu yu nian
Tätigkeiten entstandenen geistigen Dispositionen] sind an sich nicht festgelegt (dao wei rnian jia dai guo qu ;zjs:2~W:2*~~~® *). Darüber ist sich das <ursprüngliche
liye li hen wu ding zai mJJ*jJ;zjs:~;E',1±). Der entscheidende Punkt liegt darin, ob man Wissen> immer klar (liang zhi wei chang bu ming .!ll.~*11::fBJ:I). \Nenn das eigentliche
im einen Denken gewahrt oder nicht gewahrt (xiang sheng zhi ji cun hu yi nianjue yu Denken nicht die Leitung zu übernehmen ver1nag (bcn nian zhu zhang bu qi ;zjs:2::l::~
lmjue f§fillf ;z~#"f-2.i:flift~:i). Wenn man nicht gewahrt, dann ist inan unklar oder ::f rul:) und das Denken der vVünsche nicht vernichtet wird, dann findet dieses durch
zerstreut sich; wenn man gewahrt, dann wird man selbst groß und die Dinge klein; Nachlässigkeit stillschweigend seine Auswegc.>> 194 Unter «eigentlichem Denken»
das Innere wird wichtig und das Äußere von selbst unwichtig. Das ist die Kunst des (ben nian ;zjs:2) versteht Wang Ji das «Denken des eigentlichen Wesens» (hen ti zhi
richtigen Gewichtens.>> 1n nian ::zjs::U.z.2) 195 oder das «Denken des eigentlichen Herzens» (hen xin zhi nian ;zjs:,t,,
Die Einsicht in das eigentliche Wesen des «ursp1iinglichen Wissens» geschieht .Z.2), also das «eine Denken». \Nang Ji erkLirt allerdings nie explizit, dass auch sein
nach \Vang Ji dadurch, dass man durch Achtsamkeit auf das eine Denken zu dessen «dem Himmel zuvorkommendes Lernen» sich auf das zwischen Gut und Nichtgut
Quelle 1.urückkehrt. Diese Einsicht ist der Ansatzpunkt von Wang Jis bevorzugter unterscheidende moralische Bc,vusstsein abstützen muss. Diese notwendige Abstüt-
vVeise der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens», die er als das «dem Himmel zung bedeutet aber nicht, dass sein I ,ernen mit dem «dem Himmel nachfolgenden
zuvorkommende Lernen>> charakterisiert. Dieses «Lernen» zeichnet sich in seinem Lernen» Qian Dehongs zusammenfällt. Denn während dieser in seiner willentlichen
Verständnis dadurch aus, dass es vom absolut Guten ausgeht, das keinen Gegensatz Art der «Verwirklichung des ursprünglichen \Vissens» aufgrund des moralischen
im Schlechten hat und insofern über dem Gegensatz von Gut und Schlecht steht. Bewusstseins direkt die schlechten Intentionen bekämpfen und ausmerzen will,
Wir haben im vorangehenden Kapitel gesehen, dass er sich in diesem Ansatzpunkt möchte Wang Ji, nach der moralischen Unterscheidung der Intentionen, in seinem
im Gegensatz zu Qian Dehong befand, der das ethische Lernen auf die Grundlage «dem Himmel zuvorkommenden Lernen» durch Konzentration, Vertrauen, Achten
des zwischen guten und schlechten Intentionen unterscheidenden moralischen Be- auf das «eine» oder «richtige Denken» die «Einsicht» in dessen Quelle gewinnen
wusstseins (des «ursprünglichen Wissens», verstanden als Gewissen) stellte. Wenn und sich von der Macht dieses rein Guten tragen lassen, wodurch das Überwinden
wir nun aber Wang Jis Vorgehen aufgrund der vorangegangenen Untersuchungen des «Denkens der Begierden» «leicht wird». Das «vom einen Denken her sich zu-
genauer ansehen, müssen wir feststellen, dass auch dieses letztlich auf dem zwischen rückwenden und dadurch das eigentliche Herz erlangen» ist also eine besondere Art
guten und schlechten Intentionen unterscheidenden Gewissen basiert. Denn wenn der Vertiefung des «Gewissens»: Es konzentriert sich in diesem unmittelbaren (nicht
die Einsicht in das über Gut und Schlecht stehende eigentliche Wesen des Herzens reflektierenden) Bewusstsein rein auf das «eine Denken», das heißt auf die aus dem
oder ursprünglichen Wissens in einer «Rückkehr vom einen Denken her» geschieht, «Antrieb des Himmels» hervorgehenden «guten» Intentionen und lässt das «Denken
muss man zuerst dieses eine Denken vom vermischten (unlauteren), «gespaltenen»,
«dreifachen Denken» unterscheiden können, das in unserem menschlichen Herzen
auch vorhanden ist. Wie können wir zwischen ihnen unterscheiden? In einem in
193 Niantang shuo, Ulang Longxi quan ji (1822),juan 17, S. 25b (Taipei 1970, S. 1240); UlangJi ji, Nanjing
2007,juan 17, S. 502: siehe oben den§ 3, S. 490f.
194 «Aufzeichnungen von der Versammlung in der verbliebenen Hauptstadt [Nanking, 1565)», a.a.O.,
191 «Worte in der Akademie von Shuixi», Ulang Longxi qzumji (1822),juan 3, S. l la (Taipei 1970, S. 242); juan 4, S. 16a-b (Taipei 1970, S. 307f.); UlangJiji, Nanjing 2007,juan 4, S. 90.
UlangJiji, Nanjing 2007,juan 3, S. 64. 19 5 Wang Yangming spricht vom Gegensatz zwischen dem «Denken des eigentlichen Wesens» (ben ti zhi
192 Erster Brief an LiJian'an :$: ltlillll: (ca. 1577): Ulang Longxi quan ji (1822),juan 11, S. 2b (Taipei 1970, nian ;ijl:ffl;L;%) und dem «egoistischen Denken» (si nian $,~): siehe Chuanxi lzt III, Nr. 202, Quan ji,
S. 732); UlangJiji,Nanjing2007,juan 11,S.271. juan 3, Shanghai 1992, S. 91.
516
517

der Begierden», die schlechten Intentionen, vorerst einmal außer Acht. Erst sekundär, Zeitgenossen und Mitschüler Nie Bao und in gewisser Hinsicht auch Luo Hongxian
nachdem so die Einsicht in das <<eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» im Auge, die das «ursprüngliche Wissen» durch die «Rückkehr in die Stille» (gui ji
gewonnen ist, soll «dem Himmel nachfolgend» die Auseinandersetzung mit den !@iftil) verwirklichen wollten. 199 WangJi fährt fort: «Die heutige Devise vom<Verwirkli-
schlechten Intentionen aufgenommen werden. chen des ursprünglichen Wissens> lehrt, unabhängig vom Reden oder Schweig~?• von
der Ruhe oder der Tätigkeit, die bis auf den Grund gehende Läuterung und Ubung
§ 6 Drei verschiedene Ebenen der «Einsicht». Die höchste «Einsicht» (ehe di lian xi ffit!tttl~) in den sich verändernden Ereignissen der menschlichen Be-
geschieht im sozialen Handeln ziehungen (ren qing shi bian A. 'HUUf), um so zum Ursprung zurückzukehren (.yi gui yu
yuan .1ia:ilmft). Es ist so, wie Gold, das mit Kupfer und Blei vermischt ist, nicht rein
Die «Einsicht» in das eigentliche Wesen des Herzens (Geistes) kann nach Wang Ji wird, wenn es nicht durch heftiges Feuer geht. Die Schule unseres Lehrers [Wang
in verschiedenen Umständen und Lebensweisen geschehen. Er unterscheidet in zwei Yangming] lehrte von jeher drei Weisen, um zur <Einsicht> zu gelangen (ru wu J... ffi).
Texten, die er im Alter von über achtzig Jahren schrieb,1 96 zwischen drei Arten von Wenn man sie vorn [begrifflichen] Erklären her erreicht (eong zhi jie er de fftillMiliHi),
«Einsichten» gemäß drei Arten von Lebensweisen, in denen sie zustande kommen: spricht man von <Einsicht durch Erklären> (jie wu Mffi); diese~~ von sprachlich~n
«Einsicht» aufgrund von begrifflichem Erklären; «Einsicht» durch «Sitzen in der (begrifflichen) Erläuterungen untrennbar (wei li yan quan *Ba~). Wenn man sie
Stille» und «Einsicht» in der sozialen Praxis. Die erste Art ist die oberflächlichste, die vorn Sitzen in der Stille her erreicht, spricht man von <Einsicht durch [innere, eigene]
letzte die tiefste «Einsicht». Im ersten dieser beiden Texte, in den «Worten zum An- Bezeugung> (zheng wu ilffi); diese ist noch von [besonderen] Umständen [~~r Ruhe]
denken an den Abschied für Nichuan ~JII», für den Sohn eines langjährigen Freundes abhängig (.you dai yu jing fi°~m!Ji). Wenn man sie von der Läuterung und Ubung in
und Mitgliedes der Schule Wang Yangmings, lässt Wang Ji den Adressaten des Textes, den menschlichen Beziehungen (ren shi A. ~) her erreicht, nicht abhängig von Wörtern
Nichuan, berichten, dass er zuerst den Worten seines Vaters folgend die Lehre vorn oder von besonderen Umständen [der Ruhe], sondern im Kontakt mit der jeweiligen
«ursprünglichen Wissen» Wang Yangmings übernahm. Dies sei aber zum großen Teil Situation dem Ursprung (der Quelle) begegnet (ehu ehu fengyuan 11~:Jilit) und umso
nur aufgrund von «begrifflichem Erklären» (zhi jie ~M) geschehen, so dass er sich in fester und stiller wird, desto bewegter und turbulenter es zugeht, dann erst ist es die
seinem Gemüt noch «oberflächlich und zerstreut fühlte und noch nichts erreichte». <auf den Grund gehende Einsicht> (ehe wu ffitffi). Diese ist das Augenlicht der richtigen
Er habe sich dann an die Anweisung von Chen Xianzhang (Beiname: Baisha) 197 über Lehre (zhengfa yan zang IE)!Hti!).»200
das «Sitzen in der Ruhe» (jing zuo 'fflJ*) gehalten. «Ich fühlte langsam, dass der Geist Die «Einsicht>>, die in der Wahrnehmung der sozialen Aufgaben geschieht, ist
sich zurückholte und sammelte (Jian xi~-), und nach geraumer Zeit hatte ich schlag- nach diesem Text deshalb am tiefsten, weil sie nicht abhängig von Begriffen und von
artig eine Einsicht (huang ran wu 1i't~ffi) und sagte: <Im Lernen ist es wichtig, dass besonderen Umständen der Ruhe ist' sondern in jeder Situation «auf der Stelle» ..
man es aus sich selbst erreicht (zi de gJ ffl.). 198 Nur wenn man es in sich selbst besitzt, (dang xia ~r) möglich ist und weil sie in der radikalsten Läuterung und Ubung
kann man es glaubwürdig nennen. Bisher hatte ich nur Einsichten aufgrund des Ver- geschieht. Die «Einsicht», um die es Wang Ji geht, ist offensichtlich nicht ein
stehens von Erklärungen (.yi tongjie wu P.,OffiMffi).»> Nichuan habe ihn (WangJi) c,lann durch Begriffe bedingtes zeitlich beschränktes Verstehen und kein durch besondere
nach dem Unterschied zwischen den Lehren von Chen Xianzhang und Wang Yang- Meditationstechniken hervorgerufener zeitweiliger Geisteszustand, sondern eine
ming gefragt. Er habe Nichuan geantwortet, dass auch Chen Xianzhang zur Schule beständige Übereinstimmung oder andauernde Verbindung mit dem immer voll-
des Konfuzius gehöre. Weil «der Geist der weltlichen Menschen unheilvoll nach kommenen «Grund» oder «Wesen» des eigenen Herzens, die im läuternden Feuer
Äußerem jagt», habe er die «Stille» gelehrt. Das sei aber nur eine vorläufige Lehre der mühevollen sozialen Tätigkeit am tiefsten sein kann. WangJi sagt darüber wenig;
(quan Ja ff()!). Mit dieser Einstufung hat Wang Ji nicht nur Chen Xianzhang aus dem man muss nach ihm «schweigend erkennen» (mo shi lltlilli), «schweigend verstehen»
vergangenen Jahrhundert, sondern, wie der zweite Text deutlich zeigen wird, seinen (mo mo li hui lltlft!!:t). Sicher dachte er auch an die Aussage im ersten Kapitel des
«Hochsitz-Sutra des Sechsten Patriarchen» (Fassung des Ming-Kanons): «In der
196 Siehe «Unhöfliche Worte zum Andenken an den Abschied von Nichuan JlJII», ITTtng Longxi quanji
höchsten Erleuchtung muss man sofort das eigentliche Herz (ben xin .ijs:,C,,) erkennen,
(1822),juan 16, S. 24b-27a (Taipei 1970, S.1156-1161); ITTtngJiji,Nanjing 2007,juan 16, S. S. 465- man muss sehen, dass das eigene eigentliche Wesen (zi ben xing ~*lt) weder entsteht
467, und «Abhandlung über die <Einsicht>», ITTtng Longxi quanji (1822),juan 17, S. 17b---18a (Taipei noch vergeht. Zu jeder Zeit, in jedem Bewusstseinsmoment sich selbst sehen (.yu yi
1970, S. 1224f.); ITTtngJiji, Nanjing 2007,juan 17, S. 494f.
197 Chen Xianzhang (Baisha, 1428-1500) aus der Provinz Guangdong, ganz im Süden Chinas, war wohl qze. sh z"z hong nzan
" nzan
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MV -r ,a-,.,;;:, 1=1 :,r, .»

der einflussreichste Konfuzianer des 15. Jahrhunderts, und sein Einfluss vergrößerte sich noch im
folgenden Jahrhundert. In einer Zeit, in der Zhu Xi den offiziellen Konfuzianismus dominierte,
machte er das menschliche Herz und die Stille zum Zentrum seiner Lehre. Einer seiner Schüler war 199 Siehe unten, Kap. 3 und Kap. 4.
Zhan Ruoshui (1466-1560), der Freund Wang Yangmings seit dessen Pekinger Beamtenzeit in den 200 «Unhöfliche Worte zum Andenken an den Abschied von Nichuan», ITTtng Longxi quan ji (1822),
Jahren 1505/06: siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 69f. juan 16, S. 25a-b (Taipei 1970, S. 1157f.); ITTtngJiji, Nanjing 2007,juan 16, S. 466.
198 Das war ein zentraler Gedanke von Chen Xianzhang. 201 TS, Bd. 48, Nr. 2008, S. 348c.
l'I

518 519

Man kann sich weiter auch fragen, ob die zwei weniger tiefen «Einsichten», eigen ist (fei ji jia zhen ~Wc.~Ut). Wenn man durch Sitzen in der Ruhe dazu gelangt,
die durch das begriffliche Verstehen der richtigen Lehre und durch «das Sitzen in spricht man von <Einsicht durch [innere, eigene] Bezeugung> (zheng wu ffllffi). Das
1 ,'
der Ruhe» entstehen, nach Wang Ji notwendig zu durchlaufende Stadien sind, die Sichsammeln und Sichkonzentrieren (shou she bao qu l&ffli~I&)203 ist hier noch von
dem Erreichen der tiefsten «Einsicht» in der Wahrnehmung der jeweiligen sozialen den Umständen [der Ruhe] abhängig (you dai yu jing -ff~tit~). Es ist wie bei trübem
Aufgaben vorausgehen müssen. Das ist der Weg von Nichuan, den Wang Ji in seinem Wasser, das [aufgrund des durch die Ruhe bedingten Absinkens des Schmutzes] klar
Abschiedswort über die beiden bereits erreichten «Einsichten» hinaus zur «bis auf geworden ist, aber weil die Ursache seiner Trübung noch immer da ist, leicht wieder
den Grund gehenden Einsicht» führen will. Tatsächlich ist das ein Weg, den viele in trübe aufwirbelt, sobald Wind und Wellen aufkommen. Wenn man durch Läuterung
der Schule Wang Yangmings, und auch dieser selbst, gegangen sind. Dieser Weg ist und Übung dazu gelangt, spricht man von <auf den Grund gehender Einsicht> (ehe
auch ganz typisch für diese Konfuzianer und für viele chinesische «Philosophen», wu ffit:ffi). Im Gerieben- und Geschliffenwerden, im Geschmiedet- und Geschmolzen-
die es nicht beim «begrifflichen Verstehen» bewenden lassen wollen. Aber Wang Ji werden begegnet man überall der Quelle [des Geistes] (zuo you fang yuan :ti:15J1)J.lll:).
präsentiert in diesem Text die drei «Einsichten» nicht als drei aufeinanderfolgende Es ist wie bei einem klaren und ruhigen Körper, der in seinem Wesen kristallklar und
Stufen oder Etappen, obschon man ihn auch so verstehen könnte. Wahrscheinlich durchsichtig ist; je mehr er erschüttert wird, desto fester und ruhiger ist er und kann
hätte er anerkannt, dass es faktisch oft so ist, aber er hätte kaum die Notwendigkeit nicht einmal klar und einmal trübe sein.» Erstaunlich für uns ist die obige Ergänzung,
einer solchen Folge behauptet. Denn die tiefste «Einsicht>>, in der das «eigentliche dass eine aufgrund begrifflicher (sprachlicher) Erklärungen gewonnene «Einsicht»
Wesen des Herzens», die «Quelle» des geistigen Lebens, «wiedergefunden wird», ist noch nicht im vollen Sinne eine eigene «Einsicht>> ist. Das Denken in einer erlernten
nach ihm wohl durch die «Umwendung zu sich» bei jeder sozialen Tätigkeit, in der allgemeinen Sprache wird hier als etwas noch Äußerliches und Fremdes betrachtet;
das «ursprüngliche Wissen» wirksam ist, möglich, unabhängig davon, ob ihr begriffli- die tiefste persönliche Einsicht liegt jenseits der Sprache. Diese Idee stammt nicht von
che Erklärungen oder Meditationen in der Ruhe vorangegangen sind oder nicht. Und Wang Ji selbst, sondern sie hat eine lange daoistische und buddhistische Tradition.
er hätte wohl auch die Meinung Wang Yangmings vertreten, dass die soziale Praxis Wang Ji fügt dann noch einiges hinzu, das im ersten Text nicht steht. Er erinnert an
umgekehrt auch die begriffliche Einsicht fördert, gemäß der Devise der «Einheit von den Unterschied zwischen «leichter» («plötzlicher») und «schwieriger» («allmähli-
Erkennen und Handeln». cher») Einsicht, der mit der Verschiedenheit der «geistigen Kräfte» zusammenhängt:
Wang Jis Erörterung über die drei Arten von «Einsicht>> ist nicht durch die «Es gibt große und kleine geistige Fähigkeiten (gen ~). Daher ist die Verdeckung
besondere Situation des Adressaten des oben zitierten Textes bedingt. In sein.er [des Geistes] oberflächlich oder tief. Das Lernen ist entsprechend leicht, oder es ist
kurzen «Abhandlung über die Einsicht» wiederholt er sie ganz unabhängig von der schwierig, aber im Endresultat [in der <Einsicht>, im <Erreichen der Quelle>] sind
individuellen Situation einer bestimmten Person. Diese Abhandlung ist wohl etwas beide gleich.» Dann folgt der Gedanke, dass sich die «Einsicht» auf höchster Stufe
später als der oben zitierte Text, aber auch um 1579 entstanden, da sie diesen wörtlich selbst «aufhebt»: <«Einsicht> ist der Gegensatz zu geistiger Blindheit (mi ~); man
wiederholt und Ergänzungen hinzufügt. Wir zitieren sie im Folgenden vollständig. hat <Einsicht>, wenn man nicht geistig blind ist. <Das gewöhnliche Volk gebraucht es
Sie beginnt mit den Sätzen, die WangJi in seinem 1574 verfassten «Lebenslaub-> von [das Dao] täglich, ohne davon zu wissen> (bai xingri yong er bu zhi sM=.S fflrnPr~); 204
Qian Dehong geschrieben hatte und die für seine Auseinandersetzung mit diesem das ist geistige Blindheit. Der Weise (xian ren JIA) gebraucht es täglich und weiß es,
zentral waren: 202 «Der eigentliche Wert im Lernen des Edlen besteht im Erreichen der das ist <Einsicht>. Der Heilige (sheng ren ~..A.) gebraucht es auch täglich, ohne es zu
Einsicht. Wenn das Tor der Einsicht sich nicht öffuet, gibt es nichts, womit das Lernen wissen; das ist Vergessen (wang ~). Wenn das Lernen beim Vergessen der <Einsicht>
wahr gemacht werden kann (wu yi zheng xue •P).~~).» Und dann wiederholt sie, (wang wu ~ ffi) anlangt, dann ist das ungefähr seine Vollendung.» Als Ideal gilt Wang
mit Ergänzungen, den ersten Text: «Es gibt drei Eingänge in die Einsicht (ru wu you Ji eine «höhere Naivität», die nicht meht nach «Einsicht>> strebt und sich diese nicht
san J...ffi-ff=.): Es gibt den Eingang von den Wörtern (den Begriffen) her (cong yan mehr vorstellt, da sie mit dieser eins geworden ist. Der vollendet Einsichtige hat die
fit~\den Eingang vom Sitzen in der Ruhe her und den Eingang von der Läuterung Vorstellung von der Einsicht vergessen. Auch hier greift Wang Ji auf daoistische und
und Ubung in den sich verändernden Verhältnissen der menschlichen Beziehungen buddhistische Ideen zurück: Der «wahre Mensch» in seiner vollkommenen Natür-
her (cong ren qing shi bian lian xi}.._11*f!•'I). Wenn man von den Wörtern her dazu lichkeit (Übereinstimmung mit dem Dao) «weiß nicht, und es gibt nichts, das er nicht
gelangt; spricht man von <Einsicht durch Erklären> (jie wu Mffi). Auslösung und weiß»; der «Erleuchtete», der «ans andere Ufer» des leidvollen und verblendeten
Bestätigung (chu Ja yin zheng Im~ flJ IE) [dieser Einsicht] sind von sprachlichen Erläu- Existenzstromes gelangt ist, vergisst alle bildlichen und begrifflichen Vorstellungen
terungen untrennbar; es ist wie ein Schatz, der sich außerhalb der eigenen Haustür
befindet (men wai zhi bao P~>'~Zll), es ist nicht eine Kostbarkeit, die einem selbst zu
203 Das ist eine von Luo Hongxian bevorzugte Formel für die ethische Übung: siehe unten in Kap. 4
den§ 3.
202 Siehe oben, Teil II, Kap. 1, § 4, S. 455f. 204 Zitat aus Ytjing, Xici I, Kap. 5.
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der buddhistische Lehre, die bloße Mittel für die «Überfahrt» waren. Im Gedanken, Kapitel 3
dass das gewöhnliche Volk täglich unwissentlich das Dao (im Sinne des «ursprüngli-
chen \1/issens») gebraucht, übernimmt WangJi einen Satz aus dem «Großen Anhang» Die Diskussionen zwischen Nie Bao einerseits und Ouyang De,
des Yijing, der besonders von der auf Wang Gen zurückgehenden Taizhou-Linie der Zou Shouyi und Wang Ji andererseits: Muss die «Substanz»
Schule \1/ang Y·mgmings betont wurde. 205 Schließlich bezieht Wang Ji in seinem des «ursprünglichen Wissens» in der Ruhe vor aller Tätigkeit
Text die drei Ebenen der «Einsicht» auf die Biographie von Wang Yangming: «Das «verwirklicht» werden?
Lernen unseres verstorbenen Lehrers begann auch damit, von den Wörtern her [in
die Einsicht] einzutreten. Spiiter [1503 im <Yangming-Höhlenhimmel>] erreichte er
die [innere, eigene] Bezeugung (zheng 'm) [im Sitzen] in der Stille. Erst als er [1508]
unter den Barbaren in Mühsalen lebte und sein Erdulden von Umtrieben zunahm, § 1 Nie Baos Biographie 1 und die Entstehung seiner eigenen Auffassung
kam seine <Einsicht> bis auf den Grund (wu ehe 1~HI).» Schließlich ordnet Wang Ji von der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» um 1537
die konfuzianischen Klassiker und andere Texte (auch den seinigen) der persönlichen
Einsicht jedes Menschen unter: «Alles, was im Lauf der Zeit in den Klassikern und Nie Bao JU{] (Beiname: Shuangjiang ~:IT) war zusammen mit Lin Bangzai, Zou
Abhandlungen niedergeschrieben wurde, ist bloßes Überbleibsel der <Einsicht> (wu Shouyi, Ouyang De und Luo Hongxian einer der fünf hervorragenden Anhänger
hou zhi t:c·u yu t!HizMifi). <Die dunkle Perle des Roten Wassers wurde von Bildlos Wang Yangmings in der für dessen Schule außerordentlich fruchtbaren Präfektur
(wang xiang rg_J~) gefunden>;2° 6 ,der große Schatz der tiefen Berge wurde durch Ji'an a~J& in der Mitte der Provinz Jiangxi. Er w1irde im 23. Jahr der Chenghua-
Absichtslosigkeit (wu xin 1m,i)) erlangt>. 207 Das ist: der verborgene Antrieb (wei ji Ära am 13. Tag des ersten Mondes (6. Februar 1487) im Dorf Shuangxi ~;~!Il. im
~~), u1n in die Heiligkeit einzutreten. Der Lernende kann davon selbst die <Einsicht> Kreis Ycmgfeng 7}(~ im Nordosten der Präfektur Ji'an als dritter von sieben Söhnen
gewinnen (zi wu § fä).» 208 geboren. Aber nur er und sein iiltester Bruder Nie Hong ;:#: (1479-1541) überlebten
ihre Kindheit. Sein ½'1ter Nie Feng mll, (1458-1531) war verannt und fristete als Haus-
lehrer und Astrologe sein Leben. Im Herbst 1516 bestand Nie Bao die Staatsexamen
auf Provinzebene (iurcn-Grad) und im folgenden Frühjahr mit dreißig Jahren die
höchsten Staatsexamen in Peking (jinshi-Crad). In den zwei Jahren danach blieb er
beurlaubt zu lfausc inJiangxi. 1520 wurde er Kreisvorsteher von IIuating •~ in der
Hauptstadt der Präfektur Songjiang -Wü im Südosten des direkten Verwaltungsgebie-
tes von Nanking (heute zu Sh,mghai gehörig). Er kämpfte dort gegen die Korruption
der Beamten, beschäftigte sich mit Bewässerungsproblemen, widmete sich aber auch
dem Unterricht von Schülern, wobei er sich auf das «Buch der Wandlungen» stützte.
Unter diesen Schülern befand sich Xu Jie (1503-1583), der später erster Großse-
kretär und ein großer Förderer der Schule Wang Yangmings wurde. 1525 wurde er
zum Zensor für einen Teil der Provinz Fujian ernannt. Er reichte innerhalb weniger
Monate drei Eingaben an den Thron ein, in denen er den für die Zeremonien im
Kaiserpalast zuständigen Eunuchen und die beiden Minister für Kriegswesen und
für Staatszeremonie korrupter Handlungen bezichtigte. Daraufhin wurden Untersu-
chungen eingeleitet und der Eunuch und der Kriegsminister abgesetzt. Das mutige
und erfolgreiche Auftreten gegen diese mächtigen Staatsmänner brachte Nie Bao
großes Ansehen ein. Noch bevor er die Provinz Fujian erreichte, wurde er 1526
205 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 5, S. 343f. zum Inspektor und Zensor («Vizegouverneur»: xun an ~nc) der Präfektur Yingtian
206 Anspielung auf eine Parabel im 12. Stück (Tiandi ;il;itll) des Buches Zhuangzi, in welcher der Gelbe ~;/c, in der sich Nanking befand, ernannt und hatte in dieser Stellung die kaiserli-
Kaiser seine «dunkle Perle» auf einer Wanderung nördlich des Roten Wassers verloren hatte und
der Reihe nach «Erkenntnis», den scharfäugigen Li Zirn, und den «Debattieret>> ausschickte, um sie
zu suchen. Doch sie fanden sie nicht. Erst «Bildlos» (xiang wang ®_!li(I) konnte sie finden: Watson,
Burton: The Complete Works of Chuang Tzu, New York, London 1970, S. 128f. Für die biographischen Angaben stützen wir uns neben den zitierten Primärquellen auf den Artikel
207 Wahrscheinlich auch eine Anspielung auf einen Text der daoistischen Literatur. über Nie Bao im DMB, S. 1096b-1098b, und vor allem auf die «Chronik» (Nianpu), die Wu Zhen in
208 «Abhandlung über die Einsicht», Wang Longxi quan ji (1822), juan 17, S. l 7b-l 8a (Taipei 1970, seinem Buch von 2001 (Nie Bao Luo Hongxian pingzhuan, Nanjing 2001, S. 296-326) zusammengestellt
S. 1224f.); Wang Ji ji, Nanjing 2007, juan 17, S. 494f. hat.
l!I!

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chen Pferdeställe zu kontrollieren. In dieser Stellung besuchte er im Sommer 1526 in berichtet.»9 15 30 wurde Nie Bao zum Präfekten von Suzhou im direkten Verwaltungs-
Shaoxing Wang Yangming. Es war die einzige Begegnung, die zwischen Nie Bao und gebiet von Nanking (heute ProvinzJiangsu) ernannt. Nach einem Eintrag von Qian
Wang Yangming zustande kam, und sie dauerte wohl nur ein, zwei Tage. Denn Wang Dehong in Wang Yangmings «Lebenschronik» soll sich Nie Bao erst in Suzhou, vor
Yangming schreibt in einem späteren Brief dieses Jahres an Nie Bao, dass er sich ge- ihm und Wang Ji als Zeugen, offiziell zum Schüler Wang Yangmings erklärt haben.
wünscht hätte, zusammen mit ihm und Gleichgesinnten während etwa zehn Tagen an Er habe ihnen beiden dort gesagt: <«Mein Lernen habe ich wahrhaftig vom Lehrer
einem ruhigen Ort zu verweilen, dass aber öffentliche und private Geschäfte ihn daran [Wang Yangming] erhalten. Ich hoffte, ihn wiederzusehen und mich als seinen Schüler
gehindert hätten. 2 «Sie sprachen zusammen über das Lernen aufgrund des <ursprüng- zu erklären und dabei ein Ehrengeschenk darzubringen.Jetzt kann ich es nicht mehr
lichen Wissens>. Der Herr [Nie Bao] fasste darauf den Mut zu glauben, dass das Leben tun. Nun nehme ich Sie beide zu Zeugen, bereite Räucherwerk und verehre akten-
eines heiligen Menschen erreichbar sein muss.»3 Die Person und die Lehre Wang kundig den Lehrer [Wang Yangming].> In der Folge nannte er sich seinen Schüler.» 10
Yangmings müssen Nie Bao damals sehr beeindruckt haben, denn von da an verehrte In Suzhou ließ Nie Bao auch die beiden Briefe, die er von Wang Yangming erhalten
er ihn und erklärte sich wenige Jahre später offiziell zu seinem Schüler. Umgekehrt hatte, in Stein meißeln.
schätzte auch Wang Yangming Nie Bao sehr. Er schrieb kurz nach dieser Begegnung Ende 1531 vernahm Nie Bao die Nachricht vom Tod seines Vaters. Er ließ sich
seinem vertrauten Schüler Ouyang De, der vielleicht Nie Bao zum Besuch bei Wang sofort beurlauben und kehrte nach Hause nach Jiangxi zurück. Im Sommer 1534
Yangming bewogen hatte,4 dass Nie Bao sofort an die Lehre von «ursprünglichen starb auch seine Mutter. Er bat weiter um Urlaub und blieb bis 1541, nachdem er
Wissen» glaubte und dass er außerordentlich fähig sei. Aber er fügt hinzu: «Doch zuvor elf Jahre lang als Beamter tätig gewesen war, insgesamt zehn Jahre lang frei
seine Sichtweise ist noch oberflächlich, er sieht noch nicht wie von einem höheren von Staatsämtern. In dieser Urlaubszeit unterrichtete er privat Schüler und hatte
Standpunkt bis auf den Grund. Deshalb wird er noch unvermeidlich von dem, was er Kontakt mit anderen Nachfolgern Wang Yangmings. So nahm er im Frühjahr 1534
gelesen und gelernt hat, gehindert. Doch sind die Übel in seinem Herzen sehr gering; an der Versammlung der Yangming-Schule aller neun Kreise der Präfektur Ji'an am
und da er nun diesen Hauptpunkt erkannt hat und zudem ernsthaft glaubt und lernt, Fuß des Qingyuan-Gebirges teil und traf dabei den geistigen Führer dieser Schule
mache ich mir letztlich über seine mangelnde Tiefe im Verständnis keine Sorgen.»5 Zou Shouyi.'1 Als 15 36 Ji Ben (Beiname: Pengshan) in seiner Schrift über den«Wach-
Zwischen Nie Bao und Wang Yangming entstand zwischen 1526 und 1528 ein wich- samkeit des Drachen» Mitglieder der Schule Wang Yangmings, besonders Wang Ji,
tiger Briefwechsel. 6 Nie Bao scheint in diesen] ahren das «ursprüngliche Wissen» und kritisierte, sie betonten in der ethischen Praxis zu sehr die «Natürlichkeit» (zi ran
seine «Verwirklichung» vor allem in den Bereichen der Pietät gegenüber den Eltern ~?i.\) und würden dabei die notwendige «Wachsamkeit» (jing ti IHi) gegenüber den
und des Respekts gegenüber den älteren Brüdern gesehen zu haben. 7 «Begierden» (yu ~) vernachlässigen, stimmte ihm Nie Bao als Einziger aus dieser
1528 reiste Nie Bao als Zensor in die Provinz Fujian. Er gab dort Wang Yang- Schule zu. 12 Er stand also schon damals in einem gewissen Gegensatz zur Mehrheit der
mings Chuanxi lu8 und die von Wang Yangming gegenüber Zhu Xi bevorzugte «Alte Schule. Es ist auch möglich, dass Nie Bao bei der Entstehung der kritischen Haltung
Fassung des DaX1-te» heraus. Dies zeigt, dass er sich für Wang Yangmings Lehre vonJi Ben eine Rolle spielte, denn er kannte diesen wahrscheinlich persönlich aus der
einsetzte. Nach dem Bericht seines jüngeren Freundes Luo Hongxian (1504-1564) Zeit ihres gemeinsamen Aufenthaltes als Beamte in Suzhou 1530/31.
vernahm Nie Bao 1529 in Fujian die Todesnachricht von Wang Yangming: «Er weinte 1537 wurde Nie Bao krank und zog sich zur Genesung «für mehrere Monate
vor seiner Seelentafel und erklärte sich zu seinem Schiller. Dies hat er mir selbst so ins Cuiwei-Gebirge ~11'&:ill zurück».13 Sehr wahrscheinlich ist mit diesem Gebirge
das Gebirge mit dem Cuiwei-Gipfel •11'&:it gemeint, das sich innerhalb der Präfektur
Ganzhou im Kreis Ningdu $:ffl!, etwa hundertzwanzig Kilometer südöstlich von Nie
2 Dieser Brief Wang Yangmings ist im zweiten Teil des Chuanxi tu, Nr. 178ff., veröffentlicht: siehe Baas Wohnort Yongfeng befand und das noch heute wegen seiner landschaftlichen
Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 79.
3 Hua yang gttan wenji'll,'(,JJiffiy:_#f;.,juan 11, S. 5b-6a; zitiert bei Wu Zhen 2001, S. 299. Schönheit bekannt ist. Der ,ils ein riesiger roter Felsblock turmartig aufragende
4 In seinem Brief an Wang Yangming nach seinem Besuch bei ihm bezieht sich Nie Bao auf Ouyang
De: siehe den Antwortbrief von Wang Yangming im zweiten Teil des Chuanxi tu, Nr. 178, Quanji,juan
2, s. 178.
5 Ytmgming wentu, herausgegeben von Huang Wan in der Jiajing-Zeit (1522-1566) (Exemplar dieser 9 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 206.
höchst seltenen Ausgabe in der UniversitätTokyo); zitiert nach Wu Zhen 2001, S. 300. 10 Nianpu III, unter dem 5.Jahr der Jiajing-Ära (1526), Shanghai 1992, S. 1302. Nach diesem Eintrag
6 Von Wang Yangming sind davon zwei Briefe erhalten; der eine wurde schon von Nan Daji in den wäre dies 1532 gewesen; aber Nie Bao befand sich wohl nur bis Ende 1531 in Suzhou, da damals sein
Briefteil des Chuanxi lu aufgenommen (Nr. 178-184); der andere wurde nach 153 5 von Qian Dehong Vater starb und er Suzhou verließ (siehe Wu Zhen 2001, S. 303f.). Ende 1531 reisten Qian Dehong
diesem Teil als letzter Brief beigefügt (Nr. 185-194). und Wang Ji über Suzhou zu den höchsten Staatsprüfungen nach Peking, die im folgenden Frühjahr
7 Siehe Wang Yangmings Antwort auf dieses Verständnis im Chuanxi tu II, Nr. 189 und Nr. 190; vgl. abgehalten wurden. Nie Baos offizieller Eintritt in die Schule Wang Yangmings dürfte Ende 15 31
oben, Teil I, Kap. 3, § 5, S. 202. stattgefunden haben.
8 Diese Ausgabe des Chuanxi lu, von der heute keine Exemplare mehr bekannt sind, war wohl nicht mit 11 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den § 6, S. 349f.
derjenigen identisch, die um 1526 von Nan Daji in Shaoxing herausgegeben wurde: siehe Wu Zhen 12 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 8, S. 376.
2001, s. 301f. 13 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 13, S. 534.
524
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Cuiwei-Gipfel beherrscht dieses Gebirge, so dass es nach ihm benannt werden kann. und Nichthören> ist sein Prinzip (ze fl.1]), und die ~Achtsamkeit [beim Nichtsehen]
In ihm werden noch elf weitere «Gipfel» (feng •) bezeichnet, die zusammen mit dem und Furchtsamkeit [beim Nichthören]> ist seine Ubung (gong J)J). Es geht in ihm
Cuiwei-Gipfel in der daoistischen Tradition die «zwölf Gipfel der Reinheit des Gol- nicht um Theorien (bu guan dao li 1'lil~II), und es gehört nicht zum Denken (bu
des» (jin jing shi er feng ~~+ =•) heißen und eine der zweiundsiebzig daoistischen shu yi nian 1'ijUl~)- Im Nichtvorhandensein wird es göttlich-geistig (wu er shen
<~Gl~cker1~e~» (f~ d~ m-:1:tl!), das heißt ':ie die sechsunddreißig «Höhlenhimmel» (dang ~ii'ii'1$), und im Vorhandenen entstehen dann die [g'ltten] Veränderungen (you er hua
tzan 5flll3i:) em «Gehlde der Unsterblichen» ausmachen. 15 Von den meditativen Prak- ~ji'ij 1l'.:.), Das ist wohl das Herz von Himmel und Erde, aus dem die eigene Stellung
tiken in diesem daoistischen Zentrum erhoffte sich Nie Bao geistige und körperliche und das eigene Entstehen (wei yü 1ll.~) stammen und in welchem die eigene Bestim-
G~nesu~g. In diesc1: Zeit stiller Zurückgezogenheit legte Nie Bao die Grundlage zu mung (ming ~) liegt»> Nie Bao versteht hier die «Achtsamkeit und Furchtsamkeit
scmer eigenen Auffassung von der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» beim nicht Gesehenen und nicht Gehörten» aus dem ersten Kapitel des Zhongyong als
durch die «Rückkehr zur Stille der <Substanz> (ti Wf) oder <Natur> (xing tt.) des Her- einen Zustand der Konzentration oder stillen Versenkung ins «Nichtvorhandensein»
zens» in einer meditativen Methode, die mit dem allgemeinen Ausdruck des «Sitzens (wu ~), in welchem es kein Wahrnehmen («Sehen und Hören»), kein «Denken» und
in der Ruhe» (jing .zuo 'ff~) bezeichnet wurde. 16 Wie wir noch sehen werden, ist es überhaupt keine Tätigkeiten gibt, wodurch ein «göttlich-geistiger» Zustand des Her-
sehr bedeutsam, dass er diese Grundlage in einem daoistischen Zentrum fand. zens entsteht, aus dem heraus dann gutes Handeln möglich wird, Nie Baos Freund sah
Nie Bao verfasste einen Text unter dem Titel Kuo yan t!1!r (wohl als «Zusammen- durch dieses Vorgehen die Lehre Mengzis und damit auch jene Wang Yangmings vom
fassende \Vorte» zn verstehen), in welchem er über ein Gespräch mit einem Freund «Ausdehnen und Zur-Fülle-Bringen» der g'l1ten Regungen des menschlichen Herzens
während jenes Aufenthaltes im Cuiwei-Gebirge sowie über eine Begegnung mit Zou (der «Keime der Tugenden» oder des «ursprünglichen Wissens») in Frage gestellt
Shouyi vom darauffolgenden Frühling (1538) in der Hauptstadt der Präfektur Ji'an und sagte: «Wenn es so ist, dann ginge es also nicht darum, die eigenen <Vier Keime
(Luling) berichtet. 17 Diese « \Vorte» waren für ihn wahrscheinlich eine Art «Zusam- der Tugenden> (si duttn Q'.Yliffii) auszuweiten und so zur Fülle zu bringen (f,uo er chong
menfassung» der Ergebnisse seines jahrelangen Suchens nach einer ihn befriedigen- JJlii'iiJ't)?» In seiner Antwort bezog sich Nie Bao zur Rechtfertigung seiner Position
den vY,eise der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens». auf zwei Stellen aus dem konfuzianischen Kanon, die wir schon in der allgemeinen
Uber jenen Rückzug.. ins Cuiwei-Gebirge berichtet Nie Bao Folgendes: «Im Einleitung zitiert haben und die uns dann wiederholt begegnet sind. 18 Diese beiden
Jahre dingyou der Jiajing-Ara l1537] zog ich, weil ich krank war, für einige Monate kurzen Texte sind für Nie Bao grundlegend geworden. Der erste Text stammt aus dem
ins Cuiwei-Gebirge. Eines Tages, als ich [meditierend] auf dem Bettgestell meines «großen Anhang» (Xici) des «Buches der Wandlungen» und lautet: «Das Yi ( JJ,: der
alte_n Freundes Liu Zhongshan IJ i:p !1.J saß, berührte dieser meine Rücken und fragte: <·wandel> [gemeint ist hier der Ursprung allen Wandels, das Dao]) denkt nicht, macht
<Wie geht es in letzter Zeit mit deinem <Lernen>?> Ich antwortete: <Das <Nichtsehen nicht (wu si wu wei ~J:l\Hl!l~); es ist still ohne Tätigkeit (ji ran 1m dong ~?.!Ff Jh; wenn es
erregt wird, dann durchdringt es alles unter dem Himmel (gan er sui tong tian xia zhi
gu ~ji'ij~®,;li: T-zi&). Wenn es nicht im höchsten Maße göttlich wäre (zhi shen ~~),
14 Zum Ausdruck «Höhlenhimmel» siehe in der Einleitung zu' Icil Iden§ 1, S. 58. ' wie könnte es das!» 19 Der zweite Text stammt aus dem ersten Kapitel des Zhongyong
15 In die:em ?ebirge befindet si_ch auch eine Höhle, die «Höhle der Reinheit des Goldes» (Tinjingdong und lautet: «Wenn Liebe und Zorn, Trauer und Freude noch nicht entstanden sind,
~ffljfü]) heißt und an deren Emgangswand zahlreiche Kalligraphien eingemeißelt sind. Deren älteste heißt das die Mitte (zhong l'.fl); wenn sie sich maßvoll und geordnet äußern, heißt das
der Kulturgfücr des Ccbictes von Canzhou: Zhu Siwei
J:[ongkong 2000, S. 42.
*
stammt aus dem Jahr h111mg you rc11 eben ~i-ti:E!lR (1052). Zu diesem Gebirge siehe das Verzeichnis
,\füf: Gannan wenwu jijin ~i;:ii>C4?i11'Ulil,
Harmonie (he l□ ).» Auf diese beiden 'Texte anspielend antwortete Nie Bao seinem
Freund: «Dasjenige, was <nach der Erregung [alle Dinge j durchdringt> (gan er sui tong
16 Uber da_s «Sitzen in der Ruhe» schreibt Nie Bao in einem späteren Text: «Obschon das [ethische] ~ji'ij~®_), ist das <göttlich Geistige> (shen ~), es ist vielleicht nicht ein <[ursprüng-
rn
l,'.~1:°:en der Ruhe besteht (xue suijingye !/,\!iiiltffiHn), wird hier von <Ruhe, nicht im Gegensatz zur
liches] Wissen [im Sinne des moralischen Bewusstseins]> (wei zhi huo zhi zhe ye *Z
< 1attgkell> gesprochen (jingfei dui dang eryan fi'li~~~if)Jifü]'\f). <Es besteht Ruhe, weil keine Begierden
(Wünsche) ~orha_nden sind (wu yu gu jing fflHli:;i;J(ffil),, dieser Satz stammt von Lianxi [Zhou Dunyi, !ili ~'f[lli). Ein <[ursprüngliches] Wissen> [moralisches Bewusstsein] davon (zhi ci zhe
1017-~073, m semem Tongshu, Kap. 20]. Nachdem keine Begierden mehr vorhanden sind, ist man 9;11JIUI) wird <ein Beim-Wachsen-nachhelfen-Wollen> genannt; ein Vergessen (Nicht-
der Stille ohne Bewegung [d.h:, ohne bewegt zu werden] fähig (nengji mn bu dang /ill,f,ilft,\=fifJJ). Die
Snlle, ohne bewegt zu werden, 1st das 1-Ierz (der (;eist) von Himmel und Erde, nur sie ist der Zustand
bewussthaben) wird <nicht [künstlich] Machen> genannt (wang ci z;he wei zhi wu wie
l.s::Jl;~'f[~Z~~). Die Rede vom <Ausweiten und Zur-Fülle-Bringen> muss man auf
*~~>
der Zeit, in der <die Gefühle des \Nohlgefallens und des Zorns, der Trauer und der Freude noch nicht
entst.anden sind (wei fa [Z/10ngyong, Kap. 1]. Doch wie könnte der Anfänger in einem einzigen
Sch:1tt dahm gelangen! Sfäne Ubung (gonß J:~) mu.ss mit dem Sitzen in der Ruhe (jing zuo ffil~)
den Zustand <vor dem Entstehen [der Gefühle, der Funktionen des Geistes] (wei Ja
bcgmnen,.Nachdem \r wal:rend langer Zeit diese Ubung des ,Sitzens in der Ruhe> praktiziert hat,
*~)> beziehen und man muss hier zur Fülle bringen, bis das höchste Maß erreicht
wcrdei_i sc1'.1e _vitalen },nerg1en fest \IJi ding iii!JE). Nachdem die vitalen Energien fest geworden sind,
erschemt [m ihm] das Herz von Hnnmel und Erde (jian tian di zhi xin ~;li:::ttll.z,[>). Nachdem das
Herz von Himmel und Erde [in ihm] erschienen ist, kann von Lernen gesprochen werden.» Antwort
an Kangzi Yi :ti:'t ~, l,'ie Haoji, N,mjing 2007,.furm 8, S. 255. 18 Siehe oben in der allgemeinen Einleitung, S. 14 und S. 17.
17 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 13, S. 534f. 19 Yijing, Xici, 1.'Tcil, Kap. 10,
'il
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ist (ji qi liang liltA). Das ist die Bedeutung der <Lauterkeit> (jing ~), um dadurch und dass er nach den Opferfeiern seine neuen Gedanken über die «Verwirklichung des
die Funktionen [des Geistes] zu verwirklichen. Wenn man erst nach dem Entstehen ursprünglichen Wissens» «mit der Bitte um Berichtigung» (qing zheng ~ IE) vorlegte.
[der Gefühle, der Funktionen des Geistes] zur Fülle bringen will, dann ist man vom Nie Bao führt dann aus, dass sich Zou Shouyi zu den von ihm vorgebrachten Ansich-
Dao weit entfernt.»20 Nie Bao will also nicht in einem moralischen Bewusstsein (im ten ablehnend verhielt. In seiner Diskussion mit ihm kommen nicht nur seine neue
ursprünglichen «Wissen» im Sinne des Gewissens) die bereits hervorgetretenen guten Konzeption des «ursprünglichen Wissens», wie er sie im Gespräch mit seinem Freund
Gefühle (Keime der Tugenden) ausweiten und zur Fülle bringen, denn das wäre nach ausdrückte, sondern auch die Gründe, die ihn dazu führten, deutlich zum Ausdruck.
ihm ein «Beim-Wachsen-Nachhelfen», sondern er will den Ursprung solcher Gefühle Er schreibt: «Meister Dongkuo [Zou Shouyi] sagte dazu: <Das[, was Sie sagen] ist
vor ihrem Entstehen «zu seinem höchsten Maß» bringen, so dass dann das Handeln das Lernen des Zhongyong; es darf zur <Verwirklichung des [ursprünglichen] Wissens
zu einem geistig-göttlichen «Nichtmachen» (wu wei 1m~) wird, das kein «Wissen» durch das Berichtigen der Handlungen (Dinge, Geschäfte)> [im ersten Kapitel des
im Sinne des moralischen Bewusstseins in sich schließt. Nie Baas Freund fragte ihn Daxue] keine Differenzen aufweisen.> Ich antwortete: <Es stimmt damit völlig überein
dann, ob diese Auffassung nicht eher einer daoistischen oder buddhistischen Position (yi eryi -ji'ijB). Das <Verwirklichen des [ursprünglichen] Wissens> ist die höchste Er-
gleichkomme: «Wenn es so sein soll, haben dann nicht diejenigen recht, die heute das füllung des Maßes der Substanz unseres <ursprünglichen Wissens> (chongji wu liang zhi
Vergessen (Nichtbewussthaben) und Nichtwissen zum Leitsatz machen (yi wang yu ben t:i zhi liang Jeti~ IUll;iJ!;Hz:11.:), ohne dass darin die geringsten Behinderungen und
bu zhi wei zong .12.C'&.fli.PF~~*)?» Nie Bao antwortete: «Sollen das Überbleibsel von Verdeckungen hervorgerufen werden; es ist das <Verwirklichen der Mitte [vor dem
den Daoisten und Buddhisten sein! Diese haben zwar etwas vom <Nichtsehen und Entstehen der Gefühle]> (zhi zhong j(i:j:I), Das <Berichtigen der Handlungen (Dinge)>
Nichthören> verstanden, aber sie meiden die Rede von der <Achtsamkeit und Furcht- ist im Umgang mit den Dingen <das Durchdringen der Dinge der Welt in Folge der
samkeit>, weil sie meinen, dass diese das <Nichtsehen und Nichthören> beeinträchtige. Erregungen (gan er sui tong tian xia zhi g;u ~ffiBiil~"f Zi!&:)>; 24 es ist der Nutzen (li
Nur so erheben sie das Vergessen und Nichtwissen zum Leitsatz. Aber Achtsamkeit 5f;U) [jenes Verwirklichens der Mitte]. Doch die ethische Anstrengung (gong :i:JJ) besteht
und Furchtsamkeit sind nur dann Beeinträchtigungen, wenn sie im Sehen und Hören im <Verwirklichen des [ursprünglichen] Wissens>. Im <Berichtigen der Handlungen
geschehen; dann sind sie sicher Beeinträchtigungen der Substanz (Grundwirklichkeit) (Dinge)> haben wir nur den spontanen (natürlichen) wunderbaren Funktionen unseres
[des Herzens, Geistes]. Aber das betrifft nicht die <Achtsamkeit und Furchtsamkeit>, <ursprünglichen Wissens> zu folgen (yi ting wu liang zhi zi ran zhi miao yong -1!§ ~
die nicht im Bereich des Sehens und Hörens geschieht.»21 Nie Bao bezieht die «Acht- ~~~ZMlffl), ohne dabei unser <[ursprüngliches] Wissen [im Sinne des moralischen
samkeit und Furchtsamkeit» aus dem ersten Kapitel des Zhongyong, die von Wang Bewusstseins]> zu gebrauchen (erwu suo yong qi zhi yan ini1mJi.lrffllt~~).Jene, die das
Yangming und verschiedenen seiner Schüler als eine Weise der «Verwirklichung des Vergessen und Nichtwissen zu ihrem Leitsatz machen (bi yi wang yu bu zhi wei zong
ursprünglichen Wissens» angesehen werden, wie Zhu Xi allein auf die «Substanz des zhe fBlPJ.~~:;;Hll~*.ff) [nämlich die Buddhisten und Daoisten], haben davon etwas
Herzens», auf die «vom Himmel bestimmte Natur» (xing lt) des Herzens, noch bevor gesehen; wenn sie aber auch die <Achtsamkeit [beim Nichtsehen] und Furchtsamkeit
diese durch «Erregungen» (gan ~), das heißt durch die Affektionen von den Dingen, [beim Nichthören]> (jie ju Jtlt~) [hinsichtlich der Substanz des Herzens] vergessen,
irgendwelche intentionalen <Funktionen> des Fühlens, Wahrnehmens, Denkens und dann liegen sie falsch.> Meister Dongkuo [Zou Shouyi] sagte dazu: <Haben Sie auch
Handelns ausübt. über die Lehre vom <Berichtigen der Handlungen> fremdartige Nachrichten (yi wen
Seine neue Position machte Nie Bao ziemlich rasch in der Schule Wang Yang- ~~)?> Ich erwiderte: <Die Worte [Wang Yangmings] darüber sind noch in meinen
mings seiner Heimat publik. Er berichtet im zweiten Teil seiner «Zusammenfassenden Ohren, wie könnte ich sie vergessen! [Auch] ich redete einst vom <Berichtigen der
Worte» (Kuo yan t!i~), dass das Mitglied der Schule Wang Yangmings aus der Provinz Handlungen>, um dadurch unser [ursprüngliches] Wissen zu verwirklichen. Doch
ZhejiangJi Ben (Beiname: Pengshan, 1485-1563),2 2 der damals Vizepräfekt vonJi'an unter wechselseitiger Abhängigkeit von Argumenten und Absichten (dao li yi nian
war, für den 18. Tag des dritten Mondes des Jahres wu xu (16. April 1538) zu den xiang wei yi fa ffiJ,;.•~*~~~1-t) bin ich dabei im Verborgenen und Geheimen ins
Frühlingsopferfeiern für Wang Yangming in der von ihm für diesen errichteten «Ah- Übel der <nachgemachten (äußerlich angeeigneten) Gerechtigkeit> (yi xi ~~) und
nenhalle zum Gedenken an die Tugend» (Huaideci fflfli~) aufrief, dass er zusammen des ,Beim-Wachsen-Nachhelfens> (zhu zhang N.1-&) geraten und meinte noch, dass das
mit Zou Shouyi und anderen Mitgliedern der Schule23 diesem Aufruf Ji Bens folgte die wahre Leistung des <Berichtigens der Handlungen> und des <Verwirklichens des
[ursprünglichen] Wissens> sei. Darauf habe ich mein Herz erforscht, aber ohne es zu
verstehen und habe mich dagegen aufgelehnt (yi yi ni zhi P).•~z). Ich hatte Einsicht
20 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 13, S. 534. [in die Aussage Wang Yangmings], dass <das [ursprüngliche] Wissen die Substanz
21 Ebd. der Intentionen ist (zhi zhe yi zhi ti ~.ff'.l:zH)> und dass <die Dinge (Geschäfte) die
22 ZuJi Ben siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 8.
23 Nie Bao nennt neben Zou Shouyi namentlich noch fünf «Gleichgesinnte», die mir aber alle unbe-
kannt sind: Wu Nanxi fü ffi~, Guo Songya W mff, Gan Lianping i:t iilW, Wang Liangya 3: ffiff
und Ceng Huashan ~ ~lll (a.a.O., S. 534). 24 Yijing, «Großer Anhang», 1. Teil, Kap. 10.
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Funktionen (Anwendungen) der Intentionen sind (wu zhe yi zhi yong !l@~~.Zffl)>. 25 Bao], wenn er vorn <Verwirklichen des ursprünglichen Wissens> sprach, des Kleinkin-
Die <Handlungen> ,verden also aufgrund der <Verwirklichung des ursprünglichen des Lieben [der Eltern] und Achten [der älteren] Brüder als die eigentliche Gestalt
Wissens> <berichtigt> (zhi zhi nai suo yi ge wu ~9:Q.ß}'Jr P).ffi,WJ), und es ist nicht so, dass des <ursprünglichen Wissens> (liang zhi ben lai mian nzu &~□ 7-Jl;jJftffi gj ), erstrebte es im
das <Berichtigen der Handlungen> nicht vom <Verwirklichen des [ursprünglichen] Dienst an den Eltern und im Gehorsam gegenüber den iilteren Brüdern und fühlte,
'1Vissens> sprechen könnte. Das <Verwirklichen des [ursprünglichen Wissens]> ist wie dass er daran einen Halt hatte. [... ] Als er später [seit 15 31] zu Hause [inJiangxi] war,
das Klarmachen von Gewichts- und Längenmaß (jing qurm du ffi:tl/3'f); das <Berichtigen hat er immer, wenn er Gleichgesinnte [Schüler] empfing, in größter Konzentration
der Handlungen (Dinge)> ist wie das Anlegen der Norm an die Gewichte und Längen die Praxis der Pietät gegenüber den Eltern und des Respekts gegenüber den älteren
der Welt, wodurch diese ihre Regel erhalten. Im Lernen der Daoisten und Buddhisten Brüdern als die anwendbare wirkliche ethische Übung (gongfi1 J:)Jx_) hingestellt. Seit
ist das Gewichts- und Längenmaß klargemacht, aber sie halten die Gewichte und Län- dem.Jahr wuxu [1538] besaß er die Einsicht in die Bedeutung der Leere und Stille
gen [der Einzeldinge] für Behinderungen (zhang ill), geben sie auf und vernichten sie, der Substanz [des ursprünglichen Wissens] (you wu yu ben ti xuji zhi zhi 1[1~H17.Js;lffl
so dass das, was sie das Klare nennen, auch nicht vorhanden ist. Auf der anderen Seite Jilli:~.Z ~).» 30 Nie Bao hatte nach seinen Aussagen gegenüber Zou Shouyi selbst die
war cbs Lernen der fünf Tyrannen [in der Zeit der Streitenden Reiche] nur aufmerk- Erfahrung gemacht, dass im « Verwirklichen des ursprünglichen ViTissens» ein willent-
sam auf das Abmessen der Gewichte und Längen [der Einzeldinge] und wusste nicht liches Ausfiihren der eigenen guten Regungen oder Intentionen und ein willentliches
um das Klarmachen unseres eigenen Gewichts- und Längenmaßes, wodurch das, was Abweisen der schlechten zu einem 1..iinstlich erzwungenen und nicht zu einem natür-
sie die Längen und Gewichte nannten, die Regeln der Welt in Unordnung brachte. lichen und echt guten Handeln führt. Da er das «ursprüngliche Wissen» im Sinne des
Deshalb ist der Unterschied zwischen Konfuzianismus und Daoismus, zwischen den moralischen Bewusstseins dieser Intentionen hier nicht ausdrücklich nennt, kann man
[guten] Königen und den [üblen! 'Tyrannen und die seit [den alten Königen] Y.'lo und kann sich fragen, ob für ihn damals dieser Begriff wichtig war. Doch mehr oder weni-
Slnm tradierte ldee schon fast unsichtbar geworden.> Meister Dongkuo [Zon Shonyi] ger deutlich musste ihm damals dieser in der Schule vVang Yangmings geläufige und
sagte dazu: <Das Lernen muss sicher so sein, aber wenn Sie sagen, dass die Handlun- auch im damals bereits vorliegenden zweiten '!eil des Chzumxi lu oft vorkommende
gen (Gescbifte) spontane Funktionen seien und keiner Anstrengung bedürfen, so ist Begriff bekannt gewesen sein, und implizit war er in jener Willensanstrengung vor-
letztlich noch Unklares in diesen Worten.>» 26 ausgesetzt. lnclem Nie Bao sowohl gegenüber seinem Freund im Cuiwei-Gebirge als
Nach diesen Aussagen Nie ßaos gegenüber Zou Shouyi wollte er auch einmal auch gegenüber 7:ou Shouyi betont, dass das aus der «Fülle der Substanz» erfolgende
das «ursprüngliche \Vissen» irn «Berichtigen der Handlungen» verwirklichen, geriet Handeln «kein Wissen» sei, und das heißt wohl kein moralisches Wissen um Gut und
aber dadurch nur in ein ,<Nachmachen (äußerliches Aneignen) von Gerechtigkeit» Schlecht der eigenen Intentionen, setzt er diesen Begriff voraus. Seine Enttäuschung
(yi iXi ~li&) und in ein «Beim-Wachsen-Nachhelfen». Mit diesen zwei Ausdrücken gegenüber seiner bisherigen ethischen Praxis veranlasste ihn nach seinen «Zusam-
bezieht er sich auf Nlengzi, 27 und er versteht darunter ein forciertes, künstliches Han- menfassenden Worten» um 15 37 dazu, in seinem Herzen in eine ursprünglichere
deln im Gegensatz zu einem spontan aus dem Herzen erfolgenden guten Handeln. und tiefere Schicht, als es die Intentionen und ihr moralisches Bewusstsein sind, vor-
Wir wissen schon aus seinem in Teil I unserer Studie angeführten Brief von 1528 an zustoßen: Wie die Daoisten und Buddhisten kehrte er nun zur ruhigen «Substanz»
Wang Yangming, dass Nie Bao damals das «ursprüngliche Wissen» in Mengzis Sinn des Herzens bzw. des «ursprünglichen Wissens» vor ihren Intentionen (Funktionen)
der spontanen guten Gefühle vor allem in den Handlungen der kindlichen Pietät ge- und vor dem moralischen «Wissen» um diese Intentionen zurück, und er versuchte,
genüber den Eltern und des Respekts gegenüber seinem älteren Bruder verwirklichen diese ruhige «Substanz» in «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» zu «verwirklichen»,
wollte. 28 Diese Auffassung scheint er auch in den darauffolgenden Jahren vertreten das heißt, sie zum «höchsten Maß ihrer Fülle zu bringen». Dafür habe er in Aussagen
zu haben. Song Yiwang ~ -fi~, der seit 1530 sein Schüler war, 29 schreibt in seinem von Wang Yangming die Rechtfertigung gefunden. Die einmal erreichte Fülle der
«Lebenslauf>> von Nie Bao: «Seit dem Jahr ding hai [152 7] betrachtete der Lehrer [Nie «Substanz» des «ursprünglichen Wissens» bewirkte dann, wenn die äußeren Dinge
das Herz erregten (affizierten), ein spontanes und natürlich gutes Handeln in der Welt
ohne künstliches Forcieren durch den (vom Gewissen angestachelten) Willen. Ein
25 Chuanxi lu II, Nr. 137 (Brief an Gu Dongqiao). solches ideales Handeln in der Welt stellt Nie Bao als den Nutzen oder Zweck seiner
26 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 13, S. 534f. ethischen Anstrengung im Nichthandeln hin und sieht in dieser Zwecksetzung seinen
27 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2. Mengzi sagt an dieser Stelle, dass seine eigene Stärke darin liege,
seine «weite Lebensenergie zu nähren» (;yang wu hao ran zhi qi if\lef>!Mz~), und bemerkt, dass Unterschied zu den Daoisten und Buddhisten, welche die Dinge und Geschäfte der
diese «Lebensenergie» (qi ~) «durch Sammeln von Gerechtigkeit entsteht und nicht durch ein Welt als «Hindernisse» für ihre Ziele aufgeben. Zou Shouyi war nicht einverstanden,
Nachmachen von Gerechtigkeit (;yi xi ~f/1) erworben werden kann». Dann erzählt er die Geschichte dass das gute Handeln in der Welt rein spontan sein muss. Er hielt als getreuer Schüler
vom dummen Bauern aus dem Lande Song, der seinem Getreide durch Hochziehen der Halme beim
Wachsen helfen will: siehe oben in der allgemeinen Einleitung,§ 4, Abschnitt a).
28 Siehe oben, Teil I, Kap. 3, § 5, S. 202f.
29 Wu Zhen 2001, S. 303. 30 Nie Bao ji, Nanjing 2007, Fulu, S. 648.
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\Vang Yangmings an einer «Anstrengung» (gong J:j]) in diesem Handeln, das heißt an man diese dann im plötzlichen Sehen eines in den Brunnen fallenden !<.indes oder nicht
einer willentlichen Anstrengung aufgrund des moralischen Bewusstseins fest. Nie vielmehr im Wiederherstellen (fu ~) [der <Natur>] unseres Herzens suchen, welches
Bao scheint über Zou Shouyis abweisende Haltung enttäuscht, ja verbittert gewesen [das Leiden] anderer Menschen nicht erträgt! \Nenn man nach jener Liehe und jener
zu sein, 31 und dieser war wohl über diese Umdeutung von Wang Yangmings Lehre Achtung strebt, muss man diese dann im Nichtüberlegen des Kleinkindes oder nicht
durch jemanden, <ler diesen seinen Lehrer nannte, aber nie wirklich sein Schüler vielmehr in der Reinheit und Einheit <vor dem Entstehen der Gefühle> (wci Ja *~)
gewesen war, aufgebracht. Da Nie Bao weiterhin unerschütterlich an seiner neuen suchen! Wenn man im Alleinsein den Ursprung aller Veränderungen betrachtet (du
«häretischen» Auffassung der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» festhielt, guan wttn hua zhi yuan ~lUitfl:'.,;z~), <anzuhalten weiß und fest ist> (zhi zhi er ding ~J.l::.
scheinen sich die Beziehungen zwischen den beiden sehr abgekühlt zu haben. ji'ijJE), 34 dann sind die Fähigkeiten für die Geschäfte in der Welt bereitgestellt.» 35 Nie
Nie Bao propagierte seine neue Auffassung und fand in der Schule Wang Yang- Bao gibt hier zu verstehen, dass eine ethische Praxis, die nicht die Ruhe der «Natur»
mings nicht nur Ablehnung, sondern auch Zustimmung. Das zeigt ein Text, den er oder der «Substanz» zu ihrem Fundament macht, Gefahr läuft, das durch die «Ge-
etwa ein Jahr später, wohl Anfang 1539, verfasste. Zwei untereinander engbefreundete wohnheit» verfcwmte «Wissen», als die «wunderbaren Funktionen des <ursprünglichen
Schüler Wang Yangmings aus dem Kreis Ningdu $:W, wo sich das Cuiwei-Gebirge Wissens> zu betrachten». Hier versteht er das «urspriingliche Wissen» im Sinne der
befindet, waren mit Ehrengeschenken am 15. Tag des zehnten Mondes des Jahres wu xu spontanen guten 'Iendenzen von Mengzi, anerkennt aber solche 'Iendenzen bei den
(8. November 15 38) bei Nie Bao eingetroffen und bei ihm «mehrere Monate» geblie- gewöhnlichen Menschen nicht, sondern sieht sie erst durch seine ethische Praxis der
ben. Beim Abschied schrieb Nie Bao für einen dieser Freunde einen «Text zum Geleit», Versenkung in die ursprünglich ruhige «Natur» des Herzens, das heißt in die «Sub-
in welchem er seine Auffassung der «Verwirklichens des ursprünglichen Wissens» als stanz» des «ursprünglichen Wissens>>, gewährleistet. Diese «Substanz» muss noch
«Rückkehr 7,ur \Vurzel (Ursprung)» des Herzens zum Ausdruck bringt: 32 <«Wenn der vor allen Erregungen und Handlungen (wei fa *~) «wiederhergestellt», das heißt
Mensch entsteht [d.h. von seiner <Natur, her], ist er ruhig (jing ffl!).,B Nicht sehen «genährt», und dadurch «zu ihrem höchsten 1vlaß gebracht werden». Nie Bao denkt
und nicht hören, achtsam und furchtsam sein, um so zur Wurzel (Ursprung) zurück- diese «Substanz» in quantit,1tiven Begriffen als mehr oder weniger großes Vermögen;
zukehren (p;ui gen !i\iffi), das ist der Grundsatz der <Verwirklichung des ursprünglichen er denkt sie mit dem Begriff der «Lebenskraft» oder «geistigen Energie» (qi ~), die
Wissens,. Die Leute der \Veit, die vom <Flören und Sehen> gefesselt sind, betrachten ein größeres oder geringeres Maß zulässt. So kann er bei der Auslegung einer Stelle
den wechselnden Fluss der Intentionen (yi nian liu zhuan ~;iJfüff) als wunderbare aus dem Buch Mengzi, in der vom «Nähren der Lebenskraft» (yang qi =itlO die Rede
Funktionen !des <ursprünglichen Wissens>], und so wird bei ihnen schließlich die <Be- ist, 36 schreiben: «Das Nähren der Lebenskraft ist das Niihren des Herzens (yang xin
richtigung der Handlungen> (gc wu *!J@) zu einem <Nachmachen von Gerechtigkeit> (yi :f:.t,t,,). Es aufrichtig nähren, ohne ihm Schaden zuzufügen, das ist das Zentrum des
.xi~~). Die beiden Herren [aus Ningdu] waren mit meinen Überlegungen in tiefem Lernens von Mcngzi.» 37 Die ethische Praxis der «Verwirklichung des ursprünglichen
Einverständnis. Denn wenn inan die <Natur> (xing 11) [d.h. die Substanz] des [Herzens] Wissens» darf sich nach ihm nicht auf die Regungen und Intentionen des Mitleids,
beiseite lässt, betrachtet man meistens ein durch Gewohnheit entstandenes Wissen (xi der Liebe, der Ehrfurcht usw. richten und sich mit ihnen befassen, sie geschieht nicht
zhi ~~) als das <ursprüngliche Wissen>. Die <Natur> ist ruhig, sie ist still, ohne tätig in der «Verwirklichung der Handlungen», sondern sie richtet sich allein auf die allen
zu sein. Wenn sie dann erregt wird und [die Dinge] durchdringt und zum Beispiel Regungen, Intentionen und Handlungen vorangehende «stille Substanz» oder «ruhige
beim plötzlichen Sehen eines in einen Brunnenschacht fallenden Kindes Furcht und Natur» des Herzens. Wenn diese «Substanz» durch eine meditative Methode der Stille
Mitleid fühlt oder schon bei Kleinkindern, ohne zu überlegen, [die Eltern] liebt und einmal zu ihrer höchsten Fülle oder Kraft gebracht worden ist, dann werden die guten
[die älteren Brüder] achtet, ist da etwa die geringste menschliche Anstrengung (ren li Regungen des Herzens und die Handlungen als die «Funktionen» dieser «Substanz»
},,_;)J) vorhanden! Wenn man daher nach jener Furcht und jenem Mitleid strebt, muss von selbst in Vollkommenheit aus dieser reichen Quelle hervorströmen. Mit anderen
Worten: Es geht Nie Bao darum, die Disposition oder Fähigkeit im menschlichen
Herzen zu guten Gefühlen und guten Handlungen zu vergrößern oder zu stärken.
31 Siehe das Ende seiner «Zusammenfassenden Worte», Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 13, S. 53 5. Das Eigentümliche seiner Lehre liegt darin, dass die Stärkung oder Vergrößerung
32 Die obigen Angaben macht Nie Bao in diesem «Geleittext», Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 4, S. 83f.
Er gibt dort auch die Namen dieser beiden Freunde an: Lai Yuan ffi jf; (Beiname: Mengyan ~.11/l!) dieser Disposition oder Fähigkeit nicht durch die Förderung (Übung) der aktuellen
*
und LiJinglun k,ll!~ (Beiname: Mengquan ~~). Dass sie beide Schüler Wang Yangmings waren,
ist sowohl diesem «Geleittext:>> als auch einem kurzen Lebenslauf, den Nie Bao für den Vater von
Gefühle und Handlungen geschehen soll, in denen diese Disposition oder Fähigkeit in
Erscheinung tritt, sondern durch die Förderung dieser Disposition in der Ruhe oder
LiJinglun, Li Pei (1474--1528), geschrieben hat, zu entnehmen: «Lebenslauf von Yunshi shanren»,
a.a.O.,jtutn 7, S. 216. Dieser LiJinglun (Großjährigkeitsname: Chengfu) ist wohl nicht identisch mit
LiJinglun (Großjährigkeitsname: Dajing), der im Kreis Nanfeng, etwa hundertzwanzig Kilometer
nördlich von Ningdu, wohnte und der ein Gegner der Lehre Wang Yangmings war. Siehe MRXA, 34 Daxue, 1. Kap.
juan 52, Beijing 1985, S. 1254ff. 35 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 4, S. 84.
33 Zitat aus dem 19. Kap. (über die Musik) des «Buches der Sitte» (Xiao Dai Li ji): siehe oben in der 36 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2: «Ich verstehe meine flutende Lebenskraft zu nähren.»
allgemeinen Einleitung, S. 18f. 37 Kun bian lu, Bian sben mMi, Nie Bao ji, Nanjing 2007,jtutn 14, S. 601.
II

532 533

in der Latenz, das heißt vor ihren Aktualisierungen, zu erfolgen hat. Diese Lehre wird ursprünglichen Wissens» durch die «Rückkehr zur Stille» mit einer Interpretation
bei anderen Schülern Wang Yangmings viel Kritik hervorrufen. Nie Bao formulierte des konfuzianischen Daxue und mit der Bezugnahme auf den Konfuzianer Chen
sie zehn Jahre später, als er 1548 im Gefängnis saß, in seinem Werk Kun bian lu lzls!M Xianzhang (Beiname: Baisha, 1428-1500), der in der ethischen Praxis die Stille her-
~ («Aufzeichnung von Unterscheidungen in der Not») umfassend aus und versuch- vorhob und der Lehrer von Wang Yangmings Freund Zhan Ruoshui42 war, Autorität
te, sie durch viele Autoritäten zu rechtfertigen. Er veröffentlichte dieses Werk 1550 zu verschaffen. Zwischen Herbst 1542 und Frühling 1543 ist wohl auch sein großer
nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Diese Lehre kam auch deutlich in seinen Briefwechsel mit Ouyang De über die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
Diskussionen mit Ouyang De, die wahrscheinlich schon 1542/43 stattfanden, und mit entstanden, auf den wir im nächsten Paragraphen eingehen werden. 1543 wurde Nie
WangJi in denJahren 1557 bis 1559 zur Geltung. Diesen Diskussionen werden wir Bao zum Vizekommissar für die Nachbarprovinz Shenxi ernannt, um den großen
uns in diesem Kapitel noch ausführlich widmen. Militärbezirk von Tongguan >allffi im Südosten der Provinz zu kontrollieren, aber
Nach Huang Zongxis (1610-1695) «Dokumenten der Konfuzianer der Ming- er hat diesen Posten wahrscheinlich nie angetreten. Denn er ersuchte wohl nach der
Dynastie» (MRXA), welche die philosophiegeschichtlichen Meinungen der späteren Ernennung um Urlaub und ist noch 1543 nach Hause zurückgekehrt. 43 Dort hatte er
Jahrhunderte dominierten, soll Nie Bao erst in seiner Gefängniszeit von 15 48 auf diese direkte Kontakte mit den berühmten Mitgliedern der Schule Ouyang De, Zou Shouyi
Lehre gekommen sein. Huang Zongxi schreibt: «Seine [Nie Baos] Lehre entstand in und Luo Hongxian.
der langen Muße und größten Ruhe des Gefängnisses, indem er plötzlich Einsicht in 1545 starb seine um ein Jahr jüngere Frau. Dieser Ehe waren keine Kinder
die wahre Substanz des Herzens erlangte [... ].Als er [Ende 1548] aus dem Gefängnis entsprossen. Nie Bao hatte aber aus dem engeren und weiteren Kreis seiner Familie
kam, stellte er für diejenigen, die bei ihm lernen wollten, eine Methode des Sitzens in drei Söhne adoptiert. Einer dieser Adoptivsöhne war NieJing ffil, ein leiblicher Sohn
der Ruhe auf (jing zuo fa ffil~~) und wies sie an, zur Stille zurückzukehren (gui ji ~;ffi'l), seines Bruders Nie Hong.
um dadurch die Erregungen [durch die Dinge] durchdringen zu können, [d.h.,] die In der Zeit seiner Beurlaubung seit Ende 1543 wurde seine eigene Auffassung
Substanz des Herzens festzuhalten, um dadurch in den Tätigkeiten (Funktionen) [den von der « Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» durch die «Rückkehr zur
jeweiligen Situationen] entsprechen zu können.»38 Die oben angeführten Texte Nie Stille der Substanz vor der Erregung der Gefühle» in seiner Heimatpräfektur Ji'an
Baos und sein von seinem Schüler Song Yiwang verfasster «Lebenslauf» sowie andere allgemein bekannt. Zu seinem sechzigsten Geburtstag' fand im Februar 1547 eine
Dokumente39 zeigen aber, dass er schon 1537/38, als er etwa fünfzigJahre alt war, zu sei- Versammlung von Gelehrten im Qingyuan-Gebirge, dem Zentrum der Schule Wang
ner eigenenAuffassungvon der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» kam. Wu Yangmings von Ji'an, statt, die wohl von Zou Shouyi geleitet wurde. Während Luo
Zhen, der in seiner Studie von 2001 über Nie Bao und Luo Hongxian dies richtiggestellt Hongxian sich mit Nie Bao einig fühlte, äußerte sich Zou Shouyi in einer Schrift zu
hat, schreibt, dass hinter der chronologisch falschen Darstellung Huang Zongxis wohl diesem Geburtstag gegenüber Nie Baos Auffassung kritisch. Wir werden daraus im
die verbreitete Vorstellung stand, dass, so wie bei Wang Yangming, eine tiefe Einsicht in übernächsten Paragraphen(§ 3) zitieren.
der Lehre durch eine besonders schwierige Situation, wie dies bei Nie Bao die falsche Wahrscheinlich 1546 wurde Nie Bao ungetreuer Geschäftsführung während
Anklage und die Inhaftierung von 1547/48 waren, bedingt sein müsse. 40 seiner Zeit als Präfekt von Pingyang angeklagt. Er wurde Ende 1547 verhaftet und
Am 20. September 1541 wurde Nie Bao zum Präfekten von Pingyang 5fl-lll, der ins Gefängnis der «Brokatgewand-Garde» (jin yi wei til:&ffi) nach Peking gebracht.
Präfektur im Südwesten der Provinz Shanxi llliffi, ernannt. Er traf dort am 4.Januar Zur Zeit seiner Verhaftung war Nie Bao fast mittellos und musste von einem Freund
1542 (am 16. Tag des zwölften Mondes des Jahres xin chou) ein. 41 Er hatte vor allem finanziell unterstützt werden. 44 Hinter dieser Verhaftung stand Xia Yan (1482-1548), 45
militärische Aufgaben zu bewältigen, da damals der mächtigste der Mongolenfürsten, der damals Großsekretär war und mit einem anderen Großsekretär, Yan Song
Altan (1507-1582), von Nordwesten her große Plünderzüge in die Provinz Shanxi (1480-1565), 46 rivalisierte, mit dem Nie Bao seit seinem Erwerb des jinshi-Grades
unternahm. Nie Bao befestigte Pässe im Norden der Präfektur und überwachte die im Jahr 1517 verbunden war. Xia Yan hatte 1545 wieder das Vertrauen des Kaisers
Ausbildung von Elitetruppen, so dass schließlich die Einfälle in die Präfektur verhin- gewonnen und war zu Macht gelangt; er versuchte, die Gefolgsleute seines Rivalen
dert werden konnten. Vom Winter 1542/43 an hatte er genügend Muße, um seine
<<Ansicht über die alte Fassung des Daxue» zu verfassen und «Einleitende Worte von
[Chen] Baisha» zusammenzustellen. In diesen Schriften, von denen nur noch Zitate
erhalten sind, versuchte er wohl, seiner Auffassung von der «Verwirklichung des 42 Siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 69f.
43 Nie Bao schreibt in der «Grabinschrift» für seine 1545 verstorbene Frau aus dem Geschlecht der
Song $t: «Im Jahr gtti m,10 [1543] wurde ich zum Vizekommissar ernannt. Ich reichte ein Gesuch ein,
kehrte nach Hause zurück und fand, dass die Gestalt meiner Frau noch bewahrt und ihre Knochen
38 MRXA,juan 17, Beijing 1985, S. 372. noch aufrecht waren.» Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 6, S. 153.
39 Luo Hongxians erstes Vorwort zum K:un bian tu. 44 Nach Dokumenten, die von Wu Zhen in seinem Werk von 2001 vorgelegt werden.
40 Wu Zhen: Nie Bao Luo Hongxian pingzhuan, Nanjing 2001. 45 Zu Xia Yan siehe oben den Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 40.
41 Pingyangfu ren wu timingji, Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 5, S. 115. 46 Zu Yan Song siehe oben den Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 40f.
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auszuschalten. Die «Brokatgewand-Garde», die zu Beginn der Ming-Dynastie zum Amt antreten konnte, wurde er Anfang 15 51 zum Vizeminister des Kriegsministe-
Schutz des Kaisers geschaffen wurde, war im Lauf der Zeit zu einer Geheimpolizei des riums befördert. Im Sommer und Herbst 1550 hatte der Mongolenfürst Altan die
Kaisers geworden, mit der dieser alle zivilen und militärischen Beamten zu bespitzeln Hauptstadt bedroht und ihre Umgebung geplündert; im September dieses Jahres
und zu kontrollieren versuchte. Sie konnte unter Umgehung des Justizministeriums kampierten seine Truppen fünf Kilometer von Peking entfernt. 51 Darauf wurde die
(xing bu Jfd$) Beamte verhaften und mit kaiserlicher Genehmigung einkerkern. Im Verteidigung von Peking reorganisiert, und Nie Bao erhielt die Aufgabe, die neun
Gefängnis kann es Nie Bao aber nicht allzu schlecht ergangen sein, denn er war in Stadttore von Peking zu kontrollieren. Danach war er im Rat der Militärverwaltung
guten Beziehungen mit dem Gefängnisaufseher Dai Bochang ~ fäffi", mit dem er lan- der Truppen der Hauptstadt. 1552 wurde er zum Kriegsminister ernannt. Wahrend
ge philosophische Diskussionen führte. 47 Im Gefängnis verfasste Nie Bao auch seine er Kriegsminister war, drang Altan im Herbst 15 53 wieder in die Provinz Shanxi ein,
größte Schrift, das Kun bian tu filsl)JUl («Aufzeichnungen von in der Not getroffenen besiegte mancherorts die chinesischen Verteidiger und plünderte weite Gebiete der
Unterscheidungen»). Ein Abschnitt dieses Werkes («Unterscheidungen der Mitte»: Provinz. Die Berichte Nie Baos an den Thron verharmlosten die Lage und strichen
Bian zhong JJ$i:j:l) enthält unter dem Titel «Meister Zhus Festlegung der Lehre nach einige chinesische Erfolge hervor. Diese Verharmlosung war wohl ein Selbstschutz,
seiner Einsicht» ausführliche Zitate von Zhu Xi (1130-1200), mit denen Nie Bao zu denn im Oktober 1550 war der ihm vorangegangene Kriegsminister Ding Rukui
zeigen versucht, dass auch diese Autorität des Konfuzianismus in der ethischen Pra- T ~~ wegen der ihm angelasteten Schwäche der chinesischen Truppen geg·enüber
xis das Schwergewicht auf die Ruhe des Geistes im Zustand vor dem Entstehen der der mongolischen Bedrohung Pekings hingerichtet worden. 52 Nie Bao wurde 1553
Gefühle (wei fa *~) legte. Im Herbst 1548 fiel Großsekretär Xia Yan auf Betreiben durch den Titel des «zweiten Beschützers des Kronprinzen» und 15 54 durch die Titel
seines Rivalen beim Kaiser in Ungnade und wurde am 31. Oktober dieses Jahres hin- des «zweiten Tutors des Kronprinzen» und des «obersten Beschützers des Kronprin-
gerichtet. Darauf wurde Nie Bao aus dem Gefängnis entlassen. Anfang 1549 kehrte zen» geehrt. Doch die andauernden Misserfolge gegenüber den sich wiederholenden
er nachJiangxi zurück. Mongoleneinfällen in der Provinz Shanxi und auch noch die verheerenden Plünde-
Die Zeit vom Frühjahr 1549 bis Ende 15 50 verbrachteNie Bao wieder zu Hause rungen der Küstengebiete durch japanische und andere Piraten, die sogenannten
im Kreis Yongfeng. Er veröffentlichte damals sein Kun bian tu und hatte besonders Wokou 1ift&, die um 1554 einen Höhepunkt erreichten, konnten dem Kaiserhof
engen Kontakt zu Luo Hongxian, auf den er damals sehr großen Einfluss ausübte nicht verborgen bleiben. Nie Bao wurde 15 5 5 schließlich von seinem Ministerposten
und der ein Vorwort und ein Nachwort zu diesem Werk verfasste. Er besuchte auch entlassen. Es war ihm als Kriegsminister keine Genugtuung durch Erfolge vergönnt.
Zou Shouyi in Anfu. 48 Es fand damals zudem eine Versammlung der Anhänger Wang Die offizielle Geschichte der Ming-Dynastie urteilt, dass er diesem Posten nicht
Yangmings in Xuantan 31.:~ im Kreis Jishui statt, in welchem Luo Hongxian wohn- gewachsen war.
te.49 In dieser Versammlung wurde Nie Baos Auffassung diskutiert; die meisten der Während Nie Bao 15 51 bis 15 55 in Peking Minister war, unterrichtete er keine
Anwesenden pflichteten ihr allerdings nicht bei. Schüler. Doch leitete er im Frühjahr 1553 zusammen mit Ouyang De und Cheng
Im Herbst des Jahres 1550 wurde Nie Bao vom Minister des Ritenamtes Xu Wende die große Lehrversammlung, die XuJie (1503-1583), der 1552 Großsekretär
Jie (1503-1583),5° der zwischen 1520 und 1524 in Huating (Präfektur Songjiang) geworden war, im daoistischen Lingji-Tempel ffllilf'ß' in der westlichen Vorstadt Pe-
sein Schüler gewesen war, für Ämter empfohlen. Er wurde zuerst zum Zensor für kings organisierte. 53
Gebiete der direkten Verwaltung von Nanking ernannt. Doch bevor er noch dieses Nach seiner Absetzung im Jahr 15 55 kehrte Nie Bao in den Kreis Yongfeng an
seinen Wohnsitz zurück. Er war damals achtundsechzig Jahre alt. Die letzten Jahre
seines Lebens verbrachte er zu Hause. Er hatte wieder Kontakte mit den anderen
Anhängern Wang Yangmings der Präfektur Ji'an. So traf er 1558 Zou Shouyi, Luo
47 Diese Diskussionen sind in schriftlicher Form in den «Gesammelten Schriften» Nie Baos enthalten, Hongxian, Liu Bangzai und andere «Gleichgesinnte» in einer Versammlung in der
und zwar unter dem Titel «Antworten an Dai Bochang oder Antworten während des Aufenthaltes
im Verborgenen», Nie Bao ji, Nanjing 2007 ,juan 10, S. 316-3 69. Über Dai Bochang siehe Wu Zhen Fugu-Akademie, einen Kilometer südlich von Anfu, die von Zou Shouyi geleitet
2001, S.100,Anm. 2. wurde. Seine wichtigste philosophische Leistung dieser letztenJahre war seine große
48 Siehe den Brief von Zou Shouyi an Nie Bao, Zou Shouyi ji, Nanjing 2007, S. 542. schriftliche Auseinandersetzung mit Wang Ji über die«Verwirklichung des ursprüng-
49 Wu Zhen identifiziert diese Versammlung von Xuantan ~- mit derjenigen in Chongxuan )lt,~ (auch
«Chonyuan )lt,jj";» genannt) von 1549 (Wu Zhen 2001, S. 314f.). Xuantan und Chongxuan sind aber lichen Wissens», der die §§ 4 bis 6 dieses Kapitels gewidmet sind. Sie fand zwischen
zwei weit voneinander entfernte Orte. Der erste gehörte zur Präfektur Ji'an, während sich Chongxuan 1557 und 1559 statt. Ihr erster Teil wurde schon 1558 von einem seiner Schüler ver-
im Longhu-Gebirge befindet und zur Präfektur Guangxin im Nordosten der ProvinzJiangxi gehörte.
Soweit ersichtlich, nahm Nie Bao an der Versammlung von Chongxuan nicht teil: vgl. unten in Kap.
4 den§ 1, S. 633.
50 XuJie wurde später Erster Großsekretär (siehe oben im Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 43f.)
und war das in politischer Hinsicht wohl einflussreichste Mitglied der Schule Wang Yangmings. Er 51 Siehe den Artikel von Lienche Tu Fang über Qiu Lang, DMB, S. 252-25 5.
förderte auch die Veröffentlichung der Werke Wang Yangmings; siehe oben den Anhang der Einlei- 52 Siehe den Artikel von Kuan-wai So über Yan Song, DMB, S. 1589.
tung zu Teil I, S. 119f. 53 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 1, S. 278.
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öffentlicht. 54 Im Dezember 15 62 kam es zu einem persönlichen Treffen zwischen ihm «Die Stille ist der Charakter des Himmels (tian zhi de 5'i:Zfl), es ist die <Mitte vor
und Wang Ji, als dieser in die Präfektur Ji'an kam, hauptsächlich um Luo Hongxian dem Entstehen [der Gefühle]>, es ist das <Lernen, das dem Himmel vorangeht>.»ss
zu besuchen. 55 Im Winter 1561/62 erkrankte Nie Bao an den Atemwegen, und «sein Die Kritiker Nie Baos aus seiner eigenen Provinz beriefen sich nicht auf ein «dem
Geist wurde unruhig». Im Spätherbst 1563 brach seine Erkrankung erneut und mit Himmel vorangehendes Lernen».
Heftigkeit aus, und am 19. November dieses Jahres (am 4. Tag des elften Mondes des Von den Landsleuten Nie Baos haben sich nicht nur Zou Shouyi und Ouyang
42. Jahres der Jiajing-Ära) starb er. Zur Zeit seines Todes war seine Familie so arm, De gegenüber Nie Baos Auffassung der«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
dass sie nicht einmal die kondolierenden Besucher bewirten konnte. Die Erwähnung kritisch geäußert. Huang Zongxi nennt in seinen «Dokumenten der Konfuzianer der
dieser Tatsache in den Dokumenten will zeigen, dass Nie Bao unbestechlich war und Ming-Dynastie» (MRXA) als Kritiker Nie Baos an erster Stelle Wang Ji und danach
sich in seinen hohen Ämtern nicht bereicherte. Seine Grabinschrift wurde von seinem vier seiner Mitschüler aus Jiangxi, nämlich Huang Honggang (Beiname: Luocun,
Schüler und damals Ersten Großsekretär Xu Jie geschrieben. 56 1564, ein Jahr nach 1492-1561), ChenJiuchuan (Beiname: Mingshui, 1495-1562), Zou Shouyi und Liu
seinem Tod, wurden Nie Baos Schriften in vierzehn «Büchern» (juan) von einem Wenmin (Beiname: Liangfeng, 1490-1572).59 Merkwürdigerweise übergeht er die
seiner Schüler veröffentlicht. 57 sachlich bedeutendste Kritik aus der Schule vonJiangxi an Nie Bao, nämlich diejenige
von Ouyang De.
§ 2 Die große Diskussion zwischen Nie Bao und Ouyang De Die drei Kritiken an Nie Baas Auffassung, die wir in diesem Kapitel darstellen,
in der Zeit um 1542/43: «ursprüngliches Wissen» als unterscheiden sich in ihrem Stil sehr stark voneinander: Die Kritik Ouyang Des wurde
«Substanz» oder «Vermögen» versus «ursprüngliches Wissen» in einem privaten Briefwechsel mit Nie Bao geäußert, der ihm aus eigener Initiative
als «allein Wissen» (Gewissen) seine Auffassung der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» zur Beurteilung
schriftlich vorgelegt hatte. Sie ist ausgesprochen freundschaftlich und sachlich und
Bevor wir uns den Diskussionen zwischen Nie Bao und Wang Ji von 1557 bis zeigt für das Anliegen des Kritisierten großes Verständnis. Zou Shouyi ging es in sei-
15 59 zuwenden, die das Hauptthema dieses Kapitels bilden, wollen wir die schon ner Kritik vor allem um die Bewahrung der Einheit der Schule in Jiangxi. Er setzte
viel früher einsetzenden Kritiken von zwei «Gleichgesinnten» Nie Baos aus der den «Häretiker» großem sozialem Druck aus und kritisierte ihn ziemlich harsch, vor
Präfektur Ji'an studieren, nämlich in diesem Paragraphen diejenige von Ouyang allem in Versammlungen der Schule inJiangxi. Wang Jis schriftliche Debatte mit Nie
De und im nächsten (§ 3) diejenige von Zou Shouyi. Die Kritik seiner Landsleute Bao, der damals den hohen sozialen Status eines Exministers innehatte, wurde vom
in der Präfektur Ji'an begann schon viele Jahre vor jenen Diskussionen mit Wang damaligen zweiten Sudienkommissar in Jiangxi Wang Zongmu, der aus der Provinz
Ji; diejenige von Ouyang De wohl schon 1542/43. Die Kritik seiner Landsleute Zhejiang stammte und auch zur Schule Wang Yangmings gehörte, provoziert. Es war
unterscheidet sich auch von derjenigen Wang Jis. Denn obschon die Positionen gewissermaßen die Heranziehung des angesehensten Experten der Schule außerhalb
von Nie Bao und Wang Ji sich in vielem widersprechen, sind sie doch in einem der Provinz Jiangxi, nachdem man mit dem «Häretiker» innerhalb dieser nicht ins
Punkt verwandt: Beide wollen in der «ethischen Übung» nicht das moralis.che Reine zu kommen vermocht hatte.
Bewusstsein der eigenen Intentionen (das «ursprüngliche Wissen» in seiner von Zwischen Nie Bao und Ouyang De gibt es einen gedanklich sehr reichhaltigen
uns unterschiedenen zweiten Bedeutung) und die willentliche Anstrengung im Briefwechsel über Nie Baos Auffassung der «Verwirklichung des ursprünglichen Wis-
Handeln gemäß diesem Bewusstsein, sondern das «eigentliche Wesen» bzw. die sens». Er umfasst zwei große Briefe Nie Baos an Ouyang De60 und drei große Briefe
«Substanz» des Herzens (Geistes) zur Grundlage ihrer «ethischen Übung» ma- Ouyang Des an Nie Bao. 61 Es ist nicht leicht, diesen Briefwechsel zu datieren; nach
chen und nennen daher ihre Weise der <<ethischen Übung» ein «Lernen, das dem äußeren Indizien zu schließen begann er wohl im Herbst 1542, als Nie Bao Präfekt
Himmel vorangeht» (xian tian zhi xue .$t3cZ~), im Sinne eines «Lernens», das von Pingyang in der Provinz Shanxi war, und dauerte bis 1543, bevor Nie Bao wie-
den entstandenen Intentionen, das heißt den Gefühlen, Gedanken und psychi-
schen Aktivitäten, vorangeht. Diesen Wesenszug von Wang Jis Vorgehen in der
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» haben wir oben in Kapitel 1 die-
ses Teils dargestellt (§ 5). Nie Bao schreibt in seinen Diskussionen mit Wang Ji: 58 «Antwort an Longxi (= WangJi)», S. 52b; zitiert bei Wu Zhen 2001, S. 86.
59 MRXA,juan 17, Beijing 1985, S. 373.
60 Es sind dies der zweite und dritte Brief Nie Baas an Ouyang De in Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 8,
s. 239-249.
61 Diese drei Briefe befinden sich in den «Gesammelten Schriften» Ouyang Des in chronologischer
54 Wu Zhen 2001, S. 324 und S. 330. Unordnung, obschon in ihnen die Briefe chronologisch angeordnet sein sollen. Der erste Brief befin-
55 Siehe unten in Kap. 4 den§ 9. det sich in der Neuausgabe von 2007 injuan 5 (Briefe zwischen 1551 und 1554) auf S. 185-190, der
56 Enthalten in Nie Bao ji, Nanjing 2007, S. 635-638. zweite Brief in juan 4 (Briefe zwischen 1546 und 15 51) auf S. 131-13 3, und der dritte Brief in juan 5
57 Wu Zhen 2001, S. 75f. aufs. 191-195.
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der nach Hause in den Kreis Yongfeng zurückkehrte. 62 Während dieser ganzen Zeit (quren-Grad) bestanden. 64 Vermutlich war es Ouyang De gewesen, der 1526 Nie Bao
wohnte Ouyang De zu Hause in seinem Kreis 1aihe innerhalb derselben Präfektur veranlasst hatte, Wang Yangming in Shaoxing aufzusuchen. So fühlte sich Nie Bao
Ji'an wie Nie Baos Kreis Yongfeng. 63 Nie Bao und Ouyang De waren schon seit jungen ihm gegenüber für seine Interpretation der Lehre verantwortlich. Die Initiative zu
Jahren befreundet; sie lernten sich wahrscheinlich im Herbst 1516 kennen, als beide diesem Briefwechsel von 1542/43 ging von Nie Bao aus; er bat Ouyang De um die
zusammen in der Provinzhauptstadt Nanchang die Staatsexamen auf Provinzebene Begutachtung seiner Interpretation der Lehre vVang Yangrnings. Trotz ihrer großen
Meinungsverschiedenheiten und der gegenseitigen Kritik blieben die beiden bis zu
Ouyang Des 'Iod gute Freunde und respektierten sich in ihrer unterschiedlichen Wei-
se des ethischen <<Lernens». Unmittelbar nach dem 'fod Ouyang Des im April 1554
schrieb Nie Bao, der damals noch Kriegsminister in Peking war, an Luo Hongxian:
62 Die Briefe Nie Baus sind in seinen «Gesammelten Schriften» nicht datiert. Nach der chronologischen
Anordnung der Briefe Ouyang Des in dessen «Gesammelten Schriften» müsste der Briefwechsel «Nanye [Ouyang De] ist für irmner von uns gegangen; wie leidvoll ist dies für das Dao
mehrere Jahre nach 1542/43 entstanden sein, denn der erste BriefOuyang Des steht dort injuan 5, (den rechten Weg) dieser Welt! Gibt es wieder einen, der gleich Nanye den Willen
das Briefe vom Jahr xiu h11i (15 5 l) bis zum Jahrjia yin (1554, 'Todesjahr Ouyang Des) enthalten soll.
und zugleich auch die Fähigkeit hat, die \Veit zu ordnen! Unser Dao hat den Beistand
Doch der zweite Drief Ouyang Des, der eindeutig später als der erste geschrieben wurde, da er die
Erwiderung ,mf Nie Rws Beantwortung des ersten ist, steht in juan 4, das Briefe aus den sechs J ah- verloren! Ich bin zehn Jahre {Hter als Nanye, doch nicht ich bin gestorben, sondern
ren zuvor, vom Jahr hing wu (1546) bis zum Jahr xin hai (1551) enthalten soll. Diese chronologische er. Ich bedaure nicht Nanye wegen seines fiiihen '1odes, sondern bedaure, dass meine
Anordnung in den «Gesammelten Schriften» ist also nicht zuverlässig. Aus dem ersten Brief Nie
Mühen und Plagen und die wachsenden Schmähungen noch kein Ende haben. Nan-
Baus an Onyang De ist ans den zeitlichen Umständen zu entnehmen, dass er nicht zu Hanse in der
Präfektur Ji'an geschrieben wurde, sondern in der Ferne auf einer Dienststelle, auf der Nie Bao mit ye hat einmal zu mir gesagt: <Ihr Lernen ist nur, was Ihnen selbst scheint (zi xirtn de
der «Gefangennahme von eindringenden Feinden» zu tun hat:t:c. Der Brief beginnt mit den Worten: gJ Jl{~), und keinesfalls folgen Sie den \Vorten der anderen., Und er sagte mir auch: <Ihre
«Lange habe ich nichts von Ihrem Befinden g-cl1ört, und ich dachte an Sie mit Liebe. lch bin von
<Auswahl des Wichtigen> [aus Wang Yangmings Churmxi lu] (Jic ytto W~) 65 hat nur die-
den Widrigkeiten der Zeit begraben worden (!eng eben nuti mo Jliilfllj:@.~) und denke weit entfernt an
die 1\luße und Behaglichkeit der [heimatlichenl Bergwälder, an die Freuden des <Badens im Yi-Fluss, jenigen Stücke aufgenommen, mit denen Sie selbst übereinstimmen.> Wenn er aber mit
des Lufthauches und des Singens von Liedern> [l,unyu, 1 1. Buch, Kap. 24 (25)]» (Nie Bao ji, Nanjing seinen Schülern sprach, sagte er: <Obschon das Lernen von uns beiden nicht gleich ist,
2007,jumz 8, S. 239). Bis zum Uerhst 1541, von Ende 1543 bis Ende 1547 und 1549 bis 1550 befand
ist es doch wahrhaft ein Lernen (zhen shi xue Leider war sein Weg glatt und ge-
sich Nie Bao in Muße zu .!Jause; in dieser Zeit kann dieser Brief also nicht geschrieben worden
sein. Der Brief endet mit den Sätzen: «Innerhalb der Zeit der Gefangennahme der eindringenden wohnheitsmäßig (huashu liW-1); mit der Zeit wurde er zu Abschnitten und einzelnen Sät-
Feinde (/u kau yi nei f~ftz1/i"';i) waren die Maßnahmen sehr streng. Aber im jetzigen Herbst habe ich zen zerstückelt (pittn duttn lt f9:) und vermochte das Herurnstolpern nicht zu besiegen. So
glücklichenvcisc 1\l[ußc (:wu shi illiWi), und das Beunruhigende liegt bei mir selbst» (a.a.O., S. 240).
befürchtete er sogar selbst, dass er zu keinem Ergebnis führe (wujiujing chu ~~j[;~).»66
Das passt sehr gut für den Herbst 1542, als Nie Bao Präfekt von Pingyang in der Provinz Shanxi war,
wo er mit Einfallen der Mongolen unter Fürst Altan zu tun gehabt hatte. Wenn Nie Bao 1543 seinen
Posten als Vizekommissar für den Militärbezirk von 'fongguan in der Provinz Shenxi angetreten hat a) Der erste Brief Nie Baos an Ouyang De 67
(was eher unwahrscheinlich ist), könnte ein Teil der Briefe auch damals entstanden sein. In seinem
Nach den einleitenden Worten legt Nie Bao die Hauptgedanken seiner Auffassung
zweiten Brief an Ouyang De schreibt Nie Bao, dass er seine Antwort «vor Jahresende (chu qian
~filr) erhalten habe» (Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 8, S. 240), also wahrscheinlich ini. Januar 1543. von der «ethischen Übung>> (gong fit J:jJ7i;), das heißt von der <<Verwirklichung des
In seiner «Grabinschrift» für Ouyang De schreibt Nie Bao 15 56, dass Ouyang De, nachdem er sich ursprünglichen Wissens», vor, nämlich dass diese «Verwirklichung>> nicht schon das
von seinem Posten in Nanking als Minister des Amtes für Staatszeremonie zurückgezogen hatte
«ganze Wesen des ursprünglichen Wissens», das heißt das Resultat der ethischen
(1542 oder 1543), bis 1546 bei sieh zu Hause in Taihe war und dort seine über achtzigjährige Mutter
pflegte, und fügt hinzu: «Wenn er [Ouyang De] Muße hatte, verabredete er sich mit mir sowie mit Übung, voraussetzen dürfe, sondern im Nähren der «Substanz» des «ursprünglichen
den Edlen Dongkuo [Zou Shouyi] und Nian'an [Luo Hongxian], ins Qingyuan-Gebirge [Zentrum Wissens» in der Zeit der Ruhe vor dem «Entstehen der Gefühle», des Denkens und
der Schule der Präfektur Ji'an] oberhalb von Meibi ffiiMi: [vielleicht identisch mit dem heutigen alten
aller Tätigkeiten bestehe und dass der Einsatz der ethischen Anstrengung bei den Tä-
Kulturstädtchen Meibi ~Mi südlich des Qingyuan-Gebirges in Richtung zu Ouyang Des Heimat-
kreis Taihe] zu reisen, um zusammen das wahre Wissen vor dem Entstehen der Gefühle zu suchen tigkeiten zu einem erzwungenen, künstlichen Handeln führe: «Welcher Sache gleicht
(qiu wei Ja zhi zhen zhi5J<:*~ ;z~J;ll) und die hinterlassene Lehre des verstorbenen Meisters [Wang neulich das <Lernen des Errichtens der Grundlage> (li ben zhi xue .fr*.L~)! 68 Das
Yangming] zu erforschen, wie wenn wir vor dem Ende des Lebens stehen würden (ruo jiang zhong
shen yan t\'mf~.!lm)» (Ouyang De ji, Nanjing 2007, Anhang, S. 849). Es ist höchst unwahrscheinlich,
dass der große Briefwechsel mit Ouyang De über die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
zeitlich nach diesen mündlichen Diskussionen zwischen Ende 1543 und 1546 stattfand, da Nie Bao 64 Nie Bao schrieb in seiner «Grabinschrift» für den 1554 verstorbenen Ouyang De: «Vierzig Jahre
in jenen Briefen an Ouyang De seine Lehre als etwas für diesen noch Unbekanntes darstellt und lang waren wir fest befreundet (dingjiao .lE:i'i:). Der Verstorbene war mir wirklich bei der Aufklärung
keinerlei Bezug auf mündliche Gespräche zwischen ihnen nimmt. Nie Bao antwortete nicht mehr in den Diskussionen eine Stütze.» Ouyang De ji, Nanjing 2007, Anhang, S. 850.
brieflich auf das zweite und das gleichzeitig mit diesem geschriebene drit:t:e Schreiben Ouyang Des. 65 Zu dieser von Nie Bao publizierten «Auswahl» aus Wang Yangmings Chuanxi lu siehe unten im § 5
Wahrscheinlich erübrigte sich eine schriftliche Antwort, da er nach seiner Rückkehr in die Präfektur den Abschnitt b), S. 593.
Ji'an im Jahr 1543 direkt mit Ouyang De sprechen konnte. Es scheint mir also gut möglich, dass jener 66 Zweiter Brief an Luo Hongxian, Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 9, S. 283.
Briefwechsel im Herbst 1542 begann und bis ins Jahr 1543 fortgesetzt wurde, bevor Nie Bao sich 67 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 8, S. 239f.
wieder in der Präfektur Ji'an befand nnd dort Gelegenheit hatte, Ouyang De zu treffen. 68 Anspielung auf einen von LuJiuyuan (113 9-1193) und dann auch von Wang Yangming oft gebrauch-
63 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 4, S. 292. ten Ausdruck.
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Chuanxi lu [Wang Yangrnings] enthält über dieses Lernen klare Zeugnisse, und man wegtwerden)> (dong er wu dang t/Jlmffmill), 72 zum <Festigen [des Herzens)>73 dienen
darf nicht seine Aussagen über das Aussehen (die Gestalt) des ganzen (vollständigen) (yi wei ding hu ~~:&.5.f)?!» 74
Wesens [des ursprünglichen Wissens] (tong ti jing xiang t3t!HUHt) und über das Erpro- Danach beruft sich Nie Bao auf Zhu Xis Erkenntnis seiner «späten Jahre» (wan
ben (Erfahren) von dessen Wirkung in den Veränderungen des [eigenen] Verhaltens nian ~i'f), dass die grundlegende ethische Praxis in einem geistigen Zustand der Ehr-
bei den Erregungen [durch die äußeren Dinge] (xiao yan gan ying bian hua ~!ID:~~~ furcht vor dem Entstehen aller Gefühle und Gedanken zu vollziehen sei, und rechtfertigt
1t) insgesamt für Aussagen über die ethische Übung (_gongfu J}J;/c) nehmen. Dadurch seine Auffassung schließlich durch eine Stelle aus dem ersten Teil von Wang Yangmings
bleibt man am Abgeleiteten (an den Folgen) hängen (zhuo zai .zhi jie ~tE:si:W) und Chuanxi tu: «Der Lehrer Yangming sagte auch: <Wenn die heiligen Menschen die Stel-
entfernt sich vom eigentlichen Anfang (tuo que ben yuan fütW~~).» 69 Nie Bao will also lung von Himmel und Erde erreichen und alle Wesen ausbilden, so ist dies auch nur aus
streng zwischen Wang Yangmings Aussagen über die ethische Übung der «Verwirk- einem <Nähren (yang li) !der Substanz ihrer Herzen]> in der <LV1itte vor dem Entstehen
lichung des ursprünglichen Wissens» einerseits und dessen Aussagen über die durch [der Gefühle] der Zuneigung und des Zornes, der Freude und der Trauer> zustande ge-
diese Übung erreichte Vollständigkeit des «Wesens des ursprünglichen Wissens» kommen (zhi cong xi nu ai le wei ja zhi zhong shangyang chtt lai 7l 1l g~l'U~* ~ q:i J:. 4 z
und der Erfahrung von dessen Wirkung im tätigen Verhalten zu den äußeren Ereig- f:l:l 75 *).> 76» 77 An Wang Yangmings vVort des «Nährens» (yang li) anknüpfend schreibt
nissen andererseits unterscheiden. Nach seiner Auffassung darf die ethische Übung er weiter: «Wie viel an eigener Erfahrung (ti yan \ffl~), wie viel an Zmückhaltung (han
nicht schon diese Vollständigkeit des Wesens und die Erfahrung von dessen Wirkung xu 5i!HI), wie viel an Sammlung (ji lei :/1~), wie viel an rnhiger Geduld (ning nai '$i/iit)
voraussetzen. ist doch in diesem Wort <Nähren> (yang 4) enthalten! Es ist so, wie der Donner zuerst
Im Hinblick auf die von ihm konzipierte ethische Übung unterscheidet er dann im Berg seine Stimme im tiefen und dunklen Ort der Erde sammelt und danach (ran
zwischen dem «ursprünglichem Wissen» einerseits und dem aktuellen Fühlen, Den- hou Mft) die Erde erschüttert urid weit erschallt, 1md so, wie der verborgene Drache
ken und Tätigsein andererseits 1md fasst das «ursprüngliche Wissen» als Zustand «vor zuerst sich am lmermesslich tiefen und dunklen Ort bewahrt und danach zum Himmel
dem Entstehen der Gefühle» auf: «Und wenn man ein Wahrnehmen (Gewahren, steigt und göttliche Verändernngen vollführt. Das <fu ~>78 (die <Wiederkehr>) entsteht
aktuelles Bewusstsein von etwas) zum <ursprünglichen Wissen> macht (yi zhi jue wei aus dem <kun :l$> 79(dem <Empfangenden>, <Ruhenden>); das <zl1en S>80 (das <Erschüt-
tiang zhi ~~R~ ßl~), dann bedeutet dies, dass man den <Zustand vor dem Entstehen ternde>, der <Donner>) geht aus dem <gen ~> 81 (dem <Stillestehen>, dem <Berg>) hervor;
der Gefühle> mit dem <Zustand nach ihrem Entstehen> und das <Verwirklichen des das <xun ~> 82 (der <Wind>) unterscheidet sich vom iing #> 83 (dem <Brunnen>).» 84
1ursprünglichen] \tVissens> mit dem Ausführen im Handeln verwechselt (yi yi ja zuo wei Zum Abschluss seines Briefes an Ouyang De klagt Nie Bao, dass seine Auffassung
fa,yi ttti xingzuo zhi zhi ~B~f'F*~J.-:;/Jt1'r~~~). Und dies bedeutet auch, dass man bei den Mitgliedern der Schule Wang Thngmings keine Zustimmung findet: «Ich habe
ein<[durch Hochziehen] Dem-Wachsen[-des-Getreides]-Nachhclfen>70 zur Pflege der einst wiederholt um Berichtigung gebeten (meine Auffassung vorgelegt: qing zheng
Getreidesprösslinge macht. Wenn man nicht [auf diesen Unterschied] achtet, dann ~iE), doch die Herren [unserer Schule] haben nicht völlig zugestimmt. Neulich
entfällt die feine Unterscheidung zwischen dem [wahren] König und dem1yrannen, erhielt ich einen Brief von Mingshui [Chen Jiuchuan, 1495-1562],85 der mir noch
zwischen dem ,Sammeln [von Gerechtigkeit]> (ji ~) und dem <bloßen Nachahmen strenger widersprach (bo bian you yan IDtmftiii). 86 » 87
[von Gerechtigkeit]> (xi ftl).» 71
Am Schluss dieses grundsätzlichen Teils seines Briefes fragt Nie Bao rhetorisch,
ob der (von Wang Yangming besprochene) ideale (heile) Zustand des Herzens, in 72 Beschreibung· des göttlich-geistigen Zustandes (shen 1'11) im 16. K1pitel von Zhou Dunyis Tongshu,
dem das Fühlen 1md die Ruhe «vor dem Entstehen der Gefühle» bzw. die Tätig- 73 «Festigen» (ding '.i'E) im Sinne des Grundkapitels des DaX1te.
keiten und das Nichttätigsein (das Nichthewegtwerden durch Äußeres) vereint 74 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 8, S. 239.
75 Das Zeichen «chu t±:1» («aus», «heraus») wurde von Nie Bao in den Text Wang Y.mgrnings eingefügt.
sind, als Methode der ethischen Übung für ein «verirrtes» Herz dienen kann: «Die 76 Chuanxi lu I, Nr, 30, Quanji, Sh:mghai 1992, S.14. Den ganzen Kontext dieser zitierten Stelle aus dem
Tätigkeit ist der <Zustand nach dem Entstehen der Gefühle> (yi Ja B~); nach de- Chuanxi lu werden wir unten in diesem Kapitel,§ 5, Abschnitt b), S. 592, anführen.
ren Entstehen befindet man sich alsbald in Verirrung (Ja si wang yi ~:l'tlr~~). Kann 77 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 8, S. 240,
78 24, Hexagramm des «Buches der \V:mdlungen».
etwa das <Entstehen der Gefühle> und zugleich ihr <Nochnicht-Entstandensein> 79 2. Hexagramm des «Buches <ler Wandlungen».
(Ja er wei ja ~ffij *~), das <Tiitigscin und zugleich das Nichttätigsein (Nichtbe- 80 51. Hexagramm des "Buches der Wandlungen».
81 52. Hexagramm des «Buches der Wandlungen».
82 57. Hexagramm des «Buches der Wandlungen».
83 48. Hexagramm des «Buches der Wandlungen».
84 Nie Baoji, Nanjing 2007 ,juan 8, S. 240,
69 Nie Baoji, Nmj.ing 2007,juan 8, S. 239. 85 Zu ChenJiuchuan siehe oben in Teil I, Kap, 2, § 1, S. 144ff.
70 Ampielung auf die Geschichte des dummen Bauern im Lande Song: Mevgzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2: 86 Lange Zitate aus diesem Rrief von Chcn Ji11chuan firnlen sich in vVu Zhen 2001, S. 147-150. Wir
siehe oben in der allgemeinen Einleitung den§ 4, S. 26. gehen hier nicht darauf ein.
71 Mengzi,2.Buch, 1.rleil,Kap.2. 87 Nie Baoji, Nanjing 2007,j11an 8, S. 240.
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b) Die Antwort Ouyang Des auf Nie Baos ersten Brief8 8


sein> können; wenn sie wirklich fähig ist (gua neng ~WI§), <beim Nichtgesehenen
In seinem Antwortschreiben r,itiert Ouyang De der Reihe nach die verschiedenen achtsam> und <beim Nichtgehörten furchtsam zu sein>, sich nicht <selbst zu betrügen>,
Punkte der Ausführungen von Nie Baos Brief und geht kritisch auf sie ein. Wir glie- sondern <mit sich selbst zufrieden zu sein>, dann ist dies das Erproben (Erfahren) der
dern diese Antworten nach inhaltlichen Aspekten in vier Punkte. Dadurch können Nie Wirkung. Das <ursprüngliche Wissen> ist seinem Wesen nach (an sich) ein geordne-
Baos Repliken darauf in seinem zweiten Brief und dann auch wieder die Erwiderungen tes und feines Prüfen (wen li mi cha >CJJ.Wi~), und jede [seiner] Handlungen hat ihr
Onyang Des in seinem zweiten Antwortbrief zueinander in einen übersichtlichen Gesetz (wu wu ge yau qi ze W/W/:§-~~Jl~); entsprechend muss also auch die ethische
Bezug gebracht werden. Übung geordnet und fein prüfen und jede ihrer Handlungen ihr Gesetz haben; wenn
1. Das Verhältnis zwischen der ethischen Übung der «Verwirklichung des ur- sie dessen wirklich fähig ist, dann ist dies das Erproben (Erfahren) der Wirkung. Das
sprünglichen Wissens» und dem «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» <ursprüngliche Wissen> ist seinem Wesen nach (an sich) nicht im Geringsten einseitig
sowie dem «Erfahren der Wirlrung» der ethischen Übung: (pian yi ~m) und nicht im Geringsten widerspenstig (nicht harmonisch: guai li ~
Zuerst stimmt Ouyang De der Unterscheidung zwischen dem «ganzen Wesen ~), es unterscheidet sich nicht nach Innen und Außen, nach Tätigkeit und Ruhe,
(tang ti Mtlll) des ursprünglichen Wissens», das er als <<eigentliches Wesen (ben ti nach Früher und Später (wu nei wai, dangjing, xian hou m{r;JJ~Jhffii.9c~), sondern ist
7.js: ~) des ursprünglichen Wissens» versteht, der «ethischen Übung» (gang fu J:}J x) ununterschieden eine Einheit (hun mn yi ti ~~-U); entsprechend darf die ethische
und dem «Erproben (Erfahren) der Wirkung» (xiaa yan ~~) dieser Übung zu, hebt Übung auch nicht einseitig und widerspenstig sein, nicht zwischen Innen und Außen,
dann aber Nie Bao gegenüber kritisch hervor, dass sich die «ethische Übung» von zwischen Tätigkeit und Ruhe, zwischen Früher und Später unterscheiden, sondern
diesen zwei anderen Dingen nicht abspalten könne, sondern sich zu ihnen notwen- muss ununterschieden eine Einheit sein; wenn sie dessen wirklich fähig ist, dann ist
dig in ein Verhältnis setzen müsse: Die ethische Übung der «Verwirklichung des das das Erfahren der Wirkung. \.Nenn man daher nicht ethisch übt (bu yang gang fu
ursprünglichen Wissens» muss sich an das «eigentliche Wesen des ursprünglichen ,f Jfl J:}J x), so befolgt man nicht das <eigentliche Wesen> (bu xun ben ti ,f-/fl!j;zjs: U); wenn
Wissens» als an ihr Leitbild oder Muster (yang zi ~-1-) halten, und das «Erproben die ethische Übung nicht mit dem <eigentlichen Wesen> übereinstimmt (buhe ben ti
der Wirkung» hat als Bestätigung dafür zu dienen, dass man dieses Ideal verwirklicht ,f~J.jl:U), so ist es nicht die ethische Übung des <eigentlichen Wesens> (bu shi ben ti
hat. Es kommt in dieser Konzeption zur Geltung, dass für Ouyang De der zentrale gangfu ,fiJ!;zjs:QJ:}Jx). Wenn die ethische Anstrengung nicht die Wirkung erzielt (.yang
Begriff des «ursprünglichen Wissens» das moralisches Bewusstsein («Gewissen», gang bu de xiaa Jfl J:}J ,f 1ij~), dann ist es noch nicht die ethische Anstrengung. Deshalb
«,1llein \Nissen») ist und dass er die «VerwirkJichung des ursprünglichen Wissens» als hat die ethische Übung das <eigentliche Wesen> zu ihrem Vorbild (.yang zi ~.'.f) und
willentliche Anstrengung im Handeln aufgrund des «Gewissens» sieht. Dabei weiß die Erfahrung der Wirkung zu ihrer Bestätigung.»90
er aber auch nm das «ursprüngliche Wissen» in Mengzis Sinne der guten Gefühle Nachdem Ouyang De in dieser Weise seine Kritik gegen Nie Bao gerichtet hat,
und guten Intentionen und auch im Sinne des vollkommenen «eigentlichen Wesens», wendet er sich nun mit Nie Bao übereinstimmend gegen eine andere Auffassung der
scheint dieses aber nicht als eine metaphysische Realität und Wirkursache, sondern «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» innerhalb der Schule Wang Yang-
ideell als «Muster» oder «Leitidee» der willentlichen «Verwirklichung des ursprüng- mings: «Aber man darf in der Folge nicht das <eigentliche Wesen> und die Erfahrung
lichen Wissens» zu fassen. Er sc~rcibt: «Ich meine [so wie Sie], dass man <eigentliches der Wirkung zur ethischen Übung machen (lm ke sui yi ben ti ::daa yan zuo gang fu
Wesen> (ben ti 7.jl:ff), .:ethische Ubung> (gangfu J:}Jx) und das <Erproben (Erfahren) ,fii.J~P).7.js:Q3'.t~~fl=J:}Jx). Wenn man das macht, dann hieße dies, dass das <[ursprüng-
der \Virkung [dieser lJbungl> (xiaa yan 31~~) nicht miteinander vermengen darf. Doch licheJ Wissen> sich selbst zu verwirklichen vermag (zhi neng zi zhi ;!)ijl§ ~ ?&). Die
<l,as <eigentliche Wesen> ist das Vorbild (Leitbild, Muster: yang zi ~-1-) der ethischen Antworten auf die Erregungen in den Veränderungen (gan ying bian hua ~Hl~1t)
Ubung, und das <E~f>rohen (Erfahren) der Wirkung> ist die Bestätigung (zheng ying sind sicher alles Handlungen (Geschäfte) des <ursprünglichen \Vissens> (liang zhi zhi
tffi:.Bl) der ethischen Ubung. Das <ursprüngliche Wissen> ist in seinem Wesen (an sich: wu lOll.z.W/); aber man darf in der Folge nicht das Antworten auf die Erregungen in
ben 7.jl:) <achtsam beim nicht Gesehenen> und <furchtsam beim nicht Gehörten>, es den Veränderungen zur ethischen Übung machen; wenn man das macht, dann hieße
<betrügt sich nicht selbst> (wu zi qi mt ~ l-'tx), sondern ist immer <mit sich selbst zufrie- dies, dass die Handlungen ursprünglich sich selbst berichtigen (wu ben zi ge W/7.js: ~ ffi-).
den> (mit_~ich selbst einig: er hengzi qie ii'iHßi:~1')>; 89 entsprechend muss also auch die Dann würde das Dao (der rechte Weg) den Menschen groß machen können (daa
ethische Ubung <achtsam beim Nichtgcsehenen> und <furchtsam beim Nichtgebör- ncng hang ren ilUi~51.A), und nicht ,der Mensch das Dao groß machen> (ren hang daa
ten> sein, darf nicht <sich selbst betrügen>, sondern muss <mit sich selbst zufrieden ),_ sl.~) 91 .» 92 Ohne Zweifel hat Ouyang De mit dieser von ihm kritisierten Auffassung

90 Ouyang De ji, Nanjing 2007,juan 5 (Briefe von 1551-1554), S. 186.


X8 Ouyan.~/)eji,Nanjing2007,juan5,S. I85-191.
91 Bezugnahme auf Lunyu, 15. Buch, Kap. 29 (2S): «Der MeLster [Konfuziusl sagte: ,Der Mensch kann
89 Zu diesen auf das Daxue abgestützten Gedanken des «Selbstbetruges» und der «Selbstzufriedenheit» sein Dao groß machen, nicht kann das Dao den Menschen groß machen.»>
sLehe ohcn in "!eil I, Kap. 2, § 1 und§ 5.
92 Ouyang /)e ji, Nanjing 2007,jarm 5 (BrLefe von 1551--1554), S. 186.
,1

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diejenige des einflussreichsten Vertreters der Schule im Auge, diejenige von Wang Ji: Kundgabc nicht betrogen werden darf (mi cha qi zhao ran bu ke qi zhe W~;ttllßt/,Ff
Dieser war der Auffassung, dass das «ursprüngliche Wissen mit dem ursprünglichen i:iJ!fx~), um damit den eigenen Zorn einzuschränken und die eigenen Begierden zu
Wissen verwirklicht werden muss (yi liang zhi zhi liang zhi J..:;;i.J~ji[]3ik.6!.%1)», das heißt, hemmen, das Gute [in seinen Intentionen] zu fördern und das Schlechte [in ihnen]
dass das immer vollkommene «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens>> die zu korrigieren». 96 «Dasjenige, was in seiner Kunclgabe nicht betrogen werden darf»,
Hauptursache seiner Durchsetzung im empirischen menschlichen Bewusstsein und ist nach Ouyang De, wie nach Wang Yimgming, nichts anderes als das «ursprüngliche
Handeln ausmacht, dass also «das Dao den Menschen groß macht», während für Wissen» im Sinne des «Gewissens» (der zweite der von uns bei Wang Yangming
Ouyang De das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» nur das «Muster» unterschiedenen drei Begriffe des «ursptiinglichen vVisscns»). Das «ursprüngliche
oder ,<Vorbild» für den Menschen darstellt, der mit eigener Willensanstrengung in Wissen», dessen Verhältnis zum aktuellen «\Vahrnehmen» oder «Gewahren von
seinen1 faktischen Leben und in der Gesellschaft «das Dao groß machen» muss. Nie etwas» (zhi jue %1~) Ouyang De in diesem Abschnitt seines Briefes bestimmen will,
Bao wird sich gegen diese Auffassung Wang Jis wenden. tritt hier also implizit in allen drei von uns unterschiedenen Bedeutungen auf: erstens
2. << Ursprüngliches ,Nissen» und «Gewahren von etwas» (intentionales Bewusst- als eine Art von Intentionen, zweitens als «Ursprung» dieser Intentionen und drit-
sein: zhijue %1~): tens als moralisches Bewusstsein der Intentionen. Der « Ursprung» der Intentionen
Danach richtet sich Ouyang De gegen Nie Baos T'hese, dass das «ursprüngliche scheint für Ouyang De zugleich auch das zu sein, was sich der Intentionen als guter
Wissen» kein «Wahrnehmen» oder «Gewahren von etwas» (zhi jue !li□ it) sei, also oder schlechter moralisch be,vusst ist. Denn Ouyang De zitiert dann aus Wang
gegen dessen Trennung von ,<ursprünglichem Wissen» und aktuellem intentionalem Yangmings zweiter Einleitung (von 1523) zu der von ihm 1518 herausgegebenen
Bewusstsein sowie gegen die Konsequenz dieser Trennung für das «Verwirklichen des «Alten Fassung des Daxue». 97 Sein Zitat daraus beginnt mit den folgenden Sätzen:
ursprünglichen Wissens». Es geht um eine ähnliche Problematik des Verhältnisses <<Nach dem Auftreten von Tätigkeiten (dong :i1J) gibt es Nicht1:,11.1tes, aber das Wissen
zwischen «ursp1iinglichem vVissen» und gewöhnlichem intentionalem Bewusstsein, des eigentlichen Wesens (das Wissen der Substanz) weiß immer darum (erben ti zhi
wie sie Ouyang De schon 1534/35 mit Luo Qinshun diskutiert hatte; 93 doch geht zhi wei chang bu zhi im:zll:!llz%1*1FF%1). Die Intentionen (yi ilt) sind Tätigkeiten,
es in der jetzigen Diskussion mit Nie Bao nicht primär um das Verhältnis zwischen und die Dinge (wu W/) sind deren Ceschäfte (shi ~). Wenn das Wissen der Substanz
zwei verschiedenen aktuellen Bewusstseinsintentionen (Funktionen), sondern um vcrwirklicht98 wird (zhi qi ben ti zhi zhi 3ik;tt:zll:!llz!li□), dann gibt es in den Tätigkei-
das Verhältnis zwischen dem «ursprünglichen Wissen» im Sinne seiner Substanz ten nichts Nichtgntes.»99 In diesen Sätzen Wang Ymgmings tritt «hen ti :zll:\!11» als
und den aktuellen Bewusstseinsfunktionen. Zuerst stellt er Nie Baos Auffassung die das Subjekt auf, das moralisch «um das Nichtgutc in den T~üigkeitcn» weiß, 100 und
These gegenüber, dass «die sich veriindernden Antworten des <ursprünglichen Wis- Quayang versteht dieses Subjekt als Substanz. Seine Gedanken über das Verhiiltnis
sens> ,rnf die Erregungen !durch die Dinge] von der Art (!¾ili) des Sehens und Hörens, zwischen «intentionalem Gewahren» und «ursprünglichem VVissen» abschließend
des Redens und T:itigscins, des Wohlgefallens und Zorns, der '[rauer und Freude kehrt Ouyang De in diesem Brief wieder 1,urn «ursprünglichen Wissen>> im Sinne von
sind.»94 Diese These wiederholt Ouyang Des Sicht seiner Auseinandersetzung mi Intentionen zurück, um es von denjenigen Intentionen zu unterscheiden, die nicht
Luo Qinshun.Aber dann fügt er hinzu: «Was für eine Herkunft (he suo cong chu ,frjJJiJr «ursprüngliches Wissen» sind. Er schreibt: «Das intentionale Gewahren von etwas
f:E:±1) könnten ohne <ursprüngliches Wissen> die sich verändernden Antworten auf ist sicher ein entstandenes aktuelles Bewusstsein (zhi jue g;tt shi fa 9;011~~~), aber
die Erregungen durch die Dinge denn haben!»; bei dieser «Herkunft» hat Ouyang daneben gibt es keinen Zustand [des Herzens] ohne entstandenes aktuelles Bewusst-
De die «Substanz» des «ursprünglichen Wissens» im Auge, aus der diese Intentionen sein von etwas (ran fei hie you wei Ja ~~!=:EU~*~). Es [das intentionale Gewahren
hervorgehen (entspringen). Und dann der entscheidende Satz: Doch ohne diese von etwas] ist sicher nicht notwendig immer <ursprünglich (gut: liang ~)>, aber das
aktuellen intentionalen Bewusstseinsfunktionen «gibt es auch nichts, worin <ursprüngliche Wissen> ist nicht außerhalb des intentionalen Gewahrens von etwas.
das erscheinen kann, was <ursprüngliches Wissen> genannt wird (yi wu yi xian Die Abwesenheit von Begierden im intentionalen Gewahren von etwas ist das
qi suo wei liang zhi ?/r-1!!tP).JUtJiJrffl ~9;0)». 95 Er zieht aus dem bisher Gesagten gegen-
über Nie Bao den Schluss, dass das « Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» im
aktuellen intentionalen Bewusstsein zu geschehen habe, und zwar genauer darin,
dass man «achtsam beim Nichtsichtbaren und furchtsam beim Nichthörbaren» das 96 Ebd.
' 97 Quanji,juan 7, Shanghai 1992, S. 242f.
heißt bei den eigenen Intentionen, sei und dabei «dasjenige genau prüft, was in seiner 98 Im Text Wang Yangmings steht anstelle von «verwirklichen» (zhi ~) «ankommen» (zhi ~). Die zwei
gleich ausgesprochenen und fast gleich geschriebenen Zeichen können manchmal ausgewechselt
werden. Das erste der beiden Zeichen hat einen kausativen Aspekt: «ankommen machen».
99 Wtmg Yangming quan ji,juan 7, Shanghai 1992, S. 243; zitiert in Ouyang Deji, Nanjing 2007,juan 5,
93 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den § 4. s. 186f.
94 Ouyang Deji, Nanjing 2007,juan 5 (Briefe von 1551-1554), S. 186. 100 Zu dieser Stelle aus Wang Yangmings zweitem Vorwort (1523) zur «Alten Fassung des Daxue» siehe
95 Ebd. oben in Teil I das Kap. 4, § 2.
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,ursprüngliche Wissen> (zhi jue zhi wu yu zhe liang zhi ye ~!iz1llHv.:,g .&9;□ ili), und beiden] können nicht durch Ruhe und Tätigkeit getrennt werden (hu lce yi dongjing
sie ist die ,Mitte vor dem Entstehen der Gefühle>.» 101 Nach Ouyang De ist also das Jen zhe 1'i:iJ J,,:;l_J)JfiJjJ,g).> 102 » 101
«ursprüngliche Wissen» nur im intentionalen Bewusstsein von etwas zu fassen, sei Daraus ergibt sich für Ouyang De, dass das menschliche Herz immer «Wissen»
es als moralisches Bewusstsein dieser Intentionen, sei es als diese Intentionen selbst, (Bewusstsein) hat. Dieses «Wissen» ist hier in einem zweifachen Sinne zu verstehen:
sofern sie frei von egoistischen Begierden sind. Mit dem ersten Punkt geht Ouyang Das menschliche Herz hat immer «Wissen» im Sinne des intentionalen Bewusstseins,
De über die Sichtweise, die er schon zehn Jahre früher in seinem Briefwechsel mit das heißt im Sinne der Intentionen oder des intentionalen Wahrnehmens (Gewahrens
Luo Qinshun eingenommen hatte, hinaus. In seinen folgenden Briefen an Nie Bao von etwas: zhi jue ~JE), und es hat damit auch immer «Wissen» im Sinne des «ur-
wird er darüber noch mehr schreiben. sprünglichen Wissens», verstanden als «Gewissen», das heißt als unmittelbares mora-
3. Die geistige Ruhe, das «Gewahren von etwas» (zhijue ~Jl) und das «Noch- lisches Bewusstsein jenes «Wissens» im ersten Sinne des intentionalen Bewusstseins
nicht-Entstanclensein der Gefühle>> (wei Ja *~): oder «intentionalen Wahrnehmens». Obschon Ouyang De diese Unterscheidung in
Ouyang De versucht dann auch das Problem des Verhältnisses zwischen der seinem Brief nicht explizit vollzieht, muss sie hier vorausgesetzt werden, denn er spricht
geistigen «Ruhe», die Nie Bao zur Methode der «Verwirklichung des ursprüngli- einmal von einem «Wissen», das Mängel und Ü1)ertrctungen aufweist, und dann von
chen Wissens» erklärt, und dem Sinn des Ausdruckes «Nochnicht-Entstandensein einem «Wissen», das sich dieser A1ängel und Übertretungen bewusst ist; dieses zweite
der Gefühle» (wei fr1 *g) in1 ersten Kapitel des Zhongyong zu lösen. Dadurch ent- «Wissen», nämlich das «ursprüngliche», das Ouyang mit Wimg Yangming auch «allein
scheidet sich 1rnch ihm auch die Frage, ob in der geistigen «Ruhe» ein «Gewahren Wissen» nennt, kann aber nicht selbst die Mängel und (Tbertrenmgen haben, um die es
(\:Vahrnehmen) von etwas» (zhi jue 9;0.i;) vorhanden ist oder nicht. Er anerkennt «weiß». Er fährt in seinem Brief fort: «Das Herz ist während keiner Zeit ohne Wissen
durchaus die geistige «Ruhe» als einen real möglichen und faktischen zeitlichen [ohne intentionales Bewusstsein! (xin wu shi er Im zhi 1[),lmB:tiini1'~), das Wissen [inten-
Zustand des «Herzens», identifiziert sie aber nicht wie Nie ßao mit dem «Noch- tionale Bewusstsein] ist zu keiner Zeit nicht entstanden (z.hi wu shi er bu Ja 9;0~Hiini1'g).
nicht-Entstandensein der Gefühle», das für ihn keinen zeitlichen Zustand, sondern Wenn es [d.h. dieses intentionale ,Wissen>] in seinem Entstanclensein ein Zuviel (ein
die <,Substanz» des Herzens gegenüber seinen «Funktionen» charakterisiert, und Übertreten: guo Jß'\.) oder ein Zuwenig (einen Mangel: hu ji 1' &) aufweist [d.h. nicht in
bestinunt sie als einen Gefühlszustand der ruhigen Freude ohne Denken und ohne der Mitte (zhong i:f:l) istJ, dann ist das ,allein Wissen> (du zhi ~ ~□) [d.h. das Gewissen, das
Überlegen, also als eine seelische Stimmung. In seinem nächsten Brief an Nie Bao unmittelbare moralische Bewusstsein des mangelhaften oder übertretenden intentiona-
wird er dies noch pr:izisieren. Im jetzt erörterten ßrief schreibt er: «Es gibt keine len ,Wissens>! notwendig nicht zufrieden (mit sich selbst nicht einig: bu qie 1'if). Wenn
Zeit des Nochnicht-Entstandenseins von Wohlgefallen und Zorn, von Trauer und es kein Übertreten und keinen Mangel aufweist, dann ist das ,allein Wissen> notwendig
Freude (le ~). YVenn man nicht nachdenkt und nicht überlegt (si lii bu sheng }1!lßl!Ff'1:.), zufrieden (mit sich selbst einig); das ist das, was ,die natürliche Ordnung> (zi ran zhi jie
sondern in Muße friedlich und ruhig ist (an xirm tian jing 'ti: fJi'lfflfiJ), leer und gelöst, § ~~W), ,clie selbst vorhandene Mitte> (zi you z.hi zhong § i:f:l) heißt, ein Nichtver-
still und zufrieden (xu rong dan bo ~MJM/58), dann hat dieser [zeitliche] Zustand auch lieren der von selbst vorhandenen Mitte (bu shi qi zi you zhi zhang 1' $'i;~ EI~ Z i:f:l). Was
einen Namen, nämlich: Freude (/e ~). Deshalb ist das <Nochnieht-Entstand~nsein ,Mitte> (zhong i:f:l) genannt wird, ist die <Harmonie [der Gefühle und Tätigkeiten]> (he
der Gefühle> kein zeitlicher Zustand (weifa fei shi *~~~at), sondern es spricht von ;!;O), ist das ,Maß der Mitte> (zhongjie i:J:iW). 104 Was <Verwirklichen von Mitte und von
der Substanz des <Wissens> (Bewusstseins)(zhi zhi ti 9;□ Z\lt), und ihr <Entstandensein> Harmonie> (zhi zhong he ~'t'.ffi) genannt wird, ist auch <nicht etwas, was nach Tätig-
(fa ~) spricht von den Funktionen des <Wissens> (Bewusstseins) (zhi zhi yong ~;z keit und Ruhe getrennt werden kann> (bu ke yi dongjingJen zhe=F"i:iJ J,,:;J_Jb~5.J'%').» 105 • 106
.ffl). Deshalb existiert das <Nochnicht-Entstandensein der Gefühle des Wohlgefallens Ouyang De erklärt also im Gegensatz zu Nie Bao und unter Berufung auf spätere Texte
und des Zorns, der Trauer und der Freude> in diesen Gefühlen. Deshalb heißt es [im von Wang Yangming, dass die «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» kein zeitlicher
ersten Kapitel des Zhongyong]: <Das Nochnieht~Entstandensein von Wohlgefallen Zustand sei, sondern die immerwährende «Substanz» des Herzens bezeichne, dass auch
und Zorn, Trauer und Freude heißt Mitte.> Es ist wie beim <Nochnicht-Entstan- im zeitlichen Zustand der Ruhe Gefühle vorhanden seien, deren sich das «allein Wissen
densein> des scharfen Gehörs und des klaren Gesichts (cong ming QJ,a.,EJ), ohne dass (Gewissen)» bewusst ist, und dass das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens»
diese eine Zeit bedeuten würden, in der Hören und Sehen noch nicht entstanden ununterschieden sowohl in der Ruhe als auch in der Tätigkeit zu geschehen habe.
sind. Das Chuanxi lu [Wang Yangmings] sagt: <Das ,Nochnicht-Entstandensein [der
Gefühle]> ist innerhalb ihres Entstandenseins (wei fa zai yi Ja zhi zhong *g{EB~
Z't'), ihr <Entstandensein> ist innerhalb ihres ,Nochnicht-Entstandenseins>; [diese 102 Abgekürztes Zitat aus Chuanxilull,Nr.157 (Brief an Lu Cheng), Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 64.
103 Ouyang De ji, Nanjing 2007,juan 5, S. 187.
104 «Mitte», «Harmonie» nnd «Maß der Mitte» sind alles Ausdrücke aus dem ersten Kapitel des Zhongyong
im Zusammenhang mit dem «Nichtentstandensein» nnd dem «Entstandensein der Gefühle».
105 Anspielung auf das obige Zitat aus Wang Yangmings Chuanxi lu II, Nr. 157.
101 Ouyang Deji,Nanjing 2007,juan 5 (Briefe von 1551-1554), S. 187. 106 Ouyang De ji, Nanjing 2007,juan 5 (Briefe von 1551-1554), S. 187.
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4. Das «Pflegen (Nähren) des ursprünglichen Wissens»: Ouyang De antwortete seinerseits wieder auf diesen Brief, und zwar in zwei Briefen,
Nachdem Ouyang De die Bezugnahme Nie Baos auf Zhu Xis Ansichten während zwischen denen ihm aber kein neuer Brief Nie Baos vorlag; der zweite dieser beiden
seiner «späten Jahre» erörtert hat, kommt er noch auf den von Nie Bao hervorgeho- Briefe ist daher als Ergänzung zum ersten gedacht. Den ersten dieser beiden Briefe
benen Begriff des «Nährens» (Pflegens: yang tl) des «ursprünglichen Herzens» oder zitiert Zou Shouyi in einem Brief an Nie Bao, der etwa 1549 entstanden sein dürf-
«ursprünglichen Wissens» zu sprechen. Während nach Nie Bao dieses «Nähren» nur te.114 Am Anfang des Ergänzungsbriefes schreibt Ouyang De: «Ihr Schreiben ist sehr
in der Ruhe oder Stille, vor dem Entstehen aller Intentionen, geschehen kann, erklärt sorgfältig und explizit, ich habe es wiederholt studiert und gesehen, dass mein voriger
Ouyang De aufgrund seiner Auffassung des « Verwirklichens des ursprünglichen Wis- Brief noch nicht vollständig auf Ihre Ansicht eingeht.» 115 Sodann behandelt er jene
sens» als «Achtsamkeit und Furchtsamkeit gegenüber dem allein Gewussten» auch Stellen in diesem Schreiben Nie Baos, die er im vorigen Brief beiseitegelassen hatte.
hier, dass man das «Nähren» sowohl in der Ruhe als auch in der Tätigkeit ausüben Wtr erörtern nun im Folgenden dieses Antwortschreiben Nie Baas und ziehen jeweils
müsse: «Die zwei Wörter <Bewahren> (cun ff) und <Nähren> (Pflegen: yang 4) [des die entsprechenden Erwiderungen aus den beiden Briefen Ouyang Des heran. 116 Wir
Herzens] haben ihren Ursprung bei Mengzi. 107 <Bewahren> ist im Gegensatz zu <Ver- gliedern sowohl Nie Baos Antwortschreiben auf Ouyang Des ersten Brief als auch
lieren> (sang~) gesprochen, und <Nähren> im Gegensatz zu <Schädigen> (hai ~). Der Ouyang Des Erwiderungen auf diese Antwort entsprechend unserer inhaltlichen
Mensch <Verliert> sein Herz dadurch, dass er es bei dem, was er vom Morgen bis zum Einteilung dieses Briefes wiederum in vier Punkte.
Abend macht, durch seine vielen Begierden fesselt (duo yu gu zhi ~~~.Z.), 108 und er 1. Das Verhältnis zwischen der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
<schädigt> sein gutes (ursprüngliches) Herz (liang xin l,t,,) dadurch, dass er mit seinem und dem «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens»:
Handeln nicht zufrieden (einig) sein kann (xingyou bu qie ffi(ij"1°"'it), und zwar deshalb, Nie Bao: Am Anfang seiner Antwort an Ouyang De stellt Nie Bao nochmals
weil er sich nicht geradewegs auf sich selbst zurückgewendet hat (nicht geradewegs auf seine grundsätzliche Position dar. Er schreibt: «Ich meine, das <liang zhi l~> ist ur-
sich selbst geachtet hat: zi Jan bu zhi gu ~.& 1°":i[i!&). 109 Daher <bewahrt> und <nährt> sprünglich still. Erst nachdem es von den Dingen affiziert (erregt) worden ist, hat es ein
er [sein Herz] dadurch, dass er sich auch nur auf das in ihm zurückwendet (auf das in Wissen [ein intentionales Bewusstsein] (gan yu wu er hou you zhi ~titWliffi~i(ij"~). Das
ihm achtet), durch das er es verliert und schädigt (wei Jan qi suo yi sang qie hai zhi ffl:.& Wissen ist seine Tätigkeit lfa ~). Man darf in der Folge das <liang zhi> nicht als Wissen
*
ltPJr ~ ~_§_ Z).» Das «Bewahren» und «Nähren» des «Herzens» ist für Ouyang De und Tätigkeit verstehen (bu ke sui yi zhi Ja wei liang zhi 1'i'if~~~~~ l~) und dabei
also eine moralische «Achtsamkeit» auf die eigenen das «ursprüngliche (gute) Herz» vergessen, woher diese Tätigkeit stammt (er wang qi Ja zhi suo zi im ~lt ~zPJr ~). Das
verlierenden und schädigenden Intentionen und Tätigkeiten und dadurch eine Ver- <Herz> herrscht im Innern (xin zhu hu nei ,t,,3::3JZ-p;i); erst in seinen Antworten auf Äu-
tiefung des «ursprünglichen Wissens» im Sinne des Gewissens. Es ist daher sowohl ßeres (ying yu wai Bitit9~) hat es ein Äußeres. Dieses Äußere ist sein Schatten (ying ~).
in der Ruhe als auch in der Tätigkeit auszuüben. Nachdem er zur Rechtfertigung Man darf nicht sein äußeres Antworten für das <Herz> selbst halten und in der Folge
dieser Sicht zwei Beispiele aus den «Gesprächen des Konfuzius» (Lunyu) gegeben hat, das <HerZ> im Äußeren suchen. Deshalb muss das Dao (die Methode) des Lernens von
schließt er: «Das bedeutet gerade, dass die Anstrengung des <Bewahrens> und <Näh- der im Innern herrschenden Stille her suchen (zi qi zhu hu nei zhi ji ran zhe qiu zhi ~ lt
rens> nicht zwischen Tätigkeit und Ruhe trennt (wu jian yu dongjing 1°"1'!1'1:titibll).» 110 ::l::3.Jlp;iz;Jlil?t.\:ff5J<z), es [das Herz] stille und beständig fest werden lassen (shi zhi ji er
chang ding itz;Jliiiffi*jE'.). In der Folge durchdringt es dann nach den Erregungen alles,
c) Nie Baos Antwort an Ouyang De111 und Ouyang Des zwei Erwiderungen 112 im Äußeren ist dann alles, wie es sein soll, die Tätigkeiten sind dann alle geregelt, und
Nie Bao empfing Nie Baos Antwort <<Vor dem Ende» des chinesischen Mondjahres, 113 die Fähigkeit, in der Welt zu handeln, ist vollständig. Es ist dann wie ein aufgehängter
also wahrscheinlich im Januar 1543, und verfasste darauf einen großen Antwortbrief. [klarer] Spiegel, der von selbst die ankommenden Dinge spiegelt; wie eine Glocke auf
einem Gestell, die immer richtig (antwortet), wenn sie [von außen mit einem Balken]
angeschlagen wird. 117 Dieses ist es, was die <Einheit ohne Unterschied von Innen und
107 Mengzi ~pricht vom «Bewahren des Herzens» (am xin #,t,) (4. Buch, 2. Teil, Kap. 28; 7. Buch, Außen, von Tätigkeit und Ruhe, von Früher und Später> heißt»118 Wtr haben in diesem
1. Teil I, Kap. 1) und vom «Nähren meiner weiten Lebensenergie» (yang wo hao ran zhi qi =1Hl5l!i~
~m) (2. Buch, 1. Teil,Kap.2), vom «Nähren der menschlichen Natur» (7. Buch, 1. Teil, Kap.l) sowie
vom «Nähren des Herzens» (7. Buch, 2. Teil, Kap. 35).
108 Anspielung auf Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, Kap. 6. 114 Siehe unten den§ 3, S. 569.
109 Wahrscheinlich eine Anspielung auf Mengzi, 4. Buch, 1. Teil, Kap. 4: «Wenn man im Handeln [etwas 115 Ouyang Deji, Nanjing 2007,juan 5, S. 191.
Gutes] nicht erlangt (xingyou Im de fi-~:fti), dann wende man sich immer zurück (fan &) und suche 116 Die zwei zusammengehörigen Briefe Ouyang Des befinden sich in seinen «Gesammelten Schriften»
[den Grund] bei sich selbst.» auf zwei verschiedene juan verteilt: Der erste befindet sich in juan 4, S. 131-13 3 (Ausgabe 2007); der
110 Ouyang Deji, Nanjing 2007,juan 5 (Briefe von 1551-1554), S. 188. zweite injuan 5, S. 191-195 (Ausgabe 2007).
111 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 8, S. 240-249. 117 Die chinesischen Glocken haben im Innern keinen Klöppel und werden zum Läuten nicht geschwun-
112 Ouyang De ji, Nanjing 2007,juan 4 (Briefe von 1546-1551), S. 131-133, undjuan 5 (Briefe von gen, sondern bleiben ruhig und werden von außen mit einem Balken angeschlagen.
1551-1554), S.191-195. 118 Dritter Brief an Ouyang De, Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 8, S. 240f.; teilweise aufgenommen in
113 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 8, S. 140. MRXA,juan 17, Beijing 1985, S. 374.
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Zitat den Ausdruck «liang zhi Bl9fü> nicht übersetzt, da Nie Bao ihn nicht als ein Wissen [der Gefühle]>, die stille und allgemeine Substanz (ben ti l-fffl).> 120 Das ist die feine
oder Bewusstsein von etwas versteht. Wir werden auf diese Eigenheit Nie Baos unten Stelle, durch die man ins Knochenn1ark eindringt. Wenn man von hier aus es [das
in seiner Diskussion mit Wang Ji (§ 5) genauer eingehen. <ursprüngliche Wissen>] verwirklicht, 121 <dann vermag man von selbst (bian zi neng
Ouyang- De: Es ist nun genau diese Trennung zwischen der «Stille» des «liang 1i!! § ~~) nach den Erregungen [durch die Dinge diese J zu durchdringen, dann vermag
zhi,, als seinem «Inneren» einerseits und seinem Wissen (intentionalen Erkennen, den man von selbst (bian zi neng 1f § ~~), den Dingen in Einklang zu entsprechen, wenn
Dingen Entsprechen) als seinem «Äußeren>> andererseits, die Ouyang De in seiner sie eintreffen>. 122 Mit den drei Zeichen <bimz zi neng 1f § ~~> ( <dann vermag man von
Antwort an Nie Bao moniert: Ohne Wissen gibt es kein «Herz» (keinen Geist), und das selbst>) hat der verstorbene I ,ehrer die Leute dazu ermahnt, nicht erst beim Handeln
Wissen von etwas ist dem «Herz» nichts Äußeres. Er schreibt zum zitierten Abschnitt sich etwas auszudenken und betrügerisch in die Schablone der <nachgemachten Ge-
von Nie Bao: ,<Wenn Sie schreiben, dass das <liang zhi ~~> ursprünglich still ist, und rechtigkeit> (yi xi ~lt) zu geraten.» 113 In vVirklichkeit kommen diese drei Zeichen im
auch schreiben, dass es erst ein vVissen hat, nachdem es von den Dingen affiziert (er- zitierten' foxt Wang Yangmings nicht vor; an ihrer Stelle gebraucht dieser die zwei
regt) wurde, wäre es dann nicht so, dass es in der Stille ein Nichtwissen wäre (wei wu zhi Zeichen «zi rrm § ~» ( «von selbst [so]» in der Bedeutung: spontan, «natürlich»). Nie
#?J1m9:D)?! Nun ist göttlich-geistiges Wirken ein Wissen (shen Ja wei zhi 1$~~~), und ßao verdeutlicht Wang Y:'lngmings Aussage im Sinne seines Verständnisses, indem er
was den Leib regiert, ist das <Herz> (der Geist). Von der Geburt bis zum 'Tixl kann es das Zeichen «bian -/i!!», das eine Folge bedeutet, und das Zeichen <-<neng i~», das ein
[das <Herz>l [sein vVirkenl nicht unterbrechen und [zu wirkenl aufhören (wu_jian ke xi Vermögen ausdrückt, hineinbringt.
1mFsiqf ,~,). Ohne Wissen [als geistiges \!Virkcn] gibt es kein Herz (keinen Geist) (wuzhi Ouyang De hat in seiner Antwort nichts gegen diese Umformulierung einzu-
wu xin 1m!l:□ 1m 1 t,). Ohne Ilerz kann aber von keiner Stille gesprochen werden, und wie wenden, sondern wendet sich gegen die Folgerung, die Nie Bao daraus zieht. Er tut
könnte es auch das geben, was Erregungen genannt wird?! Sie schreiben auch, dass dies, indem er zwei verschiedene Bedeutungen des Ausdrucks «dann vermag man von
das ,Herz> (der Geist) im Inneren herrsche und im Äußeren antworte und dass man selbst» (bian zi neng 1f § ~~) unterscheidet: Tn der einen Bedeutung, die den jetzigen
nicht dieses äußere Antworten für das <Herz> halten und das <Herz> irn Äußeren su- Diskussionspunkt betreffe, meine es die Implikation der Funktionen in der Substanz
chen dürfe. Wenn das Objekt, dem geantwortet wird (suo ying pfrJ!l), etwas Äußeres ist, und daher keine zeitliche Folge; in der anderen Bedeutung meine es die zeitliche
heißt dies dann, dass das Subjekt des Ant:wortens (das desAntwortcns Fähige: nengying Folge zwischen einer ethischen A.nstrengung und der Erfahrung ihrer Wirkung. Er
ml~) etwas Außeres wäre?! Zum Beispiel beim Lieben der Eltern und beim Verehren schreibt: «Der Ausdruck <dann vermag man von selbst> (bimz zi neng 1f § ~~) hat zwei
der älteren Brüder sind die Eltern und die älteren B1iidcr das Äußere; hat das die El- verschiedene Bedeutungen: Wenn man s,1gt, <ist das Sehvermögen hellsichtig (shi neng
tern licbcncle und die älteren Brüder verehrende <Herz> ein Inneres und ein Äußeres?! nzing 1Jrn~am, clann vermag CS von selbst die fünf Grundfarben zu prüfen; ist das
Das <ursprüngliche \Nissen> des !-Jerzens kann nicht unterbrochen werden und aufhö-
ren (wu jimz ke xi AA Fsi qf ,~,); nur nachdem es von Begierden bewegt wird, ist es nicht
ursprünglich (gut: liang ~)- Seine Nichtursprünglichkeit bedeutet, dass es nicht still 120 Chuanxi tu II, Nr. 155, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 62.
ist und auch [die Dinge] nicht durchdringt (bu ji bu tong 1'il\i/.1'~), dass es nicht leer 121 Die Passage «Das ist die feine Stelle, durch die man ins Knochenmark eindringt. Wenn man von
und auch nicht geisteswirksam ist (bzt xu bu ling 1'~1'11!), dass es nicht die Mitte [vor hier aus es [das <ursprüngliche Wissen>] verwirklicht» steht nicht im Brief Nie Baos, so wie er in
seinen «Gesammelten Schriften» wiedergegeben ist, sondern im Zitat dieses Briefes innerhalb des
dem Entstehen der Gefühle] und auch nicht die Harmonie [nach ihrem Entstehen] ist; Antwortbriefes von Ouyang De: Ouyang De ji, Nanjing 2007,juan 4, S. 131.
wenn das Wissen fein und einheitlich (jingyi ffl-) ist und nicht von Begierden bewegt 122 Das ist ein freies Zitat aus Wang Yangmings Chuanxi lu I, Nr. 72: Ein Schüler (Lu Cheng) fragt hier
wird, dann ist es wiederum ursprünglich (gut). Seine Ursprünglichkeit bedeutet, dass Wang Yangming, ob auch schon bloße Gedanken an unsittliche Sexualität, Reichtum und Ruhm
egoistische Wünsche seien. Yangming antwortet ihm, dass jene Gedanken aus solchen Wünschen
es still ist und [die Dinge] durchdringt, dass es leer und geisteswirksam ist, dass es in entspringen und nicht mehr auftreten, wenn solche Wünsche ausgeschaltet sind. Wenn man alle
der Mitte und in der Harmonie ist. Deshalb ist das <Vermindern der Begierden> (gua solchen Wünsche vernichtet hat, «dann ist dies rein das eigentliche Wesen des Herzens (xin zhi ben ti
yu 3~) die ethische Anstrengung der Einheit ohne Unterschied zwischen Tätigkeit ,G,;z;zjl:.l!I). Das ist dann <die Stille, ohne sich zu bewegen> (ji ran bu dong ~f,&,fillJJ) [Ytjing]; es ist <die
Mitte vor dem Entstehen der Gefühle> [Zhongyong]; es ist <die weite Unparteilichkeit> (kuo ran da gang
und Ruhe, zwischen Innen und Außen.» 119 ~~*0) [Cheng Hao, 1032-1085]. Von selbst (zi ran ~~) <durchdrin_gt man nach der Erregung
Nie Bao beruft sich in seinem Brief nach der oben zitierten Exposition seiner [die Situation]> [Yijing]; von selbst (zi nm ~~)sind <die Gefühle in ihrer Außerung maßvoll> [Zhong-
Grundauffassung auf Wang Yangming: <<Das ist nicht eine von mir gebildete Auffas- yong]; von selbst (zi ran ~ ~) <entspricht man im Einklang den Dingen, wenn sie eintreffen> [Cheng
Hao].» (Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S.22). Der Text von Cheng Hao, aus dem Wang Yangming
sung, sondern es ist die Auffassung des verstorbenen Lehrers [Wang Yangming]», und hier zitiert, ist der berühmte Brief an Zhang Zai über die «Festigung der Natur» (Ding xing shu '.iE'.tt.
er zitiert dann eine Kombination von zwei Stellen aus Wang Yangmings Chuanxi lu: 'i!l'). Die entsprechende Stelle lautet: «Deshalb ist im Lernen des heiligen Menschen nichts besser als
«Der Lehrer sagte: <Das <ursprüngliche Wissen> ist die <Mitte vor dem Entstehen die weite Unparteilichkeit; wenn die Dinge eintreffen, entspricht er ihnen im Einklang.» (Mingdao
xiansheng wenji 2, Beijing 1981, S. 460f.).
12 3 Dieser letzte Satz steht nicht im Brief Nie Baos, so wie er in seinen «Gesammelten Schriften» wie-
dergegeben ist, sondern im Zitat dieses Briefes innerhalb des Antwortbriefes von Ouyang De: Ouyang
119 Ouyang Deji,Nanjing 2007,juan 5, S.19lf. Deji, Nanjing 2007,juan 4, S. 131.
II
552 553

Hörvermögen hellhörig (ting neng cong l!lU~~), dann vermag es von selbst die fünf im Verwirklichen seiner Erregungen in beständiger Stille (zhi qi chang ji zhi gan
Grundtöne zu unterscheiden>, dann ist dies die Bedeutung des Verhältnisses zwischen ~!!t"m';f.il.z~) und nicht im Verlassen der Erregungen durch das Suchen der Stille; sie
Substanz und ihren Funktionen (ti yong Dffl). Darüber hat der verstorbene Lehrer besteht im Verwirklichen seiner allgemeinen Entsprechungen und nicht im Nicht-
[Wang Y·mgming] gesagt: <[Die Mitte] vor dem Entstehen der Gefühle ist innerhalb entsprechen, das [fälschlicherweise] für die Weite gehalten wird (fei wu suo yingyi wei
von diesen; es gibt nicht noch eine andere [Mitte] vor dem Entstehen der Gefühle.> kuo ran ~~1!!ti5Jrll!J;l..~~M). 128 Denn wenn man in den Gefühlen des Liebens und des
<Es gibt hier kein Verhältnis von Früher und Später, von Innen und Außen, sondern es Zürnens, der Trauer und der Freude die Mitte vor dem Entstehen [dieser Gefühle]
ist eine einzige ungeschiedene Wirklichkeit (hun ran yi ti ~M-llf).> 124 Sagt man aber, sucht, so hat man in jedem Moment <dabei notwendig seine praktische Aufgabe> (bi you
<kann man essen, dann vermag man von selbst satt zu werden; kann man trinken, shi yan ~,flJJ~)1 29 und betätigt dabei immer auch seine Muße (xing qi suo wu shi fi;1;1;
dann vermag man von selbst betrunken zu werden>, dann handelt es sich um die .P.lrmt$); zu jeder Zeit ist [diese Mitte] gegenwärtig (shi shi xian zai HiHl!Jl.tE), in jedem
von Ihnen zuvor hervorgehobene Bedeutung des Verhältnisses zwischen ethischer Augenblick ist [sie] vollkommen (ke ke wan man tiJ tiJ 1EJwi). Es gibt keinen Zustand und
Übung (gang fa JjJ x) und der Erfahrung von deren Wirkung (xiao yan 3(~~), denn keine ethische Anstrengung in einem Zeitabschnitt vor dem Entstehen [der Gefühle]
es gibt zwischen ihnen den feinen Unterschied von Früher und Später. Das ist aber und bevor man eine Aufgabe hat, um so nicht erst beim Handeln sich etwas auszuden-
verschieden von der Gleichursprünglichkeit <der Substanz und ihrer Funktionen> ken und in die <nachgeahmte Gerechtigkeit> (yi xi ~D) zu geraten. Vielmehr besteht
(ti yongyi yuan Dffl -JJ1i:)!» 12 " 126 das <Sammeln von Gerechtigkeit> (ji yi ~~) 130 darin, dass man in jedem Moment eine
Es ist bemerkenswert, dass Ouyang De das Verhältnis zwischen «Substanz» und Aufgabe hat (nian nian you shi ~~{er$) und dass man nicht <sich selbst betrügt> (wu
«Funktionen» am Verhältnis zwischen einem Sinnesvermögen (Gesicht, Gehör), das zi qi f.ij: ~ W:), so dass man <mit sich selbst zufrieden sein kann> (zi qie ~ ~). rn Das ist
alle Bedingungen seines Funktionierens erfüllt (Hellsichtigkeit, Hellhörigkeit), und zugleich die Verwirklichung der Harmonie [in den Gefühlen] und die Verwirklichung
seinen Funktionen (Sehen, Hören) illustriert. Dies weist darauf hin, dass der chinesi- der <Mitte [vor dem Entstehen der Gefühle]>. Deshalb sagte [Wang Yangming]: <Die
sche Begriff des «ti llf » als Gegenbegriff zu «yong ffl » sich nicht einfach mit unserem Mitte [vor dem Entstehen der Gefühle] ist dasselbe wie die Harmonie und das Maß
Begriff der Substanz deckt, denn wir würden in unserer traditionellen Begrifflichkeit [in den Gefühlen]; sie sind eins.> Wenn man daraus zwei verschiedene Dinge macht,
ein psychisches Vermögen nicht als «Substanz» ansprechen. Er denkt diese Sinnes- dann gerät man entweder bei dem, was man als <vor dem Entstehen [der Gefühle]>
vermögen wie die Substanz des «ursprünglichen Wissens» als ausreichende Gründe bezeichnet, in die Nähe der Daoisten und Buddhisten, welche die Gefühle und die
ihrer Funktionen. Aufgaben zu einer leeren Ruhe machen (xu qing IEffi), oder aber man betrachtet,
Nachdem er die zeitliche Sukzession dem Verhältnis von ethischer Übung (Tä- unvermeidlich und ohne sich dessen bewusst .zu sein, ein <Sichausdenken> und eine
tigkeit) und der Erfahrung von deren Wirkung zugeordnet hat, hebt er im Folgenden <nachgemachte Gerechtigkeit> (yi xi ~ff) als das <Durchdringen [der Dinge] in der
die Gleichzeitigkeit von «Substanz und Funktionen», von «Stille und Erregungen» Erregung> und als das <Entsprechen im F,inklang [mit den Dingen]>.»m
(ji gmz ;f.il~) im «ursprünglichen Wissen» und demnach in der ethischen Übung der Es ist darauf zu achten, dass Ouyang De gegenüber Nie Bao erklärt, dass im «ur-
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» hervor. Er schreibt unmittelbar an- sprünglichen Wissen» und in der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» die
schließend an das zuvor aus seinem Brief Zitierte: «Das <ursprüngliche Wissen> ist nun «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» und die «Harmonie nach ihrem Entstehen»
beständig still und beständig erregt, beständig antwortet es (entspricht es) [den Din- (nach dem ersten Kapitel des Zhonp;yong) bzw. die «Stilb> und das «Durchdringen der
gen] (changying "m'H!) und beständig ist es weit (chang kuo ran "m'~M). Wenn es nicht Dinge aufgrund der Erregungen» (nach dem «Großen Anhang» des Yzjing) zeitlich
stille sein könnte, dann könnte es in den Erregungen ldie Dinge] nicht durchdringen; nicht voneinander zu trennen sind, aber die zeitliche Sukzession von psychischen Zu-
wenn es nicht ,weit und allgemein sein könnte> (kuo ran da gong ~M:;11::0), dann wäre ständen der «Ruhe» (jing ffll) und der «Tätigkeit (Bewegung: dong lh)» nicht ablehnt.
sein Antworten (Entsprechen) nicht <im Einklang [mit den Dingen]> (bu shun 1'lilfi). 127
Deshalb besteht die Anstrengung der <Verwirklichung des [ursprünglichen] Wissens>
128 Die «große Allgemeinheit,, (da gong ;k 0:) und <,Weite» (kuo nm m?t.'\) sind Anspielungen auf Chcng
Haos Antwortbrief an Zhang Zai über die «Festigung der menschlichen Natur» (Ding xing shu), Rr
Chengji, Beijing 1981, S. 460.
124 Zwei Zitate aus der Nr. 157 des zweiten Teils des Chuanxi lu, deren Folge in diesem Text Ouyang De 129 Anspielung auf Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2.
umdreht: <,Die <Mitte vm dem Entstehen der Gefühle> ist das <ursprüngliche Wissen>. Es gibt hier 130 «Sammeln von Gerechtigkeit» (ji yi ist im kanonischen Text, auf den angespielt wird (Meng2:i,
kein Verb,iltnisvon Früher und Spfücr, von Innen und Außen, sondern es ist ungeschieden eine einzige 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2) der Cegenbcgri ff zur «nad1g·emachtrn Gerechtigkeit» (yi xi ~!/l!!).
Wirklichkeit. [... ] [Die Mitte] vor dem Entstehen der Gefühle ist innerhalb dieser Gefühle; es gibt 131 Gemäß Daxzte, 6. Kap., im Abschnitt über die «Achtsamkeit auf das Alleinsein» (shen du ffiJt JI!: <«Sei-
nicht noch eine andere [Mitte] vor dem Entstehen der Gefühle.» Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 64. nen Willen wahrhaftig machen> (cheng qi yi ~:lti':) bedeutet, dass man sich nicht selbst betrügen darf
12 5 7:itat aus dem Vorwort zt1m Yt ch111m von Ch eng Yi (1038--1 107). (zi qi ~ lt\;), [sondern sich so verhalten muss,] wie wenn man Liblc Gerüche verabscheut oder schöne
126 Ouyang /)eji, Nanjing 2007,juau 4, S.131. Farben liebt. Dies bedemct, dass man mit sich selbst zufrieden ist (zi qie ~ ti.ft). Deshalb muss der Edle
127 Mit «weit und allgemein» und «in Einklang mit den Dingen» zitiert Ouyang De den Brief von Chang auf sein Alleinsein achten.» Vgl. oben, Teil I, Kap. 2, § 1, S. 140f., und§ 3, S. 163f.
Hao (1032-1085) an Zhang Zai über die «Festigung der Natur» (Ding xing shu :lE'iiit). 132 Ouyang De ji, Nanjing 2007 juan 4, S. 13 lf.
11

554
555

Er verneint aber, dass die «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» bzw. die «Stille» chu 1!!{}'./ff./El±l) habe, dass aber ohne intentionales Bewusstsein das «ursprüngliche
(ji ;w) im Sinne des «Großen Anhanges>> des Yijing mit der «Ruhe» identifiziert wer- Wissen» nicht erscheinen könne, versucht Nie Bao im Sinne seiner eigenen Auf-
den können. Nach Ouyang De ist das «ursprüngliche Wissen seinem Wesen nach» fassung der «Verwirklichung des ursprünglichen 'l:Vissens» zu verstehen, indem
immer zugleich «die Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» und die «Harmonie nach er sie mit für seine eigene Auffassung sprechenden Gleichnissen interpretiert. Er
ihrem Entstehen», zugleich «Stille» und das «Durchdringen der Dinge aufgrund antwortet: «Wenn ich Ihre Meinung verstehe, dann scheinen Sie zu sagen, dass die
der Erregungen», und es ist dies auch in seinen zeitlich sukzessiven Zuständen der Ursprungsquellen (yuan quan ®:JR) des Y·mgze, des Huai, des Gelben Flusses und
«Ruhe» und der «Tätigkeit (Bewegung)». Damit aber negiert er gegenüber Nie Bao des Han die Herkunft (suo cong chu .Pfdtf l±l) dieser Flüsse seien, dass aber ohne diese
die Priorität der «Ruhe» im Verhältnis zur «Tätigkeit» und vertritt die Auffassung, Flüsse das, was ihre Ursprungsquellen genannt wird, nicht erscheinen könne. Daraus
dass das «ursprüngliche Wissen» sowohl in der «Ruhe» als auch in der «Tätigkeit folgt nun aber, dass um den Ursprung tief auszugraben (freizulegen:jun yur:m 5.3t.®:),
(Bewegung)» zu «verwirklichen» ist. man die Ursprünge der Herkunft (suo cong dm zhiyucm }'Jrf./Etf:l.z®:) des Yangze, des
Nie Bao ist mit Ouyang Des Erklärung des Verhältnisses zwischen «ben ti ;2js:U» Iluai, des Gelben Flusses und des Han tiefausgrlibt und nicht diese Flüsse zu ihren
(bei Ouyang De hier zu übersetzen als «eigentliches Wesen») des «ursprünglichen Ursprüngen (Quellen) machen darf. Die \Vurzel (gen ben ffl*) ist die Herkunft: der
Wissens», ethischer Anstrengung und erfahrener Wirkung dieser Anstrengung 133 Zweige, ßlätter, Blüten und Früchte. 'IVenn man die WiJrzel heranbildet (pei gen :J:f!i
nicht einverstanden: Er kann «ben ti *U» nicht wie Ouyang De als «eigentliches ffl), so bildet man die Wurzel heran, aus der die :Zweige, Blätter, Blüten und Früchte
\Vesen» und daher auch nicht als «Muster, Leitbild» (yang zi 1'.ilr) der ethischen herkommen (suo cong .P.lrf./E), und macht nicht die Zweige, Bhitter, Blüten und Früchte
Übung verstehen, sondern interpretiert diesen Ausdruck als «Substanz» im Gegensatz zur Wurzel und bildet nicht sie heran.» 136
zu ihren «Funktionen>>. Dies zeigt erneut die von uns immer wieder angetroffene Ouyang De antwortet darauf, dass das Verhältnis von Quelle und Flusslauf
Mehrdeutigkeit dieses Ausdrucks:m Nie Bao schreibt an Ouyang De: «Wenn ich den nicht zum Gleichnis des Verhältnisses von «ursprünglichem vVissen» (als Substanz)
Sinn des Zhongyong wiederholt überlege, so ist er nicht gleich [wie Ihre Erklärung]. und den verschiedenen intentionalen Bewusstseinsweisen (intentionalen Akten)
Der Sinn des Zhonµ;yong scheint <die Mitte vor der Entstehen der Gefühle> (wei fa wie Sehen, Hören, Sprechen etc. dienen könne, da jenes Verhältnis eines zwischen
z:hi zhong *~zi:p)-als c-lie Substanz (ben ti ;2js:\lt) zu betrachten. Die <Mitte vor dem zwei zwar zusammenhängenden, aber doch außer einander befindlichen Dingen
Entstehen der Gefühle> ist das <Alleinsein> <ohne Sehen und Hören> (bu du bu wen zhi und nicht wie das Verhiiltnis zwischen «ursprünglichem Wissen» und intentionalen
du ::f!1lFf ~z:);) und die große Grundlage (da ben ;k;2js:) von Himmel und Erde; die Bewusstseinsweisen ein Verhältnis zwischen «Substanz» und «Funktionen» (ti yong
<Achtsamkeit und die Furchtsamkeit> ist die <ethische Anstrengung>; das Innehaben Uffl) sei, und er präsentiert für dieses immanente Verhältnis verschiedener Momente
der [gleichen] Stellung wie Himmel und Erde und das PHegen aller Wesen ist ihre innerhalb einer einzigen \Nirklichkeit ein anderes Gleichnis, nfünlich das Verhältnis
\Nirkung.»u 5 Für Nie Bao ist ,,ben ti ;2js:U» die bloße «stille, ruhige Substanz» des ur- zwischen dem Wasser eines Flusslaufs und dem Fließen dieses Flusslaufs: «Quelle
sprünglichen Wissens vor allen «Gefühlen», vor allen psychischen«Tätigkeiten», für (Anfang) und Ende [Flusslauf] (yuan wei 5~~) sind von Substanz und Funktionen
die «Sehen und Hören» stehen, und die «ethische Anstrengung» ist «Achtsamkeit und (ti yong Uffl) verschieden. Man kann zwar sagen, dass die Quelle die Herkunft (suo
Furchtsamkeit» gegenüber dieser «stillen Substanz». Für das «ursprüngliche Wissen» cong chu .P./rf./El±l) des Endes [Flusslaufs] sei, aber nicht, dass ohne Ende [Flusslauf]
in seiner Vollkommenheit, also unter Einschluss seiner «Funktionen», gebraucht Nie seine Quelle nicht erscheine (fei wei ze wu yi xian yuan ~~~Jl.~1!!{J.,::,l. 137 Ji!~). Denn
Bao nicht den Ausdruck «ben ti ;2js:\lt», sondern «tong ti tötU» («ganze Wirklichkeit)», Quelle und Ende [Flusslauf] sind noch wie zwei Dinge (you er ffi=). Das Antworten
der für ihn aber nicht das Muster oder das Vorbild der ethischen Anstrengung ist, des [ursprünglichen] Wissens auf Erregungen (zhi zhi gan ying ~ z~Jfl) und seine
sondern ihr Resultat, ihre Wirkung. Leider geht Ouyang De in seiner Antwort auf Veränderungen sind die Funktionen der Substanz (ti zhi yong Uzffl), und das [ur-
diese Ausführungen Nie Baos nicht auf die Mehrdeutigkeit von «ben ti ;2js: U» ein. sprüngliche] Wissen des Antwortens auf die Erregungen (gan ying zhi zhi ~Jfl.2.~)
2. «Ursprüngliches Wissen» und «Gewahren (Wahrnehmen) von etwas» (zhi und seiner Veränderungen ist die Substanz der Funktionen (yong zhi ti ffl U). Es ist z
jue ~!!): wie das Fließen eines Wassers und das Wasser eines Fließens: Außerhalb des Wassers
Nie Bao: Ouyang Des Aussage, dass ohne «ursprüngliches Wissen» als Sub- gibt es kein Fließen, und außerhalb des Fließens gibt es kein Wasser. Es ist nicht so
stanz alles «Gewahren (Wahrnehmen)» von etwas, alles intentionale Bewusstsein, wie beim Ende [Flusslauf] der Quelle und der Quelle des Endes [Flusslaufs], wo es
wie Sehen, Hören, Handeln, Sprechen und Fühlen «keine Herkunft» (wu suo cong zwar ohne Ende [Flusslauf] keine Quelle und ohne Quelle kein Ende [keinen Fluss-
lauf] gibt und sich Anfang und Ende gegenseitig stützen (shou wei xiang zi ~ /i§11Hfi),

133 Siehe oben in diesem Paragraphen den Abschnitt b), S. 542f.


134 Siehe oben, Teil I, Kap. 3, § 1. 136 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 8, S. 242.
135 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 8, S. 241. 13 7 In: Ouyang De ji, Nanjing 2007, stehen «wu yi 11«.l.l.» irrtümlich in verkehrter Reihenfolge.
lffi

556
557

aber nicht die Lückenlosigkeit von Substanz und Funktion ausmachen (fei ti yong menschlichen Herzens gegangen war, während er jetzt seiner Diskussion mit N·
wu jian zhe ~~Ufflfflr.U.iff). Wer daher sein <[ursprüngliches] Wissen verwirklicht>,
verwirklicht sein auf die Erregungen antwortendes und sich veränderndes Wissen
Bao die Substanz des «ursprünglichen Wissens» als Gewissen bestimmt, das
Bao für die ethische Praxis als unwichtig betrachtete.
N;:
[intentionales Bewusstsein], und wenn er sein auf die Erregungen antwortendes und Dies kommt deutlich in Nie Baos Stellungnahme zu Ouyang Des Berufung auf
sich veränderndes Wissen [intentionales Bewusstsein] verwirklicht, dann verwirklicht Wang Yangmings zweites Vorwort (1523) zu seiner Ausgabe der «Alten Fassung des
er [sein <Ursprüngliches Wissen>] notwendig in dessen Antworten auf die Erregungen Daxue» (siehe oben,Abschnitt b), S. 545) zum Ausdruck. Nie Bao schreibt an Ouyang
und in seinen Veränderungen.» 138 De: «In Ihrem Brief sagen Sie, dass im Vorwort zur <Alten Fassung des Daxue> steht:
Dieses Gleichnis Ouyang Des für das Verhältnis von «ursprünglichem <Erst nachdem Tätigkeiten vorhanden sind, gibt es Nichtgutes, doch das <[ursprüng-
Wissen» als Substanz und intentionalen Akten (Wahrnehmen von etwas: zhi jue liche] Wissen> der Substanz (ben ti zhi zhi *Ilz~) weiß immer darum. Wenn man
!Ell.W) als Funktionen ist sehr bedeutsam. Er scheint es als Erster für dieses Ver- das Wissen dieser Substanz nicht im Berichtigen seiner Geschäfte (Handlungen: shi
hältnis verwendet zu haben; vielleicht wurde es ihm durch Nie Baos Gleichnis $) verwirklicht, dann hat man auch nichts, um dieses Wissen zu verwirklichen.> 140
der Flüsse und ihrer Quellen suggeriert. Zwar ist ein ähnliches Wassergleichnis Wenn es so wäre, dann würde das <[ursprüngliche] Wissen> der Substanz (ben ti zhi zhi
im chinesischen Buddhismus sehr verbreitet, nämlich das Gleichnis der Wasser- *lllz~) 141 gerade nur ausreichen, um sich unserer nichtguten Tätigkeiten bewusst zu
wellen. Dieses steht aber in verschiedenen Interpretationen für das Verhältnis sein, aber es vermöchte nicht zu bewirken, dass keine unserer Tätigkeiten nicht gut ist
zwischen der unveränderlichen wahren Wirklichkeit (verbildlicht durch das (bu neng shi wu zhi dong wu bu shan =-Ffm-ft-W-zllliFf ~). Nunmehr sind die nichtguten
Wasser oder manchmal durch die «Feuchtigkeitsnatur» des Wassers: shi xing Tätigkeiten Verirrungen (wang ~) und sind schon nicht mehr die Tätigkeiten unserer
1.ltt) und den durch die «Unwissenheit» (sanskrit: avidya, chinesisch: wu ming Substanz (fei wu ben ti zhi dong ~~-W-*llzlll). Wenn es nichtgute Tätigkeiten gibt,
111{11}.I) hervorgerufenen veränderlichen, unbeständigen Phänomenen oder schein- nachdem sie nicht Tätigkeiten unserer Substanz sind, müssen wir einzig nur die Ver-
haften Dingen (verbildlicht durch die Wellen). 139 Doch für Ouyangs Absicht ist irrungen unserer Substanz rückgängig machen ~i wei fo wu ben ti zhi wang er yi -'lt~
wichtig, dass sein Gleichnis ein Wasserfluss ist und nicht ein stehendes Gewässer, -W-*Hz~ffiiE). Wenn man nun aber in den Geschäften [die nichtguten Tätigkeiten]
in welchem von außen durch Winde Wellen hervorgerufen werden, das aber bei berichtigt, ist das dann nicht etwa so, wie wenn man beim Jucken des Fußes den Stiefel
Windstille ruhen würde. Er sieht das menschliche «Herz» als einen sich stetig kratzt! Daraus wird die Intention des verstorbenen Lehrers [Wang Yangming] ersicht-
bewegenden Bewusstseinsfluss. Denn in seinem Gleichnis steht das Fließen für lich: Er sagte nämlich, dass das Nichtgute der Tätigkeiten aus ihrem Bewegtwerden
die unaufhörliche intentionale Aktivität des menschlichen «Herzens», für des- durch die Begierden folgt und dass, wenn wir nur bei allen Geschäften das Nichtgute
sen Sehen und Hären, Denken, Wollen und Fühlen, während das Wasser für das unserer Substanz berichtigen (ge wu ben ti zhi bu shan ffi-~*Hz=-F~), dann die Tä-
«ursprüngliche Wissen» um diese intentionalen Akte steht, im Sinne des Subjekts tigkeiten der Welt kein Nichtgutes haben, und er meinte nicht, dass das Nichtgute
(Substanz) des unmittelbaren moralischen Bewusstseins dieser intentionalen Akte. in den Geschäften sei (bu shan zai shi 1'~1:i:$).»142 Nie Bao lehnt das «ursprüngliche
Das «ursprüngliche Wissen» in diesem Sinne des moralischen Bewusstseins wäre Wissen» im Sinne des moralischen Bewusstseins der eigenen intentionalen Akte nicht
also gewissermaßen das Medium, in welchem sich alles «Wahrnehmen von et- schlechterdings ab, aber dieses Bewusstsein hat nach ihm keine Kraft, das Nichtgute
was» (zhi jue ~-) bewegt. In diesem Medium würden sich nicht nur moralisch der eigenen intentionalen Akte zu vertreiben. Die ethische Übung kann also nicht
gute, sondern auch moralisch schlechte Intentionen bewegen, deren sich das darin bestehen, dem Gewissen gemäß die Handlungen (Geschäfte) zu berichtigen,
«ursprüngliche Wissen» unmittelbar als solcher bewusst ist. Diese Bestimmung sondern nur darin, die Kraft oder das Vermögen des Guten in sich zu nähren, das
des Verhältnisses zwischen «ursprünglichem Wissen» und «Wahrnehmen von heißt noch vor allen intentionalen Tätigkeiten und Geschäften die «Substanz» des
etwas» (zhijue !Eil•) ist eine andere als diejenige, die Ouyang De zehn Jahre zuvor ursprünglichen Wissens «wiederherzustellen». Er versucht, Wang Yangmings Aussage .
(1534/35) Luo Qinshun vorgelegt hatte. Dieser Unterschied ist dadurch bedingt, von 1523, die eindeutig das Handeln gemäß dem Gewissen zum Gegenstand hat, in
dass es Ouyang De damals um den Unterschied verschiedener Intentionen des seine eigene Richtung umzudeuten.

138 Ouyang De ji, Nanjing 2007,juan 5, S. 192. ..


139 Dieses Gleichnis kommt in Siksanandas (652-710) Ubersetzung des «Lankavatara-Sutras» (TS,
Bd. 16, Nr. 672, S. 607 b-c, S. 619), im «Sastra der Erweckung des Glaubens im Großen Fahrzeug»
(TS, Bd. 32, Nr. 1666), an vielen Stellen im Hua yan fa jie guan men -ii~-W-&ll.r,, das dem Ersten 140 Nie Bao gibt etwas abgekürzt das Zitat wieder, das Ouyang De in seinem Brief an ihn (siehe oben,
Patriarchen der Huayan-Schule Dushun (557-640) zugeschrieben wird, im Yuan ren Jim J.ili:.A.~ des Abschnitt b), S. 545) aus Wang Yangmings Vorwort (Quanji,juan 7, Shanghai 1992, S. 242f.) vorgelegt
Fünften Patriarchen der Huayan-Schule und zugleich Fünften Patriarchen der Heze-Richtung des hatte: Ouyang Deji, Nanjing 2007,juan 5, S.186f.
Zen Zongmi (780-841), der großen Einfluss auf die Konfuzianer seiner Zeit hatte, und in vielen 141 Nie Bao versteht «ben ti :if!:ll» als Substanz im Gegensatz zu den Funktionen.
anderen Texten, besonders des Huayan- und des Zenbuddhismus, vor. 142 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 8, S. 242.
558 559

3. Die geistige Ruhe, das «Gewahren von etwas» (zhi jue ~-) und das <<Noch- eigentlichen Substanz des Herzens (xin zhi ben ti 1i) ;z..:zjl; lll), die trotz den Gefühlen des
nicht-Entstandensein der Gefühle» (wei fa *~). Die Freude (le •) Wohlgefallens und des Zorns, der Trauer und der Freude losgelöst und unbeeinträch-
Ouyang De hatte in seiner ersten Antwort an Nie Bao geschrieben, dass das tigt <im wahrhaftigsten Mitgefühl> (zhi cheng ce da ~~ffl~fü.) 146 aufgrund des Himmels
«Nochnicht-Entstandensein der Gefühle» (wei Ja*~) im ersten Kapitel des Zhon- tätig ist (dong yi tian) und dieses [Tätigsein] nicht mit Menschlichem vermischt, und
gyong nicht, wie Nie Bao es will, mit dem ruhigen Zustand des Herzens identifiziert sprach nicht im Sinne der Gefühle des <Wohlgefallens und Zornes, der Trauer und
werden dürfe, da in dieser Ruhe unser «Herz» zwar nicht denke und überlege, aber der Freude> von Freude (fei dui xi nu ai leer yan zhi le ~~ll'fi~~-im~ z•).» 147 Diese
doch «in Muße friedlich und ruhig, leer und gelöst, still und zufrieden» sei und sich «Freude», die für ihn kein gewöhnliches «Gefühl der Freude» ist, da sie nicht von
somit in Freude befinde, was Ouyang De als ein «entstandenes Gefühl» versteht. Das äußeren Dingen «erregt» wird, will Nie Bao nicht wie Ouyang De der «Ruhe der
«vor dem Entstehen der Gefühle» könne also nicht einen zeitlichen Zustand der Ruhe Muße» und der «leeren Gelöstheit>> zusprechen: «Wenn die Eltern sterben und das
bedeuten, sondern meine die «Substanz» des «ursprünglichen Wissens» (siehe oben, Innerste aufgewühlt ist oder wenn man in eifrigem Zorn mit gestrenger Miene schilt,
Abschnitt b), Punkt 3, S. 546f.). kann man sich dann noch in der <Ruhe der Muße> und in <leerer Gelöstheit> befinden?
Nie Bao hingegen hält an zeitlichen Zuständen des Herzens vor dem Entstehen Wenn man die <Ruhe der Muße> und die <leere Gelöstheit> für die Substanz (ti !Hl)
der Gefühle fest, in denen das «ursprüngliche Wissen» in seiner Substanz «wieder- [des Herzens] hält, dann verfällt man notwendig in die Gefühllosigkeit (wu qing ffi{ffi)
herzustellen», das heißt deren «Mitte» zu «verwirklichen» ist. Auch will er die Ruhe der Buddhisten. Wenn [aber] bei plötzlichem Donner und heftigem Wind und beim
des Herzens nicht durch die Freude charakterisieren, sondern schreibt diese vielmehr Umsturz des gewöhnlichen Laufes von Himmel und Erde die äußerst leere Substanz
einem wahrhaft mitfühlenden Handeln zu, das aus einer durch die ethische Übung zur (ti lll) [des Herzens] sich weder vermehrt noch vermindert, dann spricht man von
Vollkommenheit gebrachten «Substanz des Herzens» heraus erfolgt. Diese «Freude» einem Zustand, in welchem die Gefühle entstanden sind und auch nicht entstandenen
versteht er aber unter Berufung auf Wang Yangming nicht im Sinne des gewöhnlichen sind (shi wei Ja er wei Ja ~ffl~im*Ji).» 148 Mit diesem setzten Satz spricht Nie Bao
Gefühls der Freude. Er antwortet Ouyang De: «Der Mensch hat sicher Zeiten, in wahrscheinlich den Zustand der heiligen Menschen an, die auch in schwierigsten
denen er [keine Gefühle] des Wohlgefallens, des Zorns [usw.] hat; [erst] nachdem er äußeren Umständen und turbulentesten «Erregungen» die Stille der Substanz (ihre
durch die Dinge erregt und tätig wird, treten sie alle zusammen mit den Veränderun- «Mitte» im Nichtentstandensein der Gefühle) zu bewahren vermögen. Von der Tä-
gen auf. Wie kann man da plötzlich sagen, dass es keine Zeiten gibt, in denen keine tigkeit dieser Heiligen wird er in den nächsten Sätzen seines Briefes gleich sprechen.
Gefühle entstanden sind! Wenn Sie nun schreiben, dass <das <Vor dem Entstehen der Sehr beeindruckend ist, dass Nie Bao die höchste, «substantielle», das heißt
Gefühle> (weifa *~) keinen zeitlichen Zustand meint, sondern von der Substanz des aus dem Innern des Herzens stammende «Freude», die nach Wang Yangming eine
Herzens spricht>, 143 kommt dies der Aussage gleich, dass die Substanz (ben ti .:zjl;fll) Übereinstimmung mit sich selbst ist und zu deren «eigentlichem Wesen» das «ur-
des Wohlgefallens und des Zorns, der Trauer und der Freude die <Mitte> sei. Wenn sprüngliche Wissen» gehört, 149 nicht dem bloß ruhig versunkenen Herzen, sondern
es wahrhaft so wäre, dann hätte das <Verwirklichen der Mitte> (zhi zhong ~i:p) damit der aus der stillen, zur Fülle gebrachten Substanz hervorgehenden tätigen Mensch-
schon sein Bewenden. Wenn man aber sagt, dass die <Mitte> nicht die Substanz und lichkeit zuschreibt. Dies macht besonders deutlich, dass seine «Verwirklichung des
das <Verwirklichen der Mitte> nicht die ethische Anstrengung sei, sondern außerhalb ursprünglichen Wissens» letztlich nicht in einer meditativen ruhigen Versunkenheit,
des <Verwirklichens der Mitte> noch ein <allein Wissen> (du zhi lll~) als Leitsatz em- sondern wie für Wang Yangming und überhaupt für viele Vertreter der konfuziani-
porhebt, dann stimmt man mit der Absicht von Zisi [d.h. dem Autor des Zhongyong] schen Tradition in der tätigen Menschlichkeit besteht und dass für ihn die Versenkung
nicht ganz überein.»144 in die Ruhe nur ein Mittel oder eine Methode bedeutet, um genügend geistige Kraft
Nachdem er sich für die Zeitlichkeit des <<Vor dem Entstehen der Gefühle» (wei für eine solche Tätigkeit gewinnen zu können.
fa *Ji) auf Ch eng Yi (103 8-1107) berufen hat, kommt er auf die «Freude» zu spre- Dies kommt auch im folgenden Abschnitt seines Briefes an Ouyang De zur
chen: «Der verstorbene Lehrer [Wang Yangming] sagte einst: <Die Freude (le ist •> Geltung: Gegenüber dessen These, dass das menschliche Herz auch in der Ruhe
das eigentliche Wesen des Herzens (xin zhi ben ti ,t,,z.:zj!;ll).>145 Er sprach dabei von der entstandene Gefühle habe und somit immer schon intentionales Wissen von etwas

143 Ouyang Deji,Nanjing 2007,juan 5, S. 187. 146 Leichte Abwandlung eines Ausdrucks von Wang Yangming, mit dem dieser in seinem Brief an Nie
144 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 8, S. 243. Bao aus dem Jahr 1528 die Menschlichkeit kennzeichnet: «zhen cheng ce da tUifflllffi.» («wahres Mit-
145 Vgl. den oben in Teil I, Kap. 2, § 5 zitierten Text aus Chuanxi lu II, Nr. 166 (Brief an Lu Cheng): gefühl»): Chuanxi lu II, Nr. 189, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 84f.; siehe oben in Teil I, Kap. 3,
«Die Freude ist das eigentliche Wesen des Herzens. Obschon diese Freude nicht dasselbe ist wie die §5,S.212.
[gewöhnliche] Freude innerhalb der sieben Gefühle (bu tong yu qi qmg zhi le =f~1iH:ffi;z.~), ist sie 147 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 8, S. 243.
doch auch nicht außerhalb der Freude innerhalb der sieben Gefühle.» Quanji,juan 2, Shanghai 1992, 148 Ebd.
s.70. 149 Vgl. oben in Teil I, Kap. 2, § 5.
560
561

(Gewahren von etwas als intentionale Tätigkeit: zhi jue ;]~) und auch «ursprüngli- fünf Sinne. Er schreibt: «Das Herz (der Geist) des Menschen weiß immer (chang zhi
ches Wissen (Bewusstsein)» dieses intentionalen «Gewahrens» sei und dass auch das m-;]), und im Wechsel von Tätigkeit und Ruhe antwortet dieses Wissen immer auf die
«Verwirklichen» dieses «ursprünglichen Wissens», das heißt das «Verwirklichen der Erregungen (zhi zhi yi dongyijing mo fei ying grm ~z-:t.ll-wJl~~~Ji!IB}\). Wenn man
Mitte und der Harmonie», nicht nach Ruhe und Tätigkeit getrennt werden dürfe, keine vermischten Gedanken betätigt und sich in einem Zustand der ruhigen Muße
wiederholt Nie Bao seinen Gedanken, dass die Trennung zwischen Zeiten der Ruhe und gelösten Leere befindet (xian jing xu rang 11s'lwJlitrui), ist dies die <Ruhe> des Wis-
und Tiitigkeit zwar nicht für die vollendete «ganze Wirklichkeit» des <<ursprünglichen sens (zhi zhi jing ~□ ;z wJl); denn dieses wird dann durch eine ruhige Gegenstandswelt
YVissens» beim heiligen Menschen, wohl aber für die ethische Übung des gewöhn- erregt (gan yu jingjing IB}\mwJl:!:Jl'.), und es entspricht ihr auf ruhige YVeise (jingying wJlJ!l).
lichen Menschen Gültigkeit habe. Er antwortet: «Die ethische Übung scheidet sehr Wenn man sich im stetigen Wechsel der Gedanken und Überlegungen und in ihrer
wohl zwischen 'Litigkeit und Ruhe, doch man kann so nicht von der Leistung der zahlreichen Verwicklung befindet, dann ist dies die Tätigkeit des <Wissens> (zhi zhi
Heiligen sprechen (bu ke yi yrm sheng gong =f'E]" P). ~~::r}J). Ich meine, dass die ethische dong ;]zi!J); denn dieses wird von einer tätigen Ccgenstandswelt erregt (gttn yu dong
Anstrengung der Rückkehr zur Stille (guiji zhi gong §ljl~;z_::r}J) an sich nicht zwischen jing IB}\mi/J:tJt), und es entspricht ihr auf tätige Weise (dongying i/JJ!l). In der Tätigkeit
Tätigkeit und Ruhe trennt (hen wu jirtn yu dongjing *1UsiMibffil). Sie macht einheitlich funktionieren alle fünf Sinne (wu guan ju yong Ji ~1~ffl), und dies bildet die Dinge
die Rückkehr zur Stille zum Herrschenden (yi yi gui ji wei zhu -P).§ljl~~::E). Wenn (Geschäfte) der <Tätigkeit> (wei dong zhi wu ~m!Jz4m); in der ,Ruhe> funktionieren
aufgTund der Stille auf die Erregungen [durch die Dinge] geantwortet wird (jiyi ying die fünf Sinne nicht, und dies bildet die Dinge (Geschäfte) der ,Ruhe>. Tätigkeit und
gan ~P).JnllIB}\), dann ist die Ursache des Durchdringens fdcr Dinge] der Welt von selbst Ruhe sind beides Dinge (Geschiifte) (dongjingjie wu yc ibffil~'l@fil). Wenn in ruhiger
vorhanden (zi you yi tong tian .xia zhi gu § ~ i::i,~:51c ~ .2. i!&). Das Antworten [auf die Er- Muße und gelöster Leere und ohne das Funktionieren der fünf Sinne dieses <Wissen>
regungen durch die Dinge] ist nicht etwas, was ich mit meiner eigenen Kraft vermag lauter und hell ist und [sich] nicht betrügt (jing rning hu qi fflBJ'J=f)'tJ:), dann wird es zur
(yingfei wu suo nengyu qi li ye Jnll~~~JiJr~MIUtnm). Wenn ich Kraft im Antworten auf Zeit der Verwicklung in zahlreiche Gedanken nicht vermindert (hu jian 1"ir.1); und
die Erregungen anwende, zaudernd und ungewiss nachdenke (chong chong zhi si ffiffi;z wenn in der Verwicklung in zahlreiche Gedanken im gemeinsamen Funktionieren der
}!3,), dann entstehen Fehler und Überschreitungen. Diese Überschreitungen und Feh- fünf Sinne dieses <Wissen> lauter und hell ist und [sich] nicht betrügt, dann wird es
ler entstehen bei Erregungen, die nicht in der Stille stattfinden (shengyu bu ji zhi gan zur Zeit der ruhigen Muße und gelösten Leere nicht vennehrt (lm jia =f1.m). Tätigkeit
1:-_ JrFf ~ ;z_IB}\) .»1 so und Ruhe sind beide Wissen. Wenn dieses \Vissen lauter und hell ist und fsich] nicht
Ouyang De hebt in seiner Antwort hervor, dass die ethische Anstrengung des betrügt, dann entstehen daraus keine Einseitigkeitcn fd.h. es ist in der <Mitte>]; und
«Verwirklichens des ursp1iinglichcn Wissens» sowohl in der Ruhe als auch in der wenn gelegentlich solche Einseitigkeiten doch entstehen, weiß dies das lautere und
Tätigkeit zu geschehen habe, denn sowohl in der Ruhe als auch in der Tätigkeit habe helle Wissen fals Gewissen] selbst (zi z;hi zhi § ;]z) und vertreibt dann die Einseitig-
das menschliche Herz Wissen. Und dieses «Wissen» versteht er wieder im doppelten keiten, um die Ausgeglichenheit [<i\!litte>] wiederherzustellen 01i ji1yu wu pitm yi i::i.~M
Sinne: einerseits im Sinne des intentionalen Gewahrens von etwas (zhi jue ;]•), des 1m~{t). Wenn dieses Wissen lauter und hell ist und [sich] nicht betrügt, dann begeht
Fühlens von etwas, überhaupt der auf die Erregungen durch Dinge intentional ant- es in der Folge nichts Widerspenstiges [d.h. es ist <harmonisch>]; und wenn es gele-
wortenden Akte, andererseits im Sinne des unmittelbaren moralischen Bewusstseins gentlich doch solch Widerspenstiges begeht, weiß dies das lautere und helle Wissen
dieser antwortenden Akte, das heißt im Sinne des «Gewissens», wobei diese zwei [als Gewissen] selbst (zi zhi zhi §;];z) und vertreibt dann dieses Widerspenstige, um
Begriffe des «Wissens», wie wir oben gesehen haben, für ihn nur zwei Aspekte der- den Zustand ohne Widerspenstiges wiederherzustellen. Das ist das <Verwirklichen des
selben Wirklichkeit sind wie beim Wasserfluss sein Fließen und sein Wasser. Da das [ursprünglichen] Wissens>, um dadurch die <Mitte> (zhong ~) und die <Harmonie> (he
menschliche Herz immer intentional antwortet, sowohl in der Ruhe als auch in der ~)wiederherzustellen.Wenn das lautere und helle [Wissen] in der Zeit, während der
Tätigkeit «intentionale Gegenstände» (jing :lJt) und seine «Angelegenheiten (Geschäf- die fünf Sinne nicht funktionieren, [sich] nicht betrügt, dann ist dies das <Berichtigen
te: wu @J)» hat und auch selbst in seinem Gewissen weiß, dass dieses Antworten nicht der ruhigen Geschäfte> (ge jing zhi wu ffi-ffil ;z@I); wenn das lautere und helle. [Wissen]
immer richtig, nicht immer, mit dem Zhongyong gesprochen, in der «Mitte» und «har- in der Zeit, während der die fünf Sinne zusammen funktionieren, [sich] nicht betrügt,
monisch» ist, muss es dieses Antworten sowohl in der Ruhe als auch in der Tätigkeit dann ist dies das <Berichtigen der tätigen Geschäfte> (ge dong zhi wu ffi-i!J;z@l).» 151
«berichtigen», wenn es sein Gewissen nicht «betrügen» will. Den zeitlichen Zustand Dass das menschliche Herz immer Wissen (Bewusstsein) hat, bedeutet für
der geistigen Ruhe charakterisiert Ouyang De in dieser Antwort an Nie Bao nicht nur Ouyang De, dass es immer etwas gewahrt (zhi jue ~~), und das bedeutet für ihn, dass
wie in seinem vorigen Brief durch die Abwesenheit von Gedanken und Überlegungen es immer Intentionen von etwas hat, und dass es sich dieser Intentionen moralisch be-
und durch eine «stille Zufriedenheit», sondern auch durch das Nichtfunktionieren der

151 Ouyang Deji, Nanjing 2007,juan 5, S.194; zum Teil aufgenommenimMRXA,juan 17, Beijing 1985,
150 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 8, S. 243. s. 370f.
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wusst ist, das heißt immer ein «ursprüngliches Wissen» im Sinne des Gewissens hat. bestehen (jing ye zhong cun AA~ICP-f.f), und dies sind Intentionen der Furcht (ju yi
Auch die guten Intentionen kann Ouyang De als «ursprüngliches Wissen» anspre- 'lt(~), also entstandene Gefühle (fa ~); und auch wenn man sich keine Sorgen mehr
chen, wie er dies in seinem Briefwechsel mit Luo Qinshun tat, wodurch bei ihm auch macht, besteht doch beschauliche Ruhe und Zufriedenheit (timz_jing zi ru ffiffl!g:i:lm),
Wang Yangmings erster Begriff des «ursprünglichen Wissens» zum 'fragen kommt. und dies sind Intentionen der Freude (le yi ~~), also entstandene Gefühle (ja ~).»1s4
Dass Ouyang De das « Wissen» im Sinne des Gewahrens von etwas als Intentio- Es ist sehr bemerkenswert, wie Ouyang De phänomenologisch den geistigen
nen (yi ~) versteht, zeigt ein wohl ungefähr gleichzeitig wie die beiden oben zitierten Zustand der Ruhe sah, der für ihn zwar nicht wie für Nie Bao die eigentliche Methode
Schreiben an Nie Bao verfasster Brief an einen mir sonst nicht bekannten Beamten der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» war, aber wie für Wang Yangming
namens Wang Yuzhai 3:. im~, der wohl zur Schule Wang Yangmings und vielleicht und alle seine Schüler durch das «Sitzen in der Ruhe» (jing zuo ffil~) doch eine wich-
zum geistigen Umkreis von Nie Bao gehörte. Dieser Brief zeigt auch, dass Ouyang tige spirituelle Therapie ausmachte. Diese Ruhe ist nach Ouyang De kein Zustand
De die Abwesenheit von Gedanken und Überlegungen im Zustand der geistigen «vor dem Entstehen der Gefühle» (wei Ja *~), sie ist nicht ohne «Intentionen» (yi
Ruhe als «Konzentration im Einen» (zhuan yi ~-) versteht. WangYuzhai hatte ihm ~) und deren Gegenstände (jing J:i). Sie ist zwar ohne sinnliches \Vahrnehmen (ohne
zuvor zehn Probleme vorgelegt, deren erstes lautete: «Die Intentionen sind entstan- Funktionieren der fünf Sinne), sie ist «ohne Denken und Überlegen» (si lü bu sheng
dene 'l \itigkeiten des Herzens (xin zhi fa 1i)Z~). In der Zeit, bevor diese Tätigkeiten J!l,Jli1'1:.), die verschiedenen Gedanken sind in ihr alle vernichtet (zhu nian xi nzin ä
entstanden sind, ist die Substanz [des Herzens] beständig hell (ben ti chang niing ~~5tt), sie ist ein psychischer Zustand, der «im Einen konzentriert ist» (zhuan yi ~
.:z\.,!li1f;S.,EI), sie ist keine Intention (feiyiye ~~~t:B). Wenn man die Intentionen als das -), aber die «Behutsamkeit und Ccwissenhaftigkeit bleibt dabei bestehen (jing ye
Herz betrachtet, dann hat das 1-Ierz beständig Intentionen. Wenn es Intentionen zhong cun AA~q:i ff)», und ihre «friedliche und ruhige 1vluße» (an xian tian jing ~ lfflffi
hat, dann hat es auch die Gegenstände [dieser Intentionen] (you suo ~ Pli). Dass die ffi!), ihre «Leere und Gelöstheit, Stille und Zufriedenheit» (xu rong dan ho ~ilM\Jr.1/Js)
Intentionen zn gewissen Zeiten entstehen, bedeutet, dass [die Substanz des Herzens] ist «Freude», und diese Behutsamkeit und diese Freude sind nach Ouyang De
beständig ohne Intentionen und ohne deren G·egenstände ist.» Wohl noch innerhalb «Intentionen» (yi ~) und «entstandene Gefühle» (qing yi ftt '~ B ~). Das würde
dieses ersten Problems hatte Wang Yuzhai zudem geschrieben: «Das Herz ist die Nie Bao wohl verneinen, und man müsste ihm phiinomcnologisch in gewisser Hin-
Substanz des VVissens (xin zhi ti ~;zft), und Stille und Erregungen haben ihre Zei- sicht recht geben. Denn diese «Freude» ist keine Freude an irgendwelchen einzelnen
ten. Die Intentionen sind der Anfang der Erregungen, und ihre Veränderungen sind Dingen oder Gegenständen, sie ist kein intentionales Gefühl hinsichtlich einer be-
vielfältig (bian dang bu yi ~th:::r:-).» 152 Ouyang De antwortete ihm: «Die Lebendig- stimmten Sache (/e yi ~~), sondern eine Stimmung oder Gestimmtheit des eigenen
keit und der Lauf des menschlichen Herzens ist grenzenlos und wird <Intentionen> Daseins, und auch diese «Behutsamkeit», «Achtsamkeit» oder «Gewissenhaftigkeit»
(yi ~) genannt. Wenn diese Intentionen einmal vielfältig und verworren sind (fen ist keine intentionale Furcht vor etwas (ju yi 1U~), sondern eine geistige Haltung der
yun K&~), ist dies die Tätigkeit der Intentionen (yi zhi dong ~Zih); und wenn sie Aufmerksamkeit in der Konzentration auf «das Eine» (zhmm yi Inwiefern diese
sich ein anderes Mal im Einen konzentrieren (zhuan yi ~-), ist dies die Ruhe der geistige Ruhe als ein intentionales Bewusstsein von etwas beschrieben werden kann,
Intentionen (yi zhi jing ~;zffi!). Die <Ruhe> ist nicht ohne Intentionen (jingfei wu yi werden wir in den abschließenden Bemerkungen dieser Studie noch kurz erörtern.
ffi!~~1!!l~); diese entstehen nicht erst mit der Tätigkeit. Denn die verworrene Vielheit Luo Hongxian wird den psychischen Zustand im «Sitzen in der Ruhe» (jing zuo
und die Konzentration im Einen konstituieren sich wechselseitig als verschiedene ffil*) «wie ein Sehen im Form- und Farblosen, wie ein Hören im Tonlosen», also als
Zustände (xiang xing er hu yi *El%im1Ht). Bei dem, was [im <Großen Anhang> des ein Bewusstsein ohne bewusste Gegenstände (wu Wl), beschreiben. 155
<Buches der Wandlungen>] <Wandel> (yi ~) heißt, bezeichnet das <Stille> (ji ran ,l\il,?'&) 4. Das «Pflegen (Nähren)» des «ursprünglichen Wissens»:
das Nichtbewegtwerden der Substanz durch die Wünsche (yu W:.), und das <Durch- Nie Bao pflichtet der Form nach Ouyang Des Ausführungen über das «Bewah-
dringen [der Dinge] in den Erregungen> (gan tong ~Jffi) bezeichnet das Nichtbehin- ren» (cun ff) und «Pflegen» (yang ~) des «ursprünglichen Wissens» bei, in Wirklich-
dertwerden der Funktionen durch den Egoismus (si ;fl:.). <Substanz und Funktionen keit aber will er diese nicht wie Ouyang De als eine Vertiefung des Gewissens durch
sind eine Einheit, Offenbares und Verborgenes sind nicht getrennt.> 153 Es gibt nicht die Achtsamkeit darauf, dass man sich nicht im Handeln durch Selbstbetrug selbst
eine Zeit der Stille und eine andere Zeit der Erregungen, und es gibt nicht vor den schädigt und verliert, sondern als «Bewahren» und «Pflegen» der «Substanz» des
Erregungen eine Zeit vor dem Entstehen der Gefühle (wei fa zhi shi *~Z~). Denn «ursprünglichen Wissens» in der Ruhe, um dadurch danach ein spontanes («natürli-
auch wenn [in der Ruhe] die verschiedenen Gedanken alle verschwunden sind (zhu ches») gutes Handeln zu erwirken, verstehen. Er schreibt: «Bei den beiden Wörtern
nian xi min ä~~.fött), bleibt doch die Behutsamkeit und Gewissenhaftigkeit dabei

154 «Antwort an Wang Yuzhai», Ouyang Deji, Nanjing 2007,juan 4, S. 124; aufgenommen im MRXA,
152 Ouyang deji, Nanjing 2007,juan 4 (Briefe zwischen 1546 und 1551), S. 125. juan 17, Beijing 1985, S. 367.
153 Vorwort zum Yi chuan von Cheng Yi (1034-1107). 155 Siehe unten, Kap. 4, § 5,Abschnitt e).
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<Bewahren> und <Pflegen> ist es so, wie Sie schreiben. Das <Bewahren> spricht über diskutierten, behauptete er nie unordentlich etwas, indem er Worte, die er nie [von
das Sichzurückholen und Sichsammeln nur an einen einzigen Ort ldes Bewusstseins] Wang Yangming] gehört hatte, als solche Worte ausgab. [... ] Der verstorbene Lehrer
(shou lian zhi zai yi chu t&ßJ!:HtE-JJK), ohne [seinen Gedanken] Lauf zu lassen (bu fang [Wang Yangming] sagte, dass das <allein Wissen> immer <ursprünglich> sei (du zhi wu
yi 1'~~). Das <Pflegen> spricht vom Einpflanzen des Samens, seinem Bewässern und you bu liang ~~AA~::f ~). Wenn Meister Nanye [Ouyang De] mit den <Gleichgesinn-
Hegen, um ihn zu pflegen, von der ununterbrochenen Anstrengung der Errichtung ten> (tong zhi fcJ~) über das <Lernen> sprach, war er sehr ausführlich und genau bei
der Grundlage (li ben zhi gong .l[*;z_J}.J). Die <Ehrforcht> (jing :/wl.), die <Rücksicht> (shu der Lehre vom <allein Wissen>. [Dass man seinen <Willen wahrhaftig macht>,] <wie
ti:i.), die <Achtung> (gong ffe), die <Loyalität> (zhong Ji'-) sind [dann] alle das natürliche wenn man schöne Farben liebt und üble Gerüche verabscheut> [Daxue], das ist der
Maß unserer stillen Substanz und heißen in gleicher Weise Sittlichkeit (/i tll).» 156 Es wahre Antrieb des Antwortens auf die Erregungen; dass man sich hütet, sich selbst zu
ist dies einer der wenigen 1exte, in denen Nie Bao seine Methode der «Rückkehr zur betrügen, und danach strebt, <mit sich selbst zufrieden (einig) zu sein>, darin besteht
Stille» psychologisch charakterisiert: Sie ist ein Sichzurückholen und Sichsammeln die <Achtsamkeit auf das Alleinsein> (shen du tl~). In der Sammlung [seiner Schriften]
nur an einen einzigen Ort [des Bewusstseins], ohne [seinen Gedanken] Lauf zu lassen geht es um nichts anderes.» 159 Ouyang De war Schüler Wang Yangmings während
(shoulian zhi zai yi chu, bu fangyi t&ßJ!:Rl'.E-JJK::f~~). Dies entspricht in seiner Bedeu- dessen späterer Zeit inJiangxi (1518-1521), als er den Begriff des «ursprünglichen
tung Ouyang Des «Konzentration im Einen» (zhuan yi ~-), so dass wahrscheinlich Wissens» im Sinne des «Gewissens» konzipierte. Dieser schrieb, dass für die Klärung
ihre Weisen des «Sitzens in der Ruhe» sich psychologisch nicht wesentlich vonein- dieses Begriffs seine Gespräche mit Ouyang De (und mit Chen Jiuchuan) hilfreich
ander unterschieden. waren. 160 Diese Idee scheint im Zentnnn von Ouyang Des Denken geblieben zu sein.
Ouyang De antwortete nicht mehr darauf, wohl weil er das von ihm in seinen In philosophiegeschichtlichen Darstellungen wird im Allgemeinen die Verwandtschaft
Briefen vorher Gesagte als ausreichende Antwort betrachtete. In diesem Punkt des zwischen Zou Shouyis und Ouyang Des Auffassung von der «Verwirklichung des
«Pflegens» des Herzens konzentriert sich der Gegensatz zwischen ihm und Nie Bao ursprünglichen Wissens» hervorgehoben. Das ist wohl richtig. Während Zou Shouyi
hinsichtlich ihrer Auffassung der «Verwirklichung» des «ursprünglichen Wissens» aber an die in verschiedener \Veise interpretierbare «Achtsamkeit und Furchtsam-
im Gegensatz zwischen achtsamem Handeln gemäß dem eigenen Gewissen («allein keit bei dem, was man nicht sieht und nicht hört», im ersten Kapitel des Zhongyong
\Vissen») und der Stärkung des eigenen Vermögens zum Guten, vor allem Handeln. anknüpfte und sie im Lauf seines Lebens auch in verschiedenem Sinne verstand, 161
Gemäß diesen Briefen besteht für Ouyang De die «Verwirklichung des ur- scheint Ouyang De diese «Achtsamkeit» aufgrund des sechsten Kapitels des Daxue
sprünglichen Wissens» also in einem Handeln, in welchem man «achtsam» auf sein als Achtsamkeit, dass man «nicht sich selbst betrügt» (im Sinne seines Lehrers: dass
«ursprüngliches vVissen» (verstanden als «Gewissen») ist und nicht dadurch «sich man nicht gegen sein eigenes «besseres Wissen» handelt), verstanden zu haben. Doch
selbst betrügt», dass man dagegen verstößt, sondern in Übereinstimmung mit ihm die Texte im Zhongyong und im Daxue stehen beide unter der Devise: «Der Edle ist
handelt und dadurch «mit sich zufrieden (einig) sein» kann. Das scheint Ouyang achtsam auf sein Alleinsein.»
Des Auffassung von der ,<Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» seit seinen
Lehrjahren bei WangYangming bis zu seinem Tod gewesen zu sein. WangJi schrieb § 3 Die Kritik von Zou Shouyi an Nie Baos Auffassung von der «Verwirk-
1569 in seinem Vorwort zu einer in vier oder fünf «Büchern» (juan)1 57 bestehenden lichung des ursprünglichen Wissens» in den Jahren von 1547 bis 1550:
Auswahl aus den 1556 herausgegebenen «Gesammelten Schriften» Ouyang Des (30 Die ethische Praxis darf nicht zwischen Ruhe und Tätigkeit trennen
jua11), dass dieser die <,Achtsamkeit» im «allein Wissen» (du zhi ~~) zum Zentrum
seiner Lehre hatte. «Allein Wissen» ist ja nach Wang Yangming ein anderes Wort für Unter Nie Baos Landsleuten aus Jiangxi kritisierte ihn am heftigsten Zou Shouyi.
das «ursprüngliche Wissen» im Sinne des Gewissens. 158 Wang Ji schreibt an dieser Dieser war aufgrund seiner persönlichen Vertrautheit mit Wang Yangming, seiner
Stelle: «Ich Unwürdiger hatte mit Meister Nanyc [Ouyang De] während mehr als hohen sozialen Stellung, seiner großen org,misatorischen Fähigkeit und Initiative
dreißig Jahren Umgang. Am tiefsten war der von ihm empfangene Nutzen seiner Ge- sowie seiner kontinuierlichen Präsenz in der PrMektur Ji 'an (von seinem Rückzug aus
nauigkeit und Gründlichkeit (shou qi qie mo zhi yi zui shen ~!t-1;.JJfij;z_M_JU~~).Jedesmal der Beamtentätigkeit 1541 bis zu seinem Tod 1562) der geistige Führer der Schule in
wenn wir zusammen über die spiite Lehre der Schule des Lehrers [Wang Yangmingl Jiangxi und fühlte sich verantwortlich für ihre Einhcit. 162 Er äußerte sich mehrmals
kritisch gegenüber Nie Bao. Obschon die Kritik von Ouyang De viel differenzierter

156 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 8, S. 244.


157 1n der Au;gahc dieses Vorwortes innerhalb der «Gesammelten Schriften» von W:1ng Ji ist von «vier 159 Wtmg Longxi qurm ji (1822),juan 13, S. J 2a (Taipei 1 'J70, S. 887); WangJiji, Nanjing 2007,juan 13,
juan» die Rede (Wang Longxi quan ji [1822],juan 13, S. 1la [Taipei 1970, S. 885]; Wang Ji ji, Nan- S. 348; Ouyang De ji, Nanjing 2007, Anhang, S. 854.
jing 2007,juan 13, S. 348), während dasselbe Vorwort innerhalb der «Gesammelten Schriften» von 160 Siehe oben, Teil I, Kap. 2, § 2, S. 146.
Ouyang D~ von «fünfj111111» spricht (Ouyang /)e ji, Nanjing 2007, Anhang, S. 853). 161 Siehe oben in der Einleitung zu Teil Il ckn § 7, S. 3Mlff.
158 Siehe oben,' füll, Kap. 2, § 1, S. 136ff., § 2, S. l 52f., und§ 3, S. 160f. 162 Zu Zou Shonyi siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II die§§ 6 und 7.
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ist als die seinige, sind sie von demselben Grundgedanken geleitet: «Stille» (ji iAA'.) und Dingen zu entsprechen> (bu nengyi you wei wei yingji 1'~~1-::Z~ ~~JJ!Ul) [Cheng Hao
«Erregungen» (grm ®) (Begriffe aus dem «Großer Anhang» des Yijing) bzw. die «Mit- 1032-1084]; wenn man sich einseitig auf die Erregungen abstützt, dann vermag ma~
te vor dem Entstehen der Gefühle» und die «Harmonie nach ihrem Entstehen» (Be- nicht, aus dem hellen Gewahren etwas Natürliches zu machen> (bu nengyi mingjue
griffe aus dem ersten Kapitel des Zhongyong) bilden gemäß dem «eigentlichen Wesen wei zi ran 1°'~P).aJHI~ § ~) [Ch eng Hao] 16''.» 165
des Herzens (Geistes)» eine unauflösbare Einheit und können nicht zu verschiedenen In einem Brief an Nie Bao, der wohl aus demJ ahr 1549 stammt, übte Zou Shouyi
Zeiten stattfinden. Es gibt demnach keine echte ethische Übung in einer Zeit der auf diesen großen moralischen Druck aus, nicht eigensinnig auf seiner von der Schule
«Stille» vor den «Erregungen» bzw. in einer Zeit der «Mitte» vor dem «Entstehen abweichenden Meinung zu beharren und auf die Kritik seiner «Gleichgesinnten» zu
der Gefühle». Ontologisch ausgedrückt: Die stille «Substanz» (ti U) des Geistes und hören. Nie Bao war damals aus dem Gefängnis in Peking nach Hanse zurückgekehrt
ihre <<Funktionen» (Tätigkeiten: yong J:l'I) lassen sich nicht voneinander abtrennen, und veröffentlichte dort sein K:un hian lu. Zou Shouyi rügt ihn zuerst, dass er sich nicht
sondern sind immer eine Wirklichkeit. Es ist also Wang Y'lngmings Ablehnung einer um die kritische Meinung der Schule kümmere, und lehnt sich dann in seiner Kritik
ethischen Übung in einer Zeit «vor dem Entstehen der Gefühle» bzw. die von ihm an diejenige Ouyang Des von 1542/43 an, die wir im vorangegangenen Paragraphen
betonte Einheit von innerer Ruhe und von Tätigkeit in der äußeren Welt, welche die erörtert haben. Nachdem er Nie Bao für dessen Besuch in Anfu gedankt und erwar-
Grundlage ihrer Kritik bildet. tungsvoll die zwischen ihnen verabredete Versammlung in Xuantan ~):\\I im Kreis
Schon Anfang 1547, in einem Text zum sechzigsten Geburtstag Nie Baos (13. Tag Jishui, wo Luo Hongxian wohnte, erwähnt hat, schreibt er, dass nach ihrem Abschied
des ersten iVlondes), der in diesem Jahr auf den 4. Februar fiel, kritisierte Zou Shouyi Shanshan ~ Uj (He Tingren, 1486-15 51, aus der südlich vonJi'an gelegenen Präfektur
Nie Baos zeitliche Trennung von «Stille» und «Erregungen». Der Text gibt einerseits Ganzhou) und Mingshui aJj7]<. (ChenJiuchuan, 1495-1562, aus der nördlich vonJi'an
eine Art Laudatio wieder, die an diesem Tag an einem Bankett zu Ehren von Nie Bao gelegenen Pfrfektur Fuzhou), in die Fugu-Akadernie in Anfo gekommen seien, dass
am Fuß des Qingyuan-Gebirges, südöstlich der PräfckturhauptstadtvonJi'an, wahr- diese beiden dann (von ihm begleitet) noch andere Orte im !(reis Anfu besucht und
scheinlich von einem Schüler Nie Baos vorgetragen wurde, und andererseits enthält dort mit verschiedenen Schülern Wang Yangmings, unter anderem mit Shishi 15~
er kritische Stellungnahmen von Zou Shouyi zu den in dieser Laudatio dargestellten (Peng Zan jj ®i)1 66 und Shiquan giji;lj'l_ (Liu Rangcai), in der Sommerhitze wiederholt
Auff::1ssungen von Nie Bao. An diesem Bankett nahmen «Gleichgesinnte» (tong zhi Nie Baos Meinung diskutiert hätten. Sie seien dabei zum Schluss gekommen, dass
~;t;) der ganzen Präfektur Ji'an teil. Im dritten Abschnitt der Laudatio heißt es: «Stille und Erregungen nicht zu zwei verschiedenen Zeiten stattfinden (wu er shi ~
«Der \Ville von Meister Slrnangjiang [Nie Bao] ist erhaben, und seine Fähigkeiten =iey) und dass Substanz und Funktionen nicht zwei getrennte Bereiche seien (wu er
reichen aus, um ihn zu erfüllen. [Zuerst] reiste er in allen Gegenden herum und jie ~=~)». 167 Zou Shouyi führt also eine ganze Reihe gewichtiger Autoritäten der
schoss verschwenderisch Pfeile ab (she shi ru po %:9i::P□ ~ffi'.). Als er dann die Lehren des Schule gegen Nie Bao an. Er schreibt: dann: ,,Es ist so wie, wenn man jemanden mit
verstorbenen J\;Teisters lvVang] Yangming vernahm, überlegte er genau die Praxis der seinem persönlichen Namen (rnirzg 45) benennt, sein Großjährigkeitsname (zi =i2)
Anstrengung (jing si lijian ~J[UJ~), wie man heim Bogenspannen das erforderliche mitbegriffen ist und umgekehrt. So sind die <Mitte [vor dem Entstehen der Gefühle]>
Maß bedenkt. Erst spät erlangte er aus sich selbst ein Verständnis (wan er zi de ~ji'jj und die <Harmonie [nach ihrem Entstehen]> zwar verschiedene Benennungen (er
§ ~i): Er verstand plötzlich die <Mitte vor dem Entstehen [der Gefühle]> und befürch- cheng = ffi), aber die <Achtsamkeit im Alleinsein> (shen du ffim) [nach dem Zhongyong
tete, dass eine <nachgeahmte (künstliche) Gerechtigkeit> (yi xi~~) zum <Berichtigen und dem Daxue) beinhaltet nicht zwei verschiedene ethische Leistungen (wu er gang
der Handlungen> erklärt werde. Seine Absicht ging auf die <Stille> (ji iAA'.), durch die ~=:i:..t.J). Nun haben Sie, Herr, fest entschlossen Vertrauen in sich selbst (zi xin § ffi°)
dann auch die <WUnderharen Erregungen> (miao gan Jr)~) vorhanden seien.» Zou und üben die ethische Anstrengung von der <Stille> (ji iAA'.), von der <Substanz> (ti lll)
Shouyi bemerkt dazu: «Das Lernen macht keinen Unterschied zwischen Stille und her aus und betrachten das Antworten auf Erregungen und die Funktionen (gan ying
Erregungen (xue wu ji gan !/Ml!tiAA'.~); mit [der Unterscheidung zwischen] <Stille> und
<Erregungen> weist man bloß sprachlich auf etwas hin (yi yan hu suo zhi P,.I. ~:s_f p}T:j:~).
Es ist so wie bei der Sonne, bei der die Helligkeit (guang "jf:,) ihre Substanz (ti U) und
164 «Dann vermag man nicht, im Handeln der äußeren Situation zu entsprechen», und «dann vermag
das Erhellen (Beleuchten: zhao ~) [von Dingen] ihre Funktion ist. Wenn man [wie man nicht, aus dem hellen Bewusstsein etwas Natürliches zu machen», sind Zitate aus dem sehr
Nie Bao] zwischen dem Lernen, das dem Himmel vorangeht, und dem Lernen, das berühmten Brief von Cheng Hao (1032-1084) an Zhang Zai über die «Festigung der Natur» (ding
xing .'.lE'.11.'i'. Der entsprechende Kontext lautet bei Cheng Hao: «Das Gemüt jedes Menschen ist
dem Himmel nachfolgt, 163 trennt, dann macht man aus der Substanz und den Funk-
verdunkelt; deshalb vermag er das Dao nicht zu befolgen. Im Allgemeinen liegt das Übel im Egoismus
tionen [des <ursprünglichen Wissens>] ein zeitliches Nacheinander. [... ] Wenn man und in der klugen Berechnung. Wenn man egoistisch ist, dann vermag man nicht, im Handeln der
sich einseitig auf die Stille abstützt, ,dann vermag man nicht im Handeln den äußeren äußeren Situation zu entsprechen; wenn man klug berechnet, dann vermag man nicht, aus dem hellen
Bewusstsein etwas Natürliches zu machen.» Mingdao xiansheng wenji, 2; Beijing 1981, S. 460f.
165 Shuangjian Nie zi shrm yan ~5IA-r81§f, Zou Shouyiji, Nanjing 2007,jaan 3, S. 113.
166 Zu Peng Zan siehe WuZhen:Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S.143.
163 Zu diesen beiden Arten von «Lernen» siehe oben in diesem Teil II, Kap. 1, § 5, S. 456ff. 167 Zou Shouyiji, Nanjing 2007,fuan 11, S. 542.
LI
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yun yang ~/Jlfflffl) als die erfahrene Wirkung (xiaa yan 3(~~), bei der es keine Anstren- zhi ,g-~~aJ.l;'l-;'1-)jij;;Jjit;;* ~). 170 Wenn man sich einseitig auf die Erregungen abstützt
..
dann jagt man dem Außeren nach; wenn man sich einseitig auf die Stille abstützt, dann
'
gung mehr brauche. Obschon man an dem hängt, was einem seit langem bekannt ist,
glaube ich doch, dass darin, im Verborgenen und ohne sich dessen bewusst zu sein, hält man sich allein an das Innere. Obschon diese zwei Ausrichtungen voneinander
Vorurteile liegen, wenn man mit keinem Wort den Einwänden seiner Umgebung sehr divergieren, so kommen sie in ihrem Verfehlen der <eigentlichen Natur [des
entgegenkommt. Stützen Sie sich da nicht einseitig auf <die Mitte vor dem Entstehen Herzens]> (bingyu ben xing ~M-~11) doch überein. Wie steht es [bei Ihnen] damit?» 171
[der Gefühle]>?» 168 Danach beruft sich Zou Shouyi explizit auf den zweiten Antwortbrief Ouyang
Im Weiteren stützt sich Zou Shouyi zuerst implizit auf Ouyang Des erste Des an Nie Bao von 1543 172 und versucht, ihn auch mit dieser Autorität von seiner
kritische Antwort von 1542/43 an Nie Bao (siehe oben, § 2, Abschnitt b)) über die abweichenden Meinung abzuhalten: «Meister Ouyangs Briefe sind gründlich und ge-
normative Funktion (Leitbildfunktion) des «eigentlichen Wesens des ursprünglichen nau. Er schreibt: <Die Anstrengung des <Verwirklichens des [ursprünglichen] Wissens>
Wissens» für die Praxis des «Verwirklichens des ursprünglichen Wissens». Er erklärt, besteht im Verwirklichen seiner Erregungen in beständiger Stille (zhi qi changji zhi
dass die Anstrengung der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» in « Über- gan ~~m";f,ii'.~~) und besteht nicht im Verlassen der Erregungen durch das Suchen
einstimmung mit dem <eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens> geschehen der Stille; sie besteht im Verwirklichen seiner Entsprechungen in großer Allgemein-
muss (xu he de ben ti ~~~~*lffl)» und dass diese Übereinstimmung durch die Praxis *
heit (zhi qi da gang zhi ying R~ ~ zHi) und besteht nicht im Nichtentsprechen, das
der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» (erstes Kapitel des Zhangyang) zustande kommt. für die Weite gehalten wird (fei wu sua ying, yi wei kua ran ~~1mi'Jr/1l.l-:;l_~®i~). [... ]173
Zou Shouyi verleiht hier also auch seiner Auffassung Ausdruck, dass die «Achtsam- Zu jeder Zeit ist es 174 gegenwärtig (shi shi xian zai ~Bt!Jltt), in jedem Augenblick ist
keit» auf das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» gerichtet ist und dass es vollkommen (ke ke wan man ~J~Jt~)- Es gibt keinen Zustand und keine ethische
die «Furchtsamkeit» in der Furcht besteht, dieses «Wesen» durch etwas anderes zu Anstrengung in einem Zeitabschnitt vor dem Entstehen [der Gefühle] und bevor
verdecken und zu verfälschen. Es ist die «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» in der drit- man einer praktischen Aufgabe nachgeht, um so nicht erst beim Handeln sich etwas
ten der von Zou Shouyi unterschiedenen drei Bedeutungen. 169 Zou Shouyi schreibt, auszudenken und in die <nachgeahmte Gerechtigkeit> (yi xi~!!\) zu geraten.> 175 Doch
indem er vom «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» als Norm der ethi- Sie, älterer Bruder, scheinen dem noch nicht zuzustimmen. Wenn die Menschen im
schen Praxis ausgeht: «Das <ursprüngliche Wissen> ist fein und klar, wahr und rein. Es Altertum etwas sagten, das dem I !erzen der anderen zuwiderlief, haben sie notwendig
kann nicht mit den geringsten weltlichen Gefühlen beschmutzt werden (dian wu bu de beim Dao (bei der Wahrheit, bei der allgemeinen Lehre) nachgeforscht (bi qiu zhu dao
&5'!FH~); es können ihm nicht die geringsten körperlichen Tendenzen beigemischt &;,~iitfm), haben bescheiden das Gute aufgenommen und wollten es nicht süffisant
werden (yi haa qi zhi jia za bu de -:~JRIJi)~?'tlFF{~); es kann nicht mit dem geringsten (zi zu ~ JE) auf solche Weise verdecken. Wenn Sie nun aber, mein Herr, an Ihrem
Sehen und Hören sowie Vermuten durchbohrt und kombiniert werden (yi haa jian eigenen Zuwiderlaufen nicht Anstoß nehmen und nicht nachforschen, ist es dann
wen tui ce chuan zuo fu hui bu de - ~~lffl}ll~~~~llf1wr1"~~); es bewegt sich wahrhaft nicht angebracht, wenn Ihre um sich blickenden <Gleichgesinnten> ein anregendes
zusammen mit Himmel und Erde und leuchtet zusammen mit Sonne und Mond. Wort des Dao äußern!» 176
Deshalb muss das <Verwirklichen des ursprünglichen Wissens> in Übereinstimmung Schließlich will Zou Shouyi zwei Stellen aus einem Brief Nie Baos an ihn
mit dessen <eigentlichem Wesen> erfolgen (xu he de ben ti zua ~~~~*llf1/;j(). Wenn widerlegen, 177 ohne aber dabei Nie Baos Intention zu treffen. Wir zitieren hier nur
man die ethische Übung nicht erlangt, stimmt man nicht mit dem <eigentlichen We- seine «Widerlegung» des ersten Stelle: «Sie schreiben in Ihrem Brief: <Die Liebe des
sen> überein (bu de gangfu, buhe ben ti 1"11!\\Jil;;\:;::f'§'*llf); wenn man nicht mit dem
eigentlichen vVesen übereinstimmt, ist es keine ethische Übung (he bu de ben ti, bu shi
gang fu '§'1'1~*H::f~JiJ~). Wenn wir vom Aufstehen beim Hahnenschrei bis zum 170 Anspielung auf den Anfang des Daxue: «Das Dao des Lernens der Großen besteht im Erhellen der
hellen Tugend», wobei Zou Shouyi wie Wang Yangming die «helle 'lugend» (nzing de aJH!!\) mit dem
Sonnenuntergang und vom Ausruhen beim Sonnenuntergang bis zum Hahnenschrei «ursprünglichen Wissen» identifiziert.
fähig sind, <achtsam und furchtsam zu sein> (jie shen kangju i\ltffi:~11) und dieses <ei- 171 Zou Shouyiji, Nanjing 2007,juan 11, S. 542; dieser Brief an Nie Bao wurde teilweise insMRXA,jwm
gentliche Wesen> zu bewahren (baa ci ben ti ~Jl:t*lffl), es nicht selbst im Geringsten mit 16, aufgenommen (Beijing 1985, S. 340, dorl fälschlicherweise als Brief an Xu Liuxi bezeichnet).
172 Fs ist der erste der beiden späteren Antwonbriefe Ouy,rng Des, der in Uayaug De ji, Nanjing 2007,
weltlichen Gefühlen beschmutzen, es nicht selbst mit körperlichen 'Tendenzen (qi zhi juan 4, S. 131-133, vorliegt und aus dem wir oben in§ 2, Abschnitt c), S. 548ff., ausführlich zitiert
~J!r) vermischen, es nicht selbst mit Sehen und Hören sowie Vermuten durchbohren, haben.
erst dann ist es der hohe und lautere Leitsatz der Übereinstimmung mit der <Tugend> 173 Hier lässtZou Shouyi einige Sätze aus dem Briefüuyang Des aus: siehe oben,§ 2,Abschnitt c), Punkt
1, s. 553.
und der Übereinstimmung mit ihrer <Helligkeit> (he de he ming gao gaa zhun zhun zong 174 fm unvollständigen Zitat Zou Shouyis blciht das Subjekt rles Satzes unbestimmt; nach dem Kontext
des zitierten Briefes von Ouyang De ist: das Satzsubjekt die von der «Harmonie nach dem Entstehen
der Gefühle» unahrrcnnbare «Mitte vor dem Entstehen der Cefühle» (nach Zhongyong, Kap. 1).
175 Vgl. oben,§ 2, Abschnitt c), Punkt 1, S. 553.
168 Ebd. 176 Zou Shouyi ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 542f.
169 Vgl. oben in der Einleitung zu diesem Teil den§ 7, S. 368ff. 177 Dieser Brief ist in Nie Baos «Gesammelten Schriften» nicht enthalten.
570 571

Kleinkindes [zu seinen Eltern], sein Verehren [seiner älteren Brüder], 178 das <Lieben frischer Lebensgeist (ping dmz zhi qi SfZ- .§.L~)?> 182 Sie antworteten: <Wir fühlen ihn
und Verabscheuen am frühen Morgcn> 179 ist aber ein Weg der Neigungen (yi tiao lu rein und hell (jue de qing ming ~qij;~aJJ), ohne Lieben und Verabscheuen (wu bao wu
xiang wrmg -{ljf-Jl:IH~tl:), bei dem kein Wählen und Sichentscheiden zwischen Richtig fflt!ff-J!&).> [Zou Shouyi] fragte: <Das Reine und Helle ist das Herz; wenn es ohne
und Falsch, zwischen Statthaft und Unstatthaft möglich ist (wu you shi fei, kefou ke jue Lieben und Verabscheuen wäre, dann gäbe es ein Herz ohne Intentionen (you xin
ze ye ~~ ;;~J~i:iJai:iJ5R~fil).> So ist es tatsächlich! Wenn man diesen Weg der Neigun- er wu yi fl 1t>imAA;i;). Das Reine und Helle ist das [ursprüngliche] Wissen (zhi 9:D);
gen wirklich zu gehen vermag, dann wird die Liebe von selbst zur Elternliebe, und das wenn es ein Wissen (Bewusstsein) ohne Lieben oder Verabscheuen gäbe, dann
Verehren wird von selbst zum Verehren der älteren Brüder; man liebt zusammen mit gäbe es ein Wissen (Bewusstsein) ohne Dinge (Gegenstände) (you zhi er wu wu fl9:□
der \Veit und verabscheut zusammen mit der Welt. Selbst die [idealen Könige des Al- imAAWI). Überlegen Sie, meine Herren, gibt es wirklich ein Herz ohne Intentionen
tertums J Yao und Slum hatten keinen anderen Weg; wie könnte man zweifeln, dass dies und ein Wissen (Bewusstsein) ohne Dinge (Gegenstände)?> Sie antworteten: <Der
nicht machbar wäre! Aber da Sie von Lieben und Verehren, Lieben und Verabscheu- <Lebensgeist des frühen Morgens> ist in tiefer vVeise leer und hell; die leuchtende
en sprechen, weiß ich nicht, ob es sich da um den <Zustand vor dem Entstehen der Sonne steht im leeren Raum, kein einzelnes Ding wird zurückgehalten (wird festge-
Gefühle> (wei fa *~) handelt oder nicht vielmehr um das <Maß der Mitte nach dem halten: yi wu btt liu -WJ:Y:W).> [Zou Shouyi] sagte: ,Kein einzelnes Ding wird festge-
Entstehen der Gefühle> (Jet er zhongjie ~ im i:p W).» 180 Nie Bao zweifelt natürlich nicht halten, aber dennoch werden alle Dinge vollsti1ndig beleuchtet (wan wu bi zhao 1-l!fw.!
im Geringsten daran, dass dieses «Lieben und Verehren» usw. Zustände «nach dem e\'fHll). Dass kein einzelnes Ding festgehalten wird, bedeutet die immer stille Substanz
Entstehen der Gefühle» sind. Er will mit den von Zou Shouyi zitierten Sätzen viel- (changji zhi ti m"ißrlzff); dass alle Dinge vollständig beleuchtet werden, bedeutet die
mehr sagen, dass dieses «Lieben und Verehren» usw. spontan ist und nicht auf einer immer erregten Funktionen (chang grm zhi yong ~~Zffl).>» 183 Wie \Vang Y·mgrning
willentlichen Entscheidung aufgrund des moralischen Bewusstseins (Gewissens) von und Wang Ji hegt auch Zou Shouyi den Gedanken, dass die Einheit von Stille und
Gut und Schlecht beruht und dass daher ein solches spontanes «kindliches» «Lieben Erregungen bzw. von Ruhe und Tätigsein durch das Nichtfesthalten von etwas, Sich-
und Verehren» für uns Erwachsene nicht im «Berichtigen der Handlungen», sondern nicht-Festklammern an irgendein Ding errnöglicht wird.
nur durch die «Rückkehr zur Stille vor dem Entstehen der Gefühle» ermöglicht wird. Zou Shouyi scheint gegen Nie Bao ziemlich wirsch und autoritär vorgegangen
Diesen für Nie Bao grundlegenden Gedanken schien Zou Shonyi nicht zu verstehen. zu sein und diesen verärgert zu haben. Dies kommt in einem Brief Nie Baos an Zou
Auch in anderen Versammlungen nahm Zou Shouyi Stellung gegen Nie Bao, was Shouyi zum Ausdruck, der unmittelbar nach jener Versammlung von Xnantan Z:51l/I
zeigt, dass dessen Auffassung in der Schule vonJiangxi ein allgemeines Gesprächsthe- (wahrscheinlich noch 1549) 184 geschrieben wurde, von der im zuvor zitierten Brief
ma geworden war. Er sagte: «Das Herz (der Geist) ist nicht von seinen Intentionen (yi von Zon Shouyi noch als Zukunftsplan die Rede gewesen war. \Vir zitieren ihn hier
~) abtrennbar; das <[ursprüngliche] Wissen> ist nicht vom Umgang mit den Dingen nicht nur, um das gespannte Verhältnis zwischen den beiden zu demonstrieren, son-
(wu im) geschieden. Doch heutzutage trennt man das <[ursprüngliche] Wissen> ab, dern vor allem, weil in ihm Nie Ban wieder auf den an ihn gerichteten Vorwurf der
macht daraus das Innere und macht aus dem Umgang mit den Dingen das Äußere; Trennung zwischen der Pflege des eigenen Herzens und der sozialen Tätigkeit in der
macht aus dem <[ursprünglichen] Wissen> die <Stille> (ji il\rl) und aus den Handlungen Welt, zwischen «Innen und Außen», zwischen der Ruhe und der Tätigkeit eingeht:
die <Erregungen> (wu wei gan !fw.J~~)- Auf diese Weise finden Tätigkeit und Ruhe zu «Ihre Belehrung auf dem gemeinsamen Lager in Xuantan hielt zu Ihrer eigenen
verschiedenen Zeiten statt (dongjing er shi ibffl!=B~), und Substanz und Funktionen Beschämung am Irrtum fest und reichte nicht aus, um auch nur einen kleinen Teil
werden zu verschiedenen Bereichen. Ganz offensichtlich spaltet man dadurch das [meiner Auffassung] aufzunehmen. Auch war sie überdrüssig, das Dao sorgfältig zu
Wesen des Herzens (xin ti ,t,,ft). Man schadet dem Dao ebenso sehr, wenn man bloß verkünden; wie kann das die Selbstlosigkeit sein, welche die Anderen liebt! Sie sagen
die Tätigkeiten zum Prüfstein nimmt und dabei das <ursprüngliche Wissen> im Ver- in Ihrer eingetroffenen Verkündigung: <Das Dao des Lernens wagt nicht, dem Äußeren
borgenen kranken lässt oder wenn man sich über alle Tätigkeiten erhebt und dabei nachzujagen, und muss sich nicht auf das Innere beschränken, sondern muss das Innere
selbst wähnt, dass sich das <ursprüngliche Wissen> in höchster Klarheit befinde.» 181 und Äußere, das Sichtbare und das Verborgene verbinden und sie vereinigen.> Das ist
Wie Zou Shouyi sich die Einheit von «Substanz» und «Funktionen» sowie von
«Stille» und «Erregungen» dachte, kommt im folgenden Gespräch zum Ausdruck:
«Er [Zou Shouyi] fragte die Herren [in der Versammlung]: <Wie ist Ihr <morgen- 182 Der «morgenfrische Lebensgeist» (ping dan zhi qi ,P: !lz$il) ist ein Ausdruck aus dem Buch Mengzi
(6. Buch, 1. Teil, Kap. 8), der den seelischen Zustand beschreibt, in welchem die natürlichen guten
Regungen des Menschen (das «ursprüngliche Wissen und Können») regeneriert sind: siehe oben in
der allgemeinen Einleitung den§ 4, S. 27.
183 «Aufzeichnung von Gesprächen»,MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 342.
178 Nach Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 1. 184 Zou Shouyi schreibt am Anfang seiner «Aufzeichnungen [der Versammlung] von Chongxuan
179 Nach Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, Kap. 8. jtj,k», die im Herbst 1549 stattfand, dass Nie Bao «sich zusammen mit allen Edlen in Xuantan :ß:~
180 Zou Shouyiji, Nanjing 2007,juan 11, S. 543. versammelte und die Einheit und Verschiedenheit von Stille und Erregungen diskutierte». Zou Shouyi
181 «Aufzeichnungen von Gesprächen», MRXA,juan 16, Beijing 1985, S. 343. ji, Nanjing 2007,juan 15, S. 740.
Ui

572 573

gerade der Ort meiner jetzigen Anstrengung, denn ich habe einst diesen Ort gesucht, Innere und das Äußere verbinden und sie vereinen.» 192 Nach Nie Bao ist also die Wir-
ohne ihn zu erlangen. Kann es Ihre Ansicht sein, dass man von den drei Wörtern des kung, das Resultat, der Zweck seines ethischen Lernens eine Einheit von Innen und
<Verwirklichens des ursprünglichen Wissens> (zhi liang zhi ~ ~¾i) nicht sagen kann, Außen, von Ruhe und Tätigkeit, aber die Methode, das Mittel seines ethischen Lernens
dass sie ausreichen, um das Innere und Äußere, das Sichtbare und das Verborgene zu vollzieht zwischen ihnen eine Trennung: Zuerst die Rückkehr ins Innere, in die Ruhe
.. '
verbinden und zu vereinigen. Die zwei Wörter <liang zhi ~¾i> stammen von Meng- danach ergibt sich die gute Tätigkeit im Außeren von selbst. Weitere Stellungnahmen
zi: Das kleine Kind weiß (vermag), ohne zu lernen und zu überlegen, [seine Eltern] Nie Baos zu Zu Shouyis Kritik werden wir unten in § 5, S. 582f., zitieren.
zu lieben und [seine älteren Brüder] zu verehren (zhi ai zhi jing nl~nlit:)>; 185 es ist
<wahr und rein, tief und eins> (zhen chun zhan yi •~m-), 186 es <handelt aus seiner § 4 Die Entstehung der schriftlichen Debatte zwischen Nie Bao und
Menschlichkeit und Gerechtigkeit heraus> (.you ren yi xing lil 1=äfi'). 187 Auch <der Wang Ji über die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
ethisch große Mensch, der sein Kindesherz nicht verloren hat>, 188 ist aufgrund seines (ca. 1557 bis 1559)
<wahren Reinen, tiefen Einen> gleich einem Kind. Wenn dem so ist, muss man dann
das <Verwirklichen des liang zhi> beim Lieben und Verehren [bei den intentionalen Der Anlass der schriftlichen Debatte zwischen Nie Bao und Wang Ji über die «Ver-
Funktionen] ansetzen, oder muss man nicht vielmehr das, was die Substanz des <Wah- wirklichung des ursprünglichen Wissens» kann aufgrund von Wang Jis Bericht fol-
ren Reinen, tiefen Einen> genannt wird (suo wei zhen chun zhan yi zhi ti Jilr~-~m- gendermaßen rekonstruiert werden: 193 15 56 wurde Wang Zongmu 3: *)ijl: (Beiname:
.zf/1), suchen und diese <Verwirklichen>, um etwas Sicheres in die Hand zu bekommen, Jingsuo ~JiJr, 1523-1591) 194 zweiter Schulinspektor (stellvertretender Studienkommis-
aber ohne zu wissen, wo Gutes und Schlechtes angeordnet sind. Wenn die Rede von sar: ti xue fu shi m~;~se,) in der ProvinzJiangxi. Er stammte aus der Hauptstadt Linhai
der leeren und geisteskräftigen Substanz (xu ling ben ti J.;ml!l;zj!;fll) ist, dann ist es das ffi)ij der Präfektur Taizhou ~j,H, der südlichen Nachbarpräfektur von Shaoxing, in der
reine höchste (absolute) Gute (chun zui zhi shan ~flp~~), das keinen Gegensatz im Provinz Zhejiang und hatte 1544 die höchsten Staatsprüfungen (jin shi) bestanden.
Schlechten hat (.yuan wu e dui JJ.iU!!Ul.~l!t). 189 Wenn man daher in Bezug auf die hervorge- Er war mit Wang Ji vertraut195 und ein Schüler von Ouyang De, 196 gehörte also zur
tretenen 190 (aktuellen) Gedanken und Handlungen durch das Unterscheiden von dem, Schule Wang Yangmings. Als zweiter Studienkommissar in Jiangxi förderte er diese
was man gut und schlecht nennt, unser <liang zhi ~¾] verwirklichen> will und selbst Schule. Er gab 15 56 die Werke seines 15 54 verstorbenen Lehrers Ouyang De heraus.
wenn man weiß, dass es [das Gute] auszuführen und es [das Schlechte] zu meiden ist, Er ließ in der Präfektur Nankang ffi~ im Norden der Provinz einen Ahnentempel
es doch auch nichtweiß [nämlich nicht vermag] (zong shi zhi wei zhi, zhi qu zhi,yi buzhi für Wang Yangming mit einer Statue (su xiang ffl~) von ihm errichten. 197 Nachdem
~-ft¾l~.znl*.Z~1'nl), 191 wie kann das verschieden sein vom <Nachmachen der Ge- er zweiter Schulinspektor in Jiangxi geworden war, nahm er Kontakte zu den her-
rechtigkeit> (.yi xi iUI)? Deshalb muss derjenige, der sein <liang zhi verwirklichen> will, vorragenden Schülern Wang Yangmings in der Präfektur Ji'an auf: Er lud 15 57 Zou
das Maß seiner leeren geisteskräftigen Substanz vollmachen (chong man qi xu ling ben ti Shouyi zu Vorlesungen in der staatlichen Bailu-Akademie B ••~ auf der Insel im
zhi liang j'fi~;ltJ.;mi,!;zjs;ft.zil), um dadurch das große Fundament der Welt zu legen und Gan-Fluss gegenüber der westlich an diesem Fluss gelegenen Präfekturhauptstadt
auf diese Weise diese Substanz dazu bringen, dass alle ihre Auswirkungen (Funktionen) Ji'an ein; 198 im selben Jahr besuchte er Luo Hongxian in seiner «Steinlotus-Höhle»
ursprünglich (gut: liang ~) werden; das heißt das Sichtbare und das Verborgene, das im KreisJishui 199 und schickte-ebenfalls im selbenJahr- einen seiner Schüler, einen
gewissen Xu Shiju tt- ~~. zu Nie Bao in den Kreis Yongfeng. Schließlich sandte er

185 Mengzi, 7.Buch, 1.Teil,Kap.14.


186 Eine solche Formel findet sich meines Wissens nicht im Buch Mengzi. Es ist mir nicht bekannt, woher 192 Dritter Brief an Zou Shouyi, Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 8, S. 264; teilweise aufgenommen in
sie stammt. MRXA,juan 17, Beijing 1985, S. 376. .
187 Mengzi, 4. Buch, 2.Teil, Kap. 19. 193 Wang Jis Bericht am Anfang seines «Abrisses über die Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
188 Mengzi, 4. Buch, 2. Teil, Kap. 12. (Zhi zhi yi lüe !i!(~l;iil&), Wimg Longxi quan ji (1822),juan 6, S. la (Taipei 1970, S. 405); Wang Ji ji,
189 Zur Idee des höchsten (absoluten) Guten, das in keiner Relation zum Schlechten steht, siehe oben in Nanjing 2007,juan 6, S. 130.
diesem Teil II das Kap. 1, S 413ff. 194 Zu Wang Zongmu sieheMRXA,juan 15, Beijing 1985, S. 314--323, und DMB, S. 1438-1444.
190 «Hervortretend, erscheinend» (zhu ;/,f) im Gegensatz zur nicht erscheinenden Substanz. 195 Er schrieb 15 67 zu Wang Jis siebzigstem Geburtstag (nach chinesischer Zählung) ein Vorwort zu
191 In den Quellen sind verschiedene Formen dieses Satzes zu finden: Die neue Ausgabe von 2007 stützt einer diesem gewidmeten Textsammlung, in welchem er seine Vertrautheit mit Wang Ji betont: siehe
sich auf eine moderne japanische Edition und gibt: «cong shi zhi zhi wei zhi zhi, bu zhi wei bu zhi Wang]iji, Nanjing 2007,Anhang rv, S. 851.
Allt-fi!!%lz~%lz1-%l~1'%l» («auch wenn es zu wissen Wissen ist, und es nicht zu wissen Nichtwissen 196 Siehe das Kapitel über Wang Zongmu imMRXA,jtum 15, Beijing 1985, S. 315. ..
ist»? Wir halten uns dagegen an zwei alte Ausgaben aus der Qing-Dynastie, die beide geben: «zong 197 Dieses Ereignis ist im ersten Anhang von Wang Yangmings Nianpu unter dem 34. Jahr der Jiajing-Ara
shi zhi zhi wei zhi qu zhi li bu zhi trlt-fi1!%J;z~~,l_;;;zjJ:;i;:;zfßi» (in der Anm. 2, S. 266, dieser neuen (15 55) erwähnt (Qztanji, Shanghai 1992, S. 1346). Wahrscheinlich irrt sich diese Aufzeichnung um ein
Ausgabe angeführt), drehen aber die Reihenfolge des vierten und fünften Zeichens um und ersetzen oder zwei Jahre, denn Wang Zongmu kam erst 1556 oder 1557 nachJiangxi.
«li .:b» durch «yi !/F». Dabei stützen wir uns auf das MRXA,juan 17, das diese Stelle (mit für mich 198 Hou Wailu/Qiu Hansheng: «Geschichte der Lehre vom li in der Song- und Ming-Dynastie», Bel. 2
unverständlicher moderner Zeichensetzung) folgendermaßen wiedergibt: «zong shi zhi wei zhi zhi, qu (1987), s. 297.
zhi yi bu zhi trlt-fi!!%J~;zfßl, *z?IF1-fßl» (Beijing 1985, S. 376). 199 Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 222.
574 575

diesen Schüler zu Wang Ji in die Tianzhen-Akademie 5'cJ/H!Hit bei Hangzhou, «um dem Jahr 2007 drei Seiten. 205 Xu brachte das Schreiben WangJis nachJiangxi zurück,
dort vor einem Bild von Wang Yangming zu opfern». Als Herausgeber der Schriften wo es auch Nie Bao übergeben wurde.
Ouyang Des und durch seine Kontakte zu Zou Shouyi, Luo Hongxian und Nie Bao Im Frühling oder Sommer 1558 verfasste Nie Bao eine Kritik zum Text von
wusste Wang Zongmu um die Meinungsverschiedenheiten zwischen Nie Bao und Wang Ji, die mit Zitaten aus diesem Text unter demselben Titel «Abriss über die
den anderen dortigen Mitgliedern der Schule WangYangmings in der ProvinzJiangxi Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» in Nie Baos «Gesammelten Schriften»
und wünschte sich zum Wohle der Schule, der er selbst angehörte, eine Einigung. enthalten ist. 206 Darin bezieht sich Nie Bao auch auf einen anderen Text Wang Jis, der
Wahrscheinlich in dieser Absicht wandte er sich durch seinen Schüler an Wang Ji, im Sommer 1557 entstanden war und den Nie Bao im Frühjahr 1558 gelesen hatte. 20 7
der als vertrauter Schüler Wang Yangmings und faktischer Leiter der Schule größte Im Sommer oder Herbst 15 58 muss Nie Bao seine Kritik Wang Ji übermittelt haben,
Autorität genoss. Die Reise des Schülers Xu Shiju nach Hangzhou fand vermutlich und schon Ende 1558 oder Anfang 1559 wurde sie unter dem Titel «Abriss über die
im Herbst 1557 oder im Frühling 1558 statt. Er nahm in dieser Akademie vielleicht Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» (Zhi zhi yi lüe ~~~lllt}) gedruckt: Ein
an den Opfern für Wang Yangming und an den anschließenden Lehrveranstaltungen Schüler Nie Baos, Guo Rulin ~ 53l:~ (Beiname: Yiya -~, 1510-1580), der wie Nie
teil, die dort jedes.Jahr im Frühling und Herbst (in der Mitte des zweiten und achten Bao in Kreis Yongfeng zu Hause war, hatte diesen im «siebten Mond» (Juli/August
Mondes) unter der Leitung von Wang Ji und Qian Dehong stattfanden, 200 denn er 1558) vor seiner Abreise als Gesandter zu den südjapanischen Riukiu-Inseln besucht
ersuchte dort Wang Ji um Unterweisung. 201 Beim Abschied von diesem zeigte er ihm und von ihm diesen «Abriss» zur Lektüre erhalten. Noch im selben Mondjahr ließ
«eine Rolle mit Wortgeschenken» (zengyan juan Rl!l ~~)von Nie Bao, Zou Shouyi und er ihn drucken. 208 Auf diese Kritik Nie Baos hat \Nang Ji seinerseits eine Gegenkritik
Luo Hongxian und bat ihn, auch seinerseits um ein «Wortgeschenk». Damit folgte Xu verfasst. Große Teile der Kritik Nie Baos und die Gegenkritik von Wang Ji sind unter
zwar einer damaligen Gepflogenheit, beim Abschied von einem Lehrer oder einem dem Titel «Diskussion über die Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» (Zhi zhi
Gelehrten um einige schriftliche Worte der Belehrung zu bitten, doch ging es bei Xu yi bian ~~~m) in WangJis «Gesammelten Schriften» enthalten. 209 Auf diese Gegen-
nicht nur um seine private Belehrung. Wang Ji entsprach dieser Bitte, indem er einen kritik hat Nie Bao erneut eine Antwort geschrieben. 210 Wann genau diese Gegenkritik
kurzen Text schrieb, der in seinen «Gesammelten Schriften» unter dem Titel «Abriss und Nie Baos Antwort darauf entstanden sind, ist nicht ersichtlich, wahrscheinlich
über die Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» (Zhi zhi yi lüe 3iJ(J□ ~lllt}) vorliegt. gegen Ende 1558 und Anfang 1559. Diese Antwort Nie Baos auf die Gegenkritik
Er schreibt in der Einleitung zu diesem «Wort:geschenh>: «Obschon die Worte der WangJis mit Zitaten daraus ist in den «Gesammelten Schriften» Nie ßaos unter dem
drei Herren [Nie Bao, Zou Shouyi und Luo Hongxian] verschieden wie diese selbst Titel «Antwort an Wang Longxi» (Da Ulang Longxi ~3:~;,l) enthalten. Von beiden
sind, so sind es doch nichts anderes als gegenseitige Erläuterungen, um den Grundsatz Disputanten liegen also je zwei 'lexte vor. Die in den «Gesammelten Schriften» bei-
der Schule unseres Lehrers von der <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> zu der Autoren enthaltenen Texte beider Disputanten sind aber nicht völlig identisch:
klären (yi ming shi men zhi zhi zhi zong yao P.AaJrnipp~~~.23.f-~). Obschon ich Worte Einzelne Wörter und Sätze differieren, und in Wang Jis «Schriften» wurden einige
hinzuzufügen habe, können sie doch nicht darüber hinausgehcn.» 202 Er schließt die Abschnitte fallengelassen. Die Kritik Nie Baos an Wang Jis «Abriss» und die Ge-
Einleitung zu seinem «Abriss» mit den Sätzen: «Im Folgenden lege ich etwas von dem genkritik Wang Jis, wie sie in Wang Jis «Gesammelten Schriften» unter dem Titel
dar, was ich in meinem Herzen erkannt habe, und ordne es in mehrere Abschnitte. Es
kann gleichzeitig von den drei Herren [Nie Bao, Zou Shouyi und Luo Hongxian] be-
richtigt werden, dem Gebieter Jingsuo [w.·mg Zongnml als Rechenschaft dienen und 205 Wang]iji, Nanjing 2007,jutm 6, S.130-132.
der Absicht des Schülers [Xu Shiju], der zum Lernen gekommen ist, entsprechen.»203 206 «Antwort an Wang Longxi oder Abriss über die Verwirklichung des ursprünglichen Wissens», Nie
Obschon der Text nicht bloß eine Kritik an Nie Bao darstellt, hat er doch weitgehend Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 375-385.
207 Nie Bao schreibt in seiner ersten Kritik an Wang Ji: ,,Zu Beginn des Frühlings habe ich Ihre Auf-
dessen Auffassung von der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» im Auge. zeiclmungen von Sanshan [~ Fuzhou] gelesen.» (Nir Bao]i, Nanjing 2007,juan 11, S. 378). Diese
Denn Wang Ji betrachtete diese Auffassung als nicht richtig, während er Zou Shouyis Aufzeichnungen, aus denen wir unten zitieren werden, stammen vom Sommer 1557: siehe Wang Ji
Verständnis nicht ablehnend gegenüberstand und Luo Hongxian ihm in den letzten ji, Nanjing 2007, zweiter Anhang, S. 696.
208 Siehe Wu Zhen 2001, S. 324 und S. 330; Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Beijing 2003, S. 228f. Nach
Jahren wieder ,rnhegekommen war. Der ganze 'lext umfasst in der Gesamtausgabe von dem Titel zu schließen und auch aus zeitlichen Gründen kann diese Veröffentlichung von 1558 nur
1822 (Nachdruck Taipei 1970) von Wang Jis Schriften sechs, 204 in der Ausgabe aus die erste Kritik Nie Baos an VVang Ji enthalten haben. Auch in dm «Gesammelten Schriften» Nie
Baos steht nur die erste Kritik unter dem Titel «Abriss über die Verwirklichung des ursprünglichen
Wissens» (Zhi zhi yi lüe ~!);!l~Wif); die Antwort Nie Baos auf Wang Jis Gegenkritik steht nur unter
dem 'Ute! «Antwort an Wang Longxi>, ([),, Wang I.ongxi ~.:El!li)~).
200 Siehe oben in der Einleitung zu Teil 11 den§ 2. 209 Winzg Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 4a-16b (I:iipci 1970, S. 411--436); Wimg Ji ji, Nanjing 2007,
201 «Abriss über die Verwirklichung des ursprünglichen Wissens», a.a.O., S. la (Taipei 1970, S. 405). juan 6, S. 132-141.
202 Ebd. 210 Sie liegt zusammen mit Zitaten aus WangJis Gegenkritik in Nie Baos «Gesammelten Schriften» vor,
203 A.a.O., S. l li (l:iipei 1970, S. 406). und zwar unter dem Titel «Antwort an Wang Longxi [=Wang Ji] »: Nie Baoji, Nanjing 2007 ,juan 11,
204 /Vimg Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 1a-3b ('faipei 1970, S. 405--410). S. 385-407.
576 577

«Diskussion über die Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» (Zhi zhi yi bian Der «Abriss» Wang Jis lässt sich einteilen in eine Einleitung, aus der wir im letz-
~;DtiOJt) vorliegen, hat Huang Zongxi in der Fassung, in der sie in den «Gesammelten ten Paragraphen über die Entstehung dieser Debatte schon zitiert haben, und in sechs
Schriften» vVang Jis erschienen waren, in seinen «Dokumenten der Kon:fuzianer der Abschnitte. In den Zitaten dieses «Abrisses» bei Nie Bao sind noch einige Abschnitte
Ming-Dynastie» (M.RXA) vollständig in das Kapitel über Wang Ji aufgenommen. 211 mehr enthalten, die wir aber hier nicht berücksichtigen, da sie eher sekundäre Fragen
Es ist der längste zusammenhängende Text in diesem monumentalen Werk, was die betreffen. Neben der Bezugnahme auf die Umstände der Entstehung seines eigenen
große Bedeutung zeigt, die ihm Huang Zongxi beigemessen hat. Während in den Dis- «Wortgeschenkes» bzw. seines <<Abrisses» legt Wang Ji in der Einleitung dessen
kussionen zwischen Luo Hongxian und WangJi, die wir im nächsten Kapitel verfolgen Hauptausrichtung dar: Er sagt vom «ursprünglichen Wissen» erstens, dass es als die
werden, die beiden Gespriichspartner aufeinander zugehen und voneinander lernen, «Helle des eigentlichen Herzens» (ben xin zhi ming 7Js;,G,.zBJ.I) «das dem Himmel
erscheinen in der Auseinandersetzung zwischen Nie Bao und Wang Ji die Positionen zuvorkommende Lernen» sei (xian tian zhi xue ye $\:;;li:;z~i:12), und zweitens, dass es
verhärtet. Dies hängt vielleicht damit zusammen, dass Letztere bloß schriftlich verlief, sowohl die «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» (wei fo zhi zhong *~Z"P) als
und wohl auch damit, dass Nie Bao damals bereits über siebzig Jahre alt war. auch die «Harmonie des richtigen Maßes nach ihrem Entstehen» (Ja er zhongjie
Wiihrend Zou Shouyi und Luo Hongxian mit Wang Ji sehr vertraut waren, zhi he Rii'ii"PWZ~) sei. Er fügt hinzu, dass es hinsichtlich dieser beiden Aspekte des
kannten sich Nie Bao und \VangJi persönlich nur oberflächlich, und es gab zwischen «ursprünglichen Wissens» keinen Unterschied zwischen Vorher und Nachher oder
ihnen nur wenige charakterliche Affinitäten. Sie begegneten sich wahrscheinlich zwischen Innen und Außen gebe (wu qian hau nei wai 1!!l filf ff pg 9~) und dass man in die
nur drei Mal: Vermutlich lernten sie sich im Sommer 1526 in Shaoxing kennen, als «Leere» der Buddhisten und Daoisten versinke, wenn man vor dem «ursprünglichen
Nie Bao dort während weniger Tage Wang Yangming besuchte. Wohl Ende 1531 Wissen» noch einen Zustand «vor dem Entstehen der Gefühle» suche, sowie dass
:fungierten Wang Ji und Qian Dehong, wahrscheinlich anlässlich ihrer Reise zu den man in ein bloßes Lernen aufgrund von erworbenem (informativem) Wissen (yi shi
höchsten Staatsprüfungen nach Peking, in Suzhou als Zeugen dafür, dass Nie Bao zhi xue 1-tx~Z~) gerate, wenn man sich nur an einen Zustand «nach dem Entstehen
Wang Yangming offiziell als seinen Lehrer anerkannte. 212 Und schließlich besuchte der Gefühle» halte.
Wang Ji im Dezember 1562 Nie Bao in Yongfeng, als dieser bald sechsundsiebzig Schon aus dieser einleitenden Grundausrichtung des «Abrisses» wird ersichtlich,
Jahre alt war und weniger als ein Jahr vor seinem Tbd stand. Zwischen den beiden dass sich WangJi darin vor allem an Nie Bao wendet. Denn auch Nie Bao stellte wie
gibt es auch nur einen kleinen Briefwechsel: In ihren «Gesammelten Schriften» sind Wang Ji seine Art der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» unter den Titel
nur je zwei Briefe enthalten. 213 Dagegen existieren jeweils umfangreiche Briefwechsel des «dem Himmel vorangehenden Lernens», hatte von diesem «Lernen» aber eine
zwischen Wang Ji und Luo Hongxian, Wang Ji und Zou Shouyi sowie zwischen Nie ganz andere Konzeption als Wang Ji, indem er zwischen der «Mitte vor dem Entste-
Bao und Luo Hongxian. hen der Gefühle» und der «Harmonie nach ihrem Entstehen» zeitlich nach einem
Vorher und einen Nachher und «örtlich>> nach Innerem und Äußerem trennte und
§ 5 Die Kritik Nie Baos an Wang Jis «Abriss über die Verwirklichung
die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» ausschließlich im Vorher und im
des ursprünglichen Wissens» Inneren der «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» ansetzte. Nach der Exposition
seiner Grundausrichtung in der Einleitung scheint Wang Ji allerdings auch auf Luo
Die Grundlage der Debatte zwischen Wang Ji und Nie Bao ist Wang Jis provozie- Hongxian Bezug zu nehmen: «Ob man sich nun in den Erregungen sammle, um zur
render «Abriss über die Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» von Ende 15 57 Stille zurückzukehren (she gan yi gui ji ffl~PJ.ll!l~), oder ob man sich an die Stille halte,
oder Anfang 1558. Wir geben ihn hier aber nicht in vollständiger Übersetzung wieder, um [danach] die Erregungen hervorzurufen (yuan ji yi qi gan l\-'1i~J.,)J!Hlllt), so scheinen
da wir Wang Jis Auffassung von der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» diese Krankheiten zwar verschieden zu sein, aber in ihrem Verfehlen der Grundprin-
schon in Kapitel 2 dieses Teiles in großen Zügen kennengelernt und darin auch oft zips des <ursprünglichen Wissens> laufen sie doch auf dasselbe hinaus.» 214 Mit der
aus diesem «Abriss» zitiert haben. Im jetzigen Zusammenhang legen wir davon nur ersten «Krankheit» meinte Wang Ji wohl Luo Hongxian, wenigstens während der
eine genaue Inhalts,mgabe vor, die einen Überblick über die Thematik der Diskussion Zeit, als sich dieser eng an Nie l3ao anschloss (1549-1551), 215 mit der zweiten Nie Bao.
geben und als Rahmen eine leichtere Einordnung und Zuordnung der verschiedenen Nach dieser Einleitung folgen sechs Abschnitte:
Einwände und Gegeneinwände erlauben soll. 1. Das «ursprüngliche Wissen» als «allein Wissen»: Das «allein Wissen» ist
sowohl latent als auch manifest, ist sowohl Substanz als auch Funktion. Die ethische
Praxis der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit>> (jie shen kongju Jtlt'lft'lHI) und der «Ver-
211 MRXA,juan 12, Beijing 1985, S. 261-270.
212 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 523.
213 Zwei Briefe von Wang Ji an Nie Bao in: Wting Longxi quan ji (1822),juan 9, S. la-26 (Taipei 1970,
S. 575-578); zwei Briefe von Nie Bao an Wang Ji in: Nie Bao ji, Nanjing 2007 juan 8, S. 266-268; Si 214 Wting Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 1b (Taipei 1970, S. 406).
ku quan shu cun nm cong shu,ji bu, Bd. 72,Ji Lu shu she, 1977, S. 407-409. 215 Siehe unten das Kap. 4.
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wirklichung des ursprünglichen Wissens in der Berichtigung der Handlungen» hat (ben 4:) ist das Herz ruhig (ping an SJL~)222 und ist in gerader (direkter) Weise tätig (yi
zwar eine sinnlich nicht wahrnehmbare Seite (wu xing wu sheng AA%1!Ut), geschieht zhi er dang J;I.AifülJJ). In den Zeiten, in denen die gewöhnlichen, törichten Leute (yu fu
aber als erhellendes Prüfen (ming cha a}.I~) in den Antworten auf die Erregungen der yu fu li!\\.~li!\\. !lii}) noch nicht von Meinungen und Wünschen bewegt werden (wei dang
täglichen menschlichen Beziehungen und Handlungen (ri yong lun wu zhi gan ying yu yi yu zhi shi *lhlitlUYt.z~), sind sie den heiligen Menschen gleich.»223
1:1 Jf.l fnlj-!J@.z!ml.Bli). 216 Die Kritik Nie Baos an WangJisAuffassung der «Verwirklichung des ursprüng-
2. Das «ursprüngliche Wissen» als «Wissen des Qian ~ (des Schöpferi- lichen Wissens» in dessen «Abriss» lässt sich inhaltlich in drei Hauptaspekte gliedern:
schen, des Himmels)» («Buch der Wandlungen») 217 a) Wang Ji hat keine Methode, um das «ursprüngliche Wissen» zu «verwirklichen»,
3. Das «ursprüngliche Wissen» als «Antrieb des Himmels» (ji lt): Es ist denn er betrachtet dieses als etwas von vornherein «schon Fertiges». b) Das «ur-
sowohl nichts denken und nichts machen (wu suo si wei AAJiJr,W-~) als auch ein natürli- sprüngliche Wissen», das verwirklicht werden muss, ist ein Vermögen (seine «Sub-
ches helles Gewahren (helles Bewusstsein, Einsehen des Natürlichen: zi ran mingjue stanz») und nicht ein aktuelles Gewahren oder Fühlen von etwas (zhi jue ~Jl). c) Die
§ ?Aaß.l Jl), es ist sowohl Stille (ji ;Jifl) als auch Tätigkeit durch Erregungen (gan xing !ml menschliche Anstrengung des «Verwirklichens des ursprünglichen Wissens» kann
fi); es ist «zwischen Vorhandensein und Nichtvorhandensein» (you wu zhi jian f'iAA nicht im «Berichtigen der Handlungen» bestehen, denn dann würde sie zu einem
.zrai), «ohne Vorher und Nachher, ohne Innen und Außen» (wu qian hou, wu nei wai künstlichen, nicht natürlichen Handeln führen.
m=~m.=nhL)
""' f.l~ ,~..,_,, .,,. :,r •21s
4. Der Unterschied zwischen dem Lernen des Konfuzius-Schülers Yanzi a) Wang Ji hat keine Methode, um das «ursprüngliche Wissen» zu «verwirk-
(Yan Hui), das auf dem unmittelbaren Gewahren (Einsehen: jue ft) des «ursprüngli- lichen», denn er betrachtet dieses als etwas von vornherein «schon Fertiges»
chen Wissens» beruhte, und dem Lernen des Konfuzius-Schülers Zigong, das im Die Grundkritik Nie Baos an Wang Ji besteht im Vorwurf, dass er für das ethische
Lernen von Vielem und im Planen (duo xue,yi zhong ~~~lfl) bestand [d.h. auf ange- «Lernen», das heißt für die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» (zhi liang
lerntem Wissen beruhte]. Das «Herz» erkennt aufgrund seiner «Leere» (kong ~). 219 zhi ~ B!~), gar keinen für die Lernenden (Übenden) gangbaren Weg, das heißt keine
5. Das «ursprüngliche Wissen» als «natürliches Gewahren» (zi ran zhi jue § anwendbare Methode, habe, da er das «ursprüngliche Wissen» nur in seiner idealen
?A.zfl): «Lernen ist nichts anderes als Gewahren (Einsehen) (xue jue er yi ~-ffij"
Das natürliche Gewahren ist das <ursprüngliche Wissen>. Das Gewahren ist das eigent-
8 ).» Vollständigkeit oder Ganzheit sehe und daher die methodischen Unterscheidungen
zwischen Früher und Später, zwischen Innen und Außen, zwischen Ruhe und Tätigkeit,
liche Wesen der menschlichen Natur (jue shi xing ti 1i~ttlll).»220 Das «ursprüngliche die seine «Verwirklichung» ermöglichen, ablehne. Nie Bao setzt in seiner Kritik mit
Wissen» ist zwar nicht dasselbe wie das erworbene (informative) Wissen (zhi shi ~~), dem Ausdruck des «dem Himmel vorangehenden Lernens» (xian tian zhi xue $t~.Z
aber «es ist falsch [wie Nie Bao] zu meinen, dass das <ursprüngliche Wissen> außerhalb $) ein, den WangJi zur Charakterisierung des Lernens des «ursprünglichen Wissens»
des [aktuellen] gewahrenden Bewusstseins liegt (liang zhi wai yu zhi jue 5l.~9~ tit!Ellfl).» in der Einleitung seines «Abrisses» benutzt hatte, 224 versteht diesen Ausdruck aber in
«Die <Berichtigung der Handlungen> besteht in der täglichen sichtbaren Ausführung einem anderen Sinne. Er beginnt seine Kritik an dieser Einleitung folgendermaßen:
der <Verwirklichung des [ursprünglichen] Wissens> (zhi zhi ri ke jian zhi xing ~!Eil 1:1 «Das dem Himmel vorangehende Lernen ist das Nähren des Voraus (yu 'lt)225 der
iiJJ!.zfi).» «Es ist falsch [wie Nie Bao] zu meinen, dass die <Berichtigung der Hand- noch nicht entstandenen Gefühle (yang yu wei Ja zhi yu tltit*~.Z'ft). Wenn es im
lungen> als das Suchen des Richtigen in den praktischen Dingen (wu shang qiu zheng Voraus geschieht, dann wird das Geschick von mir aufgerichtet (ming you wo li n'tiEH ft
WJ.t5.l<IE) eine <nachgemachte Gerechtigkeit> (yi xi ~U) ist.» «Spätere Konfuzianer il.), das Dao geht dann aus mir hervor (dao you wo chu mlilft:±l), und <die Dinge sind
[Zhu Xi und auch Nie Bao] meinen, dass Wissen (zhi !Eil) bereits zu den entstandenen dann alle bei mir vorbereitet (wan wu jie bei yu wo ;i'~~ffititft)>. 226 Deshalb heißt es
Gefühlen gehört, und suchen vor dem Wissen eine Zeit, in der die Gefühle noch nicht [im <Buch der Wandlungen>]: <[Der große Mensch] geht dem Himmel voran, und
entstanden sind (hie qiu wei fa zhi shi .8U5.l<*M .Z~). Dadurch geraten sie unvermeidlich
bei der Unterscheidung von Ruhe und Tätigkeit in eine Zersplitterung.»221
6. «Das <ursprüngliche Wissen> hat nicht die Charaktermerkmale von et-
was Besonderem (von etwas Außergewöhnlichem: wu qi te xiang fmfii-%*H): Eigentlich 222 Im Zitat dieses Textes bei Nie Bao steht anstatt «ruhig» (ping an -'!l'ti:) «gewöhnlich» (ping chang
-'Ilm,) (Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 381). Nie Bao lässt sich wohl vom vorangehenden Satz
Wang Jis verleiten.
223 A.a.O., S. 3b (Taipei 1970, S. 410).
216 A.a.O., S. 1b-2a (Taipei 1970, S. 406f.). 224 «Das <l.ll'sprüngliche Wissen> ist die Helle des eigentlichen Herzens (ben xin zhi ming ;ij!;,t,,;za}l), es
217 A.a.O., S. 2a (Taipei 1970, S. 407). wird nicht durch Lernen und Überlegen erlangt, es ist das dem Himmel vorangehende Lernen.»
218 A.a.O., S. 2-b (Taipei 1970, S. 407f.). A.a.O., S. lb (Taipei 1970, S. 406).
219 A.a.O., S. 2b-3a (Taipei 1970, S. 408f.). 225 Das ist wohl auch eine Anspielung auf das 16. Hexagramm des Yijing, das Hexagrammyu il, das an
220 A.a.O., S. 3a (Taipei 1970, S. 409). dieser Stelle oft als «harmonische Freude, Muße» verstanden wird.
221 A.a.O., S. 3a-b (Taipei 1970, S. 409f.). 226 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 4.
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581

der Himmel widersetzt sich ihm nicht.>227 Wenn man dann von den Dingen erregt (Affektionen: gan !\i\t); die verborgene Anhäufung des Salpeters (Schießpulvers) ist wie
(affiziert) wird (gan !\i\t) und in ihnen tätig ist und dabei die sieben Gefühle entstehen, die Stille vor dem Entstehen der Gefühle (wei fa zhi ji *Jlzlf.Tl). Wenn man nun bloß
so handelt man, indem man <sich nach den Zeiten des Himmels richtet> (cheng tian shi darum weiß, dass die Schüsse für die Bedrohung der Feinde ausreichen, sich aber dabei
xing jf(Jc~fi), ohne dass die menschlichen Kräfte sich dabei beteiligen können; wenn nicht um die Vollständigkeit des Salpeters kümmert, dann wird die Kanone zu einer
sie sich beteiligen würden, so wäre dies ein <[künstliches] Nachhelfen>, 228 wodurch stummen Waffe und kann nicht kontinuierlich donnern. Sie sagen: <Es [das <Ursprüng-
man sich vom Himmel weit entfernt. Daher heißt es: <[Der große Mensch] folgt dem liche Wissen>] ist die Stille, worin die Erregungen tätig sind; es ist die Erregungen,
Himmel nach (hou tian .f&Jc) und gehorcht den Zeiten des Himmels.>229• 230 Meister worin die Stille wirkt.>234 Wenn man in solcher Weise vom schon fertigen (xian cheng
Shao [Shao Yong, 1011-1086] sagte: <Das dem Himmel vorangehende Lernen betrifft .$tP.lG) [<ursprünglichen Wissen>] spricht, mag das stimmen. Doch wenn man für die
das Herz (den Geist); das dem Himmel nachfolgende Lernen (hou tian zhi xue .f&Jc Lernenden eine Methode (eine Weise des Fortschreitens) aufstellen will, muss man
z!J!) betrifft die <Spuren> (Fakten, äußeren Erscheinungen:ji ~).> 231 Das <dem Him- eine Stufe niedriger anfangen. Das <Buch der Wandlungen> (Yijing) und das Zhongyong
mel Vorangehende> meint die <Substanz> (ti d), das <dem Himmel Nachfolgende> sprechen von Innen und Außen, doch Sie negieren das. Das <Buch der Wandlungen>
meint die <Funktionen> (yong ffl); denn das <Vorangehende (Frühere: xian .$t)> und und das Daxue sprechen von Früher und Später, doch Sie negieren das. 235 So sprechen
das <Nachfolgende (Spätere: hou .ft)> werden durch <Substanz> und <Funktionen> und Sie gleich ~~hon mit der ganzen Wirklichkeit [des <ursprünglichen Wissens>] von der
anfänglich nicht durch Gut und Schlecht unterschieden.>»232 «Wenn Meister Cheng ethischen Ubung (yi zong ti yan gongfa P,i.At!d*J:}J~), wie wenn man beim Pflanzen
[einer der beiden Cheng-Brüder, 11. Jahrhundert] sagte, dass das <Nochnicht[-auf- eines Baumes schon mit seiner ganzen Höhe von hundert Fuß sprechen könnte und
die-Erregungen-durch-die-Dinge]-Antworten> nicht früher und das <Antworten> [auf nicht die Fülle seiner Zweige und Blätter durch die Vortrefflichkeit seiner Wurzeln und
sie] nicht später sei (wei ying bu xian, yi ying bu hou *Jll::Y:.$t8/!i::f~), dann sprach die Vortrefflichkeit seiner Wurzeln durch die kontinuierliche Pflege und Bewässerung
er im Hinblick auf das eigentliche Wesen des Herzens (xin ti 1i)ffl), aber für unsere entstehen lassen müsste. Das ist der Sinn meiner Rede von Innen und Außen, von Frü-
Anstrengung des Lernens (yu xue wen zhi gong i.it~rc,.zJ:}J) reicht dies nicht aus. Denn her und Später.»236 Nie Bao schließt das erste, hauptsächlich die Einleitung von Wang
er sagte danach: <Es ist wie ein hundert Fuß hoher Baum; von den Wurzeln bis zu Jis «Abriss» betreffende Stück seiner Kritik wohl nicht ohne Ironie: «Verehrter älterer
den Zweigen und Blättern ist er eine Einheit (yi guan -lt).> Wenn jemand, der einen Bruder, 237 Sie sind weiser als die anderen Menschen. Ganz natürlicherweise sprechen
Baum pflanzen will, nur von der Ganzheit des hundert Fuß hohen Baumes redet und Sie daher beim <Lernen> bloß vom Urzustand des Hundun (hun dun zhu sheng m5iMJJ
dabei ignoriert, wie man die Arbeit des Nährens und Bewässerns ausführt, wie kann ~), 238 als es noch keine Verunreinigung und keine Verderbnis gab, und betrachten das
er da erwarten, dass der Baum hundert Fuß hoch zu werden vermag! Die Stille ist die gegenwärtige [<ursprüngliche Wissen>] als etwas Vollständiges (yi xian zai wei ju zu P,.l.
<Substanz der menschlichen Natur> (xing 'lizlll), sie ist die Wurzel vo~ Himmel und JJl.1'±1.©~ß) und das <nicht selbst künstlich Handanlegen> als wunderbare Einsicht (bu
Erde. -Nun sagen Sie, sie [die Stille des <Ursprünglichen Wissens>] sei nicht innen; 233 fan zuo shou wei miao wu 1'~BfUc.:J:: 239 1.©:/!'Pffi). Daran dürfen Sie sich zwar selbst erfreuen,
ist sie denn etwa außen! Die Erregungen sind die Gefühle als Funktionen (qing zhi aber ich befürchte, dass gewöhnliche Menschen dessen nicht fähig sind.»240
yong t!zffi), die sichtbaren Spuren in den Formen und Dingen; aber Sie sagen, sie
seien nicht außen; sind sie denn etwa innen! Oder soll es etwa noch einen Zwischen-
bereich zwischen Innen und Außen geben (nei wai zhi jian p;Jj~.z!li,), in welchem man 234 Nicht ganz wörtliches Zitat der in der vorangehenden Anmerkung zitierten Stelle aus Wang Jis Text.
235 Wang Ji schreibt im dritten Abschnitt seines «Abrisses»: «Das <ursprüngliche Wissen> [... ] ist
etwas unterbringen könnte! Ich habe einmal folgendes Gleichnis aufgestellt: Das
zwischen Vorhandensein und Nichtvorhandensein. [...] Dieser [himmlische] Antrieb hat weder ein
Herz ist wie eine militärische Feuerkanone (chong pao ~i'Ei.); die lauten Schüsse sind Früher noch ein Später [...J.» ITTtng Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 2a-b (Taipei 1970, S. 407f.).
wie seine Tätigkeiten ifa Jl); das Feuer auf der Zündschnur sind wie die Erregungen 236 Nie Bao ji, Nanjing 2007 juan 11, S. 376 (betrifft die Einleitung von WangJis «Abriss»; von WangJi
teilweise zitiert in Zhi zhi yi bian, I½lng Longxi quan ji [1822],juan 6, S. 4a-b [Taipei 1970, S. 41 lf.)).
237 Das ist eine Höflichkeitsform, in Wirklichkeit war Wang Ji elf]ahre jünger als Nie Bao.
238 Das Hundun ist in der chinesischen Mythologie der undifferenzierte Urzustand der Welt. Sein «er-
stes Werden» ist die «Öffnung» (Unterscheidung) von Himmel und Erde. WangJi hatte im zweiten
227 Yijing, Anhang W~an, l. Teil (Kommentare zum Qian-Hexagramm). Abschnitt seines «Abrisses» geschrieben: «Das <Buch der Wandlungen> sagt: <Das Qian [das erste
228 Anspielung aufMengzis Parabel vom dummen Bauern aus Song, der seinem Getreide beim Wachsen Hexagramm, das reine Yang] weiß (beherrscht) den großen Anfang (zhi da shi ~jetzt¾). Das <Wissen>
nachhelfen will, indem er es in die Höhe zieht und dadurch verdirbt; Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2. des Qian ist dasselbe wie das <ursprüngliche Wissen>, nämlich die Uröffnung (di yi qiao ~-l!i) des
229 Yijing, Anhang W~an, 1. Teil (Kommentare zum Qian-Hexagramm). anfänglichen Autbruchs des Hundun.» J½lng Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 2a (Taipei 1970, S. 407).
230 Bis zu dieser Stelle wird der Text Nie Baos von Wang Ji nicht in seiner Gegenkritik zitiert. 239 «Bu Jan zuo shou ::f~Elft«=f» in der Bedeutung «nicht künstlich Hand anlegen, nicht künstlich herstel-
231 Guan wu wai pian II. len» ist eine Formel WangJis, die alles «Lernen», das nicht eine «natürliche», spontane Äußerung des
232 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 11, S. 375f. vollkommenen «ursprünglichen Wissens» ist, abweist. In seinem «Abriss» hatte er sie nicht benutzt,
233 WangJi: «Abriss», 3. Abschnitt: «Das <ursprüngliche Wissen, ist( ...] natürliches klares Gewahren aber sie oder eine ihrer Variationen spielt in seinem Denken eine wichtige Rolle: siehe oben, S. 381,
(zi ran mingjue 1:11 ~aJUl). Es ist Stille, worin die Erregungen (gan mll) tätig sind, seine Stille ist nicht S. 485 und unten, S. 710.
innen; es ist die Erregungen, worin die Stille bewahrt ist, seine Erregungen sind nicht außen.» J½lng 240 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 377; bei Wang Ji teilweise zitiert in seiner Gegenkritik: ITTtng
Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 2a (Taipei 1970, S. 407). Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 4b (Taipei 1970, S. 412).
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Nie Bao lehnt also vVang Jis Gedanken des «ursprünglichen Wissens» als ei- nicht zwei verschiedene Bereiche seien (wu erjie ~=W), dass Tätigkeiten und Ruhe
ner Einheit von Stille und Erregungen (ji gan ir,R~), als einer Einheit von Ruhe und nicht zu verschiedenen Zeiten stattfinden (wu er shi ~=a~), täuscht die Menschen
Tätigkeiten (jing dong ffliiJJ) nicht schlechthin ab. Diese Einheit ist die «ganze Wirk- schon seit langem. Stille und Erregungen sind klar zwei verschiedene Dinge. 1n der
lichkeit» des «ursprünglichen Wissens». Aber diese «ganze Wirklichkeit» ist beim Welt gibt es eindeutig Erregungen, <lic nicht in der Stille g1iinden; es gibt Tätigkeiten,
gewöhnlichen Menschen faktisch nicht vorhanden; sie ist ein verlorener «Urzustand», die nicht aus der Ruhe entstehen; das sind alles Verirrungen (wang ~). Nur wenn die
der «wiederhergestellt» werden muss; sie ist im «Lernen» das anzustrebende Ziel Erregungen in der Stille entstehen und wenn die Tätigkeiten aus der Ruhe geschehen,
und darf nicht als etwas «schon Fertiges» (xian cheng }Jif-iJl) vorausgesetzt werden. Das kann man vom <Herzen des Dao> (dao xin ~,i)) 215 sprcchcn.» 246 Weil das menschliche
«eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» ist für Nie Bao nicht wie für Wang Herz sich faktisch in «Verirrungen» befindet, das heißt, seine Tätigkeiten nicht aus
Yangming und seinen Schüler Wang Ji eine immer vollkommene reale Wirldichkeit, der Ruhe heraus geschehen und mit ihr nicht eins sind, muss die ethische Übung da-
sondern ein zu realisierendes Ideal. _i\;fan muss die Lernenden im Ausgang von ihrem rin bestehen, zuerst die Ruhe in der Substanz des Herzens wiederherzustellen, damit
faktischen, nicht ganzen «ursprünglichen Wissen» aus anleiten, wie sie es anstellen, danach diese Ruhe die aus der Substanz hervorgehenden Tätigkeiten beherrschen
vor allem, wo sie anfangen müssen, um dieses Ideal zu erreichen: Sie müssen «innen» kann. Direkt an Zou Shouyi hatte er geschrieben: «Immerwährende Stille und im-
im Herzen, «in der Mitte vor dem Entstehen der Gefühle», anfangen. Nie Bao sieht merwährende Erregung (wu shi hu_ji, wu shi bu gan zhe ~a~1',M~ß~1'~~), das ist das
in vVang Jis Auffassung des «ursprünglichen Wissens» eine «Idealisierung» des fakti- eigentliche Wesen des Herzens (xin zhi ti ,~,.zd). Nur zu einer gewissen Zeit erregt zu
schen, unvollständigen «ursprünglichen Wissens» zu dessen ganzer, «schon fertiger» werden (gan wei qi shi ~tlti't B~) und diese Erregungen durch die Stille zu beherrschen
\iVirklichkeit, und er sieht in dieser Idealisierung den Grund dafür, dass WangJi keine (zhu zhi yi ji ::i:.ZP,l.,M), das ist die Anstrengung des Lernens (xue wen zhi gong ~r□~ .Z
Methode der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» haben kann. Er wieder- J}J). Daher ist die Meinung zwar falsch, dass Stille und Erregungen lclem eigentlichen
holt diesen Vorwurf nochmals spiitcr in seiner Kritik am dritten Abschnitt von Wang Wesen nach] zu verschiedenen Zeiten stattfinden, aber es ist falsch anzunehmen, dass
Jis «Abriss», wobei er sich auch auf einen 'Text Wang Jis vom Sommer 15 57 bezieht, die ethische Übung nicht zwischen Stille und Erregungen zu unterscheiden hat, und
in welchem dieser bereits Nie I3ao 1..'Urz kritisiert hatte: «Anfang Frühjahr ll 558] habe zu ignorieren, dass man [zuerstl zur Stille zurückkehren muss, mn [dann] mit ihr die
ich in den von Ihnen herausgegebenen <Aufzeichnungen von Sanshan =:JlJ [= Fuzhou, Erregungen beherrschen zu können (guiji yi dm fit grm ~/Jl,Ml,;),3::,51.::~).» 247
Provinz Fuji an]> gelesen: <l),is (ethische) Lernen der alten [konfuzianischen] Heiligen
hat sich nur aufgrund des [himmlischen] Antriebes angestrengt (zhi zaiji shang yong b) Das «ursprüngliche Wissen», das «verwirklicht» werden muss,
gong 5=1,:t±:~J=.ffl :r:}J). Dieses <Zwischen von Vorhandensein und Nichtvorhandensein> ist ein Vermögen («Substanz») und kein aktuelles Bewusstsein von etwas
(you wu zhijirm 1'l"~ZFei)m ist die wahre Substanz und die wahren Funktionen des (kein Gewahren, Fühlen: zhi jue 9;0~)
menschlichen Herzens (ren xin zhen ti yong )__,t,,~ dffl) und auf der Stelle (unmittelbar, Das «ursprüngliche Wissen» muss nach Nie Bao in der Stille verwirklicht werden.
jetzt) vollständig da (dang xia ju zu ~-i:;- J!tJE). Das bedeutet, dass es keine Stille und Das «ursprüngliche Wissen», das in der Stille verwirklicht werden muss, ist für ihn
keine Erregungen gibt, dass es immer Stille und immer Erregungen gibt, dass Stille kein auf einen Gegenstand intentional bezogener Bewusstseinsakt, kein Erleben, kein
und Erregungen eine Einheit sind (ji gan yi ti ir,R~-d).> 242 Gleich wie jener [dritte] Gewahren, keine emotionale Bewusstseinsregung und auch kein moralisches Bewusst-
Abschnitt [Ihres <Abrisses>] wird etwas schon Fertiges zum Gegenstand ethischer sein solcher Intentionen, sondern die «Substanz» des «ursprünglichen Wissens»
Anstrengung gemacht (yi xian cheng zuo gongfu kan J,:;l,.}Jif-iJl11=:r:}J~~).» 243 oder, mit dem Ausdruck des ersten Kapitels des Zhongyong gesprochen, «die Mitte
In einem Brief, der sich primär gegen den oben in § 3 zitierten Vorwurf von Zou vor dem Entstehen der Gefühle» (wei Ja zhi zhong *~.zq:i), Die «Verwirklichung
Shouyi244 wendet, hatte Nie Bao geschrieben: «Die Lehre, dass Stille und Erregungen des ursprünglichen Wissens» ist für Nie Bao die Verwirklichung dieser «Mitte» der
«Substanz». In Bezug auf die Einleitung von Wang Jis «Abriss» schreibt er: «Das
<ursprüngliche Wissen> ist <die Mitte vor dem Entstehen der Gefühle>, das hat der
verstorbene Lehrer [Wang Yangming] gesagt. 248 Der verstorbene Lehrer sagte: <Der
241 Zitat aus Zhou Dunyis Tongshu, Kap. 4.
242 Diese Sätze WangJis finden sich in den <<Aufzeichnungen von Sanshan Luze», wie sie bereits 1578, Mensch muss nur die eigene Substanz seines Herzens (Geistes) vollenden (zhi yao
zu Lebzeiten Wang Jis, von Gong Anguo in juan 2 von «Longxis Worten in Versammlungen» her-
ausgegeben wurden. Diese Textsammlung von 1578 wurde in den Anhang II von Wang Ji ji, Nanjing
2007, aufgenommen; die von Nie Bao zitierten Sätze finden sich dort auf S. 705. Im Text der «Auf-
zeichnungen von Sanshan Luze» injuan I der Ausgabe Wang Longxi quan ji, 20 juan, 1822 (Nachdruck 245 Ausdruck aus dem «Klassiker der historischen Dokumente» (Shujing), «Ermahnungen des Großen
Taipei 1970), die auf die Gesamtausgabe von 1588 mit 20 juan zurückgeht, fehlt der Abschnitt mit Yu». Das «Herz des Dao» wird dort dem «Herzen des Menschen» (ren xin ,A_,f)) entgegengesetzt.
diesen Sätzen Wang Jis. 246 «Antwort an Hu Qingya t;JJ 'i!l'l½»,Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 9, S. 293.
243 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 378; zitiert von Wang Ji in seinem Zhi zhi yi bian, Wang Longxi 247 «Erster Brief an Zou Shouyi (Dongkuo)», Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 8, S. 261; aufgenommen im
quanji (1822),juan 6, S. 9a (Taipei 1970, S. 421). MRXA,juan 17, Abschnitt über Nie Bao, Beijing 1985, S. 375.
244 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 2, S. 567 und S. 570. 248 Chuanxi lu II, Nr.155, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 62.
584 585

chengjiu zi jia xin ti .R~ß.lGwJt § ~ 1[>d), dann sind die Funktionen auch darin inbegrif- seine <Funktionen> (yong ffl). <Substanz und Funktionen sind eine Einheit (ti yong yi
fen. \Venner die Substanz des Herzens so zu nähren vermag (yang de xin ti i.f{~1i>U), yuan Uffl-JJ1-)>. 254 Wenn die <Substanz> aufgerichtet ist, dann gehen die <Funktionen>
dass wirklich <die Mitte vor dem Entstehen der Gefühle> vorhanden ist, dann besteht von selbst daraus hervor (ti li er yong zi sheng R:tz. li'ii ffl § :i:.). Die Anstrengung des
in den entstandenen Gefühlen von selbst (natürlicherweise: zi ran § M) <die Harmonie <Verwirklichens des [ursprünglichen] Wissens> besteht nur in der Aufrichtung der
des richtigen Maßes>, von selbst tritt kein unrichtiges Handeln auf (zi ran wu shi bu <Substanz>, um dadurch zu deren Funktionen 7,u gelangen (li ti yi da qi yong :fz:.\ffl.1-:;!_~
ke ~ M~niFf i:iJ).> 249 \Nenn Sie behaupten, das <ursprüngliche Wissen> sei auch <die ~ffl).» 255 Der Ausdruck «zhi jue ~11», den wir mit «Gewahren» übersetzt haben, hat
Harmonie in den entstandenen Gefühlen> (fa er zhongjie zhi he Rim"PWZ~), 250 dann hier, wie bei Wang Yangming und Ouy,mg De, 256 eine sehr breite Bedeutung: Nie Bao
pressen Sie bereits etwas [seine Worte].» 251 Zwar räumt Nie Bao in seiner Kritik am gebraucht ihn hier vor allem als Begriff für das aktuelle intentionale Bewusstsein, im
fünften Abschnitt von \VangJis «Abriss» ein, dass auch das «natürliche Gewahren (das Gegensatz zur Substanz als «Potenz» des I lerzens, aber in der Bedeutungsrichtung
natiirliche Fühlen, die natürlichen Bewusstseinsfunktionen) der menschlichen Natur- eines unmittelbaren Fühlens oder Gewahrens von etwas.
substanz» (xing ti zi nm z;hijue ttU § Mzi:) «ursprüngliches Wissen» sei, 252 aber das Nie Bao versteht also den Ausdruck diang zhi Bl,.9;□ », den wir mit «ursprüngliches
ist für ihn vom Gesichtspunkt der ethischen Übung· aus ein selmndärer Begriff des Wissen» wiedergeben, primär nicht als gute emotionale Regungen des menschlichen
«ursprünglichen Wissens», das heißt, es ist nicht dasjenige «ursprüngliche Wissen», Herzens und auch nicht als ein moralisches Bewusstsein der eigenen Handlungsin-
das zu <<verwirklichen» ist, sondern es ist das «natürliche Wissen», das «natürlicher- tentionen, ja überhaupt nicht als ein aktuelles Bewusstsein, sondern als «Substanz»
weise» folgt, nachdem das «ursprüngliche Wissen» im primären Sinn, in jenem der (ti U) des Herzens (Geistes). Diese «Substanz» ist für ihn kein immer vollkommenes
«Substanz», ,<verwirldicht» worden ist: Die intentionalen Bewusstseinsfunktionen reales «Wesen», sondern faktisch eine mehr oder weniger große geistige Kraft, Potenz
sind insofern «ursprüngliches Wissen», als sie aus der «Mitte vor dem Entstehen der oder Macht, die gestärkt werden muss, um die Herrschaft im Umgang mit den Dingen
Gefühle» hervorgehen und von der Stille dieser «Mitte» «beherrscht werden (zhu ::l::). (d.h. in den intentionalen «Funktionen» oder «Tätigkeiten>,) ausüben zu können. Bei
Nie Bao scheidet in der ethischen Praxis, die es nach ihm nicht mit dem vollkom- diesem Verständnis von <<limzg zhi Bl,.9;□ » als «.Macht» oder «Kraft» ist die bisherige
menen «ursprünglichen \Nissen» zu tun haben kann, streng zwischen der «Substanz» Übersetzung mit «ursprüngliches Wissen» nicht zureichend. Nie B,10 scheint auf eine
und den «fiunktionen» des «ursprünglichen Wissens». 1525 hatte Wang Yangming in besondere Bedeutung des Zeichens «zhi 9;□ », das im binomen Ausdruck «liang zhi
einem Brief geschrieben: «Das leer geisteskräftige helle Gewahren (xu ling mingjue ~9;□ » vorkommt, zmiickzugreifen. Darin unterscheidet er sich von Wang Yangming
~ll!SJJ.if) des Herzens (Geistes) ist das, was das eigentliche <ursprüngliche Wissen> und seiner ganzen Schule. «'Lhi 9;□ » hat in der gewöhnlichen Sprache in gewissen
genannt wird.» 251 Nie Bao unterteilt nun diese Charakterisierung des «ursprünglichen Zusammenhängen auch die Bedeutung von «vorstehen», «leiten», «regieren», wie
vVissens», indem er die «leere Geisteskraft» (xu ling ~ll!) zur «Substanz» und das in den Ausd1iicken «zhi xian ~~» und «zhifu :J;□ /fü», die ,,Vorsteher eines Kreises»
«Gewahren» (als aktuelles Bewusstsein von etwas, als Bewusstseinstätigkeit: zhi jue und «Vorsteher einer Präfektur» bedeuten. Nie Bao versteht «z.,hi !m» im binomen
1mi:) zur «Funktion» des «ursprünglichen Wissens» erklärt. In einem Brief schreibt Ausdruck «liang zhi ~~» primär, das heißt, wenn es um die «Verwirklichung des liang
er: «Das leer geisteskräftige Gewahren (Bewusstsein) (xu ming zhijue ~ll!~i:) ist alles zhi» geht, als das menschliche «Herz», insofern es dazu bestimmt ist, im Leben das
<ursprüngliches Wissen>. Doch die <leere Geisteskraft> (xu ming ~m) bedeutet seine Vorstehende, Leitende, Herrschende zu sein. Es gilt, in der «Verwirklichung des liang
<Substanz> (ti U); das <Gewahren [als aktuelles Bewusstsein]> (zhi jue ~i:) bedeutet zhi» dieses zum Herrschen bestimmte «Herz» «aufzurichten» (li :tr.), das heißt, ihm
die nötige Kraft zu geben, damit es sich dann im tätigen, mit den Dingen beschäftig-
ten Leben gegenüber der Anziehungskraft und Macht der Dinge durchsetzen kann.
Schon 1542 definierte er in seiner «Ansicht über die alte Fassung des Daxue» die im
249 Chuanxi lu I, Nr. 67, Quanji, Shanghai 1992, S. 21. Dieses Zitat aus Wang Yangmings Cbuanxi lu
übergeht WangJi in seiner «Diskussion über die Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»: siehe ersten Kapitel dieses kanonischen Buches eine Folge bildenden Ausdrücke «zhi 9;1]»
Wang Longxi quanji (1822),juan 6, S. 4a (Taipei 1970, S. 411). (allgemein übersetzt mit «Wissen»), «.yi ~» («Intention», «Wille»), «ge wu *!fo/J»
250 So WangJi in der Einleitung zu seinem «Abriss»: Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 16 (Taipei («Berichtigung der Handlungen») und «xin ,t,» («Herz», «Geist») folgendermaßen:
1970, s. 406).
251 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 11, S. 376; von WangJi zitiert in seiner «Diskussion über die Verwirk- «Die Dinge beherrschen (leiten, regieren) (zai wu $!J@) ist <zhi 9;□ >; die Dinge
lichung des ursprünglichen Wissens», Wang Longxi quanji (1822),juan 6, S. 4a (Taipei 1970, S. 411). empfinden ist <.yi ~> (<Intention>); die Dinge ordnen ist <ge *> (<berichtigen>). Das
252 Er schreibt: «Es ist richtig, dass das <natürliche Wissen> das natürliche Gewahren (Wahrnehmen, Herz ist wie ein Spiegel; das zhi ~ ist wie die Klarheit (ming HJ.I) dieses Spiegels; das
Fühlen) der menschlichen Natursubstanz» (xing ti zi ran zhi jue ttllll § ?t.l.Z1!) ist. Wenn man daher
das Wissen verwirklichen will, muss man zuerst die menschliche Natur (tt) [die Substanz] nähren.»
Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 381; von WangJi zitiert in seiner «Diskussion über die Verwirk-
lichung des ursprünglichen Wissens», Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 22b (Taipei 1970, S. 428). 254 Oft zitierte und verschieden interpretierte Formel, die auf das Vorwort von Cheng Yi (1038-1107)
Während WangJi «xing ti ttffl» als eigentliches Wesen der menschlichen Natur versteht (siehe oben, zum Yzchuan zurückgeht.
S. 578, Punkt 5), versteht Nie Bao «xing ti ttffl» als menschliche Natursubstanz. 255 «Antwort an WuJietui ~ ffiiffi: von Songjiang», Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 8, S. 277.
253 «Brief an Gu bongqiao», Quanxi lu II, Nr. 137, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 47. 256 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 4, S. 297,Anm.1.
586 587

*
Verwirklichen des zhi ~ ist wie das Polieren des Spiegels; das ge ist wie das Spiegeln Er schreibt in einem anderen Text: «Das <ursprüngliche vVissem ist <die Mitte
[der Dingel durch diesen Spiegel [... ] .»257 vor dem Entstehen der Gefühle>, es ist die Ursache für die Verbesserung der Dinge
In seiner Kritik am vierten Abschnitt von Wang Jis «Abriss» bezieht sich Nie (bei wu dun hua fm'l@W&1l:;) und gehört nicht zum Gewahren (Fühlen, aktuellen Bewusst-
Bao auf den darin von Wang Ji zitierten Satz aus dem <<Großen Anhang» (Xici) des sein: zhijue ~D.W). [... ]Wenn man heute das ,Lichen und Verehren> als liang zhi ~~□
«Buches der vVandlungen»: «Pu yi zi zhi ffi.P). § ~: wiederherstellen, um selbst zu betrachtet, dann macht man aus einem Gewahren (Fühlen, aktuellen Bewusstsein) die
wissen (um selbst zu regiercn)», 258 und kommentiert: «Das meint, dass die Stärke Substanz (ben ti .$.U); und wenn man aus einem Gewahren die Substanz macht, dann
der Tugendhaft des Himmels bei uns in ihrer Vollständigkeit wiederhergestellt macht man aus dem <ohne zu lernen und ohne zu überlegen> die ethische Anstrengung
werden soll (tian de zhi gang fu quan yu wo x1!~~jffi.~Jki~), so dass sie nicht von (gongfu J:)J_;;;t).»261
der Menge cler dunklen Kriifte (yin i!ii) verwirrt wird. Das bedeutet, dass man selbst Die «Substanz», die zum «Regieren» (zhu :::J::) ,<mächtig» (fähig: zhi ~□) sein
in fester Weise das Herrschende sein soll (zi jia zuo zhu zai ding § ~1/&3::'.~YE). Des- muss, braucht nach Nie Bao nicht immer intentionale Gegenstände zu haben, das
halb heißt es: <z.i z.hi §~>,was dasselbe ist wie <zi zhu § :E> (<selbst das Herrschende heißt, sie braucht sich nicht immer in aktuellen Bewusstseinsfunktionen zu äußern.
sein>).» 259 Und indem er diesen Gedanken mit dem liang zhi &~ verbindet, fährt er Sie kann bloße «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» sein; sie kann, in Nie Baos
fort: «Die Lehre vom lirmg zhi &~□ unseres verstorbenen Lehrers [Yangming] hat Gleichnis gesprochen, zu einem klaren Spiegel werden, ohne Gegenstände zu spie-
ihren Ursprung bei Mengzi. Mengzi sagt, dass das Kleinkind, ohne zu lernen und geln, sie kann «leer» (xu m., kong :?:§1) von intentionalen Gegenständen, sie kann bloß
zu überlegen, [seine Eltern] zu lieben und [seine älteren Brüder] zu verehren weiß «latente Energie» ohne aktuelle Wirkungen sein. Wie wir schon oben gesehen haben,
(zhi ai zhi jing ~~~liJ.\>:) rnach dem Verständnis Nie Baos übersetzen wir besser: <ZU kennzeichnet er das liang zhi ~~ in seinem idealen, zur Fülle gebrachten Zustand mit
lieben und zu verehren vermag> oder <des Liebens und Verehrens mächtig ist>]. Das dem Ausdruck «helle 'fugend kraft» (ming cle S}J fl) aus dem Anfang des Daxue. Nie Bao
sagt, dass darin [im Lieben und Verehren] eine Sache (ein Ding: wu Wl) [nämlich die schreibt in einem Brief: <<Das Mächtigsein (zhi ~) ist die Substanz (ti Im) des Herzens;
<Substan1,>] ist, die es regiert (zhu zhi ±Z). Das Lieben und Verehren ist dann etwas, es ist leere Geisteskraft ohne Verdunkelung (xu fing hu mci m.mt::Y::ll:iR), es ist nämlich
was von diesem Regierenden getan wird (zhu zhi suo fa ::l::zJiJfR). Wenn Sie sich nun die <helle 'fügendkraft> (ming de S}JfJ~). D,1s <Verwirklichen> besteht im Zur-Fülle-
nicht mit dem, wodurch regiert wird, beschäftigen (bu cong shi suo /yij zhu ::Y::1$E$p}r Bringen ihrer leeren geisteskräftigen Substanz (chong 1,um qi xu ling zhi ben ti 3tJm;l.;t
[P)] ±), um dadurch das Maß der eigentlichen Substanz voll zumachen (yi chong man m.mtz.$.U).» 262 Er beruft sich wiederholt auf eine Aussage eines der beiden Cheng-
huben ti zhi !iang J.,;).3tjiqljSJZ;zJ,:.!mzii.), sondern müßig das Fertigsein (cheng rtl) im <ohne Brüder (11.Jahrhundert): <<Obschon es zur Zeit der größten Ruhe keine Gegenstände
zu lernen und zu überlegen> genießen wollen, so ist das problcmatisch.» 26°Für Nie des Wissens (Regierens: zhi ~□) und Gewahrens (Fühlcns) gibt (wu suo zhi suo jue zhi shi
Bao ist also das liang zhi ~~ nicht ein «Lieben und Verehren», sondern die «Sub- 1!ttJiJf~JiJfYlz$), ist das des vVissens (Regierens) und Gewahrcns (Fühlcns) Mächti-
stanz>> oder die Kraft des «Herzens», die, wenn sie durch das ethische «Lernen» ihr ge (fähige) in Unabhängigkeit und Freiheit (neng .z.hi ncngjue ehe zi zai t~~t~Yl~
«volles Maß erreicht hat», sich im «Lieben und Verehren», «ohne zu lernen und zu § 1:E).»263
überlegen», auszuwirken vermag. Die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» besteht nach Nie Bao darin,
(in der Sprache des Daxue) die «helle Tugendkraft» (ming de BJ.l~) des <<Herzens»,
(in der Sprache des Zhongyong) «die Mitte vor der Entstehung der Gefühle» (wei
fa *~), (in der Sprache des «Großen Anhanges» des Yijing) «die Stille (ji ~) vor
2 57 Song Yiwang 51< fä~: «Lebenslauf von Nie Shuangjiang», in: Huayangguan wen ji,juan 11, S. 18a-19b; den Erregungen (Affektionen) durch die Dinge (gan ~)» in einem methodischen
zitiert bei Wu Zhen 2001, S. 309. Üben der Stille «wiederherzustellen», das heißt, «in ihrem Maß vollzumachen».
258 Ytjing, Xici, 2. Teil, Kap. 7. Im «Abriss», wie er sich in den «Gesammelten Schriften» von Wang Ji
findet, ist dieses Zitat aus dem Yijing an der betreffenden Stelle nicht vorhanden: siehe Wang Longxi Er schreibt in seinen «Aufzeichnungen von Unterscheidungen in der Bedrängnis»
quan ji (1822),juan 6, S. 2b (Taipei 1970, S. 408). (Kun bian lu): «Das Lieben der Eltern und Ehren der älteren Brüder beim Kleinkind
259 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 397; zitiert in Wang Jis «Diskussion» (Zhi zhi yi bian), Wang
Longxi quan ji (1822),juan 6, S. IOb (Taipei 1970, S. 424).
260 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 379; zitiert in Wang Jis Zhi zhi yi bian, Wang Longxi quan ji
(1822),juan 6, S. IOb-lla (Taipei 1970, S. 424f.). Schon Zou Shouyi (Dongkuo) hatte dieses Thema
hervorgehoben, als er in einem Brief Wang Ji über sein Treffen mit Nie Bao und Luo Hongxian in
dessen «Steinlotus-Höhle» berichtete, das wohl 1550 stattfand. WangJi schreibt in seiner Antwort: 261 «Vorwort zur Begleitung von Wang Weizhongs 3: 111!:$ Rückkehr nach Quanzhou», Nie Bao ji, N an-
«In Ihrem gütigen Schreiben über die Zusammenkunft mit dem ehrwürdigen Herrn Shuangjiang jing 2007,juan 4, S. 78.
[Nie Bao] und Bruder Nian'an [Luo Hongxian] in der Steinlotus-Höhle greifen Sie das Wort von der 262 «An Kangzi Yi Jr,'f ?ia», Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 8, S. 256; aufgenommen imMRXA,jurm 17,
ethischen Übung in der Stille auf, um es als Lehrformel aufzustellen. Das Lieben und das Verehren Abschnitt über Nie Bao, Beijing 1985, S. 375.
des Kleinkindes seien nur Funktionen und Äußerungen des <ursprünglichen Wissens>. Es brauche 263 «Antwort an [den Gefangnisaufseher) Dai Bochang», Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 10, S. 351; Kun
eine Wurzel vor den Äußerungen, die diese hervorbringe, es sei in ihnen offensichtlich ein Etwas (ein bian lu, Abschnitt Bian yi ~~. Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 14, S. 558; aufgenommen im MRXA,
Ding: wu !Jwl).» Wang Longxi quan ji (1822),juan 9, S. 3a (Taipei 1970, S. 579). juan 17, Abschnitt über Nie Bao, Beijing 1985, S. 382.
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ist <das Herz des Dao>. 264 Sobald man sich in dessen reinen und einfachen Zustand (xian tian 5'c~) und das <Schlichte> (su ~) im <schlichten Betragen> (su li ~Jii)26s kön-
vor dem Entstehen der Gefühle verwurzelt hat, wirkt sich das Herz des Dao in nen zusammen gesehen werden. Unsere Zeitgenossen wissen nicht um das Nähren
natürlicher Weise aus (zi ran liu xing gJ M51iifi), und es sind nicht die geringsten (yang 31) [der Substanz, der Mitte vor dem Entstehen der Gefühle] des liang zhi ~
Überlegungen und Wünsche dabei. Deshalb ist das <Verwirklichen des liang zhi ~, sondern wissen nur um das Gebrauchen (das 1'unktionieren: yong J:ij) des liang zhi
~!ßl> nur das Verwirklichen des Nährens dieser reinen, einfachen Substanz vor dem
~!ßl. Deshalb betrachten sie das jetzige [liang zhi R!ßl] als vollständig (yi xian zai wei
Entstehen der Gefühle (zhi zhi yang zhe chun yi wei Ja de ben ti Q~:fi~mt;;-*g® ju zu J..::l.:mttf.ili~JE).» 269 Das ist das ist die Grundkritik Nie Baos an vVang Ji.
~!ll). Wenn diese Substanz wiederhergestellt ist (fu ffi.), dann ist alles in Ordnung, Nie Baos Verständnis des littng zhi ~!ß] als die zum Herrschen bestimmte Sub-
es ist das, was die Errichtung der Grundlage des Reiches genannt wird.» 265 Als dieses stanz des menschlichen «Herzens» hat einen gewissen Bezug zu Wang Yangmings
«Nähren der Substanz vor dem Entstehen der Gefühle» versteht Nie Bao die «Acht- Denken obschon in diesem «zhi ~» im Kontext des «liang zhi R~», soweit ich sehe,
samkeit beim Nichtsehen (nicht Gesehenen) und die Furchtsamkeit beim Nichthören nirgends als «herrschen», sondern immer als ethisches Wissen oder Bewusstsein zu
(nicht Gehörten) (jie shen hu qi suo bu du, kongju hu qi suo bu wen ttHPJZ!'tJiJr::fij\'~ verstehen ist. In einer Aufzeichnung im ersten'I'eil des Chuanxi lu, also vor 1518, sagte
ffiPJZ!'tJi.lr::f lffl» im ersten Kapitel des Zhongyong, er versteht diese «Achtsamkeit und er: «Das Herrschende (zhu zai :i:$) in einer Person (shen $.1-) ist das Herz (der Geist:
Furchtsamkeit» also im Sinne Zhu Xis als einen meditativen Zustand vor dem «allein xin ,t,,); was das Herz hervorbringt (tdn zhi suo Ja ,t,,;z}'iJrg), sind die Intentionen (yi
Wissen» um die Keime des Denkens oder um die Intentionen oder Funktionen des ~); das eigentliche Wesen der Intentionen (yi zhi ben ti ~Z*llt) ist das Wissen (zhi
eigenen «Herzens» und nicht im Sinne \ATang Yangmings. 266 Und so kritisiert er vom ¾!) [... ].»270 • Hier wird das «Herz» als das Herrschende der menschlichen Person
Gesichtspunkt dieser Forderung einer meditativen Wiederherstellung der Substanz bestimmt, was im Sinne Nie Baos ist, aber das «zhi !ßl» wird den Intentionen als ihr
des «ursprünglichen vVissens» aus seinen Mitschüler Wang Ji, für den das «ursprüng- Wesen zugeordnet, was seiner Sicht zuwiderliiuft. Doch in einer anderen Aufzeich-
liche Wissen» «jetzt», «in der Gegenwart» (xian zai :m:f:E) in seiner Substanz und in nung aus diesem ersten Teil des Chuanxi lu fragt ein Schüler (Lu Cheng), ob folgende
seinen aktuellen Funktionen vollständig ist (ju zu ~JE) und dessen man sich nur durch Bestimmungen richtig seien: «Das Herrschende (z:hu :i:) der Person ist das Herz (der
«Einsicht» gewahrwerden muss, um ihm im eigenen Leben gegen alle «Wünsche Geist), die geisteskräftige Klarheit (ling ming f!SA) des Herzens (Geistes) ist zhi !ßl;
und Meinungen» zum Durchbruch zu verhelfen. Schon um 1548 schrieb Nie Bao die Auswirkungen und Tätigkeiten (fa dang gib) des zhi %1 sind die Intentionen (yi
im Gefängnis in seinen Diskussionen mit dem Gefängnisaufseher Dai Bochang ge- ~) [... ].» Wang Yangming antwortet: «Auch so ist es richtig.»271 Obschon in diesem
gen \Vang Ji und seine Anhänger: «Das <Nichtsehen und Nichthören> (bu du bu wen Text Lu Cheng und Wang Yimgming das «zhi %1» kaum als «herrschen», sondern als
::fffl::flffl) [im ersten Kapitel des Zhongyong] meint den Zustand, bevor ein einziges «wissen» verstanden haben, war es für Nie Bao leicht, der «gcisteskräftigen Klarheit»
Denken aufkeimt (yi nian wei meng -~*"M). Die <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> des «Herrschenden» selbst, die sich in den Intentionen auswirkt, den Sinn der Mäch-
(jie shcn kong ju Jl!tffi~'II) [im selben Kapitel] ist das Abwehren und Prüfen seines tigkeit zum Herrschen zu geben.
Entstehens (fangjian qijiangftt ßn~!'t~g). Das <Nichthören und Nichtsehen> ist <die Für seine Auffassung des liang zhi ~%1 als «Mitte vor dem Entstehen der Ge-
Mitte vor dem Entstehen der Gefühle>; durch <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> wird fühle» rechtfertigt sich Nie Bao durch eine Stelle aus dem zweiten Teil von Wang
diese genährt (yang 4), wodurch die Grundlage gelegt wird (li ben :i'l.~). Das Nähren Yangmings Chuanxi lu. Schon bei der Kritik von Wang Jis «Einleitung» zu seinem
beim noch nicht Entstandenen (wei fit *g) heißt <vorbereiten> (yu ~). 267 Wenn alle «Abriss» hatte er diese Stelle herangezogen. 272 In seiner Kritik des fünften Abschnit-
Angelegenheiten vorbereitet sind, dann ist [die Grundlage] gelegt, es geht um die tes des «Abrisses» wiederholt er sie und fügt noch ein Zitat aus dem ersten Teil des
<Vorbereitung> von diesem. Das <Voran> (xittn 5'c) im <dem Himmel Vorangehen> Chuanxi lu hinzu. Er schreibt: «Der Lehrer [Wang Yangming] sagte: <Das liang zhi ist
die Mitte vor dem Entstehen der Gefühle (weifa zhi zhong *g Zlfl), die stille, unpar-
teiische Substanz> [zweit~r Teil des Chuanxi lu]. 273 <Es vermag dann von selbst (bian
zi neng ~ § fill) in seinen Außerungen harmonisch zu sein; es vermag dann von selbst
264 Begriff aus dem Sh11ji11g, «Ermahnungen von Yu dem Großen»; sein Gegenbegriff ist «das Herz des
iVtenschen,,, siehe oben in der allgemeinen Einleitung den§ 3, S. 18. Nie Bao schrieb zu diesem Ge- (bi1tn zi neng ~ § ~~) infolge der Erregungen [durch die Dinge diesel zu durchdringen>
gensatz: «Das Herz ist nur eines. Wenn man vorn Gesichtspunkt seiner Grundlage im himmlischen
Ordnungsprinzip und dessen natürlichen Auswirkungen spricht, dann heißt es <Herz des Dao>. Wenn
man vom Gesichtspunkt seines Überlegens, Planens und Machens spricht, dann heißt es <Herz des
Ivlenschcn>. Meister Cheng sagte: <Das Herz des Dan ist das himmlische Ordnungsprinzip; das Herz
des .Menschen sind die menschlichen Begierden>, und Lehrer [Wang] Yangming hat dies besonders 268 Beides Zitate aus <lern «Buch <ler Wandlungen>'.
ins Licht gestellt.» «Antwort an Dai Bochang», Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 10, S. 3 51. . 269 «Antwort an Dai Bochang>>, Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 10, S. 351.
265 Kun bian lu, Abschnitt lJian chcng ~Nit, Nie !Jaoji, Nanjing 2007,juan 14, S. 609; aufgenommen m1 270 Chuanxi lu I, Nr. 6, Quanji,jwm l, Shanghai 1992, S. 6.
MR.XA, juail 17, Beijing 1985, S. 385. 271 A.a.O., Nr. 78, S. 24.
266 Siehe oben in der allgemeinen Einleitung den§ 4, S. 33f., und Teil I, Kap. 2, § 1, S. 136-144. 272 Siehe oben den Anfang dieses Abschnittes b).
267 16. Hexagramm im «Buch der Wandlungen». 273 Vgl. Clmanxi lu II, Nr. 155, Quanji, Shanghai 1992, S. 62.
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[erster 'Teil des Churm:xi lu]. 274 » 275 Er erklärt den Ausdruck «dann von selbst» (bian zi seien, 280 was Nie Baos «Gleichgesinnte» Zou Shouyi und Ouyang De immer wieder
neng 1! § ~~) in einen Brief wie folgt: «Die drei Wörter <dann von selbst> (bian zi neng gegen ihn eingewendet haben. 281 \Vang Yangming hat in seiner späten Zeit die Auf-
1! § ~~) sprechen davon, dass hier nicht die geringste menschliche Anstrengung ange- fassung der «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle>> als eines besonderen zeitlichen
wendet werden darf, während die menschliche Anstrengung allein am Ort der Stille Zustandes des Herzens (Geistes) so sehr abgelehnt, dass er unter diesem Gesichts-
vor dem Entstehen der Gefühle (yu ji ran wei fa chu M~?,!t7',;MJ1E) auszuüben ist.»276 punkt den Unterschied zwischen «vor dem Entstehen der Gefühle» und «nach ihrem
Die obigen zwei Zitate hatte er schon in seiner brieflichen Auseinandersetzung mit Entstehen» verneinen konnte: «Jemand fragte über den Unterschied zwischen <vor
Ouyang De vorgelegt, 277 und auch in seinem Kun bian lu von 1549/50 rechtfertigte er dem Entstehen der Gefühle> und <nach ihrem Entstehen> (weifayifa *~BM). Der
seine Auffassung durch dieselben zwei Zitate aus dem Chuan:xi lu: «Der verstorbene Lehrer [Ymgming] antwortete: <Weil spätere Konfuzianer 282 diese trennten, muss
I ,ehrer sagte: <Das liang .zhi ~~a ist die Mitte vor dem Entstehen der Gefühle; es ist man vorerst einmal sagen, dass es diesen Unterschied gar nicht gibt, so dass die Leute
die weite, unparteiische Substanz.> <Es ist dann von selbst fähig (bian zi neng 1! § rlli), durch eigenes Denken die Sache verstehen können. Wenn wir sagen, dass es ein <vor
nach den Erregungen [die Dingcl zu durchdringen; es ist dann von selbst fähig (bian dem Entstehen der Gefühle> und ein <nach ihrem Entstehen> gibt, dann verstehen die
zi neng 1! § ~~), entsprechend zu antworten, wenn die Dinge eintreffen.> Das ist das Zuhörer dies im Sinne jener spiiteren Konfuzianer. \Vcnn man verstanden hat, dass es
Zentrum der richtigen Methode im C'huan:xi !u. Wenn man aber das liang zhi ~~ als diesen Unterschied nicht gibt, dann hindert eigentlich nichts, dass man sagt, es gebe
ein Gewahren (als ein aktuelles Bewusstsein: zhi jue ~Jf) missversteht[ ... ], dann hat ein <vor dem Entstehen der Cefühlc> und ein <nach ihrem Entstehen>, denn es gibt
1T1cm eine Sicht vom Rande aus und ein äußerliches ethisches Kultivieren (wai :xiu 9~ diesen Unterschied.» 283 Wang Yangming war damals der Auffassung, dass es diesen
{~) und weicht weit von der Lehre des Lehrers ab. Die vier [zitierten] Sätze sind der Unterschied nicht als Unterschied zwischen zeitlich getrennten psychischen Zustän-
Ort des Glaubens an l\J./angj Yangrning, man darf sie nicht flüchtig übersehen!» 278 Das den, wohl aber als Unterschied zwischen der «Substanz» und den «Funktionen» des
scheint Nie Baos Standardrechtfertigung seiner ethischen Praxis gegenüber seinen Herzens gibt, die aber als verschiedene Aspekte des Herzens immer zusammen vor-
Mitschülern gewesen zu sein. handen sind. Er war in dieser späteren Zeit auch der i\ileinung, dass sich die ethische
Diese Rechtfertigung ist problematisch. Sie kombiniert Zitate aus dem ersten Anstrengung nicht auf die schon immer vollkommene «Substanz» des Herzens, son-
und aus dem zweiten Teil des Chuanxi lu, die aus verschiedenen Entwicklungsphasen dern nur auf deren Funktionen, in denen es aufgrund der «menschlichen Wünsche»
von Wang Yangmings Lehre stammen, und sie verstößt eindeutig gegen den Sinn des Gutes und Schlechtes gibt, richten kann. 2"'
Kontextes, in wclchern das Zitat ans dem zweiten, späteren Teil steht. Hier schreibt Doch Nie Baos Berufung auf den Text Nr. 72 aus dem ersten 11:il des Chuanxi
\Vang Yangming in einem Brief von 1524, dass das «ursp1iingliche Wissen» «die Mitte lu, dessen Aufzeichnung aus der Zeit vor 1518 stammt, Liuft Wang Yimgmings In-
vor der Entstehung der Gefühle» sei, aber er sagt von dieser «Mitte» das Gegenteil tention nicht entgegen, auch wenn diese ihr nicht voll entspricht. Diesen 'Iext haben
von dem, was Nie Bao von ihr denkt. Gemäß seiner Auffassung vom «eigentlichen wir schon oben in diesem Kapitel angeführt. 285 \Nang Yangming gebraucht hier zwar
Wesen des ursprünglichen Wissens» als etwas immer Vollkommenem (dritter Begriff den Ausdruck «liang zhi &.~» nicht, aber er sagt, wenn die egoistischen Wünsche
des «ursprünglichen Wissens») schreibt Wang Yangming hier über diese «Mitte», dass vernichtet seien, dann bestehe die «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle», und
«ihr nicht das Geringste hinzugefügt und von ihr nicht das Geringste weggenommen es sei «von selbst» (zi ran EI?&) auch das «Maß in den Gefühlen» und das richtige
werden» kann und dass «alle Menschen sie in gleicher Weise besitzen». 279 Dies ent- Handeln vorhanden. 286 Nie Baos Beziehung dieser Aussage auf das «liang zhi» im
spricht also gar nicht Nie Baos Idee des !iang zhi als einer latenten geistigen Energie Sinne von Wang Yangmings frühem Verständnis und seine Verdeutlichung von «zi
oder Kraft, die bis zu ihrem größten Maß gesteigert werden soll. Und etwas später ran § ?&» (von selbst) durch «bian zi neng iil! EI rlli» (dann ist man von selbst fähig)
im selben Text schreibt Wang Yangming, dass im «ursprünglichen Wissen» Ruhe und sind nicht sinnwidrig. Wang Yangming sagt hier nicht, dass diese «Mitte» durch
Tätigkeit eine untrennbare Einheit bilden und dass die «Mitte vor dem Entstehen der eine meditative Methode der Ruhe «vor dem Entstehen der Gefühle» hergestellt
Gefühle» und «die Harmonie in diesen Gefühlen» gegenseitig ineinander enthalten oder gestärkt werden muss (die Ausschaltung der egoistischen Wünsche geschieht
nach seiner Lehre von der Einheit von Wissen und Handeln in der «Berichtigung

274 Vgl. Chuanxi lu I, Nr.72, Quanji,juan l, Shanghai 1992, S. 22. 280 A.a.O., Nr. 157, S. 64.
275 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 11, S. 381; von WangJi zitiert in seiner «Diskussion» (Zhi zhi yi bian), 281 Siehe oben in diesem Kapitel die§§ 2 und 3.
TMing Longxi qmm ji (1822),juan 6, S. 13a (Taipei 1970, S. 429). 282 Es ist wohl vor allem Zhu Xi gemeint: siehe oben in der allgemeinen Einleitung den§ 4, S. 33f., und
276 «An WuJietui ~ llii'llt aus Songjiang», Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 8, S. 277. in Teil I, Kap. 2, § 1, S. 136f.
277 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 2, S. 550f. 283 Chuanxi tu III, Nr. 307, Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S. 115.
278 Kun bian lu, Bian cheng, Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 14, S. 609; aufgenommen im MRXA,juan 17, 284 Siehe den oben in diesem Teil II, Kap. 1, § 2, S. 413f. zitierten Text aus Chuanxi tu III, Nr. 318.
Beijing 1985, S. 386 285 Siehe in diesem Kapitel den§ 2, S. 551,Anm. 122.
279 «Brief an Lu Cheng», Chuanxi lu 11, Nr. 155, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 62f. 286 Chuanxi tu I, Nr. 72, Quanji,juan l, Shanghai 1992, S. 22.
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der Handlungen»), aber diese «Mitte» ist doch etwas, das in der ethischen Praxis Nie Bao in seiner Kritik von Wang Jis Einleitung zu seinem «Abriss» berief, 290 kann
hergestellt werden muss; und wenn sie hergestellt ist, sind auch die Handlungen «von ganz in seinem Sinn verstanden werden.
selbst, spontan» gut. Es gibt auch andere Texte im ersten Teil des Chuanxi lu, die dies Nie Baos Auffassung vom limzg zhi &~ entspricht Wang Yangmings frühem
zum Ausdruck bringen und Nie Bao als Rechtfertigung seiner Auffassung durch den Begriff des «ursprünglichen Wissens» als einer Anlage oder Tendenz zum Guten,
«Lehrer» dienten. Lu Cheng (Beiname: Yuanjing) berichtet in einem dieser Texte: die es zu «nähren», «vollzumachen», zu «erweitern» gilt. Doch hat Wang Yangming
«Ich fragte: <\Vas soll man tun, wenn die Erkenntnis keine Fortschritte macht?> Der dieses «Nähren» nicht wie Nie Bao nur als Sitzen in der Ruhe und als geistige Ver-
Lehrer antwortete: <Um zu lernen, braucht es einen Ursprung (ben yuan .:,js:ßll:). Man senkung in einen Zustand «vor dem Entstehen der Gefühle» gesehen, obschon er
muss sich von diesem Ursprung ans anstrengen und allmählich anfüllen und fort- um 1514 seine Schüler das «Sitzen in der Ruhe>> lehrte. 291 vVang Yangmings Auffas-
schreiten (jirmjirm ying ke erjin ijfä)i?!g_f..j. n'öilt). Die Daoisten sprechen vom ,Kindlein> sungen des «ursprünglichen Wissens» als «Gewissen» und als immer vollkommenes
(ying er ~ 5f. ), 287 was ein gutes Gleichnis abgibt. Das Kindlein ist im Mutterleib reine «eigentliches Wesen» nimmt Nie Bao nicht auf. Er hat denn auch den ersten Teil des
vitale Energie (chun qi ~~) und hat noch keine Erkenntnis. Erst nach der Geburt Chuttnxi lu von 1518 gegenüber den späteren Teilen bevorzugt. Fr kritisierte seine
kann es schreien, dann liichcln, danach seine Eltern und Geschwister erkennen und «Gesinnungsgenossen», dass sie diesen ersten Teil vcrnachlässigten, 292 und veröf-
noch später vermag es zu stehen und zu gehen, Dinge zu halten und auf dem Rük- fentlichte eine <<Auswahl des Wichtigen aus dem Chuanx:i lu» (Chumzxi lu jie yao 1'~
ken zu tragen, und schließlich ist es fahig, alles zu tun. Dies kommt alles daher, dass ~W-~) mit vierundvierzig Abschnitten, in die er fast nur Stiicke aus dem ersten Teil
die feine vitale Energie (jing qi ffi~) jeden Tag ausreicht und so seine Sehnen und aufnahm. 293 Von der Schule vVang Yangrnings wurde diese Auswahl ignoriert oder
Muskeln täglich stärker werden und seine Intelligenz sich täglich mehr entfaltet. gerügt. Ouyang De sagte zu Nie Bao: «Sie haben in ihrer <Auswahl> nur diejenigen
Dies alles kann nicht gleich am Thg seiner Geburt erreicht werden. Deshalb braucht Stücke aufgenommen, die mit Ihnen selbst übereinstimmen.» 294 Nie Bao war aber
es einen Ursprung (hen yuttn .2js:ßll:). Wenn die heiligen Menschen die Stellung von kein früher Schüler von Wang Yangming, sondern vertiefte sich erst in dessen Den-
Himmel und Erde erreichen und alle \iVesen ausbilden, so ist dies auch nur durch ein ken, nachdem er ihn 1526 in Shaoxing getroffen hatte. Seine Bevorzugung von Wang
Pflegen und N;ihren [ihrer selbst] auf der Grundlage der Mitte vor dem Entstehen Yangmings frühem Denken war vielleicht dadurch bedingt, cL1ss er, nachdem er 1537
von Zuneigung und Zorn und von Freude und Trauer zustande gekommen (zhi cong wiihrend seiner mehrmonatigen Zurückgezogenheit in der daoistischen «Glückser-
xi mt ai le wei.fa zhi diong shmzgyang lai ..R-fJE@~~~*~zi:pJ:.tVl~).»288 In diesem de» (fit di) des Cuiwei-Cebirges durch ein vom Daoisnrns motiviertes «Nähren der
Gleichnis des daoistischen «Kindleins» scheint die «reine feine Lebensenergie» für Natur» (.yttng xing ii:tt) oder «Nähren der T,ebcnskraft» (yang sheng ii:~, yang qi
die «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» der Substanz des Herzens zu stehen, ii:~) seinen eigenen Weg gefunden hatte, 295 dafür in Wang Yangmings frühen 'texten
was Nie Baos Gesichtspunkt entspricht. In einer anderen Aufzeichnung aus der Fiand eine Bestätigung und Förderung erkannte. Denn Nie Baos Auffassung des littng zhi .&
desselben Protokollanten sagt \Vang Y·mgming: «Man darf nicht meinen, dass die 1/;□ als einer inneren geistigen Kraft, die es durch medit,1tive Techniken quantitativ bis
gewöhnlichen Menschen die ,Mitte vor dem Entstehen der Gefühle> besitzen. Denn zu ihrem höchsten Maß zu steigern gilt, trägt daoistische Züge. Nie Bao wollte aber
Substanz und Funktionen sind gleichen Ursprungs (sind eine Einheit: ti yong yi yuan Konfuzianer sein und griff daher zu seiner Rechtfertigung auf Strömungen innerhalb
UJfl-W-): Wenn eine gewisse Substanz vorhanden ist, so gibt es damit auch (ji you der konfuzianischen Tradition zurück, welche die «Stille» und «Ruhe» betonten, auf
.llPfl°) die ihr entsprechenden Funktionen; wenn ,die Mitte vor dem Entstehen (der Zhou Dunyi (1017-1073), auf den jüngeren der Cheng-Brüder, Cheng Yi (1038-
Gefühle)> vorhanden ist, so gibt es damit auch (ji you .llPfl°) die <Harmonie des richti- 1107), auf den Lehrer von Zhu Xi, Li Tong (Beiname: Yanping, 1093-1163), 296 auf
gen Maßes in den entstandenen Gefühlen>. Wenn die heutigen Menschen nicht der
,Harmonie des richtigen Maßes in den Gefühlen> fähig sind, dann bedeutet dies, dass
sie auch nicht ,die Mitte vor dem Entstehen der Gefühle> ganz zu erlangen vermögen 290 Siehe oben in diesem Abschnitt b), S. 583f.
(wei neng quan de *fm~f~).»289 Und auch die Aussage Nr. 67 aus dem ersten Teil des 291 Siehe oben in der Einleitung zu Teil I, S. 83f.
Chuanxi lu, die von Xue Kan 1517 oder 1518 aufgezeichnet wurde und auf die sich 292 Er schrieb an Liu Liangfeng: «Heutige Gelehrte des <ursprünglichen Wissens> vernachlässigen
gänzlich die im ersten Teil des Chuanxi tu aufgezeichneten Wahrheiten. Sie stellen im Leeren reitend
allgemeine Floskeln auf, die greifbar zu sein scheinen, aber in Wirklichkeit verschwommen sind,
Den ganzen Tag verfolgen sie das Äußere und glauben selbst, dabei etwas zu erreichen.» Nie Bao ji,
Nanjing 2007,juan 8, S. 269. Diese Briefstelle wird im MI1XA zitiert, und zwar im Kapitel über Xu
Ai, von dem das erste Stück der Aufzeichnungen im ersten Teil des Chuanxi lu stammt: Ml1XA,juan
287 Das «Kindlein», das durch die daoistischen Praktiken in der eigenen Person gepflegt werden muss 11, Beijing 1985, S. 222.
und dadurch zu einem «unsterblichen Genius» wird. 293 Zu diesem verlorenen Werk siehe Wu Zhen 2001, S. 114, Anm. l.
288 Chuanxi tu I, Nr. 30, Quanji, Shanghai 1992, S. 14. Aus diesem Text des ersten Teils des Chuanxi tu 294 «Zweiter Brief an Luo Hongxian», Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 9, S. 283; die Stelle wurde in ihrem
zitiert Nie Bao in seiner Auseinandersetzung mit Ouyang De: siehe oben in diesem Kapitel den§ 2, Kontext oben in der Einleitung zu§ 2 dieses Kapitels zitiert (S. 539).
s. 541. 295 Siehe oben in diesem Kapitel den§ l, S. 523ff.
289 Chuanxi tu I, Nr. 45, Quanji, Shanghai 1992, S. 17. 296 Siehe unten in diesem Paragraphen, S. 597,Anm. 318.
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Zhu Xis Auffassung nach 1159 und auf Chen Xianzhang (Beiname: Baisha, 1428-1500), ausreiche, so ist das ein Fehler! Denn das <Erhellen der praktischen Dinge> und das
den Lehrer von Zhan Ruoshui (1466-1560), mit dem Wang Y-ingming 1505 in Peking <Prüfen der menschlichen Beziehungen> muss ein Handeln aus der Menschlichkeit
einen Bund zum «Lernen» geschlossen hatte. Nie Bao schreibt über seine eigene und aus der Gerechtigkeit heraus sein (you ren yi xing l:E 1=~ZT). Erst dann ist es das
geistige Entwicklung: «Ich konnte mich nicht selbst retten, sondern war über vierzig spontane (natürliche) Gewahren, das aus der menschlichen Natursubstanz heraus
Jahre lang auf Irrwegen. Dann habe ich zuerst die Lehre des Meisters [Wang Yang- erfolgt (ttllf § Pt&zi'.). Man soll jenes Erhellen und Prüfen nicht als eine Anstrengung
ming] zur Grundlage gemacht und habe sie zu entwirren versucht; meine <Auswahl (gong J)J) des <Berichtigens der Handlungen> (ge wu :mWJ) betrachten. Denn wenn
des Wichtigen [aus dem Chuanxi lu]> brachte sie in Ordnung. Dann habe ich sie mit man es als eine solche Anstrengung betrnchtet, dann wird es zu einem künstlichen
dem Anhang des Yijing, dem Daxue, dem Zhong;_yong verglichen und ebenso mit den Machen von Menschlichkeit und Gerechtigkeit (xing ren yi f':i'-1=~), nämlich zu ihrem
Lehren von Zhou [Dunyi], Cheng [Yi], Yanping [Li 'fong], Huiweng lZhu Xi] und Nachmachen (xi m!). Wenn Sie [im dritten und fünften Abschnitt Ihres <Abrisses>P 00
Baisha [Chen Xianzhang]. Wenn mein Herz dabei etwas erfassen konnte, habe ich von einem <spontanen (natürlichen) Gewahren> (zi ran zhi jue § ?'t&zJ'l) sprechen, so
daran geglaubt und nicht gezweifelt.>) 97 ist das ein Irrtum.» 301 Nie Bao versteht das «allein Wissen>> im Sinne von Zhu Xis
Unterscheidung zwischen «drei Stadien» im Entstehen des Handelns: Es betrifft
c) Die menschliche Anstrengung des «Verwirklichens des ursprünglichen das Zwischenstadium der «allein gewussten» aufkeimenden Handlungsabsichten
Wissens» aufgrund des «allein Wissens» {Gewissens) und durch die «Berichtigung (Intentionen) zwischen dem ersten Stadium des «Nichtschens und Nichthörens vor
der Handlungen» ist etwas künstlich Erzwungenes dem Entstehen der Gefühle» und dem dritten Stadium des öffentlich erkennbaren
Diese Kritik ist eine Folge aus Nie Baas Auffassung der «Verwirklichung des liang Verhaltens. 302 Das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens>> darf nach Nie Bao
z.hi Bl9'0», die in den oben bereits dargestellten Punkten der Kritik an Wang Ji zur auch nicht im mittleren Stadium der ,,allein ge,vussten Intentionen» geschehen,
Geltung kam. Er kritisiert Wang Jis Auffassung, dass die «Verwirklichung des liang und das heißt auch, es darf nicht durch Willensanstrengung aufgrund des Gewissens
zhi ~9'0» in der «Berichtigung der Handlungen» (ge wu :mWJ) geschieht. Wenn die geschehen. 303 Die einzige echte ethische \Villensanstrengung ist die meditative Ver-
menschliche Anstrengung der «Verwirklichung des ursptiinglichen Wissens» bei senkung in die Stille und Leere «vor dem Entstehen der Gefühle», aus deren Erfolg
dessen Funktionen, das heißt beim Denken, Wollen und Handeln ansetzt, führt dies dann das gute Denken, die guten Absichten und das gute H,mdeln ohne Intervention
notwendig zu einem nicht natürlichen, künstlichen, forcierten Handeln. Er schreibt einer Willensanstrengung «von selbst» erfolgen.
in seiner Kritik am ersten Abschnitt von WangJis «Abriss», der vom «ursp1iinglichen Nie Bao beruft sich in seiner obigen Kritik an der «Verwirklichung des ur-
Wissen» als «,11lein Wissen>> (du zhi äll9'0) handelt: «Meister Cheng [Yi, 1038-1107] sprünglichen Wissens» im Handeln auf zwei Stellen im Buch Mengzi. Der einen dieser
sagte: ,Nichtschen und Nichthören, das ist die Mitte vor dem Entstehen [der Ge- beiden Stellen, an der Mengzi sagt, dass die «große moralische ] ,ebenskraft:» (hao qi
fühle! (wei Ji1 zhi zhong *R.2.i:J:l). Wenn vom Entstehen (fa ~) die Rede ist, dann ans dem «Sammeln von Gerechtigkeit entsteht» und <<nicht in einem Nach-
gehört das zum Bereich des Sehens und Hörens [d.h. des intentionalen Bewusstseins, ahmen von Gerechtigkeit ergriffen wird», 304 sind wir bei Nie Bao schon oben in§ 1
der Funktionen].>298 Das <allein Wissen> ist der Ort des Aufkeimens (des ersten im begegnet. An der anderen Stelle heißt es, dass der heilige König Shun305 «alle Dinge
eigenen Herzen verborgenen Tätigwerdens) des liang zhi (liang zhi de mengya chu Bl erhellte und die menschlichen Beziehungen prüfte» und dass er «aus Menschlichkeit
~~ii1H11.ß) und scheint vom liang zhi selbst [d.h. von seiner <Substanz>] schon ein und aus Gerechtigkeit heraus handelte und nicht Menschlichkeit und Gerechtigkeit
wenig verschieden zu sein. Zwar ist die [ethische] Anstrengung an dieser Stelle des machte». 306 Wenn Nie Bao in der Sprache Mengzis sagt, dass die -<<Verwirklichung
Aufkeimens vom Kultivieren inmitten des Weges [des Handelns] verschieden, aber des ursprünglichen Wissens>:> in der Berichtigung der Handlungen zu einem «Ma-
es ist doch der Anfang dieses Weges. Nur das Verwirklichen der Leere (zhi xu 3&~), chen» oder «Nachmachen» von Menschlichkeit und Gerechtigkeit führt, meint er
das Bewahren der Stille (shou ji 'tj'il), nur das ist das <Lernen> beim <Nichtsehen und
Nichthören>; nur das ist das Entscheidende der Rückkehr zur Wurzel (gui gen ~iilffl)
und des Wiederherstellens der Bestimmung des Himmels (fu ming ~'i11l). Wenn Sie
300 Wang Longxi quanji (1822),juan 6, S. 2a (Taipei 1907, S. 407), und S. 3a (Taipei 1970, S. 409).
sich nun einerseits über das Unvermögen der [ethisch] Lernenden Sorgen machen, 301 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 11, S. 377f.; zitiert von WangJi in seiner«Diskussion» (Zhi zhi yi bian),
aber andererseits meinen, dass mein Betonen der Leere und der Stille nicht <zum Wang Longxi quanji (1822),juan 6, S. 7b-8a (Taipei 1970, S. 418f.).
Erhellen der praktischen Dinge> und zum <Prüfen der menschlichen Beziehungen>299 302 Siehe oben in Teil I, Kap. 2, § 1, S. 138f.
303 Merkwürdigerweise scheint Nie Bao im «Aufkeimenden» nicht die guten und schlechten eigenen
Handlungsabsichten zu sehen, um die man «allein weiß», sondern ein Funktionieren des «ursprüng-
lichen Wissens».
304 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2.
297 «Brief an Chen Mingshui», Nie Baoji, Nanjing 2007,jurm 11, S. 412. 305 Ein vordynastischer, legendärer König, der im 3.Jahrtausend v. Chr. regiert haben soll und zweitau-
298 Der von Nie Bao zitierte Satz von Cheng Yi stammt wohl aus dessen Zhong he zhi yu 't' ;!ill ~tiii. send Jahre später für die Konfuzianer ein großes Vorbild wurde.
299 Anspielungen auf Mengzi, 4. Buch, 2. Teil, Kap. 19. 306 Mengzi, 4. Buch, 2. Teil, Kap. 19.
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damit nicht etwa, dass man auf diese Weise Menschlichkeit und Gerechtigkeit nur Spiegeln der Dinge durch diesen Spiegel. 315 Damit griff er ein Gleichnis auf, das
heuchlerisch den anderen Menschen vormache. Er meint vielmehr, dass ein solches im ersten Teil des Chuanxi lu steht. Aber es ist nicht YVang Yangming, der an dieser
Handeln künstlich, erzwungen sei und nicht «von selbst», natürlich aus der «Sub- Stelle spricht, sondern Xu Ai, von dem die erste Reihe der Aufzeichnungen dieses
stanz» des Herzens heraus erfolge; es ist nach ihm etwas durch Willensanstrengung Teiles stammt, drückt in dieser Aufzeichnung seine eigene Auffassung von der l ,ehre
künstlich Gemachtes und nicht etwas, das sich aus der «Natursubstanz» des Herzens seines Schwagers und Lehrers aus. Xu Ai schreibt hier: «Ich sagte: Das Herz (der
spontan ergibt. Er spricht von einem «Stoßen» und «Zerren» und meint damit etwas Geist) ist wie ein Spiegel. Das Herz des heiligen Menschen ist wie ein klarer Spiegel,
Unechtes. Er schreibt in seiner Kritik an Wang Jis «Abriss»: «Es ist richtig, [wenn das Herz des gewöhnlichen Menschen wie ein trüber Spiegel. Die Lehre vom ge wu
Sie im fünften Abschnitt schrciben,l dass das <ursprüngliche Wissen> das natürliche f!WI fin diesem Kontext im Sinne von Zhu Xi zu übersetzten mit: <clie Lehre von der
Gewahren der menschlichen Natursubstanz 307 (xing ti zi ran zhi jue 110: § ~zif) ist. 308 Erforschung der Dinge>J der letzten Zeiten sagt, dass man, im Gleichnis des die Dinge
Daher muss man, wenn man das <ursprüngliche Wissen verwirklichen> will, zuerst spiegelnden Spiegels gesprochen, sich heim Spiegeln der Dinge anstrengen muss, aber
die 1nenschliche Natur niihren (yang xing '1:11). [... ] Wenn Sie [in diesem fünften Ab- sie ignoriert, dass ein trüber Spiegel nicht zu spiegeln vermag. Das ge wu des Lehrers
schnitt weiter] schreiben, dass das <Berichtigen der Handlungen> (ge wu i'!WI) das täg- [Wang Y111gming] ist wie das Polieren des Spiegels, damit dieser klar wird. Wenn er
lich sichtbare Ausführen der <Verwirklichung des [liang] zhi> und so im Verwirklichen klar geworden ist, dann ist sein Spiegeln der Dinge unbeeinträchtigt.» 316 Was Xu Ai
dieses litmg zhi das Umgehen mit den praktischen Dingen, ohne [jenes] zu übertreten, vom ge wu i'!WI im Sinne Zhu Xis sagte, überträgt Nie ßao auf das ge wu i'!!Jo/.J im Sinne
sei, 30 '> dann erheben Sie ein [willentliches] Zum-Handeln-Stoßen (tui er xing zhi :l't:rfü des «Berichtigens der Handlungen». Auch in seiner Kritik an WimgJis «Abriss» wie-
1TZ) zur Strategie. Alles gehört dann zum künstlich Gemachten (ren wei A~), und derholt Nie Bao diesen Vergleich: «Es ist richtig, [wie Sie im sechsten Abschnitt Ihres
man ist den ganzen rfag lang <in Opposition zu den Dingen> (yu wu zuo dui ~W/11= <Abrisses> schreiben,J dass <das [lirmg} zhi der gewöhnlichen törichten Leute (yu fu yu
!l:t). 11 °Kann man es da vermeiden, <an sich zu zerren und ihnen !seil. den Dingen] zu fu f©l_1,;:~Jw) zur Zeit, in der sie noch nicht durch Nleinungen und \iVünsche bewegt
folgen (qian ji er cong z.hi $3 rnHtt:Z)>!rn Ist das nicht: tnehr als tausend Meilen vorn werden (wei dongyu yiyu z.hi shi *iilm~W:zB~), gleich ist wie dasjenige der heiligen
<natürlichen Gewahren der Natursubstanz> entfcrnt!»rn Im selben Sinne hatte er in Mei1schen>.m Wenn es aber so ist, dann muss die Anstrengung des< Verwirklichens des
einem schon oben in Abschnitt b) zitierten Brief geschrieben: «Das <Verwirklichen liang zhi> irn Nichtbewegen (Nichttätigscin) der Meinungen (Intentionen) und Wün-
des ursprünglichen \Nissens, besteht nur in der Errichtung seiner Substanz, wodurch sche bestehen (zaiyuyiyu zhi hu dong T:EW~-W'.z:'.fiJJ) und nicht!, wie Sie im fünften
man dann zu seinen Funktionen gelangt. Wenn man aber ein Gewahren (ein aktuelles Abschnitt Ihres <Abrisses> schreiben,] im <Besorgen der Dinge ohne Fehler>. Wenn so
BeVv'11sstsein: z.hi jue ~□ i:) zum <ursprünglichen Wissen> erklärt und dieses <verwirk- [nfünlich im Nichttätigsein der i\ileinungen (Intentionen) und WünscheJ der Spiegel
licht,, dann <zerrt man an sich, um [den Dingen] zu folgen (qitm jiyi cong ~c,J,.:;1.ftf:)>;m aufgehängt wird, werden dann die Dinge von seihst gespiegelt, und was gespiegelt
dann jagt man den Dingen nach und wird von diesen gedreht (zhu wu er zhuan msWJ wird, ist weit. Wenn man aber mit dem Spiegel in der I fond den Dingen nachläuft, um
rfü.S). Auch wennman äußerst geschickt ist, bildet man so ein förmliches Benehmen ihre Formen abzuspiegeln, wie viel wird dann gespiegelt? Dieses Gleichnis von Yan-
wilder Füchse (cheng de yi ge ye hu wai dao ,6X~ij-11HHJll9Hill).»314 ping [Li Tong, 1093-1163]3 18 ist nicht ohne Einsicht. Das <Verwirklichen des [liangj
In einem bereits im vorigen Abschnitt b) dieses Paragraphen zitierten Text
von 1542 verglich Nie Bao das «Verwirklichen des liang zhi 15!~□ » mit dem Polieren
eines Spiegels und das «Berichtigen der Handlungen (Dinge)» (ge wu i'!WI) mit dem 315 Siehe oben, S. 585f.
316 Chuanxi !u I, Nr. 62, Quanji,juan 1, Shangliai 1992, S. 20.
317 Wörtliches Zitat aus dem sechsten Abschnitt von WangJis «Abriss», Wang Longxi quan ji (l 822),juan
6, S. 3a (Taipei 1970, S. 410).
307 Der Ausdruck «der menschlichen Natursubstanz» ist hier als genitivus subjectivus zu verstehen. 318 Li Tong (Beiname: Yanping) war von 1153 bis 1163 der Lehrer von ZhuXi. Er betonte in seiner ethi-
308 Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 3a (Taipei 1970, S. 409). Nie Bao zitiert nicht wörtlich. Vgl. schen Praxis die Ruhe (Stille) im Zustand «vor dem Entstehen der Gefühle». Zhu Xi schreibt über
oben, S. 578 und S. 584,Anm. 252. seinen Lehrer: «Wenn der Lehrer Li [Tong] die Leute unterrichtete, hieß er sie im Wesentlichen, in
309 Vereinfachendes Zitat aus dem fünften Abschnitt von WangJis «Abriss», Wang Longxi quan ji (1822), der Ruhe die große Grundlage erfahren. Wenn zur Zeit vor dem Entstehen [der Gefühle] (wei fa shi
juan 6, S. 36 (Taipei 1970, S. 410): siehe oben in diesem§ 5, S. 578. *~~) die Atmosphäre klar ist, so bedeutet dies, dass dann auch in den Geschäften und im Umgang
310 Anspielung auf Cheng Haos (103 2-1085) Schrift über die «Erkenntnis der Menschlichkeit» (Er Ch eng mit den Dingen von selbst (zi ran ~?&)die Harmonie besteht. Das ist das Geheimrezept derTi:adition
ji), Beijing 1981, S. 17. der Schule von Guishan [Yang Shi, 1053-1135].» («Zweiter Briefan He Shujing», Wenji,juan 40, S. Sa).
311 Zitat aus Cheng Haos Brief an Zhang Zai über die «Festigung der [menschlichen] Natur», Ding xing Yang Shi (Beiname: Guishan) war ein Schüler von Cheng Yi, des jüngeren der beiden Cheng-Brüdcr
shu JE'i!tif (Er Chengji), Beijing 1981, S. 460. von Luoyang (Provinz Henan), und stammte aus der Provinz Fujian, in der auch Zhu Xi zu Hause war.
312 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 381; zitiert in Wang Jis «Diskussion» (Zhi zhi yi bian), Wang Er brachte die Lehre der Schule von Luoyang in den Süden und vermittelte sie dort Luo Congyan
Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 32b-33a (Taipei 1970, S. 428f.). (1072-113 5) weiter, der seinerseits Lehrer von Li Tongwar. Diese Tradition in der Provinz Fujian wird
313 Leicht abgewandeltes Zitat aus Cheng Haos Brief an Zhang Zai über die «Festigung der [menschli- «Süden des Dao» (dao nan ~ffi) genannt. Die Lehre Nie Baos vom «Nähren des Zustandes vor dem
chen] Natur», Ding xing shu JE'i!ti!' (Er Chengji), Beijing 1981, S. 460; vgl. oben die Anm. 311. Entstehen der Gefühle», wodurch dann «von selbst» das Fühlen und Handeln (der Zustand «nach
314 «Antwort an WuJietui ~W:tl von Songjiang», Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 8, S. 277. dem Entstehen der Gefühle») gut («harmonisch») wird, steht diesem «Süden des Dao» sehr nahe.
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zhi> ist wie das Reinigen des Spiegels; das <Berichtigen der Handlungen> (ge wu :Ml-!lm) Tatsachen betrachten.Als ich vormals [1528 bis 1530]3 21 Zensor in der Provinz Fnjian
ist wie das Spiegeln dieses Spiegels. Daher meine ich, dass die <ethische Anstrengung> war, sprach ich zu den Studierenden und sagte dabei auch: <Die heiligen Menschen
(gongfu J:jJ :7<:.) nicht im <Berichtigen der Handlungen> (ge wu :Ml-!lm) liegt.»H 9 Das Spie- (sheng ren ~A) haben viele Fehler, die weisen (tugendhaften) Menschen (xian ren •
geln ist die Funktion des Spiegels; man kann diese Funktion nicht dadurch verbessern, A.) 322 haben nur wenige, die törichten Menschen (yu ren ~A) gar keine.> Alle wun-
dass man «tätig>> «den Dingen nachläuft, um sie zu bespiegeln», sondern nur, indem derten sich darüber. Aber um sich seiner Fehler bewusst zu sein, muss man (ethisch)
man den Spiegel selbst, seine «Substanz», verbessert (poliert). So kann man das Han- lernen (you guo bi xue ~j/füfHii/i!), erst dann sieht man sie. Wenn man töricht ist, ist man
deln nicht im Handeln (im «Berichtigen der Handlungen») verbessern, sondern nur beschränkt und lernt nicht; man handelt im Dunkeln, tut Irriges und meint dabei,
dadurch, dass man die «Substanz» (das Subjekt) des Handelns, das liang zhi selbst, es sei das Richtige; man weiß daher nicht, dass man selbst Fehler hat. Das ist sicher
durch die Methode der «Stille» von allen Aktivitäten des <<Meinens und Wünschens» so!» 323 Auch darin stimmt Nie ßao nicht mit seinem «Lehrer» überein, der auch noch
befreit und so in ihrer ursprünglichen Kraft und Größe «wiederherstellt». Nie Bao dem größten Übeltäter ein moralisches Bewusstsein seiner schlechten Absichten zu-
gibt \NangJis Aussage über die «gewöhnlichen törichten Leute» durch seine Fornm- schreibt, das ihm, auch wenn es unklar ist, zum <,Berichtigen seine Handelns» dienen
lierung einen anderen Sinn. Wang Ji meint nicht, dass das «ursprüngliche Wissen» kann, sofern er den Willen dazu hat.
der gewöhnlichen törichten Leute nur in einem Zustand der Ruhe vor der Tätigkeit Das wirklich gute Handeln ist nach Nie Bao ein Handeln, das spontan, ohne
der Intentionen demjenigen der heiligen Menschen gleich sei, sondern auch in der moralisches Unterscheiden und ohne vVillensanstrengung, aus der vollkommenen
Aktivität, bevor diese von «Meinungen und Wünschen» bewegt wird. «Substanz» des Herzens hervorgeht. Diese Substanz ist nach ihm, wenn sie durch
Für Nie Bao ist das ideale Handeln das naive Sichverhalten eines «unverdorbe- das ethische «Lernen» ihre Fülle wiedergewonnen hat, «das reine, höchste Gute,
nen Kindes», das ohne moralisches Bewusstsein von eigenen guten und schlechten das keinen Gegensatz im Schlechten hat», also über dem Gegensatz von Gut und
Tendenzen, ohne Gewissenskonflikte, ohne Willensanstrengung für das Gute und Schlecht steht. Darin ist seine Auffassung derjenigen vVang Jis verwandt, dessen
ohne inneren Kampf gegen eigene schlechte Tendenzen «spontan, natürlich, von ethische Praxis bei dem voUkomrnenen, über dem Gegensatz von Gut und Schlecht
selbst» das Richtige tut, und es ist auch das Handeln des «heiligen Menschen»,· der stehenden «eigentlichen \Vescn des ursprünglichen Wissens» einsetzt und auf diesem
diese ursprüngliche Spontaneität zurückgewonnen hat. Es ist aber nicht diese Auf- «leichten» Weg das Handeln eines ,<heiligen Menschen» erreichen will. Auch diese
fassung, die ihn von den anderen Schülern Wang Yangmings und überhaupt von den «Leichtigkeit» bedeutet Spontaneität, Natürlichkeit, im Gegensatz zu dem durch
meisten Konfuzianern seiner Zeit unterscheidet, sondern was ihn von diesen unter- eigene Willensanstrengung Gemachten. Trotz dieser Verwandtschaft, welche die
scheidet, ist vielmehr seine Lehre, dass diese gute Spontaneität nicht durch die willent- beiden von anderen Schülern Wang Yangrnings, besonders von Qian Dehong und
liche Anstrengung, gut zu denken und gut zu handeln, sondern durch die willentliche Onyang De, unterscheidet, sind sie sich gar nicht einig, und ihr ,,Lernen» spielt sich
Anstrengung, nicht ;,,u denken und nicht zu handeln, das heißt in der Anstrengung, im in einer ganz unterschiedlichen Spiritmliüit ab. Nach Nie Bao 1nuss die «Substanz»
Herzen völlig ruhig oder still zu werden, wiedergewonnen werden kann. 320 des Herzens (Geistes) als eine «latente Energie», losgelöst von ihren «Funktionen»,
Dass Nie Bao die ethische Anstrengung der «Verwirklichung des liang zhi» nicht durch eine verfügbare Methode der Ruhe oder Stille «genährt», «in ihrem Maß
in das «Berichtigen des Handelns» legen wollte, hängt wohl auch damit zusammen, vollgemacht», «wiederhergestellt» werden, während für Wang Ji das «eigentliche
dass er vom «Gewissen», vom moralischen Bewusstsein des Unterschiedes zwischen Wesen» des Herzens schon immer vollkommen ist und sich beim Menschen immer
Gut und Schlecht, beim gewöhnlichen Menschen nicht viel zu halten schien. Das in vollkommenen «Funktionen» auswirkt, wenn diese noch nicht von «Wünschen
«Berichtigen des Handelns» stützt sich ja nach Wang Yangming auf das «Gewissen». und Neigungen» verdeckt werden. An diesem vollkommenen «eigentlichen Wesen»
Diese Geringschätzung des Gewissens beim gewöhnlichen Menschen kommt deut- seines Herzens kann der Mensch nicht willentlich mit einer «Methode» oder «Tech-
lich in seinem oben in § 2, S. 572, zitierten Brief an Zou Shouyi zum Ausdruck: Er nik» etwas bewerkstelligen oder vermehren, sondern muss auf es «vertrauen (glauben:
nannte dort diese Unterscheidung geringschätzig «was man gut und schlecht nennt» xin m)» und es «einsehen» (wu ffi), das heißt mit ihm eins werden, wodurch ihm das
(suo wei shan e Ji.lrffl@~) und schrieb, dass man, «auch wenn man [generell] weiß, dass Handeln eines «heiligen Menschen» «natürlich» und die Überwindung der «Wün-
man das Gute tun und das Schlechte meiden soll, [im Konkreten] es doch auch nicht sche und Meinungen» ·«leicht» wird. Dieses «Einsehen» geschieht in tiefster und
weiß». In einem anderen Brief schrieb er: «Sie sagen, dass Sie seit kurzem wahrhaftig beständigster Weise im Umtrieb des praktischen sozialen Lebens. Wie schon gesagt,
fühlen, dass Sie Fehler haben (you guo ~~). Bei dieser Aussage muss man vor allem die

321 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 522.


322 Der sheng ren lil'I..A.. (der Heilige) steht nach der konfuzianischen Hierarchie höher als der xian ren
319 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 38lf.; von WangJi zitiert in seiner «Diskussion», Wang Longxi fi:A (der Tugendhafte, der Weise).
quan ji (1822),juan 6, S. 13b (Taipei 1970, S. 430). 323 «An Xu Yulin tff :E;M;», Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 6, S. 250f.; Bruchstücke davon aufgenommen
320 Siehe auch den oben in§ 2 dieses Kapitels zitierten Brief an Zou Shouyi (S. 571f.). in MRXA,juan 17, Beijing 1985, S. 375.
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gründet Wang Jis «ethisches Lernen» in einer religiösen Haltung. Nie Bao dagegen Tang Shunzhi (Beiname: Xingchuan, 1507-1560),326 der ein enger Freund von Luo
spricht nie vom «Glauben» oder «Vertrauen» in das «ursprüngliche Wissen», sondern Hongxian war. 327 Luo hatte während einiger Jahre weitgehend die geistigen Anliegen
er macht es zum Gegenstand und Produkt einer willentlich angewandten «spirituellen seines Landsmannes Nie Bao vertreten und hatte sie sicher auch seinem Freund
Technik» der Ruhe. Was beide eint, ist ihre kritische Distanz zu der auf dem Gewis- Tang Shunzhi mitgeteilt. Dieser war im Winter 1556/57 mit Wang Shenzhong im
sen gegründeten moralischen Willensanstrengung im Handeln. Nie Baos meditative Gebiet des Wuyi-Gebirges (Provinz Fujian) zusammengetroffen. 328 Beim Treffen in
Technik der Stille schaltet das moralische Bewusstsein von Gut und Schlecht aus. Fuzhou vom folgenden Sommer mit Wang Ji konfrontierte Wang Shenzhong seinen
In Wang Jis «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» wird es zwar am Anfang Gast auch mit der Auffassung von Tang Shunzhi bzw. von Nie Bao, und Wang Ji gab
metaethisch vorausgesetzt, hat dann aber in der ethischen Praxis selbst nur noch eine dazu eine grundsätzliche kritische Stellungnahme ab. Wang Shenzhong fragte seinen
zusätzliche Funktion. Gast: «Xingchuan [Tang Shunzhi] meinte, dass bei uns Menschen, die wir den ganzen
Tag im Getriebe der Welt sind, Begierden und Wünsche [in uns] ein Durcheinander
§ 6 Wang Jis Gegenkritik an Nie Bao und Nie Baos Erwiderungen bewirken und das Gemüt nicht zu seiner Wurzel zurückkehren (gui gen ~ffl) lassen.
Wir müssten uns daher von der Gesellschaft zurückziehen (bi guan r,JJ 11) und ein bis
Wang Jis Gegenkritik an Nie Bao und Nie Baos Antworten darauf lassen sich nach zwei Jahre in der Ruhe sitzen (jing zuo ffii~), um so [in uns] die begierdelose Substanz
folgenden drei Themen gliedern: a) ontologische und zeitliche Einheit von «ruhi- auszubilden (yang cheng wu yu zhi ti -llJ5.lU!!lt!X.Z fft). Nur das sei die heilige Lehre [der
ger Substanz» und «Funktionen (Tätigkeiten)» des «ursprünglichen Wissens» und Konfuzianer]. Was halten Sie davon?» WangJi sagte zu dieser Auffassung, die auf Nie
entsprechende «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» im Handeln versus Bao zurückging: «Wir haben nie das Sitzen in der Ruhe als unnütz betrachtet. Aber
ontologische und zeitliche Trennbarkeit der «Substanz» von den «Funktionen» des wenn man meint, daraus das vollständige Mittel machen zu müssen (bi jie ci wei liao
«ursprünglichen Wissens» und entsprechende «Verwirklichung des ursprünglichen shou &,ffi1lt~ 7-=.f.), sind Abhängigkeiten [von besonderen Situationen] unvermeidlich;
Wissens» in der Stille und Leere seiner Substanz; b) das «ursprüngliche Wissen» es ist nicht die endgültige Lehre (Methode) (fei jiu jingfa 1~~:J@:5!). Das Lernen der
als «aktuelles natürliches Gewahren» (zi ran zhi mingjue ~ ~znJ.IJl) versus das «ur- heiligen Menschen betrachtet das Besorgen der Welt (Ordnen der Gesellschaft: jing
sprüngliche Wissen» als das «Ursprüngliche (das Gute: liang zhe .ffl ~)» des «aktuellen shi ti!l!i!t) als die Hauptsache; es verlässt die Welt nicht. Die Alten sprachen nur von
natürlichen Gewahrens»; c) jetzige Vollkommenheit des «ursprünglichen Wissens» einem verborgenen Kultivieren (cang xiu ilil~) und einem Sicherholen (you xi ;h1,~),
versus jetzige Unvollkommenheit des «ursprünglichen Wissens». aber sie haben nie ausschließlich ein Sichzurückziehen von der Gesellschaft und ein
In-der-Ruhe-Sitzen gelehrt. Wenn man täglich den Anforderungen der Situation
a) Ontologische und zeitliche Einheit von «ruhiger Substanz» und «Funktionen entspricht und dabei jederzeit gesammelt (shou she !&Bi) und im Gemüt harmonisch
(Tätigkeiten)» des «ursprünglichen Wissens» und entsprechende «Verwirklichung frei ist (he chang ;!<□~) und in keiner Hinsicht von Wünschen (Begierden) getrieben
des ursprünglichen Wissens» im Handeln versus ontologische und zeitliche wird (bu dong yu yu =f Jb'f-%x), dann kommt dies dem Sitzen in der Ruhe gleich. Doch
Trennbarkeit der «Substanz» von den «Funktionen» des «ursprünglichen Wissens» bei diesem führen die Wurzeln der Begierden ein verstecktes Dasein, denn ohne das
und entsprechende «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» in der Stille Gegenüber der gegenständlichen Welt treten sie nicht leicht hervor. So wie Kupfer
und leere seiner Substanz und Blei, das mit dem Gold vermischt ist, nicht leicht ausgeschieden wird, wenn es
Diese Gegenkritik Wang Jis betrifft vor allem Nie Baos Kritik der Einleitung von nicht auf heftiges Feuer stößt. Wenn man sich, weil man im gegenwärtigen Umgang
Wang Jis <<Abriss». Aber bevor wir auf diese Gegenkritik und Nie Baos Antworten mit der Welt nicht zu Kraft gelangt (bu de li =f 13 :b ), von der Gesellschaft zurückziehen
darauf eingehen, möchten wir als Einleitung dazu eine grundsätzliche Kritik WangJis und zum Sitzen in der Ruhe Zuflucht nehmen muss, um die begierdelose Substanz
an Nie Bao erwähnen, die er im Sommer 1557 äußerte, also kurz bevor seine großen auszubilden, und erst dies für das vollständige Mittel hält, dann verliert man nicht nur
schriftlichen Diskussionen mit Nie Bao begannen. die Gelegenheit der ethischen Anstrengung in der jeweils gegenwärtigen Siniation
Im Sommer 1557 hatte Wang Ji in Fuzhou, der Hauptstadt der Provinz Fuji- (xian zai gongfu JJU':EJ:;b~), sondern freut sich unvermeidlich an der Ruhe, wird der
an, Gespräche mit dem berühmten Literaten Wang Shenzhong :E ffii:p (Beinaine:
Zunyan il~, 1509-1559)324 und anderen Gelehrten. Verschiedene Teile aus diesen
Gesprächen haben wir schon in den beiden vorangegangenen Kapiteln herange-
326 Zu Tang Shunzhi siehe DMB, S. 1252b-1256b.
zogen. 325 Wang Shenzhong war gut bekannt mit dem ebenso berühmten Literaten 327 Tang und Luo hatten im selben Jahr (1529) die höchsten Staatsprüfungen in Peking bestanden und
blieben zeitlebens miteinander verbunden. 1541 hatten beide eine Gedenkschrift desselben Inhalts an
den Kaiser gerichtet, was zu ihrer Entlassung und zur Streichung ihrer Namen in der Beamtenliste
führte: siehe unten in Kapitel 4 den§ 1, S. 624.
324 Zu Wang Shenzhong siehe DMB, S. 1398f. 32 8 Wang]iji, Nanjing 2007,Anhang II, «Aufzeichnung von Luze bei Sanshan [= Fuzhou, Provinz Fuji anl,
325 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 1, § 5, S.458, und Kap. 2, § 5, S. 504f. S.696.
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Tätigkeit überdrüssig und hat mit der Welt keinen Austausch mehr (yu shi jian yi wu von den Erregungen (ji bu li gan ~1'~IB¾). Die Stille aufgeben und den Erregungen
jiao she iktlt Fsi Bi!!Fx:5.t!i-). Wie will man da wieder die Welt ordnen können! Für die anhaften bedeutet, den Dingen und Geschäften nachjagen; die Erregungen verlassen
Leute außerhalb der Welt [die Buddhisten und Daoisten], die sich bloß für sich allein und die Stille bewahren, bedeutet, in die Leere versinken. Die <Mitte vor dem Entste-
kultivieren und praktizieren, mag das angehen. Doch die Menschen, die fiir das Große hen der Gefühle> (wei Ja zhi zhong *~;z.i:p) ist zwar das <dem Himmel vorangehende
sich kultivieren und praktizieren, haben die Stätte ihres Lernens (dao chang m~) im Lernen> (xian tian zhi xue 1c;Ji;;z.~). Doch die ethische Anstrengung im Hinblick
Staub und in den Mühsalen der Welt. Wenn wir das Erbe [der Könige] Yao und Shun, auf diese <Mitte vor dem Entstehen der Gefühle, ist zu leisten, wenn die Gefühle
des Gelben Kaisers und von Konfuzius antreten wollen, aber uns nicht so verhalten, entstanden sind (yi Ja 8~), [d.h.,] die ,dem Himmel vorangehende, Anstrengung ist
ziehen wir uns große Strafe zu.,, 329 Diese Stellungnahme entspricht genau Wang Jis im <dem Himmel Nachfolgen> anzuwenden (xian tian zhi gong que zai hou tian shang
Lehre von den drei Stufen der «Einsicht» in das «eigentliche Wesen des Herzens»: yong 1c;;li::;z_J}.JW:f:Eff;li::J:.J'fl).»334 Wie dies auch Nie Bao in seiner Kritik getan hatte,
Auch das «Sitzen in der Ruhe» erreicht eine gewisse <<Einsicht»; diese ist aber noch kombiniert W·mg Ji hier Begriffe und Formeln, die aus dem «Großen Anhang» des
von den besonderen Umständen dieser Methode abhängig und nicht beständig. Nur Yijinf!, («Stille» und <<Erregungen»)/" aus dem ersten Kapitel des Zhongyong («Mitte
in der T,äuterung und Übung in den menschlichen Beziehungen gewinnt man die vor dem Entstehen der Gefühle») und aus dem Anhang vVenymz des Yfiing («dem Him-
«auf den Grund gehende Einsicht» (ehe wu ~fäVrn Wang Ji pflegte übrigens selbst mel vorangehen») 336 stammen. Zur Bestätigung fügt er seinen Gedanken noch zwei
das Sitzen in der Ruhe und schrieb sogar über die dabei angewandte Atemtechnik Zitate von Cheng Hao (1032-1085) und Shao Yong (1011-1077), zwei Konfuzianem
einen kleinen rfraktat, 331 der von lluang Zongxi vollständig in seine «Dokumente der Song-Zeit, hinzu.
der Konfnzianer der 1VIing-Dynastie» (MRXA) aufgenommen wurde. 332 Von Nie Nie Bao weist in seiner Antwort zuerst vVang Jis Interpretation dieser beiden
Bao, der das Sitzen in der Ruhe weit höher wertete, besitzen wir leider keine solchen Zitate als falsch zurück und versucht dann zu zeigen, dass seine eigene ethische Me-
technischen Angaben. Seine psychologische Kennzeichnung dieser Methode lautete thode der Rückkehr zur Stille sich nicht von «den Errcg1.mgen [durch die DingeJ
in seinem oben in § 2 zitierten zweiten Brief an Ouyang De: «Sichzurückholen und trennt» und nicht «in die Leere versinkt», sondern mngekehrt gerade ermöglicht:,
Sichsarmneln an einen einzigen Ort [des Bewusstseins] und [seinen Gedanken] nicht «die Erregungen zu durchdringen», das heißt den Dingen im Handeln adäquat zu ent-
Lauf lassen (shou lian zhi wi yi clm, bußmg yil&:ß.l!:9- tE-~1":liJ!:3l)». 333 sprcchen.337 Er schreibt: «Älterer Bruder, Sie glauben also fest an das Wort der Stille
In seiner Gegenkritik an Nie Baos Kritik seines «Abrisses» hält Wang Ji seinem und sagen daher, dass die Stille <clie Mitte vor dem Entstehen der Gefühle> und <das
Gegner nicht einfach die Wichtigkeit der sozialen Tätigkeit entgegen, sondern an- Lernen, das dem Himmel vorangeht>, ist. Wenn nun <die lvlitte vor dem Entstehen
erkennt die fundamentale Bedeutung der «Stille der Substanz» des Herzens, betont der Gefühle> vorhanden ist, dann ist folglich (bicm ßii:) auch <die Harmonie des Maßes
aber zugleich, dass diese «Stille» nicht von den «Erregungen durch die Dinge» nach ihrem Entstehen> vorhanden; wenn das <dem Himmel vorangehende Lernen>
abzutrennen ist, sondern in der ethischen Übung während der Frregungen durch vorhanden ist, dann sind folglich (birm 1!) auch die Funktionen des <Sichrichtens
die Dinge gesucht werden muss. In seiner Gegenkritik und Nie Baos Erwiderungen nach dem zeitlichen Wirken des Himmels> vorhanden (bian you feng tian shi xing zhi
darauf entspannt sich um die Thematik der Einleitung des «Abrisses» eine lange yong 1!~~:i'i:Btfi.z.J'fl).338 Die Erregungen entstehen in der Stille, und aufgrund der
ontologisch-ethische Diskussion, in der die ganze Differenz zwischen diesen beiden Rückkehr zur Stille werden die Erregungen [im Antworten auf sie] durchdrungen
Nachfolgern Wang Yangmings deutlich zum Ausdruck kommt. Wir lassen die beiden (gui ji suo yi tong gan ~~JiJr J;lJffi~), das kann nicht bezweifelt werden. Wenn Sie nun
Diskutanten zuerst selbst sprechen und versuchen erst am Ende dieser Diskussion meinen, dass dies ein <Verlassen der Erregungen> und ein <Versinken in die Stille> sei,
der in der Einleitung von Wang Jis <<Abriss» evozierten Prinzipien die wichtigsten weiß ich nicht, wovon Sie sprechen.»339
Punkte hervorzuheben. Wang Ji sagt in seiner Gegenkritik weiter, dass die ethische Praxis nicht die
Wang Ji beginnt seine Gegenkritik an Nie Baos Kritik der Einleitung seines «Substanz» des «ursprünglichen Wissens» zu ihrem Gegenstand haben kann, da
«Abrisses» folgendermaßen: «Das Wort <Stille, (ji ;J'iil) ist das Prinzip der alten heiligen diese das «höchste Gute», also immer vollkommen ist, sondern nur die Intentionen
Lehre. Die Erregungen (gan ~) entstehen in der Stille. Die Stille trennt sich nicht (Funktionen): «Das <dem Himmel Vorangehende> ist das Herz (Geist: xin ,t,,); das

329 «Aufzeichnung von Luze bei Sanshan [= Fuzhou, Provinz Fujian]» [Sommer 1557], Wang Longxi quan 334 Zhi zhi yi bian, 1. Stück, Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 4b-5a (Taipei 1970, S. 412f.); Wang Ji
ji (1822),juan 1, S. 12b-13a (Taipei 1970, S. 112f.); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 1, S. lOf. ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 133.
330 Siehe oben in diesem Teil, Kap. 2, § 6. 335 «Großer Anhang», 1. Teil, Kap. 10.
331 «Regulierung des Atems», Wang Longxi quan ji (1822),juan 15, S. 15b-16b (Taipei 1970, S. 1060- 336 Kommentar zum Hexagramm Qian.
1062); WangJiji, Nanjing 2007,juan 15, S. 424 337 Gemäß dem «Großen Anhang» zum «Buch der Wandlungen», 1. Teil, Kap. 10.
332 MRXA,juan 12, Kapitel über Wang Longxi, Beijing 1985, S. 256. 338 Gemäß der Aussage im Weiryan des Yijing, dass der «große Mensch» im «dem Himmel Nachfolgen
333 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 8, S. 244; siehe oben in diesem Kapitel, § 2, Abschnitt c), Punkt 4, sich nach den Zeiten den Himmels richtet» (vgl. oben im Kap. 1, S. 456).
s. 563f. 339 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 386.
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<dem Himmel Nachfolgende> sind die Intentionen (yi ~). Das höchste Gute (zhi Lehrer sagte: <Das <Gerademachen des Herzens> besteht nur darin, dass man im In-
shan ~~) ist die Substanz340 des Herzens (xin zhi ben ti 1 G,;z;iJs:llf). Die Substanz des nern der Anstrengung des <W:1hrhaftigmachens des vVillens> (chen?;yi gongfu li mian
Herzens (xin ti 1G,1lf) ist an sich gerade (ben zheng ;iJs:IE). Sobald man das Herz gerade /iJit~J:}J 5'c11liffi) erfahrungsmäßig realisiert, dass die eigene Substanz des Herzens immer
machen will, begeht man den Fehler des Gerademachens des Herzens (bian you zheng leer im Gleichgewicht sein muss (ti dan zi jia xin ti gongfu chmzgyao.fian kong hengping
xin zhi bing ~~IE1G,;zm); sobald man das IIerz gerade machen will, ist man schon G:~ § ~'G'G:*~~g§'ftiSjZ-); das ist die <Mitte vor dem Entstehen der Geföhle>.l45 Und
in den Tntentionen (bian shu yi le ~~~ 7). Deshalb heißt es [im ersten Kapitel des er sagt [im ersten Teil des Chuanxi lu] auch: <Das <Gerademachen des Herzens> un<l
DaxueJ: <vVenn [die Alten] ihr Herz gerade machten (zheng xin IE 1G'), haben sie zuerst das <Kultivieren der [eigenen leiblichen] Person> (xiu shen {1i ~) haben beide ihre Stelle
ihre Intentionen (ihren Willen) 341 wahrhaftig gemacht (chengyi /iJit~).> Das kommt der der ethischen Anstrengung (ge you gong gong chu :§-~ .ffl J:}J ~). Das <Geradcmachen des
Aussage gleich, dass es keine ethische Anstrengung des <Gerademachens des Herzens> Herzens> gehört auf die Seite des <Nochnicht-Vorhandenseins lder Gefühle]>; das
gibt, wenn man das <\Vahrhaftigmachen der Intentionen> fallenlässt.»H 2 <Kultivieren der Person> gehört auf die Seite des <Vorhandenseins [der Gefühle]>.> 346
Nie Bao antwortet mit der Aussage aus dem ersten Kapitel des Daxue, dass das Wenn Sie nun sagen, dass es, ,vcnn man das <vVahrhaftigrnachen der Intentionen>
«Dao des Lernens der Großen» im «Anhalten (Stillestehen) bcirn höchsten Guten» fallenlässt, keine ethische Anstrengung des <Gernclcmachcns des Herzens> gibt, dann
(zhiyu zhi shrm .Ll::m~~) bestehe: «Wenn Sie sagen, dass das höchste Gute die Sub- widersprechen Sie nicht nur der T,ehre des .Meisters [\Vang Yangming], sondern ent-
stanz des Herzens ist, dann bedeutet das <Anhalten beim höchsten Guten> [im ersten fernen sich auch weit von den vVorten von Konfuzius und von M.engzi.» 347
Kapitel des Daxuel die vViedcrherstellung der Substanz des eigenen Herzens (fu qi xin Wang-Ji greift dann in seiner Gegenkritik auf seinen Begriff des (himmlischen)
d1i ben ti ffi:;\;t 1G,;z;iJs:llf). Wenn man [beim höchsten Guten] anzuhalten vermag (zhi «Antriebes» (ji :m!) 348 zurück, den er im dritten Abschnitt seines «Abrisses» eingeführt
zhi ~.Ll::), dann ist man [gend$ diesem Kapitel des Daxue] <fest> (ding .'IE), <ruhig> (jing hatte, um die innere Einheit von stiller «Substanz» des «ursprünglichen Wissens» und
ffil!J), <sicher> (an ~) und <überlegt> (!ii Ei), und dadurch ist die Fähigkeit zur Tätigkeit dessen T'ätigkeiten (Funktionen) ontologisch zu begründen. In einer bei ihm unübli-
in der \;Veit vollstiindig. Wenn Sie sagen: <Die Substanz des Herzens (xin ti 1G,1lf) ist chen Weise spricht er hier die «fntention», die «Handlungsabsicht» (yi ~), als diesen
an sich gerade (ben z:heng 7-js:IE). Sobald man das IIcrz gerade machen will, begeht man zwischen Ruhe und Tätigkeit vermittelnden «Antrieb» an, was diesem zwar einerseits
den Fehler des Gcrademachcns des Herzens>; so sind das Worte von Cihu [Yang Jian einen reicheren phänomenologischen Gch,1lt gibt, andererseits aber das Problem der
(l 192-1226)], und es ist also die J,ehre von Cilm. 343 Gibt es nicht die Dokumente von Abgrenzung gegenüber den Funktionen aufwirft, zu denen die Intentionen von ihm im
Konfuzius und IVIcngzi, die vom <Reinigen des Herzens> (xi xin )Jt'G'), vom <Bewahren Allgemeinen gerechnet werden: ,<Das <ursprüngliche Wissen> ist die stille Substanz (ji
des lTerzens> (czm .xin {f,G,), vom <N~ihren des Herzens> (yang xin =it1G,) sprechen, und ran zhi ti ,i\il~;zG:); die praktischen Dinge (Geschäfte) sind seine erregten Funktionen
sogar die Dnoisten und Buddhisten sprechen vom <Kultivieren des Herzens> (xiu xin (wu shi suo gcm zhi yong 4m~pfi!\\}\;z.ffl); die Intentionen sind dann der Antrieb, auf dem
11i 1G') llnd vom <Erleuchten des Herzens> (ming xin BJ:l,G,)! Noch nie habe ich gehört, seine Stille und seine Funktionen fahren (den sie als ihren gemeinsamen rfräger be-
dass seit dem Altertum Heilige und Weise dies als einen Fehler betrachteten. Wenn Sie nutzen) (yi ze qi ji gan suo cheng zhi ji ~Jl~!t,i(il~JiJr*Zlt). 349 Zwischen dem <ursprüng-
sagen, dass <man in den Intentionen ist, sobald man das Herz gerade machen will>, so lichen Wissen> und den praktischen Dingen gibt es keinen Unterschied von Früher
entspricht dies der vulgären Rede (su lun ~mil1), dass man in den Dingen und Geschäf- und Später. Deshalb heißt es [im ersten Kapitel des Daxzte]: <Die Verwirklichung des
ten ist (shu wu li!Wl), sobald man vorn <Anhalten beim höchsten Guten> spricht; und [ursprünglichen] Wissens geschieht in der Berichtigung der Handlungen (Geschäfte).>
dass man im Sehen und Hören ist (du wen ffilffl), sobald man von der <Achtsamkeit und Dass die Verwirklichung des [ursprünglichen] Wissens in der Berichtigung der Hand-
Furchtsamkeit> (jie ju Jiltffl) spricht. Man weiß nicht, worauf sich das <Gerademachen>, lungen (Geschäfte) geschieht, meint dasselbe wie die Aussage [in demselben ersten
das <Anhalten bei>, die <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> bezieht.» 344 Nachdem Nie Kapitel des Daxue], dass das <Hellmachen der [hellen] Tugendkraft (ming de a):j ~) im
Bao darauf zwei Stellen aus Kommentaren zu konfuzianischen Klassikern zitiert hat, Lieben des Volkes geschieht>. Wenn man das Lieben des Volkes verlässt, gibt es kein
beruft er sich auch auf Wang Yangming: «Ich erinnere mich, dass der verstorbene Lernen des Hellrnachens der [hellen] Tugendkraft mehr.»350

340 In diesem Zusammenhang ist «ben ti ,ls;ffl» mit «Substanz» und nicht mit «eigentlichem Wesen» zu 345 Chuanxi tu II, Nr. 119, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 34.
übersetzen. Zu dieser Problematik und zum Verhältnis von «Substanz» und «eigentlichem Wesen» 346 Chuanxi tu I, Nr. 88, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 25.
siehe in Teil I, Kap. 3, § 1, und in Teil II, Kap. 1, § 2. 347 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 386f.
341 Zur Doppeldeutigkeit von <<yi il» als bloße Intentionen (yi nian il~) und als auf Entscheidung 348 Zu diesem Begriff siehe oben in diesem Teil, Kap. 2, § 2.
beruhender Wille (yi zhi il~) siehe oben in Teil I, Kap. 2, § 4, S. 173f. 349 In der Antwort von Nie Bao ist diese Stelle falsch zitiert: «Die Dinge (Geschäfte) sind die erregten
342 Zhi zhi yi bian, 1. Stück, Wang Longxi quan ji (1822),juan 6 S. Sa (Taipei 1970, S. 413); Wang Ji ji, Intentionen; die Funktionen sind der Antrieb, auf dem Substanz und Intentionen beruhen.» Nie Bao
Nanjing 2007,juan 6, S. 133. ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 387.
343 Zu Yang Jian, Schüler von Lu Jiuyuan, siehe oben in der Einleitung zu Teil II den § 8, S. 375. 350 Zhi zhi yi bian, Stück 1, Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. Sa (Taipei 1970, S. 413 ); Wang Ji ji, Nanjing
344 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 11, S. 386. 2007,juan 6, S. 133; von Nie Bao zum Teil falsch zitiert: Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 11, S. 387.
606 607

Nie Bao meint zu Wang Jis Vereinigung der «stillen Substanz» des Herzens mit und zugleich sichtbar. Es ist das, was [von Zhou Dunyi] <Antrieb> (ji ~) genannt wird.
den «praktischen Dingen» («Geschäften») mittels der Begriffe der «Intention» und j-
1
Die Substanz (shi ti itfll) des <ursprünglichen Wissens> ist die <Wahrheit>, die wun-
des «Antriebes» zuerst, dass diese Vereinigung «völlig verschieden von den Klassikern derbaren Funktionen des <ursprünglichen Wissens> sind die <göttliche Geistigkeit>.
und ihren Kommentaren» sei, und begründet dies mit Zitaten von Konfuzianern der Der <Antrieb> vereint die Substanz und die Funktionen (tong hu ti yong lllJZ-fllffl), er ist
Song-Zeit (der beiden Cheng-Brüder, Shao Yongs, Zhu Xis). Dann anerkennt er, dass die Einheit von Stille und Erregungen (ji gan yi guan ~~-lt). Deshalb sagte [Zhou
seine Auffassung der «Verwirklichung des liang zhi ßl~» als einer Praxis vor allem Dunyi] von ihm: <Er ist zwischen Vorhandensein und Nichtvorhandensein (you wu
Tätigsein und Handeln gewissen Aussagen Wang Yangmings widerspricht, beruft zhi jian ;fiif!!{zllai)>; das <Vorhandensein> und <Nichtvorhandensein> weisen auf die
sich dann aber auf andere Aussagen des Meisters, die außerhalb ihres Kontextes in <göttliche Geistigkeit> bzw. auf die <Wahrheit> hin. Das ist der Zugang der tausend
seinem eigenen Sinn verstanden werden können. Schließlich rechtfertigt er seine al- Heiligen zum Weg der Mitte (zhong dao lfl~). Jenseits dieser Mitte verfällt man ins
lein auf die «stille Substanz» gerichtete ethische Praxis wieder durch das «Anhalten Nichtvorhandensein [in die Leere]; diesseits dieser Mitte bleibt man am Vorhanden-
(Stillestehen) beim höchsten Guten» im ersten Kapitel des Daxue: <<Der verstorbene sein haften. Das hat einen subtilen Sinn und bedeutet nicht, dass man etwas schon
Lehrer [Wang Yangrning] sagte zwar, dass die <Verwirklichung des [ursprünglichen] Fertiges zum Gegenstand ethischer Anstrengung macht (fei wei yi xian cheng zuo gong
Wissens> in der <Berichtigung der Handlungen (Geschäfte) geschieht> und dass das fu ~F~ J..::;l.JJ!.}5.)H'pl}J ~).» 355 Wie im oben zitierten Stück seiner Gegenkritik stellt Wang
<Hellmachen der [hellen] Tugendkraft im Lieben des Volkes geschieht>, aber er wollte Ji auch in diesem den dritten Abschnitt seines «Abrisses» betreffenden Stück seine
damit [nur] die Lehre von der Einheit aller Wesen (wan wu yi ti N!lw.l-1'11) ins Licht ethische Praxis wieder als den Weg der Mitte zwischen zwei Extremen dar: zwischen
stellen; das ist von der Bedeutung des [ersten Kapitels des] Daxue etwas verschieden. denjenigen, die «wie die Buddhisten und Daoisten» die soziale Welt verlassen und
Wenn Sie nun sagen, dass es keine Übung (gongfu J}J ~) des Hellmachens der [hellen] bloß die Versenkung in die Stille und Leere des Herzens suchen, und den «verwelt-
Tugendkraft gebe, wenn man das Lieben des Volkes verlässt, und dass es keine Übung lichten Konfuzianern», die in der Beschäftigung mit der äußeren Welt aufgehen. Nie
der <Verwirklichung des [ursprünglichen] Wissens> gebe, wenn man die <Berichtigung Baas ethische Praxis ordnet er dem ersten Extrem zu. Das Streben, soziale Tätigkeit
der Handlungen (Geschäfte)> verlässt, dann weiß ich nicht, was es bedeutet, wenn [im in der Welt mit der Sammlung in der Stille des eigenen Herzens zu vereinen, ist wohl
ersten Kapitel des Daxue] der Abschnitt über das <Anhalten beim höchsten Guten> von WangJis eigentliche Motivation für das «Theorem» der Einheit von «Substanz» und
der <Festigkeit> (ding '.iE), von der <Ruhe> (jing ffli), von der <Sicherheit> (Frieden: an ~) «Funktionen» des Herzens.
und vorn <Überlegen> (lü ia) spricht.[ ... ] In den <Fragen zum Daxue> (Daxue wen) [von Nie ßao weist Wang Jis Idee des «Antriebes» als eines Substanz und Funktio-
Wang Yangrning] heißt es: <Wenn man seine [helle] Tugendkraft hellrnachen und das nen vermittelnden «Dritten» («Zwischen») ab und stellt die Substanz selbst als den
Volk lieben will, aber nicht beim höchsten Guten anhält, dann hat man keine Wurzel «Antrieb» der Funktionen des «ursprünglichen Wissens» dar, nachdem in der Stille
(Grundlage) (wang qi ben 'C jil;;ljl;),>351 <Deshalb verhält sich das Anhalten beim höchsten ihre Fülle wiederhergestellt wurde: «IhreAussage, dass die <Wahrheit> die Substanz
Guten zum Hellmachen der [hellen] Tugendkraft und zum Lieben des Volkes wie des <Ursprünglichen Wissens> ist, ist richtig! Die Hauptsache der Anstrengung des
Winkel und Zirkel zu den rechteckigen und runden Dingen. [... ] Wenn man ,ohne <Verwirklichens des ursprünglichen Wissens> besteht im Bewahren der <Wahrheit>,
Anhalt bei Winkel oder Zirkel die Dinge rund oder rechteckig machen will, verfehlt um dadurch seine Substanz aufzurichten (yi li qi ti P).:rr.jil;fll). Wenn wir sie unauf-
man ihr Gesetz.> 352 Selbst ein Knabe von fünf Fuß kann hier das Verhältnis zwischen hörlich bewahren, dann wird sie [die Substanz] fein und hell (jing er ming ffirfüaA).
Wurzel (Grund) und Zweigen (Abgeleitetem) (ben mo **), zwischen Früherem und Wenn sie [dann in den Erregungen] wunderbar antwortet (ying er miao HlimM>), ist sie
Späterem erkennen.»353 · der Antrieb des Natürlichen (zi ran zhi ji gJ ~.zll). Die Feinheit und Helle gehört
WangJi schreibt in seiner Gegenkritik an Nie Baos Kritik des dritten Abschnit- zur Stille (ji ~), daher wird vom Nichtvorhandensein gesprochen; das wunderbare
tes des «Abrisses», dessen Thema der die Einheit von «Stille» und «Erregungen», von Antworten gehört zu den Erregungen, daher wird von Vorhandensein gesprochen.
«Substanz» und «Funktionen» des «ursprünglichen Wissens» ausmachende himmli- Deshalb heißt es: <Ruhe ist Nichtvorhandensein, Tätigkeit ist Vorhandensein (jing
sche «Antrieb» ist: «Meister Zhou [Dunyi, 1017-1073] sagte: «Wahrheit> (cheng ~), wu er dong you ~f!!{ffijl!J;fii).> Die Quelle des Lernen des Herzens (xin xue ,t,,~) von
<göttliche (vollkommene) Geistigkeit> (shen ~) und <Antrieb> (ji ~)kennzeichnenden zehntausend Generationen bestand nur im einen Wort des <Festhaltens an der Mitte
heiligen Menschen.>354 Das <ursprüngliche Wissen> ist das natürliche Wahrnehmen [vor dem Entstehen der Gefühle]> (zhi zhong tJl.lfl); noch nie habe ich gehört, dass ein
(zi ran zhi jue ~ ?/.\Ztl). Es ist verborgen und erscheint zugleich; es ist im Dunkeln Zwischen von Vorhandensein und Nichtvorhandensein als der Zugang der tausend
Heiligen zum Weg der Mitte betrachtet wurde. [... ] Meister Zhou [Dunyi] sagte:

351 U&ng ¼ngmingquanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 970.


3 52 A.a.O., S. 969. Nie Bao kehrt die Reihenfolge der beiden Zitate von Wang Yangming um.
353 Nie Baoji,Nanjing 2007,juan 11, S. 387. 355 Zhi zhi yi bian, 4. Stück, Wang Longxi quanji (1822),juan 6, S. 10a (Taipei 1970, S. 423); U&ngJiji,
354 Zhou Dunyi: Tongshu, Kap. 4. Nanjing· 2007,juan 6, S. 137.
11'1

608 609

<Stille ohne Tätigkeit ist Wahrheit (cheng ~).> Die Schlechtigkeit aussperren und die haben, sondern ist das Verwirklichen der Weite und Größe (ji zhi guang da zhi zhi
Wahrheit bewahren, das ist die Grundlage der Anstrengung des Heiligen. [Er sagte ffllik/l;k.zi![).Wenn man das Maß der leeren und geisteskräftigen Substanz vollmacht
weiter:] <In Folge der Erregungen [durch die Dinge diese] durchdringen, ist göttliche (chong man hu xu ling ben ti zhi liang 1e~5Y-.ISII* 111.z:il) und sich [dabei] nicht im Ge-
Geistigkeit (shen flll).> Göttliche Geistigkeit ist etwas, dessen menschliche Anstrengung ringsten mit Absichten und Meinungen verdunkelt (bu yi yi hao yi yu zi bi 1'~ -~~~
(ren li .A..JJ) nicht fähig ist; es ist die Tugend in ihrem Überfluss und die Stille in ihrem ~ li), dann ist das, was dann daraus entsteht [seil. das Fühlen, Denken, Handeln], von
höchsten Grad (ji zhi zhi 1.i:l.z~).»356 selbst (natürlicherweise) <maßvoll und harmonisch> (ze zi ci er fa zhe zi ran zhongjie fl.tl
Wang Ji kommt dann in seiner Gegenkritik an Nie Baos Kritik der Einleitung ~.!l:l:;iffifl-lf ~~i:pffiJ). Wie wäre das Lieben [der Eltern] und das Verehren [der älteren
seines «Abrisses» auch auf das «Berichtigen der Handlungen» zu sprechen und Brüder] beim Kleinkind von einem Vertreiben abhängig! Ich betrachte das Vollmachen
erklärt, dass dieses etwas «Natürliches» und nicht etwas «Forciertes, Künstliches», des Maßes der leeren und geisteskräftigen Substanz als das <Verwirklichen des [lianif
kein «Machen von Gerechtigkeit» sei, da es aufgrund der «natürlichen Norm» des zhi> und betrachte das [natürliche] Durchdringen der Dinge infolge der Erregungen
«ursprünglichen Wissens» geschieht: -«Das <ursprüngliche Wissen> ist die natürliche als das <Berichtigen (Richtigmachen) der Handlungen (praktischen Dinge)>.» 359
Norm (tian ran zhi ze ;R~zJl.tl). Das <Berichtigen der praktischen Dinge (Hand- Wang Ji kommt in seiner Gegenkritik an Nie Baos Kritik des fünften Abschnit-
lungen)> bedeutet das Verwirklichen dieser natürlichen Norm des ursprünglichen tes des «Abrisses» nochmals auf das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» im
Wissens in allen Geschäften und praktischen Dingen (zhi ci liang zhi zhi tian ze yu shi «Berichtigen der Handlungen» zurück. Zuerst weist er Nie Bao darauf hin, dass seine
shi wu wu ~.!lt Lil~.Z~Jl.tllit:$$~~). Wenn die praktischen Dinge (Handlungen: wu Negation dieses Leitsatzes dem konfuzianischen Kanon und der Lehre Wang Yang-
~) ihre Norm erhalten haben, heißen sie <berichtigt> (ge :tß-). Außerhalb der natürli- mings widerspricht: «Das <Berichtigen der Handlungen> ist nach dem Daxue letztlich
chen Norm gibt es kein Berichtigen der Handlungen. Wenn ich zuvor [am Anfang der praktische Ansatzpunkt [des Lernens] (xia shou chu "F-=J:~). Deshalb sagt es: <Das
der Gegenkritik] sagte, dass die ethische Anstrengung im Hinblick auf die <Mitte vor Verwirklichen des Wissens findet in der Berichtigung der Handlungen statt.> Wenn
dem Entstehen der Gefühle> nach deren Entstehen zu leisten sei, 357 bedeutet dies Sie sagen, dass das <Berichtigen der Handlungen> nicht die ethische Anstrengung
ni_cht, dass man gekünstelt und forciert (jiao qiang m~t) das äußere Ende der Gefühle ausmache, dann enthält das Daxue eitle Sätze, und unsere Schule stellt irrige Lehren
herausputzen und bloß äußerlich regulieren soll.»358 auf.» 360 Dann aber räumt er gegenüber Nie Bao ein, dass die Devise des «Berichtigens
Nie Bao: Während Wang Ji das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» der Handlungen» in der Schule tatsächlich auch zu einem künstlich erzwungenen und
als Anwendung der dem «ursprünglichen Wissen» eigenen Norm auf die prakti- nicht nur zu einem vom «ursprünglichen Wissen» geleiteten «natürlichen» Handeln
schen Dinge, das heißt als «Berichtigen der Handlungen», versteht, will Nie Bao im geführt habe. Der Grund dafür sei aber nicht, dass man das «ursprüngliche Wissen»
«Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» die Norm selbst des «ursprünglichen im Handeln zu verwirklichen suchte, sondern dass man in der Schule, wie Nie Bao
Wissens» herstellen oder errichten. Wenn die Norm einmal verwirklicht ist, ergibt richtig rüge, das «ursprüngliche Wissen» nicht wirklich erkenne und es mit angelern-
sich ihre Anwendung auf die praktischen Dinge von selbst. Im Gleichnis ausgedrückt: tem (informativem) Wissen (zhi shi ~iill) vermenge: «Mein Herr, Sie stellen fest, dass
Das «Verwirklichen des liang zhi» besteht im Wiederherstellen oder Vollenden von wir Leute, die wir das <Berichtigen der Handlungen> zu unserem ethischen Lernen
Winkel und Zirkel und nicht im Zurechtmachen von rechteckigen und runden Din- machen, ein angelerntes (erworbenes) Wissen für das <ursprüngliche Wissen> nehmen
gen mit Winkel und Zirkel. Nie Bao antwortet: «Wenn es wirklich so ist[, wie Sie (ren zhi shi wei liang zhi ~~•~ Li!~) und nicht fähig sind, in das Verborgene [des <ur-
schreiben], dann ist klar, dass die ethische Anstrengung im <Verwirklichen des [lianif sprünglichen Wissens>] einzutreten und sein natürliches Gewahren zu verwirklichen
zhi [Li!]~> und nicht im <Berichtigen der Handlungen (praktischen Dinge)> besteht. (ru wei zhi qi zi ran zhi jue J.... ~ik!t § ?&zfl); Sie stellen fest, dass wir den ganzen Tag
Beim Verwirklichen des [lianif zhi und der Mitte [vor dem Entstehe.n der Gefühle] im Antworten auf äußere Fakten (zai yingji shang :tEJilitJ:.) an Erscheinungen haften
(zhi zhong i!(i:p) im Vollenden der grundlegenden guten Norm (duan ben shan ze zhi und, um das Richtige zu treffen, künstlich arrangieren und kombinieren. Deshalb
zhi zhi zhong yan jin zhi ~*~Jl.tlik~~ltl~itz) kann das <Verwirklichen> (zhi ~) greifen Sie mit bitterer Stimme die Devise der Leere und der Stille auf (xu ji hua tou
nicht die Bedeutung von <dieses vertreiben und jenes erreichen> (tui ci ji bi :ll.!l:l:;1t ~Bi.) JS1.i:lfi!iim:), um den Lernenden in ihrem Dunkel beizustehen. Sie wollen damit nicht
etwas, das unserer Schule fremd wäre. Wenn Sie aber deswegen plötzlich erklären, dass
das <Berichtigen der Handlungen> keine ethische Anstrengung sei, und von unserer
Auffassung, dass dieses <Berichtigen> im <Verwirklichen des ursprünglichen Wissens>
356 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 11, S. 393.
357 Zhi zhi yi bian, 1. Stück, Wang Longxi quanji (1822),juan 6, S. 4b-5a (Taipei 1970, S. 412f.); WangJi ji,
Nanjing 2007,juan 6, S. 133; siehe oben, S. 603.
358 Zhi zhiyi bian, 1. Stück, Wang Longxi quanji (1822),juan 6, S. 5a-b (Taipei 1970, S. 413f.); WangJiji,
Nanjing 2007, S. 133; von Nie Bao in zwei Teilen zitiert, die durch die in WangJis «Gesammelten 359 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 388.
Schriften» fehlende Diskussion des Kanonengleichnisses für das menschliche Herz getrennt werden; 360 Zhi zhi yi bain, 7. Stück, Wang Longxi quanji (1822),juan 6, S. 14a (faipei 1970, S. 431); WangJiji,
Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 11, S. 387-389. Nanjing 2007, S. 140.

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610 611

in einem diesem Wissen gemäßen Umgang mit den Dingen besteht, meinen, dass sie holte und von Wirng Yangming übernommene Formel, dass das «ursprüngliche Wis-
völlig zum <künstlich vom Ivlenschen Gemachten> gehöre und dass man damit ,den sen» ein «natürliches, helles Gewahrem, (zi ran ming_jue § ~ SJl IJi) sei, 368 ist auch nach
ganzen 'fag in Opposition zu den Dingen steht> und ,an sich zerrt und [den Dingen] seiner Auffassung als Kriterium für ein «Erkennen» des «ursprünglichen Wissens»
folgt>, 361 so befürchte ich, dass Sie damit ,von der [heißen] Suppe gebrannt auf das ungenügend; denn es kann überhaupt nicht in allgemeinen Begriffen wirklich erkannt,
[kalte] Fleischgericht blasen> [eine berechtigte Kritik auf einen falschen Ort übertra- sondern nur von jedem Ivlenschen einzeln «stillschweigend verstanden» (mo nzo li hui
gcnl (cheng geng chuiji J1HIOJ:'.ll).» 362 ~Jlf!.1it), 369 das heißt in einer schweigenden Rüchvendung auf sich selbst im «einen
vVangJi anerkennt hier also gegenüber Nie Bao, dass man in der Schule Wang Denken» «eingesehen» werden. Wohl deshalb erörterte er in seiner Diskussion mit
Yanmings, die das <<Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» im Handeln zum Nie Bao kaum begrifflich den Unterschied zwischen «ursprünglichem Wissen» und
Prinzip hat, oft ein gewöhnliches durch «Sehen und Hören» oder durch «Lernen und angelerntem Wissen, sondern hatte nur ganz zu Beginn des sachlichen Teils der Ein-
Überlegen» erworbenes Wissen als das «ursprüngliche Wissen» missversteht, da man leitung seines «Abrisses» einige Sätze über das Verhältnis zwischen «ursprünglichem»
nicht fahig sei, «ins Verborgene (Feine) [des ursprünglichen Wissens] einzutreten». und angelerntem (erworbenem) \Nissen vorangestellt. Er hatte in ihnen diese beiden
Schon in seiner Gegenkritik an Nie Baos Kritik des vierten Abschnittes seines «Abris- Wissen als zwei verschiedene «Ivlodi» (rn shi :PD~) desselben V\/issens charakterisiert
ses» hatte er diese Verwechslung von «ursprünglichem» und angelerntem Wissen und und vom angelernten Wissen nur gesagt, dass es nicht dem eigenen Herz zu vertrauen
diese Unfähigkeit eingeräumt: <<Unser Lernen des ,Verwirklichens des ursprünglichen vermöge und daher im Lernen von vielem Zuflucht suche. 37 () Wir haben diese Sätze
Wissens> ist nicht fahig, in das Verborgene (Feine) [des ,ursprünglichen Wissens>] oben in Kapitel 2 über Wang Ji zusammen mit seinen späteren Aussagen über das
einzutreten (!m neng ru wei 1'~A 11&), und konnte nicht vermeiden, es mit Meinungen Verhältnis zwischen «ursprünglichem» und angelerntem VVissen zitiert. 171 Nie Bao
und angelerntem vVissen zu ergänzen und zu vermischen (chan ru yi jittn zhi shi ~A gibt in seiner Kritik des «Abrisses» diese Sätze nicht wieder, und er geht auf sie nicht
:f;J!~~), und konnte so nicht das Ursprüngliche seiner Natürlichkeit (Spontaneität) ein; sie waren nicht Gegenstand der Diskussionen von 15 57 bis 15 59 zwischen Nie
zur Fülle bringen (chong qi zi nm zhi liang 3't;!;t § ~.2.Bl:.).» 36 i Was Wang Ji hier das Bao und Wang Ji. Nie Bao war selbst auch nicht daran interessiert, den Unterschied
<<Eintreten in das Verborgene (Feine)» nennt, ist dasjenige, was er in anderen Texten zwischen dem «ursprünglichen Wissen» als einem akt11ellen «natürlichen Gewahren»
expliziter «vom einen Denken her ins Verborgene eintreten» (cong yi nian ru wei von etwas und dem angelernten \Vissen von etwas zu klären, denn sein «Verwirklichen
1/E-~;\fi&)3"" nennt und was er auch in seiner Gegenkritik an Nie Baos I<:ritik der des ursprünglichen Wissens» wollte ja nicht bei einem aktuellen «natürlichen hellen
Einleitung seines «Abrisses» durch die Formel «sich im einen Denken zurückwcnden Gewahren» einsetzen. Er setzte in seiner ethischen Praxis auf kein aktuelles Erkennen
uncl dadurch das eigentliche Herz erlangen» (yi nian zi Jan ji de ben xin -~ § .&JlM!i:1- von etwas, auf keine aktuellen Funktionen des Bewusstseins, sondern auf die «Wie-
7tit") charakterisiert. 365 Dies ,.eigt, dass das Erkennen des «ursprünglichen Wissens» derherstellung der leeren Substanz» des «ursprünglichen vVissens» vor allen ihren
und dessen Unterscheidung vom gewöhnlichen angelernten Wissen für die Schule intentional auf Gegenstände bezogenen Funktionen und war cler Auffassung, dass
Wang Yangrnings eine Schwierigkeit darstellte. Schon Wang Yangming selbst hatte in dieses «Wiederherstellen» der Substanz zur notwendigen Folge hat, dass dann alle
einem Brief geschrieben: «Alle unsere Gleichgesinnten (tong zhi !qj*) der letzten Zeit ihre intentionalen Funktionen zu einem «natürlichen (spontanen) hellen Gewahren»
können über das <ursprüngliche Wissen> zwar Reden (Lehren: shuo ~) halten, aber von etwas, das heißt zu Funktionen des «ursprünglichen Wissens», werden.
ich habe noch keinen gesehen, der fähig wäre, es wirklich in der eigenen Erfahrung Wang Ji fasst seine Gegenkritik an Nie Baos Kritik der Einleitung seines «Ab-
zu erkennen (shi ti ren zhi :Jtll:l~.2.).»366 Obschon nach Wang Yangming und seinen risses» folgendermaßen zusammen: <«Das Nochnicht-Antworten [auf die Erregun-
Schülern jeder Mensch ein «ursprüngliches Wissen» hat, bedeutete dies für sie nicht, gen] ist [zeitlich] nicht früher, das Antworten auf die Erregungen ist zeitlich nicht
dass das «ursprüngliche Wissen» auch verstanden, das heißt eingesehen wird. Deshalb später.>372 Das bedeutet Stille, in der die Erregungen wirken, Erregungen, in denen die
dachte Wang Ji immer mehr über das «Eindringen in das Verborgene» des «urspriing- Stille bewahrt ist; gerade das ist die ethische Anstrengung, die mit dem ,eigentlichen
lichen Wissens» nach und bemühte sich in seinem eigenen Leben um die «Einsicht» Wesen> [des ,ursprünglichen Wissens>] vereint ist (heben ti zhi gongfu ß'*Uz:cjJ;i\:).
in dieses «Wissen». 367 Die an mehreren Stellen seiner Diskussion mit Nie Bao wieder- Das bedeutet immer erregt sein und immer zur Stille zurückkehren. Wenn Sie das als

361 Siehe oben im§ 5, Abschnitt c), S. 596, Nie Baos Kritik an Wang Ji.
362 Zhi zhi yi bian, 7. Stück, Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 14a-b Cfaipei 1970, S. 43 lf.); Wang Ji 368 Siehe unten den nächsten Abschnitt b).
ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 140. 369 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 2, Anfang von§ 5.
363 Siehe unten in diesem Paragraphen das Ende des Abschnitts b). 370 Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. la-b (Taipei 1970, S. 405f.).
364 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 2, Anfang von § 5. 371 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 2, § 4.
365 Siehe unten in diesem Paragraphen den Abschnitt c). 372 Aussage von einem der beiden Cheng-Brüder (11. Jahrhundert), die Wang Ji in der Einleitung seines
366 Siehe oben im ersten Teil das Kapitel 2, den Anfang des§ 3, S. 155. «Abrisses» zu seiner Rechtfertigung zitiert hatte. Sie ist als Zitat in Nie Baas Kritik aufgenommen
367 Siehe oben in diesem Teil, Kap. 2, § 5. (Nie Bao ji, Nanjing 2007,fuan 11, S. 375), fehlt aber in Wang Longxi quan ji,juan 6.
III

612 613

etwas schon Fertiges (xian cheng ~fil4) betrachten, das zum <Lernen> untauglich ist, Herzens erfolgenden und damit schlechten Handeln führen. Wang Ji hat daran seine
was soll dann sonst noch von Nutzen sein!»373 Wang Ji betrachtete also die Einheit praktischen Zweifel: Die exklusive Praxis der Ruhe ist an besondere äußere Umstän-
von «Stille und Erregungen», von «Ruhe und Tätigkeit», und das heißt auch von der de der sozialen Zurückgezogenheit gebunden und kann, wie schon Wang Yangming
«Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» und der «Harmonie nach ihrem Entstehen», feststellte, zum genießenden Verharren in dieser ruhigen Zurückgezogenheit und zur
zwar als etwas, das zum «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens» gehört Abneigung gegenüber dem sozialen Engagement verführen. Und wohl noch entschei-
und so auch real existiert, aber nicht als etwas, das in unserer faktischen menschlichen dender für Wang Ji ist, dass die bloße Praxis der Stille oder Ruhe die emotionalen und
Erfahrung «schon fertig» (xian cheng ~fil4) ist. Diese Einheit ist zwar als «eigentliches kognitiven Verirrungen des menschlichen Herzens, seine «Begierden» und «Meinun-
Wesen des ursprünglichen Wissens» oder «Natur des Herzens» (xin xing 1i)tt) in gen» nicht in ihren versteckten (unbewussten) Wurzeln auszumerzen vermag; dies ist
unserem faktischen menschlichen Bewusstsein schon jetzt anwesend, muss aber durch nur möglich «im Staub und in den Mühsalen der sozialen Welt». Der tiefste, zugleich
«Einsicht» und ein durch diese Einsicht getragenes Handeln von der «Verdeckung» Ontologie und Ethik speisende Unterschied zwischen den beiden liegt darin, dass Nie
oder «Verdunkelung» durch «Begierden» und «Meinungen» befreit und zur vollen Bao für sein Leben und Handeln letztlich auf die willentlich durch Ruhe und Stille zu
Manifestation gebracht werden. erreichende Vervollständigung oder Regeneration der Substanz seines Herzens setzt,
Nie Bao bemerkt dazu: <«Kein [Unterschied] von Innen und Außen (wu nei wai während Wang Ji in religiöser Weise auf das immer vollständige «eigentliche Wesen
1!!H~9~), kein [Unterschied] von Stille und Erregungen, kein [Unterschied] vom Früher des ursprünglichen Wissens» vertraut und eine ethische Anstrengung anstrebt, die mit
und Später>, diese paar Worte können am schlimmsten die Wahrheit verhüllen (lang dem «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens vereint ist» (he ben ti zhi gang
zhaa daa li •~m~) und die folgenden Generationen der Lernenden aufhalten. Ach, fu ~;Js;ffl;zJ:}J ;/i;:), oder, wie er sich im Gespräch mit Luo Hongxian im Dezember 1562
jemand muss Anklage gegen Ihre Schuld erheben (dang yau zhi qi jiu zhe fu 'lifl°fA!t ausdrücken wird, «aufgrund des eigentlichen Wesens [des <ursprünglichen Wissens>]
~~~)!»374 die ethische Praxis ausübt (ji ben ti yi wei gangfu ffll*HP.J.~~;/i;:)». 375
In dieser Diskussion zwischen Nie Bao und Wang Ji kommt die ganze Differenz
zwischen ihren ontologischen Konzeptionen des «ursprünglichen Wissens» zum Tra- b) Das «ursprüngliche Wissen» als «natürliches helles Gewahren» (zi ran
gen, die den Unterschied zwischen ihren ethischen Praktiken widerspiegeln. Wahrend zhiming jue ~ fAzPJ.IJf) versus das «ursprüngliche Wissen» als der «Ursprung
Wang Ji durch seinen «Zwischen»-Begriff des «Antriebes» Substanz und Funktionen, (das Gute: liang zhe ~~)» des «natürlichen hellen Gewahrens»
substantielle Stille und erregte Funktionen und damit auch die ethische Praxis der Der Gedanke, dass das «ursprüngliche Wissen» immer auch ein aktuelles Bewusst-
Ruhe und Tätigkeit als Tätigkeit in der Ruhe und als Ruhe in der Tätigkeit zur Einheit sein des natürlichen Gewahrens ist, ist eine Formulierung der Einheit von Stille und
bringen will, lehnt Nie Bao ein solches «vermittelndes Drittes» radikal ab und beharrt Erregungen, von der «Mitte vor der Entstehung der Gefühle» und der «Harmonie
für das ethische Lernen auf der Dualität von Substanz und Funktionen und damit nach ihrer Entstehung» mit kognitiven Begriffen. In der Einleitung seines «Abrisses»
auch auf der Dualität zwischen der ethischen Praxis in der Ruhe und der Tätigkeit. hatte Wang Ji im Hinblick auf Nie Bao geschrieben: «Das <ursprüngliche Wissen> ist
Die Entscheidung für ihre Positionen fällt bei ihnen wohl kaum auf der theoretisch- sowohl <die Mitte vor dem Entstehen der Gefühle> als auch <die Harmonie des Maßes
ontologischen, sondern auf der praktischen Ebene, die zur Rechtfertigung nach einer nach ihrem Entstehen>; das ist entschieden die höchste Wahrheit (zhan guan di yi yi
ontologischen Erklärung verlangt. Wang Ji sieht seine Position als Mitte zwischen ei- ffilllffi-ii) aller Heiligen, es ist das, was <die eine ungeschiedene Wirklichkeit, ohne
nem buddhistischen Weg, der in der «Leere» der bloßen Stille oder Ruhe versinkt, und Früher und Später, ohne Innen und Außen> genannt wird.»376 Und im dritten Abschnitt
einem aktivistischen Weg von gewissen Konfuzianern, der das Herz in den Dingen der seines «Abrisses» erläuterte er: «Das <ursprüngliche Wissen> <denkt nichts und macht
Welt verliert. Nie Bao verneint vehement, dass sein Weg in der «Leere» des Bewusst- nichts> (wu sua si wei 1!!\ii"Jr,~~),377 und es ist [zugleich] das natürliche helle (lichte) Ge-
seins ende, sondern sieht in dieser «Leere» der Substanz des «ursprünglichen Wissens» wahren (Wahrnehmen, Fühlen) (zi ran zhi mingjue ~ ?/.\zllJ.1 •)», 378 was bei ihm auch als
nur die zeitlich erste Etappe, deren anstrengende Zurücklegung den wirklichen «An- «helles Gewahren des Natürlichen» verstanden werden muss. Das «nichts denkende
trieb», das heißt die notwendige Voraussetzung und den ausreichenden Grund, für ein und nichts machende ursprüngliche Wissen» kann hier als «Mitte vor dem Entstehen
natürliches und damit gutes Handeln bereitstellt. Der direkte willentliche Ansatz der der Gefühle» verstanden werden; das «ursprüngliche Wissen» als «natürliches helles
ethischen Praxis bei den Funktionen des Herzens, beim Fühlen, Denken und Handeln Gewahren» als seine «Harmonie des Maßes nach dem Entstehen der Gefühle».
kann dagegen nur zu einem forcierten, das heißt nicht spontan aus der Substanz des

375 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 1, § 5, S. 460.


376 Zhi zhi yi lue, a.a.O., S. lb (Taipei 1970, S. 406); siehe oben, S. 577.
373 Zhi zhi yi bian, 1. Stück, Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 5b (Taipei 1970, S. 414); Wang Ji ji, 377 Anspielung auf den «Großen Anhang» des «Buches der Wandlungen», Teil I, Kap.10: «Das Yi ( das
Nanjing 2007,juan 6, S. 134; zitiert in Nie Baos Antwort, Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 11, S. 389. Prinzip der Wandlungen) denkt nicht, es macht nicht[ ... ].»
374 NieBaoji,Nanjing2007,juan ll,S.390. 378 A.a.O., S. 2a (Taipei 1970, S. 407); siehe oben, S. 578.
614 615

Wang Jis Kennzeichnung des «ursprünglichen Wissens» als «helles Gewahren Das <Verwirklichen des [ursprünglichen Wissens]> besteht nur im Verwirklichen von
des Natürlichen» ist vor dem Hintergrund von Wang Yangmings Aussagen zu ver- diesem. [... ] Wenn Sie nun sagen, dass das <allein \Vissen> (du zhi ~~) schon zum
stehen. Dieser schrieb 15 2 6 an Ouyang De: «Das <ursprüngliche Wissen> ist der Ort Bereich nach dem Entstehen der Gefühle und damit zum Sehen und Hören (du wen
der Kundgabe und des inspirierten Gewahrens des Ordnungsprinzips des Himmels lffilffl) gehört, und Sie deshalb eine leere und helle Substanz ohne Tätigkeiten suchen,
(tian li zhao ming lingjue chu ~W.aBaJHUi~)- Deshalb ist das <ursprüngliche Wissen> um aus ihr das Herrschende zu machen, in der Meinung, dass erst dies das Lernen
dasselbe wie das Ordnungsprinzip des Himmels.» 379 Und in seinem Brief von 1528 an der Rückkehr und des Wiederherstellens (gui fu zhi xue ilil~.z.~) sei, dann sind das
Nie Bao: «Das <ursprüngliche Wissen> ist ein Ort des natürlichen (spontanen) hellen noch nicht einsichtige vVorte.» 385
Gewahrens und Sichmanifcstierens des Ordnungsprinzips des Himmels (yi ge tian Als Beispiel eines «hellen Gewahrens (Fühlens) des Natürlichen» (zi ran zhi
li zi ran ming jue Ja xian chu -1~~W. § ~aJ.l~~JJ!,~).» 380 Das «helle Gewahren des mingjue § ~.z.aJ.I~) des «ursprünglichen Wissens» führt Wang Ji in seiner Gegen-
Natürlichen» ist also eine Kundgabe des «Ordnungsprinzips des Himmels» oder, was kritik an Nie Baas Kritik des vierten Abschnittes des «Abrisses» die spontanen guten
dasselbe ist, eine Kundgabe der «vom Himmel bestimmten Natur» des Menschen im Gefühle bei Mengzi an: «Die Lehre des verstorbenen Lehrers [Wang Yangming] vom
intentionalen Bewusstsein des «Liebens, Verehrens, Mitfühlens». Seine «Natürlich- <ursprünglichen Wissen> hatMengzis <ohne zu lernen und ohne zu überlegen> 386 zum
keit» oder «Spontaneität» meint seinen Ursprung in dieser «vom Himmel bestimm- Leitbild, denn es ist das vom Himmel bewirkte <ursprüngliche \Vissen> des Natürli-
ten Natur», seine «Inspiration» durch sie. Der gedankliche Ursprung des Ausdrucks chen (tian suo wei zi ran zhi liang zhi ~P.lr#Y § M.z.Bl9;□). Nur weil es das Ursprüngliche
«natürliches helles Gewahren» (zi ran zhi mingjue § ~;z.aJ.1~) ist wohl Cheng Haos des Natürlichen (Spontanen) ist (zi ran zhi liang § ~.Z.Bl), beruht es nicht auf Lernen
(1032-1085) Brief an Zhang Zai über die «Festigutig der (menschlichen) Natur». und Überlegen. Deshalb entsteht sein ,Lieben der Eltern> und <Verehren der älteren
Cheng IIao schreibt hier, dass die Grundübel, welche die Menschen daran hindern, Brüder> in Berührung mit dem <Antrieb [des Himmels]> (chu ji er Ja M~im~) und
das Dao zu befolgen, im Egoismus (zi si §;!ol,.) und in der berechnenden Schlauheit wird göttlich-geistig [von den <Dingen>] erregt und antwortet göttlich-geistig [auf sie]
(yong zhi ffl ~) liegen. Dieser Schlauheit stellt er das «natürliche helle Gewahren» ge- (shen gan shen ying ;)$~;)$»!). Nur weil es in Berührung mit dem <Antrieb des Him-
genüber: «Wenn man schlau berechnet, dann ist man nicht fähig, durch klares Gewah- mels> entsteht und göttlich-geistig erregt wird und göttlich-geistig antwortet, ist es
ren das Natürliche zu bewirken (bu neng yi mingjue wei zi ran ,f~~PJaJ.IJ!l~ § ~).» 381 das Ursprüngliche (Spontane) des Natürlichen, das nicht aufT ,ernen und Überlegen
In dieser Form entspricht der Ausdruck «helles Gewahren des Natürlichen» dem von beruht. Das Ursp1iingliche des Natürlichen (Spontanen) ist auch das im Lieben der
Wang Ji auch verwendeten Ausdruck «ursprüngliches Wissen des Natürlichen» (zi Eltern und im Verehren der älteren I3rüder Herrschende (zhu 3:.), es ist auch die Stille
ran zhi liang zhi § ~;z ßil~). 382 Der Genitiv in beiden Ausdrücken ist undifferenziert und Leere, [... ] es ist das, was der Himmel wirkt (tian zhi suo wei ~.Z.P.lr~). Wenn
sowohl im subjektiven als auch im objektiven Sinne zu verstehen. [nach Ihrer Kritik]3 87 darin [im Ursprünglichen des spontanen Erregtwerdens und
WangJi schreibt in seiner Gegenkritik an Nie Baos Kritik des ersten Abschnittes Antwortens] noch weiter eine Sache (ein Ding: wu ~) sein soll, die es beherrschen
des <,Abrisses>> über das «allein Wissen»: <<Gerade indem das <ursprüngliche Wissen> muss, und wenn man sich mit dieser Ursache des Herrschens beschäftigen soll, <um
das ist, was die <Mitte vor dem Entstehen der Gefühle> genannt wird, und vom Anfang ihr ursprüngliches Maß vollzumachen> (yi chong man qi hen ran zhi liang !-:;.l_3c;ilj§~*
her <nicht sieht und nicht hört> (bu du bu wen 1'1!\!Ff lffl) 383 und nicht erscheint (mo xian ~.Z.!i), 388 und wenn Sie mir das <ohne zu lernen und zu überlegen> als ein untätiges
mo xian 1:tJl1:t~), ist es [zugleich auch] das Gewahren der Substanz der menschlichen <Genießen von etwas schon Fertigem> (zuo xiang qi cheng ~~~f-iX) anlasten, geraten
Natur, das die Dinge erhellt und die menschlichen Beziehungen prüft (ming wu cha Sie da nicht in den Fehler des Ausmessens des Abgründigen und Verborgenen (ce du
lun c!iing ti zhi juc BJ.I ~m~~tt.111.zJ!l) und ist das Natürliche (Spontane) des Gewahrens yuan wei zhi guo j~~l3V.lllt~.z.illl)?>>389 Während Nie Bao das «ursprüngliche Wissen»
(jue zhi zi ran J!l.z. § ~), wodurch <aufgrund von Menschlichkeit und Gerechtigkeit wie eine quantitativ zu ihrem vollen Maß zu steigernde moralische Kraft des mensch-
gehandelt wird (you ren yi xing 13:11=~:fr)>. 384 Es ist zugleich erscheinend und verborgen, lichen Herzens sieht, ist es für Wang Ji ein immer vollkommener, unausmessbarer
zugleich sichtbar und unsichtbar, durchdringende Einheit [von <stiller Substanz> und «Abgrund», der sich im menschlichen Bewusstsein spontan im «hellen Gewahren»
<Funktionen aufgrund von Erregungen>] ohne Dualität (tongyi wu er ffi-~=). (... ] des Liebens und Verehrens, letztlich des Mithihlens, kundtut.

379 Chuanxi lu II, Nr. 169, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 72. 385 Zhi zhi yi bian, 3. Stück, Wang Longxi quanji (1822),juan 6, S. 8b-9a (Taipei 1970, S. 420f.); Wang]i
380 Chuanxi ltt Tl, Nr. 189, a.a.O., S. 84. ji, Nanjing 2007, S. 136.
381 1':r Chengji, / lrnrm Cheng shi wcnji,ju11n 2, Beijing 1981, S. 460. 386 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15.
382 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 2, § 3, S. 484. 387 Siehe oben im§ 5, S. 586.
383 Anspielung auf das erste Kapitel des Zhongyong: «Achtsam beim Nichtsehen, furchtsam beim Nicht- 388 Nie Baos wiederholt benutzte Formel für die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens».
hören», eine Stelle, auf die sich Nie Bao berufen hatte. 389 Zhi zhi yi bian, 5. Stück, Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. lla (Taipei 1970, S. 425); Wang ]i ji,
384 Anspielung auf Mengzi, 4. Buch, 2. Teil, Kap. 19, eine Stelle, auf die sich Nie Bao berufen hatte. Nanjing· 2007,juan 6, S. 135f.
I!
616 617

Nie Bao antwortet auf diese Gegenkritik, indem er dern «ursprünglichen Wis- te so nicht das Ursprüngliche seiner Natürlichkeit (Spontaneität) zur Fülle bringen
sen» irn Sinne eines aktuellen natürlichen Gewahrens den «Ursprung», die Ursache (chong qi zi ran zhi liang ft~ § ~.Z.ßl); das muss anerkannt werden. Wenn Sie aber
oder den Grund eines solchen Gewahrens gegenüberstellt: «Nur das Ursprüngliche meinen, dass das Ursprüngliche seiner Natürlichkeit (Spontaneität) nicht ausreicht,
(der Ursprung, das Gute: liang zhe l§lif) ist <Antrieb> des Natürlichen irn ursprüngli- urn das ethische I ,ernen zu verwirklichen, sondern dass rnan noch ein Etwas (Ding)
chen Wissen (liang zhi zi ran zhi ji l§l~ ~ ~.Zffi!). Ich weiß nicht, ob das, was ich jetzt suchen rnuss, das es beherrscht, und wenn Sie auch meinen, dass das Gewahren (jue
als das Ursprüngliche (den Ursprung, das Gute) bezeichne, und das spontane Lieben .fl) nichts von [der <Mitte] vor dern Entstehen der Gefühle> enthalte und auch nicht
und Verehren des Kleinkindes, ohne zu lernen und zu überlegen, das Gleiche sind (you als Stille bezeichnet werden könne, dann werden Sie die Menschen veranlassen, ihr
yi zhi xiang si ~- zfü112l). Wenn Sie [irn fünften Abschnitt des «Abrisses»] schreiben, natürliches (spontanes) Gewahren [auf ihre Meinungen und ihr Erfahrungswissen
dass es darum geht, die natürliche Norrn (tian ze k~tl) unseres ursprünglichen Wis- von Fakten] zu reduzieren und es zu bezweifeln (jiang shi ren bing qi zi ran zhi jzte er yi
sens ohne Fehler überall auf die Dinge anzuwenden, sind das schon verschlungene zhi OO:ße).__ 1tf.;t!t § ~.z.j!f ffii~.Z.). Das ist der Fehler, der beirn Zurechtbiegen von etwas
Verwicklungen (ge teng chan rao :§~~~), die zurn künstlichen Machen (ren wei ).__1tfi) Krurnrnern dieses in die entgegengesetzte Richtung verkrürnrnt (jiao wang zhi guo
gehören und nicht als etwas bezeichnet werden können, das aus der Natur hervorgeht 1!Hj@),»l94
(chu yu tian :±lM-3i:). Das Lieben der Eltern und das Verehren der älteren Brüder, das Hier kommt ein entscheidendes Motiv Wang Jis gegen Nie Baos Übergehen
göttlich-geistige Erregtwerden und Darauf-Antworten (shen gan shen ying :iill~flll!Jl) des «ursprünglichen Wissens» irn Sinne eines «natürlichen hellen Gewahrens» irn
ist das, was das <Buch der Wandlungen> das <Glück der kindlichen Ungebildetl1eit> aktuellen Bewusstsein aller Menschen zur Geltung. Er hatte diese Bedenken schon
(tong meng zhi ji ~~Za) nennt. 390 Das <Glück der kindlichen Ungebildetheit> hat gegen Nie Baos Kritik der Einleitung seines «Abrisses» erhoben: 395 Wenn rnan den
seinen Grund in (hen yu *M-) der reinen und einen <[Mitte] vor eiern Entstehen der Menschen kein «ursprüngliches Wissen>> als «natürliches helles Gewahren» in ihrem
Gefühle>, die sie beherrscht (zhu ::t.z). Wenn <der erwachsene Mensch sein kindliches aktuellen Bewusstsein zugesteht, entzieht man ihnen den Ansatzpunkt und die moti-
Herz nicht verliert (bu shi qi chi zi zhi xin 1' $'i;;t!t~r .z,t.,)>, 391 dann besteht dies auch vierende Grundlage für ihre ethische Selbstvervollkornrnnung.
nur darin, dass er seine reine und eine Substanz wiederhergestellt hat (fu qi chun yi
zhi ti ~;tttiß- ;z fffl). Da Sie nun zuvor <die Wahrheit> (cheng ~) als die Substanz des c) Jetzige Vollkommenheit versus jetzige Unvollkommenheit des
<ursprünglichen Wissens> betrachteten, so ist diese Substanz die herrschende Sache «ursprünglichen Wissens»
(das herrschende Ding) (zhu wu ::tWJ). Wenn ich mich rnit der Ursache des Herrschens Nach WangJi ist das «ursprüngliche Wissen» an sich immer vollkornrnen. Es ist nicht
beschäftige (cong shi suo zhu fJE~pJr::t), urn ihr ursprüngliches Maß vollzurnachen, so etwas, das vollkornrnen gemacht werden rnuss und in der Zukunft dann vielleicht
ist dies auch der gerade Weg der seltenen Heiligen (xi sheng zheng lu ~~:iEMI-). Wenn einmal vollkornrnen sein wird; es ist auch nicht etwas, das in einer entfernten Vergan-
[Siel schreiben, dass ich dabei den Fehler des Ausmessens [des Abgründigen und Ver- genheit einmal vollkornrnen war, aber es jetzt nicht rnehr ist, sondern es ist jetzt, in
borgenen] begehe, so ist dies ein Fehler.» 392 der aktuellen Gegenwart, vollständig. Und das heißt für ihn auch, dass es etwas ist,
Wang Ji gesteht zurn Abschluss seiner Gegenkritik an Nie Baos Kritik arn das in der aktuellen Gegenwart, irn aktuellen menschlichen Bewusstsein, in seiner
vierten Abschnitt des «Abrisses» wie in seiner Gegenkritik an Nie Baos Kritik arn Vollkornrnenheit zugänglich ist. Er schreibt arn Ende seiner Gegenkritik an Nie Baos
fünften Abschnitt 393 zu, dass die Mitglieder der Schule Wang Yangrnings, über deren Kritik der Einleitung seines «Abrisses»: «Herr, Sie schreiben, dass ich weiser sei als
schlechten Zustand Nie Bao seine «bittere Stirnrne» erhebt, das «natürliche Gewah- die anderen Menschen und dass ich daher natürlicherweise (zi lai § *) beirn <Lernen>
ren» des «ursprünglichen \Vissens» oft nicht zurn «Herrschen» bringen, da sie keine nur vom Urzustand des Hundun (hun dun zhu shcng i!'B)i!i;~JEt) 3'!6 sprechen würde, als
«Einsicht» in es haben und es rnit «Meinungen» und «angelerntem Wissen» (zhi shi es noch keine Verunreinigung und keine Verderbnis gab, und somit das Gegenwärtige
~~)vermischen.Aber dieses Faktum erlaube nicht, das «ursprüngliche Wissen» als als vollständig (yi xian zai wei ju zu ~!J/,1f~~JE) und das <nicht selbst künstlich Hand
«natürliches helles Gewahren» irn Bewusstsein aller Menschen zu negieren: «Das Anlegen> als wunderbare Einsicht betrachten würde (bu fon zuo shou wei miao wu ::flQ,f/&
Lernen des -Verwirklichens des ursprünglichen Wissens> in unserer Schule war nicht -=J=.~l&ffi'.). 197 Wie könnte ich so etwas auf mich zu beziehen wagen! Doch ich vermute,
fähig, in das Verborgene (Feine) [des <ursprünglichen Wissens>] einzutreten (bzt neng
ru wei 1'~A t'&), und konnte es nicht vermeiden, es rnit Meinungen und angelerntem
Wissen zu ergänzen und zu vermischen (chan ru yijian zhi shi :fiA:f;J!~~), und konn- 394 Zhi zhi yi bian, 5. Stück, Wtmg Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 11 b (Taipei 1970, S. 426); WangJi ji,
Nanjing 2007,juan 6, S. 138.
395 Siehe den folgenden Abschnitt c).
396 Das Hundun ist in der chinesischen Mythologie der undifferenzierte Urzustand der Welt. Sein «ers-
390 Yijing, Kommentar wm vierten Hexagramm, !vleng ~ («kindliche Unwissenheit»). tes Werden» ist die -xÖffnung» (Unterscheidung) von Himmel und Erde. \,V,mg·Ji hatte im zweiten
391 Mengzi, 4. Buch, 2. Teil, Kap. 12. Abschnitt seines «Abrisses» darauf Bezug genommen: Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 2a (Taipei
392 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, 394f. 1970, S. 407): siehe oben in diesem Kapitel,§ 5,Abschnitt a), S. 581, Anm. 238.
393 Siehe oben,§ 6, Abschnitt a). 397 Siehe oben im§ 5,Abschnitt a), S. 581; Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 11, S. 377.
618 619

dass die eigentliche Absicht Ihrer Rede dahin geht, dass der Urzustand des Hundun Wang Yangming hervorhob, dass nämlich die beschränkte konkrete Erfahrung eines
uns nicht zugehört (wu g;ui zhao 1!!l!Ui) und etwas ist, das die Verunreinigten und vollkommenen Teils des Wesens des ursprünglichen Wissens die Erfahrw1 g des gan-
Verdorbenen in ihren irrigen Meinungen nicht zu erkennen imstande sind (fei wu huai zen ursprünglichen Wissens ist, im Gleichnis gesprochen, dass der beschränkt sicht-
zhe suo yi wangyi erren 3~JSJlif JiJr1i'.~li:mi~). Was mich betrifft, so denke ich, dass im bare Himmel derselbe Himmel ist wie der «große weite Himmel» oder, wie Wang
Menschen das <Ursprüngliche Wissen> an sich nicht beschmutzt oder verdorben ist Ji eine Aussage seines Meisters wiedergibt, dass das kleine Bächlein das grenzenlose
(ben wu wu huai *1!1Usll). Selbst wenn es im höchsten Maße verdunkelt oder verdeckt Meer und der faustgroße Stein derTaihua-Berg ist. 403
ist (sui hun bi zhi ji i!Ul~L~), erlangt man das eigentliche Herz, wenn man fähig Nie Bao fährt fort: «Auch Ihr Gleichnis mit der Sonne und dem Mond scheint
ist, sich im einen Denken zurückzuwenden (gou neng yi nian zi fan,ji de ben xin i/{j"~ zu stimmen, tut es aber in Wirklichkeit nicht. Sie schreiben: <Es ist so wie bei der
-~ ~ &RPffl-*,t,,). 398 Es ist so wie bei der hellen Sonne und beim hellen Monde, die hellen Sonne und beim hellen Mond, die man dunkel nennt, wenn sie zufällig von
man dunkel nennt, wenn sie zufällig (akzidentiell, von außen hinzukommend: ou 11.Q) Wolken und Nebeln verdeckt werden; sobald sich die Wolken und Nebel öffnen, wird
von Wolken und Nebeln verdeckt werden; sobald sich die Wolken und Nebel öffnen, ihr helles Wesen (ihre helle Substanz: 404 ming ti IIJ.IH) sichtbar, es ist nie beschädigt
wird ihr helles Wesen (ming ti !lJ.I R) sichtbar, es ist nie beschädigt worden. Dieses [das worden. Dieses [das helle Wesen, die helle Substanz des <ursprünglichen Wissens>]
Wesen des <Ursprünglichen Wissens>] ist von Anfang an in allen Menschen jetzt voll- ist von Anfang an in allen Menschen jetzt vollständig; es ist [die Grundlage] einer
ständig (ci yuan shi ren ren xian zai ju zu J.tt~;!~:!JU'±J1!.JE); es ist [die Grundlage] einer auf natürlicher Begabung beruhenden ethischen Anstrengung; es macht möglich, dass
auf natürlicher Begabung beruhenden ethischen Anstrengung (ben ling gong fu *~ jeder ein Yao oder Shun werden, dass der gemeine Mensch ein Edler (jun zi ;g-T)
~~), die keine künstliche Manipulation ist (bu Jan zuo shou 1'~B-fl«::f.); es ermöglicht, werden kann. Wenn man das aufgibt, dann besteht kein Zugang und kein <Antrieb>
dass jeder ein Yao oder Shun399 [ d.h. ein Heiliger] werden, dass der gemeine Mensch mehr, der die Umwandlung [vom gewöhnlichen zum heiligen Menschen] zu bewir-
(xiao ren 1J, )....) ein Edler (jun zi ;g-T) werden kann. Wenn man das aufgibt, dann besteht ken vermag.> Auch das ist in der Theorie gesprochen (ci you shi lun daoli JltX~,iJ,1).
kein Zugang und kein <Antrieb> mehr, der die Umwandlung [vom gewöhnlichen zum Ich nenne Sie, verehrter älterer Bruder,405 seit dreißig Jahren406 Patron [der Schule]
heiligen Menschen] zu bewirken vermag (wu cong ru zhi lu ke bian zhi ji 1!1H~AL!l! i:iJ (cheng zu shi f/lH:!Ui!i); doch glauben Sie wirklich, dass Sie heute ein Edler geworden,
~Lffil). Deshalb denke ich nicht, dass die <WUnderbare Einsicht> (miao wu ;J>ffi) nur dass Sie ein Yao oder Shun geworden sind? Wie hätten Sie noch keine Zeit gefunden,
ein törichtes Selbstvertrauen von mir ist, und ich habe auch nie geglaubt, dass weniger um <im einen Denken sich zurückzuwenden und das eigentliche Herz zu erlangen
begabte Menschen dessen nicht fähig sind. 400» 401 (.yi nian zi Jan ji de ben xin -~ ~ &ftPf~*,t.,)>! Auch Sonne und Mond bedürfen, wenn
Nie Bao antwortete ihm: <«Im Menschen ist das <ursprüngliche Wissen> an sie von Wolken und Neben verdeckt werden, des bewegenden Donners und des ver-
sich nicht beschmutzt oder verdorben[ ... ]. Man erlangt das eigentliche Herz, wenn treibenden Windes, des wohltuenden Regens und der trocknenden Sonne; erst dann
man fähig ist, sich vom einen Denken her auf sich zurückzuwenden (.yi nian zi Jan ji lösen sich Wolken und Nebel auf. Es kommt selten vor, dass aus einem Törichten ein
de ben xin -~ ~ &ftPf~*,t,,).> Wenn es wirklich so wäre [wirklich so gemacht würde], Verständiger und aus einem Schwachen ein Starker wird, so dass er vielleicht als ein
dann wäre es tatsächlich auch wahr (shi ze shi you ci li ~fl.U~~J.ttJ,1); aber bloß davon Menschlicher und Weiser gelten kann, wenn er nicht in großer Not nachdenkt und
zu sprechen, ist zu leicht. Wenn man mit vielen einzelnen hellen Erscheinungen· [des seine Anstrengungen verhundertfacht (kun xin heng lü, bai bei qi gong 111s),t,,ij')a~11Ut
<Ursprünglichen Wissens>] (zhao zhao zhi duo DB DB z~) die weite unendliche Substanz J;b). Wenn man meint, dass das <im einen Denken sich Zurückwenden> (.yi nian zi Jan
[des <ursprünglichen Wissens>] erfassen will (gai guang da wu qiong zhi ti ffi/J!i*AA~ -~ ~ &) der Beginn eines Voranschreitens ist (jin wei zhi duan ~~ Z~), dann kann es
z H), dann kann man den Seufzer im Anblick des grenzenlosen Meers oder den Spott angehen.»407 Nie Bao kann in WangJis «Rückwendung im einen Denken» allenfalls
über denjenigen, der durch ein kleines Röhrchen [den ganzen Himmel] erspähen einen bloßen ersten Schritt in einem mühsamen allmählich fortschreitenden Prozess
will, nicht vermeiden.»402 Nie Bao stellt hier gegenüber Wang Ji in Frage, dass die der Wiederherstellung der großen und weiten Substanz des <<Ursprünglichen Wis-
«Rückwendung» in einzelnen beschränkten Erscheinungen oder Manifestationen des sens» sehen, während für WangJi diese «Rückwendung» in einem einzelnen «einen
ursprünglichen Wissens im aktuellen Bewusstsein ausreicht, um die ganze unendliche Denken» «eins und alles» ist, nämlich die «einsichtige» Vereinigung mit dem immer
«Substanz» des «ursprünglichen Wissens» zu erfassen, stellt also in Frage, was schon vollkommenen «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens». Doch damit sagt

398 Zum Gedanken der Rückwendung auf sich selbst im einen Denken siehe oben in Kapitel 2 den § 5. 403 Siehe oben in Teil I das Kap. 4, § 2, S. 244ff.
399 Zwei Könige des vordynastischenAlterrums, moralische Idealfiguren der Konfuzianer. 404 Wang Ji versteht «ti llll» hier als eigentliches Wesen, während Nie Bao dabei an die Substanz denkt.
400 Das betrifft kritische Einwände Nie Baos, die oben im§ 5, S. 581, zitiert wurden. 405 Höfliche Anrede, in Wirklichkeit war Wang Ji elfJahre jünger als Nie Bao.
401 Zhi zhi yi bian, 1. Stück, Wang Longxi quan ji (1822),juan 6, S. 6b (Taipei 1970, S. 416); Wang Ji ji, 406 Wohl seit 1531, als sich Nie Bao in Suzhou in Gegenwart von Wang Ji und Qian Dehong offiziell
Nanjing 2007, S. 134. zum Schüler Wang Yangmings erklärte: siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 523.
402 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 391. 407 Nie Baoji, Nanjing 2007,juan 11, S. 391.
II

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Wang Ji auch, dass für diese «Einsicht» eine solche «Rückwendung» notwendig ist Kapitel 4
und dass somit in unserem menschlichen Bewusstsein das jetzt vollständige «ur-
sprüngliche Wissen» nicht einfach als etwas «bereits Fertiges» vorhanden ist. Die Diskussionen zwischen Luo Hongxian und Wang Ji: Ist das
In dieser Konfrontation kommt der tiefste Gegensatz zwischen Wang Ji und gegenwärtige «ursprüngliche Wissen» vollständig, oder
Nie Bao zur Sprache: Während Wang Ji in seiner ethischen Anstrengung auf den braucht es dazu die Anstrengung des «Sichzurückholens und
Glauben und die «Einsicht» in das jetzt im menschlichen Herzen gegenwärtige, Gesammeltbleibens»?
wenn auch meistens verhüllte vollkommene «ursprüngliche Wissen» setzt und in ihm
den «Zugang» (die Ermöglichung) und die «Antriebskraft» für die Umwandlung zu
einem heiligen Menschen sieht, legt Nie Bao für diese Umwandlung alles Gewicht § 1 Das Leben Luo Hongxians1 und seine Begegn~ngen mit Wang Ji
auf die willentliche und methodische Anstrengung in der Ausbildung der «leeren
Substanz des ursprünglichen Wissens» durch die Ruhe. Auch für Wang Ji ist mit dem Luo Hongxian & 5J\:.$t (Beiname: Nian'an ~.fll) wurde im 17. Jahr der Hongzhi-Ära
Glauben und der Einsicht in das vollkommene «ursprüngliche Wissen» nicht schon am 14. Tag des zehnten Mondes oder am 14. Tag des elften Mondes (20. November
alles in Ordnung, aber sie sind die eigentliche Ursache dafür, dass man in dem «dem oder 20. Dezember 1504)2 im Weiler Huangchengxi iUl,i im Gebiet des Dorfes
Himmel nachfolgenden Lernen» die dieses «Wissen» verdeckenden «Wolken und Pangu ä~, etwa dreißig Kilometer nordwestlich der Kreisstadt Jishui a 7.l<, in der
Nebel» zu entfernen vermag. Präfektur Ji'an a~J& der ProvinzJiangxi geboren. Er war der älteste von drei Brü-
dern; seine beiden Brüder waren seine Halbbrüder, sie waren Kinder einer Nebenfrau
seines Vaters Luo Xun fl (1464-1533). Dieser war vierzig Jahre älter als sein Sohn,
hatte 1499 das höchste Staatsexamen bestanden und war im Kriegsministerium in
Peking oder Nanking und als Vizekommissar in der Provinz Shandong tätig. Luo
Hongxian schreibt über seine Familie: «Unsere Familie ist seit zehn Generationen
an Einkünften arm und hat keinen besonderen Besitz. Seit mehr als zehn Generatio-
nen sind wir Beamte, sind als Gelehrte tätig und haben keine anderen Berufe. Mein
verstorbener Vater erhielt während dreizehn Jahren ein Beamtengehalt, doch danach
blieben ihm keine Ersparnisse übrig.»3 Luo Hongxian gehörte also wie Nie Bao
nicht zum reichen Landadel, aber auch er besaß etwas Land. 1553 schrieb er an Nie
Bao: «Ich besitze etwas mehr als hundert mu [ungefähr sechs Hektar] karges Land;
die jährlichen Ernten reichen für den Reisbrei.»4 Verwandte von ihm sollen auch als
Kaufleute tätig gewesen sein. 5
1518, als er vierzehnJahre alt war, hörte er von Wang Yangming, der damals
in Ganzhou im Süden der Provinz tätig war, und wollte zu ihm gehen, um bei ihm

Ich stütze mich bei dieser Biographie weitgehend auf den Artikel von Stanley Y. C. Huang im DMB,
S. 980b-984a, und vor allem aufWu Zhens «Lebenschronik» (Nianpu) von Luo Hongxian in seinem
Werk von 2001, S. 332-363.
2 Hu Zhi ffl ][ in seinem «Lebenslauf» von Luo Hongxian und XuJie in seiner «Grabinschrift» für Luo
Hongxian geben als Geburtsdatum den 14. Tag des zehnten Mondes an. Dagegen schreibt Wang Ji in
seiner Luo Hongxian zu dessen achtundfünfzigstem Geburtstag gewidmeten Schrift über ihre Gesprä-
che in Songyuan, dass er im mittleren Wintermond, das heißt im elften Mond (nach Luo Hongxians
eigener Angabe am 7. Tag dieses elften Mondes) in Songyuan eintraf, mit Luo Hongxian Gespräche
führte und einen Bericht über diese Gespräche Luo Hongxian zu seinem Geburtstag am 14. Tag dieses
Mondes schenkte. Srmgyuan wu yu sb01, Nian'an Luo zhang, Ulang Longxi quan ji (1822),juan 14, S. 22b
und S. 24a-b (Taipei 1970, S. 990 und S. 993f.); Ulang]iji, Nanjing 2007,juan 14, S. 392f.
3 «Abschiedsworte für Jinghai, den jüngeren Bruder von Suifu», Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, juan
15, S. 654f.; Luo Nian'an wenji,juan 6, S. 2b; zitiert bei Wu Zhen 2001, S. 175.
4 «An Shuangjiang [Nie Bao]», Luo Hongxian ji, Nanjiµg 2007,jztan 6, S. 189; Luo Nian 'an wen ji,juan
4, S. 50a; zitiert bei Wu Zhen 2001, S. 176.
5 WuZhen2001,S.176.
622 623

zu lernen, doch sein V1ter, der sich sehr um seine Erziehung kümmerte, erlaubte es He und Huang unterwegs getroffen habe. 11 Er blieb mit ihnen bis zu ihrem Tod in
nicht. Auch später traf er \Vang Y1ngming nie persönlich. 1518 erschien zum ersten Verbindung und schrieb für beide die «Grabinschriften». 12 In Peking nahm er 1529
Mal dessen Chuanxi lu, das dem ersten Teil des heutigen Chuanxi lu entspricht. In Luo an Versammlungen teil, die von prominenten Schülern Vi!ang Yangmings, vor allem
Hongxians «Lebenslauf» steht darüber: «Er lieh es sich sofort aus und schrieb es ab; von Xue Kan, dem Herausgeber der ersten Fassung (1518) des Chuanxi lu, und von
sn1dierte es und vergaß dabei seinen Schlaf.»6 Luo Hongxian selbst bemerkte um 1548 Ouyang De, der damals wie Xue in Peking als Beamter tätig war, zur Propagierung der
in einem Brief über sein Studium von Wang Y·mgmings Lehre: «Als ich dreizehn, Lehre ihres Meisters org,misiert wurden. 13 Nach den höchsten Staatsexamen wurde er
vierzehn Jahre alt war, sah ich das Erscheinen des Chuanxi lu, wusste dadurch um den Kompilator von Texten in der Kaiserlichen Hanlin-Akaclemie in Peking. Anfang 153 ()
letzten Zweck des Lernens und fasste Vertrauen darauf. Tn der Folge habe ich mich bat er um Urlaub, um nach Hause zurückzukehren und für seinen kranken Vater zu
seit über dreißig Jahren weiterhin mit seiner Lehre befasst, aber ich habe sie noch sorgen. Auf dem Heimweg auf dem Großen Kanal erkrankte er und blieb mehrere
nicht wirklich erlangt (shrmg weiyou de r/;l*1H~).» 7 Im Herbst 1525 bestand er die Monate in Yizhen 1i~ (heute Yizheng {ifiE) am Nordufer des Y·mgze-Flusses bei
Provinzexamen (juren). Im Jahr darauf begann er auf Befehl seines Vaters mit dem Yangzhou. Vor dort aus besuchte er in 'nüzhou \Vang Gen und in Suzhou Nie Bao,
Unterricht bei Li Zhong *q:i (Beiname: Guping ~SJl, 1478-1542). Dieser stammte der damals dort Präfekt war. Während er Wang Gen spiiter nur noch ein Mal treffen
wie Luo Hongxian aus dem Kreis Jislmi. 1514 hatte Li Zhong die höchsten Staatsex- sollte, nämlich im Januar 1540, ein Jahr vor dessen Tod (siehe unten), blieb er mit dem
amen bestanden und soll 1519 an Wang Yangmings Niederschlagung des Aufstandes siebzehn Jahre älteren Nie Bao in enger Verbindung. Nachdem er das Jahr 1531 zu
des Prinzen Ning in Jiangxi teilgenommen haben. Er war mit Wang Yangming und Hause im KreisJishui verbracht hatte, kehrte er Anfang 1532 wieder auf seinen Posten
auch mit dessen Freund Zhan Ruoshui in Kontakt und diskutierte nach einem an Zou nach Peking zurück. Dort hatte er Kontakt mit weiteren Schülern Wang Yangmings,
Shouyi gerichteten Brief von 1534 mit Wang Yangming wiederholt über die «Gleich- mit Qian Dchong und vor allem mit Wang Ji. Diese beiden weilten im Frühjahr
heit und Verschiedenheit der Lehren», das heißt wohl der Lehren von Zirn Xi und 1532 in Peking, um dort die höchsten Staatsexamen abzulegen. \Vang Ji muss damals
von l,u Jiuyuan (Xiangshan, 1138-1191) bzw. von Wang Y~mgming. 8 Luo Hongxian Luo Hongxian, der sechs.Jahre jünger war, außerordentlich beeindruckt haben. Luo
war kein Schüler und wohl auch kein Anhänger WangYangmings, hatte aber dennoch schrieb da1iiber dreißig Jahre später: ,<Ich erinnere mich an das Zusammenwohnen
Kenntnisse von dessen Lehre. Er durchlief keine bedeutende Beamtenlaufbahn,9 son- mit dem Edlen [Wang.Jij ini.J,1hr ren chen [= 1532]. In jener Zeit jagte sein Geist nichts
dern scheint hauptsächlich als privater Lehrer tätig gewesen zu sein. Äußerlichem nach, sondern suchte nur das Dao; ich hatte noch keinen gesehen, der
Im Winter 1528/29 reiste Luo Hongxian nach Peking und bestand dort im ihm gleichkam. In der Folge habe ich mich ihm, ohne zu zweifeln, anvertraut.» 14 Die
Frühjahr 1529 mit nur vierundzwanzig Jahren als Bestklassierter die höchste Staats- zwei in ihrem Charakter und Denken so verschiedenen Yi1ngming-Schüler Wang .Ji
prüfung. Dieser erste Aufenthalt in Peking war für ihn eine Gelegenheit, mit meh- und Nie Bao, die Luo Jiongxi:m 1530 und 1532 kennenlernte, als er sechsundzwanzig
reren Schülern \Vang Yangrnings Kontakte aufzunclunen. Schon auf dem Weg in bzw. achtundzwanzig Jahre alt war, bildeten wiihrend der folgenden Zeit die beiden
die Hauptstadt lernte er die beiden hervorragenden Schüler Wang Yangmings He Pole, in deren Spannungsfeld sich Luo Hongxians philosophisches Denken und Le-
Tingren fii1~1= (Beiname: Shanshan ~111, 1486-1551) und Huang Honggang :iU1~ ben bewegte. Wang Ji und Luo Hongxian, die in verschiedenen Provinzen ungefähr
(Beiname: Luocun ~:W, 1492-1561) kennen, die beide aus dem Kreis Yudu ~,m (heute achthundert Kilometer voneinander entfernt wohnten, trafen sich später noch min-
«'f tß» geschrieben) der Präfektur Ganzhou im Süden der Provinz Jiangxi stammten destens sechs Mal: im Winter 1539/40 im Gebiet von Nanking, im Frühling 1546 im
und dort 1517/18 und später auch in Shaoxing bei Wang Yangming studiert hatten. 10 direkten Verwalnmgsgebiet von Nanking (heute Provinz Jiangsu), im Sommer 1548
Luo Hongxian berichtet in seiner «Grabinschrift» für He Tingren, dass jemand ihm in der Provinz Jiangxi, im Sommer 15 54 wiederum in der Provinz Jiangxi, in Frühjahr
zuvor auf seiner Reise gesagt habe, dass nun (nach Wang Yangmings Tod) in der Pro- 1555 im Norden der Provinz Huguang (heute Provinz Hubei) und im Dezember
vinz Jiangxi He Tingren und Huang Honggang und in der Provinz Zhejiang Qian 15 62 in Luo Hongxians Heimatkreis Jishui in der Provinz Jiangxi. Nie Bao und Luo
Dehong und Wang Ji die Lehre Yangmings erörterten und dass er dann kurz darauf Hongxian waren in derselben Provinz in benachbarten Kreisen (Yongfeng undJishui)
der Präfektur Ji'an ansässig und hatten oft Gelegenheit, sich zu sehen.
Im Sommer 1533 vernahm Luo Hongxian die Nachricht vom Tod seines Vaters
und kehrte wiederum nach Hause zurück. Er blieb dort für die Trauerriten. 1535
6 Nach dem «Lebenslauf>> (Xing zhuang) Luo I-Iongxians verfasst von seinem Schüler Hu Zhi (Beiname:
Lushan), Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, Anhang I, S. 13 77.
7 «An Zhang Xuye ~ ~ir», Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, juan 6, S. 415.
8 WuZhen2001,S.177. 11 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 20, S. 796.
9 1530 war er Beamter in I-Iangzhou, wo ihn Luo I-Iongxian besuchte. 12 A.a.O., S. 796-798, S. 801-803.
10 Siehe Cbuanxi hi III, Nr. 260. Zu I-Iuang I-Ionggang und He Tingren siehe Luo Hongxians «Grab- 13 Wang Longxi quanji (1822),juan 20, S. 67b (Taipei 1970, S. 1506); siehe oben in der Einleitung zu
inschriften» für sie: Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, S. 796ff. und S. 801ff.; MRXA,juan 19, Beijing diesem Teil II den § 1, S. 277.
1985, S. 449-452 und S. 452-457. 14 Shu Wang Longxijuan, Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 15, S. 663.
624 625

starb auch seine Mutter. Er hatte damals in seiner Heimat Kontakte mit Nie Bao und an den Thron ein, in denen sie vorschlugen, dass der Thronnachfolger am Neujahr
L".ou Shouyi. 15 37 studierte er das «Surangama-Sutra» (Leng yan jing ffl~~), das die die Beamten zu Audienzen empfangen könne, wenn der Kaiser selbst aus Gesund-
«Buddha-Natur» als in jedem Menschen vorhandene <<fundamentale Erleuchtung» heitsgründen daran verhindert sei. Der Kaiser war darüber erzürnt und ließ alle drei
(ben jue ~11) versteht. 15 Im selben Jahr besuchte er Nie Bao im Cuiwei-Gebirge in Gesuchsteller von ihren Posten absetzen, von den Beamtenlisten streichen und zu
der Präfektur Ganzhou, wohin sich dieser damals für einige Monate zurückgezogen gewöhnlichen Leuten degradieren. Darauf zog Luo Ilongxian sich wieder in seine
hatte, 16 und blieb fünf Tage bei ihm. Aber die von Nie Bao in jenem Jahr neu aufge- Heimat zurück. Danach trat er nie mehr eine Beamtenstelle an, auch nicht, als ihm
stellte Lehre von der «Rückkehr zur Stille» vermochte ihn noch nicht zu überzeugen. nach siebzehn Jahren (1558) wieder eine solche angeboten wurde. Während seines
Erst 1539 nahm er wieder eine Beamtenstelle als assistierender Sekretär im Amt für ganzen Lebens war er, der als Primus aus den höchsten Staatsp1iifungen hervorge-
die Kontrolle des Unterrichts in Peking an. Er verließ am 18. Tag des siebten Mondes gangen war, keine drei Jahre lang als Beamter tätig.
(1. September 1539) Jishui und traf am 7. Tag des zehnten Mondes (18. November) Als Konfuzianer fühlte sich Luo Hongxian auch ohne Beamtenstelle weiterhin
in der Poststelle Longtan, fünfzig Kilometer östlich von Nanking, ein. Er hielt sich dem Staat verpflichtet. Er befasste sich wohl schon seit seiner Absetzung imJahr 1541
dann zweieinhalb Monate bis zum 28. 'lag des zwölften Mondes (6. Februar 1540) im auch mit der Herstellung von geographischen Karten, die der Staat zur Organisati-
Gebiet von Nanking auf, um dort mit verschiedenen hervorragenden Gelehrten, vor on seiner Verteidigung gegen die Angriffe der Seepiraten an den Küsten im Osten
allem mit WangJi, der dort als Beamter im Kriegsministerium tätig war, und auch mit und Süden und der Mongolen im Norden und Nordwesten sowie gegen Aufstände
Wang Yangmings Freund L".han Ruoshui zu sprechen. Vor seiner Weiterfahrt auf dem im Inneren benötigte. Er samn1elte während drei er Jahre Unterlagen, fand zufällig
Großen Kanal Richtung Peking besuchte er in Anfengchang ~ !I.~ im Kreis L'lizhou, die sieben mal sieben chinesische Ii'uß große geographische Karte Chinas (Yu di tu
ungefähr hundertfünfzig Kilometer östlich von Nanking, auch Wang Gen, den er vor ~itllll1!1) des daoistischen Mönchs und Ceographen aus der Nlongolenzeit Zirn Siben
zehn J ,1hren persönlich kennengelernt hatte. Während zweier Tage sprach er mit ihm $j,;J[t2js: (12 73-133 3), 19 ergänzte und erweiterte sie und ließ schließlich (wahrscheinlich
allein, und an einem dritten Tag besuchte er ihn zusammen mit einer Gruppe von erstmals 15 5 5) ein Werk von ungefähr vierzig Haupt- und achtundsechzig Nebenkar-
vVang Gens Schülern. Wang Gen war seit 1538 krank und empfing Luo Hongxian an ten in vier Biinden unter dem Titel Gurmg yu tu ~~ll1!1 («Erweiterte geographische
seinem Krankenlager. Er starb noch im selben Jahr dieser Begegnung. Karten») drucken. Dieses wurde 1558, 1561, 1566, 1571 und auch später, bis 1799,
Diese Begegnungen, besonders die Gespräche mit Wang Ji, hat Luo Hong- immer wieder neu aufgelegt und verändert und blieb bis in die ersten Jahrzehnte
xian tagebuchartig in seinen «Aufzeichnungen von der Winterreise» (Dong you ji der Qing-Dynastie eines der wichtigsten Kartenwerke Chinas. 20 Luo Hongxian gilt
.:¾)}J1~e,) fcstgehalten.17 Aus ihnen ist ersichtlich, dass er im November 1539 und Januar als einer der bedeutendsten Geographen Chinas. 21 Nicht nur als Kartograph war er
1540 mindestens fünf Mal, zum Teil während mehrer 'TI1ge, innerhalb und außerhalb nach seiner Absetzung tätig; er setzte sich auch in privater Initiative vom Sommer
der Stadt Nanking Wang Ji traf. Es ging in ihren ausführlichen Gesprächen um die 1562 bis Anfang 1563 für eine gerechtere Steuer- und Frondienstordnung in seinem
menschlichen Begierden und um die Güte der menschlichen Natur, um Daoismus HeimatkreisJishui ein. 22
und Buddhismus, um die «Meinungen» (zhi jian ~Ji), die das «ursprüngliche Wis- Am meisten lag ihm aber die Lehre Wang Yangmings und sein persönliches
sen» verdecken, und um das «direkte Herz und die direkte Intention» (zhi xin zhi yi ethisches «Lernen>> am Herzen. Er hatte schon 1542 wieder Kontakte mit Zou Shouyi
J[,t,,J[~), durch die sich der Mensch von seinen Meinungen freimacht, und anderes. und Nie Bao, die in diesem Jahr nach Hause in die Präfektur Ji'an zurückgekehrt
In diesen Aufzeichnungen meldet Luo Hongxian keine grundsätzlichen Meinungs-
verschiedenheiten zu den Auffassungen von Wang Ji an, der in diesen Gesprächen
eindeutig den Ton angibt. Luo Hongxians Aufzeichnungen seiner Gespräche mit
19 Zu Zhu Siben siehe Cihai, Shanghai 1979, S. 187b.
Wang Gen haben wir oben in der Einleitung zu diesem Teil II im Abschnitt über 20 Es war das erste chinesische Kartenwerk, das nach Provinzen aufgeteilt war. Die vierzig Hauptkarten
Wang Gen zitiert. 18 der Ausgabe von 1558 sind sechzehn Provinzkarten, sechzehn Karten der Grenzgebiete, drei Karten
In Peking angekommen, blieb er auch dieses Mal nicht lange auf seinem Beam- des Großen Kanals und drei Karten von Meeresstraßen. Die Nebenkarten enthalten administrative
Einteilungen, Berechnungen von Steuern des Ackerlandes und anderes. Wie die Karte von Zhu Siben
tenposten. Zu Beginn des Jahres 1541 reichte er gleichzeitig mit dem Zensor Tang sind auch diejenigen von Luo in ein Netz von Quadraten eingespannt. Siehe dazu Needham,Joseph:
Shunzhi f;)j Jilitz (Beiname:Jingchuan wiJII, 1507-1560) und einem anderen Mitglied Science and Civilisation in China, Vol. III, Cambridge 1959, S. 552; den Artikel von Stanley Y. C. Huang
der Hanlin-Akademie, mit denen er freundschaftlich verbunden war, Bittschriften im DMB, S. 982, und seine bibliographischen Angaben, S. 984; die Angaben von Wu Zhen in seinem
Werk von 2001, S. 387f., sowie Liu Renyuan IH=~ ::t~, .illlixft.ffi'it («Übersicht über die Kultur
von Luling [=Ji'an]»), Beijing 2003, S. 60f.
21 In einem zeitgenössischen Werk über die Kultur vonJi'an inJiangxi ist er nicht nnter dem Titel eines
15 Vgl. oben in Teil I, Kap. 3, § 3, S. 205ff. konfuzianischen Denkers, sondern unter demjenigen eines Geographen angeführt und vorgestellt.
16 Siehe oben in Kap. 3, § 1, die Biographie von Nie Bao, S. 523f. Nur am Schluss des Artikels wird noch seine Bedeutung als Philosoph erwähnt: Liu Renyuan IH=~
17 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 53-64; Si ku quan shu, Nian'an wenji,juan 5. ::t~, !fllli)tft.ffi'it («Übersicht über die Kultur von Luling [=Ji'an]»), Beijing 2003, S. 60[.
18 Siehe oben, S. 338f. 22 Siehe unten in diesem Kapitel den§ 9.
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waren. Zou Shouyi blieb hier ununterbrochen bis zu seinem Tod im Dezember 1562; Luo Hongxian in den folgenden Jahren immer wieder in die Stille zurück, empfing
Luo Hongxian besuchte ihn 1542, 1546 und 1550 in seiner Fugu-Akademie, einen hier aber auch Schüler un<l Gäste.
Kilometer südlich von Anfu. Nie Bao kehrte 1543 wieder für etwa ein Jahr auf einen Im Sommer 1548 kamen WangJi und Qian Dehong nachJiangxi, hauptsächlich
Beamtenposten in den Norden Chinas zurück und blieb danach von 1544 bis zu seiner um an einer Versammlung der Anhänger Wang Yangmings der Präfektur Ji'an im
Verhaftung Ende 1547 in seiner Heimat im Nachbarkreis von Luo Hongxian. Mit Qingyuan-Gebirge teilzunehmen. Wang Ji war über die Kreisstadt Jingxian in der
Ouyang De traf er sich 1542 in einer Versammlung der Y-ingming Schüler aller neun Präfektur Ningguo $i1 im Süden des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking
Kreise <ler Präfektur Ji'an im Qingyuan-Gebirge, die von Zou Shouyi geleitet wurde. (heute zur Provinz Anhui gehörig) gereist. Er hatte sich dort im mittleren der drei
Im Frühling 1546 traf er Wang Ji in Piling lllltll.i (Gebiet von Changzhou m,j,M in der Frühlingsmonde des Jahres wu shen (März/April 1548) aufgehalten und die Anregung
heutigen Provinz Jiangsu). 23 zu regelmäßigen Versammlungen der Yangming-Anhänger der Präfektur Ningguo
Nie ßaos Haltung während seiner Verhaftung Ende 1547 scheint auf Luo in den buddhistischen Klöstern von Shuixi 71<~ beiJingxian gegeben. 26 VonJingxian
Hongxim1 großen Eindruck gemacht zu haben. Er schrieb 1550 im ersten Vorwort an begleiteten ihn zwei Personen aus der Präfektur Ningguo, Gong Anguo ~ 3i:il
zu Nie Baos «Aufzeichnung über die Unterscheidungen in der Not» (Kun bian lu): (Großjährigkeitsname: Xuanlüe :t:~), der schon um 1525 ein Schüler Zou Shouyis
<,Im Jahr gui nuto fl 543] hörte ich vom Edlen Huang Luocun [Huang Honggang, in Guangde gewesen war, und vVang Jifu ::E ~*
(Beiname: Ruzhou ~:%). Auf der
1492-15 61], dass der Herr [nämlich Nie Bao] sagte, dass man das Hauptgewicht auf Weiterreise stieß auch Qian Dchong zu ihnen. Luo Hon1:,rxian fuhr ihnen von Jishui
die Stille legen müsse; ich hatte daran im Herzen meine Zweifel. Vier Jahre später, aus in den Norden der Provinz entgegen und traf sie nach langem Suchen am 2. Tag
im Jahr ding wci [1547], wurde der Herr verhaftet. Ich begleitete ihn bis zur Grenze des sechsten Mondes (6. Juli) auf dem Schiff auf dem Gan-Fluss bei Fengcheng,
[der Präfektur .J i' an oder der Provinz Jiangxi?]. Beim Abschied musste ich meine 'lrä- etwa hundertfünfzig Kilometer nördlich von Jishui. Am nächsten 'Tag besuchten sie
nen verbergen. Der Herr sagte: <Üh, ich werde damit selbst fertig und bringe damit etwa fünfzig Kilometer 11ussaufwiirts in der Präfektmstadt T,injiang lffiiil. den Schüler
Ihnen, meine Herren, keine Bitterkeit.> Sein Ausdruck war natürlich und gelöst, seine Wang Yangmings aus Shaoxing Zhang Yuanchong ~ji',5.p (Beiname: Fufcng ~~,
Stimmung (qi ~) war friedlich und sein :Herz tief und ursprünglich (yuan ran er su 1502-1563), der dort Beamter war. 27 Luo Hongxian schreibt, dass er diesem Besuch
;J#l~rfü~). Von da an kannte ich den Herrn besser.>>24 nicht ausweichen konnte und dass Zhang seine «alte Haltung kannte». 28 Er hatte
Im Spiitherbst 1546 richtete Luo Hongxian für sich als Ort stiller Zurückgezo- ihn 1540 in Peking kennengelcrnt. 29 Wahrscheinlich hatte er mit ihm Differenzen
genheit <lie «Steinlotus-Höhle» (Shiliandong 1:i~51lll) ein. Diese Höhle liegt auf dem politischer Art über den Staatsdienst unter einem schlechten Herrscher. Am 8. Juli
Gebiet des Dorfes Futian ~EE, des westlichen Nachbardorfes seines Heimatdorfes fuhren sie auf dem Fluss weiter südwärts und gelangten zwei 'fage später nach Xia-
Pangu, etwa fünfzehn Kilmneter vom Weiler Huangchengxi entfernt, wo er seinen jiang ~il., von wo aus Luo seine Gäste auf dem Landweg in seine «Stcinlon1s-Höhle»
festen Wohnsitz hatte. Sie befindet sich ganz abgelegen am Südfuß eines Bergzuges führte: «Am 7. 'lag [11.Juli] eilten wir von Yuxia ::E:~ [wohl das heutige Xiajiang ~5I
und erweckt den Eindruck, dass sie einst durch große, vom Berg herabstürzende am Gan-Fluss] zum Steinlotus. In der grausamen Hitze betraten wir das Felsenhaus.
Felsbrocken gebildet wurde. Luo Hongxian bezeichnete sie als ein «Felsenharn;» (shi In Haaren und Knochen (im Äußern und Inneren unseren Leibes) fühlten wir uns
shi 1:i~). Ihren Namen hat sie vielleicht daher, dass diese Felsbrocken für ein chine- befreit und konnten nicht anders, als uns unterhalb des Pavillons des Gedenkens an
sisches Auge und seine Phantasie eine riesige Lotusblüte bilden. 25 Hierhin zog sich

23 Luo Hongxian schreibt nach 1548: «Drei Jahre, nachdem ich mich von Meister Wang IJi] verab- jetzt eine Mittelschule (Shilian zhongxue ijffiq,IJ!) für die Dörfer der Umgebung. Es sind auch noch
schiedet hatte, traf ich ihn wieder in Qingyuan (nämlich im Sommer 1548] .» Zeng Wang Longxi xu, die Ruinen und Fundamente alter Gebäude sichtbar, die einmal eine «Akademie» (Shuyuan) waren,
Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 13, S. 603. Wang Ji schreibt in seiner Grabinschrift (mu zhi ming aber wohl aus der Zeit nach Luo Hongxian stammen. Die Höhle besteht aus mehreren Kammern,
;l;~jg) für den 1553 verstorbenen Qi Xian (Beinamen: Nanshan und Nanxuan), der ein Mitglied in denen man aufrecht herumgehen kann. Bei meinem Besuch lagen im Hauptraum der Höhle
der Schule war und mit dem sowohl Wang Ji als auch Luo Hongxian persönlich befreundet waren: zerschlagene Steinfragmente, wohl von daoistischen Gottheiten, herum. Auf einem Felsbrocken,
«Im Frühling des Jahres hing wu (1546) hat Nian' an [Luo Hongxian] wiederum den Edlen [Qi Xian] der mit anderen zusammen das Dach der Höhle bildet, steht ein kleiner daoistischer Tempel mit der
besucht. Der Edle hat ihn nach Piling begleitet. In der Folge kam es zu einem Treffen von zehn Tagen Aufschrift «Kleines Penglai» (Penglai ist eine Insel der Unsterblichen im «Ostmeer»). In ihm traf ich
mit mir und Xingchuan [Tang Shunzhi, 1507-1560], Luyuan !ffi[llll, Chen Mingshui [ChenJiuchuan, eine gebildete, noch 1iistige alte Frau namens Luo Tao Kil, die darin wohnte und an der Geschichte
1495-1562], Lü Wozhou 8 ~Jffl.» Wang Longxi quanji (1822),juan 20, S. 41b (Taipei 1970, S. 1454); von Luo Hongxian (der vielleicht einer ihrer Ahnen war) sehr interessiert war. Neben der Höhle steht
Wang]iji,Nanjing2007,juan 20, S. 615. ein riesiger knorriger Luohan-Song-Baum (Steineibenart), der noch von Luo Hongxian gepflanzt
24 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 11, S. 472; Nian'an Luo xiansheng wen ji (Ausgabe aus der Yong- worden sein soll.
zheng-Ära der Qing-Dynastie),juan 11, S. lb. 26 Zu diesen Versammlungen siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 9.
25 Ich habe diesen Ort am 3. Oktober 2004 von Jishui aus besucht. Er befindet sich ungefähr vierzig 27 Zhang Yuanchong kommt im dritten Teil des Chuanxi lu vor (Nr. 313); ihm ist auch ein knrzes Kapitel
Kilometer nordwestlich vonJishui auf der anderen, westlichen Seite des Gan-Flusses. Er ist immer im MRXA,juan 14 (Beijing 1985, S. 301f.) gewidmet.
noch sehr abgelegen und in den letzten Kilometern nur auf äußerst holprigen Wegen erreichbar. Er 28 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 66; Si ku quan shu, Nian'an wenji,juan 5, S. 20b.
liegt in einer sehr schönen hügeligen Landschaft. Unmittelbar westlich der Höhlen befindet sich dort 29 Wu Zhen 2001, S. 343.
III
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Lian[xi] [= Zhou Dunyi]3° (Huailiange ffiifllffl) niederzulegen.» 31 Die Gespräche, die berichtet, dass sie darüber nicht einig waren, dass aber Wang Ji die Diskussion mit
sie hier und andernorts führten, hat Luo Hongxian in seinen «Aufzeichnungen von der Erklärung zum Schweigen brachte, dass diese «Mitte» nicht ·«durch die Zeit der
der Sommerreise» (Xia you ji ~Jtff~) festgehalten. 32 «Ich legte mein [ethisches] Ler- Ruhe bestimmt werden» könne, sondern die «seit jeher nie aufhörende Wurzel der
nen der vergangenen Jahre zur Kritik vor und beschrieb die Freuden der Weltflucht Tätigkeiten» (wan g;u liu xing bu xi zhi gen Jlti51iiff=fJ§J.Zffi) sei, die als «Grund der
(tao shi zhi le ~tttz.-). Longxi [Wang Ji] antwortete: <Das Lernen der Konfuzianer Fähigkeit zum Tätigsein» (suo yi neng zhe Plf ~n~-lf) «nicht selbst mit den Tätigkeiten
hat seine Grundlage im Besorgen der Welt (ben yi jing shi ~J;J,.~t!t). Unser Herz und (z.B. in der Tätigkeit des Sehens) nach außen trete (bu sui shi er fa 1'~~ji'ij ~)». 36 Am
die Dinge (Wesen) sind im Austausch. Wenn ein anderer Mensch im Üblen ist und nächsten Tag (15. Juli) verabschiedeten sich die Gäste von Luo Hongxian und reisten
nicht aus der Bedrängnis herauszukommen vermag, dann ist das ein Hindernis für in die etwa vierzig Kilometer westlich von Luo Hongxians Wohnort gelegene Kreis-
das eigene Herz. Deshalb darf sich unser Herz von den zehntausend Wesen nicht stadt Anfu, wo Zou Shouyi wohnte und seine Fugu-Akademie führte.
trennen. Wenn man hier nur etwas einseitig ist, dann fällt man in die Gefühllosigkeit Am 25. Tag des sechsten Mondes (29. Juli) trafen sie sich wieder im Jingju-
(luo wu qing >'iffiffl). Das ist die Sichtweise der Daoisten und Buddhisten, während wir Kloster am Fuß des etwa fünfzehn Kilometer südöstlich der Präfekturhauptstadt
Konfuzianer dies nicht zum Dao (wahren Weg) machen.> Er wies auf die Felsbrocken Ji'an gelegenen Qingyuan-Gebirges, wo sich die Anhänger Wang Yangmings unter
der Höhle und meinte lachend: <Wenn man mit den Dingen keinen Umgang pflegt der Leitung von Zou Shouyi in der Regel ein oder zwei Mal im Jahr zu versammeln
und nur sonderbar wie diese Felsbrocken ist, dann wird man eben sonderbar. Wie pflegten. 37 An der Versammlung von 1548 nahmen 160 Leute teil, wahrscheinlich
kann da noch etwas zum Vorhandensein und Nichtvorhandensein (zur Wirklichkeit) hatten die prominenten Gäste aus Zhejiang, Wang Ji und Qian Dehong, besonders
beigetragen werden!> Ich gab ihm zur Antwort: <Wenn man bei dieser grausamen viele Teilnehmer angezogen. «Die Wohnräume der Mönche vermochten sie nicht
Sommerhitze zu ihnen [diesen Felsbrocken] gelangt, was heißt da, es werde nichts alle aufzunehmen.» Unter ihnen befand sich neben Zou Shouyi und Luo Hongxian
beigetragen?> Longxi [WangJi] erwiderte lachend: <Aber schließlich dauert der Nut- auch Liu Bangcai (Beiname: Shiquan, ca. 1490 bis ca. 1578), der zur Liu-Sippe aus
zen nicht lange.> Nach zwei Tagen der Diskussion und der Unterscheidung spürte dem Kreis Anfu gehörte und in der Schule von Wang Yangming in der Präfektur Ji'an
ich erst, dass seine Lehre ihre Grundlage in der <Westinschrift> (Ximing il§'flf!i)33 hat. eine wichtige Rolle spielte. 38 Von ihm wird im Folgenden noch ausführlicher die Rede
Die <Westinschrift> hat die Menschlichkeit (ren 1=) der Schule von Konfuzius zur sein. Nie Bao konnte nicht anwesend sein, da er zu jener Zeit in Peking im Gefängnis
Grundlage. Nachdem Mengzi gestorben war, vermochte niemand mehr ihre [seil. saß. Diese Versammlung dauerte bis zum 23. Tag des siebten Mondes (26. August),
der Menschlichkeit] Funktion auszuschöpfen. Ich kam dadurch zu einer Einsicht.»34 also fast einen Monat. Die Teilnehmer der Versammlung logierten in den Klöstern
Die Gesellschaft verweilte an diesem zurückgezogenen Ort drei Nächte und schlief in der Gegend. «Jeden Tag gingen sie in die Versammlungshalle und erläuterten den
der Höhle auf aneinandergereihten Betten. «Jeder wies auf seine eigenen Fehler und Schaden, den das <ursprüngliche Wissen> durch die Meinungen (<Absichten und
war dabei gelassen.»35 Nach diesem Aufenthalt in seiner abgelegenen Höhle lud Luo Ansichten>: yi jian l\~) erfährt. 39 Nach der Auflösung der Versammlung kehrten sie
Hongxian die Reisegesellschaft in sein Haus im Weiler Huangchengxi im Gebiet des
Dorfes Pangu ein. Sie verbrachte dort den Abend des 14. Juli. Unter freiem Himmel
im Mondschein sprachen sie über «die Mitte vor dem Entstehen der Gefühle». Luo 36 Luo I-Iongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 66; Si ku quanshu, Nian'an wenji,juan 5, S. 2lb-22a.
37 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den § 6.
38 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 6, S. 345ff.
39 Das Binom <<yi jian MJi» kann hier als einziges Wort mit «Meinung», aber auch, in seine beiden
30 Der Konfuzianer der Song-Zeit Zhou Dunyi betonte die Stille zur Verminderung der menschlichen Bestandteile aufgelöst, mit «Absicht und Ansicht» übersetzt werden. Wahrscheinlich ging es dabei
Begierden. Es ist bedeutsam, dass Luo Hongxian diesem Pavillon, der wohl die Stelle des heutigen um das Verhältnis zwischen genuinem «ursprünglichem Wissen» und berechnenden Absichten und
Tempelchens auf dem «Dach» der «Steinlotus-Höhle» einnahm, nach ihm benannte. vorgefassten oder sozial übernommenen Meinungen (Ansichten). Zou Shouyi hält in seiner «Auf-
31 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 66; Si ku quan shu, Nian'an wenji,juan 5, S. 21a. zeichnung über Chongxuan ;ip~~» folgendes Gespräch fest, das wohl ein Jahr später (1549) im
32 Si kuquanshu,Nian'anwenji,juan 5. «Drachen-und-Tiger-Gebirge» im Nordosten vonJiangxi stattfand und die Thematik dieser Diskus-
33 Die «Westinschrift» von Zhang Zai (1020-1077) ist einer der wichtigsten Texte der Konfuzianer seit sionen illustriert: «Qian Xushan [Qian Dehong) verabschiedete sich und kehrte zurück und sprach aus
der Song-Zeit. Sie ist der Anfang des siebzehnten (letzten) Kapitels von Zhang Zais Werk Zheng'f1umg ganzem Herzen über das Übel der Absichten und Ansichten (;yi jian zhi bi •Jtz~). Er sagte: <Wenn
und stand an der westlichen Wand seiner Bibliothek oder seines Unterrichtsraumes. Ihr zentraler man das eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens mit Absichten und Ansichten umkleidet (Jiang
Gedanke ist die «Verwandtschaft» aller Wesen und die darin begründete «Menschlichkeit» (ren i=): zhi ben ti zhuo yu yi jian .!Hfl~IIHftit•Jt), ist es so, wie wenn man Zirkel- und Winkelmaß noch mit
Himmel und Erde werden Vater und Mutter geheißen. «Die Leute stammen aus demselben Schoß wie etwas Rundem bzw. etwas Rechteckigem umkleidet. Dadurch gewinnt man keine Kreise und keine
ich; die Wesen sind meine Geführten.» Man soll die Alten ehren und sich der Waisen und Schwachen Rechtecke, und Zirkel- und Winkelmaß werden im Voraus aufgespaltet.> Aufgrund dieser Aussage
erbarmen. «Wer der Menschlichkeit (ren) schadet, heißt ein Räuber.» Deutsche Übersetzung in: sagte ein Mitreisender (tongyou 191Jlh): <Diese Krankheit besteht auch in einer groben Erkenntnis des
ChangTsai: RechtesAuflichten/Cheng-meng, Hamburg 1996, S. 132f.; engl. Übersetzungen in: Fung <ursprünglichen Wissens> (ren de liang zhi cu le ~1f .lll.!mffl 7). Wenn das <Ursprüngliche Wissen> fein
Yu-lan: A History of Chinese Philosophy, Vol. II, Princeton 1953, S. 493-495, und in: Wing-tsit Chan: und klar, wahr und lauter ist und man nieht an einer einzelnen Sache klebt (bu nian dai yi wu '1't'ii\'Ji
A Source Book in Chinese Philosophy, Princeton 1969, S. 497f. -~), dann sind die Absichten (;yi •) Auswirkungen (;yun xing ill!fi) des <ursprünglichen Wissens>,
34 LuoHongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 66; Si ku quan shu, Nian'an wenji,juan 5, S. 21a-b. und die Ansichten (jian Ji) sind Ausweitungen (fa yue ~Ui) des <ursprünglichen Wissens>. Wenn man
35 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 66; Nian'an wenji,juan 5, S. 21b. sich [aber] auf Absichten abstützt, dann sind sie Behinderungen [des <ursprünglichen Wissens>) (yi
II

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in ihre Schlafstätten zurück, berieten weiter und hörten erst um Mitternacht auf». 40 zwei anderen Reisegefährten im Yuqinggong ::li5w~, einem daoistischen Tempel.Am
Wohl auch in einer dieser Versammlungen bat Luo Hongxian Wang Ji um eine 6. September fuhren sie getrennt in kleinen Booten weiter und gelangten am 11.
Stellungnahme zum folgenden Gedanken: <«Die egoistischen Wünsche können nur September ins Gebiet des Drachen-und-Tiger-Gebirges (Longhushan). 45 Bloß an
zerstört und vertrieben werden, wenn man sie am Ort, wo sie ihre Wurzeln schlagen, den Distanzen gemessen war dieser Weg über Nanchang und den Boyang-See ein
zerstört. Das Entstehen der egoistischen Wünsche muss eine Ursache haben (bi you Umweg, aber er ermöglichte die Reise mit dem Schiff, was das weitaus angenehmste
you lai &,~1:1:!Pl~). Sie haben ihren Grund darin, dass man selbst ursprünglich Begier- Verkehrsmittel war. Auf dem Weg hatten sich noch weitere vier Personen zu ihnen
den hat (zi ji yuan you tan hao EI c.W-~'1i~) und ursprünglich Berechnungen anstellt gesellt, so dass sie nun zu acht waren. Am 10. September, am Vortag der Ankunft im
(yuan you ji suan W-~n1J). Wenn man über diesen Ort hinweggeht, zeitweise davon Gebiet des Longhu-Gebirges, teilten Wang Ji und Luo Hongxian im «Kloster der
rein ist, ihn aber nur im Untergrund belässt, dann wird man ihn wahrscheinlich im Felsklippen der Unsterblichen» (Xianyansi ftlt;s~) das Lager und sprachen vom
Verborgenen nähren.> Xushan [Qian Dehong, der ältere der beiden illustren Gäste] Abschied. «Da ich ihn bat, mir meine Schwächen aufzuzeigen, sprach Longxi [Wang
antwortete zuerst: <Diese ethische Anstrengung muss im Einzelnen stattfinden. Man Ji]: <Nian'an, es ist Ihr beständiger Wunsch, die egoistischen Wünsche zu zerstören.
muss jeweils nur das ,ursprüngliche "\Vissen> zur Anwendung bringen (dan yi liang zhi Aber Sie scheinen bei diesem Zerstören noch einen Grundsatz zu suchen (xun yi dao
yun yong füJ..:;.l._&9;DJ.lffl) und in den Handlungen [die egoistischen Wünsche] zerstören li @:-jijJI), bald etwas zu ergreifen, bald etwas aufzugeben (nian yi wu fangyi wu #i-
und vertreiben.> Longxi [WangJi] widersprach dem und meinte [zu meiner Ansicht]: !l@Jjj/:-!I@). Schließlich lassen Sie Ihre Hände nie los und müssen immer mehr Zwang
<Das ist die [radiblej Methode, in der man dem Dieb nachstellt, indem man sein Nest anwenden (zhong bu liao shou, xu geng nzian zhi ~1' J' ::f-~lü!!tl!Z).> Danach veranlasste
umkehrt (zerstört) (dao chao sou zei -filHltlll!!i:). 41 Man kann nicht sagen, dass sie letztlich er mich zu reden. Ich sagte: <Dieses Mal (bei diesem Treffen) fühlte ich noch, dass ich
keinen Nutzen hat.>»42 in meinen Beziehungen zu Ihnen ohne Unterbruch gebunden war (ren qing shang qian
Nach der Auflösung der Versammlung luden Wang Ji und seine beiden Beglei- lian bu duan ).:~ ..t~~1'111lr). Im Großen und Ganzen war dies zu viel des Guten (guo
ter aus der Präfektur Ningguo, Gong Anguo und Wang Jifu, Luo Hongxian ein, in yu hou shttn ~tit~~), so dass ich in der Vorsicht und Prüfung etwas nachlässig wurde.
das «Gebirge des Drachen und des Tigers» (Longhushan ~Im~) zu fahren, «um Wenn ich da zu Gelassenheit kommen könnte (dan po de xia ~5131-ijT-), so würde ich
dort einen Versammlungsort für die Leute von Jiang (Jiangxi) und Zhe (Zhejiang) keine unguten Verhaftungen mehr haben.>»46
zu wählen». 43 Qian Dehong reiste nicht mit ihnen, sondern kehrte wohl direkt nach Am 11. September kam die Reisegesellschaft in das Gebiet des Drachen-und-
Zhejiang zurück. Das «Gebirge des Drachen und des Tigers» liegt im Kreis Guixi Tiger-Gebirges und logierte wohl im nahe dem Gebirge gelegenen großen «Tempel
IU.i, im Nordosten der Provinz Jiangxi, etwa hundertsiebzig Kilometer von der der höheren Reinheit» (Shangqinggong ..t5w~). Sie besuchten auch verschiedene
Grenze zur Nachbarprovinz Zhejiang entfernt. Es ist das Zentrum des 'l'ianshi- andere daoistische 'lcmpel und Naturschönheiten, trafen aber gerade auf eine laute
(«Himmelsmeister»-)Daoismus. Luo Hongxian kehrte zuerst nach Hause zurück, und betriebsame Atmosphäre, die ihnen missfiel. Als sie aber am 12. Tag des achten
um dort am Todestag eines Ahnen (seines Vaters?) zu opfern, und traf sich dann am Mondes (13. September) vernahmen, dass der daoistische Oberpriester mit seiner
2. 'Elg des achten Mondes (3. September) wieder mit Wang Ji und seinen beiden Gesellschaft weggezogen war, gingen sie bei strömendem Regen durch das Tor des
Begleitern auf dem Gan-Fluss in Shicha $5.sl., etwa fünfzig Kilometer südlich der «Tempels des Eindringens in das dunkle Geheimnis» (Chongxuanguan ;i:p~fi). 47 «Die
Provinzhauptstadt Nanchang. Am nächsten Tag gelangten sie weiter auf dem Gan- Bäume bedeckten die Bäche, und der Regen spielte in ihnen seine Musik. Wir stiegen
Fluss nach Nanchang, wo sich WangJi in die Stadt begab, um sich von Zhang Yuan- das <Gebäude der Liebe zu den Bergen> (Aishanlou '!l. wtl!) empor. Blaues Grün in
chong zu verabschieden, den er bereits am Anfang seiner Reise durchJiangxi besucht allen Richtungen, weit entfernt von der Welt der Menschen! Mein Herz erfreute
hatte. 44 Luo Hongxian konnte diesmal dem Besuch ausweichen und wartete mit den sich daran, und ich schrieb an eine Wand: 48 <Zur Zeit des mittleren Herbstmondes[=
achten Mondes J des Jahres wu shen der Jiajing-i'i..ra [15 48] wanderten Wang J i, Long-xi
aus Shanyin [=westlicher Teil von Shaoxing], Gong i\nguo und Wang Ruzhou :E ~;RJ-
zhang ;fi;lll\i'); wenn man sich auf Ansichten abstützt, dann sind sie Behinderungen (des ,ursprünglichen
Wissens>] (jimz zhang J,I,~). Es ist wie jemand, der eine Balkenwaage in der Hand hält: Wenn die
Handbewegung zu heftig ist, dann kommt es zur· f'äuschung (bi duan ~illm).» (Zou Shouyi ji, Nanjing 45 Sie fuhren zuerst auf einem Kanal Richtung Boyang--See.Am 7. September kamen sie bei Zhaojiawei
2007,juan 15, S. 744). Diese Aufzeichnung wurde ins MRXA,juan 16, übernommen (Beijing 1985, ill!J.*llffl vorbei, überquerten den Boyang-See und übernachteten an seinem Ostufer in Ruihong Jl/ii!l([,
S, 344); darin wird die Antwort nicht einem «Mitreisenden» in den Mund gelegt, sondern implizit Sie fuhren in südöstlicher Richtung weiter, zuerst den Longku-Fluss ftglll'f5iiJ und dann, nachdem das
7:ou Shouyi zugeschrieben. leichte Boot von WangJi zuerst flussahw,irts abgetrieben worden war, denJinbai-Fluss i:lil B 5I hinauf.
40 J,110 Hrmg:1'i1mji, Nanjing 2007,juan 3, S. 67; Si /m quan shu, Nian'an wenji,_juan 5, S. 22a. Am 9. September trafen sie sich in der Kreisstadt Anren 'tc{= am Jinbai-Fluss.
41 Diese Redewendung hat auch die phonetisch gleichlautende Form «111Hlt~~». 46 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S, 68; Si ku quan shu, Nian'an wenji,_juan 5, S. 24a-b,
42 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 67; Si ku quanshu, Nian'an wenji,_juan 5, S. 21a-b. 47 Dieser daoistische Tempel wird in einigen Dokumenten auch «Tempel des Eindringens in den Ur-
43 /,110 Hongxi11,1ji, Nanjing 2007,_jumz .l, S. 67; Si ku quan sbu, Nian'an wenji,_juan 5, S. 22b. spnmg» (Chong_yuan gllltn )<pji;fl) genannt.
44 Siehe oben in diesem Paragraphen, S. 627, 48 Das heißt wohl auf einen Papierbogen, der wie eine Wandzeitung an eine Wand geklebt wurde,
II
632 633

[WangJifu] 49 aus Xuancheng [Hauptstadt der Präfektur Ningguo], [... ] Luo Hongxi- verbrachte und auf ihn wachsenden Einfluss gewann. Wang Jis Betonung des Wirkens
an, Nian'an aus Jishui [... ] [im Ganzen acht Namen von Leuten aus den Provinzen in der Gesellschaft beim Aufenthalt in der «Steinlotus-Höhle» (10. bis 13. Juli), seine
Zhejiang,Jiangxiund dem Süden des direkten Verwaltungsgebietes von Nanking] zum Ausführungen im Hause Luo Hongxians am Abend des 14. Juli über «die Mitte vor
<[Kloster] der Felsklippen der Unsterblichen> (Xianyan 1ili~) und kamen in das <Ge- dem Entstehen der Gefühle» (wei fa zhi zhong *II .Zltl) zeigen klar eine Spitze gegen
birge des Drachen und des Tigers>. Wir trotzten dem Regen, betraten den <Tempel des Nie Baos Auffassungen. Auch seine Bemerkung in der Nacht vom 10. September im
Eindringens in das dunkle Geheimnis> und bestiegen das <Gebäude der Liebe zu den «Kloster der Felsklippen der Unsterblichen», dass Luo Hongxian bei seinem Bemü-
Bergen>. Ans Geländer gelehnt schauten wir auf die zahllosen Bäume der einsamen hen um die Ausschaltung der egoistischen Wünsche noch an einem «Ding» festzuhal-
Wälder. Wir empfanden den unaufhaltbaren Ablauf unserer Lebenszeit und seufzten ten versuche, erinnert an Nie Baas Festhalten in der Ruhe an der bloßen «Substanz
darüber, dass die Haupthaare von uns Freunden lichter werden. 50 Wäre es da nicht gut, vor dem Entstehen der Gefühle». Man gewinnt den Eindruck, dass Luo Hongxian
wenn die Leute der vorangegangenen Versammlung im Qingyuan-Gebirge: Xushan während dieser zwei Monate des Jahres 1548 gegenüber Wang Ji gewisse Auffassungen
[Qian Dehong], Qingchuan llffJII [Liu Kui IJ M], 51 Dongkuo [Zou Shouyi], Shiquan äußerte, die ihm bei Nie Bao in letzter Zeit eingeleuchtet hatten, aber ohne sie schon
[Liu Bangcai] und alle Edlen nach einem Jahr ein berühmtes Gebirge wählen, um mit Überzeugung zu vertreten und sich damit in expliziten Widerspruch zu Wang Ji
über das Herz (den Geist) zu diskutieren, und gemäß einem früheren Wunsch sich zu stellen. Sehr merkwürdig ist seine in der Nacht vom 14. Juli gegenüber Wang Ji
in dieser Gegend treffen würden. Überdies sind die Wahrheiten der Länder Zhu ~ gemachte Aussage, dass er sich ihm gegenüber zu stark gebunden fühle und dass es
und Yue lt [d.h. der Gebiete vonJiangxi und dem südlichen Anhui einerseits sowie für ihn gut wäre, etwas Distanz zu gewinnen. Es war eine Ankündigung dessen, was
von Zhejiang andererseits] gleich, und die Verschiedenheiten von Zhu [Xi] und Lu in den nächsten zwei Jahren passieren sollte.
Uiuyuan, Xiangshan] können vereint werden. Das Gebiet des Gänsesees (Ehu ff.U/;JJ) ist Luos «Aufzeichnungen über die Sommerreise» sind mit dem Bericht über
nahe, 52 und wir können danach streben, ein vernachlässigtes Bündnis weiterzuführen diese zwei Monate von 1548 noch nicht zu Ende. Er berichtet darin weiter, dass «im
[... ]. Nachdem der Regen aufgehört hatte, kehrten wir in den Tempel (gong 'SE) [der neunten Mond des nächsten Jahres [1549] Zou Shouyi und alle anderen Herren zum
höheren Reinheit] zurück.» 53 Die Idee war offenbar, einen zentralen Versammlungs- abgesprochenen Ort [d.h. ins Drachen-und-Tiger-Gebirge] gingen.»54 Er selbst
ort für die Mitglieder der Schule aus ihren drei wichtigsten Gebieten, den Provinzen habe auch an dieser Versammlung teilnehmen wollen, habe aber zuerst das Begräbnis
Jiangxi, Zhejiang und dem Süden der heutigen Provinz Anhui, zu errichten. Am seines Schwiegervaters anordnen müssen, und als er dann aufbrechen wollte, habe
nächsten Tag (14. September) verließ die kleine Gesellschaft das Gebirge, und am er erfahren, dass die Versammlung schon aufgelöst worden sei. 55 Aus anderen, vor
15. September trennten sich WangJi und Luo Hongxian. Sie hatten in diesem Jahr allem aus Wang Jis Quellen, ist zu ersehen, dass dieser und Qian Dehong nach einer
1548 zwei Monate gemeinsam verbracht. großen Versammlung während des Monats Juni 1549 in den Klöstern von Shuixi
Luo Hongxians «Aufzeichnungen über die Sommerreise» enthalten für diese 7.l<g!j (Präfektur Ningguo) von Mitgliedern der Schule aus der Provinz Zhejiang und
zwei Monate von 1548 noch keine expliziten und ausdiskutierten Gegensätze zwischen aus den Präfekturen Ningguo und Huizhou 11::J-N (südlich der Präfektur Ningguo im
ihm und Wang Ji. Doch sind gewisse Spannungen zwischen den beiden Freu,nden Gebiet der heutigen Provinz Anhui) 56 ins Drachen-und-Tiger-Gebirge fuhren und
angedeutet. Die geistige Präsenz von Nie Bao ist spürbar, der die Zeit von 1544 bis zu sich dort, wie im Jahr zuvor abgesprochen, im «mittleren Herbst» (achten Mond) im
seiner Verhaftung Ende 1547 in seiner Heimat im Nachbarkreis von Luo Hongxian Chongxuan-Tempel mit Zou Shouyi und anderen «Gleichgesinnten» aus der Provinz
Jiangxi trafen. Sie seien im ganzen über hundert Leute gewesen. 57 Wang Ji vermutete,
dass Luo Hongxian durch Nie Bao von dieser Versammlung abgehalten wurde. In
einem Brief an WangJi aus demJahr 1550 verneint Luo Hongxian dies ausdrücklich:
49 Siehe oben in diesem Paragraphen, S. 627.
50 Wörtlich: «dass bei uns Freunden die Haarnadel schon schwierig einzustecken ist». «Shuangjiang [Nie Bao] hat mich nie davon abgehalten. Als ich das Reisegepäck
51 Liu Kui stammte aus dem Kreis Taihe in der Präfektur Ji'an und absolvierte im Herbst 1507 die schnürte, um nach [der Versammlung von] Chongxuan zu eilen, hat er mich vielmehr
Provinzexamen (juren). Er war Schüler Wang Yangmings, als dieser Beamter in Jiangxi war. Er hatte beauftragt, Ihnen Worte zu übermitteln, um die Lehre [von Wang Yangming] zu
ein besonders schweres Schicksal, denn er wurde 1542 wegen seiner Eingabe an den Thron, in der
er bat, die für den Bau der Tempels des Donnergottes, mit dem sich der Kaiser identifizierte (siehe
oben den Anhang zur allgemeinen Einleitung, S. 42, vorgesehenen Gelder für die Verteidigung der
Landesgrenzen einzusetzen, mit vierzig Stockschlägen aus geprügelt und wurde danach von 1542 bis
Ende 1547 während sechs Jahren in Peking im Gefängnis gehalten: siehe MRXA,fuan 19, S. 448f.,
und DMB, S. 1507f. 54 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 70; Si ku quan shu, Nian'an wen ji,juan 5, S. 27b.
52 Anspieluµg auf die berühmte Begegnung und Diskussion zwischen Zhu Xi und LuJiuyuan am Gänse- 55 Ebd.
see im Jahr 1175. Der Gänsesee liegt östlich des «Drachen-und-Tiger-Gebirges» im Kreis Qianshan 56 Zu dieser Versammlung siehe oben in der Einleitung zu Teil II den§ 9, S. 389.
Sill; beide Orte gehörten in der Ming-Dynastie zur Präfektur Guangxin Ilm im Nordosten der 57 Wang Longxi quanji (1822),juan 1, S. 3a (Taipei 1970, S. 93),juan 10, S. 3a (Taipei, S. 653), undjuan 13,
Provinz Jiangxi. S. 13b (Taipei, S. 888), bzw. Wang Ji ji, Nanjing 2007,juan 1, S. 3,juan 10, S. 235,juan 13, S. 349;
53 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 69f.; Si ku quan shu, Nian'an wenji,juan 5, S. 266. ebenso in einem Brief von Luo Hongxian an Wang Ji, Nian 'an xianshengji,juan 3, S. 2 3b.
634 635

bezeugen. Diese Absicht war ganz aufrichtig.» 58 In den «Aufzeichnungen über die und sie im Frühjahr 1551 vollendet. 65 Noch im selben Jahr ließ er sie, zusammen mit
Sommerreise» schreibt Luo Hongxian weiter, im Frühling 1550 habe Zou Shouyi an dem ganzen Text der <<Sommerreise», Wang Ji zur Stellungnahme zukommen. 66 Im
der Feier seines (nach chinesischer Zählung) sechzigsten Geburtstags ihm eine Samm- Gegensatz zu den Aufzeichnungen über die zwei Monate zwischen Juli und Septem-
lung von Reden gezeigt, die an jener Versammlung vom Herbst 1549 gehalten worden ber 1548 wendet sich Luo Hongxian in diesem «Anhang» von 1550/51 frontal gegen
waren, und ihn aufgefordert, eine Stellungnahme dazu zu schreiben. Diese Sammlung Wang Ji. Dabei lehnt er sich stark an Nie Bao an.
habe unter anderem Reden von Wang Chen ::E ~ (Beiname: Yaohu ij;5"i\fl) aus der Prä- Nie Bao war Anfang 1549 aus dem Gefängnis in Peking in seine HeimatJiangxi
fektur Nanchang (ProvinzJiangxi), 59 ChenJiuchuan (Beiname: Mingshui) und Huang zurückgekehrt und hatte hier Luo, der im Nachbarkreis zu Hause war, sein im Ge-
Zhi (Beiname: Zhuofeng) aus der Präfektur Fuzhou (Provinz Jiangxi), Hong Yuan jj!; fängnis verfasstes Kun bian tu («Aufzeichnung von Unterscheidungen in der Not>>)
!g (Beiname: Jueshan ~l.ll) aus der Präfektur Huizhou (direktes Verwaltungsgebiet gezeigt.Aufgrund von Gesprächen und auch durch das Studium dieses umfangreichen
von Nanking, heute Provinz Anhui), 60 Liu Bangcai (Beiname: Shiquan) aus der Prä- Textes schloss sich Luo Hongxian ihm weitgehend an und nahm ausdrücklich Distanz
fektur Ji'an (ProvinzJiangxi) und WangJi enthalten; 61 diejenige von WangJi habe den zu WangJi. Im Frühling 1550 schrieb er an WangJi: «In einem überblickenden Ge-
größten Raum eingenommen. 62 Zou Shouyi habe ihm bei der Übergabe jener Samm- spräch mit Herrn Shuangjiang [Nie Bao] ging mir plötzlich ein Licht auf (hu you kai
. lung gesagt, dass die Teilnehmer der Versammlung des vorangegangenen Herbstes huo ~~OOU), ich durchschaute das Alltägliche in völliger Deutlichkeit und gelangte
im Drachen-und-Tiger-Gebirge ihn getadelt hätten, er habe «die Feuer angezündet, endlich zur Wahrheit.» 67 Ungefähr zur selben Zeit, im Mai 1550, schrieb er zu Nie
um durch die Fürsten das Lachen zu erzeugen». 63 Luo fügt dann noch hinzu, dass er Baos Kun bian tu ein «Vorwort» (xu rf) 68 und noch im selben oder nächsten Jahr ein
wegen gesellschaftlicher Verpflichtungen sich nicht gleich an die Verfassung der von «Nachwort» (hou xu fttrf); in diesen beiden Texten drückte er eine grundsätzliche
ihm geforderten Stellungnahme habe machen können. Diese Stellungnahme wurde Übereinstimmung mit Nie Bao aus und distanzierte sich von \Vang Ji. Damit hatte
dann zu einer großen kritischen Auseinandersetzung mit seinem Freund \Mmg Ji. Er er in öffentlicher Weise mit den geistigen Häuptern der Schule Wang Yangmings
hat sie nicht jener Sammlung beigefügt, sondern seinen «Aufzeichnungen von der gebrochen. Wir werden diesen beiden sehr wichtigen Texten unten einen eigenen
, Sommerreise» von 1548 angehängt. 64 Er hat an ihr wohl seit Ende 15 50 geschrieben Paragraphen widmen (§ 2).
Wang Ji nahm 1551 nach dem Empfang der «Aufzeichnungen über die Som-
merreise» nur kurz in einem Brief dazu Stellnng. 69 Er wollte keine große schriftliche
58 J,uo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 6, S. 211; Nian'tm xianshengji,juan 3, S. 236. Replik geben, sondern «von Angesicht zu Angesicht» die Divergenzen erörtern. 70
59 Zu Wang Chen, der Schüler Wang Yangmings war, siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den 1552 verabredeten die beiden, sich im nächsten Jahr im Lu-Gebirge •l.ll im Norden
§ 5, s. 313.
60 Zu Hong Yuan, der Schüler Zhan Ruoshuis war, siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den der Provinz Jiangxi zu treffen, aber Luo suchte ihn dort im fünften Mond (zwischen
§ 5, s. 321. dem II.Juni und dem 10.Juli 1553) vergeblich. 71 WangJi war im April dieses Jahres
61 Namentlich erwähnt Luo IIongxian auch Reden von «[Xu ft-] Shaochu Y*JJ und Xianzhai mi~». Diese wegen des 'fodes von Qi Xian ßoc II (Beiname: Nanshan r$il.ll oder Nanxuan ffix:), der
Namen treten alle ebenfalls in Zou Shouyis «Aufzeichnung über die Versammlung von Chongxuan»
(Zou Shouyiji, Nanjing 2007,juan 15, S. 740-747) und in WangJis «Aufzeichnung über die Versamm- zur Schule gehört hatte und ein gemeinsamer Freund von Wang Ji und Luo Hongxian
lung von Chongyuan» (WangJi ji, Nanjing 2007, falu II, S. 681) auf.
62 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, juan 3, S. 70; Si ku quan shu, Nian'an wenji, juan 5, S. 276. Diese
Geburtsugfcier fand im mittleren Frühlingsmond (zwischen dem 17. Februar und dem 17. März
1550) in Zou Shouyis Fugu-Akademie, einen Kilometer südlich der Kreishauptstadt Anfu (in der 65 Wu Zhen schreibt aufgrund eines Briefes von I ,uo Hongxian ans dem Jahr 15 54, dass der ganze ·rext
PräfekturJi'an) statt. Zou Shouyis Geburtstag (1. Tag· des zweiten Mondes) fiel in diesem Jahr auf den der «Sommerreise», «Anhang» inbegriffen, schon im Frühling 15 50 vollendet gewesen sei (Wu Zhcn
17. Februar. Neben Luo Hongxian hatten sich dazu über tausend Leute, Magistrate der neun Kreise 2001, S. 203; vgl. S. 352). Das stimmt mit den oben wiedergegebenen Berichten Luo Hongxians aus
der Präfektur Ji'an, Schüler und Bekannte, eingefunden: «Lebenslauf», Zou Shouyi ji, Nanjing 2007,

63
juan 27, S. 1371; Brief an Chen Dameng ~ *~, a.a.O.,juan 11, S. 550.
Anspielung auf die in den «Historischen Aufzeichnungen» (Shi ji) enthaltene Geschichte des Königs
dem Text der «Sommerreise» selbst nicht überein. Überdies bemerkt er am Ende des ganzen Textes
der «Sommerreise», dass er an diesem Text während dreier Jahre schrieb; und am Anfang der zwei-
ten «Sommerreise», derjenigen von 1554, bc.merkt er, dass er an der ersten «Sommerreise» «vom
You aus der Zhou-Dynastic J,lll®.:E (Regierungszeit 781-77 l v. Chr.), der, um seine Konkubine zum Frühling des Jahres yi you fl 549} an» geschrieben hat. W>1hrschcinlich hat sich Luo in jenem Brief
Lachen zu bringen, die Alarmfeuer anzünden ließ, worauf die I ,chensfürsten, vom Alarmfeuer genarrt, von 1554 um ein Jahr gct,iuscht.
zur Hilfolcistung herbeieilten, Im obigen Kontext meint dieser 'fadd, dass es nicht angehe, zu einer 66 Dies schreibt Luo Hongxians am Anfang seiner ,,Aufzeichnungen zur Sommerreise des Jahres ji11 yin»
Versammlung einzuladen und dann selbst nicht daran teilzunehmen. (Jia yin xia youji ~:OO:~ih1iß), das heißt zur Sommerreise von 1554.
64 Zou Shouyi hat auch eine «Aufzeichnung» von Gesprächen in der Versammlung vom Herbst 1549 in 67 Zitiert von Wang Ji in seinem Brief an Luo Hongxian vom F1iihjahr 15 50: Wang Longxi quan ji (1822),
Chongxuan geschrieben: Zou Shouyiji, Nanjing 2007,juan 15, S. 740-747. Sie wurde 1551 gedruckt, juan 10, S. 3a-b (Taipei 1970, S. 653f.).
und Luo llongxian schrieb zu dieser Veröffentlichung ein Vorwort: Luo HonJ!.xian ji, Nanjing 2007, 68 Siehe Wu Zhen 2001, S. 352.
juan 11, S, +97f. Doch diese «Aafzeichnung» ist mit jener Sammlung nicht identisch, denn der gro- 69 Wang LonJ!.xi quanji (1822),juan 10, S, 2a-3a (Taipei 1970, S. 651-653); Wimg]iji, Nanjing 2007,
ße, sieben bzw. acht Abschnitte umfassende Beitrag Wang Jis in jener Sammlung, der injuan 1 von juan 10, S. 234f.
Wang Jis «Gesammelten Schriften» enthalten ist und aus dem Luo Hongxian in seinem «Anhang>> 70 Jia yin xia you ji, Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, juan 3, S. 76; Nian'an Luo xiansheng wen ji (Qing,
zur «Sommerreise» von 1548 zitiert (siehe unten den § 5), ist ganz verschieden vom relativ kurzen Yongzheng-Ära, Bibliothek von Nanjing, Nr. 87568),juan 5, S. 36a
Gespräch zwischen WangJi und einem Fragenden, das Zou Shouyi in seiner «Aufzeichnung» festhält. 71 Ebd.
636 637

gewesen war, in die Präfektur zweiter Ordnung Chuzhou ~}M westlich von Nanking unsere Lehre den Zeitumständen gemäß. Wir leiten und begründen das menschliche
gereist. 72 Nachdem er dort auch an einer großen Versammlung teilgenommen hatte, Fühlen und die Wesen und lassen sie gestützt darauf zusammen mit Himmel und Erde
fuhr er weiter Richtung Süden in die Präfektur Ningguo $~ und nahm dort im Mai gedeihen. Wenn wir fähig sind, dann bewahrt unser Vorgehen die gewöhnlichen Ge-
in der Präfekturhauptstadt Xuancheng 'i!lr~ an einer weiteren Versammlung teil. 73 Er setze, und unsere Leistung ist weit und groß. Daoisrnus und Buddhismus kommen uns
beteiligte sich in dieser Präfektur wohl an der damals stattfindenden Planung des Baus nicht gleich. Aber das Dao ist weit: Die hundert Schulen und die neun Strörnungen81
der großen Shuixi-Akademie, so dass er sich dort mehr als zehn Tage aufhielt. 74 Daher enthielten alle ihre Einsichten und geheimen Praktiken. Obschon sie nicht im Kreis
reichte es ihm wohl nicht mehr, sich rechtzeitig für das TI·effen mit Luo Hongxian im von uns Konfuzianern auftraten, erlangten sie doch alle selbst etwas in ihrem beson-
Lu-Gebirge einzufinden. Erst im Jahr darauf (1554) kam es wieder zu einer Begeg- deren Wissen um die Kraft (zhi li zhi zhuan 911f.J .;z.$). Von den späteren Konfuzianern
nung zwischen den beiden. Luo Hongxian erfuhr im vierten Mond dieses Jahres, dass meine ich, dass sie bei ihrem Anerkennen in den Urteilen zu grob sind und bei ihrem
WangJi ins Lu-Gebirge im Norden der ProvinzJiangxi kommen werde. Er fuhr ihm Ablehnen in der Verteidigung des Dao nicht nach dem Ursprung der verschiedenen
am Anfang des fünften Mondes mit zwei seiner Schüler aus dem Kreis Jishui (Zhao Lehren forschen. Ich tadle an ihnen auch, dass sie die königlichen Gesetze erklären,
Bi ffi ~, Beiname: Ziliang T Bl, und Yin Zhe jl" ffl, Beiname: Daoyu ~00) 75 und einer sich aber auf Hüte und Waffen stützen (jie guan bing fffüi'.,g).>» 82 Luo scheint also am
weiteren Person aus Jishui, die wohl auch sein Schüler war (namens Liu, Beiname: Daoisrnus und Buddhismus zu kritisieren, dass sie gegenüber den praktischen Dingen
Longshan IJ ~ i1l ), entgegen und traf ihn nach langem Suchen am 29. Tag des fünften der Gesellschaft unfähig seien. Andererseits bringt er eine große Offenheit gegenüber
Mondes (28.Juni) in Xingzi ~ T (Hauptstadt der Präfektur Nankang) am Boyang-See den verschiedenen Denkrichtungen außerhalb des Konfuzianismus zum Ausdruck.
im Süden des T,u-Gebirges. 76 Wang Ji war, nachdem er im Frühling dieses Jahres an In ihren Gesprächen über den kritischen Anhang der «Sommerreise» von 1548 fand
einer Versammlung in der Wenjiang-Akademie ~ITT4titll.lt in der Präfektur Guangxin eine Annäherung zwischen Luo Hongxian und Wang Ji statt. Wir werden unten in
~fü'J& (dem heutigen Shangrao im Nordosten der Provinz Jiangxi) teilgenommen § 6 darüber berichten.
hatte, 77 mit dem Boot vorn berühmten Kaixian-Kloster lfflJt~ in der Nähe der Stadt Nach diesem Aufenthalt in Xingzi ~ T reisten sie am 4. Tag des sechsten Mon-
Xingzi ~ T angereist. 78 Sie wollten in verschiedenen Segelschiffen auf dem Boyang- des (3. Juli) auf verschiedenen kleinen Boten Richtung Südwesten und erreichten
See weiterfahren. Da aber vVmg Jis Segelschiff bei der Ausfahrt in Schieflage geriet am 5. Juli bei Shicha $5.W_ (etwa fünfzig Kilometer südlich der Provinzhauptstadt
und seine Kleider und sein Gepäck nass wurden, kehrten sie nach Xingzi ins Haus des Nanchang) den Gan-Fluss. Als am 6. Juli das Schiff Xiaogangkou ,J,J'i!J:l (nördlich
Friedensrichters Shi Xiyan 1=i ~~zurück.Noch am Abend des selben Tages saßen von Fengcheng) erreichte, zeigte Wang Ji Luo Hongxian einen von ihm geschriebe-
sie zusammen in einem Pavillon unter dem Sternenhimmel, und Wang Ji fragte Luo nen Text über «Acht Regeln der Enthaltsamkeit im Zurückgezogensein» (Lin jian ba
Hongxian nach seiner Meinung zum Daoismus und zum Buddhismus und kam auch jie ;f;;HsiJ\ttlG) 83 und bat ihn um eine handschriftliche Eintragung. Luo Hongxian war
auf Luos 15 50/ 51 geschriebenen kritischen Anhang in seinen «Aufzeichnungen von über diesen Text sehr erfreut und schrieb die gewünschte Eintragung einige 'fage
der Sommerreise» zu sprechen. 79 «Da Longxi [Wang Ji] rnich fragte, wie man im später in seiner «Steinlotus-llöhlc». Aber schon unter demselben Tag (den1 7. Tag
Allgemeinen Daoisrnus und Buddhismus sehen soll, antwortete ich: <Die Daoisten des sechsten Mondes = 6. Juli) seiner Aufzeicb nun gen über diese «Sommerreise» von
erspähen den höheren Ursprung (xiang shang gen yuan fi:iJJ:.1RiJ:) und praktizieren im 1554 bemerkt er: «Longxis [Wang Jis] Selbstvertrauen ging während seines ganzen
Geheimen das <Öffnen und Schließen> (he pi llltm); 80 dabei nehmen sie Schaden in [bisherigen] Lebens weit über alles Maß hinaus (zi xin da guo § fü'*jfil); zwischen
ihrer Geschicklichkeit (shang yu qiao 111.itJ'.':i'). Die Buddhisten sehen die anfanglosen dem, was die allgemeinen Sitten (shi su 1!tfil) durch Beschimpfen und Rühmen als
Illusionen und Tiiuschungen und halten sich nur an die Freude der Stille; dabei ge- gut oder hässlich, als hoch oder niedrig hinstellen, wählte er nicht und dachte, dass
raten sie in die Nähe der Unfähigkeit (jin yu zhuo mlitfül). Wir Konfuzianer errichten das Dao (der wahre Weg) gerade darin [im Nichtwählen] bestehe. Er war sich nicht
bewusst, dass die Begierden (qing yu '~fil) mitgehen und durchsickern und dass dar-
aus die Krankheit der Unreinheit und Nachlässigkeit hervorgeht. Da die Fehler ihre
Einseitigkeit haben, muss man bei dieser Einseitigkeit strenges Gegensteuer geben;
72 Vgl. unten in Kapitel S den§ 1.
73 Siehe Wu Zhen: Xinian 1522-16112, Shanghai 2003, S. 190. das ist die Medizin der Gegenmittel. Deshalb schreibt er am Schluss seines eigenen
74 Siehe oben in der Einleitung zn Teil II den§ 9.
75 Zu Zhao Bi und Yin Zhe siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 196, Anm. 1.
76 Jia yin xitt you ji, Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 81; Nian'ttn Luo xiansheng wen ji,juttn 5,
S. 42a. 81 Für die Zeit der Streitenden Reiche (5 .-3. Jh. v. Chr.) sprach man von den «hundert Schulen» der
77 1Vu Zhen: Xiniilll I .'!22-1602, Slrnnghai 2003, S. 194. verschiedenen Philosophen; auch die 11neun Strömungen» (jiu liu jUm) bezeichnen diese Vielheit der
78 ]i11yin xia you ji, 1.rw Hongxian ji, Nanjing 2007, jwm 3, S. 81; Nian'ttn J.110 xiansheng wen ji,jurm 5, verschiedenen Schulen.
S. 42a. 82 Jitt yin xitt you ji, Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, juan 3, S. 81; Nian'ttn Luo xiansheng wen ji,juttn 5,
79 A.a.O., Luo Hongxianji,juan 3, S. 81-84; Nian'an Luo xiansheng wen ji,juan 5, S. 42b-47a. S. 42b-43a.
80 Wohl der Name für eine daoistische Technik zur Pflege des Lebens, die mir aber nicht bekannt ist. 83 Diese Schrift finde ich nicht in Wang Jis «Gesammelten Werken».
638 639

Vorwortes zu den <Acht Regeln der Enthaltsamkeit>, obschon diese auch Geringes Taihe. Luo Hongxian war «Gastgeber des Ortes» (di zhu ±&::l::). Am 19. Tag des sechs-
nicht auslassen: <Alles, was zuvor geschah, ist vergleichbar einem gestrigen Tod; alles, ten Mondes (18.Juli) begab sich die Gesellschaft von der «Steinlotus-Höhle» an den
was von nun an geschieht, ist vergleichbar einer heutigen Geburt.> Das ist ernsthaft «Dunklen Teich» (Xuantan ~l.l). Dort hatten sich schon dreiunddreißig Personen
bis zum tiefsten Schmerz, wie wenn man einen Nagel aus dem Auge herausreißt oder aus dem KreisJishui, in welchem sich dieses daoistische Zentrum befand, versammelt.
vom Rücken Stacheln entfernt. Auch wünscht er, dass ich mit warnenden Worten als Unter ihnen waren auch die drei Schüler Luo Hongxians, die ihn zuvor in den Nor-
zusätzlichem Zeugnis mithelfe. Darüber freue ich mich sehr. Ich erinnere mich, dass den der Provinz Jiangxi begleitet hatten. Am Nachmittag desselben Tages (18. Juli)
ich in den vergangenen Jahren beschimpft wurde, und schrieb, dass es ohne höchste eröffnete Wang Ji im unteren Stockwerk des «Schneewellen-Pavillons» (Xuelangge
vVahrhaftigkeit des vVillens keine plötzliche Einsicht gibt (chengyi wei zhi, wei wen Jan ~5~1ffl) mit einer mahnenden Rede die Versammlung, die drei T'lge dauerte. Wang Ji
nm IDit~;$~;$i,silr)llM). Wie konnte das ein tiefer Groll sein! Deshalb versprach ich, und Liu Bangcai äußerten ihre verschiedenen Auffassungen über die «Verwirklichung
nach Ankunft in der [<Steinlotus-]Höhle>, mir Zeit zum Schreiben [dieses Eintrages] des ursprünglichen Wissens», und Luo Hongxian trat auf Bitte von Zou Shouyi in
zu nehmen.» 84 Offenbar sah Luo Hongxian in Wang Jis «Acht Regeln der Enthalt- dieser Meinungsverschiedenheit als Schiedsrichter auf. Wir werden uns in § 7 dieses
samkeit» eine Wende zur willentlichen Anstrengung in der ethischen Praxis, die er Kapitels mit dieser Auseinandersetzung befassen. Am 20.Juli 1vurde die Versammlung
bislang bei ihm vermisst hatte. aufgelöst, und die Gesellschaft bestieg die Schiffe. Luo Hongxian begleitete Wang
Am 12. T'lg des sechsten Mondes (11. Juli) verabschiedete sich Luo Hongxian Ji Richtung Norden, und die beiden hatten wieder die nötige Ruhe für persönliche
von seinen Reisegefährten aus Jishui und begab sich mit Wang Ji auf Sänften in die Gespräche. Am 23. Tag des sechsten Mondes (22. Juli) legte ihr Schiff in Yuxia ::li~
«Stcinlotus-lföhle», die etwa fünfzehn Kilometer westlich des Gan-Flusses liegt. Am (wahrscheinlich das heutige Xiajiang ~5I, etwa fünfzig Kilometer flussabwärts von
nächsten Tlig erhielten sie dort Besuch von Luo Hongxians jüngerem Halbbruder Jishui) 89 an.
Suifu ~x, und am überniichsten "fag schrieb Luo Hongxian für WangJis «Acht Re- Es war ihr letzter. gen1einsamer Abend, und sie sprachen bis in die Nacht hi-
geln der Enthaltsamkeit» eine Aufschrift mit dem Titel «Das Bündnis zwischen den nein: «Longxi [Wang Ji] fragte: ,Was schenken Sie mir [als Abschiedswort]?> Ich
Herzen in der [Stein-]Lotushöhle>> (Lian dong xin meng ~Jja],i',,M_). Am 14. Juli nahm antwortete: <Es besteht kein Zweifel, dass das Lernen des Lehrers [Wang] Yangming
Luo Hongxian Briefe über das ethische Lernen von Nie Bao, Zou Shouyi und anderen ein heiliges Lernen (ein Lernen der wahren konfuzianischen Tradition: sheng xue
hervor und diskutierte sie mit Wimg Ji. Am 16. Tag des sechsten Mondes (15. Juli) ~li\!) ist. Leider ist er früh gestorben und konnte [dieses Lernen! nicht zur Vollen-
traf ein Bote mit der offiziellen Einladung zu einer Versammlung am «Dunklen dung bringen (wei zhi jiu jing *~~~). Das ist die Aufgabe seiner Schüler. Aber es
Teich» (Xuantan ~l.l) cin. 85 An diesem Ort, der ein daoistisches Zentrum war und gibt zwei Arten von Schülern: solche, deren Umgang mit ihm nicht vertraut war und
den Luo Hongxian sehr liebte, traf sich dieser mit seinen Schülern zu regelmäßigen deren Übung (duan lian 1!~~) mit ihm nicht lange dauerte und die von ihm die An-
Zusammenkünften; noch in Luo Hongxians 'Todesjahr (1564) fanden dort solche erkennung (Genehmigung: xu ke ~i:iJ) zu früh erhielten. Bis heute halten sich diese
Versammlungen statt. 86 Er lag im Kreis Jishui und muss sich in der Nähe von Luos entweder an die Aussagen des Meisters, um andere zu belehren, oder sie vollenden das
«Steinlotus-Höhle» befunden haben. 87 Am Ostufer des «Dunklen Teiches» lagen der Lernen aufgrund ihrer eigenen Meinung. Diese Leute haben gegenüber eiern Meister
daoistische Chongyuan-Ternpel *5cll und der «Schneewellen-Pavillon» (Xuelangge keine Schuld, vielmehr blieb der Meister diesen Leuten etwas schuldig. Sie aber und
~Jllffl),88 die den Zusammenkünften dienten. In den folgenden Tagen trafen in der andere Herren, Sie hatten mit dem Meister vertrauten Umgang. Die Übung, die Sie
«Steinlotus-Höhle» elf Personen aus den Kreisen Anfu 't<m, Taihe ~.ffi und Yongxin von ihm erhalten haben, dauerte am längsten, und die Ihnen gegebene Bezeugung
*~ (alle innerhalb der Präfektur Ji'an) ein, unter ihnen Zou Shouyi und Liu Bangcai
aus dem Kreis Anfu und GuoYingkui ~ .l!l* (Beiname: Pingchuan -SJZ- J11) aus dem Kreis
in den Fragen war am klarsten (de zhengwen zui ming f~mr„uiaJ.I). Seither sind schon
viele Jahre vergangen, und Sie sind nicht fähig gewesen, dieses Lernen dadurch zu
vollenden, dass Sie nach dem streben, was der Lehrer noch nicht erreichte. Das ist
keine Schuld des Meisters Ihnen gegenüber, sondern Ihre und die Schuld anderer
84 A.a.O., Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 84; Nian'an Luo xianshengwen ji,juan 5, S. 47b. gegenüber dem Lehrer. Was gibt es da noch für Entschuldigungen!> Longxi [Wang
85 Luo Hongxianji, Nanjing 2007, juan 3, S. 85; Nian'an Luo xiansheng wen ji,juan 5, S. 48b. Zur Ver-
sammlung hatte ein Chen Lianghu llilt jjlij";,\lj aus Taihe eingeladen (ebd.), der mir sonst nicht bekannt Ji] sprang erschrocken auf und sagte: <Sie behandeln mich aber äußerst wohlwollend
ist. Er hat auch an dieser Versammlung teilgenommen: a.a.O., S. 86 bzw. S. 50b. (hui wo zhi yi l0~~~)!»>90 Am 24. Tag des sechsten Mondes (23.Juli) verabschiedeten
86 Siehe den von Hu Zhi geschriebenen «Lebenslauf>,, in: Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, Anhang I, sie sich voneinander. Luo Hongxian schließt seine «Aufzeichnungen zur Sommerreise
s. 1386f.
87 Schon vor seiner Abreise in den Norden der Provinz hatte Luo Hongxian Anfang Juni 15 54 mit seinen
Schülern am «Dunklen Teich» (Xuantan) ein Zusammentreffen: Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan
3, S. 77; Nian 'an Luo xiansheng wm ji,juan 5, S. 36b. 15 49 hatte dort eine Versammlung stattgefunden,
an der unter anderem Zou Shonyi und Nie Bao teilnahmen: siehe oben in diesem Teil, Kap. 3, § 3. 89 Xiajiang ilp/t).[ liegt beim Yusi-Gebirge JiffiilL Vielleicht ist «Yuxia Jiilp/t» eine Zusammenziehung
88 Luo Hongxian besingt diesen Ort in seinem «Vorwort» zur «Sammlung des <Schneewellen-Pavil- beider Namen.
lons>», Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 11, S. 482f. 90 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 87; Nian'anLuoxianshmgwmji,juan 5, S. 52a.
640 641

vom Jahre jia yin [15 54]» mit den Worten: <<Diese Reise dauerte fünfzig Tage (wu gemäß dem Verständnis Wang Yangmings und seiner Schüler. 97 Über diese Erfahrung
xun 1i 1u), mit Longxi [Wang Ji j war ich fast einen Monat zusammen; seit drei Jahren und die Konsequenzen, die er daraus zog, schrieb Lou Hongxian 15 56 in einem Ant-
hatten wir eine Zusammenkunft verabredet.»91 wortbrief an einen frühen Schüler Wang Yangmings,Jiang Xin ~ ffi° (Beiname: Daolin
Das Wichtigste in dieser zweiten Sommerreise (15 54) waren für Luo Hongxian ~#, 1484-1560), der in der Präfektur Changde m'ffi im südlichen Teil der Provinz
wieder seine Gespräche mit WangJi, und er gibt sie in seinen «Aufzeichnungen» aus- Huguang (heute in der Provinz Hunan) zu Hause war. 98 Da diese Erfahrung sein
führlich wieder. Er verdeutlicht in ihnen sowohl nochmals die Position von 1550/51, « Verwirklichen des ursprünglichen Wissens>> noch vermehrt vom ruhigen Rückzug
die er im Anhang zu seinen «Aufzeichnungen zur Sommerreise» von 1548 eingenom- aus der Welt zur sozialen Tätigkeit hinbewegte und ihn weiter Wang Yangming und
men hatte, als auch die Veränderung dieser Position, die er «in den letzten ein bis zwei in diesem Punkt auch Wang Ji annäherte, werden wir auf diesen Brief am Anfang von
Jahren», 92 also 1552/53, vornahm. In dieser neuen Position gibt er in der ethischen § 9 eingehen.
Übung (gong fu :i:}J x) der Ruhe keine zeitliche Priorität mehr, wie er es vordem im Als Luo Hongxian vom Chu-Gebirge nach etwa einem halben Jahr im neunten
Anschluss an Nie Bao getan hatte, sondern versucht Ruhe und Tätigkeit in eine zeit- Mond (September/Oktober 1555) nach Hause zurückkehrte, war seine Gattin seit
liche Einheit zu bringen; weiter betont er auch die Spontaneität des «ursprünglichen mehr als zehn Tagen tot. 99 Er schreibt in einem Brief, dass er darüber «bitterlich
Wissens». In diesen zwei Punkten hatte er sich Wang, Ji wieder angenähert. Aber er weinte». 100 Wir vernehmen in den Briefen Luo Hongxians und in den Dokumenten
lehnt weiterhin Wang Jis Auffassung ab, dass das gegenwärtig vorhandene liang zhi über ihn kaum etwas über seine Gattin. Er hatte wohl nur eine einzige Frau. Er hatte
(«ursprüngliche Wissen») schon vollständig sei (darüber unten im§ 6). auch einen Sohn, Shiguang t!!.J't (Großjährigkeitsname: Yizhao PJl!ß), 101 der 1555
Im Frühling des Jahres 1555 reiste Luo Hongxian in das Chu-Gebirge ~lll, das wahrscheinlich ungefähr zwölfJahre alt war, über den aber nicht viel bekannt ist. Nach
sich südwestlich der Präfekturstadt Xiangyang IU~ (heute Xiangfan lll1$!) im Norden Ablauf eines Jahres (1556) erlebte er ein weiteres Unglück: Sein Haus in Yangtian
der damaligen Provinz Huguang (heute Provinz Hubei) befindet. 93 Er lernte dort bei ~ES wurde durch ein Hochwasser des Gan-Flusses zerstört, und er musste im Haus
einem D,wisten Praktiken des «Sitzens in der Ruhe». Auch Wang Ji war, nachdem er eines Bauern Zuflucht suchen; «er blieb ruhig und ließ sich nicht verwirren (po ran
im Frühling an Versammlungen in der Shuixi-Akademie und im «Kloster der neun bu yi gan yi 58~;;:r,::PJ-=f~)». 102 In das Haus in Yangtian war er erst zwei Jahre zuvor
Drachen» (Jiulong'11n fL~~) in der Präfektur Ningguo, ungefähr siebenhundert (1553) eingezogcn. 103 1559 nahm er seinen Wohnsitz in Songyuan fiffil: und versah
Kilometer östlich von Xiangyang lll~, teilgenommen hatte, 94 dorthin gekommen. 95 die Halle seines Hauses mit der Aufschrift «die Menschlichkeit verkörpern» (ti ren
W;ihrend WangJi das Chu-Gebirge bald wieder verlicf1, 96 blieb Luo Hongxian dort llt1=). 104 All diese Wohnorte befanden sich wohl innerhalb des Kreises Jishui, in dem
drei Monate und machte in einer «plötzlichen Erleuchtung» die Erfahrung der Ein- Luo Hongxian geboren wurde. Die Klause in der «Steinlotus-Höhle» scheint von
heit des eigenen Herzens mit allen Wesen, das heißt der «Menschlichkeit» (ren 1=) 1546 bis zu seinem Lebensende (l 564) seine stabilste Stätte gewesen zu sein.
Im Frühjahr 1558 wurde Luo Hongxians Freund Tang Shunzhi (Beiname:
Xingchuan, 1507-1560), der 1541 mit ihm zusammen jenes Gesuch an den Kaiser
eingereicht hatte, das zur Streichung ihrer Namen aus der Beamtenliste führte, 105 auf
91 Ebd. Empfehlung des Ersten Großsekreüirs Yan Song 106 Sekretär im Kriegsministerium. Er
92 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 82; Nian'an Luo xiansheng wenji,juan 5, S. 44b. versuchte, auch Luo Hongxian wieder zur Annahme einer Beamtentätigkeit zu bewe-
'!3 Ich bin mir nicl1t ganz sicher, wo sich das Chu-Gcbirge genau befindet. Nach dem «Lebenslauf.>
(Xingzbuang) von Luo Hongxians Schüler Hu Zhi i5.ll ][ (Beiname: Lushan Jll.11.l) muss es sich im gen. Dieser soll seinem Freund geantwortet h:1bcn: «Im Reich gibt es Geschäfte, die,
[ ,,md Chu, das heißt in der damaligen Provinz Hug·trnng, befinden. Hu Zhi sagt auch, dass sich Luo wenn nicht von diesem, dann von jenem ausgeführt werden können. Wenn du, mein
Hongxia n damals im Gebiet des «Weißen Flusses» (Bai he B 5iil) aufhielt (Luo 1longximt .fi, Nanjing
2007, Anhang I, S. 1383). Ein solcher Fluss existiert im Norden der heutigen Provinz Hebei. Nach
dem«( ;roßen \ Vörterlmch von alten und neuen geographischen Namen Chinas» (Zbongguo gnjin di
ming da ci dian), S. 1025d, gibt es vier Kilometer südwestlich von Xiangyang (= Xiangfan) ein Chu- 97 Siehe oben in Teil I, Kap. 3, § 5.
Gebirgc. Der Daoist Fang Yilin ti -,ffi (Beiname: Zhanyi )R-), bei dem Luo Hongxian in diesem 98 Über Jiang Xin siehe in der Einleitung zu Teil I den § 1, S. 71.
c;ebirge daoistische Praktiken lernte, hielt sich auch im 'faihe-Gcbirge auf. Dieses Gebirge ist iden- 99 Xingzbuanp;, unter dem Jahr yi n1110 (15 55), L110 Hong,i·ian ji, Nanjing 2007, S. 138.l.
tisch mit dem Wudang-Gebirge, etwa hundertzwanzig Kilometer nordwestlich von Xiangyang, das 100 «An Liu Renshan IJ 1=11.l», Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 8, S. 343.
heute immer noch ein großes daoistisches Zentrum ist. 101 Siehe den Ende 1562 geschriebenen Text von WangJi für diesen Sohn: Wang]iji, Nanjing 2007,juan
94 Xingzhuang, unter dem Jahr yi mao (1555), [,uo llongxian ji, Nanjing 2007, S. 1383; Wang Longxi 17, s. 505f.
quanji,juan 17, Taiping Du shi yi tianji (1822), S. 13a (Taipei 1970, S. 1215); siehe Wu Zhen: Xinian 102 Xingzbuang, unter dem Jahr yi nzao (1555), Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, S. 1383.
l >22-l liU2, Sh,mghai 2003, S. 202f. 1O.l A.a.O., S. 1382.
95 Luo Hongxian schreibt Ende 1562 in seinem Songyuan zbi yu: «Seitdem ich mich vom älteren Bruder 104 A.a.O., S. 1383.
1.ongxi in Chu '}i1: verabschiedete, sind neun Jahre vergangen.» [,uo Hongxian ji, Nanjing 2007, .fuan 105 Siehe oben in diesem Paragraphen, S. 624f.
16,S.695. l 06 Ym Song förderte im Gegensatz zu seinem Konkurrenten im Grof5sekret.iriat («fnneren Kabinett»)
96 Siehe MRXA,juan 18, Einleitung von Huang Zongxi zum Kapitel über Luo Hongxian, Beijing 1985, Xia Yan die Mitglieder der Schule Wang Yangmings: siehe oben den Anhang zur allgemeinen Einlei-
S. 390. tung, S. 41 und S. 43.
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älterer Bruder, tust, was ich zwar zu tun wünsche, aber nicht zu tun vermag, dann ist Nach dem Tod von Zou Shouyi am 5. Dezember 1562, der leitenden Persön-
dies passender, als wenn ich es selbst tue. Welche Notwendigkeit besteht da, dass ich lichkeit der Schule W.·mg Y,·mgmings in Jiangxi, w,H' Wang Ji um diesen blühendsten
aus meiner Zurückgezogenheit heraustrete?» «Darauflicß Xingchuan [Tang Shunzhi] Zweig der Schule sehr besorgt und versuchte in einem wohl im Frühjahr 1563 ge-
von seiner Absicht ab.» 1117 Im folgenden Jahr (1559) forcierte Yan Song persönlich Luo schriebenen Brief, den angesehenen Luo Hongxian zur Übernahme der führenden
Hongxian auf, wieder eine Beamtenstelle aufzunehmen. Dieser lehnte ab. 108 Rolle in dieser Schule zu bewegen. Er schrieb an seinen Freund: <<In Ihrer Provinz
Nachdem I ,uo Hongxian 15 59 seinen Wohnsitz in Songyuan ;J0JW- genommen besteht höchste Gefahr, dass nachdem der alte Vater Kuo ®i [Zou Shouyi] gestorben
hatte, zog er sich vom V/inter 1559/60 bis zum Sommer 1562 für mehr als zwei.Jahre ist, Qingyuan ~ ffil:, 113 Fugu ~r!i° 114 und alle Versammlungsstätten veröden. All unsere
von der Gesellschaft und den Tätigkeiten der Schule Wang Y.·mgmings zurück, blieb Freunde sind betrübt und haben sozusagen keinen Ort der IIaltes mehr. So kann un-
in seinem llaus und übte sich im «Sitzen in der Ruhe». Er soll dabei die Gabe des sere Generation kaum das wahre Herz voll zur Auswirkung bringen und ihre Natur
Voraussehens der Zukunft erlangt haben, betrachtete diese aber als etwas Unbedeu- und ihr Geschick erfüllen.[ ... ] Es darfnicht sein, dass niemand die Leitung in diesem
tendes: «Das ist etwas Zufälliges und nicht der Rede wert.» 109 Wang Ji war über diese Bund für das Dao (die wahre Lehre) übernimmt (zhu meng si dao zhe bu ke wu ren 3::~
Zurückgezogenheit besorgt und besuchte ihn im Dezember 1562. Als er am 7. 'lag rofm:fi"::Y:i:iJ1!!\),,). Wenn einer ,mführt, dann folgen ihm die vielen nach und stimmen
des mittleren Wintermondes (elften Mondes) des Jahresren xu (2. Dezember 1662) mit ihm überein; und wenn schon viele anführen, werden die ihm Nachfolgenden
in Songyuan ankam, fand er Luo Hongxian nicht in stiller Abgeschiedenheit, sondern noch zahlreicher. Das wird Verwandtschaft im Dao (dao yi ~m) genannt und besteht
in größter Aktivität bei der Reorganisation des Steuer- und Frondienstsystems seines zwischen Lehrer und Freunden. [... ]Wenn jeder Einzelne sich absondert, kann das
Kreises Jishui. ßei diesem 'freffen kam es zwischen ihnen zu zweitägigen Gesprächen Feuer sich nicht sammeln und kräftig werden, sondern wird allnüihlich zu Rauch
über die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens». Über diese Gespräche ver- und verlöscht zu Asche; auch unser Dao (unsere Lehre) kann so nicht zur großen
fasste 1,Vang Ji einen Text und widmete ihn I ,uo Hongxian zu seinem achtundfünf- Klarheit und Kenntnis gelangen. Ihre Lebensweise, mein älterer Bruder, ist von jeher
zigsten Gelmrtstag ,un 14. rfag dieses elften Mondes(= 9. Dczcrnber). 110 Auch Luo hervorragend, lauter und rein; unsere Gleichgesinnten lrnbcn Ihnen schon inuner
Hongxian hielt in einer Aufzeichnung diese Gespräche fest. 111 In ihren Auffassungen
kamen sie sich sehr nahe; entscheidende Differenzen blieben aber bestehen. Wir wer-
den uns damit in einem eigenen Paragraphen befassen (sieh unten den§ 9). WangJi Yimgmings «I ,ebcnschronik» war (S. 245). Das passt aber weder zur Chronologie der Ereignisse noch
übernachtete zwei Alal bei Luo Hongxian in Songyuan und besuchte dann noch im zu verschiedenen Aussagen, wie sie in den Berichten von Luo Hongxi,111 und Qian Dehong zu finden
selben mittleren 1,Vintcnnond von Songyuan (KreisJishui) aus in derselben Präfektur sind. Qian Dchong kam mich seinem eigenen Bericht erst mindestens eine \Voche nach dem am 5. De-
zember 1562 erfolgten Tod von Zcm Shouyi, der ursp1iinglich die Überprüfung der «Lebenschronik»
Ji'an Nie Bao im Kreis Yongfong und danach im Kreis Anfo Zou Shouyi, der unrnit- lütte vornehmen soJlcn, zu l ,110 l Iongxian nach Songyrnm (siehe in der Einleitung zu' Jcil l, § 1, S. 49,
tclbar vor seinem '[bd st,md. Anschließend kehrte er nach Songyuan zurück, um sich Anm. l); die Überprüfung mit Luo HongxLm frnd ,ilso frühestens in der zweiten Dezemberhälfte
von Luo Hongxian zu verabschieden. 112 1562 statt, nachdem Wang Ji bereits von Songyuan abgereist war. Weder Qian Dehong noch Luo
Hongxian erwähnen eine Teilnahme Wang Jis bei dieser Überprüfung in Songyuan. Wu Zhen beruft
sich auf folgende Aussage von Wang Ji in dessen «Lebenslauf» von Qian Dehong: «Die drei Teile
der <Lebenschronib waren noch nicht fertig. Nian'an [Luo Hongxian] drängte ihn [Qian Dehong]
107 Xingzhuang («Lebenslauf»), Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, Anhang I, S. 1383. Fast wörtlich steht in einem erhaltenen Brief[, sie zu vollenden]. Er [Qian Dehong] stieg ins Huaiyu-Gebirge, [wo sich
diese Antwort auch imMRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 388. die Huaiyu-Ak:ademie befand,] und nach vier Monaten war die <Lebenschronib vollendet. Danach
108 Xingzhuang, Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, Anhang I, S. 13 83. ging er wiederum mit mir zu Nian'an [Luo Hongxian] (fit yu yu ji Nian'an ffl:9l!-'f5f:l:%/ii), um sie zu
109 A.a.O., S. 1384 überpliifen und die Druckplatten herzustellen.» (Wtzng Longxi quan ji [1822],juan 20, S. lüa [Taipei
110 WangJi: «Worte in der Begegnung in Songyuan; zum [nach chinesischer Zählung: 59.] Geburtstag 1970, S. 1391]; Wtzng Ji ji, Nanjing 2007,juan 20, S. 591). Nach Qian Dehongs eigenen Berichten
von Herrn Luo Nian'an; Songyuan wuyzt, shou Nian'an Luo zhang W JliH@ii\!i, ff:%/iiliit5t, in: Wtzng Longxi vollendete er die «Lebenschronib> während vier Monaten zwischen Februar und Mai 1563 in der
quan ji (1822),juan 14, S. 21 b-24b (Taipei 1970, S. 988-994); gekürzt auch in Sonff:jztan wuyu,juan 2, Huaiyu-Akademie, nachdem er zuvor sein noch nicht fertiges Manuskript mit Luo Hongxian in
S. 17b-19b (S.190-194). Songyuan überprüft hatte (siehe oben in der Einleitung zu Teil I, S. 49, Anm. 1). Vielleicht ist Wang
111 «Begegnung der Gesinnungen in Songyuan» (Songyuan zhi yu WJ)J(;.!;;11\!i), Luo Hongxian ji, Nanjing Jis Bericht so zu verstehen, dass er und Qian Dehong im Mai 1563 von der Huaiyu-Akademie, wohin
2007, s. 695-697. vielleicht auch WangJi von seinem Besuch im Dezember in Songyuan zurückgekehrt war, wiederum
112 Luo Hongxian schreibt in seiner «Begegnung der Gesinnungen in Songyuan»: «Am 7. Tag des zu Luo Hongxian nach Songyuan reisten, um mit ihm die inzwischen fertiggestellte «Lebenschronik»
mittleren Wintermondes des Jahres ren xu [2. Dezember 15 62] kam er [Wang Ji] unerwartet von der zu besprechen und den Druck in die Wege zu leiten. Wang Ji hat jedenfalls die «Lebenschronik»
Huaiyu-Akademie 'ti.:liil'l!l. [im Kreis Yushan .:liill, Präfektur Guangxin !Jo:fi§], um mich in Songyuan nach ihrer Vollendung gelesen, da er dazu ein Vorwort verfasste. Während aber ein Besuch Qian
zu besuchen. Ich hatte mein Haus während dreierJahre nicht verlassen.[ ... ] Nachher besuchte er in Dehongs im Frühsommer 1563 bei Luo Hongxian auch anderswo dokumentiert ist (siehe Wu
der Umgebung Shuangjiang [Nie Bao], Dongkuo [Zou Shouyi] und alle Freunde und kam erneut, um Zhcn: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 250), ist dies für einen solchen Besuch Wang Jis nicht
sich zu verabschieden.» (Luo Hongxifm ji, Nanjing 2007,juan 16, S. 696f.) Wang Ji berichtet, dass er der Fall.
Zou Shouyi im mittleren Wintermond unmittelbar vor dessen Tod (am 5. Dezember 15 62) besuchte 113 Das Qingyuan-Gebirge südöstlich von Ji'an, in welchem sich die Schüler und Nachfolger Wang
(1. Brief anLü Wozhou 13 )Ji;mJ, Wtzng Longxi quanji [1822],juan 9, S. 2 la [Taipei 1970, S. 615]; Wtzng Yangmings aus der Präfektur Ji'an jährlich einmal unter Leitung von Zou Shouyi zu versammeln
Jiji, Nanjing 2007,juan 9, S. 217). - Wu Zhen schreibt in seinem Xinian 1522-1602, dass das Motiv pflegten.
von Wang Jis Besuch bei Luo Hongxian im Dezember 15 62 in Songyuan die Überprüfung von Wang 114 Die Fugu-Akademie von Zou Shouyi, ein Kilometer südlich der Kreisstadt Anfu.
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vertraut. Nun aber schließen Sie sich schon seit vielen Jahren [von den Tätigkeiten offiziell sein Schüler wurde. 119 Er fährt fort: «Sie dachten anfänglich, dass das Ver-
unserer Schule] ab, ruhen in einsamer Höhe und treten nicht hervor. Für sich allein halten und die Grundlagen unserer Schule (wu dang Hit) zu leichtfertig seien (tai yi
mag man dabei Nutzen ziehen; wie steht es aber mit dem Dao unserer Generation? *~), und zweifelten damit auch an der Lehre unseres Lehrers [Wang Yangming].
Sie sahen, dass unsere Generation keine echte Gesinnung hat, und zogen sich davon Sie haben in den vergangenen Jahren Ihren Geist gesammelt und gefestigt (xi ju
angewidert zurück; da wäre es noch besser, sich [aus Protest] das Leben zu nehmen a~) 120 und haben dabei die Tiefe [des Herzens] ausgeschöpft und das Feinste er-
und so seine Absicht zu erreichen. Weiter sahen Sie, dass Xingchuan [Tang Shunzhi] reicht. Zudem haben Sie sich während dreier Jahre abgeschlossen (bi g;uan r,Jllffl), 121
wieder Beamter wurde, aber sein großes Unternehmen nicht verwirklicht hat. In der und erst dann haben Sie geglaubt, dass das Lernen der Alten [der Konfuzianismus]
Folge haben Sie ihn getadelt und sich noch entschlossener vor der Welt verborgen. wieder ohnegleichen in Erscheinung getreten ist und vor einer Morgenröte steht und
Ich denke, dass auch das zu weit geht. Selbst die Zen-Schule des Großen Fahrzeuges dabei Tag und Nacht durchdringt, Offenbares und Geheimes lückenlos vereinigt. Sie
will sich nicht bloß um die eigene Vollendung kümmern; umso weniger dürfen Sie haben die Probe abgelegt, indem Sie für die Bewohner Ihres Kreises die Steuerkarten
sich so verhalten, der Sie während Ihres ganzes Leben den wahren Samen der Einheit und Steuerregister anfertigten, dabei den ganzen Tag in wirrstem Getriebe standen
aller Wesen (wan wu tong ti -~-H) [d.h. der Menschlichkeit] gepflanzt haben.»115 und keinen Unterschied zu einer ruhigen, abgeschlossenen Klause empfanden. 122
Doch Luo hat nie eine solche organisatorisch leitende Rolle in der Schule Wang Daran zeigt sich, dass die Folge des Fortschreitens im Lernen unseres Lehrers [Wang
Yangmings von Jiangxi übernommen. Das lag ihm wohl nicht, und er wurde daran Yangming] (wu shi jin xue ci di Hflilijlfl,)Xffi) jedes Mal in großen Sorgen und Schwie-
auch durch seine bald nach diesem Brief ausbrechende Krankheit und durch seinen rigkeiten durch zahlreiche Läuterungen zum reinen Stahl gelangt, und Sie haben für
Tod im darauffolgenden Jahr gehindert. sich selbst erwiesen, dass Sie erst durch das, was Sie dabei erlangten, zu einem zwei-
Huang Zongxi schreibt in seinem Werk über die Konfuzianer der Ming-Zeit felsfreien Verständnis kamen. Wenn Sie nun anfänglich an unserem Lehrer [Wang
(MRXA), dass Luo Hongxian nach der Vollendung von Wang Yangmings «Lebens- Yangming] zweifelten, war dies in Wirklichkeit kein Zweifel an unserem Lehrer,
chronik» aufgrund einer Aufforderung von Qian Dehong sich in dieser «Chronik» sondern ein Zweifel, ob die Reden unserer Schule (wu dang Hll:) klar und gründlich
nicht mehr wie bisher bloß «Lernender in der Nachfolge» (hou xue 11~) von Wang seien. Wenn Sie jetzt an unseren Lehrer glauben, glauben Sie in Wirklichkeit nicht an
r,
Yangming nannte, sondern sich zu seinem «Schüler» (men ren A) erklärte und dass unseren Lehrer, sondern glauben dem, was Sie selbst erlangten, und bezeugen damit
Qian Dehong und Wang Ji dies «bezeugt (offiziell anerkannt: zheng fl)» hätten.11 6 das, was der Lehrer vor Ihnen erlangte. Wenn es so ist, dann sind Ihnen der Ahnen-
Qian Dehongs diesbezügliche Aufforderung ist erhalten, aber von einer formellen tempel und alles Zubehör, sobald Sie das Eingangsschloss zur Schule unseres Lehrers
Selbstbezeichnung Luo Hongxians als «Schüler» Wang Yangmings kann ich in der öffnen, schon altvertraute Dinge. Was für Zweifel könnte es an Ihrer Bezeichnung als
«Lebenschronik» und in anderen Dokumenten jener Zeit keine Spuren finden. <Schüler> geben, der die inneren Gemächer des Lehrers betreten hat (ru shi di zi J....
Vielleicht hat Huang Zongxi aus jener Aufforderung Qian Dehongs und aus der ~sß-=f)! Sie haben den Entwurf zur <Lebenschronik> verbessert und mitgeschrieben
oben zitierten an Luo Hongxian gerichteten Bitte Wang Jis, nach dem Tod von Zou (gai xiao bian shu i3.l!:lllUil~), nur Sie stimmen mit dem Lernen des Lehrers [Wang
Shouyi die Leitung der Schule inJiangxi zu übernehmen, den Schluss gezogen, 9ass Yangming] überein (shi xue wei xiong yu tong flili~1t5tftlii.l). Es gäbe nichts zu sagen,
Luo Hongxian sich offiziell als <<Schüler» Wang Yangmings bezeichnete. Die Auf- wenn Sie sich in der <Lebenschronik> als <Schüler> bezeichnen würden, um den
forderung Qian Dehongs ist für den geistigen Werdegang Luo Hongxians und seine Glauben Ihres Herzens auszudrücken und auch dem Willen Ihrer Jünglingsjahre 123
Stellung in der Schule sehr aufschlussreich. Er schreibt: «Sie, mein älterer Bruder, 117 zu folgen.» 124 Ich nehme an, dass es Qian Dehong bei dieser Aufforderung nicht
nennen sich in der <Lebenschronik> des Lehrers [Wang Yangming] nicht <Schüler> allein um die offizielle Aufnahme Luo Hongxians in die Schule ging, sondern dass
r,
(men ren A), mit der Begründung, dass Sie zu seinen Lebzeiten nie bei ihm lernten diese Aufforderung im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Bitte Wang Jis an Luo
und ihm das Eintrittsgeschenk118 überreichten.» Er argumentiert dann aufgrund des Hongxian zu verstehen ist, nach dem Tod von Zou Shouyi die Leitung der Schule in
konfuzianischen Kanons, dass dies nicht eine notwendige Bedingung für die Selbst-
bezeichnung als «Schüler» (men ren r,A) sei, und führt dafür auch verschiedene
Präzedenzfälle an, unter anderem Nie Bao, der erst nach dem Tod Wang Yangmings
119 Nie Bao hat erst 1531, nach dem Tod Wang Yangmings, diesen offiziell als Lehrer anerkannt, wobei
Qian Dehong und WangJi als Zeugen auftraten: siehe oben in diesem Teil, Kap. 3, § 1, S. 523.
120 Vgl. unten in diesem Kapitel,§ 3, Luo Hongxians «Methode» des «Sichzurückholens und Gesam-
meltbleibens».
121 Nämlich vom Winter 1559/60 bis zum Sommer 1562: vgl. oben in diesem Paragrapen, S. 642.
115 «An Luo Nian'an», Wang Longxi quan ji (1822),juan 10, S. 4b-5a (Taipei 1970, S. 656f.). 122 Sommer 1562 bis Winter 1562/63: siehe oben in diesem Paragraphen, S. 642, und unten in diesem
116 MRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 389. Kapitel den§ 9. . .
117 Höfliche Anrede, in Wirklichkeit war Luo Hongxian sieben Jahre jünger als Qian Dehong. 12 3 Luo Hongxian wollte 1518 als Vierzehnjähriger bei Wang Yangming in Ganzhou lernen, erhielt dafür
118 «Eintrittsgeschenk» (wei shi ~~): Geschenk beim ersten Besuch einer höhergestellten Persönlichkeit, aber von seinem Vater keine Erlaubnis: siehe oben am Anfang dieses Paragraphen, S. 621f.
mit der man eine feste Verbindung aufnehmen will; vgl. Ciyuan, Bd. 1, Beijing 1979, S. 743c. 124 Zweiter Anhang zur «Lebenschronik», Quanji,juan 37, Nianpufulu 2, S. 1371f.
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der Präfektur Ji'an und damit faktisch in der ganzen ProvinzJiangxi zu übernehmen. Lernen erlangt hat (de qi xite fi!t~), 129 ist es dann noch wichtig, ob man <Schüler>
Die Schreiben von Wang Ji und Qian Dehong waren vielleicht sogar untereinander heißt oder nicht (chengwei zhi men bu men '1~ zr, :-r::r,)! Deshalb trachte ich nach dem
abgesprochen. Luo Hongxian konnte schwerlich als bloßer «Lernender in der Nach- Willen zu lernen (yuan xue JD~) und nicht danach, <Schüler> zu sein (,ji men 1'1:E&P,).
folge» die Leitung des blühendsten Zweiges der Schule übernehmen, und umgekehrt Dass ich mich als <Lernenden in der Nachfolge> (hou xue ft~) bezeichne, ist für im-
hätte ihn die Annahme der Selbstbezeichnung als «Schüler» moralisch zur Übernah- mer schwer zu ändern (heng bu yi yi ffi:1'~ ~).Wenn dieser Mensch den Lehrer darin
me dieser Leitung verpflichtet. Die beiden Schreiben von WangJi und Qian Dehong zufriedengestellt hat, kann man auf diese Weise schreiben. Auf diese Weise stimmen
zeigen auch, wie hoch Luo Hongxian im Ansehen dieser beiden geistigen Führer der in meiner Bezeichnung Name und Wirklichkeit überein, und es gehört sich, dass sie
gesamten Schule stand und dass sie ihn, trotz seines eigenständigen Weges, als voll zur nicht geändert wird. Was den Vergleich zwischen Herrn Shuangjiang [Nie Bao] und
Schule gehörig betrachteten - dies im Gegensatz zu ihrer Einschätzung von Nie Bao, mir betrifft, so iit der eine einmal aufwartend zu seinen Füßen gesessen, während der
den sie aufgrund seiner unorthodoxen Ansichten an den Rand der Schule stellten. andere ihm keine Eintrittsgeschenke überreicht hat; die Tatsachen sind verschieden,
Schon deshalb darf man nicht, wie dies oft geschieht, Nie Bao und Luo Hongxian man kann daraus für mich keinen Präzedenzfall machen. Und wenn ich es bedauerte,
zur selben Gruppe innerhalb der Schule rechnen. 125 dass ich nicht sein Schüler wurde (bu de ji men =-r::ti~r,), und danach trachtete, es
Luo Hongxian lehnte in einem wohl ebenfalls 1563 geschriebenen Antwort- zu werden (,ji zhi ~Z), dann reicht dies auch als eine Hilfe für meine selbständige
brief an Qian Dehong dessen Antrag ab: «Sie haben mit vielen komplizierten (private) Ertüchtigung (si shu ~51) und ist nicht nur eine traurige Sache.» 130• 131 Auch
Worten hin und her über meine Bezeichnung geschrieben. Sie meinten, dass ich im mit seiner Selbstbezeichnung nahm es Luo Hongxian sehr genau. Aber hinter seiner
Herzen [Wang] Yangrning zum Lehrer habe (xin shi Yangming xian sheng ,t,,ßilj~HJ.I Ablehnung stand wohl auch seine Abneigung, die offizielle Leitung der Schule inJi'an
.$t1:.) und dass nicht die Bezeichnung als <Lernender in der Nachfolge> (hou xue ft~), zu übernehmen.
wohl aber diejenige als <Schüler> (men ren r,.A.) mit meinem Willen zur Zeit meiner Doch scheint die intensive Auseinandersetzung mit Wang Yangrnings Lebens-
Jünglingsjahre übereinstimme. Dafür, dass man sich erst nach dem Tod [des Lehrers] geschichte bei der Gelegenheit der Überprüfung der «Lebenschronik» in der ersten
noch_ seinen <Schüler> nennt, könne als Beispiel die Geschichte von Shuangjiang [Nie Hälfte des Jahres 15 63 Luo Hongxians Verehrung für den Meister noch verstärkt zu
Bao] dienen, für die auch die Genehmigung in der Meinung erteilt wurde, dass sie haben. Er schreibt in seinem im Sommer (im sechsten Mond) 1563 geschriebenen
keine Schmähung der Schule unseres Lehrers sei. Damit erweisen Sie mir eine große Vorwort zu dieser annalischen Biographie, dass er sich bei deren Überprüfung wie-
Liebe, aber es beruht auf erzwungenen Überlegungen, und ich wage daher bestimmt derholt mit dem «Lernen» (xue ~) Wang Yangmings auseinandergesetzt habe, und
nicht, es anzunehmen (gu you suo bu gan IE:fii P.lr1'it). Wenn ich überlege, wie die Alten sagt von diesem «Lernen», dass es ein unablässiges Suchen war, das sich bei keinem
sich bezeichneten, so taten sie dies aufgrund der Wirklichkeit und nicht leichtfertig, Erfolg zufrieden gab und nie stillstand. Er fügt hinzu: «Also ist beim guten Lernen
und sie wollten dadurch Wahrhaftigkeit ausdrücken. Im Altertum war keiner so sehr das Sichbernühen und völlige Ausschöpfen der eigenen Fähigkeiten (,jie cai ~::t) 132
gewillt, nach Konfuzius zu lernen (:yuan xite Kongzi JD•::R.=r), 126 wie Mengzi. Dieser das Wichtigste; das Verstehen (,jie wu M-ffi) ist das Zweite, und das Hören der Worte
sagte einmal: <Es war mir nicht gegeben, Schüler (tu fi) von Konfuzius zu sein>, 127 (ting yan I! ~) ist das am wenigsten Wichtige. Denn es gibt viele, die vertraulich eine
und er bedauerte es. Sein Bedauern galt der Tatsache, dass er Konfuzius nie persönlich besondere Begabung bezeugen (mi zheng shu zi ~m~Jl) und sich schweigend an ein
gesehen und kennengelernt hatte, um ihm dadurch gewissermaßen schnell nachfolgen wunderbares Verstehen halten (mo chi miao qi ~~M>~), aber nicht durch Selbstprü-
zu können. So hat er sich gewiss nicht aufgrund dessen, dass er [gemäß Konfuzius] fung die Wahrheit suchen und so nicht der ursprünglichen Erwartung entsprechen
zu lernen gewillt war, dessen <Schüler> genannt. Nun gab es unter den Schülern von (bu fa su qi =-r::il.lJJ1Jl1.l). Jemand, der noch nicht alle Schwierigkeiten durchgegangen
Konfuzius gewiss auch Jünglinge, die nur zufällig vorn selben Ort waren, doch unter und noch nicht tief in die Wahrheit eingedrungen ist, sie nicht geisteskräftig berührt
denen, die nicht seine Schüler waren, wagte nicht einmal Mengzi, sich selbst den
dreitausend [Schülern von Konfuzius] gleichzustellen. 128 Wie soll die Regel der Spä-
12 9 In den mir verfügbaren chinesischen Texten des Nianpu fuht wie auch in der Ausgabe d1eses Briefes
teren in ihrem Verhältnis zum Lehrer (shi Ja ßili~) sein? Das ist der Grund, warum ich in Luo 1-Iongxian ji, Nanjing 2007, S. 205, steht anstatt «de qi xue ~ij;l't!J\» («sein Lernen erlangen»):
nicht anzunehmen wage. Obschon es so ist, betrachte ich es als einen Fehler, dass ich «de qi men Jij.!tr,» («sein Schüler werden»). Ich nehme an, dass dies ein Irrtum ist.
des Lehrers [Wang Yangrning] Lernen (xue ~) noch nicht erlangte. Wenn man sein 13 0 Die Übersetzung dieses Satzes ist unsicher. Auch für chinesische Herausgeber war er wohl nicht leicht
zu verstehen, denn er lautet in den mir zur Verfügung stehenden drei Ausgaben dieses Textes überall
verschieden und differiert um nicht weniger als sieben Zeichen (Wörter): Gesamtausgaben der Werke
Wang Yangmings, Shanghai 1992,juan 37, und Taipei 1978,juan 36; Gesamtausgabe der Werke Luo
Hongxians, Nanjing 2007,juan 6, S. 205. Leider existieren bislang noch keine kritischen Ausgaben!
125 Siehe am Ende dieses Paragraphen, S. 651. 131 Quanji, Nianpu fulu II, unter der Rubrik «Brief über die <Lebenschronik> von Luo Nian'an», Shanghai
126 Vgl. Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2. 1992,juan 37, S. 1367; Taipei 1978,juan 36, S. 706; Luo 1-Iongxian ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 204f.
127 Mengzi, 4. Buch, 2. Teil, Kap. 22. 13 2 In der Ausgabe dieses «Vorwortes» in Luo 1-Iongxian ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 517, steht anstatt «jie
128 Nach der legendären Tradition soll Konfuzius dreitausend Schüler gehabt haben. cai t!i\;;1"»: «jie li tlil.h» («das Ausschöpfen der eigenen Kräfte»).
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und nicht lichtvoll zur Auswirkung bringt, muss sicher darauf warten, dass ein ver- Bei s~inem_vorigen Besuch im Dezember 1562 hatte er diese drei hervorragenden
ständiger Lehrer ihm gegenüber persönlichen Unterricht erteilt (bi you si yu ming shi «Gle1chgesmnten» noch alle lebend angetroffen. Dann fuhr er weiter zu einer
nzian lin zhi yu si shou ~~~MaJ:lgijiffij~~~lb.:lf); erst dann kann das Vertrauen (xin Versammlung nach Hongdu, dem heutigen Nanchang, der Provinzhauptstadt von
~) von langer Dauer und weit sein. Nachdem ich mich während dreier Jahre 133 mit Jiangxi. 138 Mit Luo Hongxian hatte die blühendste Schule Wang Yangmings, dieje-
dem Lernen beschäftigt hatte, starb der Meister [Wang Yangming], und ich bin nie nige der Präfektur Ji'an inJiangxi, den letzten ihrer vier hervorragendsten Vertreter
auch nur einen Tag sein Schüler gewesen (wei changyi ri de ji men *"g- l:HijJiU~). 134 verloren; Ouyang De war schon 15 54 verstorben.
Doch wenn ich [jene] drei Dinge unterscheide, dann ist die Sache [für mich] jetzt Wenn wir Luo Hongxians Leben und Denken überblicken, dann können wir
klar (jin yi shen yi ~ Bif~)- Was meinen die Lernenden dazu, die gemäß dem Lehrer feststellen, dass keiner der in dieser Studie auftretenden Nachfolger Wang Y·mgmings
[Wang Yangming] lernen (xue xian sheng zhi xue zhe shi ci he zai ~$t1:l:.;z~~mJJt so unablässig und auf der Grundlage der eigenen Erfahrung um das Verständnis der
-fiiJ~)?» 135 Diese Worte sind etwas enigmatisch und in der voranstehenden Überset- Lehre des großen Meisters gerungen hat wie er. Er kam zur Auffassung, dass Wang
zung vielleicht schon überinterpretiert. Erklärt Luo Hongxian mit ihnen, dass er nie Yangming seine Lehre nicht vollenden konnte, und warf dessen vertrautesten Schü-
direkt die «\Norte» des Meisters «hörte» und nie sein Schüler war und dass er auch lern, vor allen Wang Ji, vor, dass auch sie die Lehre von der «Verwirklichung des
nicht über eine «besondere Begabung» und ein «wunderbares Verstehen» seiner ursprünglichen Wissens», das heißt den Weg zur «Heiligkeit»; nicht zur Klarheit
Lehre verfügt (wie einige Leute, z.B. Wang Ji, prätendieren), dass er aber im Hin- gebracht hätten. Auch für sein eigenes Verständnis hat er diesen Anspruch nicht erho-
blick auf das Wichtigste im «Lernen», nämlich das unablässige Bemühen oder das ben. Er hat für sich nur beansprucht, dass er sich, wie Wang Yangming, im ethischen
«Ausschöpfen der eigenen Fähigkeiten», entschieden ist, gemäß Wang Yangmings Lernen unablässig bemühte und seine «eigenen Fähigkeiten ausschöpfte».
Lernen zu lernen? Im 17.Jahrhundert teilte Huang Zongxi in seinem monumentalen Geschichts-
Im Sommer 1563 erkrankte Luo Hongxian an seinen Atemwegen; im Herbst werk über die Konfuzianer der Ming-Dynastie (MRXA) den geistigen Werdegang
darauf verschlimmerte sich diese Krankheit, zudem hatte er Krampf- und Lähmungs- von Luo Hongxian in drei Phasen ein: «Zu Beginn setzte er in seinem [ethischen]
erscheinungen an einem Auge und an seinem rechten Arm, so dass er nicht mehr Lernen all seine Kraft auf die Umsetzung [des <ursprünglichen Wissens>] in die Tat
schreiben konnte. Sein Gesundheitszustand scheint sich dann kurz gebessert zu ha- (zhi li yu jian lii ~hM-1/illl); in seiner mittleren Zeit kehrte er zur Sammlung in der
bcn.136 Er starb im niichstenJahr am 5. Tag des achten Mondes (20. September 1564) Stille und Ruhe zurück (gui she yu ji jing !i\lffiiM~ffil); in seiner späten Zeit erreichte
im Alter von weniger als sechzig.Jahren. Er starb wie Nie Bao ohne materiellen Besitz. er tiefe Einsicht in das eigentliche Wesen der Menschlichkeit (ehe wu yu ren ti iW:fäM
Als ein Tag vor seinem Tod die Vorsteher seiner Sippe ihn besuchten, fanden sie in 1=lll).» 139 Diese Dreiteilung der geistigen Biographie Luo Hongxians übernahm
seinem Haus keine wertvollen Sachen und sagten: «Bis zu diesem Punkt! Das ist ja Huang Zongx:i wörtlich von Tang Hezheng /i l\'Hl, einem Sohn von Luo Hongx:ians
eine leere Tasche!» T,uo Hongxian antwortete lachend: «Ich habe mein ganzes T,eben bestem Freund 'Tang Shunzhi (1507-1560).1'10 Sie hat auch Eingang in die heutige
lang nichts zurückgelegt, es war mir in dieser Armut wohl. Sagen Sie das meinem Sohn Geschichtsschreibung gefunden. Mi Dieser Dreiteilung entsprechen in Luo Hongxians
[Shiguang], wenn er [von den Provinzexamen] zurückkehrt.» 137 Leben und Denken sicher Realitäten. Von seiner «frühen Phase» sagte Luo Hongxian
Im Sommer des nächsten Jahres (15 65) kam Wang Ji nach Songyuan, um über selbst auf der Sommerreise von 1554 gegenüber WangJi: «Alle Leute, mit denen ich
den Tod seines Freundes zu trauern. Wahrscheinlich war dieser noch nicht begraben, in meinen frühen Jahren zusammentraf und über das <ursprüngliche Wissen> sprach,
sondern in einem verschlossenen Sarg zu Hause aufgebahrt. Danach reiste Wang Ji meinten: <Das <ursprüngliche Wissen> ist das, welches um das Gute und das Schlech-
in den Kreis Yongfeng, um das Grab des Ende 1563 gestorbenen Nie Bao zu besu- te weiß; gestützt darauf es in die Praxis umsetzen, das ist die <Verwirklichung des
chen, und dann in den Kreis Anfu zum Grab des Ende 15 62 gestorbenen Zou Shouyi. [ursprünglichen] Wissens>.> Ich habe mich einst von diesem Punkt aus angestrengt,
bin aber schließlich nicht wirklich eingedrungen (vorwärtsgekommen).» 142 Ähnliches
sagte er auch in seinem oben zitierten V<irwort zn Nie Baos Kun birm lu von 15 50. Dies
entspricht der «frühen Phase» jener Dreiteilung von Huang Zongxi und bezieht sich
133 In der Ausgabe dieses <<Vorwortes» in Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 11, S. S. 517, steht irr-
tümlicherweise: «dreißig Jahre». Als W,mg Yangming Anfang l 529 starb, war Lno Hongxian gerade auf Wang Yangmings zweiten Begriff vom «ursprünglichen Wissen» und von dessen
vierundzwanzig Jahre alt.
134 Wang Yangming ist Anfang 1529 gestorben. Luo Hongxian ist also der Auffassung, dass er sieh seit
1526, das heißt wohl, seitdem er dem Unterricht von Li Zhong folgte (siehe oben, S. 622), mit dem
«Lernen" beschäftigte. 138 Hongrlu tong xin huiyue, Wang Longxi (jll(UI ji (1822),juan 2, S. 22a (Taipei 1970, S. 199).
135 «Vörwom, von Luo Hongxian zur «Lebenschronik» (Nirmpu) Wang Yangmings in Ulang Yangming 139 MRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 388.
qurmji, Shanghai 1992,jurm 37, S. 1359; Luo I-l1mgxianji, Nanjing 2007,juan l 1, S. 517. 140 Siehe WuZhen2001, S. 183 undS. 362.
136 Siehe Wang Jis letzten Brief an Luo Hongxian aus dem Jahr 1564: Ulang Longxi quanji (1822),juan 141 Hou Wailu, Qiu Hanshcng et al.: Song ming lixue shi ;1sa)lJ11UJ~ («Geschichte der Lehre vom li in
10, S. 6a (Taipei 1970, S. 659). der Song- und Ming-Zeit»), Beijing 1987, Bd. 2, S. 3 l 7ff.
137 «Lebenslauf» (Xing zhuang), Luo Hongxianji, Nanjing 2007, Anhang I, S. 1386. 142 Jiayin xia youji, Nian'an xiansheng wenji,juan 5, S. 43a; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 81.
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«Verwirklichung». Mit der «mittleren Phase» ist wohl die Zeit von Luo Hongxians seinen Schüler Yin Zhe :11' it (Beiname: Daoyu ~J!!): _«Früher wurde ich vom Satz,
größter Nähe zu Nie Bao in den Jahren 1549 bis 1551 gemeint und mit der «späten dass das <ursprüngliche Wissen> zu jeder Zeit gegenwärtig sei (liang zhi shi shi xian
Phase» seine Erfahrung des Jahres 1555 von der Einheit aller Wesen, über die er sich zai jjl~~~JJ!tE), in die Irre geführt, und es fehlte mir die ethische Anstrengung des
im oben in diesem Paragraphen erwähnten Brief an Jiang Daolin äußert. 143 Doch Heranbildens und Nährens (pei yang :lfHl). Dieses besteht im Sichzurückl1olen und
war Luo Hongxians geistiger Werdegang viel komplexer und war wohl in keinem Sichzusammenhalten (shou lian xi ju l&~AJII). Im Sommer des Jahres jia chen (1544)
Moment völlig auf etwas festgelegt. Vor allem aber kommt in jenen drei Phasen sein saß ich während zehn Tagen in der Ruhe und hatte dadurch eine gewisse Einsicht,
Verhältnis zu Wang Ji überhaupt nicht zur Geltung, das für sein Denken und Leben wurde aber wiederum von jenem Satz von Longxi [Wang Ji] und anderen an der Nase
bestimmend war. Er hatte diesen schon 1532 in Peking kennengelernt und war von herumgeführt.» 147 Andererseits war Luo Hongxian, wie in der obigen Biographie
ihm sehr beeindruckt. Doch begann dessen großer Einfluss auf ihn wohl erst im hervorgehoben wurde, in den Jahren zwischen 1539 und 1549 auch nicht einfach ein
Winter 1539/40, als er in Nanking während mehrerer Wochen midhm zusammen Parteigänger von Wang Ji, sondern suchte in der Nachfolge des Song-Konfuzianers
war. Nie Bao schreibt, wohl um 1550, an WangJi: «Dafus [Luo Hongxians] früheres Zhou Dunyi (1017-1073) die Verminderung der Begierden in der Stille und gewann
<Lernen> krankte daran, dass es eine zu schnelle Befreiung und Lösung (tuo hua rong seit 1547 eine wachsende Sympathie für die Auffassungen von Nie Bao. Und nach
shi Jmftil!") suchte. Befreiung und Lösung machen nicht das <Lernen> aus, sondern seiner Wendung von 1549/50 schloss er sich in seiner vehementen und von Nie Bao
sind der Zustand, nachdem das <Lernen> zur Reife gelangt ist. Weil er diesen Zustand inspirierten Kritik an Wang Ji jenem auch nicht einfach völlig an, sondern hatte ihm
schnell zu erreichen suchte, geriet er in die Lehre von Cihu [Yang Jian, 1140-1225]. gegenüber in Hinsicht auf das «ursprüngliche Wissen» eine eigene Auffassung. Und
Er betrachtete das gegenwärtige [<ursprüngliche Wissen>] als vollständig (yi xian zai schon nach wenigen Jahren (1552/53) distanzierte er sich von Nie Bao mehr und
wei ju zu J;l.JJ!tE~JijJE.), betrachtete ein aktuelles Wahrnehmen (Bewusstsein) als das mehr und näherte sich wieder Wang Ji an, ohne allerdings zu diesem einen kritischen
<ursprüngliche Wissen> (yi zhi jue wei liang zhi P).~Ji~ 5i~) und betrachtete das Abstand hinsichtlich der Gegenwärtigkeit des «ursprünglichen Wissens» aufzugeben.
Sichenthalten von Meinungen als die ethische Anstrengung [der <Verwirklichung Die 15 55 erfolgte «tiefe Einsicht in das eigentliche Wesen der Substanz der Mensch-
des ursprünglichen Wissens>] (yi bu qi yi wei gongfa P,J.,fJm~~:i:JJ~). Er ergötzte sich lichkeit», das heißt die Erfahrung der Einheit des eigenen Herzens mit allen Wesen,
am Sprunghaften und Plötzlichen (chao dun im.~) und verachtete das Schwierige und hat sein Denken demjenigen Wang Jis eher noch mehr angenähert, als dass sie es von
Bittere, er verehrte leere Lehren und vernachlässigte die echte Anstrengung und ihm wieder entfernt hätte, denn sie bedeutete für Luo Hongxian, dass sich das «ur-
meinte von sich selbst, dass er <über dem Abgrund hängend die Hände loslasse> (sa sprüngliche Wissen» nicht in einer ruhigen Absonderung von der Welt, sondern nur
shou xuan ya ffl:11:=F-~) und dass <überall lauter Gold sei> (bian di huangjin ~:ti!!i!:~). im tätigen Kontakt mit allen Wesen «verwirklichen» kann. In der chinesischen Ge-
Doch stimmte er dabei mit keinem Wort der <Sechs Klassiker> und der <Vier Bücher> schichtsschreibung wurde allgemein Luo Hongxian mit Nie Bao verbunden und mit
überein. Er spielte mit seiner Seele und meinte, er würde es von selbst erreichen. So diesem zusammen in einen Gegensatz zu WangJi gestellt. Diese Sicht geht aufHuang
trieb er es während zehnJahren.» 144 Wenn Nie Bao hier an WangJi schreibt, dass Luo Zongxi bzw. auf dessen Lehrer Liu Zongzhou (Beiname:Jishan, 1578-1645) zurück,
Hongxian während zehnJahren der falschen Lehre des Song-Konfuzianers YangJian der Wang Ji in der Tradition der Donglin-Akademie ablehnte und Luo Hongxians
verfallen war, dann meint er in Wirklichkeit, dass er während zehn Jahren der Lehre Kritik an Wang Ji guthieß. Noch in der heutigen chinesischen Literatur sind die bei-
seines Adressaten Wang Ji anhing, denn er charakterisiert diese «falsche» Lehre mit den einzigen Monographien über Luo Hongxian zugleich Doppelmonographien über
Wang Jis Formeln oder mit solchen, die er in der Kritik an dessen Lehre benutzte. 145 ihn und Nie Bao, 148 und die beiden neuesten Übersichten über die Entwicklung der
Schon Qian Dehong hatte Wang Ji unter dem Namen von Yang Jian kritisiert. 146 Es Schule Wang Yangmings zählen sie zur selben Fraktion. 149 In Wirklichkeit aber war
ist anzunehmen, dass Nie Bao mit jenen zehn Jahren die Zeit zwischen 15 39/40, als Luo Hongxian von seiner ersten Begegnung mit WangJi imJahre 1532 bis zu seinem
Luo Hongxian WangJi in Nanking besuchte, und 1549/50, als er sich weitgehend Nie Tod insgesamt mehr an Wang Ji und seinen Gedanken interessiert und von ihm mehr
Baos Auffassung anschloss, im Auge hatte. Luo Hongxian schreibt selbst um 15 50 an angezogen als von Nie Bao, obschon er von dessen Ernst in der ethischen Praxis sehr
beeindruckt war. Er wurde sich auch immer mehr bewusst, dass Wang Yangming in
Wang Jis Denken präsenter war als in demjenigen Nie Baos.
143 Zum Inhalt dieses Briefes siehe unten in diesem Kapitel den Anfang des § 9.
144 Nie Bao ji, Nanjing 2007,juan 8, zweiter Brief an Wang Longxi, S. 268; aufgenommen im MRXA,juan
17, Beijing 1985, S. 377.
145 Siehe oben in diesem Teil II die Kap. 1 und 2. Auch den Ausdruck «über dem Abgrund hängend die
Hände loslassen» benutzt Wang Ji für die von ihm selbst gelehrte Haltung: siehe oben in Kap. 1 den 147 «Briefan Yin Daoyu jt ~!!!!!», Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 7, S. 251; aufgenommen im MRXA,
§ 3, S. 443; ebenso das Goldgleicnis: siehe unten im§ 5, S. 671. juan 18, Beijing 1985, S. 399.
146 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 8. Wang Ji schätzte die Lehre Yang Jians, der 148 Die beiden großen Doppelmonographien von Wu Zhen (Nanjing 2001) und von Lin Yuehui (Taipei
ein Schüler von Lu Jiuyuan (Xiangshan) war, und hatte 15 32 in Peking Aussagen von ihm in einem 2005).
Gespräch mit Luo Hongxian beigepflichtet: siehe Wu Zhen 2001, S. 189 und S. 338. 149 Die Werke von QianMing 2002, S. 148-151, undYang Guorong 2003, S. 102-111.
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In den folgenden Paragraphen gehen wir von Luo Hongxians «Vorwort» (15 50) ihnen nahm Luo Hongxian öffentlich Stellung für Nie· Bao und stellte sich damit in
und «Nachwort» (1550 oder 1551) zu Nie Baos «Unterscheidungen in der Not» aus, einen Gegensatz zur Mehrheit in der Schule Wang Yangmings, die damals faktisch von
da diese beiden Texte Luo Hongxians damaligen Gesinnungswandel ausdrücken, der Wang Ji geleitet wurde. Die Wichtigkeit dieser beiden Texte geht auch daraus hervor,
ihn in einen Gegensatz zu WangJi brachte. Dann erörtern wir seine seit jener Zeit am dass beide von Huang Zongxi vollständig in seine «Dokumente der Konfuzianer der
meisten benutzte Formel für die «ethische Anstrengung», nämlich «sich zurückholen Ming-Dynastie» (MRXA) aufgenommen wurden. 152
und sich zusammenhalten»(§ 3), und gehen von ihr aus auf die früheste prinzipielle Er schreibt im «Vorwort»: «Ich weiß nicht, wie das Verhältnis des Herrn [Nie
Diskussion zwischen ihm und Wang Ji in einem Briefwechsel vom Frühjahr 1550 Bao] zur Überlieferung des Lehrers [Wang Yangming] (shi chuan ßili-15) steht.'Ich bitte,
ein (§ 4). Dann werden wir seine Auseinandersetzung mit Wang Ji von seiner großen folgenden Versuch vorlegen zu dürfen: Früher hörte ich die Lehre vom <ursprüngli-
Kritik an diesem im Anhang (1550/51) zu den «Aufzeichnungen zur Sommerreise chen Wissen> und meinte davon befriedigt, dass alle Menschen das Herz [moralische
[von 1548]» (§ 5) über seine Diskussionen mit ihm während der Sommerreise von Bewusstsein] von Richtig und Falsch (shi fei zhi xin ~~~;z,t,,) besitzen; wenn wir nur
1554 (§§ 6 und 7) und im Chu-Gebirge von 1555 (§ 8) bis zur letzten Begegnung mit bei dem, was wir bei unseren Erregungen empfinden (suo gan Jifr~), die natürliche
ihm im Dezember 1562 (§ 9) darstellen. Dabei wird auch der Briefwechsel zwischen Norm suchen, so würden wir auch schon im Wesentlichen die Grundlage haben.
den beiden eine wichtige Rolle spielen. 150 Ein abschließender Paragraph (§ 10) bringt Später aber stellte ich prüfend fest, dass wir, wenn wir die Erregungen als das Herz
Rückblicke WangJis aufLuo Hongxian nach dessen Tod 1564. betrachten, zu Dienern der Erregungen werden; dass wir, wenn unser Herz nie zur
Ruhe kommt, beim Richtigen und Falschen manchmal in Verwirrung geraten. Dar-
aufhin habe ich mich konzentriert und geläutert (ningjing Jjlf,;), [das Herz] mit der
§ 2 Luo Hongxians «Vorwort» und «Nachwort» zu Nie Baos
Leere und dem Nichts behandelt (dai zhi yi xu wu ~ ;z~JS.111{) und habe berechnet, ob
«Aufzeichnung von Unterscheidungen in der Not» (Kun bian lu)
es Erregungen hat oder nicht (ji qi wei gan yu fou "tt!Ui!allfie). Mein Herz kam dabei
von 1550. Seine empirisch-praktische Sichtweise
zeitweise zur Ruhe, und die Norm von Richtig und Falsch konnte so nicht betrogen
Im Mai 15 50 verfasste Luo Hongxian im Hinblick auf die Veröffentlichung von Nie werden. Deshalb überlegte ich selbst und sagte mir: Früher habe ich als Diener [der
Baos «Aufzeichnung von Unterscheidungen in der Not» (Kun bian lu) ein «Vor- Erregungen] den [Zustand] nach dem Entstehen [der Gefühle] verfolgt (zhu yu yi fa
wort» (xu ff), in welchem er seine grundsätzliche Zustimmung zu diesem Werk ~litBft); komme ich in meiner jetzigen Ruhe dem [Zustand] vor dem Entstehen
bekundete, und wohl kurz nach der Veröffentlichung dieses Werkes schrieb er noch der [Gefühle] nahe (jin yu wei fa hu m:tit*R5f)? Wenn man vom <ursprünglichen
ein «Nachwort» (hou xu frt)V;), in welchem er Nie Bao gegen einen Angriff, wohl vor Wissen> spricht, so kann man dieses zwar nicht entweder [dem Zustand] vor dem
allem vonseiten von Wang Ji, verteidigte. Er schrieb damals in einem Brief an Zhang Entstehen oder [dem Zustand] nach dem Entstehen [der Gefühle] zuordnen (wu Jen
Yuanzhong ~ ft5lp (Beiname: Fufeng )!J!.d!f), der wie Wang Yangming und Wang Ji aus yu fa yu wei fa ffl5:i't.itRfi*ff). Wenn man aber davon spricht, wodurch dieses <Wis-
der Präfektur Shaoxing stammte und Schüler Wang Yangmings war: «Meine Auffas- sen> <ursprünglich> zu sein vermag (zhi zhi suo yi neng liang ~ ;zpff ~ fm Bi), dann gibt
sung habe ich im Großen und Ganzen im <Vorwort> und <Nachwort> zu [Nie Baos] es sicher den Zustand vor dem Entstehen [der Gefühle] (wei fa zhe -*ffiff), um [jenes
<Unterscheidungen in der Not> dargestellt; ich habe sie Longxi [Wang Ji] und allen <Wissen>] durch die <Mitte> zu beherrschen (yi zhu zhi yu zhong ~3::;z~q:i), Wenn
Brüdern zur Prüfung vorgelegt, ob sie ihr vielleicht zustimmen können.» 151 Aus dieser man ins Nichtursprüngliche gerät (zhi yu bu liang ~tit1' Li!), so deshalb, weil man
Bemerkung geht hervor, dass Luo Hongxian in diesem «Vorwort» und «Nachwort>> nach dem Entstehen der Gefühle nicht [zu jenem Zustand] zurückzukehren versteht
das Wesentliche seiner damaligen Meinung ausdrückte und dass er dabei in erster Li- (nai qi fa er bu zhi Jan J.HtRim1'~il&). Wenn ich zeitweise zur Ruhe kam, habe ich
nie Wang Ji kritisch im Auge hatte. Ihr Hauptgedanke ist es, dass es in der «ethischen schon etwas erprobt; gibt es da nicht etwas, das dabei das Herrschende ist (er kuang
Anstrengung», das heißt im «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens», darum you wei zhi zhu zhe ye im55l-l\f ~;z3::,tfQ~)? Denn nichts ist so beweglich wie das Herz
gehen muss, die Bedingungen (suo yi Jifrl-X) dafür zu schaffen, dass unser «Wissen (Be- (der Geist); selbst die heiligen Menschen haben es als gefährlich betrachtet. Wenn
wusstsein)» «ursprünglich» zu sein vermag. Diese beiden Texte bilden den offiziellen es kein Herrschendes hat (wu suo zhu 111{Jifr3::), sondern bloß den Erregungen folgt, so
Auftakt seiner Jahre dauernden kritischen Auseinandersetzung mit Wang Ji, denn in ist es so, wie man beim Pferdereiten nicht das richtige Maß erreicht, wenn man die
Zügel einfach fahrenlässt. - Das Herz des Dao wird <fein> (verborgen: wei ~) genannt
[<Klassiker der historischen Dokumente>]; das <Herz der Natur des Menschen> (xing
xin t!U,,) wird <fest> (ding >E) genannt [Cheng Hao, 1032-1085]; Begierdelosigkeit (wu
150 Zwischen Luo Hongxian und Wang Ji und auch zwischen Luo Hongxian und Nie Bao ist ein reich-
haltiger Briefwechsel erhalten: fünf Briefe von Wang Ji an Luo Hongxian und zehn Briefe von Luo yu ffl~) wird <Ruhe> (jing MI) genannt [Zhou Dunyi, 1017-1073]; das Erlangen der
Hongxian an WangJi sowie sechzehn Briefe von Nie Bao an Luo Hongxian und neun Briefe von Luo
Hongxian an Nie Bao.
151 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 7, S. 248. Den Hinweis darauf verdanke ich Wu Zhens Anmerkung
in Wu Zhen 2001, S. 352f. 152 MRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 419-421.
654 655

Leere (zhi xu ~~) wird <das Errichten der Gnmdlage> (li ben :fuls;) genannt fChen begeistert nicht mehr ablassen. Daher fügte ich meine eigene Nieinung [als Vorwort]
Xianzhang (Baisha), 1428-lS00J; dasjenige, das vor dem Entstehen [der GefühleJ ist, hinzu und ließ sie für ihre Verbreitung drucken.» 155 Dann weist er auf die Kritik,
wird <Stille> (ji ~) genannt [\/\Tang Yangming]. Dies ist alles eines; warum sollte man es die dieses Werk in der Schule Wang Yangmings hervorrief: «Doch jemand [Wang
beim Herrn [Nie Bao] in Zweifel ziehen! -Als der Herr [Nie Bao] dies hörte, sagte er: Ji?] meinte: <Welche Veränderung bringen diese vVorte! Seitdem [vVang] Yangming
<Diese \Vorte anerkennen mich, und das [Chuanxij lu [von Wang Yangming] enthalten die Lehre vom <ursprünglichen \Vissen> aufstellte, hat die Welt sie als Buddhismus
sie: Das <ursprüngliche \Vissen> ist die Mitte vor dem Entstehen [der Gefühle], es ist beurteilt (tian xia yi zhi wei chrm ~r~.Zf.ili~), und die Finw;inde dagegen haben
die stille unparteiische Substanz, diesen Satz hat sicher unser Lehrer [Wang Yang- bis heute nicht aufgehört. Nun vereinigt aher das <ursprüngliche \Vissen> Stille und
ming] überliefert. 153 Wenn ich unsere Freunde darüber frage, stimmen die einen zu, Erregungen, Innen und Außen, und darüber wird [in dieser Lehre] gesprochen. r... ]
während die anderen ablehnen.> Ich, [Luo] Hongxian, antwortete: <Es ist mein (unser) Wenn man nun [wie Nie Bao] Stille und Erregungen trennt, spaltet man das lierz
Lernen (wuxue ye ~~lli)! Wenn die <Unterscheidungen in der Not> nicht klar wären, (den Geist) auf; wenn man Inneres und Äußeres trennt, spaltet man den Leib auf (xi
dürften sie nicht herausgegeben werden. Sie sollen ein Vorwort erhalten, gedruckt und qi xing zhe flf ;\'tffi:4:r). Das Auge des Leibes kann als Gleichnis für das Herz (den Geist)
denjenigen zur Kritik vorgelegt werden, welche die Worte verstehen.>» 154 dienen. Das Auge muss notwendig wirken und wird dabei zum Sehen (nzu bu neng bu
In diesem Vorwort von 15 50 stellt Luo Ilongxian aufgrund seiner eigenen Er- Ja er wei shi ~ ,ffil:FfM:rfüf.ilit.li); das Sehen muss notwendig wirken und wird dabei zu
fahrung in Frage, was er «früher als Lehre vom <ursptiinglichen Wissen> hörte» und den zehntausend Dingen. Wenn man das Sehen von den Dingen und das Auge vom
damals auch bejahte, dass nimlich das faktische moralische Bewusstsein im aktuellen Sehen abtrennt, kann man sich dann schließlich noch auf etwas beziehen (qi guo you
Erleben und Fühlen eines jeden Menschen ohne weiteres die wahre Norm des Han- ke zhi hu ;l't"'~i'ifttiii"F)!? Ich befürchte, dass auch gegen den Ecllen Nie [BaoJ die
delns abzugeben vermag. Er ordnet zwar nicht, wie Nie Bao es grundsätzlich tut, das Einwände nicht aufuören wenlen!» 156 Dieser Einwand ist der sowohl von WangJi als
<<ursprüngliche \Vissen» der «stillen Substanz» «vor dem Entstehen der Gefühle» zu, auch von anderen Mitgliedern der Schule gegen Nie Bao erhobene Vorwurf, dass er
sondern anerkennt, dass es immer auch im aktuellen Bewusstsein auftreten kann. Aber zeitlich zwischen «Substanz» und «Funktionen» des «Herzens» bzw. des «ursprüng-
er hat die Erfahrung gemacht, dass das aktuelle Bewusstsein von Richtig und Falsch lichen Wissens» trenne. Luo llongxian vergleicht darauf Nie Baos Verständnis von
in 'Verwirrung geraten kann, wenn das Herz nie zur Ruhe kommt. Das Auftreten des Wang Y·111gmings Lehre unter Bezugnahme auf die «Aussagen des Konfuzius» mit
wahren «ursprLinglichen» moralischen Bewusstseins ist also an faktische Bedingungen dem Konfuzius-Schüler Zengzi, der aufgrund dessen, ,<was er im eigenen H~rzen er-
geknüpft, und es geht Luo IIongxian darum, diese Bedingungen zu verwirklichen, das langte» (yi de zhi xin zhe P),1~.z,[>~), das die Lehre von Konfuzius einigende Prinzip
heißt, dasjenige zu verwirklichen, «wodurch das <Wissen> (das aktuelle Bewusstsein) (yi yi guan zhi -PX!l't.z) als «'Ikue und einfühlendes Versbnclnis» (zhong shu Jt 1~)
<urspriinglich> zu sein [zu werden] vennag (zhi zhi suoyi neng liang 9:D.Z}'Jf P),~~ ~)». Er interpretierte. 157 Auch dieses Verständnis habe den Einwand <,weltlicher Konfuzianer»
stimmt Nie Bao zu, cbss das ethische Lernen in der «Mitte vor der dem Entstehen auf sich gezogen, die meinten, dass «erst, wenn man erklärt hat, was die Substanz (ti R)
der Gefühle» ansetzen muss, wenn das «ursprüngliche Wissen» im aktuellen Erleben und was die Funktionen (yong ffl) des einigenden Prinzips sind, <Treue und Verständ-
und Handeln das Herrschende werden soll. nis> klar werden». Doch «der Edle Nie [Bao] drückte immer das aus, was er selbst in
In seinem «Nachwort» zu Nie Baos Kun bian lu, das er wohl noch 1550 oder seinem Herzen erlangte und hatte keine Muße, Erklärungen über das <ursprüngliche
im folgendenJahr unmittelbar nach der Veröffentlichung dieses Werkes schrieb, ent- Wissen> abzugeben.» 158 Luo Hongxian distanziert sich hier von der fundamentalen
wickelt Luo Hongxian, indem er, ohne einen Namen zu nennen, auf einen Kritiker ontologischen Unterscheidung zwischen «Substanz» und «Funktionen» (ti yong
Nie Baos eingeht, denselben Hauptgedanken. Wahrscheinlich ist dieser Kritiker, der Rffl), mit der in der Schule Wang Yangmings über das «ursprüngliche Wissen» disku-
Nie Bao des Buddhismus bezichtigt, Wang Ji, den Luo Hongxian in seinem oben tiert wurde, zugunsten einer unmittelbaren Erfahrung dessen, was man «im eigenen
zitierten Brief an Zhang Yuanchong als Hauptadressaten dieses «Vorwortes» und Herzen erlangt».
«Nachwortes» nannte. Er beschreibt zuerst den großen Eindruck, den die Lektüre Dann wendet Luo Hongxian in diesem «Nachwort» gegen die von Wang Ji oder
von Nie Baos «Aufzeichnung der Unterscheidungen in der Not» auf ihn machte: «Als einem anderen Mitglied der Schule an Nie Bao geäußerte Kritik ein, dass sie das prak-
ich die <Aufzeichnung der Unterscheidungen in der Not> von Shuangjiang Nie [Bao]
las, hatte ich am Anfang in freiem Gefühl keine Zweifel; danach verstand ich plötzlich
etwas (huang ran you suo hui 'li't~~ JiJf~), und nach längerer Zeit konnte ich von ihr
15 5 Nian 'an Luo xianshengwen ji (Ausgabe der Yongzheng-Ära),juan 10, S. 2b--3a; Luo Hongxian ji, Nanjing
2007,juan 11, S. 472.
15 6 Nian'an Luo xiansheng wen ji (Ausgabe der Yongzheng-Ära),juan 10, S. 3a; Luo Hongxian ji, Nanjing
153 Eines der bevorzugten Zitate Nie Baos aus Wang Yangmings Chuanxi tu II, Nr. 155: siehe oben in 2007,juan 11, S. 472f.
Kap. 3, § 5, Abschnitt b), S. 589f. 157 Lunyu, 4. Buch, Kap. 15.
154 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, juan 11, S. 472; Nian'an Luo xiansheng wen ji (Qing, Yongzeng-Ära), 158 Nian'an Luo xiansheng wen ji (Ausgabe der Yongzeng-Ära),juan 10, S. 3b; Luo Hongxian ji, Nanjing
juan 11, S. lb--2b. 2007,juan 11, S. 473.
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tische Mittel oder die empirisch-praktische Bedingung übersehe, wodurch (suo yi Mi:!'t~ii!r), denn sonst wäre es nicht das Frühere.Jene Buddhisten sind sicher <Räuber
fiff J..:;!.) das «Wissen» «ursprünglich» wird: <<Sie verglichen [in Ihrer Kritik] das Herz das Dao (zei dao lll:t~)> 160 , und die Stille ihres Inneren ist sicher in ihren Worten ein
(den Geist) mit dem Auge.Jemand fragte Sie: <Wie kann man Stille und Erregungen (ji Verlassen der [äußerenl Geschäfte und Dinge.» 161
gmz ~w) mit dem Auge versinnbildlichen?> [Sie antworteten:] <Man muss sagen: Das Beim «Verwirklichen des ursprünglichen \Vissens» geht Luo Hongxian in diesen
Sehen ist die Erregung; wenn die [gesehenen] Dinge dabei nicht haften bleiben (wu zhi beiden Texten wie Nie Bao nicht von einem in unserem menschlichen Bewusstsein
bu !iu 1m .L 1' ~), ist dies die Stille; es gibt da keine Trennung [zwischen Stille und Erre- aktuell schon vorhandenen ,ursprünglichen Wissen>, sei es im Sinne guter spontaner
gungen] (wu you ji,n #m~ 51').> Ach, so scheint es zu sein, aber es geht der Sache nicht auf Gefühlsregungen (Intentionen), sei es im Sinne des «Gewissens», aus, um es in die Tat
den Grund (weijin *iit)! Denn was ist nach Ihrer Meinung dasjenige, wodurch das umzusetzen, sondern es geht ihm darum, das «ursprüngliche Wissen» allererst in un-
Auge zu sehen vermag und was keine Katarakt (keinen Augenstar, kein verdeckendes serem aktuellen Bewusstsein zur vollen Gegebenheit zu bringen, das heißt, praktisch
Häutchen am Auge) zulässt (mu zhi suo yi neng shi er bu rongyi zhe he zai ~ ;z_pfiJ..::J.flMirfü die empirische Bedingung zu schaffen, unter der unser aktuelles Bewusstsein, sowohl
::f.W~:\l,11iiJ~)? Im \V.1ndcl von Himmel und Erde gibt es Schaffen und Ausruhen (you als intentionales «Antworten» auf die Dinge als auch als unser Gewissen, «ursprüng-
shengyou xi~~~}~,); das Primäre ist die ruhige Tiefe (yao zhi yu tnu zhe ~;z_:fjt~:\l,r), lich» zu sein vermag. Diese empirische Bedingung ist nach ihm die «Ruhe», die «Stil-
die davon die Vilurzel (der Grund: ben .:zJ,:) ist. In den Erregungen des <ursprüngli- le», die «Leere» (Leerheit von Gedanken und Absichten), die wir durch willentliche
chen \Vissens> gibt es Tätigkeit: und Ruhe (you dang you jing ~Jh~ff); das Primäre ist praktische Übung erlangen können. Tm Gegensatz zu Nie Bao rekurriert er nicht auf
das Erlangen der Leere (zhi :,.:u zhe ~~ii!r), die davon die Wurzel (der Grund: ben .:zJ,:) die metaphysische Idee einer «Substanz» des «ursprünglichen \Vissens», die zu «näh-
ist. Wenn der Grund (die Wurzel) nicht leer ist, kann das <Wissen> nicht <ursprüng- ren» und deren «Maß vollzumachen» wäre, sondern er spricht rein «empirisch» (ge-
lich> sein (zhi lm neng !imzg 9'□ ::fi~ ~). Das <Wissen> ist das daraus Entstandene (qi fa mäß unserer Erfahrung) von den phänomenalen Gegebenheiten unseres Bewusstseins
yc :!'tfiltlli); sein Nichtentstandensein ist dann das <Ursprüngliche (Gute)> (qi wei Ja ze und den praktischen Möglichkeiten unserer ethischen Anstrengung. Er beansprucht
!iang ye :!'t*filt ~1J ~ lli). Sein Umgehen mit den Dingen ist sein [auf die Erregungen] nicht wie Nie Bao, durch eine «Rückkehr zur Stille» die «Substanz» unseres Herzens
Antworten (ying /i!ll); das Ordnungsprinzip (li !ll!.) ist dabei die Norm. Nur durch das zu vervollständigen, sondern er sieht in der geistigen Stille die praktische Bedingung
Erlangen der Leere ist es [seil. das <Wissen>] eines Antwortens fähig, das die Norm dafür, dass unser geistiges «Auge zu sehen vermag und keine Katarakt zulässt», das
nicht verliert. Deshalb ist das Erlangen der Leere dasjenige, wodurch das <Wissen heißt, dass unser «Wissen» (Bewusstsein) moralisch klar und nicht verblendet zu sein
verwirklicht winl> (zhi :x:u .zhe nai suo yi zhi zhi ~~~]Jfiff P,J,~9]).» 159 vermag. Auch zur Zeit seiner engagierten Parteinahme für Nie Bao übernimmt er
Schließlich verteidigt Luo IIongxian Nie Bao gegen den Einwand, dass er wie nicht einfach dessen Verständnis des «Verwirklichens des ursprünglichen Wissens>>.
der Buddhismus z,vischen Innen (dem Geist) und Außen (der Welt) trenne. Wie Nie
Bao selbst gegenüber seinen Kritikern immer wieder betonte, hebt auch Luo hervor, § 3 Luo Hongxians Formel für die ethische Übung des «Verwirklichens
dass Nie Baos Scheidung von Innen und Außen nicht wie bei den Buddhisten eine des ursprünglichen Wissens»: «sich zurückholen und gesammelt
Höherstellung des inneren Geistes und eine Herabwürdigung der äußeren Welt, bleiben»
sondern eine methodische Reihenfolge im Lernen bedeute. Er fährt an das oben
Zitierte unmittelbar anschließend fort: «Wenn man die natürliche Norm zu erfüllen Spätestens seit 15 50, das heißt seit der Zeit seiner Zustimmung zu Nie Bao und seiner
weiß, dann ist bei allen Dingen und Geschäften das Ordnungsprinzip ausgeschöpft kritischen Distanzierung von Wang Ji, bis in seine letzten Jahre benutzte Luo Hong-
(li jin !ll!.mi); wenn das Ordnungsprinzip ausgeschöpft ist, dann ist die [vom Himmel xian für die ethische Übung des «Verwirklichens des ursprünglichen Wissens» in der
bestimmte] Natur ausgeschöpft, und das Geschick ist verwirklicht; was gibt es da noch Weise vieler chinesischer Redensarten (der sog. cheng yu Ji¼lfa) eine Formel mit vier
[eine Trennung von] Innen und Außen! Dennoch muss man zuerst um das Frühere Wörtern oder zwei Doppelwörtern, die er zwar oft variierte, deren allgemeiner Sinn
und Spätere wissen, um dem Dao nahe zu sein; das ist die Ordnung (Reihenfolge) aber immer in die Richtung auf ein geistiges Sichzurückholen aus dem verworrenen
im Lernen (xue zhi xu ~Zff). Deshalb geht es nicht darum, sich am bloß Inneren zu Besorgen der Dinge im Verfolgen der Geschäfte und auf ein geistiges Gesammelt-
erfreuen, sondern es geht um dasjenige, wodurch man das Äußere vorbereitet (suo yi bleiben, Einsbleiben geht. Die genauere Bedeutung dieser Formel sollte sich für ihn
qiu yu yu wai zhe fi}f P).5J<ffl:tit9~~), denn sonst wäre es nicht das Frühere; es geht nicht verändern: Während sie 15 50/51 für ihn ein Sichversenken in einen geistigen Zustand
darum, sich an seinem Bewahren der Stille zu erfreuen, sondern um dasjenige, wo-
durch man seine Erregungen göttlich-geistig macht (suo yi qiu shen qi gan zhe fijf P).5.1<
160 Mit diesen Worten brandmarkt Wang Ji in seiner Rede in der Versammlung von Chongxuan vom
Herbst 1549 das als «fremde Lehre» bzw. Buddhismus kritisierte Vorgehen von Nie Bao: siehe unten
in diesem Kapitel den§ 5, Abschnitt a), S. 669.
159 Nian'anL1,oxianshengwenji (Ausgabe der Yongzheng-Ära),juan 10, S. 3b-4a; Luo Hongxian ji, Nanjing 161 Nian 'an Luo xiansheng wen ji (Ausgabe der Yongzheng-Ära),juan 10, S. 4a-4b; Luo Hongxian ji, N anjing
2007,juan 11, S.473. 2007,juan 11, S. 473.
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der Ruhe ohne Tätigkeit, «in die Mitte vor dem Entstehen der Gefühle», bedeutete, Wenn wir uns zunächst an der allgemeinen Bedeutung der Wörter in dieser
versuchte er etwa seit 15 53, eine ethische Praxis zu finden, für die diese Formel die Formel orientieren, können wir ihre ersten beiden Zeichen, meistens «shou lian i&ßlc»
Einheit von Ruhe und Tätigkeit ausdrückte. oder <<.rhou she i&ffl», mit «einsammeln», «zmiickholen» und die beiden nachfolgenden
Etwa 1550 schreibt er unter dem Einfluss von Nie Bao in einem bereits am Ende Zeichen, meistens «xi ju ~~» oder «bao ju -Oil~», mit «eingefaltet, gesammelt sein»
von § 1 dieses Kapitels zitierten Brief an seinen Schüler Yin Zhe (Beiname: Daoyu): oder «bewahrend sich zusammenhalten» wiedergeben. Das erste Binom der Formel
«Alle müßigen und vermischten (unreinen) Gedanken (za nian ~~), egoistische kann also ein Zurückholen aus der geistigen Zerstreuung im Verfolgen der Dinge, das
Klugheit und weltliche Wünsche (su yu füt\x) sind Unkraut und üble Dinge. Wenn zweite einen festen Zustand des Gesammeltscins bedeuten. Dass Luo Hongxian so
man davon gereinigt und leer ist (qing xu 5l~), dann haben wir nichts anderes als etwas im Auge hat, geht etwa aus der folgenden Briefstelle aus dem.fahr 1559 hervor:
Freude und Ruhe, Festigkeit und Konzentration. Wenn man wirklich fähig ist, sich «Das Herz ist ein geisterhaft schnelles Wesen (s!Jen wu t$!W), es ist ein bewegliches
zurückzuholen und gesammelt zu bleiben (guo neng shou lian xi ju "'fil§l&:iltl~), Wesen (dong wu lb!W). Es einzusammeln (zu vereinigen: she mi), ist sicher schwierig; es
so ist es wie bei einem Kind: M"m braucht es nur zu behüten und zu beschützen (bao festzumachen (ning ).1), noch schwieriger.» 168 Das Wesentliche dieser Formel für Luo
Im 1)fJi), und es vermag von selbst (zi neng § ~~), kindlich zu lachen, es vermag von Hongxian ist wohl das Erreichen einer inneren geistigen Einheit und Ruhe. Darauf
selbst (zi neng § ~~), zu essen und zu trinken, es vermag von selbst (zi neng § ~~) zu weist das «sich im Einen Konzentrieren» (zJman yi $-) in der oben zitierten Variante
gehen; nicht die geringste künstliche Manipulation durch menschliche Anstrengung der Formel hin. In der oben in § 1 erwähnten Versammlung von 15 54 am «Dunklen
ist da zugelassen (Im rongyi hao ren li an pai 1'~- ~A.7.J ~:l3F). Aus der Erfahrung mit 'Teich» (Xuantan) im Heimatkreis von Luo Hongxian wird dieser die Formel «sich
den Regierungsgeschäften gesprochen: Wenn man nur ein wenig innehaltend und zurückholen und bewahrend zusammenhalten» (shou littn xi ju l&ßlci:\f-~) mit «das Ge-
ruhig das Passende genau betrnchtet (ting xiang tuo tie f.$~~fUi), dann werden Worte müt zum Einen zurückkehren lassen» (shi jing shen gui yi fle:ffit$!ill-) auslcgcn. 169 Der
und Tätigkeiten, Wohlgefallen und Zorn von selbst richtig sein. Wenn man aber nur Sinn dieser Einigung und Festigung des eigenen Herzens besteht darin, dieses aus der
ein wenig erschrocken und verstört Dinge übersieht (zhou zhang hu lüe f,!ij:$:~ill!), Unterwerfung an die äußeren Dinge in den Begierden zu befreien und ihm seine ihm
dann wird man zu bereuen haben. Früher wurde ich vom Satz, dass das <ursprüng- eigentlich zukommende Stellung als Cruncllage oder als «IIerrschendes» im Umgang
liche Wissen> zu jeder Zeit gegenwärtig sei (shi shi xian zai B;\f~IJH±), getäuscht und mit den Dingen zurückzugeben. Luo Hongxian schreibt in einem Brief: «Wie soll
entbehrte der Anstrengung des Pflegens und Nährens. Dieses Pflegen und Nähren man sich in der Ruhe die Wirkung ausdenken? Man muss sich nur darum kümmern,
ist ein Sich-Zurückholen und Gesammeltbleiben (shou lian xi ju l&ßlc~~).» 162 Andere dauerhaft einzusehen, dass unser Herz manchmal den Dingen ruchjagt (zhu wu ~!W)
Versionen dieser Formel, die Luo Hongxian um 15 50 gebraucht, sind: «sich im Einen und manchmal ihnen nicht nachjagt. Es gilt zu erkennen, dass das Herz zur Zeit, in
konzentrieren und gesammelt sein» (zhuan yi xi ju $-~~) 163 und «sich zurückho- der es den Dingen nicht nachjagt, die Grundlage ist (wci hen ~.:z!s:), und es gilt, in den
len und festhalten>> (shou litm wo gu l&ßlc~~). 16'1 In zwei Texten, einem von 1553 und täglichen Tätigkeiten aufgrund des nicht den Dingen nachjagenden Herzens die Dinge
einem von 1554, wird er die Version «sich sammeln und sich zusammenhalten» (shou zu besorgen. Sobald es den Dingen nachjagt, muss man es zurückholen (shou hui i&@l),
she lian ju l&fflißlc~), 165 in einem dritten von 15 54 die Fassung «sich zurückholen. und und wenn man dies immer wieder tut, wird man darin ganz allmählich geübt (jian jian
bewahrend zusammenhalten» (shou lian bao ju l&ßlc~~) 166 gebrauchen. In einem Text, cheng shu jffijffi,6¼~).»170 Oder in einem Brief von 1559 verdeutlicht er den Sinn seiner
den er 1563, ein Jahr vor seinem Tod, geschrieben hat, spricht er von «sich zurück- Vierzeichenformel folgendermaßen: «Das Lernen kann man mit einem Wort ausschöp-
holen, ruhig und fest sein» (shou lian jing ding l&ßlc'iw~) sowie von «sich zurückholen, fen, und man kann es auch nicht mit einem Wort ausschöpfen. Den Geist zurückholen
fest und ruhig sein» (shou lian an jing l&ßlc~'iw). 167 (shou lian jing shen l&ßlcffi:1$), ihn zusammennehmend zum Einen zurückführen (bing gui
yi chu {H fli!- ~), ihn beständig fest gesammelt halten (chang ling ningju m"f!J).I~), so dass
er fähig ist, bei allen Dingen und Geschäften das Herrschende zu sein (neng wei wan wu
162 «An Yin Daoyu», Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 7, S. 250f.; teilweise aufgenommen im MRXA, wan shi zhu zai ~~~~!W~~::E$), das kann man mit einem Wort ausschöpfen (yi yan
juan 18, Beijing 1985, S. 399.
erjin -tnm~), und man kann es auch in einem Atemzug erkennen und verstehen.» 171
163 Siehe den unten im§ 5, S. 691, zitierten Brief von Luo Hongxian an Guo Pingchuan.
164 Siehe den unten im§ 4, S. 663, zitierten Brief von Wang Ji an Luo Hongxian.
165 In seiner «Vorrede» zu seinen «Auszügen beim Studium des Kun bian lu [von Nie Bao]» (Luo Hongxian
ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 475; teilweise aufgenommen im MRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 422;
siehe unten in diesem Kapitel den § 6, S. 707, und in seiner «Aufzeichnung über das mehrstöckige 168 «Zweiter Brief an Wan Rizhong M l:lJf,» aus demJahrji wei (1559), Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,
Gebäude des hellen Lichtes der Shuixi-Akademie» vom Herbst 15 54 (Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, juan 7, S. 271; aufgenommenimMRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 404.
juan 4, S. 125). 169 Siehe unten im§ 7, S. 721.
166 In den Diskussionen während der «Sommerreise» von 1554: siehe unten,§ 6, S. 695, S. 698, S. 700, 170 «Antwort an den Schüler Luo ~§~», MRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 411; in Luo Hongxianji,
S. 704, S. 708f., und§ 7, S. 721. Nanjing 2007, kann ich diesen Brief nicht finden.
167 «Zusammentreffen der Gesinnungen in Songyuan» (Songyuan zhi wu), Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,
juan 16, S. 697.
171 «An Xiao Yungao ll!l ~*», datiert auf dasJahrji wei (1559), Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, juan 7,
S. 264; teilweise aufgenommen im MRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 406.
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Zum gedanklichen Hintergrund dieser Formel gehört sicher auch Mengzis vorhanden ist, aufhalten (zhu wu suo you 1iAAP1rfl°) und so in die Leere eintreten und
Idee, dass .der Mensch in seinen üblen Geschäften sein «gutes Herz» (liang xin ll:!. sich mit dem Dao vereinigen.»174 Es ist ein wacher, aber von der intentionalen Bezie-
,t,,) verliert und dass das ethische Lernen darin besteht, dieses Herz wieder zu fin- hung auf wechselnde Gegenstände zurückgezogener Bewusstseinszustand, der hier
den.172 Auch das meistens an erster Stelle von Luo Hongxians Vierzeichenformel angestrebt wird. Mehrere Konfuzianer glaubten diesen Zustand in der «Mitte vor
stehende Binom «shou lian l&:mi:» («sich zurückholen, sich zusammenziehen, sich dem Entstehen der Gefühle» im ersten Kapitel ihres Zhongyong wiederzuerkennen.
sammeln») hat eine konfuzianische Tradition: Ein Schüler von Cheng Yi, Yin Tun Auch Wang Yangming gebrauchte noch diesen Ausdruck des <<Sich-Zusammen-
J¼ 1'ff. (Beiname: Hejing .ffi~, 1071-1142), hat mit diesem Binom eine meditative ziehens» (shou lian l&:mi:). Nach einer Aufzeichnung eines frühen Gesprächs (vor
Übung in der Ruhe bezeichnet. Er sagte: «Man soll sein Herz (seinen Geist) zu- 1518) sagte er: «Im geistigen und ethischen Leben, im Sprechen und Tätigsein ist
rückholen (zusammenziehen) (qi xin shou lian ;!t,t,i&:mi:) und kein einzelnes Ding im Allgemeinen das Sichzurückholen (Sichzusammenziehen) die Hauptsache (shou
aufuehmen (bu rong yi wu 1'-~-!I@).» Auch Zhu Xi sprach oft darüber. 173 Dieser lian wei zhu l&:mi:i.©~). Die Zerstreuung ist unvermeidlich (fa san shi bu de yi ~ffl(:~:1'
Begriff hat letztlich daoistische Wurzeln. Der auch noch bei den Konfuzianern der 1~B). Beim Himmel und der Erde, beim Menschen und den anderen Wesen ist es
nördlichen Song-Zeit bekannte Daoist aus der Tang-Dynastie Sima Chengzhen E'J überall so.» 175 In einem Gespräch aus seiner späten Zeit gebraucht Wang Yangming
,~ jf<~ (647-735) schrieb im Kapitel «Zusammenziehen des Herzens» (Shou xin I& diesen Ausdruck des «Sichzurückholens (Sichzusammenziehens)» nicht mehr für
,t,,) innerhalb seiner Schrift «Abhandlung über das Im-Vergessen-Sitzen» (Zuo wang einen wachen Bewusstseinszustand, sondern für den tiefen Schlaf: Im tiefen Schlaf
lun ~$~): «Man muss in der Ruhe sitzen, das Herz zusammenziehen und die Welt sind alle «Sinnesöffnungen», durch die der Geist in die Welt der Dinge hinausfließt,
der Gegenstände verlassen (shou xin li jing i&,t,fflt:t.l), sich im Bereich, in dem nichts geschlossen, und das «ursprüngliche Wissen ist zusammengezogen und zur Einheit
verdichtet (shou lian ningyi i&:mi:•-)». 176
Luo Hongxian war um 1550 nicht der Meinung Wang Yangmings, dass auch
172 Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, Kap. 11; siehe oben in der allgemeinen Einleitung den§ 4, S. 27f. die «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» im ersten Kapitel des Zhongyong ein Denken
173 Siehe Zhu Xis «Gespräche nach Themen geordnet» (Yttlei),juan 12, Beijing 1986, S. 201, S. 208 und über die «allein gewussten» eigenen Intentionen bedeutet, sondern verstand diese
S. 216. In juan 17 sind die beiden folgenden Gespräche über diese Aussage von Yin Tun überliefert. «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» im Sinne Zhu Xis als eine geistige Haltung
Zhu Xi scheint diese Aussage wie seinen Begriff der «Konzentration und Ehrfurcht» (jing ~) sowohl
im Sinne einer Konzentration auf einen einzelnen Gegenstand in der Tätigkeit als auch im Sinne des Nichtwissens «vor dem Entstehen der Gefühle» und vor dem Entstehen des
eines nicht intentional auf einzelne Gegenstände bezogenen Bewusstseins in der Ruhe (Zhongyong: Denkens. Er schrieb 1551 in einem Brief an Xiang Qiao lfl ~ (Oudong l!mW:, 1494-
«vor dem Entstehen der Gefühle») zu verstehen: «Ich fragte über Hejings [Yin Tuns] Aussage: <Man 1553)177, mit dem zusammen er 1529 die höchste Staatsprüfung in Peking bestanden
soll das Herz (den Geist) zurückholen (zusammenziehen: shou lian l&~) und kein einzelnes Ding
aufnehmen (bu nmgyi wu :::r-ig-!I@).> Er [Zhu Xi] antwortete: <Wenn dieses Herz an keinem einzelnen hatte: «Meister Zhu [Xi] betrachtete das <Nichtsehen und Nichthören> [im ersten
Ding haftet (bu zhuo yi wu 1-~-!I@), dann ist es zurückgeholt. Er [Yin Tun] schreibt zuvor: <Wenn Kapitel des Zhongyong] als zur Ruhe gehörig zur Zeit, in der das Denken noch nicht
nun ein Mensch in einen Geistertempel eintritt, darf er zu dieser Zeit [in seinem Herzen] gerade kein tätig ist (wei dong nian shi *JJI~~), und das <allein [Wissen]> [in diesem Kapitel]
bisschen an Geschäften haften (Im zhuo de xie zi shi 1'~1~~r:iJI), sondern nur in Ehrfurcht verharren
(zhi you ge kongjing R ~ffl~~).> Das ist am genauesten (intimsten: ztti qin qie 11iflW). Wenn die Leute betrachtete er als zur Tätigkeit gehörig zur Zeit, in der das Denken tätig zu werden
nun fähig sind, ihr Herz (ihren Geist) auf Eines zu konzentrieren (zhuan yi ci xin il!J- J.11:;,t,,), dann ist beginnt (chu dong nian shi *JJJJl~~). 178 Deshalb gibt es [nach ihm] die wechselseitige
es eng zusammengezogen (shou lian jin mi l&~laE'i), und es ist kein bisschen aufgespalten. Wenn das Kultivierung von Tätigkeit und Ruhe (dongjingjiao xiu Jhffii~..). 179 Wenn Sie nun
Nachdenken (si liang Ji!l.:li) an dieses Geschäft noch nicht fertig ist und es anderswohin abschweift,
dann läuft das Herz auf zwei Wegen.>» (Zhuzi yu lei,juan 17, Beijing 1986, S. 371). In diesen Antwor- [wie Wang Yangming!] die Zeit des <Nichtsehens und Nichthörens> der Tätigkeit
ten scheint Zhu Xi das «Zurückholen (Zusammenziehen: shou lian l&~)» im Sinne einer geistigen des Denkens zuordnen, dann fehlt ihnen im Hinblick auf Meister Zhu eine Seite
Konzentration auf einen Gegenstand, ohne Zerstreuung durch andere Gegenstände, zu verstehen, [nämlich die Seite der Kultivierung in der Ruhe vor der Zeit des Denkens]. [... ]
obschon der zweite Teil von Yin Tuns Formel «und kein einzelnes Ding aufnehmen» (bu rong yi wu
1-!11l!-ll@) auf einen geistigen Zustand ohne Denken an Gegenstände hinweist. Auch die nächste Wie könnte es zur Zeit ohne Denken noch keine <Achtsamkeit und Furchtsamkeit>
Aufzeichnung in juan 17 von Zhu Xis «Gesprächen» über dieses «Zurückholen» (Zusammenziehen: geben! Wie könnten die Heiligen und Weisen zu jeder Zeit Gedanken tätigen (shi
shou tian ®:ßJc) spricht eher für eine Konzentration auf eine Sache: «Ich fragte über die Aussage von
Herrn Ym [Tun]: <Man soll das Herz (den Geist) zurückholen (zusammenziehen: shou tian ®:~) und
kein einzelnes Ding aufnehmen (bu rong yi wu 1-ff-!I@).> Er [Zhu Xi] antwortete: <Wenn das Herz
sich auf dieses eine Geschäft richtet (zhu zhe yi shi ::E~ -Jil&) und sich nicht von anderen Geschäften
stören lässt, dann bedeutet dies <kein einzelnes Ding aufnehmen> (bu rongyi wu 1-ff-!I@).> Ich fragte: 174 Zitiert im Zhexue da cidian, Shanghai 1985, S. 291a.
<Spricht dies nur von der Atmosphäre der Ruhe?> Er antwortete: <So ist es.> Ich fragte weiter: <Wenn 175 Cbuanxi lu I, Nr. 54, Quanji,juan 1, Shanghai 1992, S. 19.
man zur Zeit der Ruhe nur auf die Ehrfurcht ausgerichtet ist (zbzt jing ::E~), <muss man da auch etwas 176 Chuanxi lu III, Nr. 267; ausführlich zitiert in Teil I, Kap. 3, § 6, S. 217.
tun (bi you shi ~fl$)> [Anspielung auf Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2]?> Er antwortete: <So ist es.»> 177 Zu Xiang Qiao siehe Wu Zhen 2001, S. 387.
(Zhuzi yu lei,juan 17, Beijing 1986, S. 372). Vielleicht stammen diese Antworten Zirn Xis aus der Zeit 178 Vgl. oben in Teil 1, Kap. 2, § 1.
vor 1169, als er noch keinen psychischen Zustand «vor dem Entstehen der Gefühle» und des Denkens 179 Vgl. Zhu Xis Brief an seinen Freund Zhang Shi (113 3-1180) in Hunan: «Wenn die Ehrfurcht (zhu jing
und damit anch keinen psychischen Zustand annahm, der nicht intentional auf Gegenstände (Dinge) ::E~) [in der Ruhe] und das Verwirklichen des Wissens (zhi zhi ~~) [in der Tätigkeit] sich gegenseitig
gerichtet ist. helfen (jiao xiang wei zhu 3HH~l!b), gibt es keine Verdunkelung.»

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shi dongnian BtBtlb~)!» 180 Wie auch Luo Hongxians Kritik an WangJi von 1550/51 rückholen und zusammenziehen (einigen) und daran festhalten (shou lian wo gu l&ß;l{
zeigt, musste für ihn damals seine Formel des «Sichzurückholens und Sichzusam- :Ji~), dann haben wir einen Angelpunkt (ein Zentrum), an dem wir Halt finden (you
menschließens (Einigens)» (shou lian xi ju!&mt~~) auf einen Bewusstseinszustand shu ke zhi ~~i:iJ~)>, und wenn Sie dabei meinen, dass dies die echte <Verwirklichung
ohne Gegenstände in einer Zeit vor dem Entstehen der Gefühle nnd des Denkens des ursprünglichen Wissens> sei, dann fallen Sie unvermeidlich in den Dualismus
hinweisen. Seine Formel weist wörtlich und gedanklich große Nähe zu Nie Baos von Innen und Außen. Ich weiß, dass Ihre Ansicht ihre Gründe hat. Obschon Sie in
psychologischer Charakterisierung des «Sitzens in der Ruhe» bzw. der «Rückkehr ihrem Gemüt festhalten (jing shen zhuo dao fflflllWI~), halten Sie doch kein einzelnes
zur Stille» auf. Nie Bao hatte diese Rückkehr in seinem oben in Kapitel 3 zitierten Ding fest (bu zhuo yi wu =fW-Wl). Doch sobald man festhält, führt dies schließlich
Brief an Ouyang De gekennzeichnet als ein <<Sichzurückholen und Sichsammeln zu einem verfügenden Verwalten (cai you zhi zhuo, zhong cheng guan dai ::t~'1iJl,W~,r;x
nur an einem einzigen Ort [des Bewusstseins] und davon Nicht-Loslassen» (shou ffl,lli), und das ist die Ursache dafür, dass man <[sein Herz] fallenlässt und vediert>. 18'1
lirm zhi zai yi chu, bu ftmg yi L&mt.R tE-~=f ~~)- 181 Aber Luo Hongxians Formel ist Dies ist zwar kein Herumgetriebenwerden und Verfolgen [von äußeren Dingen], aber
auch gedanklich verwandt mit der Formel des jüngeren Cheng-Bruders Cheng Yi es erreicht ebenso wenig die endgültige Weise (bu de jiu jingfa 1'1~~J%5!). Sie wollen
(1033-1107) für die «ehrfürchtige Konzentration» (jing ://jj{) als spirituelle Metho- doch nicht sagen, dass das Gemüt des Kindes 185 ein Festhalten hat oder dass der <Flug
de, auf die sich auch Nie Bao berief: «das Eine (die Einheit) zum Herrschenden der Weihe> und das <Aufschnellen des Fisches> 186 auf einem verfügenden Verwalten
nehmen und nicht abweichen» (zhu yi wu shi .:l::-~@:). 182 Hinter all diesen lrurzen beruht. Wenn der <Schwarze Drache> (Lilong ~~) [zwischen seinen Barthaaren] die
Formulierungen liegt eine lange spirituelle Tradition, die phänomenologisch oder Perle hütet, ist sie am Ende noch da; doch wenn man etwas in der Hand hat und es
psychologisch schwierig aufzuschlüsseln ist. den ganzen Tag festhält, lässt man es schließlich fallen. \Nenn es aber, ohne dass man
es festhält, von selbst fest ist, dann vergisst man es in der Hand: vergessen, ohne dass
§ 4 Die Auseinandersetzung zwischen Wang Ji und Luo Hongxian es vergessen wird (wu ke wang er wang 1/tti:iJ$mL,;;;:); bewahren, ohne vom Bewahren
in einem Briefwechsel des Jahres 1550 abhängig zu sein (bu dai cun er cun 1'1~1rri'öir).» 187 Wang Ji wendet sich also nicht
nur gegen eine Trennung eines inneren Geistes von seinen äußeren Dingen, sondern
Schon vor der Zusendung seiner großer Kritik von 15 50/51 im Anhang zur «Sommer- gegen jedes künstliche, methodische, «verwaltend verfügende» Festhalten an einem
reise» von 1548 hatte Luo Hongxian seinem Freund Wang Ji die mit seiner Formel solchen Inneren. Das «ursprüngliche Wissen» ist natürlich und ungezwungen wie das
der ethischen Selbstkultivierung gemeinten Gedanken mitgeteilt, und WangJi nahm «Herz des Kindes», wie der «Flug der Weihe» und das «Aufschnellen des Fisches»;
15 50 in einem Brief dazu Stellung. WangJi warf Luo Hongxian im Wesentlichen vor, wenn man daran mit Absicht und Methode festhält, wird man es verlieren.
dass er zwischen dem Inneren des Geistes und dessen äußeren Gegenständen trenne Luo Hongxian geht in einem auf das Jahr 1550 datierten Brief Punkt für Punkt
und sich an das Innere klammere. Er schreibt: «Das <ursprüngliche Wissen> bedeutet auf den oben zitierten Brief Wang Jis ein. Zuerst schreibt er allgemein: «Wenn ich
nicht ein Vi!ahrnehmen (Gewahren, aktuelles Bewusstsein von etwas: fei zhijue zhi wei Ihren Brief analysiere, dann macht er sich in der Hauptsache darüber Sorgen, dass ich
1~~.ii.z~), doch wenn man das Wahrnehmen aufgibt, gibt es kein <ursprüngliches mit Anstrengung festhalte und nicht zur Gelassenheit gelange (yong gong zhi zhuo, wei
Wissen> mehr (shc z:hi juc wu liang zhi ~~.il'l~.&~)- Das <ursprüngliche Wissen> ist zhi tuo ran Jf:l:i:.iJf.Mi*~Jm;~).» 188 Er zitiert dann zuerst wörtlich die oben angeführ-
dasselbe wie das Herrschende (zhu zai .:E*) [im Herzen], und dieses Herrschende ten Sätze aus Wang Jis Brief über das Verhältnis des «ursprünglichen Wissens» zum
ist abgründig still (yuan ji JJlll~), es ist in Wahrheit kein einzelnes Ding (yuan wu yi «Wahrnehmen» (aktuellen Bewusstsein von etwas: zhijue ~.ii) und über die Identität
wu »Ji:~-WJ) 183 • Wenn wir in unserem jetzigen Leben im Umgang und im Verfolgen des «ursprünglichen Wissens» mit dem «abgründig Stillen» (yuan ji JJlll~) und dem
von [äußeren] Dingen herumgetrieben werden, dann verlieren wir sicher dieses «Herrschenden» (zhu zai .:l::*) im Herzen, das «in \Vahrheit kein einzelnes Ding ist»
Herrschende. Doch wenn Sie sagen: <Wenn wir uns nur an diesen [inneren] Ort zu- (yuan wu yi wu »Ji:~-Wl), und er stimmt diesen Sätzen Wang Jis zu. Doch dann stellt

180 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 9, S. 406; aufgenommen imMRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 399f. 184 Anspielung auf Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, Kap. 8.
181 Nie Bao)i, Nanjing 2007,jwm 8, S. 244; siehe oben im Kap. 3, § 2,Absclmitt c), Punkt 4, S. 564. 185 Anspielung auf Mengzis «Hel'l, des Neugeborenen» (chi zi zhi xin #r ;z,t,,) (4. Buch, 1. Teil, Kap. 2)
182 Siehe zum Beispiel J'ish11,jurm 15, Er Chenp;ji, Beijing 1981, S. 143. Diese Formel erläuternd sagte und auf das «ursprüngliche Wissen und Können» des Kleinkindes (7. Buch, 1. Teil, Kap. 15).
Cheng Yi: «Das Eine (die Einheit) zum Herrschenden machen, ist ehrfürchtige Konzentration (zhu yi 186 Anspielung auf Zhongyong, Kap. 12.
zhi weiji,1g ::E- -:Z. fflWI:); [... J nicht davon abweichen, ist Einheit (wu shi zhi wei yi 1mi@-:Z.ffl-)» (a.a.O., 187 Ti0mg Longxi quan ji ( 1. 822),jJl{m 10, S. 2a-b (Taipei 1970, S. 65lf.); IVimgJiji, Nanjing 2007,jwm 10,
S.169). Der Ausdrnck«w11 shi 1l!tl~)) («nicht abweichen») ist wohl aufgrund von Lunyu, 4. Buch, Kap. s. 234.
10 (11) zu verstehen. 188 Nian'an Luo xianshengwen ji, Ausgabe von 1567, Bibliothek von Nanjing, Nr. 111758,juan 1, S. 70a;
183 Zitat aus dem Gatha von Huineng im «Hochsitz-Sutra des Sechsten Patriarchen» (Fassung des Luo I longxianji, Nanjing 2007, juan 6, S. 209; wiihrend dieser Brief in der znerst erwiilmten Ausgabe
Ming-Kanons, 1. Kap.), wohl auch Anspielung an Yin '1 uns Formel «sein Herz zusammenschließen auf das Jahr geng xu (1550) dalicrt ist, triigt er in der Ausgabe von 2007 kein Datum. Der Brief ist
und kein einzelnes Ding zulassen». stückweise auch im MRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 395f., angeführt.
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er, wie schon in seinem «Vorwort» zu Nie Baos Kun bian lu und wie später in seiner an schreibt also, dass ihm W.'ll1g Jis Gesichtspunkt des «eigentlichen Wesens des
großen Kritik an Wang Ji von 1550/51, das Problem, wie man eines solchen stillen ursprünglichen Wissens», dem gemäß das «ursprüngliche Wissen» das «abgründig
und herrschenden <<ursprünglichen Wissens» fähig werde (neng ~~), wie man zu ihm Stille» und das im intentionalen Bewusstsein der Dinge -«Herrschende» ist, solange
gelangen könne. Fr schreibt: «Da Sie nun der Meinung sind, dass das Wahrnehmen nichts nützt, als sich dieses Wissen in seiner Ursprünglichkeit nicht in seinem gegen-
(Bewusstsein von etwas) auch das Herrschende ist (zhi jue ji zhu zai ~.'ifl.n:i: $) und wärtigen intentionalen Bewusstsein auszuwirken vermag. Es gelte, die Bedingungen
das Herrschende auch abgründig still ist, dann ist man, wenn man der abgründigen dafür zu schaffen, und diese lägen im «abgründig Stillen».
Stille fähig ist (neng yuan ji §~)Jl/1~), auch des Herrschens fähig, und wenn man des Dem Brief Wang Jis folgend fährt er fort: «Sie schreiben, dass ich in ein Anhaften
Herrschens fähig ist, dann ist man auch von selbst des Wahrnehmens (Bewusstseins und ein verfügendes Verwalten verfalle (luo zai zhuo daa guan dai m::f:E~i~~~). Das
von etwas) fähig (zi neng zhijue ~ ~~~.fl). Was braucht man sich da noch um den Dua- ist in der Tat der Fall, und ich wage nicht, es zu verheimlichen. Ich denke, dass ich in
lismus von Innen und Außen Sorgen zu machen!» 189 Luo Hongxian erklärt also, dass, meiner Absicht allein von der Befürchtung geleitet bin, das <abgründig Stille> noch
wenn man einmal der «abgründigen» Stille fähig ist und dadurch das «ursprüngliche nicht zu erkennen (wei shi yuan ji *it5Jllt~). \Nenn ich es wirklich erkannt haben werde
Wissen» seine herrschende Stellung im Herzen wiedergewonnen hat, auch der rich- (rua zhen shi de t\'~it1~), dann werde ich umso weniger daran festhalten (zhi zhua
tige Umgang mit der im Wahrnehmen bewussten Welt garantiert sei und so Wang Jis $A~), je mehr ich an ihm haftete (zhua dao ~i'J), und werde dann umso weniger be-
Vorwurf des Dualismus von Innen und Außen gegenstandslos werde. Luo Hongxian sorgt sein (gua dai :J#~), je mehr ich für es sorgte (zhao gwm !ffl.~). Da Sie ja selbst
geht es aber um das Problem, auf welchem Weg man zu dieser idealen Geistesverfas- sagen, dass es in Wahrheit kein einzelnes Ding ist (yuan wu yi wu ~~-WJ), was
sung gelangen kann, und er betont deshalb die kausalen Verhältnisse zwischen «Stil- braucht man sich um das Vorhandensein eines Festhaltens Sorgen zu machen!» 191
le», «Herrschen» und «Wahrnehmen !der DingeJ» bzw. zwischen der «Verwirrung Luo Hongxian anerkennt also, dass er in seinem gegenwärtigen geistigen Zustand,
in der Wahrnehmung [der Dinge]», der Unfähigkeit des «ursprünglichen Wissens», in welchem er das «abgründig Stille» noch nicht erfahren hat, es willentlich erstrebt
im Herzen das Herrschende zu sein, und der Ferne vom «abgründig Stillen»: «Wenn und so an ihm als seinem Ziel festhält, und er ist der Meinung, dass er dies jetzt auch
[das <ursprüngliche \Vissen>] nun aber nicht fähig ist, das Herrschende zu sein, ist dies so tun muss. Wenn er aber einmal an seinem Ziel sein werde, werde dieses Festhalten
doch der Grund, dass das Wahrnehmen (das intentionale Bewusstsein) verworren ist hinfällig, da das «abgründig Stille» ja kein einzelnes Ding ist und es daher auch gar
(zhi jue Jen raa gu ~.ft~HI~)? Und wird man sich dann [nicht] auch am <abgründig nicht festgehalten werden kann.
Stillen> festhalten? Wenn man nicht <abgründig still> ist, hat dies doch nicht den Dem Brief Wang Jis weiter folgend fahrt Luo Hongxian fort: «Sie sagen in
Grund darin, dass das Wahrnehmen verworren ist (fei yi zhi jue Jen raa gu ~~.1-;J,~.fl~ Ihrem Brief, dass das Gemüt des kleinen Kindes kein Anhaften hat (wu zhuo daa
11~)? Und wenn man wirklich um das <abgründig Stille> weiß, wird man sich dann ~~i~); das ist wahrhaft so! Aber sind Sie etwa der Meinung, dass das Kleinkind
noch an ihm festhalten können? Wenn ich aus der Erfahrung meiner seelischen sich an Dinge klammerte (cengyou zhuo wu ~~lH!IJJ)! Sie s,1gcn auch, dass der Flug
Krankheit sprechen darf, dann liegt diese ganz im Wahrnehmen [im intentionalen der Weihe und das Aufschnellen des Fisches kein verfügendes Verwalten hat; das ist
Bewusstsein der Dinge] (quan zai zhi jue :i:1:E~□ .'i). Wenn ich zur Heilung d~eser wahrhaft so! Aber sind Sie etwa der Meinung, dass die Weihe und der Fisch irrige
Krankheit das ,abgründig Stille> aufgeben würde, dann hätte ich keine Methode zur Gedanken hatten (cengyau wtmgnian ~~~~)! \Venn man sich leicht an Dinge klam-
Beseitigung [der Krankheit] mehr (wu xiao chu fa 1!!0i\f ~$). Das <eigentliche Wesen mert, dann muss man die Dinge vergessen (wmzg wu $4!IJJ), nämlich man muss lernen,
[des ursprünglichen Wissens]> (ben ti ~!ll) und die ethische Anstrengung (gang fa [wie] ein kleines Kind zu sein; wenn man irrige Gedanken hat, dann muss man die
J:}Jx) müssen zwar sicher vereint werden (he yi ß"-); aber das Ursprüngliche (yuan tou Gedanken vergessen (wang nian ~~), nämlich man muss lernen, [wie] eine Weihe
W-iiß) [dieses Wesens] und der .gegenwärtige Zustand (xian zai !Jl,:f:E) [unseres W.'lhr- und ein Fisch zu sein. Man kann nicht durch die Idee des Ursprünglichen und des
<eigentlichen Wesens> die Durchführung der gegenwärtigen ethischen Anstrengung
nehmens] sind letztlich schwer gänzlich zusammenzubringen (zhang nan jin tang ~ -
fl jq!). Ich halte mich zwar stets an die Idee (jian jie JiM) des Ursprünglichen und des ersetzen (wei ke yi yuan tau ben ti zhi jian jie ti dang xian zai gang fu zhi chi xing 1:iJ
PJ~iiJi~!ll.z.JiMff'ii!Jl,1:EJ:}J x.z:t4ffi). Da diese im abgründig Stillen stattfindet, sind
*
<eigentlichen \;\!esens>; aber sobald ich mich in den Fluss des W:1hrnehmens hinein-
begebe (yi ren zhi jue zhi liu xing -f0□ jt.z.5fitff), weiß ich in der Durchführung der letztlich Gleichnisse nicht angemessen (she bi chang bu xiang si W:V~1'*~1JJ.). Mit
gegenwärtigen ethischen Praxis nicht um den Halt im abgründig Stillen (yu xian zai Gleichnissen aus dem Bereich der Dinge gesprochen: Der Drache muss die Perle
gangfi1 hushiy11m1ji zhi gui su JJt!Jl,:f:EJ:}Jx:;p:~;Jl/1~.z.Jitlffl). Deshalb werde ich das ganze erlangen, erst dann kann flüchtiges Nacheilen vermieden werden; das Ruder muss in
Leben Lmg herumgetrieben und hringe [ethisch] nichts zustande.» 190 Luo Hongxi- die Hand gelangen, erst dann kann das Umkippen [des Bootes] vermieden werden: 192

189 Ni,m'an L110 xiansheng wen ji,juan l, S. 70a; Luo f-longxian ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 209. 191 Nian'an Luo xianshengwen ji,juan 1, S. 70b; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 6, S. 209.
190 Nian'an Luo xiansheng wen ji,juan 1, S. 70a-b; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 209. 192 Luo Hongxian spielt auf die Gleichnisse von Wang Ji im obigen Brief an.
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Das Herz des Menschen muss lernen, erst dann kann die Gefahr vermieden werden. Das Hauptanliegen Luo Hongxians in dieser Kritik an Wang Ji ist also, dass in
Wenn die Kraft der Anstrengung vollständig ist, ist die Veränderung [zum Guten] unserem gegenwärtigen menschlichen Bewusstsein das vollkommene «ursprüngliche
von selbst wirklich. Und es gibt auch keine göttlichen Heiligen, die nicht gut lernen, Wissen» noch nicht vorhanden ist und dass wir deshalb in der Gegenwart einen Weg
aber sie wissen, dass nur im abgründig Stillen das Lernen auszuüben ist, und dass es zu ihm finden müssen, den wir nicht überspringen können. Es gibt in der etl1ischen
daher von selbst unangemessen ist, an etwas festzuhalten (zi bu dang zhi zhuo ~ 1'~ Praxis eine notwendige Reihenfolge oder Ordnung (ci di ,7~). Er stellt WangJis Idee
~lt). <Vergessen, ohne dass etwas vergessen wird (wu ke wang er wang 1!!fi:iJ]is;ii'iJJis;); der gegenwärtigen Vollsüindigkeit des ursprünglichen Wissens (liang zhi xian zai ju zu
bewahren, ohne vom Bewahren abhängig zu sein (bu dai cun er cun ::fftffii'öff)>, 193 das lUll!Jl.tEJ!Ui!:.) die gegenwärtige ethische Anstrengung (ximz zai gongfu IJl.1:EJ.:b *.) entge-
sind Worte für den Zustand der Erleuchtung (ru wu yu A fäit/f). Wenn man diesen gen. Was Wang Ji vom «ursprünglichen Wissen» sagt, gilt für dessen vollkommenen
Zustand erkannt hat, sind sie völlig in Ordnung. Wenn man ihn aber nicht erkennen Zustand, aber nicht für dessen Zustand in unserem gegenwärtigen Bevmsstscin. Der
kann, dann hält man mit ihnen die Seelen zum Narren. Man vergisst, ohne dass etwas Weg zum vollkommenen Zustand des «ursprünglichen vVissens» bzw. das Erlernen
vergessen wird, weil man nie bewahrt; man bewahrt, ohne vom Bewahren abhängig dieses Zustandes besteht im Üben des «Sichzurückholens und Sichzusammenhaltens»
zu sein, weil nie etwas vergessen wird (yi qi wei changyou wang P.,l_;\t*'i'i~Jis;). <Nicht in der Stille.
vergessen und nicht bewahren>, das ist die höchste Stufe des abgründig Stillen (yuan
ji zhi ji J)Hj,f,.i/LfllX). Aber gerade was das böse Herz im Dorf denkt, ist nichts anderes § 5 Luo Hongxians kritische Auseinandersetzung in seinem «Anhang»
als Nutzen und Schaden (wu fei li hai zhi jing 1!!€~1::fU~ L:ljt).Jener [der höchsten Stu- (1550/51) zu den «Aufzeichnungen der Sommerreise [von 1548]»
fe] aber denkt von selbst nicht an Nutzen und Schaden. Es gibt da von selbst eine mit Wang Jis Auffassung vom «ursprünglichen Wissen» und dessen
Reihenfolge (Stufenfolge) (zi you ci di ~ ~,!i:.'.~): Man kann von unserer ethischen «Verwirklichung»
Anstrengung (gong fit J}J *) und von der höchsten Stufe (zhi ji chu ~;\"i~) nicht in
gleicher Weise sprechen. Denn Konfuzius hat gesagt: <Wenn man es hütet, bewahrt Wie wir in§ 1 dieses Kapitels gesehen haben, übergab Zou Shouyi anliisslieh der Feier
man es; wenn man es fahrenlässt, geht es verloren.> 194 Wir können nicht einfach kurz seines sechzigsten Geburtstages im Frühling 1550 Luo Hongxian eine Sammlung von
probieren (qing ke chang shi t:&~J'S~) und dann wähnen, wir hätten es schon erreicht. Reden, die von' lcilnehmern der Versammlung vom Herbst 15 49 im Zhongx:uan-Tem-
vVelche Bedeutung hätte sonst die Aussage [von Konfuzius]: <Ich lerne unten und pcl ;i:p~ll, des «Drachen-und-Tiger-Gebirges» gehalten worden waren, und forderte
erlange oben>? 195 Leute, die heute das <ursprüngliche Wissen> erklären, sagen: <Das ihn auf, dazu Stellung zu nehmen. In seiner 15 50/51 geschriebenen Stellungnahme,
Wissen hat nichts, was nicht <ursprünglich (gut: liang ~)> wäre; so darf man [ihm] die er nicht jener Sammlung, sondern seinen «Aufzeichnungen der Sommerreise»
nicht das Geringste hinzufügen, das außerhalb des <ursprünglichen Wissens> wäre.> von 1548 beifügte, kritisierte Luo Hongxian vor allem den Beitrag WangJis zu jener
Wie könnte diese Rede nicht einen feinen Sinn haben! Aber wenn man nicht um die Sammlung. Dieser Beitrag enthielt nach Luo llongx.ians Darstellung acht Abschnitte,
sehr kleine und blitzschnelle Zeit [des Erscheinens des <ursprünglichen Wissens>] von denen Luo Hongxian den ersten und den letzten zitiert. 198 Er geht in seiner Kritik
weiß (bu zhi ji wei shu hu zhi ji 1'~~11'&{~~2~), fällt man in bloße Meinungen.» 196 folgendermaßen vor: Er ziti~rt zuerst den ersten Abschnitt von Wang Jis Beitrag, der
In einem etwas schärferen Ton schreibt Luo Hongxian wohl ungefähr zur selben
Zeit an einen anderen Adressaten: <«Nichts bewahren, und es wird von selbst nicht
vergessen (wu suo cun er zi bu wang ffifflffii'ö ~ ::fJis;)>, dieser Satz ist [für uns] zu früh 198 In WangJis «Gesammelten Werken» in 20 juan ist dieser Beitrag nicht vollständig aufgenommen. Er
gesprochen. Es ist eine äußert giftige Medizin, doch die Herren halten sie in letzter umfasst hier nur sieben Abschnitte; der von Luo Hongxian zitierte und von ihm vor allem kritisierte
Zeit für ein wunderbares Heilmittel. Aber warum können sie sich damit nicht selbst erste Abschnitt fehlt. Der siebte Abschnitt in diesen «Gesammelten Werken» ist mit dem von Luo
Hongxian als achtem bezeichneten Abschnitt identisch: siehe U&ng Longxi quan ji, «Aufzeichnungen
helfen! Wie kommt es, dass die Wiedergeburt ihres Lebens (chao shen M!t) nicht von der Versammlung von Chongxuan» (1822),juan 1, S. 3a-5a (Taipei 1970, S. 93-97); Ulitng Ji ji,
sichtbar wird!» 197 Nanjing 2007,juan 1, S. 3f. Doch der älteste noch erhaltene Druck von Texten WangJis, die «Worte
in Versammlungen des Lehrers Wang Longxi» (fl!U~3:$t1:.litlilf), 6 juan, die 1576, zu Lebzeiten
Wang Jis, von Gong Anguo it :ti:r;! aus der Präfektur Ningguo (im direkten Verwaltungsgebiet von
Nanking) herausgegeben wurden, enthält den von Luo Hongxian als «ersten von acht Abschnitten (ba
tiao zhi shou )\ Mr-~ 1:/f)» zitierten Text. Er macht in dieser Ausgabe von 1576 die ersten beiden von elf
193 Zitataus dem oben angeführten Brief von WangJi. . Abschnitten aus. Außer diesen ersten beiden Abschnitten sind in WangJis «Gesammelten Werken» in
194 Von Mengzi zitiertes Wort von Konfuzius: Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, Kap. 18. 2 0 juan auch der vierte und zehnte Abschnitt nicht enthalten, wodurch sich in dieser Ausgabe für die
195 Lunyu, 14. Buch, Kap. 35 (37). «Aufzeichnungen von der Versammlung von Chongxuan» sieben Abschnitte ergeben. Doch der von
196 Nian'anLuoxianshengwenji,Ausgabevon 1567, Bibliothek von Nanjing, Nr. 111758, S. 70b-71a; Luo Luo Hongxian zitierte «erste Abschnitt» ist nicht völlig mit den ersten beiden Abschnitten in Wang
Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 209f. Der Brief ist stückweise auch im MRXA,juan 18, Beijing Jis «Worten in Versammlungen[ ...]» von 1576 identisch. Diese «Worte in Versammlungen [... ]»,
1985, S. 395f., angeführt. 6juan, von 1576 wurden als zweiter Anhang in UlitngJiji,Nanjing 2007, S. 676-790, aufgenommen.
197 «Brief an Xie Weishi li9f ft1!t», Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 7, S. 276; zitiert im MRXA,juan 18, Wir werden uns im Folgenden auf Luo Hongxians Zitat stützen, aber in Anmerkungen auf einige
Beijing 1985, S. 406. Differenzen zum Text in den «Worten in Versammlungen[ ...]», 6juan, von 1576 hinweisen.
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vom «ursprünglichen Wissen» und dessen <<Verwirklichung» handelt, und schließt a) Wang Jis Ausführungen über das «ursprüngliche Wissen» und dessen
dieses Zitat mit der Bemerkung: «Dieser erste der acht Abschnitte meint, dass er die «Verwirklichung» in der Versammlung im Chongxuan-Tempel vom Herbst 1549
tiefste Wahrheit (di yi yi ffi-ll) enthalte. Doch wenn man ihn an den Worten des Im ersten von Luo Hongxian zitierten Abschnitt seines Beitrages skizziert Wang
verstorbenen Lehrers [Wang] Yangming prüft, so stimmt er mit diesen wohl nicht Ji kurz seine Auffassung vom «ursprünglichen Wissen» und von dessen «Verwirk-
ganz überein.» 199 Dann kritisiert er in vier Abschnitten jenen ersten Abschnitt Wang lichung» in der «Berichtigung der Handlungen» (ge wu :Mt~), um dann zwei davon
Jis. Er beginnt jeden seiner vier Abschnitte mit Zitaten von Wang Yangming über das abweichende Auffassungen zu kritisieren, nämlich die sogenannte «vulgäre Lehre»
«ursprüngliche Wissen», um dann in daran anschließenden Ausführungen zu zeigen, (su xue ~-), 202 die das «ursprüngliche Wissen» durch das empirische und informative
dass Wang Ji der Lehre des Meisters nicht entspricht. Im Gegensatz zu vielen anderen Wissen ergänzen will (jia jian wen zhi shi baJtlH.l!l:lltil), und vor allem, ohne den Namen
Ausführungen argumentiert Luo Hongxian also nicht primär aufgrund seiner eige- zu nennen, die Auffassung von Nie Bao. Von dieser Auffassung sagt er, dass sie ohne
nen Erfahrung, sondern mit Bezug auf die Autorität Wang Yangmings. Der Grund tieferes Verständnis des «ursprünglichen Wissens» «oberhalb des <Ursprünglichen
für dieses Vorgehen ist vermutlich, dass es ihm in diesem Text darum geht, Nie Bao Wissens> noch die Absicht und Ansicht eines Nichtwissens hineinmische (chan ru wu
innerhalb der Schule zu rechtfertigen. In seinem vierten Abschnitt kommt er auch zhi yi jian :11),J!~~~Jl)», indem sie «gleichsam eine Einsicht in eine helle Substanz
auf eine Auffassung von Qian Dehong über das «ursprüngliche Wissen» zu sprechen. ausdenke (bu du cheng wu ming ti wan ran ~.fj[J:i)tffiPJ.l\ll~?i.\)» und diese für das «ur-
Letzterer hatte auch an jener Versammlung im «Drachen-und-Tiger-Gebirge» von sprüngliche Wissen» ausgebe. Diese Auffassung bezeichnet Wang Ji als eine «fremde
1549 teilgenommen und war in jener Sammlung ebenfalls mit einem Beitrag vertreten. Lehre» (Irrlehre: yi xue J\~) 203 und sagt von ihr: «Wenn heute die Anstrengung (gong
An diese vier Abschnitte fügt Luo Hongxian noch einen Teil seines 1550 oder 1551, fu :Jh~) des <Verwirklichens des ursprünglichen Wissens> keine Kraft gewinnt (bu
also gleichzeitig mit der Kritik an WangJi, geschriebenen großen Briefs an Guo Ying- de li =ffi.tl), dann ist dies der schädliche Einfluss dieser Absicht und Ansicht. Diese
kui ~ J!l~ (Beiname: Pingchuan 312- JII) an. Guo Yinkui stammte aus dem Kreis Taihe Absicht und Ansicht ist der Räuber des <ursprünglichen Wissens> (liang zhi zhi zei
in der Präfektur Ji'an und war ein Schüler von Wang Yangmings «Bundesgeonssen» 6l!l:ll.Zll!l).»204 «Wenn man meint, dass [diese] Absicht und Ansicht die Wirklichkeit
Zhan Ruoshui. 200 In diesem beigefügten Briefteil stellt Luo Hongxian im Anschluss sei, und nicht um [das <ursprüngliche Wissen>] als den ursprünglichen lebendigen
an Mengzi seine Auffassung vom «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» dar. 201 Antrieb des geisteskräftigen Gewahrens weiß (bu zhi ben lai lingjue shengji =f~.ilq~
Am Ende seiner kritischen Auseinandersetzung führt er den letzten (in der Darstel- !Hl~:jt\§)205 und sich immer dichter einkapselt, ohne seinen Kopf hervorzustrecken,
lung Luos achten) Abschnitt aus Wang Jis Beitrag an und versucht, diesen Abschnitt dann hält man einen Räuber für seinen eigenen Sohn (dann täuscht man sich)2°6 .»207
in einem Sinne zu interpretieren, dem er selbst zustimmen kann. Damit schließt Luo Wang Ji geht also mit Nie Bao, der in der Versammlung nicht anwesend war, sehr
Hongxians Kritik in einem versöhnlichen Ton. Seine Auseinandersetzung mit Wang hart ins Gericht.
Ji geschieht also ganz im Hinblick auf das «ursprüngliche Wissen» und seine «Ver- In diesem kritischen Kontext führt Wang Ji aus, dass das von Wang Yangming
wirklichung». Deshalb befasst er sich nicht mit allen acht ihm vorgelegten Abschnitten hervorgehobene «ursprüngliche Wissen» das «geisteskräftige Helle im einen (ers-
von Wang Jis Beitrag. ten) Denken» (yi nian ling ming -~j!PJ.1 208) sei, dass das «Nichtverdunkeln» (bu mei
1'~) dieses Hellen das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» und dass das
«Nichtverdunkeln» dieses Hellen in den jeweiligen Geschäften und Handlungen das

199 Xia you ji, Nian'an Luo xiansheng wen ji,juan 5, Si ku quan shu, S. 28b; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,
juan 3, S. 71. 202 Anstatt «vulgäre Lehre» (su xue f6~) steht in den «Worten in Versammlungen( ...]» von 1576: «die
200 Guo Yingkui wurde 1495 geboren und erlangte 1529 den jinshi-Grad (siehe Wu Zhen: Xinian 1522- Lehre der weltlichen Konfuzianer» (shi ru zhi xue 1!!:~.Z~); WangJiji, Nanjing 2007, zweiter Anhang,
1602, Shanghai 2003, S. 195 und S. 214, und Wu Zhen 2001, S. 322). Luo Hongxian erwähnt ihn S.682.
auch in seinem Jiayin xia you ji, Nian 'an Luo xiansheng wen ji,juan 5, S. 48b; Luo Hongxian ji, Nanjing 203 Anstatt «fremde Lehre» (Irrlehre: yi xue ;\\\~) steht in den «Worten in Versammlungen [... ]»von
2007,juan 3, S. 85; siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 638f. 1576: «die Lehre der Buddhisten» (fo shi zhi xue ffi; 1:-t.Z~); WangJi ji, Nanjing 2007, zweiter Anhang,
201 Der ganze Brief an Guo Yingkui mit 26 Teilen (Abschnitten) ist in der großen Ausgabe von 1567 der s. 682.
Schriften Luo Hongxians wiedergegeben: Ni{ln 'an Luo xiansheng wen ji,juan l, S. 876-93 b, Bibliothek 204 Xia youji, Nian'an Luo xianshengwen ji,juan 5, Si ku quan shu, S. 28a-b; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,
vonNanjing,Nr. 11758; er ist hier auf dasJahrxing hai (1551) datiert. Nicht der ganze Brief, sondern juan 3, S. 71.
nur der 16. Teil (Abschnitt), den Luo Hongxian in seine Kritik an Wang Ji übernommen hat, steht 205 Zu Wang Jis Auffassung des «ursprünglichen Wissens» als «lebendigen Antriebes» siehe oben in
auch in der kleinen Ausgabe von Luo Hongxians Schriften aus der Yongzeng-Ära der Qing-Dynastie: diesem Teil II, Kap. 2, § 2.
Nian'an Luo xianshengwen ji,juan 3, S. 34a-35a, Bibliothek von Nanjing, Nr. 87568. In Ltto Hongxian 206 Zum Ausdruck «einen Räuber für seinen eigenen Sohn halten» siehe oben in Teil I, Kap. 2, § l.
ji, Nanjing 2007, juan 7, sind sechs Teile (Abschnitte) dieses Briefes wiedergegeben, von denen der 207 Xia you ji, Nian'an Luo xiansheng wen ji,juan 5, Si ku quan sbrt, S. 28b; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,
sechste dem von Luo in seine Kritik an Wang Ji übernommenen Stück entspricht. Der Brief ist in juan 3, S. 71.
dieser Ausgabe auf das Jahr geng xu (1550) datiert:juan 7, S. 259f. 208 Zum Ausdruck «das eine (erste) Denken» (yi nian -~) bei WangJi siehe oben in Kapitel 2 den§ 3.
\
670 671

«Berichtigen der Handlungen» (ge wu tMm) sei. Dann fügt er hinzu: <<Das <ursprüng- In seiner kurzen Exposition seiner Lehre vom «ursprünglichen Wissen» und
liche Wissen> ist das Leere (xu ~), das <Berichtigen der Handlungen> ist das Wirldiche dessen «Verwirldichung» in seinem Beitrag zur Sammlung von 1549 stehen noch
(shi W)», und er lässt sich gegenüber Nie Baos These, dass das «ursprüngliche Wissen>> folgende, später von Luo Hongxian und auch von Nie Bao scharf angegriffene Sätze,
nicht im «Berichtigen der Handlungen» «verwirldicht» werde, 209 in Anspielung auf welche die in der Kritik an Nie Bao gebrauchten Ausdrücke «Absichten und Ansich-
einen Satz aus Laozis Daodejing210 zur Formel verleiten: <<Das T,eere und das Wirldiche ten» (yi jian ~Ji) ins Positive wenden: «Wenn 1nan zur Zeit des Vorbeikommens
bringen sich gegenseitig hervor (xu shi xiang sheng J.Eilfä 1:.).» Den Sinn dieses Satzes des <ursprünglichen Wissens> auf es vertraut (ruo xin de liang zhi guo shi ~1'\lH~ !ll~
bcgtiindet er mit Anspielungen auf daoistische und buddhistische Texte so: «Denn das i@.Dt), 216 dann sind die Absichten (yi ~) Auswirkungen des ,ursprünglichen Wissens>
<ursprüngliche vVissen> ist Nichtwissen, das nichts nicht weiß (wu zhi er wu bu zhi AA (liang zhi zhi liu xing !ll~zffitff), und die Ansichten (jian J!) sind Erkenntnisse des
5:□ lmfflFf5:0). 211 Nur weil es selbst kein einzelnes seiendes Ding ist (yuan wu yi wu ß.ii:AA <ursprünglichen Wissens> (liang zhi zhi zhao cha !ll~ZAA~), und es gibt bis auf den
-1m), 212 vermag es der Realität aller Dinge gleich zu werden.» 213 Diese Begründung Grund des Inneren und des Äußeren vom Ursprung her keine Hindernisse und
ist also Wang Jis immer wieder geäußerter Gedanke, dass analog dazu, dass zum keine [notwendigen] Ergänzungen mehr. Es ist so, wie es heißt: <Durch Berührung
Beispiel das Ohr nur deshalb die verschiedenen Töne wahrzunehmen vermag, weil es mit einem Körnchen im Haus des Zinnobers wird das Eisen zu Gold (dan fu yi li,
sei bst <<1 eer», das heißt selbst von keinem einzelnen 'Ion erfüllt ist, das «ursptiingliche dian tie chengjin :1'.1-Jff-~l!lli%\:~:i:).>» 217 Mit diesem alchemistischen Gleichnis aus
Wissen» nur deshalb alle Dinge aufzufassen vermag, weil es selbst «leer», das heißt dem wichtigsten zenbuddhistischcn rlext des 11. J ahrhundertsm will Wang Ji sagen,
kein einzelnes Ding ist. 214 dass durch das Vertrauen (den Glauben) in das sich manifestierende ,ursprüngliche
Doch der Sinn jener Formel des gegenseitigen IIervorbringens des «ursprüng- Wissen> sich alles zum Guten wende. Es ist bemerkenswert, dass Wang Ji hier in
lichen \Visscns» als des «T ,eeren» einerseits und des «Berichtigens der Handlungen» diesem relativ frühen ]ext (1549) nur von << Vertrauen» und nicht von «Einsicht» in
als des «v\/irklichen» andererseits ist durch diese Begründung in der Sichtweise W·mg das «ursprüngliche Wissen» spricht.
Jis nicht gewährleistet. Denn nach ihm kann zwar das <<ursprüngliche Wissen» das
«Berichtigen der Tiancllungcn» hervorbringen, aber nicht umgekehrt. So nimmt er b) Luo Hongxians erster Einwand gegen Wang Ji: Das ethische «Lernen» besteht
denn gegenüber Luo Hongxian in einem Brief, der wohl 15 50 zu einer Zeit geschrie- in der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» gegenüber dem «ursprünglichen
ben wurde, als dieser vVang Jis Beitrag zur 1extsanunlung aus der Versammlung von Wissen» als der «unsichtbaren und unhörbaren» «Natur» des Herzens und nicht
Chongxuan (1549) bereits kannte, aber seine Replik darauf noch nicht geschrieben im «Berichtigen der Handlungen»
hatte, jene Formel wieder zurück. Er schreibt: «Meine Aussage, dass <sich das Leere Im ersten Einwand folgt Luo Hongxian dem Grundgecbnken von Nie Bao, obschon
und das \Nirkliche gegenseitig hervorbringen>, ist eigentlich keine tiefe Rede (ben wu er andere Formulierungen verwendet. Zuerst beruft er sich auf eine Definition des
shcn shuo ;,js:AA;?Rm). Das vVesen (ti d) des <ursprünglichen Wissens> ist eigentlich leer «ursprünglichen Wissens» in Wang Yangmings -«Fragen zum D1Da'?te» (Daxue wen):
(ben xu ;ljs:J.E), aber alle Dinge sind darin enthalten (er wan wu jie bei )m;i"W} ~ffi). Die «Das <ursprüngliche Wissen> ist die vom Himmel bestimmte <Natur> des Menschen
Dinge gehen durch Verdichtungen und Auflösungen aus dem <ursprünglichen Wissen> (tian ming zhi xing :Ji::"triztt), es ist das eigentliche Wesen (ben ti ;ljs:\ll) unseres Herzens
hervor (wushi liang zhi ningju rongjie chu lai di WI~ !ll~)MfJ.\Htt~l:l:l*a'il). Das <Berich-
tigen der Handlungen> ist die Wirldichkeit des ,Verwirklichens des [ursprünglichen]
Wissens> (zhi zhi zhi shi ~~.2.Jt).»21 5 216 Anstatt «wenn man zur Zeit des Vorüberkommens des <ursprünglichen Wissens> auf es vertraut (ruo
xin de liang zhi guo shi ~~ffl-1.\l;Jl~II\J)» steht in den «Worten in Versammlungen[ ... ]» von 1576:
«wenn man zur Zeit des Erreichens des <Ursprünglichen Wissens> auf es vertraut (ruo xin de liang zhi
jishi ~~fi l.\l;n:&11\l)»; Ulimg]i ji, Nanjing 2007, zweiter Anhang, S. 682.
217 Xia youji, Nian'an Luo xianshengwenji,juan 5, Si ku quan shu, S. 28b; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,
209 Siehe oben in diesem Teil, Kap. 3, § 5, S. 594ff. juan 3, S. 71.
210 Daodejing, Kap. 2: «Das Sein und das Nichts bringen sich gegenseitig hervor (you wu xiang sheng 218 Im Jingde chuan deng lu (kompiliert am Anfang des 11. Jahrhunderts von Daoyuan), juan 18, Ab-
fl°1!Ull g,_).» schnitt über den Zen-Meister Zhenjue ~- aus dem Longhua-Kloster in Hangzhou, steht folgende
211 Anspielung auf Daodejing, Kap. 48: «Es ist ein Nichtmachen, und es gibt nichts, das nicht gemacht Geschichte: «[Ein Mönch] fragte [Meister Zhenjue): <Es gibt die Aussage: <Durch Berührung mit
wäre (wu wei er wu Im wei ffi~ imffi1'~).» einem Körnchen zurückgeführten Zinnobers wird das Eisen zu Gold.> Das ist ein Wörtchen höch-
212 Anspielung auf den Vers von Huineng im ersten Kapitel des «Hochsitz-Sutra des Sechsten Patriar- ster Wahrheit: Durch Berührung wird das Gewöhnliche zum Heiligen. Ich bitte Sie, mich darüber
chen» (Fassung im Ming-Kanon), TS, Bd. 48, Nr. 2008, S. 349a, Z. 8: Das Bodhi «ist ursprünglich zu belehren.> Der Meister [Zhenjue] antwortete: <Wissen Sie noch, dass bei Qiyun das Eisen durch
kein einzelnes Ding (ben lai wu yi wu **ffi-!lPJJ)». Berührung zu Gold wurde?> [Der Mönch] antwortete: <Ich habe bisher noch nie gehört, dass durch
213 Xia youji, Nian'an Luo xianshengwenji,juan 5, Si ku quan shu, S. 28a; Luo Hongxianji, Nanjing 2007, Berührung Eisen zu Gold geworden ist. Ich bitte Sie, mich über ein Wörtchen höchster Wahrheit
juan 3, S. 70f. zu unterweisen!> Der Meister antwortete: <Wenn Sie diesen Satz nicht unter die Sitzmatte kehren,
214 Siehe oben in diesem Teil, Kap. 2, § 2, S. 475ff. werden Sie es bedauern und schwerlich wieder gutmachen können.»> (TS, Bd. 51, Nr. 2076, S. 352b,
215 «Erster Brief (um 1550) an Luo Hongxian», Wang Longxi quan ji (1822),juan 10, S. 3a (Taipei 1970, Z. 7-11). Meister Jenjue lehnt also eine solche «alchemistische» Konversion ab. Aber sie wurde
S. 653); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 10, S. 235. offenbar in anderen Traditionen, auch von Wang Ji, bejaht.
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\

(Geistes), das spontan sich kundgebend geisteskräftig gewahrt (zi ran zhao ming ling all unser sichtbares und hörbares Handeln muss, wenn es gut sein soll, ausschließlich
jue zhe § ~Bß IIJ.l!!!.ll;ff).» 219 Er zieht daraus den Schluss: «Dies bedeutet, dass das <ur- von dieser «Natur» bewirkt sein, ohne dass es dabei durch eigene Tätigkeit etwas
sprüngliche Wissen> dasselbe ist wie die <Vom Himmel bestimmte Natur> (tian xing hinzuzufügen gäbe. Nach dieser Darlegung seiner eigenen Position schreibt er kri-
~ti).» 220 Obschon dieser Schluss nicht falsch ist, setzt er den Akzent doch anders als tisch gegen die zitierten Ausführungen Wang Jis: «Von diesem Gesichtspunkt aus
der zitierte Satz Wang Yangmings, denn diesem geht es darin um das «ursprüngli- kann man sagen, dass die Substanz (ti lll) des <ursprünglichen Wissens> äußerst leer
che Wissen» als die spontan sich kundgebende und geisteskräftig gewahrende (zhi xu ~ßfil) sei, und man kann auch sagen, dass diese Substanz das Leere sei und die
«Natur», also um ein Phänomen des aktuellen menschlichen Bewusstseins. In seiner äußeren Formen (xing Jf~) das Wirkliche seien (shi W). Aber wenn Sie nun sagen, dass
vom Erscheinungscharakter dieser «Natur» im aktuellen menschlichen Bewusstsein <das <ursprüngliche Wissen> das Leere und dass das <Berichtigen der Handlungen>
absehenden Ansatz fährt Luo Hongxian fort, dass mit dieser «Natur» das gemeint sei, das Wirkliche sei>, wie könnte das, <was man nicht sieht und nicht hört>, von etwas
was das (erste Kapitel des) Zhongyong als das, «was man nicht sieht und nicht hört» (suo abhängig sein, aufgrund dessen es dann wirklich würde (you suo dai er hou shi ~ i'M~ ffü
bu du bu wen /'Jr::fJ!iFf ~), anspricht und als das, in Bezug worauf nach diesem Kapitel f&W)!» 225 Luo Hongxian sagt also wie Nie Bao gegen WangJi, dass alles erscheinende
«der Edle» in seinem «Lernen» «achtsam und furchtsam» (jie shen kongju :R¾ffi~ffl) Wirkliche, alles sich im Äußeren kundtuende Handeln, um Handeln eines «Edlen» zu
sein muss. Dieses «Unsichtbare und Unhörbare» könne als «das Verborgene, das noch sein, aus dem «ursprünglichen Wissen» als der «unsichtbaren und unhörbaren Natur
keine Form hat» (yin erwci xing =ii'ö*%), und als das «Feine (Unsichtbare), das noch des Herzens» heraus erfolgen müsse. Das «Lernen» bestehe nur in der «Achtsamkeit
nicht hervortritt» (wei er wei zhu ~ji'ij*~), bezeichnet werden. «Und alles, was wir und Furchtsamkeit» gegenüber dieser verborgenen «Natur». Diese «Natur» könne
im Außeren zum Erscheinen bringen (wu zhi fa xian yu wai zhe .:g-;z~~tiHl'-;ff), wird nicht von äußeren Handlungen abhängen. Doch im Gegensatz zu Nie Bao sieht er
von diesem Formlosen bewirkt (wei xing zhe suo wei *%,ff /'.Ir~), ohne dass dabei etwas diese «Natur» als eine «Substanz», die an sich vollkommen ist und der gegenüber wir
hinzugefügt würde, denn obschon es das Verborgenste ist, <ist nichts sichtbarer als «achtsam und furchtsam» sein müssen, und er sagt nicht, dass wir sie «zu ihrer Fülle
das Verborgcne>; 221 alles, was wir im Äußeren kundtun (wu zhi zhang xian yu wai zhe bringen» müssen. Dieser fundamentale Unterschied zu Nie Bao wird im nächsten
.:g-;z}'Jr~~~91'-~), wird von diesem Nichthervortretenden bewirkt, ohne dass dabei Abschnitt noch deutlicher werden. Wir haben schon hervorgehoben, dass auch der
etwas hinzugefügt würde, denn obschon es das Feinste ist, <ist nichts manifester als das von Wang Ji bevorzugte Weg des «Lernens» in einem Rückgang auf die «Substanz
Feine (Unsichtbare)>. 222 Könnte da <der Edle> nicht <achtsam und furchtsam> sein!»223 des Herzens» besteht. Doch für ihn tut sich diese <<Substanz» als unselbständiger Be-
Für Luo Hongxian besteht in diesem Text also das «Lernen» in der «achtsamen standteil des «eigentlichen Wesens (ben ti :lJl;lll) des Herzens» immer in Tätigkeiten,
und furchtsamen» Ausrichtung auf die «unsichtbare und unhörbare» innere «Natur» «Funktionen», kund, so dass dieser Rückgang in den Tätigkeiten selbst zu geschehen
des Herzens. Unter diesem «unsichtbaren und unhörbaren» Inneren des Herzens ver- hat. 226 Worin besteht nun nach Luo Hongxian die von ihm als das «Lernen» hinge-
steht er nicht wie \Mmg Y:mgming die für andere Menschen unsichtbaren und unhörba- stellte «Achtsamkeit und Furchtsamkeit» gegenüber dem, «was rnan nicht hört und
ren eigenen guten und schlechten Regungen und Intentionen, um die man selbst «allein nicht sieht»? Darüber bringt der nächste Abschnitt einigen Aufschluss.
weiß», sondern die «vom Himmel bestimmte Natur», die allen guten und schlechten
Intentionen und Tätigkeiten, allem Denken und Handeln vorangeht. Luo versteht die c) Luo Hongxians zweiter Einwand gegen Wang Ji: Das «Lernen» besteht im
«Achtsamkeit und Furchtsamkeit» (jie shen kongju :R¾ffi~ffl) des Zhongyong nicht im Sin- «Anhaltenkönnen» beim «ursprünglichen Wissen» als dem «höchsten Guten».
ne von vVang Yangming, sondern im Sinne Zhu Xis. 224 All unser Denken und Tun und «Festigkeit» und «Ruhe» sind in der ethischen «Anstrengung» das Erste;
sie können nicht aus dem «Denken» bzw. aus dem «Verwirklichen des Wissens»
hervorgehen

219 Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 971. Es ist bemerkenswert, dass Luo Hongxian aus dem Da:,ue Auch in seinem zweiten kritischen Abschnitt beruft sich Lno Hongxian zuerst auf
wen zitiert, das 1550/51 noch nicht in den «Fortsetzenden Stücken der gesammelten Schriften des einen Text Wang Yangmings. Er zitiert wörtlich: «Der verstorbene Lehrer sagte:
l,chrers Ymgming» von 1566 erschienen war (siehe oben im Anhang zur Einleitung des Teils I, S. 119. <Das höchste Gute (zhi shan ~~) ist das eigentliche Wesen des Herzens (xin zhi hen
Offenbar zirkulierte dieser sehr wichtige Text Wang Yangmings schon früher. Es gibt sachlich iden-
tische Definitionen des «ursprünglichen Wissens» im Brief von 1526 an Ouyang De (Chuanxi lu II, ti ,t,,;z:lJl;lll); erst nachdem Tätigkeiten (dong 111) aufgetreten sind, gibt es Nichtgutes;
Nt·. 169, Qwmji,jum, 2, Shanghai 1992, S. 72) und im Brief von 1528 an Nie Bao (Cbuanxi lu II, Nr. dessen ist sich aber das Wissen des eigentlichen \Vesens [als Substanz] irnmer bewusst
189, a.a.O., S. 84). Wir haben die betreffenden Stellen oben in diesem Teil II, Kap. 3, § 5, Abschnitt (ben ti zhi zhi wei chang bu zhi :lJl;lffl;z.~□ * i'::f ~).>» 227 Aufgrund dieses Zitates, in dem
b), zitiert.
220 Xia youji, /Vrnji,juan 5, a.a.O., S. 28b; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 71.
221 Zitat aus dem ersten Kapitel des Zhongyong.
222 Zitat aus dem ersten Kapitel des Zhongyong.
223 Xiil youji, /Vi11 ji,j111m 5, a.a.O., 29a; L110 Hongxirmji, Nanjing 2007,juan 3, S. 71. 225 A.a.O., S. 29a-b; [,uo Honp,:xian ji, Nanjing 2007,juan .l, S. 71.
224 Zu \Vang Ycrngmings Auffassung siehe oben in Teil I, Kap. 2, § 1, Abschnitt e). Zu Lno Hnngxians 226 Siehe oben in Kap. 3 den § 6, S. 600ff.
Auffassung siehe oben in diesem Kapitel den§ 2, S 661, den Brief an Xiang Qiao (Beiname: Oudong). 227 Vorrede von 1523 zur alten Fassung des Daxue, Quanji,juan 7, Shanghai 1992, S. 243.
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er das «eigentliche Wesen» als bloße «Substanz» versteht, identifiziert Luo Hongxian man das Dao des Anhaltens.»233 Luo Hongxian versteht unter dem «Anhalten beim
das «ursprüngliche Wissen» mit dem «höchsten Guten», so wie er es im vorange- höchsten Guten» also eine zu gewissen Zeiten ausgeübte meditative Versenkung
gangenen Abschnitt der «vom Himmel bestimmten Natur» gleichgestellt hatte. Das wohl durch «Sitzen in der Ruhe», in der man «nichts sieht>>, das heißt, in der alle
«Lernen», das er dort als «Achtsamkeit und Furchtsamkeit beim Unsichtbaren und Empfindungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Wünsche zur Ruhe gekommen
Unhörbaren» charakterisiert hatte, bestimmt er hier im Anschluss an den Anfang des sind. Er schließt diesen Gedanken mit folgendem Bild ab: «Es ist wie mit einem aus
Daxue228 als «Anhaltenkönnen» (neng zhi ß~lt) beim höchsten Guten. Und er fährt der Ferne Heimkehrenden, der in sein angestammtes Haus zurückkehrt und seinen
fort: «Aufgrund der Substanz unseres Herzens (xin zhi ti ,t,,zflt) ist das höchste Gute beständigen Besitz wiedererlangt (fan qi gu lu,fa qi heng chan .&~i'&Jttf!Utffi:~).»234
sicher vorhanden. Doch nachdem das Wissen. [um das Gute und Nichtgute der Tä- Das «angestammte Haus, in das man zurückkehrt>>, ist die Substanz des Herzens als
tigkeiten] entstanden ist, ist das Erlangen (Ausüben) dieses Anhaltens [beim höchsten das höchste Gute, die es wiederzufinden gilt.
Guten] schwierig geworden (de zhi wei nan ~3-lt~B).»229 Für die Weise, wie dieses Aufgrund dieser «Rückkehr» ergibt sich dann folgender Geisteszustand: «Von
«Anhalten» vollzogen wird, nachdem das Wissen um das Gute und das Schlechte selbst (zi §) wird er [der Heimgekehrte] dann keinen Kummer eines von seiner
bei uns Menschen nun einmal entstanden ist, beruft er sich auf Erklärungen zum 52. Wohnstätte Vertriebenen und keine Sorgen eines unstet nach Herbergen Suchenden
Hexagramm im «Buch der Wandlungen» (Yijing), das heißt zum Hexagramm gen R mehr haben, und obschon er zum Herumrennen des früheren Lebens verlockt wird,
(«Stillehalten»): «Wer wäre fähig, zu wissen und dabei beständig innezuhalten (zhi er wird er es dann achtsam meiden und sich nicht darum kümlhern.»235 Luo Hongxian
chang zhi ~im~lt), wenn das gen (<<Stillehalten») nicht <an seiner Stelle innezuhalten wendet auf diesen Geisteszustand die Ausdrücke an, die das erste Kapitel des Daxue
vermöchte>, was besagt, dass <man [seinen Rücken stillehält, so dass man] sich selbst aus dem «Anhalten beim höchsten Guten» als eine Reihe von Folgen hervorgehen
nicht mehr empfindet, [durch die Wohnhalle geht und] die anderen nicht beachtet> lässt: aufgrund des «Anhaltens» die «Festigkeit>> (ding ;iE), dadurch «Stille» (jing ff),
und <nicht die [rechte] Zeit von Ruhe und Tätigkeit verfehlt>230 .»231 dadurch «Ruhe» (an ~) und dadurch «Denken» (lü ül). Das «Anhalten» umfasst alle.
Was Luo Hongxian mit dieser Bezugnahme auf diesen Text des Yijing meint, Luo Hongxian unterscheidet zwischen dem «höchsten Guten» selbst und dem «An-
wird deutlicher, wenn man den Luo Hongxian sicher bekannten, von Zhu Xi in sein halten beim höchsten Guten»: «Festigkeit, Stille, Ruhe und Denken sind das höchste
Jin si lu232 aufgenommenen Kommentar von Cheng Yi (1038-1107) zu diesem Text Gute; der Festigkeit, der Stille, der Ruhe und des Denkens fähig zu sein (neng ding
heranzieht. Cheng Yi schreibt zu der von Luo Hongxian zitierten Stelle: «Der Grund, ß~:iE etc.), ist das Anhalten beim höchsten Guten.»236 Aus dieser Geisteshaltung des
warum die Menschen nicht sicher anzuhalten (zhi 11:) vermögen, ist, dass sie von «Anhaltens» lässt Luo Hongxian nun das «Berichtigen der Handlungen» (ge wu ffl-Wl)
Wünschen (Begierden) bewegt werden (dongyu yu Jh)JH1.X). Man kann nicht anhalten, und das «Verwirklichen des Wissens» (zhi zhi ~~) hervorgehen, von denen im ersten
wenn man von Wünschen vor Augen geleitet wird. Darum besteht das Dao des gen Kapitel des Daxue in der nächsten Folgerung die Rede ist: An erster Stelle ergibt sich
R (<Stillehaltens>) darin, seinen Rücken stillezuhalten. Das Gesehene liegt vor den aus der «Festigkeit, Stille und Ruhe» das «Berichtigen der Handlungen», und an
Augen; wenn man ihm den Rücken zukehrt, ist es das, was man nicht sieht. Wenn zweiter Stelle ergibt sich aus dem «Denken» (lü gj) das «Verwirklichen des Wissens»:
man bei dem anhält, was man nicht sieht (zhi yu suo bu jian lt*m,f'
Jll,), dann können «Indem man zuerst die Festigkeit, die Stille und Ruhe erlangt, werden von daher die
keine Wünsche mehr das Herz in Unruhe versetzen, und das Anhalten ist sicher. Dass <Handlungen berichtigt> (wu zhi suo you yi ge W/zPlfm.l;J..ffl-); das ist der Anfang des
man <sich selbst nicht mehr empfindet>, heißt, dass man sich selbst nicht mehr sieht, Anhaltens [beim höchsten Guten] (zhi zhi shi ye ltz!laili.). Indem man nachher denkt
und bedeutet, dass man sein Selbst vergisst (wang wo~~). Wenn man ohne Selbst ist (lü gj), wird dadurch das <[ursprüngliche] Wissen verwirklicht> (zhi zhi suo yi wei zhi
(wu wo 1m~), dann hält man an. [... ] <Durch die Wohnhalle gehen und die anderen ~;z_pfi-P)..~~); das ist der Abschluss des Anhaltens [beim höchsten Guten] (zhi zhi
nicht beachten> [hat folgende Bedeutung]: Die Wohnhalle und die Stufen dazu sind zhongye .ttz~m).»237 Am Ende dieses zweiten Abschnittes wendet sich Luo Hongxian
das Nächstliegende. Wenn sie hinter dem Rücken liegen, werden sie nicht gesehen, direkt gegen Wang Ji: «Deshalb kann man zwar sagen, dass man das <ursprüngliche
obschon sie das Nächstliegende sind, und das bedeutet, dass man mit den Dingen Wissen verwirklicht>, um sein <Anhalten [beim höchsten Guten]> zu suchen (yi qiu
keinen Umgang hat. Wenn man mit den äußeren Dingen keinen Kontakt hat, keimen qi zhi .i,::J-5.l<~lt), und man kann auch sagen, dass die Regeln der Handlungen aus der
die inneren Wünsche (Begierden) nicht auf. Wenn man auf diese Weise anhält, erlangt <Festigkeit>, <Stille> [und <Ruhe>] hervorgehen (wu ce sheng zhi yu dingjing !J911Jl.~1=.L
*~II). Aber wenn Sie nun sagen, dass <das Leere und das Wirkliche einander her-

228 Daxue, 1. Kap.: «Das Dao des Lernens der Großen [... ] besteht im Innehalten beim höchsten Guten.»
229 Xiayouji, Wenji,juan 5, a.a.O., S. 29b; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 71. 233 Zhou yi Cheng shi zhuan,juan 4, Er Chengji, Beijing 1981, S. 968.
230 Zitate aus„dem «Urteil» und dem «Kommentar» zum Hexagramm gen (52. Hexagramm): siehe die 234 Xiayouji, Wenji,juan 5, a.a.O., S. 29b; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 71.
deutsche Ubersetzung von Richard Wilhelm: Das Buch der Wandlungen, S. 577f. 235 Ebd.
231 Xia youji, Wen ji,juan 5, a.a.O., S. 29b; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 71. 236 Xiayouji, Wenji,juan 5, a.a.O., S. 30a; LuoHongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 72.
232 ]in si lu,juan 4. 237 Xiayouji, Wenji,juan 5, a.a.O., S. 30a-b; LuoHongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 72.
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vorbringen und dadurch das Gesetz des Himmels erscheint>, wie sollten demnach liehen Wissen» kombiniert hatte und auch in seiner späteren Kritik an Wang Ji
<Festigkeit>, <Stille> umgekehrt aus dem <Denken> hervorgehen können (qi dingjing von 1558 wieder kombinieren wircl. 239 Er widerspricht aber nicht wie Nie Bao der
.frm _you lü ei· xiang sheng hu §'.JE'.ffll.6üE~ffi1*§1:t:!f)!»238 Diese kritischen Schlusssätze Intention des zitierten Textes aus dem zweiten (späteren) Teil der Textsammlung, da
des zweiten Abschnittes von Luo Hongxians Kritik sind zunächst unverständlich. Ich er Wang Yangmings Idee der Vollkommenheit des «ursprünglichen Wissens» an sich
nehme an, dass er elliptisch spricht und seine Meinung die Folgende ist: Wie «Festig- (als «Substanz») nicht negiert. Nach diesen beiden Zitaten bringt er noch ein drittes,
keit», «Stille» [und «Ruhe»l nicht aus dem «Denken» hervorgehen können (vielmehr das für ihn in diesem Zusammenhang das entscheidende ist: «Er [Wang Yangming]
das «Denken» jenen folgt), so kann auch das «Anhalten beim höchsten Guten» nicht sagte aber auch: <Man muss wissen, dass der gewöhnliche Mensch noch nicht fähig
aus der «Verwirklichung des Wissens» und der «Berichtigung der Handlungen» ist, die <Mitte vor dem Entstehen der Gefühle> ganz zu haben (wei nengjie _you *fili-lf
hervorgehen, sondern umgekehrt diese aus jenem «Anhalten». ~).>240 Hat er nicht das aktuelle Auftreten (Sichauswirken) des <ursprünglichen Wis-
Für Luo Hongxian geht es also im ethischen «Lernen» darum, «beim höchsten sens> (liang zhi zhi Ja lit;l;□ Z~) [bloß] für den noch nicht untergegangenen Anfang
Guten anhalten zu können». Das «höchste Gute» ist das «ursprüngliche Wissen», das des Guten gehalten (wei min zhi shan dumz *5Etz~i1ffrl), und muss dann die <Mitte vor
heißt «Festigkeit, Stille, Ruhe und Denken». Das zu erlernende «Anhalten» besteht dem Entstehen der Gefühle> nicht erst in der Folge des Lernens zur Verwirklichung
in den entsprechenden Fähigkeiten. <<Festigkeit», <<Stille» und «Ruhe» haben dabei kommen (dang _yin xue er hou zhi "& ~ ~ ffü113&)?» 241 Luo Hongxian sieht also in der
die «Priorität>>; «Denken» ist das Spiiterc. Die «Berichtigung der Handlungen» «Verwirklichung der Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» die praktische Bedingung
ergibt sich aus den Ersteren, die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» aus dafifr, dass das in unserem faktischen Bewusstsein auftretende aktuelle «ursprüngliche
dem ,<Denken». Luo Hongxian betont unter Berufung auf das erste Kapitel des Wissen» nicht bloß ein «noch nicht untergegangener Anfang des Guten», sondern
Daxue die Reihenfolge irn ethischen «Lernen». Wie Nie Bao gibt er der «Stille» (in dessen volle Manifestation sein kann. Die «lvlitte vor dem Entstehen der Gefühle» ist
einem ,<Festigkeit>> und «Ruhe>> umfassenden Sinne) die Priorität, aber er nennt das für Luo Hongxian nicht das immer vorhandene «höchste Gute» als die «Substanz»
Erlernen der «Stille» nicht, wie Nie Bao es tat, «Verwirklichung des ursprünglichen des Herzens, sondern ein empirischer psychologischer Zustand, der «verwirklicht»
Wissens». Nicht nur ist wie bei Nie Bao die «Berichtigung der Handlungen» erst eine werden muss.
Folge der «Stille», sondern auch die «Verwirklichung des Wissens» ergibt sich erst Die «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» wird folgendermaßen «verwirk-
aus dem richtigen «Denken», das der «Stille» folgt. Man kann nur sagen, dass man licht»: «Man muss beständig fest und bestiindig ruhig sein (hi chang ding chtmgjing
in der <,Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» «danach strebt, [beim höchsten &f~t5i'.mffll), um von [dieser] <Mitte> sprechen zu können. So muss also jeder, der das
Guten] anzuhalten» (yi qiu qi zhi P),:5)<;\'!tll::). Doch sieht Luo Hongxian den Erwerb <[ursptiinglichel Wissen verwirklicht> (zhi zhi zhe ?ii!z~4g), gemäß dem, was von diesem
der Fähigkeiten der «Stille» nicht wie Nie Bao als eine quantitative Steigerung des [in unserem aktuellen Bewusstsein] noch nicht untergegangen ist (ji qi suo wei min
«ursprünglichen \Vissens>> selbst, nicht als ein <<Vollrnachen des Maßes der Substanz», &~;l'!tjifi*5tt), immer mehr dasjenige anfüllen, was von diesem lin unserem aktuellen
sondern als eine Rückkehr und ein Verbleiben («Anhaltenkönnen») in einem ange- Bewusstsein] noch nicht angekommen (verwirklicht)242 ist (eryi chong qi suo wei zhi rfütiil'
stammten Besitz: «Aufgrund der Substanz unseres Herzens (Geistes) ist das hö.chste 3'c;l'!!;Jifr*~). Erst dann ist die <Aufrichtigkeit des Willens> (chengyi ~~) vorhanden.» 243
Gute sicher vorhanden», das heißt, das «ursprüngliche Wissen» ist als Substanz immer Luo Hongxian will also im ethischen Lernen in Verbindung mit dem vorgehen, was
vollkommen, aber wir haben uns von ihm entfernt und entfremdet. vom «ursprünglichen Wissen» in unserem aktuellen intentionalen Bewusstsein «noch
nicht untergegangen» ist. Dadurch bleibt er in Kontakt mit Wang Jis Position, der
d} Luo Hongxians dritter Einwand gegen Wang Ji: Das «ursprüngliche Wissen» das «ursprüngliche Wissen» immer auch als ein aktuelles intentionales Bewusstsein
tritt in unserem aktuellen Bewusstsein nur zeitweilig auf und vermag darin nicht auffasst, und dadurch unterscheidet er sich von Nie Bao, der in seinem «Lernen» von
das Herrschende zu sein. Man kann diesen Anfang im aktuellen Bewusstsein den «Funktionen» des «Herzens», das heißt vom aktuellen intentionalen Bewusstsein
nicht schon zur höchsten Bedingung des heiligen Menschen machen mit all seinen «Regungen» absehen, dieses unterlaufen und sich in die «Stille» der
Dies ist Luo Hongxians Haupteinwand gegen Wang Ji. Auch diesen dritten Abschnitt
beginnt Luo Hongxian mit Zitaten Wang Yangmings über das «ursprüngliche Wis-
sen». Er kombiniert und variiert zuerst zwei Texte über das «ursprüngliche Wissen» 239 Es geht um die beiden Zitate aus dem Chuanxi lu II, Nr.155, und I, Nr. 72: siehe oben in diesem Teil
und die «.Mitte vor der Erregung der Gefühle» aus den ersten beiden Teilen des II, Kap. 3, § 5, Abschnitt b), S. 589f.
240 Chuanxi lu 1, Nr. 45. Anstatt «jie you \'!i";/ij» steht bei Wang Yangming: «quan de :i:1l!la» («ganz errei-
Chuanxi tu. Es sind die beiden Texte, die schon Nie Bao in seinem Kun bian lu von chen»). Der Sinn ist aber derselbe.
1549/50 in derselben Weise zur Rechtfertigung seiner Auffassung vom «ursprüng- 241 Nian'an wen ji,juan 5, Si ku quanshu, S. 30b; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 72.
242 Das Zeichen«~» (zhi, «ankommen») wird genau gleich ausgesprochen wie das Zeichen«~» (zhi, das
wir im Allgemeinen mit «verwirklichen» übersetzen) und ist Bestandteil von diesem. Luo Hongxian
gebraucht hier diese sprachlichen Bezüge, die im Deutschen schwer wiederzugeben sind.
238 Xiayouji, Wenji,juan 5, a.a.O., S. 30b; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 72. 243 Nian'an wen ji,juan 5, Si ku quanshu, S. 30b-3la; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 72.
678 679

«Substanz» des Herzens, vor allen Regungen, versenken will. Aber, wie wir gleich aktuellen intentionalen Bewusstsein auftritt, aber bei uns gewöhnlichen Menschen
noch sehen werden, besteht nach Luo Hongxian das «Lernen» nicht etwa darin, ist dies nur eine sporadische Erscheinung, eine schwache Regung, und nicht die
die intentionalen guten Regungen des Herzens, wie Mitgefühl, Scham, Respekt, das herrschende Grundhaltung oder beständige Einstellung unseres Fühlens, Wollens
Gespür für Richtig und Falsch, «auszudehnen» oder «zurn Wachsen zu bringen», und Denkens.
sondern vielmehr darin, die empirischen Bedingungen für diese guten Regungen, Schließlich schreibt er, indem er Sätze aus dem oben zitiert(;!n ersten Abschnitt
das heißt dasjenige, «wodurch wir dieser guten Regungen fähig werden» (suo yi neng von WangJis Beitrag variiert: «Wenn er [WangJi] sagt, dass die Idee und Meinung (J,i
pjf ~fi~), zu schaffen. Darin weiß er sich Nie Bao nahe. jian tJt) der Räuber sei, der dem <Ursprünglichen Wissen> schade; dass sie [gewisse
Von diesem Standpunkt wendet er gegen Wang Ji ein: «Man kann nicht das Gute Schüler Wang Yangmings] gleichsam eine Einsicht in eine helle Substanz ausdenken
eines Anfangs zur obersten Regel (ausreichenden Bedingung) [für das Werden] eines und dabei diese für die Wirklichkeit halten und nicht wissen, dass sie [damit] den ur-
heiligen Menschen machen 0Ji yi duan zhi shan wei sheng ren zhi ji ze P). -j)IAf ~~~ z sprünglichen <lebendigen Antrieb> zuschließen (feng bi ben lai shengji Mr.JJ**1:~),
.A.zffij~). Ich stelle fest, dass die Rede von der <Verwirklichung des [ursprünglichen] dann kann dies als eine zutreffende Beschreibung des heutigen Übels bezeichnet
Wissens> im Daxue auch verschiedene Stufen (ci di t;;'.ffi) kennt.»244 Sich auf Aussagen werden. Wenn er [WangJi] aber nachlässig sagt, dass, wenn man zur Zeit des Vorbei-
im sechsten Kapitel dieses Buches (nach Zhu Xis Zusarnrnenstellung) beziehend führt gehens (Auftretens) des <ursprünglichen Wissens> auf es vertraut (ruo xin de liang zhi
er aus, dass auch der «kleine Mensch» urn die Schlechtigkeit seines eigenen Handelns guo shi ~1~~i.lil9i□ ~lffi:), dann die Absichten Äußerungen des <ursprünglichen Wissens>
weiß, da er seine üblen Taten vor dem «Edlen» verbirgt und diesem gegenüber gutes und die Ansichten Erkenntnisse des <ursprünglichen Wissens> seien und es bis auf den
Verhalten vortäuscht. Er führt dies im Anschluss an diesen Text des Daxue darauf Grund des Inneren und des Äußeren keine Hindernisse gebe und es keiner Ergänzun-
zurück, dass auch im <«kleinen> Menschen das an sich Wahrhafte von jeher in der gen bedürfe und es so sei, wie es [im]ingde chuan deng lu] heißt: <Durch Berührung
<Mitte> wurzelt (ben ran zhi cheng su gen yu zhong ~?'?.\ZIDiUlfflJJti:p)». «Deshalb nimmt mit einem Körnchen im Haus des Zinnobers wird das Eisen zu Gold>, 251 und wenn er
bei ihm das Wissen des <einen Denkens> 0Ji nian zhi zhi -~z9i□) 245 kurze Zeit im weiter fürchtet, dass die Leute nicht wissen, dass das Wunderbare des <ursprünglichen
Äußeren Form an (zan xingyu wai lt%llt91--). 246 Obschon es verletzt ist, kann es doch Wissens> auf der Stelle (jetzt) vollständig ist (dang xia ju zu ii"'F ~JE.), und sie schnell
nicht vernichtet werden. Aus diesem Grund ist der Edle behutsam in seinem verbor- zu dieser Einsicht antreibt; wie könnte eine solche einzelne Ermahnung eine große
genen Alleinsein (jin qi you du ~!tll ~) 247 und wagt nicht, sich selbst zu betrügen (zi qi Wirkung ausüben! 252 Die dreitausend Schüler [des Konfuzius]2 53 konnten sich alle auf
§ :ll)248 .» 249 Doch der «kleine Mensch» tut das Schlechte, wenn er allein ist. Dies einen heiligen Menschen stützen, und der Meister unterwies sie noch beständig, nicht
weist nach Luo Hongxian auf das eigentliche Problem des moralischen Bewusstseins zu erlahmen. Und dennoch sagte dieser: <Ich habe noch keinen Starken gesehen>,2 54
hin, auf dessen «Ohnmächtigkeit» (Machtlosigkeit) im Herzen der gewöhnlichen <ich habe noch von keinem gehört, der gut gelernt hat>255 .»256
Menschen. «Deshalb kann man zwar sagen, dass [in unserem Bewusstsein] das <ur- Das ist wohl Luo Hongxians größtes Bedenken gegen Wang Jis Auffassung vom
sprüngliche Wissen> das Erscheinen eines Anhaltspunktes ist (wei duan xu zhi Ja xian «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens»: Es genügt nicht, dem gelegentlichen
~illM&tz~m), aber man kann nicht darauf gestützt sagen, dass es zu jeder Zeit Auftreten des «ursprünglichen Wissens» im aktuellen Bewusstsein zu vertrauen. Das
fähig ist, in unserem Herzen das Herrschende zu sein (shi shi neng wei wu xin «ursprüngliche Wissen» ist bei uns gewöhnlichen Menschen nicht «auf der Stelle
zhi zhu zai lltlffi:fi~~-!H,,z3:.~} Man kann zwar im Wissen um dieses <ursprüngliche vollständig» (dang xia ju zu ii"'F~JE.), da es bei uns nur sporadisch auftritt und noch
Wissen> denken, es zu verwirklichen (zhi ci liang zhi, si yi zhi zhi 9i□ .llt.lil9;0,'!J:)Ji!(z), nicht das «Herrschende» zu sein vermag, sondern vielmehr von «Wünschen» aller
aber es erlaubt es nicht, aufgrund von bloßem Wortverständnis zu sagen, dass dies das Art verdrängt wird. Wang Jis Vorgehen ist zu «leichtfertig»; es gilt, ein beharrliches
Erlangen durch sich selbst sei 0Ji yan yu jie wu, sui wei zhi wei zi de P). ~ ~M-ffiJlmg z~ «Lernen» auszuüben, durch welches das «ursprüngliche Wissen» in unseren Herzen
§ ~i).»250 Luo Honxian leugnet nicht, dass das «ursprüngliche Wissen» in unserem zu jeder Zeit anwesend und zum Herrschenden wird.
Luo Hongxian ist der Auffassung, dass Wang Jis Vertrauen in das sporadisch
auftretende «ursprüngliche Wissen» eigentlich buddhistisch ist und im Widerspruch
244 Nian'an wenji,juan 5, Si ku quan shu S. 3 la; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 72. zur ethischen Anstrengung des Konfuzianismus steht. Er schrieb an Nie Bao in
245 Anspielung auf Wang Jis Lehre vom «einen Denken»: siehe oben in diesem Teil II, Kap. 2, § 3.
246 Die beiden letzten Sätze enthalten Anspielungen auf einen Satz im sechsten Kapitel des Daxue:
~~Deshalb heißt es: Das Wahrhafte ist in der Mitte (chengyu zhong ~M't') und nimmt Form an im
Außeren (xingyu wai %M~~).» 251 Wörtliches Zitat aus WangJis Beitrag: siehe oben, S. 671.
247 Anspielung auf den Satz im sechsten Kapitel des Daxue: «Deshalb muss der Edle achtsam auf sein 252 Zur Redensart «fengyi bai quan wll.-aWI» siehe Ciyuan, Beijing 1983, S. 2910c.
Alleinsein sein (shen qi du liUtm).» 253 Nach der Legende hatte Konfuzius dreitausend eigene Schüler.
248 Ebenfalls Zitat aus dem sechsten Kapitel des Daxue. 254 Lunyu, 5. Buch, Kap. 11.
249 Nian'an werqi,juan 5, S. 31a-b; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 72. 255 Lunyu, 6. Buch, Kap. 3.
250 Nian'anwenji,juan 5, S. 31b; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 72. 256 Nian'an wenji,juan 5, a.a.O., S. 31b-32a; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 73.
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einem Brief, der ungefähr zur selben Zeit wie der jetzt erörterte «Anhang» zu den von einem Tiger verletzt wurde, sind besonders furchtsam und ängstlich.»266 Diesen
«Aufzeichnungen zur Sommerreise» entstanden sein dürfte: «Die Einzelheiten Einwand wird Luo Hongxian bis zu seinem Lebensende gegen Wang Ji erheben.
von Longxis [Wang Jis] Lernen kenne ich seit langem und nicht erst seit heute.
Die ethische Übung (gongfa :i:}J;lc), von der er spricht, ist keine brauchbare ethische e) Luo Hongxians vierter Einwand gegen Wang Ji und sein Einwand gegen Qian
Übung. Denn er nennt sie ein <Verwirklichen des ursprünglichen Wissens durch das Dehong: Die «Dinge» (Geschäfte) sind nicht die «Wirklichkeit)» des «ursprüng-
ursprüngliche Wissen> (yi liang zhi zhi liang zhi J;ll0ll3l.lt.&;;ll) 257 im Sinne der daoisti- lichen Wissens», sondern dieses geht jenen voran. Die «Menschlichkeit,» (ren 1=>
schen Herstellung dessen, <was dem Himmel folgt>, durch das, <Was dem Himmel vor- besteht nicht in der Beschäftigung mit den Dingen, sondern in der Abwesenheit
angeht> (xian tian zhi hou tian $t~~~~). 258 Seine Rede stammt zwar tatsächlich aus «egoistischer Wünsche»
dem mündlichen Unterricht von [Wang] Yangming, aber im Wesentlichen begründet Auch dieser vierte Abschnitt beginnt wieder mit einer Berufung auf Wang Yangming:
er sie durch den Buddhismus. Im siebten Mond [August 15 5O?] habe ich während des «Der verstorbene Lehrer sagte: <Das Wissen (zhi ~) ist die Substanz der Intentionen
großen Regens die Schriften des [Jingde] chuan deng lu259 durchgesehen, und seine (,yi zhi ti Jlzllt); die Dinge (Sachen, Geschäfte: wu ti) sind die Anwendungen (Funk-
Meinung wurde mir klar, und ich habe sie deshalb in Frage gestellt. Sie ist mit unserer tionen) der Intentionen (yi zhi yong Ilzffl).>267• 268 Er hat nie die Dinge (Geschäfte)
konfuzianischen <Wachsamkeit und Anstrengung> (jingjing ye ye J'iJüiU\Ul) 260 und der zur Wirklichkeit (Substanz: ti II) des Wissens gemacht.»269 Luo Hongxian beruft sich
<notwendigen Anstrengung> (bi you shi ~~-) 261 unvereinbar. Ganz deutlich gehören auch auf das erste Kapitel des Daxue, in welchem das «Kultivieren der eigenen Per-
die beiden [Wang Yangming und Wang Ji] zu zwei verschiedenen Schulen. Wenn man son» (xiu shen ~.!it) zur Voraussetzung für das «Ordnen der Familie» (qi jia 3!i!f~), für
sie als gleich betrachtet, bringt man das Reich in Unordnung.»262 Im selben Sinne das «Regieren des Landes» (zhi guo ~1\1) und für das «Befrieden des Reiches» (ping
schrieb Luo Hongxian wohl mehrere Jahre später an einen anderen Adressaten: «Ich tian xia 5Jl x"f) erklärt wird. Dabei interpretiert er die «Familie», das «Land» und das
gedachte einst der Stelle aus [Zhu] Xis Brief aus vergangener Zeit an Xiangshan [Lu «Reich» als die «Geschäfte» (Dinge: wu tl): «Woran die eigene Person Hand anlegt
Jiuyuan]: <[Du musst] vorsichtig und ehrfurchtsvoll deine Geschäfte vor Gott (shang (wu shen suo an zhe :;g.!tjifi-:!1i~), wird alles als <Geschäft> (Ding, Sache: wu WI) bezeich-
di ..1: *) ausführen; Gott achtet auf dich. Habe kein doppeltes Herz, sondern fürchte net. So sind <Familie>, <Land> und <Reich> die <Geschäfte> und die eigene Person ist
dich und strenge dich an, es gibt keine Zeit für müßige Worte.> 263 Longxi [Wang Ji] davon die Grundlage (wei ben ~*).»270
war neben mir und wollte ohne Umstände diesen Brief verändern und etwas anderes In diesem vierten Abschnitt sind die obigen Argumente vorerst nicht gegen
sagen. Das erregte Zweifel in meinem Herzen. Immer wenn ich betrachte, dass die Wang Ji, sondern gegen Qian Dehong gerichtet, der auch an der Versammlung von
<Sechs Klassiker> vom <Lernen> sagen, dass man sich zuerst <wachsam anstrengen> 1549 im Chongxuan-Tempel des «Drachen-und-Tiger-Gebirges» teilgenommen
(jing ye »!~) 264 und <achtsam> (jie shen 111tffi)265 sein muss, so weiß ich, dass die <not- und einen Beitrag zu der aus dieser Versammlung hervorgegangenen Textsammlung
wendige Anstrengung> (bi you shi yan ~~-~) zur Hausregel der konfuzianischen geliefert hatte. Doch wird später in diesem Abschnitt und dann auch im Schlusswort
Schule gehört. Man darf in keinem Fall der Meinung der Buddhisten zustimmen: des ganzen kritischen «Anhanges» deutlich werden, dass Luo Hongxian auch im
<Es ist auf der Stelle vollständig; hat man es einmal erlangt, so hat man es für immer vierten Abschnitt letztlich Wang Ji im Auge hat. Hier in diesem Abschnitt bemerkt
erlangt (dang xia ju zu,yi de yong de 'M'~ ~JE-f~7}<f~-).> Die Worte von jemandem, der er zuerst: « Wenn er [Wang Ji] [im oben zitierten ersten Abschnitt seines Beitrages]
schreibt: <Das <ursprüngliche Wissen> ist Nichtwissen, das nichts nicht weiß (wu zhi
er wu bu zhi M~ifüfflFf ~). Nur weil es selbst kein einzelnes Ding ist (yuan wu yi wu
)Jl'{1!!t-WI), vermag es der Realität aller Dinge gleich zu werden>,2 71 so ist seine Rede
257 Diese Formel benutzte Wang Ji 1554 in einem persönlichen Gespräch mit Luo Hongxian nach zwar ungewöhnlich (shu ~), aber der Sinn wird doch übermittelt.» 272 Luo Hongxian
dem Abschluss der Versammlung vom «Dunklen Teich»: Nian 'an Luo xiansheng wen ji (Ausgabe der
Yongzheng-Ära der Qing-Dynastie),juan 5, S. 5la; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 86; vgl. kann mit dem «Sinn» dieser «ungewöhnlichen», nämlich daoistischen und buddhi-
unten im§ 6, S. 710. Wahrscheinlich wurde sie von ihm aber schon früher verwendet.
258 Zu diesen Begriffen aus dem «Großen Anhang» des Yijing siehe oben in diesem Teil II, Kap. 1, § 5.
259 Siehe oben in diesem Paragraphen, S. 671,Anm. 218.
260 Shujing («Klassiker der historischen Dokumente»), Shangshu, Gaoyao mu (engl. Übersetzung von
James Legge, S. 73). 266 «Brief an Xie Gaoquan W ~jj!», Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 7, S. 274.
261 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2. 267 Im Nian 'an wenji des Siku quanshu steht irrtümlich anstatt «Anwendungen der Intentionen» (yi ii':zffl):
262 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 6, S. 185f.; gekürzt aufgenommen im MRXA,juan 18, Beijing «Anwendungen der Entsprechungen» (ying Jlizffl).
1985, s. 407. 268 «Brief an Gu Dongqiao» (1525), Chuanxi lu II, Nr. 137, Shanghai 1992, S. 47; ähnliche Formulierung
263 Diese Sätze finde ich in keinem der sechs Briefe Zhu Xis an Lu Jiuyuan in Hui'an xiansheng Zhu auch in Chuanxi tu I, Nr. 6 und Nr. 8, Shanghai 1992, S. 6.
wengong wen ji,juan 36. 269 Nian'an wenji,juan 5, a.a.O., S. 33a; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,j1tan 3, S. 73.
264 Shujing («Klassiker der historischen Dokumente>>), Shangshu, Gaoyao mu (engl. Übersetzung von 270 Nian an wen ji,juan 5, S. 33a; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 73.
James Legge, S. 73). 271 Siehe oben in diesem § 5 den Abschnitt a), S. 670.
265 Zhongyong, 1. Kap. 272 Nian'an wenji,juan 5, a.a.O., S. 33b; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,j1tan 3, S. 73f.
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stischen273 Formulierung übereinstimmen, da auch er das «ursprüngliche Wissen» meint er ein Hären, das auf die Stille konzentriert ist? Das «Wissen» oder «Bewusst-
nicht als ein <<Ding» sieht, sondern als die «leere Substanz», die an sich mit allen sein» ohne intentionale Beziehung zu einzelnen Dingen, das Luo Hongxian mit diesen
Wesen eins ist. Analogien des Sehens ohne farbige Dinge und des Hörens ohne Töne vielleicht im
Unmittelbar daran anschließend fährt er fort: «Doch Xushan [Qian Dehong] Auge hat, wäre dann ein waches, aber gegenstandsloses Bewusstsein, das in meditati-
sagt: <Das <[ursprüngliche] Wissen> ist [in sich selbst] keine Substanz (keine selb- ven Praktiken der «Stille» oder der Versenkung erstrebt wird.
ständige Wirklichkeit: wu ti 11HI); es ist nur dadurch Wirklichkeit, dass es von den Wenn Qian Dehong sagte, dass das «ursprüngliche Wissen» keine selbständige
menschlichen Angelegenheiten, Geschäften und Dingen affiziert wird und auf sie Wirklichkeit (Substanz) sei, sondern erst im intentionalen Kommerzium mit den Din-
antwortet (yi ren qing shi wu zhi gan ying wei ti J..tA'~*Wl.z~JJl~lll). Ohne dieses gen Wirklichkeit habe, dann hielt er sich, wie immer, an Aussagen Wang Yangmings.
Affiziertwerden und Antworten auf die menschlichen Angelegenheiten, Geschäfte Wir haben oben in Teil I schon in extenso dessen Aussage aus dem dritten Teil des
und Dinge gibt es kein Wissen (wu zhi 1100).»> Und er wendet dagegen ein: «Das Chuanxi lu zitiert, die mit folgendem Satz endet: «Das Herz (der Geist, das Bewusst-
Verhältnis zwischen dem Affiziertwerden und dem Antworten auf die menschlichen sein: xin ,t,,) ist [in sich] keine Wirklichkeit (wu ti 11UI), es ist erst durch das Bejahen
Angelegenheiten, Geschäfte und Dinge einerseits und dem Wissen andererseits ist so und Verneinen im Affiziertwerden und Antworten auf die zehntausend Wesen unter
wie das Verhältnis zwischen den farbigen Dingen und dem Sehen oder zwischen den dem Himmel Wirklichkeit (yi tian di wan wu gan ying zhi shi fei wei ti P).5'i:)t!f•Wii~JJI
Tönen und dem Hären. Wenn man sagt, dass es kein Sehen ohne farbige Dinge gibt, z~~~~B).»278 Als Luo Hongxian 1550/51 seine Kritik an Qian Dehongs Aussage
so besteht doch sicher ein <Sehen im Formlosen> (shi yu wu xing *.iiJJ'Hl!Uf~); 274 hier ist schrieb, wusste er wohl nicht, dass er damit auch Wang Yangming widersprach. Denn
noch etwas Unverstandenes (shi you weijin yi ~~:flf *lt~). Wie kann man also sagen, diese Aufzeichnung aus dem Chuanxi lu wurde frühestens 1554, vielleicht erst 1556,
dass die farbigen Dinge die Substanz des Sehens ausmachen und dass es ohne farbige veröffentlicht. 279 Sie gehört wohl zu den Protokollen Qian Dehongs. 280 Doch ist sie
Dinge kein Sehen gibt! Wenn man sagt, dass es kein Hären ohne Töne gibt, so besteht keine vereinzelte, erratische Aussage Wang Yangmings, sondern integraler Bestandteil
doch sicher ein <Hären beim Tonlosen> (ting yu wu sheng lt\~11Uf); 275 hier ist noch seiner das menschliche Bewusstsein im Zusammenhang mit dem Handeln verstehen-
etwas Unverstandenes (shi you wei jin yi :l~Jl:flf *S~). Wie kann man also sagen, dass den Lehre.2 81
die Töne die Substanz des Hörens ausmachen und dass es ohne Töne kein Hären Der Kontext dieser aufgezeichneten Aussage Wang Yangmings ist nicht eindeu-
gibt! Wenn man mit diesen Tatsachen Longxis [WangJis] Lehre vom [Zustand] <vor tig. Sie könnte gegen Leute gerichtet sein, die durch meditative Methoden danach
dem Entstehen der Gefühle> (wei Ja *D) prüft, dann [ist gegen ihn zu sagen], dass das trachten, die Gegenstände der Welt aus ihrem Bewusstsein auszulöschen. Nach Wang
Wissen die Substanz ist, da es aus sich selbst Existenz hat (zi you zai gi ~:ff) und nicht Yangming ist dies nicht möglich. Könnte er also damit sagen, dass sich das «eigent-
dafür, wie er meint, erst [in die Dinge] hineingezogen werden muss (qian he *~).»276 liche Wesen des ursprünglichen Wissens» immer in Intentionen auf Gegenstände
Was meint Hongxian mit dem Ausdruck aus dem «Buch der Sitte»: «Sehen beim auswii-kt? 282 Aber wahrscheinlich steht im Hintergrund dieser Aussage seine Lehre,
Formlosen und Hären beim Tonlosen»? 277 Meint er vielleicht ein Sehen, in dessen dass sich das «ursprüngliche Wissen» erst im Umgang mit. den Dingen, das heißt
Gesichtsfeld sich gar nichts, kein Ding und keine Form, abhebt, ein aufmerksames im Handeln, «verwirklicht».283 Luo Hongxian stellt die von ihm angeführte Aussage
Sehen völliger Dunkelheit oder eines anderen undifferenzierten Gesichtsfeldes, und Qian Dehongs, die jene von Wang Yangming im Wesentlichen wiederholt, in den
Zusammenhang mit der Idee der «Menschlichkeit» im Sinne des Bewusstseins der

273 Siehe oben aufS. 662 dieArun. 183.


274 Zitat aus Liji («Buch der Sitte»), 1. Buch, 1. Teil (Quli shang dll1'..t).
275 Zitat aus Liji («Buch der Sitte»), 1. Buch, 1. Teil (Quli shang dll1'..t). 278 Cbuanxi lu III, Nr. 277; Quanji,juan 3, Shanghai 1992, S.108. Vgl. oben in Tei!I, Kap. 3, § 3, S. 202.
276 Nian'an wenji,juan 5, a.a.O., S. 33b-34a; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 74. Diese Aussage Wang Yangmings erinnert an den Satz in einer Lehrrede des großen Zen-Meisters
277 Auch Zhu Xi gebraucht diesen Ausdruck aus dem «Buch der Sitte», und zwar in seiner Erklärung der Mazu Daoyi (709[?]-788): «Das Herz (der Geist) ist nicht aus sich selbst Herz (Geist), es besteht
«Achtsamkeit bei dem, was man nicht sieht, und der Furchtsamkeit bei dem, was man nicht hört», im bedingt durch seine Gegenstände (xin bu zi xin,yin se gu you ,C,,='f ~ 1M!il {g;lil(~).» Sijia yu lu Im ~liit~,
Grundkapitel des Zhongyong; er verwendet ihn also für die Erklärung der ethischen Praxis im Zustand Xu zangjing, Bel. 119, S. 406a, Z. 7.
«vor dem Entstehen der Gefühle». In seinen «Aufgezeichneten Gesprächen nach Themen geordnet» 279 Siehe oben den Anhang zur Einleitung zu Teil I, S. 117f.
ist folgendes Gespräch aufgezeichnet: «Ich fragte: <Das [von Ihnen verfasste Zhongyong] bzw wen zitiert 280 Wtng-tsit Chan schreibt in seiner englischen Übersetzung des Cbua11xi lu: «lt is most probable that
bei der Erklärung der <Achtsamkeit bei dem, was man nicht sieht, und der Furchtsamkeit bei dem, secs. 260-316 were recorcled by Qian.» Instructions, S. 211, Arun. 1.
was man nicht hört>, das <Hören beim Tonlosen und Sehen beim Formlosen>. Wie ist das gemeint?> 281 Ouyang De schrieb in seinem oben zitierten Brief an Luo Qinshun vom 4. Dezember 1534: «Getrennt
[Zhu Xi] antwortete: <Zur Zeit, in der man nicht gerufen wird und nichts hört, immer vorbereitet von Himmel und Erde, Menschen und Dingen (Ji que tian di ren wu ilW:k:li!JA.W/) gibt es kein tägliches
sein.> Ich wies auf den Saal, in dem wir saßen, und fragte: <Dieser Ort ist das, was von meinen Augen Verhalten des Sehens und Hörens, des Denkens und Überlegens, des Entsprechens und des sozialen
gesehen und von meinen Ohren gehört wird; außerhalb der Fenster ist das, was nicht gesehen wird.> Verkehrs, und es gibt auch das nicht, was <ursprüngliches Wissen> genannt wird.» Siehe oben in der
[Zhu Xi] antwortete: <Es ist nicht so gemeint! Es bedeutet nur das, was man nicht besorgen und was Einleitung zu diesem Teil II den§ 4, S. 308.
man sich nicht denken kann. Es ist so wie beim Vorbeugen gegen einen Dieb, man muss völlig seine 282 Siehe oben in Teil I, Kap. 3, § 1, S. 192ff.
Zugangswege versperren.»> «Aufzeichnung von Liao Deming», Zbuzi Yulei,juan 62, S. 1505. 283 Siehe in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 75ff.
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Einheit mit allen Wesen (Dingen). Er schreibt gleich anschließend an seine Kritik an und es wurde nicht geringer.>»288 Man sieht, für Luo Hongxian muss es im Lernen um
Qian Dehong: <<Jemand sagt (jemand könnte sagen?): 284 <Hat das, was Xushan !Qian die Befreiung vom Egoismus bzw. um die «Menschlichkeit» (ren 1=) gehen, die sowohl
Dehong] meint, nicht die Bedeutung der J ,ehre unseres Meisters [Wang Y.1ngrning] in der öffentlichen Tätigkeit als auch in der ruhigen Zurückgezogenheit möglich ist.
von der Einheit mit allen Wesen (wan wuyi ti ~4m-llt)?»>285 Und Luo llongxian ver- Dadurch wird die «Substanz» (Grundwirklichkeit) des «ursprünglichen Wissens» im
sucht dann zu zeigen, dass diese Lehre -W:1ng Yangmings nicht in der Beschäftigung Zustand «vor dem Entstehen der Gefühle» als das «das höchste Gute» und als «vorn
des «Herzens» mit allen Wesen gründet, sondern in der Freiheit von egoistischen Himmel bestimmte Natur» wiedergewonnen. Sehr deutlich bringt er dies in einem
Wünschen. Er schreibt: «[Ich] antworte: <Der Meister [Wang Yangming] hat darüber Teil seines Briefes an Guo Yingkui ~ Rl* (Beiname: Pingchuan :ifZ J11) zum Ausdruck.
auch in der Abhandlung über <Das Ausreißen der Wurzel und das Verstopfen der Diesen Brief hatte er 15 50 oder 15 51 geschrieben, und er übernahm daraus den sech-
Quelle> gesprochen. 286 Meister Cheng [Hao, 1032-1085] sagte: <Der Menschliche zehnten von den insgesamt sechundzwanzig Teilen (Abschnitten) in seinen kritischen
(ren zhe 1=:M) bildet ununterschieden mit den Wesen eine gemeinsame Wirklichkeit Anhang gegen Wang Ji. 289 Guo Yingkui war ein Schüler von Zhan Ruoshui, stammte
(tong ti !q]llf).>287 Denn der Menschliche betrachtet seine Person nicht als verschieden aus Taihe (Präfektur J i' an)290 und hatte wahrscheinlich in einem Brief Luo Hongxian
von derjenigen der anderen Menschen und vergisst dabei seine Gefühle (wang qi qing nach seiner Meinung über Wang Jis Auffassung vom «ursprünglichen Wissen» und
$:~'~); obschon sein Sehen und Hören, Sprechen und Tätigsein aus ihm selbst her- dessen «Verwirklichung» gefragt.
vorgehen, identifiziert er sich in Wirklichkeit nie damit (wei chang you suo yu 'i' fj}Jf * f) Der dem kritischen «Anhang» gegen Wang Ji beigefügte Teil des Briefes an
~). Er sieht die anderen Menschen nicht als verschieden von seiner eigenen Person
und macht sich ihre Gefühle zu eigen (tong qi qing lq];!~;,~); obschon die Gebrechen, Guo Yingkui (Pingchuan): Das in unserem gegenwärtigen Bewusstsein aktuelle
Leiden, Schmerzen und das Jucken sich bei den anderen Menschen befinden, unter- «ursprüngliche Wissen» ist nicht ausreichend. Seine «Verwirklichung» besteht
scheidet er sich in Wirklichkeit nie davon (wei shi you suo jian *Ml~P/rFsi). In dieser sei- in der schrittweisen Verwirklichung der Bedingungen, durch die unser Wissen
ner äußerst leeren Substanz (Grundwirklichkeit) bleiben keine egoistischen Wünsche «ursprünglich (gut)» zu werden vermag
bestehen (ci qi zhi xu zhi ti si yu bu liu Jlt~ ~IS.z.Hf.&W:::r:il). Es ist dasselbe, was zuvor Luo Hongxian schreibt: «Weil ich neulich mit Guo Pingchuan [Guo Yingkui] eine
unter verschiedenen Namen <Vor dem Entstehen der Gefühle> (wei Ja*~), <Natur Diskussion hatte, habe ich ihm geschrieben: <Die Lehre [Wang] Yangmings vorn
des Himmels> (tian xing ~tt) und <höchstes Gutes> (zhi shan ~~) genannt wurde. <ursprünglichen Wissen> hat ihre Grundlage bei Mengzi. Deshalb nimmt er oft seine
Derjenige, der nach Menschlichkeit strebt, bewahrt dieses. Der [König] Yu [der die drei Beispiele vom <Erschrecken, wenn man plötzlich sieht, dass ein Kind in einen
Flussläufe regulierte] und der AgrargottJi haben es im Handeln ausgeübt (yong zhi er Brunnenschacht fällt>, 291 vom <Lieben der Eltern und Ehren der älteren Brüder beim
xing Jf.!Zimfi) und dadurch Schwielen an den Füßen bekommen, und es wurde nicht Kleinkind> 292 und vom <Lieben [des Richtigen] und dem Verabscheuen [des Unrich-
größer; [der Lieblingsschüler von Konfuzius] Yanzi hat es im Verborgenen gelassen tigen] am frühen Morgen>293 zum Beleg. Das Erschrecken beim Anblick eines in
(she zhi er cang 1f Z imffill) und sich dadurch aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen, den Brunnenschacht fallenden Kindes weist darauf hin, dass man im Augenblick des
plötzlichen Sehens dieses Ereignisses noch nicht von Gedanken an Freundschafts-
beziehungen, an guten Ruf und an üble Nachrede bewegt wird. Das Lieben der
Eltern und Ehren der älteren Brüder beim Kleinkind weist auf ein spontanes Wissen
284 Vielleicht ein Zitat aus den Beiträgen der Versammlung vom Chongxuan-Ternpel (1549).
285 A.a.O., S. 34a. und spontanes Können (zi zhi zi neng § ~ § f:i~) ohne Lernen und ohne Überlegen
286 Diese «Abhandlung» ist der Schlussteil des Briefes Wang Yangmings an Gu Dongqiao von 1525. hin. Das Lieben [des Richtigen] und Verabscheuen [des Unrichtigen] am frühen
Dieser Brief wurde um 1526 in der Fortsetzung des Chuanxi lu (= zweiter Teil des Chuanxi lu) Morgen weist daraufhin, dass durch das Ruhen der Nacht die Verstrickungen [in die
veröffentlicht. Sein Schlussteil (Clmanxi lu II, Nr. 142f.), der mit dem Satz beginnt: «Wenn die
Lehre vorn Ausreißen der Wurzel und vom Verstopfen der Quelle in der Welt nicht klar bekannt Machenschaften des Tages] noch nicht entstanden sind. Weil in allen drei Beispie-
wird [... ]», wurde wegen seiner 'Wichtigkeit auch als eine eigene Abhandlung betrachtet. Die Sätze len der Zustand des Nochnicht-Entstandenseins [der Gedanken, Überlegungen]
aus dieser «Abhandlung», die Luo Hongxian in seinen obigen Ausführungen besonders im Auge erhalten ist, spricht man von <ursprünglichem Wissen> (yi qi jie you wei Ja zhe cun gu,
hat, sind wohl die Folgenden: «Das Herz des heiligen Menschen bildet mit Himmel und Erde und
den zehntausend (allen) Wesen eine gemeinsame Wirklichkeit (yi ti -\lli). Es unterscheidet bei den
Menschen unter dem Himmel nicht zwischen Zugehörigen und Außenstehenden, zwischen Nahen
und Femen, sondern es sieht alle, die Blut und Odem haben, als seine Brüder und Kinder. Es will 288 Nian'11n werzji,juan 5, a.a.O., S. 34a--b; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 74.
allen Sicherheit und Entfaltung gewähren, um seinen Gedanken der Einheit aller Wesen zu befol- 289 Siehe oben am Anfang dieses Paragraphen, S. 668.
gen. Das Herz aller Menschen ist in seinem Anfang (shi ilil) vom Herzen des heiligen Menschen 290 In seinen «Aufzeichnungen zur Sommerreise aus dem Jahr jia yin [1554]» führt er ihn unter den
nicht verschieden; nur weil es sich durch das Eigeninteresse des Ich (you wo zhi si ~~.Z~) [von den Leuten an, die aus Taihe zur Versammlung von Xuantan kamen; Nian'an Luo xiansheng wezzji,juan 5,
anderen Wesen] unterscheidet und sich durch die Verdeckung der Dingwünsche (wu yu zhu bi !WW: S. 48b; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 85 .
.Z ~) [von ihnen] abtrennt, wird sein [anfänglich] Großes klein, und sein [anfängliches] Durchdringen 291 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 6.
[aller Wesen) (tong ff) wird verstopft.» Clmmzxi lu II, Nr. 142, Quanji,juan 2, Shanghai 1992, S. 54. 292 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15.
287 Er Chengji,juan 2, 1. Teil, Beijing 1981, S. 16. 293 Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, Kap. 8.
686 687

wei zhi liang zhi P),.jt~~*~'i!f(f~~ZlUll). Meister Zhu [Xij sagte lin seinen An- lens>, des <Wachsenlassens und Niihrens> und des <Ausdehnens auf die ganze Welt>]
merkungen zu Mengzij2 94 mit Recht, dass <liang Et> hier die Bedeutung von natürlich darüber [seil. über die <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens>] nachzudenken.
(zi ran § M) hat.>» 295 Das in unserem Erleben auftretende «ursprüngliche Wissen» Wenn von <Auffüllen> gesprochen wird, muss man da die entstandenen Gefühle des
bedeutet also für Luo Hongxian ein natürliches intentionales Bewusstsein, das noch Erschreckens (chu ti zhi yi Ja 1'ttti S~) auffüllen, oder muss man nicht vielmehr das
nicht von irgendwelchen (egoistischen) Wünschen, Überlegungen und Tätigkeiten Wahre des plötzlichen Sehens (zhajiari zhi zhen 'F J\l,;z.J;) suchen, wo man noch nicht
beeinträchtigt wurde, weil es aus einem Zustand (der «Mitte») «vor dem Entstehen von egoistischen Gedanken an freundschaftliche Beziehungen und an guten Ruf und
der Gefühle und Gedanken» (wei Ja*~) hervorgegangen ist. Aber er betont sofort, üble Nachrede bewegt wird! Wenn von <Nähren> gesprochen wird, muss man da die
wobei er auch in diesem BriefWangJi im Auge hat, dass solche momentanen Auftritte entstandenen Gefühle des <Liebens und Verabscheuens> (hao wu zhi yi fa :!!t~LB~)
des «ursprünglichen Wissens» für ein ethisch gutes Leben nicht ausreichen: «Aber da nähren, oder muss man nicht vielmehr nach dem <Oden des frühen Morgens> suchen,
es sich [bei diesen Beispielen] bloß um das Erscheinen eines Anfangs handelt (yi duan in welchem man noch nicht durch die Machenschaften des Tages gefesselt ist!3° 0
zhi fa xian -!iiffiz~m) und noch nicht um die Fiihigkeit, damit auch sein <eigentliches Wenn von <Ausdehnen> gesprochen wird, muss man da die entstandenen Gefühle
Wesen> [seil. des <ursprünglichen Wissens>] wiederzuerlangen (wei nengjifu qi ben ti des Liebens [der Eltern] und Achtens [der älteren Brüder] (ai jing zhi yi frt ~~L S~)
*~~~PffiJlt;$:\I), muss man [nach Mengzi], wenn vom <Erschrecken> die Rede ist, es ausbreiten, oder muss man nicht vielmehr das Herz des Kleinkindes nicht verlieren,
durch <Erweitern und Auffüllen> (/mo chong JIJc) 296 fortsetzen, wenn vom <Lieben [des das sich noch nicht auf anmaßende Überlegungen eingelassen hat! Wenn man den
Richtigen] und Verabscheuen [des Unrichtigenl> die Rede ist, es durch <Wachsenlas- ganzen Tag nicht vom Egoismus bewegt wird, nicht von Nlachenschaften gefesselt
sen und Nähren> (zhang yang mit)297 fortsetzen, und wenn von <Lieben und Ehren> wird und sich nicht auf Anmaßungen einlässt, wenn man das zur Anstrengung· des
die Rede ist, es durch <Ausdehnen auf die ganze Welt> fortsetzen. Mengzis Absicht <Verwirklichens des ursprünglichen Wissens> macht, wie wäre dann der Wille nicht
ist deutlich, und der Lehrer [v\Tang Yangming] hat sie erfasst. Daher betrachtete er wahrhaftig (yi wu you bu cheng '.i:,lil/i1i=froit), und wie könnte es dann so sein, wie Sie in
das <ursprüngliche Wissen> nicht als ausreichend (bu yi liang zhi wei zu =f P)..E!!J;□ ~ ihrem Brief sagen?» 301
JE.), sondern machte das <Verwirklichen des ursprünglichen Wissens> zur Aufgabe.» 298 Mit diesem Gedanken der «Ursprünglichkeit» des «Wissens» aufgrund des
Das Besondere der Sichtweise Luo Hongxians besteht nun darin, dass es nach Nochnicht-Beeinträchtigtseins durch egoistische Wünsche konnte sich Luo Hongxi-
ihm im «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» nicht darum gehen kann, die an aufWang Yangming berufen. Denn dieser sagte in der von uns ausführlich zitierten
spontanen Regungen des «Erschreckens [und Mitfühlens]», des «Liebens [des Rich- Erklärung des Anfangs des Daxue: «Das Herz des <kleinen Menschen> trennt sich
tigen] und Verabscheuen [des Unrichtigen]» und des «Liebens der Eltern und Ehrens zwar [von den anderen Wesen] ab. Wenn aber seine Menschlichkeit, die [mit ihnen]
der älteren Brüder» zu verstärken und zu enveitern, sondern vielmehr darum, die Be- eine Wirklichkeit ist (yi ti zhi ren -Uzt), noch in solcher Weise unverdunkelt zu
dingungen, unter denen solche Bewusstseinsregungen entstehen können, zu schaffen. sein vermag (you neng bu mei ~Fi~1'~), dann ist dies zu den Zeiten der Fall, in denen
In diesem Punkt ist Luo Hongxian der Position Nie Baos sehr nahe, denn auch dieser es noch nicht von Wünschen bewegt und noch nicht vom Egoismus verdeckt wird
lehnt das direkte Verstärken jener guten Regungen als ein «künstliches Erzwingen» (wei dang yu yu er wei bi yu si zhi shi ye *ibM-W:rm*jijtiHkza~m).»302 Luo Hongxian
ab. 299 Aber, wie wir schon in den ersten zwei Abschnitten seiner Kritik an WangJi gese- ging es darum, diese im Bewusstsein des «kleinen» (gewöhnlichen) Menschen nur
hen haben, stimmt er mit Nie Bao insofern nicht überein, als nach ihm die «Substanz» momentanen Zeiten des Nochnicht zu dauernden zu machen. Aber dies ist nur eine,
des «ursprünglichen Wissens» als unsere «vom Himmel bestimmte Natur» immer die negative Seite von Wang Yangmings Idee des «ursprünglichen Wissens». Wahrend
vollkommen ist und wir zu ihr aus unserer Entfremdung durch unsere egoistischen Luo Hongxian in dieser Phase seines Denkens die« Ursprünglichkeit» des «Wissens»
Wünsche und Gedanken nur zurückkehren und sie nicht «in ihrem Maß vollmachen» negativ in dessen Unverdorbenheit durch egoistische Wünsche und Überlegungen sah
müssen. Diese Rückkehr zu ihr besteht in einem Prozess der Ausschaltung, Läuterung und sich deshalb von diesen durch eine innere Ruhe zu befreien versuchte, verstand
oder Befreiung von egoistischen Wünschen und Gedanken. Er schreibt in Form WangJi diese «Ursprünglichkeit» vor allem positiv als «Wirksamkeit des Himmels»
rhetorischer Fragen: «Ich versuche mit den drei Worten [des <Erweiterns und Auffül- (tian suo wei *PJf ß!i) und versuchte primär, sich diesem Wirken zu überlassen.
Es gibt einen Brief Luo Hongxians, in welchem er dieselbe Interpretation der
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» als der «Verwirklichung» der negati- 11

294 Si shu zhangju ji zhn, K.ommentar zn Mengzi, 7. Bnch, 1. Teil, Kap. 15: <«Liang i§!.> hat die Bedeutung
des ursp1i1nglichen Guten (bw ran zhi shan ~f&;z~).»
295 Nian'an Luo xittnshengwenji,juan 5, a.a.O., S. 36a; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 75. 300 Zum Odem des frühen ?vlorgcns (Mengzi, 6. Buch, l. '!eil, Kap. 8) siehe oben in der allgemeinen
296 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 6. Einleitung den§ 4, S. 27.
297 Mengzi, 6. Buch, 1. 'Teil, Kap. 8. 301 Nian'11n Luo xit1,1she11g we11ji,juan 5, a.a.O., S. 36h-37a; Luo Hougxirm ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 75.
298 Nian'rm Luo xiansheng wenji,jurm 5, a.a.O., S. 36a-b; Luo Hongxian ji, 2007,juan 3, S. 75. 302 Daxue wen («Fragen zum <Lernen der Großen>»), Quanji,juan 26, Shanghai 1992, S. 968; vgl. oben
299 Siehe oben im Kap. 3, § 5,Absehnitt c). in ':foil I, Kap. 3, § 5, S. 208.
688 689

ven Bedingungen seiner «Ursprünglichkeit (Güte)» darlegt. Wir haben aus ihm schon liehen> (zhi i![) beigefügt, das hier den Sinn von -<erweitern und auffüllen> (kuo chong
zitiert. Er ist an seinen Schüler Yin Zhe ~ ffl (Beiname: Daoyu ill!ll!!) gerichtet, der aus :J/l3'E) hat. Das <ursprünglich> (liang Bl) im Ausdruck <ursprüngliches Wissen> (liang zhi
demselben Kreis Jishui stammte, in welchem auch Luo wohnte, und dem wir schon a9'D) meint die <1Iarmonie des Maßes in den entstandenen Gefühlen> (fa ~~). 307 Die
oben begegnet sind. 303 Er dürfte ungefähr in derselben Zeit entstanden sein wie der Bedingungen, durch welche diese Gefühle -<ursprünglich> sind (suo yi liang p)rJ;l.ßt),
kritische «Anhang» gegen Wang Ji und der Brief an Guo Yingkui (Pingchuan). Auch er können nicht durch Denken und Machen erreicht werden (fei si wei ke ji ~~,lt!-~ ilJ.&.).
kritisiert WangJi und knüpft Wang Yangmings Begriff des «ursprünglichen Wissens» Es ist das, was [Mengzi] <wissen, ohne zu überlegen> (bu lü er zhi 1'l#ii'ö9cll) nennt, 308
an Mengzi: «Wenn Mengzi davon spricht, dass [beim Sehen eines in einen Brunnen- und weist gerade auf diesen anfönglichen Zustand hin (ti chu ben lai tou rnian ~tl:Pls:
schacht fallenden Kindes] alle ein -<Herz des Erschreckens und Mitfühlens> haben, 304 ~Hlfi:im).» 309 Luo llongxian interpretiert hier das «ohne zu überlegen» in Mengzis
dann kommt dieses Gefühl vom plötzlichen (unerwarteten) Sehen (you yu zha jian Charakterisierung des «ursprünglichen Wissens» als den «anfänglichen» Zustand
wm-"l=Ji). Wenn er davon spricht, dass am frühen Morgen das Lieben [des Richtigen] der «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle», in welchem «die Überlegungen» noch
und Verabscheuen [des Unrichtigen] nahe demjenigen der anderen Menschen ist, so nicht entstanden sind.
kommt dies vom Ruhenlassen durch den Odem der Nacht (ye qi suo xi ~~pfrJl). Nie Dann erhebt Luo Hongxian auch in diesem Brief an seinen Schüler Yin Zhe
spricht er davon, dass diese ( ;efühle zu jeder Zeit vorhanden seien (shi shi you shi xin seine Kritik gegen Wang Jis «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»: «Wenn
~~1i ~,t,,), Am Schluss [dieses Kapitels sagt Mengzi], dass man die vier Anfänge [der man heute bloß die aktuellen Bewusstseinsfunktionen des Gewahrens als das -<ur-
Tugenden] (si duan [Ei'ilAf) erweitern und auffüllen muss (kuo er chong zhi •ii'ö:!t;z), so sprüngliche Wissen> betrachtet (jin yi zhi jue fa yong chu wie liang zhi llP„allj'/l~ffl~
dass diese [vier Funken] von selbst zu lodernden Feuern bzw. dass diese [vier Rinn- ~ ~JD) und sogar das <Verwirklichen (zhi 3&) [des ursprünglichen Wissens]> durch
sale] von selbst zu sprudelnden Quellen werden und die Vier Meere (die ganze Welt) das <Sichstützen> (yi .Jx) [auf das -<ursprüngliche Wissen> als aktuelles Bewusstsein]
umfassen können. 305 Wenn der Odem (Lebensgeist) der Nacht Nahrung erhält, dann ersetzt, dann gibt es [im -<Verwirklichen des ursprünglichen Wissens>] nur aktuelle
wachsen alle Wesen. Der Grund, warum er genährt werden muss, besteht darin, dass Funktionen (fa yong ~ffl) und kein Sichsammeln (Sichzusammenziehen: sheng ju
unser Herz (Geist) zu leicht bewegt wird. [... ] Nie spricht Mengzi davon, dass [die !:l:.~). 310 Wenn ein Baum beständig Blüten treibt, wird er bald dürr; wenn ein Mensch
vier Anfänge] zu jeder Zeit angewendet werden und immer die Vier Meere umfassen beständig tätig ist, wird er bald sterben. Himmel und Erde [die Natur] kennen [in der
können (shi shi bian ke zhi yong,jie ke bao si hai Bi~-1.f ilJJJ(ffl ~ilJ ~[!l)HJ). Das Erweitern Nacht, im Winter] ein Siehabschließen und Sichverbergen (bi cang ~~), um wie viel
und Auffüllen hat nicht zu geschehen, nachdem die vier Anfänge [die guten Gefühle] mehr muss es beim Menschen so sein! Deshalb bedarf es zuerst der -<Mitte vor dem
bereits entstanden sind (bu zai si duan hou 1'1:EIZ!l~fl), sondern vielmehr dadurch, Entstehen [der Gefühle]>, und erst danach gibt es die <Harmonie des Maßes in den
dass man beständig <ohne Gedanken an Freundschaftsbeziehungen und an guten Ruf entstandenen Gefühlen>; deshalb bedarf es zuerst der -<weiten Gemeinschaft> (kuo ran
und üble Nachrede> ist. Das nennt man direkt nähren (zhi yang i1Hl). Dieses Nähren da gong $~:k0), und erst dann gibt es ein -<angemessenes Entsprechen gegenüber den
bedeutet, beständig dieses [leicht bewegliche] Herz zur Ruhe zu bringen (chang xi ci eintreffenden Dingen> (wu lai shun ying !Jo/HIO!il/J!). 311 Wenn man [wie vVang Ji] jeden
xin "m','&-J]t,t,,), beständig so, wie die Nacht zur Ruhe bringt (chang ru ye zhi suo xi "m'~ll Tag nur Texte schreibt (ping ri zuo wen zi :\:fL E t1= X$!) und nur nachlässig vom <Auftre-
~;z/ifri!l). Wenn man es so macht, dann hat man beständig gleichsam ein -<plötzliches ten (Vorbeikommen: guo qu i&I*) [des <ursprünglichen Wissens>]> spricht, dann weiß
(unerwartetes) Sehen> und einen -<frühen Morgen>.» 306 man nicht, wo sich [der Zustand] <Vor dem Entstehen der Gefühle> (wei fa *~) und
Es geht also nicht darum, die guten, ursprünglichen Regungen, sondern den das <Weite> (kuo ran$~) befinden und worin die [ethische] Anstrengung besteht, und
Geisteszustand zu «nähren», durch den die guten, ursprünglichen Regungen möglich ist wahrlich sein halbes Leben lang verwirrt. Wenn man wirklich <ausgebreitet und
werden. Mit anderen Worten: Es geht darum, den Zustand der «Mitte» vor dem Ent- genährt> (kuo yang de :J/1Jl1ij) hat, dann findet danach [in den Tätigkeiten] <Sammeln
stehen der Gefühle wiederherzustellen, in welchem auch egoistische Überlegungen von Gerechtigkeit> statt, 312 und man wird von selbst <in großer geistiger Kraft> (hao
und Wünsche noch nicht entstanden sind, durch den dann das Wissen als aktuelles
Bewusstsein, «liang Et», das heißt «ursprünglich», <•<natürlich» und «gut» zu sein
vermag. Luo Hongxian schreibt an seinen Schüler weiter: -<<[Wang] Yangming [... ] hat
307 Gegenbegriff zur «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» (wei fa *~) nach Zhongyong, l. Kap.
das <ursprüngliche Wissen> hervorgehoben und diesem Ausdruck das Wort <verwirk- 308 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15: «Was man weiß, ohne zu üherlegen, ist gutes (ursprüngliches)
Wissen.»
309 Luo Honp;xianji, Nanjing 2007,juan 7, S. 251; MRXA, a.a.O., S. 399. .
310 Dieses «Sichzusammenziehen» (shengju !:!:.~) ist im Sinne von «xiju $~» («sich zusammenziehen»)
303 Siehe oben in diesem Kapitel den§ l, S. 636. in Luo Hongxian Formel «shou lian xiju !&~$~» («sich zurückholen und sich zusammenhalten»)
304 Mengzi, 2. Buch, l. Teil, Kap. 6. zu verstehen: siehe oben in diesem Kapitel den§ 3, S. 659.
305 Mengzi, a.a.O. l 11 Anspielung ,rn{ Cheng Haos Brief an Zhang Zai über die «Festigung· der Natur» (Ding xing shu), Er
306 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 7, S. 2 51; leicht gekürzt aufgenommen im MRXA,jwm 18, Beijing Chengji, lfow11 Cbeng shi wmji,j11rm 2, Beijing 1981, S. 460.
1985, s. 399. .l 12 Nach Mengz;i 7. Buch, l. Teil, Kap. 2.
690 691

ran $M) 313 nicht von den äußeren Dingen ausgeraubt. Das ist nicht etwas, das man ohne andauernde Erregungen (chrmg gan "m~) keine Stille (ji ~), erklärt in der Folge
an einem Morgen oder an einem Abend erreichen kann. Aber es kann sich an einem die äußeren Dinge, mit denen man sich bcschiifrigt, zur Substanz (Wirklichkeit) des
Morgen und einem Abend in kleinen Schritten bestätigen (xiao xiaoyou yan 1J"J,~!ft), Bewusstseins (yi wai jitw zhi wu wei zhi jue zhi ti J..)l.9~31:.z~f.©9;1]jfzlffl) und weiß nicht,
doch ohne gleich die <Vier Meere> abdecken zu können. Es ist wie beim Steuern eines dass damit das Verhiiltnis zwischen Dingen nnd Selbst verkehrt wird (wu wo dao zhi
im Fluss treibenden Bootes. Wenn das Steuerruder der lland noch nicht gehorcht, !/@~{i)J@'.). 315 Da Wünsche und Ordnungsprinzip (moralische Norm) vermengt wer-
wird man unvermeidlich bald quer, bald gerade fahren, und es ist auf die Dauer an- den, nimmt er oft Wünsche für das Ordnungsprinzip; da das Verhiiltnis zwischen
strengend. Immer wieder üben, das ist das wahre Geheimnis.»314 Dingen und Selbst verkehrt wird, «zerrt er beständig an sich selbst, um den Dingen
Luo Hongxians Analogisierung der ethischen Anstrengung mit dem periodi- nachzujagen» (chang qian ji yi zhu wu -m•aP)JiW/). 316 Sie [Guo Yingkui] haben dies
schen Ruhepausen der Natur weist daraufhin, dass er sich um 1550/51 jene Anstren- schon verstanden, wenn Sie in Ihrem Brief schreiben: ,Gewöhnlich vermag man
gung als ein periodisches, zeitlich begrenztes Sichzurückziehen und Sichabschließen nicht, sich auf das eine zu konzentrieren und sich zusammenzuziehen (ping shi bu
in einen ruhigen geistigen Zustand ohne Denken an Gegenstände, ohne Überlegen neng zhuan yi xi ju siz.~;;i,:~f~-~~). Selbst wenn sich [das <ursprüngliche Wissen>]
und Handeln dachte, in welchem die «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» wie- zeitweilig aktuell manifestiert (.yi shi you xian -a~~JJI.), wie kann man dadurch schon
dergewonnen wird. Diese «Mitte» in ihrer Freiheit von egoistischen Wünschen und zur Klarheit: kommen, und um wie viel weniger kann ein egoistisches und durchtrie-
Überlegungen ist die Bedingung, welche die «ursprünglichen (guten)» Gefühle und benes Herz sein hiiufiges Betrügen dessen, was man nicht betrügen darf, überwin-
Tendenzen im menschlichen Herzen ermöglicht. Wenn diese Bedingung durch Übun- den!> Ich vermute, dass die Grundlehre von Herrn [Wang] Yangming nicht so sehr
gen der Ruhe «wiedergewonnen» und «bewahrt» wird, kann sich das «ursprüngliche davon [von dem, was Sie schreiben] entfernt ist. Die Welt hält es nun für ein Beispiel
Wissen», das im gewöhnlichen Bewusstsein nur eine momentane und schwache Re- der Zerstörung der Grundlage (wang ben 't'.:$:), wenn man Festes isst, ohne dessen
gung ist, «ausweiten». Dieses «Wiedergewinnen» und «Bewahren» ist keine leichte Wurzeln zu begießen, und Flüssiges trinkt, ohne dessen Quelle freizulegen. Wenn
Sache, denn das menschliche Herz wird «leicht von tausend Dingen», das heißt von man [wie WangJi] die Klarheit eines einzigen Gedankens als das Höchste betrachtet
den Wünschen nach ihnen, «bewegt». Es ist keine «plötzliche Erleuchtung», sondern (.yi yi nian zhi ming wei ji J..)1.-~;z_aJ.l~ffi), dann hält man den Augenblick eines ein-
ein wiederholtes Üben mit kleinen Fortschritten, es ist der allmähliche Erwerb einer zigen Wahrnehmens (Fühlens) für die [ganze] Wirklichkeit (.yi yi jue zhi qing wei shi
beständigen habituellen Grundhaltung. Das Problem, das sich Luo Hongxian in dieser ji P).-jl;z_t~f.©:l'.~); 317 ist das nicht mehr als nachlässig! Wenn man auf diese Weise
ethischen Übung stellen wird, besteht in deren zeitlichen Trennung zwischen Perio- urteilt, dann reichen die beiden Wörter <ursprüngliches Wissen> aus; warum sollte
den der Ruhe oder des Rückzuges von der Tätigkeit und Perioden der Tätigkeit. In man ihnen noch ein überflüssiges <verwirklichen> (zhi 3&) beifügen! Wenn man auf
der Auseinandersetzung mit Wang J i während der folgenden Jahre wird er versuchen, diese Weise urteilt, dann hat jedes Erschrecken [beim Anblick eines in einen Brun-
dafür eine Lösung zu finden. nenschacht fallenden Kindes] schon die Macht eines lodernden Feuers oder einer
Auch der an den <<Anhang» der «Sommerreise» beigefügte Teil aus dem Brief freigelegten Quelle; warum sollte man ihm noch ein überflüssiges <auffüllen> (chong
an Guo Yingkui (Pingchuan) endet mit einer Kritik an der Auffassung Wang Jis. Luo 3t) beifügen.Jedes ,Lieben [des Richtigen]> und ,Verabscheuen [des Unrichtigen am
Hongxian fasst hier seine Einwände, die er in den vier Abschnitten jenes «Anhanges» frühen Morgen]> wäre dann schon dem der anderen Menschen nahe; warum sollte
gegen WangJi erhoben hat, zusammen: «Nun soll es nicht so sein [wie oben im Brief man ihm noch ein überflüssigen <nähren> (yang lt) beifügen! Alle Menschen der Welt
ausgeführt], sondern er [d.h. WangJi] nimmt das Wissen (das aktuelle Bewusstsein: wären dann von ihrer Kindheit an schon Edle der Menschlichkeit und Gerechtigkeit;
zhi 9;1l) für ausreichend (zu 5E.) und geht nicht auf die Bedingung zurück, durch die es warum sollte man noch ein überflüssiges <ausdehnen [auf die ganze Welt]> (da~ [zhi
«ursprünglich (gut)» ist (bu yuan qi suo yi liang ~ mt!t?Jr J..:-:1..&). Deshalb versäumt er das tian xia .z;R"f]) hinzufügen! 318 Das wäre durchaus unerklärbar! Wenn Longxi [Wang
Nähren der <Anfänge> [der Tugenden], verlässt sich bloß auf das, was sich von ihnen Ji] das hören würde, könnte er zustimmen oder nicht?» 319
schon aktuell auswirkt (ren qi suo yi fa f.f!t?Jr2~) und meint, dass es keine <Mitte> [vor Der Hauptgedanke in dieser Kritik Luo Hongxians an Wang J i ist immer wieder:
dem Entstehen der Gefühle] gebe, wenn man jene aktuellen Auswirkungen verlässt. Ein nur momentanes, zeitweiliges, schwaches «ursprüngliches Wissen» ist für die
In der Folge davon macht er das gegenwärtige aktuelle [<ursprüngliche] Wissen>
zum Gesetz des Handelns (.yi xian zai zhi zhi wei shi wu zhi ze J..:-;1.IJU:E.Z.9;ilf.©~!/@.Z.Jl~)
und prüft nicht die [dabei vorkommende] Vermengung von [egoistischen] Wünschen 315 Zu dieser Kritik siehe oben den vierten Einwand Luo Hongxians im Abschnitte).
316 Anspielung auf eine Stelle am Anfang des Briefes von Cheng Hao an Zhang Zai über die «Festignng
(.yu W::) und dem Ordnungsprinzip (der moralischen Norm: li JJ!l.). Er meint, es gebe der Natur» (Er Chengji), Beijing 1981, S. 460, die auch Nie Bao wiederholt zitiert.
317 Es ist bedeutsam, dass Luo Hongxian hier das «eine (erste) Denken» (yi nian -~) Wang Jis als ein
augenblickliches Bewusstsein versteht: vgl. oben in diesem Teil, Kap. 2, § 3.
318 Alles Anspielungen auf die schon oben in diesem Brief an Guo Pengchuan zitierten Stellen aus Mengzi,
313 Ausdruck im selben Kapitel vonMengzi. 2. Buch, 1. Teil, Kap. 6; 6. Buch, 1. Teil, Kap. 8, und 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15.
314 Lno Hongxianji, Nanjing 2007,juan 7, S. 251;MRXA, a.a.O., S. 399. 319 Nian'an wen ji,juan 5, a.a.O., 37a-38a; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 75f.; vgl.juan 7, S. 261.
692 693

ethische Praxis nicht ausreichend; es ist noch nicht vollständig, sondern ein bloßer ist das eigentliche Wesen unseres Herzens (xin zhi ben ti ,t,,;z_;ljs;ff), wie könnte man
«Anfang»; dieser «Anfang» muss «verwirklicht werden». Es ist deshalb nur momentan ihrer überdrüssig (.yan ll:) werden! Nur wenn wir im Grunde unseres Herzens ruhig
und schwach, weil es von egoistischen Wünschen und Überlegungen beeinträchtigt (geschmacklos, schwach: dan ~) geworden sind, haben wir nicht zahlreiche starke
wird. Von diesen Wünschen und Überlegungen kann man sich durch eine Methode Verwirrungen, dann sind wir von selbst klar (bian zi ming bai fil! 1!1:1 a;.1 B) und vermögen
der inneren Ruhe allmählich befreien, die jeweils zeitweise einen Zustand «der Mitte dann den ~trieb [des Himmels]> zu erkennen (bian neng zhiji fil!~~lt) und in die
vor dem Entstehen der Gefühle» wiederherstellt. Durch diese zeitweise angewen- Tugend einzutreten. Nur indem man direkt in den Zustand ohne Wohlgefallen und
dete Methode der Ruhe zur Wiederherstellung eines zeitlichen Zustandes «vor dem Zorn (wu xi wu nu 1!1Hil1!!t1/a), 325 ohne Ton und Geschmack eintritt, kommt jene Beru-
Entstehen der Gefühle» kam Luo Hongxian damals Nie Baas «Verwirklichung des higung (Schwächung) zum höchsten Punkt (zhi shi dan dao ji chu ~~~~Jffi.Jß).» Luo
ursprünglichen Wissens» sehr nahe. Aber auch in diesen Jahren 15 50/51 war seine Hongxian bemerkt dazu anerkennend:.«Dieses [Vorgehen] entspricht jedoch unge-
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» nicht dieselbe wie diejenige Nie Baas. fähr der Lehre von der <Mitte vor dem Entstehen [der Gefühle]>. Denn es setzt beim
Denn erstens verstand er auch damals nicht wie Nie Bao das «ursprüngliche Wissen» <Nichtsehen und Nichthören> [d.h. beim Zustand vor dem Entstehen der Gefühle] 326
als eine Substanz (im Sinne einer bloß latenten Potenz), sondern als etwas in unserem ein, so dass dann alle weltlichen Einflüsse wirkungslos bleiben müssen (bian yi qie shi
aktuellen Bewusstsein <<11och nicht Untergegangenes, dem gemäß» (ji qi suo wei min wei ran bu shang fil!--läl1!:!:~~1'.t). Wenn man direkt auf diesem Weg tief eindringt,
ftf.l!ill}'Jf*~) es erweitert (verwirklicht) werden muss (siehe den zweiten Abschnitt sei- kann man wohl von Ruhe (Schwäche, Geschmacklosigkeit: dan ~) sprechen.»327 Es
ner Kritik), und zweitens war für ihn das «ursprüngliche Wissen» nicht etwas, das an ist bemerkenswert, dass WangJi im letzen Punkt der Aufzeichnung seiner Reden vom
sich quantitativ in seiner Kraft zu vergrößern ist, sondern etwas an sich Vollkommenes, Herbst 1549 im Chongxuan-Tempel, als Nie Baas Lehre zur Diskussion stand, die
zu dem es als «unserem angestammten Haus aus unseren Verirrungen zurückzukeh- «Beruhigung der weltlichen Gefühle» als eine Voraussetzung für das «Erkennen des
ren» gilt (siehe den zweiten Abschnitt seiner Kritik). Diese schon damals von Nie Bao Antriebes des Himmels» hinstellt. Denn meistens hält er umgekehrt die «Einsicht»
abweichenden Auffassungen waren die Grundlage dafür, dass Luo Hongxian sich in in den <~trieb des Himmels» für die Bedingung der Auflösung der «weltlichen
den folgendenJahren WangJi wieder annähern konnte. Gefühle».Wang Ji wurde sich wohl mehr und mehr bewusst, dass diese «Einsicht»
nicht eine einfache Sache ist, die auf der Hand liegt. Doch vollzieht sich nach ihm,
g) Der Abschluss des kritischen «Anhanges» zur «Sommerreise»: In seiner Lehre im Gegensatz zu Nie Bao und damals auch zu Luo Hongxian, jene «Beruhigung der
von der «Beruhigung (Schwächung: dan ~) der weltlichen Gefühle» als der weltlichen Gefühle» nicht, oder wenigstens nicht ausschließlich, durch eine Methode
Voraussetzung für das «Erkennen des Antriebes des Himmels» anerkennt Wang Ji des zeitweiligen «Sitzens in der Ruhe».
faktisch das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» durch die innere Ruhe
Am Schluss seines kritischen <~hanges» zitiert Luo Hongxian zuerst den letzten § 6 Luo Hongxians Gespräche mit Wang Ji während der Sommerreise von
(achten320 bzw. siebten321 oder elften322) Abschnitt aus Wang Jis Beitrag zur Versamm- 1554 über die ethische Anstrengung in der Tätigkeit und in der Ruhe
lung von Chongxuan (1549). WangJi sagte hier: 323 «Wenn wir heute über das Lernen und über das Vertrauen (den Glauben) in das «ursprüngliche Wissen»
diskutieren (jiang xue ilil~), müssen wir zuerst alle weltlichen (unreinen) Gefühle
zur Ruhe (Geschmacklosigkeit, Schwäche) bringen (xian yao yi qie shi qing dan de xia Wie wir oben in Paragraph 1 dieses Kapitels ausgeführt haben, trafen sich Wang
$t;J!--läl1!:tffiWHl""F)>; das ist die erste Wahrheit, durch die wir festen Stand gewinnen Ji und Luo Hongxian am 28.Juni 1554 im Norden der ProvinzJiangxi und hielten
(li dingjiao gen di yi yi :l'z:tE.lffill~ffi-•). Wenn das Zhongyong zum Abschluss das Wort sich dann während sechs Tagen im Haus des Friedensrichters Shi Xiyan in Xingzi,
<Ruhe> (Geschmacklosigkeit, Schwäche: dan 5ßt) gebraucht, so ist dies ein Rezept gegen der am Boyang-See gelegenen Hauptstadt der Präfektur Nankang, auf und führten
die Krankheit [des Herzens]. 324 Die Ruhe (Geschmacklosigkeit, Schwäche: dan 5»-t) dort Gespräche, bevor sie zu Luos Wohnkreis Jishui weiterreisten. Wang Ji hatte auf
die große Kritik an ihm in Luo Hongxians «Anhang» (1550/51) zur «Sommerreise»
von 1548 nicht schriftlich Stellung nehmen wollen, sondern ein persönliches Treffen
320 Nach dem Zitat von Luo Hongxian in seinem «Anhang» zur «Sommerreise» von 1548.
321 Nach Wtzng Longxi quan ji (1822),juan 1, S. 4b-5a (Taipei 1970, S. 96f.); Wtzng Ji ji, Nanjing 2007,
juan 1, S.4.
322 NachLongxi huiyu,juan 1, Wtzng]iji, Nanjing 2007, zweiter Anhang, S. 684. 325 Wohlgefallen (xi "I) und Zorn (nu 11l!,.) sind die ersten der vier Gefühle, die das erste Kapitel des
323 Wir zitieren nach der Aufzeichnung in Wang Jis eigenen Schriften, da Luo Hongxians verkürzte Zhongyong im Zusammenhang mit dem Zustand «vor dem Entstehen der Gefühle» (wei fa *filt)
Wiedergabe weniger verständlich ist: siehe «Aufzeichnungen der Versammlung von Chongyuan» aufzählt.
[= Chongxuan], Wtzng Longxi quan ji (1822),juan 1, S. 4b-5a (Taipei 1970, S. 96f.); Wtzng]i ji, Nanjing 326 Anspielung auf das erste Kapitel des Zhongyong. Luo Hongxian interpretiert wie Zhu Xi die «Acht-
2007, Anhang II, S. 684. samkeit und Furchtsamkeit beim Nichtsehen und Nichthören» als einen Zustand der Versenkung
324 Zhongyong, 33. Kap. (Einteilung von Zhu Xi): «Der Weg des füllen ist geschmacklos (ruhig: dan ~) «vor dem Entstehen der Gefühle» (wei fa *filt).
und doch nicht überdrüssig (;yan Ra), einfach und doch kultiviert [... ].» 327 Nian'an Lzto xianshengwenji,juan 5, a.a.O., S. 38a; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 76.
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mit ihm abgewartet, und er forderte Luo nun auf, «von Angesicht zu Angesicht» sind [in diesem Wissen, in diesem Bewusstsein] miteinander vermischt; wie wäre da
über seine Sicht der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» zu sprechen. Luo in der <Mitte [vor dem Entstehen der Gefühle]> ein Herrschendes vorhanden (qi you
geht in seiner Antwort historisch-autobiographisch vor: Zuerst berichtet er Wang Ji, wei zhu yu zhong zhe hu ~~~::l:J'itg:i;:j\f'f)! Wenn in der <Mitte> kein Herrschendes
was ihn zu seiner Kritik von 15 50/51 bewogen hatte, und wiederholt das Anliegen vorhanden ist, wird man kaum sagen können, dass das <[ursprüngliche] Wissen> an
dieser Kritik. Danach führt er aus, wie er in der letzten Zeit seine Auffassung erneut sich beständig klar (hell) sei (ben chang ming ;$:m"Bfl); und wenn das <[ursprüngliche]
änderte, wodurch er sich Wang Ji wieder annäherte. Dabei geht es vor allem um drei Wissen> noch Unklares enthält (you wei ming 1!f*Bfl), wird man kaum sagen können,
Probleme: um die Vollständigkeit des gegenwärtigen «ursprünglichen Wissens» als dass nach dem Entstehen [der Gefühle] nichts Widerspenstiges (der Harmonie
eines aktuellen Bewusstseins, um das Vertrauen (den Glauben) in das «ursprüngliche Entgegengesetztes) vorhanden sei (wu guai li yu ji Ja zhi hou ~3J'EmJ'it~~.Z.~) 311
Wissen» und um das Verhältnis von Tätigkeit und Ruhe im «Verwirklichen des ur- und dass es heim Auftreten der Dinge ihnen im Einklang zu entsprechen vermöge
sprünglichen Wissens». (neng shun ying ffä)l!Ji:/i!). Deshalb tritt das <[ursprüngliche] Wissen>, das um das Gute
und das Schlechte weiß, bald auf und geht bald unter (sui chu sui min i!ll 1:1:l !llU.a;) und
a) Luo Hongxians «Wiederholung» seiner Kritik an Wang Ji von 1550/51: ist bloß eine zeitweilige Erscheinung (te yi shi zhi Ja xian ~-~z~JJ'i). Von einer
Das gegenwärtige «ursprüngliche Wissen» ist nur ein zeitweiliges und noch zeitweiligen Erscheinung kann aber noch nicht im vollen Sinne gesagt werden, dass
nicht klares Bewusstsein und kann nicht mit seinem «eigentlichen Wesen» sie das eigentliche Wesen [des <ursprünglichen Wissens>] ausmache (wei ben ti ~
identifiziert werden ;z!s;ll). Deshalb muss man ohne Zweifel auf die Wurzel und Quelle des natürlichen
Luo Hongxian beginnt damit, sich selbst und wohl auch seinen Gesprächspartner klaren Wahrnehmens (Gewahrens, Bewusstseins) zurückgehen (zi ran zhi nzingjue
Wang Ji, auf ihren I ,ehrer Wang Yangrning zu verpflichten: «Ich sagte: <Der Lehrer gu dang Jan qiu qi gen yuan ~ ~.Z. Bfl Jl ~ ~ .&_;;.IU'U!UiJ\).» 332 Luo sagt also, dass beim
[Wang] Yangming hat in großen Mühen und Schwierigkeiten das <ursprüngliche Wis- gewöhnlichen Menschen das «ursprüngliche Wissen» um Gut und Schlecht, da ihm
sen> hervorgehoben und daraus seine Lehrformel gemacht. Sie vereinigt das Innere das «Herrschende in der Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» fehlt, noch kein
[der Pflege des Herzens] und das Äußere [der praktischen Tätigkeit in der Welt], das beständiges und klares Bewusstsein sei, das die «Harmonie nach dem Entstehen der
Frühere und das Spätere [im Prozess des ethischen Lernens] zu einer Ganzheit. Wenn Gefühle» garantiert. Deshalb müsse im Herzen auf jene «Mitte» zurückgegangen
man zu ihr etwas hinzuflickt oder von ihr etwas auslässt, verliert man ihre ehemalige werden als auf den Ursprung, durch den dieses «Wissen» ein beständiges Bewusst-
Grundbedeutung.>» 328 Dann berichtet er über seine eigene Geschichte im Verhältnis sein zu werden vermag. In den Worten seiner «Vorrede» (1550) zu Nie Baos Kun
zu dieser Lehre: «Wenn ich in früheren Jahren mit Leuten [Schülern Yangmings] bian lu geht es darum, auf die Bedingung zurückzugehen, «durch die das [aktuelle]
zusammentraf, die über das Lernen sprachen, sagten alle: <Dasjenige, das um das Gute <Wissen> <ursprünglich (gut)> zu sein vermag (zhi zhi suo yi neng liang!ED.Z.PJf P).fi~.El)».
und das Schlechte weiß, ist das <ursprüngliche Wissen>. Das Handeln aufgrund dieses Von diesem Rückgang sagt Luo Hongxian nun, dass er darin bestehe, «sich auf
Wissens ist das <Verwirklichen des ursprünglichen Wissens>. Ich habe mich ehemals die Ruhe auszurichten» (zhu jing ±WP): «Denn <bei seiner Geburt ist der Mensch
von diesem Gedanken her angestrengt, habe aber schließlich nichts erreicht. Na,ch ruhig>, 333 und es gibt noch nichts, was nicht gut wäre. Das Nichtgute ist die Verirrung
langer Zeit habe ich es bereut.»329 Das betrifft wohl seine frühesten Versuche mit der der Tätigkeiten. Wenn man sich auf die Ruhe ausrichtet, um sie wiederzuerlangen
Lehre Wang Yangmings, noch vor seinem Treffen mit Wang Ji vom Winter 153 9/40. (zhu jingyi fu zhi ±Wt~ffl:.z.), dann ist das Dao fest und fließt nicht davon. Der gött-
Nach diesem «Prolog» stellt er die Sicht dar, die er um 15 50 konzipierte. Er liche Geist tritt hervor und wird Wissen (Bewusstsein) (shen Ja wei zhi :f!ll~~!Ell); das
hebt zuerst hervor, dass das «ursprüngliche Wissen» im gegenwärtigen Bewusstsein ist die durch Ruhe gewonnene Klarheit des <ursprünglichen Wissens> (liang zhi zhi
des gewöhnlichen Menschen nur etwas Zeitweiliges und damit nicht das Herr- jing er ming ye .El!Ell.z.w1trfüBflt!2). Solange sich irrige Tätigkeiten einmischen, geht es
schende und auch nicht klar (hell) ist. <<Wenn man [wie Wang Yangming und auch [das <ursprüngliche Wissen>] fast verloren, und es ist schwer, es wiederzuerlangen.
Sie]33° vom <ursprünglichen Wissen> spricht als einem natürlichen klaren Gewahren Daher braucht es die Anstrengung des Sichzurückholens und des Sich-bewahrend-
(Wa~:nehmen, aktuellen Bewusstsein) (zi ran zhi nzingjue ~ ~.Z.Bfl:i) ohne Lernen Zusammenhaltens (shou she bao ju zhi gong l&ffl~~;z_J:j)) als Ort des <Anfüllens> (chong
und Uberlegen, dann ist damit das höchste Gute gemeint (zhi shan zhi wei ye ~~ 3t), des <Ausweitens> (da ii) und des <zum Wachsen bringenden Nährens> (zhangyang
.Z.~t:B). Ich weiß nun zwar um das Gute und um das Schlechte in meinem Herzen·
man kann da nicht von einem Nichtwissen sprechen. Doch Gutes und Schlechtes'
3 31 Anspielung auf Zhu Xis Erklärung 1er «Harmonie nach dem Entstehen der Gefühle» im ersten
Kapitel des Zhongyong: «Wenn das Außern [der Gefühle] ausgeglichen ist, ist das die Richtigkeit
328 Nian '11n Luo xi11nshengwe11 ji (Ausgabe der Yongzheng-Ära der Qing-Dynastie), Bibliothek von Nan- der Gefühle; es gibt nichts Widerspenstiges (wu suo guai li il!i:JiJr31E~), deshalb wird von Harmonie
jing, Nr. 87568,juan 5, S. 43a; Lu0Hongxi1111ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 81. gesprochen.»
329 Ebd. 332 Nian'an l,110 xirmshengwenji,jutm 5, a.a.O., S. 43a-b; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 81.
330 Siehe oben in '!eil T, Kap. 3, § 5, S. 212, und in diesem Teil II, Kap. 3, § 5, S. 578. 3 33 Liji («Buch der Sitte»), Kap. 19; siehe oben in der allgemeinen Einleitung·, S. 18f.
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:&~). 334 Und danach (er hou rmfl) gehen daraus <Festigkeit> (ding ~), <Ruhe> (jing fflt), Gedankens gänzlich wahr und wirklich (yi nian zhi wei jie zhen shi -~;z_ fi&~JU!f). 338
<Sicherheit> (an~) und <Überlegen> (lü vl) hervor.» 335 «Festigkeit», «Ruhe» usw. sind Wenn es aber nicht <verwirklicht> ist, bald auftritt und bald wieder untergeht, dann
nach dem ersten Kapitel des Daxue die Folgen des «Anhaltens beim höchsten Guten». gerät es unvermeidlich in ein leeres haltloses Schwanken (bu mian yu xu dang wu gui
Daraus darf geschlossen werden, dass die von Luo soeben angeführte Formel in vier 1'~~~ilfflUfil). Das ist zwischen diesem <Nichtverwirldichtsein> und <Verwirklich-
Zeichen für ihn das «Anhalten beim höchsten Guten» ausdrückt, wobei für ihn das lichtsein> (zhiyu Im zhi zhi jian ~!/iFf~;zrsi) der Unterschied des <Leeren> (xu J;fil) und
«höchste Gute» primär die Substanz des «ursprünglichen Wissens» ist (siehe oben, des <Wirkliche11> (shi Jr). Nun schreiben Sie aber: <Das <ursprüngliche Wissen> ist das
S. 673f., den zweiten Einwand seiner Kritik von 15 50/51 an Wang Ji). Leere (xu ~); die <Berichtigung der Handlungen> ist das Wirkliche (shi Jt). Das Leere
Aufgrund des «Sichzurückholens und des Sich-bewahrend-Zusammenhaltens» und das Wirkliche bringen sich gegenseitig hervor, dadurch zeigt sich das Gesetz des
in der Ruhe kann man dann auch richtig handeln. Unmittelbar an das oben Zitierte Himmels.> 339 Ist das nicht zu tief gesprochen, wenn man es ins Nichts hinein sagt (jiang
anschließend fährt Luo fort: «Man muss <in der Familie, im Lande und im Reich> 336 wu yan zhi, d(I shcn hu ~AA"l§f ;z:A;;~flf)! Wenn im <Berichtigen der Handlungen> das
bei den Erregungen [durch die Dinge] immer gerade bleiben (gan wu bu zheng ~AA <!ursprüngliche] Wissen> verwirklicht ist und die Anstrengung des Sichzurückholens
1' iE) und sich nie von den Dingen bewegen [dominieren] lassen (wei chang wei wu suo (shou li(ln zhi gong ljjzf§:1'.;z_:i:}J) von Anfang bis Ende nie unterbrochen wird (zhong shi wu
dong *'i'~WJplfffib), dann kann man von der <Berichtigung der Handlungen> (ge wu jian ~m,tmr.!J), dann sind die Auswirkungen und Erkenntnisse unseres Herzens (wu
:t!WI) sprechen. Und erst nachdem es im Handeln nichts Ungemäßes mehr gibt (chu xin zhi liu xing zhao cha ~,t,,.z.5Jit1r~,ij~) von den Absichten und Ansichten (yi jian :r!
wu fi:i dang ~AA11::~), hat das <[ursprüngliche] Wissen> nichts Unklares mehr (zhi wu J!) am Anfang unseres Lernens ganz und gar verschieden. Wenn Sie schreiben, dass
fei ming !mAA11::S.,El). Deshalb muss das <Verwirklichen des [ursprünglichen] Wissens> in die Absichten und Ansichten die Räuber des -<ursprünglichen Wissens> seien, dann
der <Berichtigung der Handlungen> geschehen; erst nachdem die <Handlungen be- scheint es wahrhaft so zu sein! Nun schreiben Sie aber [siehe oben, S. 571]: <Wenn
richtigt> sind, kommt das <[ursprüngliche] Wissen> an sein Ziel (zhi zhi 9;□~). Deshalb man beim Auftreten (Vorübergehen) des <ursprünglichen Wissens> auf es vertraut
besteht die <Verwirklichung des [ursprünglichen] Wissens> im Verwirklichen der Ruhe (ruo xin de liang zhi guo shi l\'1~1~_&9;Di@Bl), dann sind die Absichten Auswirkungen
und des Nichtvorhandenseins und dann auch im Verwirklichen der Tätigkeit und des des <ursprünglichen Wissens>, und die Ansichten sind dann Erkenntnisse des <ur-
Vorhandenseins (zhi zhi zhe zhi qi jingwu er dongyou zhe ~;;□ -,!r~:t!;ffitAArmt/J~.:\!flli).» 337 sprünglichen Wissens>; es ist so, wie es heißt: <Durch Berührung mit einem Körnchen
Im Gegensatz zu Nie Bao, der die«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> ganz im Haus des Zinnobers wird das Eisen zu Gold.» Ist das nicht zu leicht gesprochen,
in der «Ruhe», vor den Tätigkeiten mit den Dingen, ansetzte, möchte Luo Hongxian wenn man es [nur] unaufhörlich sagt (bu yi yan zhi, da yi hu :r;e, 1§f ;z:k~3JZ)!» Und er
das «ursprüngliche Wissen» sowohl in der Ruhe und im Nichtvorhandensein (der schließt diese Ausführungen mit den Worten: «In all dem, was ich hier sage, möchte
Dinge) als auch in der Tätigkeit und im Vorhandensein (der Dinge) verwirklichen: ich Ihnen gegenüber treu sein (yu xiao zhong yu xiong W:.~Jz,'it'Ji"t 5t) und möchte auch
Erst im richtigen Handeln wird das «ursprüngliche Wissen» völlig klar (ming a.,El). für den Lehrer [Wang Yangming] ausdrücken, was er noch nicht ausgedrückt hat (yi
Doch gibt Luo der Ruhe in diesem Prozess noch die zeitliche Priorität. Indem er in wei xian shengfa suo wei Ja ~~~iEJ~plf*~). Heute, da ich Ihre direkte Beurteilung
der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» Ruhe und Tätigkeit, Inneres und vernehmen kann, hat das, was ich sage, zwar keinen Nutzen für jenen, doch hat es
Äußeres auf diese Weise verbindet, hat er sich von seiner Position von 1550/51, die er notwendig Nutzen für mich!» 340
hier zu wiederholen vorgibt, schon entfernt und sich Wang Ji und der Mehrzahl der Wenn Luo Hongxian hier sagt, dass in der «Verwirklichung des ursprünglichen
Schüler Wang Yangmings wieder angenähert. In Wirklichkeit ist er in seiner Position Wissens» die «Anstrengung des Sichzurückholens von Anfang bis Ende nie unterbro-
von 15 54 Wang Ji noch näher, indem er, wie seine folgenden Ausführungen zeigen chen» wird, dann meint er damit auch, was er schon zuvor sagte, dass diese ethische
werden, die Priorität der Ruhe aufgibt. Anstrengung sowohl in der Ruhe als auch in der Tätigkeit auszuüben ist.Jene Formel
Doch zunächst kritisiert er noch einmal die zwei Aussagen in Wang Jis Beitrag des «Sichzurückholens und Sich-bewahrend-Zusammenhaltens» meint für ihn im
zur Textsammlung der Zusammenkunft im Chongxuan-Tempel von 1549, die ihn Zusammenhang mit der jetzigen Rede also nicht nur eine ethische Anstrengung in der
schon in seiner Kritik von 15 50/51 am meisten entrüstet hatten. Er sagt: «Wenn das Ruhe, wie dies in seinem kritischen «Anhang» von 1550/51 der Fall war. Aber an der
<ursprüngliche Wissen verwirldicht> ist, dann ist es auch im Winzigen eines einzigen

338 Bezugnahme auf Wang Jis Ausführungen in seinem Beitrag zu den 'Texten der Versammlung im
Zhongxnan-Tempel (1549): «Das <ursprüngliche Wissen> ist das geisteskräftige Klare des einen
Denkens.>> Siehe oben in § 5 den Abschnitt a), S. 669; Luo versteht das «eine Denken» (yi nian -
334 Anspielungen auf Mengzis Lehre von den vier «Ansätzen» der Tugenden: Mengzi, 2. Buch, l. Teil, ~) im Sinne eines einzigen Gedankens, siehe S. 691; zu WangJis Lehre vom «einen Denken» siehe
Kap. 6; 6. Buch, 1. Teil, Kap. 8; 7. Bnch, 1. Teil, Kap. 15. oben in Kapitel 2 den§ 3.
335 Nian'an Luo ,i:irmshengwenji,juan 5, a.a.O., S. 43b-44a; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,jwm 3, S. Slf. 3.l9 Siehe oben in diesem Kapitel,§ 5, Abschnitt a), S. 670.
336 Anspielungen auf das erste Kapitel des Daxue. 340 Nian'an Luo xiansheng wen ji (Ausgabe der Yongzheng-Ära der Qing-Dynastie),juan 5, S. 44a-b; Luo
337 Nian'an Luo xianshengwen ji,juan 5, a.a.O., S. 44a; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 82. Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 82.
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Priorität der Ruhe hat er bisher noch nicht gerüttelt. In einem wichtigen Punkt behält Kritik der Trennung von Ruhe und Tätigkeit, von «Innen» und «Außen», die Wang
er seine kritische Distanz zu WangJi aufrecht: Das <<ursprüngliche Wissen» als unser Ji und andere gegen Nie Bao und auch gegen ihn gerichtet hatten, zu eigen gemacht.
aktuelles Bewusstsein ist noch «leer», das heißt noch nicht «wirklich», es ist nicht schon Luo Hongxian erläutert dann Wang Ji seine neue, tiefere Sicht des Herzens
jetzt ein «natürliches klares Gewahren» (zi ran mingjue B ~a}l!f). Damit es «wirk- (Geistes), nach der Ruhe und Tätigkeit wechselnde Beziehungen des Herzens zur
lich» wird, genügt es nicht, an es zu «glauben», wenn es in uns gelegentlich einmal Welt sind, in denen dieses die <<Stille» immer bewahren kann, wenn es seine herr-
«vorbeikommt» (auftaucht), sondern es bedarf der kontinuierlichen «Anstrengung des schende Stellung aufrechterhält und nicht den wechselnden Dingen nachjagt und
Sichzurückholens und des Sichzusammenhaltens» in der Ruhe und in der Tätigkeit. sich von ihnen abhängig macht: «Das Herz ist nur eines. Wenn man von ihm sagt,
dass es seine Stellung nicht verlässt (aus seiner Stellung nicht heraustritt: bu chu wei
b) Luo Hongxians neue Position, durch die er sich radikal von Nie Bao distanziert: 1' l±lttr), dann meint man seine Stille (ji ;ffii); dass seine Stellung beständige Würde
Die ethische Anstrengung des «Sichzurückholens und Sichzusammenhaltens» (Hoheit) hat (wei you chang zun 1JZ.1ii'MUI), meint nicht das Festhalten an einem Inne-
trennt nicht zwischen Ruhe und Tätigkeit und gibt der Ruhe keine Priorität vor ren (shou nei 'sf Pi!). Wenn man von ihm sagt, dass es das Feine durchdringt (tong wei
der Tätigkeit. Der Ruhe und Tätigkeit vereinigende Begriff des «Antriebes» (ji ~). lmfl)343 , dann meint man seine Erregungen (gan •); dass seine Wirkungen fein sind
Die ethische Anstrengung hat ihr Gesetz im Glauben an das aktuelle «ursprüng- und durchdringen (fa wei er tong Dflim3m), meint nicht das Verfolgen eines Äußeren
liche Wissen» (zhu wai ~9~). Die Stille ist kein Hüten eines Inneren; deshalb kann man bei ihr nicht
Nachdem Luo das Anliegen seiner großen Kritik von 1550/51 «wiederholt» hatte, von einem Ort sprechen, denn sie ist der Erregungen fähig. Eine Stille, die sich von
fragte ihn WangJi: «Wie denken Sie in jüngster Zeit?» Und Luo antwortete ihm: «In den Erregungen abtrennt, ist keine wahre Stille (zhen ji ;Ji;;ffii). Die Erregungen sind
den letzten ein, zwei Jahren habe ich mich gegenüber früher wiederum verändert.» kein Verfolgen eines Äußeren; deshalb kann man bei ihnen nicht von einer bestimmten
Und er erläutert WangJi nun sein Umdenken hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Zeit sprechen, denn sie wurzeln in der Stille. Erregungen, welche die Stille verlassen,
Ruhe und Tätigkeit, zwischen der ethischen Anstrengung im «Inneren» des Herzens sind keine richtigen Erregungen (zheng gan iE•). Sie [Stille und Erregi.mgen] treten
und in der Auseinandersetzung mit der «äußeren» Welt. Dabei geht er von dem aus zusammen auf (tong chu fc'.11±1) und sind nur den Begriffen nach verschieden (yi ming
dem «Großen Anhang» des Yijing stammenden Begriffspaar der «Stille» und der ~.ß). Das ist der eigentliche (wahre) Charakter unseres Herzens (xin zhi ben ran 1t.,.z
«Erregungen» aus: «Mein Ausüben des Sich-Zurückholens und Sich-bewahrend- *~).»344 Luo spricht also zunächst nicht von Ruhe und Tätigkeit, sondern von Stille
Zusammenhaltens (wei shou lian bao ju ~®:ftt~~) war in jener früheren Zeit einseitig und Erregungen und hebt hervor, dass die Stille durch die Bewahrung der würdigen
(pian ii), denn ich erkannte den eigentlichen Charakter unseres Herzens (Geistes) (herrschenden) «Stellung» des Herzens in den Erregungen und Tätigkeiten aufrecht-
noch nicht gründlich. Ich meinte, dass die Stille den Erregungen vorangeht (ji zai gan erhalten werden kann.
xian ;ffii 1':E!sll $t) und dass die Erregungen aus der Stille hervorgehen (gan you ji Ja • 1±1 Er fährt fort: «Die Stille ist eine, die Erregungen sind viele. Daher gibt es [den
;JiilD). Man kann zwar schon sagen, dass die Erregungen aus der Stille hervorgehen, Wechsel von] Tätigkeit und Ruhe (you dong you jing ;fiii!J;fiill), [von] Handeln und
aber ich vermied nicht, die Stille als etwas festzuhalten, das einen Ort hat (zhi ji you Anhalten (you zuo you zhi ;fii fl=;fii lt). Die Menschen wissen, dass Tätigkeiten und Hand-
chu "-;ffil;fiißli) [nämlich im Inneren ist]. Man kann zwar schon sagen, dass die Stille lungen Erregungen sind, wissen aber nicht, dass der Unterschied (yi ~) von Tätigkeit
den Erregungen vorangeht, aber ich vermied nicht, die Erregungen als etwas zu ver- und von Ruhe, von Handeln und Anhalten die erfahrenen Situationen betrifft (jing
stehen, das seine Zeitstelle hat (zhi gan you shi f~!s\l;fii~) [nämlich später als die Stille :IJi) und dass unser Herz (Geist) nicht von diesem Unterschied seiner Situationen be-
ist]. Daher habe ich Ruhe und Tätigkeit zu zwei getrennten Dingen gemacht (Jen troffen wird (xin wei chang sui jingyi ye ,t,,* 'lil:IJi~ tB). Wenn unser Herz von diesem
dongjing wei er ~i!Ji!IJ~=), wodurch sich Daoismus und Buddhismus auszeichnen. Unterschied seiner Situationen betroffen wird, dann hat es die Erregungen, die in der
Ich dachte damals nicht, dass dies eine einseitige Sichtweise ist und dem Dao [des Stille geschehen, verlassen (li ji zhi gan ilitlilii.Z.!iilt).»345 Das ist wohl für das Problem
Konfuzianismus] schadet, sondern ich glaubte fest daran und hielt daran fest. Ohne des Verhältnisses von Ruhe und Tätigkeit der entscheidende Gedanke: Der Wechsel
dass ich mir dieser Folge bewusst war, führte diese Verblendung zu einer Betonung des von Ruhe und Tätigkeit, von Handeln und Nichthandeln betrifft unsere jeweiligen
eigenen Selbstseins (zhong yu wei wo !!Hrt~:J.lt) und zur Vernachlässigung des Einge- Situationen; unsere Situation veranlasst uns dazu, bald zu handeln, bald untätig zu
hens auf die Dinge (shu yu ying wu ißltot~!I@). Wie kann dies mit dem Grundgedanken sein. Aber unser Herz selbst kann in diesem Wechsel der Situationen seine würdige
des Daxue übereinstimmen, dass <die helle Tugend in der Welt hell zu machen> ist! 341
Nach längerer Zeit habe ich an jener Sichtweise gezweifelt.» 342 Luo hat sich also die
343 Anspielung auf den «Großen Anhang» des «Buches der Wandlungen», Xici, 2. Teil, Kap. 5: «Der
Antrieb ist das Verborgene (Feine) der Bewegung.»
344 Nian'an Luo xiansheng wen ji (Ausgabe der Yongzheng-Ära der Qing-Dynastie),juan 5, S. 45a; Luo
341 Erstes Kapitel des DtlX'lte: «Die Alten, die ihre helle Tugend im Reich hellmachen wollten [... ]». Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 82.
342 Nian'an Luo xiansheng wen ji,juan 5, a.a.O., S. 44b-45a; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 82. 345 Nian'an Luo xianshengwen ji,juan 5, a.a.O., S. 45a-b; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 83f.
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Stellung und damit seine Stille ununterbrochen bewahren. Weder die Ruhe noch die Worte sind zutreffend. Ich schätze nur den Weg [des Yijing]: <den Rücken stillhalten
Tätigkeit hat Priorität; das Entscheidende ist, dass das Herz in diesem Wechsel von (gen bei R li), sich selbst nicht fühlen und nicht auf die anderen sehen>. 349 Das ist aber
Ruhe und Tätigkeit immer seine Stellung und Stille bewahrt und nicht den Dingen kein Trennen von Tätigkeit und Ruhe (que bu shi Jen bie dongjing W1'~5-J' J.lUJJJffil), es
nachläuft und sich ihnen unterwirft. ist auch kein Sichanlehnen an etwas (yi bu shi you yi 11'1'~flffi), und es ist auch kein
Luo beschreibt nun die Erregungen, die «in der Stille geschehen», mit dem Aufhören der Beziehungen zur gegenständlichen Welt und Beharren in der Ruhe (yi
für Wang Ji grundlegenden Begriff des «Antriebes» (ji m oder m!) folgendermaßen: Im shi xi yurm zhu jing 11'1'~,~-#i1iffi!). Wie könnte ein gewöhnliches Herz, das von
«Wenn die Erregungen bis in die zahllosen Veränderungen der sozialen Begegnun- der Macht der Gewohnheit eingewickelt ist (Jan xin xi qi bao guo .fL,C,~~'E!ll), von
gen gehen und immer das Feine durchdrungen wird (tong wei 3Bl.1l1&), dann wird von dieser ethischen Anstrengung die Hände lassen dürfen (xie shou ~"F)!» 350
<Antrieb> (ji m) gesprochen. Deshalb sind die zahllosen Veränderungen der sozialen Luo Hongxian charakterisiert im oben zitierten Gespräch mit Wang Ji die
Begegnungen für die Stille kein Hindernis. Der Grund dafür, dass sie kein Hindernis «richtigen Erregungen, welche die Stille nicht verlassen» und in denen «das Feine
sind, liegt darin, dass ich [in mir] ein Herrschendes habe (wu you suo zhu ~1f Pfr±). durchdrungen wird», mit dem Ausdruck «Antrieb» (ji m) und identifiziert seine ethi-
Wenn ich aber [in mir] kein Herrschendes habe, dann renne ich [den äußeren Ver- sche Praxis des «Sichzurückholens und Sichzusammenhaltens» mit dem «Lernen des
hältnissen] nach und kehre nicht zurück (chi zhu bu Jan .ffilh~1'~). Töne und Gerüche Erkennens des <Antriebes»>. Der Begriff des «Antriebes» steht im Zentrum von
mögen untergehen, aber bei den Erregungen gibt es nie ein Aufhören (yu gan zhe wei WangJis Denken und bedeutet bei ihm die Einheit von Substanz und Funktionen des
changyou xi ~~~*'lifl,'8!,). Der Grund dafür, dass es bei ihnen kein Aufhören gibt, «ursprünglichen Wissens». 351 Luo Hongxian schließt sich also auch in diesem Begriff
liegt darin, dass ich mich nicht [an die äußeren Dinge] anlehne (wu wu suo yi ~1!!1i Wang Ji an und stellt ihn ins Zentrum seines Denkens. Er kann gegenüber Nie Bao
pfr~)- Wenn ich mich an sie anlehne (wu you suo yi ~flPfr~), 346 dann klebe ich an ihnen erklären: «Das <Buch der Wandlungen> 352 sagt: <Der <Antrieb> ist das Verborgene
fest und durchdringe sie nicht (jiao gu er bu tong ~@lii'iFf~)- Das ist das, was [von mir] (Feine) der Beweg1mg (Tätigkeit) (ji zhe dong zhi wei ~~J1JZ1l1&).> 353 Das ist die Le-
die Anstrengung des Sichzuri.ickl10lens und des Sich-bewahrend-Zusammenhaltens bensader der tausend Heiligen. Erst hier erscheint völlig klar, dass ihre Lehre keinen
(shou tian bao ju zhi gong Jßl~~~z:i:.iJ) genannt wird, und es ist des Edlen Lernen des Dualismus enthält (qi zhi wu er Jt ~1!!1i=).» 354
<Erkennens des Antriebes> (jun zi zhi ji zhi xue ~-r!mmzf!). 347 Wenn der Lernende Luo Hongxian drückt mit diesem «Antrieb» die Einheit von «Stille» und
bei diesem [<Antrieb>] Selbstvertrauen hat (zi xin yu ci §~M-Jlt) und davon nicht ab- «Erreg1111gen» aus. Zhou Dunyi (1017-1073) hatte im vierten Kapitel seines das
weicht, dann kann man dies <Hüten der Stille> (shou ji -'<t~), aber auch <wunderbare «Buch der Wandlungen» erklärenden Tongshu den Antrieb (ji m) als dasjenige be-
Erregungen> (miao gan i&~) nennen; man kann es <Sichausrichten auf die Ruhe> (zhu zeichnet, was sich «zwischen Vorhandenem und Nichtvorhandensein» (you wu zhi jian
jing ±mt), aber auch <Achtsamsein in den Tätigkeiten> (shen dong tllb) nennen. Wie 1'f1!!1izrsi) befindet. Nun kann Luo die «Stille» auch als das «Nichtvorhandensein» (wu
könnte das durch Worte fixiert werden! Dies ist deshalb nicht möglich, weil vom ffi) und die «Erregungen» als das «Vorhandene» (you fl) bezeichnen. Der «Antrieb»
Herzen die Rede ist und weil dieses etwas in höchstem Maße Geistig-Göttliches ist (ji m) ist also das die «Stille» und die «Erregungen» Verbindende. Luo schreibt in
(zhi shen zhe ye ~:t-$~-t:!2).» 348 ~iner Fächeraufschrift für seinen Schüler Wan Rizhong M 13 Ji!l: «[Zhou Dunyis Satz
Luo Hongxians Formel «sich zurückholen und sich zusammenhalten» bedeutet im vierten Kapitel seines Tongshu:] <Stille (ji ;J(rl) ohne Bewegung (ohne Tätigkeit) ist
also nicht mehr, sich aus dem «erregenden» Kontakt mit den Dingen herauszuhalten Wahrheit (eh eng IDit)> 355 spricht von der Verborgenheit im Nichtvorhandensein (cang yu
und sich in die Ruhe zurückzuziehen, sondern es ist der Versuch, sowohl in der Si-
tuation der Ruhe als auch in derjenigen der Tätigkeiten das Herz herrschen zu lassen
und es nicht den Dingen zu unterwerfen und von ihnen abhängig zu machen und
349 «Buch der Wandlungen», Kommentar zum 52. Hexagramm (gen), Richard Wilhelm, S. 577. Diese
dadurch die -<<Stille» zu bewahren. In diesem Sinne sagt Luo zu Wang Ji auch zwei Stelle hatte Luo Hongxian schon in seinem «Anhang» (1550/51) zur «Sommerreise» zitiert: siehe
Jahre später (15 56) in einem Brief: «Sie schreiben, dass das geisteskräftige (inspirierte) oben, S. 674.
Wissen [=<ursprüngliche Wissen>] (ling zhi !HD) Tätigkeit und Ruhe durchdringt (ehe 3 50 «Brief an 11/ang Ji», Nian'an Lito xiansheng wen ji, Ausgabe von 1567, Bibliothek von Nanji_(1g,
Nr. 111758, Nei,juan 2, S. 7a-8a, datiert auf das Jahr bing eben(= 1556); Ausgabe der Yongzheng-Ara
dongjing ffl:Jllmi), dass sich das gesellschaftliche Anordnen der Heiligen und Weisen der Qing-Dynastie, Bibliothek von Nanjing, Nr. 87568,juan 3, S. 53b; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,
an nichts anlehnt (wu suo yi 1!!1iPJrffi) und dass das der wahre Lebensweg sei. All diese juan 6, S. 213.
351 Siehe oben in diesem 'Teil II, Kap. 2, § 2.
352 In Luo Hongxianji, Nanjing 2007, S. 186, steht anstatt «das <Buch der Wandlungen> sagt»: «Meister
Zhou [Dunyi] sagt». Entweder hat sich Luo Ilongxian getäuscht oder, wahrscheinlicher, ist «Zhouzi
346 Tm Text der beiden hier zitierten Ausgaben irrtümlich «wu suo yi 1!1\}'fi-/lx» anstatt «wu you suo yi Wfi m!-'f» («ivleister ZhotD>) ein Druckfehler von «Zhou yi mi~» («Buch der Wandlungen der Zhou»).
pfi-/lx». 3 53 Xici («Große Anhang>>), Teil Tl, Kap. 5.
347 Zum «Erkennen des Antriebes» (zhi ji ~~) siehe Yijing, Xici («Großer Anhang>>), Tcill, Kap. 10, und 354 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 6, S. 186; die Interpunktion ist in dieser Ausgabe an dieser Stelle
Teil II, Kap. 5; vgl oben in diesem Teil II, Kap. 2, § 2, S. 470. nicht richtig.
348 Nian'an Luo xianshengwen ji,juan 5, a.a.O., S. 45b-46a; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 83. 355 Tongshu, Kap. 4.
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wu i!1M!!t); [der nächste Satz:] <Erregtwerden (gan •) und entsprechend Durchdringen Luo Hongxian trifft sich also mit Wang Ji im Begriff des «Antriebes» für die
(Verstehen: tong 31) ist das Göttliche (shen ~)> spricht vom Wirken im Vorhandenen (Ja Kennzeichnung der vollkommenen Lebensweise. Aber dieser «Antrieb» kann nach
yu you ffitiHi); [sein nächster Satz:] <Bewegung [Tätigkeit] noch ohne sichtbare Gestalt, ihm nicht schon im gewöhnlichen faktischen Bewusstsein «erkannt» werden. Er fügt
was sich zwischen Vorhandenem und Nichtvorhandensein befindet (you wu zhi jian {!!f unmittelbar an den oben zitierten Text aus seiner Fächeraufschrift für Wan Rizhong
M.z. rai), ist der Antrieb (ji. lt)>, spricht vom Vorhandensein ohne Vorhandensein (you er Jii l:IJ.!l. hinzu: «Wenn man aber [wie WangJi] meint, dass der <Antrieb> der Anfang
wei changyou {iifffii*'l{iif). Diese drei Sätze [von Zhou Dunyi] beschreiben alle das Herz des einen Denkens sei (yi nian zhi shi -~.z.11h), wie kann das ausreichen, um diesen
(zhuang xin WU~,,). Wenn man ständig im Vorhandenen ist, aber sich dabei nicht mit dem [Antrieb] zu erkennen (he zu yi zhi ci fRJ~~~Jlt)!» 362 Und in einem Brief an einen
Vorhandenen vermischt (bu za yu you 1"mt~{!!f), dann wird dies [im <Buch der Wandlun- anderen Adressaten schreibt er im gleichen Sinne: «Der <Antrieb> (ji lt) ist das Feine
gen>] <Erfahrung des Antriebes> (yan ji Iifflt)356 genannt. Wenn man wirklich fähig ist, (Verborgene) der Tätigkeiten (dong zhi wei 1/J;z.l,;); diese Feinheit (Verborgenheit)
sich nicht mit dem Vorhandenen zu vermischen, dann ist man <immer verborgen und ist das <Herz des Dao> [im Gegensatz zum gewöhnlichen <Herzen des Menschen>
immer fein> (chang you, chang wei * II *lc), 357 und die <WUnderbaren Antworten auf die (ren xin )..,t,,)]. [... ] Deshalb heißt es darüber [im vierten Kapitel von Zhou Dunyis
Erregungen (gan ying !iiHI) sind das Göttliche>358 des <Erkennens des Antriebes> (zhi ji Tongshu]: <Bewegung [Tätigkeit] noch ohne sichtbare Gestalt; was sich zwischen
~lt) [im <Buch der Wandlungen>]3 59 .»360 Mit «Antrieb» meint Luo Hongxian das «ver- Vorhandenem und Nichtvorhandensein befindet (you wu zhi jian;f[ffl.zrd.l)>, und es
wirklichte ursprüngliche Wtssen». 361 In diesem «vermischen sich» die «Erregungen» steht auch [im 16. Kap.]: <Bewegung (Tätigkeit), ohne Bewegung zu sein (dong er wu
und die «Antworten» darauf «nicht mit dem Vorhandenen», das heißt, sie gehen nicht dong 1/JimMIII)>. Wenn aber spätere Leute [Wang Ji!] dem mit der ersten Bewegung
in den Erregungen und Tätigkeiten der sozialen Welt auf, sondern bewahren in sich (Regung) des Denkens zu entsprechen glauben (yi nian tou chu dong dang zhi J..::.1-~~W
immer das «Nichtvorhandensein», das heißt die Stille. In der ethischen Anstrengung 1/Ja z), dann sind sie weit davon entfernt!>>363 Es ist, mit dem Begriff des «Antriebes»
des «Sichzurückholens und Sich-bewahrend-Zusammenhaltens», die Luo Hongxian gesprochen, wieder Luo Hongxians Haupteinwand gegen Wang Ji:
in seinen Gesprächen mit WangJi vom Sommer 1554 mit dem «Lernen des Erken- Der <<Antrieb des Himmels» erscheint nicht vollständig im «einen (ersten)
nens des Antriebes» identifiziert, geht es also nicht um das Erlernen der bloßen Stille, Denken» (yi nian -~), das heißt im aktuellen «ursprünglichen Wissen» aller Men-
sondern um das Erlernen der Erregungen und des Tätigseins in der Stille. schen, sondern das «Erkennen des Antriebes» geschieht in einem schrittweisen und
anstrengenden Lernen des «Sichzurückholens und Sichzusammenhaltens» und
bezeichnet als Resultat die richtigen Erregungen (zheng gan IE!s\\) und damit auch
die feinen, geistig durchdringenden Tätigkeiten des «verwirklichten ursprünglichen
356 «Großer Anhang», Teil I, Kap. 10.
357 Zitat aus dem vierten Kapitel des Tongshu: «Der <Antrieb> ist fein, daher verborgen.» Wissens».
358 Zitat aus dem vierten Kapitel des Tongshu: «Das Göttliche antwortet, daher ist es wunderbar.» Doch ist es sehr bedeutsam in Luo Hongxians Verständnis des «Verwirklichens
359 «Buch der Wandlungen», «Großer Anhang», Teil II, Kap. 5. des ursprünglichen Wissens», dass er dieses «Verwirklichen» im Gespräch mit Wang
360 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 15, S. 669; vollständig aufgenommen im MRXA,juan 18, Beijing
1985, S. 426. In seinem großen Brief an ChenJiuchuan, den er 15 50 geschrieben hat und in welchem Ji vom Sommer 1554 nun als einen Prozess des «Erkennens» (zhi ~) und des «Glau-
er in der ethischen Anstrengung noch zwischen Ruhe und Tätigkeit trennt, schreibt Luo Hongx:ian: bens» (Vertrauens: xin fil!r) sieht. Dabei sind für Luo Hongxian wie auch für Wang Ji
«[Der Satz im dritten Kapitel von Zhou Dunyis Tongshu] <Der Antrieb ist gut [oder] schlecht> spricht «Erkennen» und «Glauben» keine Gegensätze, sondern werden zusammen genannt
vom Bedenken des Antriebes (wei ji 1ftj§). Deshalb ist (wird?) man fähig, Gutes und Schlechtes zu
unterscheiden. Wenn man vom Verneinen des Antriebes spricht (fei ji ~l,j§), dann ist Schlechtes und miteinander verbunden. Dadurch, dass Luo Hongxian seine Methode des «Ver-
dabei. Man muss immer <[beim Nichtsehen und Nichthören] achtsam und furchtsam> (jie ju Jii-tfl) wirklichens des ursprünglichen Wissens» auch als einen Prozess des «Erkennens»
[Zhongyong, 1. Kap.] und immer der Stille fähig sein und nachher im Tätigsein nicht nachjagen (bu zhu des «ursprünglichen Wissens» und des «Vertrauens» in dieses sieht, erkennt er in ihr
yu dong '.:f~»t Jh), dann besteht das, was [im <Buch der Wandlungen>) <Erfahren des Antriebes> (yan ji
?ilfj§) genannt wird.[ ...] Nur wenn man <beim Nichtsehen und Nichthören achtsam und furchtsam, eine Dimension, die er bei Nie Bao nicht fand und die ihn in eine Gemeinschaft mit
ist, dann ist das, was man festhält, äußerst fein und äußerst verborgen. Deshalb sind alle Tätigkeiten Wang Ji bringt.
der Absichten (nian zhi dong ~ZJJl) fähig, in das verborgen Feine [des Antriebes] einzutreten (ru In den oben zitierten Sätzen aus den Gesprächen vom Sommer 1554 mit Wang
wei )...t'/k) und gehen nicht bis zu dem, was sichtbare Gestalt angenommen hat (bu zhi yu you xing
'.:f~tit1HI~), und alle Funktionen des Denkens (si zhi yong .!l\Zffl) können das verborgen Feine [des Ji sagte Luo Hongxian, dass man in der Anstrengung des «Sichzurückholens und Sich-
Antriebes] durchdringen und gehen nicht bis zu dem, was sich [sichtbar) hin und her bewegt (bu zhi yu zusammenhaltens» sich selbst vertrauen müsse (zi xin ~ wi). Dieses Vertrauen oder i
chong chong 1' ~titt!t!). Das ist das, was [im <Buch der Wandlungen>) <Erkennen des Antriebes> (zhi ji dieser Glaube bedeutet für ihn ein Vertrauen in das eigene «ursprüngliche Wissen».
9:IJj§) genannt wird.» «An ChenJiuchuan (Mingshui)», Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 6, S. 202;
größtenteils aufgenommen imMRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 398.
361 Die einzige mir bekannte zeitgenössische chinesische Studie, die diesen Ausdruck bei Luo Hongxian
in den zitierten Zusammenhängen interpretiert, ist diejenige von Lin Yuehui ;j,y;Jl ;':li; über Nie Bao
und Luo Hongx:ian aus demJahr 2005. Die Autorin versteht diesen Ausdruck als «Tätigkeit des voll- 362 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 15, S. 669; vollständig aufgenommen im MRXA,juan 18, Beijing
kommenen Herzens» (zhi shan de dao xin zhi dong ~~1'1931:l:,t,,zJ)J) oder als «Tätigkeit des Wesens 1985, s. 426.
des ursprünglichen Wissens» (a.a.O., S. 390). Dieser Interpretation kann ich mich anschließen. 363 «Brief an Zhan Yizhai f.ii fa."f11f», Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 8, S. 341.
704 705

Ein solches Vertrauen scheint für Luo wichtig geworden zu sein. Nie Bao spricht nicht Edelsteine aufbewahrt: Man soll sie nur nicht leichtsinnig verderben lassen, aber
von diesem Vertrauen, während es für Wang Ji grundlegend ist. Aber während für nicht so weit gehen, ihrem Glanz nachhelfen und ihre Farbe verschönern zu wollen
Wang Ji dieses Vertrauen der Ausgangspunkt des ethischen Lebens ist, kann es nach und dadurch ihren eigenen Charakter zu beschädigen (shang qi ben se ,l;it;iJs:.gi,). Oder
Luo erst in der ethischen Anstrengung des «Sichzurückholens und Sichzusammcn- wenn man Kinder behütet, soll man nur nicht ihren Ausschweifungen (ihrem Leicht-
haltens» allmählich gewonnen werden, denn das «ursprüngliche Wissen» ist ja vor sinn: tiao da oder tao da t:!~31) freien f ,auf lassen, aber nicht so weit gehen, ihr Lieben
dieser Anstrengung nur etwas Zeitweiliges; es tritt bald auf, bald geht es wieder unter, und Verabscheuen zu unterdrücken, ihr Plappern und Lachen zu vermehren oder
es ist im Herzen nicht das Herrschende. Am Schluss der Darstellung seiner neuen zu vermindern und dadurch ihr natürliches Wesen zu zerstören (qiang qi tian xing
Auffassung «seit ein, zwei Jahren» sagte er im Sommer 1554 zu Wang Ji: «Was <das ~!t~tt). Wenn man manipuliert, flickt, vergleicht und ausschmückt, nur weil
gewöhnliche Volk, ohne es zu erkennen, täglich gebraucht> (bai xing ri yong er bu zhi kleine Mängel bestehen, dann wird man letztlich notwendig beeinträchtigen und
s M=. S ffl jfü 1' ~□) 364 und was die heiligen Menschen erkennen und auch gleich dem ge- abhängig machen (zhong bu mian ying xiang yi fu ~1'~i?l-axllft), auch wenn man
wöhnlichen Volk täglich gebrauchen [nämlich das <ursprüngliche Wissen>]3 65 und was sich ernsthaft anstrengt. [... ] Nicht ich bin es, der so spricht. Mingdao [Cheng Hao,
die Daoisten und Buddhisten nicht erfassen, ist etwas, dem die Lernenden nicht leicht 1032-1085] sagte, dass um die Substanz der Menschlichkeit zu erkennen, man <sie
selbst vertrauen (xue zhe nan yu zi xin !~MU!tM- ~ 1~). Wenn sie aber ihren Anfang der nur durch Aufrichtigkeit und Ehrfurcht bewahren> (yi chengjing cun zhi PJ-Wix.~ffZ)
wahren Stille wirklich zu prüfen und zu erkennen vermögen (zhen ji duan ni guo ncng und <nicht abwehren und beschränken und nicht bis zum Äußersten ziehen> soll.
cha shi ~~ililöfä~~~~~), wenn sie sich in Ruhe und Tätigkeit gleich verhalten (sui [Er zitierte Mengzis Wort:]3 67 <Man muss etwas tun, aber sich dabei nicht verstei-
dong sui jing wu you chu ru lll'iitblli'ffli~fl°l±lA), sich nicht in Gegensatz zu den Dingen fen; das Herz darf nicht vergessen, aber nicht beim Wachsen nachhelfen.> Er sagte:
und Geschäften der Welt stellen, sich nicht gestützt auf ihre eigenen Meinungen zu <Nicht die geringste Gewalt anwenden, das ist das Dao, um sie [die Menschlich-
Herrschern machen (bu yi zi ji zhi jian zuo zhu zai 1'11X ~ 2.~□ Jii'l=::it~), nicht in Fixie- keit] zu bewahren.> 368 Das ist sicher die Richtschnur und das Gesetz (zhun ze ~.l'lU)
rung auf Wörter und Begriffe Erklärungen produzieren, nicht mit Wortgebilden den [der ethischen Anstrengung des <Sich-Zurückholens und des Sich-bewahrend-
Geist vollstopfen, dann vermögen sie allmählich auf sich selbst zu vertrauen (jian neng Zusammenhal tens>]. » 369 Wie man bei der pädagogischen Anstrengung der Erziehung
zi xin 1'/r~lH~1~). Und wenn sie wirklich auf sich selbst zu vertrauen vermögen, dann der Kinder deren Ausschweifungen und Leichtsinn nicht freien Lauf lassen, aber
hat die Anstrengung des Sichzurückholens und Sich-bewahrend-Zusammenhaltens dabei Vertrauen in ihr «natürliches Wesen» (ihre «vom Himmel bestimmte Natur»:
selbst eine Richtschnur (guo neng zi xin, ze shou lian bao ju zhi gong zi you zhun ze ~ tian xing: :Ji::tt) haben soll, so muss man sich auch in der ethischen Anstrengung aus
~~~,l'lljJ&~~~.ZJ}J ~ ~~.l'l~).» 366 Auf diese Weise löst Luo Hongxian das Problem dem den Dingen Nachjagen zurückholen und dabei immer mehr Vertrauen in das
des Verhältnisses zwischen der eigenen willentlichen Anstrengung und dem Ver- «ursprüngliche Wissen» gewinnen.
trauen in das «ursprüngliche Wissen». Der Lernende vermag dem «ursprünglichen
c) Einschub: Luo Hongxians Kritik an Nie Bao in seiner «Vorrede» von 1553/54 zu
Wissen» nicht von vornherein und sofort zu glauben, sondern muss sich dafür in die
seinen Zusätzen zu Nie Baos «Aufzeichnung von Unterscheidungen in der Not»
Stille zurückholen, damit das «ursprüngliche Wissen» beständig wird und sich klärt.
Aber diese eigene Anstrengung hat ihre Richtschnur nicht aus sich selbst, sondern sie Luo Hongxian distanzierte sich also radikal von der Position Nie Baos, welche die
findet diese «allmählich» im «ursprünglichen Wissen», das als «Herrschendes» den ethische Anstrengung allein in der «Rückkehr zur inneren Stille» durch die Ruhe
Lernenden in Tätigkeit und Ruhe zu leiten vermag. Luo Hongxian gebraucht hier verwirklichen will und Ruhe und Tätigkeit, Innen und Außen trennt, und näherte
den Begriff «allmählich» (jian jij), welcher der Gegenbegriff zu «plötzlich» (dun fi:) sich in neuer Weise wieder Wang Ji an. Es gibt einen Text, den er wahrscheinlich
ist, mit dem Wang Ji die von ihm erstrebte <<Erkenntnis» oder «Einsicht» (wu t!) in nur kurz vor der Zeit der oben angeführten Gespräche mit Wang Ji schrieb und in
das «ursprüngliche Wissen» charakterisiert. Luo Hongxian vereinigt also die eigene welchem er seine Distanzierung von Nie Bao direkt dessen «Lernen» gegenüber
willentliche Anstrengung und das Vertrauen oder den Glauben in das «ursprüng- ausdrückt. In diesem Text äußerte er seine damalige neue Sichtweise nicht gegen-
liche Wissen». über Wang Ji, sondern gegenüber der anderen wichtigen «Bezugsperson» seines
Zuletzt illustriert Luo Hongxian gegenüber Wang Ji seine Sicht des Verhält- «Lernens», Nie Bao. Es handelt sich um Luo Hongxians «Vorrede» zu seinen «Zu-
nisses zwischen der willentlichen ethischen Anstrengung und dem Vertrauen in das sätzen» (fu yu llt-tli!) zu Nie Baos Kun bian lu («Aufzeichnung von Unterscheidungen
«ursprüngliche Wissen» durch folgende Gleichnisse: «Es ist ähnlich, wie wenn man in der Not»). Diese von Luo Hongxian geschriebenen «Zusätze» hatte ein gewisser

367 Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 2.


364 Zitat aus dem «Großen Anhang» des «Buches der Wandlungen», Teil I, Kap. 5. 368 Alles Zitate aus Cheng Haos Schrift Shi ren ~1= («Erkennen der Menschlichkeit»), Er Chengji,juan
365 Zitat aus dem «Großen Anhang» des «Buches der Wandlungen», Teil I, Kap. 5. 2, 1. Teil, Beijing 1981, S. 16f.
366 Nirtn'rm Luo xianshengwenji,j11rm 5, a.a.O., S. 46a-b; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 83. 369 Nian'an Luo xianshengwenji,juan 5, a.a.O., S. 46b-47a; Luo Hongxianji, Nanjing· 2007,juan 3, S. 83.
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Jiang Maohuan 5I :l!l:t~ (Beiname: Yuanshan JJ.ll:11.1) aus dem Kreis Guixi JU.l in der &!J;a) bezeichnet noch immer das <ursprüngliche Herz> (liang xin &,t.,). 372 Diejenigen,
Präfektur Guangxin Jl~ (im Nordosten der ProvinzJiangxi), der ein Bekannter von die sich auf die Ruhe ausrichten (zhu jing =Effit), streben nach seiner Verwirklichung,
Luo Hongxian war, in die Hände bekommen. Er wurde dann Kreisvorsteher von sie sammeln sich und halten sich zusammen (shou she lian ju l&ffli~?!W.), sind selbst
Xinning ~~ im südlichen Teil der Präfektur Kanton, ließ sie dort wohl Ende 1553 achtsam und furcht~am (zijie ju ~ Rlt'ID), um in das Feine und Verborgene (jing wei
oder Anfang 1554 für seinen Unterricht drucken und erbat von Luo I-longxian für ;ffl'tl) einzutreten.Jene, die in ihm bloß ein Wahrnehmen (Gewahren) von etwas sehen
diese Veröffentlichung eine Stellungnahme als «Vorrede». 370 Xinning (heute Taishan (bi tu zhi jue yan zhe f&'.1!~-~ 3~'), sind solche, die Wahres und Irriges vermischen (za
ß'Ü-1) war der südliche Nachbarkreis von Xinhui ~1ir, in welchem der auch noch zhen wang !illt~~) und es dann zum Ausdruck bringen. Wenn man sich auf die Ruhe
im 16. Jahrhundert einflussreiche Konfuzianer Chen Xianzhang (Beiname: Baisha, ausrichtet, dann jagt man nicht dem Irrigen nach (bu zhu wang 1'~~); das ist die
1428-1500) gelebt hatte. 371 Anstrengung des Lernens. Was ist mit dem <Vermischen des -W:'lhren und des Irrigen>
In dieser «Vorrede» schreibt Luo Hongxian: «Ich denke daran, dass, als Baisha gemeint? Es ist so wie bei einem Bach: Das <ursprüngliche Wissen> ist die Quelle; das
[Chen Xianzhang] das Wort vom Sichausrichten auf die Ruhe (zhu jing =Effit) äußer- \A/ahrnehmen (das aktuelle Bewusstsein: zhi jue !J;OJl) ist der Lauf des Wassers (liu 5Jit).
te, die Leute ihn mit dem Vc>rwurf des Buddhismus (chan ~)kritisierten.Nachdem Der Lauf des Wassers vermischt sich mit Dingen (Partikeln: wu Wl). Deshalb muss
[Wang] Yangming aufgetreten war, wurde die Kritik noch heftiger, indem gesagt man es zur Ruhe bringen [und so die Partikel absinken lassen], um es zu klären. Man
wurde, dass zwischen der <Verwirklichung des Wissens> und dem <Sichausrichten auf kann nicht sagen, dass es sich nicht vom Wasser unterscheide, das aus der Quelle
die Ruhe> kein Unterschied bestehe. Andererseits kritisierten Leute [wie Wang Ji], heraustritt. Das ist das, was Herr Shuangjiang [Nie Bao] zur <Unterscheidung> bringt
die vom <ursprünglichen Wissen> redeten, ihrerseits wiederum mit dem Vorwurf des (suo wei bian P!Tf.ili~J$). 373 » 374 Bis zu diesem Punkt seiner «Vorrede» charakterisiert Luo
<Ausrichtens auf die Ruhe>, indem sie sagten: <Das <ursprüngliche Wissen> können Hongxian die Ansicht von Nie ßao oder, genauer, seine eigene frühere Position, in
alle Leute von selbst wahrnehmen (von selbst aktuell bewusst haben: zi neng zhi jue der er sich Nie Baos Position zwar sehr genähert, aber sie sich doch nicht vollstän-
~ 14~~1/li); es unterscheidet sich nicht nach Ruhe und Tätigkeit. Wenn man es nur dig zu eigen gemacht hatte. Denn er sah auch damals die ethische Anstrengung des
durch die Ruhe charakterisiert, macht man das Herz (den Geist) krank.> Indem sie «Verwirklichens des ursprünglichen Wissens», um im obigen Gleichnis zu sprechen,
nun sagten, dass das <ursprüngliche \Vissen> ein Wahrnehmen (Gewahren, aktuelles nicht in einer Vergrößerung der Wassermenge der Quelle (nicht in der «Auffüllung»
Bewusstsein: zi jue 9'□ Ji) sei, und die Ruhe zu einer Krankheit des Herzens machten, der «Substanz» des Herzens), 375 sondern in einer Reinigung des Wasserlaufs von
vermochten sie so ganz allgemein nur mit dem, was <die gewöhnlichen Leute> täglich seiner Verunreinigung (d.h. in der Reinigung der Funktionen des Herzens von ihrer
gebrauchen [und nicht wissen] (bai xing ri yong [er bu zhi] stt EI J:ll [ii'ö1'9'□]), das Feine begehrlichen Verhaftung an die Dinge) durch die Methode des «Sichsammelns und
und Verborgene (,jing wei :ffl'll) der heiligen Menschen zu bezeugen, und vermochten Sichzusammenhaltens», die er damals der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit [im
nicht, durch den Erweis der Strenge der <Achtsamkeit und Furchtsamkeit> des Edlen Nichtsehen und Nichthören]» des ersten Kapitels des Zhongyong (in der Interpretation
die Gewöhnlichkeit der gemeinen Leute umzuwenden. Dadurch wurden nicht nur die Zhu Xis) gleichstellte ..
Schulen der beiden Lehrer [Chen Xianzhang und Wang Yangming] täglich wüster und Er fährt nun unmittelbar anschließend an das oben Zitierte fort: «Als ich
öder, sondern selbst die Buddhisten wunderten sich darüber und konnten das Lachen anfänglich [1549] diese <Aufzeichnung [von Unterscheidungen in der Not> Nie
nicht unterdrücken. Ist das [vom Richtigen] nicht weit entfernt! - Der Gebrauch der Baos] schriftlich erläuterte, dachte ich, dass kein einziger ihrer Sätze mit dem Herz
Wörter hat nun seine Regeln (yrm you suo dang ~fl°P!T~), und wenn man sich in den (Geist) nicht übereinstimmt. Wenn ich sie aber heute betrachte, dann mache auch
Wörtern nicht auskennt, kann man nicht lernen. Das <ursprüngliche Wissen> (liang zhi ich eine kleine <Unterscheidung> (bian }!}$). 376 Der Herr [Nie Bao] schreibt: <Das
Herz herrscht im Inneren; erst nachdem es dem Äußeren geantwortet hat, hat es ein
Äußeres. Das Äußere ist also sein Schatten.> Aber hat das Herz wirklich ein Inneres
und ein Äußeres? Er schreibt: <[Der Zustand] vor dem Entstehen [der Gefühle] (wei
370 Siehe Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 11, S. 474. Diese «Vorrede» wurde vollständig im MRXA,
juan 18, S. 42 lf., übernommen. In der Ausgabe «Die wichtigsten Texte von Luo I-Iongxian» (Nian 'an
Ja*~) ist nicht die Substanz [des Herzens]; doch zur Zeit vor dem Entstehen der
Luo xiansheng wen yao) von 1603 ist diese Vorrede injuan 4 auf das Jahr gui chou datiert (siehe Wu
Zhen 2001, S. 354), das in diesemJahrvom 14.Januar 1553 bis zum 1. Februar 1554 dauerte. In dieser
Vorrede schreibt Luo Ilongxian, dass er Nie Bao seit vier Jahren nicht mehr gesehen habe. Nie Bao 372 Beides Ausdrücke im Buch Mengzi, deren Bedeutung man gleichstellen kann: siehe oben in der all-
hatte erst Ende 1550 seinen Wohnort Yongfeng (Nachbarkreis von T,uo Hongxians WobnkreisJishui) gemeinen Einleitung den§ 4, S. 24f. und S. 27.
in der ProvinzJiangxi verlassen, um in Peking einen Beamtenposten anzutreten. Wahrscheinlich ist er 373 Anspielung auf den Haupttitel und die Kapitelüb.erschriften des exzerpierten Werkes von Nie Bao:
erst 15 55 wieder nach Hause wriickgekehrt (siehe oben in Kapitel 3 den§ 1). Es ist unwahrscheinlich, «Aufzeichnung der Unterscheidungen in der Not» (Kun bian lu).
dass sich Nie und Luo, die nicht weit voneinander zu 1Iause waren, 1550 nicht mehr begegneten, 374 I.uo Hm1gxianji, Nanjing· 2007,jwm 11, S. 474; MRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 421f.
so dass nach Luos Angabe dieses «Vorwort» Ende 1553 oder Anfang 1554 geschrieben worden sein 375 Siehe das «Quelle-Wasserlauf-Gleichnis» bei Nie Bao in seinem Briefwechsel mit Ouyang De, oben,
dürfte. Teil II, Kap. 3, § 2,Abschnitt c), Punkt 2.
371 Zu Chen Xianzhang siehe oben in der Einleitung zn Teil Iden§ 1, S. 69f. 376 1\nspichmg auf den Titel des exzerpierten Werkes von Nie Bao.
708 709

Gefühle kann man unsere stille Substanz sehen (jian wu zhi ji ti J!~.z~ftl).> Aber Nach dieser «Vorrede» «kann das <Sichsammeln und Sichzusammenhalten> von
das <Vor dem Entstehen [der Gefühle]> ist kein zeitlicher Zustand (wei fa fi.:i shi
~~~~); und die Stille ist keine Substanz (ji wu ti ~~l!t), [denn] man kann sie nicht
* der Ruhe reden», und sie charakterisiert diese «Methode» noch nicht, wie das nur we-
nig spätere Gespräch mit Wang.Ti vom Sommer 1554, sowohl als ein «Sich-Ausrichten
sehen (bu ke jian 1'iiJ J!). Was man von ihr sieht, heißt <Menschlichkeit> (jian zhi auf die Ruhe» (zhu jing :=l::iw) als auch als eine «Achtsamkeit in der Tätigkeit» (shen
wei ren J!z~f=); was man von ihr sieht, heißt <Wissen> (Bewusstsein: zhi ?:□); es ist dong tl.tlJ). Aber sie legt dazu die Cnmdlagen, indem sie sich von Nie Baos zeitlicher
die Frische des Dao (dao zhi xian ~Z~). Ich befürchte, dass das Sehen der Stille Trennung von «Stille» und «Erregungen» abwendet. Die «Stille», die «Mitte vor
keine Stille ist. Man kann dann von <Stille> reden, wenn [das Herz] sich auswirkt dem Entstehen der Gefühle», ist nun für Luo Hongxian, wie für Wang Ji, aber auch
(tätig ist) und dabei seine Stellung nicht verlässt (Ja er bu chu wei ~ ii'iPI' l±Ht); man für Ouyang De oder Zou Shouyi, kein zeitlicher Zustand, der zur Zeit der Ruhe er-
kann von <sich auswirken> (Ja ~) reden, wenn [das Herz] beständig still ist und das reichbar wäre; sie ist keine für sich bestehende «innere» «Substanz», die man «sehen»
Feine durchdringt (tong wei Jffif,&). Denn auf eine Fähigkeit, ohne Gedanken und kann. Es gibt gar keine «Stille» ohne «Erregungen» (gan !j) oder, wie Luo Hongxian
Tätigkeit achtsam und furchtsam zu sein (neng jie ju er wu si wei ffä11lt11rmAA,'-~), hier schreibt, ohne «Auswirkungen» (Ja ~) in den Gefühlen und Tätigkeiten; es gibt
kann man nicht wirklich hinweisen und sie anderen Menschen bekanntmachen (fei kein Inneres ohne Äußeres. Es ist keine Fähigkeit aufweisbar, «ohne Gedanken und
shi you ke zhi, de yi shi zhi ren ~~J(fl"iiJIH~P).~.zA). Deshalb kann das <Sichsmnmeln ohne 'I'iitigkeiten (wu si wei 1fft,\ll~) <achtsam und furchtsam»> zu sein, um jene «Mit-
und Sichzusammenhaltcn> von der Ruhe sprechen (shou she lian ju ke yi yan jing te» zu erlangen. Was man von der «Stille» «sehen» kann, ist die «Menschlichkeit»
llltfi~~ iiJ P). ~ff), aber man kann nicht sagen, dass es die stille Substanz [des Herzens] als ein aktuelles «Wissen» (intentionales Bewusstsein: zhi ?:□). Luo Hongxian zielt in
ausmache (weiji ran zhi ti ~ifiil~.zlll); die Gefühle des Wohlgefallens und des Zorns, dieser «Vorrede» nach einer ethischen Praxis, die sowohl zur Zeit der Ruhe als auch
der Trauer und der Freude können zeitliche Zustände bedeuten, aber man kann nicht zur Zeit der Tätigkeit anwendbar ist, und versucht, sie «außerhalb der Wörter» in den
sagen, dass sie keine <Mitte vor dem Entstehen [der Gefühle]> enthalten. Dies ist des- «Bildern» des «Buches der Wandlungen» zu verstehen.
halb so, weil das Herz (der Geist) keinen bestimmten Zeiten zuzuordnen ist (xin wu shi
1Mltt~) und auch keine [von seinen Funktionen trennbare] Substanz ist (yi wu ti d) Die bleibende Differenz zwischen Wang Ji und Luo Hongxian während ihrer
1!'1lttU). Erst nachdem man etwas [davon] sieht, kann man darauf hinweisen (zhi Begegnung im Sommer 1554
jian er hou you ke zhi f)l,Jjl, ri'ö fifl"iiJm). Das <Buch der Wandlungen> sagt: <Der heilige Das Gespräch zwischen den beiden Freunden am Boyang-See im Juni 1554 endete
Mensch hat die Bilder [Diagramme] aufgestellt, um seine Gedanken auszuschöpfen; nach Luo Hongxians Bericht folgendermaßen. «Longxi [Wang Ji] fragte: <Haben
er hat die Erklärungen angehängt, um die Wörter auszuschöpfen.> 377 Die Wörter Sie jetzt die Stille in den Erregungen erlangt?> Ich antwortete heiter: <Das ist eine
können sicher die Gedanken nicht ausschöpfen (yan gu bu jin yi ~l~Ff~~). Aber gründliche Frage! Wie könnte ich sagen, dass ich dessen fähig bin! Ich hole mich zu-
es ist möglich, das im [Bild] Kun :1$ (<Passivität>, <Ruhe>) enthaltene Zhen 1lli (<Er- rück und halte mich bewahrend zusammen (shou she bao ju !.&ffl-OiU\{). Dennoch kann
regung>), und das im [Bild] Eo f~ (<Zersplitterung>) enthaltene Pu~ (<Rückkehr>) ich so vielleicht vermeiden, dass ich nach Yue [im Süden] will und dabei die Deichsel
außerhalb der Wörter zu verstehen (de zhi yu yan wai 1~.2.~~9~), um dadurch unser nach Norden richte.> Longxi [Wang Ji] sagte lachend: <Die <Aufzeichnungen über
Lernen zu bezeugen. 378 Kann es wirklich die Meinung der Heiligen sein, dass man die Sommerreise> [bzw. ihr kritischer Anhang] sind nicht ganz falsch. Nur sind im
hinsichtlich der Zeit der Ruhe und der Zeit der Tätigkeit (shi erjing, shi er dong a~ rmff \Vechsel der Rede die Gesten zu heftig, so dass der Eindruck eines übertriebenen Auf
a~rm.tlJ) scharf zwischen Innen und Außen wie zwischen den Linien der Hexagramme und Nieder entsteht (yi yang tai guo :lfl]m,*i@.). Aber wenn Sie jetzt schon die Sache
[im }1jing] trennen muss (jie ran nei wai ru gua yao ran ~~v-J9~:t!ll1Bt~)! Ich habe bis zu diesem Punkt durchschauen, was könnte ich da noch sagen!»> 380 Ich nehme
den Herrn [Nie Bao] seit vier Jahren nicht mehr gesehen, ich weiß nicht, wie heute an, dass Wang Ji sagen will, dass Luo Hongxians Argumentation in seinem kritischen
seine Einstellung ist.» 379 «Anhang» von 1550/51 zu starke Gegensätze aufbaut, zu sehr in Schwarz und Weiß
malt. Wang Ji anerkennt ja auch den relativen Wert von spirituellen Praktiken der
Ruhe und versucht, verschiedene Arten der ethischen Anstrengung zu integrieren. Das
377 Entspricht vielleicht Xici («Großer Anhang»), 1. Teil, Kap. 2: «Der heilige Mensch hat die Diagramme Grundlegende und Entscheidende ist für ihn aber das «Vertrauen» (und die «Ein-
aufgestellt, hat die Bilder betrachtet und die Erklärungen bcigdügt.» sieht») in das immer vollkommene «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens».
378 Das Kun-Trigramm besteht nur aus drei gebrochenen Yin-Strichen (Zeichen der Passivität), während Obschon er im Juni 15 54 am Schluss seiner kurzen Antwort sagte, dass er gegen Luo
das ihm in der Fuxi-Ordnung folgende Zhen-1rigramm in seiner tiefsten (ersten) Schicht bereits einen
ungebrochenen Yang-Strich (Aktivität) enthält. Das Eo-Hexagramm (23. Hexagramm) hat nur noch in Hongxians neue Sicht nichts mehr einzuwenden habe, bestand in Wirklichkeit zwi-
seiner obersten (letzten) Schicht einen Yang-Strich, während das nächste (24. Hexagramm), das Fu- schen den beiden, trotz Luos Annäherung an Wang, keine völlige Übereinstimmung,
Hexagramm in seiner tiefsten (ersten) Schicht einen Yang-Strich aufweist. Mit diesen Diagrammfolgen
bzw. -implikationen will Luo Hongxian wohl auf das nicht in Wörter fassbare Verhältnis von «Stille» und
«Erreguug» und die «Rückkehr» aus der «Zersplittenmg» durch die egoistischen Wünsche hinweisen.
379 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,jurm 11, S. 474f.; MRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 422. 380 Nian'an Luo xianshengwen ji,juan 5, a.a.O., S. 47b; Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 83f.
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und eine solche war auch aufgrund ihrer verschiedenen Auffassungen nicht möglich. (gegenwärtigen) <ursprünglichen Wissen> [die ethische Praxis] trägt (yi xian zai /iang
Denn Luo hielt immer an der willentlichen Anstrengung des «Sichzurückholens und zhi cheng shou l;J.JJt:i'f.ll1ßlilk~), dann macht man auch unvermeidlich eine leere Mei-
Sich-bewahrend-Zusammenhaltens» fest, während Wang Ji dies als ein künstliches nung zum Erhabenen.»382 Das ist die bleibende Differenz zwischen Wang Ji und Luo
und nur relativ gültiges Unternehmen betrachtete, das, wenn man es verabsolutiert, Hongxian.J ener wirft diesem vor, dass er dem <<ursprünglichen Wissen» nicht direkt
die Spontaneität und Vollkommenheit des «ursprünglichen Wissens» beeinträchtigt. glaube und nicht ihm selbst seine «Verwirklichung» überlasse, sondern es willentlich
Dies wird in den privaten Gesprächen zwischen den beiden, die nach dem mit eigener Hand (mit einer künstlichen Methode) «verwirklichen» wolle, während
Abschluss der Versammlung am «Dunklen Teich» (18.-20. Juli 1554) stattfanden, dieser jenen kritisiert, dass er sich bloß auf das jetzige (gegenwärtige) «ursprüngliche
deutlich, als Luo Hongxian auf dem Boot Wang Ji noch ein Stück auf dessen Wei- Wissen» stütze, das sich wegen seiner Unbeständigkeit und Unklarheit mit bloßen
terreise zur. Shuixi-Akademie in der Präfektur Ningguo begleitete. Luo schreibt: Meinungen vermischen könne, und dass er nicht in willentlicher Anstrengung «Hand
«Als es auf dem Boot etwas ruhiger wurde und da mich Longxi [Wang Ji] nach anlege», um das «ursprüngliche Wissen» im faktischen Bewusstsein beständig herr-
meiner jetzigen Lebensführung (chi xing M:fi) fragte, sagte ich: <Früher meinte ich, schen zulassen. Etwa 1558 bemerkte er zu Nie Baos Kritik von WangJis «Abriss über
dass das Sammeln dieses Herzens (ci xin shou she .11:U,,i&ffl) etwas braucht, an dem es die Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»: 383 «Der achte Abschnitt betrifft
sich festmachen kann (xu you zhuo dao chu ffl~fijJJ;i); jetzt aber denke ich, dass das den Punkt, in welchem Longxi [Wang Ji] den anderen Menschen und sich selbst am
Sammeln dieses Herzens nur ein Ermuntern und Anlocken ist (zhi shi you yin R~ meisten schadet. Wenn ein Gift hervorgebracht wird, das man selbst schon probiert
~sl). Man soll nicht verbessern und die Fehler korrigieren, nicht Tätigkeit durch hat, muss man den Mund aufmachen und die Sache klarstellen. Seitdem die Heiligen
Ruhe ersetzen (bu bian erjing 1"1!=:l.l). Die ethische·Anstrengung soll das Herz nicht und Weisen über das [ethische] Lernen sprechen, gab es noch nie die Rede vom <nicht
im Geringsten stören (shao bu nao xin ffi1"rU,,).> Da ich Longxi [Wang Ji] fragte, wie die Hand anlegen> (bu Jan zuo shou 1'~Btl!:=J=.), es gab noch nie ein Lernen, das nicht auf
er mich jetzt sehe, antworte er: <Sie haben sich gegenüber früher völlig verändert. einem [willentlichen] Tun beruhte (wei you xue er bu you zuo zhe *~*im1' l:Elt/!::ff).»384
Doch wenn ich Ihr tägliches Verhalten prüfe, dann ist in ihm noch eine entgegenwir-
kende Hand anwesend (shangfan zuo shou zai t,!;1 ~Bft==J=-1'±). Das hat seinen Grund dar- § 7 Die Versammlung am «Dunklen Teich» vom Juli 1554: Liu Bangcais
in, dass Sie die Befreiung von den Meinungen (tuo jian ~~) noch nicht ganz gelernt Versuch, durch seine Idee einer zweifachen ethischen Anstrengung
haben. Wenn man sich von seinen Meinungen völlig befreit hat, dann wird alles zu die Auffassung Nie Baos in die Lehre der Schule Wang Yangmings zu
einer gewöhnlichen Sache (xun chang shi S. *~), man braucht nichts zu orakeln. Das integrieren. Wang Jis Kritik an diesem Versuch und Luo Hongxians
ist das <ursprüngliche Wissen> mit dem <ursprünglichen Wissen> verwirldichen Vermittlung
(ci shi yi liang zhi zhi liang zhi .11:t~P.,UOllic.tU;ll). Übermaß und Ungenügen (Verfeh-
len) haben dann keinen Grund mehr, so wie man nach dem Erwachen nicht mehr Wir haben schon in § 1 dieses Kapitels davon berichtet, dass Luo Hongxian und Wang
ins Land der Träume geht. Auf diese Weise ist zur Zeit der Funktionen der wahre Ji nach ihrer gemeinsamen Reise von Nankang im Norden der Provinz Jiangxi zur
Antrieb vollkommen (ying yong shi zhen ji yuan shu }Jjffl ~~ffiUI~). Wenn aber der «Steinlotus-Höhle» zwischen dem 18. und 20.Juli 1554 im «Schneewellen-Pavillon»
wahre Antrieb nicht vollkommen ist, dann zeigen sich keine wahren Funktionen (zhen am «Dunklen Teich» (Xuantan t;Jf) im Kreis des Wohnortes von Luo an einer
yong bu xian ~ffl 1''-i). Es gibt hier niemanden, der direkt daran glaubt (zhi xin [i1i). Versammlung von ungefähr fünfzig Nachfolgern Wang Yangmings teilnahmen und
Auch Sie haben nicht mehrmals überlegt, ob Sie das erlangen oder fallenlassen.>» 381 dass diese Versammlung durch eine Meinungsverschiedenheit zwischen Liu Bangcai
Luo Hongxian bemerkt in seiner «Aufzeichnung» zu dieser Stellungnahme Wang (Beiname: Shiquan), der schon seit fast dreißig Jahren eine wichtige Rolle in der
Jis: «Diese Worte von Longxi [Wang Ji] drücken den Punkt der höchste Einsicht Schule Wang Yangmings der Präfektur Ji'an spielte, und Wang Ji geprägt wurde. Zou
seines ganzen Lebens aus (yan qi yi sheng chao wu chu ~;t1t-~JmffiJ;i). Ich weiß bloß Shouyi (Beiname: Dongkuo), der die geistige Autorität dieser Schule in der Präfektur
nicht, woher (wodurch, wie) man erreicht (cong he bian de f~,fiiJ{i!f~), dass das gerech- Ji'an war und an dieser Versammlung auch teilnahm, hatte Luo Hongxian gebeten,
te Handeln zur gewöhnlichen Sache wird, dass Übermaß und Ungenügen keinen in dieser Meinungsverschiedenheit den Schiedsrichter zu spielen. 385 Zou hat ihm
Grund mehr haben. Hier bedarf es vielmehr der Anstrengung des <Sichsammelns diese Rolle wohl nicht nur deshalb zugedacht, weil er ein hohes Ansehen hatte und
und Sich-bewahrend-Zusammenhaltens> (shou she bao ju zhi gong l&ffli{lil,~~J}J). Und
indem man auf diese Weise den Anfang [des <ursprünglichen Wissens>] sieht (jian
de duan ni ~f~Yffiiffi), muss man sehr gut fortschreiten. Wenn man mit dem jetzigen 382 Nian'anLuo xianshengwmji, a.a.O.,juan 5, S. 51a-b; Luo Hongxianji,Nanjing 2007,juan 3, S. 86.
383 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 3, § 5, Abschnitt a), S. 581.
384 «Lektüre von Shuangjiangs [Nie Baos] Kritik am <Abriss über die Verwirklichung des ursprünglichen
Wissens>», Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 18, S. 697; teilweise aufgenommen im MRXA,juan
381 Nian'an Luo xian shmg wenji (Ausgabe der Yongzheng-Ära der Qing-Dynastie),juan 5, S. 51a; 18, Beijing 1985, S. 428.
Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 86. 385 Zu Liu Bangcai und Zhou Shouyi (Dongkuo) siehe oben in der Einleitung zu Teil II den§ 6.
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«Gastgeber des Ortes» war, 386 sondern auch, weil er die Auffassungen von Nie Bao erst später angefügt wurde. 391 Demnach handelt es sich bei diesem «Zwiegespräch
und Wang Ji, die dabei im Spiel waren, gut kannte und selbst den Weg zwischen ihnen mit Liu Shiquan» wahrscheinlich um eine redaktionelle Kombination zweier Gesprä-
finden musste. Luo Hongxian berichtet: «Dongkuo [Zou Shouyi] sagte mir: <Shiquan che, einerseits jener «ungelösten Diskussion» vom Sommer 1554, andererseits eines
[Liu Bangeai] und Longxi [Wang Ji] haben eine ungelöste Diskussion (wei liao yu späteren Gesprächs zwischen den beiden. Vielleicht stammt diese Kombination noch
* 7 lfif), es bedarf Ihres Urteils.> Ich antwortete: <Ich möchte hören, was die beiden
Brüder zu ihren Auffassungen zu sagen haben.> Während zweier Tage diskutierten sie
von Wang Ji selbst, oder sie wurde erst bei der Redaktion der «Gesammelten Werke»
Wang Jis durch seine Schüler hergestellt. 392
hin und her.» 387 In diesen Diskussionen und Stellungnahmen verdient nicht nur Liu Liu Bangcai versuchte damals, durch seine eigene Lehre Nie Baos Auffassung der
Bangcais Auffassung der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» Beachtung, «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» durch die Stärkung von dessen «Sub-
sondern auch Luo Hongxians sehr klare Formulierung seiner damals «seit ein, zwei stanz» in der <<Stille» mit der auf die Tätigkeit ausgerichteten Lehre der Schule Wang
Jahren» gewonnenen neuen Sichtweise. Yimgmings zu versöhnen. Er lehrte ein zweifaches «Verwirklichen des ursprünglichen
Über diese Diskussion zwischen Liu Bangcai und Wang Ji gibt es nicht nur die Wissens», nämlich eine «Anstrengung der Aufrichtung der Substanz [des <ursprüng-
Aufzeichnung in Luo Hongxians «Sommerreise» von 1554, sondern wahrscheinlich lichen Wissens>]» (li ti zhi gong "1L d.z:i:.:I.J) und eine «Anstrengung der Verwirklichung
auch eine in Wang Jis «Gesammelten Werken» unter dem Titel «Zwiegespräch mit seiner Funktionen» (zhi yong zhi gong 3ill}l=J;z:i:.:I.J). Luo Hongxian berichtet von der
Liu Shiquan [Liu Bangcai]». 388 In diesem «Zwiegespräch» wird berichtet:, dass Liu zweitägigen Diskussion am «Dunklen Teich»: «Das Wesentliche von Shiquans [Liu
Bangcai Wang Ji auf dem Boot besuchte, als dieser in Luling il~ war, und ihn um Bangcais] Meinung war das Folgende: Im Dasein des Menschen gibt es seine [vom
eine Stellungnahme zu seiner Schrift «Verborgenes im <Buch der Wandlungen»> (Yi Himmel bestimmte] Natur (xing 11.), und es gibt sein [individuelles] Leben (Schicksal:
yun jH,.1) 389 bat. «Luling» ist ein literarischer Name für die Hauptstadt der Präfektur ming $). Seine Natur liegt g·eheimnisvoll im Nichtgemachten (Unveränderlichen:
Ji'an, in deren Gebiet jene Versammlung beim «Dunklen Teich» stattfand und in miao yu wu wei M>1iHm~); 393 sein [individuelles] Leben ist mit dem Stofflichen ver-
der sich auch der Kreis Anfu ~m:, in dem Liu Bangcai zu Hause war, befand. Nach mischt (za yu you zhi ~ltlrHHt). Deshalb muss man zugleich [auf beiden Ebenen]
diesem «Zwiegespräch» sagte vVang Ji zu Liu Bangcai, dass seine Schrift nicht ganz kultivieren (jian xiu :MiJJ), erst dann kann man von [ethischem] Lernen sprechen. Das
dem «Buch der Wandlungen» entspreche, sondern trotz guten Grundsätzen auch Herrschende unseres Herzens (wu xin zhi zhu zai ~,t,,.z:±:*) ist die Natur (xing 11.);
selbstersonnene Meinungen enthalte. Daraufhin folgen in diesem «Zwiegespräch» die Natur ist das Nichtgemachte (Unveränderliche: wu wei zhe mt~~). Deshalb muss
Liu Bangcais Darstellung seiner Auffassung des ethischen Lernens und dann eine man zuerst aus den zahlreichen Geschäften heraustreten (shou chu shu wu "ffi" t±lmWJ), 394
Replik Wang Jis, die beide zum Teil wörtlich den Aussagen der beiden Diskutanten um die Substanz [unseres Herzens] aufzurichten (yi li qi ti J.,j_"1l;!tlffl). Die Auswirkun-
in Luo Hongxians Aufzeichnung in seiner «Sommerreise» von 1554 entsprechen. gen unseres Herzens (wu xin zhi liu xing ~,t,,.z5Jit1'r) sind unser [individuelles] Leben
Die Annahme liegt also nahe, dass dieses «Zwiegespräch mit Liu Shiquan» die «un- (Schicksal: ming $ ); das Leben hat Stoffliches (you zhi zhe 1iiK ~). Deshalb muss man
gelöste Diskussion» wiedergibt, zu der Zou Shouyi von Luo Hongxian im Sommer sich zu jeder Zeit wandeln (sui shi yun hua i!IB~311t), um seine Funktionen zu verwirk-
1554 beim «Dunklen Teich» (Xuantan ~~) ein Urteil wünschte. Doch bezieht sich lichen (yi zhi qi yong ~JkJ'tffl). Beständig bewusst sein (wissen), ohne in Gedanken zu
in diesem «Zwiegespräch» WangJi auf die Aufzeichnung von Luo Hongxian in seiner verfallen (chang zhi bu luo nian m-~::f5i2), das ist die Anstrengung der Aufrichtung
«Sommerreise» von 15 54: <<Früher beim <Dunklen Teich> (Xuantan ~~) hat Nian'an der Substanz. Beständig weitergehen, ohne sich auf Gedanken zu fixieren (chang guo bu
[Luo Hongxian] dies [nämlich die Auffassung von Liu Bangcai] in großen Umrissen chengnian m,)§::ff.iX.~), 395 das ist die Anstrengung der Verwirklichung der Funktionen.
auch so aufgezeichnet.» 390 Nach diesem Hinweis müsste also das «Zwiegespräch»
zwischen Wang Ji und Liu Bangcai später als die Versammlung am «Dunklen Teich»
von 15 54 stattgefunden haben. Auch enthält es an seinem Ende ein Stück, das nicht 391 Siehe unten in diesem Paragraphen, S. 719,Anm. 423.
zur Diskussion in jener Versammlung beim «Dunklen Teich» passt und ihr vermutlich 392 In Huang Zongxis (1610-169 5) MRXA ist auch in der Einleitung zum Kapitel über Liu Bangcai ein Bericht
über diese Diskussionen enthalten (juan 19). Dieser Bericht beruht aber kaum auf einer eigenen Aufzeich-
nung von Liu Bangcai, sondern gibt wohl gekürzt die Aufz'eichnung von Luo Hongxian wieder, die sich
in ähnlich gekürzter Form auch schon im Kapitel des MRXA über Luo Hongxian (juan 18) findet.
393 «Wit wei AA~», wörtlich übersetzt: «nicht machen» oder «nicht gemacht», ist ein daoistischer
386 Siehe oben den§ 1, S. 639. Ausdruck zur Charakterisierung des Wirkens des ewigen Dao, es ist aber auch die chinesische Über-
387 Nian'an Luo xiansbeng wen ji (Ausgabe der Yongzheng-Ära der Qing-Dynastie),juan 5, S. 49a; Luo setzung des buddhistischen Sanskrit-Wortes asamskrita, welches das «Nichtzusammengesetzte»
Hongxianji, Nanjing 2007,juan 3, S. 85. bedeutet, das über Entstehen und Vergehen steht.
388 Yit Sbiquan Uuzi wen da, Wang Longxi quanji (1822),juan 4, S. 4b-5b (T.tipei 1970, S. 284-286); Wang 394 In Wang Jis «Zwiegespräch mit Liu Bangcai» steht anstatt «aus den zahlreichen Dingen heraustre-
.Jiji, Nanjing 2007,fuan 4, S. 8lf. ten»: «heraustretend sich loslösen (cbu tuo :±lfüt)»; Wang Longxi quttnji (1822),jurm 4, S. 4b (Taipei
389 Diese Schrift ist teilweise oder vollständig im Kapitel über Liu Bangcai im MRXA,juan l 9, Beijing 1970, S. 284); VVang.Jiji, Nanjing 2007,juan 4, S. 81.
1985, S. 440-442, angeführt. 395 In WangJis «Zwiegespräch mit Liu Bangcai» steht anstatt «beständig weitergehen» (cbang guo m"ltfil):
390 Wang Longxi quanji (1822),juan 4, S. 4a (T.üpei 1970, S. 284); Wang.Jiji, Nanjing 2007,juan 4, S. 81. «beständig sich bewegen» (cbang yun m"lm); ebd.
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Diese zwei Anstrengungen dürfen nicht miteinander vermischt werden (bu ke xiang za ltll).»401 Liu Bangcai stützt sich hier auf Zhu Xis Unterscheidung zwischen der
=fi:iJ*IU'#). 396 So hält das Bewusstsein beständig an (steht beständig still: zhi chang zhi «vom Himmel bestimmten (ming $) Natur (xing lt)» des Menschen, die sein unver-
~~.It), 397 und die Gedanken sind auch beständig fein (nian chang wei ~m"~). Diese änderliches, individuell nicht verschiedenes normatives «Ordnungsprinzip» ist, und
Lehre habe ich durch eine tiefgehende Umkehr erlangt, nachdem ich [von der Lehre] seinen individuell verschiedenen und sich verändernden faktischen «Lebensschick-
vom jetzigen (gegenwärtig vorhandenen) <ursprünglichen Wissen> in die Irre geführt salen» (ming $) auf der Ebene seiner «Natur der Energien und des Stofflichen»
wurde (wei xian zai liang zhi suo wu ~IJH±l0llP1f~). 398» 399 (qi zhi zhi xing lf.ff ;z lt). Das Wort «ming $», das je nach Kontext mit «Befehl»,
Offenbar war auch Liu Bangcai von Wang Jis Lehre von der Vollständigkeit des «Auftrag», «Bestimmung», «Schicksal», «Geschick» oder «Leben» zu übersetzen
jetzigen (gegenwärtig vorhandenen) «ursprünglichen Wissens» enttäuscht worden. ist, hatte für die Konfuzianer der Song- und Ming-Zeit aufgrund ihres Kanons zwei
Wie Nie Bao unternahm auch er eine ethische «Anstrengung» in der Loslösung verschiedene Bedeutungen: Einerseits steht es im ersten Satz des ersten Kapitels des
von den Gedanken an die Geschäfte und Dinge in der Ruhe durch ein «beständiges Zhongyong in der Definition der Natur (xing lt) des Menschen als «das, was der Him-
Bewusstsein der Substanz» im Sinne des «Anhaltens beim höchsten Guten» (erstes mel bestimmt hat» (ming $), und wurde als die allgemeingültige Norm des mensch-
Kapitel des Daxue). In Hinsicht darauf schied er wie Nie Bao streng zwischen der lichen Handelns verstanden. Anderseits bezeichnet dieses Wort, besonders im Buch
stillen «Substanz» des «Herzens» (bzw. des «ursprünglichen Wissens») und dessen Mengzi, faktische individuelle Unterschiede der Menschen zwischen kurzem oder
«Funktionen» oder Tätigkeiten. Aber im Gegensatz zu Nie Bao hielt er auch an langem Leben, zwischen verschiedenen physischen, psychischen und moralischen
der Notwendigkeit des «Verwirklichens des ursprünglichen Wissens» im Wandel Dispositionen oder Fähigkeiten, zwischen Reichtum und Armut, hoher und niederer
der Tätigkeiten, im «Berichtigen der Handlungen» fest. So lehrte er zwei ethische sozialen Stellung usw. Es hat in dieser Bedeutung auch einen normativen Sinn: Man
«Anstrengungen», die eine auf der Ebene der «Substanz» des Herzens, die andere soll sein «Geschick aufrecht halten» (li ming !L.$),402 das heißt seinem «Geschick»
auf der Ebene seiner Tätigkeiten oder «Funktionen». Die Anstrengung auf der als seiner «richtigen» individuellen Bestimmung (zheng ming IE$) entsprechen
Ebene der Tätigkeiten sah er, nach seinen oben wiedergegebenen Ausführungen zu und nicht durch falsches Verhalten sich ein «unrichtiges Geschick» (bu zheng ming
schließen, in einer Befreiung von der Verhaftung an fixe Meinungen bzw. in einem =fiE$) zuziehen. 403 Zhu Xi hat ausdrücklich zwischen diesen beiden Grundbedeu-
stetig sich anpassenden Antworten auf die Anforderungen der sich laufend wan- tungen von «ming $» als menschlicher «Natur» und als individuellem Geschick
delnden praktischen Situationen des individuellen Lebens. Zur Begründung dieser unterschieden und sie mit seiner Unterscheidung zwischen der «vom Himmel be-
Zweiheit der ethischen Anstrengungen unterschied er zwischen der unveränderli- stimmten Natur» auf der Ebene des allgemeinen «Ordnungsprinzips» des Menschen
chen allgemeinen «Natur» der Menschen (xing lt) und ihrem individuellen, sich und der von Mensch zu Mensch verschiedenen «Natur auf der Ebene der Energien
verändernden psychophysischen Leben (ihren individuellen «Lebensschicksalen»: und der Stoffe» korreliert. 404 Liu Bangcais Begriff des «ming $» liegt auf der Ebene
ming $).Erschreibt in seinem Yiyun («Verborgenes im <Buch der Wandlungen»>): dieser «physischen» Natur.
«Das einem selbst Eigene ist das vom <Schicksal> Verliehene (ji zhe ming zhi suo hing Es scheint, dass Liu Bangcai mit seiner Lehre von der zweifachen ethischen
2.~$-;zi'Jf:ll); die Moral (allgemeine Sitte) ist das, was in der Natur enthalten i.st (li Anstrengung nicht allein war, sondern dass sie auf den «Patron» der Schule Wang
zhe xing zhi suo ju tl~lt;zpJf ~). Im Leben der Menschen ist ihre Natur eine, doch Yangmings in der Liu-Sippe von Sanshe, auf Liu Xiao (1481-15 63 ), zurückging, über
ihre <Schicksale> sind verschieden (xingyi erming shu lt-rni$~). 400 Deshalb entspre- den wir in der Einleitung zu diesem Teil II berichtet haben. 405 Liu Bangcai schrieb
chen die Fehler der Menschen ihren jeweiligen Besonderheiten (ge yu qi dang *Af-
401 MRXA,juan 19, Kapitel über Liu Bangcai, Beijing 1985, S. 440.
402 Siehe oben in der allgemeinen Einleitung den§ 4, S. 25.
403 Zum Unterschied zwischen «richtigem» und «nicht richtigem Geschick>> siehe Mengzi, 7. Buch,
396 In Wang Jis «Zwiegespräch mit Liu Bangcai» steht anstatt «dürfen nicht miteinander vermischt l. Teil, Kap. 2: «Mengzi sagte: <Alles ist Geschick (ming $), man muss das richtige [Geschick] be-
werden»: «dürfen nicht voneinander getrennt werden (bu ke xiang li 1'i'iH§Mit), sie müssen beide folgen und annehmen (shun shou qi zheng JlliB!k:.l'tIE). Deshalb steht derjenige, der um sein Geschick
kultiviert werden»; Wang Longxi quan ji (1822),juan 4, S. 46 (faipei 197 0, S. 284); Wang Ji ji, N anjing weiß, nicht unter eine dem Einsturz nahe Mauer. Wenn ein Mensch ganz seinen wahren Weg geht
2007,juan 4, S. 81. Die Formulierung in Wang Jis Text steht dessen eigener Auffassung näher. Die und dabei umkommt, ist dies sein richtiges (wahtes) Geschick (zheng ming IElfti). Wenn jemand [als
chinesischen Zeichen für «vermischen» und «trennen» sind übrigens ähnlich, so dass eine Ersetzung Verbrecher] in Handschellen und Fesseln stirbt, ist dies nicht sein richtiges (wahtes) Geschick (bu
sieh leicht einstellt. zheng ming 1' IE $).»
397 Anspielung auf Grundkapitel des Daxue: «Das Lernen der Großen [... ] besteht im Anhalten beim 404 Zu Zhu Xis Unterscheidung zwischen diesen zwei verschiedenen Begriffen von «ming $» siehe seine
höchsten Guten.» «Gespräche nach Themen geordnet» (Zhuzi yu lei),juan 4, Beijing 1986, S. 76-81, oder Zhuzi quan
398 Dieser letzte Satz fehlt in WangJis «Zwiegespräch mit Liu Bangcai». shu,Ausgabe von l 714,juan 43, S. 27b-37a (in einer Auswahl übersetzt in Wing-tsit Chan: A Source
399 Nian'an Luo xianshengwen ji (Ausgabe der Yongzheng-Ära der Qing-Dynastie), juan 5, S. 49a-b; Luo Book in Chinese Philosophy, S. 626-628). Zu Zhu Xis Unterscheidung zwischen der «vom Himmel
Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 85. bestimmten Natur» und der «Natur der Energien und der Stoffe» siehe oben in der allgemeinen
400 Anspielung auf Zhu Xis Formel: «li yi Jen shu Jll!-1HJI<» («Das Ordnungsprinzip ist eines, aber es Einleitung den § 4, S. 31.
differenziert sich [durch das qi, die stoffliche Energie]»). 405 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den § 6, S. 346f.
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in einem «Vorwort» zu einer Art Festschrift zu Liu Xiaos «hohem Alter» (shou a) sind sie verschieden (xian zai liang zhi yu sheng ren tong yi !Jl,{:EJ§l~J.lil~)._'9]~)?>
(d.h. zu seinem 59. Geburtstag [60 suiJ im Jahr 1540 oder zn seinem 69. Geburtstag Shiquan [Liu BangcaiJ antwortete: <Es ist nicht dasselbe (bu tong 1''91).> [WangJil frag-
[70 sui] im Jahr 1550 oder zu seinem 79. Geburtstag [80 su1] im Jahr 1560): «Meiyuan te: <Wieso?> Jl ,iu BangcaiJ antwortete: <Das <I lcrz eines Neugeborene11> (chi zi zhi xin
[Liu Xiao] sagte: <Das <Herz des Menschern ist das Herz, das [in seinen Funktionen] ß.r-rz,t,,), 409 das <Wissen des Kleinkindes> (hai ti zhi zhi ~mz~),410 das <Wissen und
auf die Erregungen antwortet (gan ying zhi xin ~~z,C,,); das <Herz des Dao>406 ist das Können> (zhi neng ~□~~) 411 der gewöhnlichen J ,eute ist mit dem noch nicht geläuterten
*
I Terz der Substanz (ben ti zhi xin Uz 1 C,,). Wenn man hier keinen Unterschied macht, Golderz vergleichbar, das man noch nicht Gold nennen kann. In Wirklichkeit ist es
ist es schwierig, dass die Begierden keinen Einfluss ausüben.> Ein andermal sagte er vom laut- und geruchlosen <natürlichen klaren (hellen) Gewahren> (zi ran zhi mingjue
wiederum zu mir: <Wenn man die geistige Konzentration (Ehrfurcht:jingl() und die ~ ~zsJHi) 412 [des heiligen Menschen] noch weit entfernt. Denn jene sind bloßes Yin
Gerechtigkeit (yi ~) miteinander vermischt und nicht voneinander unterscheidet, (bloßes Dunkel: chun yin &it!~) und nicht wahres Yang (wahres Helles: zhen yang Ä~).
dann geraten die Substanz (ben ti *H) und die Auswirkungen (liu xing mth) in glei- Um das wahre Yang (das wahre Helle) wiederherzustellen (fu zhen yang iiÄ!!j), muss
cher Weise in den Bereich des Sehens und Hörens (luo wen du ii~ffi) [d.h. in den man Himmel und Erde öffnen (vom Ursprung ausgehen: kai tian pi di lffl~lffl:ttk) und
Bereich der entstandenen Gefühle (yi Ja 2~)].> Ich fragte: <Warum?> Er antwortete: das Qian (das Männliche, Schöpferische, den Himmel) und das Kun (das Weibliche,
<Die <Konzentration> dient zum Gerademachen des Inneren (zhi nei i][pg), sie ist das Empfangende, die Erde) fest einrichten (cling li qian leun W'FI-J'L~:1$); erst so erreicht
*
Gesetz des Herrschenden [im Herzen] (zhu zai zhi chang .:E. z m-); die Gerechtigkeit
dient zum Richtigmachen des Äußeren (fang wai J:J9~), sie ist das Gesetz des Antwor-
man es. 413 Wenn man das gegenwärtig vorhandene <ursprüngliche Wissen> zum
herrschenden Prinzip macht (yi xian zai liang zhi wei zhu J;.l.JJitE.Bl~~:i:), dann kann
tens auf die Erregungen (gan ying zhi chang ~~Z~). Wie würde die Tugend nicht man unmöglich in den Bereich des Heiligen eintreten.»414 Liu Bangcai betrachtet
verwaisen, wenn die Gefühle ins Innere eingehen (qing zhuan nei 1!-fipg) und wenn 1
also wie Nie Bao und Luo Hongxian das «ursprüngliche Wissen» des gewöhnlichen
die Stille ins Äußere austritt (ji she wai illil5.lH1~)!»>407 In dieser Rechtfertigung seiner Menschen nicht als etwas Vollständiges, sondern vergleicht es, wie Wang Yangming in
dualen Auffassung der ethischen Praxis bezieht sich Liu Xiao auf eine Stelle aus dem seinen frühen Äußerungen darüber, mit dem durch andere Mineralien verschmutzten
«Buch der Wandlungen». 408 Die Zweiheit der Kultivierung der Substanz des Herzens Golderz. 415 Er braucht Ausdrücke aus dem Zusammenhang von - wahrscheinlich teil-
durch die meditative «Konzentration» und der Kultivierung der Funktionen (Aus- weise daoistischen - Spekulationen zum «Buch der Wandlungen», um es und seinen
wirkungen, Handlungen) durch die «Gerechtigkeit» entspricht genau Liu Bangcais Läuterungsprozess zu beschreiben.
Unterscheidung von 1554 im Qingyuan-Gebirge. Luo Hongxians «Aufzeichnung der [zweiten] Sommerreise» (1554) fährt folgen-
Diese Zweiheit will wohl einer doppelten ethischen Forderung genügen: einer- dermaßen fort: «Longxi [Wang Ji] antwortete [Liu Bangcai]: <Man kann tatsächlich
seits der Forderung, durch eine innere meditative Vertiefung sich von den die Men- nicht sagen, dass das jetzige (gegenwärtig vorhandene) <ursprüngliche Wissen> auf
schen entzweienden Wünschen oder Begierden zu befreien und sich dadurch auf die der Entwicklungsstufe des heiligen Menschen sei (shi sheng ren ti duan ~~AHn).
Ebene der allgemeinen «nicht gemachten» menschlichen «Substanz» oder «Natur» Aber man kann auch nicht sagen, dass das Licht aus einer Ritze (.yi xi zhi guang -~
zu erheben (li ti .fl.H), und andererseits der Forderung, im eigenen Handeln gemäß z;Jt,) durchaus nicht das Licht sei, das alles erhellt (jue fei zhao lin si biao zhi guang
den eigenen individuellen Veranlagungen und den geschichtlichen Lebensumständen 5k1~.!l«!/itm~zjt),> Er zeigte auf den bewölkten Himmel und fuhr fort: <Die Sonne des
sein eigenes «Geschick aufrecht zu erhalten» (li ming .fl.$). Diese Idee einer beson- heutigen Tages ist an sich nicht ohne Licht, aber sie wird von Wolken verdeckt und
deren individuellen Komponente der Ethik ist innerhalb der Schule Wang Yangmings verdunkelt. Wenn man sagt, dass die gewöhnlichen Leute bloßes Yin (bloßes Dunkel)
wohl eine Eigenheit der Liu-Sippe. seien, ist dies davon nicht verschieden. Wenn Sie nun vom Öffnen von Himmel und
Nach Luo Hongxians Bericht in seiner «Sommerreise» von 15 54 schloss sich an Erde und vom festen Einrichten von Qian und Kun sprechen, dann kann man dabei
die Darstellung Liu Bangcais folgendes Gespräch zwischen diesem und Wang Ji an: kein anderes (verschiedenes, neues) Qian und Kun suchen wollen, sondern nur die
«Longxi [Wang Ji] fragte: <Ist das gegenwärtig vorhandene <ursprüngliche Wissen>
[des gewöhnlichen Menschen] dasselbe wie dasjenige des heiligen Menschen, oder
409 Ausdruck aus Mengzi, 4. Buch, 1. Teil, Kap. 12.
410 Anspielung auf Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15.
406 Der Gegensatz von «Herz des Menschen» und «Herz des Dao» stammt aus dem Shujing («Klassiker 411 Anspielung auf lvlengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15.
der historischen Dokumente»), «Ermahnungen des großen Yu». 412 Das ist vVang Jis Definition des aktuellen «ursprünglichen Wissens»: siehe oben in diesem 'leil II,
407 «Epitaph» (geschrieben von Liu Yang) für Liu Xiao, aufbewahrt im Museum von Anfu, Provinz Kap. 3, § 5, S. 578 und S. 613.
Jiangxi; siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den § 6, S. 347, Anm. 346. 413 Liu Bangcai benutzt hier zur Beschreibung der Wiederherstellung des «natürlichen hellen Bewusst-
408 «Kommentar» (H7enyan) zum zweiten Hexagramm (kmz :!$): «Der Edle ist ehrfurchtsvoll (konzen- seins» die Sprache der daoistischen «inneren Alchemie» (nei dan i;l;I fl-) zur Gewinnung des «goldenen
triert), um das Innere gerade zu machen (jingyi zhi nei l/&Pjl[ i;l;I), er ist gerecht, um das Äußere richtig Elixiers» (jin dan ,i fl-).
zu machen (yi yi fang wai ~J.-::t:l:i"9~).» Vgl. die Übersetzung von Richard Wilhelm: J Ging. Das Buch 414 Nian'an Luo xiansheng wenji,juan 5; S. 49b; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,jumz 3, S. 85f.
der Wandlungen, Düsseldorf, Köln 1972, S. 362. 415 Siehe Chuanxi lu I, Nr. 99, Quanji,juan l, Shanghai 1992, S. 27; vgl. oben in Teil I das Kap. l, S. 128.
718 719

Wolken beseitigen und so durch wiederholte Anstrengung aufgrund des alten (immer hier auch das Gleichnis des verschmutzten Golderzes ab. Zwar verwendet auch er an
schon vorhandenen) Sonnenlichtes alles erhellen (yi qiu ri guang chao lin si biao ~- anderen Stellen dieses Gleichnis, aber nicht für das «ursprüngliche Wissen», sondern
1:1 J'clffll!iiID:i~).»416 für die «Läuterung» von den Begierden in der Anstrengung der «Verwirklichung des
Im «Zwiegespräch mit Liu Bangcai» in den «Gesammelten Werken» Wang Jis ursprünglichen Wissens». 421
trägt dieser seine Antwort etwas anders vor. Ohne an diese Antwort anzuknüpfen, Nach dieser Kritik der Unterscheidung zwischen dem «jetzigen (gegenwärtig
nimmt er zudem auch kritisch Stellung gegen Liu Bangcais Lehre von der zweifachen vorhandenen) ursprünglichen Wissen» und demjenigen des heiligen Menschen,
ethischen Anstrengung. Auch nach diesem «Zwiegespräch» verneint Liu Bangcai die wendet sich Wang Ji in diesem «Zwiegespräch», das sich in seinen <<Gesammelten
Identität des «jetzigen (gegenwärtig vorhandenen) <ursprünglichen Wissens»> mit Werken» findet, unvermittelt auch gegen Liu Bangcais Aufteilung der ethischen «An-
dem «ursprünglichen Wissen» der heiligen Menschen; es fehlt aber die Beschreibung strengung» auf die Ebene der «Natur» (xing 11) und auf diejenige des «Lebensschick-
in den kosmologischen Begriffen des «Buches der Wandlungen», und auch Wang Ji sals·» (ming fit). Diese zweite Kritik Wang Jis fehlt in Luo Hongxians Aufzeichnung
antwortet in diesem «Zwiegespräch» ohne Bezug auf sie: «Der verstorbene Lehrer seiner «Sommerreise» von 1554. Im «Zwiegespräch» heißt es: «Das <ursprüngliche
[Wang Ji] sagte: <Früher [im Sommer 1554 in der Versammlung] beim <Dunklen Wissen> ist sowohl das Herrschende (zhu zai ::E $) [in unserem Herzen] als auch [des-
Teich> (Xuantan J?;;Jt) hat Nian'an [Luo Hongxian] dies [die Auffassung von Liu Bang- sen] Auswirkungen (liu xing 5.mfi); es ist von Anfang an das Prinzip, das die <Natur>
cai] in Umrissen auch aufgezeichnet. 417 Als der verstorbene Lehrer [Wang Yangming] und das <Lebensschicksal> vereint (xing ming he yi zhi zong 11fitß-- ;z*)- Deshalb ist
die zwei Wörter <1011> (liang zhi: ursprüngliches Wissen) emporhob, meinte er damit die ethische Anstrengung des <Verwirklichens des ursprünglichen Wissens> nur eine
gerade etwas Jetziges (Gegenwärtiges: xian zai JJi1':E). Das jetzige (gegenwärtig vorhan- einzige Anwendung (zhi you yi chu yong .R~-JJiffl). Wenn Sie nun meinen, dass man
dene) <ursprüngliche Wissen> ist keineswegs von demjenigen des heiligen Menschen [einerseits] [aus den Geschäften] heraustreten und sich davon lösen (chu tuo :±1.lffi:) und
verschieden (wei chang bu tong *11Pi'IE'J). Was verschieden ist, sind die Fähigkeit und andererseits sich [laufend] wandeln (yun hua iffl1~) müsse; dass man [einerseits] nicht
die Unfähigkeit, es zu verwirklichen (neng zhi yu bu neng zhi (fä~W=f ~~~). Es ist wie in Gedanken verfallen (bu luo nian =f>'i~) und andererseits sich nicht auf Gedanken
beim sich zeigenden Geweils erscheinenden) Himmel (zhao zhao zhi tian ~ ~ .z~) und fixieren (bu cheng nian 1' /5JG~) dürfe; wenn Sie so trennen, dann sind dies zwei ver-
dem weiten großen Himmel (guang da zhi tian Bl::k.z~), die an sich nicht voneinander schiedene Anwendungen (er yong =ffl) und somit eine Zersplitterung (zhi li ~~). Es
verschieden sind (yuan wu cha bie ~~~EU). Doch der sich zeigende Himmel ist in dem, ergeben sich dabei nur zahlreiche Vorstellungen (Phantasiebilder: yi xiang ~~); man
was man von ihm [jeweils] sieht (in seiner Erscheinung), begrenzt (xian yu suo xian kann letztlich nicht zum Einen zurückkehren (gui yi ffl-), und man kommt nicht
fl!tlJ'tPlf Ji), so dass es da Unterschiede in der Größe gibt. Wenn man meint, dass das dazu, seine Hände loszulassen (wei you tuo shou zhi qi *fl.lffi:=.FZJtß).»422 Es folgt dann
jetzige <ursprüngliche Wissen> von demjenigen der heiligen Menschen verschieden im «Zwiegespräch» noch ein weiteres Stück, das aber nicht zur Diskussion zwischen
sei, dann schreibt man ihm eine Verschmutzung zu (you wu ran ~5-5~) und meint, dass den beiden im Sommer 15 54 passt und wahrscheinlich ein späteres Gespräch zwischen
man es zuerst verbessern müsse (xiu zheng ~Jffll:),418 bevor man ins Heilige eintreten WangJi und Liu Bangcai wiedergibt. 423
könne.>»419 Wang Ji betont also, wie er es auch in vielen anderen Texten tut, 420 dass
das gegenwärtig erscheinende «ursprüngliche Wissen» mit seinem immer «voll-
kommenen eigentlichen Wesen» identisch ist, und gebraucht für dieses Verhältnis
die Gleichnisse der Sonne oder des Himmels, die für uns Menschen durch Wolken 421 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 2, § 5.
verdeckt werden, aber an sich dadurch nicht beeinträchtigt werden können. Es gilt, 422 Wang Longxi quanji (1822),juan 4, S. 5a (Taipei 1970, S. 285); WangJiji, Nanjing 2007,juan 4, S. 81.
«mit diesem immer schon vorhandenen Sonnenlicht alles zu erhellen», das heißt, das 423 Wir geben dieses Stück hier wieder: «Meister Liu [Bangcai] sagte: <Neulich habe ich diesen Fehler
[der Zersplitterung] auch durchschaut (jue po ci hing tUJ!Jlt~), aber ich habe mich daran [an die zwei-
«ursprüngliche Wissen mit dem ursprünglichen Wissen zu verwirklichen». Er lehnt fache Anstrengung] gewöhnt; ich glaube, dass ich dabei Kraft gewinne und kann es nicht vergessen.>
Der Lehrer [WangJi] antwortete: <Sie brauchen bloß die auf Unterscheidung beruhende dualistische
Sichtweise (Theorie) zu vergessen (wang fen hie er jian $1111:7.tßtl=J!), dann wird Ihre praktische
Anstrengung (gongfu) von selbst zur Einheit zurückkehren (gongfu zi ran gui yi JiJ;/i:§ ?&~-). Das
416 Nian'an Luo xianshengwenji, a.a.O.,juan 5, S. 50a; Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 86. ist die Anwendung, in der man die Hände loslässt (nicht selbst eingreift: tzto shou shou yong ßll::f 5'tffi)
417 Wie oben in diesem Paragraphen, S. 712f., bemerkt, ist dieses «Zwiegespräch mit Liu Bangcai» wohl und sich von nichts abhängig macht (wu deng dai 1!!{~~). Als unser Lehrer [Wang Yangming] diesen
eine redaktionelle Kombination der Diskussion zwischen WangJi und Liu Bangcai vom Sommer 15 54 Grundgedanken emporhob, hat er für ihn sein Herzblut verwendet. Wenn wir uns nicht wirklich
mit späteren Gesprächen zwischen den beiden. Der Hinweis auf Luo Hongxians Aufzeichnungen in anstrengen, werden wir diese Lehre in der Welt nicht ins Licht bringen können und werden Schuld
seiner «Sommerreise» von 15 54 stammt aus dieser späteren Redaktion. auf uns laden. Wir beide sind schon alt geworden; das ist nicht mehr die Zeit, um verschiedene Mei-
418 Zu diesem für die Differenzen innerhalb der Schule Wang Yangmings wichtigen Ausdruck «xiu zheng nungen zu unterscheiden. Wir sollten beide nur schweigend uns selbst kultivieren (zi xiu § ~), uns
~IDE» siehe im nächsten Paragraphen, S. 741, und im nächsten Kap. 5, S. 760. selbst gewahren (zi zheng § IDE) und Einsicht in uns selbst gewinnen (zi wu § ffi). Wenn wir diesen
419 Wang Longxi quan ji (1822),juan 4, 4b-5a (Taipei 1970, S. 284f.); Wang Ji ji, Nanjing 2007, juan 4, Weg befolgen und uns nicht von späteren Lehren beirren lassen (hu dan wu hou xue 1-Jt~~~), dann
s. 81. können wir uns gegenüber der Güte unserer Lehrers vielleicht dankbar erweisen.»> Wang Longxi quan
420 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 2, § 1. ji (1822),juan 4, S. 5a-b (Taipei 1970, S. 284f.); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 4, S. 81f.
720 721

In Luo Hongxians Aufzeichnung bittet Wang Ji unmittelbar nach seiner Kritik <Sichzurückholens und Sich-bewahrend-Zusammenhaltens> zur Einheit zurückge-
an Liu Bangcais Scheidung zwischen dem «jetzigen (gegenwärtig vorhandenen) führt werden (zhi shi shi shi hu ke wu shou she bao ju zhi gong shijing shen gui yi .R~B'ij'
ursprünglichen Wissen» und demjenigen der heiligen Menschen, also ohne direkt B'ij'1'J:tf1ml&ffl1i~LJ:.:bßeffiW!ill-) und immer leer und fest, täglich feiner und kräftiger
auf die Idee der Zweiheit der ethischen Anstrengung einzugehen, Luo Ilongxian, als werden. Man kann sich nicht einfach anf das <jetzige (gegenwärtige) [ursprüngliche
Schiedsrichter zwischen ihnen aufzutreten, und es ist hier dieser und nicht Wang Ji, Wissen>] berufen (zhi ren xirm zai il/HfJJitE) in der Meinung, dass es genüge (.yi wei
der die Zweiheit von Liu Bangcais ethischer Anstrengung kritisiert. Luo Hongxian zhi zu J..::1-~11:JE). Das ist der wahre Ort, wo ich und Sie, meine beiden Brüder, unsere
nahm nach seiner eigenen Aufzeichnung folgende Stellung ein: «Ich sagte: <Shiquan Energie anzuwenden haben.>»425
[Liu Bangcai] wurde in früherenJahren von der Auffassung, dass das <jetzige (gegen- Luo Hongxian kritisiert hier also, wie es Wang Ji in seiner Aufzeichnung des
wärtig vorhandene) ursprüngliche Wissen> mit seiner vollständigen Wirklichkeit [mit «Zwiegesprächs» tut, Liu Bangcais Idee einer zweifachen ethischen Anstrengung
seinem <eigentlichen Wesen>] identisch sei (xian zai liang zhi bian shi quan ti JJl.1±.& auf der Ebene der «herrschenden Substanz» des Herzens und auf derjenigen seiner
;;a-lf*±lll), in die Irre geführt. Deshalb hat er durch Prüfen und Erkennen seines «Funktionen». Er äußert <lese Kritik hier aber nur nebenbei, während sie für Wang
eigenen Herzens eine Lehre aufgestellt. Die Anstrengung der Lernenden muss ge- Ji fundamental ist, da das immer vollkommene «eigentliche Wesen des ursprüngli-
wiss so vorgehen. Aber wenn er zwischen einer ethischen Übung auf der Ebene des chen Wissens», von dem Wang Ji in seiner ethischen Praxis ausgehen will, immer
Herrschenden [der Substanz des Herzens (Geistes)] (zhu zai 3::~'.) und einer solchen Einheit von Substanz und ihren Funktionen ist. Umso erstaunlicher ist es, dass in
auf der Ebene der Auswirkungen [der Funktionen] (liu xing mtfi) trennt, dann ist es Luo Hongxians Aufzeichnung in seiner «Sommerreise» er selbst und nicht Wang Ji
schwierig, zur Einheit zurückzukehren (gui yi fiill-). Was Longxi [Wang Ji] geltend diese Kritik an der zweifachen ethischen Anstrengung Liu Bangcais äußert. Doch war
gemacht hat, geht bis auf den Grund. Man muss in der Tat Shiquan [Liu Bangcai] zu er in diesem Punkt mit Wang Ji einig. Das entscheidende Anliegen in Luo Hong-
verstehen geben, dass er den Gedanken des <jetzigen (gegenwärtigen) [ursprüngli- xians Stellungnahme liegt aber nicht in dieser Kritik, sondern in der Verbindung
chen Wissens>] aufnimmt (shou yong xian zai zhi shuo sltfflJJ'l.tE~~)- Doch erst durch von Liu Bangcais Forderung der größten eigenen Anstrengung im «Verwirklichen
ein Fortschreiten im <Sichzurückholen und Sichsammeln> (cong shou shejin bu f>tlß(ffli des ursprünglichen Wissens» und von Wang Jis Gedanken der Gegenwart des «ur-
424iltW), und zwar überall und ununterbrochen, gibt es eine wahre Einsicht (zhen wu sprünglichen Wissens». Er stimmt mit Wang Ji überein, dass das jeweils «jetzige
~ti!i); sonst treibt man nur Tändeleien. Nur so kann man die Nachteile beiderseits (gegenwärtige) ursprüngliche Wissen» des gewöhnlichen Menschen und dasjenige
[von WangJi und von Liu Bangcai] vermeiden und die Vorteile beiderseits gewinnen, des heiligen Menschen nicht etwas wesentlich Verschiedenes sind und dass es nicht
und nur so vergeudet man nicht den heutigen Meinungsaustausch. Was die Frage darum gehen kann, das gegenwärtige «ursprüngliche Wissen» durch ein anderes
der Gleichheit [des <ursprünglichen Wissens>] beim gewöhnlichen Menschen und zu ersetzen; und er pflichtet Liu Bangcai bei, dass das gegenwärtige «ursprüngliche
beim heiligen Menschen anbetrifft, habe ich in meinen <Aufzeichnungen der Som- Wissen» in unserem akn1ellen Bewusstsein nicht vollständig ist, sondern dass es mit
merreise> [von 1548, genauer, in ihrem <Anhang> von 1550/51] auch einmal meine größter eigener Anstrengung kultiviert werden muss: Man muss vom «ursprüngli-
Zweifel gehabt, aber ich ging nicht so weit wie Shiquan [Liu Bangcai] in seiner ra- chen Wissen», so wie es jetzt in unserem akn1ellen Bewusstsein gegeben ist, ausge-
dikalen Trennung (da jie ran :kii~). Die Heiligen und Weisen des Altertums haben hen und kann ihm aufgrund seiner wachsenden Klarheit und Beständigkeit in der
mit allem Eifer die Menschen nur dazu angeleitet, vom Jetzigen (Gegenwärtigen)· kontinuierlichen Anstrengung des «Sichzurückholens und Sichzusammenhaltens»
aus die Quelle zu suchen (cong xian zai xun yuan tou {/tIJ!tE~5J:ml:), und nicht dazu, sowohl während Ruhe als auch während der Tätigkeit immer mehr als Richtschnur
dieses [gegenwärtige] Herz [bzw. das gegenwärtige <ursprüngliche Wissen>] durch und Gesetz vertrauen und so allmählich zur «Einsicht» in sein «eigentliches Wesen»
ein anderes Herz auszuwechseln (bu ceng bie jiangyi xin huan que ci xin 1'~ J.lU!Wf-,t,,~ als seine wahre Quelle gelangen. Luo Hongxian spricht hier nicht ausdrücklich vom
WJl:t,t.,). Wenn nun der ältere Bruder [Liu Bangcai] sagt, dass man Himmel und Erde «ursprünglichen Wissen» als Gewissen, das zwischen eigenen guten und schlechten
öffnen und Qian und Kun fest einrichten müsse und damit meint, dass unsere genuine Intentionen unterscheidet. Ich nehme aber an, dass nach seiner Auffassung und Er-
Aufgabe nicht darin besteht, das Jetzige (Gegenwärtige) zu genießen (bu xiang xian fahrung durch das «Sichzurückholen und Sichzusammenhalten» nicht nur die guten
zai ::,;:~JJ'l.tE), dann ist dies gewiss aus einer schmerzlichen Erfahrung heraus gespro- intentionalen Gefühlsregungen der «Menschlichkeit» immer beständiger werden,
chen. Sie [diese genuine Aufgabe] kann nicht im Leeren hängend ausgeführt werden, sondern auch das kritische Gewissen sich immer mehr klärt und stärkt und sich im
sondern zu jeder Zeit kann unser geistiges Leben nur durch die Anstrengung des Handeln durchsetzt.

424 In der Ausgabe der Wanli-Ära der Ming-Dynastie steht anstatt «shou she i&Ni» («sich zurückholen»):
«she ju Jl;\Ill/.» («sich sammeln und aufnehmen»):juan 12, S. 44; siehe Wu Zhen 2001, S. 226; ebenso 425 Nian'an Luo xiansheng wen ji (Ausgabe der Yongzheng-Ära der Qing-Dynastie), juan 5, S. 50a-b;
in der Ausgabe von 2007,juan 3, S. 86. Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 3, S. 86.
722 723

§ 8 Eine kritische Schrift Luo Hongxians gegen Wang Ji vom Herbst 1554 dieser Präfe~r im Jahr 15_52 die ~ademie außerordentlich förderte, ihren großen i
und ihr Gespräch darüber während ihrer Begegnung im Chu-Gebirge Ausbau betrieb und WangJ1 und Q1an Dehong zur regelmäßigen Teilnahme an ihren 11
vom Sommer 1555 Versammlungen verpflichtete. 430 Diese «Aufzeichnung» vermittelt den Eindruck dass
Luo Hongxian mit ihr eine gewisse Korrektur an der Orientierung dieser Akad~mie
Wie wir in Paragraph 1 dieses Kapitels bemerkt haben, trafen sich Wang Ji und Luo
an WangJi anzubringen hoffte. Da die «Diskussion über das <ursprüngliche Wissen»>
Ho~gxian im Sommer 1555 im Chu-Gebirge südwestlich der heutigen Stadt Xiang-
zwischen ihm und WangJi vom folgenden Sommer vor ihrem Hintergrund geschieht
fan m der Provinz Hubei, als sich Luo Hongxian dort dem «Sitzen in der Ruhe»
geben wir sie hier in ihren philosophischen Aussagen wieder: '
unterzog. 426 Die Zusammenkunft dauerte wohl nicht lange, da Wang Ji das «Sitzen
«Das <Buch der Lieder> (Shijing) spricht davon [nämlich vom <hellen Licht> (xi
in der Ruhe» nicht so lange wie Luo Hongxian aushielt und das Chu-Gebirge bald
guang !fflJ't), dem Namen des mehrstöckigen Gebäudes der Shuixi-Akademie], indem
wieder verließ. Dennoch ist von diesem Treffen eine Aufzeichnung von der Hand Luo
es sagt: <Jeden Tag, jeden Monat vorangehen, das Lernen hat ein kontinuierlich fort-
Hongxians über ein Gespräch zwischen ihnen mit dem Titel «Diskussion über das <ur-
fahrendes Erhellen zur lichten Helle (xue you qi xi yu guang ming,._1i.lfflTJ'tllJ.l).>431
sprüngliche Wissen»> (Liang zhi bian 13HlljJ$) erhalten. 427 Die Schrift gibt zwar keinen
Wie kommt es, dass beim Erhellen von <kontinuierlichem Fortfahren> (qi •) die Rede
Ort und kein Datum dieser Diskussion an, aber Luo Hongxian bezieht sich in ihr auf
seine «Aufzeichnung über das mehrstöckige Gebäude des hellen Lichtes (Xiguanglou
Jffl,'6•) .~n der Shuixi-Akademie»,428 die auf den neunten Mond des 33. Jahres der
1'~•
ist? Die Helle des menschlichen Herzens wird immer wieder unterbrochen (ren xin
zhi ming bu neng wu jian duan ..A.Ji~,, ZIIJ.I rdJ II); man muss kontinuierlich fortfahren
(qi xu •M), erst danach kommt man zur lichten Helle (er hou di yu guang ming ffijfl
Jiajing-Ara, das heißt auf Ende September oder auf Oktober 1554, datiert ist, als Luo
~TJ'tllJ.I). Die lichte Helle (guangming J'tllJJ) erlangt man nur durch das <Lernen>, es
Ho~gxi3:° i~ der ~räf~ktur Ningguo in dieser Akademie429 weilte. Da sich Wang Ji,
handelt sich dabei noch nicht um eine leichte Sache (weiyi ranye *S~tk).» Mit der
soviel wir wissen, m diesem Herbst 1554 nicht in der Shuixi-Akademie aufhielt und
«immer wieder unterbrochenen Helle (ming IIJ.I) des menschlichen Herzens» verweist
da ~ich di_e beiden Freunde im Sommer 1555 wieder trafen, ist anzunehmen, dass jene
Luo Hongxian auf das im gewöhnlichen menschlichen Bewusstsein nur sporadisch
«D1skuss10n über das <ursprüngliche Wissen»> im Sommer 15 55 stattfand. Das nächste
auftretende «ursprüngliche Wissen» und mit der «lichten Helle» (guang ming ,'61lJ.I)
Treffen zwischen den beiden kam dann erst wieder im Dezember 15 62 zustande von
auf das vollkommene eigentliche Wesen des «ursprünglichen Wissens».
dem nicht diese «Diskussion», sondern andere Gespräche dokumentiert sind und bei
Dann bezieht er sich kritisch auf eine «Rede» («Lehre»: shuo ~) der damaligen
welchem auch unwahrscheinlich ist, dass ein acht Jahre alter Text zur Sprache kam.
Schule Wang Yangmings: «Doch die Lehre Wang Yangmings der neuen Generation
Luo Hongxian schrieb seine «Aufzeichnung über das mehrstöckige Gebäude
(jin shi Yangming Wang xian sheng zhi jiao jli'l!tltlllJ.I 3::$t~Z~) scheint davon verschie-
des hellen Lichtes (Xiguanglou Jffl,'6•) in der Shuixi-Akademie» nur gut zwei Mona-
den zu sein. Ihre <Rede> sagt (qi shuo yue ~~S): <Das <ursprüngliche Wissen> im
t~, nachdem er sich in der ProvinzJiangxi am 23. Juli 1554 von Wang Ji nach einer
Herzen des Menschen ist ganz leer und geisteskräftig, ganz nahe und göttlich-geistig
emen Monat dauernden gemeinsamen Zeit verabschiedet hatte. In seinem Geist
(zhijin er shen :?füliifü:jl!I); im verborgenen Alleinsein kann es nicht getäuscht, in seiner
waren also damals Wang Jis Gedanken über das «ursprüngliche Wissen» noch ganz
Feinheit kann es nicht verhüllt werden. Deshalb kann selbst die größte Torheit der
lebendig. Er bezieht sich aber in dieser Aufzeichnung nicht auf ihre Gespräche vom
gewöhnlichen Leute (fu fu zhi zhi yu 5\;;flm;z~m,) mit der vollendeten Fähigkeit der
vorang~gangenen Sommer, sondern auf eine <<Rede» oder «Lehre» (shuo tlt), die
heiligen Menschen (sheng ren zhi cheng neng ~.A.zl5.lG~) mithalten, und das, was <Maß
Wang ~1 wahrscheinlich für dieselbe Akademie aufgezeichnet hatte, da auch in ihr der
und Mitte der Edlen> (jun zi zhi zhongyong fet-rzi:j:!Jii) genannt wird, geht letztlich
~ame_Jenes Gebäudes, «helles Licht» (xi guang .!ffl"6), vorkommt. Allerdings findet
nicht über das hinaus, <Was das gewöhnliche Volk täglich anwendet> (bai xing zhi ri
s~ch diese «Rede», soweit ich sehe, nicht in den «Gesammelten Schriften» Wang
yong s~z 1:1 ffl). 432 Es [das <ursprüngliehe Wissen>] ist nicht verschieden von Sonne
J1s. Lu~ !fongxian nimmt in seiner «Aufzeichnung» dieser «Rede» gegenüber eine
und Mond, die am Himmel wandeln und nie [zu leuchten] aufhören, es ist nicht so wie
sehr kr1t1sche Haltung ein und stellt ihr seine eigene Lehre vom «Sich-Sammeln und
beim Feuer einer Fackel, das bald leuchtet und bald wieder verlischt (zha ming zha mie
Sichzusammenhalten» (shou she lian ju !.&:flml:~) gegenüber. Wang Ji war seit dem
-'t=IIJ.I 1=l»ii). Was nur scheinbar abbricht und wieder fortfährt, das kann man, indem man
allmählichen Entstehen der Shuixi-Akademie der Präfektur Ningguo im Jahr 1548
es verwirklicht, nicht verlieren (ke fangfu qi duan xu zhe, zai zhi zhi er bu shi er 1:iJT.tit,I:
ih~_Mentor, und ?ie «Auf~eich~ung» Luo Hongxians von 1554 ist an den damaligen
!UIJr~:fftE~Zim=f ~I+). [ ... ] Denn wie könnte sich seiri <helles Licht> (xi guang ~!'\,'6)
Prafekten von Nmgguo Lm Q1zong ~J Jm~ gerichtet, der seit seinem Amtsantritt in

430 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 9.


426 Siehe oben, S. 640. 431 Shijing, Ode 288, Jing zhi Wc;z., ich übersetze gemäß Luo Hongxians Interpretation; vgl. Karlgren,
427 LuoHongxianji,Nanjing 2007,juan 1, S.16f. Bernhard: The Book ofOdes, 1950, S. 248; Legge,James: The Book ofPoetry, Hongkong 1960, Part IV;
428 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 4, S. 124--126. Bookl, iii, Ode IV; S. 599; Waley,Arthur: The Book ofSongs, 1937, Song 229, S. 234.
429 Zu dieser Akademie sie oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 9. 432 Anspielung auf den «Großen Anhang» (Xici), Teil I, Kap. 5, des «Buchs der Wandlungen».
724 725

[Name jenes Gebäudes!] erschöpfen. Doch es geht nicht über die Feinheit des einen sporadischen, immer wieder unterbrochenen Auftreten des «ursprünglichen Wissens»
Denkens hinaus (jie bu chuyu yi nian zhi wei ~1'1±1M-~Zil'&:) und beruht auch nicht in seinem Bewusstsein spricht, sondern auch vom bloß sporadischen Glauben an oder
auf der geringsten Kraftanwendung (bujia hu xian hao zhi li 1'1~PftiU~iZ.JJ). Darum Selbstvertrauen (zi xin gJ m) in die Vollständigkeit des «ursprünglichen Wissens» beim
heißt es: <Es ist das, wodurch der Himmel mit uns ist (tian zhi suo yi yu wo ~ ZPfr P), Hören jener «Lehre». Er machte die Erfahrung, dass auch ein solcher «Glaube», ein
~~).»>,j 33 Ganz offensichtlich ist diese «Lehre» oder «Rede» die Lehre oder eine solches «Selbstvertrauen» in seinem Leben nicht standhielt.
Rede W.,ng Jis. Nach ihrem Inhalt und Stil vermute ich, dass es sich bei ihr nicht um Danach stellt Luo 1 Iongxian seine Auffassung vom «kontinuierlichen Fortsetzen
Luo Hongxians eigene Darstellung der Lehre Wang Jis, sondern wahrscheinlich um des Hellen» bzw. vom «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» dar. Er zielt dabei
ein Zitat eines Textes handelt, den WangJi für die Shuixi-Akadernie geschrieben hatte auf sein Vorgehen des «Sichsammelns und Sichzusammenhaltens» (shou she lian ju l&
und dem Luo Hongxian als Korrektur seine Idee des «schwierigen» und «allmähli- ffiß.Hll) ab. Zuerst greift er dafür die in der «Rede» Wang Jis verwendeten Analogien
chen» Lernens gegenüberstellen will. bzw. Metaphern des Leuchtens der Sonne, des Mondes und von Feuerfackeln auf, die
Luo Hongxian schildert danach, wie er selbst in früheren Jahren sich die dieser wir hier übergehen. Dann schreibt er: «Das <Sichsammeln und Sichzusammenhalten>
«Rede» zugrunde liegende Auffassung anzueignen versuchte, dann aber Distanz zu steht nicht im Gegensatz zu den Tätigkeiten in der Zeit (fei dui shi zhi dong er yan zhi
ihr nahm, wobei das Entscheidende seine Erfahrung des bloß sporadischen, nicht 3~1ftBt;zlbii'iJ~;z). [Vielmehr] macht das <Wissen um das Anhalten beim höchsten
kontinuierlichen hellen Auftretens des «ursprünglichen Wissens» in seinem faktischen Guten> (zhi zhi shan zhi zhi ~~~;zl.l:) die Grundlage (Wurzel: ben ~) der <Festig-
Bewusstsein war. Er schreibt: «Nachdem diese Lehre auftrat (zi shi shuo chu gJ ~~ keit> (ding '.iE), der ,Ruhe> (jing ffi!), der <Sicherheit> (an :ti:) und des <Überlegens> (lü
1:1:l), wusste ich immer bei ihrem Hören klar und heiter (fan yu wen zhe mo bu shuang ni:) aus, 435 und das Bewahren der <Mitte vor dem Entstehen der Gefühle> (shou wei fa
ran zhi AMlffl~~1'~~~), dass das <ursprüngliche Wissen> meines Herzens mir von zhi zhong '1'*~;zi:p) macht das Maß [der Mitte] der Gefühle des Gefallens und des
Anfang an eigen ist (gu you ~-ff) und nicht von vergeblichen Mühen eines mir unge- Zornes, der Trauer und der Freude aus. 436 Auch wenn alle Dinge der Welt mit dem
mäßen Aneignens abhängt, und ich war auch davon erfüllt (chong ran Jt~), aufgrund Ersten [dem <Anhalten beim höchsten Guten> und der <Mitte vor dem Entstehen
des <ursprünglichen Wissens> meines Herzens in Überfülle [den äußern Situationen] der Gefühle>] in Austausch treten (jiao ~), reichen sie doch nicht aus, um es in sei-
entsprechen zu können, ohne mir Sorgen darüber zu machen, in den unzähligen nem Inneren zu stören (bu zu yi nao hu qi zhong 1'.lE.L-::,1,j;Pf~i:p), und auch wenn im
Veränderungen der sozialen Beziehungen keinen festen Halt zu haben.[ ... ] Danach eigenen Selbst kein einziges Ding aufbewahrt wird, reicht es doch voll aus, um das
reflektierte ich abermals über mein Herz (you zi fon yu wu xin .:SZ. gJ .&M~1[)): Bei der Äußere zu verkörpern (shi zu yi ti hu qi wai J!i'.JE.P.),\lflf-Jt9~). In den Zeiten der zahl-
losen Veränderungen der sozialen Beziehungen verliert man es nie im Nu (wei chang
Heiterkeit und der Fülle im Zeitpunkt des plötzlichen Hörens [dieser Lehre] (yu zha
wen zhi ji M1=1fflZ~) glaube auch ich (habe auch ich das Selbstvertrauen: wu yi zi xin *
shi zhi yu shu hu 1t ~ .zM{~m); und im Nu der Zeit ist es nicht verschieden von der
längsten Dauer (shi hu zai shu hu ye, yi wu wu yi yi yu wan gu ~3f-1:E1~m i:B?Jl'1m.L-::,1,~M
~?Jl' gJ ffi), dass das <ursprüngliche Wissen> mir von Anfang an eigen ist (gu you ~-ff)
und ausreicht, um, ohne sich zu erschöpfen, [den äußeren Situationen] in Überfülle i!it'i:!:i"). Wenn es so ist, dann kann man vom <ursprünglichen Wissen> sprechen. [... ]
zu entsprechen (zu yi Jan ying er bu qiong ,fE.J;I_Jz~im1'~). Im Nu habe ich dies [dieses Das <ursprüngliche Wissen> meint das <eigentliche Wesen> (ti U); das <kontinuierlich
Vertrauen] erlangt, aber im Nu habe ich es auch wieder verloren (ji qi shu hu er de fortfahrende Erhellen> (qi xi ~lt~) im <Verwirklichen des Wissens> meint die ethische
zhi, gu qie shu hu er shi zhi :&Jt{~~imi~.z.llUH~Mim~.Z). Mein Erlangen und mein Anstrengung (qi xi zhi yu zhi zhi zhi ~~~;z~3&~D~~:tf.J); die <lichte Helle> (guang ming
Verlieren wechseln im Nu miteinander ab (wu zhi de shi xiang xun yu shu hu ~.z1~~ ')f,a.J:I) meint seine [des <ursprünglichen Wissens>] Wiedergewinnung (die Rückkehr zu
*~~M{~~); wie kann ich so erlangen wollen, dass das unaufhörliche klare eigentliche ihm: qi fu ~ffi"). Wie könnte es da im Altertum und heute den Unterschied zwischen
Wesen (ti \lt) [des <ursprünglichen Wissens>] in den zahllosen Veränderungen meines dem <leichten> [Lernen] und dem <schwierigen> [Lernen] geben (nan yi zhi bie lt~ ;z
sozialen Lebens sich auswirkt! Da kam ich zur Einsicht und sagte mir: Das, was das J.lU)! Wenn man deshalb, ohne zu unterscheiden, etwas Falsches aufgreift und blind für
<Buch der Lieder> die <lichte Helle> (guang ming 'Je aJ:I) nennt, ist das, was der Lehrer das <ursprüngliche Wissen> ist (mei liang zhi ¾ ~ ~), kann man nicht von <Erhellen> (xi
[Wang Yangming] mit dem <ursprünglichen Wissen> [in seinem <eigentlichen Wesen>] ~) sprechen; wenn man das Nu (dieAugenblicklichkeit) des Verlierens und Erlangens
meinte; das, was das <Buch der Lieder> das <kontinuierlich fortfahrende Erhellen> (qi [des <ursprünglichen Wissens>] nicht ernst nimmt (bu yan yu shu hu zhi shi de 1' ./iM{~
xi~~~) nennt, ist das, was der Lehrer [Wang Yangming] mit dem <Verwirklichen des ~.z~iij) und bloß über das <ursprüngliche Wissen> redet, kann man nicht von <kon-
[ursprünglichenJ Wissens> meinte!»434 Es ist bemerkenswert, dass Luo Hongxian in tinuierlichem Fortsetzen (qi ~) [des Erhellens]> sprechen; und wenn man nicht zu den
diesem Text nicht nur wie in den Gesprächen mit vVangJi im Sommer 15 54 vom bloß Gründen des Unterbrechens und zu den Bedingungen der Kontinuität der <lichten

433 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 4, S. 124. 435 Vgl. Daxue, Kap. l.
434 A.a.O., S. 124f. 436 Vgl. Zhongyong, I. Kap.
726 727

Helle> geht (bu yuan hu guang ming zhi suo yi duan xu :fffl{SjZ,'6BJ:lzJ5Jf J,:;.!_lfia), sondern Nahrung, und Longxi [Wang Ji] sagte: <Ist [bei diesem Verlangen, dieser natürlichen
in übertriebener Weise dem <ursprünglichen Wissen> glaubt (vertraut) (er guo xin liang TcndenzJ] Stille nötig, ist da ein <Sichsammeln> nötig!> Ich antwortete: <Wenn es so
zhi ii'iH~fü ~~), dann kann man nicht vom <Sichsammeln und Sichzusammcnhalten> ist, wie Sie meinen, wozu dient dann noch das ethische Lernen! Besteht etwa zwischen
(shou she lian ju l&ffi~~) sprcchen.»437 gierigem Verschlingen und anständigem Essen kein Unterschied!> Am folgenden TI1g
Luo Hongxians Auffassung der ethischen Praxis ist dieselbe geblieben wie in sei- sagte Longxi [Wang Ji]: <Das ,ursprüngliche Wissen> ist an sich (eigentlich) stille
nen Gesprächen mit Wang]i im vorangegangenen Sommer: Das «Sichzurückholcn (ben ji ft,;;fül), man braucht ihm [diese Stille] nicht durch eine <Rückkehr zur Stille> (gui
und Sichzusammenhalten» als «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» erfor- ji M;fül) zu verschaffen; wer <zur Stille zurückkehrt>, dessen Herz wird dürr (xin gao yi
dert keine Absonderung vom tätigen Umgang mit den Dingen der Welt. Es strengt 1i>ffi~). Das <ursp1iingliche Wissen> antwortet an sich (eigentlich) göttlich-geistig

sich an, beim «höchsten Guten», beim «eigentlichen Wesen» des «ursprünglichen [auf die erregenden Umstände] (ben shen ying ft,;~Ji!), man braucht ihm [ein solches
Wissens» <<anzuhalten», die «Mitte vor dem Entstehen der Gefühle» zu bewahren Antworten] nicht durch ein Beleuchten der Antworten zu verschaffen (wu qu hu zhao
und dabei zugleich den äußeren Dingen der Welt zu entsprechen, ohne «von ihnen ying 1!1Ulli:5Jl ~,ll.Ji!); wer seine Antworten beleuchtet, hat eine <nachgemachte (künstliche)
im Innern gestört zu werden». Aber Luo Hongxian hebt in dieser «Aufzeichnung» Gerechtigkeit> (yi xi liilll). Wenn wir Menschen nicht göttlich-geistig zu antworten
für die Akademie von Shuixi nicht seine weitgehende Übereinstimmung mit Wang vermögen, kann dies nicht dadurch gelenkt werden, dass wir das <ursprüngliche Wis-
Ji, sondern seine Opposition zu ihm hervor: Das aktuelle «ursprüngliche Wissen» sen> bemängeln (für ungenügend halten) (bu ke chi yi bing liang zhi 1' -aJ~J;l.~ ~~); das
ist noch nicht die «lichte Helle» seines <<eigentlichen VVcsens», sondern es braucht <ursprüngliche Wissen> kann weder vermehrt noch vermindert werden.> Ich fragte:
ein «kontinuierliches Fortschreiten im Erhellen», um zu seinem «eigentlichen We- <Sind wir Menschen beständig stille (changji 1r,;fül)?> Er antwortete: <Wir sind dazu
sen» zurückzukehren. Luo Hongxian betont die Anstrengung und die notwendige nicht fähig (bu neng =fllli).> Ich sagte: <Wenn wir dazu nicht fähig sind, dann müssen
Kontinuität im «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» und warnt vor Wang wir uns sammeln, um zur Stille zurückzukehren (shou she yi gui ji l&JIJ;l.!iil;fül). Was für
Jis «Leichtigkeit» des Lernens, die sich auf die Vollständigkeit des «ursprünglichen eine Krankheit (was für eine Fehler) soll dies nach Ihnen sein? Wenn wir nicht fähig
Wissens» im gewöhnlichen Bewusstsein aller Leute beruft. Den Gegensatz zwischen sind, göttlich-geistig zu antworten, kann man dann sagen, dass das <ursprüngliche
der «Schwierigkeit» und der «Leichtigkeit» des «Verwirklichens des ursprünglichen Wissen> verdeckt ist (liang zhi you bi ~~~Jllli)?> Er antwortete: <]a.> Ich sagte: <Wenn
Wissens» wird Wang Ji später zum Gegenstand eines Textes machen, in welchem es so ist, dann wird das <ursprüngliche Wissen> hell (ming BJ:l), wenn man die Verdek-
er sein eigenes und Luo Hongxians Lernen miteinander konfrontiert (siehe unten kung wegnimmt; warum soll man dann nicht sagen können, dass es einen Unterschied
den§ 10). zwischen den Toren und den Heiligen gibt? <Wenn man [das <ursprüngliche Wissen>]
Diese Opposition Luo Hongxians gegen WangJis «leichtes Lernen» war Thema sucht, dann erlangt man es, wenn man es fahrenlässt, dann verliert man es (qiu ze de,
des Gespräches, das die beiden wohl im Sommer 15 55 im Chu-Gebirge führten. Luo *
she ze shi 3J<Jl.1Hi Jl.lJ ~)>; 438 gibt es also kein Bewahren oder Verlorengehen (cun wang
Hongxian hielt es in folgender Aufzeichnung fest: fi!t:')? <Wenn man es nährt, dann wächst es, wenn man es [das Nähren] versäumt, dann
«Ich fragte Longxi [WangJi]: <Was meinen Sie zu dem, was ich für das <Gebäude schwindet es (yang ze chang, shi ze xiao :lfJl.lJ~~Jl.1]51!!1)>; 439 gibt es also kein Vermehren
des hellen Lichtes> [in der Shuixi-Akademie] aufzeichnete (wu ji Xiguanglou ~"ß)ffl und Vermindern? Wenn man mit Vorbedacht spricht und mit Überlegung handelt
%~)?> Er antwortete: <Es dient zur Hilfe gegenüber Krankheiten, aber es spricht nicht (ni er yan, yi er dang ffifii'i:i~liäjliji1J), ist das kein Erhellen des Antwortens (zhao ying
über das Lernen (jiang yi jiu bing,fei yan xue ye 00-P).$ffp:gJ~~ ~ 1:B).»> mil!!)? Was daher nicht vergehen kann, ist die Beständigkeit des Ordnungsprinzips
WangJi meint mit diesem Satz, dass jene «Aufzeichnung» Schwächen der Mit- (bu ke min zhe, li zhi chang ye :f-aJ5ßt~~Zm"tB) und wird <Natur> (xing tl.) genannt.
glieder der Schule und wohl auch seine eigenen anprangert, das heißt ihre faktische Was nicht leicht Festigkeit gewinnt, ist die Bewegung der vitalen Energie (bu yi ding
Nachlässigkeit im «Lernen», aber nicht das von ihm, WangJi, geforderte Lernen, das zhe, qi zhi dongye 1'~JE:t'~zi1Jm) und wird <Wünsche> (yu ~)genannt.Was nicht
durchaus auch Ernst und Anstrengung verlangt, trifft. Luo Hongxian schreibt weiter: vergessen werden darf, ist die Festigkeit des Willens, das Herrschende des Lebens (bu
«Ich fragte: <Wie das?> Er antwortete: <Das göttlich-geistige Antworten [das <ur- gan wang zhe, zhi zhi ning, ming zhi zhu ye :f1i~~~itZ)Jif-ai'iZ3::fil) und wird <Lernen>
sprüngliche Wissen>] im affizierenden Kontakt [mit den Dingen] ist bei den gewöhn- (xue ~)genannt.Wenn man sich auf die <Natur> verlässt und sie nicht von den Wün-
lichen törichten Leuten und bei den heiligen Menschen ein und dasselbe (yu fu yu fu schen zu unterscheiden vermag, ist dies der Irrtum des Verlierens (shi zhi wang ~;z
yu sheng ren yi ye m,5's;m.M\.W~A-1:B). Wie könnte es mit der Stille (ji ;fül), wie könnte ~); wenn man vom Lernen spricht, es aber nicht in der wahren <Natur> (im wahren
es mit einem <Sichsammeln> (shou she l&ffi) gemacht (hergestellt) werden (wei ~)!> Ich Wesen) verwurzelt (bu ben zhen xing =f ft,;~ tl.), bohrt man die Löcher für das Verlieren
[Luo Hongxian] antwortete nicht. Unsere hungrigen Mägen verlangten schon nach

438 Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, Kap. 6.


437 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 4, S. 125. 439 Anspielung auf Mengzi, 6. Buch, 1. Teil, Kap. 8.
728 729

(shi zhi zao ~.Z~); wenn man von der <Natur> (vom wahren Wesen) redet und sich lichkeit» (ren 1=) im Sinne jener Einheit mit den anderen Wesen war, und wurde sein
nicht ganz der Anstrengung des Lernens widmet (yan xue er bu wu li xue ~~ifü1'~ wahrer Nachfolger, wenn er auch nie als Schüler zu seinen Füßen gesessen hatte.
)Jf$l.), ist dies die Zügellosigkeit des Verlierens (shi zhi dang ~.z~).
lch fürchte mich Im bereits in§ l erwähnten Brief von 1556 an den zweiundsiebzigjiihrigenJiang
vor einem Reden, das der Zügellosigkeit nahe ist (wu ju y11n zhijin yu dang ~11 ~ .zm Xin (Beiname: Daolin, 1484-1560), der bei Wang Yangming gelernt hatte, als dieser
~~).> Longxi [Wang Ji] antwortete: <Was Sie sagen, reicht bestimmt nicht aus, um 1508/09 in der Verb,mnung in Longchang lebte, beschreibt Luo Hongxian seine im
das [gegenwärtige] <ursprüngliche Wissen> zu bemängeln (gu wei zu yi bing liang zhi Chu-Gebirge gemachte Einheitserfahrung mit allen Wesen in der folgenden Weise
!ffi *,tE.P.)_fpg !l!I;□).»>440 und zieht dann daraus die Konsequenzen für die Interpretation des im Zentrum von
Wang Ji ist ein «Metaphysiker», der im aktuellen «ursprünglichen Wissen» Wang Yangmings Schule stehenden Grundkapitels des Daxue von dessen Anfangssatz
aller Menschen die vollkommene «eigentliche Wesenheit», die «wirkliche Idee» des über das «Erhellen der hellen Tugend» (ming ming de aJ.I aJ.11~) bis zum Satz über das
«ursprünglichen Wissens» durchscheinen, und so als gegenwärtig sieht und sich in «Verwirklichen des <ursp1iinglichen Wissens> im Berichtigen des Handelns» (ge wu
seiner ethischen Praxis letztlich vom Glauben an die transformierende Kraft dieser tMm). Er schreibt: «Vor nicht langer Zeit ging ich in die Einsamkeit des Gebirges,
vollkommenen«Wesenheit» tragen lässt, während Luo Hongxian als psychologischer zog mich vom Verkehr mit den Menschen zurück, saß jeden Tag wie ein Klumpen
«Empiriker» von den bloßen schwankenden Phänomenen des menschlichen Bewusst- auf einem niedrigen Bett (kuai zuo yi ta t,IM~-~) und öffnete kein Buch. So hielt ich
seins ausgeht, jene sporadischen Regungen des «ursprünglichen Wissens» durchaus es über drei Monate, und alsbald war die Krankheit [meines Herzens] verschwunden
als «helle» Erlebnisse anerkennt, aber ihnen durch die eigene Willensanstrengung (xuan yi bingfei ~P)J~~). In der Zeit größter Ruhe (dangji jing shi ~~ffi!Bl) kam mir
des «fortschreitenden Erhellens» bzw. des «Sichzurückholens und Sichzusammen- schlagartig zu Bewusstsein (huang ran jue t)'l~~), dass mein Herz in seiner leeren
haltens» schrittweise zu einer immer vollkommeneren und beständigeren Helle und Stille, ohne ein Ding zu sein, alles grenzenlos durchdringt (wu ci xin xu ji wu wu, guan
damit auch immer mehr zu Vertrauenswürdigkeit verhelfen will. tong wu qiong ifJl:t1i)mUiV!!Hm1t®•~), so wie die Luft, die durch den Raum fließt, auf
keine letzten Grenzen stößt, wo sie anhalten müsste. Es kann [beim Herzen] auf kein
§ 9 Luo Hongxians Erfahrung der Einheit mit allen Wesen und sein Innen und Außen gezeigt und nicht zwischen Bewegung und Ruhe geschieden werden
letztes Treffen mit Wang Ji im Dezember 1562. Die bleibende (wu dongjing ke Jen •lbffi! "i:iJ 53'). Oben und unten und die vier Himmelsrichtungen, das
Differenz zwischen den beiden Vergangene und das Gegenwärtige (wang gu lai jin ttti*~) sind ungeschieden eine
Einheit (hun ran yi pian ~~-J:!i-). Es [das Herz] ist das, was <nirgends und zugleich
Bevor wir den letzten Gesprächen zwischen Luo Hongxian und Wang Ji zuhören, überall> (wu zai er wu bu zai •1:Eifü.1'1±) genannt wird. Ich, diese eine Person, bin
möchten wir auf Luo Hongxians geistige Erfahrung der Einheit des eigenen Selbst als seine [wahrnehmende und denkende] Offenheit (wuzhiyishen nai qi Ja qiao ~.z-
mit allen Wesen zurückkommen, die er im Sommer 15 5 5 hatte, nachdem er sich im %]J ~ ~ il) sicher nicht durch Körperliches begrenzbar (gu fei xing zhi suo neng xian
Chu-Gebirge im Norden der Provinz Huguang (heute in der Provinz Hubei) während lffl~~H~j(p.Jrfill~I). Denn im Hinblicken meines Auges können Himmel und Erde mein
dreier Monate dem «Sitzen in der Ruhe» widmete. 441 Diese Erfahrung war für ihn die Sehen nicht vollmachen; im Hinlauschen meines Ohrs gehen Himmel und Erde nicht
Erfahrung der «Menschlichkeit», das heißt der Einheit seines Herzens mit allen We- über das Hören hinaus; im Nachdenken meines Herzens entkommen Himmel und
sen, und sie vertiefte seine Überzeugung, dass das «Verwirklichen des ursprünglichen Erde nicht meinem Denken (mingwuzhi xin er tian di bu tao yu wusi ~if .z,t,,jfü3i::J:&1'
Wissens» in der Tätigkeit geschehen muss. Hatten in den vorangegangenen Jahren m~~ ,\!;1,). Die Menschen des Altertums sind vergangen; die Höhepunkte ihres Geistes
die (immer auch «Erregungen» enthaltende) «Stille» und ihre Freiheit von den ego- (jing shen suo ji ffi:pjlp.Jr~) sind in meinem Geist nicht vergangen. Wenn es nicht so
istischen Wünschen im Zentrum seines Ringens um die ethische Praxis gestanden, sah wäre, wie könnte ich dann zur Einsicht gelangen und in Eifer geraten (jing ran Jen ran
er von nun an diese «Stille» im Licht der im «eigentlichen Wesen des <ursprünglichen ffl~'i'l1l~), wenn ich von ihren Taten höre? Die Vier Meere sind weit entfernt; ihre
Wissens»> enthaltenen mitfühlenden Einheit mit den anderen Wesen. Er erkannte die Verblendungen und ihre Leiden hängen mit mir zusammen, es sind meine Verblen-
in dieser Einheit geübte soziale Tätigkeit als das «Berichtigen der Dinge (Handlun- dungen und meine Leiden, sie sind nicht weit entfernt. Wenn es nicht so wäre, wie
gen)», in welchem sich das «ursprüngliche Wissen verwirklicht». Dadurch gelangte könnte ich dann mitfühlen und verletzt sein, wenn ich von ihrem Unheil und ihrer
er zum eigentlichen Anliegen Wang Yangmings, dessen Lebensidee die «Mensch- Not höre. Daher empfinde ich für sie als Verwandte und bin ihnen dadurch verwandt
(gan yu qin er wei qin l@\~~ji'ij~~). Ich bin von den Verwandten nicht abgetrennt;
wenn es zwischen mir und ihnen eine Trennung gäbe, wäre dies nicht Verwandtschaft.
440 «Diskussion über das ursprüngliche Wissen» (Limzg zhi bian l~Jom), Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, Ich empfinde für das Volk und bin menschlich (gan yu min er wei rnz ~M~ im ~1=). Ich
juan 1, S. 16f. Dieser Text wurde außer seinem Anfang, der eine Datierung ermöglicht, von Huang bin vom Volk nicht abgetrennt; wenn es zwischen mir und ihm eine Trennung gäbe,
Zongxi in seine «Dokumente der Konfuzianer der Ming-Dynastie» (JVIRXA) aufgenornrnen:juan 18,
Beijing 1985, S. 423f. wäre dies nicht Menschlichkeit. Ich empfinde für die Wesen und liebe sie (gan yu wu
441 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 640. er wei ai ~M!fWJifü~~). Ich bin von den Wesen nicht abgetrennt; wenn es zwischen
730 731

mir und ihnen eine Trennung gäbe, wäre dies nicht Liebe. Nachdem das, was ich vom Dies erinnert an den Satz von Aristoteles in seiner Schrift Über die Seele: «Die Seele
Himmel erhalten habe, so sicher ist (de zhi yu tian zhe gu ran ru shi ~f;z;ut~~IE~~□ ist gewissermaßen alle seienden Dinge. Denn die seienden Dinge sind entweder das,
:l:), kann ich dem Himmel gleich werden (kei yi pei tian 'iij' J-;I.EE~).»442 was [sinnlich] wahrnehmbar ist, oder das, was denkbar ist; die [denkende] Erkenntnis
Nach der Schilderung dieser eigenen Erfahrungen und Überlegungen beruft ist gewissermaßen das [denkend] Erkennbare, und die [sinnliche] Wahrnehmung
Luo Hongxian sich auf die Autoritäten: «Deshalb heißt es [bei Cheng Hao, 1032- ist das Wahrnehmbare.»448 Während aber in der europäischen Philosophie solche
1085]: <Der Menschliche istungeschieden mit den Wesen eine gemeinsame Wirklich- Gedanken Anlass zu einem theoretisch-ontologischen Monismus des erkennenden
keit (yu wu tong ti fi!IW} 15.1 H).>443 Eine <gemeinsame Wirklichkeit> bedeutet, dass das, was Subjekts geben konnten, fanden sie bei unseren chinesischen Philosophen innerhalb
in mir ist, auch dasselbe in den Wesen ist (tong ti ye zhe wei zai wo zhe yi ji zai wu 15.1 H tB von ethisch-praktischen Überlegungen statt, wurden Reflexionen über das emotio-
~il~~~9.f\DIJ~!IWJ). Die <Vereinigung von mir mit den Wesen zu einer gemeinsamen nale Mitfühlen untergeordnet und führten zu einer Art von emotional-praktischem
Wirklichkeit> (he wu yu wu er tong wei yi ti ~iHlij!IW)iffiläJ~-H) ist das, was ich oben Monismus des Herzens. Entscheidend ist in dieser Sicht Luo Hongxians, dass das
das Durchdringenkönnen in der Leere und Stille und die Einheit der Richtungen des Herz in seinem «eigentlichen Wesen» nicht eine bloße stille «Substanz» ist, sondern
Raumes, der Vergangenheit und der Gegenwart, von Innen und Außen, von Tätigkeit in seiner «stillen Leere» alle Dinge «durchdringt» (tong ffi) und so mit allen Wesen
und Ruhe nannte. Deshalb heißt es [im Zhongyong]: <Blicken, ohne zu sehen; hinhören, eine einzige Wirklichkeit ist.
ohne zu hören, aber mit den Wesen fühlen und sie nicht vernachlässigen (shi bu jian, Im letzten Teil seines Briefes an Jiang Xin (Daolin) zieht Luo Hongxian aus
ting bu wen er ti wu bu yi m=f JUi=f llii'öll!IWJ1'il).>444 Man fühlt mit den Wesen, ohne dieser Erfahrung und Reflexion der Einheit seines Herzens mit allen Wesen die
sie zu vernachlässigen, weil man mit ihnen zusammen eine einzige Wirklichkeit ist (yu Konsequenzen für die Interpretation des ersten Kapirels des Daxue, das nicht nur
zhi wei yi ti ft;z~-\ll). Deshalb heißt es [im Zhongyong]: <Der Wahrhaftige vollendet in der Kontroverse zwischen der Schule Wang Yangmings und derjenigen von Zhu
nicht nur sich selbst>,445 denn <Wenn er seine eigene Natur (sein eigenes Wesen) aus- Xi, sondern auch in den Kontroversen über das «Verwirklichen des <ursprünglichen
schöpft (jin qi xing &lt'it), schöpft er auch die Natur der anderen Menschen aus und Wissens»> innerhalb der Schule Wang Yangmings im Zentrum stand. Er schreibt:
er schöpft auch die Natur der anderen Wesen aus.>446 Die Angelegenheiten innerhalb «Wenn nun das <Große Lernen> (Daxue) 449 von der Größe (Weite) des Lernens
des Universums sind Angelegenheiten innerhalb meines eigenen Lebensbereiches (yu spricht, um es von der häretischen Lehre (yi duan ll~) zu unterscheiden, so lässt
zhou neisheji naijifen neishi *ilr;i$I'.J2.~r;i$). Bei den heiligen Menschen in allen es sie im <Erhellen der [hellen] Tugend> (ming de BJHl) und im <Lieben des Volkes>
Gegenden der vier Himmelsrichtungen und in allen Zeiten der zehntausend Gene- (qin min l/.m)450 bestehen. Das <höchste Gute> (zhi shan~i!i) [in diesem Kapitel des
rationen ist dieses Herz gleich und ist dieses Ordnungsprinzip gleich (ci xin tong, ci li Daxue] spricht über das <eigentliche Wesen> [des Herzens bzw. des ursprünglichen
tong Jlt,t,15JJIU115.1). Wenn dieses Herz und dieses Ordnungsprinzip verneint werden, Wissens] (yan qi ti i ltH). Welches [andere] Gute käme der leeren Stille, die auch
handelt es sich um eine häretische Lehre (yi duan ~lil/i).»447 alles zu durchdringen vermag (xu ji er you neng guan tong Jl.il\Rii'ö.:R~:11~), gleich!
Es ist dies die ausführlichste Beschreibung und Reflexion über die Erfahrung der Wenn man <[bei diesem höchsten Guten] anzuhalten weiß> (zhi zhi !E□ ll:.), dann ist
Einheit des eigenen Herzens mit allen Wesen, die ich in der konfuzianischen Literatur man von selbst <fest> (ding 5:E), <ruhig> (jing ffll), <sicher> (an ~) und man <ilberlegt> (lü
der Song- und Ming-Zeit kenne. In ihr ist nicht nur das Mitfühlen mit den anderen Jil). Das <Wiedergewinnen> (fa ffl'.) der leeren Stille, die alles zu durchdringen vermag,
Wesen zentral, das Wang Yangming hervorhob, sondern es ist auch der Gedanke bedeutet, fähig zu sein, [beim höchsten Guten] anzuhalten zu wissen (wei neng de zhi
vorhanden, dass der Mensch durch die «Öffnungen» (qiao IJ!.) seiner Sinne und seines zhi i!~ffl!E□ ll:.), und spricht von der ethischen Anstrengung (yan qi gong i lt:itl). Im
«Herzens» (Geistes) offen für alles ist und in seinem sinnlichen Wahrnehmen (Sehen, <Berichtigen der Dinge, um das <[ursprüngliche] Wissen> zu verwirklichen>,
Hören etc.) der Dinge und in seinem Denken der Dinge eine Einheit mit diesen ist. weiß man um das <Anhalten [beim höchsten Guten]> (ge wu yi zhi zhi, zhi zhi yi
ffi-!IWJ~~~!E□ ll:.~).»451 Dieser Schlusssatz ist der entscheidende Gedanke in diesem
Passus: Das <Anhalten beim höchsten Guten>, das heißt beim «eigentlichen Wesen
des <ursprünglichen Wissens»> ist nicht ein Anhalten bei einer bloß stillen «Substanz»
442 «Brief an Jiang Daolin», Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, juan 8, S. 298f. Ein Teil dieses Textes steht
auch mit kleinen Differenzen imMRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 402. ist, sondern geschieht im «Berichtigen der Dinge».
443 Siehe zu dieser Aussage Cheng Haos oben in der Einleitung zu Teil Iden § 1, S. 66, und Kap. 3, § 5,
s. 211.
444 Anspielung auf Sätze im sechzehnten Kapitel des Zhongyong (Einteilung von Zhu Xi); die betreffende
Stelle im Zhongyong spricht über die Geister (gui shen 51Uljl) und ist sehr unterschiedlich übersetzt
{interpretiert) worden. 448 Aristoteles: Über die Seele, 431 b, 21-23.
445 Zhongyong, Kap. 25 (Einteilung von Zhu Xi). 449 «Daxue» kann als «Lernen der Großen («Erwachsenen»), «Lernen der großen Persönlichkeiten»,
446 Zhongyong, Kap. 22 (Einteilung von Zhu Xi). «Großes Lernen» verstanden werden.
447 «Brief an Jiang Daolin», Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, juan 8, S. 298f. Ein Teil dieses Textes steht 450 Anfang des ersten Kapitels des Daxue.
auch mit kleinen Differenzen im MRXA,juan 18, Beijing 1985, S. 402. 451 Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 8, S. 300.
732 733

Dann betont Luo Hongxian, was er gegenüber Wang Ji immer wieder getan andererseits. Deshalb besteht die vollständige ethische Anstrengung der heiligen
hatte und weiterhin tun wird, die Ordnung oder Reihenfolge im ethischen Lernen. Er Lehre [des Konfuzianismus] im <Berichtigen der Dinge> wodurch dann <Einheit von
bezieht sich hier im Brief anJiang Xin (Daolin) auf folgenden Satz aus dem von ihm Wissen und Handeln> besteht (ge wu er hou zhi xing he yi, sheng xue quan gong ye ffi.!W
herangezogenen Grundkapitel des Daxue: «Die Dinge (Geschäfte) haben ihre Wur- rröft1J;llfi~-ffl~z½~m).»453
zeln (Grundlagen: ben ;$;) und ihr Abgeleitetes, die Geschäfte haben ihren Anfang (shi Die Erfahrung der Einheit des eigenen Herzens mit allen Wesen bedeutet für
~) und ihr Ende. Wenn man weiß, was das Frühere (xian %) und was das Spätere (hou Luo Hongxians Verständnis des Grundkapitels des Daxue, dass das <<Anhalten beim
ft) ist, dann ist man dem Dao nahe.» Er schreibt: «Wenn ich die Welt durchdringe, höchsten Guten» (zhi yu zhi shan .LI:.~~~), das heißt das Anhalten in der alles durch-
so dass sie mit mir ein einziges <Ding> (eine einzige Wirklichkeit) ist (tong tian xia yu dringenden «leeren Stille», im «Berichtigen der <Dinge»> (ge wu ffi.!IW) zu seinem Ziel
wo wei yi wu Jl~""F~f.U~-!IW), dann ist alles [dieses] <Ding> (mo fei wu ye ~~lc!Wm), kommt. Er versteht das «ge wu ffi.!W» nicht wie Zhu Xi als «Erforschen der Dinge»,
doch meine eigene <Person> ist davon die <Wurzel (Grundlage)> (shen wei ben ~~;$;). aber auch nicht gleich wie Wang Yangming als «Berichtigen der eigenen Handlun-
Wenn meine eigene Person da ist, dann sind die <Welt> (tian xia ~"F), das <Land>, gen» aufgrund des Gewissens, sondern als «Entfalten der Dinge», das heißt als Entfal-
die <Familie> zusammen mit ihr da (jian zhi Mtz); alles ist dann [meine] praktische ten der anderen Wesen. Das «Kultivieren der eigenen Person» (xiu shen ~~),die das
Angelegenheit (mo fei shi ye JU!c$ts), doch das <Kultivieren der eigenen Person> ist erste Kapitel des Daxue verlangt, ist nur zusammen mit dem Entfalten der «Familie»,
davon der <Anfang> (xiu shen wei shi ~~~~). Wenn meine eigene Person kultiviert des «Landes», der «Welt» möglich, da meine eigene Person mit den anderen Wesen
wird (shen xiu ~~), dann geschehen das <Ordnen [der Familie]>, das <Regieren [des ein einziges «Ding», «eine einzige Wirklichkeit» ist und da das «Kultivieren der
Landes]> und das <Befrieden [der Welt]> zusammen mit ihm [mit dem Kultivieren der eigenen Person>> und die soziale Tätigkeit eine einzige «praktische Angelegenheit»
eigenen Person] (jian zhi Mt.z.); wenn man weiß, was dabei das <Frühere> und was das sind. Doch die «Einheit aller Wesen» ist keine bloß objektive, gegenständliche Entität,
<Spätere> ist, dann wird das, bei dem man [als dem <höchsten Guten>] <anhält>, nicht sondern hat ihre «subjektive Perspektive»: Sie hat für das erfahrende und handelnde
zweifelhaft (suo zhi bu yi pfi- .Ll::.1°'lf). Wenn man eines erlangt, dann sind alle praktischen Subjekt ihre «Wurzel» und ihren <<Anfang»,: den ,«perspektivischen Gesichtspunkt»,
Angelegenheiten vollendet (de qi yi, wan shi bi ~iJt-lit$$).»452 Obschon das eigene in der eigenen Person: Das «Berichtigen der Dinge» kann nicht irgendwo anfangen,
Herz bzw. das «ursprüngliche Wissen» mit allen Wesen eine Einheit ist, kann das sondern muss beim jeweils erfahrenden und handelnden Subjekt beginnen. In die-
ethische Lernen nicht irgendwo in dieser Einheit aller Wesen einsetzen, sondern muss sem Sinne gibt es ein «Wissen um Früher und Später». In diesem Verständnis des
«perspektivisch» von der eigenen Person her ausgehen. « Verwirklichens des ursprünglichen Wissens» geht es nicht mehr vor allem um das
Zusammenfassend schließt Luo Hongxian diesen Brief: «Das <Verwirklichen Verhältnis von Ruhe und Tätigkeit, wie dies noch in den Gesprächen mit Wang Ji
des [ursprünglichen] Wissens> ist das Erreichen dessen, um das [dieses <Wissen>] weiß vom Sommer 15 54 der Fall war, sondern um das Verhältnis der Vervollkommnung des
(zhi suo zhi ~1Jf~). Worin besteht das <Verwirklichen des ursprünglichen Wissens>? eigenen Herzens und der Vervollkommnung der anderen Wesen. Die soziale Tätig-
Es besteht darin, dass ich im erleidenden und tätigen Umgang mit der Welt mit ihr keit ist integraler Bestandteil der Selbstvervollkommnung, und in dieser Lehre sieht
sie durchdringend eine einzige Wirklichkeit ohne Distanzen bilde (zai wu yu tian :JCia Luo Hongxian das eigentliche Anliegen Wang Yangmings und den entscheidenden
gan dongjiao she tong wei yi ti, wu you hu jian ge Eif~;li;:"f !f;IJJ~5~~~-fllii'ii~~l_f2: Unterschied zum Buddhismus und Daoismus. Diese Einsichten hatten bei ihm zur
r.., l!Pii). Dann sind <die Dinge berichtigt>, das <Wissen ist verwirklicht>, und der Ort Folge, dass er sich zunächst zur «Kultivierung der eigenen Person» vom Umgang mit
des Anhaltens [beim höchsten Guten] ist erreicht (de suo zhi 1i1Jf .LI::.). Es kann so ge- den «Gleichgesinnten», das heißt von den Aktivitäten der Schule Wang Yangmings,
schehen, weil ich um die Wurzel (die Grundlage) weiß (zhi ben ~;$:); deshalb ist das zurückzog, aber sich dann nach einigen Jahren voll der sozialen Tätigkeit hingab und
Wissen um das, was früher und was später kommt (zhi suo xian hou ~ Plf %fft) das wahre auch die Schule unterstützte, indem er intensiv an Wang Yangmings «Lebenschronik»
Wissen (zhen zhi ~~). Es [das <Verwirklichen des ursprünglichen Wissens>] ist das, mitarbeitete.
was <Erkennen der Menschlichkeit> (shi ren ~1=), <Verstehen des Guten> (ming shan In einem Brief an Wang Ji von 15 56 nahm er Bezug auf seinen im selben Jahr
IIJH~) und <Erkennen der Natur> (zhi xing ~tt.) genannt wird. Wenn das <Verwirk- anJiang Xin (Daolin) über seine Erfahrungen im Zhu-Gebirge geschriebenen Brief,
lichen des [ursprünglichen] Wissens> nicht im <Berichtigen der Dinge> (ge wu ffi.!W) was zeigt, dass Briefe mit wichtigem gedanklichem Inhalt wohl von den Adressaten
stattfindet, dann reicht es nicht aus, um in der Entfaltung der Dinge seine Aufgabe zu an andere Interessenten weitergegeben wurden. Er schrieb an Wang Ji: «Im Brief an
vollenden (bu zu yi kai wu cheng wu 1'JEP,J..OO!!W /5.lG~). Das ist der entscheidende Punkt Daolin habe ich meine neue Ansicht geäußert; es ist schwierig, darüber mit anderen
für die Diskussion über die Gleichheit und Verschiedenheit zwischen der heiligen Menschen zu sprechen. Diese Sache hat in unserer Dynastie als einziger Mensch
Lehre [des Konfuzianismus] einerseits und dem Daoismus sowie dem Buddhismus nur Herr [Wang] Yangming eingesehen und durchgeführt (wei Yangming gong yi ren

452 Ebd. 453 Ebd.


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wu de xing de 'lt!lillJ.l~-)..ffififif~). Deshalb bleibe ich verborgen in meinem Haus wir sehen werden, Rätsel auf. Auch Luo Hongxian schrieb über dieses Treffen mit
und wage nicht, mich selbst zu betrügen. Wenn man nämlich sein Herz Himmel und Wang Ji einen Bericht;459 zudem erwähnt er dieses Treffen innerhalb eines Briefes an
Erde und sein Leben dem Volk widmen will und dabei leichtfertig [die Kultivierung] seinen Schüler Hu Zhi (Beiname: Lushan). 460
seiner eigenen Person aufgibt, dann unterscheidet man sich nicht von der gemeinen Wang Ji traf im Dezember 15 62 Luo Hongxian nicht in ruhiger Zurückgezogen-
Gesinnung und der gewöhnlichen Haltung. Auch wenn man den ganzen Tag in alle heit, sondern in engagierter sozialer Tätigkeit an. Nicht dass dieser wieder ein offiziel-
Himmelsrichtungen eilt und das Volk anleitet, streut man dann nur Sand in dessen les Amt ausgeübt hätte, vielmehr arbeitete er zusammen mit Gleichgesinnten aus eige-
Augen und Ohren. Ich bedaure, dass ich mich mit Ihnen darüber früher nicht von ner Initiative und freiwillig zuhanden der Kreisbeamten an einer gerechteren Ordnung
Angesicht zu Angesicht ausgesprochen habe. SeitJahren sehe ich, dass unsere Gleich- der lokalen Steuern und Fronarbeiten. Wang Ji schreibt: <<Ich Nichtsnutz habe, ohne es
gesinnten (Mitglieder der Schule: tong zhi ~J.t;:) erschlaffen und entmutigt sind (tui wert zu sein, mit Nian'an [Luo Hongxian] seit über dreißig Jahren Umgang gehabt. 461
mi Jiitll) und nicht in hervorragender Weise ihr Leben diesem Dao widmen; wenn Verneint mein älterer Bruder das, was in der Lehre des <ursprünglichen Wissens>
man sagen würde, dass sie sich mit dem Gemeinen vermischen, übertreibt man; wenn <Verwirklichen durch die Fähigkeit des Glaubens an sich selbst> genannt wird (suo wei
man aber sagen würde, dass sie die wahre Lehre aufrichten (li jiao .:iz:fk), dann ist es neng zi xin er zhi zhi PlriH~ gi ffiiffij/(z)? Nachdem er [Luo Hongxian] sich von Herrn
noch nicht richtig. Ich befürchte, dass schließlich kein Mensch die Überlieferung Xingchuan [fang Shunzhi, 1507-1560] in Qiyun getrennt hatte, 462 verließ er während
des Dao des Geschäftes von Konfuzius und Mengzi versteht. Was ist Ihre Meinung dreier Jahre sein Haus nicht mehr. 463 Die Gleichgesinnten [Mitglieder der Schule
darüber?»454 Wang Yangmings] versuchten vergeblich, seine Geistesverfassung zu erspähen, und
vermuteten alle, dass er sich der Trockenheit und Ruhe (der meditativen Versenkung)
Im Dezember 1562, weniger als zwei Jahre vor Luo Hongxians Tod, besuchte Wang verschrieben habe. Ich konnte ihn nicht vergessen, und da er in mehreren Briefen ein
Ji ihn noch ein Mal in seiner HeimatJishui. Er kam von der 15 58 von Wang Zongmu Zusammentreffen gewünscht hatte, reiste ich im mittleren der drei Wintermonde des
wiederhergestellten Huaiyu-Akademie 'li.3ift~ (in der Präfektur Guangxin /11~ im Jahresren wu [= elfter Mond, ungefähr Dezember 1562] zu seinem neubezogenen
Norden der ProvinzJiangxi) her und traf am 7. Tag des elften Mondes des Jahresren Haus nach Songyuan, um gemeinsam unser [ethisches] Lernen festzulegen. Als ich
xu (= 2. Dezember 1662) für Luo Hongxian unerwartet im Dorf Songyuan f~~ ein, eintraf, war er mit der gerechten Ordnung der Steuern und Frondienste beschäftigt.
wohin dieser 15 59 umgezogen war, und führte mit ihm dort während zweier Tage Am Tag machte er, die Register in den Händen, mit den Leuten aus den verschiedenen
Gespräche455 und belehrte auch Luo Hongxians Sohn Luo Shiguang, der damals Dörfern [seines Kreises] Berechnungen; es gab viele Verhandlungen, und sein Haus
wohl etwa zwanzig Jahre alt war. 456 Er verfasste daraufhin über die Gespräche mit glich einem Markt. Doch er ertrug die Mühen mit Geduld und zeigte keine Regung
Luo Hongxian einen Bericht, den er diesem zu seinem achtundfünfzigsten Geburts- von Überdruss. In der Nacht saßen wir zusammen mit verschränkten Beinen (im Lo-
tag (59 suz) am 14. Tag des elften Mondes(= 9. Dezember 1562) widmete. 457 Später, tussitz) auf zusammengestellten Betten und bezeugten einander gegenseitig unsere
vielleicht erst nach Luos Tod im Herbst 1564, veränderte er diesen Bericht für ein Einsichten (wangfa zheng wu fI fUiEffi), untersuchten Daoismus und Buddhismus und
allgemeines Publikum. Diese zweite Fassung ist um ein Drittel kürzer als die erste, sie erforschten die [konfuzianischen] Autoren. 464 Seine Gesinnung war überragend (yi chao
lässt manches aus der ersten weg, fügt aber auch einiges Neues hinzu, unter anderem ru ye j/j:i\il.:l!Dffl). Er meinte, auch wenn er den ganzen Tag sehr beschäftigt sei, wage er
solches, das für ein allgemeines Publikum nicht stillschweigend vorausgesetzt werden
konnte. 458 Dass Wang Ji von diesem Bericht eine zweite Fassung herstellte, gibt, wie
190-194); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 2, S. 42f.
459 «Begegnung der Gesinnungen in Songyuan», Luo Hongxian ji, Nanjing 2007, juan 16, S. 695-697.
460 «Zusammenstellung von Briefen an Hu Zhengfu tJI iEli», a.a.O.,juan 15, S. 667f.
454 «Briefan WangJi», datiert auf das Jahr hingehen (1556),LuoHongxianji, Nanjing 2007,juan 6, S. 214. 461 WangJi und Luo Hongxian begegneten sich zum ersten Mal im Frühjahr 1532 in Peking, als Wang
45 5 Luo Hongxian schreibt in seiner «Begegnung der Gesinnungen in Songyuan»: «Am 7. Tag des mitt- Ji dort die höchsten Staatsprüfungen ablegte und Luo Hongxian dort in der Kaiserlichen Hanlin-
leren Wmtermondes besuchte er [Wang Ji] mich unerwartet von Huaiyu kommend in Songyuan.» Akademie tätig war: siehe oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 623.
Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 16, S. 696. 462 Tang Shunzhi war ein enger Freund von Luo Hongxian, mit dem er 1541 ein Gesuch an den Thron
456 Siehe «Erklärung für Shiguang, Yizhao», Wang Longxi quan ji (1822),juan 17, S. 29b (Taipei 1970, eingereicht hatte, das mit der Streichung ihrer Namen von den Beamtenlisten bestraft wurde (siehe
S.1248); Wang]iji,Nanjing2007,juan 17, S.505. oben in diesem Kapitel den§ 1, S. 624f. 1558 trafen sich die beiden in Qiyunyan ~~:'t!i (wohl ein
457 «Worte von der Begegnung in Songyuan, Herrn Luo Nian'an zum Geburtstag», Wang Longxi qztan ji Gebirge, das heute zur Provinz Anhui gehört: siehe Zhongguo gu jin diming da cidian, Taipei 1982, S.
(1822),juan 14, S. 21b-24b (Taipei 1970, S. 988-994); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 14, S. 391-392. 1145b), um über eine gemeinsame Rückkehr zur Beamtentätigkeit zu beraten. Während Tang Shunzhi
Er schreibt hier, dass er im mittleren Wintermond nach Songyuan kam (S. 22b, Taipei, S. 990), dass wieder eine Beamtenstelle annahm, lehnte Luo Hongxian ab (siehe oben, S. 64 lf., und Wu Zhen 2001,
«der 14. Tag dieses Mondes der neunundfünfzigste [nach westlicher Zählung: achtundfünfzigste] s. 357).
Geburtstag des älteren Bruders [Luo Hongxian] ist und dass er die in Songyuan geführten zahlrei- 463 Luo lebte nach seinem Umzug nach Songyuan vom Winter 1559/60 bis zum Sommer 1562 während
chen Gespräche zusammenfasst und diese Zusammenfassung dem älteren Bruder zum Geburtstag zweieinhalb Jahren völlig zurückgezogen.
widmet>>; S. 24a-b (Taipei 1970, S. 993f.). 464 Der Satz: «untersuchten Daoismus und Buddhismus und erforschten die [konfuzianischen] Autoren»
458 «Worte von der Begegnung in Songyuan», Wang Longxi quanji,juan 2, S. 17b-19b (Taipei 1970, S. fehlt in der späteren Fassung in juan 2.
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doch nie, Überdruss zu empfinden, sich auf etwas zu versteifen oder etwas nachlässig noch als zwei zeitlich verschiedene äußere Situationen betrachtete, in denen beiden
abzuschütteln, unehrerbietig zu sein und zu schimpfen. Vom Morgen bis zum Abend das 1 lerz seine «Stille in den Erregungen» zu bewahren hat, gibt es für ihn jetzt in der
fürchte er nur, dass jemand nicht zu seinem Recht komme (bu de qi suo >fi~~jiJr). Ein ethischen Praxis keine gesonderten zeitlichen Etappen der Ruhe und der Tätigkeit
solches Herz vermag der Welt Ruhe und Ordnung zu bringen; was braucht man sich mehr. Doch zeigt sich in der Fortsetzung ihrer Berichte auch wieder die Differenz
da noch über seine 'frockenheit und Ruhe Sorgen zn machen!»465 zwischen den geistigen Haltungen Luo Hongxians und WangJis.
Luo Hongxian selbst beschreibt in seinem eigenen Bericht seine \MmgJi gegen- Luo Hongxian schreibt: «!Wang Ji] fragte mich: <Glauben Sie, dass das Gefühl
über geäußerte Haltung wie folgt: «Longxi [WangJi] fragte mich: <Worin gleicht nach des Erschreckens beim plötzlichen Anblick eines in einen Brunnenschacht fallenden
Ihrem eigenen Gefühl Ihre jetzige Handlungsweise der früheren?> Ich antwortete: <In Kindes [d.h. das <ursprüngliche Wissen> des gewöhnlichen Menschen] dasselbe ist wie
den vergangenen Jahren gab es noch viele Unterbrüche und Wiederaufnahmen (shang dasjenige [der heiligen Könige] Yao und Shun? Glauben Sie dass ein kleines bisschen
duo duan xu t,!;j~ll!Jfa).Jetzt fühle ich, dass die ethische Übung nur darin besteht, dass Gold dasselbe [Gold] ist wie zweihunderttausend Tael Gold (hao li jin ji wan yi jin
wir in allem keine vermischten (unreinen) Gedanken haben (gong fu zhi shi yi qie wu ~B:i:Gf.lJiUliil~)?> [Ich] antwortete: <Mit diesem Beispiel des plötzlichen Erblickens
you za nian J}J~.R~--l;JJ~;pjl'tft~). Wenn sich die vermischten Gedanken allmählich eines in einen Brunnenschacht fallenden Kindes belehrt Mengzi die Menschen über das
vermindern, dann wird unser Antworten auf die äußeren Situationen von selbst ad- wahre Herz (zhen xin ~ 11>) gerade mit einem geistigen Zustand, in welchem die [dreiJ
äquat (gan ying chu bian zi shun shi ~Hli.E~ ~ )lfislm\). Das ist mein seit den vergangenen Gedanken an gesellschaftliche Beziehungen, an guten Ruf und an schlechten Ruf noch
Jahren (nian lai ff*) verfolgter Weg des Handelns.> [Wang Ji] fragte: <Gibt es in der nicht vorhanden sind (wei you *;pj). 467 Nur wenn die drei Gedanken nicht vorhanden
ethischen Übung ein Früher und ein Später (gong fit you xian hou J}J;i'i;:;pj$1:;fi)?> Zu sind, ist es das wahre Herz (wu san nian chu, shi shi zhen xin AA=~~~tHUt,t.,). Wenn
jener Zeit glich ich die Steuern und Frondienste der Dörfer aus. Deshalb nahm ich man es nachher ausdehnt und verwirklicht (kuo chong 111c), will man, dass es zu jeder
dies zum Beispiel und antwortete: <Wenn wir zum Beispiel beim Ausgleich der Steuern Zeit dieses [wahre] Herz ist(shishishi ci xin ~l!~H'i!:JtU,). Erst wenn zu jeder Zeit (shi shi
nach ethischen Absichten handeln und uns für die Dörfer etwas anstrengen, müssen ~~) keine vermischten Gedanken vorhanden sind, kann es mit Yao und Shun überein-
wir nur geduldig etwas Überdruss ertragen (zhi de nai Jan xi ni Ri~iffitffit.!Hlt). Deshalb stimmen (fang ke yu Yrto Shun xiang dui JJ"'i:iJ~~~*~~).> Am nächsten Morgen setzten
ging es vom sechsten Mond [ungefähr Juli 15 62] bis jetzt [Dezember 1562] ein halbes wir die Diskussion der buddhistischen und äaoistischen Lehren und des Can tong qi ~
Jahr lang den ganzen Tag turbulent zu, aber ich wagte nicht, Überdruss zu empfinden, li'i.l~468 fort. Longxi [Wang Ji] sagte: <Auf der Welt gibt es keine bereits fertige 469 dem
mich auf etwas zu versteifen oder etwas nachlässig abzuschütteln, aufgeregt und un- Himmel vorangehende einheitliche Lebensenergie (shijian na you xian cheng xian tian
ehrerbietig zu sein und zu schimpfen und einseitig Partei zu ergreifen. Vom Morgen yi qi 1!!:Fs,:,J~;pj$t;J5¼$t::R-~); diese eine Lebensenergie vermag entschieden nicht ohne
bis zum Abend fürchtete ich nur, dass jemand nicht zu seinem Recht kommt (yi ren bu eine durch tausend Tode hindurchführende Anstrengung zu entstehen ifei xia wan si
de qi suo - A 4qi~P.lr). Obschon ich sehr beschäftigt war, fühlte ich keine Müdigkeit; gongfu duan bu neng sheng ~~"fJjl.9EJ}J Ji;:ilf 1'~~1:.); sie ist nicht als etwas schon Fertiges
es drangen keine vermischten (unreinen) Gedanken ein (za nian bu ru ll~1'A), und erhältlich (bu shi xian cheng ke de 1'~~!5¼1:iJf~). Der Mechanismus des Entstehens geht
ich achtete auch nicht auf die äußeren Umstände von Ruhe und Tätigkeit (bu jian dong aus dem Mechanismus des Vernichtens hervor (shengji chu yu sha ji 1:.lt 1±1:lit~lt); ohne
jing er jing 1' ~jj)ffil=:tl). Ich sagte mir: Gerade das ist die Übung der Ruhe und der Vernichten gibt es kein Entstehen, so ist der wahre Antrieb von Himmel und Erde (tian
Festigkeit (jing ding gong fu ffi!'.JE'.J}J .1i;:). Es ist nicht so, dass die Ruhe nur in der Zeit di zhen ji ;;/i;Jt!!;ililt). Deshalb kontrolliert das Wasser das Feuer, indem es verspritzt wird,
des unbeweglichen und schweigenden Sitzens besteht (zhi niu ding mo zuo shi jing wenn es [das Feuer] vernichtet; das Holz bringt das Feuer hervor, indem es mit dem
.!l.&H'.JE'.~~E~~ffil), und wenn es zum tätigen Entsprechen [gegenüber der jeweiligen Drillbohrer durchbohrt wird, wenn es Funken erzeugt. 470 Dieses Stück ist der Haupt-
Situation] kommt, es dann keine Ruhe gibt.»466
WangJi anerkennt in seinen Bericht Luo Hongxian vollständig indessen ethisch-
sozialen Praxis.Aufgrund von Geduld in ärgerlichen Umständen und der Abwesenheit 467 Vgl. Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap.6: Mengzi sagt hier, dass dieses «Erschrecken» und die spontane
Hilfsbereitschaft nicht von Gedanken an die Beziehung·en mit den Eltern des Kindes oder von Ge-
von vermischten (unreinen, egoistischen) Gedanken findet Luo Hongxian in seinem danken an das eigene Ansehen oder die üble Nachrede motiviert seien.
tätigen Einsatz zum Wohle der Bevölkerung der Dörfer seines Kreises nicht nur die 468 Das Can tong qi, das auch Zbouyi can tong qi J5J!ii\$1E.1~ heißt, gehört zum daoistischen Kanon. Als
Ruhe in der Tätigkeit, sondern entspricht auch der Wesenseinheit seines Herzens mit Autor gilt Eo Yang aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. Es vereinigt die Deutung der Hexagramme des
«Buches der Wandlungen» mit der daoistischenAlchernie. Es gibt dazu viele Kommentare, einer da-
allen Wesen, das heißt der «Menschlichkeit». Während er 1554 Ruhe und Tätigkeit von stammt auch vorn großen Konfuzianer der Song-Zeit Zhu Xi (1130-1200}: siehe Ciyuan, Beijing
1979, s. 447.
469 Zum Ausdruck des «Fertigen» (xian cbeng f:ll.Jäx), der in der Kritik von Nie Bao und Luo Hongxian
gegen Wang Ji eine wichtige Rolle spielt, siehe oben in diesem Teil II, Kap. 2, § 1.
465 Wang Longxi quanji (1822),jumz 14, S. 22b-23a (Taipei 1970, S. 990f.}; Wang]iji, Nanjing 2007, 470 Bezugnahme auf die seit dem 2.Jahrhundertv. Chr. sowohl vom Daoisrnus als auch vom Konfuzianis-
juan 14, S. 392. mus übernommene kosmologische Lehre von den Verhältnissen des Überwindens und des Hervor-
466 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,jurm 16, S. 696. bringens zwischen den fünf Elementen (Wasser, Holz, Feuer, Erde, Metall}: Das Wasser überwindet
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gedanke des Can tong [qi].> Ich sagte sofort zustimmend: <Älterer Bruder, diese Worte den Gedanken des nicht «Fertigen» und der «Anstrengung, die durch tausend Tode
sind sehr wahr! Auf der Welt gibt es kein bereits fertiges <ursprüngliches Wissen> (shi hindurchgeht», auf, wendet ihn aber kritisch gegen Wang Ji, indem er unter dieser
jian na you xian cheng liang zhi t!tfllJJJß~iji~.m_;m); das <ursprüngliche Wissen> vermag Anstrengung eine eigene Willensanstrengung versteht und nicht wie Wang Ji ein
nicht ohne eine durch tausend Tode hindurchführende Anstrengung zu entstehen, es ist vertrauendes Sichanheimgeben an das schöpferische und vernichtende Wirken des
nicht als etwas bereits Fertiges (xian cheng iji~) erhältlich. Es gibt heute Leute, die das «ursprünglichen Wissens» selbst. Deshalb stellte WangJi am Anfang seines Berichtes
<ursprüngliche Wissen> als etwas bereits Fertiges betrachten und nicht die Anstrengung über dieses Gespräch mit Luo Hongxian vom Dezember 1562 die Frage: <<Verneint
des <Verwirklichens des ursprünglichen Wissens> anwenden. [... ] Ein Sprichwort sagt: mein älterer Bruder das, was in der Lehre vom <ursprünglichen Wissen> <Verwirkli-
Vorhandenes Bargeld [fertiges Geld] verbraucht sich leicht (xian qian yi shi iji~~-lf); chen durch die ·Fähigkeit des Vertrauens auf sich selbst> genannt wird?»474
das ist ein guter Vergleich. Wenn man einen Haushalt führt, muss man auch beständig In den nun folgenden Sätzen dieser Fortsetzung von Wang Jis Bericht ist un-
einen Gewinn erzeugen, sonst kommt man in die Bedrängnis der Armut. Wenn man bestimmt, wer in ihnen der Sprecher ist. Wang Ji schreibt: «In der Folge wurde [von
sich nicht durch Zurückholen und Ruhe und Festigkeit anstrengt (wu shou lian jing Luo Hongxian oder Wang Ji?] hervorgehoben, dass das Erschrecken beim plötzli-
ding zhi gong mtJ.&1,JcwJmz~), sondern sagt, dass von selbst das <ursprüngliche Wissen> chen Anblick eines in einen Ziehbrunnen fallenden Kindes noch nicht mit dreierlei
vorhanden ist, das auf die Umstände gut antwortet (zi you liang zhi shan ying ~ ~ .m_;m [egoistischen] Gedanken vermischt, sondern das nicht von Wünschen bewegte wahre
~.III), dann befürchte ich, dass selbst Konfuzius oder Mengzi, wenn sie wiedergeboren Herz sei (zhen xin JU,,). Es sei das, was <ursprüngliches Wissen> genannt wird und
würden, dafür nicht einzustehen wagten.»471 gegenüber [dem <ursprünglichen Wissen>] der heiligen Könige Yao und Shun
Ist die Idee, die Wang Ji nach dem oben wiedergegebenen Bericht von Luo keinerlei Unterschiede aufweist (;yu ~o Shun· wei chang you yi zhe !lil~JJ* I' ~ ~
Hongxian aus dem Can tong qi herausholt, dieselbe, die er auch zwei Jahre später :f). Wenn man nicht fähig sei, im Hinblick darauf [auf dieses <ursprüngliche Wissen>]
(1564) in dem von uns oben in Kapitel 2 angeführten Gespräch mit Geng Dingxiang Vertrauen in sich selbst zu haben (sich selbst zu glauben: zi xin gJ m), komme dies
(1524-1596) äußerte: Der «wahre Antrieb von Himmel und Erde» bzw. das «ur- einer Selbstverleumdung (zi wu ~ iil\) gleich. Doch wenn man die Anstrengung des
sprüngliche Wissen» vermag nur entstehen zu lassen» bzw. zu «erzeugen» (sheng ':E. <Verwirklichens des ursprünglichen Wissens> nicht anwende, das heißt, nicht fähig
bzw. zao ~), wenn es auch zu «vernichten» (sha ~) bzw. «aufzulösen» (hua 1t.) vermag? sei, zu jeder Zeit dieses [wahre] Herz zu bewahren (shi shi bao ren ci xin ~~1~iHf
«In unserem [ethischen] Lernen geht es um dieses Erzeugen und Auflösen»: 472 Das JJ;t,t,,) und zu jeder Zeit von vermischten [schlechten] Gedanken freizuhalten (wu
«ursprüngliche Wissen» bringt immer wieder Neues hervor und lässt das Gegen- za nian 11U4t~), sondern nur die leere Meinung des bereits Fertigen [des <ursprüngli-
wärtige vergehen, es klammert sich von sich aus an nichts Gewordenem fest, sondern chen Wissens>] anerkenne (tu ren xian cheng xu jian f>E~iji~~Jt) und dabei der Wurzel
ersetzt es im zeitlichen Vorgang durch anderes. Der Mensch soll sich nicht in seinen der Wünsche schmeichle und noch meine, [das eigene <ursprüngliche Wissen>] sei im
Meinungen und Begierden an etwas klammern, sondern in sich den schöpferisch- Vergleich zu [demjenigen der] Könige Yao und Shun niemals ungleich (wei chang bu
vernichtenden Prozess des «ursprünglichen Wissens» frei wirken lassen. Bezeichnet tong *'l=-FIE'.I), dann komme dies auch einem Selbstbetrug (zi qi Bll) gleich.»475 Wer
er im oben angeführten Gespräch mit Luo Hongxian vom Dezember 15 62 die nega- spricht hier, Luo Hongxian oder Wang Ji? Wenn wir diese Sätze aus dem Bericht Wang
tive («vernichtende») Seite dieses Prozesses als «[ethische] Anstrengung, die durch Jis parallel zu denjenigen im oben zitierten Bericht Luo Hongxians lesen, müsste hier
tausend Tode [d.h. durch tausendAuflöstmgen oder Vernichtungen] hindurchführt»? Luo Hongxian der Sprecher sein. Aber konnte Luo Hongxian wirklich die Grundthese
Dann ist auch für WangJi das «ursprüngliche Wissen» nichts «bereits Fertiges» (xian Wang Jis aussprechen, dass das momentane «ursprüngliche Wissen» im Bewusstsein
cheng iji~), sondern bedarf der ethischen Anstrengung. Aber diese besteht für ihn eines gewöhnlichen Menschen zu demjenigen der heiligen Menschen keinen Unter-
nicht darin, selbst etwas zu wollen und zu machen, sondern darin, das «ursprüngli- schied aufweist? In seinem eigenen Bericht dieses Gespräches anerkennt er nur, dass,
che Wissen» ungehindert in seinem Erzeugen und Vernichten wirken zu lassen, das «wenn zu jeder Zeit keine vermischten Gedanken vorhanden sind», das «ursprüng-
heißt in den Worten seines letzten Gespräches mit Luo Hongxian im Sommer 15 54: liche Wissen» «mit den heiligen Königen Yao und Shun übereinstimmt». Doch wenn
«das ursprüngliche Wissen durch das ursprüngliche Wissen zu verwirklichen ([wohl wir seine Stellungnahme gegenüber Liu Bangcai am «Dunklen Teich» im Sommer
genauer:] das ursprüngliche Wissen durch das ursprüngliche Wissen verwirklichen zu 1554 lesen und damit den im Dezember 1562 geäußerten Gedanken vergleichen, dass
lassen: yi liang zhi zhi liang zhi J3/,..m,~~.m_~).»473 Luo Hongxian greift zustimmend die spontanen Gefühle beim plötzlichen Anblick eines in einen Brunnenschacht fal-
lenden Kindes, in welchen «die [drei] Gedanken» an egoistische Vorteile «noch nicht

das Feuer; das Holz bringt Feuer hervor.


471 Luo Hongxianji, Nanjing 2007,juan 16, S. 696f.
472 «Worte der Versammlung der Ostreise» [1564), Wang Longxi quan ji (1822),juan 4, S. 9b-10a (Taipei 474 Siehe oben in diesem§ 9, S. 735.
1970, S. 294f.): siehe oben in diesem Teil II, Kap. 2, § 2, S. 474. 475 Wang Longxian quanji (1822),juan 2, S. 18a-b (Taipei 1970, S. 191f.);juan 14, S. 23a (T:·lipei 1970,
473 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 6, S. 710. S. 991); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 2, S. 42;juan 14, S. 392.
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vorhanden» sind, «das wahre Herz» seien, dann sind diese Sätze von Luo Hongxians gelangende wahre ethische Anstrengung des älteren Bruders, die er wahrhaftiges
Position nicht weit entfernt. Wenn aber in ihnen Wang] i spricht, dann würde er genau <Verwirklichen des ursprünglichen Wissens> nennt.» 479 Statt dieses rein positiven
wie Luo Hongxian die Idee des «bereits fertigen ursprünglichen Wissens» als eine Urteils heißt es kritisch in der für ein allgemeines Publikum bestimmten, späteren
leere Meinung von sich weisen und die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» Fassung (in juan 2 seiner «Werke»), in welcher bloß Wang Ji als der Sprecher jener
fordern, um dieses «Wissen» im Bewusstsein beständig präsent zu halten? Ließ Wang vorangehenden Sätze verstanden werden kann: «Man kann nicht sagen, dass man
Ji in seiner «Geburtstagsgabe» den Sprecher dieser Sätze deshalb unbestimmt, weil er durch diese [ethische] Anstrengung [Luo Hongxians] nicht zu Kraft gelangt. Aber
das Gesagte als etwas zwischen ihm und Luo Hongxian Gemeinsames aufstellen wollte, es ist am Ende noch immer eine Anstrengung, die ein Sammeln und Kontrollieren
das eine fundamentale Übereinstimmung zwischen ihnen erlaubt hätte: Luo Hongxi- enthält (shi you shou you zhi zhi gong ~{;flßi{;f1M.z.Jj]), und ist nicht die endgültige
an würde anerkennen, dass schon eine momentane Regung des «ursprünglichen Lehre des Nichtmachens (feijiu jing wu wei zhi zhi 11=:~Jl1ffi~.z l:ä).»480 Hat Wang Ji
Wissens» dem «ursprünglichen Wissen» der heiligen Menschen gleich ist und vollen in seiner «Geburtstagsgabe», die Luo Hongxian als Mitträger jener Sätze vermuten
Glauben verdient, während Wang Ji Luo Hongxians Forderung des «zu jeder Zeit» lässt, eine fundamentale Übereinstimmung zwischen ihm selbst und Luo Hongxian
anerkennen würde, allerdings nicht als Voraussetzung für ein wahres «ursprüngliches herzustellen versucht, später aber an dessen Reaktionen gemerkt, dass dies doch
Wissen», sondern für die Echtheit der ethischen Praxis von dessen «Verwirklichung»? nicht möglich war? Erklärt dies, weshalb er vom Bericht dieses Gespräches vom
Wang Jis späterer Bericht für ein weiteres Publikum (injuan 2 seiner «Wer- Dezember 1562 eine zweite Fassung herstellte?
ke») führt als Sprecher für die den oben zitierten Sätzen unmittelbar folgenden Wang Jis bleibende Kritik an I ,uos Übung des «Sichznrückholens und Sich-
Ausführungen die Bezeichnung für Luo Hongxian ein: «Denn der ältere Bruder festigens» ist die: Diese Übung bleibt eine vom Menschen konzipierte und willentlich
meinte selbst [... ] (gai xiong zi wei ~5i', § ~ [ ... ])»; der Leser kann daher annehmen, durchgeführte Methode, um das «ursprüngliche Wissen» zu «verwirklichen». Sie
dass im Gegensatz dazu in den vorangegangenen (oben zitierten) Sätzen nur Wang kann in einer bestimmten geistigen Situation ihren relativen Nutzen haben. Aber da
Ji gesprochen hatte. Die frühere «Geburtstagsgabe» lässt auch hier die Bezeich- das «ursprüngliche Wissen» an sich immer schon vollkommen ist, darf man letztlich
nung des sprechenden Subjekts aus, so dass der Leser annehmen kann, dass wie an ihm «nicht machen»•, man darf «nicht eingreifen» (wu wei 1ffi~) (Wang Ji benutzt
in den vorangegangenen Sätzen gemeinsame Gedanken ausgesagt werden. Wang in der zweiten Fassung seines Berichtes diesen daoistischen Ausdruck), sondern nur
Ji schreibt in diesen Ausführungen: <<Denn (der ältere Bruder meinte selbst), 476 das «ursprüngliche Wissen» selbst ungehindert zu seiner Auswirkung kommen lassen.
man müsse den ganzen Tag den sozialen Anforderungen entsprechen (zhong ri ying In beiden Fassungen seines Berichtes fährt Wang Ji in diesem Sinne fort: «Wenn er
chou ~ EI ,l,jfflff) und auch den ganzen Tag sich zurückholen und fest in der Ruhe sagt, dass es im Leben kein bereits fertiges (xian cheng l~JS¼) <ursprüngliches Wissen>
sein (zhong er shou lian an jing ~ EI lßi~~ml); nicht im Geringsten davoneilen und gibt, dass es ohne eine durch tausend Tode hindurchgehende Anstrengung nicht
dabei [das gute Herz] fallenlassen, nicht rennen und verfolgen, sich nicht auf den zu entstehen vermag, dann ist dies sicher ein gutes Heilmittel, um dadurch unsere
Unterschied zwischen Ruhe und Tätigkeit einlassen (bu she er jing 1"5#=:!Ji); nicht Generation leerer Meinungen und bloßen Nachredens zu korrigieren. Wenn aber
der Macht der schlechten Gewohnheit die Gelegenheit geben, sich heimlich aus- das bereits fertige <ursprüngliche Wissen> [die zweite Fassung ersetzt «das bereits
zuwirken (bu shi xi qi chengji qian Ja 1"-ltiUU~~;l~).»477 • 478 In der Luo zu dessen fertige <ursprüngliche Wissen»> durch «das gegenwärtige ursprüngliche Wissen»!] 481
Geburtstag gewidmeten früheren Fassung seines Berichtes (injuan 14 von Wang nicht dasselbe wie dasjenige der heiligen Könige Yao und Shun sein soll (ruo bi yi xian
Jis «Werken»), in der auch Luo jene Sätze über die «Gleichheit» des «ursprüngli- cheng liang zhi [xian zai liang zhi] yu Yao Shun bu tong ~~P).JJiJS¼ ~~ [IJ!-r±lHll]~~
chen Wissens» bei heiligen und gewöhnlichen Menschen zu vertreten scheint, fügt ~1'1ii.1), sondern erst durch die Anstrengung des Kultivierens und Verbesserns (xiu
Wang Ji das Urteil hinzu: «Das ist die zum Anfang zurückkehrende und zu Kraft zheng {11~)482 dazu werde, dann wäre der Fehler, der beim Zurechtbiegen von etwas
Krummem dieses in die entgegengesetzte Richtung verkrümmt (jiao wang zhi guo ~

476 Diese zwischen Klammern gesetzte N ennnng des Sprechers kommt nur im Text von juan 2, nicht aber
in der früheren F assnng von juan 14 («Geburtstagsgabe») von Wang Jis «Gesammelten Werken» vor. 479 Wang Longxi quanji (1822),juan 14, S. 23a (Taipei 1970, S. 991); WangJiji, Nanjing 2007,juan 14,
477 Fast wörtlich gleich formuliert Luo Hongxian selbst in seinem eigenen Bericht über dieses Gespräch s. 392.
seine Maximen: «Den ganzen Tag den sozialen Anforderungen entsprechen und auch den ganzen 480 A.a.O.,juan 2, S. 18b (foipei 1970, S. 192); Wang Ji ji, Nanjing 2007,juan 2, S. 42.
':fag sich zurückholen und fest und ruhig sein; nicht im Geringsten davoneilen und dabei [das gute 481 Offenbar ist «bereits fertiges (gebrauchsfertiges) ursprüngliches Wissen» (xian cheng liang zhi ;!l!,Jix ~
Herz] fallenlassen, nicht rennen und verfolgen, nicht dem Mechanismus der schlechten Gewohnheit 9:!l) ein von Luo kritisch gegen WangJi eingesetzter Ausdruck, den WangJi in der früheren Fassung
die Gelegenheit geben, sich heimlich auszuwirken: Nur so wird man seiner das ganze Leben geführ- zitierend übernimmt, in der späteren aber durch den eigenen, seiner Intention entsprechenden Aus-
ten Rede vom [ethischen] Lernen nicht untreu.» «Begegnung der Gesinnungen in Songynan», Luo druck des «gegenwärtigen ursprünglichen Wissens» (xian zai liang zhi ;!l!,;ft ~9,1) ersetzt.
Hongxirm ji, Nanjing 2007,juan 16, S. 697. 482 In der Luo gewidmeten, früheren Fassung steht anstatt: «kultivieren und verbessern» (xiu zheng
478 WangLongxi quanji(1822),juan 2, S. 18a-b (Taipei 1970, S.191f.);juan 14, S. 23a (Taipei 1970, S. 991); ~!ii!f): «kultivieren und bezeugen» (xiu zheng ~m'): juan 14, S. 23b (Taipei 1970, S. 992); Wang Ji ji,
Wang Ji ji, Nanjing 2007,juau 2, S. 42;juan 14, S. 392. Nanjing 2007,juan 14, S. 392.
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Hilll.) unvermeidlich. 483 Schon früher habe ich gefragt, ob der erscheinende Himmel gelähmt waren. Meine Bestürzung und meine Sorge waren sehr groß. Soeben traf
vom großen weiten Jlimmcl verschieden sei oder nicht. Auf diese Frage wünsche ich ich Ai Ling :3t ~ 489 , der sagte, dass Sie im Wesentlichen genesen sind, doch an Ihrer
unermüdlich immer wieder eine kritische Antwort (yujiu zheng W:JJJ/.iE).»'18 + Wang Ji rechten !land noch eine Behinderung haben und nicht lange schreiben können. Wie
greift hier wieder auf sein wichtigstes Gleichnis für die Vollkommenheit des «gegen- könnte der Himmel gegenüber Ihrer außerordentlichen Fähigkeit Neid verspüren!
wärtigen ursprünglichen Wissens» zurück, das er auch in der Auseinanderset,,ung mit Obschon Sie sich mit Ihrem Körper in der Abgeschlossenheit befinden, so ist Ihr Herz
Liu Bangcai im Sommer 1554 verwendete. 485 \Nangji und Luo Hongxian scheinen doch immer mit den Gleichgesinnten innerhalb der Meere in Verbindung. Ich selbst
sich auch im Dezember 1562 hinsichtlich ihrer Interpretation des im Bewusstsein empfange Ihre Liebe wie von einem Blutsverwandten. [... ] Sie haben sich bis heute
des gewöhnlichen Menschen aktuell auftretenden, «gegenwärtigen ursprünglichen immer [geistig] zurückgeholt und gesammelt (shou she l&ffli) und dadurch die eigene
Wissens» nicht völlig einig geworden zu sein, auch wenn Wang Ji eine solche Ei- Reinheit gesucht; ich wage nicht, noch mehr Worte der Kritik zu erheben. Ich hoffe,
nigkeit anstrebte. Schon die Zweideutigkeit und Zweiheit von Wang Jis Berichten dass Sie keine Worte sparen, um mir zu sagen, was Sie während Ihrer Krankheit an
deutet dies an. Neuem erlangt haben. Sie haben in früherer Zeit noch nicht an die Lehre vom <jet-
Auch am Schluss seines Berichtes über diese Gespräche mit Luo Hongxian will zigen (gegenwärtigen) ursprünglichen Wissen> geglaubt (wei xin xirm zai liang zhi zhi
Wang Ji wieder ihre fundamentale Einheit hervorheben. Er greift in dieser Absicht shuo *1~!J'f1±.Bl9;□ Z~); was haben Sie in Ihrer Abgeschlossenheit an tiefem Sinn weiter
zu seiner Lehre vom Unterschied zwischen der «plötzlichen» und der «allmählichen erspürt?» Und dann trägt er wieder den Gedanken vor, durch den er in der «Geburts-
Einsicht» (dun wu,jian wu ~t!fffliffi), die beide letztlich zum selben Ziel führen kön- tagsschrift» von 1562 sich mit Luo zu einigen hoffte: «Wenn man die Gegenwart [des
nen. Wir haben diesen 'Text schon im Zusammenhang mit Wang Jis Diskussion mit <ursprünglichen Wissens>] bloß genießt (xiangyong xian zai ~ffl mr±), gerät man sicher
Qian Dehong zitiert. 486 Er beginnt mit dem Satz: «Obschon die <Verwirklichung des ins Rüpelhafte (gu she long tong ~)iu;glBJ); doch im Hinblick worauf soll man sich an-
[ursprünglichen] Wissens> im Lernen der [konfuzianischen] Heiligen nur eine ist, so strengen, wenn man nicht an seine Gegenwart glaubt (bu xin xian zai,jiang he suo yong
gibt es doch verschiedene Einsatzstellen (suo ru Jifr J...)»; und er endet mit dem Satz: li ye =fmmtE~1iiJi'fr J:l:l iJ !!~)?»490 Wang Ji bringt hier den Gedanken zum Ausdruck, dass
«Auch wenn es [beim Weg der allmählichen Einsicht] nötig ist, sich auf das Vertreiben man sich im ethischen Leben nur für etwas anstrengen kann, an dessen gegenwärtige
der Wünsche auszurichten (yi qu yu wei zhu ,1..:;J.:t;;,W:~.:l::) und so danach zu streben, das Wirksamkeit man glaubt. Es ist wohl derselbe Gedanke, den er in der Versammlung
eigentliche Wesen [seines Herzens] zurückzugewinnen, so sind das Allmähliche und von Nixiantai im Dezember 1562 so formulierte: «Was man im Lernen sucht, ist die
*
das Plötzliche doch nie voneinander verschieden (wei chang yi 'i ~).»487 Im Grunde Ursache dafür, dass man es erlangt (suo qiu,ji de zhi zhi yin Pfr>.IH/ll1ij.zz!Zil); was man
fühlte auch Luo Hongxian, dass er und Wang J i sich sehr nahegekommen waren. Er im Lernen erlangt, ist die Bestätigung, dass man es suchte (ist die Bezeugung dessen,
schrieb in einem Brief an eine dritte Person über diese Begegnung: «Longxi [WangJi] was man suchte: suo de,ji qiu zhi zhi zheng Ji'MijWJ5.KZZ~). Von Anfang bis Ende be-
kam von der Huaiyu-Akademie und hat bei mir zwei Nächte verbracht. Wir haben uns steht eine Einheit (shi zhongyi guan Mt~-~), man kann nicht trennen.»491 Auch Luo
gegenseitig sehr bestätigt und fühlten uns voneinander nicht weit (po xiang yin zheng, Hongxian «glaubte» an das gegenwärtige «ursprüngliche Wissen», sah aber diesen
bu yi wei yuan ~*~ ~Pfil1"P)-l.il1m). Von da an konnte ich einen sicheren Halt finden (cong «Glauben» an die Voraussetzung der ethischen Anstrengung gebunden, während
ci ke yi an shen {itJlti:iJ ,1..::J.~ffit).»488 \Vang Ji sich nur um etwas strebend bemühen konnte, woran er zu «glauben» und
Bis zum Ende ihrer Beziehungen legte Wang Ji seinem Freund den Glauben an was er «einzusehen» vermochte.
das gegenwärtige «ursprüngliche Wissen» ans Herz. In seinem letzten Brief an ihn,
den er wohl 1564, im Todesjahr Luo Hongxians, verfasste, schrieb er dem damals § 10 Wang Jis dialektische Position und Negation sowohl der
wahrscheinlich durch einen leichten Gehirnschlag Gezeichneten: «Im vergangenen «Schwierigkeit» als auch der «Leichtigkeit» des «Lernens»
Herbst habe ich vernommen, dass Sie, mein älterer Bruder, an Verschleimung der und seine Einstufung von Luo Hongxians Vorgehen
Atemwege und Erschöpfung litten und ihre Hand und ihr Auge verkrampft und
Nach Luo Hongxians Tod im Herbst 1564 nahm Wang Ji noch in zwei Texten aus-
führlicher zu Luo Hongxians Lehre über das «Verwirklichen des ursprünglichen
483 Diesen Fehler wirft WangJi auch Nie Bao vor: vgl. oben in Kap. 3, § 6,Abschnitt b), S. 617. Wissens» Stellung. Der frühere dieser beiden Texte stammt wahrscheinlich aus der
484 Wang Longxi quan ji (1822),juan 2, S. 186 (Taipei 1970, S. l92);juan 14, S. 23a-b (faipei 1970, Zeit zwischen Luo Hongxians Tod und dem Jahr 1569, der spätere vom Sommer
S. 991f.); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 2, S. 42;juan 14, S. 392f.
485 Siehe im vorangehenden§ 7, S. 718.
486 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 1, § 5, S. 460f.
487 A.a.O.,juan 2, S. 19a (Taipei 1970, S. 193);jurm 14, S. 236 (Taipei 1970, S. 992); Wang]iji, Nanjing 489 Mir unbekannte Person.
2007,jwm 2, S. 42f.;juan 14, S. 393 490 Wang Longxi quanji (1822),juan 10, S. 6a-b (Taipei 1970, S. 659f.); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 10,
488 m
«Brief an Zhou Dongyan Jliilll», datiert auf das Jahr ren xu (1562, Anfang 1563), Luo Hongxianji, s. 238.
Nanjing 2007,juan 7, S. 277. 491 Siehe unten in Kapitel 5 den§ 2, S. 762.
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1569. Wie in den letzten Gesprächen mit ihm versucht er auch in ihnen, Luos Lehre die Erleuchtung (chi zhi jie wei jue wu ~~M,~j!ffi). Das, wodurch das <Ursprüngliche
positiv zu werten, aber zugleich auch ihre Beschränktheit aufzuzeigen. Er benutzt dazu Wissen> bewahrt wird, hat bei ihnen keinen Antrieb mehr. Wenn man in dieser Situa-
die dialektische Negation sowohl der «Schwierigkeit» als auch der «Leichtigkeit» tion <sich zurückholt und sich bewahrend zusammenhält>, um zu vermeiden, dass man
des «Lernens» und die «Aufhebung» dieses Gegensatzes in einem «schweigenden sich leichtsinnig und mit sich selbst zufrieden eigenen Einbildungen hingibt, ist das
(überbegriH1ichen) Verstehen». Zugleich hält er an den beiden konträren Gliedern passend (ke ye i'iJ lli). Das ist Nian'ans [Lno Hongxians] unermüdliches Anliegen.»495
dieses Gegensatzes durch ein «Sowohl-als-auch» fest. Diese Methode hat eine gewisse Wang Ji anerkennt also die therapeutische Funktion von Luo Hongxians Vorgehen
Analogie zur Unterscheidung und Integration von «plötzlicher» und «allmählicher als Antithese gegen «leichtfertige» Mitglieder der eigenen Schule. Er fügt aber dem
Erleuchtung», mit denen er Qian Dehongs und im letzten Gespräch mit Luo Hong- oben Zitierten sofort hinzu: «Dennoch ist das den Menschen eigene <ursprüngliche
xian auch dessen Vorgehen in seine eigene Sicht zu integrieren versuchte, und zeigt Wissen> im täglichen Gebrauch des gewöhnlichen Volkes (bai xing zhi ri yong 'l§'tt.z EI
den in vielen Gegensätzen auf Synthese ausgehenden Charakter seines Denkens. ff.1) 496 dasselbe wie in der vollendeten Fähigkeit der heiligen Menschen (tong yu sheng
Der erste Text hat die Form einer Antwort auf die Frage einer anonymen Person. ren zhi cheng neng lä.ltit~A.ZPX~~); es duldet kein Vermehren oder Vermindern durch
Diese fragt WangJi, ob die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» «schwierig menschliches Eingreifen, von dem seine Vollständigkeit abhinge (bu rong yi ren wei
(nrtn ft) oder leicht (yi ~)» sei, und bezieht sich dabei ausdrücklich auf Luo Hongxians jia sun, er hou qurtn 1"~.1-j}__~;/Jamimfl:i:). Die Weise des Erschreckens [beim Anblick
Lehre vom «Sichzurückholen und Sich-bewahrend-Zusammenhalten» (shou she bao ju eines in einen Brunnenschacht fallenden Kindes] und des Verabscheuens [bei respekt-
l&ll{J:il~). Die Frage setzt voraus, dass diese Übung nach Luos Meinung <<schwierig» loser Behandlung] 497 ist sowohl bei einem Bettler als auch bei einem im Dao Wan-
ist. Wang Ji antwortet: «Die <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> ist nicht delnden die göttlich-geistige Antwort des himmlischen Antriebes (tian ji zhi shen ying
schwierig und ist nicht leicht (fei nan fei yi ~l::B~I::~ ). Wenn man anmaßend behauptet, ~~.z:j:$fil) und kommt von ihrem Ursprung her nicht durch ein <Sichzurückholen
dass sie leicht sei, wird man nachlässig und haltlos (hu er wu ju ~ imfflUil); wenn man sie und Sich-bewahrend-Zusammenhalten> zustande. Das ist die Lebensader der Lehre
ins Schwierige windet (niu yu suo nan t:H1i~-P1f B), dann stellt man Hindernisse auf und der Heiligen. Obschon [die heiligen Könige] Yao und Shun über ein <angeborenes
tritt nur wenig in sie ein (zu er xian ru ~.§.ffiiifA). [Die Aussage:] <Der gut Lernende Wissen und ein sicheres Handeln> verfügten, mussten sie sich bei ihrem Überdruss,
versteht schweigend und entscheidet es (mo ti er cai zhi ~ffllffiiit.Z), er strebt nach dem, Groll und ihren Vorlieben auch immer einer <schwierigen und anstrengenden> Praxis
wodurch er es aus sich selbst erlangt (qiu suo yi zi de 5-l<ji]f J;i,. !'!'H~)>, 492 ist da passend (ke unterziehen (kun mian zhi gong lzlslM!.ZJJ.J); aber der Anteil des Spontan-Natürlichen
ye i'iJ-tl2).»493 Luo Hongxians Lehre vom «Sichzurückholen und Sich-bewahrend-Zu- war bei ihnen hoch (zi ran Jen shu duo l'!'l?MJ•~), deshalb spricht [das Zhongyong] von
sammenhalten» sei ein Gegengift gegen die Leute, die sich das ethische Lernen leicht <angeborenem Wissen und sicherem Handeln>. 498 Und das Empfinden und göttliche
machen: «Unsere weltliche Generation, die über das Lernen redet, sagt, dass man sieh Entsprechen der dummen und einfachen Leute ist auch das <eigentliche Wesen>
nicht um die Mühe der Aneignung kümmern müsse, und hält es leichtfertig für sicher (ben ti :zis:\Hl) des <angeborenen Wissens und des sicheren Handelns>, aber der Anteil

~-T
vorhanden (gu you @!~); sie sagt, dass nicht die geringste Anstrengung angewendet der <[willentlichen] Anstrengung> ist bei ihnen hoch (mian ran Jen shu duo ~M'.7.l'
werden müsse, und meint befriedigt, dass es vom Himmel vollendet sei (tian cheng ~%<,). -~); deshalb spricht [das Zhongyong] von <schwierigem Wissen und anstrengendem
Meister Nian'an [= Luo Hongxian] fürchtete den Schaden durch das Leichte: Handeln>. 499 Das <Leichte> spricht über das eigentliche Wesen (yi zhe yan hu qi ti ~;;j!f
Die blitzschnelle Veränderung (shu hu bian hua 1~~~{1'.;) treibe ins Zügellose und habe ~ lJ'!tU); das <Schwierige> (nan B) spricht über die Anstrengung des Lernens (gong
keinen Anhalt (jiang zhi yu dang wu suo gui !l~L~M-%i~PJr!iil). Deshalb hat er die Lehre J:}J). Zwischen dem Leichten und dem Schwierigen gibt es den <Antrieb> (nan yi zhi jian
des <Sichzurückholens und Sich-bewahrend-Zusammenhaltens> aufgestellt, um jene youji yan B~.zrsi~~~). 500 Deshalb sagte ich [von der Aussage]: <Der gut Lernende
Leute zu retten.» Dann gibt Wang Ji eine kurze und oberflächliche Darstellung von versteht schweigend und entscheidet es; er strebt nach dem, wodurch er es aus sich
Luo Hongxians Lehre und fährt in seiner Polemik gegen die leichtfertigen Zeitgenos- selbst erlangt>, dass sie passend sei.» 501
sen fort: «Die Gelehrten dieser weltlichen Generation (shi zhi xue zhe 1!t.z~1'f) neh-
men ihre gewöhnlichen Tätigkeiten als das <Befolgen der [vom Himmel bestimmten]
Natur> (ren zuo yong wei shuai xing 1H'i=ffl ~~tt),494 halten ihre Mutmaßungen für das 495 Wrmg Longxi quanji (1822),juan 8, S. 20b (Taipei 1970, S. 556); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 8, S. 191.
<Durchdringen des Feinen> (tongwei Jffif;i!{), betrachten ihre Berechnungen für das Ord- 496 Anspielung auf den «Großen Anhang>> (Xici) des «Buches Der Wandlungen», Teil I, Kap. 5. Diese
nen der Gesellschaft (jing lun ~~), nehmen ihr Festhalten an verbalen Erklärungen für Formel wurde mit Vorliebe von derTaizhou-Linie verwendet.
497 Bezugnahme auf Beispiele in Mengzi, 2. Buch, 1. Teil, Kap. 6, und 6. Buch, 1. Teil, Kap. 10.
498 Anspielung auf das zwanzigste Kapitel des Zhongyong (Einteilung von Zhu Xi).
499 Ebd.
492 Es ist mir nicht bekannt, woher diese Aussage stammt. 500 Der «Antrieb» vermittelt nach Wang Ji zwischen der «Substanz» bzw. dem eigentlichen Wesen und
493 «Auflösung der Schwierigkeit und der Leichtigkeit der Verwirklichung des ursprünglichen Wissens», den Funktionen bzw. den anstrengenden Tätigkeiten.
Wimg Longxi quan ji (1822),juan 8, S. 20a (Taipei 1970, S. 55 5); Wrmg]i ji, Nanjing 2007,juan 8, S.191. 501 Wang Longxi quanji (1822),juan 8, S. 20a-21a (Taipei 1970, S. 555-557); Wang]iji, Nanjing 2007,
494 Zhongyong, l. Kap. juan 8, S. 191f.
746 747

Nach den letzten Sätzen dieses Textes müsste WangJi sagen, dass die «Verwirk- tian xia ji zhi W..il.2.;1i;:T-lt.Z.). 506 Das [<ursprüngliche] Wissen> des Kleinkindes sei
lichung des ursprünglichen Wissens» sowohl «leicht» als auch «schwierig» ist. Zwar wie der sich [beschränkt] zeigende Himmel (zhao zhao zhi tian ~~.Z.x); das auf das
sagt er von der «Anstrengung», das heißt von jener «Verwirklichung» nur, dass sie ganze Reich ausgedehnte [<ursprüngliche] Wissen> sei wie der weite große Himmel
«schwierig» sei, und prädiziert die <<Leichtigkeit» vom «eigentlichen Wesen». Aber in (guang da zhi tian JJtk.Z.;1i;:). Im <Sichzurückholen und Sichzusammenhalten> werde
Bezug auf das «eigentliche Wesen» als solches kann sinnvollerweise weder von «leicht» es [das <Ursprüngliche Wissen>] ausgeweitet (suo yi da zhi ffl W..il.Z.).»507 Hier wird Luo
noch von «schwierig» gesprochen werden; Wang Ji kann mit der «Leichtigkeit» des Hongxians Lehre des Verhältnisses zwischen dem im Bewusstsein des gewöhnlichen
«eigentlichen Wesens» sinnvollerweise nur die Leichtigkeit der vom «eigentlichen Menschen aktuell auftretenden «ursprünglichen Wissen» und dem «verwirklichten
Wesen des ursprünglichen Wissens» ausgehenden ethischen Praxis meinen. Das Wir- ursprünglichen Wissen» des heiligen Menschen mit demselben Gleichnis und in der-
ken des «eigentlichen Wesens» ist in dieser Praxis leicht. Aber diese ethische Praxis, selben Weise illustriert, in der dies Wang Ji immer wieder getan hatte: Das sich jetzt
die Wang Ji das «dem Himmel vorangehende Lernen» nennt, bedarf nach ihm auch im gewöhnlichen Bewusstsein zeigende «ursprüngliche Wissen» ist eine beschränkte
noch der schwierigen Praxis des «dem Himmel nachfolgenden Lernens». 502 Das ist Erscheinung des «ganzen ursprünglichen Wissens», so wie der sich beschränkt zeigen -
Wang Jis Position, die er schon seit etwa 15 55 Qian Dehong gegenüber eingenommen de Himmel eine beschränkte Erscheinung des ganzen Himmels ist. Aber daraus zieht
hatte. Wenn er nun in Bezug auf den Gegensatz des «Leichten» und «Schwierigen» Luo Hongxian nicht den Schluss, den WangJi zieht, nämlich dass das «ursprüngliche
anstelle des «Sowohl-als-auch» das «Weder-noch» setzt, dann ist dies im Hinblick Wissen» der gewöhnlichen Menschen dasselbe sei wie das «ursprüngliche Wissen»
darauf gesprochen, dass gegenüber «Leichtfertigen» das «Leichte» und gegenüber der heiligen Menschen. Wang Ji antwortete: «Der sich zeigende Himmel ist derselbe
solchen, die das «Lernen ins Schwierige drehen», das «Schwierige» negiert werden wie der weite große Himmel (zhao zhao zhi tian ji guang da zhi tian ~~.Z.;1i;:WJJl.7\.Z.
muss. Nach WangJi liegt Luo Hongxians Recht in dieser Negation des «Leichten». ;1i;:). Wenn er durch eine Ritze gesehen wird (wenn er durch eine Ritze erscheint), dann
Er hebt dann aber gegenüber Luo Hongxian die Gleichheit oder Identität des «ur- meint man, er sei ein sich [beschränkt] zeigender (rong xi suo jian, ze yi wei zhao zhao
sprünglichen Wissens» beim gewöhnlichen und beim heiligen Menschen hervor, was ~~PlrJ!ftlJW..~~~); wenn er im Weiten gesehen wird (wenn er im Weiten erscheint),
zeigt, dass er sich in diesem Punkt mit ihm nicht einig weiß, obschon Luo Hongxian, dann meint man, er sei weit und groß (liao kuo suo jian, ze yi wei guang da •!Jiim JUIJ
wie seine Stellungnahme vom Sommer 1554 zu WangJis und Liu Bangcais Differenz W..~Ja.7\). Das Sehen (die Erscheinung) ist gefesselt (beschränkt) (jian you suo gu J!
deutlich machte, Wang Ji sehr nahekam, indem er damals sagte, dass das gewöhnliche :fiM~); der Himmel [selbst] ist aber nicht groß oder klein (fei tian you da xiao ~F~li
«ursprüngliche Wissen» seinem Wesen nach nicht etwas anderes sei als dasjenige der * ,J,). Des Qi-Königs Nichtertragen des zitternden Ochsen unterhalb der Halle war
heiligen Menschen. Die Differenz und Einheit in diesem Punkt zwischen Wang Ji nur das Sichzeigen (die Erscheinung) im einen Denken (te yi nian zhi zhao zhao %:-
und Luo Hongxian wird im folgenden Text vom Sommer 15 69 deutlicher werden. ~.Z.~~). Mengzi bestätigte ihm, dass er das Volk zu beschützen und König zu sein
vermöge. 508 Wie könnte dies erst durch ein Anhäufen von etwas (you suo ji lei 1liPlfffl
In diesem Text geht es um ein Gespräch in Hangzhou zwischen Wang Ji und einem :1.) möglich sein! Das Erfüllen und Verwirklichen durch das Bewahren des Volkes
Schüler Luo Hongxians, Zeng Tongheng lt IEJ-., (Beiname: Jiantai J! a, 15 33-1607), besteht in nichts anderem als im Nichtverlieren dieses einen Denkens (wei bu shi ci
den wir schon in Kapitel 2 dieses Teils kennengelernt haben. 503 Wang Ji berichtet: yi nian er yi 1t:f$li::Jlt-~iffiß). Deshalb heißt es: <Der große Mensch verliert nicht
«Jiantai legte Meister Nian'ans ~=1:-r [= Luo Hongxians] Lehre vom <Sichzurückho- das kindliche Herz (bu shi zhi zi zhi xin =f$li::~r.Z.1t.,).>509 Der große Mensch ist nur
len und Sichzusammenhalten> vor (shou she bao ju zhi shuo l&ffi1*~.Z.ffl:) und meinte, dadurch ein großer Mensch, dass er sein kindliches Herz nicht verliert, er kann nicht
dass des Kleinkindes Liebe [zu den Eltern] und dessen Respekt [gegenüber den älteren das Geringste hinzufügen.»510
Brüdern]5°4 die Erscheinung eines Anfangs sei (yi duan zhi Ja xian -i\#ö .Z. ~ J! )505 und Luo Hongxian weist auf die «quantitative» Differenz zwischen dem «ursprüng-
dass sie [diese Liebe und dieser Respekt, das heißt das <ursprüngliche Wissen>] erst lichen Wissen» im Bewusstsein der gewöhnlichen Menschen und demjenigen im
dann ihre ganze Wirklichkeit (ihr ganzes Wesen: quan ti :i:R) seien, wenn sie durch Bewusstsein der heiligen Menschen hin und verneint deshalb deren Identität: Ein
die Ausdehnung auf alles, was unter dem Himmel ist, fortgesetzt werden (yi da zhi Tropfen Wasser ist nicht dasselbe wie ein See. Wang Ji hebt ihre wesenhafte («quali-
tative») Identität hervor: Ein Tropfen Wasser aus einem See ist ebenso sehr Wasser

502 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 1, § 5. 506 Mengzi, ebd.
503 Siehe oben, Kap. 2, § 4, S. 497,Anm. 141. 507 Bie Zeng]iantaimanyuzhai lue, Wang Longxi quanji (1822),juan 16, S. 22a-b (Taipei 1970, S. 115lf.);
504 Mengzi, 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15. Wang]iji, Nanjing 2007,juan 16, S. 463.
505 Den Ausdruck «die Erscheinung eines Anfangs» gebraucht Luo Hongxian in seinem Brief an Guo 508 Mengzi, 1. Buch, 1. Teil, Kap. 7.
Yingkui (Pingchuan) von 1551, den er im «Anhang» zur ersten «Sommerreise» zitiert: siehe oben in 509 Mengzi, 4. Buch, 2. Teil, Kap. 12.
diesem Kapitel, § 5, Abschnitt f), S. 686. 510 Wang Longxi quan ji, a.a.O., S. 22b (Taipei 1970, S. 1152); Wang]i ji, Nanjing 2007,jurm 16, S. 463f.
748 749

wie das Wasser des ganzen Sees. Der Unterschied zwischen den beiden Freunden Wohl keine Diskussionen zwischen Wang Yangmings Nachfolgern der ersten
kann aber nicht bloß in der kategorialen Differenz ihrer Blickweisen, sondern muss Generation haben dessen Problematik der «Verwirklichung des ursprünglichen Wis-
in den mit diesen verschiedenen· Blickweisen korrespondierenden praktischen Vor- sens» so gründlich erörtert wie diejenigen zwischen Wang Ji und Luo Hongxian. Als
gehensweisen bestehen. Aber auch nach Wang Ji muss der «große Mensch» sich Problem bleibt in ihnen das Verhältnis zwischen Luo Hongxians willentlicher und
anstrengen: Er muss dafür sorgen, dass er «sein kindliches (= ursprüngliches) Herz methodischer Anstrengung des «Sichzurückholens und Sichzusammenhaltens» als
nicht verliert», und auch Luo Hongxian will nicht das gewöhnliche «ursprüngliche der Bedingung sowohl der zeitlichen Beständigkeit und geistigen Klarheit unseres
Wissen» ersetzen, sondern sich anstrengen, es «nicht zu verlieren», und das heißt für <<Ursprünglichen Wissens» als auch des dadurch zur Richtschnur werdenden Ver-
ihn, die prekäre «Erscheinung» oder «Gegenwart» des «ursprünglichen Wissens» im trauens in diese sich ausweitende Erscheinung des «ursprünglichen Wissens» und
menschlichen Bewusstsein zeitlich auszuweiten, beständig und klar zu machen, denn andererseits Wang Jis Forderung eines bedingungslosen Glaubens und einer unbe-
das <<Ursprüngliche Wissen» ist im gewöhnlichen menschlichen Bewusstsein nicht dingten («plötzlichen») Einsicht in das auch in seiner beschränkten und sporadischen
«zu jeder Zeit gegenwärtig» (shi shi xian zai ieyieyJji:(f). 511 Es gilt nach ihm, aus einer individuellen Bewusstseinserscheinung immer vollkommene «ursprüngliche Wissen»
zeitweiligen Regung, einem momentanen Aufleuchten des «ursprünglichen Wissens» als der Grundlage für die willentliche Anstrengung im guten Handeln. Luo Hongxian
einen beständigen Zustand, das heißt eine Tugend, zu machen. Der Unterschied zwi- vermochte in seiner gewissenhaften Weise während seiner Auseinandersetzung mit
schen den beiden kann nur darin liegen, dass Wang Ji den Glauben und die Einsicht WangJi dessen Gedanken der Einheit von «Stille» und «Erregungen» und der «Ruhe
in das momentane Aufleuchten des «ursprünglichen Wissens» zum «archimedischen in der Tätigkeit» sowie dessen Glauben an das «ursprüngliche Wissen» in seine ethi-
Punkt» seiner ethischen Bewegung nimmt, während Luo Hongxian sich primär das sche Praxis des «Sichzurückholens» aufzunehmen und diese dadurch zu vertiefen.
anstrengende und «schwierige» Ausweiten jenes Aufleuchtens zur Aufgabe macht, Hat umgekehrt auch Wang Ji von Luo Hongxian zu lernen vermocht? Auf den ersten
das heißt die Bedingungen oder Voraussetzungen dieses Aufleuchtens festigen will. Blick ist dies nicht offensichtlich, doch vermute ich, dass die bei WangJi etwa 1554
Wang Ji fährt in seiner Antwort an Zeng Tongheng (Jiantai) fort: «Aber [ich] einsetzende psychologische Präzisierung und Vertiefung seiner Idee der «Einsicht in
meine, dass der kürzliche Missstand der Lehrversammlungen (jin lai jiang xue zhi bi das eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» durch die langen Diskussionen
31i*ffl~zJl9 das <ursprüngliche Wissen> zu oberflächlich (tai qian tdi) sieht und mit Luo Hongxian im Sommer 15 54 angeregt wurden. Den Grundgedanken dieser
die Anstrengung des <Verwirklichens des ursprünglichen Wissens> als zu leicht (tai Präzisierung und Vertiefung kristallisierte Wang Ji in der Formel «im einen Denken
yi *~) bespricht. Seit jeher hört das <ursprüngliche Wissen> nie auf (wan gu bu xi zu sich selbst zurückkehren und dadurch das eigentliche Herz erlangen» (yi nian zi
;i"i:!i=f,~), wir brauchenihmnurzufolgen (wu teshunzhi eryi 1§-~)lilZrniB). Wenn man Jan ji de ben ti -~~Ji.llllf~;iJs:11). 515 Sie betrifft den Angelpunkt seiner Lehre vom
es zurückbehalten und verbessern will (you suo cun zhao you suo xiu chi ~Pfr-ffJ\ij~pMJ «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens». Wie wir oben in Kapitel 2 ausgeführt
M:), so hat dies beides den Fehler, dass man das <eigentliche Wesen des ursprünglichen haben, hat Wang Ji jene Formel wahrscheinlich zum ersten Mal 1554, also im Jahr
Wissens> noch nicht eingesehen hat (wei wu liang zhi ben ti *ffi lOll;iJs:!ll). Was bedeutet jener Gespräche mit Luo Hongxian, verwendet. 516 Es geht aber nicht nur um diese
es dann aber, dass der heilige Mensch <Vorsichtig und achtsam> ist (jingjing ye ye ~"!iSf,~ Formel, sondern um die ihr zugrundeliegenden Gedanken, die Wang Ji seit jener Zeit
~ ) 512 und sein ganzes Leben lang [die ethische Praxis] sozusagen als schwierig sieht (ruo entwickelte. Wenn wir diese Gedanken, zum Beispiel im schon angeführten Text lesen,
yi wei nan ~~~llt)? Ich habe es einmal so erklärt: 513 Das <Leichte> (yi ~) spricht über mit dem WangJi seinem eigenen Sohn Yingbin das Innerste des ethischen «Lernens»
das eigentliche Wesen (ti II); das <Schwierige> (nan 1ft) spricht über die Anstrengung des ans Herz legte,517 dann wirken sie wie eine Antwort aufLuo Hongxians Hinweis auf
Lernens (gong ~)- Wenn man um das Leichte, nicht aber um das Schwierige weiß, kann die Unbeständigkeit unseres «ursprünglichen Wissens» und wie eine Entsprechung
man das Lernen nicht bezeugen (wu yi zheng xue 1llt~fl&:~); wenn man um das Schwieri- zu dessen «Sichzurückholen und Sichzusammenhalten». In jenem Text schrieb Wang
ge, nicht aber um das Leichte weiß, hat man keinen Eingang ins Heilige (wu yi ru sheng Ji: «Man muss zu jeder Zeit vom einen Denken her ins Tiefgründige eindringen, zur
1lit~Ä~). Im <Nichtleichten und Nichtschwierigen> wird das Vorgehen des Himmels Wurzel zurückkehren und in dieser Umwendung Zeuge werden (direkt gewahren)
zum Vorbild genommen (fei nan fei yiJa tian zhi xing ~FB~F~ $:~z fr), es ist die Lern-
tradition unserer Schule (shi men xue mai wr,~JJJK).» 514 Hier spricht Wang Ji gegenüber
dem Gegensatz des «Schwierigen und Leichten» ein «Sowohl-als-auch» aus. 515 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 2, § 5.
516 Es handelt sich um WangJis «Grabinschrift für Qi Xian ßoc H» (1492-1553), der ein gemeinsamer
Freund von ihnen war: siehe oben in diesem Teil II, Kap. 2, § 5, S. 504. WangJi sagt in der Einleitung
zu dieser «Grabinschrift», dass er im Frühling 1554 das Grab Qi Xians besuchte und dass damals
511 Siehe oben in diesem Kapitel den§ 3, S. 658. dessen Hinterlassene und Gelehrte mit dem «Lebenslauf» (xingzhuang rrAA) in der Hand, den Luo
512 «Klassiker der historischen Doknmente» (Shujing), Gao tao mu, Legge, S. 73. Hongxian über Qi Xian geschrieben hatte, ihn darum baten, eine «Grabinschrift>> zn verfassen. Es
513 Siehe oben in diesem Paragraphen im unmittelbar zuvor zitierten Text, S. 745. wird nicht deutlich, ob diese Inschrift schon damals im Frühling oder erst etwas später von w.~ng Ji
514 Wang Longxi quan ji, a.a.O. S. 22b-23a (Taipei 1970, S. 1152f.); Wang Ji ji, Nanjing 2007, juan 16, geschrieben wurde.
s. 464. 517 In diesem Teil II, Kap. 2, § 5, S. 501.
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und nichts verlieren (xu shi shi cong yi nian ru wei, gui gen Jan zheng, bu zuo xie zi lou xie Kapitel 5
~a~a~Hti:-~J,.,.1;1&:~=tJ.t&~IFfft=~riffiJt!!:).» 518 Die kontinuierliche Bewegung der geis-
tigen Rückkehr und des «Nichtverlierens (Auslassens)», die Wang Ji zur Erlangung Wang Jis Aufzählungen der nach seiner Meinung unrichtigen
der «Einsicht» in das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» verlangt, ist Auffassungen der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
Luo Hongxians «Sichzurückholcn und Sichzusammenhalten» strukturell ähnlich, innerhalb der Schule Wang Yangmings
doch ist sie bei WangJi auf das Erkennen oder «Einsehen» ausgerichtet. Auch Wang
Ji will sich nicht einfach auf die sporadischen naiven Äußerungen des «ursprüng-
lichen Wissens», das heißt des beginnenden «einen Denkens», verlassen, sondern
fordert «zu jeder Zeit» eine «Rückkehr» und eine Festigung. Er denkt allerdings, Zum Abschluss unserer Erörterung der Diskussionen unter Wang Yangmings Schü-
dass diese «Rückkehr» bei jedem sporadischen «Vorbeikommen» (Erscheinen) des lern der ersten Generation über die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
«ursprünglichen Wissens» möglich ist und unbedingt («plötzlich») zur «Einsicht in geben wir in diesem Kapitel Wang Jis kurze kritische Darstellungen von innerhalb
das eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» führen kann und damit im Prinzip der Schule Wang Yangmings aufgetretenen verschiedenen Auffassungen der « Ver-
zum richtigen Antworten auf die jeweilige praktische Situation ausreicht, während wirklichung des urspriinglichen Wissens» wieder. Kaum ein anderes Mitglied der
nach Luo I Iongxian eine solche «Einsicht» und das ethisch gute Handeln nur in einer Schule war damals so gut über ihre verschiedenen Tendenzen informiert wie Wang
langen Anstrengung des «Sichzurückholens und Sicheinigens» allmählich zustande Ji, da er durch seine unermüdlichen Reisen und seinen Briefwechsel mit all ihren
kommen. Dies hat seinen Grund wohl darin, dass Luo Hongxian diese Rückkehr Zentren in kontinuierlichem Kontakt war. Er hat mehrmals über solche verschiedene
primär als einen Rückzug aus den sich in die Dinge verlierenden «Wünschen» sieht, Meinungen innerhalb der Schule gesprochen. Seine Absicht war dabei nicht, einen
mit ihr also die schwierige Abkehr von den egoistischen Begierden bewirken will. historischen Überblick über die verschiedenen Richtungen innerhalb der Schule zu
vermitteln, sondern er wollte die nach seiner Meinung von der richtigen Auffassung
abweichenden Meinungen innerhalb der Schule kritisieren mit dem Ziel, ihre Dif-
ferenzen zu überwinden und ihre Einheit wiederherzustellen. Wenn er sich jeweils
kritisch auf abweichende Auffassungen innerhalb der Schule bezog, dann nur auf
solche, die zur jeweiligen Zeit aktuell waren und in der Schule Spannungen und
Schwierigkeiten hervorriefen. In chinesischem Stil nannte er in dieser Kritik keine
Personen, so dass es für uns heute nicht immer leicht ist herauszufinden, wen er je-
weils meinte. Man hat in der heutigen chinesischen und japanischen Literatur diese
Listen manchmal wie historische Überblicke über die verschiedenen Richtungen in
der Schule Wang Yangmings der damaligen Zeit behandelt. Dies entspricht nicht
ihrer Intention, denn Auffassungen, denen Wang Ji im Wesentlichen zustimmen
konnte, angefangen von seiner eigenen, aber zum Beispiel auch diejenigen von Zou
Shouyi, Ouyang De und Auffassungen von schon seit längerer Zeit verstorbenen
Mitgliedern der Schule wie diejenige von Wang Gen, soweit sie nicht von Schülern
weiter verfochten wurden, treten in diesen «Listen» gar nicht auf. Sie zählen nur
auf, was Wang Ji nicht für richtig und zum betreffenden Zeitpunkt als ein Hindernis
für die Einheit der Schule betrachtete. Sie geben aber Einblick in die Divergenzen,
welche die Schule jeweils bewegten, und zeigen Probleme, mit denen sie in ihrer
Lehre zu ringen hatte. Im Wesentlichen werden wir Auffassungen wiederbegegnen,
die wir schon in den Kapiteln 3 und 4 dieses Teils angetroffen haben. Sie bilden also
eine gewisse Bestätigung dafür, dass wir die wichtigsten Divergenzen über die «Ver-
wirklichung des ursprünglichen Wissens» in der damaligen Schule W,·mg Yangmings
in den Blick bekommen haben.
Wir haben oben in Kapitel 4 schon erwähnt, dass Wang Ji 1549 in der Ver-
518 Wimg Longxi quan ji (1822),juan 15, S. 34b (Taipei 1970, S. 1098); Wang]i ji, Nanjing 2007,juan 15,
sammlung des Chongxuan-Tempels beim ,,Drachen-und-Tiger-Gebirge» im Nord-
S.440. osten der Provinz Jiangxi, an der Mitglieder der Schule aus den Provinzen Jiangxi,
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Zhejiang und Nanking teilnahmen, zwei. verschiedene Auffassungen innerhalb von Gui'an iiil~ in der Präfektur Huzhou 5/iMM ernannt worden war.7 1534 hatte er in
der Schule kritisierte: die alte, schon von Wang Yangming abgelehnte Auffassung, seinem Heimatkreis Quanjiao die Nanqiao-Akademie ~il -~ gegründets und 1541
dass das «ursprüngliche Wissen» durch empirisches Wissen ergänzt werden müs- (also zur selben Zeit wie Wang Ji, Qian Dehong, Zou Shouyi und Luo flongxian)
se, und die Auffassung von Nie Bao. 1 Vier Jahre später (1553) kritisiert er in einer seine Beamtentätigkeit aufgeben müssen und sich endgültig in seine Heimat zurück-
Versammlung in Chuyang ~~, im Süden der Präfektur zweiten Ranges Chuzhou gezogen.9 Er war auch mit Luo Hongxian befreundet gewesen. 10 In Chuyang hatte die
~~M, etwa sechzig Kilometer westlich von Nanking, vier verschiedene Auffassungen Schule W:mg Yrngmings also schon 'lbdition.Jene große Versammlung im Frühling
von der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens». Das besonders Interessante 1553 nach dem Tod Qi Xians scheint nicht in Qi Xians Nanqiao-Akademie stattge-
an dieser Kritik von 1553 ist, dass er die verschiedenen kritisierten Auffassungen funden zu haben, da WangJi in seinem Bericht darüber diese Akademie nicht erwähnt,
ausdrücklich in Verbindung bringt mit verschiedenen Stadien von Wang Yangmings sondern vielmehr schreibt, dass die Versammlung in einer neuen Ahnenhalle (ci tl,J)
eigenem geistigem Entwicklungsgang. Und schließlich nochmals neun Jahre später, für Wang Yangming oberhalb der «Quelle der purpurnen Farnkräuter» durchgeführt
im Jahr 1562, kritisierte Wang Ji in einer Versammlung in der Präfektur Fuzhou, der wurde. Der Organisator dieser Versammlung war der Vizeminister des Hofes für das
nordöstlichen Nachbarpräfektur vonJi'an in der ProvinzJiangxi, sechs Auffassungen, Kaiserliche Gestüt in Nanking (Nanjing tai pu si shao qing ~*ft::il~ 1)-§l!Jl) l ,ü Huai
welche die Schule spalteten. Er äußerte seine Kritik im Zusammenhang der Frage des 8 ti (Beiname: Jinshi rti 1=i). Dieser stammte aus dem Nordosten der Provinz .Jiangxi
Verhältnisses der Lernenden zu seinem Lehrer, also in einem ähnlichen Zusammen- und hatte im Frühling 1532 zusammen mit Wang Ji die höchsten Staatsprüfungen
hang wie demjenigen der Kritik von 1553. in Peking bestanden; wohl von daher waren sie miteinander bekannt. Er war kein
Schüler Wang Y'1!1gmings, sondern von dessen Freund Zhan Ruoshui, vertrat aber
§ 1 Wang Jis Kritik von vier verschiedenen zeitgenössischen Auffassungen die Meinung, dass sich die Lehren dieser beiden hervorragendsten zeitgenössischen
der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» in der Versammlung Konfuzianer vereinen lassen. 11 Er hatte um 15 53 dasselbe Amt inne, das Wang Yang-
von Chuyang im Frühling 1553 ming vierzig Jahre zuvor bekleidete hatte 12 und das den Aufenthalt in dem ca. sechzig
Kilometer westlich von Nanking gelegenen Chuyang mit sich brachte, wo sich ein
Die Versammlung von 15 53 in Chuyang war eine große Versammlung der Schule im kaiserliches Gestüt befand. Die Teilnehmer der Versammlung waren sich uneinig über
Quanjiao ~11 im Süden der zum direkten Verwaltungsgebiet von Nanking gehöri- die Lehre Wang Yangmings. Wang Ji als dem Experten dieser Lehre fiel die Aufgabe
gen Präfektur zweiter Ordnung Chuzhou ~~M. Dieses südliche Gebiet von Chuzhou zu, Klarheit zu schaffen. Er schrieb nach der Versammlung eine Aufzeichnung über
wurde auch Chuyang ~~ genannt. 2 Der Anlass dafür, dass Wang Ji nach Chuyang seine Stellungnahme («Worte in der Versammlung von Chuyang») und übergab diese
kam, war der Tod seines Freundes und Mitschülers Qi Xian /;i;1i '.i'. (Beinamen: Nanshan wahrscheinlich Lü Huai. Danach reiste er, wohl zusammen mit dem Präfekten von
~U-l und Nanxuan ~~. 1592-1553), der Ende Februar oder Anfang März dieses Jah- Ningguo Liu Qizong, in diese Präfektur, um am Bau der dortigen Shuxi-Akademie
res in seinem Wohnkreis Quanjiao gestorben war. 3 Um den Verstorbenen zu ehren, mitzuwirken.Nach seiner dortigen Ankunft zeigte er seine Aufzeichnung Gong Anguo
aber wahrscheinlich vor allem, um Wang Ji zu treffen, kam auch der Präfekt der etwa ~ ~~, der in dieser Präfektur zu Hause war und der wichtigste lokale Initiant der
hundertfünfzig Kilometer südlich von Quanjiao gelegenen Präfektur Ningguo Liu Errichtung dieser Akademie war. 13 Dieser bat Wang Ji, davon eine Abschrift herstellen
Qizong angereist, der in der folgenden Zeit (1553/54) maßgeblich an der Errichtung zu dürfen, um sie in Ningguo bekanntzumachen. Diese Abschrift ist auf den 1. Tag
der dortigen großen Shuixi-Akademie beteiligt war4. 5 Qi Xian hatte Wang Yangming des vierten Mondes (12. Mai 1553) datiert. 1576 veröffentlichte Gong Anguo diese
schon während dessen Zeit in Chuyang (1513/14)6 kennengelernt, hatte ihm da- Abschrift unter dem Titel «Abschrift der Worte in der Versammlung von Chuyang
mals «noch nicht geglaubt», war dann aber 1526 oder 1527 bei Wang Yangming in zur gleichzeitigen Bekanntmachung für die Gleichgesinnten in [der Akademie] Shuixi
Shaoxing gewesen und dort sein Schüler geworden, nachdem er im Frühling1526 die
höchsten Staatsprüfungen abgelegt und in der Provinz Zhejiang zum Kreisvorsteher
7 Wtmg Longxi quan )i (1822),jurm 20, S. 38a (Taipei 1970, S. 1447); WangJi ji, Nanjing 2007,juan 20,
s. 612.
8 Siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 5f.
9 Siehe WangJis «Grabinschrift für Qi Xian», Wang Longxi quan ji (1822),juan 20, S. 35b (Taipei 1970,
1 Siehe oben in Teil II, Kap. 4, § 5, Abschnitt a), S. 669. S. 1442); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 20, S. 610f.
2 Siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 5. 10 Luo IIongxian h,ltte ihn auf seiner «Winterreise» von Nanking aus Ende Dezember 1539 in Quan-
3 Siehe \Vang Jis «Grabinschrift für Qi Xian» von 1554: lfting Longxi quan ji (1822),juan 20, S. 34a jiao besucht, mit ihm dort in der Nanqiao-Akademic an einer Versammlung von mehreren Dutzend
(Taipei 1970, S. 1439); lfting]iji, Nanjing 2007,juan 20, S. 609. Leuten teilgenommen und sich anschließend zusammen mit ihm bis zum 17.Januar 1540 bei Wang
4 Siehe oben in der Einleitung zu Teil II den§ 9. Ji in Nanking aufgehalten: vgl oben in Teil II, Kap. 4, § 1, S. 624.
5 Wang Jis «Grabinschrift für Qi Xian», Wang Lung:1:i quan ji (1822),jurm 20, S. 43b ('laipei 1970, 11 Lü I luai ist ein langes Kapitel im MRXA,juan 38, Bcijing 1984, S. 912-922, gewidmet.
S. 1458); lfting]iji, Nanjing 2007,juan 20, S. 617. 12 Siehe oben in der Einleitung zu Teil Iden§ 1, S. 83.
6 Siehe oben in der Einleitung zu Teil I den § 1, S. 83. 13 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil Iden§ 9.
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und in Wanling [= Xuancheng, Hauptstadt der Präfektur Ningguo]» in den von ihm sheng xue wu yuan M-~~~i'i). Die zweite Umwandlung habe in seiner Zuwendung
damals herausgegebenen «vVorten in Versamlungen von Longxi [= WangJiJ» (sechs zum Daoismus und Buddhismus bestanden. «Er baute sich [15021 eine reine Hütte
juan). 14 In die «Gesammelten Werke von Wang I ,ongxi [WangJi]» (zwanzigjuan), die im JY;mgming-)Höhlenhimmcl (dong tian 5!lll.5'i::) 19 • [ ••• ] Er hat nicht nur die Bedeutung
1588 zum ersten Mal erschienen, wurde eine leicht kürzere Fassung dieser Aufr,eich- dessen verstanden, was jene JzwciJ Häuser (Schulen: jia *) <Sehen der [Buddha-]
nung unter dem Titel «Worte in der Versammlung von Chuayang» aufgenommen, 11 Natur> (jian xing Ji11) und <Umfassen des Einen> (bao yi fü-) nennen, sondern hat
die wahrscheinlich im Wesentlichen dem '[ext entspricht, den Wang Ji noch in ihr Knochenmark (ihr Innerstes) erreicht (de qi sui 1ij!tlfJO. Er meinte, dass, wenn man
Chuyang redigierte. in der Ruhe das Innere erhelle, der Leib wie ein Kristallpalast werde (xing qu ru shui
Zu Beginn dieser Aufzeichnung beschreibt WangJi die Umstände der Versamm- jing gong JM1iv□ 7./<. ~ '8), dass man sich selbst und die Dinge, den Himmel und die Erde
lung in Chuyang: <<Am 10. Tag des Frühlingsschaltmondes des Jahres gui chou der vergesse und mit der Leere eine Einheit bilde (yu kong xu tong ti ~~nm:IE'.JU).» Die
Jiajing-Ära [22. April 1553) kam ich nach Nanqiao ii'll [alter Name für Chuzhou], 16 dritte Umwandlung habe ihm die «Einsicht» gebracht: «Als er [1508 in Longchang]
nahm den Weg nach Chuyang ~~ und verehrte den verstorbenen Lehrer [Wang] bei den Barbaren in großer Mühsal war und ein Übermaß an Geduld in der Tätigkeit
Yangming in seiner neuen Ahnenhalle (xin ci ~JrtilJ) oberhalb der <Quelle der purpurnen aufbrachte (dang ren zhi yu 1!Wi[Zd'.. tt), habe er in einer Vcrrückung göttlich eingesehen
Farnkräuter> (Ziweiquan ~fi'&*)- Im selben Jahr machte der Vizeminister (tai pu ;;ldl) (huang mn shen wu ß'l~tll1t!i), <lass, ohne den Kontakt der menschlichen Beziehungen
LüJinshi [Lü Huai] aus Chu[yang] einen berühmten Ort der Lehre des verstorbenen und mit den Dingen aufzugeben, das himmlische Gesetz des Bejahens des Richtigen
Lehrers [Wang Yangming] und legte für die Mitglieder der Schule (tong rnen IE'.IP~), und des Ablehnens des Unrichtigen sich von selbst zeigt (shi shi fei fei tian ze zi jian
für seine Amtsbrüder, die Gelehrten der Präfekturschulen und alle tüchtigen Männer, ~~$lö$1ö;;li;:Jl.1J § Ji).»20
mehrere Dutzend Leute, eine große Versammlung in dieser Ahnenhalle fest (da hui Im Folgenden versucht WangJi zu zeigen, dass sein Lehrer im Lauf seiner wei-
ci xia ;/1::'\\Wfol"F). Diese Edlen wähnten, dass ich kein Gewöhnlicher sei, und meinten, teren Erfahrung, bedingt durch die Zeitumstände, sein jeweiliges eigenes geistiges
dass ich etwas von der späten [Lehre Wang Yangmings] vernommen hatte (yu wan Entwicklungsstadium und das Verhalten seiner Schüler verschiedene Schwerpunkte
you suo wen ;'f-;:~;fii Jiff~). Jeder stellte aufgrund dessen, was er selbst verstanden hatte, in seinem eigenen Lernen und in seiner Lehre setzte. So habe er nach Longchang im
mir gegenüber Fragen und ersuchte mich um Beglaubigung oder Berichtigung (yin Hinblick auf die Missstände unter den damaligen Konfuzianern von <<allem Unwe-
zheng EP IE).» 17 Wang Ji nimmt dann als Maßstab zur Beurteilung ihrer verschiedenen sentlichen abgesehen, sich ganz auf den eigentlichen Ursprung konzentriert und das
Meinungen nicht irgendeine systematische Theorie oder Lehre Wang Yangmings, schweigende Sitzen und Klären des Herzens (rno zuo cheng xin lit~~,t,,) zu seinem
sondern dessen geistiges Werden, wobei er in Anspruch nimmt, selbst die «späte Lerninhalt und auch zu seiner Lehre gemacht.» Wang Ji zitiert dann interessanter-
Grundlehre des Meisters» (shi rnen wan nian zong shuo Ei!iP~~1f*m), das heißt seine weise eine ganze Reihe von Aufzeichnungen aus dem ersten Teil des Chuanxi tu, auf
reifste Lehre, zu vertreten. 18 Nachdem er erklärt hat, dass er über das geistige Werden die sich damals Nie Bao und Luo Hongxian vor allem beriefen: so Wang Yangmings
Wang Yangmings unterrichtet sei, zeichnet er davon folgende «Geschichte»: Der Aussagen, dass die maßvolle Harmonie nach dem Entstehen der Gefühle erst möglich
Lehrer sei <~erst nach drei Umwandlungen zur Einsicht gelangt (san bian er shi ru yu werde, nachdem die «Mitte vor ihrem Entstehen» (wei Ja zhi zhong *~Lltl) vorhan-
=
wu ~ mi !lf:t A~ffi) und erst nach nochmaligen Umwandlungen sei das Erreichte rein den sei, 21 und dass im «geistigen und ethischen Leben, im Sprechen und Tätigsein im
geworden (zai bian er suo de hua er chun :jij~ffiijiff1ij{l::;ffiiKi'ti)». Die erste Umwandlung Allgemeinen das Schwergewicht auf dem «Sichzurückholen und Sichsammeln» liegen
habe darin bestanden, dass er von seinen weiten Interessen an Reiterei und Literatur müsse (shou lian wei zhu l&~~:i:), während die Zerstreuung [in der Beschäftigung mit
in seiner Kindheit sich auf Zhu Xis Lehre vom «Ausschöpfen der Ordnungsprinzipien den äußeren Dingen] unvermeidlich sei (Ja san shi bu de yi ~lltll::=f1~B)». 22 Nach-
durch das Erforschen der Dinge» (ge wu qiong li ffi-Wi~J!) konzentrierte. Er habe sich dem Wang Yangming aber gesehen habe, dass das «schweigende Sitzen» bei seinen
dabei fast bis zum Tod abgemüht und sei zum Schluss gekommen, dass er die Voraus- Schülern zu einem «Vergessen des Anhäufens [von gerechten Taten)» (ji lei 'ffi~) und
setzungen für das Lernen der Heiligen [des Konfuzianismus] nicht mit sich bringe (yu zu einem Sichfreuen an der Ruhe und zu einer Abneigung gegenüber der Tätigkeit
führte, habe er nach seiner Zeit in Chuyang und Nanking (1513-1516) die Lehre
von der Einheit von Ruhe und Tätigkeit aufgestellt. Nach seiner Zeit in der Provinz
14 Neu veröffentlicht im Anhang II von Wang]iji, Nanjing 2007, S. 692-695.
15 Wang Longxi quan ji (1822),juan 2, S. 6b-10a (laipei 1970, S. 168-175); Wang Ji ji, Nanjing 2007,
juan 2, S. 32-35.
16 Siehe Wu Zhen: Xianian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 5, und Zhongguo gu jin diming da cidian, S. 602c. 19 «Höhlenhimmel» ist ein Ausdruck für dem Daoismus heilige (~ebictc: siehe oben in der Einleiti.mg
17 «Abschrift der Worte der Versammlung in Chuyang zur gleichzeitigen Bekanntmachung für die zu Teil Iden§ 1, S. 58.
Gleichgesinnten in Shuixi und Wanling», Wang Ji ji, Nanjing 2007, Anhang II, S. 692. Wir zitieren 20 Wang Longxi quan ji (1822),juan 2, S, 6b-7a (Taipei 1970, S. 168f.); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 2,
diese Version der Aufzeichnung, da sie chronologische Angaben enthält. Vgl. Wang Longxi quan ji S. 33,Anhang II, S. 692f.
(1822),juan 2, S. 6b (Taipei 1970, S. 168), Wang]iji, Nanjing 2007,juan 2, S. 32f. 21 Chuanxi lu I, Nr. 45, Quanji,juan l, Shanghai 1992, S. 17.
18 Siehe oben in diesem Teil II, Kap, 1, §§ 1 und 3. 22 Chuanxi lu I, Nr. 54, a.a.O, S. 19.
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Jiangxi (1517-1521), fährt WangJi fort, «hat er die drei Wörter <Verwirldichung des betrachten. [... ] Wenn wir etwas nur durch Sehen und Hören übernehmen, so bilden
ursprünglichen Wissens> (zhi liang zhi ~.l~Jll) emporgehoben. Das Schweigen ist wir unser Lernen nach dem, was unserer Veranlagung naheliegt, rn1d unser verstor-
nicht vom Sitzen abhängig; das Herz ist nicht auf das Klären angewiesen (xin bu dai bener I ,chrer gibt uns keinen Schmelz- und Brennofen mehr, um uns zur Einheit
cheng ,i)1'~51). Es muss nicht eingewöhnen und denken (bu xi bu lü 1'~1'Jli), son- zu bringen (yi gui yu yi P.Hf!l:tit-). Obschon sich unsere Leute dem Grundsatz des
dern in seiner vollen Äußerung besitzt es aus sich selbst die Norm des Himmels (ang <ursprünglichen Wissens> nicht zu widersetzen wagen, so führen ihre Spekulationen
ran chu zhi zi you tian ze ~?'& l±l Z § ~Ji;J~~). Das ist nämlich der leichte und einfache, und Kombinationen unvermeidlich 1/,u fremdartigen (abweichenden) Lehren (yi shuo
unmittelbare und direkt geschnittene Ursprung der Schule des Konfuzius (Kong men ~ m).»25 Wang Ji führt nun vier solche abweichende Lehren auf und fügt ihnen eine
yi jian zhi jie gen yuan :M~ ~ f.lli![iMamt).» In noch unausgesprochenem Hinblick auf kurze Kritik bei:
Nie Baos und Luo Hongxians Anknüpfung an jene frühen Erfahrungen und Aussagen 1. «Es gibt Leute, die meinen, dass das <ursprüngliche Wissen> im Leeren hänge
Wang Yangmings erldärt Wang Ji dann, dass das «ursprüngliche Wissen» «die Mitte und dass es des Sehens und Hörens bedürfe, um ihm zur Äußerung zu verhelfen. Um
vor dem Entstehen der Gefühle» und die «Harmonie nach ihrem Entstehen» umfasst nicht leer zu sein, müsse das <Ursprüngliche Wissen> von den <Ordnungsprinzipien
und dass das «ursprüngliche Wissen aus sich selbst fähig ist, sich zurückzuholen und des Himmels> Gebrauch machen (bi yong tian li a):;',,Eij:;)i;:J!l). Das ist die traditionelle
sich zu sammeln (zi neng shou lian § ~®:i{), und nicht nötig hat, dass darüber hinaus Meinung.» Es ist dies die Meinung aus der Tradition der Schule Zhu Xis, mit der
noch das Schwergewicht auf das Sichzurückholen und Sichsammeln gelegt wird (bu sich Wang Yangming noch selbst auseinandergesetzt und die Wang Ji schon 1549 in
xu geng zhu yu shou lian 1'~~:±l:it®:~)» und dass das «ursprüngliche Wissen aus sich der Versammlung im Chongxuan-Tcmpel kritisiert hatte. Er bemerkt 1553 kritisch
selbst fähig ist, sich zu zerstreuen (zi nengfa san § ~~~ffll:), und nicht nötig hat, dass dazu: «Das <ursprüngliche Wissen> bringt ursprünglich das Vorhandene aus dem
darüber hinaus noch das Zerstreuen zeitlich festgelegt wird (bu xu geng qi yu fa san 1' Nichtvorhandensein hervor (wu zhong shengyou ffli:p~~); es ist Nichtwissen, und es
~~lffll:it~ffll:)». Im Hinblick auf Leute innerhalb der Schule, welche die «Leichtigkeit gibt nichts, was es nicht wüsste (wu zhi er wu bu zhi ffl~□ ri'öffl1'~□).»
und Einfachheit» der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» falsch verstehen, 2. Es ist dies die konträre Position zur ersten: «Es gibt Leute, die meinen, dass
hebt WangJi die ethische Anstrengung im Leben seines Lehrers hervor und führt von das <ursprüngliche \Vissen>, ohne zu lernen, weiß und dass es nicht darüber hinaus
ihm eine Aussage an, die ähnlich auch in seiner «Lebenschronik» steht: 23 «Der ver- noch der <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> bedarf. Das <ursprüngliche
storbene Lehrer sagte: <Das <ursprüngliche Wissen> habe ich in meinem ganzen Leben Wissen> sei auf der Stelle (in der jeweils gegenwärtigen Situation) vollendet ohne Ge-
aufgrund von tausend Toden eingesehen (ti wu chu lai dfäl±l*)- Es gab da sehr viel brechen (dang xia yuan chengwu hing ~~il.6¼Mm), es bedürfe nicht noch der Anstren-
<Ansammeln [von Gerechtigkeit]> (duo shao ji lei zai ~j>fU!U:E)! Ich fürchte nur, dass gung des Vernichtens der Begierden (Wünsche) (bu xu gengyong xiao yu gongfu 1'~~
die Lernenden es zu leicht nehmen (tai rongyi ft:W~) und nicht gewillt sind, wirklich ,Eij;li:lfilJ}J.1i;:). Es ist dies die Meinung, die [die Etappen] überspringt (ling lie zhi lun
das <ursprüngliche Wissen> zu verwirklichen.»> Und er schließt diese Biographie mit ~111.z~).» \VangJi war selbst der Auffassung, dass «das <ursprüngliche Wissen> jetzt
dem Satz: «Das Lernen des <ursprünglichen Wissens> hat unser verstorbener Lehrer vollendet, ohne Gebrechen» ist, aber er lehrte die Notwendigkeit der Ausschaltung
selbst eingesehen (zi wu § ffi), und dabei war seine Anstrengung im Verbrennen und der «Begierden». In der Linie der von Wang Gen ausgehenden Richtung der Schule
Einschmelzen der [schlechten] Gewohnheiten der vitalen Energien des Herzens (xi im Kreis von Yan Jun und He Xinyin in Jiangxi hatte sich die Auffassung entwickelt,
xin xi qi 11,t,,ffll~) sowie im Sammeln [von Gerechtigkeit] und im Bewahren der Pflicht dass die «Begierden (Wünsche)» nicht zu vernichten seien. 26 Wang Ji bemerkt dazu
(ji lei bao ren ffl~*ff) außerordentlich intensiv!»24 kritisch: «Die Anstrengung der <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> wurde
Vor dem Hintergrund des Lebens Wang Yangmings nimmt WangJi dann expli- ursprünglich für diejenigen eingerichtet, welche die Einsicht noch nicht besitzen (wei
zit Bezug zur aktuellen Situation seiner Hörer im Jahr 15 53 mit ihren verschiedenen wu zhe *ffi~) und welche Begierden (Wünsche) haben (you yu zhe ~W:~).»
Meinungen über das «ursprüngliche Wissen»: «Unsere Gemeinschaft (wu dang 3. «Es gibt Leute, die meinen, dass [die Lehre vom] <ursprünglichen Wissen> auf
~-) kann heute nur gestützt auf die Wörter und Erklärungen anderer Menschen die die Leere und die Stille abzielt (liang zhi zhu yu xu ji Bl~±Jit~~) und die das aktuelle
Lehre übernehmen, und dabei ist die Anstrengung des Verbrennens und Einschmel- helle Wahrnehmen (Bewusstsein) als von den Gegenständen abhängig betrachten (yi
zens und des Ansammelns und des Bewahrens sehr nachlässig geworden. Die Leute nzingjue wei yuan jing j;J.Sjjfl~~~).» Das ist offenbar die Auffassung Nie Baos, die
wünschen bloß, aufgrund meiner leeren Meinungen und bloßen Schattengebilde WangJi folgendermaßen kritisiert: «Das heißt, dass man selbst seine [des <ursprüng-
mit dem Lehrer Verbindung aufzunehmen, um damit den Glanz dieses Lernens zu lichen Wissens>] Funktionen versperrt (zi zhi qi yong § ~~ffl).»

23 Nianpu II, unter dem 16.Jahr der Zhengde-Ära (1521), Quanji,juan 34, Shanghai I 992, S. 1279; ohen
von uns zitiert in der Einleitung zu Teil I, § 1, S. 95.
25 vvang Longxi quanji (1822),juan 2, S. 9a-b (Taipei 1970, S. 173f.); vvang]iji, Nanjing 2007,juan 2,
24 Wang Longxi quan ji (1822),juan 2, S. 7b-9a (fäpei 1970, S. 170-173); vvang]i ji, Nanjing 2007,juan
S. 34f.; Anhang II, S. 694.
2, S. 33f., Anhang II, S. 693f.
26 Siehe oben in der Einleitung zu diesem Teil II den§ 6, S. 353ff.
758 759

4. Es ist dies die konträre Position zur dritten: «Es gibt Leute, die meinen, dass fflI:fH3t in der Präfektur Guangde •fl im Nordosten der ProvinzJiangxi verlassen
[die Lehre vom] <ursprünglichen Wissen> auf das aktuellen helle Wahrnehmen (Be- und war in dieser Provinz Richtung Westen gereist. Im «mittleren Windermond»
wusstsein) abzielt (liang zhi zhu yu mingjue !il9'D::E~PJlfl), und welche die T,ecre und (= elfter Mond= 26. November bis 25. Dezember 1562) besuchte er Luo Uongxian in
Stille als ein Versinken ins Leer-Nichtige betrachten (yi xu ji wei eben kong J.-.:,1_~~#9 der Präfektur Ji'an, und im selben «mittleren Wintermond» gelangte er auch über die
55i:~).» Es ist dies die in der Schule sehr verbreitete und vor allem von Qian Dehong Provinzhauptstadt Nanchang nach Süden in die Präfektur Fuzhou :f1i1M 31 und nahm in
vertretene Position, die das «ursprüngliche Wissen» als ein moralisches Bewusstsein diesem <<Mond» in Nixiantai BU!l%tl im Kreis der Präfekturhauptstadt Linchuan ll!'iiJll 32
(Gewissen) der eigenen aktuellen Intentionen (Funktionen) und die «stille Substanz» an einer Versammlung teil.3 5 Zu Luo IIongxian im KreisJishui gelangte er am 7. 'fog
des «ursprünglichen Wissens» als etwas der ethischen Praxis Unzugängliches betrach- dieses «mittleren Wintermondes»(= 2. Dezember 1562) und besuchte von dort aus in
tet.27 Wang Ji bemerkt dazu kritisch: •«Das heißt, selbst seine [des <ursprünglichen den folgenden 'lagen auch Zou Shouyi (unmittelbar vor dessen Tod am 5. Dezember
Wissens>] Substanz untergehen zu lassen (zi gu qi ti ~ 51:l~lll).» Gegen die beiden 1562) und Nie Bao in den Nachbarkreisen vonJishui. 34 Es ist mir nicht klargewor-
konträren Positionen 3 und 4 sagt er: «Die Leere und Stille ist an sich die Substanz den, ob WangJi zuerst inJishui bei Luo Hongxian oder zuerst in Nixiantai war. Die
des <ursprünglichen Wissens>, und das helle Wahrnehmen (Bewusstsein) gehört an Reihenfolge ist nicht ganz belanglos, weil Wang Ji in Nixiantai in zwei der von ihm
sich zu den Funktionen des <ursprünglichen Wissens>. Substanz und Funktionen sind kritisierten sechs Auffassungen Luo Hongxian im Auge zu haben scheint, was besser
eine Einheit (ti yong yi yuan Hffl-~), es gibt zwischen ihnen nicht den Unterschied erklärbar wäre, wenn seine Begegnung mit ihm unmittelbar zuvor stattgefunden hätte.
zwischen Früher und Später.»28 Ich muss diese chronologische Frage offenlassen.
Wang Ji schließt seine Ausführungen mit der Aufforderung an seine Zuhörer, Die Präfektur Fuzhou war die Heimat des Freundes und Gegners Zhu Xis
ihre divergierenden Meinungen am Werdegang von Wang Y·mgmings Lebenserfah- Lu Jiuyuan (Beiname: Xiangshan, 113 8-1191) gewesen, den Wang Yangming sehr
rung zu hinterfragen: «Was Sie meine Edlen heute eingesehen und erreicht haben, geschätzt und von dem er 1518 auch Texte veröffentlicht hatte. Die Organisatoren
sollen Sie in seiner Nichtigkeit und Wirklichkeit, in seiner Oberflächlichkeit und der Versammlung in Nixiantai, Zeng Yuanshan, Fu Shijing und Chen Xiesuo, baten
Tiefe an der Übereinstimmung mit der zeitlichen Folge der ganzen Lebenserfahrung Wang Ji, zu Texten von LuJiuyuan vom Gesichtspunkt der Schule Wang Yangmings
unseres verstorbenen Lehrers überprüfen (zhi zhu xian shi zhong shen jing li ci di ~~ Stellung zu nehmen. In einem dieser Texte betont Lu Jiuyuan die Wichtigkeit des
J'i'Jili~:lit~~,X~). [ ... ]Wenn Sie auf diese Weise vorgehen, haben Sie einen Lehrer Lernens und des Lehrers. Es ist wiederum wie in Chuyang im Zusammenhang mit
in Überfülle (pei ran you yu shi ;rliM~ti<Mi).»29 der Frage des Lehrers, dass Wang Ji verschiedene nach ihm einseitige Auffassungen
Obschon Wang Ji in seiner Biographie von Wang Yangming auf die Position von des «ursprünglichen Wissens» nennt und kritisiert. Diesmal sind es sechs solche
Luo Hongxian anzuspielen scheint, figuriert diese nicht unter den vier kritisierten Auffassungen, von denen sich drei mit den 1553 in Chuyang erwähnten decken. Die
Meinungen. Luo Hongxian war erst 15 51 öffentlich auf kritische Distanz zu Wang Ji in Chuyang an erster Stelle genannte, welche die Ergänzungsbedürftigkeit des «ur-
getreten, und Wang Ji wollte für eine Auseinandersetzung mit ihm ein persönliches sprünglichen Wissens» durch die Erforschung der «Ordnungsprinzipien» behauptet,
Treffen abwarten, 30 das noch für den Sommer desselben Jahres 15 5 3 geplant war, aber wird jetzt nicht mehr erwähnt.
dann erst im nächsten Sommer zustande kam. Einleitend sagte WangJi: «Seit der Qin- und der Ran-Dynastie wurde das Ler-
nen unterbrochen, das Dao (der rechte Weg) ging verloren, und die Welt hatte keine
§ 2 Wang Jis Kritik von sechs verschiedenen zeitgenössischen Lehrer mehr. 35 Erst in der Song-Dynastie [der Zeit von Cheng Hao, LuJiuyuan, Yang
Auffassungen der «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» Jian und anderen] gab es wieder Lehrer. Wenn der das Dao Lernende keinen Lehrer
in der Versammlung von Nixiantai vom November 1562 sucht oder einen Lehrer sucht, aber nicht leeren Herzens [ohne Vormeinungen] auf
ihn hört, dann ist dies der Fehler des Lernenden. Wenn der Lernende einen Lehrer
Anders war es über neun Jahre später in einer Versammlung in der Präfektur Fuzhou, sucht und leeren Herzens auf ihn hört, aber das, wodurch er geführt wird, nicht das
unmittelbar nordöstlich der Präfektur Ji'an, wo Nie Bao, Luo Hongxian und Liu Dao ist, dann ist dies der Fehler des Lehrers.Als der verstorbene Lehrer [Wang Yang-
Bangcai zu Hause waren. Wang Ji hatte im November 1562 die Huaiyu-Akademie ming] die Lehre vom <ursprünglichen Wissen> hochhob, um die Welt zur Einsicht zu

27 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 1, § 4. 31 Wang Longxi quanji (1822),juan 1, S. 19b (Taipei 1970, S. 126); WangJiji, Nanjing 2007,juan 1, S. 16.
28 Wang Longxi quanji (1822),juan 2, S. 9b (Taipei 1970, S. 174); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 2, S. 35; 32 Über die Lokalisierung von Nixiantai siehe Wu Zhen: Xinian 1522-1602, Shanghai 2003, S. 245.
Anhang II, S. 694. 33 Zu dieser Versammlung siehe oben in Teil I das Kap. 4, § 2, S. 246.
29 Wang Longxi quanji (1822),jurm 2, S. lüa (Taipei 1970, S. 175); Wrmg]i.fi, Nanjing 2007,juan 2, S. 34 Siehe oben in Teil II, Kap. 4, § 1, S. 642.
35; Anhang TI, S. 695. 35 Seit der Song-Zeit wat· es eine unter den .Konfuzianern verbreitete Auffassung, dass seit der Qin-
30 Siehe oben in diesem Teil II, Kap. 4, § 1, S. 635. Dynastie (222-206 v. Chr.) der wahre konfuzianische Weg verloren gegangen war.
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bringen, haben ihn die Lernenden in großer Zahl verehrt, und das Dao schien in der rung vollständig werde (you xiu er hau quan lil~f fm~:i:), dann greift man störend in
Welt ganz hell zu werden. Aber aus dem, was die Schüler durch Sehen und Hören sein Wesen ein»: 42
vernahmen, hat jeder von ihnen unvermeidlich, obschon man sich dem Grundsatz 3. (entspricht der 4. Meinung der Rede in Chuyang, das heißt der Meinung
des <ursprünglichen Wissens> nicht zu widersetzen wagte, autgnmcl dessen, was seiner von Qian Dehong und anderen). «Es gibt Leute, die meinen, dass die Lehre vom
Veranlagung am nächsten lag, fremdartige (abweichende) Meinungen (yi jian ~Jll,) <ursprünglichen Wissen> auf dem Zustand nach dem Entstehen der Gefühle (yi ji1 B
erdacht und kombiniert.» 36 Wang führt dann die folgenden sechs «abweichenden ~) basiere und nicht auf ein Nichtwissen vor dem Entstehen der Gefühle verweise
Meinungen» an: (fei wei fa wu zhi zhi ben zhi ~P~~1!0ll.Z* ~).» Wang Ji bemerkt dagegen: «Das
1. (entspricht der 3.Meinung nach der Rede in Chuyangvon 1553, das heißt der <ursprüngliche Wissen> ist von Anfang an [selbst] die <Mitte vor dem Entstehen der
Meinung von Nie Bao): «Es gibt Leute, die meinen, dass das <ursprüngliche Wissen> Gefühle>, es ist Nichtwissen, und es gibt nichts, was es nicht wüsste (wu zhi er wu bu
kein Wahrnehmen (Bewusstsein) und Erkennen sei (fei jue zhao ~löfiJ\ij), sondern man zhi ml~fm1!1PI'~). Wenn man vor dem <ursprünglichen Wissen> noch einen Zustand
müsse, um es zu erlangen, den Grund bei der Rückkehr zur Stille legen (xu ben yu gui vor dem Entstehen der Gefühle annimmt, dann ist [gerade auch] das eine Meinung,
ji ~~JrHf\l>füZ). Es sei wie beim Spiegeln von Dingen durch einen Spiegel: Wenn die die sich ins Leere verliert (eben kong zhi jian 5Ji:,g;,.z~).»43
klare Substanz des Spiegels (der Spiegel selbst) still sei, dann unterscheide sich in ihm 4. (entspricht der 2. Meinung der Rede von Chuyang, das heißt der Meinung
das Schöne und das Hässliche [das Gute und das Schlechte! von selbst. Wenn man von gewissen Repräsentanten der Taizhou-Linie in der Provinz Jiangxi.) «Es gibt
sich aber auf das Spiegeln fixiere, dann werde die Klarheit [des Spiegels] zur Verwor- Leute, die meinen, dass das <ursprüngliche Wissen> an sich keine Begierden habe.
renheit.» WangJi bemerkt dazu kritisch: «Die Stille ist die Substanz des Herzens; die Wenn man direkten Herzens tätig sei, dann sei alles Dao (der richtige Weg) (zhi xin
Stille hat ihre Funktionen im Beleuchten (Erkennen) (,ji yi zhao wei yong ;füzi::U,Ui!,ffl). yi dang, wu bu shi dao ilVi>J.,:;i_ln~1'*~), man brauche nicht noch die Anstrengung
Wenn man das leere [gegenstandslose] Wissen bewahrt und das Beleuchten (Erken- der Vernichtung der Begierden hinzuzufügen.» Auch Wang Ji lehrte, dass «das <ur-
nen) verlässt (yi zhao ifHij), dann verdirbt man seine Funktionen.» sprüngliche Wissen> an sich keine Begierden hat und dass, wenn man direkten Her-
2. «Es gibt Leute, die sagen, dass das <ursprüngliche Wissen> nichts im Voraus zens tätig ist, alles Dao ist», aber nach ihm muss die «Macht der Gewohnheit» der
Fertiges sei (wu xian cheng ~JJ!,ß.lG), sondern erst durch Verbesserung (Kultivierung) egoistischen Begierden überwunden werden. WangJi erwidert gegen diese Meinung
vollständig werde (you yu xiu zheng er shi qurm lil~~mrm~:i:). Es sei wie beim Gold- dasselbe wie in Chuyang: «Wenn die Alten ihre Lehre aufrichteten, so taten sie dies
erz: Wenn man dieses nicht mit dem läuternden Feuer zusammenbringe (fei huo fu für die Vernichtung der Begierden im Hinblick auf diejenigen, die Begierden haben.
lian duan ~iö.Xf~i\Ui), dann könne daraus kein Gold werden.» Ich nehme an, dass Gerade dadurch kehrt man zum begierdelosen Wesen zurück (fu huan wu yu zhi ti
Wang Ji mit dieser «Meinung» vor allem Luo Hongxian im Auge hat, denn schon ~~~1'lx.z R), und es wird diesem nichts hinzugefügt.»
um 15 53 hatte Wang Ji in einem Brief an Luo dessen Meinung kritisiert, dass «unser 5. «Es gibt Leute, die meinen, dass es im Lernen ein Herrschendes und ein
gegenwärtiges <ursprüngliches Wissen> auf Kultivierung und Bezeugung angewiesen Sich-Auswirken gebe (you zhu zai,you liu xing 1Ei::E$1Eimtfi). Im Herrschenden werde
sei (dai xiu zheng fey~~m)», um demjenigen der heiligen Menschen gleich zu werden, 37 die Natur des Menschen aufgerichtet (li xing ll. tt), und im Sichauswirken werde das
und noch in Wang Jis Berichten über seine letzte Begegnung mit Luo Hongxian [individuelle] Geschick aufgerichtet (li ming ll.$), und sie teilen das <ursprüngliche
im Dezember 1562 wirft er ihm genau diese Auffassung vor. 38 In Nixiantai sagte er Wissen> nach Substanz und nach Funktionen auf (yi liang zhi Jen ti yong P)_Il!9;□ '.7.l'
dazu kritisch: «Doch wenn man ein Kind in einen Brunnenschacht fallen sieht und Gffl).» Das ist die Meinung des inJiangxi einflussreichen Liu Banczai, der sie in der
dabei Mitgefühl empfindet39 oder wenn man Nahrung mit den Füßen zugestoßen Versammlung beim «Dunklen Teich» im Kreis von Luo Hongxians WohnortJishui
bekommt und dabei Scham und Abscheu empfindet, 40 so ist das Herz der Güte (ren im Sommer 1554, in der auch Wang Ji anwesend war, vertreten hatte. 44 Wang Ji
1=) und der Gerechtigkeit (yi lji) von Anfang an vollkommen (ben lai wan ju ~*% wendet dagegen ein: «Das Herrschende ist die Substanz des Sichauswirkens, und das
Jel:), es antwortet in göttlicher Weise auf die Situation, der es begegnet, <es kann, ohne Sichauswirken ist die Funktion des Herrschenden. Substanz und Funktionen sind eine
zu lernen>. 41 Wenn man meint, dass das <ursprüngliche Wissen> erst durch Kultivie- Einheit (ti yong yi yuan Rffl-.ffil), man kann sie nicht aufteilen. Wenn man sie aufteilt,
dann trennt man sie (fen ze li '.7.l'Jltlliilt).»

36 «Worte in der Versammlung von Nixiantai», Wang Longxi quan ji (I 822),jutm 1, S. 3 la-b (Taipei
1970,S. 151f.); WangJiji,Nanjing2007,jurm 1,S.26.
37 «Dritter Brief an Luo Hongxian», Wang Longxi quan ji (1822),juan 10, S. 4a (Taipei 1970, S. 655); 42 Wang Longxi qurm ;i (1822),juan 1, S. 32b (Taipei 1970, S. 152); Wtmg Jiji, Nanjing 2007, juan 1,
WangJiji, Nanjing 2007,jll{tn 10, S. 236. s. 26f.
38 Siehe oben in Teil II, Kap. 4, § 9, S. 741. 43 Wang Ji erhebt hier einen kritischen Einwand gegen diese Meinung, den diese selbst nach der Dar-
39 Mengzi, 2. Buch, 1. 'leil, Kap. 6. stellung von Chnyang gegen diejenigen erhebt, die zur Leere und Stille zurückkehren wollen (siehe
40 A.a.O., 6. Buch, l. Teil, Kap. 10. die 4. Meinung in Chuyang).
41 A.a.O., 7. Buch, 1. Teil, Kap. 15. 44 Siehe oben in Teil II, Kap. 4, § 7, S. 713f.
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6. «Es gibt Leute, die meinen, dass im Lernen das Befolgen einer Ordnung hat recht, wenn sie die Notwendigkeit der «Kultivierung» hervorhebt, aber dadurch
(Reihenfolge) wichtig sei (gui xun xu :l:fli1'). Das Suchen habe eine Früheres und wird am «ursprünglichen Wissen» selbst nichts verändert. Die dritte Meinung hat
ein Späteres, doch nach dem Erlangen werde nicht mehr zwischen Innen und Außen recht, wenn sie den Zustand «nach dem Entstehen der Gefühle» zum Bereich des
geschieden (wu nei wai ~~91-). In der <Verwirklichung des ursprünglichen Wissens> «ursprünglichen Wissens» rechnet, aber zu diesem gehört auch «die Mitte vor dem
gebe es einen Unterschied zwischen Anfang und Ende.» Mit dieser «Meinung» hat Entstehen der Gefühle», das heißt seine «Substanz». Die vierte Meinung hat recht,
Wang Ji wiederum vor allem Luo Hongxian im Auge. Denn dieser hatte in dem von wenn sie das «ursprüngliche Wissen» als schon jetzt vollkommen betrachtet, aber
uns oben zitierten Brief an WangJi von 1550,45 in seinem «Nachwort» (um 1550) zu die Begierden müssen überwunden werden. Die fünfte Meinung hat recht, wenn sie
Nie Baos Kun bian lu46 und auch in seiner Kritik an Wang Ji in seinem «Anhang» von beim «ursprünglichen Wissen» von einem «Herrschenden» und einem «Sichauswir-
1550/51 zur «Sommerreise» von 154847 die «Reihenfolge im Lernen» (xue zhi ci di, ken», von einer allgemeinen Natur des Menschen und seinem individuellen Geschick
xue zhi xu •z,j;:ffi, •z1') hervorgehoben, das heißt, dass die «Verwirklichung des spricht, aber diese können nicht durch zwei verschiedene Methoden der ethischen
ursprünglichen Wissens» bei der «Verwirklichung der Leere und Stille», das heißt Praxis voneinander getrennt «aufgerichtet» (verwirklicht) werden. Die sechste Mei-
im «Innen», beginnen müsse, aber durch ihren Erfolg die Trennung von <<Innen und nung hat recht, wenn sie von verschiedenen Stufen im Lernen spricht, aber das Prin-
Außen» überwinde. Aber es ist wohl nicht nur Luo Hongxian, sondern es sind auch zip des Lernens, seine eigentliche Ursache und sein leitendes Ziel, ist dabei immer
Nie Bao, Qian Dehong und wahrscheinlich noch andere, die Wang Ji hier im Visier dasselbe, nämlich das vollkommene «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens».
hat. Denn auch Nie Bao und Qian Dehong vertraten die Meinung, dass der Anfänger Wang Ji schließt mit dem Satz: «Wenn wir eingedenk der Belehrung über das
im Lernen in anderer Weise vorzugehen habe als derjenige, der schon in den Bereich <ursprüngliche Wissen> uns in glücklicher Weise gegenseitig schweigend Zeugnis ge-
des Heiligen eingetreten ist. 48 Wang Ji sagt gegen diese Meinung: «Was man im ben (xing xiangmo zheng ~.ffl~m), um die Zweifel der Lernenden aufzulösen, und uns
Lernen sucht, ist die Ursache dafür, dass man es erlangt (suo qiu ji de zhi zhi yin pjf~ bemühen, die Hauptsache nicht aus dem Auge zu verlieren, dann dürfen wir vielleicht
WHiZZ~); was man im Lernen erlangt, ist die Bestätigung, dass man es suchte (ist von einem guten Lernen sprechen.»50
die Bezeugung dessen, was man suchte: suo de ji qiu zhi zhi zheng pJf13ftlJ~zzm). Von Die Hauptprobleme, mit denen die Lehre von der «Verwirklichung des ur-
Anfang bis Ende besteht eine Einheit (shi zhong yi guan ~~-]!), man kann nicht sprünglichen Wissens» nach diesen «Listen» Wang Jis zu ringen hatte, waren dem-
trennen. Wenn man trennt, dann zerstückelt man (Jen ze zhi '.l1' Jl.lJ3!l).»49 Sein Gedanke nach vor allem die folgenden: 1. das alte Problem der Ergänzungsbedürftigkeit des
scheint der Folgende zu sein: Das gesuchte Ziel des Lernens, nämlich das «eigentliche moralischen «ursprünglichen Wissens» durch empirisches Sachwissen und andere
Wesen des ursprünglichen Wissens», ist die Hauptursache dafür, dass man dieses Ziel Informationen «von außen»; 2. das Problem, ob das «ursprüngliche Wissen» in der
erreichen kann, das heißt, man muss, wie WangJi gegenüber Luo Hongxian im selben meditativen Ruhe oder in der guten Tätigkeit oder in beidem «verwirklicht» werden
mittleren Wintermond sagte, «das ursprüngliche Wissen mit dem ursprünglichen muss; 3. das Problem, ob das direkte Befolgen der spontanen Tendenzen des «ur-
Wissen verwirklichen» ~i liang zhi zhi liang zhi J..:;l. f0fl½i!{ 5!~); das im Lernen erlangte sprünglichen Wissens» das willentliche Beseitigen der egoistischen Begierden (den
Ziel, nämlich die volle Durchsetzung des «eigentlichen Wesens des ursprünglichen Kampf gegen das moralische Übel) erübrigt; 4. das Problem, ob das «ursprüngliche
Wissens» im eigenen Leben, ist die «Bezeugung» dessen, was man suchte und dass Wissen» im Bewusstsein der gewöhnlichen Menschen vollkommen gegeben ist und es
man es suchte. Das ethische Lernen muss daher von Anfang bis Ende vom Bewusstsein nur einer «sich rückwendenden» Besinnung bedarf, um sich dieser Vollkommenheit
desselben «ursprünglichen Wissens» getragen sein und kann nicht grundsätzlich in innezuwerden, oder ob eine vollkommene Gegebenheit des «ursprünglichen Wis-
verschiedene Stadien aufgeteilt werden. sens» erst in seiner «Verwirklichung» allmählich hergestellt wird.
Wang Ji lehnt keine dieser sechs Meinungen schlechterdings ab, sondern kriti-
siert immer nur ihre Unzulänglichkeiten: Die erste Meinung hat nach ihm recht, wenn
sie die Stille als die Substanz des ursprünglichen Wissens betrachtet, aber zu dieser
gehört auch das aktuelle «Wahrnehmen» als ihre Funktionen. Die zweite Meinung

45 Siehe oben in Teil II, Kap. 4, § 4, S. 666.


46 Siehe oben in Teil II, Kap. 4, § 2, S. 656.
47 Siehe oben in Teil II, Kap. 4, § 5, S. 678.
48 Für Nie Bao siehe oben in Teil II, Kap. 3, § 5, S. 58lff.; für Qian Dehong siehe zum Beispiel in Teil
II die Einleitung,§ 8, S. 385, und in Kap. 4, § 1, S. 645, den Brief an Luo Hongxian: «die Folge des
Fortschreitens im Lernen unseres Lehrers [Wang Yangming] (wu shi jin xue ci di ~ ßilili!li!,J.:ffi) [... ]».
49 Wang Longxi quanji (1822),juan 1, S. 32a-33a (Taipei 1970, S. 151-153); WangJiji, Nanjing 2007, 50 Wang Longxi quanji (1822),juan 1, S. 33a-b (Taipei 1970, S. 153f.); Wang]iji, Nanjing 2007,juan 1,
juan 1, S. 26f. S.27.
Abschließende Bemerkungen und weiterführende
phänomenologische Fragen

Bei allen Diskussionen um die «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens», denen


wir in unserer Studie über Wang Yangming und seine Nachfolger begegneten, ging
es letztlich um die Frage, wie wir «heilige Menschen», das heißt wirldich gute oder
wahre Menschen, werden können; um die Frage, welches die Quellen, Kräfte und
Mittel sind, die uns dies ermöglichen. Diese Kräfte wurden vor allem im eigenen
Herzen, in der eigenen Seele gesucht. Ihre «Verwirklichung»-, das heißt ihr Einsatz
für jenes Ziel, wurde als die wichtigste Lebensaufgabe jedes einzelnen Menschen
angesehen, deren Erfüllung ihm die höchste Freude bringt. Die fundamentale Quelle
und Kraft für die Erreichung jenes Zieles wurde von Wang Yangming «ursprüng-
liches Wissen» genannt. Aber sie wurde von ihm unter dieser Bezeichnung verschie-
den gedacht, so dass bei ihm auch die <<Verwirklichung» dieses «Wissens» in der
ethischen Praxis verschiedene Formen und Aspekte annehmen musste. Wir haben
bei ihm der Deutlichkeit halber zwischen drei verschiedenen Begriffen des «ur-
sprünglichen Wissens» unterschieden und diese unter anderem als «psychologisch-
dispositionellen», «moralisch-kritischen» und «religiös-enthusiastischen» Begriff
gefasst. Diese verschiedenen Begriffe waren die Ausgangspunkte seiner Nachfolger
und ihrer Diskussionen: Wenn das «ursprüngliche Wissen» im Anschluss an Mengzi
als gute emotionale Dispositionen und Regungen des menschlichen Herzens, vor al-
lem als Mitgefühl mit anderen lebenden Wesen, aber auch als Sinn für Gerechtigkeit,
für einen harmonischen Umgang mit den Mitmenschen und für den Unterschied
zwischen Richtig und Falsch gedacht wurde, dann bestand seine «Verwirklichung»
in der Ausführung dieser Tendenzen im Handeln und in ihrer Durchsetzung gegen
ihnen zuwiderlaufende «egoistische Begierden». Wenn das «ursprüngliche Wissen»
als kritisch zwischen den eigenen Intentionen unterscheidendes Gewissen gedacht
wurde (von Wang Yangming auch als «allein Wissen» bezeichnet), dann bestand seine
«Verwirldichung» in der Ausführung der als gut bewussten Intentionen und der Ab-
weisung der als schlecht bewussten. Wenn das «ursprüngliche Wissen» als sein immer
vollkommenes <<eigentliches Wesen» gedacht wurde, dann bestand seine «Verwirk-
lichung» im Innewerden und im vertrauenden Wirkenlassen dieses vollkommenen
«Wesens» im eigenen Leben und Handeln. All diese Formen hatten die ethische
Integrität der eigenen Person zum Ziel, beinhalteten aber notwendigerweise auch den
Dienst an den Mitmenschen und die Förderung des gesellschaftlichen Wohls. Umge-
kehrt war in ihnen ebenfalls der Gedanke enthalten, dass das gesellschaftliche Wohl
letztlich nur durch die «Verwirklichung» des im Herzen der einzelnen Menschen
angelegten Guten erreicht werden kann. Das «eigentliche Wesen des ursprünglichen
Wissens» drückt aus, was ein «heiliger Mensch» ist: Sein wesentliches Merkmal
ist ein Handeln, das erstens durch wahres Mitgefühl mit anderen Wesen, das heißt
durch «Menschlichkeit» (ren 1=), geleitet wird und das zweitens aus innerer «Ruhe»
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(jing ff) heraus und in innerer «Festigkeit» (ding ~)geschieht.Durch diese zwei der andere ging diesen Weg des moralischen Bewusstseins und der Willensanstrengung
Charakterzüge gewinnt der Mensch Übereinstimmung mit seinem wahren Selbst als hoher und integrer Staatsdiener bis ans Ende seines Lebens. Diese beiden waren
und wird dadurch mit «Freude» (/e •) erfüllt. nicht die einzigen Befürworter dieses Weges, vielmehr war ihre Auffassung so etwas wie
Dieses so bestimmte Ideal des <<heiligen Menschen» war keine Erfindung Wang die allgemeine, gewöhnliche Lehre der Schule. Denn es war vor allem diese Auffassung,
Yangmings und seiner Schule, sondern hatte weit zurückreichende Wurzeln sowohl die Wang Yangming in seinen letztenJahren vor großem Publikum lehrte und die auch
in der konfuzianischen als auch in der buddhistischen und daoistischen Tradition. von seinem einflussreichen und getreuen Schüler Ouyang De weit verbreitet wurde.
Für die Bildung dieses Ideals waren die wichtigsten Vorgänger Wang Yangmings Doch hat sie viele ihrer Mitglieder nicht befriedigt, und diese versuchten, sich an an-
wohl der ältere der beiden Cheng-Brüder Cheng Hao (1032-1085) und Zhou Dunyi dere Ansätze ihres Meisters zu halten. Dies war nicht nur bei mehreren Mitgliedern
(1017-1073) aus der Nördlichen Song-Dynastie. Die Ethik bestand für Wang Yang- der Fall, die in unserer Studie besonders hervortreten, sondern auch bei solchen, die in
ming und seine Nachfolger nicht im Befolgen von allgemeinen moralischen Gesetzen. ihr mehr oder weniger im Hintergrund blieben, wie etwa bei Huang Honggang (Bei-
Das Hauptproblem bestand für sie nicht darin, die moralischen Regeln oder Gesetze name: Luocun, 1492-1561). Von ihm schreibt Luo Hongxian in der ihm gewidmeten
zu suchen, an die wir uns zu halten haben, sondern darin, wie unsere Sehnsucht nach «Grabinschrift», dass dieser «zuerst an der Entschlossenheit seines Willens festhielt,
dem ethisch Guten und unser Wissen darum die nötige Kraft oder Macht gewinnen dann aber das beständige Befolgen des Natürlichen, ohne geringste Kraftanwendung,
können, um sich gegenüber den in unserem Herzen auch vorhandenen egoistischen zum Leitprinzip machte (shi zhe chi shou qi jian, qi hou yi bu zhi xian hao zhi li,yi shun zi
und possessiven Begierden und Verblendungen durchzusetzen. Wang Yangming hielt ran wei zhu :llf:t=l~~;ttlUtftJ.;J,=fi(&iUi.;z.:b-Jlil ~ ~~.:E)»1•
das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» für die schwierigste und anspruchs- Dieser Trend bei manchen Nachfolgern Wang Yangmings, nach einer tieferen
vollste Aufgabe des Menschen. In seinen letzten Lebensjahren brachte er mehrmals Kraftquelle für die ethische Praxis zu suchen, als sie die Willensanstrengung aufgrund
seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass nun zwar sehr viele Menschen über des Gewissens ausmachen kann, ist für die reale Möglichkeit einer echten ethischen
das «ursprüngliche Wissen» reden würden, aber kaum jemand es aus eigener Erfah- Praxis sehr bedeutsam. Die Gründe ihrer Unzufriedenheit mit der ethischen Wil-
rung wirklich «einsehe» und sich wahrhaft anstrenge, es zu «verwirklichen». lensanstrengung lagen, soweit ersichtlich, weniger in der Unklarheit des moralisch
Die «gewöhnliche» und verbreitetste Art der «Verwirklichung des ursprüngli- unterscheidenden Bewusstseins (Gewissens) als vielmehr in Schwierigkeiten mit der
chen Wissens» in der Schule Wang Yangmings nach dessen Tod war diejenige, die vom Willensanstrengung in der Durchführung der guten und in der Zurückweisung der
«moralischen Bewusstsein» oder «Gewissen» ausgeht: Dieses «ursprüngliche Wissen» schlechten Intentionen. Es waren hier zwei zusammenhängende Erfahrungen, die
wird dadurch «verwirklicht», dass wir im moralischen Bewusstsein unserer guten und an der ethischen Willensanstrengung zweifeln ließen: einerseits die Erfahrung, dass
schlechten Intentionen durch die «Wahrhaftigkeit des Willens» im Handeln die gu- die Motivationskraft des eigenen moralischen Bewusstseins zu schwach ist bzw. der
ten verwirklichen und die schlechten zurückweisen. So handeln wir gemäß unserem eigene Wille, ihm gemäß zu handeln, gegenüber den egoistischen und possessiven
Gewissen und «betrügen» uns nicht selbst durch ein unserem «besseren Wissen» wi- «Begierden» zu wenig Durchsetzungskraft besitzt, um das Leben eines «heiligen
dersprechendes Handeln. Ein dem Gewissen gemäßes Handeln hat eine klärende und Menschen» führen zu können, also die Erfahrung der Schwäche des durch das mora-
stärkende Rückwirkung auf das Gewissen selbst. Dieses •«Wissen» ist nicht schon im- lische Bewusstsein motivierten Willens (vgl.Aristoteles' «Willensschwäche»: akrasia),
mer hell, sondern oft mehr oder weniger dunkel und verdeckt, aber es kann dadurch all- die Erfahrung, dass «ich nicht das tue, was ich als das Gute weiß und will, sondern das
mählich klarer werden, dass wir uns im Handeln kontinuierlich nach dem richten, was tue, was ich als das Schlechte weiß und nicht will» (Apostel Paulus); andererseits die
wir jeweils, wenn auch nur dunkel, in unserem Gewissen «wissen». Seine wachsende Erfahrung, dass ein durch den Willen erzwungenes gutes Handeln nicht demjenigen
Klarheit steigert zugleich seine Durchsetzungskraft gegenüber den schlechten Tenden- eines «heiligen Menschen» entspricht, der nicht durch Zwang, nicht forciert, sondern
zen. Eine allmähliche Klärung oder Vertiefung erreicht unser moralisches Bewusstsein natürlich und spontan das Gute tut und das Schlechte meidet.
auch durch «Achtsamkeit» gegenüber unseren eigenen Intentionen bzw. durch eine Jemand, der sich entschieden gegen eine auf das moralische Bewusstsein ge-
«Furchtsamkeit» vor einem moralischen «Selbstbetrug», also durch eine kontinu- gründete willentliche Anstrengung der«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens»
ierliche Besinnung auf unser Gewissen. Durch ein dem Gewissen gemäßes Handeln stellte, war Nie Bao. Er glaubte, dass eine solches Vorgehen zu einem forcierten und
gewinnen wir «Zufriedenheit mit uns selbst», das heißt eine Übereinstimmung mit künstlichen Handeln führt, und setzte ihm die willentliche Anstrengung der Rückkehr
uns selbst, und «kehren allmählich zum eigentlichen Wesen unseres ursprünglichen zur Stille der noch nicht fühlenden und begehrenden, noch nicht denkenden und
Wissens zurück». Wir haben diese Auffassung Wang Yangmings hauptsächlich bei Qian
Dehong und Ouyang De wieder angetroffen, die beide in ethischer Hinsicht große
Persönlichkeiten und hervorragende Lehrer waren. Der eine trat als außerordentlich
Luo Hongxian ji, Nanjing 2007,juan 20, S. 803; diese Aussage hatHuang Zongxi in seine «Dokumente
verdienstvoller Herausgeber der Schriften Wang Yangmings und als Hauptautor seiner der Konfuzianer der Ming-Dynastie» (M.RXA) übernommen, ohne jedoch die Quelle zu nennen:
großartigen «Lebenschronik» sowie als unermüdlicher Vertreter seiner Lehre hervor, MRXA,juan 19, Beijing 1985, S. 449.
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tätigen «Substanz des ursprünglichen Wissens» entgegen. Er berief sich dabei auf wieder erheben. Eine Befreiung von den Begierden sei letztlich nur im mitfühlenden
gewisse Aussagen Wang Y.mgmings, die im ersten Teil des Chuanxi lu (aus der Zeit tiitigen Umgang mit den Mitmenschen möglich.
zwischen 1512 und 1518) festgehalten waren; WangYangming hatte in dieser frühen Nie Baos ethische Kultivierung der bloßen «Substanz» des «ursprünglichen
Zeit um 1515 cbs «Sitzen in der Ruhe» gelehrt. Nach Nie Bao ist dem aktuellen Wissens» widersprach W.mg Y:mgrnings späterer Lehre. Doch die Erfahrung der
moralischen Bewusstsein der eigenen Intentionen nicht zu trauen; und die Willens- ethischen Kraft aus dem «Sitzen in der Ruhe» war nicht nur für Wang Yangming,
anstrengungen, es im I fandeln zu verwirklichen, führen nicht zu einem spontanen, sondern auch für viele seiner Nachfolger in ihrer ethischen Praxis wichtig, und selbst
natürlichen guten Handeln. Er wollte sich daher in seiner ethischen Anstrengung WangJi erkannte ihr einen relativen Wert zu. Doch Wang Yangming und die meisten
nicht mit den guten und schlechten Intentionen beschäftigen, sondern in eine tiefere seiner Nachfolger suchten letztlich eine ethische Praxis, in der die Ruhe des Herzens
Schicht des «Herzens» eindringen: Er trennte durch eine meditative Methode des in der Tätigkeit selbst gefunden wird. Die «Ruhe» oder innere «Festigkeit» in der
«Sitzens in der Ruhe» die «Substanz» des «ursprünglichen Wissens» von allen ihren Tätigkeit selbst war eines der wichtigsten Ziele und Probleme dieser Konfuzianer.
auf die Welt gerichteten Tätigkeiten oder Intentionen ab, um durch diese Versenkung Nie Bao ging seinen vVeg, den er einschlug, als er schon etwa fünfzig Jahre alt war,
in die stillen, noch nicht aktiven Tiefen des «ursprünglichen Wissens» dessen Kräfte durch große politische Widerwärtigkeiten hindurch und unbeeindrucktvon der Kritik
oder Potenzen zu nähren und zu stärken, so dass es danach in der Konfrontation vonseiten vieler Mitglieder der Schule Wang Yangmings konsequent bis zu seinem
mit der Welt als das «Herrschende» «von selbst», ohne Willensanstrengung, guter 'fod im hohen Alter.
Intentionen und eines guten Handelns mächtig ist. Diese «Versenkung>> in die bloße Auch Wang Ji distanzierte sich von der willentlichen Anstrengung aufgrund des
«Substanz» des «ursprünglichen Wissens» ist kein Zustand der Bewusstlosigkeit (der zwischen guten und schlechten Intentionen unterscheidenden moralischen Bewusst-
«Ohnmacht» oder des Tiefschlafs), sondern ein Bewusstsein, das sich nicht intentional seins und bevorzugte ein «dem Himmel vorangehendes Lernen». Sein Ansatz beim
im Fühlen, Denken oder Wollen auf irgendwelche einzelnen Gegenstände richtet. Nie Ursprung der Intentionen und Tätigkeiten bestand aber nicht wie bei Nie Bao in
Bao dachte sich ein solches nichtintentionales Bewusstsein wie ein bloßes Licht ohne einem Rückzug in die stille Substanz des «ursprünglichen Wissens», sondern im Ver-
im Licht erscheinende einzelne Dinge oder wie einen reinen, hellen Spiegel, bevor trauen auf und in der «Einsicht>> in dessen <<eigentliches Wesen», das nicht nur stille
er irgendwelche Gegenstände spiegelt. Nachdem der Mensch in der «Leere» von Substanz, sondern immer auch die aus dieser stillen Substanz quellenden Funktionen
allen Gegenständen die an sich gute «Natur» seines «Herzens» regeneriert hat, wird (Tätigkeiten) ist. Er versuchte in seiner ethischen Praxis am konsequentesten, Wang
danach sein tätiger Umgang mit den Gegenständen seiner Welt im Fühlen, Denken, Yangmings Glauben an das immer vollkommene «eigentliche Wesen des ursprüng-
Wollen und Handeln «von selbst», «spontan» gut. Nie Bao nannte dieses Vorgehen lichen Wissens» nachzuvollziehen und diesen Glauben zur «Einsicht» zu führen.
in Anspielung auf das «Buch der Wandlungen» das «dem Himmel vorangehende Ler- Jedoch war er weitsichtig genug, um auch dem moralischen Bewusstsein und dessen
nen», da es sich nicht auf die bereits entstandenen guten und schlechten Intentionen willentlicher allmählicher «Verwirklichung» im Handeln einen Platz einzuräumen. Er
und ihre Gegenstände, sondern auf die allen einzelnen geistigen Tätigkeiten voran- war der Auffassung, dass er Wang Yangmings «späte (reifste) Grundlehre» (wan nian
gehende «Substanz» oder «Natur» des Herzens richtet. Das kritische «Gewissen» zong shuo i!Yl~*m) zum Ausdruck bringe. Nach WangJi ist es nicht ein erfolgreiches
und die darauf gestützte willentliche Anstrengung erübrigen sich, da in der Stille der Vorgehen, das «ursprüngliche Wissen» im Sinne der guten Regungen des mensch-
«Substanz» des Herzens alle guten und schlechten Intentionen verschwunden sind lichen Herzens nur von außen durch eine willentliche Anstrengung oder Methode
und nach der Regenerierung dieser «Substanz» alles Fühlen, Denken und Handeln verwirklichen zu wollen, sondern es ist besser, es durch sich selbst, durch sein «eigent-
aus den Tiefen der stillen Substanz heraus erfolgt und von selbst gut ist. liches Wesen» in «natürlicher Weise» ( § ~), sich «verwirklichen» zu lassen (yi liang
Es ist bemerkenswert, dass die anderen Mitglieder der Schule diese Verabschie- zhi zhi liang zhi J..::,I_ ~~~~~)-Dies ist möglich durch «Einsicht» in dieses «Wesen».
dung des Gewissens Nie Bao weniger anlasteten als die in seinem Vorgehen vollzogene Ohne diese «Einsicht» wird das «ursprüngliche Wissen» auch missverstanden und mit
zeitliche Trennung zwischen Ruhe und Tätigkeit bzw. die Trennung zwischen der stil- anderem Wissen oder Bewusstsein vermengt. Das «ursprüngliche Wissen» zeigt sich
len Substanz des «ursprünglichen Wissens» und dessen Antworten auf die erregenden im gegenwärtigen Bewusstsein aller Menschen vollständig in jenen guten Regungen
äußeren Dinge. Die schwersten Einwände gegen Nie Baos Methode der «Rückkehr oder Tendenzen, von denen Mengzi sprach. Wang Ji nannte diese Regungen «helles
zur Stille» waren wohl diejenigen von Ouyang De und Wang Ji. Ouyang De wandte Gewahren des Natürlichen» (zi ran zhi mingjue § ~;zaßj fl). Er anerkannte, dass dieses
ein, dass es ein Bewusstsein ohne Intentionen gar nicht gebe. Wang Ji sagte, dass Nie «helle Gewahren des Natürlichen» beim gewöhnlichen Menschen von «Wünschen»
Baos Methode von besonderen äußeren Umständen der Ruhe und des Rückzugs von und «Meinungen» verdeckt ist, aber er dachte, dass es dadurch in sich selbst nicht im
der Gesellschaft abhängig sei, also nicht in allen Lebensumständen praktiziert werden Geringsten zerstört oder vermindert wird. Die «Einsicht in das eigentliche Wesen
könne, und dass sie das menschliche Herz nicht bis auf seinen unbewussten Grund von des ursprünglichen Wissens» befreit es von dieser Verdeckung oder Verblendung.
seinen schlechten Tendenzen (Begierden) zu reinigen vermöge. Auch wenn diese in Sie transformiert das einsehende Subjekt, indem sie es mit dem im menschlichen Be-
der bloßen Ruhe verschwänden, ,vürden sie danach bei den Tätigkeiten ihre Häupter wusstsein immer wirkenden «Antrieb des Himmels» als dem «eigentlichen Wesen des
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ursprünglichen Wissens» vereinigt. Wang Ji schrieb: «Ich verberge mich im geheimen und daraus die Konsequenzen zog. Es gab innerhalb der Schule Wang Yangmings auch
Antrieb des I Iimmels.» In seinen späten Jahren beschrieb Wang Ji diese Vereinigung eine Richtung, vor allem vertreten durch Y:mJun (Shannong)von dcr'laizhou-Linie,
als ein Sich-auf-sich-Zurückwcnden, In-sich-Gehen oder Zn-sich-Zurückkehren die wie W:mg Ji auf den «natürlichen Antrieb» des Herzens setzte, aber nicht wie
wiihrend der spontanen Manifestationen des «ursprünglichen Wissens» in den guten dieser eine grundlegende «Einsicht» in diesen «wahren Antrieb» und eine nachfol-
Regungen des aktuellen Bewusstseins. In einer solchen Rückwendung geschieht die gende Überwindung der von den Dingen getriebenen Begierden und der sich selbst
nach seiner Meinung durch keine moralische Unterscheidung vermittelte «plötzliche behauptenden Meinungen forderte.
Einsicht» in das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens». Diese «Einsicht» Es gab Versuche, diese drei grundsätzlichen Positionen zu vereinigen, wie schon
motiviert dann ein spontan aus dem «eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wis- Wang Ji auch dem «Sitzen in der Ruhe» und der willentlichen Anstrengung im Han-
sens» hervorquellendes Denken und Handeln. WangJi fasste in seinen späterenJah- deln aufgrund des Gewissens in der ethischen Praxis Raum geben wollte. Zou Shouyi
ren die Struktur dieses Prozesses der «Einsicht» und ihrer Folgen durch die Sequenz betonte, dass die ethische Praxis des «Verwirklichens des ursprünglichen Wissens» so-
von zwei Formeln zusammen: «vom einen Denken her sich auf sich zurückwenden wohl eine willentliche Anstrengung aufgrund des Gewissens sein als auch spontan aus
und so das eigentliche Herz erlangen» (yi nian zi fan,ji de hen xin -;% § & l'!Pf;\ij\*1t,,) und der Natur des Herzens heraus erfolgen müsse: Die willentliche Anstrengung beseitige
dann «aufgrund des eigentlichen Wesens [des Herzens] die ethische Praxis ausüben» die Hindernisse und Verstopfungen, die dem natürlichen Fluss des «ursprünglichen
(ji hen ti,yi wei gongfu l'ln*HP).f.?:]J}J Js:.). Die zweite Formel steht für den Gedanken der Wissens» entgegenstehen. Er berief sich vor allem auf die «Achtsamkeit gegenüber
«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens durch das ursprüngliche Wissen». Die dem nicht Gesehenen» und die «Furchtsamkeit gegenüber dem nicht Gehörten» im
beste Art, das «ursprüngliche \Visscn zu verwirklichen», geschieht also nicht durch ersten Kapitel des Zhongyong. Er verstand diese als eine Vertiefung des moralischen
willentliche Entscheidung und Anstrengung aufgrund der moralischen Unterschei- Bewusstseins durch eine moralische «Wachsamkeit» gegenüber den eigenen Inten-
dung zwischen guten und schlechten eigenen Intentionen; sie geschieht nach Wang tionen. Doch scheint die Richtung dieser Aufmerksamkeit bei Zou Shouyi im Lauf
Ji -wie auch nach Nie Bao - nicht als eine «moralische Gesinnung im Kampf», siege- seines Lebens sich immer mehr von den eigenen guten und schlechten Intentionen
schieht aber auch nicht wie bei Nie Bao durch eine willentliche Methode meditativer bzw. von dem sie unterscheidenden Gewissen auf das immer vollkommene «eigent-
Versenkung in die Stille der Substanz des Herzens während der Zeiten des «Sitzens liche Wesen des ursprünglichen Wissens» als die unerschöpfliche Quelle alles ethisch
in der Ruhe», sondern sie besteht in einem dmch die Rückwendung auf sich selbst guten Denkens und Handelns verschoben zu haben.
(durch die Einkehr in sich selbst) alle einzelnen Dinge loslassenden, vertrauenden Einen Versuch, die ethische Übung in der Stille der Substanz des «ursp1iing-
und einsichtigen Sichanheimgeben an die im eigenen Herzen wirkende schöpferische lichen Wissens» mit einer willentlichen Anstrengung in der Tätigkeit seiner «Funk-
Macht des <<Antriebs des Himmels», die der eigenen mor.alischen Unterscheidung tionen» zu verbinden, unternahmen Liu Bangcai und auch schon sein älterer Vetter
zwischen guten und schlechten Intentionen vorangeht. Sie ist eine Art «Gnosis» im Liu Xiao: Sie unterschieden streng zwischen zwei Ebenen, auf denen beiden das
Sinne einer erlösenden intuitiven Selbsterkenntnis der immer vollkommenen Natur «ursprünglichen Wissen» «verwirklicht» werden muss: zwischen der Ebene der zum
des eigenen Geistes. Die tiefste «Einsicht» geschieht nach Wang Ji nicht währ.end Herrschen bestimmten inneren «Substanz» des Herzens oder der «Natur» (xing tt)
des an besondere Zeiten gebundenen «Sitzens in der Ruhe», sondern während der des Menschen und derjenigen seines im Leben und Handeln in der jeweiligen äuße-
sozialen, von der «Menschlichkeit» getragenen Tätigkeit. Dadurch ist nach ihm die ren Situation waltenden individuellen «Geschicks» (ming '$). Auf der ersten Ebene
«Einsicht» bzw. die Vereinigung mit dem «Antrieb des Himmels» nicht nur radikaler, geschieht die«Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» durch eine Methode der
sondern auch zeitlich beständiger, da sie so im Prinzip zu jeder Zeit möglich ist. Die- inneren geistigen Ruhe oder Versenkung; auf der zweiten Ebene durch die auf dem
sen auf der «Einsicht» in das «eigentliche Wesen» beruhenden Ansatz der ethischen kritischen Gewissen beruhenden Tätigkeit. Liu Bangcai und Liu Xiao beriefen sich
Praxis nannte Wang Ji das «dem Himmel vorangehende Lernen». Im einsichtigen dabei auf den Satz aus dem ~<Buch der Wandlungen»: «Der Edle ist gesammelt und in
und vertrauenden Sichtreihenlassen durch den «Antrieb des Himmels» ist die immer Ehrfurcht, um sein Inneres gerade zu machen; er ist sittlich gerecht, um sein Äußeres
noch notwendige Ausschaltung der im «Herzen der Gewohnheit» (xi xin ~ 1t,,) ange- richtig zu machen.» Doch diese Zweiheit der ethischen Methoden und ihre bloß ad-
häuften egoistischen Neigungen und verblendenden Meinungen nicht mehr ein harter ditive Verbindung stieß in der Schule Wang Yangmings auf Kritik, hauptsächlich bei
Kampf, sondern wird «leicht». Doch diese Ausschaltung, mag sie auch «leicht» sein, Wang Ji und Luo I Iongxian. Warum opponierten Letztere eigentlich dagegen? Sie
muss auf dem unterscheidenden Gewissen beruhen. Dieses allmähliche Ausschalten strebten nach einer inneren Einheit der ethischen Praxis und sahen im zweifachen An-
der als moralisch schlecht bewussten Neigungen nannte Wang Ji das «dem Himmel satz Liu Bangcais eine Aufspaltung des Herzens. Sie wollten sich an Wang Yangmings
nachfolgende Lernen». Beide Arten des «Lernens» gehören nach ihm zusammen. Überwindung des Gegensatzes von Substanz und Funktionen, von Innen und Außen,
Wang Ji war zu seiner Sichtweise gekommen, indem er den Glauben an das immer von Ruhe und Tätigkeit, von «Natur» und «Geschick» halten.Nach ihrer Auffassung
vollkommene «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens», den er seit 1522 in ist die ethische Praxis im Prinzip nur eine: Sie besteht nur darin, das an sich vollkom-
seinem Lehrer in Shaoxing fand, zur unmittelbaren «Einsicht» zu bringen versuchte mene «ursprüngliche Wissen» ungehindert zur vollen Auswirkung kommen zu lassen.
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Luo Hongxian, der Wang Yangming nie persönlich begegnet war, aber ein die gegenüber den damaligen verschiedenen geistigen Strömungen offensten, die
existentielles Interesse an seiner Lehre hatte, setzte sich im Lauf seines Lebens mit weitsichtigsten und philosophisch scharfsinnigsten Nachfolger Wang Yangmings.
großer Wahrhaftigkeit mit allen Möglichkeiten und Aspekten der«Verwirklichung des Während Wang Ji, wenn er virtuos mit Begriffen und Zitaten verschiedenster Prove-
ursprünglichen Wissens» auseinander, und auch er stellte, durch seine Erfahrungen nienz dialektisch jongliert, trotz seiner Überlegenheit manchmal den Eindruck einer
geführt, zwischen ihnen eine gewisse Einheit her. Zuerst wurde er in seiner eigenen verbalen Leichtfertigkeit erweckt, erscheint mir Luo Hongxian, der sich nie Schüler
ethischen Anstrengung und Erfahrung von der willentlichen «Verwirklichung» des Wang Yangmings nannte, unter dessen Nachfolgern der ersten Generation als derje-
Gewissens im Handeln und danach auch von Wang Jis direktem Einsatz bei einer nige, der das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» am gründlichsten dachte,
vollkommenen Manifestation des «eigentlichen Wesens des ursprünglichen Wissens» am gewissenhaftesten praktizierte und am zuverlässigsten in Worte fasste, die in seiner
in den spontanen Regungen des Herzens und bei ihrer Vertiefung durch eine «plötz- eigenen Erfahrung gründeten.
liche Einsicht» enttäuscht. Darauf konzentrierte er sich eine Zeitlang (um 1549/50)
auf das «Sitzen in der Ruhe» von Nie Bao. Danach versuchte er (seit 15 52/53), dessen Wenn wir versuchen, die verschiedenen Richtungen der «Verwirklichung des ur-
Scheidung zwischen den Zeiten einer ruhigen (passiven) Versenkung in die Substanz sprünglichen Wissens», die wir in dieser Studie antrafen, auf ihre wesentlichen
des eigenen Herzens und den Zeiten eirtes mit den Dingen der Welt beschäftigten Charaktere zu reduzieren, so zeigt sich uns folgende Struktur: Der Ausgangspunkt
aktiven Denkens und Handelns zu überwinden. Er tat dies, indem er dem «ursprüng- und der bleibende Hintergrund aller verschiedenen Richtungen bestand im wil-
lichen Wissen» auch während der Zeiten des Handelns durch die kontinuierliche lentlichen Handeln gemäß dem zwischen guten und schlechten Intentionen
methodische Übung eines geistigen «Sichzurückholens und Sichfestigens» eine be- unterscheidenden Gewissen. Da dieses moralische Bewusstsein aber oft der Klar-
ständige Gegenwart im Bewusstsein zu geben versuchte, um ihm dadurch allmählich heit und der Durchsetzungskraft entbehrt, wurden verschiedene geistige Praktiken
(schrittweise) die ihm zukommende beständige Herrscherstellung im eigenen Streben angewendet, die die moralische Einsicht und Kraft des Menschen stärken und ihm
und Handeln zu ermöglichen. Er wandte gegen Wang Ji ein, dass das «ursprüngliche dadurch ermöglichen sollen, dem, was sein «eigentliches Herz» will, im Handeln zum
Wissen» im Bewusstsein des gewöhnlichen Menschen nur sporadisch auftrete und Durchbruch zu verhelfen. All diesen spirituellen Praktiken war ein gewisses Sichzu-
nicht beständig gegenwärtig (shi shi xian zai ~~JJl.1:E) sei und deshalb auch nicht hell rücknehmen von oder Innehalten in der gewöhnlichen, von äußeren Dingen und
(ming IIJ.I) und vollständig (ju zu AJE) zu sein vermöge und dass daher eine willentliche Geschäften getriebenen Tätigkeit eigen. Dieses Sichzurücknehmen oder Innehalten
Anstrengung notwendig sei, um die empirischen Bedingungen für eine beständige nahm erstens die radikale Form einer zeitweiligen vollständigen Abkehr von allem
und klare Gegenwart des «ursprünglichen Wissens» herzustellen. Die «Einsicht» in nach außen gerichteten Denken und Tätigsein durch eine ruhige Versenkung in den
das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» könne nicht «plötzlich» (di- stillen Grund («Substanz») des Herzens in einem nicht intentional auf bestimmte
rekt) sein, sondern bedürfe der vermittelnden lange dauernden Übung. Dieses Üben Dinge und Geschäfte gerichteten Bewusstseinszustand an. Es konnte zweitens in der
stelle die empirischen Bedingungen her, unter denen unser «Wissen (Bewusstsein)» Vertiefung des Gewissens durch eine achtsame Besinnung über die eigenen In-
beständig «ursprünglich» zu sein vermag (zhi suo yi neng liang ~fi)TJ..;J..~Bl). Dieses tentionen bestehen. Drittens versuchte es, durch eine unvermittelte («plötzliche»)
Üben geht für Luo Hongxian vom gegenwärtigen schwachen und immer wieder ver- Rückwendung im eigenen Herzen sich mit dem Ursprung aller Dinge und allen
dunkelten «ursprünglichen Wissen» aus und «sucht nach dessen starker und heller guten Handelns, mit dem «Antrieb des Himmels», zu vereinigen und alle Dinge
Quelle» (cong xian zai xun yuan tou ~JJl.1:E~~iffl:). Durch ein solches Fortschreiten lassend sich ihm anheimzugeben. Und viertens bestand dieses Sichzurücknehmen
wird auch das Vertrauen in (der Glaube an) das «eigentliche Wesen des ursprünglichen und lnnhalten in einem willentlichen und sich anstrengenden Sichzurückholen
Wissens» allmählich möglich und kann zur Richtschnur der ethischen Praxis werden. und Gefestigtbleiben während der Tätigkeit selbst, wodurch das Vertrauen in
Das «Sichzurückholen und Sichfestigen» sucht eine beständige innere Ruhe, die das den «wahren Antrieb» des eigenen Herzens schrittweise gestärkt werden und diesem
Getriebenwerden durch die begehrten äußeren Dinge zur Ruhe bringt und dadurch «Antrieb»· allmählich ermöglichen sollte, sich frei auszuwirken.
das «ursprüngliche Wissen» als den «wahren Antrieb» im sozialen Tun der «Mensch- All diese Vorgehensweisen waren grundsätzlich persönlich-individueller Art, hat-
lichkeit» beständig wirken und herrschen lässt. Nur der Trieb, der in der geistigen ten aber auch eine soziale Dimension: Wang Yangming und die meisten seiner Schüler
Sammlung wirkt, ist der «wahre Antrieb». Dadurch kam Luo Hongxian dem ihm von legten größten Wert auf regelmäßige Begegnungen mit «Gleichgesinnten». Diese
WangJi deutlich gemachten Hinweis Wang Yangmings auf die Einheit von Ruhe und Versammlungen dienten nicht bloß intellektuellen Diskussionen, sondern gegenseiti-
Tätigkeit nach. Das <<ursprüngliche Wissen» als moralisches Bewusstsein scheint in ger moralischer Kritik,Aufl<lärungund emotionaler Inspiration, dem wechselseitigen
seiner späteren ethischen Praxis eine weniger wichtige Rolle gespielt zu haben. persönlichen Erfahrungsaustausch, dem gegenseitigen ethischen Anspornen und
Unter allen Diskussionen über die «Verwirklichung des ursprünglichen Wis- Fördern. Das «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens» geschah nicht nur durch
sens» unter den Nachfolgern Wang Yangmings berührten diejenigen zwischen eigene Willensanstrengung und durch das Befolgen des eigenen «wahren Antriebs»,
Wang Ji und Luo Hongxian wohl die tiefgründigsten Fragen. Diese beiden waren sondern auch durch die Hilfe vonseiten der «Freunde» und durch die Berührung
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mit ihrem «wahren Antrieb». Vielleicht dürfen wir auch eine dritte Dimension nicht für andere; 2. Gewissen tmd unmittelbares Selbstbewusstsein; 3. Gewissen als «ur-
vergessen, in der Motivationen zur «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» spriingliches Wissen» und als lnteriorisierung von sozialer moralischer Erziehung;
auftraten: Immer wieder fiel uns auf, dass solche Anregungen auch im Kontakt mit der 4. «ursprüngliches Wissen» und informatives Wissen; 5. ethisches Handeln als Wil-
Erhabenheit der äußeren Natur gesucht wurden. Wang Yangming führte seine Schüler lcns:rnstrcngung und als Wirkenlassen des «göttlichen» Antriebes; 6. das Schlechte
zum Beispiel durch die Kuaiji-Berge südlich von Shaoxing oder sprach mit vertrauten im Menschen; 7. spirituelle Praktiken; 8. meditative Versenkung und intentionales
Schülern in den roten Felsen und Höhlen von 'fongtian nordwestlich von Ganzhou. Bewusstsein.
Die Versammlungen der «Gleichgesinnten» fanden unter anderem in derTianzhen- 1. Fühlen für andere: vVas sind die spontanen sozialen Gefühle und Handlungs-
Akademie in den Bergen südlich von Hangzhou mit weitem Blick auf den Qiantang- tendenzen, die Mengzi als die Keime der Tugenden betrachtete und die bei Wang
Fluss und die gegenüberliegenden aus der Ebene wie Inseln aufragenden Berge statt Yangming den ersten Begriff des «ursprünglichen Wissens» ausmachen, vor allem:
oder am Fuß des Qingyuan-Gebirges südöstlich von Ji'an oder in der «Akademie Was ist jenes Mitfühlen mit anderen Menschen und Lebewesen, das heißt ein eigenes
an der Westseite des Flusses» (Shuixi Shuyuan) gegenüber der Kreisstadt Jingxian Betroffensein durch ihre für sie leidvolle Situation; dann die Scham, wenn wir andere
(Präfektur Ningguo) oder am Fuß des zurückgezogenen, steil aufragenden Huaiyu- Menschen ungerecht behandeln, und die Abscheu, wenn wir von ihnen ungerecht
Granitgebirges 1~.n !11 an der Grenze zwischen den ProvinzenJiangxi, Nanking (heute behandelt werden; weiter das Gefühl der Achtung und die 11:ndenz zur Rücksicht-
Anhui) und Zhejiang, wo Qian Dehong auch die großartige <<Lebenschronik>> Wang nahme im sozialen Umgang und schließlich der Sinn für Richtig und Falsch? Nach
Yangmings vollendete. Auch im einsamen Suchen des eigenen Lebensweges wurde die Mcngzi wie auch nach Wang Yangrning und seinen Nachfolgern sind diese Gefühle
große Natur aufgesucht, etwa der «Yangming-Höhlenhimmel» in den Bergen südlich und 'Jendenzen allgemein menschlich und auch spezifisch menschlich; auf ihnen
von Shaoxing durch Wang Yangming, das herrliche Cuiwei-Gebirge nordwestlich von wollten sie ihre Ethik aufbauen. Sie strebten dabei eine allgemeinmenschliche Ethik
Ningdu (Präfektur Ganzhou, Provinz Jiangxi) durch Nie Bao oder die wunderbare an, die aber nicht im Befolgen allgemeiner Verhaltensregeln besteht (denn solche
Berglandschaft der <<Stein-Lotushöhle» durch Luo Hongxian. Ich meine nicht, dass vermögen nach ihnen nie der Vielfalt und dem zeitlichen Wandel der praktischen
im Staunen über die wunderbare und erhabene Natur moralische Prinzipien gefunden Situationen zu genügen), sondern auf allgemein-menschlichen Gefühlen und Hand-
werden können, aber dass das Anschauen (theorein) des «bestirnten Himmels über lungsimpulsen aufüaut. Wie sind diese sozialen Gefühle als intentionale Erlebnisse
uns» uns vom gewohnten, auf das Beherrschen unserer praktischen Situation aus- genauer zu verstehen?
gerichtete Getriebe und von den kummervollen Verwicklungen in unsere täglichen Am wichtigsten wäre das Verständnis jenes eigenen emotionalen Betroffenseins
Geschäfte und Ambitionen loszulösen und uns zur Besinnung über das in unserem durch eine für ein anderes Wesen leidvolle oder gefährliche Situation (in Mengzis
Leben eigentlich Wichtige zu befreien vermag. Vielleicht kann ein gutes ethisches Beispielen: das Fühlen für ein Kind, das im Begriff ist, in einen Brunnenschacht zu
Leben seine Kräfte aus diesen drei Quellen schöpfen: aus der Tiefe unseres eigentli- fallen, für einen zitternden Ochsen, der zum Schlachten geführt wird). Denn dieses
chen Herzens, aus dem Vorbild und der echten Zuwendung von guten Mitmenschen emotionale Betroffensein ist nach Mengzi der Keim der Menschlichkeit, die nach
und aus der überwältigenden Schönheit der Natur. Wang Yangming, aber auch schon nach Ch eng Hao (Mingdao, 103 2-1085) alle ande-
Die beiden größten Spannungsfelder und zugleich größten Aufgaben der Ver- ren Tugenden in sich schließt. Ein solches Betroffensein kann sehr große praktische
einigung von Gegensätzen innerhalb der verschiedenen Ausrichtungen und Wegen Wirkungen zeigen. Ich möchte als leuchtendes Beispiel die Aussagen von Ruedi Lüthy
der «Verwirklichung des ursprünglichen vVissens» lagen wohl in den folgenden zwei zitieren, der Professor für Infektiologie an der Universität Zürich und Leiter der
existentiell-praktischen Problemen, die dem Streben unserer Konfuzianer ihre Weite betreffenden Abteilung am dortigen Universitätsspital war. 1997 gab er diese sichere
und Tiefe gaben: im Problem der Vereinigung von innerer Ruhe und sozialer Tätig- und prestigevolle Stellung auf, um sich ganz denAidspatienten zu widmen, und 2003
keit oder, anders ausgedrückt, im Problem der Vereinigung von geistiger Gelassenheit zog er mit seiner Frau nach Simbabwe, weil er dort eine noch viel größere Not der
und emotionalem Betroffensein durch das Schicksal anderer Menschen und zweitens HIV-Infizierten und Aidskranken als in der Schweiz erfuhr. Er sagte: «Im Oktober
im Problem des Verhältnisses zwischen der eigenen willentlichen Anstrengung und 2002 bin ich auf Einladung einer Ärztin für eine Therapiestudie mit HIV-Patienten
Kontrolle im Handeln aufgrund des zwischen Gut und Schlecht unterscheidenden nach Harare gekommen. Es war erschütternd. Das Einzige, was man anbieten konnte,
moralischen Gewissens und der religiösen Hingabe an den «Antrieb des Himmels», war Aspirin. [... ] Und da wurde mir klar: Ich halte dieses Wissen nicht aus. Wenn
der das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» ausmacht. ich etwas ändern kann, dann muss ich das tun. Darum Simbabwe.»2 Seine Tätigkeit
in Simbabwe empfindet er als Glück. Er sagte 2006: «Die L'ltsache, dass ich als Arzt
* tätig sein darf - vor allem in meiner Funktion in Simbabwe-, ist ein unglaubliches
Um diese Ideen und geistigen Erfahrungen besser verstehen zu können, ist es not-
wendig, unter anderem folgende Fragen phänomenologisch (bewusstseinsanalytisch)
weiterzuverfolgen. Diese Fragen betreffen die folgenden acht Themen: 1. Fühlen 2 Aus einer Broschüre der Stiftung Swiss Aids Care International, Zürich 2009.
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Privileg. [... ] Wer wollte nicht so vielen Menschen helfen können, ihnen nicht ein das Falsche zu negieren, darf man vielleicht unter solche emotionalen <<Keime» der
Auto, sondern ein zweites Leben schenken?»3 Tugenden rechnen; denn daraus könnte die «menschliche» Tugend der Wahrhaftig-
Es ist wohl passender, bei den durch Mengzis Beispiele angedeuteten sozialen keit entstehen. Die Tendenz, anderen etwas Wahres zu sagen, ist ursprünglicher als
Gefühlen von Fühlen für andere als von Fühlen mit anderen, als von Mitgefühl, zu der berechnende Versuch, andere zu täuschen: Kinder sagen früher die Wahrheit, als
sprechen. Denn «Mitfühlen» legt nahe, dass wir in diesem Fühlen die Gefühle der an- dass sie täuschen können. Solche spontanen Tendenzen der Anteilnahme und Anteil-
deren irgendwie teilen. Das aber braucht in Mengzis Beispielen nicht der Fall zu sein. gabe hängen innerlich zusammen, denn sie können nur in ihrer Einheit zu wahren
Wir können beim Anblick eines am Rand eines Brunnenschachtes fröhlich spielenden Tugenden verwirklicht werden. So ist zum Beispiel ein wahrhaft mitleidender Mensch
Kindes erschreckt sein und die Tendenz verspüren, es vor der von uns befürchteten notwendigerweise auch ein sich mitfreuender, dankbarer und wahrhaftiger Mensch.
Katastrophe zu bewahren, ohne dabei an den Gefühlen des Kindes teilzunehmen. Diesem Fühlen für andere ist erstens eigen, dass es nicht bloß intentional auf
Das Kind selbst hat vielleicht von der Gefahr, in der es sich befindet, keine Ahnung die eigene Situation bezogen ist, wie dies bei Gefühlen der Freude und Trauer, des
und ist selbst sehr vergnügt. Wir nehmen nicht an seinen Gefühlen, sondern an der Wohlgefallens und des Zorns (der Wut) oder der Furcht der Fall sein kann, sondern
Situation, wie sie für es ist, teil, wir fühlen für es die Gefährlichkeit seiner Situation auch auf die Situation, so wie sie für einen anderen Menschen oder für ein anderes
und haben die Tendenz, etwas gegen diese für es gefährliche Situation zu tun. Ist lebendiges Wesen ist. Man fühlt zum Beispiel, dass ein Ereignis für einen anderen Men-
ein solches Fühlen für andere immer ein negatives, leidendes Gefühl? Wenn wir das schen schlecht, gefährlich oder gut ist. Dieses Fühlen für andere hat also nicht bloß eine
Kind vom Sturz in den Schacht zurückgehalten oder es aus dem Schacht unversehrt gegenständliche Intentionalität auf die eigene Situation, sondern auch auf jene eines
herausgezogen haben oder wenn wir sehen, dass eine andere Person dies getan hat, anderen erlebenden Wesens und damit ebenfalls eine nichtgegenständliche Ausrichtung
fühlen wir uns erleichtert und freuen uns, dass das Kind die Gefahr überstanden hat auf dieses andere Wesen, für das seine Situation besteht. Zweitens verlangt dieses Füh-
und sich nun in Sicherheit befindet. Wir freuen uns für das Kind. Auch dann nehmen len für andere nach einem Handeln für andere Menschen und findet seine Erfüllung
wir nicht notwendig an den Gefühlen des Kindes teil; wir fühlen nicht mit ihm, denn ebendarin. Vielleicht sind wir selbst an einem solchen Handeln verhindert, oder andere
während wir uns über seine Rettung freuen und lachen, ist das Kind vielleicht wegen kommen uns dabei zuvor. Aber wenn wir in unserem Fühlen für andere handeln kön-
seines Sturzes in den Schacht noch ganz erschreckt und weint. Fühlen für andere ist nen, müssen wir handeln, wenn unser Fühlen für einen Menschen nicht unecht werden
also nicht immer ein Leiden für andere, sondern kann auch ein Sichfreuen für andere oder absterben soll. Gefühle für andere implizieren also die Tendenz, für andere etwas
sein. Ein Sichfreuen für andere ist wohl auch nicht an ein vorangehendes Leiden zu tun. So enthält beispielsweise das Fühlen für das in einen Brunnenschacht fallende
für andere gebunden, aber doch an ein Fühlen für andere, in dem uns die Situation Kind die Tendenz, dieses Kind vor seinem Sturz zu bewahren bzw. es aus dem Brunnen
eines anderen in ihrer Qualität für ihn gefühlsmäßig präsent ist und in dem wir die herauszuziehen. Intentional bloß auf die eigene Situation bezogene Gefühle enthalten
Tendenz haben, etwas für den anderen zu tun, indem wir seine Situation in einem für zwar in sich Bewegungstendenzen; diese sind aber nicht Tendenzen, für andere zu han-
ihn guten Sinn verändern, zum Beispiel indem wir ihm etwas schenken oder ihm zu deln, sondern Ausdrucksbewegungen oder Affektgebärden wie Hüpfen oder Jauchzen
einem Erfolg verhelfen. Dieses Fühlen für andere und diese spontane Tendenz, andere vor Freude, Weinen oder Schreien in der Trauer, Brüllen oder Herumschlagen in der
zu fördern, kann zur Tugend des Großmutes werden, die wohl auch ein Bestandteil Wut, Zurückweichen in der Furcht, die mit jenen Gefühlen, die sie «ausdrücken», eins
von «Menschlichkeit:>> ist. sind und keine zielgerichteten Handlungen darstellen. Diese Gefühle drücken sich in
Ein anderes freudvolles Fühlen für andere ist die spontane Dankbarkeit, die Bewegungen aus, erfüllen sich aber nicht in Handlungen.Jenes Fühlen für andere ist
wir gegenüber Menschen empfinden, von denen wir etwas Gutes erfahren haben. In also kein bloßes Gefühl, sondern enthält auch eine Tendenz zum Handeln.
diesem Gefühl der Dankbarkeit liegt die Tendenz, durch ein eigenes Verhalten diese Dieses Fühlen für andere Menschen und Lebewesen ist keine Ansteckung durch
Güte der anderen Menschen zu erwidern, das heißt, etwas zu tun, was gut für sie ist. die Gefühle der anderen, keine Übertragung der Gefühle der Mitmenschen, mit
Dieses spontane Fühlen für andere kann zur Tugend der Dankbarkeit werden, und denen man in sozialem Kontakt steht, auf sich selbst. Sie lassen sich daher nicht so
auch sie darf der «Menschlichkeit» zugerechnet werden. Ebenfalls die elementare erklären, wie dies Hume mit der Sympathie tut. Solche Gefühlsansteckungen gibt es
Tendenz der Menschen, besonders der Kinder, anderen Menschen, ja auch Tieren zweifellos, aber sie charakterisieren nicht und erklären nicht das Fühlen für andere
(was aber meistens nicht gelingt) etwas in der Umgebung zu zeigen und sie darauf Wesen, das Mengzi und seine Nachfolger im Auge haben. Denn wir können zum
aufmerksam zu machen oder ihnen mitzuteilen, was oder wie etwas ist, und ihre ur- Beispiel erschrocken sein und Angst empfinden über die von uns wahrgenommene
sprüngliche Abneigung, anderen Menschen das Falsche zu sagen, oder ihre Tendenz, gefährliche Situation eines Kindes, das selbst in seiner Situation gar keine Angst ver-
spürt und keinerlei Erschrecken zeigt. Dafür gibt es viele Beispiele.
Solche Offenheiten des Fühlens und Handelns für andere machen «die Augen» des
3 <«Ich war wohl etwas naiV>. Ruedi Lüthy im Interview mit Patrick lmhasly,>, Der kleine Bund, geistigen Herzens des Menschen aus und eröffnen ihm Dimensionen des Erlebens und
2. Dezember 2006, S. 4. Handelns, welche die nur auf die eigene Situation gerichtete Interessenperspektive des
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bloßen Begehrens und Machtstrebens durchbrechen. Sie sind im Sinne Mengzis «ur- dieses andere Wesen, ohne dass wir uns dabei das subjektive Erleben dieses anderen
spröngliches Wissen und Können», das als geistiges Vermögen nicht anerzogen werden, Wesens vorstellen nnd es erkennen oder verstehen müssen? Ist die elementarste
das aber durch ein Sichfixieren auf eigenen Besitz, eigene Macht und eigenes Ansehen Weise, in der wir uns eines anderen Wesens, für das etwas ist (seine für es gute oder
mehr oder weniger verkümmern oder verdunkelt werden oder aber durch soziale Erzie- schlechte Sitw1tion), bewusst sind, eine emotionale? Sich eines anderen Wesens, für
lrnng zu entsprechendem Verhalten geweckt und gefördert und durch eigenes Ausüben das etwas ist, bewusst sein bedeutet, sich eines anderen Subjekts bewusst sein.
im Handeln «verwirklicht werden» kann; analog, aber nicht gleich, wie die Fähigkeit Die elementaren Gefühle für ein anderes lebendiges Wesen enthalten sicher auch
zum Sehen den sinnlichen Augen nicht anerzogen, doch verdorben oder aber durch Aus- kognitive Vorstellungen, nämlich solche des sinnlich wahrnehmbaren Verhaltens des
üben und Lernen ausgebildet werden kann. Sozial bloß anerzogen werden eigentlich nur anderen in seiner Situation und ein Wissen über eine solche Situation, zum Beispiel
durch Regeln vorgeschriebene äußere Verhaltensweisen, zum Beispiel, dass man Danke ein ·wissen um ihre Gefährlichkeit. Aber diese kognitiven Vorstellungen sind nicht
sagen oder nicht lügen und nicht töten soll, aber nicht die geistige Gesinnung und Aus- Vorstellungen davon, wie der andere seine Situation selbst wahrnimmt und erlebt.
richtung, die allein ein solches äußeres Verhalten zu einem ethisch guten macht und es Hat die emotionale Anteilname an der Situation für andere eine Priorität gegenüber
nicht, wie Wang Yangming sagt, auf ein bloßes Sich-vor-den-anderen-gut-Aufführen, den verstehenden Akten, in denen wir uns die subjektiven Erlebnisse der anderen
auf eine ihnen gefällige Schau herabsinken lässt. Ein bloß durch sozial angelernte Regeln vorstellen? Ohne uns das Erleben eines anderen erlebenden Wesens vorstellen zu
bestimmtes <,moralisches» Verhalten kann moralisch auch nicht immer richtig sein, da müssen, können wir schon für es als ein Subjekt, für das etwas ist, fühlen, indem wir
allgemeine Regeln nie allen Situationen moralisch gerecht werden. emotional an seiner Situation teilnehmen. Wie Edmund Busserl in seiner Phänome-
Der Versuch, die Ethik in einem solchen Fühlen für andere zu verwurzeln, nologie der Einfühlung immer wieder hervorhebt, bedeutet das kognitive Vorstellen
unterscheidet sich von einem Vorgehen, das die Ethik in einem auf Gegenständ- der Erlebnisse eines anderen Subjekts, sich dieses Subjekt von seinem Gesichtspunkt
liches gerichteten Wertfühlen begründet und sie dadurch der Ästhetik angleicht, die aus vorstellen. Es bedeutet sich vorstellen, wie das andere Subjekt aus seiner Perspek-
ebenfalls auf einem betrachtenden Gefallen und Missfallen von äußeren, gegenständ- tive die Dinge wahrnimmt, fühlt, will oder nicht will. Es bedeutet, sich phantasierend
lichen Verhältnissen beruht. Die Ethik Mengzis und seiner Nachfolger setzt nicht bei in den Gesichtspunkt des anderen hineinversetzen. Doch scheint jenes elementare
betrachtenden Gefühlen des Gefallens und Missfallens hinsichtlich gegenständlicher, Fühlen für andere noch kein solches Sichvergegenwärtigen oder Verstehen der Per-
äußerer Verhaltensweisen oder hinsichtlich gegenständlicher abstrakter Werte ein, spektive und der Erlebnisse des anderen zu enthalten.
sondern bei teilnehmenden Gefühlen an den Lebenssituationen anderer und bei in Jene elementaren Gefühle für andere sind nach Mengzi ursprüngliche Triebkräf-
solchen Gefühlen wurzelnden Handlungstendenzen für andere. Wang Yangmings te der Tugenden. Aber sie sind, wie Mengzi auch sagt, nicht schon selbst Tugenden,
zweiter Begriff des «ursprünglichen Wissens» enthält ein Werten. Dieses ist aber kein sondern müssen erst dazu ausgebildet werden. Ich vermute nun, dass das reflektie-
gegenständliches Werten, sondern ein nichtgegenständliches unmittelbares ethisches rende Bewusstsein, das sich phantasierend in den wahrnehmenden, fühlenden und
Wertbewusstsein der eigenen Intentionen. wollenden Gesichtspunkt eines anderen Subjekts hineinversetzt und überlegt, wie vom
Die für die Situation anderer Menschen fühlenden ursprünglichen Offenheiten Gesichtspunkt dieses anderen Subjekts aus «die Welt aussieht», notwendig ist, um jene
und Tendenzen des menschlichen Bewusstseins sind aber kaum im Sinne Kants als emotionalen Antriebe in Tugenden zu verwandeln. Wenn wir uns bloß aufgrund jener
apriorische Bedingungen eines leer formal gedachten Ichbewusstseins, einer «tran- unmittelbaren Gefühle für andere zu den anderen verhielten, würden wir oft, trotz
szendentalen Apperzeption», zu deduzieren oder zu verstehen. Aber ein «Verwirk- unserem Fühlen für sie, nicht zu ihrem Wohl handeln. Ein unmittelbares Reagieren im
lichen» dieser unser Erleben und Handeln für andere erlebende Wesen öffnenden emotionalen Affekt für andere kann den anderen auch schaden. Ein vergegenwärtigen-
und die Perspektive unserer Begierden überschreitenden Tendenzen ist die Bedin- des Verstehen, wie ein anderer Mensch seine Situation wahrnimmt und was er in ihr
gung dafür, dass wir im innersten Herzen mit uns zufrieden oder mit uns einig sein, will, ist für ein ethisch gutes Verhältnis zu diesem Menschen notwendig.Aber ein solches
das heißt mit der ,<Ordnung unseres Herzens» (xin li ,t,<E-'., «Ordnungsprinzip des vergegenwärtigendes Verstehen, wie die Situation für ein anderes erlebendes Wesen von
Herzens» im Sinne Wang Yangmings oder im Sinne von Pascals «ordre du creur») seinem Standpunkt aus aussieht, enthält in sich selbst noch keine Triebkräfte, um ihm
übereinstimmen können. Gutes zu tun. Denn wir können uns auch die Welt vom Gesichtspunkt eines anderen
Enthält dieses Fühlen für andere, zum Beispiel das Erschrecken über eine für Menschen aus vorstellen, um ihn besser täuschen, betrügen, übervorteilen, ja sogar um-
einen anderen gefährliche Situation, das Trauern über eine für einen anderen bringen zu können. Ein kognitives Verstehen des Gesichtspunktes anderer Menschen
leidvolle Situation, die Freude an einer für einen anderen Menschen guten Situation, kann auch dazu dienen, eigennützige Interessen erfolgreicher durchzusetzen und jenes
notwendigerweise bereits ein Sichvorstellen der subjektiven Erlebnisse des anderen unmittelbare Fühlen für andere zu ersticken. Die eigentlichen Triebkräfte eines ethisch
Menschen, ein Sichvorstellen seines subjektiven Wahrnehmens, Fühlens und Wollens guten Verhältnisses zu anderen erlebenden Wesen sind also doch jene «Keime der Tu-
der Dinge seiner Situation? Oder ist die elementarste Erfahrungsweise, in der wir genden» im Sinne von Mengzi, obschon sie selbst nicht ausreichen, um zu Tugenden
eine Situation als eine Situation für ein anderes '\.Vesen erfahren, ein Fühlen für zu werden, sondern dazu des kognitiven vergegenwärtigenden Verstehens bedürfen.
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Es ergeben sich durch die Diskussionen unserer Philosophen über das «ur- sein der ersten, das Gewissen aber der zweiten Gruppe zuteilen? Ist das eine sinnvolle
sprüngliche Wissen und Können» auch Probleme faktischer Art, die nur durch Unterscheidung? ln unserer europäischen 'fradition wird schon rein sprachlich eine
empirische Feststellungen zu beantworten sind: Genetisch wie und wann zeigt sich Einheit zwischen dem «Be\Vllsstsein» der intentionalen Akte und dem «Gewissen»
das «ursprüngliche Wissen und Können» im Sinne jener fühlenden Offcnheiten und nahegelegt, da beide ursprünglich durch ein einziges Wort, das griechische syneidcsis
Handlungstendenzen für andere Menschen und für andere fühlende Wesen in der oder das lateinische conscientia, gedacht wurden, das sich erst in den germanischen
Entwicklung des menschlichen Kindes? Hat es einen Sinn, mit WangJi zu sagen, dass Übersetzungen in Bewusstsein und Gewissen, consciousness und conscience, hewustsijn
sie als solche immer schon vollkommen und bei allen Menschen gleich sind? Wie wer- und geweten etc. differenziert hat, in den romanischen Sprachen aber die begriffliche
den sie praktisch gefördert, «ausgedehnt», und wie können sie sich gegen die eigenen Einheit bewahrte. Der Gebrauch des griechischen syneidesis oder des entsprechenden
possessiven und aggressiven Tendenzen des Menschen durchsetzen? Verbs syneidenai heaut6 («mit sich selbst wissen») steht in den antiken Texten meistens
in einem moralischen Kontext. Ist das moralisch neutrale unmittelbare Bewusstsein
2. Gewissen und unmittelbares Selbstbewusstsein: Auch das «ursprüngliche Wissen» im einzelner intentionaler Akte vielleicht bloß ein punktueller und abstrakter Aspekt des
Sinne des moralischen Bewusstseins (Gewissens) würden wir gerne psychologisch oder Gewissens? Wir haben in Wirklichkeit nicht eine bloße Vielzahl von zeitlich mitein-
phänomenologisch gründlicher verstehen. Kann dieses unmittelbare Bewusstsein der ander (synchron) und nacheinander (diachron) ablaufenden intentionalen Akten des
ethischen Qualität der eigenen Intentionen verstanden werden als ein unmittelbares Sehens, Hörens, Sichcrinnerns, Denkens, Wünschens, Wollens etc., deren wir uns je
Bewusstsein des Übereinstimmens oder Niehtübereinstimmens der eigenen konkreten einzeln bewusst wären, sondern alle diese Akte sind nur abstrakte Aspekte oder un-
I Iandlungsabsichten mit jenen mitfühlenden Offenheiten und Tendenzen des eigenen selbständige Momente innerhalb eines mehr oder weniger einheitlichen Bewusstseins,
Herzens, die den ersten Begriff des «ursprünglichen Wissens» ausmachen? Das mora- das sich kontinuierlich verändert, seine Vergangenheit stetig wandelnd mit sich trägt
lische Bewusstsein oder Gewissen wäre dann ein Bewusstsein des Übereinstimmens und auf seine Zukunft gerichtet ist. Dieser «Bewusstseinsstrom», der unser subjektives
bzw. Nichtübereinstimmens des Menschen mit sich selbst. Wie verhält sich dieses mo- Erleben und Handeln ausmacht, wird jeweils von mehr oder weniger divergierenden
ralische Bewusstsein zum Bewusstsein unserer intentionalen Akte überhaupt? Ich stim- und mehr oder weniger klar bzw. dunkel bewussten Absichten oder Richtungen des
me grundsätzlich der Ansicht von Dignaga (ca. 480-540) und Xuanzang (ca. 600-664), Strebens und Wollens getrieben und geleitet. Das Gewissen ist vielleicht nichts an-
von Brentano und Husserl zu, dass wir uns unserer Akte des Sehens und Hörens von deres als das Be\Vllsstsein des Übereinstimmens bzw. Nichtübereinstimmens eines
etwas visuell bzw. auditiv Erscheinendem, unserer Akte des Denkens und Wollens von solchen unser Erleben und Tun jeweils mehr oder weniger dunkel leitenden Strebens
etwas intentional Gedachtem bzw. Gewolltem unmittelbar, das heißt, ohne erst darüber mit unserem fundamentalen Fühlen für andere.
reflektieren zu müssen, bewusst sind: Wir <<wissen», dass wir etwas sehen und hören,
etwas denken und wollen, wenn wir es sehen und hören, denken und wollen. Doch ist 3. Gewissen als «ursprüngliches vVissen» und als Interiorisierung von sozialer moralischer
dieses Bewusstsein nicht immer klar, sondern nur insofern, als diese intentionalen Akte Erziehung: Wie ist das moralische Be\VUSStsein als «ursprüngliches Wissen» phäno-
aufmerksam vollzogen werden. Wenn wir zum Beispiel konzentriert über eine Frage menologisch zu unterscheiden vom moralischen Bewusstsein, das wir in unserer
nachdenken, liegt unsere Aufmerksamkeit im Denken dieser Frage, während unsere Erziehung von anderen Menschen erworben und uns durch «Interiorisierung» zu
gleichzeitigen intentionalen Akte, etwa das sinnliche Wahrnehmen unserer räumlich eigen gemacht haben? Dieses von außen sozial erworbene moralische Bewusstsein
erscheinenden Umgebung oder das Denken an andere, mit der überlegten Frage motiviert uns zur Konformität mit den Normen unserer Gesellschaft. Gibt es einen
zusammenhängende Probleme, nur mehr oder weniger dunkel bewusst sind; unsere inneren phänomenologischen Unterschied zwischen diesen beiden Arten moralischen
wahrgenommene räumliche Umgebung und diese Probleme werden vom Thema des Bewusstseins? Ist der Ursprung des durch Sozialisierung entstandenen moralischen
aktuellen Interesses gewissermaßen verdeckt, und die korrelativen intentionalen Akte Be\Vllsstseins in diesem selbst noch zu erkennen, so dass wir es von unserem «ur-
des Wahrnehmens und Denkens sind nur mehr oder weniger dunkel bewusst. sprünglichen Wissen» unterscheiden können? Können wir bei dem durch Erziehung
Dem unmittelbaren Bewusstsein der intentionalen Akte wird aber im Allge- von außen erworbenen Gewissen durch eine innere reflexive Analyse erkennen, dass
meinen keine moralische Bedeutung zugeschrieben; es ist Bewusstsein, aber nicht es seinem Ursprung nach unser Bewusstsein ist, wie wir von den für uns maßgeben-
Gewissen. Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen? Betrifft jenes den anderen gesehen, bewertet, beurteilt, in unserem Verhalten von ihnen anerkannt
Bewusstsein, das wir von unseren intentionalen Akten im aufmerksamen Vollzug oder verworfen werden? Beantwortet dieses soziale Gewissen die für uns meistens
dieser Akte haben, diejenigen intentionalen Akte, die ethisch neutral sind, beispiels- drängende Frage, wie die anderen unsere Absichten und unser Verhalten beurteilen,
weise mein Sehen dieses Computerschirms und seiner Zeichen, mein Denken dieses während wir uns im «ursprünglichen Wissen» in der Unterscheidung zwischen unse-
theoretischen Problems, während das moralische Be\vusstsein moralisch relevante ren guten und schlechten Absichten, wie Wang Yangming sagt, auf uns allein gestellt
Absichten und Tätigkeiten betreffen würde? Kann man die intentionalen Akte in zwei wissen? Sind die «Augen» der anderen, durch die wir im erworbenen Gewissen uns
Gruppen einteilen: in moralisch irrelevante und moralisch relevante und das Be\vusst- selbst sehen gelernt haben, in diesem Bewusstsein noch enthalten? Wir haben bei
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Wang Yangming gesehen, dass wir uns zum Vertrauen in unser eigenes ursprüng- terläuft. In ihrem «dem Himmel vorangehenden Lernen» öffnen sie in ihrem Herzen
liches Gewissen, das <<aus sich allein weiß», erst mühsam durchringen müssen, da wir Quellen, durch die die schlechten Wünsche und Begierden gar nicht erst entstehen
in unserem gewöhnlichen moralischen Bewusstsein uns auf die allgemeine Meinung oder, wenn sie entstehen, kaum noch Interesse auf sich ziehen und keine große Macht
abstützen und von ihr anerkannt sein wollen. mehr haben. Das erinnert in unserer westlichen Tradition an Aristoteles' Unterschei-
dung zwischen dem «selbstbeherrschten» Menschen (dem enkrates), der starke üble
4. «Ursprüngliches Wissen» und informatives Wissen: Ein ganz anderes Problem bleibt Begierden hat, in ihrer Erfüllung zwar Vergnügen fände, sie aber dennoch überwin-
das Verhältnis zwischen jenen ursprünglichen ethischen Offenheiten und Tendenzen det, das heißt richtig handelt, und dem «besonnenen» Menschen (dem sophron), der
des menschlichen Herzens und dem unmittelbaren moralischen Bewusstsein (Gewis- keine heftigen üblen Begierden hat, an ihrer Erfüllung kein Vergnügen fände und
sen) einerseits und dem informativen, erworbenen Wissen über empirische Fakten auch richtig handelt. 4 Aristoteles denkt hier an «körperliche (somatikoi) Begierden»,
andererseits. Es besteht kein Zweifel, dass man, um gut handeln zu können, über während bei unseren chinesischen Philosophen solche nicht im Vordergrund stehen,
viele äußere Fakten informiert sein muss. Um zum Beispiel einem leidenden kranken sondern hinter den egoistischen Wünschen nach hoher gesellschaftlicher Position
Menschen helfen zu können, muss man sich über die Fakten seiner Krankheit und und nach Ansehen zurücktreten. Im Wesentlichen geht es aber um dieselbe ethische
die Mittel ihrer Heilung genau informieren. Die bloße gute Intention (Gesinnung) Problematik eines vom Willen erzwungenen im Gegensatz zu einem spontan guten
allein ermöglicht noch nicht ein gutes Handeln. In der Opposition zur Schule Zhu Handeln. Eine ethische, spirituelle Praxis, aufgrund deren man kaum noch egoistische
Xis und weil die Lebensverhältnisse und praktischen Alternativen zu Wang Yangmings Interessen oder Neigungen hat bzw. durch welche von vornherein den schlechten ihre
Zeiten einfacher und traditionell selbstverständlicher waren als heute, wurde von die- Energien entzogen werden, wäre wohl der bessere ethische Weg als jener mühselige
sem und seiner Schule die Funktion des empirischen Erkennens von Fakten für das moralische Kampf gegen die schlechten Neigungen, auch wenn sie die «moralische
richtige ethische Handeln unterschätzt. Doch ihrem Ansatz ist beizupflichten, dass Gesinnung im Kampf» vor dem Erreichen der «Heiligkeit» nie gänzlich hinter sich
die wahrhaftige moralische Gesinnung von selbst nach den empirischen Bedingun- lassen darf. In beiden Traditionen sind die Idee und die Erfahrung enthalten, dass der
gen oder Mitteln ethisch guten Handelns fragen und suchen lässt, während die bloße wahrhaft gute Mensch spontan das Richtige und Gute tut. Dem stimmen auch Qian
Information über solche empirische Bedingungen oder Mittel aus sich selbst noch Dehong und viele andere zu, die in der ethischen Praxis die mühsame Willensanstren-
kein ethisch gutes Handeln motiviert. Die heute so sehr betonte Bewusstseinsbildung gung hervorheben. Aber sie betrachten ein solches spontan gutes Handeln nur als das
durch Information enthält in sich selbst noch keine ethische Motivation. Aber die em- schließliche Ergebnis eines langen Weges der Willensanstrengung im Durchsetzen
pirische Erkenntnis der Umstände und praktischen Möglichkeiten in der jeweiligen der guten und im Vertreiben der schlechten Intentionen, während Nie Baos Einsatz
Situation ist eine ethische Aufgabe. Man muss sich über vieles gewissenhaft informie- bei der stillen Substanz des «ursprünglichen Wissens» und Wang Jis Vereinigung
ren, um sich in komplizierten sozialen Verhältnissen oder im technischen Umgang mit mit dem «Antrieb des Himmels» gleich von Anfang an Kraftquellen guten Handelns
der natürlichen Umwelt ethisch richtig entscheiden und handeln zu können. Wang suchen, die nicht in der Willensanstrengung bestehen.
Yangming würde sagen, dass dieses Sichinformieren auch zur «Verwirklichung des
ursprünglichen Wissens» gehört. 6. Das Schlechte im Menschen: Auch was unsere chinesischen Philosophen als das «Ver-
dunkelnde», «Verblendende», «Verdeckende», «Verbiegende» des «ursprünglichen
5. Ethisches Handeln als Willensanstrengung und als Wirkenlassen des «giittlichen» Antriebes: Wissens» betrachten und als «egoistische Wünsche», «Begierden nach äußeren Din-
Nach der in der Schule Wang Yangmings verbreiteten Lehre muss der Mensch sein gen», «Haften an etwas», «Herz der Gewohnheit» (xi xin N,[)) oder «Macht (Energie)
zwischen den eigenen Absichten moralisch unterscheidendes Gewissen verwirklichen, der Gewohnheit» (xi qi N$ffl.) bezeichnen, bedürfte eines phänomenologischen Verständ-
indem er in seinem Handeln durch Willensanstrengung (<<Wahrhaftigkeit des Wil- nisses. Die «egoistischen Wünsche» werden von ihnen nur wenig in sich selbst analy-
lens») seine guten Absichten durchführt und die schlechten, die im Allgemeinen «ego- siert, sondern hauptsächlich in ihrer dynamischen Opposition zum Fühlen für andere
istische Wünsche» oder «Begierden» genannt werden, zurückweist. Was ist der Grund und zu dem von diesem Fühlen geleiteten Denken und Handeln für andere verstanden:
dafür, dass hervorragende Vertreter der Schule, vor allen Nie Bao, aber auch Wang «Egoistische Wünsche» sind Wünsche, die das Mitgefühl für andere und die verstehen -
Ji, diese die guten Intentionen fördernde und die schlechten bekämpfende Willens- de Rücksicht auf andere hemmen und unterdrücken, uns gefühllos für die Situationen
anstrengung ablehnen oder ihr nur eine zweitrangige Rolle zuschreiben? Sie streben von anderen machen. Wenn die «Begierden nach äußeren Dingen» nur «ein anderer
nach einer ethischen Praxis, in der, wie bei Nie Bao, diese Willensanstrengung beim Schmerz derselben Krankheit wie die egoistischen Wünsche» sind, wie Wang Yangming
Handeln nicht mehr nötig ist, oder in der, wie bei WangJi, diese Willensanstrengung sagt, dann besteht ihr Übel in ihrem bloß selbstbezogenen, das Fühlen für und die
«leichtfällt». Wie wir gesehen haben, versuchen beide, in eine tiefere Wirklichkeit
des Herzens zu gelangen, von wo aus gutes Handeln «spontan», «natürlich» oder
«leicht» wird, also den Kampf des Willens gegen das Schlechte und für das Gute un- 4 Aristoteles: Nikomachische Ethik, VIT. Buch, 3. Kap. (1145b-1146b) und 11. Kap. (1151b-1152a).
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Rücksicht auf andere hemmenden Charakter: Wir sind auf etwas versessen, wenn wir das die unsere Philosophen das «ursprüngliche Wissen» zu «verwirklichen» versuchten,
Fühlen für andere und deren Gesichtspunkte in unserem Denken und Handeln nicht etwa WangJis «Sichvereinigen mit dem Antrieb des Himmels», das er als «im einen
zum Zuge kommen lassen. Wie wir schon in Kapitel 3 von Teil I bemerkt haben, kann Denken sich auf sich zurückwenden (in sieh zurückkehren) und damit das eigentliche
das Lieben von etwas, zum Beispiel das Lieben des eigenen Lebens, nicht an sich ein Herz crLmgen» beschreibt, oder Luo Hongxians «Sichzurückholen und Gesammelt-
übles Haften sein, sondern nur, wenn es sich verabsolutierend etwas Wichtigerem, einer bleiben», das er auch als «sichzurückholen und sichsammcln nur an einen einzigen Ort
tieferen Tendenz unseres Herzens, das heißt für Wang Yangming dem «Verwirklichen 1des Bewusstseins] und nicht davon loslassen» (shou lian zhi zai yi chu, bu fongyi l&ß.lt.R
des ursprünglichen Wissens», in den Weg stellt und uns dafür blind macht. :ff:-Jjt:;r,;$:~) beschreibt und das sowohl in der Ruhe als auch in der Tätigkeit möglich
Wir haben schon oben in Teil I angedeutet, dass es sich nach Wang Yangming sein soll. Wie verhalten sich Wang Jis «sich auf sich zurückwenden und dadurch das
bei diesen üblen Tendenzen nicht einfach um böse Willkür, das heißt um schlechte eigentliche Herz erlangen» und das «Sichzurückholen und Gesammeltbleiben» Luo
Willensentscheidungen handelt, in denen wir anderen etwas Schlimmes antun wollen, Hongxians genauer zueinander? Beide scheinen eine Art Rückkehr zu sich selbst oder
sondern dass diese Tendenzen auch in unserer leiblich-seelischen Verfassung wurzeln Einkehr in sich selbst zu sein, sich aber hinsichtlich ihrer Zeitlichkeit (Plötzlichkeit
und auf die physische Selbsterhaltung des Individuums und seiner Gruppe sowie auf bzw. Allmählichkeit) und ihrer willentlichen Verfügbarkeit bzw. Unverfügbarkeit zu
die Macht und die Position in unserem physischen Lebenskampf und im sozialen unterscheiden. Ein großes spirituelles Problem ist für beide die zeitliche Beständigkeit
Konkurrenzkampf ausgerichtet sind. Es ist die Auffassung Wang Yangmings und sei- dieser «Vereinigung» bzw. dieses «Gesammeltbleibens», das heißt die Frage, wie diese
ner Nachfolger zu prüfen, ob diese Tendenzen der an ihrer leiblichen Individualität «Vereinigung» bzw. dieses <<Gesarnmeltbleiben» dauerhaft werden kann, so dass diese
haftenden «kleinen Menschen», die wir alle sind, im «Verwirklichen» der geistigen geistigen Zustände oder Haltungen nicht immer wieder verlorengehen. Oder ist ein
Offenheiten des «ursprünglichen Wissens» «losgelassen» und in die höchste geistige Herausfallen aus ihnen im zeitlichen Wechsel unseres menschlichen Beschäftigtseins
Freiheit umgewandelt werden können. Diese Gelassenheit und Freiheit ist wohl nur unvermeidlich, so dass wir jene «Rückkehr» immer wieder neu suchen müssen? Es
möglich aufgrund des Vertrauens in das immer vollkommene «eigentliche Wesen des sind dies geistige Probleme, um die wir gewöhnliche Menschen uns nicht oder nur
ursprünglichen Wissens». wenig kümmern und die nur in der von uns selbst vollzogenen Praxis gelöst und in der
Aber nicht alle dem «ursprünglichen Wissen und Können» entgegenwirkenden Reflexion auf diese wirklich verstanden werden könnten. In diese Praxis können wir
psychischen Kräfte werden als possessive Selbstbehauptung aufgrund unserer leib- uns aufgrund der - allerdings oft nur knappen - Hinweise ihrer Pioniere vortasten.
lichen Verfassung verständlich. Was sind Schadenfreude, Sadismus und Missgunst Die Phänomenologie hat hier von ihr noch wenig durchgeführte Untersuchungen
(«Missgunst» nicht verstanden als Neid, der ein einem anderen gehörendes Gut vor sich, die ihr neue ethisch und religiös relevante Möglichkeiten des menschlichen
selbst besitzen will, sondern im Sinne, dass man anderen etwas Gutes missgönnt, Geistes zeigen könnten.
ohne es selbst in Besitz nehmen zu können, zum Beispiel wenn Bekannte auf einer
Ferienreise schönes Wetter haben)? Sie sind nicht bloß Hemmungen des «ursprüng- 8. Meditative Versenkung und intentionales Bewusstsein: Ein phänomenologisch beson-
lichen Wissens und Könnens» aufgrund unserer individuellen Selbstbehauptung, Sie deres Problem stellt in diesem Zusammenhang Nie Baas Rückkehr in die stille <<Sub-
scheinen die Umkehrungen (Perversionen, die negativen Gegenbilder) des leidenden stanz» des «ursprünglichen Wissens», die allen intentionalen, auf einzelne Dinge,
Betroffenseins durch die für den anderen schlechte Situation bzw. der Freude an der Ereignisse und Geschäfte gerichteten «Funktionen» vorangeht. Nach Nie Bao ist
für den anderen guten Situation zu sein. Sind sie ein Fühlen für andere, das nach dieses in die Stille zurückgekehrte Bewusstsein ein waches und helles, kein dumpfes
Schlechtem für andere tendiert? Würde dann, wenn das Fühlen für andere, das nach und dunkles Bewusstsein und kein Zustand der Bewusstlosigkeit, aber es ist nach ihm
ihrem Wohlbefinden strebt, die Wurzel der Menschlichkeit ist, das Fühlen für ande- auch kein intentionales Bewusstsein von Gegenständen. Es ist ein leeres Bewusstsein
re, das nach einer für diese üblen Situation trachtet, eine Wurzel der menschlichen (xu kong ~~), in dem kein Ding vorhanden ist (wu 1m). Wir haben oben sowohl in
Unmenschlichkeit ausmachen? Auch Hass und Rachegefühle, die die Erfahrung von Teil I als auch in Teil II unserer Studie gesehen, dass die Möglichkeit eines solchen
Schlechtem enthalten, das uns von anderen zugefügt wurde, führen zu Unmenschlich- <<gegenstandslosen» Bewusstseins im Sinnes eines zeitlichen psychischen Zustandes
keit. Aufgrund welcher emotionalen Kraft kann die eigene Menschlichkeit über die des «ursprünglichen Wissens» in der Schule Wang Yangmings sehr umstritten war.
eigene Unmenschlichkeit siegen? Für ein Verständnis der emotionalen Menschlich- Wang Yangming hatte erklärt: «Das Herz (der Geist, das Bewusstsein: xin ,j)) ist [in
keit wäre auch ein Verständnis der emotionalen Unmenschlichkeit notwendig, nicht sich] keine Wirklichkeit (wu ti ~\ll), es ist erst durch das Bejahen und Verneinen
als Selbstzweck, sondern weil für das Verständnis der Gesundheit des menschlichen im Affiziertwerden und Antworten auf die zehntausend Wesen unter dem Himmel
Herzens auch ein Verständnis seiner Krankheiten notwendig ist. Wirklichkeit (yi tian di wan wu gan ying zhi shi fei wei ti P,.I.Ji;:ti!!JlWl~Ji!~*~~#g\Jl).» 5

7. Spirituelle Praktiken: Genauer zu verstehen, als ich in der vorliegenden Studie in


der Lage war, wären auch die verschiedenen besonderen spirituellen Praktiken, durch 5 Cbuanxi lu III, Nr. 277.
786 787

Im selben Sinne schrieb Ouyang De 1534 in einem seiner Briefe an Luo Qinshun: auch ein retentionales Hören der soeben verklungenen Töne und ein protentionales,
«Getrennt von Himmel und Erde, von Menschen und Dingen (li que tian di ren wu erwartendes Hören von künftigen Tönen, von denen sich die Stille unterscheidet.
lHPJi:::l:tkAIJ) gibt es kein tägliches Verhalten des Sehens und Hörens, des Denkens Hier haben wir ein Bewusstsein von «Form» und deren «Hintergrund», vom Ge-
und Überlegens, des Entsprechens und des sozialen Verkehrs, und es gibt auch das genstand und dessen «Hof» (Umgebung des Gegenstandes), nur dass hinsichtlich der
nicht, was <ursprüngliches Wissen> genannt wird.»6 Qian Dehong sagte 1549 in Aufmerksamkeit die gewöhnliche Relation umgekehrt ist: Wahrend wir uns im ge-
der Versammlung von Chongxuan: «Das [ursprüngliche] Wissen (Bewusstsein) ist [in wöhnlichen Leben auf die Farben und Formen der Dinge und nicht auf die Leere, auf
sich selbst] keine Wirklichkeit (wu ti fflfll); es ist nur dadurch Wirklichkeit, dass es von die Töne und nicht auf die Stille konzentrieren, können wir bei solchen besonderen
den menschlichen Angelegenheiten, Geschäften und Dingen affiziert wird und auf «ästhetischen Wahrnehmungen» mehr auf die Leere als auf die Dinge, mehr auf die
sie antwortet (yi ren qing shi wu zhi gan ying wei ti .l;I_).11*t1 ;z~Jij~U). Ohne dieses Stille als auf die Töne achten. Die Leere ist dann im Vordergrund, die Dinge sind im
Affiziertwerden und Antworten auf die menschlichen Angelegenheiten, Geschäfte und Hintergrund, die Dinge sind der «Hof» der Leere; die Stille ist dann im Vordergrund,
Dinge gibt es kein Wissen (kein Bewusstsein: wu zhi ffl~).» 7 Auf diese Aussage Qian die Töne sind im Hintergrund, die Töne sind der «Hof» der Stille. Aber auch das ist
Dehongs erwiderte Luo Hongxian 1550/51: «Das Verhältnis zwischen demAffiziert- noch ein Bewusstsein einer differenzierten Gegenständlichkeit. Ist ein Bewusstsein
werden und Antworten auf die menschlichen Angelegenheiten, Geschäfte und Dinge reiner Leere, reiner Stille, eines bloßen Nichtvorhandenseins möglich?
einerseits und dem Bewusstsein (zhi ~) andererseits ist so wie das Verhältnis zwischen Es ist nicht so, dass diejenigen Mitglieder der Schule Wang Yangmings, die ein
den farbigen Dingen und dem Sehen oder wie das Verhältnis zwischen den Tönen und nichtintentionales, gegenstandsloses Bewusstsein (ein Bewusstsein ohne Funktionen)
dem Hören. Wenn man sagt, dass es kein Sehen ohne farbige Dinge gibt, so besteht als zeitlichen Zustand verneinten, das «Sitzen in der Ruhe», das heißt das ruhige Be-
doch sicher ein <Sehen im Formlosen> (shi yu wu xing ffi.)'jtffl~) [Zitat aus dem <Buch wusstsein, ablehnten. Sie verstanden dieses aber in einem anderen Sinn als Nie Bao
der Sitte>] [... ]; wie kann man also sagen, dass die farbigen Dinge die Wirklichkeit des und als Luo Hongxian in seinem Text von 1550/51. Wir haben oben in Kapitel 3 von
Sehens ausmachen und dass es ohne farbige Dinge kein Sehen gibt! Wenn man sagt, Teil II (§ 2) den Brief von Ouyang De an Nie Bao von 1542/43 zitiert, in dem dieser
dass es kein Hören ohne Töne gibt, so gibt es doch sicher ein <Hören beim Tonlosen> das ruhige, meditative Bewusstsein folgendermaßen beschrieb: Dieses stille oder ru-
(tingyu wu sheng ll1Jt1!Uf) [Zitat aus dem <Buch der Sitte>]; wie kann man also sagen, hige Bewusstsein ist kein zeitlicher Zustand «vor dem Entstehen der Gefühle» (wei Ja
dass die Töne die Wirklichkeit des Hörens ausmachen und dass es ohne Töne kein *li), es ist nicht ohne «Intention» (yi Tj) und nicht ohne deren «Gegenständlichkeit»
Hören gibt! Wenn man dies überlegt, dann ist zu sagen, dass das Wissen (Bewusstsein) (jing :l.l). Es ist «ohne Funktionieren der fünf Sinne», «ohne Denken und Überlegen»
selbständige Wirklichkeit (Substanz) ist, da es aus sich selbst Existenz hat (zi you zai (si lü bu sheng ,'-Ll=f~), in ihm sind die «verschiedenen Gedanken alle vernichtet»
~ 1ii1±) und nicht, um zu existieren, zuerst [in die Dinge] hineingezogen werden muss (zhu nian xi min m'/1~~~); es ist also, negativ gesprochen, ein Bewusstsein ohne sinn-
(qian he $~).»8 liches Wahrnehmen von äußeren Dingen und Ereignissen und ohne Erinnern, Phan-
Wie könnte ein solches «Sehen beim Formlosen» und «Hören beim Tonlosen» tasieren und begriffliches Denken von Gegenständen. Positiv gesprochen ist es «bloße
phänomenologisch aussehen? Ist es ein Sehen, aber ein Sehen von nichts; ist es .ein Einheit» (zhuan yi $-),und das heißt wohl, es ist nur auf eine «Sache» gerichtet, nur
Hören, aber ein Hören von nichts? Ist es vielleicht ein aufmerksames Sehen, in dessen auf Eines konzentriert; «Behutsamkeit, Vorsicht bleibt dabei bestehen» (jing ye zhong
Gesichtsfeld sich keine Dinge und keine Formen, sich keine einzelnen intentionalen cun }'m~i:f:iff), und seine «friedliche und ruhige Muße» (an xian tian jing ~llflfäffll),
Gegenstände abheben, wie beim Sehen in völliger Dunkelheit oder dichtem Nebel seine «Leere und Gelöstheit, Stille und Zufriedenheit» (xu rong dan bo ~iUJl58) ist
oder in einem anderen ganz undifferenzierten Gesichtsfeld? Ist es vielleicht ein «Freude» (Je ~). Diese Behutsamkeit, Vorsicht und diese Freude sind nach Ouyang
aufmerksames Hören, das keine Töne und Geräusche hört, sondern nichts anderes De «Intention» (yi ~) und «entstandenes Gefühl» (qing yi fa ffi 8 ~).
hört als Stille? Wir wissen, wie wichtig in der Malerei, besonders in der chinesischen, Das Entscheidende für das Verständnis dieses Bewusstseins wäre zu verste-
die Leere und wie wichtig in der Musik das Hören der Stille ist. Aber das Sehen der hen, was seine «bloße Einheit», seine «Konzentration auf Eines» ausmacht. Dieses
Leere in einem Bild ist nicht ein Sehen bloßer Leere, das Hören der Stille in einem «Eine» steht wohl im Gegensatz sowohl zu einer synchronen Vielheit, das heißt
Musikstück nicht ein Hören bloßer Stille. Denn das Sehen der Leere ist zugleich zu einer gleichzeitigen in sich unterschiedenen Mannigfaltigkeit von intentionalen
auch Sehen der Formen und Farben und Dinge am Rand der Leere, von denen sich Gegenständen oder intentionalen gegenständlichen Momenten, als auch zu einer
die Leere abhebt; und das Hören der aktuellen Stille in einem Musikstück enthält diachronen Vielheit, das heißt zu einer sukzessiven gegenständlichen Veränderung.
Wer die meditative Versenkung geübt hat, weiß, dass es ein solches Eines gibt und
dass es nicht mit einem der fünf äußeren Sinne wahrgenommen, nicht erinnert und
auch nicht sprachlich-begrifflich gedacht wird. Ist ein Bewusstsein, das «in Einern
6 Siehe oben in der Einleitung zu Teil II den§ 3.
7 Siehe oben in Teil II, Kap. 4, § 4. konzentriert» ist, das heißt, das nicht etwas von etwas anderem unterscheidet, nicht
8 Siehe ebd. von einem zu einem anderen übergeht, intentionales Bewusstsein eines Gegenstandes?
788

Ist ein intentionales Bewusstsein von etwas nicht eo ipso Bewusstsein von diesem Etwas Literaturverzekhnis
im Unterschied zu etwas anderem, das heißt Bewusstsein einer Vielheit? Das ruhige,
im Einen konzentrierte Bewusstsein bleibt immer auch ein Bewusstsein der gegenwär-
tigen Situation, wenn diese auch nur latent im Bewusstseinshintergrund präsent ist:
Wenn der Meditierende das Bewusstsein seiner gegenwärtigen Situation völlig ver-
liert, beginnt er zu träumen oder zu schlafen, fallt also aus seiner wachen Versenkung
heraus. Er kann auch, im Gegensatz zum Träumenden und zum Schlafenden, jederzeit
seine meditative Versenkung unterbrechen und wiederum sein sinnliches Wahrneh- DMB Goodrich, Carrington Luther/Fang Chaoying (Hrsg.): Dictionary of
men und Denken aktualisieren, seine Aufmerksamkeit auf die während der ruhigen Ming Biography 1368-1644, New York 1976, 2 Bde., 1751 S.
Versenkung latent gebliebene gegenwärtige Situation richten und sein Handeln in Instructions Instructions for Practical Living and Other Neo-confucian Writings by
ihr fortsetzen. Das latente Bewusstsein der gegenwärtigen Situation des «im Einen Wang Yang-ming, translated with notes by Wing-tsit Chan: siehe unter
Versunkenen» ist völlig undifforenziert, es ist, mit liusscrl zu sprechen, ein «dunkles «l. Quellen, d)».
oder leeres Hintergrundbewusstsein», ein Bewusstsein bloßer Potentialität ohne
MRXA lvlingru xue an aJl~~~ («Dokumente der Konfozianer der Ming-Dynas-
anschauliche Inhalte. Im Hintergrund des auf Eines gerichteten, ruhigen Bewusst-
tie»): siehe unter «1. Quellen, c)».
seins geschieht auch der gegenwärtige Rhythmus des eigenen Aus- und Einatmens,
wobei die Betonung im Ausatmen und in einer diesem folgenden Atemruhe liegt, Quar?ji Wang Yangming quan ji :r~aJl±~ (<<Gesammelte Schriften von Wang
deren undifferenzierter «innerer Ton» sich als Anhalt der Einheit durch das Aus und Yangming»), Shanghai 1992: siehe unter «l. Quellen, a)».
Ein des Atmens durchhält. Dieses Eine tritt dabei immer mehr in den Vordergrund TS Taisho daizokyo :;'l:IE;kjl~ Qapanische Edition derTaisho-Ära des chinesi-
dieses ruhigen Bewusstseins, während das Ein und Aus des Atmens in den latenten schen buddhistischen Kanons).
Hintergrund dieses Bewusstseins schwindet. Die zeitliche Gliederung der Gegenwart
des ruhigen Bewusstseins wird latent. Ouyang Des Charakterisierung der «Leere und
1. Quellen
Gelöstheit, Stille und Zufriedenheit» dieses meditativen Bewusstseins als «Freude»
ist für jemanden, der diese Meditation nicht geübt hat, überraschend, denn er nimmt a) Wang Yangmings Schriften
wohl an, dass der Entzug der Mannigfaltigkeit der sinnlichen und gedanklichen
Gegenstände nicht Freude, sondern eher Langeweile und Trübsal hervorruft. Aber "Wang Yangming quan ji ::E~a)l±~ («Gesammelte Schriften von Wang Yangming»),
diese ruhige Freude ist kein Sichfreuen über ein bestimmtes Ereignis oder über ein 41juan, hrsg. von Wu Guang ~%, Qian Ming ttaJl, Dong Ping if-SF und Yao Yanfu
unterschiedenes Ding oder Geschäft, sondern eine Stimmung, die keinen bestimmten !9kiifll, Shanghai 1992, 1648 S.
unterschiedenen Gegenstand hat.Auch die «Behutsamkeit, Vorsicht», von der Ouyang Wang Yangming quan ji :=:t:~aJl±~ («Gesammelte Schriften von Wang Yangming»),
De spricht, ist wohl nur eine Qualifikation der «Konzentration im Einen», also keine 38 juan (Neudruck der ersten Ausgabe von 1472: Wang Wencheng gang quan jz), He
Aufmerksamkeit auf eine mannigfaltige und sich verändernde Gegenständlichkeit, Luo tushu chubanshe fnfäHl'l!Hl:JJltH±, Taipei 1978.
sondern eine feste geistige Ausrichtung auf jenes stille Eine. Wir haben es hier mit Chuanxi lu {5fl;1~, llil~51~ (mit Anmerkungen und Beurteilungen von Y111 Tao llil~),
einem sehr ungewohnten Bewusstsein zu tun, das wohl den Begriff der Intentionalität Nanjing 2001, 349 S.
nicht überflüssig macht, ihm aber eine neue Bedeutung gibt.
b) Schriften von Wang Yangmings Schülern und Nachfolgern
Yangming houxue wenxian cong,hu ~aJl~~:it/ll:ltHi («Sammlung von Texten von Nach-
folgern Wang Yangmings»), hrsg. von Wan Bin ~Yiit und Qian Ming ttaJl, bisher
10 Bde., davon 3 Doppelbände, Nanjing 2007:
1. Bd.: XuAi, Qian Dehong, Dang Yzm ji ~~ttffi;J!Ji~~. redigiert und angeordnet
von Qian Ming ttaJl, 483 S.
- 2. und 3. Bel.: Zou Shouyi ji IVii'~~, redigiert und angeordnet von Dong Ping il:SJZ-,
2 Bde., 27 juan, 1419 S.
- 4. Bd.: Wang Ji ji Hi~, redigiert und angeordnet von Wu Zhen !Rcl!, 20 juan und
4 Anhänge, 866 S.
790 791

- 5. Bd.: Nie Bao ji ff~•, redigiert und angeordnet von Wu Kewei ~ AJ~, 14 juan d) Übersetzungen von Quellen in europäische Sprachen
und Anhang, 654 S.
W:'1ng Y:mgming: In~~ructions ji1r Pmctical Living and Other Neo-confucian Writings lry
- 6. Bd.: Ouyang lJeji ~l\lHUl, redigiert und angeordnet von Chen ·föngge i!Jli7]<.:1jl:, Wimg Yang-ming (Ubersetzung des Chuanxi lu und des Daxue wen sowie von sieben
30 juan und Anhang, 862 S. kurzen Texten über politische und soziale Maßnahmen), translated with notes by
- 7. und 8. Bel.: Luo Ilongxian ji IUMt~, redigiert und angeordnet von Xu Ruzong Wing-tsit Chan, New York 1963, 358 S.
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Vorwort von Hu Zhi ;f;Jl@:, NanjingTushuguan, Nr. 111758. Bauer, Wolfgang: China und die Hoffnung auf Glück, München 1971; darin: rv: Kap.,
Nian 'an Luo xiansheng wen ji ~'lilBt!t.X~ («Gesammelte Schriftgen von Luo Hong- § 2: Die «Untersuchung der Dinge», S. 331-355.
xian»), 22 juan, Druck aus der Qing-Dynastie (Yongzheng-Ära?), Nanjing Tushu- Billeter,Jean-Frarn;;ois: Li Zhi, philosophe maudit (1527-1602). Contribution a une socio-
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der Jiajing-Ära (1564) von Wu Fengrui ~Ji\~ hergestellt wurden, in: Si ku quan shu cun
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c) Andere Quellen
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Denken», 20 S.; 2. Kap.: «Das Leben von Wang Shouren», 51 S.; 3. Kap.: «Die
Huang Zongxi Jt,Jsil (1610-1695): Mingruxue an BJl-f1M~!$ («Dokumente der Konfuzia- \Veltanschauungvon ~Vang Shouren als pantheistischer Idealismus», 30 S. (der Text
ner der Ming-Dynastie»), abgekürzt: MRXA; Ausgaben: He Luo tushu chubanshe dieses Kapitels ist auch erschienen in: Zhongguo zhexue 'Pl3ilffi'~, Beijing 1982, Bel. 8,
Mm-iH!Hl:l/lLH±, Taipei 1974; Zhonghua shuju 'P~ll'ml, Beijing 1985, 1603 S. S. 174-199); 4. Kap.: «Wang Shourens Lehre von der Einheit von Erkennen und
Luo Qinshun mtv:.111 (1465-1547): Kun zhiji m~~c (im Anhang auch ein Brief von Luo Handeln», 37 S. Diese ganze Studie wurde nach Deng Aimins Tod veröffentlicht in
Qinshun an Wang Yangming und zwei Briefe an Ouyang De sowie ein Brief von seinem Sammelband Zhu Xi Wang Shouren zhexue yanjiu $!di±'tj'1=t!~liJf"lt («Unter-
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- Wang Gen (1483-1541) und seine Lehre. Eine kritische Position im späten Konfuzia-
Anm. 27,141 (beiWangYangming), 141f., 163f., 223,342,360,369,512,553,565,567,678
nismus, Berlin 1986, 268 S.
Achtsamkeit und Furchtsamkeit (jie shen kongju Jllt'IIM\11) 60, 136-140 (bei Zhu Xi),
Wang T'chang-che (Changzhi) 3:.~:ttl:, S.J.: La philosophie morale de Wang Yang-ming,
140-144 (bei Wang Yangming), 160-166, 178 (was der «Achtsamkeit und Furchtsamkeit>> fähig
(= Varietes Sinologiques no. 63), Shanghai 1936, 216 S. und Anhang, 31 S.
Wu Zhen ~•=
Nie Bao Luo Hongxian pingzhuan A~iillM'cff-{$ («Kritische Darstellung
von Nie Bao und Luo Hong:xian»), Nanjing 2001, 423 S.
ist, ist das «ursprüngliche Wissen»), 219f. (<<Achtsamkeit und Furchtsamkeit» sind Gedanken), 341,
354,360,363ff.,377(,491,525,530,565,588,672,682Anm.277, 706(
Allein Wissen (du zhi m~l) 136-144 (bei ZhuXi und WangYangming), 152ff., 160ff., 360,
-Xinian 1522-1602. Mingdai zhishijie jiangxue huodong ~:l:j=.1522-1602. BJl1t~~¾'l-ffl 401,421,547,558,564(,577(,594
IJ)Älh («Die Lehrversammlungen der Intellektuellen in der Ming-Zeit. Chronik
Antrieb (ji ~ oder ji ll), Antrieb des Himmels (tian ji ;1i;:ll), schöpferischer Antrieb
von 1522 bis 1602»), Shanghai 2003, 463 S.
(shengji ~ll), wahrer Antrieb (zhenji 1lll) 145,220, 364f.,422,434,443, 447, 460f.,
Yang Guorong tHffl~: Wangxue tonglun. Cong Wang Yangming dao Xiong Shili 3:.IJJM~. 464, 469f., 472 («derohne Unterbruch schöpferische Antrieb»: sh<m sheng bu rongyi zhiji !:E.!:E.1°'~ 8
f/Hf.lBJlJIJ~+ :JJ («Allgemeiner Überblick über die Denkrichtung Wang Yangmings. zll), 482 («seinem Antrieb des Himmels folgen»: shun qi tianji JIJU!1;;1i;ll), 493 («wahrer Antrieb»),
Von Wang Yangming bis Xiong Shili»), Shanghai 1990, 2. Auflage 2003, 316 S. 514 (ebenso), 578,582,605,607,615,693, 700ff., 710 («wahrer Antrieb»), 737 («wahrer
-Liangzhi yu xinti. Wang Yangming zhexue yanjiu .m.~w,c,a. 3:.~BJlf!i'iHiJf~ («Das Antrieb von Himmel und Erde»), 769f., 783f.
ursprüngliche Wissen und die Substanz des Geistes. Untersuchungen zu Wang Bescheidenheit (qian ~) 226
Yangmings Philosophie»), Taipei 1999, 340 S.
Buddhanatur (fo xing ,m,it) 203ff. (Sonne-Wolken-Gleichnis für die Verdeckung der Buddhanatur
Yang Tianshi IE/i;:/:i: Taizhou xuepai !JJOH~J/re («Die Taizhou-Schule»), Beijing 1980,
im Menschen)
176 s.
Buddhismus 62ff.,lllf., 203,208,216, 222f., 229, 235ff., 296ff., 315f., 377,386,409,
Zhang Xianghao ~#5l!r: Wang Shouren pingzhuan 3:. ~1=illflJ!!I: («Kritische Darstellung von
436(,440,442,447,483, 526,602, 604,624,628,636,645,655,669Anm. 203,
WangYangming>>),Nanjing 1997, 556 S.
679(,698, 704, 732(,735, 755
Zhong Caijun ä~~= Wang Yangming sixiang zhi jinzhan .'Elli\BJlJ;\H.\l,iZ~li («Die Entwick-
Daoismus 58, 59ff., 11 lf., 229, 235ff., 240,316,534,526,592,602,604,624,628,636,
lung von WangYangmings Denken»), Taipei 1993, 190 S.
640,680,698, 704, 717 Anm. 413, 732f., 735,755
ZhouJianhua Jim}l,lj!: Wang Yangming Nan'gan huodongyanjiu 3:.lli\BJlffiijfä1/JliJf~ («Unter-
suchung zur Tätigkeit Wang Yangmings im Süden der Provinz Jiangxi»), Beijing Egoismus, Eigensucht (si ~) 76, 78f., 133 («egoistische Intentionen»: si yi fl-~), 184 (ebenso),
2002, 174 s. 209(,220,224(,308(,355,365,562, 783(
Siehe auch unter Wünsche, Begierden (yu m)
Eigentliches Wesen ----+ ben ti *fll
Einsicht, Erleuchtung (wu ffi)----+ wu ffi;----+ dun wu,jian wu illffilfliffi («plötzliche und
allmähliche Erleuchtung»)
Erkennen (Wissen) und Handeln, Einheit von Wissen (Erkennen) und Handeln
----+ zhi xing he yi ~ffft- («Einheit von Wissen, Erkennen, und Handeln»)
796 797

Festhalten, Zurückhalten von, Haften an Dingen, Gedanken, Meinungen (zhuo ;i-, zhi Höchstes Gutes (zhi shan ~i!i) 191 (als «eigentliches Wesen des Herzens»), 210 (als die «vom
fA, liu ffl) 228ff., 356, 783f. Himmel bestimmte Natur»), 247, 255f. (als «Einheit unseres Herzens mit dem himmlischen Ord-
nungsprinzip»), 335ff., 413ff., 445 (als «eigentliches Wesen des Herzens»), 448 (ebenso), 457
Gegensatz: - Loslassen
(ebenso), 572 (als «leere geisteskräftige Substanz»), 599, 603f., 606, 673f., 694, 731
Freude (le .) 185 (Freude als «eigentliches Wesen des Herzens»), 185 (Freude im Verwirklichen
des ursprünglichen Wissens), 185 («zum eigentlichen Wesen der Freude gehört das <ursprüngliche Jenseits von Gut und Schlecht, Nichtvorhandensein von Gutem und Nichtvorhanden-
Wissen>»; diese Freude ist nicht ein gewöhnliches Gefühl), 2 3 9f. (Freude bei der «Rückkehr zur Geis- sein von Schlechtem, weder gut noch schlecht, Nichtvorhandensein von Richtigem
teskraft der Schöpfung»= «eigentliches Wesen des ursprünglichen Wissens»), 558f., 563 und Nichtvorhandensein vom Falschem (bu shan bu e 1'-ili=f ~, wu shan wu e 1!UHm
~, wushi wufei 11lUU«~~) 198f., 229,411, 413ff., 420,433,448,459,508
Gefühle (qing ffl) 14 (vier Arten von Gefühlen), 185 (sieben Arten von Gefühlen), 198 Anm. 43
(sieben Arten von Gefühlen als Funktionen des «ursp1ünglichen Wissens»), 693 Anm. 325 (vier Konzentration auf das Eine - zhuan yi 3-
Arten von Gefühlen) Kraft, moralische (li :b) 166 («es fehlt die Quelle der moralischen Kraft»), 1 71 («moralische Kraft
Siehe auch unter wei fa,yi fa *il Bil («vor dem Entstehen der Gefühle, nach dem gewinnen»: de li fib), 173 («moralische Kraft gewinnen», «moralische Kraft anwenden»), 173ff.
Entstehen der Gefühle») (Dynamik der geistigen Kräfte in der Verwirklichung des <ursprünglichen Wissens>), 180 («moralische
Kraft gewinnen»), 2 46 (ebenso), 500 («Ort der Anwendung und Gewinnung von moralischer Kraft»),
Gelassenheit 23 lff.
560 («Ungenügen willentlicher Kraftanwendung»)
Siehe auch unter Loslassen
Leere - xu 1il (kong ~)
Gewissen 148ff. («ursprüngliches Wissen» als moralisches Bewusstsein: zweiter Begriff des «ursprüng-
Loslassen - xuan ya sa shou B.mffli.:f («am Abgrund hängen und seine Hände loslas-
lichen Wissens»), 155f., 156ff. (Ursachen der Trübung des Gewissens), 259ff. (Gewissen und
sen»)
moralische Erziehung), 780f.
Meditation (geistige Versenkung) - jing zuo D~ («Sitzen in der Ruhe»)
Glaube (xin ffi) an das «ursprüngliche Wissen», Glaube an sich selbst 95, 158, 188,
233, 238f., 262 («an sich selbst»: zi xin ~ffi"), 369 Anm. 448 («an das ursprüngliche Wissen»), Menschlichkeit (ren f=) 18ff. (bei Mengzi), 29 (bei Zhu Xi), 61, 66f. (bei Cheng Hao), 208ff.,
408 («an sich selbst»), 431, 434f., 437,443,448 («an das eigentliche Herz»), 456, 472 («an 225 (lebendig-schöpferischer Charakter der Menschlichkeit: sheng sheng 1:.1:.), 315, 325f. (als
sich selbst»), 478,487 («an das ursprüngliche Wissen»), 495 («an das eigene Herz»), 499 («an sich «Selbsterhaltung und Erhaltung anderer»), 33 lf. («Erzwingung der Menschlichkeit»), 3 55, 4 72 (als
selbst»), 509 («an das Herz»), 671 («an das ursprüngliche Wissen»), 697 (ebenso), 703ff., 710 «schöpferischer Antrieb»), 476 (als «Einssein mit allen Wesen»), 507 («Menschlichkeit umfasst die
(«direktglauben»), 724f., 735, 739, 742f. anderen Tugenden»), 628, 640f., 644, 683f., 728ff.

Heiliger Mensch (shengren ~A) XXI, 52, 54-56, 64, 72, 168, 171 («Entschluss, ein heiliger Siehe auch unter Mitfühlen; siehe auch unter wan wu yi ti •!l@-1!1
Mensch zu werden»), 172 («das Lernen besteht darin, ein heiliger Mensch zu werden»), 177 («Wille, Mitfühlen (Fühlen für andere: ce yin ffllllll, ce da ffl~ffl) 208, 2llff., 214 (Mitfühlen nicht
ein heiliger Mensch zu werden»), 232,262 («Wille, ein heiliger Mensch zu werden»), 315 Anm. 202 Gefühlsansteckung), 215 (unmittelbares Fühlen für ein anderes Wesen und Vergegenwärtigen seiner
(«alle Menschen können heilig werden»), 317 («lernen, ein heiliger Mensch zu werden»), 323, 522 Situation), 500, 559, 775-780
Herz, Geist (xin 1i)) 23 Anm. 48, 31 (bei Zhu Xi), 80 («das Herz ist das Ordnungsprinzip»), 86, Natürlichkeit (Spontaneität, «von selbst>>: zi ran ~~) 354ff., 375ff., 379 (Natürlichkeit
132 («Substanz des Herzens»: xin ti ,t,R), 13 3 («eigentliches Wesen des Herzens»: xin zhi ben ti ,i:,,;z;ij!:: und Wünsche: yzdlk), 3 80 (ebenso), 44 7 (als «eigentliches Wesen des Herzens»), 4 55 («Natürlichkeit
III), 134 («eigentliches Wesen des Herzens»: xin zhi ben ti ,i:,,;z;ij!::9 = «Ordnungsprinzip»: li Jlll:), 13 5ff. des eigentlichen Wesens»: ben ti zi ran ;ij!::9111 ?&), 4 58 («in natürlicher Weise leicht und einfach»: zi ran
(«eigentliches Herz»: ben xin ;ij!::,i',,), 190 («Herz als das Beherrschende des Leibes»: shen zhi zhu Jil, ;z::l::), yi jian ~ ?&~ tm); 483 f. (als Gegensatz zu «arrangieren»: an pai :ti::!1t), 484 (das «natürliche ursprüng-
198Anm. 43 («HerzdesDao»: daoxin iiih), 201 («Herz von Himmel und Erde»: tiandi zhixin :;ii;ttl!;z liche Wissen als das vom Himmel Bewirkte»), 769, 771
,t,,), 206 («Natur des Herzens»: xin xing ,t,,tt), 210 («Mensch als Herz von Himmel und Erde»), 2 9 5ff.
Siehe auch unter «Verwirklichung des ursprünglichen Wissens» (Natürlichkeit und
(«Herz» und «Natur»: xing 'lt), 305 («Herz des Dao» und «Herz des Menschen»), 308 («Mensch als
Willensanstrengung); siehe auch unter bu qi yi 1'-ill!~ («keine Absichten erheben»,
Herz von Himmel und Erde»), 377ff. (Herz als «Spiegel» und als «Drache»), 413 («Substanz des Her-
«nicht willentlich beabsichtigen»); siehe auch unter fan shou an pai ~B:f 'ti::111: («sich
zens»), 4 28 («eigentliches Wesen des menschlichen Herzens»), 447 («eigentliches Herz»), 5 8 3 («Herz
dem Natürlichen widersetzen und arrangieren»); siehe auch unter zhu zhang @:&
des Dao»: dao xin m,i',,), 588 (ebenso), 5 89 («Herz» als Herrschendes: ::1:: *), 6 5 3 («Herz des Dao»), 6 5 9
(«dem Wachsen nachhelfen»)
(«Herz» als Herrschendes), 716 («Herz des Dao»), 747 («das kindliche Herz»: chi zi zhi xin tlf;'f ;z,i',,)
Siehe auch unter Spiegelgleichnis für das menschliche Herz; siehe auch unter
Ordnungsprinzip - Jll!. («Ordnungsprinzip»); - tian li ;RJll!. («Ordnungsprinzip des
Himmels»)
liang xin fj!,t,, («gutes Herz, ursprüngliches Herz»); siehe auch unter xin xue ,t,,~
(«Erlernen des wahren Herzens», «Lehre über das Herz») Pietät gegenüber den Eltern (kindliche Pietät: xiao $':) 212f., 327ff.
798 799

Religion, religiöse Motivation der ethischen Praxis XXII, 23 2, 23 7ff. - «eigentliches (wahres) Wesen des ursprünglichen Wissens» (liang zhi hen ti f{~
Rückkehr, Rückwendung - fu ~ («wiedergewinnen», «zurückkehren zu», «wieder- .:zis;!ll) 165, 178 («steht über dem Unterschied zwischen Tätigkeit und Ruhe»), 190 («eigentliches
herstellen») und huan ~ («zurückkehren»); - gui gen liffl («zur Wurzel zurück- ursprüngliches Wissen»: ben ran zhi liang zhi ;lj!;;l,\;z 15!.;:n), 192, 195 («kann nicht vermehrt oder
kehren»); - gui ji .&i1lil\il («zur Stille zurückkehren»); - yi nian zi Jan ji de ben xin vermindert werden», «immer vollkommen und vollständig»), 196 («eigentliche Form, eigentlicher
-~§&RP1~~,i:,, («vom einen Denken, im einen Denken, sich zurückwendcn und Charakter des ursprünglichen Wissens»: liang zhi bcn se 15!_;:n:lj!;ß), 196 («bewahren»: cun ff, «ver-
dadurch das eigentliche Herz erlangen») lieren»: shi ~, «fallenlassen»:fimg liJI. des «eigentlichen Wesens des ursprünglichen ·Wissens»), 222,
230 («eigentliche Form, eigentlicher Charakter des ursprünglichen Wissens»: liang zhi ben se &;n
Ruhe und Tätigkeit (Bewegung) (dongjing lhff) 215ff., 218f. (Ruhe als Substanz, Tätigkeiten :zis:ß), 382 (ursprüngliches Wissen «umfasst sowohl Tätigkeit als auch Ruhe»), 428 («eigentliches
als Funktionen des Herzens), 221 («dong lb» als «Bewegtwerden durch die Wünsche»), 223 («Verei- vVescn des ursprünglichen Wissens» als «größte Leere»), 539 («ganzes Wesen des ursprünglichen
nigung von Tätigkeit und Ruhe»: dongjing he yi lli!Jffil-g--), 547, 548 («keine Trennung von Ruhe und Wissens»: q1lftn ti ±ffl), 542ff. («eigentliches Wesen des ursprünglichen Wissens» als Leitbild,
'Litigkeit»), 570 («keine zeitliche 'frcnnungvon Ruhe und Tätigkeit»), 736, 768, 770 Muster:yang zi ~ f der ethischen Übung), 5 54 (ebenso), 568, 769-771
Siehe auch unterjing zuo ff~ («Sitzen in der Ruhe») siehe auch unter ben ti .:zls;ffll («eigentliches Wesen»)
Phänomenologische Beschreibung der Bewusstseinsphänomene im konfuzianischen - als «ursprüngliches Können und ursprüngliches Wissen» (liang neng liang zhi
«Erlernen des wahren Herzens» (xin xue ,t,,.) XXVIIIff., 113 N.~ N.~) 26 (bei Mengzi), 68, 78, 122f., 128
Schweigend erkennen, schweigend verstehen (rno shi IM~, mo rno li hui /Ml/ffll'..11r, rno ti
- als «Herz, das weiß, ohne zu überlegen, und kann, ohne zu lernen» 210, 615
/Mlff!) 113,272,420,468,483, 497, 500,517, 519, 611, 763 («sich gegenseitig schweigend
Zeugnis geben»), 744f. - als «allein Wissen» (du zhi ~~) 152f., 157, 577
Siehe auch unter chuan xin 1',t,, («direkte Mitteilung von Herz zu Herz») - als «wahrer Antrieb» (zhenji ~~) 145,578 («Antrieb des Himmels»)
Gegensatz: begriffliches Erklären, begriffliches Verstehen (zhi jie ~M,jie wu Mffi); - als «Dao» (dao ~) 195, 197,199,227
- wu ffi (<<Einsicht»); - zhijie ~M («begriffliches Erklären») - als direkte Tätigkeit (yi zhi er dang J;l,.l[ifül/J) 485f.
Selbstbetrug, sein «ursprüngliches Wissen» betrügen (zi qi ~ :lt\:) 140 Anm. 2 7, 143, - als «eigentliches Antlitz» (ben lai mian mu .:zls;*ffii ~) 203f., 527
145f., 158 («sein ursprüngliches Wissen betrügen»), 182ff., 542, 545, 553, 561 -kein Einzelding (wu yi wu --~) 663f., 681
Selbst erlangen (selbst einsehen) - zi de ~1~ («selbst erlangen») - als gegenwärtig («Gegenwärtigkeit des ursprünglichen Wissens»: xian zai liang
Selbsterhaltung (bao shen 1Wd}) 324ff. zhi JJ!.1:EN.~) 464,581,589,617, 650f., 658 («zujederZeitgegenwärtig»:shishixianzai
Spiegelgleichnis für das menschliche Herz 354ff., 375ff., 504,549, 585f., 597f. ~Mil.lH:E), 664,690, 71 Of., 714, 717, 720 («vom gegenwärtigen ursprünglichen Wissen her die
Quelle suchen»: cong xian zai xun yuan tou f,EJ.l'l,:(f~Jmi~), 728, 741, 743
Stolz (ao -ffi'J.) 225f.
- als «helles Gewahren, helles Wahrnehmen» (rning jue HJl Jl) 172, 190 (als «leer
Substanz und Funktionen (ti yong lllffl) - ti yong fllffl; - ben ti .:zls;lll
geisteskräftiges und helles Gewahren»: xzt ling ming jue JEfflRJBll), 212 (als «natürliches helles
Systematisierung von okkasionellen therapeutischen Lehraussagen der chinesischen Gewahren»: zi ran mingjue e!MßJlfi), 369 (als «geisteskräftiges Gewahren»: lingjue fflfi), 387
Denker als Problem 11 lff. (als «helles Bewusstsein des Natürlichen»: zi ran zhi mingjue l:1i M~ßJlfl), 442 (als «gewahrendes,
Tätigkeit (Bewegung) und Ruhe (dongjing lllff) - Ruhe und Tätigkeit (Bewegung) einsehendes Wesen des Herzens»: xin zhi jue ti ,t,,;zfiffl), 4 71 (als «Gewahren des Natürlichen»:
Tod (Verhältnis zum Tod) 72, 230f. EI M;zfl), 578 (als «natürliches helles Gewahren»), 578 (als «natürliches Gewahren»), 584 (als
«leer geisteskräftiges und helles Gewahren»), 59 5 (als «Gewahren des Natürlichen»), 606 (ebenso),
Träume 21 7, 316
613 (als «helles Gewahren des Natürlichen»: l:1l f'c'l;za.Jl1f), 672 (als «natürlich sich kundniendes
Ursprüngliches Wissen (liang zhi N.~) geisteskräftiges Gewahren»: zi ran zhao ming lingjue E!MflNHJlfflfl), 689, 694ff. (als «natürliches
- zur Übersetzung von «liang zhi N.~>> als «ursprüngliches Wissen» 12 3f., 2 33 helles Gewahren»), 717 (als «helles Gewahren des Natürlichen»)
- zur Übersetzung als «ursprüngliche Kraft (Macht)» 585ff. - als «Herrschendes» (zhu ::t) 379,382, 662f.
- Unterscheidung zwischen drei Begriffen des «ursprünglichen Wissens» 188f., 24 lf. - als «Herz des Bejahens und Verneinens» (shi fei zhi xin ~~~;z,i:,,) 260, 262, 264,
- als ursprüngliches Vermögen zum Guten 127-130 266

- als unmittelbares Bewusstsein der ethischen Qualität der eigenen Intentionen siehe auch unter shi fei zhi xin ~~~;z_,i:,,
144ff., 694 - als «eigentliches Wesen des Herzens» (xin zhi ben ti ,i:,,;z.:z!s;ffl) 194
800 801

- als «wahres Mitgefühl des eigentlichen Herzens» (ben xin zhi zhen cheng ce da Fähigkeit der Heiligen»), 46 5 («eigentlich vollständig»), 46 7, 6 7 9 («auf der Stelle vollständig»: dang
;ijs:,t,,;z;J{~ffijfü) 202, 310 xia ju z1, 'l1rF,li!,JE.), 686 («nicht vollständig»: buju zu :f,li!,JE), 717ff. («das ursprüngliche Wissen
der gewöhnlichen Menschen und der Heiligen gleich oder verschieden?»), 720, 727 («kann weder
- als «das vom Himmel Bewirkte» (tirnz suo wei ~pfi~) 484, 615
vermehrt noch vermindert werden»), 73 9 («das ursprüngliche Wissen des gewöhnlichen Volkes gleich
- als Leere (xu ~) 670 dem urspriinglichcn Wissen der Heiligen»), 7 41 («der erscheinende Himmel mit dem großen Himmel
- als Geisteskraft der menschlichen Natur (xing zhi ling ttz~) 442 identisch oder von ihm verschieden?») 745 («im Gebrauch des gewöhnlichen Volkes dasselbe wie in
- als feine Geisteskraft der Schöpfung (zao hua zhi jing ling ~1tztJU!) 199 der vollendeten Fähigkeit der Heiligen»), 7 60 («von Anfang an vollständig»: ben lai wan jit **%fflc)

- als natürliche Norm (tian ran zhi ze ~~ZJl.lJ) 608 siehe auch unter xian cheng liang zhi JJl.RlG l~ («bereits fertiges ursprüngliches
Wissen»); siehe auch unter xiu zheng ~fflf («das ursprüngliche Wissen verbessern»)
- als Nichtwissen, das nichts nicht weiß (wu zhi erwu bu zhi 1!0llim1l!PF~) 670,681,
757,761 - und «eigentliches Wissen» (ben zhi .:41:~) 206
- als Selbsterhaltung (bao shen 1JiUl) 324 - und Intentionen (yi ~) 152, 153 (ursprüngliches Wissen als «Wissen um die Intentionen»)
als Spiegel 364,503, 597f., 760 - und moralische Erziehung 259ff., 781

- als «Substanz und Funktion» (ti yong lllffl) 266, 544ff., 655 - und «Ordnungsprinzip des Himmels» («natürliches Ordnungsprinzip»: tian li
~:E!) 127, 151 (ursprüngliches Wissen als «Ort des hellen Leuchtens und des geisteskräfrig·en
als Wille (zhi *) 180
Gewahrens des Ordnungsprinzips des Himmels»: tian li zbi zhao ming lingjue chu ;li:Jll!;zl!BaJlmi:Ja),
- Bedingungen, durch die das ursprüngliche Wissen ursprünglich zu sein vermag 151 (Identifikation des ursprünglichen Wissens mit dem «Ordnungsprinzip des Himmels»), 15 4f.
(suo yi liang pfi P). ~. suo yi neng liang Jifi l;l_ij~ ~) 653f., 664, 678, 689f. (ebenso), 161 (ebenso), 164f. (ursprüngliches Wissen als «helles Leuchten und geisteskräftiges Ge-
- Funktionen (yong ffl), Auswirkungen (Ja yong ~ffl), Lauf (liu xing JJiiff) des ur- wahren des Ordnungsprinzips des Himmels»: tian li zhi zhao nzing lingjue Ji;:Jll!;zlffla)llllft), 197 (als
sprünglichen Wissens 167 («wunderbare Funktion des ursprünglichen Wissens»: liang zhi zhi «Ort des hellen Leuchtens und des geisteskräftigen Gewahrens des Ordnungsprinzips des Himmels»:
miao yong lll.;:D~!('llffl), 168 (ursprüngliches Wissen als «Lauf der Norm des Himmels»: tian ze liu tian li zhi zhao ming lingjue chu :::S::Jll!.zlfflaJlJH'l~), 212 (als «Ort des natürlichen hellen Gewahrens
xing ;li;:Jl_i]mtfi), 196f. («Auswirkung und Lauf des ursprünglichen Wissens»: liang zhi Ja yong liu xing und Erscheinens des Ordnungsprinzips des Himmels»: tian li zi ran mingjue Ja xian c/m Ji::Jll! § ?,&a)l ~
lll.11l~fflmtfi), 227 («Auswirkung und Lauf des ursprünglichen Wissens»), 230 («Auswirkung des ~:ijl.~), 225 (als die «vom Himmel eingepflanzte geisteskräftige Wurzel (fing gen i!ittl), die aus sich
ursptiinglichen Wissens»: liang zhi ft1 yong lll.11l~ffl), 2 58 («Auswirkung und Lauf des ursprünglichen selbst ohne Unterlass schöpferisch erzeugt»), 2 3 5 (als «Ort des hellen Leuchtens und des geistes-
Wissens»), 468, 719 kräftigen Gewahrens des Ordnungsprinzips des Himmels»: tian li zhi zhao ming lingjue eint Ji;:lll[.zßB
- Verdunkelung (Trübung, Verdeckung, Verstopfung) des ursprünglichen Wissens ßJli!i~~), 235 (als «Ort des natürlichen hellen Gewahrens und Erscheinens des Ordnungsprinzips

156f., 157 («verdeckt»: zhe bi l!ii:~), 158, 165f., 166 («getrübt und verdunkelt, verdeckt und des Himmels»: tian li zi ran mingjue fa xian chu ;li:Jll! § f,&a)l Ji~lJl,~), 2 98 (als «geisteskräftige Helle
verstopft»: hun mei bi sai \rll'~~E), 192 («getrübt und verstopft»: hun sai \rll'E), 195 («getrübt des Ordnungsprinzips des Himmels»)
und verdeckt»: hun bi \rll'~), 225 («beraubt und behindert»: qiang zei bi sai ~ll!t~E), 226, 244 - und «Wissen durch Sehen und Hören» (jian wen zhi zhi J!!Bl.Z~) oder «informa-
(«verstopft»: sai sai EE), 2 64f. tives Wissen, empirisches Wissen» (zhi shi ~~) 197f., 25 lff., 296ff., 494ff., 782
- Gleichnisse für das ursprüngliche Wissen im Bewusstsein des gewöhnlichen -und Gewahren, Wahrnehmen (zhijue ~i:) 296ff., 544ff., 578,650,662, 758
Menschen 12 8f. (wie Golderz von anderen Mineralien verschmutzt), 15 6 (wie die Sonne von
- und Selbsterhaltung (bao shen ~lt) 324ff.
Wolken verdeckt), 196 (ebenso), 198 (ebenso), 204 (ebenso), 504f. (ebenso), 517 (wie Gold mit
Kupfer und Blei vermischt), 618 (wie die Sonne von Wolken verdeckt), 71 7 (wie noch ungeläuter- - und Leben des gewöhnlichen Volkes (bai xing ri yong slli l=I ffl, yu fu yu fu ~~~
tes Golderz), 717 f. (wie die Sonne von Wolken verdeckt), 718 (wie der sich beschränkt zeigende ~) 21 0f., 3 2 1 , 3 4 3 , 3 55, 464, 48 5, 51 9 («das Volk gebraucht es, ohne sich dessen bewusst zu
Himmel), 737 (wie wenig Gold), 742 (wie der sich beschränkt zeigende Himmel), 747 (ebenso), sein»:bai riyongerbuzhia~Ej1ijffl:f1D), 579,597,704,706,723,726,737,745
7 60 (wie ungeläutertes Golderz) - und Tiefschlaf 2 16f.
- Vollständigkeit und Klarheit des ursprünglichen Wissens 169 («das ursprüngliche - und Wille (zhi *) 1 79f.
Wissen ist eigentlich klar»: ben sbi ming hai *~a)l B), 21 0f. (bei Heiligen und Einfältigen nicht
Verwirklichung des ursprünglichen Wissens (zhi liang zhi ~a~)
verschieden: wu jirm yu shengyu 1!Haillt~ll), 213 f. (in allen Bereichen «an der jeweiligen Stelle voll-
ständig»: dang xirt ju zu ~T, ~.IE.), 239 («nur das ursprüngliche \Nissen hat nichts Unvollständiges»: -verschiedene Bedeutungen von «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens»:
w11 bu ju zu ffiFf~JE), 3 24 (bei Heiligen und gewöhnlichen Menschen gleich), 3 84 («sowohl heilig a) als <<das Vermögen zum Guten im Handeln zur Fülle bringen» und b) als «das
als auch gewöhnlich»), 464 («im Gebrauch des gewöhnlichen Volkes dasselbe wie in der vollendeten Gewissen klären» 168
802 803

c) als «zum eigentlichen Wesen des usprünglichen Wissens zurückkehren» oder -Zufriedenheit (Frieden, Übereinstimmung) mit sich selbst durch das Verwirkli-
es «wiedergewinnen» ifu ffl oder huan ~ liang zhi ben ti J~j;□ ;zjs:.lffl) 196ff., 209, chen des ursprünglichen Wissens 149f., 182ff., 185 (Freude: le ~ im Verwirklichen des
368 (Verwirklichen des ursprünglichen Wissens als «das eigentliche Wesen wieder zum Frschcincn nrspriinglichen Wissens), 542
bringen»: fit xim1 ben ti f![JJl,;,jl:.llf), 543 (als «dem eigentlichen Wesen des ursprünglichen Wissens
- :ils Spontaneität und als Willensanstrengung 343,354,356, 365ff., 374-388
folgen»), 72 5 (als«Wiedergewinnen des ursprünglichen Wissens»), 72 5 (als «das eigentliche Wesen
des ursprünglichen Wissens einsehen»: wu liang zhi ben ti ffi ß!.~;,jl:.llf) - Verhältnis zwischen der Verwirklichung des ursprünglichen Wissens und eiern
«eigentlichem Wesen (hcn ti ;zJs:.lffl) des ursprünglichen Wissens», Verhältnis zwi-
siehe auch unter fu ffl schen eiern «eigentlichem Wesen» (ben ti ;zJs:.R) und der ethischen Anstrengung
- Dynamik der geistigen Kräfte in der Verwirklichung des ursprünglichen Wissens (gongfu J}J ~) ---, ben ti gongfu ?.js:.ftr}J ~
173f. - als «Anstrengung im eigentlichen Wesen» (ben ti gongfu ?.js:.ffl~~) und als «all-
- Funktion des Denkens (si ,fll,) im Verwirklichen des ursprünglichen Wissens 160f., mählich k:ul tivierende Anstrengung» (jian xiu gong fu ll*~ ~) 4 34f.
178 («Achtsamkeit und Furchtsamkeit»:jie shen kongj11 1!'Zt~;:!;1,ffi! als ein Denken) - als «Anhalten beim höchsten Guten» 335 (bei Wang Gen), 731 (bei Luo Hongxian)
- als sich des ursprünglichen Wissens bewusst werden, es im eigenen Leben erfah- - als <,Zur-Fülle-Bringen der Substanz des ursprünglichen Wissens» 525f., 527,529
ren, es sehen, es einsehen, es wecken 151 f. («cbs ursprüngliche Wissen im eigenen Leben
erfahren»: ti rcrt ti,mg zhi llirnita~), 154ff. (ebenso), 158 («sich selbst seines ursprünglichen Wissens «das ursprüngliche Wissen durch das ursprüngliche Wissen verwirklichen»
bewusst werden»: zijue qi liang zhi ~ ll;lt.E!.~), 16 5 («das unsichtbare ursprüngliche Wissen sehen»: (yi liang zhi zhi liang zhi P)..El!J;□ ~Bl~) 680, 710, 73 8
du qi suo bu du llft;lij;jiJf:"1'11ft), 166 («das ursprüngliche Wissen wecken»: ti xing tiang zhi tHI.E!.~), «Vier Sätze» («Lehre in vier Sätzen»: si ju jiao [91iJ$Ji:) 288, 4 llff.
166 (es «sehen»:jian J!i.), 250 (es «im eigenen Leben erfahren»), 725 («das eigentliche Wesen des
Wachsamkeit (ti ffl,jing ti Wffl) 377, 380 (Wachsamkeit als Funktion des Natürlichen)
ursprünglichen Wissens einsehen»: wu tiang zhi ben ti ffi .E!.~,1!;111)
Wille (zhi iiS) 64, 134f., 170ff. («den Willen aufrichten»: ti zhi .ll.$), 172 («Entscheidungswille»
- als «vom einen Denken her zu sich zurückkehren» (yi nian zi Jan -~ § &) 507
und «Handlungswille»), 172 («Wille, ein heiliger Mensch zu werden»), 173 f. (Begriff des Willens im
siehe auch unter yi nian zi fan,ji de ben xin -~ § &.ElP1~;zjs:.,t,, Gegensatz zu den Intentionen: yi ~), 177 (Willensanstrengung und Spontaneität), 262 («Wille, ein
- als «Erkennen des Antriebes des Himmels» 701 heiliger Mensch zu werden»), 378 (Wille und Lebensenergie: qi wJ.), 727, 782

- als Verwirklichen der Bedingungen, durch die das «ursprüngliche Wissen» ur- Siehe auch unter chengyi fJil~ («den Willen wahrhaftig machen»); siehe auch unter
sprünglich zu sein vermag (suo yi liang ?Jr P).. &, suo yi neng liang ?JrP)..~ &) 653f., yi ~: «Intention, Wille»; siehe auch unter Natürlichkeit (zi ran § ~)
664, 678, 689f. Wünsche, Begierden (yu -ak) 25, 28 («menschliche Begierden»: renyu A.~), 78ff. («egoistische
- als Befreiung vom Egoismus 687 'Wünsche»: siyu ll.~), 126 («menschliche Begierden» und das «Ordnungsprinzip des Himmels»), 131
(ebenso), 196, 198 («Wünsche» als Funktionen des «ursprünglichen Wissens»), 221 («egoistische
- als «Erweitern und Anfüllen» (kuo chong JllJE) 125,159,689
Wünsche»:siyu ifk~), 224ff. (ebenso), 227f. («Begierden nach Dingen»: wu yu 1/W~), 254 («mensch-
- als «vom gegenwärtigen ursprünglichen Wissen her die Quelle suchen» (cong xian liche Begierden»: ren yu A.~), 325 («Begierden nach Dingen»), 355, 372 («egoistische Wünsche»),
zai xun yuan tou ~}J!:(:E~j~:@:) 720 381 («Abwesenheit von Wünschen»: wu yu 1!!\~), 383 (ebenso), 478 («Begierden nach Dingen»),
- als «dem ursprünglichen Wissen folgen» (shun )II oder xun ffili) 172, 196f., 217, 482,513,545,550 («clieBegierdenvermindern»:guayuJJ;~), 727,757, 783f.
227,230,299,543,748 Yan Hui mi@l (Yanzi Mr, Schüler von Konfuzius, verstanden als Idealtypus, im Ge-
- als «sich auf das ursprüngliche Wissen stützen» (yi -lx) 152, 157, 159, 195, 689 gensatz zu Zigong, einem anderen Schüler von Konfuzius) 361,427,435,458,483,
497,510(,513,578,684
- durch die «Leere» (xu ~) 656
Zeit (Verhältnis zur Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft) 256,368,471, 490-492
- als Nähren, Pflegen (yang ~) des ursprünglichen Wissens 127,241,541,548, 563ff.
Siehe auch unter jiang ying ~ill! («vergangenen Dingen nachlaufen und kom-
- als «Sammeln von Gerechtigkeit» (ji yi ~~) 182
menden Dingen entgegeneilen»); siehe auch unter «ursprüngliches Wissen» als
- wie das Reinigen eines Spiegels 2 56, 598, 760 gegenwärtiges
- Leichtigkeit (yi ~) und Schwierigkeit (nan B) der Verwirklichung des ursprüng- Zigong r~ (Schüler von Konfuzius, verstanden als Idealtypus, im Gegensatz zu Yan
lichen Wissens 723ff., 743-750, 756 Hui) 497, 578
siehe auch unter jian yi gongfu rsi ~ r}J ~ («einfache und leichte ethische Übung»)
804 805

2. Aufgrund chinesischer Begriffe «eigentliches Wesen des Menschen» (ren zhi ben ti AZ*H) 223
an shen ~- («die eigene Person in Ordnung bringen») 332f. «eigentliches Wesen des heiligen Menschen» (sheng ben ti ~*H) 383
bao shen -ßil!t - Selbsterhaltung «eigentliches Wesen der menschlichen Natur» (xing zhi ben ti lt;z..2jl;ft) 367
ben jue .2jl;fl und shi jue !lttfl (<<grundlegende Erleuchtung» und «in der Zeit begin- «eigentliches Wesen der Natürlichkeit» (zi ran ben ti ~~*H) 371
nende Erleuchtung») 205ff. Leuchten als «eigentliches Wesen der Sonne» (ri zhi ben ti l=I z.2jl;III) 79
ben lai mian mu **Mi~ («eigentliches Antlitz») 203,440,480 (zhen mian mu :jlj;ffii~: «eigentliches Wesen des ursprünglichen Wissens» (liang zhi zhi ben ti m_ !Eil ;z_.:ljl; H)
«wahres Antlitz»), 527 («eigentliches Antlitz des ursprünglichen Wissens») 79 («eigentliches Wesen des ursprünglichen Wissens»= «eigentliches Wesen der hellen Tugend»:
ben mo ** («Wurzel und Zweige», «Grundlage und Abgeleitetes») 266, 326ff., 333ff. mingde IIJ.lfii), 178 (über dem Unterschied zwischen Ruhe und Bewegung, Tätigkeit, stehend), 202
(«ben mo» **
nicht dasselbe wie «Fundament und Fundiertes»), 606, 7 32 («wahres Mitgefühl» als «eigentliches Wesen des ursprünglichen Wissens»), 210 («eigentliches

ben nian *~ oder ben ti zhi nian .2jl;ll;z~ («eigentliches, eigenwesentliches Denken») 515 Wesen des ursprünglichen Wissens» = «eigentliches Wesen der hellen Tugend»: ming de IIJ.lffi)

«eigentliches Wesen des Wassers» (shui zhi ben ti 7.l<;z_.2jl;H) 366


ben ti .2jl;ffll
«eigentliches Wesen von Wissen und Handeln» (zhi xing ben ti !El]fi.2jl;III) 7 5ff., 247
-Mehrdeutigkeit 158ff.:
b) ben ti .2jl;ft als «Substanz» im Gegensatz zu den «Funktionen» (yong ffl): 163,
a) als «eigentliches (wahres) Wesen»: 190E, 193,220,247ff.,302,545,551,554,557ff.,572,587E,604,609, 716,748

(«eigentlich») 79; ben lai **


*
andere Ausdrücke für ben ti II im Sinne des eigentlichen (wahren) Wesens: ben
(«eigentlich») 233; ben ran *l'JI
(«eigentliches Sosein») 209, 224,
* *
ben ti gongfu H~ ~ («eigenwesentliche ethische Anstrengung», «ethische Praxis des ei-
gentlichen Wesens des Herzens», «eigentliches Wesen» und «ethische Anstrengung»)
30 5; ben se *€!. ( *(
«eigentliche Form», «eigentlicher Charakter») 196, 229f.; ben zi ~ «eigentlich 191, 243 («die mit dem eigentlichen Wesen vereinigte ethische Anstrengung»: he ben ti gong fit ß-;;jl; lll JjJ
von sich aus») 226; quan ti ½II («ganzes Wesen») 231, 385 ~), 383 («eigentliches Wesen des ursprünglichen Wissens und ethische Anstrengung nicht verschieden»:
«eigentliches Wesen»von etwas als dessen «Vollkommenheit» (wan 16) 127, 191 ben ti gongfu fei er shi *llljj~~~=~, ben ti bian shi gongfo *1111!:J!!ljj~), 426f., 429 («die mit dem
eigentlichen Wesen vereinigte ethische Praxis»: heben ti gongfo is'*lfljj~; «sobald das eigentliche Wesen
«Verlieren» (shi ~) des «eigentlichen Wesens» und «Wiedergewinnen» (fu 1l)
eingesehen wird, ist auch die ethische Praxis erfasst»: yi wu ben tijijian gongfu -ffi*lllllJJ_!i,ljj~), 433
des «eigentlichen Wesens» 191, 196
(«mit dem eigentlichen Wesen ist auch die ethische Praxis vorhanden»:ji ben ti bian shi gongfo 1!11*1!111!:.I!:
siehe auch unter fu ffl. 437 («aufgrund des eigentlichen Wesens von der ethischen Anstrengung sprechen» und «aufgrund
ljJ ~),
«Einsehen des eigentlichen Wesens des ursprünglichen Wissens» (wu liang zhi der ethischen Anstrengung vom eigentlichen Wesen sprechen»), 438 («aufgrund des eigentlichen Wesens
ben ti ffi m_!El].2jl;ffll) 748 die ethische Praxis bezeugen»), 460ff., 540ff. (Verschiedenheit von «eigentlichem Wesen» und ethischer
Anstrengung), 542ff. (das «eigentliche Wesen des ursprünglichen Wissens» als «Vorbild» [yang zi ~f-]
«ursprüngliches Wissen» als «eigentliches Wesen der Freude» (le zhi ben ti
der ethischen Praxis), 583 (Verschiedenheit von «eigentlichem Wesen» und ethischer Anstengung), 611
fflz.2jl;III) 185
(«ethische Anstrengung, die mit dem eigentlichen Wesen vereint ist>>: heben ti zhi gongfit is-*ß;zljj ;;/i;.), 664
«eigentliches Wesen des Herzens» (xin zhi ben ti ,e,,z.2jl;III) 74, 78 («Wissen»: zhi !,o («eigentliches Wesen und ethische Anstrengung vereinigen»: ben ti ytt gongfit he yi *llllllll}.J~is'-), 770
als «eigentliches Wesen des Herzens»), 13 3, 13 9 («himmlisches Ordnungsprinzip»: tian li :;li::JJ!l. als
ben xin .2jl;,C,, («eigentliches Herz») 135f., 155 (das «<ursprüngliche Wissen> des eigentlichen
«eigentliches Wesen des Herzens»}, 185 («Freude»: le ~ als «eigentliches Wesen des Herzens»),
Herzens»), 194, 382 («die natürliche Funktion des eigentlichen Herzens»), 448, 501ff.
191 (das «höchste Gute»: zhi shan ~~ als «eigentliches Wesen des Herzens»), 194 («ursprüngliches
Wissen» als «eigentliches Wesen des Herzens»), 244 («eigentliches Wesen des Herzens so weit wie der Siehe auch unter ben ti *III, «eigentliches Wesen des Herzens» (xin zhi ben ti ,C,,;z_
Himmel und so tief wie der Abgrund»}, 248 («Natur»: xing Mc als «eigentliches Wesen des Herzens»), *H)
366, 376 («das eigentliche Wesen des Herzens ist wie ein Drache»), 428 («das eigentliche Wesen ben zhi .2jl;!EI] («grundlegendes [eigentliches] Wissen») 206
des menschlichen Herzens ist wie die höchste Leere»)
Bo JIJ (Hexagramm: «Zersplitterung») 708
siehe auch unter ben xin .2jl;,C,, («eigentliches Herz») bu qi yi 1"Mi~ («keine Absichten erheben», «nicht willentlich beabsichtigen») 366,
«Wissen» als «eigentliches Wesen der Intentionen» (yi zhi ben ti ~;z.2jl;H) 152 382, 384f., 447
«eigentliches Wesen der Lebensenergie» (qi zhi ben ti ~;z.2jl;llf) 230 bu ren zhi xin 1"~;:z.,C,, («ein Herz, das gewisse Dinge nicht erträgt») 23,209, 267
«eigentlicher Charakter von Leere und Nichtvorhandensein» (xu wu di ben se JE chengyi ~~ («den Willen wahrhaftig machen») 155, 158,174,299,323,385, 499f.,
1!!Hl~.2jl;fg) 229 638,687,766
806 807

chuan xin f/:Jt,, («direkte Mitteilung von Herz zu Herz») 435,483, 763 («sich gegenseitig Reinig·en eines Spiegels»), 257, 298ff. (Kontroverse zwischen Luo Qinshun und Ouyang De: ge wu
schweigend Zeugnis g·eben») t-/l-!/@ als «Erforschen der Ordnungsprinzipien der Ding·e» und als «Berichtigen der Handlungen»), 334
dmz ;~ («Geschmacklosigkeit, Milde, Schwäche») 692f. (als «Berichtigen der anderen durch das Berichtigen der eigenen Person»), 360, 52 7 (als «Berichtigen
der Handlungen»), 696, 731 ff. (als «Entfalten der anderen Wesen»), 754
de xing zhi zhi tt'liz~ («Wissen aufgrund der Tugendnatur») - jian wen zhi zhi ~
!Ilz~ («Wissen durch Sehen und Hören», «informatives Wissen») und de xing Gen & (Hexagramm: «Stillehalten») 318,382,541,674,701
zhi zhi tt'liz~ guai li ~m
(«widerspenstig», «widerwärtig» im Gegensatz zu «harmonisch»: he JNl)
ding JE'. («Festigkeit»), 218-220, 541,604 163,510,543,561,695

dongjing !11\W («'Tätigkeit, Beweg·ung, und Ruhe») - Ruhe und Tätigkeit (Bewegung) gui gen iii!ffl: («zur Wurzel zurückkehren») 594,601

du zhi li ~ - Allein Wissen gui ji !!*~ («zur Stille zurückkehren») undshouji '<f ;f,j/ («die Stille bewahren») 532,549,
560,583,594 («die Stille bewahren»), 603,611, 700 («die Stille bewahren»), 727, 760, 768
duan ni ~-i§l («Ansatz», «Anfangspunkt>>) 34, 704, 710, 746
hun dun 5m,ti, («Ureinheit») 217, 581, 617
dun wu,jian wu 41ifämfä («plötzliche und allmähliche Erleuchtung, Einsicht») 167f.,
huo po po de i&5füia'g («sprudelnd lebendig») 220,365,475
299, 387f., 432f., 440,457, 460f., 510,704,742
Siehe auch unter wu fä («Einsicht»)
ji ~ («Stille») - guiji ilil («zur Stille zurückkehren»); - ji gan ,l\R~ («Stille und
Erregungen»)
dun xiu,jian xiu 41i{1j;®i{~ («plötzliche und allmähliche Kultivierung») 434,461
ji gan ~~ («Stille und Erregungen») 243, 562, 565f. («Stille und Erregungen finden nicht zu
er xin =,t,, («gespaltenes Herz») 490 verschiedenen Zeiten statt»), 582f., 587, 602f., 656,691, 698f.
Jan nao zhang, suo zhi zhang ;l::rJ:1fUl.PJr9;□ i!l («Hindernis der Leidenschaften», «Hinder- ji ~ oder ffl! («Antrieb») -Antrieb, Antrieb des Himmels, wahrer Antrieb
nis des Gewussten») 480 Anm. 73
ji yi ~~ («Sammeln von Gerechtigkeit», «Anhäufen von gerechtem Verhalten») 26,
Jan shou an pai ~[!,-=J:~~~ («sich dem Natürlichen widersetzen und arrangieren») 381, 182 («Anhäufen von gerechtem Verhalten als «Verwirklichen des ursprünglichen Wissens»), 218ff.
485 («nicht mit der arrangierenden Hand eindrängen»: mo shou bu yi fä'-l-1'~), 581 («sich nicht mit (als «Einheit von Tätigkeit und Ruhe»), 22 2 (als Abwesenheit von Begierden), 540 (als Gegensatz von
arrangierender Hand widersetzen»: bu Jan zuo shou f=äBt'F-l-), 617, 71 Of. («sich mit arrangierender «Nachahmen der Gerechtigkeit»:yi xi ~ff), 553 (ebenso), 756
Hand widersetzen»: Jan zuo shou äBt'F-l-)
jian ~ («sehen», «einsehen») 133 («den Grund des eigenen Herzens sehen»), 133 («das <ur-
Jan zhao &!\~ («im Geiste zurückleuchten») 204 Anm. 61, 513f. sprüngliche Wissen> sehen»)
fang bian J:i'(J! («situationsbezogenes Mittel», «relative Methode») 111, 203 jian yi gongJu Fai~J)Jx («einfache und leichte ethische Übung») 179, 198,266, 366,
Siehe auch unter quan Ja :il5:! («relative, vorläufige, den Umständen angepasste 43 3, 446, 458, 513, 743ff. («Leichtigkeit und Schwierigkeit des Lernens»)
Lehre») jian wen zhi zhi ~IBIZ~ und de xing zhi zhi ~'liz~□ («Wissen aufgrund von Sehen
Jen bie shi shi '.7.J'J.lU$lil («Sachen unterscheidende Erkenntnis») 301 und Hören» und «Wissen aufgrund der Tugendnatur») 197, 25lff., 298, 301, 310,
401,467, 494f., 497
fu ffi: («wiedergewinnen», «zurückkehren zu», «wiederherstellen») und huan m(«zu-
rückkehren») 196f., 198, 199 («das ursprüngliche Wissen wiederg·ewinnen»), 209, 224, 230, jiang ying ~Jfil («vergangenen Dingen nachhängen, nachlaufen, und kommenden
232, 368 («das eigentliche Wesen wieder zum Erscheinen bringen»), 383 («das eigentliche Wesen Dingen entgegeneilen») 160f., 256, 490ff.
wiedergewinnen»), 5 lOf., 531 («die Natur unseres Herzens wiederherstellen>>), 604 («die Substanz jie shen kongju Jtltffl~ffl («Achtsamkeit und Furchtsamkeit») - Achtsamkeit und
unseres Herzens wiederherstellen»), 615 (r;ui Ju ~~: «zurückkehren und wiederherstellen»), 616 Furchtsamkeit
(«seine reine und eine Substanz wiederherstellen»)
jingyi ffl- («Feinheit und Einheit») 159,191,430,485, 550
Siehe auch unter gui gen iwffl: (<<zur Wurzel zurückkehren») jing ~ («Ehrfurcht>>, «Achtsamkeit», «ehrfürchtige Sammlung», «Konzentration
Pu ffi: (Hexagramm: «Rückkehr») 510, 708 und Ehrfurcht») XXIX, 33ff., 57, 13 7ff., 371 («Ehrfurcht bei den Geschäften»), 372, 378
gan ying ~ff! (erregt werden, affiziert werden, empfinden und antworten) 200, 331, («achtsam»), 386,660 Anm. 173,661 Anm. 179, 716
339,484 Jing # (Hexagramm: «der Brunnen») 541
ge wu ~!Wl («Untersuchen der Dinge», «Berichtigen der Handlungen»), 13, 55ff., jing zuo~~ (<<Sitzen in der Ruhe», «1neditative Versenkung») 59, 83ff., 133, 219ff.,
71ff.,75 Anm. 119 (über die sprachliche Bedeutung von «gdll-»), 85ff., 256 (gewzd4Hm: «wie das 223,492, 516f., 524,532,563,601,642,651, 728f., 755, 768f., 770,772, 785-788
808 809

jue jl (<<einsehen», «gewahren») 442, 514, 578 (als «eigentliches Wesen der menschlichen Qian ~ (das «Aktive, Schöpferische») 421f., 578,581 Anm. 238
Natur»: xing ti ltll)
Qian ~ und Kun jifl (Trigramme: «das Aktive, Männliche» und «das Passive, Weibli-
ke qi •lt («Leidenschaften, die durch gegenständliche Reize geweckt werden») 228 che») 378,381, 386(, 717(, 720
kong ~ («Leere») - xu J.i («Leere») qing ffl- - Gefühle
kuang H («ungestüm») 238 (der «Ungestüme» und der «Vorsichtige»:juan ~lii) quanfa 115! («relative, vorläufige, den Umständen angepasste Lehre») 417,460, 516
li J1l («Ordnungsprinzip») 30f., 378 (Ordnungsprinzip und vitale Energie: qi ~), 457,470, 506 Siehe auch unter fang bian 1:i-lJ. («situationsbezogene Mittel, relative Methode»)
Siehe auch unter tian li ;;'i;Jfl («Ordnungsprinzip des Himmels») ru shi, ru shi :tia~:tia~ («auf diese Weise, auf jene Weise») 494f.
li ben .l'l.* («die Grundlage errichten») 539, 564, 588, 654 san nian =-~(«drei Gedanken») - za nian -~ («vermischte, unreine Gedanken»)
li gen, dun gen ~Ufflßlllffl («scharfe Geisteskraft, dumpfe Geisteskraft»), shang gen, xia shen :t$ («göttlicher, vollkommener Geist», «göttlich», «göttlich-geistig») 224, 420,
gen ..tffl "f ffl («höhere Geisteskraft, niederere Geisteskraft») 204 («kleine Geisteskraft»), 464, 4 70f., 484 («göttliches Erregtwerden und göttliches Entsprechen»: shen gan shen ying =1$i'm1=1$ Ui),
425(,428,432,434,455,519 52 5, 60 5 («göttliches Erregtwerden und göttliches Entsprechen»), 606ff., 616 (ebenso), 6 56, 700
liang xin ,t\t,t,, («gutes Herz», «ursprüngliches Herz») 27, 84, 125, 192, 194, 306, 707 shen qi du tUUII («Achtsamkeit, Aufmerksamkeit im Alleinsein») - Achtsamkeit
liang zhi .sl~ - ursprüngliches Wissen (Aufmerksamkeit) im Alleinsein
ling II («geisteskräftig», «wunderbar») 127, 197, 201 (ling ming m.aJl :«geisteskräftig hell»), sheng ren ~..A.. - heiliger Mensch
201 (jing ling fflS: «feine Geisteskraft»), 206, 225 (ling gen ll~: «geisteskräftige Wurzel»), 308, shi xiang, huan xiang •ffl i1ffl («wirkliche Eigenschaften, scheinbare Eigenhchaften») 4 36f.
487 (ling shu lltlil: «Zentrum der Geisteskraft») shi a («wissen», «gegenständlich unterscheidend erkennen») 467, 496-498, 577
ling zhi !!~ («geisteskräftiges Wissen» bei Zongmi) 206ff. Siehe auch unter zhi shi ~-
liu xing mifi («freier Lauf») 22 7 («freier Lauf des Ordnungsprinzip des Himmels»), «freier Lauf ~~~;z,t, («das Herz des Bejahens und Verneinens», «das Herz des
shi fei zhi xin
des «ursprünglichen Wissens» - ursprüngliches Wissen Zustimmens und Ablehnens», «der Sinn für das Richtige und das Falsche») 134f.,
ming :g («Name», «Ruf», «Ansehen») 226 («Name» und «Wirklichkeit»: shi '.llr) 210(,260,266,503,653
ming de R}.lf! ( «helle Tugend») 79ff., 129f., 210 (ming de B,EJ{ll = «ursprüngliches Wissen») shou lian I&~ («sich zusammenziehen», «sich sammeln») 166,217,564, 660f., 755f.
mingtri" shou lian xi ju 1&~1'"~ («sich zurückholen und gesammelt bleiben»), shou she bao ju
a) als «individuelles Geschick>>, «individuelle Bestimmung»: 25 (li ming .1'1:®: «seine l&:fl~!I{ («sich zurückholen und sich bewahrend zusammenhalten») und andere
Bestimmung aufrechterhalten>>), 72 (si ming ~®: «sein Geschick abwarten»), 96 («sein Geschick ver- Formeln mit ähnlicher Bedeutung 651 (shou lian xi ju i&il!.-J.{), 657-662, 695 (shou she
stehen»), 231 (zhi ming ~®: «seine Bestimmung erreichen», «sein Geschick erfüllen», «sein Geschick baoju l&Sili!:J.{), 698 (ebenso), 700 (shou lian baoju l&il!ili!:J.{), 702, 704 (shou lian baoju l&~ili!:J.{),
erwarten»), 232, 236 (zhi ming ~®), 715f. 707 (shoushe lianju l&Sil!J.{), 708 (ebenso), 709 (shoushebaoju l&Sili!:J.{), 710 (ebenso), 720, 721
(shou she bao ju l&Sili!:J.{), 726 (shou she lian ju l&S~ll'it), 727 (shou she yiguiji l&ffli.l31.JU~), 744 (shou
b) als «die vom Himmel bestimmte Natur des Menschen» (tian ming zhi xing ~$ shebaojul&Sili!:J.{), 746 (ebenso), 747 (ebenso), 785
.Zlt) 31 (beiZhuXi), 378,482,513,715
si ,ffl. («Denken») 160f., 178, 197 («Denken» als Funktion des «ursprünglichen Wissens»)
ming gen triffl («Lebenswurzel») 2 31 f.
si duan ll!l~ («die vier Keime,Ansätze, der Tugenden») 23f., 298,355,525,688
qi ~ («Lebensenergie», «Lebenskraft», «psychophysische Vitalität») 30ff. (bei ZhuXi),
2 33 (qi zhi ~Jli: «leiblich-seelische Verfassung»), 378, 507 (ling qi ffl.m: «geisteskräftige Lebensener- si ju jiao ll!liu~ («Lehre in vier Sätzen») - «Vier Sätze»
gie»), 531 (yang qi iim: «Nähren der Lebenskraft»), 592 (chun qi ~m: «reine Lebensenergie»), 727 tai ji *ti («oberstes Prinzip») 30f. (bei Zhu Xi), 32 8 (bei Wang Gen)
(jing qi ffim: «feine Lebensenergie») tai xu *~ («höchste Leere») 230, 428f.
Siehe auch unter li J1l («Ordnungsprinzip»); siehe auch unter xing lt («Natur des ti \lt als «eigentliches Wesen» 198,226,297, 447f., 583
Menschen»); siehe auch unter yuan qi ft~ («ursprüngliche Lebensenergie»)
ti yong \llffl («Substanz und Funktionen») 189ff., 218f., 303f. («volle» und «leere Wörter»
qi zhi zhi xing ~Jtzlt («Natur der Energie und des Stoffes», «physische Natur») 31 als Kriterien für die Unterscheidung zwischen «Substanz» und «Funktionen»),306ff. (ebenso), 3 36,
(bei Zhu Xi), 23 3, 714f. 355, 471f. («Antrieb» als Einheit von Substanz und ihren Funktionen), 526, 55 lf., 55 5 (Gleichnis
Siehe auch unter xing lt («Natur») des Wassers und des Fließens dieses Wassers für das Verhältnis von Substanz und Funktionen)
810 811

ti yong yi yuan lllffl -~ («Einheit, Gleichursprünglichkeit, von Substanz und ihren wu wei 111\~ («nicht machen», «nicht eingreifen») 741
Funktionen»)266,397,552,562,584(,592 Siehe auch unter Natürlichkeit
ti ren R~, ti wu Rffi-, ti yan a•
(«im eigenen Leben erfahren», «selbst erfahren», wu wo 111\l.t («Selbstlosigkeit>>) 225f., 674
«selbst einsehen», «am eigenen Leib erfahren») 8 7 (bei Zhan Ruoshui), 114, 12 8f., 13 4,
154f., 541, 756 (tiwrt lllffi) wu xin 111\,t,, («Absichtslosigkeit>>, «Herz, das keine Unterschiede macht») 419 («Herz
ohne Absichten»: wu xin zhi xin fflH,,.z,t.,), 436f., 520
tian ji ~- - Antrieb des Himmels
wu lun 1i flill («fünf moralische Beziehungen») 63, 213, 4 76 .
tian li ~J.ll!. («Ordnungsprinzip des Himmels», «natürliches Ordnungsprinzip») 30 (bei
ZhuXi), 55, 75, 79ff., 88, 133f. («das Ordnungsprinzip des Himmels» als «eigentliches Wesen des wu xing 1ifi («fünf Grundkräfte», «fünf Elemente») 30
Herzens»), 145 («das Ordnungsprinzip des Himmels kann nicht im Herzen gesucht werden»), 164, wu ~ («Ding», «praktische Sache», «Angelegenheit») 74 (als «das, worauf sich die Intention
168 (tian ze :::R.lttl: «himmlische Norm») richtet»), 86, 202

tou nao fflBal («Leitidee», <<Leitprinzip», «Hauptsache»; wörtlich: «Gehirn») 110, 145, wu ffi- («Einsicht>>, «Erleuchtung») 72, 74,204 (wumiffi~: «Einsicht und Irrtum»), 246,401,
178,254,258,264 418ff., 4 21, 4 39 Anm. 144, 447, 4 55, 497 (zi wu !1l ffi: «Einsicht in sich selbst»), 501, 516ff.
wan wu yi ti -~-H («Einheit mit allen Dingen, Wesen»),yi tian di wan wu wei yi (drei Arten von Einsichten: a)jie wu Mffi: «Einsicht durch begriffliches Erklären», b) zheng wu mffi:

ti P.J.~:lt!!•~~-R («mit Himmel und Erde und allen Dingen eine gemeinsame «Einsicht durch innere Bezeugung», c) ehe wu ffitffi: «auf den Grund gehende Einsicht»), 519 («Ein-

Wirklichkeit bilden»), tong ti IB.IH («gemeinsame Substanz»), yi ti («eine -a sicht» im Gegensatz zu «Verirrung»: mi ~ und im Gegensatz zu «Verblendung»: wang ~), 719 Anm.

einzige Wirklichkeit») 63, 66f., 91, 200, 208ff., 217, 316, 319, 606, 640f., 644, 42 3 (zi wre !1l ffi: «Einsicht in sich selbst»), 748 («Einsicht in das eigentliche Wesen des ursprünglichen
Wissens»), 754, 760 («wahre Einsicht»), 770
684, 728ff.
Siehe auch unter Menschlichkeit (ren 1=) Siehe auch unter dun wu,jian wu illlffiilffi («plötzliche Erleuchtung, allmähliche
Erleuchtung»)
weifa,yifa *~B~ («vor dem Entstehen der Gefühle, nach dem Entstehen der Ge-
xi xin ~ ,t,, («Herz der schlechten Gewohnheit>>) und xi qi ~- («Macht der schlechten
fühle», «Nochnicht-Entstandensein, Entstandensein») 14, 33f. (nach Zhu Xi), 84f.,
13 7f., 138 («beständige geistige Wachheit vor dem Entstehen der Gefühle»), 162f., 163 («vor dem Gewohnheit>>) 423f., 426f., 430,481, 510f., 701 («Macht der schlechten Gewohnheit»), 756
Entstehen der Gefühle als Substanz des Herzens»), 193 (Einheit der «Mitte» von wei fa *D und der («Herz der schlechten Gewohnheit und Macht der schlechten Gewohnheit»: xi xin xi qi B ,t,, ~ ~), 783f.

«Harmonie» von yi fa 8 D versinnbildlicht mit dem die Dinge beleuchtenden Feuer), 206f., 216, 218, xian cheng liang zhi Jj,,q)tfl~ («bereits fertiges ursprüngliches Wissen») 463f., 581f.,
288, 531, 540f., 546 (Nochnicht-Entstandensein der Gefühle kein zeitlicher Zustand: wei fa fei shi 607,611(,615, 738(, 740(, 760
*D~~~), 558f., 566,577,582, 591f., 628f., 653,677, 685f., 708 (Nochnicht-Entstandensein
der Gefühle kein zeitlicher Zustand)
xian zai liang zhi m~
ll~ («gegenwärtiges ursprüngliches Wissen») - ursprüngliches
Wissen als gegenwärtiges
weifa zhi shi *~~~ («Zeit vor dem Entstehen der Gefühle») 558, 562, 566ff. xian zai gongfu Jj,~JjJ;I;;; («in der gegwärtigen Situation die ethische Praxis ausüben»)
wo zhi,fa zhi iUJ\5tfA («Haften am Selbst», «Haften an den Dingen») 228 601
wu 1m («Nichtsein», «Nichtvorhandensein») 218 («Sein, Vorhandensein»: you {;j" und «Nicht- xian shi m~ («perzeptives, unmittelbares Erkennen») 301
vorhandensein»: wu 11!\), 22 9f., 2 4 3 («Nichtvorhandensein» nnd «Vorhandensein»), 4 70 («zwischen
xian tian, hou tian 9c;7i;fl~ («dem Himmel vorangehen, dem Himmel nachfolgen»,
Vorhandensein und Nichtvorhandensein»: you wu zhijian 1'i1!!\.ZFai), 477 («das Vorhandensein entsteht
a priori, a posteriori) 251 Anm. 7,387,457 (das «dem Himmel vorangehende Lernen» und das
im Nichtvorhandensein»: wu zhong sbengyo1t 1m 'i11:.{;j"), 480 («gleichsam nicht vorhanden und gleichsam
«dem Himmel nachfolgende Lernen»), 4 59 («das dem Himmel Vorangehende beherrscht das dem Him-
vorhanden»: ruo wu ruo you ~1m~1'i), 503 («Nichtvorhandensein ist die Wurzel allen Vorhanden-
mel Nachfolgende»: xian tian tong hou tian 5";jct;ftffjc; «durch das dem Himmel Nachfolgende das dem
seins»: wan you zhi ben lii1'i.Z~), 525 («Vorhandensein und Nichtvorhandensein»), 57 5 («zwischen
487, 495 («das dem Himmel
Himmel Vorangehende zurückgewinnen: hore tian fu xian tian ftji;:ffi:5";7i:),
Vorhandensein und Nichtvorhandensein»: you wu zhijian 1'iffl!:.ZFai), 582 (ebenso), 607 (ebenso), 701
511 (ebenso), 513, 515f.,
vorangehende Lernen» und «das dem Himmel nachfolgende Lernen»),
wu ji 1mffi («unendlicher Ursprung») 246 536 («dasdemHimmelvorangehendeLernen»), 566 (ebenso), 577, 579ff., 603,680, 746, 768f.
wu nian -~ («ohne Gedanken», «ohne Denken») 84, 141, 219, 489, 491 xiang yuan ffil!~ («ehrbarer Dörfler») 2 38
wu shi wu fei 1!!Ui!:1!!li3~ («Nichtvorhandensein von Richtigem und Nichtvorhandensein xin ,t,, - Herz (Geist)
von Falschem») 420, 508 xin xue ,t,,~ («Erlernen des wahren Herzens», «Lernen im Bereich des Herzens»)
Siehe auch unter Jenseits von Gut und Schlecht XXIX, 18, 54 (zai xinshangxue ft,i',,_t~: «Lernen im Bereich des Herzens»), 81,294, 607
812 813

xing 11 («Natur des Menschen») 31 (tianmingzhixing ;Ji;:fi,.ztt: «vom Himmel bestimmte Natur» nimz zhi wei 1-1±1-~Z~; «schweigend das aktuelle eine Denken verstehen»: mo mo Ji hui dang xia yi
und qi zhi zhi xing ~'l!i'..Ztt: «Natur der Lebensenergie und der Stoffe» bei Zhu Xi), 62 (ben xing ;ijl:11:: nian li\Rl\l;Olllft'llr"'F -~ ), 501 («vom einen Denken her ins Verborgene eindringen»: cong_yi nitm ru wei
«eigentliche Natur»), 209 («vom Himmel bestimmte Natur»), 210 («Natur» als «höchstes Gutes»), fiE-~A~), 678 («das Wissen des einen Denkens»: _yi nim1 zhi zhi -~z!lll), 691 («die Klarheit des
23 5 («vom llimmel bestimmte Natur»), 248 (ebenso), 297 (tian xing ;Ji;:11:: «Natur des Himmels»), einen Denkens»: yi nitm zhi ming -~:zHJl)
305 («vom Himmel bestimmte Natur und Natur der Lebensenergie und der Stoffe»), 569 (ben xing Gegensatz: za nian ~~ («vermischte, unreine Gedanken»), auch san nian =~
;ijl:11:: «eigentliche Natur»), 714f. («vom Himmel bestimmte Natur und Natur der Stoffe und der («dreierlei, egoistische Gedanken») 461,490, 736f.
l ,ehensenergie»)
yi nian san qian -~= =f («in einem einzigen Gedanken ist das Universum enthalten»)
xing er shang, xing er xia %ii'ii" ..t.%ii'ii"7' («oberhalb der Formen, unterhalb der Formen», 488 Anm.104
metaphysisch- physisch-empirisch) 251 Anm. 7
yi nian wan nian -~-~ («in einem einzigen Gedanken sind alle Gedanken enthal-
xing qi 11~ («Entstehen durch die <Natur»>) 207 ten») 382, 491f.
xiu zheng 11Jm («Verbessern des ursprünglichen Wissens») 718, 741, 748, 760 yi nian zi fan,Ji de hen xin -~ §,&f!nfij~,t,, («vom einen Denken, im einen Denken,
xu ~, lwng ~ («Leere», «leer») 190, 229f., 440 (kongxu ~~= «Leere»), 474ff., 482,578 sich zurückwen<len und dadurch das eigentliche Herz erlangen») 501 ff., 618f., 749,
(kong ~: «leer»), 587,594,653 (xu wu ~AA: «Leere und Nichts»), 656,669, 785ff. 770, 785
Siehe auch unter tai xu *~ («höchste Leere») yi xi ~!lt («Nachmachen von Gerechtigkeit») 527f., 530,540,551,553,566,578,595,
727
xu zi )j* und shi zi 'I'.* («leere» und «volle Wörter») 190 Anm. 3, 302ff., 306ff.
yi yi -~ («eine einzige Absicht», «eine einzige Intention») 382,492
xuan ya sa shou ~J½fflff. («am Abgrund hängen und seine Hände loslassen») 443,
650 yin yuan lfüi («Hauptbedingung») 205,207,234
xue ~ («ethisches Lernen») 172 («besteht darin, ein heiliger Mensch zu werden»), 256 («wie das Yin ~ und lang 119 497f., 717
Reinigen eines Spiegels»), 383 («eigentlich gibt es keine verschiedenen Arten des ethischen Lernens»), yu ~ («Wünsche», «Begierden»)----+ Wünsche, Begierden (.yu ~)
483 («ethisches Lernen, das die menschliche Natur sieht»)
xue, wen, si, bian 1'-fb,J!t~ («Lernen, Fragen, Denken, Erörtern») 255
yuan qi JG• («ursprüngliche Lebensenergie») oder yi qi - • («einheitliche Lebens-
energie») 105 (yuan qi 5t~: «ursprüngliche Lebenskraft»), 200 (yi qi -fl: «einheitliche Lebens-
Xun ~ (Hexagramm: «der Wind») 541 energie»), 201 (yi qi -~: «einheitliche Lebensenergie»), 508 («ursprüngliche Lebensenergie»), 7 37
(«einheitliche Lebensenergie»)
yang sheng,yang shen :ilf~:ilf!l («Nähren, Pflegen des Lebens», «Nähren und Pflegen
des Leibes») 57, 59f., 229,236 za nian ~~ («vermischte, unreine Gedanken»), auch san nian =~ («dreierlei, egois-
tische Gedanken») 461,490, 736f.
yang xin ~,t,, («Nähren, Pflegen des Herzens») 541,548, 563ff., 584 («Nähren der Substanz
des Herzens»), 592, 596 («Nähren der Natur»:yrmg xing tttt), 604, 658, 688 zhen shi JUi («wahres Erkennen») 301
ye qi :m:•(«Odem, Lebensgeist, der Nacht») oder ping dan zhi qi Sfl. .E!.z• («morgen- Zhen lll (Hexagramm: «das Erschütternde», «der Donner») 408,541, 708
frischer Lebensgeist») 27, 192,227, 474f., 508,571,687,688 zhi ~ («Wissen», «Erkennen», «Leiten, Regieren») 497 (Yin und v.~ng im Erkennen), 500
yi ~ («Intention, Absicht», « \Ville», «Gedanke», «.i\!Ieinung») 174f. (verschiedene Bedeu- (zhiji !mc.: «Selbsterkenntnis»), 585ff. (zhi !min der Bedeutung von «Leiten, Vorstehen»)

tungen von <~i ~»), 385 Anm. 508 (ebenso): zhijie 9:□ M («begriffliches Erklären») 483,516, 744
a) als <<Intention» (.yi nian ~~) 157,177,467 zhi jue 9'□ 1'
b) als «Wille» (.yi zhi ~$) 174, 184 - zwei Gnmdbedeutungen:
c) als «Meinung» (.yi jian ~Ji) 447 (qiyi ®~: «Meinungen aufkommen lassen»), 479f., 483 a) «Wahrnehmen», «Gewahren», «Fühlen», «aktuelles Bewusstsein» im Ge-
yi jian ~j! (<<Meinung», «Absichten und Ansichten») 478f., 629 («Ahsichten und Ansich- gensatz zu «Vermögen», «Substanz» 218, 296ff., 544ff., 578, 706f., 760 (dieselbe
ten»), 669 (ebenso), 671 (ebenso), 679 (ehenso) Bedeutung wiejue zhao ~!l«: «wahrnehmendes Erhellen»)

yi nian -~ («das eine Denken», «das einfache Denken>>, «ein einziger Gedanke», b) «Wissen durch Lernen und Überlegen», «empirisches Erkennen», «informa-
«das erste Denken») 260 (yi nian zhi liang zhi -~z.&!m), 486ff., 499 («vom einen Denken tives Wissen» im Gegensatz zum «ursprünglichen Wissen» 295 Anm. 126
her ins Verborgene eindringen»: congyi nian ru wei fiE-~A~), 500 («das eine Denken des Liebens siehe auch zhi shi 9'□~ («Wissen durch Lernen und Überlegen», «informatives
der Mitmenschen»), 500 («nicht aus dem Verborgenen des einen Denkens heraustreten»: bu chu yu yi Wissen», «Erkennen von äußeren Dingen», «empirisches vVissen»)
814 815

zhi liang zhi i!cßl!m --+ Verwirklichung des ursprünglichen Wissens Personenregister
zhi shi ~- («Wissen durch Lernen und Überlegen», «informatives Wissen», «Er-
kennen von äußeren Dingen», <<empirisches Wissen») 298, 309ff., 401,430, 494ff., (Dieselben Familiennamen werden zusammen angeführt.)
578,609,616
Siehe auch unter ursprüngliches Wissen und informatives Wissen
Ai Ling )tl!l 743
Altan-Khan (1507-1582) 42, 45, 53, 532, 535, 538 Anm. 62
zhixingheyi !mfi~- («Einheitvon Wissen,Erkennen, und Handeln») 75ff., 247,258
Bai Yuchan B 3i.ll 61
zhi xin if!JC,, («direktes Herz») und zhi yi ~Jj («direkte Intention») 46 7, 480 («in direkter
Weise tätig sein»), 484f., 501, 579, 624, 761 («Tätigkeit aus direktem Herzen») Bo Yang fBl!I (3.Jh.) 737 Anm. 468
zhi zhi i!c~ --+ Verwirklichung des ursprünglichen Wissens Cen Meng *~ 103
zhi ~-Wille ChenJiuchuan ".11,JII (Beiname: Mingshui 11}17./<, 1495-1562) 85f., 93, 94 Anm. 198,
97, 104Anm. 255, 144ff., 166,212 Anm. 91, 219f., 351,537,541,567, 594Anm.
zhong l=P («Mitte», «Maß») 132 («Mitte»= «Ordnungsprinzip»), 163 («Mitte» als Substanz: ben
297,634,702 Anm. 360
ti iJs;ffl), 547 («Mitte» als «Maß der Mitte»)
Chen Lianghu "ffijffl 638 Anm. 85
zhu zhang WJ-&: («dem Wachsen nachhelfen») 26,525,527,540,580
Chen Rang l!lil 283
zhuan yi @- («sich konzentrieren», «sich auf das Eine konzentrieren») 166f., 176,
563,658(,691, 787( Chen Xianzhang "11.Ut (Beiname: Baisha Btl>, 1428-1500) XXIII, 69f., 108, 277
Anm. 34, 516f., 532f., 594,654, 706
zhuo ~ («Haften an etwas», «sich auf etwas fixieren») - Festhalten
Chen Xiesuo "ili!f Plr 759
zi chengfen !1iffl~ («Bewusstseinsteil des Selbstbezeugens») 147f.
zi de 11! fi («aus sich selbst erlangen», «selbst verstehen», «selbst einsehen»), auch
Cheng Brüder = ffl (Cheng Hao und Cheng Yi) 580, 587, 606, 611 Anm. 372
de zhi yu xin fizJ:it,t,, («im eigenen Herzen erlangen») 20, 70, 261ff., 384,435 (zi Cheng Hao *-%11: (1032-1085) XXII, XXIX, 20, 54, 66-68, 154, 199 Anm. 46,
219f., 225 Anm. 129, 228.Anm. 141,299,303,307,370 Anm. 452,423,427,435,
wit zi zheng ~ffi~ffll: «selbst einsehen und selbst bezeugen»), 515,655, 744f.
472 Anm. 42,490, 551 Anm. 122, 552 Anm. 127, 567f., 596,603,614,653, 684,
zi qie 11!11 («mit sich selbst zufrieden», «mit sich selbst in Frieden», «mit sich selbst 689 Anm. 311,691 Anm. 316, 705 Anm. 368, 730, 766, 775
einig») 149f., 182ff., 542, 547f., 553
ChengWende @)(fij (Beiname: Songxi ~5i, 1497-1559) 277f., 344Anm. 333,535
zi ran zhi zhi !1l~z~ («natürliches, spontanes Wissen») 206 (bei Shenhui) ChengYi Wim (1033-1107)XXIX, 13, 52f., 126, 213Anm. 93,304,360, 369Anm.445,
zi zhi 11! ~ («selbst wissen», «aus sich selbst wissen») 148, 149 («ursprüngliches Wissen» als 558, 593f., 662 Anm. 153, 674f.
«aus sich selbst wissen»), 151, 153,155,206 (bei Zongmi), 238, 262, 342, 421
Chengguan 5111. (738-833) 206f., 307 Anm. 167
Dai Bochang jlfäm 534, 587 Anm. 263, 589 Anm. 269
Daoyi iä- (Mazu ,~ffl, 709[?]-788) 683 Anm. 278
Dignaga (ca. 480-540) 780
Ding Rukui T~~ 535
Dong Yun Ji~ (Beiname: Luoshi Jli=i, 1457-1533) 183
Dong Zhongshu im#ff (179-104 v.Chr.) 31
Du Zhi *-:1:~ (Beiname: Liaozhai 7 »l!f) 315 Anm. 202
Dushun füll (Fashun )i;;Jllft, 557-640) 556 Anm. 139
Fan Zhaoqi ~:JISW:I 225
Fang Shimian J:i~~ 373 Anm. 462
Fang Xianfu 1.ili/t::k (Beiname: Xiqiao ifü~, ?-1544) 277,282
816 817

FangYilin JJ-M (Zhanyi jl-) 640Anm. 93 Huang Honggang :fi5J!iffl (Beiname: Luocun ffl-tt, 1492-1561) 94f., 97, 116Anm. 310,
Fazang ~- (643-712) 205f. . 141,242(,289,351,537,622, 767
Feng Weichuan )l~JII 460 Anm. 212 Huang Hongpi it5J!i1Blt 391, 394
Fu Shijing-fi1:i# 759 Huang Mianshu :fij}i~ (Beiname: Xiuyi ~~) 196
Gan Lianping 1:tJi:f;l!Z 526 Anm. 23 Huang Wan :l:ffl' (Beiname: Zongxian *••
1477-1551 oder 1480-1554) 49, 58f.,
82f., 105,107,115 Anm. 310, 166Anm.116, 277, 280Anm. 49,283,439 Anm. 144
Gao Gong ~#t (1512-1578) 44ff.
Huang Wengang Ji:Xlllil~ 316
Geng Dingli lfk~J!. (1534-1584) 287
Geng Dingxiang lfk~fcil (Beiname: Tiantai ~•, 1524-1596) 45, 279, 287, 390, Huang Xingzeng :Jt'i!.H!f (Beiname: Mianzhi §ez) 116 Anm. 310, 185, 192
461 Anm. 217,474, 479f., 506f. Huang Zhi :l:B (Beiname: Zhuofeng ~-, Großjährigkeitsname: Yifang J-:;I..JJ) 162,
Gong Anguo Jiji;i) (Großjährigkeitsname: Xuanlüe ~lffl-, ?-1577) 315 Anm. 202, 190,193,200,217,222,242 Anm. 1,244,320,351, 413f., 634
389ff., 397,627,631,667 Anm. 198,753 Huang Zhong Jti:p 397
Gu Lin IUJ.t (Beiname: Dongqiao Jl'l~, 1476-1545) 190, 206 Anm. 65 , 257, 465, Huang Zongxi :l:*ll (1610-1695) XXIII, xxrv; 340 Anm. 311, 352-354, 442, 644,
528Anm.198 649-651
Gu Haiyang IUil!I 510 Anm. 176 Huang Zuo :l:fti: (Beiname: Taiquan *~• 1490-1566) 105
Gu Xiancheng JUi~ (1550-1612) xxrv; 269,288,393 Anm. 538 Huineng Mfm (Sechster Zen-Patriarch, 638-713) 204f., 432, 435 Anm. 135, 484,
Guan Deng ~~ 351 513 Anm.190, 622 Anm. 183
Gui E ~~ (?-1531), 40,107,403 Huisi M,'!l (515-577) 489 Anm. 104
Guo Rulin '11~• (Beiname: Yiya -11) 575 Ji Ben **(Beiname: Pengshan ~111, 1485-1563) 276, 289, 358, 374-388, 456,
477 Anm. 60, 526
Guo Songya '1!~11 526 Anm. 23
Ji Yuanheng Kft• (Beiname: Anzhai IJ;f) 71f., 91, 94f., 111, 127
Guo Xiang Jl!jt (?-312) 230 Anm. 147
Jiang Maohuan 5I~ffi (Beiname: Yuanshan ßi{111) 706
Guo Xun '1llb (1475-1542) 41,404
Jiang Xin ~ffi" (Daolin ii~, 1484-1560) 71,641, 729
Guo Yingkui '11.ul~ (Beiname: Pingchuan SfZJII, 1495-?) 638f., 668, 685f.
Jiao Fang ~:1-f (1436-1517) 37
Hai Rui jli]:fM (1513-1587) 44
Jiao Hong ~~ (1540-1620) 7,287
He Chun fnJif 351
Kong Yingda 1LliU! (574-648) 470
He Guangyu fnI**
397
He Qian fnJ~ Oiyang ~III, 1501-1574) 279 Anm. 42,357 Anm. 397, 393 Lai Yuan ffift (Beiname: Mengyan ~Jll) 530 Anm. 32

He Tingren fnJJ!f= (Beiname: Shanshan ~111, 1486-1551), 49 Anm. 1, 97, 104 Anm. Li Cai **-t (Beiname: Jianluo JUi, ca. 1520-1606) XXIII, 284 Anm. 68
255,289,351,567,622 LiJian'an *ltliltl 486Anm. 95
He Xinyin fnJ,t.,111 (Liang Ruyuan ~~ft, 1517-1579) 341 Anm. 311, 358f., 757 Li Jinglun *tll!~ (Beiname: Mengquan ~JÄ, Großjährigkeitsname: Chengfu fit~)
He Lin JU~ (1902-1992) XXV, 112 530Anm. 32

Hong Yuan 5Jliffi: (Beiname:Jueshan Ji111) 321,397,422 Anm. 107,512,634 LiJinglun *tll!~ (Großjährigkeitsname: Dajing .:ktll!) 530 Anm. 32
Hu Luya i'iJ.lllllf 372 Anm. 461 Li Maoyuan *1-tft 81
Hu Qingya i'iJ.lwllf 583 Anm. 246 Li Pei *1J[ßl (Beiname: Yunshi-Shanren ~:fi111.A.., 1474-1528) 530Anm. 32
Hu Yangzhai i!ilH(!l~ 293,309 Li Sui *~ (Beiname: Kezhai %~, 1504-1566) 284, 294Anm. 120,351,515
HuZhi i'iJ.IB (Beiname: Lushan Jil111, Großjährigkeitsname: Zhengfu IHli, 1517-1585) Li Tianzhi *~~ 397
291,621 Anm. 2,640 Anm. 93, 735 Li Tong *-1Fo.l (Beiname: Yanping ~siz, 1093-1163) 593f., 597 Anm. 318
818 819

Li Zhi ~- (1527-1602) 287f. LüBen 8* (1503-1587) 399Anm. 5,400


Li Zhong ~i:p (Beiname: Guping ~SJZ-, 1478-1542) 622 Lii Huai 8ffi (Beiname:.Jinshi rfJ:/:i) 753f.
Liang Shuming ~~~ (1893-1988) XXV Lü Nan 8Wl (Beiname:Jingye 5~ir, 1479-1542) 295,372
Lin Chun ~ff (Beiname: Dongcheng Jll:IJ&, 1478-1541) 314, 339f. Lü Wozhou 85Aml 626 Anm. 23,642 Anm. 112
Liu Bangcai ll~* (Beiname: Shiquan ~ili~, ca. 1491-1576) 102, 345ff., 349,353,390, Lii Dong 8Jll 391
397,567,629,632,634,638f.,711-721,761,771 Ma Mingheng J\'ffiS}ljti (Großjährigkeitsname: Zixin T~) 39, 97, 155 Anm. 76, 237,
Liu Bingjian IJ~~ (Beiname: Yinshan EP tll) 348 250Anm. 1
LiuJin IJ!i (?-1510) 36f., 70f., 296Anm.127 Mao Zhiqing ~5S9fül 460 Anm. 214,513 Anm. 189
Liu Kui IJ.IM (Beiname: Qingquan BffJII) 41, 94Anm. 198,623 Meng Yuan ~JW (Bosheng fB~) 13 3 Anm. 10
Liu Neizhong jjpq_ffi'. 170 Mengzi ~T (ca. 371-289 v.Chr.) 23-28, 775-780
Liu Qizong IJ)tjf;j~ (Beiname: Chuquan *JJ;\ft.) 391 ff., 453, 722f., 752f. Mou Zongsan fpffs=. (1909-1995) XXV, 112,252 Anm. 7
Liu Wenmin JJ)t~ (Beiname: Liangfeng ffi~, 1490-1572) 102, 345ff., 349,352,537, Nan Daji ffi.:k~ (Beiname: Ruiquan Ilfü~, Großjährigkeitsname: Yuanshan 5r;~) lO0f.,
593 Anm. 292 114,226
Liu Xiao IJ~ (Beiname: Meiyuan ffiJmt, 1481-1563) 346ff., 715f., 771 Nie Bao iffi~ (Beiname: Shuangjiang ~5I, 1487-1563) 45, 85, 102, 104 Anm. 255,
129,212,278,293,341,349f.,352,449,521-620,623-625,633-635,642,650-657,
Liu Xuan IJ '§' 348
669f.,676,686,692, 711ff., 755,757,760,762, 767ff., 787
Liu Yang IJ~ (Beiname: Sanwu =.1i) 289, 345ff.
NieJing iffiml 312, 342, 533
Liu Zhaogun IJfUt 345
Ouyang De llt~1ij (Beiname: Nanye ffiir, 1496-1554) 49 Anm. 1, 94 Anm. 198,
Liu Zhongshan IJ 't1 tll 524 97, 116 Anm. 310, 146, 150, 158, 163, 176f., 198 Anm. 43,212 Anm. 91, 257f.,
Liu Zihe IF:f ~ 34 5 277f., 282,286, 289-312, 320,350,391,494,499,522, 536-565, 568ff., 623,626,
766
Liu Zongzhou ilffs~ (1578-1645) xxrv, 288,415,651
Ouyang Shaoqing llt~~II 294
Lou Liang ~~ (1422-1491) 54, 69 Anm. 102
Ouyang Xiqing llt~#s:11 294
Lu Cheng lli~ (Großjährigkeitsname: Yuanjing ~ff) 114, 133, 185 Anm. 182,
194-196, 203f., 221, 246, 249,265,466, 589, 592 Peng Zan :Wflf (Beiname: Shishi 1:i~) 567
LuJiuyuan lli:hJJMI (Beiname: Xiangshan j,tll, 1139-1193) XX, XXIX, 18, 21, 75, 80f., Pu Han >115! (= Pu Zhizhao ~~llß [?]) 397
108, 246,265,475,481,484, 539 Anm. 68, 632, 759 Pu Zhizhao >l~llß (= Pu Han ~5! [?]) 368 Anm. 444
Lu Shiju l!i:fi.@482 Anm. 78 Qi Xian Ja&~ (Beinamen: Nanshan ffitll, Nanxuan ffi~, 1492-1553) 404f., 504,
Lun Yanshi Meit~ 219Anm. 103,228 626 Anm. 23, 635f., 752f.
Luo Congyan M1:E:lt (1072-1135) 597 Anm. 318 Qian Dehong ~ffi~ (Beiname: Xushan Mii'tll, 1497-1574) 49f., 98ff., lülf., 113, 115ff.,
122, 216, 280, 285f., 289f., 384f., 389, 39lf., 397, 399-462, 627ff., 629 Anm. 39,
Luo Hongxian M~$t (Beiname: Nian'an ~Fil!, 1504-1563) 129,245,277,313, 337ff.,
643 Anm. 112,644, 68lff., 76lf., 766
350, 352f., 395, 444f., 449,460,485,519 Anm. 203,534,574,577,586 Anm. 260,
621-750,760,762,771f. Qiu Shiyong .lißll~Ui 391-393, 395
Luo Qinshun Mtv:'.J@[ (Beiname: Zheng'an ~Fil!, 1465- 1547) 88,261, 295-312, 544, Ricci, Matteo (LiMadou *,~.il, 1552-1610) 3 Anm. l, 6 Anm. 9, 7 Anm. 13,288
546,556 Sengzhao if!Hl (374 oder 384-414) 211,230
Luo Rufang t.iUt:E' (Beiname:Jinxi lliJI, 1515-1588) 277,279,354,357,390, 475f., 499 Shang Tingshi ~g"/µl; 408 Anm. 64
Luo Shiguang M1!D't (Großjährigkeitsname: Yizhao P)llß) 641,648, 734 Shao Yong ?:l~~ (1011-1086) 457,580,603,606
Luo Xun M{ffli (1464-1533) 621 Shao Yuanjie BPftW 42
820 821

Shenhui ~- (684[?]-760) 206,489 Wang Shenzhong .:E1jg:i (Beiname: Zunyan IUil, 1509-1559) 458, 504f., 509,600
Shenxiu ~~ (605[?]-706) 432 Wang Shihuai .±~~ (Beiname: Tangnan :liffi, 1522-1605) 352
Shen Chong 5%■ (Beiname: Siwei ,!-!lt) 118 Wang Shoujian .± ~~ 51 Anm. 11
Shi Tianjue M!i~fi 397 Wang Shouwen ±~Je 51 Anm. 11,170
Shi Lianbo ~.LlfB 349 Anm. 356, 364Anm. 432 Wang Shouzhang .±~- 51 Anm. 11
Shi Xiyan :fi'*M 636 Wang Siyu .± 'a'J• (.±,!-•) 70 Anm. 103
Shu Guoyong ffllffl 144Anm. 41, 165 Anm. 113, 195 Wang Weizhong .:E1ti:p 588 Anm. 261
Sima Chengzhen 'a'JK!i~~ (647-735) 660 Wang Wenyuan ±Jeff (Beiname: Huangyuzi jf:lfr) 374
Song Yiwang 5Rii~ (Beiname: Wangzhi ~;z) 279, 359 Anm. 405, 474, 528, 532, Wang Ymgbin ±BiOil 491, 501
586Anm.257 Wang Yuzhai .:EtlU!f 562
Tang Shao'en )Bjl,~ 405 Wang Zhengxian ±iHI (1508-?) 46, 82
Tang Hezheng !falle 649 Wang Zhengyi ±IE-11 (Beiname: Longyang fiMi, 1526-?) 82, 98,107,497 Anm. 141
Tang Junyi Jfti!lt (1909-1978) XXV Wang Zijing .± -=:r~ 342
TangShunzhi )l!fJIJ;z (Beiname:Jingchuan 1i1i'JII, 1507-1560) 458,601,624, 626Anm. 23, Wang Zongmu 3::~j}jc Oingsuo ~JiJr, 1523-1571) 537, 573ff., 734
624(,641(,644, 735
Wei Liangbi illl~ (Beiname: Shuizhou ;;,J<~M, Großjährigkeitsname: Shiyue Bili~,
TangYin JfJl (1470-1524) 91 Anm.187 1492-1575) 152 Anm. 63, 166f., 175f., 320, 351
Tao Zhongwen IIQ#JC 42 Wu Cheng !R:>I (1249-1333) 108
WanRizhongfiil:l,t',659, 701,703
Wan Tingyan •g~ (Beiname: Simo ,!-~) 353
WuJietui ~ffiilt 590, 596
Wu Tongchun ~fc.lff (Großjährigkeitsname: Zhonghuai i:pJl) 398, 502
Wang Shitan 5.!~)Jl 143 Anm. 39 Wu Yubi ~j@~ (1392-1469) 54Anm. 22, 69 Anm.102
Wang Bi.±~ (226-249) 112, 189 Anm. 2 Wu Nanxi ffiffi~ 526 Anm. 23
Wang Bi.±• (Beiname: Dongya ~J~, 1511-1587) lO0Anm. 227,287,314,320 Wu Wending tliJC~ 92
Wang Chen .±~ (Beiname: Yaohu Jfl.Ji\Jl, Großjährigkeitsname: Gongbi ~ffl) 149, 151, Xi Shu ffiflf (Beiname: Yuanshan Ji;lll, 1461-1527) 75f., 80, 98
183,283,313,320,324,351,634
Xia Dunfu ~~5\:. 364Anm. 431
Wang Gang .:Ejlj 105
Xia Yan ~~ (1482-1548) 40f., 362,458 Anm. 207, 533f.
Wang Gen .:EI,! (Beiname: Xinzhai ,t,~, 1483-1541) XXIII, 101 Anm. 234,102,238,
264ff.,312-344,391,623(
Xiang Qiao ~~ (Beiname: Oudong ~*, 1494-1553) 661
Xiao Yun'gao lfflf~,IJ: 659 Anm. 171
Wang Hua .±~ (Beiname: Longshan Kill, 1453-1522) 50-52, 55, 62, 71, 98
Xie Gaoquan ~~~ (Beiname: Dongshan *Ul) 681 Anm. 266
Wang Ji .±~ (Beiname: Longxi fi~, 1498-1583) XXIII, 101f., 170, 173, 245f.,
248Anm.27,250(,272(,276,280,285,287, 340,344,369, 380-392, 397-520, Xie Tingjie ~g~ (Xinjian ffiil) 119f.
535(,544,573-763, 769( Xie Weishi ~f.t1!!: 666 Anm. 197
WangJi ±Iil (Beiname: Zai'an 1:EPli:, Großjährigkeitsname: Zaishu 1:Et-X, 1490-1563) Xingsi fi,'!t (660-740) 345 Anm. 335
284,403 Anm. 35 Xiong Shili ~+f.J (1885-1968) XXV, 112,251 Anm. 7
WangJifu .:E5trm (Beiname: Ruzhou 5.tf-1-) 315 Anm. 202,627, 631f. XuAi f.t-~ (Beiname: Hengshan -ffiÜl, 1487-1517) 74, 76, 83, 108f., 114,122,250,
Wang Liangya .±~~ 526 Anm. 23 253f., 256
Wang Qiong .:Eil (1459-1532) 88, 91, 93 Xu Chengzhi fisp.)t.z 114, 262 Anm. 30
822 823

XuJie fts~W (Beinaine: Cunzhai ~jl, 1503-1583) 278,283,293, 357, 521, 534--536, Zeng Huashan 'li$ill 526 Anm. 26
621 Anm. 2 ZengTongheng f!t'fqi• (Beiname:Jiantai ~•, 1533-1607) 497 Anm. 141, 746
Xu Shaochu ~~~JJ (= Xu Liangchuan ~ ll it) 634 Anm. 61 ZengYuanshan f.f]i;ill 759,
Xu Shiju ~~- 573f. Zhan Ruoshui m~7J< (Beiname: Ganquan 1:t~, 1466-1560) XXIII, 65-70, 82f., 85ff.,
Xu Yue ~- (?-1552) 314,352,357 Anm. 394 105,107,186,288,313,322,348,622,624,668,753
Xu Zibi fts-r~ 368 Anm. 443 Zhan Yizhai ftl!IJllf 703 Anm. 363
Xu Fuyuan i'F$ffi (1535-1604) xxrv; 287f. Zhang Boduan iHä~ (?-1082) 60
XuTai i'f~ 93, 95 Zhang Cong ~- (Fujing $1() 7, 39f.
Xu Xiangqing i'fffl9ffll 289 Zhang Dai ~t& (1597-1684[?]) 386Anm. 514
Xu Yulin i'f 3i# 599 Anm. 323 Zhang Feng ~- (Yuping 3iBJ) 342 Anm. 317, 359
Xu Zhang i'fil 70 Anm. 103 Zhang Huai ~~ 397
Xuanzang ~31t (ca. 600-664) 147f., 480 Anm. 73, 488, 780 ZhangJing ~- 282f.
XueK.an ff-Oil. (Beiname: Zhongli i:j:lal, ?-1545) 49Anm.1, 90Anm. 179, 97,114,134, ZhangJuzheng ~F.siE (1525-1582) 44--48, 279, 280Anm. 49,357,396,410
237,277,281,283,623 Zhang Shi ~fit (1133-1180) 34, 142f., 153,163
Xue Qiao ffil 283 Zhang Xuye ~~ff 622 Anm. 7
Xue Yingqi ffJJiMr (Beiname: Fangshan JJUJ, 1500-1573)XXIV; 269 Anm. 2,288,405 Zhang Yong ~* (1465-1529) 37f.
Xunzi ttiT (ca. 313-238 v.Chr.) 28-30 Zhang Yuanbian ~5i;'li- (Beiname: Yanghe ~.;ffl, 1538-1588) 248 Anm. 27, 380
YanJun -~ (Beiname: Shannong ill/1, 1504--1596) 341 Anm. 311, 353ff., 757,770 Anm. 492, 386f., 421 Anm. 102,425 Anm. 116

Yan Song lii* (1480-1565) 41, 43, 296Anm. 127,533, 641f. Zhang Yuanzhong ~j'i;jl:j:I (Beiname: Fufeng
448,627,630,652
n•, 1502-1563) 49 Anm. 1,236,416,
Yan Yue ft#I 356
Zhang Zai ~- (1020-1078) 20, 91, 159, 197 Anm. 36,230 Anm. 147,252,301,494,
Yang Hushan fflMill 424 628
Yang Ji fflll (Großjährigkeitsname: Shide 1±fj) 90 Anm. 1 Zhang Zhan ~m (4.Jh.) 230 Anm. 147
Yang Qiyuan ffl~j'i; (1547-1599) 287 Zhang Zhong ~~ 93, 95
Yang Shi ffl~ (Beiname: Guishan Mill, 1053-1135) 597 Anm. 318 Zhao Bi ffi~ (Beiname: ZiliangT ll) 636
YangJian fflM (Beinaine: Cihu ~;i\lJ, 1141-1226) 366, 375ff., 383,385, 446f., 451,604,650 ZhaoJin ffitjl (Beiname: Linyang lt~, 1516-1591) 410,500 Anm. 147
YangTinghe ffl~;ffl (1459-1529) 38, 97 Zhao Tang ffi~ 391, 397
Yang Yueshan ffl .F.1 ill 37 5f. Zhenjue Jttl 671 Anm. 218
Yao Mo !dtjt 103 Zheng Xuan ~~ (127-200) 139
Yin Tun Jt~ (Beiname: Hejing ;ffl~, 1071-1142) 660,662 Anm. 183 Zheng Yichu ~-~J] (Zhaoshuo :ffl,1JI) 255
Yin Zhe Jtffl (Daoyu m!!ll:) 636,651,658,688 Zhiyi ffiii: (538-597) 495
Yu Liuxi ~ffll~ 371 Zhou Dongyan ~tll& 742 Anm. 488
Yuan Qinglin ~.läl.M 351 Zhou Dunyi f,!9®{1ffi(1017-1074) XXI, 52,220,222,224, 246Anm. 17,299, 470f., 594f.,
Yue Hui ~~ 284 606f., 628, 653, 701f., 702 Anm. 360, 766
Zeng Caihan 'l!t ;1-ff 118 ZhouJi ~ffi 105
Zeng Hongzhi 'l!t~z 365 Zhou Rudeng ~)k~ (Beiname: Haimen ~r,, 1547-1629[?]) 287,402 Anm. 26
824

Zhou Ruyuan ~~~ (Beiname: Lengtang ~ili) 120 Anm. 330, 40 5


Zhou Yi ~~ (Beiname: Nuoqi ~11, Großjährigkeitsname: Shunzhi J1m:z, 1506-1569)
365 Anm. 438,485 Anm. 94
Zhu Chenhao *~51 (PrinzNing $, ?-1521) 90-94, 374Anm. 466
Zhu Dezhi *fi;z (Großjährigkeitsname: Bensi *JI) 200
Zhu Siben *''-* (1273-1333) 625
Zhu Shouxie *~m1l 172 Anm.137
Zhu Xi *• (1130-1200) XXIIIf., 12ff., 30-35, 73, 75, 80, 84, 88, 121, 124, 126,
136-140, 170 Anm. 126,216, 235, 250,253,266, 303 Anm. 153, 304, 360, 369,
395,400, 474f., 534,541, 593-595, 597 Anm. 318,606,632,660 Anm. 173,661,
682 Anm. 277,686, 714Anm. 40,715, 737 Anm. 468
Zhuang Shiyuan n±jc 397
Zhuangzi nr (4.13. Jh. v.Chr.) 96, 211 Anm. 86, 222 Anm. 117, 230 Anm. 147,
256 Anm. 14,470 Anm. 34,490,508,520 Anm. 206
Zongmi ~W (780-841) 206f., 556Anm.139
Zou Shouyi I~~~ (Beiname: Dongkuo */Sil, 1491-1562) 39, 49 Anm. 1, 93,
94Anm. 198, 97,102,109,111, 115f., 164,212 Anm. 91,237, 281f., 286,313, 344ff.,
349f., 352, 359-374, 379f., 390f., 397,424, 526ff., 534,537, 565-574, 586Anm. 260,
623,625,629,630 Anm. 39, 633f., 638f., 642f., 71 lf., 771
Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg Wissenschaften nachgezeichnet. Zum ersten Mal dürfte in einem philosophischen
Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von tlelmut Holzhey Geschichtswerk die Rolle der neuen Wissenschaften in der italienischen Geisteswelt
des 17.Jahrhunderts so ausführlich dargestellt sein, wie es im dritten Kapitel der Fall
Die Philosophie des 17. Jahrhunderts ist. Schwerpunkte bilden die Ausführungen über Galilei (§ 6), über die zu Beginn des
Jahrhunderts in Rom gegründete Accademia dei Lincei (§ 7), die schon früh Galilei
Band 1: Allgemeine Themen. Iberische Halbinsel. Italien als Mitglied aufgenommen hat, über die <Schule> Galileis (§ 8) und über die in ihrer
Herausgegeben vonJean-Pierre Sehobinger Tätigkeit von ihm geprägte florentinische Accademia del Cimento (§ 9), über die
1998. LXJII, 1142 Seiten. 2 Halbbände. Gebunden. Leinen. Schutzumschlag Atomisten, Naturphilosophen, Mediziner und Enzyklopädisten (§ 10), über den Kreis
sFr. 220.- / € 154.- von Bologna mit der dortigenAccademia degli Inquieti (§ 11) und über die in Neapel
ISBN 978-3-6975-1034-2 ansässige Accademia degli lnvestiganti (§ 12). Das vierte Kapitel bringt zuerst einen
allgemeinen Überblick über die kontroverse Rezeption der cartesischen Philosophie
Im ersten Teil werden allgemeine Themen der Philosophie des 17. Jahrhunderts (§ 13) und deren Anhänger und Gegner (§ 14). Der letzte Paragraph enthält eine
erörtert. Nach einer Begrifüstudie über den Philosophen(§ 1) werden für das Jahr- Darstellung der politischen Philosophie in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts
hundert charakteristische transregionale Erscheinungen behandelt: die re.1publica mit Hinweis auf ihre Auswirkungen im 18. Jahrhundert.
litteraria als Wunschbild der europäischen Gelehrtenwelt (§ 2), die Ablösung des
Gebrauchs des Lateins als Gelehrtensprache durch die Nationalsprachen(§ 3), die
Methodendiskussion (§ 4), die Haupttendenzen der klandestinen Philosophie (§ 5) Band 2: Frankreich und Niederlande
und die das Jahrhundert durchziehenden okkulten Strömungen(§ 6). In einem eige- Herausgegeben von J ean-Pierre Schobinger
nen Paragraphen (§ 7) wird zudem die Vermittlung der chinesischen Philosophie in 1993. XXXIII, 1144 Seiten. 2 Halbbände. Gebunden. Leinen. Schutzumschlag
Europa dargestellt. Den Schluss bilden zwei historiographische Beiträge: Zum einen sFr. 230.- / € 161.-
werden die im 17. Jahrhundert entstandenen Philosophiegeschichten thematisiert ISBN 978-3-697 5-0934-6
(§ 8) und zum anderen diejenigen aufgezählt (§ 9), die sich bis zum Erscheinen von
U eberwegs Grundriss ( 1866) zur Philosophie des 17. Jahrhunderts äussern. Der Band beginnt mit einer Darstellung der Schulphilosophie (Kap. 1), die wie ein
Hintergrund das ganze Jahrhundert durchzieht. Darauf folgt die Würdigung des
Der zweite Teil behandelt die Philosophie auf der Iberischen Halbinsel. Als Erstes Niederländers Hugo Grotius (1583-1645) nicht nur als eines Rechtsphilosophen,
wird eine der Tradition verpflichtete, kaum innovative Strömung beleuchtet, die sondern als eines Universalgelehrten, der in Person und Werk jene geistigen Strö-
gekennzeichnet ist durch eine starke Präsenz der klassischen Systeme (Kap. 1) und- mungen vereinigt, die auf die Philosophie der frühen Neuzeit einen massgeblichen
vor allem an den Universitäten - der scholastischen Philosophie (Kap. 2). Innerhalb Einfluss ausgeübt haben (Kap. 2). Anschliessend werden unter dem Titel «Huma-
dieser weitgehend konservativen Erscheinung finden sich Anzeichen einer zaghaften nisten, Weltmänner, Moralisten» Persönlichkeiten behandelt, die das französische
Kenntnisnahme des neuzeitlichen Denkens (Kap. 3). Es folgt eine Darstellung der Denken auf eine für das Jahrhundert charakteristische Weise geprägt haben. Da die
politischen Philosophie, die geprägt ist von der Vorstellung eines weltpolitischen meisten dieser Autoren gewöhnlich in literaturwissenschaftlichen Zusammenhängen
Auftrages und einer sich in Anbetracht der politischen Wirklichkeit einstellenden untersucht werden, war hier die philosophische Bedeutung ihrer Auffassungen eigens
Ernüchterung (K.ap. 4). In diesen Zusammenhang ist eine Würdigung des Werkes zu beleuchten (Kap. 3). Es folgen Darstellungen der herausragenden Philosophen
von Baltasar Gracian (1601-1658) eingebettet. Schliesslich werden die als Kasuistik Pierre Gassendi (1592-1655) (Kap. 4) und Rene Descartes (1596-1650) (Kap. 5),
und Probabilismus bekannten moraltheologischen Theorien diskutiert. wobei ihre Umgebungen wie auch die Ausbreitung ihres Denkens eingehend be-
handelt werden.
Dem dritten, der italienischen Philosophie gewidmeten Teil ist eine historiographi-
sche Einleitung vorangestellt. Das erste Kapitel behandelt die Auseinandersetzungen Weitere bedeutende Philosophen des Jahrhunderts sind Blaisc Pascal (1623-1662),
über das Konzil von Trient(§ 1), die Tendenzen der politischen Philosophie in der der zusammen mit dem Jansenismus und dem Kloster Port-Royal behandelt wird
ersten Jahrhunderthälfte, insbesondere die Lehre von der Staatsräson (§ 2), und (Kap. 6), Nicolas de Malebranche (1638-1715), der in Frankreich etliche Anhänger
Tommaso Campanella (1568-1639) (§ 3). Thema des zweiten Kapitels ist die noch hatte (Kap. 8), Baruch de Spinoza (1632-1677), zu dessen Umfeld die jüdischen Den-
nicht systematisch erforschte Philosophie an den Universitäten(§ 4) sowie die weit- ker in Amsterdam gehören (Kap. 10), und Pierre Bayle (1647-1706), der im Kontext
gehend bekannte Situation in denJesuitenkollegien (§ 5). In diesem Zusammenhang der historischen Kritik gewürdigt wird (Kap. 12) und dessen geistiger Hintergrund
werden die spannungsreichen Beziehungen der jesuitischen Philosophie zu den der Refuge ist (Kap. 11).
Diese Reihe <grosser Philosophen> wird durch Darstellungen unterbrochen, die nach religionspolitischen, erkenntnistheoretischen, pädagogischen, finanz- und wirtschafts-
geläufigem philosophiehistorischem Verständnis Randerscheinungen gewidmet sind. So politischen sowie medizinischen Lehren dargestellt, anschliessend seine Anhänger und
enthält das Kapitel über den Aufbruch der Wissenschaft in Frankreich eine Übersicht über Gegner sowie die durch ihn ausgelöste Debatte über die Seele behandelt (Kap. 9).
das Netz von Akademien, in denen sich wissenschaftlich interessierte Philosophen mit
Wissenschaftlern und gelehrten Laien getroffen haben (Kap. 7). Von derselben Natur sind
die Kapitel über die französische Mystik und die Philosophie (Kap. 9), über die hugenotti- Band 4: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Nord- und Ostmitteleuropa
schen Denker im Exil (Kap. 11) und über die Begründung der historischen Kritik (Kap. 12). Herausgegeben Helmut Holzhey und Wilhelm Schmidt-Biggemann unter
Mitarbeit von Vilem Mudroch
2001. XXIV; 1507 Seiten. 2 Halbbände. Gebunden. Leinen. Schutzumschlag
Band 3: England sFr. 290.- / € 203.-
Herausgegeben von J ean-Pierre Schobinger ISBN 978-3-6975-1035-9
1988. :xxxrv, 874 Seiten. 2 Halbbände. Gebunden. Leinen. Schutzumschlag
sFr. 160.- / € 112.- Der Band bietet erstmals eine umfassende Gesamtdarstellung der Philosophie des
ISBN 978-3-6975-0872-1 17. Jahrhunderts in Deutschland, Nord- und Osteuropa. Ans Licht gezogen werden
auch bisher wenig oder kaum bekannte Richtungen und Autoren. Im Mittelpunkt
Der Band beginnt mit einem Überblick über die von den Historikern im Allgemeinen des Deutschland-Teils stehen die katholische, die reformierte und die lutherische
zu wenig beachtete Schulphilosophie, die sich zum einen als Hüterin der aristotelisch- Schulphilosophie. Voraus geht die Behandlung von Spiritualismus und Mystik, der
scholastischen Tradition erweist, zum anderen aber ein Indikator für das Ausmass Gesellschaftsutopien, des Pietismus und des Lullismus. Dem schulphilosophischen
der zeitgenössischen Rezeption innovatorischen Denkens ist (Kap. 1). Ein weiteres Kapitel folgen die Darstellungen der politischen Philosophie und der Rechtsphiloso-
Moment des philosophischen Selbstverständnisses Englands im 17. Jahrhundert sind phie, des Sozinianismus, der Religionskritik und der ersten naturwissenschaftlichen
die religiös motivierten Debatten, in denen - cum grano salis - der Anglikanismus die Bemühungen. Der Deutschland-Teil mündet in die Kapitel über Gottfried Wilhelm
Seite der Vernunft, der römische Katholizismus die des «richtigen» Glaubens und der Leibniz (1646-1716) und Christian Thomasius (1655-1728).
Puritanismus die des Enthusiasmus repräsentiert (Kap. 2).
Im zweiten Teil werden die Natur- und Schulphilosophie sowie der Cartesianismus in
Zu den bekanntesten Philosophen der Epoche gehört Thomas Hobbes (1588-1679); Schweden, Finnland und Dänemark behandelt, dann ausführlich die zahlreichen und
neben seiner politischen Theorie werden auch seine Beiträge zur Erkenntnislehre und wichtigen Beiträge zur Philosophie in Polen, abschliessend die protestantische und
Logik sowie seine mathematischen und naturwissenschaftlichen Arbeiten behandelt katholische Schulphilosophie im Königreich Ungarn.
(Kap. 3). Kennzeichnend für das englische Denken des 17. Jahrhunderts sind ferner
die Renaissance des Platonismus (Kap. 4) und die relativ beschränkte unmittelbare
Nachwirkung der cartesischen Philosophie (Kap. 5). Ein weiteres Phänomen sind die Die Herausgeber
Bemühungen um die Entwicklung einer Universalsprache (Kap. 6). In der Nachfolge Jean-Pierre Schobinger, geboren 1927, studierte Maschinenbau und Philosophie. Er
Francis Bacons (1561-1626) entsteht in England ein starkes Interesse an naturphilo- promovierte 1958 zum Dr. phil., 1959 zum Dr. sc. tech., 1963 erfolgte die Habilitati-
sophischen Fragestellungen. Die neue Wissenschaft ist dem mechanistischen Welt- on. Ab 1967 war er ausserordentlicher, von 1976 bis 1994 ordentlicher Professor für
verständnis und dem Experiment verpflichtet; einen Höhepunkt erreicht sie in der Philosophie an der Universität Zürich. Er starb 2001.
Physik Isaac Newtons (1643-1727) (Kap. 7). Helmut Holzhey, geboren 193 7, studierte Evangelische Theologie, anschliessend Philo-
sophie und Soziologie. Von 1978 bis 2004 war er Professor für Philosophie, besonders
Ein weiteres Kapitel ist der politischen Philosophie gewidmet, die im frühen 17. Jahr- für Geschichte der Philosophie, an der Universität Zürich.
hundert von der Lehre des «Divine Right» der Könige tmd vom Rechtsdenken des Wilhelm Schmidt-Biggemann, geboren 1946, studierte Philosophie, Literaturwissen-
«Common Law» geprägt ist. Im Bürgerkrieg werden diese Konzeptionen vom radikalen schaft, Geschichte und Theologie. Er ist Professor für Philosophie an der Freien
Protestantismus und später vom Republikanismus in Frage gestellt, wodurch sich der Universität in Berlin und seit 2003 Leiter des Interdisziplinären Zentrums «Mittelalter
Patriarchalismus zu einer kompromisslosen Verteidigung der absoluten Monarchie her- - Renaissance - Frühe Neuzeit».
ausgefordert sieht (Kap. 8). Ein wichtiger Gegner des Patriarchalismus und der wohl be- Vilem Mudroch, geboren 19 51, studierte Philosophie in Kanada, Frankreich und Zürich
kannteste englische Philosoph des späten 17. Jahrhunderts ist John Locke (16 32-1704). und promovierte 1984. Seit 1985 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Studienbe-
Auf über hundert Seiten werden seine naturrechtlichen und staatsphilosophischen, rater am Philosophischen Seminar der Universität Zürich.
Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg Die Darstellung zeichnet ein Gesamtbild Platons und vermittelt einen Eindruck
Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey davon, dass und warum wir es bei Platon nicht nur mit dem bedeutendsten Philoso-
phen, sondern auch wichtigsten Prosakünstler der Antike zu tun haben, bei dem sich
Die Philosophie der Antike nur zum Nachteil für ein angemessenes Verständnis philosophische und literarische
Herausgeben von Hellmut Flashar Aspekte trennen lassen. In den letzten Dezennien erfreut er sich grössten Interesses
und gehört zu den am meisten übersetzten Autoren, nicht nur der Antike, in fast alle
Band 2/2: Platon Weltsprachen.
Von Michael Erler
2007. XII, 792 Seiten. Gebunden. Leinen. Schutzumschlag Der Autor
sFr. 160.- / € 112.- Michael Erler, geboren 1953, studierte Mathematik, Physik, Philosophie, Griechisch
ISBN 978-3-6975-2237-6 und Latein in Köln und London. Er ist seit 1991 Ordinarius für Klassische Philologie
an der Universität Würzburg.
Der Band steht in der von Friedrich Ueberweg und Karl Praechter vertretenen
Tradition philosophiehistorischer Darstellung, die sich durch eine enge Verbindung
von Philosophie und Philologie auszeichnet. Denn zur Philosophiegeschichte ge-
hört die Erklärung der philosophischen Dogmatik, die in der Antike aber oft durch
fragmentarischen und literarischen Charakter der Quellen erschwert ist und deshalb
philologischer Kompetenz bedarf. Dies ist auch und gerade bei Platon und seinem
dialogischen Werk der Fall. Deshalb wird eine systematische Darstellung platoni-
scher Lehre durch eine ausführliche Werkbeschreibung ergänzt, welche auch die
literarischen Besonderheiten platonischer Dialogkunst berücksichtigt und dabei für
die systematischen Teile, aber auch die einzelnen Schriften den Stand der wissen-
schaftlichen Diskussion dokumentiert. Die Werkbeschreibung geben dem Leser die
Möglichkeit einer ersten Orientierung über den Inhalt von Platons umfangreichem
Werk. Die systematischen Teile informieren über wesentliche Aspekte der Phi-
losophie Platons wie seine besonderen Philosophiebegriffe, seine Epistemologie,
Ontologie, Psychologie, Kosmologie und politische Philosophie ebenso wie über
Einzelaspekte wie Platons Haltung zur Bildung, zur Musik oder Mathematik. Auch
hier wird der jeweilige Stand der Diskussion in die Darstellung einbezogen.

Der philologische Aspekt der Darstellung kommt darüber hinaus in einem ausführ-
lichen Kapitel «Platon als Autor» zur Geltung. Hier werden die Besonderheiten pla-
tonischer Dialogkunst und ihrer Beziehung zur philosophischen Aussage des Werkes
untersucht, in der Erkenntnis, dass literarische Ausdrucksform und philosophische
Botschaft gerade bei Platon nicht zu trennen sind. Durch die Verbindung von Werk-
beschreibung und Doxographie soll Platon in seiner ganzen philosophischen und
literarischen Bedeutung gewürdigt werden, im Bewusstsein, dass seine Philosophie
sich kaum systematisieren und in jene philosophischen Teilbereiche aufteilen lässt,
die sich bei Platons Nachfolgern dann herausgebildet haben.
Das Signet des 1488 geg1iindetcn
Druck- und Verlagshauses Schwabe
reicht zurück in die Anfänge der
Buchdruckerkunst und stammt aus
dem Umkreis von Hans Holbein.
Es ist die Druckennarke der Petri;
sie illustriert die Bibelstelle
Jeremia 23,29: «Ist nicht mein Wort
wie Feuer, spricht der flerr,
und wie ein Hammer, der Felsen
zerschmettert?»

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